Springer-Lehrbuch
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Springer-Lehrbuch
Peter Fritsch
Dermatologie und Venerologie für das Studium Mit 505 farbigen Abbildungen und 113 Tabellen
123
Universitäts-Professor Dr. Peter Fritsch Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie Anichstraße 35 6020 Innsbruck Österreich
ISBN 978-3-540-79302-1 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2009 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Christine Trotta, Peter Bergmann, Heidelberg Projektmanagement: Sigrid Janke, Heidelberg Lektorat: Dr. Susanne Meinrenken, Bremen; Kerstin Barton, Heidelberg Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN 10681222 Gedruckt auf säurefreiem Papier
15/2117 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Liebe Studierende und Leser! Dieses Buch baut auf meinem Lehrbuch »Dermatologie und Venerologie« auf, das 1983 erstmals erschien und eine Reihe von erweiterten und aktualisierten Auflagen durchmachte, zuletzt 2004. Es wurde dabei von Mal zu Mal stattlicher, größer und dicker, bis die Gefahr drohte, dass die ursprüngliche Zielpopulation, die Studenten, aus dem Visier geriete. Der Springer-Verlag, der mein Buch dankenswerterweise durch die Jahrzehnte getragen hat, machte mir dies vor ein paar Jahren klar und forderte eine Kurzversion ein. Diese liegt Ihnen nun vor. Sie enthält alles, was der Student von der Dermatologie-Venerologie wissen sollte (und im Gegenstandskatalog festgehalten ist), darüber hinaus aber noch manches Erklärende, das die Neugier des Interessierten wecken soll und die Mühsal des Lernens erleichtern kann. Ich nutzte den Auftrag aber auch zu einem zweiten Ziel: die jahrzehntelange freundschaftliche Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern unserer Klinik durch ein gemeinsames Werk zusammenzufassen und abzuschließen. Alle gegenwärtigen und viele der ehemaligen Mitarbeiter, dazu noch eine Reihe von Gastautoren, haben mit mir gemeinsam versucht, den Stoff für die Bedürfnisse der Studierenden zu adaptieren und auf den neuesten Stand zu bringen. Das Buch ist also eine Gemeinschaftsarbeit und präsentiert die Innsbrucker Schule der Dermatologie in einer Nussschale. Es ist dennoch kein Multiautorenwerk im üblichen Sinn. Da viele Hände und Hirne in ihm tätig waren, habe ich mich bemüht, es zu einer homogenen, leicht fasslichen und kompakten Legierung mit eigenständigem Profil und Stil werden bzw. bleiben zu lassen. Da die einzelnen Beiträge unentwirrbar zu einem Ganzen geworden sind, sollen alle Mitarbeiter Koautoren des gesamten Buches sein. Die Liste ist zwangsläufig lang, allerdings sind die Gewichte ihrer Beiträge durchaus verschieden. Die unten zugeordneten Themen sind die Haupt-, meistens aber nicht die alleinigen Felder ihrer Tätigkeit in diesem Buch.
(Ko)Autoren mit umfangreichen eigenständigen Beiträgen: Univ. Prof. Dr. Robert Zangerle (Innsbruck): Venerologie, Infektiologie ao. Univ. Prof. Dr. Bernhard Zelger (Innsbruck): Neoplasien der Haut, Histopathologie ao. Univ. Prof. Dr. Matthias Schmuth (Innsbruck): Genodermatosen, Haut und Gesamtorganismus, Schwangerschaftsdermatosen, Barrierefunktion Univ. Prof. Dr. Helmut Hintner (Salzburg): Bullöse Dermatosen, Epidermolysen ao. Univ. Prof. Dr. Nikolaus Romani (Innsbruck): Langerhanszellen, Zytokine, Immunologie, Elektronenmikroskopie ao. Univ. Prof. Dr. Norbert Reider (Innsbruck): Allergologische Hauttestung, Urticaria, Anaphylaxie, Berufsdermatosen, manche Ekzemformen, Medikamentenund Nahrungsmittelallergien ao. Univ. Prof. Dr. Norbert Sepp (Innsbruck): Gefäße der Haut, Paravasate, Wundbehandlung, Kollagenosen, Mastozytosen, Lymphome
VI
Vorwort
Priv. Doz. Dr. Florian Weber (Innsbruck): Exogene Schäden der Haut, Lichttestung und -therapie, Photodermatosen ao. Univ. Prof. Dr. Gudrun Ratzinger (Innsbruck): Fallquiz
(Ko)Autoren mit weniger umfangreichen eigenständigen Beiträgen: ao. Univ. Prof. Dr. Alexis Sidoroff (Innsbruck): Auflichtmikroskopie, Photodynamische Therapie, Laser ao. Univ. Prof. Dr. Georg Weinlich (Innsbruck): Porphyrien Dr. Gerlinde Obermoser (Innsbruck): Lupus erythematodes Priv. Doz. Dr. Gerda Topar (Innsbruck): Operative Dermatologie, Verätzungen Dr. Klaus Eisendle (Innsbruck): diverse Infektionen, granulomatöse Dermatosen, Hautzeichen bei inneren Neoplasien, altersspezifische Krankheiten ao. Univ. Prof. Dr. Reinhard Höpfl (Innsbruck): Humane Papillomviren, Pockenviren, Parasitosen, Proktologie Dr. Mehmet Baltaci (Innsbruck): Neutrophile und eosinophile Dermatosen, M. Behçet, neurokutane Syndrome Dr. Karin Niescher-Lüftl (Innsbruck): Wundversorgung
(Ko)Autoren mit kleineren Beiträgen: Prim. Univ. Prof. Dr. Josef Auböck (Linz), Prim. Univ. Doz. Dr. Georg Klein (Linz), Dr. Manuel Wilhelm (Innsbruck), Dr. Marlene Kuen-Spiegl (Innsbruck), ao. Univ. Prof. Dr. Van Anh Nguyen (Innsbruck), Dr. Maria Kitchen-Hosp (Innsbruck), Dr. Elisabeth Muglach (Innsbruck), Ass. Prof. Dr. Mario Sarcletti (Innsbruck), Dr. Kathrin Dander (Wiener Neustadt), Dr. Anna Maria Derler (Graz), Dr. Bettina Hönlinger (Innsbruck), Dr. Doris Neururer (Innsbruck), Dr. Cornelia Egger (Innsbruck).
(Ko)Autoren von Kapiteln, die adaptiert aus früheren Auflagen übernommen wurden: Univ. Prof. Dr. Hugo Partsch (Wien): Phlebologie Univ. Prof. Dr. Wolf-Bernhard Schill (Gießen) und Univ. Prof. Dr. Frank Michael Köhn (München): Andrologie Dr. Sidi Unterkircher (St. Johann/Tirol): Proktologie
VII Vorwort
(Ko)Autoren, von denen Textfragmente aus früheren Auflagen in manche Kapitel inkorporiert sind: Univ. Prof. Dr. Georg Stingl (Wien), Univ. Prof. Dr. Rudolf Happle (Marburg), Univ. Prof. Dr. Gerold Schuler (Erlangen), Univ. Prof. Dr. Angelika Stary (Wien), Univ. Doz. Dr. Heinz Kofler (Hall/Tirol), Priv. Doz. Dr. Alfred Grassegger (Innsbruck).
Allen diesen Autoren wie auch den anderen Personen, die bei der Erstellung dieses Buches wesentlich mitgeholfen haben, möchte ich herzlich danken: meiner Sekretärin Frau Gabriele Willim, unserem Photographen Herrn Bernhard Sickert, sowie den Mitarbeitern des SpringerVerlages, Frau Sigrid Janke, Frau Christine Trotta und insbesondere der sehr verständnisvollen Frau Susanne Meinrenken. In der Hoffnung, dass Sie dieses Werk nützlich finden und lesen Univ. Prof. Dr. Peter Fritsch Innsbruck, April 2009
IX
Der Autor Geboren 1940 in Wien. Medizinstudium und Facharztausbildung in Dermatologie und Venerologie an der Universität Wien. Forschungsaufenthalt 1974–75 an der Yale University (New-Haven, Connecticut). Habilitation 1976 in Wien. Seit 1983 Ordentlicher Professor und Klinikvorstand der Universitäts-Hautklinik Innsbruck. Emeritierung 1. Oktober 2008. Hauptarbeitsgebiete: Klinische Dermatologie, Biologie der Haut, Pigmentzellen u.a.m. Autor mehrerer Fachund Lehrbücher. Mitglied bzw. Ehrenmitglied zahlreicher Fachgesellschaften. Versteht Dermatologie und Venerologie als rationale Disziplin der Gesamtmedizin und sich selbst als Generalisten des Faches. Engagement in studentischer Lehre und ärztlicher Ausund Weiterbildung.
Das Layout: Dermatologie und Venerologie
Inhaltliche Struktur: klare Gliederung durch alle Kapitel
Leitsystem: schnelle Orientierung über alle Kapitel und den Anhang
Aufzählungen: Lerninhalte übersichtlich präsentiert
Verweis auf Abbildungen, Kapitel und Tabellen: deutlich herausgestellt und leicht zu finden
Tabelle: klare Übersicht der wichtigsten Fakten
Über 500 größtenteils farbige Abbildungen: veranschaulichen komplexe Sachverhalte
Navigation: Farbleitsystem, Seitenzahl und Kapitelnummer für die schnelle Orientierung
Wichtig: Kernaussagen bringen das Wichtigste auf den Punkt
Schlüsselbegriffe: sind fett hervorgehoben
Übersichten: Fakten kompakt und lernfreundlich zusammengefasst
Cave: Vorsicht! Bei falschem Vorgehen Gefahr für den Patienten!
Exkurs: interessante Zusatzinformationen, die das Grundwissen vertiefen
Sagen Sie uns die Meinung!
Liebe Leserin und lieber Leser, Sie wollen gute Lehrbücher lesen, wir wollen gute Lehrbücher machen: dabei können Sie uns helfen!
Lob und Kritik, Verbesserungsvorschläge und neue Ideen können Sie auf unserem Feedback-Fragebogen unter www.lehrbuch-medizin.de gleich online loswerden. Als Dankeschön verlosen wir jedes Jahr Buchgutscheine für unsere Lehrbücher im Gesamtwert von 500 Euro.
Wir sind gespannt auf Ihre Antworten! Ihr Lektorat Lehrbuch Medizin
XIII
Inhaltsverzeichnis 1
Einführung: Das Organ Haut und seine Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3
Aufbau und Funktionen der Haut . . . . . . . . Epidermis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hautanhangsgebilde . . . . . . . . . . . . . . . Dermis (Korium) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mastzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blut- und Lymphsystem, Nerven der Haut . . Pathophysiologie des Juckreizes . . . . . . . . Subkutis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologische Grundreaktionen . . . . Reaktionen des Gefäßsystems . . . . . . . . . . Reaktionen der Epidermis . . . . . . . . . . . . Weitere pathophysiologische Grundreaktionen Diagnostik der Hautkrankheiten . . . . . . . . Dermatologische Terminologie . . . . . . . . . Dermatologischer Untersuchungsgang . . . . Invasive Untersuchungstechniken: Dermatohistopathologische Diagnostik . . . Labor und apparative Diagnostik . . . . . . . . Biophysikalische Untersuchungsmethoden (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allergologische Testmethoden . . . . . . . . . Therapie der Hautkrankheiten . . . . . . . . . Medikamentöse Lokaltherapie . . . . . . . . . Behandlung chronischer Wunden (Ulzera) . . Systemische medikamentöse Therapie der Hautkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung chronischer Schmerzen . . . . . . Operative Dermatologie . . . . . . . . . . . . . Photodynamische Therapie (PDT) . . . . . . . Lasertherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phototherapie, Photochemotherapie . . . . . Spezifische Immuntherapie (»Hyposensibilisierung«) . . . . . . . . . . . . .
7 7 21 26 29 29 32 34 34 34 35 37 38 38 41
2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7 2.4.8 2.4.9
3
Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8
Physikalische und chemische Schäden der Haut Mechanische Hautschäden . . . . . . . . . . . Thermische Hautschäden . . . . . . . . . . . . Abnorme Reaktionen auf Temperaturreize . . Hautschäden durch Elektrizität . . . . . . . . . Hautschäden durch Ultraviolett-Strahlung . . Hautschäden durch ionisierende Strahlen . . Lichtdermatosen (Photodermatosen) . . . . . Verätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1.9
43 46 47 48 54 54 62 64 70 70 71 72 73 74
77 78 78 79 82 83 84 89 89 93
Gewebeschädigung durch parenterale Verabreichung von Medikamenten . . . . . 3.2 Intoleranzreaktionen der Haut . . . . . . . . 3.2.1 Ekzemgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Erythema-multiforme-Gruppe . . . . . . . . 3.2.3 »Toxische« Exantheme . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Urtikaria, Angioödem und Anaphylaxie . . . 3.2.5 Insektengiftallergie . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Erythema nodosum . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.7 Intoleranzreaktionen auf Nahrungsmittel . . 3.2.8 Intoleranzreaktionen gegen Medikamente . 3.2.9 Weitere Intoleranzreaktionen . . . . . . . . . 3.2.10 Berufsdermatosen . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
94 95 95 110 114 115 123 124 124 128 134 134
4
Infektionskrankheiten der Haut . . . . . . 137
4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut . . Residente (symbiontische) Keimflora der Haut Hautinfektionen durch Streptokokken . . . . Staphylokokkeninfektionen . . . . . . . . . . . Infektionen durch gramnegative Bakterien . . Seltenere bakterielle Infektionskrankheiten . Rickettsiosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bartonellosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lyme-Borreliose (Synonym Erythemamigrans-Krankheit) . . . . . . . . . . . . . . . . Virusinfektionen der Haut . . . . . . . . . . . . Exanthematische Viruskrankheiten . . . . . . . Hautmanifestationen von EnterovirusInfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infektionen mit Pockenviren . . . . . . . . . . . Infektionen durch humane Papillomviren (HPV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infektionen durch die Herpesvirusgruppe . . Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dermatophytosen . . . . . . . . . . . . . . . . . Hefepilzmykosen der Haut . . . . . . . . . . . . Diagnostische Methoden bei Dermatomykosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subkutane Mykosen . . . . . . . . . . . . . . . . Systemmykosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Opportunistische Mykosen . . . . . . . . . . . Infektionen durch Mykobakterien . . . . . . . Tuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Tuberkulide« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infektionen mit atypischen Mykobakterien . . Lepra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktinomykose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5
139 139 139 141 148 152 154 155 156 156 159 159 161 162 164 170 180 180 181 187 192 193 194 195 196 196 200 201 202 204
XIV
4.5.6 4.6 4.6.1 4.6.2 4.7 4.7.1 4.7.2 4.8 4.8.1 4.8.2 4.8.3
Inhaltsverzeichnis
Nokardiose . . . . . . . . . . . . . . . . Epizoonosen . . . . . . . . . . . . . . . Hautkrankheiten durch Insekten . . . Hautkrankheiten durch Spinnentiere (Milben, Spinnen, Zecken) . . . . . . . Protozoeninfektionen der Haut . . . . Amöbiasis . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankheiten durch Flagellaten . . . . Hautinfektionen durch Würmer . . . . Hautläsionen durch Einbohren von Wurmlarven . . . . . . . . . . . . . Wurminfektionen durch Besiedelung des subkutanen Gewebes . . . . . . . Wurminfektionen mit Manifestation als Lymphödem . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 205 . . . . . 205 . . . . . 205 . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
208 212 212 213 215
. . . . . 215 . . . . . 216 . . . . . 217
5
Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache . . . . . . . . . . . . . . 218
5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.3
Psoriasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psoriasis-ähnliche Krankheiten . . . . . . . . . »Parapsoriasis«-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . Pityriasis rubra pilaris . . . . . . . . . . . . . . . Pityriasis rosea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hautveränderungen bei Morbus Reiter . . . . Lichen ruber planus und lichenoide Dermatosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lichen ruber planus (Synonym Knötchenflechte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lichen ruber-ähnliche Dermatosen . . . . . . Lichen simplex chronicus und Prurigokrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Neutrophile« und »Eosinophile« Dermatosen Granulomatöse Dermatosen . . . . . . . . . . . Granuloma anulare und Necrobiosis lipoidica Hautveränderungen bei Sarkoidose . . . . . .
5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.4 5.5 5.5.1 5.5.2
6.2.3
272 272 273 273
Autoimmunkrankheiten der Haut . . . . 278
231
7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5
7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.5
Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pemphigusgruppe . . . . . . . . . . . . . . . Pemphigoidgruppe . . . . . . . . . . . . . . Bullöse Autoimmundermatosen mit Spaltbildung unterhalb der Lamina densa Kollagenosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lupus erythematodes . . . . . . . . . . . . . Dermatomyositis . . . . . . . . . . . . . . . . Sjögren-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . Sklerodermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Mixed connective tissue disease« (MCTD, Sharp-Syndrom) . . . . . . . . . . . Sklerodermieähnliche Krankheiten: Pseudosklerodermien . . . . . . . . . . . . . Hautveränderungen bei weiteren Kollagenosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Purpura, Thrombosen . . . . . . . . . . . . . Hautblutungen (Purpura) . . . . . . . . . . . Hautblutungen bei Gerinnungsstörungen Hautblutungen durch Wandschäden . . . Thrombosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbliche und erworbene Thrombophilien . Vaskulitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lymphozytäre Vaskulitis . . . . . . . . . . . Nekrotisierende Vaskulitis . . . . . . . . . . Riesenzellarteriitis . . . . . . . . . . . . . . . Livedosyndrome . . . . . . . . . . . . . . . . Morbus Behçet . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Erbliche Krankheiten der Haut . . . . . . . 338
8.1 8.2 8.2.1
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Erbliche Verhornungsstörungen . . . . . . . . 340 Ichthyosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
231 235 235 235 238 238 240
Hautzeichen bei Ernährungsstörungen . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hautzeichen bei Vitaminmangel und -überschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauterscheinungen bei Mangel von oder Überladung mit Metallen . . . . . . . . . . . Hauterscheinungen bei Störungen des Aminosäurestoffwechsels . . . . . . . . Hautveränderungen bei Hormonund Stoffwechselstörungen . . . . . . . . . Hautveränderungen bei Diabetes mellitus Hauterscheinungen bei Krankheiten der Schilddrüse . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauterscheinungen bei Störungen der Hypophysenhormone . . . . . . . . . .
6.2.1 6.2.2
258 260 261 265 268 270
7.1
6.1 6.1.1 6.1.2
6.2
251 251 255
7
Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus . . . . . . . . . . . . 242
6.1.4
Hautmanifestationen bei weiteren Hormonstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Steroidhormone und Haut . . . . . . . . . . . . 6.2.6 Hautveränderungen in der Schwangerschaft 6.2.7 Hautveränderungen bei Störungen des Lipidstoffwechsels . . . . . . . . . . . . . . 6.2.8 Gicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.9 Porphyrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.10 Hauterscheinungen bei Amyloidosen . . . . . 6.2.11 Muzinosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.12 Verkalkungen der Haut (Calcinosis cutis) . . . 6.3 Hautmanifestationen bei Krankheiten innerer Organe und des Nervensystems . . . 6.3.1 Hautmanifestationen bei Erkrankungen innerer Organe (Auswahl) . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Hautzeichen bei neurologischen Krankheiten 6.3.3 Hautmanifestationen bei inneren Neoplasien
219 229 229 230 230 231
6
6.1.3
6.2.4
. . 243 . . 243 . . 243 . . 245 . . 246 . . 246 . . 247 . . 249 . . 251
7.1.1 7.1.2 7.1.3
7.2.6 7.2.7
. . 279 . . 282 . . 286 . . . . . .
. . . . . .
289 292 294 304 306 307
. . 312 . . 313 . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
314 315 316 316 318 319 320 322 323 324 331 332 335
XV Inhaltsverzeichnis
8.2.2
8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.3 8.4 8.4.1 8.5 8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.6 8.6.1 8.6.2 8.7
Hereditäre Palmoplantare Keratoderme (HPPK; Synonym hereditäre Palmoplantarkeratosen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porokeratosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hereditäre follikuläre Verhornungsstörungen (Keratosis follicularis-Gruppe) . . . . . . . . . . Morbus Darier und Pemphigus familiaris chronicus (Morbus Hailey-Hailey) . . . . . . . . Hereditäre »ektodermale« Fehlbildungssyndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epidermolysis-bullosa-hereditaria-Gruppe . . Hereditäre Bindegewebsdefekte . . . . . . . . Hereditäre Mukopolysaccharidosen . . . . . . Erbliche neurokutane Syndrome . . . . . . . . Neurofibromatosen . . . . . . . . . . . . . . . . Tuberöse Hirnsklerose (Synonym Morbus Bourneville-Pringle) . . . . . . . . . . . . . . . . Neurokutane Angiomatosen . . . . . . . . . . . Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko . . Erbkrankheiten mit defekter DNA-Reparation oder chromosomaler Instabilität . . . . . . . . Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko durch Defekte an Tumorsuppressorgenen . . Hauterscheinungen bei primären Immundefizienzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
345 348 348
9.9
350 351 353 356 356 356
363
9.15.4
366
9.15.5
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karzinogenese der Haut . . . . . . . . . . . . . Fehlbildungen, Hamartome und benigne Neoplasien der Epidermis . . . . . . . . . . . . Plattenepithelkarzinom . . . . . . . . . . . . . . Frühformen des Plattenepithelkarzinoms der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Invasives Plattenepithelkarzinom der Haut . . Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Hautadnexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infundibuläre Zysten (Hornzysten) . . . . . . . Läsionen mit Haarfollikel-Differenzierung . . Läsionen mit Talgdrüsen-Differenzierung . . . Läsionen mit apokriner Differenzierung . . . . Läsionen mit ekkriner Differenzierung . . . . . Basaliom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Merkelzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . Neoplasien der Melanozyten . . . . . . . . . . Melanozytäre Nävi (Synonym Pigmentzellnävi) Melanom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Bindegewebes . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Blut- und Lymphgefäße . . . . . . . . . . . Erworbene teleangiektatische Fehlbildungen Hamartome der Blut- und Lymphgefäße . . .
9.7 9.7.1 9.7.2
9.11
360
358 359 360
Neoplasien der Haut . . . . . . . . . . . . . . 368
9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.4.5 9.4.6 9.4.7 9.5 9.5.1 9.5.2 9.6
9.10
9.12 9.13 9.14 9.15 9.15.1 9.15.2 9.15.3
9.1 9.1.1 9.2
9.3.2 9.4
9.7.7 9.8
349
9
9.3 9.3.1
9.7.3 9.7.4 9.7.5 9.7.6
370 370 372 374 375 377 380 380 381 383 384 385 387 390 390 390 398 410 414 414 414
10
Kapilläre Hämangiome . . . . . . . . . . . . . . Glomustumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niedrig-maligne Neoplasien der Blutgefäße . Maligne Neoplasien der Blutgefäße: Angiosarkome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pseudosarkome der Blutgefäße . . . . . . . . . Fehlbildungen des Knorpel- und Knochengewebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Fettgewebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Muskelgewebes . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Nervengewebes . . . . . . . . . . . . . . . . Neoplasien unklarer Differenzierung . . . . . . Histiozytosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mastozytosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primäre kutane T-Zell-Lymphome (CTCL) . . . Primäre kutane B-Zell-Lymphome (CBCL) . . . Seltene, wichtige Lymphome mit Beteiligung der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundäre (metastatische) Lymphome/ Leukämien der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . Pseudolymphome . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . .
Störungen des Pigmentsystems . . . . . . . . . Hypermelanosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hypomelanosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankheiten des Fettgewebes . . . . . . . . . . Pannikulitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fettgewebsatrophien und -dystrophien . . . Krankheiten des Haarapparats . . . . . . . . . Effluvien und Alopezien . . . . . . . . . . . . . Strukturdefekte des Haars . . . . . . . . . . . . Hypertrichosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankheiten der Talgdrüsen . . . . . . . . . . . Akneiforme Dermatosen . . . . . . . . . . . . . Rosazea und Periorale Dermatitis . . . . . . . . Krankheiten der Schweißdrüsen . . . . . . . . Ekkrine Schweißdrüsen . . . . . . . . . . . . . . Apokrine Schweißdrüsen . . . . . . . . . . . . . Krankheiten der Nägel . . . . . . . . . . . . . . Läsionen der Nagelplatte . . . . . . . . . . . . . Läsionen der Nagelplatte bei intakter Matrix Pigmentierungsanomalien der Nagelplatte . Nagelläsionen mit Sitz am Hyponychium (Nagelbett) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.5 Nagelveränderungen durch Läsionen benachbarter Strukturen . . . . . . . . . . . . . 10.7 Krankheiten der Mundschleimhaut . . . . . . 10.1 10.1.1 10.1.2 10.2 10.2.1 10.2.2 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.4 10.4.1 10.4.2 10.5 10.5.1 10.5.2 10.6 10.6.1 10.6.2 10.6.3 10.6.4
418 421 421 422 423 424 424 426 427 428 430 432 435 436 441 441 442 442
444 446 446 450 455 455 458 458 458 465 467 468 469 472 474 474 475 476 476 479 479 479 480 480
XVI
Inhaltsverzeichnis
10.7.1 Akut entzündliche Zustände . . . . . . . . . . . 10.7.2 Chronische Irritationen der Mundschleimhaut 10.7.3 Näviforme und neoplastische Läsionen der Mundschleimhaut . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.4 Charakteristische pathologische Veränderungen der Zunge . . . . . . . . . . . . 10.7.5 Pigmentstörungen der Mundschleimhaut . . 10.7.6 Weitere charakteristische Veränderungen der Mundschleimhaut . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Krankheiten der äußeren Genitalien . . . . . . 10.8.1 Regionsspezifische Dermatosen des männlichen äußeren Genitales . . . . . . . . . 10.8.2 Häufige charakteristische Läsionen des männlichen Genitales . . . . . . . . . . . . 10.8.3 Regionsspezifische Krankheiten des weiblichen äußeren Genitales . . . . . . . . . . 10.8.4 Häufige charakteristische Läsionen des weiblichen Genitales . . . . . . . . . . . . . . .
11
481 482
14
Andrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
14.1
14.5 14.6
Anatomie und Funktion des männlichen Genitales, hormonelle Steuerung der Spermiogenese, Physiologie der Befruchtung . . . . . . Ursachen männlicher Fertilitätsstörungen . . Primäre Hodenschäden . . . . . . . . . . . . . . Sekundäre Hodenschäden . . . . . . . . . . . . Extratestikuläre genitale Störungen . . . . . . Arzneimittelnebenwirkungen auf Sexualverhalten und Fertilität . . . . . . . . . . . . . . Weitere Ursachen der Sterilität . . . . . . . . . Andrologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . Labordiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie männlicher Fertilitätsstörungen . . . Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . Medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . Intrauterine Inseminationen (IUI) und Spermaaufbereitungsverfahren . . . . . . Andere Methoden der assistierten Reproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spermakonservierung (Kryosperma) . . . . . . Therapie der erektilen Dysfunktion . . . . . . . Therapie der Ejaculatio praecox . . . . . . . . . Therapie der retrograden Ejakulation oder von Emissionsstörungen . . . . . . . . . . Zum Problem des »Alternden Mannes« . . . . Kontrazeption beim Mann . . . . . . . . . . . .
15
Venerologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550
483 483 484 485 485
14.2 14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.2.4
490
14.2.5 14.3 14.3.1 14.3.2 14.4 14.4.1 14.4.2 14.4.3
Altersspezifische Hautkrankheiten . . . . 491
14.4.4
11.1 Pädiatrische Dermatologie . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Dermatosen der Neugeborenen- und Säuglingsperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Ekzeme und ekzemähnliche Dermatosen . . . 11.1.4 Dermatosen des Klein- und Schulkindalters . 11.2 Geriatrische Dermatologie . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Altersdermatosen . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Alterstypische Tumoren und Hyperplasien . . 11.2.4 Dermatosen durch altersbedingte Atrophie oder Degeneration der Haut . . . . . . . . . . . 11.2.5 Dermatosen als Folge der Alterung des Gesamtorganismus . . . . . . . . . . . . . . 11.2.6 Hautläsionen durch mangelnde Pflege . . . . 11.2.7 »Klimakterielle« Beschwerden ohne fassbares morphologisches Substrat . . . . . . . . . . . .
486 489 489
492 492 492 495 498 499 499 500 501 501 502 502 504
14.4.5 14.4.6 14.4.7 14.4.8
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues) . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Tropische (endemische) Treponematosen 15.4 Gonorrhoe (Tripper) . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Genitale Chlamydieninfektionen . . . . . . 15.6 Ulcus molle (Synonym Weicher Schanker, Chancroid) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.7 Granuloma inguinale (Synonym: Donovaniose) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.8 »Syndrome« sexuell übertragbarer Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.9 Durch Viren bedingte genitale Kontaktinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.10 Besondere Aspekte von STI . . . . . . . . . 15.11 HIV-Infektion – AIDS . . . . . . . . . . . . . . 15.1 15.2
532 535 535 538 538 540 540 541 541 542 545 545 546 547 547 547 547 548 548 548 549
. . 551 . . . .
. . . .
555 566 567 572
. . 576
12
Phlebologie, Lymphödeme . . . . . . . . . 505
12.1 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4 12.1.5 12.2
Phlebologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anatomie des Beinvenensystems . . . . . . Hämodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatik . . . . . . . . . . . . Phlebologische Untersuchungsmethoden Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lymphödeme . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Proktologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
13.1 13.2 13.3
Anatomie und Physiologie . . . . . . . Untersuchungsgang . . . . . . . . . . . Die häufigsten Veränderungen im Analbereich . . . . . . . . . . . . . . Krankheiten des Rektums und Kolons
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612
13.4
. . . . . . .
. . . . . . .
506 506 507 507 512 513 517
. . . . . 521 . . . . . 522 . . . . . 523 . . . . . 529
. . 576 . . 577 . . 580 . . 581 . . 582
1 1 Einführung: Das Organ Haut und seine Krankheiten
2
1
Kapitel 1 · Einführung: Das Organ Haut und seine Krankheiten
Die Haut ist das Grenzorgan des Organismus zur Umwelt. Sie schützt vor mechanischen Traumen, Kälte und Hitze, vor Austrocknung und dem Verlust körpereigener Substanzen, vor dem Eindringen unbelebter und belebter fremder Agenzien, vor Ultraviolett-Licht, und ist der peripherste Außenposten der Immunabwehr. Sie ist ferner der Sitz der Sinnesfunktionen für verschiedene Qualitäten der Berührungs- und Temperaturempfindung, des Schmerzes, des Juck- und Kitzelreizes. Die aus ihr an den Kortex gelangenden sensiblen Impulse sind ein wesentlicher Teil des von uns empfundenen körperlichen Ichs. Ihre Rolle im sozialen Leben ist bedeutsam: sie ist das Kontakt- und teils auch Signalorgan zum Mitmenschen; ein »ichnaher« Körperteil, der für Qualitäten wie »Schönheit« oder »Scham« verantwortlich ist, eine wesentliche Quelle des Körpergeruchs abgibt und auch sozial diskriminierende Eigenschaften tragen kann. Sie ist aber auch das Instrument der Mimik und das Projektionsfeld emotioneller Regungen, wie Erröten, Erblassen oder »nervöser« Schweißausbrüche. Grundsätzlicher Aufbau. Nach einer vielzitierten, simplifizierenden Feststellung ist die Haut mit 2 m2 Fläche und 3 kg (unter Einrechnung des Körperfetts 20 kg) Gewicht das »größte« Organ des Körpers. Ihr Grundaufbau scheint einfach: zuoberst das geschichtete Plattenepithel der Epidermis (Oberhaut), darunter das Fasergeflecht der bindegewebigen Dermis (Lederhaut), und zuunterst das in Läppchen gepackte Fettgewebe (Subkutis), mit dem die Haut den tiefen Faszien verschieblich aufruht. Dieses einfache Gerüst enthält jedoch eine enorm komplexe und funktionell vernetzte Infrastruktur: 4 die sich homöostatisch selbsterneuernde Population der Keratinozyten, die zur Hornschichte differenziert – Sitz der zentralen Barrierefunktion der Haut (eine fast absolute physische Scheide zwischen »außen« und »innen«) 4 die Systeme der epidermalen Symbionten (Pigmentzellen und hautspezifische dendritische Zellen) 4 das mechanische Meisterwerk des dermalen Bindegewebes 4 das fein regulierte und reagierende Blut- und Lymphgefäßsystem 4 Sinnesendigungen 4 die Speichereinrichtungen der Subkutis 4 die Adnexorgane der Haut (Haare, Drüsen, Nägel) u. a. m. Regionale Unterschiede. Die Haut ist in der Dimensionierung ihrer Bestandteile (z. B. Dicke des kollagenen Bindegewebes), dem Vorhandensein und der Dich-
te diverser Organe (z. B. Drüsen) oder Funktionsstrukturen (z. B. Hormonrezeptoren) regional sehr verschieden aufgebaut. Diese Verschiedenheiten sind ontogenetisch fixiert und bleiben auch nach Transplantation erhalten. Zusammen mit äußeren Faktoren sind sie für die verschiedenen »Klimazonen« der Haut verantwortlich (z. B. behaarte vs. unbehaarte Haut, Handflächen und Fußsohlen vs. Körperhaut, feuchte vs. trockene Zonen etc.), die sich auch auf den Charakter der dort entstehenden Krankheiten auswirken. Modellorgan vs. Autonomie. Durch ihre leichte Zugänglichkeit ist die Haut – ebenso wie ihre Krankheiten – direkt beurteilbar und für verschiedene Untersuchungstechniken leicht erreichbar. Für den Dermatologen hat das zur Folge, dass viele Hautkrankheiten auf Anhieb, lediglich aufgrund ihres Erscheinungsbildes erkannt werden können. Er benutzt hierzu einen Algorithmus der Beschreibung, der dem ähnlich ist, der in der pathologischen Anatomie angewendet wird. Für den Forscher bietet sich die Haut aus demselben Grund als experimentelles Modellorgan an. Tatsächlich wurden an der Haut nicht wenige allgemeingültige (patho)biologische Prinzipien entdeckt, z. B. die der homöostatischen Proliferation, der Antigenpräsentation, Karzinogenese u. a. m. Hautkrankheiten dienen auch heute noch als Modellkrankheiten, an denen neue Therapien leichter erprobt werden können. Trotz dieses Modellcharakters ist die Haut jedoch auch ein autonomes Organ, das spezifische, manchmal einzigartige Reaktionsweisen besitzt (z. B. des Pigmentsystems oder der Regeneration der Barriereschicht) und sich teilweise der Regulation durch den Gesamtorganismus entzieht (z. B. der nahezu unabhängige Lipidstoffwechsel der Haut). Wie viele Hautkrankheiten gibt es? Die Krankheiten der Haut (Dermatosen) sind häufiger, zahlreicher und vielfältiger als die jeden anderen Organs. Man schätzt, dass es ca. 2000–3000 definierbare Krankheitsbilder gibt, und dass jede Person zumindest einmal im Leben hautkrank wird. Diese Fülle liegt v. a. an der den Umwelteinflüssen exponierten Lage der Haut, die für eine hohe Inzidenz an Intoleranzreaktionen, Infektionen und Tumoren verantwortlich ist, dazu an ihrem komplexen Aufbau (und vermutlich auch an der erwähnten leichten Einsehbarkeit, die eine detaillierte Differenzierung der Dermatosen erlaubt). Welche Ursachen führen zu Hautkrankheiten? Die Haut ist ein teilweise autonomes Organ, das im Gleichgewicht mit Einflüssen aus der Umwelt und aus dem Gesamtorganismus steht. Hautkrankheiten entstehen demzufolge, wenn
3 1 · Einführung: Das Organ Haut und seine Krankheiten
4 exogene Noxen einwirken 4 schädliche Einflüsse aus dem Gesamtorganismus auftreten oder 4 angeborene oder erworbene Fehlanlagen oder -funktionen des Hautorgans selbst bestehen. Diese 3 ätiologischen Wurzeln von Hautkrankheiten sind unentwirrbar miteinander verbunden; jede Hautkrankheit ist – in wechselndem Maße – aus Elementen aller 3 gemeinsam zusammengesetzt. Die Haut hat ein zwar breites, aber limitiertes Spektrum von Reaktionsweisen, womit sie Noxen aller Art in hautspezifische Läsionen umsetzt. Die Klassifikation der Hautkrankheiten erfolgt am besten in einem Rahmen, der durch diese 3 Wurzeln abgesteckt wird (. Übersicht).
Eine vereinfachende Klassifikation der Hautkrankheiten 4 Hautschäden durch physikalisch-chemische Umwelteinflüsse 4 Intoleranzreaktionen 4 Infektionskrankheiten a) der Haut b) systemische mit Manifestationen an der Haut 4 Systemkrankheiten a) Stoffwechselstörungen – der Haut oder systemische mit Manifestation an der Haut b) Autoimmunkrankheiten – der Haut oder systemische mit Manifestation an der Haut 4 Genetische Krankheiten a) Entwicklungsstörungen (Hamartome) b) genetische Krankheiten der Haut c) systemische mit Manifestationen an der Haut 4 Neoplasien a) der Haut b) innerer Organe mit Manifestationen an der Haut 4 Regions- und altersspezifische Dermatosen 4 Sexuell übertragene Infektionen 4 »Nebenfächer«: Phlebologie, Proktologie, Andrologie Bemerkung: dem aufmerksamen Studenten entgeht nicht, dass hier ein Kapitel »Dermatosen unklarer Ursache« fehlt. Die gibt es natürlich (wenn auch nicht mehr so viele wie früher), das Problem ist nur, dass man sie nirgends einordnen kann.
1
3Beispiele: Selbst bei Verbrennungen – ein fraglos exogenes Geschehen – wird klinisch mehr die Reaktion der Haut (z. B. Blasen) als die direkte Einwirkung der Noxe auffällig; Morbus Darier, eine monogene Genodermatose, wird unter dem Einfluss klimatischer Faktoren schlechter; Infektionen sind bei Diabetes mellitus häufiger und schwerer; chronisch immunsupprimierte Patienten leiden häufiger an Papillomvirusinfektionen und Plattenepithelkarzinomen der Haut; natürlich können umgekehrt auch Krankheiten der Haut den Gesamtorganismus in Mitleidenschaft ziehen – z. B. Fieber bei Sonnenbrand. Auch heute noch wird häufig die plakative, in der antiken Krasenlehre wurzelnde Meinung propagiert, die Haut sei »ein Spiegel des Organismus«. Dies ist stark simplifizierend bzw. nur in Ausnahmefällen richtig, da die Haut nicht ein passiver Erdulder, sondern ein aktiver Gestalter ihrer Krankheiten ist.
Epidemiologie der Hautkrankheiten. Nach Schätzungen leidet zu jedem gegebenen Zeitpunkt zumindest ein Viertel der Menschen der westlichen Welt an einer Hautkrankheit, die von einer medizinischen Intervention profitieren würde. Die dominierenden Hautkrankheiten waren in der Vergangenheit (bzw. sind in den Entwicklungsländern noch heute) akute Dermatosen: Verletzungen, Infektionen und Intoleranzreaktionen. Durch die eklatante Verbesserung der Therapiemöglichkeiten und der Lebensumstände liegt das Hauptgewicht heute auf chronischen Hautkrankheiten, z. B. Psoriasis, atopische Dermatitis, Berufsekzeme, Tumoren, geriatrische (Dekubitus) und venöse Leiden. Die in den letzten Jahrzehnten stark angewachsene freizeitbedingte Sonnenexposition hat zu einem sprunghaften Anstieg der Inzidenz von Hauttumoren geführt, darunter v. a. des Melanoms (Verdoppelung der Fälle ca. alle 10 Jahre – »Pandemie des Hautkrebses«). Auch die gestiegene Lebenserwartung und der häufigere Einsatz immunmodulierender Therapien (Transplantationen!) haben zu einer erhöhten Inzidenz kutaner Neoplasien geführt. Trotz erheblichem Wissenszuwachs sind bei vielen Hautkrankheiten die Ursachen und Pathomechanismen nicht im Detail, oder nicht zur Gänze bekannt; durch gezielte Beobachtung von Populationen können weitere Risikofaktoren vermutet (deskriptive Epidemiologie), und darauf beruhende gezielte Vorsorgeuntersuchungen und Verhinderungsstrategien (primäre und sekundäre Prophylaxe) entwickelt werden. Berufskrankheiten der Haut. Hautkrankheiten, v. a. berufsbedingte Ekzeme, zählen zu den führenden Berufskrankheiten; ihnen kommt eine hohe sozioökonomische Bedeutung zu. Stellenwert von Hautkrankheiten. Der Stellenwert er-
gibt sich bei Berücksichtigung der Parameter: 4 Gefährlichkeit 4 Häufigkeit 4 subjektive Belastung
4
1
Kapitel 1 · Einführung: Das Organ Haut und seine Krankheiten
Das Gros der Hautkrankheiten ist nicht lebensgefährlich. Allerdings bringt die Haut Tumoren hervor, die zu den bösartigsten des Menschen zählen: Melanom, Merkelzell-Tumor, manche Arten von Lymphomen, Angiosarkome u. a. m. Lebensgefährlich sind ferner akute Intoleranzreaktionen wie der anaphylaktische Schock, die toxische epidermale Nekrolyse, das Hypersensitivitäts-Syndrom. Zahlreiche Dermatosen sind Massenkrankheiten, von denen viele lästig, aber harmlos sind (z. B. seborrhoische Warzen, Exsikkose und exsikkotisches Ekzem, senile Purpura, Seborrhoe, Androgeneffluvium, Pigmentverschiebungen, manche Mykosen etc.). Andere Massendermatosen verursachen erheblichen Leidensdruck (Akne, chronische Urticaria, Psoriasis, Neurodermitis, Viruswarzen), wieder andere können zu einer schweren Beeinträchtigung der Gesundheit führen (chronische venöse Insuffizienz, Basaliom, aktinische Keratosen). Schließlich umfasst die Dermatologie keinesfalls wenige (meist relativ seltene) Krankheiten, die den Betroffenen auf das Schlimmste quälen, entweder wegen ihrer hohen Schmerzhaftigkeit (Verbrennungen, Phlegmone, Pyoderma gangränosum, Livedovasculitis, Zosterneuralgie), wegen ihres unerträglichen Juckreizes (Mycosis fungoides im Tumorstadium, pruriginöses Pemphigoid, Pruritus sine materia, Prurigo simplex chronica), oder wegen ihres hoffnungslos stationären oder progredienten Verlaufs mit Invalidität (z. B. Systemische Sklerodermie, manche Fehlbildungssyndrome, Genodermatosen wie Epidermolysis bullosa hereditaria dystrophicans). ! Diese Aufzählung ist naturgemäß lückenhaft. Alle in ihr enthaltenen Krankheiten sind jedoch aus dem einen oder anderen angegebenen Grunde wichtig und sollten daher auch dem nicht-dermatologischen Mediziner bekannt sein.
Hautkrankheiten und Lebensqualität. Dass schwere Hautkrankheiten wie die oben genannten Neoplasien, Intoleranzreaktionen, Erb-, System- und Autoimmunkrankheiten zu oft beträchtlich eingeschränkter Lebenserwartung führen, ist offensichtlich. Demgegenüber wird der Einfluss auf die Lebensqualität durch die heute dominierenden chronischen Dermatosen häufig unterschätzt; bei diesen kann der Leidensdruck durch die Krankheit selbst wie durch die Einschränkung der privaten und beruflichen Lebensführung für den Einzelnen ähnlich groß sein wie bei Krankheiten anderer Organsysteme, die den Betroffenen ungleich gebrechlicher machen (so wurde z. B. erhoben, dass der subjektive Leidensdruck bei schwerer Psoriasis etwa so hoch ist wie bei Herzkrankheiten). Die vorübergehende oder
chronische Beeinträchtigung der Lebensqualität (»quality of life« – QoL) ergibt sich aus dem Zwang zur ständigen Befassung mit der Haut und deren Behandlung, Änderungen der Lebensweise, Missempfindungen, Juckreiz und Schmerzen bis zu Einschränkung von Körperfunktionen und ggf. Erwerbsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit, daneben sozialen, partnerschaftlichen und Arbeitsplatzproblemen. Hinzu kommt, dass die Krankheiten der Haut als »ichnahem« Organ nicht neutral empfunden werden. 3Beispiel: Der Einriss der plantaren Aponeurose ist ein sehr schmerzhaftes und langwieriges Problem, das die Gehfähigkeit schwer behindern kann. Aber der Betroffene schämt sich seines Zustandes nicht – anders als ein Bankangestellter, der seine weder schmerzhafte noch ernsthaft behindernde psoriatische Onychopathie vor den Kunden nicht verbergen kann.
Die objektive Erfassung der Beeinträchtigung der QoL ist schwierig, nicht zuletzt wegen der individuell sehr unterschiedlichen Wahrnehmung des Leidensdrucks. Klinische Symptome der Dermatose (z. B. der Psoriasis) korrelieren nicht zwangsläufig mit der Auswirkung auf die Lebensqualität. Zur Einschätzung der physischen (körperliche Verfassung und funktionelle Kompetenz), psychischen und sozialen Befindlichkeit wurde daher eine Reihe von Messinstrumenten (Fragebögen) entwickelt und evaluiert. Zur Verfügung stehen Instrumente, die allgemein bei Krankheiten einsetzbar sind (diese erlauben daher den gesundheitspolitisch besonders relevanten Vergleich von Hautkrankheiten und Krankheiten anderer Organe hinsichtlich Lebensqualität); andere können allgemein dermatologisch eingesetzt werden, einige sind krankheitsspezifisch. Kosten der Hautkrankheiten. Hautkrankheiten sind
sehr kostenintensiv. Dies ergibt sich aus ihrer hohen Prävalenz, der teils hohen Beeinträchtigung der QoL, die zu einer hohen Behandlungsnachfrage führt, der relativen Häufigkeit von behandlungsintensiven Dermatosen (Ulcera cruris venosa, alle Formen des Hautkrebses, Psoriasis, atopische Dermatitis etc.) und den relativ hohen Kosten von Arzneimitteln, Lokaltherapeutika und Pflegepräparaten, Arzt- und Klinikkosten sowie solchen der Diagnostik. Zu diesen direkten Kosten kommen die indirekten: Arbeitszeitverlust, Kosten für Pflege (z. B. bei Kindern mit atopischer Dermatitis), Transport, für Umschulung (bei Berufsdermatosen) sowie die (unabgegoltenen) Mehrkosten für die erschwerte Lebensweise: Verschleiß an Kleidung, Bettzeug, Wohnungseinrichtung u. v. a. m. Der Gesamtaufwand für die Behandlung Hautkranker in Großbritannien wurde für das Jahr 1994 auf 617 Mio. Pfund geschätzt.
5 1 · Einführung: Das Organ Haut und seine Krankheiten
Verhältnis von Haut- und Geschlechtskrankheiten (»sexually transmitted infections« – STI). Die Verknüp-
fung der Dermatologie mit der Venerologie (Lehre der Geschlechtskrankheiten) beruht auf der einfachen Tatsache, dass letztere häufig mit Hautsymptomen einhergehen, die »normale« Dermatosen oft täuschend imitieren (Beispiel: Syphilis). STI waren ursprünglich ein wichtiger Stimulus zur Entwicklung der Dermatologie, nahmen im Zug des Rückgangs in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg an Bedeutung ab, erfuhren aber mit dem Auftreten der HIV-Pandemie eine Wiederaufwertung. Richtigstellung einiger Klischeevorstellungen über Hautkrankheiten. Trotz der hohen Prävalenz von Haut-
krankheiten halten sich in Laien- (und manchmal auch in medizinischen) Kreisen hartnäckig eine Reihe von wenig zutreffenden Klischeevorstellungen. Einige davon werden hier aufgelistet und erwidert – in der Hoffnung, dass die Studenten, am Anfang ihrer medizinischen Karriere, den Faden aufgreifen. 4 An Hautkrankheiten stirbt man nicht, man wird sie aber auch nicht los. Man stirbt tatsächlich relativ selten an Hautkrankheiten, aber die Therapiemöglichkeiten sind heute sehr gut – sicherlich nicht schlechter als in den anderen Fachdisziplinen. 4 Hautkrankheiten sind unästhetisch. Keine Krankheit ist ästhetisch, weil sie dem Ideal der Gesundheit entgegengesetzt ist – unabhängig vom Organ, das befallen ist.
1
4 Hautkrankheiten sind ansteckend. Bei nur wenigen infektiösen Hautkrankheiten besteht reale Infektionsgefahr bei bloß »sozialen« Kontakten. Nichtinfektiöse Dermatosen – und das sind die meisten – sind natürlich keinesfalls ansteckend. 4 Alle Hautkrankheiten jucken. Juckreiz ist eine spezifische Empfindung des Hautorgans, die tatsächlich viele Hautkrankheiten begleitet, aber nur bei einzelnen so stark ausgeprägt ist, dass es betont zu werden braucht. 4 Hautkrankheiten sind meist »allergisch«. Intoleranzreaktionen der Haut sind tatsächlich häufig, aber nur wenige sind definierbare immunologische Reaktionen. 4 Hautkrankheiten beruhen oft auf falscher Ernährung. Die Rolle von Nahrungsmitteln bzw. deren Unverträglichkeit als Ursache von Hautkrankheiten wird stark überschätzt. 4 Hautkrankheiten haben oft psychische Ursachen. Eine andere Überschätzung – psychische Faktoren mögen fallweise Hautkrankheiten verschlechtern oder sogar verursachen, in der Regel ist es jedoch umgekehrt – chronische quälende Hautkrankheiten können die Psyche verformen. 4 Bei der Behandlung von Hautkrankheiten gibt es nur die Wahl zwischen Kortison und gar nichts. Das hat nie zugetroffen, und heute weniger denn je. 4 Die Sprache der Dermatologen ist unverständlich. Nur für den Unwissenden. Die Sprache des Dermatologen ist logisch, ausgefeilt und sein stärkstes diagnostisches Instrument.
2 2 Grundlagen 2.1
Aufbau und Funktionen der Haut – 7
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7
Epidermis – 7 Hautanhangsgebilde – 21 Dermis (Korium) – 26 Mastzellen – 29 Blut- und Lymphsystem, Nerven der Haut Pathophysiologie des Juckreizes – 32 Subkutis – 34
2.2
Pathophysiologische Grundreaktionen – 34
– 29
2.2.1 Reaktionen des Gefäßsystems – 34 2.2.2 Reaktionen der Epidermis – 35 2.2.3 Weitere pathophysiologische Grundreaktionen
2.3
– 37
Diagnostik der Hautkrankheiten – 38
2.3.1 Dermatologische Terminologie – 38 2.3.2 Dermatologischer Untersuchungsgang – 41 2.3.3 Invasive Untersuchungstechniken: Dermatohistopathologische Diagnostik – 43 2.3.4 Labor und apparative Diagnostik – 46 2.3.5 Biophysikalische Untersuchungsmethoden (Auswahl) – 47 2.3.6 Allergologische Testmethoden – 48
2.4
Therapie der Hautkrankheiten – 54
2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7 2.4.8 2.4.9
Medikamentöse Lokaltherapie – 54 Behandlung chronischer Wunden (Ulzera) – 62 Systemische medikamentöse Therapie der Hautkrankheiten – 64 Behandlung chronischer Schmerzen – 70 Operative Dermatologie – 70 Photodynamische Therapie (PDT) – 71 Lasertherapie – 72 Phototherapie, Photochemotherapie – 73 Spezifische Immuntherapie (»Hyposensibilisierung«) – 74
7 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
2.1
Aufbau und Funktionen der Haut
Die Haut besteht aus 3 Schichten: 4 der Epidermis (Oberhaut): ein verhornendes Plattenepithel 4 darunter der bindegewebigen Dermis (Lederhaut) und 4 der Subkutis (Fettgewebe), die den tiefen Faszien aufsitzt. Hinzu kommen die Adnexorgane (Anhangsgebilde) der Haut: Haare, Nägel, Talg- und Schweißdrüsen. Das Hautorgan erfüllt Sinnes-, Schutz- und Kontaktfunktionen. Es ist zur Erfüllung spezifischer Aufgaben regional unterschiedlich aufgebaut. 3Beispiele für den unterschiedlichen Aufbau Die Hornschicht von Fußsohlen und Handflächen ist besonders dick und durch die Papillarleisten zur mechanischen Haftung geeignet. Das Kollagengeflecht der Rückenhaut ist massiv, das der (beweglichen) Gesichtshaut dagegen locker. Haare sind an Orten mechanischer und ultraviolettbedingter Gefährdung (Kopf ) besonders dick und lang, an Orten besonderer Schweißproduktion (Achseln, Genitalregion) gekräuselt (Oberflächenzuwachs – bessere Verbreitung des Dufts). Die Melanozyten der Genitalregion sind androgensensitiv. Talgdrüsen sind am Kopf und den zentralen Rumpfpartien zahlreich und groß, sonst wenig und klein. Die Dichte der Nervenendigungen ist an den Akren und um die Körperöffnungen hoch. Die pontonartige Architektur der Fettläppchen der Fußsohlen ermöglicht einen abgefederten Gang.
Terminologie der Hautregionen. Der Dermatologe kennt behaarte und unbehaarte Regionen, seborrhoische (Kopf, oberer Rumpf) und Intertrigo-Areale (große Beugen), die Palmoplantarregionen, sowie . Abb. 2.1. Normale Haut. Unterarm. Beschreibung im Text. Pfeile: Melanozyten (nur einzelne Melanozyten sind markiert). HE, Vergr. 45:1
2
schließlich freigetragene (lichtexponierte) und bedeckte Areale. 2.1.1 Epidermis Die Epidermis ist ein geschichtetes, verhornendes Plattenepithel, das zu >90% aus Keratinozyten besteht, aber auch den Rahmen für die knapp 10% »symbiontischen Zellen« (Langerhans-Zellen, Melanozyten, Merkelzellen) abgibt (. Abb. 2.1). Keratinozyten entstehen durch Mitosen von Stammzellen der Basalschicht, durchwandern aktiv und individuell die Epidermis, durchlaufen dabei einen streng regulierten Differenzierungsgang und wandeln sich schließlich »terminal« in die toten Korneozyten (Hornzellen) um. Die Korneozyten sind regelmäßig (in geldrollenartigen Säulen) angeordnet – im Gegensatz zu den Keratinozyten der »lebendigen« Schichten. Die Epidermis besteht aus 4 Schichten mit jeweils besonderen morphologischen und funktionellen Charakteristika (. Abb. 2.2); diese Schichten entsprechen verschiedenen Differenzierungsstadien und stehen zueinander in einem Fließgleichgewicht (»Homöostase«). Die Hornschicht ist der Träger der Barrierefunktion, der zentralen Funktion der Haut. Die Epidermis sitzt mit einer Basallamina der Dermis auf; die Grenzzone (»dermo-epidermale Junktionszone«) verläuft wellenartig (epidermale Retezapfen, dermale Papillen – Funktion: Verbesserung der Haftung und Reserve bei Dehnung). Durch die Epidermis patrouillieren stets einige wenige Memory-Helfer-T-Lymphozyten (»lymphocyte traffic«), denen durch die Expression des CLA (»cutaneous lymphocyte antigen«) der Austritt aus den Gefäßen der Haut und die Immigration in die Epi-
8
Kapitel 2 · Grundlagen
lamente (Tonofilamente) sind Intermediärfilamente (10 nm), bestehen aus Zytokeratinen und setzen an Desmosomen bzw. Hemidesmosomen an. Sie sind das »Verspannungssystem« der Keratinozyten. Die Aktinfilamente sind Mikrofilamente (7 nm), inserieren an den Adhärenzkontakten und dienen der Zellfestigkeit (»Stressfasern«), Adhärenz und Lokomotion.
2
. Abb. 2.2. Schematischer Aufbau der Epidermis (Text). Beachte, dass die Tonofilamente (Pfeil) nur an ihrem Insertionspunkt eingezeichnet sind
dermis möglich ist. Im Gegensatz dazu kommen Neutrophile in gesunder Epidermis nicht vor. Spezifische Strukturen der Epidermis Zytoskelett. Keratinozyten enthalten 2 unabhängige
Fasernetze, die gebündelt das Zytoplasma durchziehen, an Adhäsionsorganellen der Zellmembran inserieren und mechanische Aufgaben erfüllen. Die Keratinfi. Abb. 2.3. Schematische Darstellung einer Adhäsionsorganelle: ein Komplex aus 2 einander gegenüberliegender plattenartiger Verdichtungen an der Innenseite der Zellmembran (Plaque), die voneinander durch einen verbreiterten Interzellularraum getrennt sind. Letzterer enthält die Adhäsionsmoleküle. An der zytoplasmatischen Seite der Plaque inserieren die Intermediärfilamente
Adhäsionsorganellen. Die Adhärenz zwischen den Keratinozyten wird durch Desmosomen und Adhärenzkontakte, die der Keratinozyten an die Basalmembran durch Hemidesmosomen vermittelt. Alle diese Strukturen sind nicht permanent, sondern werden ständig auf- und abgebaut (sonst wäre eine individuelle Zellbewegung unmöglich). Adhärenzkontakte sind den Desmosomen prinzipiell ähnlich, unterscheiden sich aber im molekularen Aufbau. Eine dritte Art von Zellverbindungen, die »gap-junctions«, sind interzelluläre Kommunikationskanäle. Desmosomen (Haftplatten) tragen die Hauptlast der interzellulären Adhäsion. Sie sind Spezifikationen der Zellmembran, die aus umschriebenen plattenartigen Verdickungen an deren Innenseite (Plaque) gebildet werden (. Abb. 2.3). Je 2 solcher Plaques liegen einander symmetrisch gegenüber, getrennt durch den stark erweiterten (30 nm) Interzellularraum (Desmoglia). Die Plaques besitzen an ihrer Zytoplasmaseite Verankerungsstrukturen für die Keratinfilamente (die Polypeptide Desmoplakin I und II), an ihrer Membranseite eine Verankerung (das Polypeptid Plakoglobin) für die Desmocolline und Desmogleine, den eigentlichen Bindegliedern zwischen den benachbarten Keratinozyten. Desmocolline und Desmogleine sind Cadherine (kalziumabhängige transmembrane Adhäsionsmoleküle), deren extrazelluläre Domänen homolog an diejenigen des Gegenübers binden. Weitere Plaque-Pro-
9 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
teine wirken als Verbindungs- und Funktionsproteine. Schäden in diesem interzellulären Adhäsionsapparat führen zum Verlust des Zusammenhalts der Keratinozyten (Akantholyse). 3Jeder Keratinozyt besitzt Hunderte Desmosomen, die nach Fixierung im histologischen Präparat den Zellen ein stacheliges (spinöses) Aussehen geben – die Zelle schrumpft, die Desmosomen bleiben aber an denen der Nachbarzelle haften.
2
4 dem so genannten sublaminären Raum unterhalb der Lamina densa; dieser enthält verschiedene Fasertypen, insbesondere die Ankerfibrillen Verankerungsmechanismus der Epidermis an der Dermis. Dieser setzt sich aus 2 Schenkeln zusammen:
1. Haftapparat der Epidermis an die Basallamina 2. Verankerung der Basallamina im Kollagengeflecht der Dermis
Epidermaler Interzellularraum. Dieses schmale Spalt-
system von konstanter Breite (18 nm) ist von Glykosaminoglykanen erfüllt, enthält die Oberflächenmoleküle der Keratinozyten und ist bis in das Str. granulosum hinauf – bis zum Eintritt der Odland-Körperchen (s. u.) – durchlässig (Ernährung der Epidermis!). Dermoepidermale Junktionszone (Basalmembran-
zone, BMZ) (. Abb. 2.4). Die Grenzfläche zwischen Epidermis und Dermis ist wegen der verschiedenen mechanischen Eigenschaften dieser Gewebstypen sehr komplex aufgebaut (aber trotzdem ein locus minoris resistentiae). Sie besteht, von außen nach innen, aus: 4 der Zellmembran der basalen Keratinozyten mit ihren Hemidesmosomen 4 der im Elektronenmikroskop hell erscheinenden Lamina lucida – ein mit dem epidermalen Interzellularraum kommunizierender Spaltraum (25– 50 nm) 4 der im Elektronenmikroskop dunkel erscheinenden Basallamina (Lamina densa, 20–50 nm); diese besteht aus Kollagen Typ IV (ein zu einem zweidimensionalen Netz verflochtenes heteropolymeres Kollagen), Laminin I (ein 900 kD großes Glykoprotein), Nidogen und weiteren Proteinen . Abb. 2.4. Ultrastrukturelles Bild der dermoepidermalen Junktionszone. Die obere Hälfte des Bildes wird von einem Keratinozyten mit seinen charakteristischen Tonofilamentbündeln (T) eingenommen, die in den Hemidesmosomen (H) inserieren. Die Basallamina (BL) verläuft parallel zur Zellmembran des Keratinozyten, von dieser durch eine helle Zone (Lamina lucida) getrennt. In die Basallamina inserieren auf dermaler Seite die Ankerfibrillen (AF, Pfeile), die ihrerseits wieder im dermalen Kollagen (K) verankert sind. Vergr.: 100 000:1
Der erste Schenkel wird durch Hemidesmosomen und Ankerfilamente (Laminin 5, 6 und 7) vermittelt, der zweite durch Ankerfibrillen. Diese Zweigliedrigkeit mildert Scherkräfte durch die Zwischenschaltung der reißfesten, aber elastischen Basallamina. Alle diese Strukturen sind hautspezifisch und finden sich nicht in anderen Basalmembranen. Hemidesmosomen (. Abb. 2.4) ähneln »halben« Desmosomen. Sie bestehen aus einer (einzigen) Plaque, an deren Zytoplasmaseite die Keratinfilamente in 2 den Desmoplakinen analogen und teils homologen Proteinen inserieren: Plektin und bullöses PemphigoidAntigen-1 (BPAG1, 230 kD). Die Adhäsionsmoleküle zur Basallamina sind nicht Cadherine, sondern das transmembrane bullöse Pemphigoid-Antigen 2 (BPAG2, 180 kD) und α6β4-Integrin. Ankerfibrillen sind aus Kollagen Typ VII bestehende, typisch nichtperiodisch gebänderte Fasern, die von der Basallamina schleifenartig in die sublaminäre Zone strahlen und dort in speziellen basalmembranähnlichen globulären Strukturen (»anchoring plaques«) enden oder auch zurück an die Basallamina führen. Die Gesamtheit der Ankerfibrillen bildet ein multipel verbundenes Schlaufenwerk, durch dessen Maschen dermale
10
Kapitel 2 · Grundlagen
Kollagenfasern fädeln und dadurch die gesamte Basalmembranzone fest an das Kollagengeflecht knüpfen.
2
Epidermale Kinetik Die Epidermis wird kontinuierlich durch Zellteilung und Aufwärtswanderung der Keratinozyten erneuert. Mitosen laufen normalerweise nur in der Basalschicht ab, unter besonderen Umständen auch im Str. spinosum (z. B. Wundheilung). Die Schichten der Epidermis stehen zueinander in einem Fließgleichgewicht, die Hornschicht schilfert ständig Korneozyten nach außen und rekrutiert neue Zellen von unten. Zellgewinn und -verlust halten einander die Waage (homöostatische Proliferation; »steady state«). Zellzyklus. Die durch den Zellzyklus rotierenden Zellen liegen in der Basalschicht; die aus ihr aufsteigenden Zellen sind für die terminale Differenzierung bestimmt. Die Mitoserate beträgt <1% der Basalzellen, die Dauer des Zellzyklus ist variabel (150–300 h). Nur ein Teil der Basalzellen rotiert durch den Zellzyklus, ca. 60% »ruhen« (»G0-Population«) und werden bei Bedarf als »strategische Reserve« in den Zellzyklus rekrutiert. Mitosen erfolgen in den Stammzellen (die »unsterblichen«, d. h. nichtdifferenzierenden Träger der gewebespezifischen Genomkonfiguration), zusätzlich aber auch in den so genannten »Übergangs«-(Amplifikations-)Zellen. Letztere sind Tochterzellen von Stammzellen und zu einigen (3–4) »Amplifikationsmitosen« fähig, bevor sie selbst differenzieren. Eine Übergangszelle produziert daher 8–16 terminal differenzierende Zellen. 3Die Hauptlast der Mitosetätigkeit wird daher von den Amplifikationszellen getragen, während die Stammzellen nur langsam proliferieren. Dieses System ist sehr sinnvoll, da Fehler im heiklen Prozess der Replikation nur dann nicht automatisch eliminiert werden, wenn sie bei der Produktion einer Stammzelle auftraten.
empfindlich mit Aufregulierung der Proliferation, um das geschädigte Gewebe zu ersetzen (Wundheilung). Verletzungen der Hornschicht rufen nach ca. 24 h eine synchronisierte Mitosewelle hervor (Rekrutierung ruhender G0-Zellen, Verkürzung der G1-Phase, Vermehrung der Amplifikationsteilungen); gleichzeitig Drosselung der Apoptose. Potente Wachstumsstimulatoren sind IL-1, IL-6, EGF, TGF-α und FGF; wachstumsbremsend wirkt TNF-α. Mit Abschluss der Heilung wird der »steady-state« wiederhergestellt. Sichtbare Folge des abgelaufenen Proliferationschubs ist die Ausbildung von Schuppen – ein Ausdruck der mangelhaften Differenzierung der unter Hyperproliferation gebildeten Hornschicht. Rolle der Apoptose. Apoptose, der »geplante« Zelltod,
spielt bei vielen physiologischen und pathologischen Prozessen der Haut eine fundamentale Rolle. Bei Steady-state-Proliferation wird ein beträchtlicher Teil der produzierten Keratinozyten der Apoptose zugeführt; bei Bedarf wird dieser Teil jedoch in die terminale Differenzierung umgelenkt (eine weitere strategische Reserve). Apoptotische Keratinozyten erscheinen als kleine sphärische eosinophile, kernlose Gebilde in den unteren Lagen der Epidermis (»cytoid bodies«, »dyskeratotische Zellen«, »sunburn cells« etc.). In normaler Haut finden sich nur wenige – was auf ihrer schnellen Beseitigung beruht (Phagozytose!), bei manchen Krankheiten sind sie jedoch augenfällig und reichlich (Lichen ruber – . Abb. 2.5, Sonnenbrand, manche Hauttumoren, 7 Kap. 9). 3Die Apoptose erklärt einige alte Paradoxa: warum z. B. pro Zeiteinheit weniger Korneozyten abgeschilfert werden als Mitosen ablaufen; warum manche Tumoren (Basaliom) viele Mitosen aufweisen, aber nur langsam wachsen; und warum bei hyperproliferativen Prozessen (Psoriasis) nur wenige »cytoid bodies« vorhanden sind.
Migration der Keratinozyten. Die Loslösung der Keratinozyten aus dem Str. basale und die Durchwanderung des Str. spinosum erfolgt einzeln, unabhängig voneinander und aktiv; die durchschnittliche Transitzeit durch das Str. spinosum beträgt 14 Tage. Diese Individualität findet im Str. granulosum durch die terminale Differenzierung ihr Ende: diese erfolgt synchron, der weitere Aufstieg erfolgt im Verband. Der Turnover (Erneuerungszeit) der Hornschicht ist gleichfalls 2 Wochen. Zwischen der »Geburt« eines Keratinozyten und dessen Abschilferung verstreicht daher etwa 1 Monat. Regulation der Zellproliferation. Die Epidermis im
Ruhezustand (»steady-state«) reagiert auf Traumen
. Abb. 2.5. Lichen ruber, direkte Immunfluoreszenz. Traubenförmig aggregierte »cytoid bodies« entlang der Basalmembran, FITC-anti-IgM, x45
11 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
Differenzierung der Keratinozyten Die Umwandlung lebender Keratinozyten in die funktionstragende Hornschicht erfolgt innerhalb weniger Stunden im Str. granulosum. Hier werden synchron Syntheseprodukte freigesetzt, die während der 2-wöchigen Reise in das Str. granulosum langsam auf 4 getrennten, aber parallelen Reaktionswegen vorbereitet wurden. Diese Wege sind (. Abb. 2.6): 4 Keratin-Synthese 4 Filaggrin-Synthese 4 Synthese des »cornified envelope« 4 Synthese des Barrierelipids Keratinsynthese. Keratinfilamente bestehen aus den
hochstabilen, unlöslichen Zytokeratinen – die hauptsächlichen Strukturproteine der Epidermis. Es handelt sich um Polypeptidketten (40–70 kD), die aus Dimeren mit helikalen und nonhelikalen Domänen aufgebaut sind. Es gibt saure (Familie I) und neutrale/alkalische (Familie II) Zytokeratine; jedes Dimer ist (reißverschlussartig) komplementär aus 2 Zytokeratinen aus je einer dieser Familien zusammengesetzt (»coiled-coil Doppelhelices«). Zumindest 30 verschiedene Zytokeratine sind bekannt. Im Str. basale werden die niedrigmolekularen »basalen« Zytokeratine synthetisiert (Zytokeratinpaar 5/14); während des Differenzierungsgangs werden diese zugunsten der hochmolekularen zurückgedrängt (Zytokinpaar 1/10,11 – Keratinisationsmarker!). Für die Palmoplantarhaut spezifisch ist das Zytokeratin 9, für verhornende Mukosa und hyperproliferative Epidermis (z. B. Psoriasis) typisch ist das Zytokeratinpaar 6/16. Die »harten« Haar- und Nagelkeratine werden
. Abb. 2.6. Differenzierungsgang der Keratinozyten (s. Text)
2
aus einer eigenen Gruppe niedrigmolekularer, schwefelreicher Zytokeratine aufgebaut. Punktmutationen in Zytokeratingenen wurden als Ursache von Genodermatosen identifiziert. Filaggrin-Synthese. Filaggrine sind eine Gruppe stark basischer (histidinreicher) Proteine (35 kD), die aus dem hochmolekularen phosphorylierten Profilaggrin hervorgehen. Letzteres wird im oberen Str. spinosum synthetisiert und bildet vorerst die klumpigen Keratohyalingranula. Im Str. granulosum erfolgt Dephosphorylierung und proteolytischer Zerfall. Das freigesetzte hochreaktive monomere Filaggrin wird im Zytoplasma dispergiert und führt zur Aggregation der Keratinfilamente und deren Vernetzung durch Disulfidbrücken. Die Bildung des Keratins ist damit abgeschlossen. Es liegt nun als unlöslicher Komplex filamentärer und interfilamentärer Proteine vor. Profilaggrin zerfällt noch zu weiteren Aminosäuren, die in der Hornschicht wichtige Funktionen erfüllen: Wasserretention – »natural moisturizing factor«; Photoprotektion – Urokaninsäure. Synthese des »cornified envelope«. Im oberen Str. spinosum erscheint das zystinreiche unlösliche Protein Involukrin (80 kD): es lagert sich im Str. granulosum an die Innenseite der Zellmembran, wo es gemeinsam mit anderen Proteinen (z. B. Lorikrin) durch eine kalziumabhängige membrangebundene Transglutaminase quervernetzt wird. Dies bewirkt eine hohe Rigidität der Hornzelle (»steifes Innenfutter«), andererseits beträchtliche Resistenz gegen Keratolytika (Alkalien, reduzierende Substanzen) und organische Lösungsmittel, nicht aber proteolytische Enzyme. Dem »cornified
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2
Kapitel 2 · Grundlagen
envelope« außen angelagert ist eine ceramidreiche Lipidschicht (»covalently bound envelope«), die die Korneozyten mit der lipidhaltigen Interzellularsubstanz verbindet. Synthese des Barrierelipids. In den unteren Schichten
liegen Lipide – wie in den meisten Geweben – vorwiegend als membrangebundene Phospho- und Glykolipide vor. Im oberen Str. spinosum erfolgt die Synthese der Odland-Körperchen, die aus parallelen Plättchen von Glykosylceramiden, Sterolestern und Phospholipiden bestehen und hydrolytische Enzyme enthalten. Diese Organellen werden am Übergang zum Str. corneum in den Interzellularraum ausgestoßen, die Enzyme aktiviert und die Lipide in ein Gemisch hydrophober Metaboliten (Ceramide, Cholesterin, freie Fettsäuren) umgewandelt – das Barrierelipid. Letzteres liegt als breite, parallel ausgerichtete Lipidlamellen vor, die den Interzellularraum wasserdicht abschließen. Der Volumenanteil des Interzellularraums wächst hierbei beträchtlich an. Das Barrierelipid ist zusammen mit den (bis in die Hornschicht erhaltenen) (Corneo)Desmosomen für die Kohärenz der Hornschicht verantwortlich. Diese weniger polare Lipidmischung hat auch Auswirkungen auf die Regulation der epidermalen Kinetik (»second-messenger«-Funktion von Sphingomyelin bei Proliferations- und Differenzierungsvorgängen). 3In der Haut werden etwa 25% der Lipide des Körpers weitgehend autonom von Einflüssen des Organismus synthetisiert. Essenzielle Fettsäuren sind zur Bildung der Lipidlamellen jedoch unerlässlich – bei deren Mangel entsteht eine mangelhafte Barriere.
Abbau von Zellorganellen durch Keratinozyten. Am Übergang zwischen Str. granulosum und Str. corneum baut der Keratinozyt des Str. granulosum mit einem
. Abb. 2.7. Die Hornschicht ist aus regelmäßigen, kernlosen hexagonalen Korneozyten zusammengesetzt (G. Plewig)
reichen Apparat an Enzymen sämtliche Zellorganellen ab (inklusive der Zellkerne). Am Ende des Differenzierungsgangs liegt die fertige Hornschicht vor, die mit einer Ziegelmauer verglichen wird: regelmäßig angeordnete, durch das »cornified envelope« starre, kompakte (Verlust von mehr als 50% Trockengewicht), mit hochmolekularem Keratin in einer elektronendichten Matrix (Filaggrin) gefüllte hexagonale Bausteine (Korneozyten), die durch den undurchlässigen Lipid-»Zement« zu einer Lamelle verbunden sind (. Abb. 2.7). Hornschicht und Barrierefunktion Die Hornschicht ist ein 10 μm (an Handflächen und Fußsohlen 100 μm) dünnes, durchscheinendes, reißfestes und für Wasser und wasserlösliche Substanzen fast völlig undurchlässiges Häutchen, das die Epidermis wie eine Plastikmembran überzieht. In ihren obersten Lagen kommt es durch erhalten gebliebene Enzyme zum Abbau von »Zement« und Desmosomen – die Hornzellen lösen sich einzeln aus dem Verband und blättern ab. Diese physiologische Einzelzellabschilferung ist unmerklich (108 Hornzellen/Tag); ist der Abbau der Zellverbindungen unvollständig, lösen sich Aggregate statt einzelner Hornzellen – mit freiem Auge als Schuppen wahrnehmbar. ! Die Barriere ist nicht absolut, sondern gewährt einen minimalen Flüssigkeits- und Stoffaustausch zwischen Organismus und Umwelt. Die ständige geringfügige Abdunstung von Wasser (Perspiratio insensibilis) ist ein wichtiger Messparameter der Barrierefunktion.
Die Hornschicht ist sehr widerstandsfähig gegen physikalische (mechanische, thermische, aktinische) und chemische Noxen (Säuren, weniger Laugen), aber relativ empfindlich gegen organische Lösungsmittel (Extraktion der Lipide) und Detergenzien (Zerstörung der Zellmembran) – es resultieren Schäden der Barrierefunktion (degenerative Ekzeme!). Sie ist hygroskopisch und quillt bei längerer Wasserexposition, was zur drastischen Änderung ihrer physikalischen Eigenschaften führt: 4 Zunahme der Plastizität 4 geringere Reißfestigkeit (feuchte Haut ist verletzlicher!) 4 stark erhöhte Permeabilität (Okklusivverbände, 7 Kap. 2.4.1) 3Mäßige Hydratation ist zur Aufrechterhaltung der Geschmeidigkeit der Hornschicht erforderlich. Diese wird durch ein hygroskopisches Aminosäuregemisch (s. o.) und Harnstoff vermittelt (»natural moisturizing factor«). Bei einem Mangel an diesem Gemisch, z. B. bei Altershaut, zu ausgiebigem Wasserkontakt oder atopischem Ekzem, kommt es zum häufigen Zustand der Exsikkose (trockene, rissige Haut).
13 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
Die Hornschicht ist Träger der Barrierefunktion – ein rein physikalisches Phänomen, das in der isolierten Hornschicht gleich wirksam ist wie in lebender Haut. Hochmolekulare Stoffe (Eiweiße) können durch die intakte Hornschicht nicht penetrieren, niedermolekulare in geringem Maß – in Abhängigkeit vom Fick’schen Diffusionsgesetz. Diese physiologische »Lücke« der Barriere ist die Grundlage der dermatologischen Lokaltherapie. Einige Bezugsgrößen der Fick’schen Formel sind regional verschieden (Dicke der Hornschicht, Lipidgehalt, Hauttemperatur), daher ist die Permeabilität z. B. an den Intertrigostellen besonders hoch und an Handflächen und Fußsohlen besonders niedrig. Analog dazu ist die Haut regional verschieden empfänglich für Kontaktekzeme und für Nebenwirkungen durch Lokaltherapie (z. B. mit Kortikosteroidsalben). Die Barrierefunktion ist in pathologisch veränderter Hornschicht meist schwer beeinträchigt (Ekzeme, Psoriasis). ! Lipidlösliche Stoffe penetrieren besser durch die Haut als wasserlösliche. Intoxikationen durch perkutane Penetration sind möglich (z. B. Phenol!), ebenso aber auch transdermale Zufuhr von Pharmaka mittels »Pflaster«. Auch die Öffnungen von Haarfollikeln und Schweißdrüsen sind Lücken der Barriere, wegen ihres geringen Querschnitts (0,1% der Hautoberfläche) jedoch ohne Bedeutung. Ausnahme: hochwirksame Stoffe (z. B. bestimmte Kontaktantigene: Reibetest, . Abb. 2.8).
2
Die Hornschicht versieht lebenswichtige Funktionen als physikalisch-chemische Barriere und in der Wahrung der Wärme- und Flüssigkeitshomöostase. Darüber hinaus ist sie ein wichtiger Regulator metabolischer und immunologischer Vorgänge der Haut, da bei ihrer Verletzung Zytokine und Wachstumsfaktoren freigesetzt werden, die zur Proliferation, epidermalen Differenzierung (Lipidsynthese, Elektrolytverschiebungen – Ca2+), Reifung der Langerhans-Zellen, Aufregulierung von Adhäsionsmolekülen u. a. m. führen. Die Epidermis als sekretorisches Organ Die Keratinozyten sind nicht nur das Rahmengerüst der Epidermis, sondern auch Produzenten einer Vielzahl von Mediatoren, mit denen sie aktiv und wesentlich an entzündlichen Reaktionen mitwirken: 4 Zytokine bzw. Chemokine 4 Wachstumsfaktoren 4 Hormone 4 Neuropeptide 4 Arachidonsäurederivate 4 Enzyme (Kollagenase, Proteasen, Plasminogenaktivator etc.) 4 antimikrobielle Substanzen Die Vielzahl der potenziell erzeugbaren Botenstoffe kommt der von Makrophagen nahe. Sie sind das Vokabular, das den Keratinozyten zum Diskurs untereinander und mit ihren Symbionten, den Zellen der Dermis und des Immunsystems zur Verfügung steht. Konzept des aktivierten Keratinozyten. Bei homöostatischer Proliferation kommt der Keratinozyt zwar seinen Stoffwechselfunktionen nach und legt auch Reserven biologisch relevanter Stoffe an (z. B. IL-1), setzt letztere aber meist nicht frei. Ist er jedoch äußeren oder vom Gesamtorganismus kommenden Noxen ausgesetzt, sezerniert er ein reichhaltiges Set von Botenstoffen (»aktivierter Keratinozyt«). Die Signale bewirken eine initiale (antigenunabhängige) Entzündungsreaktion, der bei Bedarf eine antigenspezifische Immunreaktion folgt. Nach (oder schon während) der Elimination der Noxe leiten sie die Gewebsregeneration ein (epidermale Proliferation, Fibroblastenaktivierung).
. Abb. 2.8. Reibetest. Demonstration der Rolle der Hautadnexe als Permeationsroute. Dieser Patient leidet an einer Kontakturtikaria auf Inhaltsstoffe von Karotten. Minuten nach Einreiben mit einer frischen Schnittstelle entstehen multiple, kleine, follikuläre Quaddeln (Klammer). Hi: Histamin-Kontrollquaddel
Zytokine Darunter versteht man die Vielzahl der Botenstoffe, die das Zusammenspiel von Zellen untereinander und mit ihrer Umgebung (extrazelluläre Matrix, z. B. Kollagen) regeln. Zytokine sind meist kleine Proteine. Wie bei den Hormonen erfolgt ihre Wirkung über die Bindung an
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2
Kapitel 2 · Grundlagen
spezifische Rezeptoren der Zielzellen, die darauffolgende Übermittlung von molekularen Signalen in den Zellkern und damit die An- oder Abschaltung von bestimmten Genen. Zytokinrezeptoren sind meist hochaffin, d. h., Zytokine wirken bereits in sehr geringen Konzentrationen. Anders als Hormone werden Zytokine in der Regel nicht gespeichert, sondern bei Bedarf neu produziert. Typischerweise wirken sie im Nahbereich: parakrin (auf benachbarte Zellen) oder autokrin (auf die produzierende Zelle selbst). Seltener sind die ausgeschütteten Zytokinmengen so groß, dass sie im Blut messbar sind und auf entfernte Zellen wirken (endokrin, wie Hormone). Man unterscheidet: 4 Interleukine (IL-) sind Zytokine, die vorwiegend (aber keinesfalls nur!) von Zellen des Immunsystems produziert werden und auf diese Zellen wirken (aber keinesfalls nur!) 4 Chemokine sind eine Gruppe von kleinen Zytokinmolekülen mit prinzipiell ähnlicher Proteinstruktur. Verbindendes Merkmal ist ihre chemotaktische Wirkung auf andere Zellen, insbesondere des Immunsystems. Sie regulieren dadurch Migrationsprozesse, vorwiegend von Leukozyten. Auch sind alle korrespondierenden Chemokinrezeptoren ähnlich aufgebaut (»7-Transmembran-Helices«) und signalisieren ähnlich (über G-Proteine). 4 Koloniestimulierende Faktoren/»colony-stimulating factors« (CSF) sind Zytokine, die ihre Namen von den klassischen Koloniebildungsassays der Hämatologie haben. Ihre Hauptwirkung ist die Wachstumsstimulation von hämatopoietischen Zellen. 4 Wachstumsfaktoren sind Zytokine, deren Hauptaktivität die Förderung des Wachstums bestimmter Zelltypen ist. Proinflammatorische Zytokine. Deren Freisetzung er-
folgt durch physikochemische Traumen (z. B. Verletzungen, UV, chemische Irritanzien oder Allergene), mikrobielle Stimuli (bakterielle Endotoxine, Viren) aber auch durch Kontakt mit aktivierten T-Zellen (via Interferon-γ/IFN-γ). Sie entfalten auto- und parakrine Wirkungen, die zur gesteigerten Ausschüttung all dieser Zytokine wie auch von hämatopoetischen und Wachstumsfaktoren (z. B. GM-CSF) führt. Der summarische Effekt ist die Reifung und Migration kutaner dendritischer Zellen in die regionären Lymphknoten, eine Expression von Adhäsionsmolekülen an Keratinozyten und Endothelzellen (wodurch ein Strom von EffektorT-Lymphozyten und Memory-T-Zellen in die Haut gelenkt und damit die Weiche für eine antigenspezifische Immunreaktion gestellt wird), Unterstützung der Aktivierung von T-, B- und NK-Zellen, und epidermale
Proliferationssteigerung. Bei massiver Freisetzung gelangen sie in die Zirkulation und führen zu systemischen Effekten wie Fieber und Produktion von Akutphasenproteinen. Interleukin-1/IL-1 (vorwiegend IL-1α) ist ein für die lokale und systemische Entzündung zentrales Zytokin und wird in den basalen Lagen der Epidermis produziert, von ruhenden Keratinozyten jedoch nicht freigesetzt und ungebraucht abgeschilfert. IL-6 wird von ruhenden Keratinozyten in geringen, von aktivierten jedoch in hohen Mengen produziert. Es diffundiert schnell in die Blutbahn. Tumor-Nekrose-Faktor-α/TNF-α wird von ruhenden Keratinozyten gleichfalls in nur geringen Mengen erzeugt. Die Bedeutung liegt in der homöostatischen Proliferation von Keratinozyten und Melanozyten (Hemmung), der Erhaltung der Langerhans-Zellen und der Wachstumsstimulation von Fibroblasten (Wundheilung). Wichtige Beispiele für Chemokine. MCP-1 (Monocyte
chemoattractant protein-1) wird von basalen Keratinozyten nach Stimulierung mit IFN-γ produziert, besonders bei gleichzeitiger Anwesenheit von TNF-α. MCP-1 bewirkt die Einwanderung von LangerhansZellen und Monozyten in die Epidermis. IL-8 ist ein potentes Chemotaxin mit Wirkung auf Neutrophile und T-Zellen (Psoriasis!). Keratinozyten setzen es nach Stimulierung mit LPS (bakterielles Lipopolysaccharid), TNF-α, IL-1 und IFN-γ frei. Es ist einer der Neutrophilen-chemotaktischen Faktoren bei Psoriasis und spielt eine wesentliche Rolle bei der Aktivierung von Neutrophilen durch Endothelzellen. Weitere in aktivierten Keratinozyten erzeugte Chemokine sind: 4 GRO/MGSA (»growth-related oncogene«; Neutrophilen-Chemotaxis bei Psoriasis) 4 IP-10 (»interferon-inducible protein-10kD«; Attraktans für T Lymphozyten; Psoriasis, fixes Arzneimittelexanthem) 4 MIP-3-α (macrophage inflammatory protein-3-α; attrahiert Langerhanszell-Vorläuferzellen in die Epidermis) 4 RANTES (regulated on activation of normal T cell expressed and secreted; attrahiert diverse Leukozyten) 4 Eotaxin (selektiv auf Eosinophile chemotaktisch – Spätreaktion der Typ-I-Allergien), u. a. m. 3Das Beispiel »RANTES« (s. o.) verdeutlicht gut die oftmals willkürliche, meist historisch bedingte Namensgebung für Zytokine, insbesondere Chemokine. Diesen, manchmal verwirrenden, manchmal aber auch die Funktion recht gut beschreibenden Namen wird heute eine systematische Nomenklatur entgegengesetzt. Die Interleukine umfassen viele, aber keineswegs alle Zytokine. Die Chemokine und ihre Rezeptoren werden nach den Prinzipien ihrer Peptidstruktur benannt (v. a.
15 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
CCL- und CXCL-Chemokine; CCR- und CXCR-Chemokinrezeptoren). Im Internet finden sich Websites, in denen die Vielfalt der Zytokine und Chemokine aufgelistet und beschrieben ist, z. B.: http://www.copewithcytokines.de/ http://cytokine.medic.kumamoto-u.ac.jp/CFC/CK/ Chemokine.html
»Colony-stimulating factors« (CSF). Keratinozyten
produzieren konstitutiv G-CSF (Granulocyte-CSF), GM-CSF (Granulocyte-Macrophage-CSF) und M-CSF (Macrophage-CSF). Die Produktion von GM-CSF wird durch physikochemische Stimuli sowie durch GM-CSF selbst (autokrin), IL-1 und TNF-α induziert. GM-CSF ist ein potentes Chemotaxin und Aktivator von Neutrophilen (verlängert deren Überlebenszeit). Zusätzlich bewirkt GM-CSF gemeinsam mit TNF-α und IL-1 die Aktivierung der Langerhans-Zellen und fördert die Proliferation von Keratinozyten. GM-CSF ist vermutlich auch für die spezielle Affinität der T-Zellen für die Epidermis verantwortlich. IL-3 ist ein nicht linienspezifischer CSF mit stimulierender Wirkung auf Monozyten, neutrophile, eosinophile, basophile Leukozyten u. a. m. Wichtigste Wirkung in der Haut ist die Förderung der Differenzierung der Mastzellen. Wachstumsfaktoren
TGF-α (transforming growth factor-α) ist ein dem EGF (epidermal growth factor) homologes Polypeptid (bindet an denselben Rezeptoren). Er wird auch vom ruhenden Keratinozyten gebildet und ist wahrscheinlich Teil der Regulation der homöostatischen Proliferation. Sein Rezeptor ist in den Basalschichten von Epidermis, äußerer Haarwurzelscheide und den Ausführungsgängen der Schweißdrüsen nachweisbar. TGF-α hat auch Wirkungen auf Tumorwachstum, Onkogenexpression, Angiogenese, Wundheilung u. a. m. Er wird entweder durch oder gemeinsam mit IL-1 in den Keratinozyten exprimiert; autokrine Stimulierung ist nachgewiesen. TGF-α ist bei hyperplastischen Zuständen der Haut (z. B. Psoriasis) aufreguliert. TGF-β (transforming growth factor-β) wird gleichfalls vom ruhenden Keratinozyten gebildet, ist jedoch ein potenter Inhibitor der epidermalen Proliferation (Abregulierung der EGF-Rezeptoren). TGF-β wirkt als Chemotaxin für Neutrophile, Monozyten und Langerhans-Zell-Vorläufer, hemmt aber die IL-2 abhängige T-Zell-Proliferation. TGF-β wirkt demnach in mancher Hinsicht als Antagonist von IL-1. 3TGF-β-Knock-out-Mäuse haben keine epidermalen Langerhans-Zellen. Dieses Beispiel zeigt, dass es trotz der oft hoch redundanten Wirkungen der Zytokine doch Situationen gibt, wo ein einziges (hier eben TGF-β) eine Schlüsselrolle spielt. Dies macht plausibel, dass die therapeutische Zufuhr bzw. Ausschaltung einzelner Zytokine deutliche klinische Wirkungen haben kann (z. B. die Blockierung von TNF-α bei Psoriasis).
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FGF (fibroblast growth factor). Keratinozyten produzieren sowohl den sauren als auch den basischen FGF. Letzterer ist ein potentes Mitogen für Melanozyten, Fibroblasten und Keratinozyten und wird vermutlich nach Stimulierung mit TGF-β gebildet. Der saure FGF hat ähnliche Wirkungen; beide fördern auch die Angiogenese. KGF (keratinocyte growth factor) ist ein Wachstumsfaktor mit Wirkung auf epitheliale (nicht aber mesenchymale) Zellen. PDGF (platelet-derived growth factor) ist ein potentes Mitogen für Fibroblasten, glatte Muskelzellen u. a., und gleichzeitig ein Chemoattraktans für diese Zellen sowie für Monozyten und Neutrophile. PDGF wird von ruhenden Keratinozyten in großen Mengen erzeugt, wirkt auf diese selbst jedoch wegen des Fehlens eines Rezeptors nicht. VEGF (vascular endothelial growth factor) ist der wichtigste angiogenetische Faktor. Seine verschiedenen Isoformen fördern und steuern die Ausbildung von Blut- und Lymphgefäßen.
Antimikrobielle Substanzen Als Teil des angeborenen Immunsystems verfügt der Keratinozyt über ein Arsenal an Substanzen, die direkt gegen Bakterien wirksam sind – in erster Linie Peptide. Manche davon liegen bereits vorfabriziert bereit, andere werden erst in Antwort auf eine mikrobielle Bedrohung gebildet. Konstitutiv produzierte Peptide kontrollieren z. B. Wachstum und Zusammensetzung der normalen Hautflora. Andere werden (erstaunlicherweise nur) bei Auftreten virulenter Bakterienstämme induziert und verhindern so eine Infektion im Anfangsstadium. In Schuppen von Psoriasis vulgaris wurden β-Defensine und andere Peptide entdeckt (Sekundärinfektionen sind bei Psoriasis viel seltener als etwa beim atopischen Ekzem). Weitere antimikrobielle Peptide und Proteine sind Cathelizidine, Psoriasin, RNAsen, Protease-Inhibitoren, u. a. Die Wirkweise dieser antimikrobiellen Peptide ist nicht einheitlich, es überwiegen physikalische Mechanismen. Die meist kationischen und amphipathischen (hydrophile und lipophile Aminosäuren in bestimmten Bereichen des Moleküls) Peptide lagern sich an die Membranen spezifisch der Bakterien an und bilden Poren, durch die Ionen und Wasser strömen (Lyse). Diese elementare Wirkung bedingt, dass Resistenzen kaum auftreten. Die antimikrobiellen Peptide sind ein Hoffnungsgebiet für die Entwicklung von Antibiotika. 3Die Hornschicht wird, je nach Lokalisation, von 100– 10 Mio. Mikroorganismen/cm2 besiedelt. Es ist bemerkenswert, dass es bei dieser Menge an Keimen nur relativ selten zu Hautinfektionen kommt – eine Folge der Wirkung der antimikrobiellen Peptide (antimikrobielle Barriere der Haut).
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Kapitel 2 · Grundlagen
Epidermale Symbionten Melanozyten Aufbau und Funktion. Melanozyten sind Dendriten-
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3Melanozyten finden sich auch, spärlicher, in Auge, Innenohr, ZNS, Lymphknoten und anderen Organen. Diese extrakutanen Melanozyten transferieren das Pigment nicht (»kontinente« Melanozyten). Auch dermale Nävuszellen sind kontinent. »Kontinenz« der Melanozyten ist ein phylogenetisch älteres Muster (z. B. bei Amphibien, Fischen) als die Zytokrinie.
zellen neuroektodermaler Herkunft, die im Str. basale von Epidermis und Haarfollikel liegen, in ihren spezifischen Organellen (Melanosomen) das Pigment Melanin produzieren und dieses an die Keratinozyten abgeben (Zytokrinie). Sie sind für die Eigenfarbe von Haut und Haaren verantwortlich und dienen vorwiegend dem Schutz der Haut vor der UV-Einstrahlung. Die Melanozyten sitzen der Basalmembran der Epidermis unmittelbar auf (. Abb. 2.9); die Haftung erfolgt mittels Adhäsionsmolekülen (nicht Desmosomen). Sie stehen einzeln und sind regelmäßig angeordnet (1–2000/mm2 Hautoberfläche), am dichtesten in den belichteten und den androgensensitiven Regionen (Genitoanalbereich, Areola mammae). Sie sind wenig mobil und vermehren sich nur langsam; nach Gewebszerstörung dauert es lange, bis sie die Haut wieder besiedelt haben (meist aus erhalten gebliebenen Haarfollikeln) – Narben sind daher häufig depigmentiert. Im HE-Schnitt erscheinen sie hell (enthalten kein reifes Melanin) und können nur durch Spezialfärbungen (Melanin, Tyrosinase) sichtbar gemacht werden. Jeder Melanozyt entsendet 10–20 Dendriten durch den epidermalen Interzellularraum und beliefert bis zu 30 Keratinozyten mittels Pigmenttransfer mit Melanosomen. Die Pigmentierung der Haut beruht daher auf dem Pigmentgehalt der Keratinozyten.
3Zahl, Größe und Form der Melanosomen sind genetisch determiniert: ethnisch dunkelhäutige Personen haben mehr, ovalere und größere Melanosomen als Kaukasier (jedoch die gleiche Zahl von Melanozyten!). Vorwiegend Phäomelanin (s. u.) enthaltende Melanosomen sind auch in späteren Reifungsstadien rund.
. Abb. 2.9. Die Epidermis besitzt 2 verschiedene Populationen von Dendritenzellen: die basalen Melanozyten und die suprabasalen Langerhans-Zellen. Beide Zelltypen stehen mit ihrem durch den Intrazellularraum laufenden Dendritensystem mit einer Gruppe benachbarter Keratinozyten in funktioneller Verbindung
. Abb. 2.10. Melanosomenauf- und -abbau
Melanosomen. Die Bausteine der Melaninsynthese, die
Aminosäure Tyrosin und das Enzym Tyrosinase, werden an Ribosomen gebildet und über den Golgi-Apparat in Melanosomen (. Abb. 2.10) abgepackt, wo die Biosynthese des Melanins erfolgt. Tyrosin wird zu Melanin polymerisiert und in die Proteinmatrix des Melanosoms eingelagert. Je nach dem Melaningehalt unterscheidet man 4 Reifungsstadien der Melanosomen (I–IV). Während der Reifung wandern die Melanosomen langsam im Dendriten peripherwärts und gelangen in dessen Spitzen voll melaninisiert an. Von dort werden sie an die umgebenden Keratinozyten abgegeben (Mechanismus des Pigmenttransfer ist noch nicht gänzlich geklärt) und in Melanosomenkomplexe verpackt. Durch Verschmelzung der Melanosomenkomplexe mit Lysosomen wird der Abbau der Melanosomen eingeleitet.
17 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
Schicksal der Melanosomen in den Keratinozyten. Die
Melanosomen liegen im Zytoplasma der Keratinozyten entweder einzeln (ethnisch dunkle Haut) oder zu mehrt in membranlimitierten Melanosomenkomplexen (Kaukasier). Der Verteilungsmodus hängt ausschließlich von der Größe ab: größere Melanosomen liegen einzeln, kleinere komplexiert. Dies beeinflusst die Hautfarbe: dispergierte Melanosomen absorbieren das Licht besser, die Haut erscheint dunkler. Melanin ist in den unteren Zelllagen der Epidermis am dichtesten, in den oberen unterliegt es einem enzymatischen Abbau, der bei Weißen im oberen Str. spinosum abgeschlossen ist. Bei ethnisch dunkler Haut sind Melaninreste noch im Str. corneum nachweisbar (bei Weißen nur bei krankhaften Zuständen, z. B. Lentigo maligna). Melaninsynthese. Melanin ist ein unlösliches Polyme-
risationsprodukt von Tyrosin. Es wirkt als Absorber von Licht aller Wellenlängen und Fänger freier Radikale (die wahrscheinlich ursprüngliche Funktion – »biological sink«). Die beiden ersten Schritte des Synthesewegs, die Oxidation zu Dihydroxyphenylalanin (Dopa) und weiter zu Dopachinon, werden durch Tyrosinase katalysiert, eine kupferhaltige aerobe Oxydase; die übrigen Schritte laufen weitgehend ohne Enzymvermittlung ab (. Abb. 2.11). Die Tyrosinase ist daher das zentrale Enzym des Melaninstoffwechsels. Mutationen, die in Fehlerhaftigkeit des Genprodukts resultieren, haben Albinismus zur Folge. Die Melaninsynthese umfasst einen Haupt- und einen Nebenweg. Ersterer führt nach dem Dopachinon über Zwischenschritte zu Indolchinonen, aus deren Polymerisierung das braun-schwarze, unlösliche und gegenüber fast allen Chemikalien resistente Eumelanin
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entsteht. Der Nebenweg zweigt beim Dopachinon ab und führt zu Phäomelaninen und Trichromen. Phäomelanin ist das dominierende Pigment der Rothaarigen. Trichrome sind die Haar- und Federnpigmente von Tieren. Die Pigmentzellen von Weißen erzeugen in der Regel nicht eines der beiden Melanine allein, sondern Mischmelanine. Die Mengenrelation ist genetisch determiniert, aber regional (z. B. rote Strähnen in dunklem Bart!) und im Zeitverlauf (z. B. Nachdunkeln rötlicher Haare) verschieden. 3Der Selektionsvorteil schwarzer Haut in sonnenreichen Regionen liegt im UV-Schutz, der Vorteil von weißer Haut in nördlichen Gebieten darin, mittels UV-Licht Vitamin D3 synthetisieren zu können. Welcher Selektionsvorteil die Entstehung rothaariger Völkerschaften (»keltische Komplexion«) ausgelöst hat, ist unklar. Phäomelanin schützt nur schlecht gegen UV-Licht (Phototyp I) und kann bei UV-Bestrahlung durch Freisetzung von Sauerstoffradikalen sogar selbst proinflammatorisch wirken.
Farbe der menschlichen Haut. Diese wird v. a. durch
das Melanin bestimmt, weitere Faktoren sind die Durchblutung, exogene und endogene Pigmente (Karotinoide, Hämosiderin, Lipofuszin). Die Melaninpigmentierung ist im Wesentlichen genetisch determiniert und wird polygen vererbt. Voraussetzungen einer normalen Pigmentierung sind: 4 das Vorhandensein der kompletten Synthesemaschinerie 4 das Fehlen interferierender pleiotroper Gene (z. B. Neurofibromatose, Phenylketonurie) 4 der ungestörte Ablauf der Melanozyten-Ontogenese Ontogenese des Pigmentsystems. Die Melanozyten-
Vorläufer (Melanoblasten) entstehen in der Neuralleiste und wandern ab der 8. Schwangerschaftswoche dorsoventral durch das Mesenchym. Während der Wanderung differenzieren sie und erreichen in der 12. Woche die Haut, wo sie als Melanozyten die Basalschicht besiedeln. Bei vielen Tieren verbleiben sie als dermale Melanozyten im Bindegewebe (Amphibien, Vögel, manche Säuger).
. Abb. 2.11. Syntheseweg der Melanine (vereinfacht)
3Diese Wanderschaft kann durch verschiedene Störungen beeinträchtigt werden. Noxen, die schon die Präkursoren in der Neuralleiste zerstören, führen zum fleckigen Ausfall der Hautpigmentierung und zusätzlich zu schweren Entwicklungsstörungen des ZNS (schwerer Piebaldismus, Defekt des KIT-Gens). Noxen, die erst während der Migration zur Geltung kommen, führen lediglich zur fleckigen Depigmentierung (milder Piebaldismus). Führt die Noxe nur zur Schädigung der Melanoblasten (z. B. Melanosomenanomalien), kommt es zu streifigen Pigmentanomalien entlang der Blaschko-Linien (Hypomelanosis Ito, Nävus depigmentosus). Die mildeste Störung der Melanozyten-Ontogenese ist ein nicht vollzogener Übertritt der
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Kapitel 2 · Grundlagen
Melanoblasten in die Epidermis (»dermale Melanozytosen«). Diese können diffus (Mongolenfleck, Ota-Nävus) oder knotig sein (blauer Nävus). Der Mongolenfleck ist als einziger dieser Zustände rückbildungsfähig.
Melanozyten und UV-Licht. Melanozyten synthetisieren Melanin als Antwort auf physiologische und pathologische Stimuli (UV-Licht, Entzündung). Melanin schützt vor UV durch Absorption von Photonen und Umwandlung in Wärme. Die Melanosomen sind daher zweckmäßigerweise kappenartig, wie ein Schutzschild, über dem oberen Kernpol des Keratinozyten angeordnet. Der Lichtschutz durch Melanin ist sehr effizient: im Vergleich zu nicht-melaninhaltiger Haut (Vitiligo) besitzt die Haut des Afrikaners einen Lichtschutzfaktor von 13,5, die des Weißen immerhin noch von 3,5. Das Pigmentsystem des Weißen ist auf eine rasche und ausgiebige adaptive Antwort auf UV-Stimulation programmiert. Bei UV-Exposition werden die »ruhenden« Melanozyten »aktiviert«, d. h. die Tyrosinase wird aufreguliert und die Melaninsynthese verstärkt, Zahl und Reifegrad der Melanosomen steigt an, die Melanozyten werden größer, die Dendriten zahlreicher und der Pigmenttransfer intensiviert. Nach 48–72 h resultiert die Sonnenbräunung. Unmittelbar darauf führt eine Mitosewelle zur Erhöhung der Melanozytenzahl. Nach Beendigung der UV-Exposition normalisiert sich die Aktivität der Melanozyten langsam (über Wochen). ! Die Sonnenbräunung muss von der Sofortbräunung (»immediate pigment darkening«) unterschieden werden. Letztere tritt noch während der UV-Bestrahlung auf, beruht auf konformationellen Änderungen der Melaninmoleküle, ist vorübergehend (Rückbildung über Nacht) und erzeugt nur einen geringen UV-Schutz.
Menschliche Melanozyten sprechen (im Gegensatz zu denen vieler Tiere) auf Melanozyten-stimulierendes Hormon (MSH) nur wenig an (klinisches Beispiel: Morbus Addison); Androgene und Gestagene bewirken eine Aktivierung. Diese Hormonwirkungen sind rezeptorvermittelt. Aktivierende und proliferationsstimulierende Wirkungen besitzen ferner Neuropeptide, Entzündungsmediatoren und der basische FGF. Langerhans-Zellen und dendritische Zellen der Dermis Langerhans-Zellen (LZ) gehören gemeinsam mit den verwandten Zelltypen (s. u.) der Familie der immunstimulatorischen dendritischen Zellen (DZ) an. Sie sind aus dem Knochenmark stammende, MHC-KlasseII-Antigen tragende Leukozyten, liegen suprabasal in der Epidermis und spielen eine zentrale Rolle bei der Einleitung primärer Immunreaktionen.
LZ sind von dendritischer Form und besiedeln die Epidermis einzeln und gleichmäßig (ca. 700/mm2). Sie haften mittels des epithelialen Adhäsionsmoleküls E-Cadherin an den Keratinozyten (keine Desmosomen!). LZ färben sich in HE-gefärbten Paraffinschnitten nicht selektiv an, ihre Darstellung erfolgt mit enzym- bzw. immunhistochemischen Methoden (z. B. S 100, MHC-Klasse-II, CD1a). In menschlicher Epidermis sind sie am besten mit Antikörpern gegen Langerin (CD207) darstellbar, ein für LZ spezifisches C TypLektin (s. u.). Elektronenmikroskopisch sind sie durch die spezifischen tennisschlägerförmigen LZ (Birbeck)Granula charakterisiert (. Abb. 2.9). Die Homöostase der LZ-Population wird teils durch Zellteilung, überwiegend jedoch durch Rekrutierung von Vorläuferzellen aus der Blutbahn aufrechterhalten (vermehrt bei Entzündung!). 3Die Langerhans-Zellen wurden 1868 von Paul Langerhans noch als Medizinstudent entdeckt – ein nachahmenswertes Beispiel.
Funktion der LZ. Aufgabe der LZ ist die Einleitung pri-
märer T-Zell-abhängiger Immunantworten gegen Antigen/Pathogene; auf diese für alle Immunreaktionen der Haut fundamentale Funktion beziehen sich gängige Beinamen (»professionelle antigenpräsentierende Zellen«, »peripherster Posten des Immunsystems«, »Adjuvans der Natur«, »Wächterzellen der Epidermis«). In ruhender Epidermis liegen sie als immunologisch noch unreife LZ vor, die auf Aufnahme und Prozessierung (»antigen processing« – metabolische Aufschließung) von Antigen/Pathogen spezialisiert sind. Mit Beginn der Antigenprozessierung durchlaufen die LZ einen Reifungsprozess, der ihre Fähigkeit zur weiteren Antigenaufnahme drosselt, diejenige zur Stimulation ruhender T-Lymphozyten jedoch massiv verstärkt. Die reifende LZ migriert in den regionären Lymphknoten, wo die Antigenpräsentation stattfindet. Reifung und Migration der LZ – Entstehung von Immunität. LZ nehmen Moleküle/Partikel nach deren
Bindung an Zellmembranrezeptoren durch Endo-/ Phagozytose auf: das C-Typ Lektin Langerin vermittelt die Bindung glykosylierter Liganden (v. a. »Pathogenassoziierter Molekülmuster« – PAMPs), die von Pathogenen exprimiert werden (Bakterien, Toxine, Viren etc.); das CD1a-Antigen, ein in der Epidermis nur von LZ exprimiertes, nichtpolymorphes MHC-Klasse I-ähnliches Molekül, erkennt lipidartige PAMPs. Die Pathogene werden dann in Zellorganellen weitergeleitet, und aus ihnen proteolytisch Peptidfragmente zur Präsentation an T-Lymphozyten hergestellt.
19 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
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Eine dritte Gruppe von Zelloberflächenrezeptoren, die so genannten »Toll-like-receptors« (TLR), binden ebenfalls an molekulare Motive von Pathogenen (Polysaccharide, Glykolipide, einzelsträngige RNA, bakterientypische DNA u. a. m.). Ihre Aufgabe ist jedoch nicht, wie bei den oben genannten Rezeptoren, die Vermittlung von Phago-/Endozytose, sie dienen vielmehr als »Sensorium« der Zelle für mikrobielle Gefahr. Die TLR sind eine Schnittstelle von natürlicher und adaptiver Immunität: einerseits beantworten DZ (und vermutlich auch LZ) die Bindung eines Liganden an TLR im Sinn der natürlichen Immunität, indem sie antivirale Zytokine wie Interferon-α ausschütten oder große Mengen von IL-12 produzieren (Aktivierung der natürlichen Killerzellen); andererseits beginnen die DZ (und LZ) zu reifen, d. h. sie differenzieren in einen Funktionszustand, in dem sie wirkungsvoll T-Zell-vermittelte, adaptive Immunabwehrreaktionen induzieren können. Diese Reifung umfasst folgende Vorgänge: ECadherin wird herabreguliert, die Fähigkeit zur Antigenprozessierung verstärkt und proinflammatorische Zytokine werden sezerniert (z. B. IL-1). Auch die benachbarten Keratinozyten besitzen TLR; nach deren Bindung an Pathogene produzieren sie ebenfalls Entzündungszytokine (IL-1, TNF-α). In dem entstandenen inflammatorischen Milieu wandern die DZ/LZ aus der Epidermis über die afferente Lymphe in die T-Zell-Areale der regionären Lymphknoten. Dort aktivieren sie als jetzt reife, immunologisch hochaktive DZ (hier auch interdigitierende Retikulumzellen genannt) diejenigen T-Zellen, die den passenden Antigen-spezifischen Rezeptor besitzen und leiten damit die Immunantwort ein (d. h., erwünschte Antworten gegen bakterielle, virale oder Tumorantigene, aber auch unerwünschte z. B. gegen Kontaktallergene oder Allotransplantate).
Rolle: im Normalzustand, d. h. in Abwesenheit von Entzündung, präsentieren sie kontinuierlich Eigenantigene sowie apathogene Fremdsubstanzen den antigenspezifischen T-Lymphozyten. Da sie jedoch ohne Entzündung funktionell nicht vollständig ausreifen (insbesondere fehlen die für die T-Zell-Stimulation essenziellen kostimulatorischen Moleküle) werden die selbstreaktiven T-Lymphozyten nicht aktiviert, sondern – im Gegenteil – »tolerisiert«.
Aufrechterhaltung von Toleranz. »Toleranz« bezeichnet die Fähigkeit des Immunsystems, »Selbst« von »Nicht-Selbst« zu unterscheiden und körpereigene Strukturen (Proteine, Zellen) in der Regel nicht anzugreifen. Grundlegender Mechanismus ist die Aussortierung (Selektion) der (ja primär vorgegebenen) selbstreaktiven T-Lymphozytenklone im Thymus (»zentrale Toleranz«). Hinzu kommen nachgeschaltete Prozesse der »peripheren Toleranz«, in deren Rahmen selbstreaktive T-Lymphozytenklone in der Zirkulation der Apoptose zugeführt, »ruhiggestellt« oder durch regulatorische T-Lymphozyten unterdrückt werden können. Unzureichende Effizienz dieser Mechanismen führt zu Autoimmunkrankheiten. DZ (inklusive der LZ) spielen bei der Aufrechterhaltung der peripheren Toleranz eine entscheidende
3Helfer T-Lymphozyten bestimmen die Qualität der adaptiven Immunantwort. Verschiedene Klassen von Pathogenen erfordern unterschiedliche Reaktionsmuster des Immunsystems. Extrazellulär lebende Bakterien und deren Produkte (Toxine) werden in erster Linie mittels zirkulierender Antikörper bekämpft und neutralisiert; intrazelluläre Bakterien oder Einzeller (z. B. Mykobakterien, Leishmanien) werden über aktivierte Makrophagen in Schach gehalten; Viren werden vorwiegend von zytotoxischen T-Lymphozyten eliminiert, die virusinfizierte Körperzellen »killen«; Würmer werden von eosinophilen Granulozyten IgE-abhängig angegriffen. Das Zytokinmilieu im lymphoiden Organ, wo die Immunantwort initiiert wird, entscheidet über die Art von Helfer-TLymphozyten, die ausgebildet wird. Bei bakteriellen oder viralen Infektionen produzieren die aktivierten DZ/LZ das Zytokin IL-12, das die noch unentschiedenen Helfer-T-Zellen zu HelferT-Zellen vom Typ 1 macht (»TH1«). Diese sezernieren IFN-γ als Schlüsselzytokin: IFN-γ fördert die Entwicklung von zyto-
Beeinflussung der Funktion der Langerhans-Zellen.
Physikochemische Agenzien, Zytokine und Pharmaka können die Funktion der LZ modulieren bzw. beeinträchtigen. Beispiele: 4 UV-B induziert DNA-Schäden an den LZ, als deren Folge diese bei der Antigenpräsentation nicht Effektorzellen sondern – im Gegenteil – regulatorische (d. h. »immundämpfende«) T-Lymphozyten aktivieren. Zusätzlich verringert das von Keratinozyten in Antwort auf UV-B ausgeschüttete IL-10 die Immunogenität der LZ. Es resultiert eine Immunsuppression, die z. B. zur erhöhten Inzidenz von Hautkrebs führen kann. Auch (das angeblich harmlose) UV-A beeinträchtigt die Antigenpräsentationsfähigkeit der LZ. 4 Die topische Applikation von Kortikosteroiden führt zur raschen Depletion der Epidermis von LZ und T-Lymphozyten durch Apoptose. Topische Calcineurin-Inhibitoren (Pimecrolimus, Tacrolimus) lassen die LZ unbeeinträchtigt. 4 Bei der atopischen Dermatitis produzieren Keratinozyten der entzündeten Epidermis große Mengen des Zytokins TSLP (thymic stromal lymphopoietin); dieses aktiviert die LZ, fördert deren Auswanderung und veranlasst sie, bei der Antigenpräsentation im regionären Lymphknoten präferenziell ein »TH2-Muster« zu induzieren (7 Kap. 3.2.1).
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Kapitel 2 · Grundlagen
toxischen T-Lymphozyten (Virusabwehr) und aktiviert Makrophagen (Abwehr von intrazellulären Bakterien; Typ-IV-Reaktion – Reaktion vom verzögerten Typ). Unerwünschte TH1-Antworten gegen an sich harmlose Substanzen (z. B. Nickel) führen zum kontaktallergischen Ekzem. Bei parasitären Infektionen überwiegt IL-4; unter dessen Einfluss werden TH2-Zellen ausgebildet, die ihrerseits wieder IL-4 sezernieren und die Antikörperbildung (insbesondere IgE) begünstigen. Unerwünschte TH2-Antworten gegen an sich harmlose Substanzen (z. B. Pollen) führen zu den IgE-vermittelten allergischen Sofortreaktionen (Typ-I-Reaktionen). IL-12 und IL-4 hemmen einander gegenseitig in der Induktion der genannten Helfer-T-Zell-Subtypen. Dies gilt als Erklärung der Beobachtung, dass die Inzidenz von TH2-mediierten Krankheiten (IgE-bedingte Allergien, atopische Dermatitis u. a. m.) in Populationen mit relativ schlechten hygienischen Bedingungen, d. h. hohem Kontakt mit bakteriellen oder viralen Erregern, vermindert ist – »Hygiene-Hypothese«).
Beteiligung der LZ an der Pathogenese von Krankheiten LZ (und andere Typen von DZ der Haut) können auf mehrere Art und Weise an der Pathogenese von Hautkrankheiten beteiligt sein: Kutane DZ als Vermittler von Immunreaktionen. Als
antigenpräsentierende Zellen sind sie u. a. bei der Entstehung von Kontaktallergien und des atopischen Ekzems beteiligt. Bei letzterem vermögen LZ (und die »inflammatorischen dendritischen Epidermalzellen« – IDEC, s. u.) mithilfe ihrer hochaffinen IgE-Rezeptoren Antigene/Allergene besser zu binden (Verstärkung der T-Zell-Aktivierung). Den IDEC schreibt man zu, durch Produktion von IL-12 das TH2- in ein TH1-Zytokinmuster umzuwandeln (Übergang von der akuten zur chronischen Phase des atopischen Ekzems). Kutane DZ als Eintrittspforte für Infektionserreger. Die
Aufnahme von Antigen/Pathogen durch DZ erfolgt zwar mit dem Ziel der Immunabwehr sowohl durch Induktion von Lymphozytenantworten (adaptiertes Immunsystem) als auch durch unmittelbare Zerstörung der Pathogene (angeborenes Immunsystem). Dennoch kann daraus als unerwünschter Effekt eine Infektion entstehen. Dieser Weg ist für die HIV-Infektion nachgewiesen: LZ können vom HI-Virus befallen werden, wirken als Erregerreservoir und wichtiges Vehikel von der Haut in die Lymphknoten (»Trojanisches Pferd«). Kutane DZ als Ausgangspunkt proliferativer Erkrankungen: die Langerhans-Zell-Histiozytosen (7 Kap. 9).
Andere DZ-Populationen der Haut Dermale DZ sind Analoge der LZ in der Dermis, unterscheiden sich allerdings in einigen Punkten: sie
liegen nicht in einer Ebene wie die LZ und bilden daher kein ähnlich gleichmäßiges Netzwerk. Zudem tragen sie unterschiedliche Rezeptoren zur Erkennung von PAMPs (keinen Langerin-, dafür einen DC-SIGN [CD209] Rezeptor) und besitzen auch keine BirbeckGranula. Wahrscheinlich erkennen sie ein unterschiedliches Keimspektrum. Sie tragen ferner einen Marker unbekannter Funktion, das Faktor-XIIIa-Molekül. Hinsichtlich Einleitung von Immunantworten gegen Antigene/Pathogene (und vermutlich auch Aufrechterhaltung der peripheren Toleranz) sind sie den LZ ähnlich. Sie sind bei bestimmten Hautkrankheiten vermehrt (atopische Dermatitis, Psoriasis vulgaris) und spielen wahrscheinlich bei deren Pathogenese eine Rolle. Inflammatorische dendritische Epidermalzellen sind keine konstitutive dendritische Zellpopulation der Haut. Sie erscheinen nur bei Entzündungszuständen in der Epidermis, z. B. der atopischen Dermatitis (s. o.). Plasmazytoide DZ kommen in gesunder Dermis nur äußerst spärlich vor, sind in den Hautläsionen des Lupus erythematosus jedoch stark vermehrt. Sie produzieren massiv Interferone α und β, die an der Entstehung oder Aufrechterhaltung dieser Autoimmunkrankheit entscheidend beteiligt sind (halten DZ in einem chronischen Aktivierungszustand und perpetuieren somit die Präsentation von Autoantigenen). Sie wurden auch in den Infiltraten verschiedener Ekzeme vermehrt gefunden. 3Die plasmazytoiden DZ verdeutlichen, wie das natürliche/ angeborene und das erworbene/adaptive Immunsystem ineinander verzahnt sind. Die Bindung von Pathogen (typischerweise Viren) an TLR führt einerseits zur Sekretion großer Mengen antiviraler Typ-I-Interferone – ein Mechanismus der angeborenen Immunität. Dies geht schnell, ist unspezifisch und erzeugt kein immunologisches Gedächtnis. Andererseits reift die plasmazytoide DZ, wandert in die Lymphknoten und löst dort eine antigenspezifische adaptive Immunantwort aus.
Merkel-Zellen Diese sind einzeln oder als Aggregate (»Haarscheibe«) im Str. basale gelegene neuroendokrine Sinneszellen (langsam adaptierende Mechanorezeptoren für dynamische, statische und Vibrationsreize). Sie stammen von Keratinozyten-Stammzellen ab und sind unregelmäßig über Haut und hautnahe Schleimhäute verteilt (5–100/mm2), besonders dicht an Akren, Lippen, Gaumen und lichtexponierten Regionen. Lichtmikroskopisch sind sie nicht erkennbar; ultrastrukturell sind sie durch Tonofilamente (niedermolekulare Zytokeratine – 8, 18, 19, 20), Desmosomen und charakteristische sekretorische Granula (»dense core granules«) gekennzeichnet. Sie sind durch Synapsen mit afferenten Typ1-Nervenfasern verbunden. Merkelzellen produzieren
21 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
NGF (nerve growth factor) und vasoaktive Peptide (Substanz P, VIP); eine Rolle bei Entzündung und Regeneration ist wahrscheinlich. Sie sind Ausgangspunkt des hochmalignen Merkelzelltumors (7 Kap. 9). 2.1.2 Hautanhangsgebilde Alle Hautanhangsgebilde sind spezifizierte Invaginationen der Epidermis, die schon in utero angelegt, teils aber erst postpartal voll funktionstüchtig werden (7 Kap. 10). Haare Haare sind für Säugetiere spezifische pigmentierte Keratinfäden, die im Haarfollikel entstehen und einem intrinsischen Zyklus von Wuchs- und Ruhephasen unterworfen sind. Sie bilden mit der zugehörigen Talgdrüse (und apokrinen Drüse) einen Organkomplex und erfüllen Schutz- (mechanisch, thermisch, UV), Sinnes- (Verstärker der Berührungsperzeption) und soziale Funktionen. Behaarung des Menschen. Dieser ist nur scheinbar
»nackt« – tatsächlich unbehaart sind nur Handflächen und Fußsohlen, Teile der Genitalien und die Umschlagstellen von Haut zu Schleimhaut (Lippenrot, Analhaut). Alle anderen Regionen sind behaart, wobei die Haare regionsspezifisch (und individuell) von sehr unterschiedlicher Charakteristik sind (7 Übersicht). Unterschiede bestehen in Beschaffenheit (Kaliber, Länge, Kräuselung), Markhaltigkeit, Wachstumsrate, Dauer und Phasenverteilung des Haarzyklus und Pigmentierung. Die biologische Charakteristik eines Haars ist regional determiniert; sie bleibt auch nach Transplantation in eine neue Umgebung unverändert.
Haartypen 4 Langhaare: Kopf, Bart 4 Vellus (Lanugo)-Haare (marklos!): restlicher Körper 4 Kräuselhaare: Achseln, perigenital 4 Borstenhaare: Wimpern, Augenbrauen, äußerer Gehörgang, Nase
Die Haarfollikel sind regelmäßig in Linien und Gruppen angeordnet, die Follikelachse ist in einem Winkel von ca. 70° geneigt. Da die Neigungen großflächig gleichsinnig sind, kommen Streichungsrichtungen (generell von kranial nach kaudal) und auch Wirbel zustande. Die Bildung der Haarfollikel ist in der
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22. Schwangerschaftswoche abgeschlossen; postnatale Induktion von Haarfollikeln ist (noch) nicht möglich. Die Gesamtzahl der Haarfollikel am Kapillitium beträgt etwa 100 000. Anatomie (. Abb. 2.12). Der Haarschaft steckt in einer
Invagination der Epidermis, dem Haarfollikel. Dieser besteht aus der röhrenförmigen Haarwurzelscheide und dem zwiebelartigen Haarbulbus, der Matrix von Haar und Haarwurzelscheiden. Der Haarfollikel besteht aus einem permanenten (oberen) und einem dem Haarzyklus unterworfenen variablen (tiefen) Anteil; die Grenze zwischen beiden verläuft knapp unterhalb des »Wulsts« der äußeren Haarwurzelscheide (Ansatzpunkt des M. arrector pili; Sitz der Follikel-Stammzellen). Der oberste Teil des Haarfollikels ist trichterförmig erweitert (Infundibulum). In diesen münden die Ausführungsgänge der zugehörigen Talg- und, so vorhanden, apokrinen Drüsen. 3Das Infundibulum ist eine grubenförmige Einsenkung, in dem der Haarschaft (anders als in seinen Scheiden) »Spiel« hat; es ist mit Drüsensekret und Debris erfüllt und beherbergt die meisten Keime der Hautoberfläche. Es ist ein Locus minoris resistentiae gegen Infektionen (Follikulitis) und das Eindringen von Fremdsubstanzen.
Der Haarschaft besteht aus dem Kortex (kompaktierte Hornzellen; zu Fibrillen aggregierte »harte« Zytokeratine) mit einem zentralen lufthaltigen Hohlraum (Medulla – nur bei Langhaaren; bessere mechanische Belastbarkeit!). Nach außen ist der Haarschaft von der Kutikula umgeben, einer einschichtigen Lage dachschindelartig angeordneter Hornzellen. 3Die Kutikula ist eine Schutzschicht, die das Haar vor Erosion bewahrt und ihm den Glanz verleiht. Ihre Streichungsrichtung verläuft nach oben; da die Streichungsrichtung der Kutikula der eng anliegenden inneren Haarwurzelscheide gegensinnig ist, »verhaken« sich die beiden beim Versuch, das Haar auszuziehen.
Die Haarwurzelscheide besteht zuinnerst aus einer gleichartigen Kutikula, nach außen anschließend der inneren und der äußeren Haarwurzelscheide. Die beiden Wurzelscheiden sind einander in Gestalt und Funktion unähnlich: die äußere ist eine mit der Epidermis kontinuierliche Struktur, deren oberer Teil permanent ist; die innere gehört zur Gänze zum variablen Anteil des Haarfollikels und besitzt keine Verbindung zur Epidermis. Der Haarbulbus besteht aus einem glockenförmigen epithelialen Teil, der den dermalen Teil, die Papille, umwölbt. Ersterer, die Matrix, ist eine Ansammlung noch undifferenzierter Keratinozyten (und auch
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Kapitel 2 · Grundlagen
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. Abb. 2.12. Schematische Darstellung des Haars und des Haarzyklus (vereinfacht)
Melanozyten). Letztere ist ein Häufchen spezialisierter Fibroblasten in einer Basalmembran-ähnlichen extrazellulären Matrix. Diese Fibroblasten induzieren durch geeignete Signale den Beginn und die einzelnen Abschnitte des Haarzyklus. Der Haarfollikel besitzt einen eigenen Gefäßplexus, der parallel zu den Zyklusphasen auf- und abgebaut wird, und eine reiche Versorgung mit sensorischen und autonomen Nerven. Bildung des Haars. Die Matrix besteht aus schnell proli-
ferierenden Keratinozyten, die in die Wurzelscheiden oder den Haarschaft differenzieren. Die innere Haarwurzelscheide verhornt als erste und wird dadurch starr. Sie ummantelt die noch plastischen Kortex-Keratinozyten röhrenförmig und wirkt auf diese – die durch die vis a tergo getrieben werden – wie eine Spritzdüse. Da die Kortex-Keratinozyten gleichzeitig mit dem Durchtritt verhornen (»keratogene Zone«), bleibt die Fadenform permanent erhalten. Beim Auswachsen des Haars wächst synchron die innere Wurzelscheide mit aus, bis sie etwa in Höhe des Isthmus desintegriert und das Haar nun direkt der äußeren Wurzelscheide anliegt. Letztere verhornt erst jetzt, und zwar nach epidermalem Muster. 3Die Verhornung der inneren Wurzelscheide verläuft abrupt und ohne Ausbildung eines Str. granulosum (»trichilemmale Verhornung«), während die äußere Wurzelscheide wie
die Epidermis, d. h. mit einem solchen, verhornt. Von beiden Wurzelscheiden können Hornzysten ausgehen.
Die Länge eines Haars wird durch die Dauer der Anagenphase bestimmt, doch werden die Langhaare meist durch Abnutzung (chemisch, mechanisch) schon zuvor aufgelöst (Ablösung der Kutikula, Aufsplitterung des Kortex – »gespaltene Haarspitzen«). Die Dicke eines Haars ist Funktion der Zahl der Matrixzellen. Die Kräuselung von Haaren beruht auf ihrem ovalen Querschnitt (Formgebung in der keratogenen Zone). Haarzyklus. Der Lebenszyklus eines Haars (. Abb. 2.12)
setzt sich aus der Anagen- (Wachstums-), der Katagen(Rückbildungs)- und der Telogen- (Ruhe-)Phase zusammen. In letzterer löst sich die Verankerung des Haars im Follikel. Dies führt zur physiologischen Haarmauserung (etwa 60–100 Kopfhaare/Tag). Im Gegensatz zu manchen Tieren verlaufen diese Zyklusphasen beim Menschen asynchron. Die Dauer der einzelnen Phasen ist für die verschiedenen Haartypen verschieden (je länger das Haar, desto länger die Anagenphase). Faustregel: am Kapillitium dauert die Anagenphase etwa 3 Jahre, die Katagenphase 3 Wochen, die Telogenphase 3 Monate. Der Prozentsatz der Telogenhaare am gesunden Kapillitium ist demnach ca. 10%.
23 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
Von den kürzerlebigen Vellushaaren des Körpers sind etwa 50% in der Telogenphase. Erstes Anzeichen der Katagenphase im Anagenfollikel ist die Beendigung der Melanogenese: das zuletzt verfertigte Stück Haar bleibt unpigmentiert. Die dermale Papille wird kompakter und schrumpft, die Mitosen in der Matrix sistieren, ihre Glockenform magert zu einem Rundkolben ab. Das Kolbenhaar wandert langsam, unter »Verbrauch« der inneren Wurzelscheide, nach außen und zieht die sie unten wie ein schlottriger Blindsack umhüllende äußere Wurzelscheide (der die geschrumpfte dermale Papille anklebt) bis in die Höhe des »Wulsts« mit sich. Hier ist es nur mehr locker verankert und zum Ausfallen verurteilt – die Telogenphase ist erreicht. Die nächste Anagenphase beginnt mit Aktivierung der Haarfollikel-Stammzellen in der Region des »Wulsts«. Die neu gebildeten Zellen wachsen gemeinsam mit der dermalen Papille am selben Weg wieder in die Tiefe. Die dermale Papille lagert wieder extrazelluläre Matrix ein, über ihr organisiert sich ein neuer Bulbus, neue Haarwurzelscheiden und Kortex werden gebildet (während im Follikel oft noch das alte Telogenhaar steckt). 3Die Stammzellen des Haarfollikels stellen auch für die interfollikuläre Epidermis ein wichtiges Reservoir dar, aus dem bei der Wundheilung Keratinozyten rekrutiert werden.
Regulation des Haarzyklus. Der Ablauf des Haarzyklus wird durch eine intrinsische »Haarzyklusuhr« vorgegeben; diese ist im Follikel selbst lokalisiert (Beweis: Zyklus bleibt nach Transplantation unverändert). Darüber hinaus wird der Zyklus durch extrinsische Signale beeinflusst (Hormone, Retinoide, Wachstumsfaktoren, Neuropeptide). Diese Signale wirken teils an verschiedenen Haarfollikeln unterschiedlich oder gegensinnig (z. B. bewirken Androgene das Bartwachstum, gleichzeitig aber die androgenetische Alopezie des Capillitiums). Klinisch bedeutsam sind die Signale, die Katagen induzieren bzw. inhibieren: 4 Katageninduktion: 5 Androgene (Kapillitium) 5 Thyroxin 5 Prolaktin 4 Katageninhibition: 5 Östrogene 5 Androgene (Bart, Sexualhaare) 5 Prolaktin (Körper-Sexualhaare) 5 Glukokortikoide, ACTH
Talgdrüsen Talgdrüsen sind an Haarfollikel gebundene holokrine Drüsen, die unter Androgeneinfluss Talg produzieren: ein charakteristisches Fettgemisch (Squalen, Wachs-
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ester, Triglyzeride) und Hauptkomponente des Oberflächenfetts der Haut. Seine Funktion ist die Erhaltung der Geschmeidigkeit und des keimfeindlichen, sauren Milieus. Talgdrüsen sind, mit Ausnahme der wenigen freien Talgdrüsen der Genitalien und der Mundschleimhaut, an den Haarfollikel gebunden und münden in dessen Infundibulum. Ihre Zahl schwankt regional relativ wenig (100–1000/cm2), ihre Größe jedoch stark: an den seborrhoischen Arealen sind die Drüsen viellappig und groß, an den Extremitäten einlappig und klein. Vellus-Haarfollikel mit riesigen multilobären Talgdrüsen (z. B. im Gesicht) werden als Talgdrüsenfollikel bezeichnet. Die Drüsenkörper besitzen eine periphere Lage basaloider Matrixzellen; gegen das Zentrum werden die Zellen zunehmend von Fettvakuolen durchsetzt und schwellen dadurch an. Schließlich konfluieren die Vakuolen, die Membranen lösen sich auf, es entsteht eine homogene Talgmasse. Talgproduktion. Diese resultiert aus Größe und Aktivi-
tät der Talgdrüsen und ist starken regionalen, individuellen und altersmäßigen Schwankungen unterworfen. Die basale Talgproduktion läuft wahrscheinlich kontinuierlich ab. Der stärkste regulierende Faktor sind die Androgene: Wachstum der Talgdrüsen, vermehrte Talgproduktion. Die postpartale Talgdrüsenaktivität ist hoch, sinkt im Kleinkindesalter auf ein Minimum, steigt mit Beginn der Pubertät steil an und wird erst wieder im Laufe des Alterungsprozesses rückläufig. Diese Entwicklung bleibt bei Kastraten und bei Androgendefizienz aus. Die Talgproduktion negativ beeinflussende Faktoren sind: 4 Retinoide (Atrophie durch 13cis-Retinsäure) 4 Hunger (Sparmaßnahme) 4 Wundheilung (Rekrutierung der Basalzellen zur Reepithelisierung) 3Der wirksame Metabolit des Testosterons ist das Dihydrotestosteron (DHT), das aus diesem durch die 5-α-Reduktase gebildet wird. DHT wird an Androgenrezeptoren der Talgdrüsen gebunden. Östrogene wirken hemmend auf die Talgdrüsenstimulation durch Androgene, jedoch nur in unphysiologisch hohen Dosen. Stimulierenden Effekt auf die Talgdrüsenproduktion haben ferner Hypophysenhormone (MSH, ACTH, TSH).
Zusammensetzung des Talgs. Diese ist relativ konstant
und unabhängig von der produzierten Quantität (auch bei Hyperproduktion). Das qualitativ charakteristische Lipid des Talgs ist Squalen, ein Terpenoid und Präkursor des Cholesterin; seine Hauptmasse sind jedoch Wachsester und verschiedene Triglyzeride. Letztere werden durch Esterasen von in der Haut, insbesondere
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Kapitel 2 · Grundlagen
den Haarfollikeln, residenten Korynebakterien gespalten. Die entstandenen freien Fettsäuren bewirken das physiologische saure Milieu der Hautoberfläche.
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3Das Hautoberflächenfett ist eine Mischung von Talg und Hornschichtfett. Seine Zusammensetzung variiert nach dem Alter des Individuums sowie nach der Lokalisation der untersuchten Hautregion, da der Anteil des Hornschichtenfetts in etwa konstant, der des Talgs jedoch androgen- und regionsabhängig ist. Der Hauptbestandteil des Hornschichtenfetts (beim Kind bis zu 25%) sind Cholesterin und andere Sterole.
Nägel Aufbau. Die Nägel sind harte Keratinplatten, die den dorsalen Anteil der Finger- und Zehenkuppen bedecken und mit dem Nagelbett (Hyponychium) fest verwachsen sind. Sie wachsen tangenzial nach distal aus dem Nagelfalz (eine spezialisierte Einstülpung der Epidermis) aus; sie erfüllen Schutzfunktionen und sind ein Hilfsmittel der Greiffunktion. Die Nagelplatte ist etwa rechteckig und leicht konvex (. Abb. 2.13). Sie liegt dem Nagelbett auf und ist mit ihm verbacken. Sie endet distal im freien Nagelrand, der sich über das Hyponychium wölbt. Der Nagel ist an den Seiten in taschenförmige Rezessus der Haut eingefalzt. Der proximale Nagelfalz ist tief (ca. 0,5 cm) und beinhaltet die Nagelmatrix. Die seitlichen Nagelfälze sind seicht und dienen als Schienen für den auswachsenden Nagel. Die Dächer der Nagelfälze werden als Nagelwall (Paronychium) bezeichnet. Der proximale Nagelwall setzt sich distal in das Nagelhäutchen fort (Kutikula; Infektionsschutz der Matrix!). Die Nagelmatrix entspricht dem Boden des proximalen Nagelfalzes: sie wird durch den proximalen Nagelwall fast gänzlich verdeckt, nur ein kleiner halbmondförmiger Anteil ist distal der Kutikula sichtbar: die weißliche Lunula (»keratogene Zone« der Nagelmatrix). ! Die Nagelplatte ist durchscheinend und gibt daher den Blick auf das gut durchblutete rosa Nagelbett frei. Die Matrix besteht aus dichtgepackten kernhaltigen Zellen und ist daher nicht durchscheinend.
. Abb. 2.13. Schematischer Längsschnitt durch einen Nagel
Die Dermis des Nagelbetts ist gefäßreich und fest mit dem Periost der distalen Phalanx verbunden (keine Subkutis!). Die Retezapfen und die mit ihnen spiegelbildlich verzahnten dermalen Papillen verlaufen longitudinal (nicht netzförmig, wie sonst in der Haut). Nagelbildung. Die proximalen Anteile der Nagelmatrix bilden die oberflächliche (härtere), die distalen die tiefe (weichere) Lage der Nagelplatte. Zwischen den beiden Lagen befindet sich eine natürliche Spaltungsebene, entlang der der Nagel bei Traumatisierung (z. B. Entfettung!) longitudinal aufgespalten werden kann (Onychoschisis). Die Nägel bestehen aus kernlosen, mit einer kittartigen Lipidsubstanz fest aneinander haftenden kompaktierten Korneozyten mit prominenter Zellmembran. Die Nagelsubstanz besteht fast zur Gänze aus »harten« Zytokeratinen in einer zystin- (d. h. schwefel-)reichen Matrix. Der Nagel wächst, dem Nagelbett tangenzial aufliegend, nach distal aus. Dies wird dadurch erreicht, dass die vom Nagelbett gebildeten Hornzellen fest in die Unterfläche des Nagels inkorporiert werden. Nagelwachstum. Die Wachstumsgeschwindigkeit der
Nägel ist individuell verschieden, auch zwischen den Nägeln eines Individuums (0,5–1,2 mm/Woche). Faustregel: je länger der Finger (Zehe), desto schneller das Nagelwachstum. Der durchschnittliche Turnover eines Fingernagels ist 6 Monate, Fußnägel wachsen etwa halb so rasch. Im Lauf des Lebens verlangsamt sich das Wachstum, zusätzlich wird der Nagel dünner. Die Dicke eines Nagels ist Funktion der Anzahl der Matrixzellen. ! Die Härte des Nagels hängt von der Organisation der Strukturelemente ab (nicht etwa vom Kalziumgehalt).
Schweißdrüsen Schweißdrüsen sind an die Hautoberfläche mündende exokrine Drüsen, die bei folgenden Mechanismen wichtige Rollen spielen: 4 der Erhaltung des Wärmegleichgewichts (Abkühlung) 4 der Hydration der Hornschicht (Geschmeidigkeit) 4 als Ausscheidungs- und als soziales Signalorgan (Körpergeruch) 2 Arten von Schweißdrüsen existieren: 4 ekkrine Schweißdrüsen, die über den gesamten Körper verteilt, von den Haarfollikeln unabhängig und cholinerg innerviert sind 4 apokrine Drüsen, die vorwiegend in der Achselund Anogenitalgegend lokalisiert sind, in Haarfollikel münden und adrenerg innerviert sind
25 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
Ekkrine Schweißdrüsen Diese sind am dichtesten an den Fußsohlen (ca. 600/cm2) und am spärlichsten am Oberschenkel. Ihre Gesamtzahl beträgt 2–4 Mio., ihr Gesamtgewicht ca. 100 g (ungefähr das einer Niere!). Die Größe ist regional und individuell verschieden (je nach Dauerbeanspruchung). Die maximale Schwitzleistung liegt bei 10 l/Tag. Obwohl bei Geburt völlig ausgebildet, stellt sich die Funktion der Drüsen erst innerhalb der 1. Lebenswoche ein. Anatomie und Schweißproduktion. Die Drüse besteht aus dem geknäuelten sekretorischen Endstück (an der Dermis-Subkutisgrenze) und dem gestreckten Ausführungsgang. Der Primärschweiß wird in den »hellen« Zellen des Endstücks produziert; die randständigen myoepithelialen Zellen dienen dem Sekrettransport. Der Mechanismus der Sekretion ist nicht ganz bekannt; im Prinzip handelt es sich um den aktiven Transport von NaCl in das Lumen, dem die passive Diffusion von Wasser folgt; der Primärschweiß ist gegenüber Plasma daher isoton oder leicht hyperton. Im Ausführungsgang erfolgt eine teilweise Rückresorption, die jedoch Natriumionen mehr betrifft als Wasser; der resultierende »endgültige« Schweiß ist daher hypoton (und sauer). ! Die Natriumrückresorption läuft gleichförmig und unabhängig von der Durchflussmenge (Schweißrate) ab. Bei höherer Schweißproduktion steigt daher die Konzentration von NaCl im Schweiß, während die anderen Schweißinhaltsstoffe unverändert bleiben. Dies kann zu relevantem Elektrolytverlust führen.
Fußsohlen und Achseln lokalisiert; seine Mechanismen sind unbekannt, erfolgen jedoch gleichfalls über Acetylcholin. Der »Sinn« des emotionalen Schwitzens könnte in der Erhöhung der Griffigkeit von Handflächen und Fußsohlen liegen (bei Flucht oder Zupacken).
Inhaltsstoffe des Schweißes (. Tab. 2.1). Neben Elek-
trolyten beinhaltet Schweiß Plasmabestandteile und harnpflichtige Substanzen (exkretorische Funktion). Viele Medikamente finden sich im Schweiß in Konzentrationen, die denen im Plasma nahekommen (auch Äthylalkohol). Auch Hepatitis-B-Antigen wurde im Schweiß Erkrankter nachgewiesen (Infektionsgefahr). Apokrine Schweißdrüsen Diese sind den Milchdrüsen, den Moll-Drüsen des Augenlides und den Zeruminaldrüsen des äußeren Gehörgangs verwandt. Sie kommen regelmäßig in den Axillen und in der Anogenitalregion vor, sporadisch auch an Rumpf, Gesicht und Kapillitium. Auch sie bestehen aus einem geknäuelten sekretorischen Endstück und einem gestreckten Ausführungsgang, der jedoch in das Infundibulum des Haarfollikels mündet. Das (großlumige) Endstück besteht aus sekretorischen und myoepithelialen Zellen. Erstere sind lumenwärts zipfelartig ausgezogen (früher als »Dekapitationssekretion« gedeutet, daher der Ausdruck »apokrin«). Sie werden von adrenergen sympathischen Nerven versorgt. Apokrine Drüsen entwickeln sich erst in der Pubertät, bleiben dann aber auch nach Verlust der Gonaden . Tab. 2.1. Inhaltsstoffe des Schweißes
Nervöse Regulation. Die Schweißdrüsen werden von
einem Netz nichtmyelinisierter sympathischer C-Fasern versorgt. Hauptsächlicher Neurotransmitter ist Acetylcholin, weitere Transmitter sind z. B. VIP, ANP. Die Transmitterfreisetzung erfolgt bei lokaler Überwärmung direkt oder durch Stimulierung des Temperaturzentrums im Hypothalamus (Erhöhung der Kerntemperatur oder afferente Signale aus überwärmter Haut). Intrakutane Injektion von Acetylcholin triggert bei intaktem peripherem Nerv und Ganglion innerhalb weniger Sekunden die Schweißproduktion. Dieses Phänomen kann zur Unterscheidung prä- und postganglionärer Läsionen von Nerven verwendet werden. Im Gegensatz zu Acetylcholin kann Pilocarpin auch die denervierte Drüse zur Schweißproduktion stimulieren. 3Emotionales Schwitzen. Vom Schwitzen als Temperaturausgleich muss das so genannte »emotionale« Schwitzen unterschieden werden. Letzteres ist vorwiegend auf Handflächen,
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Elektrolyte
K+ (rel. konstant, 5–10 mM) Na+ und Cl– (von Schweißrate abhängig 20–80 mM), HCO3– (<1 mM) NH4+ (das 20- bis 50-Fache des Plasmaspiegels)
Laktat
Variabel (10–40 mM), wahrscheinlich durch helle Zellen gebildet
Harnstoff
Das 1- bis 4-Fache des Plasmaspiegels
Aminosäuren
~ Alle Aminosäuren, davon manche höher als Plasmaspiegel (z. B. Glyzin)
Proteine
Eine Reihe niedermolekularer Glykoproteine Albumin und Immunglobuline (?)
Kleine Moleküle
Glukose
Wirkstoffe
Histamin, Prostaglandine, Zytokine (Spuren)
Proteasen Medikamente
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Kapitel 2 · Grundlagen
erhalten. Ihre Funktion ist nur teilweise bekannt. Sie produzieren Duftstoffe mit (bei Tieren) pheromonartiger Wirkung. Der apokrine Schweiß ist neutral bis leicht alkalisch und von visköser, milchiger Beschaffenheit. 2.1.3 Dermis (Korium) Die Dermis ist ein fibroelastisches Bindegewebe, das aus einer oberflächlichen und einer tiefen Schicht besteht: 4 Str. papillare: Träger der die Haut versorgenden Gefäße und Nerven 4 Str. reticulare: architektonische Kernstruktur der Haut mit hoher Reißfestigkeit und Elastizität Die Dermis ist aus lose vernetzten Kollagenfaserbündeln mit Tendenz zur Parallelrichtung (Grundlage der Langer’schen Spaltlinien) und elastischen Fasern aufgebaut. Kollagenfasern vermitteln die Reißfestigkeit und Dehnbarkeit der Haut, elastische Fasern die Rückkehr zur Ausgangslage nach Verformung. Die Kollagenfasern sind in der tiefen Dermis dichter gewebt als in der oberen. Zwischen den Faserbündeln liegen Fibroblasten, Mastzellen und andere Gewebszellen. Fasern und Zellen sind in eine gelartige Grundsubstanz eingebettet. Fasern und Grundsubstanz werden als extrazelluläre Matrix bezeichnet. Grundsubstanz Zusammensetzung und Funktion. Die Füllsubstanz
von Dermis (und Subkutis) ist ein Gemisch von anionischen Glykosaminglykanen und Proteoglykanen (»saure Mukopolysaccharide«): unverzweigte, riesige Ketten von Disacchariden (jeweils ein acetyliertes oder sulfatiertes Hexosamin und z. B. Glukuronsäure; bis 3500 kD), die glykosidisch an kleine Proteinkerne (10– 80 kD) gekoppelt sein können. Glykosaminglykane sind integrierende Bestandteile der Bindegewebsmatrix, der Basalmembranen und Zelloberflächen (Glykokalyx). Aufgaben der Grundsubstanz sind: 4 Rahmenfunktion 4 Wasserspeicherung (Gewebsturgor, Kissenfunktion) 4 Erhaltung des Wasser- und Elektrolytgleichgewichts 4 Filterwirkung (Basalmembran) 4 Zell-Zell- und Zell-Matrixinteraktionen 4 Hämostase 4 Differenzierung 4 Wundheilung 4 Zellmigration
Wichtige Glykosaminglykane sind: Hyaluronsäure (nicht sulfatiert, kein Proteinkern; hohes Wasserbindungsvermögen), Dermatansulfat, Chrondroitin-6und -4-sulfat (Basalmembran) und Heparansulfat (Basalmembran, Zelloberflächen). Proteoglykane können verschiedene spezifische Aggregate bilden: Versican (Zellhaftung), Decoran (Hemmung der Fibrillogenese), Syndecan (Membranproteoglykan von Epithelzellen, auch Keratinozyten). ! Heparin (dem Heparansulfat ähnlich, aber höher sulfatiert und wegen seiner intrazellulären Lage in den Mastzellen nicht Teil der extrazellulären Matrix) gilt als die am stärksten anionische Substanz des Organismus.
Biosynthese und Abbau. Glykosaminglykane und Pro-
teoglykane werden vornehmlich von Fibroblasten synthetisiert und relativ rasch durch Hyaluronidase bzw. lysosomale Enzyme abgebaut (Halbwertszeit von Hyaluronsäure z. B. ca. 3 Tage). Hyaluronidase (»spreading factor«) bewirkt eine schnellere Ausbreitung von Substanzen im Bindegewebe. Sie ist Bestandteil mancher Insektengifte und Produkt mancher Bakterien (V. cholerae). Kollagen Kollagene sind eine Familie verwandter fibrillärer Proteine. Sie sind das hauptsächliche extrazelluläre Stützund Strukturprotein des Körpers und verantwortlich für die mechanischen Eigenschaften aller Organe (z. B. Reißfestigkeit); sie sind auch der Hauptbestandteil der Basallaminae. Die Kollagenmoleküle sind Tripelhelices aus je 3 α-Polypeptidketten mit besonderem Aminosäureaufbau (Glyzin an jeder 3. Position). Typen I und III liegen in langen Faserbündeln angeordnet vor und zeigen elektronenmikroskopisch eine charakteristische Bänderung (70 nm). Die Biosynthese des Kollagens durch Fibroblasten ist ein komplexer Mehrstufenprozess; der Abbau wird durch mehrere Enzyme katalysiert und verläuft sehr langsam (»tissue remodeling«). Kollagentypen. Es sind mehr als 20 Kollagen-Typen
bekannt (. Tab. 2.2). Die Dermis enthält ca. 10 Typen: 4 hauptsächlich Kollagen Typ I (etwa 50% des Trockengewichts) 4 je weitere 10% die Typen III und VI Die Typen I, III und V sind zu Fasern gebündelt, Typen VI und VII formen Mikrofibrillen, Typen IX, XII und XIV begleiten und verbinden größere Kollagenbündel. Typ IV liegt als netzartiges Grundgeflecht der Basallaminae vor, Typ XVII ist die extrazelluläre Domäne des BPAG-2 (7 Kap. 7.1.2).
27 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
2
. Tab. 2.2. Kollagentypen I
Haut (Hauptbestandteil), Knochen, Sehnen
II
Knorpel, Glaskörper
III
Fetale Haut; Erwachsenenhaut in oberer papillärer Dermis, periappendikal und um Blutgefäße
IV
Basalmembranen
V
Ubiquitär im Bindegewebe, perizellulär
VI
Ubiquitär im Bindegewebe; bildet eigenständiges mikrofibrilläres Netzwerk zwischen den Typ-I- und -III-Geflechten
VII
Ankerfibrillen
VIII
Endothelzellen
IX, X, XI
Knorpel
XII
Sehnen, Periost, Perichondrium
XIII
Ubiquitär
XIV
Haut, Sehnen
Kollagenmolekül (. Abb. 2.14). Dieses ist ein unlös-
liches, stabartiges, aus 3 im Sinne einer Tripelhelix ineinander gewundenen α-Ketten aufgebautes Gebilde; die Ketten sind entweder (wie bei Kollagen II und III) identisch (Homotrimer) oder (wie bei Kollagen I, IV, V) unterschiedlich (Heterotrimer). Sie bestehen zu einem Drittel aus Glycin, die restlichen Aminosäuren sind vorwiegend Prolin und Hydroxyprolin, Lysin und Hydroxylysin. Die Ketten sind untereinander und mit Nachbarmolekülen kovalent verbunden. Kollagenbiosynthese. Zumindest 25 Gene an verschiedenen (!) Chromosomen kodieren für die Kollagen-αKetten. Produktionsort sind die Fibroblasten (Typ IV auch Keratinozyten!). Die Moleküle werden als lösliche Präpro-α-Ketten an den Ribosomen synthetisiert, in das raue endoplasmatische Retikulum verbracht (hierbei wird eine »Signalsequenz« entfernt: Pro-α-Kette) und dort posttranslationell modifiziert: Hydroxylierung von Prolin- und Lysinresten (Bildung der Tripelhelix und der Crosslinks), Glykosylierung und schließlich Assemblierung der Tripelhelix durch Disulfidbrücken zwischen Zysteinresten. ! Hydroxylasen: Sauerstoff-, Eisen- und Askorbinsäure-abhängige Enzyme. Einige der klinischen Erscheinungen bei Vitamin-C-Mangel (Skorbut) erklären sich aus mangelnder Enzymaktiviät bei Fehlen dieses Kosubstrats.
Dem so entstandenen Prokollagenmolekül hängen an beiden Enden nichtkollagene »Extensionspeptide« an, die seine Bündelung zu Fibrillen noch in der Zelle ver-
. Abb. 2.14. Molekulares Modell einer Kollagen-Typ-I-Fibrille. Baustein ist die α-Polypeptidkette (V); 3 solcher Ketten (im Falle des Kollagen-Typ-I, zwei α1- und eine α2-Kette-Heterotrimer) formen eine Tripel-Helix (IV), das Kollagen-I-Molekül (III). Durch parallele Ausrichtung und periodische Versetzung (II) bilden sich die charakteristisch gebänderten Kollagenfibrillen (I). Die Fibrillen sind netzartig miteinander verflochten. Ein Typ-IMolekül ist ca. 1,5x300 nm groß, umfasst ca. 1000 Aminosäuren und hat ein Molekulargewicht von ca. 92 kD (nach Uitto, 1983)
hindern. Es wird nun über den Golgi-Apparat in den Extrazellularraum ausgeschleust und hier durch Prokollagenproteinasen von den Extensionspeptiden befreit: das Molekül verliert seine Löslichkeit und bündelt sich spontan zu Fibrillen – Umwandlung in Kollagen. Als letzter Schritt wird das neugeformte Fibrillensystem durch Crosslinks in sich und aneinander gefestigt (Reißfestigkeit!). 3Die Bildung von Crosslinks wird durch die Lysyloxidase katalysiert, ein Kupfer-abhängiges Enzym. Defizienz dieses Enzyms ist die biochemische Basis mancher hereditärer Bindegewebsschwächen (s. Ehlers-Danlos-Syndrom).
Die Regulation der Kollagenproduktion kann transkriptionell, translationell und durch beschleunigten
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Kapitel 2 · Grundlagen
Abbau erfolgen. Die wesentliche Kontrolle erfolgt vermutlich transkriptionell. Retinoide können die Promotoraktivität je nach Bedarf ab- oder aufregulieren; die stärkste Promotoraktivität hat TGF-β. Kortikosteroide sind starke Inhibitoren der Kollagensynthese. Interferon-γ hemmt überschießende Kollagenproduktion. Kollagenabbau. Der bei vielen physiologischen und pathologischen Prozessen erforderliche Ab- und Umbau des Kollagens (Embryogenese, Wundheilung, Entzündung, Zellmigration, Tumorinvasion und -metastasierung) erfolgt durch eine Gruppe von zinkhaltigen, meist kalziumabhängigen Metalloenzymen, den Matrix-Metalloproteinasen (MMP). Derzeit sind ca 26 MMP bekannt, die in 4 Familien unterteilt werden: 4 Kollagenasen (Fibroblasten-Kollagenase MMP-1, Leukozyten-Kollagenase MMP-8, -13, -18) 4 Gelatinasen (MMP-2,-9) 4 Stromelysine (MMP-3,-10,-11) 4 membranständige MMP (MMP-14 bis -17) 3Kollagenasen spalten die nativen fibrillären Kollagentypen I, II, III und V, MMP-13 auch IV, MMP-1 auch andere MMP (Kaskadeneffekt). Alle spalten Gelatin (denaturiertes Kollagen). Gelatinasen spalten zusätzlich Typ IV, Laminin, Elastin, Fibronektin und andere MMP. Sie vermitteln auch die Migration dendritischer Zellen durch das Gewebe. Stromelysine haben ein sehr breites Substratspektrum (praktisch alle genannten außer Typ I). MMP-11 scheint eine prominente Rolle in der Embryogenese und bei der Invasion und Metastasierung von Tumoren zu spielen. Membranständige MMP sind noch weniger gut charakterisiert.
Die Regulation der MMP ist straff und komplex. Die Transkription wird wie folgt reguliert: 4 Aufregulation durch Wuchsfaktoren, Zytokine (IL-1, TNF-α, PGDF, EGF) und mehrere Onkogene 4 Abregulation durch TGF-β, INF-γ, Kortikosteroide etc. MMP werden als Proenzyme von Fibroblasten, Keratinozyten, Synoviazellen, Neutrophilen u. a. produziert, in den Extrazellularraum ausgeschleust und durch Abspaltung eines Propeptids (u. a. durch Plasmin) aktiviert. Ihre Aktivierung wird durch »tissue inhibitors of metalloproteinases« (TIMPs) gehemmt. Ein im Blut zirkulierender, unspezifischer und irreversibler Kollagenaseinhibitor ist α-2-Makroglobulin. Elastin Elastin ist ein unlösliches fibrilläres Protein, das in manchen extrakutanen Strukturen (z. B. Aorta, Achillessehne, aber auch Lunge) einen hohen, in der Haut jedoch nur einen geringen Teil des Trockengewichts
ausmacht (2%). Reife Fasern bestehen ultrastrukturell aus einem amorphen Kern aus Elastin und umgebenden Mikrofibrillen. Sie liegen netz- und bandartig verzweigt vorwiegend in der retikulären Dermis (Elauninfasern) und entsenden zartere vertikale Ausläufer in die papilläre Dermis (Oxytalanfasern). Reife elastische Fasern bestehen zu 90% aus Elastin. Die Mikrofibrillen bestehen vorwiegend aus Fibrillinen. Molekulare Defekte des Fibrillin-Gens resultieren z. B. in das Marfan-Syndrom. Tropoelastin. Baustein des Elastin ist das Tropoelastin: eine 72 kD glyzinreiche Polypeptidkette, die (anders als Kollagen) kein Hydroxylysin oder Glykosylreste besitzt. Eine funktionsrelevante Eigenheit sind besondere Crosslinks, die 4 Lysinreste (je 2 an 2 benachbarten Polypeptidketten) zu einem stabilen Pyrimidinring verknüpfen (Desmosin bzw. Isodesmosin). Es entsteht ein unlösliches Fasernetzwerk mit gummiähnlicher Charakteristik. Elastinbiosynthese und -abbau. Die Polypeptidketten werden in Fibroblasten (und Gefäßmuskelzellen) synthetisiert und – nach Entfernung einer Signalsequenz in den Extrazellularraum transportiert. Hier erfolgen Assoziation mit den Mikrofibrillen und Quervernetzung (Lysyloxydase). Die elastischen Fasern unterliegen einem sehr langsamen Um- und Abbau: klassische Elastasen sind Serinproteasen verschiedener Herkunft (Entzündungszellen u. a.), die von Aktivatoren und Serum-Inhibitoren (z. B. α-1-Antitrypsin) kontrolliert werden. Elastolytisch sind ferner manche MMP.
Mechanische Eigenschaften der Haut Die Haut ist durch hohe Reißfestigkeit und Elastizität ausgezeichnet – Leistungen fast ausschließlich der retikulären Dermis. Straffheit und Dehnbarkeit der Haut sind Funktion der Kollagenfasern; das Rückschnellen in die Ausgangslage (z. B. Verstreichen von Falten) ist hingegen Funktion der elastischen Fasern. Die Kollagenfasern bilden ein lockeres Netzwerk. Entspannte Haut hat einen sehr geringen »biologischen« Elastizitätsmodul und ist daher ideal geeignet, scherenden Kräften oder der Beanspruchung in Gelenknähe nachzukommen. Bei Dehnung richten sich die Fasern zunächst parallel aus, wobei mit wachsendem Zug immer mehr Fasern gespannt werden. Im selben Maß wächst der Dehnungswiderstand, der bei völliger Anspannung der Fasern sein Maximum erreicht. Hält der Zug weiter an, kommt es zum »Fließen« der Fasern (bleibende Dehnung). Ein solcher Mechanismus liegt den Striae gravidarum zugrunde.
29 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
2.1.4 Mastzellen Vorkommen und Herkunft. Mastzellen sind ubiquitär
im Bindegewebe vorkommende Effektorzellen, die in der Haut besonders um Gefäße (mikrovaskuläre Einheit), Nerven und Hautanhangsgebilde angereichert sind und ca. 2–5% der dermalen Zellpopulation betragen. Sie sind immobil, langlebig und von typischer Morphologie (relativ groß, polygonal, mit rundem Kern und reichlich charakteristischen zytoplasmatischen Granula – metachromatische Färbung mit Toluidinblau). Sie exprimieren hochaffine IgE-Membranrezeptoren. Die Mastzellen stammen von pluripotenten hämatopoetischen Stammzellen mit enger Verwandtschaft zur Monozyten-Makrophagen-Linie ab. Ihre frühe Reifung im Knochenmark wird durch IL-3 und andere Zytokine gefördert, von GM-CSF gehemmt. Sie wandern über die Blutbahn in die Haut und reifen hier durch Mediatoren benachbarter Fibroblasten und Keratinozyten (IL-3, Stammzellfaktor). Die Ergänzung der Mastzellpopulation erfolgt überwiegend durch Rekrutierung aus dem Blut. Funktion. Sie produzieren ein reiches Spektrum von Mediatoren und sind der klassische Vermittler von Soforttyp-, daneben aber auch anderer Entzündungsreaktionen. Die Mediatoren liegen entweder präformiert in den Granula vor (Histamin, Tryptase, Chymase, TNF-α, Heparin) oder werden de novo gebildet (Lipidmediatoren wie Prostaglandin D2 oder die Sulfidleukotriene LTC4, LTD4 und LTE4, Zytokine). 3Arten von Mastzellen. Aufgrund des unterschiedlichen ultrastrukturellen Aussehens und Enzymgehalts der Granula werden grob 2 verschiedene Arten von Mastzellen unterschieden: solche der Haut, Lymphknoten und Darmsubmukosa (Bindegewebsmastzellen – Granula enthalten Tryptase, Chymase und Heparin) und solche der Lunge und Darmmukosa (Schleimhautmastzellen – Chondroitinsulfat anstatt Heparin, keine Chymase; ultrastrukturell perigranuläre Lamellen ähnlich »Schriftrollen«).
Die Mastzelle hat Ähnlichkeiten mit basophilen Leukozyten (Speicherung von Heparin und Histamin, IgEMembranrezeptoren). Eine ihrer Hauptfunktionen ist die Freisetzung der Mediatoren aus den Granula, die so genannte Degranulation (Granula fusionieren mit Zellmembran und ergießen ihren Inhalt in den Interzellularraum). Die Degranulation wird entweder durch Vernetzung zweier Fcε-Rezeptoren durch an sie gebundene IgE-Moleküle (»bridging«) oder auch durch unspezifische Stimuli ausgelöst: mechanische Reize (»triple response«), pharmakologische Stimuli (Histaminliberatoren wie Substanz 40/80, Dextran, Chinin, Alkaloide, Alkohol, Muskelrelaxantien, Acetylsalicyl-
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säure u. a.), verschiedene bakterielle und andere Gifte, Hitze, Kälte sowie durch verschiedene Mediatoren (Neuropeptide, C3a und C5a, manche Zytokine). Adrenalin hemmt die Degranulation, Acetylcholin fördert sie. Nach der Degranulation sind die Mastzellen einige Stunden lang refraktär. Der für die systemischen Reaktionen hauptverantwortliche Mediator ist Histamin; dieses wird am Erfolgsorgan an Histaminrezeptoren gebunden. 3 Arten solcher Rezeptoren sind bekannt (H1, H2, H3); sie sind organspezifisch verteilt und werden durch unterschiedliche Antihistaminika blockiert. In der Haut finden sich vorwiegend H1-Rezeptoren. Die Mediatorfreisetzung führt zur Vasodilatation und Steigerung der Gefäßpermeabilität (Quaddelbildung), Pruritus und Kontraktion glatter Muskelfasern (Bronchokonstriktion). Hinzu kommt die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine (IL-1β, IL-6, IL-8), die zu verzögerten Entzündungsreaktionen führen (»delayed immediate type reactions«), die chemotaktische Wirkung der Leukotriene, Eosinophilie durch IL-5 und die Expression von Adhäsionsmolekülen an Gefäßendothelien durch TNF-α. Schließlich nimmt die Mastzelle Einfluss auf Melanogenese (»postinflammatorische Hyperpigmentierung«), Wundheilung, Angiogenese, entzündlichen Bindegewebsumbau und Fibrose (TGFβ). 2.1.5 Blut- und Lymphsystem,
Nerven der Haut Blutgefäßsystem der Haut Blutgefäße Das Blutgefäßsystem der Haut (. Abb. 2.15) besteht aus einem Zu- und Ableitungssystem (perforierende Arterien und Venen aus Fett und Muskeln) und dem mikrovaskulären Gefäßnetz. Letzteres ist in 2 horizontale Plexus organisiert, den oberflächlichen (an der Grenzfläche zwischen papillärer und retikulärer Dermis) und den tiefen (an der Dermis-Subkutisgrenze). Zwischen diesen Plexus verlaufen vertikale Verbindungsgefäße, die auch eigene Plexus der Haarfollikel und Schweißdrüsen versorgen. Vom oberflächlichen Plexus verlaufen vertikale Kapillarschleifen in die Papillenspitzen. Zu- und Ableitungssystem. An der Subkutisgrenze fin-
den sich auch größere muskuläre Arterien (bis 100 μm) und Sammelvenen mit Venenklappen. Die zuführenden Arterien versorgen jeweils kreisrunde Hautbezirke von einigen Zentimetern Durchmesser, in deren Randbereich die Sauerstoffsättigung des kapillären Bluts geringer ist (»Drainagesinus«). Unter Normalbedingungen nicht erkennbar, treten diese Randbereiche bei
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Kapitel 2 · Grundlagen
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. Abb. 2.15. Mikrovaskulatur der Haut
Strömungsverlangsamung als Livedo reticularis bzw. racemosa in Erscheinung (7 Kap. 7.4.4). Bauelemente des mikrovaskulären Gefäßnetzes. Bei-
de horizontalen Plexus bestehen aus Arteriolen, arteriellen und venösen Kapillaren sowie postkapillären Venolen. Im oberflächlichen Plexus dominieren postkapilläre Venolen und Kapillaren, im tiefen größere Arteriolen und Sammelvenen. Die postkapillären Venolen besitzen den größten kumulativen Querschnitt der Hautgefäße (Reservoirfunktion). In ihnen ist die Flussgeschwindigkeit daher am niedrigsten (und die Interaktion zwischen Blutzellen und Endothel am intensivsten). Die postkapillären Venolen sind daher der Hauptort entzündlicher Reaktionen in der Haut. Ihre Wände sind dünn (geringes Permeationshindernis); die Auskleidung mit Endothelzellen ist kontinuierlich, doch können sich durch Mediatorwirkung (Histamin!) Lücken ausbilden (Ausströmen von Plasma). Blutzirkulation der Haut. Die Dichte der Gefäßversor-
gung der Haut ist für die bloße Versorgung überproportioniert; sie dient auch der Thermoregulation. Die Durchblutung der Haut kann bei Bedarf (Hitze, Fieber, Erythrodermie) auf das 10- bis 20-Fache gesteigert werden; die Wärmeabstrahlung erfolgt aus dem oberflächlichen Horizontalplexus. Die Regulation von Vasokonstriktion und -dilatation (die in jedem Gefäßabschnitt durch nervöse Impulse und Mediatoren erfolgen kann)
ist nur teilweise bekannt; arteriovenöse Anastomosen sind nur in den Akren nachgewiesen. Die Blutzirkulation erfolgt sowohl im arteriellen wie im venösen Schenkel pulsatil. C A V E
Der systolische Blutdruck in der Haut beträgt ca. 80 (arteriell) bzw. ca. 10 mmHg (venös). Ein Auflagedruck von 80 mmHg kann daher zur Unterbindung der Zirkulation und Nekrose führen (Dekubitus!).
Endothelzellen Die Endothelzellen (EZ), die innere Auskleidung der Gefäße, nehmen im Organismus eine Gesamtfläche von mehr als 1000 m2 ein. Sie sind langlebig (>100 Tage); bei Regeneration größerer Schäden werden EZ-Vorläufer aus dem Knochenmark mobilisiert. Ihre grundsätzlichen Aufgaben sind: 4 Stoffaustausch 4 Synthese von Basalmembran und extrazellulärer Matrix 4 Lipoprotein-Metabolismus 4 Gerinnung und Fibrinolyse 4 Mitregulation des Gefäßtonus 4 Einleitung und Exekution entzündlicher Vorgänge 4 Angiogenese 4 Tumorwachstum 4 Metastasierung u. a. m.
31 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
Das jeweilige Gewicht dieser Aufgaben hängt von der Art des Gefäßes ab. Die mikrovaskulären EZ der Haut (im Wesentlichen die der postkapillären Venolen) unterscheiden sich in ihrem biologischen Verhalten wesentlich von den EZ großer Gefäße und spielen eine zentrale (patho)physiologische Rolle (Beteiligung an Angiogenese, Entzündung u. a.). Ultrastrukturell sind sie durch mikropinozytotische Vesikel und Weibel-PaladeKörperchen gekennzeichnet: längliche lamellierte Organellen, in denen die hochpolymere Form des von Willebrand-Faktors (vWF) und das Adhäsionsmolekül P-Selektin gespeichert vorliegen. Die EZ kleiden die Blutgefäße nicht nur passiv aus, sondern sind aktiv und wesentlich durch Erfüllung dreier Hauptfunktionen an der Aufrechterhaltung des Blutflusses beteiligt: 4 Erhaltung einer anti-thrombogenen Oberfläche 4 Regulation der Vasopermeabilität 4 Regulation der Vasomotorik Die Oberfläche der EZ ist antithrombogen durch die stark anionische Membranladung (hoher Anteil von Heparan- und Chondroitinsufat); dies erschwert passiv die Adhärenz von Thrombozyten. Andere antithrombogene Mechanismen der EZ sind aktiv: Sekretion von antikoagulatorischen Substanzen (NO und Prostacyclin); kontinuierliche Inaktivierung aktivierten Thrombins aus der Blutbahn durch Bindung an das wandständige Thrombomodulin (in der Folge aktiviert der ThrombinThrombomodulin-Komplex das fibrinolytische Protein C); schließlich durch die Produktion des Plasminogen-Aktivators, der die Fibrinolyse in Gang setzt. Kontraktion der EZ resultiert in eine Steigerung der Gefäßpermeabilität und damit Öffnung der Interzellularräume. Dies kann als Sofortreaktion durch Histamin, Leukotriene oder Thrombin, oder im Rahmen einer Spätreaktion (bis zu 24 h) durch proinflammatorische Zytokine wie IL-1 oder TNF-α erfolgen. Die Vasomotorik (Dilatation und Konstriktion) erfolgt vornehmlich durch von EZ produzierte Substanzen, die zu einer Relaxation (Prostacyclin, NO) oder Konstriktion (Thromboxan, Endothelin, Angiotensin II) der glatten Muskulatur führen. Weitere wesentliche Fähigkeiten der EZ sind: 4 Einleitung der Thrombosierung bei Zellschädigung (z. B. Vaskulitis) mittels prokoagulanter Faktoren (von Willebrand-Faktor, Tissue factor) 4 Thrombolyse im Rahmen der Abheilung durch Aktivierung des fibrinolytischen Systems (tPA – Gewebe-Plasminogen-Aktivator), unter Gegenregulation durch PAI (Plasminogen-Aktivator-Inhibitor)
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4 Förderung der Entzündung durch Synthese chemotaktischer und proinflammatorischer Mediatoren (IL-1, -6, -8 – systemische Wirkungen sind möglich!) sowie Expression von Adhäsionsmolekülen zur Bindung und Diapedese von Entzündungszellen 4 Antigenpräsentation 4 Phagozytose Eine wichtige Funktion ist schließlich die Angiogenese, d. h. Gefäßneubildung durch Aussprossung von EZ aus präexistenten Gefäßen bei Hypoxie und unter dem Einfluss angiogenetischer Faktoren (vascular endothelial growth factor, VEGF). Die Angiogenese ist nicht nur Voraussetzung für die Wundheilung, sondern ermöglicht auch Tumorwachstum und Metastasierung. Lymphgefäßsystem der Haut Die Lymphgefäße sind ein Abtransportsystem für Flüssigkeit, »lymphpflichtige« Substanzen, Eiweiße, Fette, Zellen und Zelltrümmer, Bakterien etc. aus dem Interstitium. Es leitet sich aus den venösen Abschnitten des embryonalen Blutgefäßsystems ab. Es beginnt »blind« mit den Lymphkapillaren, die in Lymph-Präkollektoren, -kollektoren und Lymphstämme übergehen und schließlich mit dem Ductus thoracicus in den »Venenwinkel« münden. Die Kollektoren besitzen Klappen und eine Schicht von Muskelzellen; das proximal und distal durch eine Klappe begrenzte Segment wird Lymphangion genannt. Die Lymphgefäße treiben die Lymphe aktiv (!) durch Pulsation der Lymphangione »wie ein kleines Herz« voran (Frequenz ca. 10/min) (passive Hilfsmechanismen sind Muskel- und Gelenkspumpe, Pulsation der Arterien u. a.). In der Haut bilden die Lymphgefäße wie die Blutgefäße einen oberflächlichen und einen tiefen Plexus. Bei Unwegsamkeit der Lymphgefäße entsteht das Lymphödem (7 Kap. 12.2). Die Lymphgefäße spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Vermittlung von Immunreaktionen, da die antigentragenden dendritischen Zellen durch sie zum Lymphknoten migrieren. Sie sind auch der Pfad der lymphogenen Metastasierung von Tumoren; bei manchen Tumoren korreliert die Zahl der umgebenden Lymphgefäße mit der Prognose. Nerven der Haut Die Nervenversorgung der Haut dient folgenden Funktionen: 4 der Wahrnehmung äußerer Reize und deren Weiterleitung in das Zentralnervensystem (afferente sensorische Nerven) 4 der Innervierung von Blutgefäßen und Hautadnexen (efferente autonome Fasern) 4 der Freisetzung von Neuropeptiden
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Kapitel 2 · Grundlagen
Sensorische Nerven der Haut. Diese sind Aufzwei-
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gungen der peripheren Fortsätze des ersten afferenten Neurons (Sitz der Nervenzelle im dorsalen Spinalganglion). Sowohl myelinisierte (A-Fasern) wie marklose (C-Fasern – die Mehrzahl) Nerven kommen vor; sie können frei oder in spezifischen Sinnesrezeptoren endigen. Freie A-Faserendigungen finden sich besonders dicht um die Haarfollikel (Berührungsempfindung) und, mit plattenartigen Ausläufern – »Pinkus-Haarscheibe« – unterhalb der Merkelzellen (langsam adaptierender Berührungsrezeptor). Mit A-Fasern verbundene spezifische Sinnesrezeptoren sind die MeissnerTastkörperchen (vornehmlich in der Dermis von Handflächen und Fußsohlen), die Pacini-Körperchen (gleichfalls akral, ein Rezeptor für Vibrationsreize) u. a. m. Die hauptsächlichen Sinnesrezeptoren sind freie Nervenendigungen langsam leitender C- und Aδ-Fasern. Diese sind die Vermittler der Schmerz-, Juck-, Hitze-, Kälte- und Druckempfindung. Sie finden sich reichlich in der oberflächlichen und tiefen Dermis der gesamten Körperoberfläche, seltener auch in den basalen Zellschichten der Epidermis. ! Eine Zuordnung der verschiedenen sensorischen Qualitäten zu anatomisch definierten Nervenendigungen ist nur bedingt möglich.
Neuropeptide wurden mit der Genese verschiedener entzündlicher Hautkrankheiten in Verbindung gebracht. Eine praktisch verwertbare Konsequenz besteht bislang nur bei der Therapie der Zosterschmerzen: durch Capsaicin (eine im roten Paprika enthaltene Substanz) werden die Reservoirs von SP in den Nervenendigungen nozizeptiver C-Fasern entleert; die postherpetischen Schmerzen klingen ab. Capsaicin unterbindet die Schmerz- und Juckempfindung.
2.1.6 Pathophysiologie des Juckreizes Juckreiz (Pruritus) ist eine für die Haut und hautnahen Schleimhäute (Konjunktiven!) spezifische Sinnesperzeption bzw. Nozizeption, die als Alarmsystem für Kitzel- und unterschwellige Schmerzreize (Parasiten!) wirkt und zahlreiche Hautkrankheiten begleitet. Juckreiz ist der Schmerzempfindung nahe verwandt, unterscheidet sich jedoch von dieser: Schmerz löst einen Fluchtreflex aus, Juckreiz dagegen einen fast zwangshaften Hinwendungs- (Bearbeitungs)reflex, dessen Erfüllung durch Kratzen, Reiben etc. zur sofortigen (wenn auch oft nur kurzzeitigen) lustvollen Löschung führt. Kratzeffekte als Folge des Juckreizes prägen das Bild vieler Dermatosen; Kratzen kann seinerseits wieder über einen Circulus vitiosus den Juckreiz verstärken und die Hautkrankheit verschlechtern (Nervenendschäden führen zur Herabsetzung der Juckreizschwelle).
Autonome efferente Nerven der Haut. Diese versorgen
die größeren Blutgefäße, arteriovenösen Anastomosen, Schweißdrüsen und die Mm. arrectores pilorum. Sie sind überwiegend adrenerg (Gefäße, Haarmuskel). Arteriovenöse Anastomosen und ekkrine Schweißdrüsen werden hingegen cholinerg innerviert. Neuropeptide sind eine Gruppe von Peptiden, die in zentralen und peripheren Neuronen enthalten sind, zusätzlich zu den klassischen Neurotransmittern bei der Depolarisation freigesetzt werden und die Impulsübertragung modulieren. Sie können durch Mastzelldegranulation, Aktivierung von Neutrophilen, Makrophagen und Lymphozyten in Immunantwort und Entzündung eingreifen und sind (teils) für den Axonreflex verantwortlich.
Wahrnehmung. Die Wahrnehmbarkeit des Juckrei-
3Funktion der Neuropeptide Neuropeptide werden als inaktive Präkursoren in der Ganglionzelle synthetisiert, in sekretorische Granula abgepackt und wandern axonal zur Nervenendigung, wo sie gespeichert und durch Exozytose freigesetzt werden. Sie sind histochemisch in den Hautnerven und den Merkelzellen nachweisbar. Hauptvertreter sind: 4 Substanz P (SP) 4 vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP) 4 calcitonin gene related peptide (CGRP) 4 Neuropeptid Y
zes ist nicht überall gleichmäßig verteilt: die Partien um die Orifizien – Augenlider, Naseneingang, Ohrkanal, Perianal- und -genitalhaut – haben eine deutlich niedrigere Juckschwelle. Ähnlich wie die Perzeption von Temperatur-, Berührungs- und Schmerzreizen ist die Empfindung des Juckreizes punktweise verteilt, wobei die Dichte der »Juckpunkte« die Juckschwelle der betreffenden Region bestimmt. Die Verteilung der Juckpunkte korreliert mit jener der Schmerzpunkte.
Einige der am heftigsten juckenden Dermatosen 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Insektenstiche Skabies Urtikaria Ekzeme (z. B. Neurodermitis) Prurigoknoten Lichen ruber Kandida-Vulvitis Kraurosis vulvae Dermatitis herpetiformis
33 2.1 · Aufbau und Funktionen der Haut
C A V E
Die Juckpunkte entsprechen nicht spezifischen Sinnesorganen (solche sind nicht bekannt).
Die Juckreizempfindung kommt ausschließlich in der papillären Dermis zustande. Sie wird in denselben (oder gleichartigen) marklosen freien Nervenendigungen (Nozizeptoren) wie der Oberflächenschmerz erregt und in denselben Nervenbahnen (langsam leitende C-Fasern) weitergeleitet. Letztere treten durch das Hinterhorn in das Rückenmark, kreuzen auf die kontralaterale Seite, aszendieren, passieren im Tractus spinothalamicus den Thalamus und gelangen schließlich in die sensomotorische Hirnrinde im parietalen Gyrus postcentralis. Schmerz und Juckreiz haben eine gemeinsame strukturelle Basis. Juckreiz ist trotzdem nicht identisch mit schwachem Schmerz, da beide Empfindungen ihre eigene Qualität und ihr eigenes Intensitätsspektrum besitzen, nicht ineinander übergehen und dissoziierbar sind: Erwärmung der Haut auf 41°C etwa blockiert Juckreiz, verstärkt aber die Schmerzempfindung; Schmerz wird durch Opiate unterdrückt, Juckreiz in manchen Fällen sogar erheblich gesteigert. Von A-Fasern vermittelte Reize spielen eine wichtige Rolle in der Verarbeitung des Juckreizes. Nach der Gate-Control-Theorie hemmt eine Stimulierung der A-Fasern die Weiterleitung von in den C-Fasern reisenden Stimuli (Juckreiz) im Bereich der Substantia gelatinosa (»Schmerz hat Vorrang«). Dermale Schmerzreize aus demselben Segment unterdrücken daher den Juckreiz (Wirkmechanismus des Kratzens). Qualitäten des Juckreizes. Das Spektrum der Juckreizempfindung reicht von hell-kitzelnd, hitzend-brennend, schneidend bis zu dumpf quälend. Daher sind auch die reflexartigen »Bearbeitungsreaktionen« durchaus unterschiedlich: kratzend (z. B. bei Ekzemen), reibend (z. B. bei Lichen ruber), scheuernd bei schlecht lokalisierbarer Juckquelle (z. B. Mycosis fungoides) oder kühlend (z. B. Urtikaria). Die Folgen der ständigen Friktion sind u. a. der Lichen simplex chronicus.
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zung der genannten pruritogenen Peptide. Proteasen wie auch Peptide (z. B. Bradykinin, Substanz P) wirken direkt und indirekt, durch Histaminliberalisierung, pruritogen. Hinzu kommen zentrale Mediatoren (Endorphine), die den histamininduzierten Pruritus potenzieren können. 3Experimentelle intrazerebrale oder spinale Verabreichung von Opiaten kann heftigen Juckreiz hervorrufen, der durch Opiatantagonisten (Naloxon) unterdrückbar ist.
Juckreiz bei internistischen Krankheiten. Eine Reihe von Systemkrankheiten ist von heftigem generalisiertem Juckreiz begleitet, obwohl die Haut selbst unauffällig ist (Pruritus sine materia). Häufigster Vertreter ist der so genannte Pruritus senilis (oft, aber nicht stets mit Exsiccosis cutis assoziiert). Puritus sine materia ist häufig mit Stoffwechselstörungen (. Abb. 2.16; Übersicht) und malignen Tumoren (Lymphome!) assoziiert, doch sind die Mediatoren des Juckreizes schlecht charakterisiert. Bei der biliären Zirrhose werden zirkulierende freie Gallensäuren verdächtigt (Besserung durch UV-B und Ionenaustauscher – Cholestyramin), doch sind wahrscheinlich (ähnlich wie bei chronischer Niereninsuffizienz unter Hämodialyse) mehrere Stoffwechselprodukte beteiligt.
Pruritus sine materia 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Exsikkose der Haut Cholestase, Zirrhose Niereninsuffizienz Lymphome (Morbus Hodgkin) Polyzythämia vera okkulte Neoplasmen Hyperthyreose Menopause Medikamente (Opiate, Phenothiazin, HAES, u. a.) Darmparasiten Hypereosinophiles Syndrom Parasitophobie Dermatitis herpetiformis (Frühstadium)
Arzneimittelinduzierter Juckreiz. Dieser ist bei zahlMediatoren des Juckreizes. Die Auslösung des Juckrei-
zes erfolgt durch chemische Mediatoren. Deren wichtigste sind Histamin, Serotonin; ferner Arachidonsäuremetaboliten (Prostaglandine, Leukotriene, z. B. in Insektengiften und im Saft der Brennessel) und ein Spektrum kininähnlicher Peptide (Bradykinin, Neuropeptide u. a. m.). Proteasen, etwa Trypsin, Papain, Plasmin u. a. m., wirken nach intradermaler Injektion gleichfalls pruritogen – wahrscheinlich über Freiset-
reichen Medikamenten möglich, häufig beobachtet wird er bei Opiaten, Chloroquin, Retinoiden und bei der oralen Photochemotherapie (PUVA). Ein Sonderfall ist Juckreiz durch Ablagerung von Hydroxyäthylstärke (HAES: ein Plasmaexpander, häufig zur Behandlung von Hypovolämie, Durchblutungsstörungen und akutem Hörsturz verwendet – Speicherung im Gewebe, auch in marklosen und markhaltigen Hautnerven).
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Kapitel 2 · Grundlagen
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. Abb. 2.16. Pruritus sine materia bei Urämie. Der Patient ist von zahllosen frischen und vernarbten Kratzeffekten übersät; ausgespart sind lediglich die interskapulären Areale, die außerhalb der Reichweite der Hände liegen
2.1.7 Subkutis Die Subkutis besteht aus läppchenartig aufgebautem Fettgewebe, dessen bindegewebige Septen mit der Dermis kommunizieren. Die Septen sind die Träger der Gefäße und Nerven und bilden das straffe Grundgerüst der Fettläppchen. Die Funktionen der Subkutis sind: 4 Wärmeisolierung 4 Rolle eines mechanischen Schutzpolsters 4 Rolle eines Energiespeichers 2.2
Pathophysiologische Grundreaktionen
Die für den Studenten verwirrende Vielfalt krankhafter Veränderungen der Haut ist leichter durchschaubar, wenn man sie sich als Geflecht stereotyper Grundreaktionen vorstellt, die als Antwort auf Noxen entstehen. Diese Reaktionen sind für die einzelnen Kompartimente der Haut spezifisch, in diesen »vorprogrammiert« und mit den Reaktionen der anderen Kompartimente eng verzahnt. Die reaktionsfreudigsten Kompartimente sind die papilläre Dermis und die Epidermis. 2.2.1 Reaktionen des Gefäßsystems Diese umfassen Weit- und Engstellung (Röte bzw. Blässe); Permeabilitätssteigerung für Plasma (Ödem) oder auch für Blutzellen (Einblutung); Entzündung der Gefäßwand (nekrotisierende Vaskulitis); Thrombosierung, Gefäßverschluss. Diese Reaktionen können
isoliert oder gemeinsam (auch als Crescendo) auftreten. Gefäßweitstellung (umschriebene Rötung – Erythem) kann passiv (Stauung) oder als Antwort auf physikalische, toxische, nervöse oder entzündliche (infektiöse oder nichtinfektiöse) Reize erfolgen. Mechanismen der Gefäßweitstellung sind neben Nervenimpulsen Freisetzung von Mediatoren aus Mastzellen (Histamin, Eikosanoide), vasoaktive Kinine, Neuropeptide, zirkulierende oder in loco erzeugte Mediatoren (Eikosanoide, PAF, proinflammatorische Zytokine), oder exogene vasoaktive Substanzen (z. B. Nikotinsäureester). Die auslösenden Noxen erreichen die Gefäße entweder über den Blutstrom (z. B. Mikroorganismen oder deren Produkte, Pharmaka) oder durch Diffusion aus der Umgebung (z. B. nach Exkoriation der Epidermis). Die Gefäßweitstellung ist eine sinnvolle Maßnahme: sie verlangsamt die Flussgeschwindigkeit (bei vermehrtem Flussvolumen), bringt mehr Entzündungszellen heran und zwingt diese, die zentrale Strombahn zu verlassen (zu marginieren): Die Ausgangsposition zur Entzündung ist damit eingenommen. Vasokonstriktion (Drosselung des Blutstroms) erfolgt z. B. bei Kältereizen, bei systemischer oder lokaler Wirkung von Regulatorstoffen (Adrenalin; Endothelin), Gefäßspasmen oder Schädigung des Gefäßendothels (z. B. bei Thrombose). Permeabilitätssteigerung. Stauung kann zur Permeabilitätssteigerung und damit zur Flüssigkeitsansammlung im Gewebe führen (Ödem). Davon zu unterscheiden ist die Quaddel (Urtika): ein durch fokale und abrupte Mediatorfreisetzung aus den Mastzellen (»Degranulation«) entstehendes umschriebenes Ödem der papillären Dermis. Zur Degranulation können mehrere Wege führen: 4 Vernetzung membrangebundener IgE-Moleküle durch Antigen (Typ-I-Reaktion) 4 Komplementaktivierung durch zirkulierende Immunkomplexe (Typ-III-Reaktion) oder 4 »direkte« Degranulation durch zirkulierende oder in loco gebildete oder exogene Agenzien (Beispiele: Medikamente; Neuropeptide; Insektengifte) Die urtikarielle Reaktion bildet sich schnell (nach Stunden) zurück (Resorption der Ödemflüssigkeit, Abbau des Histamins, fehlender Nachschub aus den entleerten Histaminspeichern). Permeabilitätssteigerung auch für Blutzellen. Blutaustritt wird als Purpura bezeichnet. Purpura kann grundsätzlich durch Stauung (Stasispurpura), durch Gerinnungsstörungen (z. B. thrombozytopenische Purpura) oder Schwäche der Gefäßwand (z. B.
35 2.2 · Pathophysiologische Grundreaktionen
Kortikosteroidpurpura) bedingt sein. Eine wichtige Ursache von Gefäßschäden sind aktivierte Leukozyten. Neutrophile Granulozyten können bei manchen Dermatosen (z. B. Psoriasis pustulosa) an den Gefäßwänden mittels Adhäsionsmolekülen (LFA-1, ICAM-1) binden und durch sie hindurch zu ihrem eigentlichen Ziel wandern (Diapedese), ohne das Gefäß zu schädigen. Finden sie ihre Zielstruktur jedoch schon am Gefäßendothel vor (z. B. Ablagerungen zirkulierender Immunkomplexe), werden sie durch chemotaktische Komplementfragmente und Mediatoren (IL-1, TNF-α, IL-8) noch weiter aktiviert und setzen ihre toxischen Enzyme (Proteinasen) frei. Es kommt zur Nekrose des Gefäßes und zum Blutaustritt ins Gewebe (Beispiel: nekrotisierende Vaskulitis). Thrombosen der Hautgefäße entstehen zum Schutz vor Extravasation bei Schädigung der Gefäßwand (mechanisch, entzündlich, Atherosklerose etc.) durch Freisetzung von »Tissue factor« und Aktivierung des extrinsischen Gerinnungssystems. Die Thromben werden durch gleichzeitige Aktivierung antikoagulanter Faktoren begrenzt und schließlich vom fibrinolytischen System aufgelöst. Dies ist meist ein unbemerkter Begleitvorgang anderer Prozesse, z. B. der nekrotisierenden Vaskulitis; bei Thrombophilie (abnorme Gerinnungsbereitschaft) können Thromben das klinische Bild prägen (thrombotische Vaskulopathien). 2.2.2 Reaktionen der Epidermis Die Epidermis kann potenzielles Ziel sowohl exogener (mechanischer, chemischer, infektiöser) wie endogener Noxen (Attacke von Autoantikörpern oder Immunzellen) sein. Sie beantwortet die Schädigung in enger Kopplung mit dem Gefäßsystem und der Dermis mit Entzündung, der eine stereotype restaurative Antwort im Sinn der Wundheilung folgt. Beispiele exogener Schädigung Dazu gehören: 4 Oberflächliches mechanisches Trauma (Exkoriation). Werden Hornschicht und Teile der Epidermis fortgerissen, ist die verbliebene Epidermis der trockenen Luft ausgesetzt, Interzellularflüssigkeit tritt aus und trocknet ein (Kruste). Das osmotische Gleichgewicht verschiebt sich, die gestressten Keratinozyten setzen IL-1 und IL-6 frei, die wiederum im dermalen Gefäßplexus Weitstellung und die Expression von Adhäsionsmolekülen induzieren (Selektine, ICAM-1). Leukozyten wandern ein und nehmen sich des Zelldebris und eingedrungener
2
Keime an. Hiermit hat die Entzündungsreaktion ihren Höhepunkt erreicht; die Weichen zur Wundheilung sind gesetzt (Expression von TGF-α: Anstoß zur Proliferation). 4 Toxische Ekzemreaktion. Die Reaktion auf ein chemisches Irritans ist analog, aber intensiver: reichlichere und diversere Freisetzung von Mediatoren (neben den genannten auch IL-3, -5, -7, Eikosanoide). Durch Wirkung auf die Mastzellen werden die Gefäße permeabel: es entsteht ein dermales Ödem, Gewebsflüssigkeit strömt in den epidermalen Interzellularraum (Spongiose). Bei entsprechender Massivität bilden sich (spongiotische) Bläschen. Irritation der freien Nervenendigungen bewirkt Juckreiz und Schmerz. 4 Allergische Kontaktdermatitis. Die allergische Ekzemreaktion setzt eine vorhergehende Sensibilisierung gegen spezifische Antigene voraus (7 Kap. 3.2.1). Es resultiert ein ähnliches Bild wie bei der toxisch-irritativen Kontaktdermatitis. Beispiele endogener Schädigung Beispiele: 4 Pemphigus vulgaris. Bei dieser bullösen Autoimmundermatose (7 Kap. 7) binden zirkulierende Autoantikörper an desmosomale Cadherine der Epidermis und schädigen die Kohäsion der Keratinozyten: akantholytische Blasenbildung. Ein verwandtes Bild entsteht durch das Staphylokokkentoxin Exfoliatin. 4 Multiformeartige Reaktion. Erythema multiforme (7 Kap. 3.2) ist eine von zytotoxischen T-Lymphozyten dominierte Immunreaktion gegen Keratinozyten, die Fremdantigene (z. B. Herpes simplex-Virus) exprimieren. Die Lymphozyten sammeln sich in der dermoepidermalen Junktionszone und bewirken eine Zytolyse der Basalschicht (Blasenbildung). Die multiformeartige Reaktion kann von schweren Systemzeichen begleitet sein. 4 Lichenoide Reaktion. Zugrunde liegt eine von TH1-Lymphozyten dominierte Reaktion gegen noch unidentifizierte Antigene an Keratinozyten. Die Basalzellen werden durch ausgeprägte Apoptose dezimiert (oft traubenartig angeordnete apoptotische Keratinozyten), gelegentlich fokale Spaltbildung; epidermale Hyperproliferation. Als Ausdruck der Regeneration findet sich eine epidermale Hyperproliferation. Die lichenoide Reaktion findet sich außer bei Lichen ruber (7 Kap. 5.3) auch bei lichenoiden Arzneimittelexanthemen, der chronischen Graft-vs.-Host-Reaktion, im Prinzip auch bei kutanen T-Zell-Lymphomen (Mycosis fungoides, Sézary-Syndrom).
36
2
Kapitel 2 · Grundlagen
Blasenbildung Die Bildung von Blasen ist eine spezifische Reaktionsform der Epidermis. Blasen (flüssigkeitsgefüllte Hohlräume) können innerhalb der Epidermis (intraepidermale Blasen) oder im Bereich der dermoepidermalen Junktionszone entstehen (junktionale Blasen: in der Lamina lucida; dermolytische Blasen: unterhalb der Basallamina). Zur Blasenbildung müssen stets 2 Voraussetzungen erfüllt sein: mechanische Beeinträchtigung des Gewebes (Spaltbildung) und der Einstrom von Gewebsflüssigkeit. Folgende Ursachen können prinzipiell zugrunde liegen: 4 Exzessiver Einstrom von Gewebsflüssigkeit. Zerreißen der intraepidermalen Kontinuität als Folge des hohen Ödemdrucks: spongiotische Bläschen bei der Ekzemreaktion. 4 Primäre Schädigung des mechanischen Zusammenhalts. Hier ist der Einstrom von Gewebsflüssigkeit ein Folgeereignis. Die mechanische Schwachstelle kann in jedem Teil des komplexen mechanischen Gerüsts der epidermopapillären Einheit liegen und sowohl durch genetisch determinierte Strukturschwächen als auch durch erworbene Schäden bedingt sein. Beispiele: hereditäre Epidermolysen, bullöse Autoimmundermatosen, Spannungs- und Druckblasen (Zerreißen der primär intakten mechanischen Strukturen). 4 Blasenbildung durch Gewebsuntergang (zytolytische Blasen). Zelltod von (meist basalen) Keratinozyten durch physikalische Faktoren, Toxine, Viren oder zytotoxische Lymphozyten (z. B. Erythema multiforme, Herpes simplex, Verbrennungen). Leukozytäre Entzündung von Epidermis und Dermis (Eiterung) Die Einwanderung von Leukozyten wird durch Chemotaxine mediiert, die als Bestandteil des angeborenen Immunsystems von den Keratinozyten der Epidermis, aber auch von anderen Zellen in der Haut (z. B. Makrophagen, dendritischen Zellen) sezerniert werden. Die Bindung von Mikroorganismen an die »toll-like receptors« dieser Zellen signalisiert ihnen die »pathogene Gefahr«, auf die sie mit der Ausschüttung von Entzündungsmediatoren und chemotaktischen Molekülen reagieren: Chemokine, Komplementfragmente und Lipidmediatoren. Auch Bakterien selbst können Peptide mit chemotaktischen Eigenschaften für Leukozyten produzieren. In Ausübung ihrer Funktion (Phagozytose bzw. Abtötung von Keimen und Zelldebris) zerfallen die Neutrophilen und setzen Proteasen und Sauerstoffradikale frei, die zu direktem Gewebeschaden bis zur Auflösung (Abszess), zu Kininaktivierung
(Schmerzen), Aktivierung des Gerinnungssystems (Thrombusbildung) und dadurch wieder indirekt zu Anoxie und Nekrose führen. Pusteln sind oberflächliche (in der Epidermis oder knapp darunter liegende) einschmelzende Prozesse. Sie können durch Keime entstehen (z. B. Impetigo) oder auch ohne diese (sterile Pusteln – z. B. Psoriasis pustulosa). Da die Haarfollikel das Gros der Keimflora beherbergen, liegen die Pusteln häufig in diesen (eitrige Follikulitis). Abszesse sind tiefe einschmelzende Prozesse, z. B. um Haarfollikel (Furunkel) oder diffus in der tiefen Dermis (Phlegmone). Bei vielen Entzündungen finden sich zwar begleitende Leukozyten, ihre Dichte reicht aber zur eitrigen Einschmelzung nicht aus (z. B. Epidermomykosen, Psoriasis vulgaris). Die epidermale Regenerationsreaktion Als Antwort auf Schädigungen der Epidermis (und der Dermis!) setzt eine Welle epidermaler Hyperproliferation ein, die die geschädigten Keratinozyten verdrängt und durch neue ersetzt, bis die Homöostase wieder hergestellt ist. Dies führt bei einmaligen Noxen zur Restitutio ad integrum, bei wiederholten oder chronischen hingegen wird die Hyperproliferation zu einem Teil des Krankheitsbildes (s. u.). Hyperproliferation, Abschuppung und Wiederherstellung der Homöostase. Akute Noxen führen zur
Freisetzung von proliferationsfördernden Zytokinen, Lipidmediatoren und Wuchsstoffen, die in der Epidermis nach einer Latenzperiode (1–2 Tage) einen Schub gesteigerter Mitosetätigkeit auslösen. Eine Kohorte neugebildeter Keratinozyten durchquert schnell die Epidermis, drängt die geschädigten Zellpartien aus dieser heraus und differenziert dabei nur mangelhaft (z. B. Persistenz von Kernresten in der neugebildeten Hornschicht – Parakeratose). Auch der Abbau der interzellulären Hornschichtlipide, der normalerweise die Hornzellen einzeln abschuppen lässt, kann nicht Schritt halten: ca. 7–10 Tage nach der Noxe lösen sich Aggregate noch aneinander hängender Hornzellen (Schuppen). Ist die geschädigte Epidermis ersetzt, wandelt sich die Parakeratose bald in Orthohyperkeratose und schließlich in Orthokeratose um. Nach ca. 2 Wochen ist die Homöostase wiederhergestellt. ! Diese Regenerationsreaktion erfolgt stereotyp auf Noxen jeglicher Art, die auf die Epidermis treffen; darüber hinaus aber auch auf solche, die an der Dermis ansetzen und sich erst sekundär auf die Epidermis auswirken (z. B. toxische Exantheme – Scharlach!).
37 2.2 · Pathophysiologische Grundreaktionen
Hindernisse bei der Rückkehr zur Homöostase: Persistenz der Noxe. Wirkt die Noxe wiederholt oder lang-
fristig ein, bleibt die Rückkehr zur Homöostase aus, die epidermale Hyperproliferation bleibt erhalten und führt zur Hyperplasie der Epidermis (Akanthose), oft von einer komplementären Ausziehung der Papillen begleitet (Papillomatose). Ein einfaches Beispiel ist die Entwicklung mechanischer Schwielen (Tylose). Ist die Noxe Teil einer Krankheit, werden Elemente der Regenerationsreaktion in das Krankheitsbild (oft sehr prominent) eingebaut und verändern dessen Charakter. Beispiele: Pemphigus vegetans (Hypertrophie der Epidermis als Antwort auf chronische Akantholyse), chronisch lichenifizierte Ekzeme u. a. Die Regenerationsreaktion kann schließlich auch scheinbar grundlos in Erscheinung treten (z. B. bei hyperproliferativen Ichthyosen, oder – durch Immunmechanismen – bei der Psoriasis). Zur Ernährung der hypertrophen Epidermis produzieren die Keratinozyten vermehrt angiogenetische Faktoren, z. B. VEGF. Weitere Hindernisse bei der Rückkehr zur Homöostase sind: 4 Mangelnde Barrierefunktion der parakeratotischen Hornschicht: vermehrte Durchfeuchtung, Störung des Oberflächenmilieus, schnelle Proliferation von Keimen 4 Kontaktsensibilisierung: leichtere Penetration von Allergenen 2.2.3 Weitere pathophysiologische
Grundreaktionen
2
substanz an Hyaluronsäure (hohes Speichervermögen für Wasser und Elektrolyte). Dieser nimmt sprunghaft nach der Geburt und während des Lebens weiterhin langsamer ab; die Haut des alten Menschen erscheint daher schlaff, was durch UV-bedingte Degeneration der elastischen Fasern verstärkt wird (solare Elastose). Die Dermis ist auch ein Abraum- und Speicherorgan. Makrophagen phagozytieren molekulare und kleinkorpuskuläre Abfallstoffe und können diese nahezu unbegrenzt speichern (Hämosiderin, Tätowierungen). Bei systemischen Stoffwechselstörungen, z. B. Lipidosen, werden in ihnen Lipide gespeichert (Xanthome). Andere Stoffwechselkrankheiten bevorzugen die Grundsubstanz als Speicherplatz (Amyloidose), die Kapillarendothelzellen (Morbus Fabry) oder dermale Nerven und Schweißdrüsen (Mukopolysaccharidosen). Reaktionen der retikulären Dermis. Die wesentlichen
Reaktionsmuster der retikulären Dermis sind Narbenbildung, Fibrose, Sklerose und Atrophie. Narben entstehen als Ersatz zugrunde gegangenen Kollagengewebes unter dem Einfluss von Zytokinen und Wuchsstoffen (IL-1, FGF, TGF-α u. a.). Das neugebildete Kollagen wird jedoch nicht in seiner natürlichen komplexen Verflochtenheit, sondern als parallele Faserbündel angelegt. Ihm mangelt es daher an Dehnbarkeit und mechanischer Belastbarkeit: »minderwertiger Ersatz«. Narbengewebe neigt bei längerem Bestand zur Schrumpfung (Folge: z. B. Ektropium). ! Störungen der papillären Dermis heilen ohne oder mit nur geringen Narben ab.
Grundreaktionen des Pigmentsystems. Melanozyten
reagieren auf Noxen (UV-B, Entzündungsmediatoren) mit »Aktivierung«: sie steigern die Melanogenese und können auch proliferieren (»SOS-Reaktion«). Dies führt zur Hyperpigmentierung (Sonnenbräunung, postinflammatorische Pigmentierung). Bei intensiven Noxen gehen die Melanozyten zugrunde. Resultat: partieller oder totaler Pigmentverlust. Grundreaktionen der Adnexorgane. Die Matrices von Haaren und Nägeln können bei schweren systemischen oder lokalen Noxen teilweise oder gänzlich ihre Synthesearbeit einstellen (Effluvien, Nagelatrophie). Talg-, Schweißdrüsen und Haarfollikeln gemeinsam ist die Neigung zur Obstruktion der Ausführungsgänge: Komedonen, Miliaria, etc. Hautalterung. Die papilläre Dermis ist Hauptschauplatz der Alterung der Haut. Der bei Geburt hohe Gewebsturgor beruht auf einem hohen Gehalt der Grund-
Fibrose bedeutet vermehrte Kollagenbildung nach entzündlichen Prozessen; bei Sklerose bestehen zusätzlich Schrumpfung und Verhärtung des Gewebes mit Vermehrung und Vergröberung der Kollagenfaserbündel. Sie ist die charakteristischste Reaktion der retikulären Dermis, die sowohl als Ausdruck lokaler Prozesse (z. B. chronische venöse Insuffizienz) als auch von Systemkrankheiten auftreten kann (z. B. Sklerodermie). Reaktionen des subkutanen Fettgewebes. Dieses
reagiert auf Noxen (mechanisch, entzündlich, enzymatisch) eher monoton mit Untergang von Fettzellen und Freisetzung freier Fettsäuren. Diese wirken stark irritierend und führen zum Untergang weiteren Fettgewebes, Lipogranulomatose und Sklerosierung. Klinisches Korrelat: tiefe, entzündliche, meist schmerzhafte Knoten (Pannikulitis).
38
Kapitel 2 · Grundlagen
. Tab. 2.3. Effloreszenzen der Haut Primäreffloreszenzen
2
Makula (Fleck)
Umschriebene Farbveränderung, nicht tastbar
Papula, Tuber (Knötchen, Knoten)
Kleine bzw. große solide Erhabenheit der Haut
Urtika (Quaddel)
Beetartige Erhabenheit der Haut, flüchtig
Vesikula, Bulla (Bläschen, Blase)
Kleiner bzw. großer, mit Flüssigkeit (Plasma, Blut) gefüllter oberflächlicher Hohlraum der Haut
Pustula (Pustel)
Mit Eiter gefüllter oberflächlicher Hohlraum der Haut
Sekundäreffloreszenzen Squama (Schuppe)
In Ablösung befindliche Hornschichtlamellen
Crusta (Kruste)
Auflagerungen aus eingetrocknetem Serum, Eiter oder Blut
Erosion
Substanzdefekt in vorgeschädigter Haut bis maximal zur papillären Dermis; heilt narbenlos
Ulkus (Geschwür)
Substanzdefekt in vorgeschädigter Haut, tiefer reichend als bis zur papillären Dermis; heilt mit Narben
Atrophie
Gewebsschwund der Haut ohne vorhergegangenen Substanzdefekt
Cicatrix (Narbe)
Minderwertiger Gewebsersatz nach Substanzdefekt
2.3
Diagnostik der Hautkrankheiten
Die dermatologische Diagnostik beruht in erster Linie auf der klinisch-morphologischen Beurteilung des Krankheitsbildes; sie reicht in vielen Fällen zur Diagnose auch durchaus aus. Zusätzliche Hilfsmittel sind Anamnese, Histologie und weiterführende Untersuchungen. Diese dienen der Absicherung der Diagnose, der Erhebung individueller Umstände und von über die Haut hinausgreifenden Symptomen. Grundlage der morphologischen Diagnostik ist die »Beschreibung«, d. h. die Benennung und damit Festsetzung der morphologischen Befunde, die dann die Kriterien der diagnostischen Beurteilung sind. Die Beschreibung läuft nach einem fixierten und umfangreichen »Fragenkatalog« ab; ihr Instrument ist die dermatologische Terminologie.
die Haut bei Krankheitsprozessen ausbildet (Effloreszenz = Hautveränderung; auch Läsion oder Herd). Jede Dermatose kann durch die so definierten Effloreszenzen, wie mit den Buchstaben des Alphabets, beschrieben werden. Man unterscheidet traditionell und etwas willkürlich Primär- und Sekundäreffloreszenzen (. Tab. 2.3). Erstere entstehen de novo, letztere gehen aus Primäreffloreszenzen hervor.
2.3.1 Dermatologische Terminologie Die Sprache des Dermatologen umfasst einen reichhaltigen Wortschatz definierter beschreibender Begriffe, der der Vielfalt der Hautläsionen entspricht und für den Unkundigen nicht leicht zugänglich ist. Diese sprachlichen Kürzel waren die Grundlage zur Entwicklung der Dermatologie und sind noch heute zur Definition morphologischer Befunde und generell für die Verständigung unverzichtbar. Effloreszenzenlehre
Die Effloreszenzenlehre ist der historische Begriffskatalog der klinisch-morphologischen Bausteine, die
. Abb. 2.17a–c. Gleichartigen Primäreffloreszenzen können verschiedenartige pathologische Substrate zugrunde liegen. Eine Makula kann etwa (a) durch Farbstoffe in der Hornschicht, (b) durch Pigmentierung der Epidermis im Junktionsbereich (Beispiele: Lentigo, Junktionsnävus) oder (c) durch Farbstoffe in der Dermis (Beispiele: Melanophagennester, Teleangiektasen) hervorgerufen werden
39 2.3 · Diagnostik der Hautkrankheiten
C A V E
Die Zugehörigkeit einer Läsion zu einem bestimmten Effloreszenztyp sagt nichts über deren Ursache aus, da gleiche Effloreszenzen durch sehr verschiedene Pathomechanismen entstehen können (. Abb. 2.17a–c, . Abb. 2.18a–c, . Abb. 2.19a–c).
2
in der Dermis (z. B. Lichen ruber, kutane Metastasen) zustande kommen. Verwandte Effloreszenzen sind die Plaque (plattenartige Erhabenheit – man spricht z. B. von psoriatischen, ekzematischen Plaques) und der tiefe Knoten (Nodus). Quaddel (Urtika). Diese meist heftig juckende Efflores-
Fleck (Makula). Flecken können durch Pigmentan-
reicherung (oder -mangel) in sämtlichen Schichten der Haut bedingt sein, bestimmte Farben werden hierbei nicht impliziert. Die häufigste Art von Flecken ist das Erythem (Rötung). Bei Rötung des gesamten Integuments spricht man von Erythrodermie. Knötchen, Knoten (Papula, Tuber). Solide Erhabenheiten der Haut können durch Verdickung aller Schichten der Haut, aber auch durch entzündliche oder neoplastische Infiltrate bzw. Einlagerung von Substanzen
a
Blasen (Vesikula, Bulla). Blasen beruhen auf der Bildung von Spalten in der Haut, die sich mit Flüssigkeit füllen. Die Spaltbildung kann in verschiedenen anatomischen Höhen erfolgen (intraepidermal, junktional, subepidermal) und durch verschiedene Mechanismen bedingt sein (Spongiose, Akantholyse, Zytolyse u. a.). Die Unterscheidung der Blasentypen ist wichtig, da die Natur der ursächlichen Krankheiten sehr unterschiedlich ist.
b
. Abb. 2.18a–c. Gleichartigen Primäreffloreszenzen können verschiedenartige pathologische Substrate zugrunde liegen. Papeln können (a) durch Verdickung der Hornschicht (Hyperkeratose), (b) durch Verbreiterung der gesamten Epidermis
a
zenz ist die einzige, die weitgehend krankheitsspezifisch ist (Urtikaria).
b
. Abb. 2.19a–c. Gleichartigen Primäreffloreszenzen können verschiedenartige pathologische Substrate zugrunde liegen. Blasen können (a) intraepidermal (Beispiele: Pemphigus, Impetigo contagiosa), (b) junktional, d. h. im Raum der Lamina
c
(Akanthose, Paillomatose) und (c) durch raumfordernde Prozesse der Dermis (entzündliches Infiltrat, Ablagerungen diverser Natur) bedingt sein
c
lucida (Beispiel: bullöses Pemphigoid) oder (c) dermolytisch, d. h. in der oberen Dermis (Beispiel: Dermatitis herpetiformis) gelegen sein
40
Kapitel 2 · Grundlagen
Schuppen (Squama). Diese können sehr unterschied-
2
lich gestaltet sein: groß- (z. B. bei Psoriasis) und kleinflächig (z. B. bei Ekzemen), grob- und feinlamellös, handschuh-, blätterteig-, kleieartig (pityriasiform), fest oder locker haftend, Halskrausen (collarette)-artig etc. Schuppenkrusten sind mit eingetrocknetem Exsudat imbibierte Schuppen (z. B. beim subakuten Ekzem). Krusten (Crusta). Diese sind durch Substanzdefekte ausgetretene und eingetrocknete Gewebsflüssigkeit (bzw. Eiter, Blut). Substanzdefekte der Haut. Exkoriation und Wunde
(Excoriatio, Vulnus) sind traumatische Substanzdefekte in gesunder Haut (erstere oberflächlich, letztere tief); beide sind meist leicht durch ihre artefizielle Form kenntlich (z. B. Kratzeffekte: linearer Verlauf). Erosion und Geschwür (Erosio, Ulcus) entstehen hingegen durch spontanen Zerfall krankhaft veränderten Gewebes (erstere oberflächlich, letzteres tief – nach unten keine Grenze!). Ulzera sind gravierender als Erosionen, da sie die mechanische Grundstruktur der Haut, die retikuläre Dermis, zerstören. Deren Reparatur im Rahmen der Wundheilung ist langwierig und resultiert in Narben. Bei Erosionen bleibt die retikuläre Dermis hingegen intakt, die Abheilung erfolgt ohne (oder geringen) Narben. Schlitzförmige Ulzera durch Einriss quer zur Zugrichtung bezeichnet man als Rhagaden bzw. Fissuren (meist um Körperöffnungen). Atrophie. Diese kann einzelne Straten oder die gesamte Dicke der Haut betreffen. Atrophie der Epidermis zeigt sich als Verdünnung und zigarettenpapierartige Fältelung, eine solche der Dermis als Eindellung, Hervortreten der Hautgefäße (»wie ein anatomisches Präparat«) und Verdünnung aufgehobener Hautfalten. Atrophie der Subkutis erscheint als Mulde. Narben. Nach Zerstörung des Kollagengewebes der retikulären Dermis ist eine Restitutio ad integrum nicht möglich, Narben sind daher endgültig (wenn auch nicht unveränderlich). Narbengewebe kann hypertroph oder atroph sein, manchmal auch nur als unregelmäßige Verhärtung tastbar. Narben sind häufig heller (Gefäßarmut, manchmal Pigmentmangel), seltener pigmentiert, jedenfalls aber weniger reißfest als die unveränderte Haut.
Fragenkatalog zur dermatologischen Beschreibung Folgende Eigenschaften von Läsionen der Haut werden erhoben:
4 Zahl? einzeln (solitär, isoliert), zu mehrt, zahlreich (multipel)? 4 Lokalisation? 4 Art (welche Effloreszenz?) 4 Größe? 4 Figur: rund, oval, polyzyklisch, streifenförmig, zosteriform, unregelmäßig, mit Ausläufern? 4 Begrenzung (scharf, unscharf)? 4 Farbe? 4 Konsistenz (hart, derb, weich, teigig; prall, fluktuierend)? 4 Oberfläche (glatt, rau, papillär; matt oder glänzend; gleichförmig oder gegliedert; physiologische Hauttextur vorhanden, verändert oder fehlend)? 4 Symptome der Entzündung (Überwärmung, Schmerzhaftigkeit)? 4 Vorhandensein und Art von Sekundäreffloreszenzen (Nässen, Schuppen, Krusten)? 4 Weitere fakultative Eigenschaften: Transparenz, Verschieblichkeit, Nekrosen u. a. Läsionen können gleichförmig (homogen; bei größeren Läsionen auch als diffus bezeichnet, z. B. diffuse Rötung) oder aus verschiedenen Formelementen aufgebaut (heterogen) sein. Heterogenität kann durch das Zusammentreffen verschiedener Läsionstypen entstehen (so genannte Kollisionsläsionen), ist aber häufiger durch die dynamische Entwicklung bedingt: z. B. fokal verschieden schnelles Durchlaufen der Krankheitsstadien innerhalb der Läsion oder peripheres Wachstum bei gleichzeitiger zentraler Rückbildung (letzteres führt zu randbetonten – marginierten – oder ringförmigen – anulären Herden). Neoplasmen sind oft wegen der Koexistenz verschiedener Zellklone heterogen und erscheinen manchmal geradezu chaotisch. Halo-Phänomen: manche Läsionen sind von einem Hof mit andersartiger Charakteristik umgeben, z. B. VarizellenBläschen von einem Erythem. Exanthem. Treten Hautläsionen derselben Art zu
mehrt auf (multipel), besteht ein Exanthem (»Ausschlag«). Dessen Läsionen werden ebenso beschrieben und ihre Gleichartigkeit überprüft; die Effloreszenzen eines Exanthems können fälschlich als verschiedenartig interpretiert werden, wenn sie verschiedenen Entwicklungsstadien desselben Prozesses entsprechen. Folgende Eigenschaften von Exanthemen werden erhoben: 4 Ausdehnung? 5 regional (eine Körperregion betroffen) 5 generalisiert (mehrere Regionen) 5 universell (alle Körperregionen oder die gesamte Haut) 4 Dichte (schütter, dicht)?
41 2.3 · Diagnostik der Hautkrankheiten
2
4 Verteilung: Dissemination scheinbar regellos oder regelhaft, z. B. symmetrisch; mit Bevorzugung bestimmter Körperregionen (Prädilektionsstellen); Anordnung nach bestimmten Mustern, z. B. linear, streifig (z. B. entlang der Dermatome oder der Blaschko-Linien) oder netzförmig (retikuliert). 4 Verhältnis der Läsionen zu einander: einzeln (isoliert) oder in Gruppen stehend (gruppiert); verschmelzend (konfluierend) oder nicht-konfluierend (diskret). Die Konfluenz kann gänzlich oder partiell sein; bei letzterer kommen ranken-, girlandenförmige Figuren oder komplexe Gebilde zustande.
Patienten ergänzt (z. B. Bewegungsbehinderung bei Dermatomyositis, Kratzzwang u. a.).
2.3.2 Dermatologischer Untersuchungs-
Hierfür muss die gesamte Haut inspiziert werden. In der anschließenden eingehenden Untersuchung werden die Hautläsionen entsprechend dem oben genannten Fragenkatalog beurteilt und ergänzend folgende weitere Punkte geklärt: 4 Sind die hautnahen Schleimhäute befallen? 4 Sind die Hautanhangsgebilde befallen? 4 Besteht eine regionäre oder generalisierte Lymphknotenschwellung?
gang Anamnese Die allgemeine Anamnese erfasst frühere bzw. bestehende (System-) Krankheiten und deren Behandlung. Relevant sind insbesondere: 4 Stoffwechselstörungen (Diabetes) 4 Immundefizienz 4 Infekte 4 Tumoren Bei Verdacht auf Erbleiden (z. B. Ichthyosen) ist die Familien-, bei Infektionskrankheiten (z. B. Skabies) auch die Umgebungsanamnese bedeutsam. Schließlich müssen der Beruf (manuell, Schreibtisch? berufliche Expositionen?), individuelle Dispositionen (Atopie? Nahrungsmittel-, Medikamentenallergien?), Neigungen (Alkohol, Drogen) und abgelaufene Venerea erfragt werden. Die dermatologische Anamnese umfasst: 4 Dauer der Hautkrankheit 4 Begleitumstände zu Krankheitsbeginn 4 Rezidivhäufigkeit 4 Auslösende Faktoren (Trigger) 4 Vorläuferkrankheiten 4 Subjektive Symptome 4 Systemzeichen 4 Vorhergehende Untersuchungen und Behandlungen Die »gezielte« Anamnese schließlich baut auf der schon erwogenen Verdachtsdiagnose auf und erhebt relevante Schlüsselsymptome (z. B. Rotfärbung des Harns bei Porphyria cutanea tarda) oder identifiziert kausale Ereignisse vor Auftreten der Dermatose (z. B. Herpes simplex als Auslöser bei Erythema multiforme). Die »gezielte« Anamnese wird durch die Beobachtung des
Klinische Untersuchung Eine Übersichtsuntersuchung dient der allgemeinen Bestandsaufnahme: 4 Systemzeichen? 4 Organsymptome? 4 Hauttyp? 4 Chronischer UV-Schaden? 4 Atopiezeichen? 4 Exsikkose? 4 Venöse Insuffizienz? 4 Kratzspuren?
Hinweise zur Beurteilung einzelner morphologischer Parameter Farbe. Bei diesem Schlüsselsymptom wird die Farbqualität und Homogenität (homogen, fleckig) beurteilt. Die Farbe der normalen Haut wird durch ihre weißliche Eigenfarbe, die Durchblutung (rosa-rotblau) und Melanin (bräunlich bis schwarz) bestimmt. Alle anderen Farben (die Haut kann fast alle ausbilden) sind ein oft sehr charakteristischer Ausdruck pathologischer Vorgänge. Hellrot ist etwa die akute Entzündung (gesteigerte arterielle Durchblutung), dunkelrot die chronische, blaurot die venöse Stase. Für Rottöne gibt es zahlreiche Beschreibungen (himbeerrot – kindliches Angiom, kupferrot – Rosacea, ziegelrot – Psoriasis u. a.). Figur. Die »natürliche« Form von Hautläsionen ist rund bis oval, denn sie entstehen in der Regel an einem Punkt und breiten sich nach allen Seiten aus. Ungleichmäßiges peripheres Wachstum führt zur Entrundung (zirzinäre, polyzyklische Begrenzung) – Hinweis auf infektiöse oder neoplastische Prozesse. Polyzyklische Herde können auch durch Konfluenz entstehen (z. B. Psoriasis). Weicht die Kontur der Läsion sehr deutlich von »natürlichen« Formen ab, ist eine artefizielle Ursache oder der Effekt zugrunde liegender Strukturfelder wahrscheinlich (z. B. Dermatome, Blaschko-Linien).
42
Kapitel 2 · Grundlagen
Begrenzung. Dieser Parameter dient zur Unterschei-
2
dung oberflächlicher und tiefer Läsionen: scharf begrenzt sind die ersteren, letztere unscharf. Oft ist die Entscheidung nicht leicht: als scharf begrenzt gelten Läsionen, wenn man ihre Grenze mit einem Bleistift nachzeichen könnte. Manche Läsionen haben sowohl scharf als auch unscharf begrenzte Anteile. Oberflächenbeschaffenheit. Die normale Haut ist glatt
und matt und zeigt eine charakteristische, regional unterschiedliche Hautfelderung. Rau (und ggf. uneben) wird die Haut durch epidermale Veränderungen (z. B. Schuppen, Krusten). Diese so genannte »epidermale Beteiligung« hilft bei der Unterscheidung ausschließlich dermaler Prozesse (Erytheme etc.) von z. B. Ekzemen. Glänzend wird die Haut, wenn die Epidermis gedehnt wird (z. B. bei Ödem, Erysipel) – Betrachten bei schräger Beleuchtung! Bei schnellem Rückgang der Dehnung bleibt eine feine Fältelung der Epidermis zurück (z. B. Erysipel in Rückbildung). Die Oberfläche von Läsionen kann gegliedert sein, z. B. durch Einlagerung entzündlicher Papeln beim chronischen Ekzem (Lichenifikation). Bei gutartigen Prozessen sind solche Erhabenheiten meist gleichförmig (z. B. bei Viruswarzen – papillärer Aufbau), bei malignen ist die Oberfläche oft unregelmäßig gehöckert (z. B. Basaliom). Ein Verlust der Hauttextur ist schließlich ein Merkmal aller destruierenden Prozesse der Haut (Neoplasmen, granulomatöse Entzündungen).
gerrücken das »Hitzen« bei Entzündung. Die Palpation gibt Aufschluss über die Konsistenz (hart, weich) und ermöglicht die Feststellung der Fluktuation (flüssiger Inhalt von Hohlräumen, z. B. einer Zyste, kann hinund herbewegt werden). Bleibt nach Palpation einer Schwellung ein Fingereindruck (Delle) bestehen, handelt es sich um eine Ansammlung von Gewebsflüssigkeit (bei Ödemen, z. B. kardialen: »pitting edema«, aber auch bei Phlegmonen); bleibt keine Delle bestehen (»non-pitting edema«), ist die Schwellung durch eine hoch visköse Flüssigkeit (z. B. Myxödem) oder durch zelluläre Infiltration bedingt. Das Abtasten der Basis oberflächlicher Neoplasmen (z. B. aktinische Keratose) zeigt auf, ob diese an der Unterlage fixiert oder sogar verbacken sind (Hinweis auf invasives Wachstum). Ähnlich wird die Adhärenz dermaler oder subkutaner Knoten (z. B. Lymphknoten) an Haut oder Faszien, oder der charakteristische Läppchenaufbau von Lipomen bestimmt. Nikolski-Zeichen. Bei zartem tangenzialen Fingerdruck
kann die Epidermis abgeschoben werden (direktes Nikolski-Zeichen, . Abb. 2.20). Dies ist an gesunder Haut nicht möglich und beweist eine schwere Schädigung des mechanischen Zusammenhalts; das Zeichen ist allerdings nicht spezifisch (. Übersicht). Bei Kohärenzschäden können auch schon bestehende Blasen weitergedrückt werden (indirektes Nikolski-Zeichen). Beurteilung der Dichte der Haut (z. B. bei Sklerose oder
Verteilung von Exanthemen. »Endogen« entstandene
Exantheme (z. B. die des Lupus erythematosus) sind meist regelhaft verteilt – z. B. symmetrisch oder an korrespondierenden Stellen – »exogene« (z. B. Hautinfektionen, Neoplasmen) eher regellos zufällig, willkürlich.
Atrophie). Beurteilt wird die Dicke einer Hautfalte, die sich (zwischen 2 Fingern) abheben lässt. Bei atropher Haut sind die Falten lang, dünn und »leer«, bei verdichteter Haut (z. B. bei Sklerodermie, Myxödem) kurz, breit und derb. Diese subjektive Bewertung kann durch
Gruppierung und Konfluenz. Peripher anwachsende
Läsionen (z. B. der Psoriasis) neigen zur Konfluenz, während stabile Herde (z. B. Pigmentnävi) in der Regel einzeln stehen. Gruppiert angeordnete Bläschen werden als Herpes, gruppierte Papeln als Lichen bezeichnet (Lichen und Herpes sind morphologische Begriffe, sie werden erst durch Zufügung eines Adjektivs – z. B. Herpes simplex, zu einer Diagnose!). Eine Sonderform der Gruppierung sind die Satellitenherde (kleine Tochterherde, z. B. Metastasen, um einen Primärherd). Manuelle und einfache apparative Untersuchungsmethoden Tasten und Palpation. Mit dem tastenden Finger wird die Erhabenheit von Läsionen (z. B. der stufenartige Übergang des Erysipels zur normalen Haut) und deren Oberfläche beurteilt (glatt, rau, papillär), mit dem Fin-
. Abb. 2.20. Nikolski-Zeichen bei Pemphigus vulgaris. Auf einer scheinbar gesunden Haut lässt sich durch tangenzialen Fingerdruck die Epidermis fetzig abschieben
43 2.3 · Diagnostik der Hautkrankheiten
Dermatosen mit positivem direkten NikolskiZeichen 4 4 4 4 4 4
Verbrühung, Verätzung Nekrotische Epidermis Toxische epidermale Nekrolyse Pemphigusgruppe Staphylococcal scalded skin syndrome Epidermolysis bullosa hereditaria
Dokumentation mit besonderen Schublehren verfeinert werden. Zur Erfassung der Sklerodermie dienen ferner die Prüfung der Adhärenz der Fingerhaut in der Tiefe, Beweglichkeit der Gelenke und Anämisierung der Akren bei Durchstrecken der Finger (»blanching«). Mechanische Histaminliberalisierung. Durch festes Streichen über die Haut (Fingernagel, Holzspatel) wird nach einigen Minuten der Dermographismus ausgelöst: bei normaler Haut ein strichförmiges Reflexerythem an der Friktionsstelle, an der hyperreagiblen Haut bei Urticaria factitia strichförmige Quaddeln, bei Atopikern der paradoxe weiße Dermographismus (. Abb. 3.21). Durch Reiben an Läsionen bei kutaner Mastozytose nehmen diese einen urtikariellen Charakter an (Darier-Zeichen). Diaskopie. Durch Druck mit der Glasspatel kann man das im Gefäßsystem befindliche Blut ausdrücken und dadurch Erytheme und Purpura (Hautblutungen) unterscheiden: Erytheme sind ausdrückbar, Purpura nicht (Einblutung ins Gewebe). Mit der Diaskopie kann auch die apfelgeleeartige Eigenfarbe tuberkulöser (oder sarkoidaler) Infiltrate sichtbar gemacht werden. Wattestieltupfer. Mithilfe dieser vielseitigen Verlänge-
rung des Fingers lässt sich die Wegwischbarkeit von Belägen, die Schmerzhaftigkeit von Läsionen, die Haftung von Schuppen und Krusten u. a. m. ermitteln. Knopfsonden erlauben die Prüfung der Morschheit des Gewebes (z. B. bei Lupus vulgaris), die Auslotung von Fistelgängen, von Ulzera mit überhängenden Rändern und der Nekrose beim diabetischen Malum perforans. Einfache apparative Untersuchungen. Ein nützliches
Hilfsmittel zur Betrachtung von Läsionen ist die Handlupe; eine Verfeinerung ist das Auflichtmikroskop (s. u.). Mikroskopische Erregernachweise sind ein wichtiger Teil der Routinediagnostik. Sie werden entweder als Nativpräparat (Pilzbefund, Milbennachweis) oder als fixiertes und gefärbtes Ausstrichpräparat
2
(etwa Staphylokokkennachweis in einer Impetigoblase) durchgeführt. Die exfoliative Zytologie erlaubt die Untersuchung der Hautoberfläche: Tesafilm-Abrisspräparate werden im Mikroskop betrachtet (Nachweis z. B. von parakeratotischen Zellen). Bei bullösen Dermatosen werden Ausstrichpräparate vom Blasengrund untersucht (Tzanck-Test): eine Schnellmethode zum Nachweis akantholytischer Zellen z. B. bei Pemphigus vulgaris oder Herpes simplex (bei Virusblasen wurde der Tzanck-Test vom Immunfluoreszenznachweis von Virusantigenen abgelöst). Trichogramm. Dieser selten durchgeführte Test dient
der Unterscheidung von Anagen- und Telogeneffluvien. Von je 3 Stellen des Kapillitiums (Stirn, Scheitel, Hinterkopf) werden mit einer gummibewehrten Klemme Büschel von je 20–30 Haaren ausgezupft (!) und im Mikroskop die Haarbulbi beurteilt. Wood-Licht (eine langwellige UV-Lichtquelle – »Blacklight«). Dies wird zum Screening bei bestimmten Infektionskrankheiten angewendet (grüne Fluoreszenz bei Mikrosporie, rot bei Erythrasma), bei Porphyria cutanea tarda (Rotfluoreszenz des Harns) und bei Morbus Pringle (die hypopigmentierten Eschenlaubflecke treten deutlicher hervor).
2.3.3 Invasive Untersuchungstechniken:
Dermatohistopathologische Diagnostik Die Histopathologie (feingewebliche Untersuchung von Operationspräparaten und Biopsiematerial) und ihre Spezialtechniken sind integrierende Bestandteile der dermatologischen Diagnostik. Biopsien Hautbiopsien werden in Lokalanästhesie unter sterilen Kautelen durchgeführt. Auswahl der Gewebeprobe und Entnahmetechniken sind ausschlaggebend für die Aussagekraft des histologischen Befundes. Am besten geeignet sind frische Läsionen, schlecht hingegen zerkratzte oder anbehandelte. Häufig ist das Erfassen des Übergangs von gesunder zu erkrankter Haut aufschlussreich (z. B. Vitiligo). Manchmal erfolgen Biopsien aus »gesunder« Haut (z. B. IgA-Nachweis bei Dermatitis herpetiformis). Bei Läsionen mit oberflächlichem Sitz sind Stanzen (bis 8 mm) meist ausreichend, für tief dermale und subkutane sind Exzisionsbiopsien erforderlich (häufigster Entnahmefehler: zu oberflächliche Biopsie!). Wenn möglich, sollten Kör-
44
2
Kapitel 2 · Grundlagen
perstellen gewählt werden, an denen Narben kosmetisch und funktionell wenig stören (Cave: Keloidneigung im Sternalbereich, schlechtere Wundheilung an Knöcheln und Schienbein). Regionen, an denen eine Kollision mit anderen Krankheitsprozessen erwartet werden kann, sollten nach Möglichkeit nicht ausgewählt werden (z. B. Unterschenkel: venöse Stauung, Ekzemneigung). ! Operativ entnommenes Gewebe auch anscheinend belangloser Natur in den Mülleimer zu verwerfen, ist auf jeden Fall eine Fehlleistung – dort sind auch schon Melanome gelandet. Jede Gewebeprobe sollte vom Dermatopathologen dokumentiert und analysiert werden – schon wegen der forensischen Implikationen.
Das entnommene Gewebe wird umgehend fixiert (10% gepuffertes Formaldehyd erlaubt auch die Anwendung molekularbiologischer Techniken), für Immunfluoreszenz wird das Gewebe eingefroren (flüssiger Stickstoff) oder in Transportmedien verschickt. Cave: Quetschung, Zerreißung und Austrocknung des Gewebes! Die Angaben des einsendenden Arztes im Begleitbrief müssen neben den Stammdaten auch eine klinische Beschreibung der biopsierten/exzidierten Läsion (evtl. auch ein Foto), möglichst komplette Angaben über Vorgeschichte/-befunde und klare Fragestellungen enthalten. In Zweifelsfällen Rücksprache mit dem Histopathologen – die klinisch-pathologische Korrelation gewinnt durch Information. Die klassische Histopathologie am HämatoxylinEosin-Schnitt verifiziert oder falsifiziert die klinische Diagnose, dokumentiert an Tumoren die Vollständigkeit der Exzision, bestimmt verschiedene Tumorparameter (Grading, Staging) u. a. Spezialfärbungen sind in bestimmten Situationen hilfreich, z. B.: 4 PAS-Färbung zum Nachweis von Polysacchariden (z. B. in Pilzelementen) 4 Alcian-Färbung zum Nachweis von saurem Muzin 4 Elastica-Färbung bei pathologischen Veränderungen an elastischen Fasern (z. B. Lichen sclerosus) Dermatohistopathologische Terminologie Die feingewebliche Morphologie von Hautläsionen steht in ihrer Vielfalt der makroskopischen kaum nach. Zur Beschreibung prototypischer Veränderungen hat sich ein der Effloreszenzenlehre ähnlicher Begriffskatalog entwickelt. Die wichtigsten Termini sind in . Tab. 2.4 dargestellt (. Abb. 2.21a–d). Nachweisverfahren Die Immunfluoreszenz (IF) weist Immunreaktantien (z. B. Immunglobuline, Komplementkomponenten) mittels Fluoreszenz-markierter Antikörper nach – bei
. Tab. 2.4. Dermatohistopathologische Grundbegriffe Akanthose
Verbreiterung der Epidermis (. Abb. 2.21b)
Hyperkeratose
Verdickung der Hornschicht
Orthohyperkeratose
Verdickung der Hornschicht durch normal strukturiertes Stratum corneum
Parakeratose
Verdickung der Hornschicht durch mangelhaft verhornte Hornschicht mit Kernresten (. Abb. 2.21b)
Dyskeratose
Einzelzellverhornung innerhalb der Malpighi-Schichten
Papillomatose
Vermehrung, Verlängerung und Verdünnung der dermalen Papillen und dadurch spiegelbildlich der Retezapfen (. Abb. 2.21b)
Spongiose
Interzelluläres Ödem der Epidermis mit Erweiterung des Interzellularraums, Abreißen der Interzellularbrücken und Bläschenbildung (. Abb. 2.21b)
Akantholyse
Abrunden und Loslösen der Epidermalzellen voneinander (. Abb. 2.21c)
der direkten IF im erkrankten Gewebe selbst (Gefrierschnitte), bei der indirekten an in Patientenserum inkubierter gesunder Haut (Nachweis zirkulierender Autoantikörper). Die IF ist eine wichtige diagnostische Methode bei bullösen Autoimmundermatosen, Kollagenosen und Vaskulitiden. Eine besondere Anwendung ist die »salt-split-Methode« (7 Kap. 7.1). Die Immunhistochemie färbt spezifische Zellantigene mittels monoklonaler Antikörper, die (entweder selbst oder Sekundärreagenzien) mit Fluoreszenzfarbstoffen oder Enzymen (z. B. Peroxidase) markiert sind. Beispiele: »Melanommarker« (S100, HMB 45), Lymphom-Diagnostik (CD-Antigene), Prognoseparameter (Metallothionine), Proliferationsmarker (Ki-67), Nachweis von Hormon- bzw. Wachstumsfaktor-Rezeptoren als Voraussetzung onkologischer Therapien. Die Elektronenmikroskopie (. Abb. 2.22a, b) hilft in bestimmten Fällen durch den Nachweis besonderer Zellstrukturen (z. B. Birbeck-Granula in LangerhansZellen), Zelltypen (z. B. Sézary-Zellen) oder Viren (Pox-, Herpesviren). Die (Fluoreszenz-) In-situ-Hybridisierung (ISH, FISH) benützt Farbstoff-, Fluoreszenz- oder Enzymmarkierte DNA/RNA-Sonden, die auf Gewebsschnitten an Genmaterial binden. Sie erlaubt Aussagen über Verlust, Vermehrung oder Dissoziation von körperei-
45 2.3 · Diagnostik der Hautkrankheiten
2
. Abb. 2.21a–d. 4 histopathologische Grundmuster der Epidermis. a Spongiose (Dermatitis, Mykosen, etc.), b psoriasiforme Hyperplasie (Psoriasis, chronische Ekzeme, etc.), c Akantholyse (Pemphigus, manche artifizielle Blasen, manche akti-
nische Keratosen), d »Interphasendermatitis« (Erythema multiforme, fixes Arzneimittelexanthem, etc.). HE, b Vergr. 10:1; a, c, d Vergr. 25:1
. Abb. 2.22a,b. Beispiele für elektronenmikroskopische Diagnostik. Links: ein Viruspartikel aus der Gruppe der Parapoxviren (Erreger von z. B. Melkerknoten). Vergrößerung 1:160 000). Rechts: eine Sézary-Zelle aus dem peripheren Blut
eines Patienten mit Sézary-Syndrom (7 Kap. 9). Beachte den auffällig gewundenen (»zerebriformen«) Zellkern. Vergrößerung 1:10 000
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2
Kapitel 2 · Grundlagen
genen (z. B. 12;18-Translokation bei B-Zell-Lymphomen) oder fremden Genen (z. B. Papillomviren). Die Auflichtmikroskopie (Dermoskopie) ist ein In-vivo-Verfahren, mit dem der Betrachter durch eine direkt der Haut aufgesetzte Optik (meist 10-fache Vergrößerung) mit Lichtquelle deren Details aus der »Vogelperspektive« wahrnehmen kann. Die Dermoskopie eignet sich zur Beurteilung von Blutgefäßen (Kapilarmikroskopie), dient aber v. a. zur Differenzialdiagnose pigmentierter Läsionen, insbesondere der Früherkennung des Melanoms. Zu letzterer wurden mehrere Scoring-Systeme entwickelt, die auf morphologischen Merkmalen wie Aufbau und Symmetrie der Gesamtläsion, Farbschattierungen und speziellen Strukturelementen (z. B. das »Pigmentnetz« – 7 Kap. 9.5) beruhen. In den letzten Jahren wurden Auflichtoptiken mit digitalen Kamerasystemen gekoppelt, die einerseits eine EDV-gestützte Dokumentation, andererseits einen automatisierten Diagnoseprozess ermöglichen. 2.3.4 Labor und apparative Diagnostik Labortests Labortests sind häufig zur Stellung der dermatologischen Diagnose nicht erforderlich, wohl aber zur Erfassung von System- und Organsymptomen, den Krankheitsverlauf beeinflussender Systemkrankheiten (z. B. Diabetes, Immunsuppression), Komplikationen, der Metastasierung u. a. Hierzu wird das gesamte Arsenal der Labormedizin eingesetzt. Typische in dermatologischen Labors durchgeführte Laboruntersuchungen sind mikrobiologisch/mykologische Kulturverfahren und Serologien, Bestimmung antinukleärer Antikörper, Antiphospholipidantikörper u. a. Bildgebende Verfahren Hautläsionen bedürfen in der Regel nicht der bildgebenden Diagnostik, da sie der direkten Inspektion, Palpation bzw. Biopsie leicht zugänglich sind. Bei bestimmten Fragestellungen spielt jedoch die Sonographie eine wichtige Rolle.
. Tab. 2.5. Exemplarische Indikationen der Sonographie nach verwendeter Schallfrequenz Mittelfrequente Sonographie (7,5–15 MHz) (Eindringtiefe: 7–3 cm)
Weichteile, Lymphknoten, Gelenke
Hochfrequente Sonographie (20–100 MHz) (Eindringtiefe: maximal 1,1 cm)
Dermale Strukturen (z. B. Tiefenausdehnung von Tumoren, Sklerodermie)
Doppler-/ farbkodierte Duplexsonographie (Eindringtiefe abhängig von verwendeter Frequenz)
Gefäße, Tumoren, Lymphknoten
tisch, benigne vs. maligne; die Unterscheidung erfolgt anhand typischer sonographischer Kriterien wie viel oder wenig Schallreflexion (solide – zystisch), Blutfluss in der Duplexsonographie (bei Neoplasmen vermehrt Blutgefäße – Neoangiogenese!). Anwendungen: Lipom, Hämangiom, Zysten, reaktive Lymphknotenveränderung u. a. m. (. Abb. 2.23, . Abb. 2.24). Die sonographische Verdachtsdiagnose auf maligne Strukturen muss immer weiterführend abgeklärt werden (Histologie). Die Treffsicherheit liegt bei manchen Fragestellungen >95% (von der Erfahrung des Untersuchers abhängig). Typische Indikationen der Sonographie sind: 4 frühzeitige Erkennung subkutaner und Lymphknotenmetastasen bei der Nachsorge von z. B. Melanomen (der manuellen Palpation überlegen). 4 präoperative Bestimmung von Neoplasmen zu wichtigen anatomischen Strukturen 4 gezielte perkutane Punktion von z. B. Seromen Dopplersonographie. Dopplerverfahren werden zur Bestimmung der Blutflussgeschwindigkeit benutzt, ins-
Sonographie. Die Sonographie der Haut umfasst die
Diagnostik der dermalen und subkutanen Strukturen inklusive der Lymphknoten und Venen. Je nach verwendetem Frequenzbereich sind die Eindringtiefen und auch die Indikationen verschieden (niedrigere Frequenz – höhere Eindringtiefe – . Tab. 2.8). Das Einsatzgebiet ist breit, meist handelt es sich um onkologische oder phlebologische Fragestellungen. Die mittelfrequente Sonographie gibt Hinweise auf die Art tiefliegender Strukturen (z. B. solide vs. zys-
. Abb. 2.23. Hornzyste: subkutan gelegener Tumor, glatt berandet, echoarm (aber nicht echolos!)
47 2.3 · Diagnostik der Hautkrankheiten
2
von Stoffwechselvorgängen (Entzündungsherde, Neoplasmen). 2.3.5 Biophysikalische Untersuchungs-
methoden (Auswahl) Zur Objektivierung von Funktionszuständen der Haut stehen eine Reihe nichtinvasiver biophysikalischer Verfahren zur Verfügung (bislang vorwiegend experimentell).
. Abb. 2.24. Dermale Melanommetastase: unscharf berandet, inhomogene teils echoreiche Einschlüsse, Schallverstärkung dorsal (d. h. von Schallkopf abgelegen), Binnenstruktur
besondere zur Feststellung von Verengungen (Stenosen), Gefäßverschlüssen und Veneninsuffizienz. ! Dopplereffekt: (Schall)Wellen ändern ihre Frequenz, wenn sie von bewegten Strukturen reflektiert werden. Bewegt sich die Struktur auf die (Schall)Quelle zu, kommt es zur Frequenzerhöhung, bewegt sie sich von ihr weg, erniedrigt sich die Frequenz.
Farbduplexsonographie. Diese bezieht den Doppler-
effekt in das konventionelle zweidimensionale Schnittbild ein. Die abgeleiteten Signale werden farbkodiert (rot: Frequenzerhöhung, blau: Frequenzerniedrigung) und dem Schnittbild überlagert; daraus resultiert eine flächenhafte Darstellung der Strömungsverhältnisse. Die Indikationen liegen vorwiegend in der angiologischen Diagnostik (z. B. arterielle Durchblutungsstörung). ! Alle bildgebenden Verfahren sind ergänzende oder weiterführende Hilfsmittel. Sie können nur im Kontext mit Klinik und Anamnese sinnvoll interpretiert, zielgerichtet und (kosten-)effizient eingesetzt werden.
Weitere Verfahren. Konventionelles Röntgen, Computer- und Magnetresonanz-Tomographie (CT/MRT) werden nicht an der Haut selbst eingesetzt; sie dienen der Erfassung extrakutaner Manifestationen von Krankheiten, die mit Hautsymptomen assoziiert sind (z. B. Staging bei Neoplasmen). MRT ist ein sensitives Instrument z. B. zur Osteomyelitisdiagnostik. Noch nicht Teil der Routinediagnostik ist die Positronenemissionstomographie (PET); diese erlaubt auch die Darstellung
Hautfarbe. Lichtreflektionsspektrometrie und Colorimetrie erlauben die Objektivierung der Hautfarbe durch Messung des reflektierten Lichts bei definierten Wellenlängen. Die wesentlichen Chromophore der Haut sind Melanin und Hämoglobin; die wichtigsten Anwendungen dienen daher der Quantifikation von Rot (z. B. Bestimmung der Wirkstärke von Kortikoiden: Vasokonstriktion – »blanching«) und Braun (Testung von UV-Schutzmitteln). Barrierefunktion. Der Wasserdampfdruck über der
Hautoberfläche (»transepidermal water loss« – TEWL) ist ein Maß der Barrierefunktion. Seine Messung (Evaporimetrie) setzt einen »Ruhezustand« voraus (kein Schwitzen!). Erhöhter TEWL findet sich bei gestörter epidermaler Differenzierung und Entzündung (z. B. Ichthyosen, Psoriasis, Ekzeme). Die Methode dient auch zur Objektivierung des Irritationspotenzials von Externa. Die Messung der elektrischen Leitfähigkeit (Impedanz, Kapazität oder Konduktivität) mittels Corneometrie bietet ein Maß für die Hydratation der Hornschicht. Säureschutzmantel. Der pH-Wert der Hautoberfläche
kann durch Messung der Wasserstoffionenkonzentration mittels einer flachen Glaselektrode bestimmt werden. Er ist ein Maß für die physiologische Intaktheit der Hautoberfläche: niedriger pH korreliert mit Schutz vor mikrobieller Besiedlung und schafft das pH-Optimum für eine Vielzahl epidermaler Enzyme (mit physiologischen Rollen z. B. bei der Desquamation). Lichttestung Definition. Lichttestung (Phototestung) bedeutet die
Provokation von physiologischen bzw. pathologischen Hautreaktionen durch UV-Licht (seltener sichtbares Licht) zur Bestimmung der individuellen Lichtempfindlichkeit bzw. der Diagnostik von Photodermatosen (7 Kap. 3.1.7). Die wichtigsten Methoden sind die Lichttreppe, die Photoprovokation und der Photopatchtest.
48
2
Kapitel 2 · Grundlagen
Lichttreppe. Diese dient der Bestimmung der minima-
Photopatchtest. Dieser ist eine Sonderform des Epi-
len Erythemdosis (MED), z. B. vor einer Phototherapie oder als Teil einer Photoprovokation. Hautfelder der Glutäalreagion (diese wird kaum je dem UV-Licht ausgesetzt und ist daher am wenigsten pigmentiert) werden mit jeweils steigenden Dosen von UV-A (5–100 J/cm2) und UV-B (25–150 mJ/cm2) bestrahlt. Die Beurteilung erfolgt sofort nach Bestrahlung und nach 24 h. Die MED ist die geringste UV-Dosis, die eine noch erkennbare (scharf begrenzte!) Rötung hervorruft. Die MED ist bei den meisten Photodermatosen normal, d. h. dem Hauttyp (7 Kap. 3.1) entsprechend.
kutantests (»belichteter Epikutantest«) und dient der Erfassung photoallergischer und phototoxischer Reaktionen. Die Testsubstanzen werden zweifach (rechts und links am Rücken) aufgeklebt. Nach 24 h wird eine Serie bestrahlt (5 J/cm2 UV-A; UV-B wird nicht getestet, da es hier kaum je eine Rolle spielt), die andere bleibt unbestrahlt. Beide Testareale werden vergleichend nach 48, 72 und evtl. 96 h abgelesen. Bei photoallergischen Reaktionen zeigt die bestrahlte Seite die Morphe einer Dermatitis, bei phototoxischen die eines Erythems; die unbestrahlte Seite bleibt in beiden Fällen negativ. Phototoxische Reaktionen zeigen ferner einen Decrescendo- (Abnahme der Hautreaktion innerhalb von 24–72 h), photoallergische Reaktionen hingegen einen Crescendo-Verlauf (Zunahme).
Physiologische Reaktionen. Diese sind die MED (nach 24 h) und, nur bei UV-A, das Soforterythem bzw. die Sofortpigmentierung (beides passager – einige Stunden). Pathologische Reaktionen. Diese treten bei manchen Lichtdermatosen auf. Man unterscheidet quantitative und qualitative Abweichungen von der Norm. Quantitative Abweichungen umfassen: 4 die Erniedrigung der MED (<25 mJ/cm2, bei chronischer aktinischer Dermatitis, phototoxischen und photoallergischen Reaktionen) 4 eine prolongierte UV-Erythemreaktion (>72 h; bei phototoxischen Reaktionen und manchen Formen des Lupus erythematodes)
Qualitative Abweichungen finden sich bei der Lichturtikaria (urtikarielle Reaktion bei Sofortablesung), bei der erythropoetischen Protoporphyrie (Brennen während und am Ort der UV-Bestrahlung) sowie bei einigen Lichtdermatosen, bei denen sich im Bestrahlungsfeld krankheitsspezifische Läsionen einstellen (Photoprovokation). Photoprovokation. Diese dient vorwiegend der Diagnostik der polymorphen Lichtdermatose (PLE), des Lupus erythematosus, der Hydroa vacciniformia und der chronisch aktinischen Dermatitis (7 Kap. 3.1.7). Zwei Hautfelder werden getrennt an 3 aufeinander folgenden Tagen jeweils mit der MED für UV-A und UV-B bestrahlt; die Ablesung erfolgt sofort, 24 h und allenfalls bis zu nach 3 Wochen. Beurteilt wird, ob die Haut mit der Morphe einer der genannten Dermatosen reagiert (z. B. Papeln, Infiltrate, Bläschen, LE-Läsionen). Weitere Kriterien sind das auslösende Spektrum (UV-A und/oder UV-B) und der Zeitpunkt des Auftretens der Reaktionen (z. B. bei PLE nach 24–48 h, beim tumiden LE nach 72–96 h). Biopsien der Testreaktion können bei Bedarf weiteren Aufschluss geben.
2.3.6 Allergologische Testmethoden Die allergologische Diagnostik dient dem Nachweis einer spezifischen Sensibilisierung (meist Typ-I oder Typ-IV-Reaktionen nach Gell und Coombs). Die häufigsten Indikationen sind: Verdacht auf respiratorische, Nahrungsmittel-, Medikamenten-, Insektengift- und Kontaktallergien. Sie ist eine Stufendiagnostik: aufgrund der Anamnese erfolgt die Auswahl geeigneter In-vivo- und/oder In-vitro-Tests. Die Testergebnisse werden wieder mit der Anamnese auf ihre Relevanz überprüft. Konsequenzen der Testung bei positivem Ergebnis sind: 4 Vermeidung krankheitsrelevanter Allergene bzw. Situationen 4 Maßnahmen zur Verminderung der Allergenbelastung 4 symptomatische Therapie 4 bei bestimmten Typ-1-Allergien die spezifische Immuntherapie Anamnese. Eine ausführliche und zielgerichtete Anamnese ergibt häufig bereits eine konkrete Verdachtsdiagnose bzw. macht eine Allergie unwahrscheinlich. Wichtige Fragen sind: 4 Welcher Art sind die Beschwerden? 4 Wann treten sie auf: Jahreszeit, Wetter, Tageszeit? 4 Wo: Haus, Natur, Arbeitsplatz? 4 Wie lange: Dauer, Reproduzierbarkeit? 4 Besteht eine Beeinflussbarkeit durch antiallergische Medikamente?
Beispiele: 4 Handekzem in Abhängigkeit von Maurerarbeiten: Hinweis für eine Chromatallergie
49 2.3 · Diagnostik der Hautkrankheiten
4 Rhinokonjunktivitis ausschließlich bei Schönwetter im Freien: Hinweis für Pollinose 4 Kontakturtikaria der Lippen, Bauchkrämpfe und Urtikaria unmittelbar nach Einnahme kleiner Mengen Milch: Hinweis für Nahrungsmittelallergie. Umgekehrt würden bei einer Laktoseintoleranz, d. h. bei einem Mangel am milchzuckerspaltenden Enzym Laktase, Verdauungsprobleme in Form von Blähungen und weichen Stühlen nach Genuss größerer Milchmengen auftreten – was mit Allergie nichts zu tun hat. ! Allergologische Testungen sind anfällig für falschpositive und falsch-negative Reaktionen. Die Anamnese ist daher nicht nur die erste, sondern jedenfalls die oberste Instanz und muss unerwartete Testergebnisse hinterfragen. Das häufig praktizierte bloße Einsenden von Blutproben ist unnötig, teuer, wenig zielführend, und in seiner Konsequenz potenziell schädlich (z. B. Übersehen einer Medikamentenallergie, Verordnung überflüssiger Diäten).
Testmethoden zur Erfassung von Typ-I-Reaktionen Indikationen sind saisonale und/oder perenniale (ganzjährige) Inhalationsallergien, Insektengift-, Nahrungsmittel- und Medikamentenallergien. Inhalative Allergene sind Auslöser von Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale und allergischer Alveolitis, spielen jedoch auch beim atopischen Ekzem eine Rolle. Saisonale inhalative Allergene umfassen Blütenpollen und manche Pilzsporen. Die Pathogenität der Pollen hängt von ihrer Allergenität, ihrer Bioverfügbarkeit (Nadelhölzerpollen sind z. B. von einer Wachsschicht überzogen) und ihrer Luftkonzentration ab. Relevante Luftkonzentrationen werden in der Regel nur von windbestäubten, nicht aber von insektenbestäubten Pflanzen erreicht. Inhalative Beschwerden treten bei Allergikern nur während der Flugzeit (. Tab. 2.6) und stärker bei schönem (und windigem) Wetter auf. Zahlreiche pflanzliche (wie auch tierische) Allergene sind molekular charakterisiert und können gentechnisch hergestellt werden, z. B. das Hauptallergen der Birke, Bet v 1.
. Tab. 2.6. Wichtige allergene Blütenpollen Allergen
2
Blütezeit*
Allergenität
Bemerkungen
Hasel
Januar–März
mittel–hoch
Erle
Februar/März
mittel
Birke
April/Mai
hoch
Platane
Mai
schwach
Eiche
April/Mai
schwach
Rotbuche
Mai
schwach
Pappel
März/April
mittel
Regionale Unterschiede
Gräser
Ende Mai–Juli/August
hoch
Antigengemeinschaft zwischen den einzelnen Gräsern
Roggen
Ende Mai–Juli/August
hoch
Immer Kreuzreaktion zu Gräsern
Frühblüher
Aggressivster Baumpollen, ca. 50 PK/m3 Luft können Beschwerden auslösen
Allergenverwandtschaft zu Birke, Erle
Spätblüher
Mais
August/September
sehr gering
Beifuß
Juli–September
hoch
Wegerich
Juli/August
hoch
Gänsefuß
Juli/August
mittel–hoch
Brennessel
Juli/August
gering–mittel
Relativ lange hohe Pollenkonzentration
Ragweed
Juli–September
sehr hoch
Im Osten Österreichs zunehmende Bedeutung
* Die angegebenen Zeiträume sind Durchschnittswerte, die durch regionale Faktoren stark beeinflusst werden. Genauere, aktuelle Auskünfte können jeweils über den Pollenwarndienst abgerufen werden.
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2
Kapitel 2 · Grundlagen
Schimmelpilze kommen sowohl intra- als auch extramural vor. Sie besiedeln u. a. die Erde von (Topf-) Pflanzen, Kompost, Herbstlaub und benötigen zum Gedeihen eine hohe Luftfeuchtigkeit. Ihre Sporen können sowohl saisonale wie perenniale Beschwerden hervorrufen. Wichtigste Quelle periennialer inhalativer Allergene ist die Hausstaubmilbe (Dermatophagoides pteronyssinus). Sie ernährt sich von Hautschuppen und besiedelt daher regelmäßig und in großen Mengen v. a. Schlafräume (Matratzen). Die Milben benötigen hohe Luftfeuchtigkeit und Wärme (kommen daher z. B. im Hochgebirge nicht vor!). Das Hauptallergen ist Der p 1; es findet sich in den Kotballen der Milben und wird nach Abbau der umgebenden Membran in die Atemluft freigesetzt (die Hauptmasse der Kotballen wird im Sommer produziert; der Abbau ist im Herbst abgeschlossen, daher Gipfel der Beschwerden im Winter). Weitere perenniale Allergene stammen von Tieren (u. a. Katzenspeichel, Haare von Hunden, Ratten, Pferden) und Schimmelpilzsporen, die »intramural« produziert werden (alte Mauern, Tapeten, Holzböden, Kompost). Über die wichtigsten Insektengift-, Nahrungsmittelund Medikamentenallergene 7 entsprechende Kapitel. Hauttests
Diese sind auch heute noch die praktisch wichtigsten allergologischen Testmethoden: sie erlauben die gleichzeitige Testung zahlreicher Allergene, liefern rasche Resultate und sind kostengünstig. Ihre sachgerechte Interpretation erfordert allerdings umfangreiches Wissen. Sie beruhen auf der Einbringung von Allergenen in die papilläre Dermis und der Bewertung der dadurch ausgelösten IgE-vermittelten Lokalreaktionen (Histaminfreisetzung aus Mastzellen). Hauttests werden meist mit käuflichen Testlösungen durchgeführt; diese enthalten im Idealfall ausgewogene Mischungen aus Haupt- (»Major«)- und Neben- (»Minor«)allergenen, die aus Rohextrakten gereinigt werden (. Abb. 2.25). C A V E
Bei vermuteten Typ-I-Reaktionen tragen Hauttests das Risiko systemischer Nebenwirkungen (massivste Ausprägung: anaphylaktischer Schock); dieses Risiko ist relativ klein für den Prick- und den Reibetest, bei Intrakutantests aber unbedingt zu berücksichtigen (höhere Allergendosen!).
Aussagekraft von Hauttests. Diese hängt von verschiedenen Faktoren ab, u. a. Qualität der Testlösungen, Reaktionsfähigkeit des Testorgans (Prickreaktionen werden z. B. durch Antihistaminika unterdrückt), und
. Abb. 2.25. Standard-Pricktest (Univ.-Hautklinik Innsbruck)
schließlich von der chemischen Form, in der die Allergene als solche wirksam sind (nativ, prozessiert oder als Metabolit, frei oder als Hapten an Eiweiß gebunden). Die Korrelationen zwischen Anamnese und Tests sind für jedes Allergen unterschiedlich. Je besser eine Testsituation die »natürlichen« Bedingungen berücksichtigt, desto eher ergeben die Testergebnisse tatsächlich Sinn. So werden kommerzielle Nahrungsmittelallergenextrakte bei der Herstellung häufig denaturiert – um falsch-negative Reaktionen zu vermeiden, sollte man daher mit nativen Produkten testen. Pricktest. Technik: Ein Tropfen der Testlösung wird auf
die Unterarmhaut aufgebracht, und diese dann durch den Tropfen mit einer Lanzette oberflächlich geritzt. Durch den Epitheldefekt gelangen geringste Mengen der Allergenlösung (ca. 30 μl) in die Dermis. Die Ablesung (. Abb. 2.26) erfolgt nach 15–20 min. Bei Sensibilisierten bewirkt das freigesetzte Histamin eine urtikarielle Soforttypreaktion: eine juckende Quaddel, umgeben von einem erythematösen Hof (Reflexerythem). Auswertung: die Testreaktion wird quantifiziert
(Messung der Quaddelfläche) und mit der individuellen Hautreagibilität in Beziehung gesetzt; dies geschieht durch den Vergleich mit einer Negativ-(Testlösung ohne Allergen) und einer Positivkontrolle (Histaminlösung). Reaktionen gelten als signifikant, wenn der Durchmesser der Testquaddel 3 mm oder
51 2.3 · Diagnostik der Hautkrankheiten
2
takt zur Auslösung positiver Reaktionen. Das Testmaterial wird ca. 1 min in die Unterarmhaut eingerieben, die Allergene gelangen durch die Hautanhangsgebilde in die Dermis (. Abb. 2.8).
. Abb. 2.26. Pricktest. +++ Reaktionen auf Erle, Birke und Haselnuss, keine Reaktion auf Hausstaub- und Mehlmilbe. Histamin: Positivkontrolle
mehr, und wenigstens die Hälfte der Histaminquaddel misst. Pricktests sind – in Verbindung mit der Anamnese – zur Diagnostik inhalativer Allergien vom Soforttyp meist ausreichend, nicht aber bei noch nicht gut charakterisierten Allergenen, z. B. Schimmelpilzen, manchen Nahrungsmitteln, aber auch Medikamenten. Eine wichtige Modifikation zur Testung von Früchten oder Gemüse ist der »Prick-to-Prick«-Test: die Lanzette wird zuerst in die Frucht eingestochen und unmittelbar darauf zum Pricktest verwendet. Intrakutantest. Bei diesem werden 30–50 μl des Testex-
trakts streng intradermal injiziert. Positive Testreaktionen entsprechen wieder Quaddeln. Der Intrakutantest ergibt stärkere Reaktionen als der Pricktest und darf daher erst bei dessen negativem Ausfall durchgeführt werden (die applizierten Allergenmengen sind zwar gering, gelangen aber zur Gänze in den Körper). Testungen sollen nur mit kommerziellen Extrakten durchgeführt werden, da nur solche Sterilität, Reinheit und Standardisierung gewährleisten (Insektengiftextrakte, Penicillinkonjugate). Der Intrakutantest ist sensitiver, aber unspezifischer als der Pricktest. Hauttesttitration. Diese wird bei hochsensibilisierten Patienten und z. B. Penicillin- und Insektengiftallergie angewandt; das Allergen wird in Verdünnungsreihen sequenziell getestet. Reibetest. Bei manchen Substanzen (u. a. Tierepithe-
lien, Gemüse, Obst, Fisch) reicht der bloße Hautkon-
! Klinische Tests einschließlich Hauttestungen sind nicht sinnvoll, wenn der Patient unter Antihistaminika, Kortikosteroiden oder Psychopharmaka steht, weil die Testreaktionen dadurch unterdrückt werden. Sie sind ferner ausgeschlossen, wenn der Hautzustand eine Beurteilung nicht zulässt (z. B. Ekzem) oder eine Neigung zu unspezifischer Quaddelbildung besteht (Urticaria factitia, Mastozytose: falsch-positive Negativkontrolle mit Kochsalzlösung!). Auch muss der zeitliche Abstand zur allergischen Reaktion wenigstens 3 Wochen betragen (Gefahr falsch-negativer Reaktionen). C A V E
Sämtliche In-vivo-Testungen dürfen nur mit vorhandener Notfallausrüstung und entsprechender Erfahrung durchgeführt werden! Therapeutische Maßnahmen (s. u., Übersicht).
Provokationstests
Im Grunde sind alle Hauttestungen auch Provokationstests. Üblicherweise versteht man darunter aber die Applikation des verdächtigen Allergens an jenes Organ, an dem der Kontakt im täglichen Leben erfolgt (Überprüfung der klinischen Relevanz einer festgestellten Sensibilisierung). Folgende Provokationstestungen werden durchgeführt: 4 nasal (alle Inhalationsallergene; Resultat: Juckreiz, Niesen, Rhinitis; Messung von Obstruktion und Atemwiderstand mittels Rhinomanometrie) 4 pulmonal (bei Verdacht auf allergisches Asthma; Resultat: Reduktion von Atemvolumen, Vitalkapazität und forciertem exspiratorischem Volumen) 4 konjunktival (Inhalationsallergene; Rötung, Juckreiz, Schwellung) 4 oral (Nahrungsmittelallergien, Medikamente). Bei positivem Ausfall gastrointestinale Symptome (Diarrhoen, Übelkeit, Erbrechen etc.), aber nicht selten auch Symptome anderer Organe (7 Kap. 3.2.7). Die Interpretation ist schwierig und erfordert Erfahrung. 4 parenteral (Medikamente; hier ist extreme Vorsicht geboten, da blitzartig lebensbedrohliche Schockzustände auftreten können)
52
Kapitel 2 · Grundlagen
Therapeutische Maßnahmen bei allergologischen Zwischenfällen (Soforttyp-Reaktionen) 1.
2
2.
Ausgedehnte Lokalreaktion (Quaddel >5 cm Durchmesser) – Antihistaminikum p. o.: z. B. Levocetirizin (Xyzall), Desoxyloratadin (Aerius) – Eisbeutel, lokal Steroidcreme – genaue Beobachtung des Patienten Beginnende Systemreaktion (Juckreiz, Rötung, Urtikaria, Quinckeödem, Rhinokonjunktivitis, Hustenreiz, thorakale Enge. Warnzeichen schwerer Systemreaktion: Juckreiz palmoplantar, RR-Abfall, Benommenheit, Giemen) – Lagerung (seitwärts, Beine hoch, Kopf tief ) – venöser Zugang (≥18 G, grün, grau) – RR-Überwachung – Kortikosteroide: z. B. Prednisolon (SoluDecortin 250 mg) im Bolus i. v. – Antihistaminikum langsam i. v.: z. B. Diphenhydramin (Dibondrin 1–2 A) oder Dimetindenmaleat (Fenistil 1-2 A) – Volumensubstitution: z. B. Ringer-Lakat 500–1000 ml oder Hydroxyäthylstärke (Elohäst 500–1000 ml) rasch i. v. – bei Bronchospasmus zusätzlich Adrenalininhalation (PrimateneMist 1–2 Hübe, auch bei
In-vitro-Methoden
Mit diesen Methoden werden IgE oder andere Teilnehmer/Produkte der allergischen (meist Typ-I-)Reaktion gemessen. Positive bzw. negative Testergebnisse bedeuten zunächst nur den Nachweis bzw. das Fehlen eines Antikörpers oder Reaktionsprodukts; ihre Relevanz ergibt sich erst in Zusammenschau mit Anamnese und Hauttestungen. Gesamt-IgE im Serum. Hierfür stehen Enzym- bzw. Fluoreszenz-Immunoassays zur Verfügung. Sie werden häufig als Screeninguntersuchung für »atopische« Krankheiten (Inhalationsallergien, atopische Dermatitis) eingesetzt, die Konzentrationen werden in kU/L angegeben. ! Bei Atopikern können die IgE-Spiegel zu bestimmten Zeitpunkten normal sein, andererseits sind auch andere Krankheiten mit erhöhter IgE-Produktion assoziiert (Lymphome, Parasitosen, Raucher). Erhöhtes Gesamt-IgE hat per se keine Krankheitsbedeutung, beeinträchtigt aber die Relevanz niedrigtitriger spezifischer IgE.
Allergenspezifische IgE (RAST). Eine mit Allergen-
extrakt beladene Festphase wird mit Patientenserum
3.
Zungenschwellung!) oder β-Mimetika (z. B. Berotec DA 1–2 Hübe, Sultanol DA 1–2 Hübe) oder Theophyllin (Euphyllin 240 mg sehr langsam i. v.) – evtl. Adrenalin 0,5 mg i. m. in lateralen Oberschenkel Schwere Systemreaktion (wie oben, mit starkem RR-Abfall, Bronchospasmus, Stuhl-und Harnabgang, Bewusstseinstrübung) – Adrenalin 0,5 mg i. m. (lateraler Oberschenkel) oder 0,1–1 mg langsam und fraktioniert i. v. (z. B. L-Adrenalin Fresenius 0,01% 1–10 ml) – Volumensubstitution erhöhen (Hydroxyäthylstärke bis 30 ml/kg KG, rasch i. v., weiter mit Elektrolytlösung) – Kortikosteroide erhöhen (z. B. SoluDecortin 1000 mg rasch i. v.) – bei Herzkreislaufstillstand Reanimation bis Intubation möglich, Einweisung Intensivstation
Ein vital bedrohter Patient sollte als erstes 0,5 mg Adrenalin i. m. zur Stabilisierung erhalten, erst anschließend alle weitere Maßnahmen einschließlich der zeitintensiven Schaffung eines venösen Zugangs!
inkubiert; sind darin entsprechende IgE-Antikörper enthalten, binden sie an das Allergen der Festphase und werden anschließend durch Enzym-, Fluoreszenz- oder Chemoluminiszenz-markierte Anti-IgE-Antikörper sichtbar gemacht; das Messsignal ist der Menge gebundener IgE proportional. Die Ergebnisse werden in »RAST-Klassen« (0–6) und kU/l angegeben. In zunehmendem Maß werden auch rekombinante Einzelallergene (z. B. Bet v 1) eingesetzt. Dies hat für die Beratung des Patienten hinsichtlich Kreuzallergien und für die Indikation zur spezifischen Immuntherapie große Bedeutung (7 Kap. 2.4.9). ! Die Bezeichnung »RAST« (RadioAllergoSorbentTest) ist geradezu als Synonym für allergenspezifische IgE immer noch gebräuchlich, obwohl radioaktive Nachweismethoden schon längst verlassen wurden.
Bewertung: Positive RAST-Ergebnisse allein beweisen noch nicht eine klinisch relevante Allergie (sowohl falsch-positive als auch falsch-negative Ergebnisse kommen vor). RAST und Hauttest stimmen in 50– 100% überein; RAST und Provokation zeigen gute Korrelation für Insektengifte und viele inhalative Allergene, eine schwächere bei Medikamenten und Nahrungsmit-
53 2.3 · Diagnostik der Hautkrankheiten
teln. Je höher die RAST-Klasse, umso besser ist in der Regel die Korrelation. Blockierende IgG-Antikörper. Im Verlauf einer spezifischen Immuntherapie kommt es zu qualitativen und quantitativen Änderungen allergenspezifischer IgG (blockierende Rolle?). Ihr Wert als Maß für den Erfolg einer Immuntherapie ist umstritten. Tryptase. Die Funktion dieses Enzyms ist nicht gut bekannt. Es kommt wie Histamin fast ausschließlich in Mastzellen vor und wird bei anaphylaktischen Reaktionen (auch bei nicht IgE-vermittelten) freigesetzt. Die Bestimmung ist technisch einfach und noch Stunden nach dem Ereignis, sogar post mortem, möglich. Sie dient in erster Linie der Abgrenzung anaphylaktischer von z. B. psychovegetativen Reaktionen. Eosinophiles Kationisches Protein (ECP). Diese von Eosinophilen produzierte Substanz ist im Serum bei Aktivierung von Eosinophilen bei Asthma bronchiale, aber auch anderen Krankheiten (z. B. atopische Dermatitis) erhöht. Die Bestimmung des ECP dient der Dokumentation von Krankheitsaktivität, Therapie und Compliance bei Asthma bronchiale. Präzipitierende IgG-Antikörper. IgG-Antikörper gegen Vogelserum und -kot, Schimmelpilze und bestimmte Bakterien werden meist ebenfalls durch Enzymimmunoassays bestimmt. Sie sind bei der Abklärung von Typ-III-Allergien von Bedeutung, z. B. bei der exogen allergischen Alveolitis (Taubenzüchter-, Farmer-, Bäckerlunge). Weitere In-vitro-Tests sind der Basophilen-Degranulationstest und der CAST (»cellular antigen stimulation test«).
Rückenhaut des Probanden fixiert – damit kann leicht eine große Zahl von Kontaktallergenen gleichzeitig getestet werden. Nach 48 h wird das Testpflaster abgenommen und die erste Ablesung durchgeführt. Weitere Ablesungen erfolgen 24 und, wenn nötig, 96 h und 1 Woche später. Die Bewertung erfolgt nach einer Skala mit 4 Schweregraden (von negativ bis +++ positiv). Die allergische Testreaktion (. Abb. 2.27) ist ein Ekzem en miniature (Erythem, Papeln, Bläschen); die Reaktionsstärke nimmt von der ersten zur zweiten Ablesung zu (»crescendo«) und ist typischerweise nicht scharf auf die Auftragestelle beschränkt. Bei hochgradiger Sensibilisierung kann es (selten) zu einer großflächigen Ekzemreaktion kommen (»angry back« oder »excited skin syndrome«). Demgegenüber ist eine (zu unterscheidende!) toxisch-irritative Testreaktion fast immer scharf begrenzt, die Reaktionsstärke erreicht ihr Maximum meist schon früh und nimmt von der ersten zu den weiteren Ablesungen ab (»decrescendo«). Testsubstanzen. Diese werden in indifferenten Grundlagen verarbeitet (Vaseline oder wässrig), wobei für jede Substanz die optimale Testkonzentration bestimmt sein muss, um unspezifische irritative Reaktionen zu vermeiden. Die häufigsten Kontaktallergene liegen vorgetestet in kommerzieller Form vor und werden zu Testreihen zusammengefasst, deren Zusammensetzung von der Fragestellung, der Testpopulation, der vermuteten Stoffklasse, lokalen Gebräuchen (Arnika, Ringelblumensalbe, Teebaumöl, Melkerfett sind etwa beliebte Ingredienzien von Hausapotheken) und ggf. arbeitsplatzbezogenen Überlegungen abhängt. Nationale und
Testmethoden zur Erfassung von Typ-IV-(Kontakt)Allergien Epikutantestung
Diese ist das Standardinstrument zur Abklärung von Kontaktallergien. In-vitro-Methoden (z. B. der Lymphozytentransformationstest) haben keine praktische Bedeutung. Prinzip. Die Testsubstanzen werden auf die Haut aufge-
bracht und das Auftreten etwaiger allergischer Ekzemreaktionen registriert (wichtig: Unterscheidung von toxisch-irritativen Reaktionen!). Durchführung. Die interessierende(n) Substanz(en)
werden in etwa 5 mm große Aluminiumschälchen (»Finn chambers«) eingebracht und diese dann auf der
2
. Abb. 2.27. Epikutantest. Allergische Reaktion (+++) auf Nickel. In anderen Testfeldern milde toxische Reaktionen
54
2
Kapitel 2 · Grundlagen
internationale Gesellschaften geben Empfehlungen für die Zusammenstellung heraus und modifizieren diese bei Bedarf. Beispiele von »Standardreihen« s. einschlägige Lehrbücher. Für weitere Fragestellungen (meist bei Verdacht auf Berufskrankheit) gibt es eine Vielzahl weiterer Testblöcke, z. B. Friseurreihe (Haarfarbstoffe, Dauerwellpräparate), Kunststoffreihe (Acrylate, Polyester, Epoxid-Kunststoffe), Gummireihe, Salbengrundlagen. Vorgehen bei der Epikutantestung. Die unzähligen in
der Umwelt vorkommenden potenziellen Kontaktallergene können unmöglich durch Screening-Epikutantests erfasst werden. Die Anamnese ist daher die wichtigste Voraussetzung für eine gezielte Testung. Testergebnisse müssen auf ihre klinische Relevanz hinterfragt, ggf. ergänzt werden. Die erhobenen Kontaktallergien werden in einem Allergieausweis eingetragen und dem Patienten zusammen mit Merkblättern (zum Auffinden der für ihn relevanten Kontaktallergene in Gegenständen des täglichen Gebrauchs) ausgehändigt. Die kausale Therapie ist die möglichst komplette Vermeidung weiterer Expositionen! Besondere Formen der Epikutantestung. Wenn die zu
testenden Substanzen nicht kommerziell erhältlich sind, müssen Eigensubstanzen oft unbekannter Zusammensetzung und von unbekanntem irritativen Potential getestet werden. Beides muss vor der Testung eruiert werden. Erst dann werden unter Ausnutzung evtl. Erfahrungswerte Testverdünnungen hergestellt. Die erste Beurteilung erfolgt hier schon nach 30 min zur Erfassung von Soforttypreaktionen (z. B. Aromastoffe) und/oder starker Irritation. Obligat irritative Substanzen (Laugen, Säuren, bestimmte Blumen) werden nicht getestet. Bei Kosmetika kann auch der Gebrauchstest (ROAT: »repeated open application test«) sinnvoll sein: verdächtigte Produkte (Feuchtigkeitscremes, Parfüm) werden eine Woche 2-mal/Tag in die Ellenbeuge oder Oberarminnenseite eingerieben und die Reaktion beurteilt. Testung von an der Konjunktiva oder Mundschleimhaut einwirkenden Kontaktallergenen. Da an diesen
Regionen die Epikutantestung kaum möglich ist, kann durch so genanntes »Stripping« eines Testareals der Körperhaut (weitgehendes Entfernen der Hornschicht durch Tesafilmabrisse) eine der Schleimhaut ähnliche Situation simuliert werden. Atopie-Patch-Test (7 Kap. 3.2.1). Hierbei werden Allergenextrakte aus Pollen, Hausstaubmilben, Tierhaaren oder Nahrungsmitteln als Epikutantest aufgebracht
und abgelesen. Unter Einbeziehung anderer diagnostischer Parameter besitzt der Test eine hohe Spezifität, aber unbefriedigende Sensitivität. 2.4
Therapie der Hautkrankheiten
2.4.1 Medikamentöse Lokaltherapie Allgemeines Definition. Die medikamentöse Lokaltherapie (auch Externa- oder topische Therapie) versucht, Hautkrankheiten durch äußerliche Anwendung von Zubereitungen verschiedenster Art günstig zu beeinflussen – eine historisch uralte, aber auch heute noch unersetzliche Therapieform. Die raffinierten Lokaltherapeutika von heute bestehen (im Gegensatz zu den schlichten der Vergangenheit) aus dem Vehikel (Trägersubstanz, Grundlage) und dem Wirkstoff. ! Auch Vehikel entfalten einen therapeutischen Effekt, wenn auch in bescheidenerem Maß (s. u.). Viele historische Lokaltherapeutika wirkten nur mittels des Vehikeleffekts.
Vehikel haben die Aufgabe, den Wirkstoff zu lösen und optimal zur Geltung zu bringen. Sie bestehen aus Grundbestandteilen (Fette, Wachse, feste Stoffe, Wasser, Alkohol, Emulgatoren, Zusatzstoffe u. a. m.), die zu Endprodukten in verschiedenen »Aggregratszuständen« kombiniert werden: fest (Puder), flüssig (Lösung oder Tinktur – alkoholische Lösung) und halbfest (Gel oder Emulsion) (. Tab. 2.7). Heute sind komplexe Emulsionen weit verbreitet. Zweck der Vielzahl von Darreichungsformen sind die stadiengerechte und die lokalisationsgerechte Behandlung. Stadiengerechte Behandlung (»galenische Prinzipien«). Je akuter (nässender) eine Dermatose ist, desto
mehr soll die flüssige Phase einer Rezeptur überwiegen; je trockener und spröder, desto mehr die fette Phase. 3Beispiel: ein Ekzem im akuten, nässenden Stadium wird sinnvollerweise mit Lotionen oder Cremes behandelt, im subakuten Stadium mit Salben, im chronischen mit Fettsalben. Die Behandung einer Dermatose in verschiedenen Stadien kann daher die gleiche Wirksubstanz, aber verschiedene Vehikel erfordern.
! Die stadiengerechte Behandlung war früher das Um und Auf der Lokaltherapie; heute ist sie wegen der Dominanz der Wirkstoffe in den Hintergrund getreten. Krasse Verstöße gegen diese Regel, z. B. die Applikation von Pasten (Feststoffe in Salbe) auf akute, nässende Dermatosen, rächen sich jedoch auch heute noch durch die Missbilligung des Patienten.
2
55 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
. Tab. 2.7. Vehikel und Indikationen (Auswahl) Darreichungsform
Bestandteile
Wirkung
Indikation/bevorzugte Lokalisation (Beispiel)
Mögliche unerwünschte Wirkungen
Feuchter Umschlag
Wasser, max. 10% Alkohol
Kühlend, trocknend
Erysipel, akutes Ekzem
Mazerierend
Feuchter Umschlag (Kochsalz-Lösung)
NaCl-Lösung Physiol. bis 3%
Bei Ulzera: Entfernen von Fibrinbelägen, granulationsfördernd
Ulcus cruris venosum
Mazerierend (Umgebung)
»Milch«
Öl in Wasser-Emulsion
Kühlend, austrocknend, antipruriginös
Akut-nässendes Ekzem, behaarte Regionen
Trocknend
Gel
Öl in Wasser-Emulsion mit Gelbildner (z. B. Gelatine, Methylcellulose, Polyethylenglykol)
Kühlend
Seborrhoische Areale (Gesicht, Rücken, Brust), Brandgele
Trocknend
Creme
Klassische Creme = Öl in Wasser Emulsion (mit Emulgatoren)
Hydratisierend, kühlend
Akut-nässende Dermatitis
Trocknend
Salbe
Wasser in Öl Emulsion (typische Bestandteile: Wollwachs, Paraffinöl, Vaseline, Silikon, Bienenwachs, Carbomere)
Hydratisierend, fettend, okklusiv
Psoriasis, chronischlichenifizierte Dermatitis
Okklusiv (Folge z. B. Follikulitis)
Fettsalbe
Reine Hydrocarbongemische
Fettend, okklusiv
Hyperkeratosen, Schuppen, Krusten
Okklusiv (Folge z. B. Follikulitis)
Schüttelmixtur
Puder, suspendiert in ca. 10% alkoholischer Lösung
Kühlend, trocknend (Dochteffekt), adstringierend
Herpes zoster, Varizellen (Bläschenstadium)
Irritation, Rückstände, evtl. Granulombildung
Schaum
Luftdurchsetzt
Fettend, hydratisierend
Hände, behaarte Regionen
Irritation
Paste
Puder (10-50%) in Salbengrundlage
Trocknend, abdeckend
Intertrigo, Interdigitalraum, Umgebung von Ulcera
Irritation, Rückstände
Puder
Talkum, Titan-, Zinkoxid, Stärke
Kühlend, saugend, abdeckend
Herpes zoster, (Bläschenstadium)
Rückstände, evtl. Granulombildung
Therapeutische Wirkungen der Vehikel. Applikation
geeigneter Vehikel allein (»indifferente«, auch »blande« Lokaltherapie) kann wertvolle therapeutische und prophylaktische Effekte entfalten. Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist die trockene Haut (Exsikkose, Xerosis cutis) (7 Kap. 11) – ein häufiger Zustand, der dispositionell bedingt ist (Alter, Ichthyosen, atopische Konstitution) oder als Folge entzündlicher Dermatosen auftritt (Ekzeme, Psoriasis). Exsikkose verstärkt durch den Barriereschaden die Entzündungsbereitschaft der Haut bzw. verzögert die Abheilung von Dermatosen; ihre Behandlung durch Rückfettung ist daher sinnvoll: Anwendung von indifferenten Salben sowie von Bade-Zusätzen aus synthetischen, mineralischen (Paraffin) oder pflanzlichen Bestandteilen (Erdnuss, Mandel, Nachtkerzensamen, Soja, Borretsch). Insbesondere tensidfreie (-arme), d. h. spreitende Ölbäder hinterlassen einen rückfettenden Film auf der Hautoberfläche.
Als Begleitbehandlung einer Wirkstofftherapie kann die Verwendung von Vehikel wirkstoffsparend wirken. Kortikosteroidsalben brauchen beispielsweise selten mehr als einmal täglich aufgetragen zu werden (obwohl dies meistens geschieht), die erkrankte Haut bedarf jedoch mehrmals täglich zusätzlicher Rückfettung; hierfür verwendet man das Vehikel (»Tandem-Therapie«). Weitere Effekte von Vehikeln sind die Auflösung massiver Schuppenkrusten durch feuchte Umschläge oder Fettsalben (feuchte bzw. fette Mazeration), die kühlende und juckreizstillende Wirkung von Pudern oder alkoholischen Tinkturen bei nichtnässenden Läsionen u. a. m. Lokalisationsgerechte Behandlung. Regionale Eigenheiten der Haut erfordern unterschiedliche Aggregatzustände der Lokaltherapeutika. Am Capillitium empfehlen sich flüssige Vehikel, je nach dem Stadium Tinkturen, Lotionen oder Öle. Pasten sind zur Trocknung
56
2
Kapitel 2 · Grundlagen
von Regionen mit feuchtem Milieu geeignet, z. B. der Umgebung von Ulzera oder der Intertrigostellen. An Schleimhäuten kommen bioadhäsive Gele, Spülungen bzw. (Sitz)Bäder zum Einsatz. Bestimmte Lokalisationen (Hand-, Fußflächen) und Indikationen (z. B. Lichen ruber) verlangen zur Förderung der Penetration eine okklusive Anwendung, d. h. das Einbinden der behandelten Stelle mit luftundurchlässigen Plastik-
folien; dies bewirkt eine vermehrte Hydratation der Hornschicht, die deren Permeabilität erhöht. Wirkstoffe. Ein zunehmendes Repertoire lokalthera-
peutischer Wirkstoffe steht zur Verfügung. Die wichtigsten Wirkungen sind immunmodulatorisch, anti-infektiös, keratolytisch, Proliferation-/Differenzierungs-/ Pigment-modulierend (. Tab. 2.8).
. Tab. 2.8. Wirkstoffe und Indikationen (Auswahl) Wirkstoffgruppe
Beispiele
Wirkmechanismus
Indikation
Nebenwirkungen
Immunmodulatoren
Kortikosteroide
Antiproliferativ, immunsuppressiv, antiinflammatorisch, vasokonstriktiv
Die meisten entzündlichen, nichtinfektiösen Dermatosen (mit durchaus unterschiedlicher Wirksamkeit – s. Text)
Hautatrophie, Striae distensae, Teleangiektasien, Steroid-Purpura, Hypertrichose, Superinfektion, Steroidakne, periorale Dermatitis Selten: Suppression der Nebennierenrinde (Morbus Cushing) KI: Periorale Dermatitis, Rosazea
Vitamin-A-Derivate (Retinoide)
Proliferations-, und differenzierungsfördernd, Auflösung von Komedonen, depigmentierend
Akne, Psoriasis, Aktinische Keratosen, Hyperpigmentierungen, UV-Alterung, Ichthyosen
Irritation, erhöhte Photosensibilität
Vitamin-D-Derivate
Antiproliferativ, differenzierungsfördernd
Psoriasis
Irritation; bei >40 g Salbe/Tag Gefahr von Hypervitaminose D
Calcineurininhibitoren (Tacrolimus, Pimecrolimus)
Immunsuppressiv, antiinflammatorisch
Atopisches Ekzem und andere Ekzemarten, Lichen sclerosus
anfängliche Irritation, Follikulitis, Langzeiterfahrung bezüglich (Photo)karzinogenese bleibt abzuwarten
Diphenylcyclopropenon (DPCP), Quadratsäuredibutylester (SADBE)
Therapeutische Kontaktsensibilisierung
Alopecia areata, (Viruswarzen)
Allergisches Kontaktezem (heftiger als beabsichtigt)
Imiquimod
Immunstimulation (natürliche Immunität)
Kondylome, Mollusken, Irritation, Ansprechrate je nach aktinische Keratosen, Dosis maximal 70%, Rezidivrate bis zu 20% Basaliom
Salicylsäure
Hydratisierend (geringer konzentriert), keratolytisch (höher konzentriert)
Psoriasis (<5%), Tylosen, Warzen (>5%)
Salicylatvergiftung bei exzessivem Gebrauch
Urea
Hydratisierend (geringer konzentriert), keratolytisch (höher konzentriert)
Atopische Dermatitis, Handekzem, Xerosis cutis, Ichthyosen (3– 10%), Tylosen (≥20%)
Brennen
Fruchtsäuren (α-Hydro- Hydratisierend (gexysäuren, Milchsäure) ringer konzentriert), keratolytisch (höher konzentriert)
Akne, Melasma, UV-Alterung, Ichthyosen (5–10%)
Irritation
Benzoylperoxid
Akne (5–10%)
Kontaktsensibilisierung, Irritation, Schuppung, bleicht Haut, Haare, Kleidung
Keratolytika
Keratolytisch
57 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
2
. Tab. 2.8 (Fortsetzung) Wirkstoffgruppe
Beispiele
Wirkmechanismus
Indikation
Nebenwirkungen
Antiproliferative/zytotoxische Substanzen
5-Fluoruracil
Hemmung der DNA-Synthese
Aktinische Keratosen, Viruswarzen
Irritation, allergisches Kontaktekzem, Pigmentverschiebungen, Lichtempfindlichkeit. Bei systemischer Resorption: gastrointestinale, myelosuppressive, kardiotoxische, neurotoxische Nebenwirkungen
Dithranol (Synonym Cignolin, Anthralin)
Antiproliferativ, pro-apoptotisch
Psoriasis
Brennen, Rötung, (bräunliche Verfärbung von Haut, Haaren, Kleidung, Sanitäreinrichtungen)
Antiphlogistika
Diclofenac
antiproliferativ, Modulation des Arachidonsäurestoffwechsels
Aktinische Keratosen
Juckreiz
Lokalanästhetika
Lidocain, Prilocain
Hemmung der Erregungsleitung
Präoperativ
Irritation, allergisches Kontakekzem
Antipruriginosa
Polidocanol, Capsaicin
Hemmung der Erregungsleitung, Depletion von Neuropeptiden
Pruritus
Irritation
PigmentModulatoren
Hydrochinon
Depigmentierend (Tyrosinasehemmung)
Melasma, Epheliden, postinflammatorische Hyperpigmentierung
Irritation, persistierende Hyperund Hypopigmentierungen
Katalase/Superoxiddismutase
Radikalfänger
Vitiligo
Mupirocin, Bacitracin
Antibakteriell (vorwiegend im grampositiver Bereich)
Impetigo, Sanierung von MRSA-Besiedelung der Schleimhäute
Erythromycin
Antibakteriell Follikulitis, Akne (Staphylokokken, Streptokokken), anti-inflammatorisch
Resistenz
Clindamycin
Antibakteriell
Follikulitis, Akne
Resistenz, Fluoreszenz KI: Schwangerschaft/Stillzeit
Metronidazol
Antibakteriell (Anaerobier, Protozoen), anti-chemotaktisch, antioxidativ
Rosazea, Trichomoniasis
Irritation
Polihexanid, Octenisept, N-Chlortaurin, Chlorhexidin u. a.
Antibakteriell (grampositiv, gram-negativ), antimykotisch, bedingt viruzid
Superinfizierte Erosionen, Ulzera
Irritation/Brennen KI: gleichzeitige Behandlung mit anionischen Tensiden, Seifen, Ölen, Salben, Schwangerschaft 1. Trimenon
Povidonjod
Antibakteriell (grampositiv, gram-negativ), antimykotisch, bedingt antiviral Cave: Blut oder Serum schränken Wirkung ein
Pyodermien (auch zur Prophylaxe), Ulzera, nach Stichverletzungen
KI: Verbrennungswunden, Hyperthyreose, Struma nodosa, laufende/geplante Radiojodtherapie, Dermatitis herpetiformis Duhring
Antibiotika (wegen möglicher Resistenzbildung nur solche ohne systemische Anwendung; wegen des Sensibilisierungspotenzials generelle Zurückhaltung!) Antiseptika
Resistenzförderung, lokal und systemisch erhöhtes Sensibilisierungspotenzial
58
Kapitel 2 · Grundlagen
. Tab. 2.8 (Fortsetzung)
2
Wirkstoffgruppe Antiseptika
Beispiele
Wirkmechanismus
Indikation
Silberverbindungen
Antibakteriell
Wundbehandlung
Leukopenie
Aluminiumsalze
Antibakteriell
Wundbehandlung, Hyperhidrose
Irritation
Chlioquinol
Antibakteriell (gram-positiv), antimykotisch
Intertrigo, Tinea pedis, Irritation, Verfärbung (gelb) Insektenstiche, suCave: Niereninsuffizienz perinfizierte Dermatitis
Antimykotisch
Epidermomykosen
Irritation, Kontaktekzem
Benzylamine, Hydroxypyridone, Haloprogin
Antimykotisch, antiinflammatorisch
Epidermomykosen
Irritation, Kontaktekzem
Polyene
Antimykotisch
Kandidiasis (unwirksam Irritation, Kontaktekzem gegen Dermatophyten)
Tolnaftat
Antimykotisch (unwirksam gegen Candida)
Epidermomykosen
Irritation, Kontaktekzem
Selensulfid, Zink Pyrithion
Antimykotisch (Malassezia furfur)
Seborrhoische Dermatitis, Pityriasis versicolor
Irritation, Kontaktekzem
Antimykotika Azole, Allylamine, Amorolfin
Virustatika Antiparasitika
Nebenwirkungen
Aciclovir, Famciclovir
Antiviral
Herpes simplex
Irritation
Cidofovir
Antiviral
Viruswarzen
Cave: Niereninsuffizienz
Permethrin, Pyrethrin (Therapie der 1. Wahl!)
Neurotoxisch für Parasiten
Scabies, Pediculose
Irritation, Resistenzen
Hexachlorcyclohexan
Neurotoxisch für Parasiten
Scabies, Pediculose
Neurologische Nebenwirkung (Krämpfe bei Kindern), aplastische Anämie, Resistenzen KI: Schwangerschaft/Stillzeit
Benzylbenzoat
Neurotoxisch für Parasiten
Scabies
Brennen, Kontaktekzem
Crotamiton
Unbekannt
Scabies
Kontaktekzem, epileptogen
Albendazol
Antihelmintisch
Larva migrans
Haarwuchsstimulanzien
Minoxidil
Anti-apoptotisch
Androgenetische Alopezie
Photoprotektiva
7 Kap. 3
Penetration von Wirkstoffen. Wirkstoffe entfalten ihre Wirkung vorwiegend in Epidermis und Dermis; sie können daher erst dann wirken, wenn sie die Barriere der Hornschicht überwunden haben. Oft bildet der Wirkstoff in der Hornschicht ein Reservoir, aus dem er sukzessive in die darunter liegenden Schichten diffundiert. Die Diffusion erfolgt nach dem Fick-Diffusionsgesetz und ist wesentlich von der Dicke und Funktionstüchtigkeit der Hornschicht bestimmt (bei vielen Dermatosen defekt). Erreichen Wirkstoffe die dermalen Blutplexus, werden sie schnell in den Körper abtransportiert und können dann ggf. zu systemischen Nebenwirkungen führen.
Kontaktekzem KI: Phäochromozytom
Hochmolekulare Stoffe (z. B. Peptide etc.) können die Barriereschichte nicht durchdringen, kleinere Moleküle beschränkt. Zwischen Molekulargewicht und Penetration eines Wirkstoffs besteht keine direkte Korrelation, entscheidend ist vielmehr dessen Lipophilie. Eine wesentliche Rolle spielt auch die Löslichkeit der Wirksubstanz im Vehikel: nur gelöste Substanzen können penetrieren; andererseits hindert zu gute Löslichkeit die Substanz daran, das Vehikel zu verlassen. Wirksubstanzen sollen im Vehikel daher gerade noch löslich sein (dieses delikate Gleichgewicht kann durch unkundige Mischversuche gestört werden). Daneben sind Stabilität, Haltbarkeit, etwaige systemische Ab-
59 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
. Tab. 2.9. Relative Resorption von Hydrokortison in verschiedener Körperlokalisation Region
Absorption (relativ)
Unterarm
1 (Referenz)
Handfläche
0,83
Fußsohle
0,14
Capillitium
3,5
Stirn
6
Wange
13
Inguinalbereich
42
sorption und die Metabolisierungsrate eines Wirkstoffs von Bedeutung. Regeln zur Penetration von Wirkstoffen aus Lokaltherapeutika: 4 Lokalisation (. Tab. 2.9): Dicke Hornschicht (Hand-, Fußflächen, Capillitium) vermindert die Penetration, dünne Hornschicht (Gesicht, inguinal, perineal) erleichtert sie. Je mehr Follikel vorhanden sind, desto besser ist die Penetration (Capillitium, Scrotum) 4 Hauttemperatur: ist im physiologischen Bereich unwesentlich 4 Durchblutung: Bei erhöhter Durchblutung wird der Abtransport des Wirkstoffs beschleunigt, d. h. die Systemwirkung verstärkt. 4 Entzündung der Haut und gestörte Barrierefunktion begünstigen die Penetration 4 Hydratation der Hornschicht bewirkt Erhöhung der Penetration (10- bis 100-fach) 4 Liposomen sind sphärische Partikel, in denen hydrophile Substanzen von einer Lipidmembran umgeben sind – besonders effizienter Transport durch Zellmembranen. 3Applikation als Pflaster Eine Besonderheit ist die Applikation von in Pflaster eingearbeiteten Wirkstoffen (»transkutanes therapeutisches System«) zur systemischen Medikation nicht-dermatologischer Krankheiten (z. B. Nitroglycerin, Fentanyl, Nikotin, Hormone). Das Pflaster wirkt als Depot, aus dem der Wirkstoff ständig abgegeben wird. Hierfür kommen nur Wirkstoffe in Frage, die die Hautbarriere überwinden, in geringer Dosis wirken und eine große therapeutische Breite besitzen.
Magistrale Rezeptur vs. Fertigpräparate. Unter »Magis-
traliter-Rezeptur« versteht man die Zubereitung von Lokaltherapeutika durch den Apotheker. Sie bietet die Möglichkeit der individuellen Rezeptur, erfordert aber vom Dermatologen Sachkenntnis, da nicht jeder Wirkstoff mit jedem Vehikel kompatibel ist, und vom Apo-
2
. Tab. 2.10. Zusatzstoffe von Salben (Auswahl) Stoffgruppe
Einzelsubstanzen
Emulgatoren
Cholesterin, Laurylsulfat, Sorbitanester, Stearate, Wachse, höhere Alkohole, Lanolinderivate
Stabilisatoren
Glyzerin, Parabene, Sorbinsäure, Kresole, Benzylalkohol, Bisulfit
Lösungsmittel
Alkohole, Glyzerin, Propylenglykol, Isopropylmyristat
Eindickungsmittel
Bienenwachs, synthetische Wachse, Polyäthylen, Paraffin
Stoffe zur Quellung der Hornschicht (»emolients«)
Lanolinderivate, Glyzerin, Isopropylmyristat und -palmitat, Paraffine, Squalen, Stearinsäure und -alkohol
theker die entsprechende Herstellungsqualität. Rezepturen mit nachweislicher Kompatibilität, Haltbarkeit und Sicherheit sind im deutschsprachigen Raum in mehreren Kompendien zusammengestellt (z. B. Neues Formularium Austriacum-NFA, Neues Rezeptur-Formularium-NRF) und stellen eine wertvolle therapeutische Option dar. Fertigpräparate besitzen demgegenüber den Vorteil einer standardisierten, qualitätskontrollierten Herstellung. Fertigpräparate enthalten neben den Grundstoffen meist weitere Zusätze (. Tab. 2.10), die ihre physikochemische Charakteristik und spezielle Eignung bedingen und das Resultat oft jahrelanger Entwicklungsarbeit sind. ! Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass man Fertigpräparate beliebig magistraliter mischen bzw. »strecken« kann. Die Verfügbarkeit der Inhaltsstoffe, Interaktionen verschiedener Bestandteile (bei Inkompatibilität Entmischung!) und die Kosten magistraler Rezepturen müssen abgewogen werden.
Dosierung. Ein Streifen von der Länge eines Finger-
endgliedes (ca. 0,5 g) reicht für die Behandlung einer Handfläche aus (einmal täglich). Weitere Richtwerte: 4 2 g Gesicht 4 4 g Extremitäten, Stamm 4 50 g Ganzkörper Nur die tatsächlich benötigten Mengen sollten verschrieben, und Kontrollen sichergestellt werden (keine unbedachten Wiederholungs-Rezepte). In Gesicht und in intertriginösen Arealen genügen geringere Dosen. Therapiedauer. Es ist sinnvoll, topische Therapien
einige Tage über die klinische Abheilung hinaus auszu-
60
2
Kapitel 2 · Grundlagen
dehnen, denn eine frühzeitige Beendigung erhöht die Rezidivrate. »Ausschleichen« am Ende der Therapie hilft, Rezidive zu verhindern, bei übermäßig langer Applikation steigt allerdings das Risiko von Nebenwirkungen. Nebenwirkungen von Lokaltherapeutika Nebenwirkungen sind auch bei den heute sehr ausgereiften Fertigpräparaten nicht selten, wobei die Ursache oft genug die unsachgemäße Verwendung ist (z. B. Verstoß gegen die galenischen Prinzipien). Am weitaus häufigsten sind Irritation und Kontaktsensibilisierung, entweder durch das Vehikel oder den Wirkstoff; systemische Resorption spielt keine praktisch relevante Rolle, sofern die Verwendung den Anleitungen gemäß erfolgt, jedoch ist besondere Vorsicht bei Kindern (Verhältnis Körperoberfläche/Körpergewicht höher als bei Erwachsenen) oder bei gestörter Barrierefunktion (Ichthyose, atopische Dermatitis, Psoriasis) geboten. Bei Wirkstoffen mit bekannter (milder) irritativer Wirkung (z. B. Calcineurininhibitoren) sollten die Präparate zunächst auf einem kleinen Hautareal erprobt werden. Das Risiko der Auslösung eines allergischen Kontaktekzems hängt von der(n) Substanz(en), der individuellen Empfindlichkeit des Patienten und der Häufigkeit der Exposition ab. Manche Salbengrundlagen (z. B. Wollwachse), aber auch Zusatzstoffe (Konservierungsmittel, Penetrationsförderer, Stabilisatoren, Antioxidanzien, Emulgatoren, Gelbildner, Duftstoffe) sind potente Sensibilisatoren, ebenso manche Wirkstoffe (z. B. Neomycin); selbst Kortikosteroide können gelegentlich allergische Kontaktekzeme verursachen, und auch »natürliche« Zusätze (wie Teebaumöl, Propolis, Ringelblume) sind bekannt starke Allergene. Patienten mit hohem Salbenverbrauch (Atopiker, Patienten mit Ulcus cruris) neigen häufiger zur Kontaktsensibilisierung als solche mit geringem. Grundsätzlich sollte daher der gerne geübte rasche Wechsel von Lokaltherapeutika vermieden werden (was selbstverständlich auch für kosmetische Präparate gilt). Kortikosteroidhaltige Lokaltherapeutika Kortikosteroide (K) sind auch heute noch wegen ihrer breiten entzündungshemmenden Wirkung die wichtigsten und meistverwendeten Wirkstoffe der Lokaltherapie. Ihre Wirksamkeit hängt allerdings von der Natur und der Akuität der zu behandelnden Dermatose ab: 4 sie ist gut bis sehr gut bei akuten Entzündungen (z. B. bei akuter Kontaktdermatitis) 4 mittelgut bei subakut-chronischen (z. B. Psoriasis) 4 bescheiden bei granulomatösen Entzündungen (z. B. Granuloma anulare)
. Tab. 2.11. Kutane Nebenwirkungen topischer Kortikosteroide Teleangiektasien
z. B. Rubeosis faciei; teils rückbildungsfähig
Steroid-Purpura
Erhöhte Fragilität der Hautgefäße; ähnlich Alters-Purpura
Atrophie von Epidermis und Dermis
Teils rückbildungsfähig; bei Injektion von Depot-Kortikosteroiden auch Atrophie des subkutanen Fettgewebes
Hypertrichose
Teils rückbildungsfähig
Striae distensae
Auf den Ort der Kortikosteroidsalbenbehandlung beschränkt, irreversibel
Verschlechterung präexistenter Dermatosen
z. B. periorale Dermatitis
»KortikosteroidsalbenAbhängigkeit«
Bei gewohnheitsmäßiger Applikation Aufflammen der präexistenten Dermatose bei Absetzversuch (z. B. bei perioraler Dermatitis)
Der limitierende Faktor bei der Verwendung lokaler K-Präparate ist das Auftreten von Nebenwirkungen (. Tab. 2.11). Deren wichtigste ist die Bremsung der dermalen Kollagensynthese, die zur Rarefizierung des Bindegewebes führt (Atrophie, Striae distensae, Teleangiektasien, Steroidpurpura). Die Atrophie betrifft auch die Epidermis und kann schon nach einigen Wochen Behandlung messbar werden; sie ist jedoch nach Absetzen der Therapie zumindest teilweise reversibel. Systemische Nebenwirkungen durch perkutane Resorption (Hemmung der Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, medikamentös induziertes CushingSyndrom) sind außerordentlich selten, können jedoch nach großflächiger, langdauernder Anwendung, bei Kindern und bei geschädigter Barrierefunktion der Haut eintreten. Manche moderne K sind chemisch so modifiziert (Substitution von Seitenkettengruppen), dass ihr lokales Nebenwirkungspotenzial vermindert ist und die systemische Resorption durch Metabolisierung in der Haut unterbleibt. ! Der schlechte Ruf von topischen K (»Kortisonangst«) steht in keinem Verhältnis zur geringen Häufigkeit von Nebenwirkungen, die bei sachgemäßer Anwendung moderner Präparate auftreten.
Stärkeklassen der K-Lokaltherapeutika. Nach ihrer
Wirkstärke werden verschiedene Stärkeklassen von K-Fertigpräpsaraten unterschieden (. Tab. 2.12). Eine
61 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
. Tab. 2.12. Auswahl der im deutschen Sprachraum gängigen topischen Kortikosteriode Stärkeklasse I (gering)
Hydrocortison, Methylprednisonaceponat
II (mittel)
Betamethasonvalerat, Hydrocortison, Triamcinolonacetonid, Momethasonfuroat, Prednicarbat
III (hoch)
Diflucortolonvalerat, Betamethasonedipropionat
IV (sehr hoch)
Clobetasolpropionat
andere, klinisch nützlichere Einteilung ist der therapeutische Index (TIX), der Wirkung und Nebenwirkungen zueinander in Beziehung setzt (Wirksamkeit beim atopischem Ekzem und vasokonstriktive Potenz gegenüber Hautatrophie, Unterdrückung der HypophysenNebennierenrinden-Achse und allergenem Potenzial). Allgemeine Prinzipien der lokalen K-Medikation 4 Lokale K wirken symptomatisch und nicht kausal. Bei Ekzemen macht das Ansprechen auf K die Suche nach der auslösenden Ursache nicht überflüssig. 4 Die Behandlung akuter, entzündlicher Dermatosen soll zu Beginn energisch sein (stärkere K, reichliche Applikation). Bei Dauerbehandlung muss bald auf ein möglichst niedriges Erhaltungsquantum reduziert und eine intermittierende Behandlung mit blanden Salbengrundlagen begonnen werden (z. B. K-freies Wochenende), um Gewöhnung (»Tachyphylaxie«) und Nebenwirkungen zu vermeiden. 4 Die Wirkung der K-Salben kann durch Verbesserung der Resorption verstärkt werden, z. B. durch Zusatz von Salicylsäure oder durch Okklusionsverbände. 4 K-Salben sind bei atrophisierenden, ulzerösen und infektiösen Hautkrankheiten im Prinzip kontraindiziert (mit bestimmten Ausnahmen). 4 Die Therapiedauer soll in der Regel auf ca. 2–3 Wochen beschränkt sein (Nebenwirkungen sind bei topischen K der mittleren Wirkstärke außerhalb der Gesichts- oder Genitalhaut frühestens nach 6–8 Wochen zu erwarten). Macht das Krankheitsbild eine längere Therapiedauer notwendig, müssen intermittierende Gaben angestrebt werden (Intervalltherapie). Längerfristige Behandlung kommt bei persistierenden Läsionen von geringer Ausdehnung bei ausgewählten Krankheitsbildern in Frage (z. B. Psoriasis, Granuloma anulare). 4 Prophylaktische Behandlung mit lokalen K ist kontraindiziert.
C A V E
2
Ebenso wie Absorption und Wirksamkeit ist auch die Anfälligkeit für Nebenwirkungen je nach Körperlokalisation unterschiedlich (Beschaffenheit/ Dicke der Haut). Beispiel: Im Windelbereich von Kindern, intertriginös, am Genitale und im Gesicht sind nur niedrig-potente K anzuwenden, und diese nur kurzfristig.
Therapieversagen bei Behandlung mit lokalen Kortikosteroiden Die häufigsten Ursachen sind: 4 falsche Diagnose 4 ungenügende Dosierung 4 unzureichende Therapiedauer (z. B. durch Verschreiben zu kleiner Mengen) 4 unangemessenes Vehikel oder Interaktion der Komponenten Bei mangelhaftem Ansprechen chronischer Dermatosen trotz korrekter Diagnose und Therapie kann die Kombination mehrerer Wirkprinzipien hilfreich sein, z. B. die Kombination topischer K mit Vitamin-D-Analoga (Psoriasis) oder mit UV-Therapie (Psoriasis, atopische Dermatitis). C A V E
Kombinationspräparate, deren Hauptzweck das Ersparen einer Diagnose durch einen therapeutischen Rundumschlag ist, sind abzulehnen. So ist etwa die beliebte Kombination eines Antimykotikums mit einem K überflüssig – eine Mykose bedarf nicht eines K, ein Ekzem nicht eines Antimykotikums. Wird z. B. eine inguinale Mykose mit einem derartigen Mischpräparat behandelt, kann einerseits die Mykose maskiert werden (Tinea incognita, 7 Kap. 4.4.2), andererseits können Striae distensae entstehen.
Nicht selten verbirgt sich hinter einem vermeintlichen Therapieversagen eine überzogene Erwartungshaltung des Patienten. Die erfolgreiche Behandlung dispositionell bedingter Hautkrankheiten setzt meist auch eine Änderung des Lebensstils voraus, die oftmals schwer erreichbar ist (Tragen von Schutzhandschuhen, elastischen Binden, Vermeiden zu häufigen Duschens, Verzicht auf Kosmetika u. a. m.).
62
Kapitel 2 · Grundlagen
2.4.2 Behandlung chronischer Wunden
(Ulzera)
2
Chronische Wunden: Definition und Ätiologie Definition. »Chronische Wunden« sind Substanzdefekte der Haut, die mindestens bis zur retikulären Dermis reichen und sich nicht innerhalb einer physiologischen Abheilungszeit (im Durchschnittsfall 2–3 Wochen) spontan schließen. Im Gegensatz zu posttraumatischen Wunden entstehen chronische Wunden durch gestörte Makro- und Mikrozirkulation auf dem Boden lokaler und/oder systemischer Störfaktoren. Ca. 2% der Bevölkerung in den Industriestaaten sind betroffen, chronische Wunden sind daher ein erhebliches sozio-ökonomisches Problem. 3Bemerkung zur Terminologie: »Chronische Wunden« sind in der korrekten dermatologischen Nomenklatur Ulzera. Die Bezeichnung als »Wunden« (die eigentlich als posttraumatische Substanzdefekte definiert sind) ist ein populärer Modetrend, dem hier zur Vermeidung von Missverständnissen gefolgt wird.
2. die Proliferations- oder Granulationsphase mit Gewebeneubildung 3. die Modulations- oder Epithelisierungsphase mit Wundverschluss und Narbenbildung Die nicht heilende chronische Wunde stagniert in der exsudativen Entzündungsphase bei mangelnder Granulationsgewebsbildung und Ausbleiben der Epithelisierung. Gemeinsam ist diesen chronischen Wunden meist ein persistierender entzündlicher Stimulus (z. B. wiederholtes Trauma, Ischämie und/oder bakterielle Kontamination; . Tab. 2.13). Dies führt zu einer anhaltenden Expression entzündlicher Zytokine (TNF-α, IL-β) und Bildung von Matrix-Metalloproteinasen (z. B. MMP-9) unter gleichzeitiger Verminderung von MMP-Inhibitoren (TIMP-1) und einzelner Wachstumsfaktoren, wie PDGF. Dieses Ungleichgewicht stimulierender und inhibitierender Faktoren ist vermutlich entscheidend für die mangelnde Heilung. Ziel der lokalen Wundbehandlung ist, den physiologischen Ablauf der Wundheilung wiederherzustellen.
Ätiologie. Die mit Abstand häufigste chronische Wun-
Prinzipien der Wundbehandlung
de ist das Ulcus cruris (venös 60–80%, arteriell 5–15%, gemischt 10%, übrige Formen 10%) gefolgt vom diabetischen Fußsyndrom und den Dekubitalulzera (. Übersicht).
Wundreinigung. Zur Entfernung von überschüssigem
Ursachen »chronischer Wunden« 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Chronisch-venöse Insuffizienz Arterielle Verschlusskrankheit Diabetes/Angiopathie/Neuropathie Dekubitus Infektionen Vaskulitiden (Neoplasien) Trophische Ulzera Posttraumatisch, Artefakte
! Zu Beginn der Wundbehandlung steht die Abklärung der zugrunde liegenden Ursache und und deren Beseitigung – Verwechslung mit Basaliomen/Plattenepithelkarzinomen, Gummen etc. ist schon vorgekommen.
Wundheilung Die physiologische Wundheilung läuft phasenhaft ab, wobei die einzelnen Phasen sich z. T. überlappen. 3 Phasen werden unterschieden: 1. die exsudative oder Entzündungsphase; sie dient der Wundreinigung, nekrotisches Gewebe wird abgebaut
Exsudat, Gewebedebris, Belägen und altem Verbandsmaterial eignen sich Wundspülungen mit physiologischer NaCl- oder Ringerlösung. Eine Reduktion der Keimbelastung kann auch durch »Ausduschen« der Wunde mit lauwarmem Leitungswasser (zu Hause) erreicht werden. Nekrotisches Gewebe wird am wirkungsvollsten mechanisch-chirurgisch mittels Skalpell oder Ringkürette debridiert, limitierend ist jedoch die Schmerzhaftigkeit. Alternativen sind das enzymatische Debridement mittels proteolytischer Enzyme in Salbenform, osmotisch wirkende Substanzen (hypertone Kochsalzlösung) und die an manchen Kliniken durchgeführte »Biochirurgie« mit steril gezüchteten Goldfliegenmaden. Deren Speichelsekret enthält Proteasen, die eine selektive Nekrolyse bewirken, und Wachstumsfaktoren, die die Wundgranulation fördern. Infektionsbekämpfung. Eine geringgradige mikro-
bielle Kontamination bzw. Kolonisation von chroni. Tab. 2.13. Störfaktoren der Wundheilung Lokale Störfaktoren
Systemische Störfaktoren
4 4 4 4 4
4 Stoffwechselerkrankungen 4 Malnutrition/Kachexie 4 Konsumierende Krankheiten 4 Alter (>60 Jahre) 4 Toxika (Nikotin, Alkohol)
Druckbelastung Wundinfektion Nekrosen Perfusionsstörung Fremdkörper
63 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
2
schen Wunden ist die Regel. Das Überschreiten einer relativ geringen Keimzahl von 100 000/g Wundsekret wird als kritische Kolonisation mit heilungsverzögerndem Effekt betrachtet. Lokale Antibiotika bergen das Risiko der Kontaktsensibilisierung und Resistenzentwicklung bei oft nur schmalem Wirkungsspektrum und gelten daher als obsolet. Zur Keimreduktion geeignete Lokalmaßnahmen sind lokale Antiseptika (z. B. Polihexanid, Octenidin, PVP-Jod) und, unterstützend, silberhaltige Wundauflagen. Die Behandlung mit Antiseptika sollte wegen ihrer granulationshemmenden und zytotoxischen Wirkung möglichst kurz gehalten werden (Ausnahme: Polihexanid). Die antibakterielle Wirkung von Silber ist lange bekannt, das Wirkungsspektrum umfasst Pilze, Aerobier, Anaerobier und auch Problemkeime wie MRSA und VRE (Vancomycin resistente Enterokokken). Im Rahmen des modernen Wundmanagements werden vermehrt »interaktive« Wundauflagen mit eingearbeitetem Silber eingesetzt, die die feuchte Wundbehandlung mit der antibakteriellen Wirkung des Silbers kombinieren. Bei auch klinisch manifestem Wundinfekt ist neben der lokalen antiseptischen Therapie eine systemische Antibiotikabehandlung erforderlich.
tierexperimentellen Arbeiten der 1960er Jahre. Unter (Semi)Okklusion im feuchten Milieu laufen die Heilungsvorgänge deutlich schneller ab als unter trockenen oder Salben-Verbänden. Ziel der feuchten Wundbehandlung ist die Schaffung eines physiologischen Milieus: der Erhalt von Feuchtigkeit in und auf der Wunde fördert Granulation und Epithelisierung, Austrocknung führt zur erneuten Gewebeschädigung (»eine trockene Wunde ist eine tote Wunde«). Weitere Fähigkeiten moderner (»interaktiver«) Wundverbände sind Aufnahme und Speicherung überschüssigen Wundexsudats, Durchlässigkeit gegenüber Sauerstoff, CO2 und Wasserdampf bei gleichzeitiger Barrierewirkung gegen Mikroorganismen; mechanischer Schutz, Wärmeisolation, geringes Sensibilisierungsrisiko, einfache Handhabung, Patientencomfort, atraumatische Verbandswechsel und Kosteneffizienz. Interaktive Wundauflagen sind in . Tab. 2.14 verzeichnet. Die Auswahl der Wundauflage ist individuell zu treffen je nach Lokalisation (z. B. perianal Gefahr von Infektionen), Beschaffenheit von Wunde (ungünstig bei mazerierter Haut – Hemmung der Reepithelialisierung) und Wundumgebung, Exsudatmenge und Heilungsstadium.
Feuchte Wundbehandlung. Die moderne Wundbehandlung mit interaktiven Wundauflagen basiert auf
Vakuumversiegelungstechnik. Über einen direkt der Wunde aufliegenden, luftdicht verklebten Schwamm
. Tab. 2.14. Interaktive Wundauflagen Verbandtyp
Wirkprinzip
Vor-/Nachteile
Hydrokolloide
Hydrophobe Polyurethanfolie/ Elastomermatrix mit eingebetteten hydrophilen Quellstoffen
Fördert Granulationsphase Limitierte Saugfähigkeit KI bei infizierten Wunden
Alginate
Extrakt aus Braunalgen, lockerer Faserverband aus Kalziumalginat, durch Aufsaugen von Exsudat Umwandlung der Fasern in feuchtes Gel
Fördert Wundreinigung und Granulation Hohe Saugkapazität, tamponierbar Blutstillend durch Kalziumionenaustausch Auch bei infizierten, tiefen Wunden Sekundärverband nötig
Hydrofaser
Fasern aus Natriumcarboxymethylcellulose, Aufnahme des Exsudat nur in vertikaler Richtung, Umwandlung der Fasern in formstabiles Gel
Hohe Saugkapazität, tamponierbar Wundrandmazeration minimiert Sekundärverband nötig KI bei trockenen Wunden
Polyurethanschäume
Sekretaufnahme durch Kapillarwirkung
Tamponierbar, gute Saugfähigkeit
Folien
Dünne transparente Polyurethanmembran, semipermeabel Vorrangig okklusive Wirkung
Durchsichtig für Wundinspektion Fördert Epithelisierung Wasserfest, keine Saugfähigkeit
Hydrogele
Polymere mit hoher Wasserbindungskapazität durch Quell- und Gelierfähigkeit
Zum Ablösen trockener Nekrosen, versorgt Wunde mit Feuchtigkeit Unterstützt Autolyse fibrotischer Beläge KI bei infizierten, stark sezernierenden Wunden
64
2
Kapitel 2 · Grundlagen
wird mittels Saugpumpensystem ein Vakuum angeschlossen. Ein ideal feuchtes Wundmilieu mit konstanter Temperatur wird aufrechterhalten, Weichteilödeme bilden sich zurück und die bakterielle Kolonisation der Wundoberfläche nimmt ab. Das Vakuum fördert die lokale Duchblutung und Granulationsgewebsbildung. Operative Verfahren. Bei ausgedehnten Ulzera, insbesondere so genannten Gamaschenulzera, ist ein konservatives Vorgehen alleine oft nicht zielführend, die Wundfläche kann aber durch eine feuchte Wundbehandlung auf die operative Sanierung vorbereitet werden. Hier bietet sich in erster Linie die Spalthautdeckung an, nach großzügigem Debridement sämtlichen fibrosklerotischen Gewebes, um einen gut durchbluteten Wundgrund zu erzielen. 3Auch bei adäquater kausaler Therapie und konsequenter phasengerechter Lokalbehandlung ist es nicht immer möglich, eine chronische Wunde zur Abheilung zu bringen. Versuche mit Wachstumsfaktoren (PDGF), Matrix-Metalloproteasen-Inhibitoren und Hautersatzprodukten (Apligraf ) brachten nicht die erhofften Ergebnisse. Neue biotechnologische Therapieansätze sind in Erprobung.
2.4.3 Systemische medikamentöse
Therapie der Hautkrankheiten Diese ist in Grundsätzen und Mitteln ein Teil der Gesamtmedizin. Hier werden nur Medikamente oder Verwendungsweisen mit spezifischem Bezug zu Hautkrankheiten behandelt; eine lexikalische Darstellung ist nicht beabsichtigt. Dosierungen sind dem Text oder anderen Quellen zu entnehmen. Antibiotika Ihr Einsatz folgt den Grundsätzen der Infektiologie. Einige wichtige sind:
4 bei schweren Infektionen ist kombinierte Behandlung (AB verschiedener Wirkungsweise) der Monotherapie vorzuziehen 4 Generelle oder örtliche Änderungen im Resistenzverhalten, Verfügbarkeit neuer AB Kultur und Resistenzbestimmung: 4 stets bei nicht typischen oder nicht auf empirische Therapie ansprechenden Infekten 4 bei ausreichend klarer Diagnose und akuter Infektion ist empirisches Vorgehen ohne Kultur zulässig – zumindest solange, bis das Kulturergebnis vorliegt 4 korrekte Abnahmetechniken beachten: Material muss aus dem infizierten Gewebe stammen (oft Punktion erforderlich) – cave Züchtung von irrelevanten Hautkeimen! 4 nicht sklavisch an Resistenzbestimmungen halten (können in bis zu 20% falsch sein) 4 multiresistente Problemkeime: 5 Carbapeneme haben ein extrem breites Spektrum. Reserve-AB bei Staphylokokken: Vancomycin (MRSA), Teicoplanin. Bei Mischinfektionen mit Anaerobiern Lincosamide (Clindamycin – cave pseudomembranöse Enterokolitis) 5 Infektiologen beiziehen 4 Behandlungsdauer: bis über die klinische Abheilung hinaus (Vermeidung von Rezidiven und Resistenzbildung). Zu frühes Absetzen ist ein häufiger Fehler. Mögliches Therapieversagen: 4 Infektionen sprechen oft erst mit 2- bis 3-tägigem Verzug an – vorschnelles Umstellen auf andere Antibiotika führt leicht in eine therapeutische Sackgasse 4 »drug fever« kann Therapieversagen vortäuschen 4 mangelnde Compliance der Patienten bedenken (nehmen AB in bis 30% nicht ein) 4 schlechte Bioverfügbarkeit bedenken – z. B. Osteomyelitis, Fremdkörper
Auswahl des geeigneten Antibiotikums (AB). Hier ist
Folgendes berücksichtigen: 4 der (die) wahrscheinliche Erreger (falls kein Kulturergebnis vorliegt) 4 bakterizide AB bevorzugen – bessere Heilung, Gefahr der Resistenzbildung geringer 4 das wirksamste AB bei grampositiven Infekten ist immer noch Pencillin, dieses sollte daher nach Möglichkeit eingesetzt werden (z. B. Erysipel: parenterales Amoxicillin, kombiniert mit β-Laktamasehemmern: Clavulansäure, Sulbactam) 4 bei Verdacht auf Beteiligung gramnegativer Keime: Chinolone
Umstellen auf andere AB: 5 auf Basis von Resistenzbestimmung und evtl. Konsultationen 5 bedenken, dass Resistenz ein Klassenphänomen ist Allgemeines: 4 Die Klientel der Dermatologie umfasst viele immundefiziente Patienten (z. B. bei immunsuppressiver Behandlung von Systemkrankheiten), daher gilt es: 5 auf ungewöhnliche (z. B. Legionellose) und opportunistische Infektionen achten
65 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
2
5 Hautverletzungen und Fremdkörper vermeiden (Venenkatheter etc) 4 Die Anwendung von AB in der Dermatologie weicht von den allgemeinen Gepflogenheiten manchmal ab. So sind Tetracycline (Minocin, Doxycyclin) wertvolle Instrumente in der Behandlung der Akne und von Infektionen mit Borrelien, Mycoplasmen und Chlamydien.
Haut und deren Anhangsgebilde und wird bei oberflächlichen und Systemmykosen eingesetzt. Voriconazol ist das Standardpräparat bei Aspergillosen.
Antimykotika Systemische Antimykotika werden in der Dermatologie bei manchen Dermatomykosen und systemischen Hefepilzmykosen eingesetzt; systemische Schimmelpilzmykosen sind eine Domäne der Intensivmedizin. Man kennt 6 Stoffklassen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen (meist Interferenz mit der Ergosterolsynthese – ein Bestandteil der Pilz-Plasmamembran). Das Antimykotikum wird meist empirisch ausgewählt (bei Systemmykosen Erregeridentifikation/Resistenzbestimmung).
Echinokandine (Caspofungin). Diese wirken fungizid/
Griseofulvin. Das historisch erste systemische Antimy-
kotikum; heute nur noch die (kostengünstigere) Alternative bei ausgedehnten Dermatomykosen. Polyene. Diese fungiziden, lipophilen, wasserunlös-
lichen Substanzen wirken bei Hefepilzen (Kandidaund Torulopsisarten), Schimmel- und dimorphen Pilzen. Nystatin wird im Darm nicht resorbiert (keine systemische Wirkung – Indikation: gastrointestinale Kandidiasis). Amphotericin B ist hochwirksam bei Systemmykosen (bei Aspergillose der »Goldstandard«), besitzt aber auch die höchste Toxitität (anaphylaktoide Symptome, Nephro- Hepatotoxizität). Es wird meist in Kombination verabreicht. Liposomale AmphotericinB-Präparationen sind besser verträglich (höhere Dosierung möglich). 5-Fluorozytosin (Fluzytosin). Dies wird nur kombiniert mit Amphotericin B/Fluconazol bei systemischen Hefe-/Schimmelpilzmykosen eingesetzt. Liquorgängig, fungistatisch, schnelle Resistenzentwicklung. Triazole. Diese aus den Imidazolen entwickelten systemischen Breitspektrumantimykotika wirken fungistatisch/fungizid gegen Dermatophyten, Hefe-, dimorphe (teils auch gegen Schimmel)Pilze. Meist gut verträglich, potenziell hepatotoxisch (Bindung an Zytochrom P450). Fluconazol ist wasserlöslich, gut liquorgängig, kann auch i. v. gegeben werden und ist bei schweren Dermatomykosen und systemischen Hefepilzinfektionen indiziert (ersetzt teilweise Amphotericin B). Itraconazol ist schlecht liquorgängig, penetriert gut die
Allylamine (Terbinafin). Fungizide Breitspektrumanti-
mykotika, wirksam bei Dermatophyten und Schimmelpilzen, weniger bei Hefen. Terbinafin ist lipidlöslich und stark keratinophil (Anreicherung in Nagelplatte).
fungistatisch, sind gut wasserlöslich und gut verträglich (nur parenteral). Indikation: invasive Infektionen durch Azol-/Polyen-resistente Hefen und Aspergillen. Virustatika Aciclovir und seine Analoge Famciclovir und Valaciclovir werden bei Infektionen mit dem Herpes simplexund dem Varicella-Herpes zoster-Virus eingesetzt; es ist bei Epstein-Barr-Virus wenig, bei Zytomegalie-Virus nicht wirksam. Aciclovir ist ein Thymidinanalog, das in der infizierten Zelle durch eine viruseigene Thymidinkinase zu Aciclovir-Monophosphat und durch körpereigene Kinasen weiter zu Aciclovir-Triphosphat (Hemmer der viralen DNA-Replikation) umgewandelt wird; es wirkt daher nur während der Replikationsphase. Viren in der Latenzphase bleiben unbeeinflusst, Rezidive können nicht verhindert werden. Aciclovir ist nur wenig toxisch (Niere!); Resistenzentwicklung spielt keine praktische Rolle. Die Resorption von Aciclovir ist bei oraler Einnahme mäßig (nicht sicher ausreichende Plasmaspiegel für Varizella-Herpes-zoster-Virus). Dieses Problem wurde durch die genannten Analoge und Brivudin beseitigt; eine orale (ambulante) Behandlung des Herpes zoster ist daher heute möglich (nur bei mildem Verlauf anzuraten). Bei Epstein-BarrVirus bzw. Zytomegalievirus wirksame Homologe des Aciclovir sind Ganciclovir und Foscarnet. Antiretrovirale Therapie: 7 Kap. 15.11. Kortikosteroide Systemische Kortikosteroide (K) sind ein unentbehrlicher Bestandteil der dermatologischen Therapie (topische Therapie: 7 Kap. 2.4.1). Sie haben eine breite und starke entzündungshemmende und immunsuppressive Wirkung (s. Lehrbücher der Pharmakologie), die u. a. folgende Mechanismen umfasst: 4 Synthesehemmung und teils Antagonisierung von Entzündungsmediatoren (Arachidonsäurederivate, Zytokine, Chemokine) und lysosomalen Enzymen 4 Hemmung von Chemotaxis, Phagozytose und Mediatorfreisetzung aus Mastzellen 4 Hemmung von Funktion und Proliferation (bzw. Induktion von Apoptose) bei Immunzellen (Mono-
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2
Kapitel 2 · Grundlagen
zyten, dendritische Zellen, T-, weniger B-Lymphozyten) 4 antiproliferative Wirkung (Hemmung der Mitosen, Reduktion der Protein-, Mukopolysaccharid- und Kollagensynthese). K besitzen einen hohen Glukokortikoid- und minimalen Mineralokortikoideffekt (Natriumretention). Die Nebenwirkungen der systemischen K sind zahlreich (. Tab. 2.15) und in der Regel mit der Art des K, der Dosis und der Dauer der Behandlung korreliert. Die Neigung zur Entwicklung von Nebenwirkungen ist individuell verschieden. Besonders gefährdet sind alte Menschen (kardiovaskuläre Komplikationen, Sepsis, zerebraler Insult, Osteoporose). Therapiedauer. Der Einsatz systemischer K bedarf
sorgfältiger Abwägung von Risiko und Nutzen. Die Strategie ist unterschiedlich, wenn es sich um kurzfristige (»Stoßtherapie«) oder langfristige Verabreichung handelt (Dauertherapie). Kurzfristige Therapie (bis 3 Wochen) führt zu einer nur passageren Unterdrückung der HypophysenNNR-Achse; K kann daher schnell abgebaut werden. Nebenwirkungen sind selten, die Indikation kann großzügiger gestellt werden. Stoßtherapien sind bei selbstlimitierten akuten Zuständen (z. B. akute schwe. Tab. 2.15. Nebenwirkungen systemischer Kortikosteroide Metabolisch
Diabetes, Lipidämie, Atherosklerose Umverteilung des Fetts 4 Stamm, Gesicht, Nacken↑ 4 Extremitäten↓
Endokrinologisch
Unterdrückung der HypothalamusHypophysen-Achse Wachstumsstillstand, Amenorrhoe
Skelettmuskel
Myopathie
Knochen
Osteoporose, Spontanfrakturen, aseptische Knochennekrose
Magendarmtrakt
Ulcus ventriculi, Steatosis hepatis, Pankreatitis
Herzgefäßsystem
Hypertonie, Na+-, Wasserretention, Hypokaliämie
Augen
Glaukom, Katarakt
ZNS
Steroid-Psychose, Pseudotumor cerebri
Bindegewebe
Rarefikation, Wundheilungsstörungen
Immunologisch
Immunosuppression, Infektneigung
Haut
Atrophie, Hypertrichose, Steroidpurpura, Striae distensae
re Kontaktdermatitis) indiziert; Anfangsdosen liegen in der Regel zwischen 40 und 80 mg Methylprednisolon/Tag. Bei langfristiger Therapie, z. B. bei Autoimmunkrankheiten, kommt es unausweichlich zu Nebenwirkungen und zur langfristigen Unterdrückung der Hypophysen-NNR-Achse. Es müssen daher die Kontraindikationen (Hypertonie, Diabetes, Osteoporose, Infektionskrankheiten, Glaukom, Psychosen) genauer beachtet, regelmäßige Kontrollen durchgeführt und die Prinzipien zur Minimierung der Nebenwirkungen genau eingehalten werden. Die Therapie chronischer benigner Dermatosen mit systemischen K ist nicht angebracht! (Beispiele: Psoriasis, Alopecia areata). C A V E
Bei zusätzlichem Stress (z. B. Operationen) muss die K-Dosis erhöht werden.
Grundsätze der K-Dauertherapie: 4 Wahl des richtigen K: Das ideale K hat relativ geringe Nebenwirkungen, eine mittlere Plasmahalbwertszeit und ist zur oralen Medikation geeignet. Das am meisten verwendete K, Methylprednisolon, erfüllt diese Bedingungen gut (Halbwertszeit 3 h). Die Verabreichung erfolgt in der Regel p. o.; i. v.-KGaben sind nur bei akuten Zuständen (z. B. Angioödem) angezeigt. I. m.-Verabreichung von Depot-K ist nicht sinnvoll (nicht steuerbar, Gefahr von Fettgewebsatrophie). 4 Höhere Anfangsdosen (40–100 mg Methylprednisolon/Tag) und Abwarten des Ansprechens vor der Reduktion: die K-Medikation soll den Verlauf der Krankheit diktieren, nicht umgekehrt. 4 Verabreichung der gesamten K-Dosis auf einmal am Morgen (Ausnahme: initial können geteilte Dosen sinnvoll sein). 4 Frühestmögliches »Ausschleichen«: dies geschieht »logarithmisch«, d. h. je tiefer die Dosis, desto länger das Intervall bis zur nächsten Reduktion. Der Abbau wird bis zur minimalen wirksamen Erhaltungsdosis fortgesetzt (im Idealfall null). 4 K-einsparende Maßnahmen: Übergang auf alternierende Regimen (erst bei Ansprechen: jeden 2. Tag K-Pause – »alternate day therapy«) sowie gleichzeitige Gabe von anderen antiinflammatorischen Medikamenten bzw. Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin). ! Eine großzügigere Dosierung am Anfang spart im Endeffekt K ein, da man schneller zu niedrigeren Erhaltungsdosen gelangt. Durch halbherzige Dosierung, ver6
67 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
frühten Abbau und unentschlossenes Auf und Ab wird der Patient in Nebenwirkungen »getrieben«. Durch die morgendliche Gabe wird der Rhythmus der endogenen K-Produktion imitiert. Die HypophysenNNR-Achse ist vormittags ohnehin unterdrückt, der gegenregulatorische Anstieg des ACTH am Abend wird nicht behindert; zu diesem Zeitpunkt ist Methylprednisolon schon ausgeschieden – allerdings nur bei <20 mg/Tag.
2
. Tab. 2.16. Häufig verwendete Antihistaminika »Klassische«
2. Generation
4 4 4 4 4
4 4 4 4 4 4
Clemastin Dimetinden Diphenhydramin Hydroxyzin Pheniramin
Acrivastin Cetirizin Desloratidin Fexofenadin Loratidin Mizolastin
Weitere Maßnahmen. Begleitende Magenschutzthera-
pie (H2-Blocker, Sucralfat). Blutdruck, Blutzucker und Lipide müssen regelmäßig kontrolliert werden. Osteoporoseprophylaxe ist angezeigt (Kalzium, Vitamin D3, evtl. Kalzitonin). Auf Infektionen muss geachtet werden (z. B. Aufflammen einer latenten Tuberkulose). Antihistaminika Antihistaminika antagonisieren Histamin durch Kompetition an den Histaminrezeptoren. Für die Dermatologie bedeutsam sind in erster Linie die H1-(Rezeptor)Antagonisten. Hauptindikationen sind: 4 Urtikaria 4 anaphylaktische Reaktionen (zusammen mit K und Adrenalin; Schocktherapie – 7 Kap. 2.3.5) 4 allergische Rhinokonjunktivitis 4 generell stark juckende Dermatosen C A V E
Viele Antihistaminika werden über Zytochrom P 450 abgebaut und können daher mit zahlreichen anderen Substanzen interagieren (Makrolide, Antiarrhythmika, Cyclosporin A, Kontrazeptiva u. a.).
Klassische (sedierende) Antihistaminika (1. Generation). Diese sind parenteral verabreichbar und eignen
sich daher ergänzend zur Behandlung von anaphylaktischen Reaktionen, Juckreizkrisen etc. (. Tab. 2.16). Wegen ihrer relativ kurzen Halbwertszeit müssen sie meist mehrmals täglich gegeben werden. Zusätzlich zu ihrer antihistaminischen Wirkung aktivieren sie cholinerge, serotoninerge und α-adrenerge Rezeptoren. Dies führt zu Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Miktionsstörungen (cave Prostatahypertrophie!), Augendruckerhöhung (cave Glaukom!), v. a. aber durch ihre ZNS-Gängigkeit zur Sedierung. Diese kann bei stark juckenden Dermatosen und bei Kindern ein Vorteil sein, meist ist sie jedoch unerwünscht (cave: Fahrtauglichkeit, Berufstätigkeit etc.). Manche Substanzen (z. B. Hydroxyzin) wirken auch anxiolytisch (nützlich bei der Therapie von chronischem Juckreiz). Die hemmende Wirkung auf vestibuläre Zentren hat antiemetische Effekte (Reisekrankheit).
Nichtsedierende Antihistaminika (2. Generation).
Diese sind nicht parenteral verabreichbar und haben meist relativ lange Eliminationszeiten, sodass einmal tägliche Gaben ausreichen (. Tab. 2.16). Sie werden eher für längerfristigen Einsatz verwendet: allergische Rhinokonjunktivitis, chronisch-rezidivierende Urtikaria (evtl. in Kombination mit Mastzellstabilisatoren und H2-Blockern), und diverse juckende Dermatosen. Ihnen fehlen weitgehend die Blut-Hirnschranken-Gängigkeit und daher sedierende und anticholinerge Eigenschaften. Weitere Wirkungen sind: Hemmung von Synthese und Freisetzung von Leukotrienen, inflammatorischen Zytokinen, Eosinophilenmigration. Andere Substanzen mit Antihistaminika-Wirkung sind trizyklische Antidepressiva und Ketotifen. Letzteres wirkt als H1-Rezeptorblocker, Kalziumantagonist und Mastzellstabilisator und wird in der Langzeittherapie chronischer Urtikaria und atopischer Dermatitis eingesetzt. Entzündungshemmende Medikamente Nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAID). Diese wirken entzündungshemmend, fiebersenkend und schmerzlindernd. Sie werden ergänzend bei der Behandlung vieler entzündlicher Krankheiten eingesetzt (Lupus erythematosus, Psoriasis-Arthritis, manche Infektionskrankheiten u. a.). Häufig gebrauchte NSAID sind Paracetamol (nicht antiphlogistisch!), Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Naproxen, Diclofenac. Sie sollten als Monotherapie (statt in Form der meist risikoreicheren Mischpräparate) gegeben werden. Antimalariamittel. Aminochinoline sind Chininderivate, die unabhängig von ihrer Wirkung gegen Malaria antiinflammatorisch (Hemmung der Chemotaxis, der Prostaglandinsynthese etc.), immunmodulatorisch (Hemmung zellulärer Immunreaktionen) und durch direkte Bindung an DNA replikations- und transkriptionshemmend wirken. Zusätzlich besitzen sie eine Filterwirkung im UV-A-Bereich. Chloroquin (Alternative: Hydroxychloroquin – Plaquenil) ist ein empi-
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Kapitel 2 · Grundlagen
risches Systemtherapeutikum mit definierten Indikationen: 4 Lupus erythematodes und Antiphospholipid-Syndrom (oft additiv zu systemischen Kortikosteroiden) 4 polymorphe Lichtdermatose (2. Wahl nach Photochemotherapie) 4 Pannikulitis 4 hepatische Porphyrien (Freisetzung von Porphyrindepots aus der Leber durch Substratkonkurrenz und Komplexierung). Ophthalmologische Nebenwirkungen sind (reversible) Depots in der Cornea sowie die gefürchtete irreversible Retinopathie. Das Risiko einer solchen ist hoch bei einer Tagesdosis >4 mg/kg und einer kumulativen Dosis von 200 g. Regelmäßige augenärztliche Kontrollen sind erforderlich. Teratogen! Sulfone (Dapson, Sulfapyridin). Diese Wirkstoffe hemmen die Neutrophilen-Chemotaxis und die Bindung von Neutrophilen an IgA. Sulfone haben ein schmales, aber wichtiges Indikationsgebiet in der Therapie IgAassoziierter bullöser Dermatosen (z. B. Dermatitis herpetiformis). Wichtige Nebenwirkungen sind: Methämoglobinbildung (KI bei Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel!), Neurotoxizität.
Immunmodulatorische Therapie Darunter versteht man Substanzen, die überschießende oder fehlgeleitete Reaktionen des Immunsystems zügeln (ggf. auch steigern), unter Beibehaltung einer ausreichenden Abwehr gegen Infektionen und Tumoren. Manche der verwendeten Therapeutika werden oft gemeinsam mit Kortikosteroiden eingesetzt, deren Einsparung sie gleichzeitig dienen. Hauptindikationen sind: 4 Kollagenosen 4 Systemvaskulitiden 4 Bullöse Autoimmundermatosen 4 Psoriasis Klassische Immunsuppressiva. Eine Gruppe von vornehmlich auf Immunzellen antiproliferativ wirkender Substanzen. Ihr Gebrauch bringt wesentliche Vorteile, doch verursachen sie nicht selten Nebenwirkungen (je nach Wirkstoff Blutbild-, Leber- und Nierenschäden; langfristig auch Sekundärneoplasien) und können mit anderen Medikamenten interagieren. Kontinuierliche Laborüberwachung ist erforderlich. Azathioprin (ein 6-Mercaptopurinderivat) ist die wahrscheinlich meistgebrauchte Substanz dieser Gruppe und gilt bei korrektem Gebrauch als weitgehend sicher. Seine Hauptindikation sind bullöse Autoim-
mundermatosen, die Wirkung tritt erst nach mehrwöchiger Latenz ein. Methotrexat (MTX, ein Folsäureantagonist) ist das bis vor kurzem wirksamste Mittel bei schweren Formen der Psoriasis und wird auch bei Kollagenosen eingesetzt. MTX ist reich an Nebenwirkungen: 4 Knochenmark: Leuko-, Thrombozytopenie, Anämie 4 Leber: Transaminaseanstieg, toxischer Leberschaden, Fibrose, Zirrhose 4 GI-Trakt: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, erosive Stomatitis, Magenulzera 4 Lunge: Fibrose, Immunsuppresion, Infekte, Teratogenität Es interagiert zudem mit vielen anderen Medikamenten (. Übersicht). Bei Überdosierung Verabreichung des Antidots Folinsäure (Leukovorum).
Medikamenten-Interaktionen von Methotrexat (Auswahl) 4 Alle hepato- und nephrotoxischen Medikamente 4 Barbiturate 4 NSAID 4 Sulfonamide 4 Phenytoin 4 Allopurinol 4 Penicillin, Cephalosporin 4 Alkohol
Weitere häufig eingesetzte Inhibitoren der Purin- und Pyrimidinsynthese sind Mycophenolat-Mofetil und Leflunomid. Cyclophosphamid (ein alkylierendes StickstoffLost-Derivat) ist das potenteste und auch nebenwirkungsreichste Immunsuppressivum. Hauptindikation: Systemvaskulitiden (Dauerheilung möglich!) und systemischer Lupus erythematodes mit Nierenbeteiligung. Verabreichung als orale Langzeit- oder Bolustherapie. Cyclosporin-A (ein zyklisches Undekapeptid) hemmt die Transkription von IL-2 und anderer Zytokine, seine Hauptindikation ist in der Transplantationsmedizin. Nebenwirkungen sind zahlreich; limitierend ist die bei längerer Gabe häufige, dosisabhängige und nur anfangs reversible Nephrotoxizität. Wegen der Bindung an Zytochrom P450 bestehen zahlreiche Interaktionen mit anderen Medikamenten. Viele entzündliche Dermatosen sprechen im Prinzip sehr gut an (z. B. schwere Psoriasis oder Neurodermitis), doch ist seine Verwendung nur vertretbar, wenn ein Ende der Behandlung absehbar ist (z. B. Pyoderma gangränosum).
69 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
Hochdosierte gepoolte i. v. Immunglobuline. Diese
werden als gut wirksame und nebenwirkungsarme Begleitmedikation bei einer Reihe schwerer Immundermatosen eingesetzt. Die Wirkmechanismen sind wahrscheinlich multipel: 4 Beschleunigung der Elimination pathogener Autoantikörper 4 Neutralisierung von Zytokinen (TNF-α!) 4 Blockade der Fcγ-Rezeptoren an Entzündungszellen und der antikörperabhängigen Zytotoxizität 4 Verhinderung der Apoptose durch Binden an FasL Immunglobuline werden im Initialstadium von Dermatomyositis, bei bullösen Autoimmundermatosen, bei Autoimmun-Urtikaria sowie bei therapieresistentem Pyoderma gangränosum eingesetzt. Ihr Nutzen in der Akuttherapie der toxischen epidermalen Nekrolyse ist noch nicht belegt. Zytokine. Interferon-α ist bei bedrohlichen infantilen
Angiomen, beim Kaposi-Sarkom und als Adjuvans in der Therpie des Melanoms etabliert; mögliche weitere Indikationen sind ausgedehnte Viruspapillome und Mastozytosen. Interleukin-2 wurde im Rahmen der Chemo-Immunotherapie des metastasierenden Melanoms eingesetzt, hat jedoch schwere Nebenwirkungen (»capillary leakage syndrome«). Es wirkt gut bei der Unterspritzung kutaner Melanommetastasen. Biologics. Hierunter versteht man eine neue Klasse von Medikamenten, die derzeit die Therapiemöglichkeiten der gesamten Medizin umgestalten: gentechnologisch erzeugte Proteine, meist chimäre monoklonale Antikörper oder Fusionsproteine, die an genau definierten Punkten pathophysiologischer Prozesse ansetzen und diese »gezielt« blockieren. Dermatologische Hauptindikationen sind (heute) alle Formen der schweren, therapieresistenten Psoriasis. Wichtige Zielpunkte sind: 4 Unterbrechung der Antigenpräsentation durch Blockierung kostimulatorischer Moleküle (Efalizumab) 4 Hemmung der Einwanderung von Immunzellen durch Blockierung von Adhäsionsmolekülen (Efalizumab) 4 Blockierung von TNF-α (Infliximab, Adalimumab, Etanercept)
Viele der Biologics wirken erstaunlich schnell, stark und anhaltend, wobei zwischen den Wirksubstanzen individuelle Unterschiede bestehen. Biologics besitzen als Proteine keine (oder geringe) Organtoxizität, sie können daher auch leichter bei multimorbiden Patien-
2
ten eingesetzt und mit anderen Medikamenten kombiniert werden. Komplikationen wie Anaphylaxie sind unerwartet selten; wesentliche Komplikationen können mangelnde Infektabwehr (Tuberkulose!) und, einstweilen nur theoretisch, Tumorabwehr sein. Andere Biologics werden in der onkologischen Therapie eingesetzt: Rituximab (bindet an CD20 – Therapie von bestimmten B-Zell-Lymphomen), Bevacizumab (ein VEGF-Antikörper – Hemmung der Tumorangiogenese). Zytostatika Hauptindikation von Zytostatika in der Dermatologie sind: 4 das metastasierende Melanom (Dacarbazin, Temozolomid, Fotemustin) 4 Lymphome (Chlorambucil, Bleomycin, Cyclophosphamid) 4 Kaposi-Sarkom (Vincaalkaloide) 4 das metastasierende Plattenepithelkarzinom (Bleomycin) Die Verabreichung erfolgt je nach vorliegendem Tumor als Monotherapie oder in Kombinationsschemata (Polychemotherapie, Chemo-Immunotherapie), nach konventioneller Weise in Zyklen, alternativ metronomisch (Dauertherapie in niedrigerer Dosierung – bessere Verträglichkeit). Retinoide Zwei synthetische Retinoide (Derivate der Vitamin-ASäure) stehen seit Jahren in Gebrauch: Acitretin (Etretin) und Isotretinoin (Accutan). Sie wirken: 4 antikeratinisierend (Differenzierungsfördernd, Reduktion der Hornschicht, Änderung der epidermalen Lipide) 4 antifibrosierend 4 immunmodulierend 4 Chemotaxis-hemmend 4 antineoplastisch Acitretin wird in der Behandlung von Ichthyosen und in Kombinationsregimen bei schweren Formen der Psoriasis eingesetzt. Isotretinoin wirkt zusätzlich stark antiseborrhoisch (reversible Atrophie der Talgdrüsen) und ist das wirksamste Therapeutikum bei Acne vulgaris. Weitere Indikationen sind die Tumorprophylaxe (z. B. bei Xeroderma pigmentosum) und onkologische Therapien: Vitamin-A-Säure ist bei Promyelozytenleukämie spezifisch wirksam; Isotretinoin wird als Adjuvans bei verschiedenen Lymphomen eingesetzt, das neue Retinoid Bexaroten bei fortgeschrittenen kutanen T-Zell-Lymphomen.
70
2
Kapitel 2 · Grundlagen
Retinoide haben zahlreiche, meist milde Nebenwirkungen. Die schwerwiegendste ist ihre Embryotoxizität, die eine rigorose Kontrazeption erforderlich macht; wegen der Speicherung im Fettgewebe muss diese 2 Monate (Isotretinoin) bzw. 2 Jahre (Acitretin) nach Absetzen fortgesetzt werden. Wichtig sind ferner Erhöhungen von Transaminasen und Triglyzeriden sowie Verknöcherung der Knochenligamente (bei langer und hoher Verabreichung). 2.4.4 Behandlung chronischer Schmerzen Wichtige Indikationen sind: 4 Patienten in fortgeschrittenen Tumorstadien 4 Ulzera 4 Verbrennungen 4 Herpes zoster und Zosterneuralgie u. a. Die Schmerztherapie orientiert sich am so genannten Stufenplan der WHO zur Krebsschmerztherapie. Bei leichten Schmerzen werden hochdosierte NSAID eingesetzt (Stufe I); bei nicht ausreichender Wirkung zusätzlich schwache (Stufe II) bzw. starke Opiate (Stufe III). Bei allen Stufen werden zusätzlich Adjuvanzien gegeben (Antidepressiva,Antikonvulsiva,Neuroleptika,Glukokortikoide u. a. m.). Komplexere Situationen verlangen die Konsultation interdisziplinärer Schmerzeinrichtungen.
2.4.5 Operative Dermatologie Die Tradition operativer Tätigkeit (»Dermatochirurgie«) ist ebenso alt wie die Dermatologie selbst. In der Regel ist die Abgrenzung von Nachbarfächern (der Plastischen Chirurgie und der Gefäßchirurgie) konfliktfrei. Selbstverständliche Voraussetzung selbstständiger operativer Tätigkeit ist der Nachweis entsprechender Ausbildung (Operationskatalog). . Tab. 2.17 listet die häufigsten dermatologischen Operationen auf. Die meisten operativen Eingriffe werden in örtlicher Betäubung (mit mittellang wirksamen Lokalanästhetika mit Adrenalinzusatz) durchgeführt. Größere Eingriffe, z. B. die Sentinel-Lymphknoten-Exstirpation, größere Lappenplastiken, Spalthauttransplantationen oder das Ministripping werden in der so genannten »Tumeszenzlokalanästhesie« durchgeführt – Vorteil: Vermeidung der Allgemeinanästhesie, lang anhaltender analgetischer Effekt. Kryotherapie. Umschriebenes Einfrieren von Hautlä-
sionen mit flüssigem Stickstoff (-190°C). Dabei kommt es zur Gewebszerstörung von Epidermis und oberer Dermis; es bildet sich in der Junktionszone eine Kälteblase (Erfrierung 2. Grades), die die epidermale Läsion anhebt und deren Entfernung ermöglicht. Indikationen: Warzen, aktinische Keratosen, in milderer Weise auch bei seborrhoischen Warzen und Lentigines seni-
. Tab. 2.17. Die häufigsten dermatologischen Operationen Probeexzision
Meist Stanzbiopsie (3–4 mm Durchmesser) zur Diagnosestellung aus klinisch unklaren Läsionen
Exzisionen mit Primärverschluss
Kleinere Hauttumoren (Nävi, Dermatofibrome, Basaliome etc.)
Incision bzw. Exstirpation
Abszesse, Zysten, Lipome, Fisteln
Kürettage (Abtragung mit scharfem Löffel)
Verrucae vulgares, - seborrhoicae, Mollusca contagiosa
Elektrokaustik und Elektrokoagulation
Kleine Angiome, Spidernävi, Papillome, Kondylome, gestielte Pigmentnävi
Dermabrasio (Hautschleifung)
Einebnung von epidermalen Nävi, Narbenkorrektur, partielle Entfernung von Tätowierungen
Nagelextraktionen, Operation nach Nikoladoni
Unguis incarnatus
Lappenplastiken (Rotations-, Verschiebeund Transpositionslappen)
v. a. plastische Defektdeckung im Gesichtsbereich nach Exzision von Hauttumoren
Vollhauttransplantation
v. a. Defektdeckung im Gesichtsbereich, wenn Lappenplastik nicht möglich ist
Spalthauttransplantation
Deckung von Ulcera cruris und größerer Substanzdefekte nach Exzision von Hauttumoren
Sentinel-Lymphknoten-Operation
Erfassung von Mikrometastasierung bei malignen Tumoren (v. a. Melanomen, 7 Kap. 9)
Venenoperationen (Crossektomie, Venenstripping, Seitenastexhärese, Perforansligatur)
Entfernung von varikösen Venen, 7 Kap. 12
71 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
les. Vorsichtiges Anfrieren (»Wischen«) führt lediglich zur Zerstörung oberflächlicher entzündlicher Infiltrate. Indikation: unterstützende Behandlung bei chronischdiskoidem Lupus erythematodes, Rosazea. Lokale Immunmodulation. Die Applikation des Imida-
zochinolinderivats Imiquimod führt durch Bindung an Toll-like-Rezeptoren (7 und 8) zur lokalen Produktion von IFN-α und anderer proinflammatorischer Zytokine. Die resultierende Entzündung (oft sehr ausgeprägt!) führt in der Regel zur Rückbildung von Viruspapillomen, aktinischen Keratosen und oberflächlichen Basaliomen (Wochen). Die klassische »Ätzbehandlung« aktinischer Keratosen mit dem Zytostatikum 5-Fluorouracil führt gleichfalls über Entzündung (Behandlung stationär!) zur langfristigen Abheilung (Vorteil: Feldeffekt durch größerflächige Behandlung). Chemical peeling. Durch kontrollierte (verschieden tiefe) Anätzung mit Fruchtsäuren (α-Hydroxysäuren), Trichloressigsäure oder Phenol wird eine oberflächliche Nekrose der Epidermis gesetzt, nach deren Abstoßung und Reepithelisierung ein (passagerer) Verjüngungseffekt auftritt. Indikationen: Akne vulgaris (oberflächliches peeling – Entfernung der Komedonen), oberflächliche aktinische Keratosen, chronischer UVSchaden der Haut. Botulinum-Toxin A (BTA). Dies hemmt irreversibel die Ausschüttung von Acetylcholin in den synaptischen Spalt und führt damit zu einer langfristigen Blockade cholinerger Nerven (schlaffe Lähmung von Muskeln bzw. Anhidrose der cholinerg innervierten ekkrinen Schweißdrüsen). Die Behandlung erfolgt durch multifokale intrakutane bzw. i. m.-Injektion geringer Mengen von BTA (Dosen vom Handelspräparat abhängig). Die Wirkung hält zwischen 3 und 15 Monaten an; die Behandlung muss anschließend wiederholt werden. Indikationen: Axilläre oder palmoplantare Hyperhidrose, chronische Analfissur und mimische Gesichtsfalten (Glabella-, Frontal- und Periorbitalfalten). Mögliche Nebenwirkungen sind Schwächen benachbarter Muskel (Rückbildung innerhalb einiger Wochen). Kosmetische operative Dermatologie. Verschiedene
Techniken werden geübt: Haartransplantation, »face lifting«, Kollagen- und Hyaluronsäureimplantation, Liposuktion, Lipoplastik u. a. Wie für alle operativen Techniken ist für diese eine entsprechende Ausbildung Voraussetzung.
2
2.4.6 Photodynamische Therapie (PDT) Bei der PDT wird ein Zielgewebe mit einem Photosensibilisator lichtempfindlich gemacht und anschließend mit sichtbarem Licht belichtet. Der therapeutische Effekt beruht im Gegensatz zu anderen Formen der Lichttherapie (z. B. PUVA) auf sauerstoffabhängigen Prozessen. Die Photosensibilisatoren können systemisch oder topisch appliziert werden; in der Dermatologie hat sich als »Standard« die topische ALA- oder MAL-PDT durchgesetzt. Prinzip. 5-Aminolävulinsäure (5-ALA) oder ihr kom-
merziell erhältlicher Methylester MAL sind Vorstufen von Protoporphyrin IX (PP IX) in der Häm-Biosynthese. In neoplastischem Gewebe kommt es zu einer deutlich höheren Akkumulation von PP IX (der eigentlich photosensibilisierenden Substanz) als in gesundem. Bei Belichtung mit sichtbarem Licht entstehen reaktive Sauerstoffspezies (v. a. Singulett-Sauerstoff), die das erkrankte Gewebe selektiv zerstören (Apoptose, Nekrose). Das Licht muss sowohl von PP IX absorbiert werden als auch möglichst tief ins Gewebe eindringen, weshalb Lichtquellen im roten Bereich empfohlen werden. Technik. Der Photosensibilisator wird in Creme- oder Gelform okklusiv auf das Zielareal aufgetragen. Nach 4–6 h (ALA) oder 3 h (MAL) wird das Zielareal belichtet (LED-Array, Lampe oder Laser). Indikation. (Zugelassene) Indikationen der PDT sind oberflächliche epitheliale Hauttumore: 4 aktinische Keratosen (hier werden auch subklinische Läsionen erfasst – »field cancerisation«) 4 Rumpfhautbasaliome 4 und insbesondere Morbus Bowen
Experimentelle Indikationen sind u. a. Akne, Sarkoidose, zirkumskripte Sklerodermie, Lichen ruber, Viruspapillome, Mykosen. Die kosmetischen Ergebnisse der PDT sind sehr zufriedenstellend. Nachteile sind die fehlende histologische Kontrolle und manchmal brennende Schmerzen während der Bestrahlung. ! Die PDT eignet sich nicht zur Behandlung sklerodermiformer Basaliome (7 Kap. 9).
Fluoreszenzdiagnostik. PP IX zeigt unter Belichtung mit blauem Licht im Bereich der Soret-Bande (um 400 nm) eine rote Fluoreszenz. Dies kann diagnostisch genutzt werden: Bestimmung von Lokalisation und Begrenzung von Tumoren, oder zur Unterscheidung von Tumorrezidiven und Narbengewebe.
72
Kapitel 2 · Grundlagen
2.4.7 Lasertherapie
2
Lasergeräte (Laser: Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation) erzeugen energiereiches, gebündeltes, monochromatisches und kohärentes Licht; sie besitzen in der dermatologischen Therapie einen festen Stellenwert. Je nach den physikalischen Eckdaten (Wellenlänge, Interaktionszeit zwischen Licht und Gewebe, abgegebene Energie) haben diese Geräte unterschiedliche Auswirkungen auf das Zielgewebe (selektive Photothermolyse; semiselektive Wirkmechanismen; unspezifische Koagulation; Gewebsabtragung) und unterscheiden sich somit auch in ihrer Indikation (. Tab. 2.18). Typische Indikationen für Laseranwendungen in der Dermatologie
Hier kommt in erster Linie der Blitzlampen-gepumpte Farbstofflaser zum Einsatz (selektive Photothermolyse). Dickere vaskuläre Läsionen können in Einzelfällen zwecks Massenreduktion z. B. mit einem cw-Nd:YAGLaser (cw: continuous wave – Dauerstrahl) koaguliert werden. Pigmentierte Läsionen. Lentigines seniles/solares,
Ota- und Ito-Nävus, Café-au-Lait-Flecken mit qs-Lasern (qs: quality switched) mit Pulszeiten im Nanoskundenbereich (Rubin, Alexandrit, Nd:YAG). C A V E
Aufgrund der unvollständigen Entfernung und der fehlenden histologischen Kontrolle sind melanozytäre Nävuszellnävi keine Indikation zur Entfernung mittels Laser.
Vaskuläre Läsionen:
4 4 4 4 4 4 4 4
Naevi flammei infantile kapilläre Hämangiome bei Säuglingen Teleangiektasien Spider-Nävi senile Angiome Besenreiservarizen (eingeschränkt!) Erythrosis interfollicularis colli Rotkomponente bei hypertrophen Narben und Keloiden
. Tab. 2.18. Wellenlänge und Zielchromophore der in der Dermatologie am häufigsten verwendeten Lasertypen Laser
Wellenlänge
Zielchromophor
CO2-Laser
10 600 nm
Wasser
Er:YAG-Laser
2940 nm
Wasser
Nd:YAG-Laser
1064 nm
Wasser, Hämoglobin, Pigmente
Diodenlaser
ca. 800–1000 nm
Wasser, Hämoglobin, Pigmente
Alexandritlaser
755 nm
Hämoglobin, Pigmente
Rubinlaser
694 nm
Pigmente
Blitzlampengepumpter Farbstofflaser
585–600 nm
Hämoglobin
KTP Laser (frequenzverdoppelter Nd:YAG-Laser)
532 nm
Hämoglobin, Pigmente
Argonlaser
488/514 nm
Hämoglobin, Pigmente
Excimer Laser (XeCl Laser)
308 nm
DNA, Proteine
Tätowierungen. Wegen der Vielfalt der verwendeten Pigmente (derzeit keine gesetzliche Deklarationspflicht!), sprechen Tätowierungen auf eine Lasertherapie sehr unterschiedlich an. Zahlreiche Farbstoffe können mit den derzeit verwendeten (qs-Alexandrit-, Rubin oder Nd:YAG) Lasern nur unvollständig oder nicht entfernt werden; sogar Farbumschläge (etwa von Rot nach Schwarz) sind möglich. Benigne Tumoren. Zahlreiche gutartige Hautläsionen wie Syringome, Xanthelasmen, Trichoepitheliome, Zysten, hyperplastische Talgdrüsen, seborrhoische Warzen oder das Rhinophym können je nach Konstellation abgetragen (CO2- oder Er:Yag-Laser) oder koaguliert werden (Argon-, KTP-Laser). Maligne Tumoren. Diese sind in der Dermatologie – im Gegensatz zu anderen Fachdisziplinen – nur ausnahmsweise eine Indikation für Lasertherapien (die Haut ist für chirurgische Methoden gut zugänglich, das exzidierte Tumorgewebe kann histologisch beurteilt werden). Mögliche Indikationen sind: 4 Ablation von aktinischen Keratosen 4 Ablation von Morbus Bowen 4 Ablation der aktinischen Cheilitis (CO2-Laser) 4 semiselektive Koagulation des Kaposi-Sarkoms (Argonlaser). Virale Infektionen. Hier sind Laser meist nicht Mittel erster Wahl, aber manchmal eine Alternative: Behandlung von Viruspapillomen (CO2-Laser) und Mollusca contagiosa (Farbstofflaser). Entzündliche Dermatosen. Bei vielen entzündlichen Hautkrankheiten wurden Laser mit wechselndem Er-
73 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
folg teils zur Ablation (CO2-Laser) oder zur Beeinflussung der Blutversorung (Farbstofflaser) eingesetzt. Beispiele sind Morbus Hailey-Hailey, Lichen sclerosus, kutaner Lupus erythematodes oder angiolymphoide Hyperplasie. Eine neuere Entwicklung ist der Excimer Laser (308 nm) als Alternative zur 311 nm UVB-Therapie bei Psoriasis. Haarentfernung (Epilation): Zielchromophor ist dabei
das Melanin des Haares (blonde und weiße Haare entziehen sich somit dieser Behandlung), durch dessen Erhitzung für den Wiederwuchs essenzielle Strukturen der Haarpapille und der Bulge-Region geschädigt werden. Das Ansprechen ist – im Gegensatz zu den medialen Versprechungen – individuell, je nach Körperregion sehr unterschiedlich und in den meisten Fällen weder vollständig noch permanent. »Hautverjüngung«: Die kosmetische Anwendung von Lasern zur Bekämpfung der Hautalterung (Hautfalten, Pigmentanomalien, Gefäßerweiterungen) erfolgte ursprünglich mit ablativen Verfahren (Skin-Resurfacing mittels CO2- oder Er:YAG-Laser), letztens wurden auch (weniger effiziente, aber auch weniger aggressiv) nichtablative Verfahren entwickelt. ! Für jede Indikation muss der jeweils geeignete Laser gewählt werden. Es gibt keinen Laser, der alles kann.
2
Grundsätzlich stehen zur UV-Therapie Lichtquellen aus UV-B, UV-A (7 Kap. 3) und solche mit einer Mischung aus beiden Bereichen zur Verfügung. UV-BLicht wird ohne vorherige Photosensibilisierung eingesetzt (Phototherapie), das längerwellige und weniger aggressive UVA-Licht vorwiegend nach vorheriger Sensibilisierung mit einem Photosensibilisator (7 Kap. 2.4.8) (Photochemotherapie). Bei den meisten Formen der UV-Therapie wird der Patient mehrmals pro Woche meist für 4–8 Wochen behandelt – gute Compliance ist daher Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. UV-B-Phototherapie. Die ursprünglich verwendeten
Quecksilberdampflampen emittierten kurzwelliges UV-B, das mehr erythematogen als therapeutisch wirkte. Moderne UV-B-Lichtquellen besitzen ein günstigeres Spektrum (300–320 nm; »selektive UV-Phototherapie«), das z. B. bei milder Psoriasis gut wirksam ist. Weitere Verbesserungen sind Lichtquellen mit Strahlungsmaximum in der »Psoriasis-spezifischen« Wellenlänge (311 nm) und solche mit einem ins UV-A erweiterten Spektrum (UV-AB-Therapie). Initialdosis ist bei den meisten Indikationen die MED (s. oben). Während der Behandlung soll eine milde Erythemreaktion aufrechterhalten bleiben, die Dosis wird dementsprechend adjustiert (Steigerung oder, bei deutlichem Erythem, Reduktion; nötigenfalls Therapiepause). UV-A-Photochemotherapie (PUVA). Ziel der Therapie
Hochenergetische Blitzlampen (IPLs – intense pulsed light sources). Dies sind Lichtquellen, die zwar kein
monochromatisches, kohärentes Licht erzeugen, aber durch ihre Intensität, Wellenlängen-Beschneidung (optische Filter) und Pulsdauer dem Laser vergleichbare Effekte erzielen können. 2.4.8 Phototherapie, Photochemotherapie Phototherapie (d. h. die therapeutische Applikation von UV-Licht) ist eine traditionsreiche dermatologische Behandlungsform, die auch heute noch in vielen Indikationen von Bedeutung ist. Wesentliche Effekte der (noch nicht in jedem Detail verstandenen) Wirkung sind Immunsuppression durch selektive Elimination von Immunzellen und Bremsung überschießender Proliferation, jeweils durch Induktion von Apoptose. Die Hauptindikationen der Photo(chemo)therapie sind Psoriasis und Mycosis fungoides, weiters das atopische und andere chronische Ekzeme, nephrogener Pruritus, Morphea, Vitiligo und verschiedene Lichtdermatosen (»hardening« – 7 Kap. 2.4.8) u. a. m.
ist eine milde phototoxische Reaktion. Die Haut wird vor Bestrahlung mit UV-A-Licht durch Psoralene (7 Kap. 2.4.8) photosensibilisiert. Diese werden entweder oral verabreicht (8- oder 5-Methoxypsoralen) oder in Form einer Lösung/eines Bades oder einer Creme auf die Haut appliziert. Die »Bade-PUVA-Therapie« (Balneophotochemotherapie) ist zwar aufwendig, therapeutisch aber gut wirksam und verursacht keine systemische Photosensibilisierung (z. B. keine Gefahr einer aktinischen Katarakt!). Bei ihr ist die kutane Photosensibilisierung stärker als bei oraler PUVA, aber nur kurzdauernd (daher sind geringere UV-A-Dosen erforderlich). Vor Beginn einer Therapieserie wird die minimale phototoxische Dosis (MPD) bestimmt, die als initiale UV-A-Dosis eingesetzt wird. Die Dosis wird dann kontinuierlich gesteigert, um den Filtereffekt der gleichzeitig einsetzenden Bräunung wettzumachen. UV-A-Phototherapie. Langwelliges UV-A (UV-A1;
340–400 nm), wird in manchen Zentren auch ohne Photosensibilisator mit gutem Erfolg bei Neurodermitis eingesetzt.
74
2
Kapitel 2 · Grundlagen
! »Reines« UV-A-Licht (d. h. ohne bzw. fast ohne UV-B) wird in so genannten »Bräunungsstudios« kommerziell angewendet. Entgegen Laienmeinung ist UV-A jedoch auch alleine schädlich, d. h. es ist kanzerogen, und treibt die Hautalterung voran.
Nebenwirkungen und Risiken der Photo(chemo)therapie. Die wichtigste akute Nebenwirkung ist die Über-
dosierung: starke, manchmal blasige Erytheme – daher Bestimmung der MED bzw. MPD vor Therapiebeginn! Besonders aufgeklärt werden müssen Patienten vor oraler PUVA-Therapie: da noch Stunden nach Einnahme des Psoralens eine systemische Photosensibilität besteht, sind am Behandlungstag Sonnenexpositionen zu unterlassen und UV-A-undurchlässige Sonnenbrillen zu tragen (UVA penetriert Fenster- bzw. Windschschutzscheiben!). Die orale Einnahme von Psoralenen (v. a. 8-MOP) führt zu Beginn häufig zu Übelkeit. Chronische Nebenwirkungen umfassen die Lichtalterung (7 Kap. 3.1.5), die bei der PUVA-Therapie besonders markant sein kann – z. B. große, bizarr konfigurierte »PUVA«-Lentigines, weiters die potenzielle Photokarzinogenität. Jede Form der Phototherapie soll daher nur für begrenzte Zeit gegeben werden und nach Möglichkeit auf erkrankte Hautpartien beschränkt bleiben (Abdecken unbefallener Körperstellen, von Genitale und Gesicht). Nach intensiverer UV-Therapie ist eine langfristige Kontrolle auf Entwicklung von kutanen Neoplasien erforderlich. Das karzinogene Risiko korreliert mit der verabreichten kumulativen UVDosis, dem Hauttyp, der Vorbelastung durch natürliche Sonnenexposition sowie allfälliger Immunsuppression (Transplantationspatienten, (Vor)Behandlung mit Methotrexat, Cyclosporin A u. ä.). Latenzzeit von Jahren bis Jahrzehnten. ! PUVA-Therapie führt zwar häufiger zu Nebenwirkungen als die UV-B-Phototherapie, ist aber in vielen Fällen effektiver und stellt nach wie vor eine wichtige Therapiemodalität dar.
2.4.9 Spezifische Immuntherapie
(»Hyposensibilisierung«) Die Spezifische Immuntherapie bei Typ-I-Allergien ist eine empirische Behandlungsmethode, die auf der wiederholten Applikation relevanter Allergene in langsam steigender Dosierung beruht. Sie bewirkt Besserung bis Verschwinden der durch das Allergen ansonsten hervorgerufenen Beschwerden. Die zur Aufrechterhaltung dieses Effekts erforderliche Erhaltungsdosis wird über Jahre weiter verabreicht
3Die Behandlung von Allergien fußt auf 3 Prinzipien: der Allergenkarenz, der symptomatischen Behandlung und der Hyposensibilisierung. Diese Strategien werden ergänzend angewandt. Beispiel: Bei der Hausstaubmilbenallergie sind Maßnahmen zur Reduktion der Milben-Allergenlast wichtig: Vermeidung von »Staubfängern«, Teppichböden, Verwendung milbendichter Überzüge für Matratzen und Bettzeug. Weniger wirkungsvoll sind akarizide Sprays und alleinige Verwendung (selbst der besten) Staubsauger. Da Allergenkarenz nicht immer durchführbar ist, ist die Hyposensibilisierung häufig indiziert.
Indikation. Eine Hyposensibilisierungstherapie ist indiziert, wenn erhebliche Beschwerden bestehen, diese durch Expositionsprophylaxe und symptomatische Therapie alleine nicht/unzureichend beherrscht werden können und/oder Folgekrankheiten wie Asthma drohen. Folgende Krankheiten sind für sie geeignet: Allergische Rhin(okonjunktiv)itis und mildes allergisches Asthma durch saisonale (Pollen) und perenniale Auslöser (Hausstaubmilbe, Schimmelpilze, Katze, evtl. auch andere Tiere bei nicht vermeidbarer beruflicher Exposition: Landwirte, Tierärzte), sowie Insektengiftallergien. Die Wirksamkeit lege artis durchgeführter Spezifischer Immuntherapie ist sehr gut belegt für: 4 Rhinokonjunktivitis (Abnahme der Beschwerden) 4 leichte Asthmaformen (Ausheilung) 4 Prävention von Asthma 4 Prävention weiterer Sensibilisierungen 4 Insektengiftallergie
Der tatsächliche Erfolg hängt von vielen Faktoren ab: 4 Art des Allergens (Insektengift > Pollen > Hausstaubmilbe > Tierhaare > Schimmelpilze) 4 Qualität der Allergenextrakte 4 kumulativ verabreichte Allergendosis 4 Bestandsdauer der Beschwerden 4 Sensibilisierungsbreite (schlechter bei Polysensibilisierung) Auch hier erlangen rekombinante Allergene zunehmende Bedeutung: ist ein Patient ausschließlich auf die Hauptallergene sensibilisiert, die im Extrakt prominent vertreten sind, sind die Erfolgsaussichten der Immuntherapie möglicherweise höher. Wirkmechanismus. Folgende Hypothesen werden er-
wogen: Induktion von Anti-IgE-Antikörpern, Shift des Helfer-T-Zellrepertoires von TH-2 zu TH-1, Abregulierung des CD23 (niedrig affiner IgE-Rezeptor), Induktion antiidiopathischer Antikörper, Abnahme der »Releasibility« der Zielzellen.
75 2.4 · Therapie der Hautkrankheiten
Impfstoffe. Die Spezifische Immuntherapie erfolgt mit
standardisierten Allergenextrakten. Verwendet werden v. a. Semidepotpräparate, aus denen das an Aluminiumhydroxid gebundene Allergen langsam und gleichmäßig freigesetzt wird. Wässrige Allergenextrakte werden im Rahmen der »Schnellhyposensibilisierung« verwendet. »Allergoid«-Impfstoffe sind mit Form- bzw. Glutaraldehyd behandelte Allergenextrakte (Modifikation der Allergenstruktur soll Allergenität und damit Nebenwirkungen reduzieren, die Immunogenität aber belassen – derzeit noch nicht unumstritten). Durchführung. Bei parenteraler Hyposensibilisierung werden die Injektionen streng subkutan ca. eine Handbreit oberhalb des Ellenbogens verabreicht. Die Impfextrakte werden in verschiedener Stärke, in farblich gekennzeichneten und mit Ziffern versehenen Fläschchen geliefert. Man steigert in wöchentlichen Intervallen bis zur individuellen Höchstdosis, die dann in Monatsabständen weiter verabreicht wird. Bei der Steigerung muss jede Dosis entsprechend evtl. Nebenwirkungen der vorangehenden angepasst werden. Individuell kann eine Antihistaminika-Prämedikation sinnvoll sein. ! Die Richtlinien der Hersteller bezüglich Dosissteigerung und Impfintervallen sind lediglich Empfehlungen. Es sind die Impfschemata an den Patienten anzupassen, nicht umgekehrt.
Dauer. Im Durchschnitt 3 Jahre (Ausnahmen: Wespengift 3–5 Jahre, Bienengift derzeit unlimitiert). Die Beur-
2
teilung des Erfolgs (und die Indikation zur Beendigung) erfolgt aufgrund der Beschwerdeangaben des Patienten, Medikamentenverbrauch während der vergangenen Pollenflugsaison; bei Insektengiftallergien die Reaktion bei evtl. »Feld«stichen, Abnahme der Reaktion in der Hauttesttitration und Abnahme der spezifischen IgE. Nebenwirkungen. Milde lokale Nebenwirkungen (Rötung, Quaddeln, Schwellung) treten v. a. in der Steigerungsphase sehr häufig auf. Ausgedehnte Lokalreaktionen (Quaddel >5 cm Durchmesser, starke Schwellung) werden mit oralen Antihistaminika behandelt und die nachfolgende Impfdosis reduziert. Systemreaktionen sind bei korrekter Durchführung sehr selten und bedürfen selbstverständlich augenblicklicher Therapie (. Tab. 2.19). C A V E
Mehr als 90% aller schweren Nebenwirkungen treten innerhalb von 30 min nach Allergeninjektion auf. Der Patient muss daher darauf hingewiesen werden, dass er nach jeder (!) Injektion mindestens 30 min im Ambulanzbereich/Praxis verbleiben muss (schriftliche Bestätigung!).
Die Analyse schwerer Zwischenfälle bzw. Todesfälle erbrachte fast stets gravierende (und bei sorgfältiger Vorgangsweise vermeidbare) Mängel der Durchführung: versehentliche intravasale Injektion, Verwechslung der Impfdosis, Impfung bei Infekten oder Verschlechterung der Grundkrankheit (z. B. bei Asthmaattacken), unter Einnahme von Medikamenten (Betablocker, ACEHemmer), Nichteinhalten der Wartezeit.
. Tab. 2.19. Therapeutische Maßnahmen bei allergologischen Zwischenfällen (Soforttyp-Reaktionen) Ausgedehnte Lokalreaktion (Quaddel <5 cm Durchmesser)
4 Antihistaminikum p. o.: z. B. Levocetirizin (Xyzall), Desoxyloratadin (Aerius) 4 Eisbeutel, lokal Steroidcreme 4 Genaue Beobachtung des Patienten
Beginnende Systemreaktion (Juckreiz, Rötung, Urtikaria, Quinckeödem, Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale. Warnzeichen schwerer Systemreaktion: Juckreiz palmoplantar, RR-Abfall, Benommenheit)
4 4 4 4
Schwere Systemreaktion (wie oben, mit starkem RR-Abfall, starker Dyspnoe, Stuhl- und Harnabgang, Bewusstseinstrübung)
4 Adrenalin 0,1–1 mg langsam und fraktioniert i. v. oder i. m. (lateraler Oberschenkel): z. B. L-Adrenalin Leopold 0,01% 1–10 ml) 4 Volumensubstitution erhöhen (Hydroxyäthylstärke bis 30 ml/kg KG, rasch i. v.) 4 Kortikosteroide erhöhen (z. B. Prednisolon 1000 mg rasch i. v.) 4 Bei Herzkreislaufstillstand Reanimation bis Intubation möglich, Einweisung Intensivstation
Lagerung (seitwärts, Beine hoch, Kopf tief ) Venöser Zugang (≥18 G, grün, grau, braun) RR-Überwachung Antihistaminikum langsam i. v.: z. B. Diphenhydramin (Dibondrin 1–2 A) oder Dimetindenmaleat (Fenistil 1–2 A) 4 Volumensubstitution: z. B. Ringer-Laktat 500–1000 ml oder Hydroxyäthylstärke (Elohäst 500–1000 ml) rasch i. v. 4 Kortikosteroide: z. B. Prednisolon (Solu-Decortin 250 mg) rasch i. v. 4 Bei Bronchospasmus zusätzlich Adrenalininhalation (PrimateneMist 1–2 Hübe, auch bei Zungenschwellung!) oder β-Mimetika (z. B. Berotec DA 1–2 Hübe, Sultanol DA 1–2 Hübe) oder Theophyllin (Euphyllin 240 mg sehr langsam i. v.)
76
2
Kapitel 2 · Grundlagen
3Eine retrospektive Analyse der letzten 20 Jahre in den USA ergab 6 Todesfälle auf 10 Mio. Allergietests und Hyposensibilisierungen (was die Sicherheit der Methode bei richtiger Handhabung dokumentiert).
Bei Insektengift- und schweren Typ-I-Nahrungsmittelallergien obligat, sonst im Einzelfall, werden dem Patienten Medikamente (so genannter »Notfallset«) ausgehändigt, die er bei sich führen und im Ernstfall anwenden soll, bis weitere ärztliche Therapie verfügbar ist: 4 schnell wirksame Antihistaminika (meist in Tropfenform) 4 ein orales Kortisonpräparat 4 ein adrenalinhaltiges Dosieraerosol Die Verschreibung eines adrenalinhaltigen Autoinjektors zur Selbstbehandlung soll im Einzelfall abgewogen werden. Die Anwendung des Notfallsets ersetzt nicht das unverzügliche Aufsuchen eines Arztes! Kontraindikationen: Gravidität (vor Beginn der Spezifischen Immuntherapie), Herzkreislaufkrankheiten, Einnahme von Betablockern, Autoimmunkrankheiten, Malignome, Epilepsie, unkontrolliertes Asthma. Sonderformen der spezifischen Immuntherapie. Bei der »Rush-Hyposensibilisierung« werden stationär (!)
täglich 4–5 Injektionen mit rascher Dosissteigerung verabreicht; die Höchstdosis wird in 3–4 Tagen erreicht, anschließend ambulante Erhaltungstherapie wie beschrieben. Diese Therapie hat zwar eine höhere Rate an lokalen Nebenwirkungen, baut jedoch bei Insektengiftallergikern rasch einen Schutz auf. Bei der »Ultrarush-Hyposensibilisierung« wird die Höchstdosis in wenigen Stunden erreicht. Sie muss unter intensivmedizinischer Beobachtung durchgeführt werden. Bei der »Cluster-Immuntherapie« wird die Höchstdosis in 2 mehrstündigen Behandlungen im Abstand von einer Woche erzielt. Bei der sublingualen Immuntherapie kann der Patient das Inhalationsallergen in Tropfenform selbst zuhause applizieren. Hauptvorteil ist die hervorragende Sicherheit, die Wirksamkeit ist derzeit noch nicht hinreichend nachgewiesen und im Vergleich zur subkutanen Form vermutlich geringer. 3Die Identifikation und molekulare Charakterisierung zahlreicher Hauptallergene von Pollen, Tierhaaren, Nahrungsmitteln etc. eröffnet der spezifischen Immuntherapie den Weg zu völlig neuen Technologien, die nicht nur eine bessere Wirksamkeit, sondern auch die Ausschaltung potenzieller Nebenwirkungen zum Ziel haben. In klinischer Erprobung sind u. a.: nicht-anaphylaktogene Epitope aus den IgE-Bindungsregionen von Allergenen, nicht-anaphylaktogene Allergenisomere (z. B. Bet v 1d, ein Isomer des Hauptallergens der Birke), Allergenfragmente und -polymere, »Impfung« mit Allergen-DNA.
3 3 Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen 3.1
Physikalische und chemische Schäden der Haut – 78
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8 3.1.9
Mechanische Hautschäden – 78 Thermische Hautschäden – 79 Abnorme Reaktionen auf Temperaturreize – 82 Hautschäden durch Elektrizität – 83 Hautschäden durch Ultraviolett-Strahlung – 84 Hautschäden durch ionisierende Strahlen – 89 Lichtdermatosen (Photodermatosen) – 89 Verätzungen – 93 Gewebeschädigung durch parenterale Verabreichung von Medikamenten – 94
3.2
Intoleranzreaktionen der Haut – 95
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8 3.2.9 3.2.10
Ekzemgruppe – 95 Erythema-multiforme-Gruppe – 110 »Toxische« Exantheme – 114 Urtikaria, Angioödem und Anaphylaxie – 115 Insektengiftallergie – 123 Erythema nodosum – 124 Intoleranzreaktionen auf Nahrungsmittel – 124 Intoleranzreaktionen gegen Medikamente – 128 Weitere Intoleranzreaktionen – 134 Berufsdermatosen – 134
78
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
3.1
Physikalische und chemische Schäden der Haut
3.1.1 Mechanische Hautschäden
3
Mechanische Hautschäden können mit oder ohne Gewebeverlust (Substanzdefekte) ablaufen. Akute mechanische Hautschäden mit Gewebeverlust Man unterscheidet: 4 oberflächliche Substanzdefekte (Exkoriationen – Abschürfungen). Der Defekt reicht nicht tiefer als in das Str. papillare der Dermis und heilt narbenlos ab. Exkoriationen sind ein alltägliches Problem der Dermatologie. 4 tiefe Substanzdefekte (Vulnus – Wunde). Der Defekt reicht bis in das Str. reticulare der Dermis oder tiefer. Wunden heilen mit Narben ab – sie beschäftigen vornehmlich Chirurgen.
Dekubitus (Druckgeschwür). Diese schwerwiegende
mechanische Schädigung der Haut beruht auf Anämisierung und Nekrose an Aufliegestellen bei immobilen Personen (7 Kap. 11.2). Ein Dekubitus beginnt zwar als akutes Ereignis, seine Folgen sind jedoch langwierig; obwohl im Prinzip verhinderbar, ist er eine häufige Todesursache bei multimorbiden Patienten. Akute mechanische Hautschäden ohne Gewebeverlust Diese entstehen durch stumpfe Traumen. Durch Blutaustritt kommt es zur traumatischen Purpura (Einblutung im Bereich des Traumas), zu Hämatomen oder Suffusionen (größere voluminöse oder flächige Einblutungen). Die verminderte Reißfestigkeit des Kollagens im Alter bzw. bei längerer Behandlung mit Kortikosteroiden sind die Ursache der senilen bzw. Steroid-Purpura, die häufig nach Bagatelltraumen an Handrücken und Unterarmen entstehen. Weitere mechanische Hautschäden sind umschriebenes Ödem, oberflächliche Thrombophlebitis und traumatische Pannikulitis.
Kratzeffekte. Diese punkt- oder strichförmigen, selbst
zugefügten Exkoriationen sind »Artefakte«. Sie werden als Antwort auf Juckreiz gesetzt und können auf unveränderter wie auf erkrankter Haut auftreten. Sie begleiten zahlreiche Dermatosen und gestalten deren klinisches Bild mit. Sie können blutig oder auch eitrig verkrusten und, bei andauerndem Kratzen, sich in Prurigoknoten (7 Kap. 3.2.1) oder Ulzera umwandeln, die dann narbig abheilen. 3Unter Artefakten versteht man in der Dermatologie »künstliche« (d. h. durch äußerliche Einflüsse ausgelöste), häufig selbst zugefügte Hautläsionen. Meist handelt es sich um mechanische Schäden, manchmal auch um Verätzungen etc. Die Motive bei Selbstverschulden sind sehr unterschiedlich: sie reichen von überschießender Antwort auf Juckreiz über spielerisch-neurotische Selbstbearbeitung bis zu schweren psychischen Störungen und Täuschung.
Mechanisch bedingte Blasen. Dieses sehr häufige Phänomen entsteht durch Reiben, Druck oder Zug an der Haut (Spannungs-, Friktions-, Druckblasen). Häufige Ursachen sind unpassendes Schuhwerk (typische Lokalisation: Ferse), tangenzialer Zug durch Pflaster oder Klebeverbände etc. Mechanismus: Lockerung der Adhärenz zwischen Epidermis und Basallamina (junktionale Spaltbildung). Geplatzte Druckblasen sind oft Eintrittspforten von Infektionen (z. B. Erysipel) – daher sollte die Blaseneröffnung nur bei Schmerzhaftigkeit erfolgen, ansonsten konservatives Vorgehen. Druckblasen entstehen ferner häufig bei Krankheiten mit beeinträchtigter Hautfestigkeit (z. B. Epidermolysis bullosa hereditaria).
3Eine ungefährliche Manifestation traumatischer Purpura sind die so genannten Knutschflecken.
Chronische mechanische Hautschäden Beständiger Druck führt zu reaktiver Hypertrophie der Epidermis – es entstehen Schwielen (Tylosis), insbesondere über Knochenvorsprüngen (Fingerknöchel, Fußsohlen, Knie). Clavus (»Hühnerauge«) Definition/Pathogenese. Diese im Alter häufige,
schmerzhafte Komplikation von Tylosen entsteht durch chronischen Druck von außen (Schuhwerk!) über dem Widerlager von Knochenvorsprüngen – in der Regel bei Fehlstellungen des Fußskeletts (Hallux valgus, Hammerzehen, diabetischer Fuß). Clavi sind daher fast ausschließlich an den Füßen lokalisiert und bei Frauen häufiger (Tragen von Stöckelschuhen). Symptomatik. Klinisch handelt es sich um runde,
glatte, hornige Knoten oder Platten, von denen zentral ein Hornstachel in die Tiefe zieht – die Ursache von Schmerzen und Entzündung. Prädilektionsstellen: 4 dorsal über den Interphalangealgelenken 4 plantar (medialer/lateraler Vorfußballen oder zentral – beim diabetischen Fuß) 4 seltener interdigital (wird häufig mit Interdigitalmykose verwechselt) Differenzialdiagnose. Verruca plantaris, verruköses Karzinom, amelanotisches Melanom, Clavi syphilitici.
79 3.1 · Physikalische und chemische Schäden der Haut
Komplikationen. Verletzung und Infektion bei un-
sachgemäßer Manipulation. Therapie. Wesentlich ist die Druckentlastung – Meiden ungeeigneten Schuhwerks, Schaumstoffringe, konservative oder chirurgische orthopädische Versorgung. Unterstützend: keratolytische (Harnstoff- oder Salicylsäure-haltige) Salben oder Pflaster, vorsichtiges (!) Einebnen mit dem Hauthobel. C A V E
Maßnahmen, die nur auf die Elimination des Clavus abzielen, ohne die Fehlbelastung auszugleichen, führen schnell zum Rezidiv.
Weitere Läsionen durch chronisches mechanisches Trauma Eine dem Clavus verwandte Läsion ist die Chondrodermatitis helicis nodularis – durch Aufliegen im Schlaf entstandene, sehr schmerzhafte entzündliche Knötchen des Ohrrandes. Histologie: Hyperkeratose und Entzündung des Ohrknorpels; Therapie: Druckentlastung (Schaumstoffringe), Exzision. Chronischer Druck am Nagelorgan führt zur Onychodystrophie (Matrixschädigung), am Capillitium zur mechanischen Alopezie, im Fettgewebe zur Druckatrophie – z. B. Eindellungen an den Schultern durch die Träger von Büstenhaltern. Chronisches Reibetrauma löst eine trockenschuppige Ekzemreaktion aus, z. B. bei manuellen Arbeiten die »Pulpitis« der Fingerkuppen (Neigung zu schmerzhaften Rhagaden!), bei habituellem Bürsten der Haut (zur Förderung der »guten Durchblutung«) Ekzeme des Rumpfs, bei Übergewicht tylotisch-rhagadiforme Ekzeme der Fußsohlen. Abnorme Reaktionen der Haut auf mechanisches Trauma Bei manchen Hautkrankheiten (z. B. Psoriasis) kann mechanisches Trauma zur Entstehung krankheitsspezifischer Läsionen an ebendieser Stelle führen (KöbnerPhänomen, 7 Kap. 5.1). Prinzipiell analog ist das Nikolski-Zeichen bei Pemphigus vulgaris, das Darier-Zeichen bei der kutanen Mastozytose (7 Kap. 9.1.4) und das Pathergie-Phänomen bei Pyoderma gangraenosum und anderen Krankheiten (7 Kap. 5.4). 3.1.2 Thermische Hautschäden Definition. Thermische Schäden entstehen, wenn die
Haut Temperaturen exponiert wird, die stark von ihrer Normaltemperatur (30–37°C) abweichen. Akute Hitze-
3
bzw. Kälteschäden (Verbrennung, Erfrierung) entstehen durch direkte Gewebsschädigung, erstere bei Temperaturen >44°C, letztere bei Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts des Gewebes (–2 bis –10°C). Chronische Wärme- bzw. Kälteschäden entstehen durch langdauernde oder wiederholte Einwirkung von Temperaturen außerhalb eines Temperaturbereichs von ca. 15–40°C. Davon abzugrenzen sind abnorme Reaktionen der Haut gegenüber Wärme- oder Kältereizen. 3Thermische Hautschäden sind häufig. Schwere Verbrennungen und Erfrierungen sind lebensbedrohlich; sie werden intensivmedizinisch bzw. durch die Plastische Chirurgie betreut, mildere Formen und alle chronischen Schäden durch die Dermatologie.
Akuter Hitzeschaden – Verbrennung (Combustio), Verbrühung Pathogenese. Hitze führt zur Inaktivierung und Koagulation zellulärer Proteine. Bei maximaler Ausprägung bedeutet dies die Koagulationsnekrose, bei submaximaler die Entgleisung des lokalen Stoffwechsels mit Anhäufung saurer toxischer Produkte, Proteasen, Freisetzung von Entzündungsmediatoren (Kinine, Histamin, Eikosanoide, PAF, Substanz P, etc.) mit oft exzessiver Ödembildung durch Permeabilitätssteigerung der Gefäße. Der Einstrom von Flüssigkeit in das geschädigte Gewebe ist in den ersten 6–8 h am höchsten, hält aber ca. 24 h an. Bei schwereren Verbrennungen sind Entzündungsmediatoren auch in der Zirkulation nachweisbar (IL-1, IL-2, IL-8, TNFa). Schweregrad und Tiefe einer Verbrennung sind Funktion des Produkts von Temperatur und Einwirkungsdauer. 3Dies erklärt, warum man zwar unbeschadet den Finger durch die Kerzenflamme ziehen kann, aber ein lang belassenes Heizkissen bei Bewusstlosen manchmal tiefe Nekrosen bewirkt. Aus demselben Grund ist der Schaden bei Verbrühungen durch Flüssigkeiten mit hohem Wärmespeichervermögen (visköse Flüssigkeiten) schwerer als durch Wasser, und ist ein Teil des gesetzten Schadens durch sofortige Abkühlung mit kaltem Wasser verhinderbar.
Ausdehnung der Verbrennung. Diese wird nach der
»Neunerregel« nach Wallace berechnet: 4 Kopf und Arme entsprechen je 9% der Körperoberfläche 4 die Beine je 18% 4 der Rumpf 36% 4 das verbleibende Prozent entfällt auf das Genitale C A V E
Für Kinder muss wegen der physiologisch unterschiedlichen Proportionen ein Korrekturfaktor eingeführt werden.
80
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Eine zwischen Grad II und III liegende Verbrennung wird als »oberflächlich III.« oder »tief II.« (»deep partial thickness«) bezeichnet: Blasen mit oberflächlich nekrotischem (weißem) Blasengrund.
Differenzialdiagnose. Toxische epidermale Nekrolyse
3
und »staphylococcal scalded skin syndrome« (»Syndrom der verbrühten Haut«). Komplikationen. Verbrennungskrankheit. Diese pa-
. Abb. 3.1. Verbrennung I–III. Grades durch Verbrühung. Diese 2 Tage alte Läsion zeigt alle Grade der Verbrennung: Erythem (weitgehend zurückgebildet), Blasen, Erosionen, oberflächliche und tiefere Nekrosen. Die artefizielle Verteilung kommt durch das Anliegen von (mit heißer Flüssigkeit getränkten) Kleidungsstücken zustande. Beachte Abrinnspuren (Gesäß)
Symptomatik. Schweregrade der Verbrennung. Der
bei Verbrennungen gesetzte Schaden ist durch Grad, Ausdehnung, Tiefe und Vorhandensein von Allgemeinsymptomen (Verbrennungskrankheit) charakterisiert. Man unterscheidet 3 Schweregrade (. Abb. 3.1): 4 Grad I: Erythem. Heilt mit Restitutio ad integrum ab. 4 Grad II: Erythem und Blasen. Letztere entstehen durch vakuolisierende Degeneration der Epidermis und durch deren Ablösung in der dermoepidermalen Junktionszone. Bei Verbrühungen oft Abrinnspuren! Oft starke Ödeme durch Permeabilitätssteigerung der Gefäße (auch abseits der Verbrennung – toxische Metaboliten, Entzündungsmediatoren)! Die Verbrennung II. Grades ist sehr schmerzhaft; sie heilt ebenfalls narbenlos ab. 4 Grad III: Koagulationsnekrosen von Epidermis und – verschieden tief – Dermis, subkutanem Fett bzw. Muskel. Es finden sich weiße, trockene, anästhetische Areale, daneben Areale von Verbrennungen II. und I. Grades. Die Nekrosen wandeln sich im Laufe von Tagen in schwarze Schorfe um, die innerhalb von Wochen demarkiert und abgestoßen werden. Heilung durch Granulation und Reepithelisierung. ! Die Unterscheidung von Grad II und III ist besonders in der Frühphase oft schwierig, und eine endgültige Beurteilung erst nach 24 h möglich. Unterscheidungshilfe: ein Nadelstich wird im Areal einer Verbrennung III. Grades nicht verspürt. 6
thologische Reaktion auf Verbrennungen tritt meist erst ab Befall von 10% der Körperoberfläche (II°) auf (bei Kindern früher und intensiver!). Folge der kutanen Ödeme ist die Hämokonzentration bis hin zum hämodynamischen Schock (Verbrennungsschock). Additiv können der Unfallschock und der Schmerzschock wirken (maximale Steigerung des Sympathikotonus mit Versacken des Bluts in den inneren Organen). Kortikosteroide und Sympathomimetika sind daher im Verbrennungsschock kontraindiziert! Gleichzeitig entwickelt sich eine metabolische Azidose (durch regelmäßige Blutgasanalyse zu überwachen!) und eine vorübergehende Immunsuppression durch Funktionsbeeinträchtigung von Neutrophilen und Makrophagen sowie Anstieg der regulatorischen T-Zellen. Infektionen, durch den Verlust der Haut ohnehin erleichtert, sind daher häufige und gefürchtete Komplikationen. Therapie. Sofortmaßnahmen: Kleider entfernen, sofort kühlen, keine Brandsalben oder andere Hausmittel anwenden! Abdecken mit sauberen Tüchern. 4 Grad I: Lokaltherapie mit kühlenden, steroidhaltigen Lotionen oder Cremes, Analgesie. 4 Grad II: Wundversorgung (Blasengrund) mit Gazeverband, zu Beginn evtl. zusätzlich topische Steroide, Analgesie. Kurzfristige Verbandswechsel bis zur Reepithelisierung. 4 Grad III: Da der langwierige Spontanheilungsprozess eine starke Schwächung der Patienten mit sich bringt (Katabolismus) und stets zu auffälligen Narben führt (cave Kontrakturen), wird heute prinzipiell eine Frühexzision bei Verbrennungen III. Grades angestrebt (auch bei »tief II°«!). Reichen die Reserven transplantierbarer Haut nicht aus, besteht die Möglichkeit der Deckung mit »composite grafts« (kultivierte autologe Keratinozyten auf einem künstlichen Dermisersatz).
Eine Infusionstherapie ist ab 10% Ausdehnung (Grad II) indiziert. Das Infusionsvolumen in ml entspricht dem Produkt aus Ausdehnung (Grad II plus III) mal Körpergewicht. Dieses Volumen wird jeweils in den
81 3.1 · Physikalische und chemische Schäden der Haut
3
ersten 8 h, den folgenden 16, und den darauf folgenden 24 h gegeben. 4 Infusionslösungen: in den ersten 8 h Glukose-Elektrolyt-Lösungen (keine Kolloide; diese würden durch die durchlässigen Gefäße in das Ödem permeieren und dasselbe noch verstärken!) 4 im weiteren Verlauf zunehmend Kolloide und Serum 4 zusätzlich: Antibiotika, bei Bedarf Azidosebehandlung (Bikarbonat- oder Trispufferlösungen) Prognose. Die Prognose hat sich in den letzten Jahr-
zehnten sehr verbessert: Galten früher Verbrennungen von >70% (Grad II und III) als infaust, werden heute Patienten mit noch viel ausgedehnteren gerettet – allerdings mit erheblichen funktionellen und kosmetischen Beeinträchtigungen. Weitere wichtige prognostische Faktoren sind Allgemeinzustand und Lebensalter. Chronischer Wärmeschaden (Livedo calorica, Erythema ab igne) An Regionen mit chronischer Wärmeexposition (Wärmflasche, Kamin- oder Lagerfeuer, Heizkörper) entstehen unscharf begrenzte retikuläre Pigmentierungen und Teleangiektasien. Prädilektionsstellen: Unterbauch, Gesäßregion und Knie (. Abb. 3.2). Pathogenetisch liegen chronische Gefäßweitstellung, Stase, reaktive Melanin-und Hämosiderinhyperpigmentierung zugrunde. Differenzialdiagnose ist die Livedo reticularis (7 Kap. 7.4.4). Akuter Kälteschaden – Erfrierung (Congelatio) Pathogenese. Die Haut reagiert auf Kälte zunächst mit reflektorischer Hyperämie, gefolgt von Vasokons-
. Abb. 3.3. Erfrierung II–III°. Riesige, mit hämorrhagisch tingierter seröser Flüssigkeit gefüllte Blasen am Fußrücken (II°), akrale Nekrosen (III°)
triktion (Weißverfärbung) und langsamem Einfrieren des Gewebes. Die Zirkulation kommt zum Erliegen, toxische Metabolite werden angesammelt, massive Thrombosierung (und Gefäßnekrosen) treten auf (. Abb. 3.3). Es entstehen intra- und extrazelluläre Eiskristalle (mechanische Destruktion), gleichzeitig Konzentrationsanstieg von Elektrolyten im noch flüssigen Volumenanteil und teilweiser Ausfall der Enzymsysteme durch Inaktivierung bei unterschiedlichen Temperaturen; dadurch Ungleichgewicht des Metabolismus mit toxischem Gewebsschaden. Letzterer ist teilweise reversibel. Symptomatik. Gradeinteilung:
4 Grad I: Erythem, Abheilung narbenlos. 4 Grad II: Erythem und Blasen (Ablösung der Epidermis in der Junktionszone, häufig hämorrhagisch), Abheilung gleichfalls narbenlos. 4 Grad III: Nekrose: weiße, steifgefrorene Bezirke (häufig an Akren). Nach Auftauen Übergang in Gangrän bzw. Mumifikation (lederartige, schwarze, trockene Nekrosen) und Gewebsverlust (Narben bzw. Verlust von Körpergliedern). Therapie. Rasches Auftauen (40°C warmes Wasser).
Dies ist sehr schmerzhaft, z. T. wegen der plötzlichen Freisetzung vasoaktiver Substanzen (Histamin, Kinine, Prostaglandine – Mastzelldegranulation), Ödembildung. Besonders starke Gewebsschäden entstehen bei gleichzeitigem mechanischen Trauma (Cave: Reiben und Massieren) und wiederholtem Einfrieren und Auftauen (eingefrorene Extremitäten daher erst an einem dauerhaft warmen Ort auftauen!). . Abb. 3.2. Chronischer Wärmeschaden (Livedo calorica) durch jahrelange Verwendung von Wärmflaschen wegen Bauchschmerzen. Regelmäßige netzförmige Hyperpigmentierung
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C A V E
3
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Die alte Lehrmeinung, man solle langsam auftauen, ist falsch! Bei raschem Auftauen steigt zwar der Sauerstoffverbrauch des Gewebes schneller als die noch nicht intakte Blutzirkulation leisten kann, doch wiegt die Hypoxämie weniger schwer als ein neuerlicher toxischer Gewebsschaden bei langsamem Auftauen.
Unterstützende Maßnahmen: Anheben der Kerntemperatur (heiße Getränke), Schocktherapie ist nicht erforderlich. Antibiotika, Heparin, NSAID, Dextraninfusionen. Für den weiteren Verlauf konservatives und geduldiges Abwarten der Spontandemarkation – die Nekrosen sind häufig weniger tief als vermutet. Trocken halten (Gefahr der feuchten Gangrän!).
Chronischer Kälteschaden Längerdauernde Unterkühlung ohne Einfrieren kann zu unterschiedlichen Bildern führen: Frostbeulen Definition/Symptomatik. Besonders in ländlichen Ge-
bieten häufige Läsionen an kälteexponierten Körperregionen (Akren, Gesicht, Unterschenkel, Knie) von typisch wechselhafter Aktivität: im Intervall bis auf livide Erytheme kaum merkbar, wandeln sie sich bei Temperaturwechsel in rotlivide, teigige, schmerzhafte Schwellungen mit Purpurakomponente um, die nach einigen Tagen abklingen. Sie können über Jahre rezidivieren und dabei atroph werden. Pathogenese. Die Gefäße reagieren auf Temperaturreize mit abnormer Permeabilitätssteigerung und Mastzelldegranulation. Differenzialdiagnose. Sarkoidose (Lupus pernio), Ro-
sazea. Akral: »chilblain«-Lupus erythematodes. Therapie. Schutz vor Kälte und schnellem Temperaturwechsel; Nifedipin, Ichthyolsalben. Andere chronische Kälteschäden
Chronischer Kälteschaden der Hände und Füße äußert sich als Akrozyanose und Schwellungsneigung (s. u.). Aus der Militärgeschichte stammt der Ausdruck »Trench-foot« für schwere gemischte akut-chronische Kälteschäden der Füße mit Übergang in feuchte Gangrän.
3.1.3 Abnorme Reaktionen
auf Temperaturreize Abnorme Reaktionen auf Hitze Erythromelalgie Definition/Symptomatik. Bei diesem seltenen Zustandsbild löst lokale Überwärmung attackenartig brennendes Hitzen und Rötung der Extremitäten aus. Man unterscheidet die primäre (keine assoziierte Krankheiten, manchmal hereditär, Beginn in Kindheit) und die etwa gleich häufige sekundäre Erythromelalgie. Letztere ist meist mit lymphoproliferativen Prozessen assoziiert (essenzielle Thrombozytämie, Polyglobulia vera). Pathogenese. Unklar; als Auslöser wird Thrombozytenaggregation vermutet. Therapie. Acetylsalicylsäure, Behandlung der Grund-
krankheit. Cholinerge Urtikaria 7 Kap. 3.2.4. Abnorme Reaktionen auf Kälte Diese sind häufig und vielgestaltig – teils lokale Phänomene, teils Systemreaktionen (durch zirkulierende Faktoren, die in der Kälte aktiviert werden oder präzipitieren). Cutis marmorata Ein physiologisches Phänomen vorwiegend bei jungen, schlanken Frauen (dünne Haut!): eine lividrote, netzartige Hautzeichnung vorwiegend der Extremitäten bei Kälte, die sich in der Wärme vollständig zurückbildet. Cutis marmorata ist die häufigste Spielart der Livedo reticularis (7 Kap. 7.4.4). Pathogenetisch liegt eine Verlangsamung des kutanen Blutflusses durch reflektorische Vasokonstriktion kleiner Hautarterien zugrunde. Differenzialdiagnose: Livedo racemosa (unregelmäßiges, großmaschiges Netzwerk!) (7 Kap. 7.4.4). Akrozyanose Ein häufiger, oft familiärer und mit Cutis marmorata kombinierter harmloser Befund, ebenfalls bei jungen Frauen: Hände und Füße sind eiskalt und symmetrisch düster-livide verfärbt (»kalte Füße«). Die Veränderungen sind persistent, verschlechtern sich aber in der Kälte; im Lauf des Lebens Besserung. Pathogenese: reflektorische Konstriktion kleiner Hautarterien bei gleichzeitiger venöser Stase. Keine trophischen Störungen. Differenzialdiagnostisch sind Raynaud-Phänomen, Neuropathie, arterielle Durchblutungsstörungen, Ergotismus, Nikotinabusus abzugrenzen.
83 3.1 · Physikalische und chemische Schäden der Haut
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Diese harmlose idiopathische Akrozyanose muss von der symptomatischen bei Herz- und Lungenkrankheiten unterschieden werden.
3
höhere Anteil gesättigter Fettsäuren führt zur Erstarrung des Fettgewebes bei relativ hohen Temperaturen und zu dessen Schädigung. Dasselbe gilt als Teilursache beim Sklerem und der subkutanen Fettnekrose Neugeborener).
Raynaud-Phänomen Definition/Symptomatik. Durch Kälte ausgelöste epi-
sodische Spasmen der Finger- und/oder Zehenarterien, die zu einer charakteristischen Sequenz von Symptomen führen: schmerzhafte Weißverfärbung und Kälte eines oder mehrerer Finger, gefolgt von reaktiver Hyperämie und Zyanose. Bei langem Bestand treten trophische Störungen ein. Das Raynaud-Phänomen ist meist ein isolierter Befund (idiopathisches oder primäres Raynaud-Phänomen), oft aber ein typisches assoziiertes bzw. Frühzeichen von Kollagenosen (Sklerodermie!), hämatologischen und neurovaskulären Krankheiten, auch von Berufskrankheiten (Vinylchlorid-Krankheit, Schäden durch Presslufthammer-Arbeit) (sekundäres Raynaud-Phänomen). Pathogenese. Die Pathogenese ist nicht gänzlich klar; mögliche kausale Faktoren sind: 4 erhöhte Blutviskosität (Thrombozytenaggregation, Fibrinogenämie) 4 zirkulierende Immunkomplexe 4 Kryoglobuline und Autoantikörper 4 abnorme Reagibilität der Gefäße auf vasoaktive Mediatoren (Histamin, Serotonin, Prostaglandine, Endothelin-1, u. a. 4 Defekte des adrenergen Systems
Kälteurtikaria 7 Kap. 3.2.4. Kryoglobulinämie Definition/Pathogenese. Kryoglobuline sind zirku-
lierende Immunglobuline (meist IgM oder IgG), die bei niedrigen Temperaturen reversibel ausfallen. Man unterscheidet eine monoklonale (Typ I), eine gemischt mono- und polyklonale (Typ II) und eine rein polyklonale (Typ III) Form; die monoklonalen sind mit lymphoproliferativen Krankheiten, multiplem Myelom und Makroglobulinämie Waldenström assoziiert, die polyklonalen mit Autoimmunkrankheiten und chronischen Infektionen (Hepatitis B und C!). Typ III stellt ca. 50% der Fälle, darunter die häufige essenzielle gemischte Kryoglobulinämie. Die Menge der Kryoglobuline in den Typen I und II ist meist hoch, in Typ III gering. Symptomatik. Die klinischen Symptome sind mannig-
faltig. Bei großen Mengen von Kryoglobulinen kann es an kälteexponierten Regionen (Akren!) zum Verschluss von Gefäßen und ausgedehnten Nekrosen und Ulzera kommen. Bei geringeren Mengen beherrschen RaynaudSyndrom, Akrozyanose, Kälteurtikaria, Livedozeichnung und nekrotisierende Vaskulitis das Bild.
Diagnostik. Anamnestisch oder durch Kälteprovoka-
tion und Fingerplethysmographie. Differenzialdiagnose. Akral betonte Polyneuropathie,
Ergotismus und Karpaltunnelsyndrom. Therapie. Behandlung der allfälligen Grundkrankheit.
Stets sind Kälteprophylaxe, Nikotinkarenz und physikalische Therapie angezeigt, zudem Wärmepackungen der Hände/Füße (Paraffinbäder). Systemische Therapie mit Vasodilatatoren (Nifedipin, Ketanserin, Prostazyklin). Selten erforderlich ist die Sympathektomie. Kältepannikulitis Eine umschriebene Entzündung des Fettgewebes nach lokaler Kälteeinwirkung, die 2–3 Tage nach dem Kältetrauma entsteht, durch schmerzhafte Entzündung und Schwellung charakterisiert ist und in der Folge spontan und ohne Residuen abklingt. Sie kommt vorwiegend bei adipösen Frauen an Oberschenkeln und Nates vor. Besonders gefährdet sind Kleinkinder (Ursache: der
Seltene abnorme systemische Reaktionen auf Kälte Dazu gehören die Kryofibrinogenämie (der Kryoglobulinämie ähnlich, häufig mit malignen Tumoren assoziiert – Prostatakarzinom) und die Kälteagglutininbzw. -hämolysinkrankheit. Diese sind durch Antikörper bedingt, die in der Kälte an Erythrozyten binden und diese agglutinieren bzw. hämolysieren. Klinische Bilder: Raynaud-Syndrom, Hautnekrosen, hämolytische Anämie, Hämoglobinurie, bei foudroyantem Verlauf ausgedehnte, (letale) intravasale Agglutination. 3.1.4 Hautschäden durch Elektrizität Stromfluss durch die Haut führt über elektromechanische Wirkungen zu Gewebeschäden, die der Stromleistung proportional sind und – bei höherem Energiedurchfluss – zur Koagulationsnekrose führen können. Die höchste Energiedichte tritt an den Ein- und Aus-
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Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Der Blitzschlag ist eine Sonderform des Elektrounfalls. Er entspricht einem kurz dauernden, aber hochenergetischen Stromdurchfluss durch den Körper in vertikaler Richtung, wobei der Großteil allerdings an der Körperoberfläche abfließt. Hautsymptome: bizarr verästelte Erytheme (»Blitzfiguren«) (. Abb. 3.4), Nekrosen (oft ausgedehnt). Prognose: vom Ausmaß der Schäden an inneren Organen abhängig.
3
3.1.5 Hautschäden durch Ultraviolett-
Strahlung Grundlagen Definitionen. UV-Licht ist eine der bedeutendsten Um-
. Abb. 3.4. Blitzfiguren. Bizarre, strichförmige, verzweigte Erytheme an Thoraxwand und Oberarm bei einem Urlauber, der beim Spaziergang vom Blitz getroffen worden war
trittsstellen auf. Hier entstehen die so genannten Strommarken: punkt- oder streifenförmige Koagulationsnekrosen, in der Regel von einem schwärzlichen Hof umgeben (Metallimprägnierung aus dem Stromleiter). Die Nekrosen wandeln sich in schlecht heilende Ulzera um. Histologisch sind die Strommarken durch Koagulationsnekrose mit bizarrer Verziehung der Architektur gekennzeichnet (»Ziegenbärte«). Gravierender als die Hautläsionen können Schäden innerer Organe sein, wenn diese vom Stromdurchfluss betroffen sind: Herzrhythmusstörungen bis zum Kammerflimmern, zentralnervöse Symptome, Atemstillstand, Myoglobinämie mit Nierenversagen. ! Bei jedem Stromunfall, selbst bei geringfügigen Strommarken, ist ein EKG durchzuführen und für Beobachtung über mindestens 24 h zu sorgen, da die Allgemeinsymptome oft verzögert auftreten. . Abb. 3.5. Elektromagnetisches Spektrum mit gespreizter UV-Skala
weltnoxen für die Haut. Seine Wirkungen sind vielfältig, komplex und durchweg ungünstig – abgesehen von der photochemischen Konversion von 7-Dehydrocholesterin zu Vitamin D3 in der Epidermis (UV-B, 297 nm). Man unterscheidet 2 Wellenbereiche mit unterschiedlichen physikalischen und biologischen Eigenschaften: 4 UV-A (320–400 nm) 5 UV-A1 (340–400 nm) 5 UV-A2 (320–340 nm) 4 UV-B (290–320 nm, »Sonnenbrandspektrum«) UV kann akute und chronische UV-Schäden der Haut (Sonnenbrand bzw. Lichtalterung, Karzinogenese) sowie abnorme Lichtreaktionen hervorrufen (Lichtdermatosen). Sonnenstrahlung. Das Spektrum der elektromagnetischen Wellen, die auf die Erdoberfläche auftreffen, reicht von Wellenlängen von ungefähr 290 nm über die Regionen des UV- und sichtbaren Lichts bis weit in den Infrarotbereich (. Abb. 3.5). Das kurzwellige UVC-Licht (<290 nm) wird vollständig in der Stratosphäre gefiltert und gelangt nicht auf die Erdoberfläche. Biologisch wirksam in der Haut ist v. a. das mittel- und langwellige UV-Licht (290–400 nm). Innerhalb dieser
85 3.1 · Physikalische und chemische Schäden der Haut
Grenzen unterscheiden sich die Wellenlängenbereiche beträchtlich in ihrer biologischen Aktivität. Je kurzwelliger die Strahlung, umso energiereicher ist sie (UV-C wird z. B. zur Flächensterilisation verwendet), wird aber auch stärker absorbiert (nur UV-A, nicht jedoch UV-B kann durch Fensterglas dringen). Die Zusammensetzung des Sonnenlichts ist nach Tageszeit, Höhe, geografischer Breite und Umweltbedingungen sehr verschieden. Der Anteil des aggressiveren UV-B ist bei hohem Sonnenstand (Sommer, Mittagszeit) und in der Höhe besonders hoch. An der gesamten Sonnenstrahlung hat das UV-Licht einen Anteil von 5% (davon ca. 5% UV-B und ca. 95% UV-A). 3Wirkung elektromagnetischer Strahlen auf biologische Substrate Jede Wirkung setzt Absorption voraus; alle lichtabsorbierenden Moleküle (Chromophore) besitzen ein eigenes Absorptionsspektrum. Durch die Absorption von Photonen werden die Elektronen in energiereichere Bahnen befördert (»excited state«, Singlet oder Triplet); dieser dauert nur Mikro- oder Nanosekunden, dann wird die Energie wieder abgegeben (Wärme, Transfer, Fluoreszenz oder Phosphoreszenz) oder in (photo)chemischen Reaktionen verbraucht (Photoaddukte). Bei Chromophoren mit Absorption im sichtbaren Licht ist die Energiedifferenz zwischen Grund- und »excited state« gering, die biologische Wirkung (außer dem Entstehen von Farben) daher unbedeutend. Bei Absorption im UV-Bereich ist der Energiesprung hoch, die Entstehung von Photoaddukten daher relevant. Das Ausmaß der photobiologischen Reaktionen ist bei verschiedenen Wellenlängen entsprechend dem »Aktionsspektrum« verteilt. Absorptionsspektrum und Aktionsspektrum sind in der Regel identisch.
Photobiologische Eigenschaften der Haut. Das Str. corneum bleibt bei Bestrahlung unverändert, wirkt aber als schützender Filter (Urokaninsäure!). Ca. 10% der UV-B- und 50% der UV-A-Energie werden hier absorbiert bzw. reflektiert. In den tieferen Schichten absorbieren und streuen Melanin, Nukleinsäuren, Proteine, Lipide, Blut und Karotenoide. UV-B penetriert weniger tief als UV-A: in der Haut von Weißen erreichen das Korium etwa 10% der eingestrahlten UV-B-Energie, aber 30–50% von UV-A und sichtbarem Licht. Nach UV-Bestrahlung der Haut ändern sich Zellmetabolismus (freie Radikale, Lipidperoxidation), -funktion (Apoptose, Nekrose) und -struktur (Pyrimidindimere, Proteinstruktur), nach einigen Stunden bzw. Tagen die Blutzirkulation (Erythem – Freisetzung proinflammatorischer Zytokine), Melaninsynthese und Zellkinetik (Abschuppung). Die Auswirkungen von UV sind nicht auf den Ort der Einstrahlung beschränkt: aus den Keratinozyten werden zahlreiche Zytokine freigesetzt, von denen zumindest manche in die Blutbahn gelangen (IL-1, IL-6) und Allgemeinsymptome auslösen können (Fieber).
3
Reparationsvorgänge. Sofort nach Entstehung der
UV-Schäden beginnt die Zelle deren Behebung auf verschiedenen Ebenen (DNA, RNA, Proteine). Mehrere Mechanismen der DNA-Reparation sind bekannt: Exzisions- und Postreplikationsreparation, Photoreaktivation. 3Die Exzisionsreparation erfolgt mit einem eigenen Enzymsystem. Zuerst muss die Zelle den DNA- Defekt erkennen (»recognition«, Mechanismus unbekannt). Mithilfe einer spezifischen Endonuklease wird in der DNA-Helix, nahe der Läsion, ein Einschnitt vorgenommen (»incision«), anschließend das geschädigte Segment ausgeschnitten (»excision«), ein Ersatzstück neu synthetisiert (»unscheduled DNA-synthesis«) und dieses zuletzt mit der DNA-Helix durch eine Ligase verbunden (»rejoining«). Die Exzisionsreparation ist nicht spezifisch für UV-Schäden, sondern tritt auch bei anders bedingten DNASchäden in Aktion. Defekte in diesem System führen zu exzessiver Entwicklung UV-induzierter Hautkarzinome (7 Kap. 9).
Wirkungen von UV-Licht auf das Immunsystem (Photoimmunologie). UV-Strahlung wirkt über mehrere
Mechanismen immunsuppressiv: 4 Inhibition der Antigenpräsentation (UV-induzierter DNA-Schaden an Dendritischen Zellen) 4 Freisetzung immunsupppressiver Zytokine (IL10, IL-4, TNF-α) 4 Induktion regulatorischer T-Zellen Immunsuppressiv wirken sowohl UV-A als auch UV-B (bei ersterem sauerstoffabhängig). Nach UV-Bestrahlung kommt es zum Abfall der zirkulierenden T-Zellen (v. a. CD4-Zellen, B-Zellen bleiben unverändert). Die UV-induzierte Immunsuppression wirkt sich beim Menschen weniger auf Entstehung von Infektionen aus (Ausnahme: Herpes simplex) als bei der Unterstützung der Photokarzinogenese (Inhibition der Tumorabwehr). Therapeutisch wird die immunsuppressive Wirkung von UV-Licht zur Behandlung entzündlicher Hautkrankheiten genützt (Phototherapie, z. B. Psoriasis vulgaris). Akuter UV-Schaden Ausdruck des akuten UV-Schadens sind Erythem, anschließend Pigmentierung und Hyperplasie der Epidermis (»Lichtschwiele«). UV-Erythem (Sonnenbrand, Erythema solare) Alle UV-Qualitäten können ein Erythem auslösen, doch sind die einzelnen UV-Bereiche sehr verschieden wirksam. Das Erythem-Aktionsspektrum zeigt ein hohes Plateau für UV-C und UV-B, bei ca. 320 nm erfolgt ein steiler Abfall. UV-A kann zwar auch Erytheme erzeugen, doch erst bei bis zu 1000-mal höheren Dosen. Erytheme entstehen ab einer bestimmten Schwellendo-
86
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Das Erythema solare (. Abb. 3.6) entsteht wenige Stunden nach Exposition, erreicht nach 12–24 h sein Maximum und klingt nach 48–72 h ab. Höhere Dosen und kurzwelliges UV führen zu schnellerer Entwicklung und langsamerem Abklingen. Die Neigung zu Sonnenbränden ist genetisch durch Menge und Art des Melanins der Haut vorgegeben (. Tab. 3.1). Das braunschwarze Eumelanin ist ein potenter Lichtfilter (Absorption aller Regionen des UV- und sichtbaren Lichts), das rötliche Phäomelanin hingegen ein schlechter. Besonders UV-empfindlich sind daher Personen mit der so genannten »keltischen« Komplexion (7 Kap. 2.3.5).
3
. Abb. 3.6. Akutes UV-Erythem (I°). Diffuse Rötung nach UV-B-Überdosierung in Sonnenstudio. Beachte die Aussparung im Bereich des damals getragenen Medaillons
sis (minimale Erythemdosis, MED, 7 Kap. 2.3.5, s. u.); diese ist für jede Wellenlänge und jedes Individuum spezifisch. Pathogenese. UV-Licht führt zur Schädigung vor-
wiegend epidermaler Chromophore (DNA! – Apoptose der Keratinozyten) und zur Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren: Histamin, Serotonin, Prostaglandine, IL-1, IL-6, TNF-α aus Mastzellen bzw. Keratinozyten. Es resultiert eine entzündliche Reaktion in Epidermis und oberer Dermis. ! Das durch die Sonne ausgelöste Erythem (Erythema solare, Sonnenbrand) geht vorwiegend auf UV-B zurück; nur ca 15% auf UV-A (hoher UV-A Anteil im Sonnenlicht!).
Symptomatik. Hellrote, schmerzhafte, scharf auf den
Ort der Einstrahlung begrenzte Erytheme, bei höheren UV-Dosen Blasen und evtl. Nekrose. Schwerere Sonnenbrände sind von Systemzeichen begleitet (Fieber, Krankheitsgefühl). Im Abheilungsstadium kommt es zu Pigmentierung (die nach ca 14 Tagen wieder abklingt) und Abschuppung. Folgeläsionen sind: permanente Pigmentläsionen (Epheliden, Nävuszellnävi), nach blasigen Sonnenbränden evtl. Narben. Mehr als 75% der schweren Sonnenbrände werden bis zum 20. Lebensjahr erworben. Diagnostik. Histologie. Massenhaft apoptotische Keratinozyten (»sun burn cells«), bei stärkerer Ausprägung vakuolisierende Degeneration, Blasenbildung. Später epidermale Hyperplasie und Hyperkeratose (»Lichtschwiele« – UV-B!). Differenzialdiagnose. Verbrühungen, Verätzungen, fixes Arzneimittelexanthem.
. Tab. 3.1. Photobiologische Hauttypen (Europäer) Typ
Phänotyp
Reaktion auf Sonnenbestrahlung Sonnenbrand
Bräunung
Empfohlener Lichtschutzfaktor (DIN)
I
Haut: Haare: Augen:
hell rötlich bis rotblond blau, grün
immer
nie
12–15
II
Haut: Haare: Augen:
hell blond bis hellbraun blau, grau, braun
immer
wenig
8–12
III
Haut: Haare: Augen:
hellbraun dunkelblond bis braun braun
selten
gut
6–8
IV
Haut: Haare: Augen:
hellbraun bis mittelbraun dunkelbraun braun
nie
immer
4–6
87 3.1 · Physikalische und chemische Schäden der Haut
3
! UV-A- und phototoxische Erytheme (z. B. nach Photochemotherapie) sehen ähnlich aus wie das UV-B-Erythem, verlaufen jedoch anders: das UV-A-Erythem tritt sofort nach Bestrahlung auf (»Soforterythem«), ist sauerstoffabhängig (oxidative Prozesse in Endothelzellen des oberen Gefäßplexus) und weist keine »sun burn cells« auf. Phototoxische Erytheme treten verzögert auf und dauern länger an.
Lichtalterung (»Photoaging«) Definition. Diese ist ein von der natürlichen Hautalterung verschiedener, diese aber akzelerierender und überlagernder Prozess. Sie betrifft sämtliche Lagen der Haut und ist scharf auf die sonnenexponierten Hautareale begrenzt. Hauptmerkmale sind Elastosis cutis, Atrophie, Pigmentverschiebungen und Gefäßerweiterungen (Teleangiektasien).
Therapie. Kühlende, blande Lokalbehandlung (Lotionen, Schüttelmixturen). Von den vielen in Gebrauch befindlichen Hausmitteln sind die meisten unwirksam. Wenig wirksam sind auch topische Kortikosteroide und Antihistaminika. Ausgedehnte blasige Sonnenbrände bedürfen stationärer Behandlung (systemischer Kortikosteroidstoß) und Pflege. Prophylaktische Gabe von NSAID kann die Erythemreaktion abmildern.
Symptomatik. Elastosis cutis beruht auf Zunahme
UV-induzierte Pigmentierung
Diese ist eine Adaptationsreaktion der Epidermis nach UV-Einstrahlung, ist jedoch nicht an ein vorhergehendes Erythem gebunden. Ihr Aktionsspektrum entspricht weitgehend dem der Erythemreaktion. Man unterscheidet: 4 Sofortbräunung (»immediate pigment darkening«, IPD): diese entsteht während der UV-Exposition, ist unmittelbar nach dieser maximal ausgeprägt und verschwindet innerhalb von Stunden. IPD wird vorwiegend durch UV-A ausgelöst (Maximum 340 nm), beruht auf sauerstoffabhängiger Photooxidation ungefärbter Melaninvorstufen und wirkt kaum photoprotektiv. 4 »Verzögerte« UV-Bräunung: die eigentliche (kosmetisch begehrte) Sonnenbräunung. Sie setzt erst ca. 72 h nach UV-Exposition ein und beruht auf einer Aktivierung der Pigmentproduktion (Stimulation von Tyrosinaseaktivität, Produktion und Reifung von Melanosomen). Sie ist hauptsächlich ein UV-B-Effekt, die Beteiligung von UV-A liegt jedoch (wie beim UV-Erythem) bei zumindest 15%.
von Elastin, das histologisch als grobschollige, fragmentierte Fasern und Massen die Dermis erfüllt. Die Haut ist schlaff, faltig, grob gefeldert und durch weiche, hautfarben-gelbliche, flache Plaques (elastotische Globi) pflastersteinartig texturiert. Prädilektionsstellen: Gesicht, Hals, Nackenbereich (Cutis rhomboidalis nuchae). Treten noch senile Komedonen hinzu, spricht man vom Favre-Racouchot-Syndrom (. Abb. 3.7). Die Haut ist ferner rau, verdünnt, leicht verletzlich, zigarettenpapierartig gefältelt, von Teleangiektasien durchzogen und scheckig (braune runde Flecken: Lentigines seniles; konfettiartige helle Flecken: Hypomelanosis guttata). Eine maximale Ausprägung der Hypomelanose sind die oft bizarren sternartigen Pseudonarben. An Hals und Brustausschnitt älterer Frauen können zahllose Teleangiektasien eine diffuse Rotfärbung der Haut bewirken, aus der die Follikel als weiße Tupfen herausstechen (Erythrosis interfollicularis colli). Therapie. Die Lichtalterung ist im Prinzip irreversibel. Partielle Erfolge werden durch langfristige Lokalapplikation von 13cis-Retinsäure bzw. durch Peeling (oberflächliche Ätzbehandlung z. B. mit Fruchtsäuren) erzielt. Falten können vorübergehend durch Injektion löslicher Füllmaterialien geglättet werden. Erythrosis
! UV-A- und UV-B-induzierte Pigmentierung sind morphologisch (bei UV-A vorwiegend basal) und in ihren Auswirkungen verschieden (Photoprotektion durch UV-A-induziertes Melanin schwächer).
Chronische UV-Schäden Diese umfassen die Lichtalterung und Photokarzinogenese. Beide beruhen auf der Akkumulation molekularer Schäden und treten mit einer Latenzzeit von 20–30 Jahren auf. . Abb. 3.7. Favre-Racouchot-Syndrom (Lichtalterung der Haut). Elastosis cutis, senile Komedonen, Hautfalten
88
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
interfollicularis colli kann mit Laserbehandlung gebessert werden. Folgen chronischer Sonnenexposition
(letzteres ist v. a. bei Lichtdermatosen erforderlich). Pigmente sind zwar auf der Haut sichtbar und kosmetisch weniger akzeptabel, gewähren aber einen breiteren und sichereren Lichtschutz.
UV-induzierte Karzinogenese (Photokarzinogenese)
3
Diese ist die wichtigste Folge chronischer UV-Exposition. UV wirkt sowohl direkt an der DNA als auch indirekt über freie Radikale (UV-A) mutagen. UV ist ein komplettes Karzinogen, das keiner Kokarzinogene bedarf. Eine wichtige Rolle spielt auch die immunsuppressive Wirkung des UV, die die körpereigene Abwehr gegen entstehende Neoplasmen unterdrückt. Das Auftreten von Plattenepithelkarzinomen korreliert mit der kumulativen UV-Dosis, die während des Lebens auf die Haut auftrifft. Man findet sie deshalb in einer Verteilung, die der UV-Exposition entspricht (Gesicht, Handrücken, Unterarme). Im Gegensatz dazu korreliert das Risiko der Entstehung von Melanomen und Basaliomen mit hoher intermittierender UV-Belastung (Sonnenbrände). Der hauptsächlich karzinogene Wellenlängenbereich beim Plattenepithelkarzinom ist UV-B, die Rolle anderer Bereiche ist nicht gänzlich geklärt. UV-A scheint bei der Bildung des Melanoms beteiligt zu sein. Sonnenschutz Maßnahmen zur Vermeidung akuter und chronischer UV-Schäden, d. h. Aufklärung zu geeignetem Verhalten und Verwendung von Sonnenschutzmitteln. Lokal anwendbare Lichtschutzmittel (»Sonnencremes«) (. Tab. 3.2) beinhalten absorbierende (»chemischer Sonnenschutz«) und/oder reflektierende Wirkstoffe (Pigmente – »physikalischer Sonnenschutz«). Absorbierende Lichtfilter sind auf der Haut unsichtbar; je nach ihrem Absorptionsspektrum sind sie für den UV-B- bzw. den UV-A-Bereich geeignet . Tab. 3.2. Lichtschutzstoffe Absorbierende Stoffe (UV-Filter) UV-B-Filter
UVA-Filter
Paraaminobenzoesäure und Derivate Kampferderivate Zimtsäureester (Cinnamate) Homosalat Benzimidazole Dibenzoylmethane Benzophenone
Reflektierende Stoffe (Pigmente) Titandioxid Zinkoxid Eisenoxid Kaolin Talkum
»Lichtschutzfaktor« (LSF). Dieser misst die Stärke des
Schutzes vor UV-B-induziertem Erythem durch ein Lichtschutzmittel. Der LSF entspricht dem Verhältnis der MED unter Verwendung des Lichtschutzmittels zur MED ohne dieses. 3Beispiel: Beträgt die Bestrahlungsdauer mit einer genormten UVB-Quelle bis zur Erreichung der MED 20 min, unter Verwendung einer genormten Menge eines Lichtschutzmittels jedoch 120 min, hat dieses einen LSF von 6.
Ein LSF von 12–15 filtert ca. 90% der UV-B-Menge und wäre daher im Prinzip ausreichend für Hautgesunde in allen Regionen der Welt. Wichtig ist jedoch auch die ausreichend häufige Verwendung ausreichender Mengen (zumindest alle 2 h), da selbst »wasserfeste« Präparate nach Baden oder Duschen an Wirkung einbüßen. Der durchschnittliche Konsument trägt – verglichen mit der LSF-Testsituation – nur ca. ein Drittel der Menge an Sonnencreme auf. Daher (und auch, um vor Schäden durch suberythematogene UV-Dosen zu schützen), ist der Einsatz von Präparaten mit höheren LSF (20 und höher) sinnvoll. C A V E
Da die MED ein Maß der UV-B-Wirkung ist, sagt der LSF eines Präparates nichts über seine Wirkung im UV-A-Bereich aus.
UV-A-Schutz. Die Verwendung so genannter Breitbandfilter ist sinnvoll, da auch UV-A an der Entstehung von Hautschäden beteiligt ist. Prinzipiell wurden und werden Lichtschutzmittel hergestellt, um den Sonnenbrand (d. h. einen UV-B-Effekt) zu verhindern, was sehr gut testbar ist. Die Schutzwirkung im UV-A Bereich ist schwieriger testbar und bleibt meist hinter der gegen UV-B zurück, wodurch der relative Anteil von UV-A an der biologisch wirksamen Strahlung ansteigt. Sonnenschutzpräparate reduzieren zwar das Risiko für die Entstehung von Plattenepithelkarzinomen, nicht sicher jedoch von Melanomen. Die Polymorphe Lichtdermatose (»Sonnenallergie«) lässt sich durch Sonnenschutzpräparate kaum verhindern. »Vorbräunung« in Solarien (UV-A-Strahlung!) wiegt den so Behandelten in falscher Sicherheit, da UVA-induzierte Pigmentierung weniger wirksamen Schutz bietet. Zudem beinhaltet UV-A selbst ein karzinogenes Risiko und trägt zur Hautalterung bei.
89 3.1 · Physikalische und chemische Schäden der Haut
3
Chemische »Selbstbräuner«. Dihydroxyaceton-Präparate reagieren chemisch mit Eiweißen der Hornschicht und führen zu einer Bräunung. Diese schützt kaum vor UV-B, absorbiert jedoch im langwelligen UV-A und im sichtbaren Lichtbereich (kein Ersatz von echten Lichtschutzpräparaten). Beta-Karotin hat keine nennenswerte UV-Schutzwirkung und ist zur Vermeidung eines UV-Erythems ungeeignet.
gehender Blockierung der Talgdrüsen (Hauttrockenheit) und Haarverlust (nach ca. 3 Wochen). 4 Strahlenreaktion II°. Ödem, Bläschenbildung und Nässen, später Strahlenatrophie mit dauerndem Verlust der Hautanhangsgebilde. 4 Strahlenreaktion III°. Sehr schmerzhafte entzündliche Gewebsnekrose, die sich in das akute Röntgenulkus umwandelt (protrahierter Verlauf, Abheilung mit atrophen Narben).
3.1.6 Hautschäden durch ionisierende
Therapie. Unspezifische Lokaltherapie. Kortikosteroide sind mäßig wirksam.
Strahlen Diese treten heute fast ausschließlich als unerwünschte Folge der Strahlentherapie auf, meist durch Röntgen-, seltener durch Gamma- (Kobalt, Radium) oder andere Strahlen. Schwere Strahlenschäden sind heute selten. Pathogenese. Ionisierende Strahlen induzieren einen »excited state« der getroffenen Moleküle, lösen Bindungen auf und erzeugen reagible Gruppen und freie Radikale. Daraus entstehen Zellschäden aller Kompartimente, Hauptziel ist die DNA. Folgen sind Apoptose, Verlust der proliferativen Kapazität, Chromosomenanomalien (Brüche, Translokationen etc.) und Mutationen. Der Schaden ist bei Zellen vor und in der Teilung stärker als in der Ruhephase. Der Schaden an der Haut wird bestimmt durch: 4 die Gesamtdosis 4 die Fraktionierung (je kleiner die Einzeldosen und je größer die Intervalle, desto geringer die Strahlenreaktion) 4 die Strahlenqualität (je energiereicher, desto tiefere Penetration und Schädigung) 4 Durchblutung der bestrahlten Region 4 den Allgemeinzustand
Selbst kleinste Dosen führen zu radiobiologischen Effekten. 3–8 Gy führen zum Strahlenerythem, 50–80 Gy zur Radionekrose. Besonders empfindlich sind Melanozyten, Langerhans-Zellen und die Zellen der Haarmatrizes (1 Gy: Röntgenepilation, 10 Gy: permanente Alopezie). Akute Strahlenreaktion (Radiodermitis acuta) Symptomatik.
4 Strahlenreaktion I°. Nach Röntgenbestrahlung entsteht dosisabhängig zunächst ein Früherythem, das sich nach 48–72 h zurückbildet, 1–2 Wochen später das düsterrote Strahlenerythem (biphasische Reaktion), das nach weiteren 1–3 Wochen langsam abklingt und in fleckige Hyperpigmentierung übergeht. Gleichzeitig kommt es zu vorüber-
Chronischer Strahlenschaden (Radiodermitis chronica) Pathogenese. Jede Exposition mit ionisierenden Strahlen bewirkt einen permanenten DNA-Schaden, zu dem sich jeder weitere »verlustfrei« addiert. Das bestrahlte Areal ist ein Locus minoris resistentiae, in dem verschiedene Traumen (ionisierende Strahlen, UV-Licht, mechanische oder sonstige) zu Ulzera führen können. Der Strahlenschaden nach geringen Strahlendosen ist klinisch unmerklich. Schon nach einer Radiodermitis II° kann jedoch, nach Latenzphasen bis zu Jahrzehnten, der morphologisch charakteristische chronische Röntgenschaden entstehen. Symptomatik. Im Bestrahlungsareal besteht eine rela-
tiv scharf begrenzte Atrophie der Haut, der Subkutis und evtl. auch der Muskulatur (früher z. B. an den Händen von Röntgenologen!). Die Haut ist scheckig hyperund hypopigmentiert, haarlos, trocken und reichlich mit Teleangiektasien durchzogen (»Röntgenpoikiloderm«). Später entstehen trophische Störungen mit geschwürigem Zerfall: das chronische Röntgenulkus – ein wie »ausgestanztes« nekrotisches Ulkus mit schlechter Heilungstendenz). Nach jahrelangem Verlauf entwickeln sich Röntgenkeratosen (analog den aktinischen Keratosen), aus diesen wieder meist gut differenzierte Karzinome. 3.1.7 Lichtdermatosen (Photodermatosen) Lichtdermatosen sind Krankheiten, die durch qualitativ abnorme Reaktionen gegenüber (meist UV-) Licht gekennzeichnet sind. Die abnormen Reaktionen beruhen auf der Einwirkung von (UV-)-Licht bei gleichzeitiger Anwesenheit photosensibilisierender Substanzen. Die Photosensibilisatoren können exogenen oder endogenen Ursprungs sein, z. T. sind sie nicht identifiziert (idiopathische Lichtdermatosen). Lichtdermatosen entstehen auf gesunder Haut; von ihnen
90
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
sind photoaggravierte Dermatosen zu unterscheiden (Übersicht): Hautkrankheiten sui generis, die durch (UV-)Licht ungünstig beeinflusst werden können.
3
Lichtdermatosen und photoaggravierte Dermatosen Lichtdermatosen 1. Lichtdermatosen durch bekannte Photosensibilisatoren a) Phototoxische Reaktion b) Photoallergische Reaktion 2. Lichtdermatosen durch unbekannte Photosensibilsatoren (idiopathische) a) Polymorphe Lichtdermatose b) Lichturtikaria c) Hidroa vacciniformia d) Chronische aktinische Dermatitis
Dermatosen mit Photoaggravation 1.
2.
Dermatosen mit obligater Exazerbation a) manche Autoimmunkrankheiten: SLE, CDLE/tumider LE, Dermatomyositis, Pemphigus vulgaris b) manche Stoffwechselkrankheiten: Porphyrien, Pellagra c) manche Genodermatosen: Xeroderma pigmentosum, Pemphigus familiaris Hailey-Hailey, Morbus Darier, aktinische Porokeratose Dermatosen mit fakultativer Exazerbation a) Psoriasis, Pityriasis rubra pilaris, atopisches und seborrhoisches Ekzem, Erythema exsudativum multiforme, Lichen ruber, Rosazea, transiente akantholytische Dermatose (Morbus Grover)
Lichtdermatosen durch bekannte Photosensibilisatoren Photosensibilisatoren. Meist niedermolekulare, mehrzyklische Verbindungen mit zahlreichen Doppelbindungen, die (meist langwelliges) UV- oder sichtbares Licht absorbieren und häufig fluoreszieren. Zahlreiche solche Substanzen sind bekannt, darunter »natürliche« (z. B. pflanzliche) wie synthetische (aus Medizin, Industrie, Kosmetik). Das Aktionsspektrum von Lichtdermatosen ist fast stets mit dem Absorptionsspektrum des Photosensibilisators identisch. Mechanismen der Photosensibilisierung. Der Photo-
sensibilisator wird durch UV in den »excited state« verbracht (7 Kap. 3.1.5). Der Energiegewinn durch die
Rückkehr in den Ausgangszustand wird dann entweder an Sauerstoffmoleküle (Peroxidbildung) oder an benachbarte Moleküle abgegeben, die zu energiereichen, freien Radikalen werden und mit der Umgebung Reaktionen eingehen (Membranoxidation, Vernetzung der DNA etc.). Es entstehen jeweils toxische Produkte, die zu einer phototoxischen Reaktion führen. Manchmal entstehen aber auch antigene Determinanten (Haptene), die als fremd erkannt und einer klassischen CD4vermittelten Immunreaktion zugeführt werden (photoallergische Reaktion). Phototoxische und photoallergische Reaktionen Diese sind die beiden grundlegenden Typen von abnormen Lichtreaktionen. Ihre unterschiedliche Genese bedingt wesentliche Unterschiede ihrer Charakteristik: phototoxische Reaktionen sind sowohl von UV-Licht als auch vom Photosensibilisator dosisabhängig, benötigen relativ hohe Dosen von beiden, sind auf das bestrahlte Areal limitiert und manifestieren sich als sonnenbrandähnlich bzw. als akute toxische Dermatitis (s. u.). Photoallergische Reaktionen sind hingegen nur beschränkt dosisabhängig (oft nur geringe Lichtmengen erforderlich) und manifestieren sich polymorph, meist jedoch als ekzematische Reaktion. Photototoxische Reaktionen Lokale phototoxische Reaktion (Photokontaktdermatitis). Diese entsteht durch direkten Hautkontakt mit
Photosensibilisatoren bei gleichzeitiger Sonnenexposition. Klinisch ist sie eine oft großblasige Erythemreaktion in meist artefizieller Verteilung, der später eine langdauernde Pigmentierung folgen kann. Die wichtigsten lokalen Photosensibilatoren sind pflanzliche Substanzen (Furocumarine), Inhaltstoffe von Kosmetika, Chemikalien (Farben, Teer) und Medikamente (Sulfonamide, Antimykotika). 4 Phytophotodermatitis ist eine lokale phototoxische Reaktion meist auf die in vielen Pflanzen und Früchten enthaltenen Furocumarine (z. B. Psoralene). Das klinische Bild hängt von der Art des Kontakts ab: als Handekzem etwa bei Landarbeitern (Zitrusfrüchte, Sellerie etc.), als Gesichtsekzem, wenn Pflanzenteile bzw. Pollen durch den Wind weitergetragen werden (Compositae) oder als Gräserdermatitis (Dermatitis pratensis) bei Freibadenden: eine streifige, vesikulobullöse Dermatitis (Abdruck von Grashalmen auf der Haut). Eine in den letzten Jahren häufig beobachtete Ursache der Phytophotodermatitis ist der Riesenbärenklau. Differenzialdiagnose: toxisches und allergisches Kontaktekzem, Verbrühung, Verätzung.
91 3.1 · Physikalische und chemische Schäden der Haut
3
4 Berloquedermatitis ist eine phototoxische Reaktion auf Bergamotteöl (5-Methoxypsoralen), das früher als Duftstoff z. B. Kölnischwasser beigemengt war. Sie ist nur wenig entzündlich und wandelt sich schnell in dunkelbraune, scheckige Pigmentierungen um, häufig mit streifigen Abrinnspuren (»Berloque«: Uhrkette). Diese bleiben jahrelang bestehen, blassen im Winter ab, treten aber bei der ersten Sonnenexposition wieder hervor (persistente Aktivierung der Melanozyten). Differenzialdiagnose: Melasma. Therapie. lokale Vitamin-ASäure, Bleichsalben, Sonnenschutz. Eine heute seltene, durch starke Pigmentierung gekennzeichnete analoge Reaktion des Gesichts ist die Riehl-Melanose (Ruß- und Teer-Exposition). Systemische phototoxische Reaktionen treten nach
systemischer Zufuhr bestimmter Substanzen und nachfolgender Sonnen-(UV-) Exposition auf. Sie sind streng auf die bestrahlte Region begrenzt und ähneln schweren, manchmal blasigen Sonnenbränden. Sie entstehen jedoch nach längerer Latenzzeit und bleiben länger bestehen. Das Aktionsspektrum liegt fast stets im UV-A-Bereich (Cave: Sonnenexposition hinter Glasscheiben!). Potenzielle Ursachen sind zahlreiche Medikamente (Übersicht), künstliche Süßstoffe, selten Nahrungsmittel. Die systemische phototoxische Reaktion auf Psoralene wird therapeutisch genutzt (Photochemotherapie). Differenzialdiagnose: Sonnenbrand, toxische Erythrodermie. Die Diagnose wird durch UV-A Phototestung mit und ohne vorherige systemische Gabe des vermuteten Photosensibilisators gestellt (kleine Testareale, definierte UV-A-Dosen).
Medikamente als Auslöser phototoxischer Reaktionen 4 Furosemid 4 Amiodaron 4 Tetracycline (Demethylchortetrazyklin, Doxycyclin) 4 Chinolone (Norfloxacin, Ciprofloxacin) 4 Sulfonamide 4 Nalidixinsäure 4 Nichtsteroidale Antiphlogistika (Naproxen, Benoxaprofen, Piroxicam, Ketoprofen) 4 Phenothiazine (Chlorpromazin, Promethazin) 4 Fibrate (Fenofibrat, Clofibrat) 4 Phytopharmaka (Johanniskraut, Arnika, Baldrian) 4 Psoralene (8-Methoxypsoralen und 5-Methoxypsoralen therapeutisch im Rahmen der PUVA-Therapie)
. Abb. 3.8. Chronisches photoallergisches Ekzem. Die Stirnhaut (lichtexponiert!) ist in ihrer Textur vergröbert, zerfurcht, schuppig, fissuriert
Photoallergische Reaktionen
Diese beruhen auf einer Typ-IV-Immunreaktion und präsentieren sich als photoallergisches Kontaktekzem (. Abb. 3.8). Photoallergene geraten überwiegend direkt auf die Haut, bei Medikamenten (z. B. Phenothiazinen) ist auch der systemische Weg möglich. Klassische Ursachen sind halogenierte Salicylanilide (als Antiseptika früher in Seifen, Deodorants und Pilzpräparaten), Sulfonamide, Duftstoffe etc. Je nach Maß der Sonnenexposition zeigt sich ein subakutes oder chronisches Ekzem an den lichtexponierten Körperteilen (Gesicht, Hals und Nacken, Unterarme und Hände). Photoallergische Kontaktekzeme sind mäßig scharf begrenzt, oft stark lichenifiziert, von sehr protrahiertem Verlauf und zeigen oft Streuphänomene. Entwicklung von Kreuzallergien ist möglich. Diagnose. Photopatchtest (7 Kap. 2.3.5). Lichtdermatosen durch unbekannte Photosensibilisatoren Polymorphe Lichtdermatose (PLE) PLE ist die weitaus häufigste idiopathische Lichtdermatose, weltweit bei Weißen verbreitet, bei Frauen ca. 3-mal so häufig wie bei Männern. Sie beginnt in der Regel in der Jugend und bleibt oft zeitlebens bestehen. Spontanremissionen kommen vor. Pathogenese. Unbekannt. Das Aktionsspektrum liegt meist im UV-A-, seltener im UV-B-Bereich (oft in beiden), selten im sichtbaren Licht. Symptomatik. Die PLE tritt typischerweise erstmals nach einer brüsken UV-Belastung der noch unge-
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3
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
bräunten Haut auf, also meist im Frühsommer. Sie entsteht nach einer Latenz von Stunden bis ca. 2 Tagen, Prädilektionsstellen sind die Extremitäten-Streckseiten, Dekolleté und Stamm, selten das Gesicht. Die Läsionen können verschieden sein – Erytheme, Quaddeln, Papeln und/oder Bläschen – daher »polymorph«; im Einzelfall herrscht jedoch meist ein einziger Läsionstyp vor. Sie sind symmetrisch verteilt, konfluieren bei dichter Aussaat, jucken meist stark und brennen manchmal schmerzhaft. Wird weitere Sonnenexposition gemieden, heilt die PLE spontan innerhalb von etwa 1 Woche ab; andernfalls kann es zu Rezidiven, Ekzematisierung und Lichenifikation kommen. Während der Sommersaison kommt es in der Regel zur Entwicklung von UV-Toleranz (»hardening«), über die Jahre jedoch zur langsamen Verschlechterung. Histologie. Spongiose; perivaskuläre lymphozytäre Entzündung der gesamten (auch tiefen!) Dermis. Eine mit der PLE vermutlich verwandte, sehr heftig verlaufende Lichtdermatose des Kindesalters sind die Hidroa vacciniformien (Abheilung mit dystrophen Närbchen wie nach Vaccinia). Diagnostik. Phototestung (7 Kap. 2.3.5). Diese muss an
einer lichtexponierten Region erfolgen und beide UVQualitäten (A und B) umfassen. Im positiven Fall zeigt sich eine qualitativ abnorme Lichtreaktion (papulös, vesikulös, ekzemähnlich). Ist die Testung negativ, sollte mit natürlichem Sonnenlicht exponiert werden. Differenzialdiagnose. Follikulitis, seborrhoisches, atopisches oder allergisches (Streu-)Ekzem, Urtikaria, subakut kutaner oder systemischer LE. 3Die Anamnese ist bei der PLE das wichtigste diagnostische Instrument (auch, weil der Patient bei der Vorstellung meist keine Hauterscheinungen mehr aufweist). Typisch sind: kurze Latenz, symmetrisches Exanthem mit quälendem Juckreiz, Lokalisation v. a. an Dekolleté und Unterarmen (jedoch kaum an ständig frei getragenen Arealen wie Gesicht), Auftreten im Frühsommer, »Hardening-Effekt«.
Therapie. Wichtig ist v. a. die Prophylaxe: Vermeidung abrupter Sonnenexposition, geeignete Lichtschutzpräparate, prophylaktische Bräunung (hardening) durch Photo- oder Photochemotherapie: die hierbei applizierten UV-Dosen sind zu niedrig, um einen Schub auszulösen, jedoch hoch genug, um die Haut an UV-Licht zu gewöhnen. Bei schon bestehender Dermatose Sonnenkarenz, lokale Kortikosteroide, evtl. systemischer Kortikosteroidstoß.
. Abb. 3.9. Lichturtikaria, Reaktion nach UVA-Test. Beachte die streng auf die Expositionsstelle begrenzte urtikarielle Reaktion
Lichturtikaria (Urticaria solaris) Eine seltene idiopathische Variante der physikalischen Urtikaria (7 Kap. 3.1.3, . Abb. 3.9). Pathogenese. Man vermutet die Bildung spezifischer IgE gegen Photoallergene. Zirkulierende Photoallergene wurden nachgewiesen (aber noch nicht identifiziert). Manche Patienten reagieren auf intradermale Injektion ihres bestrahlten Serums/Plasmas mit Quaddelbildung. Aktionsspektrum: vorwiegend im UV-Aund im kurzwelligen sichtbaren Bereich. Symptomatik. Wenige Minuten nach Lichtexposition kommt es an den exponierten Arealen zu juckenden Quaddeln. Bei Exposition großer Körperpartien sind Allgemeinsymptome möglich: Mattigkeit, Kopfschmerzen, Bronchospasmus, Kollaps und Schock. Spontane Rückbildung innerhalb von Minuten bis wenigen Stunden. ! An Lichturtikaria sollte gedacht werden, wenn die Anamnese Hautveränderungen angibt, die noch während der Sonnenexposition entstehen und kurzdauernd sind.
Diagnostik. Phototestung (Sofortablesung!). Differenzialdiagnose. Urtikarielle Reaktionen bei
erythropoetischer Protoporphyrie, SLE. Therapie/Verlauf. Antihistaminika, prophylaktische Bräunung (je nach Aktionsspektrum PUVA, UVA, UVB), Vermeiden von Sonnenexposition, Lichtschutz, in schweren Fällen (mit nachgewiesenem Serumfaktor) Plasmapherese. Häufig Spontanremission (nach Jahren).
93 3.1 · Physikalische und chemische Schäden der Haut
Chronische aktinische Dermatitis Definition. Unter diesem Begriff werden einige verwandte und voneinander nicht scharf abgrenzbare Lichtdermatosen zusammengefasst: 4 persistierende Lichtreaktion 4 photosensitives Ekzem 4 chronische photosensitive Dermatitis 4 photoaggravierte atopische Dermatitis 4 aktinisches Retikuloid (Pseudo-T-Zell-Lymphom!) Bei allen handelt es sich um stark juckende Ekzemreaktionen mit äußerst chronischem Verlauf, die aus einer akuten allergischen Photokontaktdermatitis oder Ekzemreaktionen anderen Typs hervorgehen; gemeinsam ist ihnen eine extreme Empfindlichkeit auf UV-B (erniedrigte MED!), manchmal zusätzlich auf UV-A und sichtbares Licht, Exazerbationen in der lichtreichen Jahreszeit, Überwiegen des männlichen Geschlechts und v. a. im höheren Alter. Pathogenese. Ungeklärt; Autophotosensibilisierung
gegen ein hauteigenes Protein? Persistenz eines auslösenden Photoallergens? Symptomatik. An chronisch lichtexponierten Arealen
(Gesicht, Nacken, Handrücken, Unterarm-Streckseiten) ist die Haut diffus gerötet, oft stark lichenifiziert, massiv juckend (Kratzeffekte!); kaum lichtexponierte Areale (retroaurikulär, unter dem Kinn) sind typischerweise weniger betroffen oder frei. Die Patienten sind wegen ihrer hohen Lichtempfindlichkeit im täglichen Leben häufig erheblich eingeschränkt. Diagnostik. Phototestung: erniedrigte MED (UV-B),
Auslösen einer Ekzemreaktion durch UV-B, gelegentlich auch durch UV-A und/oder sichtbares Licht. Bei manchen Varianten ist der Photopatch-Test und/oder Epikutantest positiv.
3
3.1.8 Verätzungen Definition/Pathogenese. Verätzungen sind Gewebszerstörungen durch Kontakt mit aggressiven Chemikalien. Sie entstehen meist im Berufsleben oder bei der Arbeit im Haushalt (hier sind häufig Kinder betroffen!). Das Ausmaß der Verätzung hängt von Art, Konzentration und Einwirkungsdauer der ursächlichen Chemikalie ab. Hauptsächlich betroffen sind Haut, Augen und oberer Gastrointestinaltrakt (Verschlucken). Verätzungen der Haut sind meist sehr schmerzhafte oberflächliche bis tiefe Nekrosen; zusätzlich ggf. Systemsymptome (durch Einatmen und/oder Resorption). Häufige Quellen von Verätzungen sind:
4 starke Säuren und Laugen (Salz-, Schwefel-, Salpeter-, Essig-, Ameisen-, Flusssäure; Kalilauge, Ätznatron, Salmiakgeist) 4 schwache Säuren und Laugen bei längerem Kontakt (Rostumwandler; Karbidschlamm, Seifen, gelöschter Kalk, feuchter Zement) 4 starke Oxidanzien (Kaliumpermangat) 4 organische Lösungsmittel (Fleckentferner, Phenol) 4 chemische Produkte für die Arbeitswelt (WC- und Abflussreiniger, Oberflächenreiniger, Pflanzenschutz- und Insektenvernichtungsmittel) u. a. Symptomatik. Bei Säureverätzung erscheint die entstehende Koagulationsnekrose eher oberflächlich, trocken und scharf begrenzt, meist weißlich-grau (bei Salpetersäure gelb, bei Flusssäure grün). Später folgt die Umwandlung in einen lederartigen schwarzen Schorf, der nach Wochen demarkiert und abgestoßen wird (Narbenbildung). Bei Laugenverätzung bildet sich eine Kolliquationsnekrose: diese ist weich, gallertig und unscharf begrenzt (. Abb. 3.10), Neigung zu tieferem Eindringen! Systemische Symptome: Schmerzen bis Schmerz-
Differenzialdiagnose. Atopische Dermatitis (negativer
Phototest!), aerogene Kontaktdermatitis (betrifft frei getragene, auch nicht-lichtexponierte Areale, z. B. submental) und systemische photoallergische Reaktionen bei fortgesetzter Zufuhr des Photoallergens. Therapie. Vermeiden möglicher Kontakt- bzw. Pho-
toallergene, Lichtschutz, Kortikosteroide, systemische PUVA-Therapie, evtl. zu Beginn unter systemischer Immunsuppression (Kortison, Azathioprin, Cyclosporin A).
schock; durch Resorption können pH-Verschiebungen des Bluts (Laugen) oder Organsymptome entstehen (z. B. ZNS-Symptome bei Phenol). Therapie. Spülung mit Leitungswasser, wenn möglich Neutralisation (z. B. Sodalösung bei Säuren, Essigwasser bei Laugen), Kortikosteroidexterna. Bei tiefen Verätzungen Frühexzision; sonst konservative Lokaltherapie. ! Sonderfall Flusssäure-Verätzung: diese breitet sich (anders als Säuren sonst!) schnell im Gewebe aus. Spülen und Unterspritzen mit Calcium gluconicum (fällt Flusssäure als Kalziumfluorid aus).
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Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Verhärtung der Vene. Im späteren Verlauf Entstehung von Kollateralkreisläufen. Hautulzera sind selten.
Pannikulitis. Die Verabreichung gewebereizender Substanzen in das Fettgewebe (statt in den Muskel) führt zu einer schmerzhaften, oft einschmelzenden und später fibrosierenden Pannikulitis (»Spritzenabszess«).
3
Embolia cutis medicamentosa. Bei versehentlicher intraarterieller (statt intramuskulärer) Injektion insbesondere visköser Flüsigkeiten kommt es zur Verlegung der arteriellen Blutbahn mit nachfolgender sehr schmerzhafter Nekrose der versorgten Gewebe. Zur Vorbeugung muss vor jeder i. m.-Injektion der Sitz der Nadel geprüft werden (kann Blut aspiriert werden, sitzt die Nadelspitze in einem Gefäß!).
Paravasate bei i. v.-Medikamentengabe Definition/Pathogenese. Der unbeabsichtige Austritt
. Abb. 3.10. Laugenverätzung. Diese Patientin legte sich wegen Fußschmerzen einen Verband mit Schmierseife an, den sie 2 Tage beließ. Beachte die oberflächlichen Nekrosen und Erosionen
3.1.9 Gewebeschädigung
durch parenterale Verabreichung von Medikamenten Schäden der Haut durch Injektion von Medikamenten sind leider keine Seltenheit (laut Literatur bis 6%). Ein Gutteil dieser Schäden kann durch Vorsicht und Sachkenntnis verhindert werden: die Schäden beruhen zwar auf den irritativ-toxischen Eigenschaften der Medikamente selbst, entstehen aber häufig erst durch inadäquate Verabreichung. Thrombophlebitis. Diese entsteht bei der i. v.-Gabe
venenreizender Medikamente (z. B. Anästhetika – Thiopental; Antibiotika – Erythromycin; Eisen (III), Diclofenac, hochosmoläre Nährlösungen, Papaverin u. v. a. m.). Zusätzliche Faktoren sind mechanische Verletzungen durch die Nadel, zu langes Belassen der Nadel, zu schnelle Verabreichung o. ä. 3Die Thrombophlebitis beruht auf einer Irritation der Vene. Sie entsteht, wenn kleine Mengen des Medikaments beim Injektionsvorgang in die Venenwand gelangen. Als Sofortreaktion tritt ein Venenspasmus ein (Injektionsschmerz), nach Stunden eine schmerzhafte Schwellung und Rötung an der Einstichstelle (Degeneration des Endothels, Entzündung), anschließend Thrombosierung, Okklusion und strangförmige
von Medikamenten »neben die Vene« ist einer der häufigsten iatrogenen Schäden und kann einen medizinisch bedeutsamen Zwischenfall darstellen. Gefördert werden Paravasationen durch Faktoren seitens des Personals (mangelnde Schulung und Erfahrung, ungünstiger Punktionsort, mangelnde Technik, Mehrfachpunktionen, Zeitdruck, Dauerapplikation mit Infusionspumpe, unzureichende Fixierung des Arms, unzureichende Überwachung) und des Patienten (schwierige Venensituation, Stauung, Alter, eingeschränkte Wahrnehmung, motorische Unruhe etc). Der durch Paravasation gesetzte Schaden hängt vorwiegend von der verabreichten Substanz (sowie von Osmolarität und pH der Injektionsdlösung und der Expositionsdauer) ab und ist bei zytotoxischen Medikamenten (Zytostatika) natürlich am höchsten. Man unterscheidet: 4 gewebsnekrotisierende Zytostatika (z. B. Cisplatin >0,4 mg/ml, Anthrazykline, Dactinomycin, Vincaalkaloide, Paclitaxel) 4 gewebsreizende (z. B. Cisplatin <4 mg/ml, manche Nitrosoharnstoffe und Alkylanzien, Etoposid, liposomales Doxorubicin) 4 nicht gewebsschädigende Zytostatika (z. B. Bleomycin, Methotrexat, Cyclophosphamid) Die Paravasation gewebsnekrotisierender Zytostatika führt sofort zu starken Schmerzen sowie Schwellung, Rötung und nach einigen Tagen zur Induration (Thrombosierung, Einblutung, Degeneration von Kollagen); unter anhaltenden Schmerzen kommt es zur Nekrose und Exulzeration, je nach Intensität bis in Muskel oder Gelenke. Mögliche Dauerfolgen sind persistierende Schmerzen und Kontrakturen mit Bewe-
95 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3
gungseinschränkung. Bei Paravasation bloß gewebsreizender Zytostatika bleibt die Nekrose aus. 3Beispiel für die Pathogenese. Das gewebsnekrotisierende Doxorubicin wird an DNA gebunden und führt zum Zelltod. Der dadurch wieder freiwerdende Wirkstoff bindet neuerlich an DNA – daher die extrem lange Verweildauer.
Differenzialdiagnose. Thrombophlebitis (s. o.); loka-
le toxische oder allergische Hypersensibilitätsreaktionen ohne Paravasation (Bleomycin, Adriamycin). Diese manifestieren sich als Erythem, Juckreiz und Urtikaria entlang der punktierten Vene und bilden sich innerhalb ca. 30 min zurück. Therapie. Sofortiges Abbrechen der Injektion/Infusion, Rückaspiration eines möglichst großen Teils des Paravasats, Hochlagerung und Ruhigstellung der betroffenen Extremität. Bei Paravasaten durch gewebsnekrotisierende Substanzen sind spezifische Maßnahmen angezeigt (z. B. trockene Wärme und Umspritzung mit Hyaluronidase – Vinca-Alkaloide, oder Applikation von DMSO – Anthrazykline), s. einschlägige Lehrbücher. Wegen der sehr schlechten Spontanheilungstendenz ist die plastisch-chirurgische Versorgung meist unumgänglich.
3.2
Intoleranzreaktionen der Haut
Intoleranzreaktionen sind Entzündungsvorgänge der Haut mit unterschiedlichem Erscheinungsbild, die als Ausdruck der Auseinandersetzung des Organismus mit (meist) exogenen Noxen auf dem Boden der Haut entstehen. Die Auslöser (»Trigger«) von Intoleranzreaktionen können chemische, physikalische oder infektiöse Noxen sein; selten entstehen die Noxen auch im Körper selbst. Die Intoleranzreaktionen laufen nach gewebespezifischen vorgeformten Mustern ab, von denen nur ein begrenztes Arsenal zur Verfügung steht. Das klinische Bild von Intoleranzreaktionen wird weniger von der Art des Triggers als von der Reaktionsweise jenes Kompartments der Haut bestimmt, mit dem die Noxe in Beziehung gerät (. Abb. 3.11). Dasselbe klinische Erscheinungsbild kann daher von verschiedenen Triggern ausgelöst werden. Intoleranzreaktionen sind die häufigsten Krankheitsbilder der Haut. Ihre Zahl ist nicht streng definiert; manche entzündlichen Dermatosen, die an anderer Stelle dieses Buchs abgehandelt werden, könnten auch hier eingereiht werden. Die Bedeutung der Intoleranzreaktionen reicht von harmlos bis lebensbedrohlich, wobei die Vehemenz der Reaktion oft die Gefährlichkeit des Auslösers weit übersteigt.
. Abb. 3.11. »Reaktionsformen« der Haut nach anatomischen Kompartimenten. Ausnahmen von der gezeigten Faustregel: Perkutane Resorption kann Kontakturtikaria oder E. multiforme-artige Streuläsionen hervorrufen; bei atopischer Dermatitis und beim allergischen Kontaktekzem können Antigene auch über die Blutbahn in die Epidermis gelangen
3.2.1 Ekzemgruppe Definition. Das Ekzem ist eine Intoleranzreaktion der Haut gegen Schädigungen der Epidermis durch (meist) von außen einwirkende, nichtinfektiöse Noxen. Sie ist klinisch durch die so genannte Ekzemreaktion (s. u.) und histologisch durch Spongiose (intraepidermales Ödem) und spongiotische Bläschen charakterisiert. Ekzeme können sowohl durch toxisch-irritative als auch durch immunologische Mechanismen ausgelöst werden. 3Terminologie: »Ekzem« ist ein aus dem Griechischen abgeleitetes Kunstwort (»anschwellen«, »aufkochen«) – ein inhaltsleerer, aber durch die Jahrhunderte geheiligter Begriff. Oft wird synonym »Dermatitis« verwendet – eine nachlässige Verkürzung von »Dermatitis eczematosa«. Dermatitis allein bedeutet nur »Hautentzündung«. In der Dermatologensprache besitzt »Ekzem« einen eher chronischen, »Dermatitis« einen eher akuten Klang.
Epidemiologie. Ekzeme sind die häufigste Kategorie der wichtigen Hautkrankheiten. Ihre Prävalenz wird zwischen 3 und 20% geschätzt, die Wahrscheinlichkeit, zumindest einmal im Leben an einem Ekzem zu erkranken, auf ca. 100%. Ihre Inzidenz ist im Steigen (häufigere berufliche Exposition, Ansteigen der atopischen Disposition, höhere Lebenserwartung). Sozioökonomische Bedeutung. Hautkrankheiten ma-
chen in der westlichen Welt mehr als die Hälfte aller
96
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Berufskrankheiten aus, davon entfallen mehr als 90% auf Kontaktekzeme. Die durch Ekzeme verursachten Kosten durch Arbeitsausfall, Umschulung und/oder Invalidität, Kosten von Lokaltherapie und Pflegepräparaten (z. B. Badeöle) u. a. sind enorm.
3
Pathogenese. Pathomechanismen. Die Ekzemreak-
tion resultiert aus der Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren (direkt durch physikochemische Noxen oder durch Immunreaktionen), der die epidermale Regenerationsreaktion folgt. Beim chronischen Ekzem überlagern die Ekzem- und die Regenerationsreaktionen einander; zusätzlich kann die Bildung von Kollagenfasern gefördert werden (Verdichtung der Haut). Klassifikation. Die Ekzeme können im Prinzip auf 3
pathogenetische Prototypen zurückgeführt werden: 4 das toxische Kontaktekzem 4 das allergische Kontaktekzem 4 die atopische Dermatitis Alle anderen Ekzemformen sind Variationen unter besonderen Begleitumständen. Eine klinisch brauchbare Klassifikation der Ekzeme (. Tab. 3.3) berücksichtigt diese Gesichtspunkte. 3Ekzeme und Barrierefunktion. Zwischen diesen besteht eine kritische Wechselwirkung. Die Barriere hält zwar physikochemische Noxen von der Haut fern, lässt aber dennoch niedermolekulare Substanzen in potenziell schädigenden Mengen durchdringen; andererseits verursacht die Ekzemreaktion selbst einen Barriereschaden (Circulus vitiosus). Diese Wechselwirkung hat wichtige klinische Konsequenzen: 4 Konstitutionelle Schwäche der Barriere erhöht die Ekzembereitschaft (Alte, Kleinkinder, Atopiker, bestimmte Körperregionen – Gesicht, Beugen)
. Tab. 3.3. Klassifikation der Ekzeme Nach der Pathogenese
Kontaktekzem, toxisch Kontaktekzem, allergisch Atopisches Ekzem Exsikkationsekzem Seborrhoisches Ekzem Stauungsekzem Photoallergisches Ekzem
Nach der Lokalisation
Hand-, Fuß-, intertriginöses, periorifizielles, Windel-Ekzem etc.
Nach Akuität
Akut, chronisch
Nach besonderen Merkmalen
Hyperkeratotisches, dyshidrotisches, nummuläres, Streu-Ekzem Lichen simplex chronicus Prurigo acuta, subacuta, chronica
4 Schädigung der Barriere kann allein irritativ-degenerative Ezeme auslösen (chronische Durchfeuchtung, entfettende Substanzen, chronisches Reiben) und schon bestehende Ekzeme verschlechtern (»grobe« und »feuchte« Arbeiten, abrasive Seifen – »Waschsand«, forciertes Duschen – atopisches, exsikkotisches Ekzem) 4 »Pfropfallergien«: der Barriereschaden beim chronischen Ekzem ist eine gute Eintrittspforte für Kontaktallergene (Nickel, Duftstoffe, Salbengrundlagen). Selten können Allergene auch unter Vermeidung der Barriere über die Blutbahn in die Haut gelangen und dort zum Aufflammen von Ekzemen führen. Beispiele: nutritive Allergene bei atopischer Dermatitis, Nickel aus Endoprothesen bei der allergischen Kontaktdermatitis. Ekzeme und Keimflora. Auch zwischen der mikrobiellen Besiedelung der Haut und Ekzemen bestehen Wechselwirkungen: Exsudation und Vergrößerung der Hautoberfläche durch Schuppen führen zur Vermehrung der Keime, vorwiegend der residenten Mikroflora (7 Kap. 4.2.1), aber auch pathogener Keime (Staphylococcus aureus). Die Stoffwechselprodukte verschlechtern das Ekzem; bei dichter Besiedelung kann es zur manifesten Superinfektion kommen (Impetiginisierung, Follikulitis). Besonders bedeutsam ist dieses Phänomen beim atopischen (Abwehrschwäche!) und beim intertriginösen Ekzem (Durchfeuchtung). Patienten mit atopischer Dermatitis tragen Staph. aureus nicht nur an der ekzematischen Haut, sondern auch außerhalb dieser (z. B. Nasenraum) – potenzielle Infektionsquelle!
Symptomatik. Unter der Ekzemreaktion versteht man eine stadienhaft ablaufende Sequenz klinisch-histologischer Symptome; sie ist am klarsten beim Kontaktekzem ausgebildet; unterschieden werden die akute und die chronische Ekzemreaktion. Die akute Ekzemreaktion (. Abb. 3.12), etwa nach Einwirkung eines Irritans, beginnt als helles Erythem, das auf den Ort der Einwirkung scharf begrenzt ist (z. B. sind Abrinnspuren erkennbar) und eine etwas matte Oberfläche besitzt (Folge des intraepidermalen Ödems) – das Stadium erythematosum. In milden Fällen erfolgt nach einigen Tagen die Abheilung mit Abschuppung. Ist die Reaktion heftiger, entstehen Bläschen – Stadium vesiculosum. Die Bläschen sind selten mehr als stecknadelkopfgroß, mit klarer Flüssigkeit gefüllt und (bei schräger Betrachtung) transluzent. Bei physiologisch dicker Hornschicht (Hände und Füße) können auch große Blasen entstehen. Die Bläschen jucken und brennen oft beträchtlich; durch ihr Platzen (Kratzreflex!) kommt es zu Nässen (Stadium madidans) und später durch Eintrocknen des Exsudats zur Verkrustung (Stadium crustosum). War die Exposition gegenüber der Noxe einmalig, beginnt nach wenigen Tagen die Abheilung: Auftreten von Schuppen (Stadium squamosum) und Restitutio ad integrum. Die akute Ekzemreaktion verläuft in der gesamten Läsion uniform und synchron. Histologisch ist sie durch
97 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
. Abb. 3.12. Kontaktdermatitis der Unterbauchgegend bei einer hochschwangeren Frau. Dieses Bild demonstriert die scharfe Begrenzung einer akuten Kontaktdermatitis (hier eine allergische Reaktion auf ein quecksilberhaltiges Desinfiziens), Abrinnspuren, häufig bei Kontaktdermatitis durch flüssige Agenzien, »symptomatische« Purpura (typische Komplikation einer Kontaktdermatitis bei erhöhtem hydrostatischem Blutdruck: zahlreiche punktförmige Petechien), Striae distensae im Nabelbereich
Spongiose, spongiotische Bläschen und lymphozytäre Entzündung der papillären Dermis gekennzeichnet, in der Abheilungsphase durch Para/Hyperkeratose. Die chronische Ekzemreaktion (. Abb. 3.13) entsteht, wenn die Noxe wiederholt oder kontinuierlich weiterhin einwirkt und die spontane Abheilung daher ausbleibt. Die Uniformität des Ekzemherdes wird durch ein Nebeneinander sämtlicher genannter Morphen (Erythem, Bläschen, Krusten, Schuppen) sowie zusätzlich entzündliche Knötchen aufgelöst und durch Kratzeffekte überlagert. Die Begrenzung wird unscharf, die Haut durch die entzündliche Infiltration voluminöser (aufgehobene Hautfalten verdickt!), die Hauttextur vergröbert – Lichenifikation (Vergleich mit einer mit Flechten bedeckten Baumrinde). Die Histologie zeigt eine akanthotische (»psoriasiforme«) Epidermis mit Hyper- und Parakeratose und fleckige lymphozytäre Infiltrate der Dermis. Spongiose und spongiotische Bläschen treten in den Hintergrund. Streuphänomene. (Chronische) allergische (selten to-
xische) Kontaktekzeme können in unmittelbarer Umgebung, in der Region, aber auch fernab vom Ort der Allergeneinwirkung ekzematische Veränderungen auslösen. Diese sind in der Regel »nummulär« (münzenförmig), weniger intensiv als der Primärherd und meist symmetrisch verteilt. Dieses Streuphänomen ist eine der Hauptursachen generalisierter Ekzeme. z. B. »Eczema cruris venosum mit Generalisation«. Manchmal kom-
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. Abb. 3.13. Chronische Ekzemreaktion am Beispiel eines »nummulären« Unterschenkelekzems. Beachte die unscharfe Begrenzung, das Nebeneinander von Erythem, Schuppung, Krusten und entzündlichen Papeln mit Vergröberung der Hauttextur (Lichenifikation)
men nummuläre Streuekzeme auch ohne Primärherd vor (hämatogen zirkulierende Allergene?). Die Ursache des Streuphänomens ist nicht gänzlich geklärt. In manchen Fällen handelt es sich lediglich um exogene Verbreitung der Noxe, meist jedoch um systemische Mechanismen (z. B. hohe Blutspiegel proinflammatorischer Zytokine oder Mobilisation und Bindung allergenspezifischer Memory-T-Zellen). Komplikationen von Ekzemen. Häufigste Komplika-
tion ist die Superinfektion. Periorifizielle Ekzeme und tylotische Hand- und Fußekzeme können schmerzhafte Rhagaden ausbilden (Eintrittspforten von Erysipelen!). Therapie und Prophylaxe. Wichtigste Maßnahme ist die Ausschaltung der Ursache, sofern möglich. Dies ist bei akuten Ekzemen leichter als bei chronischen: bei letzteren liegt die Ursache häufig nicht klar auf der Hand und hängt oft mit Beruf, Lebensweise oder der Disposition des Patienten zusammen. Die Vermeidung der Ursache schließt auch die Meidung irritativer Begleitsituationen (z. B. Trockenheit der Haut) und die Behandlung spezifischer Komponenten ein (z. B. venöse Insuffizienz etc.). ! Akute Ekzeme sprechen sehr gut auf lokale (in schweren Fällen systemische) Kortikosteroide an, bei chronischen kommt den begleitenden Maßnahmen ein höherer Stellenwert zu. Systemische Kortikosteroide sind bei chronischen Ekzemen abzulehnen (keine Dauerlösung, langfristig Nebenwirkungen).
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3
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Toxisches, allergisches und atopisches Ekzem Toxisches Kontaktekzem Definition. Das toxische Kontaktekzem entsteht durch direkten Kontakt der Haut mit irritierenden Substanzen. Man unterscheidet akute und chronische Formen. Erstere beruhen auf (oft nur kurzem) Kontakt mit obligaten Irritanzien, letztere auf wiederholtem oder langdauerndem Kontakt mit nur unterschwellig irritierenden Stoffen (relative Irritanzien). Beim chronischen toxischen (»degenerativen«) Kontaktekzem spielen individuell prädisponierende Faktoren eine wesentliche, beim akuten nur eine geringe Rolle. Epidemiologie. Toxische Kontaktekzeme sind sehr häu-
fig (5- bis 10-mal häufiger als allergische). Die ursächliche Exposition erfolgt meistens im Rahmen der Erwerbstätigkeit bzw. des Haushalts (»Hausfrauenekzem«), die Prävalenz ist daher nach Berufsgruppen sehr verschieden. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Ätiologie/Pathogenese. Die Zahl der obligat toxischen
Kontaktsubstanzen ist sehr groß; sie umfasst alle Arten von Laugen und Säuren, organische und anorganische Öle (Schmieröle, Schneideöle), Lösungsmittel (Terpentin), oxidierende und reduzierende Agenzien (Friseurchemikalien!), aber auch pflanzliche Stoffe (Zitrusfruchtschalen, verschiedene Gemüse, Blumenzwiebel) u. a. Die relativen Irritanzien sind weniger aggressive Stoffe aus denselben Klassen. Das akute irritative Kontaktekzem beruht auf der Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren aus toxisch geschädigten Epidermalzellen. Es tritt definitionsgemäß bei jedem Individuum auf, das mit der ursächlichen Substanz in Kontakt kommt; seine Intensität hängt im Wesentlichen von der Konzentration der Substanz und der Einwirkungsdauer ab. Das chronische irritative (degenerative) Kontaktekzem geht von einer progredienten Schädigung der Barrierefunktion aus, die ein vermehrtes Eindringen sowohl der toxischen Substanzen als auch von Wasser zulässt (dieses ist hypoton und dadurch zytotoxisch). Der Barriereschaden entsteht durch wiederholtes Schwellen der Hornschicht (bei allen »Nassberufen«: Friseure, medizinisches Personal, Köche, Reinigungspersonal), Extraktion der Hornschichtlipide, sowie durch mechanische Faktoren: durch die Arbeit selbst wie durch Staub, forciertes Reinigen der Hände etc. Der Barriereschaden begünstigt den toxischen Effekt der jeweiligen Substanz und führt auch zur typischen Trockenheit der Haut. Die Hornschicht wird dünner, der »Säuremantel der Haut« bricht zusammen. Wasser mit hohem Kalkgehalt kann bei chronischem Kontakt auch alleine ein degeneratives Ekzem auslösen, umso mehr
bei reichlichem Gebrauch von Waschmitteln und Detergenzien (Grundlage des Hausfrauenekzems). Symptomatik. Betroffen sind meist Hände und Unter-
arme. Das akute toxische Kontaktekzem tritt rasch (innerhalb von Stunden) nach der meist leicht zu eruierenden Exposition auf. Es ist durch eine monomorphe erythematös-vesikulöse Ekzemreaktion gekennzeichnet, die scharf auf das Kontaktareal beschränkt ist und subjektiv mehr brennt als juckt. Die maximale Manifestation sind Hautnekrosen. Das chronische toxische Ekzem beginnt in der Regel schleichend. Erstes Symptom ist eine unangenehme Trockenheit der Haut, der später Erythem und Schuppung folgen. Das Vollbild des chronisch-degenerativen Kontaktekzems tritt erst nach manchmal jahrelanger Exposition auf und zeigt einen trockenen, hyperkeratotisch-schuppigen (»tylotischen«), rissig-rhagadiformen und kaum exsudativen Charakter (. Abb. 3.14). Es ist unscharf auf das Kontaktareal lokalisiert und neigt wenig zu Streuherden. Die Erstmanifestationen sind oft an Handrücken und Fingerzwischenseiten (dünnere Hornschicht!). Chronische Handekzeme sind oft von Onychodystrophie begleitet (zu Beginn: Tüpfelnägel – 7 Kap. 10.6.1). ! Die Haut ist relativ unempfindlich gegenüber verdünnten Säuren, besitzt gegenüber Alkalien aber nur eine begrenzte Pufferkapazität (Messung: Alkalineutralisationstest). Nach repetitiver Alkaliexposition nimmt die Alkaliresistenz ab, bis – oft erst nach Jahren – das degenerative Ekzem manifest wird. Nach dessen Abheilung sind bis zur Wiederherstellung der Pufferkapazität Monate bis Jahre Expositionsfreiheit erforderlich. Während dieser »Empfindlichkeitsphase« können schon milde irritative Reize jeder Art zum Rezidiv führen.
. Abb. 3.14. Chronisch hyperkeratotisch-rhagadiformes Ekzem nach Gebrauch von Melkerfett
99 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3Die individuelle Disposition ist für die Entstehung chronisch irritativer Ekzeme von großer Bedeutung. Besonders gefährdet sind Personen mit mangelhafter Barrierefunktion (z. B. Atopiker); ihnen soll von der Ausübung von z. B. Nassberufen abgeraten werden. Die Mehrheit der Personen, die wiederholten Kontakten mit Irritanzien exponiert sind, reagiert glücklicherweise mit Verdickung der Hornschicht und Verbesserung der Pufferkapazität (Härtung: ein neues, allerdings labiles Gleichgewicht), sodass nach mehreren Wochen die Noxe vertragen wird.
Diagnostik und Differenzialdiagnose. Abzugrenzen ist v. a. das allergische Kontaktekzem: da dieses klinisch und histologisch kaum unterscheidbar ist, beruht die Diagnose auf der Interpretation der Anamnese und negativem Ausfall der Epikutantestung (7 Kap. 2.3). Zu beachten ist, dass sich ein allergisches Kontaktekzem einem toxischen »aufpfropfen« kann. Therapie. Das akute Kontaktekzem spricht meist schnell
auf Kortikosteroidsalben an, chronische können notorisch therapieresistent sein. Sie erfordern oft zusätzliche Therapiemodalitäten (UV, Abschuppung mit Salicylsäurepräparaten, manchmal auch Etretin) und Pflegemaßnahmen (u. a. Applikation von Pflegesalben). Wichtigste Maßnahme ist die Vermeidung von irritierenden Substanzen bzw. Situationen und von Feuchtarbeit. Die Verwendung von (ungepuderten!) Schutzhandschuhen (Gummi, Vinyl) ist bei unvermeidbarer Exposition sinnvoll; bei längeren Arbeiten sollen unter den Schutzhandschuhen Baumwollhandschuhe getragen werden, um einer Verschlechterung durch Schwitzen vorzubeugen. Zusätzlich Hautschutz- und -pflegepräparate. Die Patienten müssen ferner aufgeklärt werden, dass beim chronisch-degenerativen Ekzem auch Noxen, die mit der Ursache nichts zu tun haben (z. B. Hobbyarbeiten) zur Exazerbation führen können. C A V E
Behandlung mit Kortikosteroidsalben unter Weiterwirken der Ursache führt nicht zum Abheilen von Ekzemen. Diese Tatsache ist vermutlich der wichtigste Grund für die schlechte Akzeptanz dieser sonst segensreichen Substanzgruppe durch die Bevölkerung.
Allergisches Kontaktekzem Definition. Das allergische Kontaktekzem entsteht auf Basis einer Typ-IV-Reaktion gegen (meist) exogen auf die Haut auftreffende Substanzen. Sie manifestiert sich bei episodischer Exposition als akutes, bei wiederholter oder dauernder Exposition als chronisches allergisches Kontaktekzem. Im Gegensatz zum toxischen setzt das allergische Kontaktekzem eine Sensibilisierung voraus. Die Intensität hängt vom Grad der Sensibilisierung und
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der Massivität der Exposition ab. Das Erscheinungsbild entspricht im Prinzip dem des toxischen Kontaktekzems, ist jedoch vielgestaltiger (u. a. weniger häufig an den Händen lokalisiert) und neigt zur Ausbildung von Streuherden. Epidemiologie. Obwohl seltener als das toxische, ist das allergische Kontaktekzem die Hauptursache von Berufsunfähigkeit durch Hautkrankheiten. Darüber hinaus kommt es im Rahmen von Haushalt, Hobby- und Freizeitgestaltung (z. B. Gartenarbeit), im persönlichen (Körperpflege und Kosmetik, Schmuck, Textilien, Schuhwerk etc.) sowie im medizinischen Bereich (Salben, Desinfektionsmittel etc.) zustande. Die betroffenen Bevölkerungsgruppen sind demnach sehr unterschiedlich. Pathogenese. Die Bereitschaft, auf gewisse Kontaktsubstanzen im Sinne einer Typ-IV-Reaktion zu antworten, steht wahrscheinlich unter genetischem Einfluss, doch wurden bislang keine Assoziationen (z. B. mit bestimmten Haplotypen) nachgewiesen. 5% der Menschen sind etwa gegen das »obligate« Kontaktallergen Dinitrochlorobenzol (DNCB) nicht sensibilisierbar. Bisher sind ca. 3000 Kontaktallergene bekannt, von denen allerdings nur ein kleiner Teil in der üblichen chemischen Umwelt vorkommt (z. B. Farben, Kosmetika, Arzneimittel, Kunststoffe für verschiedenste Industriezweige, pflanzliche Substanzen, Schwermetallsalze u. a. m.; . Tab. 3.4). Es handelt sich meist um elektrophile niedermolekulare Substanzen (MG 500–1000). Sie werden als Haptene bezeichnet, da sie einer (kovalenten) Bindung an ein Trägerprotein bedürfen, um zum Vollantigen zu werden. Trägerproteine können Serumalbumin, epidermale Proteine, aber auch in den MHC-Gruben befindliche präformierte Peptide sein. Die meist an Kliniken erstellten »Hitlisten« aktueller Antigene sind ein wichtiges Instrument zur Erfassung von Trends, doch können diese Zahlen nicht ohne weiteres auf die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung übertragen werden. Prozess der Sensibilisierung (»afferente« Phase der allergischen Ekzemreaktion). Bei Erstkontakt mit
dem Hapten wird der Hapten-Proteinkomplex durch Langerhans-Zellen oder dermale dendritische Zellen aufgenommen und prozessiert; diese wandern über die afferente Lymphe in die regionalen Lymphknoten und präsentieren dort das haptenisierte Peptid an naive T-Zellen mit passendem T-Zell-Rezeptor. Durch deren Aktivierung und Proliferation entstehen allergenspezifische Th1(CD4+)- und zytotoxische (CD8+) Zellklone, die mit dem Blut zirkulieren und sich kraft ihrer Adhäsionsmoleküle präferenziell in der Haut anreichern. Die
100
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
. Tab. 3.4. Häufige Kontaktallergene und ihr Vorkommen
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Wollwachsalkohole
Salbengrundlage (Lanolin), Polituren, Schiwachse
Duftstoffe
Parfums, Hautpflegeprodukte
Kontakt mit dem Hapten kommt es nach einer Zeitspanne von 4–72 h (üblicherweise 12–48 h) zum Auftreten der akuten Ekzemreaktion. Diese wird durch antigenspezifische Th1-Memory-Zellen mediiert, die im Bereich der Reexposition ins Gewebe austreten, hier durch Antigenpräsentation (dendritische Zellen, Makrophagen) zu Proliferation und Zytokinausschüttung (IL-1, IL-2, IFN-α) stimuliert werden und die Generation antigenspezifischer zytotoxischer Zellen amplifizieren. Es resultiert eine gegenseitige Aufschaukelung entzündungsfördernder Funktionszustände durch alle beteiligten Zelltypen, deren Ziel die Attacke gegen allergentragende epidermale Zielstrukturen ist. Resultat sind Spongiose, Blasenbildung und schließlich die Ausschaltung der allergentragenden Keratinozyten (zytotoxische Zellen!).
Thiurame
Gummiartikel
Mercaptobenzothiazol
Vulkanisationsbeschleuniger
Nickel
Metalle, Modeschmuck, Haarfärbemittel
Chromat
Zement, Ledergerbung
Parabene
Konservierung von Kosmetika, technischen Ölen und Lebensmitteln
Dibromdicyanobutan
Konservierung von (Latex-)farben, Klebstoffen, Hautpflegeprodukten
Cetylstearylalkohol
Lokaltherapeutika, Sonnenschutzmittel
Perubalsam
Lokaltherapeutika, Tabak, Lebensmittelaroma
Symptomatik. Typische Manifestationen von allergischen Kontaktekzemen. Bestimmte Lokalisationen
Para-Phenylendiamin
Haarfärbemittel, dunkle Textilfarbstoffe, Druckerfarben
Terpentin
Flüssigseifen, Antiseptika, Lösungsmittel, Polituren
geben Hinweise auf potenzielle Auslöser; die Kenntnis dieser klinischen Bilder ist daher diagnostisch wichtig (. Abb. 3.15): 4 Hände: die häufigste Lokalisation. In Frage kommen hauptsächlich berufsbedingte Kontaktallergien (Chromat, Acrylate, p-Phenylendiamin und andere Friseurstoffe, Epoxidharze, Gummichemikalien) und Inhaltsstoffe von Kosmetika (Wollwachsalkohole, Duftstoffe etc.) 4 Füße: Inhaltsstoffe von Leder (Chromatbeizen), Gummi (Akzeleratoren), Textilfarbstoffe 4 Frei getragene Körperteile: Photoallergene, Parfums, Kosmetika, Aeroallergene (Pollen, Pflanzenteile – Sesquiterpenlaktone!), flüchtige Substanzen – Kolophonium-, Kochdämpfe 4 Bedeckte Körperteile: Textilfarbstoffe, Appreturen (Formaldehydharze). Dieses Ekzem ist typischerweise an den Druckstellen akzentuiert und spart die Regionen der Unterwäsche aus. 4 Ohrläppchen, Ringfinger, seitliche Halspartien, unter dem Nabel: Nickel (Modeschmuck, Nieten von Jeans) 4 Beine: Textilfarben (»Bluejeans-Dermatitis«) 4 Streifige Ekzemherde: Kontakt mit Phytoallergenen (Primeln, »poison ivy« - Urushiol); 4 Unterschenkel: Lokaltherapeutika bei Ulcera cruris (Antibiotika, Antioxidanzien, Emulgatoren, Wollwachse, Gummimaterialien von Kompressionsstrümpfen etc.) 4 Generalisiertes allergisches Kontaktekzem: kann durch generalisierten Allergenkontakt (z. B. Schwitzbad in feuchtem Heu) oder hämatogen nach topischer oder oraler Applikation entstehen (z. B. Sulfonamide, Neomycin, Nickel).
Propolis
Naturkosmetika, Naturheilmittel, Firnisse
Sesquiterpenlactone
Naturheilmittel (Arnika, Ringelblume, Kamille)
Epoxidharze
2-Komponentenkleber, Zahnprothesen, Kunstharze
Methylmethacrylat
Acrylharzkunststoffe (Zahnprothesen, künstliche Fingernägel, Acrylatkleber, Autolacke)
Sensibilisierungsphase ist klinisch stumm, die Sensibilisierung betrifft das gesamte Integument. 3Die Sensibilisierung setzt eine Aktivierung der dendritischen Zellen voraus, die wieder aus der Freisetzung bestimmter Zytokine (IL-1, GM-CSF) resultiert. Die Sensibilisierung wird daher durch entzündliche Prozesse gefördert (Erklärung für das Phänomen der »Pfropfallergie«). Die minimale Zeitspanne bis zum Abschluss der Sensibilisierung beträgt bei Substanzen mit »hohem Sensibilisierungsindex«, wie etwa DNCB, Parastoffen (Farbstoffe) oder Pflanzenallergenen (Giftefeu), 5 Tage. Andere Substanzen (Chromat, Nickel) führen oft erst nach monate- bis jahrelangem Kontakt zur Sensibilisierung. Kontaktallergien sind prinzipiell rückbildungsfähig. Die Bestandsdauer (ohne neuerliche Reexposition) hängt entscheidend von der Art des Haptens ab. Allergien auf Epoxidharze klingen oft schon nach Wochen spontan ab, während Chromatallergien Jahrzehnte persistieren können.
Auslösung des allergischen Kontaktekzems durch Reexposition (»efferente« Phase). Bei abermaligem
101 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3
. Abb. 3.15. Typische Lokalisationen von Kontaktekzemen und ihre Auslöser
3Regionsspezifische Eigenheiten haben Einfluss auf das Bild der Ekzeme: an behaarten Regionen (Kapillitium, Achseln) bilden sich allergische Kontaktekzeme weniger leicht aus und manifestieren sich daher stärker in der Nachbarschaft. Kontaktekzeme auf Deodoranzien können daher gerade den behaarten Teil der Achseln aussparen. Handflächen und Fußsohlen sind gleichfalls relativ resistent, das Maximum des Ekzems liegt meist an Fingerzwischenseiten und Handrücken. Regionen mit locker gewebter Dermis (Orbital-, Genitalregion) bilden oft erhebliche Ödeme aus. Selten sind ferner allergische Kontaktreaktionen an der Mundschleimhaut.
C A V E
Lokaltherapeutika waren und sind eine wichtige Ursache von Kontaktekzemen. Während die Industrie viele berüchtigte Inhaltsstoffe längst eliminiert hat, genießen Naturheilmittel aus der Hausapotheke oder vom Alternativmediziner weiterhin hohes Ansehen: Arnika, Ringelblumen, Propolis, Teebaumöl u. a. m.
Diagnostik. Anamnese und Epikutantest (7 Kap. 2.3.5). Therapie und Prophylaxe. Akute allergische Kontakt-
ekzeme sprechen auf Kortikosteroid-Externa wieder leicht an; bei chronischen hingegen sind diese allein, oft auch bei zusätzlicher Photochemotherapie, unzureichend (!). Ein der Hyposensibilisierung bei Typ-I-Allergien analoges Verfahren existiert nicht – Versuche der Toleranzinduktion durch systemische Administration (z. B. Nickel) bei schon Sensibilisierten waren nur teilweise erfolgreich. Die entscheidende Maßnahme ist daher stets die Vermeidung der auslösenden Noxen (Prävention).
! Man unterscheidet die primäre Prävention (Verhinderung der Sensibilisierung), die sekundäre (Vermeidung der Reexposition bei schon Sensibilisierten) und die tertiäre (Behandlung und Rehabilitation nach eingetretener Erkrankung). Die primäre Prävention umfasst generelle vorbeugende Maßnahmen (patientenunabhängig); sekundäre und tertiäre Prävention sind patientenbezogen.
Primäre Prävention. Diese zielt auf die Entfernung allergener Substanzen aus dem menschlichen Umfeld, z. B. das Verbot von Nickel in Modeschmuck in der EU, Limitation von p-Phenylendiamin in Friseurstoffen. Wesentlich sind systematische präventive Maßnahmen: so sollen z. B. schon Friseurlehrlinge dazu angehalten werden, bei Nassarbeiten und Umgang mit Chemikalien Handschuhe zu tragen. Am Markt steht eine Vielzahl von Industrieschutzpräparaten gegen spezifische Noxen (Laugen, Säuren, Wasser, Schmieröle etc.) zur Verfügung. Zur Bestimmung des Sensibilisierungspotenzials für neu einzuführende Substanzen hat sich der prädiktive LLNA (»local lymph node assay«) etabliert (s. einschlägige Literatur). Sekundäre und tertiäre Prävention. Aufklärung. In manchen Fällen sind Arbeitsplatzwechsel oder Umschulung unumgänglich. 3Die Therapie der Zukunft wird über subtilere Methoden verfügen, z. B. spezifische Interaktion mit Zytokinen, Verhinderung der Rekrutierung von Entzündungszellen durch Interferenz mit Adhäsionsmolekülen, antiinflammatorische Peptide, Antisense-Oligonukleotide u. v. a. m. Die verlockendste Zukunftsvision wäre das Erzielen einer spezifischen Toleranz des
102
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
noch nicht Sensibilisierten (z. B. vor Ergreifen eines Risikoberufs). Dies ist im Tierversuch mit der Induktion einer klonalen Anergie durch UV-B-Bestrahlung vor Allergenexposition schon gelungen. Ob dies auch am Menschen ein sinnvoller Weg ist, bedarf einer genauen Prüfung, da eine einmal induzierte Toleranz kaum mehr rückgängig gemacht werden kann.
3Überlappung mit Ichthyosis vulgaris: ca. 10% haben klare Zeichen dieser Erbkrankheit (Exsikkose, Lichen pilaris, I-Hand, Kap. 8.2.1), umgekehrt ist AD bei Ichthyosis vulgaris häufig (40–50%) – eine seit altersher bekannte Assoziation (»Eczema in ichthyotico«). Eine Kosegregation dieser beiden Krankheiten wurde gezeigt.
Atopische Dermatitis (Synonym Atopisches Ekzem, Neurodermitis constitutionalis) Definitionen. Die atopische Dermatitis (AD) ist eine häufige, chronische Ekzemform, die durch ihren besonderen Verlauf, klinische Merkmale und assoziierte Zeichen von den übrigen Ekzemen unterscheidbar ist. Sie beruht auf einem komplexen genetischen Hintergrund, der zumindest 2 Abweichungen von der Norm umfasst: 4 Störungen der epidermalen Barriere (z. B. Mutationen des Filaggrin-Gens, s. u.) und 4 die »atopische Disposition«, d. h. die Neigung, gegen bestimmte exogene, meist respiratorische Substanzen sensibilisiert zu werden und Rhinokonjunktivitis – »Pollinose«, Asthma bronchiale und – eben – Ekzeme auszubilden.
Klassifikation. Ein Teil der Patienten mit AD zeigt nor-
3
Wichtige Phänomene der atopischen Krankheitsbilder (auch der AD) sind eine TH2-vermittelte Immunreaktion, erhöhte IgE-Spiegel und Eosinophilie. Epidemiologie, genetische Prädisposition, Verlauf.
AD kommt weltweit vor und ist bei Knaben etwas häufiger als bei Mädchen. 1–3% aller Erwachsenen und 5–20% aller Kinder neigen zu bzw. leiden an AD, wobei die Inzidenz in den letzten Jahrzehnten – vermutlich aus Umweltgründen – ansteigt. 60% erkranken im 1. Lebensjahr (meist nach dem 1. Monat), weitere 30% in den folgenden 4 Jahren. Bei der Mehrzahl heilt die AD mit der Pubertät ab, eine Persistenz beobachtet man vorzugsweise bei Kindern, deren Krankheit erst im Schulalter begonnen hat. Ein Krankheitsbeginn bzw. -wiederbeginn im Erwachsenenalter ist möglich, aber selten. Die AD verläuft typischerweise schubartig, mit Besserungen im Frühjahr und Sommer (obwohl dies die Pollensaisonen sind) und Verschlechterungen in der kalten Jahreszeit. Ungefähr zwei Drittel der AD-Patienten weisen eine atopische Familienanamnese auf. Eine atopische Affektion beider Elternteile birgt ein 75%iges Risiko für das Kind, an AD zu erkranken. Bei einem Drittel aller AD-Patienten besteht eine positive Eigenanamnese von respiratorischen Allergien; umgekehrt muss jeder zweite AD-Patient damit rechnen, an solchen zu erkranken. Bei etwa 20% sind sowohl Familien- als auch Eigenanamnese stumm.
male IgE-Spiegel. Diese Untergruppe wird als AD vom intrinsischen Typ bezeichnet und jener vom extrinsischen Typ gegenübergestellt, bei der erhöhte IgE als Zeichen einer polyvalenten Allergen-spezifischen Antwort vorliegen. Populationsstudien haben gezeigt, dass die intrinsische AD hauptsächlich bei milden Fällen und Fehlen respiratorischer Allergien vorliegt. Sie ist daher vermutlich die häufigere Form und wird als Vorstufe des extrinsischen Typs interpretiert, der sich zu respiratorischen Allergien fortentwickeln kann (»atopic march«). Pathogenese. Der AD liegt eine analoge (wenn auch oft
nur subklinische) Fehlfunktion der Barriere zugrunde wie der Ichthyosis vulgaris (Defekte am Filaggrin-Gen, an Genen spezifischer Proteasen), die sich in Trockenheit, Irritabilität und erhöhtem transepidermalen Wasserverlust manifestiert. Der Barrieredefekt erlaubt das leichtere Eindringen von (Aero)Allergenen, was dann – bei entsprechender Disposition – zum Aufbau der atopischen Immunreaktion führt. Durch diese Beobachtung findet das bekannte Phänomen der Verschlechterung der AD durch exogene Faktoren (z. B. hartes Wasser) seine Erklärung, möglicherweise auch der Inzidenzanstieg der AD (veränderte Gewohnheiten im Gebrauch von Wasser und Seife). 3Filaggrinmutationen per se sind nicht mit respiratorischen Allergien korreliert, sondern nur, wenn gleichzeitig eine AD besteht. Dies könnte umgekehrt bedeuten, dass durch rechtzeitige und erfolgreiche Behandlung der AD den prekären Folgen einer respiratorischen Allergie vorgebeugt werden kann.
Polymorphismen der Gene für den hochaffinen IgE-Rezeptor, für die Interleukine 4 und 13 sowie deren Rezeptoren treiben das Immunsystem zur Ausbildung einer unerwünschten, d. h. gewebsschädigenden Antwort gegen unschädliche Moleküle (z. B. von Pollen, Hausstaubmilben, Nahrungsmittel u. a. m.). Das von atopischen Keratinozyten produzierte Zytokin TSLP (thymic stromal lymphopoetin) bestimmt antigenpräsentierende dendritische Zellen zur Induktion einer T2-geprägten Antwort, d. h. Aktivierung von Typ-2-T-Lymphozyten, meist vom Helfer-Typ, die
103 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
4 via IL-4 und IL-13 die IgE-Produktion durch B-Lymphozyten induzieren, 4 via IL-5 die Reifung eosinophiler Granulozyten fördern, 4 via IL-10 die Aktivierung von T1-Lymphozyten blockieren, 4 nach Rückkehr in die Haut (vermittelt durch von Keratinozyten produzierte Zyto- und Chemokine – IL-16, TARC und MDC, sowie hautspezifische Adhäsionsmoleküle – CLA) und als Effektorzellen eine Ekzemreaktion verursachen (. Abb. 3.16).
3
– IFN-α und IL-15 scheinen für Chronizität und Lichenifikation verantwortlich zu sein.
Allergenspezifische T2-Zell-Klone können in Blut und Hautläsionen nachgewiesen werden. Allerdings trifft die Dominanz der T2-Zellen nur auf die akuten Phasen der AD zu, in chronischen schwingt das Pendel wieder in Richtung der T1-Zellen zurück (biphasisches Muster)
Rolle des IgE. IgE kann auch selbst die Entzündung durch einen positiven Rückkopplungsmechanismus beeinflussen. Basophile und eosinophile Granulozyten, Mastzellen, aber auch antigenpräsentierende Zellen (z. B. Langerhanszellen) exprimieren an ihrer Zellmembran hochaffine IgE-Rezeptoren. Allergenbedingte Kreuzvernetzung der daran in monomerer Form gebundenen spezifischen IgE-Moleküle führt in Granulozyten und Mastzellen zur Freisetzung von Mediatoren der Entzündungsantwort und in antigenpräsentierenden Zellen zur Produktion T-Zell-attrahierender Zytokine (z. B. IL-16) wie auch zur besonders effizienten Prozessierung und Präsentation des betreffenden Antigens (. Abb. 3.16). Dieser IgE-verstärkte Weg der Antigenpräsentation schaukelt die T-Zell-Aktivierung kontinuierlich auf.
. Abb. 3.16. Immunpathogenese der atopischen Dermatitis – Induktions- und Amplifikationswege der allergischen Entzündungsreaktion. APZ, antigenpräsentierende Zelle; T2, T-Zelle vom Typ2; B, B-Zelle; FcεRI, hochaffiner IgE-Rezeptor;
CLA »cutaneous lymphocyte-associated antigen«; IL Interleukin; TSLP »thymic stromal lymphopoietin«; TARC »thymus and activation regulated chemokine«; MDC »macrophagederived chemokine«
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Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
3
. Abb. 3.18. Neurodermitis bei einem Kleinkind. Beachte die Prädilektion der Hände und das (oft ständige) Kratzen . Abb. 3.17. Milchschorf. Massive krustige Auflagerungen am Kapillitium bei einem 4 Monate alten Mädchen. Milde Ekzeme der Wangen und disseminiert am Körper
Symptomatik. Das Erscheinungsbild der AD ändert
sich mit dem Alter des Patienten so sehr, dass verschiedene Stadien unterschieden werden müssen. In allen Lebensaltern kann sich die AD bis zum maximalen Erscheinungsbild der Erythrodermie weiterentwickeln. Säuglings- und Kindesalter. Das Säuglingsekzem be-
ginnt meist vom 3. Lebensmonat an und hat einen stark exsudativen Charakter. Es finden sich alle Zeichen der akuten Dermatitis: Rötung, Mikrovesikulation, Erosion, Krusten- und Schuppenbildung. Die Läsionen beginnen häufig an Wangen oder Scheitelbereich, nehmen an Intensität zu und führen häufig zu symmetrischen, verkrusteten Herden (»Milchschorf«) an Gesicht und Kapillitium (. Abb. 3.17), in weiterer Folge an Rumpf und Extremitäten (. Abb. 3.18). Die Veränderungen können einige Monate bis zu etwa 2 Jahren bestehen bleiben, dann spontan abheilen oder auch persistieren. Im letzteren Fall, dem Ekzem des Kindesalters, tritt der exsudative Charakter in den Hintergrund, die entzündliche Gewebsinfiltration nimmt kontinuierlich zu, und die Läsionen finden sich nun vorzugsweise in Gesicht, Hals und Nacken, im oberen Brustbereich und Schultergürtel, besonders ausgeprägt in den großen Beugen (Ekzema flexurarum) sowie an Hand- und Fußrücken (. Abb. 3.19). Die übrige Haut ist auffallend trocken, manchmal diffus gerötet und fein schuppend. Als Folge der Entzündung entstehen flächenhafte Hypo- bzw. Hyperpigmentierungen. Vorherrschendes subjektives Symptom ist der quälende Juckreiz (nächtliche Juckkrisen), der die Patienten zum heftigen Krat-
. Abb. 3.19. Ekzema flexurarum. Nummuläre Herde der Kniekehlen bei Neurodermitis
zen veranlasst. Folgen sind multiple Exkoriationen, abgewetzte Fingernägel (»Glanznägel«) und die Auslösung frischer Krankheitsschübe. Spätmanifestationen der kindlichen AD. Im Regelfall
bildet sich die AD bis zur Pubertät weitgehend zurück (ausgenommen die Neigung zu trockener Haut). Für diese Übergangsperiode sind einige Zustandsbilder charakteristisch: 4 Pityriasis alba: wenig entzündliche, nummuläre, verwaschen hypopigmentierte und zart schuppende Herde an Gesicht, Armen und Rumpf (Ursache: Störung des Pigmenttransfers von Melanozyten zu Keratinozyten). Differenzialdiagnose: Pityriasis versicolor alba, Mucinosis follicularis. 4 Dyshidrotisches Ekzem insbesondere der Fingerzwischenseiten (oft jahrelange Persistenz). 4 Dyshidrosis lamellosa sicca (»atopic winter feet«: trockene, schuppige Haut von Handflächen und Fußsohlen; oft Entstehung schmerzhafter Einrisse.
105 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3
4 Cheilosis (»Schleckekzem«): schuppig-erosive Veränderung der Lippen, oft mit schmerzhaften Rhagaden und Krusten. Ursache: die dispositionelle Trockenheit der Lippen wird gewohnheitsmäßig durch Befeuchtung mit Speichel beantwortet. Dies führt zur weiteren Austrocknung (Circulus vitiosus). Erwachsenenalter. Bei der AD des Erwachsenenalters sind die befallenen Hautareale lichenifiziert und oft mit Prurigoknötchen durchsetzt. Prädilektionsstellen sind wieder Stirn und Augenlider, Hals, Beugeseiten der Extremitäten sowie Hand- und Fußrücken. Nicht selten findet man aber auch regellos disseminierte nummuläre Ekzemherde. Bei einer kleinen Fraktion entwickelt sich die AD zu einem persistenten und äußerst quälenden Leiden. Das Bild ist durch Erythrodermie, schwere Lichenifikation und lederartige Verdickung (Facies leonina), beständigen Juckreiz und exzessive Irritabilität der Haut gekennzeichnet. Meist besteht weitgehende Resistenz gegen alle gebräuchlichen Therapiemaßnahmen (. Abb. 3.20). Charakteristische Begleitsymptome der AD. Diese sind diagnostisch wichtig. Sie umfassen oft die schon oben genannten Zeichen der Ichthyosis vulgaris, daneben: 4 periorbitale Blässe 4 seitliche Lichtung der Augenbrauen (HertogheZeichen) 4 die infraorbitale doppelte Lidfalte (Dennie-Morgan-Falte) (. Abb. 3.20)
. Abb. 3.20. Das Gesicht des erwachsenen Neurodermitikers. Diffus gerötet, lichenifiziert, von zahlreichen punkt- und strichförmigen Exkoriationen und Blutkrusten übersät, Lichtung der lateralen Augenbrauen (Hertoghe-Zeichen), DennieMorgan-Falten der Unterlider. Die leidende, introvertierte Miene ist ein nicht untypischer Ausdruck der Krankheit
. Abb. 3.21. »Weißer Dermographismus« bei (mildem) atopischem Ekzem. Beachte das diffuse Gesichtserythem, das Hertoghe-Zeichen und die Dennie-Morgan-Falten
4 die paradoxen Weißreaktionen auf mechanische (weißer Dermographismus – . Abb. 3.21) und chemische Reize (Nikotinsäureester, Methacholinchlorid) 4 Fakultative Symptome sind rezidivierende Konjunktivitiden, Keratokonus und subkapsuläre Katarakte. Aggravierende Faktoren und Komplikationen. Kaum
eine Hautkrankheit ist gegenüber exo- bzw. endogenen Störeinflüssen so anfällig wie die AD. Durch psychischen und physischen Stress ausgelöstes Schwitzen, Kleidungsstücke aus reiner Wolle oder Synthetik, Kontakt mit Detergenzien, Staub, Schrubben, heißes und zu ausgiebiges Baden, die Einnahme von die Mediatorfreisetzung begünstigender Substanzen (starke Gewürze, Alkohol etc.), manchmal auch eine verstärkte Allergenexposition können akute Ekzemschübe auslösen. Aufgrund der geschilderten Dysbalance der T-Helferzell-Subpopulationen und auch insuffizienter Produktion körpereigener, antimikrobieller Polypeptide (Defensine und Cathelizidine) sind Patienten mit AD besonders anfällig gegenüber bakteriellen (Staph. aureus), viralen (Herpes-simplex-, Papillom-, Poxviren) und mykotischen (Malassezia furfur) Infektionen. Eine Besiedelung mit Staph. aureus führt meist zu einer deutlichen Verschlechterung der AD, wahrscheinlich als Folge einer durch Staphylokokken-Superantigene bedingten Lymphozytenaktivierung. Besonders dramatisch kann das durch Herpes-simplex-Viren, selten durch Coxsackie-A-16-Viren verursachte Ekzema her-
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Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
peticatum verlaufen. Einige Tage nach der Lokalinfektion kommt es zur disseminierten Aussaat multipler, häufig genabelter Bläschen, die sich in wie ausgestanzte, schmerzhafte, blutende, von Superinfektion bedrohte Erosionen umwandeln. Die Erkrankung geht meist mit schweren Allgemeinerscheinungen einher und erfordert rasches Eingreifen (Aciclovir; evtl. Staphylokokken-wirksame Antibiotika).
thyosen (Netherton-Syndrom), Psoriasis und Pityriasis rosea. Manche Stoffwechselkrankheiten (Acrodermatitis enteropathica, Gluten-sensitive Enteropathie, Phenylketonurie, essenzieller Fettsäuremangel), Immunopathien (Wiskott-Aldrich-Syndrom; Ataxia teleangiectatica, selektive IgA-Defizienz, Hyper-IgE-Syndrom) und Neoplasien (Langerhanszell-Histiozytose, Glukagonom) können ähnliche Hautzeichen hervorrufen.
Diagnostik. Einem gängigen Klassifizierungssystem folgend beruht die »AD« auf der Erfüllung von mindestens 3 von 4 Hauptkriterien: 4 massiver Juckreiz 4 Ekzem in typischer Morphe und Verteilung 4 chronischer und/oder rezidivierender Verlauf 4 positive Eigen- bzw. Familienanamnese für Atopie
Therapie und Prävention. Vermeidung von Allergenen. Eine direkte, d. h. einen Krankheitsschub der AD
Dazu kommen 4 Nebenkriterien: 4 die oben angeführten Begleitsymptome sowie erhöhte Serum-IgE-Werte 4 positive Hautreaktionen auf potenzielle Allergene in Prick- und Intrakutantest 4 weißer Dermographismus Histologisch zeigen sich die für ein Ekzem typischen Veränderungen. CD4-positive T-Zellen und CD1-tragende dendritische Zellen dominieren das entzündliche Infiltrat und – im Gegensatz zum allergischen Kontaktekzem – finden sich nicht selten eosinophile Granulozyten. Atopie-Patchtest. Eine bedingte diagnostische Bedeutung hat die Läppchenprobe mit potenziellen Allergenen. Ähnlich wie beim Kontaktekzem kommt es bei sensibilisierten Personen nach epikutaner Aufbringung des verantwortlichen (Aero)Allergens zu einer ekzematösen Reaktion, deren Kinetik einer Typ-IV-Immunantwort entspricht. Im Gegensatz dazu weisen positive Prick- und allergenspezifische IgE-Tests zwar auf eine stattgefundene Sensibilisierung hin, sind aber nur von geringer klinischer Relevanz. Labor. Charakteristisch sind, wie erwähnt, erhöhte
IgE-Spiegel und Eosinophilie. Beide sind nicht stets vorhanden und mit der Krankheitsaktivität nicht streng korreliert. 3Die bedingte Relevanz der IgE-Spiegel wird dadurch illustriert, dass auch bei Patienten mit X-chromosomaler Agammaglobulinämie (die kein IgE produzieren) eine AD auftreten kann.
Differenzialdiagnose. Bei Säuglingen und im Kindes-
alter seborrhoisches Ekzem, Skabies, kongenitale Ich-
auslösende Rolle der jeweils von den IgE erkannten Allergene (z. B. Tierhaare, Pilzsporen, Gräserpollen) ist nicht durchwegs gesichert. Gut kontrollierte Studien haben jedoch ergeben, dass durch Hausstaubmilbensanierung oft eine klinische Besserung herbeigeführt werden kann. Auch die Rolle von Nahrungsmittelallergien in der Pathogenese der AD ist nicht eindeutig geklärt. Unbestritten ist, dass bei etwa 30–40% aller Kinder mit AD nach Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel (v. a. Ei, Milch, Erdnüsse) Juckkrisen eintreten, die zu heftigem Kratzen und letztlich auch Ekzemen führen. Bei Erwachsenen mit AD sind Nahrungsmittelallergien nur selten nachweisbar. Bei schwerer, therapieresistenter AD (insbesondere Kindern) empfiehlt sich eine stationäre Abklärung (Restriktionsdiäten mit Reexposition, ggf. Doppelblind-Provokation). Die Schaffung allergenarmer bzw. -freier Bedingungen ist zwar wünschenswert, auch zur günstigen Beeinflussung von respiratorischen Allergien, aber nur selten zu verwirklichen. Allergenarme Diäten sind bei Kindern manchmal sinnvoll, ähnlich wie der Aufenthalt in allergenarmer Umgebung (Meer, Hochgebirge). Medikamente. Bei schwerer Symptomatik sind to-
pische Kortikosteroide meist unabdingbar. Zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen ist grundsätzlich die intermittierende Gabe und – nach Erreichen der Erscheinungsfreiheit – die Verwendung kortikosteroidfreier Externa (Pflegecremes, Badeöle) einer Langzeit- oder sogar Dauertherapie in suboptimaler Dosierung vorzuziehen. Für die empfindliche Gesichtshaut empfehlen sich die mittelwirksamen, nebenwirkungsarmen Steroide neuer Generationen. Eine wesentliche Bereicherung sind die topischen Calcineurin-Inhibitoren Tacrolimus und Pimecrolimus. Die beiden Substanzen sind strukturell verwandt und inhibieren die Expression proinflammatorischer Zytokine, darüber hinaus die Freisetzung von Histamin und Eikosanoiden. Beide sind bei mittelschwerer (Pimecrolimus) bis schwerer AD (Tracrolimus) sehr gut wirksam, werden abgesehen von anfänglichem Brennen
107 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
gut vertragen und führen zu keinen steroidtypischen Nebenwirkungen (inkl. Hautatrophie). Auch nach großflächiger Anwendung werden sie nicht in relevanter Menge resorbiert. Diese Eigenschaften ermöglichen eine viel unbedenklichere Anwendung als von Kortiksteroidsalben (»proaktive Behandlung«) und führen zu einem höheren Grad an Erscheinungsfreiheit. Mögliche Ergänzungen der Lokalbehandlung sind: 4 Antihistaminika zur Juckreizstillung (und Sedierung) 4 die vorzugsweise systemische Gabe von Antibiotika zur Bekämpfung von Superinfektionen 4 bei schweren Verläufen: Phototherapie (UVB oder hochdosiertes UVA1) bzw. Photochemotherapie 4 Das wirksamste, selten erforderliche Mittel ist eine systemische immunsuppressive Therapie (z. B. Cyclosporin A – nur bei Erwachsenen!). Wesentliche Hilfsmaßnahmen sind sorgfältige Pflege und die Ausschaltung aggravierender Faktoren (s. o.). 3Zur Vorbeugung kindlicher Atopie bei hohem Atopierisiko gesichert ist der prophylaktische Wert des Stillens (mindestens 4 Monate ohne Zufütterung). Falls dies nicht ausreichend möglich ist, sollten kommerziell erhältliche hypoallergene Kuhmilchhydrolysate verwendet werden. Sojaprodukte sind zu meiden, da sie stark allergen wirken. Ferner sollte die Mutter während der Stillperiode wichtige Allergene meiden (Kuhmilch und -produkte, Eier, Fisch, Erdnüsse etc.). Feste Nahrung sollte erst spät eingesetzt werden. Weitere gesicherte prophylaktische Maßnahmen sind: Rauchverbot während und nach der Schwangerschaft, Verzicht auf pelztragende Haustiere (zumindest während der beiden ersten Lebensjahre) und Hausstaubmilbenbekämpfung (z. B. keine Teppichböden).
Seborrhoisches, asteatotisches, dyshidrotisches und Stasisekzem Neben den klassischen Ekzemtypen existiert eine große Zahl historisch gewachsener Ekzem-Entitäten, die nur teilweise wohldefiniert sind, aber einen festen Platz im dermatologischen Alltagsleben haben. Überwiegend handelt es sich um irritative Dermatosen, die unter bestimmten, regionsspezifischen Umständen entstehen. Seborrhoisches Ekzem (Synonym seborrhoische Dermatitis) Definition. Eine häufige, in der Regel auf die seborrhoischen Areale (Kopf, oberer Rumpf) beschränkte Ekzemform, die klinisch durch scharf begrenzte Erytheme und »fettige« Schuppung gekennzeichnet ist. Das seborrhoische Ekzem ist mit vermehrter Bildung und fehlerhafter Zusammensetzung des Talgs und überschießender symbiontischer Hautflora (Malassezia furfur) verbunden.
3
Epidemiologie. Die Prävalenz des seborrhoischen Ek-
zems liegt bei mindestens 5%. Man unterscheidet die frühkindliche (bis zum 3. Lebensmonat) und die häufigere adulte Form; bei letzterer sind Männer häufiger und schwerer betroffen. Sie ist bei bestimmten Systemkrankheiten gehäuft: Morbus Parkinson, HIV-Infektion (hier bei ca. 70%, intensiv und therapieresistent – ein dermatologisches Zeichen von AIDS). Pathogenese. Es besteht eine komplexe, noch nicht
ganz geklärte Störung der symbiontischen Mikroflora und der Hautlipide. Das seborrhoische Ekzem tritt nur in Lebensperioden mit hoher Talgdrüsenaktivität (Erwachsenenalter; in der Neugeborenenperiode durch persistierende mütterliche Androgene) und überwiegend in Regionen mit hoher Talgdrüsendichte auf. Die Vermehrung der Hautlipide führt zur Proliferation der Hautflora, wobei dem Hefepilz M. furfur (7 Kap. 4.4.3) eine Hauptrolle zukommt. Die Hautfette sind aber nicht nur vermehrt, sondern auch anders zusammengesetzt (weniger freie Fettsäuren, mehr Triglyzeride). Die Ekzemreaktion wird vermutlich durch irritative mikrobielle Produkte hervorgerufen. 3Erklärung: Die ursächliche Rolle der Talgfette und von M. furfur ist offensichtlich, da man das seborrhoische Ekzem durch systemische Behandlung sowohl der Seborrhoe (Isotretinoin) als auch des Hefepilzes (Antimykotikum) unterdrücken kann. Andererseits ist die klinische Aktivität des Ekzems weder mit dem Ausmaß der Seborrhoe noch mit den Keimzahlen (und auch nicht mit den Androgenspiegeln) gut korreliert.
Symptomatik/Diagnostik. Charakteristisch ist die Lo-
kalisation (»seborrhoische Areale« – behaarte Kopfhaut, Gesicht, obere Rumpfpartien, seltener die großen Beugen), die Verteilung (großflächig am Kapillitium, disseminierte nummuläre Herde an den übrigen Regionen) und die Morphologie: die Herde sind scharf begrenzt, gelblich-rot, matt und von fettig wirkenden, meist pityriasiformen Schuppen bedeckt. Bei intensiverem Befall können die Läsionen milde nässen und die Schuppen zu massiven Auflagerungen konfluieren. Subjektive Beschwerden sind gering (außer bei Kopfbefall – Juckreiz). Histologie: psoriasiformes ekzematisches Bild. Infantiles seborrhoisches Ekzem
Dieses tritt etwa eine Woche nach Geburt auf und heilt spätestens nach einigen Monaten spontan ab (. Abb. 3.22). Symptomatik. Beginn mit Erythem und fettiger, ad-
härenter Schuppung am Scheitel, in der Folge Ausdehnung über die ganze Kopfhaut, oft Entwicklung scharf begrenzter, manchmal nässender Streuherde in Ge-
108
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
! Das seborrhoische Kopfekzem ist nicht selten mit einem Androgeneffluvium assoziiert. Patienten halten häufig das Ekzem für die Ursache des Haarausfalls; dies trifft zwar nicht zu, doch ist eine Akzeleration des Haarwechsels durch das Ekzem möglich.
3
Differenzialdiagnose.
. Abb. 3.22. Seborrhoisches Säuglingsekzem: Großlamellöse, fettige Schuppung, mäßige Entzündung. Schwerpunkt: Scheitelbereich
sicht, retroaurikulär, Rumpf und Beugen. Die Windelregion ist häufig befallen (ein Vertreter der »Windeldermatitis«; 7 Kap. 11.12). Bei schwerem Verlauf exzessive, fettige, groblamellöse Schuppung am Kapillitium (»Gneis«) und ausgedehnter Hautbefall. Die Kinder gedeihen jedoch gut und wirken – anders als Kinder mit atopischem Ekzem – zufrieden. Differenzialdiagnose. Atopisches Ekzem (späterer Beginn, stärkerer Leidensdruck, exsudative Charakteristik), frühkindliche Psoriasis (manchmal erst durch den Verlauf unterscheidbar!) und Windelsoor (periphere Schuppenkrausen, stark entzündlich). Therapie. Pflegerische Maßnahmen, in schwereren Fällen milde Kortikosteroidcremes. Seborrhoisches Ekzem des Erwachsenen Symptomatik. Das seborrhoische Kopfekzem umfasst
(oft als einzige Manifestation) meist die gesamte Kopfhaut. Diese ist diffus gerötet und von fettigen Schuppen bedeckt, die Haare sind fettig, strähnig und von stumpfem Glanz. Häufig heftiger Juckreiz, als dessen Folge Kratzeffekte und follikuläre Pyodermien. Assoziiert finden sich oft disseminierte, meist symmetrische Ekzemherde im Gesicht und entlang der Haargrenzen (Stirn, Schläfen, Augenbrauen, Nacken, retroaurikulär), an den Nasolabialfurchen und Wangen. Am Rumpf ist das seborrhoische Ekzem weniger häufig. Es finden sich analoge Herde meist prästernal (»zentrothorakaler Typ«), seltener disseminiert (»Ekzema petaloides«).
4 Kopf: Psoriasis capillitii (weiße groblamellöse Schuppenauflagerungen, kein Juckreiz), Pediculosis capitis (starker Juckreiz, Exsudation, Krusten, Pyodermien), Schuppung bei anderen generalisierten Dermatosen (z. B. Pityriasis rubra pilaris). 4 Gesicht: atopisches Ekzem, periorale Dermatitis, Lupus erythematosus, »seborrhoische« Papeln bei Lues II, Psoriasis. 4 Rumpf: Pityriasis rosea, Pityriasis versicolor, luetische Exantheme, Psoriasis, subakut-kutaner Lupus erythematosus. 3Das Problem der »Kopfschuppen«. Milde Schuppung der Kopfhaut ohne weitere Krankheitssymptome wird als Pityriasis simplex capillitii bezeichnet – ein am Rand des Normalen stehender Zustand. Zugrunde liegt wahrscheinlich meist ein mildes seborrhoisches Ekzem. Zu unterscheiden sind Kopfschuppen bei trockener Haut (z. B. bei AD oder Ichthyosis vulgaris – trockene, wie ausgedörrte Haare, Kopfhaut und Schuppen, wenig Juckreiz). Die Unterscheidung ist wichtig, da die Therapie bei den letzteren mit rückfettenden und nicht entfettenden Shampoos erfolgen muss.
Therapie. Intermittierende Anwendung Ketokonazoloder Ciclopirox-haltiger Shampoos und Cremes, allenfalls zusätzlich Kortikosteroidlösungen oder topische Calcineurin-Inhibitoren.
Asteatotisches Ekzem (Exsikkationsekzem, Eczème craquelé) Definition. Ein häufiges generalisiertes Ekzem des höheren Lebensalters, das aus der physiologischen »Exsikkose« der Haut entsteht. Pathogenese. Etwa ab dem 50. Lebensjahr nimmt das Wasserbindungsvermögen der Hornschicht ab, die Haut wird trocken, verliert ihre Geschmeidigkeit und verursacht ein brennend-juckendes Organgefühl (»Exsikkose«). Der Übergang in ein exsikkotisches Ekzem wird durch zusätzliche Entfettung (heißes Duschen, schäumende Duschgele) oder irritierende Faktoren (Massageöle, Schwimmen in gechlortem Wasser, Bürsten der Haut) etc. gefördert. Weitere aggravierende Faktoren sind kaltes, trockenes Klima (»winter itch«), Marasmus und Kontaktsensibilisierung (Salben, Hausmittel). Symptomatik. Das Ekzem beginnt an den Unterschen-
kel-Streckseiten und breitet sich auf Extremitäten und
109 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3
. Abb. 3.24. Akutes dyshidrotisches Handekzem. Große, prall gespannte Blasen der Handflächen und Beugeseiten der Finger
. Abb. 3.23. Exsikkationsekzem (Ekzema craquelé) am Unterschenkel. Typisch ist die durch oberflächliches »Aufbrechen« der Hornschicht entstandene Hautfelderung (vgl. »eingetrockneter Schlamm«, Craquelé-Keramik)
Rumpf aus. Die Haut ist gerötet, wie ausgedörrt, pityriasiform schuppend und eidechsenlederartig gefeldert (»Pseudoichthyose«). Bei Dehnung (z. B. über Unterschenkelödemen) reißt die Hornschicht ein, die Haut zeigt ein craqueleeartiges Muster (wie »eingetrockneter Schlamm«, . Abb. 3.23). Differenzialdiagnose. Sézary-Syndrom (Befall von Ge-
sicht, Hand- und Fußflächen, Nägeln). Therapie. Kortikosteroid- und Pflegesalben, Badeöle, Unterlassen zu intensiver Körperpflege.
Dyshidrotisches Ekzem Definition. Hand- und/oder Fußekzeme, die wegen der dicken Hornschicht dieser Regionen durch besonders massive spongiotische Blasen ausgezeichnet sein können. Ätiologisch handelt es sich um Kontakt- oder atopische Ekzeme. C A V E
Beim dyshidrotischen Ekzem liegt keine Störung der Schweißdrüsenfunktion vor (Fehlbezeichnung!).
Pathogenese. Bei akuten dyshidrotischen Ekzemen
handelt sich um meist toxische, seltener allergische Kontaktekzeme. Der chronisch-rezidivierende Typ ist oft eine Spätmanifestation der AD oder gleichfalls ein kontaktallergisches Ekzem (Nickel, Chromat, Haushalts-Allergene etc.). Eine weitere Ursache ist die so
genannte Dermatophytidreaktion, d. h. ekzematöse Streuherde von z. B. einer Fußmykose. Symptomatik. Das akute dyshidrotische Ekzem ist durch dicht stehende, prall gespannte, heftig juckende Bläschen/Blasen an Handflächen und/oder Fußsohlen, Zwischenfingerseiten und Handrücken gekennzeichnet (. Abb. 3.24). Hände sind häufiger befallen als Füße. In ausgeprägten Fällen können bis zentimetergroße Blasen entstehen (»Pompholyx«), die zur Superinfektion neigen (Pusteln, Lymphangitis). Abheilung unter Ausbildung festhaftender, groblamellöser Schuppen. Das chronisch-rezidivierende dyshidrotische Ekzem manifestiert sich als wiederkehrende Bläschenschübe bzw. als hyperkeratotisches Hand- (Fuß)ekzem. Unter Dyshidrosis lamellosa sicca versteht man eine Minimalvariante: die Bläschen trocknen schnell ein und wandeln sich in kreisrunde collaretteartige weiße Schuppensäume um. Entzündungszeichen fehlen (Differenzialdiagnose: »atopic winter feet«, palmoplantare Epidermomykose). Differenzialdiagnose. Psoriasis pustulosa palmoplantaris: Pusteln, wenig entzündlicher Charakter. Therapie. Der Pompholyx-Typ wird mit einem Korti-
kosteroidstoß, milde Formen mit Kortikosteroid- und Pflegesalben behandelt. Stasisekzem (Synonym Ekzema cruris varicosum, venosum, postthromboticum) Definition. Eine in der zweiten Lebenshälfte häufige chronische Ekzemform, die mit chronischer Insuffizienz der Beinvenen assoziiert ist und meist beidseits an den distalen Unterschenkeln auftritt. Pathogenese. Unterschenkelekzeme beginnen meist
schon früh in der Entwicklung der venösen Insuffi-
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Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
zienz, wahrscheinlich als direkte Folge der Stase-bedingten Entzündung (7 Kap. 12, Phlebologie), meist über insuffizienten Vv. perforantes der medialen Supramalleolarregion. Später kommen weitere wichtige Kofaktoren hinzu: 4 Lichenifikation durch oft exzessives Reiben und Kratzen (starker Juckreiz) 4 Exsikkose 4 Kontaktsensibilisierung durch Salbenbehandlung (klassisches Beispiel einer »Pfropfallergie«!) 4 nach Ausbildung von Ulzera Durchfeuchtung mit Wundsekret und Keimüberwucherung
wieder gute Eintrittspforten von z. B. Erysipelen sind. Typische Vertreter sind: 4 Analekzem: mangelnde Schließfähigkeit des Sphinkters, Austritt des Sekrets der Proktodäaldrüsen 4 Naseneingangsekzem 4 Anguli infectiosi (Perlèche, Faulecken): Ekzem der Mundecken durch chronische Durchfeuchtung, meist bei (altersbedingt) schlaffen Backen 4 Cheilose (Schleckekzem): chronische Irritation der Lippen durch habituelle Befeuchtung der Lippen (atopisches Ekzem!) 4 Gehörgangsekzem
Symptomatik. Der Unterschenkel zeigt die Merkmale
Ekzeme um Ulzera und Fistelöffnungen Diese entstehen durch ständige Befeuchtung und Irritation durch keimreiche Sekrete. Beispiele: Ulcus cruris venosum, Fisteln bei Osteomyelitis, Mamillarekzem (Milchfisteln).
des venösen Symptomenkomplexes: subfasziales Ödem, Dermatosklerose, Varizen, Hämosiderinpigmentierung, evtl. Ulzera. Das Stasisekzem ist unscharf begrenzt, trocken, schuppend, lichenifiziert und mit Kratzeffekten bedeckt. Episoden akuten Nässens deuten auf eine aufgepfropfte Kontaktallergie hin; hierbei treten häufig nummuläre Streuherde auf (Extremitäten, Gesicht). Therapie. Behandlung des Grundleidens (7 Kap. 12), Kortikosteroidsalben.
Weitere Ekzeme Nummuläres Streuekzem
Darunter versteht man disseminierte »münzgroße«, unscharf begrenzte, lichenifizierte Ekzemherde, die symmetrisch und vorwiegend an den Extremitäten angeordnet sind (. Abb. 3.13). Es handelt sich um eine Erscheinungsform ekzematischer Streuherde (keine eigene Krankheitseinheit!), die beim atopischen Ekzem, beim allergischen Kontaktekzem, oft aber auch scheinbar spontan auftritt. Chronisch-rezidivierender Verlauf, therapeutisch oft schwer zugänglich. Intertriginöses Ekzem Degenerative Ekzeme, die an den großen Körperfalten (Axillen, Leisten, submammär) durch chronische Irritation (Wärme, Schweiß, Friktion, mangelnde Hygiene) und Überwucherung der mikrobiellen Hautflora entstehen. Vorwiegend bei immobilen und adipösen Personen. Differenzialdiagnose: Erythrasma, Epidermomykose, Kandidamykose, intertriginöse Psoriasis. Periorifizielle Ekzeme Subakut-chronische Ekzeme, die an und um Körperöffnungen durch Überfeuchtung und Überwucherung der mikrobiellen Flora entstehen. Sie haben in der Regel einen dispositionellen Hintergrund (z. B. Hämorrhoiden) und neigen zur Entwicklung von Rhagaden, die
Photoallergisches Ekzem
7 Kap. 3.1.7, Lichtdermatosen. 3.2.2 Erythema-multiforme-Gruppe Die Erythema-multiforme-Gruppe umfasst eine Reihe von akuten Intoleranzreaktionen, die durch zelluläre zytotoxische Reaktionen gegen Keratinozyten ausgelöst werden. Die Ursachen der Vertreter der E. multiformeGruppe sind heterogen (. Tab. 3.5). Gemeinsame morphologische Charakteristika sind (klinisch) die Irisläsion und (histologisch) Satellitenzellnekrosen. »Irisläsion«. Eine kreisrunde, anfangs münzgroße, hellrote, quaddelähnliche Läsion, die nicht flüchtig ist und »schießscheibenartige« konzentrische Ringe ausbildet (Folge wechselnder Intensität der Entzündung bei gleichzeitiger peripherer Ausbreitung) (. Abb. 3.25). Im Zentrum treten oft Blasen und/oder Einblutungen auf. »Satellitenzellnekrosen«. Einzelne nekrotische Keratinozyten, umgeben von einem Kranz von (zytotoxischen) Lymphozyten. Die wichtigsten Vertreter der Erythema-multiforme-Gruppe sind: 4 Erythema (exsudativum) multiforme (EM) 4 Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und Toxische epidermale Nekrolyse (TEN) 4 Fixes Arzneimittelexanthem (7 Kap. 3.2.8) 4 »Multiformeartige« Streureaktionen bei allergischer Kontaktdermatitis
111 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
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. Tab. 3.5. Erythema multiforme-Gruppe: auslösende Faktoren (Auswahl)
. Abb. 3.25. Irisläsionen mit zentralen Blasen am Oberarm 3Bemerkung zur Klassifikation: Die Erythema-multiforme-Gruppe umfasst Krankheitsbilder, die in Aussehen, Ursachen und Bedeutung sehr verschieden sind. Da weder Irisläsionen noch Satellitenzellnekrosen stets typisch ausgebildet sind, war (und ist) die Unterscheidung von anderen Krankheitsbildern wie auch der Vertreter der Gruppe untereinander Gegenstand einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung über Klassifikation und Nomenklatur.
Erythema multiforme (EM) Definition, Epidemiologie. EM ist eine relativ häufige (ca. 1% der dermatologischen Visiten), meist milde verlaufende Intoleranzreaktion, die in hohem Maß mit chronisch-rezidivierendem Herpes simplex assoziiert ist. Sie tritt bevorzugt bei jungen Erwachsenen auf, ist selbstlimitiert, neigt aber zu Rezidiven (ca. ein Drittel der Fälle). Saisonale Häufung im Frühjahr. Pathogenese. Das rezidivierende EM ist wahrschein-
lich stets mit chronisch-rezidivierendem Herpes simplex (Typ I > II, meist Herpes labialis – nicht selten subklinisch!), assoziiert und häufig mit dem Haplotyp DQw3 korreliert (. Tab. 3.5). Es besteht keine Assoziation mit primärer Herpes simplex-Infektion! Das sporadische EM wird vermutlich gleichfalls durch (oft subklinische) Herpes simplex-Rezidive ausgelöst (unbewiesen). Mögliche weitere Trigger sind andere Infekte (z. B. Coxsackieviren) und Progesteron.
Krankheitsbild
Auslöser
Erythema multiforme
4 Herpes simplex (fast 100%?) 4 Streptokokken, Coxsackieviren, Mykoplasmen (?) 4 Progesteron 4 Kontaktallergene (als Streuphänomen)
Stevens-JohnsonsSyndrom und toxische epidermale Nekrolyse
4 Medikamente: – antibakterielle Sulfonamide – Allopurinol – Carbamazepin – Phenobarbital – Phenytoin – Lamotrigin – Nevirapin – NSAID (Oxicame) – Antibiotika, Tuberkulostatika 4 Infekte: – Mykoplasmen und diverse andere virale und bakterielle Infekte – Neoplasien (Lymphome) – Kollagenosen – Graft-vs-Host-Reaktion
EM beruht auf einer zellulären zytotoxischen Immunreaktion gegen Keratinozyten, die Herpes simplexAntigene exprimieren. Virus-DNA wird hämatogen in Monozyten in die Haut transportiert und an Keratinozyten abgegeben; in diesen erfolgt eine limitierte Replikation mit Expression einzelner Virusantigene (keine Infektion!). CD8+ zytotoxische T-Tymphozyten induzieren die Apoptose der betroffenen Keratinozyten (Satellitenzellnekrosen). 3Beweise für die ätiologische Rolle der Herpes simplex-Infektion: 4 Der Mehrzahl der Fälle von rezidiverendem EM geht eine klinische Episode von Herpes simplex voraus (Stunden bis 1 Woche). 4 Bei chronisch-rezidivierendem EM werden durch Dauerbehandlung mit Aciclovir weitere Rezidive oft unterdrückt, selbst wenn ein vorangehender Herpes simplex klinisch nicht erhebbar ist.
Symptomatik. Prodromi fehlen oder sind geringfügig
(mildes Fieber, Grippegefühl). Innerhalb einiger Tage entwickelt sich schubartig ein Exanthem aus einzelnen bis hunderten Irisläsionen, bevorzugt an Gesicht, Akren und Streckseiten der Extremitäten (. Abb. 3.25). In bis zu 50% treten auch an der Mundschleimhaut (Wangen, Gingiva) meist milde erosive, selten bullöse Läsionen
112
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
4 Labor. Meist wenig auffällig (gering erhöhte Senkung, Leukozytose, Akutphasenproteine). Therapie. Meist reicht eine topische Therapie aus (Kortikosteroide, Mundspülungen etc.), bei schwererem Verlauf systemische Kortikosteroidstöße. Bei chronisch-rezidiverendem EM niedrigdosierte Dauerprophylaxe mit Aciclovir (bzw. dessen Analoga).
3
C A V E
. Abb. 3.26. Verteilung der Läsionen bei Erythema multiforme und Stevens-Johnson-Syndrom/toxische epidermale Nekrolyse
auf. Die Irisläsionen können verschieden intensiv ausgeprägt sein, von kaum mehr als erythematös bis bullös, manchmal mit konzentrischen Bläschensäumen – »Herpes iris«. Hiervon rührt die Bezeichnung »multiforme« – allerdings herrscht im individuellen Fall meist nur ein einziger, stereotyper Läsionstyp vor. Die Irisläsionen breiten sich peripherwärts aus, werden aber kaum größer als einige Zentimeter und konfluieren selten. Sie heilen unbehandelt innerhalb einiger Wochen narbenlos ab. Lymphadenitis nur bei Mundschleimhautbefall, Systemzeichen und Befall innerer Organe fehlen. Rezidivierendes EM EM tritt meist sporadisch auf; in ca. einem Drittel der Fälle kommt es zu einem oder einigen Rezidiven. Zahlreiche Rezidive sind selten (im Extrem geht eine Episode in die nächste über: »kontinuierliches EM«). Diagnostik und Differenzialdiagnose. Die Diagnose
wird klinisch gestellt. Zu unterscheiden sind StevensJohnson-Syndrom, Urtikaria, bullöses Pemphigoid sowie multiformeartige Streureaktionen bei Kontaktallergien (Sulfonamide, Antihistaminika, pflanzliche Allergene). 4 Histologie. Ödem, dichte Infiltrate der papillären Dermis, CD8+-T-Lymphozyten in der Epidermis. Vakuolisierung und Satellitenzellnekrosen der Basalzellen, junktionale Blasenbildung.
Zur Behandlung des EM ist Aciclovir ungeeignet, da es nur in der Phase der Virusreplikation wirkt – diese ist bei Auftreten des EM schon abgelaufen.
Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und toxische epidermale Nekrolyse (TEN) Definition/Epidemiologie. SJS und TEN sind relativ seltene (je ca. 3–4/Mio./Jahr) bedrohliche Intoleranzreaktionen der EM-Gruppe, die meist durch Medikamentenunverträglichkeit ausgelöst werden. Ursprünglich als eigenes Krankheitsbild beschrieben, gelten sie heute als verschieden intensive Ausprägungen desselben Prozesses. Zum EM bestehen prinzipielle Analogien, doch unterscheidet sich SJS/TEN von diesem morphologisch wie auch in der Wucht seiner Symptomatik. Vorwiegend betroffen sind Personen der zweiten Lebenshälfte, Frauen etwas häufiger. Ein kleinerer zweiter Häufigkeitsgipfel besteht in der Kindheit. 3SJS bezeichnet die mildere Ausprägung (nach einer gängigen Einteilung Befall von <10% Körperoberfläche), TEN eine schwerere (>30%), der Rest sind »Übergangsfälle«. Je ausgedehnter der Befall, desto schwerwiegender sind auch Systemsymptome, Komplikationsrate und Prognose.
Pathogenese. SJS/TEN kann durch zahlreiche Trigger-
faktoren ausgelöst werden. Selten sind dies Infekte (gut dokumentiert: Mykoplasmen), in der überwiegenden Mehrzahl hingegen Medikamente: Sulfonamide, Butazone, Hydantoine und Allopurinol, ausnahmsweise weitere Ursachen (. Tab. 3.5). In seltenen Fällen lässt sich kein Auslöser erheben (idiopathische TEN). SJS/TEN wird als zytotoxische Reaktion gegen Keratinozyten interpretiert, die Determinanten von Fremdantigenen exprimieren. Der Gewebsschaden (Apoptose, Nekrose) resultiert aus massiver Freisetzung von TNF-α aus zytotoxischen T-Zellen. Faktoren, die per se zur Freisetzung von TNF-α führen, können die TEN verschlechtern (UV, Röntgenstrahlen, Sepsis). Symptomatik. Prodromi sind oft erheblich (Fieber, Grippegefühl, Pharyngitis, Kopfschmerz, Myalgien, Erbrechen etc). In dieser Phase erhält der Patient häufig
113 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3
Medikamente (z. B. Antibiotika, NSAID), die später als auslösendes Agens missinterpretiert werden können. SJS. Das Exanthem setzt abrupt ein und breitet sich rasch aus: zunächst an Gesicht, Hals und zentralen Rumpfbereichen, später zentrifugal am Rest des Körpers (. Abb. 3.26, . Abb. 3.27). Die Irisläsionen sind »atypisch«: größer als die des EM, fahl erythematös (kaum erhaben!) mit livid-hämorrhagischem Zentrum und deutlicher Neigung zur Konfluenz. Die Epidermis kann innerhalb der Läsionen tangenzial abgeschoben werden – positives direktes Nikolskizeichen (epidermale Nekrose!). Es entstehen oft ausgedehnte nässende, später hämorrhagisch verkrustete Erosionen; seltener Blasen (schlaff, teils hämorrhagisch, schnell rupturierend). Gleichzeitig oft massive Erosionen an hautnahen Schleimhäute: 4 Stomatitis und Cheilitis mit hämorrhagischer Verkrustung des Lippenrots: sehr schmerzhaft, Nahrungsaufnahme erschwert, regionale Lymphadenitis. In schweren Fällen Erosionen auch von Pharynx, Larynx und Trachea. 4 Purulente, erosive Konjunktivitis mit Gefahr von Ulcus corneae und Panophthalmie (!). Komplikationen bei Abheilung: Symblepharon, Trichiasis, Hornhauttrübungen. 4 Erosive Vulvitis, Balanitis, Proktitis. Gefahr sekundärer Phimose und narbiger Strikturen.
Häufig sind alle 3, zumindest aber 2 dieser Schleimhautregionen betroffen. Isolierter Schleimhautbefall
. Abb. 3.28. Toxische epidermale Nekrolyse. Am Höhepunkt der akuten Phase kommt es zum diffusen Abschwimmen der nekrotischen Epidermis; am deutlichsten ist dies an den Augenlidern zu sehen. Beachte die gleichzeitige Abstoßung der Wimpern und die diffuse erosive Cheilitis
ohne Hautläsionen wird gelegentlich beobachtet (»pluriorifizielle erosive Dermatose«). TEN (früher: Lyell-Syndrom, »Syndrom der verbrühten Haut”) ist die lebensgefährliche Maximalform des SJS; sie verläuft besonders vehement, die Prodrome sind kurz (1–2 Tage) und intensiv. Die makulöse Primärläsion ist einer Irisläsion kaum mehr ähnlich, das Exanthem konfluiert sehr schnell zu diffuser Rötung bis zur Erythrodermie, mit Bildung schlaffer Blasen und großflächiger Ablösung der Epidermis (vorwiegend an Gesicht und Aufliegestellen) – täuschende Ähnlichkeit mit Verbrühungen. Massiver Befall der hautnahen Schleimhäute, häufig auch Abschwimmen von Nägeln und Haaren (. Abb. 3.28). Befall innerer Organe: nekrotisierende Tracheobron-
chitis, Bronchopneumonie; selten Ösophagitis, Glomerulonephritis, Tubulusnekrose, Nierenversagen, Meningitis. Diagnostik. Histologie: Ähnlich dem EM, aber nur
geringe entzündliche Infiltration (»stumme Dermis«), ausgeprägte epidermale Nekrose (zu Beginn Satellitenzellnekrose) mit Abhebung der gesamten Epidermis. Systemzeichen und Labor: Fieber, Bewusstseinsein-
engung, Leukozytose (bei prognostisch ungünstigeren Fällen auch Leukopenie), Albuminurie, Transaminasenerhöhung, Akutphasenproteine, evtl. Hämokonzentration, Elektrolytverschiebungen, Azidose. . Abb. 3.27. Toxische epidermale Nekrolyse, frühes Stadium. Konfluierendes makulöses Exanthem mit Blasenbildung
Bestimmung des auslösenden Medikaments: Da La-
bortests (noch) nicht zur Verfügung stehen, erfolgt die
114
3
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Bestimmung empirisch, anhand der Anamnese und der bekannten individuellen Risiken der eruierten Medikamente. Bei Einnahme multipler Medikamente stößt diese Methode an ihre Grenzen; Ausstellung eines Allergiepasses auf sämtliche verdächtigen Medikamente ist hier anzuraten. Der Patient darf diese nie mehr erhalten (bei Reexposition verstärkte Symptomatik). Expositionstests sind kontraindiziert! Differenzialdiagnose. Bei SJS: EM und makulöse toxische Exantheme (Unterscheidung: Nikolskizeichen bei SJS positiv). Die Differenzialdiagnose der TEN ist umfangreicher: 4 »Staphylococcal scalded skin syndrome« (7 Kap. 4.2.5): Klinisch großflächige verbrühungsähnliche Exfoliation der Epidermis; Spaltbildung subkorneal. Unterscheidung: Histologie, exfoliative Zytologie. 4 Generalisiertes fixes Arzneimittelexanthem (7 Kap. 3.2.8). Dieses ist selten sehr ausgedehnt und nur dann schwer von TEN unterscheidbar (Anamnese früherer Episoden, kein Abschwimmen der Haut, kein Schleimhautbefall). Prognose günstiger als bei TEN. 4 Verbrühungen und manche Verätzungen (z. B. Benzin) Verlauf und Prognose. Bei entsprechender Therapie liegt die Letalität des SJS bei einigen Prozent; Komplikationen und Defektheilungen sind eher die Ausnahme. Bei TEN liegt sie hingegen, je nach Ausgangslage und Behandlung, zwischen 15 und 75%. Ungünstige prognostische Parameter sind: 4 ausgedehnter Hautbefall 4 höheres Alter, schlechter Allgemeinzustand 4 Einnahme multipler Medikamente 4 Neutropenie
In der Frühphase besteht die Gefahr der Entwicklung eines hämodynamischen Schocks (allerdings weniger als bei gleich ausgedehnten Verbrennungen!), des Nieren- und/oder Herzkreislaufversagens bzw. Herzinfarkts. In allen Phasen ist Superinfektion der ausgedehnten Erosionen und Sepsis das Hauptrisiko (Hospitalismuskeime!). Die Abheilung einer TEN dauert viele Wochen und mündet nicht selten in Narbenbildung der Schleimhäute und deren Komplikationen (s. o.), seltener in narbige Restzustände der Haut (narbige Alopezie, Anonychie). Therapie. Erkennung und Elimination der auslösenden
Ursache (Medikament, Infekt) ist der erste Schritt der
Behandlung. Je schneller dies geschieht, umso glimpflicher verläuft SJS/TEN – alle nicht erforderlichen Medikamente sollten abgesetzt werden! SJS/TEN ist ein dermatologischer Notfall und bedarf stationärer Behandlung (nicht unbedingt auf einer Intensivstation) und interdisziplinärer Betreuung. ! Die oft propagierte Therapie der TEN nach den Grundsätzen der Verbrennungsbehandlung ist nicht angezeigt. Grund: TEN ist eine entzündlich-nekrotisierende Krankheit der Epidermis, läuft ohne wesentlichen Gefäßschaden ab und führt trotz ihrer Gefährlichkeit viel seltener zu Hämokonzentration und Schock als die Verbrennungskrankheit. Frühdebridement ist nicht angezeigt, plastische Deckung in der Regel überflüssig.
In der Akutphase sind systemische Kortikosteroide – mittelhoch dosiert, ca. 1 mg/kg/KG Methylprednisolon /Tag – zur Unterbrechung der Immunreaktion nützlich, sind jedoch wegen der Gefahr der Superinfektion mit Vorsicht und nur so lange zu geben, bis die Aktivität des Exanthems nachlässt (einige Tage). AntibiotikaProphylaxe ist überlegenswert (penicillinaseresistentes Penicillin). Über die Wirksamkeit von i. v.-Immunglobulinen, die durch Blockierung des Fas-Liganden die Apoptose der Epidermis verhindern sollen, besteht noch keine Übereinstimmung. Wichtig sind die Überwachung der vitalen Blutparameter und deren Korrektur, regelmäßige Abnahme von Abstrichen und Kulturen sowie begleitende Maßnahmen wie hochkalorische Diät, wenn erforderlich parenteral. Die Lokaltherapie sollte in der Frühphase trocken erfolgen (Bettung auf metallbeschichteten Folien – Vermeidung des Anklebens und Herunterreißens von losen Hautfetzen). Besondere Aufmerksamkeit muss der Augentherapie zugewandt werden (Salben zur Verhinderung von Synechien). 3.2.3 »Toxische« Exantheme Definition. Toxische Exantheme sind eine Gruppe häu-
figer exanthematischer Intoleranzreaktionen der Haut auf hämatogene, in der Regel aus der Außenwelt stammende Noxen. Sie sind sowohl morphologisch als auch in Pathogenese und Relevanz heterogen. Gemeinsam ist ihnen ihr akutes Auftreten, häufig in klarem Zusammenhang mit einem auslösenden Ereignis, und oft auch schnelle Spontanheilung. Pathogenese. Die auslösenden Ursachen sind meist
Infektionskrankheiten oder Medikamentenintoleranzen, seltener physikalische (z. B. UV-Licht) oder endogene Ursachen (z. B. bei Kollagenosen).
115 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
Die Pathogenese ist nur teilweise geklärt. Bei manchen infektiösen Exanthemen sind Erreger in den Läsionen nachweisbar (z. B. Rickettsien), bei vielen anderen wahrscheinlich. Arzneimittelexantheme werden zumindest teilweise über zellvermittelte Immunreaktionen ausgelöst (7 Kap. 3.2.8). In Fällen, bei denen sich histologisch lediglich eine Gefäßweitstellung zeigt, liegen vermutlich Gefäßregulationen durch systemische Ausschüttung von vasoaktiven Substanzen (z. B. Histamin) vor. Lichenoide und multiformeartige Exantheme sind durch entzündliche Infiltrate der Junktionszone gekennzeichnet (CD4+-Zellen bzw. zytotoxische Lymphozyten), pustulöse durch eine vorwiegend subkorneale Durchsetzung mit Neutrophilen. Symptomatik/Diagnostik. Die toxischen Exantheme
sind generalisierte Eruptionen mit oder ohne subjektive Symptome (Juckreiz) und Systemzeichen (Fieber, Krankheitsgefühl, selten Lymphadenopathie). Art, Anzahl und Verteilung der Effloreszenzen sind sehr unterschiedlich. Meist sind sie fleckig (makulöse Exantheme), seltener papulös (lichenoide Exantheme), sehr selten hämorrhagisch oder pustulös. Mischformen kommen vor. Zur morphologischen Beschreibung hat sich der Vergleich mit den oft sehr charakteristischen Exanthemen bei Infektionskrankheiten eingebürgert: morbilliform (die häufigste Form), skarlatiniform, rubeoliform u. a. Die maximale Ausprägung makulöser Exantheme ist die toxische exfoliative Erythrodermie.
3
Therapie. Diese richtet sich nach der zugrunde liegen-
den Krankheit. 3.2.4 Urtikaria, Angioödem
und Anaphylaxie Definitionen Urtikaria ist eine häufige polyätiologische Intoleranzreaktion der Haut, die durch die Effloreszenz der Quaddel (Urtica) gekennzeichnet ist: fokale flüchtige Ödeme der papillären Dermis, die durch passager erhöhte Gefäßdurchlässigkeit nach Histaminfreisetzung aus Mastzellen entstehen. Die Histaminfreisetzung wird meist durch zirkulierende Faktoren (Trigger), z. B. IgE, ausgelöst. Analoge Schwellungen der tiefen Dermis bzw. Submukosa werden als Angioödem bezeichnet. Quaddeln und Angioödem sind zwar selbst harmlos, können aber mit akut lebensbedrohlichen Situationen verknüpft sein: mit Atembehinderung durch Schleimhautschwellung im oberen Respirationstrakt, und das prekäre Ereignis der Anaphylaxie. Als letztere bezeichnet man die plötzliche systemische IgE-vermittelte Freisetzung von Mediatoren (z. B. Histamin) aus Mastzellen und Basophilen, die zu einem irreversiblen Schock führen kann. Eine analoge Mediatorfreisetzung, die nicht durch IgE, sondern andere, z. B. physikalische oder chemische Stimuli erfolgt, wird als »anaphylaktoide« Reaktion bezeichnet. Grundlagen
Differenzialdiagnose. Zu unterscheiden sind andere
Epidemiologie. Urtikaria ist weltweit eines der häufigs-
exanthematische Dermatosen (Streuekzeme, Pityriasis rosea, Lichen ruber u. a.). Wichtig ist die Abgrenzung von Urtikaria und Erythema multiforme, da diese beiden risikoreicher sind (z. B. beweist ein positives Nikolski-Zeichen ein SJS/TEN – s. o.). Infekt- und Medikamenten-bedingte Exantheme werden auf Basis von Anamnese, Klinik und ggf. Serologie unterschieden. Auch bei »gewöhnlichen« makulösen Exanthemen muss das mögliche Vorliegen eines Hypersensitivitäts-Syndroms bedacht werden (7 Kap. 3.2.8), da die Hautsymptome allein eine Unterscheidung nicht erlauben.
ten dermatologischen Krankheitsbilder. Zumindest jeder Vierte erleidet in seinem Leben wenigstens eine Episode. Akut-episodisches Auftreten der Urtikaria ist 5- bis 10-mal häufiger als chronisch-rezidivierende Formen.
Labor und Verlauf. Infektiöse Exantheme werden von Laborzeichen der jeweiligen Infektion begleitet. Arzneimittelexantheme zeigen häufig eine begleitende Systemtoxizität (Leber, Niere: s. Hypersensitivitäts-Syndrom). Die toxischen Exantheme haben daher eine wichtige Alarmfunktion – im Gegensatz dazu sind die Hautläsionen selbst in der Regel harmlos und bilden sich innerhalb weniger Tage spontan zurück, meist mit Abschuppung.
Erscheinungsformen. Quaddeln (. Abb. 3.29) sind
beetartig flache Erhabenheiten der Haut, deren Größe von Millimetern (papulöse Urtikaria) bis zu mehr als Handflächengröße reichen kann (. Abb. 3.30). Sie sind meist hellrot, bei besonders starkem Ödem blass (Urticaria porcellanea) und häufig von einem Reflexerythem umgeben. Quaddeln sind flüchtig: sie breiten sich peripher aus und bilden sich innerhalb von 3–4, maximal 24 h wieder zurück. Hierbei entstehen durch zentrale Regression oft Ringformen und Kreissegmente. Sie verursachen meist heftigen Juckreiz und/oder mildes Brennen. Histologie: Ödem der papillären Dermis, Weitstellung der Gefäße, milde leukozytär-mononukleäre Infiltrate. Häufig assoziiert sind Angioödeme (Synonym Quincke-Ödem): tiefer sitzende, oft massive bis gro-
116
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
3
. Abb. 3.29. Urtikaria. Runde, hellrote Quaddeln. Beachte die eingezogenen Haarfollikel (Peau d’orange-Zeichen)
Zeichen der Anaphylaxie (Typ I) bzw. der Serumkrankheit (Typ III) begleitet. Die Beteiligung innerer Organe hängt auch vom Auslöser ab – bei Nahrungsmittelallergien z. B. oft der Gastrointestinal-, bei Inhalationsallergien der Respirationstrakt. Je nach Ursache manifestiert sich die Urtikaria mit einem einzigen, mehreren oder »immer« wiederkehrenden Schüben; die Dauer der Schübe schwankt, je nach Elimination des Auslösers, zwischen Stunden und Wochen. Als willkürliche Trennlinie zwischen »akuter« und »chronisch rezidivierender« Urtikaria gilt eine Dauer der Krankheitsaktivität von 6 Wochen. Die akute Urtikaria geht häufig auf leicht eruierbare Trigger zurück (Infekte, Nahrungsmittel, Medikamente) und bildet sich nach deren Elimination spontan zurück. Die chronisch-rezidivierende Urtikaria ist hingegen kapriziöser und unvorhersehbar. Bei ihr wird ein Trigger seltener gefunden, sie bleibt oft jahrelang bestehen, ist jedoch im Prinzip ebenfalls selbstlimitiert. Pathogenese. Quaddeln entstehen durch Freisetzung
. Abb. 3.30. Ausgedehnte Urtikaria mit konfluierenden Läsionen
teske Ödeme, die an Körperregionen mit lockerer Dermis (Orbitalregion, Uvula, Larynx, Skrotum) teigig und manchmal transluzent erscheinen, in solchen mit straffer Dermis (Handflächen, Fußsohlen, Zunge) prallelastisch. Sie sind häufig Zeichen hoher Krankheitsaktivität, können aber auch bei milderem Verlauf, gelegentlich auch alleine auftreten. Sie verursachen geringere subjektive Symptome (»taubes« Gefühl durch Spannung) und bilden sich langsamer zurück als Quaddeln.
vasoaktiver Mediatoren vorwiegend aus den Mastzellen, die zur Erschlaffung der Arteriolen der Haut (Rötung) und zur Kontraktion der Endothelzellen der Mikrovaskulatur (Permeabilitätssteigerung) führen. Wichtigster Mediator ist Histamin; hinzu kommen Kallikrein (das im Plasma vasoaktive Kinine aus deren Vorstufen abspaltet) und Lipidmediatoren (Eikosanoide, PAF: »platelet activating factor«). Histamin und Kallikrein liegen in den Mastzellgranula gespeichert vor und sind daher nach der Degranulation sofort verfügbar; Eikosanoide werden de novo synthetisiert (verzögerte Wirkung). Die Rückbildung der Quaddeln beruht auf der Erschöpfung der Histamindepots in den Mastzellen, dem schnellen enzymatischen Abbau des freigesetzten Histamins (Diaminooxidase, Methyltransferase) und gegenregulatorischen Mechanismen (z. B. Generierung vasokonstriktorischer Prostaglandine). 3Histamin ist bei intrakutaner Injektion bzw. bei der Pricktestung für die »Sofortreaktion« verantwortlich: Bildung einer Quaddel nach wenigen Minuten, die 1–2 h anhält. Die Lipidmediatoren rufen im Intrakutantest papulourtikarielle »Spätreaktionen« hervor (nicht zu verwechseln mit Typ-IV-Reaktion!), die nach 4–8 h auftreten und bis zu 48 h bestehen bleiben (leukozytäre, später mononukleäre Infiltration – chemotaktische Wirkung!). Beispiel einer Spätreaktion: die nasale Obstruktion bei allergischer Rhinokonjunktivitis – sie spricht daher schlecht auf Antihistaminika und besser auf topische Kortisonpräparate an.
Verlauf. Urtikaria verläuft schubweise; die Schübe ha-
ben durch ständiges Abklingen und Neueruption einen wechselhaften Charakter. Allgemeinsymptome fehlen häufig (trotz der Ubiquität von Mastzellen!), immunologisch bedingte Formen werden jedoch häufig von
Mehrere Wege führen zur Mediatorfreisetzung aus den Mastzellen, u. a.: 4 über den hochaffinen Fcε-Rezeptor der Mastzelle: die Verkettung von mindestens 2 rezeptorgebun-
117 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
denen IgE-Molekülen durch ein herangetragenes Antigen (»bridging«) führt zur Degranulation. Dies ist der Mechanismus der klassischen Typ-IReaktionen, mancher Formen von physikalischer Urtikaria und vermutlich auch der so genannten »autoimmune mast cell disease« (s. u.) 4 über Spaltprodukte des Komplementsystems (Anaphylatoxine – C3a, C5a) im Rahmen eines Immunkomplexgeschehens oder durch direkte Generierung (z. B. Endotoxin) 4 direkte Degranulation über Polypeptide (Neuropeptide, Kinine, vasoaktive Peptide, Substanz 40/80), Enzyme (Phospholipase A2, Chymotrypsin), Hormone und Transmitter (Azetylcholin), Opiate, Muskelrelaxanzien, Röntgenkonstrastmittel 4 physikalische Stimuli (mechanisches Trauma, Kälte, Hitze) und zytotoxische Agenzien (oberflächenaktive Stoffe, Detergenzien) 3Welche Wege der Histaminausschüttung oder welcher »Mix« davon beschritten werden, ist nur für wenige und dazu noch relativ seltene Modellfälle der Urtikaria (z. B. Typ I und Typ III) ausreichend dokumentiert.
Klinisch-pathogenetische Phänomene zum Verständnis der Erscheinungsvielfalt der Urtikaria: 4 Kontakturtikaria. Quaddeln können durch lokale Einwirkung auf die Haut entstehen, wobei die Auslöser chemischer (z. B. Brennnessel, Latex) oder physikalischer Natur (z. B. Hitze, Kälte, Licht) sein können. Die Kontakturtikaria kann auf den Ort des Kontakts beschränkt bleiben oder disseminieren. 4 Generalisierte (disseminierte) Urtikaria wird durch zirkulierende vasoaktive oder allergene Agenzien ausgelöst, die entweder von außen aufgenommen (z. B. Insektengifte) oder endogen produziert werden (z. B. Kältereflexurtikaria). 4 Additionseffekte. Bei generalisierter Urtikaria kann die Krankheitsaktivität durch zusätzliche Faktoren verstärkt werden, z. B. durch mechanische Trigger (Urticaria factitia) oder durch vasodilatierende Stoffe (z. B. Alkohol). ACEHemmer können selbst Angioödeme auslösen (s. u.), aber auch die Bereitschaft zur Urtikaria durch andere Ursachen steigern. Ein wichtiger Additionseffekt tritt ferner durch Histaminfreisetzung bei bestehender cholinerger Urtikaria ein (so kann es etwa nach Einnahme eines Nahrungsmittelallergens und postpran6
3
dialem Sport zum anaphylaktischen Schock kommen: »exercise induced anaphylaxis«). 4 Dispositionelle Faktoren. Alle Formen physikalischer Urtikaria (s. u.) werden durch bestimmte Situationen ausgelöst, die bei Nichterkrankten folgenlos bleiben. Zugrunde liegen individuelle Dispositionen, die meist erworben und spontan rückbildungsfähig sind; seltener sind sie genetisch fixiert und damit von lebenslanger Dauer. Die Natur dieser Dispositionen ist meist unklar; in manchen Fällen entstehen durch die physikalische Noxe Gewebsantigene, die eine Immunreaktion hervorrufen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das hereditäre angioneurotische Ödem (s. u.). Dispositionelle Faktoren spielen auch bei der nichtallergischen Kontakturtikaria eine Rolle: So reagieren manche Probanden auf Kontakt mit Benzoesäure, Sorbinsäure, Ammoniumpersulfat, Polyäthylenglykol, Fiberglas u. a. m., andere hingegen nicht.
Man unterscheidet: immunologisch bedingte, physikalisch bedingte und weitere Urtikariaformen. Immunologisch bedingte Urtikariaformen ! Nach verbreiteter Laienmeinung sind die meisten Fälle von Urtikaria »allergisch« (häufig werden Medikamente oder Nahrungsmittel verdächtigt!). Nach Schätzungen ist dies lediglich in ca. 20% der Fall.
Diagnostik immunologischer Urtikariaformen. Wich-
tig sind: 4 sorgfältige Anamnese 4 Karenztest: Kontrollierter Entzug des in Frage kommenden Antigens führt zum Abklingen 4 Hauttestung 4 Labortests: Bestimmung antigenspezifischer IgEAntikörper, zirkulierender Immunkomplexe, präzipitierender IgG-Antikörper und des totalen hämolytischen Komplements 4 Expositionstest: Kontrollierte Zufuhr des fraglichen Antigens führt zur Auslösung. Expositionstests sind oft gefährlich (anaphylaktischer Schock!) und dürfen daher nur unter geeigneten Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden. IgE-mediierte Urtikaria (Typ-I-Immunreaktion) Sie tritt meist im Rahmen einer akuten anaphylaktischen Reaktion auf, nur gelegentlich als chronisch-
118
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
. Tab. 3.6. Stadien und Klinik anaphylaktischer Reaktionen Grad
Symptome Haut
3
Gastrointestinaltrakt
Respirationstrakt Herz-Kreislauf
I
Juckreiz Urtikaria Angioödem
II
wie I
Nausea Krämpfe Stuhldrang
Rhinorrhoe Heiserkeit, Husten Dyspnoe
Tachykardie Hypotension thorakales Druckgefühl
III
wie I, dazu: Blässe Kaltschweiß
Erbrechen Defäkation Diarrhoe
Wie II, dazu: Bronchospasmus
Tachykardie oder Bradykardie Hypotension Bewusstseinstrübung
IV
wie III
wie III
Atemstillstand
Kreislaufstillstand
rezidivierende Urtikaria. Auslöser sind häufig Medikamente (Penicillin!) und Nahrungsmittel (7 Kap. 3.2.7).
Eingreifen erforderlich ist. Er verläuft stadienhaft (. Tab. 3.6).
Anaphylaktischer Schock
Therapie. Grundsäulen sind die Verabreicherung von Adrenalin, Kortikosteroiden, Auffüllung des Blutvolumens. Bei schwerem Verlauf endotracheale Intubation (evtl. Tracheotomie), kardiopulmonale Reanimation (. Tab. 3.7).
Die maximale Ausprägung der Typ-I-Immunreaktion. Meist nach parenteraler, manchmal nach oraler und selten perkutaner (Latex!) Allergenzufuhr kommt es im gesamten Organismus durch lawinenartige Entleerung der Mastzellen und Basophilen mit Freisetzung der o. g. Mediatoren zu Gefäßweitstellung und -permeabilitätssteigerung, damit zu Ödemen, Hypotonie und Bronchospasmus, und reaktiv zu Tachykardie sowie Kreislaufzentralisation. Der anaphylaktische Schock stellt eine potenziell lebensbedrohliche akute Notfallsituation dar, bei der sofortiges therapeutisches
! Ein vital bedrohter Patient sollte als erstes 0,5 mg Adrenalin i.m. zur Stabilisierung erhalten, erst anschließend alle weitere Maßnahmen einschließlich der zeitintensiven Schaffung eines venösen Zugangs! Adrenalin wirkt als einziges Medikament sofort und kann den Circulus vitiosus im Schock unterbrechen.
. Tab. 3.7. Akuttherapie anaphylaktischer Reaktionen Erster Schritt: Allergenzufuhr unterbrechen! Großlumiger i. v. Zugang! Grad
Haut
I
Prednisolon 250 mg i. v. (Bolus) H1 (plus H2-) Blocker in 500 ml Elektrolytlösung rasch i. v.
II
III
IV
Respirationstrakt
Herz-Kreislauf
Prednisolon 500 mg i. v. (Bolus)
Sauerstoff
Sauerstoff
H1 (plus H2-) Blocker in 1000 ml Hydroxyäthylstärke rasch i.v.
Adrenalin-Spray
Adrenalin 0,5 mg i. m. oder 0,1–1 mg langsam i. v.
Prednisolon 1000 mg i. v. (Bolus)
Sauerstoff
Adrenalin 0,5 mg i. m. oder 0,1–1 mg langsam i. v.
H1 (plus H2-) Blocker in 1000 ml Hydroxäthylstärke rasch i. v., weiter mit Elektrolytlösung
Adrenalin-Spray Theophyllin 5 mg/kg langsam i. v., weiter 10 mg/kg/24h
wenn kein Effekt: Dopamin 2,5–5 mg/70 kg/min oder Arterenol 0,05–0,1 mg i. v., bis 1 mg/min Bei Bradykardie Atropin 1 mg i. v. Wie Stadium III Kardiopulmonale Reanimation
119 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
Adrenalin wirkt direkt vasokonstriktorisch, antiödematös und bronchodilatorisch. Bei Bronchospasmus und Schwellungen von Zunge oder Larynx inhalative Gabe (Primatene Mist), bei Kreislaufbeschwerden i. m. Applikation von 0,5 mg Adrenalin und rasche Herstellung eines parenteralen Zugangs. Adrenalin darf i. v. nur fraktioniert bis zur Maximaldosis von 1 mg gegeben werden (Gefahr des Kammerflimmerns). Korrektur des Volumenverlusts: Physiologische Kochsalzlösung oder Ringer-Laktat. Hydroxäthylstärke hat als Kolloidlösung osmotische Effekte, wirkt damit antiödematös und verbleibt länger im Intravasalraum. Kortikosteroide haben dosisabhängig spezifische (rezeptorvermittelte) bzw. unspezifische Wirkungen. Erstere treten schon bei 50–125 mg Prednisolonäquivalent ein (erst nach 1–2 h). Der unspezifische antiödematöse Effekt tritt erst bei Dosen von 500–1000 mg ein (schon nach 10–30 min). Im Stadium I und in niedriger Dosierung haben Kortikosteroide vorwiegend den Sinn, nach erfolgter Stabilisierung ein Rezidiv zu verhindern. Im Stadium II und III sind sie zur (Mit)-Behandlung der Bronchokonstriktion geeignet, zur Behandlung kardiovaskulärer Komplikationen sind sie alleine nicht ausreichend. Die Anwendung von Antihistaminika ist auf kutane Symptome beschränkt.
3
Differenzialdiagnose. Urtikarielle Vaskulitis.
»Autoimmune mast cell disease« In manchen Urtikariafällen sind IgG-Autoantikörper gegen den hochaffinen IgE-Rezeptor der Mastzellen nachweisbar. Diese setzen in vitro aus Basophilen Histamin frei und führen experimentell bei intradermaler Injektion (am Probanden!) zur Quaddelbildung. Die »autoimmune mast cell disease« ist vermutlich eine der Hauptursachen der chronischen »idiopathischen« Urtikaria. Hereditäres Angioödem (HAE) Eine seltene, autosomal-dominant vererbte Defizienz des C1-Esterase-Inhibitors (C1-INH), die klinisch durch rezidivierende Angioödeme der Haut, des Respirationsund des Gastrointestinaltrakts charakterisiert ist. Hohe Letalität (30%). C1-INH, ein Akutphaseprotein, ist ein in der Leber synthetisierter, zirkulierender Proteaseinhibitor, der Schlüsselenzyme im Gerinnungs-, fibrinolytischen, Kinin- und Komplementsystem durch Bildung stabiler Komplexe inaktiviert. Ein Mangel führt zur unkontrollierten Aktivierung der frühen Komplement-Komponenten mit Produktion von anaphylaktogenen Peptiden. Pathogenese. An HAE Erkrankte sind stets hetero-
Urtikaria bei Immunkomplexkrankheit (Serumkrankheit, Typ-III-Immunreaktion) Auslösende Ursachen sind heterologes Serum, Blut und Blutprodukte (Plasma, Immunglobuline), aber auch Medikamente (Depotpräparate jeder Art, Impfstoffe, Antibiotika – Penicillin!, Sulfonamide, Insulin, Dextran), ferner Infektions- (Hepatitis B) und Systemkrankheiten (Lupus erythematodes, Kryoglobulinämie). Pathogenese. Bildung von meist IgM- oder IgG-Im-
munkomplexen, Komplementaktivierung, Freisetzung von C3 a und C5 a und Mastzelldegranulierung.
zygot: 4 Beim Typ I (ca. 85%), liegt eine Deletion des Gens vor, die C1-INH-Spiegel sind auf <30% vermindert. 4 Bei Typ II (ca. 15%) besteht eine Punktmutation: C1-INH-Spiegel sind zwar normal, das Protein ist aber nur teils funktionstüchtig. Unter Normalbedingungen sind auch niedrige Spiegel von funktionellem C1-INH ausreichend. Bei zusätzlichem Verbrauch (Infekte, Traumen: Aktivierung des Kinin- und Gerinnungssystems) wird der C1-INH jedoch von den frühen Komplementkomponenten »abgezogen«, es resultiert deren ungehinderte Aktivierung.
Symptomatik. Klassisches Bild der Serumkrankheit:
die akute Typ-III-Urtikaria tritt 7–12 (maximal 21) Tage nach Exposition auf und ist von Arthropathien, Gelenksergüssen, Fieber, Lymphknotenschwellung und Myalgien begleitet. Die Urtikaria ist meist großflächig, mit deutlicher Angioödemkomponente (Handflächen, Fußsohlen!) und klingt nach Tagen bis Wochen spontan ab. Bei Reexposition ist das Intervall bis zum Auftreten klinischer Symptome kürzer (1–3 Tage). Diagnostik. Labor: zirkulierende Immunkomplexe, Hypokomplementämie, Albuminurie.
Symptomatik. Attacken von oft exzessiven, subjektiv symptomlosen (kein Juckreiz!) Angioödemen, v. a. im Gesichtsbereich (. Abb. 3.31a,b). In der Regel keine Urtikaria (manchmal makulöse Exantheme). Spontane Rückbildung innerhalb einiger Tage. Systemzeichen: 4 Ödem der oberen Luftwege (Larynx → Gefahr der Erstickung) 4 Ödem des Verdauungstrakts: Erbrechen, Darmkoliken, Diarrhoen 4 seltener neurologische Symptome: Kopfschmerz, Hirndruckzeichen, Aphasie etc.
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Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Therapie. Während des Anfalls oder zur Vorberei-
tung für Operationen Verabreichung von C1-INH (1-2000 IE). Bei schwerem Larynxödem sind Intubation bzw. Tracheotomie indiziert. Kortikosteroide und Antihistaminika sind wirkungslos. Dauertherapie: Danazol (attenuiertes Testosteronderivat) stimuliert Lebersynthese von C1-INH.
3
Physikalische Urtikariaformen Die meisten dieser Zustandsbilder sind unbekannter Pathogenese, erworbener Natur und treten ebenso unvermutet auf, wie sie oft – nach monate- bis jahrelangem Bestand – wieder spontan verschwinden können. Sie sprechen auf Antihistaminika eher schlecht an. Urtikarieller Dermographismus (Synonym Urticaria factitia, dermographische Urtikaria) Dieser ist mit einer Prävalenz von 2–4% die häufigste Form der physikalischen Urtikaria und stellt ca. 10% aller Fälle von Urtikaria. Beginn meist im jungen Erwachsenenalter, Bevorzugung von Frauen. Er kann entweder »idiopathisch« oder als Begleitsymptom anderer Urtikariaformen (akute, cholinergische, Druckurtikaria) bzw. anderer Krankheitsbilder auftreten (Mastozytose, Parasiteninfektionen, Schwangerschaft, Hypereosinophilie-Syndrom).
a
Pathogenese. Eine nicht näher geklärte abnorme Reaktionsbereitschaft der Mastzellen gegenüber mechanischen Reizen. Symptomatik. Ein urtikarielles Exanthem mit auffallend artefizieller Verteilung und Konfiguration vieler (nicht aller!) Läsionen (streifige Quaddeln nach Kratb . Abb. 3.31a, b. Hereditäres Angioödem. a Normales Aussehen der Patientin, b Gesichtsschwellung während eines Anfalls
Die Attacken treten oft nach typischen auslösenden Ereignissen auf: Infekte, Traumen – z. B. Zahnextraktion, Hitze, Kälte, Stress. Beginn der Symptome meist im zweiten Lebensjahrzehnt, häufig spontane Besserung ab der Lebensmitte. Diagnostik. Serumspiegel von C1-INH, C2 und C4
<30% des Normalwerts, C3 und spätere Komponenten im Normbereich. Ein normaler C4-Spiegel schließt eine C1-INH-Defizienz aus. Zur Unterscheidung zwischen Typ I und II sind Funktionstests erforderlich.
. Abb. 3.32. Urtikarieller Dermographismus. Umschriebener Friktionsreiz (z. B. beim »Schreiben« mit dem Fingernagel auf der Haut) führt zu strichförmigen urtikariellen Läsionen, umgeben von einem Reflexerythem
121 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3
zen, an Aufliegestellen, Druckstellen von Gürtel, Hosenträgern etc. . Abb. 3.32). Allgemeinsymptome fehlen meist. Diagnostik. Bei Normalpersonen erzeugt Reiben mit einem harten Gegenstand (z. B. Holzspatel) durch mechanische Histaminfreisetzung nach 15–20 s eine Rötung im gezogenen Hautstrich (roter Dermographismus). Beim urtikariellen Dermographismus entsteht hingegen eine juckende urtikarielle Reaktion, die 30 min oder länger bestehen bleibt; anschließend Refraktärperiode (Stunden).
Druckurtikaria (Synonym: Urticaria mechanica) Eine relativ häufige Form physikalischer Urtikaria, meist bei Männern mittleren Alters mit schweren manuellen Berufen. Sie ist durch tiefsitzende, oft schmerzhafte, gerötete blasse Schwellungen nach längerer, konstanter Druckbelastung gekennzeichnet. Diese entstehen entweder kurzfristig (Minuten bis 1 h – Soforttyp) oder mit einem Intervall von 4–8 h (verzögerter Typ) und bilden sich erst nach ca. 1 Tag spontan zurück. Häufig besteht eine Assoziation mit chronisch rezidivierender und dermographischer Urtikaria. Insbesondere beim verzögerten Typ finden sich häufig Systemzeichen (Arthralgien, Leukozytose, Temperaturerhöhung). Nach Abklingen kommt es an den betroffenen Stellen zu einer Stunden dauernden Refraktärperiode. Pathogenese. Unklar. Diagnostik. Gewichtsbelastung (10 kg über 40 min, als
Gewicht an einem Band über der Schulter getragen). Ablesungen bis 8 h nach Anlegen (Spättyp!).
. Abb. 3.33. Kälte-Kontakt-Urtikaria. Diese junge Frau reagiert auf Kontakt mit der kalten Toiletten-Brille mit einer urtikariellen Läsion
kalte Wasser (Schockgefahr, Tod durch Ertrinken). Plötzlicher Temperaturabfall ist stärker wirksam als lediglich tiefe Temperaturen. Pathogenese. Unbekannt. Diagnostik. Anamnese und Kältetest: Unterarmbad in
eiskaltem Wasser oder Auflegen eines Eisstücks für 10 min löst an der Kontaktstelle eine urtikarielle Reaktion aus (. Abb. 3.34). Diese tritt innerhalb von Minuten auf, seltener nach 3–4 h (verzögerter Typ) und bildet sich innerhalb 1 h zurück (verzögerter Typ: nach mehreren Stunden). Kälteurtikaria als Begleitsymptom von Systemkrankheiten. Kryoglobulinämie (Lymphome), Kryofibrino-
Kälteurtikaria Etwa 1–3% aller Urtikariafälle. Sie ist durch Quaddeln oder Angioödeme nach Kälteeinwirkung charakterisiert und umfasst ein heterogenes Spektrum von Zuständen unbekannter Genese. Die meisten Fälle sind idiopathisch; man unterscheidet zwischen familiären und erworbenen, umschriebenen (Kälte-Kontakturtikaria) und systemischen, und mit anderen Krankheitszuständen assoziierten Formen. Erworbene Kälte-Kontakturtikaria. Diese beginnt meist im jungen Erwachsenenalter, bevorzugt bei Frauen. Die Hautläsionen entstehen am Einwirkungsort der Kälte (. Abb. 3.33), können bei ausgedehnter Exposition aber auch generalisieren und zu Schleimhautschwellungen und Allgemeinsymptomen führen. Klassische Auslöser: kalter Wind, eiskalte Getränke und Speisen (Gefahr des Larynxödems) sowie der sprichwörtliche Sprung ins
. Abb. 3.34. Positiver Kältetest bei Kälteurtikaria. Die Quaddel entspricht genau der Auflagefläche des Eiswürfels; beachte die Abrinnspur
122
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
genämie (hämatologische Erkrankungen, Neoplasien), Kälteagglutinin- bzw. Kältehämolysinsyndrom (Infektiöse Mononukleose!), Nahrungsmittel- und Arzneimittelallergien, Infektionen (Masern, Varizellen, HIV, Hepatitis, Syphilis, Borreliose).
3
Familiäre Kälteurtikaria. Zwei seltene, autosomal dominant vererbte Formen sind bekannt (Soforttyp, verzögerter Typ). Auslösend wirkt Senkung der Umwelttemperatur (Kerntemperatur?), nicht jedoch lokale Kälteapplikation. Pathogenese. Beim Soforttyp Mutation von CIAS1, ein Regulatorprotein bei Entzündung und Apoptose – Verwandtschaft mit dem MuckleWells-Syndrom (s. dieses). Symptomatik. Urtikaria, Akrozyanose, Arthralgien, Fieber, Leukozytose.
Cholinergische Urtikaria (generalisierte Wärmeurtikaria, Hitzereflexurtikaria) Die zweithäufigste Urtikariaform (in milder Form bei bis zu 15% der jungen Erwachsenen). Sie beginnt in der 2. oder 3. Dekade, häufiger bei Frauen. Sie wird durch endogene Überwärmung (Erhöhung der Kerntemperatur) durch Arbeit, Sport, Fieber, emotionelle Erregung, Gewürze und Alkohol oder durch passive Überwärmung (heißes Bad) ausgelöst. Pathogenese. Unklare abnorme Reaktion auf Trans-
mitterfreisetzung aus den die ekkrinen Schweißdrüsen versorgenden Nerven. Schweiß selbst löst cholinerge Urtikaria nicht aus. Symptomatik. 1–3 mm kleine, heftig juckende, weißliche, von Reflexerythemen umgebene Quaddeln, häufig in oder um Haarfollikel (. Abb. 3.35), vorwiegend an den Extremitäten. Systemsymptome sind selten: Zeichen der systemischen Histaminwirkung (Kopf-
. Abb. 3.35. Cholinerge Urtikaria. Multiple kleine, weißliche Quaddeln
schmerzen, Übelkeit, Niesen, Bauchkrämpfe, Kollaps), in Extremfällen Anaphylaxie. Diagnostik. Belastungstest (Treppen laufen, Fahren am
Zimmerrad bis zum Schwitzen). Umständlicher und weniger verlässlich ist der Wärmetest (z. B. Unterarmbad in heißem Wasser für 10 min). Lichturtikaria 7 Kap. 3.1.7.
Weitere Formen der Urtikaria Hierzu zählen: 4 Urtikaria durch direkt mastzelldegranulierende Substanzen. Manche Substanzen führen zur direkten Histaminfreisetzung aus Mastzellen und Basophilen, Urtikaria, Angioödem und anaphylaktoiden Reaktionen: Opiate, Antibiotika (Makrolide), Muskelrelaxanzien, Röntgenkontrastmittel (5–8% der Patienten). Vielleicht trifft dies auch auf Darmtoxine (Hypazidität, gastrointestinale Kandidiasis) und bakterielle Toxine (Fokalinfekte) zu. 4 Urtikaria bei Störungen der Prostaglandinsynthese. Manche Personen zeigen anaphylaktoide und/oder urtikarielle Intoleranzreaktionen auf Acetylsalizylsäure, NSAID, Tartrazine (Azofarbstoff der Nahrungsmittelindustrie), Benzoate (Konservierungsmittel). Diese Substanzen sind chemisch nicht verwandt. Ein gemeinsamer Wirkmechanismus ist jedoch die Hemmung der Cyclooxygenase – Hemmung der Prostaglandin- und erhöhte Leukotriensynthese. Am häufigsten ist die Salicylatunverträglichkeit (etwa 1% aller Normalpersonen). Auf Aspirin reagieren bis zu 10% der Asthma-Patienten mit Bronchospasmus, 20–50% der Patienten mit chronischer Urtikaria mit Exazerbationen. 4 Angioödeme unter ACE-Hemmern. Etwa 0,1% dieser Patienten entwickeln meist innerhalb der ersten Wochen nach Beginn der Einnahme (gelegentlich aber auch erst nach Jahren!) Angioödeme meist im Bereich des Kopfs (Zunge, Larynx, Pharanx!), seltener auch der Extremitäten. Eine begleitende Urtikaria ist selten. Es handelt sich um einen Klasseneffekt, weshalb die Umstellung auf einen anderen ACE-Hemmer wenig Sinn hat. Ebenso ist die Umstellung auf Angiotensinrezeptor-Antagonisten häufig erfolglos. Als Pathomechanismus wird eine gesteigerte Aktivierung des KallikreinKinin-Systems vermutet.
123 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3Das Problem der »idiopathischen« Urtikaria Bei etwa der Hälfte der akuten und zumindest zwei Drittel der Fälle der chronisch-rezidivierenden Urtikaria bleiben Pathomechanismus und auslösendes Agens trotz aufwendiger Suche unklar. Die Gruppe der idiopathischen Urtikaria ist daher leider eine Hauptgruppe. Während sich einige alte spekulative Erklärungsmodelle für die idiopathische (meist chronisch rezidivierende) Urtikaria als wenig stichhältig erwiesen haben, ist die vieldiskutierte psychische Auslösung der Urtikaria in manchen Fällen plausibel; oft handelt es sich vermutlich um eine cholinerge Urtikaria (emotionsbedingte Erhöhung der Körpertemperatur), in anderen vielleicht um direkte Degranulation durch Neuropeptide. Andererseits: »Stress« muss als Erklärung für fast jede Krankheit herhalten.
Differenzialdiagnose der Urtikaria Die Gruppendiagnose »Urtikaria« ist meist offensichtlich; die nähere Zuordnung erfolgt durch Anamnese, Beurteilung der klinischen Symptomatik und Laboruntersuchungen. Bei einigen anderen Dermatosen entstehen Läsionen, die mit Quaddeln verwechselt werden können, z. B. Erythema multiforme, Erythema anulare centrifugum, bullöses Pemphigoid, manche Formen des Lupus erythematodes, urtikarielle Vaskulitis. Alle diese besitzen jedoch nicht die charakteristische Flüchtigkeit von Quaddeln (Läsionen bleiben kürzer als 1 Tag bestehen). Bei der der chronischen Urtikaria sehr ähnlichen urtikariellen Vaskulitis finden sich ferner Systemzeichen, typische Laborbefunde und histologische Zeichen der nekrotisierenden Vaskulitis (7 Kap. 7.4.2; Verdacht auf urtikarielle Vaskulitis ist bei Urtikaria die einzige Indikation zur Biopsie). Therapie der Urtikaria Ziel ist die Ausschaltung der Ursache (Allergenvermeidung, Sanieren von Infekten). Ist die Ursache nicht bekannt oder nicht behebbar, ist eine symptomatische Therapie mit Antihistaminika indiziert; diese soll bei chronisch rezidivierender Urtikaria langfristig erfolgen. Therapieunterbrechungen nach einigen Monaten sind angezeigt, um ein etwaiges spontanes Ende der Urtikaria zu registrieren. Bei ungenügender Wirksamkeit kann eine Kombination von H1- mit H2-Blockern und Mastzellstabilisatoren versucht werden. Systemische Kortikosteroide sind bei Typ-III-Immunreaktionen immer erforderlich, als langfristige Behandlung der chronisch-rezidiverenden Urticaria aber kontraindiziert; sie können jedoch zur Unterdrückung von Aktivitätsspitzen kurzfristig bzw. intermittierend eingesetzt werden. Plasmapherese, Immunglobuline, Cyclosporin A, Montelukast und Dapson sind wirksam, jedoch nur in Extremfällen zu überlegen. Ein wichtiges Mittel zum Management der physikalischen Urtikaria kann die bewusste Ausnützung der Refraktärphase sein (z. B. ein heißes Bad vor einem
3
abendlichen Theaterbesuch bei cholinergischer Urtikaria). Der Nutzen von Abhärtungsbehandlungen, etwa durch regelmäßige kalte Duschen bei Kälteurtikaria, ist nicht gesichert. 3.2.5 Insektengiftallergie Definition/Pathogenese. Im Gegensatz zu den in aller
Regel lediglich lokal irritierenden Stichen durch Stechmücken und -fliegen können Stiche durch Hautflügler klassische Typ-I-Allergien hervorrufen, am häufigsten – zu etwa gleichen Teilen – Bienen- und Wespengiftallergien. Gelegentlich treten auch serumkrankheitsähnliche Spätreaktionen und neurovegetative Reaktionen auf (Hyperventilationssyndrom, vasovagale Synkopen). Die spezifischen IgE-Antikörper sind vorwiegend gegen im Gift enthaltene Enzyme (Phospholipase A, bei Wespe auch B, saure Phosphatase, Hyaluronidase) und gegen Mellitin (Biene) gerichtet. Wegen der parenteralen Zufuhr des Allergens (Stich!) besteht eine starke Neigung zum anaphylaktischen Schock. Bienen- und Wespengiftallergien sind daher bedrohliche Zustände, die durch Hyposensibilisierung mit gereinigtem Bienen- und Wespengift behandelt werden müssen. Kreuzallergien zwischen Biene und Hummel sowie von Wespenarten untereinander bzw. Wespe und Hornisse kommen vor. Zwischen Bienen- und Wespengift sind echte Kreuzallergien klinisch selten (<10%), doch sieht man im Hauttest häufig Mehrfachsensibilisierungen (gemeinsame Karbohydratdeterminanten). Diagnostik. Diese erfolgt durch Haut- und Labortests.
Prick- und Intrakutantest werden in steigenden Konzentrationen (ab 0,01 ng/ml) durchgeführt; ab etwa 0,01 μg/ml nehmen unspezifische Reaktionen durch den Histamingehalt des Gifts zu, ansonsten sind Sensitivität und Spezifität sehr gut. Der RAST zum Nachweis spezifischer IgE diskriminiert gut zwischen sensibilisierten und nichtsensibilisierten Personen. RAST und Hauttest stimmen relativ gut überein. Der RAST sinkt über (6 oder mehr) Jahre spontan (vgl. Immuntherapie) nur gering ab. Die Aussagekraft von Haut- und Labortests für das Risiko bei Reexposition ist beschränkt; ihr prädiktiver Wert bezieht sich mehr auf Allgemein- als auf Lokalreaktionen. Therapie. Die Indikation zur Spezifischen Immunthe-
rapie gegen Bienen- und Wespengift besteht bei über das Hautorgan hinausgehenden Reaktionen (Larynxödem, Schwindel, Asthma, Blutdruckabfall etc.) und hohem Expositionsrisiko (Beruf, Hobbys). Bei Klein-
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Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
kindern (günstige Prognose der Spontanheilung) und älteren Patienten (oft relative Kontraindikationen!) ist die Indikation eher zurückhaltend zu stellen.
3
Durchführung (7 Kap. 2.4.9). Als Erfolgsparameter gilt die Abnahme der Reaktion im titrierten Hauttest (nicht so sehr des RASTs), aber auch die Reaktion auf mittlerweile erfolgte »Feldstiche« (d. h. zufällig erfolgte Stiche). Die Wirksamkeit der Immuntherapie liegt bei Wespengiftallergie nahe 100%, bei Bienen zwischen 70 und 90%.
3.2.6 Erythema nodosum
. Abb. 3.36. Erythema nodosum. Flach erhabene, unscharf begrenzte, gerötete Knoten an der Streckseite des Unterschenkels
Definition. Ein akutes Reaktionsmuster des Fettgewebes
der Haut, das durch schmerzhafte entzündliche Knoten vorwiegend der Unterschenkelstreckseiten charakterisiert ist und meist durch Infekte ausgelöst wird. Histologisch eine »septale« Pannikulitis (7 Kap. 10.2.1). Epidemiologie. Eine der weniger häufigen Intoleranz-
reaktionen. Bevorzugtes Auftreten im frühen Erwachsenenalter und beim weiblichen Geschlecht. Pathogenese. Das Erythema nodosum wird meist
durch bakterielle Infekte ausgelöst. Das Spektrum der möglichen Erreger ist groß; am häufigsten sind Streptokokkeninfekte (z. B. Tonsillitis), seltener Infekte mit Yersinia enterocolitica, Tuberkulose u. a. m. Beginn typischerweise ca. 2–3 Wochen nach dem Infekt. Seltenere Auslöser des Erythema nodosum sind Medikamentenintoleranz (Kontrazeptiva) und die Sarkoidose (7 Kap. 5.5.2, »Löfgren-Syndrom«). Symptomatik. Erythema nodosum ist eine akute,
episodische, selbstlimitierende Krankheit, die mit Allgemeinsymptomen assoziiert ist (Fieber, Arthralgien). Die sehr charakteristischen Hautläsionen sind flache, runde, unscharf begrenzte, bis handtellergroße Knoten an den Streckseiten der Extremitäten, meist bilateral symmetrisch über den Schienbeinen, seltener an Oberschenkeln und Oberarmen (. Abb. 3.36). Sie sind sehr druckschmerzhaft (»schon das Gewicht der Bettdecke schmerzt«). Ihre Farbe ist zunächst hellrot; im weiteren Verlauf Farbwechsel wie bei Hämatomen (blau, braun, grün – Erythema contusiforme). Die Abheilung erfolgt stets ohne Exulzeration oder Narben und dauert unbehandelt einige Wochen. Hält die auslösende Ursache an, kommt es zu rezidivierendem Verlauf, selten zum so genannten »chronischen« Erythema nodosum.
Differenzialdiagnose. Erythema induratum (Nodulär-
vaskulitis – 7 Kap. 10.2.1). Therapie. Behandlung der auslösenden Grunderkran-
kung, entzündungshemmende Lokaltherapie, nichtsteroidale Antiphlogistika, in schweren Fällen systemische Kortikosteroide. 3.2.7 Intoleranzreaktionen
auf Nahrungsmittel Definition. Dieser Begriff umfasst lokale und syste-
mische Unverträglichkeitsreaktionen, die im Zusammenhang mit Nahrungsmittelexposition auftreten. Diese Reaktionen können toxischer oder nichttoxischer Genese sein, letztere wiederum immunologisch oder nichtimmunologisch (. Abb. 3.37). Sie können nicht nur durch orale Aufnahme, sondern auch durch Hautkontakt oder Inhalation mit bzw. von Nahrungsmitteln ausgelöst werden.
. Abb. 3.37. Pathogenese der Nahrungsmittelunverträglichkeit
125 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3Von Nahrungsmittelallergie sollte man nur sprechen, wenn es sich um immunologische Mechanismen handelt, die in prädisponierten Personen zur Antikörperbildung führen – in erster Linie IgE-vermittelte Beschwerden. Beispiel einer nicht IgE-mediierten Nahrungsmittelallergie ist die Zöliakie. IgG gegen Nahrungsmittel finden sich häufig auch bei klinisch unauffälligen Personen als Ausdruck bloßer Exposition. Solchen Antikörpern wird häufig eine Rolle bei der Entstehung unterschiedlichster Krankheitsbilder unterstellt (von Psoriasis bis Multiple Sklerose), was von den Fachgesellschaften jedoch nicht anerkannt ist.
Symptomatik. Klinische Manifestationen. Nahrungs-
mittelintoleranzen manifestieren sich am häufigsten an Haut und Schleimhäuten, seltener an der Lunge, in 20% im Gastrointestinaltrakt selbst und in 10% am Herzkreislaufsystem. Hauptsymptome sind – je nach Mechanismus in wechselnder Zusammensetzung: 4 Juckreiz, Flush, Urtikaria, Quincke-Ödem 4 Rhinokonjunktivitis, Heiserkeit, Hustenreiz, Asthma 4 Juckreiz und Schwellungen der Mundschleimhaut und im Larynxbereich (»Orales Allergiesyndrom«), Übelkeit, Erbrechen, Koliken, Diarrhoe 4 Tachykardie, Hypotonie, Extrasystolie 4 »Flare-up« (Aufflammen) einer atopischen Dermatitis ! Nichtimmunologische Unverträglichkeiten und Nahrungsmittelallergien können klinisch ununterscheidbar ablaufen! Aus der Symptomatik allein können daher kaum Rückschlüsse auf den Pathomechanismus gezogen werden – Nahrungsmittelunverträglichkeit ist also nicht gleichbedeutend mit allergischen Manifestationen im Darmtrakt!
Epidemiologie. Die Prävalenz objektivierbarer Nah-
rungsmittelallergien wird auf 1–2% geschätzt. Demgegenüber zeigen Befragungen, dass 10–20% glauben, an einer solchen zu leiden, weil Befindlichkeitsstörungen, Depression, Stuhlunregelmäßigkeiten, »chronic fatiguesyndrome« u. a. fälschlich der Nahrung, insbesondere der »Chemie« darin, zugeschrieben werden. 3Gastrointestinaltrakt und Nahrungsmittel Nahrungsmittel sind komplexe Mischungen essbarer organischer Verbindungen: auf unserem Teller landen täglich hunderte verschiedene Substanzen, die anschließend mit dem Verdauungstrakt interagieren. Diese Interaktion wird durch die Modalitäten der Zubereitung (roh, gekocht, gebraten etc.), durch Zusatzstoffe, Gewürze, Alkohol (resorptionsfördernd) sowie diverse Rückstände kompliziert. Durch die Verdauung erfolgt die Aufspaltung in Bruchstücke, die für die Resorption geeignet sind. Mangelhafte Verdauung (Neugeborenenalter, Antazida, Gastrektomie, Pankreasinsuffizienz) führt zu ver-
3
mehrter Resorption potenziell allergener Nahrungsbestandteile. Zu gesteigerter Resorption kann es aber auch infolge einer Störung der Schleimhautbarriere oder der Darmflora kommen (Neugeborenenalter, IgA-Mangel, Gastroenteritis, durch Antibiotika). Es ist weniger erstaunlich, dass es Nahrungsmittelallergien gibt, als dass es nicht wesentlich mehr davon gibt.
Nahrungsmittelallergene und Nahrungsmittelallergien Nahrungsmittelallergien bei Kindern Diese können sich als klassische IgE-vermittelte Soforttypallergien oder als Spätreaktionen z. B. im Sinne einer Verschlechterung bei atopischer Dermatitis (s. u.) äußern. Die Sensibilisierung kann diaplazentar, während des Stillens über die Muttermilch oder durch direkte orale Aufnahme erfolgen. Soforttypreaktionen durch Nahrungsmittel äußern sich im Kindesalter vorwiegend an der Haut (Kontakturtikaria an den Lippen, Urtikaria, Quincke-Ödeme), seltener im Gastrointestinaltrakt (rasch auftretende Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe) oder an anderen Organen. Am häufigsten verantwortlich sind Kuhmilch, Hühnerei, Weizenmehl und Soja. Die wichtigsten Allergene der Kuhmilch sind das hitzestabile und artspezifische β-Laktoglobulin, die Kaseine (hitzestabil, nicht artspezifisch) und das hitzelabile und artspezifische α-Laktalbumin. Hühnerei enthält als starkes Allergen Eiklar (Ovalbumin und das hitzeresistente Ovomukoid; im Rohzustand stärker allergen als gekocht!). Hühnereiweiß-Allergie ist gelegentlich mit einer solchen auf Hühnerfleisch assoziiert (Bird-Egg-Syndrom). Die Prognose kleinkindlicher Nahrungsmittelallergien ist generell gut, es kommt fast stets bis zum Schulalter zur Toleranzentwicklung. Wegen der hohen logistischen Anforderungen einer Diät an Eltern, Kindergärten etc. sowie der möglichen Entstehung von Mangelernährung sollten Reevaluierungen in 2-jährlichen Abständen erfolgen. Nahrungsmittelallergie bei Atopischer Dermatitis (7 Kap. 3.2.1)
Nahrungsmittelallergien bei Erwachsenen Diese neigen zu lebenslanger Persistenz. Das Spektrum möglicher Auslöser ist naturgemäß enorm weit, doch sind Allergenpotenz und Expositionsgrad sehr unterschiedlich. Die Prävalenz hängt u. a. von nationalen Vorlieben und Essgewohnheiten ab. So werden in Norwegen häufiger Fisch-, in den USA Erdnussallergien, in Frankreich solche auf Schalentiere, im deutschsprachigen Raum überwiegend pollenasssoziierte Allergien gefunden:
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3
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Birke-Apfel-Nuss-Syndrom. Es beginnt meist mit inhalativer Sensibilisierung gegen Bet v 1, dem Hauptallergen der Birke. Dieses Stressprotein findet sich sequenzund strukturhomolog in zahlreichen taxonomisch verwandten (Hasel, Erle, Buche etc.) wie auch nicht verwandten Pflanzen (Stein- und Kernobst, Mandeln, Kartoffeln, Soja, Latex). Da Bet v 1 hitze- und verdauungslabil ist, kommt es fast ausschließlich nach Einnahme roher Nahrungsmittel zum so genannten Oralen Allergiesyndrom: Juckreiz im Rachenbereich, Kontakturtikaria und Uvulaödem. Systemische Reaktionen sind selten. Beifuß-Sellerie-Gewürz-Syndrom. Hier sind das/die auslösenden Allergene noch nicht bekannt. Die Kreuzreaktionsmuster sind individuell verschieden, die Mehrzahl der in vitro und in vivo gefundenen Kreuzsensibilisierungen sind klinisch nicht relevant, systemische Reaktionen sind jedoch nicht selten, v. a. in Zusammenhang mit gekochtem Sellerie. Latex-Frucht-Syndrom. Latexallergiker zeigen gelegentlich Nahrungsmittelallergien u. a. gegen Avocado, Kiwi, Melone, Banane, Ananas und Kastanien, meist in Form eines Oralen Allergiesyndroms. Allergie gegen Schalentiere, Weichtiere und Fische.
Schalentiere (Krabben, Garnelen, Hummer) sind bedeutsame Allergenquellen, die Reaktionen sind mitunter lebensbedrohlich. Selbst die bloße Inhalation von Kochdampf kann bei Sensibilisierten anaphylaktische Symptome auslösen. Das verantwortliche Allergen dürfte ein Tropomyosin sein. Fischallergiker weisen zu etwa 40% eine isolierte Allergie gegen eine bestimmte Fischart auf, 60% reagieren auf zahlreiche Spezies – offenbar existieren sowohl speziesspezifische wie kreuzreagierende Allergene. Etwa die Hälfte der Fischallergiker gibt auch eine Unverträglichkeit von Schalentieren an (wahrscheinlich echte Doppelsensibilisierungen). Allergie gegen Weizenmehl. 80% der im Weizen ent-
haltenen Proteine sind Gluten, das wiederum aus Gliadin und Glutenin zusammengesetzt ist, daneben Albumine und Globuline (ca 15% bzw. 5%). Die wichtigsten IgE-bindenden Proteine finden sich in der Albuminfraktion. Zumindest 4 Formen von Weizenmehlallergie sind bekannt: 1. Das durch α-Amylaseinhibitoren ausgelöste Asthma v. a. bei Bäckern (Bäcker-Asthma). 2. Die Weizenmehlallergie (IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie meist gegen Albumine). 3. Die so genannte »wheat-dependent exercise-induced anaphylaxis«. Hier kommt es bei körper-
licher Anstrengung nach Verzehr weizenhaltiger Produkte zu anaphylaktischen Reaktionen. Verantwortliches Allergen ist ein α-Gliadin. Wahrscheinlicher Mechanismus: Allergenmodifikation durch die bei Anstrengung aktivierte tTG (»tissue transglutaminase«), die zu einer Affinitätssteigerung des Gliadin-spezifischen IgE führt. 4. Zöliakie. Eine Th1-mediierte Immunreaktion gegen Gluten und Auftreten von IgA-Antikörpern gegen tTG. Pharmakologisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeit Diese auch als Idiosynkrasie oder Pseudoallergie bezeichneten Reaktionen beruhen auf einer individuell übersteigerten Reaktion gegenüber vasoaktiven Aminen (Histamin, Tyramin, Phenyläthylamin), die entweder natürlich im Nahrungsmittel enthalten sind (z. B. Schokolade), während der Herstellung entstehen (alle fermentierten Lebensmittel wie Sauerkraut, Käse, Würste und alkoholische Getränke: französischer Rotwein!) oder verstärkt durch Nahrungsmittel aus Mastzellen freigesetzt werden (Alkohol, Zitrusfrüchte). Histaminintoleranz. Als Ursache postuliert wurden ein Mangel des für den Histaminabbau hauptverantwortlichen Enzyms Diaminooxidase und evtl. auch hepatischer Methyltransferasen. Dieser Mangel kann angeboren oder induziert sein, z. B. bei Virushepatitis oder durch Medikamente wie Clavulansäure, Bronchosekretolytika, Betablocker, NSAR oder ACE-Hemmer. Betroffene entwickeln nach Genuss histaminhältiger Nahrungsmittel (Rotwein, Sekt, Hartkäse, Thunfisch, Sauerkraut) histamininduzierte Symptome wie Flush, nasale Kongestion, weiche Stühle, Migräne, Dysmenorrhoe. Histaminarme Diät führt bei ca. 50% zur Besserung, bei manchen zur Beschwerdefreiheit. Tyramin-Intoleranz. Diese beruht auf einem disposi-
tionell verzögerten Abbau von Tyramin. Manchmal schwere Symptome (Hypertonie, Flush, Todesfälle wurden beschrieben) treten bei Patienten auf, die Monoaminooxidasehemmer einnehmen. Tyramin-reiche Nahrungsmittel: Schokolade, saure Heringe, Bananen, Käse. Tyramin ist ein potenter Vasokonstriktor, der zudem die Freisetzung von Noradrenalin aus noradrenergen Neuronen sowie von Histamin und Prostaglandinen aus Mastzellen bewirkt (Verstärkereffekt). Eine Dosis von 100 mg, von Gesunden toleriert, führt bei 15% der Migränepatienten zur Auslösung eines Anfalls. Nahrungsmittelzusatzstoffe. Zum Beispiel Sulfite,
Salizylate, Parahydroxybenzoesäureester, Glutamat
127 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
dienen u. a. als Konservierungsmittel, Geschmacksverstärker, Farbstoffe und Emulgatoren und wurden ebenfalls als Auslöser pseudoallergischer Reaktionen und chronisch rezidivierender Urtikaria beschrieben. Wohldokumentierte Fälle IgE-mediierter Allergien auf Additiva sind selten (z. B. auf den Farbstoff Cochenillerot E120 in Campari). Diagnostik der Nahrungsmittelunverträglichkeit Sorgfältige Anamnese sowie das Erstellen eines Beschwerdekalenders sind von zentraler Bedeutung. Testverfahren Hauttests. Diese sind das Routine (Screening)-Verfahren der Diagnostik. Verwendet wird ein Set der häufigsten Nahrungsmittelallergene (Übersicht), das entsprechend der Anamnese individuell einzugrenzen oder zu erweitern ist. Gegenüber käuflichen Standardextrakten zu bevorzugen sind »Prick-to-Prick«-Testungen (7 Kap. 2.3.6) mit nativen Nahrungsmitteln in der eingenommenen Zubereitungsform.
Screeningstests bei Verdacht auf Lebensmittelallergie (Pricktest, allenfalls Reibe-/ Scratchtest mit nativen Nahrungsmitteln) 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Kuhmilch, Kasein Eiweiß, Eigelb, Ovomucoid, Ovalbumin Schweinefleisch, Rindfleisch, Hühnerfleisch Süßwasserfische, Salzwasserfische Weizen-, Roggen-, Maismehl Soja Erdnuss Sellerie Gewürze (Paprika, Kümmel, Anis, Kamille, Pfeffer, Knoblauch)
Die Aussagekraft der Hauttests wird durch falsch positive und falsch negative Reaktionen beeinträchtigt. Negative Hauttests können bei geringer Sensibilisierung und bei mangelnder Haltbarkeit der Allergene in den Testextrakten auftreten (pflanzliche Allergene sind z. B. weniger haltbar als tierische), schließen Nahrungsmittelallergien demnach nicht aus. Positive wie negative Ergebnisse müssen daher immer auf ihre klinische Relevanz hinterfragt werden (Anamnese, Provokation). 3Hauttests sind bei nichtimmunologischer Intoleranz erwartungsgemäß negativ. Die Komplexität der Diagnostik in solchen Fällen zeigt sich am Beispiel der Alkoholunverträglichkeit: Kopfschmerzen, verzögert nach Alkoholgenuss, können auf einer Unverträglichkeit gegen Tyramin beruhen, Flush und
3
Erythem auf einer Histaminunverträglichkeit. Rasch auftretendes Asthma und Rhinitis können durch Sulfite verursacht sein, verzögert auftretende Reaktionen als Rarität durch Farbstoffe oder Benzoesäure. Zudem wirkt Alkohol vasodilatorisch und erhöht die Resorption anderer, evtl. gleichzeitig genossener Speisen (und Allergene).
In-vitro-Tests. Die Wertigkeit der Gesamt-IgE und spezifischen IgE ist vom Sensibilisierungsgrad und der Art des Allergens abhängig: pflanzliche Allergene werden zuverlässiger erfasst als tierische; die Übereinstimmung mit der klinischen Symptomatik ist besser bei hochgradiger Sensibilisierung (hohe spezifische IgE, stark positive Hauttests). Positive spezifische IgE allein sind kein Beweis für eine Nahrungsmittelallergie, ihr Einsatz als Screening-Test daher nicht gerechtfertigt. Provokationtests. Diese ermöglichen den Nachweis klinisch aktueller Unverträglichkeiten, erlauben aber keine Unterscheidung von allergischen und »pseudoallergischen« Reaktionen. Je nach Situation erfolgt eine offene oder eine doppelblinde plazebokontrollierte Provokation, immer natürlich unter Schockbereitschaft. Selbst letztere, gemeinhin als Goldstandard betrachtet, hat viele Schwachstellen: die Fragen der optimalen Allergendosis, der Erfassung sämtlicher Allergene und additiver Faktoren bei der natürlichen Nahrungsmittelzufuhr. Die Überbewertung dieses Provokationstyps kann zur Scheinobjektivität führen. Diäten (Auslass-, Additionsdiät). Diese besitzen bei sinnvollem Einsatz einen hohen diagnostischen Stellenwert. Ergibt sich aus Anamnese und Testergebnissen ein konkreter Anhalt, ist eine gezielte Auslassdiät angezeigt (wichtig: Kenntnis der Allergenverwandtschaften von Nahrungsmitteln!). Fehlen konkrete Anhaltspunkte, beginnt man mit einer allergenarmen Basisdiät, der man schrittweise und individuell mögliche Auslöser zusetzt. Die Intervalle hängen dabei von der Klinik ab (bei Soforttypreaktionen täglich, bei Ekzemverschlechterung frühestens nach 3–4 Tagen). Ungezielte längerdauernde Eliminationsdiäten sind zu vermeiden!
Therapie der Nahrungsmittelunverträglichkeit Wichtigste Maßnahme ist die Karenz der Allergene bzw. der unverträglichen Speisen, die auf den Ergebnissen der Diagnostik beruht: therapeutische Eliminationsdiät. Medikamentöse Therapie kann unterstützend bei allen Nahrungsmittelallergien/Pseudoallergien gegeben werden, bei denen eine Karenz nicht ausreichend möglich ist. 4 Antihistaminika: in leichteren Fällen, insbesondere als Bedarfsmedikation z. B. vor einem geplanten Gelage bei bekannter Histaminintoleranz.
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3
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
4 Dinatriumchromoglykat (in Österreich nicht erhältlich): 4-mal 200 mg oral täglich. Die Wirkung tritt erst nach etwa einer Woche ein (nicht als Bedarfsmedikation geeignet!). Die Substanz wird nicht resorbiert, stabilisiert aber im Darm die Zellmembran der Mukosa-Mastzellen und unterdrückt die Metabolitenausschleusung. 4 Kortikosteroide: Einsatz in Kombination mit Antihistaminika und Adrenalin im Akutfall bei Anamnese schwerwiegender Reaktionen. Verschreibung im Rahmen eines Notfallsets. 3.2.8 Intoleranzreaktionen
gegen Medikamente Definition Arzneimittel sind chemische Substanzen, die dem Körper zu diagnostischen, prophylaktischen oder therapeutischen Zwecken systemisch oder lokal zugeführt werden und pharmakologische Wirkungen entfalten. Es handelt sich meist um kleine Moleküle (<1 kD), die im Körper verteilt und durch verschiedene Enzymsysteme abgebaut werden. Unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln (UAW) sind alle Wirkungen, die vom Ziel der Behandlung abweichen und schädlich bzw. unangenehm sind. UAW sind häufig. 3In einer Metaanalyse von 159 Studien über 30 Jahre in den USA waren ernsthafte UAW in 4,7% der Grund für einen Klinikaufenthalt; im Verlauf eines solchen traten UAW in 2,1% neu auf. 76% der UAW wurden als Typ A (s. u.), 24% als Typ B klassifiziert. Tödlich verliefen sie in 0,1–0,2%. UAW sind die viert- bis sechsthäufigste Todesursache!.
Die Haut ist mit etwa 15% der häufigste Manifestationsort von UAW: sie ist ein wichtiges Immunorgan mit hoher metabolischer Aktivität, und ihre Symptome sind leicht erkennbar. UAW der Haut sind weniger häufig allergisch als nichtimmunologisch bedingt (toxisch, metabolisch, genetisch), können unter dem Bild »klassischer« Dermatosen ablaufen oder eigenständige Formen annehmen. Sie können auf die Haut beschränkt oder Teil einer Systemreaktion sein. Ihr Spektrum ist vielfältig (»klinisches Chamäleon« – jedes Medikament kann unterschiedliche UAW auslösen und vice versa), ihre Schwere reicht von harmlos bis lebensbedrohlich. Typen von UAW Folgende grobe Klassifikation hat sich in den letzten Jahren eingebürgert: 4 Typ A (»augmented«) umfasst vorhersehbare pharmakologische Wirkungen. Diese sind häufig,
dosisabhängig und Folgen verschiedener Umstände, z. B.: 5 Wirkungsart der Substanz (toxisches Effluvium bei Zytostatika) 5 Kumulation im Gewebe (Gelbfärbung der Haut nach β-Karoten) 5 Medikamenteninteraktionen (gegenseitige Verdrängung von Rezeptoren oder aus der Albuminbindung - Kumarin, Salicylate, Sulfonamide) 5 Stimulation oder Inhibition abbauender Enzyme (Beispiele: Carbamazepin beschleunigt Abbau von Cyclosporin A; Allopurinol hemmt den von Azathioprin) 5 Dosierungsfehler (häufig! – bis zu einem Drittel der Patienten) Zu Typ A zählt auch die Verschlechterung mancher präexistenter Krankheiten durch Medikamente (z. B. Lithium bei Psoriasis, Aspirin in ca. 20% bei Urtikaria). 4 Typ B (»bizarr«) sind unvorhersehbare, individuelle Wirkungen. Sie sind seltener, nur beschränkt dosisabhängig, oft vehement. Zugrunde liegt meist die Aktivierung von nichtimmunologischen (Intoleranz, Idiosynkrasie) oder immunologischen Effektormechanismen. 4 Typen C (»cumulative«) und D (»delayed«) sind Wirkungen, die nach langfristiger Behandlung (Nierenschädigung durch Analgetika) bzw. mit verspätetem Effekt auftreten (Karzinogenese). 3Intoleranzreaktionen im engeren Sinn sind solche, die zwar pharmakologisch vorhersehbar sind, aber schon bei niedriger Dosis auftreten (z. B. Alkoholintoleranz). Idiosynkratische Reaktionen sind qualitativ abnorm. Bei beiden spielen genetische Polymorphismen eine besondere Rolle.
Epidemiologie Die Entstehung von UAW wird von verschiedenen Umständen beeinflusst: 4 Pharmakogenetik (Metabolisierung) 4 Immungenetik (HLA-Typ) 4 Geschlecht (häufiger bei Frauen) 4 Alter (häufiger bei Älteren – Mehrfachmedikation, Multimorbidität, Pharmakokinetik) 4 Begleitkrankheiten (häufiger bei Virusinfektionen: z. B. EBV, HIV; lymphoproliferativen Erkrankungen, Autoimmunkrankheiten) 4 Kreuzreaktivität (z. B. Paraphenylendiamin und Sulfonamide) 4 Reaktivität des Arzneimittels – Entstehung reaktiver Metabolite 4 Applikationsart (häufiger bei kutaner als bei oraler oder i. v. Zufuhr)
129 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
4 Begleitmedikationen 4 Dosis (häufiger bei niedriger als bei hohen Dosen) 4 Therapiefrequenz (höher bei intermittierender Gabe) 4 Molekulargröße (höher bei kleinen als bei großen Molekülen) Medikamente mit häufigen kutanen UAW. Prinzipiell
kann jedes Arzneimittel kutane UAW hervorrufen, doch ist das Risiko jeweils sehr unterschiedlich. Die Kenntnis des Risikos ist wichtig, da die empirische Deutung immer noch die wichtigste Methode zur Bestimmung der Ursache ist (. Tab. 3.8). In den Handbüchern werden etwa 40% der kutanen UAW Antibiotika und Sulfonamiden zugeschrieben, 30% nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR), 10% Antiepileptika und Psychopharmaka, der Rest einer langen Liste weiterer Medikamente. Allerdings gäbe nur der Bezug auf die Verabreichungshäufigkeit Aufschluss über das tatsächliche Risiko; die diesbezügliche Datenlage ist leider unvollkommen. Pathogenese Die den UAW zugrunde liegenden Mechanismen sind nur z. T. bekannt. Man unterscheidet immunologische und nichtimmunologische Mechanismen, die aller. Tab. 3.8. Assoziation von Medikamenten mit Hautreaktionen (Auswahl) Häufig
Selten
ACE-Hemmer und AT-II-Antagonisten
Antazida
Allopurinol
Antiemetika
Betalaktam-Antibiotika, Chinolone
Antihistaminika
Carbamazepin, Lamotrigin, Phenytoin
Benzodiazepine
Doxorubicin, Etoposid
Betablocker
Kontrastmittel
Kalziumantagonisten
Muskelrelaxanzien
Digitalis
LMWH
Furosemid
Neuroleptika
Glukokortikoide
NSAID und ASS
Haloperidol
Opiate
Lokalanästhetika
Protonenpumpenhemmer
Paracetamol
Statine
Propranolol
Sulfonamide, Sulfonylharnstoffe
Theophyllin
Vitamin B1, B12
3
dings nicht stets strikt trennbar sind und auch überlappen konnen. Nichtimmunologische UAW
Diese sind durch Medikamente ausgelöste metabolische Fehlleistungen. Beispiele: 4 Anaphylaktoide Reaktionen durch direkte Histaminfreisetzung (Kontrastmittel, Kodein) oder durch verzögerten Bradykininabbau (ACE-Hemmer). 4 Kumarin-Nekrosen: Protein-C-Mangel kann zu Beginn einer Antikoagulation mit Kumarin zu Thrombose und Hautnekrose führen. Mechanismus: Protein-C-Spiegel sinken wegen geringerer Halbwertszeit schneller als die von prokoagulanten Faktoren (Prothrombin) – vorübergehende Phase der Hyperkoagulabilität. 4 Am bedeutsamsten sind Störungen des Medikamenten-Abbaus durch genetisch bedingte Enzymdefekte und DNA-Polymorphismen, z. B.: 5 Cytochrom p450: Oxidation von Fremdstoffen, wobei toxische und/oder immunreaktive Epoxide entstehen können, die u. a. durch eine Epoxidhydroxylase entgiftet werden. – Genetischer Mangel der Epoxidhydrolase führt etwa zu erhöhten Spiegeln von toxischen Antiepileptika-Metaboliten (Ursache des »Anticonvulsant-HypersensitivitätsSyndroms«). – Induktion oder Hemmung des Cytochrom P450 durch verschiedene Medikamente (s. Lehrbücher der Pharmakologie) 5 Acetylierungsrate in der Bevölkerung: »slow« und »rapid acetylators«: Langsame Acetylierung treibt die Fremdsubstanzen verstärkt in den oxidativen Abbau (Hydralazin → Lupus erythematodes; toxische epidermale Nekrolyse). Bei HIV-Infizierten treten besonders häufig und besonders schwere Arzneimittelreaktionen auf. Die Ursache liegt vermutlich in einer erworbenen Glutathiondefizienz, die zur verzögerten Detoxifikation reaktiver Metaboliten führt. 3Weitere wichtige Enzymdefekte und DNA-Polymorphismen (Auswahl): Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase: Aktivitätsmangel resultiert in ein mangelhaftes Glutathion-Reduktionssystem. Bei Einnahme von Medikamenten mit oxidierenden Metaboliten (Sulfone, Antimalariamittel) werden Epoxide ungenügend reduziert. Folge: Methämoglobinbildung, Hämolyse. Dehydropyrimidindehydrogenase: verstoffwechselt Pyrimidinderivate (u. a. 5-Fluorouracil). Bei verringerter Aktivität hohe Knochenmarktoxizität – sogar bei lokaler Anwendung (aktinische Keratosen).
130
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Polymorphismen der Leukotrien C4-Synthetase: wahrscheinlich für Unverträglichkeitsreaktionen auf ASS und NSAR verantwortlich (shift von Prostaglandinen zu stärkenden proinflammatorischen Leukotrienen).
Immunologisch mediierte Wirkungen
3
Diese können unter den Bildern aller 4 traditionellen Reaktionstypen nach Gell und Coombs auftreten (. Tab. 3.9): Voraussetzung zur Entwicklung einer Immunreaktion gegen Medikamente. Arzneimittel sind in der Regel
kleine Moleküle, die erst nach kovalenter Bindung an
Trägereiweiße zu Allergenen werden (Haptene). Viele Medikamente gehen nur schlecht kovalente Bindungen ein, sie sind immunologisch »harmlos«. Bei manchen entstehen reaktive Spaltprodukte erst nach Metabolisierung, wie etwa bei Penicillin: Haptenkomplexe werden zu 90% durch die Penicilloyl-Gruppe gebildet (»major determinant«), der Rest durch andere Derivate (»minor determinants«). Auch die Applikationsart ist von Bedeutung: manche Allergene sensibilisieren stark bei lokaler, hingegen schwach bei systemischer Verabreichung. Wichtige Begleitfaktoren sind UV-Licht (Photoallergene) und Begleitkrankheiten. Kreuzsensibili-
. Tab. 3.9. Immunologische Überempfindlichkeitsreaktionen: Erweiterte Klassifikation nach Gell und Coombs (1969) Typ der Immunantwort
Klinisches Bild
Mechanismus
Latenz
Antikörpervermittelt Typ I
IgE-Bindung an Mastzellen und Basophile
Anaphylaxie
Mastzelldegranulation und Mediatorfreisetzung
Minuten
Typ II
Bindung von IgG/M an zellgebundene Antigene
z. B. Hämolytische Anämie bei AB0-Unverträglichkeit
Lyse des betreffenden Zelltyps
<3 h
Typ III
Bindung von IgG an nicht-zellgebundene Antigene
Serumkrankheit, Arthusreaktion, Vaskulitis
Zirkulierende Immunkomplexe
3–10 h
Zellvermittelt Typ IVa
Induktion von IFN-γ durch Th-1
Ekzem (hämatogen)
Makrophagenaktivierung
>>10 (48–72) h
Typ IVb
Induktion von IL-4, IL-5 durch Th-2
Makulopapulöse Exantheme
Eosinophilenaktivierung
>>10 (48–72) h
Typ IVc
CD8+ (und CD4+) Lymphozyten
Makulopapulöse, fixe, bullöse Exantheme
Zytotoxizität
>>10 (48–72) h
Typ IVd
Sekretion von IL-8 durch T-Zellen
Pustulöse Exantheme
Stimulation u. Extravasation von Neutrophilen
>>10 (48–72) h
. Tab. 3.10. Wichtige Arzneimittelgruppen mit Kreuzreaktionen (Auswahl) Gruppe bzw. vorwiegend auslösende Verbindung
Kreuzreagierende Verbindungen
Sulfonamide
Manche Lokalanästhetika, Disulfiram, Sulfonylharnstoffe, Thiazide, Furosemid, Carboanhydrasehemmer (Azetazolamid)
Paragruppe
Azofarbstoffe, fotografische Entwickler, Kosmetika, Paraaminobenzoesäure, p-Phenylendiamin, Sulfonamide, Sulfonylharnstoffe, Procainderivate, Phenothiazine
Penicillin (β-Laktam-Antibiotika)
Ampicillin, Amoxicillin, Carbenicillin, Cephalosporine, und andere halbsynthetische Präparate
Desoxystreptaminhaltige Antibiotika
Bacitracin, Gentamicin, Neomycin, Streptomycin, u. a. (enthalten Desoxystreptamin als Aminozucker)
Thiazin-Gruppe
Antihistaminika, Diazoxid, Phenothiazine
Terpen-Gruppe
Duftstoffe (z. B. Lavendel, Veilchen, Nelken), Pflaster, Gummiprodukte. Verbreitete Anwendung in Hustensäften und Linimenten.
Äthylenamin
Anatazolin, Aminophyllin, Promethacin
Azetylsalizylsäure
Fast alle nichtsteroidalen Antiphlogistika (allerdings ist Intoleranz die Ursache)
Procain
Benzocain, Procainamid, Tetracain
131 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3
sierungen aufgrund molekularer Verwandtschaft (auch von Medikamenten verschiedener Wirkung) müssen klinisch berücksichtigt werden (. Tab. 3.10). ! Die immunogene Wirksamkeit eines Medikaments ist nicht gleichbedeutend mit dem Entstehen einer klinischen Allergie. So bilden etwa 40% der Personen, die Penicillin erhielten, asymptomatisch IgG-Antikörper aus.
Klinische Bilder Grundsätzlich können UAW der Haut unter dem Bild »klassischer« Dermatosen auftreten oder selbstständige Krankheitsbilder verursachen. Die häufigsten klinischen Bilder sind in . Tab. 3.11 aufgelistet. Zwar kann »jede Droge jeden Arzneimittelausschlag hervorrufen«, doch sind viele Medikamente mit einem charakteristischen Muster verbunden.
. Abb. 3.38. Ampicillin-Exanthem. Ein morbilliformes konfluierendes makulo-urtikarielles Exanthem am Rücken
. Tab. 3.11. Hauptsächliche Arzneimittelreaktionen der Haut: Relative Häufigkeit (Schätzungen) Exantheme
50%
Urtikaria
25%
fixes Arzneimittelexanthem
10%
Erythema multiforme und Stevens-JohnsonSyndrom
10%
Exfoliative Erythrodermie
5%
Phototoxizität
3%
Arzneimittelwirkungen unter dem Bild »klassischer« Intoleranzreaktionen Exantheme
Makulöse (und makulopapulöse) Arzneimittelexantheme sind die häufigsten kutanen UAW. Sie treten bei bestehender Sensibilisierung 1–2 Tage, bei Neusensibilisierung 5–8 Tage nach der Exposition auf und bilden sich in der Regel innerhalb 1 Woche zurück. Prädilektionsstellen sind Rumpf, proximale Extremitäten und Gesicht, seltener Handflächen, Fußsohlen und Schleimhäute. Bei schwererem Verlauf Fieber, Krankheitsgefühl, evtl. Lymphadenopathie. Histologie: lymphozytäre Infiltrate (CD4+>CD8+), Begleitspongiose, Eosinophile. Häufige Auslöser sind: Penicilline, Chinolone, Cephalosporine, Antiepileptika, Sulfonamide, NSAR. Sonderformen von Arzneimittelexanthemen: Ampicillinexanthem: Ein schweres morbilliformes Exan-
them (. Abb. 3.38) nach Gabe von Ampicillin, assoziiert mit Epstein-Barr-Virus-Infektion.
Lichenoide Arzneimittelexantheme: Dem Lichen ruber klinisch und histologisch ähnlich. Oft assoziiert mit Antimalariamitteln, Furosemid, ACE-Hemmern, Betablockern. Urtikaria. Medikamenteninduzierte Urtikaria ist oft
durch massive, großflächige Aussaat, starke Angioödem-Komponente (ACE-Hemmer) und hohe Inzidenz anaphylaktischer Reaktionen gekennzeichnet (Beispiel: Penicillinurtikaria). Weitere häufige Auslöser: Chinolone, Vancomycin, NSAR, Opiate, AT-II-Antagonisten. Stevens-Johnson-Syndrom/Toxische epidermale Nekrolyse. 7 Kap. 3.2.2. Weitere durch Medikamente ausgelöste »klassische« Intoleranzreaktionen: Erythema nodosum, nekrotisie-
rende Vaskulitis, phototoxische und photoallergische Reaktionen (7 Kap. 3.1; 3.2.6). Arzneimittelwirkungen unter dem Bild anderer »klassischer« Dermatosen Arzneimittelinduzierter systemischer oder subakutkutaner Lupus erythematodes: Procainamid, Hydra-
lazin, Thiazide, Piroxicam, Captopril, Lipidsenker. Häufig bei »slow acetylator«-Status. Beginn meist nach wochenlanger Latenz. Nach Absetzen meist spontane Rückbildung (7 Kap. 7.2.1). Sklerodermie-ähnliche Bilder. L-Tryptophan, Penicil-
lamin, Bleomycin u. a. m.
132
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
Pathogenese. Idiosynkratische Reaktion multifaktorieller Genese (metabolische, immunologische Faktoren). Familiäre Prädisposition, genetische oder erworbene Beeinträchtigung der Detoxifikationsmechanismen von reaktiven Metaboliten.
3
Symptomatik. Auftreten mit verzögertem Beginn (2–
. Abb. 3.39. Gingivia-Hyperplasie bei längerfristiger Behandlung mit Penylhydantoin
Arzneimittelinduzierter Pemphigus 7 Kap. 7.1.1. Arzneimittelinduzierte Pseudoporphyrie. Diuretika, Thyreostatika, NSAR, Retinoide, Vitamin B6, Hämodialyse. Psoriasis. Verschlechterung von Psoriasis bei Lithium,
Betablockern, Captopril, Antimalariamitteln, NSAR, Cimetidin, Interferon-α, Interleukin-2 u. a.
6 Wochen nach Einnahme). Initialsymptome sind Fieber, Myalgien, makulopapulöse Exantheme, Gesichtsödeme, Pharyngitis, generalisierte Lymphadenopathie, gefolgt von Organsymptomen: Hepatopathie (hohe Transaminasenwerte) bis Leberversagen (ProthrombinAbfall!), Pneumonitis, Nephritis, Pankreatitis, Myokarditis, Meningitis u. a. Schnell progrediente Verschlechterung, schwere Hypotonie, insbesondere bei weiterer Gabe des ursächlichen Medikaments. Hautsymptome: die Exantheme schreiten zu einer exfoliativen Erythrodermie fort, Erosionen der Mundschleimhaut. In manchen Fällen überlagern sich Läsionen der akuten generalisierten exanthematischen Pustulose (s. u.) oder der toxischen epidermalen Nekrolyse. ! Der Schweregrad der Hautmanifestationen korreliert nicht mit dem der Beteiligung innerer Organe.
Diagnostik. Labor: hohe periphere Eosinophilie (nur Weitere UAW unter dem Bild »klassischer« Dermatosen: toxische Effluvien (Retinoide), akneiforme Exan-
theme (Kortikosteroide, Gestagene, Isoniazid, Halogene, Tuberkulostatika, Gefitinib), Onycholyse, Hypertrichose (Cyclosporin A), Gingivahyperplasie (Hydantoin, . Abb. 3.39) Arzneimittelinduzierte Pseudolymphome u. a. Arzneimittelreaktionen von eigenständiger klinischer Charakteristik Hypersensitivitäts-Syndrom (Synonym: Antikonvulsantbzw. Hydantoin-Hypersensitivitäts-Syndrom, DRESS – »drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms«). Definition, Epidemiologie. Ein bei HIV-Infektion häu-
figes (unter Abacavir z. B. bei 5% der Behandelten), sonst jedoch mit ca. 1:1000 der Exponierten seltenes, bedrohliches systemisches Krankheitsbild. Unbehandelt hat es eine Letalität von 30–40%. Die häufigsten Auslöser sind HIV-Medikamente (Abacavir, Nevirapin, Zalcitabin), weiters Antikonvulsiva (Hydantoine, Carbamazepin, Barbiturate, Lamotrigin) und eine Reihe anderer Medikamente (Dapson, Sulfonamide, Allopurinol, Minocyclin, Metronidazol, Azathioprin, Rifampicin u. a.).
bei 50%), Leukozytose oder auch Lymphopenie, Thrombozytopenie u. a. je nach Organbefall. Therapie. Sofortiges Absetzen des ursächlichen Medikaments; daraufhin meist prompte Besserung (innerhalb von Tagen). Systemische Kortikosteroide, N-Acetylcystein (zur Auffüllung der Glutathion-Reserve), supportive Therapie (Hydrierung, topische Therapie). Abermalige Gabe des auslösenden Medikaments zu einem späteren Zeitpunkt ist kontraindiziert (oft Wiederauftreten der Symptome bis zum Organversagen innerhalb von Stunden)! Fixes Arzneimittelexanthem
Meist einzelne oder wenige scheibenförmige, wohl abgegrenzte, hell-livide, subjektiv brennende Erytheme, bei schwererem Verlauf bullös (. Abb. 3.40). Prädilektionsstellen: Genitale, Intertrigostellen, Schleimhäute (erosive Stomatitis). Es heilt nach 1–2 Wochen mit Pigmentierung ab, rezidiviert aber in loco bei neuerlicher Exposition. Mit zunehmender Zahl der Rezidive Crescendo-Charakter. Die Maximalform ist eine Erythrodermie, die einer toxischen epidermalen Nekrolyse ähnlich ist (allerdings milderer Verlauf, Schleimhäute meist frei, Nikolski-Zeichen negativ). Histologie: ähn-
133 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
3
Empirische Diagnostik. Die Ermittlung des ursäch-
. Abb. 3.40. Fixes Arzneimittelexanthem nach Barbiturateinnahme (Rezidiv): ein livides, scharf begrenztes, teils blasiges Erythem
lich Erythema multiforme, prominentes Ödem der papillären Dermis. Typische Auslöser: Barbiturate, Sulfonamide, Phenolphthalein, NSAR. Ein dem fixen Arzneimittelexanthem ähnliches Zustandsbild, allerdings zu Nekrosen fortschreitend, sind die so genannten Barbituratnekrosen (Kofaktor: Aufliegedruck bei längerer Bewusstlosigkeit – z. B. Suizidversuch). Weitere UAW mit eigenständiger Charakteristik Akute generalisierte exanthematische Pustulose. Eine mit Fieber und Leukozytose einhergehende Eruption unzähliger stecknadelkopfgroßer subkornealer Pusteln, selbstlimitiert. Auslöser meist Antibiotika. Diffuse palmoplantare Erytheme (Erythrodysästhesie, Hand-Fußsyndrom): Zytostatika. Neutrophile ekkrine Hidradenitis: schmerzhafte, meist palmoplantare entzündliche Infiltrate bei Chemotherapie (myeloische Leukämie). Kumarinnekrosen (s. o.). Hyperpigmentierungen. Diffuse Melaninhyperpigmentierung kann bei Gabe von Busulfan, Cyclophosphamid und Methotrexat entstehen, streifige bei Bleomycin. Nicht-melaninbedingte Hyperpigmentierungen treten bei Ablagerungen von Metallen (Silber, Gold, Arsen, Quecksilber) und gelegentlich nach Einnahme von Minozyklin, Resochin, Zidovudin und Amiodaron auf. Halogenoderme. Pyodermieähnliche vegetierende Herde nach Exposition mit Jod oder Brom.
lichen Agens bei UAW erfolgt entsprechend der Anamnese nach der empirischen Wahrscheinlichkeit. Da nicht selten mehrere Medikamente (oft bis 10) gleichzeitig genommen wurden, ist diese Diagnostik nicht unproblematisch. Folgende grobe Regeln müssen beachtet werden: 4 Andere Ursachen möglichst ausschließen (z. B. exanthematische Infektionskrankheiten). 4 Akute UAW treten üblicherweise innerhalb weniger Wochen nach Einnahme auf. 4 Das vor Ausbruch zuletzt eingenommene Medikament ist der wahrscheinlichste Auslöser; umgekehrt sind Medikamente, die schon lange Zeit vertragen werden, wenig wahrscheinliche Ursachen. 4 Kommen mehrere Medikamente in Frage, ist zunächst das mit dem höheren relativen Risiko in der empirischen Rangliste verdächtig. 4 Bei besonderen klinischen Bildern (z. B. fixes Arzneimittelexanthem) müssen die mit diesen assoziierten Medikamente berücksichtigt werden. 4 In höheren Dosen genommene Medikamente sind wahrscheinlichere Ursachen als in niedrigeren Dosen. Labortests. Lediglich die Bestimmung spezifischer IgE gegen Penicillin (Benzylpenizilloat) ist aussagekräftig. Negatives Ergebnis bei Verdacht auf Penicillinallergie muss durch Intrakutantest mit MDM (Minor Determinanten-Mischung) und PPL Penicilloyl-PolylysinKonjugaten ergänzt werden. Histamin-Release-, Basophilen-Degranulations- und Lymphozytenproliferationstests haben beschränkte praktische Bedeutung (Speziallabors vorbehalten). Medikamenten-Prick- bzw. i. c.- und s. c.-Tests. Diese
sind bei Verdacht auf Typ-I-Allergie gegen Penicillin und einer Reihe anderer Medikamente sinnvoll (Lokalanästhetika, Muskelrelaxanzien und andere Narkosemittel, Heparin u. a. m.). Im Gegensatz zu den gerade erwähnten sind es bei den meisten Medikamenten aber ihre Stofffwechselprodukte, die die Reaktion auslösen, weshalb dann Hauttests negativ ausfallen. Umgekehrt führen unspezifische Histaminliberatoren wie Opiate zu falsch positiven Reaktionen. Medikamenten-Epikutantests. Bei fixem Arzneimittel-
Diagnostik Die Diagnostik basiert vorwiegend auf Anamnese und Klinik, da Labortests und Medikamenten-Hauttests nur für wenige Medikamente validiert sind bzw. für die tägliche Routine (noch) nicht zur Verfügung stehen.
exanthem, Ampicillinexanthem, HypersensitivitätsSyndrom und multiformeartigen Exanthemen sinnvoll. Expositionstest. Dieser ist der meist einzige direkte Beweis einer UAW, der jedoch wegen der möglichen hef-
134
3
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
tigen Reaktionen nur als Ultima ratio und unter Notfallsbereitschaft stationär durchgeführt wird. Er ist bei gefährlichen Zustandsbildern (toxische epidermale Nekrolyse, DRESS!) kontraindiziert. Es ist pragmatisch und sicherer, Alternativpräparate (gleichfalls unter Notfallsbedingungen) durch Exposition auszutesten und das verdächtigte Medikament auch ohne Beweis nicht mehr zu verabreichen (Eintragen in den Allergiepass). Prophylaxe und Therapie Die als ursächlich verdächtigten Medikamente werden bei allen riskanten UAW (Urtikaria, E. multiforme, DRESS, nekrotisierende Vasculitis u. a.) unbedingt abgesetzt. Bei den harmloseren makulösen Exanthemen kann die Weitergabe (unter genauer Kontrolle) versucht werden, wenn das Medikament nicht gleichwertig ersetzt werden kann. Oft bilden sich solche Exantheme auch bei Weitergabe innerhalb einiger Tage spontan zurück (weshalb das Abklingen nach Absetzen kein strikter Beweis der Kausalität ist). Auch soll der Entzug nicht radikal alle genommenen Medikamente umfassen; Nutzen und Risiko der Medikation müssen sorgfältig abgewogen werden. Bei makulösen Exanthemen sind oft blande Lokalmaßnahmen ausreichend; schwerere Manifestationen, v. a. bei Systemzeichen, bedürfen einer systemischen Therapie. 3.2.9 Weitere Intoleranzreaktionen
. Abb. 3.41. Erythema marginatum rheumaticum. Ein flüchtiges figuriertes Erythem: schnelle zentrifugale Ausbreitung und partielle Rückbildung führt zu bizarren Kreissegmenten
3.2.10 Berufsdermatosen Definition. Berufsdermatosen sind Hautkrankheiten,
die durch die berufliche Tätigkeit des Patienten verursacht und unterhalten werden, und sind, wie alle anderen Berufskrankheiten, meldepflichtig. Berufsdermatosen nehmen unter den Berufskrankheiten einen Spitzenplatz ein (13–34%). Der überwiegende Anteil sind Berufsekzeme (85–98%). Epidemiologie. 0,5–0,7 Neuerkrankungen an Berufs-
Figurierte Erytheme Eine heterogene Gruppe exanthematischer Dermatosen, denen auffällig konfigurierte (anuläre, zirzinäre, polyzyklische, girlandenförmige) und über die Haut wandernde Erytheme gemeinsam sind. Dazu gehören: 4 Erythema anulare centrifugum: meist assoziiert mit chronischen Infekten, Neoplasien; eine charakteristisch wandernde urtikaria-ähnliche, kapriziöse Dermatose; 4 Erythema marginatum (rheumaticum): selten, nur mit akutem rheumatischem Fieber assoziiert . Abb. 3.41) 4 Erythema gyratum repens: »holzmaserungähnliche«, konzentrische, bizarre Linien, obligate Paraneoplasie 3Als Intoleranzreaktionen im weiteren Sinn könnten naturgemäß zahlreiche andere entzündliche Dermatosen aufgefasst werden, z. B. die nekrotisierende Vaskulitis, Sweet-Syndrom u. a.
dermatosen werden pro 1000 Arbeiter/Jahr gemeldet. Die Inzidenz nimmt in vielen Ländern zu – real, aber auch durch bessere Erfassung. Pathogenese. Kausale Faktoren. Primäre Ursache sind die immer zahlreicheren potenziell irritativen oder sensibilisierenden Substanzen am Arbeitsplatz. Mögliche zusätzliche Faktoren: Risikoberufe (z. B. »Nassberufe«, Gesundheitspersonal!, individuelle Disposition (z. B. Atopieneigung)), Änderungen in den Arbeitsabläufen, ungenügender Einsatz von Präventivmaßnahmen (Arbeitnehmer) oder ungenügende Propagierung dieser Maßnahmen (Arbeitgeber). Symptomatik. Manifestationen von Berufsdermatosen. Hauptmanifestation sind toxische oder aller-
gische chronische Kontaktekzeme, meist der Hände. Selten, aber bedeutsam sind perkutan erworbene Typ-I-Allergien (z. B. Latex, Penicillin). Hinzu kommen seltenere spezielle Bilder (z. B. Ölakne, Pigmentstörungen) und beruflich erworbene Inhalationallergien.
135 3.2 · Intoleranzreaktionen der Haut
Beruflich bedingte Kontaktekzeme Toxische (irritative, degenerative) Kontaktekzeme treten vorwiegend bei »Nassberufen« (s. o.) und »Schmutzberufen« (Bau-, Holzarbeiter, Installateur u. a. m.) auf. Der Verlauf ist meist chronisch und therapieresistenter als beim allergischen Kontaktekzem. Allergische Kontaktekzeme Häufige Formen sind: 4 Maurerekzem. Genese: Chromatkontaktallergie (Sensibilisierungsrate 35–40%; kann durch Einsatz chromatarmer Zemente gesenkt werden!). Erstmanifestation meist erst Jahre nach Berufseintritt. Verlauf: chronisch; nach Berufswechsel oft jahrelange Persistenz. 4 Friseurekzem. Genese: zunächst häufig toxisch irritatives Ekzem durch ständige Nassarbeit (ca. zwei Drittel aller Friseurlehrlinge im 1. Lehrjahr). In der Folge Entwicklung einer Pfropfallergie auf Haarfarben (Parastoffe), Nickel, seltener Haarshampoo, Fixierer etc. Erstmanifestation oft Wochen nach Berufseintritt. Rasches Abklingen nach Berufswechsel, aber häufig Übergang in eine jahrelang persistierende Dyshidrose. 4 Kunstharzekzem. Genese: Kontaktallergie auf Kunstharze, Härter (Skiindustrie, Modellbauer). Prädilektionsstellen: Gesicht (flüchtige Substanzen!), Hände, Arme. Verlauf: akut. Rasches und meist völliges Abklingen nach Berufswechsel. 4 Kontaktekzeme bei Gesundheitsberufen. Das Handekzem ist bei medizinischen Berufen 3-mal häufiger als bei der Allgemeinbevölkerung (ca. 30% vs. 5–10%), Tendenz steigend. Hauptallergene: Gummibestandteile, Formaldehyd, Glutardialdehyd, Desinfektionsmittel etc. Pharmazeutisch-kosmetische Industrie: Salbengrundlagen, Konservierungsmittel, Antibiotika-Feinstäube. 4 Weitere typische berufliche Konstellationen, die häufig zu Kontaktekzemen führen, sind die metallund holzverarbeitende Industrie, Gummiindustrie, Landwirtschaft, Nahrungsmittel- und Textilindustrie. Perkutan erworbene Typ-I-Allergien Diese sind eher selten und verlaufen entweder unter dem Bild einer Kontakturtikaria, meist ohne Generalisation (z. B. Nahrungsmittel – Fleisch, Obst, Gemüse, Medikamente – Penicillin), oder als Atemwegserkrankung (Latex, Schimmelpilze, Tierhaare, Isozyanate etc.). Latex-Allergie Epidemiologie/Pathogenese. Naturkautschuk ist ein
Polyisopren, das aus dem Milchsaft (Latex) verschie-
3
dener Pflanzen, v. a. des Baumes Hevea brasiliensis gewonnen wird. Die Aufbereitung erfolgt in mehreren Schritten mit Ammoniak, Schwefel, Vulkanisationsbeschleunigern (Thiurame, Thiazole etc.), Vulkanisationsverzögerern (Phthalsäureanhydrid, Benzoesäure etc.), Konservierungs- und Vernetzungsmitteln. Die genannten Additiva können Ekzeme (Typ-IV-Reaktionen) hervorrufen. Bedeutsamer sind jedoch IgE-mediierte anaphylaktische Reaktionen gegen im Endprodukt verbliebene pflanzliche Proteine (deren Menge von der Sorgfalt vorangegangener Reinigungsschritte abhängt). Mehr als ein Dutzend dieser Allergene sind molekular definiert. Die Latex-Allergie hat in den letzten 20 Jahren durch den Massenverbrauch von Latexhandschuhen (1 Mrd. Paar/Jahr in der BRD!) u. a. zum Infektionsschutz (HIV, Hepatitis B, C etc.) enorm zugenommen. Risikogruppen sind daher Gesundheitsberufe, aber auch Patienten mit häufigen Operationen und intermittierender Katheterisierung. So liegt z. B. bei Kindern mit Spina bifida die Sensibilisierungsrate bei 29–55% (vs 0,5% bei der Normalbevölkerung). Die Sensibilisierung kann sowohl inhalativ als auch perkutan oder über Schleimhautkontakt erfolgen. Atopische Disposition hebt das Risiko auf das etwa 10-Fache; vorbestehende Handekzeme begünstigen eine Sensibilisierung. Hohe Dunkelziffer! 3Bei den verschiedenen Sensibilisierungswegen spielen unterschiedliche Allergene die Hauptrolle: Hev b 1 (»rubber elongation factor«) und das teilhomologe Hev b 3 sind die wesentlichen Allergene bei Schleimhautkontakt (Operationshandschuhe, Latexkatheter – letztere wurden aus dem Verkehr gezogen). Hev b 6 ist hauptverantwortlich bei inhalativer Sensibilisierung (allergenhaltiger Puder, s. u.). Kreuzreaktionen mit Heveinen sind wahrscheinliche Ursache Latex-assoziierter Nahrungsmittelallergien (Banane, Avocado, Kartoffeln, Tomaten; ca. bei einem Drittel der latexsensibilisierten Patienten).
Puderung. Der Okklusionseffekt im Handschuh fördert
die direkte Aufnahme von Allergenen über die Haut. Eine entscheidende Triggerfunktion besitzt jedoch die (heute verlassene) »Puderung« der Latexhandschuhe (Zweck: leichteres Anziehen): der Puder bindet die durch den Schweiß ausgewaschenen wasserlöslichen Proteine – die Partikel gelangen beim Handschuhwechsel in die Raumluft, wo sie stundenlang verbleiben und durch Inhalation zur Sensibilisierung führen. Symptomatik. Meist schon innerhalb von 10 min Juckreiz und Kontakturtikaria an der exponierten Region (meist Hände), bei ausgeprägten Fällen generalisierte Urtikaria und schwere Typ-I-Systemzeichen (Blutdruckabfall, Bronchospasmus und Dyspnoe, Erbrechen und Koliken) bis zum anaphylaktischen Schock. Bei hoch-
136
Kapitel 3 · Hautkrankheiten durch vorwiegend äußere Ursachen
gradiger Sensibilisierung kann schon kurzer und kleinflächiger (Schleim)Hautkontakt zu lebensbedrohlichen Reaktionen führen (vaginale Exploration durch die behandschuhte Hand, Benützung von Kondomen, Berührung von Luftballons).
3
Diagnostik. Spezifische IgE- und mehrere Pricktests sind erhältlich, letztere allerdings z. T. nicht standardisiert. Pricktests sind sensitiver als der IgE-Nachweis im Blut, aber auch gefährlicher – Durchführung daher nur in Titrationsreihen und bei vorhandener Notfallausrüstung! Die klinische Relevanz ist durch den Handschuhtragetest oder Arbeitsplatzsimulation objektivierbar. Prävention und Therapie. In Deutschland ist die Inzi-
denz der berufsbedingten Latexallergie nach der gesetzlichen Einführung puderfreier Handschuhe auf ein Viertel gesunken – allerdings nimmt das Problem in Schwellenländern zu, wo gepuderte Produkte die preisgünstigere Alternative darstellen. Die amerikanische FDA hat ein »low protein«-label zur Förderung proteinarmer Produkte eingeführt. Bei Kindern mit Spina bifida wurde gezeigt, dass Primärprophylaxe (bestmögliches Meiden von Latexkontakt ab der Geburt) die Sensibilisierungsrate drastisch senkt. Sekundärprophylaxe (bei bereits Sensibilisierten) führt zur Reduktion von Zwischenfällen und Senkung der IgE-Titer. Wesentlich ist auch die Meidung kreuzreagierender Pflanzen (Ficusarten, Weihnachtsstern) und Nahrungsmittel (7 Kap. 3.2.7.1). Eine spezifische Immuntherapie ist bei Latexallergie bisher nicht etabliert, Allergenkarenz bleibt daher vorerst die einzige Option. Seltene Berufsdermatosen Ölakne. Bedingt durch ölige Kleidung (Mechaniker,
Schlosser); Lokalisation an Nacken, Rücken, Thorax, Ober- und Unterarmen. Genese: Verstopfung der Folli-
kelausführungsgänge (schwarze Komedonen) mit furunkuloider Entzündung. Vitiligoähnliche Depigmentierung. Bei Kontakt mit
Hydrochinonderivaten (Antioxidanzien in der Gummiindustrie etc.) und Vinylchlorid (Plastikindustrie). Letzteres kann auch zu einer sklerodermieähnlichen Krankheit führen (»Vinylchloridkrankheit«). Beruflich bedingte Inhalationsallergien Bäckerasthma. 7 Kap. 3.2.7.1 Exogen allergische Alveolitis (Farmer-, Taubenzüchterlunge): eine Typ-III-Immunreaktion nach Inhala-
tion organischer Stäube, die bei Persistenz in eine granulomatöse Entzündung und Lungenfibrose übergeht. Pathogenese: inhalative Sensibilisierung durch je nach Beruf verschiedene Allergene: schimmeliger, bakteriell kontaminierter Heustaub (Landwirte), Tierhaarepithelien, Federnproteine (bei Tierzüchtern: Tauben!), Isocyanate bzw. Trimellitinsäureanhydrid (Chemiearbeiter, Spritzlackierer), Holzfaserallergene, Schimmelpilze (Holzarbeiter). Begutachtung und Behandlung durch Lungenfachärzte. Verifizierung einer Berufsdermatose Nach dermatologischer Diagnosestellung und allergologischer Abklärung erfolgt diese durch Korrelation von Beginn und Verlauf der Dermatose mit Art und Beginn der beruflichen Tätigkeit, Abhängigkeit der Hauterscheinungen von Änderungen der Tätigkeit, z. B. Besserung in Krankenstand oder Urlaub, Rezidiv bei Wiederaufnahme der Arbeit. Wichtig ist die Beurteilung der Übereinstimmung der Angaben des Patienten mit den zur Verfügung stehenden Unterlagen (Ambulanzkarte, Krankengeschichte etc.) – auch zum Ausschluss eines Rentenbegehrens.
4 4 Infektionskrankheiten der Haut 4.1
Grundlagen
– 139
4.2
Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut – 139
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8
Residente (symbiontische) Keimflora der Haut – 139 Hautinfektionen durch Streptokokken – 141 Staphylokokkeninfektionen – 148 Infektionen durch gramnegative Bakterien – 152 Seltenere bakterielle Infektionskrankheiten – 154 Rickettsiosen – 155 Bartonellosen – 156 Lyme-Borreliose (Synonym Erythema-migrans-Krankheit)
4.3
Virusinfektionen der Haut – 159
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5
Exanthematische Viruskrankheiten – 159 Hautmanifestationen von Enterovirus-Infektionen – 161 Infektionen mit Pockenviren – 162 Infektionen durch humane Papillomviren (HPV) – 164 Infektionen durch die Herpesvirusgruppe – 170
4.4
Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen) – 180
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7
Übersicht – 180 Dermatophytosen – 181 Hefepilzmykosen der Haut – 187 Diagnostische Methoden bei Dermatomykosen Subkutane Mykosen – 193 Systemmykosen – 194 Opportunistische Mykosen – 195
4.5
Infektionen durch Mykobakterien
4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.5.6
Tuberkulose – 196 »Tuberkulide« – 200 Infektionen mit atypischen Mykobakterien Lepra – 202 Aktinomykose – 204 Nokardiose – 205
– 192
– 196
– 201
– 156
4.6
Epizoonosen
– 205
4.6.1 Hautkrankheiten durch Insekten – 205 4.6.2 Hautkrankheiten durch Spinnentiere (Milben, Spinnen, Zecken) – 208
4.7
Protozoeninfektionen der Haut – 212
4.7.1 Amöbiasis – 212 4.7.2 Krankheiten durch Flagellaten
4.8
– 213
Hautinfektionen durch Würmer
– 215
4.8.1 Hautläsionen durch Einbohren von Wurmlarven – 215 4.8.2 Wurminfektionen durch Besiedelung des subkutanen Gewebes – 216 4.8.3 Wurminfektionen mit Manifestation als Lymphödem – 217
139 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
4.1
Grundlagen
Infektionen der Haut sind sehr häufig und können durch eine Vielfalt potenzieller Erreger verursacht werden. Die häufigsten sind Pyodermien (Hauteiterungen), die meist durch Streptokokken oder Staphylokokken hervorgerufen werden. Manche Erreger produzieren Toxine, die zu Systemreaktionen führen (Strepto- und Staphylokokken, Gramnegative, Clostridien etc.). Infektionen der Haut können aus der Umgebung oder aus dem Körper selbst (z. B. hämatogen) erfolgen. Gegen Infektionen von außen besitzt die Haut ein sehr wirksames Abwehrsystem (s. u.). Bakterielle Erreger können die intakte Haut in der Regel nicht durchdringen und benötigen hierzu Substanzdefekte der Hornschicht (»Eintrittspforten«); diese können traumatisch oder durch Hautkrankheiten entstehen (z. B. Rhagaden). 3Antimikrobielle Schutzmechanismen der Haut Das Eindringen von Mikroorganismen verhindern die mechanische Barriere der Hornschicht, die relative Trockenheit der Hautoberfläche, ihr niedriger pH-Wert (etwa 5,5) sowie der ölige Oberflächenfilm mit keimabwehrenden Inhaltsstoffen (freie Fettsäuren, Lysozym, sekretorisches IgA); zudem von den Keratinozyten gebildete antimikrobielle Peptide (z. B. Defensine), die z. T. konstitutiv, z. T. erst nach Induktion erzeugt werden; dadurch entsteht ein für den jeweiligen Erreger spezifischer Mix. Ein Schlüsselfaktor zur Verhinderung des Eindringens von Mikroorganismen ist schließlich die symbiontische Keimflora der Haut (s. u.).
Sind die Erreger jedoch durch die Hornschicht eingedrungen, z. B. über kleine Verletzungen, tritt eine zweite Verteidigungslinie des natürlichen Immunsystems in Aktion: durch Generation chemotaktischer Mediatoren und Aktivierung der Toll-like-Rezeptoren der Keratinozyten strömen innerhalb von Minuten Leukozyten ein und phagozytieren die Erreger. Gleichzeitig erfolgt über die Aktivierung der Toll-like-Rezeptoren
4
der Langerhanszellen die Aktivierung des spezifischen Immunsystems. Versuche haben gezeigt, dass erstaunlich hohe Inokula von Erregern ohne klinische Infektion eliminiert werden können. 4.2
Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
4.2.1 Residente (symbiontische) Keimflora
der Haut Residente Keimflora. Die residente Keimflora bildet
einen lebenden Überzug aus Keimen, die mit dem Milieu der Hautoberfläche in Gleichgewicht leben. Die Keime halten sich permanent auf der Haut auf, besiedeln bevorzugt bestimmte Stammplätze, stehen untereinander in einem sozialen Gefüge und wehren fremde Keime durch antagonistische Interaktionen ab. Der Überzug setzt sich aus Einzelkolonien zusammen, deren Großteil in den Haarfollikeln liegt. Regional bestehen in Dichte und Zusammensetzung erhebliche Schwankungen (102–106 Keime/cm2; . Abb. 4.1). Die residente Flora umfasst die große Masse der Hautkeime, besteht jedoch aus nur wenigen apathogenen bzw. fakultativ pathogenen Keimgruppen; bei bestimmten Risikosituationen (z. B. Verweilkatheter) können Keime der residenten Flora (z. B. Staphylococcus epidermidis) schwere Infektionen verursachen. Die residente Keimflora besteht aus für jede Person individuellen Subtypen und trägt zur Individualität bei (Körpergeruch). !Transiente Hautflora Von der residenten ist die transiente Hautflora zu unterscheiden: diese umfasst Keime aus der Umgebung, die sich im Gefüge der residenten Flora in der Regel nur kurz (Tage, 6
. Abb. 4.1. Verschiedene Verteilungsmuster der residenten Bakterienflora der Haut
140
4
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Wochen) behaupten können. Die transiente Flora ist an Masse spärlicher, aber heterogener: neben apathogenen enthält sie auch pathogene Keime (Streptokokken, Staphylokokken, Gramnegative). Von »Keimträgertum« spricht man, wenn pathogene Keime, z.B. Staph. aureus, längere Zeit (bis Jahre!) symptomlos persistieren können. Prädilektionsstellen sind Hände, Nasenraum und erkrankte Haut. Die transiente Flora der Hände (v. a. Staph. aureus) spielt die Hauptrolle bei der Übertragung nosokomialer Infekte und der Ausbreitung antibiotikaresistenter Keime.
Keime der residenten Keimflora Die Hauptgruppen der residenten Keimflora sind an der Körperoberfläche unterschiedlich verteilt: Koagulase-negative Staphylokokken. Diese besiedeln
dicht die feuchten, talgarmen Areale (Hände, Füße, Intertrigines) und nässende Hautherde (Ekzeme). Hauptvertreter: S. epidermidis, hominis u. a. Koryneforme Bakterien (früher »Diphtheroide«). Von
diesen pleomorphen Stäbchen existieren mehrere Genera: Corynebacterium, ein weite Teile der Haut besiedelnder aerober, lipophiler artenreicher Keim (z. B. C. minutissimum – »Erreger« des Erythrasma); Propionibacterium (z. B. P. acnes, P. granulosum) ist anaerob, lipophil und lipolytisch (produziert Lipase), besiedelt die seborrhoischen Areale und ist »Erreger« der Akne. Brevibacterium und Dermabacter sind aerob und nicht lipophil. Sie siedeln an Intertrigines und Füssen und produzieren durch Zersetzung von Proteinen und Sterolen üblen Körpergeruch. Malassezia furfur. Ein lipophiler, dimorpher Sprosspilz, der in hohen Dichten (bis 105/cm2) die seborrhoischen Areale (Kapillitium, obere Rumpfgegend etc.) besiedelt. Er ist »Erreger« der Pityriasis versicolor und des seborrhoischen Ekzems. Mikrokokken. Grampositive kokkoide Keime, Verhal-
ten ähnlich den koagulase-negativen Staphylokokken. »Erreger« des Keratoma sulcatum. Hauptvertreter: M. luteus. Gramnegative Keime. Sie finden sich in den Intertri-
goarealen. Hauptverteter sind Acinetobacter spp., die selten Erreger von Hospitalismus-Infektionen sein können. Passager residente Gramnegative im Perineum sind E. coli, in den Zwischenzehenräumen Klebsiellen und Pseudomonas.
Regulation der residenten Keimflora Haut und Hautflora bilden ein dynamisches Gleichgewicht, das durch die Verschiedenheiten der Hautregion (feucht – trocken, lipidreich- oder arm) und Keimeigenschaften bestimmt wird: die seborrhoischen Areale sind vorwiegend mit lipophilen Keimen besiedelt, besonders trockene Regionen (Unterschenkel) sind nahezu steril. Auch innerhalb des dicht kolonisierten Haarfollikels besteht eine Rangordnung: am Follikelostium vorwiegend Malassezia und Kokken, etwas tiefer aerobe, an der Basis anaerobe Koryneforme. Das Gleichgewicht wird gestört, wenn die Lebensbedingungen der Keime günstiger werden: Feuchtigkeit (Schwitzen) oder vermehrtes Lipidangebot (Seborrhoe) führen zu vermehrter Proliferation (Akne vulgaris, Pityriasis versicolor u. a.). Besonders dicht besiedelt sind Menschen, die stark schwitzen (Männer daher meist mehr als Frauen); »saubere« Menschen tragen nicht notwendig weniger Keime als »unsaubere« (Wasser und Seifen dringen kaum in die Follikel ein). Bestimmte Körperregionen sind besonders keimreich: Hände, Haare, feuchte und warme Körperstellen (Nasenhöhle!, Intertrigostellen – insbesondere die Perinealregion, deren leicht alkalisches Milieu das Keimwachstum fördert). ! Bei Hautkrankheiten, die mit Vergrößerung der Oberfläche (Schuppen) und Nässen einhergehen, ist die residente Keimflora vermehrt, oft durchmengt mit pathogenen Keimen (z. B. Staph. aureus). Keimträger finden sich daher häufiger unter Hautkranken (Ekzem, Ichthyose) – besiedelt sind die Hautläsionen, zusätzlich oft auch gesunde Areale, z. B. die Nasenhöhle.
Oberflächliche Hautinfektionen durch Keime der residenten Keimflora Unter für sie günstigen Umständen (feuchtwarmes Klima, mangelnde Hygiene, Diabetes mellitus) können Keime der residenten Flora proliferieren und zu klinischen Symptomen führen. Intertrigo Eine besonders bei alten, immobilen, adipösen Personen auftretende Mazeration der Intertrigostellen (Leisten, axillär-, submammär, zwischen Fettfalten); Proliferation von Mikrokokken, Korynebakterien u. a. Klinisch scharf begrenzte (Kontaktflächen!) feuchte Erytheme, übelriechende Beläge. Bei chronischem Bestand entwickelt sich ein intertriginöses Ekzem – Juckreiz, Lichenifikation. Differenzialdiagnose. Erythrasma, intertriginöse Kandidiasis, Psoriasis inversa.
141 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
4
Trichomycosis (besser: Trichobacteriosis) palmellina Häufig bei Personen mit starker Schweißneigung und bescheidener Körperhygiene. Stromkabelartige Inkrustierung der Achselhaare mit Bakterien (v. a. Korynebakterien), Hornschichtdebris und Schweißsalzen, durch Bakterienpigmente manchmal gelb-rötlich gefärbt. Therapie: Antiseptische Seifen. Keratoma sulcatum Weißliche Verquellung und »wurmstichartige« Mazeration der Fußsohlenhaut bei starkem Fußschweiß (Okklusionseffekt) und Proliferation residenter Keime (Mikrokokken). Übler Geruch (Fettsäuremetaboliten). Therapie: Antiseptische Seifen. Pityriasis versicolor 7 Kap. 4.4.3. . Abb. 4.2. Erythrasma. Kaum entzündliche, scharf begrenzte, homogene bräunliche Verfärbung von Intertrigostellen (hier der Achsel)
Therapie. Pflegemaßnahmen, antiseptische Seifen,
evtl. kurzfristig (!) Kortikosteroidsalben. Erythrasma Eine charakteristische und häufige Läsion der Intertrigoregionen, die durch rasenartigen Bewuchs (Biofilm!) pigmentproduzierender Korynebakterien (C. minutissimum) entsteht (. Abb. 4.2). Prävalenz: bis 20% der Erwachsenen (vorwiegend Männer, feucht-heißes Klima).
4.2.2 Hautinfektionen
durch Streptokokken Streptokokken sind eine große Gruppe von Bakterien, die eine Reihe menschenpathogener Keime, zahlreiche Tierpathogene und Kommensalen der Schleimhäute umfasst. Wichtigster hautpathogener Keim ist Streptococcus pyogenes (s. u.). 3Klassifikation. Die Einteilung der Streptokokken (s. Lehrbücher der Mikrobiologie) erfolgt immer noch nach biochemischen Kriterien: Hämolyseverhalten (α-, β- und γ-Hämolyse), Lancefield-Klassifikation (Gruppen A bis U, entsprechend Polysaccharidantigenen der Zellwand) und Serotypen (nach Proteinantigenen der Zelloberfläche: M-, T-Antigene u. a.).
Symptomatik. Trockene, polyzyklisch scharf begrenz-
te, homogene, pityriasiform schuppende Flecken von braun-rötlicher Farbe; nur geringe Entzündung, milder Juckreiz. Die Herde breiten sich langsam aus und bestehen unbehandelt unlimitiert. Selten disseminierte Herde am Rumpf oder im Interdigitalraum (ähnlich Interdigitalmykose). Diagnostik. Schnelltest: Rotfluoreszenz im WoodLicht (Koryneforme produzieren Porphyrine). Differenzialdiagnose. Epidermomykose, intertriginöses Ekzem, Psoriasis inversa, Pityriasis versicolor. Therapie. Antiseptische Lokaltherapie. Rezidive sind
häufig.
Streptococcus pyogenes Definition. Ein β-hämolytischer Streptokokkus der Gruppe A. Er tritt in über 90 Serotypen auf, die durch Antigenunterschiede des hochvariablen M-Proteins definiert sind. Das M-Protein ist der wichtigste Virulenzfaktor: es vermittelt Adhärenz und inhibiert die alternative Komplementaktivierung (Folge: mangelhafte Opsonisierung mit C3, Behinderung der Phagozytose). Das exprimierte M-Protein bestimmt die biologische Aktivität des jeweiligen Serotyps: hochinvasive Kokken tragen z. B. häufig M1, M3, M18, »nephritogene« Kokken M12, Keime aus Hautinfekten M2, M49 etc. Nach einer Infektion mit S. pyogenes entsteht eine typenspezifische (M-Protein), nicht aber eine gruppenspezifische Immunität. Weitere wichtige Virulenzfaktoren sind ein reiches Arsenal von Enzymen (DNasen, Hyaluronidase, Proteinase, Streptokinase, C5a-Peptidase) und Exotoxinen (pyrogene Exotoxine, Streptolysine).
142
4
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
3Streptokokken-Pyrogene Exotoxine (SPE) (Synonym Erythrogene Toxine, Scharlachtoxine) Hochpotente und stark immunogene Polypeptide (20–30 kD), die von lysogenen Phagen produziert werden und als Superantigene wirken. SPE sind einer Gruppe anderer bakterieller Polypeptid-Exotoxine in Struktur und Wirkung analog und zeigen mit diesen hohe Sequenzhomologien (z. B. StaphylokokkenToxic shock syndrome-Toxin-1). SPE sind für das Exanthem bei Scharlach, für Leber-, Nieren- und Herztoxizität sowie den potenziell letalen Schock bei schweren Infektionen verantwortlich. Man unterscheidet 3 Typen: SPE-A, -B und -C. SPE-A ist der potenteste und war bis vor ca. 60 Jahren dominierend, trat danach hinter die milderen SPE-B und -C zurück und wird heute wieder häufiger isoliert.
Klinische Manifestationen. Die häufigsten Krank-
heitsbilder durch S. pyogenes sind die akute Streptokokkenangina und Hautinfekte. Letztere können als oberflächliche (z. B. Impetigo) oder als tiefe Infekte (z. B. Phlegmone) ablaufen. Ist der Erreger ein SPE-Bildner, wird die Infektion durch Toxinwirkungen kompliziert (»Toxinkrankheiten«): z. B. Scharlach, nekrotisierende Fasziitis, Streptokokken-Toxisches-SchockSyndrom. Eine weitere Kategorie von StreptokokkenKrankheiten sind die immunologisch mediierten postinfektiösen Folgekrankheiten: akutes rheumatisches Fieber, akute Glomerulonephritis, Erythema nodosum. ! Infekte der Haut lösen zwar nicht ein rheumatisches Fieber aus, sind aber die häufigste Ursache der akuten Glomerulonephritis (die meisten nephritogenen Serotypen sind gleichzeitig Erreger der Streptokokkenimpetigo).
Epidemiologie. S. pyogenes gehört zu den häufigsten Erregern von Hautinfekten. Er ist nicht Teil der residenten Hautflora, doch sind etwa 10% der Erwachsenen und 5% der Kinder Keimträger (meist an den Tonsillen, selten an der Haut – z. B. perianal). Die Übertragung erfolgt durch Kontaktinfektion, das Eindringen durch die Haut bedarf einer Eintrittspforte. Epidemische Streptokokkeninfekte sind relativ häufig (auch im Krankenhaus). Anders als die Tonsillitis führen Hautinfekte meist nur zu ungenügender Immunität; zum Nachweis einer abgelaufenen Infektion ist der Anstieg von Antikörpern gegen DNase oder Hyaluronidase verlässlicher als der Antistreptolysine. Therapie. Penicilline sind nach wie vor Mittel erster Wahl – bei β-hämolysierenden Streptokokken tritt praktisch keine Penicillin-Resistenz auf. Oberflächliche Infektionen sind mit Oralpenicillinen meist ausreichend behandelt, bei tiefen i. v.-Penicillin G bzw. Amoxycillin-Clavulansäure (wegen möglicher Beteiligung von penicillinasebildenden Staphylokokken).
Alternativpräparate: Cephalosporine, Makrolide. Bei Toxinkrankheiten sind zusätzlich Hemmer der Toxinbildung indiziert (z. B. Clindamycin). Oberflächliche Streptokokkeninfekte Impetigo contagiosa (Streptokokkenimpetigo; »kleinblasige Impetigo«, »Schmutzflechte«) Definition. Eine zunächst vesikulöse, später krustige oberflächliche Streptokokkeninfektion der Haut. Epidemiologie. Sehr kontagiös. Auftreten v. a. bei Kin-
dern mit saisonaler Häufung in der warmen Jahreszeit, häufig in kleinen Epidemien (Familie, Schule, Ferienlager etc.) und unter schlechten hygienischen Verhältnissen. Übertragung durch Schmierinfektion. Pathogenese/Symptomatik. Die Impetigo entsteht durch Infektion von Bagatellverletzungen (Schürfwunde, Insektenstich) oder von präexistenten Dermatosen (z. B. Ekzeme). Prädilektionsstellen: Extremitäten und Gesicht (. Abb. 4.3). Es bilden sich oberflächliche, kleine, dünnwandige Bläschen auf entzündlichem Grund, die schnell vereitern und sich in honiggelbe Krusten umwandeln. Die Läsionen wachsen peripher bis Münzgröße an, im Zentrum manchmal Spontanheilung. Ausbreitung durch Satellitenläsionen und Autoinokulation (Kratzen). Allgemeinerscheinungen fehlen, Laborwerte unauffällig (manchmal milde Leukozytose). Histologie: subkorneale Pustel. Differenzialdiagnose. Staphylokokken-Impetigo: ähnlich, zeigt jedoch größere Blasen und »schwefelgelben« Eiter. Im Abstrich findet man oft beide Keime.
. Abb. 4.3. Impetigo contagiosa (Streptokokken-Impetigo). Honiggelbe nummuläre, scharf begrenzte, konfluierende Krusten der Gesichtsmitte
143 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
Verlauf. Selbstlimitiert, kann jedoch über Wochen bestehen bleiben. Komplikationen wie Lymphangitis, -adenitis oder Sepsis sind selten. In ca. 15% der Infektionen mit einem nephritogenen Serotyp entsteht eine (häufig milde verlaufende) akute Glomerulonephritis. Von den Hautherden kann eine – meist asymptomatische – Besiedelung des Rachenraums erfolgen. Therapie. Orales Penicillin, mindestens über 10 Tage,
lokal mit mazerierenden und antiseptischen/antibiotischen Salben, z. B. PVP-Jod, Fusidinsäure, Mupirocin. Ekthyma Läsionen ähnlich der Impetigo contagiosa, die später am Blasengrund zu einer Nekrose fortschreiten. Vorkommen meist bei Erwachsenen unter schlechten hygienischen Verhältnissen. Prädisponierende Faktoren: mechanischer Druck, Kälte, Marasmus. Differenzialdiagnose: Metastatische Läsionen bei Pseudomonas aeruginosa-Sepsis.
C A V E
4
Das Erysipel selbst ist nicht infektiös, da der Prozess durch die Haut abgedeckt wird; die Isolierung des Patienten ist nicht erforderlich. Allerdings können ggf. Keime aus der Eintrittspforte übertragen werden.
Symptomatik. Um die Eintrittspforte entsteht eine subjektiv brennende Rötung und Schwellung, die sich innerhalb von Stunden mit unregelmäßigen »flammen«- oder »zungenartigen« Ausläufern (Ausbreitung entlang der Lymphgefäße!) zentripetal ausdehnt. Es entsteht eine mäßig gut abgegrenzte, hellrote, hitzende, plateauartige homogene Schwellung, die am Rand mit einer fühlbaren Stufe in die Umgebung übergeht. Die Haut ist gespannt und glänzend. Häufig Lymphangitis und regionäre Lymphadenitis. Manchmal bilden sich im Verlauf der Lymphbahnen Satellitenerysipele aus (»Erysipelas saltans«, . Abb. 4.4). Prädilektionsstellen
Tiefe Streptokokkeninfekte Lymphangitis Definition. Lymphangitis ist die akute Entzündung eines oder mehrerer Lymphgefäße. Symptomatik. Von einer Eintrittspforte aus (z. B. infi-
zierte Wunde), häufig bis zur regionären Lymphknotenstation ziehende, strichförmige, mäßig tastbare, mäßig schmerzhafte Rötung. Assoziiert ist meist eine – manchmal einschmelzende – Lymphadenitis (Cave: Sepsis). Differenzialdiagnose. Oberflächliche Thrombophlebitis: gleichfalls eine strangartige Verdickung, jedoch von größerem Kaliber und schmerzhaft.
Erysipel (Synonym Wundrose) Definition. Eine komplikationsreiche akute Infektion der Lymphspalten und -gefäße der Haut, die durch eine sich schnell ausbreitende Rötung und Schwellung sowie Allgemeinsymptome gekennzeichnet ist. Ähnliche Bilder können manchmal durch andere Keime (z. B. H. influenzae) hervorgerufen werden. Epidemiologie, Pathogenese. Eine häufige, alle Alters-
kategorien betreffende Krankheit, die durch das Eindringen von Streptokokken durch eine »Eintrittspforte« entsteht. Typische Eintrittspforten sind (oft nur kleine) Wunden, häufiger jedoch Kratzeffekte oder Rhagaden bei Mykosen (Interdigitalmykose!) oder chronische Ekzeme (Unterschenkel-, Gehörgangs-, Mamillarekzem etc.).
. Abb. 4.4. Erysipelas saltans. Ein aus 2 Portionen bestehendes Erysipel, durch einen lymphangitischen Streifen miteinander verbunden. Beachte die Eintrittspforte (Schnittwunde unterer Bildrand) und die klaffenden Follikelostien im Bereich des Erypsipels (durch das entzündliche Ödem – »Peau d’orange«Zeichen)
144
4
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
sind Fuß, Unterschenkel und Gesicht. In Körperregionen mit locker gewebtem Bindegewebe (Gesicht, Skrotum) kommt es zu oft mächtigen Schwellungen, die Begrenzung des Erysipels ist dann unscharf. Histologie: schüttere neutrophile Durchsetzung der papillären Dermis (Lymphspalten). An Allgemeinsymptomen kommt es gleichzeitig mit Beginn des Erysipels, ihm sogar manchmal vorauseilend, zu hohem Fieber (bis >40°C), Schüttelfrost, Nausea. Diagnostik. Labor: Leukozytose (bis >20 000), stark
erhöhte Senkung, Akutphasenproteine. Komplikationen. Systemische Akutkomplikationen sind Sepsis und das Streptokokken-Toxische-SchockSyndrom (selten). Lokale Komplikationen manifestieren sich als Gewebeschädigungen verschiedenen Grades: in der Läsion können Blasen auftreten (bullöses Erysipel), es kann einbluten (hämorrhagisches Erysipel), oder die gesamte Haut absterben (nekrotisierendes Erysipel, . Abb. 4.5). Selten kommt es zur abszedierenden Entzündung tieferer Schichten (»Erysipelphlegmone«). Verlauf. Das Erysipel ist im Prinzip selbstlimitiert. Unter geeigneter Behandlung kommt es nach Tagen, ohne diese nach Wochen zum Abfiebern, Abblassen und Abschwellen (dabei zeigt die Haut eine charakteristische feine Fältelung). Bei unkompliziertem Verlauf Restitutio ad integrum. C A V E
Bei Erysipelen sind Rezidive keine Seltenheit, da Streptokokken latent im Gewebe liegen bleiben können. Ohne Behandlung sind Rezidive um ein Vielfaches häufiger.
. Abb. 4.6. Exzessives Lymphödem (Elephantiasis) des linken Beins bei chronisch rezidivierendem Erysipel
(Chronisch)-rezidivierendes Erysipel. Wichtige zu Rezidiven prädisponierende Faktoren sind venöse und Lymphödeme (z. B. nach Lymphknotendissektion bei Mammakarzinom) sowie Diabetes mellitus. Durch die wiederholte Entzündung können die ableitenden Lymphbahnen verlöten, es resultiert ein Lymphödem: im Extremfall gigantische Schwellung des betroffenen Körperteils (meist untere Extremität) (»Elephantiasis«, . Abb. 4.6). Die Oberfläche der verformten Extremität ist höckerig (Lymphzysten, im späteren Verlauf verruköse epidermale Hyperplasie). Je häufiger Rezidive erfolgen, desto geringer sind die Systemzeichen. Diagnostik und Differenzialdiagnose. Die Diagnose erfolgt klinisch und ist in der Regel unproblematisch, in Ausnahmefällen schwierig (. Tab. 4.1). Der kulturelle Erregernachweis schlägt oft fehl (Nachweisrate ca. 20%), brauchbarer ist der Immunfluoreszenz-Nachweis gruppenspezifischer Streptokokkenantikörper (70%). Weitere Differenzialdiagnosen sind Erythema chroni-
cum migrans, inzipienter Herpes zoster, fixes Arzneimittelexanthem, Hämatom mit starker Entzündungskomponente.
. Abb. 4.5. Hämorrhagisch-nekrotisierendes Erysipel nach Laparotomie
Therapie. Hochdosiertes Penicillin oder Cephalosporine der 1. oder 2. Generation i. v., über 7–10 Tage. Falls eine Infektion mit Staph. aureus nicht ausgeschlossen werden kann (z. B. bei Gesichtserysipel, Vorliegen von Diabetes): penicillinasefeste Antibiotika (z. B. Flucloxazillin oder Sulbactam). Orale antibiotische Nachbehandlung zur Rezidivprophylaxe ist empfehlenswert. Ausschaltung von Eintrittspforten zur Verhinderung
145 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
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. Tab. 4.1. Differenzialdiagnose des Erysipels Akute Dermatitis
Keine Allgemeinsymptome; Hautoberfläche matt (Spongiose)
Tiefe Beinvenenthrombose
Pralle, tiefe Schwellung; Rötung nicht abgegrenzt; geringe Allgemeinsymptome
Phlegmone
Tiefe, teigige Schwellung; schmerzhaft; Beginn meist schleichend, Allgemeinsymptome weniger akut
Angioneurotisches Ödem
Schwellung ohne wesentliche Rötung, typische Anamnese
Akrodermatitis chronica atrophicans
Keine Allgemeinsymptome, burgunderfarbenes Kolorit, kein Hitzen
Erysipeloid
Allgemeinsymptome milde, keine flammenartigen Ausläufer, Prozess bleibt umschrieben
Diabetische Gangrän
Akral, meist exulzeriert, Zeichen der Osteomyelitis
Akuter Gichtanfall
Sehr schmerzhaft, typische Lokalisation (Zehengrundgelenk); Allgemeinzeichen milde; unscharfe Begrenzung
Inflammatorisches Mammakarzinom
Weniger entzündlich, Resistenzen palpabel, Lymphzysten, oft bizarre Konfiguration, Allgemeinzeichen fehlen
von Reinfektionen! Lokaltherapie: antiphlogistisch (Bauschen), Inzision ist nicht indiziert (keine Einschmelzung!). Chronisch-rezidivierendes Erysipel: orale antibiotische Langzeitbehandlung (Monate). Phlegmone Definition. Eine bedrohliche akute, häufig einschmelzende Entzündung der gesamten Dermis und der Subkutis, die zur Zerstörung großer Gewebspartien und potenziell zur überwältigenden Infektion führen kann (Sepsis). Phlegmonen werden häufig durch Streptokokken und/oder Staphylokokken hervorgerufen, oft aber auch durch andere Keime (s. u.). Sie können durch direkte Inokulation von Keimen (z. B. Stichwunden) oder auch per continuitatem aus Infektionen der Umgebung entstehen. Symptomatik. Die Phlegmone ist eine tiefreichende,
sehr schmerzhafte entzündliche Schwellung. Sie ist unscharf von der Umgebung abgegrenzt, livide (manchmal auch hautfarben) und besitzt keine flammenartigen Ausläufer. Sie ist im Vergleich zum Erysipel voluminös und teigig weich (Fingerdruck bleibt bestehen). Ihr Beginn ist nicht abrupt, die Ausbreitung eher langsam. Im weiteren Verlauf können sich blasige Läsionen und Nekrosen entwickeln, der Abszess kann durchbrechen und Fisteln bilden. Systemzeichen (Fieber, Krankheitsgefühl, Übelkeit etc.) entwickeln sich schleichend, sind jedoch oft beträchtlich. Pathogenese. Phlegmonen nehmen ihren Ausgang
von tiefen Verletzungen (z. B. Operations-, Stichwunden), tiefen Substanzdefekten (Ulcus cruris, diabetische Gangrän) oder benachbarten Infektionsherden (Erysi-
pel, Osteomyelitis, Bursitis, Furunkel, Fremdkörper, septische Thrombophlebitis z. B. nach Drogeninjektion). Prädilektionsstellen sind die Beine, Perianalgegend (Fisteln!), Bauchwand (nach Laparotomien – häufig Gramnegative!). Die Abheilung erfolgt mit Fibrose, Sklerose, Verbackenheit und Konturveränderungen (unregelmäßige Einziehungen – Folge der Pannikulitis). Diagnostik. Labor: Leukozytose bis 30 000–40 000,
sehr hohe Senkung, Akutphasenproteine. Differenzialdiagnose. Die Unterscheidung vom Erysi-
pel kann schwierig sein (im Englischen gibt es für beide nur den Begriff »Cellulitis«); neben den klinischen Merkmalen (s. o.) dient hierzu der Nachweis der Einschmelzung im Ultraschall (Spiegelbildung). Steht das Vorliegen einer Phlegmone fest, müssen der/die Erreger aus dem Punktat identifiziert werden: in Frage kommen neben Kokken Gramnegative – E. coli, Klebsiellen; Anaerobier, Gasbrand – Krepitation! Therapie. Die antibiotische Therapie richtet sich nach Kultur und Antibiogramm. Zusätzlich muss oft eine breite Inzision mit Drainage erfolgen – eine nur konservative Behandlung kann das Durchbrechen nicht sicher verhindern, führt jedoch zu protrahiertem Verlauf und schlechterem Endergebnis.
Streptokokkengangrän (Synonym Nekrotisierende Fasziitis) Definition/Pathogenese. Die nekrotisierende Fasziitis (NF) ist eine seltene, foudroyant verlaufende Infektion mit toxogenen (SPE-A) und hoch invasiven (Serotypen M1, M3, M18) Streptokokken. Sie beginnt mit um-
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
schriebenen Hautläsionen, breitet sich schnell entlang der tiefen Faszien aus und kann in septischen Schock mit Multiorganversagen münden (»Streptokokken-Toxisches Schock-Syndrom«). Symptomatik/Diagnostik. Die NF tritt aus voller Ge-
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sundheit auf, oft nach Bagatelltraumen an den Extremitäten. Es entsteht eine erysipelähnliche, manchmal bullöse und meist sehr schmerzhafte Initialläsion, die sich rapide in eine sämtliche Gewebsschichten erfassende, oft hämorrhagische (intravasale Koagulation!) Nekrose umwandelt. Diese breitet sich zentripetal aus, entlang der tiefen Faszien oft schneller als an der Haut. Besonders dramatisch verläuft die NF im Bereich der äußeren Genitalien (meist des Mannes) durch Aszension in das kleine Becken (Fournier-Gangrän). Kurz nach Beginn der Infektion (1–3 Tage) stellen sich die toxinbedingten Allgemeinsymptome ein (s. u.), begleitend oft ein scarlatiniformes Exanthem. Der Exitus letalis kann innerhalb einiger Tage eintreten. Differenzialdiagnose. Der NF ähnliche Zustandsbil-
der können auch durch andere Keime (z. B. gramnegative Phlegmone) bzw. Mischinfektionen hervorgerufen werden. Die Anzüchtung des Keims ist daher unbedingt anzustreben. Therapie. Dringlichste Maßnahme ist das sofortige chirurgische Debridement der ergriffenen Gewebspartien zur Elimination der Keime. Die antibiotische Therapie muss aus einer Kombination von Proteinsynthesehemmern (Clindamycin, alternativ Betalaktame) zur Unterbrechung der Toxinproduktion und Betalaktamen zur Eradikation der Keime bestehen, zusätzlich Therapie des Schocks (s. u.).
aber auch bei Phlegmonen, unkomplizierten Erysipelen und selten sogar bei asymptomatischer Inokulation von S. pyogenes einstellen. 3Begriffe. Der Begriff »STSS« wurde in Anlehnung an das durch Staphylokokken-Exotoxine verursachte, klinisch und pathogenetisch analoge »Toxische Schock-Syndrom« (TSS, s. u.) geprägt. STSS verläuft etwas aggressiver als TSS. Ein wichtiger klinischer Unterschied ist: der dem STSS zugrunde liegende Infekt ist meist offensichtlich und schmerzhaft, beim TSS ist er symptomärmer, oder die Keime vermehren sich außerhalb des Körpers (Tampons).
Pathogenese. SPE-A wirkt gleichzeitig toxisch auf
Gefäßendothelien (»capillary leak«), blockiert die Entgiftungsmechanismen der Leber und führt als Superantigen zur maximalen Immunaktivierung mit explosiver Mediatorüberflutung (IFN-γ, TNF-α, -β). Symptomatik. Systemzeichen. Beginn mit grippe-
ähnlichen Prodromi (Fieber, Erbrechen, Diarrhoe, Myalgien), denen bald das Vollbild des toxischen Schocks folgt: hohes Fieber, schwere Diarrhoen, Oligurie, Somnolenz und psychiatrische Symptome, Hepato- und Kardiotoxizität, Lungenödem, Hypotonie <90 mmHg mit möglichem Übergang in irreversiblen Schock. Typisches Hautzeichen ist ein scarlatiniformes Exanthem (s. u.), oder auch eine Erythrodermie. Der Tod erfolgt an Multiorganversagen. Der Erreger kann in ca. 50% aus dem Blut isoliert werden. Differenzialdiagnose: Staphylokokken-bedingtes TSS (s. u.). Therapie. Antibiotika wie oben beschrieben, zusätzlich Einstellung des Flüssigkeit- und Elektrolythaushalts und des Blutdrucks (Intensivmedizin). I. v.-Immunglobuline (Antitoxine!) können nützlich sein. Prognose: Die Mortalität des STSS liegt bei 25–30%.
Prognose. Die Mortalität liegt bei bis zu 50%. Entschei-
dend ist die schnelle Diagnosestellung (oft Aufgabe des Dermatologen) zwecks unverzüglicher Einleitung der Therapie (Aufgabe der Chirurgie/Intensivmedizin). 3Ähnliche Krankheitsbilder können durch Mischinfektion (mit gramnegativen und anaeroben Keimen) entstehen: die synergistische nekrotisierende Fasziitis und die progressive synergistische Gangrän (Prädilektion: Diabetes mellitus, 7 Kap. 3).
Streptokokken-bedingte Toxinkrankheiten Streptokokken-Toxisches-Schock-Syndrom (STSS) Definition. STSS ist Folge der Toxinwirkung von SPEA. Es kann grundsätzlich bei allen invasiven Infektionen mit S. pyogenes auftreten: es ist (war) die Grundlage des »toxischen« Scharlachs, tritt heute am häufigsten bei der nekrotisierenden Fasziitis auf, kann sich
Hautsymptome durch extrakutane Streptokokkeninfekte Scharlach Definition/Pathogenese. Eine mit einem charakteristischen Exanthem assoziierte Infektion mit SPE-bildendem S. pyogenes (Tonsillopharyngitis, seltener Wundinfektion – Wundscharlach) bei unzureichender Immunität gegen SPE. Für das klassische schwere Krankheitsbild ist SPE-A verantwortlich. Epidemiologie. Scharlach war früher eine universell häufige und ernste Krankheit. Sie wurde durch die Abnahme SPE-A-bildender S. pyogenes seltener und milder und nimmt erst heute wieder zu. Scharlach (nicht aber Wundscharlach) tritt fast ausschließlich bei Kindern auf. Bei Erkrankung werden SPE-Antitoxine
147 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
gebildet, die zur dauernden typenspezifischen Immunität führen. Da eine gruppenspezifische Immunität ausbleibt, resultiert die abermalige Infektion in eine Tonsillitis ohne Exanthem. Symptomatik. Nach 2- bis 4-tägiger Inkubationszeit
akute Pharyngotonsillitis, Fieber bis 40°C, Schüttelfrost, Kopf- und Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Das Fieber kulminiert am 2. Tag. Rachen, weicher Gaumen und Tonsillen sind düster gerötet und geschwollen (Enanthem), an den Tonsillen gelbliche Beläge, diffuse Rötung der Zunge mit akzentuierten Papillen (Erdbeerzunge). 1–2 Tage später tritt das charakteristische kleinfleckige Exanthem auf, das an Gesicht und Hals beginnt und sich innerhalb 36 h über den gesamten Körper ausbreitet. Besonders betont sind die großen Beugen und Handflächen; Fußsohlen und Perioralregion bleiben ausgespart. Die Effloreszenzen weisen häufig Petechien auf und sind sandpapierartig rau. Das Exanthem bleibt 4–5 Tage bestehen und schuppt dann in der Reihenfolge des Auftretens ab. Die Desquamation ist oft großflächig, besonders an Handflächen und Fußsohlen (»handschuhartig«). Diagnostik. Labor: Leukozytose, Eosinophilie (im spä-
teren Verlauf), erhöhte Senkung. Therapie. Penicillin, alternativ Cephalosporine oder
Makrolide. Verlauf: Heute meist unkompliziert, selten Auftreten einer nekrotisierenden Tonsillitis. Hautveränderungen bei Sepsis und Endokarditis Eine bakterielle Endokarditis tritt im Rahmen der Sepsis auf. Akute Formen werden meist von Staph. aureus, subakute von Streptokokken der Viridans-Gruppe (Endocarditis lenta) oder andere Erreger, z. B. Gonokokken, verursacht. In 20–40% werden diese Prozesse von den diagnostisch wichtigen Hautläsionen der septischen Vaskulitis begleitet. Symptomatik. Die Läsionen imponieren als schütter verteilte, oft einzelne kleine Hautblutungen (Petechien) vorwiegend an den Akren (Finger, Handflächen, Fußsohlen). Stärker entzündliche Läsionen werden als Janeway-Flecken und Osler-Knoten bezeichnet (linsengroße, düsterrote, schmerzhafte Knötchen mit nekrotischem oder atrophem Zentrum). Genese: embolisch. Weitere Manifestation sind subunguale Splitterblutungen: schmale, strichförmige, längs verlaufende Einblutungen, die mit dem Nagel auswachsen (dieses Zeichen tritt auch bei Kollagenosen und Glomerulonephritis auf; traumatische Blutungen finden sich hingegen am distalen Nagel!).
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Folgekrankheiten der Haut nach Streptokokkeninfektionen Extrakutane Streptokokkeninfekte (z. B. Tonsillitis) können entsprechend einer traditionellen Modellvorstellung als »Fokalgeschehen« verschiedene Hautkrankheiten bzw. Intoleranzreaktionen der Haut auslösen (Psoriasis, Urtikaria, Erythema nodosum, Immunkomplexvaskulitis u. a. m.). Die kausalen Zusammenhänge sind dabei wenig geklärt, z. T. scheint die SuperantigenWirkung von SPE eine Rolle zu spielen. Bei den folgenden Dermatosen besteht eine spezifische Assoziation mit Streptokokkeninfekten: Erythema marginatum rheumaticum (s. oben) Ein »gyriertes« Exanthem, das ca. 20% der Fälle von akutem rheumatischem Fieber begleitet. Symptomatik: Ein Exanthem aus quaddelähnlichen Erythemen, die durch sehr rasche periphere Ausbreitung, zentrale Abblassung und Konfluenz bizarre polyzyklische, landkartenartig konfigurierte Zeichnungen ergeben. Purpura fulminans Definition/Pathogenese. Ein seltenes, perakutes komplexes Zustandsbild, das durch hämorrhagische Infarzierung der Haut durch intravaskuläre Gerinnung und anschließende Verbrauchskoagulopathie gekennzeichnet ist. Die Purpura fulminans ist ein postinfektiöses Syndrom, das nach oft harmlosen Infekten (Streptokokkenpharyngitis, Varizellen, Scharlach, Masern) auftritt und ohne Therapie häufig tödlich verläuft. Auftreten vorwiegend in der Kindheit. Symptomatik. Während des Infekts oder in der Rekonvaleszenzphase kommt es unter Fieber und Schüttelfrost zu massiven, sich rapide ausbreitenden, scharf und unregelmäßig begrenzten flächigen Hautblutungen, die sich innerhalb weniger Stunden zu ausgedehnten Gangränen fortentwickeln. Prädilektionsstellen: Extremitäten, Aufliegestellen. Differenzialdiagnose. Von der Purpura fulminans ist
die ähnliche, aber nicht idente periphere symmetrische Gangrän zu unterscheiden (. Abb. 4.11). Diese tritt im Rahmen schwerer septischer Zustände mit Schock ein (Meningo-, Pneumo-, Strepto- und Staphylokokken, Klebsiellen, E. coli, Aspergillen). Bei ihrer Genese spielt der Schock vermutlich eine ebenso wichtige Rolle wie die Verbrauchskoagulopathie. Sie kann in jedem Lebensalter auftreten, auch sie ist natürlich bedrohlich. Zu unterscheiden ist ferner die periphere Gangrän bei Polyarteriitis nodosa.
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Therapie. Augenblicklicher Versuch der Unterbre-
chung der Verbrauchskoagulopathie durch Heparin, erst dann Substitution der Gerinnungsfaktoren; die Therapie ist nach der Klinik auszurichten, da sowohl Koagulation wie Blutung überwiegen kann. Antibiotikatherapie. Nach Stillstand des Prozesses sind meist ausgedehnte Transplantationen, oft auch Amputationen erforderlich.
4 4.2.3 Staphylokokkeninfektionen Staphylokokken sind eine gleichfalls umfangreiche Bakteriengruppe (s. Lehrbücher der Mikrobiologie): diese umfasst neben vielen apathogenen, bzw. nur unter besonderen Umständen pathogenen Keimen (z. B. Staph. epidermidis) ein einziges Pathogen: Staphylococcus aureus (Staph. aureus) – den häufigsten Erreger von Hautinfekten, der für eine breite Palette von Krankheitsbildern verantwortlich ist. Staph. aureus produziert eine Reihe von Toxinen (Zytolysine, Leukocidin, Exfoliatin A und B, Toxic-shock-syndrome-Toxin 1, Enterotoxin A–C – manche davon Superantigene) und Enzymen (Koagulase, Sphingomyelase, DNase, und andere – z. B. Penicillinase). Staph. aureus wird in 5 Phagengruppen (I–V) und 5 Antigengruppen eingeteilt. Es besteht eine gewisse Läsionsspezifität: Staphylokokken der Phagengruppe II sind z. B. die (fast) ausschließlichen Erreger des SSS-Syndroms (s. u.), solche der Gruppen I und III hingegen von Furunkeln und Phlegmonen. Apathogene Staphylokokken sind Teil der residenten Keimflora, Staph. aureus findet sich nicht selten klinisch symptomlos in der »passager« residenten Flora (s. o.): Keimträger (Nasenraum!) sind mit ca. 30% der Bevölkerung häufig. Wirtsfaktoren sind von größerer Bedeutung als z. B. bei Streptokokkeninfekten: die Infektion wird entscheidend durch systemische Faktoren beeinflusst – Abwehrschwäche, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Marasmus, Kortikosteroidtherapie. Staph. aureus ist seltener ein primärer als ein sekundärer Invasor (Wunden, Fremdkörper, präexistente Dermatosen). 3Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA) Die meisten heute isolierten Staphylokokkenstämme sind Penicillinasebildner, darüber hinaus werden sie zunehmend auch gegen penicillinasefeste Betalaktame und die meisten anderen Antibiotika resistent. Die so genannten Methicillin-(Oxacillin) resistenten Staphylokokken sind gefürchtete Problemkeime (Hospitalismuskeime), die meist nur auf Vancomycin und Linezolid ansprechen. Erregerreservoir und Infektionsquelle der MRSA sind gesunde Keimträger (Nasenrachenraum). MRSA sind nicht virulenter als Methicillin-empfindliche; ihre Gefahr liegt in der Übertragung auf Schwerkranke. Patienten an Intensivstationen werden regelmäßig auf Kolonisierung
bzw. Infektion durch MRSA untersucht (Abstriche aus Nasenrachenraum, Haut). Falls positiv: Verlegung in Einzelzimmer, täglich desinfizierende Bäder (Chlorhexidin), Mupirocin-Salbe in die Nasenhöhle und besondere hygienische Maßnahmen des Personals (z. B. Händedesinfektion nach jedem Patientenkontakt). Antibiotische Behandlung ist nur bei klinischen Symptomen indiziert.
Nichtfollikuläre Pyodermien Impetigo contagiosa (Staphylokokkenimpetigo, großblasige Impetigo, bullöse Impetigo) Epidemiologie. Altersprädilektion und Übertragungsweise entsprechen der Streptokokkenimpetigo. Erreger: Staph. aureus (Phagengruppe II). Pathogenese. In-loco-Produktion von Exfoliatinen. ! Exfoliatine sind hitzestabile Serinproteasen (24 kD Glykoproteine), die Desmoglein 1 spalten und dadurch zur subkornealen Akantholyse führen – keine Superantigene! Sie werden fast nur von Gruppe-II-Staphylokokken erzeugt.
Symptomatik. Erstläsion ist eine bis nussgroße, von
einem geröteten Hof umgebene, pralle, mit seröser Flüssigkeit gefüllte Blase, die nach kurzer Zeit trübe und eitrig wird (evtl. Hypopyonbildung) und zu »schwefelgelben«, oft hämorrhagischen Krusten eintrocknet (. Abb. 4.7). Schnelle Ausbreitung. Subjektive Beschwerden sind gering: milder Juckreiz führt zu Kratzen und zur Verbreitung der Keime. Allgemeinerscheinungen fehlen; gelegentlich mildes Fieber. Histologie: Subkorneale Blasenbildung durch Akantholyse im unteren Str. granulosum. Verlauf und Komplikationen. Unbehandelt Spontanheilung nach einigen Wochen. Bisweilen Lymphangitis,
. Abb. 4.7. Bullöse Impetigo (Staphylokokkenimpetigo). Multiple, anfangs pralle, hier überwiegend schon geplatzte große Blasen, düsterrote Erosionen, Blasenreste
149 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
Lymphadenitis, sehr selten Phlegmone, Sepsis. Selten ist auch die Ausbreitung zur generalisierten bullösen Impetigo, die zu einem dem SSS-Syndrom (s. u.) ähnlichen, schweren Zustandsbild führen kann. Ist der ursächliche Keim ein starker Exfoliatinbildner, kann es zur Toxinämie und damit zum echten SSS-Syndrom kommen. Therapie. Antiseptische Salben, systemische Anti-
biotika (penicillinasefeste Penicilline) nur in ausgedehnteren Fällen und bei Allgemeinsymptomen (Fieber). Bulla repens (Umlauf). Der Impetigo entsprechende
Pusteln an Körperstellen mit besonders dickem Stratum corneum (Fingerspitzen, Handflächen, Fußsohlen).
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heit von Kleinkindern, die auf hämatogener Verbreitung von Exfoliatinen aus einem (meist extrakutanen) Infekt mit Gruppe-II-Staphylokokken beruht und unbehandelt häufig zum Tode führt. Das SSS-Syndrom beruht auf massiver Ausschüttung von Exfoliatin in die Blutbahn, was zu universeller subkornealer Akantholyse führt. Der typische Sitz des Staphylokokkeninfekts war früher der Nabelschnurstumpf (eitrige Omphalitis), heute ist es der Nasopharyngealbereich (eitrige Rhinitis, Tonsillitis), selten die direkte Infektion der Haut (bullöse Impetigo). 3Das vor mehr als 100 Jahren erstmals beschriebene Syndrom (Dermatitis exfoliativa neonatorum Ritter von Rittershain) war in der Vor-Antibiotikaära gefürchtet. Es trat wegen der niedrigeren hygienischen Standards epidemisch in Gebäranstalten, Findlings- und Waisenhäusern auf.
Paronychie Definition. Eitrige Entzündung des Paronychiums.
Epidemiologie. Eine heute seltene, sporadisch auftre-
Symptomatik. Die akute Paronychie ist durch Rötung,
tende Infektionskrankheit des Kindesalters (bis 4 Jahre); vereinzelt bei Erwachsenen mit Immundefizienz oder reduzierter Nierenfunktion.
Schmerzhaftigkeit und eitrige Einschmelzung des Paronychiums gekennzeichnet. Sie betrifft meist nur einen Finger und geht oft auf Verletzungen des Nagelhäutchens zurück (Maniküre). Komplikationen: vorübergehende oder permanente Schädigung der Nagelmatrix (Onychodystrophie, evtl. Nagelverlust). Bei der chronischen Paronychie ist das Paronychium geschwollen, dunkellivide verfärbt, das Nagelhäutchen fehlt. Gewöhnlich sind mehrere oder alle Finger betroffen. Die Schmerzhaftigkeit ist geringer, Eiterung selten. Sie geht meist auf wiederholte, unterschwellige Traumen zurück, z. B. Waschlaugen, und kann extrem therapieresistent sein. Prädisposition: Diabetes mellitus. Differenzialdiagnose. Bei der akuten Paronychie Na-
gelfalznekrosen bei Kollagenosen, seltene Infektionskrankheiten (z. B. Lues); bei der chronischen die Kandidaparonychie. Therapie. Ausschaltung der Traumen, lokale und evtl. systemische Antibiotika.
Panaritium Eine eitrig-einschmelzende Entzündung der Fingerkuppe und -ventralseiten. Das Panaritium kann ausschließlich auf das Unterhautgewebe beschränkt sein oder auch tiefere Regionen umfassen (Sehnenscheiden). Inzision (Chirurg!), Antibiotika. Staphylococcal scalded skin syndrome (SSS-Syndrom, »Syndrom der verbrühten Haut«) Definition/Pathogenese. Eine durch großflächige Erytheme und Hautablösung charakterisierte Krank-
Symptomatik. Zu Beginn (Stadium erythematosum)
treten großflächige helle, unscharf begrenzte Erytheme in charakteristischer Reihenfolge auf: zunächst im Gesicht (perioral), in den großen Beugen und schließlich am übrigen Körper (. Abb. 4.8a, b). Das Kind ist weinerlich, die Haut schmerzhaft und berührungsempfindlich, Allgemeinzeichen gering (mildes Fieber, Leukozytose). Nach Stunden bis Tagen Übergang in das Stadium exfoliativum: die Epidermis löst sich spontan oder durch leichten Druck (Aufliegestellen, Intertrigostellen) großflächig ab, das Nikolski-Zeichen ist positiv (auch an den nichterythematösen Arealen: Unterschied zur toxischen epidermalen Nekrolyse!). Es entstehen ausgedehnte Erosionen, an deren Rändern die losgelöste Epidermis fetzig zusammengeschoben ist – Ähnlichkeit mit Verbrühungen! Spontane Blasen bilden sich selten – sie sind dann eher schlaff, groß und platzen leicht. Schleimhäute (Mund, Konjunktiven, Genitale) sind typischerweise unbefallen. Histologie: Subkorneale Akantholyse, geringfügige Entzündung. Wird in diesem Stadium nicht therapeutisch eingegriffen, kann es durch Flüssigkeitsverlust, hämodynamischen Schock und Sepsis zum Tod kommen (ungefähr 50%). Bei korrekter Behandlung kommt die Krankheit in wenigen Stunden zum Stillstand, das Kind tritt in das Stadium desquamativum ein: schnelle Reepithelisierung und großflächige, feinlamellöse Abschuppung. Therapie. Penicillinaseresistentes Penicillin in hoher
Dosierung; bei Bedarf Flüssigkeits- und Elektrolytaus-
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
durch massive Ausschüttung bestimmter Exotoxine (z. B. TSST-1) aus einem meist extrakutanen Staphylokokkenherd verursacht wird. Es kommt zustande, wenn toxinbildende Staphylokokken – überwiegend penicillinasefeste Staphylokokken der Phagengruppe I – in Abszesshöhlen oder um Fremdkörper (z. B. Tampons, Holzsplitter etc.) geschützt proliferieren können (Fremdkörper interferieren mit der Opsonisierung der Keime durch Komplement). Für mehr als 50% ist TSST-1 (ein 29 kD-Protein mit Homologien zum Streptokokken-SPE-A) verantwortlich, alternativ die Staphylokokken-Enterotoxine A–L. Alle Toxine sind Superantigene und führen zu massiver Immunstimulierung und Zytokinausschüttung.
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a
Epidemiologie. TSS trat in den 1980er Jahren epidemisch auf (vorwiegend in den USA); etwa 80% der Fälle waren mit dem Gebrauch bestimmter Tampons durch menstruierende Frauen assoziiert, der Rest mit tiefen Staphylokokkeninfekten. Durch gezielte Aufklärung (z. B. Tampons nicht längere Zeit belassen!) ist das tamponverursachte TSS seither weitgehend verschwunden. Toxinbildner können auch bei 20% der gesunden Frauen aus dem Genitalbereich isoliert werden. Symptomatik. Ein oft scheinbar aus heiterem Himmel
b . Abb. 4.8a, b. Staphylococcal scalded skin syndrome. a Beginnende großflächige Exfoliation an der Stirn. Beachte die eitrige Konjunktivitis (rechts) und die typische periorifizielle Verkrustung (eitrige Rhinitis). b Stadium exfoliativum mit Übergang ins Stadium desquamativum. Die großflächigen Erosionen nässen nicht mehr, eine großfetzige, feinlamellöse »Blätterteig-artige« Abschuppung stellt sich ein
gleich. Blande Lokaltherapie. Kortikosteroide sind kontraindiziert! Diagnostik. Bei typischer Ausprägung erlaubt das kli-
nische Bild die Diagnose, in Zweifelsfällen Tzanck-Test (akantholytische Zellen des Str. granulosum) oder Biopsie.
einsetzendes Bild, das durch Fieber, Erbrechen, Muskelschmerzen, Durchfall, Hypotension und ein skarlatiniformes Exanthem gekennzeichnet ist. Begleitende Organsymptome seitens des ZNS (Eintrübung), Niere (Retention), Leber (toxische Hepatitis) und Skelettmuskel (Myolyse). Bei Ausbleiben adäquater Behandlung Fortschreiten in irreversiblen Schock. In der Abheilungsphase stellt sich nach 1–2 Wochen eine typische massive Abschuppung ein (palmoplantar handschuhförmig). Diagnostik. Labor: Hohe Senkung, Akutphasenproteine, Leukozytose und Thrombopenie; Erhöhung von CPK, Lebertransaminasen und Nierenparameter, Myoglobinurie. Differenzialdiagnose. Streptokokken-TSS, Kawasaki-
Syndrom, Meningokokkensepsis, Hypersensitivitätssyndrom.
Differenzialdiagnose. Verbrühung, Sonnenbrand,
Kawasaki-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse (7 Kap. 3). Staphylokokken-Toxic shock syndrome (TSS) Definition/Pathogenese. Ein seltenes, dem Strepto-
kokken-TSS ähnliches, bedrohliches Zustandsbild, das
Therapie. Flüssigkeitsersatz, hochdosierte penicillinasefeste Antibiotika (Cloxacillin oder Vancomycin, falls MRSA wahrscheinlich), Beseitigung des Staphylokokkenfokus (z. B. Entleerung von Abszessen). Mortalität bei 5%; Rezidive sind nicht selten (fehlende Antikörperbildung!).
151 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
Follikuläre Pyodermien Haarfollikel stellen das natürliche Keimreservoir der Haut dar, das nicht selten auch pathogene Staphylokokken enthält; follikuläre Pyodermien sind daher häufiger als nichtfollikuläre. Man unterscheidet oberflächliche (Befall des Follikelinfundibulums) und tiefe Follikulitiden (Befall des gesamten Follikels). In der Alltagssprache meint man mit »Follikulitis« die oberflächliche Variante. Follikulitis Definition. Eine sehr häufige, manchmal eitrige Infektion des oberen (infundibulären) Anteils der Haarfollikel. Sie kann grundsätzlich an allen haartragenden Regionen auftreten, zumeist am behaarten Kopf, Gesicht und Rumpf. Pathogenese. Hauptsächlicher Erreger ist Staph. aureus, daneben viele weitere Keime (Koryneforme, Gramnegative, Malassezia furfur). Im Haarfollikelinfundibulum befindliche Keime können unter für sie günstigen Umständen proliferieren (höhere Durchfeuchtung – z. B. durch Okklusivverbände, seborrhoisches Kopfekzem u. a. m.), das Hornmaterial quillt und verstopft den Ausgang. Es resultiert eine zunächst milde Entzündung, die bald eitrig werden und auch die tiefen Follikelanteile ergreifen kann. ! Disseminierte Follikulitis findet sich häufig dort, wo Schwitzen und Druck (Okklusion) koinzidieren: Rücken, Hinterbacken (Sessel, Sessellehne).
Differenzialdiagnose. Pityrosporum- und gramnega-
tive Follikulitis, Kortiksteroidakne. Therapie. Desinfizierende und austrocknende Maß-
nahmen (antiseptische Shampoos oder Seifen, alkoholische Lösungen), Öffnen der Pusteln. Furunkel, Karbunkel Definition. Furunkel ist eine häufige, sehr schmerz-
hafte, nekrotisierende und abszedierende Entzündung des gesamten Haarfollikels (inkl. Matrix und umgebendem Gewebe) durch Staph. aureus. Schubartig gehäuft (Furunkulose) treten Furunkel bei Staph.-aureusKeimträgerstatus, Abwehrschwäche (z. B. Diabetes mellitus) und wegbereitenden Dermatosen (z. B. Follikulitis, Seborrhoe, Acne vulgaris) auf (. Abb. 4.10). Karbunkel sind mehrere an benachbarten Haarfollikeln gleichzeitig bestehende Furunkel. Symptomatik. Akut entzündliche, anfangs derb infiltrierte Knoten mit oft beträchtlichem perifokalem Ödem (z. B. kollaterales Lidödem) und regionärer Lymphadenitis. Prädilektionsstellen sind Gesicht, Kapillitium, Nacken, Nates. Nach einigen Tagen Einschmelzen (Fluktuation!), Spontanöffnung und Ausstoßung eines zentralen nekrotischen Pfropfs (Haarfollikel), Abheilung mit Verödung des Haarfollikels und irreversiblem Haarverlust. Karbunkel sind analog, jedoch größer, schmerzhafter und bilden mehrere Fistelöffnungen, aus denen sich Eiter entleert. Allgemeinzeichen: Fieber, Leukozytose.
Symptomatik. Meist multiple entzündliche, manchmal juckende Papeln um die Follikelostien, oft mit kleinen zentralen Pusteln, die von einem Haar durchbohrt sind (. Abb. 4.9).
. Abb. 4.9. Abszedierende Follikulitis. Follikelbezogene Pusteln
4
. Abb. 4.10. Furunkulose. Tiefe, abszedierende, follikelbezogene Infiltrate
152
C A V E
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Furunkel und insbesondere Karbunkel können zur Sepsis führen! Gesichtsfurunkel sind besonders schmerzhaft und auch gefährlicher, da Keime über die Blutbahn ins ZNS verschleppt werden können (Sinus-cavernosus-Thrombose!) – Exprimieren und Inzision kontraindiziert!
Gesäß. Bei Erwachsenen kommen analoge Läsionen in den Achseln vor. Therapie. Austrocknen und lokal antiseptische Maßnahmen, evtl. Öffnen der Pusteln.
4.2.4 Infektionen durch gramnegative
4
Differenzialdiagnose. Tiefe Trichomykose, inflam-
Bakterien
mierte Hornzyste. Therapie. Beim noch »unreifen« Furunkel durchblu-
tungs- und einschmelzungsfördernde Maßnahmen: »Zugsalben« (Ichthyol), Wärme (heiße Bauschen, Kurzwellen), bei erfolgter Einschmelzung Stichinzision. Systemische Antibiotika sind bei Karbunkeln, bei Gesichtsfurunkeln und bei Vorliegen von Systemzeichen erforderlich. Bei Furunkulose ist nach dispositionellen Faktoren zu suchen (Diabetes, Niereninsuffizienz, IgA-Defizienz etc., Staphylokken-Keimträgerstatus). Eine längere antiseptische Prophylaxe ist angezeigt (antiseptische Shampoos, Seifen, Bäder). Bei Keimträgern (Nasenhöhle!) prophylaktische Applikation von Mupirocin-Salbe. An Schweißdrüsen gebundene Pyodermien Hidrosadenitis suppurativa (Schweißdrüsenabszess) Definition. Eine äußerst schmerzhafte, abszedierende Entzündung apokriner Drüsen im Axillarbereich. Die akute Hidrosadenitis tritt als Einzelläsion auf und ist meist von episodischem Charakter. Die chronisch-rezidivierende Hidrosadenitis ist Teilsymptom des follikulären Okklusionssyndroms (7 Kap. 10). Symptomatik. Ein bis nussgroßer, heftig entzündlicher und schmerzhafter Knoten in der Axilla. Nach einigen Tagen Einschmelzung (Fluktuation) und spontaner Durchbruch. Therapie. Stichinzision, evtl. systemische Antibiotika.
Periporitis suppurativa Definition. Eitrige Entzündung der ekkrinen Schweißdrüsenausführungsgänge vorwiegend bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Läsion beginnt oberflächlich, Übergang zu furunkelartiger tiefer Entzündung ist möglich. Symptomatik. Oberflächliche, von einem roten Hof
umgebene Pustel. Bei Kindern sind die Aufliegestellen besonders betroffen (Kombination von Hyperhidrose und mechanischer Reizung): Hinterkopf, Schultern,
Gramnegative Keime sind nur an bestimmten Lokalisationen (z. B. Perineum) Teil der residenten Flora. Klinische Hauptmanifestationen sind sekundäre Besiedelung präexistenter Läsionen, Phlegmonen und Hautzeichen im Rahmen einer Sepsis. Gramnegative wirken durch Freisetzung von Endotoxinen pathogen (Lipopolysaccharide), die Fieber, Schock, Hämorrhagien und, durch das generalisierte Shwartzman-Phänomen, disseminierte intravaskuläre Gerinnung auslösen können. Pseudomonas aeruginosa (Pyocyaneus) Definition. Ein ubiquitär vorkommender, gramnegativer aerober Keim. Er kann als Teil der transienten Keimflora z. B. Intertrigostellen und den äußeren Gehörgang besiedeln; bei Patienten mit schlechter Abwehrlage kann er schwere Infektionen hervorrufen. Pseudomonas produziert neben Endotoxinen auch Exotoxine und Enzyme, daneben Pigmente (das blaue Pyocyanin, und das gelbgrüne Fluorescein – Nachweis im Wood-Licht). Symptomatik. Infektionen durch Pseudomonas rei-
chen von harmlos bis bedrohlich. Der Keim kann nicht durch intakte Haut eindringen, kolonisiert bei chronischer Durchfeuchtung jedoch die Haut, z. B. bei eifriger Nutzung von Whirlpools und Hottubs – mögliche Folge: Pseudomonasfollikulitis. Chronische Mazeration ist auch die Ursache der Pyocyaneusparonychie (typisches Zeichen: Grünverfärbung des Nagels – »green nail syndrome«). Typischerweise besiedelt er als Sekundärkeim präexistente Ulzera, Brandwunden etc., was zur Verstärkung der Entzündung, charakteristisch faulig-fruchtigem Geruch und Blaugrün-Verfärbung des Wundsekrets führt. Ein ähnlich günstiges Milieu für Pseudomonas ergibt sich in nässenden Dermatosen (Ekzemen). Eine typische Manifestation ist die heftig entzündliche Pseudomonas-Otitis externa, die sich bei Immundefizienz in Knorpel und Knochen ausbreitet und durch Sepsis zum Tode führen kann. Pseudomonassepsis ist ein schweres, fieberhaftes Zustandsbild, das bei Individuen mit schlechter Ab-
153 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
4
wehr (Frühgeborene, Marasmus, Immundefizienz) auftritt. Charakteristische Manifestationen an der Haut sind nekrotische Ulzera (häufig in Intertrigostellen – Ekthyma gangränosum), disseminierte hämorrhagische noduläre und bullöse Läsionen, Phlegmone und Gangrän. Selten entwickelt sich eine disseminierte intravaskuläre Koagulation (Purpura fulminans). Histologie: Septische Vaskulitis.
a
Therapie. Oberflächliche Infektionen werden mit austrocknenden Maßnahmen, lokaler Antisepsis und allenfalls Ciprofloxacin behandelt. Schwere Infekte bedürfen einer hochdosierten antibiotischen Therapie (Carbapeneme, Piperacillin), chirurgisches Debridement.
Meningokokken Definition. Neisseria meningitidis ist ein den Gonokokken verwandter, weltweit verbreiteter gramnegativer Diplokokkus. Die von ihm erregten Krankheiten sind Meningitis sowie die akute und die chronische Meningokokkensepsis. Die Meningokokken-Infektion als solche ist nicht Thema der Dermatologie (s. daher entsprechende Lehrbücher), doch sind begleitende Hauterscheinungen ein häufiger und diagnostisch wichtiger Befund. Meningokokken-Infektion Pathogenese/Symptomatik. Der Mensch ist der ein-
zige Wirt, die erwachsene Bevölkerung besitzt zu mehr als 75% protektive Antikörper, ca. 30% sind Keimträger. Infektionen treten bei noch ungeschützten Personen auf (meist Kinder bis 4 Jahre) und breiten sich epidemisch aus (Familie, Kindergarten, Kasernen). Beginn mit Kolonisierung des Nasopharynx; wegen schnell gebildeter bakterizider Antikörper entwickelt nur ein kleiner Teil der Infizierten Symptome: grippeähnliches Vorstadium, dann rapid einsetzendes Fieber mit Kopfschmerz, Meningismus und Stupor. Ca. 75% entwickeln Hautsymptome (s. u.). Aus dieser Infektion (oder de novo) kann die fulminante Meningokokkensepsis (Waterhouse-Friderichsen) entstehen: eine generalisierte Shwartzman-Reaktion, die zu disseminierter intravasaler Koagulation, Schock und Tod führt.
b . Abb. 4.11a, b. Meningokokkensepsis. a Disseminierte, teils großflächige hämorrhagische Nekrosen. b Hämorrhagische Nekrose der Akren bei disseminierter intravasaler Koagulation
Hautläsionen. Die akute Meningokokkeninfektion ist durch disseminierte petechiale, gelegentlich urtikarielle oder makulöse Exantheme gekennzeichnet. Bei schweren Verläufen flächige Blutungen mit zentralen Nekrosen und hämorrhagischen Blasen. Maximale Ausprägung: periphere symmetrische Gangrän (. Abb. 4.11a, b). Die seltene chronische Meningokokkensepsis ist durch Arthritis und Hautläsionen ähnlich der Endocarditis lenta gekennzeichnet.
Infektionen durch weitere gramnegative Bakterien Infektionen mit Hämophilus influenzae. Dieser gramnegative Kokkobazillus (einziges Reservoir: Mensch) ist eine der häufigsten Ursachen bedrohlicher Infektionen im Kindesalter (oberer und unterer Respirationstrakt). Die Haut ist selten befallen: erysipelähnliche Schwellung oft im Wangenbereich. Therapie: Ceftriaxon.
Diagnostik. Kultureller Erregernachweis aus Liquor
oder Blut; Latex-Agglutinationstest. Therapie. Hochdosiertes Penicillin G. Prophylaxe: Ak-
tivimpfung. Prognose. Rechtzeitig behandelt heilt die Meningokokkeninfektion zu 90% aus, unbehandelt verläuft sie meist tödlich.
Gramnegative Enterobakterien. E. coli, Klebsiellen, Proteus, Enterobakter, Serratia, u. a. sind Bewohner des Gastrointestinaltrakts. Sie finden sich gelegentlich als Teil der residenten Hautflora sowie als Sekundärkeime an Ulzera oder als »gramnegative Follikulitis«. Phlegmone durch gramnegative Keime. Ein der synergistischen progressiven Gangrän analoger Prozess
154
4
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
(s. o.): eine seltene, aber potenziell lebensgefährliche Komplikation nach Darmperforation, Fisteln, Darmchirurgie oder sakralen Dekubitalgeschwüren, fast stets bei Diabetikern oder Immundefizienten. Lokalisation: meist Bauchwand. Nicht selten besteht Crepitus: Knistern durch Gasblasen, die die Läsion durchsetzen – meist bei Begleitinfektion mit anaeroben Gramnegativen, z. B. Bacteroides fragilis. Systemzeichen: hohes Fieber, Leukozytose, Sepsis. Therapie: Quinolone; bei Begleitinfektion mit Anaerobiern Kombination mit Metronidazol. Inzision, rasches und aggressives Debridement der Nekrosen, lokale Antibiotika. C A V E
Eine gramnegative Phlegmone mit Crepitus kann leicht mit Gasbrand verwechselt werden; dieser verläuft jedoch lokal viel aggressiver (hämorrhagisch-gangränös).
4.2.5 Seltenere bakterielle Infektions-
krankheiten Erysipeloid (Schweinerotlauf) Erreger ist Erysipelothrix rhusiopathiae, ein grampositives Stäbchen, das zahlreiche Tiere (Schweine, Geflügel!) infiziert, aber auch lange Zeit im Schleim der Fischhaut persistieren kann. Infektion durch direkten Kontakt mit kontaminiertem Fleisch (Fischhändler, Metzger). Symptomatik. Nach 2–7 Tagen tritt an der Inokulationsstelle (meist Finger und Hände) eine schmerzhafte,
violettrote, sich langsam vergrößernde Rötung und Schwellung auf (keine flammenartigen Ausläufer!) (. Abb. 4.12). Begleitsymptome: Lymphadenitis, mildes Fieber. Differenzialdiagnose: Erysipel, Erythema migrans. Verlauf und Therapie. Penicillin oder Ampicillin. Un-
behandelt selbstlimitiert, aber langwierig. Tularämie (Hasenpest) Diese durch das gramnegative kokkoide Stäbchen Francisella tularensis erregte Infektion wird von freilebenden Nagetieren (seltener über Arthropoden) übertragen. An der Inokulationsstelle entsteht eine exulzerierende Papulopustel, begleitet von einer schmerzhaften regionalen Lymphadenitis (ulzeroglanduläre Form). Systemzeichen: Fieber, Myalgien, oft makulöse Exantheme, Erythema multiforme, Erythema nodosum. Bei Inokulation über den Respirationstrakt bzw. Gastrointestinaltrakt (pulmonale und typhoide Form) ist die Letalität höher als bei der ulzeroglandulären Form (30% vs. 5%). Therapie: Gentamycin, Streptomycin. Infektionen durch Pasteurella multocida Das gramnegative Stäbchen ist ein Kommensale des Nasenrachenraums von Säugetieren und wird durch Bisse übertragen (Katzen, Hunde, Nager). Klinisch: eine exulzerierende Phlegmone an der Bissstelle. Therapie: Penicillin, Amoxycillin. Milzbrand (Anthrax) Definition/Pathogenese. Erreger ist Bacillus an-
thracis; ein grampositives sporenbildendes Stäbchen, Ursache einer Tierseuche bei pflanzenfressenden Tieren. Die Infektion des Menschen erfolgt meist durch Inokulation von Sporen an Weiden oder an Tierprodukten (Häute, Haare), wo sie jahrelang überdauern. Milzbrand ist eine klassische berufsbedingte Infektion (Landwirtschaft, Fellverarbeitung), die unrühmlich auch als biologischer Kampfstoff eingesetzt wurde. Symptomatik. An der Inokulationsstelle entsteht die
. Abb. 4.12. Erysipeloid. Umschriebene, erysipelähnliche Rötung der medialen Handseite. Beachte: Reste der Eintrittspforte am Daumengrundgelenk (Verletzung bei Hantieren mit Fleisch). Bogige Begrenzung, keine flammenartigen Ausläufer (Ursache: Erysipeloid breitet sich nur langsam aus, es überschreitet nur selten das Handgelenk)
typischerweise schmerzlose Pustula maligna, eine anfangs wenig auffällige knotige Pustel, die sich schnell ausbreitet und zu einer »gelatinösen«, hämorrhagischen Nekrose mit Satellitenbläschen umwandelt (DD: Spinnenbiss, schmerzhaft!) (. Abb. 4.13). Systemerscheinungen: regionale Lymphadenitis, hohes Fieber, toxischer Schock. Komplikationen sind sekundäre Dissemination mit Befall von ZNS (Meningitis) und Lungen, Milztumor. Bei Inokulation durch den Respirations-
155 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
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Die Listeriose (Listeria monocytogenes) und die Leptospirose (Leptospira) können durch Inokulation der Haut oder durch den Gastrointestinaltrakt erworben werden; Hautzeichen sind papulopustulöse Infiltrate und (urtikarielle, petechiale) Exantheme. 4.2.6 Rickettsiosen Eine Gruppe schwerer, meist mit Exanthemen einhergehender Infektionskrankheiten, die durch Arthropoden übertragen werden. Man unterscheidet die Flecktyphus- und die Fleckfieber-Gruppe. Hauptvertreter sind der Flecktyphus und das »Rocky Mountain Spotted Fever« (Fleckfieber-Gruppe). Erreger: Rickettsien sind gramnegative, obligat intrazelluläre Kokkobazillen. Sie sind, mit Ausnahme von R. prowazekii, Erreger von Zoonosen. . Abb. 4.13. Anthrax (Milzbrand). Rötung und »gallertige« Schwellung des Daumens. Beachte die Inokulationsstelle an der Grundphalanx
oder Gastrointestinaltrakt kommt es zu einer primären Infektion dieser Organe (sehr schlechte Prognose). Therapie. Ciprofloxacin.
Gasbrand (Synonym Anaerobe Myositis) Gasbrand ist eine schwerwiegende Infektion von nekrotischem Gewebe (z. B. nach Verletzungen – sauerstoffarmes Milieu!) durch den obligat anaeroben Sporenbildner Clostridium perfringens (Darmbewohner): eine rapid progrediente, sehr schmerzhafte Schwellung mit Wundknistern (Hautemphysem, Crepitus), blasigen Nekrosen, Muskelzerfall, blasigem Sekret mit fauligem Geruch. Schwere toxische Systemzeichen, die in oft irreversiblen Schock münden. Therapie: Chirurgisch (Debridement der Nekrosen), intensivmedizinisch – u. a. hyperbarer Sauerstoff, geeignete antibiotische Therapie. Weitere seltene bakterielle Hautinfektionen Durch direkten Kontakt (Inokulation) erfolgende schwerwiegende Hautinfektionen sind der Rotz (Malleus; Burkholderia mallei – Infektionsquelle: Pferde), der Pseudorotz (Melioidose; Pseudomalleus – Erde, Gewässer), die primär kutane Diphtherie (Wunddiphtherie; Corynebakterium diphtheriae) und die Bubonen-Pest (Yersinia pestis – Reservoir: Nagetiere, Vektor: Flöhe). Bei allen entstehen Nekrosen/Phlegmonen der Haut und/oder der regionalen Lymphknoten sowie schwere Systemzeichen (z. B. Sepsis).
Epidemiologie. Rickettsiosen sind weltweit verbreitet, ihr Vorkommen entspricht der Ausbreitung des jeweiligen Vektors. Die Erreger der Fleckfiebergruppe werden von Zecken übertragen, die der Flecktyphusgruppe durch die Kleiderlaus bzw. Flöhe. Die Rickettsien werden beim Biss in die Haut verbracht (bei der Zecke beim Saugakt; bei Läusen und Flöhen durch Kontamination der Bissstelle mit infektiösem Kot). Symptomatik. Die diagnostische Trias sind Fieber, Exanthem und Kopfschmerz – allerdings können Exantheme bei manchen Rickettsiosen, selten auch beim Fleckfieber, fehlen. Beim Fleckfieber beginnen die Exantheme akral und breiten sich zentripetal aus, beim Flecktyphus ist es umgekehrt. An der Inokulationsstelle zeigt sich häufig ein Schorf. Wichtige klinische Manifestationen sind: Epidemischer Flecktyphus. Erreger: R. prowazekii, Vektor: Kleiderlaus. Tritt an Orten und in Zeiten hoher Durchseuchung mit Kleiderläusen auf, derzeit fast ausschließlich in Entwicklungsländern. Inkubationszeit: 1–2 Wochen, Krankheitsbeginn mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerz, Schwäche. Ab dem 5. Tag ein makulöses Exanthem (Beginn: Achseln, Rumpf), das teils konfluiert und hämorrhagisch wird. Gleichzeitig Meningoenzephalitis, Delirium und Koma. Endemischer Flecktyphus. Erreger: R. typhi. Analoger, aber milderer Verlauf. Das Exanthem ist makulopapulös, kaum hämorrhagisch, Mortalität gering. Kommt in Entwicklungsländern vor.
156
4
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
»Rocky Mountain Spotted Fever«. Erreger: R. rickettsii. Inkubationszeit ca. 1 Woche, heftige Allgemeinsymptome (s. o.), Myo- und Arthralgien; ca. 5 Tage später ein makulös-hämorrhagisches Exanthem (Beginn: Handflächen, Fußsohlen), gleichzeitig ZNS-Symptome (Anfälle, Koma), Splenomegalie, Hepatitis, Myokarditis, hämodynamischer Schock; evtl. disseminierte intravasale Koagulation. Differenzialdiagnose: Meningokokkensepsis, toxisches Schocksyndrom, Masern. Weitere Rickettsiosen s. Lehrbücher der Mikrobiologie. Diagnostik. Labor: Neutropenie, Thrombozytopenie
und leicht erhöhte Transaminasen. Serologie, Immunfluoreszenz, PCR. Erreger konventionell nicht kultivierbar! Therapie. Doxycyclin.
4.2.7 Bartonellosen Bartonellosen sind eine heterogene Gruppe schwerer Infektionskrankheiten, die durch Insektenvektoren übertragen werden. Die klinische Ausprägung ist stark von der Immunkompetenz abhängig. Erreger: Bartonellen sind gramnegative, teils intrazelluläre aerobe Kokkobazillen, die in zellfreien Medien züchtbar sind (Wachstum sehr langsam). Tropismus für Erythrozyten, Makrophagen und Endothelzellen. Wichtige menschenpathogene Spezies sind: 4 B. bacilliformis (Verbreitung in der Andenregion, kein Tierreservoir, Vektor: Sandfliege) 4 B. quintana (Verbreitung weltweit, kein Tierreservoir, Vektor: Kleiderlaus) 4 B. henselae (weltweit, Tierreservoir: Katze – Durchseuchung >10%. Übertragung unter Katzen durch den Katzenfloh, auf den Menschen durch Kratzoder Bisswunden). Klinisches Bild Oroya-Fieber und Verruga peruana (B. bacilliformis).
Diese auf die Andenregion beschränkte Infektion (Carrion-Krankheit) kann als akute Systemkrankheit (Oroya-Fieber) oder als benigne chronische, mit Granuloma pyogenicum-ähnlichen Gefäßtumoren assoziierte Form (Verruga peruana) ablaufen. Das Oroya-Fieber verläuft in bis zu 20% tödlich (hämolytische Anämie, ZNS-Symptome – Delirium). Bei der Hälfte der Überlebenden entwickeln sich nach 1–2 Monaten disseminierte Verrugas vorwiegend an Gesicht und Extremitäten, die nach ca. 1 Jahr narbenlos abheilen. Lebenslange Immunität.
Bakteriämie, Sepsis und Endokarditis (B. quintana, B. henselae, andere B. species). Prototyp ist das Schüt-
zengrabenfieber (Synonym »Trench fever«, Fünftagefieber), eine Malaria-ähnliche Krankheit, die mit zyklischen Fieberattacken von je ca. 5-tägiger Dauer und schweren Systemzeichen abläuft, manchmal makulopapulöse Exantheme, Splenomegalie. Spontanes Abklingen nach Wochen bis Monaten. Katzenkratzkrankheit (B. henselae u. a.). Eine Infek-
tion bei immunkompetenten Personen. An einer Katzen-Kratz- oder -Bisswunde tritt ein zunächst schmerzloses dunkelrotes Knötchen auf, 1–2 Wochen später eine regionale Lymphadenitis, in ca. 10% einschmelzend. Milde Systemzeichen. Spontane Rückbildung. Atypische Katzenkratzkrankheit: in etwa 10% entwickeln sich längeres und höheres Fieber, schwerere Allgemeinerscheinungen, manchmal Hepatosplenomegalie (granulomatöse Hepatitis). Bazilläre Angiomatose (B. quintana, B. henselae). Eine Infektion bei Personen mit zellulärer Immundefizienz (HIV!). Sie ist durch bis Hunderte braunlivide, bis zentimetergroße Angiom- bzw. Granuloma pyogenicumähnliche Knoten der Haut, hyperpigmentierte indurierte Plaques und subkutane Knoten gekennzeichnet. Unbehandelt verläuft die bazilläre Angiomatose progredient und disseminiert v. a. in Organen mit hohem Anteil an Makrophagen (z. B. Leber); Systemzeichen (Fieber, Gewichtsverlust, nächtlicher Schweiß, abdominelle Symptomatik).
Diagnostik der Bartonellosen Direkter Erregernachweis (Spezialfärbungen, Kultur, Serologie, PCR). Therapie der Bartonellosen Makrolide, Doxycyclin, Betalaktame. 4.2.8 Lyme-Borreliose (Synonym
Erythema-migrans-Krankheit) Eine durch Zeckenstich übertragene, in Stadien ablaufende Systemkrankheit durch Borrelia burgdorferi mit Hauptmanifestationen an Haut, Nervensystem, Herz und Gelenken. Borrelien sind relativ große, bewegliche und mit der Giemsa-Färbung darstellbare Spirochäten. 3Die Lyme-Borreliose umfasst ein Spektrum verschiedener Organmanifestationen, die jede für sich seit langem bekannt waren, deren Zusammenhang aber erst 1982 durch die Isolierung des Erregers (Burgdorfer) erkannt wurde. Die historischen Bezeichnungen der Krankheitsbilder sind heute noch
157 4.2 · Bakterielle Infektionskrankheiten der Haut
4
in Gebrauch; Dachbegriff ist der Ausdruck »Lyme-Borreliose« (nach dem Fischerstädtchen Old Lyme in Connecticut, dem Zentrum eines Endemiegebiets).
Erreger ist B. burgdorferi sensu lato (s. u.). Drei Arten gelten als humanpathogen: B. afzelii, B. garinii (Vorkommen in Europa und Asien) und B. burgdorferi sensu stricto (7 Kap. 4.6.2) (Europa, USA). Morphologisch sind alle Borrelien gleich, aber serologisch (hinsichtlich der Hauptantigene OspA und OspB – »outer surface proteins«) und im Spektrum der erzeugten Krankheitsbilder etwas unterschiedlich. Hauptwirte von B. burgdorferi sind Zecken der Gattung Ixodes (»Holzbock«): I. ricinus (Europa), I. scapularis und I. pacificus (USA) und I. persulcatus (Asien). Die Durchseuchung der Zecken schwankt regional stark und beträgt bis zu 35%. Der Stich einer infizierten Zecke führt in etwa zwei Drittel zur Infektion; frühzeitige Entfernung kann die Infektion verhindern (Übertritt der Borrelien oft erst nach 24–48 h). ! Ein Zeckenstich ist keine Indikation für eine prophylaktische Antibiotikabehandlung.
Epidemiologie. Die Lyme-Borreliose ist weltweit in gemäßigten Breiten verbreitet. Hauptendemiegebiete: nördliches Mitteleuropa, Ost- und Westküste der USA (hier die häufigste vektorübertragene Infektionskrankheit). Die Durchseuchung der gesunden Bevölkerung beträgt in Mitteleuropa 10–15%. Die Inzidenz der Borreliose ist in ländlichen Gebieten und bei Land- und Forstberufen höher. Symptomatik. Klinik – allgemeiner Verlauf. Die Lyme-Borreliose ver-
läuft (ähnlich wie z. B. die Syphilis) stadienhaft, wobei jedoch jedes Stadium ausbleiben bzw. übersprungen werden kann. Nach dem Zeckenstich breiten sich die Borrelien zunächst zentrifugal in der Haut aus (Erythema migrans). Schon jetzt kann es zur Borreliämie kommen (grippeähnliche Symptome, disseminiertes E. migrans). Wochen bis Monate später folgt das Stadium der Generalisation, mit einem charakteristischen Tropismus zu ZNS, Synovia und Herzen, Jahre später das Spätstadium (Gelenke, Haut, ZNS). Unbehandelt treten jeweils etwa 10% der Fälle vom ersten in das zweite, und vom zweiten in das dritte Stadium über. Die Borreliose verläuft in den USA und in Europa etwas unterschiedlich: Systemzeichen und Manifestationen an Herz und Gelenken sind in den USA häufiger und schwerer, Atrophia cutis idiopathica (s. u.) kommt kaum vor.
. Abb. 4.14. Borreliose: Erythema chronicum migrans. Beachte das zentrale Rezidiv
Stadium I. Erythema (chronicum) migrans (. Abb. 4.14).
Das häufigste und Leitsymptom der Lyme-Borreliose. Es findet sich meist bei Kindern und jungen Erwachsenen. Einige Tage nach dem Zeckenstich entsteht um die Stichstelle ein scheibenförmiges Erythem (meist blass, selten intensiv rot und brennend), das sich langsam peripher ausbreitet, im Zentrum zurückbildet und als Ring im Extremfall über den gesamten Körper wandern kann. Das Erythema migrans ist selbstlimitiert, doch von unterschiedlicher Bestandsdauer (Wochen bis Monate). Nicht selten finden sich mehrere Herde (hämatogene Dissemination oder multiple Zeckenstiche). Allgemeinsymptome sind meist gering, manchmal Fieber, Kopfschmerzen, Myo- und Arthralgien. Differenzialdiagnose: Fixes Arzneimittelexanthem, gyrierte Erytheme, Erysipel. Lymphozytom. Eine seltenere Manifestation des späten
Frühstadiums (Wochen bis Monate nach Infektion): meist solitäre livid-bräunliche, kalottenförmige, mittelweiche Knoten, die unbehandelt nach Monaten abklingen (. Abb. 4.15). Das Lymphozytom ist eine pseudolymphomatöse Reaktion auf B. burgdorferi. Es entsteht häufig im Areal eines rückgebildeten Erythema migrans und hat eine ausgeprägte Prädilektion für Ohrläppchen, Helix und Mamillen; seltener Gesicht und Genitale. Befallen sind wieder meist Kinder und junge Erwachsene. Differenzialdiagnose: Spindelzellnävus, Mastozytom, Lymphom. Stadium II. Wochen bis Monate nach Beginn des Ery-
thema migrans kommt es bei 10–15% der Betroffenen zu Organmanifestationen, vorwiegend im Zentralnervensystem: die Garin-Bujadoux-Bannwarth-Meningopolyneuritis. Diese ist durch die Trias von sen-
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
4 . Abb. 4.15. Borreliose: Lymphozytom. Eine mäßig derbe, unscharf begrenzte bräunlich-rote Schwellung, dem Ohrläppchen »tropfenförmig« anhängend
somotorischer Radikuloneuritis, Hirnnervenausfällen (Fazialisparese!) und lymphozytärer Meningitis (Enzephalitis, zerebelläre Ataxie, Chorea) gekennzeichnet. Im Kindesalter verläuft sie meist milde, oft ist eine periphere Fazialisparese der einzige Befund. Liquor: lymphozytäre Pleozytose, Eiweißerhöhung mit oligoklonaler IgM-Erhöhung. Kardiale Manifestationen des Stadium II sind in Europa selten, in den USA häufiger: Reizleitungsstörungen bis zum kompletten AV-Block, Peri- und Myokarditis. Weitere seltene Symptome sind intermittierende Arthritis, Myositis, Hepatitis. Stadium III. Monate bis Jahrzehnte nach dem (meist längst vergessenen) Zeckenstich entwickelt sich eine Oligoarthritis eines, manchmal mehrerer großer Gelenke (typischerweise Kniegelenk). Akrodermatitis chronica atrophicans. Diese ist das
dermatologische Leitsymptom (. Abb. 4.16): eine häufig einseitige und meist am Unterschenkel auftretende, dunkellivide, kaum schmerzhafte ödematöse Schwellung mit unscharfer Begrenzung (infiltratives Stadium). Nach Monaten entsteht das atrophische Stadium: die Ödeme verschwinden, die Haut wird zigarettenpapierartig dünn, Hautgefäße schimmern durch. Fakultativ: fibromatöse Verdickung der Haut über den Ellenbogen und Knien (Akrofibromatose), pseudosklerodermatische Fibrosierung. Prädilektionsalter: junges bis mittleres Erwachsenenalter. Häufig assoziiert: Radikuloneuritis. Differenzialdiagnose: Chronischer Frostschaden (fast stets symmetrisch). ! Das atrophische Stadium ist ein Endzustand und wird daher durch Antibiotikatherapie nicht beeinflusst.
. Abb. 4.16. Borreliose: Atrophia cutis idiopathica am rechten Bein. Diffuse »burgunderfarbene« Rötung des gesamten Unterschenkels und Fußes. Beachte: Schwellung der Knöchelregion, beginnende Atrophie in der Unterschenkelmitte (erkennbar an den sich deutlich durchzeichnenden Hautvenen – keine Varizen!)
Tertiäre Neuroborreliose. Dies ist eine seltene, schwerwiegende Manifestation: eine wenig scharf definierte Enzephalopathie, die manchmal unter dem Bild einer Multiplen Sklerose abläuft. Andere, als postinfektiöse Manifestationen der Lyme-Borreliose gedeutete Zustände sind das »chronic fatigue syndrome« und Fibromyalgien. Sie sind alle antibiotikaresistent. Lyme-Borreliose in der Schwangerschaft. Maternale Infektion kann zu Befall der Frucht, Missbildungen, Abort und Totgeburt führen. Bei korrekter Therapie bleiben diese Schäden aus. Diagnostik. Die Hautmanifestationen sind klinisch meist eindeutig, zusätzliche diagnostische Methoden sind (z. B. bei extrakutanen Manifestationen) hilfreich: Kultur und direkter Erregernachweis (als Routinemethoden nicht geeignet), Serodiagnostik und PCR. Zur Serologie stehen verschiedene Methoden und Antigene (Ganzzell-, rekombinante OspA und -B, Flagellin) zur Verfügung. Als Suchtest wird ein ELISA- oder Immunfluoreszenztest durchgeführt, dem ein Westernblot als Bestätigungstest angeschlossen werden kann. Erythema migrans ist in ca. 50% seronegativ, Nachweis der Serokonversion nach 6–8 Wochen ist indiziert. Bei Acrodermatitis chronica atrophicans finden sich in fast 100% hohe IgG-Titer. Bei Verdacht auf Neuroborreliose bzw. Befall innerer Organe ist Serologie und PCR aus Blut, Liquor, Gelenkspunktat etc. angezeigt.
159 4.3 · Virusinfektionen der Haut
! Eine positive Borrelien-Serologie ohne klinische Symptomatik ist keine Indikation für antibiotische Behandlung!
Therapie. Im Frühstadium ist die orale Therapie mit
Doxycyclin oder Amoxycillin ausreichend (gleichwertig, Dauer 10–21 Tage). Spätere Stadien bedürfen meist einer i. v.-Behandlung (3–4 Wochen), Mittel der Wahl ist Ceftriaxon, alternativ hochdosiertes Penicillin oder Cefotaxim. Bei Arthritis und ZNS-Symptomen können zusätzlich Kortikosteroide oder NSAID indiziert sein, bei kardialen Komplikationen gelegentlich Schrittmacher, bei chronischer Arthritis Synovektomie. 4.3
Virusinfektionen der Haut
Virusinfekte zählen zu den häufigsten Hautkrankheiten. Grundsätzlich kann die Infektion der Haut über direkte exogene Inokulation (z. B. Viruswarzen), Besiedelung aus einem extrakutanen Fokus (z. B. Herpes zoster) oder hämatogene Dissemination bei Systeminfektionen erfolgen (z. B. Varizellen). Drei Gruppen von Viren können Epidermalzellen infizieren und in ihnen replizieren: 4 Herpesviren 4 Papillomviren 4 Pockenviren Bei manchen systemischen Virusinfekten entstehen Hautsymptome durch Besiedelung der Endothelien oder Immunreaktionen (exanthematische Viruskrankheiten). Einige Virusinfekte führen zu latenter Infektion und Reaktivation (Herpes-, Papillomviren). Die Infektion mit High-risk-Papillomviren kann zur neoplastischen Transformation und zu Karzinomen der Genitoanalregion führen. Diagnostik. Manche Virusinfektionen der Haut sind
klinisch unverwechselbar (Herpes zoster, Viruswarzen, Mollusca etc.). Zusätzliche diagnostische Maßnahmen sind Histologie bzw. Elektronenmikroskopie, TzanckTest (zytologischer Nachweis von Herpesvirusriesenzellen; 7 Kap. 2.3.2) und Immunfluoreszenz mit markierten spezifischen Antikörpern. Exanthematische Viruskrankheiten sind klinisch seltener pathognomonisch. Der im Alltag wenig gebrauchte »Goldstandard«, die Viruskultur (aus Rachenspülflüssigkeit, Blut, Bläschenflüssigkeit etc.) ist zeitaufwendig und wegen des Transports an Speziallabors unsicher. Serologische Antikörpernachweise aus dem Blut sind langwierig – die definitive Diagnose kann oft
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erst durch den Titerverlauf gestellt werden. Amplifikationsmethoden (PCR) sind heute Routine. Therapie. Antivirale Chemotherapeutika stehen nur für Herpesviren (7 Kap. 4.3.5) und HIV (7 Kap. 15.11) zur Verfügung.
4.3.1 Exanthematische Viruskrankheiten Masern (Morbilli; Rubeola, »measles«) Epidemiologie. Masern kommen weltweit vor, hauptbetroffen sind Kinder. Einziges Virusreservoir ist der Mensch. Die Ansteckung erfolgt durch Tröpfcheninfektion, die Kontagiosität bei nichtimmunen Personen ist fast 100%. Säuglinge unter 4 Monaten sind durch maternale Antikörper geschützt. Masern treten saisonal gehäuft auf (Frühjahr), in ungeimpften Populationen als Epidemien mit 2- bis 5-jährigen Abständen. Bei Immundefizienz (Mangelernährung, AIDS) kommen bedrohliche Verläufe vor. Die Krankheit hinterlässt lebenslange Immunität. Pathogenese. Erreger ist ein Paramyxovirus (RNAVirus) – es existiert nur ein Serotyp. Das Masernvirus tritt über den oberen Respirationstrakt in die Blutbahn ein, besiedelt das MPS und erreicht hämatogen die Haut. Das Exanthem ist Folge der Attacke zytotoxischer T-Zellen auf befallene Endothelzellen. In den Läsionen werden vielkernige Riesenzellen gefunden (virale Fusionsproteine!). Kurz nach Auftreten des Exanthems verschwindet das Virus aus der Blutbahn (Ende der Infektiosität). Symptomatik. Inkubationszeit 10–14 Tage, anschlie-
ßend Prodromi (Fieber, Rhinitis, Konjunktivitis, Husten) und schließlich Beginn des Exanthems, das nach einer knappen Woche spontan abklingt. Das Exanthem besteht aus schnell konfluierenden makulopapulösen Erythemen, die im Gesicht beginnen und sich rasch auf Rumpf und schließlich Extremitäten ausbreiten. Häufig milde Purpurakomponente. In der Mundhöhle finden sich (ab 1–2 Tagen vor Ausbruch des Exanthems) die diagnostisch wichtigen Koplik-Flecken (multiple, hellrote, stecknadelkopfgroße Flecke mit weißlichem Zentrum, v. a. an der Wangenschleimhaut gegenüber dem 2. Molaren). Gleichzeitig kommen auch die Systemzeichen zum Höhepunkt. Anschließend schnelle Rückbildung des Exanthems in der Reihenfolge des Auftretens und Abschuppung. Differenzialdiagnose. Röteln, morbilliforme Arznei-
mittelexantheme.
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Diagnostik. Labor: Leukopenie, Nachweis von Anti-
körpern (neutralisierende, hämagglutinierende und komplementbindende; Routine-KBR, ELISA etc.).
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Komplikationen. Eine Sonderform mit schwerer Purpura und Systemtoxizität (hohe Mortalität!) sind die hämorrhagischen Masern (»schwarze Masern«). Die gefürchtete Masernenzephalitis (etwa 1/1000) führt in ca. 10% zum Tod, in 40% zu bleibenden Hirnschäden. Weitere Komplikationen sind die primäre MasernRiesenzellpneumonie, thrombozytopenische Purpura und sekundäre bakterielle Infekte (Folge einer bei Masern charakteristischen passageren Immundefizienz: bakterielle Pneumonien, Otitis media, ReaktivationsTuberkulose etc.).
sicht beginnen und sich schnell auf Rumpf und Extremitäten ausbreiten. Charakteristisch ist eine generalisierte Lymphknotenschwellung mit Betonung der subokzipitalen, retroaurikulären und zervikalen Lymphknoten. Das Exanthem heilt in der Regel nach ca. 3 Tagen ab. Begleitsymptome: Splenomegalie, Arthralgien (besonders bei erwachsenen Frauen). Infektiosität bis 1 Woche nach Auftreten des Exanthems. Diagnostik. Labor: Mäßige Leukopenie, Thrombozy-
topenie, Nachweis von Antikörpern (neutralisierende, komplementfixierende und hämagglutinierende). Von besonderer Bedeutung ist der serologische Nachweis bei Schwangeren: IgM-Antikörper sprechen für Infektion.
Therapie. Symptomatisch, Vitamin A, Therapie bakterieller Begleitinfektionen.
Komplikationen. Enzephalitis und thrombozytopeni-
Prävention. Attenuierte Lebendvakzine (nach dem 15. Lebensmonat). Nicht indiziert bei Schwangeren und Immundefizienz (asymptomatische HIV-infizierte Kinder sollten jedoch geimpft werden!). Nach Masernimpfung mit Tot-Impfstoff werden oft atypische milde Verläufe beobachtet.
Prognose. Grundsätzlich gut. Die Rubeolenvakzination wird weniger wegen der Krankheit selbst als zur Verhütung der Rubeolenembryopathie durchgeführt.
Prognose. Die Mortalität ist bei älteren Säuglingen (ca.
1/30 000) und Immundefizienz am höchsten. Ein Ausrottungsprogramm der WHO ist im Gange. Röteln (Rubeolen; Rubella, »German measles«) Erreger ist ein Togavirus (RNA-Virus), es existiert nur ein Serotyp. Der Mensch ist das einzige Reservoir. Das Virus tritt durch den Nasopharynx ein, gelangt in die regionären Lymphknoten und wird hämatogen disseminiert. Epidemiologie. Rubeolen kommen weltweit vor, vor-
wiegend bei Kindern, aber auch jungen Erwachsenen. Periodische Epidemien mit etwa 5-jährigen Abständen. Übertragung durch Tröpfcheninfektion, Kontagiosität bei nichtimmunen Personen 50%. Säuglinge unter 4 Monaten sind durch maternale Antikörper geschützt. Eine wichtige Infektionsquelle sind Ausscheider (Kinder nach Rötelnembryopathie). Lebenslange Immunität.
sche Purpura; beides selten und milder als bei Masern.
Rötelnembryopathie
Bei Infektion der Mutter während des ersten Trimenons (insbesondere des ersten Schwangerschaftsmonats) kommt es in 60% zu ausgedehnten Missbildungen der Frucht, u. a. an Herz (z. B. offener Ductus Botalli), Augen (z. B. Katarakte) und ZNS (z. B. Taubheit, geistige Retardation) und Knochen. Säuglinge mit Rötelnembryopathie scheiden über Monate aktives Virus aus. Differenzialdiagnose: Masern, andere Virusexantheme, rubeoliforme Arzneimittelexantheme. Prävention der Röteln. Attenuierte Lebendvakzine,
Verabreichung nach dem 15. Lebensmonat. Nicht indiziert bei Schwangeren (!) und Immundefizienten. ! Das Rubeolenexanthem ist morphologisch relativ wenig charakteristisch; Exantheme verschiedener Art werden daher oft als »rubeoliform« bezeichnet. Rubeoliforme Virusexantheme finden sich z. B. bei Infektionen mit Coxsackie- und ECHO-, Epstein-Barr-Virus und HIV (akute HIV-Infektion). Rubeoliforme Medikamentenexantheme unterscheiden sich durch das Fehlen von Prodromi, katarrhalischen Erscheinungen und Lymphadenopathie.
Symptomatik. Ähnlich den Masern, Verlauf jedoch
kürzer und milder. Inkubationszeit 2–3 Wochen, anschließend Prodromi (Fieber, Kopfschmerzen, Konjunktivitis, Rhinitis, Husten; bei Erwachsenen stärker als bei Kindern!). Das Exanthem besteht aus diskreten, hellroten, kaum konfluierenden Erythemen, die im Ge-
Erythema infectiosum (Ringelröteln) Erreger. Parvovirus B19, ein »nacktes« DNA-Virus. Das Virus wird über den Respirationstrakt aufgenommen und hämatogen disseminiert. Es infiziert Erythroblasten im Knochenmark und kann diese zerstören.
161 4.3 · Virusinfektionen der Haut
Epidemiologie. Weltweit verbreitet, hauptsächlich
betroffen sind Kinder (5–14 Jahre), selten jüngere Erwachsene. Epidemisches Auftreten (Frühjahr); das Virus ist mittelmäßig kontagiös. In Zentraleuropa sind ca. 60% der Erwachsenen seropositiv. Ansteckung durch Tröpfcheninfektion, auch über Blutprodukte, diaplazentare Übertragung ist möglich. Infektiosität nur in der Prodromalzeit (mit Einsetzen des Exanthems verschwindet das Virus aus Nasensekret und Blut). Symptomatik. Inkubationszeit 4–14 Tage. Prodromi:
Fieber, Arthralgien. Bei Kindern stellt sich das typische Exanthem aus dunkelroten Knötchen an den Wangen ein, die schnell zu einer wohl abgegrenzten plattenartigen Rötung konfluieren (»Ohrfeigengesicht«). Anschließend tritt ein papulourtikarielles Exanthem mit bizarren streifenförmigen und kringeligen Figuren an Oberarmen und Oberschenkeln auf und breitet sich über den Rumpf aus (. Abb. 4.17). Nach 1–3 Wochen wellenhafter Aktivität spontanes Abklingen. Bei Erwachsenen (Frauen!) verläuft die Infektion schwerer, meist mit nur uncharakteristischen Exanthemen und Polyarthralgien.
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Infektion zu schwerer Anämie, Herzversagen, Hydrops fetalis und Abort (Fruchttod in ca. 5%). Exanthema subitum (Roseola infantum) Epidemiologie. Weltweit verbreitet, relativ häufig bei Säuglingen im 2. Lebenshalbjahr. Kontagiosität eher gering (familiäre Häufung selten, keine Epidemien), saisonale Häufung in Frühjahr und Herbst. Bis zu 80% der Bevölkerung sind seropositiv. Pathogenese. Erreger sind Humane Herpesviren 6 und 7. Die Viren sind lymphotrop und befallen sowohl B- als auch T-Zellen. Sie verbleiben hier latent, können aber bei Immundefizienz reaktiviert werden und eine Pneumonie verursachen. Symptomatik. Nach einer Inkubationszeit von etwa
2 Wochen stellt sich hohes (40°C), 3–5 Tage andauerndes Fieber ein, das plötzlich mit dem Eintritt des Exanthems abflaut. Letzteres besteht aus kleinen, nicht konfluierenden Erythemen (Rumpf). Das Exanthem besteht 1–2 Tage und verschwindet dann spontan ohne Abschuppung. Subokzipitale Lymphknotenvergrößerung. Komplikation: Krampfanfälle.
Diagnostik. Labor: Gelegentlich milde Leukopenie,
Diagnostik. Labor: Leukopenie.
Retikulozytopenie, Anämie. Virusnachweis (DNA-Hybridisation, PCR), Serologie (RIA, ELISA – IgM-Antikörper).
4.3.2 Hautmanifestationen
von Enterovirus-Infektionen
Komplikationen. Bei chronischer hämolytischer Anä-
mie ist die Parvovirus-B19-Infektion die häufigste Ursache aplastischer Krisen (Zerstörung der Erythrozyten-Vorstufen). Bei Immundefizienten (z. B. AIDS) kann sie zur chronischen Anämie führen, bei fötaler
Enteroviren sind RNA-Viren aus der Gruppe der Picornaviren. Sie umfassen: 4 Polioviren (1–3) 4 Coxsackieviren A (1–24) und B (1–6) 4 ECHO-Viren (1–34) 4 einige neuere Virusarten Der Mensch ist der einzige natürliche Wirt. Coxsackieund ECHO-Viren verursachen eine Vielzahl von Infektionen des ZNS (führende Ursache der aseptischen Meningitis!) und innerer Organe. Sie enden in der Regel mit vollständiger Wiederherstellung; lediglich die generalisierte Erkrankung des Neugeborenen und die Myoperikarditis haben eine hohe Mortalität. Auch die Prognose der Hautinfektionen durch Enteroviren ist gut.
. Abb. 4.17. Ringelröteln. Charakteristische netzartige Figur, durch zentrale Abblassung makulo-urtikarieller Effloreszenzen entstanden
Hand-Fuß-Mund-Krankheit (»Hand-foot-mouth-disease«) Epidemiologie. Weltweit verbreitet, hauptsächlich bei Kindern <10 Jahren. Übertragung durch Abwässer, gelegentlich als Aerosol. Hohe Kontagiosität, epidemisches Auftreten in der warmen Jahreszeit.
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Pathogenese. Erreger sind Coxsackieviren A16, seltener A5, 7, 9, B2 und 5. Die Viren dringen durch den Gastrointestinaltrakt ein (Mundschleimhaut, Ileum), erreichen über die Lymphknoten die Blutbahn (Virämie nach 3 Tagen) und besiedeln die Haut.
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Symptomatik. Inkubationszeit 3–6 Tage. Prodromi (Fieber, Bauchschmerzen) sind kurz (1 Tag). Das Exanthem beginnt mit schütteren kleinen Erythemen an Zunge, hartem Gaumen und Wangenschleimhaut (5–10), die sich in kurzlebige Bläschen und dann in seichte, schmierig belegte Ulzera mit erythematösem Halo umwandeln. Sie sind sehr schmerzhaft (Essen!). Kurz darauf entstehen analoge, meist zahlreiche Läsionen an den Akren (vorwiegend Dorsalseiten): erythematöse Papeln, Vesikel und Krusten, zusätzlich oft makulopapulöse Läsionen an den Hinterbacken. Systemzeichen sind meist milde (Fieber, Durchfall, Arthralgien) oder fehlen. Spontanheilung nach 1 Woche. Diagnostik. Kultur, Elektronenmikroskopie. Antikör-
per sind nur in der akuten Phase nachweisbar und verschwinden schon in der Rekonvaleszenz. Histologie: Vakuolisierende Degeneration der Epidermis, intraepidermale Blasenbildung, spärlich eosinophile Einschlusskörperchen. Differenzialdiagnose. Chronisch-rezidivierende Aphthen, Herpangina, Gingivostomatitis herpetica, Erythema multiforme.
Herpangina Erreger sind Coxsackie-Virus A1-10,16, 22, selten auch B1-5 und ECHO-Viren.
Symptomatik. Inkubationszeit ca. 4 Tage. Aus voller Gesundheit tritt hohes Fieber (>40°C) über mehrere Tage auf, begleitet von Kopf-, Nacken-, Gelenk- und Bauchschmerzen, Erbrechen, manchmal Krämpfen. Gleichzeitig entstehen multiple kleine grauweiße, papulovesikulöse Läsionen am weichen Gaumen und den Tonsillennischen (umgeben ringartig den Schlund), die sich in oberflächliche, schmierig belegte schmerzhafte Ulzera umwandeln. Diffuse Rachenrötung. Spontanheilung nach ca. 1 Woche. Diagnostik. Labor: Milde Leukozytose, selten Throm-
bozytopenie. Differenzialdiagnose Hand-Fuß-Mundkrankheit. Virusexantheme durch Coxsackieund ECHO-Viren Die genannten Viren rufen nicht selten auch grippeähnliche Krankheitsbilder hervor, die mit rubeoliformen Exanthemen assoziiert sind. 4.3.3 Infektionen mit Pockenviren Die Familie der Poxviridiae umfasst zahlreiche weitverbreitete, meist tierpathogene DNA-Viren (. Tab. 4.2). Poxviren sind die größten und komplexesten Viren und werden im Zytoplasma repliziert. Erreger der Pocken und von Tierpocken sind die Orthopoxviren. Neben diesen kann der Mensch von manchen Parapoxviren und dem Molluscipoxvirus (s. u.) infiziert werden. C A V E
Epidemiologie. Weltweites Vorkommen, hauptsächlich bei Kindern, gehäuft im Sommer. Erreger hoch kontagiös, Ausscheidung im Stuhl noch Wochen nach Abklingen der Infektion. Dauernde Immunität gegen den ursächlichen Virustyp.
Die nach 1980 geborene Bevölkerung profitiert nicht mehr vom überlappenden Schutz der Pockenschutzimpfung gegen andere Orthopoxviren, daher werden diese wieder vermehrt auf den Menschen übertragen.
. Tab. 4.2. Ausgewählte Pockenviren Genus
Spezies
Reservoir
Krankheiten
Orthopoxviren
Poxvirus variolae Vakziniavirus Kuhpockenvirus Affenpockenvirus
ausgerottet kein Tierreservoir Rinder, Nager Affen, Nager
Variola vera Impfkomplikationen Kuh/Katzenpocken Affenpocken
Parapoxviren
Orfvirus Pseudokuhpockenvirus
Ziegen, Schafe Rinder
Orf Melkerknoten
Molluscipoxviren
Molluscum contagiosum-Virus
–
Molluscum contagiosum
163 4.3 · Virusinfektionen der Haut
Pocken (Variola vera) Erreger ist Poxvirus variolae, ein quader- oder maulbeerförmiges hüllentragendes DNA-Virus. Es hat kein Tierreservoir. 3Geschichtliches: Pocken stellten noch in den 1960er Jahren eine weltweit verbreitete, epidemische Infektionskrankheit mit hoher Mortalität (25%) und einem Spektrum klinischer Unterformen dar (z. B. Variola minor und major). Die Infektion erfolgte durch infektiöse Aerosole oder direkten Kontakt. Nach einer groß angelegten Impfkampagne der WHO wurde Variola am 9. Dezember 1979 (als bislang einzige Infektionskrankheit!) für ausgerottet erklärt und die Impfpflicht aufgehoben. Heute muss jedoch das Szenario einer bioterroristischen Freisetzung in Erwägung gezogen werden; als Konsequenz wurden nationale Pockenalarmpläne erstellt.
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Tierpocken Infektionskrankheiten, die als Zoonose auf den Menschen übertragen werden können. Erreger sind Orthopoxviren, die morphologisch identisch mit dem Pockenvirus sind. Kuh/Katzenpocken. Weit verbreitete Infektionskrankheit der Rinder (vesikulöse Läsionen am Euter), die nur fakultativ auf den Menschen übergreift. Die Übertragung auf den Mensch erfolgt heute vorwiegend über Katzen und Nager. Klinisch: vesikulopustulöse Läsionen v. a. an Händen und im Gesicht, mit Fieber und Lymphadenitis. Spontanheilung nach mehrwöchigem Verlauf. Bei Immunschwäche generalisierte Dissemination möglich.
Symptomatik. Eine mit schwersten Systemmanifes-
tationen (Fieber, ZNS-Symptome, Pneumonie) einhergehende Krankheit, bei der sich nach einer Inkubationszeit von 1–2 Wochen ein generalisiertes makulopapulöses, später pustulöses konfluierendes Exanthem einstellte (Prädilektion: Rumpf). Im Gegensatz zu z. B. Varizellen waren diese Blasen alle im selben Entwicklungsstadium und genabelt. Abheilung mit Narben. Diagnostik, Differenzialdiagnose. Schwer verlaufen-
de Varizellen (z. B. bei Immundefizienz). In solchen Fällen müssen die Pocken immer noch durch geeignete Tests ausgeschlossen werden: 4 Zytologie aus dem Bläschen-Abstrich: eosinophile so genannte Guarnierische Einschlusskörperchen 4 Elektronenmikroskopie: typische Quaderviren; die Unterscheidung von anderen Orthopoxviren ist allerdings nicht möglich 4 PCR und Sequenzierung 4 kultureller Nachweis
Affenpocken. Eine »neue« Krankheit mit Ähnlichkeit zu »milden« Pocken; Mortalität um 10%. Sie wurden erstmals ca. 1970 in den Regenwaldgebieten Afrikas beobachtet, 2003 erster Ausbruch in der »westlichen« Welt (USA).
Infektionen durch weitere Poxviren Melkerknoten
Eine weltweit verbreitete Virusinfektion der Rinder (chronisch-rezidivierende papulokrustöse Läsionen v. a. an den Eutern), die auf den Menschen durch direkten Kontakt (Melker, Schlachthausarbeiter) oder indirekt übertragen werden kann. Klinisch: Ein oder einzelne kaum schmerzhafte, flache, entzündliche Knoten, meist an den Händen, die im Zentrum exulzerieren und krustig werden (. Abb. 4.18). Abheilung nach ca. 1 Monat, lebenslange Immunität. Allgemeinerscheinungen und regionale Lymphadenitis fehlen fast immer. Orf (Ecthyma contagiosum)
Pockenschutzimpfung
Der Lebendimpfstoff ist ein attenuierten Kuhpockenvirus (Vakziniavirus). Die Impfung erfolgte an Kleinkindern durch Aufbringen des Impfstoffs in oberflächliche Hautschnitte; hier entwickelten sich Pusteln, die verkrusteten und abgestoßen wurden. Komplikationen umfassten: Nekrose, Satellitenpusteln, Autoinokulation an andere Körperstellen oder Infektion nicht geimpfter Personen. Eine schwere Komplikation war die Superinfektion einer bestehenden Neurodermitis (bei dieser war die Pockenschutzimpfung kontraindiziert) – Eczema vaccinatum: eine hochfieberhafte Krankheit mit generalisierter Aussaat von Vakzinialäsionen und Gefahr der Vakziniaenzephalitis! Das Vakziniavirus wird heute als potenzieller Vektor für Gentherapie eingesetzt.
Eine Virusinfektion von Schafen, weltweit verbreitet und relativ häufig (squamokrustös-ulzeröse Läsionen um das Maul). Die Übertragung auf den Menschen
. Abb. 4.18. Melkerknoten. Ein derber hämorrhagischer, zentral exulzerierter Knoten
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
erfolgt direkt oder indirekt. Klinisch ähnlich dem Melkerknoten, oft entzündlicher und durch unregelmäßig knotigen Aufbau tumorähnlich. Gelegentlich Auslöser eines Erythema exsudativum multiforme. Histologie: Ausgeprägte pseudoepitheliomatöse Hyperplasie. Differenzialdiagnose: Plattenepithelkarzinom, Granuloma pyogenicum.
Histologie: Eine epidermale Zyste, die Keratinozyten der Zystenwand sind von den so genannten Molluskumkörperchen erfüllt (intrazytoplasmatische große Viruspartikel). Diese treten in mittleren Lagen des Zystenepithels auf, reifen, werden in das Zystenzentrum abgestoßen und bilden dort den Molluskumbrei. Therapie. Exprimieren oder Exkochleation. Alterna-
Molluscum contagiosum (Dellwarzen) Epidemiologie. Eine weltweit verbreitete, häufige hu-
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manspezifische Infektion der Haut. Sie tritt hauptsächlich bei Kindern auf, öfter bei Knaben; Übertragung durch Schmierinfektion. Ein zweiter Inzidenzgipfel liegt im jungen Erwachsenenalter (Übertragung durch Sexualkontakte; oft bei Homosexuellen). Bei Neurodermitis und Immundefizienz (HIV-Infektion) kommt exzessiver Befall vor. Symptomatik. Es finden sich kleine, weiche, hautfar-
bene Papeln, die langsam bis zu mehreren Millimeter Größe anwachsen (. Abb. 4.19a, b). Die Läsionen sind durchscheinend-zystisch, besitzen eine glänzende Oberfläche und einen zentralen Krater (Porus). Bei Quetschen kann aus diesem ein weißlicher talgartiger Brei exprimiert werden (Molluskumbrei). Die Zahl der Läsionen reicht von einzelnen bis zu Hunderten, sie können den gesamten Körper und (selten!) auch die Schleimhäute einnehmen. Prädilektionsstellen: Gesicht (Augenlider!), Rumpf, große Beugen, Genitalien, Analfalte (hier bleiben oft einzelne Molluska unbemerkt, von denen Rezidive ausgehen können). Komplikationen: Ekzematisation, pyogene Superinfektion.
b
a . Abb. 4.19a, b. Mollusca contagiosa. a Kugelige, wächsern transluzente Läsionen mit zentralem Porus. b Im Porus erkennt man den exprimierbaren »Molluscum-Brei«
tiven: Imiquimod, Cidofovir. Molluska sind selbstlimitiert (Dauer meist mehrere Monate), doch sind Rezidive häufig (Autoinokulation). 4.3.4 Infektionen durch humane
Papillomviren (HPV) Viruswarzen sind sehr häufige, in verschiedenen klinischen Formen auftretende, durch HPV verursachte infektiöse Papillome. Es sind weit mehr als 100 HPV-Typen bekannt. Man unterscheidet HPV mit Tropismus zur äußeren (verhornenden) Haut und solche mit Tropismus zur »Schleimhaut« (nichtverhornendes Plattenepithel); zudem – je nach dem onkogenen Potenzial – »Low-risk«- und »High-risk«-Typen. Die HPV-Infektion ist weit überwiegend von benignem, selbstlimitiertem Charakter, andererseits ist der Prototyp HPV-16 ein Modellbeispiel der viralen Onkogenese (Schlüsselrolle bei der Entstehung anogenitaler Karzinome, s. u.). Erreger. HPV sind Vertreter der Familie Papovaviridae
(Akronym für Papilloma-, Polyomaviren und Simian Virus 40). Papillomviren sind streng speziesspezifische Erreger, die bei Tieren zu Papillomen mit starker Tendenz zur Entartung führen (z. B. Fibropapillome bei Rindern durch bovine PV). HPV sind hüllenlose runde DNA-Viren mit Tropismus für Plattenepithelien. Ihr Core besteht aus einer ringförmigen doppelsträngigen Virus-DNA, die für die zur Synthese nötigen genregulierenden »early«-Proteine (E1–E7) und die 2 »late«Strukturproteine des Kapsids (L1, L2) kodiert. Die Virus-DNA liegt in Plasmidform vor, bei High-risk-HPV kann sie in das Wirtsgenom inkorporiert werden. HPV können nicht in Zellkulturen propagiert werden. Systematik Die vielfältigen Erscheinungsformen der Viruswarzen sind Ausdruck von spezifischen Eigenschaften der ursächlichen HPV-Typen (. Tab. 4.3). Die Typisierung erfolgt mit molekularbiologischen Methoden. Die meisten bekannten HPV-Typen sind sequenziert. Unterschiedliche Virustypen weisen in ausgewählten Abschnitten <90% Sequenzhomologie auf, Subtypen sind zwischen 90% und 98% homolog. Ein Stammbaum,
165 4.3 · Virusinfektionen der Haut
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. Tab. 4.3. Charakteristische Erreger bei klinischen Warzentypen Warzentypen
HPV-Typ (Haupterreger)
Verrucae plantares
1, 2, 4
Verrucae vulgares
1, 2, 3, 4
Fleischhauerwarzen
7
Verrucae planae juveniles
3, 10
Epidermodysplasia verruciformis
5, 8 (intermediate risk) + diverse der E. v. Gruppe
Condylomata acuminata, Larynxpapillome
6, 11
Condylomata plana
6, 11 (low risk) 16, 18, 31 (high risk)
Bowenoide Papulose
16
Morbus Heck
13, 32
entwickelt nach den Charakteristiken der molekularen Evolution, zeigt eine klare Organisation der HPV in Gruppen, die gut (wenn auch nicht gänzlich) mit den Eigenschaften der einzelnen HPV-Typen korreliert (. Abb. 4.20). Für die Routine sind Hybridisierungsverfahren ausreichend (s. weiterführende Lehrbücher). HPV-Typen mit besonderen Eigenschaften HPV-16, -18 und andere sind High-risk-SchleimhautHPV, die die meisten genitoanalen Karzinome (Zervixkarzinom!) sowie 50% der HNO-Malignome verursachen. Onkogene Frühproteine dieser Typen immortalisieren Zellen durch Interferenz mit zellulären Kontrollmechanismen (E6 inaktiviert das Tumorsuppressorprotein p53, E7 das Retinoblastomprotein). Dadurch ist in infizierten Zellen das Selbstmordprogramm (Apoptose) für geschädigte Zellen gestört (Tumorinitiation). Die mehrstufige Krebsentwicklung (Transformierung) erfolgt durch nicht klar definierte Tumorpromotoren. HPV einer zweiten Untergruppe, die von Patienten mit Epidermodysplasia verruciformis (s. u.) isoliert wurden, sind mit Plattenepithelkarzinomen der verhornenden Körperhaut assoziiert – HPV-5, -8 und viele andere. Diese HPV besiedeln klinisch stumm die Haut (z. B. Haarfollikel) von Personen mit normaler Immunlage und sind in aktinischen Keratosen vermehrt nachweisbar. Karzinome entstehen nur bei Vorhandensein genetischer oder erworbener Immundefekte (höheres Alter, Transplantierte!). UV-Licht ist der führende karzinogene Faktor – im Gegensatz zu den Schleimhautkarzinomen läuft die Karzinognese in lichtexponierter
. Abb. 4.20. Stammbaum der humanen Papillomviren. EV: Epidermodysplasia verruciformis; LR: low risk; HR: high risk
Haut, nach wahrscheinlicher Initation durch HPV, später unabhängig von HPV ab. HPV-7 ist möglicherweise animalen Ursprungs und ruft vorwiegend bei Fleischern sehr hartnäckige Verrucae vulgares der Hände hervor. Epidemiologie Viruswarzen sind weltweit verbreitet und gehören zu den häufigsten Virusinfektionen. Inzidenzgipfel: 2. Lebensjahrzehnt. Die Inkubationszeit beträgt mehrere Wochen bis Monate (oder Jahre). Die Übertragung erfolgt meist durch direkten Kontakt oder selten über unbelebte Vektoren (z. B. Inokulation von Viren aus am Boden liegenden Hornschüppchen), bei genitalen Viruswarzen vorwiegend sexuell – anogenitale Warzen gelten als häufigste »sexually transmitted infection«. Bei Kindern weisen sie auf Missbrauch hin, sind aber am äußeren Genitale kein Beweis dafür (Schmierinfektion möglich). Übertragung beim Geburtsakt ist selten (mütterliche Antikörper?); Gefahr hartnäckiger Larynxpapillome.
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Biologie der HPV-Infektion HPV gelangen durch kleine Verletzungen zu den Basalzellen und infizieren diese (spezifischer Rezeptor?). Die Virusreplikation erfolgt suprabasal: mit fortschreitender Differenzierung der Keratinozyten schreitet auch die Expression viraler Gene fort, es kommt zur Synthese viraler Strukturproteine und schließlich reifer Viruspartikel im Str. granulosum und Str. corneum. Hier sind virale Einschlusskörperchen bzw. Virus-DNA auch histologisch erkennbar. Schließlich werden die Viruspartikel mit den Hornzellen in die Umgebung abgeschilfert. HPV-Replikation ist mit epidermaler Hyperplasie gekoppelt (s. u.). Zwei wichtige Eigenschaften von Viruswarzen sind Spontanregression und Viruspersistenz. Spontanregression. Diese kann nach sehr verschieden
langer Zeit (Wochen bis Jahre) erfolgen und ist Resultat einer zellulären Immunreaktion. Sie kann sehr schnell und an allen bestehenden Warzen gleichzeitig ablaufen – ein seit altersher bekanntes und häufig als psychogen interpretiertes Phänomen (worauf die auch heute noch manchmal geübte »Suggestivtherapie« der Viruswarzen beruht). Die Spontanheilung ist meist mit bleibender Immunität verknüpft. Bei schlechter Abwehrlage oder besonderer Disposition (etwa 10% der Schulkinder) kommt es zu multiplen bis weit ausgebreiteten Warzen, bei denen die Regression erst nach Jahren eintritt. Den Extremfall in diesem Spektrum, nämlich das völlige Ausbleiben von Spontanregression, stellen die Epidermodysplasia verruciformis und ausgedehnte Viruswarzen bei Immundefizienz (z. B. Transplantierten) dar. Subklinische Infektion, Viruspersistenz bzw. -latenz.
Die HPV-Infektion verläuft meist (>80%) klinisch stumm und kann wahrscheinlich auch nach Spontanremission bzw. erfolgreicher Therapie latent bestehen bleiben (und manchmal nach bis Jahrzehnten zum Rezidiv führen). Man kann im Umkreis von 1–2 cm einer Viruswarze in scheinbar unbefallener Haut HPV-DNA nachweisen (eine der Ursachen der hohen Rezidivrate nach Therapie!). Durch Applikation von 3% Essigsäure kann man bei Schleimhautwarzen die subklinische Infektion sichtbar machen (Weißverfärbung). Viruswarzen vom Hauttyp Verrucae vulgares Diese sind der häufigste Typ. Sie kommen vorwiegend an den Dorsalseiten der Finger und Handrücken vor: hautfarbene, hyperkeratotische halbkugelige oder flache Knoten mit charakteristischer papillärer, rauer Oberfläche (. Abb. 4.21). Gelegentlich werden Warzen auch
. Abb. 4.21. Verrucae vulgares. Beachte den für Viruswarzen typischen »papillären« Aufbau
riesenhaft, oder durch zentrale Regression siegelringartig. Ursprünglich einzeln stehend, können sie zu größeren plattenartigen Konvoluten konfluieren. Ein Problem sind die perionychialen Warzen: die Warze selbst oder deren Behandlung kann zur Schädigung der Nagelmatrix und damit zur Onychodystrophie führen. Differenzialdiagnose: Seborrhoische Warzen, aktinische Keratosen, Keratoakanthom u. a. Verrucae plantares Diese können als einzeln stehende, endophytische und tiefe Läsionen (Myrmezien) oder oberflächlich und zu Beeten aggregiert auftreten (Mosaikwarzen) (. Abb. 4.22). Plantarwarzen wachsen wegen des beständigen Drucks nicht exophytisch, sondern werden in die Dermis eingedrückt (schmerzhaft!) und wachsen »umgestülpt«. Sie sind als knotige Verdickungen zwar tastbar, häufig sieht man jedoch nur einen zentralen Porus (Umstülpungsstelle). Differenzialdiagnose: punktiertes palmoplantares Keratoderm, Clavi.
. Abb. 4.22. Verrucae plantares. Rechte Ferse: Mosaikwarzen; linke Ferse: Myrmezien
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Verrucae planae juveniles Multiple, kaum tastbare, flach erhabene Läsionen. Sie heben sich von der umgebenden Haut meist nur durch ihre sattere Farbe und matte (papilläre!) Oberfläche ab. Prädilektion: Gesicht, Handrücken. Oft strichförmige Anordnung – Autoinokulation durch Kratzen! Sie treten eruptiv auf, bilden sich oft aber auch schnell zurück und sprechen gut auf Therapie an. Differenzialdiagnose: Epheliden, flache Verrucae seborrhoicae. Filiforme Warzen Dünne, zapfenartige Gebilde, hauptsächlich an Gesicht und Hals. Epidermodysplasia verruciformis (EV) Definition/Pathogenese. Eine exzessive generalisierte, jeglicher Therapie trotzende Verrukose, der ein spezifischer, mit MHC-II-assoziierter Immundefekt gegenüber HPV zugrunde liegt. Sie tritt familiär gehäuft auf, aber ohne definierbaren Vererbungsmodus (EV galt früher als Genodermatose). Symptomatik. Klinisch werden sämtliche Warzentypen gefunden, besonders charakteristisch sind jedoch plane Warzen an Gesicht und Rumpf (Läsionen von »seborrhoischem« bzw. Pityriasis versicolor-ähnlichem Aussehen) (. Abb. 4.23). Wichtig ist die sehr häufige Entstehung von Plattenepithelkarzinomen in den Läsionen (bis 30%) – fast stets an UV-exponierten Arealen. Patienten mit EV können zahlreiche verschiedene HPV-Typen tragen, bevorzugt solche der EV-Gruppe, in den Karzinomen finden sich jedoch fast stets nur HPV-Typ-5 und -8.
. Abb. 4.24. Condylomata acuminata. Die Kondylome werden durch Applikation von verdünnter Essigsäure weißlich verfärbt und dadurch leichter erkennbar (Essigsäureprobe)
Viruswarzen vom »Schleimhaut«-Typ Condylomata acuminata (Feigwarzen) Infektion mit den Low-risk-Typen (in 90% HPV-6 und -11), bevorzugt in feuchten und warmen Regionen: Genitoanalbereich, manchmal Intertrigostellen. Kondylome treten am häufigsten an mechanisch beanspruchten Stellen auf: Frenulum, inneres Präputialblatt und Sulcus coronarius beim Mann, hintere Kommissur und Labia minora bei der Frau; bei Frauen können jedoch die ganze Vagina und die Zervix besiedelt sein. Symptomatik. Hautfarbene bis rötliche multiple, wei-
che, warzige Gebilde, die sich relativ schnell vermehren und zu größeren papillomatösen Knoten oder plattenartigen Vegetationen anwachsen können (»Hahnenkamm«-, »Feigen«-ähnlich) (. Abb. 4.24). Sehr flache Kondylome werden als Condylomata plana bezeichnet; diese müssen histologisch von intraepithelialen Neoplasien abgegrenzt werden (s. u.). Kondylome nehmen oft einen hartnäckig rezidivierenden Verlauf, besonders problematisch sind sie in der Fossa navicularis oder im Analkanal. Anale Kondylome sind bei Frauen in 50% mit genitaler Aussaat assoziiert (Schmierinfektion), bei Männern jedoch häufig Folge homosexueller Aktivität. Differenzialdiagnose. Condylomata lata (breitbasig,
bräunlich, kein papillärer Aufbau). . Abb. 4.23. Verrucae planae vom »Pityriasis versicolor«-Typ bei Epidermodysplasia verruciformis
Komplikationen. Möglich sind bakterielle Superin-
fektion (Sekretstau), selten die Entwicklung von Fisteln (perforierende Condylomata acuminata). Bei langem Bestand können aus Kondylomen die seltenen Riesen-
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
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. Abb. 4.25. Buschke-Löwenstein-Tumor am Perineum einer Patientin; daneben zahlreiche, teils pigmentierte Condylomata acuminata
condylomata acuminata (Buschke-Löwenstein) (. Abb. 4.25) hervorgehen: ein wohldifferenziertes (und selten metastasierendes) verruköses Karzinom (7 Kap. 9), das bei Ausbreitung entlang der urogenitalen Epithelien bis in das kleine Becken schwerste Probleme verursachen kann. Es wird nicht durch High-riskHPV-Typen hervorgerufen! Larynxpapillome Diese werden fast ausschließlich durch HPV-6 oder -11 erregt und verursachen schwerwiegende chronischrezidivierende Atemwegsobstruktionen. Wegen ihrer Erregerspezifität und der Prädilektion von Kindern glaubt man, dass die Infektion beim Geburtsvorgang erfolgt (wegen der Seltenheit dieser Komplikation sind mütterliche Kondylome jedoch keine zwingende Indikation zur Sektio!). Larynxpapillome haben einen zweiten Inzidenzgipfel bei 40–60 Jahren; auch hier wird überwiegend HPV-6 nachgewiesen (Reaktivierung eines latenten Infekts?). Die Inzidenz maligner Transformation ist bei letzteren mit 20% relativ häufig. Juvenile Larynxpapillome entarten fast stets nur nach Röntgenbestrahlung. Mundschleimhautwarzen (fokale epitheliale Hyperplasie, Morbus Heck) Ein Krankheitsbild, dessen HPV-Ätiologie (HPV-13, -32) erst spät erkannt wurde: multiple hautfarbene bis weißliche Papeln der gesamten Mundschleimhaut (Lippen, Wangen, Zunge); gehäuft bei Indianern und Eskimos. Differenzialdiagnose: Schleimhautfibrome, Leukoplakien, »White Sponge«-Nävus.
Infektion mit High-risk-HPV Auch diese verläuft meist klinisch stumm oder, seltener, unter dem Bild der Condylomata plana (s. o. – kleine, flache, rötliche oder rötlichbraune Papeln, . Abb. 4.26). An der Vaginal- und Zervixschleimhaut können sie kolposkopisch, durch Nicht-Anfärbung mit der Jodprobe (enthalten kein Glykogen!) und durch die Essigsäureprobe sichtbar gemacht werden; an der verhornten Haut haben sie einen Lichen-ruber-ähnlichen Aspekt. Sie sind meist multipel, können in der gesamten Anogenitalregion vorkommen und heilen in der Regel (oft erst nach Monaten) spontan klinisch ab. Histologisch stellen sie intraepitheliale Neoplasien dar, also Karzinomvorläufer bzw. Karzinome in situ. Für derartige Läsionen an der Zervix wurde der Begriff zervikale intraepitheliale Neoplasie (CIN) eingeführt, für Läsionen an Vulva, Vagina, Anus und Penis analog die Kürzel VIN, VAIN, AIN, PIN. Nach dem Ausmaß der histologischen Atypien (Parameter: Kernatypien, atypische Mitosen, reichlich oder wenige Koilozyten – s. u., Einbezug oberflächlicher oder tieferer Epithelschichten) werden jeweils 3 Grade unterschieden (z. B. CIN I–III), die mit der zytologischen Diagnostik nach Papanicolaou (Grad I–V) korreliert werden können. Abstriche werden daher als Screening zur Früherkennung von Krebsvorläufern eingesetzt. Bei anhaltend suspekten zytologischen Befunden nach Papanicolaou mit Dysplasien (ab PAP IIID) wird nach Kolposkopie biopsiert; bei höhergradigem CIN (CIN III – Kernatypien in allen Epithelschichten, atypische Mitosen, kaum mehr Koilozyten – s. u.) müssen die Läsionen durch destruktive Maßnahmen (z. B. Koniotomie) eliminiert werden.
. Abb. 4.26. Condylomata plana. Multiple erythematöse Papeln mit kaum papillärer Oberfläche. Beachte: die narbige Veränderung des Frenulum präputii ist posttraumatisch (kein Zusammenhang mit HPV-Infektion)
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Entstehung von Karzinomen. In mehr als 90% invasiv
wachsender Zervixkarzinome kann High-risk-HPVDNA nachgewiesen werden. Grundsätzlich können aus allen durch High-risk-HPV erregten Läsionen Karzinome entstehen, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit unterschiedlich (z. B. vergleichsweise hoch für das Zervixkarzinom aus CIN). Das Risiko der Entartung ist mit der Persistenz von High-risk-HPV-DNA, und dadurch mit dem Grad von CIN assoziiert. Allerdings ist die maligne Transformation weder ein frühes Ereignis (die Inzidenzgipfel von Infektion und Zervixkarzinomen liegen 20–30 Jahre auseinander) noch auch sehr häufig: nur 5–10% der (nachgewiesen) Infizierten entwickeln innerhalb von 18 Monaten intraepitheliale Neoplasien, und auch diese heilen zu 70% in dieser Zeit spontan klinisch ab (anders ist die Situation im Falle einer gleichzeitigen Infektion mit HIV, bei der die intraepithelialen Neoplasien in dramatischer Weise zunehmen und zu Zervix- bzw. Analkarzinomen fortschreiten). Soweit heute bekannt ist, liegt bei Immunkompetenz die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Zervixkarzinoms nach Infektion mit High-risk-HPV bei <1%, die von Karzinomen der anderen Regionen niedriger. Die unvollkommene Datenlage hinsichtlich manifester und v. a. latenter Durchseuchung der Bevölkerung erlaubt keine bessere Präzisierung. Infektion der verhornenden Haut mit High-risk-HPV.
Multifokale Condylomata plana des äußeren männlichen oder weiblichen Genitales werden vom Dermatologen als bowenoide Papulose (heute PIN, VIN) bezeichnet. Diese Läsionen haben ein hohes Potenzial zur spontanen Rückbildung. Bei Persistenz entsteht aus ihnen die (meist als Einzelherd auftretende, nicht rückbildungsfähige) Erythroplasie, ein Carcinoma in situ, und schließlich das Penis- bzw. Vulvakarzinom. Ein analoger Prozess der extragenitalen Regionen ist der Morbus Bowen (häufig an den Fingern!). In allen diesen Läsionen kann in hohem Prozentsatz HPV-16DNA nachgewiesen werden. Histologie: Viruswarzen der verhornenden Haut zeigen Hyper- und Parakeratose, pseudoepitheliomatöse Hyperplasie, manchmal ausgeprägte Vakuolisierung im Str. spinosum, vermehrtes und typisch klumpiges Keratohyalin und (manchmal) eosinophile Einschlusskörperchen. (Alle) HPV-bedingten Läsionen sind durch so genannte Koilozyten charakterisiert (Epithelzellen mit zytopathogenem Effekt – große perinukleäre Vakuolen, oft Doppelkernigkeit; . Abb. 4.27). Höhergradige intraepitheliale Neoplasien der Schleimhaut zeigen Akanthose, gestörte Stratifizierung, Kernatypien sowie zahlreiche und atypische Mitosen, nicht
. Abb. 4.27. Koilozyten in Zervikalabstrich
aber die übrigen histologischen Merkmale von Viruswarzen (v. a. Koilozyten). Diagnostik und Therapie der Viruswarzen Viruswarzen sind fast stets leicht klinisch diagnostizierbar. Die intraepithelialen Neoplasien sind dies nicht (s. o.). Der Virusnachweis kann durch Elektronenmikroskopie, Immunzytochemie (Peroxidase-Markierung des viralen Kapsidantigens) und PCR erfolgen. Typendiagnostik: molekularbiologische Methoden (für die Routine genügt der »Hybrid Capture Assay«). Serologische Methoden sind nur für epidemiologische Fragestellungen bedeutsam, jedoch nicht für die Routine, da nur ca. 50% aller Infizierten Antikörper bilden. ! Über 90% aller intraepithelialen Neoplasien enthalten High-risk-HPV, der DNA-Nachweis bringt daher keine zusätzliche relevante Information. Die Indikation zur HPVDNA-Diagnostik beschränkt sich daher auf zervikale Zytologien nicht sicher beurteilbarer Dignität (Pap III) oder auf das Follow-Up nach Therapie von CIN: ein negativer Test hat einen hohen negativen Vorhersagewert – die Entwicklung behandlungsbedürftiger Dysplasien kann über einen längeren Zeitraum weitgehend ausgeschlossen werden.
Eine direkt antivirale Behandlung der Verrucae vulgares existiert nicht; alle verfügbaren Methoden sind im Prinzip destruktiv. Hauptproblem ist bei allen die Rezidivneigung. Die Erfahrungen sind sehr divergent – mit zumindest 25% Rezidiven innerhalb von 3 Monaten muss jedenfalls gerechnet werden. Da Viruswarzen (im Prinzip) benigne und selbstlimitiert sind, sollten nichtinvasive Techniken möglichst bevorzugt werden, um Narben zu vermeiden. Einfache solche Mittel für Verrucae vulgares sind: 4 keratolytische Salben bzw. Kollodien 4 bei Plantarwarzen auch der Hauthobel 4 etwas aggressiver: topisches 5-Fluorouracil oder Cantharidin
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Bleibt der Erfolg aus (ca. die Hälfte der Fälle), kann Imiquimod versucht (s. u.) oder operativ vorgegangen werden: 4 Exkochleation (die rezidivreichste Methode) 4 Kryotherapie (z. B. mit flüssigem Stickstoff: schmerzhaft) 4 Elektrokaustik 4 Vaporisierung mit dem CO2-Laser: unblutig, besonders für ausgedehnte Läsionen geeignet, Rezidivraten aber kaum besser als mit konventionellen Methoden C A V E
Die leider immer wieder durchgeführte Exzision ist ein untaugliches Mittel (Narbenbildung, Rezidive).
Condylomata acuminata sind eher noch rezidivfreudiger (Spontanheilungen nach Monaten kommen jedoch vor). Sie sprechen fast spezifisch auf Lokalapplikation des Zytostatikums Podophyllotoxin (5%) an; dieses kann (anders als das früher verwendete, stark irritierende Podophyllin) vom Patienten selbst appliziert werden. Bei Schwangeren kontraindiziert! Bei älteren, stärker verhornten Kondylomen kann die Verätzung mit z. B. Trichloressigsäure versucht werden (sehr aggressiv, dem Arzt vorbehalten!). Operative Methoden sind wieder der CO2-Laser und die elektrokaustische Abtragung (bei analen Kondylomen oft unvermeidbar) – bei letzterer besteht die Gefahr narbiger Strikturen (Introitus vaginae, Urethra, Analring). Ein wichtiger Fortschritt ist Imiquimod, ein topischer »Immune Response Modifier« (Anwendung durch den Patienten selbst). Es induziert Zytokine (z. B. Interferone), oft mit erheblicher entzündlicher Reaktion. Condylomata acuminata sowie intraepitheliale Neoplasien der Haut und Schleimhaut sprechen häufig sehr gut an. Auch das Virustatikum Cidofovir kann in schwierigen Fällen topisch bzw. intraläsional versucht werden. Partnermanagement bei genitalen Viruswarzen umfasst ein STI-Screening, bei Frauen ein Pap-Screening und nötigenfalls Therapie. Die Partnerbehandlung ist für den Patienten selbst nicht immer von Nutzen (Rezidive entstehen häufig durch Reaktivierung, nicht durch Reinfektion). Prävention Kondome reduzieren bei konsequentem Gebrauch das Risiko einer Infektion, schalten es aber nicht aus. Prophylaktische Vakzine gegen HPV-16,-18, -6, -11 sind seit 2006 erhältlich; sie können (nur) noch nicht infizierte Personen vor 90% der Low-risk- sowie vor 70% der High-risk-HPV-Typen schützen – regelmäßiges
Pap-Screening ist daher weiterhin erforderlich! Da die meisten Frauen schon nach Verkehr mit wenigen Partnern infiziert sind, ist eine systematische Durchimpfung der Mädchen z. B. im 12. Lebensjahr dringend zu empfehlen; aus epidemiologischen Gründen sollten auch die Knaben einbezogen werden. 4.3.5 Infektionen durch die Herpesvirus-
gruppe Die 8 humanpathogenen Herpesviren (HHV 1–8; . Tab. 4.4) sind weltweit verbreitete Erreger sehr unterschiedlicher und wichtiger Krankheiten. Sie sind obligat menschenpathogen (kein Tierreservoir!) und in Struktur und Morphologie weitgehend gleich: hüllentragende (daher gegen physikochemische Einwirkung sehr empfindliche) sphärische, doppelsträngige DNAViren von bis zu 200 nm Durchmesser, die im Kern repliziert werden. Sie besitzen eine – je nach Virus verschiedene – Affinität zu bestimmten Geweben: Epidermo-, Lympho- und Neurotropie. Hautmanifestationen nehmen bei vielen einen wichtigen Platz ein. Ein wesentliches Merkmal ist ihre Neigung zur Latenz, d. h. dem Verbleib der Virus-DNA (nahezu) ohne Proteinsynthese in bestimmten Geweben (Spinalganglien, B-Lymphozyten). Aus der latenten Phase können die Viren durch Trigger, u. a. Sinken der Immunlage, reaktiviert werden und zum Rezidiv führen. Bei Immundefizienz treten alle Herpesvirusinfektionen gehäuft auf und verlaufen auch schwerer. Epstein-Barr-Virus und HHV-8 sind mit Neoplasien assoziiert (Burkitt-Lymphom, nasopharyngeales Karzinom; Kaposi-Sarkom). Infektionen mit dem Herpes-simplex-Virus (HSV) Der Erreger HSV existiert in 2 Serotypen (HSV 1 und 2) bzw. als 2 eng verwandte Viren (HHV 1 und 2); sie unterscheiden sich molekular, serologisch, klinisch und epidemiologisch. HSV 2 ist der Erreger des Herpes (H.) genitalis, HSV 1 vorwiegend des H. labialis – diese lokalisatorischen Unterschiede sind heute jedoch verschwommen. HSV 2 ist etwas aggressiver als HSV 1 und stärker neurotrop. Epidemiologie/Pathogenese Infektionen mit HSV sind weltweit sehr häufig. Die Durchseuchung der Bevölkerung mit HSV 1 erreicht mit der Pubertät 80%, bei HSV 2 steigt sie ab der Pubertät an und erreicht im Erwachsenenalter 20%. Herpes genitalis ist eine »sexually transmitted infection« (in manchen Ländern die häufigste). HSV überlebt nur kurz außerhalb des Körpers und wird daher nur durch
4
171 4.3 · Virusinfektionen der Haut
. Tab. 4.4. Klassifikation der Infektionen durch humane Herpesviren (HHV) Primärinfektionen
Rezidivmanifestationen
latent in
Übertragung durch
Assoziation mit Neoplasien
HHV 1: Herpes simplex Virus 1 (HSV 1)
Gingivostomatitis herpetica
Rezidiv. Herpes simplex (labialis)
TrigeminusGanglion
Speichel
–
HHV 2: Herpes simplex Virus 2 (HSV 2)
z. B. Vulvovaginitis herpetica, diss. perinatale Infektion
Rezidiv. Herpes simplex (genitalis)
Dorsalganglien lumbal, sakral
Sexualkontakt, perinatal
–
HHV 3: Varizellazoster-Virus (VZV)
Varizellen
Herpes zoster
Dorsalganglien
Tröpfcheninfektion
–
HHV 5: ZytomegalieVirus (CMV)
Zytomegalie der Neugeborenen; Mononukleose bei jungen Erwachsenen
Asymptomatisches Virusshedding; schwere Systeminfektion bei Immundefizienten (Transplantierte, HIV-Infizierte)
Lymphozyten, Leukozyten, Hepatozyten
Diaplazentar, perinatal, Sekrete (genitale, Urin, Speichel), Bluttransfusion, Transplantation
–
HHV 6 und 7: Herpesvirus 6 und 7
Roseola infantum
Asymptomatisches Virusshedding, Penumonie bei Immundefizienten
B- und T-Lymphozyten
Speichel, Tröpfcheninfektion
–
HHV 4: Epstein-BarrVirus (EBV)
Infektiöse Mononukleose
0
B-Lymphozyten
Speichel, Tröpfcheninfektion, Sexualkontakt, Bluttransfusion
Burkitt-Lymphom, andere B-Zell-Lymphome, nasopharyngeales Karzinom
HHV 8: Herpesvirus 8
?
?
?
Sexualkontakt, Bluttransfusion
Kaposi-Sarkom
direkten Kontakt übertragen. Hauptvektor von HSV 1 ist der Speichel (Küssen!), von HSV 2 der Sexualkontakt. HSV kann die Hornschicht nur durch Eintrittspforten penetrieren (Inokulation – Biss! oder Läsionen – Ekzeme!). Die Primärinfektion tritt daher in der Regel an der leichter penetrierbaren Mund- oder Genitalschleimhaut auf. Wichtigste Infektionsquelle ist der chronisch-rezidivierende Herpes simplex (s. u.). Die Übertragung ist bei floriden Läsionen am wahrscheinlichsten, kann aber auch im Intervall durch asymptomatische Virusfreisetzung (»shedding«) erfolgen (epidemiologisch ist letztere zumindest gleich wichtig). ! Wegen des hohen Übertragungsrisikos darf medizinisches Personal mit aktivem oralen H. simplex nur mit 6
Maske, mit Inokulations-H. simplex an den Händen nicht an Stationen für Kleinkinder, Immundefiziente, Verbrennungen u. a. m. arbeiten. Bei chronisch-rezidivierendem H. genitalis sollte kein ungeschützter Verkehr erfolgen (mit noch nicht Infizierten! – frühere Partner sind in der Regel schon positiv).
HSV 2 kann nach Blasenruptur oder beim Geburtsvorgang durch Aszension auf das Neugeborene übergehen und zur bedrohlichen neonatalen Herpessepsis führen. Diaplazentare Übertragung wurde beschrieben, ist aber sehr selten (daher keine Missbildungen!). Stadienablauf der Infektion. Bei den durch HSV bedingten Erscheinungsbildern unterscheidet man zwischen Primärinfektion, reaktivierter Infektion und Reinfektion (. Abb. 4.28).
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
(UV-Licht – »Gletscherblasen«; Fieber – »Fieberblasen«; Menstruation, Senkung der Abwehrlage – Unfall-, Operationsschock; lokales Trauma – Geschlechtsverkehr, möglicherweise auch psychisch): HSV deszendieren – wieder entlang der sensiblen Nerven – in die Haut. Rezidive können als einmalige Episode oder wiederholt auftreten (chronisch-rezidivierender H. simplex), in seltenen Fällen enorm häufig. HSV 2 ist rezidivfreudiger als HSV 1.
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Reinfektion. Sie erfolgt durch Inokulation oder Kontamination von Hautdefekten (Inokulations-H.-simplex). Da schon eine (inkomplette) Immunität besteht, unterbleibt eine Besiedelung der Ganglien (keine Rezidive!).
Symptomatik
. Abb. 4.28. Infektionskette bei Herpes simplex
Primärinfektion. Der Erstkontakt mit HSV führt über-
wiegend (insbesondere bei Kindern <5 Jahren) zur subklinischen Infektion. Die manifeste Primärinfektion betrifft hauptsächlich die Mund- oder Genitalschleimhaut (s. u.). HSV treten über die Lymphwege in die Blutbahn (potenzielles Risiko einer disseminierten Infektion), gleichzeitig aszendieren sie über die sensiblen Hautnerven in die regionären Dorsalganglien (Trigeminusganglion bei HSV 1, Lumbal- und Sakralganglien bei HSV 2), wo sie zeitlebens latent liegen bleiben. Der Betroffene wird nun entweder zum asymptomatischen Virusträger, oder aber es kommt (bei etwa der Hälfte) zur Reaktivation. Die Primärinfektion führt zur typenspezifischen, partiellen Immunität; diese verhindert aber nicht die Reaktivation latenter HSV. 3Bei latenter Infektion liegt das Virusgenom extrachromosomal in stabiler Form vor, exprimiert nur begrenzt virale Gene, produziert keine Virusvorstufen und schädigt die Wirtszelle nicht: zur Virusvermehrung notwendige Gene sind ausgeschaltet, lediglich die so genannten »latency associated transcripts« werden kodiert.
Reaktivation. Der Wiederbeginn der Virussynthese
wird durch exogene oder endogene Trigger ausgelöst
Morphologie. Grundmorphe des H. simplex sind juckend-brennende, in Gruppen stehende Bläschen auf entzündlicher Haut. Die Bläschen trüben sich bald ein, verkrusten und trocknen ab. Bei Immundefizienz können sie sich in Nekrosen und Geschwüre umwandeln. Histologie: Intraepidermale Bläschen durch Spongiose, ballonierende Degeneration und Virusakantholyse. Charakteristisch sind Virusriesenzellen – akantholytische Keratinozyten mit riesigen Zellkernen (Nachweis: Tzanck-Test, 7 Kap. 2.3.2). Manchmal nukleäre Einschlusskörperchen. Manifestationen der Primärinfektion Herpetische Gingivostomatitis. Meist im Kindesalter,
die Ausprägung kann milde, aber auch sehr heftig sein. Nach einer Inkubationszeit von 3–10 Tagen entsteht eine diffuse Rötung der gesamten Mundschleimhaut und des Pharynx mit zahlreichen, sehr schmerzhaften Bläschen, die sich schnell in ausgedehnte schmierig belegte Erosionen umwandeln. (Hohes) Fieber, Lymphadenitis, erschwerte Nahrungsaufnahme. Spontanheilung nach ca. 2 Wochen. Differenzialdiagnose: Herpangina, Erythema multiforme, herpetiforme Aphthen. Herpetische Vulvovaginitis (. Abb. 4.29). Hauptsächlich bei jungen Frauen. Ein analoges Bild an Vulva, oft auch Vagina, Urethra und manchmal Zervix. Symptome: Dysurie, manchmal Hämaturie, Harnretention. Manchmal aseptische Meningitis, selten Radikulomyelitis. Differenzialdiagnose: Aphthen, Kontaktdermatitis, Lues II, Kandidiasis. Herpetische Balanoposthitis: Ein analoges Zustandsbild beim Mann, seltener und meist milder. Herpetische Proktitis. Ein analoges Bild in der Analregion (bis zur Kryptenlinie) nach genitoanalen Sexu-
173 4.3 · Virusinfektionen der Haut
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. Abb. 4.29. Vulvovaginitis herpetica. Massive Rötung und Schwellung der Vulva, eitriger Fluor, zahlreiche oberflächlich nekrotische Läsionen
. Abb. 4.30. Eczema herpeticatum. Zahlreiche konfluierende hämorrhagisch-nekrotische (wie seicht ausgestanzte, »ausgepunzte«) Erosionen an Gesicht und Hals. Die präexistente Neurodermitis ist hier schlecht erkennbar
alkontakten. Schmerzhaft, Tenesmen, Harnverhaltung, Allgemeinsymptome.
Infektion in allen Lokalisationen hervorgehen, unterscheidet sich von dieser aber durch: 4 meist geringere Ausdehnung, milderen Verlauf, schnellere Abheilung (5–8 Tage) 4 Prodromalerscheinungen 4 er tritt nicht streng am Ort der Primärinfektion auf, tendiert zum »Wandern« und bevorzugt HautSchleimhautgrenzen (Lippen)
Herpetische Keratokonjunktivitis. Eine meist einsei-
tige follikuläre Konjunktivitis mit Blepharitis, starkem Lidödem und Lymphadenitis. Die Kornea zeigt häufig Opazitäten und schmerzhafte Erosionen bzw. dendritische Ulzera. Diagnostik: Spaltlampe, Fluoreszeinfärbung. Die (meist komplette) Ausheilung erfolgt in ca. 2 Wochen. Rezidive sind häufig und führen durch progrediente Vernarbung zur Sehbehinderung (häufigste Form infektiös bedingter Blindheit in den entwickelten Ländern). Meist durch HSV 1. Herpetische Primärinfektion der Körperhaut. Diese ist bei gesunder Haut selten und verläuft milde. Hingegen werden Läsionen der Haut leichter besiedelt: traumatische Erosionen, Morbus Darier, v. a. jedoch Ekzeme. Ekzema herpeticatum (. Abb. 4.30). Eine H.-simplexSuperinfektion der atopischen Dermatitis, seltener anderer Ekzemtypen: ein hoch fieberhaftes, schweres Krankheitsbild. Der Grundkrankheit aufgepfropft finden sich multiple, disseminierte, häufig zu großen Beeten konfluierende Herpesbläschen, die zu multiplen, kleinen, runden, wie seicht ausgestanzt aussehenden Erosionen führen (diagnostisch!). Komplikation: Disseminierte H.-simplex-Infektion. Differenzialdiagnose: Impetiginisiertes Ekzem. Manifestation der reaktivierten Infektion: (Chronisch-) rezidivierender Herpes simplex
Dieser ist die häufigste Manifestation der H. simplexInfektion (Prävalenz ca. 20%). Er kann aus der primären
Die Rezidivhäufigkeit schwankt von einigen im Leben bis zu mehreren im Monat (Durchschnitt 3–4 Episoden/Jahr). Die Rezidive pflegen jahrelang wiederzukehren, werden dann seltener, milder (manchmal nur juckend-brennende Missempfindung) und bleiben schließlich ganz aus. ! H. genitalis ist eine wichtige Eintrittspforte für die HIV-Infektion.
Episoden eines rezidivierenden H. simplex kündigen sich einige Stunden vor Auftreten durch ein charakteristisch kitzelnd-juckendes Brennen an (Prodrom). Der typische Herd ist eine bis münzgroße (<1 cm2) entzündliche Schwellung mit gruppierten Bläschen von wasserklarem Inhalt. Im Laufe einiger Tage Eintrübung, Verkrustung und Abheilung (in schweren Fällen mit atrophen Narben). Bei stärkerer Entzündung begleitende Lymphadenitis. Prädilektionsstellen: Lippenrand, Gesicht (HSV 1), Genitale, Sakralgegend (HSV 2) (. Abb. 4.31). Differenzialdiagnose. Abortiver Herpes zoster, Pyodermien, Anguli infectiosi, Druck- und Scheuerstellen, chronisch rezidivierende Aphthen u. a.
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
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a
. Abb. 4.31. Herpes glutäalis. In Fällen wie diesem ist die Differenzialdiagnose zwischen Herpes simplex und abortivem Herpes zoster schwierig zu stellen. Das etwas unterschiedliche Alter der Einzelläsionen innerhalb einer Gruppe spricht für Herpes simplex
Manifestation der Reinfektion
Diese ist klinisch dem rezidivierenden H. simplex ähnlich. Reinfektions-H. simplex tritt typischerweise nach Bissen (Paronychie-ähnlich; medizinisches Personal!) oder nach Superinfektion von Substanzdefekten auf (Schürfwunden – »H. gladiatorum« bei Ringern; Verbrennungen). Herpesinfektion bei Immundefizienz
H. simplex ist eine wichtige Ursache der Morbidität und Mortalität von Patienten mit schwerer zellulärer (nicht humoraler!) Immundefizienz (AIDS, Lymphome, seltener nach Organtransplantationen, Steroidtherapie, Marasmus). Die Manifestationen können umschrieben oder disseminiert auftreten.
b . Abb. 4.32a, b. Vegetierender Herpes simplex bei chronisch lymphatischer Leukämie. Bei dieser Patientin traten bei Progression des Grundleidens Herpes-simplex-Herde an den Lippen auf (wo schon früher ein rezidivierender Herpes simplex bestanden hatte), breiteten sich unaufhaltsam aus und wandelten schließlich die gesamte Lippen- und Mundschleimhaut in eine Nekrose-Platte um. a und b: Intervall von ca. 1 Monat. Beachte: Dieser Krankheitsfall ereignete sich vor der Aciclovir-Ära
Herpes simplex vegetans. Eine schwere Verlaufsform
des H. simplex bei stark immundefizienten Patienten. Beginn meist mit einem vorerst unauffälligen H. simplex, der sich in tiefe matschige, schmerzhafte Nekrosen und Ulzera umwandelt (. Abb. 4.32a, b). Langsame (unbehandelt Monate!), aber stetige und schrankenlose periphere Ausbreitung. Lokalisation: Lippen, Gesicht, Mundhöhle; Anogenitalregion. Differenzialdiagnose: Pyoderma gangränosum. Herpes-simplex-Enzephalitis. Eine seltene, bedrohliche Komplikation, meist durch HSV-1 (Ausnahme: neonatale H. simplex-Infektion). Infektionsweg: über olfaktorische Fasern oder den N. trigeminus. Meist akuter Beginn, hohes Fieber, Bewusstseinseintrübung,
fokale neurologische Zeichen. Diagnose: PCR aus dem Liquor. Unbehandelt hohe Mortalität (ca. 70%). Herpes genitalis und Schwangerschaft, Herpes simplex-Infektion des Neugeborenen
Während der Schwangerschaft führt die Erstinfektion in bis 50% zum Abort; rezidivierender H. genitalis beeinflusst die Schwangerschaft nicht. Der (vorwiegend durch HSV 2 bedingte) H. neonatorum ist eine wegen der physiologischen Abwehrschwäche des Neugeborenen schwerwiegende Komplikation. Inzidenz zwischen 1/2500 bis 1/26 000 Geburten. Übertragung: durch Aszension oder beim Durchtritt durch den Geburtskanal. Risikofaktoren: Frühgeburtlichkeit und
175 4.3 · Virusinfektionen der Haut
Verwendung von Kopfelektroden am Fötus. Primäre H. genitalis-Infektion der Mutter ab dem 3. Trimenon ist eine Indikation zur Sektio, ebenso ein florider rezidivierender H. genitalis zum Zeitpunkt der Geburt. Asymptomatische Virusausscheidung der Mutter scheint jedoch die häufigere Infektionsquelle zu sein (bis zu 70%). Symptome beginnen meist Tage nach der Geburt; sie reichen von umschriebenen Bläschen bis zu generalisierten Eruptionen (manchmal aphlegmasisch!) mit Übergang in septische Bilder und schneller Ausbreitung in innere Organe (ZNS!). Unbehandelt hohe Mortalität (ca. 70%). Diagnostik der Herpes simplex-Infektion Das klinische Bild reicht in der Regel zur eindeutigen Diagnose aus. Für besondere Situationen, z. B. bei H. genitalis, H. vegetans, disseminierte Herpesinfektion, stehen für den Virusnachweis die Viruskultur (»Goldstandard«, für Routinezwecke zu aufwendig), der Antigennachweis (ELISA) und molekularbiologische Methoden (PCR) zur Verfügung. Bei den Schnelltests hat der direkte IF-Antigennachweis an Ausstrichpräparaten aus Herpesbläschen den klassischen Tzanck-Test abgelöst: er ist schnell, relativ sensitiv (80% im Vergleich zur Kultur) und erlaubt auch die Unterscheidung von Virusart und -typ. Die Histologie erlaubt nur den Verdacht auf eine Herpesvirus-Infektion. Serologische Testmethoden spielen nur eine geringe Rolle, da 90% der Erwachsenen IgG-Antikörper gegen HSV besitzen, und IgM-Antikörper nur bei ca. 1% von akutem H. simplex nachweisbar sind. Eine Serokonversion findet nur beim primären H. simplex statt, Titeranstiege sind bei klinischem Rezidiv nicht stets nachweisbar. Therapie der Herpes simplex-Infektion Erstinfektionen werden bei mildem Verlauf nur symptomatisch behandelt (Mundspülungen, Sitzbäder, evtl. Lokalanästhetika, NSAID). Bei schwerem Verlauf und bei ausgedehnten Rezidivepisoden (Immundefizienz!) wird systemisch behandelt: Aciclovir i.v. durch 5 (–10) Tage bzw. bis zur klinischen Rückbildung. Alternativen sind Valaciclovir (Prodrug des Aciclovir) und Famciclovir (verwandtes Purinanalog) – beide werden oral verabreicht. Die antivirale Therapie stoppt die Virusreplikation und verkürzt die Abheilungszeit, verhindert bei der Primärinfektion aber nicht das Latentwerden. Der Herpes simplex recidivans ist immer noch ein schwieriges Problem. Bei milden Fällen Lokaltherapie (Öffnen der Bläschen, Austrocknung – Zinkpaste, topische Applikation von Kortikosteroiden), bei schweren s. o. Häufig kann ein Rezidiv durch eine früh (innerhalb
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von 2 h) begonnene antivirale Stoßtherapie abgekürzt werden. Topisch mäßig wirksam ist das Analog Penciclovir (bei frühem Einsatz!). Häufige Rezidive (z. B. 10-mal/Jahr) sind für den Patienten eine große Belastung. In diesen Fällen, oder bei begleitendem E. multiforme, ist eine systemische Suppressionsbehandlung (Rezidivprophylaxe) zu erwägen: kontinuierliche Verabreichung von z. B. Valaciclovir in niedriger Dosierung über 6–12 Monate führt bei 75% zur Abnahme der Rezidive; komplettes Ausbleiben oder Unterdrückung des asymptomatischen Virusshedding wird jedoch nicht erreicht. Nach Absetzen stellen sich oft wieder Rezidive ein, häufig jedoch milder. Vegetierender Herpes simplex und die disseminierte Herpes-simplex-Infektion können mit Aciclovir bzw. Analoga zumindest vorübergehend beherrscht werden, die Prognose hängt von der Grundkrankheit ab. Schädliche Wirkungen von Aciclovir auf Schwangerschaft oder Fötus sind nicht bekannt; dennoch ist Aciclovir nicht für Gravide freigegeben. Behandlung nur in schweren Fällen und nach genauer Aufklärung! Bei klinischen Symptomen der neonatalen HSV-Infektion wird Aciclovir i. v. über 10–14 Tage verabreicht. Prophylaktische Behandlung asymptomatischer Neugeborener von Müttern mit floridem H. genitalis wird nicht empfohlen. Partnermanagement bei Herpes genitalis. Automa-
tische Mitbehandlung ist nicht sinnvoll, wohl aber die Aufklärung von Patient und Partner über Infektiosität, Transmissionsgefahr auf den Fötus, asymptomatisches Virusshedding. Der Partner ist in der Regel schon infiziert. Infektionen mit dem Varizella-Herpes-zosterVirus (VZV) Erreger: VZV (HHV 3) ist der Erreger der Varizellen und des Herpes zoster. Es existiert nur ein Serotyp. Die Durchseuchung ist weltweit knapp 100%. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion (Varizellen) oder durch direkten Kontakt mit dem Bläscheninhalt. Herpes zoster ist weniger ansteckend als Varizellen. Der Stadienverlauf ist dem der Herpes-simplexInfektion ähnlich. Die Primärinfektion beginnt mit Virusreplikation im oberen Respirationstrakt, Transport von VZV in Lymphozyten über die Blutbahn (erste Virämie) und Virusreplikation im MPS. Dieser folgt nach ca. 2 Wochen die zweite Virämie mit Dissemination in innere Organe und Haut (fieberhafte exanthematische Erkrankung mit disseminierten Bläschen – Varizellen). VZV replizieren in der Haut und aszen-
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
dieren über die sensiblen Hautnerven zu den regionären Spinalganglien, die sie zeitlebens latent besiedeln. Die Infektion hinterlässt eine lebenslange Immunität (gegen Varizellen; dies schließt die Reaktivation zum Herpes zoster nicht aus). Bei Sinken der Immunlage oder anderen Triggerfaktoren kommt es (oft Jahrzehnte nach der Primärinfektion!) zur erneuten Virusreplikation (Reaktivation) im Ganglion, die zuerst eine schmerzhafte Ganglionitis, nach Deszension der VZV (wieder entlang der sensiblen Hautnerven) in die Haut einen Herpes zoster im betroffenen Segment zur Folge hat.
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himmel«), zuerst im Gesicht, später an Hals und Rumpf. Kapillitium, Handflächen und Fußsohlen. Mund - und Genitalschleimhaut sind befallen (diagnostisch wichtig!). Ausgeprägter Juckreiz. Die Bläschen trüben sich schnell ein, trocknen ein und verkrusten – alle Stadien kommen nebeneinander vor. Nach 1–3 Wochen meist narbenlose Abheilung (bei Superinfektion und Kratzen manchmal atrophe Närbchen). Allgemeinsymptome bestehen nur, solange neue Bläschen entstehen. Läsionen innerer Organe verlaufen meist subklinisch. Differenzialdiagnose. Insektenstiche, Strophulus in-
Varizellen (Windrose, Windpocken, Feuchtblattern, Schafblattern) Epidemiologie. Varizellen treten epidemisch mit saisonaler Häufung in Winter und Frühjahr auf, vorwiegend betroffen sind Kinder unter 10 Jahren. Die Kontagiosität ist sehr hoch (ca. 90% der nichtimmunen Kontaktpersonen), allerdings nur während der Periode von 2 Tagen vor bis 5 Tage nach Auftreten des Exanthems. Eingetrocknete Varizellenbläschen sind nicht infektiös. Symptomatik. Nach einer Inkubationszeit von ca. 2 Wochen beginnen Prodromi (Fieber, Kopfschmerzen), anschließend stellt sich während 7–10 Tagen schubweise ein Exanthem aus regellos disseminierten, einzelstehenden wasserklaren Bläschen ein, jedes von einem unscharf begrenzten Erythem umgeben (»Tautropfen auf Rosenblatt«) (. Abb. 4.33a, b). Zwischen 20 und Hunderten solcher Läsionen treten auf (»Sternen-
fantum (Kapillitium und Schleimhäute frei, keine Systemzeichen), disseminierter Herpes simplex, generalisierter Herpes zoster. Verlauf und Komplikationen. Varizellen sind bei ge-
sunden Kindern meist harmlos. Häufigste Komplikation ist die bakterielle Superinfektion, die gravierendste die disseminierte Infektion. Diese ist durch schweren Haut- und Organbefall gekennzeichnet: Varizellenpneumonie, seltener ZNS-Befall (Meningoenzephalitis, zerebellare Ataxie, Guillain-Barré-Syndrom), Thrombopenie, Arthralgien, Nierenbeteiligung. Disseminierte Infektion tritt bei bei Immundefizienz in bis 30% ein, die Mortalität beträgt ca. 15%. Bei Adoleszenten und Erwachsenen, auch bei Immunkompetenz, ist der Verlauf meist schwerer, die Gefahr der disseminierten Infektion liegt bei 1/500–1000. Varizellen und Schwangerschaft. VZV geht diaplazentar auf die Frucht über. Varizellen im ersten Trimenon führen oft zu schwerer fötaler Missbildung (ZNS-, Augen-, Hautdefekte, Fehlen von Gliedmaßen); in der spätereren Schwangerschaft ist die Infektion für den Föten folgenlos – außer gehäuftem frühkindlichen Herpes zoster. Varizellen der Mutter knapp vor der Geburt oder Infektion des Neugeborenen können hingegen eine disseminierte Infektion bedingen (unzureichende Spiegel neutralisierender mütterlicher Antib körper). Therapie und Prävention. In der Regel nur sympto-
a . Abb. 4.33a, b. Varizellen. Schütter und regellos disseminierte Bläschen mit entzündlichem Halo. a Übersicht; b Detail
matisch (cave Aspirin wegen Risikos eines Reye-Syndroms!). Aciclovir ist nur bei sehr frühen Varizellen wirksam und nur bei Erwachsenen und Schwangeren (s. o.) angezeigt. VZV-Hyperimmunglobulin kann zum Schutz Immundefizienter nach Exposition eingesetzt werden. Eine Lebendimpfung mit einem attenuierten VZV ist eingeführt (ab dem 1. Lebensjahr bei noch Unexponierten möglich; nicht bei Schwangerschaft).
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Herpes zoster (Gürtelrose) Epidemiologie. Herpes zoster tritt, im Gegensatz zu den Varizellen, sporadisch auf (da er durch Reaktivierung der latenten VZV-Infektion entsteht). Die Inzidenz korreliert mit dem Lebensalter und dem Immunstatus: sie ist in den ersten Lebensjahren gering (diaplazentare Übertragung) und nimmt dann linear zu. Sie beträgt im Durchschnitt 2–5/1000/Jahr, ist bei Alten ca. 4-mal so hoch wie bei Jungen und bei Immundefizienten bis 100-mal höher. 50% der 85-Jährigen hatten während ihres Lebens Herpes zoster; in der Regel nur eine Episode, ca. 5% zwei oder sogar drei. ! Herpes zoster kommt nie durch Übertragung zustande. Wird VZV auf nichtimmune Personen übertragen, resultieren immer Varizellen. Personen, die Varizellen schon hatten, sind gegen Ansteckung immun.
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Symptomatik. Auslöser der Reaktivation. Wesentlich
ist das Absinken der zellulär-immunologischen Kontrolle der Virusreplikation (physiologisches Altern, Infekte – HIV, Lymphome, medikamentöse Immunsuppression). Zusätzliche Faktoren, die die Reaktivierung in einem bestimmten Nervensegment fördern, sind die Menge latenter VZV in den Ganglien (Prädilektion des Gesichts!) und lokale Trigger (z. B. Arthrose, Operationen, Bestrahlung, Metastasen). Die Reaktivierung verläuft in der Regel als manifester Herpes zoster, selten subklinisch (nur Antikörperanstieg) oder nur mit radikulärer Symptomatik (»Zoster sine herpete«). Stets erfolgt eine anamnestische Reaktion des Immunsystems (bei Immundefizienten verzögert), die zur Eingrenzung der Reaktivation auf ein Segment und zur Verhinderung der hämatogenen Dissemination beiträgt. Morphologie. Beginn mit oft heftigen einseitigen, auf
ein Nervensegment beschränkten Schmerzen, Par- und Hyperästhesien, mildem Fieber und Allgemeinsymptomen. Der Schmerz wird häufig in innere Organe projiziert (z. B. Zahnschmerz, Gallen- und Nierenkoliken, akute Appendizitis – voreilige chirurgische Eingriffe kommen vor). Nach einigen Tagen treten schubweise innerhalb des Segments »gürtelförmig«, streng halbseitig Erytheme mit Gruppen von klaren Bläschen auf (. Abb. 4.34a, b); diese sind heftiger entzündlich als Varizellen und neigen mehr zur Nekrose. Bei unkompliziertem Verlauf Eintrübung, Eintrocknung, Verkrustung und Abschuppung in ca. 2–3 Wochen, oft gefolgt von leicht atrophen depigmentierten Närbchen. Bei schwerem Verlauf kommt es zur multifokalen Nekrose, manchmal plattenartig des gesamten Segments (H. zoster gangraenosus). Innerhalb jeder Gruppe sind die
b . Abb. 4.34a, b. a Herpes zoster (Th I, II). Gruppenweise Anordnung der Bläschen, verschiedene Entwicklungsstadien der einzelnen Läsionsgruppen. b Nekrotisierender Herpes zoster
Läsionen im selben Entwicklungsstadium. Prädilektionsstellen: Gesicht (30% liegen im Trigeminusbereich) und Thorax. Fast stets sind nur ein (oder zwei benachbarte) Segmente betroffen, nur ausnahmsweise zwei getrennte (H. zoster duplex) oder bilaterale Segmente (H. zoster bilateralis). Die Schmerzen dauern oft lang über die floride Phase hinaus an und gehen in eine über Monate bestehende Hyp- und Dysästhesie über. Herpes zoster und Schwangerschaft. Anders als bei den Varizellen führt H. zoster kaum je zu fötalen Komplikationen (neutralisierende mütterliche Antikörper, meist keine Virämie). Komplikationen. Pyogene Superinfektion ist häufig. Daneben werden folgende gravierendere Komplikationen beobachtet (alle gehäuft im höheren Alter).
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
4 Komplikationen durch neurogene Ausbreitung des VZV: 5 Augenbeteiligung. Eine schwerwiegende Begleiterscheinung bei H. zoster des 1. Trigeminusasts: Konjunktivitis, Keratitis, Ulcus corneae, Iritis mit Sekundärglaukom, Neuritis N. optici u. a., begleitend auch Augenmuskellähmungen und Ptose. Warnzeichen für Augenbeteiligung: Hautläsionen der Nase (gemeinsame Versorgung durch den N. nasociliaris). 5 Ramsay-Hunt-Syndrom. Befall der Ganglien der Nn. facialis und statoacusticus: periphere Fazialisparese, Schwindel und Hörverlust (maximal: Taubheit). Zosterläsionen im äußeren Gehörgang, Trommelfell, Zungenseite und Gaumen. 5 Ausfälle motorischer Nerven durch Ausbreitung der VZV. In etwa 5% Paresen, am häufigsten Fazialisparese, seltener Augenmuskellähmungen (. Abb. 4.35). Meist voll rückbildungsfähig. 5 (Post)zosterische Neuralgie. Eine quälende Komplikation, die durch den Einsatz der Virustatika seltener und milder geworden ist: bohrend-brennende Dauerschmerzen und oft schwerste lanzinierende Schmerzattacken, oft ausgelöst durch Berührung, Kälte, Zugluft etc. Sie tritt (trat) in ca. 10% auf, bevorzugt im Trigeminusbereich und bei Patienten in hohem Alter. Sie hält gewöhnlich einige Monate an; Fortbestand ist heute selten. 4 mit Immundefizienz assoziierte Komplikationen: hier ist der Verlauf meist schwerer: es besteht stärkere Nekroseneigung und höheres Risiko der Dissemination. 5 »Generalisierter« Herpes zoster. Hierunter versteht man das exanthematische Auftreten von Zosterläsionen außerhalb des Segments (Varizellen-ähnliches Bild – Virämie). Bei geringem Ausmaß (<10 Bläschen) ist Generalisation häufig und unbedeutend. In stärkerem Ausmaß ist sie ein Warnzeichen möglicher Dissemination in innere Organe. Bei schwerer Immundefizienz stellt sich die Dissemination mit einem sepsisähnlichen Zustandsbild ein. Häufig befallen sind Lunge (Zosterpneumonie), ZNS (Zoster-Meningoenzephalitis, Guillain-Barré-Syndrom, aufsteigende Myelitis, granulomatöse Vaskulitis der Hirnarterien), Leber, Ösophagus. Diese Zustände sind ernste Komplikationen mit hoher Mortalität. Die Häufigkeit der ZNS-Beteiligung wird unterschätzt; Auftreten manchmal erst nach Wochen.
5 Gangränisierender Herpes zoster. Nekrosen begleiten den H. zoster auch bei Immunkompetenten, bei Immundefizienz entstehen jedoch ausgedehnte, schmerzhafte, oft sehr chronische Ulzera, in denen die Virusproduktion erhalten bleibt – mangelnde Fähigkeit des zellulären Immunsystems, die Virusreplikation zu supprimieren. 3Die den H. zoster begleitenden Schmerzen und die postzosterische Neuralgie sind von unterschiedlicher Schmerzqualität (s. o.), sprechen auf verschiedene Behandlungen an (s. u.) und sind oft zeitlich durch ein Latenzintervall voneinander getrennt. Allerdings gibt es fließende Übergänge, weshalb der umhüllende Begriff »Zoster-assoziierte Schmerzen« geprägt wurde. Die Ursachen der postzosterischen Neuralgie sind nicht klar. Hypothetische Erklärungen sind postentzündliche narbige Schrumpfung im Spinalganglion und Ungleichgewicht sensibler Impulse an das ZNS durch Ausfall von Neuronen.
Diagnostik. Das klinische Bild ist fast stets diagnostisch. Wenn erforderlich, Virusidentifikation wie bei Herpes simplex (Zellkultur, PCR, Immunfluoreszenz, ELISA). Therapie. Grundsätzlich ist die systemische Therapie mit Aciclovir oder Analoga indiziert – auch mild verlaufender H. zoster kann zur Zosterneuralgie führen. Aciclovir wird als Infusion verabreicht (höher dosiert als bei HSV!). Rechtzeitige Anwendung (bis 72 h nach Eruption) ist Voraussetzung für guten Erfolg. Bei Verdacht auf Immundefizienz wird die Dauer verlängert (z. B. 7–10 Tage). Eine ambulante Behandlung des H. zoster mit oralem Famciclovir oder Valaciclovir ist oft problemlos,
. Abb. 4.35. Fazialisparese bei Herpes zoster ophthalmicus (V1). Beachte: die Läsionen sind schütter disseminiert, jedoch nekrotisch und streng halbseitig (Stirn, Nase). Bei Befall des N. nasociliaris ist auch stets das Auge betroffen (hier als konjunktivale Injektion erkennbar)
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für Immundefiziente und schwere Verläufe hingegen ungeeignet. Die stationäre Behandlung bietet stets den Vorteil optimaler Lokaltherapie (vesikulöse Phase: Puder-Watte-Verbände, krustöse Phase: indifferente oder antibiotische Salbenverbände), geeigneter Begleitmaßnahmen (Antibiotika, Schmerzstillung) und der sehr wichtigen Schonung – wesentlicher Faktor beim Heilungsverlauf! Zosterschmerzen. Die akuten Schmerzen lassen unter Aciclovir innerhalb einiger Tage nach, Schmerzbehandlung ist optional (Analgetika, Antirheumatika, selten Opiate). Die (post)herpetische Neuralgie wird mit Antiepileptika und Antidepressiva behandelt (Carbamazepin, Nortriptylin). In Extremfällen kann eine operative Ganglionblockade indiziert sein.
Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) Erreger, Epidemiologie. EBV (HHV-4) ist relativ wenig kontagiös und schwer züchtbar. Es ist der Erreger der infektiösen Mononukleose (Pfeiffer-Drüsenfieber) und assoziierter Neoplasien. EBV ist weltweit verbreitet, die Durchseuchung liegt bei ca. 90%. Die Infektion erfolgt in Kindheit oder Jugend und verläuft in der Kindheit meist asymptomatisch. Übertragung: über Speichel (Küssen – »kissing disease«), Sexualkontakte (Isolierung von EBV aus der Zervix), Bluttransfusionen. Zirka 15% der Seropositiven scheiden EBV im Speichel aus (Immundefiziente häufiger). Die Infektion hinterlässt lebenslange Immunität. Krankheitsverlauf. EBV repliziert im Oronasopha-
rynx, gelangt ins Blut und infiziert B-Lymphozyten. Diese werden polyklon aktiviert; unter den vielen produzierten Immunglobulinen ist der diagnostisch wichtige »heterophile« Antikörper (ein SchaferythrozytenAgglutinin). Gegen die infizierten B-Zellen werden zytotoxische T-Zellen gebildet (im Blutausstrich: »atypische« Lymphozyten). EBV bleibt in den B-Zellen latent erhalten; durch Reaktivierung kann eine chronisch-rezidivierende Krankheit entstehen. Die B-Zellen werden immortalisiert und können zu lymphoproliferativen Prozessen führen. Symptomatik. Bei symptomatischem Verlauf (Jugendliche ca. 50%) stellt sich nach einer Inkubationszeit von 1–7 Wochen ein grippeähnliches Bild ein: intermittierendes Fieber, Anorexie, Müdigkeit, Pharyngotonsillitis, Uvulaödem, Petechien am Gaumen. Zervikale, später generalisierte Lymphadenopathie, Milzvergrößerung (Cave: traumatische Milzruptur), Hepatomegalie. Bei unkompliziertem Verlauf Abheilung innerhalb 2–3 Wochen. Abgeschlagenheit, Fieberattacken
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und Lymphknotenschwellungen können über Monate persistieren. Hautzeichen. In der ersten Krankheitswoche häufig Lidödeme, bei ca.10% ein rubeoliformes Exanthem; bei schwerem Verlauf hämorrhagisch oder vesikulös. Spontanheilung nach 3–7 Tagen. Bei Verabreichung von Ampicillin kann sich das Ampicillin-Exanthem einstellen (7 Kap. 3, . Abb. 3.38). Seltene kutane Manifestationen sind das GianottiCrosti-Syndrom 7 Kap. 11.1, schmerzhafte Ulzera an Lippen und Genitalien sowie die orale Haar-Leukoplakie (bei Immundefizienz, besonders HIV-Infektion). Diagnostik. Labor. Absolute Lymphozytose mit »aty-
pischen« Lymphozyten, Erhöhung der Transaminasen (oft über Wochen). Ein immer noch wertvoller Suchtest ist der Nachweis der unspezifischen »heterophilen« Antikörper (s. o.). Spezifische serologische Tests: neutralisierende Antikörper gegen das Kapsid-Antigen VCA und und das Core-Antigen EBNA-1 (IgM weisen aktuelle Infektion nach, IgG Immunität). Differenzialdiagnose. Pharyngotonsillitis: u. a. Strep-
tokokkenangina. Exantheme: Rubeolen (hier auch das Gesicht befallen!), akute HIV-Infektion, Virusexantheme, Syphilis II. Lymphadenopathie: CMV-Infektion, Toxoplasmose. Labor: Hepatitis-A, -B, -C, akute Leukämie. Komplikationen. In der Frühphase ZNS-Befall (Meningoenzephalitis, psychotische Reaktionen, GuillainBarré-Syndrom), hämolytische Anämie, Thrombozytopenie, selten Ikterus. EBV-assoziierte Neoplasien. EBV ist mit dem in Afrika
endemischen Burkitt-Lymphom, Lymphomen bei Transplantierten und AIDS-Patienten (v. a. des ZNS) sowie dem vorwiegend in Ostasien vorkommenden nasopharyngealen Karzinom assoziiert. Therapie. Konservativ. Aciclovir ist nur schwach wirk-
sam. Infektionen mit dem Zytomegalie-Virus (CMV) Erreger, Epidemiologie. CMV (HHV-5) ist ein langsam wachsendes Herpesvirus, das in nur einem Serotyp existiert und eine markante Neigung zur Ausbildung von mehrkernigen Riesenzellen und nukleären (und zytoplasmatischen) Einschlusskörperchen (»Eulenaugen-Zellen«) besitzt. CMV ist der Erreger der Zytomegalie, mit schwerwiegenden Manifestationen bei Föten und Immundefizienten. Die Durchseuchung
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
beträgt weltweit 40–80%, abhängig von sozioökonomischen Faktoren. Die Übertragung kann über Speichel, Urin, sexuell, über Blutprodukte, Organtransplantation (Knochenmark!), diaplazentar, peripartal und über die Muttermilch erfolgen. Verlauf. Nach der Primärinfektion erfolgt die Dissemi-
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nation, die beim Föten schwer, beim Erwachsenen mild verläuft. Anschließend bleiben die Betroffenen (Kinder!) durch Monate Ausscheider und lebenslang Virusträger: CMV kann in einer Vielzahl von Zellen latent erhalten bleiben (Leukozyten, Speicheldrüsen, ableitende Harnwege u. a.). Bei Abfall der zellulären Immunität (Organtransplantation, AIDS) kann es zur Reaktivation mit gravierenden Folgen kommen. CMV supprimiert die T-Zellfunktion (Synergie mit HIV). Symptomatik. Die fötale Infektion (»cytomegalic inclusion disease«) ist mit ca. 1% der Geburten (häufiger in der Dritten Welt) die häufigste kongenitale Infektion; Letalität ca. 20%. Die Symptomatik entspricht der bei anderen kongenitalen Infektionen (TORCH-Syndrom). Charakteristisch ist die kutane Erythropoese: Persistenz der physiologischen fötalen kutanen Erythropoese – purpuraartige disseminierte livide Infiltrate (»blueberry muffin baby«). Bei gesunden Kindern und Erwachsenen verläuft die Infektion asymptomatisch oder als grippaler Infekt mit Lymphadenopathie, Splenomegalie, manchmal rubeoliformen Exanthemen (CMV-Mononukleose). Im Blutausstrich atypische Lymphozyten, heterophile Antikörper fehlen. Komplikationen: hämolytische Anämie, ZNS-Symptome. Spontanheilung nach 2–4 Wochen, oft mit postviraler Asthenie. CMV-Infektionen beim Immundefizienten entstehen meist durch Reaktivation. CMV ist eine der wichtigsten Komplikationen nach Organtransplantation (hier auch als Primärinfektion durch das Transplantat) – 25% der Todesfälle bei Nierentransplantation! Häufige Organmanifestationen sind Pneumonie, Hepatitis, Enzephalitis, Retinitis (Blindheit!) und Ulzera des Gastrointestinaltrakts (unstillbare Diarrhoen, Perforation, Blutung). Ca. 50% der AIDS-Patienten sind vor der Kombinationstherapie CMV-virämisch, bis zu 90% mit Organbefall. Hautsymptome. Exanthem; auch Ampicillinexan-
theme! Bei Immundefizienten: sehr schmerzhafte, chronische Geschwüre meist im Anoperinealbereich ähnlich dem vegetierenden Herpes simplex. Diagnostik. Viruskultur aus »buffy coat«-Leukozyten,
Virämie-Nachweis (pp65-Phosphoprotein), nPCR,
histologischer Nachweis der »Eulenaugenzellen« in befallenen Organen, Serologie (KBR). Therapie. Eine spezifische Behandlung ist nur bei
kompliziertem Verlauf und bei Immundefizienz indiziert: Ganciclovir, alternativ Foscarnet; Aciclovir und Analoga sind wirkungslos. Andere humane Herpesviren HHV-6 und HHV-7 sind Erreger der Roseola infantum (7 Kap. 4.3.1), HHV 8 ist mit dem Kaposi-Sarkom assoziiert (s. Kaposi-Sarkom und AIDS). 4.4
Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
4.4.1 Übersicht Pilze und Pilzkrankheiten. Pilze (Myzeten) sind meist
obligat aerobe eukaryotische Organismen, deren Zellwand aus Chitin und deren Zellmembran aus Sterolen aufgebaut sind. Sie synthetisieren Chlorophyll und ernähren sich von organischem Material, ihr Habitat ist die Umwelt. Man unterscheidet Faden- und Sprosspilze. Fadenpilze bestehen aus Keimfäden (Hyphen – Synzytien), die ein mattenartiges Geflecht bilden (Myzel). Sie vermehren sich teils sexuell, meist asexuell (Fungi imperfecti), ihre Reproduktionsorgane werden Sporen (Konidien) genannt. Sprosspilze (Hefepilze) sind einzellige Organismen, die sich asexuell durch Sprossung vermehren (und dabei manchmal hyphenähnliche Zellketten bilden: »Pseudohyphen«). Manche Pilze sind dimorph, d. h. sie verhalten sich unter Umgebungstemperatur wie Faden-, unter Körpertemperatur wie Sprosspilze. Pilze können auf verschiedene Weise Krankheitserscheinungen verursachen: 4 durch Infektion 4 durch Vergiftung (Mykotoxikosen): als Nahrungsmittel (Giftpilze) oder als Verunreinigung der Nahrung (z. B. Ergotismus, Aflatoxine) 4 durch Allergien: z. B. Inhalationsallergien auf Sporen von Aspergillen Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen) sind weltweit verbreitet, zahlreich, aber von sehr verschiedener Relevanz. Von den unzähligen bekannten Pilzarten sind nur einige hundert pathogen. Man unterscheidet 4 Gruppen von Mykosen: 4 Mykosen der Haut (Dermatomykosen): Dermatophytosen, Kandidamykosen
181 4.4 · Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
4 Subkutane Mykosen: Sporotrichose, Myzetom 4 Systemmykosen: vorwiegend außerhalb von Europa vorkommende, potenziell gefährliche Systeminfektionen 4 Opportunistische Mykosen: für Immundefiziente oft bedrohliche Infektionen durch häufige, beim Immunkompetenten ungefährliche Erreger (Kandida, Aspergillen, Kryptokokken) 4.4.2 Dermatophytosen Als Dermatomykosen werden alle Pilzinfektionen bezeichnet, bei denen lediglich die oberen Schichten der Haut oder Schleimhaut, Haare oder Nägel besiedelt werden. Sie sind sehr häufig, aber nur selten von schwerem Verlauf. Hauptgruppe sind die Dermatophytosen (Erreger: Fadenpilze – Dermatophyten). Auch die Kandidamykosen der Haut werden üblicherweise bei den Dermatomykosen abgehandelt, sind aber eigentlich opportunistische Mykosen. Dermatophyten sind Fadenpilze der Gattung Arthroderma. Sie entstammen dem Erdreich und sind Abraumorganismen für Keratin (Schuppen, Haare) tierischer und menschlicher Herkunft. Sie bauen Keratin mittels Keratinasen ab (keratinophile Pilze). Etwa 40 Spezies sind bekannt, die 3 Genera angehören: Epidermophyton, Trichophyton und Mikrosporum. Manche sind apathogene Erdbewohner, ca. 30 können den Menschen befallen, nur wenige sind häufig (. Tab. 4.5). . Tab. 4.5. Wichtige humanpathogene Dermatophyten Anthropophile E. floccosum M. audouinii T. rubrum T. mentagrophytes, var. interdigitale T. schönleinii T. tonsurans T. violaceum Zoophile M. canis M. equinum T. mentagrophytes, var. granulosum, var. quinckeanum T. verrucosum T. gallinae
Hauptwirt: Nagetiere Hauptwirt: Pferd Hauptwirt: Nagetiere Hauptwirt: Rind, Pferd Hauptwirt: Vögel
Geophile M. gypseum E = Epidermophyton, T = Trichophyton, M = Mikrosporum
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Bei ca. einem Drittel ist das Erdreich das natürliche Habitat (geophile Dermatophyten). Andere haben sich auf Tiere (zoophile) bzw. Menschen (anthropophile Dermatophyten) adaptiert; Mensch bzw. Tier sind dann auch das natürliche Reservoir. Infektionen durch »adaptierte« Dermatophyten verlaufen meist weniger entzündlich und chronisch (manchmal asymptomatisch: Carrier!); solche durch »nichtadaptierte« verlaufen heftiger, aber selbstlimitiert. Virulenzunterschiede zwischen den Arten und zwischen Stämmen einer Art können groß sein. Die Virulenz kann durch Passagen am »nichtadaptierten« Wirt gesteigert werden. Epidemiologie. Dermatophyten sind weltweit ver-
breitet. Die Verteilung der Spezies schwankt erheblich, manche sind auf bestimmte Regionen beschränkt. Die Inzidenz der Dermatophytosen ist von der Hautfeuchtigkeit abhängig; sie ist daher höher in feuchtem Klima, bei okklusiver Bekleidung (z. B. Uniformen) bzw. Schuhwerk und bei (den mehr schwitzenden) Männern. Die Infektion des Menschen erfolgt gelegentlich aus dem Erdreich (geophile Pilze), meist jedoch direkt oder über kontaminierte Gegenstände vom Tier oder vom Menschen (Schuhwerk, Fußmatten, Holzroste in Bädern etc.). Dermatophyten sind in der Regel nicht sehr ansteckend, Epidemien daher selten (Ausnahme z. B. Mikrosporie). Die Infektion erfordert ein relativ großes Inokulum, zusätzlich einen Substanzdefekt der Hornschicht. Die Inkubationszeit ist 1–2 Wochen. Pathogenese/Symptomatik. Die Pilze besiedeln entweder lediglich die Hornschicht (Epidermomykosen) oder auch Haarfollikel und Haarschaft (Trichomykosen). Sie lösen eine neutrophile Reaktion und eine zellvermittelte Immunantwort aus. Trichomykosen sind meist intensiver entzündlich (manchmal auch abszedierend). Bei beiden Formen breiten sich die Pilze peripherwärts aus, es entstehen kreisrunde Läsionen, die sich im Zentrum zurückbilden (Elimination der Pilze durch die Entzündungsreaktion) und dadurch zu Ring-, später durch Konfluenz zu polyzyklischen Figuren werden. Im Zentrum verbleibende Pilze können wieder auskeimen (Rezidivknötchen, manchmal abermals Ringbildung). ! Die Dichte der Pilzelemente ist im »aktiven« Randsaum am höchsten – wichtig für den Erregernachweis!
Am Ende der Auseinandersetzung zwischen Immunsystem und Dermatophyten steht die völlige Ausheilung (bei zoophilen Pilzen die Regel) oder ein Gleichgewicht in Form chronischer, wenig entzündlicher Läsionen (bei anthropophilen Pilzen). Bei Immundefizienz sind die Mykosen entzündlicher und oft sehr ausgedehnt.
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
! Erregerspezifität besteht im Allgemeinen nicht, d. h. man kann von der Art der Dermatomykosen nur sehr bedingt auf den verursachenden Dermatophyten schließen. Ausnahme: Epidermophyton floccosum kann keine Trichomykosen verursachen. Beschränkte Erregerspezifität besteht ferner für Favus und Mikrosporie (s. u.).
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Epidermomykosen Häufige Dermatophytosen ohne Befall der Haarfollikel. Sie werden meist durch anthropophile, seltener durch zoophile Pilze hervorgerufen. Im ersteren Fall finden sie sich gewöhnlich inguinal oder an Hand und/oder Fuß; im letzteren an der jeweiligen Kontaktstelle. Für Epidermomykosen und oberflächliche Trichomykosen (die klinisch oft nicht leicht unterscheidbar sind) wird auch der Sammelbegriff Tinea verwendet. Epidermomycosis corporis Symptomatik. Scheibenförmige, scharf begrenzte Herde mit polyzyklischem Rand, eleviertem, gerötetem, schuppendem Randsaum und eingesunkenem, »fast normalem« Zentrum mit Rezidivknötchen. Heftiger Juckreiz, periphere Ausbreitung (. Abb. 4.36). Prädilektionsstelle: Leistenregion, oft beidseits, vorwiegend bei Männern: Epidermomykosis inguinalis (. Abb. 4.37). In ausgeprägten Fällen multiple Herde (Rumpf, Nates, Genitoanal- und Sakralregion), oft girlandenförmig angeordnet. Bei chronischem Bestand oft beträchtliche Lichenifikation. Hauptsächliche Erreger: T. rubrum,
. Abb. 4.37. Epidermomycosis inguinalis. Beachte den wallartigen Randsaum
T. interdigitale, E. floccosum. Histologie. Spongiose, Hyper-Parakeratose, dermale Entzündung (auch Leukozyten!). Im Str. corneum Pilzelemente (PAS-Färbung). Differenzialdiagnose. Erythrasma, intertriginöses Ek-
zem, Psoriasis, Pityriasis rosea, CDLE u. a. Besondere Verlaufsformen.
4 Generalisierte Epidermomykose: ausgedehnt, oft atypische (erythematöse, kaum schuppende) Epidermomykoseherde, häufig bei Immundefizienz. 4 »Tinea incognita« (. Abb. 4.38). Durch Fehlbehandlung mit lokalen Kortikosteroiden wird die Morphologie von Epidermomykosen verwaschen – sie werden weniger entzündlich, aber oft sehr ausgedehnt. Epidermomycosis pedis (Synonym Tinea pedis, »athlete’s foot«) Epidemiologie. Die häufigste Dermatophytose, Prävalenz ca. 10%. Sie ist eine chronische Zivilisationskrankheit (regelmäßiges Tragen von okklusivem Schuhwerk – z. B. Gummischuhe), bei beiden Geschlechtern etwa gleich häufig, Exazerbationen vorwiegend in der warmen Jahreszeit und in warmem Klima. Sie entsteht durch Aktivierung einer stummen Infektion des Interdigitalraums oder durch Übertragung (Bäder etc.). Symptomatik. Folgende Manifestationen werden un-
. Abb. 4.36. Epidermomycosis corporis. Multiple runde, durch Konfluenz teils polyzyklische erythematöse Herde mit eingesunkenem Zentrum, entzündlichem Randwall und peripherer Schuppung
terschieden: Interdigitalmykose (. Abb. 4.39). Diese ist die häufigste Manifestation und Ausgangspunkt für die Infektion
183 4.4 · Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
. Abb. 4.38. »Tinea incognita«. Diese Läsion ähnelt einem chronischen Unterschenkelekzem und wurde auch lange als solches mit Kortisonsalben behandelt. Ein Hinweis, dass es sich hier um eine verschleierte Mykose handelt, ist die polyzyklische Begrenzung am oberen Läsionsrand
4
. Abb. 4.40. Epidermomykosis manus (linksseitig). Typisch der einseitige Befall, die multiplen halskrausenartigen Schuppen (Dyshidrosis lamellosa sicca) und die Betonung der Handfurchen
Begrenzung (»Mokassin-Mykose«). Meist beidseitig. Seltenere Varianten sind die dyshidrosiforme (Bläschen, oft mit Superinfektion) und die tylotisch-hyperkeratotisch-rhagadiforme Verlaufsform. Häufig mit Onychomykose assoziiert. Differenzialdiagnose: Psoriasis inversa, Fußekzem, Keratoma sulcatum. Palmare Epidermomykose (. Abb. 4.40). Klinisch ana-
log, seltener, meist einseitig. Typisch sind rundliche Schuppenkrausen (Dyshidrosis lamellosa sicca), selten Bläschen. Charakteristisches Zeichen: feine Schuppung der Handfurchen. Gleichfalls häufig mit Onychomykose assoziiert. Differenzialdiagnose: Psoriasis inversa, Handekzem, Tylosis. Diagnostik der Epidermomykosen. Pilzbefund, Kul. Abb. 4.39. Interdigitalmykose. Wie gekocht aussehende (mazerierte), schuppende, rhagadiforme Läsionen
des ganzen Fußes. Im Zwischenzehenraum ist die Haut weißlich, mazeriert, oft mit schmerzhaften Rhagaden (klassische Eintrittsstelle für Erysipel!). Meist sind mehrere Interdigitalräume befallen, am häufigsten und intensivsten 3/4 und 4/5 (Okklusionseffekt). Häufig Übergreifen auf Fußsohle und Hohlfuß, seltener Fußrücken. Heftiger Juckreiz. Differenzialdiagnose: Bakterielle Intertrigo, interdigitales Erythrasma, interdigitaler Klavus. Plantare Epidermomykose. Diffuse Schuppung und trockene Verdickung der Fußsohlen, jedoch kaum Zeichen der Entzündung; Übergreifen auf Ferse und seitliche Fußränder, hier auch scharfe, oft polyzyklische
tur (s. u.). Therapie der Epidermomykosen. Der Verlauf der Epidermomykosen ist unbehandelt oft eminent chronisch. Lokalbehandlung mit antimykotischen Salben (Azole, Allylamine) reicht meist aus, systemische Antimykotika nur in ausgedehnten oder refraktären Fällen.
Trichomykosen Trichomykosen sind Dermatophytosen, bei denen neben der Epidermis auch die Haarfollikel befallen sind. Bei der oberflächlichen Trichomykose beschränkt sich der Befall auf das Follikelinfundibulum, bei den tiefen wachsen die Pilze bis zum Bulbus vor und dringen auch in das Haar ein (. Abb. 4.41) – allerdings stellen diese beiden Verlaufsformen ein Kontinuum dar. Bei den oberflächlichen Trichomykosen kommt es zu reversiblem Haarausfall (Herpes tonsurans). Bei
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
den tiefen bestimmt die Virulenz des Erregers das klinische Bild (s. u.).
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Oberflächliche Trichomykosen Diese werden meist durch zoophile Dermatophyten erregt (T. mentagrophytes, M. canis): mehrere oder zahlreiche scheibenförmige Körperherde ähnlich der Epidermomycosis corporis, aber entzündlicher und mit follikulären Knötchen, Bläschen und Schuppen sowie heftigem Juckreiz (. Abb. 4.42). Langwierig, aber selbstlimitiert, Abheilung narbenlos. Prädilektionsstellen: Extremitäten, Gesicht. Kinder sind für die Infektion mit zoophilen Pilzen besonders empfänglich, die Herde liegen häufig an der Wange (Kontakt mit infizierten Haustieren – Meerschweinchen, Katze u. a.). Differenzialdiagnose. Epidermomycosis corporis; bei Befall des Gesichts bakterielle Follikulitis, Pili recurvati (Einwachsen der Barthaare). Tiefe Trichomykosen Diese treten in der Regel in Regionen mit Langhaar auf (Kapillitium, Bart). Erreger: Meist T. mentagrophytes und T. verrucosum, gelegentlich jedoch fast alle Arten der Genera Mikrosporum und Trichophyton. Man unterscheidet: 4 stark entzündliche Formen und 4 wenig entzündliche Formen der tiefen Trichomykose
. Abb. 4.42. Oberflächliche Trichomykose. Ein scheibenförmiger, randbetonter Herd mit mehreren entzündlichen Papeln und oberflächlichen Pusteln
Entzündliche tiefe Trichomykose Definition, Epidemiologie. Eine nicht seltene nekro-
tisierende abszedierende tiefe Follikulitis und Perifollikulitis (analog dem Furunkel). Meist durch Tierkontakt erworben (Rinder, Nagetiere), häufig im bäuerlichen Milieu. Pathogenese. Die abszedierende Follikulitis führt zur Nekrose des gesamten Follikels (bleibender Haarausfall). Der Haarschaft ist massiv befallen – er ist zur Gänze mit Pilzsporen erfüllt (endotricher Haarbefall). Die Pilze können in den Haarschaft nur eindringen, wenn sie bis zur keratogenen Zone im Haarbulbus vordringen – es resultiert eine schwere mechanische Schädigung des Haares. Symptomatik. Heftig schmerzhafte, entzündliche scheibenförmige Herde mit eitriger Einschmelzung der Haarfollikel. Prädilektionsstellen: bei Kindern der Kopf (Kerion Celsi), bei Männern der Bartbereich (Sycosis barbae, . Abb. 4.43); Arme (Kontakt mit infiziertem Tier). Die Größe schwankt von einem einzigen ergriffenen Follikel (furunkuloide Form) bis zu ausgedehnten Herden (z. B. gesamter Bartbereich). Eiter entleert sich auf Druck gießkannenartig aus zahlreichen Follikeln (Vergleich mit Bienenwabe: »Kerion«). Lymphadenitis, oft pyogene Superinfektion. Sonderform: diffus infiltrierender Typ: brettharte Induration, relativ wenig Eiterung. ! Trichomykosen der behaarten Kopfhaut kommen nur im Kindesalter vor! Einzige Ausnahme: Favus (s. u.).
. Abb. 4.41. Oberflächliche und tiefe Trichomykosen. Pfeile: Pilzwachstum bei tiefen Trichomykosen
Diagnostik. Pilzbefund an ausgezogenen Haaren (schmerzlos!), Pilzkultur.
185 4.4 · Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
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. Abb. 4.43. Sycosis Barbae (Kerion Celsi-artiger Typ). Ein vegetierender, aus multiplen Follikelöffnungen eiternder, heftig entzündlicher Herd. Erreger: Trichophyton verrucosum
. Abb. 4.44. Mikrosporie. Ein wenig entzündlicher, pityriasiform schuppender Herd, in dem die Haare abgebrochen sind
Differenzialdiagnose. Furunkel, Karbunkel, Kopfschwartenphlegmone, einschmelzendes Hämatom.
Diagnostik. Pilzbefund und -kultur. Schnelldiagnose:
Verlauf. Selbstlimitiert; Abheilung allerdings erst nach Monaten, mit Narben und dauerndem Haarverlust. Bei Behandlung ist das Endergebnis oft gut (Alopezie bescheidener als erwartet). Kontraindiziert: operative Spaltung des Abszesses (Abheilung dauert länger, Narben stärker). Wenig bzw. nichtentzündliche Trichomykosen Mikrosporie
Eine seltene, fast reaktionslose, nicht abszedierende tiefe Follikulitis mit epidemischem Auftreten. In Deutschland meldepflichtig. Erreger: M. audouinii, seltener T. tonsurans u. a. Hier finden sich die Pilzsporen lediglich außen am Haar und im Haarkortex (exotricher Haarbefall). Die Haarschäfte sind nur mäßig mechanisch geschädigt.
Grünfluoreszenz der befallenen Stellen im Woodlicht (Suche nach symptomlosen Keimträgern in der Umgebung der Erkrankten). Differenzialdiagnose: Pityriasis simplex capillitii, seborrhoisches Ekzem, Pityriasis sicca. Favus
Eine chronisch-persistierende, wenig entzündliche tiefe Follikulitis durch T. schönleinii (seltener T. violaceum, M. gypseum) (. Abb. 4.45). Epidemiologie. Favus ist weltweit verbreitet, häufig im Nahen Osten (Türkei). Vorkommen unter schlechten sozioökonomischen Verhältnissen, Leben auf engem Raum. Favus ist von endemischem Charakter, die Krankheit beginnt schon im Kindesalter (alte Bezeich-
Epidemiologie. Die Mikrosporie befällt fast aus-
schließlich präpubertäre Kinder; sie ist in Mitteleuropa die einzige Trichomykose mit epidemischem Auftreten (z. B. Schulen). Übertragung durch direkten Kontakt und Gegenstände (Kämme). Symptomatik. Multiple, kaum entzündliche, pityriasiform schuppende haarlose Stellen der Kopfhaut (. Abb. 4.44). Die (wegen der Einscheidung durch die Pilze) glanzlosen Haare brechen oberhalb der Haut ab (kein Haarausfall), die Haarstümpfe sind daher sichtbar (»schlecht gemähte Wiese«). Kein irreversibler Haarausfall!
. Abb. 4.45. Favus. Multiple schildförmige Schuppenkrusten (»Skutula«), beginnende vernarbende Alopezie
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
nung »Erbgrind«) und setzt sich ins Erwachsenenalter fort. Symptomatik. Eine chronisch-torpide, progrediente,
4
gering entzündliche Dermatose. Aus besiedelten Follikeln bilden sich charakteristische schüsselförmige, später konfluierende Schuppenkrusten (»Scutula«), die reichlich mit Myzel durchsetzt und übelriechend sind (»Mäuseurin«). Im Lauf der Jahre fleckige vernarbende Alopezie. Differenzialdiagnose: Folliculitis decalvans. Therapie der Trichomykosen Systemische Antimykotika: Itraconazol, Fluconazol oder Terbinafin durch 3–6 Wochen. Tiefe Trichomykosen: begleitend Antibiotika, antiseptische Lokalbehandlung. C A V E
Itraconazol ist ein potenter Hemmer des Cytochrom 3A4.
Onychomykose (durch Dermatophyten) Definition. Befall von Finger- und Zehennägeln durch Dermatophyten. Epidemiologie. Onychomykosen sind häufig (etwa ein Viertel aller Nagelkrankheiten). Sie sind bei Kindern sehr selten (vermutlich wegen des rascheren Nagelwachstums), mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenz kontinuierlich an. Zehennägel sind viel häufiger erkrankt als Fingernägel – dieses Ungleichgewicht ist bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern. Onychomykose ist zwar häufig, wird aber dennoch zu oft diagnostiziert! Pathogenese. Erreger. Fast alle Dermatophyten (außer Mikrosporen), Haupterreger sind T. rubrum, T. interdigitale und E. floccosum (oft Begleitkeime: Schimmelpilze, Kandidaspezies). Die Onychomykose der Zehennägel ist, wie die Tinea pedis überhaupt, eine Zivilisationskrankheit (Okklusionsbedingungen und chronische Traumatisierung durch das Schuhwerk). Sie tritt meist bei chronischer Fußmykose auf und ist selbst ein Fokus für die Reinfektion der Haut. Dermatophyten befallen den Nagel meist von distal, von einer Ecke des freien Randes (distale subunguale Onychomykose). Sie bevorzugen den weicheren tieferen Teil der Nagelplatte und wachsen in ihr langsam proximal vor, bis sie die Matrix erreichen. Selten geht die Mykose vom proximalen Nagelfalz oder von der Dorsalseite der Nagelplatte aus. Sie tritt vorwiegend an vorgeschädigten Nägeln auf (»Ba-
sisschaden«): chronisch-mechanisches Trauma (z. B. spitze Schuhe, Skelettdeformitäten), Durchblutungsstörungen, Veneninsuffizienz, Diabetes, Onychodystrophie. Da der Basisschaden durch Antimykotika nicht behoben wird, sind Rezidive nach Therapie häufig. Symptomatik. Zu Beginn der distalen subungualen Onychomykose treten unter den Nagelecken weißgelbe krümelig-pudrige Massen auf, die sich über Monate entlang der Nagelränder ausbreiten (»der freie Rand schiebt sich unter den Nagel«), bis schließlich der gesamte Nagel unterhöhlt ist; die Oberfläche des Nagels bleibt zunächst unverändert. Der entstandene Hohlraum ist von Hornmaterial gefüllt, das von Schimmelpilzen und Bakterien besiedelt und dadurch verfärbt werden kann (schwarz, blau, grün). Haben die Pilze die Nagelmatrix erreicht, kommt es auch zu Wuchsstörungen des Nagels (Verdickung, höckerige Oberfläche) (. Abb. 4.46). Die proximale subunguale Onychomykose beginnt als weiß-gelbliche Verfärbung am proximalen Nagelfalz und schreitet mit Wuchsstörungen des Nagels fort. Die »weiße« oberflächliche Onychomykose ist durch scharf und bizarr begrenzte weiße, raue Flecken an der dorsalen Nagelplatte gekennzeichnet. Sie ist langsam progredient. Bei der HIV-Infektion ist sie häufig. Maximal- und Endform aller Typen ist die totale dystrophische Onychomykose. Diagnostik. Pilzbefund und Kultur. Wichtig: Material-
entnahme vom »aktiven Rand« der Mykose! Differenzialdiagnose. Das wesentliche diagnostische
Kriterium bei Onychomykose sind die weichen, krü-
. Abb. 4.46. Onychomykose. Die Fingernägel sind zerschichtet, fragmentiert und in krümelig-pudrige, weißliche Massen aufgelöst
187 4.4 · Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
meligen subungualen Hornmassen. Beim Psoriasisnagel (subungualer Typ) sind die Hornmassen lamellär geschichtet, Bevorzugung der Nagelmitte, bei Onycholysis semilunaris fehlen sie. Onychodystrophie: der Nagel ist verdickt und hart. Ähnliches gilt für Nagelläsionen bei Morbus Darier, Pachyonychia congenita etc. Therapie. Lokaltherapie ist außer bei der weißen oberflächlichen Onychomykose in der Regel wirkungslos (Problem der Bioverfügbarkeit). Nagellack-Präparate, die Amorolfin oder Ciclopiroxolamin enthalten, sind zur bequemen und in ca. 50% wirksamen (allerdings Monate dauernden) Lokaltherapie geeignet, sofern die Nagelmatrix unbefallen ist. Systemische Therapie. Terbinafin (gegen Hefen weniger wirksam) oder Itraconazol (auch als Pulstherapie; auch bei Hefen wirksam). Einnahmedauer mindestens 6 Wochen (Fingernägel) bzw. 12 Wochen (Zehennägel). Die Heilungsquoten liegen zwischen 80 und 90%, die Rezidivquoten hängen vom Ausmaß des Basisschadens ab (in günstigen Fällen ca. 10%). Die Heilungsrate ist bei Mykosen der Fingernägel immer besser. C A V E
Nagelextraktion verkürzt den Heilungsverlauf, birgt aber die Gefahr zusätzlicher Matrixschädigung und ist daher als Routinemaßnahme ungeeignet. Nagelextraktion allein ist ein völlig untaugliches Mittel.
Onychomykosen durch andere Myzeten Candida albicans (gelegentlich auch andere Kandidaspezies) führt nur unter besonderen Bedingungen zur Onychomykose (Immunsuppression, chronische mukokutane Kandidiasis). Häufig werden Schimmelpilze isoliert (Scopulariopsis brevicaulis, Aspergillen, Acremoniumund Fusariumspezies), wobei die Entscheidung schwer ist, ob es sich nicht um Kontaminanten handelt. Hautmykosen durch nicht-dermatophytische Fadenpilze Tinea nigra. Eine in heiß-feuchten Klimaten vorkommende, in Europa sehr seltene oberflächliche Infektion der Hornschicht durch Cladosporium werneckei. Symptomatik: braunschwarze, leicht schuppende scharf begrenzte Flecken fast ausschließlich der Handfläche (ähnlich der Verfärbung durch Lapis). Ansteckung aus dem Erdreich. Keine subjektiven Symptome. Therapie: Keratolytika. Piedra. Infektion des Haarschafts durch Piedraia
hortae (schwarze Piedra) bzw. Trichosporon beigelii
4
(weiße Piedra). Symptomatik: fest mit dem Haarschaft verbundene bis Millimeter große Myzelklumpen; das Haar ist brüchig. Die schwarze Piedra tritt in tropischen Regionen auf (Ferner Osten, Südamerika) und bevorzugt das Haupthaar. Die weiße Piedra kommt auch in Europa und den USA vor, sie bevorzugt Bart- und Genitalbehaarung. Therapie: Rasur. 4.4.3 Hefepilzmykosen der Haut Hefepilze sind einzellige Pilze, die sich asexuell durch Sprossung vermehren. Sie sind die Erreger zahlreicher Infektionskrankheiten der Haut und innerer Organe (Systemmykosen), viele von ihnen »opportunistisch«. Hautpathogene Sprosspilze gehören hauptsächlich dem Genus Candida an. Der Sprosspilz Malassezia furfur ist Teil der residenten Flora der Haut. Pityriasis versicolor (Kleienflechte) Definition. Eine häufige, meist nur kosmetisch relevante oberflächliche Mykose, die durch die Myzelform von Malassezia furfur hervorgerufen wird. Der Name leitet sich vom charakteristischen Farbumschlag nach Sonneneinwirkung (von rotbraun auf hypopigmentiert) ab. Pathogenese. Erreger: M. furfur (früher Pityrospo-
rum ovale) ist ein dimorpher, obligat lipophiler Sprosspilz. In seiner saprophytären Hefeform ist er Teil der residenten Keimflora (seborrhoische Areale), in der parasitären Myzelform ist er pathogen (Pityriasis versicolor, Pityrosporum-Follikulitis) und spielt auch eine wichtige Rolle beim seborrhoischen Ekzem. Sein Habitat ist das obere Follikelinfundibulum; die Besiedelung erfolgt erst ab der Pubertät (Talgproduktion!). Das Genus Malassezia umfasst neben M. furfur noch zumindest 6 weitere Spezies (M. pachydermatis u. a.). Die Pityriasis versicolor entsteht durch Übergang des Pilzes von der saprophytären in die parasitäre Form mit Auswanderung aus dem Haarfollikel (Feuchtigkeit und Wärme – Okklusionseffekt). Die Läsionen entsprechen auf der Hornschicht aufliegenden Pilzrasen, die bräunliche Farbe stammt von Pilzpigmenten – gelbgrüne Fluoreszenz im Woodlicht! Die Hypopigmentierung nach UV-Exposition beruht auf einer direkten Toxinwirkung auf die Melanozyten: Metaboliten des Pilzes, z. B. Azelainsäure, führen zur Reifungshemmung der Melanosomen. Epidemiologie. Weltweit verbreitet, betroffen sind hauptsächlich jüngere Männer. Fördernde Faktoren: heißes, feuchtes Klima, Schweißneigung. Die Pityriasis
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
versicolor ist nicht ansteckend, da ihr eine Aktivierung körpereigener Keime zugrunde liegt. Symptomatik. Vorwiegend im Nacken und oberen
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Rumpfbereich multiple, runde, scharf begrenzte, zart kleieartig schuppende, hell- bis dunkelrotbraune Flecken mit Tendenz zu großflächiger Konfluenz (Nackenbereich!) (. Abb. 4.47). Konfluierte Areale sind homogen bräunlich verfärbt und wirken, wenn die Randpartien nicht beachtet werden, wie dunkle, normale Haut: nicht (oder kaum) entzündet, normale Textur, kein Juckreiz. Die Besiedelung nimmt nach distal ab; es finden sich nur selten Herde an den Oberarmen oder unterhalb des Nabels. Im Randbereich Auflösung in diskrete kreisrunde Herde von Konfettigröße, kleinste Herde erscheinen als dunkle Umrahmung der Follikelöffnung (follikuläre Pityriasis versicolor). Ein dramatischer Charakterwandel ergibt sich im Anschluss an intensive Sonnenbestrahlung. Während sich die normale Haut bräunt, werden die Läsionen hell (oft erst einige Wochen später): es entsteht ein Negativbild der präexistenten Läsionen (Pityriasis versicolor alba, . Abb. 4.48). Diagnostik. Klinisch; Pilzbefund (Tesafilmabriss.) Die
Kultur (selten erforderlich) erfolgt auf ölbeschichtetem Agar. Differenzialdiagnose. Pityriasis rosea, seborrhoisches
Ekzem, Lentigines, Café-au-lait-Flecken. Pityriasis versicolor alba: Pityriasis alba (!), Mucinosis follicularis, Vitiligo.
. Abb. 4.47. Pityriasis versicolor. Klecksartige braune Einzelläsionen, die nach kranial konfluieren. Außer dem Farbton und der kaum wahrnehmbaren pityriasiformen Schuppung scheint die läsionale Haut völlig normal. Beachte die follikuläre Lokalisation der kleinen Satellitenherde
. Abb. 4.48. Pityriasis versicolor alba (follikulärer Typ). Multiple, kleine, teils konfluierende, follikulär lokalisierte hypopigmentierte Herde
Therapie. Gebrauch eines ketokonazol- oder mikonazolhaltigen Shampoos über ca. 10 Tage (mehrminütiges Einwirken), anschließend Erhaltungstherapie (3–4 Behandlungszyklen/Jahr). Der Patient muss darauf hingewiesen werden, dass ohne regelmäßige Wiederholung Rezidive unvermeidlich sind (Wiederbesiedelung der Haut aus den Reservoirs – Kapillitium, äußerer Gehörgang). Überflüssig sind systemische Antimykotika (z. B. Itraconazol). Die Pityriasis versicolor alba kann (nach Entfernung der Pilzrasen) mit UV nachgedunkelt werden. 3Pityrosporum-Follikulitis. Eine nicht seltene papulopustulöse follikuläre Eruption vorwiegend an Rumpf, seltener proximalen Extremitäten und Nacken, die von einer bakteriellen Follikulitis nur durch den Pilzbefund unterschieden werden kann. Vorwiegend bei Immundefizienz.
Kandida-Mykosen Infektionen durch dimorphe Sprosspilze des Genus Candida (und Torulopsis). Kandida-Mykosen sind meist opportunistische Infektionen, d. h. sie beruhen auf der Störung der lokalen Homöostase (z. B. chronische Durchfeuchtung der Haut) oder der Immunabwehr. Häufigster Erreger ist Candida albicans, ein Kommensale mancher Schleimhäute. Man unterscheidet Kandidamykosen der Haut/Schleimhaut und systemische Kandidamykosen. Erstere resultieren meist aus endogener Infektion, letztere auch durch Übertragung – eine der häufigsten Nosokomialinfektionen. Die Inzidenz ist in den letzten Jahren wegen des Zuwachses an immunsupprimierten Patienten angestiegen. Pathogenese. Mehr als 80 Spezies von Kandida bzw. Torulopsis sind bekannt und potenziell pathogen, doch
189 4.4 · Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
spielen nur ca. 10 eine Rolle als Erreger von Infektionen des Menschen (. Übersicht). Kandidapilze sind ubiquitär verbreitet. C. albicans ist Teil der normalen Flora des Oropharynx, des oberen Respirations-, des Verdauungs- (20–90%) und des weiblichen Genitaltrakts (10%, 30% bei Schwangeren). Die Haut ist normalerweise nicht oder nur passager besiedelt (Finger, Beugen). Bei der Geburt wird das Neugeborene aus der Vagina mit Kandida besiedelt.
Wichtige Kandida-Spezies 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Candida albicans C. tropicalis C. pseudotropicalis C. parapsilosis C. stellatoidea C. guilliermondii C. (Torulopsis) glabrata C. krusei C. lusitaniae
! C. albicans ist für das gesunde Neugeborene obligat pathogen: 90% entwickeln eine orale oder anogenitale Soormykose. Besonders gefährdet sind Frühgeborene und Untergewichtige: Kandidämie durch gastrointestinale Resorption in 4–10%. Vor der Geburt ist daher bei vaginalem Nachweis von Kandida, auch ohne klinische Beschwerden, eine präventive Lokalbehandlung angezeigt.
Ca. 60% der Infektionen werden von C. albicans, ca. 20% von C. tropicalis verursacht. Trotz Präferenz verschiedener Spezies für bestimmte Manifestationen besteht grundsätzlich keine Erregerspezifität. Bei immunsupprimierten Personen kann ein Erregerwechsel von C. albicans zu Azol-resistenteren Hefepilzen, z. B. C. glabrata, C. krusei, C. parapsilosis auftreten (letztere besonders bei parenteraler Ernährung: wächst gut bei hoher Glukosekonzentration, haftet an Kunststoffoberflächen). Epidemiologie. Kandidainfektionen sind beim Gesunden selten, beim Kranken häufig (very young, very old, very sick). In den letzten Jahren kam es durch den Zuwachs alter und immunsupprimierter Patienten zum starken Anstieg systemischer Kandidainfektionen. C. albicans ist der vierthäufigste aus dem Blut isolierte Keim. Biologie der Kandida-Infektion. Kandidaspezies sind
nur fakultativ pathogen – nur C. albicans und C. stellatoidea sind bei Gesunden zur Ausbildung von Läsio-
4
nen fähig, wenn sie in oberflächliche Hautdefekte inokuliert werden. Die Entwicklung des Keims vom Kommensalen zum Erreger bedrohlicher Systeminfektionen erfolgt in 2 Schritten: Wandel zum Parasiten (bei Auftreten günstiger lokaler oder systemischer Bedingungen; die Infektion ist noch auf die Oberflächen von Haut und Schleimhäuten beschränkt) und Invasion in die Blutbahn. Diese beiden Schritte können mit langem Abstand oder kurz aufeinander folgen (auch gleichzeitig). So ist Kandidasepsis bei AIDS-Patienten trotz ausgedehntem, schwerem Schleimhautbefall selten, bei Verbrennungspatienten oder Neugeborenen kann sie hingegen akut einsetzen. 3Überblick: Wechselwirkungen Organismus – Kandidapilze Faktoren, die den Umschlag von der kommensalen zur parasitären Phase begünstigen, sind: 4 Lokalfaktoren: Haut: chronische Durchfeuchtung (Mazeration), z. B. Intertrigo, Balanitis, Windelekzem, Okklusivverbände, beruflich (z. B. Pflege); Schleimhaut: Zahnprothesen; Erosionen und Ulzera; Intrauterinpessare, Venen-, Harnkatheter, Implantate. 4 Systemische Faktoren: Defizienz der zellulären Immunabwehr (Neugeborenen-, Greisenalter, Immunmangelsyndrome, HIV-Infektion, Lymphome, immunsuppressive Therapie); Defekte der Phagozytose (Neutropenie, chronische Granulomatose); Stoffwechselstörungen (Diabetes mellitus, Schwangerschaft); Marasmus, konsumierende Krankheiten; Schockzustände; Medikamente (Östrogene, Kortikosteroide), Antibiotika (Verschiebung der intestinalen Flora zugunsten von Kandida). 4 Virulenzfaktoren seitens Kandida: Proteasen, Adhärenzfaktoren.
Günstige Wachstumsverhältnisse führen zunächst zur Erhöhung der Keimzahl in den kolonisierten Schleimhäuten und zur Besiedelung normalerweise unbesiedelter Regionen (Haut) – Voraussetzung für den Übergang in die parasitäre Myzelform. Gleichzeitig verdrängen virulentere Kandidastämme weniger virulente; diese können dann auch auf andere Personen übertragen werden (Nosokomialinfektion). Der Schritt zur invasiven Infektion bedarf einer schweren Abwehrschwäche (z. B. Neutropenie) sowie des Übertritts von Kandida in die Blutbahn. Letztere erfolgt entweder endogen (Darm), durch i. v.-Zugang (Venenkatheter, i. v.-Ernährung) oder Implantate (z. B. Herzklappen). Die Kandidasepsis kann sofort oder erst nach Latenz (bis Wochen) zur Besiedelung eines oder zahlreicher innerer Organe führen. Die Mortalität ist hoch (>40%). Symptomatik. Kandidamykosen von Haut und Schleimhaut. Deren vielgestaltiges Bild zeigt folgende
morphologische Grundelemente: Schleimhaut: weiß-
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
liche, leicht wegwischbare Beläge (Myzelrasen) auf geröteter, oft erosiver Schleimhaut. Bei längerem Bestehen hyperplastische oder atrophe Reaktion des Epithels. Haut: oberflächliche »matsche« Pusteln mit entzündlichem Hof, die schnell platzen und sich in charakteristische düsterrote, nässende kreisrunde Erosionen mit peripherer »Schuppen«krause umwandeln (mazerierte, nekrotische Epidermis).
4
Orale Kandidiasis (Mundhöhlensoor). Diese ist die häufigste Kandidamykose. Sie tritt in mehreren Manifestationen auf: 4 Pseudomembranöser Typ. Die häufigste Erscheinungsform; sie ist durch weißliche Beläge (. Abb. 4.49) an Wangen und Gaumen, seltener Zunge gekennzeichnet, bei massivem Befall auch an Pharynx und Ösophagus. Subjektiv symptomarm. Dieser Typ wird vorwiegend bei episodischer oder beginnender Immundefizienz beobachtet (Kleinkinder, konsumierende Krankheiten etc.) Von hier aus häufig Besiedelung des Gastrointestinaltrakts (Dyspepsien!) und Infektion eines evtl. bestehenden Windelekzems. Bei Fortbestand der Ursache können die Läsionen persistent werden (chronische mukokutane Kandidiasis, HIV-Infektion) oder in eine der unteren Formen übergehen. 4 Atrophe orale Kandidiasis. Diese entsteht meist als chronische Folge der pseudomembranösen Form. Sie ist wenig auffällig: die Schleimhaut ist erythematös, glatt und glänzend, die Papillen verstrichen. Prädilektionsstellen: Zunge, Gaumen, unterhalb von Zahnprothesen. Hauptmerkmal sind die subjektiven Beschwerden: Brennen. Häufig bei HIVInfektion. 4 Hypertrophe orale Kandidiasis. Auch hier bestehen weißliche unregelmäßige Beläge, die jedoch nicht leicht wegwischbar sind. Die Schleimhaut ist teils atroph, teils geschwollen und pflastersteinartig hypertroph. Prädilektionsstellen: Wangen, Zunge. Häufig bei chronischer mukokutaner Kandidiasis, bei Rauchern und HIV-Infektion. Differenzialdiagnose der oralen Kandidiasis: Speisereste (Milch), Lichen ruber, Leukoplakie, verruköses Karzinom. 4 Weitere Erscheinungsformen. Perlèche (Erosionen der Mundwinkel) und Glossitis mediana rhomboidalis (ein rhombisches Areal von atropher Glossitis im Zentrum der Zunge; selten). Kandidiasis der Körperhaut. Diese tritt stets in feuchtwarmen Körperregionen (Falten) auf und ist häufig mit disponierenden Systemkrankheiten assoziiert (z. B. Diabetes mellitus).
. Abb. 4.49. Orale Kandidiasis bei einem Säugling. Multiple weißliche, wegwischbare Beläge an Wangenschleimhaut und Zunge
. Abb. 4.50. Intertriginöse Kandidamykose. Eine flächenhafte, düsterrote Erosion submammär, randständig von halskrausenartigen Schuppensäumen umgeben. Multiple oberflächliche Pusteln, Satellitenläsionen
4 Intertriginöse Soormykose (. Abb. 4.50). Fast ausschließlich bei adipösen Diabetikern in Leisten, Achseln, Submammärregion. Beginn mit Pusteln (s. o.), die schnell konfluieren, zu riesigen nässenden Herden anwachsen können und von einer durchgehenden Schuppenkrause umgeben sind. Manchmal Satellitenpusteln und Streuherde am Körper. Sonderfälle sind der Windelsoor und die anogenitale intertriginöse Kandidamykose. Differenzialdiagnose: Intertriginöses Ekzem bzw. Psoriasis, Epidermomykose; Windel- bzw. Analekzem. 4 Interdigitale Kandidamykose (Erosio interdigitalis candidomycetica). Eine meist solitäre Läsion, gewöhnlich zwischen 3. und 4. Finger: eine zentrale
191 4.4 · Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
schlitzförmige Rhagade, in deren Umgebung die Haut durch Mazeration weißlich erscheint (»wie gekocht«). Tritt bei chronischer Durchfeuchtung der Hände auf (Wirte, Wäscherinnen). 4 Kandidaparonychie. Meist multipel, ähnlicher beruflicher Hintergrund. Diffuse schmerzhafte Schwellung und Rötung des Nagelwalls. Das Nagelhäutchen fehlt, im Rezessus zwischen Nagelwall und Nagel findet sich weißliches Material (Hornmaterial, Pilzrasen, Eiter). Bei längerem Bestehen Wachstumsstörungen des Nagels (Verdickung, Höckerung). Häufig Mischinfektion. Differenzialdiagnose: Chronische bakterielle Paronychie. 4 Kandida-Onychomykose. Diese ist viel seltener als Onychomykose durch Dermatophyten und folgt meist einer chronischen Kandidaparonychie. Prädisponierende Faktoren sind Raynaud-Syndrom und Morbus Cushing. Regelmäßiges Begleitsymptom bei chronischer mukokutaner Kandidiasis. 4 Sekundäre Kandidainfektion präexistenter Dermatosen. Kann bei entsprechender Disposition und Mazeration bei jeder Dermatose auftreten. Genitale Kandidamykosen Kandida-Vulvovaginitis Epidemiologie. Eine häufige Infektion junger Frauen.
Sie ist größtenteils endogenen Ursprungs (s. u.), kann aber durch Geschlechtsverkehr auch auf den Mann übertragen werden – bei diesem kommt es meist nur zur symptomlosen Besiedelung (trockeneres Milieu!), selten zur (milden) Balanitis. Sie wird daher auch zu den »sexually transmitted infections« gerechnet. Die Kandidavulvitis führt auch zum Mundhöhlensoor des Neugeborenen. Pathogenese. Aktivierung der asymptomatischen Besiedelung der Frau durch Schwangerschaft (Glykogenanreicherung des Vaginalepithels), orale Kontrazeptiva, Antibiotika, Intrauterinpessare, genitalen Fluor anderer Ursache, Koitus etc. Die betroffenen Frauen sind (anders als sonst bei Kandidainfektionen!) in der Regel gesund. Symptomatik. Die Kandidavulvitis ist durch inten-
siven genitalen Juckreiz, Schwellung und düstere Rötung der Labien und der Vagina, wegwischbare weißliche Beläge und bröckeligen weißlichen Fluor gekennzeichnet. Ausbreitung auf die Genitoanalhaut kommt vor. Seltener findet sich ein der atrophen oralen Kandidiasis analoges Bild. Die Krankheit verläuft manchmal extrem chronisch-rezidivierend, mit prämenstrueller Exazerbation (Absetzen der oralen Kontrazeptiva!).
4
Differenzialdiagnose: Trichomoniasis, anaerobe Vagi-
nitis, Gonorrhoe. ! Die Kandida-Vulvovaginitis wird nicht selten überdiagnostiziert. Beim so genannten »Kandidiasis-Syndrom« werden der vulvovaginalen und gastrointestinalen Kandidabesiedelung eine Reihe von Befindlichkeitsstörungen zugeschrieben (Kopfweh, Antriebslosigkeit, Schwäche, Dyspepsie und Diarrhoen, Schlafstörungen etc.).
Kandidabalanitis
Diese verläuft in der Regel milder als die Vulvovaginitis; bei starker Ausprägung ist der Verdacht auf einen Systemprozess gegeben (Diabetes mellitus!). Meist finden sich eine nur wenige Tage dauernde Rötung und juckendes Brennen von Glans und Präputium, bei stärkerer Ausprägung wegwischbare Beläge und Pusteln. Bei nicht-zirkumzidierten Männern ist das klinische Bild intensiver. Differenzialdiagnose: Zirzinäre Balanitis, plasmazelluläre Balanitis. Chronische mukokutane Kandidiasis (CMC) Eine Gruppe seltener Syndrome, die durch persistente oder chronisch rezidivierende oberflächliche Kandidiasis auf Basis eines spezifischen zellulären Abwehrdefekts gegen Kandida gekennzeichnet sind. CMC kann isoliert oder assoziiert mit Endokrinopathien oder Thymom auftreten. Systeminfekte wie bei zellulären Immundefizienz-Syndromen anderer Ursache sind selten, die Prognose ist gut. Symptomatik. Alle genannten Haut- und Schleim-
hautzeichen der Kandidiasis können auftreten, zusätzlich auch disseminierte chronische Hautherde an Rumpf, Kapillitium und Extremitäten (»Kandidagranulome«). Die CMC ist gegen antimykotische Lokaltherapie weitgehend resistent; systemische Therapie führt zu Remissionen, bei Absetzen erfolgen Rezidive. Beginn in den ersten Lebensjahren, manchmal Wachstumsstörungen; im späteren Verlauf oft Besserung. Bei Assoziation mit dem Autoimmun-Polyendokrinopathie-Syndrom Typ I (APECED) tritt die CMC oft als erstes Symptom auf und besteht auch nach Korrektur der Hormonabweichungen weiter. Mit Thymom assoziierte CMC setzt erst im Erwachsenenalter ein. Mögliche Komplikation: Ösophagus-, MundschleimhautKarzinome. Systemische Kandidainfektionen Epidemiologie. Diese werden wegen der Zunahme im-
munsupprimierter und intensivmedizinisch behandelter Patienten häufiger: Knochenmark- und Organtransplantationen (10–30%), invasive Diagnostik, vaskuläre
192
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
und Gelenksimplantate, chirurgische Eingriffe etc. Die höchsten Infektionsraten haben Verbrennungs-, herzchirurgische und onkologische Stationen.
4
Symptomatik. Man unterscheidet folgende Bilder: 4 Kandidämie. Züchtung von Kandida aus dem Blut ohne schwere systemische Erscheinungen (Temperaturen subfebril). Untersuchung auf Absiedelungen in innere Organe und Systemtherapie ist angezeigt. Entfernung aller intravaskulären Katheter! 4 Kandidasepsis. Kandidämie mit klinischen Zeichen der Sepsis. Sie tritt bei Personen mit hochgradig geschwächter Abwehr (Immundefizienz, Verbrennungen) auf. Mortalität 40–60%, schwerwiegende Spätfolgen (z. B. Blindheit). 4 Disseminierte Kandidiasis. Absiedelungen in einem oder mehreren inneren Organen im Rahmen (oder nach) einer Kandidasepsis. Hauptbefallen sind Nieren, ZNS, Herz und Auge, seltener die Haut. Das klinische Bild reicht von Sepsis mit entsprechenden Organbeschwerden zu uncharakteristischem, antibiotikaresistentem Fieber. 4 Hautläsionen bei Kandidasepsis. Disseminierte hämorrhagische Papeln, seltener großknotige Läsionen. Hautläsionen erlauben den leichten bioptischen Nachweis von Kandida. ! Patienten mit antibiotikarefraktärem Fieber unbekannter Ursache und Neutropenie sind verdächtig auf Kandidasepsis bzw. disseminierte Kandidiasis.
Diagnostik. Schwierig. Blutkulturen sind in ca. 50% negativ, Biopsien aus den betroffenen inneren Organen oft ebenfalls. Die Isolation gelingt häufiger aus Sputum und Urin, doch beweist dieser Befund nicht eine Kandidasepsis. Die Sensitivität der Blutkulturen kann mittels der so genannten Lyse-Zentrifugation erhöht werden. Wichtig: der serologische Nachweis des EnolaseAntigens von Kandida.
Therapie der Kandidamykosen Wegen des opportunistischen Charakters vieler Kandidamykosen ist neben antimyzetischer Behandlung die Aufdeckung und, wenn möglich, Behebung disponierender Faktoren wesentlich. Oberflächliche Kandidiasis (oral, intertriginös, geni-
tal). Diese kann topisch behandelt werden (Lutschtabletten, Spülungen, Vaginalsuppositorien, Cremes, Pasten). Wirksam gegen Hefepilze sind die Polyenantimykotika Nystatin, Amphotericin B sowie Azolpräparate (Miconazol, Econazol etc.). Das klassische Lokal-
therapeutikum gegen Kandidapilze ist Nystatin, das auch p. o. zur Behandlung der gastrointestinalen Kandidiasis verwendet wird (ungeeignet zur systemischen Behandlung, wird nicht resorbiert). Ausgedehnte, schwere, mit Immundefekten assoziierte oder chronisch rezidivierende (z. B. vulvovaginale) oberflächliche Kandidiasis sowie Kandidaonychomykose sprechen nur schlecht auf Lokalbehandlung an. Hier ist systemische Behandlung indiziert. Mittel der Wahl ist Fluconazol, weniger günstig Itraconazol. Dauer der Behandlung: 3–4 Tage bei unkomplizierter oraler und genitaler Kandidiasis; schwerere Infekte werden länger, bei schwerer Immundefizienz (HIV-Infektion) auch permanent behandelt. Die genitale Kandidiasis kann auch als Eintagestherapie hochdosiert behandelt werden – Rezidive werden hierdurch jedoch nicht verhindert. Kandidasepsis, disseminierte Kandidiasis. Mittel der
Wahl ist das nebenwirkungsreiche Amphotericin B, häufig in Kombination mit 5-Fluorocytosin. Möglicherweise günstiger ist das fungizide Triazolderivat Fluconazol: es ist gut liquorgängig, gut verträglich (orale Einnahme) und gegen alle Kandidaspezies, außer C. krusei und C. glabrata, (und Kryptokokken) wirksam. Itraconazol ist relativ schlecht wirksam gegen C.albicans, aber gut gegen andere Sprosspilze und auch Aspergillen. Nachteil der Triazole: Induktion resistenter Pilzstämme. Die Behandlungsdauer bei Kandidasepsis ist zumindest 3 Wochen, bei disseminierter Kandidiasis länger (ca. 6 Monate). Bei persistenter Immundefizienz kann eine Dauertherapie erforderlich sein. 4.4.4 Diagnostische Methoden
bei Dermatomykosen Direkter Erregernachweis (Pilzbefund, KalilaugenPräparat). Proben des jeweiligen Substrats (Nagelgeschabsel, Haare, Schuppen, Pustelinhalt – Entnahme aus einer aktiven Region, d. h. meist vom Rand!) werden auf einem Objektträger gesammelt, mit 10–30% Kalilauge überschichtet (Hornmaterial wird im stark alkalischen Milieu durchscheinend), mit einem Deckglas bedeckt, vorsichtig über der Gasflamme erwärmt und im Mikroskop untersucht (niedrige Vergrößerung, halb geschlossene Blende). Pilzhyphen erscheinen als regelmäßig geformte septierte, zart grünlich schimmernde Fäden, bei Kandidainfektionen Pilzsporen (. Abb. 4.51).
193 4.4 · Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
4
a
b . Abb. 4.52a,b. Kolonie von Trichophytum rubrum auf Sabouraud-Agar. a Die Oberfläche des Pilzrasens ist weiß, flaumig, flauschig; b die Unterseite zeigt ein nicht-diffusibles rostrotes Pigment
4.4.5 Subkutane Mykosen
. Abb. 4.51. Hyphengeflecht eines Dermatophyten, teilweise in so genannte Arthrosporen zerfallen
! Mit dem Pilzbefund kann lediglich die Diagnose »Mykose« gestellt, nicht aber Art und Gattung des Erregers bestimmt werden. Auch die Unterscheidung zwischen Faden- und Sprosspilzen ist – trotz gewisser morphologischer Unterschiede – nicht mit Gewissheit möglich.
Pilzkultur. Dient weniger zur Sicherung der Diagnose (Trefferquote kaum höher als beim Pilzbefund, nämlich etwa 80%) als zur Artbestimmung (. Abb. 4.52a, b). Die Unterscheidung der Gattungen und Arten erfolgt nach makroskopischen (Wuchsform der Pilzkolonien, Pigmentproduktion), mikroskopischen (Morphologie der asexuellen Sporen u. a. m.) und biochemischen Kriterien (z. B. Zuckervergärung bei Sprosspilzen). Serologie und Intrakutantests spielen in der Diagnostik der Hautmykosen keine Rolle.
Eine Gruppe von Mykosen, die durch Inokulation (penetrierende Verletzungen mit Dornen, Splittern, etc. – nicht durch bloßen Kontakt!) übertragen werden. Ihre Erreger sind Bewohner des Erdreichs bzw. modernder Pflanzen, von Gras und Holz, und bevorzugen feuchtheißes Klima. Subkutane Mykosen verlaufen chronisch, treten auch beim immunkompetenten Patienten auf und bleiben in der Regel lokal bzw. regional begrenzt. Sporotrichose Eine vorwiegend in feuchtwarmen Ländern (z. B. Südafrika), in Europa seltener vorkommende subkutane Mykose durch den dimorphen Pilz Sporothrix schenckii. Die Infektion erfolgt meist durch Inokulation (Dornen), Inkubationszeit ca. 3 Wochen. Symptomatik. Beim lymphokutanen Typ entstehen
furunkuloide, manchmal einschmelzende Knoten an der Inokulationsstelle, multiple analoge Knoten entlang der ableitenden Lymphbahnen. Selten Dissemination in Knochen, Muskel, ZNS, Niere. Primärer Lungenbefall durch Einatmung von Konidien kommt vor: schlechte Prognose. Diagnostik. Histologie (charakteristische Morpholo-
gie der Pilzelemente), Kultur (Biopsiematerial!).
194
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Differenzialdiagnose. Sporotrichoide atypische Mykobakterieninfektion, Leishmaniose, Nokardiose. Verlauf. Unbehandelt langwieriger, rezidivierender Verlauf. Therapie. Itraconazol, Kaliumjodid p. o.
4
Chromoblastomykose Eine in Tropen und Subtropen vorkommende Mykose, die durch mehrere Hefepilz-Spezies hervorgerufen werden kann. Haupterreger: Fonsecaea pedrosoi. Die Infektion erfolgt durch Inokulation (Landwirtschaft). Klinisch entstehen oft ausgedehnte, sehr chronische ulzerös-vegetierende, zikatrizierende Plaques an der Inokulationsstelle (meist untere Extremität). Unbehandelt chronisch progredient, Spontanheilung kommt kaum vor. Systemische Dissemination ist selten. Differenzialdiagnose: Myzetom, Tuberkulosis verrucosa cutis, Blastomykose, Gummen. Therapie: Weite Exzision, Itraconazol. Myzetom (Synonym Madurafuß) Epidemiologie/Pathogenese. Eine in den Tropen (Indien, Indonesien, Mittel- und Südamerika, Zentralafrika) vorkommende, chronische tiefe Infektionskrankheit von Haut, Subkutis, Muskulatur und Knochen, die durch ca. 30 Pilzarten sowie Aktinomyzeten und Nokardien hervorgerufen werden kann. Häufigste Erreger: Madurella mycetomatis, -grisea, Pseudoallescheria boydii. Infektion durch Inokulation (Landarbeiter, vorwiegend Männer).
. Abb. 4.53. Madurafuß. Keulenförmige, harte Schwellung von Unterschenkel und Knöchelregion, multiple Fistelöffnungen
Verlauf. Unbehandelt chronisch-progredient. Zerstö-
rung von Knochen, Gelenken, Sehnen, Nerven etc., nach Jahren auch Befall innerer Organe. Therapie. In der Anfangsphase kann die (weite) Exzision des befallenen Gewebes ausreichen; allerdings treten in bis 50% Rezidive auf. Bei schwererem Befall ist die Amputation unumgänglich. Antimykotika führen oft zur Besserung, aber kaum zur Ausheilung.
4.4.6 Systemmykosen
Symptomatik. Die Läsionen finden sich fast aus-
schließlich an den Extremitäten, meist am Vorfuß (. Abb. 4.53). Am Inokulationsort bildet sich ein derber subkutaner Knoten, der nach Monaten einschmilzt und fistuliert, später Ausdehnung in die Nachbarschaft und Tiefe (Faszien, Muskulatur und Knochen – Periostitis, Osteomyelitis). Die gesamte Region wird derb verbacken, mit fokalen Auftreibungen, oft grotesk verformt, mit kommunizierenden Fistelgängen. Die subjektiven Beschwerden sind relativ gering. Das Fistelsekret ist eitrig-serös und enthält Drusen (Sklerotien): Konglomerate von Pilzelementen, die mit freiem Auge als gelb-braune/rötliche Körnchen erkennbar sind; histologisch runde, peripher verdichtete Körperchen (Schutz gegen Phagozyten, Ursache der geringen Bioverfügbarkeit von Antimykotika). Diagnostik. Nachweis der Drusen in Fistelsekret und
Histologie; Pilzkultur (Biopsiematerial). Differenzialdiagnose. Chromoblastomykose, Gummen, Lepra, tuberkulöse Osteomyelitis, Weichteil- und Knochentumoren.
Systemmykosen sind systemische Infektionen mit dimorphen Pilzen, die in Endemiegebieten gemäßigter und tropischer Zonen in der Regel außerhalb Europas heimisch sind. Die Erreger sind Erdbewohner, dringen meist durch Inhalation von Sporen (Konidien) in den Körper ein und führen, nach grippeähnlichen Frühstadien, zu primärem Lungenbefall. Seltener entsteht die Infektion durch Inokulation, Übertragung von Mensch zu Mensch kommt nicht vor. Bei Immunkompetenten verlaufen viele Fälle milde und passager, bei Immundefizienten besteht die Gefahr der Dissemination, die foudroyant (häufig infaust) oder als chronische Systeminfektion verlaufen kann. Letztere ist durch Granulome in inneren Organen (Knochen, ZNS) gekennzeichnet, die noch nach Jahren reaktivieren können. Therapie: Azolpräparate, Amphotericin B. Hautläsionen sind bei allen Systemmykosen möglich, prägen jedoch selten das Bild. Häufig treten sie bei Dissemination als exulzerierende Knoten (Granulome) in Erscheinung. Begleitende Intoleranzreaktionen (z. B. Erythem multiforme) sind häufig.
195 4.4 · Infektionskrankheiten durch Pilze (Mykosen)
Die Systemmykosen umfassen folgende Vertreter: 4 Histoplasmose. Erreger: Histoplasma capsulatum, Endemiegebiete: entlang der großen Flüsse der USA (Mississippi, Missouri, Ohio), Zentralafrika 4 Blastomykose (nordamerikanische Blastomykose). Erreger: Blastomyces dermatitidis, Endemiegebiete: wie oben, zusätzlich Zentral-/Südamerika, Indien, Afrika. 4 Kokzidioidomykose. Erreger: Coccidioides immitis, Endemiegebiete: Semiaride Zonen in Nord-, Zentral- und Südamerika. Hauptvorkommen: Kalifornien (»San Joaquin Valley Fever«). 4 Parakokzidioidomykose (südamerikanische Blastomykose). Erreger: Paracoccidioides brasiliensis, Endemiegebiete: Zentral- und Südamerika. 4.4.7 Opportunistische Mykosen
4
taminierte Luft (Belüftungssysteme, Baustaub, Topfpflanzen, Vogelnester etc). Infektion: Inhalation. Aspergillose der Haut kann auch durch Inokulation oder Besiedelung mazerierter Haut entstehen (Katheter, Pflaster etc.). Symptomatik. Lungenaspergillose entsteht auf Basis
präexistenter Läsionen (Tuberkulose, Silikose, Bronchiektasien etc.) und/oder bei Immundefizienz. Sie kann nichtinvasiv als Aspergillom (große kugelige Pilzkonglomerate in Kavitäten – Bronchiektasien, paranasale Sinus etc.), oder als invasive nekrotisierende Bronchopneumonie mit sekundärer Dissemination auftreten (Gastrointestinaltrakt, ZNS, Leber, Herz, Knochen, Auge). Hautsymptome entstehen (selten) bei Dissemination: indurierte oder vegetierende Plaques, tiefe, einschmelzende Knoten. Diagnostik. Nachweis in Biopsiematerial, Kultur. Bei
Diese sind Infektionen durch meist häufige Myzeten, die nicht bei Immunkompetenten, wohl aber bei Immundefizienten zur Krankheit führen, und bei diesen oft foudroyant und unbeherrschbar. Die Inzidenz opportunistischer Mykosen ist in den letzten Jahren durch Intensiv- und Transplantationsmedizin, medikamentöse Immunsuppression und HIV-Infektion stark gestiegen. C A V E
Die Grenze zwischen »normaler« und opportunistischer Infektion ist nicht stets leicht zu ziehen. So besitzen Histoplasmose und Kokzidioidomykose Züge opportunistischer Infektionen; Kandidamykosen und Aspergillose sind im Prinzip solche, können gelegentlich aber auch bei Gesunden auftreten (z. B. Kandidiasis bei chronischer Durchfeuchtung der Haut).
invasiver Aspergillose Nachweis des Galaktomannanantigens im Blut. Therapie. Mittel der Wahl ist Voriconazol, alternativ
Amphotericin B, Caspofungin, Posaconazol. Kryptokokkose (europäische Blastomykose) Erreger ist Cryptococcus neoformans, ein durch eine dicke Polysaccharidkapsel gekennzeichneter Hefepilz, der in mit Vogelkot angereicherter Erde gedeiht. Tauben sind Keimträger (erkranken selbst nicht). Epidemiologie. Weltweit verbreitet, Erkrankung vor-
wiegend in der 2. Lebenshälfte, meist bei Immundefizienz (AIDS!). Infektion: Inhalation von kontaminiertem Staub. Symptomatik. Verlauf meist subakut. Der Lungenbe-
Aspergillose Epidemiologie. Diese ist nach der Kandidiasis die
zweithäufigste opportunistische Mykose. Manifestationen betreffen vorwiegend die Lunge und andere Organe, Hautläsionen sind selten. Pathogenese. Aspergillen sind ubiquitäre saprophytäre Fadenpilze, die in moderndem organischem Material gedeihen, kettenförmige Konidien ausbilden und diese an die Luft abgeben. Ca. 900 Spezies sind bekannt, häufigste Erreger sind A. fumigatus, flavus, niger, terreus und nidulans. Die Erreger gelangen als Anflugkeime an die Haut und den oberen Respirationstrakt, den sie asymptomatisch besiedeln können. Hauptinfektionsquelle ist kon-
fall ist oft wenig ausgeprägt, im Vordergrund steht meist die ZNS-Symptomatik (chronische basale Meningitis, fokale Hirnläsionen, Kopfschmerz), gleichzeitig mildes Fieber, Verfall des Allgemeinzustandes; seltener Dissemination in innere Organe (Nieren). Hautsymptome (. Abb. 4.54) treten im Rahmen der Dissemination auf (ca. 10%): multiple, meist wenig entzündliche Papeln (ähnlich Mollusca contagiosa!) und ulzerierende Knoten. Diagnostik. Histologie: reichlich einzeln liegende
Sprosszellen, deren Kapseln sich mit Muzikarmin anfärben. Im Liquor ergeben Tuschepräparationen ein Negativbild der Pilze. Kultur aus Blut und Liquor, Nachweis des Kryptokokken-Kapselantigens (LatexAgglutinationstest, EIA).
196
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
hervorgerufen durch den Mycobacterium tuberculosisKomplex (M. tuberculosis, -bovis, und - africanum). M. bovis wurde in den entwickelten Ländern weitgehend eliminiert (nicht jedoch in der Dritten Welt).
4
. Abb. 4.54. Kryptokokkose. Disseminierte, trocken-nekrotische Hautherde bei einem Patienten mit Sézary-Syndrom
Therapie. Amphotericin B (allein oder in Kombination mit 5-Fluorocytosin), anschließend Erhaltungsbehandlung (Fluconazol). Prognose. Bei ZNS-Befall schlecht. 3In den letzten Jahren wurden mehr als 60 weitere ansonsten apathogene Umweltpilze als Erreger opportunistischer Mykosen beschrieben (»der Immundefiziente als lebende Petrischale«. Sammelbegriff »Phäohyphomykosen«).
4.5
Infektionen durch Mykobakterien
Mykobakterien sind eine große, weltweit verbreitete und heterogene Gruppe von nichtbeweglichen, nicht sporenbildenden aeroben Stäbchen, die sich in der Gramfärbung schwach positiv färben und säurefest sind. Zirka 40 Spezies sind bekannt; die hauptsächlichen Pathogene sind die Erreger der Tuberkulose, der Lepra und die so genannten atypischen Mykobakterien. Manche Mykobakterien sind fakultativ pathogen (opportunistische Erreger), andere sind apathogene Bewohner der Umwelt. Das Färbeverhalten der Mykobakterien beruht auf dem hohen Lipidgehalt der Zellwände (z. B. Mykolsäure, Wachse): Farbstoffe penetrieren nicht, einmal aufgenommenes Karbolfuchsin wird jedoch trotz Säureeinwirkung nicht mehr abgegeben (Ziehl-Neelsen-Färbung). 4.5.1 Tuberkulose Tuberkulose ist eine weltweit verbreitete MultisystemInfektionskrankheit von vielgestaltiger Symptomatik,
Grundlagen Im Folgenden werden nur Inhalte besprochen, die zum Verständnis der Hauttuberkulose erforderlich sind – für Weiterführendes s. Lehrbücher der Infektiologie. M. tuberculosis ist ein obligat aerobes, säurefestes, vorwiegend intrazelluläres (Makrophagen!) Stäbchen. Langsames Wachstum (Generationszeit 18 h) auf Spezialnährböden, keine Produktion von Exo- oder Endotoxinen. Die Virulenz ist mit dem Cord-Faktor assoziiert. M. tuberculosis hat kein Reservoir außerhalb des Menschen. Epidemiologie. Weltweit sind ca. 2 Mrd. Menschen infiziert. Jährlich erkranken ca. 10 Mio. neu – 95% in der Dritten Welt. Tuberkulose ist eine Krankheit der Bedürftigen und älterer Menschen. Die Prävalenz ging in den entwickelten Ländern bis ca. 1985 stark zurück; seither steigt sie wieder an (»neue Armut«, in manchen Ländern die HIV-Infektion). Gleichzeitig wurde das Auftreten Antibiotika-resistenter Stämme zum Problem. Die Infektion erfolgt meist durch Einatmung infektiöser Aerosole, bei M. bovis durch kontaminierte Milch, bei manchen Formen der Hauttuberkulose durch Inokulation (s. u.). Krankheitsverlauf. Die primäre Infektion erfolgt meist
im mittleren Lungenbereich und ist in >90% asymptomatisch: vom Infektionsort aus befallen die Keime Lymphbahnen und -knoten (Ghon-Komplex) und besiedeln über die Blutbahn zahlreiche Organe (Aufnahme in Makrophagen). Nach 4–8 Wochen ist die Immunität meist hergestellt (Tuberkulin-Test positiv): es entstehen Epitheloidzell-Granulome. Diese heilen mit Fibrose spontan aus, der Betroffene ist gegen Reinfektion teilweise geschützt. Bei Ausbleiben einer ausreichenden Immunität (Immundefizienz, Schwäche) entsteht die symptomatische primäre Lungentuberkulose (ca. 5%), die durch Dissemination tödlich verlaufen kann. In abgeheilten Granulomen können Mykobakterien latent erhalten bleiben und bei Abnahme der Immunität zur Reaktivierung der Infektion führen. Solche postprimäre Formen der Tuberkulose (Reaktivierungstuberkulose: 3–5% der Infizierten) machen den Großteil der Tuberkulosefälle aus. Die Reaktivierung erfolgt heute häufig erst im Alter und manifestiert sich meist in der Lunge, in ca. 15% extrapulmonal (Prädilektion: Knochen, Lymphknoten, Urogenitalsystem). Von allen Manifestationen kann bei schlechter Abwehr-
197 4.5 · Infektionen durch Mykobakterien
lage (z. B. HIV-Infektion) eine Dissemination ausgehen – Miliartuberkulose: eine manchmal foudroyant verlaufende Streuung mit zahllosen kleinen Granulomen in vielen Organen; die Prognose ist unbehandelt infaust.
4
4 Initialphase (2 Monate): Isoniazid plus Rifampicin plus Pyrazinamid, zusätzlich Ethambutol bei disseminierter Infektion, HIV-Infektion, schlechter Abwehrlage oder Verdacht auf Medikamentenresistenz 4 Erhaltungsphase (6 Monate): Isoniazid plus Rifampicin
Diagnostik. Der Verdacht auf Tuberkulose wird durch
den Nachweis säurefester Stäbchen in Ausstrich (Gewebe, Sputum etc.) oder Histologie erhärtet (ZiehlNeelsen). Der definitive Nachweis beruht auf der Kultur (klassisch: Löwenstein-Jensen-Agar; modernere Flüssigmedien, z. B. Bactec) und biochemischer Identifikation. Wesentlich ist die Gewinnung geeigneter Substrate (z. B. Bronchiallavage). Routine sind molekularbiologische Nachweismethoden: PCR und AMTD (»amplified M. tuberculosis direct test«). Die Speziesbestimmung (»fingerprinting«) erfolgt u. a. durch den RFLP-Assay oder Hybridisierung. Luciferase-Assay: Erkennung resistenter Mykobakterien. Zum Screening der Immunität gegen M. tuberculosis dient der Tuberkulin-Hauttest (Mantoux-, TineTest). Ein positiver Ausfall zeigt eine Typ-IV-Reaktion gegen Tuberkuloprotein an und weist eine aktive oder eine abgelaufene Infektion nach. Der Tuberkulin-Test ist schwächer positiv bei HIV-Infizierten und negativ bei schwerer Abwehrschwäche.
Multi-drug-resistente (MDR) Tuberkulose. Als MDR werden Stämme definiert, die gegen mehr als ein Tuberkulostatikum (in der Regel INH und Rifampicin) resistent sind. Sie entstehen vorwiegend durch unzureichende Behandlung, traten vor 1980 nur sporadisch auf, nahmen im Zug der Abnahme der Tuberkulose aber zu (geringere Observanz und Compliance) und erreichten 1991 ca. 4%. Die Behandlung erfolgt mit Kombinationen von »Second line« und noch experimentellen Medikamenten. Tuberkulose und AIDS. Bei der HIV-Infektion (7 Kap. 15) ist sowohl die Wahrscheinlichkeit der Dissemination der Primärinfektion als auch der Reaktivation erhöht. Häufig entstehen atypische Bilder. Tuberkulose ist eine der häufigsten Todesursachen bei AIDS (Afrika) und führt auch zur schnelleren Progression der HIV-Infektion. Hauttuberkulose Epidemiologie. Die Hauttuberkulose ist nur für einen
Therapie. Wegen der Gefahr der Entwicklung resis-
tenter Stämme erfolgt die tuberkulostatische Therapie grundsätzlich als Kombinationstherapie mehrerer Medikamente, werden bei Resistenz stets mehrere Medikamente gleichzeitig gewechselt, die Behandlung durch 6–12 Monate durchgeführt und die Compliance beachtet. Bei korrekter Durchführung sind die Heilungschancen bei ausreichender Immunlage sehr gut. Grundschema der Tuberkulosetherapie (speziellere Angaben zur Therapie s. weiterführende Lehrbücher):
kleinen Anteil (<0,5%) der Gesamtmorbidität an Tuberkulose verantwortlich. Sie ist heute in den Industrieländern eine Seltenheit; in Ländern mit niedrigen sozioökonomischen Bedingungen sind Inokulationsformen jedoch relativ häufig. Klassifikation. Man unterscheidet primäre und postprimäre Formen der Hauttuberkulose; letztere können durch endogene Ausbreitung oder exogene Reinfektion bzw. Autoinokulation entstehen (. Tab. 4.6). Das kli-
. Tab. 4.6. Klassifikation der Hauttuberkulose I. Primäre Hauttuberkulose
tuberkulöser Primärkomplex der Haut
II. Postprimäre Hauttuberkulose
1. Inokulationstuberkulose
4 Gute Immunlage: Tuberculosis verrucosa cutis 4 Mittelgute Immunlage: Lupus vulgaris, Skrophuloderm 4 Schlechte Immunlage: Tuberculosis ulcerosa cutis et mucosae
2. Hauttuberkulose durch endogene Ausbreitung
4 Lymphogen: Lupus vulgaris 4 Per continuitatem: Lupus vulgaris, Skrophuloderm 4 Hämatogen: Lupus vulgaris, metastatischer tuberkulöser Abszess, akute Miliartuberkulose
III. Impftuberkulose (BCG) IV. Tuberkulide
Milder tuberkulöser Primärkomplex der Haut; (Ausnahmefälle von Lupus vulgaris)
198
4
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
nische Bild wird jeweils von der Immunlage des Organismus, der Virulenz des Erregers und dem anatomischen Sitz der Läsion bestimmt. Die spezifische Immunlage bestimmt Größe der Läsion, Maß der Progredienz, v. a. aber die Gewichtung zwischen Bildung von Granulomen (»produktive« Komponente) und von Nekrose (Verkäsung). Der anatomische Sitz kann oberflächlich (Inokulationstuberkulosen, Lupus vulgaris) oder tief sein (z. B. Skrophuloderm). Tuberkulöser Primärkomplex der Haut (Synonym primäre Inokulationstuberkulose, tuberkulöser Schanker) Epidemiologie. In entwickelten Ländern sehr selten, nicht aber in Entwicklungsländern. Auftreten vorwiegend im Kindesalter. M. tuberculosis kann die intakte Haut nicht durchdringen, die Infektion erfolgt durch Inokulation (kontaminierte Gegenstände oder direkter Kontakt – Küssen!) an Eintrittspforten (Schürfwunden, Impetigo), selten durch Sexualkontakte mit an Genitaltuberkulose leidenden Personen.
Epidemiologie. In entwickelten Ländern selten und
meist berufsbedingt: Kontakt mit infektiösen Leichen (Obduktionen), früher Tierverwertung etc. Lokalisation meist an den Händen. In Entwicklungsländern ist die Tuberculosis verrucosa häufig, die Ansteckung erfolgt z. B. durch infektiöses Sputum am Boden (Kinder!). Prädilektionsstelle: Knie. Symptomatik. Beginn mit einer entzündlichen, bald hyperkeratotischen Papel, die langsam anwächst und von einem geröteten Hof umgeben ist (. Abb. 4.55). Die Oberfläche ist unregelmäßig höckrig, fissuriert, manchmal krustig, die Konsistenz derb. Neigung zu Sekundärinfektion. Allgemeinzeichen und regionäre Lymphadenitis fehlen. Extrem chronischer Verlauf, Spontanheilungen sind selten. Diagnostik. Tuberkulin-Test: positiv. Histologie: Pseudoepitheliomatöse Hyperplasie, lympholeukozytäre Entzündung, kaum tuberkuloides Granulationsgewebe oder säurefeste Stäbchen. Differenzialdiagnose. Verrucae vulgares, Trichomy-
Symptomatik. Nach 2- bis 4-wöchiger Inkubations-
kose, hypertropher Lichen ruber, Syphilide.
zeit entsteht an der Inokulationsstelle (meist Gesicht, Konjunktiven oder Extremitäten, selten Genitale) ein schmerzloses, seichtes, bis einige Zentimeter großes, schmierig-eitriges Geschwür mit ausgezackten Rändern. Nach weiteren 2–4 Wochen eine zunächst derbe, später einschmelzende regionale Lymphadenitis (»kalter Abszess«), manchmal mit Fistelbildung. Allgemeinsymptome fehlen oder sind gering. Tuberkulin-Test: ab 4.–6. Woche nach Infektion positiv. Die Spontanheilung dauert bis zu 1 Jahr und erfolgt narbig. Histologie: Anfangs unspezifische Entzündung mit reichlich Mykobakterien; später tuberkuloides Granulationsgewebe – gleichzeitig Abfall der Keimzahl.
Lupus vulgaris (Synonym Tuberculosis cutis luposa) Eine oberflächliche postprimäre Hauttuberkulose bei mittlerer bis guter Immunitätslage. Lupus vulgaris entsteht aus latenten Erregern, die durch Bazillämie (im Rahmen der Primärinfektion oder bei Organtuberkulose) oder lymphogen bzw. per continuitatem (z. B. aus befallenen Lymphknoten, Knochen) an die jeweilige Stelle gelangt sind. Er ist durch die gute Beherrschung des Erregers charakterisiert (Granulombildung und Zerfallsneigung sind im Gleichgewicht). Die Immunlage kann die Tuberkulose nicht gänzlich unterdrücken, lässt aber eine rasche Progression nicht
Differenzialdiagnose. Pyodermie, Primäraffekt bei
Syphilis, atypische Mykobakteriose. Prognose. Meist resultiert aus der Infektion eine gute
Immunitätslage. Wie bei jeder primären Tuberkulose ist jedoch sowohl die hämatogene Dissemination als auch spätere Reaktivation möglich. Tuberculosis verrucosa cutis (Synonym postprimäre Inokulationstuberkulose) Eine oberflächliche, durch exogene Reinfektion entstandene postprimäre Form der Hauttuberkulose bei guter Abwehrlage. Keine Assoziation mit Tuberkulose anderer Organe.
. Abb. 4.55. Tuberkulosis verrucosa cutis. Eine verruköshyperkeratotische Läsion
199 4.5 · Infektionen durch Mykobakterien
zu. In bis 50% Assoziation mit aktiver Tuberkulose anderer Organe. Epidemiologie. Die häufigste Form der Hauttuberkulose, die Inzidenz ist derzeit ca. 1/105/Jahr). Frauen sind etwa 2- bis 3-mal häufiger betroffen. Auftreten im Erwachsenenalter. Symptomatik. Meist bestehen nur ein oder einzelne
Herde. Prädilektionsstellen: Gesicht (Nase, Wangen, Ohren); selten auch Extremitäten (z. B. von Gelenksbefall ausgehend). Primäreffloreszenz ist das so genannte Lupusknötchen: ein kleiner, unscharf begrenzter, schmerzloser, rötlich-brauner Fleck bzw. flaches Knötchen von weicher (morscher) Konsistenz (. Abb. 4.56a, b). Typische Befunde am Lupusknötchen: bei Glasspateldruck tritt die apfelgeleeartige Eigenfarbe (tuberkuloides Granulationsgewebe) in Erscheinung; Sondenversuch: eine angepresste Knopfsonde bricht im Gegensatz zur normalen Haut leicht ein.
4
Lupus vulgaris beginnt mit einzelnen Lupusknötchen und wächst sehr langsam zu polyzyklischen Herden an (nach Jahrzehnten bis etwa Handflächengröße). Die Herde können erhaben werden (L. hypertrophicus), exulzerieren, der Ulkusgrund kann papillomatös sein (L. vegetans). Die Ulzera heilen nach langer Zeit mit atrophen depigmentierten Narben aus, in denen sich häufig wieder Rezidivknötchen bilden. Es kommt zur Zerstörung des Binde- und manchmal auch des Knorpelgewebes mit Gewebeverlust (Nase!, Ohren) (L. mutilans) und narbigen Verziehungen (Mikrostomie, Ektropium, Versteifung von Gelenken). Läsionen können auch an Konjunktiven, Nasen- und Wangenschleimhaut auftreten, häufig kombiniert mit Larynx- und/ oder Knochentuberkulose des harten Gaumens und Nasenseptums: Wolfsrachen, Septumperforation, Larynxstenose. Diagnostik. Tuberkulin-Test: positiv. Histologie: Tu-
berkuloides Granulationsgewebe mit Verkäsung. Säurefeste Stäbchen: spärlich. Differenzialdiagnose. Syphilide, Sarkoidose, Pyoder-
mien, Leishmaniose, Morbus Bowen, Pigmentnävi. Verlauf. Spontan kommt Lupus vulgaris nicht zum
Stillstand. Eine seltene Komplikation sind Plattenepithelkarzinome (Carcinoma in lupo vulgari). Prognose. Von der assoziierten Tuberkulose anderer Organe abhängig.
Tuberculosis colliquativa cutis (Skrophuloderm) Eine durch Ausbreitung per continuitatem (meist von Lymphknoten) entstandene postprimäre Tuberkulose der Subkutis von mit Einschmelzungen bei mittelguter Abwehrlage. Stets mit extrakutaner Tuberkulose assoziiert.
a
Epidemiologie. In den Industrieländern selten, in manchen Entwicklungsländern die häufigste Form der Hauttuberkulose. Hauptbetroffen sind Kinder und alte Menschen.
b . Abb. 4.56a, b. Lupus vulgaris (linker Kieferwinkel, Ohrläppchen). Die Läsion besteht aus wenig auffälligen braunrötlichen Lupusknötchen und -flecken. a Unter Diaskopie charakteristisches apfelgelee-artiges Kolorit. b Beachte die Mutilation des Ohrläppchens
Symptomatik/Diagnostik. Prädilektionsstelle: seitliche Halsgegend, von tuberkulösen submandibulären, präaurikulären und supraklavikulären Lymphknoten ausgehend, häufig bilateral (. Abb. 4.57). Beginn mit derben subkutanen, knotigen Infiltraten, die später mit der Umgebung verbacken, teigig weich werden, nach Monaten einschmelzen und Fisteln bilden, aus denen wäßrig-eitriges oder käsiges Material tritt. Es entstehen zirzinäre, unterminierte Ulzera, die nach extrem chro-
200
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Differenzialdiagnose. Chronisch rezidivierende Aph-
then, Pemphigus vulgaris. Prognose. Hängt vom Verlauf der Organtuberkulose
ab und ist in der Regel schlecht. Akute Miliartuberkulose der Haut Eine seltene Manifestation im Rahmen der disseminierten Miliartuberkulose, bei Personen mit konsumierenden Krankheiten und Immundefizienz. Die Hautsymptome sind wenig auffällig: disseminierte erythematöse Papeln, gelegentlich zentral einschmelzend. Histologie: Abszedierende Entzündung mit reichlich säurefesten Stäbchen. Tuberkulin-Test: negativ.
4
. Abb. 4.57. Skrophuloderm. Ein nussgroßes, weiches, fluktuierendes, zentral nekrotisches Infiltrat
nischem Verlauf mit unregelmäßigen, wie »gestrickten«, oft bandartigen Narben abheilen. Manchmal besteht ein begleitender Lupus vulgaris (Etagentuberkulose). Tuberkulin-Test: positiv. Histologie: Ähnlich Lupus vulgaris, ausgeprägte Verkäsung. Klinisch ähnlich, aber durch hämatogene Ausbreitung bedingt ist der metastatische tuberkulöse Abszess. Er tritt meist bei Kindern in schlechtem Allgemeinzustand auf. Der Tuberkulin-Test ist oft negativ, die Läsionen erregerreich. Differenzialdiagnose. Infektion mit M. scrofulaceum,
Acne vulgaris conglobata, Pyodermien, Gummen, Sporotrichose. Tuberculosis ulcerosa cutis et mucosae (Synonym orifizielle Tuberkulose) Eine seltene, durch Autoinokulation aus einer streuenden Tuberkulose innerer Organe entstandene, durch multiple oberflächliche Ulzera gekennzeichnete Form der Hauttuberkulose bei schlechter Abwehrlage. Auftreten in den Endstadien der Lungen- oder extrapulmonaler Tuberkulose; massive Inokulation mit Erregern aus Sputum, Harn oder Fäzes. Symptomatik. Die Lokalisation der Läsionen hängt
vom Sitz der Organtuberkulose ab: bei Lungentuberkulose die Mundschleimhaut (Gaumen!), bei Darmtuberkulose die Analregion, bei Urogenitaltuberkulose das Genitale. Typische Läsionen: multiple, seichte, schmierige, sehr schmerzhafte Geschwüre. Diagnostik. Tuberkulin-Test: negativ. Histologie: nekrotisierende Entzündung weitgehend ohne tuberkulöse Granulome, massenhaft säurefeste Stäbchen.
Impftuberkulose Formen der Hauttuberkulose, die von einer Impfung mit dem Bazillus Calmette-Guèrin (BCG, ein attenuiertes M. bovis) ihren Ausgang nehmen. Die normale Impfreaktion entspricht einem milden tuberkulösen Primärkomplex: eine exulzerierende Papel, die langsam narbig abheilt, mit milder begleitender Lymphadenitis. Komplikationen: schwere Lymphadenitis (Einschmelzung, Fistelbildung), selten Lupus vulgaris im Bereich der Inokulationsstelle (Latenz bis einige Jahre), noch seltener Skrophuloderm. Bei Immundefizienz oft disseminierte Tuberkulose mit tödlichem Ausgang. GesamtKomplikationsrate ca. 2/106. Nach Impfung hat der Tuberkulin-Hauttest seinen diagnostischen Wert verloren! Diagnostik und Therapie der Hauttuberkulose Diagnostik. Anamnese, klinisches Bild und Histologie (mit Ziehl-Neelsen-Färbung) reichen in der Regel zur Diagnose aus, Kultur meist nicht erforderlich. Es muss stets nach Tuberkulose anderer Organe gesucht werden. Therapie der Hauttuberkulose. Diese ist identisch mit der der Lungen- bzw. extrapulmonalen Tuberkulose (s. o.). Zusätzliche Maßnahmen (jedoch kein Ersatz) sind Exzision kleiner Herde bzw. Inzision von Abszessen.
4.5.2 »Tuberkulide« Unter »Tuberkuliden« verstand man früher eine umfangreiche Gruppe von Dermatosen, bei denen tuberkuloides Granulationsgewebe, nicht jedoch Mykobakterien nachweisbar sind (vermutete Ursache: Fernwirkung von Toxinen aus tuberkulösen Foci innerer Organe). Heute werden noch folgende Tuberkulide (und auch diese nicht generell) akzeptiert:
201 4.5 · Infektionen durch Mykobakterien
4 Lichen scrofulosorum. Eine heute kaum mehr diagnostizierte lichenoide, makrophagenreiche Eruption, möglicherweise dem Xanthoma disseminatum entsprechend (s. dort). 4 Papulonekrotisches Tuberkulid. Eine gleichfalls kaum mehr beobachtete Eruption disseminierter, subjektiv symptomloser Knötchen mit zentraler hämorrhagischer Nekrose, vorwiegend an den Beinen – möglicherweise eine ungewöhnliche Form der nekrotisierenden Vaskulitis. 4 Erythema induratum Bazin (Synonym Nodulärvaskulitis). Eine Form der lobulären Pannikulitis (7 Kap. 10.2.1), die in einem Teil der Fälle tatsächlich mit Tuberkulose anderer Organe assoziiert ist – in diesen Fällen ist eine tuberkulostatische Therapie wirksam. 4.5.3 Infektionen mit atypischen
Mykobakterien Atypische Mykobakteriosen Atypische Mykobakterien (d. h. solche, die weder die Merkmale von M. tuberculosis-Komplex noch von M. leprae besitzen), sind zahlreich und meist Saprophyten in Erdboden, Gewässern und Tierreich. Nur einzelne sind obligat pathogen (z. B. M. ulcerans), manche sind menschliche Saprophyten (M. gastri, M. smegmatis), andere sind opportunistische Keime (und daher weniger virulent als M. tuberculosis). Manche sind vorwiegend auf bestimmte Regionen beschränkt (M. kansasii – Mittelwesten der USA, M. ulcerans – Afrika). Übertragung von Mensch zu Mensch kommt kaum vor. Die atypischen Mykobakterien werden nach der Klassifikation nach Runyon entsprechend ihrem Kulturverhalten in 4 Gruppen eingeteilt (I–IV). Jede Gruppe enthält biologisch sehr unterschiedliche Vertreter. Am häufigsten isoliert werden M. avium-intracellulareKomplex, M. fortuitum-chelonei-Komplex, M. kansasii und M. scrofulaceum. Die Antibiotika-Empfindlichkeit der Erreger ist sehr unterschiedlich und meist niedrig. Das Spektrum der verursachten Krankheitsbilder ist breit. Viele treten hauptsächlich bei immundefizienten Patienten auf, manchmal als nosokomiale Infektion. Die Infektion erfolgt gewöhnlich durch Inhalation, seltener durch Inokulation. Sie bleibt häufig unerkannt, da die Kultur Speziallabors erfordert. Folgende klinische Grundtypen werden beobachtet: 4 Infektion der Haut und Lymphknoten durch Inokulation (M. marinum, M. fortuitum-chelonei, M. ulcerans)
4
4 Lymphadenitis ähnlich dem Skrophuloderm (M. scrophulaceum, M. avium-intracellulare, M. kansasii) 4 Infektion der Lunge ähnlich der Lungentuberkulose (M. kansasii, M. avium-intracellulare) 4 disseminierte Infektion (M. avium-intracellulare – bei HIV-Infektion!, M. kansasii) 4 diverses: Bakteriämie (i. v.-Katheter!), Endokarditis (künstliche Klappen!), Otitis media, Wundinfektionen, Osteomyelitis, Arthritis etc. Die Diagnostik erfolgt durch Kultur aus Biopsiematerial und mit molekularbiologischen Methoden. Der Tuberkulin-Hauttest ist häufig schwach positiv. Hautinfektionen Infektion durch M. marinum: Schwimmbadgranulom Ein vorwiegend saprophytischer Keim, der in Gewässern, Schwimmbädern, aber auch Aquarien lebt. Sein Wachstumsoptimum ist niedrig (32°C) – daher Bevorzugung der (kühlen) Akren. Pathogenese/Symptomatik. Die Infektion erfolgt durch Inokulation meist durch eine Bagatellverletzung. Etwa 3 Wochen später tritt an dieser Stelle (meist Hände) eine entzündliche, hyperkeratotische Papel (. Abb. 4.58) auf, die jedoch nur selten exulzeriert, manchmal entstehen weitere analoge Läsionen entlang der Lymphbahnen (sporotrichoide Ausbreitung); die Lymphknoten bleiben meist unbefallen. Unbehandelt Spontanheilung nach bis jahrelangem Verlauf. Histologie: Tuberkuloide Granulome.
. Abb. 4.58. Schwimmbadgranulom. Die Inokulation war durch Schürfung in einem Schwimmbecken erfolgt (Reste in der Läsion erkennbar)
202
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Therapie. Wenn möglich, Exzision. Clarithromycin,
Minocyclin, Trimethoprim-Sulfamethoxazol und die Kombination Rifampicin-Ethambutol sind wirksam, aber oft nur mäßig. Rotlicht!
4
Infektion mit M. ulcerans: Buruli-Ulcus Verbreitung in tropischen Gebieten Afrikas, Asiens und Mexikos. Infektion durch Inokulation, hauptsächlich befallen sind Jugendliche. Symptomatik: Klinisch ein sich flächenhaft ausbreitender, wenig entzündlicher destruktiver Prozess, der mit einem Abszess beginnt, sich in oft ausgedehnte nekrotische Ulzera umwandelt und über die tiefen Faszien fortschreitet. Die Geschwüre sind schmerzlos, Allgemeinerscheinungen fehlen. Nach jahrelangem Verlauf Spontanheilung mit Vernarbung, Kontrakturen und Lymphödem. Therapie: Wenn möglich, Exzision. Schlechtes Ansprechen auf Antibiotika (Rifampicin und Amikacin). Infektion mit M. fortuitum-chelonei Der Keim ist ein weit verbreiteter Bewohner von Erde und Gewässern, sowie Kontaminante von Plastikmaterialien. Symptomatik: abszedierende schmerzhafte Knoten; bei Immundefizienten auch disseminierte Infektion (Pneumonie, Osteomyelitis, Sepsis). Therapie: Clarithromycin. Lymphadenitis Häufiger Erreger: M. scrofulaceum, ein in Erde und Gewässern weit verbreiteter Keim. Infektion durch Inhalation. Analoge Bilder auch durch M. avium-intracellulare und M. szulgai. Symptomatik: Klinisch eine vom Skrophuloderm nicht unterscheidbare, meist beidseitige einschmelzende Lymphadenitis im Halsbereich bei Kindern. Lungenbefall und Allgemeinsymptome fehlen! Spontanheilung nach monate- bis jahrelangem Verlauf. Therapie: Exzision, sofern möglich, ist ausreichend – eine wirksame Chemotherapie ist nicht etabliert.
hervor. Bei schwerer Immundefizienz (AIDS) ist sie ein wichtiger opportunistischer Erreger, der zur Dissemination im gesamten Organismus führt. Die Erreger sind massenhaft in Makrophagen vorhanden, tuberkuloide Granulome fehlen (»lepromatöse« Histologie). Therapie: Azithromycin/Clarithromycin, Rifabutin, Quinolone, Ethambutol. 4.5.4 Lepra Lepra ist eine weit verbreitete Infektionskrankheit durch Mycobacterium leprae, die durch langsamen Verlauf, Befall von Haut und peripheren Nerven (selten innerer Organe), periphere sensorische und motorische Neuropathie und deren Folgekrankheiten (Deformitäten, Kontrakturen, Mutilationen, Paralyse u. a. m.) sowie immunologische Begleitphänomene gekennzeichnet ist. Verlauf und klinische Charakteristik hängen bestimmend von der Immunlage ab. Pathogenese. Erreger: M. leprae ist ein bislang un-
kultivierbares säurefestes Stäbchen. Optimales Wachstum in vivo bei 30°C – daher die Bevorzugung peripherer Gewebe. Sehr lange Generationszeit (2 Wochen). Wesentliches Reservoir ist der Mensch. M. leprae dringt ohne erkennbare Primärläsion in den Körper ein und proliferiert in Makrophagen, Endothel- und SchwannZellen. Die weitere Entwicklung hängt von der Reaktion des Imunsystems ab: nur wenige Infizierte erkranken. Epidemiologie. Weltweit sind ca. 5,5 Mio. Menschen aktiv erkrankt, hauptbetroffen sind Süd-/Zentralamerika, Afrika, Süd- und Ostasien. Die Krankheit tritt vorwiegend unter ungünstigen sozioökonomischen Verhältnissen auf, Beginn meist im 2. Lebensjahrzehnt, das männliche Geschlecht ist bevorzugt. Die Übertragung setzt langen und engen körperlichen Kontakt voraus, Inkubationszeit: 2–5 Jahre oder länger. Isolierung ist nur bei lepromatöser Lepra erforderlich (s. u.).
Lungeninfektion M. kansasii. Ein in den USA verbreiteter (aber auch in
Verlauf/Klassifikation. Lepra beginnt schleichend mit
Mitteleuropa vorkommender) Erreger. Er verursacht hauptsächlich Lungeninfektionen, die von der Reaktivations-Lungentuberkulose kaum zu unterscheiden sind. Disseminierte Infektion bei Immundefizienz (AIDS). Therapie: Isoniacid, Rifampicin und Ethambutol.
Prodromi (Muskelschwäche, Par- und Hypästhesien). Die Frühform der indeterminierten Lepra ist außer wenigen hypopigmentierten und hypästhetischen Flecken klinisch stumm und heilt nach Monaten meist spontan aus. Manche Fälle schreiten jedoch zu einer der Formen determinierter Lepra fort, und zwar in Richtung einer der beiden möglichen »Polformen«: die durch wirksame zelluläre Immunität gekennzeichnete, keimarme und milder verlaufende tuberkuloide Lepra (häufiger), oder die keimreiche lepromatöse Lepra. Bei ersterer ist die Spontanheilung prinzipiell möglich, letz-
M. avium-intracellulare. Eine ubiquitäre Erregergruppe, die häufig als Kontaminante von Gesunden isoliert wird. Bei Immunkompetenten ruft sie (selten) eher milde, der Lungentuberkulose ähnliche Infektionen
203 4.5 · Infektionen durch Mykobakterien
tere zeigt schrankenlose Ausbreitung der Erreger und unbehandelt progredienten Verlauf. Die mit den beiden Polformen assoziierten Reaktionsweisen bleiben weitgehend fixiert, auch nach erfolgreicher Therapie (Patienten mit lepromatöser Lepra werden z. B. nie mehr Lepromin-positiv). Viele Fälle treten vor der Fixierung in ein instabiles Zwischenstadium mit Symptomen beider Polformen (dimorphe bzw. Borderline Lepra), aus dem der Übertritt in beide möglich ist. Nach der Klassifikation von Ridley und Jopling wird dieser Graubereich weiter unterteilt. Innerhalb dieser Skala kann der Krankheitsverlauf spontan oder therapiebedingt schwanken (»Upgrading«, »Downgrading«). Immunpathologie. Die gebildeten Antikörper sind nicht protektiv (aber zur serologischen Diagnostik und Verlaufskontrolle nützlich). Protektiv ist die zelluläre Immunreaktion – Bildung von Epitheloidzellgranulomen. Bei der lepromatösen Lepra besteht ein spezifischer Immundefekt gegen M. leprae, der die Bildung dieser Granulome verhindert (aktive Toleranz?); die zelluläre Reaktion gegen andere mikrobielle Antigene ist dagegen normal. Das Vorhandensein oder Fehlen dieses Immundefekts wird mit der Lepromin(Mitsuda)Reaktion gemessen. Lepromintest. Ein Intrakutantest mit einem standardisierten Extrakt abgetöteter Leprabazillen. Er misst nicht eine stattgefundene Sensibilisierung, sondern die Fähigkeit, eine zelluläre Immunreaktion gegen M. leprae auszubilden: kein diagnostischer, sondern ein prognostischer Test (auch bei gesunden Personen positiv). Symptomatik. Die klinischen Manifestationen sind
entsprechend der Immunlage sehr unterschiedlich. Unbehandelt bedingt Lepra ein jahrzehntelanges Leiden, führt jedoch meist nicht selbst zum Tod (mögliche Todesursachen: Obstruktion der Atemwege durch Leprome, Zweitinfektionen, systemische Amyloidose). Die wichtigsten Komplikationen entstehen durch Läsionen der peripheren Nerven: Muskelatrophie, Anästhesie, Paresen, neuropathische Ulzera, Knochenresorption (Gesicht, Akren - Mutilationen), Gelenksdestruktion u. a. Folgende Gruppen von klinischen Symptomen finden sich: 4 Hautläsionen: bei der tuberkuloiden Lepra umschriebene oberflächliche Granulome, bei der lepromatösen knotige, diffuse Infiltrate. Stets sind die kühlen Hautstellen bevorzugt (Extremitäten, Gesicht), die warmen meist frei (Intertrigostellen, Kapillitium, Medianlinie des Rückens – so genannte »immune« Hautregionen)
4
4 Nervenläsionen betreffen sowohl größere (z. B. N. ulnaris) als auch Hautnerven. Bei der tuberkuloiden Lepra sind die Ausfälle ausgeprägter (Nerven werden durch Granulome zerstört), bei der lepromatösen Lepra kommt es nur zur Kompression. Haut- und Nervenläsionen treten meist gleichzeitig auf; selten sind die Nerven alleine befallen – »neurale Lepra«. 4 Immunphänomene sind entzündliche Reaktionen, die bei spontaner oder therapieinduzierter Besserung der Immunlage auftreten (»reversal reactions«). Man unterscheidet zellmediierte (Typ-I-) und Immunkomplex-mediierte (Typ-II-) Reaktionen. Erstere sind akute Episoden schmerzhafter entzündlicher Schwellungen der Läsionen (Folge: weitere Nervenschädigung), letztere sind Systemsymptome wie Erythema nodosum, Polyneuritis, Polyarthritis, Iridozyklitis, Glomerulonephritis u. a. Als Immunreaktion wird ferner das LuzioPhänomen interpretiert (eine der Livedo-Vaskulitis ähnliche Reaktionsform bei lepromatöser Lepra). Die Immunphänomene werden oft als störender empfunden als die indolente Grundkrankheit. Typ-I-Reaktionen treten bei dimorpher oder tuberkuloider Lepra auf, Typ-II-Reaktionen bei lepromatöser Lepra. 4 Befall innerer Organe tritt nur bei Bazillämie (lepromatöse Lepra) auf und betrifft vorwiegend die Augen (Iridozyklitis), Nieren (nephrotisches Syndrom) und Testes (Hodenatrophie). 4 Folgeerscheinungen: diese sind vielgestaltig und schwerwiegend: Knochen- und Gelenkdestruktionen durch Polyneuropathie, Mutilation durch Verletzungen, Verbrennungen, systemische Amyloidose u. a. (s. Fachbücher). Tuberkuloide Lepra (. Abb. 4.59). Typische Hautläsion ist ein anästhetischer (Berührung, Schmerz, Temperatur), hypopigmentierter erythematöser Fleck, anhidrotisch und oft schuppend, der langsam peripher wächst (makuloanästhetische Lepra). Am oder um den Herd strangartig verhärtete, verdickte Nerven. Histologie: Tuberkuloide Granulome, Infiltration der tiefen Hautnerven, M. leprae sehr spärlich, Ausstrichpräparate meist negativ. Lepromintest: stark positiv. Borderline tuberkuloide Lepra. Die Hautherde sind »saftige« Plaques, multipel, größer, regellos verteilt und unregelmäßig, oft bizarr girlandenartig angeordnet. Befall multipler Nerven (um große Gelenke, oberer Rumpf). Histologie: diffusere Granulome ohne Riesenzellen, Mykobakterien in mäßiger Zahl (auch im Ausstrichpräparat). Lepromintest: negativ.
204
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Therapie. Grundsätzlich müssen alle Fälle von Lepra
4
. Abb. 4.59. Makuloanästhetische Lepra. Ein unscharf begrenzter, kreisförmiger, hypopigmentierter, hypästhetischer Herd
(auch die indeterminierte und tuberkuloide) behandelt werden. Wegen zunehmender Resistenzentwicklung gegen Dapson wird eine Kombinationstherapie durchgeführt: bei indeterminierter, tuberkuloider, und Borderline tuberkuloider Lepra Dapson und Rifampicin über 6 Monate, Kontrollen nach 2 Jahren. Bei allen anderen Formen wird diesem Schema Clofazimin hinzugefügt (Behandlung zumindest 2 Jahre, bis »slit-skin smears« negativ sind), Kontrollen bis 5 Jahre. Bei korrekter Durchführung sind die Rezidivquoten bei 0,1%. Thalidomid ist nicht gegen M. leprae, sehr gut jedoch gegen Typ-II-Immunreaktionen wirksam. Bei Typ-I-Reaktionen Clofazimin und maßvoller Gebrauch von systemischen Kortikosteroiden. 4.5.5 Aktinomykose
Lepromatöse Lepra. Beginn mit multiplen unscheinbaren, zart infiltrierten Arealen, die weder hypopigmentiert noch anästhetisch sind und sich langsam über den ganzen Körper ausbreiten (außer den »immunen« Arealen). Die Infiltration nimmt zu, es entstehen diffuse »wachsige« Verdickungen (Gesicht, Extremitäten, Schleimhäute – oberer Respirationstrakt) und multiple Knoten (Leprome) an Gesicht (Stirn, Ohren – Facies leonina) und Rumpf. Leprome können exulzerieren. Typisches Begleitsyndrom: Haarausfall (Augenbrauen!). Später Verdickung zahlreicher Nerven (oft symmetrisch), mit resultierendem sensorischem und motorischem Defizit. Histologie: Massive Ansammlungen schaumiger Histiozyten mit unzähligen Mykobakterien (Lepraglobi); keine tuberkuloiden Granulome! Lymphozytäre Reaktion (fast ausschließlich CD8+-Zellen). Ausstrichpräparat: hoch positiv. Lepromintest: negativ.
Erreger der Aktinomykose ist fast ausschließlich Actinomyces israelii: ein anaerobes grampositives Bakterium und normaler Kommensale der Mundhöhle (Zähne, Tonsillen; ca. 50%). Die Infektion entsteht durch Inokulation. Assoziation mit schlechter Zahnhygiene, jedoch nicht mit Immundefizienz.
Borderline lepromatöse Lepra. Multiple umschriebene, meist kleine und »saftige« Infiltrate. Kein diffuser Befall, keine Leprome. Histologie: Lymphozytenreiche histiozytäre Infiltration, spärlich Epitheloidzellgranulome. Zahlreiche Mykobakterien (auch im Ausstrich). Lepromintest: negativ.
Diagnostik. Nachweis der typischen weißlichen bis
Symptomatik. Zirka 50% der Fälle treten als zerviko-
faziale Verlaufsform auf, die per continuitatem von Zahnkanälen oder den Tonsillen ausgeht. Beginn mit einem schmerzlosen, »holzharten«, knotigen Infiltrat im unteren Gesichtsbereich und Hals. Im weiteren Verlauf Einschmelzung (»kalter Abszess«), Fistelbildung und Vernarbung. Der Prozess breitet sich ohne Rücksicht auf Gewebegrenzen aus (Knochendestruktion), meist keine Lymphadenitis. Seltener: thorakische, abdominelle und pelvine Verlaufsformen Allgemeinsymptome (Fieber, Anämie, Gewichtsverlust).
schwefelgelben, harten, bis 5 mm großen »Drusen« aus Fistelinhalt und/oder Biopsie; Kultur (unbedingt vor Antibiotikagabe!). Histologie: granulomatöse, abszedierende Entzündung mit Drusen (Bakterienkonglomerate).
Diagnostik. Diese beruht bei den keimarmen Formen
Differenzialdiagnose. Tiefe Pyodermien, Skrophulo-
auf Klinik und Histologie, bei den keimreichen ist der Erregernachweis erforderlich. Dieser wurde früher aus dem Nasenabstrich durchgeführt; heute wird der verlässlichere (und schmerzlose) Nachweis in Ausstrichpräparaten von Hautläsionen bevorzugt (»slit-skin smears«). Nervenbiopsien sind für besondere Fälle vorbehalten.
derm, Halsfisteln. Therapie. Penicillin oder Ampicillin (hohe Dosis und lange) meist in Kombination mit operativer Entfernung des befallenen Gewebes. Ansprechen gut.
205 4.6 · Epizoonosen
4
4.5.6 Nokardiose Nokardien sind aerobe, säurefeste Stäbchen, die ubiquitär im Erdboden, aber auch im Wasser vorkommen. Die Nokardiose ist eine opportunistische Infektion, Progression und Dissemination korrelieren mit der Schwere der Immundefizienz. Haupterreger sind N. asteroides und N. braziliensis. Vorkommen weltweit, N. farciniae und N. caviae sind Erreger der bakteriellen Variante des Myzetoms. Infektion durch Inokulation der Haut oder Inhalation, keine Übertragung von Mensch zu Mensch. Symptomatik. Am häufigsten ist die Nokordiose des
Respirationstrakts mit Streuung ins ZNS (inkl. Retina) und Haut (fistulierende Abszesse) und andere Organe. Durch Inokulation der Haut können progressive, destruierende Läsionen an den distalen Extremitäten entstehen (N. braziliensis u. a.). Diagnostik. Direkter Erregernachweis aus Abstrich,
. Abb. 4.60. Nisse. Das spitzwinkelig (palmkätzchenartig) auf das Haar geklebte Ei beinhaltet eine Larve, x25
Biopsie und Kultur. Therapie. Sulfonamide (Trimethoprim/Sulfamethoxa-
(Kämme). Auftreten in Form kleiner Epidemien, z. B. in Kindergärten, Schulen etc.
zol); operative Behandlung. 4.6
Epizoonosen
Epizoonosen sind durch tierische Ektoparasiten hervorgerufene Hautkrankheiten. 4.6.1 Hautkrankheiten durch Insekten
Symptomatik. Prädilektionsstellen: retroaurikulär und am Nacken. Die Läuse nehmen alle 2–3 h durch Stich (Stechrüssel!) Blut auf und geben hierbei Speichelsekret in die Haut ab. Folgen: Juckreiz, Kratzeffekte, Ekzematisation (Läuseekzem), Sekundärinfektion, Lymphadenitis. Bei exzessivem Läusebefall werden die Haare unentwirrbar ineinander verkrustet und verfilzt (»Weichselzopf«). Differenzialdiagnose. Seborrhoisches Kopfekzem.
Pedikulosen (Lausbefall) Läuse sind flügellose Insekten und auf den Menschen spezialisierte permanente Parasiten. Die Inzidenz aller Lausinfestationen ging nach dem Zweiten Weltkrieg stark zurück, ist in den letzten Jahrzehnten jedoch wieder angestiegen. Pediculosis capitis (Kopflausbefall) Die Kopflaus (Pediculus capitis) ist ein 2–3,5 mm langer, schlanker, relativ beweglicher Parasit des Kapillitiums. Jede erwachsene Laus legt pro Tag etwa 3–4 Eier: ovale Gebilde, die palmkätzchenartig an der Basis des Haarschafts festgeklebt werden (Nissen: . Abb. 4.60), ein diagnostisches Zeichen. Die Larven schlüpfen nach ca. 8 Tagen aus, die leere Nisse bleibt am Haar zurück und wächst mit dem emporwachsenden Haar aus. Epidemiologie. Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt, gelegentlich durch unbelebte Vektoren
Therapie. 1% Permethrin-Lösung, Einwirkdauer 30 min (tötet sowohl Läuse als auch Nissen), 2-mal im Abstand von einer Woche. Das Ablösen der Nissen gelingt am besten mit einem feinen Kamm nach Waschen mit Essigwasser. ! Mehr als 7 mm vom Haarboden entfernte Nissen sind leer und kein Hinweis für ein Therapieversagen.
Pediculosis vestimentorum (Kleiderlausbefall) Die Kleiderlaus (Pediculus vestimenti) ist ein etwas größerer (bis 4 mm) enger Verwandter der Kopflaus. Kleiderläuse leben nicht direkt am Körper, sondern in der Kleidung (Unterwäsche!) und suchen die Haut nur zur Nahrungsaufnahme auf. Auch die Eier werden in den Kleidern abgelegt (an Säumen, Nähten), selten auch an Körperhaaren. Übertragung: direkt oder indirekt (kontaminierte Kleidung). Kleiderläuse sind poten-
206
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
zielle Überträger von verschiedenen Infektionskrankheiten (z. B. Fleckfieber!). Symptomatik. Durch den Stich der Laus wird starker
4
Juckreiz ausgelöst; Quaddel- und Knötchenbildung, Kratzeffekte und Impetiginisierung. Bei lange bestehender Infektion entsteht die so genannte Vagantenhaut (Cutis vagantium): Kratzeffekte, Lichenifikation, Hyper- und Hypopigmentierung. Differenzialdiagnose. Prurigo simplex, disseminiertes
Ekzem, Dermatitis herpetiformis. Therapie. Entwesung der Kleider, Lokaltherapie mit
Permethrin, antipruriginöse Therapie. Pediculosis pubis (Phthiriasis, Filzlausbefall) Die Filzlaus (Pediculus pubis, . Abb. 4.61) ist ein knapp 2 mm großer, relativ immobiler Parasit von plumper, schildförmiger Gestalt (nur entfernt mit Kopf- und Kleiderläusen verwandt). Filzläuse bevorzugen Gebiete mit apokrinen Drüsen (Genitale, Achselhöhlen, Augenwimpern: . Abb. 4.62, auch Bart und Okzipitalhaar) und Haare mit ovalem Querschnitt. Sie halten sich unbeweglich mit ihren krallenbewehrten Hinterbeinen an den Haaren fest (oft schwer ablösbar). Die Vermehrung erfolgt langsam (Entwicklungsgang: 20 Tage). Epidemiologie. Die Ansteckung erfolgt durch Geschlechtsverkehr, gelegentlich durch Vektoren (Wäsche). Häufige Begleitinfektion anderer STIs, entsprechendes Screening ist daher angezeigt. Symptomatik. Ekzemartige Veränderungen (meist nur) der Genitalregion. Juckreiz ist nur milde, Kratz-
. Abb. 4.62. Pediculosis pubis an Wimpern und Augenbrauen bei einem Kind. Zahlreiche Pediculi und Nissen
effekte und Sekundärinfektion fehlen meist – Filzläuse bleiben daher oft wochenlang unbemerkt! Die Filzläuse sind leicht zu übersehen, diagnostisch wichtig sind die Nissen und die so genannten Maculae caeruleae (Taches bleues): kleine, diskrete, unscharf begrenzte, bläuliche Erytheme in der Genital- und Unterbauchgegend – Stichstellen der Läuse (Extravasate von durch den Speichel der Laus verändertem Hämoglobin). Differenzialdiagnose der Taches bleues: Erstlingsexanthem der Lues II. Therapie. Permethrin-Lösung, Wäschedesinfektion,
Mitbehandlung der Geschlechtspartner! Schwierig ist die Therapie bei Wimpernbefall: okklusive Augensalbe, mechanische Entfernung. Zimikose (Wanzenbefall) Die Bettwanze (Cimex lectularius) ist ein auf den Menschen (bzw. dessen Behausung – Wanzen sind sehr wärmefreundlich) spezialisierter temporärer Ektoparasit. Sie ist ein ovales, etwa 5 mm langes flügelloses Insekt von gelblich transparenter Farbe; vollgesogen ist sie dunkelrot und aufgetrieben. Wanzen sind lichtscheu, verkriechen sich tagsüber in dunklen Ritzen (Möbel, Bettstellen etc.) und werden nachts aktiv. Sie kriechen zum schlafenden Menschen (meist über die Zimmerdecke, der Mensch wird durch die Körperwärme und CO2 geortet, die Wanzen lassen sich auf ihn herabfallen). Wanzen können ca. 1 Jahr ohne Blutmahlzeit überleben. Sie haben einen typischen Geruch (Stinkdrüsen). Epidemiologie. Wanzen sind heute selten geworden.
. Abb. 4.61. Pediculus pubis
Die Übertragung erfolgt nicht von Mensch zu Mensch,
207 4.6 · Epizoonosen
sondern durch Invasion aus benachbarten Wohnungen, Erwerb alter Möbel etc. Symptomatik. Der Wanzenstich juckt heftig (Einbrin-
gung von Speichel), an der Stichstelle entsteht eine urtikarielle Läsion mit einem zentralen Punktum (Einstich). Der Stich der Wanze erfolgt meist an unbedeckten Körperteilen. Die Nahrungsaufnahme erfolgt durch mehrere sukzessive Stiche; es finden sich daher häufig linear hintereinander gelegene Stichstellen (»Wanzenstraße«). Differenzialdiagnose: Urtikaria (»Urticaria e cimicibus«!). Therapie. Entwesung der Wohnung. Symptomatisch: Antipruriginosa. Antiinfektiöse Therapie nicht erforderlich.
4
Insektenstiche durch Zweiflügler (Diptera) Die Ordnung Zweiflügler umfasst die Mücken (Nematocera) und Fliegen (Brachycera). Ektoparasiten aus der Unterordnung Mücken sind: 4 Sandmücken (Phlebotomen; Überträger z. B. der Leishmaniose) 4 Stechmücken (Culicidae: Gelsen; Anopheles, Aedes ägypti – Überträger von Malaria und Gelbfieber) 4 Kriebelmücken (Simulidae – Überträger der Onchozerkiasis) Ektoparasiten der Unterordnung Fliegen sind Bremsen, Stech- und Lausfliegen. Symptomatik. Hautstiche durch diese temporären
Pulikose (Flohbefall) Der Menschenfloh (Pulex irritans), ein temporärer Ektoparasit, ist ein 2–4 mm langes flügelloses Insekt, das mit seinen kräftigen Sprungbeinen bis etwa 0,5 m weit und hoch springen kann. Er ist an den Menschen adaptiert, wie andere Flohspezies an andere Säuger (Hunde-, Katzen-, Rattenfloh). Die Wirtsspezifität ist allerdings nur partiell (Rattenflöhe übertragen z. B. die Beulenpest!). Der Floh hält sich teils in der Kleidung (Stiche daher meist an kleiderbedeckten Körperteilen!), teils in Möbelritzen, Teppichen etc. auf.
Parasiten sind stark juckend, schmerzhaft und erscheinen als Quaddeln mit einem zentralen Punktum, oft mit einer vesikulo-bullösen Reaktion (ähnlich der Prurigo simplex acuta – Culicosis bullosa; . Abb. 4.63). Spontane Rückbildung innerhalb einiger Tage, manchmal Entwicklung eines Wochen dauernden, knotigen Infiltrats (»persistierende Insektenstichreaktion«, ein Pseudolymphom). Komplikationen: Pyodermien, Übertragung von Systeminfektionen, Myiasis.
Epidemiologie. Ansteigende Häufigkeit (Einstellung von DDT; Teppichböden, Klimaanlagen). Individuelle Dispositionen sind bekannt (Frauen werden z. B. häufiger befallen als Männer). Flöhe können Krankheitserreger übertragen (Listerien, Salmonellen, Staphylokokken, Brucellen u. a.).
Myiasis Befall durch Fliegenlarven. Dieser in unseren Breiten seltene Befund kann am Menschen durch ca. 80 Flie-
Therapie. Antipruriginös.
Symptomatik. Flohstiche sind heftig juckende, erythe-
mato-urtikarielle Läsionen, häufig mit einer Purpurakomponente (Purpura pulicosa). Sie sind typischerweise in Dreierkonfiguration angeordnet (»breakfast, lunch, dinner«), da der Floh vor dem eigentlichen Saugstich Probestiche durchführt. Therapie. Entwesung der Wohnung, Möbel, Wechsel der Unterwäsche. Antipruriginöse Therapie. 3Tungiasis Eine gefährliche Flohart ist der in den Tropen vorkommende Sandfloh (Tunga penetrans). Das begattete Weibchen dieser kleinsten Flohart bohrt sich in die Fußhaut (subungual, interdigital, gelegentlich auch genitoanal) ein und bleibt dort als permanenter Parasit. Das durch die Eiproduktion bis zu Erbsengröße geschwollene Hinterende ragt über die Haut hinaus (Atmung, Eiablage). Komplikationen sind Sekundärinfektion, manchmal Gangrän. Hauptwirt: Schwein. Therapie: mechanische Entfernung.
. Abb. 4.63. Insektenstiche: Culicose (bullös)
208
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Insektenstiche durch Hautflügler (Hymenoptera) ! Hautflügler (Bienen, Wespen, Hornissen, Hummeln, Ameisen) sind keine Parasiten – ihr Stich dient nicht der Nahrungsaufnahme.
4
. Abb. 4.64. Myiasis. Madenbefall eines Geschwürs nach Pyodermie
genarten hervorgerufen werden. Man unterscheidet obligate (Dasselfliegen, manche Fleischfliegen, Dermatobia hominis) und fakultative bzw. akzidentelle Erreger der Myiasis – erstere sind im Larvenstadium vom Leben im Wirt abhängig, bei letzteren sind Mensch bzw. Tier lediglich alternative Wohnorte. Fakultative Myiasis. Besiedelung verschmutzter Wunden und Ulzera (. Abb. 4.64), zerfallender Tumoren, schlecht zugänglicher Kavitäten (tiefe Nasenhöhle, Genitale etc.). Haupterreger sind die Schmeiss-, aber auch die Stubenfliege. 3Die Besiedelung von Ulzera mit Larven ist ekelerregend, für den Betroffenen jedoch eher nützlich – sie führt durch extrakorporale Verdauung zur Beseitigung der Nekrosen. Fliegenlarven wurden zu diesem Zweck in früheren Zeiten und vereinzelt auch jetzt wieder therapeutisch eingesetzt (»Biochirurgie«).
Furunkuloide Myiasis. Diese entsteht durch das Ein-
bohren der Larven von obligaten Myiasis-Erregern in die Haut. Es resultiert ein zunächst juckendes, später schmerzhaftes eitriges Infiltrat, bei dessen Inzision die Larve zutage tritt. Selten können Fliegenmaden eine wandernde Myiasis hervorrufen, die der »creeping disease« (s. u.) ähnlich sieht. Besonders aggressiv ist die in Afrika heimische »Tumboo fly« (Cordylobia anthropophaga). Diese legt ihre Eier auf den Boden, insbesondere auf dort liegende Wäschestücke ab. Bei Kontakt mit menschlicher Haut bohrt sich die Larve sofort ein und führt zu ausgedehnten Eiterungen. 3Bei manchen Formen der tierischen Myiasis (Schaf, Rind, Pferd) können sich die Maden systemisch verbreiten und zum Tod führen.
Bienen- und Wespenstiche sind häufige Ursachen gravierender Komplikationen: mit dem Stich werden Toxine und Wirkstoffe in die Haut injiziert, die entweder per se oder durch Induktion von Typ-I-Allergien Schäden setzen können (7 Kap. 3.2.5). Die Gifte enthalten Histamin und andere biogene Amine (Schmerz, Vasodilatation, Permeabilitätssteigerung), Enzyme wie Hyaluronidase (Ausbreitung der Gifte im Gewebe), die Phospholipasen A und B, sowie die basischen Peptide Apamin und Mellitin (Hämolyse, Zyto- und Neurotoxizität). Symptomatik. Bienen- und Wespenstiche sind
schmerzhaft und erzeugen erhebliche Schwellung und Rötung, die sich oft erst nach Tagen zurückbilden. Bei Bienen bleibt der Stachel stecken und kann zur Sekundärinfektion führen. Die Symptome können lokaler (Schwellung, evtl. Blasen) oder systemischer Natur sein: Urtikaria, Angioödem, Dyspnoe, Husten, Kontraktionen der glatten Muskulatur (Gastrointestinaltrakt, Uterus). Schocksymptomatik mit potenziell tödlichem Ausgang. Systemzeichen treten meist erst bei multiplen Stichen auf; gefährdet sind insbesondere Kinder und Patienten mit Kreislaufkrankheiten. Besonders gefährlich sind Stiche in den Mund (massives Glottisödem kann zur Erstickung führen). Therapie. Bei unkompliziertem Stich Lokalbehand-
lung (Umschläge). Bei akuten systemischen Komplikationen Behandlung wie bei anaphylaktischem Schock (Adrenalin, Kortikosteroide, evtl. Intubation bzw. Tracheotomie) (7 Kap. 3.2). Insektengiftallergie 7 Kap. 3.2.5
4.6.2 Hautkrankheiten durch Spinnentiere
(Milben, Spinnen, Zecken) Milben sind kleine Arthropoden, die in enormer Vielfalt die belebte und unbelebte Umgebung des Menschen bevölkern. Sie können auf verschiedene Weise pathogen wirken: durch permanenten (Skabies) oder temporären Parasitismus (z. B. Nahrungsaufnahme durch Stich), durch Irritation (Nahrungsmittelmilben) oder durch Sensibilisierung (Hausstaubmilbe).
209 4.6 · Epizoonosen
Skabies (Krätze) Skabies ist eine häufige, durch permanenten Parasitismus der Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei var. hominis) in der Hornschicht hervorgerufene, höchst pruriginöse Infektionskrankheit. 3Die Skabies ist eine seit dem Altertum bekannte Massenkrankheit. Sie spielt in der Geschichte der Medizin insofern eine wichtige Rolle, als F. v. Hebra an ihr nachwies, dass Hautkrankheiten auch durch Infektion von außen entstehen können (und nicht stets das Resultat schlecht gemischter Körpersäfte sind).
Pathogenese. Sarcoptes hominis ist eine rundliche, bis 0,4 mm große Milbe mit 4 Beinpaaren und Tracheenatmung (die Milbe ist auf Luftatmung angewiesen und kann daher nicht tiefer als die Hornschicht eindringen) (. Abb. 4.65). Die Weibchen bohren in der Hornschicht Gänge und legen dort täglich mehrere Eier ab. Die (kleineren) Männchen leben auf der Oberfläche der Haut. Aus den Eiern schlüpfen nach etwa 3–5 Tagen die Larven, die sich in ca. 3 Wochen über Nymphenstadien in geschlechtsreife Milben umwandeln. Die Skabiesmilbe kann fern vom Menschen nur kurz überleben (Tage). Skabies ist eine der atopischen Dermatitis in manchen Aspekten ähnliche ekzematische Reaktion gegen Milbenantigene (Hauptträger der Mibenantigene: die Skybala). Epidemiologie. Skabies ist weltweit verbreitet und
häufig. Ihre Prävalenz schwankt entsprechend den sozioökonomischen Verhältnissen zwischen <1 und 30%. Sie tritt epidemisch gehäuft auf; ihre globale Inzidenz
4
folgt einem zyklischen Rhythmus (15 Jahre hohe, 15 Jahre geringe Prävalenz). Die Skabies ist auch eine »sexually transmitted infection«. Nach dem Weltkrieg verschwand sie fast aus der westlichen Welt, stieg Ende der 1960er Jahre wieder deutlich an und stellt heute (regional verschieden) <5% der dermatologischen Klientel. Die Übertragung erfolgt durch längerdauernden direkten Kontakt (Geschlechtspartner, aber auch im Rahmen der Familie – Bettwärme!, Altersheime etc.), nicht aber über kurze Berührungen, z. B. Handschlag, oder unbelebte Gegenstände. Zur Infektion genügt die Übertragung eines einzigen begatteten Milbenweibchens. »Gesunde« Skabieskranke tragen nur eine geringe (10–20), immundefiziente (marastische) Personen hingegen eine sehr hohe Milbenzahl (bis zu Millionen). Immundefiziente Skabiespatienten (ca 3% der Betroffenen) spielen daher eine Schlüsselrolle bei Skabiesepidemien: wegen der Menge der Parasiten kann die Übertragung auch durch kurze Kontakte, seltener auch über Wäsche etc. erfolgen. Die Inkubationszeit hängt von der Menge der Milben, der Hygiene des Infizierten (häufiges Baden reduziert die Milbenzahl; ist als Therapie allerdings allein unzureichend) und dessen Immunstatus ab. Sie beträgt in der Regel ca. 4 Wochen, bei massiver Exposition oft nur einige Tage. 3Skabiesepidemien sind in Altersheimen keine Rarität (Immundefizienz des alten Menschen): die Übertragung untereinander und auf das Pflegepersonal ist leicht, die Hautläsionen sind altersbedingt wenig entzündlich und daher wenig auffällig, und auch die Hände sind Prädilektionsstellen (im Gegensatz zur »gewöhnlichen« Skabies).
Symptomatik. Die Skabies bietet ein ekzemähnliches
. Abb. 4.65. Sarcoptes hominis
Bild: eine heftig juckende papulo-vesikulo-squamokrustöse Eruption, die von Kratzeffekten dominiert und häufig impetiginisiert ist. Bei genauer Inspektion erkennt man die diagnostische Primärläsion der Skabies, den Milbengang (. Abb. 4.66): mehrere Millimeter lange, strichförmige Kanäle der Hornschicht, in denen dunkle Pünktchen erkennbar sind (Kotballen, Skybala). Am blinden Ende des Ganges findet sich eine Erhabenheit (Milbenhügel), unter der die Milbe sitzt. Prädilektionsstellen sind warme Körperregionen mit dünner Hornschicht: Interdigitalräume der Finger, Handbeugen, Mammae und Nabelregion, sowie das Genitale (diagnostisch wichtig!). Typischerweise frei bleiben: das Gesicht oberhalb des Kinns (Ausnahme: Säuglinge, die gestillt werden – die Mamma ist eine Prädilektionsstelle), sowie Handflächen und Fußsohlen (Ausnahme: noch nicht gehfähige Kinder und alte Menschen, deren Hornschicht besonders dünn ist,
210
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
4 . Abb. 4.66. Skabies. Entzündliche Papeln und Milbengänge am Penis eines Kindes
. Abb. 4.68. Scabies norvegica. Erythrodermie, psoriasiforme Hyperkeratosen
. Abb. 4.67. Skabiesläsionen an der Handfläche einer alten Frau. Die Handflächen sind bei Erwachsenen nicht befallen, wohl aber bei Kleinkindern und alten Menschen. Die nicht seltenen Skabiesepidemien in Altersheimen entstehen durch manuelle Übertragung
. Abb. 4.67). Bei Kleinkindern sind Milbengänge an
den lateralen Fußrändern oft besonders charakteristisch ausgebildet. Der Juckreiz ist sehr quälend und stellt sich typischerweise abends nach dem Zubettgehen ein (»sobald es warm wird«). Er wird durch eine IgE-mediierte Immunreaktion gegen Milbenantigene verursacht und persistiert auch nach erfolgreicher Therapie noch eine Zeitlang (bis zur Elimination der Milbenreste bzw. Skybala), kehrt bei Reinfektion aber schnell wieder (Anstieg der IgE). Histologie: Unspezifische Dermatitis, Eosinophilie. Milbengänge findet man bei »normaler« Skabies sehr selten; bei Scabies norvegica ist hingegen die gesamte Hornschicht von Gängen mit Milben und deren Resten durchtunnelt. Labor: IgE-Erhöhung (>50%), positive Sofortreaktionen gegen Milbenextrakte im Hauttest.
3Sonderformen: 4 »Gepflegte« Skabies. Eine klinisch sehr unauffällige Verlaufsform bei Personen, die häufig baden. Hautläsionen finden sich wenige, der Juckreiz ist scheinbar grundlos. Inspektion der Prädilektionsstellen! 4 Granulomatöse Skabies (persistierende Skabiespapeln). Eine v. a. bei Kindern vorkommende, oft sehr chronische (aber selbstlimitierte) Form. Neben den typischen Veränderungen der Skabies finden sich knotige Infiltrate, meist an Genitale und Rumpf (histologisch B-Zell-Pseudolymphome). 4 Scabies norvegica (. Abb. 4.68). Eine seltene Verlaufsform bei immundefizienten und unter schlechten hygienischen Bedingungen lebenden Personen. Sie ähnelt nicht einer »normalen« Skabies, sondern einer oft exzessiven psoriasiformen Erythrodermie mit geringem Juckreiz. Die Schuppen sind massenhaft von Milben durchsetzt, die Infektiosität ist daher sehr hoch.
Diagnostik. Das klinische Bild ist meist diagnostisch.
Für Zweifelsfälle dient der Milbennachweis: bei seitlichem Anbohren des Milbenhügels mit einer Injektionsnadel kann die Milbe hervorgezogen und im Mikroskop nachgewiesen werden. Alternativen: Tesafilmabrisse, Kürettage der Milbenhügel (Nachweis von Milbeneiern und den typischen Kotballen), Auflichtmikroskopie. Differenzialdiagnose. Atopisches Ekzem, Pruritus sine materia, Dermatitis herpetiformis, PsoriasisErythrodermie u. a.
211 4.6 · Epizoonosen
Verlauf. Unbehandelt verläuft die Skabies chronisch,
kann jedoch nach Jahren auch spontan ausheilen. Komplikationen sind pyogene Superinfektionen bis zur Sepsis; diese waren in früheren Zeiten häufig und potenziell lebensgefährdend. Therapie. Ziel ist die Eliminierung der Milben beim Pa-
tienten und allen Kontaktpersonen (Familie u. ä.) inkl. der Beschwerdefreien, d. h. in Inkubation Befindlichen. Alle diese Personen müssen gleichzeitig behandelt werden, sonst kommt es unweigerlich zur »Ping-Pong-Infektion«. Mittel der Wahl ist das synthetische Pyrethrinanalog Permethrin (als 5%ige Creme). Dieses ist in >95% wirksam, ist als Einmalapplikation einsetzbar (gesamte Haut mit Ausnahme des Kopfs oberhalb des Kinns: 8 h belassen, dann abbaden), und fast untoxisch (Metabolisierung in der Haut, sehr geringe Resorption). Es kann daher auch bei Schwangeren, Stillenden und Kleinkindern verwendet werden. Therapieversager gehen fast stets auf unrichtige Diagnose, unkorrekte Behandlung (Auslassen von Körperteilen) oder Reinfektion durch nichtbehandelte Kontaktpersonen zurück. Ein sehr gut wirksames systemisches Skabiesmittel ist das Wurmmittel Ivermectin. Seine Indikation wird mehr aus organisatorischen Erwägungen gestellt (Epidemien, Unmöglichkeit der Lokalbehandlung). Nachteile: derzeit für Skabies noch nicht zugelassen, Studien für Gebrauch bei Kindern und Schwangeren fehlen. Vorsicht bei geriatrischen Patienten! Der Lokalbehandlung sollte, wenn möglich, der Vorzug gegeben werden. Sonstige Maßnahmen. Die Milben halten sich nur vor-
übergehend (nachts) in der Bett- und Leibwäsche auf; eine Entwesung ist daher nicht erforderlich, Auskochen der Wäsche wird empfohlen. Kleider sollten durch einige Tage lüften. Im Anschluss an die Skabiestherapie empfiehlt sich eine antiekzematöse Nachbehandlung. Weitere durch Milben verursachte Erkrankungen Demodikose (Befall durch die Haarbalgmilbe Demodex folliculorum). Dieser permanente Ektoparasit besiedelt bei fast 100% der Erwachsenen die Haarfollikel des Gesichts, verursacht gelegentlich eine Follikulitis und spielt eine mögliche Rolle bei Rosacea. Tierräuden beim Menschen. Tierräuden sind skabiesähnliche Dermatosen zahlreicher Tierarten (Nagetiere, Hunde, Rinder, Pferde etc.), die durch eigene, auf sie adaptierte Milben hervorgerufen werden. Manche dieser Milben können vorübergehend den Menschen befallen (Fehlwirt!) und prurigoartige Bilder hervorrufen. Milbengänge werden nicht gebohrt, Milbennachweis meist negativ. Therapie: Permethrin, antipruriginös.
4
Weitere Milben, die den Menschen vorübergehend infestieren und ähnliche Bild hervorrufen können, sind Pelzmilben (Cheyletiellose) und Kugelbauchmilben (Pyemotes z. B. ventricosus). Letztere sind auf Larven verschiedener Kornschädlinge spezialisiert, Menschen kommen bei Kontakt mit Getreide, Heu etc. mit ihnen in Berührung: »Getreidekrätze« – diese verläuft gelegentlich mit Allgemeinsymptomen (»Kornfieber«). Befall durch Vogelmilben (Gamasidiose). Vogelmilben sind Raubmilben, die den Wirt (Hühner, Tauben etc.) nur zur Nahrungsaufnahme aufsuchen, sonst aber in dessen Umgebung leben (Nester, Ställe). Häufigster Vertreter: die Rote Vogelmilbe (Dermanyssus gallinae). Der Mensch kann durch Kontakt mit den befallenen Tieren sowie indirekt befallen werden (Übertragung durch Wind, Staub, etc.). Klinik: pruriginöses Bild. Trombidiose (»Erntekrätze«, »Herbstbeiß«). Die Herbstmilbe (Trombicula autumnalis) ist ein in Gräsern, Sträuchern etc. lebender temporärer Ektoparasit. Ihre Larve nimmt Nahrung an Wirten auf (meist Tiere), das adulte Tier ernährt sich als Jäger. Die Larven schlüpfen im Herbst (Inzidenzgipfel Oktober!) und befallen den Menschen bei z. B. Lagern im Gras. Symptomatik: an den bedeckten Körperstellen intensiv juckende, oft zahlreiche kleine Quaddeln mit zentralen roten Pünktchen (Larve). Spontanheilung nach 1–2 Wochen. Irritative Dermatosen durch Nahrungsmittel-, Vorratsmilben. Milben der Gruppe Tyroglyphoides z. B. siro
sind artenabhängig auf Nahrungsmittel spezialisiert: Mehl, Getreide, Käse, Speck, Dörrfrüchte, Blumenzwiebeln etc. Klinik: irritative Kontaktdermatitis (»Akarodermatitis«) an den exponierten Stellen. Stiche fehlen! Sensibilisierung durch Hausstaubmilben. Dermato-
phagoides pteronyssinus ist ein im Hausstaub lebender Abraumorganismus (Schuppen, Pilze, Mikroorganismen etc.). Trockenes Klima (z. B. Hochgebirge >1000 m) ist für sie ungünstig. Feuchte Häuser beinhalten etwa 10-mal mehr Milben als trockene, ältere mehr als neue. Die größte Zahl an Milben findet sich im Bett (Matratzen!), an Polstermöbeln und Teppichen. Ein Gramm Hausstaub kann bis zu 104 Milben enthalten. Hausstaubmilben spielen eine Schlüsselrolle bei der Atopie (7 Kap. 3.2.1). Spinnenbisse Bisse durch Spinnen sind selten, weil diese in der Regel scheu sind (Ausnahme: bestimmte tropische Giftspinnen) und mit ihren Giftklauen die Epidermis meist nicht durchdringen können.
212
4
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Kommt ein Biss zustande, hängt die Reaktion von Art und Menge des Gifts ab. Die Gifte enthalten u. a. aggressive Enzyme (Sphingomyelinase, Kollagenase und Elastase, Hyaluronidase u. a. m.). Folgen sind Auflösung von Membranen und Nekrose, Chemotaxis, Aktivierung von Entzündungsmediatoren. Manche Spinnengifte bewirken auch Blutkoagulation und Neurotoxität. Bedrohliche Komplikationen sind bei heimischen Spinnen kaum zu erwarten; die auch in Mitteleuropa verbreitete Dornfingerspinne führt zu schweren, aber vorübergehenden Systemreaktionen. Gefährliche exotische Spinnen sind die im Mittelmeerraum heimische Schwarzen Witwe, die Italienische und die Brasilianische Tarantel, die südamerikanische Kammspinne und die in den USA verbreitete »brown recluse spider«.
. Tab. 4.7. Von Zecken übertragene Krankheitserreger (Auswahl) Arboviren
Frühsommermeningoenzephalitis (FSME)
Rickettsien
»Rocky Mountain« spotted fever und andere Rickettsiosen
Borrelien
Lyme-Borreliose (7 Kap. 4.2.8), Rückfallfieber
Listeria monocytogenes
Listeriose
Francisella tularensis
Tularämie
Anaplasma phagocytophila
Ehrlichiose
Babesia
Babesiose
Symptomatik. Ein Spinnenbiss beginnt als sehr
schmerzhaft brennende, urtikarielle Reaktion, die sich entweder zurückbildet oder zu einer soliden Nekrose fortentwickelt (schlechte Spontanheilung). Komplikationen: Lymphadenitis, Schüttelfrost und Fieber, Atemnot. Mögliche Todesursachen: Koma, Hämolyse, Nierenversagen, disseminierte intravasale Koagulation.
Symptomatik. Die eingebohrte Zecke erscheint als ein
mehrere Millimeter großer, elliptischer, je nach dem Stand der Blutaufnahme verschieden prall gefüllter bläulich-brauner Sack. Differenzialdiagnose. Fibroma molle.
Therapie. Kühlende Umschläge, Antibiotika, Dapson.
Bei Identifikation der Spinne und Erhältlichkeit Verabreichung von Antitoxin. Zeckenstiche Zecken sind große Milben, die an Sträuchern, Bäumen, Gräsern etc. leben und sich durch Blutsaugen an einem breiten Wirtsspektrum ernähren (Nagetiere, Nutztiere, Haustiere, Mensch, Vögel). Man unterscheidet 2 Familien: 4 Ixodes (harter Chitinpanzer: »Schildzecke«) 4 Argasides (weicher Panzer: »Lederzecke«) In unseren Breiten finden sich zumeist Ixodiden. Zecken (hauptsächlich Ixodiden) können eine Reihe von Infektionen übertragen (. Tab. 4.7). Bei Kontakt mit Wirten (z. B. Streifen über Blattwerk) klammert sich die Zecke an die Haut, wandert auf ihr bei der Suche nach einem geeigneten Stichplatz (daher werden sie häufig an bedeckten Regionen gefunden, z. B. Rumpf, Leiste), bohrt sich in die Haut ein und verbleibt dort, bis die Nahrungsaufnahme abgeschlossen ist (bis zu 1 Woche). Die Zecken nehmen bei der Mahlzeit bis zum 100-Fachen ihres Körpergewichts an Blut auf. Der Stich wird wegen des anästhesierenden Speichels meist nicht bemerkt. Sämtliche Entwicklungsstufen (Larven, Nymphen, Imagines = adulte Tiere) ernähren sich durch Stich.
Therapie. Herausdrehen mit einer Pinzette (Versuche, Zecken herauszuziehen, führen zum Abreißen des Kopfs). Bleibt der Kopf zurück, entsteht häufig ein Zeckengranulom: ein über Wochen bis Monate persistierender chronisch-entzündlicher pseudolymphomatöser Knoten (Therapie: Exzision oder elektrokaustische Zerstörung).
4.7
Protozoeninfektionen der Haut
Diese kommen überwiegend in den Tropen und Subtropen vor, in gemäßigten Breiten können sie durch den Reiseverkehr eingeschleppt werden. 4.7.1 Amöbiasis Entamoeba histolytica ist ein nur menschenpathogener Erreger, der meist auf fäkal-oralem Weg erworben wird (Kopfdüngung!). Die Infektion verläuft bei ca. 90% asymptomatisch, der Betroffene wird Keimträger und infektiöser Ausscheider. Hauptmanifestationen sind Amöbenruhr und Leberabszess. Hautinfektionen entstehen durch Ausbreitung intestinaler Läsionen in den Anogenitalbereich, seltener durch direkte Inokulation (Sexualkontakte).
213 4.7 · Protozoeninfektionen der Haut
Symptomatik der Hautläsionen. Schnell wachsende
nekrotisierende, schmierig belegte matschige Ulzera mit unterminierten Rändern im Anal-, Perianal- und Genitalbereich. Sehr schmerzhaft; regionale Lymphadenitis.
4
gekennzeichnet: ZNS bei der Schlafkrankheit, glatte Muskulatur von Gastrointestinaltrakt (Megaösophagus, Megakolon) und Herz bei der Chagas-Krankheit. Diagnostik. Direkter Erregernachweis (Blut, Lymph-
knoten). Differenzialdiagnose. Ulcus molle, Lues I, Herpes
simplex vegetans.
Therapie. Pentamidin, Suramin, Melarsoprol und
Diagnostik. Direkter Erregernachweis aus Stuhl bzw.
Eflornithin (je nach Krankheitsstadium und Erreger) für die afrikanische, Nifurtimox und Benzidazol für die Frühstadien der amerikanischen Trypanosomiasis.
Ulzera (Dunkelfeldmikroskop) und serologisch (indirekter Hämagglutinationstest, positiv nur bei aktiver Infektion). Therapie. Metronidazol. Die Prognose ist bei frühzeitigem Behandlungsbeginn gut.
4.7.2 Krankheiten durch Flagellaten Trypanosomiasis Man unterscheidet die afrikanische (»Schlafkrankheit«; Erreger T. gambiense bzw. rhodesiense) und die amerikanische Trypanosomiasis (Chagas-Krankheit; Erreger T. cruzi). Beide sind schwerwiegende Infektionskrankheiten und werden über Insektenvektoren übertragen (Tsetsefliege bzw. Raubwanzen der Familie Triatoma – »kissing bug«). Mit Ausnahme von T. gambiense besitzen die Erreger tierische Reservoirs (wildlebende und Haustiere). Symptomatik. An der Bissstelle entsteht ein entzünd-
licher Knoten bzw. Ulcus mit nekrotischem Zentrum (»Trypanosomen-Schanker« bzw. »Chagom«), der sich innerhalb einiger Wochen zurückbildet. Mit Aussaat der Trypanosomen in die Blutbahn treten oft über Monate Fieber, intermittierende Ödeme (Gesicht, untere Extremitäten), Lymphknotenschwellungen, manchmal multiformeartige Exantheme auf. Die Spätphasen beider Krankheiten sind durch charakteristischen Organbefall
Leishmaniose Leishmanien sind obligat intrazelluläre Parasiten, die durch Sandfliegen übertragen werden. Tierreservoir: kleine Säuger. Man unterscheidet die viszerale (KalaAzar) und die kutane Leishmaniose. Zirka 30 Spezies sind bekannt, sie werden in 4 Erreger-Komplexe gegliedert, die bestimmte Krankheitsmuster hervorrufen (. Tab. 4.8). Ausschlaggebend für das Krankheitsmuster sind der Gewebetropismus der jeweiligen Spezies und die Immunlage des Erkrankten. Viszerale Leishmaniose
Vorkommen: Mittlerer Osten, Ostasien, südliches Afrika, Zentral-/Südamerika. Die viszerale Leishmaniose ist eine Systemkrankheit ohne prominente Hautsymptome (außer der exulzerierenden Stichstelle und marastischer Hyperpigmentierung – Kala Azar: »schwarze Krankheit«): Fieber, Schwäche, Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie. Knochenmarksbefall führt zu Panzytopenie: Sekundärinfektionen (hauptsächliche Todesursache), Blutungen, Anämie. Unbehandelt Tod nach Monaten bis Jahren. Differenzialdiagnose: Malaria, Morbus Hodgkin, Typhus u. a. C A V E
Bei der viszeralen Leishmaniose entwickelt sich keine protektive Immunantwort.
. Tab. 4.8. Klassifikation der Leishmaniosen Viszerale Leishmaniose (Kala-Azar)
L. donovani-Komplex (L. donovani, L. infantum, L. chagasi)
Alte Welt – kutane Leishmaniose (Aleppo-Beule)
L. tropica-Komplex (L. tropica, L. major, L. äthiopica)
Neue Welt – kutane Leishmaniose
L. mexicana-Komplex (L. mexicana, L. amazonensis, L. pifanoi, L. garnhami)
Neue Welt – mukokutane Leishmaniose
L. brasiliensis-Komplex (L. brasiliensis, L. guyanensis, L. panamensis, L. peruviana)
Sonderformen: 4 diffuse kutane Leishmaniose 4 post-Kala-Azar-Leishmaniose
4 L. äthiopica, L. mexicana-Komplex 4 L. donovani
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Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
Kutane Leishmaniose
Man unterscheidet die kutane Leishmaniose der Alten Welt und die der Neuen Welt. Vorkommen: Naher und Mittlerer Osten, Mittelmeergebiet, Ostafrika, Indien, bzw. Zentral- und Südamerika. Weltweit schätzt man jährlich 1–1,5 Mio. neue Fälle. Keine ethnische oder Geschlechtsprädilektion, gehäuft im Kindesalter.
4
Lebenszyklus. Amastigoten in Blut oder Haut (Makro-
phagen) werden von der Sandfliege bei der Blutmahlzeit aufgenommen, teilen sich, wandeln sich schließlich in die begeißelten Promastigoten um, wandern in die Mundwerkzeuge und werden mit dem Speichel in einen neuen Wirt verbracht (1–2 Wochen). Dort werden sie wieder von Makrophagen aufgenommen und vermehren sich. Pathogenese. Das Schicksal des Infizierten wird von
. Abb. 4.69. Tropische Leishmaniose. Ein krustös-hyperkeratotisch-papilläres Ulkus an der Nase
seiner Immunkompetenz wie von Eigenschaften der Erreger bestimmt. Bei der selbstlimitierten kutanen Leishmaniose verbleiben die Leishmanien in Haut/ Schleimhaut und verursachen dort ulzerierende Läsionen. Es resultiert eine bleibende Immunität – Reinfektion nur bei Immunschwäche. Selten führt die Infektion mit Erregern der kutanen Leishmaniose zu viszeralem Befall (HIV-Infektion!).
maniose in Lateinamerika; lymphatische oder hämatogene Streuung von Amastigoten in die Nasenrachenschleimhaut, gefolgt von ausgedehnter granulomatös-ulzerös-destruierender Entzündung. Espundia kann bei noch bestehendem Primärherd auftreten, meist aber erst einige Jahre nach dessen Abheilung. Selten auch in der Urogenitalregion.
Symptomatik. Das Spektrum umfasst mehrere Krank-
Differenzialdiagnose. Pyodermien, Pyoderma gang-
heitsbilder (. Abb. 4.69): 4 Lokalisierte kutane Leishmaniose: meist mehrere Wochen nach dem Stich (Gesicht, Extremitäten) tritt eine kleine, oft symptomlose Papel auf, die sich langsam vergrößert und in ein flaches, verkrustetes, schmerzloses Ulkus mit papillärer Oberfläche und eleviertem Rand umwandelt. Die Läsion wird meist nur münzgroß, bildet sich nach mehreren Monaten spontan zurück und heilt mit einer atrophen, hyperpigmentierten, »wie gestrickten« Narbe ab. Manchmal entstehen mehrere Satellitenläsionen entlang der Lymphbahnen. 4 Disseminierte kutane Leishmaniose (Afrika, Lateinamerika): multiple weiche Knoten und Plaques, die in der Regel nicht ulzerieren, oft gefolgt von Depigmentierungen (Ähnlichkeit mit Lepra); enorm erregerreich. 4 Rezidivierende (lupoide) Leishmaniose: häufig in Iran/Irak, ähnelt dem Lupus vulgaris. Typisch sind der sehr chronische Verlauf (Jahrzehnte) und das Nebeneinander von Narben und aktiver Entzündung. 4 Mukokutane Leishmaniose (Synonym Espundia): eine gefürchtete Komplikation der kutanen Leish-
ränosum, Lupus vulgaris, atypische Mykobakteriosen, Chromoblastomykose u. a. Diagnostik. Parasitennachweis aus Biopsie, Ausstrich-
präparat (Geschwürrand), Kultur (Spezialmedium) und PCR. Bei rezidivierender und mukokutaner Leishmaniose sind wenige Erreger vorhanden, daher Kultur und PCR. Die Serologie ist wenig hilfreich, die Reaktionen im Hauttest unverlässlich (Leishmanin/Montenegro-Test: Antigenpräparation aus abgetöteten Promastigoten). Histologie: intensive lympho-histiozytärgranulomatöse Infiltrate der Dermis, in Histiozyten intrazellulär Donovan-Körperchen. Therapie der Leishmaniosen. Die Behandlung der ku-
tanen Läsionen richtet sich nach Zahl, Größe, Typ und Lokalisation der Herde. Häufig sind die Läsionen kosmetisch unbedeutend, heilen spontan und bedürfen keiner Therapie. Lokalbehandlung wurde u. a. mit Paromomycin, Antimonpräparaten, Hitze- und Kryotherapie sowie intraläsionalem Amphotericin B beschrieben. Milde Formen können systemisch mit Fluconazol behandelt werden (Ansprechraten je nach Leishmanien-Spezies unterschiedlich), bei schwereren
215 4.8 · Hautinfektionen durch Würmer
Verlaufsformen (auch bei viszeraler Leishmaniose) ist Miltefosin das Mittel der Wahl. L. brasiliensis: fünfwertige Antimonpräparate, liposomales Amphotericin B. Die Wirksamkeit ist nicht immer befriedigend, u. a. auch wegen Resistenzentwicklung. 4.8
Hautinfektionen durch Würmer
Wurminfektionen sind ein erhebliches medizinisches Problem, vornehmlich der Entwicklungsländer. Mehrere Dutzend Wurmarten sind Parasiten des Menschen, viele von ihnen verursachen direkt oder indirekt dermatologische Zeichen. Medizinisch wichtige Würmer. Wurmeier bzw. -Larven können auf verschiedene Weise in den Körper gelangen: 4 mit der Nahrung – entweder als Kontamination: Oxyuren, Askariden, Echinokokken, Drakunkula; oder im ungekochten Fleisch: Schweine-, Fischbandwurm, Trichinen 4 durch aktives Einbohren von Wurmlarven in die Haut: Trematoden (Saugwürmer, z. B. Schistosomen), Ankylostomen (Hakenwürmer) 4 Inokulation durch Insektenvektoren (Wuchereria, Loa loa, Onchozerken)
In den Verdauungstrakt verbrachte Würmer können entweder dort verbleiben (Rinderbandwurm, Oxyuren) oder die Darmwand durchbohren und verschiedene Organe, darunter die Haut, infestieren (Zystizerken, Echinokokken, Trichinen u. a. m.). Durch die Haut penetrierte Larven können dort verbleiben (Larva migrans) oder die Lunge besiedeln und durch Verschlucken in den Darm gelangen (Hakenwürmer, z. B. Strongyloides stercoralis). Würmer zeigen oft sehr spezifische Organprädilektionen (Wuchereria – Lymphgefäße; Schistosomen – Blutgefäße; Trichinen, Zystizerken – Muskel; Drakunkula – Unterhautgewebe). Unspezifische Hautzeichen. Viele Wurminfektionen werden von chronisch-rezidivierender Urtikaria begleitet (Oxyuriasis, Askariasis, Strongyloidose, Schistosomiasis, Trichinose, Echinokokkose u. a.). Bei manchen treten umschriebene Angioödeme auf, die entweder einige Tage andauern (Loiasis) oder beständig sind (periorbitales Ödem bei Trichinose). Häufig hohe periphere Eosinophilie, Löffler-Syndrom. Manche Wurminfektionen des Muskels sind mit Schwäche und Myalgien ähnlich der Dermatomyositis assoziiert (Trichinose, Zystizerkose). Bei Darmbefall durch Oxyuren finden
4
sich typischerweise anogenitaler Pruritus und Ekzeme. 4.8.1 Hautläsionen durch Einbohren
von Wurmlarven Hautläsionen durch Larven von Trematoden (Saugwürmer) Trematoden sind eine umfangreiche und weitverbreitete Klasse parasitärer Würmer. Hautzeichen verursachen Vertreter der Gattung Schistosoma. Die Infektion erfolgt im Wasser (Baden!): im Wasser schlüpfen aus den Wurmeiern Mirazidien, die sich in Wasserschnecken (Zwischenwirt!) zu Wurmlarven (Zerkarien) umwandeln. Die Zerkarien suchen freischwimmend einen neuen Wirt bzw. Fehlwirt, durch dessen Haut sie sich bei Kontakt einbohren. Die Infektion mit humanpathogenen Schistosomen führt zur Systeminfektion (Schistosomiasis), mit tierpathogenen (Wasservögel: Enten!) Schistosomen nur zu selbstlimitierten Hautläsionen (Zerkariendermatitis). Schistosomiasis (Synonym Bilharziose). Die Penetration der Zerkarien ruft eine selbstlimitierte, meist milde, papulo-urtikarielle Eruption hervor. Die Zerkarien gelangen über die Blutbahn in die Leber, reifen dort zu adulten Würmern und besiedeln nun hämatogen ihr Zielgewebe: die Venen um Kolon und Rektum (S. mansoni: Afrika und Lateinamerika; S. japonicum: Ferner Osten) oder die der Harnblase (S. hämatobium: Afrika, Naher Osten). Die Eier werden mit Fäzes bzw. Urin ausgeschieden. Die Krankheitsbilder entstehen durch granulomatöse Entzündungen um Wurmeier, die im Gewebe verbleiben (perigenital, Leber, ZNS u. a.). Menschenpathogene Schistosomen kommen nur in Süßwasser vor. Die Schistosomiasis ist nach Malaria die häufigste tropische Infektionskrankheit. Therapie: Praziquantel. Zerkariendermatitis. Eine nicht seltene, harmlose, hef-
tig juckende papulo-urtikarielle Eruption, vorwiegend an nichtbekleideten Körperstellen. Ursache sind Zerkarien meist vogelpathogener Trematoden (z. B. Trichobilharzia stagnicolae). Sie penetrieren die Haut, sterben jedoch nach einigen Tagen ab (Fehlwirt!). Weit verbreitet in Oberflächengewässern tropischer und gemäßigter Zonen; Süß- und Salzwasserformen (Badeseen, Küstengewässer). Therapie: Topisch antipruriginös. Hautläsionen durch Larven von Ankylostomen – Hakenwürmer Ankylostomen sind Parasiten vorwiegend des Gastrointestinaltrakts, die einen Teil ihres Entwicklungszyklus
216
4
Kapitel 4 · Infektionskrankheiten der Haut
frei leben und daher nur in feucht-warmen Regionen vorkommen. Die Wurmeier gelangen mit dem Stuhl des Wirts in den Boden und reifen dort zu Larven, die sich bei Berührung durch die Haut einbohren. Humanpathogene Hakenwürmer (Ankylostoma duodenale u. a.) führen zur systemischen Infektion, tierpathogene (Hunde, Katzen) nur zu einer selbstlimitierten Hautinfektion (Larva migrans).
Larven menschenpathogener Hakenwürmer gelangen über die Blutbahn in die Lungen, werden nach Aushusten verschluckt und besiedeln den Darm (bei S. stercoralis auch disseminierte Infektion).
Kutane Larva migrans (Synonym »creeping disease«)
Drakunkulose (Synonym Medinawurm) Erreger ist Dracunculus medinensis. Die früher weit verbreitete Wurmart kommt nur noch in wenigen Teilen Afrikas vor und steht (als 2. Krankheit nach Pocken) vor der Ausrottung (WHO-Ziel 2009). Die Infektion erfolgt durch Trinken von Wasser, das larveninfizierte Copepoden (Ruderfußkrebse) enthält. Die Weibchen werden bis 1 m lang, siedeln sich v. a. in den unteren Extremitäten an und erzeugen eine Blase/Ulzeration der Haut, in der der Uterus des Wurms liegt. Bei Kontakt mit Wasser werden die Larven freigesetzt, die wieder – so vorhanden – von Copepoden aufgenommen werden.
(. Abb. 4.70). Eine hoch charakteristische und relativ häufige Dermatose (z. B. nach Urlaub an tropischen und subtropischen Stränden – Afrika, Karibik, auch Mittelmeer), die durch ein bizarr gewundenes Tunnelwerk der Haut gekennzeichnet ist. Prädilektionsstellen: Füße, Gesäß. Erreger: Larven tierpathogener Hakenwürmer. Die Larve bewegt sich unterschiedlich schnell vorwärts (Millimeter bis Zentimeter pro Tag); sie sitzt am aktiven Ende des Tunnels, verursacht heftigen Juckreiz, ihre Bewegung wird verspürt. Eintrittspforte für Erysipel! Die Eruption ist selbstlimitiert (Mensch ist Fehlwirt) und heilt innerhalb von Wochen ab. Therapie. Albendazol für 1–3 Tage, Ivermectin. Wenig
wirksam sind Lokaltherapien (Thiabendazol-Creme, Kryotherapie).
4.8.2 Wurminfektionen durch Besiedelung
des subkutanen Gewebes
Symptomatik. Entzündliche Knoten und Ulzera am Bein, häufig Superinfektion. Diagnostik. Auffinden des Wurms im Ulkus.
»Viszerale« Larva migrans. Bei analoger Infektion mit
menschenpathogenen Wurmlarven (Ankylostoma duodenale, Strongyloides stercoralis u. a.) bleibt die Eintrittspforte (Füße!) häufig asymptomatisch, ist manchmal aber intensiv entzündet (Erythem, Ödem, Blasen). Larven von S. stercoralis wandern oft besonders schnell (bis 10 cm/h – »Larva currens«). Die
Therapie. Klassische Therapie: vorsichtiges Heraus-
ziehen des Wurms, indem dessen Ende über einen Stab gewickelt wird (einige Zentimeter/Tag). Systemische Therapie: Metronidazol, Thiabendazol. 3Die um einen Stab gewickelte Schlange des Asklepios stellt vermutlich die Therapie des Medinawurms dar.
Onchozerkose (Synonym Flussblindheit) Eine entlang Flussläufen in Afrika und Lateinamerikas weit verbreitete Infektion mit Onchocerca volvulus, die durch Kriebelmücken (Simulium) übertragen wird. Durchseuchung in Endemiegebieten bis 80%, kein Tierreservoir – in den letzten Jahren Rückgang durch Massenbehandlungen und Vektorkontrollprogramme. Die Krankheit beruht auf der massenhaften Durchsetzung von Haut, Augen und innerer Organe mit Mikrofilarien. Diese reifen nur ausnahmsweise zu adulten Würmern (Weibchen: Länge bis 40 cm, Lebensdauer >10 Jahre, sie leben in symptomlosen derben dermalen Knoten – Onchozerkome). Hauptursache der Symptomatik sind Entzündungsreaktionen gegen absterbende Mikrofilarien. . Abb. 4.70. Larva migrans (»creeping disease«). An der rechten Fußsohle ein knäuelartig verwickelter, entzündlicher Gang
Symptomatik. Haut: heftig juckende papulöse Exan-
theme, später Lichenifikation, Anetodermie-ähnliche
217 4.8 · Hautinfektionen durch Würmer
Bilder (hängende Leiste), fleckige Depigmentierung (Leopardenhaut). Augen: Keratitis, Chorioretinitis, Iridozyklitis – Onchozerkose ist eine der führenden Ursachen der Blindheit. Diagnostik. Mikrofilariennachweis aus Hautbiopsien,
PCR. Mikrofilarien in der Augenvorderkammer sind mit der Spaltlampe erkennbar.
4
Symptomatik. Fieberattacken(Filarienfieber),Lymph-
angitis und -adenitis, Erysipele, Lungenbefall. Schrittweise stellt sich durch die Lymphabflussstörung ein Lymphödem von Beinen und Genitalien bis zur Elephantiasis ein; variköse Lymphgefäβe an Scrotum und ableitenden Harnwegen (Chylurie), Rupturen von Peritonealraum oder Gelenken. Diagnostik. Klinik, Serologie, PCR.
Therapie. Ivermectin – tötet Mikrofilarien, nicht aber
adulte Würmer, daher jährliche Zyklen!
Therapie. Diäthylcarbamazin, Albendazol (Makro-
4.8.3 Wurminfektionen mit Manifestation
filarien) und Ivermectin (Mikrofilarien). Periodische Massenbehandlungen zeigten sich als sehr effektiv (z. B. Salzanreicherung mit Diäthylcarbamazin).
als Lymphödem Lymphatische Filariose Eine in Tropen und Subtropen weitverbreitete Infektionskrankheit durch Wuchereria bancrofti (und andere Spezies). Übertragung durch Stechmücken (Anopheles, Culex), kein Tierreservoir! Weltweit sind ca. 120 Mio. Menschen betroffen. Durch den Stich gelangen Mikrofilarien in das Lymphsystem, wo sie zu erwachsenen Würmern reifen (bis 10 cm lang, Lebensdauer 1 Jahr). Mikrofilarien zirkulieren massenhaft in zirkadianen Rhythmen im Blut (meist nachts).
Loiasis Eine in Westafrika vorkommende, durch Fliegen übertragene Infektion mit Loa Loa-Würmern, die sich als Mikrofilarien im Blut, als Adulte in der Subkutis aufhalten. Als Reaktion auf migrierende Würmer können subkutane Schwellungen entstehen (Calabar-Schwellungen). Diagnostik und Therapie wie bei der Lymphatischen Filariose.
5 5 Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache 5.1
Psoriasis
– 219
5.2
Psoriasis-ähnliche Krankheiten
5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4
»Parapsoriasis«-Gruppe – 229 Pityriasis rubra pilaris – 230 Pityriasis rosea – 230 Hautveränderungen bei Morbus Reiter
5.3
Lichen ruber planus und lichenoide Dermatosen – 231
– 229
– 231
5.3.1 Lichen ruber planus (Synonym Knötchenflechte) – 231 5.3.2 Lichen ruber-ähnliche Dermatosen – 235 5.3.3 Lichen simplex chronicus und Prurigokrankheiten – 235
5.4
»Neutrophile« und »Eosinophile« Dermatosen – 235
5.5
Granulomatöse Dermatosen
– 238
5.5.1 Granuloma anulare und Necrobiosis lipoidica 5.5.2 Hautveränderungen bei Sarkoidose – 240
– 238
219 5.1 · Psoriasis (Schuppenflechte)
5.1
Psoriasis (Schuppenflechte)
Definitionen. Psoriasis ist eine bedeutsame »klassische« chronische Dermatose mit weltweiter Verbreitung. Sie kann in 2 Formen auftreten: 4 als die häufige Psoriasis vulgaris – eine chronische entzündliche Hautkrankheit mit schubhaftem Verlauf, die durch charakteristische erythematöse, schuppende Hautherde gekennzeichnet ist. 4 als die seltene Psoriasis pustulosa, bei der oberflächliche sterile Pusteln das Bild prägen.
Beide Formen sind an einen Erbfaktor gebunden und können mit Gelenksbefall (Psoriasis-Arthritis) assoziiert sein. Psoriasis vulgaris Epidemiologie. Die Prävalenz der Psoriasis bei Wei-
ßen beträgt insgesamt etwa 2%, jenseits des 50. Lebensjahres 5%. 50% erkranken vor dem 25., 90% vor dem 50. Lebensjahr. Sie ist bei Weißen häufiger als bei NichtWeißen, und etwas häufiger bei Männern. Erbfaktor. Nur Personen mit einer bestimmten ver-
erbbaren Disposition erkranken an Psoriasis. Der Erbmodus ist polygen (früher »autosomal dominant mit unregelmäßiger Penetranz«). Das Erkrankungsrisiko steigt, je mehr Blutsverwandte erkrankt sind – z. B. bis zu 75%, wenn beide Elternteile betroffen sind. Homozygote Zwillinge sind in ca. 70% konkordant. Im Schnitt hat jeder Psoriatiker mindestens einen Verwandten ersten Grades mit Psoriasis. Mehrere Suszeptibilitätsgene wurden gefunden: PSORS 1–8. Das wichtigste, PSORS 1 (bei 50% der Betroffenen) entspricht dem HLA-Locus. Psoriasis ist mit bestimmten HLA-Typen korreliert (z. B. HLA-Cw6: 10-fach höheres relatives Krankheitsrisiko; HLA-DR 7), Psoriasis-Arthritis zusätzlich mit HLA-B27 und dem MHC-I-Haplotyp MICA. Man unterscheidet 2 Verlaufstypen: Typ-I (»early onset«) ist mit stärkerer familiärer Belastung, höherer Prävalenz der korrelierten HLA-Typen, früherem Krankheitsbeginn, schwererem Verlauf und schlechterem Ansprechen auf Therapie korreliert als Typ-II (»late onset«). Ein Zusammenhang mit Polymorphismen des TNF-α-Gens wird vermutet. Psoriasis und exogene Faktoren. Die Psoriasis zeigt typische saisonale Schwankungen (Besserung im Sommer: UV-Licht). Verschlechterung tritt bei Einnahme bestimmter Medikamente (. Tab. 5.1) und im Rahmen der HIV-Infektion auf. Wichtige Auslöser sind Infekte, vorwiegend durch Streptokokken (Immunak-
5
. Tab. 5.1. Medikamente, die Psoriasis auslösen bzw. verschlechtern können Medikament
Vermuteter Mechanismus
Lithium
Aufregulierung proinflammatorischer Zytokine
Betablocker
Abregulierung von zyklischem AMP in Epidermis
Chloroquin
Hemmung der epidermalen Transglutaminase
Interferone
Wirkung als Th1-Zytokine
Kortikosteroide
Bei schnellem Abbau Exazerbation der Psoriasis
tivierung durch Superantigene). Eine eindrucksvolle Demonstration der Rolle äußerer Faktoren ist das Köbner-Phänomen (. Abb. 5.1): verschiedenste exogene Reize können nach einer Latenzzeit von einigen Tagen psoriatische Läsionen auslösen: mechanische Minimaltraumen, Exantheme, Sonnenbrand, Narben, Tätowierungen, auch irritative Lokaltherapie. Dies ist allerdings nur in Phasen hoher Krankheitsaktivität möglich. 3Die Auslösung psoriatischer Schübe durch psychischen Stress ist eine alte, jedoch wenig evidenzgesicherte Vorstellung. Unzweifelhaft ist hingegen die schwere psychische Beeinträchtigung der Patienten durch die Psoriasis. Nach »Quality of Life« (QoL)-Erhebungen stellt die Psoriasis für die Betroffenen eine ähnlich große Bürde dar wie Herzkrankheiten. Psoriasis schafft Probleme am Arbeitsplatz, im Alltag (z. B. Friseur), in der Freizeit (Schwimmbäder), der Partnersuche u. a. m. Die Inzidenz des Alkoholismus unter Psoriatikern ist erhöht.
. Abb. 5.1. Köbner-Phänomen bei Psoriasis: präzise auf den Bereich der Tätowierung lokalisierte Psoriasisläsionen
220
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
Pathogenese. Psoriasis ist eine komplexe kutane Dys-
5
regulation, die die meisten Zelltypen und Mediatorsysteme der Haut einbindet. Manches an ihrer Genese ist noch unklar; im Wesentlichen handelt es sich um eine von TH1-Lymphozyten dominierte Entzündungsreaktion, die von epidermaler Hyperproliferation und Differenzierungsstörungen begleitet ist. Die auffallendsten Veränderungen sind: 4 eine Hyperplasie der Epidermis 4 das Fehlen des Str. granulosum 4 eine dicke parakeratotische Hornschicht (Kernreste!) 4 eine lympholeukozytäre Entzündung der papillären Dermis Die Proliferation ist enorm gesteigert: es finden sich ca. 50-mal so viele Mitosen wie in normaler Epidermis, auch in suprabasaler Lage. Die Reise der Keratinozyten durch die Epidermis ist von normalerweise fast 1 Monat auf ca. 5 Tage verkürzt, was den gegebenen Differenzierungsmangel erklärt. Die Keratinozyten exprimieren Hyperproliferations-spezifische Marker wie Keratine K6/16 und Hitzeschockproteine. Die gesamte Konstellation ähnelt der frühen Phase der epidermalen Wundheilung. 3Die fundamentale Frage, ob die Hyperproliferation der Epidermis eine primäre Fehlleistung der Keratinozyten ist oder durch eine fehlgeleitete Immun- bzw. Entzündungsreaktion induziert wird, wurde über die Jahre verschieden beantwortet und ist bis heute nicht restlos geklärt. Erwiesen ist, dass die Psoriasis in einem chimären Tiermodell (Transplantate unbefallener Haut von Psoriatikern auf immundefizienten SCIDMäusen) durch Übertragung aktivierter Lymphozyten von Psoriatikern ausgelöst werden kann. Ob dies, wie oft postuliert, die Psoriasis als Autoimmunkrankheit interpretieren lässt, ist zumindest formal unbewiesen, u. a. da ein (Auto)Antigen bislang undefiniert ist. Neuere Studien legen nahe, dass die Entstehung der Psoriasis neben der Immunreaktion auch einer Dysfunktion der Keratinozyten bedarf (z. B. eines defekten JunB-Gens, und/oder der dauerhaften Aufregulierung des Transkriptionsfaktors STAT3).
Das entzündliche Infiltrat exekutiert eine chronischpersistente und, wegen restringierter variabler T-ZellRezeptorgene, offenbar antigenspezifische EffektorzellAntwort. Es überwiegen aktivierte Memory-EffektorTH1-Zellen, die mit dem »skin-homing-Rezeptor« CLA und dem Chemokinrezeptor CCR4 ausgerüstet sind. Sie produzieren, als Antwort auf die ständige Präsentation des unbekannten Antigens, ein breites Spektrum von Zytokinen und Chemokinen, die ihrerseits wieder die Produktion gleicher oder weiterer Wirkstoffe in Keratinozyten, Mastzellen etc. anwerfen. Als Nettowirkung verfügt das entzündliche Infiltrat über die Fähigkeit:
1. zur Selbstergänzung durch Proliferation in loco (IL-2, IL-2-Rezeptoren) 2. zur Rekrutierung weiterer spezifischer Immunzellen aus der Zirkulation (TNF-α, Chemokine MIP-3a, CTACK, MIG, RANTES, MCP-1 u. a.) sowie zur Ermöglichung des Eintritts derselben in die Haut durch Aufregulierung von Adhäsionsmolekülen (IFN-γ, TNF-α) 3. zur Rekrutierung und Aktivierung von Neutrophilen (GM-CSF; TNF-α, IL-8, Gro-α, Leukotriene) 4. zur Induktion der epidermalen Hyperproliferation (IL-6, IL-8, TGF-α, Gro-α) Weitere Fähigkeiten sind die zur Förderung der Angiogenese (VEGF, TNF-α) und zur Aktivierung der Mastzellen (IL-1). ! Auffallend ist, dass TNF-α eine pathophysiologische Schlüsselrolle bei verschiedenen Schritten spielt. 3Die TH1-dominierte Entzündung macht plausibel, dass die Psoriasis nur selten gemeinsam mit der TH2-dominierten atopischen Dermatitis auftritt. Eine Verschlechterung der Psoriasis tritt ein, wenn im Rahmen z. B. onkologischer Therapien Zytokine verabreicht werden, die eine fördernde Rolle bei der Entstehung der Psoriasis spielen: IL-2, Interferone, GM-CSF.
Der Beginn der psoriatischen Reaktion, d. h. die Phase der Sensibilisierung gegen das unbekannte (Auto)Antigen, wird als analog dem Geschehen bei der Kontaktdermatitis angenommen: Aufnahme durch dendritische Zellen der Haut, Prozessierung, Migration in die regionären Lymphknoten, Präsentation an naive spezifische T-Lymphozyten, Entstehen eines »MemoryZellklons« mit den oben genannten Oberflächenmolekülen (CLA, CCR4), der präferenziell an entzündlichen Läsionen der Haut extravasiert und dort durch Präsentation des Psoriasis-Antigens aktiviert wird. An welchem Punkt der Entzündungsreaktion die spezifische genetische Disposition zum Tragen kommt und wie dadurch das unverwechselbare klinische Bild der Psoriasis entsteht, ist letztlich unklar. 3Nicht bewiesene Thesen hinsichtlich des (Auto)Antigens der Psoriasis umfassen einen Antigen-Shift von Fremd- zu Autoantigenen bzw. molekulares Mimikry. So bestehen z. B. Sequenzhomologien zwischen Streptokokken-M-Proteinen und Zytokeratin 17. Eine wichtige Rolle spielen offenbar auch mikrobielle Superantigene, zumindest bei der akut-exanthemischen Psoriasis; bei dieser sind in der Läsion entsprechende Vβ-tragende Lymphozyten nachweisbar, bei der chronischen Plaque-Psoriasis hingegen nicht.
Symptomatik. Psoriasis vulgaris ist durch sehr charak-
teristische Hautherde gekennzeichnet, die in verschiede-
221 5.1 · Psoriasis (Schuppenflechte)
5
. Tab. 5.2. Die klassischen klinischen Varianten der Psoriasis: Übersicht Eruptive Psoriasis
Erscheinungsform der Psoriasis im akuten Schub. Lokalisation exanthematisch an Rumpf und proximalen Extremitäten. Häufig mit Infekten assoziiert.
Plaque-Typ-Psoriasis
Häufigster Typ (ca. 90%); variable Zahl symmetrischer Plaques, vorwiegend an Prädilektionsstellen.
Psoriasis inversa
Relativ selten. Prädilektionsstellen (meist) unbefallen, dafür Befall der großen Beugen, Genitoanalregion, Handflächen und Fußsohlen. Diagnostisch schwierig: die typische Schuppung fehlt entweder (feuchtes Milieu) bzw. ist an Handflächen und Fußsohlen anders beschaffen (festhaftend).
Psoriasis der Kopfhaut
In ca. 40% befallen, oft auch isoliert. Manifestiert sich als einzelne Plaques oder subtotaler bis totaler Befall, typischerweise an der Haargrenze abschneidend.
Chronisch-inveterierte Psoriasis
Form der Plaquetyp-Psoriasis mit lederartigen Herden, besonders schlechtes therapeutisches Ansprechen.
Erythrodermische Psoriasis
Eine seltene, aber bedeutsame Form: Befall des gesamten Integuments. Im Vordergrund steht die Rötung, die Schuppung ist oft weniger und nicht so charakteristisch ausgeprägt. Sie kann zu schwerem Katabolismus und kardialer Belastung führen. Sie entsteht entweder durch Konfluenz psoriatischer Plaques oder primär, ist therapieresistent und von Erythrodermien anderer Genese schwer unterscheidbar.
ner Zahl, Größe und Entwicklungsstadien am Körper auftreten (. Tab. 5.2). Primärläsion der Psoriasis. Diese ist eine flache kreis-
runde, scharf begrenzte Plaque von ziegelroter Farbe mit silbrig-weißer (asbestfarbener), groß- und groblamellöser Schuppung (. Abb. 5.2, . Abb. 5.3). Die Schuppen haften nur locker und lassen sich in toto abheben (Wachstropfenphänomen). Bei Abheben mehrerer Schuppenlagen kann es zu punktförmigen Blutungen kommen (Anreißen der oberflächlichen Papillengefäße – Auspitz-Phänomen). Die Herde sind bei Entstehung punktgroß, vergrößern sich peripher (traditionelle Bezeichnungen: Psoriasis punctata, guttata,
. Abb. 5.3. Psoriasisplaque mit asbestartiger Schuppung
nummularis) und können durch Konfluenz große Plaques mit polyzyklischer, bizarrer Begrenzung ausbilden (Psoriasis geographica). Manche Herde sind artefiziell (z. B. strichförmig) angeordnet (Köbner-Phänomen). Am Ende des Spektrums steht ein großflächiger Befall bis hin zur Erythrodermie. Subjektiv verursachen die psoriatischen Läsionen meist nur mäßigen Juckreiz; durch die Sprödheit der psoriatischen Haut kann es in Gelenksnähe zu schmerzhaften Rhagaden kommen. Kratzeffekte, Ekzematisation und Sekundärinfektion fehlen auffallenderweise in der Regel.
. Abb. 5.2. Psoriasisplaque (frisch). Ein kreisrunder, scharf begrenzter, ziegelroter Herd mit groblamellöser, silbrig-weißer, locker haftender Schuppung
Rückbildungsformen. Läsionen können sich spontan oder nach Therapie zurückbilden; der Prozess kann sowohl an der Peripherie als auch im Zentrum einsetzen (in letzterem Fall Ringformen!). Nach Abheilung ent-
222
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
steht ein hypopigmentierter Fleck (psoriatisches Leukoderm, . Abb. 5.4), der nach einigen Wochen repigmentiert. Prädilektionsstellen. Streckseiten der Extremitäten
(Knie, Ellenbogen), sakral und die behaarte Kopfhaut. Selten kommt auch das gegenteilige Verteilungsmuster vor: Gelenksbeugen, Genitoanalregion, Handflächen und Fußsohlen (»Psoriasis inversa«).
5
Histologie. Markante lympho-leukozytäre entzündliche Infiltration der oberen Dermis und der Epidermis. Die Epidermis ist verbreitert (Akanthose), die Retezapfen verlängert (Papillomatose), das Str. granulosum fehlt streckenweise, die Hornschicht ist verdickt und enthält Kernreste (Parakeratose). Neutrophile können subkorneal in der Epidermis zu den so genannten »Munro-Mikroabszessen« verdichtet sein. Bei chronischen Läsionen ist die epidermale Hyperplasie besonders ausgeprägt, die papillären Gefäße sind vermehrt und weitgestellt (Neovaskularisation). Verlauf. Dieser ist schubartig und chronisch. Der
Krankheitsbeginn erfolgt häufig als generalisiertes Exanthem kleiner psoriatischer Läsionen (eruptive, akutexanthematische Psoriasis . Abb. 5.4), nicht selten im Anschluss an Streptokokkeninfekte – alternativ einschleichend mit einzelnen chronischen Plaques an den Prädilektionsstellen. Das Exanthem bildet sich später teilweise oder gänzlich (auch spontan) zurück. Persistierende Herde münden in die chronisch-stabile Plaqueform. Rezidivschübe manifestieren sich analog. Häufigkeit, Dauer und Intensität der Schübe sind sehr unterschiedlich (von einem einzigen bis zu zahllosen),
. Abb. 5.5. Chronische Plaquetyp-Psoriasis (Psoriasis geographica)
Verlauf und Ausprägung der Psoriasis sind daher individuell verschieden, kapriziös und kaum voraussagbar. Manifestationsformen. Die Plaqueform ist die häu-
figste Manifestation der Psoriasis (. Abb. 5.5). Bei ihr finden sich einige bis zahlreiche persistente, infiltrierte und im Extrem lederartig verdickte Plaques, vorwiegend symmetrisch an den Prädilektionsstellen. Spontanremissionen kommen auch beim Plaquetyp vor, allerdings seltener und kaum total oder dauerhaft. Das klinische Erscheinungsbild der Psoriasis liegt demnach (und pendelt oft) zwischen den beiden Polen der akut-exanthematischen und der chronisch-stabilen Psoriasis. Der ersteren schreibt man einen hohen, der letzteren einen niedrigen »Eruptionsdruck« zu. 3Erklärung: Bei Psoriasis ist die gesamte Haut erkrankt. Die unbefallene Haut ist nur scheinbar »normal«, sie zeigt oft histologisch psoriatische Veränderungen en miniature; funktionell liegt sie in Bereitschaft, auf auslösende Stimuli mit Psoriasis zu antworten. Dass die Psoriasis wie ein Vulkan unvorhersehbar »ausbricht«, ist ein altes, durch Erfahrung geprägtes Denkmodell. In klinisch noch unauffälliger Haut steht bei »hohem Eruptionsdruck« das Instrumentarium für die psoriatische Reaktion schon bereit, und ein geringer unspezifischer Auslöser, z. B. Kratzeffekte, genügt zur Auslösung – es entsteht das KöbnerPhänomen. Bei »niedrigem Eruptionsdruck«, also bei chronisch-stabiler Psoriasis, ist dies nicht der Fall.
. Abb. 5.4. Psoriatische Leukoderme bei einer Patientin mit Psoriasis guttata in Rückbildung. Psoriatische Herde bilden sich typischerweise vom Rand her zurück, daher finden sich im Zentrum einiger Leukoderme noch Psoriasisreste
Befall von Hautanhangsgebilden und hautnahen Schleimhäuten. Trotz oft exzessivem Befall des Kapil-
litiums (. Abb. 5.6) kommen weder Haarausfall noch
223 5.1 · Psoriasis (Schuppenflechte)
5
a . Abb. 5.6. Psoriasis capillitii. Die Grenze der Psoriasisläsionen verläuft parallel zum Haaransatz
Haarschaftanomalien vor. Die Nägel sind jedoch häufig und in typischer Weise befallen (. Abb. 5.7a, b, . Tab. 5.3), am intensivsten bei Psoriasis-Arthritis. Bei Psoriasis pustulosa können subunguale Pusteln die Nagelplatte abheben (Nagelverlust). Die Mundschleimhaut ist typischerweise frei. Die anogenitale Übergangshaut kann im Rahmen der Psoriasis inversa befallen sein; hier neigen die Herde zu besonderer Therapieresistenz.
b . Abb. 5.7a, b. Nagelpsoriasis. a »Tüpfelnägel«, b subunguale Hyperkeratosen: kalkweiße, lamellierte Hornmassen
Diagnostik. Systemzeichen und Labor. Die unkom-
plizierte Plaquetyp-Psoriasis verläuft (außer Arthritis!) ohne Systemzeichen. Allerdings ist die Inzidenz von Atherosklerose, Hypertension, Typ-II-Diabetes und Adipositas erhöht (»metabolisches Syndrom«). Die Laborwerte sind meist unauffällig. Bei hoher Krankheitsaktivität erhöhte Blutsenkung, Akutphasenproteine, Immunaktivierung (z. B. erhöhte Neopterinspiegel), milder Eisenmangel, Hypalbuminämie; manchmal erhöhte Harnsäurewerte, niedrige Serumkalziumspiegel. Messung der Krankheitsintensität. Diese ist zur Planung der Therapie und zur Erfolgsbeurteilung bedeutsam. Mangels geeigneter Laborparameter werden dafür
die Ausdehnung der Psoriasis (Prozentanteil befallener Körperoberfläche) und der »psoriasis activity and severity«-Index (PASI) verwendet, bei dem zusätzlich auch Erythem, Schuppung und Infiltration der Herde erfasst werden. Differenzialdiagnose. Psoriasis kann in der Regel klinisch leicht diagnostiziert werden, Biopsien sind selten erforderlich. Differenzialdiagnostische Schwierigkeiten können auftreten, wenn nur Einzelläsionen vorhanden sind (z. B. psoriasiformes Basaliom) oder wenn die typischen Merkmale nur mangelhaft ausgebildet sind (z. B. Fehlen der Schuppung bei inverser Psoriasis) (. Tab. 5.4).
. Tab. 5.3. Manifestationen der Nagelpsoriasis* Tüpfelnägel (häufigste Form)
Multiple punktförmige Auspunzungen. Entstehung: Parakeratose des oberflächlichen Teils der Nagelplatte (Befall des proximalen Anteils der Nagelmatrix). Tüpfelnägel sind charakteristisch, aber nicht spezifisch für Psoriasis (kommen auch bei Ekzemen und, in geringer Zahl, an normalen Nägeln vor).
Psoriatischer Ölfleck (seltenste Form)
Gelblich-bräunliche Flecken. Entstehung: parakeratotisches Material innerhalb der Nagelplatte (Befall des distalen Teils der Nagelmatrix).
Subunguale Hyperkeratosen (schwerste Form)
Groblamellierte, weißgraue Schuppenmassen unterhalb der Nagelplatte. Entstehung: Psoriasis des Nagelbetts.
*Merke: Die Formen der Nagelpsoriasis können isoliert oder kombiniert auftreten. Sie sind oft am stärksten an den Fingern mit psoriatischer Arthritis ausgeprägt
224
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
. Tab. 5.4. Differenzialdiagnose der Psoriasis vulgaris
5
Einzelherd
Ekzemplaque, Epidermomykose, Morbus Bowen, oberflächliches Basaliom, Mycosis fungoides (pagetoide Reticulose)
P. guttata
Lichen ruber, Pityriasis lichenoides, Lues II
P. nummularis
Seborrhoisches Ekzem, Pityriasis rosea, subakut-kutaner Lupus erythematodes
Plaquetyp-Psoriasis
Nummuläres Ekzem, Mycosis fungoides, subakut-kutaner Lupus erythematodes
Erythrodermatische Psoriasis
Ekzematöse Erythrodermie, kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie, Pityriasis rubra pilaris, erythrodermatische Mycosis fungoides und Sézary-Syndrom, Scabies norvegica
P. capillitii
Seborrhoisches Ekzem, Mikrosporie
Palmoplantare Psoriasis
Chronisches Hand- und Fußekzem, palmoplantare Mykose, Sézary-Syndrom
Genitale Psoriasis
Morbus Reiter, Erythroplasie, Lues II, extramammärer Morbus Paget
Psoriasis-Arthritis Definition. Eine mit Psoriasis assoziierte seronegative Spondylarthritis.
Zu den Gelenksveränderungen treten die charakteristischen (bei rheumatoider Arthritis fehlenden) Symptome der Enthesiopathie (»Weichteilrheumatismus«): wechselnde periartikuläre oder Fuß- und Sohlenschmerzen, Druckpunkte, Tendosynovitis, Entzündung der Achillessehne etc. Begleit-Uveitis in bis zu 10% (meist einseitig). Der Verlauf ist meist periodisch wechselnd oder mäßig progredient. Nur ein kleiner Teil schreitet rasch und unbeeinflussbar fort. Bei diesen
Epidemiologie. Schätzungen der Prävalenz liegen zwi-
schen 5 und 20% der Psoriatiker, bei ausgedehntem Befall und bei pustulöser Psoriasis höher (bis 30%). Gelenks- und Hautsymptome sind im Verlauf nicht gut korreliert: Fälle schwerer Arthritis bei geringer oder sogar fehlender Hautbeteiligung sind nicht selten. Krankheitsbeginn gewöhnlich im mittleren Erwachsenenalter, meist gehen die Haut- den Gelenkssymptomen voraus. Bestimmte Verlaufstypen sind oft familiär gehäuft. Pathogenese. Eine durch CD8-Zellen vermittelte Synovitis. Die Synovia ist massiv hyperplastisch, villös, vaskularisiert und entzündlich infiltriert. Im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis finden sich im Punktat weder Immunkomplexe noch Rheumafaktoren. Fibroblastenproliferation führt zur Erweiterung des Gelenkspalts (typisches radiologisches Zeichen) und kann in a eine vorerst fibröse, später knöcherne Ankylose überleiten. Gleichzeitig Resorption von Knorpel und Knochen (erosive Arthritis). An den Ansätzen von Ligamenten und Sehnen finden sich Entzündung, Knochenabbau und Kalzifikation. Ein wichtiger Realisationsfaktor ist mechanisches Abnützungstrauma.
b
c
Symptomatik. Die Arthritis beginnt meist schleichend
und an nur wenigen Gelenken, manchmal aber akut und ausgedehnt. Die befallenen Gelenke sind entzündet (Schwellung, Hitzen, Druck- und Spontanschmerzhaftigkeit), bei längerem Bestand Formveränderungen (Auftreibung, Deviationen), Ankylose und Verkürzung. Mehrere Verlaufstypen werden unterschieden (. Abb. 5.8a–d, . Tab. 5.5).
d . Abb. 5.8a–d. Typen der Psoriasis arthropathica der Hände. a Peripherer Typ; b Rheumatoider Typ; c »Wurstfinger«; d Arthritis mutilans
225 5.1 · Psoriasis (Schuppenflechte)
5
. Tab. 5.5. Klassische Verlaufstypen der Psoriasis-Arthritis Peripherer Typ
Am häufigsten; Befall einzelner bis zahlreicher (meist distaler) Interphalangealgelenke von Fingern und Zehen, seltener der Metakarpalgelenke. Asymmetrische Lokalisation (Unterschied zur rheumatoiden Arthritis!). Oft diffuse Schwellung der Finger (»Wurstfinger«), morgendliche Steifigkeit, Arbeitsbehinderung.
Monarthritis großer Gelenke
Knie, Hüft-, Sprunggelenk, einzeln oder zu mehrt. Selten, aber charakteristisch: isolierter Befall des Mandibular- oder Sternomanubrialgelenks. Oft kombiniert mit peripherem Typ.
Axialer Typ
Hauptbefallen sind Sakroiliakalgelenke und Halswirbelsäule (Syndesmophyten). Meist mit peripherem Typ kombiniert.
Arthritis mutilans
Selten, ausgeprägte Knochenresorption. Auftreten generalisiert oder nur an peripheren Gelenken (Verkürzung der Phalangen, Schrumpfen der Finger – können durch Zug wieder auf ursprüngliche Länge gedehnt werden, »Teleskopfinger«). Hohe Assoziation mit pustulöser Psoriasis und HLA-B27.
kann es durch mutilierende Arthritis, Synostosen und knöcherne Kontrakturen zu Verlust von Arbeits- und Gehfähigkeit und schwerer Verkrüppelung kommen. Im Rahmen der HIV-Infektion verläuft die PsoriasisArthritis oft besonders schwer. Diagnostik. Bei typischem Bild ist die Diagnose leicht.
Da spezifische Laborparameter fehlen (lediglich hohe Blutsenkung, Akutphasenproteine, Entzündungsanämie), muss die Diagnose durch Ausschluss der rheumatoiden Arthritis (Seronegativität), den Nachweis psoriatischer Hautläsionen (besonders ausgeprägte Nagelpsoriasis!) und Radiodiagnostik erhärtet werden. Zu unterscheiden sind andere seronegative Spondylarthropathien (z. B. Morbus Reiter). Psoriasis pustulosa Definition. Die Gruppe der Psoriasis pustulosa umfasst nach traditioneller Einteilung generalisierte, oft mit schweren Systemzeichen einhergehende, sowie lokalisierte Formen. Alle sind durch schubweise auftretende sterile, oberflächliche, flache Pusteln gekennzeichnet, die durch besondere Betonung der Neutrophilen-Chemotaxis im Rahmen der psoriatischen Reaktion entstehen. Hautzeichen der Psoriasis vulgaris finden sich in der Regel nicht.
laufsformen nur selten. Manchmal pendelt die Reaktionsweise zwischen »vulgaris« und »pustulös«. Einige Triggerfaktoren dieses Umschlags sind bekannt: Infekte, Schwangerschaft, Einnahme von Kontrazeptiva, Kortisonentzug, Hypokalzämie und Hautirritationen, etwa durch aggressive Lokaltherapie. Manchmal kann man den Übergang einer Psoriasis vulgaris in Psoriasis pustulosa beobachten (so genannte »Psoriasis cum pustulatione«). Pathogenese/Symptomatik. Die Pusteln beruhen auf einer exzessiven Übersteigerung der schon bei Psoriasis vulgaris als Munro-Mikroabszesse manifesten Leukozytenattraktion. Typ Zumbusch (. Abb. 5.9). Eine potenziell lebensbe-
drohliche Krankheit. Schübe treten unvermittelt auf und manifestieren sich als meist inkomplette Erythrodermie, in der massenhaft, regionweise synchron,
! Psoriasis pustulosa ist keine superinfizierte Psoriasis.
Generalisierte Psoriasis pustulosa Man unterscheidet den Typ Zumbusch und den zirzinären Typ. Beide sind einander ähnlich, letzterer ist von milderem Verlauf. Epidemiologie. Eine seltene Verlaufsform der Psoriasis (ca 1–2%). Sie tritt meist (nicht stets) bei Patienten mit Vorgeschichte oder familiärer Belastung von Psoriasis vulgaris auf, doch koexistieren die beiden Ver-
. Abb. 5.9. Psoriasis pustulosa (Typ Zumbusch). Multiple oberflächliche, dünnwandige, stecknadelkopfgroße konfluierende Pusteln. Bei großflächiger Konfluenz entstehen so genannte »Eiterseen«
226
5
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
oberflächliche Pusteln entstehen. Diese konfluieren zu »Eiterseen«, platzen oder trocknen innerhalb von Stunden ein und schuppen ab. Gleichzeitig hohes Fieber (40°C), Leukozytose, Krankheitsgefühl und oft Arthritis. Unbehandelt folgen weitere Schübe in kurzen Intervallen (Stunden, Tage) und führen zu Entkräftung, Hypalbuminämie und Hypokalzämie. Spontanremission nach Wochen ist die Regel, Tod durch Herzkreislaufversagen kommt vor. Rezidive können nach bis jahrelanger Remission wieder auftreten. In der Schwangerschaft verläuft die Psoriasis pustulosa besonders schwer (Hypokalziämie, tetanische Krämpfe – frühere Bezeichnung: Impetigo herpetiformis). Zirzinärer Typ. Dieser ist durch randständige Pustelbil-
dung an den Erythemen gekennzeichnet; durch Konfluenz entstehen rasch veränderliche girlandenförmige Muster. Diagnostik. Histologie. Massive intraepidermale Leukozytenansammlungen in Bezirken vakuolisierter Epidermalzellen (spongiforme Pustel), subkorneale »Eiterseen«, »Flöze« zusammengesinterter Leukozyten in der Hornschicht. Akanthose und Papillomatose sind kaum ausgeprägt. Differenzialdiagnose. Akute generalisierte exanthe-
matische Pustulose (AGEP, 7 Kap. 3.2.8). Lokalisierte Psoriasis pustulosa Man unterscheidet den palmoplantaren Typ Barber und die Akrodermatitis suppurativa Hallopeau. Beide sind selten, koexistieren nicht mit Psoriasis vulgaris (oder deren Anamnese), gehen nicht in generalisierte Psoriasis pustulosa über und sind nicht mit Psoriasis-typischen HLA-Typen assoziiert. Die Zugehörigkeit zum Spektrum der Psoriasis gilt als zweifelhaft. Psoriasis pustulosa palmoplantaris (Synonym palmo-
plantare Pustulose). Diese Form ist gynäkotrop und tritt häufig nach Infekten auf. Sie ist eine chronische, symmetrische Dermatose von Handflächen und Fußsohlen, die durch schubartig immer wiederkehrende, oberflächliche (subkorneale) sterile Pusteln und relativ festhaftende groblamellöse Schuppung gekennzeichnet ist. Subjektive Beschwerden sind gering, Systemzeichen fehlen, allerdings tritt die Pustulose in 10% im Rahmen des SAPPHO-Syndroms auf (Synovitis, Akne fulminans, Palmoplantare Pustulose, Hyperostose der Sternokostoklavikular-Region, Osteitis – chronisch rezidivierende multifokale Osteomyelitis). Differenzial-
. Abb. 5.10. Akrodermatitis suppurativa (Hallopeau). Oberflächliche, konfluierende Pusteln und Krusten der Fingerakren. Beachte die Anonychie
diagnose: Dyshidrotisches Ekzem, palmoplantare Mykose. ! Die Barber’sche Pustulose ist eine der Dermatosen, die bei Rauchern stark gehäuft auftreten.
Akrodermatitis suppurativa (. Abb. 5.10). Ähnlich
dem Typ Barber, jedoch an den Fingerspitzen, Paronychien, subungual und den Dorsalseiten der Finger lokalisiert. Der Verlauf ist nicht schubhaft sondern langsam proximalwärts progredient. Bei langem Bestand Hautatrophie, Nagelverlust und Versteifung der Fingergelenke. Differenzialdiagnose: Dyshidrotisches Ekzem, Paronychie. Therapie der Psoriasis Therapie der Psoriasis vulgaris Es gibt weder eine kausale noch eine uniform für alle Verläufe geeignete Therapie. Zur Verfügung steht ein Spektrum symptomatischer Maßnahmen, die jeweils für bestimmte Situationen am geeignetsten sind. Da es sich um eine chronische, oft lebenslange Krankheit handelt, kommt der Aufklärung ein besonderer Stellenwert zu. Das Behandlungsziel ist nicht stets die völlige Abheilung, sondern oft nur ein erträgliches Gleichgewicht mit der Krankheit. 3Alle Therapien besitzen immunmodulatorischen Wirkungen. Dies zeigen eindrucksvoll die neuen »Biologics«; aber auch die älteren Methoden, denen man irrigerweise eine Wirkung auf die Keratinozyten zugeschrieben hatte, wirken vorwiegend immunmodulatorisch (Lichttherapie, Teer, Immunsuppressiva, Kortikosteroide).
Prinzipien. Der Lokaltherapie soll solange wie möglich der Vorrang gegeben werden – sie reicht bei ca. 75% der
227 5.1 · Psoriasis (Schuppenflechte)
. Tab. 5.6. Stufentherapie der Psoriasis vulgaris Basisbehandlung
Kortikosteroidsalben, Pflegemaßnahmen
Erweiterte Basisbehandlung
Kombination mit 4 Vitamin D3-Analoga 4 Tazaroten 4 UV-B 4 Cignolin
Basisbehandlung + milde Systemtherapie
Kombination mit 4 Etretin 4 Etretin plus UV-B 4 PUVA 4 Etretin plus PUVA
Konventionelle Systemtherapie
Methotrexat Cyclosporin A (Fumarsäure)
»Biologics«
Infliximab Adalimumab Etanercept Alefacept Efalizumab
Patienten aus. Ist dies nicht der Fall, werden stufenweise aggressivere Modalitäten eingesetzt (. Tab. 5.6). Kombinationstherapien haben Vorrang vor Monotherapien; zur Minimierung von Nebenwirkungen sollten die Behandlungen rotieren (Rotationstherapien). Etwa 20% der Patienten bedürfen systemischer Therapien. Zunächst sollten die konventionellen Modalitäten eingesetzt werden, erst dann die neuen, höchst wirksamen »Biologics«. Allgemeinmaßnahmen. Pflegemaßnahmen wie Öloder Solebäder, Pflege- und keratolytische Salben, Salizylölhauben etc. entfernen die Schuppen, mildern die sujektiven Symptome und machen die Läsionen weniger auffällig und geschmeidiger. Bei allen Formen der Psoriasis, insbesondere den eruptiven, sollen Fokalinfekte gesucht und ausgeschaltet werden. Klimabehandlung (Meer, Sonne) ist nützlich, wenn auch die Wirksamkeit nicht überschätzt werden darf. Nachteile: zeitaufwendig, Problematik der Benützung allgemeiner Badestrände, schlechte Dosierbarkeit, Gefahr des chronischen UV-Schadens. Vor der Sonnenexposition sollten die Schuppen entfernt (Filterwirkung) und unbefallene Hautstellen geschützt werden werden. Antipsoriatisch wirksam ist das Sonnenbrandspektrum (Entleerung der Haut von T-Zellen und antigenpräsentierenden Zellen).
C A V E
5
Köbner-Phänomen bei Sonnenbränden.
Lokaltherapie Kortikosteroidsalben. Diese sind die Therapie erster
Wahl für wenig ausgedehnte Fälle. Sie führen jedoch selten zur vollen Abheilung, bei Absetzen erfolgt oft bald ein Rezidiv. Cave: Kortisonschäden bei langfristiger Verwendung (Intertrigostellen!). Eine Potenzierung der Wirkung (und Nebenwirkungen) wird durch Okklusivtherapie erzielt (z. B. Plastikhandschuhe über Nacht). Kortikosteroidsalben werden meist als Zusatz zu weiteren Therapien eingesetzt. Vitamin-D3-Analoga. Calcipotriol, Tacalcitol sind ähnlich wirksam, aber weniger lindernd. Wegen perkutaner Resorption (Risiko der Hyperkalziämie) sollten sie nicht zu großzügig eingesetzt werden (<100 g Salbe/ Woche). Synergistische Effekte bei Kombination mit Kortikosteroidsalben. Vitamin-D3 hemmt die Antigenpräsentation und die Produktion proinflammatorischer Zytokine. Tazaroten. Dieses Rezeptor-spezifische topische Retinoid wird kombiniert mit lokalen Kortikosteroiden und UVB-Phototherapie bei milder und mäßiggradiger Psoriasis eingesetzt. Teerpräparate. Diese sind wirksam, heute aber weitge-
hend verlassen, da sie wenig attraktiv sind (schwarz und geruchsvoll). Teer wirkt photosensibilisierend. Dithranol (Cignolin). Dieses synthetische Chrysaro-
binanalog ist eines der ältesten Lokaltherapeutika der Psoriasis und gut wirksam (Wirkmechanismus: Apoptose von Immunzellen). Es ist allerdings ein Irritans (Gefahr der Exazerbation), und sein Gebrauch erfordert Erfahrung. In Form der »Minutentherapie« ist es auch heute noch in ambulantem Gebrauch: Dithranol wird nur für 10–20 min aufgetragen und anschließend abgewaschen. Diese Zeit genügt zur Penetration wirksamer Mengen durch die Psoriasisplaque (geschädigte Barriere), nicht aber durch die gesunde Haut; die Irritation bleibt aus. Dithranol-Shampoo eignet sich auch für die sonst schlecht behandelbare Psoriasis der Kopfhaut. Cave: oxydiertes Cignolin verfärbt irreversibel Textilien, Fingernägel, Waschbecken etc. violettbraun. 3Der Kliniker unterscheidet zwischen Therapiemodalitäten, die die psoriatische Plaque nur unterdrücken, solange behandelt wird, und solchen, die zu einer echten Abheilung derselben führen (was jedoch keinen Einfluss auf die Rezidivhäufig-
228
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
keit hat). Zur ersten Kategorie gehören alle genannten Lokaltherapeutika außer Teer und Cignolin. Auch die meisten Systemtherapeutika (außer PUVA) führen nur zur Unterdürckung der Psoriasisplaque.
5
Phototherapie. UV-B-Therapie (7 Kap. 2.4.6) wird bei mittelgradig ausgedehnten Formen eingesetzt und ist hier gut wirksam. Bevorzugt wird Schmalband-UV-B mit Hauptemission bei 311 nm (»Psoriasis-Wellenlänge«). Es kommt nach einigen Wochen zur subtotalen Remission, wobei viele Herde gänzlich abheilen. UV-B wird in der Regel mit anderen Optionen kombiniert. Wirkmechanismus: Depletion der Haut von Immunzellen. Orale Photochemotherapie (PUVA= Psoralen+UV-A, 7 Kap. 2.4.6). Diese ist eine der wirkungsvollsten For-
men der Psoriasistherapie. Sie wirkt stärker als UV-B, die Remissionen dauern länger an. Sie ist bei schwerer und ausgedehnter Plaque-Typ-Psoriasis indiziert. Beim Entschluss zur oralen Photochemotherapie muss auch der hohe Aufwand bedacht werden. Hochdosierte und Langzeitbehandlung sollten vermieden werden, da sie zur Lichtalterung der Haut führen (Elastose, Pigmentstörungen: »PUVA-Haut«) und ein karzinogenes Risiko bergen. Die Höhe dieses Risikos ist wegen der langen Latenzzeit der Hauttumoren nicht genau bekannt. Langfristige Nachkontrollen (Jahre!) sind indiziert. Bei Anamnese anderer karzinogener Therapien (Arsen, Methotrexat, Röntgenbestrahlung) sollte von einer PUVA-Behandlung abgesehen werden. Systemische Therapien
Diese kommen zum Einsatz, wenn Lokal- und Phototherapie nicht ausreichend wirksam oder nicht praktikabel ist. C A V E
Systemische Kortikosteroide sind bei Psoriasis nicht indiziert. Sie sind zwar wirksam, doch kommt es beim Absetzen zum Rezidiv, das oft schwerer als der Ausgangszustand ist (Reboundeffekt). Auf lange Sicht verschlechtert sich daher die Psoriasis trotz immer höherer Kortikoiddosen, die unausbleiblich zu Nebenwirkungen führen.
Etretin, ein synthetisches Retinoid (7 Kap. 2.4.3), wird in Kombinationsregimen eingesetzt – in Monotherapie ist es nur bei pustulöser Psoriasis indiziert. Bei PlaqueTyp-Psoriasis vermittelt Etretin ein besseres Ansprechen auf andere Therapieformen (topische Kortikosteroide, PUVA, UV-B, auch Cignolin). Etretin wird längerfristig (Monate) verabreicht. Es darf nicht mit
Methotrexat oder Cyclosporin A kombiniert werden (Interaktionen). Methotrexat galt bis zur Ankunft der »Biologics« als das wirksamste Medikament und Mittel letzter Wahl bei Psoriasis (auch Psoriasis-Arthritis und pustulöser Psoriasis). Schon niedrige Dosen (7,5–15 mg/Woche) können innerhalb einiger Wochen zur Abheilung führen; nach Absetzen sind Rezidive häufig und besonders therapieresistent. Wegen seiner Nebenwirkungen (Leukopenie, Lebertoxizität, Interaktionen mit anderen Pharmaka – 7 Kap. 2.4) ist eine strenge Überwachung erforderlich. Es wirkt immunmodulierend und bremst die Proliferation der Keratinozyten. Cyclosporin A ist gleichfalls bei allen Formen der Psoriasis gut wirksam. Auch Cyclosporin A ist reich an Nebenwirkungen und Interaktionen (Nierentoxizität, 7 Kap. 2.4.3). Ähnliches gilt für das in Wirkung und Nebenwirkung analoge Makrolidantibiotikum Tacrolimus. Weitere konventionelle Systemtherapeutika. Myco-
phenolsäure-Mofetil und Leflunomid (beide blockieren die Purin-Synthese) sind Alternativen zu den genannten Medikamenten. Ein aus der Alternative kommendes Präparat sind die Fumarsäureester, die als »natürliches« Heilmittel verbreitet sind. Früher mit Skepsis begegnet, wurden sie in den letzten Jahren in kontrollierten Studien als gegen Psoriasis wirksam und sicher erkannt. Auch sie wirken immunmodulierend. »Biologics«
Darunter werden molekularbiologisch erzeugte Proteine (meist chimäre monoklonale Antikörper oder Fusionsproteine) verstanden, die an spezifischen Punkten der Pathophysiologie der Psoriasis (oder anderer Krankheiten) ansetzen und daher »gezielt« wirken. Ansatzpunkte sind die Unterbrechung der Antigenpräsentation durch Blockierung kostimulatorischer Moleküle (Efalizumab, Alefacept), Hemmung der Immigration von Immunzellen durch Blockierung von Adhäsionsmolekülen (Efalizumab) und die Blockierung von TNF-α (Infliximab und Adalimumab: chimäre bzw. humanisierte monoklonale TNF-α-Antikörper, Etanercept – ein TNF-α-Rezeptor-Fusionsprotein). Viele der »Biologics« wirken schnell und durchgreifend, wobei hinsichtlich Nachhaltigkeit zwischen den einzelnen Wirksubstanzen erhebliche Unterschiede bestehen. Die »Biologics« bewirken als Proteine nur geringe Organtoxizität und können daher auch leichter bei Organkrankheiten eingesetzt und mit anderen Medikamenten kombiniert werden. Komplikationen wie Anaphylaxie sind selten; wesentliche Komplikationen können mangelnde Infektabwehr (Tuberkulose!) und, einst-
229 5.2 · Psoriasis-ähnliche Krankheiten
5
weilen nur theoretisch, Tumorabwehr sein. Wegen ihrer hohen Kosten werden sie derzeit nur bei Patienten gegeben, die auf konventionelle Methoden nicht ansprechen. Therapie der Psoriasis-Arthritis In milden Fällen sind NSAID (z. B. Naproxen) ausreichend. Im Zug von Systemtherapien der Hautpsoriasis stellt sich meist eine deutliche Besserung ein (Etretin, PUVA). Die potentesten Mittel waren früher Methotrexat und Cyclosporin A. Die TNF-α-Blocker Infliximab und Etanercept führen häufig zur dauerhaften Erscheinungsfreiheit. Wichtig ist begleitende physikalische Therapie. In fortgeschrittenen Stadien können orthopädische Operationen (evtl. prothetische Sanierung) erforderlich sein. Systemische Kortikosteroide sind nicht indiziert. In akuten Phasen kann Kryotherapie hilfreich sein. Therapie der Psoriasis pustulosa Die generalisierte Psoriasis pustulosa spricht in der Regel schnell auf Infliximab an. Bei allen Formen ist Etretin gut wirksam. Bei den lokalisierten Formen muss Etretin wegen des chronischen Verlaufs langfristig gegeben werden. Hierbei kommt es nicht selten zum Wirkungsverlust, der die Kombination z. B. mit PUVA erforderlich macht. 5.2
Psoriasis-ähnliche Krankheiten
. Abb. 5.11. Pityriasis lichenoides acuta. Disseminiertes, erythematös-hämorrhagisches, an einzelnen Stellen nekrotisierendes Exanthem
hämorrhagisch verkrustet (. Abb. 5.11), das von meist milden Systemzeichen begleitet wird (Fieber, Lymphadenopathie, Schwäche). Manche Läsionen schreiten zu Nekrosen und Ulzera fort, die mit »varioliformen« atrophen Narben abheilen. Bei der chronischen Form sind die Läsionen weniger entzündlich, Nekrosen fehlen. Bei zartem Ankratzen kann eine Schuppe von der gesamten Läsion abgehoben werden, die am Gegenpol haften bleibt (»Sargdeckelphänomen«). Verlauf: Schubweise. Spontanheilung nach Wochen bis Monaten. Diagnostik. Histologie: In der Junktionszone ein
Ein heterogenes Spektrum »klassischer« entzündlicher Dermatosen, die psoriasiforme Züge tragen, mit Psoriasis jedoch nicht verwandt sind. Bei allen ist die Ursache nicht oder nicht ausreichend klar. 5.2.1 »Parapsoriasis«-Gruppe Pityriasis lichenoides Eine seltene, selbstlimitierte exanthematische Dermatose von charakteristischer Morphologie. Man unterscheidet 2 überlappende Verlaufsformen: 4 die Pityriasis lichenoides et varioliformis acuta 4 die Pityriasis lichenoides chronica Manchmal besteht eine Assoziation mit kutanen oder extrakutenen T-Zell-Lymphomen. Betroffen sind meist Kinder oder Jugendliche (Knaben). Symptomatik. Bei der akuten Form entsteht ein schüt-
teres, regellos disseminiertes Exanthem aus hell- bis braunroten Papeln, teils schuppend, teils vesikulös und
oberflächliches, manchmal keilförmiges T-Zell-Infiltrat (oft monoklonal!) mit Erythrozytenextravasaten, basale Vakuolisierung, fokal Blasenbildung und Nekrose, Parakeratose. Differenzialdiagnose. Eruptive Psoriasis, Lichen ru-
ber, Varizellen, nekrotisierende Vaskulitis, lymphomatoide Papulose. Therapie. Tetrazykline, UV-B, PUVA, bei intensiver Ausprägung Kortikosteroidstoß.
Parapsoriasis en plaques, kleinfleckiger und großfleckiger Typ Beide – durchaus nicht seltene – Krankheitsbilder des Erwachsenenalters werden heute als Initialstadien der Mycosis fungoides interpretiert (7 Kap. 9), galten früher jedoch als eigene Entitäten, von denen die eine (die großfleckige Variante) in die Mycosis fungoides übergehen sollte, die andere (die kleinfleckige) jedoch nicht. Vermutlich stellen die beiden Formen ein Kontinuum dar, wobei die großfleckige Variante weiter fort-
230
5
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
geschritten ist (Herde heterogener, unregelmäßiger, oft leicht atroph und – größer). Der kleinfleckige Typ (Synonym »chronic superficial dermatitis«, »fingerprint dermatosis«) zeichnet sich durch enorme Chronizität und Persistenz der Einzelherde aus: sehr unauffällige, scharf begrenzte, regellos und schütter über Rumpf und proximale Extremitäten disseminierte Flecken von zart hellrot-gelblicher Farbe, mit geringer Schuppung und wenigen Zentimetern Durchmesser (»Fingerabdrücke«). Histologie: milde dermale T-Zellinfiltrate (vorwiegend CD4+) mit Exozytose in die Epidermis, fokale Parakeratose. Klonalität der T-Zellen wurde angegeben. Der Übergang in Mycosis fungoides ist nach vielen Jahren bis Jahrzehnten zu erwarten und wird daher häufig nicht erlebt. Differenzialdiagnose: Pityriasis rosea, nummuläres Ekzem, Psoriasis. Therapie: UV-B oder PUVA. 5.2.2 Pityriasis rubra pilaris Definition. Pityriasis rubra pilaris (PRP) ist eine der Psoriasis sehr ähnliche, notorisch chronische, von den Haarfollikeln ausgehende und meist sehr ausgedehnte Dermatose ohne Systemzeichen. Epidemiologie. PRP ist viel seltener als Psoriasis, ohne Geschlechtsprädilektion und weltweit verbreitet. Sie tritt meist sporadisch, gelegentlich familiär gehäuft auf (jedoch kein klarer Erbmodus, kein nachgewiesener Gendefekt). Es bestehen 2 Inzidenzgipfel: in der frühen Kindheit und im mittleren Erwachsenenalter. PRP neigt (unbehandelt) nach jahrelangem Verlauf zur Spontanheilung, kann aber auch das gesamte Leben persistieren. Man kennt 5 Verlaufsformen, die sich in Einzelaspekten unterscheiden. Symptomatik. Schubartiges Auftreten kleiner, orangeroter follikulärer, hyperkeratotischer Papeln am Kapillitium, den Streckseiten der Extremitäten mit Bevorzugung der Akren, schließlich an Rumpf und Gesicht (. Abb. 5.12). Durch Übergreifen auf die interfollikuläre Haut und Konfluenz entstehen flächenhafte, gelbrote, manchmal psoriasiform schuppende Herde, die scharf und polyzyklisch begrenzt sind und in eine Erythrodermie übergehen können. Innerhalb der befallenen Haut finden sich scharf und bizarr begrenzte Inseln gesunder Haut (typisches Zeichen!). Diffuse pergamentartige Verdickung der Handflächen und Fußsohlen. Subjektive Beschwerden und Systemzeichen fehlen weitgehend, die Schleimhäute bleiben frei, das Haarwachstum ist nicht beeinträchtigt. Die Nägel zeigen ähnliche Veränderungen wie bei Psoriasis.
. Abb. 5.12. Pityriasis rubra pilaris, frühes Stadium. Follikuläre konfluierende hellrote Papeln in Stammbereich. Zu Beginn nur wenig Schuppung
Diagnostik. Histologie: Psoriasiformes Bild, Parakeratose jedoch nur im Follikelostium. Differenzialdiagnose. Im Frühstadium seborrhoisches Ekzem und Lichen ruber, später Psoriasis vulgaris und chronische Erythrodermien anderer Art (z. B. ichthyosiforme Erythrodermie). Die typischen follikulären Papeln der PRP sind am Rand flächiger Läsionen erkennbar. Therapie. Unter Etretin kommt die PRP meist innerhalb weniger Wochen zur Abblassung und Abschuppung, die gänzliche Abheilung nimmt Monate in Anspruch. Bei zögerndem Ansprechen zusätzlich mittelhohe systemische Kortikosteroidstöße. Rezidive sind nicht selten. Aggressive Therapien (z. B. Methotrexat) sind nicht erforderlich, Photo-Chemotherapie führt oft zur Verschlechterung. »Biologics« (Infliximab) sind gut wirksam.
5.2.3 Pityriasis rosea Definition. Eine relativ häufige, selbstlimitierte, akut entzündliche exanthematische Dermatose wahrscheinlich viraler Genese. Epidemiologie. Pityriasis rosea ist weltweit verbreitet, ohne Geschlechtsprädilektion und tritt meist sporadisch im jungen Erwachsenenalter auf (kleine Epidemien wurden berichtet). Die virale Genese (HHV-7?) ist nicht erwiesen und gründet sich auf indirekte Indizien: biphasischer Verlauf (Primärplaque, Generalisation) und lebenslange Immunität (Rezidive kommen jedoch gelegentlich vor). Keine Übertragbarkeit! Un-
231 5.3 · Lichen ruber planus und lichenoide Dermatosen
5
5.2.4 Hautveränderungen
bei Morbus Reiter
. Abb. 5.13. Pityriasis rosea (irritata). Dichtes makulourtikarielles Exanthem, stellenweise mit Bläschen und Krusten. Beachte die Anordnung entlang der Spaltlinien der Haut. Eine Primärplaque ist nicht erkennbar
gesichert ist auch eine Assoziation mit atopischer Disposition. Symptomatik. Erstsymptom ist die so genannte Primärplaque: ein solitärer, meist kreisrunder, scharf begrenzter erythematöser (lachsroter) Herd mit peripherer Schuppenkrause (»Collarette«), gewöhnlich am oberen Rumpf. Tage bis Wochen später stellt sich schubweise ein auf den Rumpf begrenztes Exanthem aus ovalen, in der Spaltrichtung der Haut ausgerichteten gleichartigen Herden ein (»Tannenbaum«-artige Verteilung). Häufig symptomlos, manchmal milder Juckreiz. Bei komplikationslosem Verlauf Abheilung innerhalb von 1–3 Monaten. Pityriasis rosea irritata (. Abb. 5.13). Bei Irritation
durch Schwitzen, heiße Bäder oder inadäquate Behandlung kommt es zur drastischen Verschlechterung: Verdichtung der Läsionen, Ausbreitung auf Extremitäten und Gesicht sowie Umwandlung in ein polymorphes Bild aus Erythemen, Quaddeln und nässenden Plaques. Heftiger Juckreiz.
Morbus Reiter ist eine nicht sehr häufige, der PsoriasisArthritis ähnliche, seronegative »reaktive« Spondylarthritis, die stark mit HLA-B27 assoziiert ist und typischerweise 1–4 Wochen nach einer Infektion mit Chlamydia trachomatis oder bestimmten gramnegativen Erregern auftritt (postvenerischer bzw. postdysenterischer Typ). Sie ist durch die klassische Symptomtrias von unspezifischer Urethritis, Konjunktivitis und oft eminent chronischer, rezidivierender Arthritis der großen Gelenke gekennzeichnet. Hautsymptome können hinzukommen. Diese manifestieren sich oft als akrale pustulierende Herde ähnlich den lokalen Verlaufstypen der Psoriasis pustulosa, die später einen psoriasiformen Aspekt annehmen (so genanntes Keratoderma blennorrhagicum). Zusätzlich psoriasiforme Herde am Körper, Erosionen der Mundschleimhaut und die nahezu diagnostische Balanitis circinata: scheibenförmige, polyzyklische erosive Läsionen an der Glans penis und dem innerem Präputialblatt (7 Kap. 10.8.1). 5.3
Lichen ruber planus und lichenoide Dermatosen
Lichen ruber planus (LR) ist der Prototyp einer Gruppe von Dermatosen, denen die lichenoide Gewebsreaktion (7 Kap. 2.2.2) gemeinsam ist: eine zelluläre Immunreaktion gegen mit Keratinozyten assoziierte Antigene, die durch ein dichtes lymphozytäres Infiltrat entlang der dermoepidermalen Junktionszone exekutiert wird. Zu den lichenoiden Dermatosen zählen außer dem LR die lichenoiden Arzneimittelexantheme und die Hauterscheinungen der chronischen Graft-versus-Host-Reaktion. 5.3.1 Lichen ruber planus (Synonym
Knötchenflechte) Definition. LR ist eine chronische, selbstlimitierte, ent-
Diagnostik. Klinisch, Labor unauffällig. Differenzialdiagnose. Seborrhoisches Ekzem, Psoria-
sis guttata, Arzneimittel- und Virusexantheme, Exantheme bei Lues II.
zündliche Dermatose unbekannter Ursache und diagnostischer Morphologie (pyramidenstumpfartig abgeflachte Papeln). Er verläuft ohne Systemzeichen, aber mit starkem Juckreiz. Die erosiven und ulzerösen Verlaufsformen verursachen eine hohe Morbidität, Befall der Haarfollikel einen auffälligen Haarausfall.
Therapie. Vermeidung von Irritation, lokale (bei
schwerem Verlauf kurzzeitig systemische) Kortikosteroide, UV-B.
Epidemiologie. LR ist mit einer Prävalenz von <1% relativ häufig. Er tritt weltweit auf, vorwiegend ab der
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Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
Lebensmitte, sporadisch. Keine Geschlechts- oder saisonale Prädilektion.
5
Pathogenese. Die lichenoide Reaktion ist eine zelluläre Immunreaktion gegen durch (exogene) Agenzien modifizierte Antigene an Keratinozyten; ihr Zweck ist die Beseitigung dieser Zellen durch Apoptose. Ursächlich können Viren, Medikamente, Kontaktallergene und wahrscheinlich auch endogene Antigene (z. B. aus Neoplasmen) sein. Beim LR wurden Agenzien aller genannten Arten angeschuldigt, keines scheint jedoch von durchgehender Relevanz. Die Sensibilisierung wird als analog der beim allergischen Kontaktekzem gedacht. Die Effektorzellen bewirken jedoch durch (mehrere?) Mechanismen die Apoptose von Basalzellen (Fas-Fas-Ligand, Granzym, TRAIL). Der fokale Ausfall von Basalzellen führt zur reaktiven Repopulation des Basallagers aus der Nachbarschaft, Hyperproliferation der Epidermis und Hyperkeratose. Die Chronizität des Prozesses wird durch Entstehung von Kreuzreaktivität mit Selbst-Epitopen erklärt.
. Abb. 5.14. Lichen ruber, umschriebener Typ. Multiple, teils konfluierende, pyramidenstumpfartige Papeln
! Am häufigsten beschrieben wird eine Assoziation mit dem Hepatitis-C-Virus. Dieses wird in manchen Serien 10-mal so häufig vorgefunden wie in Kontrollpopulationen. Das Virus wurde auch mittels PCR in LR-Läsionen entdeckt, besonders häufig bei schwer verlaufendem und Schleimhaut-LR. Weniger gut belegt ist die Assoziation mit Zahnmaterialien (Amalgam, Gold).
Symptomatik. Primäreffloreszenz sind 0,5 bis >1 mm
große, juckende, polygonale, abgeflachte (»pyramidenstumpfartige«) Papeln von helllividem (»fliederfarbenem«) Farbton, mattem Glanz und meist ohne Schuppen. Schräg einfallendes Licht wird von der platten Oberfläche der Papeln reflektiert (diagnostisches Zeichen! . Abb. 5.14). Die Papeln stehen herdförmig in Gruppen (lichenoid) und konfluieren partiell; die Grenzlinien zwischen den Papeln sind dann als netzartiges weißes Linienwerk erkennbar (Wickham-Streifen, . Abb. 5.15). Besonders deutlich sind die WickhamStreifen an der Mundschleimhaut und am Genitale. 3Die weißliche Farbe der Wickham-Streifen beruht auf der Verdickung der Hornschicht (s. u.). Dasselbe gilt für die fahle Komponente der Fliederfarbigkeit.
Prädilektionsstellen des LR sind: Handbeugen, Mundschleimhaut, Genitale, Streckseiten der Unterschenkel und Sakralregion. Nicht selten findet sich das KöbnerPhänomen: LR-Läsionen im Bereich mechanischer oder anderer Minimaltraumen, meist in Form auffälliger Linien. Trotz des oft heftigen Juckreizes fehlen Kratzspuren (Patienten kratzen nicht, weil dies schmerzhaft
. Abb. 5.15. Lichen ruber der Glans mit retikulärem Muster
ist, sondern reiben). Systemzeichen und pathologische Laborbefunde fehlen. Schleimhautläsionen. Die Mundschleimhaut ist bei ca.
der Hälfte der Patienten befallen, Prädilektionsstellen sind die Wangen hinter dem Mundwinkel und der Zungenrand (. Abb. 5.16). Auch isolierter Befall der Mundschleimhaut kommt vor. Anders als die Hautherde ist der LR mucosae oris weiß (verdickte Hornschicht). Die Herde erscheinen am häufigsten als farnkrautartige streifige Zeichnungen (exzessive Ausprägung der Wickham-Streifen), seltener als diffuse weißliche Plaques, oder als lichenoide bzw. disseminierte weiße Papeln. Sie sind subjektiv symptomlos. Analoge Veränderungen finden sich (seltener) an der Glans Penis, an Vulva, Vagina, in Ausnahmefällen auch im Ösophagus und Rektum. Die Haare sind beim typischen LR nicht, die Nägel häufig, aber nur milde betroffen (s. u.).
233 5.3 · Lichen ruber planus und lichenoide Dermatosen
5
Region beschränkt (z. B. Mundschleimhaut oder Unterschenkel). Überlappungen sind häufig. Die durchschnittliche Bestandsdauer ohne Behandlung liegt bei 10 Monaten, Rezidive können noch nach Jahren auftreten. Die Abheilung erfolgt meist mit Restitutio ad integrum, oft bleibt eine residuale Hyperpigmentierung, selten Hypopigmentierung oder Atrophie. Differenzialdiagnose. Generalisierter LR: andere li-
. Abb. 5.16. Lichen ruber der Mundschleimhaut. Weißliche, einzeln stehende, z. T. konfluierende strichartig angeordnete Papeln
Morphologische Varianten. Bei der lokalisierten Verlaufsform können sich lineäre, anuläre Konfigurationen finden (männliches Genitale). Der atrophe LR geht bei Abheilung in zart atrophe Areale mit rauchgrauer Pigmentierung über (Pigmentinkontinenz). Eine ausgeprägte Form des letzteren ist das Erythema dyschromicum perstans (»ashy dermatosis«). Verruköser Lichen ruber. Dieser ist durch extrem chronischen Verlauf und quälenden Juckreiz gekennzeichnet. Vorwiegend an den Unterschenkel-Streckseiten disseminiert finden sich bis 1 cm große derbe schuppende Knoten, die kaum mehr Ähnlichkeit mit LR-Papeln besitzen (Hypertrophie durch chronisches Reiben). Diagnostik. Histologie: Ein dichtes, bandartiges lymphozytäres Infiltrat liegt knapp unter der Basalmembran und drängt die Epidermis plateauartig nach oben. Das Str. basale ist vakuolisiert und fehlt fokal – hier ist das Str. spinosum in kleinbogigen (sägeblattähnlichen) Spalten abgehoben (bullöser LR en miniature). Apoptotische Keratinozyten (»cytoid bodies«) finden sich in großer Zahl (. Abb. 2.5). Das Str. granulosum ist verbreitert, die Hornschichte kompakt hyperkeratotisch. Es finden sich dermale Melanophagen (»Pigmentinkontinenz« – Folge des Untergangs von Melanozyten). Verlauf. Man unterscheidet einen exanthematischen
und einen chronisch-lokalisierten Verlaufstyp. Ersterer setzt meist mit einem schütteren, auf die Prädilektionsstellen beschränkten Exanthem ein, das sich schubartig ausbreitet (im Extrem bis zur Erythrodermie). Bei letzterem bleibt der LR auf eine bestimmte
chenoide Exantheme bei Infektionskrankheiten (z. B. Lues II) und Arzneimittelreaktionen. Die Unterscheidung ist oft schwierig, da die markanten Charakteristika des LR fehlen oder verwaschen sind. Weiterhin Pityriasis rubra pilaris und chronische Graft-versusHost-Reaktion. Lokalisierter LR: chronisch-lichenifizierte Ekzemplaques (Lichen simplex chronicus), Prurigo simplex chronica. LR der Mundschleimhaut: plane und verruköse Leukoplakien, Narben, luetische Papeln. Therapie. Lokalisierter LR: Kortikosteroidsalben, ggf. unter Okklusion. Verruköser LR: intraläsionale Injektion von Triamcinolon-Kristallsuspension. Beim exanthematischen LR mittelhohe kurze (einige Wochen) systemische Kortikosteroidstöße. Alternativ oder zusätzlich UV-B oder PUVA, auch in Kombination mit Etretin. Antihistaminika mildern den Juckreiz, beeinflussen den Krankheitsverlauf jedoch nicht.
Sonderformen des Lichen ruber Lichen ruber planopilaris syn. follicularis (syn. Graham-Little-Syndrom) Eine seltene Variante des LR, aber eine führende Ursache der vernarbenden (irreversiblen) Alopezie von erheblicher kosmetischer Relevanz: die Haarwurzelscheiden und Haarbulbi werden von einem analogen entzündlichen Prozess erfasst wie die Epidermis beim »gewöhnlichen« LR, während die interfollikuläre Haut verschont bleibt. Das Resultat ist Verödung der Haarfollikel und Fibrose. Symptomatik. Der follikuläre LR beginnt mit wenig juckenden, gruppierten kleinfleckigen alopezischen Herden meist im Scheitelbereich, die peripher anwachsen und zu bizarr polyzyklisch konfigurierten Kahlheiten konfluieren (. Abb. 5.17). Die Haut ist atroph, zeigt aber außer minimalen Erythemen um noch erhaltene Haare keine Entzündung. Im Randbereich auch von größeren Herden finden sich stets noch die diagnostischen kleinfleckigen Kahlstellen. Typisch sind ferner einzelne Büschel normaler Haare in alopezischen Bereichen.
234
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
5 . Abb. 5.18. Lichen-ruber-Nagel. Verdünnung und Längsriefelung (»Nagel verhungert auf halbem Weg«)
. Abb. 5.17. Lichen ruber follicularis mit zikatrizierender Alopezie (Graham-Little-Syndrom). Beachte das Fehlen der Haarfollikel im haarlosen Bereich. Am Übergang zur behaarten Zone finden sich einzelne Haarbüschel (als Spiegelbild der lichenoiden Verteilung der Läsionen)
Differenzialdiagnose. Folliculitis decalvans (Pusteln!), kleinfleckige Alopecia areata und Alopecia areolaris specifica bei Lues II (Haarfollikel bleiben erhalten). Ältere Herde müssen von vernarbenden Alopezien anderer Art unterschieden werden (CDLE, lineäre Sklerodermie, 7 Kap. 7).
Differenzialdiagnose. Altersnagel, (posttraumatische) Onychodystrophie, »twenty nail syndrome«, Nagelläsionen bei Alopecia areata. Therapie. Der Prozess kann durch rechtzeitige Gabe
systemischer Kortikosteroide abgebrochen (oder unterbrochen) werden. Lokaltherapie wirkungslos. Weitere Sonderformen Erosiver, ulzeröser und bullöser Lichen ruber. Die De-
generation der Basalschicht bleibt beim klassischen LR ein histopathologisches Phänomen; bei starker Ausprägung kommt es zur auch klinisch wahrnehmbaren Spaltbildung mit Blasenbildung und/oder Erosionen.
Therapie. Im Anfangsstadium kann der Prozess durch
systemische Kortikosteroide gestoppt und teilweise rückgängig gemacht werden. Lokaltherapie ist wirkungslos. Lichen ruber der Nägel Nagelbefall ist beim LR häufig, meist aber nur mild; schwerer Befall kann auch als isolierter Befund vorkommen. Zugrunde liegt wieder ein analoges entzündliches Infiltrat, diesmal an der Nagelmatrix, das über deren Schädigung zur Minderproduktion an Nagelsubstanz und im Extrem zur Verödung der Nagelplatte führt. Symptomatik. Beginn mit Längsriefelung, Verdün-
nung und Verkürzung der Nagelplatte – der Nagel wächst nicht bis zur Fingerkuppe vor (. Abb. 5.18), in fortgeschrittenen Fällen teilweiser Nagelverlust mit Ausbildung eines Pterygium unguis (Vorwachsen der Haut des Paronychiums über Nagelreste und Nagelbett). Völliger Nagelverlust ist selten.
Erosiver LR der Schleimhaut. Dieser bildet sich in der
Regel auf dem Boden eines klassischen LR. Neben typischen LR-Läsionen finden sich oft ausgedehnte Erosionen an Wangen, Gingiva und Gaumen, selten auch der Genitalschleimhaut. Die Erosionen sind (im Gegensatz zum typischen LR) sehr schmerzhaft (Cave: gewürzte Speisen!, Dyspareunie), langwierig und therapieresistent. Differenzialdiagnose. Pemphigus vulgaris, Epidermolysis bullosa acquisita; vaginale Adenose, Erythroplasie, extramammärer Morbus Paget. Ulzeröser LR. Eine sehr seltene, eminent chronische
Variante, die mit schmerzhaften flachen Ulcera vorwiegend der Fußsohlen einhergeht (Gehunfähigkeit). Differenzialdiagnose: trophische Ulzera. Bullöser LR der Körperhaut. Diese seltene Form mani-
festiert sich meist mit wenigen wasserklaren Bläschen/ Blasen auf Läsionen eines typischen LR, seltener auf normaler Haut. Die letztere Variante (auch LR pemphi-
235 5.4 · »Neutrophile« und »Eosinophile« Dermatosen
goides) entspricht einer Koexistenz von LR und bullösem Pemphigoid.
5
nifiziert wird (z. B. okzipital, perigenital, Handrücken etc). Oft ist die auslösende Ursache nicht mehr erhebbar.
Therapie
Alle genannten Formen sind therapeutisch schwierig zu handhaben. Erosiver LE der Schleimhaut spricht manchmal gut auf Kortikosteroid-Haftsalben und Tacrolimussalbe an. Meist sind zusätzlich systemische Kortikosteroide und Etretin erforderlich. 5.3.2 Lichen ruber-ähnliche Dermatosen Lichenoide Arzneimittelexantheme. (7 Kap. 3.2.8). Lichenoide Hautveränderungen bei der Chronischen Graft-versus-Host-Krankheit (GvHD). Neben den gra-
vierenden Systemsymptomen dieser Komplikation der Knochenmarktransplantion (s. Lehrbücher der Hämatologie) ist die Haut in >90% betroffen. Hauptmanifestion ist ein oft ausgedehntes Exanthem aus (auch histologisch) Lichen ruber-ähnlichen Papeln, mit ausgeprägtem Befall der Schleimhäute (Erosionen), Haarfollikel und Nägel. Endzustände sind retikulierte Hyperpigmentierung der Haut, Vernarbungen der Mundschleimhaut, Alopezie und Nagelverlust. Das zweite dominierende Hautsymptom der chronischen GvHD sind sklerodermiforme Veränderungen. Lichen nitidus. Eine seltene, harmlose, sehr chronische
Dermatose unbekannter Ätiologie mit Ähnlichkeit zu Lichen ruber, die durch diskrete hautfarbene Knötchen mit charakteristischer Histologie ausgezeichnet ist (lymphohistiozytäres Infiltrat der obersten Dermis, das klauenartig von Epidermiszapfen umfasst wird). Prädilektion für das männliche Genitale, keine Systemzeichen. 5.3.3 Lichen simplex chronicus
und Prurigokrankheiten Diese sehr häufigen dermatologischen Bilder sind zwar kaum ungeklärter Ätiologie, werden aber traditionell aufgrund ihrer klinischen Morphologie den »papulösen Dermatosen« zugeordnet. Sie sind alle umschriebene, manchmal multipe Läsionen, die im wechselnden Maß aus den Momenten »exogene Irritation bzw. Juckreiz verchiedenster Ursache« und »chronisches Scheuer- und Kratztrauma« hervorgehen. Lichen simplex chronicus. Dies ist eine umschriebene, flächige Ekzemreaktion, die durch Kratzen schwer liche-
Prurigo-Läsionen. Diese Läsionen entsprechen kleinen fokalen Ekzemherden, die aus Papeln und Mikrovesikeln bestehen. Im akuten Stadium liegt meist eine offensichtliche Ursache vor, z. B. Kontakt mit Heu, Staub, Milben. Bei andauerndem Kratzen und Scheuern entwickelt sich die Prurigo simplex subacuta bzw. chronica, wobei die ursprüngliche Ursache (z. B. Insektenstiche) immer mehr in den Hintergrund und die Morphe des scheinbar grundlosen Prurigoknotens in den Vordergrund tritt. Es handelt sich um derbe, heftig juckende (erst der Schmerz des Aufkratzens schafft vorübergehend Ruhe), schuppig-verkrustete Knoten, die oft in großer Zahl alle Körperregionen besiedeln, die der kratzenden Hand zugänglich sind (d. h überall, außer zwischen den Schulterblättern – diagnostisch wichtig!) und – wenn überhaupt – narbig abheilen. Solche Läsionen entstehen bei Pruritus sine materia (. Abb. 2.16), aber auch bei krankhaftem Kratzzwang und sind dann ein Fall für den Psychodermatologen.
5.4
»Neutrophile« und »Eosinophile« Dermatosen
Eine heterogene Gruppe von eher seltenen, nichtinfektiösen Krankheiten unklarer Genese, die durch Akkumulation von neutrophilen bzw. eosinophilen Granulozyten in der Haut gekennzeichnet sind. Gemeinsam sind vielen der Krankheiten ein (chronisch)-rezidivierender Verlauf und eine fakultative Assoziation mit lympho- und myeloproliferativen Krankheiten. Akute febrile neutrophile Dermatose (Synonym Sweet-Syndrom) Definition. Eine seltenere Dermatose mit klinischer Ähnlichkeit zu Erythema multiforme, die durch die Trias von typischen Hautläsionen, Fieber und peripherer Leukozytose charakterisiert ist. Sie kommt weltweit vor, häufiger bei Frauen und im mittleren Lebensalter. Ätiologie und Pathogenese. Das Sweet-Syndrom ist vermutlich eine Intoleranzreaktion, die mit vielen Auslösern assoziiert sein kann: häufig bakterielle oder virale Infekte, in bis zu 20% jedoch myelodysplastische oder myeloproliferative Krankheiten, seltener Colitis ulcerosa, Bowel-Bypass-Syndrom, benigne monoklonale Gammopathie, Medikamente. Der Pathomechanismus des offenbar leukotaktischen Geschehens ist unklar.
236
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
Symptomatik. Dem Beginn geht häufig ein Fokal-
5
oder grippeähnlicher Virusinfekt voraus. Das Vollbild setzt mit hohem Fieber, My- und Arthralgien, Kopfschmerz, Krankheitsgefühl und einem charakteristischen Exanthem vorwiegend an Gesicht, Hals und oberen Extremitäten ein. Die Hautläsionen sind hellbis lividrote, schmerzhafte, bis über münzgroße plattenförmige Infiltrate aus einzelnen konfluierenden Papeln (. Abb. 5.19). Die Papeln sind prall-derb, blass bis weißlich, transparent und dadurch Bläschen täuschend ähnlich (»Pseudovesikel«). Die Systemsymptome sind nur in etwa 50%, und nicht andauernd vorhanden, Zeichen von Befall innerer Organe fehlen.
steht ein Krankheitsschub Wochen bis Monate und klingt dann mit Restitutio ad integrum ab. Schlagartiges Ansprechen auf systemische Kortikoide. Pyoderma gangraenosum Definition. Pyoderma gangraenosum (PG) ist eine klinisch charakteristische, trotz des Namens nichtinfektiöse Krankheit unklarer Genese, die durch flächige, progrediente Nekrose und eitrige Einschmelzung der Haut gekennzeichnet ist. 3Pyoderma gangraenosum ist eine der quälendsten Krankheiten der Dermatologie. Die Bezeichnung »Pyoderma« ist irreführend; allerdings kann eine tatsächliche Pyodermie als lokaler Trigger wirken.
Diagnostik. Histologie: Hochgradiges Ödem der pa-
pillären Dermis, diffuse leukozytäre Infiltration, keine Nekrose! In späteren Stadien zunehmende Beimengung von Lymphozyten. Immunfluoreszenz: unspezifisch. Labor. Leukozytose bis 20 000/mm3 (häufig nur phasenweise), erhöhte Senkung, Akutphasenproteine.
Epidemiologie. PG gilt als selten, ist aber vermutlich häufiger (an manchen Orten auch seltener) als diagnostiziert. Die Inzidenz ist nicht genau bekannt. Es tritt weltweit, ohne Geschlechtsprädilektion und meist im Erwachsenenalter auf.
Differenzialdiagnose. Herpes simplex (die Pseudovesikel des Sweet-Syndroms können nicht abpunktiert werden), Erythema multiforme, Erythema nodosum.
Ätiologie und Pathogenese. Grundphänomen ist die
Verlauf und Therapie. Der Verlauf ist meist episodisch,
in ca. 30% chronisch-rezidivierend. Unbehandelt be-
Unfähigkeit, die Aktivierung ins Gewebe eingetretener Neutrophiler (z. B. im Rahmen eines Traumas oder eines Infekts) in physiologischer Weise zu begrenzen und die freigesetzten Enzyme zu neutralisieren. Stattdessen breitet sich der Prozess wie eine »glosende Lunte« zentrifugal aus und führt durch Rekrutierung immer neuer Leukozyten zu immer größerem Gewebeschaden (Pathergiezeichen). Unklar ist, ob es sich um Funktionsanomalien der Neutrophilen (z. B. primär bei Vorliegen eines myeloproliferativen Prozesses, oder sekundär bei übermäßiger Aktivierung durch z. B. IL-6, TNF-α), oder um einen Defekt des Inaktivierungssystems handelt (z. B. der Gewebs-Proteinaseinhibitoren). Zirkulierende ANCA finden sich jedenfalls nicht. 3Pathergiezeichen Dieses ist ein anschauliches Zeichen der gegebenen Fehlregulation. Minimaltraumen, etwa Nadelstiche im Rahmen einer Intrakutantestung, heilen nicht innerhalb einiger Stunden ab, sondern wandeln sich in hämorrhagische nekrotisierende Pusteln um, aus denen ein PG-Herd entstehen kann (. Abb. 5.20). Dieses Phänomen ist nur während aktiver Phasen positiv, dann aber prinzipiell überall am Körper auslösbar – wird während dieser Zeit eine Operation durchgeführt, kann sich die gesamte Operationswunde in ein Pyoderma gangraenosum umwandeln.
! Das Pathergiezeichen wird diagnostisch eingesetzt. Es findet sich außer bei PG noch bei Morbus Behçet und der Wegener-Granulomatose. . Abb. 5.19. Sweet-Syndrom. Hellrote, herdförmig angeordnete konfluierende Papeln (»Hügellandschaft«). Beachte die transluzente Beschaffenheit der Läsionen (»Pseudovesikel«)
Symptomatik. Die Primärläsion ist eine schmerzhafte
hämorrhagische Pustel, die häufig nach Traumen (In-
237 5.4 · »Neutrophile« und »Eosinophile« Dermatosen
. Abb. 5.20. Pathergie-Phänomen. Bei dieser Patientin mit Wegener-Granulomatose entstand nach Setzen einer Quaddel mit physiologischer Kochsalzlösung ein zentral hämorrhagisch-nekrotisches entzündliches Infiltrat
sektenstiche, Bagatellverletzungen, aber auch Operationswunden) entsteht, rasch nekrotisch wird und sich in ein sich zentrifugal ausbreitendes, flaches Geschwür umwandelt. Die Geschwindigkeit der Ausbreitung beträgt mehrere Millimeter bis Zentimeter/Tag. Bei rascher Ausbreitung überwiegt die Nekrose: im Extremfall entstehen ausgedehnte, trockene oder bullöshämorrhagische Nekrosen, die von schweren Komplikationen (Sepsis, Schock) begleitet sein können. Häufiger breiten sich die Herde langsamer, aber unaufhörlich aus (»Abgrasen«), wobei sie eine serpiginöse Kontur annehmen. An der Peripherie findet sich der progrediente, düster lividrote, aufgeworfene Randsaum (. Abb. 5.21); er ist weich, sehr druckschmerzhaft, unterminiert und mit matschigen Pusteln besetzt. Weiter innen findet sich ein Ring braunschwärzlicher Nekrosereste, im Zentrum das granulierende, mit schmie-
5
rigen Nekrosen bedeckte Ulkus (Pyoderma vegetans). Die Herde variieren an Zahl (einzeln bis multipel) und Größe (bis mehrere Handflächen). Ohne Therapie kommt es erst nach Wochen bis Monaten zum Stillstand und meist sehr langsamen Abheilung. Die entstehenden Narben sind atroph, scheckig hyper- und hypopigmentiert, »wie gestrickt«. Prädilektionsstellen: untere Extremitäten. Klinische Varianten sind das oberflächliche (bullöse) und das tiefe PG (kann bis ins Fettgewebe vordringen). Selten ist der Befall der Mundschleimhaut (Pyostomatitis vegetans). Diagnostik. Histologie: Diffuse abszedierende leukozytäre Durchsetzung der Dermis, epidermale und dermale Nekrose verschiedenen Ausmaßes. Keine nekrotisierende Vaskulitis! System- und Laborzeichen: Fieber, Leukozytose, Anämie, erhöhte Senkung, Akutphase-Proteine. Differenzialdiagnose. Nekrotisierendes Erysipel, Her-
pes vegetans, Pemphigus vegetans, venöse Ulzera, Livedovaskulitis. ! Assoziierte Krankheiten. PG ist in bis zu 50% mit Systemkrankheiten assoziiert (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Myelom oder M-Gradient).
Therapie. Systemische Kortikosteroide und Salizylazosulfapyridin waren bis vor kurzem das Mittel erster Wahl, in den letzten Jahren auch Cyclosporin A. Gute Erfolge werden mit Infliximab gesehen. Antibiotika sind wirkungslos. Lokaltherapie: phasengerecht, Kortikosteroidsalben. Nach Unterdrückung der Krankheitsaktivität (Verschwinden des lividen Randsaums) ist in der Regel eine plastische Deckung erforderlich.
Eosinophile Zellulitis (Synonym Wells-Syndrom) Definition. Eine seltene Krankheit unbekannter Genese, die klinisch einer Phlegmone ähnelt, histologisch aber durch nicht einschmelzende Eosinophilen-Infiltrate gekennzeichnet ist. Ätiologie und Pathogenese. Eine polyätiologische
Immunreaktion auf verschiedene Reize wie Infektionen, Lymphome, Leukämien, Medikamente oder Insektenstiche. Symptomatik. Eine (oder mehrere) plötzlich einset. Abb. 5.21. Pyoderma gangraenosum. Lederartige Koagulationsnekrose an der linken Schulter mit matschem, pustelbestandenem Randsaum
zende, umschriebene, phlegmonenähnliche Schwellung von Haut und Subkutis, manchmal auch der tiefen Strukturen, häufig überlagert mit Erythemen
238
5
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
und urtikariellen Herden. Begleitend Fieber, Arthralgien, periphere Leukozytose und – bei etwa 50% – Eosinophilie. Die Schwellungen sind weniger schmerzhaft als Phlegmonen, Einschmelzung bleibt aus. Ältere Läsionen entwickeln oft einen charakteristisch lividgrünlichen Farbton, nach Abheilung Fibrose und Hyperpigmentierung. Spontanheilung nach Wochen, Rezidive sind häufig. Prädilektionsstellen: Extremitäten, Rumpf. Die eosinophile Zellulitis kann von analogen Infiltrationen innerer Organe begleitet sein (eosinophile Pneumonie, Pleuritis und Perikarditis).
Therapie: Systemische Kortikosteroide, Interferon-α,
Diagnostik. Histologie. Ödem, Eosinophilen-Infiltrate mit »flame figures« (flammenartige eosinophile Niederschläge: mit Eosinophilengranula überzogene Kollagenfasern, die für die lividgrünliche Farbe der Hautläsionen verantwortlich sind), später granulomatöse Reaktion mit Riesenzellen.
Granulome sind knotige Aggregate epitheloider Makrophagen mit Neigung zur Ausbildung von Langerhans-Riesenzellen, einem an CD4+-Lymphozyten reichen Zentrum und einem Mantel aus Kollagen, in wechselndem Maß Fibroblasten und CD8+-Lymphozyten. Man unterscheidet: 4 infektiöse Granulome: diese entstehen um viable, oft intrazelluläre Keime (z. B. Tuberkulose) 4 nichtinfektiöse Granulome: diese entstehen bei Auseinandersetzung mit »unverdaulichen« Antigenen (z. B. Silizium)
Differenzialdiagnose. Erysipel, Phlegmone, Urtikaria;
im Abheilungsstadium Morphea. Therapie. Systemische Kortikosteroide, evtl. Dapson, Interferon-α.
diverse Immusuppressiva. Eosinophile Follikulitis (Synonym Morbus Ofuji) Eine seltene Dermatose unklarer Ursache, die durch rezidivierende Pustelschübe an Gesicht, Rumpf und Extremitäten charakterisiert ist. Histologie: Eosinophilen-Infiltrate der Haarfollikel. Außerhalb Japans kommt sie gehäuft nur bei der HIV-Infektion vor. 5.5
Granulomatöse Dermatosen
Hautzeichen beim Hypereosinophilie-Syndrom
Granulome der Haut sitzen meist in der retikulären Dermis und können die normale Textur der Haut (zer)stören.
Hier werden nur hautspezifische Aspekte besprochen, zur weiterführenden Lektüre s. Lehrbücher der Inneren Medizin.
5.5.1 Granuloma anulare
Weitere »eosinophile« Dermatosen
3Das Hypereosinophilie-Syndrom ist eine (wahrscheinlich heterogene) seltene, hauptsächlich bei Männern auftretende Multisystemkrankheit unklarer Ursache, die durch eine >6 Monate persistente und nicht durch andere Ursachen erklärbare periphere Eosinophilie (>1500/mm3) sowie ein typisches Muster von Organbefall definiert ist: Herz (eosinophile Endokarditis, endomyokardiale Fibrose, Kardiomyopathie), ZNS (fokale Läsionen, kognitive Störungen, Ataxie), periphere Neuropathie, eosinophile Lungeninfiltrate, thromboembolische Episoden. Ursache ist zumindest in vielen Fällen eine klonale Proliferation von TH2-Lymphozyten, die IL-5 produzieren. 5-Jahresüberlebensrate 80%.
Hautläsionen treten bei >50% der Patienten auf. Sie sind wenig spezifisch und von starkem Juckreiz begleitet: Erytheme (bis zur Erythrodermie), prurigoartige Papeln und Plaques an Stamm und Extremitäten, Urtikaria, Dermographismus und Angioödem, manchmal Petechien. Ulzera der Mund- und Genitalschleimhaut sind mit schlechterer Prognose assoziiert. Histologie: Eosinophilenreiche Infiltrate. Differenzialdiagnose: Chronische Eosinophilen-Leukämie (Unterscheidung durch KM-Zytologie und Karyotypisierung).
und Necrobiosis lipoidica Granuloma anulare Definitionen. Granuloma anulare (GA) ist eine klinisch typische und selbstlimitierte Dermatose unklarer Genese, die durch Ausbildung manchmal multipler knotiger Granulome gekennzeichnet ist, histologisch Palisadengranulome rings um »nekrobiotische« Areale. Palisadengranulome tragen ihren Namen wegen eines palisadenartigen Randwalls aus lymphohistiozytären Zellen. Nekrobiose ist ein Kunstwort, das degeneriertes, kernloses Bindegewebe mit Muzineinlagerungen bezeichnet. Epidemiologie. Das »typische« GA ist häufig (nicht aber die Sonderformen), kommt weltweit vor, bevorzugt Kinder und Jugendliche und betrifft das weibliche Geschlecht doppelt so häufig wie das männliche. Manchmal familiäres Auftreten. Ätiologie. Das bei GA wirksame Antigen ist unbe-
kannt, die Muzineinlagerungen sind vermutlich ein Epiphänomen.
239 5.5 · Granulomatöse Dermatosen
Symptomatik. Das »typische« GA tritt ohne erkenn-
baren Auslöser und ohne Assoziation mit Begleitkrankheiten auf. Prädilektionsstellen sind die Streckseiten der Akren (Finger-, Handrücken, Knöchelregion: . Abb. 5.22, . Abb. 5.23). Es besteht aus subjektiv symptomlosen, hautfarbenen, dermalen (»wie unter einer Decke liegend«; keine epidermalen Veränderungen!), derben, konfluierenden und ringförmig angeordneten Knötchen. Die Herde ändern sich langsam durch periphere Ausbreitung, partielle Rückbildung und Rezidive in loco; sie können bis über Handflächengröße erreichen. Meist finden sich nur einzelne oder wenige Herde. Innerhalb von bis zu 2 Jahren kommt es in der Regel zur Spontanremission, Rezidive sind jedoch häufig. Histologie: Palisadengranulome mit »Nekrobiose« des Bindegewebes. Sonderformen sind das Erythema arcuatum (ein großflächiges, oberflächliches, erythematöses GA), das
5
subkutane, das disseminierte (zahlreiche, sehr kleine Herde), das perforierende und das Riesen-GA. Differenzialdiagnose. Necrobiosis lipoidica, Sarkoi-
dose, Viruswarzen, CDLE. Therapie. Wegen des selbstlimitierten Charakters und mangels subjektiver Beschwerden erfolgt beim typischen GA oft keine, jedenfalls keine aggressive Therapie; evtl. Kryotherapie. Bei tiefem GA Infiltration mit Kortikosteroid-Kristallsuspension, beim disseminierten Dapson.
Necrobiosis lipoidica Definition. Ein dem GA ähnliches Palisadengranulom, das sich von diesem durch Lipidspeicherung unterscheidet und bei Personen mit diabetischer Disposition auftritt. Epidemiologie. Eine relativ seltene Dermatose, die
Frauen mittleren Alters bevorzugt und stark mit Diabetes mellitus korreliert ist: 50% der Patienten haben entweder manifesten Diabetes mellitus oder eine prädiabetische Stoffwechsellage; umgekehrt entwickeln nur ca. 0,7% der Diabetiker eine Necrobiosis lipoidica.
. Abb. 5.22. Multiple Granulomata anularia in typischer Lokalisation an den Fingerknöcheln. Im Unterschied zu Verrucae vulgares ist die Oberfläche glatt. Beachte die gruppierte (ringförmige) Anordnung
. Abb. 5.23. Granuloma anulare am Unterarm. »Wie unter einer Decke liegende« derbe Knötchen in polyzyklischer Anordnung
Symptomatik. Prädilektionsstelle sind die Streckseiten der unteren Extremitäten (. Abb. 5.24). Es finden sich meist mehrere subjektiv symptomlose, bis mehrere Zentimeter große Herde: flache, plattenartige, dunkelrote bis gelb-braune (Fetteinlagerung!) Läsionen mit
. Abb. 5.24. Nekrobiosis lipoidica. Multiple, teils exulzerierte, zentral atrophe, flache Granulome mit Einlagerung gelblichen Materials
240
Kapitel 5 · Entzündliche Hautkrankheiten ungeklärter Ursache
zentraler Atrophie (Haut ist spiegelglatt) und erythematösem Randsaum. Die Herde vergrößern sich langsam peripher, werden durch Konfluenz polyzyklisch und sinken zentral ein. Sie sind sehr verletzlich, es besteht eine beträchtliche Neigung zur Exulzeration und eine schlechte Heilungstendenz.
5
Therapie. Meist langwierig und schwierig. Initial Versuch mit Kompressionstherapie und topischen Kortikosteroiden, evtl. in Form von Okklusivverbänden. Intraläsionale Injektion von Kortikosteroid-Kristallsuspension ist wirksam, birgt aber die Gefahr verstärkter Atrophie. Bei Exulzeration Exzision und plastische Deckung.
5.5.2 Hautveränderungen bei Sarkoidose Hier werden nur hautspezifische Aspekte besprochen, zur weiterführenden Lektüre s. Lehrbücher der Inneren Medizin. 3Kurzprofil Sarkoidose Sarkoidose ist eine chronische Multisystemkrankheit von großer Symptomenvielfalt und unbekannter Ursache. Sie ist weltweit verbreitet, Prävalenz 1–100/105 (häufig betroffen sind Skandinavier und manche afrikanischen Ethnien), Inzidenzgipfel liegen im frühen und späten Erwachsenenalter, Prädilektion für Frauen. Pathologische Grundmuster sind sarkoidale Granulome, die in den meisten Organen entstehen und diese durch Fibrosierung schädigen können; andererseits eine polyklonale B-Zell-Aktivierung, die zu Immunkomplex-mediierter Entzündung führen kann (Gelenksergüsse, Iridozyklitis etc.). Wichtige Immunparameter sind: kutane Anergie auf Recallantigene (z. B. Tuberkulin), Lymphopenie, verringerte CD4/CD8-Ratio (0,5– 1,0), erhöhte Serum-Immunglobulinspiegel, in akuten Phasen zirkulierende Immunkomplexe. Weitere Laboranomalien: Hyperkalziämie (vermehrte Kalziumresorption durch Überproduktion aktiver Vitamin-D3-Metaboliten in Granulomen), erhöhtes »Angiotensin-converting-enzyme« (ACE; Maß der Granulomlast). Sarkoidale Granulome sind histologisch rundliche, nichtverkäsende Epitheloidzellanhäufungen mit reichlich aktivierten CD4+-Lymphozyten und mehrkernigen Langhans-Riesenzellen, die Schaumann-Körperchen enthalten können (Verkalkung). In späteren Stadien Faserbildung und fibrotische Schrumpfung. Man unterscheidet akute und chronische Verlaufstypen. Für Morbidität und Mortalität wesentlich ist der Befall der Lunge (90%), bei dem 4 Stadien unterschieden werden. Es besteht eine hohe Tendenz zur Spontanremission (60%), besonders beim akuten Verlaufstyp. Der chronisch-progrediente Verlaufstyp kann zu Organzerstörung und Tod führen (1–5%). Häufigste Todesursachen: Lungenfibrose, Cor pulmonale. Sarkoidose ist manchmal mit Kollagenosen und Lymphomen (Morbus Hodgkin!) assoziiert.
Manifestationen an der Haut sind häufig (ca. 25%), treten vorwiegend in früheren Stadien der Sarkoidose auf und sind vielfältig. Man unterscheidet: 4 spezifische Hautläsionen (Granulome in Form von Papeln, Plaques und Knoten; daneben einige ungewöhnliche Varianten) 4 unspezifische Symptome (Erythema nodosum, Prurigo, Verkalkungen) Manche Manifestationen sind mit bestimmten Verlaufsformen der Sarkoidose korreliert, doch ist ein genereller Rückschluss auf Verlauf und Prognose nicht möglich. Symptomatik der Formen. Löfgren-Syndrom. Die häufigste unspezifische kutane Erscheinungsform der Sarkoidose, definiert durch den Symptomenkomplex Erythema nodosum, Fieber, Arthralgien und bihiläre Lymphadenopathie, oft auch Iritis. Betroffen sind hauptsächlich junge Frauen, mit saisonaler Häufung im Frühjahr. Der Beginn ist akut, der Verlauf protrahierter als bei Erythemata nodosa anderer Ursachen, Rückfälle häufig. Das Löfgren-Syndrom ist selbstlimitiert, die Lymphadenopathie bildet sich meist innerhalb von Monaten zurück, ein Übergang in Lungensarkoidose ist jedoch möglich. Papulöse Hautsarkoidose. Multiple oberflächliche,
rotbraune, mittelderbe, oft aggregierte Knötchen an Gesicht, Rumpf und proximalen Extremitäten; bei Glasspateldruck »apfelgeleeartige« Eigenfarbe. Diese häufige Manifestation begleitet meist akutere Verlaufsformen der Sarkoidose (Fieber, Iridozyklitis, Parotitis, gelegentlich auch Befall innerer Organe), spontane Remissionen und Rezidive sind die Regel. Plaqueförmige Hautsarkoidose (. Abb. 5.25). Mehrere über münzgroße, flach erhabene rotbraune Infiltrate, häufig symmetrisch an Gesicht, Kapillitium (narbige Alopezie!), Rumpf und Extremitäten. Häufig anuläre Formen. Die plaqueförmige Sarkoidose verläuft chronisch und ist mit chronisch-persistentem oder -progredientem Organbefall verknüpft. Sarkoidale Pannikulitis. Tiefe, derbe, nicht verbackene, indolente Knoten an Rumpf und Extremitäten unter unauffälliger Haut. Selten, Auftreten in späten Krankheitsstadien. Lupus pernio (. Abb. 5.26). Diese eher seltene Haut-
manifestation ist charakteristisch für den chronischprogressiven fibrotischen Verlaufstyp der Sarkoidose und bedeutet für den Erkrankten eine ungünstigere
241 5.5 · Granulomatöse Dermatosen
5
schleimhautbefall verursacht zu Beginn Atembehinderung; bei längerem Bestand kommt es auch hier zu Fibrose und Exulzerationen (Nasenseptumperforation!). Häufiges Begleitsymptom: Knochenzysten, besonders der Finger- und Mittelhandknochen (Ostitis cystoides multiplex Jüngling). Narbensarkoidose. Sarkoidale Umwandlung von alten
Narben (Köbner-Phänomen) im Rahmen einer systemischen Sarkoidose. Die Narbensarkoidose ist oft schwer von einer sarkoidalen Fremdkörperreaktion in Narben unterscheidbar. . Abb. 5.25. Plaqueform der Hautsarkoidose: Exanthematische lividrote, teils randbetonte Plaques
. Abb. 5.26. Sarkoidose der Haut: Lupus pernio. Knotige braun-livide Infiltrate an Nase und Wangen
Prognose. Typisch sind knotige, lividrot-braune (Ähnlichkeit mit Frostbeulen!), mittelderbe, unscharf abgegrenzte, oft voluminöse indolente Infiltrate im Gesicht (Wangen, Nase, Stirn, Ohren), seltener an den Händen. Durch Fibrose werden die Läsionen später unregelmäßig gebuckelt, manchmal exulzerieren sie (»Lupus«). Fast stets Assoziation mit analogen sarkoidalen Infiltraten des oberen Respirationstrakts (Nasenschleimhaut!), der Lunge und anderer innerer Organe. Der Nasen-
Diagnostik und Differenzialdiagnose. Die Diagnose erfolgt aus dem klinischen Bild, der Histologie, Laboruntersuchungen und bildgebenden Verfahren. Unterschieden werden müssen: Lupus vulgaris, Granuloma anulare, Necrobiosis lipoidica, kutaner Morbus Crohn, sarkoidale Rosacea, Fremdkörpergranulom, Frostbeulen, Formen der Pannikulitis, Lymphome u. a. Therapie. Die Hautsarkoidose wird bei bestehendem Systembefall mitbehandelt; Methode der Wahl ist eine langfristige, mäßig dosierte systemische Kortikosteroid-Behandlung (z. B. 10 mg Prednisolon/Tag, Mindestdauer 1 Jahr). Wegen der hohen Spontanremissionsrate wird die Systemsarkoidose jedoch nur bei symptomatischem Verlauf und bei Gefahr von Organschäden behandelt (bihiläre Lymphadenopathie z. B. nicht). Beim Löfgren-Syndrom soll versucht werden, ohne Kortikosteroide auszukommen. Gelingt dies nicht, muss das Kortikosteroid über mehrere Monate ausgeschlichen werden (cave: Reboundphänomen!). Hautsarkoidose ohne begleitenden Systembefall sollte nur bei ausgedehntem und verunstaltenden Herden mit systemischen Kortikosteroiden behandelt werden (Kautelen wie oben). Allerdings sprechen sie meist auf lokale Therapie (Kortikosteroide, PUVA) schlecht an; intraläsionale Kortikosteroide, Farbstoff- oder CO2Laser, gelegentlich auch die Exzision sind Alternativoptionen.
6 6 Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus 6.1
Hautzeichen bei Ernährungsstörungen
– 243
6.1.1 Grundlagen – 243 6.1.2 Hautzeichen bei Vitaminmangel und -überschuss – 243 6.1.3 Hauterscheinungen bei Mangel von oder Überladung mit Metallen – 245 6.1.4 Hauterscheinungen bei Störungen des Aminosäurestoffwechsels – 246
6.2
Hautveränderungen bei Hormonund Stoffwechselstörungen – 246
6.2.1 Hautveränderungen bei Diabetes mellitus – 247 6.2.2 Hauterscheinungen bei Krankheiten der Schilddrüse – 249 6.2.3 Hauterscheinungen bei Störungen der Hypophysenhormone – 251 6.2.4 Hautmanifestationen bei weiteren Hormonstörungen – 251 6.2.5 Steroidhormone und Haut – 251 6.2.6 Hautveränderungen in der Schwangerschaft – 255 6.2.7 Hautveränderungen bei Störungen des Lipidstoffwechsels – 258 6.2.8 Gicht – 260 6.2.9 Porphyrien – 261 6.2.10 Hauterscheinungen bei Amyloidosen – 265 6.2.11 Muzinosen – 268 6.2.12 Verkalkungen der Haut (Calcinosis cutis) – 270
6.3
Hautmanifestationen bei Krankheiten innerer Organe und des Nervensystems – 272
6.3.1 Hautmanifestationen bei Erkrankungen innerer Organe (Auswahl) – 272 6.3.2 Hautzeichen bei neurologischen Krankheiten – 273 6.3.3 Hautmanifestationen bei inneren Neoplasien – 273
243 6.1 · Hautzeichen bei Ernährungsstörungen
Hautkrankheiten entstehen im Wechselspiel zwischen genetischer Veranlagung, exogenen Einflüssen und Signalen des Gesamtorganismus. Letztere werden häufig überbewertet; die Haut ist nicht wirklich »Spiegel des Organismus«, doch kann sie, als Nebenschauplatz, aufschlussreiche und diagnostisch wichtige Zeichen von Allgemeinerkrankungen tragen. 6.1
Hautzeichen bei Ernährungsstörungen
6.1.1 Grundlagen Überernährung. Adipöse Personen entwickeln durch Friktion und Schwitzen »triviale« Dermatosen wie intertriginöses Ekzem, Erythrasma, Epidermomykosen u. a. (s. auch »metabolisches Syndrom«, 7 Kap. 6.2.1). Manche Nahrungsstoffe werden bei Überangebot in der Haut abgelagert, z. B. Karotinoide: kanariengelber Teint mit Betonung von Handflächen und Fußsohlen (Absorption in der Hornschicht). Karotinämie ist auch ein Begleitsymptom von Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus und Myxödem. Einnahme von β-Carotin zur Vortäuschung von Sonnenbräune ist ein Modetrend (kein Schutz vor Sonnenbrand!). Mangelernährung. Chronische Mangelernährung
kann Hautveränderungen verursachen und ist v. a. bei Kindern ein schwerwiegendes Problem. Man unterscheidet die »adaptive« (Marasmus) und die »maladaptive« Mangelernährung (»Kwashiorkor«), die häufigen Mischformen werden als »Protein-Kalorien-Malnutrition« zusammengefasst. Marasmus entsteht durch ein Defizit an Kalorien sowie an Vitaminen, essenziellen Fettsäuren, Spurenelementen u. a., und hat daher ein komplexes Bild: Abbau der Fettschicht, Gewichtsverlust, Wachstumsrückstand, Symptome verschiedener Organsysteme und Hautveränderungen ähnlich denen im Alter: die Haut ist dünn, trocken, schuppend (Pseudoichthyose), mit follikulären Hyperkeratosen (Vitamin-A-, -C-Defizienz), schlaff, kalt, bleichgrau (Anämie, Vasokonstriktion) und, an lichtexponierten Regionen, fleckig hyperpigmentiert. Die Haare sind trocken, oft ergraut und rarefiziert (Telogeneffluvium). Die Nägel wachsen langsam und sind längsgeriefelt. Kwashiorkor (»Abstillkrankheit«) tritt hauptsächlich bei Kleinkindern in Entwicklungsländern auf, typischerweise nach dem Abstillen (ausbleibender Ersatz der Muttermilch; Proteinmangel bei adäquater Zufuhr von Kohlenhydraten). Zusätzlich zu den Symptomen des Marasmus finden sich hypalbuminämische
6
Ödeme (Gesicht!), psychomotorische Fehlregulation, Fettleber und charakteristische Hautsymptome: depigmentierte Areale perioral und an den Beinen, dunkelrote elevierte »emailleartige« Läsionen vorwiegend an Druckstellen. Die Haut ist sehr verletzlich. Die Haare zeigen Pigmentverlust (dunkle Haare werden rötlichblond), manchmal gebändert (durch wechselnde Verfügbarkeit von Nahrung – Signe de la bandera). Hautinfektionen. Durch die sekundäre Immundefizienz werden Infektionen begünstigt (opportunistische Keime!), z. B. destruktive Infektionen durch das fusospirilläre Gemisch (Bacterium fusiforme, Spirochäta refringens): die nekrotisierende ulzerierende Gingivitis (Noma, Cancrum oris), eine sich rapide ausbreitende Gangrän von Gingiva, Kiefer und Haut, meist bei Kleinkindern, die unbehandelt zum Tod führt; das tropische Geschwür – ein ähnlicher Prozess an den Unterschenkeln. Differenzialdiagnose. Buruli-Ulkus, eine atypische Mykobakteriose (7 Kap. 4.5.3).
6.1.2 Hautzeichen bei Vitaminmangel
und -überschuss Hypovitaminosen sind heute in der industrialisierten Welt selten und kommen fast ausschließlich bei einseitiger Ernährung, Alkoholismus, Resorptionsstörungen (Darmoperationen, gastrointestinale Krankheiten), parenteraler Ernährung oder bei hereditären Stoffwechseldefekten vor. Der Mangel betrifft gewöhnlich mehrere Vitamine, daher ist die Spezifität mancher Hautsymptome nicht völlig klar. Therapie: Substitution. Hypervitaminosen entstehen bei lipophilen Vitaminen (A, D, E, K) durch überschießende Zufuhr (Fernsehwerbung!). Vitamin A Vitamin-A-Mangel. Frühzeichen: Nachtblindheit (De-
fizienz der Rhodopsinsynthese). Die Haut ist trocken und schuppend, die Hornschicht verdickt, follikuläre Hornpfröpfe ähnlich Lichen pilaris (»Phrynoderm«). Plattenepithelmetaplasie an nichtverhornenden Schleimhäuten (z. B. Keratoconjunctivitis sicca – BitotFlecken, im Extremfall Keratomalazie). Assoziation mit erhöhter Karzinominzidenz. Differenzialdiagnose. Lichen pilaris, Morbus Darier. Hypervitaminose A. Alimentär bedingt kommt diese sehr selten vor (z. B. Genuss von Eisbärleber). Historisch trat sie bei der systemischen Behandlung der Psoriasis mit Retinol auf: Gelbverfärbung der Haut, diffuse Schuppung, Pruritus, Haarausfall, Nausea, Kopf-
244
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
schmerzen (Hirndruck erhöht), Erhöhung von Transaminasen und Blutlipiden. Differenzialdiagnose: Ikterus: Skleren nicht betroffen. Vitamin B Vitamin-B3-(Niacin-)Mangel: Pellagra (ital. »raue
6
Haut«). Diese ist durch Veränderungen von Haut, Nervensystem und Gastrointestinaltrakt ausgezeichnet (3D: »Durchfall, Dermatitis, Demenz«). Initialsymptom: Diarrhoen. Später gesteigerte UV-Empfindlichkeit und Auftreten sonnenbrandähnlicher bis blasiger Erytheme an den lichtexponierten Arealen (im Gesicht ähnlich dem Schmetterlingserythem bei Lupus erythematodes), später hämorrhagische Schuppen und Krusten und schwärzliche Pigmentierung (. Abb. 6.1). Typisch sind eine halsbandartige Läsion, die sich wie eine Krawatte bis zum Sternum fortsetzt (Casal-Halsband) sowie ein Streifen unbefallener Haut unterhalb des Haaransatzes. Hautläsionen entstehen gelegentlich auch an bedeckten Körperstellen (Füße, Genitalregion), seltener treten Glossitis und Stomatitis auf. Neuropsychiatrische Symptome umfassen Enzephalopathie, periphere Polyneuropathie, Depression. Differenzialdiagnose: Kontaktekzem, phototoxisches Ekzem und Porphyria cutanea tarda. Diagnostik: klinisch. Ätiologie. Mais enthält eine gebundene, für den Körper
nicht verwertbare Form von Niacin, die Pellagra ist daher in Gegenden mit vorwiegendem Maiskonsum endemisch (z. B. Südtirol bis zum 1. Weltkrieg). Aggravierende Faktoren: Alkoholismus, entzündliche Darmkrankheiten, längere Therapie mit Breitbandantibiotika, INH, 5-Fluoruracil. Niacin wird im Körper aus Tryptophan biosynthetisiert und kann daher auch bei Störungen des Tryptophanstoffwechsels defizient sein (z. B. Karzinoidsyndrom, Morbus Hartnup).
Vitamin C Vitamin-C-Mangel: Skorbut. Dieser ist heute selten,
Auftreten v. a. in städtischen Armenvierteln, bei Säuglingen und alleinlebenden Männern.Vitamin-C-Entzug führt nach einigen Wochen zu follikulären Hyperkeratosen vorwiegend an den Extremitäten-Streckseiten; in und um diese kommt es zu Einblutungen (pathognomonisches Zeichen!). Bei monatelangem Vitamin-C-Mangel Entwicklung der charakteristischen Parodontitis, Gingivitis und einer »schwammigen« Entzündung des Gaumens mit hämorrhagischen Nekrosen und später Zahnverlust. Wundheilungsstörungen. Bei schwerem Verlauf zusätzlich Ödeme, Oligurie, Anämie und Neuropathie. Die Neigung zu Hämorrhagien beruht auf einer Schwäche der Gefäßwände und ist beim infantilen Vitamin-C-Mangel (Morbus MöllerBarlow) noch deutlicher ausgeprägt: Petechien an mechanisch belasteten Körperstellen, Blutungen im Magendarm- und Harntrakt. Subperiostale Blutungen bewirken eine charakteristische Schmerzhaftigkeit der Knochen. Differenzialdiagnose: Im Frühstadium: Lichen pilaris. Vitamin D Hypovitaminose D (mit den möglichen Folgen von
Rachitis/Osteomalazie). Dies ist eine sehr seltene Folge unzureichender UV-Exposition (die D3-Biosynthese erfolgt in der Epidermis unter UV- Einstrahlung). Hypervitaminose D kann bei bestimmten Stoffwechselkonstellationen zur metastatischen Kalzinose führen (7 Kap. 6.2.12). Weitere Vitamin-Mangelerscheinungen der Haut Vitamin-K-Mangel. Haut- und Schleimhautblutungen
durch Hypoprothrombinämie. Vitamin-B2 (Riboflavin)-Mangel. Veränderungen ähn-
lich dem seborrhoischen Ekzem an Gesicht (Nasolabialfalten), Kapillitium und Genitalregion; Anguli infectiosi, Cheilosis, Zungenatrophie, manchmal Konjunktivitis; normochrome Anämie. Ursache: riboflavinfreie Diät, Einnahme von Antagonisten (z. B. Galaktoflavin) oder Phenothiazinen, trizyklischen Antidepressiva. Differenzialdiagnose. Seborrhoisches Ekzem, Zinkmangelsyndrom. Ähnliche Zeichen finden sich beim Vitamin-B6-(Pyridoxin-)Mangel. Biotin-Mangel. Mitunter ausgedehnte exfoliative Dermatitis, Cheilosis, Alopezie, Zeichen der Immundefizienz, Enteritis. . Abb. 6.1. Pellagra. Schuppende erythematöse Herde an lichtexponierten Regionen
Vitamin-B12-Mangel. In manchen Fällen symmetrische Hyperpigmentierungen der Akren.
245 6.1 · Hautzeichen bei Ernährungsstörungen
6.1.3 Hauterscheinungen bei Mangel
von oder Überladung mit Metallen Einige Metalle sind essenzielle Spurenelemente und an verschiedenen Stoffwechselvorgängen beteiligt, häufig als integraler Bestandteil von Enzymen. Ein Mangel entsteht meist durch gestörte enterale Resorption, Interaktion mit anderen Metallen oder durch parenterale Ernährung. Manche Metalle können durch Ablagerung zu Hautsymptomen führen. Zinkmangelsyndrome Zinkmangel kann auf hereditären oder erworbenen Störungen beruhen. Zinkaufnahme und -ausscheidung unterliegen einem komplexen Regulationsmechanismus. Die Zinkreserven des Körpers (ca. 2–3 g) sind bei negativer Bilanz schnell erschöpft: erste Anzeichen des Zinkmangels treten schon nach etwa einem Monat zinkfreier Ernährung auf. Das klinische Bild ist durch die Trias von akraler und periorifizieller Dermatitis, Alopezie und Diarrhoen sowie durch Zeichen von Immundefizienz charakterisiert. Hereditäres Zinkmangelsyndrom (Acrodermatitis enteropathica). Eine seltene, autosomal-rezessive Stö-
rung der Zinkresorption im Dünndarm, die auf Mutationen eines Transportproteins beruht. Klinische Zeichen beginnen nach Umstellung des Säuglings auf Kuhmilch (diese besitzt weniger exogenes Zink-EisenTransportprotein als Muttermilch). Hauptsymptom sind zunächst Diarrhoen (Exsikkose, Elektrolytverlust!), dann Anorexie, Wachstumsrückstand, Anämie, Hypogonadismus, verzögerte Wundheilung, gestörte geistige Entwicklung u. a. Häufig zelluläre Immundefizienz. Hautzeichen: eine squamokrustöse Dermatitis perioral, an Kapillitium, Windelbereich und Akren; Glossitis, Perlèche, Ulzera der Mundschleimhaut. Später Effluvium, Ekzeme, hartnäckige Hautinfekte (Paronychien, Kandidamykosen). Ohne Zinkbehandlung tritt der Tod meist bis zum Kleinkindesalter ein (Kachexie, Infektionen). Bei Erreichen geschlechtsfähigen Alters besteht zumeist Infertilität. Erworbenes Zinkmangelsyndrom. Ein meist mildes,
vermutlich nicht seltenes Begleitgeschehen von exzessiv einseitiger Diät, parenteraler Ernährung mit inadäquater Zinkzufuhr, oder von Krankheiten, die mit Malabsorption, Katabolismus und abnormer Zinkausfuhr einhergehen (z. B. nephrotisches Syndrom, chronische Diarrhoen). Die klinischen Symptome sind ähnlich der hereditären Form. Labornachweis. Plasmazinkspiegel unter der Normgrenze (70 mg/dl). Differenzialdiagnose. Seborrhoische bzw. Streuekzeme; Mangelkrank-
6
heiten anderer Art (Aminosäure-, Biotinidase-Defizienz, essenzieller Fettsäuremangel etc.), GlukagonomSyndrom. Therapie. Orales oder i. v.-Zink (-sulfat oder -chlorid)
führt innerhalb von Tagen zum Sistieren von Diarrhoen und Allgemeinsymptomen, innerhalb von Wochen auch der Hautsymptome. 3Bemerkung: Da Infektionen und Wundheilungsstörungen typische Zeichen des Zinkmangels sind, wird systemisches Zink bei diversen hartnäckigen Zuständen wie Akne vulgaris oder Ulcera cruris auch ohne Zinkmangel empfohlen. Der Nachweis der Wirksamkeit steht allerdings aus. Hingegen werden bei Überdosierung Erbrechen, Magenblutungen, Schwindel u. a. beobachtet. Lokale Zinkrezepturen werden in der Aknetherapie verwendet. In vitro hemmt Zink das Corynebacterium acnes.
Eisenstoffwechsel Eisenmangel. Blasses Hautkolorit, trockene Haut, glanzlose, struppige Haare, später Effluvium, Koilonychie, Mundwinkelrhagaden und Atrophie der Zunge (Hunter-Glossitis). Eisenüberschuss. Lokalisierte Eisenablagerungen, z. B.
durch eisenhaltige Hämostyptika, erscheinen als rostbraune Verfärbung der Haut. Systemische Eisenüberladung ist entweder Folge einer genetischen Störung der Regulation der Eisenresorption (hereditäre Hämochromatose) oder der Umgehung des Mukosablocks z. B. durch multiple Bluttransfusionen (sekundäre Hämochromatose). Hereditäre Hämochromatose (Bronzediabetes). Ein
autosomal-rezessives Leiden, das durch abnorme Eisenresorption aus dem Darm und Eisenablagerungen im Gewebe (Leber, Herz, Haut u. a. m.) bedingt ist. Krankheitsbeginn nach dem 40. Lebensjahr, Androtropie (3:1). Die klassische Symptomtetrade umfasst Leberzirrhose, Diabetes mellitus, Kardiomyopathie und eine diffuse grau-braun-gelbliche bronzefarbene Hyperpigmentierung mit Betonung der lichtexponierten Areale (Eisenablagerung und Induktion der Melanogenese – proinflammatorische Wirkung des Eisens, Bildung reaktiver Sauerstoffspezies. Die charakteristische Verfärbung ermöglicht oft eine frühzeitige Diagnose). Fakultativ Splenomegalie, Arthropathien, Hypothyreose, Haarverlust, Koilonychie, Pseudoichthyose und Stigmen der Leberzirrhose. Labor: Serumeisen und Ferritin sind stark erhöht, Transferrinsättigung >45%, Nachweis der Mutationen (HFE, TransferrinRezeptor-2, Ferroportin, Hepcidin, Hemojuvelin). Therapie: Aderlässe, Deferroxamin (Chelatbildner), Vitamin C.
246
6
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
Kupferstoffwechsel
Aluminiumvergiftung. Porphyrieähnliche bullöse Der-
Kupfermangel: Menkes-Syndrom (Kinky hair-Syndrom; kink: engl. Knick). Eine schwere X-chromosomal re-
matosen.
zessive Stoffwechselkrankheit (Tod meist vor dem 10. Lebensjahr), die durch Mutationen eines Kupfertransportproteins (ATP7A) bedingt und durch multiple Anomalien und Störungen an ZNS, Knochen, Gefäßen u. a. gekennzeichnet ist (Beeinträchtigung Cu-hältiger Enzymsysteme). Die Haut zeigt typische Veränderungen: sie ist schlaff und hypopigmentiert, mit follikulären Hyperkeratosen, die Haare schütter, hell, brüchig (Trichorrhexis nodosa) und/oder um die Längsachse gedreht (Pili torti). Labor: erniedrigtes Serumkupfer und -Coeruloplasmin. Kupfersubstitution führt kaum zur Besserung (Transportdefekt besteht fort).
Arsen. Ein notorisches Karzinogen – innere Neoplasien, Morbus Bowen, (Rumpfhaut)Basaliome.
Kupferüberschuss: Morbus Wilson (hepatolentikuläre Degeneration). Eine autosomal-rezessive Kupferspei-
cherkrankheit, die durch Mutationen in ATP7B, einem Kupfertransportprotein der Leber, bedingt ist (Störung der biliären Kupferexkretion). Symptomatik: Leberzirrhose, zerebrale Symptome, Demenz, Osteoporose, hämolytische Anämie, Kupfereinlagerung an der Kornea (Kayser-Fleischer-Ring). Hautzeichen: Grünfärbung der Haare und azurblaue Lunulae der Nägel (Cu-Ablagerungen). Labor: hohes freies Serumkupfer, erniedrigtes Coeruloplasmin. Therapie: Chelatbildner, D-Penicillamin, Zinkazetat. Prognose bei rechtzeitiger Behandlung gut. Hautläsionen durch weitere Metalle Argyrose. Ablagerung metallischen Silbers in der Haut nach meist oraler Zufuhr: diffuse schiefergraue Verfärbung an sonnenexponierten Arealen, Skleren, Mundschleimhaut, Fingernägeln (Zehennägel typischerweise ausgespart). Diagnostik: Nachweis der Metallpartikel in Biopsien (Dunkelfeld-, Elektronenmikroskop). Keine Therapie verfügbar. Argyrose ist heute selten; sie trat früher nach Einnahme silberhaltiger Medikamente auf (Halstabletten, Antazida). Bei äußerlichem Kontakt kann eine lokalisierte Argyrose entstehen (Schmuck, Akupunkturnadeln). Chrysiasis. Analog und klinisch ähnlich der Argyrose,
Auftreten nach systemischer Goldtherapie. Meist keine Beteiligung der Mundschleimhaut. Selenmangel. Weißverfärbung des Nagelbetts, Efflu-
vium. Chronische Blei- oder Quecksilber-Intoxikation. Blau-
graue Verfärbung der Gingiva.
Quecksilber, Chrom, Nickel und Platin. Diese Metalle
sind potente Kontaktallergene. 6.1.4 Hauterscheinungen bei Störungen
des Aminosäurestoffwechsels Phenylketonurie. Ein autosomal-rezessiver Defekt des Phenylalanin-Metabolismus mit konsekutivem Tyrosinmangel. Im Vordergrund stehen mentale Retardierung, Mikrozephalie; charakteristisch ist ein mäuseartiger Uringeruch (Nachweis von Phenylalanin und Phenylketonen im Urin). Hautzeichen: generalisierte Hypopigmentierung, hellblondes Haar und Lichtempfindlichkeit. Gehäuftes Auftreten von Ekzemen, seltener auch sklerodermiformer Hautveränderungen. Prophylaxe/Therapie: Neugeborenen-Screening. Diät während der ZNS-Entwicklung (muss im Erwachsenenalter nicht beibehalten werden), Lichtschutz. Tyrosinämie. Sehr selten, autosomal-rezessiv: Akku-
mulation von Tyrosin und seinen Metaboliten mit schwerer Leber-, Nieren- und ZNS-Schädigung. Beim Typ II (Richner-Hanhart-Syndrom, 7 Kap. 8.2) führt ein Defekt der Tyrosin-Aminotransferase zu Hornhautulzera, schmerzhaften palmoplantaren Hyperkeratosen und mentaler Retardierung. Therapie: Tyrosin- und phenylalaninarme Diät, keratolytische Maßnahmen. Eosinophilie-Myalgie-Syndrom. Eine sklerodermie-
ähnliche Krankheit, die durch exogene TryptophanZufuhr induziert wird (7 Kap. 7.2). 6.2
Hautveränderungen bei Hormonund Stoffwechselstörungen
Eine Vielzahl von Hormonen reguliert die Stoffwechselprozesse der Haut; Hormonstörungen sind daher häufig von Hautsymptomen begleitet. Diesen zugrunde liegen können direkte Hormoneffekte (wenn die Haut ein Zielgewebe ist – z. B. Akne vulgaris), Wirkungen anderer Hormone bei Störungen der Homöostase (z. B. Pigmentierung bei Morbus Addison) oder hormonbedingte Stoffwechseländerungen (z. B. Kalziumausfällung bei Hyperparathyreoidismus). Die Hormonwirkungen können mit veränderten Hormonspiegeln asso-
247 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
6
. Tab. 6.1. Mit Diabetes mellitus assoziierte Hauterscheinungen/Krankheiten Im Rahmen des »metabolischen Syndroms«
Hyperhidrose, Erythrasma, Pseudoacanthosis nigricans, Psoriasis vulgaris
Abwehrschwäche
Hautinfekte – Staphylo- und Streptodermien, Pyocyaneus; Gangrän, Sepsis; Kandidamykosen
Neuropathie
Diabetischer Fuß (Mal perforant)
Angiopathie
Arteriolopathie, periphere arterielle Verschlusskrankheit, diabetischer Fuß (diabetische Gangrän)
Nephropathie
Ödeme, urämischer Pruritus, Prurigo simplex subacuta, Calciphylaxis
Lipidstoffwechselstörungen
Xanthome
Assoziierte (poly)endokrinologische Störungen
Morbus Cushing, Akromegalie, polyzystisches Ovar-Syndrom, chronische mukokutane Candidiasis
Assoziierte Autoimmunkrankheiten
Vitiligo, Alopecia areata
Assoziierte genetische (Stoffwechsel)Störungen
Hämochromatose, Porphyrien, Werner-Syndrom
Systemkrankheiten unbekannter Ursache
Skleroedema adultorum Buschke
Hautzeichen ungeklärter Genese
Necrobiosis lipoidica diabeticorum u. a. m.
ziiert, oder auch durch Faktoren im Zielgewebe bedingt sein (z. B. sensitivere Androgenrezeptoren bei Hirsutismus). 6.2.1 Hautveränderungen
bei Diabetes mellitus Diabetes mellitus (DM) ist eine der wichtigsten und häufigsten Ursachen von Morbidität und Mortalität in der westlichen Welt (Prävalenz 5–7%). Die wichtigsten Manifestationsorgane sind Herzkreislauf- und Nervensystem, Niere und Auge. Hautveränderungen sind vielfältig (. Tab. 6.1), insgesamt sehr häufig und nicht selten ein wichtiger Hinweis zur Erstdiagnose. Adäquate Diagnostik und Therapie ist in der Regel fächerübergreifend. Hautveränderungen beim »metabolischen Syndrom« Der Begriff Metabolisches Syndrom bezeichnet das sehr verbreitete Vor-/Frühstadium des DM Typ II, das durch Stammfettsucht, Insulinresistenz und Hyperinsulinämie, gestörte Glukosetoleranz, Hypertonie und Hyperlipidämie gekennzeichnet ist. Die Ursache liegt im Überangebot an Nahrung (inbesondere Fette und leicht aufschließbare Kohlenhydrate). Das metabolische Syndrom ist der wichtigste Risikofaktor der koronaren Herzkrankheit (daneben auch des apoplektischen
Insults, der Cholelithiasis und der Schlafapnoe). Hautzeichen sind die Begleiterscheinungen der Adipositas (s. o.); hinzu kommt oft das charakteristische (meist nur mild ausgeprägte) Zeichen der Pseudoakanthosis nigricans: eine diffuse braun-schwärzliche Pigmentierung im Nacken und den intertriginösen Arealen, mit papillärer Felderung und multiplen weichen Fibromen. Ursache: Wirkung des Insulins (oder ILGF – insulin like growth factor) als epidermaler Wachstumsfaktor. ! Akanthosis nigricans ist eine Paraneoplasie (7 Kap. 6.4), die analog der Pseudoakanthosis nigricans aussieht, jedoch meist intensiver ausgeprägt ist. Sie entsteht durch Bildung von ILGF aus Tumoren.
Hautveränderungen bei manifestem DM ohne Stoffwechselentgleisung Bei DM ist die Inzidenz zahlreicher Haut- und Systemkrankheiten mit Hautsymptomatik erhöht. DM ist ein prognostisch ungünstiger Faktor bei allen chronischen infektiösen, vaskulären und geriatrischen Krankheiten (Unterschenkelgeschwüre, Dekubitus u. a.). Als spezifische Hautzeichen des DM gelten eine Reihe meist weniger bedeutsamer Dermatosen; sie sind unklarer Ursache (manche die Folge einer diabetischen Angiopathie) und diagnostisch wichtig: Necrobiosis lipoidica diabeticorum (7 Kap. 5.5.1)
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6
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
Seltenere mit DM assoziierte Hautveränderungen (ohne Stoffwechselentgleisung) Diese sind: 4 Diabetische Dermopathie: v. a. an den Unterschenkelvorderseiten auftretende, bis münzgroße rot-bräunliche atrophe Herde (ähnlich atrophen Narben). 4 Bullosis diabeticorum: umschriebene, nichtentzündliche (junktionale) Blasen, prätibial. 4 Rubeosis diabetica: symmetrische Erytheme an Wangen, Händen, Brust und auch Iris. 4 Pruritus diabeticorum: Pruritus sine materia, v. a. im Genitalbereich. 4 Lipodystrophie Bei insulinpflichtigen Diabetikern: Fettgewebsatrophie am Injektionsort. Hautveränderungen bei DM mit Stoffwechselentgleisung Hyperglykämie begünstigt eine dichtere Besiedelung mit Hautkeimen und beeinträchtigt gleichzeitig die Abwehrkraft (u. a. die Leukozytenfunktion). Mögliche Folgen sind oft schwere (Haut)Infekte mit diversen bakteriellen Erregern. Ein besonderes Warnzeichen sind Kandidamykosen bei »gesunden« Erwachsenen (außer der vulvovaginalen Candidiasis!) – sie sind fast stets Zeichen einer zellulären Abwehrschwäche (DM, HIV u. a.). Der diabetische Fuß (Synonym diabetisches Fußsyndrom) Ätiologie, Symptomatik. Eine schwerwiegende und häufige Komplikation des DM von multifaktorieller Genese, die durch charakteristische Nekrosen und Ulzera gekennzeichnet ist und zur Mutilation des Fußes und bedrohlicher Infektion führen kann. Man unterscheidet zwei getrennte, aber häufig kombinierte Hauptmanifestationen (. Tab. 6.2): das (vorwiegend
neuropathisch bedingte) Malum perforans (. Abb. 6.2) und die (vorwiegend angiopathisch bzw. infektiös bedingte) diabetische Gangrän (. Abb. 6.3). Pathogenese. Entwicklung des diabetischen Fußes. Die motorische periphere Neuropathie führt zur Veränderung der Fußstatik (Pes equinovarus) mit Fehlbelastung v. a. der Metatarsalköpfchen II/III. Die sensorische Neuropathie setzt das Schmerzempfinden herab; der chronische Druck durch die Stellungsanomalie (oft verstärkt durch schlecht sitzendes Schuhwerk) wird nicht wahrgenommen. Es bilden sich Clavus-artige Läsionen an den Druckstellen meist über den Metatarsalköpfchen, unter denen runde, oft tiefreichende Nekrosen entstehen, die sich dann in Ulzera umwandeln (Mal perforant du pied, Malum perforans). Die diabetische Angiopathie manifestiert sich als Makroangiopathie (periphere arterielle Verschlusskrankheit, besonders der Aa. tibialis und fibularis) und/oder als Mikroangiopathie (Wandverdickung der Kapillaren; sie kann trotz tastbarer Pulse zu Nekrosen führen). Diagnostik: Oszillographie, Angiographie. Schwere Komplikationen der Angiopathie sind plötzlich auftretende ischämische Nekrosen, vorwiegend im Zehenbereich (diabetische Gangrän). Die Nekrosen sind zunächst meist trocken, können aber zur gefürchteten feuchten Gangrän werden. Auslösende Ursache der diabetischen Gangrän sind häufig Infektionen (z. B. Erysipelphlegmone). Ein wesentlicher, aber oft schwierig zu ermittelnder prognostischer Faktor ist die Beteiligung des Knochens (Osteomyelitis). Konventionelles Röntgen ist wenig sensitiv und spezifisch, MRT ist deutlich überlegen. Höchste Aussagekraft besitzt die Knochenbiopsie. ! Eine Osteomyelitis liegt jedenfalls dann vor, wenn der Knochen durch das Ulkus sondierbar ist.
. Tab. 6.2. Hauptmanifestationen des Diabetischen Fußes Trophisches Ulkus (Malum perforans pedis) (. Abb. 6.2)
Diabetische Gangrän (. Abb. 6.3)
4 70% aller Fälle mit »diabetischem Fuß«
4 Seltener
4 Überwiegen der neuropathischen Komponente
4 Gefäßkomponente überwiegt
4 Kreisrundes, scharf begrenztes, plantar lokalisiertes Ulkus, oft begleitende Osteomyelitis
4 Akut auftretende lividrote Schwellung der Akren mit Übergang in Gangrän (trocken>feucht)
4 Durchblutung meist gut (Fuß warm!)
4 Oft Banaltraumen als Auslöser erhebbar 4 Betroffene Extremität kalt!
249 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
6
4 Nikotinkarenz, keine einschnürenden Socken, Bandagen 6.2.2 Hauterscheinungen bei Krankheiten
der Schilddrüse
. Abb. 6.2. Beidseitiges Malum perforans bei diabetischem Fuß. Beachte die »diabetische Fußstellung«: Lateralflexion des ersten Zehenstrahls, plantare Vorwölbung des Vorfußes
. Abb. 6.3. Diabetische Gangrän der rechten Großzehe
Therapie. Gründliche Wundreinigung, chirurgisches Debridement; Ruhigstellung. Lokaltherapie mit Antiseptika und Verbänden nach dem Prinzip der feuchten Wundbehandlung. Entsprechende Antibiotikatherapie; bei begleitender Osteomyelitis muss diese oft über Monate fortgesetzt werden. Häufig ist eine chirurgische Sanierung erforderlich. Außerordentlich wichtig ist die Beseitigung der Fehlbelastung (orthopädisches Schuhwerk) und Besserung der Gefäßsituation (Dilatation von Stenosen, Bypass). Prophylaxe.
4 Bestmögliche Einstellung des DM (HbA1c-Werte) 4 Regelmäßige Selbstinspektion und Pflege der Füße, fachgerechte Pediküre (nicht durch den Patienten selbst!) 4 Orthopädisches Schuhwerk mit regelmäßiger Anpassung
Die Schilddrüsenhormone (T3, T4) werden nach Stimulierung durch TSH in der Schilddrüse produziert und gelangen, an ein Transportglobulin gebunden, über die Blutbahn an die Zielorgane; hier binden sie an zytosolische Rezeptoren und vermitteln die Transkription spezifischer Genprodukte. In der Haut spielen sie eine wichtige Rolle in der Embryonalentwicklung, Differenzierung und Homöostase, sowie in der Regulation von Stoffwechsel und Energiehaushalt (s. weiterführende Literatur). Hyperthyreosen Ursachen für einen Überschuss an Schilddrüsenhormon sind am häufigsten Autoimmunkrankheiten (Morbus Basedow, Hashimoto-Thyreoiditis im Initialstadium), daneben Schilddrüsen- oder Hypophysenadenome, Gravidät, sowie Jodexposition bei Struma. Klassische Symptome sind: Tachykardie, Schwitzen, Diarrhoe, Zittern, Gewichtsverlust, neuropsychiatrische Störungen, Myopathie u. a. Hautzeichen treten v. a. bei schweren Formen (Thyreotoxikose) auf: Rötung (Gesicht, palmoplantar), Überwärmung, Schweißneigung, Telogeneffluvium, distale Onycholysen (»Plummer’s nails«), generalisierter Pruritus, rezidivierende Urtikaria. Morbus Basedow (Synonym Morbus Graves) Eine organspezifische Autoimmunkrankheit, bei der die Schilddrüse durch Bindung von spezifischen Autoantikörpern an die TSH-Rezeptoren dauernd zur Hormonproduktion stimuliert wird. Morbus Basedow ist die häufigste Ursache schwerer Hyperthyreose. Bei voller Ausprägung besteht die klassische Trias von diffuser Struma, Exophthalmus und prätibialem Myxödem. Symptomatik, Diagnostik. Prätibiales Myxödem (Sy-
nonym endokrine Dermopathie; . Abb. 6.4). Eine charakteristische symmetrische Veränderung der Unterschenkelstreckseiten, die nicht selten erst nach Therapie und Erreichen der Euthyreose auftritt. Es finden sich asymptomatische, knotige oder flache, nicht wegdrückbare, kühle, meist derb-pralle orange-bräunliche Ödeme; bei maximaler Ausprägung Elephantiasis und papillär-verruköse epidermale Hyperplasie. Histologie: Massenhafte Einlagerung saurer Mukopolysaccharide, Fibroblastenproliferation.
250
6
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
. Abb. 6.4. Prätibiales Myxödem. Ödem, knotig-flächige Induration, Erythem, Vergröberung der Hauttextur mit Klaffen der Follikel (Orangenhaut). Diese Veränderungen sind im Bereich einer Narbe an der linken Schienbeinkante besonders deutlich
. Abb. 6.5. Myxödem. Volumenzunahme und Konsistenzerhöhung der Haut durch Einlagerung saurer Mukopolysaccharide. Folge sind wulstartige Falten
Differenzialdiagnosen. Erythema nodosum, Lymphödem, chronisch-venöse Insuffizienz, Erysipel, Frostbeulen.
häufige) Jodmangel, TSH-Mangel, Medikamentenwirkungen (z. B. Amiodaron), Verletzungen oder Entzündungen.
Ophthalmopathie (Synonym endokrine Orbitopathie) Ein analoger Prozess der Orbitahöhle und der Lider: Vordrängung des Bulbus (Proptose) und pralle Schwellung der Ober- und Unterlider, häufig begleitet von Konjunktivitis, Tränen, Sehstörungen. Die Ophthalmopathie ist meist milde ausgeprägt, die seltene Maximalform ist der »maligne Exophthalmus«. Differenzialdiagnose: Quincke-Ödem (nicht so prall!), allergische Konjunktivitis.
Symptomatik. Klassische Symptome sind: Obstipation, Müdigkeit, Kälteintoleranz, Heiserkeit, Anovulation und Impotenz, Arthralgien, Myalgien, Parästhesien u. a. Hautzeichen (. Abb. 6.5): eine ödemähnliche, diffuse Volumenzunahme der Haut (Einlagerung von Mukopolysacchariden, nicht wegdrückbar!), besonders an den Akren und im Gesicht (Verschwellung, Ausdruckslosigkeit). Die Haut ist kalt (Erniedrigung der Kerntemperatur), blass, atroph und trocken, mit follikulären Hornpfröpfen. Meist besteht ein Telogeneffluvium mit trockenem, sprödem und langsam wachsenden Haar; Rarefizierung der lateralen Augenbrauen. Die Nägel sind brüchig, die Haut ist manchmal durch KarotinEinlagerung gelblich. Histologie: Einlagerung saurer Mukopolysaccharide.
Pathogenese und Therapie der endokrinen Dermound Orbitopathie. Als Ursache wird ein entzündlicher
Prozess vermutet, der durch die Bindung von TSH-Rezeptor-Autoantikörpern im Bindegewebe dieser Regionen ausgelöst wird. Therapie: Als erster Schritt erfolgt die Behandlung der Hyperthyreose. Die Behandlung der Ophthalmopathie und der Dermopathie ist schwierig und oft wenig erfolgreich: systemische Kortikosteroide (im Fall der Dermopathie auch topisch – Okklusionsverbände); retrobulbäre Röntgenbestrahlung; in schweren Fällen chirurgische Dekompression der Orbita. Hypothyreose (Myxödem) Ätiologie. Ursachen für einen Mangel an Schilddrüsenhormon sind am häufigsten die chronische Autoimmunthyreoditis (Hashimoto, s. u.), seltener eine überschießende Hyperthyreosetherapie, der (früher
Therapie. Die Hautveränderungen sind nach Substitution mäßig reversibel. Hashimoto-Thyreoiditis. Eine der häufigsten organ-
spezifischen Autoimmunkrankheiten, die durch eine zelluläre Reaktion und antimikrosomale und/oder Anti-Thyreoglobulin-Autoantikörper charakterisiert ist. Sie ist von variablem, meist sehr chronischem Verlauf. Häufig zeigt sie initial Episoden von Hyperthyreose, mündet jedoch nach langsam progredientem Verlauf stets in eine irreversible Atrophie und Hypothyreose. Häufig Assoziation mit anderen Autoimmun-
251 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
krankheiten, z. B. Diabetes mellitus, SLE, Vitiligo u. a., auch Morbus Basedow. 6.2.3 Hauterscheinungen bei Störungen
der Hypophysenhormone Produktionsstörungen von Hypophysenhormonen manifestieren sich über Funktionsänderungen nachgeordneter endokriner Organe (Nebenniere, Keim-, Schilddrüse) oder durch direkte Folgen an den Zielorganen (Somatotropin, Prolaktin, MSH). Die Störungen können auf fehlerhafter Regulation (Hypothalamus, Nebennierenrinde), Adenomen, Entzündungen, Traumen u. a. beruhen, und sowohl einzelne, mehrere oder alle Hypophysenhormone betreffen. Adenome können entweder selbst Hormone produzieren oder durch Expansion deren Produktion hemmen. Die Hautzeichen sind naturgemäß vielfältig und oft nur diskret ausgebildet. Bezüglich Systemzeichen s. weiterführende Literatur. Mangelproduktion von Hypophysenhormonen Ausfall einzelner Hormone; s. Störungen der nachgeordneten endokrinen Organe. Panhypopituitarismus (Ausfall aller Hypophysenvorderlappenhormone). Hautzeichen sind Hypopigmentierung, Verdünnung und Blässe der Haut, Myxödemähnliche Schwellungen, progerieähnliche Symptome, Minderproduktion von Talg und Schweiß, diffuses Effluvium.
Überproduktion von Hypophysenhormonen Überproduktion einzelner Hormone (s. Störungen der nachgeordneten endokrinen Organe). Beim adrenalen Morbus Addison entsteht durch Gegenregulation eine charakteristische Hyperpigmentierung (s. u.). Akromegalie. Überproduktion von Somatotropin (meist durch Adenome) bewirkt ein unproportionales Wachstum mehrerer Organe, insbesondere von Knochen, Knorpel und Haut. Beim Erwachsenen sind v. a. die Akren (Nase, Zunge, Ohren, Kinn, Hände, Füße) betroffen (typische Anamnese: Ring wird zu eng, Hut passt nicht mehr). Hautzeichen: Vergröberung der Gesichtszüge, Hypertrichose, Hyperhidrose, Hyperpigmentation, manchmal Acanthosis nigricans. Systemzeichen sind Hypertonie, Kardiomegalie, Myalgien, Diabetes mellitus. Nach Ausschaltung der Ursache (operativ, Bromocriptin) sind die Hautveränderungen teils reversibel.
6
6.2.4 Hautmanifestationen bei weiteren
Hormonstörungen Parathormon. Das Parathormon, ein Peptidhormon der Nebenschilddrüse, reguliert zusammen mit Vitamin D3 (Calcitriol) und Kalzitonin (ein Peptidhormon der Schilddrüse) den Kalzium-Phosphat-Stoffwechsel. Parathormon erhöht die Phosphatclearance (und damit die Kalziumausscheidung) und mobilisiert Kalzium aus dem Knochen. Hyperparathyreoidismus kann primär (meist durch ein Adenom) oder sekundär (meist als Gegenregulation bei Phosphatretention durch Nierensinsuffizienz) entstehen. Leitsymptom ist die Knochendemineralisation, beim primären Hyperparathyreoidismus auch Hyperkalziämie. Er ruft selbst, außer gelegentlichem Pruritus, keine Hautsymptome hervor. Unter bestimmten Konstellationen kann es jedoch in der Haut und den inneren Organen zum prekären Ereignis plötzlicher und ausgedehnter Kalziumablagerungen kommen (Kalziphylaxie, 7 Kap. 6.2.12). Hypoparathyreoidismus kann primär, meist als Komplikation bei Strumektomie, selten als genetischer Defekt, oder als Autoimmungeschehen (isoliert oder Teilsymptom eines autoimmunen polyendokrinen Syndroms) auftreten. Leitsymptom ist die Hypokalzämie, die sich als Tetanie oder, bei langsamer Entwicklung, als depressiv-asthenisches Syndrom mit Muskelkrämpfen manifestiert. Hautsymptome sind Ekzemneigung, Haar- und Nagelwachstumsstörungen, Xerosis cutis; bei Autoimmungenese zusätzlich perniziöse Anämie, Alopecia areata, Vitiligo und chronische mukokutane Kandidiasis. Glukagonomsyndrom. (7 Kap. 6.3.2).
6.2.5 Steroidhormone und Haut Steroid- und Schilddrüsenhormone, Vitamin A (Retinoide) und Vitamin D besitzen Ähnlichkeiten der Struktur, wirken über Komplexbildung mit spezifischen intrazellulären Rezeptoren einer Molekülfamilie und die Bindung der Komplexe an spezifische DNA-Sequenzen (Transkription). Steroidhormone werden in der Nebennierenrinde (Glukokortikoide, Mineralokortikoide, Androgene) und den Keimdrüsen (Sexualhormone) synthetisiert und (auch) in der Haut metabolisiert. Die Synthese der Steroidhormone wird durch ein striktes Verhältnis der Gegenregulation durch die Hypophyse und den Hypothalamus gesteuert.
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Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
Glukokortikoide Diese sind wichtige Regulatoren des Stoffwechsels der Haut (z. B. Reduktion der Synthese von Kollagen und Glukosaminoglykanen), hemmen die Differenzierung der Epidermis, regulieren deren zirkadiane Proliferationsschwankungen, und dämpfen schließlich entzündliche Prozesse. Instrumente letzterer wesentlichen Funktion sind: Vasokonstriktion (verminderte Gefäßpermeabilität), Stabilisierung der Lysosomen und immunsuppressive Effekte (Suppression von T- und B-Lymphozyten). Ein wichtiger Effekt ist die Hemmung der Phospholipase A und der Cyclooxygenase 2 (COX-2) – diese Enzyme katalysieren die Metabolisierung der Arachidonsäure in Entzündungsmediatoren (Prostaglandine, Leukotriene). Hyperkortizismus (Synonym Morbus Cushing bzw. Cushing-Syndrom) Man unterscheidet exogenen (medikamentös bedingten) und endogenen Hyperkortizismus; letzterer wird durch benigne oder maligne Nebennierenrindentumoren (Cushing-Syndrom) oder durch ACTH- Überproduktion (Tumoren der Hypophyse – Morbus Cushing) verursacht. Das klinische Bild ist im Wesentlichen gleich. Beim adrenalen endogenen Hyperkortizismus findet sich oft auch überschießende Mineralokortikoid- und/oder Androgenproduktion, beim hypophysären z. B. eine Hyperpigmentierung wie bei Morbus Addison (s. u.). Medikamentös bedingter Hyperkortizismus ist häufiger als endogener und in seiner Ausprägung stark von individuellen Faktoren abhängig (bei alten Patienten z. B. meist intensiver). Dermatologische Symptomatik in . Tab. 6.3. Glukokortikoidmangel (Synonym Morbus Addison) Ätiologie. Mögliche Ursachen des Mangels sind primäre (Autoimmunadrenalitis: 70%, Tuberkulose,
Status post Adrenektomie, idiopathische Atrophie, Metastasen) oder sekundäre Nebennierenrindeninsuffizienz (unzureichende hypophysäre ACTH-Stimulation, Langzeitbehandlung mit Kortikosteroiden). Eine seltenere Ursache ist die endogene Blockade der Glukokortikoid-Biosynthese (adrenogenitales Syndrom). Pathogenese der Hypermelanose. Stimulation der
Melanogenese durch ACTH und verwandte Peptide (MSH, β-Lipotropin). Die Pigmentierung tritt daher ausschließlich bei der primären, nicht aber bei der sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz auf. Nur das epidermale Melanin ist vermehrt; keine dermalen Melanophagen! Symptomatik. Dominierend sind meist die System-
symptome (Asthenie, Hypotonie u. a.). Die Haut zeigt ein diffuses Effluvium (typisch auch axillär!) und die pathognomonische Hyperpigmentierung, die in ca. 30% den Systemzeichen vorangeht (dermatologisches Warnzeichen!) (. Abb. 6.6a, b). Sie entspricht einer Verstärkung des normalen Pigmentmusters: dunkler werden besonders die sonnenexponierten Regionen, Intertrigostellen (Genitalregion) und Narben bzw. postinflammatorische Hyperpigmentierung. Charakteristisch ist die Hyperpigmentierung der Akren (Handlinien, Paronychium, über den Fingergelenken) und der Mundschleimhaut (Zunge, Gingiva, Wange). In 15% der Fälle Assoziation mit Vitiligo. C A V E
Hyperpigmentierung der Handlinien (. Abb. 6.6) und der Mundschleimhaut ist bei Weißen (fast) diagnostisch für Morbus Addison, bei dunkelhäutigen Ethnien hingegen physiologisch.
. Tab. 6.3. Dermatologische Zeichen des Hyperkortizismus (Cushing-Syndrom bzw. Morbus Cushing) Umverteilung des Körperfetts (Extremitäten↓, Rumpf, Hals, Gesicht↑)
»Storchenbeine«, »Mondgesicht«, »Büffelhals«
Atrophie der Haut in allen Anteilen
Epidermis dünn, glänzend, Dermis locker, zerreißlich, Striae distensae
Vaskuläre Fragilität
Purpura senilis-ähnliche Hämorrhagien
Verzögerte Wundheilung Neigung zu Hautinfektionen
Generalisierte Mykose, Pityriasis versicolor
Hypertension, Plethora
Rubor faciei, Teleangiektasien
Follikuläre Hyperkeratosen
Kortikostereoidakne
Hypertrichose
Generalisiert, manchmal auch Hirsutismus
Pigmentierung
Addison-ähnlich, Pseudoakanthosis nigricans
253 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
6
Androgene besitzen eine trophische Wirkung auf die Haut als Ganzes, besonders auffällig auf Haarfollikel und Talgdrüsen. Diese sind regional unterschiedlich androgensensitiv; das Ausmaß der Androgensensitivität wird durch Androgenrezeptoren und durch Gehalt und Aktivität androgenmetabolisierender Enzyme (z. B. 5α-Reduktase) bestimmt. Die Haut des Mannes ist dicker als die der Frau und von Kindern (mehr Kollagen), gröber texturiert, stärker behaart, dunkler pigmentiert und fettiger (Talgdrüsen hypertroph). Das Fettgewebe ist reich an Aromatase, die Androgene in Östrogene konvertiert.
a
b . Abb. 6.6a, b. Morbus Addison. a Diffuse Hyperpigmentierung des Gesichts; b charakteristische Pigmentierung der Handfurchen
Sexualhormone Androgene Androgene werden in den Gonaden und Nebennieren gebildet; in ersteren ist Testosteron (T), in letzteren Dehydroepiandrosteron (DHEA) der Hauptmetabolit. Sie wirken qualitativ gleich, aber verschieden stark (das potenteste: T). T wird an ein Transportprotein gebunden (»sex hormone binding protein« – SHBG) und gelangt über die Blutbahn in die Zielorgane (z. B. Haut). Hier wird T durch die 5α-Reduktase zu Dihydrotestosteron (DHT, der eigentlich aktive Metabolit) umgewandelt und an zytosolische Rezeptoren gebunden. Bei Frauen überwiegen die adrenalen Androgene das in den Ovarien gebildete T. ! Nur das freie, nicht das SHBG-gebundene T ist für die Zielzelle verfügbar; bei Hormonbestimmungen ist daher das freie T wichtiger als das Gesamttestosteron (bei Frauen ca. 1%).
Hyperandrogenismus der Frau Definition, Symptomatik. Unter Androgenisierung versteht man verstärkte Androgenwirkung bei postpubertären Frauen, die sich mit Oligo- oder Amenorrhoe, Infertilität und Androgenisierungszeichen der Haut manifestiert. Diese Hautzeichen sind die Trias von schwerer und langwieriger Akne vulgaris, Hirsutismus, und androgenetischem Effluvium (7 Kap. 10.3). Bestehen zusätzlich ein männlicher Habitus (Knochenbau, Fettverteilung, stärkere Muskulatur, bei Kindern vorzeitiger Epiphysenschluss) und Veränderungen der Genitalien (Klitoromegalie, evtl. skrotumartige Labia majora etc.), spricht man von Virilisierung. Die Hautzeichen sind eine wichtigeres Warnsignal der Androgenisierung als Oligomenorrhoe, da sie früh auftreten und Menstruationsprobleme bei pubertierenden Mädchen häufig sind. Als erste treten Seborrhoe und Akne auf (7.–8. bzw. 10.–12. Lebensjahr), das androgenetische Effluvium erst in der 3. Dekade; es ist von Telogeneffluvien schwer zu unterscheiden und schwer quantifizierbar. Das ausagekräftigste Zeichen ist der Hirsutismus; er setzt mit der Pubertät ein und nimmt einen langsam progredienten Verlauf. ! Hirsutismus ist das Auftreten von Langhaaren bei Frauen nach dem männlichen Verteilungsmuster. Er ist immer der Ausdruck verstärkter Androgenwirkung, allerdings nicht immer von Androgenämie, da bei bestimmtem ethnischen oder familiären Hintergrund (mediterrane Völker; familiärer Hirsutismus) eine erhöhte Empfindlichkeit des Zielorgans besteht (dispositionell erhöhte Aktivität der 5α-Reduktase). Familiärer Hirsutismus ist jedoch seltener als früher angenommen (<10% der Fälle).
Epidemiologie, Ätiologie. Androgenisierung ist mit einer Prävalenz von 5–10% der Frauen in den Industrieländern nicht selten. Ihr liegt meist (ca. 90%) ein polyzystisches Ovar-Syndrom (PCO) zugrunde, in ca. 10% eine kongenitale adrenale Hyperplasie (CAH – früher adrenogenitales Syndrom), in Ausnahmefällen Akro-
254
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
megalie, Prolaktinämie, Morbus Cushing und androgenproduzierende Tumoren. Selbstverständlich führt auch exogene Androgenzufuhr zur Androgenisierung (Anabolika!). 3Polyzystisches Ovarsyndrom und kongenitale
adrenale Hyperplasie
6
Das PCO ist ein ätiologisch heterogenes Syndrom, das durch Ausbleiben des normalen Ovarialzyklus und klinisch durch bilaterale Ovarialzysten, Oligomenorrhoe (Amenorrhoe, Infertilität) und die Hautzeichen der Androgenisierung gekennzeichnet ist. PCO ist eine der häufigsten endrokrinologischen Krankheiten. Krankheitsbeginn ist in der Jugend, familiäre Häufung. Man unterscheidet 2 Polformen: den LH-Typ (erhöhtes luteinisierendes Hormon, keine Insulinresistenz) und den HAIR-ANTyp (normale LH-Werte, Hyperinsulinämie, Insulinresistenz, Diabetes mellitus, (Pseudo)Akanthosis nigricans). Mischformen sind häufig. Hormonprofil: freies und Gesamt-T erhöht, SHBG erniedrigt. Die Pathogenese ist noch nicht gänzlich geklärt. Zugrunde liegt ein hormoneller Circulus vitiosus: in den Thekazellen des Ovars wird zu viel Androgen produziert; dieses hemmt die Follikelreifung (Folge: Follikelatresie, Ausbleiben des Corpus luteum, Zystenbildung). Die Reifungsstörung behindert die Konversion der Androgene in Östrogene (Aromatase der Granulosazellen), dadurch weiterer Androgenanstieg. Mögliche dispositionelle Grundlage: Überfunktion des Cytochrom P450c17a (Konversion von Progesteron in Androgene). Auslösende Faktoren sind verschieden: primäre Überproduktion von LH, Anovulation (fehlender hormoneller Feedback), exogene oder endogene Androgene (z. B. bei CAH), Prolactin und Insulin (aktiviert Cytochrom P450c17a). Kongenitale adrenale Hyperplasie (CAH). Eine autosomal-rezessive Defizienz der 21-Hydroxylase (konvertiert in der Nebennierenrinde Hydroxyprogesteron in Hydroxykortisol), seltener von verwandten Enzymen. Durch den Block wird die Synthese von den Glukokortikoiden zu den Androgenen umgeleitet, durch fehlenden negativen Feedback werden vermehrt ACTH, MSH und andere Hypophysenhormone ausgeschüttet. Die Klinik hängt vom Ausmaß der Defizienz ab. Sie ist selten schwer – »klassisches« adrenogenitales Syndrom (Virilisierung bis Pseudohermaphroditismus, Kleinwuchs – vorzeitiger Epiphysenschluss, Hyperpigmentierung ähnlich Morbus Addison). Mildere Defizienzen manifestieren sich als Androgenisierung in Kindheit oder Pubertät (LOCAH – »late onset« CAH). LOCAH ist klinisch vom POS kaum unterscheidbar.
Androgenproduzierende Tumoren sind eine seltene Ursache der Androgenisierung – sie können in Ovar, Nebenniere wie auch ektop auftreten. Verdacht auf sie besteht, wenn die Symptomatik im Erwachsenenalter und plötzlich auftritt, und wenn die Androgenspiegel stark erhöht sind. Diagnostik bei Androgenisierungssyndromen. Diese
erfolgt interdisziplinär und beruht auf Anamnese (!), bildgebender Untersuchung (adrenale Hypertrophie? Ovarialzysten?) und Bestimmung des Hormonprofils: adrenale oder ovarielle Androgene erhöht? Freies und
Gesamt-T, DHEA, 17α-Hydroxyprogesteron, Prolaktin und SHBG? Zur genaueren Abklärung der Hyperandrogenämie dienen der Dexamethason-Suppressionstest und der ACTH-Stimulationstest (s. Lehrbücher der Gynäkologie). Therapie der Androgenisierungssyndrome. LOCAH
wird mit niedrigen Dosen Dexamethason behandelt (Rationale: ACTH-Suppression durch negativen Feedback). Beim POS sind situationsabhängig Kontrazeptiva, Antiandrogene (Cyproteronacetat, Spironolacton, Flutamid) und 5α-Reduktasehemmer (Finasterid) indiziert. Beim HAIR-AN-Typ diätetische und medikamentöse Einstellung von Insulinresistenz und Diabetes. Weitere Hormonstörungen und ihr Einfluss auf die Haut Hypoandrogenismus bei Männern. Die Symptomatik hängt vom Zeitpunkt des Ausfalls der Androgene ab. Vor der Pubertät (Eunuchoidismus) bleibt die androgenbestimmte Charakteristik der Haut aus (s. o.; Ausbleiben des Androgeneffluviums und der Akne vulgaris). Nach der Pubertät kommt es zwar zu gradueller Abnahme, nicht jedoch zum Verschwinden der »männlichen« Charakteristika (Verminderung von Bartwuchs, Talgproduktion und Hautvergröberung). Östrogene Diese beeinflussen über Östrogenrezeptoren den Kollagenstoffwechsel und die Differenzierung der Keratinozyten, haben in physiologischen Dosen aber nur wenig Einfluss auf die Beschaffenheit der Haut; in pharmakologischen Dosen antagonisieren sie die Wirkung der Androgene auf die Hautadnexe. Hyperöstrogenismus tritt bei östrogenproduzierenden
Tumoren (Gonaden, Hypothalamus) auf. Folgen sind bei Mädchen Pubertas präcox, bei Knaben Gynäkomastie, gelegentlich Hodenatrophie. Iatrogen tritt Hyperöstrogenismus bei oraler Kontrazeption auf. Hautsymptome: Effluvium diffusum, Melasma, Teleangiektasien und Nävi aranei, Neigung zu Kandidavaginitis. Seltenere Komplikationen sind Erythema nodosum, Porphyria cutanea tarda, Pemphigoid gestationis, systemischer Lupus erythematodes. Hypoöstrogenismus. Ursache zumindest eines großen
Teils der Gesamtumstellung des Organismus in der Menopause (Osteoporose!) und der klimakteriellen Beschwerden. Zu den dermatologischen Zeichen zählen das androgenetische Effluvium des Klimakteriums, Flushsymptomatik und charakteristische subjektive Sensationen (z. B. Zungenbrennen; 7 Kap. 11.2.7).
6
255 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
6.2.6 Hautveränderungen
in der Schwangerschaft Hautveränderungen in der Schwangerschaft sind häufig und gehen oft mit dem Leitsymptom Juckreiz einher. Man unterscheidet Dermatosen, die nur in der Schwangerschaft auftreten (Schwangerschaftsdermatosen) und solche, die in der Schwangerschaft zwar gehäuft, für diese aber nicht spezifisch sind. Schwangerschaftsdermatosen sind viel seltener als nichtspezifische Hautveränderungen; ihre Erkennung ist wichtig, weil eine Gefährdung des Kindes bestehen kann (. Tab. 6.4). Physiologische Hautveränderungen in der Schwangerschaft Die Umstellung des Hormonhaushalts führt bei Schwangeren zu typischen physiologischen Hautveränderungen, von denen sich die meisten mit dem Ende der Schwangerschaft rückbilden. Hyperpigmentierung von Mamillen, Genitalien, Intertrigines und der Linea alba (Medianlinie am unteren Abdomen; bei Schwangeren deshalb auch »Linea nigra«) und fleckig an Stirn und Schläfen (Melasma, 7 Kap. 10.1). Auch Nävi, Lentigines und Narben werden dunkler. Haare. Durch längeren Verbleib in der Anagenphase
werden die Haare dichter und länger. 1–5 Monate post partum kommt es durch synchronisierten Übergang in das Telogenstadium zum postpartalen Effluvium (Normalisierung meist innerhalb von 1 Jahr). Talgdrüsen. Seborrhoe und Akne bessern sich meist in der Schwangerschaft; andererseits kann ab etwa dem
. Abb. 6.7. Striae distensae bei 16-jährigem Mädchen (Wachstumseffekt)
3. Monat eine Acne gravidarum auftreten, die bis zum Puerperium persistiert. Striae distensae (Schwangerschaftsstreifen) sind parallel verlaufende streifenförmige narbenähnliche Einsenkungen, die durch Konformationsänderungen des Kollagens unter Dehnung entstehen. Sie finden sich in Regionen mit größter Volumenzunahme (Bauch, Hüften, Mammae), sind zuerst gerötet, später durch Abblassung weniger auffällig. Striae distensae können auch außerhalb der Schwangerschaft auftreten, z. B. bei exzessivem Längenwachstum und bei Hyperkortizismus (. Abb. 6.7).
. Tab. 6.4. Schwangerschaftsdermatosen Dermatose
Häufigkeitsgipfel (Trimenon)
Prädilektion
Fetales Risiko
Histologie spezifisch
Remission postpartal
Rezidiv bei weiteren Schwangerschaften
PUPPP (s. Text)
3
stammbetont (Abdomen)
–
+/–
+
–
Pemphigoid gestationis
2–3
stammbetont (Abdomen)
+/–
+
+/–
+
Schwangerschaftscholestase
3
generalisiert mit Betonung der Extremitäten
+
–
+
+
Atopische Schwangerschaftsdermatose
75% vor dem 3. Trimenon
Stamm und Extremitäten
–
–
+/-
–
Impetigo herpetiformis
–
intertriginös
–
+
–
+
256
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
Gefäße. Während der Schwangerschaft können Nävi
aranei und palmoplantare Erytheme entstehen, Varizen und Hämorrhoiden können stärker hervor- bzw. neu auftreten. An der Gingiva werden im 2. und 3. Trimenon Granuloma pyogenicum-artige Läsionen beobachtet (Epulis). Schwangerschaftsdermatosen Polymorphe Schwangerschaftsdermatose (PEP; Synonym »pruritic urticarial papules and plaques of pregnancy”; PUPPP) Definition. Eine Schwangerschaft-assoziierte Intoleranzreaktion unbekannter Ursache.
6
Epidemiologie. Häufig, ca. 20% der Schwangerschafts-
dermatosen. Auftreten im 3. Trimenon, vermehrt bei Erstgebärenden und Mehrlingsschwangerschaften.
sterblichkeit ist nicht erhöht, aber Tendenz zu Frühgeburten und »small for date babies«. Bis zu 5% der Neugeborenen zeigen postpartal vesikulöse Hautveränderungen, die bald spontan abheilen. Diagnostik. Histologie und Labor: Junktionale Spalt-
bildung, Spongiose, eosinophilenreiche entzündliche Infiltrate, Basalzellnekrosen, dermales Ödem. Immunfluoreszenz: C3, oft auch IgG in der BMZ. Zirkulierende anti-BMZ-IgG bei ca. 20% (gegen NC16A des BP-180). Differenzialdiagnose: PUPPP, Insektenstiche. Therapie. Systemische Kortikosteroide sind in der Regel
erforderlich. Postpartal kommt es meist zur spontanen Remission; bleibt diese aus, zusätzlich Immunsuppressiva oder Immunglobuline. Bei neuerlichen Schwangerschaften Rezidive mit Zunahme der Intensität; manchmal werden Schwangerschaften »übersprungen«.
Symptomatik. Konfluierende juckende Papeln am Ab-
domen, wegen starken Ödems oft transluzent (Pseudovesikel), echte Blasenbildung kommt nicht vor, Exkoriationen und Krusten sind selten. Prädilektionsstellen: Striae distensae, meist periumbilikal und an den Nates. Oberer Rumpf und Gesicht sind fast stets frei. Die Prognose ist gut, das Neugeborene nicht gefährdet. Ätiologisch werden fetale Zellen im mütterlichen Organismus diskutiert (Mikrochimärismus). Diagnostik. Histologie: unspezifische Entzündung mit Eosinophilen, Spongiose, Ödem. Immunfluoreszenz negativ. Eine Biopsie ist nur angezeigt, wenn klinisch ein Pemphigoid gestationis erwogen wird. Differenzialdiagnose. Pemphigoid gestationis, Insek-
tenstiche, Urtikaria, Arzneimittelexanthem.
Atopische Schwangerschaftsdermatose Ein Sammelbegriff für Schwangerschaft-assoziierte Hauterscheinungen im Rahmen der atopischen Disposition. Der Begriff fasst mehrere früher als eigenständig erachtete Entitäten zusammen. Epidemiologie. Häufig, ca 50% der Schwangerschaftsdermatosen. Nur bei 20% entwickelt sich die Dermatose aus einer manifesten atopischen Dermatitis (in Schwangerschaft oft Exazerbation!). Auftreten im 2.–3. Trimenon. Symptomatik. Selten besteht der klassische Aspekt der
atopischen Dermatitis, häufiger ein prurigoartiges Bild: multiple, kleine, stark juckende, teils exkoriierte Papeln, manchmal in follikulärer Anordnung an Stamm und Extremitäten.
Therapie. Lokaltherapie meist ausreichend, evtl.
UV-B. Spontanresolution nach der Geburt. Kein Rezidiv bei weiteren Schwangerschaften. Pemphigoid gestationis (früher Herpes gestationis) Definition/Epidemiologie. Eine seltene Schwangerschaft-assoziierte Autoimmundermatose aus der Pemphigoid-Gruppe (7 Kap. 7.1). Sie beträgt ca. 4% der Schwangerschaftsdermatosen und tritt im 2.–3. Trimenon, in ca. 20%, aber auch erst postpartal auf. Symptomatik. Erythematöse Papeln und/oder Vesikel
an Abdomen und Extremitäten (gelegentlich auch palmoplantar und thorakal, jedoch keine Schleimhautbeteiligung). In 75% stellt sich zur Zeit der Geburt ein Schub ein. Der Verlauf ist meist mild; die Säuglings-
Diagnostik. Histologie: Unspezifisch dermatitisches Bild. Bei Follikulitis: peri- und intrafollikuläre neutrophile Entzündung. Immunfluoreszenz negativ. Labor: IgE häufig erhöht. Therapie. Topische Kortikosteroide sind gewöhnlich
ausreichend, die Läsionen heilen nach der Geburt ab. Das Neugeborene ist gesund, bei erneuter Schwangerschaft gewöhnlich kein Rezidiv. Prurigo gravidarum (Synonym Intrahepatische Schwangerschafts-Cholestase) Ätiologie. Eine genetisch bedingte Störung der intrahepatischen Galleproduktion; wahrscheinlich verwandt mit der progressiven familiären intrahepatischen Cholestase. Triggerfaktor: Schwangerschaftshormone.
257 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
Epidemiologie. Selten, ca. 3% der Schwangerschafts-
dermatosen. Inzidenzgipfel im 3. Trimenon. Familiäre Häufung in 50%. Symptomatik. Hautsymptome: generalisierter Pru-
ritus sine materia, Exkoriationen (typischerweise an den Akren beginnend). Allgemein: manchmal Krankheitsgefühl, Nausea, Vomitus, dunkler Harn, bei 20% Ikterus. Neigung zu Fruchttod, Frühgeburten, niedrigem Geburtsgewicht und Geburtskomplikationen (z. B. kaum stillbare postpartale Blutungen durch Vit-K-Defizit – Gallemangel!). Diagnostik. Histologie: unspezifisch. Labor: Erhöhung von Transaminasen und direktem Serumbilirubin. Therapie. Topisch antipruriginös (Polidocanol), UV.
Systemisch Ursodeoxycholsäure, Cholestyramin. Vitamin K (zur Prävention postpartaler Blutungen). Fötales Monitoring, Geburtseinleitung in der 36.–38. Woche. Schnelle Rückbildung nach der Geburt. Bei weiteren Schwangerschaften Rezidive in 60–70%. Impetigo herpetiformis Ein Subtyp der generalisierten Psoriasis pustulosa, der nur in Zeiten der Schwangerschaft (gelegentlich bei Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva) auftritt und mit Hypokalziämie (manchmal mit tetanischen Krämpfen) assoziiert ist. Nichtspezifische Dermatosen der Schwangerschaft Die Differenzialdiagnose der Schwangerschaftsdermatosen umfasst ein weites Spektrum anderer Krankheiten, die mit juckenden Hautläsionen einhergehen: Urtikaria, Ekzeme, Scabies, Diabetes, Leber-, Nierenkrankheiten, Lymphome, Pityriasis rosea, Arzneimittelexantheme u. a. In der Schwangerschaft gehäuft, ab dem 1. Trimenon, tritt das Erythema nodosum (gravidarum) auf; es heilt spontan ab, neigt aber bei erneuten Schwangerschaften zum Rezidiv. Vorbestehende Psoriasis neigt während der Schwangerschaft häufiger zur Besserung als zur Verschlechterung; fast stets stellt sich jedoch einige Monate post partum ein Schub ein. Die Lokaltherapie kann auf übliche Weise erfolgen, systemische Therapien sind jedoch (auch in der Stillperiode!) entweder kontraindiziert oder zumindest nicht ratsam. Vorbestehender systemischer Lupus erythematodes kann zu Schwangerschaftskomplikationen führen (Auslösung von Schüben vermehrt ab dem 2. Trimenon, erhöhtes Risiko von Präeklampsie und Aborten). Das Risiko ist geringer, wenn die Konzeption erst
6
nach 6-monatiger Schubfreiheit und bei stabiler Nierenfunktion erfolgt. SLE gilt heute nicht mehr als Indikation zum Abbruch! Schübe während der Schwangerschaft können mit Kortikosteroiden behandelt werden, bei Nierenbeteiligung evtl. Azathioprin. Bei begleitendem Antiphospholipid-Syndrom wird vor der Konzeption niedrig dosiert Aspirin, danach zusätzlich niedermolekulares Heparin verabreicht. Bei Ro/La-positiven Müttern echokardiographische Verlaufskontrollen des Feten, bei Zeichen eines AV-Blocks Kortikosteroide (7 Kap. 7.2). Nach heutiger (im Gegensatz zur früheren) Anschauung wird weder das Entstehen von Melanomen noch deren Verlauf ungünstig von der Schwangerschaft (oder durch Kontrazeptiva) beeinflusst. Im Stadium IV kann es zur plazentaren Metastasierung und Übertragung auf den Säugling kommen. C A V E
Schwangere mit Hautmanifestationen müssen darüber aufgeklärt werden, ob für das Kind eine Gefahr besteht, und ob bei weiteren Schwangerschaften ein Rezidiv zu erwarten ist.
Infektionen mit Beteiligung von Haut/ Schleimhäuten in der Schwangerschaft Genitale Infektionen. Bei >50% der Schwangeren besteht im 3. Trimenon eine Candida Vulvovaginitis, die perinatal zur Infektion ca. der Hälfte der Neugeborenen führt; Therapie: topisch Clotrimazol oder Nystatin (systemische Antimykotika kontraindiziert!). Bakterielle Vaginose, Trichomoniasis, Chlamydienzervizitis und Gonorrhoe sollten im Rahmen des Schwangerschafts-Screenings entdeckt und behandelt werden (auch Partnerbehandlung). Condylomata acuminata. Diese können in der 2. Schwangerschaftshälfte erheblich anwachsen und sogar zum Geburtshindernis werden. Therapie: operative Abtragung, z. B. mit dem CO2-Laser (Podophyllin darf in der Schwangerschaft nicht verwendet werden). Herpes genitalis. HSV-2 ist bei Schwangeren ein Infektionsrisiko des Neugeborenen; ca. 1:3200 Lebendgeborenen entwickelt auf diesem Wege eine neonatale Herpes-simplex-Infektion – Gefahr der Dissemination! Seronegativen Schwangeren (mit seropositiven Partnern) wird Abstinenz, Gebrauch von Kondomen und eine antivirale Therapie des Partners empfohlen. Primärinfektionen der Mutter sind besonders komplikationsreich und erfordern eine antivirale Therapie. In den USA wird bei Müttern mit pränatal aktiven, genitalen Herpesläsionen eine Sectio durchgeführt, und sero-
258
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
positive Schwangere werden ab der 36. Schwangerschaft antiviral behandelt, weil viele asymptomatische Virusausscheider sind. Iatrogene Verletzungen der kindlichen Haut bei der Geburt (Kopfelektroden, Extraktion) sollten bei seropositiven Müttern in jedem Fall vermieden werden. Varizellen. Ein Herpes zoster der Mutter ist für das
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Kind unbedenklich. Varizellen sollten jedoch antiviral behandelt werden, da Schwangere ein erhöhtes Risiko von Komplikationen haben (Pneumonie); von der Warte des Kindes ist dies nicht obligat. Varizellen kurz vor oder kurz nach der Geburt bedeuten ein hohes Risiko der lebensgefährlichen disseminierten Infektion des Neugeborenen (bis zu 25% Letalität; Spätfolgen: Katarakt, Chorioretinitis, Horner Syndrom, Hydrozephalus). Therapie: i. v.-Immunglobuline, Aciclovir. Zur Prophylaxe sollten seronegative gebährfähige Frauen aktiv geimpft werden; in der Schwangerschaft ist die Impfung kontraindiziert. Schwangerschaft und andere Virusinfektionen mit Hautmanifestation Spontanbort bzw. intrauterinen Fruchttod verursachen Parvovirus B19 (Hydrops fetalis), CMV (Hydrops fetalis, fötale Wachstumsretardation, kongenitale Anomalien, Gehörlosigkeit), aber auch EBV, HHV-6, Enteroviren, Adenoviren, HIV, HVB, seltener Röteln, Masern (Impfschutz). Therapie in der Schwangerschaft Impfungen. Tot-Impfstoffe (Influenza, Tetanus, Pertussis, Diphtherie, Rabies, Poliomyelitis-Salk, Cholera u. a.) sind keine Gefahr für Mutter oder Kind. Lebendimpfstoffe (Masern, Mumps, Poliomyelitis-Sabin, Röteln) sollten vermieden werden, da ein 5- bis 10%iges Risiko einer transplazentaren Infektion besteht (Teratogenität). Lokaltherapie. Grundsätzlich sind zur Lokaltherapie schlecht resorbierbare Präparate zu empfehlen, um ein Übertreten in den plazentaren Kreislauf zu vermeiden. Zur antipruriginösen Therapie kann topisches Polidocanol angewendet werden. Bei Kortikosteroiden sollten Hydrokortisonpräparate, nicht aber fluorierte Substanzen eingesetzt werden. Bei großflächiger Anwendung, besonders auf entzündeter Haut, muss eine systemische Resorption bedacht werden. Lokale Antimykotika sind unbedenklich (am besten dokumentiert Clotrimazol, Nystatin), ebenso Metronidazol. Lokale Adstringenzien dürfen verwendet werden, für die Anwendung von Polypyrrolidon-Jod besteht ab dem 3. Schwangerschaftsmonat eine relative Kontraindika-
tion (Gefahr der Resorption und Induktion einer Hyperthyreose des Neugeborenen). Während Schwangerschaft und Stillzeit sollte zur Skabiestherapie nur Permethrin verwendet werden (2. Wahl:Benzylbenzoat). Systemische Therapie. Generell ist zwischen der Ge-
fährdung von Mutter und Kind durch die jeweiligen Krankheiten und der möglichen Toxizität der Medikation abzuwägen. Antihistaminika sind im 1. Trimenon und in der Stillzeit wegen des Risikos der Wachstumsretardierung zu vermeiden. Im 2.–3. Trimenon können Antihistaminika der 1. Generation (z. B. Hydroxyzin, Chlorpheniramin, Clemastin) und Diazepam mit Vorsicht gegeben werden, in der Stillperiode werden weniger sedierende Präparate bevorzugt. Gegen systemische Kortikosteroide besteht kein Einwand, bei langfristiger Anwendung muss wieder die Gefahr der Wachstumsretardation und, in hohen Dosen, die teratogene Wirkung bedacht werden. Bei anaphylaktischen Reaktionen ist Adrenalin das Mittel der Wahl. Eine bereits laufende Hyposensibilisierung kann fortgeführt werden; vom Beginn einer solchen oder von Dosissteigerungen sollte jedoch abgesehen werden. In Schwangerschaft und Stillzeit sind systemische Antimykotika, Retinoide (Teratogenität), Chloroquin, Kumarinderivate, Antidiabetika, Vitamin B6 in hoher Dosierung und natürlich Zytostatika kontraindiziert. 6.2.7 Hautveränderungen bei Störungen
des Lipidstoffwechsels Über die Pathophysiologie des komplexen Lipidstoffwechsels s. die entsprechenden Fachbücher. Dermatologische Relevanz haben die Hyperlipoproteinämie durch Ausbildung von Xanthomen, sowie einzelne der seltenen Lipidspeicherkrankheiten. Hyperlipoproteinämie beruht z. T. auf erblichen Gendefekten, häufiger ist sie das Resultat von Systemkrankheiten wie Diabetes mellitus, Hypothyreose, nephrotischem Syndrom, Hyperalimentation, Alkoholkonsum u. a. (primäre bzw. sekundäre Hyperlipoproteinämien). Sie ist ein stark zivilisatorisch bedingtes Massenphänomen; dem Dermatologen fällt die Aufgabe zu, Xanthome als Warnzeichen analoger Ablagerungen in den Gefäßwänden (Atherosklerose) zu erkennen und den Patienten zur adäquaten Diagnostik und Therapie (Lebensführung, Diabetes-Einstellung, Statine) zu überweisen. Hautveränderungen bei Hyperlipoproteinämie: Xanthome Definition, Ätiologie. Xanthome sind umschriebene Herde von Lipidspeicherung in der Dermis. Sie kom-
259 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
6
men in mehreren morphologischen Varianten vor und sind häufig mit Hyperlipoproteinämie assoziiert (hyperlipidämische Xanthome). Manche Varianten treten bevorzugt bei bestimmten Mustern von Blutfetten gehäuft auf (s. u.). Nur ein Teil der Patienten mit Hyperlipoproteinämie entwickelt Xanthome; umgekehrt können Xanthome auch bei normalen Blutfettwerten, d. h. ohne systemische Lipidstoffwechselstörung entstehen (normolipidämische Xanthome) – als Ursache werden hier lokale Störungen des Lipidtransports vermutet. Symptomatik. Xanthome sind symptomlose, rötlichgelb-hautfarbene, flache oder papulöse bis knotige, meist weiche Läsionen. Sie bestehen histologisch aus lipidspeichernden Makrophagen (Schaumzellen) mit Riesenzellen, teils vom Typ Touton. Man unterscheidet: . Abb. 6.9. Tuberöse Xanthome des Ellenbogens
Eruptive Xanthome. Diese treten exanthematisch auf
und sind vorwiegend auf die Streckseiten der Extremitäten, Rücken und Nates lokalisiert. Sie sind klein, flach papulös und können zu Knoten konfluieren (tuberoeruptive Xanthome). Sonderformen sind die intertriginösen und die Schleimhaut-Xanthome. Das Xanthoma palmoplantare striatum ist wegen der anatomisch bedingt dicken Hornschicht kaum eleviert, es erscheint als gelbliches Netz- und Streifenmuster. Plane Xanthome. Plattenartig, bis mehrere Zentimeter groß, multipel an Stamm, Hals und oberen Extremitäten. Sie sind häufig normolipidämisch und können mit Lymphomen oder monoklonaler Gammopathie assoziiert sein. Das Xanthelasma palpebrarum ist die häufigste Manifestation: flache Plaques medial an den Augenlidern (. Abb. 6.8). Es tritt familiär gehäuft bei Patienten >50 Jahren auf und ist bei etwa zwei Dritteln normolipidämisch.
Tuberöse Xanthome. Halbkugelig erhabene Knoten, bis einige Zentimeter groß, vorwiegend über Knien, Ellenbogen, Nates (. Abb. 6.9). Sehnenscheidenxanthome. Derbe, bis zentimetergroße, manchmal schmerzhafte Knoten entlang der Achilles- und der dorsalen Fingersehnen. Differenzialdiagnose: Gicht, Heberden-Knötchen. 3Korrelationen. Dysbetalipoproteinämie liegt typischerweise eruptiven und Handflächen-, oft auch tuberösen Xanthomen zugrunde. Eruptive Xanthome sind auch mit familärer Lipoproteinlipasedefizienz, familiärer Hypertriglyzeridämie u. a. assoziiert. Sehnenscheiden- und intertriginöse Xanthome, Xanthelasmen und der Arcus lipoides corneae sind bei familiärer Hypercholesterinämie gehäuft.
Xanthoma disseminatum. Eine seltene normolipidä-
mische Xanthomatose aus dem Kreis der Nicht-Langerhanszell-Histiozytosen (7 Kap. 9) mit lokal destruktivem, aber benignen Verlauf. Sie ist durch multiple disseminierte gelb-braune Papeln, Plaques und Knoten in den Beugen und Intertrigines, Befall von Oro- und Nasopharynx, des ZNS und der Knochen gekennzeichnet. Lipidspeichernde Zellen können auch in anderen histiozytären Tumoren enthalten sein: Xanthogranulome, benigne zephale Histiozytose, progressive noduläre Histiozytose u. a. (7 Kap. 9).
. Abb. 6.8. Xanthelasmen. Polsterartige gelbliche Fetteinlagerungen vorwiegend des medialen Oberlids
Therapie. Hyperlipidämische Xanthome bilden sich nach geeigneter Diät und medikamentöser Behandlung zurück; bei knotigen Formen erfordert dies längere Zeit. Normolipidämische Xanthome (z. B. Xanthelasmen) können nur operativ entfernt werden (u. a. Laser).
260
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
Hautveränderungen bei lysosomalen Lipidspeicherkrankheiten Lipidspeicherkrankheiten durch lysosomale Enzymdefekte (Morbus Fabry, Morbus Gaucher, Morbus Niemann-Pick, Gangliosidosen u. a.) zeigen in Hautbiopsien regelmäßig vermehrt lipidspeichernde Makrophagen, meist periadnexiell lokalisiert, zur Ausbildung von Xanthomen kommt es nicht. Angiokeratoma corporis diffusum universale (Morbus Fabry) Eine seltene X-chromosomal rezessive Lipidspeicherkrankheit.
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Epidemiologie. Prävalenz ca. 1:400 000 Männer; bei weiblichen Heterozygoten selten ein milder Phänotyp. Morbus Fabry wird in der Pubertät manifest und führt meist bis zum 5. Jahrzehnt zum Tod. Ätiologie. Defizienz der α-Galaktosidase. Dessen Substrat, das Glykosphingolipid Trihexosylceramid, wird akkumuliert und v. a. in Endothelzellen eingelagert (Ischämie!).
6.2.8 Gicht Gicht ist eine Störung des Purinstoffwechsels, die durch erhöhte Serum-/Gewebespiegel von Harnsäure (Hyperurikämie) und deren Ausfällung in Gelenken mit der Folge der Gichtarthritis gekennzeichnet ist. Die Prävalenz in der industrialisierten Welt ist 1,5%. Ca. 95% der Erkrankten sind Männer in fortgeschrittenem Lebensalter; familiäre Häufung. Die erhöhten Harnsäurespiegel kommen entweder durch Überproduktion (Defizienz der Hypoxanthin-Guanin-PhosphoribosylTransferase – HGPT; hoher Nukleinsäure-Turnover, z. B. bei lymphoproliferativen Krankheiten) oder (häufiger) durch verminderte renale Ausscheidung zustande (idiopathischer Defekt oder chronische Niereninsuffizienz, diverse Vergiftungen, Medikamentenwirkung – z. B. Salicylate). Die klinischen Manifestationen beginnen meist als akuter Gichtanfall (klassisch: Podagra – Großzehengrundgelenk) und münden nach Jahren der Rezidive in die chronisch-tophöse Gicht. Ein beträchtlicher Teil der Patienten mit Hyperurikämie bleibt asymptomatisch. Akuter Gichtanfall
Symptomatik. Erstsymptome, noch vor Auftreten der
Pathogenese. Die Löslichkeitsgrenze der Harnsäure
Hautläsionen, sind Fieber, Muskelschwäche und Parästhesien an Handflächen und Fußsohlen. An der Haut entstehen symmetrisch am Unterbauch (periumbilikal, inguinal) sukzessive zahllose kleine, dunkelrote bis blau-schwarze, nicht wegdrückbare Gefäßektasien. Begleitend häufig Hypo- oder Anhidrose – kann bei körperlicher Anstrengung zu Hitzestau führen. Histologie: Angiokeratome (7 Kap. 9.7), Lipidvakuolen in Endothelzellen. Differenzialdiagnose: Multiple senile Angiome, Angiokeratomata scroti.
beträgt 7 mg/dl; sie wird durch Kälte (Akren, sauren pH), Entzündung, und geringe Albuminbindung gesenkt. Bei Hyperurikämie fallen in Synovia und Knorpel Harnsäurekristalle aus, wo sie zunächst frei liegen (symptomlose Mikrotophi), später jedoch von Leukozyten phagozytiert werden. Deren Zerfall setzt Mediatoren frei, die zur akuten Entzündung und Rekrutierung weiterer Leukozyten führen. Trigger des akuten Gichtanfalls sind lokale Harnsäureanreicherung durch schnelle Ausschwemmung von Ödemen (Diuretika, Beinhochlagerung über Nacht), Hemmung der tubulären Sekretion bei erhöhten Spiegeln von Laktat, Acetoacetat etc. (Alkohol, Ketazidose, Hunger); hohes alimentäres Purinangebot, harnsäureretinierende Medikamente und Traumen.
Systemzeichen. Augen (90%): Teleangiektasien der
Konjunktiva, Corneatrübungen – Cornea verticillata, Katarakt der hinteren Kapsel; Niere: progressive Insuffizienz; Herzkreislaufsystem: Angina pectoris, Myokardinfarkt, Hypertension; ZNS: passagere Hemiplegien, Epilepsie, Psychosen, unklare Schmerzzustände. Todesursachen: Nierenversagen, Myokardinfarkt. Diagnostik. Nachweis lipidspeichernder Makrophagen in Harn (»Maulbeerzellen«) und Knochenmark. Labor: erhöhtes Trihexosylceramid in Serum und Harn. Nachweis des Enzymdefekts in Fibroblasten. Therapie. Enzymsubstitution (humane rekombinante α-Galaktosidase). Bei Niereninsuffizienz Dialyse oder Nierentransplantation. Angiokeratome: Entfernung mit z. B. Laser. Pränatale Diagnostik möglich!
Symptomatik. Eine anfallsweise – meist nach reichlichem Mahl und Alkoholgenuss – einsetzende Arthritis meist eines, manchmal mehrerer Gelenke (dann asymmetrisch) mit heftigem Spontan- und Druckschmerz, Rötung, hitzender Schwellung und gelegentlich Begleitbursitis, oft auch Fieber (bis 39°C). In ca. 50% ist das Großzehengrundgelenk betroffen. Spontanes Abklingen nach Tagen bis Wochen mit Restitutio ad integrum. Diagnostik. Labor: Hyperurikämie, Leukozytose, er-
höhte Blutsenkung. In der Synovialflüssigkeit sind po-
261 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
6
Therapie der Gicht. Im akuten Anfall Ruhigstellung und hochdosierte Behandlung mit NSAID. Die Verwendung von Colchizin wird kontrovers beurteilt. Außerhalb des Anfalls purinarme Diät (Meidung von Spinat, Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchten), Flüssigkeitszufuhr, Vermeidung harnsäureretinierender Medikamente (Salizylate, Antihypertensiva). Bei chronisch-tophöser Gicht Urikostatika (Allopurinol), alternativ Urikosurika (Probenecid). Entfernung der Tophi: CO2Laser und mechanische Abtragung.
. Abb. 6.10. Chronisch tophöse Gicht mit akutem Schub. Unregelmäßige Auftreibung, diffuse Rötung des Vorfußes (Grundgelenk des Hallux)
larisationsmikroskopisch die doppelbrechenden, nadelförmigen Uratkristalle nachweisbar. Differenzialdiagnose. Erysipel, Phlegmone, entzün-
deter Klavus, rheumatoide oder Psoriasis-Arthritis, septische Arthritis, aktivierte Arthrose, diabetische Gangrän, Trauma. C A V E
Im akuten Gichtanfall liegt die Harnsäure häufig nur im oberen Normbereich – Gefahr der Fehldiagnose!
Chronisch tophöse Gicht Symptomatik. Subkutane, bis mehrere Zentimeter große, harte, druckempflindliche Knoten (Tophi) mit perifokaler Entzündung (. Abb. 6.10). Prädilektionsstellen: Ohrhelix, paraartikulär an Fingern, Zehen, Ellenbogen, Knie, entlang der Sehnen, mitunter an inneren Organen: Myo-, Perikard, große Gefäße. Die bedeckende Haut ist gerötet, atroph und kann ulzerieren. Bei längerem Bestand entstehen atroph-narbige Veränderungen an Knorpel, Knochen, Gelenken sowie Fisteln mit Entleerung von weißlichem Material (Uratkristalle). Histologie: Massenhaft Uratkristalle, mononukleäre Entzündung mit Fremdkörperriesenzellen, im Spätstadium Fibrose. Differenzialdiagnose. Rheumatoide und Psoriasis-
Arthritis, Arthrose, tuberöses Xanthom, Rheumaknoten, Heberden-Knoten, Calcinosis cutis, Chondrodermatitis nodularis helicis. 3Assoziierte Symptome an inneren Organen Interstitielle Nephritis mit Uratdepots, Uratsteinen, Nephrosklerose. In der Induktionsphase einer Chemotherapie Gefahr der akuten Urat-Nephropathie (»Tumorlyse-Syndrom«). Häufig assoziiert mit Hypertonie, Triglyzeridämie, KHK.
! Allopurinol ist nicht problemlos: es hat Wechselwirkungen mit u. a. Azathioprin, Theophyllin und Captopril und kann gefährliche Intoleranzreaktionen auslösen (Hypersensitivitätssyndrom, toxische epidermale Nekrolyse).
6.2.9 Porphyrien Porphyrien sind eine Gruppe von genetisch bedingten Störungen der Häm-Biosynthese mit Akkumulation der entsprechenden Metaboliten (Porphyrine). Sie manifestieren sich oft erst durch zusätzliche Trigger (z. B. UV-Strahlung, Alkohol, Medikamente, Hormone etc.). Häm, ein eisenhaltiger Tetrapyrrolring, ist die prosthetische Gruppe einer Vielzahl essenzieller Proteine wie Hämoglobin, Myoglobin, Cytochrome etc. Der Synthesegang des Häm (. Abb. 6.11) kann durch Defizienz eines oder mehrerer beteiligter Enzyme gestört sein; die akkumulierten Metaboliten sind jeweils die oxidierten Substrate des defizienten Enzyms. Die Diagnostik der Porphyrien beruht auf dem Muster dieser Metaboliten, die in Stuhl, Harn und Erythrozyten nachgewiesen werden, zunehmend jedoch auf Messung der Enzymaktivitäten und molekularbiologischen Mutationsanalysen. Häm wird teils im Knochenmark, teils in der Leber synthetisiert. Nach dem überwiegenden Bildungsort der akkumulierten Porphyrine unterscheidet man erythropoetische (Knochenmark) und hepatische Porphyrien, nach dem Verlauf chronische und akute Porphyrien. Schädigende Wirkung der Porphyrine: sie sind hepatotoxisch und photosensibilisierend: sie absorbieren UV bei ca. 400 nm (Soret-Band; starke Rotfluoreszenz, z. B. unter dem Wood-Licht!), werden dadurch aktiviert und induzieren aktivierte Sauerstoffmoleküle (»singlet oxygen«), die durch Bildung von Lipidperoxiden zur Membranzerstörung, zur Generierung von Entzündungsmediatoren (IL-1, IL-6) und Kollagenasen (Blasenbildung) führen.
262
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
6
. Abb. 6.11. Syntheseweg des Häm
Erythropoetische Porphyrien Kongenitale Erythropoetische Porphyrie (EP; Synonym Porphyria congenita Günther) Definition/Pathogenese. Eine schwere chronische Porphyrie, die auf Defizienz der Uroporphyrinogen III-Cosynthase beruht. Der Enzymmangel blockiert die Umwandlung der Porphyrinogene der Serie I in die der isomeren Serie III; nur letztere wird weiter metabolisiert, Serie I ist eine Sackgasse. Epidemiologie. Sehr selten (<1:10 Mio), Erbgang auto-
somal-rezessiv, Beginn: Kleinkindesalter. Symptomatik. Leitsymptom ist eine exzessive Licht-
empfindlichkeit: erythematös-blasige Reaktionen an sonnenexponierten Körperregionen, gefolgt von Superinfektion, Ulzera, Narben, scheckiger Pigmentierung, Hypertrichose. Schwerer Augenbefall: Keratokonjunktivitis, Ektropion, Symblepharon. Typische weitere Symptome: Rotverfärbung der Zähne (Erythrodontie) und des Harns bzw. der Windeln (Rotfluoreszenz im Wood-Licht !). Systemzeichen: Splenomegalie, hämolytische Anämie (Photohämolyse). Differenzialdiagnose. Hydroa vacciniformia, Xeroderma pigmentosum, Epidermolysis bullosa.
Diagnostik. Labor: Stark vermehrte Uro- und Kopro-
porphyrine I in Erythrozyten, Plasma, Harn und Fäzes. Blutausstrich: Fluorozyten (bei 400 nm rot fluoreszierende Erythrozyten). Therapie. UV-Schutz, Lokaltherapie, Therapie der An-
ämie. Einzige kausale Therapieoption: Knochenmarktransplantation. Erythropoetische Protoporphyrie (EPP; Synonym Erythrohepatische Protoporphyrie) Definition/Pathogenese/Epidemiologie. Eine chronische Porphyrie, die auf Defizienz der mitochondrialen Ferrochelatase beruht. Der Enzymdefekt blockiert den Einbau eines Eisenatoms in Protoporphyrin. Die EPP ist selten (<1:50 000), Erbgang autosomaldominant (inkomplette Penetranz), Beginn in Frühkindheit. Symptomatik. Leitsymptom ist eine charakteristische
Sonnenempfindlichkeit: schon nach kurzer Exposition (auch hinter Fensterglas!) stellen sich, besonders an Gesicht und Handrücken, brennende Erytheme, urtikarielle Läsionen, manchmal Purpura, jedoch keine Blasen ein. Die Läsionen hinterlassen charakteristische runde, eingezogene, depigmentierte Närbchen (. Abb. 6.12).
263 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
. Abb. 6.12. Erythropoetische Protoporphyrie. Reizlose, schüsselförmig eingezogene Närbchen an den sonnenexponierten Regionen
Nach Jahren greisenartige Runzelung und Verdickung der Haut der Handrücken (Einlagerung von PAS-positivem Material). Assoziierte Symptome: erhöhte Inzidenz von Cholelithiasis und (selten) Zirrhose (Ablagerung von unlöslichen Protoporphyrinkristallen), hämolytische Anämie. Diagnostik. Labor: Erhöhte Protoporphyrine in Erythrozyten (seltener im Plasma) und Fäzes. Blutausstrich: vereinzelte Fluorozyten. Differenzialdiagnose. Hydroa vacciniformia, Lichturtikaria, Angioödem, Lipidproteinose. Therapie. Vermeidung von UV-Exposition, Licht-
schutz mit UVA-Blockern. β-Karotin (Radikalfänger) erhöht bei vielen Patienten die Toleranz gegenüber Sonnenlicht (Nebenwirkung: orangefarbige Verfärbung der Haut). Lebertransplantation kann erforderlich werden.
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Chloroquin in niedrigen Dosen), die die Enzymaktivität auf <25% sinken lassen, wird die PCT klinisch manifest. Typ II beruht auf Mutationen des Enzyms selbst; hinzu kommen oft weitere Mutationen, z. B. wieder des Hämochromatose-Gens. Typ II wird autosomal dominant mit geringer Penetranz vererbt, ca. 90% der Carrier sind asymptomatisch. Präzipitierende Faktoren sind dieselben wie bei Typ I. Bei beiden Typen manifestiert sich die PCT in der Lebensmitte, bei Homozygotie oder Compound-Heterozygotie jedoch schon in der Kindheit oder Jugend. Homozygoter Typ II verläuft besonders schwer (hepatoerythropoetische Porphyrie). Symptomatik. Oft starke diffuse Pigmentierung der sonnenexponierten Haut (auch der Haare – sie dunkeln nach, selbst wenn sie schon ergraut waren), Hypertrichose des Gesichts (Schläfen, Augenbrauen), chronischer UV-Schaden (Elastosis cutis, senile Komedonen), diffuse livide Rötung der Orbitaregion (. Abb. 6.13 und . Abb. 6.14). Wichtiges Leitsymptom: erhöhte Verletzlichkeit der lichtexponierten Haut (Handrücken!). Hier finden sich zahlreiche frische und ältere Exkoriationen, Pyodermien, Blutkrusten, depigmentierte Närbchen und Milien, selten Blasen. Später pseudosklerodermiforme Veränderungen. Die Sonnenempfindlichkeit wird meist nicht wahrgenommen, doch berichten die Patienten von Verschlechterung in der sonnigen Jahreszeit. Assoziierte Symptome: burgunderroter Harn, Leberschäden (alkoholische Fettleber, chronische Hepatitis, Zirrhose, im Extrem Leberkarzinom).
Hepatische Porphyrien Porphyria cutanea tarda (PCT) Definition. Eine Gruppe von chronischen Porphyrien, die auf Defizienz der Uroporphyrinogen-Decarboxylase beruhen. Epidemiologie und Pathogenese. PCT ist die weltweit häufigste Porphyrie mit einer Prävalenz von 1:50 000; Androtropismus. Man unterscheidet eine akquirierte (Typ I) und eine familiäre Form (Typ II; ca. 80:20). Typ I beruht auf prädisponierenden Faktoren, deren wichtigster ein genetischer ist: Mutationen des Hämochromatose-Gens (40%) – Eisenüberladung führt zur Inhibition der Uroporphyrinogen-Decarboxylase. Weitere Faktoren sind HVB-, HVC-, CMV- und HIV-Infektion. Bei Hinzutreten von präzipitierenden hepatotoxischen Faktoren (Alkohol, Östrogene, Eisen, Hexachlorbenzol,
. Abb. 6.13. Porphyria cutanea tarda. Diffuse Hyperpigmentierung der oberen Gesichtshälfte, Hypertrichose (Kapillitium, Augenbrauen, Schläfen), nachgedunkelte Kopfhaare (Schläfenhaare werden wieder schwarz!), krustige Läsionen. Nebenbefund: Rhinophym
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Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
Differenzialdiagnose. Pseudoporphyrie, Porphyria variegata, Sklerodermie. Therapie. Ausschaltung möglicher Realisationsfaktoren (Alkohol!), bei Typ I Aderlässe. Die Entleerung der Eisenreservoirs allein kann zur Remission führen. Zusätzlich kann eine Behandlung mit niedrigdosiertem Chloroquin erfolgen: dieses bindet die in der Leber gespeicherten Porphyrine, verbessert deren Wasserlöslichkeit und führt zur Ausscheidung. Nach mehreren Monaten meist völlige Remission.
6 . Abb. 6.14. Porphyria cutanea tarda. An Hand- und Fingerrücken zahlreiche frischere und ältere Blasen, Närbchen und Milien
Diagnostik. Histologie: Subepidermale Blasenbildung, Hyalinisierung der Basalmembranzone und der dermalen Gefäße. Labor: Hauptmerkmal bei Typ I ist eine Eisenüberladung (Überfüllung der Eisenreservoirs) mit Polyglobulie, bei beiden Typen eine massive Porphyrieausscheidung im Harn (Rotfluoreszenz im Wood-Licht: . Abb. 6.15a, b). Vermehrt sind besonders die Uroporphyrine (Uro-Koproporphyrin-Ratio im Harn >3:1), im Stuhl Uro- und Koproporphyrine. In Plasma und Erythrozyten sind die Porphyrine normal (keine Fluorozyten!). Typ I und Typ II können durch Bestimmung der Uroporphyrinogen-Decarboxylase in den Erythrozyten unterschieden werden.
C A V E
Massive Porphyrinfreisetzung kann zu gastrointestinaler Symptomatik, Fieber, Muskelschmerzen, Erhöhung der Transaminasen und im Extrem zur Leberzellnekrose führen (Chloroquin ist daher bei schwerem Leberschaden kontraindiziert).
Akute Porphyrien Diese manifestieren sich mit akuten neuroviszeralen Attacken, Hautsymptome spielen eine untergeordnete Rolle. Akute Schübe werden durch exogene und endogene Faktoren ausgelöst, wie Hormone (Pille, Menstruationszyklus), porphyrinogene Medikamente, Diäten (Fasten) oder Infekte. Während eines akuten Anfalls ist die Konzentration der aus der Leber stammenden Porphyrinvorstufen ALA und PBG in Serum und Harn erhöht. Medikamente, die bei akuten Porphyrien gegeben werden dürfen sind (und unter www.porphyriaeurope.com):
. Abb. 6.15a, b. Harnproben eines Patienten mit Porphyria cutanea tarda und einer Normalperson. Der Harn des Kranken ist im Tageslicht rötlich (a), im Wood-Licht rot fluoreszierend (b)
a
b
265 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
4 Glukokortikoide 4 NSAID: Aspirin, Ibuprofen, Indomethacin, Acetaminophen, Naproxen, Narkotika 4 Antibiotika: Penicilline, Cephalosporine, Tetrazykline, Chloramphenicol, Streptomycin, Nitrofurantoin 4 Psychopharmaka: Amitriptylin, Oxazepam, Phenothiazine, Chlordiazepoxid, Chloralhydrat, Lithium 4 Heparin 4 Andere Pharmaka: Adrenalin, Atropin, Colchizin, Diphenhydramin, EDTA, Guanethidin, Insulin, Neostigmin, Prostigmin, Succinylcholin, Propanolol, Thyroxin, Thiouracil Akut intermittierende Porphyrie (AIP) Definition. Eine akute Porphyrie mit attackenartiger
Symptomatik, die auf Defizienz der PorphobilinogenDesaminase beruht. Epidemiologie und Pathogenese. Die häufigste akute Porphyrie, Prävalenz ca. 1:10 000, Gynäkotropie. Erbgang autosomal-dominant. AIP wird erst nach der Pubertät manifest, 90% der Heterozygoten bleiben klinisch/laborchemisch unauffällig. Die Attacken werden durch Noxen ausgelöst, die zur Induktion von Cytochrom P450 führen (Infekte, Medikamente, Hormone). Der resultierende Häm-Verbrauch wird durch Neusynthese wettgemacht, wobei wegen des Enzymmangels ein Überschuss an Porphobilinogen entsteht. Die Neusynthese kann durch Gabe von Glukose gebremst werden. Symptomatik. Intermittierende, Tage bis Monate an-
haltende schwere Attacken von gastrointestinalen (kolikartige Bauchschmerzen, Erbrechen, Ileus) und neurologischen Symptomen (Neuropathie, Lähmungen, Muskelschwäche, Tremor, Halluzinationen u. a.). AIP kann lebensbedrohlich sein (Atemlähmung, Herzrhythmusstörungen, Epilepsie) und intensivmedizinische Behandlung erfordern. Hautsymptome fehlen (die akkumulierten Substanzen sind nicht photosensibilisierend). ! Die abdominalen Schmerzen können mit Leukozytose und Fieber einhergehen und frustrane exploratorische Laparotomien nach sich ziehen. Wird dabei die Narkose mit Barbituraten eingeleitet, kann es zur fulminanten Verschlechterung kommen.
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Differenzialdiagnose. »Akutes Abdomen« anderer Ursache, neurologisch/psychiatrische Erkrankungen, Bleiintoxikation, Porphyria variegata. Normales HarnPBG im Anfall schließt die akut intermittierende Porphyrie aus! Therapie. Elimination von Triggerfaktoren. Spezifische Therapie: Infusionen mit Häm-Arginat und Glukose (Hemmung der ALA-Synthetase). Schmerztherapie, Sedierung.
Porphyria variegata (PV) Eine akute Porphyrie mit Hautsymptomen wie bei PCT und neurologischen Manifestationen wie bei AIP. Ursache: Defizienz der Protoporphyrinogen-Oxidase. Erbgang autosomal-dominant, Prävalenz 2–5:10 000, Häufung in Südafrika. Labor: Im Schub sind im Harn ALA und PBG erhöht, Kopro > Uroporphyrin, im Stuhl erhöhte Ausscheidung von Protoporphyrin und Koproporphyrin. Charakteristische Fluoreszenz des Plasmas bei 626 nm durch Porphyrin-Protein-Konjugate. 3Weitere seltene Porphyrien, Pseudoporphyrien
und Porphyrinopathien Hereditäre Koproporphyrie (Defizienz der Koproporphyrinogen-Oxidase; Symptome ähnlich, aber milder als bei PV) und die ALA – Dehydratasedefizienz (Defizienz der ALA-Dehydratase, ähnlich AIP). Pseudoporphyrien. Seltene Zustandsbilder unklarer Ursache, die klinisch Porphyrien gleichen, jedoch keine fassbare Porphyrinanomalie besitzen. Sie können unter dem Bild einer PCT (öfter bei Erwachsenen), oder unter dem einer EPP (bei Kindern) auftreten. Sie sind mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz, Medikamenteneinnahme (NSAID – Naproxen, Diuretika u. v. a) oder anderen Faktoren assoziiert. Nach Behebung der Ursache Normalisierung. Sekundäre Porphyrinopathien (Synonym Porphyrinurien). Hierunter versteht man erhöhte Porphyrinausscheidung ohne porphyrieähnliche klinische Symptomatik (auch keine Hautveränderungen!). Sie treten als Begleiterscheinung von z. B. Intoxikationen (Alkohol, Blei, Quecksilber, Kadmium), Cholestasesyndromen, Leukämien, Lymphomen und nach Dialyse auf.
6.2.10 Hauterscheinungen
bei Amyloidosen Amyloidosen sind eine Gruppe seltener Krankheiten, die durch (meist) extrazelluläre Ablagerung von Amyloid im Körper und daraus resultierenden Funktionsstörungen gekennzeichnet sind. Hautablagerungen sind bei Amyloidosen relativ häufig und diagnostisch wichtig.
Diagnostik. Labor: Im Anfall Erhöhung von ALA,
PBG und Uroporphyrin im Harn. Porphyrine im Stuhl sind meist normal (im Unterschied zur Porphyria variegata).
Grundlagen Amyloide sind fehlgefaltete (β-Faltblattstruktur!) Proteine unterschiedlicher Herkunft, die als unlösliche
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6
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
»Abfallproteine« systemisch oder lokalisiert abgelagert werden. Mehr als 20 amyloidogene Proteine sind bekannt, die wichtigsten sind Immunglobulin-Leicht(seltener Schwer-)Ketten, Serum-Amyloid A-Protein, Polypeptidhormone, Transthyretin, und Keratinfilamente. Ungeachtet ihrer Abkunft bestehen Amyloide aus 7,5–10 nm-Fibrillen und nichtfibrillären Komponenten (Serum-α-Globulin, Glykosaminoglykane). Die Amyloide erscheinen im HE-Schnitt homogen blasseosinophil; diagnostisch sind Spezialfärbungen (Kongorot – im polarisierten Licht apfelgrün, Methylviolett, Thioflavin T u. a.). Die verschiedenen Amyloidtypen sind immunhistochemisch unterscheidbar. Amyloid wird von Makrophagen kaum abgebaut; Ablagerungen im Gewebe sind daher in der Regel irreversibel. Die häufigste Amyloidose ist die Amyloidose A (AA), die schwerwiegendste die Amyloidose L (AL). Amyloidose K (AK) ist eine hautspezifische, gutartige Amyloidose; außer ihr kann die Haut auch Schauplatz von Ablagerungen im Rahmen systemischer Amyloidosen sein. C A V E
Amyloidablagerungen geringen Ausmaßes finden sich häufig in Biopsien von älteren Personen. Von Amyloidose spricht man jedoch nur bei Vorliegen klinischer Symptome.
Lokalisierte kutane Amyloidose (Amyloidose K) Auf die Haut beschränkte Amyloidoseformen, die durch subepidermale Ablagerungen von Amyloid K charakterisiert sind. Lichen amyloidosus Die häufigste Form der Hautamyloidosen (. Abb. 6.16).
Epidemiologie. Selten, vorwiegend bei Asiaten, oft familiär gehäuft. Auftreten nach der Lebensmitte, manchmal assoziiert mit dem multiplen endokrinen Neoplasie-Syndrom 2A. Symptomatik. Hautfarbene bis graubraune Papeln be-
sonders über den Schienbeinen, seltener an Beinen, Armen und Stamm. Häufig Konfluenz zu größeren Plaques mit gitterartiger Zeichnung. Sehr chronisch, heftig juckend. Histologie: Schollige Amyloiddepots der papillären Dermis knapp unter der Junktionszone, Hyperplasie der Epidermis, Melanophagen. Positive Färbung mit Anti-Keratin-Antikörpern. Varianten sind:
4 Makulöse Amyloidose: gleichartig, doch Fehlen der epidermale Hyperplasie (Flecken), Juckreiz nur mäßig. 4 Papillomatosis confluens et reticularis (Gougerot-Carteaud): vorwiegend bei jungen Frauen am oberen Rumpf; häufig mit Adipositas, Diabetes und hormonellen Störungen assoziiert. 4 Eine weitere Variante ist die anosakrale Amyloidose. Pathogenese. Apoptotische Keratinozyten wandeln
aus ungeklärten Gründen ihre Keratinfilamente von einer α-Helix- zu einer β-Faltblattstruktur um, werden dadurch von Makrophagen nicht aufgenommen und bleiben im Gewebe liegen. Therapie. Unbefriedigend. Dermabrasio, Ätzbehandlung, Lasertherapie u. a. ziehen meist rasch ein Rezidiv nach sich. Systemische Acitretein-Behandlung ist manchmal erfolgreich. 3»Sekundäre Amyloidose K«. Umschriebene, meist geringfügige Amyloid-K-Ablagerungen begleiten nicht selten diverse Hauttumoren, chronisches Reibetrauma, solare Elastose u. a. – ein unbedeutender Zufallsbefund.
. Abb. 6.16. Makulopapulöse kutane Amyloidose. Bräunliche retikulierte Flecken und Knötchen
Hautmanifestationen bei systemischen Amyloidosen Systemische Amyloidosen sind durch Amyloidablagerungen in den mesenchymalen Anteilen innerer Organe gekennzeichnet, die zu deren schwerster Schädigung und schließlich zum Tod führen können. Daneben kommt es nicht selten auch zu Ablagerungen in der Haut. Zur Diagnose muss Amyloid bioptisch nachgewiesen, und der Typ (aus prognostischen und therapeutischen Gründen) histochemisch bestimmt werden. Am leichtesten erfolgt dies aus Hautläsionen; sind solche nicht vorhanden, aus Biopsien der Rektalschleimhaut oder des subkutanen Fettgewebes. Ablagerungen
267 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
innerer Organe können mit nuklearmedizinischen Verfahren (Tc99 m, I123) dargestellt werden. Amyloidose L (Immunglobulin-Amyloidose) Definition. Eine schwere Systemkrankheit, die durch
Produktion von Amyloid L (leichte Ketten>schwere, κ>λ) in (medullären) klonalen Plasmazell-Proliferationen, und deren Ablagerung im Körper gekennzeichnet ist. Hautbeteiligung tritt bei bis zur Hälfte der Patienten auf.
6
auf. Bei massivem Befall Exulzeration, vernarbende Alopezie oder Pseudosklerodermie. Die vergrößerte, derbe Zunge zeigt eine trockene, papulöse Oberfläche mit Fissuren und Ulzera (Differenzialdiagnose: Aktinomykose, luetische interstitielle Glossitis, Hyalinosis cutis et mucosae). Alle Hautläsionen sind subjektiv symptomlos. ! Papeln, die bei zarter Berührung hämorrhagisch werden, sind ein diagnostisches Zeichen der Amyloidose L.
Diagnostik. Histologie: Amyloidablagerungen an KaEpidemiologie. Inzidenz ca 10:100 000/Jahr. AL ist mit
hämatologischen Krankheiten wie Myelom, Makroglobulinämie Waldenström u.a. assoziiert. Ca. 4% der Patienten mit asymptomatischer monoklonaler Gammopathie (MGUS) entwickeln innerhalb von 10 Jahren eine AL. Symptomatik. Uncharakteristischer Beginn mit Mü-
digkeit, Gewichtsverlust, Parästhesien und Ödemen – die Diagnose wird oft erst spät gestellt (. Abb. 6.17). Der Organbefall betrifft am häufigsten Niere, Herz und Darm, Leber und autonomes Nervensystem mit den entsprechenden Symptomen; typisch sind ferner Karpaltunnelsyndrom, periphere Neuropathie, Hepatomegalie und Unterschenkelödeme (Herzinsuffizienz, nephrotisches Syndrom). Hautveränderungen: Leitsymptome sind periorbitale Purpura, Makroglossie und »schulterpolster-ähnliche« periartikuläre Amyloidablagerungen. Die Purpura ist petechial und manchmal ausgedehnt; sie tritt entweder in scheinbar unveränderter Haut (Gesicht, Nacken, Leisten) oder in den charakteristischen weißgelblichen, wachsartigen Papeln oder Knoten an Gesicht, Kopfhaut, Mundschleimhaut und Handflächen
pillaren (Purpura!), den Wänden größerer Gefäße (Papeln) sowie um Talg-, Schweißdrüsen und Fettzellen. Verlauf und Therapie. Die Überlebenszeit hängt vom Organbefall ab; sie beträgt unbehandelt im Mittel 10– 14, bei Herzbefall nur 5 Monate. Eine Besserung der Prognose kann nur mit Chemotherapie erreicht werden; Hochdosistherapie mit Melphalan zusammen mit autologer Stammzelltransplantation konnte Vollremissionen in bis zu 50% erzielen. Eine spezifische Therapie der Hautläsionen existiert nicht. 3Sonderformen der AL Amyloidelastose. Eine seltene Form, bei der Amyloidablagerungen entlang der elastischen Fasern der Haut, der Blutgefäße und innerer Organe mit Beeinträchtigung lebenswichtiger Organfunktionen auftreten. Die Haut ist sklerodermiform verändert und zeigt gelb-bräunliche Papeln und Knoten ähnlich dem Pseudoxanthoma elasticum (große Beugen, Hals) sowie verdickte derbe Hautgefäße. Noduläre Amyloidose. Eine seltene lokalisierte Form der AL, die durch einzelne oder multiple, bis mehrere Zentimeter große, derbe Knoten der Haut an Gesicht, Stamm, Genitale oder Extremitäten gekennzeichnet ist. Die Knoten sind hautfarben bis gelbbraun und subjektiv symptomlos. Benigner, protrahierter Verlauf, Zeichen einer systemischen Amyloidose fehlen. Manchmal Assoziation mit Sjögren-Syndrom. Histologie: Amyloidmassen in der gesamten Haut, plasmazellreiche entzündliche Infiltrate. Pathogenese: Lokale Leichtkettenproduktion bei extramedullärer Plasmazellproliferation. Therapie: Exzision, Laserbehandlung. Keine konservative Therapie bekannt.
Amyloidose A (AA) Definition. Die häufigste Form der Amyloidose, die als Folge chronischer entzündlicher (selten neoplastischer, z. B. Morbus Hodgkin) Systemkrankheiten auftritt und aus dem Abbau überschüssig produzierten SerumAmyloids A (SAA, ein Akutphasenprotein) resultiert.
. Abb. 6.17. Systemische Amyloidose. Knötchen und Plaques der Augenregion mit massiven, mechanisch bedingten Einblutungen. Bei dieser Patientin führte erst das Auftreten der Hautläsionen zur Diagnose
Epidemiologie. Typische der AA vorausgehende Grundkrankheiten sind rheumatoide Arthritis, chronisch-entzündliche Darmkrankheiten, Bronchiektasien, Tuberkulose, Lepra, Lues, Kollagenosen, Neoplasien, Dialyse, Mukoviszidose und angeborene periodische Fieber-
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Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
syndrome (z. B. Mittelmeerfieber); eine AA tritt bei diesen Krankheiten zwischen 1–5% auf. Selten auch bei schweren chronischen Dermatosen (z. B. Epidermolysis bullosa). Bei ca. 10% der Patienten wird keine Vorläuferkrankheit aufgedeckt.
lisierte kutane Anreicherung von Muzin (Glykosaminoglykane) gekennzeichnet sind. Man klassifiziert »primäre« (Muzinablagerung ist Leitsymptom) und »sekundäre« Muzinosen (Muzin fakultativer Nebenbefund) (. Tab. 6.5).
Symptomatik. Hauptbetroffen sind Niere, Leber, Milz,
Lichen myxödematosus (Synonym Papulöse Muzinose; Skleromyxödem) Definition. Eine Gruppe von Entitäten, denen die Morphe von derben, wachsartigen hautfarben-rötlichen Papeln gemeinsam ist, die histologisch Muzinablagerungen mit Fibrose zeigen. Man unterscheidet lokalisierte Formen und einen chronisch progredienten Typ, der meist mit monoklonaler Gammopathie assoziiert ist und zu schwerer Behinderung, oft zum Tod führt (Skleromyxödem Arndt-Gottron).
Magendarmtrakt, seltener zentrales und peripheres Nervensystem und Auge. Hautmanifestationen sind selten: Purpura, Plaques oder Knoten. Therapie. Konsequente Behandlung der zugrunde
6
liegenden Entzündungskrankheiten kann die Progredienz verhindern; Beispiel: Dauertherapie des Mittelmeerfiebers mit Colchizin. 3Sonderform: Muckle-Wells-Syndrom. Ein seltenes, autosomal-dominantes Zustandsbild, das durch chronisch rezidivierende Urtikaria, Fieberschübe, anfallsartige Gliederschmerzen und Schwäche, progrediente Innenohrschwerhörigkeit und spät auftretende AA gekennzeichnet ist.
Familiäre Amyloidosen Eine Gruppe autosomal-dominanter Amyloidosen, die durch verschiedene Vorläuferproteine, meist durch mutierte Transthyretin-Varianten (ATTR) verursacht werden. Die Klinik ist vielgestaltig; häufig Neuropathien. Hautveränderungen sind unbedeutend. 6.2.11 Muzinosen Muzinosen sind eine heterogene Kategorie von Hautkrankheiten, die durch umschriebene oder genera. Tab. 6.5. Muzinosen der Haut I. Primäre Muzinosen
Myxödem (systemisches und prätibiales) Skleroderma adultorum Buschke Papulöse Muzinose (Skleromyxödem) Hereditäre Mukopolysaccharidosen REM-Syndrom (retikuläre erythematöse Muzinose) Fokale Muzinose, Mukoidzyste Mucinosis follicularis
II. Sekundäre Muzinosen
Granuloma anulare Hauttumoren (epidermale, mesodermale, neurale) Chronischer UV-Schaden Ekzeme, Psoriasis Lupus erythematodes, Dermatomyositis, Sklerodermie Hypertrophe Narben Eosinophilie-Myalgie-Syndrom, »toxic oil-syndrome«
Epidemiologie. Alle Formen sind selten, Auftreten
überwiegend im mittleren Erwachsenenalter. Symptomatik, Diagnostik. Die lokalisierten Formen zeichnen sich durch umschriebene Läsionen (s. o.) aus, Systemzeichen fehlen. Prädilektionsstellen: Handrücken, Extremitäten, Gesicht (. Abb. 6.18). Der Verlauf ist chronisch-persistent, einzelne Entitäten neigen zur spontanen Rückbildung. Mit Vergiftungen (z. B. »toxic oil syndrome«) und der HIV-Infektion assoziierte Formen wurden beschrieben. Beim Skleromyxödem entwickelt sich das Bild durch Knoten, Platten und sklerodermiforme Induration fort, die zu Einscheidungen, Bewegungseinschränkung von Gelenken und Gesicht, tiefen Furchen etc. führen. Befall der Mundschleimhaut und des Kapillitiums. Das Skleromyxödem geht in 10% in ein Myelom über; zusätzlich treten zahlreiche weitere schwere Systemzeichen auf (Muskel-, Gelenks-, Lun-
. Abb. 6.18. Skleromyxödem. Derbe, glatte Papeln und Knoten der Akren
269 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
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gen-, Herz-, Nierenbefall – Muzinablagerungen). Labor: Monoklonale Gammopathie (IgG, vorwiegend λ-Leichtketten). Differenzialdiagnose. Sklerodermie, Skleroedema adultorum Buschke, Amyloidose. Therapie. Unbefriedigend. Zytostatikatherapie der
Plasmazellproliferation (z. B. Melphalan) kann zur Besserung führen, ist jedoch komplikationsreich. Keine wirksame Lokaltherapie bekannt. Skleroedema adultorum Buschke Definition. Eine symmetrische, diffuse Induration un-
klarer Ursache der oberen Körperhälfte durch massive Muzineinlagerungen in der retikulären Dermis. Epidemiologie. Selten. Die Krankheit tritt in 3 Kontexten auf: bei Kindern und jungen Frauen nach einem Streptokokken-Infekt; bei monoklonaler Gammopathie; bei Männern mittleren Alters mit Diabetes mellitus. Die poststreptokokkale Form ist selbstlimitiert, die übrigen sind persistent. Symptomatik. Zunächst tritt eine symmetrische Indu-
ration der Haut im Nackenbereich auf, die sich bei der poststreptokokkalen Form innerhalb von Wochen auf Gesicht, Thorax und obere Extremitäten ausbreitet. Häufig Fieber, Krankheitsgefühl, Muskel- und Gelenkschmerzen. Die Haut erscheint wachsartig, bleich schimmernd, die Oberfläche ist verstrichen, das Aufheben von Falten nicht möglich, das Gesicht gedunsen und ausdruckslos. Der Patient ist »wie eingescheidet« und kann den Kopf nicht zur Seite drehen. Spontane Rückbildung innerhalb von Monaten. Bei den beiden anderen Formen ist der Beginn einschleichend, Spontanheilungen bleiben aus. Histologie: Massive Muzinablagerungen mit »Fenestrierung« der tiefen Dermis; keine Fibrose. Differenzialdiagnose. Sklerodermie. Therapie. Beim poststreptokokkalen Typ nicht erforderlich, bei den anderen Typen unbefriedigend. Optimierung der Diabeteseinstellung beeinflusst die Hautläsionen nicht.
. Abb. 6.19. Retikuläre erythematöse Muzinose (REM-Syndrom). Retikuläre erythematöse Infiltrate der Körpermitte
photoaggravierte Dermatose unklarer Ursache, gekennzeichnet durch plaqueförmige oder urtikarielle, oft streifig-netzartige gerötete Herde am oberen zentralen Rumpf, vorwiegend bei Frauen im mittleren Erwachsenenalter (. Abb. 6.19). Histologie. Interstitielle Muzinablagerungen und lymphozytäre Entzündung. Nach heutiger Auffassung ist das REM-Syndrom mit dem tumiden Lupus erythematodes identisch (7 Kap. 7.2). Therapie: Lichtschutz, evtl. Chloroquin. Mucinosis follicularis (Synonym Alopecia mucinosa).
Eine epitheliale Muzinose der Haarfollikel und Talgdrüsen. Sie tritt entweder isoliert (idiopathische Form) oder in Assoziation mit einem kutanen T-Zell-Lymphom auf (symptomatische Form). Die beiden Formen sind morphologisch nicht unterscheidbar, die symptomatische oft ausgedehnter. Es handelt sich um herdförmig aggregierte, follikuläre, hautfarbene bis erythematöse Papeln, manchmal urtikarielle Plaques, z. T. hyperkeratotisch (. Abb. 6.20). Im Kopf- und Bartbereich: nicht vernarbende Alopezie. Differenzialdiagnose. Lichen pilaris, Pityriasis alba, Lichen simplex chronicus. Therapie: Unbefriedigend; bei der idiopathischen Form Chloroquin.
Weitere Muzinosen Muzineinlagerungen bei Schilddrüsendysfunktion
Fokale Muzinose, Mukoidzysten. Umschriebene Mu-
(Myxödem, prätibiales Myxödem). 7 Kap. 6.2.2.
zinablagerungen in Form mittelweicher, hautfarbenrötlicher, subjektiv symptomloser Papeln oder Knoten in beliebiger Lokalisation. Ursache: degenerativ (posttraumatisch). An manchen Lokalisationen entstehen
Retikuläre erythematöse Muzinose (Synonym REMSyndrom). Eine relativ seltene, chronisch persistierende,
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Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
6.2.12 Verkalkungen der Haut
(Calcinosis cutis) Kalkablagerungen in der Haut können bei Störungen des Kalziumstoffwechsels (metastatische Kalzinose) oder ohne solche (dystrophe Kalzinose) entstehen. Im ersteren Fall handelt es sich um einen Systemprozess, der relativ selten, aber schwerwiegend ist; im letzteren um lokale (oft multifokale) degenerative Vorgänge – sie sind relativ häufig und in der Regel wenig bedeutsam, können aber ein therapeutisches Problem darstellen.
Kalzinosen
6 . Abb. 6.20. Mucinosis follicularis, idiopathischer Typ. Rundliche, zirzinär begrenzte, kaum entzündliche Herde mit »gänsehautartig« prominenten Haarfollikeln
. Abb. 6.21. Mukoidzyste am Perionychium
durch Konfluenz Pseudozysten: am häufigsten die »Mukoidzysten« am Paronychium (. Abb. 6.21) oder an der Ohrhelix: pralle, halbkugelige, durchscheinende Zysten, bei deren Punktion sich eine wasserklare, hochvisköse, fadenziehende Flüssigkeit ergießt. Therapie: Exzision. C A V E
Die Mukoidzysten müssen von Schleimzysten an den Lippen oder in Gelenksnähe unterschieden werden, die durch lädierte muköse Drüsen bzw. Synoviagewebe bedingt sind.
4 Metastatische Kalzinosen – Hyperkalzämisch: Primärer Hyperparathyreoidismus, Tumore (Knochenmetastasen, multiples Myelom, Morbus Paget) – Normokalzämisch: Niereninsuffizienz (mit sekundärem Hyperparathyreoidismus), Primärer Hypoparathyreoidismus, Pseudohypoparathyreoidismus, Oxalurie 4 Dystrophe Kalzinosen – Traumatisch (Narben, Hämatome, Verbrennungen etc.) – Hauttumore (z. B. Trichilemmalzyste, Basaliom, Pilomatrixom, Angiom, Lipom, Syringom) – Postthrombotisches Syndrom – Entzündliche Hauterkrankungen (z. B. Akne vulgaris, Fremdkörperreaktion, Parasiten) – Systemkrankheiten (z. B. Sarkoidose, Kollagenosen, Pseudoxanthoma elasticum)
3Ausfällung von Kalzium aus dem Serum Kalzium- und Phosphationen liegen in der Extrazellulärflüssigkeit normalerweise in stabiler Lösung vor; zur Ausfällung kann es kommen, wenn das Kalziumphosphat-Produkt den Löslichkeitspunkt überschreitet (60–70 mg2/dl2). Dies ist bei Kalziumanstieg der Fall (destruierende Knochenkrankheiten, Hypervitaminose D, primärer Hyperparathyreoidismus; überhöhte orale Zufuhr), ebenso aber bei Anstieg der Phosphate (Retention bei Niereninsuffizienz). Eine metastatische Kalzinose ist bei schwerer, dialysepflichtiger Niereninsuffizienz mit sekundärem Hyperparathyreoidismus am häufigsten. Die Pathogenese ist nur z. T. geklärt, da außer den physikochemischen Ereignissen auch Schutzmechanismen (Fetuin A, RANK, RANK-Ligand) und prädisponierende Faktoren (z. B. Hyperkoagulabilität) im Spiel sind. Die dystrophe Kalzinose entsteht durch degenerative Veränderungen des Zielgewebes, z. B. Nekrosen.
271 6.2 · Hautveränderungen bei Hormon- und Stoffwechselstörungen
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Metastatische Kalzinose (Kalziphylaxie) Definition, Epidemiologie, Pathogenese. Eine gefährliche Fehlregulation des Kalziumstoffwechsels, die sich als Ausfällung von Kalziumphosphat (Hydroxyapatit) in multiplen Organen manifestiert – Letalität je nach Organbefall bis 80%. Auftreten bei 1–4% der Patienten mit Niereninsuffizienz im Endstadium. Eine perakute Kalziumausfällung kann sich typischerweise ergeben, wenn bei Niereninsuffizienz die stets begleitende Osteoporose unkontrolliert mit Vitamin D3 und/oder Kalzium behandelt wird. Symptomatik. Vorwiegend betroffen sind Nieren
(cave: Nierenversagen), Lungen, Herz, Gelenke, Muskel, Magenschleimhaut, Kornea; die Haut ist kein Prädilektionsorgan. Falls befallen, treten – meist aus heiterem Himmel – Kalkniederschläge in den Gefäßen und im Fettgewebes auf (»Pannikulitis«) (. Abb. 6.22). Folgen sind ischämische Infarkte und Auftreten charakteristischer steinharter, sehr schmerzhafter plattenartig-knotiger Einlagerungen vorwiegend an Unterschenkeln, Rumpf und um die großen Gelenke. Begleitsymptom: Livedo racemosa. Die Knoten wandeln sich in sehr therapieresistente Ulzera um. Histologie: Amorphe Kalkablagerungen in kleinen und mittelgroßen Arterien und im Fettgewebe). Labor: Kalziumund Phosphatspiegel s. o, Laborzeichen der Niereninsuffizienz, Parathormon erhöht. Differenzialdiagnose. Venöse und arterielle Ulzera, Cholesterinemboli, Pyoderma gangränosum, Phlebolithen, Erythema induratum. Therapie. Kalzium- und phosphatarme Diät – die Kalkdepots sind teilweise reversibel. Gegebenenfalls
. Abb. 6.23. Dystrophe Calcinosis cutis bei systemischer Sklerodermie. Beachte den Austritt weißen bröckeligen Materials aus einem Knoten am rechten Schulterblatt
(Teil)Resektion der Nebenschilddrüse. Die operative Entfernung der Kalkknoten ist wegen der schlechten Wundheilung problematisch. Dystrophe Kalzinose Lokale oder disseminierte Kalkablagerungen in Haut, Muskel-, Fett- und Fasziengewebe bei normalem Kalziumstoffwechsel und ohne Befall der inneren Organe. Auslösend sind lokale Faktoren wie Alkalinisierung des Gewebes, zugrunde gehendes (Fett)Gewebe, Traumen etc. Disseminierte dystrophe Kalzinose. Ein Begleitsymp-
tom von systemischer Sklerodermie, Dermato-/Polymyositis, manchmal von malignen Tumoren (Paraneoplasie): es finden sich subkutane harte, knotige Depots mit Prädilektion um die großen Gelenke; später generalisiertes Auftreten mit Konfluenz (im Extrem panzerartige Verkalkung) und beträchtlicher Bewegungsbehinderung (. Abb. 6.23). Lokalisierte dystrophe Kalzinosen. Diese umfassen
. Abb. 6.22. Metastatische Kalzinose. Schmerzhafte, harte Infiltration des Unterschenkels mit bizarr konfigurierten hämorrhagischen Nekrosen
die Akrokalzinose – kleinknotige Kalkeinlagerungen an distalen Fingerabschnitten, die traumatische Kalzinose (im Bereich von Verletzungen oder thermischer Schäden), sowie Verkalkungen bei Hauttumoren (z. B. Pilomatrixom), chronisch entzündlichen Hautkrankheiten (z. B. Akne vulgaris) oder dem postthrombotischem Syndrom. Therapie: Behandlung der Grundkrankheit; die Kalkdepots sind kaum rückbildungsfähig. Palliative Maßnahmen (z. B. Exzision schmerzhafter Knoten).
272
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
6.3
Hautmanifestationen bei Krankheiten innerer Organe und des Nervensystems
6.3.1 Hautmanifestationen bei Erkran-
kungen innerer Organe (Auswahl) Zyanose. Diese bläulich-violette Verfärbung der Haut
6
entsteht durch mangelhafte Sauerstoffsättigung des Bluts: ein typisches Hautzeichen kardiovaskulärer Krankheiten. Die Verteilung der Zyanose gibt Hinweise auf die Genese: 4 Die zentrale Zyanose (Zunge!, Lippen, Konjunktiven) entsteht bei Förderung sauerstoffarmen Bluts aus dem Herzen (Lungenkrankheiten; RechtsLinks-Shunt). 4 Die periphere Zyanose zeigt sich typischerweise an den Extremitäten (Akren, Fingernägel!); sie geht auf verlangsamten Blutfluss zurück (Herzinsuffizienz; venöse Insuffizienz; Polyglobulie). Akrozyanose ist eine durch Kälte ausgelöste Blauverfärbung der Akren; sie tritt bei jungen Patienten oft konstitutionell auf, kann aber auch Symptom von Kollagenosen, Kryoglobulinämie oder arterieller Mangelversorgung sein. Erytheme und Flushsymptomatik. Eine ständig gestei-
gerte Rötung der Haut (häufig akzentuiert an Gesicht und Wangen) findet sich bei Hypertonie und Polyglobulie; rötlich-zyanotische Wangen weisen auf ein Mitralklappenvitium (Facies mitralis). Bei Diabetes mellitus können die Wangen durch Teleangiektasien permanent gerötet sein (Rubeosis diabeticorum). Paroxysmale Rötungen von Gesicht, Nacken und Rumpf (Flush-Reaktion), häufig begleitet von Diarrhoen und Bronchospasmen, sowie Teleangiektasien an Gesicht und Nacken finden sich bei Serotonin-produzierenden (neuroendokrinen) Karzinoidtumoren. Weitere Ursachen der Flush-Reaktion sind: Mastozytosen mit Befall innerer Organe (Ausschüttung gefäßerweiternder Prostaglandine, Histamin). Bei Begrenzung der Flushsymptomatik auf das Gesicht, zusammen mit Rötung oder Zyanose der Handflächen, muss an ein Phäochromozytom oder eine Hyperthyreose gedacht werden. Nicht selten sind Flush-Reaktionen auch durch Alkohol, Medikamente oder die Menopause verursacht. Uhrglasnägel und Trommelschlegelfinger. Diese
schmerzlosen Auftreibungen der distalen Phalangen an Fingern und Zehen und rundliche Form der Nägel sind seit der Antike als Begleitphänomen kongenitaler Herzund Lungenerkrankungen mit chronischer Hypoxie bekannt. Sie werden auch bei chronischen Entzün-
dungen (z. B. Tuberkulose, Colitis ulcerosa, chronische Hepatitis), als Begleitsymptom von Malignomen oder idiopathisch beobachtet. Cholesterin-Embolisierung. Diese tritt bei Patienten mit Atherosklerose, insbesondere nach chirurgischen Eingriffen bzw. Angiographie auf und manifestiert sich als Nekrosen, umschriebene Livedo racemosa, in manchen Fällen als rötliche bis gelblich-braune Blutungen an den Akren oder subungual. Histologisch können Cholesterinkristalle (bzw. charakteristische Hohlräume nach deren Herauslösung durch die histologische Technik) in der Gefäßwand nachgewiesen werden. Warnzeichen für Embolien im Zentralnervensystem! Ikterus. Gestörte Gallensekretion oder Obstruktion der
Gallenwege führt zur diffusen Gelbfärbung der Haut. Weil sich das abgelagerte Bilirubin an die elastischen Fasern bindet, ist die Verfärbung an den Skleren, an der Haut und am weichen Gaumen am deutlichsten. Oft besteht ein quälender Juckreiz, der dem Ikterus vorausgehen kann (zentralnervöse Wirkung der Gallensäuren). Hautzeichen bei Leberzirrhose. Typische Zeichen sind
Aszites, Ikterus, erweiterter oberflächlicher periumbilikaler Venenplexus (Caput medusae) und Gefäßzeichen: Naevi aranei, Palmarerytheme. Weitere Begleitsymptome sind Seborrhoe, Akne-ähnliche Läsionen des Gesichts, flächige Hypopigmentierungen, weibliche Schambehaarung und Gynäkomastie (Erniedrigung des freien Testosterons durch Erhöhung der Plasmakonzentration des SHBG, Erhöhung der Östronproduktion bei reduzierter hepatischer Clearance der Vorstufe Androstendion, Zunahme der Östrogenrezeptoren der Leber), Dupuytren-Kontraktur. Die primär-biliäre Zirrhose (nicht jedoch die sekundär-biliäre oder andere Leberkrankheiten) können eine schmutzig-braune periorbitale Hyperpigmentierung verursachen (Chloasma hepaticum, Masque biliaire). Bei Hämochromatose kommt es zur verstärkten Hyperpigmentierung der UVexponierten Areale und der Schleimhäute. Hepatitis B oder C. Diese sind nicht seltene Ursachen
von Typ-III-Urtikaria und nekrotisierender Vaskulitis. Hepatitis B ist mit Polyarteriitis nodosa assoziiert, Hepatitis C mit Porphyria cutanea tarda, nekrotisierender Vaskulitis, Kryoglobulinämie und (erosivem) Lichen ruber. Pankreatitis und Pankreaskarzinom. Diese führen
durch Freisetzung von Pankreasenzymen zu Fettzellnekrosen, Pannikulitis und zu durch retroperitoneale
273 6.3 · Hautmanifestationen bei Krankheiten innerer Organe und des Nervensystems
Blutungen bedingten Ekchymosen (prognostisch ungünstig: periumbilikal). Malabsorptionssyndrome. Gastrointestinale Resorptionsstörungen können ungeachtet ihrer Ursache zu Mangelzuständen an Vitaminen, Spurenelementen und essenziellen Fettsäuren führen (s. o.). Ein Sonderfall ist die mit der glutensensitiven Enteropathie assoziierte Dermatitis herpetiformis. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind mit Erythema nodosum und Pyoderma gangränosum assoziiert. Niereninsuffizienz. Betroffene Patienten haben ein cha-
rakteristisch fahles, ockergraues Hautkolorit, das besonders in den lichtexponierten Arealen auffällt. Ursache der gelblichen Komponente ist die Retention von Karotin und Urochrom, des Brauntons die Steigerung der Melaninproduktion durch mangelnde Exkretion von MSH über die Niere. Zusätzlich besteht meist Hauttrockenheit (Rarefizierung von Talg- und Schweißdrüsen), erniedrigter Hautturgor und häufig ein Pruritus, dessen Genese nicht geklärt ist. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz können sich »half and half nails« entwickeln – eine rötlich-braune Verfärbung der distalen Nagelanteile. 6.3.2 Hautzeichen bei neurologischen
Krankheiten Zentralnervöse Symptome begleiten nicht wenige System- bzw. Erbkrankheiten mit prominenter Hautbeteiligung – z. B. Antiphospholipid-Syndrom, Lupus erythematosus, Xeroderma pigmentosum, Neurofibromatose u. v. a. m. Umgekehrt sind Hautzeichen nur selten charakteristisch für Krankheiten des ZNS. Beim Parkinsonismus entsteht aufgrund von vegetativen Störungen oft eine Seborrhoe, die zum Salbengesicht, gelegentlich zu akneiformen Läsionen und seborrhoischem Ekzem führt. Dermatologisch bedeutsam sind hingegen Beeinträchtigungen von Sensibilität und Motorik durch Schäden des Rückenmarks bzw. der peripheren Nerven, letztere meist durch diabetische oder alkoholische Polyneuropathien. Störungen der Hautinnervation, insbesondere der Verlust der Schmerzempfindung bzw. auch der sympathischen Innervation, führen zur Entstehung von »trophischen« (neuropathischen) Ulzera, z. B. bei Syringomyelie, Querschnittläsionen, multipler Sklerose, Lepra, beim diabetischen Fuß (7 Kap. 6.2.1) u. a. m., sind aber auch eine Teilursache bei Dekubitalgeschwüren (7 Kap. 11.2). Beim diabetischen Fuß ist zusätzlich die motorische Komponente der Polyneuropathie bedeutsam (7 Kap. 6.2).
6
Neuropathisches Ulkus des Gesichts Ursache ist der Verlust der Schmerzempfindung im Bereich des N. trigeminus; meist iatrogen durch Zerstörung des Ganglion Gasseri zur Behandlung einer Trigeminusneuralgie, seltener beim Wallenberg-Syndrom (Läsion der Medulla oblongata bei Durchblutungsstörungen der A. cerebelli inferior posterior). Es bildet sich ein schmerzloses Ulkus an einem Nasenflügel, das sich langsam ausbreitet, den Knorpel zerstört und typischerweise die Nasenspitze ausspart. Therapie: Infektprophylaxe, plastische Rekonstruktion. Sudeck-Dystrophie-Syndrom (Synonym Morbus Sudeck-Kienböck, »complex regional pain syndrome«) Eine ätiologisch unklare, seltene Erkrankung meist einer Hand (oder eines Fußes), die in der Regel nach (oft nur geringfügigen) Traumen, Operationen oder selten auch spontan auftritt. Sie ist durch Schmerzen, Missempfindungen, entzündliche Schwellung und später Demineralisation, Atrophie aller Gewebsteile, narbige Schrumpfung und Gelenksversteifung charakterisiert. Spontanremission in frühen Stadien möglich. Therapie unbefriedigend (Kortikosteroide, NSAID, Sympathikus-Blockade, physikalische Therapie). Differenzialdiagnose: Erysipel, Atrophia cutis idiopathica. 6.3.3 Hautmanifestationen bei inneren
Neoplasien Bei Neoplasien innerer Organe kann die Haut auf unterschiedliche Art betroffen sein: durch Auftreten von Tumorgewebe (Metastasen, Einwachsen per continuitatem), Dysfunktion innerer Organe mit Auswirkung auf die Haut (z. B. Ikterus, Einflussstauung), Stoffwechselstörungen (z. B. Marasmus), durch Paraneoplasien (s. u.) u. a. Metastasen, Einwachsen per continuitatem Hautmetastasen. Diese treten bei 5–10% von malignen Neoplasien innerer Organe auf, gelegentlich als erstes Symptom. Die höchste Neigung zur Metastasierung in die Haut haben Mamma-, Urogenital-, Bronchus-, gastrointestinale Karzinome und das Melanom. Die Zuordnung von Hautmetastasen bei unbekanntem Primärtumor ist oft schwierig und bedarf histologischer Markermethoden. Grobe Hinweise kann die Lokalisation geben: Metastasen der Bauchwand stammen häufig aus Gastrointestinaltrakt, Niere oder Ovar; solche von Brustwand, Rücken und Skalp aus Bronchus- und Mamma-, solche des Gesichts aus oropha-
274
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
6 . Abb. 6.24. Erysipelas carcinomatosum und lentikuläre Metastasen als Hautsymptome der regionalen Ausbreitung des Mammakarzinoms. Dominanz der lentikulären Metastasen; in der Peripherie unregelmäßige Erytheme (karzinomatöser Lymphbahninfarkt – Erysipelas carcinomatosum)
ryngealen Karzinomen. Das klinische Bild von Metastasen hängt von ihrem Sitz in der Haut ab: Oberflächliche (»lentikuläre«) Metastasen entstehen bei lymphogener Streuung und beginnen in der oberen Dermis. Sie sind millimetergroße, hautfarbene (bei Melanomen bläulich-schwarze), derbe, flach erhabene, symptomlose Papeln, die meist multipel und gruppiert in der Region des Primärtumors auftreten. Sie sind besonders typisch für Mammakarzinome und Melanome (. Abb. 6.24). Bei Fortschreiten konfluieren die Metastasen zu unregelmäßig gebuckelten, plattenartigen Tumormassen, in denen sich auch tiefere Knoten, Ulzera und Sklerosierung (»peau d’orange-Zeichen«) einstellen. Bei Einscheidung z. B. der Thoraxwand spricht man vom »cancer en cuirasse«). Differenzialdiagnose (Frühstadium): Dermale Nävi, Dermatofibrome, Leiomyome. Tiefe Metastasen entstehen durch hämatogene Streuung (oder aus tiefen Lymphgefäßen – »in Transit«Metastasen) in der tiefen Dermis und/oder Subkutis. Sie sind zentimetergroße, meist einzelstehende, derbe, ebenfalls symptomlose Knoten, die tastbar, aber nicht (oder nur als kalottenartige Vorwölbungen) sichtbar sind. Bei Fortschreiten entstehen knotige Massen von oft erheblicher Göße, die einschmelzen und exulzerieren können. Differenzialdiagnose (Frühstadium): Lipome, Epithelzysten u. a. Lymphknotenmetastasen. Diese entsprechen klinisch tiefen Metastasen und sind nur aufgrund ihrer Lokalisation als solche erkennbar.
. Abb. 6.25. Erysipelas carcinomatosum und lentikuläre Metastasen als Hautsymptome der regionalen Ausbreitung des Mammakarzinoms. Dominanz der entzündlichen Veränderungen (Erysipelas carcinomatosum). Nur vereinzelte lentikuläre Metastasen erkennbar
Per continuitatem-Einwachsen von Tumormassen in die Haut. Dazu kann es aus Primärtumoren (Mamma-
karzinom!, seltener Urogenitalkarzinome) kommen, manchmal auch aus Metastasen. Das klinische Bild entspricht dem »cancer en cuirasse« (s. o.). Sonderfälle sind: 4 »Carcinoma erysipelatodes« (Synonym inflammatorisches Karzinom, . Abb. 6.25): dieses findet sich meist beim Mammakarzinom und entsteht durch regionale lymphogene Ausbreitung unter Produktion von proinflammtorischen Mediatoren. Klinisch besteht ein erysipelähnliches Bild: eine plattenartige Rötung und Infiltration der Haut, die sich peripher in flammenartige Ausläufer auflöst. Differenzialdiagnose: Unterscheidungsmerkmale zum Erysipel sind der langsamere Beginn, geringere Entzündung, evtl. Vorhandensein von lentikulären Metastasen und Lymphzystchen. Diagnose: Histologie (typische Anreihung von Tumorzellen – »Indian filing«). 4 »Morbus« Paget mamillae und extramammärer Morbus Paget. Karzinome der Milchdrüsengänge oder apokriner Schweißdrüsen können durch per continuitatem-Vorwachsen zu ekzemartigen Veränderungen der Brustwarze oder der Anal- bzw. Achselhaut führen (7 Kap. 9).
6
275 6.3 · Hautmanifestationen bei Krankheiten innerer Organe und des Nervensystems
! Die Differenzialdiagnose von Erysipel und Carcinoma erysipelatodes kann schwierig sein. Narben nach Mastektomie und chronische Radiodermitis sind klassische Eintrittspforten, Erysipele der Mamma sind häufig und nicht stets hoch entzündlich).
Paraneoplasien Paraneoplasien sind seltene, charakteristische Hautsymptome von Signalcharakter, die als Begleitzeichen innerer Neoplasmen auftreten und synchron mit dem Tumor verlaufen (gemeinsamer Beginn – nicht immer streng, Rückbildung bei erfolgreicher Tumortherapie). Sie sind oft mit bestimmten Neoplasmen verbunden (. Tab. 6.6). Die Assoziation mit Tumoren kann »obligat« oder »fakultativ« sein, ist aber stets einseitig: die meisten inneren Tumoren verlaufen ohne Paraneoplasien. Zahlreiche Hautzeichen (ca. 50) werden als Paraneoplasien geführt, doch sind nur wenige »obligat«. Manche »fakultativen« Paraneoplasien sind vermutlich nur mit höherem Alter, nicht aber mit Tumoren selbst assoziiert, z. B. das bullöse Pemphigoid und eruptive Verrucae seborrhoicae. Die Ursachen liegen in der Produktion von meist undefinierten Wuchsstoffen durch den Tumor. Obligate Paraneoplasien (in >50% mit inneren Tumoren assoziiert) Acanthosis nigricans. Ein fast stets mit internen Neoplasien (Adenokarzinome des Magens!) korreliertes Zeichen (. Abb. 6.26): eine unscharf begrenzte, bräun-
. Abb. 6.26. Akanthosis nigricans bei einer Patientin mit Adenokarzinom des Magens. Diffuse schwärzliche Verfärbung der linken Axille, grob texturierte Haut mit Einlagerung pigmentierter Papeln
lich-schwarze Verfärbung der Intertrigostellen (Axillen, Inguinalregion) mit subjektiv symptomloser Hyperplasie der Hauttextur, bis zu verrukösen Papeln. Später Ausbreitung auf Nacken, Gesicht und Extremitäten-Streckseiten. Begleitend häufig eine Vergröberung der palmaren Papillarleisten (»tripe palms«). Differenzialdiagnose: Die viel häufigere »Pseudo-Acanthosis nigricans« (7 Kap. 6.2). Hypertrichosis lanuginosa. Exzessives Wachstum weicher, heller Lanugohaare zunächst im Gesicht, später am gesamten Körper. Gelegentlich von schmerzhafter
. Tab. 6.6. Tumorassoziationen von Paraneoplasien Lunge
Brust
Acanthosis nigricans
(X)
(X)
Thrombophlebitis migrans
X
Hypertrichosis lanuginosa
X
Erythema gyratum repens
X
Ovarien
Urogenital
Gastrointestinal
Pankreas
Leukämie/ Lymphom
Obligat X X
X
X
X
X
X
X
Paraneoplastischer Pemphigus
X
Migratorisches nekrolytisches Erythem Karzinoid-Syndrom
X (X)
(X)
X
Fakultativ Pseudoichthyose Paraneoplastische Akrokeratose Bazex
X X
Multizentrische Retikulohistiozytose
X X
X
Pruritus sine materia Dermatomyositis
X X
X
X
X
276
Kapitel 6 · Hautmanifestationen bei Störungen des Gesamtorganismus
Glossitis begleitet. Differenzialdiagose: hereditäre Hypertrichosis lanuginosa. Erythema gyratum repens. Ein gyriertes Erythem (7 Kap. 3.2), das durch besonders bizarre, konzentrischpolyzyklische, rasch wandernde Ringe ausgezeichnet ist (»Holzmaserung-artig«).
»Pseudoichthyose«. Ichthyosis vulgaris-artige Veränderungen können alle internen Krankheiten begleiten, die mit Marasmus einhergehen. Besonders häufig assoziiert mit Morbus Hodgkin. Pruritus. 7 Kap. 11.2. Akrokeratosis (Bazex). Akral betonte Erytheme mit
Paraneoplastischer Pemphigus. (7 Kap. 7.1).
Schuppung und Rhagaden (Fingerbeeren, selten auch Gesicht, Extremitäten, Rumpf), Onychodystrophie.
Thrombophlebitis migrans (Trousseau-Syndrom).
6
Rezidivierende, »wandernde« oberflächliche und tiefe Thrombophlebitiden (häufig nicht der unteren Extremitäten!); außer den in . Tab. 6.6 genannten Karzinomen auch mit dem Mesotheliom assoziiert. Ursache: Produktion prokoagulanter Faktoren durch den Tumor. Glukagonom-Syndrom (Synonym Migratorisches Nekrolytisches Erythem)
Eine Paraneoplasie, die mit Glukagon produzierenden, meist malignen neuroendokrinen Pankreastumoren assoziiert ist. Symptomatik. Ein aus multiplen anulären, sich lang-
sam peripher ausdehnenden, polyzyklischen Herden mit peripheren Bläschen, Schuppung und Krusten aufgebautes Exanthem. Prädilektion: Perioral- und Perigenitalgegend, Beugen und Finger. Zusätzliche Symptome: atrophe Glossitis, Alopezie, Diarrhoen, Gewichtsverlust, Malabsorption, Marasmus, Anämie, psychiatrische Symptome. Histologie: Einzelzellnekrosen im oberen Str. spinosum.
Andere fakultative Paraneoplasien. Die Multizent-
rische Retikulohistiozytose (7 Kap. 9.13) ist nicht selten mit inneren Neoplasien, das Sweet-Syndrom (7 Kap. 5.4) mit myeloischer Leukämie oder myelodysplastischem Syndrom assoziiert, das Flush-Symptom mit dem Karzinoid-Syndrom und Erythrodermien mit Lymphomen und Leukämien. Hautmanifestationen bei Monoklonaler Gammopathie 3Monoklonale Gammopathie (MG) bezeichnet das Vorhandensein eines monoklonalen Immunglobulins im Serum (M-Gradient), beruhend auf einer monoklonalen Plasmazellvermehrung. MG ist zu Beginn ein Laborphänomen ohne andere Zeichen eines Myeloms (MG of unknown significance, MGUS), bleibt durch Jahre konstant, kann sich jedoch langsam (ca 1%/ Jahr) in ein Myelom oder verwandte Neoplasien fortentwickeln (Makroglobulinämie Waldenström, B-Zell-Lymphome u. a.). MGUS ist nicht selten, die Prävalenz steigt mit dem Alter an (2– 3% bei >50 Jahren). Ungünstige Prognoseparameter sind u. a. ein hoher initialer Gewichtsanteil der Paraproteine (>1,5 g/dl) sowie M-Gradienten der Klassen IgA und IgM. Kryoglobuline sind eine Spezialform, die durch Ausfällung bei niedrigen Temperaturen gekennzeichnet sind.
Diagnostik. Labor: Blutzuckererhöhung, verminderte
Glukosetoleranz, Erhöhung der Spiegel von Glukagon, Chromogranin A und neuronspezifischer Enolase, Erniedrigung von Zink. Endoskopischer Ultraschall, Feinnadelbiopsie. Differenzialdiagnose. Zinkmangel, andere alimentä-
ren Defizienzen und gastrointestinale Krankheiten (Leberzirrhose, Pankreatitis, Durchfallerkrankungen). Therapie. Operativ, Somatostatinanaloga. Bei 60% der Patienten sind bei Diagnosestellung schon (Leber)Metastasen vorhanden. 5-Jahres-Überlebensrate ca. 50%.
Fakultative Paraneoplasien (in <50% mit internen Tumoren korreliert) Dermatomyositis (7 Kap. 7.2). Die adulte Form ist in 10–30% mit internen Neoplasien assoziiert.
MG können mit zahlreichen und sehr verschiedenen Hautmanifestationen assoziiert sein. Bei manchen ist die Assoziation locker und die Rolle der MG nicht ganz klar: Pruritus, Pyoderma gangränosum, Erythema elevatum et diutinum, Xanthome, Skleroedema adultorum Buschke, Skleromyxödem u. a. Bei anderen ist die Assoziation stark und plausibel: Raynaud-Syndrom bis zu akralen Nekrosen bei Makro- und Kryoglobulinämie, Immunkomplex-Vaskulitis, Viskositäts- und Koagulationsstörungen bei Makroglobulinämie (Livedo reticularis, Hämorrhagien) sowie Amyloidose L. Schnitzler-Syndrom. Eine seltene IgM-MG, die durch
Urtikaria, Angioödeme, Knochenschmerzen und Hepatosplenomegalie charakterisiert ist. In ca 20% Übergang in Lymphome. POEMS-Syndrom. Ein seltene (wahrscheinlich unterdiagnostizierte) IgA- oder IgG-MG, die auf einem osteo-
277 6.3 · Hautmanifestationen bei Krankheiten innerer Organe und des Nervensystems
sklerotischen Myelom, MGUS oder einem Morbus Castleman (multizentrische, HHV-8-assoziierte angiofollikuläre Lymphknotenhyperplasie) beruht. Hauptsymptome sind Polyneuropathie, Organomegalie (Leber, Milz, Lymphknoten), Endokrinopathie (Östrogenerhöhung, Hypothyreose u. a.), MG und Hautveränderungen (Skin), zusätzlich kardiovaskuläre (Thrombosen), pulmonale (Hypertension) und renale
6
Funktionseinschränkungen. Die Haut ist in zwei Drittel der Fälle beteiligt: Ödeme, diffuse Hyperpigmentierungen, »glomeruloide« Angiome (7 Kap. 9.7), Hypertrichose, Pseudosklerodermie, Akrozyanose, Teleangiektasien. Hautbeteiligung hat keine prognostische Bedeutung. Die Prognose wird von der Polyneuropathie bestimmt, die nach Jahren in Bettlägerigkeit und bronchopulmonale Komplikationen mündet.
7 7 Autoimmunkrankheiten der Haut 7.1
Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen – 279
7.1.1 Pemphigusgruppe – 282 7.1.2 Pemphigoidgruppe – 286 7.1.3 Bullöse Autoimmundermatosen mit Spaltbildung unterhalb der Lamina densa – 289
7.2
Kollagenosen
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.6 7.2.7
Lupus erythematodes – 294 Dermatomyositis – 304 Sjögren-Syndrom – 306 Sklerodermie – 307 »Mixed connective tissue disease« (MCTD, Sharp-Syndrom) – 312 Sklerodermieähnliche Krankheiten: Pseudosklerodermien – 313 Hautveränderungen bei weiteren Kollagenosen – 314
– 292
7.3
Purpura, Thrombosen
7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5
Hautblutungen (Purpura) – 316 Hautblutungen bei Gerinnungsstörungen – 316 Hautblutungen durch Wandschäden – 318 Thrombosen – 319 Erbliche und erworbene Thrombophilien – 320
7.4
Vaskulitis
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4
Lymphozytäre Vaskulitis – 323 Nekrotisierende Vaskulitis – 324 Riesenzellarteriitis – 331 Livedosyndrome – 332
7.5
Morbus Behçet
– 315
– 322
– 335
279 7.1 · Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen
Autoimmunreaktionen spielen bei vielen Krankheiten des Hautorgans wichtige Rollen (. Tab. 7.1): die Haut ist bevorzugte Zielstruktur mancher systemischer Autoimmunkrankheiten, kann im Rahmen organspezifischer Autoimmunkrankheiten anderer Organe miterkranken und ist auch Träger eigener organspezifischer Autoimmunkrankheiten. Die schwerwiegendsten unter den letzteren sind die bullösen Autoimmundermatosen. Darüber hinaus sind Autoimmunmechanismen vermutlich auch an manchen »klassischen« Dermatosen mitbeteiligt. 7.1
Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen
Eine Gruppe schwerer, z. T. lebensbedrohlicher organspezifischer Autoimmunkrankheiten, deren gemeinsame pathologische Basis die Schädigung von Adhäsions- bzw. Strukturmolekülen der Epidermis oder der dermoepidermalen Junktionszone durch pathogene Autoantikörper ist. Die Schädigung erfolgt entweder direkt oder über Entzündungsmechanismen und führt zu mechanischen Schwachstellen, Spaltbildung sowie – durch Einfließen von Gewebsflüssigkeit – zu Blasen, die das klinische Kardinalsymptom dieser Krankheitsgruppe sind. Gemeinsame Charakteristika der bullösen Autoimmundermatosen Grundlagen. Sie werden durch Autoantikörper gegen spezifische Antigene der Haut verursacht, ihre Symptome sind daher zunächst auf die Haut und hautnahen Schleimhäute beschränkt. System- oder Organzeichen kommen erst sekundär durch Infektion, erschwerte Nahrungsaufnahme, Kachexie u. a. m. hinzu. Krankheiten innerer Organe sind nur bei einzelnen Krankheitsbildern assoziiert. Die bullösen Autoimmunder-
7
matosen sind meist von sehr chronischem Verlauf. Manche sind unbehandelt progredient bis zum tödlichen Ausgang, andere sind im Prinzip selbstlimitiert, können aber bei geschwächten Individuen zum Tod an Komplikationen führen. Manche bedingen durch chronische Ulzera und Vernarbung schwere Belastungen und Funktionsdefizite. Die wichtigste Säule der Therapie sind auch heute noch systemische Kortikosteroide, die häufig mit anderen Immunsuppressiva kombiniert werden müssen. Das Ansprechen der einzelnen Krankheitsbilder ist verschieden gut – bei manchen ist permanente Ausheilung erzielbar, insbesondere bei frühzeitigem Therapiebeginn. Klassifikation. Die bullösen Autoimmundermatosen werden nach den betroffenen Zielstrukturen eingeteilt (. Tab. 7.2, . Abb. 7.1a, b). Man unterscheidet 3 Hauptgruppen: 4 solche mit Schädigung der intraepidermalen Kohärenz (Leitsymptom: Akantholyse – Pemphigusgruppe) 4 solche mit Schädigung der dermoepidermalen Adhärenz (Leitsymptom: Abhebung der Epidermis in der dermoepidermalen Junktionszone – Pemphigoidgruppe) 4 solche mit Spaltbildung in der sublaminären Dermis (z. B. Epidermolysis bullosa acquisita) Ätiologie und Pathogenese. Die pathogenen Autoantikörper sind hochaffine IgG (seltener IgA)-Immunglobuline. Die Gründe ihrer Entstehung sind unklar; diskutiert werden molekulares Mimikry (bakterielle oder virale Infektionen), Freisetzung der natürlichen Antigene durch Traumen oder verwandter Antigene durch Tumoren, autoreaktive Lymphomzellklone sowie polyklonale Stimulierung durch z. B. EBV-Infektion. B-Zell-Aktivierung und Autoantikörperproduktion
. Tab. 7.1. Krankheiten der Haut, an denen Autoimmunmechanismen beteiligt sind (Auswahl) Systemische Autoimmunkrankheiten mit Beteiligung der Haut
»Kollagenosen« (LE, Dermatomyositis, Sklerodermie, Sjögren-Syndrom u. a.) Systemvaskulitiden (Morbus Wegener, Churg-Strauss-Granulomatose, Arteriitis temporalis u. a.)
Organspezifische Autoimmunkrankheiten der Haut
Blasenbildende Autoimmundermatosen (Pempigusgruppe, Pemphigoidgruppe u. a.) Vitiligo Alopecia areata Autoimmun-Urtikaria
Organspezifische Autoimmunkrankheiten anderer Organe mit Beteiligung der Haut
Hautzeichen bei Diabetes mellitus Typ 1, Autoimmunthyreoiditis, Morbus Addison u. a.
Dermatosen mit Autoimmunkomponente
Psoriasis, Lichen ruber, manche Ekzeme und Photodermatosen u. a.
280
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
7
a
b . Abb. 7.1a, b. a Strukturproteine eines Desmosoms, schematische Darstellung. K5: Keratin 5; K14: Keratin 14; K1: Keratin 1; K10: Keratin 10; b Strukturproteine der dermoepidermalen Junktionszone, mit Relevanz für hereditäre und akquirierte
bullöse Dermatosen. BP Ag1: 230 kD Bullöses PemphigoidAntigen 1 = BP 230; BP Ag2: 180 kD Bullöses Pemphigoid-Antigen 2 = BP 180 = Kollagen XVII
281 7.1 · Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen
7
. Tab. 7.2. Zielantigene der bullösen Autoimmundermatosen Intraepidermale Spaltbildung
Zielstruktur
Pemphigus vulgaris (inkl. P. vegetans und P. herpetiformis)
Desmoglein 3; Desmoglein 1, Desmocolline
Pemphigus foliaceus (inkl. P. seborrhoicus, P. erythematosus und P. brasiliensis)
Desmoglein 1; Periplakin, Envoplakin
Medikamenteninduzierter Pemphigus
Desmoglein 1, Desmoglein 3
Paraneoplastischer Pemphigus
Desmoglein 3, Desmoglein 1; Desmoplakin I, II; Periplakin, Envoplakin; Plectin, BP 230, 170 kD-Protein
IgA-Pemphigus
Desmocollin 1
Junktionale Spaltbildung
Zielstruktur
Bullöses Pemphigoid
BP 180, BP 230
Vernarbendes Pemphigoid
BP 180, Laminin 5, α6β4-Integrin
Pemphigoid gestationis
BP 180, BP 230
Lineäre IgA-Dermatose
BP 180
Dermolytische Spaltbildung
Zielstruktur
Epidermolysis bullosa acquisita
Typ-VII-Kollagen
Bullöser SLE
Typ-VII-Kollagen
Dermatitis herpetiformis
Gewebstransglutaminase, Gluten, Endomysium
sind wahrscheinlich T-Zell-abhängig. So wurden beim bullösen Pemphigoid und beim Pemphigoid gestationis autoreaktive T-Helfer-Zellen nachgewiesen. Die pathogene Wirksamkeit der Autoantikörper lässt sich aus klinischen Beobachtungen ableiten (z. B. an der meist guten Korrelation von Autoantikörpertitern und Krankheitsaktivität oder an der Wirksamkeit der Plasmapherese) und wurde für manche Entitäten experimentell nachgewiesen. Die Mechanismen der Schädigung der Zielstrukturen sind verschieden. Akantholyse entsteht durch Bindung und direkte Einwirkung der Autoantikörper ohne (wesentliche) Beteiligung von Komplement und Entzündungszellen. Schädigungen im Bereich der Junktionszone nach Bindung der Autoantikörper laufen hingegen über Komplementaktivierung und Chemotaxis neutrophiler und eosinophiler Leukozyten ab, deren Proteasen die Zielstrukturen schädigen. Diagnostik. Neben Klinik und Histologie ist die di-
rekte Immunfluoreszenz (DIF) die ausschlaggebende diagnostische Routinemethode (7 Kap. 2.3.3). Mit dieser werden, an Kryostatschnitten periläsionaler oder klinisch unbefallener Haut, in vivo gebundene Autoantikörper nachgewiesen. Deren Art (IgG, IgA und Komplementfaktoren) und Lokalisation (im epidermalen Interzellularraum: ICS; linear bandförmig in der
Basalmembranzone: BMZ; oder granulär in den Papillenspitzen) ergeben in der Regel die Diagnose. Allerdings kann die DIF beim linearen Muster an der Basalmembranzone nicht unterscheiden, ob die Spaltbildung oberhalb (Pemphigoidgruppe) oder unterhalb der Basallamina verläuft (z. B. Epidermolysis bullosa acquisita) – eine klinisch wichtige Unterscheidung, für die weiterführende Tests zur Verfügung stehen. 3Antigen-Mapping: die färberische Darstellung der Basallamina mit Anti-Kollagen-Typ-IV-Antikörpern erlaubt die Lagebestimmung einer in vivo erfolgten Spaltbildung. Antikörper-Mapping (Salztrennmethode). Ist in vivo keine Spaltbildung erfolgt, kann durch 24- bis 48-stündige Inkubation der Hautbiopsie in 1 M NaCl-Lösung (4oC) ein artefizieller Spalt in der Lamina lucida erzeugt werden, der in der DIF die Lage der Basallamina bestimmt – nämlich an der dermalen Seite des Spalts. Sind die Immunreaktanzien an der epidermalen Seite des NaCl-Spalts gebunden, bedeutet dies oberhalb der Basallamina; an der dermalen Seite bedeutet unterhalb der Basallamina. Dasselbe Prinzip kann für die indirekte Immunfluoreszenz modifiziert werden (Kochsalz-separierte Normal-Haut, mit Patientenserum inkubiert). Eine genauere, aber auch aufwendigere Zuordnung kann mithilfe der (Immun)Elektronenmikroskopie erfolgen.
Zirkulierende Autoantikörper werden mit der indirekten Immunfluoreszenz (IIF) nachgewiesen (Kryostatschnitte normaler menschlicher Haut bzw. käuflich erhältlicher Schnitte von Affenösophagus; die In-vitro-
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Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Bindung ergibt wieder ICS- oder lineare BMZ-Muster). Da zirkulierende Autoantikörper nicht bei allen bullösen Autoimmundermatosen regelmäßig vorhanden sind, ist die Aussagekraft negativer Befunde limitiert. Der Titer korreliert oft gut mit der Krankheitsaktivität (insbesondere bei Pemphigus) und gilt daher als deren grobes Maß zu Verlaufskontrollen. Die biochemische Bestimmung der Antigene, gegen die die Autoantikörper gerichtet sind, erfolgt durch Immunoblot oder Immunpräzipitation; beide beruhen auf der elektrophoretischen Auftrennung epidermaler Proteinextrakte und Reaktion mit Patienten-Antikörpern. Dieser exakte Nachweis ist nicht für Routinezwecke erforderlich, wohl aber für eine unzweifelhafte Diagnose.
7
7.1.1 Pemphigusgruppe Eine Gruppe von bullösen Autoimmundermatosen, die durch intraepidermale Blasenbildung durch Akantholyse charakterisiert sind. Sie werden durch zirkulierende Autoantikörper gegen desmosomale Strukturproteine (Cadherine) verursacht; Hauptsitz der Schädigung ist das Desmosom. Die Vertreter der Pemphigusgruppe verlaufen verschieden schwer, führen unbehandelt jedoch alle potenziell zum Tod. Mehrere Untergruppen des Pemphigus (P) werden unterschieden: 4 eine mit Spaltbildung (d. h. Maximum der Akantholyse) in suprabasaler Lage (P. vulgaris und Varianten) 4 eine andere mit subkornealer Spaltbildung (P. foliaceus und Varianten) 4 der medikamenteninduzierte Pemphigus 4 der paraneoplastische Pemphigus 4 der IgA-Pemphigus ! Die Höhe der Spaltbildung hängt davon ab, welches Autoantigen immundominant wirkt, da die Autoantigene bei P. differenzierungsbedingt in Haut und Schleimhaut unterschiedlich (nahezu reziprok) exprimiert werden (»Kompensationstheorie«): Desmoglein 3 ist z. B. an der Haut vorwiegend basal und suprabasal, an der nichtverhornenden Schleimhaut jedoch in allen Lagen vorhanden; Desmoglein 1 findet sich an der Haut vorwiegend subkorneal, an der Schleimhaut hingegen nur wenig. Daher sind Schleimhautläsionen bei P. vulgaris stark ausgeprägt, fehlen aber bei P. foliaceus.
Pemphigus vulgaris (PV) Definition. Eine schwere Pemphigusform, die durch suprabasale Akantholyse gekennzeichnet ist.
Epidemiologie. PV ist in den meisten Ländern der häufigste Vertreter der Pemphigusgruppe; seine Inzidenz beträgt 0,1–0,5/100 000/Jahr. Es besteht keine Geschlechts-, wohl aber eine Prädilektion bestimmter Ethnien (mediterrane Völker). Manifestationsalter: 4.–6. Dekade, selten bei Kindern. Assoziation mit bestimmten HLA-II-Allelen. Ätiologie und Pathogenese. PV wird durch IgG4Autoantikörper gegen das 130 kD-Desmoglein 3, ein transmembranöses Cadherin der Desmosomen (7 Kap. 2.1.1, . Abb. 7.1a), vermittelt. Bei Hautläsionen finden sich oft auch Autoantikörper gegen das 160 kDDesmoglein 1, gelegentlich auch gegen Desmocolline (»epitope spreading«, s. u.). Die Autoantikörper binden an die Zelloberfläche der Keratinozyten und führen direkt zur Akantholyse. Wie dies geschieht, ist nicht ganz klar; diskutiert werden die Aktivierung epidermaler Proteasen (Plasminogenaktivator); sterische Blockierung beim Aufbau bzw. Turnover der Desmosomen; Konformitätsänderungen von Antigenen (z. B. gestörte Aggregation von Plakoglobin). 3Die »direkte« Auslösung der Akantholyse wurde mit gereinigten Immunglobulinfraktionen von Patienten mit PV in Organkulturen der Haut nachgewiesen. Tiermodelle: intraperitoneale Verabreichung von Patientenseren in neugeborenen Mäusen führt bei PV und anderen Pemphigusformen zu akantholytischer Blasenbildung. »Epitope spreading«: bei längerem Bestand können sich Autoimmunreaktionen vom ursprünglichen Zielantigen (meist extrazelluläre immundominante Domänen eines Strukturproteins) auf zusätzliche (oft intrazelluläre) Domänen am selben oder an anderen Strukturproteinen ausweiten. Bei PV werden z. B. Autoantikörper nicht nur gegen Desmoglein-3, sondern auch -1 und andere Epitope gebildet, was erhöhte Therapieresistenz und schlechtere Prognose bedingt.
Symptomatik. PV beginnt in der Regel langsam und
einschleichend. Die Läsionen treten zuerst meist in nur einer Region auf und bleiben oft lange auf diese beschränkt (. Abb. 7.2): in bis zu 70% die Mundschleimhaut, seltener genitoanal, Intertrigostellen, Kapillitium oder präexistente Dermatosen (z. B. chronische Ekzeme). Nach bis zu einem Jahr schwelenden Verlaufs kommt es zur Generalisation. »Primärläsion« des PV ist ein Kohärenzverlust der scheinbar unveränderten Epidermis, der bewirkt, dass diese durch milde Reibetraumen (z. B. den untersuchenden Finger) »wie die Haut eines reifen Pfirsichs« tangenzial abgeschoben werden kann (Nikolski-Zeichen, . Abb. 2.20). Die Epidermis reißt dabei ein und legt eine nässende Erosion frei, der die zusammengeschobenen Epidermisfetzen fein gefältelt »wie nasses Seidenpapier« aufliegen.
283 7.1 · Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen
. Abb. 7.2. Pemphigus vulgaris, disseminierte Erosionen. Beachte randständige Blasenreste
! Das Nikolski-Zeichen ist für Pemphigus typisch, aber nicht diagnostisch (7 Kap. 2.3.2).
Blasen prägen das klinische Bild meist nicht; sie treten erst bei Generalisation in größerer Zahl auf, sind schlaff und nichtentzündlich, mit klarer (später eingetrübter) Flüssigkeit gefüllt und platzen schnell. Die dominierende Morphe sind Erosionen, die konfluieren und bei voller Entwicklung sehr ausgedehnt werden. Prädilektionsstellen: Gesicht, Kapillitium und die mechanisch belasteten Stellen (Intertrigines, Schultern, sakral, Akren). Sie sind hellrot, nässend, schmerzhaft, bluten leicht und tragen am Rand halskrausenartig zusammengeschobene Epidermisfetzen; sie verkrusten hämorrhagisch, vereitern bald und werden von entzündlichen Höfen umgeben. Partielle Reepithelisierung wird von Rezidiven gefolgt. Das Auftreten von Blasen wird durch UV-Bestrahlung, Narben oder andere Reize begünstigt (Köbner-Phänomen). Die Abheilung ist auch unter Therapie schleppend (Wochen) und erfolgt mit postinflammatorischer Hyperpigmentierung, aber ohne Narben. C A V E
Weghängende Epidermisfetzen dürfen nur getrimmt, aber nicht abgezogen werden (Gefahr des »Kein-Ende-Findens«). Verbände dürfen nicht mit Klebestreifen fixiert werden, da beim Abnehmen die Epidermis »mitgeht«.
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Schleimhautbefall. Die Mundschleimhaut ist frühzeitig, regelmäßig (fast bei 100% im Krankheitsverlauf), meist ausgedehnt und intensiv befallen. Blasen bleiben nur kurzzeitig intakt, die entstehenden Erosionen sind sehr schmerzhaft und erschweren Essen, Schlucken und Sprechen. Reflektorische Sialorrhoe, blutiger Speichel, sekundäre Folgen: Karies, Paradontitis. Pharynx und Larynx (Heiserkeit!) können betroffen sein, seltener die Nasenschleimhaut (blutiger Schnupfen). Weitere typische Lokalisationen sind die anogenitalen Haut-Schleimhautübergänge (Vulva! – Dyspareunie) inkl. Urethra und Zervix sowie die Konjunktiven (erosive Konjunktivitis; Gefahr des Ulcus corneae!). Allgemeinsymptome sind von Komplikationen wie Superinfektion bis Sepsis, Flüssigkeits-, Elektrolytund Proteinverlust und Marasmus abhängig. Assoziationen mit inneren Krankheiten (SLE, Myasthenia gravis, Lymphome) sind Ausnahmen. In der Schwangerschaft können die Autoantikörper diaplazentar in die Frucht übertreten und in deren Epidermis binden. Die Totgeburtenrate ist erhöht (15–30%). Die Hauterscheinungen des Neugeborenen sind in der Regel milde und heilen spontan innerhalb mehrerer Wochen ab. Differenzialdiagnose (Auswahl). Andere bullöse Autoimmundermatosen, Erythema multiforme, Pyodermien, Kontaktstomatitis, chronisch-rezidivierende Aphthen, Gingivostomatitis herpetica, Erythema multiforme, erosiver Lichen ruber u.a. Diagnostik. Histologie (. Abb. 2.21c). Akantholyse
und horizontale Spaltbildung in den suprabasalen Zellschichten der Epidermis; im Blasenlumen akantholytische Zellen. Die Basalzellen bleiben an der BMZ fest verankert und stehen »wie die Zinken eines Kamms« in das Blasenlumen vor (»tombstone-pattern«). Entzündliche Infiltrate erst bei voller Entwicklung der Blase. In älteren Läsionen Akanthose und Papillomatose. Exfoliative Zytologie (Tzanck-Test). Für diesen Schnell-
test werden vom Grund frischer Blasen mit einer Meißelsonde Ausstrichpräparate angefertigt – bei PV finden sich akantholytische Zellen. Immunfluoreszenz. Die DIF zeigt homogene Nieder-
schläge von IgG, C3, gelegentlich IgM und IgA (»IgAPemphigus«) im Interzellularraum der gesamten Epidermis (ICS-Muster . Abb. 7.3). Zirkulierende ICS-Antikörper werden in 80–90% nachgewiesen (IIF). Die Höhe des Titers korreliert oft (nicht immer) mit der Krankheitsaktivität. Falsch positive ICS-Antikörper können bei Verbrennungen, TEN, Streptokokken-
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Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
initiale i. v.-Bolustherapie. Anschließend erfolgt der »logarithmische« Abbau (immer langsamere Reduktion der Dosis), bis die Erhaltungsdosis erreicht ist (minimale Dosis bei völliger Unterdrückung des PV – bei Begleittherapie mit Immunsuppressiva oft Null). Beim Abbau Umstellung auf »alternate day therapy«. ! Eine adäquat hohe Anfangsdosis erlaubt den schnelleren Abbau und senkt die kumulative Kortikosteroiddosis.
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. Abb. 7.3. Pemphigus vulgaris (Mundschleimhaut). Direkte Immunfluoreszenz. Darstellung von in vivo an desmosomalen Proteinen gebundenen IgG-Antikörpern mit FITC-AntiIgG. Netzartiges Aufleuchten des Interzellularraums (»ICS-Muster«)
infekten und bestimmten Blutgruppenantikörpern auftreten. Verlauf, Prognose und Therapie. PV tritt meist ohne erkennbaren auslösenden Faktor auf (Ausnahme: UV-Exposition). Vor der Kortikosteroidära war der PV eine schubweise progrediente Krankheit, die nach wechselhaftem Verlauf fast stets innerhalb eines oder weniger Jahre zum Tod durch Sepsis und/oder Katabolismus führte. Mit den Kortikosteroiden stieg die Überlebenszeit, die Prognose blieb jedoch ungünstig (Kortikosteroidnebenwirkungen). Erst seit Einführung der Kortikosteroid-Immunsuppressiva-Kombination können 80–90% ausgeheilt oder zumindest langfristig weitgehend erscheinungsfrei gehalten werden. Niedrig-titrige ICS-Antikörpertiter bleiben oft längere Zeit nachweisbar, auch ohne klinische Aktivität. ! Prognostisch wichtig ist der möglichst frühzeitige Beginn der Behandlung, da das Ansprechen schlechter wird, je länger der PV bestanden hat (z. B. exanthematischer PV schlechter als lokalisierter). Dies kann eine Folge des epitope-spreading sein (s. o.)
Die Grundsäulen der Therapie sind systemische Kortikosteroide, kombiniert mit begleitenden Immunsuppressiva, pflegerische Lokaltherapie (lokale Kortikosteroide sind kaum wirksam!) und Zusatzmaßnahmen (z. B. Antibiotika). Die Kortikosteroide wirken durch Unterdrückung der Antikörperproduktion. Sie müssen mit hohen Anfangsdosen eingeleitet (1–2 mg/kg/KG Methylprednisolon p. o.) und bis zur beginnenden Abheilung der Läsionen weitergegeben werden (in der Regel ca. 3 Wochen); bei besonders schwerem Verlauf
Die begleitende Immunsuppressiva-Therapie erlaubt es, Kortikosteroide einzusparen. Standard-Präparate sind Azathioprin (2–3 mg/kgKG; gut wirksam, nebenwirkungsarm) und Mycophenolat-Mofetil (2-mal 1,0 mg/Tag). Zusätzliche Optionen. Bei mangelndem Ansprechen kann der sonst langlebige Autoantikörperspiegel durch Plasmapherese oder Immunadsorption (bei gleichzeitiger immunsuppressiver Therapie – Cave: Reboundphänomen!) reduziert werden. Ähnlich wirken i. v.Immunglobuline (hochdosiert: 2 g/kg KG). Das Biologicum Rituximab (ein anti-CD20-monoklonaler Antikörper) eliminiert die pathogenen B-Zellen (nicht aber die lymphoiden Stammzellen) und ist eine viel versprechende Alternative bei kompliziertem PV. Lokaltherapie. Verhinderung der Austrocknung, der
Superinfektion und des Anklebens an Verbandmaterial (Metallfolien als Unterlage!). Pemphigus herpetiformis
Eine seltene Verlaufsform des PV mit suprabasaler Akantholyse, die durch gruppierte Bläschen gekennzeichnet ist und deshalb klinisch der Dermatitis herpetiformis (s. u.) ähnelt. Pemphigus vegetans Definition. Eine seltene (<5%) Variante des PV, die
durch chronischeren Verlauf, stärkere Neigung zur Spontanremission, weniger ausgedehnte Hautherde mit hypertroph-vegetierendem Charakter und bessere Prognose gekennzeichnet ist. Symptomatik. Denudierte und verkrustete Areale wie
bei PV, jedoch von pustulierend-hypertroph-papillomatotischem, später auch verrukösem Charakter. Prädilektionsstellen: Mundschleimhaut, Lippen und Intertrigostellen, seltener die Körperhaut (. Abb. 7.4a, b). Histologisch finden sich exzessive Akanthose und Papillomatose (Ausdruck frustraner Wundheilung in den chronischen Erosionen), Akantholyse, neutrophile Infiltrate mit Eosinophilen, oft intraepidermale Pusteln.
285 7.1 · Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen
7
erythrodermatische, konfluierte Erytheme und krustös-schuppige Erosionen. Die Schleimhäute sind meist frei, Abheilung mit Hyperpigmentation. Subjektiv schwerer Juckreiz, Brennen. Aggravierender Faktor: Sonnenbestrahlung. Komplikationen: Pyodermien, Katabolismus. Ätiologie und Pathogenese. Autoantikörper gegen
Desmoglein 1. Diagnostik. Histologie. Subkorneale Akantholyse.
DIF wie bei PV, Betonung des subkornealen Bereichs. a
Therapie und Prognose. Wie bei PV; eine begleitende Immunsuppression ist meist nicht nötig (geringere Kortikosteroiddosen ausreichend). Unbehandelt beträgt die Mortalität 40–50%. Brasilianischer Pemphigus (Synonym Fogo selvagem). Eine in Brasilien endemische (mehr als 15.000 Fälle registriert!), klinisch idente Verlaufsform des PF, die vermutlich in genetisch prädisponierten Personen (auch Weißen!) auftritt und durch einen noch unbekannten Erreger ausgelöst wird (Übertragung durch die »Black Fly« – Simulium pruinosum). b . Abb. 7.4a, b. Pemphigus vegetans. a Hypertroph vegetierende Erosionen, b ausgedehnte Erosionen der Zunge und Lippen
Diagnostik und Therapie. Wie bei PV; meist gutes An-
sprechen.
Pemphigus seborrhoicus. Eine seltene, milde und auf die seborrhoischen Areale lokalisierte Form des PF. Es finden sich teils konfluierende, nummuläre Herde ausschließlich an den seborrhoischen Arealen (Gesicht, Kapillitium, zentrale Brust- und Rückenpartien). Die Herde sind erythematös, mit eher trockenen, fest haftenden Schuppenkrusten (. Abb. 7.5). Mundschleimhaut stets frei. Diagnostik und Therapie: Wie bei PF.
Pemphigus foliaceus (PF) Definition. Eine schwere Pemphigusform mit subkornealer Akantholyse. Man unterscheidet den sporadischen PF und den in Südamerika endemischen P. braziliensis. Weniger ausgedehnte chronische Verlaufsformen des PF sind der P. seborrhoicus und der P. erythematosus. Epidemiologie. Der sporadische PF kommt weltweit
und ohne Bevorzugung bestimmter Ethnien vor. In Mitteleuropa ist er seltener als PV. Manifestationsalter: mittleres Erwachsenenalter. Symptomatik. PF beginnt mit impetigoähnlichen Ero-
sionen und Krusten im Gesicht-Halsbereich, die sich im Lauf von Wochen auf die »seborrhoischen Areale« und weiter distal ausbreiten. Wegen der oberflächlichen Lage der Spaltbildung (dünne Blasendecke) sind intakte Blasen kaum zu finden. Im Vollbild ausgedehnte, fast
. Abb. 7.5. Pemphigus seborrhoicus: erosiv-erythematössquamöse Läsionen
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Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Pemphigus erythematosus (Senear-Usher-Syndrom).
Eine seltene Verlaufsform des Pemphigus seborrhoicus, die durch gleichzeitige Symptome eines SLE oder CDLE gekennzeichnet ist (7 Kap. 7.2.1). In der DIF finden sich neben dem ICS-Muster auch ein Lupusband; gelegentlich antinukleäre Antikörper. Eine schlecht definierte und nicht allseits anerkannte Entität. Paraneoplastischer Pemphigus Definition. Eine seltene, schwere, obligat mit malignen
Krankheiten assoziierte Pemphigusform.
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Ätiologie und Pathogenese. Die Autoantikörper sind gegen zahlreiche Strukturproteine gerichtet: u. a. gegen Desmoglein 3, 1; Desmoplakin I, II; Plectin; BP 230; Periplakin; Envoplakin. Als Ursache werden Kreuzreaktivität von Autoantikörpern gegen Tumorantigene und desmosomale Strukturen oder autoreaktive Lymphomzellklone vermutet.
tose« Sneddon-Wilkinson und die »Intraepidermale Neutrophile Dermatose«. Erstere weist IgA-Antikörper gegen Desmocollin 1, letztere gegen noch undefinierte Epitope auf. Beide sind durch chronische Pustelbildung, Erytheme und Schuppung vorwiegend am Rumpf, oft in anulärer Anordnung, gekennzeichnet; Schleimhautbefall selten. Gutes Ansprechen auf Dapson. Medikamenteninduzierter Pemphigus Eine heterogene Gruppe. Pemphigus-ähnliche Dermatosen können durch mehrere Medikamente ausgelöst werden, in einiger Häufigkeit jedoch nur durch Penicillamin und Captopril. Beide enthalten Sulfhydryl-Gruppen, die vermutlich mit den Desmogleinen reagieren und entweder direkt zur Akantholyse oder durch Konformitätsänderung zur Bildung von ICS-Antikörpern führen. Klinik und Immunprofil gleichen in der Regel PF, seltener PV, manchmal sind Antikörper nicht nachweisbar. Nach Absetzen des auslösenden Medikaments erfolgt meist (nicht immer!) die spontane Abheilung.
Symptomatik. Der paraneoplastische P. ist dem PV
ähnlich, aber komplexer. Die gesamte Mundschleimhaut weist extensive Erosionen auf, daneben die Schleimhäute des Naso- und Oropharynx, Larynx, Tonsillen und Epiglottis, oft auch Ösophagus, Trachea und Bronchien. Intensiv befallen sind ferner Konjunktiven, Genitoanalregion, oft auch die Urethra. Alle Erosionen sind persistent, exzessiv schmerzhaft und können vernarben. An der Körperhaut Erosionen wie bei PV, zusätzlich jedoch Lichen ruber- oder Erythema multiforme-artige Läsionen. Assoziationen: Meist Lymphome (B-Zell-Lymphome, CLL, Castleman-Tumor), seltener Thymome oder solide Tumoren (Sarkome). Selten auch Befall von inneren Organen (Bronchien, Darmschleimhaut u. a.).
7.1.2 Pemphigoidgruppe Eine Gruppe von bullösen Autoimmundermatosen, bei denen die Adhärenz der Epidermis an der Dermis gestört ist. Hauptsitz der Schädigung und Ziel der zirkulierenden Autoantikörper sind Strukturproteine der Hemidesmosomen. Alle Vertreter der Pemphigoidgruppe sind durch junktionale Blasenbildung (Spaltbildung in der Lamina lucida) charakterisiert, unterscheiden sich aber in klinischem Bild und Prognose (abhängig von der immundominant wirkenden Domäne des BP 180 – s. u. – und vom Autoantikörpertyp: IgG1, -4, IgA).
Diagnostik. Histologie und Immunfluoreszenz. Sup-
Bullöses Pemphigoid (BP)
rabasale Akantholyse, Einzelzellnekrosen, vakuolisierende Basalzelldegeneration und lichenoide Infiltrate der Dermis; ICS-Muster wie bei PV, Nachweis von Immunglobulinen und Komplementkomponenten in der dermo-epidermalen Junktionszone. Zirkulierende ICS-Autoantikörper in oft hohen Titern. Diagnostisch ist das ICS-Muster in einfachen Übergangs- bzw. Zylinderepithelien (Substrat: Rattenharnblase).
Definition und Epidemiologie. Die häufigste bullöse
Therapie. Wie bei PV, allerdings schlechtes Anspre-
chen. Die Beseitigung der Neoplasie kann zur Besserung führen. IgA-Pemphigus Unter diesem Begriff werden zwei seltene Einheiten zusammengefasst: die »Subcorneale Pustulöse Derma-
Autoimmundermatose mit junktionaler Blasenbildung. Die Inzidenz beträgt weltweit ca. 1/100 000/Jahr, eine ethnische Prädisposition besteht nicht. Häufiger bei Männern, Manifestationsalter: 60–90 Jahre. Geringe Assoziation mit bestimmten HLA-II-Allelen. Ätiologie und Pathogenese. Beim BP finden sich zirkulierende IgG4 (oft auch IgG3) Autoantikörper gegen 2 Strukturproteine der Hemidesmosomen (. Abb. 7.1b): das BP-Antigen 2 (BP 180 [Kollagen Typ XVII] – ein transmembranöses 180 kD Protein mit extrazellulärer Kollagendomäne) sowie das BP-Antigen 1 (BP 230 – ein 230 kD intrazelluläres Glykoprotein mit Sequenzhomologien zu den Desmoplakinen). Immundominant ist in der Regel die NC16A-Domäne des BP 180. Anti-
287 7.1 · Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen
. Abb. 7.6. Bullöses Pemphigoid. Frische, pralle, teils hämorrhagische Blasen neben zirzinären Erosionen
körper gegen BP 230 entstehen wahrscheinlich durch »epitope spreading« (s. o.). Die Autoantikörper aktivieren Komplement und locken durch Chemotaxis Leukozyten und Mastzellen an; freigesetzte Proteasen zerstören die dermoepidermale Haftung. Symptomatik. Das BP ist generell weniger ausgedehnt
und milder als der PV. Es zeigt ein pleomorphes Bild aus disseminierten Erythemen, urtikariellen und multiformeartigen Läsionen sowie Blasen (. Abb. 7.6). Letztere entstehen sowohl auf normaler wie auf erythematöser Haut, sind prall mit seröser Flüssigkeit gefüllt, wegen der dicken Blasendecke (gesamte Epidermis!) relativ stabil und wandeln sich in meist gut heilende Erosionen um. Prädilektionsstellen sind die Intertrigines und Beugeseiten der Extremitäten. Die Mundschleimhaut ist nur selten betroffen (ihr Befall deutet eher auf Epidermolysis bullosa acquisita oder vernarbendes Schleimhautpemphigoid!). Subjektiv oft intensiver Juckreiz, der dem Ausbruch auch vorausgehen kann. Allgemeinsymptome fehlen bei komplikationslosem Verlauf. Klinische Varianten. Zahlreiche, meist seltene Spiel-
arten wurden beschrieben; sie alle besitzen das Immunprofil des BP, können sich in ein BP umwandeln oder aus diesem hervorgehen. 3Wichtigste Varianten: juveniles BP; lokalisiertes BP: hier rezidivieren die Läsionen stets an derselben Stelle, oft an den Extremitäten (Unterschenkel); dyshidrosiformes BP: ein lokalisiertes BP an Handflächen und Fußsohlen; vesikulöses (herpetiformes) BP: durch besonders kleine Blasen ausgezeichnet; erythrodermatisches BP: oft durch UV-Exposition ausgelöst; vegetierendes BP: umschrieben, einer vegetierenden Pyodermie ähnlich; noduläres (auch pruriginöses) BP: chronisch, juckend, Knoten wie bei Prurigo simplex subacuta.
7
. Abb. 7.7. Herpes gestationis, direkte Immunfluoreszenz. Lineare Ablagerung (in vivo) von Komplement C3 entlang der Basalmembran (Färbung mit FITC-antiC3-IgG)
Diagnostik. Histologie. Subepidermale Spaltbildung
mit unauffälliger Epidermis. Ultrastrukturell erscheint die Basallamina am Blasenboden (junktionale Blase). Ödem und Eosinophilen-reiches Infiltrat der Dermis. Immunfluoreszenz. DIF: an der dermoepidermalen BMZ lineare IgG- (ca. 50%), seltener IgA- und IgM-, sowie C3-Ablagerungen (80–100%) (. Abb. 7.7). Unterscheidung von den anderen Dermatosen mit subepidermaler Spaltbildung: Salztrennversuch (s. o.) oder Immunelektronenmikroskopie. IIF: in ca. 70% zirkulierende IgG-Anti-BMZ-Antikörper. Die Titer sind oft sehr hoch; ihre Korrelation mit der klinischen Aktivität ist unverlässlich. Labor. Periphere Eosinophilie in bis 50%, oft erhöhte IgE-Spiegel. Differenzialdiagnose. PV, Epidermolysis bullosa
acquisita, Erythema exsudativum multiforme. Verlauf, Prognose und Therapie. Das BP entsteht meist spontan, Auslösung durch UV-Licht oder Medikamente ist möglich. Der Verlauf ist (unbehandelt) über Monate und Jahre schubartig rezidivierend, im Grunde aber selbstlimitiert. Komplikationen können jedoch zum Tod führen (Infektion, Kräfteverfall, Kortikosteroidnebenwirkungen). Die Therapie ist analog der des PV; da das BP besser anspricht, reichen niedrigere Initialdosen von Methylprednisolon (60–100 mg), der logarithmische Abbau kann schneller erfolgen. Eine begleitende Therapie mit Azathioprin ist bei mildem Verlauf nicht erforderlich.
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Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Vernarbendes Pemphigoid (Synonym zikatrizierendes Pemphigoid, Schleimhautpemphigoid) (CP) Definition und Epidemiologie. Eine chronisch-progrediente bullöse Autoimmundermatose vorwiegend der Schleimhäute, die durch Vernarbung zu Funktionsausfällen führen kann (z. B. Blindheit). CP ist erheblich seltener als das BP, weltweit verbreitet, ohne ethnische Prädilektion. Befallen sind häufiger Frauen (3:2). Krankheitsbeginn meist im 7. Lebensjahrzehnt.
fibrinöse Konjunktivitis mit Tränenfluss, Erosionen, Photophobie, Adhäsionen, Verlötung und Schrumpfung der Fornices, narbige Verziehung der Lider, Entropion, Trichiasis, Symblepharon und Pannus. Endzustand: Erblindung (. Abb. 7.8). Im Anogenitalbereich führen chronische Erosionen zu Vernarbung und Strikturen (Phimose, Vaginal-, Urethral-, Analstenose). Hautläsionen treten nur bei ca. 25% auf: umschriebene blasenbildende Herde, die gleichfalls mit Narben verheilen. Beim seltenen CP vom Typ Brunsting-Perry treten ausschließlich Hautläsionen auf.
Ätiologie und Pathogenese. Die Antikörper können
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gegen multiple Epitope des BP180 gerichtet sein, insbesondere dessen karboxyterminales Ende (Verankerung in der Basallamina), seltener gegen Epiligrin (= Laminin 5, ein Strukturprotein der Ankerfilamente) oder Integrin α6β4. Klinisch sind diese Formen nicht unterscheidbar. Die Spaltbildung erfolgt in der (tiefen) Lamina lucida. Die Pathogenese ist wahrscheinlich der des BP analog, die Ursache der Vernarbung ist unklar.
Differenzialdiagnose. BP, Epidermolysis bullosa acquisita, erosiver Lichen ruber, organspezifische vernarbende Prozesse an Auge oder Genitale (Lichen sclerosus) etc.
Symptomatik. Das Bild wird durch chronisch-rezidi-
Therapie und Prognose. CP spricht schlechter auf
vierende Erosionen der hautnahen Schleimhäute geprägt, die nach längerem Bestand zur Vernarbung und deren Komplikationen führen. Intakte Blasen kommen kaum vor, Hautläsionen sind selten. Die Mundschleimhaut ist stets und meist als erste betroffen: Rötung, schmerzhafte Erosionen, weißlichretikulierte Narben, später Adhäsionen, Verlötung der Rezessus, im Extremfall Mikrostomie. Läsionen an Nasenschleimhaut, Naso- und Oropharynx (30–40%): schmerzhaftes Schlucken, blutiger Schnupfen, Obstruktion der oberen Atemwege, narbige Striktur des Schlundringes. Seltener ist der Befall von Larynx (Erosionen, Heiserkeit, Stimmverlust), Trachea (Obstruktion) und Ösophagus (Sodbrennen, Dysphagie, Strikturen). Die Konjunktiven (75%) zeigen eine chronische
systemische Kortikosteroide an als BP, daher häufig Kombination mit Dapson oder Azathioprin. Es verläuft manchmal milde, häufig unbeeinflussbar progredient und stark vernarbend. Bei narbigen Strikturen sind operative Eingriffe erforderlich. Eine wichtige Rolle spielt die Lokaltherapie der Augen.
Diagnostik. Histologie. Ähnlich dem BP. Immun-
fluoreszenz. DIF von Schleimhautproben: lineäres IgG und/oder IgA und C3 in der BMZ. IIF: zirkulierende Antikörper nur in 20–30% (niedrige Titer).
Pemphigoid gestationis (PG) Definition, Epidemiologie. PG ist eine dem BP ähn-
liche, selbstlimitierte Schwangerschaftsdermatose (7 Kap. 6.2.6). Selten (ca. 1/50 000 Schwangerschaften), weltweit verbreitet. Die Erstmanifestation trifft häufig schon die erste Schwangerschaft. Bei Folgeschwangerschaften nimmt die Ausprägung meist zu, »Überspringen« von Schwangerschaften ist möglich. Ätiologie und Pathogenese. Produktion von Autoantikörpern gegen BP180 (meist NC16A-Domäne), Entstehung der Blasen analog dem BP. Symptomatik. PG setzt meist im 4.–7. Schwanger-
. Abb. 7.8. Zikatrizierendes Pemphigoid, Spätstadium. Pannus, Synechien und Symblepharon
schaftsmonat (in 20% erst knapp vor oder sogar kurz nach der Entbindung) mit exzessivem Juckreiz ein. In der Folge entstehen erythematöse, urtikarielle oder multiformeartige Läsionen am und um den Bauchnabel; in ihnen treten Blasen auf, die eher klein sind (oder auch ausbleiben können). Das Gesicht bleibt in der Regel, die Schleimhäute stets frei. Nach der Entbindung bildet sich das PG in 1–2 Monaten spontan zurück, rezidiviert aber in ca. 20% bei der ersten Regel oder der Einnahme von Kontrazeptiva.
289 7.1 · Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen
7
Assoziierte Krankheiten. Selten Autoimmunthyreoiditis, perniziöse Anämie, Alopecia areata. Schädigungen des Fötus. Neugeborene weisen in bis
10% ein mildes, selbstlimitiertes PG-ähnliches Bild auf. Überdurchschnittlich häufig: Frühgeburtlichkeit, reduziertes Geburtsgewicht, Säuglingssterblichkeit ist nicht erhöht. Diagnostik, Differenzialdiagnose, Therapie. 7 Kap. 6.2.6.
Lineare IgA-Dermatose (LAD), Chronische Bullöse Dermatose des Kindesalters (CBDC) Definition und Epidemiologie. Eine seltene, selbstlimitierte bullöse Autoimmundermatose mit Ähnlichkeit zum BP, die durch IgA-Autoantikörper gegen hemidesmosomale Antigene verursacht wird. Die Krankheit tritt mit 2 Altersgipfeln auf: im mittleren Erwachsenenund im Vorschul-/Schulalter. LAD und CBCD sind historisch gewachsene Bezeichnungen für dasselbe Krankheitsbild in unterschiedlichen Altersstufen. Keine Geschlechtsprädilektion. Ätiologie und Pathogenese. Das »klassische« Autoantigen der LAD (LAD-1, ein 97/120 kD Protein) entspricht der extrazellulären Domäne des BP180 (enzymatisches Spaltprodukt, Neoepitop). Die adulte LAD wird häufig durch diverse Medikamente ausgelöst (Vancomycin!). Symptomatik. Ähnlich dem BP; erythematöse/multi-
formeartige Läsionen, die charakteristischerweise in der Peripherie Blasen ausbilden (. Abb. 7.9). Die Blasen sind oft besonders groß, prall, manchmal hämorrhagisch tingiert und anulär/zirzinär angeordnet (frische Blasen rings um ältere: »juwelenartiges« Aussehen). Prädilektionsstellen sind Rumpf, perigenital, perineal und proximale Extremitäten. Gelegentlich Befall der Mundschleimhaut. Der Verlauf ist chronischschubartig, Spontanremission meist nach einigen Jahren. Diagnostik. Histologie: Junktionale Spaltbildung, ent-
zündliches Infiltrat mit neutrophilen Leukozyten. Immunfluoreszenz: DIF: IgA- und C3-Ablagerungen linear in der BMZ (ultrastrukturell an den Ankerfilamenten der Lamina lucida). IIF: Zirkulierende IgABMZ-Antikörper vom IgA1-Isotyp, meist in niedrigen Titern. Therapie. Gutes Ansprechen auf Dapson, gelegentlich Kombination mit Kortikosteroiden (bei Kindern Zu-
. Abb. 7.9. Chronische bullöse Dermatose des Kindesalters. Beachte die zahlreichen intakten, teils prall gespannten Blasen (»juwelenartig«)
rückhaltung!). Begleitende immunsuppressive Therapie nicht erforderlich. 7.1.3 Bullöse Autoimmundermatosen
mit Spaltbildung unterhalb der Lamina densa Eine Gruppe bullöser Autoimmundermatosen, bei denen die Verankerung der Basallamina im Netzwerk der Ankerfibrillen und dermalen Mikrofibrillen gestört ist. Die Spaltbildung erfolgt unterhalb der Basallamina (dermolytische Blase). Epidermolysis bullosa acquisita (EBA) Definition. EBA ist durch Autoantikörper gegen TypVII-Kollagen (Ankerfibrillen), dermolytische Blasenbildung und chronischen, oft therapieresistenten Verlauf gekennzeichnet. Epidemiologie. EBA ist eher selten (ca. 2/1 000 000/
Jahr), kommt weltweit ohne ethnische oder GeschlechtsPrädisposition vor und kann in jedem Lebensalter beginnen, am häufigsten in der 4.–5. Dekade. Ätiologie und Pathogenese. Die Autoantikörper er-
kennen 290 kD- und 145 kD-Banden des Typ-VII-Kollagens, des Baumaterials der Ankerfibrillen (. Abb. 2.4). Die Schädigung der Ankerfibrillen erfolgt beim nichtentzündlichen Typ (s. u.) wahrscheinlich durch direkte mechanische Interferenz, beim entzündlichen durch Komplementaktivierung und Leukotaxis.
290
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Symptomatik. EBA ist durch Blasen, Erosionen,
7
Milien und Narben an Haut und Schleimhäuten gekennzeichnet. Verlauf und klinisches Erscheinungsbild zeigen eine erhebliche phänotypische Breite. Folgende Typen werden unterschieden: 4 Der klassische Typ ähnelt dem dominanten Typ der Epidermolysis bullosa hereditaria dystrophicans (7 Kap. 8.3). Er ist primär nichtentzündlich und durch erhöhte Fragilität der Haut gekennzeichnet. Vorwiegend an den mechanisch exponierten Körperstellen (Akren, Knie, Ellenbogen, Mundschleimhaut) treten durch mechanische Minimaltraumen ausgelöste Blasen und Erosionen auf, die mit atrophen, gefältelten Narben und Milien abheilen (. Abb. 7.10). Mitunter Onychodystrophie. Differenzialdiagnose: Epidermolysis bullosa hereditaria (Beginn mit Geburt), Porphyria cutanea tarda. 4 Der BP-artige Typ ist am häufigsten, ist primär entzündlich und dem BP zumindest anfangs sehr ähnlich. Fragilität der Haut, Narben- und Milienbildung fehlen anfangs, kommen jedoch später in wechselndem Maß hinzu. Prädilektionsstellen: wie beim BP, zusätzlich Mundschleimhaut. 4 Der CP-artige Typ. Diese seltenste Verlaufsform kann das CP völlig imitieren und ist auch von dessen schwerwiegenden Sequelen gefolgt.
Diagnostik. Histologie: Subepidermale Blasenbildung; beim entzündlichen Typ Neutrophilen-reiche Entzündungs-Infiltrate.Ultrastrukturell liegt die Basallamina im Blasendach; Reduktion der Ankerfibrillen. Immunfluoreszenz. DIF: lineare IgG-, oft auch IgA-, IgM- und C3- Ablagerungen der BMZ und der obersten Dermis (breites Band!); seltener nur IgA. IIF: zirkulierende Anti-BMZ-Antikörper in 20–50%. Immunelektronenmikroskopie. Autoantikörper im
Bereich der Ankerfibrillen. Therapie und Prognose. Manche Fälle der EBA sind selbstlimitiert; andere verlaufen chronisch progredient. Das Ansprechen auf Therapie ist nie gut, manchmal besteht völlige Therapieresistenz. Standard sind systemische Kortikosteroide mit oder ohne Dapson bzw. Immunsuppressiva (Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Cyclophosphamid); Colchicin und hochdosierte Immunglobuline i. v. sind zusätzliche Optionen.
Bullöser Lupus erythematodes Definition. Eine seltene Verlaufsform des systemischen Lupus erythematodes, die durch Autoantikörper gegen Kollagen Typ VII gekennzeichnet ist (s. u.). Symptomatik, Diagnostik. Neben den Merkmalen des SLE findet sich ausgedehnte Blasenbildung vorwiegend der lichtexponierten Regionen, Extremitäten und Mundschleimhaut. Die Blasen führen nicht zur Vernarbung, Fragilität der Haut fehlt. Histologie und Immunfluoreszenz entsprechen der EBA, zusätzlich finden sich neutrophile Abszesse in den Papillenspitzen. Im Gegensatz zur EBA bildet sich der bullöse SLE meist bei Behandlung mit Dapson innerhalb eines Jahres (oder weniger Jahre) zurück.
Dermatitis herpetiformis (Duhring) (DH) Definition. DH ist eine Hautmanifestation bei gluten-
sensitiver Enteropathie (GSE) und erscheint klinisch als chronische, heftig juckende papulovesikulöse Dermatose. Ihre Genese ist nicht gänzlich klar; eine wesentliche Rolle spielen IgA-Antikörper gegen epidermale Gewebs-Transglutaminase (TG). Epidemiologie. DH kommt fast nur bei Weißen vor, ist
. Abb. 7.10. Multiple Narben- und Milienbildung bei Epidermolysis bullosa acquisita (Spätstadium)
aber auch bei diesen eher selten (Prävalenz 10/100 000). Hohe Korrelation mit HLA-B8 und HLA-DQ2. Männer sind ca. doppelt so häufig betroffen wie Frauen, familiäre Häufung. Der Krankheitsbeginn fällt meist ins frühe Erwachsenenalter.
291 7.1 · Blasenbildende (bullöse) Autoimmundermatosen
. Abb. 7.11. Dermatitis herpetiformis Duhring. Ältere und frische papulovesikulöse Läsionen der Sakralregion
7
3Glutensensitive Enteropathie GSH (Synonym Zöliakie) ist eine chronische Immunreaktion des Dünndarms gegen Gluten (eine Proteinfamilie verschiedener Körnerfrüchte; Hauptantigen ist das »toxische« Gliadin, ein 31 kD-Polypeptid) – s. Lehrbücher der Inneren Medizin. Bei der GSE (und auch DH) finden sich IgA-Antikörper verschiedener Spezifität – besonders konstant (80–90%) und mit dem Verlauf der Krankheit korreliert sind »antiendomysiale« Antikörper (Endomysium: das die Muskellagen des Darms umgebende Bindegewebe). Das endomysiale Antigen ist die Gewebe-Transglutaminase – ein Enzym, das Gewebeschäden durch Quervernetzung von extrazellulären Matrixproteinen eingrenzt. Nach einer rezenten Hypothese wirken Gluten-TGKomplexe als (Auto)Antigen, das die Immunreaktion bei GSE und DH bewirkt. Bei der DH ist die »epidermale« TG betroffen, die auch in den dermalen Immunpräzipitaten der DH nachgewiesen wurde – die epidermale TG kommt zwar prominent in der Haut vor, gleichzeitig aber auch in vielen anderen Organen einschließlich des Darms.
Ätiologie und Pathogenese. Die IgA-Ablagerungen in
Diagnostik. Histologie (. Abb. 7.12a): Neutrophile
der papillären Dermis resultieren wahrscheinlich von Immunglobulinen oder Immunkomplexen, die an die epidermale TG binden. Durch IgA-Quervernetzung erfolgt die Aktivierung der Komplementkaskade über den alternativen Weg, Chemotaxis und Freisetzung leukozytärer Enzyme (Elastase!).
»Mikroabszesse« in den dermalen Papillenspitzen; multilokuläre Mikrovesikel durch Spaltbildung in der BMZ, die durch Konfluenz Bläschen ergeben. Die Spaltbildung erfolgt unterhalb der Basallamina (dermolytische Blase). DIF: Granuläre IgA- (selten IgG-) und C3-Ablagerungen in den Papillenspitzen (. Abb. 7.12b). Immunelektronenmikroskopisch sind die Ablagerungen an dermale Mikrofibrillenbündel gebunden.
Symptomatik. Primärläsion ist eine heftig juckende,
erythematöse Papel, die gelegentlich ein kleines, mit klarer Flüssigkeit gefülltes Bläschen trägt. Die Läsionen werden schnell zerkratzt, es entstehen Erosionen mit serohämorrhagischen Krusten (. Abb. 7.11). Solche Läsionen treten schubartig und gruppiert an den Prädilektionsstellen (Streckseiten der Extremitäten – Knie, Ellbogen, sowie sakral und am Kapillitium), bei stärkerer Ausprägung exanthematisch auf. Das klinische Bild schwankt zwischen einer Minimalvariante (fast erscheinungsfreie Haut, Attacken von Juckreiz) und einem dem BP nahekommenden Bild mit ausgedehnten Blasen, Krusten und Pyodermien. Verlauf: Chronisch, schubartig, unlimitiert. Spontanheilung selten (ca. 10%). Glutensensitive Enteropathie (GSH) bei DH. Eine GSE
kann mittels Saugbiopsien aus dem Dünndarm in >90% der Patienten mit DH aufgedeckt werden; klinische Symptome bestehen jedoch nur in etwa 10–20% und sind meist milde (Steatorrhoe, pathologische Xylosetests). Im Prinzip können bei DH alle Komplikationen der GSE auftreten, insbesondere Resorptionsstörungen (Eisen, Folsäure: makrozytäre Anämie), selten gastrointestinale Lymphome.
! Granuläre IgA- (selten IgG-) und C3-Ablagerungen finden sich bei DH immer auch in klinisch normaler Haut.
Diagnostik. Nachweis von granulären IgA-Ablagerungen in den Papillenspitzen normaler Haut. Labor.
Milde Leukozytose, periphere Eosinophilie, makrozytäre Anämie. Zirkulierende IgA-Immunkomplexe und Antigliadinantikörper sind in ca. 30%, Antiretikulin- und antiendomysiale Antikörper in 80–90% nachweisbar. Gelegentlich ANA und Antithyroidea-Antikörper. Therapie. Eine nahezu spezifische Wirkung besitzen
Sulfone (Dapson), die schon in geringer Dosis die Symptomatik völlig unterdrücken: 100–200 mg/Tag, anschließend Reduktion auf eine Erhaltungsdosis. Vor Beginn der Therapie Bestimmung der Glukose-6-Phosphatdehydrogenase (bei Erniedrigung dürfen keine Sulfone gegeben werden). Alternativen: Sulfapyridin, Salizylpyrimidin (weniger wirksam). C A V E
Unter Dapsontherapie kann es zur Methämoglobinbildung kommen: Blutbild-Kontrollen und MetHb-Bestimmung zumindest 1-mal/Monat.
292
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
7.2
Kollagenosen
Unter dem Begriff »Kollagenosen« (Synonym u. a. »Collagen vascular Diseases«) versteht man eine Familie potenziell bedrohlicher entzündlicher Systemkrankheiten von weitgehend unklarer Ätiologie und Pathogenese. Sie sind nicht-organspezifische Autoimmunkrankheiten, die durch Bildung einer Vielfalt von Autoantikörpern gegen Determinanten körpereigener Zellen unter Durchbrechung der immunologischen Toleranz gekennzeichnet sind. Bei allen spielen antinukleäre Antikörper (ANA – eine Gruppe von meist gegen Determinanten des Zellkerns gerichteter Autoantikörper) wichtige Rollen in Pathogenese und Diagnostik. Manche (nicht alle) Autoantikörper schädigen den Organismus durch direkte Zytotoxizität oder Bildung von Immunkomplexen und Komplementaktivierung.
a
7
! Der Begriff »Kollagenosen« ist eine Fehlbezeichnung, weil das Kollagengewebe nicht die Zielstruktur der Krankheiten ist. Der Name wurde mangels einer geeigneteren Bezeichnung beibehalten.
b . Abb. 7.12a, b. Dermatitis herpetiformis. a Subepidermale multilokuläre Bläschen mit leukozytenreichem Inhalt; x25. b Direkte Immunfluoreszenz. »Schneegestöberartige« Ablagerungen von IgA in der papillären Dermis
Unterstützende Therapie. Glutenfreie Diät – Vermei-
dung von Weizenmehl. Sie ist umständlich, unangenehm und teuer, ergibt jedoch bei genauer Durchführung (oft erst nach Monaten) eine signifikante Besserung der Haut- und intestinalen Symptomatik, die manchmal das Absetzen der Sulfone erlaubt. Unabdingbar ist die Diät bei Dapson-Unverträglichkeit und manifester GSE-Symptomatik, da letztere durch Dapson nicht beeinflusst wird.
Modellkrankheit der Kollagenosen ist der Lupus erythematodes; weitere wichtige Vertreter sind u. a. die Dermato-/Polymyositis, die Sklerodermie, die rheumatoide Arthritis (und die »primären« systemischen Vaskulitiden) – Krankheiten von markanter klinischer Eigenständigkeit, aber auch grundsätzlichen Analogien und hoher Variabilität; Überlappungen sind daher häufig. Ihnen allen ist der Befall mehrerer oder zahlreicher innerer Organe und häufig der Haut gemeinsam. Kollagenosen können akut auftreten und schnell zum Tode führen; häufiger nehmen sie einen chronischen, schubartig progredienten Verlauf, führen zu Funktionsausfällen von Organsystemen und »brennen« oft nach jahrelangem Bestand mit Defektzuständen aus. Auf einzelne Organe limitierte Formen sind bei vielen Kollagenosen häufig.
Ätiologie und Pathogenese der Kollagenosen (s. Lehrbücher der Immunologie) Die primären Auslöser der Kollagenosen sind nicht bekannt. Über wesentliche Aspekte der komplexen Pathogenese herrschen nur hypothetische Vorstellungen, insbesondere: Mechanismen der Durchbrechung der Toleranz; Auslösung des Kardinalsymptoms der Hyperreaktivität der B-Lymphozyten; die oft deutlichen Änderungen im Gleichgewicht der T-Zell-Populationen und deren Auswirkungen auf 6
293 7.2 · Kollagenosen
die humoralen Reaktionen; Anomalien der Zytokine, und die Rolle der natürlichen Immunität. Die Kollagenosen sind mit bestimmten MHC assoziiert (je nach Krankheit z. B. HLA-DR2, 3, 4 oder 5), die produzierten Autoantikörper (ANA) sind in hohem Maß krankheitsspezifisch. Heute werden im Zusammenhang mit dem Bruch der Toleranz und der Auslösung der B-Zell-Hyperreaktivität 2 Vorgänge erwogen: 4 Sequenzhomologien zwischen viralen/bakteriellen Aminosäuresequenzen (z. B. EBV) und autologen Proteinen (z. B. Nukleoproteinen), die zu Kreuzreaktionen führen – »molecular mimicry« 4 Defekte der Apoptose (s. u.) Die Kollagenosen sind nicht »simple« Immunreaktionen, für ihr Entstehen sind ein Spektrum von ätiologischen Faktoren erforderlich: genetische Disposition, (häufig weibliches) Geschlecht, Umweltfaktoren (UV, Infekte, chemische Agenzien). Hauptursache der pathologischen Veränderungen ist die Komplementaktivierung durch Immunkomplexe; hinzu kommen organspezifische sekundäre Reaktionsabläufe (z. B. Fibrose bei Sklerodermie) und Circuli vitiosi (z. B. Ankurbelung der Apoptose durch Gewebszerstörung, Erschöpfung der T-Zell-Funktion). Die Vielfalt der Kollagenosen ist Ausdruck der vorherrschenden Autoantikörper-Profile und der genannten zusätzlichen Faktoren.
Antinukleäre Antikörper (ANA). ANA sind von hoher diagnostischer Bedeutung, weil sie bei den Kollagenosen sehr häufig auftreten (>80%) und mit bestimmten Krankheiten und klinischen Verläufen assoziiert sind (. Tab. 7.3). Sie sind meist gegen Determinanten des Zellkerns gerichtet (Nukleinsäuren, Kernproteine, Enzyme des Nukleinsäurestoffwechsels, Spindelapparat, Zentriolen), seltener gegen solche des Zytoplasmas (Ribosomen, Mitochondrien). Pathogene Effekte der ANA sind nur in Einzelfällen definiert (z. B. Anti-dsDNA bei Lupusnephritis). Außer bei Kollagenosen kommen sie auch bei anderen Autoimmunkrankheiten, Lymphomen u. a. m. vor, passager auch bei Viruskrankheiten (EBV) und Medikamentenallergien, sowie bei ca. 2% der Normalbevölkerung (niedrigtitrig, Anstieg mit dem Lebensalter). ANA sind ein guter diagnostischer Marker, aber kein verlässlicher Parameter des Behandlungserfolgs (meist nur geringer Abfall in inaktiven Phasen).
7
. Tab. 7.3. Wichtige Antinukleäre Antikörper (Auswahl) Zielantigen
Bedeutung
ds-DNA (»nativDNA«)
Fast diagnostisch für SLE (Spezifität 97%) Hohe Assoziation mit Nierenbeteiligung Korrelation mit Krankheitsaktivität ANA-Muster: homogen
Sm*
Wie ds-DNA, aber keine Korrelation mit Krankheitsaktivität ANA-Muster: homogen
Ro*=SS-A La*=SS-B
Hohe Assoziation mit Photosensibilität Bei SCLE, Sjögren-Syndrom und Lupus neonatorum ANA-Muster: partikulär
Histone
Medikamenten-induzierter LE ANA-Muster: homogen
U1RNP (Uracylreiches Ribonukleoprotein)
»Mixed connective tissue disease«, SLE u. a. ANA-Muster: partikulär
Cen B-P (zentromeres B-Protein)
CREST-Syndrom ANA-Muster: »zentromer«
Scl-70 (Scleroderma 70) Topoisomerase I
Diffuse systemische Sklerodermie Hohe Assoziation mit (früher) Lungenbeteiligung ANA-Muster: nukleolär
Jo-1 (t-RNATransferase)
Typisch für Dermatomyositis, nur selten nachweisbar Muster: zytoplasmatische Fluoreszenz
*Abkürzungen wie z. B. Sm beziehen sich auf die Initialen von Patienten, von denen diese Antikörper erstmals isoliert wurden SS: Sjögren-Syndrom
Nachweis: Das Routine-Screening erfolgt mit indirekter IF an Gewebekulturzellen (Hep-Zellen). Die Kernfluoreszenz zeigt, je nach Zielstruktur, verschiedene morphologische Muster (. Abb. 7.13a–d), die grob mit klinischen Krankheitsbildern korreliert sind. Die genaue Bestimmung der Zielantigene erfolgt durch Immunoassays, Gelpräzipitation oder Westernblot. Zielantigene bei SLE. Häufigste Zielstruktur (bis 95%) ist das Chromatin (Doppel- und Einzelstrang-DNA sowie Histone; meist liegen ANA gegen beide vor), eine seltenere (bis 30%) sind Ribonukleoproteine (wegen ihrer Extrahierbarkeit in wässriger Lösung auch »extractable nuclear antigens« – ENA). Eine Gruppe der ENA umfasst Sm (Assoziation mit Nieren-, ZNS-Symptomen) und RNP (Überlappungssyndrome, z. B. U1RNP mit »mixed connective tissue disease«), eine andere Ro/SSA und La/SSB (Assoziation mit SCLE und
294
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
9 . Abb. 7.13a–d. Immunfluoreszenzmuster antinukleärer Antikörper (ANA) an Hep2-Zellen. a Homogenes Muster. Beachte das Aufleuchten in der Mitose. b Partikuläres Muster. In der Interphase gesprenkelt, kein Aufleuchten in der Mitose. c Antizentromeres Muster. Grobkörnige Partikel in der Interphase. d Antinukleoläres Muster. Einzelne runde Körnchen pro Zellkern
a
7
Sjögren-Syndrom). Antikörper gegen diese Antigenpaare treten häufig gemeinsam auf. Histone sind die Strukturproteine der Nukleosomen, Sm und RNP Bestandteile der »Spliceosomen«. Ro- und La-Antigene sind an der Transkription von DNA in RNA beteiligt, 28S rRNA und ribosomale Phosphoproteine an der ribosomalen Proteinsynthese. Zytoplasmatische Zielantigene sind ribosomale RNA (28S) bzw. Phosphoproteine (mit ZNS-Symptomen assoziiert, ca. 10%), Zielantigene der Plasmamembran sind Antiphospholipid-Antikörper. Weitere Zielantigene bei anderen Kollagenosen. Für
b
c
d
das CREST-Syndrom charakteristisch sind antizentromere ANA (70–90%), für die diffuse systemische Sklerodermie ANA gegen Topoisomerase I (Scl 70 – ca. 50%; hohe Assoziation mit Lungenbeteiligung!). Bei beiden häufig sind ferner antinukleoläre ANA (bis 80%) (Zielantigene: nRNP, RNA-Polymerasen, PM-Scl). Für die Dermato (Poly)-myositis charakteristisch sind zytoplasmatische Anti-Synthetasen-Antikörper (Jo-1 u. a.) Sie sind in hohem Maß mit interstitieller Lungenbeteiligung und hyperkeratotischen Läsionen der Hände assoziiert (»mechanics hands«); nukleoläre PM-Scl-ANA sind mit dem Dermatomyositis-Sklerodermie-Overlap-Syndrom verbunden (ca. 10%). 7.2.1 Lupus erythematodes Grundlagen Lupus erythematodes (LE) ist eine chronische, schubartig verlaufende, potenziell lebensbedrohliche systemische Autoimmunkrankheit, die durch Dysregulation sämtlicher Teile des Immunsystems bedingt, und insbesondere durch B-Zell-Aktivierung und Produktion (antinukleärer) Autoantikörper gekennzeichnet ist (s. auch weiterführende Literatur). Die klinischen Bilder sind wegen unterschiedlicher Verläufe und potenziellen Befalls zahlreicher Organe sehr vielgestaltig (»LE kann alle Krankheiten imitieren«). Am gravierendsten ist der Befall von Nieren, Herz und ZNS. Das nach den Gelenken am häufigsten befallene Organ ist die Haut (bis 80%) – Hautläsionen sind daher diagnostisch besonders wichtig.
295 7.2 · Kollagenosen
Diagnostik, Therapie und Patientenführung bei systemischem LE erfolgen in der Regel interdisziplinär; dennoch gehört der LE wegen seiner wichtigen Beziehungen zur Haut zum Kernwissen der Dermatologie. Ätiologie und Pathogenese. Viele Faktoren spielen
bei der Genese des LE zusammen: 4 genetische Faktoren (Assoziation mit bestimmten HLA-Typen, Suszeptibilitätsloci, Polymorphismen) 4 hormonelle Faktoren (Östrogene) 4 Umweltfaktoren (Infektionen, UV-Licht) 4 sowie – am offensichtlichsten – Dysregulationen des Immunsystems Die Grundphänomene des LE sind: Verlust der Toleranz gegenüber bestimmten Autoantigenen und Hyperreaktivität der B-Lymphozyten mit Produktion von Autoantikörpern bzw. Immunkomplexen, die letztlich den Gewebeschaden verursachen. Die Autoantikörper sind polyklonale IgG wie bei sekundären Immunantworten, unterliegen einer antigengetriebenen Affinitätssteigerung, Gen-Rearrangement und Steigerung der Vielfalt. Nur ein Teil der 180 bekannten Autoantikörper ist spezifisch für LE, und von diesen nur wenige pathogen. Die Autoantigene resultieren sehr wahrscheinlich aus apoptotischem Zellmaterial, dessen Abräumung mangelhaft erfolgt (»waste disposal-Hypothese« – Entstehung von Neoepitopen); Bildung von Immunkomplexen gegen dieses Material stimuliert die (plasmazytoiden) dendritischen Zellen (pDC) zur Produktion von IFN-α. Die spezifische genetische Veranlagung bei LE und/oder eine Amplifikationsschleife durch Immunkomplexe und/oder Toll-like-Rezeptoren führen zu einer unkontrollierten IFN-α-Produktion, die nach heutiger Auffassung eine zentrale Rolle der Pathogenese spielt. IFN-α fördert die Reifung von DC (Präsentation von Autoantigenen), aktiviert autoreaktive T-Zellen (CD4+ und CD8+) sowie die Reifung von autoreaktiven B-Zellen zu Plasmazellen. Weitere markante Veränderungen sind eine Aufregulierung von IL-10 und ein nummerisches oder funktionelles Defizit von regulatorischen T-Zellen. Autoantikörper können auf mehreren Wegen pathogen wirken: 4 direkte Lyse von Zellen (gegen Membranantigene gerichtete Antikörper – Blutbildveränderungen!) 4 Störung der Homöostase von Effektorsystemen (z. B. Beeinträchtigung des Kollagenstoffwechsels, Gerinnungsstörungen durch Antiphospholipidantikörper) 4 Bildung von Immunkomplexen und Komplementaktivierung. Hauptträger dieser Wirkung sind
7
DNA-Histon-Immunkomplexe (Lupusnephritis, Vaskulitis). Das Komplementsystem wird über den klassischen wie den alternativen Weg aktiviert. Komplement-Verbrauch führt zur Erniedrigung des gesamthämolytischen Komplements und der frühen Komponenten. Im Lupusband in läsionaler Haut findet sich der Membranattack-Komplex. Komplementrezeptoren (CR1) an Erythrozyten sind häufig reduziert (behinderter Abtransport von Immunkomplexen, Ausfällung). Epidemiologie. LE ist weltweit verbreitet, aber bei be-
stimmten ethnischen Gruppen (z. B. Afroamerikanern) häufiger und schwerer verlaufend. Die durchschnittliche Prävalenz ist 0,5–2:1000; Frauen im gebärfähigen Alter sind ca. 10-mal häufiger betroffen als Männer. Ca. zwei Drittel der Patienten erkranken zwischen dem 15.–50. Lebensjahr; bei späterer Erkrankung (»late onset SLE«) und CDLE (s. u.) ist die Gynäkotropie geringer. Die Familienanamnese ist oft positiv für LE oder andere Autoimmunkrankheiten. Monozygote Zwillinge sind in 25% konkordant. SLE ist mit den Haplotypen HLA-DR 2, -DR 3, -B8 u. a. assoziiert. LE-ähnliche Krankheiten finden sich bei hereditärem Mangel früher Komplementkomponenten (7 Kap. 8.7). Klassifikation und allgemeiner Verlauf. Das Vollbild
wird als systemischer LE (SLE) bezeichnet – eine Multisystemkrankheit, die meist mit Hautläsionen einhergeht, aber auch auf innere Organe beschränkt sein kann (Niere, Lunge, Herz u. a.). Es können auch einzelne oder nur wenige Organe betroffen sein: oligosymptomatischer LE. Der oligosymptomatische LE der Haut ist der kutane LE (am häufigsten der chronisch diskoide LE: CDLE). Der allgemeine Verlauf des SLE kann akut bis foudroyant (selten), schubartig rezidivierend (am häufigsten) und chronisch schwelend sein. SLE heilt selten spontan aus, ein »Ausbrennen« mit Defektheilung ist jedoch möglich (insbesondere unter Therapie). Hautmanifestationen. Diese sind sehr häufig und wer-
den in spezifische Hautläsionen und unspezifische Begleitzeichen (des SLE, s. u.) unterteilt. Die spezifischen LE-Läsionen stellen in ihrem Erscheinungsbild ein Kontinuum der Entwicklung dar, das durch das Alter bzw. die Aktivität des LE bestimmt wird: man unterscheidet 4 den akut-kutanen LE, 4 den subakut-kutanen LE 4 den chronisch-kutanen LE
296
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Die Läsionen entwickeln sich jedoch nicht zwangsläufig weiter, sondern können in jedem Stadium abheilen (auch spontan). Hinzu kommen einige besondere Manifestationen des kutanen LE (z. B. der tumide LE und die LE-Pannikulitis, s. u.). Entwicklungsgang der spezifischen kutanen LE-Läsionen. Der akut-kutane LE manifestiert sich als charakte-
7
ristisches, meist Tage bis Wochen persistierendes Erythem – anfangs hellrot, später livide, schuppend, evtl. papulös, manchmal follikulär betont. Er klingt ohne Atrophie ab oder entwickelt sich in den subakut-kutanen LE fort: flach erhabene psoriasiforme, teils papulöse, oft anuläre erythematöse, schuppende Herde mit zarter Atrophie. Die Läsionen sind relativ langlebig. Bei weiterem Bestand entsteht der chronisch-kutane LE: dieser ist durch die Symptomtrias von Erythem, Schuppung und Atrophie gekennzeichnet: münzgroße, scheibenförmige, langsam zentrifugal anwachsende Erytheme mit hyperkeratotisch-rauer Oberfläche, die in den Haarfollikeln festhaftende Schuppen ausbilden (bei gewaltsamer Entfernung bleibt ein keratotischer Sporn hängen: »Reißnagelphänomen«). Später wird die Haut »narbenähnlich« atroph: dünn, glänzend, wegen des Untergangs von Melanozyten bzw. Haarfollikeln depigmentiert und haarlos (narbige Alopezie). Peripher verbleibt ein erythematöser Ring, der weiter anwächst (»aktiver Randsaum«). Schließlich bleiben oft sehr auffällige »ausgebrannte« Herde zurück. ! Der akut-kutane LE ist das typische Hautsymptom des SLE bei Aktivitätsspitzen. Länger bestehender SLE kann natürlich auch Herde eines chronisch-kutanen LE entwickeln. Subakut-kutaner LE tritt in der Regel im Rahmen der hautspezifischen Verlaufsform »SCLE« auf (s. u.). Chronisch-kutaner LE ist die hauptsächliche Hautmanifestation des CDLE (s. u.).
Histologischer Entwicklungsgang. Der akut-kutane LE zeigt eine milde Lymphozyten-dominierte Entzündung der oberen Dermis; subakut-kutaner LE zusätzlich milde Hyperkeratose und Atrophie. Chronischkutaner LE: vakuolisierende Degeneration der Basalschicht mit »cytoid bodies«, kompakte Hyperkeratose, follikuläre Hyperkeratosen, oft beträchtliche perivaskuläre und periadnexale lymphozytäre Infiltrate. In der Spätphase Atrophie. In allen Phasen interstitielle Muzinablagerung. Direkte Immunfluoreszenz. Der charakteristische Be-
fund ist das Lupusband in der Basalmembranzone und am Haarfollikel (. Abb. 7.14). Dieses findet sich beim CDLE nur in läsionaler, beim SLE auch in nichtläsio-
. Abb. 7.14. Lupusband bei SLE. Ig- und C3-Ablagerungen der Junktionszone
naler Haut (lichtexponierte > bedeckte); bei SCLE und CDLE ist es nur in einem Teil der Läsionen vorhanden (vorwiegend in älteren Herden). C A V E
Das Lupusband entspricht klumpig-granulären Immunkomplex-Ablagerungen (IgM>IgG) entlang der dermoepidermalen Junktionszone – keine Basalmembranantikörper! Entstehung: Autoantigene werden, z. B. nach UV, in der Epidermis freigesetzt und treffen in der Junktionszone auf die Autoantikörper.
Klinik, Diagnostik und Therapie der Krankheitsbilder Systemischer Lupus erythematodes (SLE) SLE ist eine Multisystemkrankheit mit variablem Verlauf. Typische Konstellationen sind: 4 Klassischer SLE: ein manchmal foudroyantes Krankheitsbild mit hohem Fieber und schwerer Multisystembeteiligung, das ohne Therapie meist zum Tode führt. 4 »Latenter« SLE: milde Verläufe, bei denen nur einzelne ARA-Kriterien (s. u.) und andere typische Symptome zutreffen (z. B. Fieberschübe). Der latente SLE kann über Jahre persistieren oder in den klassischen übergehen. 4 SLE mit sekundärem Antiphospholipid-Syndrom: bei ca. einem Drittel der Patienten sind Antikardiolipin-Antikörper nachweisbar; die Hälfte davon entwickelt thrombembolische oder gestationale Komplikationen (7 Kap. 7.3.5). 4 »Late onset«-SLE: Krankheitsbeginn nach dem 50. Lebensjahr: Verlauf oft milder, Nieren- und ZNS-Beteiligung seltener. 4 SLE im Spätstadium 4 Neonataler LE.
297 7.2 · Kollagenosen
7
Ätiologie. Auslösende Faktoren: SLE verläuft schub-
artig. Erstmanifestation wie Rezidivschübe können spontan auftreten, werden aber nicht selten durch bestimmte Trigger ausgelöst: 4 Infektionen (EBV!) 4 Lichtexposition (Sonne, UVB, UVA – UVA dringt auch durch Glasscheiben!) 4 Operationen, Traumen, Stress, »life events« (psychosoziale Belastungssituationen) 4 Hormone (Kontrazeptiva!, Hormonersatztherapie, hormonelle Stimulation bei IVF) 4 Schwangerschaft und Wochenbett 4 Medikamente Initialsymptomatik. SLE beginnt manchmal plötzlich,
häufiger schleichend. Erste Zeichen sind meist konstitutionelle Symptome (chronische Müdigkeit, Leistungsknick, Gewichtsverlust, subfebrile Temperaturen, kognitive und/oder emotionelle Störungen), sowie Haut- und Gelenksymptome; manchmal Hypertonie. Alternativ kann der SLE mit Befall eines oder mehrerer innerer Organe (z. B. Pleuritis, epileptische Anfälle, Nephritis) oder Blutbildveränderungen (z. B. Thrombopenie) einsetzen. C A V E
Die Initialsymptomatik des SLE wird nicht selten als Infekt, psychisch-neurotische Störungen, Sonnenbrand, medikamentöse Exantheme u. a. m. fehlgedeutet.
Charakteristische weitere Symptome. Photosensibi-
lität ist ein häufiges Symptom (40–70%). Es äußert sich sowohl als Sonnenempfindlichkeit der Haut (UV-A und -B) als auch durch Systemzeichen (Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Fieber). Lichttestung: Erniedrigung der MED, Persistenz des Erythems und (nach einer Latenzperiode) Ausbildung LE-spezifischer Hautherde. Fieber ist häufig, meist mäßig (bis 38°C), bei Aktivitätsgipfeln jedoch hoch (»Lupuskrisen«). Die Unterscheidung von Fieber durch SLE, okkulte Infekte oder »drug fever« ist schwierig. Infektionen. Es besteht eine erhöhte Infektionsbereitschaft gegenüber Bakterien (Pneumonie, Harnwegsinfekt, opportunistische Infekte), Viren (grippale Infekte, exanthematische Viruskrankheiten) und Pilzen (Kandida). Genese: zelluläre Immundysregulation, Erniedrigung der Komplementspiegel; Therapie mit Kortikosteroiden und Immunsuppressiva. Jede Infektion kann wieder einen Schub auslösen (Circulus vitiosus). Organmanifestationen. Haut. Hautläsionen sind nicht mit Läsionen innerer Organe korreliert und daher zwar
. Abb. 7.15. Systemischer Lupus erythematodes, Schmetterlingserythem
von hoher diagnostischer, aber nur geringer prognostischer Bedeutung. LE-spezifische Läsionen: Die typische Hautmanifestation des SLE ist der akut-kutane LE (s. o.), der als »Schmetterlingserythem« und/oder LE-Exantheme in Erscheinung tritt. Bei längerer Persistenz entwickeln sich 30% der Herde zu chronisch-kutanem LE fort. Schmetterlingserythem: fleckig-konfluierende, symmetrische Erytheme der Wangen, die über den Nasenrücken verbunden sind (. Abb. 7.15). Aussparung der Nasolabialfalten! Die LE-Exantheme sind meist makulös (selten urtikariell, multiformeartig oder sogar blasig) und meist auf die obere Körperhälfte beschränkt (Rumpf, Oberarme). Differenzialdiagnose: infektiöse oder Medikamenten-Exantheme (bilden sich schneller zurück). LE-spezifische Läsionen finden sich in ca. 10% auch an Oropharynx und Genitale (meist kleinere Erosionen/Ulzera – Differenzialdiagnose: rezidivierende Aphthen). Besondere Erscheinungsformen: größere persistierende Erytheme (Erysipelas perstans); Rosaceaähnliche Läsionen im Gesicht; erythematöse, schuppende Plaques an Hand- und Fingerrücken (Aussparung der Interphalangealgelenke – DD Dermatomyositis!) sowie akral/palmoplantar (ähnlich dem chronischen Kälteschaden – »Chilblain«-Lupus). Seltene Verlaufsformen sind der Bullöse LE (subepidermale Spaltbildung – Autoantikörper gegen Typ-VII-Kollagen, s. o.) und das Rowell-Syndrom (klinisch und histologisch dem Erythema multiforme ähnlich; Labor: SS-B/La Antikörper positiv). Nichtspezifische Hautzeichen des SLE sind gleichfalls häufig: Hierzu zählen: 4 charakteristische Splitterblutungen der Fingernägel (DD: septische Vaskulitis, Antiphospholipidsyndrom)
298
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
4 Nagelfalz-Teleangiektasien und -hämorrhagien (DD: Dermatomyositis, Sklerodermie) 4 das Raynaud-Symptom (ca. 5%, meist als Frühzeichen)
Manifestationen des SLE an inneren Organen
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4 Arthralgien (Arthritis) – der häufigste Vorstellungsgrund (90%): eine symmetrische, wechselhafte Polyarthritis der proximalen! Interphalangealgelenke, seltener größerer Gelenke, meist ohne Erguss und ohne Destruktionen (Ausnahme: die seltene Jaccoud-Arthropathie: »SchwanenhalsDeformität), aseptische Knochennekrosen (Hüftkopf, Knie – gehäuft beim APS, ätiologischer Kofaktor: systemische Kortikosteroide) 4 Myalgien/Myositis: Häufig, milder als bei Dermatomyositis, Anstieg der Muskelenzyme selten. Differenzialdiagnose: kortikosteroidinduzierte Myopathie. 4 Generalisierte Lymphadenopathie, Milzfibrose 4 Serositis. Ein Hauptsymptom des SLE (autoptisch in >60%), das entweder isoliert (Pleuritis > Perikarditis > Peritonitis) oder, bei foudroyantem Verlauf, kombiniert auftritt. 4 Nieren. In >75% Glomerulonephritis, gehäuft bei Patienten mit anti-ds-DNA- oder anti-Sm. Anfangs meist unbemerkt, Beginn der klinischen/Laborsymptome bei 40% schon im ersten Jahr; langsam progrediente Niereninsuffizienz/Nephrotisches Syndrom; nach 5–10 Jahren schleichendes Nierenversagen. Genese: Ablagerungen von Immunkomplexen in den Glomerula. Gradeinteilung (WHO-Klassifikation I–IV) mittels Nierenbiopsie. 4 ZNS. ZNS-Zeichen des SLE sind vielgestaltig, oft schwerwiegend und häufig Initialsymptome. Genese: Mikroinfarkte, Thrombosen/Hämorrhagien, Emboli (von den Herzklappen), Vaskulitis der Hirngefäße, aseptische Meningitis. Häufig mit APS assoziiert. Neurologische Symptome: migräniforme Kopfschmerzen, epileptische Anfälle, passagere Paresen bis zum Schlaganfall, Hirnnervenausfälle, Aphasie, selten transversale Myelitis u. a. Das periphere Nervensystem ist seltener betroffen (z. B. Mononeuritis multiplex). Psychiatrische Symptome: organisches Hirnsyndrom (diffus gestörte Hirnfunktion mit Delirium, Emotionsstörungen, Gedächtnisverlust, kognitives Defizit), depressive Psychose u. a. Suizidgefahr! Die »LE-Psychose« ist von kortikosteroidinduzierter Psychose oft schwierig zu unterscheiden.
4 generalisierte Livedo reticularis oder racemosa (Hinweis auf das Antiphospholipid-Syndrom – APS) 4 ferner verschiedene Formen der nekrotisierenden Vaskulitis
4 Auge. Sekundäres Sjögren-Syndrom, retinale Vaskulitis. 4 Lunge. Häufig ist die Lupuspleuritis, gravierend die Lupuspneumonitis. Genese: ImmunkomplexAblagerungen. Die akute Pneumonitis ähnelt einer atypischen Pneumonie (Fieber, Dyspnoe, Hämoptyse), die chronische ist eine interstitielle Pneumonie mit u. a. Belastungsdyspnoe, Lungenfibrose, pulmonaler Hypertension, Atelektasen: »shrinking lung syndrome«. Komplikationen: massive Lungenblutungen (Vaskulitis!), Lungeninfarkte (APS!), bakterielle oder virale Pneumonien. 4 Herz. Manifestationen sind Perikarditis, Myokarditis, verruköse Lupusendokarditis (LibmanSacks) und Koronarkrankheit. Myokarditis entsteht durch multiple Mikroinfarkte: Reizleitungsstörungen, Kardiomegalie, Herzinsuffizienz. Endokarditis ist heute seltener (autoptisch ca. 15%), meist mit APS assoziiert. Komplikationen: bakterielle Besiedelung der Vegetationen, Embolien. Vaskulitis der Koronararterien ist im Frühstadium selten, Koronarkrankheit im Spätstadium jedoch häufig (Atherosklerose!). 4 Gastrointestinaltrakt. Abdominelle Schmerzzustände (gastrointestinales Syndrom) sind häufig und meist Teil der konstitutionellen Initialsymptome oder Folge von Medikamenten (NSAID, Kortikosteroide). Seltener sind sie Ausdruck einer Lupusperitonitis, einer Vaskulitis der Mesenterialgefäße oder Pankreatitis. Hepatomegalie und erhöhte Leberenzyme ohne Ikterus sind häufig (NSAID!), selten die primäre Lupushepatitis (eine chronische aktive Hepatitis – Gefahr der Zirrhose). 4 Hämatologische Symptome. Sämtliche Blutzellen können verringert sein: Anämie (normochrome Entzündungsanämie, seltener Coombs-positive hämolytische Anämie); Leukopenie, Lymphopenie, Thrombozytopenie. Genese: direkte Toxizität der Autoantikörper, Reduktion der Hämatopoese. Panzytopenie ist selten (<5%). Die Blutbild-Veränderungen sind mit der Krankheitsaktivität korreliert, führen jedoch nur selten zu klinischen Symptomen (Infekte, Purpura)
299 7.2 · Kollagenosen
Häufig begleiten den SLE ein Telogeneffluvium und charakteristische Struppigkeit der Haare (»Lupushaare«). SLE-Erytheme des Kapillitiums führen bei Umwandlung in chronisch-kutanen LE zur vernarbenden Alopezie (irreversibel). Manifestationen an inneren Organen. Diese sind häu-
fig und von erheblicher Vielfalt (s. auch Lehrbücher der Inneren Medizin). Die wichtigsten/häufigsten sind in der Übersicht aufgeführt. Diagnostik. SLE wird durch typische klinische und
Labor-Befunde diagnostiziert. Zur klinischen Diagnose werden die Kriterien des American College of Rheumatology eingesetzt (ARAKriterien; 7 Übersicht). Positivität von 4 oder mehr dieser 11 Kriterien erlaubt die Diagnose eines SLE (Sensitivität und Spezifität ca. 90%). Die ARA-Kriterien sind zur Klassifikation und für epidemiologische Stu-
ARA-Kriterien (American College of Rheumatology, 1997) 1. 2. 3. 4. 5.
6. 7.
8.
9.
10.
11.
Schmetterlingsexanthem CDLE-Läsionen Photosensibilität Erosionen/Ulzera der Mund-/Nasenschleimhaut Arthritis: Schmerz und Schwellung (oder Erguss) von ≥2 peripheren Gelenken, keine Gelenkserosionen Serositis: Pleuritis, Perikarditis Nierenbeteiligung: persistierende Proteinurie (>500 mg/Tag) oder hyaline Zylinder im Harnsediment, Mikrohämaturie ZNS-Beteiligung: Epileptische Anfälle oder Psychose nach Ausschluss anderer Ursachen (Medikamente, metabolische Störungen) Hämatologie: – hämolytische Anämie mit Retikulozytose oder – Leukopenie <4000/mm3 an ≥2 Zeitpunkten – Lymphopenie <1500/mm3 an ≥2 Zeitpunkten – Thrombozytopenie <100 000/mm3 nach Ausschluss medikamentöser Ursachen Immunologie: – Antikardiolipin-Antikörper bzw. Lupusantikoagulans oder – Anti-dsDNA oder – Anti-Sm-Antikörper oder – falsch positiver Syphilistest (>6 Monate) ANA
7
dien nützlich; milde und oligosymptomatische Fälle werden nicht erfasst – ein häufiges Problem. Labordiagnostik. Abweichungen der Laborparameter sind zahlreich und wechselnd – abhängig von Aktivität und Organbefall. Typische Befunde sind: 4 ANA (ca. 90%). Ein Titer von ≥1:160 ist verdächtig für das Vorliegen einer Kollagenose (bei Kindern schon niedrigere Titer). Anti-dsDNA sind hochspezifisch für SLE (97%), an der Pathogenese der Glomerulonephritis beteiligt und mit der Aktivität des SLE korreliert. 4 Je nach vorliegendem Verlaufstyp »subsets« der ANA (Sm, Ro-SSA etc.) 4 erhöhte Blutsenkung (>30 mm/h), Akutphasenproteine 4 erniedrigtes Serumkomplement (korreliert mit Aktivität!), zirkulierende Immunkomplexe 4 Hypergammaglobulinämie, gemischte Kryoglobulinämie, positive Rheumafaktoren 4 Gerinnungsstörungen: Antikardiolipinantikörper/ Lupuantikoagulans, erhöhtes PTT, »falsch« positiver VDRL 4 Anämie, Leuko/Lymphopenie, Thrombozytopenie 4 Erhöhung von Leberenzymen, Kreatinin und Harnstoff, erniedrigte Clearance 4 pathologisches Harnsediment: Proteinurie (>500 mg/Tag), Zylinder, Mikrohämaturie. Cave: normales Sediment schließt beginnenden Nierenbefall nicht aus! 4 (immer noch wichtig) ist der Lupusband-Test (s. o., . Abb. 7.14). Apparative Diagnostik. EKG, Thorax-Röntgen, Ober-
bauch- und Nierensonographie, Echokardiographie, zerebrales MRI – unter besonderen Befundkonstellationen entsprechende Erweiterung. Therapie. SLE ist nicht heilbar, seine Behandlung ist komplex. Therapieziele sind: Kontrolle der Krankheitsaktivität, Bekämpfung akuter Schübe und Vermeidung von Organschäden. Grundpfeiler sind: Maßnahmen zur Lebensführung, systemische Kortikosteroide und Immunsuppressiva sowie die spezifische Behandlung von Organsymptomen. Die Therapie soll auf klinische Symptome abzielen (z. B. keine Therapie der Laborabweichungen). Lebensführung. Strenges Meiden von Sonnenexposi-
tion (LSF >30, UV-A-Schutz). Keine Überanstrengung, jedoch maßvolles körperliches Training, Vermeidung übertriebener Bettruhe (Osteoporose, Muskelatrophie). Aufschub nicht notwendiger Operationen, Ver-
300
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
zicht auf unwichtige Medikamente (keine hormonellen Kontrazeptiva!, cave Photosensibilisatoren), Meiden infektionsgefährdender Situationen.
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Medikamentöse Therapie. Bei milder Systemsymptomatik niedrigdosiert ASS – dies ist gleichzeitig die Thromboseprophylaxe bei Vorliegen von APS. Andere NSAID wirken nicht stärker, haben jedoch häufiger Nebenwirkungen (Niere!). Bei unzureichender Wirksamkeit Hydroxychloroquin: gute Wirksamkeit bei kutanem LE, Photosensibiltät, Arthralgien. Wirkung oft erst nach Wochen; kontraindiziert bei Hepatopathien, Retinopathien, Rhythmusstörungen und Psoriasis. Nikotin setzt die Wirkung herab, Karenz! Alternativ: Kortikosteroide in mittlerer Dosis (z. B. 40 mg Methylprednisolon). Bei SLE mit Organbeteiligung hochdosiert Kortikosteroide (1–2 mg Methylprednisolon/kg), mit Reduktion je nach Ansprechen. Zur Einsparung werden meist Immunsuppressiva zugefügt (Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil – etwa gleich wirksam). Methotrexat ist besonders bei Arthralgien wirksam. Am stärksten wirkt Cyclophosphamid: es ist bei schwerem Befall der Niere und anderer Organe oder mangelndem Ansprechen indiziert; meist als i. v.-Pulstherapie unter forcierter Diurese und Uromitexan-Schutz (Cave: Zystitis). Die Pulse werden zumindest bis zur Teilremission fortgeführt. Extrakorporale Immunabsorption oder Plasmapherese können in Notsituationen sinnvoll sein. Eine neue Therapieoption ist das Biologicum Rituximab (Elimination der antikörperproduzierenden CD20+-B-Lymphozyten). Die medikamentöse Behandlung orientiert sich am klinischen Verlauf und zielt auf das Erreichen möglichst niedriger Erhaltungsdosen von Kortikosteroiden. Absetzversuche sind selten früher als ein halbes Jahr nach Therapiebeginn erfolgreich.
Nieren- und ZNS-Komplikationen (zweigipfelige Mortalitätskurve!); in allen Phasen unbeherrschbare Infekte (Sepsis!) und Multiorganversagen sowie Medikamenten-Nebenwirkungen. Durch die verbesserte Prognose gelangen heute mehr Patienten in das wenig aktive Spätstadium, in denen Organdefekte und Sekundärkrankheiten dominieren: Niereninsuffizienz, nephrotisches Syndrom, Atherosklerose, Valvulopathien, Osteonekrose, neuropsychiatrische Defektzustände, fibrotische Lungenschrumpfung u. a. Subakut kutaner Lupus erythematodes (SCLE) Definition. Eine seltenere (ca. 10%), mildere Verlaufsform des SLE, die durch oft ausgedehnte, kaum atrophisierende Hautläsionen, hohe Photosensibilität, Ro/SSA-Antikörper und Assoziation mit dem neonatalen Lupussyndrom gekennzeichnet ist. Nierenbeteiligung ist selten, Arthralgien, Blutbildveränderungen und (meist milde) konstitutionelle Symptome jedoch häufig, die ARA-Kriterien sind meist erfüllt. Symptomatik. Exanthematisch an lichtexponierten
Körperstellen und Rumpf disseminierte Herde des subakut-kutanen LE (s. o.; . Abb. 7.16), gelegentlich Befall von Kapillitium und Mundschleimhaut. Differenzialdiagnose: Psoriasis vulgaris, Erythema anulare centrifugum. Diagnostik. Labor. In 75% Ro/SS-A, Anti-ds-DNA meist negativ oder niedrigtitrig. Hohe Korrelation mit HLA DR3. Ro/SS-A werden diaplazentar auf den Fötus übertragen (s. u.). Verlauf und Therapie. SCLE heilt häufig spontan nach Monaten bis Jahren aus, kann jedoch auch in SLE übergehen. Therapie: Hydrochloroquin, lokale Kortiko-
Therapie spezifischer Organsymptome. Behandlung
von z. B. Herz- und Lungenversagen, Infekten, Hypertension, Thrombophilie, Hyperlipidämie, neuropsychiatrischen Symptomen. Prognose. Die 5-Jahres-Überlebensrate des SLE hat sich drastisch von <50% (1955) auf >90% (1990) gebessert (u. a. frühere Erkennung!). Ungünstige prognostische Faktoren sind Nieren- und ZNS-Schäden, Hypertonie, hohe Anti-ds-DNA, hohe Krankheitsaktivität, früher Krankheits- und verzögerter Therapiebeginn, ethnische Zugehörigkeit (schlechtere Prognose bei Afrikanern). Hauptsächliche Todesursachen sind in der Frühphase Formen der Vaskulitis (ZNS, Mesenterialgefäße), in der Spätphase Hypertonie, Herz-, Gefäß-,
. Abb. 7.16. Subakut-kutaner Lupus erythematodes. Ausgedehnte Psoriasis-ähnliche erythematöse Herde am Rumpf mit mäßiger Schuppung und zentraler Atrophie
301 7.2 · Kollagenosen
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steroide; systemische Kortikosteroide nur bei Systemzeichen. Die Hautherde sind oft sehr therapieresistent. Chronisch-diskoider Lupus erythematodes (CDLE) Definition, Ätiologie. Eine weitgehend auf die Haut beschränkte, häufige Form des LE, die durch Hautherde des chronisch-kutanen LE gekennzeichnet ist. CDLE ist von schubartigem Verlauf und selbstlimitiert, geht aber in ca. 5% in SLE über. Er entsteht meist im frühen Erwachsenenalter, bis zu 3-mal häufiger bei Frauen. Eine genetische Disposition ist wahrscheinlich, familiäre Häufung jedoch selten, Korrelationen mit HLA-Typen sind nicht gesichert. UV-B ist ein wichtiger auslösender Faktor (bei UV-Testung häufig verlängerte Erythemdauer, im Testareal können CDLE-Läsionen entstehen). Weitere Trigger: Gestagene (prämenstruelle Exazerbationen) und mechanische Noxen (Köbner-Phänomen).
. Abb. 7.18. Chronisch diskoider Lupus erythematodes: narbiges Spätstadium. Unregelmäßig konfigurierte ausgedehnte atrophe Areale; erythematöse Randsäume als Zeichen partieller Aktivität; beginnende Gewebsdestruktion (Ohrläppchen, Nase)
Symptomatik. Beim klassischen CDLE finden sich
nur einzelne oder wenige Hautherde (. Abb. 7.17, . Abb. 7.18), vorwiegend an lichtexponierten Arealen (Gesicht, Lippen, Ohrmuschel, Handrücken), seltener an Kapillitium, Mamillen u. a. Herde der Mundschleimhaut (hintere Wangenregion, harter Gaumen) sind runde erythematöse Erosionen/Ulzera, oft mit Leukoplakie-artigen Läsionsanteilen. Späte Hautherde können durch Depigmentation, »narbenartige« Atrophie, Alopezie und (an den Akren – Nase, Ohren) Mutilation entstellend wirken (daher der Name »Lupus«). Die Patienten fühlen sich gesund; manchmal besteht Lichtempfindlichkeit (Schübe häufig nach Sonnenexposition!). Spontaninvolution der Herde erfolgt nach Wochen/Jahren, die Krankheit selbst »brennt« nach Jahren/Jahrzehnten aus.
. Abb. 7.17. Chronisch diskoider Lupus erythematodes: frische CDLE-Herde an Wangen und Nase. Rundliche Erytheme mit festhaftender Schuppung, klaffende Follikelostien
Sonderformen des CDLE 4 LE chronicus disseminatus: exanthematische CDLE-Herde, auch außerhalb der lichtexponierten Regionen. Höhere Krankheitsaktivität, geht eher in einen SLE über. 4 Hypertropher CDLE (. Abb. 7.19). Seltener. Knotige hyperkeratotische Läsionen, häufig an den Extremitätenstreckseiten oder palmoplantar. 4 LE profundus (. Abb. 7.20) (Synonym Lupuspannikulitis). Selten. Tiefe, derbe, an der Umgebung fixierte, symptomarme Knoten meist im Schulter- und Beckengürtelbereich, seltener im Gesicht. Abheilung mit oft tiefen Einziehungen. Über den Pannikulitisknoten häufig CDLEHerde. Lupuspannikulitis kann auch im Rahmen eines SLE entstehen. 4 Tumider LE. Eine nicht seltene Sonderform, die früher als eigene Entität galt (»lymphocytic infiltration«). Vorwiegend bei Männern mittleren Alters; klinisch oft solitäre gerötete, glatte, weiche, persistente, symptomlose Plaques an Gesicht und oberem Stamm. Verschlechterung durch Sonnenexposition. Typischerweise fehlen Schuppung, follikuläre Hyperkeratosen und Atrophie (auch histologisch; pseudolymphomartige lymphozytäre Infiltrate, prominente Muzineinlagerung). Mit UV-Provokation können für den tumiden LE typische Hautläsionen erzeugt werden (7 Kap. 2). Therapie: Hydroxychloroquin, Sonnenschutz.
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Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Differenzialdiagnose. CDLE ist meist leicht erkennbar, sollte aber dennoch histologisch gesichert werden. Die Differenzialdiagnose weniger klarer Läsionen ist umfangreich (. Tab. 7.4). Diagnostik. Labor: Meist unauffällig. Bei ca. 5% milde Laborzeichen des SLE: Leukopenie, Anämie, ANA grenzwertig erhöht. Therapie. Kortikosteroidsalben, evtl. okklusiv; alternativ: Tacrolimus-, Vitamin-D-Salben. Bei ausgedehnten/resistenten Fällen Hydroxychloroquin oder systemische Kortikosteroide (kurzfristig). Kryotherapie ist manchmal hilfreich (keine nachhaltige Wirkung). UVSchutz!
7 . Abb. 7.19. Chronisch diskoider Lupus erythematodes: Hypertropher CDLE
. Abb. 7.20. Lupuspannikulitis, Spätstadium. Beachte die Konturveränderung durch multiple narbenähnliche Einziehungen
Sonderformen des Lupus erythematodes Medikamenteninduzierter LE Eine mildere Verlaufsform des SLE (ohne Nieren- und ZNS-Beteiligung), vorwiegend beim »late onset-LE«. Er kann sich noch nach monatelanger Einnahme des betreffenden Medikaments (. Übersicht) einstellen und bildet sich nach Absetzen wieder zurück. Diverse ANA werden gefunden (häufig gegen Histone) und persistieren meist noch Monate nach Absetzen; Antids-DNA und Komplementverbrauch bleiben in der Regel aus. Manche Symptomkonstellationen sind für bestimmte Medikamente charakteristisch, z. B. SCLEartiges Exanthem und Ro-Antikörper bei Thiaziddiuretika; Fieber, Polyarthritis, Perikarderguss und Anti-Histon-Antikörper bei Procainamid. Häufiger bei langsamen Azetylierern! ! Medikamente, die einen medikamenteninduzierten LE auslösen, verschärfen Schübe eines spontanen SLE nicht (könnten also prinzipiell gegeben werden).
. Tab. 7.4. Klinische Differenzialdiagnose des CDLE Früher CDLE
Aktinische Keratosen, Morbus Bowen, oberflächliches Basaliom, polymorphe Lichtdermatose, seborrhoisches Ekzem, Psoriasis, »lymphocytic infiltration«, Plaqueform der Sarkoidose
Später CDLE
Anuläre Psoriasis, E. anulare centrifugum, Epidermomykose, oberflächliche Trichomykose, Korallenriff-Keratokanthom
»Ausgebrannter« CDLE
Vitiligo, atrophe Narben (z. B. nach Verbrennung)
CDLE am Kapillitium
Lichen ruber planopilaris, Morphaea, andere vernarbende Alopezien
CDLE der Mundschleimhaut
Lichen ruber erosivus, Leukoplakie, chronisch rezidivierende Aphthen
CDLE palmoplantar
Psoriasis, Morbus Reiter, Tylose, hyperkeratotische plantare Mykose, Porokeratose
Hypertropher CDLE
Hypertropher Lichen ruber, Basaliom, Plattenepithelkarzinom, Keratoakanthom, Prurigo nodularis
LE profundus
Traumatische Pannikulitis, Schwannom, Epithelioma calcificans
303 7.2 · Kollagenosen
Häufige Auslöser bei medikamenteninduziertem LE (Auswahl) 4 Antihypertensiva: Hydrochlorothiazid, Hydralazin 4 Antimikrobielle Therapeutika: INH, Minozyklin, Terbinafin, Tetrazykline 4 Biologicals: TNF-α-Blocker 4 Antiepileptika: Phenytoin, Carbamazepin 4 Lipidsenker: Statine
SLE und Schwangerschaft Schwangerschaft bedeutet für die Mutter mit SLE wie für den Fötus ein Risiko (trotz drastischer Besserung der Prognose in den letzten Jahren). Wesentliche Probleme: erhöhte Inzidenz von Plazentainsuffizienz, Spätgestosen und fötalen Herzschäden (LE neonatorum). Die Konzeptionsfähigkeit ist durch SLE nicht reduziert; Patientinnen mit SCLE werden wegen der milderen Systemsymptome häufiger schwanger als solche mit SLE. C A V E
SLE galt früher als Kontraindikation für Schwangerschaften, und bei letzterer als Indikation zur Abruptio. Man weiß heute jedoch, dass eine Abruptio den mütterlichen SLE kaum weniger gefährdet als die Schwangerschaft selbst.
Es bestehen folgende Risiken: 4 Risiken für die Mutter. Schwangerschaft selbst löst zwar wahrscheinlich keine Schübe aus, aggraviert solche jedoch. Erhöht ist das Auftreten von Präeklampsie und Pfropfgestosen – enge Überwachung, besonders im 3. Trimenon! 4 Risiken für den Fötus. In bis zu einem Drittel treten Spontanaborte und intrauteriner Fruchttod ein (2. Trimenon); Frühgeburtlichkeit und intrauterine Dystrophie sind wegen Plazentainsuffizienz erhöht (Thrombosen und Infarkte von Deziduagefäßen – APS, Nephropathie). Das Risiko für Kinder von Müttern mit SLE, der >6 Monate inaktiv war, ist nicht größer als bei »gesunden« Müttern. Eine spezifische Gefahr ist der LE neonatorum (s. u.). 4 Führung von schwangeren SLE-Patientinnen. Kinderwunsch sollte nur nachgegeben werden, wenn der SLE ein halbes Jahr inaktiv bzw. unter Therapie stabilisiert war. Tritt eine Schwangerschaft ein, wird eine bestehende Kortikosteroidtherapie weitergeführt (geringeres Risiko als ein Rezidiv!), und bei Schüben die Dosis erhöht. Cyclophosphamid muss, Azathioprin und Chloroquin sollten abgesetzt werden. Ab der 13. SSW zusätzlich nied-
7
rigdosiert ASS (Thromboseprophylaxe, auch der Plazentagefäße!). Überwachung in der Risikoambulanz. Bei APS zusätzlich Heparin. Nach der Geburt sind LE-Schübe häufig, die Kortikosteroidtherapie wird daher über diese hinaus fortgeführt. Lupus neonatorum Definition, Ätiologie. Eine sehr seltene, durch Endo-
kardfibroelastose, kongenitalen AV-Block, Blutbildschäden und Hautläsionen gekennzeichnete Krankheit des Neugeborenen, die durch diaplazentare Übertragung mütterlicher Ro/SS-A-Antikörper bedingt ist. Herzschäden treten bei mütterlichem SCLE auf, fallweise auch bei SLE (falls Ro-Antikörper vorhanden). Symptomatik. Hauptmerkmal sind Reizleitungsstö-
rungen mit Bradykardie, bei maximaler Ausprägung ein irreversibler kompletter AV-Block (<10%). Zusätzlich oft Coombs-positive hämolytische Anämie und Thrombozytopenie (Cave: letale Blutungen), Hepatosplenomegalie. Die Haut zeigt ein dem SCLE analoges Exanthem, vorwiegend im Kopfbereich (UV!). Die Läsionen treten oft noch Wochen nach der Geburt auf und heilen mit milder Atrophie ab (. Abb. 7.21). Differenzialdiagnose: seborrhoisches Ekzem, Kandidiasis. Pathogenese. Mütterliche Ro/SS-A-, LA/SS-B-Antikörper werden aktiv durch die Plazenta (Fc-Rezeptoren!) in die kindliche Zirkulation transportiert und erkennen Antigene im AV-Knoten des fetalen Reizleitungssystems. Immunkomplexbildung und Komplementaktivierung führen zur Endomyokarditis → narbi-
. Abb. 7.21. Neonataler Lupus erythematodes. Bei diesem 2 Monate alten Knaben traten schon postpartal polyzyklische erythematöse Herde im Gesicht auf, die sich in flache Atrophien umwandelten
304
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
ge Ausheilung, Reizleitungsstörungen, Endokardfibrose, Klappenfunktionsstörungen. Wichtig: Ro-Antikörper erhöhen die Abortrate nicht!
der Fälle ist mit malignen Neoplasien innerer Organe assoziiert (Paraneoplasie). Terminologie und Klassifikation. Unter »idiopathi-
Prognose. Blutbildschäden und Hautläsionen sind
spontan reversibel. Die Letalität an Herzschäden beträgt im ersten Lebensmonat bis zu 50% (Herzinsuffizienz, Hydrops fetalis, Infekte nach Schrittmacherimplantation), bei den Überlebenden Entwicklungsstörungen.
7
Therapie. Fötales Monitoring mit regelmäßigem fötalem EKG ab der 16.–18. SSW. Bei Anzeichen kardialer Symptome Therapieversuch mit Dexamethason, evtl. i. v.-Immunglobuline. Kardiale Therapie, bei entsprechender Indikation Schrittmacher. Der neonatale AVBlock ist ein pädiatrischer Notfall! Hautherde: lokale Kortikosteroide (Verhinderung der Atrophie). C A V E
Methylprednisolon wird bis zu Dosen von 60 mg/Tag in der Plazenta metabolisiert und erreicht daher den Fötus nicht. Fluorierte Kortikosteroide (Dexamethason) passieren die Plazentaschranke jedoch und sind daher im Regelfall zu meiden. Bei Vorhandensein von Ro-Antikörpern sollte Dexamethason gerade aus diesem Grund verwendet werden (Verhinderung eines AVBlocks der Frucht).
7.2.2 Dermatomyositis Dermatomyositis ist eine sich hauptsächlich an Skelettmuskeln und Haut manifestierende Multisystemkrankheit mit Parallelen zu SLE und Sklerodermie. Ein Teil
schen entzündlichen Myopathien« versteht man eine Gruppe erworbener Krankheiten, die sich durch Schwäche und Entzündung von Skelettmuskeln auszeichnen: »Polymyositis-, Einschlusskörperchenmyositis-, Dermatomyositis-Komplex«. Die genannten Krankheiten sind einander ähnlich, unterscheiden sich aber in Klinik, Assoziationen und Labor (. Tab. 7.5). Bei der Dermatomyositis unterscheidet man eine kindliche und eine adulte Form (letztere ist in einem Teil der Fälle mit Malignitäten assoziiert). Epidemiologie. Dermatomyositis ist relativ selten (Inzidenz <1/100 000/Jahr), etwas häufiger bei Frauen. Es findet sich ein Gipfel in Kindheit/Adoleszenz, ein höherer im 3. Lebensdrittel. Häufung im Frühling (Coxsackie-B-Virus-Infektion?). Korrelation mit HLA-DR3. Ätiologie und Pathogenese. Eine Autoimmungenese ist wahrscheinlich. Immunkomplexe wurden nachgewiesen, ihre Bedeutung ist unsicher. Virale Trigger werden vermutet, z. B. Coxsackie-B-Viren (»molecular mimicry«?) Symptomatik. Klinische (und Labor-)Symptome sind
ähnlich dem SLE, mit Betonung der Muskelzeichen. Initial Krankheitsgefühl, Arthralgien, Raynaud-Symptom und mildes Fieber. Muskel- und Hautzeichen sind weder zeitlich noch in ihrer Intensität streng korreliert: die Muskelzeichen können vorausgehen oder nachhinken, sogar ausbleiben (»amyopathische Dermatomyositis«).
. Tab. 7.5. »Idiopathische« entzündliche Myopathien Dermatomyositis
Polymyositis
EinschlusskörperchenMyositis
wohldefiniert
Heterogen »Ausschlussdiagnose«
(wohl-)definiert
Hautzeichen
vorhanden
fehlen
fehlen
Befallene Muskelgruppen
proximal>distal
proximal>distal
distal>proximal
Alter
Kindheit, Erwachsenenalter
alle Alter
>50 Jahre
Assoziationen 4 Sklerodermie, Sharp-Syndrom 4 Andere Autoimmunkrankheiten 4 Neoplasien 4 Infektionen 4 Medikamente
4 4 4 4 4
4 4 4 4 4
4 4 4 4 4
Ansprechen auf Therapie
(gut)
Krankheitseinheit
ja selten ja nein (?) selten
nein häufig nein häufig ja
schwankend
nein <15% nein nein nein
schlecht
305 7.2 · Kollagenosen
Muskelsymptome. Leitmerkmal ist eine langsam (oft Monate) einschleichende, selten akut einsetzende progrediente Muskelschwäche und -schmerzhaftigkeit (»Muskelkater«), vorwiegend an Schulter- und Beckengürtelmuskulatur, Nackenbeugern und -streckern. Die Muskeln sind druckschmerzhaft und teigig weich. Typische Beschwerden: Schwierigkeiten beim Treppen steigen, Aufstehen, Heben der Arme (Kämmen), Heben des Kopfs etc. Distale Muskelgruppen sind wenig oder spät betroffen (auf-Zehen-Gehen, Handschluss, Feinmotorik). Typisch ist auch der Befall der Pharynx- und Larynxmuskulatur: heisere, »gebrochene« Stimme, nasale Sprache, häufiges Verschlucken. Muskelbiopsie: Rundzellinfiltrate zwischen den Muskelfaszikeln und perivaskulär, Fibrinthrombi. Verlust der Querstreifung, Nekrose, und Regeneration der Muskelfasern.
7
. Abb. 7.22. Dermatomyositis. Erweiterte Nagelfalzgefäße und Hämorrhagien
Hautzeichen. Viele der folgenden Zeichen sind hoch
charakteristisch für Dermatomyositis: 4 Schuppende, livide Erytheme/Papeln über den Fingerknöcheln (Ellenbogen, Knien) – GottronZeichen. Beim SLE sparen analoge Läsionen die Knöchel aus! 4 Nagelfalzteleangiektasien und -hämorrhagien (ähnlich wie bei SLE, . Abb. 7.22) 4 Persistente diffuse livide Rötung und Schwellung der oberen Gesichtshälfte, besonders der Augenlider (»Heliotrop-Erythem«, . Abb. 7.23). Bei starker Ausprägung ist das gesamte Gesicht, Hals und oberer Rumpf betroffen, manchmal in streifiger Anordnung. Bei längerem Bestand scheckige Hyperpigmentierung (Poikilodermie). 4 Psoriasiforme oder lichenoide Exantheme 4 Livedo reticularis, Episoden nekrotisierender Vaskulitis (rheumatoide Vaskulitis) 4 Befall der tiefen Faszien bzw. Muskelfaszien (30– 40% bei der juvenilen Form) kann zu Kontraktur und Verkalkungen führen. Die Verkalkungen sind großknotig, oft multipel und treten an mechanisch belasteten Stellen auf (Behinderung, schlecht heilende Ulzera). Organbefall. Das Herz ist in bis 40% beteiligt (meist
milde; Reizleitungsstörungen, Tachyarrhythmien, selten ausgeprägte Kardiomyopathie), die Lungen in bis 10% (Bronchiolitis obliterans, interstitielle Pneumonitis, progressive Lungenfibrose). Befall glatter Muskel in bis zu einem Drittel (z. B. Ösophagus → Dysphagie). Niere und Leber sind meist nur bei Überlappungssyndromen mit z. B. SLE betroffen. Assoziationen. Dermatomyositis tritt in ca. 20% in Ver-
bindung mit Sklerodermie bzw. »mixed connective
. Abb. 7.23. Heliotrop-Erythem bei Dermatomyositis. Rötung und Schwellung der oberen Gesichtshälfte
tissue disease« auf (»Überlappungssyndrome« – AntiPM/Scl-ANA häufig positiv). Maligne Tumoren: s. u. Diagnostik. Histologie. Ähnlich dem LE, milder, Follikel nicht betroffen. IF: negativ (kein Lupusband!). Labor: Stark erhöht sind die Zeichen des Muskelzerfalls: Aldolase (sehr sensitiv), Kreatinphosphokinase (MM-Isotyp), Laktatdehydrogenase und Transaminasen. Im Harn kann Kreatin auftreten, bei schwerem Verlauf Myoglobinämie und -urie. EMG: myopathische (im Stadium der Reinnervation regenerierter Muskeln auch neuropathische) Kurvenbilder. Bei Überlappungssyndromen zusätzlich milde Laborzeichen des SLE (Leukopenie, Anämie, Proteinurie),
306
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
manchmal niedrigtitrige ANA. Für Dermatomyositis (und Polymyositis) spezifischer sind ANA gegen tRNASynthetasen (Jo-1 – in 50% bei Lungenbefall). Verlauf und Prognose. Vor der Kortikosteroidära ver-
7
liefen zwei Drittel der Fälle tödlich, heute überleben ca. 80%. Hauptsächliche Todesursachen: Myokardiopathie, Atemlähmung (Interkostalmuskulatur, Zwerchfell), Aspirationspneumonie (Pharynxmuskulatur), progrediente Lungenfibrose und Infektionen. Unbehandelt mündet die Dermatomyositis in Defektzustände (Fibrosierung und Verkalkung von Muskeln). Folgen: Deformitäten, bei Kindern auch Entwicklungsstörungen, Arthrosen, Emphysem, Rechtsherz etc. Die Prognose der adulten Form wird ferner durch die Assoziation mit internen Neoplasien bestimmt (ca. 30%, meist des Gastrointestinal- und weiblichen Genitaltrakts). Therapie. Wie bei SLE systemische Kortikosteroide
(Anfangsdosen mindestens 1 mg/kg). Parameter der Besserung sind Wiederkehr der Kraft und Abfall der CPK. Bis zu 30% sprechen langsam oder nur mangelhaft an; in diesen Fällen Kombination mit Azathioprin, alternativ z. B. Methotrexat. DD: steroidinduzierte Myopathie! Auxiliär wirksam sind Plasmapherese und i. v.-Immunglobuline (bei frischen Schüben, juvenile Verlaufsform), in Erprobung: Infliximab. In der Frühphase Schonung und Bettruhe, anschließend maßvolle physikalische Therapie. Patienten mit Ateminsuffizienz: intensive Überwachung, Atemhilfe. Differenzialdiagnose. Die Diagnose ist bei typischen
Hautläsionen eindeutig. Fehlen diese, müssen Polymyositis, Einschlusskörperchenmyositis (Muskelbiopsie, klinisches Bild), SLE und Polymyalgia rheumatica ausgeschlossen werden. Weitere DD: infektiöse (Streptound Staphylokokken, Borrelien, Legionellen, HIV, Toxoplasma, Trypanosomen, Zystizerken), medikamenteninduzierte (. Tab. 7.6) oder metabolische Myopathien (Schilddrüse) und neuromuskuläre degenerative Krankheiten.
. Tab. 7.6. Medikamenteninduzierte Myopathien Entzündlich
Nichtentzündlich
L-Tryptophan Penicillamin Zidovudin
Kortikosteroide Chloroquin Cimetidin Lovastatin
7.2.3 Sjögren-Syndrom Definition. Eine Multisystem-Autoimmunkrankheit, die durch polyklonale Hypergammaglobulinämie, bestimmte Subsets von ANA, klinisch durch Beeinträchtigung der exokrinen Drüsen und kutane nekrotisierende Vaskulitis gekennzeichnet ist. Sie tritt entweder isoliert oder mit anderen Autoimmunkrankheiten assoziiert auf (»primäres« bzw. »sekundäres« Sjögren-Syndrom). Der Verlauf ist chronisch progredient, jedoch kaum lebensbedrohend. Zwischen Sjögren-Syndrom und SCLE sowie Purpura hypergammaglobulinaemica bestehen fließende Übergänge und Uberlappungen (ca. 30%). Gehäufte Entwicklung von B-Zell-Lymphomen. Epidemiologie. Eine der häufigsten Autoimmunkrankheiten (Prävalenz von 0,5%), Gynäkotropie (9:1), Beginn meist ab dem 50. Lebensjahr. 2–5% sonst gesunder alter Personen zeigen Teilsymptome (SiccaSymptomatik: Minderproduktion von Tränen, Speichel). Primäres Sjögren-Syndrom ist mit HLA-DR3 und -DRw52 assoziiert. Ätiologie und Pathogenese. Wenig bekannt. Das
Sjögren-Syndrom ist ein spezifisches Autoimmunphänomen, das für sich allein oder im Rahmen anderer Autoimmunkrankheiten, der Graft-versus-host-Reaktion, der HIV-Infektion u. a. m auftritt. Assoziation mit Hepatitis C. Symptomatik. Leitmerkmale sind Keratoconjunctivi-
tis sicca (Befall der Tränendrüsen) und Xerostomie (Befall der Speicheldrüsen). Die Entwicklung ist meist schleichend (Jahre), selten akut: Trockenheit und Rötung der Bindehäute, Photophobie, Erosionen der Kornea; Schwellung von Parotis und Sublingualdrüsen, Schluckbeschwerden, Karies. Seltener Trockenheit des Respirationstrakts (Nasenbluten, Tracheobronchitis, Pneumonie) und der Genitalschleimhäute. Fakultativ: Pankreatitis, biliäre Zirrhose, periphere Neuropathien, neuropsychiatrische Störungen, Nephropathie u. a. m. Das Risiko zur Entwicklung von B-Zell-Lymphomen ist >40-fach erhöht. ! Die Entwicklung von Lymphomen beim Sjögren-Syndrom gilt als Modellfall der neoplastischen Transformation durch chronische B-Zellstimulation. Sie verläuft über die Zwischenstufe von Pseudolymphomen in den Speicheldrüsen und regionalen Lymphknoten. Die Lymphomzellen produzieren häufig monoklonal dasselbe IgMκ, das schon vorher als Rheumafaktor nachweisbar war.
307 7.2 · Kollagenosen
Hautmanifestationen. Trockenheit der Haut (Befall
von Talg- und Schweißdrüsen). Seltener (ca. 30%), aber bedeutsamer sind chronisch-rezidivierende Formen der nekrotisierenden Vaskulitis: Purpura hypergammaglobulinaemica Waldenström, kryoglobulinämische Vaskulitis, seltener urtikarielle Vaskulitis u. a. Weitere Hautzeichen: Raynaud-Symptom, Erythema multiforme, Sweet-Syndrom u. a. Diagnostik. Nachweis verminderter Tränenproduktion (Schirmer-Test), Tränenfilmaufreißzeit und Speichelflussrate (mechanisch, Sialoszintigraphie). Die Keratokonjunktivitis wird mittels Spaltlampenuntersuchung diagnostiziert, die Parotitis mittels Sialographie. Eine Biopsie der Unterlippe erlaubt den Nachweis der lymphozytären Entzündung kleiner Speicheldrüsen. Labor: Hohe Assoziation mit Antikörpern (IgA, IgG)
gegen α-Fodrin (ein intrazelluläres, filamentassoziiertes Protein), 40% Ro/SS-A, Rheumafaktor (κ-Leichtketten; die diese produzierenden B-Zellen akkumulieren in den Speicheldrüsen, nicht in der Synovia!), polyklonale Hypergammaglobulin- und Kryoglobulinämie. In aktiven Phasen zirkulierende Immunkomplexe, erniedrigtes Komplement. Zusätzlich oft ein Spektrum weiterer Autoantikörper (z. B. Parietalzellen der Magenschleimhaut, Schilddrüsenepithelien u. a.). Therapie. Das unkomplizierte Sjögren-Syndrom be-
darf lediglich des Ersatzes der Tränen- und Speichelflüssigkeit. Vaskulitis wird mit niedrigdosierten Kortikosteroiden behandelt, alternativ Hydroxychloroquin, Dapson. Pflegemaßnahmen (trockene Haut), Luftbefeuchter! 7.2.4 Sklerodermie Dieser Begriff umfasst eine Gruppe chronisch-entzündlicher Krankheiten, die mit dem Symptom »Hautsklerose« (s. u.) einhergehen: 4 zirkumskripte Sklerodermie (Morphaea): eine umschriebene Sklerodermie der Haut ohne Systembeteiligung 4 systemische Sklerodermie: eine chronisch progrediente Multisystemkrankheit 4 Überlappungssyndrome mit anderen Autoimmunkrankheiten (SLE, Dermato-/Poly-Myositis, primäre biliäre Leberzirrhose u. a.). Von diesen »echten« Sklerodermien werden Sklerodermie-ähnliche Krankheiten unterschieden (Pseudosklerodermien), die gleichfalls zum Symptom der Haut-
7
sklerose führen (chronische venöse Insuffizienz, Atrophia cutis idiopathica, Vinylchlorid-Krankheit u. a.). Symptom Hautsklerose. Verhärtung und (im Gegen-
satz zur Fibrose) Schrumpfung der Haut durch Überproduktion von Kollagen. Die Hautsklerose kann in allen Etagen der Haut isoliert, aber auch kombiniert auftreten: ist die papilläre Dermis betroffen, nimmt die Haut einen opaquen, elfenbeinfarbenen Farbton an (z. B. Lichen sclerosus). Bei Befall von retikulärer Dermis und Subkutis ist die Haut plattenartig verdichtet und an der Unterlage fixiert (systemische Sklerodermie, chronische venöse Insuffizienz). Bei Befall der tiefen Faszien kommt es zur prallen, derben Schwellung (z. B. des Armes), die später in eine Beugekontraktur übergeht (eosinophile Fasziitis). Zirkumskripte Sklerodermie (Morphaea, M) Eine durch umschriebene, sklerodermische Herde gekennzeichnete Dermatose von langwierigem, selbstlimitiertem Verlauf (Monate bis Jahre), die in Hautatrophie mündet. Systemzeichen oder Beteiligung innerer Organe fehlen; manchmal begleitender Befall hautnaher Gewebe (z. B. Sehnen). Übergang in systemische Sklerodermie kommt nicht vor. Epidemiologie. Vorkommen weltweit, 3-mal häufiger bei Frauen, Inzidenz >2–5/100 000/Jahr. Manifestationsalter: Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter. Assoziation mit HLA-DR2, -B7. Ätiologie und Pathogenese. Unklar. Überschießende Kollagensynthese, die in der tiefen Dermis beginnt und später auf das gesamte Bindegewebe übergreift. Lokale Traumen gehen der M in ca. 20% voraus. Eine Assoziation mit Borrelia burgdorferi wird diskutiert, Beweise stehen aus. Symptomatik. Folgende Erscheinungsformen werden
unterschieden: Plaque-Typ. Die häufigste und mildeste Form: einzelne rund-ovale Herde, meist am Rumpf. Sie beginnen als mehrere Zentimeter große, symptomlose, hellrote, unscharf begrenzte, derb-ödematöse Plaques, die sich langsam zentrifugal ausbreiten (Stadium erythematosum). Das Zentrum verfärbt sich »elfenbeinfarben« und wird hart (Stadium indurativum) (. Abb. 7.24), peripher bleibt ein aktiv anwachsender erythematöser Ring erhalten (Lilac-Ring; wichtig zur Unterscheidung von der systemischen Sklerodermie). Der Herd wird plattenartig induriert, die Epidermis atroph, matt glänzend, die Haarfollikel verstrichen. Nach einigen Mo-
308
7
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
. Abb. 7.24. Morphaeaherd. Ein silbrig-weißer, indurierter Herd mit erythematösem Randsaum (Lilac-Ring)
naten beginnt die Rückbildung: zunächst verschwindet der Lilac-Ring, der Herd wird weich, sinkt muldenförmig ein und wird häufig bräunlich hyperpigmentiert (Stadium atrophicans). Lineärer (streifiger) Typ. Diese vorwiegend im Kindesalter beginnende Form ist ähnlich, aber gravierender: durch Schrumpfung der befallenen tiefen Faszien können Kontur und Funktion beeinträchtigt werden. Die Herde sind bandartig und fast ausschließlich an Extremitäten, Kapillitium und Stirn lokalisiert. Sie adhärieren fest an der Unterlage, die Faszien sind induriert und können die Muskeln straff umspannen (typische Komplikation: Karpaltunnelsyndrom). Ein Lilac-Ring fehlt meist. Es kommt zu Schrumpfung und Atrophie des Bindegewebes, oft auch der Muskulatur, sowie zu Gelenkskontrakturen. Manchmal sind schollige Verkalkungen der betroffenen Weichteile assoziiert. Besonders auffällig ist die Atrophie bei Herden am Kapillitium, die meist paramedian sagittal verlaufen: durch Atrophie der Galea aponeurotica und oft auch des Knochens entsteht eine längliche, haarlose Eindellung (vernarbende Alopezie) – ähnlich der Narbe nach einem Säbelhieb (»Coup de sabre«-Typ) (. Abb. 7.25). In schweren Fällen atrophisieren auch Fett-, Knochengewebe und Meningen. Es kann eine streng halbseitige, entstellende Hemiatrophia faciei resultieren: die eine Gesichtshälfte ist normal, die andere »totenkopfartig« eingefallen. Kleinmakulöser Typ (M guttata). Eine seltene Verlaufs-
form, die durch bis münzgroße, weißliche, oberflächliche, oft »systemisiert« angeordnete Herde gekennzeichnet ist. Differenzialdiagnose: Lichen sclerosus.
. Abb. 7.25. Coup de Sabre-Morphaea. Streifenförmige Atrophie der linken Schläfe mit beginnender Hemiatrophia faciei (Wange, Nase). Eine atrophisierende Alopezie ist noch nicht manifest
Eine Atrophie des darunter liegenden Bindegewebes bleibt aus. Generalisierte (pansklerotische) M. Die maximale Aus-
prägung der M; ein seltenes, langwieriges und schweres Zustandsbild. Sie ist durch multiple, über den gesamten Körper verteilte Herde gekennzeichnet, oft symmetrisch, manchmal durch Konfluenz universell. Die Haut ist weißlich-livide, verdickt – nur in großen Falten abhebbar, die Exkursion der meisten Gelenke eingeschränkt. Muskelatrophie und Beugekontrakturen (z. B. Krallenhand) können zur Invalidisierung führen. Differenzialdiagnose: systemische Sklerodermie, Skleroedema adultorum. Kein Raynaud-Phänomen, keine Systemzeichen. Eosinophile Fasziitis (Shulman-Syndrom). Eine seltene akute Verlaufsform der M an den Extremitäten, bei der der Befall der tiefen Faszien und Sehnenscheiden im Vordergrund steht. Hautherde sind selten (20%). Androtropie. Symptomatik (. Abb. 7.26): Eine diffuse, unscharf begrenzte, derb-pralle Schwellung meist einer Extremität, über der die Haut unverschieblich prall gespannt ist. Die Exkursion der betroffenen Gelenke ist eingeschränkt, häufig Karpaltunnelsyndrom. Typisch ist das »negative Venenzeichen«: die großen Hautvenen erscheinen nicht (wie normal) prominent, sondern als streifige Eindellung (Kollaps des Lumens). Nach bis jahrelangem Verlauf Defektheilung mit Schrumpfung der Faszie (Beugekontraktur, Krallenhand!). Labor. Periphere Eosinophilie. M profunda. Eine seltene subkutane Variante.
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7
Systemische (progressive) Sklerodermie (SS) SS ist eine nicht seltene, meist langsam progrediente Multisystemkrankheit weitgehend unklarer Ursache, die oft mit erheblichem und langem Leiden und Invalidität einhergeht und potenziell tödlich verläuft. Außer der Haut werden auch innere Organe befallen (u. a. Gastrointestinal-, Respirationstrakt). Die Therapie ist unbefriedigend.
. Abb. 7.26. Shulman-Syndrom. Der Unterarm ist zur Gänze straff infiltriert, negatives Venenzeichen
Diagnostik der Morphaea. Histologie: Im St. erythema-
tosum uncharakteristische entzündliche, im St. indurativum für Sklerodermie diagnostische Veränderungen (s. u.). IF negativ. Eosinophile Fasziitis: eosinophilenreiche Entzündung und Verdickung der tiefen Faszie und Muskelfaszien. Labor. Eosinophilie ist häufig (bis 30%). ANA, oft gegen Zentriolen und Spindelapparat, in 50% (lineäre und generalisierte M!), Rheumafaktoren (40%). Therapie. Eine verlässlich wirksame Therapie ist nicht bekannt. Am besten wirkt die Balneophotochemotherapie. Die plaqueförmige M (nicht aber die übrigen Verlaufsformen) spricht in frühen Stadien manchmal auf Penicillin an (Wirkmechanismus unbekannt). Das St. atrophicans ist ein irreversibler Endzustand. Kortikosteroide sind bei der eosinophilen Fasziitis teilweise, bei den anderen Formen kaum wirksam.
Epidemiologie. Die Inzidenz liegt bei 1/100 000/Jahr, die Prävalenzdaten schwanken sehr (hoher Anteil milder Verlaufsformen). Gynäkotropie (3:1; bei jungen Patienten bis 8:1). Die Krankheit beginnt meist in der 3. bis 5. Dekade. Eine genetische Disposition ist unbewiesen. Assoziationen mit HLA-Typen sind nicht gesichert. Ätiologie. Über diese ist wenig bekannt, genetische und exogene Faktoren spielen Rollen. An der komplexen Pathogenese sind das Blutgefäßsystem (Endothelzelldegeneration, Schäden der Basalmembran, Mikroangiopathie u. a.), das Immunsystem (polyklonale Aktivierung, Autoantikörper und autoreaktive Klone gegen Endothelzellen, Basalmembranen, extrazelluläre Matrix) und das Bindegewebe beteiligt. Fibroblasten – vornehmlich an der Dermis-Subkutisgrenze und perivaskulär – produzieren im Übermaß Kollagen (Typ III, später auch Typ I), Fibronektin und Proteoglykane → Akkumulation. Für die Überproduktion sind Wuchsstoffe aus Makrophagen, Endothelzellen, Plättchen, Mastzellen und Fibroblasten verantwortlich – TGF-β2, das Schlüsselzytokin, PDGF, IL-1 und »connective tissue activating peptides« (CTAP I–V). In vitro behalten die Fibroblasten durch mehrere Passagen die erhöhte Kollagenproduktion bei. Eine doppelte Rolle
. Tab. 7.7. Verlaufsformen der systemischen Sklerodermie Limitierte systemische Sklerodermie
Diffuse systemische Sklerodermie
Typ I
Typ II
(Typ III)
Hautmanifestation
Sklerose der Akren, Ausbreitung zentripetal nur bis zum Hand-(Sprung-)gelenk
Sklerose der Akren und Gesicht, Ausbreitung über Hand (Sprung-) gelenk hinaus
Sklerose der gesamten Haut; Reihenfolge meist Stamm, Gesicht, Akren
Raynaud-Phänomen
in fast 100%, oft jahrelang vorausgehend
häufig <1 Jahr bestehend, oft fehlend
Organbeteiligung
spät und häufig milde; pulmonale Hypertonie >Lungenfibrose
frühzeitig und meist schwer; Lunge (Alveolitis, Fibrose), Niere, GI-Trakt, Herz
Auto-Antikörper Insgesamt bei >90% der Patienten
antizentromer
nukleolär; DNA-Toposoisomerase-I-AK (Scl 70) oder RNA- Polymerase I, II, III AK keine antizentromeren Antikörper
Prognose
oft jahrzehntelanger Verlauf
5-Jahre-Überlebenszeit 40–70%
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Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
. Abb. 7.27a–d. Systemische Sklerodermie: Sklerodaktylie. a Anämisierung der Finger in Streckstellung. Verkürzung der distalen Phalangen, Nageldystrophie. b Madonnenfinger. Atrophie der Fingerbeeren. c Rattenbissnekrosen. d Beugekontraktur der Finger
spielt vermutlich IFN-γ: als Förderer der Autoimmunkomponente, aber auch als potenter Hemmer der Kollagensynthese. Die gebildeten Kollagenfasern sind dünn und noch unvollständig gebändert.
7
a
Klassifikation. Man unterscheidet die limitierte SS
7
(»Akrosklerose-Typ«) mit in der Regel langsamem und milderem Verlauf, und die oft rasch progrediente diffuse SS (. Tab. 7.7). Die limitierte SS beginnt an den Akren und breitet sich proximalwärts aus; je nach Ausdehnung werden noch die Typen I und II unterschieden. Die diffuse SS (Typ III: weniger als ein Drittel der Fälle) beginnt gleichzeitig an der gesamten Haut. Die klinische Klassifikation korreliert mit dem Autoantikörperprofil. Symptomatik. Limitierte systemische Sklerodermie
(Typen I und II, CREST-Syndrom). Diese ist durch Befall der Akren bis zum Hand- bzw. Sprunggelenk (Typ I) oder auch der Unterarme/-schenkel und des Gesichts gekennzeichnet (Typ II). Der Rumpf ist nicht (oder wenig) betroffen. Die Beteiligung innerer Organe erfolgt langsamer als bei der diffusen Form, die Prognose ist wesentlich besser. Initialsymptom ist fast stets das Raynaud-Phänomen (oft jahrelang vorausgehend). Die Verhärtung und Schrumpfung beginnt an den Fingern (Akrosklerose, Sklerodaktylie) (. Abb. 7.27a–d): die Wölbung der Fingerbeeren verstreicht, die Fingerendglieder werden kürzer, schlanker und zugespitzt (»Madonnenfinger«). Der Prozess dehnt sich langsam nach proximal aus, es kommt zur Einscheidung und Steifheit der Finger (bevorzugte Haltung in der halbgebeugten Mittelstellung). Werden die Finger gestreckt, erblassen die Fingerrücken und Nagelbetten. Die Haut ist schlecht verschieblich, die Abhebbarkeit von Falten reduziert (Falten sind kurz und dick). Am Nagelfalz finden sich häufig Teleangiektasien, Riesenkapillaren und Mikroblutungen, daneben avaskuläre Areale (Kapillarmikroskopie!). Sie sind bei Typ III stärker ausgeprägt als bei der limitierten SS. ! Die Läsionen des Nagelfalzes treten bei allen Kollagenosen auf, insbesondere bei SS, Dermatomyositis und Antiphospholipid-Syndrom. Bei maximaler Ausprägung entstehen keilförmige hämorrhagische Nekrosen.
b
c
d
311 7.2 · Kollagenosen
Im Verlauf entstehen trophische Störungen: Onychodystrophie, Onycholyse, schlecht heilende trophische Ulzera der Fingerkuppen (»Rattenbissnekrosen«) und langwierige Infekte (Paronychien, Verlust von Nägeln und Fingergliedern). Schließlich ist die gesamte Hand in Krallenstellung fixiert, von einer derben, straffen und glänzenden Haut überzogen und die Fingerglieder in verschiedenem Maße mutiliert. Die angrenzenden Teile des Unterarms sind bei Typ II gleichfalls sklerotisch; die Grenze zur unbefallenen Haut ist unscharf (kein Lilac-Ring!). Bei Typ II entstehen analoge Veränderungen im Gesicht (. Abb. 7.28a, b): die Haut wird straffer, gespannt und glänzend, die altersbedingten Falten geglättet (»Verjüngung«) und die Mimik eingeschränkt (»Maskengesicht«). Durch Schrumpfung wird die Mundspalte verengt (Mikrostomie), es entstehen charakteristische radiäre Furchen (»Tabaksbeutelmund«); oft kann der Mund auch nicht mehr ganz geschlossen werden. Typisch sind ferner manchmal zahlreiche Teleangiektasien sowie eine Verkürzung/Verdickung des Zungenbändchens.
7
Selten, aber charakteristisch ist ferner eine paraartikuläre Calcinosis cutis der Fingergelenke, häufig assoziiert mit ausgeprägten Teleangiektasien (»CRESTSyndrom«: Calcinosis, Raynaud, Esophagus-Motilitätsstörung, Sklerodaktylie, Teleangiektasien). Diffuse progressive Sklerodermie (Typ III). Diese ist durch ausgedehnten, manchmal universellen Hautbefall mit synchronem Beginn, rapiden Verlauf und ausgeprägten Befall innerer Organe gekennzeichnet. Zu Beginn dominieren Symptome wie Müdigkeit, Arthralgien, Schwellungen der Hände und Finger (»puffy hands«). Das Raynaud-Phänomen tritt erst später hinzu oder bleibt auch aus. Schon früh fallen besonders ausgeprägte Nagelfalz-Läsionen und das häufig tastbare Reiben der Sehnen in den Sehnenscheiden auf (frühzeitig Gelenkskontrakturen!). Nach Monaten kommt es zur weitgehend synchronen Sklerosierung des Stamms, der Extremitäten und des Gesichts, die nach einigen Jahren ihr Maximum erreicht. Anschließend bleibt die diffuse SS stationär (»ausgebrannt«) oder bildet sich sogar partiell wieder zurück; die Gelenkskontrakturen bleiben hingegen in der Regel unverändert. Die Entwicklung einer dystrophen Kalzinose kommt vor. Symptome innerer Organe. Die Symptomatik ist bei
beiden Verlaufsformen gleich, im Ausmaß jedoch unterschiedlich. Zahlreiche Organe können betroffen sein, meist mehrere gleichzeitig (Gastrointestinaltrakt > Lunge > Niere > Herz). Gastrointestinaltrakt. Am häufigsten betroffen sind Ösophagus (untere Drittel) und Ileum: Wandstarre, mangelhafte Motilität (Peristaltik). Folgen: Dysphagie, Refluxösophagitis; Obstipation und Diarrhoe, selten Malabsorptionssyndrom. Teleangiektasien können eine Quelle bedrohlicher Blutungen sein (Gastroskopie!). Diagnostik: Ösophagusmanometrie (fehlende Erschlaffung beim Schluckakt), radiologische Bestimmung der Ösophagusmotilität (Radiumbreischluck) u. a.
a
Respirationstrakt. Lungenbefall ist typisch, häufig und
b . Abb. 7.28a, b. Systemische Sklerodermie: Gesichtsveränderungen. a Straffe, faltenlose Gesichtshaut (Patientin ist ca. 50 Jahre), b Tabaksbeutelmund
oft Grund der Erstvorstellung. Hauptmanifestationen: fibrosierende Alveolitis (75%) und pulmonale Hypertension (50%) – beides prognostisch ungünstige Zeichen. Beide äußern sich mit Belastungs- bzw. Ruhedyspnoe; später pulmonale Hypertension und Rechtsherzhypertrophie. Die neutrophil/eosinophile Alveolitis verläuft schneller und aggressiver als die lymphozytäre, führt rasch zu Destruktion der Alveolen und Lungenfibrose (Granulozyten-Elastase!) und ist unverzüglich therapie-
312
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
bedürftig (Immunsuppression). Lungenfibrose ist die häufigste Todesursache der diffusen SS, bei der limitierten SS ist pulmonale Hypertonie häufiger. Diagnostik: Spirometrie, HR-CT, CO-Diffusionsmessung, bronchoalveoläre Lavage, Echokardiographie. Nieren. Sklerose der Nierenarteriolen mit progre-
dientem Parenchymausfall (→ Niereninsuffizienz, Urämie), in manchen Fällen akutes Nierenversagen bei exzessiver renaler Hypertension. Renale Krisen waren früher die häufigste Todesursache bei der frühen SS; seit Einführung frühzeitiger Gaben von ACE-Hemmern sind sie seltener geworden.
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Herz. Myo- und Perikardfibrose sind selten, aber ein ungünstiges prognostisches Zeichen: Reizleitungsstörungen, Perikarditis, -erguss, kardiale Insuffizienz. Erhöhte Digitalisempfindlichkeit! Muskulatur. Myositis und Myopathien (v. a. bei Überlappung mit Dermatomyositis). Skelettsystem. Polyarthritis ähnlich der rheumatoiden
Arthritis bei früher diffuser SS. Diagnostik: Skelettszintigraphie. Assoziierte Krankheiten. SS ist häufig mit anderen Autoimmunkrankheiten assoziiert (jeweils 10–20%): Sjögren-Syndrom, Dermato/Polymyositis, primäre biliäre Zirrhose.
Vasoaktive Therapie. Kalziumantagonisten (z. B. Nifedipin), ACE-Inhibitoren (z. B. Captopril), Prostazyklin-Infusionstherapie (bei schwerem Raynaud-Symptom und pulmonaler Hypertension), Kalzitonin (Prostazyklin-Freisetzung). Sympathektomie wird nicht mehr empfohlen. Viel versprechend ist der Einsatz von Endothelin-Antagonisten und Sildenafil. Antientzündliche/immunsuppressive Therapie. Korti-
kosteroide und Cyclophosphamid haben einen hohen Stellenwert bei rasch progredientem Verlauf (gemeinsam mit Plasmapherese), bei neutrophiler Alveolitis und in Frühstadien der Lungenfibrose. Kortikosteroide sind als Monotherapie jedoch eher wirkungslos oder sogar nachteilig (Verschlechterung der Nierenfunktion). Antifibrotische Therapie. Interferon-γ ist bei Hautsymptomen begrenzt wirksam, weniger bei Befall innerer Organe. Behandlung in frühen Stadien kann die Gefahr renaler Krisen erhöhen. Weitere Optionen sind Photopherese und Balneophotochemotherapie. Sonstige Maßnahmen. Konsequenter Kälteschutz zur Vermeidung trophischer Schäden (Fäustlinge, ParaffinHandbäder, lokal wirksame Nitrate u. a.), physikalische Therapie zur Erhaltung der Gelenksfunktion, Nikotinkarenz, Verbesserung der Ösophagus- und Darmperistaltik, Prophylaxe der Refluxösophagitis (Cisaprid, Antazida) u. a. Prognose. Die 10-Jahres-Überlebensdauer liegt je
Diagnostik. Histologie. Verbreiterung der retikulären
Dermis durch grobbalkiges Kollagen. Perivaskuläre Rundzellinfiltrate, Intimaproliferation der Gefäße, Rarefikation der Kapillaren. IF: negativ. Labor. Typische Befunde sind Hypergammaglobulinä-
nach Verlauf bei 40–60%. Spontanheilungen sind sehr selten. 7.2.5 »Mixed connective tissue disease«
(MCTD, Sharp-Syndrom)
mie, Rheumafaktor, Kryoglobuline, gelegentlich Antikörper gegen Kollagentypen. In >90% finden sich hohe Titer von Nukleoprotein-ANA: . Tab. 7.7. Titerhöhe und -verlauf korrelieren nicht mit der Krankheitsaktivität. Antinativ-DNA fehlen.
Definition. MCTD ist ein Krankheitsbild vorwiegend von Frauen (80%), das klinische Aspekte von SLE, Sklerodermie und Dermato/Polymyositis vereint und durch U1RNP-ANA charakterisiert ist.
Differenzialdiagnose. Generalisierte Morphaea (Feh-
Symptomatik. Im Vordergrund stehen sklerodermi-
len von Systemzeichen und Raynaud-Symptom, einzelne lokalisierte Herde sind oft abgrenzbar), Skleroedema Buschke, Skleromyxödem, chronische Graft-vs.-HostKrankheit, Eosinophilie-Myalgie-Syndrom.
forme Veränderungen, meist mit entzündlichem, ödematösem Charakter, nicht selten begleitet von pulmonaler Hypertension, Arthralgien und Gelenksläsionen ähnlich der rheumatoiden Arthritis, Myalgien und Muskelschwäche. Das klinische Bild kann sehr unterschiedlich sein. Komplizierend oft neurologische Symptome: aseptische Meningitis, Trigeminusneuralgie, auch Psychosen. Anders als bei SLE sind bedeutsame Störungen der Nierenfunktion selten (ca. 5%; bi-
Therapie. Diese ist heute immer noch problematisch. Strategien sind: Verbesserung der Mikrozirkulation und Hemmung von Entzündungsreaktionen und Sklerosierung.
313 7.2 · Kollagenosen
optisch jedoch bis 20%). Verlauf: Nach mehrjährigem Verlauf wandelt sich das Sharp-Syndrom in der Regel in SS oder SLE um (jeweils ca. 50%). Therapie. Relativ gutes Ansprechen auf Kortikoste-
roide. 7.2.6 Sklerodermieähnliche Krankheiten:
Pseudosklerodermien Sklerosierung der Haut kann, außer bei den Sklerodermien, auch bei einem heterogenen Spektrum anderer Krankheiten auftreten (Übersicht). Einige sind regionäre Prozesse (wie die häufige Dermatosklerose bei venöser Insuffizienz), andere Systemkrankheiten ähnlich der SS.
Mit Pseudosklerodermie assoziierte Krankheitsbilder bzw. Noxen 4 Chronische venöse Insuffizienz (7 Kap. 12, Phlebologie) 4 Porphyria cutanea tarda 4 Amyloidose 4 Hyalinosis cutis et mucosae 4 Skleroedema adultorum 4 Skleromyxödem 4 Chron. Graft-versus-host-Reaktion 4 Werner-Syndrom 4 Lipodystrophie 4 Atrophia cutis idiopathica 4 Toxische Chemikalien: – Vinylchlorid-Monomere – Benzol, Toluol, Trichloräthylen – Epoxyharze – Anilin-vergälltes Rapsöl/toxic oil-syndrome) – Silikone 4 Medikamente – L-Tryptophan (Eosinophilie-MyalgieSyndrom) – Bleomycin 4 Physikalisches Trauma: – Chron. Vibrationstrauma (z. B. Presslufthammer) – Röntgenstrahlen
7
Chemisch/physikalisch bedingte Pseudosklerodermien Eosinophilie-Myalgie-Syndrom (EMS) und »Toxic oil«-Syndrom (TOS) sind Multisystem-Krankheiten, die mit generalisierten Myalgien, makulopapulösen Exanthemen und peripherer Eosinophilie (oft >40%) beginnen. An den Extremitäten entstehen subkutane Schwellungen, die in sklerodermiforme Verhärtung ähnlich der eosinophilen Fasziitis übergehen. Gesicht und Akren bleiben ausgespart, Raynaud-Phänomen und Nagelfalzläsionen fehlen. Lungenbefall ist bei TOS stärker ausgeprägt als bei EMS (Lungenödem, Pleuritis, restriktive und obstruktive Ventilationsstörungen); daneben Reizleitungsstörungen, periphere Neuropathie. Latenzzeiten: bis zu Monaten, Letalität 2 bzw. 4%. Bei >50% persistieren Myalgien. Histologie: Ähnlich der eosinophilen Fasziitis. Therapie: Systemische Kortikosteroide (Besserung, keine Abheilung). 3Geschichtliches EMS trat 1989 epidemisch in den Industriestaaten bei Personen auf, die ein L-Tryptophan-Präparat eingenommen hatten (wegen Schlafstörungen, Depression etc.). EMS zeigte viele Gemeinsamkeiten mit dem schwerer verlaufenden TOS, das 1981 in Spanien bei Tausenden nach Konsum von anilinvergälltem Rapsöl aufgetreten war. In beiden Fällen waren die eigentlich ursächlichen Toxine wahrscheinlich Verunreinigungen (aromatische Amine). Individuelle Disposition?
Vinylchlorid-Krankheit. Exposition mit Vinylchlorid-
Monomeren (chemische Industrie!) durch Inhalation oder perkutane Resorption kann bei entsprechender genetischer Disposition (HLA-DR3, DR5, B8) zu Raynaud-Phänomen, sklerodermieartigen Hautveränderungen, Akroosteolysen, Vitiligo und Organbeteiligung wie bei SS führen (Unterscheidung häufig nicht möglich). Die Krankheit schreitet oft trotz Abbruch der Exposition fort. Ähnliche Krankheitsbilder können durch Pestizide und organische Lösungsmittel entstehen (Trichloräthylen u. a.). Silikate, Silikone. Sklerodermieartige Hautmanifestatio-
nen und Lungenfibrose sind bekannte Komplikationen von Exposition mit Quarzstaub (z. B. Bergwerke). Medikamentös induzierte Pseudosklerodermien mit Akrosklerose, Beugekontrakturen und Lungenfibrose wurden nach Bleomycin, vereinzelt auch nach Cisplatin beschrieben. Physikalisch induzierte (Pseudo-)sklerodermien.
Chronisches Vibrationstrauma (z. B. Presslufthammer) kann das Raynaud-Phänomen, seltener sklerodermiforme Veränderungen und angeblich auch eine SS auslösen (vaskuläre Dysregulation durch chronische Vibration?).
314
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Sklerodermieähnliche Krankheiten/ Systemkrankheiten Skleromyxödem und Scleroedema adultorum (Buschke) 7 Kap. 6.2.11. Lichen sclerosus et atrophicans (LSA) Eine vorwiegend die Genitalien betreffende, durch weiße Flecken und Papeln gekennzeichnete, sehr chronische Krankheit unbekannter Ursache, die häufig zur Schrumpfung (z. B. Phimose) und selten (!) zu maligner Entartung führt (7 Kap. 10.8).
7
Epidemiologie. Weltweit verbreitet, nicht selten, hohe Gynäkotropie (10:1). Krankheitsbeginn häufig in der Kindheit, ab dem frühen Erwachsenenalter Anstieg der Inzidenz. Ätiologie und Pathogenese. Unbekannt, fragliche As-
soziation mit Autoimmunkrankheiten. Die auffallend weiße Farbe der Läsionen beruht auf der Hyalinisierung der papillären Dermis, Zerstörung von Melanozyten und Hyperkeratose. Auch die Fragilität des Gewebes wird durch die Hyalinisierung bedingt. Bei der Genese spielen mechanische Faktoren eine Rolle – die Lokalisation entspricht den Stellen maximaler Belastung (Köbner-Phänomen). Symptomatik. Primäreffloreszenz sind gruppierte,
kleine, elfenbeinfarbene, oft rau-hyperkeratotische Papeln mit scharfer Begrenzung. Sie konfluieren zu unregelmäßig konfigurierten, oft derben weißlichen Plaques, die mäßig bis sehr stark jucken (. Abb. 7.29). Nach Monaten (Jahren) stellt sich die atroph-sklerosierende Phase ein: die Läsionen werden unscharf begrenzt, sinken ein und schrumpfen, oft mit Stenose von Ostien. Das Gewebe des LSA ist fragil, Erosionen, Rhagaden und Hämorrhagien sind daher häufig. Lokalisation. Bei Frauen: kleine Labien, Introitus va-
ginae und perianal (»Achterfigur«). Im Gegensatz zum Mann bewirkt der LSA bei der Frau (Kraurosis vulvae) oft exzessiven Juckreiz. Nach jahrelangem Verlauf verstreichen die inneren Labien, der Introitus vaginae wird verengt. Beim Mann: inneres Vorhautblatt, Frenulum, Glans penis und Ostium urethrae. Mögliche Folgen: Phimose, Striktur der Harnröhrenöffnung (Harnstau!). Extragenitaler LSA ist selten, Prädilektionsstelle: interskapulär. Diagnostik. Histologie: Atrophie der Epidermis, Orthohyperkeratose. Die papilläre Dermis ist gequollen, zellarm und hyalinisiert, elastische Fasern zerstört.
. Abb. 7.29. Lichen sclerosus et atrophicans der Vulva bei präpuberalem Mädchen. Beachte die traumatisch induzierten Einblutungen (Juckreiz)
Differenzialdiagnose. Leukoplakien, Lichen simplex chronicus, Lichen ruber, Lichen nitidus, kleinfleckige Morphaea. Verlauf. LSA nimmt meist einen langsamen, schubartig progredienten Verlauf mit oft jahrelangen Ruheperioden. Partielle oder völlige Rückbildung mit Repigmentierung kommt vor. Bei der kindlichen Form meist spontane Rückbildung bis zur Pubertät. Therapie. Topische Behandlung mit Tacrolimus, bei
extragenitalem Befall Balneophotochemotherapie. Kortikosteroidexterna oder intraläsionale Depotsteroidinjektionen sind kurzfristig wirksam, führen jedoch zur Atrophie. Bei Männern kann die Zirkumzision indiziert sein. 7.2.7 Hautveränderungen bei weiteren
Kollagenosen Rezidivierende Polychondritis Eine relativ seltene, gegen Kollagen Typ II (Knorpelgewebe) gerichtete, potenziell lebensbedrohliche Autoimmunkrankheit. Sie ist in ca. 30% mit anderen Systemkrankheiten assoziiert, tritt im mittleren Lebensal-
315 7.3 · Purpura, Thrombosen
7
Diagnostik. Histologie: Verlust der Basophilie des Knorpels, perichondriales entzündliches Infiltrat, Fibrose. IF: Immunglobulin- und Komplementablagerungen. Labor. Entzündungszeichen, Autoantikörper gegen Kollagen-Typ-II. Differenzialdiagnose (der Hautsymptome). Erysipel (Befall der gesamten Ohrmuschel, inklusive Ohrläppchen). Verlauf. Rezidivhäufigkeit und Gewebszerstörung sind individuell sehr unterschiedlich. Unbehandelt beträgt die Letalität ca. 30% (tracheopulmonale oder kardiale Komplikationen). Therapie. In der akuten Phase gutes Ansprechen auf Kortikosteroide, evtl. kombiniert mit Immunsuppressiva (Azathioprin). Bei mildem Verlauf NSAID, Dapson. . Abb. 7.30. Rezidivierende Polychondritis. Schmerzhafte Schwellung und Infiltration des Ohrs mit Verlust der normalen Konturierung. Beachte: das Ohrläppchen ist unbefallen (Differenzialdiagnose zum Erysipel)
ter auf, verläuft schubartig und ist durch charakteristische Läsionen von Ohr- und Nasenknorpeln sowie Organmanifestationen gekennzeichnet. Symptomatik. Beginn typischerweise akut mit einer erysipelähnlichen, schmerzhaften Schwellung und Rötung einer Ohrmuschel (Aussparung des Ohrläppchens!). Der Prozess klingt bald spontan ab, rezidiviert jedoch immer wieder ein- oder beidseitig. Nach Monaten folgt Verstreichen der Ohrkonturen (. Abb. 7.30), Verlust der Elastizität (Hängeohren, »floppy ears«) und schließlich narbige Schrumpfung (»karfiolähnliche« Ohren). Analoges ergibt sich am Nasenknorpel: Entzündung, Schlaffwerden, Verformung und Schrumpfung der Nasenspitze. Fast stets besteht eine Mono- oder Polyarthritis von schubartigem Verlauf, oft mit Ergüssen. Organmanifestationen. Häufige Symptome sind: Keratitis, Episkleritis, Iridozyklitis; Tinnitus, Vertigo; Heiserkeit, Aphonie; Okklusion bzw. Kollaps von Trachea und Bronchien, Pneumonie; selten (<10%) Aortenklappeninsuffizienz, -aneurysma, Myokarditis, Reizleitungsstörungen, segmentale proliferierende Glomerulonephritis. Assoziierte Krankheiten. Andere Kollagenosen, Sys-
temvaskulitiden, Morbus Behçet, Lymphome.
Hautveränderungen bei rheumatoider Arthritis (RA) RA wird häufig von unspezifischen Hautsymptomen begleiten: Urtikaria, makulourtikarielle Exantheme, Palmarerytheme, Nagelfalzblutungen, Arteriitis muskulärer Arterien mit meist akralen ischämischen Nekrosen – »rheumatoide Vaskulitis« (oft auch Vaskulitis innerer Organe – Gastrointestinaltrakt, Milz, Herz Lunge), Livedo reticularis, später Ulcera cruris (z. B. bei Kontrakturen des Sprunggelenks), Dekubitalgeschwüre und die Folgen chronischer Kortikosteroidbehandlung u. a. Eine spezifische Hautmanifestation bei ca. 20% sind Rheumaknoten: derbe, tiefe, wenig schmerzhafte, bis mehrere Zentimeter große subkutane Knoten, manchmal unter entzündeter Haut. Sie treten meist zu mehrt an mechanisch exponierten Regionen auf (Unterarmkante, Handrücken, Knie-, Sprunggelenks- und Sakralregion, Ohrmuschel) und neigen nicht zur spontanen Regression. Histologie: Palisadengranulome mit zentraler fibrinoider Nekrose. Komplikationen: Exulzeration, Superinfektion. Differenzialdiagnose: tiefes Granuloma anulare, Churg-Strauss-Granulome, Fibromyalgien. Therapie: Konservative Maßnahmen erfolglos; Exzision meist nicht erforderlich. 7.3
Purpura, Thrombosen
Zahlreiche Hautkrankheiten bzw. Systemkrankheiten mit Hautbeteiligung beruhen auf Fehlfunktionen der
316
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Blutgefäße, die sich in Form folgender drei Kardinalsymptome ausdrücken können: 4 Einblutung in die Haut (Purpura) 4 Thrombose 4 Entzündung der Gefäßwand (Vaskulitis) Diese Symptome treten häufig kombiniert und in wechselseitiger Interaktion auf. Die zugrunde liegenden Krankheiten sind in Ätiologie und Pathogenese sehr verschieden – die Erforschung der Ursachen und damit die Klassifikation ist noch im Fluss; da nicht wenige dieser Krankheiten wesentlich mit immunologischen Mechanismen ablaufen, wird das gesamte Kapitel hier abgehandelt.
7
3Pathophysiologsiche Zusammenhänge Der normale laminäre Blutfluss in den Gefäßen ohne Extravasation wird durch zwei Gleichgewichte aufrecht erhalten: das hydrostatische zwischen dem intravasalen Druck und der Gefäßwand bzw. dem umgebenden Bindegewebe; zweitens das dynamische zwischen prokoagulanten und antikoagulanten Komponenten des Gerinnungs- und fibrinolytischen Systems. Verschiebungen der beiden Gleichgewichte bleiben innerhalb relativ weiter Toleranzgrenzen folgenlos, führen bei Überschreitung jedoch zur Purpura bzw. Thrombose, manchmal zu beidem. So führt Wandschwäche der Gefäße zur vaskulären (z. B. Kortikosteroid-Purpura), Defizienz des Gerinnungssystems zur »nichtvaskulären« Purpura (z. B. bei Thrombozytopenie), und Hyperkoagulabilität zu Thrombosen. Schädigung der Gefäßwände und Gerinnungsstörungen greifen jedoch ineinander: mechanische oder entzündliche Insulte der Gefäßwand (z. B. Vaskulitis) führen nicht nur zum Blutaustritt, sondern auch zu Leukozytenadhärenz sowie zur Aktivierung von Endothel, Thrombozyten und Gerinnungssystem (Absiegelung des Schadens durch Thromben). Leukozytenadhärenz und Thrombusbildung sind aneinander gekoppelt, da der prokoagulante von Willebrand-Faktor und Adhäsionsmoleküle in den Weibel-Palade-Körperchen der Endothelzellen gemeinsam gespeichert und bei Insulten entleert werden. Gleichzeitig erfolgt eine lokale Aktivierung des fibrinolytischen Systems (Eingrenzung der Thrombusbildung auf den Ort des Schadens). Massive Koagulation kann in eine Verbrauchskoagulopathie münden (z. B. durch systemische Endotoxinwirkung), die ihrerseits wieder zu Blutungen führt. Thrombusbildung selbst führt zur Schädigung der Gefäßwand (thrombotische Vaskulopathie).
7.3.1 Hautblutungen (Purpura) Definitionen. Purpura bezeichnet Blutaustritte aus
Hautgefäßen in das Gewebe bzw. Krankheiten, die mit solchen einhergehen; Vaskulitis die Entzündung von Gefäßwänden bzw. Krankheiten, die durch solche gekennzeichnet sind. Beide Begriffe definieren morphologische Symptome und präjudizieren nicht die Pathogenese. Purpura und Vaskulitis sind häufig, aber nicht stets gekoppelt.
Morphologie und Terminologie. Purpura ist als eine durch Glasspateldruck nicht ausdrückbare Rötung der Haut definiert. Sie kann in Ausdehnung, Tiefe und Konfiguration vielgestaltig sein: Petechien und Sugillationen sind kleinmakulös, Ekchymosen großmakulös, Suffusionen flächenhaft, Vibices streifenartig (mechanische Komponente!) und Hämatome tief, manchmal fluktuierend. Bei kleinmakulöser (»flohstichartiger«) Purpura tritt das Blut aus den Kapillaren (z. B. Pigmentpurpura), bei Petechien aus den postkapillären Venolen (z. B. nekrotisierende Vaskulitis), bei ausgedehnten Blutungen aus größeren Venolen (z. B. senile Purpura) oder Arterien. Der Farbton hängt von der anatomischen Lage der Einblutung (in der papillären Dermis rot bis schwarz, in der tiefen Dermis blau) und ihrem Alter ab (Abbau des roten Hämoglobins in das gelbbräunliche Hämosiderin). Ferner können Purpuraläsionen flach oder infiltriert (palpable Purpura), entzündlich (Vaskulitis) oder nichtentzündlich sein.
7.3.2 Hautblutungen bei Gerinnungs-
störungen 3Gerinnungs- und fibrinolytisches System (s. auch Lehrbücher der Inneren Medizin) Man unterscheidet den extrinsischen und den intrinsischen Aktivierungsweg des Gerinnungssystems, die beide in den Schritt der Aktivierung von Faktor X → Xa einmünden. Xa ergibt mit Va, Phospholipid und Ca2+ den Komplex Prothrombinase, der die Umwandlung von Prothrombin (Faktor II) → Thrombin (Faktor IIa) bewirkt und damit die letzten Schritte der Gerinnung – Fibrinogen (Faktor I) → Fibrin – einleitet. Der extrinsische Pfad ist die »erste Verteidigungslinie« bei Gefäßläsionen. Er beginnt mit Aktivierung der Thrombozyten sowie der Expression von »Tissue Factor« (Thromboplastin) am Endothel; dieser bewirkt durch Bindung von VIIa die sofortige Konversion X → Xa. Thrombin führt zur Aktivierung des intrinsischen Systems (Faktoren VIII, IX, XI) → amplifizierende Wirkung. Die Blutgerinnung wird durch mehrere inhibitorische Mechanismen reguliert. Die wichtigsten sind das Antithrombin III-Heparin/Heparan-System (Effekt: s. u.) und das Protein C-Protein S-Thrombomodulin-System (Mechanismus: s. u.). Angeborene oder erworbene Schäden dieser Inhibitor-Systeme führen zum Überwiegen der Gerinnungsneigung (Thrombophilie) mit oft schwerwiegenden Konsequenzen. Ein Inhibitor des extrinsischen Systems ist der Tissue factor-Inhibitor. Das fibrinolytische System dient der Auflösung von Fibrinkoagula. Die Fibrinolyse beginnt mit der Bindung des Plasmaproteins Plasminogen an das Fibringerinnsel, gefolgt von der Aktivierung des Gewebeplasminogen-Aktivators (tPA; ein Produkt lädierter Zellen der Gefäßwand) und/oder der Urokinase, die zur Konversion des fibringebundenen wie des zirkulierenden Plasminogens zu Plasmin führt; die Produktion von tPA soll in verschiedenen Gefäßabschnitten verschieden sein, besonders niedrig in den Beinvenen. tPA wird durch ein System
317 7.3 · Purpura, Thrombosen
von Plasminogen-Aktivator-Inhibitoren gehemmt (PAI-1). Plasmin wird durch α2-Antiplasmin inhibiert. Auch Defizienzen des fibrinolytischen Systems führen zur Thrombophilie.
Hautblutungen durch Gerinnungsstörungen zeigen ein je nach ihrer Genese verschiedenes Erscheinungsbild. Die Hautgefäße zählen zu den mechanisch am meisten belasteten Gefäßen des Körpers. Defekte des extrinsischen Systems (z. B. bei Thrombozytopenie) führen hier leicht zu umschriebenen Blutungen; das Ausbleiben der Aktivierung der Amplifizierungskaskade verhindert jedoch Massenblutungen. Umgekehrt kommt es bei Defekten des intrinsischen Systems (z. B. Hämophilien) eher zu Massenblutungen, Hautblutungen stehen wegen des intakten extrinsischen Systems im Hintergrund. Defekte der Schlußkomponenten (Prothrombin-, Fibrinogenmangel) führen sowohl zu Haut- als auch zu Massenblutungen (z. B. Verbrauchskoagulopathie). Hautblutungen bei Thrombozytopenie und Thrombozyten-Schädigung Kleinfleckige Purpuraherde aus Kapillaren oder postkapillären Venolen durch mangelhaften Verschluss kleiner Wanddefekte durch Thrombozytenaggregate. Pathogenese. Bei Gefäßläsionen werden die Thrombozyten aktiviert und aggregieren, die Läsion wird verschlossen. Blutungen treten bei <10 000–30 000/mm3 auf. Thrombozytopenien entstehen in sehr verschiedenen pathophysiologischen Situationen (s. Lehrbücher der Inneren Medizin); für den Dermatologen wichtig sind die Autoimmun-Thrombozytopenien bei SLE, HIV-infektion und Lymphomen sowie medikamenteninduzierte Thrombozytopenien (Heparin, Zytostatika, Butazone etc.). Funktionsstörungen der Thrombozyten können angeboren (z. B. Thrombasthenie) oder erworben sein (myeloproliferative Prozesse, Urämie, Leberkrankheiten, Medikamentenwirkungen: Aspirin, NSAID, Betalaktame, Alkohol u. a.). Symptomatik. Generalisierte, vorwiegend petechiale
Purpura verschiedener Intensität, oft »artefiziell« verteilt (z. B. streifenförmig), vorwiegend an den Orten des höchsten hydrostatischen Drucks (distale Beine), der stärksten Friktion (Mundschleimhaut – Kauen; bei starker Ausprägung rotschwärzliche »Blutblasen«, wetzende Kleider – Hosenbund, Kratzeffekte), sowie in entzündlichen Hautläsionen. Bei schwerer Thrombozytopenie auch innere Blutungen (ZNS, Retina) und verstärkte Menstruationsblutungen. Differenzialdiagnose. Kleinfleckige nekrotisierende Vaskulitis ist klinisch schwer unterscheidbar (die
7
Mundschleimhaut ist bei dieser jedoch keine Prädilektionsstelle!). Hautblutungen bei angeborenen Gerinnungsstörungen Leitsymptome bei Defekten des intrinsischen Gerinnungssystems (z. B. Hämophilien) sind Wundblutungen, Hämatome, innere und Massenblutungen. Bei Defekten des extrinsischen Systems (Faktor-X-, FaktorVII-Mangel) überwiegen Ekchymosen, Defekte von Prothrombin und Fibrinogen führen zu Blutungen aller genannten Formen. Hautblutungen können auch bei Störungen des fibrinolytischen Systems auftreten (z. B. Defizienz des Plasmin-Inhibitors α2-Antiplasmin). Hautblutungen bei erworbenen Gerinnungsstörungen Leitsymptome sind Suffusionen, tiefe, innere, Massenund Wundblutungen; weniger Ekchymosen. Häufigste Ursachen sind: Medikamentenwirkung (Heparin-, Dicumarol-Überdosierung, thrombolytische Therapie), Leberkrankheiten (Thrombozytopenie, Plättchendefekte, mangelhafte Synthese von Prothrombin und Gerinnungsfaktoren, Verbrauch von Fibrinogen und Plasminogen). Vitamin-K-Mangel (Malabsorption, Fehlernährung, Leberkrankheiten, chronische Einnahme von ß-Laktamen) führt zur Synthese eines inaktiven Prothrombins. Verbrauchskoagulopathie (Synonym Disseminierte intravasale Koagulation) Eine seltene, oft rapide verlaufende erworbene Gerinnungsstörung von ernster Prognose bei unkontrollierter Aktivierung der Gerinnungs- und fibrinolytischen Kaskaden. Pathophysiologie. Verbrauchskoagulopathie tritt bei
massiver Endothelschädigung auf (. Tab. 7.8). Sie entsteht durch Freisetzung von Thrombin und Plasmin in solcher Menge, dass die Barrieren zur Begrenzung des Prozesses durchbrochen werden, nämlich: Antithrombin III, Protein-C-/Protein-S-Komplex, Tissue-FactorInhibitor, α2-Antiplasmin, verdünnender Effekt der intakten Zirkulation u. a. m. Die Aktivierung des Gerinnungssystems führt zur intravasalen Koagulation; Folgen: Gewebsnekrose, Verbrauch von Thrombozyten und prokoagulanter Faktoren, Entstehen einer Mikroangiopathie (weiterer Thrombozytenverbrauch). Gleichzeitig werden durch massive Aktivierung des fibrinolytischen Systems vermehrt prokoagulante Faktoren verbraucht. Folgen: Hämorrhagien, Schock, Aktivierung des Komplementsystems und dadurch weitere Gefäßschädigung (Circulus vitiosus).
318
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
. Tab. 7.8. Auslösende Ursachen der disseminierten intravasalen Koagulation Septische Vaskulitis
Meningokokkensepsis, Gramnegative Sepsis, Immunkomplex-Vaskulitis (selten)
Tumoren
Riesenhämangiom, Neoplasien innerer Organe, Promyelozytenleukämie
Traumen
Verletzungen, Operationen, Verbrennungen, Hitzeschlag Maligne Hyperthermie
Toxinämie
Schlangenbisse Präeklampsie, Fruchtwasserembolie
Bluttransfusion
AB0-Mismatch
Symptomatik. Die disseminierte intravasale Koagula-
7
tion kann mit oder ohne Beteiligung der Haut ablaufen. Für den Dermatologen wichtig sind folgende akut bedrohliche Konstellationen: 4 Kasabach-Merritt-Syndrom (7 Kap. 9.7). Thrombosierung eines kindlichen Riesenhämangioms mit nachfolgender Verbrauchskoagulopathie (disseminierte Purpura, innere Blutungen). 4 Purpura fulminans (7 Kap. 4.2.2); eine disseminierte septische Vaskulitis (Strepto-, Meningokokken) mit gleichzeitiger Verbrauchskoagulopathie. Die Hautläsionen wandeln sich in rasch expandierende und nekrotisierende Suffusionen um. Diagnostik. Abfall sämtlicher Laborparameter der Gerinnung und Fibrinolyse, Fibrin-D-Dimer ist nachweisbar (Abbauprodukt polymeren Fibrins). Therapie. Behebung der Ursache, soweit möglich; i. v.Heparin und Antithrombin III zur Unterbrechung der Koagulation.
7.3.3 Hautblutungen durch Wandschäden Nichtvaskulitische vaskuläre Purpura Einblutungen in die Haut, die durch Schäden der Gefäßwand bzw. des perivaskulären Bindegewebes (oft beider) oder durch überhöhten intravasalen Druck zustande kommen. Mechanisch-traumatische Purpura. Dies ist die häufigste Form der Purpura. Bei disponierten Personen (»dünne« Haut – »Kapillarfragilität«, meist Frauen) können oft schon geringfügiger, v. a. tangenzial scherender Druck und Zug Purpuraläsionen hervorrufen (Ekchymosen, Vibices). Die Verteilung der Läsionen entspricht der Gewalteinwirkung: Abdruck der schla-
genden Hand, Fingerabdrücke, Druckstellen von Kleidung, EKG-Saugelektroden etc. Stasispurpura. Bei längerem venösem Überdruck (Stase) kommt es auch aus normalen Blutgefäßen zur Extravasation – »flohstichartige« Purpura. Beispiele: chronisch-venöse Insuffizienz, forcierter RumpelLeede-Versuch, Purpura im Gesichtsbereich nach dem Geburtsakt. Venöse Stase begünstigt ferner Einblutungen in Läsionen anderer (entzündlicher) Ursache, z. B. Ekzeme (»symptomatische Purpura«). Wegen des höheren hydrostatischen Drucks sind die meisten Purpuraformen an den Beinen am stärksten ausgeprägt. ! Symptomatische Purpura ist ein häufiges Begleitsymptom bei z. B. Exanthemen, Ekzemen oder Erysipelen, vorwiegend an den Unterschenkeln und kranialwärts abnehmend. Sie tritt bei Stauung, aber auch bei unterschwelliger Blutungsneigung auf (z. B. Aspirineinnahme). Sie muss von Blutungsübeln und Vaskulitis unterschieden werden (z. B. Unterschenkelekzem mit symptomatischer Purpura vs. nekrotisierende Vaskulitis).
Infektionen. Bei z. B. septischer Vaskulitis und Meningokokkensepsis (. Abb. 4.11) verursachen Keime direkte Wandschäden mit nachfolgender Einblutung. Auch toxische Wandschäden (z. B. bei manchen Schlangengiften) können zur Purpura führen. Emboli. Klein-partikuläre Embolien bewirken eine
Schädigung der Gefäßwand mit Purpura und evtl. Nekrose; große Emboli führen zu ischämischer bzw. hämorrhagischer Nekrose. 4 Fettemboli. Komplikation von Knochenbrüchen (z. B. lange Röhrenknochen), die mit Fieber, ZNSSymptomen (Verwirrtheit) und petechialen Blutungen (oberer Rumpf, Hals, Gesicht) einhergeht. 4 Cholesterinemboli treten vorwiegend an den Beinen auf und sind durch umschriebene Livedo racemosa und Petechien gekennzeichnet (häufige Ursache: Eröffnung atheromatöser Plaques bei gefäßchirurgischen Eingriffen). 4 Embolia cutis medicamentosa. Eine seltene Komplikation versehentlicher intraarterieller (statt i. m.) Injektion visköser Medikamente, meist in der Glutäalregion: eine augenblicklich sehr schmerzhafte, tiefe hämorrhagische Nekrose, die nach Stunden (Tagen) manifest wird. Weitere Quellen von Emboli sind Gefäß- oder Klappenprothesen (vom Material selbst oder Thromben); diese können steril oder infiziert sein.
319 7.3 · Purpura, Thrombosen
Angeborene Schwäche der Gefäßwand/des perivaskulären Bindegewebes. Bei Defekten des Kollagen-
stoffwechsels (z. B. Ehlers-Danlos-, Marfan-Syndrom) sowie Morbus Osler sind Hautblutungen oft leicht auslösbar. Erworbene Schwäche der Gefäßwand/des perivaskulären Bindegewebes. Verminderte Dehnbarkeit
bzw. Reißfestigkeit führt zur leichteren mechanischen Traumatisierbarkeit der Hautgefäße: punktförmige oder flächige Blutungen. Häufigste Erscheinungsform ist die senile Purpura, die durch oft große, bizarr polyzyklische Suffusionen von sattroter bis blaubrauner Farbe gekennzeichnet ist. Prädilektion: Handrücken und Dorsalseiten der Unterarme (mechanisch exponierte Körperstellen!). Begleitend stets Altersatrophie der Haut. Ein analoges Bild entsteht bei langfristigem Kortikosteroidgebrauch (systemisch oder lokal; »Kortikosteroidpurpura«). Therapie: keine (außer Tragen von Handschuhen). Hautblutungen in pathologisch veränderte Haut sind ferner wichtige diagnostische Zeichen bei Skorbut (in follikuläre Hyperkeratosen), Amyloidose L (AmyloidPlaques z. B. an den Lidern), Lichen sclerosus et atrophicans u. a.
7
4 arterielle Thrombosen mit ischämischer Gewebsnekrose 4 oberflächliche Thrombophlebitis 4 tiefe Phlebothrombose
Thrombosefördernde Faktoren 4 Venöse Stase: chronische venöse Insuffizienz, Immobilisierung (Ruhigstellung, Ausfall der Muskelpumpe, langes Sitzen – Reisethrombose), Herzinsuffizienz, Adipositas 4 Hyperviskosität: Thrombozytose, myeloproliferative Krankheiten, Sichelzellanämie und andere krankhafte Zustände der Erythrozyten, Proteindyskrasien (z. B. Kryoglobulinämie) 4 Hyperkoagulabilität: Thrombophilie-Syndrome, Gravidität, Neoplasmen, nephrotisches Syndrom, zirkulierende prokoagulante Faktoren (z. B. von Willebrand-Faktor – postoperativ, posttraumatisch), zirkulierende proinflammatorische Mediatoren (z. B. IL-1, TNF-α, u. a. bei Sepsis), Medikamente (synthetische Östrogene, Dicumarol, Heparin) 4 Endothelzellschädigungen: Trauma, Verbrennung, postoperativ
Purpura als Ausdruck von Vaskulitis (vaskulitische vaskuläre Purpura) (s. u.)
7.3.4 Thrombosen Thrombusbildung, d. h. umschriebene intravasale Koagulation, ist ein physiologischer Schutzmechanismus bei Schädigung der Gefäßwand (7 Kap. 12). Sie wird durch gleichzeitige Aktivierung antikoagulanter Faktoren lokal beschränkt, die Thromben werden aufgelöst bzw. organisiert. Klinisch auffällig werden Thromben erst bei Durchbrechung der Kontrollmechanismen. Wird die Gegensteuerung durchbrochen, entstehen ausgedehntere Thrombosen bzw. solche größerer Gefäße, bei Loslösung nicht fixierter Thromben kommt es zum Ereignis der Embolie. Völliges Versagen der Gegenregulation führt zur disseminierten intravasalen Koagulation. Thrombusbildung wird stark erleichtert, wenn das Blut langsam strömt bzw. stagniert und das Gleichgewicht in den Gerinnungs- und/oder fibrinolytischen Systemen zugunsten prokoagulanter Faktoren verschoben ist (Hyperkoagulabilität, Synonym Thrombophilie). Beide Situationen (. Übersicht) spielen bei dermatologischen Krankheitsbildern wichtige Rollen. Hauptmanifestationen sind:
Die oberflächliche Thrombophlebitits beruht meist auf traumatischen Gefäßschäden (Armvenen: Injektionsnadel, Endothelschaden durch injizierte Flüssigkeit u. a.) und ist häufig mit venöser Stase (Beinvenen), seltener mit systemischer Thrombophilie assoziiert. Ausnahmen: Thrombophlebitis migrans – s. u., und die Mondor-Phlebitis (Thrombophlebitis seitlicher Rumpfvenen), die gehäuft bei Krankheiten der Abdominalorgane oder auch stumpfen Traumen auftritt. Die tiefe Phlebothrombose resultiert in der Regel aus venöser Stase aufgrund chronischer Insuffizienz der tiefen Beinvenen; bei ihr sind zusätzliche thrombosefördernde Faktoren bedeutend, am häufigsten Immobilisierung (lange Flugreisen, Bettlägerigkeit) und zirkulierende prokoagulante Faktoren (postoperativ, posttraumatisch, Sepsis u. a. m.). Hyperkoagulabilitätssyndrome (Thrombophilien) sind durch zirkulierende prokoagulante oder Defizienz antikoagulanter Faktoren gekennzeichnet. Sie manifestieren sich mit häufigen und massiven Thrombosen der tiefen Bein- und Beckenvenen sowie Venen innerer Organe (Niere, Leber, Mesenterium, ZNS, V. cava) in frühem Lebensalter, oft auch durch Fehlgeburten.
320
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
7.3.5 Erbliche und erworbene
Thrombophilien
7
Erbliche Thrombophilien Eine Gruppe autosomal-dominanter Mangelzustände oder Funktionsdefekte antikoagulanter Faktoren, die durch verstärkte Generation oder verminderte Neutralisation von Thrombin die Neigung zu thromboembolischen Geschehen erhöhen. Das Thromboserisiko wächst mit zunehmendem Alter und ist bei Homozygotie, bei Koinzidenz mehrerer erblicher Defizienzen (ist nicht ganz selten) und bei Vorliegen zusätzlicher erworbener Risikofaktoren (z. B. Gravidität, Kontrazeption, Operationen) deutlich erhöht (Beispiel: bei gesunden Frauen liegt das Thromboserisiko bei Einnahme von Kontrazeptiva bei 3,5%, bei Frauen mit Faktor-V-Leiden bei 35%). Hinweise auf erbliche Thrombophilien: familiäre Häufung, Auftreten schon in der ersten Lebenshälfte und Massivität der Thrombosen. Nachweis: Immun- und/oder funktionelle Assays. Die Behandlung (orale Antikoagulation) erfolgt in der Regel nur bei symptomatischem Verlauf. Faktor-V-Leiden (»APC-Resistenz«). Die häufigste erbliche Thrombophilie (Prävalenz 5%; bei > 20% der Thrombosepatienten). Genese: Punktmutationen im Faktor V-Gen. Der mutante Faktor Va wird durch aktiviertes Protein C (APC) nur zögerlich inaktiviert → vermehrte Bildung von Thrombin. Protein-C-, Protein-S-Mängel. Zahlreiche Punktmutationen können zur Defizienz dieser Proteine führen; die Prävalenz ist bei beiden niedrig (ca. 0,3%, bei ca. 3–5% der Thrombosepatienten). Homozygotie ist mit schwersten Thrombosen und Purpura fulminans im Säuglingsalter assoziiert, bei Heterozygotie (Werte <50%) besteht ein erhöhtes thromboembolisches Risiko. Genese: erhöhte Generation von Thrombin. 3Protein C und Protein S sind Vitamin-K-abhängig in der Leber synthetisierte, zirkulierende antikoagulante Faktoren. Protein C wird durch – an Thrombomodulin an der Endothelzelle gebundenes – Thrombin aktiviert (APC), lagert sich gemeinsam mit Protein S an Phospholipidoberflächen (Zellmembranen, z. B. von Thrombozyten) ab und inaktiviert die aktivierten Faktoren Va und VIIIa (lokale Eingrenzung von Thrombosen). Gleichzeitig fördert das Thrombomodulin-Protein-C-Protein-S-System die Fibrinolyse durch Hemmung des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors.
! Bei Antikoagulation mit Kumarinen muss anfangs gemeinsam Heparin verabreicht werden – Kumarine senken die Blutspiegel der Faktoren II, X und IX, noch schneller aber die Spiegel von Protein C. Es kommt daher initial zu einer vorübergehenden Verstärkung der Hyperkoagulabilität, die zu »Kumarinnekrosen« führen kann – hämorrhagische Hautnekrosen.
Prothrombin-Mutationen (Prothrombin 20210A). Prävalenz 3%; bei ca. 6–10% der Thrombosepatienten). Erhöhte Prothrombinspiegel, APC-Resistenz. Hyperhomocysteinämie. Punktmutationen der Me-
thylentetrahydrofolat-Reduktase oder der Cystathionβ-Synthase. Niedrige Expression von Thrombomodulin, mangelnde Protein-C-Aktivierung? Prävalenz ca. 5%, liegt bei ~ 10% der Thrombosepatienten vor. Antithrombin (AT) III-Mangel. Ein seltener (ca. 0,02%) und schwerwiegender Defekt, der homozygot mit dem Leben unvereinbar ist und heterozygot (Werte <50%) ein hohes thromboembolisches Risiko trägt (bis 50%). Mechanismus: verzögerter Thrombin-Abbau. Therapie: im Akutfall AT-III-Konzentrate oder frisches Plasma; später lebenslange Antikoagulation mit Kumarinen (Heparin kann durch AT III-Verbrauch das Thromboserisiko steigern!). Danazol erhöht die Lebersynthese von AT III. 3AT-III ist ein in der Leber gebildetes, zirkulierendes Protein, das mit (dem zirkulierenden) Heparin bzw. (dem an Endothelzellen wandständigen) Heparan Komplexe bildet, die avide an Thrombin und andere aktivierte Gerinnungsfaktoren (IXa, Xa, XIa) binden und diese inaktivieren. AT III wirkt damit gleichfalls gegen die Ausweitung lokaler Thrombosen.
Erworbene Defizienzen antikoagulanter Faktoren APC-Resistenz, Protein C- und S-Mängel und AT IIIMangel können u. a. bei Leber- und Nierenkrankheiten, Schwangerschaft und durch Medikamente auftreten (orale Kontrazeption, Dicumarol), Hyperhomocysteinämie bei Folsäure-, und Vitamin-Defizienzen (s. Lehrbücher der Inneren Medizin). Hyperkoagulabilität als Medikamentenwirkung Eine solche findet sich typischerweise bei synthetischen Östrogenen (erniedrigte AT-III- und Protein-S-Spiegel), Cyclosporin A sowie Heparin. Letzteres führt zur heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) durch antithrombozytäre Antikörper. Mechanismus: antikörpermediierte Thrombozytenaggregation sowie Endothelzellschädigung durch Bindung der Antikörper an das endothelzellgebundene Heparan. Folgen: arterielle Thrombosen mit oft ausgedehnten, bizarren Nekrosen der Haut (ähnlich den Kumarinnekrosen). Störungen der Fibrinolyse Thromboseneigung kann sowohl auf qualitativer/quantitativer Defizienz des Gewebe-Plasminogenaktivators (tPA) als auch auf überschießender Aktivität von Plasminogenaktivator-Inhibitoren beruhen. Selten sind
321 7.3 · Purpura, Thrombosen
Fälle von quantitativ oder qualitativ defizientem Plasminogen. Thrombophlebitis migrans (Synonym Trousseau-Syndrom) Ein seltenes Krankheitsbild, das durch rezidivierende oberflächliche und tiefe Thrombosen sowie Embolien in wechselnder Lokalisation in Assoziation mit Neoplasmen (Mesotheliom!) gekennzeichnet ist. Pathogenese: eine langsam ablaufende disseminierte intravasale Koagulation durch prokoagulante Faktoren aus dem Tumor. Labor: niedrige Thrombozyten- und Fibrinogenwerte, verlängerte Prothrombinzeit, Fibrinabbauprodukte. Antiphospholipid-Syndrom (APS) Definition, Ätiologie. APS ist ein mit permanent erhöhten Antikörpern gegen Phospholipide (aPL, z. B. Kardiolipin) einhergehendes Geschehen, das durch rezidivierende venöse und arterielle Thrombosen vorwiegend an tiefen Venen, Herz, ZNS und Haut sowie habituellen Abort gekennzeichnet ist. APS ist das am stärksten mit Hautsymptomen assoziierte Thrombophilie-Syndrom. Es tritt bei der Mehrzahl der Patienten »primär« auf (d. h. ohne Vorliegen eines definitiven SLE oder anderer Autoimmunkrankheiten), ist aber häufig mit SLE assoziiert (»sekundäres« APS). 3aPL sind eine heterogene Gruppe von Autoantikörpern, die gegen anionische Phospholipide (Abbauprodukte von Zellmembranen) gerichtet sind (. Tab. 7.9). Sie sind seit langem als Ursache der »falsch positiven« Syphilisreaktionen, besonders bei Kollagenosen, bekannt (. Kap. 7.2). Ihre Rolle bei der Gerinnung wurde zunächst missinterpretiert (»Lupus-Antikoagulans«); heute ist klar, dass aPL in hohen Titern ein schweres Thromboserisiko bedeuten. Phospholipide allein sind kaum immunogen; beim APS bedürfen sie eines Kofaktors: β2-Glykoprotein I (Apolipoprotein H).
7
enthaltenen Phospholipide beruht. Es handelt sich um ein in-vitro-Phänomen (das beim »Lupus-Antikoagulans-Test« verwendet wird): in vivo spielt die antikoagulante Wirkung der aPL keine Rolle, da sie durch die verfügbaren aktivierten Thrombozyten überdeckt wird. Mögliche Mechanismen der pathogenen Wirkung der aPL sind: 4 direkte Schädigung der Endothelzellmembranen, Thrombozyten und/oder Gerinnungsfaktoren; 4 Hemmung der Protein-C-Aktivierung (Interferenz mit der Bindung von Thrombin an Thrombomodulin, Hemmung der Bildung aktivierter ProteinC-Protein-S-Aggregate auf Phospholipid-Zellmembranen – APC-Resistenz); 4 Bindung und Inaktivierung von β2-GP1. Dieses ist antikoagulant wirksam und hochaffin zu Membranlipiden (Leiteffekt für aPL?). Epidemiologie. Niedrigtitrige aPL finden sich bei bis 15% gesunder älterer Personen (meist nur ein Isotyp) und bei Infektionskrankheiten (Sepsis, Lepra, Tuberkulose, HIV-Infektion u. a.). Hochtitrige aPL treten bei ca. 30% der Patienten mit SLE auf (meist mehrere Isotypen, IgG dominieren), seltener und in niedrigeren Titern bei verwandten Autoimmunkrankheiten, Morbus Behçet und Myasthenia gravis. Das Risiko eines APS ist bei niedrigtitrigen aPL bei sonst gesunden Personen oder bei Infektionen gering, bei SLE-Patienten mit aPL hingegen ca. 30%. APS tritt meist im (jüngeren) Erwachsenenalter und gehäuft bei Frauen auf (2:1 beim »primären«, 8:1 beim »sekundären« APS). C A V E
Die Unterscheidung von »primärem« und »sekundärem« APS wird dadurch erschwert, dass SLE und APS zeitlich versetzt und in beliebiger Reihenfolge auftreten können.
Pathogenese. Antikoagulante Wirkung der aPL. aPL
bewirken häufig eine Verlängerung verschiedener Gerinnungstests (aPTT, weniger stark PT), die auf der Blockierung der im »Prothrombinase-Komplex« (s. o.) . Tab. 7.9. Antiphospholipid-Antikörper Anti-Kardiolipin-AK
bei APS transient bei Infektionen, Medikamenten niedrigtitrig auch physiologisch
Anti-β2 GP I-AK
hohe Spezifität für APS
Antiphosphatidylserin, Antiphosphatdylinositol- u. a. AK
hohe Spezifität für APS
Symptomatik. APS ist durch rezidivierende venöse
und arterielle Thrombosen mit vielfältiger klinischer Symptomatik, und habituellen Abort gekennzeichnet. Sowohl große als auch mittelgroße und kleine Gefäße können betroffen sein; der Verlauf ist subakut oder akutlebensbedrohend – »catastrophic APS« (thrombotische Ereignisse gleichzeitig an mehreren Organen). Thrombosen. Arterielle Thrombosen betreffen häufig
das ZNS (TIA, ischämischer Insult, oft auch klinisch stumm; Migräne, Epilepsie, psychiatrische Zeichen u. a. m.), Mesenterial- und Koronararterien (Herzinfarkt bei jungen Patienten ohne Risikofaktoren!), Extremitäten, A. centralis retinae, Nierenarteri(ol)en (milde
322
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Dysfunktion bis Nierenversagen; Hypertonie). Venöse Thrombosen treten u. a. an den tiefen Bein-, Becken-, Mesenterial-, Leber-, Nierenvenen, V. subclavia, Sinus sagittalis und V. cava (Budd-Chiari-Syndrom) auf. Häufig Embolien! Herzklappenläsionen. Hohe Inzidenz von Vegetatio-
nen an Endokard und Herzklappen wie bei LibmanSacks-Endokarditis; Aorten- und Mitralklappeninsuffizienz, zerebrale Embolien! Habituelle Aborte. Hohe Inzidenz (ca. 50%) von Abort, Fruchttod oder Frühgeburt, am häufigsten im 3. Trimenon. Pathogenese: Thrombose von Plazentargefäßen, Plazentarinfarkt; die abortierte Frucht ist unauffällig. IgM-aPL bedeuten ein geringeres Abortrisiko.
7
Hautläsionen. Vielgestaltig (Beteiligung von Arterien und Venen verschiedenen Kalibers). Am häufigsten sind oberflächliche und tiefe Venenthrombosen, Raynaud-Symptom, Hautnekrosen und periphere Gangrän. Typische Zeichen sind Livedo racemosa, Nagelfalzblutungen und Petechien wie bei septischer Vaskulitis. Assoziation mit Livedo-Vaskulitis und Sneddon-Syndrom (s. u.). Diagnostik. Die Diagnose erfolgt in Zusammenschau
von klinischen und Labor-Kriterien. Labor. Antikardiolipin-Antikörper-Test (Solidphasen-
ELISA); dieser Test ist in ca. 20% konkordant mit positivem Lupus-Antikoagulant-Test (Verlängerung des aPTT auf >50 s) und in ca. 40% mit einem »biologisch falsch positiven« VDRL. Der Anti β2GP-I-Nachweis (ELISA) ist wie der Nachweis anderer Antiphospholipid-AK (. Tab. 7.9) wichtig (allerdings kein Diagnosekriterium). Bei koexistentem SLE: ANA, Komplementverbrauch, positiver Coombs-Test, Thrombozytopenie. Therapie. Arterielle und venöse Thrombosen werden durch Thrombolyse und bis lebenslange orale Antikoagulation behandelt. Zusätzlich, insbesondere bei foudroyantem Verlauf, initial hochdosiert Kortikosteroide (evtl. kombiniert mit Immunsuppressiva; Plasmapherese). Asymptomatische Patienten: Prophylaktisch mit niedrigdosiertem Aspirin, Hydroxychloroquin oder, bei Schwangerschaft, Heparin – Überwachung in der Risikoambulanz!
7.4
Vaskulitis
Die Vaskulitiden umfassen ein Spektrum ätiologisch, pathogenetisch, morphologisch und prognostisch verschiedener Krankheiten, deren gemeinsames Hauptmerkmal die entzündliche Schädigung der Gefäßwand ist. Die Schädigung kann zur Nekrose der Gefäßwand sowie des umgebenden (bzw. abhängigen) Gewebes und zur Blutextravasation (Purpura) führen. Traditionell unterscheidet man, je nach dem Vorliegen oder Fehlen einer definierbaren Ursache, »sekundäre« bzw. »primäre« Formen der Vaskulitis. Die »primären« Vaskulitiden sind eine Gruppe von Systemkrankheiten, deren Klassifikation noch im Fluß ist und auf morphologischen Kriterien basiert. ! Abgrenzung von Vaskultitis und »nicht-vaskulitischen« Entzündungen. Gefäße sind Mittler jeder Entzündungsreaktion. Sie wirken durch Weitstellung und Diapedese von Entzündungszellen auch bei solchen entzündlichen Vorgängen mit, wo der Gefäßschaden selbst nicht im Vordergrund steht. Die Definition der Vaskulitis ist daher eine klassische Kontroverse der Dermatologie. Histologisch gelten Leukozyten in bzw. fibrinoide Nekrose der Gefäßwand als Indiz der Vaskulitis.
Ätiologie und Pathogenese. Grundsätzlich mögliche
Pathomechanismen bei Vaskulitis sind: 4 Direkter Gefäßschaden: bei septischer Vaskulitis (Rickettsien, Meningokokken u. a.), Emboli, Thrombosen etc. Solche Zustandsbilder gelten nicht als »primäre« Vaskulitiden; 4 Gefäßschaden durch Gefäßwand-spezifische Autoantikörper: Antibasalmembran-Antikörper können Kapillaritis der Lunge und Niere hervorrufen (Goodpasture-Syndrom), nicht jedoch der Hautgefäße. Antiendothelzell-Antikörper wurden bei Kollagenosen, Wegener-Granulomatose und Kawasaki-Syndrom beschrieben; ihre Relevanz bei den primären Vaskulitiden ist unklar. 4 Wichtigster Mechanismus: Gefäßschaden als Folge von gegen andere Ziele gerichteten Entzündungsreaktionen – Komplementaktivierung durch Immunkomplexe, Mediatorfreisetzung bei Bindung von ANCA (s. u.) an Leukozyten- und/oder Endothelzellen. Klassifikation. Diese erfolgt immer noch nach morphologischen Kriterien; verschiedene Schemen liegen vor (. Tab. 7.10, . Tab. 7.11). Die zugrunde liegenden Parameter sind Kaliber des befallenen Gefäßes, dominierender Typ der Entzündung (lymphozytär, leukozytär, Riesenzelltyp) und gegebene oder fehlende systemische Natur des Prozesses.
323 7.4 · Vaskulitis
7
. Tab. 7.10. Klassifiktion der Vaskulitiden (aus Sicht des Dermatologen) Kutane Vaskulitis
Lymphozytäre Vaskulitis (chronische Pigmentpurpura) Nodulärvaskulitis (Erythema induratum Bazin)
Kutane Vaskulitis mit Systembeteiligung
Kutane nekrotisierende Vaskulitis Schönlein-Henoch-Purpura Urtikarielle Vaskulitis Erythema elevatum et diutinum Vaskulitis bei Kryoglobulinämie »Rheumatoide« Vaskulitis
Nekrotisierende Systemvaskulitiden
Wegener-Granulomatose Polyarteriitis nodosa Churg-Strauss-Granulomatose Mikroskopische Polyangiitis Kawasaki-Syndrom
. Abb. 7.31. Purpura pigmentosa. Scheckige anuläre Purpura-Herde an den Nates in verschiedenen Entwicklungsstadien. Frische Einblutungen erscheinen als dunkelrote Pünktchen, bei Rückbildung rostbraune Farbe (»cayennepfefferartig«)
Riesenzellarteriitis
Polymyalgia rheumatica Arteriitis temporalis Takayasu-Arteriitis
Epidemiologie. Relativ selten; bevorzugt betroffen sind Männer im frühen Erwachsenenalter. Ätiologie. Typ-IV-Reaktion auf Antiendothelzell-An-
. Tab. 7.11. Chapel-Hill-Klassifikation der primären systemischen Vaskulitiden (1992) (aus der Sicht des Rheumatologen) Vaskulitis der großen Gefäße
Riesenzellarteriitis 4 Arteriitis temporalis 4 Takayasu-Arteriitis
Vaskulitis der mittelgroßen Gefäße
Polyarteriitis nodosa Kawasaki-Arteriitis
Vaskulitis der kleinen Gefäße
Churg-Strauss-Syndrom Mikroskopische Polyangiitis Purpura-Schönlein-Henoch Vaskulitis bei essenzieller Kryoglobulinämie Leukozytoklastische Vaskulitis (der Haut)
7.4.1 Lymphozytäre Vaskulitis Dermatosen, die durch lymphozytäre Entzündung von Gefäßen mit Blutextravasation gekennzeichnet sind. Die früher umfangreiche Gruppe umfasst heute nur mehr die chronische Pigmentpurpura. Chronische Pigmentpurpura Definition. Eine Gruppe verwandter Dermatosen unbekannter Ursache, die durch chronisch-rezidivierenden Verlauf, Nebeneinander alter und frischer Läsionen und histologisch lymphozytäre Kapillaritis gekennzeichnet sind.
tikörper (?). Eine Medikamentengenese wurde früher vermutet, die Anamnese ist jedoch meist leer, das Labor unauffällig. Venöse Stase spielt vermutlich eine wesentliche Rolle. Symptomatik. Beine, Hinterbacken, seltener auch der
Rumpf, zeigen ein scheckiges, aus teils scharf, teils unscharf begrenzten Flecken oder flachen Plaques aufgebautes Exanthem (. Abb. 7.31). Dieses besteht aus flohstich- bis millimetergroßen Purpuraherden in sämtlichen Stadien der Entwicklung (hellrot, orange, braun, gelb); dominierend sind ältere »cayennepfefferfarbene« Pünktchen. Lokaler Überdruck (z. B. Anlegen einer Blutdruckmanschette) provoziert die Eruption frischer Blutungen. Keine assoziierten Systemzeichen. Je nach Morphologie unterscheidet man mehrere Unterformen: 4 Purpura pigmentosa progressiva Schamberg (plaqueartige Herde) 4 Purpura anularis teleangiektodes Majocchi (anuläre Herde) 4 lichenoide Pigmentpurpura Gougerot-Blum (entzündliche Knötchen) 4 Seltener sind die Herde juckend, generalisiert und an mechanisch belasteten Stellen (z. B. Gürtellinie) verdichtet: ekzematoide Pigmentpurpura 4 Lokalisierte Pigmentpurpura wird als Lichen aureus bezeichnet. Diagnostik. Histologie: Lymphozytäre Kapillaritis,
Blutextravasate.
324
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Differenzialdiagnose. Stauungspurpura bei chronisch-
venöser Insuffizienz, (mit chronischer Hepatitis-C-assoziierte) kleinfleckige nekrotisierende Vaskulitis. Von der chronischen Pigmentpurpura kaum unterscheidbare Läsionen treten manchmal in Frühstadien der Mycosis fungoides auf (7 Kap. 9). Verlauf und Therapie. Nach Jahren meist Spontan-
heilung. Systemische Kortikosteroide unterbrechen den Prozess, nach Absetzen erfolgt jedoch schnell ein Rezidiv. Lokaltherapie (außer Kompressionsverbänden) ist wirkungslos. Manchmal Ansprechen auf Photochemotherapie und Tetrazykline. 7.4.2 Nekrotisierende Vaskulitis
7
Definitionen und Pathogenese Der Begriff Nekrotisierende Vaskulitis (NV) umfasst eine heterogene Gruppe »primärer« Vaskulitiden oft unbekannter Ursache, die durch Zerstörung der Gefäßwand durch Leukozyten (seltener Granulome) gekennzeichnet sind. Es handelt sich um Systemkrankheiten mit Hautbeteiligung. Die Hautsymptome können dominieren (»kutane« NV) oder Symptome seitens innerer Organe lediglich begleiten (»systemische« NV). Dermatologisches Hauptmerkmal ist die palpable Purpura. Vaskulitissyndrome, die unter dem Bild der »palparen Purpura« ablaufen können, sind: 4 Kutane nekrotisierende Vaskulitis, klassischer Typ 4 Schönlein-Henoch-Purpura 4 Vaskulitis bei Sjögren-Syndrom (Hypergammaglobulinämie Waldenström) 4 Vaskulitis bei gemischter essenzieller Kryoglobulinämie 4 Vaskulitis bei Kollagenosen (»rheumatoide Vaskulitis«) 4 Vaskulitis bei Myelom (monoklonale Gammapathie) 4 palpable Purpura als Hautzeichen bei: 5 Wegener-Granulomatose 5 mikroskopische Polyangiitis 5 Churg-Strauss-Syndrom 3Pathogenese der Nekrotisierenden Vaskulitis Gemeinsam ist allen Formen die Aktivierung und Bindung von Neutrophilen an die Gefäßwand. Der Gefäßschaden entsteht durch Freisetzung von Leukozytenenzymen (Proteinasen) und Generierung freier Sauerstoffradikale (Myeloperoxidasen). Die Aktivierung der Leukozyten erfolgt über 2 Hauptwege: über Komplementaktivierung durch zirkulierende Immunkomplexe bzw. aggregierte monoklonale Paraproteine; alternativ über antizytoplasmatische Neutrophilen-Antikörper (ANCA). Der erste Weg ist der häufigere, der zweite vermittelt in der Re-
gel schwerere Krankheiten. Klinisch und histologisch sind die durch diese Mechanismen hervorgerufenen Hautläsionen kaum unterscheidbar. Immunkomplexe als Mittler der NV (. Abb. 7.32). Zirkulierende Immunkomplexe sind in Gitterstrukturen organisierte, nichtkovalente Verbindungen von Antigen und Antikörpern. Bei Überforderung des physiol. Abtransports (Bindung an Fc-Rezeptoren von Makrophagen – Leber, Milz) kommt es zur Komplementaktivierung: C3b »opsonisiert« (= zerkleinert und bindet) die Komplexe, die nun an Komplementrezeptoren der Erythrozyten abtransportiert werden. Die Komplementaktivierung bereitet jedoch gleichzeitig die Entstehung der Vaskulitis vor, da sie mit Freisetzung der chemotaktischen Fragmente C3a und C5a einhergeht. Letztere bewirken: 4 Mastzell- und Basophilendegranulation mit Freisetzung von Histamin und Platelet activating factor (PAF): Weitstellung der Gefäße (Quaddeln!), Verlangsamung des Blutflusses 4 PAF aktiviert Thrombozyten (Freisetzung von Histamin, Serotonin, verstärkte Vasodilatation) 4 Aktivierung der Endothelzelle (Expression von Adhäsionsmolekülen und prokoagulanter Faktoren) 4 Aktivierung zirkulierender Neutrophiler: Expression von Adhäsionsmolekülen, Freisetzung von IL-1 und TNF-α, Margination. Reicht der Abtransport der Immunkomplexe durch die Komplementaktivierung aus, bleibt der Prozess folgenlos bzw. bei einer Typ-III-Urtikaria stehen. Anderenfalls fallen die Komplexe an der Gefäßwand aus (die entstehende Vaskulitis ist das letzte Mittel zur Elimination – allerdings mit Eigenschäden). Die Kom-
. Abb. 7.32. Immunkomplexe werden noch in der Zirkulation durch Komplement C3 b opsonisiert, das Komplementsystem wird aktiviert. C3 a und C5 a führen zur Freisetzung von PAF und vasoaktiven Aminen aus Mastzellen/Basophilen. Die Gefäße werden permeabel, Immunkomplexe gelangen ins Interstitium, Endothelzellen werden aktiviert, Thrombozyten lagern sich ab und verstärken durch Histaminfreisetzung die Gefäßweitstellung. Neutrophile werden angelockt, aktiviert und durchdringen die Gefäßwand → Freisetzung von Proteasen und freier Sauerstoffradikale → Gewebsschäden
7
325 7.4 · Vaskulitis
plexe dringen durch das nun permeable Endothel, binden an die Basallamina, aktivieren weiter Komplement bis zur Generation des »Membran-Attackkomplexes« und führen zur Thrombozytenaggregation. Neutrophile binden an Komplexe (Fc-Rezeptoren) und Endothelzellen (Adhäsionsmoleküle), setzen ihre lysosomalen Enzyme frei und bilden Sauerstoffradikale: eosinophile Nekrose (Endothelzellen), Leukozyten- und Erythrozytendiapedese. Die Endothelzellen setzen proinflammatorische (IL-1, -6, TNF-α, Eikosanoide), vasokonstriktorische (Eikosanoide, Endothelin) und prokoagulatorische Mediatoren frei (»Tissue factor«, von Willebrand-Faktor); Folgen sind Attraktion weiterer Leukozyten, Vasokonstriktion und Thrombusbildung. Diese Konsequenzen werden durch Gegenregulationsmechanismen lokal begrenzt und schließlich durch die Wundheilung behoben (Fibrinolyse, Phagozytose, Wiederherstellung der Gefäße – Aktivierung von VEGF u. a.). Abheilung bei kleinen Läsionen mit restitutio ad integrum, bei größeren Läsionen narbig.
. Tab. 7.12. ANCA bei Vaskulitiden, Kollagenosen und anderen entzündlichen Krankheiten cANCA (%)
pANCA (%)
Zielantigen(e)
4 50 4 90
4 <5 4 <5
4 PR3 a 4 PR3 a
Churg-StraussSyndrom
20
20
PR3
Mikroskopische Polyangiitis
10
60
MPO a
Purpura SchönleinHenoch
–
<5
MPO a
ANCA-assoziierte NV. ANCA sind eine Gruppe vorwie-
Riesenzell-Arteriitis
–
5
gend gegen lysosomale Antigene von Neutrophilen/ Makrophagen gerichteter IgG-Autoantikörper, die bei Gesunden nicht vorkommen und vorwiegend mit primären Systemvaskulitiden (. Tab. 7.12), seltener mit Kollagenosen und anderen System- oder Infektionskrankheiten assoziiert sind. Sie werden nach ihrem IF-Muster und nach ihren Zielantigenen klassifiziert. Nach dem derzeitigen Erklärungsmodell exprimieren Leukozyten, wenn sie durch z. B. TNF-α im Rahmen einer Entzündung aktiviert werden, die primär intrazellulär gelegenen ANCA auch an ihrer Oberfläche. Zirkulierende ANCA binden nun sowohl an ihr Zielantigen wie auch, über das Fc-Fragment, an die Fc-Rezeptoren der Leukozyten: Dies bewirkt eine maximale Aktivierung derselben mit Ausschleusung ihrer toxischen lysosomalen Produkte. Deren Wirkung wird durch die Adhäsion der Neutrophilen an die Adhäsionsmoleküle der Endothelzellen verstärkt und fokussiert.
Kollagenosen und andere entzündliche »rheumatische« Erkrankungen
Nachweis der ANCA. Indirekte IF an Neutrophilen und Monozyten. Man unterscheidet ein zytoplasmatisches (cANCA), ein perinukleäres (pANCA) und ein atypisches Färbemuster (homogen-wolkig; a/pANCA: . Tab. 7.12). Die weitere Charakterisierung erfolgt mit ELISA- und Immunoblot-Methoden.
(Kutane) Immunkomplex-Vaskulitis (Venulitis) (Synonym leukozytoklastische Vaskulitis, allergische Vaskulitis, kutane NV) Definition. Eine Immunkomplex-mediierte NV der postkapillären Venolen vorwiegend der Haut, die in verschiedenem Maß von Allgemein- und Organsymptomen begleitet ist. Sie tritt entweder als »klassischer« Typ oder einer der unten beschriebenen Sondertypen auf.
Entität Vaskulitiden Wegener-Granulomatose 4 Initialphase 4 Generalisation
SLE
–
25
LF, HLE, LZ b
Sjögren-Syndrom
–
25
LF, HLE, CG, LZ b
Polymyositis
–
<10
Rheumatoide Arthritis
–
20
LF, HLE, CG, LZ b
Rheumatoide Vaskulitis
–
50
LF, HLE, CG, LZ b
Felty-Syndrom
–
50
LF, HLE, CG, LZ b
Spondylarthritiden
–
<10
a diagnostische Relevanz b diagnostische Relevanz nicht gesichert (nach W. Gross, 1995) PR3 = Proteinase 3, MPO = Myeloperoxidase, LF = Laktoferrin HLE = humane Leukozyten Elastase, CG = Cathepsin G, LZ = Lysozym
Epidemiologie. Die »klassische« kutane Immun-
komplex-Vaskulitis ist die häufigste Manifestationsform der NV (Inzidenz 10–20/100 000/Jahr). Sie tritt in allen Lebensaltern und ist bei beiden Geschlechtern etwa gleich häufig. Der Verlauf ist, je nach Auslöser, episodisch oder chronisch-rezidivierend (seltener). Ätiologie. Das ursächliche Antigen bleibt oft unbe-
kannt; häufig sind bakterielle und virale Antigene (Streptokokken!, Hepatitis B u. a.), Arzneimittel und Chemikalien (Salizylate, Sulfonamide, Antibiotika etc.), Fremdeiweiße (Serumkrankheit, Hyposensibilisierungsantigene) und Autoantigene (Kollagenosen, Neoplasien).
326
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Symptomatik. Akut und schubweise innerhalb weni-
7
ger Tage auftretende, dunkelrote Petechien oft nur der Unterschenkel und Knöchel, bei intensiverem Befall auch an Oberschenkeln und Rumpf (Aufliegestellen!). Verteilung und Dichte wird durch den venösen Druck und Entzündung der Haut beeinflusst (z. B. dichtere Aussaat in Ekzemen). Die Läsionen sind stecknadelkopf- bis mehrere Millimeter groß, entzündlich, flach erhaben, tastbar und brennend schmerzhaft (palpable Purpura) (. Abb. 7.33a, b). Ihre rote Farbe beruht auch auf einer entzündlichen Komponente (die Rötung ist durch Glasspateldruck teilweise wegdrückbar) – manchmal überwiegt die Entzündung, die Läsionen erscheinen dann urtikariell, auch anulär oder multiformeartig. Die Petechien können zu ausgedehnteren, düsterroten schmerzhaften Arealen konfluieren. Kleine Läsionen bilden sich meist innerhalb von 1–2 Wochen mit Hämosiderin-Pigmentierung zurück, größere können hämorrhagische Blasen, trockene Nekrosen oder hämorrhagisch verkrustete Ulzera ausbilden. Bei diesen dauert die Heilung mehrere Wochen, es entstehen hyperpigmentierte, atrophe Narben. a
System- und Organzeichen. Milde Systemzeichen wie
Fieber, Krankheitsgefühl, Arthralgien sind fast stets vorhanden (ca. 75%), klinisch manifester Organbefall in bis zur Hälfte: Gelenke (50%), Muskel (40%), Niere (30%), Gastrointestinaltrakt (15%) und ZNS (10%). Der Organbefall ist meist milde, gelegentlich jedoch dramatisch: erosive Gastritis, Magenulzera, Darmkoliken, Meläna und Diarrhoen, Intussuszeption und Ileus; Meningismus; Makrohämaturie, (mesangiale) Glomerulonephritis. Diagnostik. Histologie: »Fibrinoide« Wandnekrose postkapillärer Venen mit Leukozytendiapedese, Leukozytoklasie (zerfallende Leukozyten – »Kernstaub«), Ödem und Erythrozytenextravasate (. Abb. 7.34). Immunkomplexe finden sich in der IF nur innerhalb weniger Stunden, da sie schnell von Makrophagen beseitigt werden. Labor: Leukozytose, erhöhte Senkung; Albumin-, evtl.
Hämaturie; okkultes Blut im Stuhl, zirkulierende Immunkomplexe (meist IgM), Verminderung des totalen hämolytischen Komplements. Weitere Befunde je nach Art des Systembefalls. Gerinnungsstatus normal! b
Differenzialdiagnose und Untersuchungsgang. Die
Unterscheidung von nichtvaskulitischer (z. B. Stauungs-) Purpura ist in der Regel leicht (bei unklarer Sachlage: Biopsie). Ist die Diagnose gesichert, muss durch Labor, Anamnese und Klinik eine Systemvasku-
. Abb. 7.33a,b. Kutane nekrotisierende Vaskulitis. a Schütter verteilte, hämorrhagisch-nekrotische Blasen. b Exanthematische »palpable Purpura«
327 7.4 · Vaskulitis
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(z. B. akutes Abdomen!) und protrahierter, Rezidive sind häufiger. Nierenversagen im akuten Stadium und Spätschäden der Nieren werden beobachtet. Akutes hämorrhagisches infantiles Ödem Eine dem Schönlein-Henoch-Syndrom ähnliche, aber durch IgM-Immunkomplexe verursachte NV bei Kleinkindern. Beginn mit urtikariellen Läsionen, die sich bald in Purpuraherde umwandeln. Auslösung durch respiratorische (Streptokokken-)Infekte oder Arzneimittel. Selbstlimitierter, unkomplizierter Verlauf. . Abb. 7.34. Nekrotisierende Vaskulitis. Leukozytenadhäsion, -diapedese und Karyorrhexis in einer frühen Läsion von Wegener-Granulomatose. Beachte: Das Bild ist von einer frühen Immunkomplexvaskulitis nicht unterscheidbar
litis ausgeschlossen werden. Die episodische Immunkomplex-Vaskulitis hat in der Regel episodische (und meist aufdeckbare) Ursachen: Fokalinfekte (Streptokokken-Tonsillitis, gastrointestinale Infekte), Virusinfektionen (z. B. Virushepatitis), seltener Medikamente. In bis zu einem Drittel wird keine auslösende Ursache gefunden. Bei chronisch-rezidivierendem Verlauf muss nach persistierenden Ursachen gesucht werden: chronische Infekte (Hepatitis C>B), Lymphome (Myelom!), Neoplasmen (Haarzellleukämie, solide Tumoren), Hypergammaglobulinämie, Kollagenosen.
Urtikarielle Vaskulitis (Synonym Hypokomplementämische Vaskulitis) Eine seltenere NV, die durch exzessiv chronischen, undulierenden Verlauf (bis Jahrzehnte) und Hautläsionen gekennzeichnet ist, die den Quaddeln bei Urtikaria sehr ähnlich sind. Auftreten vorwiegend im mittleren Alter und bei Frauen. In bis zu 50% Vorläufer von Systemkrankheiten (z. B. Kollagenosen)! ! Die »Quaddeln« der urtikariellen Vaskulitis unterscheiden sich von »echten« Quaddeln durch ihr fahlgelbes Kolorit, ihre Persistenz (>2 Tage) und durch zentrale Blutungspunkte (Glasspatel!). Ferner fehlt der Juckreiz; nach Rückgang bleibt eine zarte Hämosiderinpigmentierung zurück.
Ätiologie. Unbekannt; vermutet werden Autoanti-
körper gegen C1q, Komplementaktivierung.
Prognose. Meist Restitutio ad integrum. Schwerer Or-
Symptomatik, Diagnostik. Systemzeichen (Fieber,
ganbefall kann zu Defektheilungen führen (Niere!).
Arthralgien) sind häufig, meist jedoch mild. Seltener Konjunktivitis und Uveitis, gastrointestinaler und Nierenbefall. Labor: Komplementverbrauch. Histologie: Mild ausgeprägte NV.
Therapie. Elimination der Ursache (Infekte, Absetzen verdächtigter Medikamente; Behandlung der Systemkrankheiten bzw. Neoplasien). Milde Immunkomplexvaskulitis bedarf keiner Systemtherapie. Kortikosteroidstöße sind bei schwererem Verlauf (Gefahr von Hautnekrosen), jedenfalls aber bei Systembefall (Nieren!) angezeigt. In Ausnahmefällen sind Zytostatika indiziert (z. B. Cyclophosphamid).
Sonderformen der kutanen ImmunkomplexVaskulitis Schönlein-Henoch-Syndrom Ein nicht seltenes, der »klassischen« NV analoges Krankheitsbild durch IgA-Immunkomplexe (typischerweise auch in nichtläsionaler Haut nachweisbar). Auftreten gewöhnlich bei Kindern im Schulalter nach Streptokokkeninfekten des Respirationstrakts. Prominente System- und Organzeichen (Gastrointestinaltrakt, Niere, Gelenke, seltener ZNS). Bei Erwachsenen ist das Syndrom seltener, verläuft aber oft schwerer
Differenzialdiagnose. Chronisch rezidivierende Urti-
karia, Erythema anulare centrifugum. Therapie. Dapson und NSAID. Antihistaminika sind kaum, Kortikosteroide nur in relativ hohen Dosen wirksam. Bei Übergang in SLE Hydroxychloroquin.
NV bei Kryoglobulinämie (Synonym Purpura cryoglobulinaemica; früher »Essenzielle« gemischte Kryoglobulinämie) 3Kryoglobuline (KG) und Kryoglobulinämien (7 Kap. 3.1) KG sind zirkulierende Immunglobuline, die bei 4°C reversibel ausfallen. Man unterscheidet monoklonale (Typ I) und »gemischte« KG (Typen II und III). Typ I-KG (meist IgM) sind das Produkt neoplastischer B-Zellen (Myelom, CLL, Makroglobulinämie Waldenström), sie treten in hohen Titern auf und können zur Hyperviskosität führen (Akrozyanose, Livedo racemosa,
328
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Raynaud-Symptom, periphere Thrombosen, Nekrosen, Ulzera). Gemischte KG sind Komplexe von Rheumafaktoren (meist IgM) mit polyklonalen IgG; die Rheumafaktoren sind entweder monoklonal (Typ II) oder polyklonal (Typ III). Gemischte KG sind für den den Hauptanteil der Kryoglobulinämien verantwortlich (80%, Typ III ca. 50%). Sie sind mit chronischen entzündlichen Systemkrankheiten mit Neigung zu klonaler B-Zell-Expansion assoziiert (SLE, Sjögren-Syndrom, rheumatoide Arthritis, biliäre Zirrhose, Polyarteriitis nodosa, diverse Infekte – vorwiegend Hepatitis C!). Die Titer sind meist niedrig, die Pathologie beruht auf Komplementaktivierung und Auslösung einer NV.
che und sehr chronischem Verlauf (Jahrzehnte). Assoziation mit monoklonaler Gammopathie. Symptomatik, Diagnostik. Symmetrische, teils kon-
fluente, polsterartige, hell- bis braun-rote Papeln und Knoten an den Streckseiten der großen und kleinen Gelenke, vorwiegend an Fingerknöcheln und Knien. Nur mäßige Purpurakomponente. Selten ausgedehntere Eruption (Stamm). Keine Systemzeichen. Histologie: Leukozytoklastische Vaskulitis, in älteren Läsionen Fibrose und Fettspeicherung.
Epidemiologie. KG können bei Gesunden vorkom-
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men. Die Prävalenz der gemischten Kryoglobulinämie (ca 1/100 000 mit weiten Schwankungen) hängt von der Durchseuchung mit Hepatitis C ab – bei hoher Durchseuchung sind bis 90% der gemischten Kryoglobulinämie HCV-assoziiert. Gynäkotropie, Krankheitsbeginn meist in der Lebensmitte. Symptomatik, Diagnostik. Die gemischte Kryoglobu-
linämie manifestiert sich als chronisch-rezidivierende Immunkomplexvaskulitis mit prominenten Systemzeichen, Arthralgien, Nierenbefall (in 50% membranoproliferative Glomerulonephritis), oft auch Polyneuritis, Lymphadenopathie, Sicca-Symptomatik u. a. Bei begleitender HC-Infektion Hepatosplenomegalie, Zirrhose. Die Haut ist fast stets beteiligt; die Läsionen treten bevorzugt an den Akren auf (Temperatureffekt!) und zeigen eine auffällige retikuläre Anordnung sowie ausgeprägte Hämosiderinablagerungen. Labor: Komplementverbrauch, Laborzeichen der je-
weiligen Grundkrankheit. Verlauf. Meist langsam progredient. Die 10-Jahres-
Überlebensrate liegt bei 50%, bei schwerem Nierenbefall niedriger. Begleitende HC-Infektion ist ein ungünstiger prognostischer Parameter. In ca. 10% entwickeln sich nach Jahren B-Zell-Lymphome. Therapie. Behandlung der Grundkrankheit, evtl. Kortikosteroide. Bei HC-Infektion Interferon-α kombiniert mit Ribavirin.
Purpura hypergammaglobulinaemica (Waldenström) Eine mit polyklonaler Hypergammaglobulinämie assoziierte Form der kutanen NV, häufig bei Sjögren-Syndrom und oft dessen Initialsymptom (7 Kap. 7.2.3). Erythema elevatum et diutinum Eine durch charakteristische Hautläsionen gekennzeichnete, sehr seltene NV der Haut von unklarer Ursa-
Differenzialdiagnose. Granuloma anulare, Hautherde
der Wegener-Granulomatose. Therapie. NSAID, Dapson. Langfristige Spontanheilung wurde beobachtet.
»Rheumatoide« Vaskulitis Ein Überbegriff über Formen der NV im Rahmen von »Kollagenosen«. Dazu zählt vorwiegend die »klassische« kutane NV bzw. ihre Unterformen, die chronisch-rezidivierend die rheumatoide Arthritis, SLE, Dermatomyositis und Sjögren-Syndrom begleiten kann; ferner Nagelfalznekrosen bzw. Nekrosen der Fingerendglieder. Nekrotisierende (granulomatöse) Systemvaskulitiden Eine Gruppe seltener, lebensbedrohlicher Krankheitsbilder unbekannter Ätiologie, die vorwiegend innere Organe (Respirationstrakt, Niere, Zentralnervensystem), aber auch ausgeprägt die Haut betreffen. Gemeinsam ist allen der Befall vorwiegend mittelgroßer und kleiner Arterien (an der Haut auch der postkapillären Venolen), bei manchen auch vaskuläre und extravaskuläre Granulome. Die Systemvaskulitiden besitzen gemeinsame klinische Charakteristika und Überlappungen. Manche sind mit ANCA assoziiert. Bei allen Systemvaskulitiden können sich Wochen bis Jahre vor Ausbruch typische, aber unspezifische Prodromalsymptome einstellen: Fieber, Müdigkeit, Leistungsknick, Anorexie, Gewichtsverlust, wechselnde Myalgien, Oligoarthritis und Laborzeichen der Entzündung (Akutphaseproteine, Hypalbuminämie, Anämie, Leuko-, Thrombozytose). Die Diagnostik ist in den Frühphasen oft schwierig; sie wurde durch die ANCA-Diagnostik erheblich verbessert. Später stellen sich häufig Schlüsselsymptome ein: vaskulitische Hautläsionen (palpable Purpura, nekrotisierende Knoten und Hämorrhagien, ischämische Infarkte, Vaskulitis der Finger), Mononeuritis multiplex und Nierensymptomatik (pathologisches Sediment).
329 7.4 · Vaskulitis
Vor der Kortisonära verliefen die Systemvaskulitiden in der Regel innerhalb weniger Jahre tödlich. Systemische Kortikosteroide unterdrücken die Symptomatik schnell, doch kommt es bei Reduktion wieder zum Rezidiv. In den letzten Jahren hat sich eine Kombinationstherapie von Kortikosteroiden mit Cyclophosphamid als Therapie der Wahl etabliert. Unter ihr kommt es zur langfristigen Remission und nicht selten zur permanenten Ausheilung. Wegener-Granulomatose (WG) Eine Multisystemkrankheit, die durch NV kleiner und mittelgroßer Arterien und Venen, destruierende Granulome vorwiegend im oberen und unteren Respirationstrakt und Nierenbefall gekennzeichnet ist. Die WG ist in hohem Maß mit cANCA assoziiert. Epidemiologie. Inzidenz ca. 1/100 000/Jahr. Die Geschlechter sind gleichmäßig betroffen, Beginn meist in der Lebensmitte. Assoziation mit HLA-Typen und familiäre Häufung fehlen. Ätiologie und Pathogenese. Unklar. Mit Infekten
besteht eine noch ungeklärte Wechselbeziehung: sie können Krankheitsschübe (und vielleicht die Krankheit selbst) auslösen; andererseits neigen Läsionen der WG sehr zur Sekundärinfektion (Staph. aureus!). Symptomatik. Typisch ist ein zweigipfeliger Verlauf:
einem bis Jahre dauernden »larviertem« Vorstadium, manchmal mit »limitiertem« Organbefall, folgt unvermittelt das Stadium der Generalisation mit schweren Systemzeichen und Multiorganbefall. Erste Zeichen sind fast stets Entzündungen des oberen Respirationstrakts (eitrig-hämorrhagische Rhinitis und Sinusitis bis 90%, Otitis media, Dakryozystitis, Laryngo-Pharyngitis), seltener des unteren Respirationstrakts (produktiver Husten, Dyspnoe, Bronchopneumonie). Die Symptome werden zunächst häufig als trivial eingeschätzt, erweisen sich aber als therapieresistent und oft rasch progredient. Das Stadium der Generalisation wird durch nekrotisierende ulzerierende Granulome geprägt – des oberen Respirationstrakts (oft ausgedehnte Gewebsdestruktionen, z. B. Perforation des Nasenseptums, Sattelnase, bis hin zum Bild des »lethal midline granuloma«), der Mundhöhle, und einschmelzende Lungeninfiltrate (Hämoptysen, Kavernen, Pneumonitis, Pneumothorax). Hinzu kommt oft schnell progredienter Nierenbefall (90%: fokale segmentale Glomerulonephritis, Granulome → Hypertension, Urämie). Häufig befallen sind ferner Gelenke (50%), Augen (Episkleritis, Neuritis N. optici, Uveitis), Nervensystem (25%: Mono-
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neuritis multiplex, Vaskulitis der zerebralen Arterien), Herz (10%: Perikarditis, Endokarditis – Klappendestruktion, Vaskulitis der Koronararterien, Reizleitungsstörungen), sowie die Haut (50%). Hautbefall ist vielfältig: makulo-papulo-urtikarielle Exantheme, kutane NV (klassischer Typ, urtikarielle Vaskulitis u. a.), nekrotisierende atypische Pyodermien (ähnlich Pyoderma gangraenosum, Erysipel, Phlegmone), manchmal mit Osteomyelitis; noduläre einschmelzende Pannikulitis. Ein diagnostisch wichtiges Hautzeichen ist das positive Pathergie-Phänomen (7 Kap. 5.4). Diagnostik. Histologie: Haut und befallene innere Or-
gane zeigen die Trias von nekrotisierender leukozytärer Vaskulitis, Granulom und Nekrose. Die Granulome sind histiozytär-epitheloid-leukozytär mit oft reichlich Riesenzellen; sie liegen intramural oder auch außerhalb der Gefäße. Die Nekroseneigung ist in den Granulomen der Lunge am stärksten ausgeprägt. Labor: Oft massive Erhöhung der Entzündungspara-
meter, Rheumafaktor in ca. 50%. cANCA bestehen in der Frühphase in 50%, bei Generalisation in >90%. Der Titerverlauf ist mit der Krankheitsaktivität korreliert. Immunkomplexe sind nicht nachweisbar. Verlauf und Prognose. Unbehandelt beträgt die durch-
schnittliche Lebenserwartung im Stadium der Generalisation 5 Monate, die Einjahresüberlebensquote 20%. Durch die kombinierte Kortikosteroid-Cyclophosphamid-Therapie ist die Letalität auf <20% gesunken, die komplette Remission wurde zur Regel (>90%). Rezidive in bis 50%. Die Ausheilung ist häufig mit Defektzuständen verbunden (Niereninsuffizienz, Trachealstenose, Deformität der Nase, Hör- und Sehverlust u. a.). Therapie. Standardbehandlung ist die Gabe von Kortikosteroiden (z. B. Methylprednisolon 1 mg/kg/Tag, langsames Ausschleichen nach klinischem Verlauf) und Cyclophosphamid (2 mg/kg/Tag oder initial als i. v.-Bolus). Letzteres wird mindestens 1 Jahr nach Erreichen der Remission weitergegeben, dann langsam reduziert und bei Ausbleiben eines Rezidivs abgesetzt (Gesamtbehandlungsdauer ca. 2 Jahre). Milde Rezidive können manchmal durch Antibiotika abgefangen werden; bei schwereren Rückgang auf die Initialtherapie. Zusätzlich sind weitere organbezogene Maßnahmen erforderlich. Die cANCA fallen nach Therapiebeginn schnell ab und verschwinden nach Wochen/Monaten.
Mikroskopische Polyangiitis Eine der WG ähnliche Multisystemvaskulitis, die jedoch weder mit Granulomen noch mit Aneurysmen
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Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
(wie die PAN, s. unten) einhergeht und daher nur »mikroskopische« Merkmale bietet. Ihre Eigenständigkeit wurde erst durch ihre Assoziation mit pANCA klar. Symptomatik, Diagnostik. Hauptsymptom ist meist
eine nekrotisierende, halbmondbildende Glomerulonephritis mit rapide progressivem Verlauf, häufig begleitet von hämorrhagisch-nekrotisierender Kapillaritis der Lungenalveolen (pulmorenales Syndrom) sowie vaskulitischen Läsionen von Haut (kutane NV und Unterformen), Auge (Episkleritis etc.), Darm und Nervensystem (z. B. Mononeuritis multiplex). Labor: In ca. 70% pANCA. Therapie und Verlauf. Wie bei WG. Die Prognose kann noch nicht gut beurteilt werden.
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Churg-Strauss-Granulomatose (CSG, Synonym Allergische Granulomatose) Eine Systemkrankheit mit Ähnlichkeit zu WG und PAN, die durch Atopie (Asthma bronchiale), Eosinophilie und segmentale granulomatöse Arteritis mit Ausbildung nekrotisierender Palisadengranulome gekennzeichnet ist. Sie ist in 50% mit ANCA assoziiert (cANCA und/oder pANCA). Epidemiologie. Die seltene Krankheit befällt vorwiegend Erwachsene. Keine familiäre oder Geschlechtsprädilektion, häufig Familienanamnese von Atopie. Ätiologie und Pathogenese. Unbekannt; eine Rolle wird der Allergenüberschwemmung zugewiesen. Eine Erklärung der Koexistenz von Immunkomplexen und ANCA steht aus. Symptomatik. CSG entwickelt sich meist schleichend
aus einem chronischen Asthma bronchiale. Nach den Prodromi stellen sich schubartig, oft durch Hyposensibilisierung ausgelöst, Palisadengranulome an Haut und inneren Organen ein. An der Haut erscheinen diese als derbe, schmerzhafte, verbackene kutan-subkutane Knoten, meist in Gruppen oder lineär entlang hautnahen Arterien. Sie wachsen langsam an, exulzerieren aber nur selten. Granulome der inneren Organe treten vorwiegend in der Lunge auf (Fibrose, Hämorrhagien, Funktionsausfall, keine Kavernen!), seltener in Gastrointestinaltrakt (Hämorrhagien), Mesenterium, Leber und Milz, Herz, Muskeln und Genitale. Hinzu kommen »unspezifische« eosinophile Infiltrate der inneren Organe (Löffler-Syndrom, Mononeuritis multiplex etc.). Die Niere ist in >60% der Fälle betroffen, meist ohne klinisches Korrelat.
Diagnostik. Histologie. CS-Granulome sind große, teils intra-, teils extravaskuläre Palisadengranulome mit zentraler Nekrose, von massenhaft zerfallenden Eosinophilen durchsetzt (durch Kernstaub starke Basophilie!), reichlich Riesenzellen. Labor. Leukozytose mit oft exzessiver Eosinophilie (bis 80%), hohes IgE; häufig Rheumafaktoren, Kryoglobuline, Immunkomplexe, ANA. In ca. 50% ANCA (cANCA und pANCA). Therapie und Prognose. Unbehandelt beträgt die
Mortalität 30–50% innerhalb des ersten Jahres nach Diagnose. Todesursachen sind Ateminsuffizienz, Herzversagen, Herzinfarkt, Status asthmaticus, Nierenversagen u. a. Durch die kombinierte Kortikosteroid-Cyclophosphamid-Behandlung ist die 5-Jahres-Überlebensquote auf >60% angestiegen. Kutane granulomatöse Vaskulitis (Winkelmann-Granulom) Hierunter versteht man das seltene Auftreten von isolierten CS- (oder auch WG-) Granulomen bei Kollagenosen, Infektionskrankheiten wie Syphilis, Tuberkulose und Lepra, Lymphomen, oder auch ohne zugrunde liegende Systemkrankheit. Sie lokalisieren sich an tiefe Gefäße der Haut und führen zu knotigen, manchmal exulzerierenden Infiltraten, oft lediglich zu einer Livedo-racemosa-Zeichnung. Polyarteriitis nodosa (Kussmaul-Meier) (PAN) Eine seltene Multisystemkrankheit unbekannter Ursache, die durch segmentale nekrotisierende Arteriitis (selten mit Granulombildung) mittelgroßer Arterien mit nachfolgender Ausbildung von Aneurysmen, Okklusion und/oder Hämorrhagien gekennzeichnet ist. Hauptbefallen sind Niere, Haut, Herz, periphere Nerven, seltener ZNS. PAN ist nicht mit ANCA, sondern mit Immunkomplexen assoziiert. Epidemiologie. Inzidenz <1/100 000/Jahr; in Hepatitis-B-hyperendemischen Gebieten bis 8/100 000/Jahr. Androtropie (2:1). PAN kommt weltweit und in allen Alterskategorien vor. Beginn meist in der 2. Lebenshälfte. Ätiologie. Unbekannt; kontinuierliche Produktion von Immunkomplexen durch persistierende Antigenämie (HBs, Streptokokken, Auto- und Tumorantigene – Haarzellleukämie!) wird diskutiert. Symptomatik. Nach oft monatelangen Prodromi Be-
ginn meist mit Nierenbefall (70%; Vaskulitis der Aa. re-
331 7.4 · Vaskulitis
nales: Ausfall von Nierenparenchym, Glomerulosklerose, Hypertonie; progressive Einschränkung der Nierenfunktion, Urämie). Häufig ist ferner der Befall des Gastrointestinaltrakts (50%;): die Arterien aller Abschnitte inklusive Pankreas und Gallenblase können betroffen sein → Magenulzera, ulzeröse Enterokolitis, Darmperforationen; Erbrechen, Diarrhoe, Darmblutungen; charakteristisches Symptom: postprandiale »intestinale Angina«. Neurologische Symptome (50%): gemischt motorisch-sensible Neuropathien, Dysästhesien, Paresen; ischämische Insulte, Hirnnervenausfälle, Psychosen, Epilepsie. Seltener betroffen sind Herz (Perikarditis, Vaskulitis der Koronararterien) und Augen (Vaskulitis und Aneurysma der A. centralis retinae). Die Haut ist häufig (ca. 40%) und vielfältig befallen: papulourtikarielle Exantheme, »klassische« kutane NV, schmerzhafte, oft exulzerierende hämorrhagische entzündliche Knoten (Aneurysmen) und Stränge entlang befallener Gefäße, Livedo racemosa. Ein dramatisches akutes Ereignis ist die periphere Gangrän (Finger, Zehen). Diagnostik. Histologie: Leukozytoklastische Vaskulitis mittelgroßer Arterien; Aneurysmen. Labor: Parameter der Entzündung; häufig Immunkom-
plexämie und Komplementverbrauch. HBs-Antigenämie in bis 50%. p-ANCA in bis 15%. Wichtigstes Kriterium ist der histologische Nachweis typischer Gefäßläsionen (Biopsien aus z. B. Haut, Muskel); Nachweis multipler Aneurysmen mittels Angiographie. Therapie und Prognose. Unbehandelt liegt die 5-Jahresüberlebensquote bei 10%, unter Kortikosteroiden bei >50%. Der Nutzen der kombinierten Kortikosteroid-Cyclophosphamid-Behandlung ist nicht allseits akzeptiert.
Kutane Polyarteriitis nodosa 7 Kap. 7.4.4. 7.4.3 Riesenzellarteriitis Der Begriff »Riesenzellarteriitis« bezeichnet eine Gruppe granulomatöser Vaskulitiden, die durch Okklusion bzw. Zerstörung der Media mittlerer oder großer Arterien durch Riesenzell-reiche Granulome unbekannter Ursache charakterisiert ist. Die Gruppe umfasst den Komplex Polymyalgia rheumatica-Arteriitis temporalis und die Takayasu-Arteriitis. Sie alle gehen mit erheb-
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licher Morbidität, aber häufig ohne dermatologische Symptomatik einher. Polymyalgia rheumatica (PR) – Arteriitis temporalis (AT)-Komplex PR und AT sind historisch gewachsene Bezeichnungen, jedoch Manifestationen desselben Prozesses: AT ist ein Teilsymptom der PR mit besonders ausgeprägter Beteiligung der kranialen Arterien. PR hat mit rheumatoider Arthritis nichts zu tun. Epidemiologie. PR und AT sind Krankheiten des höheren Alters, weltweit verbreitet und doppelt so häufig bei Frauen. Beginn nach dem 50., Gipfel nach dem 70. Lebensjahr (Prävalenz in dieser Gruppe 0,5%). PR ist etwa 4-mal häufiger als AT; PR geht in 15% in AT über. Ätiologie und Pathogenese. Unbekannt. Die Granu-
lombildung wird auf schlecht abbaubare Antigene der Arterienwand zurückgeführt (Elastika? degenerierte Muskelzellen?), die im Rahmen des Alterungsprozesses (UV? Infrarotstrahlen?) erzeugt werden. Symptomatik. PR entwickelt sich häufiger schleichend
als akut (Tage bis Monate). Beginn mit Fieber, Müdigkeit, Übelkeit, Gewichtsverlust, Depression. Kennzeichnend sind charakteristische Muskelschmerzen und -rigidität besonders im Schulter- und Beckengürtel und Nacken (typisch: Schmerzen beim Aufstehen, Kämmen etc.), Verschlechterung in der zweiten Nachthälfte, morgendliche Steifigkeit. Druckschmerzhaftigkeit der Muskeln und Kraftverlust fehlen. AT verläuft in 3 Stadien. Das Prodromalstadium (Wochen bis Jahre) entspricht der PR. Hierzu gesellen sich Kopfschmerzen von steigender Intensität – typischerweise beidseitig, meist temporofrontal oder -parietal, und von brennendem, oft lanzinierendem Charakter. Im akuten Stadium verschlechtern sich diese plötzlich, die betroffene Skalpregion wird entzündet, ödematös und druckschmerzhaft, die Aa. temporales superficiales sicht- und tastbar verdickt, mäandriert, schmerzhaft und pulslos. In Ausnahmefällen entsteht meist beidseits eine extrem schmerzhafte, trockene oder bullös-hämorrhagische Gangrän, die bis zum Schädelknochen reichen kann (. Abb. 7.35). Parallel treten Symptome seitens anderer kranialer Arterien auf. In 50% sind die Augen betroffen (meist beidseits): vorübergehende Sehschwäche oder Erblindung (Amaurosis fugax), Doppelbilder, Ptose, ischämische Neuritis N. optici, Ophthalmoplegie. Häufig ist eine aktivitätsabhängige Schmerzhaftigkeit der Muskeln des Kau- und Schluckapparats (Claudicatio mas-
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Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
liferation glatter Muskelzellen, Thromben. Die Läsionen sind segmental und umschrieben. Therapie und Verlauf. PR und AT sprechen gut auf Kortikosteroide an (bei PR niedrige, bei AT mittlere Dosen) – wegen des meist hohen Alters vorsichtige Dosierung! Abbau entsprechend dem klinischen Ansprechen, anschliessend Erhaltungstherapie (6 Monate bis 2 Jahre, manchmal lebenslang). Rezidive sind bei frühzeitigem Absetzen häufig, später selten. Immunsuppressiva sind meist überflüssig. Prognose. PR und AT sind prinzipiell selbstlimiert,
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. Abb. 7.35. Arteriitis temporalis. Ausgedehnte, symmetrische plattenartige Nekrose bzw. Ulzeration der Kopfschwarte
seterica), seltener Symptome des Hör- und Gleichgewichtsapparats, Sprechstörungen, Nekrose der Zunge, Subarachnoidalblutungen, Psychosen und Demenz. In 15% finden sich klinisch Symptome extrakranialer Arterien (Angina pectoris, Aortenaneurysma, Claudicatio intermittens). Der Befall der A. subclavia ergibt das typische Symptom der Pulslosigkeit. Nach Monaten klingen die Symptome spontan ab. Das chronische Stadium ist durch schmerzlose, drahtharte, pulslose Aa. temporales und residuale Defekte gekennzeichnet (z. B. Blindheit). ! Die Granulome engen die Arterien in der Regel nur ein, verschließen sie aber nicht völlig. Es bilden sich daher Kollateralkreisläufe (deshalb sind Gangräne selten, und die Exzision der befallenen A. temporalis superficialis zu Diagnosezwecken führt nicht zur Nekrose). Die Gangrän wird meist durch zusätzliche Thrombosierung ausgelöst.
Diagnostik. Labor: Außer stark erhöhter Blutsenkung
unauffällig. AT wird histologisch diagnostiziert (Biopsie der A. temporalis superficialis). Vor der Biopsie sollte die (fehlende) Durchgängigkeit des Gefäßes dopplersonographisch bestätigt werden. Bei PR hat die Biopsie eine geringere Trefferquote und ist daher nicht obligatorisch; indiziert ist sie jedenfalls bei Nichtansprechen auf Kortikosteroide. Entzündungsprozesse an großen Gefäßen können durch 18FDG-PET-Untersuchung dargestellt werden. Histologie: Fibrinoide Nekrosen der Tunica media, Rundzellinfiltrate; intramurale Granulome mit Riesenzellen; Aufsplitterung der Lamina elastica interna, Pro-
die natürliche Krankheitsdauer beträgt etwa 5–7 Jahre. Letale Ausgänge sind selten (z. B. zerebraler Insult), Defektheilungen bei AT jedoch häufig. Differenzialdiagnose. PR: rheumatoide Arthritis, Fi-
bromyalgien, Dermatomyositis, infektiöse Myositis, paraneoplastische Myopathien (z.B. bei Lymphomen). AT: andere Arten von Kopfschmerz (z. B. Migräne), Glaukom, Trigeminusneuralgie, Hirntumoren. Bei Kopfschwartengangrän: Phlegmone, tiefe Trichomykose, Dekubitalgeschwüre, Angiosarkom der Kopfschwarte und andere Tumoren (z. B. Ulcus rodens). Takayasu-Arteriitis Eine seltene, gynäkotrope (8:1), bei jungen Erwachsenen und fast ausschließlich in Südostasien vorkommende Riesenzellarteriitis der Aorta und der großen Arterien. Die Symptomatik ist je nach dem vorherrschenden Befall verschieden (Aneurysmen und/oder Stenosen des Aortenbogens, der Aorta abdominalis, A. pulmonalis oder Kombinationen). Hypertonie ist wegen Beteiligung der Nierenarterien häufig, ein typisches Symptom ist Pulslosigkeit. Dermatologische Zeichen finden sich meist nicht; manchmal Raynaud-Phänomen oder knotig-ulzeröse Läsionen ähnlich dem E. nodosum bzw. E. induratum. Die Takayasu-Arteriitis spricht weniger gut auf Kortikosteroide an als PR oder AT. 7.4.4 Livedosyndrome Livedosyndrome sind eine heterogene Gruppe vaskulärer Syndrome mit prominenter Livedozeichnung: eine rotbläuliche netzartige Hautzeichnung, die auf den ersten Blick durchschimmernden Gefäßen ähnelt, jedoch in Wirklichkeit Hautbezirken mit niedrig oxigeniertem (dunklem) Blut entspricht. Die Livedozeichnung entsteht bei verlangsamtem Blutfluss im Kapillarbett und kann daher sowohl ein physiologisches Phänomen als auch Ausdruck von Zirkulationsstörun-
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riellen oder venösen Schenkel liegt, spielt hierbei kaum eine Rolle. Typische Ursachen sind arteriosklerotische Plaques, Cholesterinemboli, Fibrinthrombi, NV u. a.
. Abb. 7.36a, b. a Livedo reticularis: runde, geschlossene, regelmäßige Kreisfiguren. b Livedo racemosa: unregelmäßig bizarr konfigurierte Kreissegmente. Im englischen Sprachraum wird für beide Formen nur der Begriff »Livedo reticularis« verwendet – eine Quelle der Verwirrung
gen sein. Man unterscheidet 2 Erscheinungsformen (. Abb. 7.36a, b): 4 Livedo reticularis. Ein regelmäßiges Netzmuster aus intakten, »geschlossenen« Kreiselementen, die »Maschengröße« beträgt 2–3 cm. Sie ist großflächig, bevorzugt die Extremitäten, verschwindet bei Erwärmung und kehrt bei Abkühlung am selben Ort wieder. 4 Livedo racemosa. Ein unregelmäßiges, oft bizarres Netzmuster aus »offenen« (fragmentierten), rankenartigen Kreissegmenten. Sie ist scheinbar großkalibriger und meist dunkler, bleibt bei Erwärmung bestehen und ist gleichfalls lagestabil. Sie tritt herdförmig disseminiert auf und bevorzugt die unteren Extremitäten. Sie ist ein vieldeutiges Warnsignal. 3Livedozeichnung Das kreisförmige Grundelement der Livedozeichnung erklärt sich aus der arteriellen Blutversorgung der Haut: die Arterien speisen jeweils kreisförmige Hautbezirke; in deren Zentrum ist die Sauerstoffspannung am höchsten, im Grenzbereich am niedrigsten. Bei Verlangsamung des Blutflusses wird das Blut im Randbereich sauerstoffarm – der Rand hebt sich daher als dunkel gegenüber dem helleren Zentrum ab. Die Livedozeichnung ist nur bei dünner und heller Haut wahrnehmbar (daher bei Frauen eher als bei Männern) und fehlt bei Sklerose und Ödem.
Pathogenese. Livedo reticularis beruht auf einer generellen Strömungsverlangsamung der betroffenen Region. Die Ursachen sind oft harmlos: Unterkühlung – Cutis marmorata; seltenere Ursachen sind Hyperviskosität (z. B. Polyglobulie, Kryoglobulinämie) und zentrale Innervationsstörungen (Apoplexie, Traumen). Livedo racemosa kommt durch fokale Verlangsamung des Blutflusses durch Strömungshindernisse zustande, die zu unregelmäßiger Oxygenierung des kapillären Bluts führt. Ob das Strömungshindernis im arte-
Sneddon-Syndrom (Synonym »Livedo reticularis and cerebrovascular lesions Sneddon«, Livedo racemosa apoplectica) Eine potenziell lebensbedrohliche thrombotische Vaskulopathie unbekannter Ursache, die durch fokale Proliferation der subintimalen Muskelzellen in mittelgroßen Arterien charakterisiert ist. Klinisch manifestiert es sich als zerebrokutanes Krankheitsbild – generalisierte Livedo racemosa und zentralnervöse Erscheinungen. Epidemiologie. Selten, vermutlich jedoch unterdiagnostiziert (die Livedozeichnung ist symptomlos; ihr Signalcharakter wird oft nicht erkannt). Krankheitsbeginn im Erwachsenenalter; Gynäkotropie. Symptomatik. Das Sneddon-Syndrom verläuft schub-
weise, langsam und chronisch progredient. Erstsymptom ist meist die Livedo racemosa, die mit Einzelherden an den Beinen einsetzt und langsam generalisiert (. Abb. 7.37). Die neurologische Symptomatik setzt Jahre später ein; ihr gehen meist typische, unspezifische Prodromi voraus: Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen. Die nervösen Ausfälle hängen von der Lokalisation des Verschlusses ab: TIA, transiente Amnesien, Aphasien, Hirnnervenlähmungen, Anfälle, organisches Psychosyndrom, psychiatrische Störungen, Demenz. Die Symptome bilden sich nach den Schüben jeweils nur partiell zurück und führen zu immer größerem neurologischem Defizit. Maximale Manifestation ist der ischämische Insult (häufigste Todesursache). Die Krankheit kann sehr verschieden schnell ablaufen; jahrelange stationäre Phasen sind nicht selten.
. Abb. 7.37. Ausgedehnte Livedo racemosa bei SneddonSyndrom
334
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Assoziierte Symptome. Gefäßläsionen können zwar in allen Organen vorkommen, klinische Symptome jedoch fast stets nur an Haut und ZNS; selten an Nieren und Augen. In der Knöchelregion entstehen machmal schmerzhafte Ulzera ähnlich der Livedo-Vaskulitis. Histologie und Pathogenese. Die Läsionen der Haut-
gefäße sind fokal, betreffen muskuläre Arterien der Dermis-Subkutisgrenze und laufen stadienhaft ab. Zu Beginn steht ein okkludierender Thrombus, der durch proliferierende Myofibroblasten organisiert wird (subintimale Proliferation), Fibrose, Schrumpfung, partielle Rekanalisation. Nur geringe Entzündungszeichen! Analoge Veränderungen finden sich an den mittelgroßen Arterien des ZNS und – klinisch stumm – anderer Organe.
7
! Die polsterförmige Proliferation subendothelialer glatter Muskelzellen ist eine unspezifische Reaktion der Arterien auf Intimaläsionen verschiedener Art (mechanisch, entzündlich, Arteriosklerose).
Ätiologie. Unklar. Über zytotoxische EndothelzellAutoantikörper wurde berichtet; in manchen Fällen werden Antiphospholipid-Antikörper gefunden. Mögliche zusätzliche Faktoren: hormonelle Kontrazeptiva, Nikotinabusus, Hypertonie. ! Das Antiphospholipid-Syndrom ist eine vom Sneddon-Syndrom in Klinik, Histologie und Labor verschiedene Krankheit, kann jedoch klinisch sehr ähnliche Bilder verursachen.
Diagnostik. Histologischer Nachweis der charakteristischen Gefäßläsionen. Die Biopsie muss aus dem Mittelpunkt eines Livedo-Kreises erfolgen (Sitz der erkrankten Arterie!). Labor: In der Regel unauffällig. Neurologische bildgebende Diagnostik: In den frü-
hen Phasen bleibt das ZNS trotz ausgeprägter neurologischer Symptomatik im CT oft lang unauffällig; später multifokale Atrophie und zystische Aufhellungen. Sensiblere Methoden sind SPECT und MRI. Therapie. Keine etablierte Therapie ist verfügbar.
Langzeitig Acetylsalicylsäure und »low dose Heparin«. Systemische Kortikosteroide sind unwirksam. Livedovaskulitis (Synonym Idiopathische Atrophie blanche, »Livedo reticularis with winter and summer ulcerations«, segmentale hyalinisierende Vaskulitis) Die Livedovaskulitis (LV) ist eine auf die untere Extremität (Knöchelregion) beschränkte thrombotische Vaskulopathie, die durch die Trias von Livedo racemosa,
schlecht heilenden Ulzera cruris und Atrophie blanche gekennzeichnet, und wegen ihrer Schmerzhaftigkeit und Langwierigkeit gefürchtet ist. Sie ist ein Reaktionsmuster der Haut, das auf einer regionalen Thromboseneigung beruht, durch lokale Trigger ausgelöst und durch systemische Thrombophilie gefördert wird. Wird eine Thrombophilie aufgedeckt, gilt die LV als »symptomatisch«, anderenfalls als »idiopathisch«. C A V E
Der Begriff »Vaskulitis« ist irreführend – er geht auf eine Fehlinterpretation als ImmunkomplexVaskulitis zurück.
Epidemiologie. Ein nicht seltenes (>3/100 000/Jahr), vermutlich unterdiagnostiziertes Krankheitsbild der zweiten Lebenshälfte. Gynäkotropie (ca. 3:1), kein Erbfaktor. Die LV verläuft schubartig mit Perioden relativer Ruhe; die Schübe sind angeblich saisonal gehäuft (sommers, winters) und werden oft durch unbedeutende Traumen ausgelöst. Ätiologie und Pathogenese. Die Ursache für die Bil-
dung der Fibrinthrombi ist nicht gänzlich klar. Folgende Voraussetzungen sind nach heutiger Anschauung erforderlich: 4 regionale Disposition zur Thrombusbildung in den Gefäßen der Unterschenkel (z. B. verminderte tPAAktivität, oder Thrombomodulinexpression) 4 Auslösefaktoren (mechanisch, Kälte, Hitze, venöse Stase) 4 zusätzliche Faktoren wie systemische Thrombophilie, Hyperviskosität oder verlangsamter Blutfluss (. Tab. 7.13). Symptomatik. Keines der Leitsymptome (s. o.) ist für
die LV spezifisch, auch sind nicht stets alle ausgebildet (. Abb. 7.38). . Tab. 7.13. »Symptomatische Livedovaskulitis« Bei Hyperkoagulabilität
Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom Protein-C-, Protein-S-, AT-III-Mangel Thrombozytose
Bei Störungen des fibrinolytischen Systems
tPA-Mangel Plasminogenaktivator-Inhibitor-Erhöhung
Bei Hyperviskosität
Polyglobulie, Sichelzellanämie, Thalassämie Myeloproliferative Prozesse Kryoglobulinämie, Kryofibrinogenämie
Bei Strömungsverlangsamung
Venöse Stase Sneddon-Syndrom
335 7.5 · Morbus Behçet
7
In späteren Phasen Organisation und Hyalinisierung der Gefäßwände und der Dermis. Labor. Bei der idiopathischen LV unauffällig; die
symptomatische zeigt Laborzeichen der Grundkrankheit – häufig nur subtile Defekte im Gerinnungs- bzw. fibrinolytischen System (z. B. Fibrinopeptid A, ein Fibrinogen-Spaltprodukt bei vermehrter Generation von Thrombin). Therapie. Bettruhe, Analgetika, low dose-Heparin.
Kortikosteroide sind wirkungslos! Dauertherapie bzw. Prophylaxe mit Salizylaten oder Thrombozytenaggregationshemmung (Dipyrimadol). Bei größeren Ulzera plastische Deckung.
. Abb. 7.38. Livedovaskulitis. Retromalleoläres Ulkus, Atrophie blanche
Livedo racemosa ist unregelmäßig disseminiert (»star-burst«), tritt vorwiegend in der Knöchelregion, oft auch an den Sohlen auf und reicht selten bis über Kniehöhe. Ihre Intensität hängt von der Krankheitsaktivität ab; sie fehlt bei Ödem oder Sklerose der Haut. Ulzera. Beginn mit umschriebenen hämorrhagischen Infarzierungen der Malleolargegend (häufiger lateral): sehr berührungs- und spontanschmerzhafte münzgroße Läsionen, die sich über einige Wochen vergrößern, in trockene, hämorrhagische Nekrosen und schließlich in rundliche oder sternförmige Ulzera umwandeln. Die gesamte Knöchelregion ist ödematös und schmerzhaft. Hochlagerung und Wärme verstärken die Schmerzen (ischämische Nekrose!). Abheilung nach Monaten. Systemzeichen fehlen. Atrophie blanche. Porzellanweiße derbe, rundliche
fibrotische Plaques der Knöchelregion. Ob es sich hier eher um ein degeneratives Geschehen handelt oder nur um Narben nach Ulzera, ist strittig. Beim Vollbild der LV kommen zu den Leitsymptomen noch hämorrhagische Areale und scheckige Hämosiderinablagerungen. Häufig finden sich multiple kleinere und größere Ulzera (»wurmstichiges« Bild). Manchmal bestehen milde, typischerweise jedoch keine schweren Zeichen chronischer venöser Insuffizienz.
Differenzialdiagnose. Die wichtigste Differenzialdiagnose sind venöse Ulzera, die schwierigsten Pyoderma gangränosum und kutane PAN. Zu bedenken sind ferner alle anderen Ursachen von Unterschenkelgeschwüren (7 Kap. Phlebologie).
Kutane Polyarteriitis nodosa Eine seltene, durch günstigen Verlauf, Beschränkung auf die Haut bei nur milden Systemzeichen und gutes therapeutisches Ansprechen gekennzeichnete Abortivform der Polyarteritis nodosa. Kein Übergang in systemische PAN! Keine Geschlechtsprädisposition. Symptomatik, Diagnostik. Die Manifestationen be-
schränken sich meist auf Unterschenkel und Füße: auffällige, sternförmige (»Starburst«) Livedo racemosa, typisch mit Übergreifen auf die Fußsohlen. Schmerzhafte verhärtete subkutane Knoten und Stränge, Fußödeme, im weiteren Verlauf oft auch nekrotisierende Ulzera und Hämorrhagien. Klinisches Leitmerkmal ist die bis zur Gehunfähigkeit reichende Druckschmerzhaftigkeit der Fußsohlen. Im Gegensatz zur systemischen PAN fühlt sich der Patient ansonsten gesund. Histologie: Wie bei PAN. Labor: Milde Entzündungszeichen (Senkung, Leukozytose etc.), Hepatitis-Serologie negativ. Differenzialdiagnose. Chronisch-venöse Insuffizienz,
Livedovaskulitis. Therapie. NSAID sind im Regelfall ausreichend.
7.5
Morbus Behçet
Diagnostik. Histologie. Fibrinthrombi in multiplen
dermalen Venen, aber auch Arterien; manchmal keilförmige Hautnekrosen. Milde entzündliche Infiltrate.
Morbus Behçet ist eine Systemvaskulitis der kleinen und großen Gefäße unklarer Ursache, die durch die
336
Kapitel 7 · Autoimmunkrankheiten der Haut
Leit-Trias von oralen Aphthen (Schleimhautulzera), genitalen Ulzera und Augensymptomen sowie seltenere Zeichen (ZNS-Beteiligung, Thrombophlebitis, Hautsymptome) charakterisiert ist. Er tritt in bestimmten ethnischen Gruppen gehäuft auf, verläuft chronisch schubhaft, kann zu Erblindung und Tod führen, aber auch spontan abklingen (Defektheilung).
7
Epidemiologie. Morbus Behçet tritt weltweit auf, ist aber bis auf den Mittelmeerraum und die Region der so genannten »Seidenstraße« selten. Die höchste Prävalenz besteht in der Türkei (80–370/100 000). Keine Geschlechtsprädilektion. Der Häufigkeitsgipfel liegt im frühen und mittleren Erwachsenenalter. Hohe Korrelation mit HLA-B51in den Mittelmeerländern und Japan, jedoch nur selten familiäres Auftreten. Die Mortalität beträgt bis zu 10%.
kutane Symptome: papulopustulöse Effloreszenzen, Erythema nodosum-artige Läsionen, Leukozytoklastische Vaskulitis und Läsionen ähnlich dem Sweet-Syndrom. Augensymptome. Meist chronisch-rezidivierende Pa-
nuveitis und retinale Vaskulitis, die in 10–20% nach mehrjährigem Verlauf zur Blindheit führen. Seltener: Iridozyklitis (Hypopyoniritis) (. Abb. 7.39b) und Komplikationen wie Katarakt und Glaukom. Gelenke. Arthralgien und nichterodierende periphere Oligoarthritis (keine Deformationen!). Weitere Manifestationen. Thrombophlebitiden, selten tiefe Thrombosen, ausnahmsweise Thrombosen der V. cava und Budd-Chiari-Syndrom. Selten, aber bedeut-
Ätiologie und Pathogenese. Unklar. Abnormitäten des Gerinnungs- oder fibrinolytischen Systems wurden bislang nicht nachgewiesen. Infektiöse Trigger (bakteriell? viral?) wurden vermutet, ein Nachweis steht aus. Symptomatik. Die Symptomatik ist vielgestaltig; sie
reicht von milden rezidivierenden Hautläsionen bis zu schweren neurologischen Störungen und Vaskulitis der großen Gefäße (. Tab. 7.14). Leitsymptom sind chronisch-rezidivierende Aphthen der gesamten Mundschleimhaut, oft inklusive Pharynx, und genitale Ulzera (Skrotum, Labien, manchmal Glans, Penisschaft, Vagina; selten perineal und perianal) (. Abb. 7.39a). Die Aphthen sind meist vom Minor-, seltener vom Majortyp, in Rezidivhäufigkeit und Schweregrad jedoch ausgeprägter als »gewöhnliche« Aphthen. Genitale Ulzera sind seltener als orale, heilen aber langsamer ab und hinterlassen meist Narben. Weiters finden sich bei ca. 80% »unspezifische«
a
. Tab. 7.14. Die häufigsten Symptome bei Morbus Behçet Läsion
Häufigkeit (%)
Orale Aphthen
97–100
Genitale Aphthen
80–90
Hautläsionen
80
Augenbefall
50
Gelenksbefall
50
Thrombophlebitis
25
ZNS-Beteiligung
5–10
Gastrointestinale Beteiligung
0–25
b . Abb. 7.39a, b. Morbus Behçet. a Aphthen vom Majortyp am weiblichen Genitale. b Hypopyon-Iritis. Beachte den Eiterspiegel in der Vorderkammer
337 7.5 · Morbus Behçet
sam sind arterielle Thrombosen und Aneurysmen; letztere finden sich häufig in den Lungen (Hämoptyse!). ZNS-Beteiligung. Selten (Männer!), jedoch hohe Morbidität und Mortalität. Häufig Befall des Hirnstamms. Diagnostik. Histologie: In frühen Läsionen leuko-
zytäre Infiltration der postkapillären Venen, Leukozytoklasie, Erythrozytenextravasate, Gefäßwandnekrosen, Fibrinthrombi. Später überwiegen lymphozytäre Infiltrate. Labor: Unspezifische Zeichen – erhöhte Senkung, Akutphasenproteine, Anämie. Die Diagnose erfolgt auf Basis klinischer Kriterien (s. u.). Das für Morbus Behçet typische PathergieZeichen (. Abb. 5.20) hat eine Sensitivität von 20–80% (abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit). Es ist nicht auf das Hautorgan beschränkt; so können etwa Operationen am Auge eine Uveitis auslösen. Kriterien zur Diagnose des Morbus Behçet – zur Diagnose müssen das obligate Kriterium und zumindest 2 fakultative Kriterien gegeben sein: Obligates Kriterium: Rezidivierende Aphthen der Mundschleimhaut (zumindest 3-mal/Jahr)
7
4 Fakultative Kriterien: 5 Rezidivierende genitale Aphthen 5 Augensymptome (Uveitis anterior oder posterior, Läsionen der Retina) 5 Hautsymptome (E. nodosum, Follikulitis, akneiforme Papulopusteln) 5 Pathergie-Phänomen Verlauf. Bei Männern und Jugendlichen ist der Verlauf schwerer. Nach jahrelangen Remissionen und Exazerbationen Stillstand und Defektheilung. Therapie. Hauptziel der Therapie ist die Vermeidung irreversibler Organschäden. Hautläsionen werden symptomatisch behandelt, allenfalls mit kurzen Kortikosteroidstößen, Colchizin (unterschiedliches Ansprechen), Thalidomid oder Azathioprin. Bei schwerer Augenbeteiligung immunsuppressive Therapie (Kortikosteroide, Cyclosporin, Azathioprin). Gute Erfolge werden mit Interferon-α und Infliximab berichtet. Pulmonalarterienaneurysmen werden mit Cyclophosphamid behandelt, kombiniert mit Kortikosteroiden.
Fallquiz Dermatologie und Venerologie G. Ratzinger, P. Fritsch Liebe Leserin, lieber Leser, passend zur neuen Approbationsordnung ist im Lehrbuch »Fritsch, Dermatologie und Venerologie für das Studium« ein Fallquiz mit 15 authentischen Fällen enthalten, wie Sie Ihnen im PJ oder während der ärztlichen Tätigkeit täglich begegnen können. Jeder Fall gliedert sich in 4 Schritte. Auf der ersten Seite finden Sie die Anamnese des Falles. Auf der zweiten und dritten Seite werden die primären und weiterführenden diagnostischen Schritte erklärt. Die Fallbeschreibung schließt auf der vierten Seite mit den Möglichkeiten zur Therapie. So können Sie den Ablauf, den Sie später in jeder Klinik oder Praxis im Schlaf beherrschen müssen, üben und Ihr Wissen anwenden und vertiefen. Nachfolgend 4 typische Seiten zur Orientierung:
→
→
Schritt I:
Schritt II:
ä Erstkontakt mit dem
ä Darstellung des
Patienten, Anamnese. ?
Beschreiben Sie das klinische Bild und den dermatologischen Status.
klinischen Bildes und des dermatologischen Status. ?
An welche Differenzialdiagnosen ist zu denken? Welche diagnostischen Maßnahmen können zur weiteren Abklärung dienen?
Erklärung der Symbole: ? ! ä
Frage Antwort Befunde und weitere Informationen zum Fall
Wir wünschen viel Erfolg! Ihr Springer Lehrbuch-Team
→
Schritt III: Verdachtsdiagnosen und Darstellung der diagnostischen Befunde. ? Wie lautet die endgültige Diagnose? Welche Therapie schlagen Sie vor? !
Schritt IV: Diagnose. Antwort zur Therapie und ggfs. Darstellung des weiteren Verlaufs und Kommentar.
! !
F2
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
1 Schmerzloser Haarausfall Schritt 1 ä Ein 23-jähriger junger Mann wird vom Hausarzt an die Hautklinik überwiesen. Schon mit 15 Jahren seien ihm plötzlich an einigen Stellen die Haare ausgefallen. Damals habe er den Kopf einfach glatt rasiert, und die Haare seien dann auch ganz von selbst wieder normal nachgewachsen. Zum Arzt sei er damals nicht gegangen. Jetzt aber, seit etwa einem halben Jahr, habe es genau wie damals wieder angefangen: es gehen ihm erneut büschelweise die Haare aus, ohne Juckreiz, Schmerz oder sonstige Vorzeichen. Jetzt sei ihm das nicht mehr egal, da er für den Sommer seine Hochzeit plane. Zusätzlich wachsen einzelne Fingernägel unregelmäßig. Er fühlt sich völlig gesund, hat in den letzten Monaten weder Krankheiten, Operationen oder sonstige medizinische Probleme gehabt und nimmt keine Medikamente. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status. Abb. F1.1
2 Chronisches juckendes Ekzem bei einem Kind Schritt 1 ä Ein 5-jähriges Mädchen von einem Osttiroler Bergbauernhof wird mit seinen Eltern vorstellig. Schon bei der Begrüßung fallen sehr raue Hände der Mutter auf, auch die Großmutter habe gelegentlich Handekzeme. Maria leidet schon seit den ersten Lebensmonaten an Hautreizungen am gesamten Körper, die sie durch Juckreiz und schmerzhafte Einrisse an den Händen quälen. Sie leidet an Schlafstörungen und Unruhe tagsüber. Im Winter verschlechtert sich der Hautzustand, im Sommer wird er regelmäßig besser. In der letzten Zeit seien zusätzlich noch Atemprobleme aufgetreten, außerdem rinnen Nase und Augen – besonders zu Hause, kaum im Kindergarten. Die Behandlung der Haut war bisher mit Melkfett und Ringelblumensalbe erfolgt, obwohl Maria das Einschmieren wenig schätzt (»es juckt dann noch mehr«). ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F2.1
F3 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
1 Schmerzloser Haarausfall Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Der Patient ist klinisch in sehr gutem Allgemeinzustand. Am Kapillitium, temporal und parietal, finden sich mehrere wohlumschriebene kreisrunde, kahle Areale zwischen 3 und 5 cm Größe. Die Frontal- und Okzipitalregionen sind ausgespart. In den alopezischen Herden ist die Haut völlig normal beschaffen und nicht entzündet. Die Haarfollikel sind zur Gänze erhalten, jedoch leer; einzelne enthalten kurze Haarstummel. In der Umgebung der Herde lassen sich Haare schon durch zartes Durchstreifen ausziehen. Der übrige Haarbestand ist unauffällig, ebenso Haut, Schleimhäute und Lymphknoten. Mehrere Fingernägel zeigen eine Querriefelung, sind aber weder verdickt noch verfärbt.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie nach der Anamnese? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung beitragen?
2 Chronisches juckendes Ekzem bei einem Kind Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Maria wetzt unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Ihre Hände sind sehr trocken, an den Handrücken ist die Haut verdickt mit ausgeprägten Rhagaden und Blutserumkrusten. Im Gesicht finden sich Rötungen, Schuppen und Krusten mit Betonung der Stirn, die Perioralregion ist ausgespart. Die Nägel sind glänzend und wie poliert. Nach dem Entkleiden zeigen sich ähnliche Ekzeme am gesamten Körper mit Betonung der Beugen, des Halses und der Füße, die übrige Haut ist sehr trocken und leicht schuppig. An den Oberarmstreckseiten finden sich follikuläre Knötchen, die sich rau anfühlen. Unzugängliche Areale am Rücken erscheinen nahezu blande. Bei mechanischer Reizung mit einem Holzspatel kommt es zur Weißverfärbung im irritierten Areal. Die Hände der Mutter zeigen ein deutliches Handekzem.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
F4
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
1 Schmerzloser Haarausfall Schritt 3 ! Antwort 2: Alopecia areata, Alopecia areolaris
specifica, mechanisch bedingte Alopezie. ! Antwort 3: Im Routinelabor keine pathologischen Befunde, insbesonders keine Infektzeichen. Die peripheren Schilddrüsenhormone sind unauffällig, das TSH jedoch über dem oberen Normwert, es besteht somit eine latent hypothyreote Stoffwechsellage. Die weitere Abklärung ergibt mikrosomale und Thyreoglobulin-Antikörper im Sinne einer inzipienten Hashimoto-Thyreoiditis; die ANA sind negativ. Die Syphilisserologie ist negativ, der Patient psychiatrisch unauffällig.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
2 Chronisches juckendes Ekzem bei einem Kind Schritt 3 ! Antwort 2: Atopische Dermatitis, Kontaktderma-
titis, Psoriasis vulgaris. ! Antwort 3: Pathologische Laborparameter sind eine beschleunigte Blutsenkung, erhöhte Akutphaseproteine, erhöhtes IgE sowie eine diskrete Eosinophilie im Differenzialblutbild. Im Pricktest zeigt sich eine deutliche Reaktion auf Katze, der antigenspezifische RAST auf Katze ist hoch positiv (Klasse IV). Eine Pollinose oder Nahrungsmittelallergien werden nicht nachgewiesen.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
F5 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
1 Schmerzloser Haarausfall Schritt 4 ! Antwort 4: Alopecia areata. ! Antwort 5: Es wird mit einer Lokaltherapie mit
Diphencypron (DPCP) begonnen. Sensibilisierung und Titration verlaufen plangemäß, die niedrigste Konzentration DPCP, die zu einer ekzematischen Reaktion führt, ist 0,125%. Zur Therapie der Autoimmunthyreopathie wird der Patient an die Schilddrüsenambulanz überwiesen.
Kommentar: Typisch für die AA sind der umschriebene Haarausfall, das Fehlen lokaler Entzündungszeichen, Haarstummel in einigen Follikeln (Ausrufungszeichenhaare) sowie die Beobachtung, dass sich Haare in unmittelbarer Nachbarschaft des Herdes leicht und schmerzfrei ausziehen lassen. Die Diagnose der AA wird klinisch gestellt, Biopsien sind nur in Ausnahmefällen erforderlich. Die begleitenden Nagelveränderungen passen gut zur Diagnose einer AA.
ä 2 Wochen nach Beginn der Therapie stellen sich ausgeprägte Rötungen an den alopezischen Herden sowie ein ekzematischer Streuherd am Nacken ein, weshalb die Konzentration um eine Titerstufe reduziert wird. Nach einem weiteren Monat zeigen sich bei guter Verträglichkeit bereits Haarstummel in den Follikeln, nach 3 Monaten wird ein zufrieden stellender Haarwuchs registriert. Die Nagelveränderungen bleiben unverändert.
2 Chronisches juckendes Ekzem bei einem Kind Schritt 4 ! Antwort 4: Atopische Dermatitis. ! Antwort 5: Zunächst erfolgt eine intensive Lokal-
therapie der atopischen Dermatitis mit Steroidexterna. Die Öl-in-Wasserbasis der Creme führt bereits durch die Verdunstungskälte zu einer Linderung des Juckreizes. Zudem erhält Maria Antihistaminikatropfen, die zusätzlich zur Juckreizstillung auch eine milde Sedierung herbeiführen, die in diesem Fall von Vorteil ist. Nach Abklingen der akuten Entzündung wird die Lokaltherapie auf Pimecrolimus-Salbe und indifferente Pflege umgestellt. Bezüglich der nachgewiesenen Katzenhaarallergie wird zunächst Expositionsprophylaxe empfohlen, also das Vermeiden von direktem Kontakt mit Katzen. Erst bei Fortbestehen der Symptomatik sind eine medikamentöse Therapie des beginnenden Asthma bronchiale bzw. eine spezifische Hyposensibilisierungstherapie zu erwägen.
F6
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
3 Körperliche Erschöpfung und unklare Hautveränderungen Schritt 1 ä Eine 32-jährige Frau fühlt sich schon seit längerer Zeit abgeschlagen und müde, der ganze Körper »tut ihr weh«. Zunächst habe sie alles auf ihren beruflichen Stress geschoben. Die Untersuchung beim Hausarzt inklusive Blutbild und Entzündungszeichen ergab keine auffälligen Befunde, insbesondere keine Gelenkspathologien oder Schwellungen. Der Hausarzt hält eine Depression mit Somatisierung für möglich und verschreibt – wie gewünscht – ein Benzodiazepin. Leider bleibt dies ohne Erfolg: die Schwäche nimmt zu, die Patientin kommt kaum noch die Treppe hinauf, sogar das Kämmen bereitet ihr Schwierigkeiten. Zu allem Überfluss entwickeln sich auch noch geschwollene Augen und ein »Handekzem«, welche sie als Arzneimittelreaktionen interpretiert; sie wird deshalb an der Hautklinik vorstellig. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F3.1
4 Generalisierter Ausschlag und schmerzhafte Läsion an der Zunge Schritt 1 ä Ein 27-jähriger junger Mann leidet seit wenigen Tagen an grippalen Symptomen mit Abgeschlagenheit, Halsund Kopfschmerzen. Er hält dies zunächst für eine banale Verkühlung, entdeckt aber dann unter der Dusche einen feinen fleckigen Ausschlag am Rumpf, der ihm sonst keine Beschwerden verursacht, und eine wunde, brennende Stelle an der Zunge. Der Hausarzt untersucht ihn gründlich und findet zusätzlich asymptomatische Knötchen an den Fußsohlen. Die Frage nach Medikamenteneinnahme wird verneint. Auf genaue Nachfrage gibt der Patient homosexuelle Kontakte mit unterschiedlichen Partnern seit 9 Monaten an. Der Hausarzt überweist den Patienten zur weiteren Abklärung an die Hautklinik. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F4.1
F7 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
3 Körperliche Erschöpfung und unklare Hautveränderungen Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Es fällt auf, dass die junge Frau nur langsam, mühsam und unter Gebrauch der Hände vom Stuhl aufstehen kann. Sie gibt einen Gewichtsverlust von 5 kg im letzten Jahr an. Die obere Gesichtspartie, insbesondere die Augenlider, sind livide gerötet und geschwollen, über sämtlichen Fingerknöcheln bestehen livide, leicht schuppende Papeln. Typische Ekzemzeichen und Veränderungen des Nagelfalzes fehlen. Bei Palpation erweisen sich die Muskelpartien an den Oberschenkeln und Oberarmen schmerzhaft, aber weich. Die physikalische Prüfung der Muskelkraft objektiviert die angegebene Schwäche. Die Stimme ist unauffällig, die Gelenke sind nicht geschwollen, es sind keine vergrößerten Lymphknoten tastbar.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
4 Generalisierter Ausschlag und schmerzhafte Läsion an der Zunge Schritt 2 ? Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Der junge Mann ist in einem nur mäßig reduzierten Allgemeinzustand. Es finden sich ein generalisiertes, stammbetontes makulöses Exanthem ohne Schuppen, Krusten oder Kratzspuren, am linken Zungenrand eine rundliche, ca. 2 cm große fibrinbelegte Erosion, an den Fußsohlen multiple flache hellbraune Papeln mit geringer Schuppung. Haut- und Schleimhautstatus sind ansonsten unauffällig, die Lymphknoten der großen Lymphknotenstationen wie auch im Sulcus bicipitalis medialis sind tastbar. Wir messen eine Körpertemperatur von 37,5°C.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie nach der Anamnese? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
F8
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
3 Körperliche Erschöpfung und unklare Hautveränderungen Schritt 3 ! Antwort 2: Dermatomyositis, Einschlusskörper-
chenmyositis, nichtentzündliche Myositiden, neuromuskuläre Degenerationskrankheiten, SLE. ! Antwort 3: Labor: Es zeigen sich neben normalen Blut-, Leberund Nierenwerten deutlich erhöhte Muskelenzyme (Aldolase 18 U/l, Normwert 3,9‒9,5; Kreatinphosphokinase (CPK) >5000 U/l, Normwert 26‒170), Kreatin im Harn sowie Myoglobin im Serum sind nicht nachweisbar, das CRP ist kaum erhöht. Autoantikörper (ANA und Subsets) werden nicht nachgewiesen. Apparative Diagnostik: Das EMG zeigt ein myopathisches Kurvenbild, EKG und Echokardiographie sind unauffällig. Die Computertomographie ergibt einen 10 cm messenden Ovarialtumor. Histologie: Eine Muskelbiopsie ist aufgrund des eindeutigen Hautbildes nicht nötig.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
4 Generalisierter Ausschlag und schmerzhafte Läsion an der Zunge Schritt 3 ! Antwort 2: Lues II, Virusexanthem, Arzneimittel-
exanthem. ! Antwort 3: Erregernachweis: Der direkte Erregernachweis von Treponema pallidum im Dunkelfeldmikroskop gelingt aus der Mundschleimhautläsion. Die Luesserologie ergibt einen reaktiven TPPA, einen hochtitrig positiven VDRL sowie einen hochpositiven IgM-FTA-ABS Test. Ein Screening auf STD (sexually transmitted diseases) wird durchgeführt. HIV-PCR und Serologie, Hepatitis-Serologie, Abstriche auf Gonokokken und Chlamydien bleiben negativ. Routinelabor: Es zeigen sich bis auf eine gering beschleunigte Blutsenkung und eine diskrete Leukozytose keine wesentlichen Abweichungen.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
F9 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
3 Körperliche Erschöpfung und unklare Hautveränderungen Schritt 4 ! Antwort 4: Dermatomyositis. ! Antwort 5: Aufgrund der hohen CPK wird sofort
eine Infusionstherapie mit Ringer-Laktatlösung zur Vermeidung einer Nierenschädigung durchgeführt. Der Ovarialtumor wird operativ entfernt, die Histologie ergibt ein Ovarialkarzinom. Es wird eine Behandlung mit Methylprednisolon (1 mg/kg KG in langsam absteigender Dosierung) und hochdosierten i. v.-Immunglobulinen angesetzt, insgesamt 3 Zyklen über je 5 Tage in monatlichen Abständen. Zusätzlich wird mit Azathioprin begonnen (3-mal 50 mg).
ä Es kommt langsam zur Besserung der Muskelbeschwerden, nach 6 Monaten kann Methylprednisolon abgesetzt werden, nach 1 Jahr ist die Patientin nahezu beschwerdefrei. Azathioprin wird vorerst reduziert und 3 Monate später abgesetzt. Die Patientin ist beschwerdefrei, die Verlaufskontrollen bleiben ohne Rezidivhinweis.
4 Generalisierter Ausschlag und schmerzhafte Läsion an der Zunge Schritt 4 ! Antwort 4: Lues II. ! Antwort 5: Der Patient erhält eine einmalige i. m.-
Gabe von 2,4 Mio IE Benzathin-Penicillin, die er komplikationslos verträgt. ä Bei den serologischen Verlaufskontrollen nach 3, 6, 12 und 24 Monaten zeigt sich ein deutlicher Abfall aller Serumtiter, die Erkrankung wird somit als ausgeheilt betrachtet. Der Patient wird ausführlich aufgeklärt. Seine Geschlechtspartner werden zur STD-Abklärung einberufen. Der als Infektionsquelle wahrscheinlichste Partner hatte sich bereits an einem anderen Ort einer Behandlung unterzogen, unseren Patienten damals jedoch weder als Geschlechtspartner angegeben noch ihn kontaktiert.
Kommentar: Trotz genauer Befragung kann bei unserem Patienten anamnestisch kein Primäraffekt eruiert werden. Entweder liegt das an mangelnder Selbstbeobachtung oder an geringen Beschwerden, wie beispielsweise beim Sitz des Primäraffekts im Rektum.
F10
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
5 Schmerzlose Wunde am Fuß mit Fieber Schritt 1 ä Ein 66-jähriger Mann, ein begeisterter Tänzer, leidet seit Monaten an Schwielen an beiden Fußballen, die er immer wieder vorsichtig mit der Rasierklinge entfernt. Vor 4 Wochen wurden die Schwielen im Rahmen einer Fußpflege professionell abgetragen. Dabei erlitt er eine Verletzung, die er zwar nicht verspürte – ihm fällt schon länger auf, dass er an den Füßen nicht mehr so viel spürt – doch fand er am Abend am Socken einen Blutfleck. 2 Tage später bekam er plötzlich Schüttelfrost und bemerkte eine ausgeprägte Rötung im Bereich des rechten Fußes und des Unterschenkels. Trotz oraler Antibiotika kam es zur Zunahme der Rötung, außerdem nässt es neuerdings an der rechten Fußsohle. Er fühlt sich einfach nicht fit, obwohl er nach wie vor keine Schmerzen hat. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
Abb. F5.1
den dermatologischen Status.
6 Derbe Schwellung am Hals bei schlechtem Allgemeinzustand Schritt 1 ä Ein 78-jähriger Pensionär bemerkt seit 6 Wochen rechts zervikal eine derbe Schwellung, die langsam an Größe zunimmt, ihn aber weder schmerzt noch juckt und daher nicht besonders alarmiert. Anders reagiert seine Frau, die sich Sorgen macht und ihn schon länger zum Arzt gedrängt hat. Der Patient wirkt nervös, unkonzentriert und abweisend, beim Sprechen zeigt sich eine milde Dyspnoe. Seine Frau berichtet, dass er letztens auffallend müde und abgeschlagen sei, auch etwas kurzatmig und von mäßigem Appetit. Auf Nachfrage gibt er Kopfschmerzen an. Alle Beschwerden rührten von der sommerlichen Hitze her, schlägt er vor. An vorbestehenden Krankheiten wird nur ein passabel eingestellter Diabetes mellitus Typ II erhoben. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status. Abb. F6.1
F11 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
5 Schmerzlose Wunde am Fuß mit Fieber Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Der Mann präsentiert sich klinisch in gutem Allgemeinzustand. Beim Ausziehen seiner engen Tanzschuhe fällt sofort eine Fußfehlstellung beidseits auf, der Fußballen ist plantar vorgewölbt, die Zehen des Patienten haben im Stehen kaum Bodenkontakt. Über dem 3. Mittelfußköpfchen rechts plantar besteht ein etwa 3 cm großes, nässendes, schmieriges Ulkus; die Tiefe beträgt bei (schmerzloser) Sondierung mit der Knopfmeißelsonde mindestens 0,5 cm, reicht jedoch nicht bis an den Knochen. An korrespondierender kontralateraler Lokalisation findet sich eine wohlumschriebende 2×3 cm große Schwiele. Der rechte Vorfuß ist gerötet, geschwollen und überwärmt. Die Fußpulse sind tastbar, die akrale Durchblutung erscheint klinisch unauffällig.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
6 Derbe Schwellung am Hals bei schlechtem Allgemeinzustand Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Unter dem Kieferwinkel fällt eine unscharf begrenzte, grob gehöckerte, mit der Umgebung verbackene, derbe bis harte, etwa 10 cm große subkutane Masse auf, die bei Palpation nicht schmerzhaft ist. Die darüber liegende Epidermis ist intakt, durch sie schimmert zart graubläuliches Gewebe durch. Am Kapillitium findet sich ein 3 cm großer, exulzerierter Knoten, der von einer Blutserumkruste bedeckt ist, dazu ein ausgeprägtes trockenkrustiges Kopfhautekzem. Im sonstigen Hautstatus zeigen sich einige aktinische Keratosen an Gesicht, Ohrrändern und Handrücken, Schleimhaut- und Lymphknotenstatus sind mit Ausnahme der Station rechts zervikal unauffällig. Wir messen eine Körpertemperatur von 37,2°C. Der Patient wiegt 68 kg bei einer Körpergröße von 178 cm.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie nach der Anamnese? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung bzw. zur Vorbereitung auf die Therapie dienen?
F12
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
5 Schmerzlose Wunde am Fuß mit Fieber Schritt 3 ! Antwort 2: Diabetisches Mal perforans du pied,
nichtdiabetische arterielle Verschlusskrankheit, nichtdiabetische Neuropathie; Erysipel, Stauungsdermatitis. ! Antwort 3: Routinelabor: Es fallen eine erhöhte Nüchternglukose sowie ein erhöhtes HbA1c auf, zudem Infektzeichen: ein erhöhtes CRP und eine geringe Leukozytose. Apparative Diagnostik: Im Röntgenbild des Fußes zeigt sich keine Osteomyelitis. Die angiologische Untersuchung bleibt ohne wesentlichen Befund, sowohl makro- als auch mikroangiopathisch besteht keine behandlungsbedürftige Durchblutungsstörung. Die neurologische Untersuchung ergibt eine deutliche Einschränkung der Sensibilität, insbesondere des Vibrations- und Schmerzempfindens.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
6 Derbe Schwellung am Hals bei schlechtem Allgemeinzustand Schritt 3 ! Antwort 2: Melanom mit lymphogener Metastasie-
rung, Plattenepithelkarzinom mit lymphogener Metastasierung, Merkelzellkarzinom mit lymphogener Metastasierung. ! Antwort 3: Labor: An pathologischen Laborparametern werden eine beschleunigte Blutsenkung, erhöhte Akutphaseproteine und eine milde Anämie erhoben, Lebertransaminasen und LDH sind erhöht. Apparative Diagnostik: In der Ganzkörpercomputertomographie zeigen sich multiple Rundherde in Lunge und Leber sowie ein Herd im rechten Frontalhirn, zudem massiv vergrößerte und verbackene Lymphknoten rechts zervikal. Histologie: Eine Biopsie aus dem Knoten am Kapillitium ergibt die Diagnose eines exulzerierten Melanoms, Clark Level V, Tumordicke 5 mm; eine solche aus der zervikalen Masse eine Lymphknotenmetastase eines Melanoms.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
F13 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
5 Schmerzlose Wunde am Fuß mit Fieber Schritt 4 ! Antwort 4: Diabetisches Mal perforans du pied mit
Begleiterysipel. ! Antwort 5: Die Therapie setzt sich aus antibiotischer Behandlung, Einstellung des neu diagnostizierten Diabetes mellitus Typ II sowie Anpassung von orthopädischem Schuhwerk zusammen. Letzteres fällt dem Patienten als leidenschaftlichem Tänzer besonders schwer. Ergänzend erfolgt eine intensive antiseptische Lokaltherapie. Außerdem wird der Patient ausführlich über zukünftige Verhaltensmaßnahmen aufgeklärt, wie z. B. das Vermeiden von heißem Wasser oder die Verwendung von Bimsstein anstelle einer Rasierklinge.
Kommentar: Die Sensiblitätsstörung (sensorische Neuropathie) und die veränderte Fußstatik (motorische Neuropathie) verursachen Fehlbelastung, Schwielenbildung und Ausbildung eines Ulkus; dieses ist die Eintrittspforte für das Erysipel.
6 Derbe Schwellung am Hals bei schlechtem Allgemeinzustand Schritt 4 ! Antwort 4: Melanom im Stadium IV (AJCC) bzw.
T4N3M1c (WHO-Klassifikation). ! Antwort 5: Aufgrund des fortgeschrittenen Krankheitsstadiums bei Diagnosestellung steht therapeutisch die Palliation der Symptome im Vordergrund. Der Patient wird einer Totalexzision des Primärtumors am Kapillitium sowie (wegen der Gefahr der Ulzeration oder Arrosion darunter liegender Gefäße) des Lymphknotenpakets rechts zervikal zugeführt. Die solitäre Hirnmetastase rechts frontal wird stereotaktisch bestrahlt, eine palliative Chemotherapie mit Fotemustine i. v. wird angesetzt. Zusätzlich wird der Patient psychoonkologisch betreut.
ä Der Krankheitsprozess erweist sich als unaufhaltbar, der Patient zeigt im Staging-CT nach 3 Monaten eine progrediente Organmetastasierung. Der Allgemeinzustand des Patienten verschlechtert sich zunehmend, er verstirbt 6 Monate nach der Erstdiagnose.
F14
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
7 Rezidivierende schmerzlose, rötlich-braune Hautläsionen Schritt 1 ä Ein 45-jähriger Mann beobachtet seit 3–4 Jahren unscheinbare Flecken an seinen Oberarmen, Rumpf und Oberschenkeln, die sich zwar etwas rau anfühlen, aber weder schmerzen noch jucken. Seltsamerweise verschwinden die Flecken im Sommer, um im Winter wiederzukehren. Diese regelmäßige Wiederkehr und die Zunahme der Hautläsionen an Größe und Zahl führten ihn schließlich doch zu seinem Hausarzt. Dieser dachte zunächst an einen »Pilz«, die Behandlung mit einer Pilzsalbe blieb jedoch erfolglos. Eine daraufhin verordnete Kortisonsalbe brachte die Flecken zwar vorübergehend zum Verschwinden, sie kehrten später jedoch langsam wieder. Zur weiteren Abklärung erfolgte die Überweisung an die Hautklinik. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F7.1
8 Schlecht heilende Läsion am Ohr mit Knoten am Hals Schritt 1 ä Eine 80-jährige elegante Dame bemerkt seit vielen Monaten rechts präaurikulär eine verkrustete Stelle, die gelegentlich nässt oder auch blutet und nur selten etwas juckt. In der Annahme, dass es sich um ein Ekzem handle, verwendet sie eine Heilsalbe. Dadurch löst sich die Kruste immer wieder zum Teil, der Herd heilt aber nie ab, sondern wächst sogar langsam an. Etwa zur selben Zeit habe sich auch am linken Ringfinger ein ähnlicher krustiger Fleck gebildet. Sie sucht jetzt ärztliche Hilfe, weil sich in den letzten Wochen rechts am Hals ein harter Knoten unter der Haut gebildet hat. Dieser ist zwar gleichfalls nicht schmerzhaft, nimmt aber kontinuierlich an Größe zu. Sie hat keine Halsinfektion oder Zahnschmerzen, die die Schwellung erklären könnten. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F8.1
F15 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
7 Rezidivierende schmerzlose, rötlich-braune Hautläsionen Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Der Patient präsentiert sich in unbeeinträchtigtem Allgemeinzustand. An Oberarm- und Oberschenkelinnenseiten sowie an beiden Flanken finden sich muliple, bizarr konfigurierte, scharf begrenzte, rötlich-braune Flecken mit papierartiger Fältelung. Schuppung und Kratzeffloresenzen fehlen. Der Hautstatus ist ansonsten unauffällig, die Schleimhäute sind unbeteiligt, vergrößerte Lymphknoten sind nicht tastbar. Fragen nach Fieberschüben, Nachtschweiß oder unerklärtem Gewichtsverlust werden verneint.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
8 Schlecht heilende Läsion am Ohr mit Knoten am Hals Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Die Patientin zeigt präaurikulär rechts eine scharf begrenzte, im Durchmesser 2,5 cm große, polyzyklische, knotige Läsion mit höckriger Oberfläche, z. T. weißlich verrukös, z. T. ulzeriert. Der Knoten ist sehr derb und adhäriert an der Unterlage. Eine Pigmentierung fehlt. Rechts unter dem Kieferwinkel lässt sich ein 3 cm messender, derber, indolenter Lymphknoten tasten, über dem die Haut verschieblich ist, der aber ebenso an der Unterlage adhäriert. Die übrigen Lymphknotenstationen sind palpatorisch unauffällig. Am Ringfinger zeigt sich dorsalseitig eine im Durchmesser 4 cm große, längsovale, ekzemähnliche, samtig rote, flache Plaque mit geringer Schuppenkruste. Die Patientin befindet sich in altersentsprechendem Allgemeinzustand.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
F16
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
7 Rezidivierende schmerzlose, rötlich-braune Hautläsionen Schritt 3 ! Antwort 2: Mycosis fungoides, Tinea corporis, Ex-
sikkationsekzem, Kontaktdermatitis. ! Antwort 3: Der KOH-Test zeigt keine Pilzelemente. Im Labor (Blutbild, Differenzialblutbild, Leberfunktionsparameter, Immunglobuline, β-2-Mikroglobulin, Neopterin, Serum-Interleukin-2-Rezeptor, CD4/ CD8-Ratio) finden sich durchwegs Normalwerte, ebenso im Röntgenbild des Thorax und in der Oberbauch- und Lymphknoten-Sonographie. Histologie: Eine Stanzbiopsie zeigt in der HE-Färbung eine etwas atrophe Epidermis und ein lymphozytäres Infiltrat der papillären Dermis mit Übertritt von Lymphozyten in die Epidermis (Epidermotropismus).
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
8 Schlecht heilende Läsion am Ohr mit Knoten am Hals Schritt 3 ! Antwort 2: Präaurikulär: Plattenepithelkarzinom
mit lymphogener Metastasierung, Melanom mit lymphogener Metastasierung, Basaliom mit reaktiver Lymphknotenschwellung. Finger: Morbus Bowen, Ekzem, Epidermomykose. ! Antwort 3: Histologie: Aus beiden Hautläsionen werden Biopsien entnommen. Die Histopathologie ergibt am Ringfinger ein Plattenepithelkarzinom in situ, Typ Morbus Bowen, und rechts präaurikular ein invasives Plattenepithelkarzinom. Apparative Diagnostik: Die Sonographie der Halsregion rechts stellt unter dem Kieferwinkel einen vergrößerten Lymphknoten mit aufgehobener Architektur und pathologischer Mehrdurchblutung dar, es besteht somit der dringende Verdacht auf eine Lymphknotenmetastase. Eine Ganzkörpercomputertomographie ergibt keinen Hinweis auf weitere neoplastische Veränderungen.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
F17 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
7 Rezidivierende schmerzlose, rötlich-braune Hautläsionen Schritt 4 ! Antwort 4: Mykosis fungoides im Fleckstadium. ! Antwort 5: Der Patient wird 4-mal pro Woche mit
UVA-Licht bestrahlt, jeweils nach einem Bad mit dem Photosensitizer 8-MOP. ä Nach 6 Wochen zeigt sich eine komplette Rückbildung der Flecken. Anschließend wird der Patient engmaschig zunächst alle 3 Monate nachkontrolliert, bei Wiederauftreten von Flecken wird zunächst mit Kortisonsalben behandelt.
Kommentar: Die Mykosis fungoides verläuft oft über Jahrzehnte chronisch. Therapeutisch ist im Fleck- oder Plaquestadium die Photochemotherapie Mittel der ersten Wahl. Die Bade-PUVA hat gegenüber der oralen PUVA den Vorteil besserer Wirksamkeit und Verträglichkeit, ist jedoch aufwendiger. Intermittierend sind auch topische Steroide wirksam. Erst bei Fortschreiten der Erkrankung kommen Interferon-α, Retinoide und Zytostatika in Betracht.
8 Schlecht heilende Läsion am Ohr mit Knoten am Hals Schritt 4 ! Antwort 4: Metastasierendes kutanes Plattenepi-
thelkarzinom ! Antwort 5: Die Patientin wird einer Totalexzision
des Tumors rechts präaurikulär mit einem Sicherheitsabstand von 1 cm sowie einer Lymphknotenexzision rechts zervikal unterzogen. Eine postoperative Irradiatio des Sitzes des Primärtumors, des Tumorabflussgebiets sowie der gesamten Lymphknotenregion rechts zervikal mit einer Kumulativdosis von 60 Gray wird angeschlossen. Der Morbus Bowen am Ringfinger wird einer photodynamischen Therapie zugeführt, die innerhalb von 2 Sitzungen im Abstand von 4 Wochen zu einer kompletten Abheilung der Läsion führt. Die Patientin befindet sich seither in unserem Tumornachsorgeprogramm und ist bisher rezidivfrei.
F18
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
9 Blasenbildung nach Sonnenexposition Schritt 1 ä Eine 22-jährige Frau sucht kurz nach Rückkehr von einem 3-wöchigen Griechenlandurlaub die Ambulanz der Hautklinik auf. Der Urlaub sei zunächst problemlos verlaufen, in den letzten Tagen habe die Haut aber oft schon nach nur kurzer Sonnenbestrahlung gebrannt, und es seien kleine Blasen entstanden, die aufplatzten und langsam mit Krusten abheilten. Ihre Haut sei schon seit der Jugend immer relativ leicht verletzlich gewesen, das läge aber in der Familie. Medikamente nehme sie außer der Pille keine, allerdings hätte ihr der Gynäkologe vor ihrem Urlaub ein anderes Hormonpräparat verordnet, ein progesteronhaltiges Kombinationspräparat, um die Menses zu verschieben.
Abb. F9.1a
? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
10 Schuppender Ausschlag mit Gelenkschmerzen Schritt 1 ä Ein 35-jähriger Patient leidet seit seinem 14. Lebensjahr an Hautveränderungen, die sich zunächst nur an den Ellenbogen, Knien und am Kapillitium manifestiert hatten. Auch sein Großvater hatte schon Ähnliches gehabt. Er behandelte sich zunächst routinemäßig mit Kortison- und Pflegesalben, ab dem 25. Lebensjahr bemerkte er jedoch in den Fingergelenken zunehmende Schmerzen und auch Schwellungen, an mehreren Fingernägeln bildeten sich gelbliche Verfärbungen. Über die Jahre nahmen die Hautherde und die Arthralgien stetig zu, er litt nun an beträchtlichen Kreuz- und Nackenschmerzen. Auf langdauernde Krankenstände folgte die Frühpensionierung. Der Patient wurde depressiv, gibt offen seine Betäubungsstrategie mit Alkohol zu und hat Hoffnungen auf eine Partnerschaft längst aufgegeben. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F10.1
Abb. F9.1b
F19 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
9 Blasenbildung nach Sonnenexposition Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Die Patientin wirkt müde und abgeschlagen, der Allgemeinzustand ist aber gut, sie ist afebril. Puls und Blutdruck sind im Normbereich. An den Finger- und Handrücken zeigen sich einzelne frische, wasserklare Bläschen sowie oberflächliche Erosionen, teilweise schon in Abkrustung, daneben auch kleine Närbchen und Milien. Die Gesichthaut wirkt sonnengegerbt, auch hier finden sich zahlreiche kleine Erosionen und hämorrhagische Krusten, allerdings keine Blasen oder Milien. Die übrige Haut und die Schleimhäute sind unauffällig. Die Patientin wird für die Diagnostik stationär aufgenommen.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
10 Schuppender Ausschlag mit Gelenkschmerzen Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Der Patient folgt dem Aufruf langsam und gebrechlich, es fällt eine deutlich fixierte Schonhaltung der Halswirbelsäule auf. Im Gesicht erkennt man eine ausgedehnte schuppige Rötung, an Fingerund Handrücken scharf begrenzte erythematösschuppige Plaques. Mehrere Fingerglieder sind in unregelmäßig abweichenden Stellungen fixiert, die Endgelenke z. T. nicht streckbar, mehrere Fingergelenke sind geschwollen. Die Nägel sind teils verdickt oder gelblich verfärbt, an manchen finden sich multiple punktförmige Auspunzungen (seichte Ausstanzungen). Es zeigen sich fast am gesamten Körper, am Rücken stark konfluierend, infiltrierte erythematöse Plaques mit groblamellöser Schuppenauflagerung. Auch das Kapillitium ist intensiv befallen, der Genitalbereich ist ausgespart. Die Schleimhäute sind frei.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung bzw. zur Vorbereitung auf die Therapie dienen?
F20
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
9 Blasenbildung nach Sonnenexposition Schritt 3 ! Antwort 2: Porphyria cutanea tarda, Porphyria
variegata, Lupus erythematodes, bullöse Autoimmundermatosen. ! Antwort 3: Im Routinelabor ist die Blutsenkungsgeschwindigkeit erhöht, geringgradig auch die Leberfunktionsparameter und Transferrin, die Transferrinsättigung ist erniedrigt. Blutbild, Nierenwerte und Elektrolyte sind unauffällig. ICS-, BMZ- und Antinukleäre Antikörper (ANA) sind negativ. Das Porphyriescreening im Harn ergibt eine deutliche Erhöhung der Gesamtporphyrine und der Kopro- und Uroporphyrine (Koproporphyrin> Urporphyrin). Im Stuhl finden sich erhöhte Protound Koproporphyrinwerte. Die Fluoreszenzspektroskopie des Plasmas zeigt nach Anregung mit Licht bei 405 nm einen typischen »peak« bei 626 nm (bei gesunden Normalpersonen wird kein Licht von Wellenlängen zwischen 610 und 640 nm emittiert).
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
10 Schuppender Ausschlag mit Gelenkschmerzen Schritt 3 ! Antwort 2: Psoriasis vulgaris und Psoriasisarthri-
tis, Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis. ! Antwort 3: Labordiagnostik: Im Labor fallen an pathologischen Parametern eine mäßig beschleunigte Blutsenkung, erhöhte Akutphaseproteine, eine milde Leukozytose sowie eine milde Anämie auf. Die Lebertransaminasen sind grenzwertig erhöht. ANA und »cyclic citrullic peptide« sind negativ. Apparative Diagnostik: Thoraxröntgen, Oberbauch- und Lymphknotensonographie sind bis auf reaktive Lymphknoten im Halsbereich unauffällig. Im Handröntgen zeigen sich entzündliche Gelenksarrosionen.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
F21 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
9 Blasenbildung nach Sonnenexposition Schritt 4 ! Antwort 4: Porphyria variegata. ! Antwort 5: Die Patientin wird ausführlich über die
Krankheit und deren potenzielle Auslöser aufgeklärt (z. B. Antibiotika wie Erythromycin oder Sulfonamide, Antimykotika wie Ketokonazol oder Terbenafin, Barbiturate, manche Antidepressiva und Hormonpräparate). Ohne spezifische Maßnahmen heilen die Hautveränderungen ab, die Porphyriewerte sinken langsam. Ein Porphyriescreening bei den übrigen Familienmitgliedern ergibt, dass sowohl die Mutter als auch 2 von 3 Schwestern an einer Porphyria variegata in der Latenzphase leiden.
ä 6 Jahre später bringt die Patientin nach komplikationsloser Schwangerschaft einen gesunden Knaben zur Welt. Einige Wochen nach dem Abstillen treten erstmals kolikartige Bauchkrämpfe und Übelkeit auf. Die Porphyriewerte sind deutlich erhöht, es wird die Diagnose eines viszeralen Schubs der Porphyria variegata gestellt. Begleitend entwickelt die Patientin ein passageres psychotisches Zustandsbild. Neben einer Schmerztherapie erhält sie Infusionen mit hochprozentiger Glukose und Häm-Arginat über 5 Tage. Am 4. Behandlungstag sistieren die Beschwerden, in den darauf folgenden Wochen normalisieren sich auch die Porphyriewerte.
10 Schuppender Ausschlag mit Gelenkschmerzen Schritt 4 ! Antwort 4: Psoriasis vulgaris und Psoriasisarthritis. ! Antwort 5: Der Patient war bereits im Vorfeld mit
Etretinat, PUVA und Cyclosporin A nicht erfolgreich behandelt worden. Nach Ausschluss von Kontraindikationen wird eine Therapie mit Methotrexat p. o. angesetzt, zusätzlich eine intensive Lokaltherapie. Der Patient spricht nur mäßig gut an, weshalb nach 8 Wochen und Ausschluss einer latenten Tuberkulose eine Therapieerweiterung mit einem chimären TNF-α-Antikörper vorgenommen wird. Innerhalb weniger Tage lassen die Schmerzen deutlich nach, erstmals kann der Patient wieder Treppen steigen. Über einige Wochen kommt es zur massiven Verbesserung der Beweglichkeit, wobei allerdings die Versteifungen der Fingergelenke unverändert bleiben. Gleichzeitig heilen die Hauterscheinungen fast vollständig ab.
F22
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
11 Starke Wangenrötung mit Abgeschlagenheit Schritt 1 ä Eine 25-jährige Patientin hat den sonnigen Tag auf dem Stubaier Gletscher verbracht. Am Abend leidet sie an starken Kopf- und Gliederschmerzen sowie einer stark hitzenden Rötung im Gesicht, weshalb sie die Ambulanz der Hautklinik aufsucht. Hier wirkt sie müde und etwas nervös, beim Sprechen fällt eine leichte Kurzatmigkeit auf. Auf Nachfrage berichtet sie, dass sie sich in letzter Zeit überhaupt abgeschlagen und müde gefühlt und in 8 Wochen – ungewollt – 4 kg Gewicht verloren habe. Zusätzlich habe sie zunehmend Schmerzen in beiden Knien, Sprung- und Fingergelenken, nachts leidet sie an Schweißausbrüchen. Sie hat das Gefühl, die Sonne nicht mehr gut zu vertragen – auch schon im letzten Sommer habe sie ständig Kopfschmerzen gehabt. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F11.1
12 Schwerer Infekt mit Ablösung der Haut Schritt 1 ä Die 2-jährige Selina wird von der Mutter in die Ambulanz der Hautklinik gebracht. Seit wenigen Tagen leide sie an einem eitrigen Schnupfen; überhaupt mache sie letztens viele Infektionen durch, erst vor einigen Wochen hatte sie eine Bronchitis und eine beidseitige Mittelohrentzündung gehabt. Sonst war Selina recht robust und verkraftete diese Episoden gut, aber dieses Mal ist sie sehr mitgenommen: sie ist unruhig, teilnahmslos und weinerlich, isst wenig und hat die letzte Nacht kaum geschlafen. Der Mutter ist aufgefallen, dass Selina sich seit gestern kaum mehr anfassen lässt, obwohl sie sonst recht anschmiegsam ist. Dann seien große rote Flecken aufgetreten, zunächst um den Mund, dann am ganzen Körper. Seit heute nässen die Flecken, an manchen Stellen löst sich die Haut ab. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F12.1
F23 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
11 Starke Wangenrötung mit Abgeschlagenheit Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Zunächst fällt eine ausgeprägte Rötung im Bereich beider Wangen auf, die über dem Nasenrücken konfluiert. Auffälligerweise sind die Regionen perioral und periokulär ausgespart. Am Oberkörper bestehen zusätzlich erythematöse, fein schuppende Herde, teilweise von anulärer Figur. Zusätzlich zeigen sich schuppige Plaques an den Fingerrücken und diskrete Einblutungen im Bereich des Nagelfalzes. Die Schleimhäute sind unauffällig. Lymphknoten sind nicht tastbar. Wir messen eine Körpertemperatur von 38,0°C. Die Patientin wiegt 58 kg bei einer Körpergröße von 175 cm. Die Fingergelenke an beiden Händen sind deutlich geschwollen. Die Atemfrequenz beträgt 20/min, der Puls 130/min, der Blutdruck 100/70 mmHg. Auskultatorisch ist die Lunge frei, die Herztöne sind leise.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
12 Schwerer Infekt mit Ablösung der Haut Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Selina bewegt sich kaum, nimmt eine starre Schonhaltung ein und ist weinerlich. Zunächst fällt eine Gesichtsrötung mit begleitender Schwellung auf. Perioral zeigen sich diffuse Erytheme, die Nase ist gerötet und eitrig verkrustet. Am Körper prägen neben der Erythrodermie serös-eitrig verkrustete Erosionen das Bild, besonders ausgedehnt an Ellenbeugen, Gesäß und Kniekehlen, typischerweise auch an den Aufliegestellen und dem Bund der Windelhose. Bei vorsichtigem Berühren der Haut, egal ob gerötet oder nicht, lässt sich die Haut tangenzial abschieben. Die Schleimhäute sind, mit Ausnahme der etwas geröteten Konjunktiven, blande. Die Lymphknoten zervikal und nuchal sind deutlich tastbar und etwas druckschmerzhaft, die übrigen Stationen unauffällig. Wir messen eine Körpertemperatur von 38,5°C.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie nach der Anamnese? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
F24
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
11 Starke Wangenrötung mit Abgeschlagenheit Schritt 3 ! Antwort 2: Systemischer Lupus erythematodes,
Dermatomyositis, polymorphe Lichtdermatose, Psoriasis. ! Antwort 3: Diagnostik: Im Labor fallen eine Leukopenie, eine Thrombozytopenie, positive ANA, positive Antikörper gegen Nativ-DNA sowie positive ANA-Subtypen SS-A und SS-B auf, zudem zirkulierende Immunkomplexe und Komplementverbrauch. Histologie: Es zeigen sich dichte, perivaskuläre, lymphozytär betonte Infiltrate in der papillären und der retikulären Dermis sowie ein Interfaceprozess im Bereich der Epidermis und der Adnexstrukturen. In der direkten Immunfluoreszenz fallen in IgG und C3 bandförmige grobgranuläre Ablagerungen an der Basalmembran auf. Apparative Diagnostik: Das EKG ergibt eine Niedervoltage, im Thoraxröntgen zeigt sich ein etwas vergrößerter Herzschatten, in der Echokardiographie wird ein Perikarderguss nachgewiesen.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
12 Schwerer Infekt mit Ablösung der Haut Schritt 3 ! Antwort 2: Staphylococcal Scalded Skin Syndrome,
toxische epidermale Nekrolyse, Erythema solare. ! Antwort 3: Der Tzanck-Test zeigt akantholytische Zellen, jedoch keine Riesenzellen. Im Labor fallen an pathologischen Parametern eine beschleunigte Blutsenkung, gering erhöhte Akutphaseproteine und eine diskrete Leukozytose auf. Der Nasenabstrich ergibt Staphylococcus aureus.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
F25 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
11 Starke Wangenrötung mit Abgeschlagenheit Schritt 4 ! Antwort 4: Systemischer Lupus erythematodes. ! Antwort 5: Die Patientin erhält eine Stoßtherapie
mit Methylprednisolon beginnend mit 1,5 mg/kg Körpergewicht unter üblicher Begleitmedikation. Unter dieser Therapie kommt es sehr rasch zur Verbesserung des Allgemeinzustandes mit Rückbildung des Perikardergusses, Abblassen des Exanthems und Verbesserung der Arthralgien. Gleichzeitig wird Azathioprin als zweites Immunsuppressivum angesetzt, dessen Wirkung allerdings erst nach 2–3 Wochen einsetzt. Die Dosis von Methylprednisolon wird langsam bei Weitergabe von Azathioprin auf eine möglichst niedrige Erhaltungsdosis reduziert. Zusätzlich wird auf Verhaltensmaßnahmen, insbesondere konsequenten Sonnenschutz hingewiesen.
12 Schwerer Infekt mit Ablösung der Haut Schritt 4 ! Antwort 4: Staphylococcal Scalded Skin Syn-
drome. ! Antwort 5: Eine systemische antibiotische Therapie mit Amoxicillin führt zum raschen Sistieren des Prozesses, nach einigen Tagen setzt eine großflächige feinlamelläre Schuppung ein. Unterstützend erfolgt eine indifferente Lokaltherapie sowie in der Anfangsphase eine Infusionstherapie zum Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich.
Kommentar: Wichtig ist die Abgrenzung zur (medikamenteninduzierten) Toxischen Epidermalen Nekrolyse (TEN), die zunächst als makulöses Exanthem auftritt und erst nach Konfluenz großflächige Erytheme ausbildet; sie ist auch durch massive Schleimhautbeteiligung gekennzeichnet. Beim SSSS liegt eine subkorneale Akantholyse vor, bei der TEN eine ausgedehnte Nekrose der Epidermis; die Unterscheidung erfolgt durch den Tzanck-Test oder Histologie.
F26
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
13 Generalisierte Rötung von Haut und Schleimhäuten mit Blasenbildung Schritt 1 ä Eine 75-jährige Frau leidet seit 2 Tagen an einem Ausschlag, der sich schnell ausbreitet. Zu Beginn habe sie sich nur etwas grippig gefühlt, dann seien plötzlich Flecken im Gesicht, später am Stamm und zuletzt an Armen und Beinen aufgetreten. Die Haut sei schon seit Tagen sehr empfindlich, schon vor Auftreten der Flecken, und danach umso mehr. Mund und Augen brennen stark. Seit heute bemerkt sie auch Blasen am ganzen Körper und fühlt sich krank. Die Fremdanamnese ergibt, dass sich die rüstige Patientin bis zuletzt bester Gesundheit erfreute. Vor 2 Wochen hat sie aufgrund eines erhöhten Harnsäurewerts Allopurinol erhalten, ohne je zuvor eine Gichtepisode durchgemacht zu haben. Ansonsten nimmt die Patientin ein Blutdruckmedikament ein, das allerdings schon seit mehr als 20 Jahren. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status. Abb. F13.1
14 Nässende, nicht heilende Wunde am Knöchel Schritt 1 ä Eine 60-jährige, übergewichtige Frau hatte schon als junges Mädchen Krampfadern, später kamen dann Beinschwellungen dazu. Die Schwangerschaften hätten dann zu weiterer Verschlechterung geführt: das Gewebe am rechten Unterschenkel habe sich seither verhärtet, außerdem treten an den Beinen immer öfter juckende Ekzeme auf, und die Haut hat sich auffallend bräunlich verfärbt. Auch ihre Mutter und Großmutter hätten mit den Beinen zu tun gehabt. Vor etwa 4 Monaten habe sie am rechten Innenknöchel eine kleine »Abschürfung« bemerkt. Trotz intensiver Pflege wird die offene Stelle nun immer größer und nässt zunehmend. Manche Salben, die sie vorher problemlos verwendet hat, scheinen das Geschwür jetzt eher zu verschlechtern. Seit einigen Tagen fühlt sie sich fiebrig, abgeschlagen und krank. ? Frage 1: Beschreiben Sie das klinische Bild und
den dermatologischen Status.
Abb. F14.1
F27 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
13 Generalisierte Rötung von Haut und Schleimhäuten mit Blasenbildung Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Der Allgemeinzustand der Patientin ist deutlich reduziert. Sie ist agitiert, etwas desorientiert und stark berührungsempfindlich. Am gesamten Körper, besonders im Gesicht und am oberen Stamm, zeigt sich ein konfluierendes makulöses Exanthem, zusätzlich kreisrunde, flach erhabene Herde mit livid-hämorrhagischem Zentrum (atypische Irisläsionen). Auf Fingerdruck lässt sich die Haut an den geröteten Hautstellen teilweise abschieben. Auf einigen Erythemen haben sich schlaffe Blasen gebildet, an mechanisch belasteten Stellen löst sich die Epidermis großflächig ab. Zudem zeigen sich massive Erosionen an Konjunktiven, Lippen, Mund, Nase und Vulva, teils mit Krustenauflagerungen, das Sprechen fällt ihr schwer. Wir messen eine Körpertemperatur von 38,5°C, Blutdruck 170/100 mmHg, Puls 90/min.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie nach der Anamnese? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
14 Nässende, nicht heilende Wunde am Knöchel Schritt 2 ! Antwort 1: Klinisches Bild und dermatologischer
Status: Die Patientin präsentiert sich in mäßig reduziertem Allgemeinzustand. Der Verband am rechten Unterschenkel ist durchnässt und gelblich verfärbt. Darunter zeigt sich ein tiefer, ca. 5×5 cm großer Substanzdefekt im Bereich des rechten Innenknöchels. Das Ulkus ist schmierig belegt und übelriechend, die umgebende Haut ist induriert, der Ulkusrand gerötet. Der gesamte rechte Unterschenkel ist trocken, schuppig, lichenifiziert und scheckig bräunlich pigmentiert, zusätzlich finden sich eine mäßig gut abgegrenzte Rötung, Schwellung und Überwärmung. Beide Beine weisen eine beträchtliche Stammvarikose auf, rechts deutlich mehr als links. Die Fußpulse sind beidseits gut tastbar. Wir messen eine Körpertemperatur von 37,5°C. Die Lymphknoten rechts inguinal sind geschwollen und druckdolent.
? Frage 2: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie? ? Frage 3: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung dienen?
F28
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
13 Generalisierte Rötung von Haut und Schleimhäuten mit Blasenbildung Schritt 3 ! Antwort 2: Toxische epidermale Nekrolyse, Sta-
phylococcal scalded skin syndrome, fixes generalisiertes Arzneimittelexanthem. ! Antwort 3: Labor: Das Labor zeigt eine Leukozytose, ein mäßig erhöhtes CRP sowie einen erhöhten Hämatokrit. Elektrolyte und Säuren-Basenhaushalt sind kompensiert. Histologie: In einer Hautbiopsie zeigen sich teils Satellitenzellnekrosen, teils Nekrosen in allen Schichten der Epidermis mit basaler Spaltbildung, darunter ein spärliches entzündliches Infiltrat der papillären Dermis.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
14 Nässende, nicht heilende Wunde am Knöchel Schritt 3 ! Antwort 2: Venöses Ulcus cruris, arterielles Ulcus
cruris, gemischtes Ulcus cruris, mikroangiopathisches Ulcus cruris, Livedo-Vaskulitis. ! Antwort 3: Das Routinelabor ergibt eine Leukozytose mit Linksverschiebung und ein deutlich erhöhtes CRP. Leber- und Nierenwerte sind im Normbereich. Die Duplexsonographie der Beine bestätigt die klinisch diagnostizierte schwere Stammvarikose rechts>links im oberflächlichen Venensystem und ergibt zudem eine Insuffizienz der Perforansvenen Cockett I und II rechts. Die tiefen Venen zeigen gute Strömungsverhältnisse ohne wesentliche Insuffizienzzeichen.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
F29 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
13 Generalisierte Rötung von Haut und Schleimhäuten mit Blasenbildung Schritt 4 ! Antwort 4: Toxische Epidermale Nekrolyse (TEN),
ausgelöst durch Allopurinol. ! Antwort 5: Allopurinol wird abgesetzt. Die Patientin erhält hochdosiert systemisch Methylprednisolon in absteigender Dosierung und hochdosiert i. v.-Immunglobuline (IVIg) über 5 Tage. Die Patientin wird auf eine metallbeschichtete Spezialfolie gelagert und damit bedeckt; auf die Erosionen wird Fettgaze gelegt. Zudem erfolgen eine intensive Salbentherapie der Augen und regelmäßige Mundspülungen. Nach anfänglicher Ausbreitung der Hautläsionen kommt es nach einigen Tagen zum Stillstand der Aktivität und zur langsamen Reepithelialisierung. Nach 6-wöchigem Klinikaufenthalt wird die Patientin in häusliche Pflege entlassen, ein Allergiepass wird nach ausführlicher Aufklärung ausgestellt.
Kommentar: Das Staphylococcal Scalded Skin Syndrome (SSSS) und das fixe generalisierte Arzneimittelexanthem unterscheiden sich v. a. durch das Fehlen von Schleimhautbeteiligung. Die Targetläsionen sind ein diagnostisches Indiz in der Abgrenzung der TEN zu harmloseren Arzneimittelreaktionen. Allopurinol ist ein klassischer Auslöser der TEN und sollte deshalb nur bei strikter Indikation gegeben werden. Die Gabe von Kortison bei TEN führt einerseits zur schnelleren Blockierung der Entzündungskaskade, jedoch erhöht die begleitende Immunsuppression das Risiko der Superinfektion, die häufigste Todesursache bei TEN.
14 Nässende, nicht heilende Wunde am Knöchel Schritt 4 ! Antwort 4: Ulcus cruris venosum mit Begleitery-
sipel. ! Antwort 5: Das Erysipel wird mit einem Breitband-
penizillin i. v. behandelt, aufgrund der notwendigen Bettruhe erhält die Patientin ein niedermolekulares Heparin s. c. Das Ulkus wird mit 2% Kochsalzbauschen gereinigt, die Fibrinbeläge werden zusätzlich mechanisch abgetragen. Nach Abheilung des Erysipels wird die Lokaltherapie auf einen Hydrokolloidverband und eine Kompressionstherapie mit Kurzzugbandagen umgestellt. Nach Rückbildung der Entzündungszeichen wird eine StrippingOperation der V. saphena magna rechts durchgeführt; nach Konditionierung des Ulkus wird der Defekt mittels Spalthaut gedeckt. Die Patientin wird über venenschonendes Verhalten aufgeklärt, konsequentes Tragen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II beidseits wird empfohlen. Ein Epikutantest auf Salbengrundlagen ergibt eine Kontaktallergie auf Wollwachsalkohole; diese konsequent zu meiden wurde erklärt und empfohlen.
F30
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
15 Schmerzhafte anogenitale Ulzera bei chronischem Husten Schritt 1 ä Ein 51-jähriger Mann sucht wegen brennender Schmerzen beim Sitzen und insbesondere beim Stuhlgang die Ambulanz auf. Der Patient wirkt niedergeschlagen und etwas ungepflegt. Er klagt, dass er sich schon seit mehreren Wochen nicht wohl fühlt: in der Nacht schläft er schlecht und schwitzt stark, in den letzten Wochen hat er 5 kg abgenommen. Er berichtet, dass er vor 2 Jahren seine Anstellung verloren hat. Seither habe sein Alkoholkonsum zugenommen, dieser sei derzeit 1,5 l Wein pro Tag, zusätzlich eine Schachtel Zigaretten. Sein chronischer Husten sei in letzter Zeit schlechter geworden. An Vorerkrankungen gibt er einen vor 2 Jahren diagnostizierten Diabetes mellitus II an, die Medikamente nehme er regelmäßig. Klinisches Bild und dermatologischer Status: In der Anal-, Perianal- und Perinealregion bis zum Skrotum finden sich mehrere scharf begrenzte, konfluierende, polyzyklische und sehr schmerzhafte Ulzera. Diese sind flach und schmierig belegt, die Gesamtausdehnung beträgt >10 cm. Die übrige Haut und die Mundschleimhaut sind bis auf einige kleine Pyodermien unauffällig. Beidseits inguinal tastet man indolente, nicht verbackene Lymphknoten. Körpertem-
peratur 38,0°C, 68 kg Gewicht bei Körpergröße von 180 cm. Der Patient hustet gelegentlich, es fällt eine geringe Dyspnoe auf. Auskultatorisch ist die Lunge bis auf geringe trockene Rasselgeräusche frei. Das Abdomen ist weich, es finden sich weder Druckschmerz noch Resistenzen. ? Frage 1: An welche Differenzialdiagnosen denken
Sie nach der Anamnese?
F31 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
15 Schmerzhafte anogenitale Ulzera bei chronischem Husten Schritt 2 ! Antwort 1: Vegetierender Herpes simplex, Tuber-
culosis ulcerosa cutis et mucosae, CMV-Infektion, Lues I, Pyoderma gangränosum, Morbus Crohn. ? Frage 2: Welche diagnostischen Maßnahmen
können zur weiteren Abklärung bzw. zur Vorbereitung auf die Therapie dienen? ? Frage 3: Was erkennen Sie im Ausstrichpräparat?
Abb. F15.1
F32
Fallquiz Dermatologie und Venerologie
15 Schmerzhafte anogenitale Ulzera bei chronischem Husten Schritt 3 ! Antwort 2: Diagnostik: CRP um 12 mg/dl, BSG
55/80, milde Leukozytose und Anämie; HbA1c, Nüchternglukose und Leberfunktionsparameter sind gering erhöht. Der HIV-Test und die Herpesdiagnostik (Tzanck-Test, direkte Immunfluoreszenz) sind negativ. Der Tuberkulinhauttest ergibt eine Induration von 17 mm. Röntgen: Im Thoraxröntgen zeigen sich interstitielle indurative Veränderungen und Pleurakuppenschwielen in beiden Oberlappen sowie eine bihiläre Lymphadenopathie. ! Antwort 3: Histopathologie und Kultur: Eine Biopsie zeigt granulomatöse Entzündung mit zentraler Nekrose, die Ziehl-Neelsen-Färbung säurefeste Stäbchen; der Nachweis von M. tuberculosis gelingt in Kulturen aus Sputum und Stuhl, die Resistenzbestimmung auf 5 Antibiotika erster Wahl verläuft negativ.
? Frage 4: Wie lautet die endgültige Diagnose? ? Frage 5: Welche Therapie schlagen Sie vor?
F33 Fallquiz Dermatologie und Venerologie
15 Schmerzhafte anogenitale Ulzera bei chronischem Husten Schritt 4 ! Antwort 4: Tuberculosis ulcerosa cutis et mucosae
bei Lungentuberkulose. ! Antwort 5: Der Patient wird in einem Einzelzim-
mer mit eingeschränktem Zugang untergebracht. Eine tuberkulostatische Vierfachkombination bestehend aus Isoniazid (INH), Rifampizin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) wird begonnen. Zusätzlich erhält der Patient Oxazepam zur Prophylaxe eines Alkoholentzugssyndroms. Die Ulzerationen perianal bis perineal werden antiseptisch therapiert, wegen der Superinfektion wird zusätzlich Amoxicillin/Clavulansäure für 7 Tage gegeben. Der Patient spricht rasch an, nach 3 Wochen bleiben die abgenommenen KontrollSputumproben steril, das Röntgenbild bessert sich. Die Therapie wird über 2 Monate stationär durchgeführt; danach wird mit INH und RMP für 4 Monate ambulant weiterbehandelt.
8 8 Erbliche Krankheiten der Haut 8.1
Grundlagen
– 339
8.2
Erbliche Verhornungsstörungen
– 340
8.2.1 Ichthyosen – 340 8.2.2 Hereditäre Palmoplantare Keratoderme (HPPK; Synonym hereditäre Palmoplantarkeratosen) – 345 8.2.3 Porokeratosen – 348 8.2.4 Hereditäre follikuläre Verhornungsstörungen (Keratosis follicularis-Gruppe) – 348 8.2.5 Morbus Darier und Pemphigus familiaris chronicus (Morbus Hailey-Hailey) – 349 8.2.6 Hereditäre »ektodermale« Fehlbildungssyndrome – 350
8.3
Epidermolysis-bullosa-hereditaria-Gruppe
8.4
Hereditäre Bindegewebsdefekte
8.4.1 Hereditäre Mukopolysaccharidosen
8.5
Erbliche neurokutane Syndrome
– 351
– 353 – 356
– 356
8.5.1 Neurofibromatosen – 356 8.5.2 Tuberöse Hirnsklerose (Synonym Morbus Bourneville-Pringle) – 358 8.5.3 Neurokutane Angiomatosen – 359
8.6
Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko – 360
8.6.1 Erbkrankheiten mit defekter DNA-Reparation oder chromosomaler Instabilität – 360 8.6.2 Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko durch Defekte an Tumorsuppressorgenen – 363
8.7
Hauterscheinungen bei primären Immundefizienzen – 366
339 8.1 · Grundlagen
8.1
Grundlagen
Begriffsbestimmung Erbkrankheiten entstehen durch nachteilige Genmutationen, die gegebenenfalls an die Nachkommen weitergegeben werden können. Man unterscheidet: 4 Erbkrankheiten der Haut (Genodermatosen); diese betreffen Gene von Struktur- oder Funktionsproteinen der Haut. Die Mutationen sind in die Keimbahn integriert (ererbt oder durch Neumutation) und bewirken daher Veränderungen der gesamten Haut. 4 Postzygotische (somatische) Mutationen; diese manifestieren sich als Einzelherd (Hamartom) oder als Mosaik (s. u.). Ferner können hereditäre systemische Fehlbildungssyndrome, Stoffwechselstörungen und Defekte anderer Systeme (z. B. des Immunsystems) oft prominente Hautsymptome hervorrufen. Eine weitere Spielart der Einflussnahme genetischer Faktoren auf die Haut sind DNA-Polymorphismen. 3DNA-Polymorphismen sind häufige, prinzipiell »normale«, aber manchmal zu krankhaften Reaktionsweisen prädisponierende Keimbahnmutationen. Beispiel: Polymorphismen im Melanokortinrezeptor prädestinieren zu erhöhter Photosensibilität und tragen zum Pigmentstatus bei.
Erbkrankheiten der Haut Unter »Genodermatosen« versteht man in der Regel monogene Erbkrankheiten, bei denen ein singuläres Gen betroffen ist. Zahlreiche solche Gendefekte wurden in den letzten Jahren kartiert und aufgeklärt (Online Mendelian Inheritance in Man – OMIM; www.ncbi. nlm.nih.gov/omim). Ihr Phänotyp bleibt im Prinzip lebenslang erhalten; Abmilderung oder Progredienz der Symptomatik kommen jedoch krankheitsspezifisch vor. Davon zu unterscheiden sind polygene Erbkrankheiten, bei denen mehrere Gendefekte zusammenspielen. Bei letzteren (z. B. Psoriasis, Atopie, Acne vulgaris etc.) ist der genetische Hintergrund komplexer und daher oft noch ungeklärt. Bei allen Erbkrankheiten wird der Phänotyp durch Einflüsse des Gesamtorganismus und/oder der Umwelt moduliert. Erbliche Hautkrankheiten gehen häufig mit hoher physischer und psychischer Belastung einher. Die genaue klinische und biochemische Einordnung ist Voraussetzung für die wichtige humangenetische Beratung des Patienten mit Risikoabschätzung für die Nachkommen. Eine kausale Behandlung der erblichen Hautkrankheiten (Gentherapie) ist heute noch nicht möglich. Zur Therapie stehen daher immer noch symptomatische Maßnahmen im Vordergrund.
8
3Bedeutung der Aufdeckung ursächlicher Genmutationen Diese erlaubt nicht nur ein besseres Verständnis der jeweiligen Krankheit, sondern auch der Funktionsweisen der Haut generell und der Beziehungen zwischen den einzelnen Krankheitsgruppen. So zeigte sich beispielsweise, dass bestimmte Mutationen in suprabasalen Keratinen initial beim Neugeborenen zur Blasenbildung und im späteren Verlauf zu einer Verhornungsstörung führen (Epidermolytische Ichthyose, s. u.). Das molekulare Wissen lässt so neue nosologische Kategorien entstehen, die quer durch die traditionelle morphologische Einteilung ziehen und diese sukzessive ersetzen. Allerdings ist eine rein ätiologische Nosologie heute wegen der verbliebenen »weißen Flecken« noch nicht konsequent praktizierbar und wird deshalb hier auch nicht angestrebt.
Hamartome, Mosaike und Fehlbildungen Schäden des Genoms sind klarerweise nicht stets in der Keimbahn vorgegeben, sondern können sich auch postzygotisch zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Lauf der Entwicklung der Haut oder nach abgeschlossener Differenzierung einstellen. Es entstehen dann umschriebene Veränderungen, die je nach ihrer Natur als Hamartome, komplexere Fehlbildungen, benigne oder maligne Neoplasien erscheinen. Die Haut kann eine enorme Vielfalt solcher Läsionen entwickeln, die nur zu einem geringen Teil auf molekularer Ebene erklärt sind; auch sind diese pathologisch-morphologischen Kategorien wenig gut definiert und manchmal überlappend. Hamartome. »Male« (Nävi) sind umschriebene Fehl-
bildungen der Haut, die in ihrem Aufbau von der Normalität quantitativ (zu viel oder zu wenig von Gewebskomponenten) oder qualitativ abweichen (Vorhandensein von Reaktionsweisen, die sonst nur bei Krankheiten vorkommen, z. B. epidermolytische Hyperkeratose). Diese Male sind bleibend, unveränderlich und können jede Gewebestruktur der Haut betreffen (epidermale Nävi, Bindegewebsnävi etc.). Viele dieser Nävi beruhen tatsächlich auf Änderungen nur einer einzigen Gewebskomponente, bei anderen ist die Störung komplexer. Beispiel: beim Nävus sebaceus finden sich Reifungsstörungen der sebazeären, aber auch der epidermalen, follikulären und apokrinen Anlagen. Solche komplexen Nävi stehen Malformationen aufgrund fehlgeleiteter Gewebsentwicklung nahe; Beispiele: Verschlussdefekte des Neuralrohrs (Dermoidzysten zeigen vielgestaltige Gewebskomponenten wie Haut, Adnexe, Zähne, Knorpel u. a.) oder ektopes Gewebe (z. B. das Glioma nasi). Mosaikmuster. Treten postzygotische Mutationen noch
vor Abschluss der Körperentwicklung auf, können die entstehenden Zellklone sichtbare Mosaikmuster ausbilden. Das bekannteste Muster sind die Blaschko-Li-
340
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
Basalzellnävussyndrom) oder zur umschriebenen, meist entlang der Blaschko-Linien angeordneten Intensivierung des Phänotyps der betreffenden Krankheit (z. B. bandförmige schwere Läsionen eines Morbus Hailey-Hailey bei sonst mildem Befall) – so genannte Typ-2-Manifestationen autosomal dominanter Genodermatosen. 8.2
. Abb. 8.1. Blaschko-Linien (Blaschko, 1901)
8 nien: bizarre Streifen und Linien, die am Rücken ein Springbrunnenmuster und an den seitlichen Partien des Rumpfs eine S-Figur bilden (. Abb. 8.1). Diese Linien spiegeln das klonale Auswachsen embryonaler Zellpopulationen in anterolateraler Richtung wider. Durch das Längenwachstum des Embryos und durch seine zunehmende Krümmung werden die kutanen Wachstumsströme bizarr verschoben. Die BlaschkoLinien können von Nävi verschiedenster Herkunft uniform ausgebildet werden (z. B. epidermale Nävi, »segmentale« Neurofibromatose); sie entsprechen nicht den Dermatomen! Weitere Mosaikmuster sind das Schachbrettmuster (Naevus spilus), das phylloide (blattähnliche) Muster und andere. ! Mosaikmuster sind nicht auf postzygotische Mutationen beschränkt. Bei Frauen wird beispielsweise durch den Lyon-Effekt jeweils ein X-Chromosom inaktiviert. Ist ein X-Chromosom defekt, z. B. bei der Incontinentia pigmenti, manifestiert sich die Krankheit als streifige Hautherde entlang der Blaschko-Linien. Betrifft eine postzygotische Mutation auch die Gameten, kann in der Filialgeneration eine systemische Manifestation eintreten. Beispiel: epidermolytische Ichthyose bei Nachkommen von Patienten mit einem epidermolytischen Nävus.
Verlust der Heterozygotie. Liegt eine heterozygote
Keimbahnmutation vor, kann durch eine postzygotische Mutation (oder genetische Rekombination) auch das gesunde Wildtypallel betroffen werden. Dieses nicht seltene Phänomen führt etwa zur Entstehung von Tumoren bei Tumorsyndromen (z. B. Basaliome beim
Erbliche Verhornungsstörungen
Erbliche Verhornungsstörungen sind Störungen der epidermalen Differenzierung, die durch fehlerhafte (überschießende) Verhornung der Epidermis und/oder des Haarfollikels gekennzeichnet sind. Sie zählen zu den häufigsten Genodermatosen und sind in ihrer klinischen Symptomatik wie in ihren Ursachen sehr vielfältig. Manche sind mit systemischen Symptomen assoziiert. 8.2.1 Ichthyosen Definition Diese Gruppe von Verhornungsstörungen ist durch diffuse Hyperkeratose und auffallende Schuppung charakterisiert (griechisch ichthys – Fisch). Ichthyosen können das gesamte Integument betreffen oder nur an Prädilektionsstellen klinisch manifest sein, häufig unter Einbeziehung der Palmoplantarflächen. Klinische Orientierung verschafft die Beurteilung der Morphologie der Schuppen (fein vs. grob), deren Verteilung (z. B. Beteiligung der Beugen), Vorhandensein von Entzündung, Manifestationsalter (kongenital vs. später) und die Assoziation mit Symptomen anderer Organsysteme (syndromische Ichthyosen). Allgemeines zur Ätiologie Den Ichthyosen liegt eine gestörte Gewebshomöostase der Epidermis zugrunde, die durch Genmutationen von epidermalen Struktur- oder Funktionsproteinen entsteht. Die Defekte können sich sowohl in einem der Hauptkompartimente der Hornschicht (Hornzellen und interzelluläre Lipidlagen – »Ziegel« und »Mörtel«, 7 Kap. 2) als auch in Zell-Zell-Kontakten manifestieren (. Tab. 8.1). Alle Defekte münden in das stereotype Leitsymptom der Hyperkeratose, die mit Störung von epidermaler Proliferation und Differenzierung oder der Desquamation verbunden ist. Je nach Genmutation steht das eine oder andere im Vordergrund, man unterscheidet dementsprechend auch zwischen Proliferationshyperkeratose (erhöhter Turnover) und Retentionshyperkeratose (verminderte Abschuppung).
341 8.2 · Erbliche Verhornungsstörungen
. Tab. 8.1. Klassifikation der Ichthyosen nach molekularen Gesichtspunkten (s. Text) Ichthyose
Gen/Protein
Enzyme des Lipidstoffwechsels X-chromosomal rezessive Ichthyose
STS/ Steroidsulfatase
Autosomal rezessive Ichthyosen
ALOXE3, ALOXB; ABC-A12/ Lipoxigenase-Signalweg; Lipidtransporter
Harlekin-Ichthyose
ABC-A12/Lipidtransporter
Sjögren-Larsson
FALDH/FettaldehydDehydrogenase
Chanarin-Dorfman
CGI-58/Esterase-LipaseThioesterase
»Congenital hemidysplasia with ichthyosiform erythroderma and limb defects« (CHILD)
NSDHL/HydroxysteroidDehydrogenase
Conradi-HünermannHapple-Syndrom
EBP/Sterol-Isomerase
Refsum
PAHX/PhytanoylHydroxylase
Enzyme/Strukturproteine der Korneozyten Autosomal rezessive Ichthyose
TG-1/Transglutaminase 1
Ichthyosis vulgaris
Filaggrin
Epidermolytische Hyperkeratose
Keratin 1, 10
Loricrin-Keratoderm mit Ichtyose (Typ Vohwinkel)
Loricrin
Erythrokeratodermia progressiva symmetrica
Loricrin
Netherton
SPINK 5-Gen (SerinproteaseInhibitor LEKTI)
8
zygote nur einen milden oder sind symptomlos. Die Symptome manifestieren sich nach ≥3 Monaten, Neugeborene sind meist erscheinungsfrei. Ätiologie und Pathogenese. Mutationen im Filag-
grin-Gen, dadurch Verminderung der Keratohyalingranula. Folge: mangelhafte Aggregation von Keratinfilamenten am Übergang zwischen Str. granulosum und corneum. Der epidermale Turnover ist normal (Retentionshyperkeratose). Symptomatik, Diagnostik. Die gesamte Haut ist tro-
cken, rau und von bis mittelgroßen polygonalen weißgrauen, relativ stark haftenden Schuppen bestanden (»schlecht gehobeltes Brett«), gelegentlich entsteht durch eine gröbere, dunklere Schuppung eine Felderung der Haut (»Eidechsenleder«) (. Tab. 8.2, . Abb. 8.2). Prädilektionsstellen: Streckseiten der Extremitäten. Die großen Beugen (Kniekehlen, Ellenbeugen, Axillen, Leisten) sind charakteristischerweise wenig befallen. Handflächen und Fußsohlen sind schwielig verdickt, mit betonten Handlinien (»Ichthyose-Hand«: diagnoseweisend! . Abb. 8.3). Subjektive Beschwerden sind gering (»trockene Haut«). Histologie: Orthohyperkeratose, Verminderung bzw. Fehlen des Str. granulosum. Assoziierte Symptome. Lichen pilaris (7 Kap. 8.2.4) (ca.
50%), atopische Disposition (ca. 30%). X-chromosomal rezessive Ichthyose Definition, Epidemiologie. Die zweithäufigste Ich-
thyose (1:6000), Erbgang: X-chromosomal-rezessiv (nicht-»lyonisierend«); erkrankt sind daher nur Män-
Zell-Zell-Kontakte Vohwinkel-Syndrom mit Hörstörung
Connexin 26
Keratosis Ichthyosis Deafness (KID)
Connexin 26
Erythrokeratodermia variabilis
Connexin 30, 31
Krankheitsbilder, Symptomatik Ichthyosis vulgaris Definition, Epidemiologie. Die häufigste Ichthyose
(Prävalenz 1:250–5400). Erbgang pseudo-dominant: Homozygote zeigen einen schweren Phänotyp, Hetero-
. Abb. 8.2. Ichthyosis vulgaris. Die Haut ist charakteristisch trocken, schuppig, eidechsenlederartig gefenstert
342
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
sind seltener als bei Ichthyosis vulgaris. Histologie: Str. granulosum vorhanden, Orthohyperkeratose. Assoziierte Symptome. Hornhauttrübungen (Descemet-Membran; auch bei weiblichen Überträgerinnen!) – Spaltlampenuntersuchung, da das Sehen nicht beeinträchtigt ist! Mitunter Hodenhochstand.
. Abb. 8.3. Ichthyosis vulgaris. Diffuse Hyperkeratose der Handflächen, Betonung der Handfurchen
8
ner, Frauen sind bezüglich der Haut symptomlose Überträger, können allerdings Wehen-Schwäche entwickeln (s. u.). Manifestationsalter: Säuglingsalter, manchmal als »Kollodiumbaby« (s. u.). Ätiologie und Pathogenese. Zugrunde liegt eine
Deletion des Steroidsulfatase-Gens. Folge: fehlerhafte Zusammensetzung der interzellulären Lipide durch Ausbleiben der Bildung von Cholesterin aus Cholesterinsulfat. Der epidermale Turnover ist normal (Retentionshyperkeratose). Dieser Defekt war bei heterozygoten Frauen schon länger als »plazentare Steroidsulfatase-Defizienz« bekannt (Symptome: niedriges HarnÖstron, Wehenschwäche, Oxytocin-Resistenz, erhöhte Totgeburtenrate). Symptomatik, Diagnostik. Ähnlich der Ichthyosis
vulgaris, jedoch ist die Schuppung dicker, gröber gefeldert (»Krokodilleder«), dunkler (schmutziggrau), die Körperbeugen sind seltener ausgespart (. Tab. 8.2). Handflächen und Fußsohlen sind frei (keine »Ichthyose-Hand«!). Lichen pilaris und atopische Disposition
Autosomal-rezessive Ichthyosen Definition, Epidemiologie. Eine heterogene Gruppe seltenerer schwerer Ichthyosen (Prävalenz ca. 1:200000), denen der autosomal rezessive Erbgang, Manifestation bei Geburt (oft als Kollodiumbaby, s. u.), meist Fehlen assoziierter Systemzeichen und histologisch eine Proliferationshyperkeratose gemeinsam sind. Man unterscheidet: 4 erythrodermatische Formen (kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie); schwerer Verlauf, die Erythrodermie ist manchmal nur milde ausgeprägt 4 nichterythrodermatische Formen (lamelläre Ichthyose); häufiger Ätiologie und Pathogenese. Bei ca. einem Drittel der Patienten liegt eine Mutation im Transglutaminase-1Gen vor. Folge: defekte Quervernetzung von Involucrin im »cornified envelope« der Hornzellen. Weitere Mutationen betreffen den Lipoxygenase-Signalweg (12R-LOX, eLOX3, Ichtyin), die Lipidtransportproteine ATP-binding cassette (ABC-A1 und ABC-A12) u. a. m. Eine genaue Korrelation zwischen den einzelnen Mutationen und dem klinischen Bild ist noch nicht etabliert. Symptomatik. Die nichterythrodermatische Form präsentiert sich mit grob- und großlamellöser, schmutzigbrauner Schuppung (spontane Besserung möglich) (. Tab. 8.2, . Abb. 8.4); die erythrodermatische mit universeller Rötung und feinerer, weißlich-hellbrauner Schuppung (. Abb. 8.5). Die Gelenksbeugen sind befallen, Lippen und Schleimhäute frei. Handflächen
. Tab. 8.2. Klinische Manifestationen der 3 häufigsten Ichthyosen Ichthyosis vulgaris
X-chromosomal rezessive Ichthyose
Autosomal-rezessive Ichthyosen
Beginn >3 Monate
Beginn bei Geburt möglich
Beginn bei Geburt
Schuppung feinlamellös (»Hobelspäne«)
Schuppung großlamellös (»Krokodilleder«)
1. groß-lamellös, dunkel 2. fein-lamellös, Erythrodermie
Palmoplantarflächen: Hyperlinearität (»I-Hand«)
Palmoplantarflächen: weitgehend frei
Palmoplantarflächen: schwielige Hyperkeratosen
Große Beugen ausgespart
Große Beugen variabel, Nackenbeteiligung prominent
Große Beugen betroffen
Atopische Disposition, Lichen pilaris
Hornhauttrübungen
Wachstumsrückstand
343 8.2 · Erbliche Verhornungsstörungen
8
Mögliche assoziierte Symptome. Wachstumsrück-
stand (Proteinverlust!), bei der erythrodermatischen Form auch geistiger Entwicklungsrückstand, verkürzte Lebensspanne, Hypogonadismus, selten Spastizität. Hypohidrose (Verstopfung der Ausführungsgänge der Schweißdrüsen durch Hornmaterial), Neigung zu Hyperpyrexie.
. Abb. 8.4. Lamelläre Ichthyose. Baumrindenartige, grobe, schmutzig grau-braune Hyperkeratose
Weitere autosomal-rezessive Ichthyosen Maximalvariante ist die Harlekin-Ichthyose: plattenartige Hornpanzer schon bei Geburt (stets Frühgeburt! – Beeinträchtigung der Atmung), massives Ektropium und Eklabium. Früher innerhalb weniger Wochen letal, heute manchmal überlebensfähig; dann Übergang in eine schwere erythrodermatische Ichthyose. Ursache . Tab. 8.1. Das Netherton-Syndrom tritt bei Geburt als kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie auf und entwickelt später zusätzlich bizarre, girlandenförmige Läsionen mit doppeltem Schuppensaum (Ichthyosis linearis circumflexa). Assoziierte Symptome: Trichorrhexis invaginata (Bambushaare) (7 Kap. 10.3), Atopie (klinische Zeichen atopischer Dermatitis, hohes IgE, Eosinophilie), Immundefizienz (z. B. exzessiver Befall mit Viruswarzen), Gedeihstörung. Ursache . Tab. 8.1. Epidermolytische Ichthyose (Synonym Kongenitale bullöse ichthyosiforme Erythrodermie Brocq) Epidemiologie. Eine seltene (ca. 1:300 000), schwere, autosomal dominante Ichthyose. Manifestation bei Geburt mit Erythrodermie und Blasenbildung (Bild des »verbrühten Kindes«), später Übergang in ichthyosiformen Phänotyp. Perioden von disseminierten Erosionen sind während des ganzen Lebens möglich; oft spontane Besserung.
. Abb. 8.5. Kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie. Dieses einige Tage alte Neugeborene zeigt eine Erythrodermie und universelle groblamellöse Schuppung
und Fußsohlen sind schwielig verdickt (manchmal massiv und schmerzhaft), Nageldystrophie. Die Haut neigt zu Fissuren (Folge: häufig Pyodermien – Sepsisgefahr). Die chronische Entzündung führt zu Narben (periorifiziell, vernarbende Alopezien, manchmal Kontrakturen der Extremitäten). Ektropion ist ein regelmäßiges und wichtiges Zeichen (Komplikationen: Lagophthalmus, Hornhautschäden). Hypotrichie mit Verlust von Augenbrauen und Wimpern. Histologie: Akanthose, Hyperkeratose, Str. granulosum vorhanden.
Ätiologie und Pathogenese. Mutationen im Keratin
1- oder Keratin 10-Gen (Keratine der differenzierenden Epidermis). Die epidermolytische Ichthyose ist auf molekularer Ebene ein Gegenstück zur Epidermolysis bullosa simplex (Mutationen in den basalen KeratinGenen 5 und 14, 7 Kap. 8.3). Symptomatik, Diagnostik. Groblamellöse Schuppung
und bandartige verruköse bis stachelige Hyperkeratosen (palmoplantar, Gelenkbeugen!). Das Hornmaterial ist dunkelbraun und übelriechend (Bakterienbesiedlung), Nageldystrophie. Histologie: Akanthose, vakuolisierende Degeneration des oberen Str. spinosum (diagnostisch – pränatale Diagnostik!), klumpiges Keratohyalin, Orthohyperkeratose. Assoziierte Symptome: Hautinfekte, Wachstumsrückstand.
344
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
3Weitere ichthyosiforme Krankheitsbilder mit Mutationen in Keratin-Genen Die sehr seltene, der epidermolytischen Ichthyose ähnliche Ichthyosis bullosa Siemens beruht auf Mutationen des Typ-IIKeratins 2e. Das epidermolytische palmoplantare Keratoderm ist ein analoger Zustand, bei dem das regionsspezifische Keratin 9 (ein Typ I Keratin) mutiert ist (die klinischen Veränderungen betreffen daher nur die Handflächen und Fußsohlen, 7 Kap. 8.2.2). Postzygotische Mutationen der Keratine 1 oder 10 manifestieren sich als epidermolytischer Nävus (7 Kap. 9).
8
Syndromische Ichthyosen Hierunter versteht man Ichthyosen, die mit weiteren charakteristischen Symptomen der Haut oder innerer Organe einhergehen. Da assoziierte Symptome auch bei den bisher genannten Ichthyosen vorkommen, ist die Grenzziehung etwas willkürlich. Die Zahl der klinischen Bilder ist groß (für Details s. die oben genannte Internetseite OMIM). Neurologische Symptomatik: 4 Sjögren-Larsson-Syndrom: klinisch eine kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie, zusätzlich Spastizität, Di- oder Quadriplegie, Epilepsie, geistige Retardierung, Makuladegeneration. Hohe Prävalenz in Schweden, Ursache . Tab. 8.1. 4 Refsum-Syndrom: eine autosomal dominante Lipidspeicherkrankheit (Abbaudefekt der Phytansäure – eine pflanzliche Fettsäure, . Tab. 8.1), klinisch wie Ichthyosis vulgaris, zusätzlich Retinitis pigmentosa, Nachtblindheit, periphere Polyneuritis, zerebelläre Ataxie, Taubheit. 4 Chanarin-Dorfman-Syndrom (Neutralfettspeicherkrankheit): ähnlich der lamellären Ichthyose, zusätzlich Ataxie, Nystagmus, Taubheit. Ursache . Tab. 8.1. 4 Keratitis-Ichthyosis-Deafness (KID) Syndrom: eine Ichthyose mit charakteristischer papillärer Hauttextur und Erythrodermie, daneben die namensgebende Trias. Ursache . Tab. 8.1. Knochenveränderungen finden sich beim X-chromosomal-dominanten CHILD-Syndrom (»congenital hemidysplasia with ichthyosiform erythroderma and limb defects«): eine streng halbseitige Ichthyose mit Hypoplasie der betroffenen Körperhälfte und Fehlbildungen innerer Organe; Ursache . Tab. 8.1, und bei der X-chromosmal-dominanten Chondrodysplasia punctata (Conradi-Hünermann-Happle-Syndrom): erythematöse, ichthyosiforme Läsionen in den Blaschko-Linien sowie punktierte Verkalkungen der Knochen. Ursache . Tab. 8.1. Komplexe extrakutane Symptome neben einer erythrodermischen Ichthyose zeigt die Trichothiodys-
trophie (Tay-Syndrom, 7 Kap. 8.6.1): Minderwuchs, geistige Retardation, Infektanfälligkeit, Hypogonadismus, Photosensitivität, Progerie, daneben brüchige Haare und Nägel (reduzierter Schwefelgehalt). Ursache: ein Gendefekt der Helikasen. Bizarr konfigurierte, rasch wechselnde Erytheme neben ichthyosiformen Veränderungen und diffusem palmoplantaren Keratoderm sind die Zeichen der Erythrokeratodermia variabilis (Mendes da Costa). Ursache: Gendefekt in den Connexinen 30 und 31. Kongenitale Manifestation von Ichthyosen Bei kongenitaler Manifestation (. Übersicht) kann das Neugeborene vollständig von einer durchsichtigen, pergamentähnlichen Membran eingehüllt sein (»Kollodiumbaby«), die einige Tage post partum spontan einreißt und sich ablöst. In anderen Fällen besteht bei Geburt eine kongenitale, generalisierte Erythrodermie (. Abb. 8.5); erst nach Wochen kristallisiert sich sukzessive der adulte Phänotyp der vorliegenden Ichthyose heraus. Kollodiummembran und kongenitale Erythrodermie können überlappen. Ca. 50% der Kollodiumbabies gehen in eine autosomal rezessive Ichthyose vom lamellären Typ über, die restlichen in andere Ichthyoseformen. Selten kann sich auch eine normale Haut entwickeln.
Kongenitale Manifestationen der Ichthyosen 4 Dominierendes Symptom: Kollodiummembran – Harlekin-Ichthyose – Autosomal rezessive Ichthyose (insbesondere bei Tranglutaminasemangel) – X-chromosomal rezessive Ichthyose – Morbus Gaucher – X-chromosomale anhidrotische ektodermale Dysplasie – »Selbstheilendes« Kollodiumbaby 4 Dominierendes Symptom: Erythrodermie – Kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie – Epidermolytische Hyperkeratose (mit Erosionen) – Netherton-Syndrom – Trichothiodystrophie – Sjögren-Larsson-Syndrom – Conradi-Hünermann-Happle-Syndrom – Chanarin-Dorfman-Syndrom – KID-Syndrom
Differenzialdiagnose bei kongenitaler Erythrodermie (außer Ichthyosen). Erythrodermatische Psoriasis, Sta-
phylococcal scalded skin syndrome, Generalierte Mastozytose, Zink-, Biotinmangel.
345 8.2 · Erbliche Verhornungsstörungen
Management und Diagnostik der Ichthyosen Diagnostik Die gezielte Diagnostik wird gewöhnlich erst nach Herausbilden des Phänotyps bzw. Genanalysen möglich, doch sind einzelne Befunde bei Ichthyosen diagnostisch: 4 Leere bzw. vorzeitig sezernierte »Odland-Körperchen« in der Elektronenmikroskopie (HarlekinIchthyose bzw. Netherton-Syndrom) 4 Tigerstreifung der Haare im Polarisationsmikroskop (Trichthiodystrophie) 4 Lipidtröpfchen in Leukozyten im Blutausstrich (Chanarin-Dorfman-Syndrom) 4 Schollige Keratohyalinkörner im Str. granulosum bei epidermolytischer Hyperkeratose Biopsien anderer Ichthyosen sind meist nur bedingt hilfreich. Bei Ichthyosis vulgaris z. B. findet sich die charakteristische Verminderung das Str. granulosum (ca. 50%). Biopsien werden zunehmend von Genanalysen abgelöst. Therapie Postpartal muss der Flüssigkeitshaushalt sorgfältig balanciert werden. Die bis zu 15-fach erhöhte transepidermale Wasserabdunstung bedingt einen um ca. 20% höheren Energiebedarf: Gefahr der hyponatriämischen Dehydratation und Entwicklungsverzögerung. Inkubator mit hoher Luftfeuchtigkeit! Prävention von Infekten (defekte Barriere!): desinfizierende Bäder, Minimierung der Infektionswege (z. B. periphere Verweilkatheter, Blutabnahmen). Prophylaktische Antibiotika sind nicht erforderlich, regelmäßige Abstriche jedoch sinnvoll. Augenkontrollen (Ektropion, Konjunktivitis, Keratitis, Retinitis pigmentosa), Schmerztherapie. Rückfettende Pflege sollte erst nach den ersten Lebenswochen einsetzen (führt postpartal zu erhöhten Infektionsraten). Im Erwachsenenalter ist bei schweren Ichthyosen das antikeratinisierende Retinoid Acitretin indiziert. Dieses wirkt manchmal dramatisch (z. B. bei lamellärer Ichthyose) und kann eine nahezu normale Beschaffenheit der Haut herstellen, muss allerdings dauernd eingenommen werden. C A V E
Bei Ichthyosen mit entzündlicher Komponente kann Acitretin zur Exazerbation führen (Netherton-Syndrom).
Eine kausale Behandlung ist derzeit – ohne Gentherapie – nicht verfügbar (Ausnahme: Phytansäure-freie Diät bei der Refsum-Krankheit). Symptomatisch genügen bei milderen Ichthyosen Lokalmaßnahmen (Reinigung, Keratolyse, Rückfettung). Geeignet sind
8
»rückfettende« Bäder, nach dem 1. Lebensjahr topisch Urea (5–10%), Milchsäure (3–10%), u. a. Salizylhaltige Salben sollten vermieden oder nicht großflächig angewendet werden (Gefahr systemischer Toxizität). Bei manchen Ichthyosen sind regelmäßige desinfizierende Bäder indiziert (z. B. mit Polyvidon-Jod). Entzündliche Ichthyosen sprechen auf topische Kortikosteroide und Calcineurininhibitoren an (Netherton-Syndrom, Ichthyosis vulgaris mit atopischer Komponente); wegen der gestörten Barriere ist allerdings Vorsicht geboten. 3Pseudoichthyosen sind akquirierte, Ichthyosis vulgarisähnliche Zustände, die sich aus ursprünglich normaler Haut entwickeln. Typische Konstellationen für solche Umwandlungen sind: Alter (Xerosis cutis), Marasmus, Hypothyreoidismus, Neoplasien (Lymphome!); seltener Störungen des Fettmetabolismus (essenzielle Fettsäuredefizienz) und Medikamente (Chemotherapien, Lipidsenker).
8.2.2 Hereditäre Palmoplantare
Keratoderme (HPPK; Synonym hereditäre Palmoplantarkeratosen) Definition, Epidemiologie, Ätiologie HPPK sind eine nicht seltene heterogene Gruppe von Genodermatosen, denen eine überschießende diffuse oder fokale Hornproduktion an Handflächen und Fußsohlen gemeinsam ist. Manche HPPK sind mit systemischen Symptomen assoziiert. Die Prävalenz schwankt geografisch stark (z. B. 5:10 000 in Indien und 1:200 in Schweden). Die ca. 20 verschiedenen Formen (. Tab. 8.3) unterscheiden sich nach Gendefekt, klinischem Bild und assoziierter Symptomatik. Morphologisch unterscheidet man diffuse und fokale (punktierte, papulöse bzw. striäre) Formen. Erstere sind relativ häufig mit anderen Symptomen assoziiert und begleiten auch viele Ichthyosen; letztere sind fast stets isoliert. Teil der klinischen Beurteilung ist, ob die Keratodermie über die Palmoplantarflächen hinausgreift (Transgredienz) und in ihrer Intensität zunimmt (Progredienz). Krankheitsbilder Diffuse hereditäre palmoplantare Keratoderme Epidermolytisches HPPK (Vörner). Selten, im deutschsprachigen Raum jedoch die häufigste Form der diffusen HPPK; die Prävalenz wird vermutlich unterschätzt. Autosomal dominant, Manifestationsalter: erste Lebensmonate. Symptomatik: Handflächen und Fußsohlen sind durch dicke schwielige, glatte Hornplatten verdickt, die seitlich an den Hand- bzw. Fußrändern und den Fingerseiten scharf mit einem roten Randsaum abschneiden (. Abb. 8.6). Hyperhidrose. Subjektiv we-
346
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
. Tab. 8.3. Hereditäre palmoplantare Keratoderme (Auswahl) Krankheit (Eponym)
Transgredienz/ Progredienz
Hyperkeratosen (Ellenbogen, Knie)
Gen
Assoziierte Symptome
Vererbungsmodus
Unna-Thost
±/–
(+)
Keratin 1, 9, 16
–
autosomaldominant
Vörner
–/–
(+)
Keratin 1, 9, 16
–
autosomaldominant
Mal de Meleda
+/+
+
SLURP-1 («secreted LY6/UPAR-related protein”)
Hyperhidrose, Brachydaktylie, Nagelanomalien, periorales Erythem
autosomalrezessiv
Papillon-Lefèvre
+/–
+
Cathepsin C
Gingivitis, Kalzifikationen des Plexus chorioideus, Vitiligo, Onychogryphose, evtl. Arachnodaktylie, Akroosteolysen
autosomalrezessiv
Pachyonychia congenita
+/+
–
Typ I: Keratin 6, 16 Typ II: Keratin 17
s. Text
autosomaldominant
Vohwinkel
+*/–
+
2 Defekte: 1. Connexin 26 2. Loricrin
1. HPPK mit Einschnürungen der Fingerglieder (Pseudo-Ainhum), Innenohrschwerhörigkeit 2. HPPK mit Einschnürungen der Fingerendglieder, generalisierte Ichthyose
autosomaldominant
Howell-Evans (Tylosis und Ösophaguskarzinom)
–/–
–
unbekannt (TOC Region)
Leukoplakien der Mundschleimhaut, Ösophaguskarzinom
autosomaldominant
Huriez
+/–
–
unbekannt
Plattenepithelkarzinome in HPPK. Gastrointestinale Tumore
autosomaldominant
Richner-Hanhart **
–/–
(+)
Tyrosinaminotransferase (TAT)
Minderwuchs, Oligophrenie, Hornhautdystrophie, Lichtscheu, Tyrosinämie
autosomalrezessiv
Naegeli-FranceschettiJadassohn***
+/–
–
unbekannt
Retikulierte Hyperpigmentierung, Hypohidrose, Zahnanomalien
autosomaldominant
Hidrotische ektodermale Dysplasie (Clouston) **
+/–
–
Connexin 30
Haar- und Nagelveränderungen
autosomaldominant
Dyskeratosis congenita (ZinsserCole-Engman) **
+/–
–
Dyskerin
Nageldystrophie, Leukoplakie, Knochenmarksdepression
X-chromosomal rezessiv
Rapp-Hodgkin **
+/–
–
p73
Ektodermale Dysplasie, Lippenkiefergaumenspalte
autosomaldominant
–/–
–
unbekannt, Keratin 16?
s. Text
autosomaldominant
Brünauer-FuhsSiemens
–/–
–
Desmoglein 1, Desmoplakin, Keratin 1
–
autosomaldominant
Naxos Syndrom ***
–/–
+
Desmoglein 1, Desmoplakin
generalisierte striäre Keratosen, »Wollhaar«, Kardiomyopathie
autosomalrezessiv
Diffuse HPPK
8
Papulöse HPPK Buschke-FischerBrauer Striäre HPPL
* Charakteristisches Honig-Wabenmuster der Hyperkeratosen (an Hörtestung denken!) ** Auch fokale Formen beschrieben *** Auch diffuse Formen beschrieben
347 8.2 · Erbliche Verhornungsstörungen
. Abb. 8.6. Epidermolytische Palmoplantarkeratose (Typ Vörner). Bei diesem Patienten kam es nach 3-wöchiger Acitretin-Behandlung zur Ablösung der hyperkeratotischen Sohlenhaut in einem Stück
8
. Abb. 8.7. Fokales palmoplantares Keratoderm in massiver Ausprägung
nig Beschwerden, bei Belastung Neigung zu Erosionen. Verlauf stationär. Histologie: Epidermolytische Hyperkeratose. Ursache . Tab. 8.3.
visorisch. Oftmals liegen Keratindefekte vor, gelegentlich desmosomale Mutationen. Klinisch werden folgende Formen unterschieden:
Nicht-Epidermolytische HPPK (Unna-Thost). Diese ist
Keratosis palmoplantaris papulosa (Buschke-FischerBrauer). Eine relativ häufige (vermutlich heterogene)
dem Typ Vörner klinisch ähnlich (außer einer Neigung zur Transgredienz und fehlender Vulnerabilität), zeigt histologisch jedoch keine epidermolytische Hyperkeratose. Ursache: Gleichfalls Mutationen in den KeratinGenen 1, 9 oder 16 (hypothetisch anderer Domänen als beim Typ Vörner). Das HPPK Unna-Thost ist nicht allseits als Entität anerkannt; es bestehen möglicherweise Überlappungen mit dem Typ Vörner und der Pachyonychia congenita. Pachyonychia congenita. Eine autosomal dominante
flächige HPPK mit Neigung zu plantaren Erosionen. Hyperkeratotische Läsionen an Ellbögen und Knien, follikuläre Keratosen, Onychogryphose, Leukoplakien von Mundhöhle, Larynx und Trachea (Heiserkeit), Haaranomalien, manchmal geistige Retardierung. Typischer Befund: Vorhandensein der Zähne schon bei Geburt. Ursache . Tab. 8.3. 3Das Symptom der schon bei Geburt vorhandenen Zähne tritt noch bei anderen Fehlbildungssyndromen sowie sporadisch bei Gesunden auf (berühmte Beispiele: Ludwig XIV., Richard III., Hannibal, Richelieu).
Fokale hereditäre palmoplantare Keratoderme Die Aufklärung der genetischen Ursachen der papulösen HPPK steht noch aus, die Klassifikation bleibt pro-
Gruppe autosomal-dominanter Krankheitsbilder. Manifestationsalter: zwischen 20. und 40. Lebensjahr. Symptomatik (. Abb. 8.7): Multiple, harte warzenähnliche Keratosen unterschiedlicher Größe. Die Läsionen zeigen Progredienz (Zunahme und Vergrößerung der Läsionen), greifen jedoch niemals über die Fuß- bzw. Handkanten hinaus. Die Behinderung für den Betroffenen ist anfangs gering, im weiteren Verlauf oft erheblich (Gehen erschwert). Mehrere Kandidaten-Genloci, darunter Keratin 16. Differenzialdiagnose: Plantare Warzen, Clavi, Arsenkeratosen. Keratosis palmoplantaris striata (Brünauer-Fuhs-Siemens). Eine autosomal-dominante, im 2. Lebensjahr-
zehnt beginnende HPPK mit streifenförmigen Keratosen von Handflächen und Fußsohlen mit lineärer Ausbreitung auf Finger- und Zehen-Beugeseiten. Ursache . Tab. 8.3. ! Es ist ratsam, Patienten mit HPPK sorgfältig zu untersuchen, insbesondere auf Veränderungen der Finger, Nägel, Haare, Zahnfleisch, bei diffusen Palmoplantarkeratosen der Mundschleimhaut (Leukoplakien – Pachyonychia congenita, Dyskeratosis congenita) und des Öso6
348
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
phagus (Karzinom – Howel-Evans) zu achten. Liegen striäre Veränderungen vor, ist eine Kardiomyopathie auszuschließen (Naxos-Syndrom). Liegt ein HonigWabenmuster vor (Vohwinkel), sollte eine Hörtestung erfolgen.
Differenzialdiagnose der HPPK Erworbene Palmoplantarkeratosen, . Übersicht.
Erworbene (akquirierte) Palmoplantarkeratosen (Auswahl)
8
4 Diffus: – Psoriasis – Tylotisches Ekzem – Hypertrophe Tinea pedis – Diffuse Tylose, Kallus (mechanisch, bei Übergewicht) – Scabies norvegica – Sezary-Syndrom 4 Fokal: – Arsenkeratosen – Umschriebene Tylose; Clavus – Keratoderma blenorrhagicum (Morbus Reiter) – Paraneoplastisches Keratoderm – Clavi syphilitici (Lues II) – Tuberculosis verrucosa cutis – Verruköses Karzinom – Viruswarzen
durch Verlust der Heterozygotie, ausgelöst durch Immunsuppression, UV, Röntgen-Bestrahlung u. a. Symptomatik, Diagnostik. Porokeratosen bestehen
aus einzelnen oder multiplen runden Herden mit wallartigem Rand und eingesunkenem Zentrum, die sich langsam peripher vergrößern und nicht spontan abheilen. Die sehr seltene »klassische« Porokeratose Mibelli beginnt in der Kindheit, besitzt nur wenige große Herde (Zentimeter) meist an den Extremitäten. Die disseminierte aktinische Porokeratose setzt erst im Erwachsenenalter ein, ist auf die sonnenbestrahlten Regionen begrenzt und besteht aus multiplen kleinen Läsionen. Die lineäre Porokeratose ist entlang der Blaschko-Linien verteilt. Histologie: Die kornoide Lamelle ist eine die gesamte Hornschicht durchsetzende dünne Säule von Parakeratose, die in einer grübchenartigen Vertiefung der Epidermis steckt (»in der Haut steckende Artischocke«) – der progrediente Randsaum der Läsion. Im Zentrum Atrophie, Entzündung. Differenzialdiagnose. Aktinische Keratosen, Granu-
loma anulare. Therapie. 5-FU, Exzision, Kryo- oder Lasertherapie.
8.2.4 Hereditäre follikuläre Verhornungs-
störungen (Keratosis follicularisGruppe) Definition. Eine heterogene Gruppe von Verhornungs-
Therapie der HPPK Mechanische Hornentfernung, Keratolytika, Acitretin (beim epidermolytischen HPPK wegen Verstärkung der Erosionsneigung wenig nützlich). 8.2.3 Porokeratosen Definition. Eine Gruppe autosomal-dominanter Ge-
nodermatosen, die durch klinisch typische atrophe Hautherde mit wallartiger Begrenzung und histologisch durch die kornoide Lamelle (s. u.) gekennzeichnet sind. In den Herden ist die Inzidenz von Basaliomen und Plattenepithelkarzinomen erhöht (ca. 10%). Epidemiologie und Ätiologie. Alle klinische Varianten sind selten, am relativ häufigsten die aktinischen Porokeratosen. Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Der Gendefekt ist unbekannt. Hypothetische Ursache: Entstehung eines Keratinozytenklons mit gestörter Verhornung bei entsprechend disponierten Individuen
störungen des Haarfollikel-Infundibulums, denen klinisch die Ausbildung follikulärer Hornpfröpfe gemeinsam ist. Man unterscheidet: 4 »gewöhnliche« Formen der Keratosis pilaris 4 die Gruppe der »atrophisierenden« Keratosis follicularis; hier kommt es zu Haarverlust Follikuläre Hornpfröpfe sind ein sehr häufiger Befund: sie können Begleitsymptom von Genodermatosen (Ichthyosis vulgaris, Erythrokeratodermien) oder ein Reaktionsmuster bei verschiedenen Krankheiten sein: u. a. Acne vulgaris, Hormonstörungen (Hyperthyreoidismus, Hyperkortizismus), Vitamin-A-Defizienz. Beim Lichen pilaris sind sie eine Anomalie sui generis. Lichen pilaris Definition, Epidemiologie. Dieser ist ein harmloser,
wegen seiner Prävalenz von knapp 50% fast »normaler« Zustand, der mit dispositionell trockener Haut und Atopieneigung assoziiert und vielleicht eine forme fruste der Ichthyosis vulgaris ist. Auftreten im Klein-
349 8.2 · Erbliche Verhornungsstörungen
8
Augenbrauen, Schläfen und manchmal Wangen. Erbgang wahrscheinlich autosomal dominant, Assoziation mit dem Noonan-Syndrom. Atrophodermia vermiculata. Diese ist durch symmetrische, akneähnliche (jedoch keine Komedonen!) Veränderungen an Gesicht und Wangen mit typischen bienenwabenartigen Narben und tiefen Einziehungen gekennzeichnet. Auftreten meist sporadisch. Keratosis follicularis spinulosa decalvans Siemens.
. Abb. 8.8. Lichen pilaris. Follikuläre hyperkeratotische Papeln
kindesalter, ab der Adoleszenz oft weitgehende Rückbildung. Eine seltenere Variante ist der Lichen spinulosus (spitzkegelige follikuläre Keratosen). Symptomatik. In (fast) allen Haarfollikeln stecken kleine, hautfarbene, subjektiv symptomlose, raue Hornpfröpfe, die leicht aushebelbar sind und der Haut eine körnige Oberfläche verleihen; oft sind die erweiterten Follikelöffnungen von einem erythematösen Hof umgeben (. Abb. 8.8). Stärkste Ausprägung an den Streckseiten der Extremitäten, schwächer glutäal, an Stamm und Gesicht. Therapie. Falls erwünscht, keratolytische Salben.
Atrophisierende Keratosis pilaris Eine heterogene Gruppe seltener Zustände, die einerseits durch generalisierte Keratosis pilaris, zusätzlich jedoch durch follikuläre Entzündung und Follikelatrophie vorwiegend im Gesicht gekennzeichnet ist. Es resultieren ein irreversibler Haarverlust und klaffende Follikelöffnungen – »wurmstichiges Aussehen«. Krankheitsbeginn in Kindheit, meist spontaner Stillstand in der Adoleszenz (Atrophie bleibt erhalten). Häufig Assoziation mit Atopie. Genloci unbekannt. Ulerythema ophryogenes (Synonym Keratosis pilaris atrophicans faciei). Diese häufigste Form zeigt Ery-
them und (bleibenden) Haarverlust an den seitlichen
Diese sehr seltene Genodermatose ist die maximale Ausprägung der atrophisierenden Keratosis pilaris: die Haut ist diffus erythematös, vernarbende Alopezie des Capillitiums und der Gesichtshaut (Brauen und Wimpern), weniger der Körperhaut. Assoziiert: generalisierter Lichen pilaris, palmoplantares Keratoderm, Keratitis, Photophobie, Hornhauttrübungen. Erbmodus X-chromosomal-dominant; das Vollbild tritt daher bei Männern auf, weibliche Carrier sind nur milde betroffen. Therapie: Keratolytika, topische und systemische Retinoide (begrenzt wirksam). 8.2.5 Morbus Darier und Pemphigus
familiaris chronicus (Morbus HaileyHailey) Zwei in Gendefekt und histologischem Bild verwandte, autosomal-dominante Genodermatosen, die durch follikuläre und extrafollikuläre Hyperkeratosen (Morbus Darier) und »dyskeratotische Akantholyse« (beide Krankheiten) gekennzeichnet sind. Morbus Darier (Synonym Dyskeratosis follicularis) Epidemiologie. Eine relativ häufige Genodermatose (Prävalenz ca. 1:50 000), die sich in der Adoleszenz manifestiert und sehr variabel ausprägt sein kann. Ätiologie. Mutationen des ATP2A2-Gens (kodiert für
eine intrazytoplasmatische ATPase; diese Kalziumpumpe reguliert die Signaltransduktion bei Zell-ZellKontakten und die epidermale Differenzierung). Symptomatik, Diagnostik. Hautfarben-bräunliche, mäßig entzündliche, ca. hirsekorngroße, harte, keratotische follikuläre Papeln in dichter Aussaat, v. a. in den seborrhoischen Arealen (Gesicht, Kapillitium, Brust, Rücken) (. Abb. 8.9). Die Haut ist diffus gerötet und fühlt sich rau an (»Reibeisen-artig«). Tendenz zu langsamer Progredienz, häufig saisonale Schwankungen; im Sommer Exazerbationen durch UV-Licht, dabei auch oft erosive Läsionen.
350
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
lich ist. Sie setzt im jungen Erwachsenenalter ein, verläuft schubartig und persistiert zeitlebens. Ätiologie. Mutationen im Gen der intrazellulären
ATPase ATP2C1 (Kalziumpumpe, Pathomechanismen analog zu Morbus Darier). Symptomatik, Diagnostik. Chronisch-vegetierende
erosive, nur selten bullöse Läsionen vorwiegend in den intertriginösen Arealen (axillär, inguinal, Hals). Auslösende Faktoren: UV-Licht, Friktion, bakterielle Infektion, Schwitzen. Histologie: (Dyskeratotische) Akantholyse der gesamten Epidermis (d. h. nicht auf einzelne Straten beschränkt; »Explosionsbild«).
8
. Abb. 8.9. Morbus Darier. Am oberen Stamm aggregierte bräunlich-rote raue follikuläre Knötchen
Therapie. Antibiotika, topische Kortikosteroide, Calcineurininhibitoren, Dermabrasion (Reepithelisierung aus den nichtbetroffenen Follikeln).
! Der seltene hypertrophe Morbus Darier entwickelt fötide vegetierende Läsionen, v. a. an den Unterschenkeln. Neigung zur Superinfektion (Pyodermien, Herpes simplex).
Transiente akantholytische Dermatose (Morbus Grover) Symptomatik, Diagnostik. Eine erworbene, wahrscheinlich nicht seltene, benigne selbstlimitierte Dermatose unbekannter Ätiologie, die histologisch durch Akantholyse gekennzeichnet ist. Betrifft vorwiegend Männer der 2. Lebenshälfte; Auslösung oft durch UVExposition (Köbner-Phänomen). Die Krankheit ist vermutlich heterogen, ein Erbfaktor ist nicht erwiesen. Es handelt sich um ein papulokeratotisches-vesikulöses Exanthem, fast ausschließlich am oberen Rumpf. Auftreten plötzlich, Spontanheilung nach einigen Wochen, keine Allgemeinsymptome. Histologie: Akantholyse – meist dyskeratotisch, fallweise wie bei Pemphigus vulgaris/foliaceus.
Histologie: Orthohyperkeratose; fokale »dyskeratotische Akantholyse« mit Ausbildung unregelmäßiger Spalträume (Lakunen). ! »Dyskeratotische Akantholyse« bezeichnet die Koinzidenz von Akantholyse und dyskeratotischen Zellen. Sie findet sich auch beim »warty dyskeratoma« (seltener benigner Tumor mit Darier-artiger Histologie), bei der transienten akantholytischen Dermatose (s. u.) und beim dyskeratotischen akantholytischen Nävus (segmentaler Morbus Darier; durch postzygotische Mutation; Mosaizismus).
Assoziierte Symptome. Nageldystrophie (keilförmige
subunguale Hyperkeratose), multiple palmoplantare Auspunzungen, warzenähnliche Papeln an den Dorsalseiten der Akren, Leukoplakien der Mundschleimhaut (Gaumen: »Pflastersteinläsionen«). Häufig milde geistige Retardierung, Neigung zu affektiven Störungen, Anfallsgeschehen. Therapie. Antibakterielle Lokalmaßnahmen, topische (in schweren Fällen systemische) Retinoide. Dermabrasion kann zu langfristiger Remission führen.
Pemphigus familiaris chronicus (Synonym Morbus Hailey-Hailey) Definition. Eine seltene, autosomal dominante, bullöse Genodermatose (keine Immundermatose!), die dem Morbus Darier histologisch (aber nicht klinisch) ähn-
8.2.6 Hereditäre »ektodermale«
Fehlbildungssyndrome Eine Gruppe seltener Syndrome, denen Entwicklungsstörungen der Haut, der Hautadnexe und der Zähne gemeinsam sind. Manche sind mit Systemmanifestationen assoziiert. Die X-chromosomale anhidrotische (hypohidrotische) ektodermale Dysplasie ist durch Mutationen des Ectodysplasin (ein Ligand der TNF-Familie) verursacht. Symptomatik: Fehlen der Schweißdrüsen, Anhidrose oder Hypohidrose (Nachweis: Jod-Stärketest, Folge: Hyperpyrexie bei hoher Umgebungstemperatur), An- oder Oligoodontie, schütteres helles, seidiges Haar oder Atrichie; manchmal Minderwuchs, geistige Retardation u. a. Ein ähnliches (jedoch autosomal-rezessives) Krankheitsbild entsteht bei Mutationen
351 8.3 · Epidermolysis-bullosa-hereditaria-Gruppe
des Ectodysplasin-Rezeptors (Rolle bei der Induktion der Hautadnexe in der Embryonalzeit). Die autosomal-dominante hidrotische ektodermale Dysplasie ist durch Mutationen im Connexin 30-Gen bedingt und zeigt ein vergleichbares Bild, dazu palmpoplantare Keratoderme, Onychodystrophie und Hyperpigmentierung (über Gelenken). Differenzialdiagnose beider Formen: Dyskeratosis congenita (Zinsser-Cole-Engman-Syndrom), 7 Kap. 8.6.1. 8.3
Epidermolysis-bullosahereditaria-Gruppe
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Klassifikation. Diese erfolgt nach dem Sitz der Spaltbzw. Blasenbildung. Man unterscheidet 3 Hauptgruppen: 4 Epidermolysis bullosa hereditaria simplex (EBS): Spaltbildung epidermolytisch (Zytolyse von Keratinozyten) 4 Epidermolysis bullosa hereditaria junctionalis (EBJ): Spaltbildung junktional (in der Lamina lucida der Basalmembranzone) 4 Epidermolysis bullosa hereditaria dystrophicans (EBD): Spaltbildung dermolytisch (in der Dermis unterhalb der Lamina densa der Basalmembranzone) Ätiologie und Pathogenese. Folgende Strukturen bzw.
Definition. Ein Spektrum seltener monogener Erb-
krankheiten, bei denen der mechanische Zusammenhalt in der Basalmembranzone der Haut durch molekulare Defekte von Adhäsions- bzw. Strukturproteinen geschädigt ist, und bei denen daher schon geringe mechanische Traumen zur Entstehung von Blasen und Erosionen führen. Über 20 Formen solcher »mechanobullösen Dermatosen« sind bekannt, ihre kumulative Inzidenz wird auf 5:100 000 Geburten geschätzt. Das Spektrum reicht von milden bis zu schwersten, tödlich verlaufenden Formen; die einzelnen Vertreter unterscheiden sich in molekularem Defekt, Vererbungsmodus, klinischem Bild und assoziierter Symptomatik.
Strukturproteine können bei den Hauptformen der Epidermolysis bullosa hereditaria (EBH) durch Genmutationen betroffen sein (. Tab. 8.4): 4 die Keratinfilamente der basalen Keratinozyten – EBS 4 die Hemidesmosomen und deren Ankerfilamente (z. B. Strukturproteine Laminin 5 bzw. bullöses Pemphigoid-Antigen 2) – EBJ 4 die Ankerfibrillen (Typ-VII-Kollagen) – EBD Die Genmutationen führen zur Synthese fehlerhafter Strukturproteine, die bei den einzelnen Formen der EBH oft als morphologische Veränderungen der jeweiligen Struktur nachweisbar sind. Beispiele: Ver-
. Tab. 8.4. Epidermolysis bullosa hereditaria – Klassifikation Hauptgruppen
Subtypen (häufigste)
Erbgang
Strukturproteine (Produkte der Gene, in denen Mutationen nachgewiesen wurden)
Junktionale EB (EBJ)
EBJ-non-Herlitz
autosomal-rezessiv
EBJ-Pylorusatresie EBJ-Herlitz
autosomal-rezessiv autosomal-rezessiv
Laminin-5, EB-AG 180 (Typ-XVII-Kollagen) αbβ4 Integrin Laminin 5
EBS-Köbner EBS-Weber-Cockayne EBS-Dowling-Meara
autosomal-dominant autosomal-dominant autosomal-dominant; selten autosomal-rezessiv autosomal-dominant
K5, K14 K5, K14 K5, K14
autosomal-rezessiv autosomal-rezessiv; gelegentlich autosomal-dominant/autosomal-rezessiv-heterozygot autosomal-dominant
Typ-VII-Kollagen Typ-VII-Kollagen
EB simplex (EBS)
EBS-Muskeldystrophie Dystrophe EB (EBD)
EBD-Rezessiv-non-Hallopeau-Siemens EBD-Rezessiv-Hallopeau-Siemens
EBD-Dominant EB: Epidermolysis bullosa
Plektin
Typ-VII-Kollagen
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Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
klumpung der Keratinfilamente bei der EBS-DowlingMeara; Reduktion der Hemidesmosomen bei der EBJ; rudimentäres Vorkommen oder Fehlen von Ankerfibrillen bei der EBD. Bei den verschiedenen Subtypen der EBH hängt die klinische Ausprägung u. a. von der Lokalisation der Mutation am betroffenen Gen ab (Beispiel: 3 Typen der EBS beruhen auf Mutationen im Keratin 5- oder Keratin 14-Gen). Diagnostik und Therapie der EBH. Der Sitz der Spalt-
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bildung kann durch die Elektronenmikroskopie festgestellt werden, alternativ durch das »Antigen-Mapping« (7 Kap. 2.3.3). In Ermangelung einer kausalen Therapie (die somatische Gentherapie ist die einzige Zukunftshoffnung, vereinzelte Erfolgsberichte liegen bereits vor) spielen pflegerische Maßnahmen die Hauptrolle. Im Vordergrund stehen das »Wundmanagement«, eine adäquate Ernährung (Zahnpflege, Ösophagus-Bougierung, Gastrostomie) sowie die Infektionskontrolle. Epidermolysis-bullosa-simplex-Gruppe (EBS) Diese umfasst zumindest 4 Varianten, die alle durch vergleichsweise milden Verlauf, keinen Entwicklungsrückstand und Fehlen sekundärer Veränderungen (außer Milien) charakterisiert sind. Zugrunde liegen bei den Typen Köbner, Weber-Cockayne, DowlingMeara Mutationen der Keratin-Gene 5 oder 14; die dadurch gestörte Stabilität des Netzwerks der Keratinfilamente führt bei mechanischer Belastung zur Zytolyse der basalen Keratinozyten und zu intraepidermaler Blasenbildung. Die Blasen sind dünnwandig und heilen ohne Narben ab. Man unterscheidet akrale und generalisierte Formen. Die häufigste (und mildeste) EBH überhaupt ist die autosomal-dominante EBS-Typ Weber-Cockayne: sie ist durch verstärkte Neigung zu plantarer Blasenbildung bei forciertem Gehen gekennzeichnet. Manifestationsalter: Kindheit oder Jugendalter. Die Beeinträchtigung der Lebensführung ist gering. Die Typen Köbner und Dowling-Meara zeigen generalisierte Blasenbildung (bei letzterem von herpetiformem Charakter). Die Krankheitsaktivität ist in der Kindheit oft hoch, nimmt aber später ab. Der EBS mit Muskeldystrophie liegen Mutationen im Plektin-Gen zugrunde, wobei sich die Muskelerkrankung meist erst im 2.–3. Lebensjahrzehnt manifestiert. Epidermolysis-bullosa-junctionalis-Gruppe (EBJ) Den Varianten dieser Gruppe sind ein autosomal-rezessiver Erbgang, rudimentäre bzw. fehlende Hemidesmosomen und junktionale Spaltbildung gemeinsam; sie unterscheiden sich jedoch sehr im klinischen Bild und in der Prognose.
Typ Herlitz. Bei dieser Form löst sich die Epidermis großflächig schon während der Geburt ab; die Betroffenen sterben meist in den ersten Lebensjahren an Infektionen, respiratorischen Erkrankungen oder Auszehrung. Ursache: Mutationen des Laminin-5-Gens (Ankerfilamente der Hemidesmosomen). Epidermolysis bullosa non-Herlitz (Synonym Genera-
lisierte Atrophisierende Benigne Epidermolysis bullosa – GABEB). Diese Form ist nicht lebensbedrohlich, die körperliche und geistige Entwicklung meist normal. Die generalisierte Blasenbildung ist mit Entwicklungsstörungen wie Hautatrophie, atrophisierender Alopezie, Nageldystrophie, Zahndefekten und charakteristischen großen Pigmentnävi assoziiert. Häufig Besserung ab der Pubertät. Ursache: Mutationen im Gen des BPA2 (Typ XVII Kollagen) bzw. von Laminin 5. Epidermolysis bullosa junctionalis und Pylorusatresie.
Sehr selten. Die Pylorusatresie ist schon bei Geburt manifest. Ursache: Defekte des α6β4-Integrins. Epidermolysis-bullosa-dystrophicans-Gruppe (EBD) Diese Gruppe umfasst mehrere Untertypen mit verschiedenem Erbgang und Schweregrad. Ihre Gemeinsamkeit ist die narbige Abheilung der nach Minimaltraumen auftretenden Blasen (Grund: Sitz der Spaltbildung in der Dermis!). Folge: Ausbildung von Milien, Synechien, Syndaktylien, Mutilationen, Kontrakturen u. a. m. Beteiligung der Schleimhäute (Konjunktiven, Ösophagus, oberer Respirationstrakt), oft schwere Entwicklungsstörungen. Ursache: Mutationen im Gen des Kollagen Typ VII. Die aus diesem Strukturprotein aufgebauten Ankerfibrillen sind daher (ultrastrukturell) rudimentär angelegt oder nicht vorhanden. Typen Cockayne-Touraine und Pasini. Diese dominanten Formen der EBD sind von milderer Ausprägung. Die Blasenbildung kann generalisiert oder auf die Extremitäten beschränkt sein. Milde Mitbeteiligung der Mundschleimhaut. Typ Hallopeau-Siemens. Diese autosomal rezessive EBD ist die schwerste Manifestation der EB; sie geht mit Invalidität einher. Krankheitsbeginn ist bei Geburt. Das klinische Bild wird durch oft exzessive Ausbildung von Blasen, Erosionen und Narben bestimmt (. Abb. 8.10); Nikolski-Zeichen positiv! Prädilektionsstellen: Akren, Aufliegestellen, Mundschleimhaut. Die chronisch-rezidivierende Ablederung mit nachfolgender Reepithelisierung resultiert in eine atrophe, glänzende, äußerst vulnerable Haut. An Haut und Schleim-
353 8.4 · Hereditäre Bindegewebsdefekte
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ben die Betroffenen früh an Auszehrung und Infektionen. Falls das Erwachsenenalter erreicht wird, treten häufig aggressive, rasch metastasierende Plattenepithelkarzinome auf. 8.4
Hereditäre Bindegewebsdefekte
Diese heterogene Gruppe seltener Erbrankheiten beruht auf mangelhafter Synthese des kollagenen oder elastischen Bindegewebes und ist mit Haut- und oft schwerwiegenden Systemsymptomen assoziiert.
. Abb. 8.10. Epidermolysis bullosa hereditaria dystrophicans bei einem 12-jährigen Mädchen: ausgedehnte Erosionen und Narben am Rumpf
Ehlers-Danlos-Syndrom Definition. Eine Gruppe seltener hereditärer Störungen der Kollagensynthese, die durch qualitativ minderwertiges (und oft quantitativ reduziertes) Kollagen gekennzeichnet ist. Hauptsächliche klinische Symptome sind: Hyperextensibilität und Fragilität der Haut mit Neigung zu mechanisch-traumatischen Blutungen (Suffusionen), Hypermobilität der Gelenke und deren Komplikationen, Komplikationen der Wundheilung, und mechanische Insuffizienz tiefer und innerer Strukturen (große Gefäße, Herz, Darm, Uterus, Faszien). Epidemiologie. Prävalenz ca. 1:400 000, ca. 80% der Fälle gehören dem »klassischen« Typ an. Keine ethnische oder Geschlechtsprädilektion. Manifestationsalter: Kindheit. Ätiologie und Klassifikation. Zugrunde liegen entwe-
. Abb. 8.11. Epidermolysis bullosa hereditaria dystrophicans: »flossenartige« Syndaktylien, Hautatrophie
häuten besteht eine starke Tendenz zur Bildung von Synechien bzw. zum Verwachsen aneinander liegender Wundflächen, insbesondere an Fingern und Zehen: Syndaktylien bzw. Einscheidung der Akren in eine »Pergamenthülle« mit Beugekontrakturen (. Abb. 8.11). Cave: eine chirurgische Trennung ist nur auf beschränkte Zeit erfolgreich, es folgen stets Rezidive! Schwere Mundschleimhautbeteiligung führt zu Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, Dystrophie, Wachstumsrückstand, Anämie. Häufige Komplikation: Ösophagusstrikturen, schwere Zahndefekte. Die Prognose ist nur in milden Fällen quoad vitam gut; oft ster-
der Strukturdefekte oder fehlerhafte Prozessierung der Prokollagenketten bzw. mangelnde Quervernetzung. Die derzeit gültige Villefranche-Klassifikation unterscheidet 6 Typen (. Tab. 8.5). Die Vererbung ist autosomal-dominant, seltener autosomal-rezessiv. Die Typen unterscheiden sich erheblich im Schweregrad, aber auch in der Art der Symptome (bei manchen fehlt z. B. die typische Dehnbarkeit der Haut). Eine klinische Zuordnung ist oft schwierig. Symptomatik. Bei den meisten Typen ist die Haut samtig weich, dünn, leicht verschieblich und abnorm dehnbar (. Abb. 8.12). Nach Loslassen aufgehobener Hautfalten kehrt die Haut (wie ein Gummiband) wieder in die Ausgangslage zurück. Weiters ist die Haut fragil (am gravierendsten beim DermatosparaxisTyp): beim Nähen von Hautwunden schneidet der Faden häufig durch, Narben tendieren zum »Fließen«. Auch nach geringen Traumen entstehen über mechanisch belasteten Stellen (Knie!) »zigarettenpapierartig« atrophe Narben (typischer Befund beim klassischen Typ, . Abb. 8.13). Daneben »molluskoide« Pseudotu-
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Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
. Tab. 8.5. Villefranche-Klassifikation des Ehlers-Danlos-Syndroms Typ, Vererbungsmodus
Frühere Klassifikation (Typ)
Gendefekt
Klassischer Typ, AD
I, II
Kollagen V, selten auch Kollagen I, Tenascin. Mutationen können in nur ca. 50% nachgewiesen werden, weitere Genedefekte sind wahrscheinlich
Hypermobiler Typ, AD
III
unbekannt
Vaskulärer Typ, AD
IV
Kollagen III
Kyphoskoliose Typ, AR
VI
Lysyl-Hydroxylase
Arthrochalasie Typ, AD
VIIA, VIIIB
Kollagen I
Dermatosparaxis Typ, AR
VIIC
Prokollagen I-N-Peptidase
AD: autosomal-dominant, AR: autosomal-rezessiv
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moren (Hernien muzinös degenerierten Fettgewebes), und mechanisch bedingte Hautblutungen (Fragilität der Hautgefäße – exzessiv beim vaskulären Typ). Histologie. Reduktion und gestörte Architektur der Kollagenfaserbündel.
Typisch ist ferner die Hypermobilität der Gelenke: Durchstrecken von Ellenbogen und Knien über 180°, Fähigkeit zu akrobatischen Körperverrenkungen (Finger auf den Handrücken durchstrecken, Hand nach oben und unten auf den Unterarm klappen, mit der Zungenspitze die Nase berühren etc.). Folge der Hypermobilität sind häufige Verstauchungen und Luxationen sowie frühzeitiges Auftreten schwerer Osteoarthritis. Assoziierte Symptome. Knochenstellungsanomalien
(Skoliose, Senkfuß), Hüftluxation. Folge der Weichteilextensibilität und -fragilität sind Hernien, Varizen, Darm- und Blasendivertikel, Analprolaps, Sehnen- und Muskelrisse, Netzhautablösung etc. Komplikationen: Mitralklappenprolaps, Aortenaneurysma, Ruptur großer Gefäße (Arteriographie riskant!), gastrointestinale Perforation. Geburtskomplikationen seitens Mutter (z. B. Uterusruptur) und Kind sind häufig (Frühgeburten!). Seltene Symptome sind Muskelhypotonie, Entwicklungsrückstand und diffuse Muskel- und Gelenksschmerzen. . Abb. 8.12. Ehlers-Danlos-Syndrom: Hyperextensibilität der Haut
Diagnostik und Differenzialdiagose. Histologie, Elektronenmikroskopie, genetische Tests. Zu unterscheiden sind andere hereditäre Kollagensynthesestörungen (Marfan-Syndrom, Osteogenesis imperfecta u.a.); diese zeigen nur milde Hautveränderungen.
Pseudoxanthoma elasticum Definition. Ein erbliches, mit einer Prävalenz von 1:10 000 nicht seltenes degeneratives Syndrom der elastischen Fasern. Manifestationsalter 2. Lebensjahrzehnt oder später. Man unterscheidet einen autosomal-rezessiven und einen autosomal-dominanten Haupttyp, daneben je einen Varianttyp. . Abb. 8.13. Ehlers-Danlos-Syndrom: Charakteristisch gefältelte atrophe Narben an mechanisch eyponierten Stellen
Ätiologie. Der zugrunde liegende Defekt liegt – zumindest bei den Haupttypen – in Mutationen des
355 8.4 · Hereditäre Bindegewebsdefekte
APCC6-Gens (kodiert für ein Membrantransportprotein, das besonders hoch in Leber, Niere, Haut, Retina und Gefäßen exprimiert ist). Vermutlich führt der Stoffwechseldefekt erst sekundär zu den Veränderungen der elastischen Fasern; die ersten histologischen Veränderungen sind Kalk-Inkrustationen. Die beiden Haupttypen sind klinisch identisch, die Varianten milder ausgeprägt (Augen- und Gefäßbefall fehlen weitgehend). C A V E
Pseudoxanthoma-elasticum-artige Hautveränderungen können auch nach Behandlung mit D-Penicillamin auftreten (beeinträchtigt die Quervernetzung).
Symptomatik. Typisch sind xanthomähnliche gelb-
liche, zu pflastersteinartigen, weichen Plaques konfluierende Papeln (. Abb. 8.14). Sie ähneln der aktinischen Elastose, sind allerdings größer, zahlreicher und anders lokalisiert: an Beuge- und intertriginösen Arealen und Hals, manchmal auch an der Wangen- (ähnlich großen ektopen Talgdrüsen!), Genital- und Rektumschleimhaut. Die betroffene Haut ist schlaff und faltig. Gelegentlich Elastosis perforans serpiginosa. Histologie: Fragmentierte, kalzifizierte Massen elastischer Fasern in der tiefen Dermis. 3Elastosis perforans serpiginosa ist Ausdruck der transdermalen Elimination elastotischen Materials: serpiginös aggregierte warzige, genabelte, zentral erosive Knötchen vorwiegend an Nacken und Schultern. Vorkommen bei Pseudoxanthoma elasticum, Ehlers-Danlos- und Down-Syndrom sowie idiopathisch.
Assoziierte Symptome. Kyphoskoliose, Verkalkung der Falx cerebri. Diagnostisch sind die »angioid streaks«
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am Augenhintergrund (Einrisse der elastikareichen Bruch-Membran, die in Verlauf und Kaliber Blutgefäßen ähnlich sehen). Entstehung: Zug der Augenmuskel. Komplikationen: Netzhautblutung, -ablösung, Makuladegeneration. Gefäßbefall. Durch Mediaverkalkung Blutungen (be-
sonders in ZNS und Gastrointestinaltrakt, häufige Todesursache!) und Ischämien (Angina pectoris, bei Befall der Nierenarterien Hypertonie). Typisches Symptom: Pulslosigkeit der Extremitäten, Claudicatio. Mitralklappenprolaps. Cutis laxa (Synonym Generalisierte Elastolyse) Definition. Eine heterogene Gruppe von seltenen hereditären Synthesestörungen der elastischen Fasern, denen klinisch eine zu groß erscheinende, lose Haut und Symptome innerer Organe gemeinsam sind. Klassifikation und Ätiologie. Zumindest 3 Untergrup-
pen (autosomal-dominant, autosomal-rezessiv und X-chromosomal-rezessiv) sind bekannt. Die erstere verläuft (fast) ohne Systemmanifestationen und ist vorwiegend ein kosmetisches Problem; sie beruht auf Mutationen des Elastin- oder des Fibulin-5-Gens. Die beiden letzteren zeigen oft schweren Organbefall und beruhen auf Mutationen der Lysyloxidase (Quervernetzung des Elastins) bzw. einer kupfertransportierenden ATPase (selbes Gen wie beim Menkes-Syndrom; wahrscheinlich sekundäre Synthesestörung der Cu-haltigen Lysyloxidase). 3Cutis-laxa-ähnliche Bilder finden sich noch bei einer Reihe anderer Fehlbildungssyndrome, u. a. den autosomal rezessiven Costello- und »wrinkly-skin«-Syndromen.
Symptomatik. Die Krankheit ist meist schon bei Ge-
burt vorhanden und verläuft progressiv. Die Haut erscheint insgesamt zu groß, hängt besonders an Stellen mit ohnehin lockerer Texturierung sackartig herab (Augenlider, Wangen) (. Abb. 8.15). Im Unterschied zum Ehlers-Danlos-Syndrom bleibt jedoch eine aufgehobene Hautfalte lange Zeit bestehen. Die Haut ist nicht vulnerabel, schlechte Wundheilung fehlt. Histologie: Elastische Fasern vermindert und unregelmäßig geformt.
. Abb. 8.14. Pseudoxanthoma elasticum. Elastosis cutis-ähnliche Plaques in typischer Lokalisation (Hals, oberer Stamm)
Assoziierte Symptome. Tiefe Stimme (zu lange Stimmbänder), Hernien und Divertikel von Gastrointestinaltrakt und Blase, mit entsprechenden Komplikationen. Lockere Gelenke, Hüftluxation, später Fontanellenschluss; arterielle Aneurysmen, Aortendilatation. Bedeutsam ist ferner ein progressives Lungenemphysem, Rechtsherz.
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Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
atroph eingesunkene bzw. (bei seitlichem Druck) sich hernienartig vorstülpende Hautareale. Symptomatik. Man unterscheidet die idiopathische (Schwenninger-Buzzi) und die postinflammatorische Anetodermie (Jadassohn-Pellizari). Bei beiden finden sich konfettigroße, schubartig auftretende Anetodermieherde bevorzugt am Rumpf, die bei der ersteren de novo, bei der letzteren nach urtikariellen, evtl. bullösen Initialstadien auftreten. Histologie: Fragmentation, Rarefikation und Phagozytose der elastischen Fasern der gesamten Dermis, Entzündungszeichen. Kollagenfasern unbefallen. . Abb. 8.15. Cutis laxa. Hängende faltige Haut bei einem Säugling
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Bei der X-chromosomalen Form vermindertes Coeruloplasmin und Serum-Kupfer. Der Cutis laxa ähnliche Zustandsbilder Blepharochalasis Das Symptom der (einseitig oder beidseitig) herabhängenden Oberlider. Dieses ist ein Teilsymptom der Cutis laxa, kann aber auch als isolierte Form derselben auftreten (autosomal-dominant). Häufiger ist jedoch die erworbene Blepharochalasis: eine wahrscheinlich autoimmunlogische Entzündungsreaktion mit Elastolyse (rezidivierende Schwellungen, IgA-Ablagerungen um elastische Fasern). Differenzialdiagnose: dispositionell lockere Oberlidhaut (Pseudoepikanthus), Hypothyreose, familiäre systemische Amyloidose, Orbitatumoren etc. Therapie: Reduktionsplastik. Erworbene Elastolysen Systemische erworbene Elastolyse (Synonym Cutis laxa acquisita)
Ein lebensbedrohliches, seltenes, der hereditären Cutis laxa ähnliches Krankheitsbild unbekannter Ursache. Auftreten häufig nach fieberhafter Vorkrankheit oder D-Penicillamin-Therapie, bei Lupus erythematodes, Myelom, systemischer Amyloidose etc. Keine wirksame Therapie bekannt. Eine wichtige Differenzialdiagnose ist die elastolytische Mycosis fungoides (»granulomatous slack skin«).
Differenzialdiagnose. Initialstadium: Urtikaria, Insektenstiche, papulöse Muzinose. Atrophes Stadium: Neurofibrome, Fettgewebshernie, Kortikosteroidatrophie. Zahlreiche weitere (entzündliche) Prozesse der Dermis führen zu umschriebener Elastolyse und kommen daher im weiteren Sinn in Differenzialdiagnose: Lichtalterung, Syphilide, Lupus vulgaris, Lichen sclerosus, Morphäa. Therapie. Unbefriedigend. 3Eine eigene Verlaufsform ist die »mid-dermal« Elastolysis: Sie ist durch großflächige, scharfbegrenzte Herde mit feiner Fältelung gekennzeichnet, meistens am Rumpf bei jüngeren Frauen; auch hier kommen entzündliche und nichtentzündliche Formen vor. Histologisch Elastikadegeneration in der mittleren Dermis.
8.4.1 Hereditäre Mukopolysaccharidosen Eine Gruppe seltener lysosomaler Speicherkrankheiten, die auf hereditärer Defizienz verschiedener, den Abbau von Mukopolysacchariden mediierender lysosomaler Enzyme beruhen und zu progressiven Multisystemschäden führen. Bei keinem der ca. 10 bisher bekannten Syndrome finden sich wesentliche Hautsymptome. 8.5
Erbliche neurokutane Syndrome
Eine Gruppe von erblichen Fehlbildungssyndromen, die durch Läsionen sowohl der Haut als auch des zentralen und/oder peripheren Nervensystems gekennzeichnet sind (früher »Phakomatosen«).
Umschriebene erworbene Elastolysen (Synonym Anetodermien) Definition. Eine Gruppe seltener, gutartiger Dermato-
8.5.1 Neurofibromatosen
sen unbekannter Ätiologie, die durch exanthematische rundliche Herde von Elastolyse gekennzeichnet sind:
Definition. Autosomal-dominant erbliche Multisystem-Fehlbildungssyndrome, die durch multifokale
357 8.5 · Erbliche neurokutane Syndrome
8
. Abb. 8.17. Neufibromatose Typ I. Café-au-lait-Flecken . Abb. 8.16. Segmentales Neurofibrom der linken unteren Extremität bei einem neugeborenen Mädchen
Proliferation von aus der Neuralleiste abstammenden Zellen (Schwann-, Gliazellen, Melanozyten) gekennzeichnet sind. Leitläsion ist das Neurofibrom (7 Kap. 9). Bei den Haupttypen ist die Lebenserwartung etwas reduziert, u. a. wegen der Neigung zu Neoplasien. Klassifikation. Man unterscheidet: 4 die Neurofibromatose I (NF 1, Typ Recklinghausen) 4 die Neurofibromatose II (NF 2; zentraler Typ)
Mischformen kommen vor (Typen III und IV). Die seltene segmentale Neurofibromatose (Typ V, . Abb. 8.16) ist eine somatische Mutation. Besonders bei NF I ist der Phänotyp variabel; abortive Erscheinungsbilder (formes frustes) sind häufig.
Café-au-lait-Flecken (. Abb. 8.17) sind einige Zenti-
meter große, scharf und unregelmäßig begrenzte, über den Körper regellos verteilte homogen kaffeebraune Pigmentherde. Obwohl isoliert auch bei Normalpersonen vorkommend, sind sie ein wichtiges diagnostisches Zeichen: 6 oder mehr dieser Läsionen sind bei Kleinkindern ein nahezu sicheres Indiz einer künftigen Neurofibromatose. Histologie: Vermehrung von Melanozyten (keine Nävuszellnester!). Differenzialdiagnose: Nävus spilus (7 Kap. 9). Eine andere bei NF I häufige, diagnostisch wichtige Pigmentstörung sind disseminierte ephelidenartige Lentigines am Rumpf (Axillen!). Neurofibrome treten als kutane, subkutane oder plexiforme Varianten in Erscheinung (. Abb. 8.18). In ausgeprägten Fällen ist die gesamte Haut von Hunderten kutaner Neurofibrome verschiedener Größe (Millimeter bis Zentimeter) übersät. Sie liegen teils unter der Oberfläche (bei seitlicher Betrachtung als hügelige Un-
Epidemiologie und Ätiologie. NF I hat eine Prävalenz
von 1:3500 und ist gering androtrop. Ursache: Mutationen im NFI-Gen, ein Tumorsuppressorgen, das für Neurofibromin kodiert (reguliert ras-Onkogen ab). Spontanmutationen sind häufig (50%). Neurofibrome leiten sich aus Schwann-Zellen ab, in denen durch »loss of heterozygosity« auch das vorher gesunde NFI-Allel inaktiviert wurde. Die Prävalenz der NF II ist ca. 1:40 000, Ursache: Mutationen im NF II-Gen, ein Tumorsuppressorgen, das für Schwannomin kodiert (reguliert Signaltranskution). Neurofibromatose I Diese ist durch 2 kutane Leitsymptome geprägt: Neurofibrome und Café-au-lait-Flecken. Erstere entwickeln sich gewöhnlich erst während der Kindheit und vermehren sich dann progressiv mit Zenith im mittleren Erwachsenenalter; letztere sind schon bei oder kurz nach der Geburt vorhanden.
. Abb. 8.18. Neufibromatose Typ I. Multiple halbkugelige kutane Neurofibrome
358
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
Diagnostik und Therapie. Der (meist leichten) klinischen Diagnose muss eine Untersuchung auf Systembeteiligung folgen. Exzision von Neurofibromen ist nur angezeigt, wenn schwerwiegende kosmetische Gründe, neurologische Symptome oder Verdacht auf maligne Entartung bestehen (schnelles Wachstum der Läsion!). Die Exzision zieht den Funktionsausfall des betroffenen Nerven nach sich.
. Abb. 8.19. Lisch-Knötchen der Iris bei Neurofibromatose. Lisch-Knötchen ähneln klinisch den (häufigen) Pigmentnävi der Iris. Die Unterscheidung erfolgt mit der Spaltlampe (LischKnötchen sind erhaben, Nävi flach)
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ebenheiten erkennbar), andere bauchen die Haut kalottenförmig oder kugelig aus und können sogar gestielt sein. Alle sind rund, weich, in die Tiefe dislozierbar (Knopflochphänomen) und hautfarben bzw. leicht rötlich. Große Neurofibrome haben eine schlaffe Konsistenz und können lappig oder sackartig herunterhängen (»Skrotum ohne Testikel«). Gelegentlich entstehen große, oft schürzenartige Läsionen (»Wammen«). Tiefe (subkutane, plexiforme) Neurofibrome sind als derbe, schmerzhafte Verdickungen von peripheren Nerven tastbar. Sie führen zu diffusen Anschwellungen und können Extremitäten(teile) oder Gesichtspartien zu unförmigen Massen umwandeln; durch begleitende Hypertrophie von Knochen und Bindegewebe kann das Bild der »Elephantiasis« entstehen. Assoziierte extrakutane Symptome: 4 Augen. In fast 100% der Fälle vorhanden und daher
diagnostisch sehr wichtig sind die (harmlosen) Lisch-Knötchen (. Abb. 8.19): mehrere runde gelbe bis braune scharf begrenzte Flecken der Iris (Differentialdiagnose: Nävi – Spaltlampe!). Gliome des N. opticus sind selten (fast stets bei Kindern <5 Jahren). 4 Knochen. Minderwuchs, Skoliose (20%), Makrozephalie, partielle Knochenhypertrophie, Knochenzysten und Pseudarthrosen (Tibia). 4 ZNS. Häufig sind Neurofibrome und Schwannome der zervikalen und lumbalen Nervenwurzeln (nicht der Hirnnerven!), Minderbegabung (bis 30%) und Epilepsie (durch Gliaheterotopie), gelegentlich Tumoren des Rückenmarks, selten Pubertas praecox. 4 Mit NF I assoziierte maligne Tumoren sind maligne Schwannome (de novo oder durch maligne Degeneration präexistenter Neurofibrome; ca. 5% der Fälle), maligne Gliome des N. opticus, Ependymome, Wilms-Tumor, Phäochromozytome, Retinoblastom, Rhabdomyosarkom.
Neurofibromatose II Bei dieser finden sich wenige oder keine der typischen Hautläsionen der NF I; auch Lisch-Knötchen fehlen. Leitsymptom sind bilaterale Akustikus-Neurinome (korrekter: Vestibularis-Schwannome, da sie vom vestibulären Anteil des VIII. Gehirnnerven ausgehen), die mit einer Penetranz von über 95% meist im jungen Erwachsenenalter auftreten. Symptome sind zunächst Hörverlust und Gleichgewichtsstörungen, später Hirndruckzeichen, zentrale Fazialisparese und zerebelläre Symptome. Bei fast 50 % findet sich eine juvenile Katarakt. Assoziierte Tumoren sind Meningeome, Ependymome des Rückenmarks und Gliome. 8.5.2 Tuberöse Hirnsklerose (Synonym
Morbus Bourneville-Pringle) Definition. Ein autosomal-dominantes heterogenes
neurokutanes Multisystem-Fehlbildungssyndrom mit der Trias von mentaler Retardierung, Epilepsie und Angiofibromen des Gesichts. Die Phänotypen sind sehr variabel, »formes frustes« häufig. Epidemiologie. Relativ selten – Prävalenz 1/10 000, keine Geschlechtsprädilektion. Zwei Typen werden unterschieden: TSC I (Mutationen im Hamartin-Gen) und TSC II (im Tuberin-Gen). Hamartin und Tuberin sind Proteine, die (nach wechselweiser Interaktion) wachstumshemmend wirken. Neumutationen sind häufig (>50%). Symptomatik. Morbus Pringle ist durch multiple tumorartige Bildungen vorwiegend im ZNS und an der Haut charakterisiert. Es handelt sich nicht um Neoplasien, sondern um Hamartome von Fibroblasten, Glia- und Neuroblasten. Die Läsionen im ZNS ähneln Gliomen (knotige »Sklerosen«; kortikale und subendymale verkalkte Knoten), die der Haut Fibromen. Daneben kommen auch echte Neoplasien vor: Retinagliome, Rhabdomyome des Herzens, Angiomyolipome der Nieren, Riesenzellastrozytome des ZNS.
359 8.5 · Erbliche neurokutane Syndrome
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. Abb. 8.21. Morbus Pringle. Angiofibrome
. Abb. 8.20. Morbus Pringle. Eschenlaubflecken und ausgedehnte Hypopigmentation im Woodlicht
Verlauf. Bei Geburt sind die Kinder meist normal, erst
im Lauf der ersten Lebensjahre treten physischer und geistiger Entwicklungsrückstand, Epilepsie (80%), Verhaltensstörungen (Hyperkinese, Autismus, Aggressivität, Psychosen) und schließlich ein individuelles Spektrum neurologischer Symptome ein, die durch den Sitz der gegebenen Hirnherde bestimmt werden. Hautsymptome. Schon bei Geburt vorhanden sind die wenig auffälligen, aber hoch charakteristischen »Eschenlaubflecke« (. Abb. 8.20): einige Zentimeter große, oft zahlreiche hypomelanotische Flecken (partieller Melaninverlust). Einzelne solche Flecken kommen gelegentlich auch bei Gesunden vor, 4 oder 5 bedeuten jedoch die Diagnose eines Morbus Pringle. 3Blätter der Esche haben eine charakteristische Form: sie besitzen ein rundes und ein zugespitztes Ende. Eschenlaubflecke können durch Wood-Licht besser sichtbar gemacht werden: eine wichtige Untersuchung bei abortiven Fällen (genetische Beratung!).
Erst in der Kindheit oder Pubertät entsteht das Adenoma sebaceum (. Abb. 8.21): multiple kleine rötliche Angiofibrome in den zentralen Gesichtspartien (Differentialdiagnose: Akne vulgaris). Weitere Hautsymptome sind die Chagrinflecken (umschriebene Plaques von lederartigem Aussehen – hautfarben bis bräunlich, grobtexturiert; sie beruhen auf fokaler Kollagenverdichtung wie bei Bindegewebsnävi, . Abb. 8.22) und die Koenen-Tumoren (fibromähnliche Knoten an den
. Abb. 8.22. Morbus Pringle. Chagrinläsion
distalen Fingergliedern und subungual; gewöhnlich erst ab der Pubertät). Diagnostik. Der (meist leichten) klinischen Diagnose
muss eine Untersuchung auf Systembeteiligung (ZNS) folgen. Therapie. Symptomatisch. Adenoma sebaceum: Laserbehandlung.
8.5.3 Neurokutane Angiomatosen Diese Krankheitsgruppe wird traditionell den erblichen neurokutanen Fehlbildungssyndromen zugeordnet, obwohl sie das ZNS entweder fast ausschließlich (von Hippel-Lindau-Syndrom) oder kaum (Klippel-Trenau-
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Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
nay-Syndrom) betreffen oder fast immer sporadisch auftreten (Sturge-Weber-Syndrom). von Hippel-Lindau-Syndrom (Synonym retinozerebelläres Hämangioblastom) Ein autosomal-dominantes Syndrom, das durch kapilläre Angiome des Kleinhirns, der Retina (ein- oder beidseitig) und seltener durch teleangiektatische Angiome der Haut (meist okzipital) charakterisiert ist. Symptome: erhöhter Hirndruck, zerebelläre Symptomatik, Netzhautblutungen und -ablösung. Ursache: Mutation des VHL (von Hippel-Lindau)-Gens. Dieses Tumorsuppressorgen kodiert ein den VEGF abregulierendes Protein. Das Syndrom ist mit Hypernephrom, Nieren- und Pankreaszysten und Polyglobulie assoziiert.
Im Bereich des Naevus flammeus treten manchmal plattenartig-knotige, schwarzbraun-bläuliche entzündliche Läsionen auf, die histologisch einem Kaposi-Sarkom ähnlich sind (Pseudo-Kaposi-Sarkom). Zusätzlich können sich kongenitale, meist mehrfache arteriovenöse Anastomosen finden, die bei günstiger Lage chirurgisch ausschaltbar sind. Das so erweiterte Syndrom wird als Parkes-Weber-Syndrom bezeichnet. ! Die kongenitalen arteriovenösen Kurzschlüsse haben ernste Folgen: die Peripherie (Akren) ist mangelhaft durchblutet (Gefahr der Gangrän), das Herz auf Dauer überlastet (Rechtsherzinsuffizienz).
8.6
8
Sturge-Weber-Syndrom Dieses Syndrom (Synonym kraniofaziale Angiomatose mit zerebraler Verkalkung) umfasst einen meist ausgedehnten Naevus flammeus im Versorgungsbereich des N. ophthalmicus, Angiome der Konjunktiva, im Auge (Buphthalmos, Glaukom, Blindheit) und ZNS. Häufigste ZNS-Symptome sind spastische Hemiparese kontralateral zum Hautbefall, Hemianopsie, unilaterale oder fokale Epilepsie und geistige Retardierung (>50%). Familiäre Häufung ist nur episodisch beschrieben, der Gendefekt ist unbekannt. C A V E
Naevi flammei des Gesichts sind ein bei Normalpersonen häufiger Befund, zerebrale Beteiligung im Sinn des Sturge-Weber-Syndroms jedoch selten.
Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko
Eine heterogene Gruppe von seltenen bis sehr seltenen Erbkrankheiten, denen eine erhöhte Inzidenz maligner Tumoren der Haut (und oft auch innerer Organe) gemeinsam sind. Betroffen sind verschiedene Bestandteile der Multiproteinkomplexe, die die Reparatur von DNA-Schäden sicherstellen: Transkriptionsfaktoren, Kofaktoren der Ubiquitinierung, Signaltransduktionsproteine, Helicasen und Polymerasen. Viele sind zusätzlich durch progressive Degeneration von Organfunktionen (»frühzeitiges Altern«), verringerte Lebenserwartung, UV-Empfindlichkeit, Immundefizienz und neurologische Störungen gekennzeichnet. 8.6.1 Erbkrankheiten mit defekter
Klippel-Trenaunay-Syndrom Ein meist sporadisch auftretendes Syndrom, das durch Mutation des VG5Q-Gens (kodiert für einen angiogenetischen Faktor) verursacht wird. Es setzt sich aus einem unilateralen, die gesamte Extremität (meist Bein) umfassenden Nävus flammeus, einer »primären« (ohne vorangehende tiefe Thrombose auftretende) Varikose und Riesenwuchs der betroffenen Extremität zusammen. Letzterer tritt erst im Schulalter oder noch später in Erscheinung. Folgen: Beckenschiefstand, Fehlhaltungen der Wirbelsäule mit orthopädischen Konsequenzen, Hinken. Häufig sind auch die Muskulatur, seltener Meningen und Spinalmark von analogen Venenkonvoluten durchsetzt (neurologische Symptomatik). C A V E
Die Varizen dürfen nicht durch Verödung ausgeschaltet werden, da die tiefen Venen meist gleichfalls defekt sind und die oberflächlichen Venen daher notwendige Abflusswege darstellen.
DNA-Reparation oder chromosomaler Instabilität Xeroderma pigmentosum Definition. Eine Gruppe seltener autosomal-rezessiver Krankheiten, die durch Defekte der DNA-Reparation nach UV-Schäden verursacht werden. Sie sind durch hohe UV-Empfindlichkeit und hohe Neigung zu Hauttumoren gekennzeichnet (ca. 2000-faches Risiko). Epidemiologie. Xeroderma pigmentosum kommt weltweit vor, die Inzidenz ist ca. 1/25 000 Lebendgeborenen (höhere Inzidenzen in Japan und mediterranen Ländern). Ätiologie und Klassifikation. Man unterscheidet zu-
mindest 7 Komplementationstypen (XPA bis XPG) und eine XP-»Variante« (XPV). Erstere sind durch Defekte der DNA-Exzision, die letztere durch solche der DNA-Replikation bedingt. Die Defekte sind global,
361 8.6 · Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko
d. h. sie betreffen sämtliche (auch nicht transkribierte) Gene. Die Inzidenz der Typen ist (auch regional) verschieden, der häufigste ist XPA, gefolgt von XPC und XPV (zusammen >90% der Fälle). Schwere und klinische Ausprägung der Typen ist verschieden (XPA hat z. B. die geringste Repairaktivität und die schwersten Hautschäden, XPC bildet besonders häufig Melanome, XPD hat die schwersten neurologischen Veränderungen). 3Komplementationstypen: ein Test zur Feststellung, ob Gendefekte bei ähnlichem Phänotyp identisch oder unterschiedlich sind. Fusioniert man Zellen von Patienten, gleichen sich verschiedene Gendefekte aus, identische jedoch nicht.
Symptomatik. Schon im Kleinkindesalter wird die
UV-Empfindlichkeit durch schwere Sonnenbrände bei minimaler Sonnenexposition manifest. Innerhalb einiger Jahre entsteht an den exponierten Arealen ein chronischer Lichtschaden: Epheliden, Lentigines und fleckige Hypopigmentierung, Teleangiektasien und trockene Haut (keine aktinische Elastose!) (. Abb. 8.23). Ab dem Schulkindalter treten zahlreiche aktinische Keratosen und Plattenepithelkarzinome auf (auch Basaliome und Melanome). Auch die Inzidenz von Neoplas-
8
men der Mundschleimhaut und innerer Organe ist erhöht (ZNS, inneres Genitale, Gastrointestinaltrakt, Leukämien). Assoziiert sind ophthalmologische (Photophobie, Konjunktivitis, Keratitis, Pannusbildung) und neurologische Symptome. Letztere sind mit 40% relativ häufig und reichen von milden Zeichen (z. B. Hyporeflexie) bis zur Maximalform, dem DeSanctis-Cacchione-Syndrom: Wachstumsrückstand, Ataxie, Athetose, Spastizität, schweres Intelligenzdefizit, Epilepsie u. a. m. (Ursache: axonale Degeneration). Therapie und Prognose. Die Lebenserwartung ist vorwiegend durch die Neoplasien stark reduziert. Erforderlich ist lebenslanger strenger Lichtschutz (Haut und Augen), Vermeidung von potenziellen Karzinogenen (Rauchen, Zytostatika, Psoralene, Nitrofurantoin und Chlorpromazin). Verabreichung von Retinoiden führt langfristig zur verminderten Inzidenz der Hauttumoren. In Erprobung: topische Gentherapie.
Cockayne-Syndrom Definition. Ein seltenes, autosomal-rezessives degeneratives Erbleiden, das durch Minderwuchs, Taubheit, frühzeitiges Altern (Progerie) und Symptome ähnlich dem Xeroderma pigmentosum gekennzeichnet ist, jedoch kein erhöhtes Tumorrisiko birgt. Ätiologie und Klassifikation. Man unterscheidet
. Abb. 8.23. Xeroderma pigmentosum (Variante). Diese 49-jährige Frau ist seit Geburt sehr sonnenempfindlich, entwickelte schon als Kind einen schweren UV-Schaden (beachte diffuses Erythem und scheckige Hyperpigmentierung) und später mehrere Dutzend Keratoakanthome und Plattenepithelkarzinome der lichtexponierten Haut. Nach unzähligen chirurgischen Eingriffen wurde fast das ganze Gesicht mit freien Transplantaten rekonstruiert (Beachte: Die transplantierte Haut ist glatt und homogen – sie stammt vom nichtlichtexponierten Oberschenkel). Die Rekonstruktion der Nase (beachte die Verstümmelung) erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt
2 Komplementationstypen (CSA, CSB). Beide werden durch Defekte des »Transcription-coupled Repair« verursacht: dieser stellt bei (UV)-Schädigung gerade aktiv transkribierender DNA sicher, dass Mutationen nicht in mRNA umgesetzt werden. Dies geschieht durch Ubiquitinierung der RNA-Polymerase II (d. h. Bindung an Ubiquitin zwecks Markierung für den intrazellulären Abbau). Der Gendefekt beim CockayneSyndrom betrifft Proteine, die die Ubiquitinierung vermitteln, hat also keine globale, genomweite Wirkung. Warum das Cockayne-Syndrom kein erhöhtes Risiko der Karzinogenese, sondern vorwiegend neurodegenerative Veränderungen zeigt, ist unklar. Kultivierte Zellen zeigen jedenfalls eine ähnliche UV-induzierte Hypermutabilität wie bei Xeroderma pigmentosum. Symptomatik. Beginn meist im Säuglingsalter: Gedeihstörungen, Mikrozephalie, Verlust des subkutanen Fetts (»Vogelgesicht«), multiple Skelett- und Zahnanomalien, Hepatosplenomegalie. Hautsymptome: Lichtempfindlichkeit, scheckige Hyperpigmentierung. Neurologische Symptome: Hördefizit, Polyneuropathie, Hirnatrophie, progressive neurologische (Kalzifikation
362
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
der Basalganglien) und intellektuelle Beeinträchtigung, Retinitis pigmentosa. Das Vollbild ist meist mit 2 Jahren erreicht; beim schwerer verlaufenden Typ CSB erfolgt der Tod vor dem 10. Lebensjahr. Trichothiodystrophie (Synonym Tay-Syndrom) Diese autosomal rezessive ichthyosiforme Erythrodermie (7 Kap. 8.2.1) ist ein heterogenes Zustandsbild, das mit Defekten teils der XPD- und XPB-Gene (Helikasen), teils des »Transcription-coupled Repair« assoziiert ist. Abgesehen von der Haut-Symptomatik ist es dem Cockayne-Syndrom ähnlich. Kein erhöhtes Karzinomrisiko.
8
Werner-, Bloom- und Rothmund-ThomsonSyndrome Definition. Drei eng verwandte autosomal-rezessive Erbsyndrome mit dem gemeinsamen Symptommuster: Progerie, UV-Empfindlichkeit, UV-induzierte Erytheme, hohe Tumorneigung und chromosomale Instabilität. Werner-Syndrom Ätiologie und Epidemiologie. Mutation im RecQL2-
Gen (RecQ-Helikasen haben mehrere Funktionen bei der DNA-Replikation, u. a. die Eliminierung fehlerhafter DNA-Rekombinationen). Relativ selten (Prävalenz 1:100 000). Symptomatik. Dominierende Zeichen sind die des vorzeitigen Alterns: Aspekt des Gesichts, frühzeitiges Ergrauen, Alopezie, Minderwuchs, frühzeitige Arteriosklerose und Osteoporose, juvenile Katarakt, erhöhte Hyaluronsäureausscheidung. Das Fettgewebe ist atroph (charakteristische Fazies mit vorspringender Nase – Vogelgesicht, (. Abb. 8.24), die Haut ist trocken, scheckig hyperpigmentiert und gerötet (Poikilodermie). Gesicht und Akren sind sklerodermieähnlich verdichtet. Häufig sind trophische Unterschenkelgeschwüre (typischer Vorstellungsgrund!). Multiple endokrinologische Störungen (Diabetes, Hypogonadismus), charakteristische hohe, schwache Stimme (Atrophie der Stimmbänder). Malignitäten in 10–15%: Sarkome, Meningeom, Schilddrüsenkarzinom, selten Melanom und Hautkarzinome. Lebenserwartung reduziert. Diagnostik. Labor: Kultivierte Zellen zeigen Chromo-
somenbrüche (Translokationen, Deletionen). Typisches Merkmal ist die verkürzte Lebensspanne von Kulturzellen (Verringerung der maximal möglichen Zahl von Zellgenerationen – replikative Seneszenz). Bloom- und Rothmund-Thomson-Syndrome. Seltene
ähnliche Zustandsbilder, die durch Gedeih- und Ent-
. Abb. 8.24. Werner-Syndrom. Der 47-jährige Patient zeigt Zeichen des frühzeitigen Alterns (schüttere graue Haare, dünne gefurchte Haut), Atrophie und Fettschwund des Gesichts (»Vogelnase«; »Tabaksbeutelmund«), scheckige Hyperpigmentierung. Vorstellungsgrund waren Ulcera cruris bei Pseudosklerodermie der Unterschenkel. Beachte: Die Veränderungen des Ohrs sind verletzungsbedingt
wicklungsstörungen. hohe Photosensitivität (bullöse Sonnenbrände, LE-ähnliche Hautzeichen, »kongenitale Poikilodermie«), Immundefizienz und hohe Inzidenz maligner Tumoren (innere Organe, Haut und Schleimhaut) gekennzeichnet sind. Lebenserwartung stark reduziert. Ätiologie: Mutationen des RecQL3- bzw. RecQL4-Gens. Ataxia teleangiectatica (Synonym Louis-BarSyndrom) Definition. Eine nicht sehr seltene (Prävalenz 1:30 000) autosomal-rezessive Erbkrankheit, die durch charakteristische Hautzeichen, neurologische Symptome, Immundefizienz und hohe Inzidenz von Tumoren (Lymphome, Tumoren innerer Organe) gekennzeichnet ist. Ätiologie. Mutation des ATM-Gens aus der Familie
der Phosphatidylinositol-3-Kinasen (eliminiert Schäden an Proteinen der DNA-Reparatur und der Zellzyklus-Regulation – p53). Kultivierte Zellen zeigen spontane Chromosomenbrüche und -translokationen, gehäuft in Genen der Immunglobulinsuperfamilie und des T-Zell-Rezeptors. Symptomatik. Krankheitsbeginn im 1.–2. Jahr: Myo-
klonien, dysarthrische Sprache, progressive zerebelläre Ataxie – um die Pubertät ist meist ein Rollstuhl erforderlich. Die Hautsymptome treten um das 5. Lebens-
363 8.6 · Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko
8
thalmie), Fehlbildungen (Skelett, Nieren, Genitale, Auge, Ohr, ZNS). Störungen der Hämatopoese (Anämie, Leukopenie, Thrombopenie) treten bis zum 10. Jahr ein und führen zum Knochenmarksversagen. 3- bis 4-fach erhöhte Inzidenz von Leukämien und solider innerer Tumoren. Diagnostik. Labor: Chromosomenanomalien (Brüche,
Translokationen etc.). Diepoxybutan-Test: Lymphozyten bilden bei Inkubation mit diesem Crosslinker Chromosomenbrüche aus (pränatale Diagnostik!). . Abb. 8.25. Ataxia teleangiectatica bei einem 5-jährigen Mädchen. Beachte die überlangen Augenwimpern und die Teleangiektasien der Conjunctiva bulbi
Therapie. Knochenmarkstransplantation (möglichst frühzeitig, da bei Panzytopenie die Komplikationen der konditionierenden Therapie hoch sind).
jahr auf: auffallende Teleangiektasien der Konjunktiven, später auch an Gesicht und Extremitäten; trockene Haut, Pigmentstörungen, vorzeitiges Ergrauen der Haare, Hypertrichose (Wimpern!), Progerie, Photophobie. Hinzu kommen Hypogonadismus, Diabetes, Immunglobulin-Defizienz, Thymushypoplasie (Abfall und mangelnde Stimulierbarkeit der T-Lymphozyten). Folge: chronisch-rezidivierende Infekte der Haut und des Respirationstrakts (häufige Todesursache), Malignome (B-Zell-Neoplasien; seltener solide Tumoren). Auch Heterozygote haben ein stark erhöhtes Karzinomrisiko! Lebenserwartung 10–20 Jahre.
Dyskeratosis congenita (Synonym ZinsserCole-Engman-Syndrom) Eine seltene X-chromosomal rezessive Multisystemkrankheit (s. weiter oben) mit Ähnlichkeiten zur Fanconi-Anämie; mehrere genetische Varianten sind bekannt. Ursache: meist Mutation des Dyskerin-Gens (erhält die Integrität des Telomers). Hautsymptome: Eine um das 10. Lebensjahr einsetzende und progrediente retikulierte Pigmentierung der lichtexponierten Areale, Nageldystrophie, palmoplantare Hyperkeratosen und präkanzeröse Leukoplakien der Mundschleimhaut, seltener von Ösophagus, Vagina und Rektum. In ca. 50% progrediente Knochenmarkdepression, gelegentlich Immundefizienz, häufig verschiedene Fehlbildungen (Haut, Zähne, Augen, Skelett u. a.). Hohe Rate von Neoplasien (bis 20%), besonders Plattenepithelkarzinome von Haut und Schleimhaut.
C A V E
Röntgenbestrahlung ist bei Patienten mit Ataxia teleangiectatica wegen der Gefahr der Induktion neuer Mutationen kontraindiziert (besonders wichtig bei den – sehr strahlensensitiven – Lymphomen).
8.6.2 Erbkrankheiten mit erhöhtem
Tumorrisiko durch Defekte an Tumorsuppressorgenen
Fanconi-Anämie Definition. Eine nicht sehr seltene (1:10 000), heterogene autosomal-rezessive Erbkrankheit, die auf einer hohen Spontanmutationsrate (Chromosomenbrüche) beruht und durch progressives Knochenmarkversagen mit Beginn in früher Kindheit, Skelettanomalien und Missbildungen, charakteristische Hyperpigmentierung sowie hohe Inzidenz von Malignomen (Leukämien) gekennzeichnet ist. Die Phänotypen sind sehr variabel. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 40 Jahren.
Basalzellnävus-Syndrom (Synonym GorlinSyndrom, BNS) Definition. Ein autosomal-dominantes Erbleiden, das durch Entwicklung zahlreicher Basaliome schon in der Jugend, assoziierte Neoplasmen der inneren Organe und ein Spektrum von Entwicklungsdefekten gekennzeichnet ist.
Symptomatik. Hautsymptome: Diffuse Hyperpig-
Epidemiologie. Relativ häufig (1:60 000), Manifesta-
mentierung an Abdomen und Beugen (Hals!), betont an mechanisch beanspruchten Körperteilen, Lentigines an lichtexponierten Arealen, mitunter Ichthyose. Allgemeine Zeichen: Gedeihstörungen, geistige Retardation, typische Facies (geringer Schädelumfang, Mikroph-
tionsalter 2.–4. Dekade, ca. 40% sind Neumutationen. Ätiologie. Mutationen im PTCH-1-Gen (das humane
Analog des »patched«-Gens von Drosophila). Genprodukt ist der Rezeptor für das »sonic hedgehog mor-
364
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
phogen«. Über Signaltransduktion wirkt das PTCH-1Gen als Tumorsuppressorgen auf die Zellproliferation. Beim BNS ist es durch eine Keimlinienmutation inaktiviert, Basaliome entstehen allerdings erst nach einem »second hit« am gesunden Allel (meist UV-induzierte Punktmutationen). Keine Chromosomeninstabilität! Beim Menschen besteht ein weiteres, weitgehend homologes PTCH-2-Gen. Vom BNS zu unterscheiden ist das nonsyndromische Auftreten multipler Basaliome, das keine der übrigen Symptome des BNS aufweist. Es wird gleichfalls autosomal-dominant vererbt und wird als somatische Mutationen im PTCH-1 oder -2-Lokus interpretiert. a
Symptomatik. Allgemeine Zeichen: hoher Körper-
8
wuchs und eine charakteristische Fazies: Makrozephalie mit weitem frontookzipitalem Umfang, Stirnhöcker, Hypertelorismus, breite Nase, manchmal intellektuelle Minderbegabung (. Abb. 8.26a). Das BNS ist mit zahlreichen Fehlbildungen assoziiert (. Übersicht), die sehr variabel ausgebildet sein können. Fast regelmäßig vorhanden sind odontogene Kieferzysten (Zahnverlust noch in der Jugend!).
Fehlbildungen beim Basalzellnävus-Syndrom (Auswahl) 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Kieferzysten Prognathie Kiefer-Lippen-Gaumenspalten Hoher Gaumen Verkalkungen der Dura, Tentorium, Falx cerebri Agenesie des Corpus callosum Meningeome Katarakt, Iriskolobom, Dystopia Canthorum, Hypertelorismus Verschmelzung von Wirbelkörpern Kyphoskoliose Spina bifida Rippenfehlbildungen Hohlbrust Lymphatische Mesenterialzysten Nierenfehlbildungen Ovarial-, Kardialfibrome Verkürzung des IV. Metakarpalknochens (Albright-Zeichen) Polydaktylie
b . Abb. 8.26a,b. Basalzellnävus-Syndrom. a Das Gesicht zeigt typische Züge: Dominanz des Hirnschädels, ausgeprägte Stirnhöcker, Hypertelorismus. Im Gesicht mehrere pigmentierte Basaliome (Ähnlichkeit mit Pigmentnävi). b Multiple Auspunzungen der Handflächenhaut (»pits«)
sicht, Rumpf); bei 10% erst nach dem 30. Lebensjahr, bei ca. 15% bleiben sie gänzlich aus (!). Mit fortschreitendem Alter Akzeleration. Die Basaliome des BNS wachsen langsamer als sporadische, bleiben oft auch stationär, sind meist oberflächlicher und seltener invasiv. Zusätzliche Symptome: Milien, Hornzysten, Lipome, Fibrome, sowie die sehr charakteristischen »pits« (punktförmige Einziehungen der Palmoplantarregion, . Abb. 8.26b). Assoziierte Neoplasmen. Medulloblastom (bis 20 %),
Schon ab Kindheit/Jugend entstehen multiple (bis mehrere hundert) Basaliome in typischer Lokalisation (Ge-
seltener Ovarial- und Kardialfibrome, Ovarialkarzinom, Fibro- und Rhabdomyosarkome, Melanom, Meningiom.
365 8.6 · Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko
Therapie. Konsequenter UV-Schutz, topisches Imiqui-
mod. Photodynamische Therapie ist besonders geeignet, Röntgenbestrahlung hingegen kontraindiziert, da im bestrahlten Gebiet nach kurzer Zeit multiple invasive Basaliome entstehen. Auch diagnostische Strahlenexpositionen sollten möglichst vermieden werden. Verschiedene Inhibitoren des Hedgehog-Signalwegs sind in Erprobung. Prophylaxe: Retinoide vermindern die Inzidenz von Basaliomen. Seltene Erbsyndrome mit hohem Risiko innerer Neoplasien (Auswahl) Eine Reihe von Syndromen mit hohem Krebsrisiko innerer Organe, bei denen per se ungefährliche, oft wenig auffällige Hautzeichen die Diagnose erleichtern. Auch sie gehen meist auf Defekte von Tumorsuppressorgenen der Keimbahn zurück, Tumoren entstehen durch Verlust der Heterozygotie. Bei allen muss mit geeigneten klinischen, endoskopischen und radiologischen Methoden nach den typischen assoziierten Tumoren gesucht werden, und die Suche in regelmäßigen (meist jährlichen) Abständen wiederholt werden. Gardner-Syndrom. Eine phänotypische Variante der familiären adenomatösen Polyposis. Ursache: Mutation des APC (Tumosuppressor)-Gens. Verringerte Resistenz gegen UV, Röntgenstrahlen und Karzinogene; häufig Kernpolyploidie. Hautzeichen: multiple Talg- und epidermale Hornzysten (bei 30%), Fibrome, Lipome. Gastrointestinaltrakt: adenomatöse Magenund Darmpolypen (Polyposis intestini) ab ca. der 3. Dekade, aus denen fast stets Adenokarzinome entstehen. Seltener: Schilddrüsenkarzinom, Medulloblastom. Assoziiert: Osteome (75%), Zahnanomalien, retroperitoneale Desmoidtumoren, Hypertrophie des Retinaepithels. Peutz-Jeghers-Syndrom. Ein seltenes autosomal dominant erbliches Tumorsyndrom. Ursache: Defekt des (Tumorsuppressor)-Gens STK11 (Serin/ThreoninKinase). Hautzeichen: charakteristische kleinfleckige ephelidenartige Pigmentflecke an Lippenrot, perioral, der Wangenschleimhaut (Differentialdiagnose: die harmlose großfleckige Lentiginose der Mundschleimhaut) sowie der Akren. Die Flecken sind bei Geburt meist schon vorhanden, Rückbildungstendenz gering. Leitsymptom ist eine gastrointestinale Polypose vorwiegend des Ileums, die meist in der 2.–3. Dekade manifest wird: Obstruktion, Diarrhoen, Intussuszeption und Ileus, blutende Ulzera, Anämie. Die maligne Entartung der Polypen ist selten (<5%), hoch dagegen (fast 40%) die Inzidenz anderer Karzinome (Bronchus, Mamma, Ovar, Pankreas, Hoden).
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Muir-Torre-Syndrom. Ein seltenes autosomal-dominant erbliches Tumorsyndrom, Subtyp des »hereditary non-polyposis colonic carcinoma« (HNPCC, LynchII-Syndrom). Ursache: Mutationen in DNA-Mismatch Repair Genen (Reparatur von Fehlern der DNA-Replikation – meist MLH1 oder MSH2). Hautzeichen: multiple Talgdrüsentumoren (Adenome, Epitheliome, Karzinome) und Keratoakanthome. Assoziierte innere Tumoren: gastrointenstinale, gynäkologische und urogenitale Karzinome. Multiples Hamartom-Syndrom (Synonym Cowden-
Syndrom). Ein autosomal-dominantes Erbleiden, das durch oft exzessiv reichliche warzenähnliche Läsionen des Gesichts (Trichilemmome), der Mundschleimhaut (. Abb. 8.27) und der Akren (keratotische Papeln) gekennzeichnet ist. Zusätzlich multiple Fehlbildungen, neurologische und endokrinologische Störungen, hamartomatöse rektosigmoidale Polypen u. a. Ursache: Mutationen des PTEN-TumorsuppressorGens. Das Cowden-Syndrom ist hoch mit Mammakarzinomen assoziiert (30–50% der Frauen; prophylaktische Mastektomie wird empfohlen!), in 10% mit Schilddrüsenkarzinomen, seltener mit anderen Neoplasien. Birt-Hogg-Dubé Syndrom (Synonym Hornstein-Knickenberg-Syndrom). Hamartome des Haarfollikels (Trichodiskome, Fibrofollikulome) oder weiche Fibrome an Kopf, Hals, oberem Thorax und Extremitäten in Assoziation mit Spontanpneumothorax, Kolonkarzinom (Adeno-) oder Nierentumoren. Ursache: Mutationen im FLCN (Folliculin)-Gen (ein Tumorsuppressor-Gen). Howell-Evans-Clark-Syndrom. 7 Kap. 8.2.2.
. Abb. 8.27. Cowden-Syndrom. Papillomatose der Mundschleimhaut
366
Kapitel 8 · Erbliche Krankheiten der Haut
8.7
Hauterscheinungen bei primären Immundefizienzen
Die primären Immundefizienzen sind eine umfangreiche Gruppe meist seltener Zustandsbilder, die mit erhöhter Infektanfälligkeit und (teils sehr stark) verminderter Lebenserwartung einhergehen. Sie fallen in 4 Kategorien: humorale und zelluläre Immundefizienzen, solche der Neutrophilen-Makrophagen und des Komplementsystems. Die Haut ist häufig betroffen, Hauptmanifestationen sind Infektionen und Ekzeme. Viele der zellulären Immundefizienzen verlaufen unbehandelt (Knochenmarktransplantation!) schon in der Kindheit tödlich. Hier werden nur Aspekte mit unmittelbarem Bezug zur Dermatologie besprochen, für vertiefendes Studium s. Lehrbücher der Immunologie.
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Immunglobulin-Mangelsyndrome (X-chromosomale Agammaglobulinämie, Hyper-IgM-Syndrom, »common variable immunodeficiency«, selektive Ig-Defizienzen) Dominierende Symptome sind bakterielle Infekte von Respirationstrakt, Haut, Gastrointestinaltrakt u. a. Bei allen können Ekzeme ähnlich der atopischen Dermatitis auftreten, am häufigsten bei der selektiven IgA-Defizienz. Hyper-IgE-Syndrom (Synonym Job-Syndrom) Eine seltene, autosomal-dominante Erbkrankheit, die durch Ekzeme ähnlich der atopischen Dermatitis und schwere bakterielle Infekte der Haut und innerer Organe (Respirationstrakt) gekennzeichnet ist – häufig in Form »kalter« Abszesse) (Das Synonym Job-Syndrom ist kein Eponym – der Name bezieht sich auf die biblische Figur!). Die molekulare Ursache ist noch ungeklärt, immunologische Parameter sind exzessiv hohe IgE-Werte, Eosinophilie, Dominanz der TH2-Lymphozyten und Defekte der Chemotaxis. Zelluläre Immundefizienzen Diese Reifungsstörungen der T-Lymphozyten (mit konsekutiver Hypogammaglobulinämie) sind durch Gedeihstörungen, virale, mykotische (Kandidiasis!) und opportunistische Infektionen der Haut und innerer Organe und Tod meist in früher Kindheit gekennzeichnet. Maternale oder aus Bluttransfusionen stammende T-Zellen können zu einer GvH-Reaktion führen. Wichtige Vertreter sind die heterogene Gruppe der schweren kombinierten Immundefizienz (SCID), Nezelof- und Omenn-Syndrome, MHC I/II-Defizienz und DiGeorge-Syndrom (kongenitale Thymusaplasie).
Omenn-Syndrom. Eine seltene, autosomal-rezessive
Form der SCID, die auf defekter V(D)J-Rekombination durch Mutationen des RAG (recombination activating gene) 1 oder 2 beruht. Klinisch eine ekzematöse Erythrodermie, zusätzlich Hepatosplenomegalie, Thymushypoplasie, Fehlen von Keimfollikeln in Lymphknoten, von peripheren B-Zellen und von zirkulierenden Immunglobulinen (außer IgE), Eosinophilie, mangelnde Stimulierbarkeit der T-Zellen, Diarrhoen, Infektionen u.a. Wiskott-Aldrich-Syndrom. Ein seltenes (4:1 000 000 Lebendgeborene) X-chromosomal-rezessives Syndrom, das durch schwere Ekzeme ähnlich der Neurodermitis, respiratorische Allergien, rezidivierende pyogene und opportunistische Infekte der Haut und innerer Organe (Respirationstrakt, ZNS), Diarrhoen und thrombozytopenische Purpura gekennzeichnet ist. Ursache: Mutation des WASP-Gen (kodiert ein zur Beweglichkeit hämatopoetischer Zellen erforderliches Protein – Endozytose, Zytokinese). Die T-Zellen zeigen ultrastrukturell Desorganisation des Zytoskeletts (pränatale Diagnostik!). Krankheitsbeginn in den ersten Lebensmonaten mit progredienter Reduktion der Zahl und Stimulierbarkeit der T-Lymphozyten. B-Zellen sind in normaler Zahl vorhanden, IgM, IgG erniedrigt, IgA, IgE erhöht. Unbehandelt innerhalb des ersten Lebensjahrzehnts tödlich (Infekte, innere Blutungen, Lymphome). Chronische mukokutane Kandidiasis. Eine zelluläre
Abwehrschwäche gegen Candida, speziell Candida albicans, die als Resultat verschiedener (Auto)Immunkrankheiten und Endokrinopathien auftreten kann (7 Kap. 4). Geringe Neigung zu disseminerter Ausbreitung. Leukozyten-Adhäsionsprotein-Defizienz I (LAD I) Bei diesem autosomal-rezessiven Krankheitsbild fehlt CD11/CD18 (ein mehreren Integrinen gemeinsames Molekül) an der Zelloberfläche von Neutrophilen, Mono- und Lymphozyten. Ursache: Mutation des ITGB2-Gens (β2-Integrin). Folgen: Unfähigkeit zur Diapedese, Defekte der Chemotaxis, Phagozytose u.a. Die Krankheit beginnt bei Neugeborenen (Frühsymptom: verzögertes Abfallen der Nabelschnur): nekrotisierende Ulzera der Haut, Gingivitis, Phlegmonen, einschmelzende Lymphadenitis etc. Typischerweise fehlt die Ausbildung von Eiter; periphere Granulozytose (bis 100 000/μl). Unbehandelt letaler Ausgang innerhalb von 2 Jahren (unbeherrschbare Infektionen). Leukozyten-Adhäsionsprotein-Defizienz II (LAD II) ist ein ähnliches, milder verlaufendes Syndrom, bei dem die Liganden von E- und P-Selektin dysfunktional sind.
367 8.7 · Hauterscheinungen bei primären Immundefizienzen
Chronische Granulomatose Ein seltenes, genetisch heterogenes, überwiegend X-chromosomal-rezessives Krankheitsbild. Es ist durch die Unfähigkeit der Neutrophilen/Makrophagen charakterisiert, phagozytierte Mikroorganismen mittels toxischer Sauerstoffradikale intrazellulär abzutöten – durch deren Überleben entstehen die namensgebenden Granulome. Ursache: Defekte am Enzymkomplex der NADPH-Oxydase, die den »respiratory burst« verursachen. Die Krankheit beginnt im ersten Lebensjahr mit rezidivierenden schweren Pyodermien, Abszessen und Granulomen der Haut, Mundschleimhaut, Lymphknoten und innerer Organe. Haupterreger sind Staphylokokken, Gramnegative und Aspergillen. Nebenbefund: Neurodermitis-ähnliche Ekzeme. Diagnose: Neutrophile und Makrophagen sind im Nitroblautetrazolium-Reduktionsassay und Chemoluminiszenztest negativ.
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Chediak-Higashi-Syndrom Eine seltene Manifestation des okulokutanen Albinismus, die mit Immundefizienz assoziiert ist (7 Kap. 10.1). Defekte des Komplementsystems Defizienz des C1-Esterase-Inhibitors manifestiert sich als hereditäres angioneurotisches Ödem. Defizienz der frühen Komponenten (C1 q, r, s, C4, C2, C3) sind mit SLE-artigen Bildern und/oder nekrotisierender Vaskulitis assoziiert. Die häufigste Komplementdefizienz ist der C2-Mangel (Inzidenz 1:10 000). Homozygote entwickeln in bis zu 50% einen subakut-kutanen LE mit Nephritis und palmoplantarem Keratoderm. Defizienzen späterer Komponenten (C3, C5-9) und des alternativen Aktivierungswegs zeigen chronisch rezidivierende Infekte (Neisserien!).
9 9 Neoplasien der Haut 9.1
Grundlagen
– 370
9.1.1 Karzinogenese der Haut
– 370
9.2
Fehlbildungen, Hamartome und benigne Neoplasien der Epidermis – 372
9.3
Plattenepithelkarzinom
– 374
9.3.1 Frühformen des Plattenepithelkarzinoms der Haut 9.3.2 Invasives Plattenepithelkarzinom der Haut – 377
9.4
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Hautadnexe – 380
9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4 9.4.5 9.4.6 9.4.7
Infundibuläre Zysten (Hornzysten) – 380 Läsionen mit Haarfollikel-Differenzierung – 381 Läsionen mit Talgdrüsen-Differenzierung – 383 Läsionen mit apokriner Differenzierung – 384 Läsionen mit ekkriner Differenzierung – 385 Basaliom – 387 Merkelzellkarzinom – 390
9.5
Neoplasien der Melanozyten
– 375
– 390
9.5.1 Melanozytäre Nävi (Synonym Pigmentzellnävi) – 390 9.5.2 Melanom – 398
9.6
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Bindegewebes – 410
9.7
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Blut- und Lymphgefäße – 414
9.7.1 9.7.2 9.7.3 9.7.4 9.7.5 9.7.6 9.7.7
Erworbene teleangiektatische Fehlbildungen – 414 Hamartome der Blut- und Lymphgefäße – 414 Kapilläre Hämangiome – 418 Glomustumoren – 421 Niedrig-maligne Neoplasien der Blutgefäße – 421 Maligne Neoplasien der Blutgefäße: Angiosarkome – 422 Pseudosarkome der Blutgefäße – 423
9.8
Fehlbildungen des Knorpel- und Knochengewebes
9.9
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Fettgewebes – 424
– 424
9.10 Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Muskelgewebes – 426 9.11 Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Nervengewebes – 427 9.12 Neoplasien unklarer Differenzierung 9.13 Histiozytosen
– 430
9.14 Mastozytosen
– 432
9.15 Lymphome 9.15.1 9.15.2 9.15.3 9.15.4 9.15.5
– 428
– 435
Primäre kutane T-Zell-Lymphome (CTCL) – 436 Primäre kutane B-Zell-Lymphome (CBCL) – 441 Seltene, wichtige Lymphome mit Beteiligung der Haut – 441 Sekundäre (metastatische) Lymphome/Leukämien der Haut – 442 Pseudolymphome – 442
9
370
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
9.1
Grundlagen
Die Haut ist das Organ des Körpers mit der höchsten Inzidenz und Vielfalt von Neoplasien – eine Folge ihrer Größe, ihrer exponierten Lage gegenüber karzinogenen Umweltnoxen und ihres strukturreichen Aufbaus. Die Mehrzahl ist benigne (. Tab. 9.1), doch bildet die Haut auch einige der aggressivsten Neoplasien des Menschen aus (z. B. Melanom, Merkelzellkarzinom u. a.). Ein großer Teil nimmt seinen Ausgang von den epithelialen Anteilen der Haut (Epidermis und Anhangsgebilde). Bei diesen und bei den Neoplasien der Pigmentzellen ist das (kurzwellige) UV-Licht das bei weitem wichtigste Karzinogen. Durch die vermehrte Sonnenbelastung (Freizeitaktivitäten!) der letzten Jahrzehnte ist die Inzidenz mancher dieser Neoplasien dramatisch angestiegen (»Hautkrebs-Epidemie« – Zuwachsraten zwischen 3 und 7%/Jahr). Grundsätzlich von den Neoplasien zu unterscheiden, aber nicht stets gut abgrenzbar sind Fehlbildungen und Hamartome. Sie werden üblicherweise gemeinsam mit den »Tumoren« der Haut abgehandelt – so auch hier. ! Die häufige umgangssprachliche Gleichsetzung von Tumoren und Neoplasien ist nicht sinnvoll, da »Tumor« das Anschwellen von Gewebe jeder Ursache bedeutet, z. B. auch bei Entzündung.
Definitionen. Fehlbildungen werden hier als Läsionen
definiert, die durch ontogenetische oder erworbene Fehlentwicklungen entstehen (z. B. manche Fisteln und Zysten); Hamartome als solche, die anlagebedingt (z. B. auf Basis einer postzygotischen Mutation) entstehen. Beiden ist gemeinsam, dass sie aus denselben normalen Gewebselementen aufgebaut sind wie das . Tab. 9.1. Die häufigsten bzw. wichtigsten Neoplasien der Haut Typ
Epidemiologische Charakteristika
Pigmentnävi
Jeder
Seborrhoische Warzen
Jeder >50 Jahre
Senile Angiome
Fast jeder >50 Jahre
Fibroma molle (Akrochordon)
Sehr häufig (Adipositas)
Basaliom
5/1000/Jahr
Plattenepithelkarzinom
1/1000/Jahr
Keratoakanthom
1/2000/Jahr
Melanom
2/10 000/Jahr
Mittlere geografische Breite; Weiße
Muttergewebe, aber funktionell desorganisiert sind. Hamartome der Haut manifestieren sich häufig als Nävi (umschriebene, häufig »systemisiert« angeordnete Läsionen, die durch ein Zuviel oder ein Zuwenig von an sich normalen Gewebskomponenten ausgezeichnet sind). Benigne Neoplasien sind im Gegensatz zu malignen durch limitiertes Wachstum und fehlende Fähigkeit zur Invasion gekennzeichnet. 9.1.1 Karzinogenese der Haut Mehrschrittmodell der Karzinogenese
Der neoplastische Phänotyp ist durch Verlust der definierten Funktion und Form von Normalzellen (Dedifferenzierung) und unkontrollierte Proliferation gekennzeichnet. Zusätzlich bildet er neue, für ihn vorteilhafte Eigenschaften aus (Proteasen, Neoantigene, Escape-Mechanismen gegenüber dem Immunsystem) und erlangt die Fähigkeit, Organgrenzen zu durchbrechen. Der phänotypische Wandel ist (derzeit noch) irreversibel. Die Transformation in den neoplastischen Phänotyp erfolgt schrittweise, meist über lange Zeiträume. Ausgangspunkt ist eine Erstmutation, die ererbt oder durch Karzinogene erworben sein kann – Initiation. Diese lässt zunächst den Phänotyp unverändert, beeinträchtigt aber die Fähigkeit der Zellen zur terminalen Differenzierung (z. B. Block der Proteinkinase C) und zur Apoptose bei Schädigung. Auf mitogene Reize (Promotion: Entzündung, UV-Licht, chemische Promotoren) reagieren initiierte Zellen mit gesteigerter Proliferation (und weniger Reifung: Proliferationsvorteil gegenüber Normalzellen). Es entsteht ein Klon transformierter Zellen (klinisch z. B. Papillome), in dem neuerliche mutagene Stimuli leicht zur Entstehung weiterer Klone mit weiteren chromosomalen Defekten führen → Progression (ein spontan, d. h. Promotorunabhängig ablaufender Prozess). Unlimitiertes Wachstum führt zur Selektion zunehmend aggressiverer Zellklone. Aus dem autonomen Wachstum resultiert das »chaotische« Erscheinungsbild der malignen Neoplasien: aggressive Zellklone sind oft schon makroskopisch erkennbar (z. B. invasive Knoten). Die aggressivsten Tumorklone bestimmen die Prognose; Klonbildung ist auch die Grundlage der Resistenzentwicklung gegen Zytostatika. Neoplasien erneuern sich – analog zu normalen Geweben – aus Tumorstammzellen. Schutzmechanismen gegen die Karzinogenese: 4 Mutationen wirken nur karzinogen, wenn sie an für die Proliferation wichtigen DNA-Regionen entstehen (Protoonkogene und Tumorsuppressorgene) und zumindest in Zweizahl vorhanden sind.
371 9.1 · Grundlagen
4 DNA-Reparation: Mehrere Reparationssysteme exzidieren und ersetzen durch karzinogene Noxen entstandene DNA-Schäden (7 Kap. 2) 4 Apoptose: ist ein DNA-Schaden unreparierbar, wird das Selbstmordprogramm (Apoptose) induziert. Erst wenn ein DNA-Fehler auch diese zweite Kontrollschranke passiert hat, wird er an die Tochterzellen weitergegeben. 4 Neoplasien exprimieren häufig modifizierte oder Neo-Antigene. Die resultierende Immunreaktion erklärt die maligne Neoplasien oft begleitende Entzündung und kann zur partiellen (selten totalen) spontanen Rückbildung führen. Gegen die Immunreaktion bedienen sich manche Neoplasien (z. B. Melanom) so genannter Escape-Mechanismen. Karzinogene sind Mutagene, die zu umschriebenen (oft sehr spezifischen) DNA-Schäden führen. Sie können physikalischer (UV-, Röntgenstrahlen), chemischer (z. B. Arsen) oder viraler (HPV, EBV) Natur sein. Protoonkogene sind Gene, die die Zellproliferation positiv regulieren und gemeinsam mit Tumorsuppressor- und modulierenden Genen die Homöostase gewährleisten. Ihre Genprodukte sind Rezeptoren von Wachstumsstoffen, Steuerer intrazellulärer Proliferationssignale oder Mitose-regulierende Proteine. Durch aktivierende Mutationen wandeln sie sich in Onkogene um → dauernde Überexpression ihrer Genprodukte. Mehr als 60 Onkogene sind bekannt; bei Hauttumoren bedeutsam sind u. a. ras, erb, myc und fos. Mutiertes ras wird bei chemisch induzierten Papillomen der Maus, häufig auch in menschlichen Plattenepithelkarzinomen und Basaliomen gefunden. Tumorsuppressorgene kodieren para- bzw. autokrin
wirksame wachstumsinhibierende Moleküle, z. B. TGFβ, DCC (»deleted in colon carcinoma«), NF-1 (Neurofibromatose), RB (Retinoblastom) u. a. Deletierende Genschäden verursachen den Wegfall einer Proliferationsbremse. Karzinogene der Haut Chemische Karzinogene. Diese binden kovalent an (oft
sehr spezifische) DNA-Regionen und erzeugen Addukte, die bei der Replikation zu Fehlern führen. Die Wirksamkeit der Karzinogene hängt von Bindungsaffinität und -ort ab. Manche Substanzen wirken als Prokarzinogene: nicht sie selbst binden an die DNA, sondern ihre Metaboliten. DNA-Karzinogenaddukte werden schnell (aber nicht gänzlich) durch das Repairsystem von der DNA entfernt.
9
Die Bedeutung chemischer Karzinogene ist heute durch besseren Arbeitsschutz geringer. Manche Berufsgruppen sind aber immer noch erheblichem Risiko ausgesetzt (Kohle- und Metallarbeiter, petrochemische Industrie, Erzeugung von Pestiziden etc.). Die wichtigsten chemischen Karzinogene sind in der Übersicht zusammengefasst.
Wichtige chemische Karzinogene 4 Arsen 4 Polyzyklische Kohlenwasserstoffe: – Dimethylbenzanthracen – Benzpyren – Methylcholanthren – Tabakteer 4 Aromatische Amine: Acetylaminfluoren 4 Nitrosamine 4 Alkylierende Agenzien: – Nitrosurea – Cisplatin 4 Urethane 4 Dinitropyren
Teerinhaltsstoffe (z. B. Methylcholanthren) spielen auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Mundschleimhautkarzinoms bei Rauchern. Ein historisch wichtiges chemisches Karzinogen ist Arsen, das früher als Pestizid im Weinbau, als Bestandteil von Farben und Beizmitteln, aber auch als Roborans verwendet wurde. Virale Karzinogene. »High risk«-Schleimhaut-HPV sind Erreger häufiger genitoanaler Karzinome. Die Karzinogenese beruht auf einer Komplexbildung der Virusproteine E7 mit dem Retinoblastomprotein bzw. E6 mit p53; die Komplexe zerfallen schnell → Depletion beider Tumorsuppressorproteine. Zumindest bei Immunsupprimierten und bei Patienten mit Epidermodysplasia verruciformis spielen auch eine Gruppe kutaner »High-risk«-HPV (z. B. Typen 5 und 8) eine gesicherte Rolle. Weitere beim Menschen karzinogen wirkende Viren sind Hepatitis-B- und Epstein-BarrViren (assoziiert mit myc-Aktivierung) → Leberzellkarzinom bzw. Burkitt-Lymphom, bestimmte B-ZellLymphome und das nasopharyngeale Karzinom. UV-Karzinogenese. UV-B ist das bei weitem wichtigste
und häufigste Karzinogen der Haut. Diese Tatsache geht aus Tierexperimenten sowie klinischen und epidemiologischen Beobachtungen hervor: 4 Die meisten Plattenepithelkarzinome treten an sonnenexponierten Körperregionen auf; ihre Inzi-
372
9
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Fehlbildungen, Hamartome und benigne Neoplasien der Epidermis
denz ist ein Spiegelbild der Sonnenbelastung: Nasenrücken, Unterlippe, Stirn. Basaliome und Melanome weichen in ihrem Verteilungsmodus etwas ab (s. u.). 4 Ihre Inzidenz ist von der Hautfarbe abhängig. Afrikaner entwickeln fast nie, Ostasiaten selten Hautkarzinome (bezeichnende Ausnahme: Albinos). Bei Weißen korreliert sie deutlich mit dem Pigmentierungstyp: Menschen mit dunkler Komplexion sind weniger betroffen als solche mit »keltischer«. 4 Die geografische Inzidenz der Hautkarzinome korreliert linear mit der eingestrahlten Lichtenergie. 4 Die Kolonisation sonnenintensiver Weltteile durch die oft »keltischen« Engländer ist ein »Experiment der Natur«. Die Inzidenz an Melanomen und »nonmelanoma skin cancer« ist in Australien die höchste der Welt, gefolgt von Südafrika und den südlichen US-Bundesstaaten.
9.2
UV-induzierte Mutationen manifestieren sich meist als spezifische Punktmutationen (so genannte C→T-Transversionen) als Folge UV-induzierter Pyrimidin-Dimere (»fingerprint« – wird von keinem anderen Karzinogen bewirkt). UV-Licht wirkt nicht nur als Initiator, sondern auch als Promotor.
Epidermaler Nävus (EN, Synonym Hyperkeratotischer Nävus, Naevus verrucosus) Definition, Epidemiologie. Eine Gruppe von epidermalen Hamartomen, denen manchmal auch andere Gewebskomponenten beigemengt sind (z. B. Melanozyten; Gefäße und Entzündungszellen). Prävalenz ca. 0,1%, familiäres Auftreten kommt vor.
UV und p53. Das p53-Gen ist das häufigste Target-Gen bei menschlichem Krebs (Mutationen bei ca. 50%) und auch der wichtigste Ansatzpunkt der UV-Karzinogenese: Mutationen finden sich bei >90% aller Plattenepithelkarzinome, mit der typischen C→T-Transversion. p53 ist ein negativer Regulator der Zellproliferation: es ist bei ruhenden Zellen nicht nachweisbar und wird bei Einwirkung karzinogener Noxen (UV, Röntgenstrahlen) aufreguliert; es bewirkt die Arretierung der Mitose, bis die Reparationsvorgänge abgeschlossen sind (»Hüter des Genoms«). Erweist sich der Schaden als irreparabel, leitet es die Apoptose ein. Mutationen des p53-Gens führen zur Produktion eines inaktiven Proteins mit verlängerter Halbwertszeit. Der Funktionsausfall bewirkt, dass weder für die Reparation genügend Zeit bleibt noch schwer geschädigte Zellen der Apoptose anheimfallen. Die mutierten Zellen können daher ungehindert proliferieren und einen Klon ausbilden. Ähnliche karzinogene Wirkung wie UV besitzen ionisierende Strahlen (Röntgen-, Gammastrahlung). Genetische Faktoren der Karzinogenese. 7 Kap. 8.6
Erbkrankheiten mit erhöhtem Tumorrisiko.
Zysten Zysten sind epithelumkleidete Hohlräume mit flüssigem oder breiigem Inhalt von unterschiedlicher Genese. Erworbene Zysten können von der Epidermis oder den Adnexen ausgehen: sie entstehen aus traumatischer Verlagerung von Epidermis in das Bindegewebe oder durch Retention bzw. Obstruktion aus Adnexstrukturen. Andere Zysten sind anlagebedingter oder neoplastischer Natur (s. weiter unten). Die einzige Zyste epidermaler Abkunft ist die traumatische Epithelzyste: eine oberflächliche, bis erbsgroße, weißliche derbe Papel. Genese: traumatische Verlagerung von Epidermis in die Dermis (z. B. durch Stiche – Ohrläppchen).
Ätiologie. Punktmutationen meist im FGRF 3-Gen. Symptomatik. EN sind bei Geburt vorhanden oder ent-
wickeln sich bald darauf und sind persistent. Sie sind meist einzeln, selten multipel und variabel in Ausdehnung (manchmal riesig!), Oberfläche (flach-samtig, mit weichen Vegetationen ähnlich seborrhoischen Warzen, oder mit derben, verrukösen Papeln) und Farbe (hautfarben bis grau-/dunkelbraun – DD: kongenitale melanozytäre Nävi) (. Abb. 9.1). Sie sind einseitig und verlaufen entlang den Blaschko-Linien: am Rumpf wellenförmig, an den Extremitäten oft als schmale vertikale Streifen. Histologie: Orthohyperkeratose, »kirchturmspitzenartige« Akanthose. Manchmal zusätzliche keratogene Differenzierungsstörungen (Morbus Darier-artige Akantholyse u. a.). Die Abgrenzung zum Naevus sebaceus (Mitbeteiligung von Adnexstrukturen) ist oft nicht möglich. Varianten:
4 Inflammatorischer lineärer verruköser epidermaler Nävus (ILVEN) (. Abb. 9.2). Ein EN mit klinischen und histologischen Zeichen der Entzündung. Manchmal quälender Juckreiz; Ähnlichkeit mit Psoriasis. 4 Epidermolytischer EN: klinisch ähnlich, histologisch epidermolytische Hyperkeratose; er beruht auf einer Mutation im Keratin 10.
373 9.2 · Fehlbildungen, Hamartome und benigne Neoplasien der Epidermis
9
. Abb. 9.1. Naevus verrucosus (lineärer verruköser Nävus, gewöhnlicher Typ)
4 »White sponge«-Nävus: ein Pendant des EN an der Mundschleimhaut (7 Kap. 10). Therapie. CO2-Laserablation, bei kleinen Läsionen Ex-
zision. Verruca seborrhoica (VS, Synonym Seborrhoische Warze) Definition, Ätiologie. Die seborrhoische Warze ist
eine benigne, keratogen differenzierte Neoplasie der Epidermis (sie hat nichts mit Talgdrüsen zu tun – der Name leitet sich von ihrer glatten Oberfläche ab). Sie ist die häufigste Neoplasie der Haut und ein markantes Merkmal der Altershaut – bei fast jedem Individuum in der zweiten Lebenshälfte finden sich wenige bis hunderte Läsionen. Sie ist harmlos, wird aber immer wieder als Melanom fehlinterpretiert. Für ihre Entstehung sind eine genetische Disposition sowie vermutlich eine UV-Komponente von Bedeutung. Symptomatik. VS treten überall außer an den Akren
auf, vorwiegend am Rumpf. Sie beginnen als hautfarbene, manchmal zart rötlich-braune, matte, scharf abgegrenzte, regelmäßige rund-ovale Flecken (flache VS, Lentigo senilis). Später werden sie erhaben, bilden Papeln bis Plaques oder sogar exophytische Knoten und werden hell- bis dunkelbraun oder grauschwarz (Melanin) (. Abb. 9.3a, b). Meist behalten sie ihre runde Kontur, ihren homogenen Aufbau und konfluieren selbst
. Abb. 9.2. Inflammatorischer lineärer verruköser epidermaler Nävus. Im Unterschied zum gewöhnlichen EN ist der inflammatorische gerötet, krustig und sehr juckend
bei dichter Aussaat kaum. Ihre Oberfläche fühlt sich meist glatt (»fettig«) an. Typisch ist die regelmäßig papilläre (»gestippelte«) Beschaffenheit mit prominenten Poren (Abstoßung kleiner Hornzysten und -pfröpfe). Subjektive Symptome bestehen meist nicht, gelegentlich Juckreiz. Größere VS wirken charakteristischerweise »wie aufgeklebt«; tatsächlich können VS gelegentlich teils oder gänzlich (oft in Bröckeln) abfallen; der verbleibende Rest imponiert dann polyzyklisch und inhomogen. Klinische Varianten: 4 Filiforme VS: meist sehr zahlreiche, kleine und schmalbasige, rundliche Läsionen, besonders im Gesicht und Hals. Differenzialdiagnose: Fibroma molle. 4 Eruptive VS: treten plötzlich und sehr zahlreich auf, jucken oft heftig und werden verschiedentlich als Paraneoplasie bewertet (Magenkarzinome!) (»Leser-Trelat-Zeichen«). 4 Stukkokeratosen: häufig an den Beinen lokalisiert, klein und weißlich (hyperkeratotisch). 4 VS irritata: durch Traumatisation (Kratzen) entzündlich veränderte VS.
374
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
4 retikuläre VS: ein feinverästeltes Netzwerk von Epithelsträngen (bei Pigmentreichtum als Melanoakanthom bezeichnet, cave: Verwechslung mit Melanom!). Die Frühform (Lentigo senilis) zeigt nur bescheidene Akanthose, aber charakteristisch vermehrte Reteleisten mit basaler Pigmentierung (»dirty feet«). 4 Irritierte VS: Entzündungs- und Regenerationszeichen (DD: Plattenepithelkarzinom). Differenzialdiagnose. Melanozytäre Nävi, pigmentiertes Basaliom und Melanom (klassische Differenzialdiagnose!). Die Unterscheidung ist fast stets leicht, in Ausnahmefällen jedoch nicht. Folgende Kriterien sind hierbei hilfreich: Auflichtmikroskopie (bei knotigen Läsionen wenig nützlich); das »wie aufgeklebte« Aussehen und die Anamnese spontanen teilweisen oder gänzlichen Abfallens; leichtes Abtragen mit dem scharfen Löffel ohne Substanzdefekt (kein infiltratives Wachstum).
a
9
C A V E
Nur bei weitgehend sicherer Diagnose ist die Exkochleation erlaubt, das gewonnene Präparat muss stets histologisch untersucht werden!
Therapie. Im Prinzip nicht erforderlich, jedoch häufig
gewünscht. Mittel der Wahl: Kürettage nach oberflächlicher Vereisung (z. B. Chloräthyl). b . Abb. 9.3a,b. Seborrhoische Warze. a Multiple seborrhoische Warzen verschiedener Größe und Pigmentierungsgrades. b Seborrhoische Warzen können sich – wie hier –spontan (partiell oder total) abstoßen
4 VS in Abstoßung (Synonym Benigne lichenoide Keratose): eine meist bei Frauen mittleren Alters auftetende, charakteristische Variante, die klinisch dem Morbus Bowen/Basaliom ähnelt. Histologie: lichenoide entzündliche Reaktion an einer teils oder vollständig abgestoßenen VS, massenhaft »cytoid bodies«. Histologie. Ausgeprägte Akanthose und Orthohyperkeratose. »Wirbelige« Durchmischung unterschiedlich differenzierter Lagen der Epidermis (statt vertikaler Orientierung): die Peripherie besteht aus basaloiden, die Zentren aus squamoiden Zelltypen; reichlich kleine infundibuläre (Horn)Zysten. Histologische Varianten: 4 klonale VS: kugelige, scharf abgegrenzte intraepidermale Zellnester (DD: Morbus Bowen u. a.)
Weitere benigne epidermale Neoplasien. Dies sind
das epidermolytische Akanthom und das warzige Dyskeratom (Differenzierungsanomalien wie bei epidermolytischen Hyperkeratosen bzw. Morbus Darier). 9.3
Plattenepithelkarzinom
Plattenepithelkarzinome (P) sind maligne Neoplasien mit keratogener Differenzierung. In der Haut entstehen sie aus der Epidermis und den hautnahen Schleimhäuten. Für das P der Haut gilt: 4 Es ist häufig – mit steigender Tendenz. 4 Es wird überwiegend durch UV-Licht verursacht. 4 Es manifestiert sich in großer morphologischer Vielfalt – u. a. wegen des Bestehens einer Reihe sehr charakteristischer und diagnostisch wichtiger Frühformen. 4 Es tritt in verschiedenen Graden der Dedifferenzierung und verschieden aggressiven Verläufen auf. 4 Ein die Progression bestimmender Faktor ist beinträchtigte Immunkompetenz (Lymphome, Organtransplantation).
375 9.3 · Plattenepithelkarzinom
9
4 Diagnostische Kardinalzeichen sind die Kriterien des autonomen Wachstums (Progression, »chaotischer« Aufbau u. a.) und das Differenzierungskriterium »Keratin« (Hornmassen). Probleme der Abgrenzung. »Pseudokanzerosen«. Un-
ter diesem Begriff verstand man früher gutartige Entitäten, die klinisch und/oder histologisch P imitieren: reaktive, »pseudokarzinomatös« hyperplastische Läsionen, z. B. in Herden chronischer Entzündung oder Irritation (Wundheilung in Ulzera, Prurigoknoten, Viruswarzen u. a.). Dieser Begriff wurde verlassen, da in ihn auch Läsionen einbezogen wurden, die nach heutigem Wissen niedrig maligne P sind (Keratoakanthom, verruköses Karzinom u. a.). »Präkanzerosen«. P gehen fast stets nach meist jahre-
langer Latenz aus typischen Vorgängerläsionen hervor; man unterschied früher fakultative und obligate Präkanzerosen. Fakultative waren ein heterogenes Spektrum chronisch entzündlicher Zustände, in denen sich (selten) P entwickeln konnten: Ulcera cruris, Verbrennungsnarben, Lupus vulgaris u. a. Im Gegensatz dazu waren die obligaten Präkanzerosen als P in situ definiert: Frühformen von P, bei denen Klone neoplastischer Zellen zur Gänze intraepithelial liegen. Diese letzteren werden heute als Frühformen des P bezeichnet; der zweideutige Dachbegriff der Präkanzerosen wird vermieden. 9.3.1 Frühformen des Plattenepithel-
karzinoms der Haut Aktinische Keratosen (AK, Synonym »Senile« Keratosen) Epidemiologie. Die häufigste Frühform (ungefähr
500–1000/10 000/Jahr; Multifokalität!). AK treten meist multipel (»Feldeffekt«) etwa ab dem 50. Lebensjahr auf chronisch UV-geschädigter Haut und in Abhängigkeit von Hauttyp und kumulativer UV-Belastung auf. Männer sind häufiger betroffen. Bei Albinismus können, in Ländern mit hoher Sonneneinstrahlung, AK und invasive P schon in der Jugend auftreten. Bei Immundefizienz, z. B. nach Nierentransplantation, sind AK besonders häufig und verlaufen besonders aggressiv. Ätiologie. In der Regel chronische UV-Exposition.
Gleichartige Läsionen können durch Infrarot- (chronischer Wärmeschaden) und ionisierende Strahlen (chronische Radiodermitis) und chemische Kanzerogene entstehen. Arsenkeratosen sind flache bis warzige
. Abb. 9.4. Gradueller Übergang von aktinischen Keratosen in Plattenepithelkarzinome. Multiple kleinere und größere aktinische Keratosen
hyperkeratotische Läsionen v. a. an Handflächen und Fußsohlen. Symptomatik. Prädilektionsstellen sind Gesicht: Stirn, Glatze, Nase, Ohrmuschel (Männer!), Wangen, Oberlippe; in zweiter Linie Handrücken. AK beginnen als etwa punktförmige, besser tast- als sichtbare Rauigkeiten der Haut (flache AK). Die Oberfläche ist matt, das Kolorit hautfarben bis rötlichbraun. Sie vergrößern sich langsam und wandeln sich in unregelmäßig höckerige, weißlich-missfarbige, raue und harte warzige Läsionen um (hypertrophe AK – »Kalkspritzer im Gesicht«) (. Abb. 9.4). Sie haften fest; bei gewaltsamer Entfernung kommt es zum Bluten. Im weiteren Verlauf können sie bis zu einigen Zentimetern langen dornartigen Höckern auswachsen (Cornu cutaneum) (. Abb. 9.5). Die Basis solcher Hauthörner ist manchmal infiltriert, ringartig verbreitert, in der Tiefe schlecht abgrenzbar und mangelhaft verschieblich (beginnende Invasion). Histologie: Exzessive kompakte Hyperparakeratose,
ein reguläres Str. granulosum fehlt; dyskeratotische Zellen, Kernatypien der Basalschicht oder der gesamten Epidermis, Verlust der normalen Stratifizierung; manchmal Tumorakantholyse. Die Basalschicht fällt durch stärkere Tinktion (erhöhte Kern-Plasma-Ratio) und Überfüllung mit Basalzellen auf (»Umrändelung«). Sonderformen: Manche AK sind nur wenig hyperkera-
totisch, flach, rötlich, relativ groß und zeigen histologisch ausgeprägte Kernatypien: »bowenoide« AK. An-
376
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
meist Teerstoffe des Tabakrauchs. Rötlich-erosive Areale innerhalb einer Leukoplakie zeigen höhere Aggressivität (Hornverlust – Dedifferenzierung) oder schon erfolgtes invasives Wachstum an. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Leukoplakien an den Prädilektionsstellen der Mundhöhlenkarzinome: Mundboden, ventrale und seitliche Zunge, weicher Gaumen. Histologie: Hyperkeratose, Kernatypien. Differenzialdiagnose. Reibetrauma (flache/reaktive Leukoplakie), Lichen ruber, CDLE.
. Abb. 9.5. Ein derbes hornartiges Cornu cutaneum am rechten Oberlid. Dass es sich hier schon um ein invasives Plattenepithelkarzinom handelt, geht aus der ringartig infiltrierten Basis hervor
9
dere Varianten sind die atrophe, die pigmentierte und die Lichen-ruber-artige AK (lichenoides Infiltrat – Immunreaktion!). Differenzialdiagnose. Seborrhoische Warze, Lentigo
simplex und CDLE. Prognose. Schätzungsweise 20% der AK schreiten zu
invasiven P fort; der Rest besitzt gegenüber der normalen Epidermis keinen ausreichenden Proliferationsvorteil (scheinbare oder echte Abheilung). Bei »bowenoiden« Klonen und bei Immundefizienz sind aggressivere Verläufe mit Metastasen häufiger und auch zeitlich früher. Durch adäquaten Lichtschutz (Vermeidung der Promotor-Wirkung des UV) und regelmäßige Therapie (s. u.) kann das Risiko der Progression niedrig gehalten werden. Aktinische »Cheilitis« Ein Analogon der AK am Lippenrot, jedoch riskanter, da Lippenkarzinome häufiger metastasieren als P der Körperhaut. Symptomatik: diffuse fleckig-weißliche Verfärbung des Lippenrotes, oft leicht papillär und hyperkeratotisch, dazu häufig Erosionen und schmerzhafte Fissuren. Häufiger bei Männern, fast ausschließlich an der Unterlippe (höhere UV-Exposition; oft Kombinationsschaden mit Tabakteer bei Rauchern). Verruköse Leukoplakie der Mundschleimhaut (7 Kap. 10) Symptomatik. Eine umschriebene, meist solitäre, scharf und unregelmäßig begrenzte weißliche Verfärbung der Schleimhaut mit rauer, papillärer Oberfläche. Ursache:
! Als Leukoplakien bezeichnet man alle weißen Läsionen hautnaher Schleimhäute – Folge der Verhornung der normalerweise unverhornten, durchscheinenden Schleimhaut (7 Kap. 10). Die Ursache ist meist ein chronisches Scheuertrauma (Zahnkanten, schlecht sitzende Gebisse u. a.), chemische (Zahnmaterialien) oder thermische Noxen (heiße Getränke) u. a.; in diesen Fällen liegen die harmlosen flachen Leukoplakien vor (glatte Oberfläche, unscharfe Begrenzung, regelmäßige Form, oft klarer Zusammenhang mit der Ursache). Ein Carcinoma in situ (verruköse Leukoplakie) unterscheidet sich morphologisch (s. o.) und durch das Fehlen eines solchen klaren Zusammenhangs. Die Unterscheidung ist nicht immer leicht, im Zweifelsfall sind stets Biopsien indiziert.
Morbus Bowen Definition. Ein Carcinoma in situ (von infundibulärem
Ursprung?), das relativ häufig Erwachsene etwa ab dem 60. Lebensjahr betrifft. Es tritt meist solitär auf und ist nicht an lichtexponierte Regionen gebunden. Ätiologie. UV, chemische Karzinogene (Arsen!) und humane Papillomviren. Symptomatik. Ein subjektiv symptomloser, scharf und unregelmäßig begrenzter, meist hellroter Herd mit samtiger, unterschiedlich stark schuppender Oberfläche. Prädilektionsstellen: Rumpf und distale Extremitäten (. Abb. 9.6). Durch Jahre langsames peripheres, dann plötzlich einsetzendes invasives Wachstum (schnell wachsender Knoten – Bowenkarzinom). Sonderformen: hyperkeratotischer und pigmentierter Morbus Bowen. Histologie: Epidermis verbreitert, Verlust der norma-
len Schichtung (»Zellen bunt durcheinander gewürfelt«), starke Kernpolymorphie, reichlich Mitosen und dyskeratotische Zellen (. Abb. 9.7). Differenzialdiagnose. Chronische Ekzemplaques
(Morbus Bowen ist scharf-polyzyklisch begrenzt, Li-
377 9.3 · Plattenepithelkarzinom
. Abb. 9.6. Morbus Bowen. Ein erythematös-papillärer, leicht schuppender, polyzyklischer Herd
9
Therapie der Frühformen von Plattenepithelkarzinomen In-situ-P des Lippenrots (aktinische Cheilitis) bzw. der Schleimhaut (Leukoplakie) sollten stets exzidiert werden. Bei In-situ-P der Haut (AK) gilt dies nur, wenn der Verdacht auf invasives Wachstum besteht. Anderenfalls gibt es mehrere weniger eingreifende Alternativen: 4 Exkochleation einzelner AK und Elektrodissekation des Läsionsgrunds 4 Kryotherapie – oberflächliches Einfrieren führt zur blasigen Abhebung der Läsion, durch Reepithelisierung vom Rande bzw. dem Adnexepithel Abheilung ohne Narbenbildung 4 Lokale Chemotherapie (5-Fluorouracil) – bei sehr ausgedehnten AK und Morbus Bowen. Die Behandlung erfolgt okklusiv über ca. 1 Woche; die AK werden mit einer heftigen entzündlichen Reaktion abgestoßen. Neue AK können nach 1–3 Jahren auftreten 4 Imiquimod. Lokaltherapie stimuliert die Interferon-γ gesteuerte Imunabwehr – Abstoßung der AK 4 Photodynamische Therapie (7 Kap. 2). 9.3.2 Invasives Plattenepithelkarzinom
der Haut Epidemiologie. Invasive P der Haut sind in gemä-
. Abb. 9.7. Inzipientes Bowen-Karzinom. Die akanthotische neoplastische Epidermis ist scharf von der normalen Haut abgegrenzt. Beachte das Fehlen der normalen Stratifizierung der Epidermis, ausgeprägte Zellpolymorphie, Dyskeratosen, Mitosen. HE, Vergr. 25:1
chenifikation und Juckreiz fehlen!), Psoriasis, oberflächliches Basaliom, extramammärer Morbus Paget. Erythroplasie (Synonym Morbus Queyrat) Definition. Dem Morbus Bowen analoge, flächige, meist solitäre Läsionen an Glans penis oder Präputium, seltener an den Labien bei Personen in fortgeschrittenem Alter. Symptomatik. Subjektiv symptomlose, scharf begrenzte, düsterrote, unregelmäßig polyzyklisch begrenzte Flecken von mattem Glanz und samtiger Oberfläche. Langsame Vergrößerung über Jahre, Übergang in invasive Genitalkarzinome. Häufig werden High-risk-HPV nachgewiesen. Differenzialdiagnose. Soorbalanitis, Reinlichkeitsbala-
nitis, atrophisierende Balanitis (7 Kap. 10).
ßigten Breiten mit ca. 100/10 000/Jahr (Männer) und 50/10 000/Jahr (Frauen) häufig. Die Inzidenz stieg in den letzten Jahren um 3–6%/Jahr. Wesentliche epidemiologische Charakteristika sind: 4 linearer Anstieg der Inzidenz mit dem Lebensalter 4 Manifestwerden meist ab dem 40. Lebensjahr, Durchschnittsalter der Erkrankten 70 Jahre 4 Prädilektion des männlichen Geschlechts 4 ausgeprägte Abhängigkeit von ethnischer Pigmentierung, individuellem Hauttyp und kumulativer UV-Belastung 4 der weitaus überwiegende ätiologische Faktor ist UV; die Prädilektionsstellen der P sind daher Gesicht (90%!) und Handrücken (. Abb. 9.8). Von den chemischen Ursachen (Arsen, Kohlenwasserstoffe etc.) spielt nur das Rauchen eine wichtige Rolle (P der Mundschleimhaut und Lippen). Welche Rolle HPV auch bei extragenitalen P spielen, ist noch unklar. Klinische Klassifikation. Die TNM-Klassifikation und die Stadieneinteilung nach der UICC besitzen nur geringe praktische Bedeutung, da die weitaus meisten P im Primärstadium entfernt werden. Prognostische Bedeutung kommt der Tumordicke zu.
378
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
a
. Abb. 9.8. Prädilektionsstellen der aktinischen Keratosen und Plattenepithelkarzinome im Gesicht; deutliche Abhängigkeit vom Ausmaß der Lichtexposition!
9
Symptomatik. Invasive P entstehen in der Regel aus in-situ-Karzinomen (meist AK), nur selten de novo. Es bilden sich ein oder mehrere derbe, glatte bis verruköse hautfarben/rötliche Knoten, die langsam (Monate) peripher und vertikal (exophytisch und in die Tiefe) anwachsen und schließlich geschwürig zerfallen. Je nach individueller Entwicklung entstehen flächige, knotigexophytische, diffus infiltrierende, oberflächlich oder tief exulzerierende und mutilierende Verlaufsformen (. Abb. 9.9a, b). Den meisten P gemeinsam sind eine sehr derbe Konsistenz, oft brettharte Infiltration der Unterlage, eine grobgebuckelte, unregelmäßige Oberfläche (auch bei Exulzeration), eher geringe Verletzlichkeit und geringe subjektive Beschwerden. Die P sind oft polyzyklisch begrenzt und können bei Exulzeration einen derben Randwall zeigen. Häufig sind auch weißlich-missfarbige keratotische Areale. Zwischen allen Typen bestehen fließende Übergänge. Die Metastasierung erfolgt lymphogen, in aller Regel spät und selten. Die regionären Lymphknotenmetastasen sind oft sehr groß und bretthart; aus ihnen können benachbarte vitale Strukturen infiltriert werden (z. B. A. carotis); Fernmetastasen (v. a. Lunge) sind selten. P der Haut sind in der Regel weniger aggressiv als P der hautnahen Schleimhäute oder innerer Organe; bei Immunsuppression (z. B. nach Organtransplantation) verlaufen sie jedoch deutlich aggressiver. Histologie. Epidermal differenzierte atypische Zellen
infiltrieren in Nestern, Strängen oder diffus das präexistente Gewebe, meist mit einer heftigen entzündlichen
b . Abb. 9.9a, b. a Ulzerös mutilierendes Karzinom der Nase; b Arsenkarzinom, linker Unterbauch. Ein polyzyklisch begrenzter, teils hyperkeratotischer, teils exulzerierender Knoten
Begleitreaktion. Zeichen der epidermalen Differenzierung ist die Verhornung (Hornperlen, dyskeratotische Zellen); sie schwankt individuell beträchtlich – geringere Differenzierung korreliert grob mit höherer Aggressivität (. Abb. 9.10). Gelegentlich finden sich Areale mit pseudoglandulärer Differenzierung und »Tumorakantholyse« (Kohäsionsschwäche durch Dedifferenzierung). Selten, aber besonders aggressiv sind muzinproduzierende P. Desmoplastische P (starke fibrosierende Stromareaktion) sind klinisch diffus infiltrierend, schlecht abgrenzbar und rezidivfreudig. Je schlechter die Differenzierung, umso mehr überwiegen monotone Zellmassen mit Kernatypien und Mitosen, Invasion und Destruktion des Gewebes. Spindelzellkarzinome
379 9.3 · Plattenepithelkarzinom
9
(Zunge, weicher Gaumen) schwierig. Solche Tumoren werden heute gewöhnlich kombiniert chirurgisch-radiotherapeutisch behandelt. Inoperable metastasierende P der Haut werden mit Methotrexat oder Bleomycin behandelt. Beide führen zu (partiellen) Remissionsraten von 20–40%, sind also nicht kurativ. Bleomycin kann eine lebensbedrohliche Lungenfibrose induzieren. Polychemotherapie scheint der Monotherapie nicht überlegen zu sein. In den letzten Jahren stehen auch Biologics zur Verfügung (Signaltransduktionsinhibitoren, z. B. Gefitinib). . Abb. 9.10. Plattenepithelkarzinom der Haut, tiefer Anteil. Die Tumorzellinseln sind kleiner, aufgesplittert, nur schwach basophil, keine Palisadenstellung. Es finden sich Kernatypien und zentrale Anteile höherer Differenzierung (»Hornperlen«). HE, x45
sind oft schwierig von Sarkomen unterscheidbar (immunhistochemisch Keratinmarker!); manche dedifferenzierte P enthalten auch Vimentinfasern (»atypisches Fibroxanthom«). ! Der Grad der Dedifferenzierung wird nach Broders in eine viergradige Skala eingeteilt; Grad IV bedeutet völlige Dedifferenzierung (anaplastische und Spindelzellkarzinome).
Differenzialdiagnose. Basaliom, depigmentiertes Me-
lanom, verschiedene Adnextumoren, Viruswarzen, granulomatöse Prozesse (z. B. Fremdkörpergranulom, tiefe Trichophytie etc.). In der Umgebung von P finden sich oft multiple aktinische Keratosen (Feldeffekt). Therapie. Komplette Exzision, nach Möglichkeit mit einem 0,5–1 cm breiten Sicherheitsrand. Weniger eingreifende Techniken (Elektrokoagulation, Kryotherapie u. a.) sind selbst bei kleinen und oberflächlichen P problematisch, da die Ergebnisse unsicher sind und die histologische Schnittrandkontrolle ausfällt. In schwierigen Lokalisationen (Gesicht, Genitale etc.) sind plastisch-chirurgische Techniken erforderlich. Radiotherapie wird bei primären P nur in Ausnahmefällen durchgeführt; allerdings ist die Strahlenempfindlichkeit gut (Ausnahme: verruköse Karzinome, beschleunigte Progression nach Bestrahlung wurde beschrieben). Radiotherapie ist auch als Zusatz (oder als Alternative) zur operativen Therapie von regionären Metastasen unentbehrlich. Bei P der Mundschleimhaut (mit Ausnahme der Lippen) ist eine radikale Entfernung wegen Knochennähe oder der Nähe funktionell wichtiger Strukturen
Sonderformen von Plattenepithelkarzinomen der Haut Dedifferenzierte Plattenepithelkarzinome Eine seltene Verlaufsform. Sie entstehen manchmal aus AK, häufiger aus Morbus Bowen, Erythroplasie, auf dem Boden entzündlicher Prozesse (Promotion!) oder de novo. Betroffen sind meist alte und/oder immunsupprimierte Personen. Klinisch handelt sich um schnell wachsende, meist exophytische, weiche, zerreißliche, leicht blutende und zerfallende Neoplasien, die früh lymphogen metastasieren. Histologie: anaplastische Spindelzellkarzinome. Verruköses Karzinom Definition, Epidemiologie. Eine Gruppe seltener, niedrig maligner P vorwiegend des höheren Lebensalters, die durch einen exophytischen, papillomatös-verrukösvegetierenden Wuchstyp, oft jahrzehntelange flächenhafte Ausbreitung mit lokaler Destruktion und nur seltene Metastasierung gekennzeichnet sind. Das »verruköse« Karzinom (VK) ist ein Sammelbegriff für mehrere analoge klinische Entitäten. Alle sind vermutlich mit HPV assoziiert; gesichert ist dies allerdings nur für die Riesen-Kondylome (»Low risk«-Typen 6 und 11). Einteilung, Symptomatik. Man unterscheidet:
4 Das VK der Mundhöhle (Synonym Floride orale Papillomatose; . Abb. 9.11). Häufiger bei Männern, fast stets bei Prothesenträgern und starken Rauchern. Beginn mit oft multizentrischen Leukoplakien (»Feldphänomen«) mit rauer, granulärer Oberfläche, die sich langsam ausdehnen, zu papillären Vegetationen, pflastersteinartigen verrukösen Plaques und fissurierten blumenkohlartigen Knoten fortentwickeln und schließlich destruierend tiefere Schichten infiltrieren (z. B. Kieferknochen). 4 Das VK des Genitalbereichs (Synonym RiesenCondylomata acuminata Buschke-Löwenstein, 7 Kap. 4.3.4) tritt vorwiegend an Glans und Präputium nicht zirkumzidierter Männer, seltener an Vulva, Vagina und Perineum auf. Das Wachstum
380
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
zierungsmerkmalen (entsprechend Haarfollikel, Talgund apokrinen/ekkrinen Drüsen bzw. deren Ausführungsgängen), wobei die Merkmale jedoch nicht selten überlappen und auch mit mesenchymalen Elementen vermengt sein können. 9.4.1 Infundibuläre Zysten (Hornzysten) Infundibuläre Zysten sind Zysten, deren auskleidendes Epithel analog dem Epithel des Haarfollikelinfundibulums verhornt (Stratum granulosum erhalten!). Der Inhalt besteht aus lamellierten Hornmassen. Man unterscheidet:
9
. Abb. 9.11. Verruköses Karzinom der Zunge. Ein teils leukoplakischer, teils unregelmäßig gehöckerter und exulzerierter Knoten der Zunge
führt zu Exulzeration, Superinfektion, Destruktion, Fistelbildung und Mutilation des äußeren Genitales und, bei Aszension, der Beckenstrukturen. Selten treten VK auch an Larynx, Konjunktiva, Ösophagus u. a. auf. 4 Das VK der Haut (Synonym Papillomatosis cutis carcinoides) ist eine verruköse, später erosiv-blumenkohlartige Läsion meist der Unterschenkel. Das VK der Sohlenhaut (Synonym Epithelioma cuniculatum) wächst aus mechanischen Gründen vorwiegend endophytisch und bildet Fisteln aus.
Milien Häufige, harmlose Fehlbildungen; meist multiple weißliche, derbe, oberflächliche, 1–2 mm große Papeln (»winzige, in die Haut eingelassene Perlen«). Beim Gesunden sind Milien ein unbedeutender Nebenbefund: Prädilektion des Gesichts (periorbital, Wangen – . Abb. 9.12); sie sind jedoch auch eine Folge von bullösen Dermatosen mit subepidermaler Spaltbildung (Porphyria cutanea tarda, Verbrennungen u. a.). Genese: Versprengung infundibulärer Epithelinseln in die Dermis. Therapie: Schlitzen. Versuche zur Expression ohne Kontinuitätstrennung sind schmerzhaft und fruchtlos. Epidermoidale Hornzyste (Synonym Talgzyste, Atherom) Eine besonders bei jüngeren Erwachsenen häufige follikuläre Retentionszyste. Symptomatik. Kalottenförmige, teigig-weiche Knoten
mit Prädilektion der seborrhoischen Areale. Der Zys-
Histologie. Plumpe, keulenartige Akanthose und Papil-
lomatose, Parakeratose. Auffallend reife Differenzierung mit normaler Stratifizierung, nur geringe Zahl von Mitosen, Kernatypien und dyskeratotischen Zellen. Differenzialdiagnose. Viruspapillome. Carcinoma cuniculatum: Mal perforant du pied.
9.4
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Hautadnexe
Dieses Kapitel der so genannten »Adnextumoren« ist besonders reichhaltig und umfasst Läsionen sehr verschiedener Dignität, Differenzierung und Häufigkeit. Die hier gewählte Einteilung basiert auf Differen-
. Abb. 9.12. Milien. Stecknadelkopfgroße, weiße, derbe Hornzystchen. Die Augenlider sind eine typische Lokalisation für spontan auftretende Milien
381 9.4 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Hautadnexe
9
3Seltene Hamartome mit Haarfollikel-Differenzierung (Auswahl) Naevus comedonicus. Bei diesem sind Haare, Matrix und Haarwurzelscheiden durch längliche, harte komedoähnliche Hornpfröpfe in ausgeweiteten Haarfollikeltrichtern ersetzt. Zahlreiche solche »Komedonen«, in sonst unauffälliger Haut und meist einseitig am Rumpf, sind entlang der Blaschko-Linien angeordnet. Die Läsion wird oft erst in der Pubertät auffällig. Komplikation: Entzündung. Therapie: Exzision, falls erwünscht. Im Gegensatz zu »echten« Komedonen sind die Hornpfröpfe kaum ausdrückbar.
. Abb. 9.13. Epidermoidale Hornzyste. Eine halbkugelige, teigig weiche, hautfarbene Zyste im Okzipitalbereich
teninhalt besteht aus lamelliertem Keratin und Lipidmassen (Cholesterinkristalle!); bei Inzision tritt dieser als käsig-bröckeliges Material mit ranzigem Geruch zutage. Hohe Neigung zu Sekundärinfektion (Kokken, Anaerobier – »Atheroma inflammatum«), manchmal Ausgangspunkt von Erysipel, Lymphangitis, Phlegmone u. a.
Trichofollikulom (Haarfollikelnävus). Dieses erscheint als halbkugelige hautfarbene Papel mit einem zentralen Haarbüschel, meist im Gesicht. Histologie: Zahlreiche, radiär von einem komedoartig ausgeweiteten »primären« Haarfollikel ausgehende, verschieden gut differenzierte Sekundär-Follikel (oft mit Haaren!). Fibrofollikulom und Trichodiskom. Varianten von Haarfollikelnävi, bei denen die mesenchymalen Anteile (bindegewebige Haarwurzelscheide) ausgebildet sind, die epithelialen (z. B. Follikel) jedoch nur mangelhaft oder fehlen. Symptomatik: Multiple (bis Hunderte) hautfarbene dermale Papeln an Gesicht und Rumpf meist bei Erwachsenen. Die Läsionen treten familiär gehäuft auf und sind mit medullären Schilddrüsenkarzinomen assoziiert (Birt-Hogg-Dube-Syndrom).
chomykose. Trichilemmalzysten.
Trichoblastom (Synonym Trichoepitheliom) Definition. Eine nicht seltene benigne Neoplasie der follikulären Stammzelle (gemeinsame Stammzelle der Haarfollikel/Talg-/apokrinen Drüsen-Einheit). Sie ist durch variable follikuläre (gelegentlich auch sebazeär/ apokrine) Differenzierungszeichen gekennzeichnet. Ekkrine Differenzierung fehlt.
Therapie. Nichtentzündliche Zysten werden nach
Symptomatik. Das Trichoblastom tritt entweder soli-
Schlitzen der bedeckenden Haut mitsamt der Zystenwand (»Balg«) ausgeschält. Bei infizierten Zysten wird zuerst die Infektion bereinigt (»Zugsalbe«, Rotlicht, evtl. Antibiotika), erst anschließend die operative Entfernung. Inzision und Entleerung des Inhalts allein bringt meist keinen Dauererfolg, da sich die Zyste bald wieder füllt.
tär (häufig in Naevi sebacei) oder multipel auf (autosomal-dominant): hautfarbene, mäßig derbe Papeln/ Knoten vorwiegend im Gesicht (Sulcus nasolabialis!, . Abb. 9.14) oder lumbosakral (hier oft tief). Es manifestiert sich meist in der Pubertät und ist langsam progredient. Histologie: Ein gut abgegrenztes, homogen aufgebautes Gebilde aus epithelialen und mesenchymalen follikulären Elementen. Varianten sind das desmoplastische Trichoepitheliom (klinisch Basaliom-ähnlich) und das Panfollikulom (Ausbildung sämtlicher Anteile des Haarfollikels).
Pathogenese. Obstruktion des Haarfollikelostiums,
Weiterproliferation des Follikelepithels (. Abb. 9.13). Differenzialdiagnose. Furunkel, Karbunkel, tiefe Tri-
9.4.2 Läsionen mit Haarfollikel-Differen-
zierung Fibröse Papel der Nase/des Gesichts Das häufigste follikuläre Hamartom: eine hautfarbene, derbe Basaliom-ähnliche Papel mit vereinzelt Teleangiektasien. Meist bei Erwachsenen. Histologie: abortive Haarfollikel, um diese verdichtetes Bindegewebe und Gefäße. Differenzialdiagnose: Angiofibrome.
Differenzialdiagnose. Melanozytärer Nävus Miescher,
fibröse Papel, Basaliom. Pilomatrixom (Synonym Epithelioma calcificans Malherbe) Eine nicht seltene, benigne Neoplasie mit Haarmatrixdifferenzierung. Symptomatik: Ein meist solitärer, kutan-subkutaner und mit der Haut verbackener,
382
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
. Abb. 9.15. Keratoakanthom. Eine halbkugelige, unscharf begrenzte, hautfarbene Läsion; die Epidermis spannt sich straff über die Seitenflächen und bedeckt schmallippig zirkulär einen zentralen dunklen Hornpfropf
. Abb. 9.14. Trichoepitheliome. Multiple konfluierende hautfarbene Knötchen der Nasolabialregion
9
steinharter Knoten (verkalkt!) von manchmal lappigem Aufbau. Vorkommen besonders bei Kindern an Gesicht und Armen. Histologie: Solide Epithelmassen mit Nekrose- und Verkalkungszonen. Typisches Zeichen: »Schattenzellen« (nekrotische Zellen, an denen bei fast geschlossener Blende die Konturen der Zellgrenzen und des Kerns deutlich erkennbar sind). Matrixkarzinom (Synonym Malignes Pilomatrixom).
Das maligne Gegenstück des Pilomatrixoms; sehr selten, meist an Rumpf oder Extremitäten im mittleren Lebensalter. Entstehung de novo!
halb so hoch wie die des Plattenepithelkarzinoms. Vorwiegend betroffen sind Personen >50 Jahre. Symptomatik. Klassische K (. Abb. 9.15) treten fast ausschließlich und meist einzeln in lichtexponierten Regionen (Gesicht, Nacken, Unterarme) auf: bis 3 cm große, schnell wachsende, derbe, glatte, halbkugelige rötliche (Teleangiektasien!) oder hautfarbene Knoten, in deren Zentrum ein Hornpfropf steckt. Der Pfropf kann sich unter Hinterlasssen eines irregulären Kraters mit granulärer Auskleidung lösen und mit einer schüsselförmigen Narbe abheilen. Entstehung und Abheilung dauern zwischen 6 Wochen und 6 Monaten. Manche K bleiben jedoch bestehen und verhalten sich progredient. Differenzialdiagnose: Plattenepithelkarzinom, Basaliom, Viruspapillome.
chemische Karzinogene (z. B. Teer). HPV wurden in K mehrmals nachgewiesen, ihre ätiologische Rolle ist noch unklar. Multiple K kommen auch im Rahmen von Genodermatosen vor (Muir-Torre-Syndrom, Xeroderma pigmentosum).
3Sonderformen der Keratoakanthome: 4 Multiple Keratoakanthome treten entweder sporadisch oder im Rahmen des »multiple self healing squamous epithelioma syndrome« (Ferguson-Smith) auf: eine seltene autosomale Erbkrankheit (Mutation des MSSE – ein Tumorsuppressor-Gen), meist bei Personen schottischer Abkunft. Erstmanifestation in Spätkindheit; Inzidenz und Aggressivität der K nehmen im Lauf der Jahre zu (lokale Destruktion, Mutilationen). 4 Eruptive Keratoakanthome. Sehr zahlreiche kleine, extrem therapieresistente K. 4 Riesen- und multifokale Keratoakanthome. Selten, platten- bis ringförmig, polyzyklisch (»Korallenriff«-artig). 4 Sehr selten entstehen K an unbehaarten Körperstellen (Nagelbett, Mundschleimhaut – aus Arealen infundibulärer Differenzierung, Drüsenausführungsgängen etc.). Diese K sind nicht rückbildungsfähig und wachsen aggressivdestruierend.
Epidemiologie. K kommen weltweit vor, vorwiegend bei Weißen, bei Männern etwa doppelt so häufig wie bei Frauen. Ihre Inzidenz in gemäßigten Breiten ist etwa
Histologie. Eine gekammerte, kugelige infundibuläre Zyste. Die Wand besteht aus hochdifferenziertem Plattenepithel, das in der Frühphase mit zahlreichen Tu-
Keratoakanthom Definition. Keratoakanthome (K) sind relativ häufige, klinisch und histologisch sehr charakteristische niedrigmaligne Neoplasien des Infundibulums mit hoher Selbstheilungstendenz. Sie sind vermutlich nicht ein einheitliches Krankheitsbild, sondern ein klinisch/histologisches Reaktionsmuster; ein Teil sind vielleicht Viruswarzen mit endophytischem Wachstum. Ätiologie. Hauptfaktor ist das UV-Licht, seltener
383 9.4 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Hautadnexe
9
morsträngen in die Umgebung einwuchert. Am Zystendach öffnet sich ein zentraler Porus, der beidseits von einem Epidermiskragen begrenzt ist. Das Epithel kann Irregularitäten wie bei P zeigen; alternativ einen gleichförmigeren Aufbau mit gröber gekörntem Stratum granulosum und fokal Koilozyten wie bei Viruspapillomen. Therapie. Exzision. Bei inkompletter Entfernung sind Rezidive häufig (30%).
Trichilemmalzyste (Synonym Piläre Zyste, Isthmus-Katagenzyste) Hamatomatöse Hornzysten mit trichilemmaler Verhornung (d. h. abrupter Verhornung ohne Ausbildung eines Stratum granulosum, mit kompaktem Hornmaterial. Diesen Verhornungstyp zeigt physiologisch die äußere Haarwurzelscheide – Trichilemm – im Isthmusbereich, insbesondere im Katagenstadium). Die nicht seltenen Hamartome treten solitär oder familiär gehäuft (autosomal dominant) auf. Sie finden sich typischerweise multipel am Kapillitium von Frauen der 2. Lebenshälfte (. Abb. 9.16), sind von halbkugeliger Form, bis 5 cm groß, kompakter und derber als »Atherome« und neigen weniger zur Infektion. Differenzialdiagnose: Epidermoidale Hornzyste, Metastasen, Zylindrome. Therapie: Operative Ausschälung. Proliferierende Trichilemmalzyste Eine seltene, niedrig-maligne zystische Neoplasie mit trichilemmaler Verhornung, häufig im Rahmen von multiplen Trichilemmalzysten. Meist am Kapillitium älterer Frauen, selten im Gesicht oder sogar subungual: ein schmerzloser, langsam wachsender, derber Knoten, der weit über die Größe von Trichilemmalzysten anwächst, exulzeriert und sich in eine »kastenartige«, verbackene, fistulierende Läsion umwandelt. Bei längerem Bestand bzw. Rezidiven kann es zur Metastasierung kommen (Lymphknoten, Lunge). Histologie: Ein solides bis zystisches Karzinom mit trichilemmaler Differenzierung. Differenzialdiagnose: Trichilemmalzyste, Pilomatrixom, Metastasen.
. Abb. 9.16. Trichilemmalzysten am Kapillitium
ry-Knötchen, an der Glans penis als Tyson-Drüsen bezeichnet. (Senile) Talgdrüsenhyperplasie Hier handelt es sich nicht um eine Hyperplasie (keine selbstständige Rückbildung!), sondern um ein (sehr häufiges) Hamartom: kleine, flach erhabene, gelbliche Papel mit gelapptem Aufbau im Gesicht (Stirn > Wange > Nase), zumeist bei Männern >40 Jahren. Kleinen Basaliomen oft täuschend ähnlich! Histologie: voll ausgereifte Talgdrüsen. Naevus sebaceus (Synonym Organoider Nävus) Ein relativ häufiges, den epidermalen Nävi verwandtes Hamartom. Es tritt meist als solitäre, streifige Läsion am Kapillitium (seltener im Gesicht) auf, ist haarlos, gelb-rötlich, von weicher Konsistenz und höckeriger
9.4.3 Läsionen mit Talgdrüsen-Differen-
zierung Ektope Talgdrüsen Talgdrüsen ohne Haarfollikel an sonst talgdrüsenfreien Regionen. Diese häufigen harmlosen Fehlbildungen werden an der Mundschleimhaut als Fordyce-Drüsen, im Brustwarzenhof als Montgome-
. Abb. 9.17. Naevus sebaceus mit einem pigmentierten Basaliom am hinteren Läsionsrand
384
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Oberfläche (. Abb. 9.17). Multiple organoide Nävi können Teil von Fehlbildungssyndromen sein. Auftreten im Frühkindesalter, ab der Pubertät dominieren Talgdrüsen (hormonabhängiges Wachstum!). Im weiteren Verlauf können sich verschiedene Adnextumore entwickeln (Trichoblastom, Sebazeom, selten auch Basaliome) – die Exzision wird daher empfohlen. Zyste des Talgdrüsen-Ausführungsgangs (Synonym Steatozystom) Epidemiologie. Ein Hamartom, das fast nur bei beim seltenen Steatocystoma multiplex vorkommt (eine autosomal dominante Mutation des Keratin-17, verwandt mit Pachyonychia congenita Typ II). Symptomatik. Unzählige Zysten an Rumpf, Gesicht
und proximalen Extremitäten (!). Sie sind hautfarben, weich, prall- elastisch, können einschmelzen, durchbrechen (öliger Inhalt), fistulieren und eitern.
9
Histologie. Die Zystenwand ist entsprechend dem Ausführungsgang der Talgdrüse differenziert: wenige Epithellagen mit Str. granulosum und charakteristisch sägezahnartiger luminaler Verhornung; eingelagert meist Talgdrüsenreste (Druckatrophie!). Im Zysteninhalt manchmal zusätzlich Vellushaare (eruptive Vellushaarzysten). Therapie. Operative Entfernung besonders störender
Läsionen, Therapieversuch mit Retinoiden. Sebazeom Eine sebazeär differenzierte benigne Neoplasie: Eine gelb-rötliche Papel, meist an Gesicht oder Skalp von betagten Personen. Histologie: Horizontal orientierte Drüsenläppchen mit unvollständiger sebazeärer Differenzierung, Ausführungsgängen und kraterartigen Infundibula. Differenzialdiagnose: Angiofibrome. Talgdrüsenkarzinom (Synonym Sebazeäres Karzinom) Diese seltenen Karzinome treten meist okulär (MeibomDrüsen!) oder seltener extraokulär auf. Das okuläre ist ein langsam wachsender, oft jahrelang als Chalazion interpretierter Knoten der Augenlider vorwiegend älterer Frauen; das extraokuläre ähnelt Plattenepithelkarzinomen oder Basaliomen im Gesichts-/Kopfbereich älterer Personen. Hinweise auf die sebazeäre Differenzierung: das gelblich-rötliche Kolorit und der oft gelappte Aufbau. Histologie: Asymmetrische, teils sebazeär differenzierte, Atypie- und Mitose-reiche Karzinome, oft mit »pagetoider« Besiedelung der Epidermis. Die Prognose ist schlechter als die von Plattenepithelkarzinomen (Rezidivneigung, Metastasierung, letaler Verlauf in 10–20%).
Muir-Torre-Syndrom. Multiple sebazeär differenzierte kutane Neoplasien (Sebazeom, sebazeäres Karzinom; Keratoakanthom mit fokal sebazeärer Differenzierung), assoziiert mit inneren Neoplasien (niedrig-maligne Dickdarmkarzinome). Das autosomal-dominant vererbte Syndrom ist Teil der Nicht-Polypose-assoziierten familiären Kolonkarzinom-Syndrome I und II. Manifestation nach der Lebensmitte, die internen Neoplasien gehen den kutanen meist voraus.
9.4.4 Läsionen mit apokriner Differen-
zierung Zyste der apokrinen Drüse (Synonym Apokrines Hidrozystom) Eine häufige Retentionszyste der apokrinen Drüse durch Verschluss des Ausführungsgangs. Sie tritt meist im Gesicht Erwachsener auf und wird wegen ihrer bläulichen Farbe (Lipofuscin) oft als blauer Nävus oder pigmentiertes Basaliom verkannt. Manchmal familiär gehäuft (multipel!). Histologie: Zysten mit zweireihigem (apokrinem) Epithel. Manchmal stärker ausgeprägte epitheliale Reaktion (»apokrines papilläres Zystadenom«). 3Benigne apokrine Neoplasien Ein Spektrum seltener, gutartiger Gewächse, die in der Regel klinisch wenig Eigenart entfalten und erst histologisch diagnostiziert werden. Es umfasst das tubuläre apokrine Adenom (Abkunft: Ausführungsgang, an Unterschenkeln, Frauen >50 Jahre), das Syringozystadenoma papilliferum (Abkunft: Drüsenkörper/Ausführungsgang, eine papillär-zystische Läsion im Kopfbereich junger Menschen, oft assoziiert mit Naevus sebaceus; Sonderform: »erosive Adenomatose der Brustwarze«), das apokrine Hidradenom (Abkunft: wie oben; der relativ häufigste Vertreter, solid-zystische dermal/subkutane Knoten, keine Geschlechts- oder regionale Prädilektion), das Hidradenoma papilliferum (Abkunft: Drüsenkörper; dermal/subkutane Knoten, fast ausschließlich im Genitoanalbereich von Frauen) und der apokrine Mischtumor (Aufbau aus Drüsen-, myoepithelialen und bindegewebigen Elementen; bei Männern mittleren Alters, Kopf-Halsbereich; fleischig-derbe, manchmal zystische Knoten mit Pseudokapsel – Tumor springt bei Inzision heraus).
Paget-Karzinom (historisch: Morbus Paget mamillae) Definition. Ein intraduktales Karzinom des Milchdrüsenausführungsgangs, das die Epidermis der Areola mammae durchsetzt und dadurch eine ekzemähnliche Läsion hervorruft (. Abb. 9.18a). Milchdrüsen sind modifizierte apokrine Drüsen, deren Karzinome daher apokrin differenziert.
385 9.4 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Hautadnexe
9
! »Pagetoide« Durchsetzung der Epidermis mit neoplastischen Zellen findet sich auch beim Melanom, bei der pagetoiden Retikulose (s. unter Mykosis fungoides), und manchmal beim Morbus Bowen.
Therapie und Prognose. Lege-artis-Mammadiagnostik
und -operation sind unbedingt erforderlich! Die an der Haut sichtbaren Veränderungen sind nur die Spitze des Eisbergs – der Hauptteil des Karzinoms liegt fast stets im Milchgangssystem verzweigt (nicht immer tastbar!). Er würde bei bloß lokaler Exzision nicht erfasst. Rezidive in bis zu 50%, Metastasen bis 30%. Extramammäres Paget-Karzinom. Ein weniger häufiges Analogon in der Analregion, selten den Axillen oder Leisten. Hier geht das Karzinom von apokrinen Drüsen der Region aus, die viel oberflächlicher liegen als die Milchdrüsen (. Abb. 9.18b). Die Epidermis wird daher wesentlich rascher und in einem früheren Stadium ergriffen als bei Mammakarzinomen (Prognose günstiger, komplette Exzision ausreichend). Allerdings können auch andere Karzinome der Region (z. B. Rektum, Blase) manchmal einen extramammären Morbus Paget imitieren. Differenzialdiagnose: Analekzem (!), Psoriasis inversa.
a
b . Abb. 9.18a, b. a Morbus Paget mamillae (initiales Stadium). Innerhalb des Warzenhofs, konzentrisch um die Mamille, ein scharf und polyzyklisch begrenztes Erythem mit angedeutetem Randwall. Die Kontur der Mamille ist verstrichen, die Hauttextur verwaschen. b Extramammärer Morbus Paget: Mehrere, teils konfluierende, scharf und polyzyklisch begrenzte erythematöse Herde der Achsel
Symptomatik. Ein einseitiger, scharf und unregelmäßig begrenzter, rötlicher, leicht infiltrierter und leicht schuppender Bezirk der Areola mammae. Subjektive Beschwerden fehlen! Retromamillär ist häufig ein Knoten/Tumor tastbar. Histologie. Diffuse Durchsetzung der Epidermis mit
»Paget-Zellen« (helle, vakuolisierte, PAS-positive Zellen mit atypischen Kernen, einzeln oder in Gruppen. Sie liegen (im Gegensatz zu Melanozyten) suprabasal und reagieren positiv für epitheliale Marker. Differenzialdiagnose. Mamillarekzem: meist beidseits, unscharf begrenzt, lichenifiziert und juckend; Morbus Bowen.
3Andere apokrine Karzinome Eine Gruppe meist seltener, apokrin differenzierter maligner Neoplasien mit langsamem, lokal destruierendem Wachstum, ausgeprägter Neigung zu Lokalrezidiven und nur seltener und später Metastasierung (Ausnahme: das aggressive digitale papilläre Adenokarzinom – Fernmetastasen meist der Lunge in ca. 40%). Auftreten häufig am Kopf, vorwiegend bei Personen >50 Jahre. Man unterscheidet das adenoid-zystische, das muzinöse, das Hidradeno- und das maligne gemischte Karzinom.
C A V E
Die Diagnose von primären Karzinomen der Hautanhangsgebilde muss mit Zurückhaltung gestellt werden. In nicht eindeutigen Fällen muss immer an ein adnexal differenziertes Basaliom und an Metastasen (tubulärer) innerer Neoplasien (Mammakarzinome!) gedacht werden.
9.4.5 Läsionen mit ekkriner Differen-
zierung Läsionen mit Drüsengangdifferenzierung Die Vertreter dieser Gruppe galten früher als Läsionen ekkriner Abkunft, obwohl ekkrine und apokrine Ausführungsgänge morphologisch ident sind. Der gelegentliche Befund von apokrinen Drüsen bzw. apokriner Sekretion, sowie der manchmal gegebene Kon-
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Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
tomen und Zylindromen assoziiert: sattrote Papeln bis Knoten, solitär (gelegentlich multipel, nävoid angeordnet), tief liegend und oft schmerzhaft. Histologie: Dermal/subkutane Zellnester aus 2 Zelllagen ähnlich dem Porom. Typisch: tubuläre Gangformationen, verdickte Basalmembranen, oft als »hyaline Globuli«. Häufig Konnex zum Haarfollikel.
. Abb. 9.19. Syringome. Multiple flach erhabene hautfarbene Knötchen am Unterlid
nex zu Haarfollikeln bzw. zu Strukturen mit follikulärer Differenzierung legen jedoch eine apokrine Abkunft nahe.
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Syringome Ein häufiges, harmloses und charakteristisches Hamartom des dermalen Anteils des Ausführungsganges. Syringome treten vorwiegend bei erwachsenen Frauen auf: multiple, mehrere Millimeter große, hautfarbene, mäßig derbe Papeln am Unterlid (selten Hals, Brust, Genitale, Extremitäten) (. Abb. 9.19). Histologie: Multifokale, meist solide »tennisschlägerartige« epitheliale Inseln in der oberen Dermis, fibrosiertes Stroma. Differenzialdiagnose: Xanthelasmen (meist größer, gelblich, am Oberlid), Milien (kleiner, derb, weiß), multiple Trichoblastome (Nasolabialfurche).
Zylindrom Eine benigne, vermutlich apokrine Neoplasie der tiefen Drüsen und Ausführungsgänge (Übergangsformen zum Spiradenom!). Auftreten in der 2. Lebenshälfte, vorwiegend bei Frauen (4:1), am Kopf (Stirnhaargrenze, retroaurikulär): halbkugelige, hautfarben-fleischige Läsionen (. Abb. 9.21). Meist solitär, in ca. 10% multipel (autosomal-dominant – Turbantumoren!). Histologie: Ähnlich dem Spiradenom; puzzleartige Aggregation von Zellnestern mit sehr prominenter Basalmembran. Differenzialdiagnose: multiple Trichilemmalzysten, Metastasen. Karzinome mit Drüsengangdifferenzierung Eine heterogene Gruppe sehr seltener maligner Neoplasien, die in der Regel durch langsames, lokal destru-
Porome Eine seltene benigne Neoplasie des intraepidermalen und/oder dermalen Anteils des Ausführungsgangs. Porome treten vorwiegend im Alter (>50 Jahre) und an den Extremitäten auf: meist solitäre, gelegentlich multiple (entlang der Blaschko-Linien) rötliche Knoten, bis einige Zentimeter groß, halbkugelig, manchmal mit papillärer Oberfläche (. Abb. 9.20). Histologie: Mit der Epidermis kommunizierende Zellnester aus 2 Zelltypen, die der peripheren bzw. der luminalen Zelllage der Ausführungsgänge entsprechen; kleine Lumina mit einer eosinophilen Cuticula. Differenzialdiagnose: Hämangiom, Granuloma pyogenicum, Basaliom, Viruspapillom. Spiradenom Eine benigne Neoplasie der tiefen Ausführungsgänge bzw. Drüsen. Auftreten vorwiegend in der 2. Lebenshälfte an Kopf oder Brust, gelegentlich mit Trichoblas-
. Abb. 9.20. Porom. Ein kalottenförmiger, erosiver dunkelroter Knoten am Unterschenkel in chronischer Radiodermitis
387 9.4 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Hautadnexe
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teristischem klinischem und histologischem Bild, tritt vorwiegend im Alter und nur an Haarfollikel-tragenden Körperregionen auf. Es besitzt eine ausgeprägte Fähigkeit zur lokalen Invasion und Destruktion, setzt aber nur sehr selten Metastasen. Epidemiologie. Das B kommt weltweit vor, bei Weißen
ca. 10-mal häufiger als bei dunkelhäutigen Ethnien, bei Männern doppelt so häufig wie bei Frauen. Die Inzidenz (USA) beträgt derzeit ca. 400/10 000/Jahr (Männer) und steigt an (3–6%/Jahr; knappe Verdopplung in den letzten 20 Jahren). Auftreten vor dem 40. Lebensjahr ist selten, die Inzidenz steigt etwa linear mit dem Alter; Durchschnittsalter: 60 Jahre. Die Inzidenz korreliert mit dem Hauttyp (bei Typ I am höchsten), dem Beruf (Außenberufe!) und der UV-Einstrahlung am Wohnort. Jedes B steigert die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines weiteren um ca. 50%. Die Mortalität ist sehr gering. . Abb. 9.21. Zylindrom. Ein schmalbasiges kugeliges, hautfarben bis rötliches, derbes Gebilde an der Ohrmuschel
ierendes Wachstum charakterisiert sind und nur ausnahmsweise und spät metastasieren. Je nach ihrer Differenzierung unterscheidet man mehrere Formen, die analog zu ihren gutartigen Gegenstücken bezeichnet werden (s. o.). Syringomatöses Karzinom. Man unterscheidet hoch-
differenzierte (Synonym mikrozystischer Adnextumor), mäßig (syringoides ekkrines Karzinom) und schlecht differenzierte (ekkrin duktales Karzinom). Symptomatik: Destruktiv wachsende derbe, schlecht abgegrenzte, hautfarben/rot-bläuliche Plaques/Tumore, meist im Kopfbereich. Histologie: ähnlich Syringomen, jedoch destruierendes Wachstum. Porokarzinom. Prädilektionsstelle: untere Extremität.
Neigung zur Ausbildung von Lymphknoten- und epidermotropen Hautmetastasen. Weitere Vertreter sind das Spiradenokarzinom (Entstehung häufig aus Spiradenomen) und das Zylindrokarzinom (vorwiegend am Skalp älterer Frauen). 9.4.6 Basaliom Definition. Das Basaliom (»basal cell carcinoma«,
Trichoblastäres Karzinom) (B) ist eine der häufigsten Neoplasien der Haut – eine mittelgradig maligne Neoplasie der follikulären Stammzelle. Es ist von charak-
Ätiologie. Sporadische B entstehen durch somatische Mutationen beider Allele des PTCH-1 oder -2-Gens; das wichtigste Mutagen ist das UV-Licht, ein heute fast verschwundenes das Arsen (Rumpfhaut-B!). Dem Basalzellnävus-Syndrom (7 Kap. 8.6.2) liegt eine Keimlinienmutation eines PTCH-1-Gens zugrunde – B entstehen hier bei Mutation des verbleibenden Allels. Symptomatik. B können überall am Körper entstehen; Ausnahmen sind nicht-follikeltragende Regionen (Handflächen, Fußsohlen, Mund-, Genitalschleimhaut). Bevorzugt ist der Kopfbereich (90%!), meist die Gesichtsmitte (Nase, Orbital-, Präaurikulärregion). Anders als Plattenepithelkarzinome kommen sie auch nicht selten an kaum UV-belasteten Körperstellen (Kapillitium, retroaurikulär) wie auch ohne deutliche aktinische Vorschäden vor. Ihr Verteilungsmuster korreliert daher nicht streng mit der kumulativen UV-Belastung. Charakteristisch ist eine halbkugelige, glatte, bei Palpation prall wirkende, fahl hautfarbene, manchmal transluzente (Zysten!) Papel von perlmutterartigem Glanz (Basaliomknötchen), die von irregulär angeordneten Teleangiektasien umgeben und überzogen ist (B erscheinen daher oft rötlich). In manchen Basaliomknötchen erkennt man Pigmentpünktchen. Ein B besteht zunächst aus einem, später mehreren aggregierten Basaliomknötchen in oft kranzartiger Anordnung (. Abb. 9.22). Es wächst sehr langsam (Jahre!) sowohl peripher als auch vertikal; im Verlauf kommt es häufig zu zentraler Atrophie und fibrotischer Schrumpfung, schließlich zur Exulzeration. Die morphologische Individualität von B ist hoch; sie erscheinen jedoch
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9
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
meist läppchenartig gegliedert und lassen zumindest einzelne Basaliomknötchen erkennen. Man unterscheidet mehrere Varianten: 4 Noduläres (knotiges) Basaliom: die klassische Manifestation (s. o.). 4 Infundibulozystisches Basaliom: bis mehrere Zentimeter groß, ungegliedert, nicht exulzeriert. Infundibuläre Zysten sind klein, oft nur histologisch erkennbar. Es wirkt klinisch harmlos, ist aber oft schwer diagnostizierbar und histologisch dem Trichoblastom ähnlich. 4 Oberflächliches Basaliom (Rumpfhautbasaliom): nummuläre erythematöse Herde im oder etwas unter dem Hautniveau, leicht infiltriert, manchmal polyzyklisch, randwärts oft ein Saum von Basaliomknötchen. Sie kommen meist multipel am Rumpf vor. Histologie: Multiple, kleine Basaliomzellnester, die tropfenartig von der Epidermis in die Dermis hängen. 4 Fibroepitheliom (Synonym Pinkus-Tumor): meist exophytische, oft gestielte Läsionen ähnlich seborrhoischen Warzen oder Fibromata mollia, hauptsächlich am Rumpf (Leisten, Axillen). Histologisch ein feinverästeltes Netzwerk von B-Gewebssträngen in lockerem Bindegewebe – eine oft täuschende Imitation von Haarpapillen. 4 Sklerodermiformes Basaliom: eine klinisch oft schwer erkennbare Form, häufig im Gesicht: flache Herde im Hautniveau, die sich durch derbe sklerodermiforme Infiltration, Schrumpfung, aber kaum Basaliomknötchen und Teleangiektasien auszeichnen. Ursache: infiltratives Wachstum mit zahlreichen, verästelten (oft Einzel)Zellsträngen mit ex-
. Abb. 9.22. Knotiges Basaliom. Ein zentral eingesunkener Herd mit aus Basaliomknötchen aufgebautem Randwall. Beachte die transluzente Beschaffenheit der Knötchen und die mäßige Pigmentbildung am oberen Pol
zessiver fibrotischer Stromareaktion. Der Prozess dehnt sich oft weit über die sichtbare Grenze in die benachbarte Dermis aus – bei knapper Exzision sind daher Rezidive häufig. Diese Grundmuster der Morphologie werden in wechselndem Maß durch weitere Momente modifiziert: 4 Pigmentierung (. Abb. 9.23): mäßige, im Auflichtmikroskop feinkörnig aggregierte bräunlichschwarze Pigmentdepots sind bei jedem Basaliomtyp möglich und lassen oft den Läppchenaufbau klarer hervortreten. Klinisch auffallend ist die Pigmentierung am häufigsten beim knotigen B. 4 Exulzeration: geschwüriger Zerfall tritt meist erst nach längerer Dauer (Jahre) auf. Patienten registrieren dies als »Wunde, die nie ganz abheilt«, oder doch bald wieder aufbricht. Die Ulzera sind schüsselförmig, mit oft steilen Rändern (»wie ausgeschnitten«), schmerzlos, nässend-krustös, an ihrem Rand häufig Basaliomknötchen. Der weitere Verlauf ist durch flächiges oder Tiefenwachstum geprägt (oder beides): bei horizontalem »Abgrasen« entstehen oft weite, oberflächliche, polyzyklische Ulzera (»nagender« Typ: Ulcus rodens, . Abb. 9.24, . Abb. 9.25), bei Wachstum in die Tiefe werden vitale Strukturen oft bald erreicht (»bohrender« Typ: Ulcus terebrans). Ohne Therapie wachsen alle B nach Jahren/Jahrzehnten in die tiefen Schichten ein (Fett, Faszien, Muskel) und führen z. B. durch Arrosion großer Gefäße oder Eindringen in die Schädelkapsel zum Tod. Riesige exulzerierte B mit Mutilation von Akren (Nase, Ohren, Lippen), fibrotischer Verziehung des Gesichts (Lagophthalmus!), Zerstörung des Auges etc. waren früher wegen des langsamen Wachstums und der subjektiven Beschwerdearmut nicht selten.
. Abb. 9.23. Pigmentiertes Basaliom. Eine aus multiplen pigmentierten Basaliomknötchen aufgebaute Läsion mit Randwall und atrophem Bezirk
389 9.4 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Hautadnexe
. Abb. 9.24. Exulzerierendes Basaliom der Schläfe vom Typ »Ulcus rodens«. Ektropium
. Abb. 9.25. Mutilierendes Basaliom der Unterlippe (Ausgangspunkt unterhalb des Lippenrots). Beachte den gegliederten Tumorrand mit Basaliomknötchen
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. Abb. 9.26. Basaliom. Tumorlappen. Ein (wegen der hohen Kern-Plasma-Ratio) basophiles, wohl abgegrenztes Tumorzellaggregat mit wenig Kernatypien, peripherer Palisadenstellung und (mäßig) zystischen Hohlräumen. Ein zweiter Tumorlappen (linker unterer Bildrand) zeigt einen typischen peripheren Retraktionsartefakt (»mondsichelförmig«). Beachte die zwiebelschalenartige Bindegewebsverdichtung um die Tumorlappen (Stroma-Reaktion). HE, x25
Differenzialdiagnose. Abzugrenzen sind je nach Typ des Basalioms: 4 Kleine noduläre und infundibulozystische B: Milien, aktinische Keratosen, senile Talgdrüsenhyperplasie, seborrhoische Warzen, Adnextumoren (Trichoblastom), melanozytäre Nävi Miescher 4 Pigmentierte B: Histiozytome, melanozytäre Nävi Clark, Melanome 4 Oberflächliche B: Morbus Bowen, Psoriasis, nummuläres Ekzem 4 Zystische B: Adnextumoren (z. B. Zyste der apokrinen Drüse) 4 Exulzerierte B: Plattenepithelkarzinome, andere exulzerierte Neoplasien (Melanom, Paget-Karzinom u. a.). Therapie. Standardbehandlung ist die Exzision mit
Histologie. B bestehen aus gleichförmigen basaloiden
Zellen mit basophilem Zytoplasma und hoher KernPlasma-Ratio (. Abb. 9.26). Der Aufbau ist ungeordnet, asymmetrisch: scharf abgegrenzte, lappige, band- bis streifenartige Zellaggregate; die periphere Zelllage ist in Palisadenstellung (ähnlich Haarfollikeln) und häufig von halbmondförmigen Retraktionsartefakten umgeben (Schrumpfung des Stromas durch Fixierung). Um die Läsion ist das Bindegewebe schalenartig verdichtet (fibrosierende Stromareaktion), besonders ausgeprägt beim sklerodermiformen B. Nicht selten finden sich reichlich Melanozyten (pigmentiertes B). Manche B zeigen Zeichen von Differenzierung: pseudoglanduläre Strukturen (apokrine oder Talgdrüsen – adenoides B), infundibuläre Zysten (Hornperlen – keratotische B) u. a.
relativ knappem (beim sklerodermiformen B jedoch ca. 2–3 cm) Abstand, bei Unmöglichkeit primären Wundverschlusses Deckung mit plastisch-chirurgischen Methoden. Daneben bestehen folgende Alternativen: 4 Kürettage (»Auskratzen« des B mit anschließender Elektrokoagulation des Wundgrundes) und Abwarten spontaner Wundheilung: wird bei mäßig ausgedehnten, primär nicht verschließbaren B angewendet. Die Kürettage erfordert Erfahrung, ergibt aber erstaunlich schöne Narben. Nachteil: Rezidive häufiger als bei Exzision. 4 Kryotherapie und topisches 5-Fluorouracil kommen nur bei oberflächlichen B in Frage und sind weniger wirksam als bei aktinischen Keratosen.
390
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
4 Lokaltherapie mit Imiquimod und Photodynamische Therapie erreichen nur oberflächliche B. 4 Röntgenbestrahlung: eine gute Alternative bei alten oder nicht operationsfähigen Patienten – B sprechen gut an. Vorteil: wenig belastend, Nachteile: histologische Sicherung der Erfassung in toto nicht möglich; nach Jahren Strahlenatrophie. 4 Medikamentöse Therapie: Interferon-α ist wirksam, wegen langer und aufwendiger Behandlung, Nebenwirkungen und Kosten jedoch impraktikabel. Synthetische Retinoide (z. B. Isotretinoin) haben möglicherweise prophylaktische Wirkung (Basalzellnävus-Syndrom!).
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Prognose. Rezidive treten je nach Behandlung in 1– 10% auf, besonders häufig bei vorbehandelten, besonders großen (>2 cm) und sklerodermiformen B. Metastasierung ist sehr selten (<0,1%; Lymphknoten, Lunge und Knochen). Hierbei liegen häufig dedifferenzierte, aggressiv wachsende basaloide Neoplasien (»verwilderte B«) vor; sie entstehen entweder spontan oder durch ungenügende Strahlentherapie (Induktion weiterer Mutationen). Das Basalzellnävus-Syndrom ist ein autosomaldominantes Fehlbildungssysndrom, das durch Auftreten zahlreicher B (besonders infundibulozystische und Pinkusformen) am gesamten Körper ab der frühen Jugend sowie Entwicklungsdefekte charakterisiert ist (7 Kap. 8.6.2).
9.4.7 Merkelzellkarzinom Definition, Symptomatik. Dies ist eine seltene, maligne Neoplasie mit neuroendokriner Differenzierung (Merkelzellen, 7 Kap. 2). Klinisch imponiert ein rasch wachsender, derber, halbkugelig prominenter erosiver Knoten von bläulichem Farbton, meist im Gesicht älterer Personen. Histologisch findet sich eine nestartig-trabekulär aufgebaute maligne Neoplasie. Die Zellen sind verwaschen-basophil, die Zellkerne hell mit einem charakteristischen peripheren Ring von Heterochromatin und massenhaft (atypischen) Mitosen (»Kleinzeller«). Diagnostik. Immunhistochemisch zytoplasmatische
Positivität auf Zytokeratine (8, 18, 19, 20) und neuroendokrine Marker (z. B. neuronspezifische Enolase, Synaptophysin, Chromogranine, VIP), ultrastrukturell die für Merkel-Zellen typischen sekretorischen Granula. Prognose. Die Prognose ist ernst: in ca. 50% Lokal-
rezidive oder regionale Metastasierung innerhalb des
ersten Jahres; Letalität ca. 30% (Fernmetastasierung – Lunge). Therapie. Weite Exzision (2–3 cm Randsaum). Bei sonographischem Hinweis auf Lymphknotenmetastasen radikale Lymphadenektomie. Eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie (7 Kap. 1) wird empfohlen. Das MerkelZell-Karzinom ist radiosensitiv; die Rate von Lokalrezidiven kann durch adjuvante Radiotherapie reduziert werden. Polychemotherapie bei Metastasierung hat nur kurzzeitig palliative Wirkung. Differenzialdiagnose. Metastasen neuroendokriner Karzinome anderer Primärlokalisation (Lunge!).
9.5
Neoplasien der Melanozyten
Die Neoplasien der Melanozyten umfassen die (gutartigen) melanozytären Nävi und das Melanom – die bösartigste Neoplasie der Haut. Melanozytäre Nävi gehören zu den häufigsten Läsionen der Haut; Melanome sind wegen ihrer steigenden Inzidenz ein bedeutendes Problem der gesamten Medizin. Die Unterscheidung von melanozytären Nävi vom (frühen) Melanom kann schwierig sein – eine der verantwortungsvollsten Aufgaben des Dermatologen. Fehlbildungen und Hamartome der Melanozyten werden – abweichend von der Darstellung im Rest dieses Kapitels – aus didaktischen Gründen an einer anderen Stelle besprochen (7 Kap. 10). 9.5.1 Melanozytäre Nävi (Synonym
Pigmentzellnävi) Grundlagen Melanozytäre Nävi (MN) leiten sich von den Melanozyten der Epidermis bzw. deren Vorläuferzellen ab und sind in ihrer überwiegenden Mehrzahl harmlos oder nur von kosmetischer Relevanz. Sie können aber auch Ausgangspunkt des Melanoms sein. 3Offene Fragen der Ätiologie und Zuordnung Trotz der Häufigkeit der MN sind manche grundsätzlichen Aspekte noch unklar: z. B. die Frage, ob die die MN aufbauenden Zellen »normale« Melanozyten (außerhalb ihres normalen Habitats – Epidermis) oder »veränderte« Zellen sind. Ältere Studien haben gezeigt, dass sie transformierte Melanozyten sind (z. B. wegen ihrer Wuchseigenschaften in vitro). Es wurde daher der Begriff der »Nävuszellen« eingeführt, der heute wieder zunehmend verlassen wird, weil eine scharfe Trennung zwischen Melanozyten und »Nävuszellen« kaum möglich ist – insbesondere nicht morphologisch. Melanozyten können in einer Vielzahl von Zellformen auftreten – z. B. rund, oval, spindelförmig,
391 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
9
dendritisch, polyglonal (epitheloid), klarzellig, groß, klein, riesenzellig. Alle diese Formen finden sich im Prinzip sowohl physiologisch als auch bei MN und Melanomen. Sind MN reaktive Proliferationen, Hamartome oder Tumoren? Auch diese Frage wird heute noch nicht einhellig beantwortet. Kongenitale MN (s. u.) werden in der Regel als Hamartome interpretiert (Unveränderlichkeit, Beteiligung mehrerer Zellkomponenten – allerdings sind Pigmentzellen kein normaler Bestandteil der tiefen Gewebe), erworbene MN als benigne Neoplasien. Im Folgenden werden aus didaktischen Gründen sämtliche MN den benignen Neoplasien zugeordnet.
Entstehung und Klassifikation. MN sind fokale Ver-
mehrungen von Pigmentzellen. Sie sind entweder bei Geburt schon vorhanden (kongenitale MN) oder entstehen in den ersten Lebensjahrzehnten (erworbene MN). Sie entwickeln sich aus melanozytären Stammzellen (Melanoblasten), die im Fall der kongenitalen MN im Rahmen der Ontogenese in tiefen Geweben arretiert wurden. Aus ihnen entwickeln sich flächige oder voluminöse Pigmentzellaggregate, die die gesamte Haut erfüllen können. Sie sind nicht, wie andere Nävi, »systemisiert« entlang den Blaschko-Linien angeordnet. Bei erworbenen MN liegen die Melanoblasten zunächst am physiologischen Ort: der dermoepidermalen Junktionszone. Hier sind die frühen Stadien der Nävusentstehung gut dokumentiert; wichtige Realisationsfaktoren sind UV-Licht, Sexualhormone und die genetische Disposition. Sie beginnen mit einzelnen Melanozyten, aus denen bald nestförmige Aggregate entstehen, die als Papeln, Plaques oder Knoten erscheinen. Es kommt zur graduellen Verlagerung der Zellnester in die Tiefe: man spricht von junktionalen, gemischt junktional-dermalen (»Compound«) und »rein« dermalen MN (. Abb. 9.27a–c). Je nach Alter der Läsion, Körperregion, Lokalisation, Zelltyp, Pigmentierungsgrad und Mitbeteiligung anderer Gewebskomponenten präsentieren sich MN als sehr vielfältig. Erworbene MN sind meist multipel, regellos disseminiert, rund und klein; angeborene sind weniger zahlreich, größer und weniger symmetrisch aufgebaut. Trotz ihrer Variabilität ist der Phänotyp von MN bei individuellen Personen oft erstaunlich gleichförmig.
a
b
! Allen Erscheinungsformen der MN ist das Kriterium der Regelmäßigkeit in Form, Begrenzung, Aufbau, Oberflächentextur und Farbe gemeinsam – im Gegensatz zur chaotischen Morphologie des Melanoms.
MN und Melanome. Melanome können aus MN entste-
hen, doch trifft dies nur auf einen kleineren Teil der Melanome zu (20%?). Die meisten Melanome entstehen de novo – Frühformen sind jedoch von MN oft
c . Abb. 9.27a–c. Entwicklungsgang melanozytärer Nävi. (Erläuterung s. Text)
392
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
schwer unterscheidbar. Genetische Disposition zu Melanomen kommt vor (s. u.); diese ist oft mit dem Vorhandensein multipler MN verbunden, in anderen Konstellationen jedoch nicht. Große kongenitale MN haben offensichtlich ein erhöhtes Melanomrisiko; ausreichende statistische Daten über das Ausmaß dieses Risikos liegen nicht vor. Das Problem der »atypischen« (dysplastischen) MN.
9
Unter diesen versteht man einen besonderen Phänotyp von Clark-Nävi (s. u.), der isoliert oder gemischt mit »gewöhnlichen« MN, v. a. aber in manchmal exzessiver Zahl beim so genannten »dysplastischen Nävuszellnävus-Syndrom« auftritt (ein erbliches Melanom-Syndrom – s. u.). Atypische Nävi zeichnen sich durch ihre Größe, rötliche Farbe, Unregelmäßigkeiten in Begrenzung und Aufbau u. a. m. aus (»Melanom en miniature«). Sie wurden als Vorläuferläsionen des Melanoms interpretiert, doch gelang es nicht, ihren direkten Übergang in Melanome zu belegen. Obwohl unbestritten ist, dass sie eine Signalfunktion für das Vorliegen einer Melanom-Disposition haben, werden sie heute nicht als Präkursoren im eigentlichen Sinn betrachtet.
a
b
Klinische Klassifikation der melanozytären Nävi In Ermangelung einer praktikablen kausalen Einteilung der MN hat sich in den letzten Jahren eine solche nach dem Wachstumsmuster etabliert: Melanozytärer Nävus Clark (MNC) Definition. Dieser ist der klassische Vertreter der erworbenen MN. Erscheinungsbild und Anzahl der vorliegenden MNC werden von dispositionellen/genetischen und zusätzlichen Faktoren (z. B. UV-Licht und Sexualhormone) sowie von ihrem natürlichen Entwicklungsgang bestimmt.
c
Epidemiologie, Pathogenese und Entwicklungsgang.
MNC kommen bei allen Ethnien vor, allerdings verschieden häufig (seltener bei Dunkelhäutigen). Bei Weißen schwankt ihre Zahl stark; werden auch die kleinsten MNC mitgerechnet, entfallen auf jedes Individuum 30 oder mehr. Bei Personen mit hellem Hauttyp (I, II) sind sie zahlreicher, meist auch weniger pigmentiert und rötlicher. Unabhängig vom Hauttyp besteht eine familiäre »Nävuskonstitution« (Genlokus noch unbekannt): Betroffene können viele Hunderte MNC entwickeln (nicht identisch mit dem »dysplastischen Nävuszellnävus-Syndrom«!). Männer haben meist um 30–50% mehr MNC als Frauen. Nach Sonnenbestrahlung und während der Schwangerschaft werden die MNC größer und dunkler. Sie können zwar
d . Abb. 9.28a–d. Melanozytäre Nävi, Typ Clark, in verschiedener morphologischer Ausprägung. Der unter »d« gezeigte Nävus entspricht einem »Spiegelei-Nävus«
393 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
überall am Integument auftreten, doch sind sie an stets lichtgeschützten Regionen spärlich (Hinterbacken, Oberarminnenseiten). Nach Sonnenbränden treten oft zahlreiche MNC mit typischer Morphologie auf: punktförmig klein, homogen und schwärzlich. MNC sind definitionsgemäß bei Geburt nicht vorhanden; sie treten sukzessive in der Kinderheit auf und vergrößern sich langsam peripher. Während und nach der Pubertät setzt ein oft sprungartiger Wachstumsschub ein, sie werden zahlreicher, größer und dunkler. Das Maximum wird in der 3.–4. Dekade erreicht, allerdings kommen oft auch später noch MNC hinzu (»Naevi tardi«). Später bilden sie sich langsam zurück und sind im hohen Alter fast gänzlich verschwunden; der verbleibende Rest ist meist unpigmentiert.
9
. Abb. 9.29. Junktionsnävus, Typ Clark. Kugelige melanozytäre Nester an der dermoepidermalen Junktionszone. Kernatypien und entzündliche Reaktion fehlen. HE, x25
Symptomatik. MNC sind flach: rund-ovale Flecken,
einige Millimeter bis ca. 1 cm groß (meist um 5 mm), im Zentrum häufig leicht erhaben/tastbar. Die Farbe ist meist homogen hell- bis dunkelbraun, manchmal rötlich (Gefäßreichtum, vermehrt Phäomelanin); manchmal sind die Farbtöne schießscheibenartig akzentuiert: das Zentrum schwarz bis dunkelbraun, die Peripherie rötlich-hautfarben (»Spiegeleiläsion«). Die Begrenzung ist je nach Farbton der Peripherie scharf bis verwaschen, insgesamt gleichförmig. Gleichförmig ist auch die Oberfläche (regelmäßig, leicht papillär vergröberte Textur). MNC fügen sich organisch in die Textur der Haut und wirken in dieser nicht wie Fremdkörper (im Unterschied zum Melanom!) (. Abb. 9.28a–d). Histologie. MNC bestehen aus horizontalen bis flach V-förmigen Ansammlungen von Melanozyten in der Junktionszone, einzeln und in Nestern; sie sind akzentuiert an den elongierten Reteleisten der mäßig verbreiterten Epidermis (. Abb. 9.29). Frühe Stadien zeigen nur einzeln stehende Melanozyten oder Nester entlang der Junktionszone (Junktionsnävi). Später finden sich, betont im Zentrum, Melanozyten-Nester auch in der papillären und oberen retikulären Dermis (treffender Vergleich: »Kopf mit Schultern«) – Compound-Nävi. Mit fortschreitendem Alter Fibrosklerosierung um die Reteleisten oder lamellär. In der Spätphase schließlich fehlen Melanozyten in der Epidermis und sind nur mehr in der Dermis vorhanden – dermale Nävi. Insgesamt sind MNC (wie alle anderen MN) symmetrisch und regelhaft aufgebaut, homogen und gleichförmig. Sie zeigen auch das Phänomen der »Reifung« oberflächlicher gegenüber tieferen Regionen: Abnahme der Nestgröße, oft auch der Einzellgröße, Abnahme des Melaningehalts (bis zum vollständigen Verlust), Zunahme des Bindegewebes.
. Abb. 9.30. Halo-Nävus. Ein melanozytärer Nävus, Typ Clark, umgeben von einem vitiligoartigen depigmentierten Hof
Differenzialdiagnose. Frühformen: Epheliden, flache
seborrhoische Warzen, in-situ-Melanome. Spätphasen: Urticaria pigmentosa, pigmentierte Dermatofibrome und Basaliome, Melanom. Die Auflichtmikroskopie (s. u.) kann die Trefferquote um bis zu 10% verbessern. Melanozytärer Nävus Sutton (Synonym Halo-Nävus) Symptomatik. Eine auffallende Läsion, die durch einen bis mehrere Zentimeter großen kreisrunden, vitiligoartigen, weißen Randsaum (Halo) um melanozytäre Nävi (meist, nicht ausschließlich MNC) charakterisiert ist (. Abb. 9.30). Anfangs ist der Nävus noch gut erkennbar, im Laufe von Monaten bis Jahren bildet er sich häufig (nicht immer) völlig zurück. Anschließend wird der Halo durch Melanozyten aus der Peripherie wiederbesiedelt.
394
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Epidemiologie, Ätiologie. Halo-Nävi sind relativ häu-
fig (Prävalenz ca. 1%), treten vorwiegend am Rumpf von Jugendlichen auf und sind oft multipel. Sie sind Ausdruck einer (zellmediierten) Autoimmunreaktion und daher nicht selten (bis 20%) mit Vitiligo u. a. assoziiert; sie können auch im Rahmen einer Vitiligo bei Melanomen auftreten (s. u.). Histologie. Ein dichtes, lichenoides lymphozytäres In-
filtrat im Bereich der Melanozytennester, degenerative Veränderungen bzw. Fehlen der Melanozyten. Melanozytäre Nävi Zitelli und Mark Definition. Diese sind die klassischen Vertreter der
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kongenitalen melanozytären Nävi (KMN). Sie sind definitionsgemäß schon bei Geburt vorhanden oder stellen sich bald darauf ein (Wochen). KMN Zitelli reichen bis in die mittlere retikuläre Dermis, sind meist relativ klein und zeigen Mitbeteiligung epidermaler, selten adnexaler Komponenten. KMN Mark reichen hingegen bis in die Subkutis, sind meist >5 cm, zeigen auch adnexale Mitbeteiligung und sind potenziell mit extrakutaner Beteiligung assoziiert. Übergänge sind fließend.
. Abb. 9.31. Kongenitaler melanozytärer Nävus, Typ Zitelli. Beachte papillären Aufbau und Behaarung
Epidemiologie. KMN sind erheblich seltener als erwor-
bene MN. Die Inzidenz bei Neugeborenen ist ca. 1%. Große KMN (>10 cm) finden sich bei 1/10 000, Riesenvarianten sind selten (2/1 Mio.). Familiäre Häufung. Symptomatik. KMN Zitelli treten zu ca. 90% solitär auf
und sind überwiegend 1–3 cm groß (. Abb. 9.31), rund bis oval (nicht polyzklisch!), gut begrenzt und von homogener braun/braunschwarzer Farbe. Bei Geburt sind sie kaum erhaben und nur leicht pigmentiert. Im Lauf der Jahre dunkeln sie nach, werden erhabener und entwickeln eine vergröberte Textur (papillär, knotig). Eine charakteristische, meist dunkle borstige Behaarung weist auf Ausdehnung in die Tiefe und Mitbeteiligung der Haarfollikel. KMN Mark können riesenhaft sein und diffus weite Teile des Rumpfs oder der Extremitäten einnehmen (. Abb. 9.32, »Badetrikot-Nävi«). Sie wachsen proportional dem Körperwachstum, gelegentlich aber auch darüber hinaus. Sie sind wegen der tiefen Infiltration voluminöser, straffer und schlechter verschieblich als erworbene MN, von stark vergröberter Textur und manchmal (im weiteren Verlauf) exzessiver, fellartiger Behaarung (»Tierfellnävus«, . Abb. 9.33). In der Umgebung oft Satellitenherde. Assoziierte Läsionen fehlen meist. Bei ausgedehnten KMN wurden verschiedene Fehlbildungen beschrieben, z. B. Skelett, Spina bifida etc. Eine seltene,
. Abb. 9.32. Kongenitaler melanozytärer Nävus, Typ Mark. Riesenhafter kongenitaler Nävus bei Neugeborenem, aus mehreren unterschiedlichen Nävuszellklonen zusammengesetzt. Der Nävus ist überwiegend sehr flach und noch unbehaart
aber wichtige Assoziationen ist die so genannte Melanozytose der Leptomeningen (Besiedelung der Hirnhäute mit MN; häufig asymptomatisch, Cave: Hirndruckerhöhung). Melanome in Assoziation mit KMN sind selten; sie entwickeln sich in großen KMN, häufig in der Kindheit, mit oft unbemerktem Beginn (Knotenbildung, meist in tiefen Gewebsschichten) und nehmen einen aggressiven Verlauf.
395 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
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dacht auf bereits einsetzende Entwicklung von Melanomen muss sofort exzidiert werden. Photodokumentation ist bei allen KMN erforderlich. Naevus spilus (7 Kap. 10.1) Melanozytäre Nävi mit besonderer Charakteristik
Eine Gruppe häufiger MN mit eigenem, charakteristischem Wachtumsprofil, die zwanglos weder den kongenitalen noch den erworbenen MN zugeordnet werden können. Sie werden teils früh, teils spät manifest. Melanozytärer Nävus Miescher
. Abb. 9.33. Kongenitaler melanozytärer Nävus, Typ Mark – Tierfellnävus
Histologie. Massenhaft Melanozyten, die in Nestern,
Strängen, flächigen Lagen und manchmal auch einzeln die Haut infiltrieren. Junktionale und intraepidermale Melanozyten kommen vor; in der Tiefe oft neuroide Formationen. Bei ausgedehnten KMN finden sich manchmal »metastasenartige« Melanozytennester im tiefen Gewebe, Lymphgefäßen und regionalen Lymphknoten. Therapie. Die Behandlung von KMN ist ein kontroversielles Thema: große KMN sind entstellend und tragen auch ein erhöhtes Melanomrisiko. Ab welcher Größe von KMN der Nutzen der Beseitigung die Nachteile der oft ausgedehnten Operationen und deren ästhetische/ funktionelle Folgen überwiegt, ist nicht leicht definierbar. Hinzu kommt, dass Melanome häufig auch tiefe Strukturen (Faszien, Muskel) besiedeln, die für prophylaktische Operationen problematisch sind. Bei kleinen und mittelgroßen KMN sollte daher zurückhaltend vorgegangen werden. Entstellende KMN sollten möglichst frühzeitig operiert werden – mehrzeitig, mit plastisch-chirurgischen Techniken (z. B. Hautexpandern). In der Regel ist ein konservativer, dokumentierender Ansatz (Auflicht, Sonographie) gerechtfertigt. Bei Ver-
Ein vorwiegend dermaler Nävustyp, meist im Gesicht (Nase!) bei Personen der zweiten Lebenhälfte (. Abb. 9.34): kalottenförmige, wenig pigmentierte bis hautfarbene derbe Papeln mit prominenten Follikelostien und infundibulären Zysten (die sich entzünden und Juckreiz verursachen können), manchmal mit dunklen, borstigen Haaren (Naevi pigmentosi pilosi – Volksmund: »Hexenwarzen«). Histologie: Charakteristische exo-endophytische V-förmige Silhouette. Melanozytennester finden sich vorwiegend dermal, Melanin fehlt weitgehend, ebenso Entzündung und Fibrosklerosierung; häufig ist Fettgewebe beigemengt. Differenzialdiagnose: Fibröse Papel der Nase, Basaliom. Melanozytärer Nävus Unna
Ein exophytischer Compound- oder dermaler MN von sackförmig-polypoider Form. Unna-Nävi finden sich vorwiegend in Regionen, die Friktion ausgesetzt sind – periokulär, Hals-Schulter, Axillen, Leisten: sackförmige, hautfarbene Gebilde von weicher Konsistenz, oder polypoide, manchmal gestielte, bräunliche Papeln mit grobtexturierter, oft papillomatöser Oberfläche (Naevi papillomatosi). Die Farbe kann von hautfarben-rötlich, braun bis schwarz schwanken, ist aber innerhalb einer Läsion einheitlich. In älteren Unna-Nävi
. Abb. 9.34. Melanozytärer Nävus, Typ Miescher
396
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
finden sich auch regelmäßig verteilte weniger pigmentierte Partien (Cave: Verwechslung mit den unregelmäßigen depigmentierten Zonen in Melanomen). Histologie: Analog den Miescher-Nävi, aber auf die papilläre Dermis beschränkt. Differenzialdiagnose: Fibroma molle, Basaliom (Pinkustumor), Neurofibrom. Melanozytärer Nävus Spitz (Spindelzell-Nävus)
9
Ein seltenerer Nävustyp vorwiegend bei (Klein)Kindern, der durch zellreichen spindel/epitheloidzelligen Aufbau, oft rasches Wachstum (Wochen) und pseudoneoplastische histologische Züge gekennzeichnet ist (wegen dieser wurde früher die unglückliche Bezeichnung »juveniles Melanom« geprägt, die oft zu ungerechtfertigt radikalen Exzisionen verleitete). SpitzNävi sind kalottenförmige, eher derbe, höckerige oder glatte Papeln/Knoten, die haarlos, (fast) völlig unpigmentiert und durch ihren Gefäßreichtum rötlich sind (. Abb. 9.35). Sie liegen häufig im Kopfbereich und sind meist solitär. Klinisch und histologisch analoge multiple Läsionen können innerhalb von Naevi spili und KMN auftreten. Klinische Differenzialdiagnose: Xanthogranulom, Epithelioidzellhistiozytom. Histologie: Regelmäßig, symmetrisch aufgebaute MN,
oft überwiegend intraepidermal: Konvolute großkerniger ovaler bis spindeliger Melanozyten. Mitosen, Kernatypien und pagetoid angeordnete Melanozyten kommen vor, sind aber nicht ausgeprägt. Akanthose/Papillomatose; Spalten um epidermale Melanozytennester und eosinophile apoptotische (so genannte Kamino-) Körperchen – ein Melanom-ähnliches Bild.
. Abb. 9.35. Melanozytärer Nävus Spitz. Eine rötliche, unpigmentierte, regelmäßig aufgebaute Läsion bei einem Kind
Blauer melanozytärer Nävus Tieche
Die häufigste Form von BN (»gewöhnlicher« blauer Nävus). Er tritt meist in Kindesalter/Jugend in Erscheinung, die Prävalenz liegt bei 1%. Symptomatik: Eine meist <1 cm große, leicht kalottenförmig prominente, derbe, glatte Papel/Knoten von stahl- bis graublauer, manchmal schwärzlicher Farbe (. Abb. 9.36). Die deckende Epidermis ist glatt, oft leicht atroph. Prädilektionsstellen: Hand- und Fußrücken, Gesicht, Nacken, gelegentlich auch an den Schleimhäuten. Nach Jahren kann Abblassung eintreten. Histologie: Eine fibromatöse Läsion der Dermis mit Einlagerung von fibroblastenähnlichen dendritischen pigmentierten Melanozyten und reichlich Melanophagen. Manchmal Akkumulation von Melanozyten in der Junktionszone (blaue Compound-Nävi).
Prognose: Spitz-Nävi sind, wie alle MN, harmlos (seltene fragliche Fälle von Melanom in Assoziation mit Spitznävi wurden allerdings publiziert). 3Sonderformen von Spitznävi sind die pigmentierten Spindelzellnävi (Reed) (häufiger als klassiche Spitz-Nävi – pechschwarze Papeln, häufig als Melanom missinterpretiert), und der desmoplastische Spitz-Nävus (Dermatofibrom-ähnliche Papel), Histologische Differenzialdiagnose: Desmoplastisches Melanom.
Blaue melanozytäre Nävi Blaue Nävi (BN) sind eine Gruppe von MN, die durch Melanin in tiefen Schichten eine charakteristische (grau)blaue Farbe besitzen (Tyndall-Effekt). Ihre Entstehung wird auf im Laufe der Ontogenese im Bindegewebe verbliebene Melanoblasten zurückgeführt (vgl. »dermale Melanozytosen, 7 Kap. 10.1). Sie sind seltener als MN und harmlos (Entstehung von Melanomen ist außerordentlich selten).
. Abb. 9.36. Blauer Nävus, Typ Tieche. Ein polsterförmiger homogen-glatter, derber, schwarz-blauer Knoten
397 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
9
Melanozytäre blaue Nävi Masson und Jadassohn
(Synonym »Zelluläre« blaue Nävi). Diese BN sind seltener, meist etwas größer und derber, manchmal schmalbasig aufsitzend. Prädilektionsstelle: sakral. Histologie: Wie oben, zusätzlich jedoch Inseln epithelioider, meist pigmentierter Melanozyten. Beim BN Masson sind die Inselareale weniger, beim BN Jadassohn stärker pigmentiert als das umgebende Stroma. Struktur und Aufbau dieser BN sind regulär, doch können sich Zellatypien finden (Cave: Verwechslung mit Melanom). a
Differenzialdiagnose der BN. Melanommetastase,
thrombosiertes Angiom, Zyste der apokrinen Drüse, melanozytärer Nävus Reed, Tätowierung (Amalgamtätowierung der Mundschleimhaut!). Therapie und Prognose. BN sind grundsätzlich harm-
los und bedürfen keiner Therapie. Allerdings wurde in seltenen Ausnahmefällen bei allen Typen die Entstehung von Melanomen beschrieben (so genannte »maligne BN«). Kürzlich aufgetretene oder größere Läsionen sollten daher exzidiert werden. b
Kombinierte melanozytäre Nävi. Nicht selten sind
zwei oder mehr Varianten von Nävi miteinander vermengt – alle Kombinationen sind möglich. Besonders häufig neigen BN zum kombinierten Auftreten mit anderen Nävustypen, v. a. Clark- oder Spitz-Nävi. Melanom-verdächtiges Erscheinungsbild! Therapie melanozytärer Nävi Grundsätzlich müssen diese nicht entfernt werden, sofern ihre Gutartigkeit hinlänglich sicher ist. Umgekehrt ist die Entfernung melanozytärer Nävi medizinisch indiziert, wenn ihre Einstufung als benigne Läsion unsicher ist, oder gar der Verdacht auf ein (frühes) Melanom besteht. In solchen Fällen wird die Läsion vollständig (mit einem klinisch freien Randsaum von 2–3 mm) exzidiert und histologisch untersucht. Techniken, die eine histologische Untersuchung nicht oder nur inadäquat erlauben, kommen – schon aus forensischen Gründen – nicht in Frage (Elektrokaustik, Laserkoagulation, tangenziale Kappung). Bei dermalen Nävi (Miescher, Unna) ist die tangenziale Kappung mit dem Skalpell zwar kosmetisch befriedigend, aber nur bei völlig unpigmentierten Läsionen sinnvoll: inkomplette Entfernung kann zu Rezidiven führen, die klinisch und histologisch einem Melanom ähnlich sind (»Pseudomelanom«). Wichtige Entscheidungshilfen zur Unterscheidung von MN und Melanomen sind:
. Abb. 9.37a,b. Auflichtmikroskopie. a Junktionsnävus, Typ Clark. b Superfiziell spreitendes Melanom. Beachte die peripheren pseudopodienartigen Pigmentabbrüche in verschiedener Höhe (schwarz: Junktionszone, blau: Dermis)
4 Auflicht-Mikroskopie (7 Kap. 2). Diese dient zur detaillierten Betrachtung verdächtiger Läsionen in vivo. Die Läsion wird mit Immersionsöl bedeckt (→ Hornschicht wird transparent) und durch ein Dermatoskop betrachtet (ein Handgerät mit 12facher Vergrößerung, das direkt der Läsion aufgesetzt wird). Dadurch können wichtige morphologische Kriterien analysiert werden (. Abb. 9.37a, b): der Läsionsrand, das so genannte Pigmentnetz u. a. m. Das Pigmentnetz ist die Projektion der dermoepidermalen Junktionszone auf die Hautoberfläche – es ist bei MN regelmäßig, bei Melanomen unregelmäßig. Mit der Dermatoskopie können viele nichtmelanozytäre Läsionen (Basaliom, seborrhoische Warze, Angiom etc.) sicher ausgeschlossen, die Haupttypen der MN erkannt und die Treffsicherheit der klinischen Diagnose »Melanom« verbessert werden. Photoaufsätze erlauben die Dokumentation zur späteren Beurteilung der Entwicklung. Dermatoskope mit automatisierter EDV-Analyse mit Speichersystemen sind im Handel, deren Algorithmus anhand eines Score-Systems die (letztlich
398
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
dem Mediziner vorbehaltene) Entscheidung erleichtert, ob eine Läsion als maligne einzuschätzen ist. 4 Ganzkörperphotodokumentation. Bei Patienten mit sehr vielen MN, mit oder ohne »atypischen«, wird das gesamte Integument nach einem festgelegten Protokoll regionsweise in regelmäßigen Abständen photographiert und jede Region bei den Kontrollen auf aktiv wachsende oder sonst ungewöhnliche MN abgesucht: damit wird neben den morphologischen Kriterien auch das dynamische Verhalten erfasst und die gezielte Exzision verdächtiger Läsionen erleichtert.
30. und 70. Lebensjahr, im Mittel mit 56 Jahren. Ausnahme: das Lentigo maligna-M (>80 Jahre). Ätiologie Risikofaktoren. Wichtigster Faktor ist das UV-Licht:
neben der epidemiologischen Evidenz (s o.) wird dies durch das höhere Risiko von Personen mit hoher UVEmpfindlichkeit (Hauttypen I, II), Patienten mit Defekten der DNA-Reparation (Xeroderma pigmentosum) oder der Pigmentierung (Albinos) belegt (7 Übersicht). Der Anstieg des M wird vorwiegend auf die geänderten Freizeitgewohnheiten zurückgeführt (erhöhte Exposition).
Führung von Patienten mit multiplen melanozytären Nävi und »dysplastischem Nävussyndrom«. Bei sol-
chen Patienten ist der Nutzen der genannten Techniken besonders hoch. Es müssen lebenslang Kontrollen (6–12 Monate) durchgeführt und alle verdächtigen Läsionen regelmäßig entfernt werden. Ferner muss der Patient in der Selbstuntersuchung unterwiesen und auf die Warnzeichen des Melanoms hingewiesen werden.
9 9.5.2 Melanom Das Melanom (M) ist die maligne Neoplasie der Melanozyten; es ist die am häufigsten tödlich verlaufende Hautkrankheit, bei der weißen Bevölkerung weltweit in Anstieg, und die Neoplasie mit der höchsten Steigerungsrate überhaupt. Das M stellt in mittleren Breiten etwa 3% aller Krebsfälle und 1–2% der Todesfälle an Krebs. Epidemiologie Inzidenz. Das M ist vorwiegend eine Neoplasie der Weißen. Bei diesen korreliert die Inzidenz des M der Körperhaut mit der UV-Belastung des Wohngebiets: in mittleren Breiten beträgt sie ca 12/10 000/Jahr (unter Einschluss der präinvasiven M bis 25/10 000/Jahr). Sie ist am höchsten in Australien (>40/10 000/Jahr). Bei Weißen ist die Inzidenz weltweit im Anstieg (jährlicher Zuwachs 4–8%, d. h. eine Verdopplung alle 10–15 Jahre). Das Lebenszeitrisiko ist (in den USA) von 1935– 2000 drastisch gestiegen (1:1500 → 1:75). Bei Afrikanern und Asiaten ist das M hingegen selten (0,2–0,4/ 10 000/Jahr), betrifft vorwiegend nicht-UV-exponierte Körperregionen (Handflächen, Fußsohlen, Schleimhäute), und die Inzidenz bleibt konstant. Geschlechts- und Altersverteilung. Das M tritt bei
Frauen etwa 1,5-mal häufiger auf, verläuft jedoch etwas milder. M können in jedem Alter auftreten, sind jedoch im Kindesalter sehr selten (~0,8/10 000; meist aus kongenitalen MN); die meisten M entstehen zwischen dem
Risikofaktoren für die Entstehung von Melanomen sind grundsätzlich: 4 Dispositionell: – Ethnische Zugehörigkeit (Weiße) – Hauttyp (I, II) – Albinismus – Gestörte DNA-Reparation (z. B. Xeroderma pigmentosum) – Geschlecht (weiblich) – Anamnese von Melanomen bei Blutsverwandten 4 Erworben: – Anamnese eines früheren Melanoms – Anamnese von (schweren) Sonnenbränden – Multiple »typische« Clark-Nävi – »Atypische« Clark-Nävi – Große kongenitale melanozytäre Nävi – Immundefizienz
Die Verteilung der M am Körper ist jedoch (anders als bei den Plattenepithelkarzinomen) nicht der kumulativen UV-Exposition proportional: Gesicht und Handrücken sind nur bei einer Form des M bevorzugt betroffen (Lentigo maligna), der Rest findet sich an bedeckten bzw. intermittierend exponierten Regionen (Rumpf, bei Frauen auch Unterschenkel). Die Inzidenz dieser M korreliert mit der Zahl abgelaufener schwerer Sonnenbrände (besonders gravierend: Sonnenbrände im Kindesalter). Städter sind daher auch mehr melanomgefährdet als z. B. Landarbeiter, die lebenslang der Sonne ausgesetzt sind. Die Unterschiede in der Photokarzinogenese zwischen Melanom und Plattenepithelkarzinom beruhen vermutlich darauf, dass Melanozyten weniger leicht durch UV in die Apoptose getrieben werden als Keratinozyten. DNA-Schäden duch UV-Überexposition können daher leichter erhalten bleiben.
399 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
Genetische Prädisposition. Bei ca. 10% der M besteht eine familiäre Häufung (meist nur wenige Fälle/Familie). Erbmodus: autosomal-dominant mit unregelmäßiger Penetranz. Familiäre M treten früher auf als sporadische (um das 40. Lebensjahr). Suszeptibilitätsgene sind: 4 das mit familiären »dysplastischen« Nävi assoziierte CMM1 (cutaneous malignant melanoma-Gen 1) 4 das nicht mit dysplastischen Nävi assoziierte CMM2 (Tumorsuppressorprotein p16) 4 CMM3 (Cyclin-abhängige Kinase 4) 4 MC1R (Melanocortin-Rezeptor; Melanocortin/ MSH stimuliert die Eumelanin-Synthese; Rezeptorschäden bewirken daher ein Überwiegen von Phäomelanin → »keltischer« Hauttyp).
Alle genannten Gene außer MC1R sind selten, und letzteres wirkt sich nur relativ wenig auf das Melanomrisiko aus. Vermutlich sind daher noch weitere Gene im Spiel – oder die Rolle exogener Faktoren (UV) bedeutsamer. Präkursorläsionen. M entstehen nach Lehrmeinung zu
etwa zwei Dritteln aus »unveränderter« Haut, zu 10% aus kongenitalen, und zu 20–30% aus erworbenen MN. Die Schätzung beruht auf der histologischen Assoziation von MN und M – Verlaufsstudien sind naturgemäß nicht möglich. Ausgangspunkt der Umwandlung sind hauptsächlich die epidermalen Anteile der Clark-Nävi. Die so genannten »dysplastischen« MN sind vermutlich nicht Präkursorläsionen (s. o., . Abb. 9.38). Das Melanomrisiko korreliert mit der Zahl aller erworbener MN (z. B. 64-faches Risiko bei 50 MN >2 mm Durchmesser). Pathogenese Die Entwicklung des M läuft in mehreren sequenziellen Stufen ab. Der erste Gendefekt (Initiation) ist entweder ererbt (Mutation in einem Suszeptibilitätsgen) oder durch UV-Licht ausgelöst. Promotion und weitere Mutationen erfolgen wieder durch UV, später spontan (instabiles Genom). Die Mutationen bewirken Funktionsänderungen und eine schrittweise Selektion aggressiverer Zellklone. Zytogenetisch finden sich in invasiven M häufig Translokationen und Deletionen. Eine frühe Schaltstelle auf dem Weg zum vollausgebildeten M sind Mutationen am p16-Gen (s. o.); die Fähigkeit zu invasivem Wachstum und Metastasierung wird durch Verlust des Transkriptionsfaktors AP-2 erworben, der eine Vielzahl weiterer Gene reguliert (z. B. HER-2: Proliferation, p21: Zellzyklus-Regulation, c-KIT und BCL-2: Apoptose, Gene für Adhäsionsmoleküle und Metalloproteinasen: MCAM, E-Cadherin,
9
. Abb. 9.38. Multiple primäre Melanome bei atypischem Nävussyndrom. Am Rücken des Patienten sind 3 SSM erkennbar (Pfeile), 2 weitere fanden sich an Brust bzw. Konjunktiva
MMP-2: Invasion, u. a.). Beispiele für Folgen: Abregulierung von c-KIT (Verlust der Apoptose) und Aufregulierung des MCAM (melanoma adhesion molecule – CD 146). Gleichfalls mit erhöhter Metastasierungsfähigkeit gekoppelt ist die Expression der Gene für bFGF, IL-8, EGF-R u. a. ! Im Gegensatz zum Plattenepithelkarzinom spielen Mutationen von p53 sowie die ras- und myc-Onkogene keine wichtige Rolle (Vorkommen <10%).
Immunologie des Melanoms. M lösen humorale und
zelluläre Immunreaktionen aus (→ partielle Regression, Assoziation mit Vitiligo, entzündliche Infiltrate um das M). Ausschlaggebend ist die antigenabhängige Induktion zytotoxischer T-Lymphozyten, die zur Apoptose der Tumorzellen führt. Zahlreiche von M-reaktiven T-Zellen erkannte Antigene wurden bisher definiert: Differenzierungsantigene (Ganglioside – GM2; Tyrosinase, Melan-A/MART-1, Gp 100, TRP-1, -2), Cancer-Testis-Antigene (MAGE-1, -2, BAGE, GAGE etc.) und mutierte Antigene (β-Catenin, CDK4, MUM1 u. a.). Dass der Tumor dennoch in der Regel nicht völlig zerstört wird, liegt an Escape-Mechanismen des M im Zug der Progression: 4 Produktion immunsuppressiver Substanzen: IL-10, PGE2, TGF-β, Ganglioside 4 Herabregulierung von MHC-I: Verlust der Zielstruktur für zytotoxische Lymphozyten 4 Produktion von löslichem ICAM-I: Behinderung der Bindung zytotoxischer T-Lymphozyten 4 Antigene Heterogenität: Unterlaufen der Immunabwehr, Selektion antigen-negativer Klone
400
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
. Tab. 9.2. TNM-Klassifikation des Melanoms (AJCC* 2001) T (= Primärtumor) Tumordicke (Breslow) T1
≤1,0 mm
T2
1,01–2,0 mm
T3
2,01–4,0 mm
T4
>4 mm
a: Clark Level II/III (s. u.) b: Clark Level IV/V
N (= lymphogene Metastasierung) Zahl der befallenen Lymphknoten
Art der Metastase
N1
1
a: Mikrometastase** b: Makrometastase***
N2
2–3
a: Mikrometastasen** b: Makrometastasen*** c: In-Transit/Satelliten-Metastasen Ohne Lymphknotenmetastasen
N3
≤4 oder konfluierende Metastasen; In-Transit/Satelliten-Metastasen mit Lymphknotenmetastasen
9
M (= Fernmetastasen) M1a
Haut, Subkutis
M1b
Lunge
M1c
Jede andere Lokalisation; Fernmetastasen jeder Art mit Erhöhung der Serum-Laktatdehydrogenase
* AJCC = American Joint Committee on Cancer, ** SLNB = Sentinel Lymphknoten Biopsie, *** klinisch
4 Induktion von spezifischer Toleranz (Expression von MHC-II im M ohne gleichzeitige Expression kostimulatorischer Signale). HLA-DR ist ein Marker schlechter Prognose! 4 Expression von Fas-Ligand: Apoptose zytotoxischer T-Zellen. Stadieneinteilung und Verlauf Das M nimmt einen stadienhaften, oft kapriziösen Verlauf. Die gegenwärtig akzeptierte Klassifikation/Stadieneinteilung ist die der AJCC 2001 (. Tab. 9.2, . Tab. 9.3). Das Tumorstadium ist für die Prognose ausschlaggebend. Das M erscheint zunächst intraepidermal als Melanom in situ. Die Fähigkeit zur Invasion stellt sich verschieden schnell und schrittweise ein. Man unterscheidet eine frühe horizontale (flächige) und eine spätere vertikale (knotige) Wuchsphase – die allerdings oft nicht scharf unterscheidbar sind. Die Dauer des Primärstadiums ist sehr variabel (Monate bis Jahrzehnte); sie ist mit dem klinischen Wuchstyp korreliert.
Die klinischen Wuchstypen des primären M (. Tab. 9.4) sind Ausdruck der invasiven Potenz der Zell-Klone: je höher diese ist, desto schneller dringen sie durch die Basalmembranzone vertikal ein und setzen schließlich Metastasen. Der Wuchstyp, und mit diesem verbunden die Tumordicke, erlauben daher Aussagen über die Wahrscheinlichkeit der Metastasierung (mit deren Eintritt sind diese beiden Kriterien jedoch irrelevant). Wenn Metastasen entstehen, stellen sich diese zu ca. zwei Drittel innerhalb der ersten 2 Jahre nach Exzision ein; anschließend sinkt das Risiko stark ab, jedoch auch in 10 Jahren nicht auf null – Erstmetastasierung nach sogar 20–30 Jahren kommt (als Rarität) vor. Die Metastasierung erfolgt meist lymphogen: in ca. 50% treten zuerst regionale Lymphknotenmetastasen auf, in ca. 25% Satellitenmetastasen (in der Peripherie des Primärtumors) oder In-Transit-Metastasen (in den Lymphwegen zum Lymphknoten). In den restlichen ca. 20% sind hämatogene Fernmetastasen die Erstmanifestation. Die durchschnittliche Überlebenszeit bei Auftreten von Fernmetastasen beträgt 6–7 Monate
401 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
9
. Tab. 9.3. Stadieneinteilung des Melanoms (AJCC* 2001) Stadium
T
N
M
5-JahresÜberlebensrate**
0
T in situ
0
0
100%
IA
T 1a
0
0
95%
IB
T 1b, 2a
0
0
90%
II A
T 2b, 3a
0
0
80%
II B
T 3b, 4a
0
0
65%
III C
T 4b
0
0
45% 65%
III A
T 1–4a
N 1a, 2a
0
III B
T 1–4a
N 1b, 2b
0
T 1–4b
N 1a, 2a
0
ca. 50%
jedes T
N 2c
0
III C
T 4b
N 1b, 2b, N3
0
25%
IV A
jedes T
jedes N
Haut
20%
IV B
jedes T
jedes N
subkutan
7%
IV C
jedes T
jedes N
Lunge, andere Organe
10%
* AJCC = American Joint Committee on Cancer ** nach Balch et al, J Clin Oncol 2001:19: 363-5. Die Daten beruhen auf der Auswertung von 17 600 Melanom-Patienten der AJCC – gerundet
. Tab. 9.4. Klinische Klassifikation der Melanome Relative Häufigkeit
Prädilektionsstellen
Prädilektionsalter
Dauer der horizontalen Wuchsphase (Jahre)
Lentigo-maligna-Melanom
5%
Gesicht, Handrücken
>60
Jahre bis Jahrzehnte (bis 15–20 Jahre)
»Superficial spreading melanoma«
65%
Alle sonnenexponierten Regionen
30–60
Jahre (bis 5–7)
Noduläres Melanom
15%
Alle sonnenexponierten Regionen
40–60
Monate (bis 1 Jahr)
Akral-lentiginöses Melanom
5%
Akren, Nagelbett
40–60
Jahre (bis 3)
Mund-, Genitalschleimhaut
Erwachsenenalter
Meist kurz (Monate)
Unklassifizierbare Melanome Schleimhautmelanome Melanome innerer Organe
~ 10% Auge, ZNS, Lymphknoten
(behandelt wie unbehandelt) – doch sind die Verläufe sehr variabel. ! Dieses Metastasierungsmuster macht klar, dass weder die großzügige Exzision des M noch die radikale Lymphknotendissektion Sicherheit vor Rezidiven bietet. Hämatogen metastasieren paradoxerweise eher dünnere M (Tumordicke 0,76–1,5 mm), ferner M bei Frauen und bei Lokalisation an Rumpf und oberen Extremitäten.
Klinisches Bild des primären Melanoms M der Haut machen ca. 90% aller primären Melanome aus, der Rest entfällt auf M der Schleimhäute, des Auges, des ZNS und – extrem selten – der inneren Organe. Bei den M der Haut unterscheidet man 4 klassische Wuchstypen (s. u.) und Sonderformen. Gemeinsame Charakteristika. Ungeachtet des Wuchs-
typs sind (fast) allen primären M der Haut 3 morpho-
402
9
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
logische Merkmale gemeinsam (Grundlage ihrer Unterscheidung von den MN!): 4 Größe. M sind meist erheblich >5 mm – eine Folge ihres aktiven Wachstums. 4 Charakter des Unregelmäßigen, Chaotischen. Eine Folge ihres Aufbaus aus mehreren unterschiedlichen Klonen. Die Unregelmäßigkeit manifestiert sich in: 5 Kontur: unregelmäßig polyzyklisch (örtlich verschieden schnelles Wachstum) 5 Begrenzung: teils scharf, teils unscharf (oberflächliche und tiefe Tumornester) 5 Farbe: eine »bunte« Mischung brauner, schwarzer, blau-grauer, weißer und roter Farbtöne (wechselnd starke Melaninproduktion, auch Phäomelanin!; Tyndalleffekt tiefen Pigments; Depigmentation – fokale Rückbildung; Entzündung und Vaskularisation). Melanome sind meist dunkler als MN! 5 Architektur: das M ist aus mehreren Portionen zusammengesetzt – flach, knotig erhaben, oft auch atroph, Sekundärveränderungen (Schuppen, Erosionen, Ulzera). 4 Aufhebung der präexistenten Textur der Haut. Wie alle destruktiv wachsenden Neoplasien stört/ zerstört das M die Textur der Junktionszone und der retikulären Dermis durch Infiltration, Atrophie, Fibrose und Exulzeration. Wuchstyp Lentigo maligna Definition, Epidemiologie, Symptomatik. Ein M in
situ (. Abb. 9.39), das sich durch Jahre/Jahrzehnte horizontal-flächig intraepidermal ausbreitet. Sie ist eine Läsion des Alters (8.–9. Dekade) und findet sich fast ausschließlich in sonnenexponierten Regionen (Gesicht, Handrücken): ein einige Millimeter bis handtellergroßer Fleck (nicht tastbar!) mit scharfer, polyzyklischer Begrenzung und dunkelbraun/schwarzer scheckiger Farbe (Tumorklone verschiedener Pigmentbildung, fokale Rückbildung). Der Übergang in die vertikale Wachstumsphase (Invasion) manifestiert sich klinisch durch knotige/beetartige Erhabenheiten: Lentigo maligna-Melanom.
. Abb. 9.39. Lentigo maligna: Ein unregelmäßig begrenzter, scheckig pigmentierter Fleck
Therapie der Lentigo maligna. Methode der Wahl ist die (nicht ganz knappe) Exzision. Diese ist oft wegen großer Ausdehnung, Befall heikler Regionen (Augenlider, Konjunktiven), hohen Alters oder Multimorbidität nicht möglich. Alternativen sind Radiotherapie (meist gutes Ansprechen), Dermabrasion, Kryotherapie und Imiquimod. Bei allen diesen Methoden sind jedoch Rezidive häufig (aus den mit diesen Techniken nicht erreichbaren Hautadnexen!). Therapie des Lentigo-maligna-Melanoms s. u.
Wuchstyp »Superficial spreading melanoma« (Synonym superfizell spreitendes Melanom, pagetoides Melanom, SSM) Definition, Epidemiologie, Symptomatik. Die häufigste Variante des M (. Abb. 9.40 und . Abb. 9.41). Sie kommt im Erwachsenenalter vor und ist morphologisch vielfältig: ein beetartig erhabener, dunkelbraun/ schwarzer Herd von bis einigen Zentimetern Größe. Die Begrenzung ist polyzyklisch, meist aber scharf.
Differenzialdiagnose. Lentigo simplex, flache sebor-
rhoische Warze, pigmentierte aktinische Keratose. Histologie. Die Epidermis ist atroph; in der Basalschichte ein einschichtiges Band irregulär verteilter atypischer Melanozyten (Kernatypien, Mitosen), meist einzeln stehend, teils auch in kleinen dyskohäsiven Nestern. Besiedelung auch der Haarfollikel! Subepidermal vermehrt Melanophagen.
. Abb. 9.40. Riesenhaftes SSM. Beachte den chaotischen Aufbau (Tumorklone von verschiedener Charakteristik)
403 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
9
. Abb. 9.41. SSM mit depigmentiertem nodulärem Anteil
. Abb. 9.43. Noduläres Melanom
. Abb. 9.42. Melanom in situ (SSM). Die leicht akanthotische Epidermis ist unregelmäßig von atypischen melanozytären Zellen durchsetzt (groß, helles Plasma, Kernatypien). Entzündliches Infiltrat der papillären Dermis. HE, x25
. Abb. 9.44. Noduläres Melanom, tiefer Anteil. Das Tumorgewebe ist aus hochgradig atypischen epitheloiden Zellen in nestförmigen Aggregaten aufgebaut. HE, x25
Oberfläche: unregelmäßig durch erhabene/eingesunkene Areale, die Textur der Haut ist aufgehoben. Die Farbe ist in scharf abgegrenzten Bezirken heterogen, scheckig-bunt: hell- bis dunkelbraun, grau, blauschwarz (Pigment in der tiefen Dermis), rot (Gefäßreichtum!) und weiß (depigmentierte Tumorzellen, partielle Involution, Vernarbung). Das SSM ist mäßig derb bis weich und oft leicht verletzlich. Es wächst relativ rasch (Monate bis Jahre); der Übergang in die vertikale Wachstumsphase wird durch Knoten angezeigt.
Wuchstyp Noduläres Melanom Definition, Symptomatik. Die aggressivste Wuchsform (. Abb. 9.43, . Abb. 9.44). Bei ihr fehlt eine (klinisch wahrnehmbare) horizontale Wachstumsphase, es erfolgt sofortiges vertikales Wachstum: ein rasch wachsender (Monate!) Knoten von einigen Zentimetern Größe, nicht selten gestielt, meist dunkelbraun-schwarz und oft scheckig. Das noduläre M ist relativ weich, verletzlich, oft erosiv/exulzeriert, teilweise nekrotisch. Blutungsneigung!
Histologie. Ein mehrschichtiges Band irregulär verteil-
Histologie. Die M-Zellen bilden einen dermalen Kno-
ter atypischer Melanozyten, einzelstehend (»pagetoid« – . Abb. 9.42) und/oder in Nestern unterschiedlicher Größe, teils dyskohäsiv (Spaltformationen), oberhalb und unterhalb der Junktionszone. Lymphozytäre Entzündung, Fibrosklerosierung, Melanophagen.
ten, der die Epidermis halbkugelig nach oben verdrängt und erodiert (. Abb. 9.44). Noduläre M in situ werden nicht beobachtet.
Differenzialdiagnose. Junktionsnävus, Verruca seborrhoica, pigmentiertes Basaliom.
Differenzialdiagnose. Pigmentiertes Basaliom, Dermatofibrom, thrombosiertes Angiom, Granuloma pyogenicum.
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Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
! Überlappungsformen kommen vor (»unklassifizierbare« M). Dies trifft besonders für flache SSM zu, die nahtlos (klinisch wie histologisch) in eine Lentigo maligna übergehen können. Knotige Tumorareale in SSM und Lentigo maligna-M sind histologisch vom nodulären M nicht unterscheidbar; bei schnellem Wachstum kann die ursprüngliche Wuchsform des M überdeckt und daher unkenntlich werden.
Wuchstyp Akral-lentiginöses Melanom
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Definition, Epidemiologie, Symptomatik. Ein lokalisationsspezifischer Wuchstyp des SSM, der wegen der akral dicken Hornschichte flacher (lentiginös) und daher harmloser scheint, als es seinem Verhalten entspricht. Es tritt vorwiegend bei älteren Personen (>60 Jahre) an Handflächen und Fußsohlen, Fingerund Zehenendgliedern, Nagelapparat (subungual oder Matrix) auf: ein polyzyklischer, bizarr konfigurierter, dunkelbraun/schwarzer gescheckter Fleck, in dem nach Monaten/Jahren exulzerierte Knoten auftreten (oft depigmentiert). M der Nagelmatrix manifestieren sich zu Beginn als longitudinaler braun-schwarzer Strich der Nagelplatte, der langsam an Breite zunimmt und Verformungen/Knoten der Endphalanx hervorruft (. Abb. 9.45). Diagnostisches Zeichen: bei M der Nagelmatrix findet sich am Nagelhäutchen durchschimmerndes Melanin.
. Abb. 9.45. Melanom der Nagelmatrix. Beachte den breiten Pigmentstreifen an Nagel und Kutikula sowie die durchschimmernde tiefe Pigmentierung am Nagelfalz
Histologie. Entspricht einem SSM mit auffallend großen, nicht selten dendritischen oder spindeligen Melanomzellen, Neurotropismus.
. Abb. 9.46. Schleimhautmelanom der Konjunktiva. Beachte die massive Ausbildung von Gefäßen (Tumorangiogenese)
Differenzialdiagnose. Hautblutung, Schmutzpigmentierung, Kaposi-Sarkom, Plantarwarzen, ekkrines Porom, Plattenepithelkarzinom, Granuloma pyogenicum, Melanonychia striata u. a.
dem SSM oder dem nodulären M (. Abb. 9.46); sie haben eine schlechtere Prognose als gleich dicke M der Körperhaut.
Prognose. Ungünstiger als beim SSM der Körperhaut.
Sonderformen der Melanome
! Die Unterscheidung eines M der Nagelmatrix und der Melanonychia striata (7 Kap. 10) kann klinisch schwierig sein. Die korrekte Abklärung besteht aus Entfernung der Nagelplatte (nur so kann die gesamte Läsion eingesehen werden) und einer repräsentativen Stanzbiopsie aus der Nagelmatrix.
Depigmentiertes Melanom. Depigmentierte Areale
Schleimhautmelanome Ihre Inzidenz ist zwar niedrig, in Relation zur weit kleineren Fläche der hautnahen Schleimhäute aber kaum niedriger als am Körper (an der Vulva sogar höher). Prädilektionsstellen: die physiologisch pigmentierten Schleimhautareale (Gingiva, Nase, Vulva, Konjunktiva etc.). Im Aufbau entsprechen Schleimhautmelanome
kommen in M häufig vor (Dedifferenzierung). Gänzlich depigmentierte M sind jedoch selten und schwierig zu erkennen. Alle Typen können depigmentiert sein (sogar die Lentigo maligna, die dann als rötlicher Fleck erscheint), meist sind es jedoch noduläre M: hautfarben/rötliche, erosiv/exulzerierte Tumorknoten. Differenzialdiagnose: Granuloma pyogenicum, anaplastisches Plattenepithelkarzinom. Bei genauer Inspektion finden sich oft unauffällige pigmentierte Bezirke, die zur Diagnose führen. Partiell oder total rückgebildetes Melanom. Partielle
Rückbildung (. Abb. 9.47) ist ein charakteristisches und häufiges Phänomen (20%) bei sämtlichen M-Ty-
405 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
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pen (Immunabwehr!). Symptomatik: Bezirksweise Durchsetzung des M mit unregelmäßigen weißlichen, eingesunkenen Arealen, oft mit graublauen Punkten (Melanophagennester). Die totale spontane Rückbildung von M ist wahrscheinlich selten (es liegen naturgemäß keine Daten vor); nicht so selten (<5%, meist bei Männern) ist hingegen die totale Rückbildung des Primärherdes bei schon eingetretener Metastasierung (»metastasierendes M ohne Primärtumor«). Der Primärherd kann oft indirekt erschlossen werden (z. B. ein hypopigmentiertes Areal im Einzugsbereich der befallenen Lymphknotenstation, Anamnese eines früheren Muttermals etc.). Desmoplastische und neurotrope Melanome. Meist . Abb. 9.47. Partiell rückgebildetes Melanom. Die ursprüngliche Ausdehnung ist an den depigmentierten Arealen erkennbar
. Abb. 9.48. Lymphknotenmetastasen bei Melanom. Verbackene, tiefsitzende, knotige, teils nekrotische Knoten
spindelzellige M, die sich durch intensive Stromareaktion bzw. Invasion tiefer Nerven und neuroide Formationen auszeichnen; oft depigmentiert. Desmoplastische M kommen meist im Gesicht oder akral vor und ähneln einem Dermatofibrosarcoma protuberans. Sie führen häufig zu Rezidiven, selten zu Fernmetastasen. Die Charakteristika »desmoplastisch« und »neurotrop« treten häufig, aber nicht zwangsläufig gemeinsam auf. Klinisches Bild des metastasierenden Melanoms Melanommetastasen der Haut/Subkutis sind häufig (Prädilektionsort!) und entstehen durch lymphogene oder hämatogene Aussaat. Nach ihrer Lage in der Haut unterscheidet man oberflächliche (kutane) und tiefe (subkutane) Metastasen; erstere sind lymphogener Herkunft, letztere lymphogen oder auch hämatogen. Große Metastasen aller Arten schmelzen ein und wandeln sich in schmerzhafte, fistelnde und eiternd/nässende Nekrosehöhlen um. Lymphogene Metastasen aus dem Primärtumor treten wie folgt in Erscheinung: als Satellitenmetastasen (im Umkreis bis 2 cm), als In-Transit-Metastasen (in den ableitenden Lymphwegen, > 2 cm vom Primärtumor entfernt), oder als Lymphknotenmetastasen (. Abb. 9.48). Hämatogene Metastasen entstehen im Rahmen der Fernmetastasierung und sind daher oft mit inneren Metastasen assoziiert. Kutane Metastasen sind kleine (zu Beginn einige Mil-
. Abb. 9.49. Lymphogene Metastasierung bei Melanom. Kleine, teils konfluierende blau-schwarze Knötchen; flächige zentrifugale Ausbreitung im Lymphgebiet; der Primärtumor lag in der Schlüsselbeinregion
limeter) solide, grau-schwarze bis stahlblaue Knötchen, selten hautfarben oder rötlich. Sie treten meist multipel um den Primärtumor auf, breiten sich flächig aus und können in exzessiven Fällen ausgedehnte Regionen besiedeln (. Abb. 9.49). Durch Konfluenz entstehen später ausgedehnte panzerartige Tumorplatten mit Nekrosen und Ulzera (Cancer en cuirasse). Dieser quälende Zustand findet oft erst nach längerer Zeit durch Sepsis oder Fernmetastasierung sein Ende. Differen-
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Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
typischen Allgemeinzeichen (Gewichtsverlust, Schwäche) führen sie zu vielfältigen ortsabhängigen Symptomen: Husten, Schmerzen der Brust, Hämoptyse, Dyspnoe; abdominelle Schmerzen, Ikterus; Kopfschmerzen, fokale neurologische/Hirnnervenausfälle, Anfälle, psychiatrische Symptome; Bauchschmerzen und -krämpfe, Anorexie, Erbrechen, Übelkeit, Obstipation, Blutungen; Knochenschmerzen (Rippen, Wirbelsäule, Hüfte etc.). Diffuse Metastasierung ist ein sehr seltenes Phänomen: der Körper wird diffus von einzelnen Melanomzellen durchsetzt. Folge: grau-bräunliche Verfärbung der gesamten Haut. Diese Patienten scheiden (wie viele Patienten mit hoher Tumorlast) Melanin und dessen Vorstufen im Harn aus. Differenzialdiagnose: Morbus Addison, Argyriasis.
9
. Abb. 9.50. Hämatogene Metastasierung des Melanoms. Multiple, halbkugelige, meist hautfarbene, regellos disseminierte subkutane Knoten
zialdiagnose: Einzelne kutane Metastasen: MN, seborrhoische Warzen, pigmentierte Basaliome etc. Bläuliche Metastasen: Angiome, blaue Nävi, apokrine Hidrozystome u. a. Subkutane Metastasen sind größer, derb, flach prominent oder nur in der Tiefe tastbar und, bei hämatogener Aussaat, regellos disseminiert (. Abb. 9.50). Sie sind hautfarben oder gerötet (Melanin schimmert nicht durch). Differenzialdiagnose: Metastasen anderer Abkunft, Lipome, tiefe Fibrome, Pilomatrixom, Nervenscheidentumoren, Narbenzüge u. a. Lymphknotenmetastasen sind derbe, bis zu mehrere Zentimeter große Knoten, oft multipel und später verbacken. Nicht selten entwickeln sich Massen/Straßen befallener Lymphknoten z. B. im kleinen Becken oder entlang der großen Gefäße (Lymphödeme!). Fernmetastasen entstehen hämatogen, aus dem Primärtumor oder aus Metastasen. Sie finden sich in abnehmender Häufigkeit in Lunge, Haut (subkutan), Leber, ZNS, Nieren, Nebennieren, Knochen u. a. Neben
Diagnose und Frühdiagnose des Melanoms >90% aller M werden heute im Primärstadium entdeckt (Ursache der Besserung der Prognose). Die klinische Diagnose ist bei typischen M leicht; anderenfalls kommen einige Dutzend anderer Hautläsionen zur Unterscheidung (s. o., . Tab. 9.5). Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die zwischen MN und Frühformen von M (<5 mm), deren morphologische Charakteristika noch nicht voll entwickelt sind. Als Hilfe (für Arzt und Patienten) gilt die so genannte ABCD-Regel. M sind charakterisiert durch: 4 A (Asymmetrie): Die Figur ist ungleichmäßig; Textur und Aufriss heterogen. 4 B (Begrenzung): Unregelmäßig, teils scharf, teils unscharf. 4 C (Colorit): Mischung aus braun, schwarz, blau, rot, weiß, grau. 4 D (Durchmesser): Der Herd wächst (MN bleiben unverändert). 4 Als weiteres Kriterien wird manchmal noch E (Elevation) hinzugefügt – Auftreten von Knoten in der Läsion. Zusätzliche Warnzeichen sind Sekundärveränderungen wie Erosion, Krusten, Blutung und Juckreiz. Die Dermatoskopie ist eine Hilfsmaßnahme zur Verbesserung der klinischen Diagnostik (s. o.). Die ent-
. Tab. 9.5. Die wichtigsten klinischen Differenzialdiagnosen des Melanoms Melanozytäre Läsionen
Epitheliale Läsionen
Gefäßläsionen
Andere
Clark-Nävi Blaue Nävi Lentigo simplex
Seborrhoische Warze Lentigo senilis Pigmentierte aktinische Keratose Pigmentiertes Basaliom Schleimhautmelanosen
Hautblutung Varixknoten Angiokeratom Granuloma pyogenicum Kaposi-Sarkom
Dermatofibrom Mastozytom Knotiges Lymphom
407 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
. Tab. 9.6. Risikogruppen entsprechend der vertikalen Tumordicke (nach Breslow)* Tumordicke (mm)
10-JahresÜberlebensrate (%)
Risiko
4 90% 4 85%
4 minimal 4 niedrig
1,01–2,0 mm 4 ohne Exulzeration 4 mit Exulzeration
4 80% 4 65%
4 niedrig 4 mittel
2,01–4,0 mm 4 ohne Exulzeration 4 mit Exulzeration
4 65% 4 50%
4 mittel 4 mittel
≤4,0 mm 4 ohne Exulzeration 4 mit Exulzeration
4 60% 4 30%
4 mittel 4 hoch
≤1 mm 4 ohne Exulzeration 4 mit Exulzeration oder Clark Level IV/V
*) nach Balch et al, J Clin Oncol 2001;19:363-5, 2001. Die Daten beruhen auf der Auswertung von 17 600 MelanomPatienten der AJCC – gerundet
scheidende diagnostische Methode ist die Histologie – auch sie ist manchmal schwierig. In bestimmten Fällen sind immunhistochemische Marker hilfreich: S100, HBM45, Nk1-C3, Transferrin-Rezeptor (PAL-M1). Prognose Die Prognose des M (. Tab. 9.3, . Tab. 9.6) hat sich drastisch verbessert: die kumulative 5-Jahres-Überlebensrate war vor 50 Jahren <20%, heute beträgt sie ca. 80% – das Resultat mehr der verbesserten Früherkennung als moderner Therapieformen. Die durchschnittliche 5-JahresÜberlebensrate im Tumorstadium (ohne Berücksichtigung der Tumordicke) beträgt heute ca. 85%, bei regionaler Metastasierung 50%, bei Fernmetastasierung <10% (10-Jahres-Überlebensraten: 70, 30 und <10%). Die Prognose wird von zahlreichen Faktoren bestimmt, der entscheidende ist das klinische Stadium zum Zeitpunkt der Exzision. Im Primärstadium korreliert das Risiko der Metastasierung mit der Tumormasse (Eindringtiefe, vertikaler Tumordurchmesser), weniger stark mit einer Reihe anderer Kriterien (s. u.). Beim metastasierenden M ist der Verlauf kaum voraussagbar. Bei Lymphknotenmetastasen hängt die Prognose von der Zahl der befallenen Lymphknoten ab, bei Fernmetastasierung von Zahl, Lokalisation (innere Organe ungünstiger als Haut), Geschlecht (ungünstiger für Männer) und begleitenden Systemkrankheiten. Die durchschnittliche Überlebensdauer ist 6 Monate. Wichtig, aber schlecht quantifizierbar ist die Abwehr-
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lage: bei Immundefizienz (z. B. Lymphomen) nehmen M oft einen foudroyanten Verlauf. Schwangerschaft hat keine nachweisbaren Auswirkungen auf den Verlauf des M (Abruptio nicht indiziert!). Ein während der Schwangerschaft diagnostiziertes M ist unverzüglich zu entfernen; Narkose und Strahlenbelastung beim Staging sind zu vermeiden. Nach der Geburt muss die Plazenta auf Metastasen untersucht werden; Kontrollen des Neugeborenen sind angezeigt. Neuerliche Schwangerschaften sind problemlos, wenn es sich um ein M niedriger Risikoklasse gehandelt hatte; bei hoher sollte die Periode der wahrscheinlichsten Metastasensetzung (2 Jahre) abgewartet werden. Bestimmung des Tumorstadiums (»Staging«)
Untersuchungsziele sind: Erhebung des vertikalen Durchmessers des Primärtumors (Mikrostaging) sowie Nachweis/Ausschluss allfälliger Metastasen (Satelliten-, In-Transit-, Lymphknoten- Fern-), deren Anzahl und Sitz. Ersteres erfolgt durch die histologische Aufarbeitung des Primär-M, letzteres durch die Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (s. u.) sowie durch klinische und bildgebende Untersuchungen (Ultraschall, konventionelles Röntgen, CT, MRI, PET). Bildgebende Verfahren stoßen an ihre Grenze, wenn die Größe der Metastasen unter der apparativen Auflösung liegt (»okkulte« Metastasen). Trotz verschiedener Ansätze ist diese diagnostische Lücke noch nicht geschlossen. Mikrostaging (Bestimmung der vertikalen Tumordicke). Die Prognose ist mit der Tumormasse korreliert;
die Eindringtiefe des M (ein nur scheinbar simples Kriterium) ist ein Maß der Tumormasse, zusätzlich aber auch der Invasionsfähigkeit (vertikale Wuchsphase). Sie kann mit 2 Skalen gemessen werden (. Abb. 9.51): 4 Clark-Skala: diese bestimmt die Eindringtiefe anhand der betroffenen anatomischen Schichten der Haut (»Levels of invasion«). Die 5-Jahres-Überlebensraten sind gut mit diesen »Levels« korreliert: 100% bei Level I – Melanom in situ; bis ca. 30% (Level V). 4 Maximale vertikale Tumordicke (TD) nach Breslow: diese wird mit einem Messokular als absolute Zahl gemessen (Distanz vom Str. granulosum zum unteren Tumorrand). Sie ist von den regionären Kaliberschwankungen der Haut unabhängig, die Messwerte erlauben eine gute Schätzung des Metastasierungsrisikos (s. u.). Beide Skalen stoßen bei exulzerierten oder partiell rückgebildeten Melanomen an die Grenzen ihrer Aussagekraft.
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Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
. Abb. 9.51. Messung der Eindringtiefe von Melanomen mit dem Clark- und dem Breslow-Einteilungssystem (Millimeterskala nicht maßstabgetreu). »Levels of inasion« nach Clark: Melanomzellen finden sich bei Level I nur in Epidermis (Melanom in situ); Level II fokal in der papillären Dermis; Level III in der gesamten papillären Dermis; Level IV in der retikulären Dermis; Level V im Fettgewebe
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Prognose-Parameter beim Primärtumor. Das wichtigste Kriterium ist die vertikale TD. Weniger stringent sind weitere, unabhängige Parameter: Exulzeration (vgl. . Tab. 9.6), männliches Geschlecht, höheres Alter, akrale/axiale Lokalisation (Kopf, Nacken, Rücken) und histochemische Marker: Expression von HLA-DR, -DQ, ICAM-1, des Proliferationsmarkers Ki67 sowie von Metallothioninen – (Apo)Proteine des Schwermetall-Metabolismus; ihre Expression ist beim M (und anderen Malignomen) mit höherer Aggressivität assoziiert. Mitosenzahl und histologischer Typ der Melanomzellen sind keine wesentlichen Prognosemarker. Nachweis von Lymphknoten-Mikrometastasen. Mit der Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (SLNB) können bei palpatorisch unauffälligen Lymphknoten Mikrometastasen aufgedeckt werden. Modellvorstellung: Über die Lymphbahnen in die Lymphknotenstation migrierende Tumorzellen erreichen hier zuerst einen vorgeschalteten Lymphknoten (»Sentinel«, Vorposten), erst anschließend die übrigen. Wird dieser SLN exzidiert und metastasenfrei gefunden, ist wahrscheinlich, dass dasselbe auch für die nachgeschalteten gilt. Ist er jedoch befallen, schließt sich die Lymphknotendissektion an. 3Technik der SLNB Der SLN wird durch Injektion von Patentblau und einem Radionuklid (Technetium 99 Nanokolloid) in das Tumorbett markiert und intraoperativ optisch und mit einer Detektorsonde identifiziert. Die Exzision erfolgt in Tumeszenz-Anästhesie. Das Präparat wird histologisch und enzymhistochemisch aufgearbeitet.
Die SLNB wird standardmäßig bei Primär-M >1 mm TD im Stamm- und Extremitätenbereich durchgeführt, gleichzeitig mit der Erstoperation des M (bei eindeutigem klinischen Befund) oder der Nachexzision nach Exzisionsbiopsie (s. u.; Cave: ausgedehnte Voroperationen können den Lymphabstrom verändern! Intervall nicht länger als 3 Monate!). Vor der SLNB müssen Fernmetastasen ausgeschlossen werden. Die SLNB erbringt in ca. 30% Mikrometastasen. Diese werden im Staging gleich gewertet wie Makrometastasen (obwohl die Relevanz einzelner Tumorzellen nicht eindeutig ist). Auch nach negativer SLNB entstehen bei ca. 10% innerhalb von 3 Jahren Lymphknotenmetastasen (Erklärung: nachträglich einlangende M-Zellen, Umgehung des SLN; falsch-negativer SLN). Selbstverständlich kann die SLNB auch nicht Satelliten-, In Transit- oder hämatogene Metastasen aufdecken. Sie ist ein diagnostischer, kein therapeutischer Eingriff!
Frühdetektion von Fernmetastasen. Die Verfahren zum Nachweis von Metastasen noch vor ihrer klinisch/ radiologischen Erkennbarkeit sind noch unbefriedigend. Viele Serummarker sind erst bei ausgeprägter Tumorlast erhöht (Melanin und Vorstufen, S100 Protein, MIA – melanoma inhibitory activity, VEGF, bFGF etc.). Der Nachweis zirkulierender Melanomzellen mittels RT-PCR (Tyrosinase oder Melan A) ist noch nicht ausgereift.
Therapie des Melanoms Eine kurative Therapie ist bei Primärmelanomen möglich und bei etwa drei Viertel Realität – in erster Linie bei M noch vor Eintritt in die vertikale Wuchsphase. Endgültige Ausheilung in späteren Stadien ist zwar möglich, aber selten. Entscheidend sind operative Maßnahmen (s. u.). Voraussetzung jeder Therapie sind das exakte Tumorstaging und die Erfassung von Begleitkrankheiten. Erstes Therapieziel ist die operative Elimination aller Tumorherde (Primär-M und Metastasen, soweit möglich). Bei Hochrisiko-M wird meist eine adjuvante Immuntherapie (Interferon-α) angeschlossen. Palliative Chemotherapie wird erst beim metastasierenden M begonnen, wieder meist gemeinsam mit adjuvanter Immuntherapie. Therapie des Primärtumors
Diese erfolgt immer (!) operativ durch weite Exzision. Sicherheitsränder sind nach allen Seiten wie folgt einzuhalten: 4 0,5 cm bei M in situ 4 1 cm bei M mit TD <2 mm 4 2 cm bei TD >2 mm Eine tiefe Exzision bis zur Muskelfaszie ist nur bei exzessiver TD sinnvoll. Bei Lokalisationen akral, im Gesicht und an den Schleimhäuten ist die radikale Entfernung meist nur mit Kompromissen möglich. Bei
409 9.5 · Neoplasien der Melanozyten
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akral-lentiginösen M (Finger/Zehen) erfolgt die Teilamputation. Lokalanästhesie ist statthaft, wenn plastisch-chirurgische Eingriffe nicht erforderlich sind (kein Risiko der Verschleppung von Tumorzellen).
gerung des erscheinungsfreien Intervalls). Einzelfälle sprechen immer wieder erstaunlich gut auf viele der verwendeten Substanzen an; aber selbst bei kompletter Remission kommt es fast stets nach Monaten zum Rezidiv.
Vorgehen bei Melanom-verdächtigen Läsionen
Chemotherapie. Standardmedikation ist der alkylie-
Ist die klinische Diagnose nicht hinreichend klar, erfolgt eine »Exzisionsbiopsie« (d. h. vollständige Exzision mit Sicherheitsrand von 1 cm). Erweist sich ein M, wird – falls erforderlich – innerhalb von 4 Wochen mit entsprechendem Sicherheitsrand nachexzidiert. Intraoperative Schnellschnittuntersuchungen sind wenig sinnvoll, da im Gefrierschnitt Spitz-, Halo- und ClarkNävi etc. nicht sicher unterschieden werden können. Vorteile der Exzisionsbiopsie: häufig sind weitere Eingriffe nicht erforderlich, die Narbe ist kosmetisch befriedigend, die Histologie stützt sich auf die gesamte Läsion. Tumorzellen können nicht verschleppt werden, wie für Inzisionsbiopsien oft befürchtet (wofür es allerdings keine Beweise gibt).
rende Imidazolabkömmling Dacarbazin (DITC); er wird meist als Bolus in 3-wöchentlichen Zyklen infundiert. In Monotherapie liegt das (komplette plus partielle) Ansprechen bei 20–25%. Abgesehen von Übelkeit (Gebrauch nur gleichzeitig mit Antiemetika!) ist DTIC relativ verträglich: in seltenen Fällen Hepatotoxizität, Myelosuppression. Es ist nicht liquorgängig (bei ZNSMetastasen ungeeignet!). Vergleichbar wirksam ist das verwandte Temozolomid (Vorteile gegenüber DTIC: orale Anwendbarkeit und Liquorgängigkeit). Es ist etwas stärker myelosuppressiv und wird häufig metronomisch verabreicht (tägliche Gaben in geringer Dosierung). Fotemustin ist etwa gleich wirksam wie DTIC und liquorgängig (Hirnmetastasen!), allerdings auch stärker myelosuppressiv. Keines der vielen erprobten anderen Zytostatika hat sich dem DTIC als überlegen erwiesen, die meisten aber als toxischer: Platinderivate, Nitrosoureaabkömmlinge, Vincaalkaloide, Taxole. Zahlreiche ZytostatikaKombinationsschemen erwiesen sich als nicht-zielführend: die Remissionszeiten waren zwar manchmal (meist bescheiden) länger als bei DTIC, nicht aber die Überlebenszeit, die Toxizität jedoch meist höher.
Regionäre Lymphknotendissektion
Sind regionäre Lymphknotenmetastasen klinisch oder mit Bildgebung nachweisbar, erfolgt gleichzeitig die radikale Lymphknotendissektion (bei Nähe der Operationsfelder en bloc). Diese ist auch nach positiver SLNB indiziert. (Operative) Behandlung von Metastasen
Satelliten- und In-Transit-Metastasen werden mit mäßigem Sicherheitsabstand exzidiert; eine regionäre Nachbestrahlung ist zu empfehlen. Fernmetastasen sollten, soweit vertretbar, entfernt werden – »Reduktion der Tumorlast«; zudem können oft schwere lokale Komplikationen vermieden werden (Einschmelzung, Stauung, Funktionsausfälle). Auch die Entfernung solitärer, gut zugänglicher Metastasen in z. B. Hirn, Leber und Lunge ist sinnvoll (je nach Situation operativ, stereotaktische Bestrahlung, Radiofrequenzablation, Embolisation, Gamma-Knife u. a.). Regionale Metastasen der Extremitäten sprechen oft gut auf Perfusion mit Zytostatika (Melphalan) oder TNF-α unter Hyperthermie (41,5°C) an; belastend! Radiotherapie
Das M ist eher wenig strahlenempfindlich (Hyperfraktionierung steigert die Wirkung!). Indikationen sind: inoperable primäre M, Lymphknoten- oder auch ausgedehnte Haut- und Knochenmetastasen.
Immuntherapie. Rationale der Immuntherapie ist, die
vorhandene, aber nicht ausreichende körpereigene Tumorabwehr zu unterstützen. Zytokintherapie. IFN-α, als Adjuvans zur Vorbeugung von Rezidiven bei Hochrisiko-M (low-dose: 3-mal 3 Mio. IE/Woche), bewirkt eine Verlängerung des erscheinungsfreien Intervalls (vielleicht auch der Überlebenszeit) bei erträglichen Nebenwirkungen (grippeähnliche Symptome, Leukopenie etc.). Therapeutischer Einsatz von IFN-α beim metastasierenden M (high-dose: 9–15 Mio. IE/Woche) wirkt vergleichbar wie DTIC, die Nebenwirkungen sind jedoch erheblich. IL-2, lokal instilliert, führt oft zur Rückbildung oberflächlicher Hautmetastasen. Chemoimmunotherapie. DTIC, kombiniert mit IFN-α (low dose) wird standardmäßig gegeben und übertrifft die Wirkung jeder der beiden Komponenten für sich. Verschiedene Schemen von Polychemoimmunotherapie (Chemotherapeutika kombiniert mit IFN-α und/ oder IL-2) haben die Erwartungen nicht erfüllt.
Chemo- und Immunotherapie
Bislang ist keine Therapiemodalität verfügbar, die verlässlich zur Lebensverlängerung führt (oft jedoch zur Verlän-
Spezifische aktive Immuntherapie. Diese Therapiean-
sätze (z. B. Vakzinationstherapie mit antigengepulsten
410
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
dendritischen Zellen) sind viel versprechend, aber noch experimentell. Führung und Nachsorge von Melanompatienten Patienten mit M werden 5, meist 10 Jahre oder länger in organisierter Nachsorge geführt. Ziel: möglichst frühzeitige Entdeckung von Metastasen und/oder Zweitmelanomen (ein M ist der stärkste Prädiktor der Entstehung weiterer M – 20% Lebenszeitrisiko, d. h. bei jedem 5. M-Patienten!). Die Kontrolluntersuchungen umfassen die Inspektion der gesamten Haut, Palpation der Lymphknotenregionen, zusätzlich Lymphknotensonographie. Weitere bildgebende Maßnahmen und Labortests erfolgen gezielt nach der jeweils vorliegenden Situation. 9.6
9
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Bindegewebes
Hypertrophe Narben und Keloide Definition. Beide Begriffe bezeichnen überschießende (»reaktive«) Bindegewebsproliferationen nach Kontinuitätstrennungen der Haut. Hypertrophe Narben sind auf den Bereich des Traumas beschränkt, Keloide wachsen darüber hinaus. Bei fehlender Anamnese eines Traumas spricht man von Spontankeloid (. Abb. 9.52). Afrikaner neigen viel mehr zu Keloiden als Weiße, Kinder mehr als Erwachsene. Postentzündliche Narben (z. B. nach Akne oder Verbrennungen) disponieren mehr zur Keloidbildung als Narben nach blanden Schnittwunden. Symptomatik. Klinisch erscheinen hypertrophe Nar-
ben als derbe, prall gespannte, glatte unregelmäßige Wülste, zunächst hellrot, später hautfarben oder leicht hyperpigmentiert; bei Keloiden finden sich zusätzlich krähenfußartige Ausläufer. Nach jahrelangem Bestand teilweise spontane Rückbildung. Bevorzugte Areale: prästernal, Schulter. Histologie. Verbreiterte Dermis, wirbeliges fibrosklerotisches Kollagen, reichlich Fibroblasten und Mastzellen. Therapie. Schwierig. Bei beginnender Narbenhypertrophie Versuch der Lokalbehandlung mit Kortikosteroiden unter Okklusion oder Depotkortikosteroide intraläsional (cave: bei subkutaner Verabreichung Atrophie!) oder Röntgen-Bestrahlung. Alternativ oder additiv: spezielle Druckverbände (über Monate!), okkludierende Salben (Silikon), Lasertherapie (Ansatzpunkt: Gefäße!). Bei frischen Läsionen kann mit diesen
. Abb. 9.52. Spontankeloid. Zopfartig geflochtener, derb fibröser Strang mit glatter Oberfläche. Typische Lokalisation
Methoden eine partielle Rückbildung erreicht werden, alte sind resistent. Exzision allein ist kontraindiziert, da die resultierende Narbe zu einem noch größeren Keloid wird; bei Exzision muss die Wunde unmittelbar postoperativ bestrahlt werden. Fibroma molle (Synonym Weiches Fibrom, Fibroma pendulans, Akrochordon, Fibroepithelialer Polyp) Definition. Eine sehr häufige, reaktive exophytische Bindegewebsläsion (»Hautanhängsel«). Symptomatik. Das solitäre weiche Fibrom ist ein unterschiedlich großes weiches, sackartiges, hautfarbenes Anhängsel (. Abb. 9.53). Komplikation: die schmerzhafte Stieldrehung (Infarzierung). Multiple weiche Fibrome präsentieren sich als kleine filiforme Säckchen (. Abb. 9.54) in oft enormer Zahl an Hals, Nacken, Augenlidern, Achseln und Leisten, oft begleitet von milder Hyperpigmentierung – ein Teilsymptom der Pseudoacanthosis nigricans (7 Kap. 6.2.1) und auch des Birt-Hogg-Dube-Syndroms (s. o.). Histologie: lockeres gefäßreiches Bindegewebe, oft mit ektopem Fettgewebe. Differenzialdiagnose. Gestielte seborrhoische Warzen, Pinkustumor, Akanthosis nigricans. Therapie. Abtragung mittels Scherenschlag, Elektro-
kaustik oder CO2-Laser.
411 9.6 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Bindegewebes
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. Abb. 9.55. Dermatofibrom. Ein gelb-bräunlicher, derber Knoten, unscharf begrenzt, »wie in die Haut eingelassen«
Histologie. Eine Spindelzellläsion der Dermis mit wir-
. Abb. 9.53. Weiche papilläre Fibrome (»skin tags«)
belig angeordneten Kollagenfasern und variabler Beimengung von Makrophagen (Siderophagen, Schaumzellen), mehrkernigen Riesenzellen, teilweise bizarr (»Monsterzellen«) bis atypisch (pseudosarkomatöses fibröses Histiozytom), Epidermis verbreitert und basal hyperpigmentiert. Frühe Läsionen sind zellund gefäßreich, spätere zeigen Fibrosierung und Speicherung: Siderophagen (hämosiderotisches Histiozytom), Schaumzellen. Faktor XIIIa- und (glatte Muskulatur)-Aktin-Reaktivität wird in frühen Stadien beobachtet. Differenzialdiagnose. Dermatofibrosarcoma protuberans (meist größer, irregulärer Aufbau), melanozytäre Nävi (weicher), Kaposi-Sarkom (multifokal, symmetrisch, heterogen).
. Abb. 9.54. Fibroma molle pendulans
Dermatofibrom (Synonym Histiozytom, Fibroma durum, «subepidermal nodular fibrosis«) Definition. Eine häufige reaktive Bindegewebsläsion von charakteristischer stadienhafter Morphologie, oft nach milden Traumen (Insektenstiche, Follikulitis etc.). Symptomatik. Das Dermatofibrom tritt bevorzugt an
den Beinen erwachsener Frauen auf (. Abb. 9.55): eine rundliche, bis ca 1 cm große, hautfarbene oder bräunliche, derbe Papel/Knoten, die in der Tiefe und an der Epidermis adhäriert (»in die Haut eingelassene Linse«). Bei Zusammendrücken wird die Läsion in die Tiefe verdrängt und zieht gleichzeitig die Epidermis nach unten (diagnostischer Handgriff). Häufig multipel; subjektive Beschwerden fehlen, spontane Rückbildung kommt vor.
3Sonderformen des Dermatofibroms: 4 Tief penetrierendes Dermatofibrom: große, bis ins subkutane Fettgewebe reichende Läsion 4 Atrophes Dermatofibrom: rötlich, flach-papulös, meist am Rumpf (DD Basaliom) 4 Epithelioides Histiozytom: Histologisch bizarr ausgezipfelte, epithelioide Fibroblasten (Faktor XIIIa positiv). DD epithelioide Melanozyten bei Spitz-Nävi 4 Aneurysmatisches (angiomatoides) fibröses Histiozytom: ein rasch wachsendes und schmerzhaftes Histiozytom mit Einblutungen. DD Melanom
Therapie. Falls erwünscht, Exzision.
Dupytren-Kontraktur (Synonym Palmare Fibromatose) und verwandte Prozesse Definition, Ätiologie. Diese ist das narbige Endstadium einer vermutlich traumatisch ausgelösten Entzündung der Palmaraponeurose. Betroffen sind vorwiegend Männer (5:1) der 2. Lebenshälfte. Eine genetische Disposition ist wahrscheinlich: familiäre Häufung, oft konkordant bei Zwillingen, oft Kombination mit analogen Prozessen (s. u.).
412
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Symptomatik. Knotige Verdickung und Schrumpfung
der palmaren Aponeurose, oft beidseitig und meist im Bereich des 4. Fingerstrahls: Streckdefizit der befallenen Finger, tastbarer derber Strang in der Palma manus. Endzustand: Beugekontraktur der beiden ulnaren, manchmal auch der übrigen Finger. Analoge Prozesse sind Morbus Ledderhose (plantare Fibromatose) und Morbus Peyronie (Induratio penis plastica). Beide sind selten, erstere führt kaum je zu Kontrakturen, letztere bewirkt eine Abknickung des Gliedes bei Erektion.
3Multiple disseminierte Bindegewebsnävi kommen bei tuberöser Hirnsklerose und bei der Dermatofibrosis lenticularis disseminata mit Osteopoikilie (Buschke-Ollendorf-Syndrom) vor – eine autosomal-dominante Erbkrankheit, die neben multiplen elastischen Nävi vorwiegend der Extremitäten durch epiphysennahe hyperdense Knochenherde gekennzeichnet ist (DD osteoplastische Knochenmetastasen).
Differenzialdiagnose. Nävus lipomatosus superficialis
(Plaques gelblich, weich), Pseudoxanthoma elasticum (Plaques kleiner, an Hals, Beugen).
Therapie. Frühzeitige Exzision der fibrotischen Anteils
Angiofibrome
der betroffenen Aponeurose (bzw. des fibrösen Septums zwischen Corpora cavernosa und Corpus spongiosum penis).
Definition. Hamartome aus Gefäß- und Bindegewebs-
komponenten. Symptomatik. Das häufige solitäre Angiofibrom er-
Analoge Entitäten. Proliferative Fasziitis, ossifizieren-
de Fasziitis, proliferierende Myositis, kraniale Fasziitis (s. Lehrbücher der Pathologie).
9
Noduläre Fasziitis Definition. Eine entzündlich-reaktive, »pseudosarkomatöse« Bindegewebsläsion, häufig posttraumatisch. Symptomatik. Rasch wachsende (Wochen!), unverschiebliche derbe Knoten im Bereich der tiefen Faszien, gelegentlich der Subkutis, meist an der oberen Extremität junger Erwachsener; subjektive Beschwerden gering. Histologie. Eine zell- und mitosenreiche, enkapsulierte
oder bizarr-sternförmige Spindelzellproliferation mit lymphozytärer Entzündung, Gefäßreichtum und muzinreicher Matrix. Zellatypien sind meist wenig ausgeprägt. Cave: Verwechslung mit Sarkomen. Therapie und Verlauf. Nach Erreichen der maximalen
Ausdehnung von einigen Zentimetern spontane Rückbildung mit narbiger Induration. Komplette Exzision ist nicht erforderlich, wohl aber die histologische Sicherung. Bindegewebsnävus Definition, Symptomatik. Seltene hamartomatöse
Akkumulationen kollagener und/oder elastische Fasern: solitäre oder multiple, meist am Rumpf (sakral) auftretende »pflastersteinartig« vorgewölbte Plaques, einige Zentimeter bis Handflächen-groß, hautfarben bis zart bräunlich und mäßig derb-elastisch. Histologie: Vermehrung von Kollagen- und/oder elastischen Fasern.
scheint meist als hautfarbene, manchmal Teleangiektasien-tragende Papel der Nase oder des Gesichts (»fibrous papule of the nose«) – meist bei jungen Patienten (Differenzialdiagnose: Basaliom, dermaler melanozytärer Nävus Miescher). Multiple Angiofibrome treten entweder als die harmlose, atavistische »Hirsuties papillaris coronae glandis« auf (eine Manschette silbrig-weißer, kleiner Papeln im Sulcus coronarius glandis) oder als das viel seltenere Adenoma sebaceum (. Abb. 8.21): multiple hautfarben/rötliche Papeln der Nasolabialfalten und Wangen. Es ist ist mit der tuberösen Hirnsklerose (Morbus Pringle) assoziiert (7 Kap. 8.5.2) und dessen dermatologisches Leitsymptom. 3Infantile Digitalfibrome Selten, jedoch der häufigste Vertreter der so genannten infantilen Fibromatosen: eine schlecht definierte, klinisch und ätiologisch heterogene Gruppe lokalisierter oder generalisierter Entitäten, die mit Fibroblastenproliferation einhergehen. Infantile Digitalfibrome treten bei oder bald nach der Geburt als einzelne oder multiple, kalottenförmige, »knoblauchzehenartige« hautfarbene derbe Papeln/Knoten an Finger- und Zehenendgliedern auf. Sie neigen nach operativer Entfernung zum Rezidiv, bilden sich aber nach Monaten oder Jahren spontan zurück. Histologie: Spindelzellläsion mit eosinophilen zytoplasmatischen Einschlusskörperchen (kondensierte Aktinfilamente).
Sehnenscheidenfibrom und Sehnenscheidenriesenzelltumor Von den Sehnenscheiden ausgehende benigne Neoplasien. Das Sehnenscheidenfibrom tritt vorwiegend an Händen und Füßen von Männern mittleren Alters auf, der Sehnenscheidenriesenzelltumor häufiger bei Frauen. Klinisch handelt es sich um wohl umschriebene derbe, hautfarbene Knoten, meist an den Endgliedern von Fingern (Daumen), seltener Zehen. Das Sehenscheidenfibrom ist histologisch ein multilobulärer Knoten aus ovalär/spindelförmigen Fibro-
413 9.6 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Bindegewebes
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blasten in kollagen- und gefäßreichem Stroma. Beim Sehnenscheidenriesenzelltumor eisenspeichernde Riesenzellen und Schaumzellen. Therapie: Exzision. Rezidive in ca. 25%. 3Seltene benigne Neoplasien des Bindegewebes Das solitäre, kutane Myofibrom ist myofibroblastär differenziert (glatte Muskulatur, Aktin-positiv). Das Angiomyxom ist ein muzinreicher Knoten mit prominenten Gefäßen und Fibroblasten mit spinnenförmigen Zellausläufern, epithelialen Hornzysten und Neutrophilen. Es tritt isoliert auf oder ist Indikatorläsion für den kardiokutanen Carney-Komplex (NAME- oder LAMB-Syndrom, s. weiterführende Literatur).
Dermatofibrosarcoma protuberans (DFSP) Definition. Ein lokal aggressiv-infiltrativ wachsendes Sarkom mit fibrozytärer Differenzierung, das sehr zu Rezidiven neigt, aber selten metastasiert. Epidemiologie. Das DFSP ist das häufigste Sarkom der Haut (2–3/10 000/Jahr). Es ist gynäkotrop (4:1) und kommt vorwiegend in der 2. Lebenshälfte vor. Ätiologie. Beim DFSP findet man Ring- oder Riesenchromosomen mit Fusion von Chromosom 17 und 22 – das Fibroblasten-Gen COL1A1 gerät dabei unter die Kontrolle des PDGFB β-Gens. Symptomatik. Das DFSP tritt meist am Rumpf auf, seltener an Extremitäten und Kopf. Es beginnt ähnlich einem Dermatofibrom, entwickelt sich aber über Jahre/ Jahrzehnte in einen aus mehreren derben, plattenartigen und knotigen Anteilen aufgebauten hautfarbenen, unregelmäßig gebuckelten Tumor oft mit vorgebirgsartigen Ausläufern (. Abb. 9.56). Die Haut über dem Knoten ist gespannt, atroph, manchmal mit Teleangiektasien; gelegentlich Exulzeration. Histologie. Eine Spindelzellläsion aus hochdifferenzierten, spindelig/dendritischen Fibroblasten und feinem Kollagen, Mitosen sind nicht vermehrt. Besonders auffällig: die wirbelige Anordnung von Zellkernen und Kollagen (»storiform«, d. h. mattenartig; Radspeichenstrukturen). Charakteristisch ist die irreguläre Silhouette mit bizarrer Fettgewebsinfiltration mit strangartigen Ausläufern. CD34-Positiv! Sonderformen. Das atrophe DFSP (ca. 10%) ist pla-
queförmig, Narben-ähnlich, das myxoide ähnelt histologisch alten neurogenen Läsionen, das pigmentierte (Bednar-Tumor) zeigt zwischen den Fibroblasten dendritische Melanozyten. Selten sind infantile und kongenitale DFSP.
. Abb. 9.56. Dermatofibrosarcoma protuberans. Beachte die heterogene, aufeinander getürmte Bauweise aus Platten, Knoten und Strängen. Unter dem Hautniveau ist der Tumor viel weiter ausgebreitet als am Bild ersichtlich
Therapie. Wegen des infiltrativ-dyskohäsiven Wachs-
tums ist eine weite Exzision indiziert (3 cm Sicherheitsabstand), bei unzureichender Exzision erfolgt fast stets ein Rezidiv! Bei ausgedehnten Formen kann mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor Imatinib das Fusionsgenprodukt COL1A1/PDGFB blockiert und Tumorregression erreicht werden (Erreichen der Operabilität!). Weitere maligne Neoplasien des Bindegewebes Desmoidtumoren. Knotige, tiefsitzende, infiltrative
Bindegewebsläsionen, die ursprünglich den Fibromatosen zugeordnet wurden. Man unterscheidet je nach Lage extraabdominelle (Schulter, Rumpf, Oberschenkel, oft nach Operationen), abdominelle (meist in der Bauchwand nach Sectio) und intraabdominelle Fibromatosen (Becken, Mesenterium). Histologie: Gering atypische Fibrozyten mit fibromähnlichem Wachstumsmuster (DD hypertrophe Narben). Therapie: weite Exzision (3 cm Sicherheitsabstand). Bei ungenügender Resektion Rezidive, kaum je Metastasen. Myxofibrosarkom. Ein Weichteilfibrosarkom vorwie-
gend der (unteren) Extremitäten älterer Männer: gallertige, multilobulär-plattenartige, subkutane oder tiefere Tumoren, klinisch scheinbar wohl umschrieben, histologisch jedoch infiltrierend wachsend. Histologie: myxoide gefäßreiche Knoten aus kleinen spindelförmigen Zellen mit Muzinvakuolen (»Pseudolipoblasten«, DD Liposarkom). Therapie: weite Exzision (3–5 cm Sicherheitsabstand). Bei ungenügender Exzision Lokalrezidive, auch Lymphknoten- oder Fernmetastasen. Fibrosarkom. Dieses geht meist aus tiefen Muskelsepten oder Aponeurosen, selten aus der Subkutis hervor. Be-
414
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
troffen sind Patienten im 4.–6. Dezennium, bevorzugt an den proximalen Extremitäten, seltener am Rumpf. Symptomatik: schnell wachsende, knollig-fleischige, später exulzerierende Tumoren. Histologie: Monomorphe Faszikel von Spindelzellen in »Fischgräten«-Formation, hohe Zelldichte, zahlreiche (atypische) Mitosen und Nekrosen. Therapie: Weite Exzision. In ca. 50% Lokalrezidive und meist hämatogene Metastasierung (Lunge, Knochen). 9.7
9
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Blutund Lymphgefäße
Die hier beschriebenen Entitäten sind vielfältig, und einige auch sehr häufig. Ihre nosologische Zuordnung ist in vielen Fällen klar, in anderen noch offen – wie sich schon im üblichen großzügigen Gebrauch des Begriffs »Angiom« zeigt. Maligne Gefäßneoplasien sind selten; allerdings können sowohl manche benigne Neoplasien als auch Hamartome schwere Krankheitserscheinungen verursachen. 9.7.1 Erworbene teleangiektatische
Fehlbildungen Naevus araneus Eine häufige, meist multipel auftretende Läsion: münzgroße, runde Herde, die aus einem zentralen, hellroten, erhabenen Punkt bestehen, von dem Gefäßreiserchen »wie Spinnenbeine« ausgehen (. Abb. 9.57). Der zentrale Punkt ist eine erweiterte Hautarteriole, die das Gefäßmal speist: nach Ausdrücken füllt sich die Läsion sofort wieder. Gehäuft bei Kindern und jungen Frauen, in der Schwangerschaft und bei Leberzirrhose; spontane Rückbildung kommt vor. Therapie: Verödung des zentralen Gefäßes (z. B. Farbstofflaser), die Reiserchen bilden sich dann spontan zurück. »Blutseen« Bläuliche, polsterartig erhabene, weiche, auspressbare Venektasien, v. a. im Gesicht alter Menschen (Lippen!). Differenzialdiagnose: Schleimzyste der Lippen. Thrombosiertes »Angiom« Entzündliche, bläulich-schwarze, derbe, schmerzhafte Knoten, oft im Gesicht. Ausgangspunkt: Angiokeratom, Varixknoten, unverändertes Hautgefäß. Differenzialdiagnose: Melanom.
. Abb. 9.57. Naevus araneus (»Spidernävus«). Ein zentrales ektatisches arterielles Gefäß, von dem peripherwärts Teleangiektasien (wie Beine eines Weberknechts) ausgehen
9.7.2 Hamartome der Blut- und Lymph-
gefäße Gefäßhamartome sind nichtproliferative Läsionen, die in utero entstehen und bei Geburt in der Regel schon manifest sind. Ihr Verlauf ist im Wesentlichen statisch, Rückbildungstendenz besteht nicht. Man unterscheidet Hamartome der Blutkapillaren (die häufigsten), der Venen, sowie arteriovenöse und lymphatische Hamartome; im Gegensatz zu allen übrigen zeichnen sich arteriovenöse Hamartome durch schnellen Durchfluss aus (mögliche Folgen: umschriebene Gewebshypertrophie; chronische Kreislaufüberlastung). Kapilläre Hamartome Kapilläre Hamartome gehen von den dermalen Kapillaren aus. Sie können sich flächig (Naevus flammeus) oder als vermehrte kapilläre Einzelgefäße (Teleangiektasien) manifestieren. Naevus flammeus (NF, Synonym Feuermal, Portweinnävus) Definition. Ein harmloses, nicht rückbildungsfähiges kapilläres Hamartom (das jedoch auch Teilsymptom schwerwiegender Fehlbildungssyndrome sein kann). Epidemiologie. Der NF ist das häufigste vaskuläre Ha-
martom (0,5% der Neugeborenen). Er ist bei Geburt vorhanden und wächst später nur proportional zum Körperwachstum. Eine sehr häufige verwandte Läsion (jedes dritte Neugeborene) ist der zart-helle mediane nuchal-frontale NF (»Storchenbiss«). Bei diesem sind die frontalen Anteile (Stirn, Oberlider) rückbildungsfähig, die nuchalen hingegen nicht. Multiple NF kommen familiär gehäuft vor.
415 9.7 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Blut- und Lymphgefäße
9
Ätiologie. Noch unklar (ausbleibende Gefäßkonstrikti-
on durch Defekt der Gefäßrezeptoren?). Symptomatik. NF kommen weit überwiegend im Ge-
sicht-Halsbereich vor. Sie treten entweder als lokalisierte Flecken/Streifen, seltener als erheblich ausgedehntere Läsionen auf (. Abb. 9.58a, b). Sie sind meist halbseitig, halten die Mittellinie oft nicht strikt ein, sind stets scharf begrenzt, manchmal bizarr verästelt mit Satellitenherden. Die Farbe ist diffus hell- bis dunkelrot, ist jedoch Schwankungen unterworfen: intensiver bei Wärme, psychischen Einflüssen – z. B. Weinen. Nach Jahren werden die NF oft dunkler (satt-violett), die Haut in ihrer Gesamtheit verdickt – z. B. Makrocheilie, mit pflastersteinartigen Knoten durch angiomähnliche Vermehrung der ektatischen Gefäße; manchmal kommt es zur Hypertrophie der gesamten Region, z. B. auch des Kieferknochens. Histologie. Die oberflächlichen Kapillaren/kleine Ve-
nen sind erweitert, in alten Läsionen auch vermehrt und auch in tiefen Schichten vorhanden. Fibrose. Proliferationsmarker: negativ.
a
Assoziierte Fehlbildungen. NF können mit vaskulären
Fehlbildungen in tieferen Schichten assoziiert sein, und zwar umso eher, je ausgedehnter sie sind. Maximale Bilder sind komplexe Fehlbildungssyndrome wie u. a. das Klippel-Trenaunay-, das Parkes-Weber- und das Sturge-Weber- Syndrom (7 Kap. 8.5.3). Aber auch bei scheinbar solitären NF im Bereich des 1. Trigeminusasts können in bis 10% ein Glaukom oder neurologische Symptome auftreten. Mediane NF (zervikal, lumbosakral) sind Verdachtzeichen der Dysraphie. Differenzialdiagnose. Persistierende Erytheme (z. B.
chronischer Kälteschaden, Fragmente von Livedo racemosa), frühe kapilläre Angiome (. Tab. 9.7), makulöses Stadium des Kaposi-Sarkoms. Therapie. Therapie der Wahl: Farbstofflaser. Frühere Behandlungsversuche wie Verödung, Kryotherapie und Röntgenbestrahlung sind erfolglos und kontraindiziert.
Teleangiektatische Hamartome Teleangiektasien sind mit freiem Auge sichtbare, erweiterte Hautkapillaren. Sie sind meist erworbener Natur und Begleitsymptom von sehr verschiedenen Hautund Systemkrankheiten. Als primäre Veränderung treten sie bei folgenden Bildern auf: Essenzielle Teleangiektasie (Synonym Angioma serpiginosum). Eine eher seltene progressive nävoide
b . Abb. 9.58a, b. Naevus flammeus. a Streng halbseitiger, scharf begrenzter, rotweinfarbener Fleck der rechten Maxillargegend. b Naevus flammeus bei Erwachsenem. Beachte, dass Naevi flammei im Erwachsenenalter zu Hypertrophie (linke Oberlippe) und knotigen »Angiomen« führen können
Fehlbildung, häufiger bei Frauen, die aus einer Vielzahl punkt- und strichförmiger Teleangiektasien mit Ausbildung gruppierter, bizarr konfigurierter Herde besteht. Beginn meist in der Pubertät; die unteren Extremitäten sind meist stärker befallen. Essenzielle Teleangiektasien können auch halbseitig oder regionär auftreten. Manchmal familiär gehäuft. Therapie: Farbstofflaser.
416
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
. Tab. 9.7. Kapilläre Angiome und Hamartome bei Neugeborenen Kapilläres infantiles Hämangiom (s. u.)
Kapilläres und venöses Hamartom
Symptomatik
Entsteht erst in den ersten Lebenswochen Schnelles Wachstum Spontane Rückbildung (über Jahre)
Bei Geburt vorhanden Wachstum proportional zum Körperwachstum Persistent
Epidemiologie
Häufiger bei Mädchen (3:1) und bei Frühgeburten
Keines von beiden
Histopathologie
Lobuläre Endothelzellproliferation Mastzellen Spätstadium: Ersatz durch Binde/Fettgewebe
Keine Endothelzellproliferation, vaskuläre Hohlräume
Histochemie
Expression von Placenta-assoziierten Proteinen, z. B. GLUT-1 (Erythrozyten-Glukose-Transporter) und Proliferationsmarkern: PCNA (»proliferating cell nuclear antigen«)
Expression der Marker fehlt
Familiäre hämorrhagische Teleangiektasie (Morbus Osler). Eine seltene, autosomal-dominante Erbkrank-
9
heit, die durch zahlreiche Teleangiektasien (und andere vaskuläre Fehlbildungen) der Haut (Lippen, Akren), der hautnahen Schleimhäute (Nasen-, Mundschleimhaut) und der inneren Organe (Gastrointestinaltrakt) gekennzeichnet ist. Die Läsionen der Schleimhäute sind sehr vulnerabel und bluten leicht. Typisches Initialsymptom: Epistaxis; gastrointestinale Blutungen treten regelmäßig auf, sind allerdings häufig asymptomatisch. Assoziierte Symptome: arteriovenöse Fisteln der Lunge, Leberzirrhose. Ätiologie. Mutationen von ENG oder ACVRL1 (kodieren für die TGF-β-Rezeptoren Endoglin und Activin) – beeinträchtigte Integrität der Gefäßwände. Differenzialdiagnose: Essenzielle Teleangiektasie, CREST-Syndrom. Therapie: Embolisierung größerer Gefäßanomalien; Östrogene können Epistaxis bessern.
mäßig begrenztes warziges, rot-schwarzes, kapillär-lymphatisch gemischtes Hamartom. Prädilektionsstelle: Beine. Es ist oft nur münzgroß, manchmal erheblich größer. Neigung zu Thrombose und rezidivierender Entzündung. Differenzialdiagnose: Kaposi-Sarkom, Melanom, Livedo-Vaskulitis. Therapie: Bei kleineren Herden Exzision. Naevus anaemicus Eine seltene nävogene Fehlbildung: unregelmäßig scharf begrenzte blasse Flecken, meist am Rumpf von Frauen (. Abb. 9.60). Ursache: dispositionell gesteigerte Reaktion auf Katecholamine (dauernde Vasokonstriktion). Naevi anaemici können isoliert oder mit anderen Fehlbildungen assoziiert sein (Naevus flammeus, Mongolenfleck u. a. – »Phakomatosis pigmentovascularis«). Differenzialdiagnose: Naevus depigmentosus – dieser rötet sich bei Reiben, der Naevus anaemicus nicht.
Angiokeratome Eine heterogene Gruppe von Gefäßläsionen, die durch ektatische Gefäße der oberen Dermis mit hyperkeratotischer Begleitreaktion der Epidermis charakterisiert sind. Sie sind teils erworben, teils Hamartome. Ausnahme: das bedrohliche Angiokeratoma corporis diffusum (Morbus Fabry) (7 Kap. 8). Erworbene Angiokeratome. Solitäres Angiokeratom:
dem Angioma circumscriptum (s. u.) ähnlich, meist kleiner. Auftreten im Schulkind- bis Erwachsenenalter. Genese: posttraumatisch? Differenzialdiagnose: Melanom! Multipel und klein sind die Angiokeratomata Mibelli (akral) sowie die harmlosen Angiokeratomata scroti bzw. vulvae: häufig bei älteren Personen. Angiokeratoma circumscriptum (. Abb. 9.59). Ein in
der Frühkindheit auftretendes, scharf und oft unregel-
. Abb. 9.59. Angiokeratoma circumscriptum
417 9.7 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Blut- und Lymphgefäße
9
(oder Kiefer)schluss, Schluck- und Atembeschwerden (VH um Pharynx und Larynx), Ex- oder Enophthalmus. VH an Rumpf/Extremitäten: Knochen- und Muskelschmerzen, Stellungsanomalien, Bewegungseinschränkung, Hämarthros u. a. Histologie. Anastomosierende, das Gewebe durchsetzende, blutgefüllte kavernöse Hohlräume, diskontinuierliche Tunica media. Organisierte Thrombi. Proliferationsmarker negativ. Diagnostik. Bildgebende Verfahren (MRI, Farbdopp-
ler-Ultraschall, Arteriographie). Differenzialdiagnose. Kapilläres Angiom (. Tab. 9.7). . Abb. 9.60. Naevus anaemicus. Die makulösen weißlichen Areale treten durch die reflektorische Rötung der Umgebung (nach Reiben) besonders deutlich hervor
Venöse Hamartome Venöse Hamartome (VH) sind Läsionen der tiefen Hautschichten bzw. der tiefen Gewebe. Sie führen bei größerer Ausdehnung zu schwerer funktioneller/kosmetischer Beeinträchtigung. Epidemiologie, Ätiologie. VH sind etwa gleich häufig wie kapilläre. Sie treten meist sporadisch auf, selten familiär (autosomal-dominant, assoziiert mit einem Defekt des TEK-Gens – kodiert für eine endotheliale Proteinkinase). Symptomatik. VH sind schon bei Geburt vorhanden und nicht rückbildungsfähig. Sie vergrößern sich proportional dem Körperwachstum, können aber scheinbar durch progrediente Blutfüllung und Verdrängung/ Deformierung des präexistenten Gewebes anwachsen. Sie erscheinen als hautfarbene/bläulich durchschimmernde, unscharf begrenzte, weiche, schwammartig ausdrückbare Flecken bzw. polsterartige oder halbkugelige Gebilde; entweder fokal (bis einige Zentimeter) oder als konfluierende Konvolute manchmal riesigen Ausmaßes und segmentaler Verteilung (z. B. Extremitätenteile). VH neigen zur Durchsetzung des präexistenten Gewebes (Subkutis, Muskulatur, Knochen – fokale Resorption) und können in abhängiger Lage zu erheblichen Schwellungen führen. Sie sind oft berührungsschmerzhaft (Thrombosen). VH des Gesichtsbereichs finden sich häufig an Lippen, Wangen, Zunge, Mundboden, Orbita u. a. Typische Komplikationen sind z. B.: fehlender Lippen-
Therapie. Je nach Situation: Verödung, plastisch-chir-
urgische Operation, Embolisation, Radiofrequenzablation; Farbstofflaser-Behandlung nur bei sehr oberflächlichen Läsionen. Venöse Hamartome im Rahmen von Fehlbildungssyndromen »Blue-rubber-bleb«-Nävus-Syndrom. Oft große, pralle VH (manchmal Glomangiome) an der Haut, meist Rumpf, Muskeln und inneren Organen (Gastrointestinaltrakt – Gefahr tödlicher Blutungen, Leber, Milz, ZNS). Autosomal-dominant. Maffucci-Syndrom. VH (oft ähnlich Spindelzellhäman-
giomen) an Haut und inneren Organen; multiple Knochendeformationen und -frakturen durch fehlerhafte Knorpelentwicklung und Enchondrome. In 50% letal verlaufende Chondrosarkome. Autosomal-dominant (?). Arteriovenöse Hamartome (AVH). Das AVH ist die
seltenste Form der Gefäßhamartome, kann jedoch durch kardiovaskuläre Belastung mit Herzinsuffizienz einhergehen. AVH sind meist schon bei Geburt angelegt, entwickeln sich jedoch erst später voll. Das oberflächliche AVH tritt meist im Gesicht auf und entspricht einem Naevus flammeus, in dem Pulsieren und Schwirren getastet werden kann; im weiteren Verlauf Wachstum, Blutung, Nekrosen und oft lytische Knochenläsionen. Tiefe AVH kommen häufiger an Rumpf oder Extremitäten vor; sie bestehen aus rankenförmig verschlungenen Arterien und Venen mit Anastomosen (früher: Angioma racemosum). Kompression großer AVH löst Bradykardie aus (Branham-Zeichen). AVH sind ferner Teilsymptom des Parkes-Weber- (7 Kap. 8.5.3) und andere Syndrome. Diagnostik: Pulsation, Shuntge-
418
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
räusche, MRI, Doppler-Sonographie, Arteriographie. Therapie: Exzision, Embolisation.
Differenzialdiagnose. Lymphektasien bei Lymphödemen, Miliaria cristallina, Mollusca contagiosa.
Lymphatische Hamartome (»Lymphangiome«) Lymphatische Hamartome (LH) sind viel seltener als Hamartome der Blutgefäße. Man unterscheidet kapilläre (mikrozystische) und kavernöse (makrozystische) LH, die jeweils lokalisiert oder ausgedehnt, oberflächlich oder tief sein können. Sie sind zumeist schon bei Geburt vorhanden, wachsen jedoch oft noch über mehrere Jahre an. Sie werden häufig durch Erysipele kompliziert.
Therapie. Chirurgisch, nur bei strenger Indikation (Re-
Lokalisiertes LH (entspricht dem lokalisierten Angiokeratom). Meist kleine Herde mit oberflächlichen, kla-
ren, manchmal hämorrhagisch tingierten Bläschen. Häufig begleitende hyperkeratotische Reaktion der Epidermis (Lymphangiokeratom). Lymphangioma circumscriptum (entspricht dem Angiokeratoma circumscriptum). Meist größere, »sys-
9
temisch« konfigurierte Herde. Im Gegensatz zum Angiokeratom kommunizieren die sichtbaren Läsionen häufig mit tiefen Portionen in Bindegewebe und Muskeln. Tiefe LH (früher: zystisches Hygrom)
zidivneigung!). Ausnahme: beim lokalisierten LH reicht die bloße Exzision in der Regel aus. 9.7.3 Kapilläre Hämangiome Kapilläre Angiome sind benigne Neoplasien der Kapillaren; es sind überwiegend dynamische Läsionen mit oft schneller Proliferation und oft auch Neigung zur spontanen Rückbildung. Infantiles kapilläres Hämangiom (IKH) IKH ist die häufigste Neoplasie des Frühkindesalters. Sie ist in der Mehrzahl der Fälle harmlos (wenn auch wegen ihrer blutroten Farbe oft erschreckend), kann aber auch zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Nach ihrer anatomischen Lage unterscheidet man oberflächliche (>50%), gemischt oberflächlich-tiefe (ein Drittel) und tiefe IKH (ein Sechstel). Die meisten IKH bilden sich innerhalb der ersten Lebensjahre spontan zurück, die kleinen/oberflächlichen verlässlicher als die tiefen.
Symptomatik. Oft weit ausgedehnte LH des Bindege-
webes und der Muskulatur, die klinisch als schlecht ausdrückbare diffuse Schwellungen erscheinen (oft zusätzlich oberflächliche LH). Sie bedingen oft schwere funktionelle und kosmetische Störungen: Makroglossie, Makrocheilie etc. mit Sprech-, Ess- und Atembehinderungen (. Abb. 9.61).
Epidemiologie. Die Inzidenz liegt bei 1–3% (–10%) der Neugeborenen. Häufiger betroffen sind Mädchen (3:1; bei komplizierten IKH bis 7:1), Frühgeborene (bis 20%) und nach einer Chorionzottenbiopsie geborene Kinder. IKH treten meist sporadisch auf, familiäre Häufung (autosomal-dominant) wurde beobachtet. 9/10 IKH entstehen innerhalb der ersten 4 Lebenswochen.
Histologie. Riesenhafte, konvulierte lymphatische Ge-
fäße, oft sekundäre Einblutung. Reaktiv mit Lymphendothel-Markern.
. Abb. 9.61. »Lymphangiom« der Zunge. Die Zunge ist vergrößert und von papillären, zystisch-knotigen Gewebsmassen bedeckt (»froschlaichartiges« Bild). Beachte: vereinzelt nekrotische Papillen und Blutpünktchen
Pathogenese. Unklar. Hypothesen umfassen somati-
sche Mutationen (an Rezeptoren von Wuchsfaktoren?), Neoplasien unreifer Progenitorzellen, Vorliegen von normalen/veränderten Plazentazellen u. a. Angiogenetische Wachstumfaktoren und Adhäsionsmoleküle sind massiv überexprimiert bzw. im Serum/Harn nachweisbar (bFGF,VEGF, ILGF). Symptomatik. Prädilektionsstellen sind Gesicht-Halsbereich (ca. 60%) und Stamm (ca. 25%). Das Erscheinungsbild der IKH hängt von ihrer Lage innerhalb der Haut ab (. Abb. 9.62, . Abb. 9.63): 4 Oberflächliche IKH sind meist fokale Läsionen: einzeln oder wenige, rund, scharf begrenzt, kalottenförmig; sie sind lobuliert, weich, ausdrückbar, leuchtend hellrot (»Erdbeerangiom«) und kaum größer als 2–3 cm. Seltener sind sie erheblich größer, plaqueartig, unregelmäßig gegliedert, mit Satellitenherden.
419 9.7 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Blut- und Lymphgefäße
. Abb. 9.62. Kapilläres, infantiles Angiom (flach). Beachte beginnende Spontanrückbildung: eingesunkenes weißliches Zentrum
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Verlauf. IKH nehmen einen regelmäßigen, stadienhaften Verlauf: die Phasen der Proliferation (Monate bis 1 Jahr), der Involution (Jahre) und der Restzustände (permanent). Die oberflächlichen IKH entstehen meist kurz nach der Geburt aus unscharf begrenzten, blassen Flecken, wachsen rasch an, werden dann stationär und bilden sich langsam wieder zurück (50–60% bis zum 5., 90% bis zum 9. Lebensjahr). Die Rückbildung beginnt mit weißlich-netzartigen, eingesunkenen Arealen (Fibrosierung), die das IKH sukzessive ersetzen. Die Rückbildung ist oft ad integrum, in ca. einem Drittel bleiben permanente Teleangiektasien zurück, nicht selten resultiert eine anetodermieartige Atrophie. Auch die gemischten und die tiefen IKH bilden sich zurück, aber weniger vollständig (oft verbleiben »kavernöse« Angiomteile), mit ausgeprägterer residualer Atrophie. Histologie. Bei den oberflächlichen IKH finden sich
Veränderungen nur in der oberen Dermis, bei den tiefen bis in die Septen der Subkutis. Frühes Stadium: wohlbegrenzte, lobulierte, mitosereiche kompakte Zellhaufen von Endothelzellen und Perizyten, reichlich Mastzellen; Gefäßlumina werden erst später prominent. Im späteren Verlauf Fibrose, Einlagerung von Fettgewebe, Verschwinden der Mastzellen, Verödung der Lumina. Histochemisch exprimieren die IKH neben Gefäßmarkern auch solche der Plazenta (GLUT-1) und Lymphgefäßmarker (LYVE-1).
. Abb. 9.63. Kapilläres Riesenangiom. Derartige Angiome in Augennähe können zur Amblyopia ex anopsia führen
4 Die gemischten IKH bestehen gleichfalls aus (meist größeren) oberflächlichen IKH, sitzen jedoch tiefen Anteilen auf, deren Größe von den oberflächlichen unabhängig ist und riesige Ausmaße ereichen kann: unscharf abgegrenzte, dunkelrot-blaue/hautfarbene diffuse Schwellungen bzw. Knoten. Sie sind weich, ausdrückbar und fühlen sich warm an; größere Läsionen lassen palpatorisch (Schwirren) bzw. Doppler-sonographisch eine erhöhte arterielle Speisung erkennen. Sie wachsen oft schnell (vorwiegend die tiefen Teile), neigen mehr zu Komplikationen als die oberflächlichen und sind häufiger mit IKH innerer Organe oder Fehlbildungen assoziiert. 4 Ausschließlich tiefe IKH sind wegen der fehlenden oberflächlichen Komponente weniger auffällig.
3Multiple IKH, Befall innerer Organe und begleitende Fehlbildungen In 10–20% treten IKH der Haut multipel auf, im Extremfall bis zu Hundert (benigne neonatale Hämangiomatose); diese IKH sind typischerweise klein (<1 cm). In manchen Fällen sind viszerale IKH assoziiert, vorwiegend in Leber, Gastrointestinaltrakt, Lunge, ZNS; dieses komplikationsreiche (s. u.) Zustandsbild wird als diffuse neonatale Hämangiomatose bezeichnet – ein schwieriges diagnostisches und therapeutisches Problem, die Letalität beträgt >30%. Große, gemischte IKH sind häufig von Fehlbildungen oder IKH benachbarter innerer Organe begleitet, z. B. IKH des Kinnbereichs mit solchen des Larynx (Erstickungsgefahr!), oder lumbosakrale IKH mit Anomalien von Urogenitaltrakt, Sakrum und Rückenmark (Myelozele) (MRI!). Große zervikofaziale IKH können mit Bildungsanomalien von Knochen, Weichteilen und Gefäßen einhergehen, z. B. dem PHACES-Syndrom (Fehlbildungen der hinteren Schädelgrube, großer Gefäße, des Herzens, der Augen und des Sternum).
Differenzialdiagnose. Oberflächliche/gemischte IKH sind meist leicht erkennbar; Schwierigkeiten können seltenere kapilläre Angiome (s. u.) bereiten. Tiefe IKH müssen von Hamartomen und Weichteiltumoren unterschieden werden (bildgebende Verfahren!) (. Tab. 9.7).
420
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Komplikationen. Diese treten vorwiegend bei großen
IKH ein. Lokale Komplikationen sind Blutungen, Thrombose, Infektion, am häufigsten (ca 10%) schmerzhafte, schwer behandelbare Exulzerationen. Gravierend sind Funktions- und Entwicklungsstörungen, die je nach anatomischem Sitz bei Säuglingen entstehen: Amblyopie (IKH der Lider), Hörverlust (Parotis), Okklusionsstörung (Kieferregion), respiratorische Insuffizienz (Atemwege), Entwicklungsstörungen von Knochen, Mamma etc. Komplikationen viszeraler IKH treten bei entsprechender Lokalisation ein: Verschlussikterus, gastrointestinale Blutungen (besonders bei AV-Shunts), Ateminsuffizienz, Hirndruckzeichen (Hydrozephalus!). Bei großem Volumen der IKH Gefahr der »high-output«-Herzinsuffizienz. C A V E
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Eine lebensbedrohliche Komplikation ist schließlich das Kasabach-Merritt-Syndrom: eine Verbrauchskoagulopathie, die durch Thrombosen in einem Riesenhämangiom (meist vom kaposiformen Typ) ausgelöst wird (7 Kap. 7.3). Mortalität 20–30%!
Therapie. Oberflächliche IKH sind heute durch die gute Wirksamkeit des Farbstofflasers wenig problematisch – er zerstört Blutgefäße selektiv und ist daher gut zur Behandlung kleiner oberflächlicher IKH geeignet, v. a. an anatomisch und funktionell heiklen Lokalisationen (z. B. Oberlider) – tiefere Anteile werden allerdings nicht erfasst. Die Laserbehandlung (in Kurznarkose) ist stets bei Wachstumstendenz bzw. bei Drohen von Komplikationen indiziert, und zwar frühzeitig (z. B. im Alter von wenigen Wochen). Die Behandlung tiefer IKH ist auch heute noch schwierig. Mittel der Wahl sind systemische Kortikosteroide (hochdosiert); sie führen bei ca. zwei Drittel zur Regression oder zumindest zum Stillstand. Indikation: ausgedehnte, rasch wachsende IKH mit Bedrohung vitaler Strukturen (Cave: wegen erforderlicher wochenlanger Therapie bleiben Nebenwirkungen kaum aus). Interferon-α ist bei großen bedrohlichen Hämangiomen auch innerer Organe indiziert (cave: Nebenwirkungen, z. B. Paresen!). Die Wirkung setzt meist erst nach einigen Wochen ein.
ration mit Kortikosteroiden (Cave: Atrophie und Nekrose) und Kryotherapie. Granuloma pyogenicum Ein häufiges, vermutlich traumatisch induziertes (Biss, kleine Verletzung.) oder in Pyodermien entstehendes kapilläres Angiom. Es ist durch oberflächliche Lage, Erosion und leukozytäre Entzündung gekennzeichnet. Symptomatik. Ein schnell wachsender, schmerzhafter, dunkelroter, erosiv-nässender, oft schmalbasig aufsitzender, serös-hämorrhagisch verkrusteter Knoten (. Abb. 9.64). Prädilektionsstellen: akral oder periorifiziell. Es entwickelt sich häufig in superinfizierten Erosionen (z. B. Unguis incarnatus), wächst bis zu 1–2 cm Größe und bleibt dann meist bestehen. Es kann manchmal ausgeprägte Satellitenläsionen ausbilden. Histologie. Eine exzessive, durch fibröse Septen lobulär strukturierte Kapillarproliferation (»lobuläres kapilläres Hämangiom«); oft erheblicher Mitosereichtum. Das Stroma ist ödematös und reichlich von Leukozyten durchsetzt. Differenzialdiagnose. Depigmentiertes Melanom (kli-
nisch); Kaposi-Sarkom, bazilläre Angiomatose (histologisch). Therapie. Exzision oder elektrokaustische Entfernung.
Seniles Angiom Die häufigste (erworbene) vaskuläre Neubildung der Haut: multiple, subjektiv symptomlose, stecknadel-
Plastisch-chirurgische Exzision und Rekonstruktion
werden bei Gefahr der akuten Funktionsbehinderung eingesetzt; eine kosmetische Besserung ist nicht immer sicher. In bestimmten Situationen ist die angiographisch kontrollierte Verödung sinnvoll. Nur mehr ausnahmsweise eingesetzt werden Röntgenbestrahlung (Cave: Strahlenatrophie), lokale Infilt-
. Abb. 9.64. Granuloma pyogenicum, frisches Stadium: glatt, halbkugelig, schmalbasig, blutend, erosiv, schmerzhaft. Der Knoten ist von einem Randwall umgeben (»sitzt wie in einem Kelch«)
421 9.7 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Blut- und Lymphgefäße
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Epithelioides Hämangiom (Synonym Angiolymphoide Hyperplasie mit Eosinophilie). Ein seltenes, aber sehr charakteristisches chronisch-persistentes Krankheitsbild vorwiegend bei Frauen mittleren Alters. Symptomatik: Multiple, hautfarbene bis rötliche, derbe Knoten an Kapillitium, Ohr- und Nackenbereich; wenig subjektive Symptome. Histologie: Kapillarproliferation mit charakteristischen, polsterartig ins Lumen vorspringenden »epithelioiden« Endothelzellen. Dichte lymphozytäre Infiltrate mit oft reichlich Eosinophilen. Differenzialdiagnose: Kimura-Krankheit, ein in Japan endemisch vorkommendes niedrig- malignes Lymphom mit ähnlicher Morphologie.
9.7.4 Glomustumoren a
Glomustumoren sind benigne Tumoren der Glomuszellen; sie kommen solitär oder multipel vor. Glomuszellen sind myovaskuläre Zellen an arteriovenösen Anastomosen; ihre Funktion ist deren Konstriktion. Solitärer Glomustumor. Ein charakteristischer kleiner, dunkelroter, derber, sehr spontan- und berührungsschmerzhafter Knoten, meist am Fingerendglied, z. B. subungual. Auftreten bei jungen Erwachsenen. Histologie: Ein von einer fibrösen Kapsel umgebener Knoten aus vaskulären Hohlräumen, dazwischen Inseln aus monomorphen, kuboidalen Zellen mit rundem Zellkern (Glomuszellen). Therapie: Exzision.
b . Abb. 9.65a, b. Senile Angiome. a Multiple, stecknadelkopfgroße, blutrote Erhabenheiten. b (inset): Detail
kopfgroße, durch ihre intensiv hellrote Farbe beunruhigende Läsionen (. Abb. 9.65a, b); sie sind meist nicht ausdrückbar. Prädilektionsstelle: Rumpf. Auftreten in der zweiten Lebenshälfte, manchmal in sehr großer Zahl. Histologie: Ektatische Kapillaren und Venolen in der oberen Dermis. Differenzialdiagnose: Die seltenen, klinisch identen, histologisch jedoch durch besondere Kapillarstrukturen gekennzeichneten glomeruloiden Angiome. Sie sind mit dem POEMSSyndrom und der Castleman-Krankheit assoziiert. Therapie: Wenn erwünscht, Elektro- oder Laserkoagulation. 3Seltenere kapilläre Angiome »Tufted angioma« (Synonym Angioblastom). Eine aus mehreren Anteilen agminierte oft ausgedehnte Läsion, meist bei Kindern an Hals oder oberem Rumpf. Histologie: »schrotschussartig« in Dermis und oberer Subkutis verteilte kugelige Areale eines lobulären kapillären Hämangioms. Targetoides hämosiderotisches Hämangiom. Ein solitäres fleckiges bis plaqueartiges Angiom, klinisch von Schießscheibenähnlicher Gestalt. Histologie: massive Eisenspeicherung. Differenzialdiagnose: Kaposi-Sarkom, melanozytärer Nävus.
Multiple Glomustumoren. Diese sind histologisch
meist Glomangiome (Dominieren der Gefäßhohlräume), seltener Glomangioleiomyome (Leiomyomkomponente). Sie sind nicht schmerzhaft, meist tiefer gelegen und ausdrückbar. Sie können multipel (selten, autosomal-dominant; Mutation im Glomulin-Gen – Differenzierungsfaktor der Glomuszellen) oder auch in »systemischer« Anordnung auftreten. 9.7.5 Niedrig-maligne Neoplasien
der Blutgefäße Eine heterogene Gruppe seltener, klinisch meist lokalisierter, langsam wachsender Neoplasien, oft mit Kaposi-artigen histologischen Zügen, deren Dignität unterschiedlich beurteilt wird. Die wichtigsten Vertreter sind das Spindelzellhämangiom, das Kaposiforme Hämangioendotheliom (Assoziation mit Verbrauchskoagulopathie!) und das Epithelioide Hämangioendotheliom.
422
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
9.7.6 Maligne Neoplasien der Blutgefäße:
Angiosarkome Kaposi-Sarkom (KS, Synonym Haemangiosarcoma haemorrhagicum multiplex) Ein charakteristisches, primär multifokales Angiosarkom von langsamem Verlauf. Es tritt spontan oder im Rahmen der HIV-Infektion auf, wird durch das humane Herpesvirus 8 hervorgerufen und betrifft hauptsächlich Männer (7 Kap. 4.3.5 und 15).
9
Epidemiologie. 4 Untergruppen mit verschiedenem epidemiologischem Profil werden unterschieden. Bei allen ist das männliche Geschlecht deutlich bevorzugt (3–18:1). 4 Klassisches KS: eine seltene (0,05% aller Malignome) sporadische Neoplasie, die vorwiegend bei älteren (>50 Jahre) HIV-negativen Männern oft »mediterraner« Abkunft auftritt. Sie beginnt mit multiplen akralen Herden, ist langsam progredient und führt nach ca. 10 Jahren zum Tod. Der Befall innerer Organe ist häufig asymptomatisch, erhöhte Inzidenz von Lymphomen. 4 Afrikanisches (endemisches) KS: eine in Äquatorialafrika häufige (bis 10% aller Malignome) Neoplasie. Sie kann analog dem klassischen KS, aber auch aggressiver verlaufen (schneller Verlauf, vegetierende Tumoren, viszerale Läsionen häufig). Foudroyant verläuft das lymphadenopathische KS (vorwiegend bei Kindern). 4 Iatrogenes KS: eine dem klassischen KS entsprechende Neoplasie, die bei ca. 2% von Patienten mit Organtransplantation auftritt (Latenz 2–5 Jahre). Nach Reduktion der Immunsuppression häufig partielle Remission. 4 Epidemisches (HIV-assoziiertes) KS: eine fast ausschließlich bei männlichen HIV-Infizierten auftretende Neoplasie; AIDS-definierend (7 Kap. 15)! Sie unterscheidet sich klinisch vom klassischen KS: Prädilektion von Gesicht, Genitale, Rumpf, Mundschleimhaut; aggressiverer Verlauf und kürzere Lebenserwartung (1,5–2 Jahre). Häufig symptomatischer Befall innerer Organe (30%). Die Inzidenz lag ursprünglich bei >25% dieser Personengruppe, nahm jedoch in der Folge stark ab. Ätiologie und Pathogenese. Das KS leitet sich vermut-
lich von einer Vorstufe von Lymph- und Blutgefäßendothelzellen ab und wird als primär multifokal aufgefasst (keine Metastasierung!). Ursache ist das dem CMV verwandte humane Herpesvirus 8 (7 Kap. 4.3.5), ein endemisch vorkommendes, durch Blut und sexuelle Kontakte symptomlos übertragenes Virus, das auch
. Abb. 9.66. Klassisches Kaposisarkom. Ein derb-ödematöser Unterschenkel, multiple, teils konfluierende blau-rote, derbe Knötchen, Knoten und Flecken, teils im Niveau der Haut, teils flach prominent
bei anderen seltenen Neoplasien gefunden wird (z. B. Morbus Castleman). Nachweis durch das latency associated nuclear antigen – LNA-1. Das KS entsteht durch Absinken der Immunlage (physiologisch oder HIV-bedingt), bedarf aber einer Reihe von Wachstumsfaktoren, die teils auto-/parakrin durch Kaposi-Sarkomzellen selbst produziert werden: IL-1, -6, Oncostatin M, bFGF, TGF-β u. a.; ferner Androgene und, beim epidemischen KS, das mitotisch potente Produkt des tatGens. Symptomatik. Das KS manifestiert sich an Haut und hautnahen Schleimhäuten. Man unterscheidet einen akralen und einen Stammtyp; beim letzteren ist der Befall von Schleimhäuten und inneren Organen häufiger, die Prognose schlechter. Die Läsionen sind multi-fokal, grob symmetrisch und entwickeln sich stadienhaft aus Flecken zu Plaques, exulzerierenden Knoten, tiefen Infiltraten und prallen Lymphödemen (. Abb. 9.66). Frühe Läsionen sind angiomatös (dunkellividrot, teils ausdrückbar), ältere durch Hämosiderin oft intensiv braun und derb. Partielle Regression wird beobachtet. Das klassische KS beginnt mit multiplen akralen Flecken ähnlich Naevi flammei, die sich über Jahre zentripetal ausbreiten, anwachsen und zu manchmal schmerzhaften Tumoren umwandeln. Eine seltene Variante ist das zystische KS (Lymphzysten). Das epidemische KS ist meist vom Stammtyp. Initial finden sich multiple kleine, oft unscheinbare Flecken und Knötchen, nicht selten in Narben (z. B. nach Zoster; KöbnerPhänomen). Besonders dicht befallen sind Gesicht und Mundschleimhaut, daneben auch Konjunktiva und Genitale. Exulzerierte Tumormassen und tiefe Infiltrate sind seltener.
423 9.7 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien der Blut- und Lymphgefäße
9
Befall innerer Organe. Grundsätzlich können alle Organe außer dem ZNS befallen werden, am häufigsten Gastrointestinal- (Magen, Duodenum) und Respirationstrakt, Lymphknoten und Perikard. Beim epidemischen KS oft Hämorrhagien und Ulzera des Magendarmtrakts, Perforation, Ileus, Bronchospasmen, Husten, respiratorische Insuffizienz, Kachexie. Häufigste Todesursache: Lungenbefall. Differenzialdiagnose der Hautherde. Fleckstadium:
kapilläres Hamartom; Plaquestadium: Insektenstiche, Dermatofibrom, chronisch-venöse Insuffizienz (Pseudo-KS); fortgeschrittene Stadien: metastasierendes Melanom, Lymphome, Glomangiome, Elephantiasis bei rezidiverendem Erysipel, Madurafuß, Filariose. Histologie. Das vielgestaltige Bild besteht aus angiomatösen, spindelzelligen und entzündlichen Komponenten. Frühe Läsionen erinnern an (Lymph)Angiome: unregelmäßige schlitz- und spaltenartige vaskuläre Hohlräume mit flachem Endothel in der gesamten Dermis. Später: Spindelzellen, die in soliden Strängen das Bindegewebe durchsetzen. Kernatypien und Mitosen sind selten. Ältere Läsionen: ausgedehnte Hämorrhagien, Eisenspeicherung und Nekrosen. In allen Stadien Rundzellinfiltrate, reichlich Plasmazellen.
. Abb. 9.67. Angiosarkom der Kopfhaut (Frühstadium). Ein kalottenförmiger, derber, wenig auffälliger Knoten. Beachte Hämosiderinpigmentierung am oberen Läsionspol
Histologie. Mitosereiche, atypische Tumorzellmassen mit schlitzförmigen, dissezierenden Gefäßspalten, Nekrosen, Hämorrhagien. Prognose. Abhängig von der Größe; ungünstig bei Tu-
moren mit >4 cm Durchmesser: schnelle regionale und Fernmetastasierung (Lunge; Pneumothorax!). Therapie. Röntgenbestrahlung, bei kleineren Läsionen
Immunhistochemie. Die KS-Zellen reagieren mit
panendothelialen (z. B. CD31) und LymphendothelMarkern (VEGFR-3, LYVE-1, Podoplanin). Sie sind ultrastrukturell von einer Basallamina umgeben, enthalten jedoch keine Weibel-Palade-Körperchen. Therapie. Palliativ: Radiotherapie ist sehr wirksam, doch werden Rezidive nicht verhindert. Isolierte Läsionen können exzidiert, Fleck- und Plaqueläsionen mit dem Farbstofflaser behandelt werden. Bei ausgedehntem Befall und CD4-Zellen >200/μl ist Interferon-α indiziert (Wirkung tritt oft erst nach Monaten ein). Bei fortgeschrittenem KS Chemotherapie (Vincaalkaloide; liposomales Doxirubicin, Daunorubicin, Paclitaxel).
Angiosarkom der Kopfhaut Ein seltenes, klinisch charakteristisches und hoch aggressives Sarkom, das fast stets im oberen Kopfbereich alter Menschen auftritt (häufiger Männer). Symptomatik. Schnell wachsende, derbe, hautfarbene oder dunkellivid-rote Knoten, die sich durch zentrifugales Wachstum und Tochterherde vermehren und bald das gesamte Kapillitium, Gesicht und Hals mit gebuckelten, teilweise exulzerierten und nekrotisch-hämorrhagischen Tumorherden bedecken (. Abb. 9.67).
Exzision. 3Weitere Angiosarkome Angiosarkom in chronischem Lymphödem (Synonym Steward-Treves-Syndrom). Dieses charakteristische Angiosarkom entsteht in viele Jahre bestehenden Lymphödemen nach Mastektomie und leitet sich wahrscheinlich von Lymphendothelien ab. Der Verlauf ist oft foudroyant mit früher Metastasierung. Angiosarkom der Brust. Vorwiegend bei Frauen im mittleren Lebensalter; rasch wachsende, intramammäre Knoten. Epitheloides Angiosarkom. Meist bei älteren Männern: rasch wachsende Knoten der tiefen Weichteile, selten der Haut. Histologisch diffus-flächenhafte Infiltration durch große, epitheloide Zellen mit Lumenformation. Immunhistochemie: Gefäßmarker und Keratin positiv. Cave Fehlinterpretation als Metastasen epithelialer Neoplasien. Strahleninduziertes Angiosarkom. Dieses tritt oft schon nach kurzer Latenz (5 Jahre) nach Röntgenbestrahlung (z. B. nach Mammakarzinom) ohne begleitendes Lymphödem auf.
9.7.7 Pseudosarkome der Blutgefäße Pseudo-Kaposi-Sarkome. Erworbene vaskuläre Läsio-
nen mit klinischer (weniger histologischer) Ähnlichkeit zum Kaposi-Sarkom, die aufgrund einer chroni-
424
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
schen venösen Stase entstehen. Man unterscheidet die Akroangiodermatitis (livid-bräunliche Flecken und Plaques der Unterschenkel bei chronischer Veneninsuffizienz) und das Stewart-Bluefarb-Syndrom (ähnlich, meist einseitig, bei arteriovenösen Anastomosen – z. B. Klippel-Trenaunay-Syndrom), oder artefiziellen Shunts bei Hämodialyse. Papilläre endotheliale Hyperplasie (Synonym Masson-Tumor). Eine häufige reaktive vaskuläre Proliferation, die nach Thrombosen in Varixknoten, Angiomen oder in Hämatomen auftritt: derbe, schmerzhafte, langsam wachsende, manchmal bläulich durchschimmernde subkutane Knoten, vorwiegend im Kopf-Halsbereich oder akral. Histologie: Eine tumorähnliche Proliferation verästelter Kapillaren, oft in einem thrombosierten Gefäß.
9
Reaktive Angioendotheliomatose. Ein seltener, selbstlimitierter Prozess unklarer Pathogenese, der histologisch durch pseudoneoplastische Proliferation der Kapillarendothelien ausschließlich der Haut charakterisiert ist. Symptomatik: generalisierte Livedo racemosa, erythematöse Plaques und Knoten. Assoziationen: Kryoglobulinämie, Kältetrauma, systemische Infekte. Differenzialdiagnose: Angiotrope Lymphome.
9.8
Fehlbildungen des Knorpelund Knochengewebes
Subunguales Osteochondrom. Eine nicht seltene entzündlich-reaktive Reaktion des Knorpel- und Knochengewebes, meist nach Traumen. Symptomatik: Ein sehr derber, langsam wachsender Knoten subungual an der Großzehenkuppe, meist bei männlichen Jugendlichen (. Abb. 10.34). Histologie: Ein kuppelförmiger Knochenwulst, bedeckt von Säulenknorpel und Bindegewebe. Meist, nicht immer, besteht eine Verbindung mit dem knöchernen Endglied (subunguale Exostose). Differenzialdiagnose: Unguis incarnatus. Therapie: Exkochleation.
9.9
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Fettgewebes
Symmetrische »Lipomatosen« (Launois-BensaudeSyndrom) Definition. Eine Gruppe eher seltener analoger Zustände mit diffuser reaktiver Vermehrung von reifem Fettgewebe (nicht Lipomen!). Je nach der Lokalisation unterscheidet man: 4 die nuchale Lipomatose (Morbus Madelung) 4 die pseudoathletische Lipomatose (Schultergürtel; . Abb. 9.68) 4 die gynäkoide Lipomatose (Beckengürtel). Symptomatik. Symmetrische, ausgedehnte, schlecht
abgrenzbare Fettgewebsvermehrungen, die eine diffuse Muskelhypertrophie vortäuschen; palpatorisch ergibt sich jedoch die typisch teigig-weiche bis prall-elastische Konsistenz von Fettgewebe. Die Beweglichkeit der umscheideten Gelenke ist eingeschränkt. Auftreten vorwiegend bei Männern der 2. Lebenshälfte mit Alkohol- und/oder Leberproblemen, häufig assoziiert mit peripheren und autonomen Neuropathien. Familiäre Häufung wird beobachtet. Histologie: Vermehrung von reifem Fettgewebe. Therapie. Behandlung des Grundleidens, Fettgewebsreduktion (z. B. Liposuction).
Andere reaktive Lipomatosen Die Adipositas dolorosa (Morbus Dercum) ist eine diffuse, schmerzhafte Fettgewebsvermehrung bei Frauen in der Menopause, vorwiegend an den oberen Extremitäten, am Rumpf und in Gelenksnähe, häufig verbunden mit Schwächegefühlen und Befindlichkeitsstörungen.
»Osteom« der Haut. Dieses ist sehr selten und beruht meist auf metaplastischer Ossifikation von Hautherden dystropher Kalzinose. Multiple Osteome kommen auch postpubertär als harte linsengroße Papeln nach Akne vulgaris vor. Osteome in der Kindheit sind auch ein Begleitsymptom des Martin-Albright-Syndroms (Pseudohypoparathyreoidismus). . Abb. 9.68. Symmetrische Lipomatose im Schultergürtelbereich – »pseudoathletisches Aussehen«
425 9.9 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Fettgewebes
9
Die fazial-nuchale Lipomatose (Büffelnacken) ist ein dermatologisches Schlüsselsymptom des Hyperkortizismus (iatrogen-medikamentös oder spontan – Morbus Cushing) (7 Kap. 6.2.5). 3Die so genannte Zellulitis ist keine Krankheit, sondern eine kosmetische Störung. Sie tritt an adipösen Beinen meist von Frauen auf und ist durch eine höckerige Oberfläche gekennzeichnet, die besonders bei seitlichem Zusammendrücken hervortritt (Ursache: Vorquellen von Fettläppchen bei Zug der nach unten verlagerten Septen). Fließende Übergänge zum Lipödem.
Naevus lipomatosus superficialis Ein seltenes, charakteristisches Hamartom des Fettgewebes: fast stets in der Glutäalregion gelegene, oft ausgedehnte, meist »systemisiert« angeordnete weiche, gelb durchschimmernde Knoten und Platten. Häufig sind auch abortive, klinisch weniger typische Formen. Histologie. Fettgewebsinseln in der retikulären Dermis. Differenzialdiagnose. Kollagennävus (hautfarben),
Neurofibrom. Lipome Definition. Sehr häufige, benigne Neoplasien mit lipo-
gener Differenzierung. Sie treten in der Subkutis, aber auch in tiefen Geweben (z. B. Muskeln) und inneren Organen auf. Symptomatik. Subkutane Lipome kommen einzeln oder
multipel vor, meist in der 3.–5. Lebensdekade. Prädilektionsstellen: Rumpf und proximale Extremitäten. Sie erscheinen als subjektiv meist symptomlose, weiche bis derb-elastische, typischerweise gelappte bis manchmal faustgroße Knoten, die die Haut polsterartig vorwölben. Bei exzessiver Ausprägung spricht man von Lipomatose; diese kommt auch als autosomal-dominantes Erbleiden vor (Gendefekt – bei allen Lipomen – auf Chromosom 12q15). Intra/intermuskuläre Lipome manifestieren sich vorwiegend in den großen Muskeln des Schulter/Beckengürtels bei Männern der 2. Lebenshälfte. Histologie. Wohl umschriebene, von bindegewebigen Septen durchzogene Anhäufungen reifen Fettgewebes. Nach Traumen sind regressive Veränderungen häufig: vermehrt Kollagenfasern (Fibrolipome); myxoide Areale (Myxolipome); Nekrosen, Entzündung mit Lipophagen und mehrkernigen Riesenzellen, evtl. Verkalkung (xanthogranulomatöse Reaktion). Muskuläre Lipome sind schlecht umschrieben mit diffuser Muskelinfiltration (DD Liposarkome). Spindelzell- und pleomorphe Lipome (meist am Rücken von Männern
. Abb. 9.69. Multiple Angiolipome. Kugelige, weich-elastische, gelappte Tumoren
mittleren Alters) zeigen Spindelzellen und/oder »blumenbüschel-ähnliche« Riesenzellen. Therapie. Wenn erwünscht operative Ausschälung
(wegen Adhärenz nicht immer leicht möglich). Differenzialdiagnose. Subkutane Metastasen (derb,
kein gelappter Aufbau, entstehen meist rasch). Angiolipome Definition. Lipogene Hamartome mit ausgeprägter
vaskulärer Komponente. Symptomatik. Angiolipome gleichen Lipomen, sind aber charakteristischerweise druck- und spontanschmerzhaft (Ursache vermutlich vaskulär – Ischämien, Fibrinthrombi). Fast immer multipel und symmetrisch an Unterarmen und Abdomen junger Erwachsener (. Abb. 9.69). Histologie. Wie Lipome; peripher oft glomerulumartig
aggregierte Kapillaren. Fibrinthrombi.
426
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Therapie. Problematisch. Einzelne besonders schmerz-
hafte Angiolipome können exzidiert werden, großzügigere Operationen sind impraktikabel. Seltene benigne Fettgewebsneoplasien Das Lipoblastom ist ein durch unreifes Fettgewebe (Lipoblasten, Siegelringzellen) gekennzeichnetes infantiles Analogon der adulten Lipome (klinisch identes Bild). Es findet sich vorwiegend bei Knaben in den ersten 3 Lebensjahren, meist an den Extremitäten und solitär, selten multipel. Chromosomentranslokation (8q11-13). Das Hibernom ist klinisch ebenfalls normalen Lipomen gleich, Auftreten vorwiegend interskapulär bei jungen Erwachsenen. Histologie: braune Fettzellen (multivakuolär mit rundem, zentralem Kern). Liposarkome Definition. Ein Spektrum verschieden aggressiver Neo-
plasien mit lipogener Differenzierung.
9
Symptomatik. Liposarkome treten vorwiegend bei Männern der 2. Lebenshälfte auf, weniger häufig im subkutanen Fett als in den tiefen Faszien/Muskellogen. Sie entstehen de novo (nicht aus präexistenten Lipomen), wachsen meist langsam, bleiben klinisch oft stumm und können daher riesige Ausmaße erreichen (>20 kg). In der Subkutis finden sich fast ausschließlich wohldifferenzierte Liposarkome (cave: Verwechslung mit Lipomen!). Histologie. Vielgestaltig, man unterscheidet differen-
zierte, myxoid-rundzellige und pleomorphe Varianten. Grundelement ist der Lipoblast, eine charakteristische multivakuoläre Zelle mit gedelltem Kern. Bei allen Formen sind spezifische Mutationen auf Chromosom 12 nachweisbar; die myxoid-rundzellige zeigt eine charakteristische Translokation t(12;16) (q13;p11). Pleomorphe Liposarkome sind zytogenetisch uneinheitlich. Therapie. Exzision mit Sicherheitsabstand von 1–2 cm. Prognose. Am aggressivsten sind die pleomorphen (5-
Jahres-Überlebensrate 20%), weniger aggressiv die myxoid-rundzelligen (25–90%), am wenigsten die wohldifferenzierten Liposarkome (bis fast 100%). 9.10
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Muskelgewebes
Becker-Nävus Definition. Ein nicht seltenes, klinisch charakteristisches komplexes flächiges Hamartom der Mm. arrec-
tores pilorum mit Beteiligung von Epidermis und Melanozyten. Symptomatik. Ein bis handflächengroßer, bizarr landkartenartig gestalteter, leicht verdichteter hellbrauner Fleck, der auffällig von schwarzen Langhaaren bestanden ist (. Abb. 10.4). Er findet sich klassischerweise einseitig im Schulter-Rückenbereich von Männern, ist aber vermutlich bei Frauen und präpubertären Knaben gleich häufig (Haarwuchs ist Folge der Androgenwirkung!). Die Läsion ist subjektiv symptomlos; bei mechanischer Reizung entsteht durch Kontraktion der vermehrten Haarmuskeln eine prominente Gänsehaut (Pseudo-Darier-Zeichen). Beckernävi kommen auch familiär gehäuft und multipel vor, selten auch ohne epidermale/melanozytäre Komponente, oder mit weiteren Fehlbildungen assoziert (Knochendefekte, ipsilaterale Brusthypoplasie – Becker-Nävus-Syndrom). Differenzialdiagnose: Tierfellnävus (. Abb. 9.33). Histologie. Vermehrt Terminalhaare, prominente
Mm. arrectores pilorum – auch ohne Verbindung zu Haaren, Akanthose und Papillomatose, vermehrt Melanozyten, Hyperpigmentierung. Therapie. Falls erwünscht: Laserepilation, Bleichen der
Haare. Piloleiomyom Definition. Ein nicht seltenes, knotiges Hamartom der Mm. arrectores pilorum. Es kann solitär oder in Form der autosomal dominanten multiplen Piloleiomyome auftreten. Symptomatik. Leiomyome sind kalottenförmige bis
flach kugelig-elliptische, mäßig derbe, rötlich-braune Papeln oder Knoten. Sie liegen oberflächlich und sind mit der Haut verbacken, über der Unterlage aber verschieblich. Typisch: Schmerzhaftigkeit bei Berührung (Zusammenpressen!). Multiple Leiomyome werden im frühen Erwachsenenalter manifest, sind regellos disseminiert, aber oft in umschriebenen Regionen verdichtet (lineär, flächig, manchmal schrotschussartig eine Körperregion bedeckend – Streckseite der Beine! Ursache: »loss of heterozygosity«). Assoziiert: Uterusmyome. Histologie: Unscharf abgegrenzte Anhäufungen von Faszikeln glatter Muskel. Desmin-positiv. Differenzialdiagnose: Dermatofibrom, Neurofibrom, Sarkoidose, Kaposi-Sarkom u. a. Therapie: Exzison schmerzhafter Läsionen, Schmerztherapie. Analoge Entitäten: Leiomyome der Mamille, genitale Leiomyome (aus der Tunica dartos).
427 9.11 · Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Nervengewebes
Angioleiomyom Eine seltene benigne Neoplasie mit Differenzierung nach Art mittelgroßer Gefäße mit ausgeprägter glatter Muskulatur. Symptomatik: Solitäre, runde, wohl abgegrenzte, spontan- und druckschmerzhafte Knoten, meist an den unteren Extremitäten von Frauen mittleren Alters (Knöchelregion!). Histologie: Eine dermal/ subkutane Akkumulation von zahlreichen dickwandigen Gefäßen, daneben wirbelig gebündelte Nester glatter Muskelzellen. Desmin-positiv! Differenzialdiagnose: wie oben. Therapie: Exzision. Leiomyosarkom Definition. Eine maligne Neoplasie mit Differenzierung nach Art glatter Muskulatur. Das Leiomyosarkom ist eine Neoplasie vorwiegend innerer Organe (Uterus!), nur 15% betreffen die Haut; an dieser ist es jedoch das zweithäufigste Sarkom nach dem DFSP. Es entsteht de novo. Symptomatik. Das Leiomyosarkom tritt meist bei
Männern der 2. Lebenshälfte auf, Prädilektionsstellen sind untere Extremitäten und Rumpf. Man unterscheidet kutane und subkutane Formen. Erstere erscheinen als rötlich-fleischige, derbe, irreguläre Plaques bis Knoten mit gebuckelter Oberfläche (2–5 cm). Letztere sind größer (>5 cm) und manchmal exulzeriert. Beide können schmerzhaft sein. Histologie. Asymmetrische multilobuläre Läsionen mit faszikulärem Aufbau ähnlich Leiomyomen, aber mit Atypien, Nekrosen und Einblutungen. Therapie. Exzision mit einem Sicherheitsabstand von 2–3 cm. Die Prognose korreliert mit der Tumorgröße: kutane Leiomyosarkome sind nach weiter Exzision in der Regel saniert, subkutane führen in ca. 50% zu Rezidiven und Metastasierung (Lungen!).
Rhabdomyom Eine benigne Neoplasie mit Differenzierung nach Art quergestreifter Muskulatur. Außerhalb des Herzens sind Rhabdomyome extrem selten, fast ausschließlich in den Muskeln von Kopf und Hals, Mundhöhle und am weiblichen Genitale. Man unterscheidet adulte, genitale und fötale Formen. Das Erscheinungsbild ist wenig spezifisch: runde, manchmal polypoide Papeln oder Knoten. Histologie: Aggregate rund-polygonaler bis spindeliger eosinophiler Zellen mit partieller Querstreifung. Positivität für Aktin, Myosin, Myoglobin, Desmin und Caldesmin.
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Rhabdomyosarkom Eine aggressive maligne Neoplasie mit Differenzierung nach Art quergestreifter Muskulatur. Es ist ein Tumor der tiefen Gewebs- und Muskellogen, das häufigste Sarkom bei Kindern, aber außerordentlich selten in Haut, Schleimhaut und Subkutis. 9.11
Fehlbildungen, Hamartome und Neoplasien des Nervengewebes
Neurom Eine reaktive (nichtneoplastische!) posttraumatische Proliferation peripherer Nerven unter Beteiligung aller Strukturkomponenten (Axone, Schwannzellen, Nervenscheiden). Es handelt sich um schmerzhafte, derbe, dermal-subkutane Knoten, z. B. nach Operationen, Amputation (Amputationsneurom) oder bei Fehlbelastung des Fußes zwischen den Metatarsalköpfchen (Schuhwerk! meist bei Frauen – Morton-Neurom). Histologie: Irregulär proliferierende Nervenfaszikel in fibrotischem Stroma. Therapie: Exzision. Neurofibrom (N) Definition. Ein häufiges Hamartom mit neurogener
Differenzierung. Es tritt entweder solitär (meist 2./3. Dezennium) oder multipel im Rahmen der Neurofibromatose Recklinghausen auf (7 Kap. 8). Symptomatik. An der Haut kommen kutane (von
Hautnerven entstandene) und subkutane (»plexiforme«, von größeren Nervensträngen ausgehende) N vor (. Abb. 8.17, . Abb. 8.18). Kutane N sind meist halbkugelige, weiche, hautfarbene bis leicht bläuliche (Muzinreichtum!) Papeln/Knoten, oft polypoid oder sackartig; solitäre N sind kaum größer als 1 cm, im Rahmen der Neurofibromatose können sie riesig werden. Charakteristisch ist das »Knopflochphänomen«: durch einen umschriebenen Defekt des dermalen Bindegewebes kann das N mit dem Finger unter die Haut verlagert werden. Subkutane N erscheinen als diffuse Verdickung der Nervenstränge und -plexus mit ihren Verzweigungen; das Resultat sind oft mächtige, strangartig verwobene derb-fibröse subkutane Gebilde. Histologie. Unscharf begrenzte, myxoide Läsionen mit charakteristisch welligen Zellkernen (Schwannzellen, Fibroblasten, Perineuralzellen), wenig feinstrukturiertem Kollagen, zahlreichen Mastzellen. Mit Spezialfärbungen sind Axone nachweisbar. Plexiforme N sind durch die Nervenscheide scharf begrenzt. Im pigmentierten N fokal Melanozyten und Melanin (gemeinsamer Ursprung aus Neuralleiste).
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Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Therapie. Falls erwünscht: Exzision. Cave Nervenschä-
digung! 3Seltene Hamartome Multiple »Schleimhautneurome« sind Teilsymptom des und Indikator beim autosomal dominanten Syndrom multipler endokriner Neoplasien (MEN) IIB (Mutation des RET-Protoontogens), das mit u. a. medullärem Schilddrüsenkarzinom und Phäochromozytom assoziiert ist. Diese Schleimhautläsionen sind nicht Neurome, sondern nervenreiche bindegewebige Hamartome: zahlreiche großflächige, hautfarben/rötliche Papeln/Plaques an Lippen, Mundhöhle und Konjunktiven. Differenzialdiagnose: Cowden-Syndrom (7 Kap. 8). Prognose: Wegen der internen Neoplasien ernst. (Ektopes) Meningotheliales Hamartom. Eine bei Kindern/ jungen Erwachsenen über den Neuralleistenschlußfurchen (Hinterkopf, Stirn, sakral) entstehende Läsion, die klinisch einer infundibulären Zyste ähnlich ist. Histologie: meningotheliale Nester in der tiefen Dermis/Subkutis mit zwiebelschalenartigen Zellaggregaten, immunreaktiv auf epitheliales Membranantigen (EMA; Meningen- und Perineuralzellmarker). Cave: oft Verbindung zu intrakraniellen Strukturen!
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Schwannom (Synonym Neurilemmom, Neurinom) Definition. Eine relativ häufige gutartige Neoplasie mit Schwannzell-Differenzierung, die jedoch nur selten an der Haut auftritt (Lebensmitte). Symptomatik. Meist solitäre subkutane, derbe, symp-
tomlose Knoten. An der Haut finden sie sich in den gut sensibel versorgten Regionen des Kopf-Halsbereichs, den Beugeseiten der Extremitäten und um die Körperöffnungen. Eine Frühform ist das solitäre »palisaded encapsulated neuroma« – eine hautfarbenrötliche, symptomlose Basaliom-ähnliche Papel; eine andere Variante ist das häufig akrale, plexiform aufgebaute Nervenscheidenmyxom (myxoides Neurothekom). Tiefe Schwannome entstehen vorwiegend an den Spinalganglien und im Kleinhirnbrückenwinkel. Histologie. Ein enkapsulierter Knoten, der exzentrisch
von einem Nerven ausgeht und diesen komprimiert: Bündel spindeliger Zellen in Palisadenstellung (Antoni-A-Muster) oder locker- wirbelig in gefäß- und muzinreichem Stroma (Antoni-B-Muster). Dazwischen faserige Kollagenstrukturen (Verocay-Körperchen). Die Kapsel ist EMA-, der Tumor S100-positiv. Varianten: zellreiche; plexiforme; myxoide und degenerierte Schwannome (»ancient«: Blutungen, Nekrosen, Verkalkung, Fibrosklerosierung). Differenzialdiagnose. Pilomatrixom. Therapie. Ausschälung (Cave: Schädigung des Nervs!).
Perineuriom (Perineuralzelltumor) Eine gutartige Neoplasie mit Perineuralzell-Differenzierung. Vorwiegend bei erwachsenen Frauen, entweder intraneural in größeren, tiefen Nerven, oder extraneural: gut umschriebene, schmerzlose Knoten im Weichteilgewebe, häufig akral. Histologie: Zwiebelschalenartige Aggregate von spindelig-dendritischen Perineuralzellen, im Zentrum oft Psammomkörperchen. EMA-positiv. Differenzialdiagnose: Dermatofibrom (EMA-negativ), Neurofibrom (S100-Protein positiv). Maligner peripherer Nervenscheidentumor (Synonym Malignes Schwannom, Neurofibrosarkom) Definition. Eine eher seltene maligne Neoplasie mit neurogener Differenzierung, die bei der Neurofibromatose (Lebenszeitrisiko 2%), aber auch spontan bzw. nach Röntgenbestrahlung auftritt. Symptomatik. Rasch wachsende Tumoren, die häufig
von präexistenten Neurofibromen, Nervenplexus oder größeren Nerven ausgehen. Prädilektionsstellen: Extremitäten, Rumpf, seltener Kopf. Auftreten meist in der 5. Dekade bei Männern, bei Neurofibromatose auch früher. Histologie. Ein unscharf begrenzter Knoten mit faszikulärem Aufbau und landkartenähnlichem Wechsel von zellreichen, myxoiden und nekrotischen Arealen. Die Zellkerne sind wellig, komma-förmig, oft in Palisadenstellung. Peri-/intraneurale Ausbreitung. S100-Reaktivität bei ca. 50%. Differenzialdiagnose. Andere Sarkome, histologisch
Melanome. Therapie und Prognose. Trotz radikaler Exzision (3– 5 cm Sicherheitsabstand) ist die Prognose durch neurotrope Ausbreitung meist infaust. Die 5-Jahres-Überlebensrate für sporadische Formen ist 50%, bei strahlenbedingten und bei Neurofibromatose günstiger.
9.12
Neoplasien unklarer Differenzierung
Granularzelltumor (GT, Synonym AbrikossoffTumor) Definition. Namensgebend für diese relativ seltene Neoplasie sind histologisch charakteristische eosinophile zytoplasmatische Granula. Der GT wurde ursprünglich Myofibroblasten zugeordnet, später wegen seiner Reaktivität mit S100-Protein den Schwannomen.
429 9.12 · Neoplasien unklarer Differenzierung
Anders als diese ist er jedoch unscharf begrenzt, wächst infiltativ und bewirkt oft, ähnlich Dematofibromen, eine ausgeprägte epidermale Mitreaktion. Granularzell-Differenzierung tritt auch als Nebenbefund bei verschiedenen anderen Läsionen auf (Dermatofibrom, Leiomyom, Basaliom).
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(Fehlinterpretation als Makrophagenreaktion – »Xanthom«). Ähnliche Muster finden sich selten auch bei Melanom, Basaliom und Sarkomen. Häufig lassen sich die für Plattenepithelkarzinome typischen molekulare Defekte nachweisen (p53, p24). Therapie. Komplette Exzision.
Symptomatik. Meist sind Frauen der 2. Lebenshälfte
betroffen: solitäre, asymptomatische, derbe dermal/ subkutane Knoten. Prädilektionsstellen: Zunge (!), Lippen, Thorax, Extremitäten. Der GT ist fast stets benigne; allerdings gibt es eine seltene maligne Variante mit ungünstiger Prognose. Histologie. Diffuse oder nestförmige Aggregate großer
polygonaler Zellen mit granulärem PAS-positivem Zytoplasma; Positivität für S100-Protein, neuronspezifische Enolase und NKIC3 (CD56). Oft ausgeprägte epidermale Hyperplasie und perineurale Ausbreitung.
Malignes fibröses Histiozytom Dieses ist gleichfalls keine eigenständige Entität, sondern ein Reaktionsmuster verschiedener dedifferenzierter Sarkome (Leiomyo-, Myxofibro-, Rhabdomyo-, maligner peripherer Nervenscheidentumor), aber auch von Karzinomen, Lymphomen oder Melanomen. Es tritt vorwiegend in den tiefen Gewebslogen auf, z. B. intramuskulär – Oberschenkel, Retroperitoneum, seltener in der Subkutis. Histologie: Analog dem atypischen Fibroxanthom. Therapie: Ausgedehnte Resektion, begleitende Strahlentherapie und bei Metastasierung Polychemotherapie. Prognose: Meist infaust.
Differenzialdiagnose. Rhabdomyom (granulär, aber
mit Querstreifung, wohl umschrieben, Desmin-positiv), Hibernom (multivakuoläre Fettzellen), Xanthogranulom (Schaumzellen). Therapie. Exzision. Neurothekome.
Neurothekome sind benigne Neoplasien der Nervenscheide. Myxoide Neurothekome sind Schwannzelldifferenziert; die Differenzierung der zellulären ist umstritten (fibrozytär? myogen? neurogen?). Zelluläre Neurothekome finden sich häufig bei jungen Frauen an Gesicht und Oberkörper: mäßig derbe Dermatofibrom-ähnliche Papeln/Knoten. Histologie: Plexiforme Läsionen aus wirbelig angeordneten epithelioiden Zellen; positiv auf NKIC3 (CD56), evtl. auch glattes Muskel-Aktin. Differenzialdiagnose: Dermatofibrom, Spitz-Nävus, Melanom. Therapie: Exzision. Atypisches Fibroxanthom Definition. Dieses galt früher als fibro-histiozytärer Tu-
mor, wird heute jedoch als pleomorph-anaplastisches Reaktionsmuster oberflächlicher maligner Neoplasien der Haut (meist Plattenepithelkarzinome) aufgefasst. Symptomatik. Exophytisch-erosive, schnell wachsende (Wochen bis Monate!) Knoten. Es tritt in UV-geschädigter Haut auf und ist häufig mit aktinischen Keratosen assoziiert. Histologie. Dedifferenzierte Zellaggregate (nahezu)
ohne Reaktivität auf Keratine; Gewebsmakrophagen
Epithelioides Sarkom Eine charakteristische Neoplasie, die typischerweise akral (Handflächen) bei jungen Männern auftritt und nach später Metastasierung häufig zum Tod führt. Symptomatik: Ein meist von der Subkutis, selten der Dermis ausgehender, relativ langsam wachsender multilobulärer, harter, manchmal exulzerierter Knoten. Ausbreitung zuerst lokoregionär entlang der Gewebslogen (Sehnen, Gefäße, Nerven) → häufig Lokalrezidive; später lymphogene und hämatogene Metastasierung (Lungen!). Histologie: Inseln kuboidaler Tumorzellen (»Epithelioidzellen«) mit granulomähnlichem Aussehen und zentraler Nekrose – Imitation eines Granuloma anulare! Pleomorphe Zytologie, zahlreiche, teils atypische Mitosen. Reaktivität auf epitheliales Membranantigen und Keratinmarker. Therapie: Frühzeitige und weite Exzision (5 cm Sicherheitsabstand) bzw. Amputation sind die einzige Chance auf Heilung. Charakteristischerweise zeigt dieses Sarkom eine gute 5(>90%), aber eine schlechte 20-Jahres-Überlebensrate (<20%). Klarzellsarkom Dieses auch als »malignes Melanom der Weichteile« bezeichnete Malignom zeigt alle Charakteristika von Melanomen, hat aber eine hoch charakteristische, bei Melanomen noch nicht beobachtete Chromosomentranslokation t(12;22) (q13;q12). Es handelt sich um einen meist von den tiefen Weichteilen (Faszien, Sehenenscheiden) ausgehenden, hautfarben/bläulichen Knoten. Betroffen sind Erwachsene, häufiger Männer. Prädilektionsstellen: Extremitäten. Histologie: Nester
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Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
von Klarzellen, mehrkernige Riesenzellen. Kein Bezug zur Epidermis. Positiv auf alle Melanommarker. Therapie: weite Exzision. Metastasierung in ca. 50%: Lymphknoten, später Lunge. 9.13
Histiozytosen
Mit diesem historischen Begriff bezeichnet man eine Gruppe von Krankheiten, die ihren Ausgang von den Langerhanszellen bzw. von Makrophagen nehmen. Das Spektrum umfasst einzelne relativ häufige, und zahlreiche sehr seltene Vertreter, einige davon harmlos und selbstlimitiert, andere bedrohlich. Ätiologie und Pathogenese dieser Krankheiten sind noch weitgehend unklar, selbst die Abgrenzung zwischen »reaktiven« und »neoplastischen« Krankheitsprozessrn ist nicht immer scharf.
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3Langerhanszellen (7 Kap. 2) sind dendritische antigenpräsentierende Zellen der Epidermis, die die primäre Immunantwort vermitteln. Sie sind durch verschiedene Marker (HLADR, CD1a, Lag-Antigen, S100-Protein, ATPase, Fc-Rezeptoren) und ultrastrukturell durch Birbeck-Granula gekennzeichnet. Makrophagen (früher: »Histiozyten«) sind von den Monozyten des Bluts abgeleitete Gewebszellen; ihre Hauptaufgabe sind Abräumprozesse. Makrophagen besitzen die Fähigkeiten der Phagozytose und der Speicherung (Lipide, Eisen). Sie treten histologisch in unterschiedlichen Formen auf: mononukleäre, xanthomatöse, spindel- oder sternförmige, onkozytäre (»geschwollenes« Zytoplasma) Zellen, multinukleäre Riesenzellen. Sie reagieren mit Makrophagenmarkern (Ki-M1p, KP1/CD68, HAM56), ultrastrukturell finden sich keine Birbeck-Granula.
Langerhanszell-Krankheiten (Synonym Langerhanszell-Histiozytosen, »Histiozytosis X«) Das Spektrum umfasst lokalisierte, selbstlimitierte bis zu systemischen, manchmal foudroyanten Verlaufsformen. Die verursachenden Zellen zeigen Merkmale von Langerhanszellen. Die Entitäten wurden konventionell als reaktive Proliferationen unbekannter Ursache interpretiert (Spontanremissionen kommen vor, keine DNA-Anomalien), sind allerdings klonaler Natur. Epidemiologie. Weltweit verbreitet, relativ selten (Inzidenz 0,2–1/10 000 Kinder), Bevorzugung des Kindesalters (60–70% vor dem 2. Lebensjahr) und des männlichen Geschlechts (2:1). Chronische und lokalisierte Formen treten hauptsächlich bei 2- bis 15-Jährigen auf. Symptomatik. Prädilektionsorgane sind Haut (s. u.),
Knochen und Knochenmark (Anämie, Leuko-, Thrombozytopenie), Lunge (Dyspnoe u. a.), Leber (Hypoproteinämie, Ödeme, Aszites, Hyperbilirubinämie), Dünndarm (chronische Diarrhoe, Malabsorption), Hirnhäu-
. Abb. 9.70. Langerhanszell-Histiozytose, Typ Hand-Schüller-Christian. Multiple disseminierte Papeln des Rumpfes bei einem Säugling
te und Hypothalamus-Hypophysen-Region (Wachstumsstörungen, Diabetes insipidus, Galaktorrhoe, Pubertas praecox/tarda, Sehstörungen), Milz und Lymphknoten. Der Organbefall bestimmt Symptomatik und Prognose. Folgende typische Verlaufsformen werden unterschieden: 4 Eosinophiles Granulom des Knochens: die häufigste Verlaufsform (ca. 80%), benigne, selbstlimiert. Es bestehen ein oder wenige Granulome in Knochen (Schädel, Schulter/Beckengürtel, Wirbelsäule). Ein analoges Krankheitsbild der Haut ist die kongenitale selbstheilende Retikulohistiozytose (Hashimoto-Pritzker): einzelne bis multiple bräunliche, derbe Papeln/Knoten an Stamm, Gesicht und Skalp. Spontanheilung nach einigen Monaten. 4 Chronische multifokale Langerhanszell-Histiozytose: Knochen-, Weichteil- und meningeale Beteiligung. Hand-Schüller-Christian-Trias: multiple Knochendefekte, Exophthalmus, Diabetes insipidus (. Abb. 9.70). 4 Systemische Langerhanszell-Histiozytose (AbtLetterer-Siwe): Ein rasch verlaufendes Krankheitsbild mit Fieber, Panzytopenie, Hepatosplenomegalie, generalisierter Lymphadenopathie und Lungeninfiltraten. Schlechte Prognose: Exitus innerhalb von Wochen/Monaten (Sepsis).
431 9.13 · Histiozytosen
Neben diesen klassischen Formen besteht eine Vielfalt von Varianten und Kombinationsformen. Haut- und Schleimhautveränderungen sind häufig (bis 40%), vielgestaltig und nicht selten Primärsymptome. Folgende typische Läsionen werden beobachtet: 4 Disseminierte, erythematös-schuppig-krustigerosive Flecken/Plaques mit charakteristischer Ockerfarbe. Prädilektionsstellen: Inguinal-, Perianalregion, Skalp, Rücken. Differenzialdiagnose: seborrhoische/atopische Dermatitis, Windelekzem, Morbus Darier. 4 Bei längerem Bestand entstehen ausgedehnte plattenartige, verrukös-nässende, heftig juckende Vegetationen (Perigenital- und Analregion!), oft auch derb infiltrierte, multiple Ulzera. Differenzialdiagnose. Xanthogranulom, Xanthoma disseminatum, Plattenepithelkarzinom. 4 Schleimhautläsionen: weißliche Plaques mit Übergang in fragile, leicht blutende, wie »ausgestanzte« Ulzera an Gaumen, Wange, Gingiva; Vulva (. Abb. 9.71) und Vagina. Histologie. Herdförmige/diffuse Langerhanszell-Ag-
gregate in ödematösem Stroma, beigemengt Eosinophile, Lymphozyten und Makrophagen. Die Langerhanszellen sind groß, mit hellrosa Zytoplasma und »kaffeebohnenartigen« Kernen. Sie zeigen in der Haut massiven Epidermotropismus (→ erosiver Charakter). Elektronenmikroskopie: Birbeck-Granula. Immunhistochemie: reaktiv mit Markern für CD1a, Lag- und S100-Protein. Ältere Läsionen sind weniger zellreich; es dominieren Makrophagen, teilweise mit Schaumzellcharakter, und fibrotischer Umbau des Gewebes. In Knochenherden und Lymphknoten Osteoklasten-ähnliche Riesenzellen. Das histologische Bild korreliert nicht mit Aggressivität und Ausmaß der Krankheit. Therapie. Hautherde werden je nach Art und Ausdehnung behandelt: lokale Kortikosteroide, Photochemotherapie (disseminierte Herde), Exzision oder Radiotherapie (infiltrierte Herde). Die Langerhanszell-Histiozytose ist besonders strahlensensibel; lokalisierte Knochenbeteiligung wird z. B. schon durch geringe Dosen zur Ausheilung gebracht. Bei multiplem Organbefall systemische Therapie: Methylprednisolon, Vinblastin, Methotrexat, Etoposid, Interferon-α u. a. Prognose. Lokalisierte Formen (Knochen, Haut) haben einen günstigen Verlauf; Remissionen sind die Regel (auch spontan!). Disseminierte Formen haben eine schlechtere Prognose, besonders bei Systembeteiligung. Die höchste Mortalität (bis 50%) haben Kinder <2 und
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. Abb. 9.71. Langerhanszell-Histiozytose. Ein scharf begrenztes nekrotisches, unregelmäßig gestaltetes Ulkus am Genitale einer jungen Erwachsenen
Erwachsene >60 Jahren. Bei erfolgreicher Behandlung bleiben oft Spätfolgen zurück: Diabetes insipidus, Hörstörungen, orthopädische und neurologische Defekte. Nicht-Langerhanszell-Krankheiten Eine Gruppe proliferativer Prozesse von Makrophagen mit unbekannter Ursache und meist guter Prognose, die sich häufig im Kindesalter manifestieren. Ein Leitsymptom ist die Fetteinlagerung (Xanthomatisation), die ohne Erhöhung der Blutfette erfolgt (normolipämische Xanthome) und den gelblichen Aspekt der Läsionen bedingt. Sie ist Folge einer metabolischen Dysregulation (vermehrte intrazelluläre Synthese und/oder defiziente Ausschleusung von Lipiden). Juveniles Xanthogranulom (früher: Nävoxanthoendotheliom) Definition. Ein nicht seltenes Xanthom-ähnliches Granulom, Prototyp der Nicht-Langerhanszell-Krankheiten (. Abb. 9.72). Symptomatik. Orangefarbene Papeln meist an Kapillitium, Gesicht und proximalen Extremitäten, die bei Neugeborenen/Säuglingen auftreten, rasch bis ca. 1 cm anwachsen, einige Monate/Jahre bestehen bleiben und sich dann langsam mit Hyperpigmentierung und zarter Atrophie zurückbilden. Meist bestehen nur wenige, in Ausnahmefällen zahlreiche Herde, selten auch an inneren Organen (Lunge, Knochen, Leber). Subjektive Symptome fehlen, Laborwerte unauffällig.
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Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
peln vorwiegend der großen Beugen und periokulär; gelegentlich Befall von Schleimhäuten, Augen (Glaukom!) und inneren Organen (Knochen, Diabetes insipidus). Histologie: Sternförmige und xanthomatöse Makrophagen, wenige Touton-Riesenzellen. Verlauf: chronisch, kapriziös. Differenzialdiagnose: plane/eruptive Xanthome (Hyperlipidämie!).
. Abb. 9.72. Xanthogranulom. Ein kalottenförmig erhabener, gelblich-roter Knoten. Diffentialdiagnose: Spitz-Nävus
Multizentrische Retikulohistiozytose. Eine meist bei Frauen mittleren Alters auftretende Krankheit mit generalisierten Retikulohistiozytomen (s. o.), vorwiegend an Akren und Gesicht. Maximalform: Facies leonina. Häufige Begleitkrankheiten (ca. 25%): Polyarthritis, Kollagenosen, interne Neoplasmen. Differenzialdiagnose: Rheumaknoten, Gichttophi. Sinushistiozytose mit massiver Lymphadenopathie
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Varianten (ebenfalls meist bei Kindern) sind: 4 benigne kephale Histiozytose (Läsionen auf KopfHals-Region beschränkt, histologisch monomorphe vakuolisierte Makrophagen) 4 papulöses Xanthom (Läsionen gelblich, histologisch ein xanthomatöser Zelltyp) 4 solitäres Riesenxanthogranulom (eine seltene knotig/tumoröse Form an der Nase – CyranoForm). Histologie. Ein diffuses dermal/subkutanes Infiltrat aus vakuolisierten, xanthomatösen und spindelförmigen Makrophagen sowie Touton-Riesenzellen.
(Dorfman-Rosai). Eine seltene, reaktive Makrophagenkrankheit, die insbesondere die S100-positiven Makrophagen im Randsinus (meist der zervikalen) Lymphknoten betrifft. In ca. 30% ist auch die Haut befallen: rötlich-gelbe Papeln/Plaques/Knoten im Kopf-Rumpfbereich. Systemzeichen: Fieber, Leukozytose, Anämie, polyklonale Hypergammaglobulinämie. Organbefall: Augen, ZNS, Knochen, oberer Respirations- und Verdauungstrakt. Histologie: Makrophagenproliferation; typisch die ausgeprägte Phagozytose von Erythrozyten, Lymphozyten und/oder Zelldedritus (Emperipolese). Prognose: Meist selbstlimitiert, bei schweren Formen letaler Ausgang.
Differenzialdiagnose. Spitz-Nävus, Mastozytom, Neurofibrom, myelomonozytäre Leukämie.
9.14
Therapie. Nicht erforderlich.
Adultes Xanthogranulom Eine meist im mittleren Erwachsenenalter solitär auftretende Variante: dermale bis subkutane, vorwiegend am Kopf lokalisierte gelblich-rote Knoten (klinische Differenzialdiagnose: Xanthom, melanozytärer Nävus, Basaliom, Dermatofibrom). Histologisch analog dem juvenilen Xanthogranulom, häufig beigemengt spindelig/onkozytäre Makrophagen und oft riesige Fremdkörperriesenzellen mit eosinophilem, »milchglasartigem« Zytoplasma (Retikulohistiozytom). Seltene Sonderform: die langwierige und kapriziöse progressive noduläre Histiozytose. Weitere Nicht-Langerhanszell-Erkrankungen Xanthoma disseminatum. Ein meist bei Männern
mittleren Alters auftretendes exanthematisches Krankheitsbild mit gelblichen, zu Konfluenz neigenden Pa-
Mastozytosen
Mastozytosen sind Krankheiten, die durch fokale Akkumulationen von Mastzellen in verschiedenen Organen (Haut, Magendarmtrakt, Knochenmark, Lymphknoten, Leber, Milz) gekennzeichnet sind. Ihre Wertigkeit reicht von harmlos, selbstlimitiert bis zur fatalen Mastzell-Leukämie. Klassifikation, Pathogenese und Epidemiologie Die frühere Unterscheidung zwischen kutanen und systemischen Mastozytosen wurde verlassen, da vermutlich bei allen Mastozytose-Formen in wechselndem Maß vermehrt Mastzellen in inneren Organen, z. B. im Knochenmark, gefunden werden können. Eine neue Klassifikation (. Tab. 9.8) unterscheidet vielmehr »indolente« (d. h. sich statisch verhaltende) und aggressivere Formen. Die indolenten Mastozytosen sind bei weitem häufiger (>90%), fast stets mit Hautsymptomen assoziiert und zeigen häufig keine (oder nur milde) Allgemeinzeichen.
433 9.14 · Mastozytosen
. Tab. 9.8. Klassifikation der Mastozytosen Typ Ia
»Indolente« Mastozytose ohne Systembeteiligung
Typ Ib
»Indolente« Mastozytose mit Systembeteiligung
Typ II
Mastozytose in Assoziation mit myeloproliferativen oder myelodysplastischen Krankheiten
Typ III
Lymphadenopathische Mastozytose (aggressive systemische Mastozytose)
Typ IV
Mastzell-Leukämie
Die Ursache der Mastzellvermehrung ist nicht einheitlich. Mehrheitlich ist sie »reaktiv« – Überstimulation der Mastzellen und/oder Abregulierung ihrer Apoptose durch Mastzell-Wuchsfaktoren (Stammzellfaktor!, IL-6, IL-3), die im Gewebe produziert werden (Keratinozyten, Fibroblasten). Bei einem kleineren Teil liegen Mutationen des c-kit-Gens vor (kodiert für den Stammzellfaktor-Rezeptor); deren Folge ist eine spontane, Liganden-unabhängige Aktivierung der Mastzellen. Die »reaktive« Genese herrscht bei der kindlichen Mastozytose vor (allerdings nicht ausschließlich), bei Erwachsenen die klonale. Auch bei klonaler Genese können Mastozytosen »indolent« sein! Die Mastzell-Leukämie ist vermutlich ein unabhängiger Prozess; sie geht nicht aus den genannten Mastozytosen hervor, sondern entwickelt sich de novo. Mastozytosen sind nicht selten (<1% der dermatologsichen Visiten), sie kommen weltweit bei beiden Geschlechtern vor. Familiäres Aufttreten ist selten. Zwei Drittel der Fälle betreffen Kinder, der Krankheitsbeginn liegt bei >50% vor dem 2. Lebensjahr. Etwa die
Hälfte bildet sich spätestens bis zur Pubertät spontan zurück, bei Mastozytosen Erwachsener ist die Rückbildung selten und der Verlauf meist langsam progredient. Klinische Symptomatik, Diagnostik Mastozytosen manifestieren sich durch Hautherde, Systemzeichen durch Mediatorausschüttung (. Tab. 9.9), und Symptome durch Befall innerer Organe. Hautherde. Diese sind bei indolenten Formen fast stets, bei aggressiven seltener vorhanden und können z. B. bei der Mastzell-Leukämie überhaupt fehlen (falls vorhanden, gelten sie als prognostisch günstiges Zeichen). Sie treten in Form einiger typischer Grundmuster in Erscheinung, die nicht streng mit der jeweiligen Verlaufsform korreliert sind. Die weitaus häufigste Hautmanifestation sind disseminierte Flecken/Papeln; sie prägen das Bild der Urticaria pigmentosa, können aber auch bei allen anderen Verlaufstypen (auch der Mastzelleukämie!) auftreten. Alle Hautherde zeigen das diagnostisch wichtige Darier-Zeichen: Reiben der Läsion führt zu deren urtikarieller Schwellung (mechanische Histaminfreisetzung). Allgemeinzeichen durch Mediatorausschüttung. Diese können alle Formen der Mastozytosen begleiten. Sie sind in Ausprägung und Stärke variabel, grob mit der Mastzell-Last korreliert, und fehlen oft auch. Man unterscheidet das episodische akute und das chronische Mediator-Syndrom (. Übersicht). Flush-Symptomatik und anaphylaktische Reaktionen können durch abrupte Degranulation ausgelöst werden (z. B. Codein, Kontrastmittel, Hyposensibilisierung).
. Tab. 9.9. Mastzellmediatoren und ihre Effekte Mediator
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Effekt
In Granula präformierte Mediatoren Histamin
Übersicht (s. u.)
Heparin
Osteoporose
Proteasen (Tryptase, Chymase)
Knochenveränderungen
TNF-α
Aktivierung von Endothelzellen
De novo synthetisierte Mediatoren Lipidmediatoren 4 Leukotriene B4, C4, D4 4 Prostaglandin D2
4 Bronchokonstriktion, Vasokonstriktion bzw. -dilatation 4 Bronchokonstriktion
Proinflammatorische Zytokine
IL-1, -3, -4, -5, -6, -8
TGF-β
Fibrose, Angiogenese
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Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Mediator-Syndrome 4 Akute Mediator-Syndrome – Flush, Pruritus, (dermographische) Urticaria, Angioödem – Nausea, Erbrechen, Durchfälle – Kopfschmerzen – Rhinorrhoe, Bronchokonstriktion – Tachykardie, Blutdruckabfall, Synkopen, hämodynamischer Flush 4 Chronisches Mediator-Syndrom – Hypotonie – Osteopenie, Knochenschmerzen, Arthralgien – Kopfschmerzen, Benommenheit – Persönlichkeitsveränderungen, Verschlechterung kognitiver Funktionen – Gastroduodenitis, Magengeschwüre, Malabsorption – Periphere Eosinphilie
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Symptome durch Befall innerer Organe. Mastzell-
infiltrate innerer Organe betreffen hauptsächlich das Knochenmark (diffus/nodulär, Markfibrose; Chlorazetatesterase-Färbung), das Skelett (osteosklerotische/-porotische Herde von Kalvaria und Röhrenknochen; Knochenschmerzen, Osteolysen, Frakturen) und den Gastrointestinaltrakt (Gastritis, Magenulzera, Malabsorption). Bei aggressivem Verlauf kommen Infiltrate von Leber, Milz und Lymphknoten (Hepato-, Splenomegalie, Lymphadenopathie) sowie weitere Systemzeichen hinzu: Fieber, Schwäche, Gewichtsverlust, Anämie, Leuko-, Thrombozytopenie, Eosinophilie. Labor. Ein für Mastozytosen (fast) beweisender Befund
ist die Erhöhung der α-Tryptase im Serum. Die Gesamt-Tryptase (α plus β) korreliert mit dem Volumen der Mastzell-Last. Klinisch weniger relevant: die Ausscheidung von Histamin und Prostaglandinmetaboliten im Harn. Krankheitsbilder der indolenten Mastozytosen Mastozytom (Synonym Umschriebene Mastozytose). Selten. Bei oder nach der Geburt (bis zum 3. Monat) auftretende solitäre rotbraune Plaques/Knoten, meist an den Extremitäten. Organbefall fehlt, manchmal Flush-Symptomatik. Spontane Rückbildung innerhalb einiger Monate. Diffuse kutane Mastozytose. Ein sehr seltenes Bild bei Neugeborenen/Säuglingen. Die Haut ist erythroder-
. Abb. 9.73. Urticaria pigmentosa. Regellos disseminierte bräunliche Papeln und Flecken
misch (rot-gelbbraun), ödematös, verdickt und vergröbert (Mastzellinfiltrate): »schmalzige« Konsistenz. Begleitend Zeichen massiver Histaminwirkung: oft exzessive, durch Weinen ausgelöste Flushsymptomatik, Diarrhoen, dermografische Urtikaria, oft mit Ausbildung von hämorrhagischen Blasen. Blasen können sich auch spontan einstellen (Rumpf!) und das erste Zeichen der Mastozytose sein (bullöse Mastozytose). Erhöhtes Risiko von Schock und gastrointestinalen Blutungen! Spontanheilung gewöhnlich bis zum 5. Jahr. Teleangiectasia macularis eruptiva perstans. Eine gleichfalls seltene, meist chronisch progrediente Mastozytose bei Erwachsenen, vorwiegend Frauen: wenig auffällige, generalisierte fleckige bräunlich/teleangiektatische Erytheme (Rumpfbereich), Juckreiz. Befall innerer Organ ist manchmal nachweisbar. Urticaria pigmentosa (. Abb. 9.73). Diese häufigste al-
ler Mastozytosen präsentiert sich als regellos disseminierte Aussaat kleiner makulopapulöser Läsionen am gesamten Integument. Die Läsionen sind rötlich-hellbraun (Aktivierung der Melanozyten – diese besitzen wie die Mastzellen den c-kit-Rezeptor) und zeigen das Darier-Zeichen. Man unterscheidet eine juvenile und eine adulte Verlaufsform (s. o.). Erstere ist selten mit Organbefall korreliert und selbstlimitiert; letztere ist persistent oder chronisch progressiv. Symptome der Mediatorausschüttung sind häufiger, in ca. 50% ist Systembefall nachweisbar (Knochenmark).
435 9.15 · Lymphome
! »Urticaria pigmentosa« ist ein historischer Begriff – es handelt sich natürlich nicht um eine echte Urtikaria.
»Okkulte« Mastozytose. Eine vermutlich nicht seltene
Verlaufsform, die durch Fehlen (oder nur subtile Zeichen) von Hautherden, bei gleichzeitig unerklärter Neigung zu anaphylaktoiden Reaktionen bei z. B Hyposensiiliserung, Insektenstichen, polyvalenten Nahrungsmittel- oder Medikamenten-«Allergien« etc. gekennzeichnet ist. Erhöhung der Serum-Tryptase! Histologie, Differenzialdiagnose, Diagnostik und Therapie der kutanen Mastozytosen Histologie: Ansammlungen von Mastzellen in der Dermis (mindestens das 5-Fache der normalen Dichte; Nachweis: Toluidinblau, Giemsa, Chloracetatesterase). Diese können je nach klinischem Typ disseminiert, flächig oder knotig sein. Differenzialdiagnose: Urticaria pigmentosa: Melano-
zytäre Nävi, Lentigines, Histiozytosis X, Xanthogranulome, papulöse Sarkoidose u. a. Diffuse Mastozytose: Erythrodermien anderer Ursache (z. B. physiologische!). Bullöse Mastozytose: Incontinentia pigmenti, bullöse Dermatosen der Neonatalperiode. Teleangiectasia macularis perstans: Morbus Osler. Flush-Symptomatik: Karzinoidsyndrom.
9
Lymphadenopathische Mastozytose mit Eosinophilie.
Eine seltene, schnell verlaufende Mastozytose bei Erwachsenen, die häufig ohne Hautläsionen, aber schwerem Systembefall abläuft. Sie führt meist in weniger als 2 Jahren zum Tod. Prognostisch ungünstige Zeichen sind höheres Alter, Hepatosplenomegalie sowie Rückbildung von Hautläsionen. Mastzell-Leukämie. Diese sehr seltene, aggressivste Mastozytose zeigt, zusätzlich zu den oben genannten Symptomen, zirkulierende unreife Mastzellen (>10%) und Anschoppung des Knochenmarks. Sie führt meist innerhalb von 6 Monaten zum Tod.
Diagnostik und Therapie der aggressiven Mastozytosen Diagnostik: Hautbiopsie (falls Hautherde vorhanden), entsprechende bildgebende Verfahren (Sonographie, Technetium-Scan, MRI), Knochenmarkpunktion bzw. -histologie, Nachweis der Labormarker der Mastozytose. Therapie: Symptomatische Behandlung der Symptome der Mediatorfreisetzung, Therapie begleitender hämatologischer Krankheiten, Chemotherapie (häufig wenig erfolgreich).
9.15
Lymphome
Diagnostik: Sorgfältige Ananmese, Histologie, Serum-
Tryptase. Eingreifende Untersuchungen zum Nachweis/Ausschluss einer Beteiligung innerer Organe (z. B. Knochenmarkspunktion) sind nicht Teil der Screening-Untersuchung! Therapie: Kindliche Formen: Abwarten der Spontan-
rückbildung, evtl. symptomatisch Antihistaminika, Chromoglicat, Ketotifen. Bei adulten Formen führt zusätzliche Photochemotherapie oft zur subtotalen Rückbildung, Rezidive werden allerdings nicht verhindert. Die Wirksamkeit von IFN-α wird unterschiedlich beurteilt. Genaue Instruktionen über Mastzellliberatoren (7 Kap. 2) sind indiziert. Aggressive Mastozytosen Systemische Mastozyose mit assoziierter hämatologischer Malignität. Die Häufigkeit dieser Assoziation
ist unsicher, klinisch handelt es sich um Mastozytosen mit Hautläsionen wie z. B. Urticaria pigmentosa, jedoch mit ausgeprägtem Befall innerer Organe. Zugrunde liegen myeloproliferativ/myelodysplastische Prozesse, oft auch das Hypereosinophilie-Syndrom oder verschiedene Lymphome. Die Prognose hängt von der hämatologischen Krankheit ab.
Lymphome sind maligne Neoplasien lymphatischer Zellen. Sie entstehen am häufigsten in den Lymphknoten (nodal), seltener in anderen Geweben (extranodal). Die zweithäufigsten extranodalen Lymphome (nach den MALT-Lymphomen; MALT: »mucosa associated lymphoid tissue«) sind die der Haut. Diese sind NonHodgkin-Lymphome (NHL) – Morbus Hodgkin kommt in der Haut fast nicht vor. Ihre Inzidenz ist 1/10 000/ Jahr, die Inzidenz aller NHL ist ca. 15/10 000/Jahr. Man unterscheidet primäre und sekundäre kutane NHL. Primäre kutane NHL sind dadurch definiert, dass beim (ersten) Staging kein Befall außerhalb der Haut nachweisbar ist. Sie entstehen in der Haut und bleiben lange (mindestens 6 Monate, oft Jahre) auf diese beschränkt; sekundäre entstehen durch Dissemination nodaler oder extranodaler NHL in die Haut. Diese Unterscheidung ist von Bedeutung, weil die primären kutanen NHL in mehrfacher Hinsicht eine besondere Gruppe darstellen: 4 sie gehen überwiegend von T-Lymphozyten aus (65%), nur ca. 25% von B-Lymphozyten und ein kleiner Rest von z. B. NK-Zellen. Die übrigen extranodalen NHL sind hingegen zu 80–90% B-ZellLymphome;
436
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
4 in Verlauf, Therapie und Prognose weichen sie oft stark von nicht-kutanen NHL gleicher Zytomorphologie ab; 4 sie umfassen einige Krankheitsbilder von markanter Eigenart (z. B. Mycosis fungoides). Die Klassifikation der (primären) kutanen NHL ist ein schwieriges, seit Jahrzehnten in Umbau befindliches Kapitel; derzeit gültig ist die WHO-EORTC-Klassifi-
WHO-EORTC-Klassifikation der kutanen Lymphome (2005) 1.
9
2.
3.
Kutane T-Zell- und NK-Zell-Lymphome 4 Mycosis fungoides (MF) 4 MF-Varianten und Subtypen – Follikulotrope MF – Pagetoide Retikulose – »Granulomatous slack skin« 4 Sézary-Syndrom 4 Adulte T-Zell-Leukämie/Lymphom 4 Primär kutane, CD30-positive lymphoproliferative Krankheiten – Primär kutanes, anaplastisches, großzelliges CD30+-Lymphom – Lymphomatoide Papulose 4 Subkutanes, Pannikulitis-artiges T-ZellLymphom 4 Extranodales NK/T-Zell-Lymphom, nasaler Typ 4 Primär kutanes, peripheres T-Zell-Lymphom, nicht spezifiziert – Primär kutanes aggressives epidermotropes CD8+-T-Zell-Lymphom (provisorisch) – Kutanes γ/δ-T-Zell-Lymphom (provisorisch) – Primär kutanes CD4+klein-/mittelgroßzelliges, pleomorphes T-Zell-Lymphom (provisorisch) Kutane B-Zell-Lymphome 4 Primär kutanes Marginalzonen-B-ZellLymphom 4 Primär kutanes Keimzentrums-Lymphom 4 Primär kutanes, diffus-großzelliges B-ZellLymphom (Unterschenkel-Typ) 4 Primär kutanes diffus-großzelliges B-ZellLymphom (andere Typen) – Intravaskuläres großzelliges B-Zell-Lymphom Hämatologische Vorläuferneoplasie 4 CD4+, CD56+ hämatodermische Neoplasie (früher blastäres NK-Zell-Lymphom)
kation 2005 (. Übersicht). Die Diagnostik beruht auf Anamnese und klinischer Untersuchung, Histologie, Immunphänotyp und, in besonderen Fällen, auf molekularbiologischen Methoden (z. B. Gen-Rearrangement). Die Pathogenese ist weitgehend unklar; chronische Stimulation durch z. B. Umweltsnoxen wird für manche Entitäten (Mycosis fungoides) vermutet. Infekte spielen in Ausnahmefällen eine Rolle (EBV bei T/ NK- und NK-Zell-Lymphomen, Borrelia burgdorferi bei manchen niedrig malignen B-Zell-Lymphomen). Der Verlauf ist bei der Mehrzahl der kutanen NHL indolent, bei manchen aggressiv. 9.15.1 Primäre kutane T-Zell-Lymphome
(CTCL) CTCL leiten sich von T-Lymphozyten mit besonderer Affinität zur Haut ab – wie diese exprimieren sie in der Regel das »cutaneous lymphocyte antigen« (LCA) und den CC-Chemokin-Rezeptor 4. Mycosis fungoides-Gruppe Mycosis fungoides (MF) Definition, Epidemiologie. MF ist das häufigste kutane NHL (ca. 50%). Sie ist ein T-Helfer-Zell-Lymphom, weltweit verbreitet, häufiger bei Männern (2:1) und tritt meist um die Lebensmitte auf. MF ist von chronischem Verlauf und bleibt bei der Mehrzahl der Betroffenen statisch; schreitet sie jedoch zu den Endstadien fort, ist sie eine der quälendsten und therapeutisch schwierigsten Krankheiten der Haut. ! Der historische Name bezieht sich auf die angeblich pilzförmigen Tumoren später Stadien. MF hat mit Mykosen nichts zu tun!
Verlauf und Stadieneinteilung. MF ist eine exzessiv chronische Krankheit, die bis Jahrzehnte dauern kann und in kaum mehr als 10% tatsächlich zum Tod führt. Sie verläuft in Stadien (TNM-Klassifikation – . Tab. 9.10); das T-Stadium dauert weitaus am längsten, Befall von Lymphknoten und inneren Organen kommt erst spät hinzu und ist Ausdruck beschleunigter Progression. Die Hautsymptomatik entwickelt sich gleichfalls meist regelhaft (. Tab. 9.11): zu Beginn Flecken (»Patch«Phase), später Plaques und schließlich Knoten (Plaque-/ Tumorphasen). Kriterien der Progredienz sind sowohl die Zunahme der Infiltration der Hautherde (die sich im vorherrschenden Läsionstyp ausdrückt) als auch die Ausdehnung (% Körperoberfläche). Die Fleckphase ist das Stadium, in dem die meisten Patienten vorstellig werden, und in dem 80% zeitlebens verbleiben (!).
437 9.15 · Lymphome
9
. Tab. 9.10. TNM-Stadieneinteilung von Mycosis fungoides und Sézary-Syndrom Kategorie
Definition
T: Haut T0
Klinisch und/oder histologisch auf MF verdächtige Veränderungen
T1
Flecken, Plaques <10% Körperoberfläche
T2
Flecken, Plaques >10% Körperoberfläche
T3
Tumoren (einer oder mehrere)
T4
Erythrodermie
N: Lymphknoten N0
Lymphknoten nicht palpabel
N1
Palpable Lymphknoten; histologisch unbefallen
N2
Palpable Lymphknoten; histologisch befallen, Architektur erhalten
N3
Palpable Lymphknoten; histologisch befallen, Architektur beeinträchtigt
M: Viszerale Organe M0
Keine Beteiligung
M1
Viszerale Beteiligung histologisch gesichert
B: Peripheres Blut B0
Keine oder <5% zirkulierende atypische Lymphozyten
B1
>5% atypische Lymphozyten
B2
>1000/μl Sézary-Zellen
. Tab. 9.11. Klinische Stadieneinteilung von Mycosis fungoides und Sézary-Syndrom Stadium
T
N
M
B
IA
1
0
0
0/1
IB
2
0
0
0/1
IIA
1/2
1/2
0
0/1
IIB
3
0–2
0
0/1
III
4
0–2
0
0/1
IVA
1–4
2–3
0
0–2
IVB
1–4
0–3
1
0–2
Symptomatik. Die frühen Hautläsionen der MF sind
meist unscheinbar: einzelne/mehrere/zahlreiche wechselnd große, regellos, vorwiegend an bedeckten Körperregionen (Rumpf) disseminierte, scharf und polyzyklisch/unregelmäßig begrenzte, zart gelb-rötlich-braune Flecken, die gering schuppen und subjektiv symptom-
. Abb. 9.74. Mycosis fungoides. Plaque-Stadium. Multiple rundliche, teils konfluierende und überlappende Flecken und Plaques verschiedener Farbe und Größe (»jeder Herd hat seinen eigenen Charakter«)
los sind. Für diese Frühformen wurden, bevor ihre wahre Natur erkannt wurde, je nach individueller Eigenart zahlreiche Krankheitsentitäten postuliert (z. B. »Parapsoriasis en plaques«). Die Herde verhalten sich in der Regel statisch: sie bleiben am selben Ort, werden durch die sommerliche Bräune überdeckt und treten winters wieder hervor, manche bilden sich partiell/ gänzlich zurück, andere entstehen neu. Bei ca. 20% der Betroffenen schreiten die Herde nach Jahren fort: sie werden poikilodermisch (Teleangiektasien, retikuläre Hyperpigmentierung), leicht atroph, nehmen an Zahl und Größe zu und wandeln sich in tastbare, plattenartige Infiltrate um (Plaquestadium); manche werden erosiv-nässend, in Ausnahmefällen bullös. Sie sind auffallend »individuell« ausgeprägt – keine Läsion ist der anderen ganz gleich (. Abb. 9.74). Schließlich treten in einzelnen Plaques (später auch de novo) die für das Tumorstadium typischen weichen, hautfarben/roten, halbkugeligen und bald nekrotisch zerfallenden Knoten auf (»Tomatentumoren«, . Abb. 9.75, . Abb. 9.76). Prädilektionsstelle: Gesicht (Facies leonina). In den Spätphasen kann sich ein quälender, manchmal universeller Juckreiz einstellen (Infiltration der Hautnerven, resistent gegen Anti-
438
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
. Abb. 9.75. Mycosis fungoides. Multiple knotige Infiltrate (»Tomatentumoren«)
. Abb. 9.77. Sézary-Zelle (Erläuterungen s. Text)
branfaltungen (»zerebriforme« Kerne, Sézary-Zellen; . Abb. 9.77). Im Tumorstadium knotige Ansammlungen teils größerzelliger Lymphozyten. Immunphänotyp: α, β; CD3+, CD4+, CD8–. Je fortgeschrittener die Läsionen, desto höher wird der Anteil monoklonaler Zellen (TCR-β-Gen-Rearrangement von 50– 90%). Im Spätstadium kann sich der Phänotyp der Tumorzellen ändern: »switch« vom TH1- zum TH2Phänotyp; Transformation in ein diffuses großzelliges Lymphom (CD30+/–) – ein Zeichen schlechter Prognose.
9
Differenzialdiagnose der Hautläsionen. Frühstadium: . Abb. 9.76. Mycosis fungoides. Nekrotisch ulzerierte Tumoren
Psoriasis vulgaris, Pityriasis rosea, nummuläres, atopisches und Exsikkationsekzem u. a. Tumorstadium: andere NHL, Pseudolymphome (s. u.). Diagnostik. Labor: In Frühphasen unauffällig; in Spät-
N-Stadium (Lymphadenopathie, Splenomegalie) und im M-Stadium ein: Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Kräfteverfall. Organbefall betrifft vornehmlich ZNS, Leber, Lungen, Knochenmark; Sekundärsymptome sind häufig, z. B. Dyspnoe bei vergrößerten Halslymphknoten.
phasen oft periphere Lymphozytose, Zeichen der Immunaktivierung (IL 2-Rezeptor↑ u. a.), Eosinophilie, IgE-Spiegel↑ und organspezifische Befunde, z. B. Erhöhung der Lebertransaminasen. Die Diagnose erfolgt klinisch und wird histologisch bestätigt. Im Fleckstadium sind keine StagingUntersuchungen erforderlich, ab dem Plaquestadium erfolgt der Ausschluss von Organbefall durch entsprechende Imagingverfahren und Knochenmarkpunktion.
Histologie. Anfangs schüttere bandartige Infiltrate kleinzelliger Lymphozyten in der oberen Dermis, Epidermotropismus (Lymphozyten dringen in die Epidermis ein). Später wird das bandartige Infiltrat dicht, die Lymphozyten mittelgroß; intraepidermal fokal Lymphozyten-Nester(Pautrier-Mikroabszesse).Ultrastrukturell zeigen die Zellen oft ausgeprägte Kernmem-
Therapie. Im Fleckstadium zuwartend; KortikosteroidSalben, Phototherapie (Sonne, UV-B, PUVA). In fortgeschrittenen Stadien Lokaltherapie mit Stickstoff-Lost (USA), Retinoide mit IFN-α, Bexaroten, Radiotherapie (z. B. Ganzkörper-Bestrahlung mit schnellen Elektronen), Chemotherapie (z. B. MTX, Polychemotherapie z. B. CHOP).
pruriginosa!), zusätzlich oft massive Schmerzen durch Nekrosen und Ulzera. Organbeteiligung. Systemzeichen treten erst ab dem
439 9.15 · Lymphome
9
Prognose. Im Fleckstadium entspricht die Prognose
der von gleichaltrigen »Gesunden«. Bei Progression wird sie kontinuierlich schlechter: die durchschnittliche 5-Jahres-Überlebensrate (alle Stadien kumulativ) ist knapp 90%, bei Lymphknotenbefall 20%. Die häufigsten Todesursachen sind Infektionen (60%) und Befall innerer Organe (20%). Varianten der MF Erythrodermische MF. Die Maximalvariante der Haut-
symptomatik, sie führt schnell zur Dissemination, die Prognose ist schlecht. Differenzialdiagnose: SézarySyndrom. a
Pagetoide Retikulose (Woringer-Kolopp). Die Minimal-
variante, sehr selten (<1% der kutanen NHL). Symptomatik: meist solitäre, erythematös-schuppende Läsionen vorwiegend akral. Histologie: Ausgeprägter Epidermotropismus – »pagetoide« Durchsetzung der Epidermis. Sehr gute Prognose (5-Jahres-Überlebensrate 100%). Hypopigmentierte MF. Selten, bei Kindern und Dun-
kelhäutigen. Follikulotrope MF. Eine seltenere Variante, die durch
Betonung des neoplastischen Infiltrats um die Haarfollikel (manchmal auch die Schweißdrüsen) gekennzeichnet ist. Häufiges Begleitsymptom: muzinöse Degeneration der Haarfollikel (»symptomatische Mucinosis follicularis«), → Haarausfall (Alopecia mucinosa). Granulomatous slack skin (Synonym Kutanes elasto-
lytisches Lymphom). Ein sehr seltenes, der MF verwandtes T-Zell-Lymphom, das durch Affinität zu und Zerstörung der elastischen Fasern gekennzeichnet ist. Symptomatik: Erythematöse Plaques in Leisten und Axillen, die sich in Cutis laxa-ähnliche schlaffe Hautfalten umwandeln; später Generalisation. Histologie: Granulome mit Riesenzellen, Phagozytose elastischer Fasern.
b . Abb. 9.78a, b. Sézary-Syndrom. a Frühstadium. Noch vor der Rötung kann eine milde Infiltration der Haut eintreten, erkennbar an der Fältelung im Achselbereich (wo die Haut normalerweise nie gefältelt ist). b Kupferbraune Erythrodermie, Infiltration der Haut
und Ödemneigung; begleitend oft massive ekzemähnliche hyperkeratotische Schuppung von Handtellern/ Fußsohlen, Haar- und Nagelveränderungen (oft schwere Onychodystrophie). Starker Juckreiz! Histologie: Wie bei MF.
Sézary-Syndrom Definition, Epidemiologie. Ein eher seltenes (ca. 4%),
aggressives CTCL – die »leukämische Form« der MF. Ein sehr typisches Krankheitsbild, das sich jedoch meist langsam entwickelt und erst spät erkannt wird.
Differenzialdiagnose. Andere Erythrodermien (Atopische Dermatitis, Psoriasis, Exsikkose, »Alterserythrodermie«), Handekzem mit Streuung. Diagnostik. Labor. Monoklonale Lymphozytose (10–
Symptomatik. Initialsymptom ist eine zarte, subjektiv
oft symptomlose Erythrodermie mit geringer Infiltration der Haut. Nach Monaten Übergang in eine chronische livid/rötlich braune Erythrodermie (»homme rouge«) mit diffuser Infiltration der Haut (verdickte Hautfalten!), generalisierter Lymphknotenschwellung
30 000/mm3), Vermehrung der T-Helfer-Zellen (CD4: CD8-Ratio 5–10:1). Sézary-Zellen (s. o.) im Blut. Bildgebende Verfahren (Nachweis Lymphadenopathie, Ausschluß Organbefall), Lymphknotenbiopsie, Sézary-Zellen im buffy coat (EM), Knochenmarkspunktion.
440
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
Prognose. Schlechter als MF (5-Jahres-Überlebensrate
ca. 25%). Therapie. Photochemotherapie (nicht immer wirksam), evtl. IFN-α, Chlorambucil oder Methotrexat, extrakorporale Photopherese, Denileukin-Diftitox, Polychemotherapie.
Gruppe der CD30+-lymphoproliferativen Krankheiten Diese zweitgrößte Gruppe von CTCL ist durch die Expression von CD30 gekennzeichnet: ein Membranprotein der TNF-α-Rezeptor-Superfamilie, ein Aktivitätsmarker von T- und B-Lymphozyten sowie Tumormarker der Reed-Sternberg-Zellen, der großzelligen anaplastischen Lymphome und mancher solider Tumoren. Die beiden Vertreter dieser Gruppe (s. u.) umfassen jeweils ca. 10% der CTCL, haben eine relativ gute Prognose, zeigen überlappende Merkmale und werden als Pole eines Kontinuums aufgefasst.
9
! CD30 ist ein Marker, aber kein prognostisches Kriterium. CD30+-Lymphome treten in der Haut außer bei den hier besprochenen indolenten Entitäten auch bei der MF mit großzelliger Transformation (s. o.) und bei Dissemination primär nodaler anaplastischer großzelliger Lymphome auf (viel schlechtere Prognose!).
Primär kutanes, anaplastisches, großzelliges T-Zell-Lymphom Ein CTCL des Erwachsenenalters, häufiger bei Frauen (2:1). Symptomatik: Solitäre, selten multiple Knoten/ Papeln mit Tendenz zu Exulzeration, Spontanregression und Rezidiv in loco. Dissemination selten (ca. 10%). Histologie: Ein nicht-epidermotropes mitosereiches Infiltrat aus großen, anaplastischen (dedifferenzierten) T-Zellen mit großen, unregelmäßigen Kernen (manchmal pleomorph oder Reed-Sternberg-ähnlich). Die Zellen sind CD3+, CD4+, CD8– und CD30+. Eine t(2;5)Translokation fehlt (im Gegensatz zu den systemischen anaplastischen CD30+-Lymphomen bei Kindern). Therapie: Radiotherapie mit oder ohne vorhergehende Exzision, bei generalisiertem Haut- oder Lymphknotenbefall Chemotherapie. Prognose: 5-Jahres-Überlebensrate (Fälle ohne Lymphknotenbefall) bei knapp 90%. Lymphomatoide Papulose (LyP) Definition, Epidemiologie. Eine »klassische« chronischentzündliche Hautkrankheit, die früher als Pseudolymphom galt und heute als niedrig-malignes Lymphom aufgefasst wird. Sie nimmt einen protrahierten Verlauf mit spontaner Rückbildung. Bei bis 20% entwickeln sich nach Jahren andere Lymphome (MF, Morbus Hodgkin, immu-
noblastisches oder großzelliges anaplastisches Lymphom). Betroffen sind vorwiegend Personen in der Lebensmitte. Symptomatik. LyP ist eine exanthematische Dermatose, die durch subjektiv symptomlose, rotbraune, papulös/ knotige, hämorrhagisch verkrustete, manchmal nekrotische Läsionen gekennzeichnet ist. Diese treten vorwiegend an Rumpf und Extremitäten auf, zu mehrt oder (bis sehr) zahlreich, und heilen nach Wochen/Monaten mit atrophen (»varioliformen«) Narben ab; gleichzeitig Auftreten neuer Herde – stets bestehen gleichzeitig Läsionen in verschiedenen Entwicklungsstadien. Gesamtdauer der Krankheit: Monate bis Jahrzehnte. Differenzialdiagnose. Pityriasis lichenoides (chronica
und acuta), Artefakte. Histologie. Dichte, scharf begrenzte T-Helfer-Zell-
Infiltrate mit atypischen, monozytoiden (Reed-Sternberg-Zellen ähnlichen) Lymphozyten. Letztere exprimieren das CD30+-Antigen. Man unterscheidet 3 Varianten: eine »histiozytische« (Typ A), eine »MF-ähnliche« (Typ B) und eine dem anaplastischen, großzelligen Lymphom ähnliche Variante (Typ C) – klinisch sind die Typen ununterscheidbar. Therapie und Prognose. Bei mildem Verlauf Zuwarten, Exzision größerer Herde. Sonst: Photochemotherapie, Methotrexat und IFN-α. 5-Jahres-Überlebensrate 100%.
Subkutanes Pannikulitis-ähnliches T-ZellLymphom Definition, Epidemiologie. Ein selteneres (< 1% der CTCL), eher aggressives Lymphom, meist bei Erwachsenen. Symptomatik. Solitäre oder multiple gerötete subku-
tane Plaques oder Knoten, meist an den Extremitäten. Keine Exulzeration. Häufig mit Systemzeichen assoziiert. Differenzialdiagnose: Erythema nodosum, LEPanniculitis. Histologie. Dichtes noduläres oder diffuses Infiltrat der Subkutis aus kleinen/mittelgroßen pleomorphen Zellen, Dermis und Epidermis sind frei. Gelegentlich so genannte Hämophagozytose (phagozytierte Erythrozyten in großen CD68+-Makrophagen) – schlechtere Prognose! Immunphänotyp: meist T-Supressor Zellen (CD8+). CD56 (NK-Zell-Marker) negativ! Therapie. Systemische Kortikosteroide, Radiotherapie,
Chemotherapie. Prognose mittelgut: 5-Jahres-Überlebensrate 70–80%.
441 9.15 · Lymphome
9
3Seltene, aggressive Formen von CTCL Extranodales NK/T-Zell-Lymphom, nasaler Typ. Ein in Europa und den USA sehr seltenes, in Asien und Südamerika häufigeres, hoch aggressives NHL, das (in nasaler Lokalisation) mit dem Epstein-Barr-Virus assoziiert ist. Symptomatik: Umschriebene oder generalisierte exulzerierte Plaques/Knoten. Eine typische Lokalisation ist die Gesichtsmitte (früher »lethal midline granuloma«). Histologie: Monomorphes Infiltrat mittelgroßer, pleomorpher Zellen, oft angiozentrisch und angiodestruktiv (»angiozentrisches Lymphom«); häufig Hämophagozytose. Immunhistochemie: T-Zell-Marker (CD3, CD5) negativ, CD4 und CD56 (NK-Zell-Marker) positiv, T-Zell-Rearrangement negativ. 5-Jahres-Überlebensrate <5%. Weitere hoch aggressive CTCL sind das γ/δ-CTCL und das Epidermotrope CD8+-CTCL. . Abb. 9.79. Großzelliges B-Zell-Lymphom des Beins
9.15.2 Primäre kutane B-Zell-Lymphome
(CBCL) Die CBCL werden entsprechend den verschiedenen Differenzierungsgraden der B-Lymphozyten eingeteilt; ihre klinische Morphologie ist eher monoton. Die weitaus häufigsten CBCL sind die Marginalzonen- und die Keimzentrumslymphome (jeweils ca. 40%); beide sind von indolentem Verlauf. Im Gegensatz zu ihnen sind die großzelligen B-Zell-Lymphome selten und aggressiv. CBCL sind CD20+ und häufig Bcl-2-negativ (im Gegensatz zu nodalen B-Zell-Lymphomen); klonales IgH-Gen-Rearrangement. Sie sind lokaler Therapie meist gut zugänglich (Exzision, Bestrahlung). Marginalzonen-Lymphom Ein niedrig-malignes, dem Immunozytom und den MALTomen (s. o.) verwandtes CBCL; in manchen Fällen sind DNA-Sequenzen von B. burgdorferi nachweisbar. Es tritt meist bei jungen Erwachsenen auf, vorwiegend an Armen und Rumpf. Symptomatik: Rotbraune, nicht exulzerierende Papeln/Knoten, keine Systemzeichen. Histologie: Infiltrate aus atypischen Marginalzonenzellen, Plasmazellen. Immunhistochemie: CD20+, Bcl-2+, negativ für CD5, CD10 und Bcl-6. Leichtkettenrestriktion. Therapie: Antibiotika (B. burgdorferi-positive Fälle), Exzision, Radiotherapie, IFN-α, Rituximab. Prognose: Lokalrezidive häufig, 5-Jahres-Überlebensrate bei 100%. Follikuläres B-Zell-Lymphom (Synonym Keimzentrums-, Zentroblastisch-zentrozytisches Lymphom) Ein niedrig-malignes CBCL; es entspricht morphologisch den Keimzentrum-Zellen des Lymphknotens und exprimiert deren Marker: CD20, CD10, Bcl-6 u. a. Es tritt vorwiegend bei Erwachsenen an Stamm und Skalp/ Stirne auf: hautfarben/rötliche, nicht exulzerierende
Plaques/Knoten. Histologie: Knotige Infiltrate mit follikulärem oder diffusem Muster. Im Gegensatz zu den nodalen follikulären B-Zell-Lymphomen findet sich keine Translokation t (14:18)! Therapie: Wie beim Marginalzonen-Lymphom. Prognose: Günstig; Rezidive in bis 50%, jedoch selten extrakutaner Befall. 5-JahresÜberlebensrate >90%. Großzelliges B-Zell-Lymphom des Beins Ein nicht sehr seltenes (ca. 5%), relativ aggressives CBCL, das fast (! – 80%) ausschließlich an den Beinen betagter Patienten (>70 Jahre, vorwiegend Frauen) auftritt. Symptomatik: Solitäre oder multiple rotbraune Knoten, Exulzeration selten (. Abb. 9.79). Histologie: Dichte Infiltrate großzelliger B-Zellen. Immunhistochemie. CD20+, CD10–, Bcl-6+, Bcl-2+. Therapie: Chemotherapie (z. B. liposomales Doxorubicin, Polychemotherapie), Rituximab, Radiotherapie. Prognose: Rezidive nach Behandlung sind häufig, extrakutane Manifestationen oft erst nach Jahren. 5-Jahres-Überlebensrate ca. 50%. Andere großzellige B-Zell-Lymphome Diese Gruppe umfasst einige sehr seltene Entitäten, überwiegend von aggressivem Verhalten. Hierzu zählen Bcl-2 negative großzellige B-Zell-Lymphome (Ähnlichkeiten mit Keimzentrumslymphom), und das intravaskuläre B-Zell-Lymphom. Letzteres ist klinisch durch generalisierte hämorrhagische Plaques/Knoten und Organbefall (ZNS!) gekennzeichnet (Differenzialdiagnose: Reaktive Angioendotheliomatose, s. o.). 9.15.3 Seltene, wichtige Lymphome
mit Beteiligung der Haut Morbus Hodgkin. Hautläsionen treten bei Morbus Hodgkin in nur <1% auf, meist in späten Stadien: wenig
442
Kapitel 9 · Neoplasien der Haut
charakteristische rotbräunliche Plaques/Knoten. Histologische Differenzialdiagnose: CD30+-lymphoproliferative Krankheiten. Adulte T-Zell-Leukämie/Lymphom. Eine außerhalb
der Endemiegebiete (Karibik, Südjapan u. a.) extrem seltene T-Zell-Leukämie, die mit HTLV-1 assoziiert ist. Die Übertragung erfolgt vertikal (Muttermilch), nur ein kleiner Teil der Infizierten entwickelt die Krankheit. Verlauf: schnell, aggressiv, leukämisch mit Herden an den inneren Organen und der Haut. Eine chronische Form kann Bilder analog der Mycosis fungoides zeigen.
9
Lymphomatoide Granulomatose. Eine EBV-assoziierte angiozentrisch/destruktive lymphoproliferative Krankheit (B-Zellen) mit klinischer Ähnlichkeit zur Wegener-Granulomatose, vorwiegend bei Männern nach der Lebensmitte. Schwerpunkt der Symptome ist die Lunge (Knoten, Kavernen), ferner Nieren und ZNS. Die Haut ist in bis 50% befallen: exulzerierende Plaques und Knoten. Aggressiver Verlauf, 5-Jahres-Überlebensrate 10–40%.
9.15.4 Sekundäre (metastatische)
Lymphome/Leukämien der Haut Sowohl B- als auch T-Zell-Lymphome der Lymphknoten oder der inneren Organe können in die Haut disseminieren; so sind z. B. 10–20% der in der Haut gefundenen B-Zell-Lymphome sekundär. Die resultierenden Hautläsionen sind in der Regel wenig charakteristisch (Papeln/Plaques/Knoten, manchmal exulzerierend). Die Unterscheidung, ob die vorliegende Läsion sekundärer oder primärer Natur ist, erfolgt durch geeignetes Staging und ist von großer Bedeutung, da Prognose und Therapie sehr unterschiedlich ausfallen können. 3Beispiel: Hautmetastasen eines nodalen CD30+ anaplastischen T-Zell-Lymphoms sind klinisch und histologisch kaum von einem primären CD30+ CTCL unterscheidbar, haben jedoch eine viel schlechtere Prognose. Die Therapie primärer Haut-Lymphome kann oft mit örtlichen Maßnahmen erfolgen, bei sekundären ist eine Systemtherapie erforderlich.
Hautläsionen bei Leukämien. Man unterscheidet unspezifische und spezifische Hautveränderungen bei Leukämien: erstere umfassen Krankheitsbilder, die in manchen Fällen mit bestimmten Leukämieformen korreliert sind (. Tab. 9.12). Die letzteren sind »spezifische« Hautinfiltrate durch neoplastische Zellen. Sie sind morphologisch wenig charakteristisch: eher derbe,
. Tab. 9.12. Die wichtigsten »unspezifischen« entzündlichen Dermatosen bei Leukämien Dermatose
Vorwiegend bei
Sweet-Syndrom
verschiedene Leukämien; am häufigsten AML und Haarzell-Leukämie
Pyoderma gangränosum
AML, CML, HaarzellLeukämie
Erythrodermie
CLL
Polyarteritis nodosa
Haarzell-Leukämie
Leukozytoklastische Vaskulitis
Haarzell-Leukämie
Erythema elevatum et diutinum
Haarzell-Leukämie
Erythema nodosum
Alle myeloischen Leukämien
Paraneoplastischer Pemphigus
CLL
Urtikaria
CLL, Haarzell-Leukämie
AML: akute myeloische Leukämie, CML: chronische myeloische Leukämie, CLL: chronische lymphatische Leukämie
rotbraune Papeln, Plaqes oder Knoten, manchmal hämorrhagisch und/oder exulzerierend, vorwiegend an Gesicht (»Facies leonina«) und Rumpf, manchmal an den Akren. Spezifische Hautläsionen finden sich häufiger bei chronischen als bei akuten, und häufiger bei lymphatischen als bei myeloischen Leukämien. Sie können an Stellen traumatischer Schädigung auftreten (Köbner-Effekt). Eine typische Konstellation ist die Gingivahyperplasie auf Basis spezifischer Infiltrate bei akuter myelomonozytärer Leukämie. 9.15.5 Pseudolymphome Unter Pseudolymphomen versteht man gutartige lympho-(histio-)zytäre Proliferationen der Haut, die Lymphome histologisch/klinisch imitieren. Diese ursprünglich umfangreiche Gruppe ist heute durch die definitive anderweitige Zuordnung einiger Vertreter erheblich geschrumpft, z. B. der Lymphomatoiden Papulose zu den niedrig malignen CTCL. Geblieben ist das Problem, dass manche entzündliche Dermatosen mitunter Lymphomen ähnlich sehen (z. B. das aktinische Retikuloid), und dass auch Klonalitätsuntersuchungen die Abgrenzung oft nicht mit Sicherheit erlauben. Ein wichtiges histologisches Kriterium ist das gemischte polymorphe entzündliche Infiltrat mit Eosinophilen bei Pseudolymphomen. Man unterscheidet:
443 9.15 · Lymphome
Follikuläre B-Zell-Pseudolymphome. Diese bilden
Lymphfollikel mit Keimzentren aus. Typischer Vertreter: Lymphadenosis cutis benigna (Synonym Lymphozytom); ein durch B. burgdorferi hervorgerufenes Pseudolymphom (7 Kap. 3). Ob noch andere Ursachen zur Entwicklung dieses Bildes führen können, wird unterschiedlich beurteilt. Nicht-follikuläre B-Zell-Pseudolymphome. Typischer Vertreter: Persistierende Insektenstichreaktion (Stich
9
von Arthropoden oder Zecken, noduläre Skabies). Klinisch oft massige knotige Reaktionen ähnlich der Lymphadenosis cutis benigna, histologisch ein polymorphes, eosinophilenreiches Infiltrat ohne Ausbildung von Keimzentren. Knotiges T-Zell-Pseudolymphom. Eine mehrere Zentimeter große, derbe knotige Läsion, die meist ohne ersichtliche Ursache entsteht. Histologisch ein polymorphes T-Zell-Infiltrat.
10 10 Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten 10.1 Störungen des Pigmentsystems – 446 10.1.1 Hypermelanosen – 446 10.1.2 Hypomelanosen – 450
10.2 Krankheiten des Fettgewebes
– 455
10.2.1 Pannikulitis – 455 10.2.2 Fettgewebsatrophien und -dystrophien – 458
10.3 Krankheiten des Haarapparats
– 458
10.3.1 Effluvien und Alopezien – 458 10.3.2 Strukturdefekte des Haars – 465 10.3.3 Hypertrichosen – 467
10.4 Krankheiten der Talgdrüsen
– 468
10.4.1 Akneiforme Dermatosen – 469 10.4.2 Rosazea und Periorale Dermatitis
– 472
10.5 Krankheiten der Schweißdrüsen
– 474
10.5.1 Ekkrine Schweißdrüsen – 474 10.5.2 Apokrine Schweißdrüsen – 475
10.6 Krankheiten der Nägel 10.6.1 10.6.2 10.6.3 10.6.4 10.6.5
– 476
Läsionen der Nagelplatte – 476 Läsionen der Nagelplatte bei intakter Matrix – 479 Pigmentierungsanomalien der Nagelplatte – 479 Nagelläsionen mit Sitz am Hyponychium (Nagelbett) Nagelveränderungen durch Läsionen benachbarter Strukturen – 480
10.7 Krankheiten der Mundschleimhaut 10.7.1 10.7.2 10.7.3 10.7.4 10.7.5 10.7.6
– 479
– 480
Akut entzündliche Zustände – 481 Chronische Irritationen der Mundschleimhaut – 482 Näviforme und neoplastische Läsionen der Mundschleimhaut – 483 Charakteristische pathologische Veränderungen der Zunge – 483 Pigmentstörungen der Mundschleimhaut – 484 Weitere charakteristische Veränderungen der Mundschleimhaut – 485
10.8 Krankheiten der äußeren Genitalien
– 485
10.8.1 Regionsspezifische Dermatosen des männlichen äußeren Genitales – 486 10.8.2 Häufige charakteristische Läsionen des männlichen Genitales – 489 10.8.3 Regionsspezifische Krankheiten des weiblichen äußeren Genitales – 489 10.8.4 Häufige charakteristische Läsionen des weiblichen Genitales
– 490
446
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
10.1
Störungen des Pigmentsystems
Das Pigmentsystem ist als integraler Teil der Epidermis bei vielen krankhaften Prozessen der Haut mitbetroffen und gestaltet deren klinische Bilder mit. Nur bei wenigen, aber charakteristischen Krankheiten ist das Pigmentsystem alleiniger oder Hauptträger der pathologischen Vorgänge. Diese Krankheiten können auf genetischer Basis, durch fehlerhafte ontogenetische Entwicklung oder als erworbene Schäden entstehen.
10
tionszone, die Repigmentierung depigmentierter Areale (z. B. Narben) ist daher langwierig. 4 Pigmentabtropfung (»Pigmentinkontinenz«): beim Zugrundegehen von Melanozyten tropft Melanin in die Dermis ab, wo es von Makrophagen langfristig gespeichert wird → Melanophagen. Es resultiert eine dermale Pigmentierung von charakteristisch grau-blauer Farbe (Tyndall-Phänomen) (Beispiele: Lichen ruber, Melanome).
Begriffsbestimmung. Störungen des Pigmentsystems
10.1.1 Hypermelanosen
können sich wie folgt manifestieren: 4 als Hypermelanosen (Melaninüberschuss): diese beruhen entweder auf vermehrtem Melaningehalt (z. B. Epheliden) oder auf Vermehrung von Melanozyten (z. B. Lentigo simplex) 4 als Hypomelanosen (Melaninmangel): diese entstehen entweder durch Fehlen von Melanozyten (Melanozytopenie, z. B. Piebaldismus) oder durch Mangel an Melanin bei Vorhandensein funktionsuntüchtiger Melanozyten (Melanopenie, z. B. Albinismus).
Epidermale Melaninhyperpigmentierung manifestiert sich als bräunlich-schwarze Färbung der Haut und kann diffus oder umschrieben sein. Dermale Hyperpigmentierung ist grau-bläulich und tritt in der Regel umschrieben auf. Epidermale und dermale Hyperpigmentierung sind oft mit einander assoziiert, dermale als isolierter Befund jedoch selten. Beide Typen der Melaninpigmentierung müssen von der Einlagerung anderer Pigmente unterschieden werden.
Depigmentierung bedeutet den völligen Mangel, Hypopigmentierung eine Verminderung an Melanin. Reaktionsweisen des Pigmentsystems. Zu Aufbau und Funktion des Pigmentsystems 7 Kap. 2. Zum Verständnis der pathophysiologischen Reaktionen sind folgende Eigenschaften des Pigmentsystems wichtig: 4 Stimulierbarkeit: Melanozyten werden durch verschiedene Noxen (UV-Licht, Entzündung, Hormone, chronische Wärmeexposition, Reibetrauma) zur Steigerung von Melaninproduktion und -transfer, Dendritogenese und Mitosetätigkeit stimuliert. 4 »Gedächtnis«: Viele erworbene Hyperpigmentierungen kehren, auch nach mittlerweile vollständiger Abblassung, nach UV-Exposition wieder zurück (Epheliden, Berloque-Dermatitis). 4 Empfindlichkeit: Melanozyten können durch physikalische (Kälte, Röntgenstrahlen), toxische (z. B. verschiedene organische Verbindungen, bakterielle Toxine) und entzündliche Reize leicht zerstört werden. Beispiele: Depigmentierung nach (intensiver) Kryotherapie, Kontakt mit Vinylchlorid, nach Herpes zoster. 4 Transferfunktion: Melanozyten bringen die Melanosomen in die Keratinozyten. Bei Entzündungen resultieren häufig Störungen des Pigmenttransfers (Hypopigmentierung z. B. bei Psoriasis, Neurodermitis). 4 Langsame Migration: Melanozyten wandern nur sehr langsam entlang der dermoepidermalen Junk-
Diffuse Hypermelanosen Zahlreiche hormonelle und metabolische Krankheiten können mit einer diffusen Hyperpigmentierung assoziiert sein (. Tab. 10.1). Umschriebene epidermale Hypermelanosen Epheliden (Sommersprossen) Definition, Symptomatik. Erworbene, multiple, kleine, runde, scharf begrenzte, disseminierte bräunliche Pigmentflecken an den lichtexponierten Körperstellen, die bei hellhäutigen (rothaarigen) Kindern nach Sonnenbrand auftreten (. Abb. 10.1). Ätiologie. Bei hellen Hauttypen führt UV-Strahlung zur Freisetzung von Sauerstoffradikalen aus Phäomelanin, die zur langfristigen Aktivierung der Melanozyten führen. Epheliden sind permanente Läsionen, blassen jedoch winters stark ab und treten bei neuerlicher Sonneneinstrahlung wieder hervor. Epheliden treten auch als Teilsymptom von Fehlbildungssyndromen auf (Neurofibromatose, Progerie-Syndrome, Xeroderma pigmentosum). Histologie: Vermehrung von Melanin bei normaler Melanozytenzahl.
»Schleimhautmelanosen« Braun-schwarze, scharf begrenzte, oft unregelmäßig konturierte, meist nicht mehr als 1 cm große Flecken (einzeln, selten zahlreich), an Lippen und Vestibulum oris, bzw. am äußeren männlichen oder weiblichen Ge-
447 10.1 · Störungen des Pigmentsystems
10
. Abb. 10.1. Epheliden (Sommersprossen). Punktierte runde Pigmentläsionen an lichtexponierten Stellen bei Kindern mit lichtempfindlichem Hauttyp
. Abb. 10.2. Lentiginosis profusa
nitale (s. u.). Trotz ihres beunruhigenden Aussehens (Differenzialdiagnose: Lentigo maligna, Schleimhautmelanom) handelt es sich nur um eine Hyperpigmentierung der Basalschicht unklarer Ursache; histologischer Ausschluss eines Melanoms ist jedoch angezeigt.
runde, scharf begrenzte, homogen braune Läsionen, etwas größer als Epheliden (0,5–1 cm) und dunkler. Sie entstehen in der Kindheit, unabhängig von UV-Exposition, und sind unveränderlich. Man unterscheidet: 4 Lentigo simplex. Eine meist solitäre Läsion, keine Prädilektionsstellen. 4 Multiple Lentigines. Diese sind oft generalisiert (Lentiginosis profusa, . Abb. 10.2), und dann manchmal Teilsymptom bestimmter Fehlbildungssyndrome (Peutz-Jeghers-Syndrom – 7 Kap. 8.6.2, Cronkhite-Canada-, Leopard-, LAMB-Syndrom – s. weiterführende Literatur).
Lentigines (Linsenflecke) Definition, Symptomatik. Lentigines sind – mit Ausnahme der Lentigines seniles (s. u.) – Hamartome, die auf Vermehrung von Melanozyten in der Basalschicht beruhen (keine Naevuszellnester!). Klinisch sind sie . Tab. 10.1. Ursachen diffuser Hyperpigmentierungen Krankheit (Beispiele) Melanin, epidermal
4 Ethnisch bzw. dispositionell 4 Hormonell (Morbus Addison, ACTH-Therapie, ACTH-produzierender Tumor, Morbus Cushing, Hyperthyreose) 4 Leberkrankheiten (Zirrhose, POEMS-Syndrom) 4 Metabolische Störungen (Marasmus, Vit.-B-Mangel, Folsäuremangel, Porphyrien, AIDS, Hämochromatose) 4 Paraneoplasie 4 Dermatosen (Sézary-Syndrom, chronische aktinische Dermatitis, Sklerodermie) 4 Medikamente (Cyclophosphamid, MTX, 5-FU, Clofazimin)
Melanin, dermal
4 Marasmus 4 Einzelzellmetastasierung bei Melanom
Pigmentierung durch andere Pigmente
4 4 4 4 4 4
Ochronose Argyrose (Silber) Chrysiasis (Gold) Wismuth Arsen Medikamente (Tetrazykline, Amiodaron)
448
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
. Abb. 10.3. Senile Lentigines. Multiple, kreisrunde, mittelbraune, runde Flecken. Sie finden sich ausschließlich in sonnenexponierten Arealen
10
. Abb. 10.4. Becker-Nävus. Eine großflächige pigmentierte, flache nävoide Läsion mit dunklen und hypertrophen Haaren
4 Lentigines seniles (Lentigines solares, »Altersflecken«, . Abb. 10.3): die bei weitem häufigste Form, ein Teilsymptom der UV-Alterung. Sie sind erworben, auf lichtexponierte Areale beschränkt (Gesicht, Handrücken) und mit flachen seborrhoischen Warzen eng verwandt. Differenzialdiagnose. Epheliden, Junktionsnävi.
Weitere umschriebene Hypermelanosen Café-au-lait-Flecken. Größerflächige hamartomatöse
Pigmentflecken: ein Leitsymptom der Neurofibromatose I (7 Kap. 8) und anderer hereditärer Syndrome (McCune-Albright). Becker-Nävus. (7 Kap. 9, . Abb. 10.4). Familiäre Hyperpigmentierung der Augenlider. Dies
ist ein seltenes, autosomal-dominant vererbtes Zustandsbild, das durch persistente »halonierte« Augen gekennzeichnet ist. Histologie: epidermale und dermale Pigmentierung. Naevus spilus. Ein relativ häufiger fleckförmiger (nicht tastbarer!) kongenitaler Nävus (. Abb. 10.5), der einem Café-au-lait-Fleck ähnelt, jedoch durch zusätzliche Einstreuung von Spindelzellnävi gesprenkelt erscheint. Naevi spili sind somit ein Läsionstyp, in dem sich nävogene Pigmentläsionen mit und ohne Ausbildung von
. Abb. 10.5. Naevus spilus. Ein großflächiger, scharf begrenzter hellbrauner Fleck mit zahlreichen kleineren und größeren Sprenkeln (Spitz-Nävi)
Nävuszellnestern überschneiden. Sehr selten Ausgangspunkt von Melanomen. Postinflammatorische Hyperpigmentierung. Zahlreiche entzündliche Dermatosen werden von oft Monate dauernder Hyperpigmentierung gefolgt; die Neigung hierzu ist bei dunklen Hauttypen größer und wird durch UV-Exposition gefördert. Beispiele:
449 10.1 · Störungen des Pigmentsystems
(Kontakt)Ekzeme, toxische Exantheme, physikochemische Traumen (Röntgenbestrahlung, chronisches Druck-, Reibetrauma). Umschriebene gemischt epidermal-dermale Hypermelanosen ! Der Übergang zwischen epidermaler und dermaler Hypermelanose ist fließend, da es bei entzündlichen Dermatosen stets, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, zur Pigmentabtropfung kommt. Die Neigung zur Pigmentinkontinenz ist ethnisch verschieden (höher bei ostasiatischer oder lateinamerikanischer Herkunft).
Melasma (früher: Chloasma uterinum). Eine häufige großfleckige, meist symmetrische Eruption von scharf, oft bizarr begrenzten Pigmentflecken im Gesicht (Schläfen, Stirn, Wangen). Epidermale Melasmen sind dunkelbraun; je mehr dermales Melanin vorhanden ist, umso grauer ist die Farbe. Das Melasma ist eine Hormon- und UV-Licht-abhängige Läsion hauptsächlich bei jungen Frauen (selten Männern) und häufige Begleiterscheinung von Schwangerschaft, Einnahme oraler Kontrazeptiva, selten hormonproduzierender Tumoren (Ovarialkarzinom). Postpartal bilden sich Melasmen meist spontan zurück, können jedoch auch Jahre persistieren und bei Sonnenbestrahlung hervortreten. Differenzialdiagnose: Berloquedermatitis (7 Kap. 3.1.7). Therapie: Bleichsalbe (beim dermalen Typ allerdings kaum wirksam), UV-Schutz. Melanodermitis toxica (Synonym Riehl-Melanose, Teermelanose). Eine fleckige grau-braune, der Berloquedermatitis analoge Hyperpigmentation des Gesichts oder – berufsbedingt (z. B. Teerarbeiter) – an Händen und Unterarmen aufgrund einer chronischen phototoxischen Reaktion auf Teer, Pech, Öle, Ruß, Kohlenwasserstoffe, aber auch Inhaltstoffe von Kosmetika. Die Riehl-Melanose wird heute kaum mehr beobachtet, nicht selten sind jedoch durch Kosmetika (Parfums) bedingte fleckige Hyperpigmentationen der Gesichtshaut.
scharf begrenzte, graublaue Flecken der Lumbosakralregion Neugeborener, die sich in den ersten Lebensmonaten (-jahren) spontan zurückbilden (. Abb. 10.6). Varianten: aberrierende (z. B. Gesicht oder Extremitäten) und persistierende Mongolenflecke. Histologie: spindelförmige/dendritische Melanozyten in der mittleren/tiefen Dermis. Naevus Ota (okulodermale Melanozytose). Eine »nae-
voide«, persistierende, meist schiefergraue (manchmal mit Braun-, Rot- oder Schwarztönen) flächige und fleckige Verfärbung der Haut im Bereich der beiden ersten Trigeminusäste, der Sklera und der inneren Augenanteile (. Abb. 10.7). Vorkommen: vorwiegend Ostasiaten, meist einseitig, gynäkotrop. Auftreten meist schon bei Geburt oder in der Kindheit. Erfolgreiche Lasertherapie wurde berichtet. Der Naevus Ito ist eine Variante des Naevus Ota in der Schulter- und seitlichen Armregion. Dermale postinflammatorische Hyperpigmentierung Diese kann nach verschiedenen entzündlichen Hautkrankheiten entstehen (Lichen ruber, fixes Arzneimittelexanthem, Infektionen – z. B. Pinta, Verbrennungen u. a.). Dunkler Hauttyp und ostasiatische bzw. lateinamerikanische Herkunft sind prädisponierende Faktoren. Eine Sonderform ist das Erythema dyschromicum perstans (»ashy dermatosis«), eine in Lateinamerika verbreitete Variante des Lichen ruber, die durch gruppierte kleine, konfluierende, unscharf begrenzte aschgraue Herde vorwiegend am Stamm ansonsten ge-
Umschriebene dermale Hypermelanosen Dermale Melaninpigmentierung wird entweder durch dermale Melanozyten oder durch dermale Melanophagen nach Entzündungen der Epidermis (Pigmentinkontinenz) verursacht. Dermale Melanozytosen. Mongolenfleck (kongenitale
dermale Melanozytose). Vorkommen häufig bei Ostasiaten, sporadisch bei Weißen (Osteuropa). Genese: Verzögerung der normalen Besiedlung der Epidermis durch Melanozyten. Symptomatik: ein oder mehrere, mäßig
10
. Abb. 10.6. Mongolenfleck. Unscharf begrenzte, graublaue Flecken der Sakralregion
450
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
. Abb. 10.8. Incontinentia pigmenti, vesikulöses Stadium. Streifige Erytheme und Blasen am Oberschenkel eines neugeborenen Mädchens
Entzündung zerstört (Frühstadium) und später durch nichtmutierte Zellen ersetzt.
10
. Abb. 10.7. Naevus Ota. Eine flächige und fleckige schiefergraue Verfärbung der linken Periorbitalregion, Oberlider und Skleren (Prof. T. Nishikawa, Tokyo)
sunder Menschen gekennzeichnet ist. Der Pigmentierung geht ein mildes entzündliches Stadium voraus, das histologisch dem Lichen ruber gleicht. Dermale Pigmentierung findet sich ferner bei der makulären Amyloidose und als Nebenwirkung von Medikamenten (Phenothiazin, Tetrazykline, Minozyklin, Amiodaron). Incontinentia pigmenti (Synonym Bloch-SulzbergerSyndrom) Definition. Eine seltene X-chromosomale Systemkrankheit, die bei heterozygoten Mädchen durch charakteristische Hautveränderungen in Mosaikform, physischen und geistigen Entwicklungsrückstand, neurologische Symptome und Fehlbildungen gekennzeichnet ist.
Symptomatik. Die Hautläsionen verlaufen streifig ent-
lang der Blaschko-Linien. Im vesikulösen Stadium (. Abb. 10.8) (erste Lebenswochen) finden sich v. a. am seitlichen Rumpf und den proximalen Extremitäten disseminierte, lineare Erytheme und Bläschen, die sich innerhalb einiger Wochen in papillomatöse, hypertrophe Läsionen umwandeln (verruköses Stadium). Anschließend das pigmentierte Stadium mit striären, wirbelartigen, schmutzig- bis schiefergrauen Pigmentierungen (»Marmorkuchen«). Diese bleiben einige Jahre bestehen und klingen langsam ab, manchmal mit Atrophie. Assoziierte Symptome: Skelett-, Zahn- und Nagelanomalien, Ataxie, Epilepsie u. a. Differenzialdiagnose. Bullöse Dermatosen, lineare
epidermale Nävi. Therapie. Symptomatisch.
10.1.2 Hypomelanosen
Epidemiologie. Incontinentia pigmenti ist bei Homo-
zygotie (also auch bei betroffenen Knaben) ein Letalfaktor. Ihre Inzidenz beträgt 1:10 000 heterozygote Mädchen. Ätiologie, Pathogenese. Mutationen im NEMO-Gen (»NF-κB essential modulator«) stören die Aktivierung von NFκB, der vor TNF-α-induzierter Apoptose schützt. Mutierte Zellen sind daher sehr empfindlich gegenüber proapoptotischen Signalen, werden durch
Mangel an Melaninpigment kann angeboren oder erworben sein, in beiden Fällen diffus (gesamte Haut) oder umschrieben, partiell (Hypo-) oder total (Depigmentierung). Diffuse Hypomelanosen Diffuse Hypomelanosen sind überwiegend genetisch bedingt. Hierzu zählen zunächst die bei Weißen »normale« ethnische Pigmentarmut (Hauttyp I/II), zudem
451 10.1 · Störungen des Pigmentsystems
10
erbliche Defekte der Melaninproduktion (Albinismus) und erbliche Stoffwechselkrankheiten mit sekundären Auswirkungen auf das Pigmentsystem (z. B. Phenylketonurie, Menkes-Syndrom). Erworbene diffuse Hypomelanosen sind selten: die universelle Vitiligo, ferner Hypomelanosen als Begleitsymptom von Hormonstörungen (Hypopituitarismus, Hypogonadismus) und von schweren Ernährungsstörungen und Systemkrankheiten (Malabsorptionssyndrom, Nephrose). Nur der Albinismus Typ IA und die universelle Vitiligo zeigen vollständigen Pigmentverlust, alle anderen nur einen partiellen (Hypomelanose). Okulokutaner Albinismus (OCA) Definition. Eine Gruppe autosomal-rezessiver Erbleiden, bei denen die Melanozyten zwar in normaler Zahl vorhanden, aber nicht zur Synthese reifer Melanosomen befähigt sind. Leitsymptom ist die universelle Verminderung oder das Fehlen von Melanin in Haut, Haar und Augen, letzteres assoziiert mit Nystagmus, Photophobie und Sehschwäche. Bei den 4 Formen des Albinismus im engeren Sinn sind die Betroffenen außer der Anomalie der Melaninsynthese und den Folgen des Melaninmangels (z. B. Karzinogenese) gesund. Traditionell werden dem Albinismus auch 3 weitere seltene und aspektmäßig ähnliche Erbkrankheiten zugerechnet, bei denen der Defekt der Melanogenese Ausdruck einer übergeordneten Stoffwechselstörung ist (s. u.). Eine verwandte Entität ist ferner der X-rezessive okuläre Albinismus, der die Augen, nicht aber die Haut betrifft. Epidemiologie. Albinismus kommt weltweit und gleich
häufig bei beiden Geschlechtern vor, die kumulative
. Abb. 10.9. Okulokutaner Albinismus I A. Weiße Haut, weißblonde Haare, wässrig-blaue Iris, rot durchschimmernde Pupillen
Prävalenz ist 1:20 000. Die häufigsten Typen sind OCA II und OCA I (1.18.000 bzw. 1:40 000), die seltenen Formen zeigen ethnische Prädilektionen (OCA III: Afrikaner, OCA IV: Japaner). Patienten mit OCA I sind meistens Compound-heterozygot. Ätiologie und Klassifikation. Die Gendefekte der 4 Formen des Albinismus liegen an verschiedenen Punkten der Synthese reifer Melanosomen (. Tab. 10.2). Symptomatik. OCA IA ist der Maximaltyp des Albinis-
mus mit komplettem Mangel an Melanin (. Abb. 10.9). Haut und Haare sind bei Geburt völlig weiß und bleiben dies weiterhin. Es besteht keine Fähigkeit zur Son-
. Tab. 10.2. Okulokutaner Albinismus (OCA) Typ
Gen/Protein
Prävalenz
Symptomatik
OCA IA OCA IB
Tyrosinase, Nullmutation Tyrosinase, Aktivität reduziert
1:40 000, Carrier 1:100 ?, gehäuft bei Afrikanern
Völliges Fehlen von Melanin Gelbliches bis blondes Haar (»yellow mutant«) Progrediente Pigmentierung der Haut Sonnenbräunung möglich Untertypen: »temperature sensitive«, »minimal pigment«
OCA II
P-Gen (kodiert ein transmembranöses Protein von Melanosomen)
1:18 000 (bei Afrikanern 1:1000)
Ähnlich OCA IB
OCA III
TYRP1 (tyrosinase-related protein1), Oxidase in späteren Schritten der Melanogenese
Sehr selten?, Vorkommen bei Afrikanern
Ähnlich OCA IB, weniger schwer, »Roter« Albinismus
OCA IV
MATP (membrane associated transporter protein), Funktion in Melanogenese nicht bekannt
25% des Albinismus in Japan, sonst sehr selten
Ähnlich OCA IB
452
10
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
nenbräunung, hingegen eine starke UV-Empfindlichkeit, die die Gefahr von Sonnenbränden, Lichtalterung und Tumoren der Haut (in UV-reichen Regionen schon in der Jugend) mit sich bringt (Plattenepithelkarzinom, Melanom). Das Auge ist völlig unpigmentiert, die Iris daher hellblau und die Pupille rot reflektierend. Augensymptomatik: Photophobie, Hypoplasie der Fovea, herabgesetzte Sehstärke, manchmal Strabismus und Refraktionsstörungen. Schwerer Nystagmus und gestörtes räumliches Sehen beruhen auf mangelhafter Anlage des Chiasma opticum (Fehlen ipsilateraler Fasern). OCA IB und alle anderen Formen produzieren in verringertem, wechselndem Ausmaß Melanin, sind einander daher ähnlich und oft nur durch genetische Analysen unterscheidbar. Die Haut ist leicht bis mäßig pigmentiert, dunkelt im Lauf des Lebens nach, es besteht (nicht immer, z. B. OCA II) eine mäßige Fähigkeit zur Sonnenbräunung, die UV-Schäden sind schwächer. Epheliden und Pigmentnävi können sich entwickeln. Ein Afrikaner mit OCA II kann dunkler sein als ein normal pigmentierter Weißer. Die Haare sind weiß-gelb und können im Lauf der Jahre goldblond werden. Die Iris ist in wechselndem Maß pigmentiert, die übrigen Augensymptome sind milder, aber analog denen bei OCA IA. Bei OCA IB werden einige Untertypen unterschieden, z. B. OCA IB-MP (»minimal pigment«) oder OCA IB-TS (»temperature sensitive«). Bei der letzteren ungewöhnlichen Variante wird die Tyrosinase bei normaler Körpertemperatur inaktiviert, arbeitet bei kühlen Temperaturen jedoch normal, wodurch die Akren pigmentiert sind (Analogie aus dem Tierreich: Siamkatzen).
transfers (Riesenmelanosomen in Melanozyten), der Thrombozyten- und der Leukozytenfunktion (Riesenlysosomen in Granulozyten). Folge: Albinismus-ähnliches Bild mit silbergrauer Haut- und Haarfarbe, Blutungsneigung, gestörte Leukotaxis und verringertes »intracellular killing« von Mikroorganismen. Klinik: Blutungen, schwere Infekte (häufig Kokken), neurologische Symptome, lymphoproliferative Krankheiten. Therapie: Knochenmarktransplantation. Analogon aus dem Tierreich: der (silbergraue) Aleuten-Nerz. Griscelli-Syndrom. Ein autosomal-rezessives, sehr seltenes Albinismus-ähnliches Syndrom. Es kommt durch Mutationen von Proteinen zustande, die die Migration der Melanosomen in die Dendritenspitze mediieren (Voraussetzung zum Pigmenttransfer). Schwere Dysfunktionen der B-, T- und natürlichen Killerzellen führen schon im Kindesalter zum Tod. Therapie: Knochenmarktransplantation.
Umschriebene ontogenetisch bedingte Hypomelanosen Piebaldismus Definition. Diese autosomal-dominante, relativ häufige Genodermatose (Prävalenz 3:100 000) ist durch fleckige, symmetrische Depigmentierungen von Haut und Haaren gekennzeichnet, in denen sich histologisch nur vereinzelte Melanozyten mit unpigmentierten Melanosomen finden. Pathogenese. Mutationen im KIT-Protookogen (kodiert für den Rezeptor des »stem cell/mast cell growth factor« – SCF/MG, auch ein Wachstumsfaktor für Melanozyten!). Folge: Reifungsstörungen und Untergang von Melanoblasten, ungenügende Besiedelung der Haut. Symptomatik. Schon bei Geburt bestehen unregelmä-
Therapie. Keine. Adäquater Sonneschutz (Haut und
Auge)!
ßig begenzte weiße Flecken an Capillitium und Stirn (zwickelförmig, . Abb. 10.10), Rumpfseiten und der
3Folgende Systemkrankheiten werden häufig dem Albinismus zugeordnet: Hermansky-Pudlak-Syndrom. Eine Gruppe (außer in Puerto Rico – Prävalenz 1:1800) sehr seltener autosomal-rezessiver Krankheiten mit »Albinismus«, der an der Haut milde, an den Augen jedoch schwer ausgeprägt ist (Patienten sind fast blind). Zugrunde liegen Defekte der HPS-Gene, die für im intrazellulären Transport wichtige Proteine kodieren. Zwei systemische Störungen sind assoziiert: ein Defekt der Thrombozytenaggregation und lysosomale Speicherung einer ceroidähnlichen Substanz in inneren Organen (Niere, Herz, Darm, Alveolarmakrophagen). Krankheitsbeginn meist schon in der Neonatalperiode, Tod in der Lebensmitte durch multiples Organversagen oder Blutungen. Chediak-Higashi-Syndrom. Ein sehr seltenes, autosomal-rezessives Immundefizienz-Syndrom, das auf einer Mutation im LYST-Gen beruht (kodiert für Proteine der Lysosomen-Bildung und Fusion). Dieser Defekt bewirkt Störungen des Pigment-
. Abb. 10.10. Piebaldismus. Zwickelförmiges, depigmentiertes Areal an der Stirn, in diesem Bereich eine weiße Haarsträhne (»white forlock«)
453 10.1 · Störungen des Pigmentsystems
Mittelpartie der Extremitäten (Aussparung der Akren). Innerhalb der Flecken sind auch die Haare weiß. Charakteristisch: eine frontale Strähne weißen Haars (»white forelock«) – ein konstantes Symptom (ca. 90%), das auch isoliert als Abortivform vorkommen kann. In und um die Depigmentationen häufig hyperpigmentierte Areale. Lebenslange Persistenz. Differenzialdiagnose: Vitiligo. Assoziationen. Verschiedene Fehlbildungen, z.B. Fehlen von Ganglienzellen im Darm wie bei Morbus Hirschsprung (Obstipation), geistige Retardation. Waardenburg-Syndrom Eine Gruppe ähnlicher autosomal-dominanter Erbsyndrome, bei denen Differenzierung und Migration von Melanoblasten aus dem Neuroektoderm in die Zielorgane (Haut, Innenohr, Auge etc) durch Mutation regulierender Enzyme und Transkriptionsfaktoren (MITF, PAX 3 u. a.) gestört ist. Kumulative Prävalenz 1:40 000. Symptomatik: neurosensorische Taubheit, piebaldismusähnliche Hautläsionen mit white forelock, Heterochromia iridum, hypopigmentierte Augenfundi, Hypertelorismus, vorzeitiges Ergrauen der Haare, verschiedene Fehlbildungen, Morbus Hirschsprung u. a. m. Hypomelanosis Ito Definition. Ein sporadisches, heterogenes gynäkotropes Zustandsbild, das durch auffällige generalisierte, oft halbseitige wirbelig-streifige Areale von Hypopigmentierung entlang den Blaschko-Linien charakterisiert ist. Relativ häufig (1:10 000?). Pathogenese. Ein kutanes Mosaikmuster, das durch Klone normaler sowie mangelhaft differenzierter Melanozyten gebildet wird. In betroffenen Arealen sind die Melanozyten von normaler Zahl, jedoch klein und enthalten nur wenige reife Melanosomen. Die genetische Ursache ist unklar, verschiedene Chromosomenanomalien wurden gefunden.
10
Naevus depigmentosus Eine meist kongenitale, aber nicht hereditäre, scharf, bizarr und unregelmäßig begrenzte hypopigmentierte Läsion entlang der Blaschko-Linien v. a. am Rumpf. Die Haare in Naevi depigmentosi sind weiß. Histologie wie bei der Hypomelanosis Ito. Assoziierte neurologische Zeichen selten. Differenzialdiagnose: Naevus anaemicus (dieser rötet sich nicht bei Reiben, 7 Kap. 9.7.1) und segmentale Hypopigmentierung bei tuberöser Hirnsklerose. Erworbene umschriebene Hypomelanosen Vitiligo Definition, Ätiologie. Eine häufige und kosmetisch bedeutsame Krankheit des Pigmentsystems, die auf der Destruktion epidermaler Melanozyten wahrscheinlich durch Autoimmunprozesse beruht und mit Systemsymptomen assoziiert sein kann. Epidemiologie. Vitiligo ist relativ häufig (Prävalenz 0,5–4%), weltweit verbreitet, beginnt vorwiegend in der ersten Lebenshälfte und ist familiär gehäuft (ca. 30%). Pathogenese. Eine Autoimmungenese wird durch die Assoziation mit anderen Autoimmunkrankheiten, die häufige Nachweisbarkeit (in vitro) melanozytotoxischer Antikörper sowie aktivierter CD4+- und CD8+-Lymphozyten im aktiven Randsaum von Läsionen nahegelegt. Alternative Erklärungen: die Selbstmordhypothese (fehlender Schutzmechanismus gegenüber toxischen Melaninsyntheseprodukten) und die neurogene Hypothese (Freisetzung melanozytotoxischer Substanzen aus Nervenendigungen). Symptomatik. Vitiligo ist durch völlig depigmentierte, kalkweiße, ansonsten aber unauffällige Herde gekennzeichnet (. Abb. 10.11). Diese sind meist rund, oft von
Symptomatik. Die hypopgmentierten Streifen sind
meist schon bei Geburt vorhanden (oder entstehen in der ersten Lebenszeit), können sich aber nach jahrelangem Bestand spontan zurückbilden. Assoziierte Zeichen (75%) sind verschiedenartige Fehlbildungen des Muskel-/Skelettsystems, der Augen, Zähne, Haut, ZNS-Symptome, Epilepsie und geistige Retardierung. 3Die Hypomelanosis Ito wirkt wie ein Umkehrbild der Incontinentia pigmenti und wurde deshalb auch fälschlich als »Incontinentia pigmenti achromians« bezeichnet.
. Abb. 10.11. Vitiligo. Auffallend symmetrische, scharf und polyzyklisch begrenzte depigmentierte Herde
454
10
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
einem dunkleren, manchmal initial entzündlichen Halo umgeben und scharf begrenzt. Die Herde vergrößern sich langsam peripher, werden polyzyklisch und sind somit in der Wachstumsphase nach außen konvex. Durch Konfluenz können große Flächen oder sogar der gesamte Körper ergriffen werden, wobei häufig Inseln normaler Haut übrig bleiben. Haare innerhalb von Herden bleiben oft lange pigmentiert, werden schließlich jedoch gleichfalls weiß. Prädilektionsstellen: periorifizielle Regionen (um Augen, Nase, Mund, perianal und -genital), Streckseiten der großen Gelenke, Achseln, Handgelenksbeugen sowie Hand- und Fingerrücken. Auffallend symmetrische Verteilung. Auch die Schleimhäute, Handflächen und Fußsohlen können befallen sein. Häufig positives Köbner-Phänomen (bis 30%). Die Perianalregion ist eine diagnostisch wichtige Prädilektionsstelle, die fast stets und sehr früh betroffen ist. Man unterscheidet einen fokalen (einzelne Herde), einen regionalen (entspricht ungefähr einem Dermatom; gilt als besonders persistent) und einen generalisierten Typ (der häufigste). Eine Sonderform ist die so genannten Trichrom-Vitiligo: zusätzlich zu den normalen und den depigmentierten Arealen finden sich, deutlich abgesetzt, hypopigmentierte Anteile (Zwischenstadium zu völliger Depigmentierung). Assoziierte Symptome und Krankheiten: 4 Haut: Halo-Nävi (häufig); Melanom (Vitiligo tritt bei Melanom180-fach häufiger auf) 4 Haare: Depigmentierung, entweder fokal (Poliosis) oder als vorzeitiges Ergrauen (Canities); Alopecia areata in ca. 20% 4 Augen: Mitbefall in ca. 10%, aber meist klinisch stumm: Hypo- und Depigmentationen sowie Närbchen von Iris und Chorioidea. Sehr selten: floride Uveitis, Retinitis pigmentosa. 4 Innenohrschäden: Assoziation fraglich 4 Autoimmunkrankheiten: Autoimmunthyreoiditis in ca. 30%, seltener Diabetes mellitus (5%), Autoimmunhypoparathyreoidismus, perniziöse Anämie, Morbus Addison, multiglanduläre hormonelle Insuffizienz. Differenzialdiagnose. Narben, ausgebrannter CDLE, Vinylchloridkrankheit, Piebaldismus, Pityriasis versicolor alba, Hypomelanosis guttata. Verlauf. Variabel und kaum vorhersagbar. Die Krankheit beginnt meist schleichend, selten rapide. Sie wird manchmal durch mechanische Traumen oder Sonnenbrand ausgelöst (Köbner-Phänomen), psychische Erschütterungen werden häufig für die Ursache gehalten. In der Folge schreitet die Vitiligo unterschiedlich
schnell schubartig fort; sie kann entweder zum totalen Pigmentverlust führen (progressiver Verlaufstyp) oder nach Jahren zum Stillstand kommen (häufiger). Perioden partieller Repigmentierung kommen während des gesamten Verlaufs vor. Ausnahmsweise wird auch eine gänzliche spontane Rückbildung beobachtet. ! Die Rückbildung der Herde erfolgt durch Einwandern von Melanozyten vom Rande her und/oder aus den oft unbefallenen Haarfollikeln. Typische Zeichen: konfettiartige pigmentierte Areale um die Haarfollikel; nach außen konkave Begrenzungslinien des Gesamtherdes.
Therapie. Lokale Kortikosteroide sind nur wenig wirksam, systemische nicht angezeigt. Topische Therapie mit Calcipotriol ist umstritten, ebenso die mit Pseudokatalase (soll die bei Vitiligo erhöhten H2O2-Konzentrationen in der Epidermis reduzieren). Therapie mit topischen Calcineurininhibitoren ist manchmal wirksam (Frühphase). Mittel der Wahl ist die Phototherapie (UVB-311 nm): diese bringt Ansprechraten von bis zu 70%, ist jedoch langwierig und aufwendig (am besten 5-mal/Woche) und zeigt erst nach einigen Wochen beginnende Repigmentierung. Schlecht sprechen Herde an Ellenbogen, Knie, Knöchel, Hand- und Fußrücken an. Experimentelle Methode: Autotransplantation isolierter Melanozyten oder ganzer Epidermis aus pigmentierter Haut (Problem: an der Entnahmestelle kann ein neuer Vitiligoherd entstehen – Köbner-Phänomen). Ultima ratio: Camouflage besonders auffälliger Herde durch wasserstabile Schminken; Verwendung von Selbstbräunern (Dihydroxyaceton); Tätowierung mit Eisenoxid (z. B. Lippen); diese Methoden sind kosmetisch oft unbefriedigend. Restherde normaler Haut können permanent gebleicht werden.
Vogt-Koyanagi-Harada-Syndrom Definition, Symptomatik. Eine seltene Autoimmunkrankheit, die gegen unbekannte Epitope von Melanozyten (Tyrosinase?) gerichtet ist und vermutlich von einem Virus (EBV?) ausgelöst wird. Beginn mit einer transienten, oft milden meningoenzephalitischen Vorphase, die bald in das Vollbild übergeht: Iridozyklitis, Uveitis anterior und posterior (oft mit Ablatio retinae), bilaterale Dysakusis und Tinnitus (ca. 50%) sowie ausgedehnte Vitiligo und Poliosis. Im Unterschied zur »gewöhnlichen« Vitiligo sind die Haare (Wimpern, Brauen!) frühzeitig und intensiv befallen. Therapie. Systemische Kortikosteroide zur Behandlung der Augen-, Ohren- und ZNS-Veränderungen, die Vitiligo spricht darauf nur wenig an.
455 10.2 · Krankheiten des Fettgewebes
Weitere erworbene umschriebene Hypomelanosen Postinflammatorische Hypopigmentierung. Eine häu-
fige Folge verschiedener entzündlicher Dermatosen: Psoriasis, atopische Dermatitis – Pityriasis alba, Sarkoidose, Sklerodermie, Lymphome, infektiöse Dermatosen wie Pityriasis versicolor, Treponematosen (Syphilis, Frambösie), Lepra, Kala Azar. Pathogenese: direkte Schädigung der Melanozyten durch Entzündungsmediatoren, Störung des Pigmenttransfers. Postinflammatorische Depigmentierung ist Folge der Zerstörung von Pigmentzellen (z. B. Herpes zoster).
10
lungsmuster (Beginn: Schläfen, Scheitel, dann Rest), irreversibel (Ausnahme: erneutes Dunkelwerden der Haare bei Porphyria cutanea tarda). Die Haare ergrauen individuell (gefärbtes Haar erkennt man am monotonen Farbton). Der Prozess setzt mit etwa 25 Jahren ein, ist mit etwa 70 abgeschlossen, unterliegt aber erheblichen individuellen Schwankungen. Prämature Canities tritt entweder als (autosomal-dominant) vererbte Anlage oder als Begleitsymptom progerieähnlicher Fehlbildungssyndrome auf. 10.2
Krankheiten des Fettgewebes
Toxische Hypo- und Depigmentierung. Mehrere Che-
mikalien der Arbeitswelt können zur vorübergehenden oder bleibenden Schädigung der Melanozyten führen (. Tab. 10.3). Zur irreversiblen Zerstörung führt der Monobenzyläther des Hydrochinon (in Bleichcremes). Idiopathische Hypomelanosis guttata. Diese häufige erworbene Pigmentstörung findet sich vorwiegend symmetrisch an den Unterschenkeln von älteren Frauen: eine diskrete, kleinfleckige Hypopigmentierung – Folge chronischer UV-Exposition. Maximale Erscheinungsform: bizarre, atrophe narbenähnliche Depigmentationen der UV-geschädigten Unterarme im hohen Alter (»stellate pseudoscars«). Erworbener Pigmentverlust der Haare. Ergrauen der
Haare als Teil des physiologischen Alterungsprozesses (Canities) beruht auf langsamer Reduktion der Melanosomenproduktion und schließlich Zugrundegehen der Melanozyten des Haarfollikels. Typisches Vertei. Tab. 10.3. Hypo-/Depigmentierung induzierende Chemikalien Wirksstoffgruppe
Wirksstoffe
Aromatische Verbindungen
4 Phenol und Analoge (Alkyl-, Amyl-, Butyl-) 4 Hydroxytoluol und Analoge 4 Katechol und Analoge (Methyl-, Isopropyl-, Butyl-) 4 Hydrochinon und Analoge (Methyl-, Äthyl-, Benzyläther)
Sulfhydryle
4 Diverse Mercaptoamine (Äthyl-, Propyl-)
Medikamente
4 4 4 4 4 4
Benzoyl-Peroxid 5-Fluorouracil Thiotepa Carmustin Vitamin-A-Säure Kortikosteroide
Das Fettgewebe reagiert bei vielen tiefen Krankheitsprozessen der Haut mit, z. B. bei Phlegmonen, Granulomen, Gefäßkrankheiten, ist aber selbst bei nur wenigen Krankheiten der alleinige oder hauptsächliche Manifestationsort. Man unterscheidet 2 Kategorien von Krankheiten des Fettgewebes: entzündliche (Pannikulitis) und nichtentzündliche (Lipoatrophien und -dystrophien). 3Pathophysiologie des Fettgwebes Funktion und Aufbau 7 Kap. 2. Das Fettgewebe ist gegen mechanische Traumen wenig empfindlich, sehr jedoch gegen chemische, entzündliche und Kältetraumen. Beim Untergang von Fettzellen gelangen Triglyzeride ins Gewebe, wo sie durch Blutoder Gewebelipasen zu freien Fettsäuren gespalten werden. Diese bewirken eine heftige entzündliche Reaktion, durch die weiteres Fettgewebe zugrunde geht. Es kann zur Einschmelzung mit Fistelbildung kommen; Makrophagen wandern ein, die das Fett phagozytieren (Lipophagen) und Granulome ausbilden (Lipogranulom). Letztere führen zu Fibrosierung, Sklerosierung, Schrumpfung und Adhärenz der Haut an den tiefen Faszien. Eine seltenere Reaktionsweise ist eine ohne vorhergehende Entzündung, aufgrund metabolischer Vorgänge auftretende Atrophie.
10.2.1 Pannikulitis Klassifikation. Pannikulitis ist klinisch durch tiefe, ge-
rötete, hitzend-schmerzhafte Knoten, mit oder ohne Sekundärveränderungen (Einschmelzung, Konturveränderungen) gekennzeichnet, ein Bild, das aus mehreren Ursachen resultieren kann. Der oft schwierigen Unterscheidung diente eine historische Klassifikation (. Tab. 10.4), die auf der Vorstellung beruhte, dass Noxen entweder primär das Fettgewebe selbst (z. B. physikochemisches Trauma) oder über die Blutbahn die Gefäße des Fettgewebes treffen; es sind daher entweder das Fettläppchen als Ganzes oder vorwiegend die gefäßhaltigen bindegewebigen Septen betroffen (lobuläre bzw. septale Pannikulitis). Diese Einteilung ist allerdings simplifizierend, da jede Pannikulitis wegen der ausgeprägten Interaktionen
456
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
. Tab. 10.4. Klassifikation der Pannikulitis Lobuläre Pannikulitis
Septale Pannikulitis
Ohne Vaskulitis
α1-Antitrypsin-Defizienz Physikalische Pannikulitis (Kälte, traumatisch, chemisch) Neonatale Pannikulitis (Sklerema neonatorum, neonatale Fettgewebsnekrose) Bei Systemkrankheiten (LE, Sarkoidose, Pankreaskrankheiten, Lymphome)
E. nodosum Eosinophile Fasziitis Eosinophilie-Myalgie-Syndrom Systemische Sklerodermie
Mit Vaskulitis
Nodulärvaskulitis
Bei Thrombophlebitis Bei Arteriitis
zwischen Gefäßsystem und Fettgewebe eine (verschieden gewichtete) Mischform darstellt. Häufig beginnt eine Pannikulitis an den Septen (z. B. Erythema nodosum), erfasst aber bei längerem Bestand das gesamte Läppchen. Die Gefäße sind bei der Pannikulitis entweder Mittler der Entzündungsreaktion oder selbst deren Ziel (Vaskulitis). »Lobuläre« Pannikulitis ist der gravierendere Befund, da er meist mit Destruktion des Fettgewebes einhergeht.
10
Pannikulitis durch exogenes Trauma Umschriebene (lobuläre) Pannikulitis entsteht häufig durch direkte Einwirkung von physikochemischen Traumen. Die mechanisch-traumatische Pannikulitis (traumatische Fettgewebsnekrose) tritt bei adipösen Personen an Brüsten, Hinterbacken etc. auf. Symptomatik: schmerzhafte knotige und plattenartige derbfibrotische Infiltrate, die mit Atrophie ausheilen. Kältepannikulitis (7 Kap. 3). Pannikulitis nach Injektion von Substanzen. Intra-
muskulär zu verabreichende Medikamente können, wenn fälschlich in die Subkutis injiziert, zur Fettgewebsnekrose führen: »Spritzenabszess«. Ursache sind entweder die primär irritierende Wirkung der Medikamente (z. B. Pentazocin) oder ölige Lösungsmittel. Häufig durch Selbstinjektion (Suchtgifte, Artefakte). Symptomatik: schmerzhafte, oft einschmelzende Knoten an der Injektionsstelle, die mit unregelmäßig eingezogenen Narben ausheilen. Differenzialdiagnose. Embolia cutis medicamentosa. 3Silikongranulome Früher wurden aus kosmetischen Gründen Paraffin oder Silikonpräparate frei in das Fettgewebe injiziert. Das unausbleibliche (wenn auch oft erst nach Monaten eintretende) Resultat waren chronische, fistulierende und fibrosierende, entstellende Granulome der behandelten Regionen (Brüste, Gesicht, gelegentlich auch männliche Genitalien). Silikon wird nicht von Makrophagen abtransportiert! Die Verabreichung von freiem Silikon ist heute verboten, eine solche von abgepacktem Silikon wird jedoch geübt.
Pannikulitis als Reaktion bei systemischen Prozessen Erythema nodosum Dies ist die klassische septale Pannikulitis und die häufigste akute Pannikulitis überhaupt (7 Kap. 3.2.6). Pannikulitis bei α1-Antitrypsinmangel (A1AT-Mangel) Definition. Eine vermutlich nicht seltene, sondern nur selten diagnostizierte systemische (lobuläre) Pannikulitis. Epidemiologie. A1AT-Mangel ist eine der häufigsten erblichen Stoffwechselanomalien (kumulative Prävalenz 1:2000), die Inzidenz der damit assoziierten Pannikulitis ist unbekannt. Diese tritt bei beiden Geschlechtern gleich häufig auf und kann in jedem Lebensalter manifest werden. Pathogenese. A1AT ist die hauptsächliche Antiprotei-
nase des zirkulierenden Bluts. Sie wird vom Pi-Gen (Proteinase-Inhibitor-Gen) kodiert, das Normal-Allel wird mit M bezeichnet, die beiden häufigsten mutierten Allele mit S und Z (letzteres am wenigsten funktionstüchtig). Die schwerste A1AT-Defizienz entsteht bei ZZ-Homozygotie (A1AT-Plasmaspiegel 0–20%), Heterozygote mit verschiedener Allel-Verteilung zeigen intermediäre Spiegel und entsprechend mildere Krankheitsbilder. Die früheste Veränderung bei der A1ATDefizienz-Pannikulitis ist eine neutrophile Durchsetzung des Fettgewebes (Auslöser: Traumen?); mangelnde Inaktivierung der freigesetzten Proteinasen führt zu Nekrose und Entzündung. 3A1AT wird in der Leber gebildet, ist ein Akutphaseprotein und Hemmer zahlreicher Enzyme, u. a. der Leukozytenelastase. Bei Mangel werden die Enzyme ungenügend inhibiert, was z. B. an der Lunge zu früh auftretendem schweren Emphysem führt (ca. 80%; Elastase aus durch z. B. Rauchen in die Bronchien gelockten Leukozyten wird nicht inaktiviert). Weiters entwickelt sich früh eine progrediente Leberzirrhose (Akkumulation von A1AT in Leberzellen durch Ausschleusungsdefizit).
457 10.2 · Krankheiten des Fettgewebes
Symptomatik. Eine schubartig verlaufende chronische Krankheit mit Fieber und Arthralgien. Hauptsächlich an den Beinen und im Beckenbereich treten meist symmetrisch verteilte, schmerzhafte, bis handflächengroße entzündliche Knoten auf, manchmal mit Purpurakomponente, die sich nach einigen Wochen entweder spontan mit Fibrose zurückbilden oder exulzerieren, serös-öliges Exsudat entleeren und Fisteln bilden. Meist beschränken sich die Läsionen auf das subkutane Fettgewebe. Befall viszeralen Fetts und Systemzeichen wie Perikarditis, Pleuritis und Pulmonalembolie wurden berichtet. Assoziiert: andere Zeichen der A1AT-Defizienz. Diagnostik. Nachweis des Enzymmangels aus dem
Serum. Therapie. Dapson, Chloroquin, Tetrazykline. Substitu-
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Die Pannikulitis-Herde liegen häufig unterhalb von CDLE-Läsionen und erscheinen als derbe, wenig entzündliche, kaum dolente Knoten. Lupus-Pannikulitis kann der Entwicklung eines systemischen LE um Jahre vorausgehen. Prädilektionsstellen: Gesicht, Streckseiten der Extremitäten. Die Abheilung erfolgt mit typischen Einziehungen und Fixierung an die Unterlage. Histologie: oft intensive lymphozytäre Infiltrate mit hyaliner Nekrose der Fettlobuli, manchmal Ausbildung von Keimzentren. Erythema induratum Bazin (Synonym Nodulärvaskulitis) Definition. Ein durch chronische, teils exulzerierende subkutane Knoten an den Unterschenkeln gekennzeichnetes Krankheitsbild, das auf Vaskulitis mittelgroßer Gefäße, Pannikulitis und granulomatöser Entzündung beruht.
tion mit gereinigtem A1AT. Epidemiologie. Nodulärvaskulitis ist nicht selten und
Pankreatische Pannikulitis Definition, Epidemiologie. Eine seltene Pannikulitis, die mit Freisetzung von Enzymen aus dem erkrankten Pankreas assoziiert ist. Auftreten in ca 2% bei Pankreaskrankheiten, bei beiden Geschlechtern gleich häufig. Pathogenese. Zugrunde liegen kann sowohl eine Pank-
reatitis (traumatisch, Gallensteine, Alkoholismus) wie auch ein Pankreaskarzinom (meist vom azinären Typ). Pankreasenzyme (Lipase, Amylase) sind in Blut und Harn, aber auch in den Herden der Pannikulitis erhöht; durch Spaltung der Neutralfette werden freie Fettsäuren freigesetzt. Symptomatik. Das Bild ähnelt der Pannikulitis bei
A1AT-Defizienz mit Neigung zur Einschmelzung, Pannikulitis in viszeralem Fett (Omentum, Peritoneum) und Systemzeichen wie Fieber, Arthralgien, Polyserositis. Histologisch charakteristisch sind basophile nekrotische Fettzellen (»ghost cells«). Diagnostik. Histologie, erhöhte Pankreasenzyme.
betritt fast ausschließlich Frauen mittleren Alters. Ätiologie/Pathogenese. Unbekannt. Abnorme Kältereaktionen der Gefäße und Immunreaktionen auf bakterielle bzw. mykobakterielle Antigene werden erwogen. Die Noduärvaskulitis bevorzugt bestimmte Bedingungen: die Dorsalseite von »säulenartigen« Unterschenkeln adipöser Frauen, oft mit Zeichen eines chronischen Frostschadens. Sie galt früher als Tuberkulid, die heute beobachteten Fälle sind jedoch überwiegend nicht mit Tuberkulose assoziiert. Symptomatik. Meist bilateral an den Dorsalseiten der
Unterschenkel (selten Oberschenkel) finden sich mehrere derbe, unscharf abgegrenzte, indolente tief sitzende Knoten, die an der Haut fixiert sind. Manche davon bilden sich zurück, andere schmelzen ein und bilden Fistelgänge. Es kommt zu atropher Narbenbildung und Neueruption von Knoten. Schließlich wandelt sich der Unterschenkel in eine höckrige, derb infiltrierte, von Fisteln, Ulzera und Einziehungen durchsetzte derbe Platte um. Der Prozess ist regional beschränkt; keine Systemzeichen.
Therapie. Behandlung der Pankreaskrankheit, sonst
wie oben.
Differenzialdiagnose. Erythema nodosum, Perniones,
kutane Polyarteritis nodosa. Lupus erythematodes-Pannikulitis Eine lobuläre Pannikulitis, die vorwiegend mit chronisch discoidem LE assoziiert ist, seltener mit systemischem oder anderen Verlaufsformen (7 Kap. 7). Nur ein kleiner Teil (ca. 2%) der Patienten mit LE (oder verwandten Krankheiten, z. B. Dermatomyositis) bildet Pannikulitisherde aus, meist im Erwachsenenalter.
Diagnostik. Histologie: Leukozytär-granulomatöse Vas-
kulitis der kleineren und mittelgroßen Arterien und Venen, fibrinoide Nekrosen des Fettgewebes mit lobulärer tuberkuloid-granulomatöser, schließlich fibrosierender Entzündung. Ausschluss einer Organtuberkulose!
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
Prognose und Therapie. Nichtsteroidale Antiphlogisti-
ka, Tetrazykline, Dapson, Bandagieren. Unbehandelt besteht der Prozess durch viele Jahre weiter. Bei Nichtansprechen Versuch einer tuberkulostatischen Therapie. Lipodermatosklerose (Synonym Sklerodermiforme Hypodermitis, Sklerosierende Pannikulitis) Die häufigste Form der Pannikulitis, die bei der chronischen venösen Insuffizienz am distalen Unterschenkeldrittel auftritt (7 Kap. 12). Andere Formen der Pannikulitis Entzündungen des Fettgewebes können auch durch Systemkrankheiten (Sarkoidose, Leukämien, Lymphome – z. B. das »panniculitis like T cell lymphoma«), Infektionen (Mykobakterien, Candida, Sporotrichose u. a.), als Begleiterscheinung der Sklerodermie, Thrombophlebitis und als kalzifizierende Pannikulitis bei metastatischer Kalzinose auftreten. 10.2.2 Fettgewebsatrophien
und -dystrophien
10
Lipatrophien treten regelmäßig nach lobulärer Pannikulitis auf, aber auch nach Sklerodermie (Hemiatrophia faciei), Sarkoidose etc. Nichtentzündlicher Basis ist die umschriebene Fettgewebsatrophie nach s. c.-Injektion von Depotkortikosteroiden und Insulin. Diese sind in der Regel rückbildungsfähig. Unbekannter Ursache sind die harmlosen fokalen Lipatrophien (post-panniculitisch?). Eine Sonderform ist die Lipatrophia semicircularis (. Abb. 10.12): beidseits symmetrisch an der Vorderseite der Oberschenkel auftretende Schnürfurchen-ähnliche Eindellungen. Dieses seltene klinische Bild (Druckatrophie?) tritt meist bei jungen Frauen auf. Lipodystrophien sind sehr seltene Krankheitsbilder unbekannter Ursache, bei denen es zum progredienten Verlust des Fettgewebes an umschriebenen Körperteilen oder des gesamten Körpers (auch des extrakutanen Fetts) kommt. Die partielle Lipodystrophie betrifft fast ausschließlich präpubertäre Mädchen, beginnt im Gesicht und breitet sich langsam nach kaudal fort, ergreift aber meist die unteren Extremitäten nicht. Die Haut selbst bleibt unverändert. Assoziation mit Diabetes, Komplement-C3-Defizienz und Glomerulonephritis. Die generalisierte Lipodystrophie kommt familiär gehäuft vor und ist mit insulinresistentem Diabetes mellitus, aber auch mit Hepatomegalie, Acanthosis nigricans und disseminierten Xanthomen assoziiert. Siehe auch HAART bei HIV-Infektion (7 Kap. 15).
. Abb. 10.12. Lipatrophia semicircularis. Horizontale, an beiden Oberschenkeln in gleicher Höhe befindliche, lineäre Mulden
10.3
Krankheiten des Haarapparats
10.3.1 Effluvien und Alopezien Definitionen. Effluvium bezeichnet den Vorgang des Haarausfalls, Alopezie den Zustand der Haarlosigkeit (Glatze). Nicht jedes Effluvium führt zur Alopezie. Angeborene partielle oder totale Haarlosigkeit wird Hypotrichie bzw. Atrichie genannt. 3Pathophysiologie des Haarausfalls. Anatomie und Physiologie der Haare 7 Kap. 2. Normalerweise besteht zwischen den natürlich ausfallenden Haaren (»Mauserung«) und dem Nachwuchs ein Fließgleichgewicht. Dieses kann durch verschiedene Ereignisse gestört werden: 4 Vorzeitige Beendigung der Anagenphase und Übertritt in die Telogenphase (Telogeneffluvium, die häufigste Ursache des Haarausfalls). Eine besondere Form von Telogeneffluvium ist das Androgeneffluvium. 4 Abbruch des Haarzyklus durch Schädigung der Haarmatrix in der Anagenphase (Anageneffluvium). 4 Schädigung oder Zerstörung der Haarfollikel durch Dermatosen (z. B. CDLE, Lichen ruber follicularis) oder Infektionen (tiefe Follikulitis). Telogen- und Anageneffluvien sind polyätiologische Reaktionsmuster. Alle Formen von Haarausfall sind reversibel, solange es nicht zum Untergang der Haarfollikel kommt.
! Von Effluvium spricht man erst, wenn pro Tag >100 (Kopf )Haare ausfallen.
Klassifikation. Man unterscheidet diffuse und um-
schriebene (scheibenförmige), weiters nichtvernarbende und vernarbende Effluvien und Alopezien (. Tab. 10.5). Vernarbende Effluvien sind durch Zerstörung der Haarfollikel irreversibel (klinisch: Fehlen der Follikelostien).
459 10.3 · Krankheiten des Haarapparats
10
. Tab. 10.5. Klassifikation der Effluvien und Alopezien Diffuse Effluvien
Umschriebene Effluvien
nichtvernarbend
Telogeneffluvium Anageneffluvium Androgenetisches Effluvium
vernarbend
Hereditäre Verhornungsstörungen (Keratosis follicularis atrophicans, Morbus Darier) und manche Ichthyosen
nichtvernarbend
Alopecia areata Alopecia areolaris specifica (Lues II) Mechanische Alopezien
vernarbend
Als Folge infektiöser Prozesse: Furunkel, Folliculitis decalvans, tiefe Trichomykosen, u. a. m. Im Rahmen entzündlicher Dermatosen: CDLE, Lichen ruber (follicularis), zirkumskripte Sklerodermie u. a. m. Im Rahmen von Genodermatosen: z. B. Epidermolysis bullosa Granulomatöse und neoplastische Prozesse Physikochemische Traumen
. Tab. 10.6. Unterscheidung zwischen Telogen- und Anageneffluvium Telogeneffluvium
Anageneffluvium
Epidemiologie
Häufig
Selten
Pathogenese
Synchroner Eintritt in die Telogenphase durch vorzeitigen Wachstumsstop der Anagenhaare
Schädigung der in Mitose befindlichen Haarmatrixzellen des Anagenfollikels
Ursachen
Physiologisch, androgenetisch oder seltener toxisch bzw. metabolisch
Schwere systemische oder lokale Noxen (Vergiftungen, Zytostatika; Röntgenbestrahlung)
Verlauf
Langes Intervall zwischen Noxe und Haarausfall: 2–3 Monate
Kurzes Intervall zwischen Noxe und Haarausfall: 2–3 Wochen
Meist reversibler diffuser Haarausfall, bei dauerhaften Ursachen bleibende Rarefizierung
Meist reversibler, fast vollständiger Haarausfall, bei Nekrose der Haarfollikel irreversibel
>15–20% Telogenhaare
Dystrophische Anagenhaare bei normaler Telogenhaarrate
Trichogramm
Diffuse Effluvien Diese sind das häufigste Haarproblem der Dermatologie. Meist kann schon aufgrund von Anamnese und klinischem Bild beurteilt werden, dass es sich um ein Telogeneffluvien handelt (. Tab. 10.6); bestehen daran Zweifel, ist die Durchführung eines Trichogramms angezeigt (7 Kap. 2.3.2). Im Trichogramm (»Haarwurzelstatus«) kann beurteilt werden, ob die ausgezupfte Haarprobe mehr Telogenhaare als normal (Telogeneffluvium) oder dystrophe Anagenhaare enthält (Anageneffluvium). ! Trichogramm: Es ist unumgänglich, ausgezupfte Haare zu untersuchen, da ausgefallene klarerweise stets Telogenhaare sind. Untersuchung mitgebrachter Haare ist daher wertlos (wie auch die von manchen wenig seriösen Firmen angebotene Befundung postalisch eingesandter Haare).
Telogeneffluvien Definition. Eine häufige, reversible Art von Haarausfall, die auf synchronisiertem Übertritt von Haaren in die Telogenphase beruht. Pathogenese. Apoptose der Haarmatrixzellen durch
physiologische oder metabolische Stimuli, systemische Mediatoren der Entzündung (z. B. IL-1) oder Fremdsubstanzen (Toxine, Medikamente – z. B. Retinoide). Zwischen dem ursächlichen Ereignis und dem Beginn des Haarausfalls vergehen ca. 2–3 Monate, da das Haar seine volle Telogenphase durchläuft. Symptomatik. Haarausfall von >100 Haaren pro Tag am gesamten Kapillitium bei völlig erscheinungsfreier Kopfhaut. Bei Streichen durch das Haar (oder Kämmen, Haarewaschen) werden zahlreiche der nur noch locker im Follikel steckenden Kolbenhaare leicht ausgezogen.
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
Ätiologie. Physiologische (Telogen)Effluvien.
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4 Effluvium des Neugeborenen: In utero sind alle Haarfollikel im Anagen; mit der Geburt treten sie synchron ins Telogen. Dies führt nach 8 Wochen zum meist restlosen Haarausfall; in den folgenden Monaten treten die Haarfollikel wieder asynchron ins Anagen, es bildet sich die kindliche Behaarung. 4 Postpartales Effluvium: Während der Gravidität werden die meisten (bis 95%) der Haarfollikel im Anagen festgehalten, viele treten postpartal synchron in das Telogen. Es resultiert ein diffuses Effluvium etwa ab der 8. Woche post partum, das sich nach einigen Monaten wieder normalisiert. Das Effluvium ist meist mild, manchmal schwer (zusätzlicher Faktor: Geburtsstress?) oder sogar irreversibel. Therapie: falls erforderlich, hormonelle Kontrazeptiva. Ein ähnliches Effluvium kann nach dem Absetzen hormoneller Kontrazeptiva auftreten. 4 Postpubertäres Effluvium: ein durch beginnende Androgenproduktion bedingtes, meist mildes Telogeneffluvium. 4 Seniles Effluvium: Durch progrediente Atrophie der Haarfollikel werden im fortgeschrittenen Alter die Haare zunehmend spärlicher und dünner. Die Abgrenzung zum androgenetischen Effluvium ist oft schwierig. Toxische und metabolische Telogeneffluvien. Haar-
follikel haben in der Anagenphase eine hohe metabolische Aktivität; Stoffwechselstörungen und toxische Einflüsse können leicht eine Minderung der Syntheseleistung (Verdünnung der Haare) und das vorzeitige Ende der Anagenphase auslösen. Man unterscheidet episodische und chronische Telogeneffluvien. 4 Episodisches Telogeneffluvium. Häufige Ursachen: schwerer Blutverlust, hohes Fieber, schwere akute Infektionen, Operations- oder traumatischer Schock, Systemkrankheiten (Kollagenosen), forcierte Diäten, manche Medikamente (Heparin!, Zytostatika, Retinoide u. a., . Tab. 10.7). 4 Chronisches Telogeneffluvium. Häufige Ursachen: Eisenmangel (Hypermenorrhoe!), Zinkmangel, Proteinmangelernährung, Malabsorptionssyndrom, inadäquate parenterale Ernährung, konsumierende Krankheiten, Vitaminmangel (Folsäure, Vitamin B12) und endokrine Störungen (Hyper- und Hypothyreoidismus, Hyperparathyreoidismus, Hypopituitarismus). Bei Hypothyreoidismus sind typischerweise besonders die lateralen Augenbrauen betroffen. Ein chronisches Telogenefflu-
vium kann durch Follikelatrophie zur dauerhaften Verdünnung und Rarefizierung der Haare führen. Diagnostik und Therapie der Telogeneffluvien. Anam-
nese, Labor (Serumeisen und Ferritin, Schilddrüsenwerte u. a.). Eine medikamentöse Therapie gibt es nicht; zugrunde liegende Störungen müssen, falls möglich, behandelt werden. Diffuse Anageneffluvien (dystrophische Effluvien) Definition, Ätiologie, Symptomatik. Eine seltenere Art
diffuser Effluvien, die durch Schäden der proliferierenden Haarmatrix entsteht, z. B. bei Vergiftungen oder hochdosierter Chemotherapie. Ist der Schaden relativ milde, wird die Haarproduktion im Follikel zwar unterbrochen, aber nach kurzer Zeit wieder aufgenommen (Folge: ringartige Einschnürung des Haars. Bei Verabreichung mehrerer Zytostatikazyklen finden sich manchmal intermittierende Schnürfurchen). Bei schwerem Schaden erfolgen Degeneration und Nekrose der Matrixzellen. Ein diffuser, meist weitgehender Haarausfall setzt nach 2–3 (!) Wochen ein (keine reguläre Telogenphase). Die ausgefallenen Haare haben unregelmäßig verjüngte, teils nekrotische Haarwurzeln (dystrophische Haare, im Trichogramm Bleistift-ähnlich zugespitzte proximale Enden). Das Anageneffluvium ist nur irreversibel, wenn der Follikel inklusive der Stammzellen nektrotisch wird. Typische Ursachen: Zytostatika, Röntgenbestrahlung (. Abb. 10.13), Thallium (früher als Rattengift verwendet), Colchizin. Therapie. Keine. Unterkühlung des Kapillitiums (Eishaube) während der Zytostatikatherapie kann dem Haarausfall teilweise vorbeugen. . Tab. 10.7. Medikamente als Ursache von Effluvien (Auswahl) Klasse
Beispiele
Zytostatika
Cyclophosphamid, MTX, Doxorubicin u. v. a. m.*)
Retinoide
Etretinat, Accutan
ZNS-Mittel
L-DOPA, Trimethadion, Valproinsäure
Lipidsenker
Triparanol
Betablocker
Propranolol
Antikoagulantien
Heparin, Dicumarol
NSAID
Piroxicam
Hormonblocker
Thiouracil, Bromocriptin
*) bei niedrigen Dosen Telogeneffluvien, bei höheren Anageneffluvien
461 10.3 · Krankheiten des Haarapparats
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. Abb. 10.13. Anageneffluvium nach Röntgenbestrahlung eines Hirntumors. Beachte die für jede andere Art von Haarausfall untypische Lokalisation
Androgeneffluvium (Synonym Androgenetische Alopezie, Haarausfall vom männlichen Typ, »male pattern alopecia«) Definition. Die Androgenetische Alopezie ist ein Telogeneffluvium, das auf einer polygen vererbten Bereitschaft der Kopfhaarfollikel beruht, unter dem Einfluss von Androgenen zu atrophisieren und sich dadurch von Terminal- in Vellushaarfollikel umzuwandeln. Epidemiologie. Die Prävalenz bei postpubertalen Personen wird zwischen 30 und 80% geschätzt. Sie ist bei beiden Geschlechtern gleich häufig, tritt bei Frauen jedoch später auf (oft nach dem Klimakterium), verläuft milder und führt nur selten zur Kahlköpfigkeit. Ätiologie und Pathogenese. Die Ursache ist nicht geklärt, vermutet werden Polymorphismen im Androgenrezeptor-Gen. Pathologisches Grundphänomen ist die Verkürzung der Anagenphase. Haare und Haarfollikel werden bei jedem Haarwechsel dünner und kleiner (»Miniaturisierung«), schließlich verbleiben nur noch dünne, kaum sichtbare Vellushaare. 3Für die essenzielle Rolle der Androgene gibt es »klassische« Beweise: ein Androgeneffluvium kommt bei Eunuchen selbst bei starker genetischer Belastung nicht vor; ein bestehendes Androgeneffluvium wird durch Kastration unterbrochen und setzt sich bei Androgensubstitution wieder fort. Das hauptwirksame Androgen ist Dihydrotestosteron (DHT), das mittels der Isoenzyme 5α-Reduktase I und II aus Testosteron metabolisiert wird. Der Androgeneffekt kommt durch erhöhte Aktivität vorwiegend des Enzyms Typ II in den befallenen Follikeln (Prädilektionsstellen!) zustande, in gesunden Follikeln ist sie normal. Frauen besitzen durch eine höhere Aktivität von Aromatase im Langhaarfollikel einen Schutzmechanismus, der anfallende Androgene in Östrogene umwandelt. In Follikeln, die von androgenetischer Alopezie ergriffen sind, findet sich diese Erhöhung nicht.
. Abb. 10.14. Norwood-Hamilton-Stadieneinteilung der androgenetischen Alopezie beim Mann
Symptomatik. Ein mit Einsetzen der Pubertät beginnendes, unterschiedlich schnell und regelhaft verlaufendes Effluvium. Die Lichtung des Haars bei Männern setzt an bestimmten Prädilektionsstellen ein: den seitlichen Stirnregionen (Hofratsecken) und der Scheitelplatte (. Abb. 10.14). Diese Bereiche werden meist im 4. Lebensjahrzehnt kahl. Durch sukzessive Ausdehnung und Konfluenz reduziert sich der Haarbestand auf einen Kranz von Schläfen- und Okzipitalhaaren. Über der Glabella bleibt oft lange eine solitäre Haarlocke bestehen (. Abb. 10.15). Aktive Phasen des Haarverlusts sind häufig mit Juckreiz der Kopfhaut verbunden. Das androgenetische Effluvium wird oft von anderen androgenabhängigen Dermatosen begleitet: Seborrhoe, seborrhoisches Ekzem, Akne vulgaris und, bei Frauen, Hirsutismus. Bei Frauen unterscheidet sich das Bild nicht nur durch geringere Intensität, sondern auch morphologisch: die Lichtung der Haare beschränkt sich auf die Scheitelplatte, der frontale Haaransatz bleibt erhalten. Das Androgeneffluvium der Frauen kommt während des geschlechtsfähigen Alters lediglich bei Androgenisierung oder medikamentös bedingt vor (Kontrazeptivum mit starker Progesteronkomponente), nach dem Klimakterium als Folge des relativen Androgenüberschusses.
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
Diagnostik. Anamnese und Klinik (typische Muster!).
Laboruntersuchungen sind überflüssig, die Hormonwerte sind unauffällig – außer bei Androgenisierungssyndromen der Frau (s. u.). Therapie. Es sind nur 2 (bei kontinuierlicher Anwendung) wirksame medikamentöse Prinzipien verfügbar: Finasterid. Ein kompetitiver Hemmer der 5α-Reduk-
tase II (in höheren Dosen zur Behandlung der Prostatahypertrophie eingesetzt), der eine Senkung der DHT-Spiegel im Haarfollikel bewirkt. Bei zwei Drittel der Behandelten kommt es zu signifikant dickerem und daher dichterem Haar. Finasterid ist nur bei Männern wirksam (Metabolisierungswege bei Frauen unterschiedlich). Gute Verträglichkeit, keine feminisierende Wirkung. Vorsicht bei pathologischer Leberfunktion. Minoxidil. Ein nichthormonelles Haarwuchsmittel mit
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breiterem Wirkungsspektrum (z. B. auch Alopecia areata). Es wirkt antiapoptotisch (Verlängerung der Anagenphase) und kann eine Zunahme der Haardichte bis zu 30% bewirken. Anwendung äußerlich als 5% Lösung. Nebenwirkungen: keine systemischen, selten lokale Reizungen. C A V E
Sowohl Finasterid als auch Minoxidil müssen ständig verabreicht werden, da das Absetzen unweigerlich zum Verlust der in der Anagenphase zurückgehaltenen Haare führt. Die beste Wirkung wird bei noch nicht weit fortgeschrittenem Effluvium erzielt.
. Abb. 10.16. Alopecia areata bei Mutter und Tochter (bei der Mutter vom Ophiasis-Typ)
Eigenhaartransplantation. Von okzipital nach frontal transplantierte Haarfollikel bleiben auch am neuen Ort resistent gegen Androgene. Das Ergebnis ist dauerhaft, aber nicht immer befriedigend. Begleitende Maßnahmen. Behandlung des oft koexis-
tenten seborrhoischen Kopfekzems schaltet einen aggravierenden Faktor aus. Das Androgeneffluvium der Frau bei Androgenisierung kann durch entsprechende hormonelle Therapie stabilisiert werden. Umschriebene Alopezien Alopecia areata (Synonym Kreisrunder Haarausfall, »Pélade«) Definition. Ein autoimmunologisch bedingtes, nichtvernarbendes, herdförmiges Anageneffluvium, das in einem Teil der Fälle in eine permanente Alopezie mündet. Epidemiologie. Alopecia areata ist nicht selten (Prävalenz ca. 0,1%), tritt überwiegend im frühen Erwachsenenalter auf und ist die häufigste Alopezie im Kindesalter. Keine Geschlechts- oder ethnische Disposition, familiäre Häufung in ca. 25%, . Abb. 10.16).
. Abb. 10.15. Androgenetisches Effluvium beim Mann
Pathogenese. Alopecia areata ist ein von zytotoxischen Lymphozyten mediierter Autoimmunprozess gegen Haarfollikelzellen. In der Anagenphase kommt es zum abrupten Absinken oder Stillstand von Proteinsynthese und Mitosen sowie zur Apoptose der Zellen der Haarmatrix. Die Keratinproduktion setzt meist nicht sofort und gänzlich aus: es wird ein mechanisch minderwertiges Keratin produziert, das Haar bricht an dieser Schwachstelle ab. Anschließend tritt ein abortiver krümeliger Haarstummel als »mumifiziertes« Haar (»Aus-
463 10.3 · Krankheiten des Haarapparats
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3Nach Meinung mancher ist die Alopecia areata häufig mit vorausgehender schwerer psychischer Belastung assoziiert. Sicher ist jedenfalls, dass sie immer wieder Anlass für Suizidversuche ist (insbesondere bei Jugendlichen).
Assoziierte Zeichen. Läsionen der Nägel (Tüpfelnägel, Längsrillen, Atrophie), selten Katarakte. Nicht selten kombiniert sind andere organspezifische Autoimmunkrankheiten (perniziöse Anämie, Autoimmunthyreoiditis, Vitiligo, Morbus Addison) sowie chronisch aktive Hepatitis, Down-Syndrom und atopische Disposition (bis 40%).
. Abb. 10.17. Alopecia areata barbae. Inmitten dieses kleinen alopezischen Herdes (alle Haarfollikel erhalten!) finden sich noch isolierte Resthaare (Telogenhaare). Graue Haare sind anfangs resistenter als pigmentierte (das alopezische Areal hat daher viel mehr graue Haare als die Umgebung – Ursache des sprichwörtlichen »Ergrauens über Nacht«)
rufungszeichenhaar«) aus dem Follikel (diagnostisches Zeichen). In schweren Fällen oder bei längerem Bestand kommt es zur irreversiblen Follikelatrophie. Die Schädigung betrifft auch die Melanozyten des Haarfollikels: »mumifizierte« Haare sind meist unpigmentiert. Nicht selten sind dies auch die bei Spontanremission nachwachsenden, normal gestalteten Haare (»Poliosis circumscripta«).
Differenzialdiagnose. Pseudopelade Brocq (s. u.), Mikrosporie, Trichotillomanie, Lues II. Foudroyant verlaufende ausgedehnte Alopecia areata kann mit diffusen Effluvien, insbesondere Anageneffluvien verwechselt werden (»Kahlwerden über Nacht«). Verlauf und Prognose. Meist kommt es über Jahre zu
partiellen Remissionen und schubartigen Rezidiven. Schließlich kann die Alopecia areata spontan abheilen, oder aber der Prozess schreitet bis zur totalen/universellen Alopezie fort. Oft kommt die Krankheit mit einigen permanenten alopezischen Herden zum Stillstand. Diese 3 Endzustände sind etwa gleich wahrscheinlich, Prognosen daher schwierig. Marker schlechter Prognose sind ausgedehnte und schnell verlaufende Formen, früher Beginn (vor der Pubertät), Befall vom Ophiasistyp (s. o.), familiäre Häufung, assoziierte Systemkrankheiten und Nagelveränderungen. Diagnostik. Anamnese (familiäre Belastung, Atopie,
Symptomatik. Beginn meist mit plötzlichem Haaraus-
frühere Episoden), Klinik, Histologie, Trichogramm.
fall in einem oder mehreren münzgroßen Bereichen am Haupt- oder Barthaar, selten an Augenbrauen und Wimpern; subjektive Beschwerden fehlen. Die kahle Hautstelle ist nicht entzündet, die Follikelostien sind erhalten. Telogenhaare bleiben vorerst innerhalb der kahlen Stelle stehen und fallen erst am Ende der Telogenphase aus. Weiße Haare sind resistenter als pigmentierte (. Abb. 10.17). Die Herde breiten sich zentrifugal aus, am aktiven Rand lassen sich die Haare büschelweise ausziehen. Meist finden sich nur wenige bis handgroße alopezische Herde. Bei Befall des gesamten Kapillitiums spricht man von Alopecia areata totalis, bei Befall auch der Körperhaare von Alopecia areata universalis. Herde im okzipitalen und temporalen Haaransatz werden »Ophiasis« genannt (s. u.). Histologie: Dichte lymphozytäre Infiltrate, vorwiegend CD8+, um die tiefen Portionen der Haarfollikel.
! Diagnostisch und prognostisch wichtig ist die Inspektion der Haare am Rand der betroffenen Areale: »mumifizierte« Haare und leicht ausziehbare Haarbüschel sprechen für rasche Progression.
Therapie. Bei geringer Ausdehnung ist die Wahrschein-
lichkeit einer Spontanremission höher, die versuchsweise Applikation topischer Kortikosteroide daher gerechtfertigt. Wirksamkeit von Minoxidil wurde berichtet, unwirksam ist die Behandlung mit Irritanzien (Anthralin, Tinctura capsici), Photochemotherapie und orale Zinkgabe. Bei akuten Schüben: systemische Kortikosteroide können den Haarausfall schnell unterbrechen, doch sind die erforderlichen Dosen relativ hoch und müssten lange gegeben werden (Nebenwirkungen! Nach Absetzen kommt es sofort zum Rezidiv). Diese Behandlung ist daher abzulehnen.
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
Die einzig wirksame Therapie bei schwereren Fällen ist die Immuntherapie: Induktion einer allergischen Kontaktdermatitis in den alopezischen Herden mit den obligaten Kontaktallergenen Diphencypron (DPCP) oder Quadratsäure. Wirkprinzip: Verdrängung des spezifischen zytotoxischen Infiltrats aus dem Follikelbereich durch die provozierte entzündliche Reaktion. Wiederwuchs erfolgt in >70%, Rezidive werden dadurch jedoch nicht verhindert. Weitere nichtvernarbende, umschriebene Alopezien Alopecia areolaris specifica. Kleinfleckiger Haarausfall der späten Lues II mit Maximum an Schläfen und Hinterkopf (7 Kap. 15).
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Mechanisch bedingte Haarausfälle. Gesundes Anagenhaar ist fest im Bulbus verankert und seine gewaltsame Entnahme schmerzhaft (Ausnahme: das vermutlich nicht so seltene, familiär gehäufte »loose anagen syndrome«). Gegenüber chronisch reibenden, ziehenden oder drückenden mechanischen Traumata sind Haare jedoch relativ empfindlich. Folge: Abbrechen des Haarschafts oder chronische Schädigung der Matrix. In beiden Fällen kann es zur irreversiblen Verödung des Haarfollikels kommen. Folgende Situationen führen zu mechanisch bedingten Alopezien: 4 Traktionsalopezie: forciertes Frisieren, etwa Ausrichten gekräuselter oder Eindrehen gerader Haare, bestimmte Frisurtypen (Pony-Frisur), die dauernden Zug an der Haarwurzel verursachen (Gummiband). 4 Druckalopezie: durch dauerndes Tragen von Kopfbedeckungen oder Perücken. Auch Körperhaare werden durch langes Tragen von engen Strümpfen, Hosen (»Wadenglatze«), Gürteln etc. vernichtet. 4 Hinterhauptalopezie: bei Kleinkindern und Bettlägrigen. 4 Trichotillomanie (. Abb. 10.18): ein nicht seltenes Bild, das durch gewohnheitsmäßiges Ziehen, Reißen, Reiben und Eindrehen von Haarsträhnen zustande kommt: eher unscharf begrenzte, scheibenförmige alopezische Herde hochparietal (»Tonsur-artig«), in denen alle Haarfollikel vorhanden sind und verschieden lange Haarstummel tragen (»schlecht gemähte Wiese«). Trichotillomanie ist bei Kindern oft Ausdruck spielerischer Betätigung, bei Erwachsenen von psychischen Störungen. Differenzialdiagnose: Alopecia areata.
Vernarbende Alopezien Atrophie oder Zerstörung der Haarfollikel (»Vernarbung«) durch meist umschriebene entzündliche Pro-
. Abb. 10.18. Trichotillomanie mit typischer tonsurartiger Konfiguration. Beachte die erhaltenen Haarfollikel mit Haarstummeln
zesse führt zur irreversiblen Alopezie (klinisch: Follikelostien fehlen). Infektionen sind die häufigste Ursache vernarbender Alopezien: Furunkel (oft im Rahmen eines seborrhoischen Ekzems), tiefe Trichomykosen, Lupus vulgaris, Leishmaniose, Varizellen u. a. m. Folliculitis decalvans ist eine durch besondere Chronizität (und oft Therapieresistenz) ausgezeichnete herdförmige, meist am Scheitel auftretende pyogene tiefe Follikulitis: charakteristisch sind ein Nebeneinander von Pusteln, serös-eitrigen Krusten und atrophhypertrophen Narben, dazwischen isolierte Büschel normaler Haare. Therapie: Antiseptische Shampoos, systemische Antibiotika. Folliculitis et perifolliculitis capitis abscedens et suffodiens ist eine großflächige, durch multiple tiefe Abszesse und Fisteln gekennzeichnete Infektion der Kopfhaut im Rahmen der so genannten Acne conglobata (s. u.). Acne keloidalis nuchae ist eine durch derbe narbige Knötchen gekennzeichnete, manchmal pustulierende Follikulitis der Nackengegend (perpetuierender Faktor: Kratzen!). Vernarbende Alopezien im Rahmen (entzündlicher) Dermatosen Mehrere klassische entzündliche Hautkrankheiten können mit vernarbender Alopezie assoziiert sein: CDLE (meist münzgroße, konfluierende Herde), Lichen ruber follicularis (kleinfleckig konfluierend) systemische und zirkumskripte Sklerodermie, vernarbendes Pemphigoid, hepato-erythrozytäre Porphyrie u. a. m. Manche dieser Krankheiten sind im frischen Zustand klinisch, histologisch und mit den entsprechenden Laboruntersuchungen leicht erkennbar, im »ausgebrannten« Zu-
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stand kann dies schwierig sein (historischer Sammelbegriff »Pseudopelade Brocq«). Weitere Ursachen haarloser »Narben«: granulomatöse Entzündungen der Kopfhaut (Granuloma anulare, Necrobiosis lipoidica, Sarkoidose), Verbrennungen, Verätzungen, mechanische Traumen, Tumoren (Basaliom u. a.). Mucinosis follicularis Ein seltenes, wichtiges Krankheitssymptom mit typischem klinischem und histologischem Bild und unbekannter Pathogenese: plaqueartig elevierte erythematöse, oft hypopigmentierte, mäßig derbe Läsionen mit etwas vorragenden Haarfollikeln (»Gänsehaut«), in denen nach einiger Zeit die Haare ausfallen. Prädilektionsstellen: Skalp und Gesicht, weniger häufig der übrige Körper. Histologie: muzinöse Degeneration der äußeren Haarwurzelscheide. Man unterscheidet eine idiopathische und eine symptomatische Form: Erstere ist eine meist bei jungen Erwachsenen auftretende selbstlimitierte Dermatose, die nach Monaten bis Jahren spontan abheilt. Letztere ist mit Lymphomen assoziiert, meist Mycosis fungoides. Hier sind die Plaques meist generalisiert. Histologisch finden sich neben Muzin auch follikuläre Infiltrate des Lymphoms. Oft heftiger Juckreiz! Vernarbende Alopezien bei Entwicklungsdefekten und Genodermatosen Hereditäre Verhornungsstörungen der Haarfollikel (atrophisierende Keratosis follicularis, Morbus Darier) können mit schütterem bis fehlendem Haar im betroffenen Bereich einhergehen, Ähnliches gilt für manche Ichthyosen, Formen der Epidermolysis bullosa hereditaria, Incontinentia pigmenti, epidermale Nävi u. a. Aplasia cutis idiopathica ist ein meist median gelegener kongenitaler Defekt der Skalphaut, der in den ersten Lebensmonaten narbig abheilt und ein haarloses atrophes Areal hinterlässt. Differenzialdiagnose: traumatische Skalpdefekte bei Vakuumextraktion.
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im HR-Gen (analog dem hairless-Gen der Maus – es kodiert für ein Protein, das mit dem Schilddrüsenhormonrezeptor interagiert und den Haarzyklus reguliert). Kinder werden mit fetalen Lanugohaaren geboren, entwickeln aber kein Terminalhaarkleid. Ein Subtyp ist die Atrichia with papular lesions (Zysten an Ellenbogen und Knien). Verwandt (benachbarter Genlocus) ist die autosomal dominante Hypotrichosis congenita MarieUnna, bei der schütteres Haar mit gröberen und gedrehten Haarschäften besteht. Bei der relativ häufigen autosomal dominanten Hypotrichosis simplex liegt ein Defekt des Corneodesmosin-Gens vor. Es entsteht zwar schütteres Terminalhaar, verschwindet jedoch nach der Pubertät durch progressive Follikelatrophie (schüttere, dünne Haare). Bei diesen Syndromen sind die Körperhaare in der Regel gleichsinnig betroffen. Mangelhafte Ausbildung der Haaranlagen findet sich auch bei der Gruppe ektodermale Dysplasien. Haarschaftanomalien Charakteristische, meist genetisch determinierte Bildungsstörungen des Haarschafts bei normaler Follikelzahl. Sie können isoliert oder als Teilsymptom übergeordneter Störungen auftreten (. Abb. 10.19). Haarschaftanomalien mit erhöhter Haarbrüchigkeit Viele Haarschaftanomalien führen zur mechanischen Minderwertigkeit und damit zu abnorm kurzen (oft nur einige Zentimeter langen) Haaren, und dadurch
10.3.2 Strukturdefekte des Haars Diese sind meist genetisch determiniert und treten häufig im Rahmen von Fehlbildungssyndromen auf. Man unterscheidet A-(Hypo)trichien und Haarschaftanomalien. Atrichien und Hypotrichien. Eine Reihe seltener Erb-
zustände, bei denen sämtliche Haare entweder fehlen oder nur spärlich (verringerte Follikelzahl), dünn und kurz ausgebildet werden. Atrichia congenita universalis ist die schwerste Verlaufsform, autosomal-rezessiv. Ursache: Mutationen
. Abb. 10.19. Einige Haarschaftanomalien (in Anlehnung an Braun-Falco, 1984). Von links nach rechts: normales Haar (1), Pilus anulatus (2), Monilethrix (3), Pilus tortus (4), Trichorrhexis nodosa (5), Trichorrhexis invaginata (6), Trichoschisis (7)
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
scheinbar schütterem Haar. Trotz ihrer verschiedenen Ursache ähneln sich die klinischen Bilder, die Diagnose erfolgt durch mikroskopische Untersuchung. Die molekularen Strukturdefekte sind nur teils bekannt. Monilethrix. Dieses autosomal-dominant vererbte Zu-
standsbild kommt durch Mutationen in HaarkeratinGenen zustande. Klinisch perifollikuläre hyperkeratotische Papeln und kurze, brüchige Haare mit intermittierenden, knotigen Verdickungen (Monile: lat. Halsband). Krankheitsbeginn in der frühen Kindheit. Betroffen sind Haupt- und (seltener) Körperhaare.
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Trichorrhexis nodosa. Diese ist gleichfalls durch knotige Auftreibungen der Haare gekennzeichnet; in diesen kommt es jedoch zu einer partiellen Fraktur mit charakteristischer Aufsplitterung der Bruchenden (»zwei mit der Borstenseite aufeinandergesteckte Besen«). Trichorrhexis nodosa ist ein polyätiologisches Phänomen: einerseits die wahrscheinlich häufigste erworbene Haarschaftsanomalie (Zusammenspiel einer dispositionellen Haarschwäche und mechanischer Traumen – forciertes Kämmen!), andererseits Vorkommen bei Trichothiodystrophie, beim Menkes- und Argininbernsteinsäure-Syndrom (s. diese, 7 Kap. 6.1.3).
. Abb. 10.20. Trichorrhexis invaginata bei einem Knaben mit Netherton-Syndrom. Kurze, glanzlose, brüchige Haare
Trichorrhexis invaginata. Dieser Haardefekt ist durch intermittierender Plastizität des Haarkeratins gekennzeichnet (. Abb. 10.20). Folge: Der distale Anteil des Haarschafts wird an der Schadstelle teleskopartig ein Stück in den proximalen hineingeschoben (»Bambushaare«). Auftreten isoliert oder als Teilsymptom des Netherton-Syndroms (7 Kap. 8.2). Pili torti. Die Haare sind abgeflacht und in der Längs-
richtung eingedreht. Ursache: Biegung der Haarfollikel. Selten erworben (z. B. Bazex-Syndrom), meist autosomal-dominant vererbt. Assoziation mit Menkes-Syndrom, Trichothiodystrophie u. a. m.
. Abb. 10.21. Pili anulati. Die Haare erscheinen gebändert (pigmentierte und unpigmentierte Abschnitte)
Erworbene Haarschaftanomalien mit erhöhter Brüchigkeit. Diese entstehen meist durch chronisch-me-
sache: Lichtreflexion durch Luftbläschen im Haarkortex. Vererbung autosomal-dominant.
chanisches Frisiertrauma: 4 Trichoschisis (Spaltung der Haare vom freien Ende in der Längsrichtung. Ursache: Defekte der Kutikula) 4 Trichomalazie (Bruchstellen durch Zug) 4 Trichonodosis (Knotenbildung, vornehmlich bei gekräuseltem Haar)
Kräuselhaare. Negroide Kräuselung der Haare bei Wei-
ßen. Häufig mit anderen Haarschaft- und Pigmentanomalien kombiniert, autosomal-dominant. Kann auch als nävusartige Bildung (Wollhaarnävus) inmitten ansonsten normalen Terminalhaars auftreten. Pili trianguli et canaliculati (Cheveux incoiffables).
Haarschaftanomalien ohne erhöhte Brüchigkeit Pili anulati. Eine periodische ringartige Dunkel- und Hellfärbung der Haare (Ringelhaare, . Abb. 10.21). Ur-
Unkämmbar verfilztes Haar. Ursache: dreieckiger Querschnitt mit Längsrillen macht Gerade- und Parallelrichtung der Haare unmöglich. Autosomal-dominant.
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Therapie der Haarschaftanomalien Keine. Systemische Retinoide können manchmal zur Besserung führen (Monilethrix), Dauerbehandlung ist jedoch nicht indiziert. Prophylaxe: Meidung von Traumen. Pigmentstörungen des Haars Häufigste Pigmentstörung ist das physiologische Ergrauen der Haare (Canities) (s. o.). Obwohl sich weiße Haare nur durch den Pigmentmangel von den pigmentierten unterscheiden, besitzen sie dennoch andere physikalische Eigenschaften: sie sind borstiger und lassen sich daher schlechter kämmen. Weiße oder gelblich-weiße Haare finden sich bei Albinismus, auffallend helle bei Menkes-Syndrom, Phenylketonurie, Mangelernährung, Eisenmangelanämie u. a. m. Unter Poliose versteht man isolierte Strähnen weißen Haars. Solche finden sich angeboren bei Piebaldismus, Morbus Pringle und Neurofibromatose, erworben bei Nachwuchs von Alopecia areata und beim Vogt-Koyanagi-Syndrom. Auch Haare in kongenitalen melanozytären Nävi ergrauen oft früher als normale Haare.
. Abb. 10.22. Umschriebene Hypertrichose der Sakralgegend – Hinweis auf eine Spina bifida
trichose bei Dysraphien des Achsenskeletts (Spina bifida) (. Abb. 10.22). Erworbene Hypertrichosen
Hypertrichose bedeutet eine verstärkte Körperbehaarung ohne Bevorzugung androgenabhängiger Regionen. Eine Hypertrichose der androgenabhängigen Haarfollikel bei Frauen wird als Hirsutismus bezeichnet. Bei beiden kommt es nicht zu einer Vermehrung der Haarfollikel, sondern zum Auftreten von Lang- anstelle von Lanugohaaren.
Akquirierte Hypertrichosis lanuginosa. Bei diesem seltenen, dramatischen Zustandsbild treten beim Erwachsenen plötzlich lange Lanugohaare im Gesicht und oft am ganzen Körper auf. Es handelt sich um eine (fast) obligate Paraneoplasie, die dem Auftreten des Tumors oft Jahre vorausgehen kann. Eine generalisierte Hypertrichose kann ferner bei schweren System- (Marasmus, Multiple Sklerose, nach Schädelhirntraumen) und Stoffwechselkrankheiten (Cushing-Syndrom), sowie als Medikamentenwirkung auftreten: Kortikosteroide, Cyclosporin A, Minoxidil, Penicillamin, Phenytoin, Interferon-α.
Angeborene Hypertrichosen
Lokalisierte erworbene Hypertrichosen. Diese nicht
Kongenitale generalisierte Hypertrichose (Hypertri-
seltene Störung findet man häufig als Folge langdauernder lokaler Kortikosteroidtherapie, regelmäßig bei Porphyria cutanea tarda an lichtexponierten Körperstellen, seltener an Stellen chronischer Hyperämie (z. B. über Angiomen, chronischen Entzündungen, postthrombotischem Syndrom, prätibialem Myxödem etc.) und ausnahmsweise bei Läsionen peripherer Nerven.
10.3.3 Hypertrichosen
chosis lanuginosa congenita). Möglicherweise ein Atavismus, vermutlich genetisch heterogen. Der Erbgang ist manchmal autosomal-dominant, oft X-chromosomal dominant, dann bei Frauen als Mosaizismus auftretend. Schon bei Geburt oder bald danach sind Gesicht und Körper, abgesehen von Handflächen und Fußsohlen, mit wolligem Lanugohaar bedeckt, das sich später in Langhaar umwandeln kann. Generalisierte Hypertrichose ist ferner Teilsymptom einer Reihe angeborener Stoffwechselstörungen (z. B. Mukopolysaccharidosen, Porphyrien) und Fehlbildungssyndromen (Cornelia-de-Lange-Syndrom u. a.). Umschriebene kongenitale Hypertrichose. Diese
kann als eigene nävoide Fehlbildung oder in Form komplexer Nävi (z. B. Becker-Naevus) auftreten. Eine wichtige Signalfunktion hat die umschriebene Hyper-
Hirsutismus Definition. Hirsutismus bedeutet ein männliches Haar-
wachstumsmuster bei Frauen. Er ist entweder anlagemäßig bedingt (dann auch erblich) oder beruht auf Androgenisierung. Epidemiologie. Hirsutismus liegt bei 5–10% der Frauen in den Industrieländern vor. Es bestehen große ethnische Unterschiede – Hirsutismus ist häufig bei mediterranen Populationen, sehr selten bei Ostasiaten.
468
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
. Tab. 10.8. Idiopathischer und symptomatischer Hirsutismus Krankheitsbild
Epidemiologie/Ätiologie
Charakteristika
Idiopathischer Hirsutismus
Meist familiär Bei geschlechtsreifen Frauen
Diskreter Befund ohne Androgenisierungszeichen Normale Hormonspiegel Erhöhte Empfindlichkeit der androgensensiblen Haarfollikelzellen
Endokriner (symptomatischer) Hirsutismus
Polyzystisches Ovarsyndrom (POS) Kongenitale adrenale Hyperplasie (CAH) Androgen produzierende maligne Neoplasien (Ovar, Nebennierenrinde, Hypophyse) Durch Medikamente: ACTH, Androgene, Anabolika, Danazol, Gonadotropine, Gestagene
Bei POS und CAH Beginn (prä)pubertär, mit Androgenisierungszeichen Bei Neoplasien Beginn abrupt und massiv
Pathogenese. Hirsutismus kommt durch eine ver-
stärkte Androgenwirkung an den androgensensitiven Haarfollikeln zustande. Die Ursache liegt seltener in erhöhten Spiegeln zirkulierender Androgene (symptomatischer Hirsutismus) als in einer höheren Sensibilität des Androgenrezeptors (90% der Fälle; idiopathischer Hirsutismus, . Tab. 10.8).
10
Symptomatik. Langhaare anstelle unscheinbarer La-
nugohaare an Kinn, submental, Kotelettenbereich, Oberlippe (lateral > medial), über dem Sternum, um die Mamillen und am medianen Unterbauch (zwickelförmiges Auslaufen der Schambehaarung zum Nabel) (. Abb. 10.23). Die Ausprägung des Hirsutismus kann von kaum wahrnehmbar bis schwer reichen. Er kann isoliert auftreten oder von anderen Zeichen der Androgenisierung (androgenetisches Effluvium, Akne vulgaris tarda, Menstruationsstörungen, Seborrhö) oder der
Virilisierung begleitet sein (männlicher Habitus, Vergrößerung der Klitoris, tiefere Stimme etc.). Therapie. Die systemische Behandlung allfälliger Hor-
monstörungen ist Aufgabe des Endokrinologen. Antiandrogene (z. B. Cyproteronacetat) bewirken durch Kompetition um den Rezeptor in >50% eine Besserung (allerdings erst nach Monaten; Nebenwirkungen sind depressive Verstimmung und Verlust der Libido). Milde Formen des Hirsutismus können durch Bleichung unauffälliger gemacht werden. Rasieren und chemische Entfernung bringen nur zeitweilige Besserung; sachgerechte Epilation ist schmerz-, aber dauerhaft. Gut wirksam ist oft die Laser- und Blitzlampenepilation. Bei Hypertrichose des Gesichts wird das 2-mal tägliche Auftragen einer Eflornithin-Creme empfohlen (Hemmung der Ornithindecarboxylase = Regulator des Zellwachstums). 10.4
Krankheiten der Talgdrüsen
Wesentliche pathologische Reaktionen der Talgdrüsen sind: 4 Hyperproduktion von Talg (Seborrhoe) 4 Okklusion des Follikelinfundibulums (akneiforme Dermatosen) 4 bakterielle Fehlbesiedlung der Follikelostien Krankheiten der Talgdrüsen sind in der Regel auf Regionen mit Talgdrüsenfollikeln beschränkt (Gesicht, zentraler Rumpf). Seborrhoe. Der Begriff Seborrhoea oleosa bezeichnet . Abb. 10.23. Hirsutismus. Männliches Verteilungsmuster der Pubes bei einer jungen Frau mit Hyperandrogenisierungssyndrom
die Neigung zu fettiger (Gesichts)Haut und fetten Haaren durch übermäßige Talgproduktion. Sie ist Ausdruck der individuellen Reaktionsweise auf die mit der Pubertät beginnende endogene androgene Stimulation. Ver-
469 10.4 · Krankheiten der Talgdrüsen
mehrter Talgfluss kann auch bei inneren Krankheiten (Akromegalie, Morbus Parkinson – »Salbengesicht«) und medikamentös bedingt auftreten (Anabolika, ACTH, Kortikosteroide). Seborrhoe ist häufig mit seborrhoischem Ekzem und Acne vulgaris assoziiert. Therapie: Pflegemaßnahmen. In exzessiven Fällen kann die systemische Verabreichung von Isotretinoin indiziert sein. 10.4.1 Akneiforme Dermatosen Diese sind durch Okklusion des Haarfollikels und nachfolgende Entzündung gekennzeichnet. Acne vulgaris Definition. Acne vulgaris ist eine androgenabhängige, selbstlimitierte, außerordentlich häufige entzündliche Dermatose der Adoleszenz und des frühen Erwachsenenalters, die auf der Ausbildung follikulärer Hornpfröpfe (Komedonen) in den Talgdrüsenfollikeln von Gesicht und Rumpf beruht. Epidemiologie. Acne vulgaris tritt bei ca. zwei Drittel der Adolezenten auf, aber nur bei wenigen in schwerer Ausprägung. Sie beginnt gewöhnlich um das 12. Lebensjahr und endet spontan meist bis zum 25. Lebensjahr. Schwere Akneformen sind oft familiär gehäuft, beginnen früher als leichte Formen, zeigen ein späteres (spontanes) Ende und sind bei Knaben häufiger. ! Die spontane Remission der Akne kommt nicht durch Absinken der Androgenspiegel, sondern durch einen Gewöhnungseffekt des Zielorgans zustande.
Ätiologie und Pathogenese. Die Akne wird durch das gleichzeitige bzw. sukzessive Wirken mehrerer Faktoren ausgelöst: 4 Androgenmediierte Hypertrophie der Talgdrüsen und Steigerung der Lipidsynthese. Die überschießende Androgenwirkung beruht bei beiden Geschlechtern auf dispositionell erhöhter Aktivität der 5α-Reduktase des Endorgans mit vermehrter Bildung von DHT. Seltener sind erniedrigte Spiegel des SHBG (»sex hormone binding globulin«) verantwortlich (bei Hypothyreoidismus, Adipositas, Akromegalie, Kortikosteroidmedikation). Bei Frauen werden die prämenstruellen Erhöhungen der Progesteronspiegel (androgenähnliche Wirksamkeit) von einer charakteristischen Verschlechterung der Akne begleitet. 4 Follikuläre Orthohyperkeratose im tiefen Follikelinfundibulum durch Proliferationsteigerung des Epithels und Umstellung auf einen epidermalen
10
Verhornungstyp (direkte Hormoneinwirkung? Sekundär durch Talghyperproduktion?). Das Resultat ist ein aus Hornmassen bestehender Pfropf, der zum Stau der intensiv weiter produzierten Talgmassen führt. Es entsteht ein mit Lipid-Horn-Substanz gefüllter Sack, der Komedo. 4 Stark erhöhte Proliferation der aeroben lipophilen und lipolytischen Diphtheroide Corynebakterium acnes und granulosum. Diese kommen physiologischerweise am Grund des Follikelinfundibulums vor und sind sonst kaum pathogen. Im Komedo finden sie ideale Lebensbedingungen, spalten mit Lipasen die reichlich vorhandenen Neutralfette, die entstehenden freien Fettsäuren wirken stark inflammatorisch (Leukotaxis). Der Komedo platzt (spontan oder durch Manipulation) und ergießt seinen Inhalt in das umgebende Bindegewebe → heftig entzündliche, abszedierende Reaktion. ! Erhöhte Androgenspiegel finden sich nur bei einer Minorität von Frauen mit Akne und sind dann von anderen Zeichen der Androgenisierung begleitet (Hirsutismus, androgenetische Alopezie, Menstruationsstörungen). Ursache: (meist ovarieller) Androgenismus.
Symptomatik. Das Erscheinungsbild der Acne vulgaris ist durch einen gesetzmäßigen Ablauf entzündlicher Veränderungen am und um die Komedonen gekennzeichnet, ihr Endzustand ist (unbehandelt) die narbige Abheilung. Primäreffloreszenz: der Komedo (Mitesser). Dieser ist eine auf Hyperkeratose des Follikelostiums beruhende Talg- und Hornretentionszyste. Vereinzelt tritt er als Minimalform der Acne vulgaris wahrscheinlich bei jedem Individuum in bzw. nach der Pubertät in Erscheinung. Man unterscheidet offene (schwarze) Komedonen mit klaffender Follikelöffnung und schwarzem Horn-Lipid-Pfropf (Ursache: oxidiertes Melanin, Schmutz) und geschlossene (weiße) Komedonen mit obliteriertem Follikelostium und weißlich durchschimmerndem Talg. Geschlossene Komedonen führen eher zur abszedierenden Entzündung als offene. Folgende Erscheinungsformen bzw. Stadien der Acne vulgaris werden unterschieden: 4 Acne comedonica (. Abb. 10.24): mehr oder minder zahlreiche Komedonen vorwiegend an Stirn, Nase, nasolabial und im Kinnbereich. 4 Acne papulopustulosa: Entzündung der Komedonen mit oder ohne Pustelbildung (entsprechend einer oberflächlichen Follikulitis). Sie können sich zu tiefen, Furunkel-ähnlichen Läsionen weiterentwickeln.
470
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
4 Acne nodulocystica (Synonym Acne vulgaris conglobata, . Abb. 10.25): multiple, tiefe, knotige perifollikuläre Infiltrate (entsprechend einer tiefen Follikulitis), die zu ausgedehnten Abszessen mit multiplen Fistelöffnungen konfluieren und im Extremfall weite Teile der Haut von Gesicht, Brust und Rücken fuchsbauartig unterminieren können.
. Abb. 10.24. Acne vulgaris comedonica. Vorwiegend geschlossene (weiße) Komedonen der Stirn
Die Acne nodulocystica hinterlässt meist nur schwer behandelbare Narben unterschiedlicher Morphologie (grübchen-, krater-, eispickelartig, schüsselförmig, komendonenartig, atroph, hypertroph, . Abb. 10.26). Ausgeprägte Fälle der Acne vulgaris sind durch ein buntes Nebeneinander von allen beschriebenen Läsionen gekennzeichnet und hinterlassen auch sehr auffällige, wie gestrickt aussehende Narbenkomplexe (»pockennarbig«, Aknekeloid). Therapie. Ein Spektrum wirksamer Therapiemöglich-
10
. Abb. 10.25. Übergang von Acne papulopustulosa zu Acne conglobata
. Abb. 10.26. Aknenarben. Atrophe eingezogene Narben nach Kinnakne (artefizielle Komponente)
keiten steht zur Verfügung. Diese setzen an verschiedenen Gliedern der pathogenetischen Kette an. 4 Komedolytische Therapie. Die lokale Applikation von Vitamin-A-Säure (Tretinoin) wirkt stark antikeratinisierend, löst bestehende Hornpfröpfe auf (→ Entleerung des gestauten Talgs) und verhindert die Bildung neuer Komedonen. Wirkung: erst nach etwa 3 Wochen. Sie ist die wesentliche Säule der Aknetherapie (Cave: erhöhte UV-Empfindlichkeit) und muss solange weitergeführt werden, wie die Neigung zur Akne besteht (Jahre!). Mögliche Nebenwirkungen: Irritation (»Retinoid-Dermatitis« – sorgsame Dosierung!) und scheinbare Verschlechterung der Akne zu Therapiebeginn durch synchrones »Reifen« der Komedonen. Ein besser hautverträgliches und lichtstabiles, allerdings weniger wirksames Präparat ist Adapalen. 4 Isotretinoin (cis-Retinsäure, Accutan) ist das stärkste gegen Akne wirksame Agens und Mittel der Wahl bei schwerer Akne: ein oral verabreichtes synthetisches Retinoid, das (neben seiner komedolytischen Wirkung) die Talgdrüsen zur reversiblen Involution bringt und zur rezidivfreien Abheilung der Akne führen kann. Isotretinoin wird in Dosen von 0,5–1,0 mg/kg begonnen und bis zur nachhaltigen Rückbildung der Akne in niedrigen Erhaltungsdosen weiter gegeben. Nebenwirkungen und Kontraindikationen: Teratogenität (Notwendigkeit sicherer Kontrazeption für Frauen – oral!), Transaminasen- und Lipidanstieg, erhöhte UVEmpfindlichkeit, Austrocknung von Haut und Schleimhäuten (Lippen!), selten paradoxe Verschlechterung der Akne mit Fieber und Granuloma pyogenicum-ähnlichen Läsionen.
471 10.4 · Krankheiten der Talgdrüsen
4 Antibakterielle Therapie. Stärker entzündliche Formen bedürfen vor und während der Vitamin-ASäure-Therapie einer zusätzlichen antibakteriellen Behandlung. Diese kann lokal (Erythromycin, Clindamycin) oder systemisch erfolgen (orale Tetrazykline, Minozyklin). Eine antibakterielle Therapie ohne komedolytische Begleitbehandlung ist jedoch nicht sinnvoll! Cave: Isotretinoin und Tetrazykline sollten nicht gleichzeitig gegeben werden (Gefahr des Pseudotumor cerebri). Das topisch anwendbare Benzoylperoxid vereinigt komedolytische und antibakterielle Wirksamkeit bei fehlender Resistenzentwicklung von C. acnes. Allerdings stellt es keine Alternative zu Tetrazyklinen bei tiefen Entzündungen dar und ist der Vitamin-A-Säure unterlegen (Cave: kann Wäsche bleichen). 4 Azelainsäure, ein Stoffwechselprodukt von M. furfur, einem Saprophyten des Haarfollikels, besitzt ebenfalls wachstumshemmende Wirkung auf C. acnes, ist aber wenig wirksam. 4 Orale Kontrazeptiva mit einem antiandrogenenen Gestagenanteil beeinflussen die Akne günstig. Ausschließlich bei Frauen können Androgenrezeptorantagonisten (Cyproteronacetat) eingesetzt werden. Auch hier ist eine komedolytische Lokalbehandlung sinnvoll. C A V E
Maßnahmen, die ausschließlich auf Entfernung der Komedonen ausgerichtet sind (»Aknetoilette«, Schälkuren) haben nur vorübergehende Wirkung, Manipulationen bringen das Risiko der Follikelruptur mit sich.
Nicht wirksame, aber viel geübte Praktiken: 4 Diät: Keinerlei Diät beeinflusst den Verlauf der Akne und erhöht nur die Belastung des ohnehin meist sensiblen Aknepatienten. 4 Lokale Desinfektion und Säuberung mit Seifen: Die oberflächliche Entfernung von Hautfett bzw. Hautkeimen hat keinen Einfluss auf den Verlauf der Akne. 4 Kommerziell erhältliche »Peeling«-Präparate: Eine Ausnahme davon sind möglicherweise die derzeit »aktuellen« Fruchtsäurepräparate. 4 UV-Bestrahlungen. Sonderformen der Acne vulgaris Acne cosmetica. Mäßig entzündliche Akneform mit
reichlich Komedonen und relativ tief sitzenden entzündlich-fibrotischen Knötchen vorzugsweise im Kinnbereich. Genese: komedogene Substanzen in Kosmetikartikeln, Manipulation.
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Spätakne (Acne tarda). Eine bis ins Erwachsenenalter
persistierende Akne bei Frauen, häufig durch milden Hyperandrogenismus bedingt. Typisch sind fibrosierte Akneeffloreszenzen am Kinn (Kinnakne), Kratzzwang und milde Zeichen der Hormondysregulation (Menstruationsunregelmäßigkeiten, milder Hirsutismus) sowie prämenstruelle Exazerbation. Acne excoriée des jeunes filles. Psychogen überlagerte
Akne, reichlich Kratzartefakte. Acne tropica. Eine wegen Superinfektion mit Staph.
aureus besonders intensiv verlaufende Acne vulgaris (starkes Schwitzen fördert die Proliferation der Hautflora). Acne neonatorum. In der Postpartalperiode (seltener
im Kleinkindesalter) auftretende Acne papulopustulosa. Genese: restierende mütterliche Androgene. Spontane Abheilung. Akneähnliche Dermatosen Medikamenteninduzierte Akne. Medikamente kön-
nen akneiforme Exantheme durch Follikelobstruktion mit entzündlicher Begleitreaktion hervorrufen, echte Komedonen sind kaum vorhanden. Prädisponiert sind junge Patienten mit Acne vulgaris. Klassisches Beispiel ist die Steroidakne: schütter disseminierte entzündliche Papeln um kleine follikuläre Hornpfröpfe vorwiegend am oberen Rumpf und den proximalen Extremitäten, meist schon kurze Zeit (etwa 2 Wochen) nach hochdosierten Kortikoidstößen. Weitere Auslöser sind INH, Hydantoine, Halogene (Jod, Brom, Chlor). Junge Männer sollten stets nach der Einnahme von Anabolika befragt werden, die ebenfalls zur Verschlechterung oder Aufrechterhaltung von akneiformen Läsionen führen können. Exogen bedingte Akne (Öl-, Teerakne). Öle kommen als feine Tröpfchen in der Luft mit der Gesichtshaut in Kontakt (Webereien, Schleifereien etc.) und verursachen oft zahlreiche Komedonen (Prädilektionsstellen: Schläfen, Jochbeingegend). Auch direkter Kontakt mit Öl durch verschmutzte Arbeitskleider kann Akneläsionen an den betroffenen Körperstellen hervorrufen. Acne fulminans. Ein sehr seltenes, akutes Krankheitsbild mit schmerzhaften, exulzerierenden und vernarbenden Läsionen, das fast nur bei Knaben in der Pubertät und oft ohne vorhergehende Akneläsionen auftritt. Ausgeprägte Systemzeichen (Fieber, Leukozytose, Arthralgien).
472
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
zentrofaziale Teleangiektasien und Papulopusteln bei Fehlen von Komedonen gekennzeichnet ist. Epidemiologie. Rosazea ist eine häufige Hautkrankheit der 2. Lebenshälfte (Prävalenz ca. 10% dieser Altersgruppe), die vorwiegend bei Weißen und bei Frauen vorkommt und bei Menschen gehäuft ist, die Wind, Wetter und Alkohol ausgesetzt sind. Ihr Endstadium, das Rhinophym, tritt fast nur bei Männern auf.
. Abb. 10.27. Follikuläres Okklusionssyndrom (chronische Hidradenitis suppurativa). Wie gestrickt aussehende Narben nach Infiltraten und Fisteln; ein frisch entzündlicher Knoten am unteren Bildrand
10
Ätiologie und Pathogenese. Unbekannt. Es finden sich 3 grundlegende pathophysiologische Phänomene, die wenig miteinander zu tun zu haben scheinen: eine vaskuläre Übererregbarkeit der Gesichtsregion (pathologische Gefäßdilatation auf physiologische Stimuli), bakterielle Fehlbesiedlung des Follikelinfundibulums (Neigung zu follikulären Pusteln) und Talgdrüsenhypertrophie. Rollen von Demodex folliculorum und einer Helicobacter-pylori-Infektion des Gastrointestinaltrakts wurden diskutiert. Symptomatik. Rosazea ist eine chronisch-entzündliche
10.4.2 Rosazea und Periorale Dermatitis
Dermatose der konvexen Partien der Gesichtshaut, die im mittleren Lebensalter auftritt, oft schleichend beginnt und durch schubartige Exazerbationen gekennzeichnet ist. Obwohl harmlos, verursacht die Rosazea aufgrund ihrer stigmatisierenden Wirkung (»Schnapsnase«) oft einen hohen Leidensdruck, zumal keine regelmäßige Assoziation mit chronischem Alkoholmissbrauch besteht. Augenbeteiligung (okuläre Rosazea – Konjunktivitis, Blepharitis) ist nicht selten. Nach Morphologie und Verlauf werden 4 Stadien unterschieden: 4 »Flushing«: anfallsartig auftretende Rötung des Gesichts. Typische Provokationsfaktoren sind Kälte, Sonnenlicht (Wärme, UV), emotionale Erregung, Alkohol, scharfe Gewürze, heiße Getränke und Anstrengung. 4 Stadium teleangiectaticum: persistierendes, dunkel-lividrotes Erythem durch zarte, fleckig verdichtete Teleangiektasien. 4 Stadium papulopustulosum: zusätzliches Auftreten entzündlicher Knötchen und Pusteln. Solide knotige Läsionen (»sarkoidale Rosazea«) und heftig entzündliche, eitrige Formen (»Rosacea fulminans«) sind weitere mögliche Ausprägungsformen (. Abb. 10.28). 4 Rhinophym: bizarre Vergrößerung der Nase mit höckriger Oberfläche durch Hypertrophie der Talgdrüsen. Kann auch als isoliertes Phänomen auftreten.
Rosazea
Histologie. Perivaskuläre und perifollikuläre Lymo-
Definition. Rosazea ist eine chronisch-schubhafte, ak-
phozyteninfiltrate, oft mit starker leukozytärer Komponente und/oder sarkoidalen Zügen.
Acne conglobata (follikuläres Okklusionssyndrom, Aknetetrade, chronische Hidradenitis suppurativa).
Ein seltenes, charakteristisches und schweres Krankheitsbild, das durch exzessiv chronische, unbeherrschbar fortschreitende, tiefe nodulozystische akneartige Veränderungen mit multipler Fistelbildung in den Regionen der Akne vulgaris, im Nacken sowie den Regionen apokriner Schweißdrüsen (axillär, inguinal, perianal) gekennzeichnet ist (. Abb. 10.27). C A V E
Acne conglobata ist nicht dasselbe wie Acne vulgaris conglobata, ist aber häufig von dieser begleitet.
Der Krankheitsbeginn liegt meistens im frühen Erwachsenenalter, Männer sind viel häufiger befallen. Konservative Maßnahmen (Antibiotika, Stichinzisionen) bringen nur vorübergehend Abhilfe, auch Isotretinoin ist wenig wirksam. Einzige zielführende Therapie ist die radikale Exzision der betroffenen Areale und plastische Deckung. Ursachen, insbesondere die Rolle der apokrinen Schweißdrüsen, sind unklar.
neähnliche Dermatose unklarer Ätiologie, die durch
473 10.4 · Krankheiten der Talgdrüsen
10
. Abb. 10.28. Rosazea. Papulopustulöses Stadium
Differenzialdiagnosen. Acne vulgaris, SLE. Bei der Rosazea fehlen Komedonen und Narbenbildung! Therapie. Neben der Vermeidung von Provokations-
faktoren (z. B. Sonnenschutz) antibiotische Lokaltherapie mit Metronidazol, Erythromycin oder Clindamycin, in ausgeprägten Fällen orale Tetrazykline bzw. Minozyklin. Eine dauerhafte Abheilung wird nicht erzielt (Aufklärung!), doch kommt die Rosazea oft nach jahrelangem Verlauf spontan zum Stillstand. Beim Rhinophym kann systemisches Isotretinoin versucht werden, ultima ratio ist die operative Therapie (Dekortikation). Periorale Dermatitis (Synonym Rosazeaartige Dermatitis) Definition. Periorale Dermatitis ist eine irritative Dermatitis des Gesichts bei gestörter Barrierefunktion durch übermäßigen Gebrauch von Feuchtigkeitscremes. Epidemiologie. Eine häufige »Zivilisationskrankheit«, die sich ab den 1960er Jahren parallel zum steigenden Wohlstand und Gebrauch von Kosmetika in den Industrieländern ausbreitete (in den Ländern der Dritten Welt nur in den höheren sozioökonomischen Klassen). Prävalenz nicht genau bekannt. Betroffen sind überwiegend Frauen ab dem Nachschulalter, viel seltener Männer bzw. Kleinkinder. Disponierend sind ein trockener Hauttyp bzw. eine atopische Diathese. Ätiologie und Pathogenese. Quellung und Durch-
feuchtung der Hornschicht durch regelmäßigen Gebrauch von Feuchtigkeitscremes (»Verjüngungseffekt« durch Verschwinden kleiner Fältchen) führt über eine Verschlechterung der Barrierefunktion zur verstärkten Austrocknung der Haut (Circulus vitiosus) und zur Proliferation der Keimflora im Follikel. Folgen sind
. Abb. 10.29. Periorale Dermatitis. Erythem und Papeln perioral und periokulär
eine vermehrte Irritabilität der Haut (Spannen, Brennen) und entzündliche follikuläre Knötchen und Pusteln. Symptomatik. Die periorale Dermatitis ist eine kosmetisch störende, chronisch-schubhafte entzündliche Dermatose der Gesichtshaut ohne Systemzeichen. Die Haut im Bereich der Lider und lateralen Augenwinkel (periokulär) sowie an den Wangen perioral ist gerötet, diffus milde geschwollen, matt, und zeigt zahlreiche kleine, hautfarbene bis dunkelrote follikuläre Papeln, in ausgeprägten Fällen oberflächliche Pusteln (. Abb. 10.29). Subjektive Beschwerden: Spannungsgefühl und Brennen, das durch die Applikation der Creme (vorübergehend) gemildert wird. Therapie. Wesentlicher Punkt ist die Entwöhnung von der regelmäßigen, übersättigenden Cremeapplikation durch bedarfsweise Applikation indifferenter Lokaltherapeutika (Gefühl der Spannung, Trockenheit). Unterstützend (zur rascheren Abheilung) können topische Antibiotika (Metronidazol, Erythromycin), in ausgeprägten Fällen auch systemisches Doxycylin oder Minozyklin verwendet werden.
474
C A V E
10.5
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
Topische Kortikosteroide sind bei der perioralen Dermatitis kontraindiziert (nach anfänglicher Linderung deutliche Verschlechterung des Krankheitsbildes).
Krankheiten der Schweißdrüsen
Anatomie und Funktion der Schweißdrüsen 7 Kap. 2. Die wichtigsten Störungen der Schweißdrüsen sind qualitative und quantitative Änderungen der Schweißproduktion sowie Okklusion der Ausführungsgänge. Entzündungen der Schweißdrüsen (Hidradenitis) 7 Kap. 4. Schweißdrüsen sind metabolisch sehr aktiv, haben einen hohen Sauerstoffbedarf und sind daher sehr empfindlich gegenüber Anoxie, toxischen Wirkungen und v. a. einer Kombination beider. Schweißdrüsennekrosen finden sich daher z. B. häufig bei Aufliegestellen nach versuchtem Suizid mit Barbituraten, CO-Vergiftung und Chemotherapie (neutrophile ekkrine bzw. apokrine Hidradenitis).
10
10.5.1 Ekkrine Schweißdrüsen Gestörte Zusammensetzung des Schweißes Bei Aldosteronismus und Cushing-Syndrom sinkt die Natrium- und steigt die Kaliumkonzentration; umgekehrte Änderungen finden sich bei Morbus Addison. Im Schweiß von Kindern mit zystischer Fibrose ist die Salzkonzentration 3- bis 5-fach erhöht (»Plattentest« – s. Lehrbücher der Pädiatrie). Bei Urämie steigt die Harnstoffkonzentration im Schweiß an; Harnstoff kann sich sogar (wie das Salz bei zystischer Fibrose) in Form weißlicher Kristalle an der Haut absetzen. Substanzen, die mit dem Schweiß ausgeschieden werden, können zur ekkrinen Chromhidrose (gefärbter Schweiß: Antimalariamittel, Farbstoffe) oder ekkrinen Bromhidrose (übelriechender Schweiß, s u.) führen. Gestörte Quantität produzierten Schweißes Hyperhidrose Generalisierte Hyperhidrose ist häufig lediglich der Ausdruck der thermoregulatorischen Funktion der Schweißdrüsen (Anstrengung, emotionelle Erregung, Fieber – IL-1 erhöht die zentrale Temperatureinstellung). Sie tritt ferner bei orthostatischer Hypotension, verschiedenen Hormonstörungen (u. a. Diabetes mellitus, Thyreotoxikose, Phäochromozytom, Karzinoidsyndrom), zentralnervösen Schäden sowie bei syste-
mischer Verabreichung cholinergischer Substanzen oder Acetylcholinesterase-Inhibitoren auf. Nächtliches Schwitzen ist ein Zeichen von Systemkrankheiten (z. B. Tuberkulose, Kollagenosen, Lymphome) oder u .a. reichlichem Alkoholgenuss. Lokalisierte Hyperhidrose kann axillär oder palmoplantar auftreten. Erstere ist in der Regel dispositioneller Natur, letztere vorwiegend emotionell bedingt (»nervöses« Schwitzen). Das palmoplantare Schwitzen wird nicht vom thermoregulatorischen, sondern von einem eigenen Zentrum im ZNS reguliert und läuft über sympathische Fasern (tritt daher im Schlaf nicht auf!). Es ist nicht nur ein erhebliches psychosoziales Problem, sondern behindert auch manuelle Tätigkeiten. ! Diagnostisch wichtig ist die häufige Assoziation von lokalisierter Hyperhidrose mit inkompletten Läsionen peripherer Nerven und Läsionen des Hintertrakts, wobei das hyperhidrotische Areal jeweils in der Randzone des anästhetischen liegt. Beim aurikulotemporalen Syndrom (»pathologisches gustatorisches Schwitzen«) kommt es, meist nach Operationen an der Parotis, zum Einwachsen sekretomotorischer Fasern aus der Parotis in den aurikulotemporalen Ast des N. trigeminus. Folge: einseitiges Schwitzen der temporalen Gesichtshaut gleichzeitig mit der Speichelproduktion.
Ekkrine Bromhidrose. Hyperhidrose führt zu ständiger
Durchfeuchtung der Hornschicht und Proliferation der residenten Keimflora. Mikrobielle Stoffwechselprodukte (kurze Fettsäuren, Amine; vorwiegend von Mikrokokken) bewirken üblen Körpergeruch (Patienten mit Ichthyosen!). Der Schweißgeruch der Füße ist oft auch mit sichtbaren Veränderungen verknüpft: wurmstichige, weißliche Verquellung der Sohlenhaut (Keratoma sulcatum). Therapie: Hygiene und lokale Antisepsis. Manche Medikamente werden durch Schweiß ausgeschieden (DMSO – Knoblauch-artiger Geruch). ! Die ekkrine Bromhidrose muss vom »fischigen« Körpergeruch bei erblichen Aminosäurestoffwechselstörungen unterschieden werden (z. B. Phenylketonurie). Überwertige Ideen von üblem Körper- und Haargeruch sind ein typisches Symptom der Dysmorphophobie (die krankhafte Überzeugung, an verunstaltenden Hautveränderungen zu leiden).
Therapie der Hyperhidrose
Bei generalisierter Hyperhidrose müssen zunächst die genannten systemischen Ursachen ausgeschlossen bzw., falls möglich, eliminiert werden. Systemische An-
475 10.5 · Krankheiten der Schweißdrüsen
ticholinergika sind wegen der atropinartigen Nebenwirkungen nur selten angezeigt. Bei axillärem Schwitzen werden Lokaltherapeutika auf Basis konzentrierter Aluminiumsalze (z. B. 25% Aluminiumchlorid) eingesetzt, die die Durchlässigkeit des Schweißdrüsen-Ausführungsgangs steigern (man »schwitzt ins Gewebe«) (Risiken: Kontaktallergie, Periporitis). Ultima ratio ist die Exzision des schweißdrüsentragenden Hautareals in der Axilla. Bei palmoplantarem Schwitzen sind Lokaltherapeutika nur beschränkt wirksam und ihre Anwendung unangenehm. Die umständliche, aber gut wirksame Iontophorese mit Leitungswasser wurde ebenso wie die früher nicht selten durchgeführte zervikale Sympathektomie (Cave: Horner-Syndrom) durch das BotulinumToxin (7 Kap. 2) abgelöst. Kleine Mengen dieses Gifts werden palmoplantar (oder auch in die Axillarhaut) injiziert (schmerzhaft!), wodurch eine irreversible Störung der Synapsen entsteht. Das Schwitzen wird dadurch bis zum Aufbau neuer Synapsen verhindert (3–15 Monate). Hypohidrose und Anhidrose Generalisierte Anhidrose besteht entweder bei Fehlen von Schweißdrüsen (anhidrotische ektodermale Dysplasie) oder tritt als Folge schwerer Dermatosen auf, etwa bei Okklusion der Ausführungsgänge (Ichthyosen), oder durch entzündliche Schädigung (toxische epidermale Nekrolyse). Oft ist die Ursache der Funktionsstörung unklar (Sklerodermie, Sjögren-Syndrom, Angiokeratoma corporis diffusum). An- oder Hypohidrose bei morphologisch normalem Hautbefund finden sich bei neurologischen Störungen (Multiple Sklerose, Läsionen des Thalamus, diabetische akrale Neuropathie) sowie (typisch) bei Hypothyreoidismus. Lokalisierte, auf einzelne Schweißdrüsen beschränkte Anhidrose tritt ferner als Folge der Miliaria auf. Läsionen durch Okklusion der Schweißdrüsenausführungsgänge: Miliaria Miliaria sind Abflussstörungen im Schweißdrüsenausführungsgang durch Pfröpfe aus Bakterienmassen (residente Keimflora) und gequollenem Keratin. Miliaria rubra. Bei diesen erfolgt die Blockade unter-
halb des Str. granulosum; der Schweiß tritt ins Gewebe, sickert bis in die papilläre Dermis und bewirkt dort eine entzündliche Reaktion. Es handelt sich um eine diseminierte papulovesikulöse Eruption vorwiegend an bedeckten Regionen des Rumpfs, die heftig juckt und brennt (. Abb. 10.30). Miliaria rubra treten nur bei länger andauerndem Schwitzen auf und bedürfen eines feuchten Klimas (z. B. Okklusiveffekt unter Kleidungs-
10
. Abb. 10.30. Miliaria rubra
. Abb. 10.31. Miliaria cristallina
stücken). Sie sind daher besonders häufig bei Säuglingen (überwarme Kleidung!) und in den Tropen. Manchmal kommt es zur Vereiterung (Miliaria pustulosa) oder Ausbildung tieferer Infiltrate (Miliaria profunda). Miliaria bilden sich wenige Tage nach Eintritt in eine kühlere Situation zurück, eine anhidrotische Folgeperiode dauert bis zu 2 Wochen (Lösung des Pfropfs durch natürliche Abschilferung). Therapie: Vermeidung weiteren Schwitzens (kühle Bäder etc.), lokale Kortikosteroide, Antisepsis. Miliaria cristallina. Hier liegt die Abflussbehinderung im Str. corneum; der Schweiß diffundiert nicht in die Dermis, eine entzündliche Reaktion bleibt aus. Miliaria cristallina erscheinen als multiple, kleine, mit wasserklarer Flüssigkeit gefüllte Bläschen (. Abb. 10.31).
10.5.2 Apokrine Schweißdrüsen Apokrine Chromhidrose. Eine durch dispositionelle Anhäufung von Lipofuszin in den apokrinen Schweiß-
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
drüsen bedingte blau-grüne bis schwärzliche Verfärbung des Schweißes; bei starker Ausprägung schimmern die Schweißdrüsen in der Achsel bläulich durch. Besonders auffällig bei ektopen apokrinen Drüsen an Stirne und Schläfe. Selten, Auftreten erst nach der Pubertät. Afrikaner sind häufiger betroffen als Weiße. Therapie: keine.
lappungen sind häufig. Nagelläsionen sind oft typische Begleitsymptome von Hautkrankheiten (. Tab. 10.9), andere sind für Systemkrankheiten charakteristisch. 10.6.1 Läsionen der Nagelplatte Pathomorphologie des Nagelwachstums. Eine gleich-
Apokrine Bromhidrose. Übelriechender Achselschweiß.
Der Geruch entsteht aus dem ursprünglich geruchlosen apokrinen Schweiß durch Wirkung von Mikrokokken und Koryneformen. Häufig assoziiert mit Trichomykosis palmellina. Läsionen durch Okklusion der apokrinen Schweißdrüsenausführungsgänge. Die Fox-Fordyce-Krank-
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heit (apokrine Miliaria) ist eine vorwiegend bei jüngeren Frauen auftretende, relativ häufige chronische Dermatose der apokrine Drüsen tragenden Regionen (Achseln, Genitalregion, Mamillen). Sie ist durch multiple heftig juckende Papeln, Zystchen, chronische Pyodermien, Lichenifikation und atrophisierende Alopezie gekennzeichnet. Ätiologie: Verstopfung der Ausführungsgänge durch bakterielle Pfröpfe. Therapie: lokale Antisepsis. 10.6
Krankheiten der Nägel
Anatomie und Funktion des Nagelorgans 7 Kap. 2. Krankhafte Veränderungen der Nägel sind vielfältig, aber auf ein begrenztes Spektrum von charakteristischen Störungsmustern zurückführbar. Die pathologischen Prozesse können sich an der Nagelplatte selbst (meist Matrixschäden), am Nagelbett oder in der unmittelbaren Umgebung des Nagels manifestieren, Über. Tab. 10.9. Dermatosen mit charakteristischen Nagelveränderungen Dermatose
Nagelveränderungen
Psoriasis
Tüpfelnägel; psor. »Ölfleck«; subunguale Hyperkeratosen
Ekzem (akral)
Tüpfelnägel
Lichen ruber
Längsriefelung, Atrophie, Pterygium unguis, Anonychie
Sézary-Syndrom
Onychodystrophie
Morbus Darier
Keilförmige Verdickung
Epidermolysis bullosa congenita
Onychodystophie, Anonychie
Alopecia areata
Tüpfelnägel; Atrophie
mäßige Ausbildung der Nagelplatte setzt eine gleichförmige Proliferation und eine gleichmäßige Zellzahl der Nagelmatrix voraus. Die Schnelligkeit des Nagelwachtums hängt von der Proliferation der Matrix ab, die Dicke des Nagels von deren Zellzahl. Nagelläsionen, die auf einer Matrixstörung beruhen, wandern mit dem Nagel aus. Traumen der Nagelmatrix erscheinen erst dann als Läsionen der Nagelplatte, wenn die betroffene Stelle unter der Kutikula hervorgewachsen ist (1–3 Monate). Nagelläsionen, die auf einer Störung des Nagelbetts beruhen, sind stationär. Ein kurzdauerndes, umschriebenes Trauma der Matrix führt zu einer punktförmigen Läsion des Nagels, ein langdauerndes umschriebenes Trauma zu einem Längsstrich; ein kurzdauerndes Trauma der gesamten Matrix zu einem Querstrich, ein langdauerndes Trauma der gesamten Matrix zur gänzlichen Verformung der Nagelplatte. Verschieden schnelle Proliferation an Teilen der Matrix führt zu gekrümmten, im Extremfall zu zopfartig eingedrehten Nägeln. Ein mildes Trauma der Nagelmatrix bewirkt eine passagere Hyperproliferation. Wird die proximale Matrix traumatisiert (Bildungsort der oberflächlichen Nagelhälfte), bilden sich parakeratotische Areale an der Nageloberfläche; die lockeren Zellnester brechen heraus und hinterlassen Substanzdefekte (Grübchen: Tüpfelnägel). Werden distale Matrixteile traumatisiert (Bildungsort der tiefen Nagelhälfte), bleiben die parakeratotischen Nester durch die darüber liegende normale Nagelsubstanz am Platz gehalten; sie erscheinen als opake Flecken (z. B. »Ölflecken«). Ein schwereres Trauma der gesamten Matrix bewirkt einen vorübergehenden Proliferationsstopp, der zur Verdünnung der Nagelplatte führt. Bei kurzdauerndem Trauma entsteht daher eine Querrille. Umschriebene längerdauernde Traumen (oder punktuelle Atrophie der Matrix – z. B. Nagel des alten Menschen) führen zu Längsrillen. Länger dauerndes schwereres Trauma der gesamten Matrix führt zur Atrophie des Nagels, Nekrose der Matrix zur Anonychie. Eine schematische Darstellung der wichtigsten Nagelläsionen findet sich in . Abb. 10.32a–j.
477 10.6 · Krankheiten der Nägel
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. Abb. 10.32a–j. Nagelwuchsstörungen. a Tüpfelnagel, b Längsriefelung, c Querriefelung, d Beau-Linie, e Trachyonychie, f Leukonychia punctata, g Leukonychia linearis,
h Onychoschisis, i Lichen ruber-Nagel (mit Pterygium unguis), j Onycholysis semilunaris
Nagelläsionen durch Matrixschäden Tüpfelnägel. Multiple, punktförmige Auspunzungen der Nagelplatte durch umschriebene, kurzdauernde Traumen der proximalen Matrix. Typisch bei Psoriasis, Ekzemen der Fingerendglieder (Neurodermitis!) und Alopecia areata. Bei multiplen Traumen der gesamten Nagelmatrix kommt es zur unregelmäßigen Oberflächengestaltung und Fragmentierung der Nagelplatte (Trachyonychie, »raue Nägel«: bei Paronychien, Stoffwechselstörungen, Hyperthyreoidismus etc. sowie angeboren).
Längsriefelung. Bei Atrophie der Nagelmatrix durch chronisches Trauma oder im Alter erfolgt die Reduktion der Matrixpopulation ungleichförmig. Es ergeben sich Dickenunterschiede des Nagels, die sich beim Herauswachsen als Längsriefelung manifestieren. Der Altersnagel ist dünn, weich und längsgeriefelt. Eine Sonderform der Längsriefelung ist die so genannte Dystrophia mediana canaliformis, eine tiefe, meist median gelegene Furche (posttraumatisch oder angeboren) (. Abb. 10.33a).
Leukonychia punctata. Weißliche Punkte, Flecke oder
Striche durch umschriebene kurzdauernde Traumen der distalen Nagelmatrix; meist mechanisch, Normalbefund nach Bagatelltraumen. Ist die Matrix in der gesamten Breite betroffen, entsteht ein weißer Querstrich (Leukonychia linearis) – häufig das Resultat eines fieberhaften Infekts oder einer Intoxikation (z. B. Arsen: »Mees-Streifen«). Solche Streifen treten an allen Nägeln gleichzeitig auf und erlauben durch Messung des Abstandes zur Matrix eine ungefähre Bestimmung des Zeitpunkts der abgelaufenen Schädigung. Querrillen (Beau-Linien). Diese entstehen durch vorübergehende Hypoproliferation der Nagelplatte bei intensiveren Traumen (schwere Systemkrankheiten, Vergiftungen, Zytostatika). Die Beau-Linien erscheinen wie die Leukonychia linearis an allen Nägeln in gleicher Höhe.
Onychodystrophie. Eine gänzliche Verformung der Nagelplatte durch langdauerndes Trauma der gesamten Matrix (. Abb. 10.33b und . Abb. 10.33c). Symptomatik: unregelmäßige Buckelung, grobe Rillung und Aufsplitterung bis zu zopfartig gedrehten, klauenartigen Nägeln (Onychogryphose). Häufigste Ursache der Onychodystrophie sind mechanische Traumen (einmalige schwere oder dauernde, unterschwellige – z. B. Schuhdruck). Dystrophe Nägel wachsen sehr langsam, sind verdickt und oft sehr hart. Eine v. a. bei Kindern vorkommende erworbene Form der Onychodystrophie unklarer Genese ist das »Twenty nail syndrome« (Befall sämtlicher Nägel). Schwerste Traumen der Matrix (mechanisch; entzündliche Prozesse wie Lichen ruber, arterielle Durchblutungsstörungen, Sklerodermie) können zum Untergang der Nagelmatrix führen. Es kommt zur Überhäutung der Matrix von der umgebenden Haut (Pterygium unguis).
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
b
a
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c
d . Abb. 10.33a–e. Typische Nagelwuchsstörungen. a Atrophia mediana unguis canaliformis, b partielle Onychodystrophie nach Viruswarzen am Nagelfalz, c Onychogryphose, d Onychoschisis, e Onycholyse. Beachte, dass die Nägel aller Finger abgehen und dass die proximalen Ränder der in Abstoßung begriffenen Nägel von der Nagelmatrix jeweils gleich entfernt sind (Beweis für ein gleichzeitiges Trauma – z. B. Chemotherapie)
e
Nagelveränderungen als Symptom von Systemkrankheiten
Bei »Half and half nails« (Terry-Nägel) ist der proximale Anteil des Nagels weiß, der distale (normal) rot. Häufig bei Niereninsuffizienz oder Leberzirrhose. Koilonychie (Hohlnägel) kommt als angeborene Fehlbildung vor oder ist erworben (Eisenmangelanämie). Uhrglasnägel sind vergrößert, transversal und longitudinal gerundet, meist mit trommelschlegelartiger Vergrößerung der Endphalanx verbunden – Ursache: Aufregulierung von Wachstumsfaktoren bei Hypoxie. Sie können einzeln bei lokalen Gefäßveränderungen (z. B. arteriovenöse Fistel), oder generalisiert vorkommen (idiopathisch oder erworben – Bronchuskarzinom, Rechtsherzinsuffizienz).
Nagelveränderungen bei Fehlbildungssyndromen
Anonychie und Nageldystrophie können isoliert oder als Begleitdefekt von Fehlbildungssyndromen auftreten: u. a. Dyskeratosis congenita, Progerie, Nagel-Patella-Syndrom (Dystrophie der Nägel, Fehlen oder Hypoplasie der Patella). In typischer Weise verändert sind die Nägel bei Morbus Darier: Dystrophie mit medianer zwickelartiger Verbreitung der Nagelplatte. Therapie bei Nagelveränderungen durch Matrixschäden. Es ist keine wirksame Therapie bekannt. Die (häu-
fig geübte) Gabe von Gelatine und Zystein bei Onychodystrophie ist wirkungslos. Nagelhärter sind von nur begrenztem Nutzen. Nagelextraktion: nur auf Wunsch des Patienten bei gleichzeitiger Verödung der Matrix; Extraktion des Nagels allein ist bei Matrixschäden
479 10.6 · Krankheiten der Nägel
zwecklos, da der Nagel gleich nachwächst wie zuvor (manchmal zusätzlicher Schaden durch den operativen Eingriff).
10
reich der Lunula ab, Antimalariamittel (Chloroquin) an Nagelbett und Nagelplatte (blau-braun). Pigmentierung bei Systemkrankheiten. Das so ge-
10.6.2 Läsionen der Nagelplatte
bei intakter Matrix Onychoschisis lamellosa (. Abb. 10.33d): Durch Traumen oder häufige Entfettung (Laugen, Detergenzien, Nagellackentferner) kommt es zur lamellierten Aufspaltung von distal - in der präformierten Ebene zwischen oberflächlichem und tiefem Nagelanteil. Therapie: Ausschaltung der Noxen. Onychodystrophie durch Nagelbeißen. Eine häufige
und anamnestisch häufig schwer eruierbare Schädigung der Nagelplatten bei Klein- und Schulkindern.
nannte »Yellow-nail-Syndrom« ist durch verdickte, gelbe Nägel bei Lymphödem der betroffenen Extremität charakterisiert. Bei Morbus Wilson lagert sich Kupfer im Bereich der Lunula ab (blau-braun). Nagelverfärbung durch lokale Infektionen. Begleit-
infektion durch Aspergillen und/oder Schimmelpilze führt zu fleckiger brauner oder schwarzer Verfärbung; Pseudomonas: Grünverfärbung. Leukonychia totalis. Eine harmlose ungeklärte Weißfärbung aller Nagelplatten, meist angeboren (autosomal-dominant). Differenzialdiagnose: die oberflächliche Form der Onychomykose durch Dermatophyten (fleckig, unregelmäßig, Oberfläche fissuriert).
Weiche, brüchige Nägel. Die Ursache dieser fast nur
bei Frauen auftretenden Störung ist unbekannt, vermutlich: häufige Entfettung (Detergenzien, Nagellack, Nagellackentferner). Onychomykosen (7 Kap. 4.4.2).
10.6.3 Pigmentierungsanomalien
der Nagelplatte Die Nagelplatte ist bei Weißen durchscheinend, bei Dunkelhäutigen hingegen in verschiedenem Ausmaß pigmentiert.
10.6.4 Nagelläsionen mit Sitz
am Hyponychium (Nagelbett) Onycholyse ist die Loslösung der Nagelplatte vom Nagelbett, die bei Schädigung der Verlötungsstelle zwischen den beiden Strukturen zustande kommt. Die Ursachen können verschieden sein (. Abb. 10.33e): Traumatische Onycholyse. »Abgehen« des Nagels einige Wochen nach stumpfem Trauma, meist assoziiert mit subungualem Hämatom. Onycholysis semilunaris. Unterminierung des Nagels
Abnorme Melaninpigmentierung. Diffuse Hyperpig-
mentierung der Nägel findet sich bei Morbus Addison und beim Peutz-Jeghers-Syndrom. Umschriebene braune Längsstreifen der Nagelplatte (Melanonychia striata) sind meist eine harmlose Anomalie oder die Folge von Pigmentnävi, seltener eines akrolentiginösen Melanoms im Matrixbereich. Die Differenzialdiagnose ist, solange das Melanom nicht durch Wachstum klinisch manifest wird, nur durch Biopsie möglich. Zwar weisen bestimmte klinischen Zeichen auf ein Melanom hin (der braune Streifen ist meist dunkler, von kurzem Vorbestand und von Onychodystrophie begleitet), doch sind Biopsien stets angezeigt. Wichtig ist die korrekte Durchführung (Stanzbiopsie aus der Nagelmatrix), da in der pigmentierten Nagelplatte oft nur Melanin nachzuweisen ist. Pigmentierung durch Medikamente. Phenolphthalein
und Silber lagern sich als grauer Niederschlag im Be-
vom freien Ende her; die Ablösung reicht im medianen Nagelteil am weitesten nach proximal (»halbmondförmig«) und ist nie vollständig (führt nicht zu Anonychie). Ursache: Extraktion der Hornschichtlipide durch ständige Befeuchtung, Alkalien und Detergenzien (Hausfrauen!): Differenzialdiagnose: Onychomykose. Nagelpsoriasis (subungualer Typ). Lamelliertes para-
keratotisches Hornmaterial unter einer partiell abgehobenen Nagelplatte. Infektiöse Onycholyse. Onychomykosen, Pseudomo-
nas! Photoonycholyse. Nagelablösung im Anschluss an eine phototoxische Reaktion am Nagelorgan. Seltene Nebenwirkung von Tetrazyklinen und Photochemotherapie, auch bei Porphyrien.
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
Subunguale Hämorrhagien. Diese häufigen Läsionen sind fleckige, je nach Bestandsdauer rote, blaue oder schwarze Blutansammlungen zwischen Nagelplatte und Nagelbett. Kleine, schwarze Hämorrhagien können klinisch schwer von subungualen Melanomen unterscheidbar sein (Auflichtmikroskopie!). Geringfügige subunguale Blutungen nehmen durch die unter dem Nagel vertikal verlaufenden Papillarleisten eine strichförmige Figur an (Splitterhämorrhagien). Die Genese der distal sitzenden Splitterblutungen ist in der Regel traumatisch, bei proximalem Sitz können sie auch ein klassisches Hautzeichen schwerer Systemkrankheiten sein: Endocarditis lenta, systemischer Lupus erythematodes, chronische Glomerulonephritis.
. Abb. 10.34. Subunguales Osteochondrom. Ein unter dem lateralen Nagelrand sitzender, harter, adhärenter Knoten
10.6.5 Nagelveränderungen durch
Läsionen benachbarter Strukturen 10.7
10
Das Wachstum der Nagelplatte wird auch durch Läsionen in ihrer unmittelbaren Umgebung beeinflusst. Beispiele: Tüpfelnägel bei akralen Ekzemen, Onychodystrophie bei Paronychie, perionychialen Warzen (. Abb. 10.33b), Mukoidzyste der distalen Phalanx u.a.. Die Haut um das Nagelorgan ist auch Sitz von Tumoren: Junktionsnävi, akrolentiginöse Melanome, Bowen-Karzinome. Sowohl Melanome als auch Karzinome sind manchmal schwer von den häufigen Granulomata pyogenica bei Unguis incarnatus zu unterscheiden. Ungues incarnati (eingewachsene Nägel) entstehen durch chronische Traumatisierung des seitlichen Nagelfalzes durch die Nagelkante und pyogene Superinfektion. Prädilektionsstelle: lateraler Hallux. Auslösende Faktoren: Schuhdruck, dispositionsmäßig (im Alter!) stark gewölbte Nagelplatte (Tonnennägel), Ausschneiden der Nagelecken. Unguis incarnatus ist eine sehr schmerzhafte chronische Läsion, deren Therapie je nach gegebener Situation entweder konservativ (Antibiotika, Lokaltherapie, Nagel auswachsen lassen) oder chirurgisch erfolgt (Operation nach Nicoladoni: Resektion des seitlichen Nagels mit Verödung des Matrixanteils – z. B. mit Phenol). Die Nagelgegend ist ferner Sitz fibromatöser Tumoren (juvenile Fibrome: Knoblauchzehenfibrom, Koenen-Tumoren bei Morbus Pringle). Ein charakteristischer subungualer oder an der Nagelecke entstehender Tumor ist ferner das subunguale Osteochondrom (. Abb. 10.34): ein benigner, harter, mit dem Knochen verbackener Knoten, der die Nagelplatte aufwölbt und bei Belastung Beschwerden verursacht. Es wird nicht selten mit einem Unguis incarnatus verwechselt.
Krankheiten der Mundschleimhaut
Die Mundschleimhaut ist bei vielen Hautkrankheiten mitbetroffen und zählt oft auch zu deren Prädilektionsstellen (. Übersicht). Darüber hinaus können an ihr eigenständige Krankheitsbilder entstehen.
Dermatosen mit Prädilektion für die Mundschleimhaut (Auswahl) 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Erythema multiforme Angioödem Lichen ruber Manche bullöse Autoimmundermatosen LE, CDLE Morbus Behçet Morbus Reiter Herpes simplex, Herpes zoster Kandidiasis Syphilis Kaposi-Sarkom
Pathophysiologie der Mundschleimhaut. Die Mundhöhle ist ein ständig von Speichel bespülter Raum, dessen Innenauskleidung funktionsspezifisch verschieden gestaltet ist. Sie beherbergt eine reichhaltige residente Keimflora (höhere Keimdichte nur im Kolon!), die durch Mechanismen der natürlichen und spezifischen Immunität in Schach gehalten wird. Der Speichel wird in den großen und kleinen Speicheldrüsen produziert und dient der Erzeugung des Speisebreis, Beförderung der Inhaltsstoffe zu den Geschmackrezeptoren, Bereitung einer »rutschigen« Oberfläche (Muzine), Abtrans-
481 10.7 · Krankheiten der Mundschleimhaut
port der Keimflora und als Träger natürlicher Abwehr(Lysozym, sekretorisches IgA) und Wachstumsfaktoren (EGF, TGF). Die Mundhöhle gliedert sich funktionell in 3 Räume: 4 das Lippenrot, die Umschlagszone zur Außenwelt: ein mäßig verhorntes Plattenepithel mit freien Talgdrüsen, reichlich Nervenendigungen und Gefäßen, aber wenig Melanozyten (Sonnenbrand!). 4 für die Nahrungsverarbeitung bestimmte Teile: harter Gaumen, Zungenrücken, Zähne, äußere und innere Gingiva. Hier ist das Epithel dick, para- oder hyperkeratotisch und teils oberflächlich strukturiert: Zungenpapillen und Querrillen (Rugae) des harten Gaumens – mechanische Funktion. Das mastikatorische Epithel ist unbeweglich und fest an der Unterlage (Periost) verankert. 4 Reserve- und Leiträume: Innenseite von Lippen und Wangen, Zungenunterseite, Mundboden, weicher Gaumen. Hier ist die Schleimhaut dünn, unverhornt und beweglich. Die Mundschleimhaut ist reibefest, relativ unempfindlich gegen Hitze, hat einen hohen Turnover (ca. 5 Tage) und heilt damit schnell.
10
Chronisch-rezidivierende Aphthen Definition. Ein häufiger, chronisch-rezidivierender Prozess unbekannter Ursache, der mit multiplen, schmerzhaften, rundlichen Ulzerationen der Mundschleimhaut (»Aphthen«) einhergeht. 3Terminologie: Aphthen heißen auf griechisch nichts anderes als Ulzera. Chronisch-rezidivierende Aphthen haben nichts mit der Herpes-simplex-Infektion zu tun, deren Primärmanifestation früher »Stomatitis aphthosa« genannt wurde.
Epidemiologie. In milder Ausprägung sehr häufig (Prävalenz bis 20%), Frauen sind bevorzugt betroffen. Krankheitsbeginn häufig in Kindheit und Jugend. Die Häufigkeit der Rezidive schwankt zwischen Wochen und Jahren und pflegt nach der Lebensmitte nachzulassen. Ätiologie und Pathogenese. Unbekannt. Unbewiesene
Hypothesen sind: zytotoxische Autoimmunreaktionen, Abortivform des Morbus Behçet u. a. Aphthen können durch Bagatelltraumen der Mundschleimhaut ausgelöst werden (Biss, Stich von Fischgräten, hartes Brot) – ähnlich dem Pathergiephänomen. Korrelation mit HLA-B5. Symptomatik. Man unterscheidet 3 Verlaufsformen:
Spezifische Reaktionsweisen. Erytheme sind an der
Mundschleimhaut, außer am Rachenring, wenig gut erkennbar. Blasen platzen schnell und sind daher selten zu beobachten. Eine Leitveränderung bei chronischer Reizung ist die weißliche Verfärbung: die normalerweise durchscheinende, rosafarbene Schleimhaut verhornt und wird undurchsichtig (Leukoplakie). Eine analoge Reaktion des Zungenrückens ist die Hypertrophie der Papillen (Haarzunge).
die häufigen Minor-, und die seltenen Major- und herpetiformen Aphthen. Bei der Minorform (. Abb. 10.35) entstehen eine oder mehrere kleine (wenige Millimeter Durchmesser) hyperästhetische erythematöse Läsionen, die zentral oberflächlich nekrotisieren (manchmal kurzlebige Bläschen bilden) und sich in sehr schmerzhafte runde, »wie ausgestanzte«, schmierig belegte Geschwüre mit gerötetem Hof umwandeln. Bei Konfluenz serpiginöse Ulzera. Prädilektionsstellen: Lippen- und Wangen-
10.7.1 Akut entzündliche Zustände Akute Entzündung der Mundschleimhaut (Stomatitis) ist häufig Folge von Verbrühungen oder Verätzungen (Lippen, Zunge, Gaumen), seltener einer toxischen oder allergischen Kontaktdermatitis (Zahnpflegemittel, Zahnprothesen) oder von Intoleranzreaktionen (fixes Arzneimittelexanthem, E. multiforme). Schwere »Mukositis« kann bei Radiotherapie und/oder Chemotherapie (z. B. Methotrexat) entstehen. Erosionen bzw. Ulzera sind auch Begleitsymptome von Infektionskrankheiten (Kandidiasis, Gingivostomatitis herpetica, Herpes zoster, Herpangina, HIV, Lues II u. a. m.) sowie von manchen Systemkrankheiten (Lupus erythematodes, bullöse Autoimmundermatosen, zyklische Neutropenie).
. Abb. 10.35. Chronisch-rezidivierende Aphthen, Minortyp
482
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
schleimhaut (Rezessus!), seltener Gingiva. Die Schmerzhaftigkeit erschwert Essen und Sprechen. Begleitsymptome: Sialorrhoe, Foetor ex ore. Narbenlose Abheilung nach 1–2 Wochen. Die Majorform (»grande aphthose«, MikuliczAphthen) ist selten, verläuft aber schwerer und belastender. Die Ulzera sind groß (>1 cm), tief, derb infiltriert und mit oft wallartigen Rändern. Die Abheilung dauert erheblich länger und erfolgt narbig. Herpetiforme Aphthen sind die seltenste Verlaufsform: sehr zahlreiche, oberflächliche, konfluierende Läsionen, ähnlich der Gingivostomatitis herpetica (Unterschied: weniger ausgeprägte Lymphadenitis, Virusnachweis negativ, hohe Rezidivneigung).
10.7.2 Chronische Irritationen der Mund-
schleimhaut Die Antwort der Mundschleimhaut auf chronische physikalische, chemische und entzündliche Reize ist eine schwielig-weißliche Verfärbung durch Hyperkeratose (s. o.). Leuködem. Die häufigste und mildeste Ausprägung
chronischer Irritation: eine diffuse zart-weißliche Verfärbung und Verdickung meist nur der Wangenschleimhaut. Ursache: Rauchen, Friktionstrauma (Zähne, Zahnbürsten). Morsicatio (Biss). Diese polsterartige weißliche Ver-
Diagnostik. Histologie. Schüsselförmige Nekrose bis in die papilläre
Dermis (manchmal tiefer), eintzündliche Infiltration (Neutrophile, CD8+-Lymphozyten). Keine nekrotisierende Vaskulitis. Labor. Selten Veränderungen des Blutbildes (zyklische Neutropenie, Eisenmangelanämie).
10
Differenzialdiagnose. Morbus Behçet, aphthöse Läsi-
onen bei Morbus Reiter, Erythema multiforme, erosiver Lichen ruber, Pemphigus vulgaris, Herpangina, Handfoot-mouth-Krankheit. Bei Major-Aphthen Lymphom, Plattenepithelkarzinom, Wegener-Granulomatose.
breiterung der Wangenschleimhaut zeigt sich entlang der Zahnschlussleiste, oft mit Abdrücken der Zähne. Ähnliche diffuse Weißverfärbung kann man bei gewohnheitsmäßigem Genuss heißer Getränke und bei starken Pfeifenrauchern beobachten. Bei letzteren ist der harte Gaumen weißlich verfärbt, später auch rau und verletzlich: Leukokeratosis nicotinica palati – ein chemisch-thermischer Kombinationsschaden, der scharf an der Grenze zum weichen Gaumen abschneidet und von roten Pünktchen durchsetzt ist (Schleimdrüsen). Flache, nicht präkanzeröse Leukoplakien. Diese entwickeln sich bei fokalem chronischem Trauma: meist unscharf abgegrenzte, homogen opaque, weißliche Flecken mit glatter Oberfläche (. Abb. 10.36). Sie sind
Therapie. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Die
Lokaltherapie zielt auf Linderung (Mundspülungen, Lokalanästhetika, Kortikosteroide), lokale Antisepsis (Wasserstoffperoxid, Tetrazyklin-Dentalpasten). Systemische Kortikosteroide sind wenig wirksam, gut hingegen oft Pentoxifyllin. 3Gingivitis-Komplex. Entzündungen des Periodontiums und der Gingiva gehören zum Bereich der Zahnheilkunde. Der Dermatologe wird manchmal mit der schnell progredienten Periodontitis konfrontiert, eine akute Rötung, Schwellung der Gingiva mit disseminierten Nekrosen, die zu vorzeitigem Zahnverlust führt. Sie wird vorwiegend bei Personen mit gestörter Abwehrlage gefunden (z. B. zyklischer Neutropenie, HIV-Infektion). Eine besonders schwer verlaufende Sonderform ist die akute nekrotisierende ulzerative Gingivitis, die durch das fusospirilläre Gemisch (Bacterium fusiforme, Spirochäta refringens) erregt wird.
. Abb. 10.36. Flache Leukoplakie der Unterlippe (Ursache: chronisches Kauen)
483 10.7 · Krankheiten der Mundschleimhaut
auf den Einwirkungsort der meist klar erkennbaren Noxe beschränkt (Zahnkanten, Druckstellen schlecht sitzender Zahnprothesen). Prädilektion: Wangen- und Lippenschleimhaut, Zungenseitenfläche. Präkanzeröse (verruköse) Leukoplakien. Diese Läsionen
mit in der Regel rauer Oberfläche sowie scharf und unregelmäßig begrenzter Form zeigen keinen Bezug zu einer mechanischen Noxe. Die klinische Unterscheidung ist jedoch unsicher und muss durch eine Biopsie unterstützt werden, wenn die Leukoplakie nach Entfernung möglicher Ursachen bestehen bleibt. Dies gilt insbesondere bei Risikopatienten (Raucher) und bei Läsionen an der Zungenunterseite und am Mundboden (hier sind friktionale Leukoplakien selten, Karzinome jedoch häufig). ! Pfeifenraucher entwickeln präkanzeröse Leukoplakien (und Karzinome) vorwiegend am Gaumen, Zigarettenraucher an der Unterlippe, Zigarrenraucher an der Zunge. Überlappungen sind häufig.
Orale Haarleukoplakie. Ein typisches dermatologisches Merkmal der HIV-Infektion (selten auch anderer Formen der Immundefizienz), das auf lokaler Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus beruht. Symptomatik: ein subjektiv symptomloser weißer Bezirk der Zungenseite mit einer durch Papillenhypertrophie unregelmäßigen, »haarigen« Oberfläche. Oft Superinfektion mit Kandida. Differenzialdiagnose. Die genannten »weißen« Läsio-
nen der Munschleimhaut müssen untereinander sowie von Lichen ruber, »White sponge«-Nävus, hypertropher Kandidiasis, CDLE, Narben und submukösen Fibromen unterschieden werden. 10.7.3 Näviforme und neoplastische
10
besonders an mechanisch belasteten Regionen der Mundschleimhaut (harter Gaumen, Zungenrücken, Zungenseiten). Bei der Dyskeratosis congenita (7 Kap. 8.2) finden sich erosive Läsionen der Mundschleimhaut, später Leukoplakien mit Neigung zu maligner Entartung. Plattenepithelkarzinom der Mundschleimhaut Epidemiologie. Ein nicht nicht seltener Tumor (ca. 1000 neue Fälle/Jahr in Österreich). Hauptrisikofaktoren sind Rauchen und Alkohol (scharfe Getränke), zusätzlich chronisches entzündliches und mechanisches Trauma (z. B. Prothesen). Männer sind häufiger befallen als Frauen. Manifestation meist in der 2. Lebenshälfte, die Inzidenz steigt mit dem Lebensalter. Symptomatik. Das Plattenepithelkarzinom entwickelt sich meist aus präkanzerösen Leukoplakien (s. o.). Diese zu Beginn oft unscheinbaren Läsionen wachsen an, werden fleckig weiß-rötlich, infiltriert und fokal erosiv. Nach Monaten bis Jahren entwickeln sie sich zu derben, unregelmäßig begrenzten schüsselförmigen Ulzera mit gebuckelter Oberfläche. Therapie und Prognose. Kombinierte chirurgische, strahlen- und chemotherapeutische Maßnahmen. Plattenepithelkarzinome der Mundhöhle sind aggressiver als solche der Haut und metastasieren meist schnell. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei 60%.
Weitere Karzinome im Mundbereich Lippenkarzinome entsprechen in ihrem Verhalten mehr den Karzinomen der Haut. Verruköses Karzinom der Mundschleimhaut (floride orale Papillomatose): 7 Kap. 9, . Abb. 9.11.
Läsionen der Mundschleimhaut 10.7.4 Charakteristische pathologische »White sponge«-Nävus Eine seltene, autosomal-dominante Fehlbildung, bei der die Wangenschleimhaut (und/oder Gaumen, Zungen- und Lippenschleimhaut) meist bilateral in scharf begrenzten Arealen weiß, verdickt und gefurcht ist. Die Läsion entsteht in der Kindheit, bleibt stationär und ist subjektiv symptomlos. Zugrunde liegen Punktmutationen in den schleimhautspezifischen Keratinen K13 bzw. K4. Mit Leukoplakien assoziierte Erbkrankheiten Bei der Pachyonychia congenita (7 Kap. 8.2) bestehen neben den akralen Veränderungen auch Leukoplakien
Veränderungen der Zunge Haarzunge (Lingua nigra). Ein häufiger, harmloser Zustand – die Maximalform der »belegten Zunge«. Durch reaktive Hypertrophie der filiformen Papillen des Zungenrückens bei chronischen Reizen (Rauchen, Austrocknen des Mundes, Fieber) entsteht ein strähniges mattenartiges Geflecht mit missfarbigen, partiell wegschabbaren Belägen. Überwucherung mit Mikroorganismen führt zu einer gelb-braunen bis schwarzen Verfärbung (Schimmelpilze – z. B. bei Antibiotikatherapie). Therapie: Elimination der Ursache, lokale Antisepsis (Wasserstoffperoxid).
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Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
führt in einer ersten Phase zur Hypertrophie und später zur Abstoßung der Papillen in großen Fetzen. Anschließend werden die Papillen wieder aufgebaut, es entsteht daher ein sehr wechselhaftes Bild. Häufig bei Rauchern. Eine Sonderform ist die Atrophia mediana rhomboidalis linguae. Lingua plicata (. Abb. 10.38). Eine bei etwa 2% der
Normalbevölkerung vorgefundene architektonische Anomalie der Zunge, die durch tiefe multiple Furchung gekennzeichnet ist. Häufig bei Down-Syndrom, Teilsymptom des Melkersson-Rosenthal-Syndroms (s. u.). 10.7.5 Pigmentstörungen
der Mundschleimhaut
. Abb. 10.37. Lingua geographica. Polyzyklisch begrenzte Areale, in denen die hyperkeratotischen Papillen (wie an der kontralateralen Seite noch zu sehen) abgestoßen sind. Keine Erosion!
10 Lingua geographica (Exfoliatio areata linguae, . Abb. 10.37). Eine charakteristische harmlose Affek-
tion des Zungenrückens. Sie ist durch ein Nebeneinander von Regionen mit hypertrophen und atrophen filiformen Papillen gekennzeichnet, wobei die Begrenzung scharf, polyzyklisch und bizarr (»landkartenähnlich«) verläuft. Die atrophen Regionen sind gerötet und verursachen subjektiv Brennen (cave Gewürze, heiße Getränke). Die Krankheit besteht oft lebenslang. Genese: eine chronische Entzündung unbekannter Ursache
Die physiologische Pigmentierung ist bei dunkelhäutigem Ethnien gut, bei Weißen kaum sichtbar: sie findet sich vorwiegend an der mastikatorischen Mukosa (Gingiva, harter Gaumen), ist fleckig und symmetrisch. Bei chronischer mechanischer oder entzündlicher Irritation erscheint sie akzentuiert (z. B. über den prominenten Anteilen der Gingiva). Makulöse orale Melanose (s. auch oben unter »Schleimhautmelanosen«). Ein nicht seltener Zustand, der
durch einen oder einige bis Zentimeter große schwärzliche Flecken mit scharfer, oft unregelmäßiger Begrenzung gekennzeichnet ist. Prädilektion: Lippenrot. Klinisch einer Lentigo maligna ähnlich, histologisch jedoch lediglich basale Hyperpigmentierung ohne melanozytäre Anomalien. Zur Sicherung der Diagnose Biopsie! Pigmentnävi. Diese sind in der Mundschleimhaut selten. Alle Typen von Nävi kommen vor, besonders häufig blaue Nävi (7 Kap. 9). Differenzialdiagnose: Amalgameinsprengung. Zur Sicherheit Biopsie! Mundschleimhautmelanom. Relativ selten (ca. 2% aller Melanome). Auftreten vorwiegend im 3. Lebensdrittel, bei dunklen Ethnien gleich häufig wie bei Weißen. Prädilektionsstellen: pigmentierte Areale der Mundschleimhaut. Melanome der Mundschleimhaut sind klinisch oft uncharakteristisch, häufig unpigmentiert (20%) und haben eine schlechtere Prognose als Melanome der Haut. Mukokutane Melanose mit gastrointestinaler Polypose (Peutz-Jeghers-Syndrom, 7 Kap. 8.6).
. Abb. 10.38. Lingua plicata
Mundschleimhautpigmentierung durch andere Pigmente. Am häufigsten sind Amalgameinsprengungen:
485 10.8 · Krankheiten der äußeren Genitalien
bläulich durchschimmernde Läsionen unter intakter Mukosa, nicht immer in Nähe eines plombierten Zahns (Einschuss durch den rotierenden Bohrer). Selten sind graue Bleieinlagerungen in der marginalen Gingiva bei chronischer Bleivergiftung (Mees-Streifen) und Pigmentierung nach Tetrazyklinen. 10.7.6 Weitere charakteristische Verände-
rungen der Mundschleimhaut Cheilitis granulomatosa Definition, Epidemiologie. Eine nicht seltene (Inzidenz nicht bekannt) Dermatose unbekannter Ursache, die etwa gleich häufig isoliert wie im Rahmen des Melkersson-Rosenthal-Syndroms auftritt (s. u.). Manifestation im mittleren Erwachsenenalter. Symptomatik. Es besteht eine subjektiv symptomlose, relativ derbe (nur teilweise ausdrückbare!), einseitige Schwellung der Ober- oder Unterlippe, manchmal beider, und der angrenzenden Wangenpartien. Die Schwellung tritt attackenartig auf (wird zumeist anfangs für ein Angioödem gehalten) und bildet sich nach einigen Wochen unter Hinterlassung einer derben Restschwellung zurück. Wiederholte Rezidive (Abstände: Tage bis Monate) verstärken die Restschwellung, die dann permanent wird. Außer den Lippen können selten auch andere Gesichtsteile betroffen sein: Wangenschleimhaut (Pareitis granulomatosa), Stirn (Uranitis granulomatosa) u. a. Histologie: In frühen Phasen Ödem und lymphozytäre Infiltration des tiefen Binde- und Muskelgewebes, später sarkoidale Granulome. Tiefe Biopsie erforderlich! Therapie. Unbefriedigend. Systemische Kortikosteroi-
de sind zwar oft wirksam, die erforderlichen Dosen jedoch hoch. Bescheiden wirksam ist Clofazimin (Langzeittherapie), in Erprobung TNFα-Blocker. Melkersson-Rosenthal-Syndrom Dies umfasst die Trias von Lingua plicata, Cheilitis granulomatosa und rezidivierende periphere Fazialisparesen. Lingua plicata ist schon bei Geburt vorhanden, die rezidivierenden Fazialisparesen können der Cheilitis granulomatosa vorausgehen oder erst mit jahrelanger Verzögerung nachfolgen. Ursache der Fazialisparese: Strangulierung des Nerven durch Granulationsgewebe im Canalis Faloppii. Autosomal-dominanter Erbmodus wurde beschrieben. Schleimzyste Eine der häufigsten Läsionen der Mundschleimhaut: bis 1 cm große, mit visköser klarer, bläulich durch-
10
schimmernder Flüssigkeit gefüllter Hohlraum, meistens an Lippenrot und Mukosa der Unterlippe. Ursache: traumatische Ruptur des Ausführungsgangs einer Schleimdrüse, Akkumulation des Schleims im Gewebe (also strenggenommen keine Zyste, die definitionsgemäß ein epithelausgekleideter Hohlraum ist). Im späteren Verlauf chronisch entzündliche Reaktion (»Schleimgranulom«). Differenzialdiagnose. Seniles Angiom (»Blutsee«) der Unterlippe. Multiples Hamartom-Syndrom (Synonym Cowden-Syndrom) 7 Kap. 8.6.2. 3Harmlose Anomalien, die den Patienten oft beunruhigen: Fordyce- (freie) Talgdrüsen an der Wangenschleimhaut in Höhe der Zahnschlussleiste (ein Streifen multipler kleiner, gelb durchschimmernder Punkte). Weiters: sich höckrig durch die Mukosa der Unterlippe abzeichnende kleine Speicheldrüsen (»Cheilitis granularis«).
10.8
Krankheiten der äußeren Genitalien
Die äußeren Genitalien können einerseits Sitz des gesamten Spektrums von Hautkrankheiten und mitunter deren Prädilektionsstellen sein (. Übersicht). Andererseits sind sie Schauplatz der sexuell übertragbaren Krankheiten (7 Kap. 15), aber auch von eigenständigen Krankheitsbildern, die durch die anatomisch-physiologischen Bedingungen dieser Regionen geprägt sind.
Dermatosen mit Prädilektion für die Genitalregion (Auswahl) 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Viruswarzen Herpes simplex Kandidiasis Skabies Lichen ruber, Lichen nitidus Erythema multiforme Fixes Arzneimittelexanthem Morbus Reiter Pemphigus vulgaris, zikatrizierendes Pemphigoid Langerhans-Zell-Histiozytose Akanthosis nigricans Lymphozytom (Borreliose) Vitiligo Morbus Behçet Angiokeratoma corporis diffusum (Fabry) Zinkmangel-, Glukagonom-Syndrom
486
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
10.8.1 Regionsspezifische Dermatosen
des männlichen äußeren Genitales
10
3Der Penis trägt zahlreiche freie Talg- und apokrine Schweißdrüsen. Die Hornschicht der Glans penis und des inneren Vorhautblatts ist sehr dünn, die Barrierewirkung gering. Im Präputialraum herrscht daher ein Klima der »feuchten Kammer«, in ihm kann sich Smegma ansammeln (Hornschichtdebris, Drüsensekret und Keime), die Keimflora beherbergt häufig Gramnegative, Candida, Staph. aureus und Streptokokken B. Die Keime stehen im labilen Gleichgewicht der Kolonisierung; Änderungen der Milieufaktoren, z. B. Phimose, Diabetes mellitus oder Immundefizienz lassen das Gleichgewicht leicht zur Infektion umschlagen. Die Feuchtigkeit des Präputialraums disponiert für viele Infektionen: HPV, Herpes genitalis, Kandida-Balanitis. Diese Infekte und die chronisch irritierende Wirkung des Smegma gelten als Ursache, dass Peniskarzinome fast ausschließlich bei nicht zirkumzidierten Männern auftreten – die Zirkumzision schafft trockene Verhältnisse. Mechanisch besonders beanspruchte Stellen sind das Frenulum präputii und der Sulcus coronarius glandis. Hier lokalisieren sich daher vornehmlich Verletzungen, aber auch Dermatosen im Sinne eines KöbnerPhänomens (z. B. Lichen sclerosus). Epidermis und Hornschicht der Skrotalhaut sind gleichfalls dünn (Cave: schnelle Resorption von z. B. Kortikosteroiden!). Die Haut ist reich an Haarfollikeln, Talg- und Schweißdrüsen und deshalb oft feucht. Sowohl die Haut des Penis als auch die des Skrotums haben ein sehr lockeres Bindegewebe; bei Entzündungen stellen sich daher oft massive Ödeme ein.
Balanoposthitis Die Entzündung von Glans und innerem Vorhautblatt (griechisch: Posthion) ist sehr häufig. Sie ist klinisch durch Rötung, Schwellung, Nässen, Brennen und Jucken, vermehrte Smegmabildung und (selten) Erosionen gekennzeichnet. Die Veränderungen schneiden an der Umschlagstelle zum äußeren Vorhautblatt scharf ab. Die Abheilung erfolgt in der Regel narbenlos; bei chronischer Balanitis kann eine Fibrose des Präputiums entstehen, die zur Phimose (s. u.) führt bzw. eine solche verstärkt. Zur Entstehung der Balanoposthitis können prinzipiell folgende Faktoren beitragen: 4 mechanische Faktoren (Friktion) 4 Mazeration (Feuchte-Kammer-Situation bei relativer Phimose bzw. überlangem Präputium) 4 Entfettung durch Seifen 4 Überwuchern der Keimflora bzw. Infektion (E. coli, Candida) 4 altersbedingte Atrophie der Epidermis Diese Ursachen haben in verschiedenen (Alters-)Gruppen unterschiedliches Gewicht. Folgende Formen können unterschieden werden (Überlappungen kommen natürlich vor):
Balanoposthitis bei präpubertären Knaben. Diese tritt bei ca. 5% auf und ist häufig mit kongenitaler Phimose (oft bei überlangem, »rüsselförmigem« Präputium) oder partieller Konglutination der Glans assoziiert. Häufig ein akuter, oft purulenter Infekt. Erreger: Staphylokokken, Streptokokken Gruppe B. Aufsteigende Infektion (Urethritis) ist möglich. Balanoposthitis beim jungen, geschlechtsreifen Mann. In diesem Lebensabschnitt ist die Balanitis sel-
tener. Im Vordergrund stehen sexuell erworbene Infektionen, z. B. Begleitbalanitis bei Condylomata acuminata, Gonorrhoe u. a. m. Häufig sind milde irritative Balanitiden, die durch sexuelle Überaktivität, Kontakt mit Partnerinnen mit vaginalem Fluor (Kandidavulvitis, Trichomoniasis, anaerobe Vaginitis) oder auch Kontakt mit chemischen Agenzien (Kontrazeptiva, Kondome) zustande kommen. In der Regel selbstlimitiert bzw. Abheilung nach Behandlung der Infektion. Eine seltene, charakteristische Läsion ist die Balanitis circinata bei Morbus Reiter (7 Kap. 5.2.4). Balanoposthitis beim reifen Mann. In diesem Alter nehmen Infektionen ab, konstitutionelle Faktoren jedoch zu. Charakteristisch ist die so genannte Reinlichkeitsbalanitis (. Abb. 10.39a): manche Männer waschen das Glied täglich ein- oder mehrmals mit Seife. Die ständige Entfettung schädigt die ohnehin physiologisch schwache Barriere weiter, es kommt zur Mazeration. Symptomatik: eine diffuse, stumpfe Rötung, Schwellung (Verdickung der Falten), feine Schuppung. Die Reinlichkeitsbalanitis ist eine häufige, chronische Dermatose, die den Betroffenen stark belästigt, oft durch Kortikosteroidbehandlung perpetuiert und als »Pilz« diagnostiziert wird. Infektiöse Balanitiden. Diese sind seltener. Diabetes
mellitus ist in ca. 30% mit chronisch-rezidivierender bakterieller (E. coli) oder Kandida-Balanoposthitis assoziiert. Chronische Balanoposthitis. Diese kann zur Fibrose mit knorpelähnlicher weißlich-transluzenter Verdickung der Vorhaut und Verengung führen (Balanitis xerotica obliterans, postentzündliche Phimose). Im Extrem ist das Lumen des Umschlagrings auf Sondendicke reduziert, Folge: Miktionsbeschwerden. Bei Versuchen, die Vorhaut zu reponieren, entstehen schmerzhafte Rhagaden, deren Infektion die Schrumpfung noch verstärkt (Circulus vitiosus). Durch Smegmaretention entstehen manchmal akute Eiterungen. ! Balanitis xerotica obliterans ist auch das Endstadium eines Lichen sclerosus.
487 10.8 · Krankheiten der äußeren Genitalien
10
. Abb. 10.40. Lichen sclerosus et atrophicans als Ursache einer absoluten Phimose
Balanoposthitis des alten Mannes (Synonym atrophe oder plasmazelluläre Balanitis, Zoon-Balanitis). Eine typische und häufige Krankheit, die schon im 6. Lebensjahrzehnt beginnen kann, aber im Greisenalter kulminiert (. Abb. 10.39b). An der Glans (vorwiegend proximal – hier »klebt« die Vorhaut beim Zurückrollen) und am inneren Vorhautblatt finden sich ein oder mehrere scharf abgegrenzte (lackartig) glänzende erosive Herde mit zarten punktförmigen frischen und älteren Einblutungen. Histologie: Fehlen der Hornschicht, atrophe ödematöse Epidermis und milde, plasmazellreiche Entzündung – Plasmazellen sind ein typischer, aber unspezifischer Befund bei vielen Entzündungen der hautnahen Schleimhäute. Genese: Altersbedingte Atrophie der Epidermis, chronische Mazeration und dadurch erhöhte Verletzlichkeit, häufig auch starke Kolonisierung mit Gramnegativen. Therapie: Schaffung einer möglichst trockenen Situation, ggf. auch lokale Antisepsis. Bei starken Beschwerden Zirkumzision. Differenzialdiagnose: Erosiver Lichen ruber und Erythroplasie. Letztere zeigt gleichfalls einen oder einzelne, scharf begrenzte Herde, die Oberfläche ist jedoch matt, stumpf gerötet (deckfarben), leicht granuliert und ohne Einblutungen.
a
Phimose und Paraphimose Phimose. Diese Enge der Vorhaut macht das Zurücka . Abb. 10.39a, b. Typische Läsionen der Glans penis. a »Reinlichkeitsbalanitis«. Gesamte Glans und inneres Vorhautblatt betroffen, Haut leicht ödematös, stumpf gerötet, matt. b Atrophe Balanitis. Betroffen ist die proximale Glans und das innere Präputialblatt; die Läsion ist scharf begrenzt, glänzend (»lackfarben«) mit Teleangiektasien, frischen und älteren punktförmigen Einblutungen
ziehen schwierig oder unmöglich (relative bzw. absolute Phimose). Phimosen sind entweder angeboren oder erworben. Im ersteren Fall ist sie häufig mit überlangem Präputium assoziiert; im letzteren kann sie vorübergehend durch entzündliche Schwellung (z. B. bei Podophyllinbehandlung von Kondylomen) oder permanent durch postinflammatorische Fibrose entstehen (diabetische Balanoposthitis, Lichen sclerosus, . Abb. 10.40). Komplikationen sind Sekretstau, eitrige
488
10
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
. Abb. 10.41. Paraphimose (»spanischer Kragen«). Nach forcierter Reposition bei relativer Phimose wirkt die Umschlagstelle zwischen äußerem und innerem Präputialblatt wie ein Schnürring. Massives Ödem von Präputium und Glans
. Abb. 10.42. Hirsuties papillaris coronae glandis. Nebenbefund: ein kleines Condyloma acuminatum am inneren Präputialblatt
Balanoposthitis, Schwierigkeiten und Verletzungen beim Geschlechtsverkehr.
Frenulumnähe. Meist asymptomatisch, manchmal Entzündungen. 4 Hirsuties papillaris coronae glandis (. Abb. 10.42). Multiple kleine derbe, diskrete weißliche (verhornte) Papeln der Glans unmittelbar an der Kranzfurche. Eine harmlose atavistische Anomalie bei ca. 20% der Männer, häufig für krankhaft gehalten. Histologie: Angiofibrome.
Paraphimose. Diese entsteht, wenn bei relativer Phimose die Vorhaut zurückgezogen wird und dann wegen Ödembildung nicht mehr reponiert werden kann (. Abb. 10.41). Gefahr der Nekrose im Bereich des Schnürrings und der Glans. Therapie: Versuch der manuellen Reposition durch Auspressung des Ödems der Glans; bei Unmöglichkeit Spaltung des Präputiums. Selbst bei erfolgreicher Reposition empfiehlt sich die Zirkumzision zur Verhütung von Rezidiven.
Makulöse penile Melanose (. Abb. 10.43). Eine seltene harmlose, jedoch beunruhigende Dermatose (s. o. »Schleimhautmelanosen«), die durch einzelne oder mehrere dunkelbraun-schwarze, scharf und polyzy-
Weitere regionsspezifische Dermatosen Penile Fibromatose (Synonym Morbus Peyronie, In-
duratio penis plastica). Eine häufig mit palmoplantarer Fibromatose (Dupuytren-Kontraktur) assoziierte plaqueförmige Verdichtung der Dorsalseite der Tunica albuginea. Ursache: vermutlich Kombination einer genetischen Disposition (autosomal dominant) mit Traumen. Sie beginnt meist in der Lebensmitte, ist langsam progredient, führt zur Verkrümmung bei Erektion und Schmerzen beim bzw. Unmöglichkeit des Koitus. Kranzfurchenlymphangitis (Lymphopathia venerea).
Eine derbe, schmerzlose strangartige Verhärtung parallel und knapp proximal zum Sulcus coronarius – ein verdicktes, entzündetes Lymphgefäß. Assoziation mit Traumen, z. B. vehementem Koitus. Spontanheilung nach Tagen/Wochen. Fehlbildungen und Anomalien:
4 Mediane Raphezyste. Ein aus urothelialem Epithel aufgebauter Gang an der Raphe penis, meist in
. Abb. 10.43. Makulöse penile Melanose der Glans penis
489 10.8 · Krankheiten der äußeren Genitalien
klisch begrenzte Flecken an Glans und Präputium charakterisiert ist. Auftreten im frühen oder mittleren Erwachsenenalter. Differenzialdiagnose: Melanom. Regionsspezifische Präkanzerosen und Karzinome.
Viruspapillome durch High-risk-HPV-Typen sind Erreger der für die Genitoanalregion spezifischen Condylomata plana (7 Kap. 4.3.4). Die Erythroplasie ist eine dem Morbus Bowen entsprechende intraepitheliale Neoplasie; sie erscheint als irregulär gestalteter leicht granulierter Fleck an Glans oder Präputium (7 Kap. 9). Ein regionsspezifisches Karzinom sind schließlich die Riesencondylomata Buschke-Löwenstein. 10.8.2 Häufige charakteristische Läsionen
des männlichen Genitales Lichen sclerosus et atrophicans (. Abb. 10.40). Eine relativ häufige sklerodermiforme Dermatose (7 Kap. 7.2.6). Lichen simplex chronicus des Skrotum. Das Skrotum
ist nicht selten Sitz eines sehr lästigen Pruritus bzw. chronischen intertriginösen Ekzems. Gefahr: Eintrittspforte für ein Erysipel. Weitere für die Region charakteristische Läsionen sind multiple Talgzysten des Skrotum und Angiokeratomata scroti.
10
Pruritus vulvae, Lichen simplex vulvae. Chronischer Juckreiz der Vulva ist ein sehr häufiges Symptom (etwa 10% der gynäkologischen Konsultationen). Er kann Begleitsymptom manifester Läsionen (z. B. Lichen ruber, Lichen sclerosus, Kontaktekzeme) oder auch von Systemkrankheiten sein (z. B. Morbus Hodgkin, Diabetes mellitus), in mehr als der Hälfte der Fälle lässt sich jedoch keine Ursache aufdecken. Auch hier sind oft psychiatrische (endogene oder klimakterische Depression) oder psychologische Faktoren beteiligt. Kratzen und Reiben führt zu oft beträchtlicher Lichenifikation. Therapie: Ausschaltung etwaiger Ursachen, Vermeiden weiterer Irritationen, lokale Kortikosteroide (nicht als Dauerbehandlung!). Ein verwandter Zustand ist die Vulvodynie (Schmerzhaftigkeit der Vulva). Auch sie kann Infekte, Entzündungen oder senile Atrophie begleiten, ist aber oft Ausdruck einer Involutionsdepression. Atrophie der Vulva, Plasmazell-Vulvitis. Bei postme-
nopausalen Frauen kommt es zur meist milden, manchmal ausgeprägten Atrophie des gesamten äußeren Genitales ohne weitere objektive Symptome. Zu unterscheiden ist die Atrophie bei Lichen sclerosus (s. u.). Therapie: lokale Östrogenpräparate. An der atrophen Vulva können sich auch der Plasmazell-Balanitis des Mannes analoge erythematöse Herde finden. Bartholinitis, Bartholin-Zyste. Eine heftig schmerz-
10.8.3 Regionsspezifische Krankheiten
des weiblichen äußeren Genitales
hafte Entzündung der Bartholin-Drüse, die bei Gonorrhoe (7 Kap. 15) oder pyogenen Infekten auftreten kann. Vaginale Adenose. Hier handelt es sich um die Persis-
3Die Labia majora tragen reichlich Haare, Talg- und Schweißdrüsen, die zarten Labia minora sind in ihrem äußeren Teil von verhornender Epidermis mit freien Talgdrüsen, innen jedoch von nichtverhornendem Plattenepithel bedeckt (Vestibulum vaginae). Das Vestibulum beinhaltet die Mündungen von Urethra, Vagina, der Bartholin-Drüsen sowie kleinerer Drüsen und Gänge. Es ist der empfindlichste Teil der Vulva, reichlich mit Nervenendigungen versorgt, aus lockerem, schwellungsbereitem Gewebe aufgebaut und mit dünnem Epithel ausgestattet (Vorsicht bei lokaler Kortikosteroidbehandlung!). Auch im Vestibulum herrscht ein Klima der feuchten Kammer, das bei stärkerem Fluor die gesamte Vulva betrifft. Vagina und Vestibulum besitzen ihre eigene residente Keimflora, die bei Milieuänderungen oder Infektionen leicht umschlagen und pathologischen Keimen (z. B. Candida albicans) Raum geben kann.
Vestibulitis. Ein Zustand hoher Berührungsschmerzhaftigkeit im Bereich des Scheideneingangs. Vestibulitis kann Begleitsymptom von Fluor vaginalis und Vulvitis verschiedener Ursache sein, zeigt aber meist meist außer geringer Rötung keine objektiven Zeichen (psychosomatische Komponente). Therapie: psychologische Hilfe.
tenz von Epithel des Müller-Gangs, vorwiegend im oberen Anteil der Vagina, manchmal bis zum Vestibulum. Die vaginale Adenose wird schon in utero angelegt; sie kommt nicht selten bei jungen Mädchen vor, verläuft jedoch asymptomatisch oder bildet sich zurück. Im Erwachsenenalter oder Klimakterium kann es (selten) zu ausgedehnten Läsionen kommen, vermutlich in Zusammenhang mit Kontrazeptiva oder hormoneller Substitution. Symptomatik: mehrere scharf und unregelmäßig begrenzte schmerzhafte Erosionen, die bei Berührung und spontan leicht bluten, Dyspareunie. Histologie: Metaplasie primitiver Epithelien. Differenzialdiagnose: erosiver Lichen ruber. Therapie: operative Entfernung. Weitere regionsspezifische Läsionen. Analog dem
männlichen Genitale können sich auch am weiblichen eine makulöse Melanose, Condylomata plana, extramammärer Morbus Paget und Riesencondylomata acuminata Buschke-Löwenstein ausbilden.
490
Kapitel 10 · Gewebs- und regionsspezifische Hautkrankheiten
10.8.4 Häufige charakteristische Läsionen
des weiblichen Genitales Lichen sclerosus et atrophicans. Das weibliche Geni-
tale ist Hauptlokalisation dieser grundsätzlich überall auftretenden Dermatose (7 Kap. 7): manchmal extrem juckende weißliche Papeln, die, zu Plaques konfluiert, das Genitale und meist auch die Analregion umschließen (»8er-Figur«). Zwei Inzidenzgipfel: präpubertäre Mädchen (bei diesen spontane Abheilung möglich) und Frauen mittleren Alters. Nach jahrelangem Verlauf Atrophie mit Verstreichen von Teilen des Genitales und Strikturen. Der Lichen sclerosus des weiblichen Genitales gilt als fakultative Präkanzerose (Karzinomrisiko ca. 5%); regelmäßige Kontrollen, evtl. auch operative Entfernung schwer befallenen Gewebes sind indiziert. Mittel der Wahl ist die Lokaltherapie mit Tacrolimus-Salbe (Ab-
10
heilung oder zumindest langfristige Besserung). Unterspritzung mit Kortikoid-Kristallsuspension ist vorübergehend sehr wirkungsvoll, kann jedoch wegen der Gefahr der Atrophie nicht häufig wiederholt werden. Lichen ruber planus. Häufig ist der »gewöhnliche« Lichen ruber der Vulva, selten jedoch der erosive Lichen ruber des Vestibulums und der Vagina: ausgedehnte, schmerzhafte, scharf und unregelmäßig begrenzte düsterrote, leicht blutende Herde, die extrem therapieresistent sind. Diagnostik: Histologie. Differenzialdiagnose: Pemphigus, zikatrizierendes Pemphigoid, vaginale Adenose. Vulvakarzinome. Diese sitzen vorwiegend im Vorder-
teil des Vestibulum und sind oft – ebenso wie der extramammäre Morbus Paget – initial unscheinbare, erythematöse Verhärtungen.
11 11 Altersspezifische Hautkrankheiten 11.1 Pädiatrische Dermatologie – 492 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4
Grundlagen – 492 Dermatosen der Neugeborenen- und Säuglingsperiode Ekzeme und ekzemähnliche Dermatosen – 495 Dermatosen des Klein- und Schulkindalters – 498
– 492
11.2 Geriatrische Dermatologie – 499 11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.2.4
Grundlagen – 499 Altersdermatosen – 500 Alterstypische Tumoren und Hyperplasien – 501 Dermatosen durch altersbedingte Atrophie oder Degeneration der Haut – 501 11.2.5 Dermatosen als Folge der Alterung des Gesamtorganismus – 502 11.2.6 Hautläsionen durch mangelnde Pflege – 502 11.2.7 »Klimakterielle« Beschwerden ohne fassbares morphologisches Substrat – 504
492
Kapitel 11 · Altersspezifische Hautkrankheiten
11.1
Pädiatrische Dermatologie
11.1.1 Grundlagen Im Neugeborenen- und Kindesalter sind Hautkrankheiten besonders häufig: die Anpassung an das extrauterine Leben, die noch nicht abgeschlossene Ausreifung der Haut und des Immunsystems, die Konfrontation mit der Mikroflora der Umwelt u. a. resultieren in Intoleranzreaktionen und Infektionskrankheiten. Die Frühkindheit ist zudem der Lebensabschnitt, in dem Erbkrankheiten und Fehlbildungen zutage treten. Viele kindliche Dermatosen sind durch abruptes Auftreten und schnellen Verlauf gekennzeichnet.
11
Kindliche Haut. Bei der Geburt ist die Haut von der Vernix caseosa bedeckt, einem schmierigen Gemisch von in utero produziertem Talg und Hornzelldebris, das auch antibakterielle Peptide enthält. Der pH-Wert der Haut ist neutral und sinkt erst im Lauf des 1. Lebensmonats langsam auf physiologische Werte (~5,0). Im Geburtskanal taucht das anfangs sterile Neugeborene in die Keimwelt der Umgebung. Die Keimbesiedelung nimmt von Nabelschnur-, Anogenital-, Intertrigoregionen und Nasopharynx ihren Ausgang; die Keimdichte erreicht nach etwa 6 Wochen Erwachsenenwerte. »Vorreiter« der Kolonisierung sind Mikrokokken und Staph. epidermidis. Der Nabelschnurstumpf und ggf. die Zirkumzisionswunde sind gute Eintrittspforten für foudroyant verlaufende Infekte. Die Haut des reifen Neugeborenen ist morphologisch voll ausgebildet, jedoch mechanisch weniger widerstandsfähig (Blasenbildung erfolgt leichter) und empfindlicher gegenüber Irritanzien als die des Erwachsenen. Die Barrierefunktion ist weitgehend ausgereift, trotzdem kommt eine relevante systemische Resorption eher zustande (ungünstigere VolumenOberflächen-Ratio; Okklusion durch Windelhose). Die Hautanhangsgebilde sind vollständig ausgebildet; die
Behaarung besteht aus Lanugohaaren, die Talgdrüsen sind hypertroph und aktiv (mütterliche Hormone!), die Schweißdrüsen in den ersten Lebenswochen noch nicht funktionstüchtig. Die Fähigkeit zu Schwitzen stellt sich erst sukzessive ein (volle autonome Kontrolle erst nach 2–3 Jahren). Auch die nervöse Kontrolle des Blutgefäßsystems ist noch unvollständig. Die genannten Faktoren und das noch spärliche Fettpolster bewirken eine thermoregulatorische Labilität des Neugeborenen (sowohl bezüglich Überhitzung als auch Unterkühlung). Die Melanozyten sind spärlich und wenig aktiv. Die volle Reife der Hautfunktionen wird erst am Ende des 1. Lebenshalbjahrs erreicht. Anschließend bleibt die Haut im Wesentlichen bis zum Beginn der Pubertät unverändert. Die Haut des Frühgeborenen ist dünn, auffallend rot, »hängt« wegen der noch mangelnden Fettschicht locker und ist noch nicht voll differenziert (Folgen: höhere Verletzlichkeit, insuffiziente Barrierefunktion). Die Haut des Übertragenen ist blass, schuppig und durch Mekonium verfärbt, Lanugohaare und Nägel lang. Immunsystem. Das Immunsystem des reifen Neugebo-
renen ist noch nicht voll ausgereift (teilweiser Ausgleich durch mütterliche Immunglobuline – »Nestschutz«). Folgen sind Schwäche der Keimneutralisation, Opsonisation und der Chemotaxis; Kontaktallergien kommen im Säuglingsalter nur sehr selten zustande. 11.1.2 Dermatosen der Neugeborenen-
und Säuglingsperiode Passagere nichtinfektiöse Dermatosen und Temperatur-induzierte Zustände Postpartal manifestiert sich die Adaptation des kindlichen Organismus an das extrauterine Leben mit einer Reihe charakteristischer Hautzeichen (. Tab. 11.1)
. Tab. 11.1. »Physiologische«, passagere Hautzeichen der Neugeborenenperiode Geburtstraumen
Caput succedaneum, Zephalhämatom
Postpartale Hyperämie
Einige Stunden dauernde Rötung der gesamten Haut; Adaptationsphänomen
Generalisierte Abschuppung (oft psoriasiform)
Folge ausgeprägter postpartaler Hyperämie; von einigen Tagen Dauer
Cutis marmorata
Livedo-reticularis-Zeichnung; Ausdruck der Kälteempfindlichkeit (Unreife der Thermoregulation)
Erythema toxicum neonatarum
s. Text
Milien
Spontane Rückbildung innerhalb von Wochen
Pubertät »en miniature«
Vergrößerte Mammae, Talgdrüsenhyperplasie, Komedonen, neonatale Akne, Hyperpigmentation des Genitales, der Mamillen Rückbildung innerhalb von Wochen bis Monaten
493 11.1 · Pädiatrische Dermatologie
Die physiologische Erythrodermie (postpartale Hyperämie) des Neugeborenen kann bei starker Ausprägung erschreckend wirken und muss von konnatalen Erythrodermien unterschieden werden (z. B. kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie, 7 Kap. 8.2). Die häufig folgende psoriasiforme Abschuppung muss von der Schuppung übertragener Neugeborener bzw. bei Plazentainsuffizienz und konnatal manifesten Ichthyosen abgegrenzt werden. Erythema toxicum neonatorum. Eine häufige (30– 70%; bei Frühgeburten seltener), charakteristische und harmlose Dermatose unbekannter Ursache. In den ersten Lebenstagen erscheinen einzelne bis Hunderte regellos disseminierte, großfleckige »schummrige« Erytheme, manchmal mit Papeln, seltener Pusteln. Handflächen und Fußsohlen bleiben frei. Keine Allgemeinsymptome, Spontanheilung innerhalb von 2 Wochen. Therapie nicht erforderlich. Eine seltene Varainte, die zu zäher postinflammatorischer Hyperpigmentierung führt, ist die neonatale pustulöse Melanose. ! Pusteln in der Neugeborenenperiode sind stets auf bakterielle Sepsis verdächtig (Staphylokokken, Pseudomonas u. a. m.) und erfordern deren Ausschluss (. Übersicht).
Differenzialdiagnose pustulöser Eruptionen bei Neugeborenen 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Staphylokokken-Pustulose Bakterielle Sepsis Herpes simplex neonatorum Kandidasepsis Konnatale kutane Kandidiasis Impetigo contagiosa Erythema toxicum neonatorum Varizellen (diaplazentare Übertragung) Herpes zoster Acne infantum
Cutis marmorata. Eine bei kühler Umgebungstemperatur auftretende physiologische Hautzeichnung (Livedo reticularis – 7 Kap. 7.4.4; kommt auch bei disponierten Erwachsenen vor!). Sie ist postpartal häufig intensiv ausgeprägt, normalisiert sich aber nach einigen Wochen. Sie muss von der seltenen Cutis marmorata teleangiectatica (van Lohuizen-Syndrom) unterschieden werden – eine unregelmäßige, bizarre Hautzeichnung (Livedo racemosa, 7 Kap. 7.4.4), die auf unklaren Störungen der Blutströmung beruht, manchmal mit Fehlbildungen verbunden ist, sich aber gleichfalls häufig bis zur Pubertät zurückbildet.
11
Miliaria rubra (7 Kap. 10.5). Diese sind bei Säuglingen nicht selten (warme, teils okklusive Babykleidung). Sie treten erst im Alter von einigen Wochen auf (Einsetzen des Schwitzens). Subkutane Fettnekrose. Eine seltene, selbstlimitierte
Krankheit sonst gesunder reifer Neugeborener, die durch lokale Kälteexposition entsteht. Ursache ist eine erhöhte Kälteempfindlichkeit des neonatalen Fettgewebes (höherer Schmelzpunkt). Innerhalb der ersten Lebenstage oder -wochen bilden sich einzelne oder mehrere bis einige Zentimeter große, derbe subkutane Knoten, über denen die Haut rotviolett verfärbt ist. Prädilektionsstellen: Wangen, Nates, proximale Extremitäten. Meist spontane Auflösung innerhalb einiger Wochen. Die subkutane Fettnekrose muss vom lebensbedrohlichen Sclerema neonatorum unterschieden werden – eine mit schweren Systemkrankheiten und Unterkühlung assoziierte generalisierte Form der Fettnekrose bei Frühgeborenen. Acne neonatorum. Eine nicht seltene Dermatose vorwiegend bei männlichen Neugeborenen, vermutlich durch mütterliche Androgene ausgelöst. Beginn meist am Ende der Neonatalperiode, spontane Abheilung innerhalb des 1 Lebensjahrs. Es finden sich Papeln und Pusteln hauptsächlich an den Wangen, Komedonen und Abszesse sind selten. Knaben mit Akne neonatorum entwickeln in der Pubertät besonders schwere Akne vulgaris. Differenzialdiagnose: adrenogenitales Syndrom. Eine bedeutsame Krankheit der Neugeborenenperiode ist das neonatale Lupus-Syndrom (7 Kap. 7).
Infektiöse Dermatosen der Neonatalperiode Infektionen sind generell, solche der Haut im Besonderen in der Kindheit häufiger als im Erwachsenenalter. Infektionen der Neugeborenen können schon in utero oder während bzw. kurz nach der Geburt erfolgen. Konnatale Infektionen zeigen trotz der verschiedenen verantwortlichen Erreger oft ähnliche klinische Bilder: Minderwuchs, Zeichen der Unreife, Hepatosplenomegalie, Ikterus, Anämie und Thrombozytopenie, Purpura, Chorioretinitis etc. Wegen dieser Ähnlichkeit hat sich der Sammelbegriff »STORCHSyndrom« eingebürgert – ein Akronym für die hauptsächlichen Erreger: 4 Konnatale Syphilis 4 Toxoplasmose 4 »other infections« (diverse Virusinfektionen) 4 Rubeolen 4 Cytomegalie 4 Herpes simplex
494
Kapitel 11 · Altersspezifische Hautkrankheiten
Diagnostik und Therapie dieser Krankheiten s. die entsprechenden Quellen. Bei peri- und postnatalen Infektionen wird das Kind klinisch gesund geboren, die Symptome setzen erst nach mehrtägiger Inkubationszeit ein. In der Neonatalperiode sind Infekte häufig invasiv, führen schnell zu Komplikationen wie Sepsis, Osteomyelitis u. a. und können lebensbedrohlich sein (Haupterreger: Staphylokokken, Streptokokken, Pyocyaneus). Herpes simplex neonatorum Diese gefürchtete Infektion (meist HSV-2) wird gewöhnlich im Geburtskanal erworben (florider Herpes genitalis), beginnt meist in der 1. Lebenswoche, kann auf die Haut beschränkt bleiben oder disseminieren. Mortalität >70% (7 Kap. 4). Staphylokokkeninfektionen Staph. aureus ist der häufigste bakterielle Erreger der Neonatalperiode. Etwa ein Drittel der Neugeborenen wird innerhalb 1 Woche mit Staph. epidermidis besiedelt, akzidentell auch mit Staph. aureus. Die Übertragung erfolgt durch Schmierinfektion; die Isolierung infizierter Kinder ist daher angezeigt (Gefahr von Epidemien). Das Spektrum der Krankheitserscheinungen durch Staph. aureus ist breit.
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Staphylokokken-Pustulose. Bei dieser mildesten Form entstehen in den kolonisierten Regionen disseminierte, kleine oberflächliche Pusteln, die spontan abheilen oder aber zu schwerwiegenderen Pyodermien fortschreiten können. Die Staphylokokken-Pustulose muss von der gefährlichen, manchmal innerhalb von Stunden zum Tod führenden Staphylokokkensepsis mit metastatisch-embolischen Abszessen unterschieden werden (Kulturen aus Blut, Harn, Haut). Eitrige Omphalitis. Diese entsteht bei mangelnder Nabelhygiene. Aus dem entzündeten, verhärteten Nabelstumpf ergießt sich eitriges Sekret. Infektion des umgebenden Gewebes kann zu Nabelphlegmone, Peritonitis und Sepsis führen. Die Omphalitis ist auch der klassische Streuherd des bedrohlichen »staphylococcal scalded skin syndrome« (7 Kap. 4). Weitere Manifestationen: Eitrige Konjunktivitis, Furunkel, Hidradenitis suppurativa, eitrige Paronychien (häufige Komplikation: Osteomyelitis), Gangrän und Sepsis. Infektion der Haut mit Staph. aureus der Phagengruppe II führt zur bullösen Impetigo. Therapie. Geeignete systemische Antibiotika (Penicil-
linase-resistentes Penicillin).
Staph. epidermidis
Dieser normalerweise apathogene Keim der mikrobiellen Hautflora kann bei Frühgeborenen und immundefizienten Kindern Infektionen verursachen. Hauptmanifestationen: Kopfschwartenphlegmone, eitrige Konjunktivitis. Streptokokkeninfektionen Seltener als Staphylokokkeninfekte, Hauptmanifestationen: Omphalitis, Paronychien, Impetigo, Erysipel und Phlegmonen. Gramnegative Keime Diese sind häufig Ursache schwerwiegender Systeminfektionen (Sepsis, Meningitis, Pneumonie), führen bei Neugeborenen aber nur selten zu Hautinfektionen. Haupterreger sind Escherichia coli, P. aeruginosa, Klebsiellen und Proteus mirabilis. Pseudomonas aeruginosa. Die lebensbedrohliche
Infektion mit diesem Erreger kann sich sehr verschiedenartig manifestieren: erythematöse Papeln, hämorrhagische Vesikulopusteln, tiefe Knoten, Abszesse, Phlegmonen und Erythema-multiforme-ähnliche Läsionen. Wichtigste Manifestation und pathognomonisch ist das Ekthyma gangränosum. Dieses entsteht zumeist auf metastatisch-embolischer Basis bei Pseudomonas-Sepsis und besitzt eine charakteristische Morphologie: fokales Ödem und Erythem mit einer zentral hämorrhagischen Vesikulopustel, die platzt und sich schnell (12–24 h) in ein nekrotisches Ulkus mit eleviertem Randsaum umwandelt. Diagnostik: Gramabstrich und Kultur. Therapie: Breitspektrum-Penizillin kombiniert mit Aminoglykosid (sofort, noch vor Eintreffen des Kulturbefunds!). Kandidiasis Die Besiedelung des Neugeborenen mit Candida albicans erfolgt zumeist schon im Geburtskanal und beginnt in der Mundhöhle (von hier aus Gastrointestinaltrakt und Windelregion). Bei vorzeitigem Blasensprung kann Candida schon präpartal aszendieren und zu einer kutanen Infektion des Neugeborenen führen (neonatale kutane Kandidiasis). Bei gesunden Neugeborenen sind beide Infektionen selbstlimitiert und führen nicht zur Dissemination. Orale Kandidiasis (Mundhöhlensoor). Diese häufigste
Manifestation betrifft weniger als 10% der gesunden Neugeborenen. Zwischen dem 5. und 8. Lebenstag erscheinen weißliche, wegwischbare Beläge der Mundschleimhaut auf erythematösem Grund, die sich nach
495 11.1 · Pädiatrische Dermatologie
einigen Wochen spontan zurückbilden. Differenzialdiagnose: Milchreste. C A V E
Kandidasepsis Bei Frühgeburten, immundefizienten Neugeborenen, sowie nach Geburtstrauma, protrahierter Geburt, Malnutrition und systemischer Behandlung mit Antibiotika und Kortikosteroiden ist der Mundhöhlensoor viel häufiger und kann Ausgangspunkt einer Kandidasepsis werden. Diese verläuft mit Organbefall und schweren Systemzeichen, daneben meist auch ausgedehnten Herden an Haut und Schleimhaut (papulopustulöse und/oder knotige Läsionen). Diagnostik: Abstriche und Pilzkulturen aus Blut, Urin, Biopsiematerial.
Konnatale kutane Kandidiasis. Diese seltene Form
entsteht durch aszendierende Infektion. Bei Geburt finden sich an Plazenta und Nabelschnur multiple miliare weißliche Knötchen (Pilzrasen), das Fruchtwasser ist trüb, am Neugeborenen finden sich generalisierte Papulo-Pusteln, die nach einigen Tagen abschuppen. Die konnatale kutane Kandidiasis bleibt meist auf die Haut beschränkt und führt nur selten zu Komplikationen. Diagnostik: direkter und kultureller Pilznachweis. Therapie. Bei unkomplizierter oraler und konnataler kutaner Kandidiasis: topisch (z. B. Nystatin), bei Verdacht auf Dissemination: Itraconazol, Fluconazol.
Hautinfektionen bei primären ImmundefizienzSyndromen Besonders heftige, atypische, langwierige, inkomplett auf Antibiotika ansprechende, chronisch rezidivierende und mit Gedeihstörungen assoziierte Infektionen müssen den Verdacht auf das Vorliegen primärer Immundefekte erwecken (7 Kap. 4). Genodermatosen der Neonatalperiode 7 Kap. 8. Umschriebene Fehlbildungen, Nävi und Tumore Systemische Fehlbildungssyndrome gelangen in der Regel nicht zum Dermatologen, wohl aber mannigfaltige, auf embryonaler Fehlentwicklung beruhende, umschriebene Anomalien der Haut. Eine Übersicht über die häufigsten Fehlbildungen zeigt . Tab. 11.2. Aplasia cutis congenita. Ein anlagebedingtes Fehlen
der Haut an umschriebener Stelle, häufig am Hinter-
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kopf, das als ovale, meist nur kleine Ulzera (einige Zentimeter Größe) oder auch als Substanzdefekte in Erscheinung tritt, in denen die Haut durch eine zellophanartig dünne, durchsichtige Lamelle ersetzt ist. Therapie: Plastisch-chirurgische Korrektur. Zysten und Fisteln. Diese können von einer Reihe embryonaler Gänge und Anlagen oder von inkomplettem Verschluss des Neuralrohrs herrühren. Sie sitzen meist median oder lateral am Hals, in der Ohrregion, sagittal, sakral oder an der Raphe penis. Sie können einen Blindsack darstellen, aber auch mit tiefen Strukturen kommunizieren (vor der Operation abzuklären!). Nävogene Fehlbildungen. Viele Nävi (z. B. Naevi flammei, 7 Kap. 9) sind schon bei Geburt manifest, aber noch inkomplett ausgebildet. Sie entwickeln erst in den ersten Lebensjahren ihre volle Ausdehnung und Ausprägung, manche (z. B. Bindegewebsnävi) erst in der Pubertät. Vorhanden, jedoch noch oberflächlich, weniger pigmentiert und kaum behaart sind die kongenitalen Pigmentnävi. Manche nävogenen Fehlbildungen haben Warncharakter für noch nicht ausgeprägte Fehlbildungssyndrome (Café-au-lait-Flecken: Neurofibromatose; »Eschenlaubflecken«: Morbus Pringle; ausgedehnte Naevi flammei: Klippel-Trenaunay-, SturgeWeber-Syndrom). Kapilläre Angiome 7 Kap. 9. An der Grenze zwischen Hamartom und benignem Tumor stehen seltene Läsionen wie Glioma nasi, Meningeom und Osteom der Haut. Selten, aber typisch für das Kleinkindesalter sind Pseudosarkome des Bindegewebes (Digitalfibrome, juvenile Fibromatosen). Maligne Tumoren in diesem Lebensabschnitt sind sehr selten (maligne Teratome, Sarkome, Melanome).
11.1.3 Ekzeme und ekzemähnliche
Dermatosen Kindliche Haut ist leicht irritierbar und reagiert auf verschiedenste Noxen mit Ekzemen, deren Ätiologie und auslösende Faktoren nicht stets klar sind und oft überlappen. Allergische Kontaktekzeme sind im Frühkindesalter sehr selten (Unreife des Immunsystems). Grundtypen kindlicher Ekzeme Irritatives Kontaktekzem. Sehr häufig, meist milde, in Verteilung und Charakter abhängig von der auslösenden Noxe. Beispiele: Periorales Ekzem durch Herabfließen von Speichel oder Kindernahrung; intertriginöses Ekzem an Hals, Axillen und Fettfalten durch Schwitzen; disseminiertes Ekzem durch Badezusätze, kitzelnde Babykleidung (Wolle) oder Präparate der
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Kapitel 11 · Altersspezifische Hautkrankheiten
. Tab. 11.2. Häufige umschriebene Fehlbildungen der Haut
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Aplasia cutis congenita
angeborener Substanzdefekt der Haut (meist okzipital)
Cutis verticis gyrata
»Hirnwindungsartige« Wulstung der Scheitelhaut; manchmal erblich, manchmal mit assoziierten Defekten des ZNS
Pterygium colli
freie Hautfalte am seitlichen Hals, Turner-Syndrom ausschließen!
Epikanthus
Trisomie 21 u. ä. ausschließen!
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
operative Therapie frühzeitig durch plastischen Chirurgen erforderlich
Ontogenetisch bedingte Zysten und Fisteln 4 branchiogene Zysten und Fisteln 4 thyroglossale Zysten und Fisteln 4 Aurikular-Zysten und Fisteln
medial oder lateral am Hals bzw. präaurikular; Blindgang oder mit tiefen Strukturen kommunizierend (Pharynx); Sekundärinfektion häufig, operative Entfernung erforderlich.
Aurikularanhänge
verschieden gestaltete fibromähnliche Gebilde an der Ohrmuschel; harmlos
Dermale Sinuszysten
Auf unvollkommener Trennung des Neuroektoderms vom epithelialen Ektoderm beruhende Zysten oder Kanäle meist okzipital (grundsätzlich an der gesamten Medianlinie bis zum Os coccygis möglich). Oft unscheinbar, manchmal zystische Erhabenheiten; meist als »Atherom« diagnostiziert. Gefährlich, da direkte Verbindung zu den Meningen! Infektionsgefahr!
Pilonidalsinus (Sakraldermoid)
keine Verbindung zum Meningealraum, Gefahr der Superinfektion!
Mamilla accessoria
entlang der Milchleiste, meist als Pigmentnävus diagnostiziert
Mongolenfleck
7 Kap. 10
Pseudo-Ainhum
durch Amnionstränge bedingte Abschnürung von Gliedern, Atrophie
Klinodaktylie, Syndaktylie, Hemihypertrophie
akrale Missbildungen
Digitus supernumerarius
oft nur häutige Fibrom-ähnliche Anhängsel
Vierfingerfurche
Trisomie 21 ausschließen!
Hypospadie, Epispadie, kongenitale Phimose
Anomalien der Harnröhrenöffnung
Conglutinatio präputii
Verklebung der Vorhaut mit der Glans penis. Löst sich oft von selbst
Trichterförmige Einziehungen (»dimpling«)
oft Amniozentesenarben; auch als spontaner Entwicklungsdefekt möglich (z. B. über dermalen Sinuszysten)
Babykosmetik. Wichtigstes Beispiel ist die irritative Windeldermatitis.
jahrs. Unterscheidung von der atopischen Dermatitis . Tab. 11.3.
Atopische Dermatitis. Diese entsteht voll ausgeprägt zwar erst im 2. oder 3. Lebensmonat, geht jedoch häufig aus vorbestehenden irritativen oder seborrhoischen Ekzemen hervor. Ein typischer Vorbote der atopischen Dermatitis ist das irritative Windelekzem.
Therapie der kindlichen Ekzeme. Elimination der No-
Seborrhoisches Ekzem. Eine häufige, oft schlecht
von den anderen Ekzemen unterscheidbare Form. Es macht wenig Beschwerden, ist von kaum exsudativem Charakter, bildet trockene, »fettige« Schuppen und bevorzugt die »seborrhoischen Areale« (am Kapillitium manchmal massiv: »Gneis«) und die Windelregion. Nummuläre Streuherde wirken oft psoriasiform und werden gelegentlich als infantile Psoriasis interpretiert. Beginn in den ersten Lebenswochen, spontanes Ende spätestens am Ende des 1. Lebens-
xen, bei Bedarf Lokaltherapie mit Hydrokortisonsalben und pflegerische Maßnahmen (Bäder, Pflegesalben). Windeldermatitis Eine sehr häufige irritative Dermatitis der Windelregion bei Säuglingen, die durch Kontakt mit Stuhl unter Okklusion verursacht wird. Disponierende bzw. fördernde Faktoren sind atopisches und seborrhoisches Ekzem und Besiedelung mit Candida albicans. Epidemiologie. Die Windeldermatitis tritt bei etwa
zwei Drittel aller Säuglinge auf, aber nur in ca. 10% mittelstark bis stark. Sie heilt ab, sobald das Kind der Windeln entwöhnt ist (oder geht in eine atopische Dermatitis über). Gestillte Kinder sind seltener betroffen.
497 11.1 · Pädiatrische Dermatologie
. Tab. 11.3. Differenzialdiagnose zwischen atopischer Dermatitis und seborrhoischer Säuglingsdermatitis Atopische Dermatitis
Seborrhoisches Ekzem
Beginn
6–16 Wochen
4–12 Wochen
Familienanamnese
meist positiv
meist negativ
Nahrungsaufnahme
oft schwierig
normal
Schlaf
oft schlecht
normal
Stimmung
unzufrieden
zufrieden
Juckreiz
ja
nein
Lokalisation
Windelbereich und Kopf
Windelbereich und Kopf
Morphologie
unscharf begrenzte Herde, keine Satellitenpapeln, erythematöse Papeln, Nässen, Krusten
scharf abgegrenzte Erytheme, Satellitenpapeln, häufig psoriasiform, am Stamm
chronisch
selbstlimitiert
Verlauf
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Pathogenese. Das Windelekzem ist eine Zivilisationskrankheit, deren Ursache im Okklusionseffekt der Windeln liegt. Das häufige Harnlassen des Säuglings führt zu Quellung und Funktionsverlust der Hornschicht. An Stellen vermehrter Friktion (Innenseite der Oberschenkel, Gesäß, Bauch, Genitale und Analregion; die tiefen Falten bleiben typischerweise ausgespart) manifestiert sich die irritierende Wirkung des Stuhls zuerst und am stärksten. Diese beruht auf dem Gehalt an Verdauungsenzymen (Trypsin, Chymotrypsin, Lipasen – das Aktivitätsoptimum dieser Enzyme liegt im alkalischen Bereich, daher ist der alkalischere Stuhl von Kuhmilch-ernährten Säuglingen irritierender). Das Ausmaß der Irritation wird durch die individuelle Ekzembereitschaft bestimmt (besonders hoch bei Kindern mit atopischer oder »seborrhoischer« Disposition). Symptomatik. Diffuse Rötung und Nässen (»Wund-
sein«) der Windelregion unter Aussparung der großen Falten (»W-Figur«!) (. Abb. 11.1a–d). Komplikation: Sekundäre Besiedlung mit pyogenen Erregern (»poststreptococcal perianal disease«) oder Candida albicans (»Windelsoor«).
a
b
c
d . Abb. 11.1a–d. Windeldermatitis. a Irritative Windeldermatitis, mild. Das Maximum der Veränderungen liegt an den Aufliegestellen des Windelrandes. b Ausgedehnte Windelderma-
titis mit Kandida-Superinfektion. c Granuloma glutaeale infantum. Multiple rot-livide Knoten. d Kortikoidatrophie der Haut bei chronischem Windelekzem
498
Kapitel 11 · Altersspezifische Hautkrankheiten
Differenzialdiagnose. Atopische Dermatitis, seborrho-
isches Ekzem, primäre Kandidose, bullöse Impetigo, Langerhanszell-Histiozytose. Therapie. Zum Erfolg führt nur die Elimination der Ur-
sache, also des Kontakts der Haut mit Fäzes. Am besten, wenn auch unbequemsten, ist das Austrocknen der Windelregion durch häufiges Offenstehenlassen; ein brauchbarer Kompromiss sind stark saugende Windeln bei häufigem Wechsel sowie Abdeckung mit weicher Zinkpaste. Im akuten Stadium sind Hydrokortisonsalben manchmal unentbehrlich, starke Kortikosteroidsalben sind wegen der Okklusionssituation kontraindiziert. Bei Superinfektion mit Kandida zusätzlich Nystatin lokal. Granuloma glutaeale infantum Eine seltene Komplikation der chronischen Windeldermatitis, die klinisch durch lividrote bis nussgroße Knoten und histologisch durch eine granulomatöse Reaktion gekennzeichnet ist. Analoge Veränderungen können auch außerhalb des Kindesalters, z. B. bei Dysraphien, entstehen. Differenzialdiagnose: Anogenitale Warzen, luetische Papeln. Therapie. Wie oben. Spontanregression innerhalb einiger Monate.
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Seltene ekzemähnliche Dermatosen Solche können zahlreiche Systemkrankheiten begleiten: primäre zelluläre und humorale Immundefizienzen, Mangelzustände (Hypovitaminosen, Acrodermatitis enteropathica), Gedeihstörungen bei Malabsorption, Diarrhoen und chronischen Infekten, Genodermatosen (Netherton-Syndrom), und neoplastischen Krankheiten (Langerhanszell-Histiozytose). Die unter solchen Umständen auftretenden Ekzeme sind manchmal sehr ähnlich einer atopischen Dermatitis (Beispiele: WiskottAldrich-Syndrom, selektive IgA-Defizienz, Hyper-IgESyndrom), erfüllen aber meist die diagnostischen Kriterien nicht gänzlich. 11.1.4 Dermatosen des Klein-
und Schulkindalters In diesem Lebensabschnitt haben exogene Hautschäden ihre höchste Inzidenz: Verbrühungen, Verbrennungen, Verätzungen, Schürfwunden, Sonnenbrände, Tierbisse, Insektenstiche etc. Ferner erfolgt der erste Kontakt mit zahlreichen Erregern: exanthematische »Kinderkrankheiten«, Viruswarzen, Mollusca contagiosa, Pyodermien. Die Impetigo contagiosa (7 Kap. 4) ist die bei weitem häufigste bakterielle Infektionskrankheit dieser Lebensphase, ihre Folgekrankheiten (akute poststreptokokkale Glomerulonephritis bzw. »staphylo-
coccal scalded skin syndrome«) sind heute selten geworden. Manche Stoffwechselstörungen manifestieren sich erstmalig, z. B. erythropoetische Protoporphyrie, Hidroa vacciniformia. Schließlich können manche Systemkrankheiten unter für dieses Alter besonderen Manifestationsformen auftreten: kindliche Dermatomyositis, Sklerodermie, Lichen sclerosus etc. Nur wenige Hautkrankheiten sind für dieses Alter spezifisch: Juveniles squamöses palmoplantares Ekzem
Kinder dieser Altersperiode neigen besonders zu trocken-schuppigen palmoplantaren Ekzemen, die der Dyshidrosis lamellosa sicca (7 Kap. 3.2.1) entsprechen und Ausdruck exogener Belastung (mechanisch, feuchte Mazeration) bei noch dünner Handflächenund Sohlenhaut sind. Häufig assoziiert: atopische Disposition. Symptomatik: Die Haut ist trocken, mit fetzigen Schuppen bedeckt, radiäre Rhagaden. Therapie: Aufklärung, Pflegesalben. C A V E
Dieses häufige Krankheitsbild wird oft als »Pilz« fehldiagnostiziert und dementsprechend behandelt.
Papulovesikulöses akrolokalisiertes Syndrom und Infantile papulöse Akrodermatitis (Synonym Gianotti-Crosti-Syndrom) Zwei relativ seltene, verwandte exanthematische Krankheiten des Kleinkindesalters, die als Intoleranzreaktionen im Rahmen von Virusinfekten interpretiert werden. Das papulovesikulöse akrolokalisierte Syndrom gilt als gemeinsamer Ausdruck verschiedener Virusinfekte (oft Epstein Barr-Virus), zeigt ein polymorpes Bild (juckende Erytheme, Papeln, Vesikeln) an Wangen, Nates und distalen Extremitäten, keine Systemzeichen und spontane Rückbildung nach ca. 1 Woche. Die viel seltenere infantile papulöse Akrodermatitis (. Abb. 11.2) ist mit einer milde verlaufenden, anikterischen Hepatitis-B- Infektion (oder auch -Impfung) assoziiert. Sie zeigt ein monomorphes Exanthem aus nicht juckenden, dunkelroten Papeln in analoger Lokalisation, generalisierte Lymphknotenschwellung, grippeähnliche Systemzeichen und die Laborzeichen der akuten Hepatitis. Differenzialdiagnose. Die beiden Krankheitsbilder
müssen voneinander, von der Hand-Foot-MouthDisease, anderen Virusexanthemen und der Prurigo simplex acuta unterschieden werden.
499 11.2 · Geriatrische Dermatologie
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Prognose. Meist Restitutio ad integrum. Die Mortali-
tät beträgt <1%, Todesursachen sind Herzversagen und Arrhythmien (Frühphase), Aneurysmenblutung und Herzinfarkt (Spätphase). Therapie. I. v.-Immunglobuline, Thrombozytenaggregationshemmung (Aspirin). Systemische Kortikoide sind kontraindiziert, Antibiotika wirkungslos. Differenzialdiagnose. Scharlach, toxisches SchockSyndrom, Virusexantheme, Polyarteriitis nodosa.
. Abb. 11.2. Akrolokalisierte papulovesikulöse Dermatose. Disseminierte Papulovesikeln an Gesicht (sowie Unterarmen und Handrücken)
Kawasaki-Syndrom Definition. Eine durch ein unbekanntes infektiöses Agens hervorgerufene Systemvaskulitis (mit Bevorzugung der mittelgroßen Arterien), die durch Fieber, zervikale Lymphknotenschwellung, charakteristische Hautsymptome und Organkomplikationen (insbesondere Aneurysmen der Koronararterien) gekennzeichnet ist. Es handelt sich um eine meist selbstlimitierte, aber potenziell lebensbedrohliche Krankheit des Kleinkindesalters. Epidemiologie. Das Kawasaki-Syndrom tritt weltweit
auf, in Japan (Inzidenz 67/100 000/Jahr) jedoch 10-mal häufiger als in Europa. Es ist am häufigsten bei Asiaten, sein Auftreten ist epidemisch (Inzidenzgipfel im Spätwinter). Milder Androtropismus. Beginn meist im 2. Lebensjahr. Symptomatik. Man unterscheidet eine Früh- und eine Spätphase. Beginn akut mit hohem Fieber (bis 40°C) bis zumindest 7 Tagen, gleichzeitig zervikale Lymphknotenschwellung, konjunktivale Injektion, Enanthem der Mundschleimhaut, Erythem und Ödem von Händen und Füßen. Hinzu treten morbilliforme oder skarlatiniforme Exantheme. Die Kinder sind unruhig und weinerlich; häufig Arthralgien, Gelenksergüsse, Nackensteifigkeit. In zwei Drittel der Fälle kommt es zu milder Myokarditis und Myokarderguss, Arrhythmien und bei 10–25% zu Verschluss oder Aneurysmen der Koronararterien. In der Spätphase normalisieren sich Fieber, Systembeschwerden und Exanthem; das letztere zeigt eine »handschuhartige« Abschuppung von Handflächen und Fußsohlen ähnlich wie bei Scharlach. Die Herzsymptomatik setzt oft erst in der 3. Woche nach scheinbarer Abheilung ein (Herzinfarkt!).
11.2
Geriatrische Dermatologie
Im letzten Lebensdrittel sind Hautkrankheiten besonders häufig. Ca. jede zweite Person >70 Jahren hat eine behandlungswürdige Dermatose. Viele dieser Krankheiten sind nicht bedrohlich, schränken die Lebensqualität aber oft stark ein. Altersdermatosen sind Ausdruck der physiologischen oder lichtinduzierten Alterungsvorgänge der Haut oder Hautzeichen altersbedingter Insuffizienz oder Krankheiten innerer Organe. 11.2.1 Grundlagen Die Altershaut. Die wesentlichen Kennzeichen der Al-
tershaut sind Trockenheit, Schlaffheit, Faltenbildung, Ausbildung multipler meist gutartiger Neubildungen, Zeichen chronischen UV-Schadens, Karzinogenese und funktionelle Defizite. Intrinsische und extrinsische Hautalterung. Unter in-
trinsischer Alterung versteht man den vorprogrammierten physiologischen Alterungsprozess, der individuell verschieden schnell fortschreitet. Er ist durch Verlust an Zellzahl, Substanz und Funktion in allen Systemen der Haut gekennzeichnet (. Tab. 11.4). Die extrinsische (Licht-, UV-) Alterung ist Folge der kumulativen UV-Belastung der Haut (. Übersicht). Sie ist auf die lichtexponierten Hautareale beschränkt und bei hellhäutigen Personen intensiver ausgeprägt. »Altershaut« ist meist ein Mischbild aus intrinsischer und Lichtalterung. Merkmale der Altershaut. Die »Stigmata« der Altershaut sind Ausdruck struktureller und/oder funktioneller Änderungen definierter Bestandteile, wobei sich die Änderungen fast durchwegs im Sinne einer Reduktion auswirken: die Haut ist in allen Schichten verdünnt, zellärmer, an funktionstragenden Strukturen rarefiziert, die sägezahnartige Junktionszone abgeflacht, die
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Kapitel 11 · Altersspezifische Hautkrankheiten
. Tab. 11.4. Merkmale der Altershaut (intrinsisches Altern) Rau
Unregelmäßigkeiten in der Anordnung der Hornzellen
Trocken
Vermindertes Wasserspeichervermögen der Hornschicht (Verminderung des NMF – natural moisturizing factor)
Dünn
Atrophie aller Gewebsschichten
Schlaff, faltig
Verminderter Gewebsturgor; Reduktion elastischer Fasern
Weniger reißfest
Reduktion kollagener Fasern
Weniger dehnbar
Geringerer Verflechtungsgrad der Kollagenfaserbündel
Bleich
Reduktion der Melanozyten
Blass
Reduktion der Hautgefäße
Irritabel
Barrieredefekt (?)
Weniger schmerzempfindlich
Reduktion der Nervenendigungen und Verlangsamung der neuralen Reflexe
Entzündungsschwach
Reduktion der Blutgefäße, der Mastzellen und der Immunkompetenz
Verzögerte Wundheilung
Proliferationsschwäche
Haarlosigkeit, verringertes Schwitzvermögen
Nummerische Reduktion und Atrophie der Hautanhangsgebilde
Merkmale der Lichtalterung (»Dermatoheliosis«)
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4 Merkmale der intrinsischen Hautalterung (s. o.) 4 Fokale Hyper- und Hypopigmentierung: – Aktinische Lentigines – flache seborrhoische Warzen – Epheliden – Hypomelanosis guttata 4 Elastosis cutis: – Favre-Racouchot-Syndrom, Cutis rhomboidalis nuchae 4 Teleangiektasien: – Erythrosis interfollicularis colli 4 Karzinogenese: – Aktinische Keratosen: Cheilitis – Plattenepithelkarzinom – Andere maligne Tumore
Mitoserate verringert, die Wundheilung verlangsamt, die Verletzlichkeit erhöht. Der Turnover der Hornschicht ist verzögert, die Barrierefunktion (allerdings nur wenig) beeinträchtigt, das Wasserbindungsvermögen reduziert. Langerhanszellen und Melanozyten sind verringert, Haare und Schweißdrüsen weniger und atroph (z. B. Abnahme der Schweißproduktion um 50%). Gefäße und Nerven sind spärlicher, die postkapillären Venen sind weitgestellt, ihre Wände dünner. Kollagenfaserbündel sind dünner und weniger verflochten, die elastischen Fasern zu elastotischem Mate-
rial degeneriert. Die Falten der Altershaut beruhen auf Verringerung der elastischen Fasern, die tiefen Furchen (Knicklinien) auf Veränderungen der Septen des Fettgewebes. Ausnahmen von der »Regel der Reduktion« sind wenige: das Fettgewebe und Borstenhaare des Gesichts (Augenbrauen, in Ohrmuscheln und Naseneingang). Diese Eigenschaften der Altershaut haben einige auf der Hand liegende klinische Konsequenzen: sie ist zerreißlicher als die Haut des jungen Menschen, irritabler, zeigt aber trotzdem geringere Entzündungsreaktionen, neigt zu Hautblutungen, hat eine verringerte Schmerz- und Sinnesperzeption (Verletzungsgefahr!) und eine schlechtere Thermoregulation (z. B. ist der Hitzeschlag häufiger) u. a. m. 11.2.2 Altersdermatosen Stigmen der Altershaut und deren Komplikationen Exsikkose (Synonym Xerose, Asteatose) Ätiologie, Symptomatik. Exsikkose der Haut ist eine Massen-Dermatose. Sie beruht auf der Abnahme der Wasserbindungskapazität der Hornschicht, wird um die Lebensmitte merklich und verläuft progredient. Sie ist bei Personen mit dispositionell trockener Haut ausgeprägter (z. B. Atopiker), aber auch vom Klima (Lufttrockenheit) und den Lebensgewohnheiten abhängig (überreichliche Körperpflege; »Zivilisationskrankheit«). Die Haut ist trocken, rau, matt und diffus fein
501 11.2 · Geriatrische Dermatologie
schuppend. Am stärksten betroffen sind die Streckseiten der Unterschenkel; hier entsteht oft eine Hautfelderung ähnlich der Ichthyosis vulgaris (»Pseudo-Ichthyose«). Milde Exsikkose ist symptomlos, schwerere kann quälenden Juckreiz verursachen (»Pruritus senilis«). Komplikation: das »Exsikkationsekzem« (7 Kap. 3.2). Therapie. Die Exsikkose ist als solche nicht behebbar und bedarf ständiger Behandlung mit Pflegesalben und »rückfettender« Zusätze beim Baden sowie Anhebung der Luftfeuchtigkeit. Vermeidung der Entfettung der Haut durch heiße und lange Bäder (Duschen), Schaumbäder und Duschgele!
Pruritus senilis Diese historische Bezeichnung ist ein Sammelbegriff für Juckreiz im Alter ohne erkennbare Hautläsionen (Pruritus sine materia). Exsikkose ist hier die häufigste Ursache, doch müssen andere, im Alter gleichfalls gehäuft auftretende Ursachen von Juckreiz ohne Hautläsionen ausgeschlossen werden (okkulte Neoplasmen, Lymphome, Leber-, Niereninsuffizienz). Depressionen und Angst verstärken beim alten Menschen die Wahrnehmung von Juckreiz (»psychogener Pruritus«). Antihistaminika sind hier (fast) wirkungslos. Andere Ekzemmanifestationen Der Lichen simplex chronicus (umschriebene, durch gewohnheitsmäßiges Kratzen lichenifizierte und heftig juckende Ekzemherde, 7 Kap. 5.3.3) ist häufig (z. B. okzipital). Allergische Kontaktekzeme werden im Alter trotz verminderter Immunkompetenz eher häufiger als seltener; es tritt jedoch ein Wechsel des Allergenspektrums auf (berufliche Allergene nehmen ab, Salbengrundlagen- und Kosmetikaallergene zu). Falten, Furchen, schlaffe Haut Hier handelt es sich um permanente Strukturen. Fältchen und milde Elastosis cutis können bis zu einem gewissen Grad durch lokale Retinoide oder »Peeling« z. B. mit »Fruchtsäuren« (α-Hydroxysäuren) o. a. geglättet werden. Die Behandlung tiefer Falten mit Botulinumtoxin ist zeitlich begrenzt wirksam (Monate), Wiederholungen sind möglich. Für tiefe Furchen und schlaffe Haut stehen kosmetisch-chirurgische Eingriffe (Exzision, »Lifting«) sowie Unterspritzungen mit löslichem Kollagen, Hyaluronsäurepräparaten oder die autologe Fettgewebsimplantation zur Verfügung. Perlèche (Synonym Angulus infectiosus, Faulecke) Mazeration und Entzündung der Mundwinkel mit schmerzhaften Fissuren. Diese häufige Läsion entsteht
11
bei alten Menschen mit tiefer, überhängender Faltenbildung im Mundwinkelbereich und beruht auf dessen ständiger Durchfeuchtung (Speichel rinnt ab). Therapie: Bewusstmachen der Ursache; austrocknende und antibiotische Lokalbehandlung. Differenzialdiagnose: Kandida-Mykose, syphilitische Papeln. Perléche kann auch bei Kindern (Neurodermitiker!) durch ständiges Lippenschlecken entstehen (»Cheilosis«). Gefäß- und Pigmentläsionen Vaskuläre Läsionen im Rahmen der Lichtalterung: Teleangiektasien des Gesichts und am Hals (»Erythrosis interfollicularis colli«) (7 Kap. 3.1.5). Pigmentläsionen im Rahmen der Lichtalterung. Die Haut des alten Menschen wird scheckig: es finden sich sowohl pigmentierte (Lentigines seniles, 7 Kap. 10.1) als auch hypopigmentierte Läsionen (Hypomelanosis guttata, sowie die sehr auffallenden bizarr konfigurierten »sternartigen Pseudonarben«). 11.2.3 Alterstypische Tumoren
und Hyperplasien Die meisten malignen Hauttumoren treten charakteristischerweise im Alter auf (Basaliom, Plattenepithelkarzinom, das endemische Kaposi-Sarkom u. a.); andere treten zwar früher im Leben auf, verlaufen im Alter aber schwerer (Melanome) – 7 Kap. 9. Typische und sehr häufige Alterserscheinungen sind jedoch benigne Tumoren oder Hyperplasien: Seborrhoische Warzen (7 Kap. 9), Stukkokeratosen (hautfarbene, warzenähnliche, kleine Hyperkeratosen an Unterschenkeln und Unterarmen), senile Angiome (7 Kap. 9) und Talgdrüsenhyperplasien: kleine, flach erhabene, gelbliche Knötchen mit gelapptem Aufbau im Gesicht (Differenzialdiagnose: Basaliom!). 11.2.4 Dermatosen durch altersbedingte
Atrophie oder Degeneration der Haut Purpura senilis. Flächige Hämorrhagien an Hand-
rücken und Unterarmen nach geringfügigen mechanischen Traumen (z. B. Händedruck). Meist bestehen nebeneinander Blutungen in verschiedenen Stadien der Resorption (lividrot bis gelbbraun). Therapie: Nicht möglich, mechanischer Schutz (Handschuhe!). Differenzialdiagnose: Kortikosteroid-Purpura. Abnorme Verletzlichkeit der Haut. Diese zeigt sich
z. B. an Schürfwunden oder vermehrter Blasenbildung bei Friktionstrauma (. Abb. 11.3).
502
Kapitel 11 · Altersspezifische Hautkrankheiten
. Abb. 11.3. Altersatrophie der Haut. Durch ein mildes mechanisches Trauma kam es bei dieser 90-jährigen Patientin zum Abledern eines dreieckigen Hautstücks
Atrophe Balanitis (Zoon). 7 Kap. 10.8. Chrondrodermatitis helicis nodularis. 7 Kap. 3.1.1.
11.2.5 Dermatosen als Folge der Alterung
des Gesamtorganismus
11
Die Alterung des Gesamtorganismus kann auf verschiedenen Wegen zur Entstehung von Hautkrankheiten führen. Einige wichtige sind: 4 Die sinkende Immunkompetenz führt zur Häufung und zum schwereren Verlauf von Infektionskrankheiten (Herpes zoster, Kandidamykosen, Pyozyaneus-Sepsis), zum Aufflammen latenter Infekte (Viruswarzen) und begünstigt auch das Auftreten von Autoimmunkrankheiten (u. a. bullöses Pemphigoid). 4 Die verminderte Medikamententoleranz bewirkt Häufung und schwereren Verlauf von Arzneimittelexanthemen. 4 Atherosklerose kann zu Durchblutungsstörungen, trophischen Ulzera, Cholesterinembolien u. a. führen. 4 Diabetes mellitus hat den diabetischen Fuß und eine Fülle anderer Hautläsionen zur Folge. 4 Der Abfall der Sexualhormone trägt zur Hautalterung bei. Fußprobleme des alten Menschen spielen eine praktisch wichtige Rolle. Jahrzehntelange (Fehl)Belastung des Fußskeletts (Stöckelschuhe!) führt zu orthopädischen Fehlstellungen und Verformungen des Fußskeletts (z. B. Hallux valgus). Diese geben an den Druck-
punkten wieder Anlass zu Scheuerblasen, hartnäckigen Ulzera, Infekten, sogar Osteomyelitis und Fisteln. Bei chronischem Druck entstehen Tylosen (Schwielen) und schließlich Clavi (Hühneraugen); 7 Kap. 3.1. Hinzu kommen dystrophe Zehennägel, die zu Druckgeschwüren benachbarter Zehen oder, wenn als Tonnennägel ausgebildet, zum Unguis incarnatus (eingewachsener Nagel) und infektiösen Komplikationen führen. Alle diese Läsionen können durch ihre Schmerzhaftigkeit weitgehende Gehunfähigkeit verursachen. Therapie: Tragen geeigneten orthopädischen Schuhwerks, spezielle Pölsterchen zur Entlastung der Druckstellen und regelmäßige Reduktion der Clavi durch keratolytische Salben bzw. Pflaster oder Hauthobel. Besonders intensiv und schwerwiegend (wenn auch schmerzlos) verlaufen die genannten Veränderungen bei Neuropathien (insbesondere bei Diabetes mellitus, 7 Kap. 6.2). 11.2.6 Hautläsionen durch mangelnde
Pflege Alte Menschen sind oft nicht mehr imstande, die erforderliche Körperpflege selbst durchzuführen. Daraus resultierende Dermatosen sind etwa die irritative Dermatitis im Windelbereich (Intertrigo) z. B. bei Inkontinenz. Bei chronischem Bestand kommt es durch Lichenifikation zum intertriginösen Ekzem. Eine lebensbedrohliche Folge mangelnder Pflege ist hingegen der Dekubitus. Dekubitus (Druckbrand) Defintion. Unter Dekubitus versteht man ischämische Drucknekrosen der Haut und des subkutanen Gewebes an Aufliegestellen. Epidemiologie. Eine häufige, lebensbedrohende Kom-
plikation der Immobilität bei Bettlägrigen. Dekubitus ist oft die »letzte« Todesursache im hohen Alter, bei Marasmus, nach apoplektischen Insulten, komatösen Zuständen etc. Durch besseres Verständnis der Genese und bessere Hilfsmittel ist der Dekubitus heute zwar besser beherrschbar, doch nimmt das Ausmaß des Problems wegen der steigenden Zahl geriatrischer Patienten eher zu. Pathogenese. Ein Dekubitus entsteht, wenn auf das Gewebe durch längere Zeit konstant Druck ausgeübt wird; individuelle Risikofaktoren begünstigen die Entstehung eines Dekubitus (. Übersicht). Der hypoxische Gewebsschaden bewirkt zunächst eine Permeabilitätssteigerung der Gefäße und eine entzündliche Reaktion,
503 11.2 · Geriatrische Dermatologie
die sich als Rötung manifestiert (reaktive Hyperämie; Grad I). Übersteigt der Druck den mittleren Kapillardruck (44g/cm2) länger als 1–2 h, kommt es zur irreversiblen Schädigung, einer ischämischen Nekrose, die in ihrem Ausmaß von einer oberflächlichen schwärzlichen Schorfbildung bis zu einer tiefen Nekrose (bis zum Knochen) reichen kann (Grad II–IV). Der Nekrose folgt nach Tagen bis Wochen ein geschwüriger Zerfall. Nekrose und Substanzdefekt verstärken durch Eiweiß- und Elektrolytverlust Katabolismus und Marasmus und bedeuten eine gefährliche Eintrittspforte für Infektion und Sepsis. Eine wesentliche Rolle spielt die altersbedingt herabgesetzte Schmerzempfindlichkeit.
11
. Abb. 11.4. Dekubitus III°. An der Aufliegestelle ein bis an die Muskulatur reichendes nekrotisches Ulkus
Risikofaktoren für die Dekubitusentstehung 4 Immobilität, Lähmung, Schwäche 4 Sensibilitätsstörungen, Kontrakturen, Frakturen 4 Demenz und psychiatrische Erkrankungen (Depression) 4 Alter und Kachexie 4 Fieber 4 Durchblutungs- und Stoffwechselstörungen (Diabetes mellitus) 4 Anästhesie, Tranquilizer, Neuroleptika 4 Hypotonie, Anämie, Hypoxie, Hypovolämie, Schock, Koma 4 Kardiale Dekompensation 4 Inkontinenz 4 Übergewicht 4 Ödeme, Infektion
Symptomatik. Entsprechend dem Stadium (. Tab. 11.5)
finden sich entweder ein scharf umschriebenes Erythem (Grad I) oder nekrotische Ulzera verschiedener Ausdehnung und Tiefe (Grad II–IV; . Abb. 11.4). Dekubiti von Grad IV heilen mit konservativen Mitteln nicht mehr ab und sind auch durch chirurgische Eingriffe nur schwer beherrschbar. Septische Komplikationen sind häufig. Prädilektionsstellen sind jene Aufliegeregionen, wo die Haut nur durch eine dünne Fettschicht vom Knochen abgepolstert wird: die Sakral-, Fersen- und Malleolarregion sowie die Haut über den Trochanteren und den Sitzbeinhöckern. Dekubitusprophylaxe. Grundprinzip ist die Vermeidung längerfristiger Belastung der Aufliegestellen durch Naturfelle, »Dekubitusmatratzen«, Gummiringe (Fersen), Wasserpolster (sakral) sowie diverse Spezial-
. Tab. 11.5. Dekubitus: Klassifikation Läsionstiefe
»Wund«zustand
Grad I: Hautrötung, die auf Fingerdruck verschwindet. Keine Schmerzen, heilt bei Druckentlastung in kurzer Zeit ab
Stadium A: Sauber, infektionsfreie, rasenartige, hellrote Granulationen
Grad II: Blasenbildung, bläulich livide Hautverfärbung, heftige Schmerzen (Epidermis und Dermis betroffen)
Stadium B: Schmierig belegt bis nekrotisch, Zeichen der lokalen Infektion; Umgebung unauffällig
Grad III: Umwandlung in Nekrose, Ödem und Entzündung des Randbezirkes; rückläufige Schmerzsymptomatik (Hautdefekt bis Faszien, Muskulatur)
Stadium C: Ausgedehnte, infizierte Nekrosen, Umgebung entzündlich infiltriert, ödematös, evtl. Zeichen der systemischen Infektion
Grad IV: Offenes Dekubitalulkus (alle Schichten inkl. Periost und evtl. Knochen beteiligt) Grad V: Unterminierung, Taschen und Fisteln
504
Kapitel 11 · Altersspezifische Hautkrankheiten
betten. Sie alle verteilen den Aufliegedruck und entlasten die gefährdeten Stellen. Häufige Fehler bei der Dekubitusprophylaxe sind: 4 zu lange Umlagerungsintervalle 4 fehlerhafte Lagerungstechnik 4 Verwendung nicht atmungsaktiver Lagerungsmittel (z. B. Gummiring) 4 Einsatz druckbelastender Lagerungshilfsmittel (z. B. Luftring) 4 falsche Körperpflege (z. B. austrocknender Franzbranntwein) 4 zu lange verordnete Bettruhe 4 fehlende Physiotherapie Therapie. Wesentliche erste Maßnahme ist die Druckentlastung. Oberflächliche Nekrosen (Grad II) sollten trocken behandelt und ihre Spontandemarkation und Abstoßung abgewartet werden. Dekubiti von Grad III und IV bedürfen einer operativen Sanierung (Abtragung der Nekrosen, Vollhautplastiken). Bei Zeichen der Superinfektion entsprechende antibiotische Therapie.
11.2.7 »Klimakterielle« Beschwerden ohne
fassbares morphologisches Substrat
11
Im Rahmen der Involution können sehr charakteristische Beschwerdekomplexe ohne klinisches Korrelat auftreten. Es handelt sich wahrscheinlich um »Depres-
sionsäquivalente«, die jedoch vom Patienten selbst als organische Störungen empfunden werden. Die Beschwerden zeichnen sich durch quälenden Juckreiz, Brennen und »Organgefühl« an verschiedenen, meist »ichnahen« Körperregionen aus. Die Patienten sind häufig durch Leidenswege über mehrere Ärzte verunsichert; die Grenzziehung zu Zuständen wie Parasitound Kanzerophobie ist oft schwer. Typische solche Beschwerden sind: 4 Pruritus vulvae. Quälender Juckreiz und Brennen der Genital- und Analregion. 4 Pruritus der Kopfhaut. Quälender brennender Juckreiz der Kopfhaut. Typische Angabe: Schmerzhaftigkeit der Haarfollikel bei Kämmen und Umlegen von Locken (»verlegte Haare«). 4 Brennen von Zunge (Glossodynie) und Gingiva. Außer einer meist gegebenen milden Atrophie sind keine pathologischen Veränderungen fassbar. Differenzialdiagnose: Atrophie der Zunge bei perniziöser Anämie (»Spiegelzunge«). 4 Generalisierter Pruritus sine materia. In manchen Fällen können solche Beschwerden bei Patientinnen in der Menopause schlagartig durch Hormonsubstitution beseitigt werden. ! Natürlich bedarf die Diagnose aller »klimakterieller« Beschwerden des Ausschlusses organischer Ursachen.
12 12 Phlebologie, Lymphödeme 12.1 Phlebologie – 506 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4 12.1.5
Anatomie des Beinvenensystems – 506 Hämodynamik – 507 Klinische Symptomatik – 507 Phlebologische Untersuchungsmethoden – 512 Therapie – 513
12.2 Lymphödeme
– 517
506
Kapitel 12 · Phlebologie, Lymphödeme
12.1
Phlebologie
Phlebologie ist die Lehre von den Krankheiten der (Bein)Venen – eine interdisziplinäre Spezialität von chirurgischer/internistischer Angiologie und Dermatologie. Die chronische Insuffizienz der Beinvenen ist ein Massenleiden (ca. 15% der erwachsenen Bevölkerung) und ist daher von hoher medizinischer und sozioökonomischer Bedeutung. 12.1.1 Anatomie des Beinvenensystems Fußvenen. Man unterscheidet oberflächliche und tiefe
Venen des Fußes, die durch z. T. klappenlose Verbindungsvenen verbunden sind und eine funktionelle Einheit bilden. Klappenhaltige Verbindungsvenen lassen meist nur eine Strömung von plantar nach dorsal zu. Die Fußsohle besitzt ein dichtes Venengeflecht – ein »Venenpolster«, das mit jedem Schritt ausgepresst wird.
in die V. femoralis. Die V. saphena parva zieht vom Außenknöchel entlang der Dorsalseite des Unterschenkels und mündet in variabler Höhe in der Kniekehle in die V. poplitea. Beide Einmündungen werden als Krossen bezeichnet (»Saphena-magna- bzw. -parvaKrosse«; »Crosse« = frz. Hirten- oder Bischofsstab). Tiefe Venen: Sie folgen den Beinarterien und sind nach diesen benannt. Am Unterschenkel sind sie paarig (Vv. tibiales anteriores et posteriores, Vv. fibulares) und vereinigen sich in der Kniekehle in variabler Höhe zur V. poplitea (häufig paarig), die sich wieder als V. femoralis fortsetzt. In sie mündet unter dem Leistenband eine starke Muskelvene, die V. profunda femoris. Von hier ab wird das Gefäß auch V. femoralis communis genannt (befördert das gesamte Blut der Extremität – die irrtümliche Ligatur z. B. bei Varizenoperationen hat funktionell sehr schwerwiegende Folgen!). Beckenvenen. Die V. femoralis communis setzt sich
Beinvenen. Die oberflächlichen und tiefen Venen des
12
Beins (. Abb. 12.1) sind durch die Faszie »wie durch eine Mauer« getrennt. Eine Kommunikation zwischen den beiden Systemen ist nur durch die verbindenden Vv. perforantes möglich, die durch Faszienlücken verlaufen. Alle Venen besitzen Klappen, die eine Strömung nur proximalwärts, bzw. in den Vv. perforantes von oberflächlich nach tief, zulassen. Oberflächliche Venen: Die V. saphena magna läuft, vom medialen Fußrand aus, ventral des Innenknöchels an der Medialseite von Unter- und Oberschenkeln und mündet in der Fossa ovalis knapp unterhalb der Leiste
. Abb. 12.1. Venensystem der unteren Extremität
proximal vom Leistenband in die medial der gleichnamigen Arterie liegende V. iliaca externa fort. Nach Einmündung der V. iliaca interna, die das Blut aus dem kleinen Beckens sammelt, spricht man von der V. iliaca communis, die sich mit jener der Gegenseite zur V. cava inferior vereinigt. Die Beckenvenen sind zum großen Teil klappenlos. An jener Stelle, an der die linke V. iliaca communis von der rechten A. iliaca communis gekreuzt wird, kann es durch Kompression zur Proliferation der Venenintima kommen (»Beckenvenensporn«: Ursache dafür, dass Bein- oder Beckenvenenthrombosen häufiger an der linken Seite auftreten).
507 12.1 · Phlebologie
Vv. perforantes. Durch Faszienlücken verlaufende Verbindungsvenen zwischen dem oberflächlichen und dem tiefen Venensystem. Es gibt ca. 100 Vv. perforantes, praktisch wichtig sind jedoch nur wenige (. Abb. 12.1): 4 Gruppe der Cockett-Vv. perforantes; diese verbinden den hinteren Ast der V. saphena magna und die Vv. tibiales posteriores. Sie finden sich an der Medialseite der Wade in einer Höhe von ca. 7 cm (untere), 14 cm (mittlere) und 18 cm (obere) vom Boden. 4 Paratibiale Vv. perforantes; verbinden dieselben Venen am medialen Unterschenkel. 4 Mediale Oberschenkel-Vv. perforantes; verbinden die V. saphena magna mit der V. femoralis in Höhe des Adduktorenkanals (proximal des Kniegelenks).
Diese Lokalisationen unterliegen einer erheblichen Variabilität (Faustregel!). ! Unterscheide: Vv. perforantes sind Verbindungsvenen zwischen dem oberflächlichen und tiefen Venensystem, Vv. communicantes sind Verbindungsvenen in derselben Schicht
Muskelvenen. Im Inneren des M. soleus finden sich
sehr starke Venen (Soleusvenen), die in die Vv. tibiales posteriores, im M. gastrocnemius die Gastroknemiusvenen, die in die V. poplitea münden. Aus den Muskelvenen nehmen rund 70% aller tiefen Thrombosen ihren Ausgang (!). 12.1.2 Hämodynamik Venöse Strömung unter Normalverhältnissen. Normalerweise fließen 90% des Bluts durch die tiefen und 10% durch die oberflächlichen Venen. Die venöse Strömung wird vorwiegend durch die »Gelenks-Muskelpumpe« des Beins unterhalten (Auspressen der Sohlenvenen bei jedem Schritt, bei Bewegungen im Sprunggelenk und Kontraktionen der Beinmuskulatur). Bei entspannter Beinmuskulatur fließt das Blut langsam und stetig herzwärts; die Klappen aller Venen sind offen, lediglich die der Vv. perforantes sind geschlossen (wegen des etwas höheren Drucks in den tiefen Venen). Bei Kontraktion der Wadenmuskeln (Systole – Gehen!) wird das Blut proximalwärts gepresst – der Weg in die Peripherie ist durch die Venenklappen blockiert. Bei Muskelerschlaffung (Diastole) verhindert der Verschluss der Venenklappen einen retrograden Blutfluss; gleichzeitig entsteht in den tiefen Venen ein Druckabfall, der sich als Sog auf die oberflächlichen und Muskelvenen auswirkt: die Klappen
12
der Vv. perforantes öffnen sich und das Blut strömt in die tiefen Venen (»Blow in«) bis zum Druckausgleich (Schließen der Perforantes-Klappen). Venöse Strömung bei Varizen. Bei oberflächlichen
Varizen (s. u.) sind deren Klappen insuffizient; bei Beinbewegung fließt das Blut daher retrograd nach distal (»Blow down«; »venöser Privatkreislauf« nach Trendelenburg). Folgen dieser Strömungsumkehr sind: 4 Venöser Überdruck in der Peripherie. 4 Erheblich vergrößertes Blutangebot für die Vv. perforantes; diese werden erweitert, ihre Klappen werden gleichfalls insuffizient. Blut kann daher bei Wadenmuskelkontraktion auch von den tiefen Venen nach außen fließen (»Blow out«) – wobei allerdings selbst bei Varizen der »Blow in« den »Blow out« überwiegt. 4 Auch die tiefen Venen können überlastet und erweitert, und ihre Klappen insuffizient werden (»Sekundäre Leitveneninsuffizienz«). ! Der ungenügende venöse Abtransport aus den Hautvenolen des Unterschenkels erklärt die weiteren Komplikationen (s. u.). Die Konsequenz für jede Therapie der Varizen heißt daher: beseitige den »Blow down«, und beseitige bei größeren Vv. perforantes den »Blow out«.
Venöse Strömung bei Insuffizienz der tiefen Venen.
Bei Klappeninsuffizienz der tiefen Venen (»tiefe Leitveneninsuffizienz«, postthrombotisches Syndrom) kommt es in den betroffenen Venenabschnitten zu einem pathologischen Rückfluss, in insuffizienten Vv. perforantes kann ein »Blow out« überwiegen. ! Der Druckabfall in den tiefen Venen bei Bewegung der Wadenmuskeln kann durch die Venendruckmessung bestimmt werden. Die Strömungsrichtung in oberflächlichen und tiefen Venen wird durch eine bildgebende Ultraschall-Untersuchung (Duplex) beurteilt (s. u.).
12.1.3 Klinische Symptomatik Varizen (Krampfadern) Varizen sind unregelmäßig geschlängelte Venen mit meist sackartigen Erweiterungen; ihre Klappenfunktion ist geschädigt (Insuffizienz – sie schließen nicht mehr, sind zerstört oder fehlen). Man unterscheidet primäre (anlagebedingte) und sekundäre Varizen (Folge eines »entarteten« Kollateralkreislaufs bei chronischem Verschluss oder tiefer Veneninsuffizienz); die Unterscheidung ist in der Praxis oft schwierig. In der
508
Kapitel 12 · Phlebologie, Lymphödeme
erwachsenen Bevölkerung haben ca. 60% kleine und 15% große Krampfadern (s. u.). 3Zur Terminologie: Die Bezeichnung »Krampfadern« leitet sich von der »Krummader« ab; kein Zusammenhang mit Muskelkrämpfen! Phleb- oder Venektasien sind erweiterte, gerade verlaufende Hautvenen (z. B. »Athleten- oder Sportlervenen«). Gerade verlaufende, nicht erweiterte Venen, die sich durch die (besonders bei Frauen) dünne Haut abzeichnen, sind keine Varizen!
Varizentypen
12
Kleine Varizen (CEAP-Klassifizierung C1 – s. u.): 4 Besenreiservarizen (. Abb. 12.2a): feine, intradermale Krampfäderchen, die je nach Durchmesser rötlich (um 0,1 mm) oder bläulich (bis 1 mm) erscheinen. Sie werden meist von etwas größeren b Nährvenen gespeist, kollabieren nicht bei Hoch- a lagerung des Beins und sind nur von kosmetischer . Abb. 12.2a,b. Varizen. a Besenreiservarizen. b Unkomplizierte Varizen vorwiegend im V. saphena magna-Bereich Bedeutung. 4 Retikuläre Varizen. Netzartig an der Korium-Subkutisgrenze gelegen, ernähren oft Besenreiserherde. Varizen-Beschwerden Alle Varizentypen können mit lokalen Beschwerden einhergehen: typisch sind Schwere-, Schwellungs- und Große Varizen (CEAP-Klassifizierung C2 – s. u.): 4 Stammvarizen (. Abb. 12.2b). Variköse Entartung Müdigkeitsgefühl der Beine besonders gegen Abend, (oder auch klinisch nicht erkennbare Klappenin- nach langem Stehen oder Sitzen sowie in der warmen suffizienz) der großen Venenstämme (V. saphena Jahreszeit. magna bzw. parva). Erweiterte und geschlängelte C Varizenabschnitte sind oft nur am Unterschenkel Krämpfe und »unruhige Beine« sind nicht tyA sichtbar, eine Insuffizienz der Mündung und des V pisch (oft Symptome begleitender Krankheiten!). proximalen Stamms kann aber mittels Ultraschall E nachgewiesen werden. 4 Nebenastvarizen. Variköse Erweiterung von Seitenästen der V. saphena magna, z. B. der V. accessoria Chronische Veneninsuffizienz (CVI) anterior bzw. posterior (Vorder- bzw. Hinterseite Definition. Eine chronische Abflussstörung im Bereich des Oberschenkels), der V. accessoria superficialis der Beinvenen, die zu den Leitsymptomen Ödem, sub(oberflächlich der V. saphena magna) oder der fasziale Stauung und Hautveränderungen (MaxiV. femoropoplitea (= Giacomini-Vene, Verbin- mum: Ulcus cruris venosum) führt. dung zwischen der V. saphena magna und parva). 4 Insuffiziente Vv. perforantes. Selten können Vari- Klassifikation. Die traditionelle Stadieneinteiung nach zen auch von einer isolierten insuffizienten V. per- Widmer (Stadien I–III) wurde durch die internationale forans ausgehen. CEAP-Klassifizierung ersetzt (. Tab. 12.1). . Tab. 12.1. CEAP-Klassifizierung der chronischen Veneninsuffizienz C Klinik (clinical signs)
E Ätiologie (etiology)
A Anatomie
P Pathophysiologie
C0
keine
EC
kongenital
AS
superfiziell
PR
Reflux
C1
Besenreiser, retikuläre Varizen
EP
primär
AD
tief (deep)
PO
Obstruktion
C2
große Varizen
ES
sekundär
AP
Perforantes
C3
Ödem
C4 a, b
Hautveränderungen, s. Text
C5
geheiltes Ulkus
C6
aktives Ulkus
509 12.1 · Phlebologie
12
3Die CEAP-Klassifizierung ist weniger benutzerfreundlich, erlaubt aber die formelhafte Bewertung aller für das individuelle Krankheitsbild relevanten Parameter inkl. der Funktionsuntersuchung (Doppler bzw. Duplex). CEAP bezieht schon die Varizen ein, die CVI umfasst die Stadien C3–C6.
Epidemiologie. CVI findet sich bei ca 15% der er-
wachsenen Bevölkerung mit altersabhängiger Zunahme, ca 1% haben ein venöses Beingeschwür – eine enorme sozioökonomische Belastung. Symptomatik. CVI entwickelt sich langsam und regel-
haft über Jahre und wird gewöhnlich ab dem frühen Erwachsenenalter manifest. Am Beginn stehen zunächst reversible Ödeme, im weiteren Verlauf deren Persistenz und Induration, Sekundärveränderungen und trophische Störungen.
. Abb. 12.3. Chronisch venöse Insuffizienz III° (CEAP C6). Varizen im V. saphena magna-Bereich, Ödem und Sklerose des Unterschenkels, Hyperpigmentierung (Hämosiderin), Ulcus cruris venosum und atrophe Narben im Malleolarbereich
Venöses Ödem (CEAP C3). Schwellung des Unterschenkels, besonders der Knöchelgegend, oft begleitet von subfaszialer Stauung (Konsistenzerhöhung in der Tiefe der Wade bei Palpation; manchmal entzündlich und schmerzhaft – »Hypodermitis«, Differenzialdiagnose: Erysipel!) und Corona phlebectatica paraplantaris (Besenreiser distal der Knöchelgegend). Zur Differenzialdiagnose des »dicken Beins« . Tab. 12.2. Hautveränderungen am Unterschenkel (CEAP C4; . Abb. 12.3). Hämosiderin-Pigmentierung (C4a) ent-
. Tab. 12.2. Differenzialdiagnose des »Dicken Beins« Venöse Abflussbehinderung
Chronische Veneninsuffizienz Tiefe Thrombose, postthrombotisches Syndrom Kompression der ableitenden Venen (z. B. Tumor, Stau-Artefakt) »Dependency syndrome« (Bewegungsmangel)
Kardiales Ödem
Symmetrisch, Zeichen der Herzdekompensation
Hypoproteinämische Ödeme
Nephropathie, Hepatopathie
Entzündliche Ödeme
Erysipel, Arthritis, postischämisches Ödem (nach Rekonstruktion eines arteriellen Verschlusses)
Lymphödem
Befall von Fuß- und Zehenrücken, Stemmer-Zeichen (7 Kap. 12.1.4, . Abb. 12.7)
Lipödem
Ansammlung von Fettgewebe, an Knöchelregion wie »Türkenbundhose« scharf abschneidend
. Abb. 12.4. Eczema cruris bei chronischer venöser Stauung. Beachte das retromalleoläre Ulcus cruris venosum und die zahlreichen (teils strichförmigen) Kratzeffekte
steht durch repetitive Einblutung (Stauungs-Purpura) und ist zunächst kleinfleckig, später konfluierend hellbis dunkelbraun. Unterschenkelekzeme (»Stasis-Dermatitis«: C4a; . Abb. 12.4) entstehen zunächst durch die venöse Zirkulationsstörung selbst, später kommen weitere ätiologische Faktoren hinzu: Kontaktsensibilisierung durch Inhaltsstoffe von Salben, Irritation durch Sekrete aus Ulzera, mikrobielle Besiedelung. Induration (Lipodermatosklerose) und Atrophie blanche (weißliche, narbenähnliche Areale) (C4b) sind Ausdruck der verstärkten Kollagensynthese und Vorboten der Exulzeration.
510
Kapitel 12 · Phlebologie, Lymphödeme
! Die Prävalenz von Kontaktallergien (Neomycin, Konservierungsmittel, Perubalsam, Salbengrundlagen) bei chronischen venösen Ulzera mit fast 100% ist ein großes therapeutisches Problem.
Ulcus cruris venosum (CEAP C6). Das typische »venöse« Geschwür ist meist am medialen Unterschenkel lokalisiert und von pathologisch veränderter Haut umgeben (induriert, meist ekzematisiert) (. Abb. 12.3, . Abb. 12.4). Bei exzessiver Ausprägung ist die Knöchelregion in der gesamten Zirkumferenz von einer strumpfartigen sklerotischen Platte eingeschnürt; manchmal bilden sich hier auch zirkuläre Ulzera (»Gamaschenulzera«) (. Abb. 12.5). Durch den gestörten Lymphabfluss entstehen distal davon Lymphödeme. Die Ulzera sind oft superinfiziert – Eintrittspforten für Erysipele! Eine wichtige Komplikation ist die Spitzfußstellung (Fixierung des Sprunggelenks in Streckstellung – Schonhaltung!), die die Muskelpumpe beeinträchtigt und die Zirkulation noch weiter verschlechtert. Narben nach Ulzera (CEAP C5) sind oft schwierig von Atrophie blanche zu unterscheiden.
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4 4
4
schmerzhaft, besitzt »wie ausgestanzte« Ränder. Zeichen venöser Insuffizienz fehlen in der Regel, Arterienverschlüsse sind nachweisbar; Dopplerindex <1,0 (= systolischer Knöchelarteriendruck/systolischem Oberarmarteriendruck). Arterioläre und mikroangiopathische Ulzera: Hautnekrosen bei durchgängigen Stammarterien. Die häufigsten Ursachen sind Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis, Polyzythämie, Thrombozytose u. a. Livedo-Vaskulitis: bizarr konfigurierte, sehr schmerzhafte Ulzera der Knöchelregion (7 Kap. 7.4). Posttraumatisches Ulcus cruris: »artefiziell« lokalisiertes und konfiguriertes Ulkus. Das vorausgehende Trauma wird nicht immer erinnert, die Heilungstendenz ist wegen der altersbedingt reduzierten Durchblutung oft schlecht. Pyoderma gangränosum, Hauttumoren.
. Tab. 12.3. Ätiologie von Unterschenkelgeschwüren (Auswahl) Ursachen
Differenzialdiagnose des venösen Ulkus. Ca. 70% der
I. Exogene Noxen
Unterschenkelgeschwüre sind durch eine venöse Zirkukationsstörung bedingt, die apparativ (s. u.) nachgewiesen werden kann. Die wichtigsten Ulcera cruris nichtvenöser Genese sind (. Tab. 12.3): 4 Arterielles Ulcus cruris: Dieses ist vorwiegend an der Außenseite des Unterschenkels lokalisiert, sehr
Traumen
Beispiele
Verletzung, Dekubitus,Verbrennung
Iatrogen
Verödung
Infekte
Phlegmone, Gumma
II. Vaskuläre Ursachen Arterien
Arterielle Verschlusskrankheit
Arteriolen
Diabetische Angiopathie, »nekrotische Angiodermitis«
Venen
CVI, postthrombotisches Syndrom
Arterien und Venen
»Ulcus mixtum«
Gefäßanomalien
Arteriovenöse Fisteln
Embolie
Cholesterin
Vaskulitis
Wegener-Granulomatose, PAN u. a.
Thrombotische Vaskulopathie
Livedo-Vaskulitis
III. Hautkrankheiten Tumoren (exulzeriert)
Plattenepithelkarzinom, Basaliom, Angiosarkom
Entzündungen
Pyoderma gangraenosum
IV. Neurotrophisch . Abb. 12.5. »Gamaschenulkus«. Beachte das Lymphödem distal des Ulkus (Schwellung bis zu den distalen Zehenphalangen – Stemmer-Zeichen!)
Periphere Neuropathie
Diabetes mellitus, alkoholisch, hereditär
Zentralnervöse Ursachen
Syringomyelie, Tabes dorsalis
511 12.1 · Phlebologie
! »Ulcus cruris« ist keine Diagnose, sondern nur ein Symptom. Dementsprechend muss sich die Therapie nach der Ursache richten, die Lokaltherapie steht im Hintergrund.
Ätiologie (CEAP E). Die Störung des venösen Rücktransports kann auf verschiedenen Ursachen beruhen: 4 Primär (Ep): bei ausgeprägten großen Varizen 4 Sekundär (Es): im Rahmen eines postthrombotischen Syndroms durch Schäden der tiefen Venen an Wand und Klappen (Organisation und Rekanalisation von Thromben). Varizen über der Symphyse oder am Bauch sind typische Beispiele einer Sekundärvarikose bei verschlossenen tiefen Venen; bei Störung oder Nichtbetätigung der venösen Gelenks-Muskelpumpe (orthopädische oder neurologische Ursachen), bei Kompressionssyndromen. 4 Kongenital (Ec): bei kongenitalen Angiodysplasien, arteriovenösen Fisteln. Anatomie (CEAP A). Befall oberflächlicher (As), tiefer (Ad) Venen oder Vv. perforantes (Ap); Venensegmente können nach einem eigenen Nummern-Score bezeichnet werden. Pathogenese (CEAP P). Die Stauungssituation der CVI umfasst das gesamte venöse System von den tiefen Venen bis in die Venolen der Haut; sie ergibt sich entweder aus dem pathologischen Rückfluss des Bluts (Pr) oder aus persistierender venöser Okklusion (Po) nach Thrombosen. Pr ist wesentlich häufiger als Po. 3Pathophysiologische Konsequenzen der venösen Stauung Entstehen eines eiweißreichen Ödems; Expression von Adhäsionsmolekülen an Leukozyten, Makrophagen und Endothelzellen → Anreicherung und Aktivierung von Entzündungszellen → Freisetzung proinflammatorischer Zytokine und reaktiver Sauerstoffspezies → Mikroangiopathie → Extravasation und Lyse von Erythrozyten → Freisetzung von Eisen; über die Fenton-Reaktion löst das freie Eisen weiteres Eisen aus Hämoglobin (Circulus vitiosus) → chronisch entzündliches, prooxidatives »aggressives« Mikromilieu (Lipidperoxidation) → Fibrillogenese (Lipodermatosklerose), Aktivierung von Serin- und MatrixMetalloproteasen. Resultat: trophische und entzündliche Veränderungen der Haut und schließlich Exulzeration.
Oberflächliche Venenentzündung (Thrombophlebitis) Definition. Thrombose von Haut- oder subkutanen Venen mit begleitender Entzündung (7 Kap. 7). Ätiologie. Thrombophlebitiden sind sehr häufig. An normalen Venen treten sie vorwiegend als Injektionsfolge auf (Unterarme), selten als Begleiterscheinung
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von Systemkrankheiten (z. B. Malignome, Morbus Behçet, Thrombangitis obliterans, Thrombophilie, Vaskulitiden); sie können dann auch am Rumpf lokalisiert sein und oft auch wandern (7 Kap. 7). Thrombophlebitiden von Varizen entstehen als Folge der venösen Stase und sind weitgehend auf die Beine beschränkt; nicht selten finden sich bei sorgfältiger Duplex-Untersuchung auch asymptomatische Thrombosen von tieferen Venen, häufig der proximalen Saphena-Abschnitte. Lungenembolien sind möglich! Symptomatik. Schmerzhafte strangartige oder knotige Verhärtung, Hitzen, Rötung. Differenzialdiagnose: Lymphangitis (oberflächlicher, weniger intensiv).
Tiefe Phlebothrombose Die Thrombose der tiefen Beinvenen ist eine häufige und schwerwiegende Krankheit: mögliche Folgen sind die Lungenembolie und, als Spätkomplikation, das postthrombotische Syndrom. 3Lungenembolien verlaufen v. a. bei klinisch nicht erkannter und unbehandelter Thrombose tödlich. Ca. 50% der Patienten haben schon zum Zeitpunkt der Diagnose der tiefen Phlebothrombose Lungenembolien, allerdings überwiegend klinisch stumm und nur durch entsprechende szintigraphische Methoden nachweisbar. Wird die Thrombose diagnostiziert und behandelt, ist eine tödliche Lungenembolie sehr selten (<1%). Postthrombotisches Syndrom: aus insuffizienter Rekanalisation und Zerstörung der Klappen resultiert eine Insuffizienz der tiefen Beinvenen, die in den Folgejahren zur CVI führt. Nach konservativer Therapie einer tiefen Beinvenenthrombose ist in ca. 30% nach 5–10 Jahren eine CVI zu erwarten (Prophylaxe: langfristige Kompressionstherapie nach Thrombose!), venöse Unterschenkelgeschwüre entwickeln sich in ca. 8%.
Epidemiologie. Die Inzidenz liegt bei 1,6:1000/Jahr
und steigt jenseits des 60. Lebensjahres steil an. Pathogenese. Die Ursache der tiefen Phlebothrombose
liegt (wie generell bei Thrombosen) in der so genannten Virchow-Trias: Strömungsverlangsamung, Schädigung des Gefäßendothels und Veränderung der Blutzusammensetzung (7 Kap. 7). Prädisponierende Faktoren sind hohes Lebensalter, frühere venöse Thromboembolien, Malignome, Übergewicht, Herzinsuffizienz, Varizen, Sexualhormone (»Pille«, postmenopausale Substitution), Thrombophilie. Auslösende Faktoren: Operationen, Traumen, Entbindung, Immobilisierung, langes Sitzen (z. B. »Economy-Class-Syndrom«), Überanstrengung. Thrombophilie (7 Kap. 7). Eine Reihe von Gendefekten und erworbenen Risikofaktoren können eine erhöhte
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Kapitel 12 · Phlebologie, Lymphödeme
Gerinnungsbereitsschaft des Bluts bedingen. Ein Zusammentreffen mehrerer solcher Faktoren führt zur Potenzierung des Thromoboserisikos, z. B.: APC-Resistenz (Faktor-V-Leiden) plus Kontrazeptiva. Bei ca. der Hälfe der Patienten mit tiefer Phlebothrombose liegen thrombophile Störungen oder Malignome zugrunde. ! Bei jeder tiefen Thrombose muss nach einem okkulten Malignom gefahndet werden! Bei jüngeren Patienten mit Eigen- und Familienanamnese rezidivierender oder atypischer Thrombosen und Phlebitiden ist ein Thrombophilie-Screening erforderlich!
Symptomatik. Die Frühsymptome sind oft wenig ein-
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drucksvoll: es besteht einseitiger Wadenschmerz, der einem Muskelkater ähnelt. Die subfasziale Konsistenz ist bei sorgfältiger Palpation erhöht. Der Schmerz verstärkt sich auf Druck und bei brüsker Dorsalflexion des Vorfußes. Bei beginnender Beckenvenenthrombose ist die Leiste leicht verstrichen, die Gefäßloge druckschmerzhaft. Beim Aufstehen färbt sich das Bein leicht livid. Besonders bei Bettlägrigen ist eine Lungenembolie oft das erste Zeichen einer Phlebothrombose, und die Symptomatik am Bein oft so geringfügig, dass sie erst einige Tage danach registriert wird. Vollbild der tiefen Thrombose: schmerzhafte, diffuse teigig-weiche bis pralle Schwellung und livide Verfärbung des Unterschenkels oder des gesamten Beins, Fieber. Die Phlegmasia coerulea dolens, eine massive Thrombose der tiefen Beinvenen mit lividem, pulslosem Bein, ist eine Notfallsituation, die eine Thrombektomie erfordert. Differenzialdiagnose. Arterielle Embolie, Erysipel,
Phlegmone. C A V E
Im Gegensatz zur oberflächlichen Venenentzündung, die eindeutige Symptome macht, ist die Diagnose einer tiefen Beinvenenthrombose allein nach klinischen Kriterien unzuverlässig. Schon geringer Verdacht (alle unklaren einseitigen Beinbeschwerden, besonders bei Bettlägerigen) ergibt die Indikation zur sofortigen objektiven Klärung.
12.1.4 Phlebologische Untersuchungs-
methoden Klinische Untersuchung Inspektion (beim stehenden Patienten). Erhebung von Deformitäten der Zehen bzw. des Fußgewölbes; Haut-
veränderungen um die Innenknöchel (hier manifestiert sich die venöse Stauung zuerst); Schwellung des Beins; Längendifferenz, Naevus flammeus (Hinweise auf kongenitale Angiodysplasie); suprapubische Varizen (Symphysenkollateralen bei persistierendem Beckenabflusshindernis – »Spontan-Palma«). Palpation. Diese erfasst Temperaturunterschiede (Entzündung?, Mangeldurchblutung?) und Konsistenzveränderungen. Das wichtige Symptom der subfaszialen Stauung wird beim sitzenden Patienten durch Betasten der entspannten Wadenmuskulatur ermittelt (Konsistenzerhöhung). Nichtabhebbarkeit der Haut der Zehengrundglieder ist ein Hinweis für ein Lymphödem (»StemmerZeichen«). Prüfung der Mündungsklappen der Vv. saphenae magnae auf Insuffizienz. Diese werden mit dem Finger
aufgesucht (eine durch Klopfen auf den Venenstamm ausgelöste Stoßwelle hilft bei der Lokalisierung); betätigt der Patient die Bauchpresse (Husten), wird bei insuffizienter Klappe eine retrograde Strömungswelle palpiert (in der Praxis oft nicht möglich, z. B. Adipositas). Apparative Untersuchungen Doppler-Ultraschalluntersuchung Zweck. Nachweis einer retrograden Strömung in den Beinvenen, Beurteilung proximaler Strombahnhindernisse (Becken), Beurteilung der arteriellen Durchblutung. Die Untersuchung mit dem cw-Doppler (cw: »continous wave«) ist heute zumindest in Form von einfachen Taschengeräten Teil jeder angiologischen Basisuntersuchung. Prinzip. Ultraschallwellen, die in einer bleistiftartigen Sonde von einem Piezokristall emittiert werden, dringen durch die Haut ein und werden an strömenden Blutpartikeln in oberflächlichen Gefäßen mit einer Frequenzänderung reflektiert (Dopplereffekt). Über insuffizienten Venen können durch Bauchpressen (»Valsalva-Versuch«) sowie durch Kompressionsmanöver retrograde Strömungen nachgewiesen werden (Nachweis von Klappeninsuffizienz in Varizen, Vv. perforantes, tiefen Beinvenen).
Duplex-Ultraschall Zweck. Anatomische und gleichzeitig funktionelle Beurteilung von interessierenden Gefäßabschnitten (Beurteilung von Obstruktion und Reflux in oberflächlichen und tiefen Venen), »Varizen-Mapping«, Thrombosenachweis durch Kompressionssonographie.
513 12.1 · Phlebologie
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Prinzip. Beim Duplexgerät handelt es sich um eine Kom-
Prinzip. Am stehenden Patienten wird eine Fußrücken-
bination einer Ultraschall-Bilddarstellung (B-Scan) mit einer Doppler-Registrierung des strömenden Bluts. Farbkodierte Geräte erlauben die zusätzliche bildhafte Darstellung der Strömungsrichtung. Thrombosierte Venen sind durch Druck mit dem Schallkopf nicht komprimierbar.
vene punktiert, an die Nadel ein Katheter und an diesen ein Manometer anschlossen. Der gemessene Venendruck (Ruhedruck) entspricht dem Gewicht der Blutsäule zwischen der Messstelle (Fußrückenvene) und dem rechten Vorhof (bei mittlerer Körpergröße ca. 90 mmHg). Bei Betätigung der Muskelpumpe (Zehenstände, Kniebeugen) sinkt der Druck erheblich ab (normaler Abfall 50–60 mmHg). Bei CVI ist durch den »Blow down« der Druckabfall mit 10–40 mmHg erheblich geringer (bei unkomplizierten Varizen hingegen nur mäßig eingeschränkt). Dieser eingeschränkte Venendruckabfall im Gehen (»chronische venöse ambulatorische Hypertension«) ist das entscheidende pathophysiologische Substrat der CVI.
Photoplethysmographie, Lichtreflexionsrheographie Zweck. Beurteilung der venösen Pumpfunktion speziell nach gezielter Kompression des Saphenastamms bzw. der Vv. perforantes. Prinzip. In die Haut eingestrahltes Infrarotlicht wird in Abhängigkeit von der lokalen Blutfülle (dermaler Plexus) reflektiert. Mithilfe von kleinen Sensoren können so Schwankungen von lokalen Blutvolumina in den untersuchten Hautregionen registriert werden.
! Der Ruhedruck selbst ist von geringer Bedeutung. Wichtig ist nur das Ausmaß des Druckabfalls bei Betätigung der venösen Muskelpumpe.
Durchführung. Unter standardisierten Bewegungs-
übungen (Fußwippen, Kniebeugen) entleeren sich die Venenplexus der Haut am Fuß oder dem distalen Unterschenkel, der resultierende Anstieg der Lichtreflexion wird in Kurvenform registriert. Normalerweise ist die »Auffüllzeit«, also der Ausgleich der Lichtreflexionsverhältnisse nach Bewegungsübung, länger als 20 s; bei venösem Reflux bzw. venösen Abflusshindernissen ist sie verkürzt. Volumenänderungen von ganzen Extremitätensegmenten können durch aufwendigere plethysmographische Verfahren (Dehnungsmessstreifen, Air-Plethysmographie, Fußvolumetrie) quantitativ erfasst werden. Phlebographie Zweck. Nachweis bzw. Lokalisation von Thrombosen;
Einsatz bei inkonklusiver Duplexuntersuchung, Rezidivvarikose, komplizierten Fällen. Prinzip. Nach Einspritzen eines Kontrastmittels in eine
Fußrückenvene werden unter Monitorkontrolle die oberflächlichen und tiefen Venen sowie die Vv. perforantes dargestellt. Zur Darstellung der Saphena-parvaMündung wie auch des Abflusses von Rezidivvarizen in die Tiefe genügt oft die Varikographie (Injektion von Kontrastmittel in Varize). Venendruckmessung Zweck. Bestimmung der Venendrainage unter Betäti-
gung der Muskelpumpe, evtl. bei gleichzeitiger Kompression (d. h. Ausschaltung) der Varizen (»dynamische Venendruckmessung«).
Computer- und Magnetresonanztomographie Diese sind v. a. zur Diagnostik von Thrombosen im Beckenbereich (Abdomen) sowie der Lungenembolie von Bedeutung. Labor Nicht-Nachweisbarkeit von Fibrin-Spaltprodukten (D-Dimer-Test) erlaubt den Ausschluss einer floriden Thromboembolie mit hoher Treffsicherheit (hoher negativer prädiktiver Wert!). Ein positiver D-DimerTest ist jedoch wegen seiner niedrigen Spezifität nicht beweisend (kann auch durch Entzündungen, Hämatome u. a. m. bedingt sein). ! Zur eindeutigen Diagnose einer Thrombose ist ein bildgebendes Verfahren erforderlich (Duplex oder Phlebographie).
12.1.5 Therapie Varizenbehandlung (CEAP C1–C2) Physikalische Behandlung Ein allgemeiner Grundsatz ist die Lebensführung nach der bewährten 3S-3L-Regel: »Sitzen und Stehen ist schlecht – lieber Liegen oder Laufen«. Konkrete Verhaltensmaßregeln sind: 4 Bewegungsübungen der Wadenmuskeln bei hochgelagerten Beinen 4 richtiges Hochlagern während der Nachtruhe: der Unterschenkel soll in Herzhöhe liegen und das Knie gebeugt sein
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Kapitel 12 · Phlebologie, Lymphödeme
4 Vermeidung übermäßiger Wärme (heiße Bäder, Sonnen-, Thermalbäder, Fangopackungen); Günstig: kalte Duschen, Schwimmen im kühlen Wasser (bis 27°C) 4 Kompressionsstrümpfe: Es gibt 4 Kompressionsklassen – in der Regel wird Klasse II empfohlen. Nicht ausreichend sind Stützstrümpfe! 4 Übergewicht reduzieren! ! Übergewicht ist zwar nicht die Ursache, wohl aber ein verschlechternder Faktor von Varizen und zudem ein Risikofaktor für Thrombosen.
Medikamentöse Behandlung (. Übersicht) »Venenmittel« auf pflanzlicher Basis (Aescin – Rosskastanienextrakt; Flavonoide – Pflanzenfarbstoffe), wirken ödemprotektiv und lindern subjektive Beschwerden. ! Varizen ohne subjektive Symptome müssen nicht unbedingt komprimiert oder medikamentös behandelt werden.
Ergänzende medikamentöse Therapie der chronischen venösen Insuffizienz
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4 Kurzfristiger Einsatz eines Diuretikums 4 Aspirin 300 mg/Tag (Ausschluss von Kontraindikationen!) 4 Ödemprotektiva bei Patienten, bei denen eine Kompressionstherapie kontraindiziert (höhergradige pAVK) oder aus anderen Gründen nicht durchführbar ist 4 Pentoxifyllin
Verödung, Katheterverfahren, Operation Ziel der Behandlung ist die Beseitigung des »Blow down«, Entfernung störender Varizen. Bei kleinen Varizen (C1) ist nur eine Verödungsbehandlung geeignet, bei großen (C2) auch Katheterverfahren oder eine Operation. Varizenverödung. Alle Venenkaliber, von der Saphena
magna bis zu Besenreiservarizen, können mit Sklerosierung ausreichend behandelt werden. 4 Prinzip. Durch chemische Schädigung der Venenintima wird die Varize in einen soliden fibrösen Strang umgewandelt. Nach Injektion des Verödungsmittels werden die Venenwände durch einen Kompressionsverband zusammengepresst (Verhinderung von Thrombenbildung und nachfolgender Rekanalisation).
4 Verödungsmittel. Die intimaschädigende Wirkung der modernen Verödungsmittel (z. B. Polidocanol) beruht auf ihren oberflächenaktiven Eigenschaften (Netzmittel). Durch Mischung mit Luft oder Gasen (»Schaum-Verödung«) kann die Wirksamkeit erhöht werden. 4 Kontraindikationen. Zustand nach frischer Thrombose; Schäden an tiefen Venen; arterielle Verschlusskrankheit; Bettlägerigkeit, Infektionen, Unverträglichkeit des Verödungsmittels. Endovenöse Kathetermethoden. Mithilfe von Radio-
wellen oder Laser können Saphena-Stämme und z. T. auch Nebenäste unter Duplex-Kontolle in Lokalanästhesie verschlossen werden. Varizenoperation. Bei der klassischen Varizenopera-
tion wird die insuffiziente Einmündung der V. saphena magna oder parva in der Tiefe ligiert. Von der Knöchelregion aus wird ein schmiegsamer Draht (Stripper) in Flussrichtung in der Vene bis zum Austritt an der Ligationsstelle (Krosse) vorgeschoben und sein distales Ende am Eintritt in die Vene mit einem Faden fixiert. Anschließend wird der Venenstamm mit dem Stripper nach oben herausgezogen; Nebenäste, soweit auffindbar, werden durch kleine Hautinzisionen ligiert und mit Häkchen entfernt. Beim so genannten »Ministripping« werden variköse Seitenäste bei suffizientem Hauptstamm in Lokalanästhesie durch eine Stichinzision extrahiert (Verfahren nach Varady). Endoskopische Verfahren zur Perforantendurchtrennung. Diese sind fortgeschrittenen Stadien einer chro-
nischen Veneninsuffizienz vorbehalten. 3Die Rezidivquoten nach optimaler Durchführung der genannten Verfahren sind vergleichbar, weshalb sich in den letzten Jahren ein zunehmender Trend zu den weniger invasiven und ambulant durchführbaren Therapiemethoden zeigt, z. B. Schaumverödung von epifaszialen Varizen inklusive der V. saphena magna/parva mit Polidocanol (Aethoxysklerol).
Therapie der Krampfadernblutung Hochlagerung des Beins und Anlegen eines festen, durch eine Schaumgummiplatte verstärkten Kompressionsverbandes. Der Patient muss gehen. Nach Sistieren der Blutung kann die zuführende Varize oberhalb der Blutungsstelle verödet oder operiert werden. Therapie der chronischen Veneninsuffizienz (CEAP C3–C6) Gehen unter Kompressionsverbänden aktiviert die venöse Pumpe und verhütet bzw. beseitigt die Abflussstauung. Eine exakt und konsequent durchgeführte
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Dauerkompression ist daher die Grundlage der Behandlung der chronischen venösen Stauung. Zur Entstauung eignen sich am besten Kurzzugbinden, die auch über Nacht belassen werden können. Unterlegte Schaumgummiplatten unterstützen die Wirkung (. Übersicht). Derartige unnachgiebige Fixverbände verzeihen allerdings kaum Fehler beim Anlegen – Wickeltechnik muss gelernt werden!
Kompressionstherapie 1.
2.
Medizinische Kompressionsstrümpfe (»stockings«) Anwendung nach Kompressionsklassen (Andruck im Fesselbereich): – Klasse I (18,4–21,2 mmHg): Thromboseprophylaxe – Klasse II (25,1–32,1 mmHg): Chronisch venöse Insuffizienz I/II°, Varikositas – Klasse III (36,4–46,5 mmHg): Chronisch venöse Insuffizienz III° – Klassse IV (>59 mmHg): Irreversible Lymphödeme Bandagen (»konventionell«) Indikation: v. a. zur Entstauungstherapie. Korrekte Anlage erfordert Übung! a) »Elastisch« (Langzugbandage): – hoher Ruhedruck, niedriger Arbeitsdruck (Bewegung) – Verwendung v.a bei immobilen Patienten, Lymphödem – Cave: pAVK/Mikroangiopathie! (hoher Ruhedruck!) b) »Unelastisch« (Kurzzugbandage/Zinkleimverband): – Niedriger Ruhedruck, hoher Arbeitsdruck – Bei mobilen Patienten, auch bei pAVK I–II° möglich – Können auch nachts belassen werden (»Fixverbände«)
Kontraindikationen bei a) und b): höhergradige pAVK (Knöchelarteriendruck <70 mmHg), nässende/ infektiöse Dermatosen, Herzinsuffizienz NYHA IV.
! Ein Kompressionsstrumpf (Kompressionsklasse II–III) eignet sich weniger zur Beseitigung eines Ödems als zur Verhütung des Wiederauftretens von Ödemen nach Entstauung (Erhaltungstherapie).
12
Therapie des Ulcus cruris venosum Voraussetzung ist der Ausschluss der Differenzialdiagnosen (. Übersicht), insbesondere einer arteriellen Verschlusskrankheit (Messung des systolischen Knöchelarteriendrucks – Doppler-Sonde, Dopplerindex). Konservative Behandlung. Im Vordergrund steht eine
gute Kompressionstherapie mit Erhöhung des Andrucks im Bereich der Ulzera durch SchaumgummiPölster. Die Lokalbehandlung ist weniger wichtig, die Keimbesiedelung meist von untergeordneter Bedeutung. Bevorzugt werden nichtverklebende, absorbierende Verbandsmaterialien (feuchte Wundbehandlung). Eine systemische Therapie mit Antibiotika ist überflüssig. Bei schweren und therapierefraktären Ulzera stationäre Behandlung. ! Kontaktsensibilisierungen sind je nach Bestandsdauer des Ulkus äußerst häufig (bis 100%), bei Verdacht auf eine solche Abklärung durch Epikutantestung!
Nach Abheilung der Ulzera muss die Kompressionsbehandlung zur Verhinderung von Rezidiven weitergeführt werden (medizinische Kompressionsstrümpfe); zusätzlich Ausschaltung von allfälligen insuffizienten Venenabschnitten und Vv. Perforantes (kann auch die Abheilung noch bestehender Ulzera wesentlich beschleunigen). Chirurgische Behandlung. Plastische Deckung von
Ulcera cruris mit Maschentransplantaten (Meshgraft) nach Ulkus-Ausschälung (»Shaving«) ist besonderen Situationen vorbehalten. Therapie der oberflächlichen Thrombophlebitis Entscheidend sind feste Kompressionsverbände, deren Andruck auf die entzündeten Venen lokal durch modellierte Schaumgummiplatten erhöht werden kann. Bevorzugt werden Fixverbände (Klebebinden), die Tag und Nacht belassen werden können. Der Patient wird aufgefordert, möglichst viel zu gehen, Bettruhe ist kontraindiziert! Entzündungshemmende »Venensalben« sind nicht erforderlich. Bei ausgedehnten und rezidivierenden Verläufen ist niedermolekulares Heparin zu empfehlen. Abhängig vom Lokalbefund können Thromben nach Stichinzision exprimiert werden (nach anschließender fester Kompression schlagartige Schmerzerleichterung!). Therapie der tiefen Beinvenenthrombose Konservative Therapie. Die Säulen der konservativen Thrombosetherapie sind Antikoagulation, Kompression sowie – bei mobilen Patienten – sofortige Mobilisation.
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Kapitel 12 · Phlebologie, Lymphödeme
. Tab. 12.4. Dosierungsschema für niedermolekulares Heparin (NMH) Wirkstoff
Dosierung s.c.
Dalteparin
Therapeutisch: 120 IE/kg/KG 2-mal tgl., max. 10 000 I.E. 2-mal tgl. Prophylaktisch: 5000 IE 1-mal tgl
Enoxaparin
Therapeutisch: 1 mg/kg/KG 2-mal tgl. Prophylaktisch: 40 mg 1-mal tgl.
Cave: Reduktion der NMH-Dosis bei eingeschränkter Kreatininclearance
Antikoagulation. Entscheidend für den Erfolg ist eine
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sofort nach Diagnosestellung und Laborabnahme (Thrombophiliescreening) begonnene und ausreichend intensive Gabe von Heparin; nach 5 Tagen überlappende Umstellung auf orale Antikoagulanzien (mindestens 3 Monate). Niedermolekulare Heparine (NMH) sind heute die Initialtherapie der Wahl (Dosierungsschema . Tab. 12.4). Sie sind insgesamt besser wirksam als unfraktioniertes Heparin; ihre s. c.-Verabreichung ermöglicht zudem eine Heimbehandlung der tiefen Thrombose. Thrombozyten-Kontrollen zur rechtzeitigen Erkennung einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT II) sind allerdings auch bei Anwendung von NMH obligat. Kumarinpräparate (Sintrom, Marcumar) sind Mittel der Wahl für die Langzeitbehandlung (orale Anwendung, unbegrenzte Anwendungsdauer). NMH werden erst abgesetzt, wenn der INR-Wert 2 Tage lang zwischen 2,0 und 3,0 gelegen ist (INR: »International Normalized Ratio«; ersetzt den Quicktest). Das Wirkungsmaximum wird bei Sintrom wie bei Marcumar nach 2–3 Tagen erreicht, die Wirkungsdauer ist bei ersterem jedoch kurz (1–3 Tage), bei letzterem lang (7–10 Tage). ! Die Antikoagulation wird immer mit Heparin begonnen, da alleinige orale Antikoagulation von Beginn an höhere Rezidivraten bringt. Weiters kommt es am Anfang einer Kumarinbehandlung zu einer passageren Hyperkoagulabilität, der Heparin entgegenwirkt (Protein-CAbfall bei noch normalem Prothrombin-Komplex).
Komplikationen. Blutungen. Gegenmittel: Vitamin K1 (p. o. oder i. v. – langsam!); die Wirkung tritt erst nach 12 h ein. Sofort wirksam ist das Prothrombinkonzentrat PPSP (Behring). C A V E
Wechselwirkungen der Kumarine mit anderen Medikamenten beachten (Antirheumatika, Salizylate, orale Antidiabetika, Antibiotika, Betablocker, Diuretika u. a.)!
Dauer der Antikoagulation. Nach einer Erstthrombose
bei transientem Risikofaktor 3–6 Monate, bei unklarem Thromboseauslöser 6–12 Monate, bei rezidivierenden Thromboembolien (Thrombophilien!) »lebenslänglich«. Kompression und Mobilisierung. Soweit möglich sollten Patienten, die bis zur Diagnosestellung mobil waren, mit einem guten Kompressionsverband mit Kurzzugbinden versorgt werden und unter engmaschigen Kontrollen weiter mobil bleiben. Nach 4 Wochen werden medizinische Kompressionsstrümpfe verschrieben; diese sollten zur Verhinderung eines postthrombotischen Syndroms mindestens 1 Jahr getragen werden (abhängig von der Ödemneigung). Fibrinolyse und Thrombektomie. Diese Methoden
sind bei ganz frischen, ausgedehnten Thrombosen bei jungen Menschen zu diskutieren. Bei der sehr seltenen Phlegmasia coerulea dolens kann eine Thrombektomie lebensrettend sein. Fibrinolytika sind heute eher obsolet, stattdessen werden Katheterlysen bervorzugt. Thromboseprophylaxe Eine solche ist bei Immobilisierung in der postoperativen Phase sowie bei internistischen und neurologischen Erkrankungen schon aus medikolegalen Gründen obligat. Folgende Risikokategorien werden unterschieden: 4 Niedriges Risiko: Patienten <40 Jahre, Operation in Allgemeinnarkose von 30–60 min Dauer 4 Mittleres Risiko: Alter >40 Jahre, Operationsdauer >30 min, Adipositas, Varizen, Ovulationshemmer, Gravidität, manche Grundkrankheiten (z. B. Kardiopathie) 4 Hohes Risiko: Patienten >40 Jahre mit früherer Thromboembolie, Malignome, große (z. B. orthopädische) Operationen, und/oder 2 Faktoren wie oben. In der niedrigen Risikogruppe genügt eine physikalische Prophylaxe, in den beiden anderen Gruppen zusätzlich medikamentöse Maßnahmen (s. u.). Physikalische Prophylaxe. Hochlagern der Beine,
Thromboseprophylaxe-Strümpfe, systematische Beingymnastik, postoperative Früh-, wenn möglich SofortMobilisation. Medikamentöse Thromboseprophylaxe. Eine 1-mal
tägliche Applikation von NHM (. Tab. 12.4) reicht in der Regel aus. Nach Hochrisiko-Eingriffen (z. B. Hüftendoprothesen, Gipsruhigstellung nach Unterschen-
517 12.2 · Lymphödeme
kelfraktur) sowie bei internistischen Risikopatienten und Malignomen empfehlen sich höhere Dosen über mindestens 4 Wochen. Neu entwickelte Substanzen für spezielle Hochriskosituationen sind selektive Faktor-XAntagonisten (Fondaparinux) und neue Thrombin-Inhibitoren (Melagatran). 12.2
Lymphödeme
Lymphödeme sind Schwellungen, die durch Einschränkung der Lymphdrainage (Transportkapazität der lymphpflichtigen Last) zustandekommen. Man unterscheidet anlagebedingte (primäre) und erworbene (sekundäre) Lymphödeme. Letzere sind bei weitem häufiger (Obstruktion bzw. Durchtrennung der ableitenden Lymphwege; Infektionen etc.). Weltweit leiden ca. 150 Mio. Menschen an Lymphödemen. Klassifikation . Übersicht.
Klassifikation der Lymphödeme 4 Primäre Lymphödeme: – Hereditär: – Angeboren: Nonne-Milroy-Syndrom – Pubertät: Meige-Syndrom – Nichthereditär: – Lymphoedema praecox (postpubertär, Mädchen) – Lymphoedema tardum (Erwachsenenalter) – Lymphödeme bei komplexen Fehlbildungen 4 Sekundäre Lymphödeme: – Nach Entzündungen (z. B. Filariose, Erysipel) – Nach Traumen, Operationen, Bestrahlung – Kompression durch Tumor (Metastasen) – Artefakte
Ätiologie und Pathogenese. Primäre Lymphödeme
beruhen auf anlagemäßigen Fehlbildungen von Lymphkollektoren und/oder Lymphknoten und können sowohl ererbt als auch sporadisch auftreten. Einige Genloci sind bekannt: 4 VEGFR3 (Rezeptor der lymphatischen Wachstumsfaktoren VEGF-C und VEGF-D) beim NonneMilroy-Syndrom (early onset lymphedema) 4 FOXC2-Gen beim Meige-Syndrom und verwandten Syndromen (late onset lymphedema) Primäre Lymphödeme finden sich meist bei sonst Gesunden (seltener als Teil von komplexeren Syndromen);
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das Manifestationsalter kann von kongenital bis zum Erwachsenenalter variieren. Sekundäre Lymphödeme werden durch meist schon anamnestisch eruierbare Noxen ausgelöst: tumorchirurgische oder strahlentherapeutische Eingriffe an Lymphknoten, Durchtrennung oder Resektion von Lymphkollektoren bei Gelenks- oder Gefäßoperationen, Traumen, seltener Lymphknotenmetastasen. Die weltweit häufigste Ursache ist die in subtropischen und tropischen Regionen endemische Filariose (7 Kap. 4). Rezidivierende Erysipele und andere chronisch-entzündliche Prozesse können zur Verödung von Lymphgefäßen und, besonders bei bereits eingeschränkter Transportkapazität, zum Lymphödem führen bzw. ein solches verschlechtern. Eine seltene Ursache sind Selbststau-Artefakte. Symptomatik. Das morphologische Bild ist bei primären und sekundären Lymphödemen im Prinzip gleich, doch beginnen erstere in der Regel akral (aszendierender Typ), die letzteren um den Ort der Obstruktion (deszendierender Typ). Die Entwicklung ist schleichend (Jahre), und stadienmäßig progredient (. Tab. 12.5). Subklinische, noch kompensierte Lymphödeme können durch einen abrupten Anstieg der lymphpflichtigen Last scheinbar plötzlich klinisch manifest werden (Insektenstiche, geringe Traumen wie Blutabnahmen etc.). Lymphödeme treten fast stets an den Extremitäten auf, selten an anderen Regionen (z. B. im Gesicht nach neck dissection). Leit- und Frühsymptom beim aszendierenden Typ sind schmerzlose Schwellungen an Zehen- und Fußrücken, die bei Fingerdruck eine Delle hinterlassen und anfangs noch reversibel sind. Typisch ist die erschwerte Abhebbarkeit von Hautfalten (Stemmer-Zeichen). Die Schwellung ist zunächst einseitig (. Abb. 12.6), später treten Befall des anderen Fußes, Aszension nach proximal, manchmal auch Beteiligung der oberen Extremitäten hinzu. Die Schwellung wird permanent, die Konsistenz derb, der Fingerdruck hinterlässt keine Delle mehr. Im voll ausgeprägtem Stadium sind kalottenförmige Schwellungen am Fuß durch wie eingeschnitte. Tab. 12.5. Klinische Stadien des Lymphödems Stadium
Symptome
0
Keine
I
Über Nacht reversible Schwellung, Dellen eindrückbar (»pitting edema«)
II
Irreversible derbe Schwellung, Dellen nicht eindrückbar (»non-pitting edema«)
III
»Lymphostatische Elephantiasis«
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Kapitel 12 · Phlebologie, Lymphödeme
. Abb. 12.6. Lymphoedema praecox bei einem 17-jährigen, sonst gesunden Mädchen. Einseitige, schmerzlose Schwellung von Fußrücken und Zehen
meist die Funktionalität der betroffenen Extremität erhalten und die Progredienz zur Elephantiasis verhindern. Im Vordergrund steht die »komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE)«, eine Kombination von Kompressionstherapie, manueller Lymphdrainage, Bewegungstraining und Hautpflege. Am wichtigsten ist die Kompressionsbehandlung: einer »Entstauungsphase« (mit oft drastischer Reduktion der Schwellung) folgt eine Erhaltungsphase (feste Kompressionsstrümpfe). Dem Patienten zu empfehlende »Lebensregeln« sind ähnlich jenen bei Beinvenenerkrankungen, zusätzlich aber auch die Vermeidung von Traumen aller Art im betroffenen Bereich (z. B. Blutdruckmessen oder Blutabnahmen nicht an jenem Arm, an dem axilläre Lymphknoten entfernt wurden!). Lymphgefäßtransplantationen sind nur bei sorgfältiger Indikationsstellung an spezialisierten Zentren diskutabel. Chirurgische Reduktionsoperationen können im Einzelfall, etwa bei massivem Skrotalödem, Erleichterung bringen. Lipödem
12
ne Falten voneinander abgesetzt (Zehengrundgelenke!)! die Zehen werden treffend als Quader-Zehen bezeichnet. Die Haut ist mit missfarbigen, stecknadelkopfgroßen, warzigen Papeln bestanden (Papillomatosis lymphostatica – histologisch ektatische Lymphgefäße mit reaktiver Hyperkeratose). Bei weiterer Zunahme und Verhärtung kann das Spätstadium der Elephantiasis entstehen. Eine Störung des Lymphabstroms im Beckenbereich kann monströse Schwellungen im Genitalbereich bewirken (Penis, Skrotum).
Definition, Symptomatik. Eine anlagebedingte symmetrische Fettansammlung an den Beinen von Frauen mittleren Alters, die türkenbundhosenartig vom Be-
Diagnostik. Methode der Wahl ist die Isotopenlymphographie (szintigraphische Darstellung der Lymphbahnen und -knoten nach Injektion von lymphpflichtigen radioaktiven Markern). Andere Imaging-Methoden (Ultraschall, CT, MR) können das Ödem zwar lokalisieren, aber nicht mit Sicherheit zuordnen. Besonderen Fragestellungen vorbehalten sind die Fluoreszenz-Mikrolymphangiographie und die indirekte Lymphographie mit wasserlöslichen Kontrastmitteln. Differenzialdiagnose. Wichtig ist die Unterscheidung
eigenständiger Lymphödeme von solchen, die verschiedene Krankheiten als Epiphänomen begleiten (. Tab. 12.2): z. B. CVI (Lipodermatosklerose, Ulcus cruris), das »Phlebo-Lymphödem« (Tumor-Kompression des venösen und lymphatischen Abstroms im Beckenbereich), Lipödem. Therapie. Die (lebenslange!) Behandlung eines Lymphödems führt zwar nicht zu dessen Heilung, kann aber
. Abb. 12.7. Lipödem bei einer 45-jährigen, sonst gesunden Frau. Beidseitig symmetrische Schwellung der Beine unter Aussparung der Fußrücken (»Türkenbundhose«). Die Haut lässt sich am Fußrücken leicht abheben (Stemmer-Zeichen negativ)
519 12.2 · Lymphödeme
ckenkamm bis zu den Knöcheln reicht, die Fußrücken jedoch ausspart (Stemmer-Zeichen negativ) (. Abb. 12.7); analoge Veränderungen an den Armen kommen vor. Oft beträchtliche Druck- bzw. Berührungsschmerzhaftigkeit, Neigung zu Hämatomen. Die großen Lymphkollektoren sind funktionell intakt, manchmal jedoch Kombination mit Lymphödem (»Lipo-Lymphödem«). Therapie. Konsequente Dauerkompression zur Beseitigung der Ödemkomponente, doch ist die Compliance oft schlecht. Drastische Gewichtsabnahme führt meist nur zur Massenreduktion im Stammbereich. In frühen Stadien evtl. Liposuktion.
12
Zyklisch-idiopathische Ödeme Periodisch auftretende, generalisierte, beinbetonte Ödeme unklarer Genese, besonders nach orthostatischer Belastung und bei Wärme. Das Körpergewicht kann typischerweise von einem Tag zum anderen um bis 2 kg schwanken. Auftreten vorwiegend bei Frauen in der lutealen Zyklusphase, aber auch postmenopausal. Langzeitige Anwendung von Diuretika kann zu sekundärem Hyperaldosteronismus führen und die Ödeme perpetuieren.
13 13 Proktologie 13.1 Anatomie und Physiologie – 521 13.2 Untersuchungsgang – 522 13.3 Die häufigsten Veränderungen im Analbereich – 523 13.4 Krankheiten des Rektums und Kolons
– 529
521 13.1 · Anatomie und Physiologie
Proktologie ist die Lehre von den Krankheiten des Enddarms und des Analbereichs – eine interdisziplinäre Spezialität von Chirurgie, Gastroenterologie und Dermatologie. Die Zuständigkeit des Dermatologen umfasst vorwiegend den hämorrhoidalen Symptomenkomplex, doch sind Grundkenntnisse der Gesamtdisziplin unerlässlich. Proktologische Krankheiten sind häufig. Hämorrhoiden und Analekzem sind Massenleiden – sie betreffen etwa ein Drittel der Bevölkerung. Schwerwiegende Krankheiten sind das Anal- und Kolorektalkarzinom, letzteres ist einer der häufigsten malignen Tumoren mit immer noch steigender Häufigkeit. Es ist die Aufgabe des Dermatologen, diese Tumoren in alle diagnostischen Überlegungen einzubeziehen und den Patienten bei Verdacht entsprechend zuzuweisen. 13.1
Anatomie und Physiologie
Funktionen von Enddarm und Anus sind Defäkation und Kontinenz; diese werden durch das komplexe Zusammenspiel des »anorektales Kontinenzorgans« (Rektum, Muskulatur, Corpus cavernosum recti, Anoderm und zugehöriges Nervensystem, . Abb. 13.1) erfüllt. Viele proktologische Zustandsbilder lassen sich auf durch Zivilisationsfaktoren bedingte Funktionsstörungen des anorektalen Kontinenzorgans zurückführen.
13
Aufbau von Rektum und Analkanal Das Rektum geht 15–18 cm über dem Anus aus dem Sigmoid hervor. Sein kaudaler Teil liegt extraperitoneal. Letzterer ist bindegewebig an das Kreuzbein fixiert und dadurch stark gekrümmt. Dieses Rectum fixum ist zur Aufnahme des Stuhls vor der Defäkation bestimmt und stark erweiterungsfähig (Ampulla recti). Die Ampulla recti schlägt fast rechtwinkelig in den Analkanal um (Rektoanalwinkel); der Winkel wird durch den Tonus eines Teiles des M. levator ani (M. puborectalis) aufrechterhalten. Das Rektum besitzt eine kräftige, mit Dehnungsrezeptoren ausgestattete Ringmuskulatur, die 3 charakteristische transversale Falten in das Darmlumen vorspringen lässt (Plicae rectales). Innenauskleidung. Das Zylinderepithel des Rektums
setzt sich bis ins mittlere Drittel des Analkanals fort. Es folgt ein schmaler Übergangsstreifen, in dem sukzessive die Umwandlung zum geschichteten Plattenepithel erfolgt. Diese Region entspricht dem Ort der embryonalen Proktodäalmembran (Grenze zwischen Ektound Endoderm) und ist von komplexem Aufbau: taschenartige Ausstülpungen (Morgagni-Analkrypten) wechseln mit zipfelförmigen Vorstülpungen (Analpapillen) und ergeben dadurch eine wellige Linie (Kryptenlinie, Linea dentata). In den Krypten können durch Kotstau Entzündungen entstehen (Kryptitis); durch Infektion der hier mündenden Proktodäaldrüsen können sich Fisteln bilden. Kaudal der Kryptenlinie findet sich nur mehr geschichtetes Plattenepithel, das nicht verhornende, hochsensible Anoderm. An der Ano-
. Abb. 13.1. Schematische Darstellung des anorektalen Kontinenzorgans (Frontalschnitt). (Nach Hansen und Stelzner 1981)
522
Kapitel 13 · Proktologie
kutanlinie geht das Anoderm in die dunkelpigmentierte haar- und drüsenreiche Analhaut über. Muskulatur. M. levator ani. Diese derbe Muskelplatte
ist der tragende Teil der Beckenbodenmuskulatur. Sie entspringt an der vorderen und seitlichen Beckenwand, zieht trichterförmig nach dorsokaudal, umfasst schleifenförmig das Rektum und setzt an Fasern der Gegenseite, an Steißbein sowie Septum anococcygicum an. Aufgaben: Verschluss des Beckenausgangs (trägt das Gewicht der Eingeweide) und Teilfaktor der Grobkontinenz; Aufrechterhaltung des Rektoanalwinkels). M. sphincter ani internus. Fortsetzung der (glatten) Ringmuskulatur des Rektums, durch Längsfaserbündel verstärkt. Dieser autonome Muskel ist in Ruhestellung in einem dauernden Kontraktionszustand und somit der wesentliche Mechanismus der Grobkontinenz. M. sphincter ani externus. Ein aus oberflächlichen und tiefen Anteilen bestehender ovalärer Ring aus quergestreifter, willkürlich kontrahierbarer Muskulatur. Corpus cavernosum recti. Ein submuköses Schwellkör-
13
pergewebe (kein »venöser Plexus«!) im kranialen Drittel des Analkanals, das vom M. canalis ani durchsetzt wird und die Feinkontinenz des Analkanals vermittelt – ein Geflecht dünnwandiger, weitlumiger Gefäße, das in konstanter topografischer Lage (3, 7 und 11 Uhr in Steinschnittlage) aus Endarterien der A. rectalis superior mit arteriellem Blut versorgt wird. Der Abfluss erfolgt über retrorektale Venen sowie durch Venen im M. sphincter ani internus (pathophysiologisch wichtig!). ! Hypertrophie des Corpus cavernosum ist die Grundlage der inneren Hämorrhoiden.
Funktionen Kontinenz. Die Grobkontinenz ist eine ausschließlich muskuläre Funktion, die durch Kooperation der M. puborectalis (Rektoanalwinkel), M. sphincter ani internus (unwillkürlicher Dauertonus) und M. sphincter ani externus (willkürliche Kontraktion) erzielt wird, letzterer erbringt nur ca. 20% der Kontinenzleistung – Querschnittgelähmte sind daher häufig noch kontinent – kann aber gemeinsam mit dem M. puborectalis bei anflutenden Peristaltikwellen den Defäkationsreiz kurzfristig unterdrücken. Die Feinkontinenz wird durch das polsterartig vorragende Corpus cavernosum bewirkt, das am Punctum maximum des Muskeldrucks des M. sphincter ani internus lokalisiert ist und als dessen Widerlager wirkt (Kontraktion eines Ringmuskels allein führt nur zum unvollständigen Verschluss eines Lumens!).
Defäkation. Ein komplexer Vorgang, der durch ent-
sprechende neurologische »Programme« gesteuert und von vielen (auch psychischen) Faktoren beeinflusst wird. Die Stuhlmassen werden von kraftvollen peristaltischen Wellen des Kolons in die (leere) Ampulla recti getrieben. Die Peristaltik selbst, die Erregung der Dehnungsrezeptoren des Rektum und die Reizung der Schleimhaut der Kryptenlinie (Diskrimination des Rektuminhalts – fest, flüssig oder gasförmig), führen zur Vorbereitung des Kontinenzorgans zur Defäkation: Erschlaffung des M. sphincter ani internus und Kontraktion der Mm. sphincter ani externus und puborectalis (anorektaler Reflex; der Stuhlgang wird willentlich aufgeschoben). Der Defäkationsakt wird durch die Bauchpresse eingeleitet: alle Beckenboden- und Sphinktermuskeln erschlaffen, der Rektoanalwinkel verschwindet, die entleerende kaudalwärts gerichtete Peristaltik von Sigma und Rektum setzt ein. 13.2
Untersuchungsgang
Anamnese. Dieser kommt in der Proktologie ein hoher Stellenwert zu. Sie umfasst Fragen nach: 4 Stuhlgewohnheiten (Obstipation, Diarrhoe, Bleistiftstühle, Gebrauch von Abführmitteln) 4 Blutungen (spritzend oder dem Stuhl aufgelagert, Beimengung von Eiter oder Schleim) 4 Schmerzen (defäkationsabhängig oder andauernd, drückend, krampfartig, brennend) 4 Juckreiz (besonders nachts, dauernd) 4 Prolapserscheinungen (nur nach Defäkation oder dauernd, reponierbar) 4 Inkontinenzbeschwerden (für Gase, für Stuhl) 4 Allergien (Kontakt- und Medikamentenallergien: Sklerosierungsmittel und Lokalanästhetika!), Medikamentenanamnese (Antikoagulanzien!) 4 Schwangerschaft, Diabetes mellitus, früher durchgemachte Krankheiten und Eingriffe im Analbereich ! Bei jeder proktologischen Untersuchung sollte an die Möglichkeit eines Rektumkarzinoms gedacht werden. Neben Fragen nach Blutungen und Änderungen von Stuhlfrequenz und -kontinenz muss daher nach Darmkrebs in der Familie gefragt werden (familiäre Polypose!).
Klinische Untersuchung. Inspektion: Die Inspektion erfolgt in Knie-Ellenbogenlage, Seitlage links oder der (meist bevorzugten) Steinschnittlage (SSL). Bei guter Beleuchtung werden die Nates auseinander gezogen und die Aftergegend inspiziert. Hat der Patient beim Entfalten des Anus heftige Schmerzen, muss eine akute
523 13.3 · Die häufigsten Veränderungen im Analbereich
13
Analfissur vermutet werden – die digitale oder instrumentelle Untersuchung muss dann in örtlicher Betäubung erfolgen. Man fordert nun den Patienten zum Pressen und zur aktiven Sphinkterkontraktion auf, um einen nicht fixierten Prolaps sichtbar werden zu lassen bzw. die Sphinkterfunktion grob zu beurteilen. Deren genauere Einschätzung ermöglicht die anschließende digitale Untersuchung; hierbei wird der Ruhetonus sowie die Willküraktivität der Mm. puborectalis und sphincter ani externus beurteilt. Die Tastuntersuchung ist auch für die Früherkennung von Rektumkarzinomen eminent bedeutsam (ca. zwei Drittel der Rektumkarzinome können so erfasst werden), weiters können entzündliche Infiltrate, Fistelgänge, Polypen und – am Fingerling – Blut (hell? dunkel?) erkannt werden. Die Lokalisation von Veränderungen wird nach dem Ziffernblatt definiert (vordere Kommissur: 12 Uhr in SSL). Auch Prostata bzw. Portio uteri werden beurteilt. Proktoskopie. Diese dient im Wesentlichen dem Nach-
weis innerer und intermediärer Hämorrhoiden (die weder der Digitaluntersuchung noch der Rektoskopie zugänglich sind!). Verwendet werden Proktoskope mit seitlichem Fenster (nach Blond) oder vorne offene Instrumente (nach Morgan). Die Proktoskoptuben sind 8–15 cm lang und erlauben dadurch eine Beurteilung des Analkanals wie der unteren bis mittleren Rektumabschnitte. Anoskope sind Instrumente mit besonders kurzem Tubus. Bei Fissuren, Kryptitiden und Fisteln kann eine Untersuchung mit dem Analspreizspekulum, einem scherenartig spreizbaren Instrument, notwendig sein; dieses lässt einen besonders guten Einblick in der Längsrichtung auf das jeweils interessierende Segment des Analkanals zu. C A V E
Patienten >40 Jahre und alle jüngeren, bei denen die Symptomatik nach Proktoskopie nicht mit Sicherheit zugeordnet werden kann, müssen zum Ausschluss eines Rektumkarzinoms einer Rektoskopie zugeführt werden. 60% der Dickdarmkarzinome werden zunächst übersehen, weil die Beschwerden auf gleichzeitig bestehende Hämorrhoiden zurückgeführt werden.
13.3
Die häufigsten Veränderungen im Analbereich
Innere Hämorrhoiden Definition, Ätiologie. Innere Hämorrhoiden sind auf-
grund chronisch erhöhten Drucks entstandene hyper-
. Abb. 13.2. Vereinfachtes Schema der pathogenetischen Zusammenhänge im Bereich des anogenitalen Kontinenzorgans
trophe und fibrosierte Konvolute des Corpus cavernosum recti. Sie sind Ausgangspunkt eines Spektrums weiterer krankhafter Veränderungen des Analbereichs (. Abb. 13.2). Epidemiologie. Ein zivilisationsbedingtes Massenleiden (ca. ein Drittel der Gesamtbevölkerung) ohne Geschlechts- oder ethnische Disposition, die Manifestation erfolgt meist im 2. Lebensdrittel. Pathogenese. Am Anfang stehen Fehlregulationen der Defäkation. Chronische Obstipation, seltener Diarrhöen, unregelmäßige Stuhlgewohnheiten, Laxanzienabusus etc. führen zu habituellen Defäkationsversuchen unter forcierter Bauchpresse bei nichterschlafftem M. sphincter ani internus. Da in dieser Situation die wesentlichen venösen Abflüsse gedrosselt sind, resultiert ein Überdruck im Corpus cavernosum recti, der zu dessen Ausweitung und Hypertrophie, reaktiver Fibrose und schließlich zur Zerstörung des M. canalis ani führt. Erstmanifestation sind halbkugelig prominente Hämorrhoidalknoten an den Mündungsstellen der arteriellen Zuflüsse (3, 7 und 11 Uhr in SSL). Bei Fortschreiten weiten sich die Hämorrhoidalknoten nach kaudal in das Anoderm aus (»intermediäre Hämorrhoiden«) (. Abb. 13.3). Folgen: Verlust der Feinkontinenz (Analkanal wird für Schleim etc. durchlässig, Entstehung des Analekzems), und die bislang kaum bemerkten Hämorrhoiden werden schmerzhaft (Anoderm ist hochsensibel!). Dies führt bei der Defäkation
524
Kapitel 13 · Proktologie
pen, Perianalvenenthrombose, Marisken, Analkarzinom. 4 Im 3. Stadium sind die Hämorrhoiden permanent prolabiert und können nur mehr manuell bzw. überhaupt nicht mehr (4. Stadium) reponiert werden. Der Prolaps unterhält einen ständigen Schleimfluss aus dem Analkanal (Folge: Pruritus ani, Analekzem). Schmerzen und Blutung kommen noch vor, die subjektiven Hauptbeschwerden ergeben sich jedoch aus der gestörten Kontinenz. Therapie. Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie ist entsprechende Stuhlregulierung (ohne Laxanziengebrauch; ballaststoffreiche Ernährung, reichlich Flüssigkeitszufuhr). Die eigentliche Behandlung erfolgt stadiengerecht durch Sklerotherapie, Gummibandligatur oder Operation. . Abb. 13.3. Stadieneinteilung der inneren Hämorrhoiden
zu reflektorischen Spasmen des M. sphincter ani internus und schädigt dessen Erschlaffungsfähigkeit weiter (Circulus vitiosus). Dehnen sich die Hämorrhoiden noch mehr nach kaudal aus, prolabieren sie vorerst vorübergehend, später irreversibel. Fibrosierung setzt ein; durch sie wird der venöse Abfluss stark behindert, der M. canalis ani zerstört, und die Architektur des gesamten Analkanals beeinträchtigt. Symptomatik. Innere Hämorrhoiden sind durch die
13
Hauptsymptome von rezidivierender Blutung und perianalem Pruritus gekennzeichnet. Ein Prolapsgefühl kann ab dem 2. Stadium auftreten. 4 1. Stadium: lediglich Abgang von hellrotem Blut, meist als Schmierblutungen, selten starke, spritzende Blutungen; bei längerem Verlauf Eisenmangelanämie. Die Hämorrhoiden sind weder bei Inspektion noch durch digitale Palpation des Analkanals feststellbar (Knoten weich und ausdrückbar!); die Diagnose kann nur proktoskopisch gestellt werden. Der Tonus der Analmuskulatur ist unauffällig. 4 Im 2. Stadium erscheinen die Knoten beim Pressen in der Analöffnung, ziehen sich jedoch spontan wieder zurück (auch hier Diagnose durch Proktoskopie!) – Gefahr der Inkarzeration eines prolabierten Hämorrhoidalknotens (»akuter Hämorrhoidalvorfall«): ein extrem schmerzhafter, sich schnell entwickelnder praller Knoten (venöse Drosselung, Ödem, Thrombose). Im Lauf einiger Tage Abklingen der Entzündung, Organisation des Thrombus und spontane Reposition, oder aber Progression in Gangrän, Abszess und Verjauchung. Differenzialdiagnose: prolabierende Anal- oder Rektumpoly-
C A V E
Die häufig durchgeführte Behandlung mit diversen Salben und Zäpfchen bringt bestenfalls passagere Linderung, führt nicht selten zu Kontaktallergien und ist als Therapiekonzept ungeeignet. Fast jeder proktologische Patient kommt mit der selbst gestellten Diagnose »Hämorrhoiden« zum Arzt. Verschreibung von Hämorrhoidalzäpfchen ohne exakte Untersuchung ist abzulehnen.
Sklerotherapie. Die heute am weitesten verbreitete »kausale« Behandlung. Sie wird im Stadium 1 (Erfolgsquote 90%) und im Stadium 2 (Erfolgsquote 25%) angewendet. Ziel der Behandlung ist nicht (wie bei Verödung von Varizen) die Induktion einer Intimareaktion, sondern Erzeugung einer Fibrose um die Gefäße, die den arteriellen Zustrom drosselt. Das Verödungsmittel wird entweder kranial der Hämorrhoidalknoten (Methode nach Blanchard) submukös, oder direkt in dieselben verabreicht (Methode nach Roschke). In der Regel sind 4–8 Sitzungen in mehrwöchigen Intervallen vorgesehen. Durchführung: s. Lehrbücher der Chirurgie. Kontraindikationen: Akute entzündliche Prozesse, starke Schmerzen und Restinfiltrate nach vorausgehender Injektion, Allergie gegen das Verödungsmittel, Antikoagulanzien- und hochdosierte Steroidtherapie, Schwangerschaft. Komplikationen (Nekrosen, Ulzera, Abszesse, Fisteln) sind bei richtigem Sitz der Injektion außerordentlich selten. Alternative zur Sklerotherapie im Stadium 2 ist die Gummibandligatur (cave: Latexallergie). Andere Behandlungsmethoden wie Infrarotkoagulation (wenig wirksam) oder Kryotherapie (hohe Komplikationsrate) haben sich nicht durchgesetzt.
525 13.3 · Die häufigsten Veränderungen im Analbereich
13
Hämorrhoidektomie. Hämorrhoiden im 3. und 4. Sta-
dium können meist nur operativ erfolgreich behandelt werden; am häufigsten geübt war bis vor kurzem die Operation nach Milligan-Morgan, die bei zirkulärem Hämorrhoidalprolaps immer mehr von der StaplerHämorrhoidektomie nach Longo verdrängt wird (dauerhafter Erfolg, weniger postoperative Schmerzen). In einigen Zentren wird eine dopplersonographisch geleitete Ligatur der Hämorrhoidalarterien durchgeführt. Alle diese Methoden gehören in die Domäne der Chirurgie. Analekzem Epidemiologie, Ätiologie. Ekzeme des Anoderms, der
Anal- und Perianalhaut sind das häufigste proktologische Zustandsbild überhaupt, sind von polyätiologischer Natur und können fast alle übrigen anorektalen Krankheitsprozesse begleiten (. Übersicht, . Abb. 13.4). Man unterscheidet ein akutes (»Wolf«) und ein chronisches Analekzem; ersteres entsteht meist durch episodische exogene Reize (mangelnde Hygiene, Schwitzen, Durchfälle, Reiben), letzteres durch Sekretion aus dem Analkanal im Rahmen der Hämorrhoidalkrankheit. Das chronische Analekzem kann notorisch quälend und therapieresistent sein. Häufig sucht der Patient den Arzt erst nach längerer Selbstbehandlung auf (meist mit Kortikosteroid-Mischpräparaten).
Ursachen des Analekzems 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Hämorrhoiden Hämorrhoidal-, Analprolaps Marisken Chronische Analfissur Analpolypen Analfisteln Anorektale Tumoren Darmparasiten Falsche Hygiene (zu viel, zu wenig) Trichteranus Kontaktallergie (z. B. Duftstoffzusatz im WC-Papier)
Pathogenese. Der wesentliche Faktor ist die Störung
der Feinkontinenz bei inneren Hämorrhoiden, die eine ständige Befeuchtung der Analhaut bedingt (Symptom des feuchten Afters). Zusammen mit Stuhlresten und dem neutralen pH der Perianalregion führt dies zu exzessiver regionaler Keimvermehrung, darunter auch Kandida (aus dem Darmtrakt). Folgen: Mazeration, Irritation und Juckreiz, Ekzematisation und Lichenifikation. Prädisponierende Faktoren sind der Trichteranus,
. Abb. 13.4. Chronisches Analekzem. Beachte Lichenifikation
starke Behaarung (erschwerte Hygiene), Schwitzen und sitzende Tätigkeit. Symptomatik. Rötung, Lichenifikation, häufig Erosionen und Rhagaden der Anal- und Perianalhaut. Im akuten Stadium überwiegt Brennen, im chronischen Juckreiz. Typisches anamnestisches Symptom: Wäscheverschmutzung (Schleim, Sekret, Kotreste) und Blutreste am Papier (Kratzen!). Therapie. Dauerhafte Ausheilung ist nur nach Ausschal-
tung der Ursachen möglich, d. h. des Hämorrhoidalleidens bzw. der in der . Übersicht genannten Faktoren. Kortikoidhaltige Externa sind meist schlagartig wirksam, dürfen aber nur kurzfristig angewendet werden (durch Okklusionseffekt besonders starke Wirkung, Atrophie der Analhaut und mögliche Perpetuation der Symptomatik). Wichtig ist eine ausführliche Anleitung zur Analhygiene: nach der Defäkation Waschen mit Wasser ohne Seife statt Toilettenpapier, Pflege mit rückfettenden Externa (Vaseline). Übertriebene Pflege durch zu häufiges Waschen sollte unterbleiben. Feucht-Toilettenpapier ist vorteilhaft, alkoholhaltige Produkte (irritierend) und solche mit Duftstoffen (allergisierend) sollen jedoch gemieden werden.
526
Kapitel 13 · Proktologie
! Hinweise zur Analhygiene sollen dem Patienten spontan gegeben werden, da er aus falscher Scheu diesbezügliche Fragen meist unterlässt.
Differenzialdiagnose. Inverse Psoriasis (scharfe Begrenzung, zwickelförmige Ausdehnung nach sakral), extramammärer Morbus Paget (Biopsie bei Therapieresistenz von Analekzemen!), Kandidamykose (Pilzbefund!), anale intraepitheliale Neoplasie (AIN).
Pruritus ani Ursachen wie bei Analekzem, doch fehlen sichtbare äußere Veränderungen. In diesen Fällen ist es besonders notwendig, den Patienten durch den Ausschluss eines Malignoms zu beruhigen. Mögliche psychische Komponenten müssen erwogen werden (Pruritus ani und genitalis sine materia sind häufige Menopausebeschwerden!). Bei Kindern Ausschluss einer Oxyuriasis (Klebestreifentest). Marisken (Analläppchen, -falte, -karunkel) Epidemiologie. Harmlose und sehr häufige (im Senium bis 80%) fibromatöse Falten an der Linea anocutanea. Symptomatik. Marisken werden oft fälschlich als
»äußere Hämorrhoiden« bezeichnet. Unterscheidung: Marisken füllen sich beim Pressen nicht. Sie verursachen nur selten Beschwerden (Juckreiz, Analekzem), v. a. wenn sie wegen ihrer Größe die Analhygiene erschweren.
die Analöffnung zu erreichen) bewirken v. a. Defäkationsbehinderung, Bolusgefühl, Unterbauchkrämpfe, Blutungen und Schleimabsonderung. Die Diagnose wird proktoskopisch gestellt (pressen lassen!). Die Therapie ist stadiengerecht, vorerst konservativ (Stuhlregulierung, Meiden von Pressen bei Defäkation). Bei Kleinkindern ist ein Rektumprolaps nicht selten und besitzt gute Spontanheilungstendenz; im Erwachsenenalter ist hingegen häufig die operative Fixierung notwendig (Rektopexie). Rektumprolaps Grad III (zirkulärer externer Prolaps) ist aufgrund der möglichen Inkarzeration und Schwellung ein akuter Notfall und muss immer operiert werden. Eine bei Behinderungen der Defäkation (Beckenbodensenkung, Prolaps, Inkontinenz u. a. m.) sehr aussagekräftige präoperative Untersuchung ist das Defäkogramm, eine dynamische Röntgenuntersuchung, bei der der Defäkationsvorgang mit Bariumfüllung dokumentiert wird. Analprolaps Ein meist gleichzeitig mit Hämorrhoiden im 4. Stadium auftretender Prolaps der Analschleimhaut. Solange dieser reponibel ist, kann die Gummiringligatur versucht werden, ansonsten Hämorrhoidektomie. Komplikation: inkarzerierter Analprolaps, evtl. mit Fortschreiten in Gangrän. Differenzialdiagnose: Rektumprolaps (größer, die gesamte invaginierte Darmwand ist zirkulär vorgestülpt). Perianalvenenthrombose
13
Therapie. Ihre Entfernung ist nur in Ausnahmefällen
Definition, Ätiologie. Akute Thrombose von subku-
nötig (Abtragung in Lokalanästhesie mit Skalpell oder Elektroschlinge; einzeitige Behandlung der gesamten Zirkumferenz birgt die Gefahr von Analstenosen!). Nähte sind auch bei relativ großen Wundflächen zu vermeiden – Gefahr der Taschen- und Fistelbildung. Offene Wunden im Analbereich heilen erstaunlich gut ohne Superinfektion ab!
tanen und unter dem Anoderm verlaufenden Venen der äußeren Analregion. Ein häufiger Zustand; auslösende Faktoren: forcierte Defäkation, Obstipation oder Diarrhoe, körperliche Anstrengung. Fälschliche Bezeichnung: »entzündeter Hämorrhoidalknoten«.
Differenzialdiagnose. Condylomata acuminata, Anal-
karzinom, hypertrophe Analpapille. Rektumprolaps Unter Rektumprolaps versteht man den Vorfall von Anteilen des Mastdarms durch den After. Er tritt häufiger bei Frauen auf, seine Ursachen sind multifaktoriell: multiple vaginale Entbindungen mit Inkontinenz, chronische Obstipation, Störungen der Innervation des Beckenbodens. Rektumprolaps Grad I (innerer Prolaps: Intussuszeption des Rektums oberhalb des Analkanals) und Grad II (Intussuszeption bis in den Analkanal, ohne
Symptomatik. Ein meist sehr schmerzhafter, bis pflau-
mengroßer, bläulich durchscheinender perianaler Knoten, der den Patienten bis zur Gehunfähigkeit behindern kann (. Abb. 13.5). Im subakuten Stadium lässt die Schmerzhaftigkeit nach, spontane Rückbildung innerhalb einiger Tage bis Wochen. Rezidive sind häufig (Prophylaxe: Sklerosierung der Hämorrhoiden!). Komplikationen: Spontanperforation, Blutung. Differenzialdiagnose. Perianaler Abszess oder Fistel,
Mariske. Therapie. Konservativ (systemische und lokale Antiphlogistika, Bettruhe, kühle Kompressen). Umgehende Erleichterung schafft die Inzision in Lokalanästhesie;
527 13.3 · Die häufigsten Veränderungen im Analbereich
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ferenzialdiagnose: Rhagade (weniger tiefreichend, weniger schmerzhaft, diffus brennend, bei Analekzem), syphilitischer Primäraffekt, Analkarzinom, Morbus Crohn. Therapie. Die konservative Therapie der akuten Fissur erfolgt mit 2% Nitroglyzerin- oder Nifedipinsalbe (Entspannung des inneren Schließmuskels – Nebenwirkung: Kopfschmerzen), Injektionen eines Lokalanästhetikums in den Fissurgrund; Selbstanwendung eines Analdehners über einige Wochen. Bei der chronischen Fissur sind operative Fistelspaltung oder Fissurektomie meist unumgänglich (Spätkomplikation: Inkontinenz im Alter). Die Injektion von Botulinum-Toxin wird zunehmend bei Patienten >50 Jahre bevorzugt; diese vermeidet das Risiko der Inkontinenz, ist aber weniger wirksam. . Abb. 13.5. Perianalvenenthrombose. Ein entzündlicher, bläulich durchschimmernder schmerzhafter Knoten knapp seitlich des Anus. Nebenbefund: eine zapfenartige Vorbotenfalte
die Koagula sollten jedoch immer mit dem scharfen Löffel zur Gänze entfernt (bei gekammerten Thrombosen schwierig) oder mit der Diathermieschlinge abgetragen werden. Analfissur (Afterriss)
Hypertrophe Analpapille (Analpolyp, Katzenzahn) Fibromatöse Reaktion einer (oder mehrerer) Analpapillen bei chronischer Entzündung (Proktitis, Kryptitis, Hämorrhoiden, Analfissur etc.): breitbasige oder gestielte bis nussgroße, rötlich-weißliche Knoten an der Linea dentata. Keine maligne Entartung (im Gegensatz zu Rektumpolypen!). Chirurgische Abtragung nur bei Beschwerden (größere Polypen: bei Defäkation schmerzhaft, können prolabieren, Störung der Feinkontinenz). Differenzialdiagnose: Rektumpolyp, Condylomata acuminata, Analkarzinom.
Definition, Ätiologie. Ein ovaläres, tiefes (bis in die
Fasern des M. sphincter ani internus reichendes) Ulkus des Anoderms distal der Linea dentata.Die Ursachen sind multifaktoriell: meist liegen innere Hämorrhoiden vor, das Ulkus entsteht durch mechanische (harter Stuhl) oder Entzündungsreize (Perianalvenenthrombose, Kryptitis etc.). Etwa 80% der Fissuren liegen bei 6 Uhr in SSL. Symptomatik. Die akute Analfissur ist das schmerzhaf-
teste Zustandsbild der Proktologie; meist im Lauf einer forcierten Defäkation kommt es neben (meist geringer) Blutung zu einem heftigen, mehrere Stunden anhaltenden krampfartig-stechenden Schmerz, der zur spastischen Sphinkterkontraktion und Stuhlverhaltung (aus Angst) führt (Circulus vitiosus!). Die akute Fissur kann spontan oder unter konservativer Therapie heilen. Anderenfalls geht sie in die subakute bzw. chronische Analfissur über – diese ist weit weniger schmerzhaft, führt jedoch reaktiv zur Entwicklung einer so genannter Vorpostenfalte am analen Ende der Fissur (Mariske), und zu einer hypertrophen Papille am kranialen. Chronische Analfissuren haben keine Selbstheilungstendenz; sie sind Ausgangspunkt von Analfisteln. Dif-
Kryptitis Definition. (Abszedierende) Entzündung der Morgagni-Krypten. Ein häufiges Zustandsbild, meist mit inneren Hämorrhoiden assoziiert und Ausgangspunkt von Analfisteln. Pathogenese. In die taschenartigen Morgagni-Krypten (s. o.) münden die Proktodäaldrüsen in einem kranialwärts spitzen Winkel – eine ungünstige anatomische Situation, die zum Eindringen von Kot und Sekretstau prädisponiert. Mögliche Folge: abszedierende Entzündung der Krypte mit Ausbreitung entlang der Drüse. Abhängig von der individuellen Tiefe und Verzweigung des Drüsenkörpers können sich verschieden lokalisierte Fisteln im submukösen Raum und den Logen der Sphinktermuskel bilden (s. u.). Differenzialdiagnose. Submuköse und intersphinktäre Analabszesse, Analfissur, anorektale Gonorrhoe. Symptomatik. Die Kryptitis bleibt oft lange unbemerkt; erst bei Abszedierung stellen sich dumpf stechende Schmerzen im tiefen Analbereich ein (bei und nach De-
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Kapitel 13 · Proktologie
. Abb. 13.6. Schematische Darstellung der verschiedenen Analfisteltypen. 1 Pelvirektale Rektumfistel; 2 intersphinktäre Fisteln: 2a intersphinktärer inkompletter Nebengang, 2b suprasphinktäre Fistel; 3 transsphinktäre Fisteln: 3a atypischer Ver-
lauf, 3b hohe Variante, 3c ischiorektales Resthöhlensystem; 4 intrasphinktäre Fisteln: 4a subkutan, 4b submukös, 4c inkomplett, submukös
fäkation, häufig auch Intervallschmerz). Die schmerzhafte Stelle kann bei Palpation meist genau lokalisiert werden.
reich, Sitzbeschwerden, Fieber und Krankheitsgefühl. Bei Fisteln zusätzlich ständige eitrig-seröse Sekretion und rezidivierende Entzündungsschübe durch Sekretstau. Der Verlauf ist chronisch progredient, Spontanheilung ist nicht zu erwarten.
Diagnostik. Proktoskopie und retrograde Sondierung
der Krypte mit der Hakensonde.
13
Diagnostik. Proktoskopie und Sondierung. Therapie. Sanierung der Hämorrhoiden; konservative
Therapie mit adstringierenden Suppositorien, Analtampons. Bei Therapieresistenz Kryptotomie oder Kryptektomie.
Differenzialdiagnose. Morbus Crohn und Colitis ulce-
rosa (ausgedehnte, meist atypisch gestaltete Fisteln). Therapie. Abszesse werden breit inzidiert und sorgfäl-
Analabszess, Analfisteln Definition. Diese nicht seltenen Krankheitsbilder umfassen abszedierende Entzündungen verschiedener Lokalisation im submukösen und muskulären Raum des Analbereichs, die von einer Kryptitis ausgehen. Sie liegen meist dorsokaudal und submukös bzw. intersphinktär (. Abb. 13.6). Fisteln unterscheiden sich von Abszessen durch ihre gangartige Ausbreitung ohne (inkomplette Fistel) oder mit (komplette Fistel) Perforation zur Perianalhaut. Fuchsbauartig verzweigte Gänge kommen vor (nur bei solchen ist eine radiologische Kontrastmitteldarstellung zweckmäßig). Symptomatik. Abszesse bewirken dumpfe, klopfende und drückende, meist heftige Schmerzen im Analbe-
tig nach Vorhandensein inkompletter Fisteln sondiert. Ungenügende Inzision fördert Fistelbildung! Fisteln müssen durch vollständige Exzision aller Gänge saniert werden (keine Stichinzisionen!). Eine oft nützliche Technik ist die Fadendrainage: ein Faden wird durch den Fistelgang gelegt, im Anallumen zu einem Ring verknotet und belassen. Es kommt zur Drainage und Reinigung des Fistelgangs; nach einigen Wochen wird der mit dem Faden markierte Fistelgang operativ saniert. C A V E
Alleinige Antibiotikabehandlung von Analabszessen und -fisteln ist erfolglos. »Reifen lassen« von Abszessen führt zur Ausbreitung und ist daher kontraindiziert.
529 13.4 · Krankheiten des Rektums und Kolons
Sakraler Pilonidalsinus/zyste (Synonym Sakraldermoid) Definition. Akute oder chronische abszedierende Entzündung in der Subkutis der Rima ani bzw. Mittellinie der Kreuzbeinregion, vorwiegend bei Männern im 2.–3. Lebensjahrzehnt.
13
nomen!) selten; meist handelt es sich um mit »Highrisk«-HPV assoziierte Plattenepithelkarzinome, seltener um verruköse Karzinome, Basaliome, extramammären Morbus Paget und kloakogene Karzinome. Auftreten fast stets im höheren Lebensalter. Symptomatik. Knotige, derbe Läsionen, im späteren
Ätiologie. Ursache: meist Haare, die durch Reiben ab-
brechen und unter die Epidermis gestochen werden. Es bildet sich ein Fremdkörpergranulom, das abszedieren bzw. fistulieren kann. Begünstigende Faktoren: starke Behaarung, Adipositas, Hyperhidrose, unzureichende Hygiene. Der Pinoidalsinus kann lebenslang asymptomatisch bleiben, eine Spontanheilung wird in der Regel nicht beobachtet.
Verlauf ulzerierend. Die Symptome sind oft uncharakteristisch, bei Sitz im Analkanal bleiben die Analkarzinome nicht selten vom Patienten unbemerkt. Im fortgeschritteneren Stadium Fremdkörpergefühl, Juckreiz oder Schmerzen, Nässen, Analekzem, Defäkationsstörungen und Blut am Stuhl. Differenzialdiagnose. Marisken, Condylomata acumi-
nata, chronische Analfissur, Melanom. Therapie. Im akuten Stadium Inzision, nach Abklingen
der Entzündung radikale Exzision. Condylomata acuminata (Feigwarzen) und Condylomata plana Definition. Viruspapillome, die vorwiegend durch die »Low-risk«-HPV- Typen 6 und 11 bzw. die »High-risk«HPV-Typen 16 und 18 hervorgerufen werden (7 Kap. 4). Symptomatik, Therapie. Condylomata acuminata
sind Läsionen des Analrings, setzen sich häufig in den Analkanal bis zur Linea dentata fort, können diese aber auch gelegentlich überschreiten. Symptome: Verlust von Feinkontinenz, Analekzem. Therapie: Bei weniger ausgedehnten Kondylomen Lokaltherapie mit Podophyllin, Trichloressigsäure oder Imiquimod. Bei ausgedehnten und tiefsitzenden Läsionen ist die operative Abtragung unumgänglich (elektrokaustisch oder Laserfulguration). Diese sollte stets alle erkennbaren Kondylome umfassen, da ansonsten ein Rezidiv sicher ist. Bei zu ausgiebigen Eingriffen besteht die Gefahr der Analstenose, der allerdings durch konsequente Bougierung begegnet werden kann. Nachbeobachtung wegen Rezidivgefahr! Condylomata plana. Flache, unscheinbare Knötchen
der Anokutangrenze. Übergang in anale intraepithliale Neoplasien (AIN) ist häufig, aus denen nach bis jahrzehntelanger Latenz Analkarzinome entstehen können (s. u.). In Risikopopulationen (HIV-Positive) übertrifft das Analkarzinom die Häufigkeit des Zervixkarzinoms vor Einführung des zytologischen Screenings. Differenzialdiagnose der AIN: Analekzem. Analkarzinom Definition, Epidemiologie. Karzinome des Anoderms
und der Analhaut sind (im Gegensatz zu Rektumkarzi-
Therapie. Analrandkarzinome werden primär exzidiert. Bei Karzinomen des Analkanals hat sich die kombinierte Radio- und Chemotherapie als gleich wirksam, aber weniger eingreifend erwiesen.
Inkontinenz Definition. Inkontinenz bedeutet unkontrollierten Abgang von Gasen (Grad I), Flüssigkeit (Grad II) und Stuhl (Grad III). Sie kommt besonders häufig bei älteren Frauen vor. Prädisponierende bzw. ursächliche Faktoren sind: Analoperationen (Analkarzinom), traumatische Geburten, Verletzungen im Analbereich; Analprolaps, Querschnittläsion, chronische Obstipation. Therapie. Aktives Schließmuskeltraining (Beckenbodentraining) führt häufig zur Besserung (sollte bei Risikopatienten schon in mittleren Lebensjahren begonnen werden!). Bei mangelndem Erfolg sind chirurgische Maßnahmen angezeigt. Diese umfassen neben rekonstruktiven Eingriffen nach Verletzungen verschiedene Raffungstechniken, die Schaffung eines »Neosphinkters« mittels des verlagerten und elektrostimulierten M. gracilis oder durch künstlichen Ersatz. Ultima ratio: Anus praeter. Allen Operationen muss eine neurologische Untersuchung, anale Sonographie, MRT, Elektromyographie und eine digitale und apparative Messung des Resttonus des Sphinkters (Anomanometrie) vorausgehen.
13.4
Krankheiten des Rektums und Kolons
Diese Krankheiten gehören zum Fachgebiet der Gastroenterologie bzw. Chirurgie und werden hier nur überblicksmäßig behandelt.
530
Kapitel 13 · Proktologie
Proktitis. Entzündungen des unteren Rektums sind ein nicht seltenes polyätiologisches Zustandsbild. Mögliche Ursachen sind Infektionen (z. B. Herpes simplex, Amöbenruhr, Dysenterie, Gonorrhoe etc.), Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, Störungen der Darmflora (Antibiotikaproktitis – Tetrazykline!) sowie Röntgenbestrahlung maligner Tumoren im Urogenitalbereich (Strahlenproktitis). Unabhängig von der Ursache manifestiert sich die Proktitis mit schleimig-blutigen, bisweilen eitrigen Stühlen, Tenesmen und dumpfen Unterbauchschmerzen. Die Diagnostik erfolgt durch Prokto- und Rektoskopie, mikrobiologischem und/oder serologischem Erregernachweis und evtl. Biopsie. Die Therapie richtet sich nach dem Grundleiden. Kolorektale Polypen, Kolon- und Rektumkarzinom:
s. Lehrbücher der Chirurgie bzw. Gastroenterologie.
13
! Ab dem 40. Lebensjahr sind jährlich der fäkale okkulte Bluttest und ab 50 Jahren eine Darmspiegelung in 5-jährlichen Abständen als Vorsorgeuntersuchung empfohlen. Der Dermatologe muss sich bewusst sein, dass auch er eine Anlaufstelle für Patienten mit kolorektalen Karzinomen ist, die ihre Beschwerden fälschlich dem Analbereich zuschreiben.
Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. Diese beiden Sys-
temkrankheiten mit Hauptmanifestation im Ileum und Kolon sind Teilgebiet der Gastroenterologie. Für den proktologisch tätigen Dermatologen stellt sich die Aufgabe, Indizien für diese Krankheiten zu erkennen. Solche sind häufige, blutige, schleimige Durchfälle, abdominelle Schmerzen, Tenesmen, Systemsymptome (Krankheitsgefühl, Kachexie, Anämie), rektale Blutungen. Bei der Untersuchung des Darms finden sich im Anal-, v. a. aber im Rektalbereich entzündliche Infiltrate, Ulzerationen, Abszesse und Fisteln, Fissuren, Stenosen und gelegentlich Perforationen.
14 14 Andrologie 14.1 Anatomie und Funktion des männlichen Genitales, hormonelle Steuerung der Spermiogenese, Physiologie der Befruchtung – 532 14.2 Ursachen männlicher Fertilitätsstörungen
– 535
14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.2.4
Primäre Hodenschäden – 535 Sekundäre Hodenschäden – 538 Extratestikuläre genitale Störungen – 538 Arzneimittelnebenwirkungen auf Sexualverhalten und Fertilität – 540 14.2.5 Weitere Ursachen der Sterilität – 540
14.3 Andrologische Diagnostik – 541 14.3.1 Klinische Untersuchung – 541 14.3.2 Labordiagnostik – 542
14.4 Therapie männlicher Fertilitätsstörungen
– 545
14.4.1 Operative Therapie – 545 14.4.2 Medikamentöse Therapie – 546 14.4.3 Intrauterine Inseminationen (IUI) und Spermaaufbereitungsverfahren – 547 14.4.4 Andere Methoden der assistierten Reproduktion – 547 14.4.5 Spermakonservierung (Kryosperma) – 547 14.4.6 Therapie der erektilen Dysfunktion – 547 14.4.7 Therapie der Ejaculatio praecox – 548 14.4.8 Therapie der retrograden Ejakulation oder von Emissionsstörungen – 548
14.5 Zum Problem des »Alternden Mannes« – 548 14.6 Kontrazeption beim Mann
– 549
532
Kapitel 14 · Andrologie
Andrologie ist ein interdisziplinäres Fachgebiet der Dermato-Venerologie, Gynäkologie, Urologie, Endokrinologie und Humangenetik. Ihre Schwerpunkte sind: Diagnostik und Therapie von Fertilitätsstörungen, Sexualstörungen einschließlich der erektilen Dysfunktion, Ejakulationsstörungen und Hormonstörungen einschließlich der männlichen Seneszenz. 14.1
Anatomie und Funktion des männlichen Genitales, hormonelle Steuerung der Spermiogenese, Physiologie der Befruchtung
Anatomie und Physiologie des männlichen Genitales und die Physiologie der Befruchtung werden als bekannt vorausgesetzt (s. entsprechende Lehrbücher). Da die jeweiligen Begriffe und Fakten zum Verständnis der Pathologie jedoch unerläßlich sind, werden sie im folgenden Stichwortkatalog zusammengefasst. Männlicher Genitalapparat Hoden (Testes), Adnexorgane (Nebenhoden: Epididymis; Samenleiter: Ductus deferens; Bläschendrüsen: Glandulae vesiculosae, Vorsteherdrüse: Prostata, Cowper-Drüsen); äußeres Genitale (Penis; inkl. Harnröhre: Urethra), Hodensack (Skrotum). Hoden. Ellipsoide Gebilde (Volumen 15–25 ml), die an
14
ihrer Rückseite über 8–12 Ductuli efferentes mit den Nebenhoden verbunden sind. Blutversorgung: Hoden und Nebenhoden werden über die Gefäßranke des Samenstrangs versorgt (A. testicularis und der venöse Plexus pampiniformis). Letzterer geht im Bereich des Leistenrings in die V. testicularis über. Die linke V. testicularis mündet fast senkrecht in die linke Nierenvene, die rechte in spitzem Winkel in die V. cava inferior. Der erweiterte Plexus pampiniformis ist das anatomische Substrat der Varikozele. Hodenkompartimente. Der Hoden besitzt 2 funktio-
nell eng verknüpfte Kompartimente: 4 Tubuluskompartiment (90%): die das Keimepithel tragenden Hodenkanälchen (Tubuli seminiferi); pro Hoden etwa 500 Tubuli (geschätzte Gesamtlänge 150–300 m), die über das Rete testis und die Ductuli efferentes in den Nebenhodenkopf münden. Außen sind die Tubuli von peritubulären Zellen mit kontraktilen Elementen umgeben (Transport in den Nebenhoden). 4 Leydig-Zellkompartiment: Leydig-Zellen im interstitiellen Hodengewebe – ein endokrines Organ (Testosteronbiosynthese)
Keimepithel. Keimzellen in den verschiedenen Stadien der Spermatogenese und Spermiogenese: A- und BSpermatogonien, Spermatozyten I. und II. Ordnung, frühe und späte Spermatiden. Zwei Reifeteilungen (Meiosen) führen zur Ausbildung haploider Gameten. Diese wandeln sich durch Kerndekondensation und Differenzierung von Akrosom und Geißelapparat in reife Spermatiden (testikuläre Spermatozoen) um und verlassen den Verband des Keimepithels (Spermiation). Die Spermatogenese erfolgt in synchronen, in den Tubuli spiralig ablaufenden Wellen. Die Dauer bis zur Spermiation beträgt 74 Tage, die Gesamtdauer bis zum Erscheinen reifer Spermatozoen im Ejakulat 80– 90 Tage. Sertoli-Zellen. In das Keimepithel eingebettete Stützund »Ammen«-Zellen. Funktionen: Regulation und Aufrechterhaltung der Spermatogenese durch Synthese von Enzymen, Steroiden, Androgen-bindendem Protein, Inhibin; Blut-Testis-Schranke, Phagozytose. Spermatozoen. Aufbau: längsovaler Kopf (3–5 μm
breit), axial verlaufender Schwanz (Flagellum, 50 μm lang), dazwischen der Hals (Verbindungsstück) und ein Mittelstück (enthält Mitochondrien: Energielieferant). Der Kopf (Zellkern) wird akral zu zwei Drittel vom bläschenförmigen Akrosom bedeckt (enthält verschiedene Enzyme, z. B. Akrosin: Penetrationsenzym für die Zona pellucida der Eizelle). Der Schwanz besteht aus dem Axonem und Längsfasern; das Axonem ist aus 2 zentralen Tubuli und 9 peripheren Tubuluspaaren aufgebaut, die mit radiären Speichen verbunden sind. Die Motilität der Spermatozoen ist Leistung der Dynein-Arme (Proteinstrukturen der äußeren Tubuluspaare). Nebenhoden. Ein Reifungsorgan und Reservoir für die
Spermatozoen. Diese gelangen zunächst in den Nebenhodenkopf (Caput epididymidis), anschliessend den -gang (Ductus epididymidis – ein stark aufgeknäuelter, 3–6 m langer Gang) und den -schwanz (Cauda epididymidis), der sich schließlich in den Ductus deferens (Samenleiter) fortsetzt. Das Nebenhodenepithel hat resorbierende (z. B. tote Spermatozoen, testikuläre Flüssigkeit), und sekretorische Funktionen (Substanzen, die der Reifung der Spermatozoen dienen.) Im Nebenhodengang erlangen die Spermatozoen die Fähigkeit zur Progressivbeweglichkeit und zur Befruchtung (in vivo). Ductus deferens. Ein Gang mit einer starken, dreilagigen Muskelschicht, der gemeinsam mit Gefäßen und Nerven den Samenstrang bildet. Dieser durchläuft den
533 14.1 · Anatomie und Funktion des männlichen Genitales
Leistenkanal, tritt in die Bauchhöhle und erweitert sich in Prostatanähe zur Ampulla ductus deferentis (die den Ausführungsgang der Bläschendrüse aufnimmt) und mündet als Ductus ejaculatorius im Bereich des Colliculus seminalis der Prostata in die hintere Harnröhre. Bläschendrüse. Ein androgenabhängiges paariges Or-
gan (hinter der Prostata, unterhalb der Blase) – ein 5– 12 cm langer, stark gewundener, derber, muskulärer Schlauch. Sein Sekret beträgt ca. 60% des Ejakulatvolumens, ist alkalisch und enthält charakteristische Sekretionsprodukte (z. B. Fruktose). Prostata. Ein muskelreicher, kastanienförmiger Drüsenkörper; durch ihn zieht die Harnröhre und nimmt im Bereich des Colliculus seminalis die zahlreichen Ausführungsgänge der Prostatadrüsen auf. Das Prostatasekret (Tagesproduktion 0,5–2,0 ml) stellt ca. 30% des Seminalplasmas, findet sich überwiegend in der ersten Ejakulatfraktion, ist sauer und enthält spezifische Substanzen (Spermin, Spermidin, saure Prostataphosphatase, Proteasen), daneben antibakterielle Substanzen u.a.
14
Ejakulation. Diese läuft zeitlich koordiniert in 3 Phasen ab. Emissionsphase: Entleerung der Samenspeicher (Nebenhoden) und der Sekrete der akzessorischen Geschlechtsdrüsen in die hintere Harnröhre (Vermischung!) – Auslösung durch sympathische Nervenfasern aus dem spinalen sympathischen Emissionszentrums (T11–L2). Parallel dazu der ebenfalls sympathisch gesteuerte reflektorische Blasenhalsschluss (Verhinderung der retrograden Ejakulation). Die antegrade Ejakulation kommt durch klonische Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur und der quergestreiften Mm. ischiocavernosi und bulbocavernosi zustande – Steuerung über das parasympathische Ejakulationszentrum. Testosteron (T)-Synthese. Diese findet in den Leydig-
zellen statt und setzt ein intaktes Hypothalamus-Hypophysenvorderlappen-Gonadensystem voraus; die Regulation erfolgt über negative Feedback-Mechanismen. Innerhalb des Tubulus/Leydigzell-Apparats existiert ein komplexes endokrines Feinregulationssystem – parakrine Modulation.
Penis. Dieser besteht aus den paarigen, an den Ossa
Endokrine Steuerung der Gonadenfunktionen. Diese
ischii fixierten Corpora cavernosa und dem die Urethra umhüllenden Corpus spongiosum. Die Corpora cavernosa sind aus glatter Muskulatur und Kollagengewebe aufgebaute blutgefüllte Hohlräume, die von einer fibrösen Hülle (Tunica albuginea) umgeben sind. Arterielle Versorgung: Aa. profundae penis, zum kleineren Teil Aa. dorsales penis.
erfolgt durch gonadotrope Hypophysenvorderlappenhormone: die endokrine Funktion (Steroidogenese: Leydigzell-Kompartiment) durch das luteinisierende Hormon (LH), die exokrine (Spermatogenese: Tubulus-Kompartiment) durch das follikelstimulierende Hormon (FSH). Die Wirkung der Hypophysenhormone wird über LH-Rezeptoren an den Leydigzellen bzw. FSH-Rezeptoren an den Sertolizellen vermittelt. Die Sekretion von LH und FSH wird durch das Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) (Hypothalamus) gesteuert. Gegenregulation von LH: T, Dihydrotestosteron (DHT) und Östradiol (E2); Gegenregulation von FSH: Inhibin (ein Proteohormon der Sertolizellen).
Funktionen Erektion. Diese wird parasympathisch über die Nervi
pelvici (Nn. erigentes) aus dem Sakralmark (S2–S4: parasympathisches Erektioszentrum) gesteuert. Die Erektion kann sowohl reflexogen (lokale Reizung) als auch psychogen aktiviert werden. Im ersteren Fall laufen die Impulse über den N. pudendus in das spinale Erektionszentrum, im letzteren über sympathische Fasern der Segmente T11–L2, die über den Grenzstrang und den N. hypogastricus zu den Schwellkörpern laufen. Durch Dilatation der zuführenden Arterien werden die Corpora cavernosa gefüllt → Vergrößerung der Sinusoide durch Relaxation der glatten Muskulatur, Verminderung des venösen Abstroms durch Kompression der ableitenden Venengeflechte. Die Erektion durchläuft fünf Phasen: Elongation (Verlängerung), Tumeszenz (Durchblutungsvermehrung), Erektion (Druck in den Corpora cavernosa 10–20 mmHg unter dem systolischen Blutdruck), Rigidität (Druck über dem systolischen Blutdruck) und schließlich Detumeszenz (Verlust von Größe und Steifigkeit).
Steroid-Biosynthese. Cholesterin wird in Pregnenolon
und dann (auf dem D4- oder D5-Syntheseweg) zu T umgewandelt (. Abb. 14.1). T wird in den Leydigzellen nicht gespeichert, sondern stets de novo synthetisiert (6–7 mg/ Tag). T bzw. Androstendion werden durch eine Aromatase weiter in Östradiol bzw. Östron metabolisiert. T selbst erreicht seine Zielorgane entweder direkt (Tubuli seminiferi, Nebenhoden) oder über den Blutstrom (androgenrezeptorreiche Organe – Skelett, Muskel, Haare, Haut, Larynx, Erythropoese, Genitale); Wirkungen auf Libido und Potenz. Im Blut wird T an Albumin (40%) oder das in der Leber synthetisierte Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) (>50%) gebunden, 2% bleibt ungebunden (frei) – nur dieses ist biologisch aktiv.
534
Kapitel 14 · Andrologie
14
. Abb. 14.1. Steroid-Biosynthese in den Leydigzellen (nach Nieschlag und Behre 2000)
Wirkungen von T in den Zielzellen. T dringt ohne ak-
Physiologie der Befruchtung. Nach der Spermiation
tiven Transport in die Zelle ein und wird hier entweder an einen zytosolischen Androgenrezeptor gebunden (der Hormon-Rezeptor-Komplex dringt in den Zellkern ein und initiiert DNA- und RNA-Synthese) oder durch die 5-α-Reduktase zu DHT umgewandelt (höhere Rezeptoraffinität).
gelangen die testikulären Spermatozoen in den Nebenhoden, in dem sie während ihrer Passage reifen: ihre volle (in-vivo-) Befruchtungsfähigkeit erlangen sie erst im Nebenhodenschwanz. Die Vermischung des spermatozoenhaltigen Nebenhodensekrets mit den Sekreten der akzessorischen Geschlechtsdrüsen zu Beginn
535 14.2 · Ursachen männlicher Fertilitätsstörungen
der Ejakulation bewirkt die Spermakoagulation. Nach (wenigen bis 60) Minuten beginnt unter Einwirkung des Prostatasekrets (Proteinasen) die Sperma-Verflüssigung; Störungen derselben können zur Einschränkung der Fertilität führen. Schon Minuten nach der Ejakulation dringen Spermatozoen in das alkalische Sekret des (als Barriere wirkenden) Zervixmukus ein. Dieser erlaubt nur periovulatorisch den schnellen Durchtritt von Samenzellen in den Uterus, dient gleichzeitig aber auch als Reservoir und Filterorgan für fehlgeformte Spermatozoen. Zervixbarriere und intrauterine leukozytäre Phagozytose bewirken, dass nur ein kleiner Teil der Spermatozoen die Tube erreicht. Während der intrauterinen Wanderung laufen weitere Reifungsprozesse ab: die Kapazitation, ein komplexer mehrstündiger Prozess an der Zellmembran der Spermatozoen, der diese befruchtungfähig macht (Durchdringung des cumulus oophorus) und die Voraussetzung für die anschließende akrosomale Reaktion ist. Unter dieser versteht man Prozesse, die die Samenzelle zur Penetration der Zona pellucida befähigen – Bindung (an das ZP3-Protein der Zona pellucida), Freisetzung des Inhalts des Akrosoms (u. a. Akrosin) nach Ablösung der akrosomalen Membranen. Die Glykoproteine der Zona pellucida werden durch das trypsinähnliche Akrosin gespalten, die Samenzelle dringt mit dem Kopf voran in die Eizelle ein, die postakrosomale Membran der Samenzelle verschmilzt mit der Zellmembran der Eizelle. Der Befruchtungsvorgang wird durch die Kernverschmelzung und Entstehung der Zygote abgeschlossen. 14.2
Ursachen männlicher Fertilitätsstörungen
Die männliche Gonade reagiert empfindlich auf exogene und endogene Noxen mit vorübergehender oder permanenter Unterbrechung der Spermatogenese. Fertilitätsstörungen können jedoch nicht nur Störungen des Hodens, sondern auch aller anderen Anteile des Genitalapparats, der übergeordneten hormonellen Zentren sowie des allgemeinen und psychischen Zustandes zugrunde liegen. Die Schädigungen können genetischer, entzündlicher oder anderer Ursache sein (. Übersicht).
14
Ursachen von Störungen der männlichen Fertilität 4 Primäre Hodenschäden – Angeboren – Erworben 4 Sekundäre Hodenschäden 4 Extratestikuläre Störungen – im Bereich der Nebenhoden oder der ableitenden Samenwege – im Bereich der akzessorischen Geschlechtsdrüsen 4 Arzneimittelnebenwirkungen 4 Umweltnoxen 4 Immunologische Faktoren 4 Psychosoziale Faktoren 4 Infertilität ohne Ursache 4 Impotentia coeundi
14.2.1 Primäre Hodenschäden Unter diesen versteht man Schädigungen, die den Hoden primär und direkt betreffen. Das Tubulus- und das Leydigzell-Kompartiment können einzeln oder kombiniert betroffen sein; daraus resultieren Störungen der exkretorischen bzw. der endokrinen Hodenfunktion oder beider. Störungen des Tubulusapparats (tubuläre Hodeninsuffizienz) können herdförmig oder diffus sein und zur Verminderung bis zum völligen Fehlen der Spermatogenese führen; sie können mit einer kompensatorisch erhöhten Ausschüttung von FSH einhergehen. Bei Zerstörung des Keimepithels sind die Tubuli entweder gänzlich fibrosiert oder enthalten nur noch Sertolizellen. Störungen der Leydigzellfunktion führen zur endokrinen Hodeninsuffizienz mit Androgenmangel; sekundär kommt es zur Störung der Spermatogenese. Angeborene Störungen Chromosomale Anomalien. Die häufigste numme-
rische Chromosomenaberration ist das KlinefelterSyndrom (Prävalenz ca. 1:500), das durch den Karyotyp XXY, Mosaike verschiedener Zell-Linien (47,XXY/ 46,XY) oder mehrere X- oder Y-Chromosomen (z. B. 48,XXXY oder 48,XXYY) gekennzeichnet ist (Entstehung: »Non-Disjunctions« bei der Meiose oder frühembryonalen Mitosen). Nach manchmal verzögerter Pubertät kann sich ein eunuchoider Hochwuchs ausbilden, daneben andere Symptome von Androgenmangel (reduzierte Körperbehaarung, Osteoporose, beidseitige Gynäkomastie, geringe Libido); die Hoden sind ver-
536
Kapitel 14 · Andrologie
kleinert (<5 ml), FSH und LH erhöht (hypergonadotroper Hypogonadismus). Spermiogramm: häufig Azoospermie und Verminderung der Ejakulatmenge (Bläschendrüseninsuffizienz bei Androgenmangel). Infertilität ist nicht obligat, die Spermatogenese kann teilweise erhalten sein. Auch bei Azoospermie können (meist bei Vorliegen eines chromosomalen Mosaiks) in Biopsien noch Inseln von Spermatogenese nachweisbar sein, aus denen Spermatozoen für eine Mikroinjektion gewonnen werden können. Weitere mit gestörter Hodenfunktion einhergehende Chromosomenaberrationen sind: XX-Mann, XYY-Syndrom und Trisomie 21. Translokationen der Autosomen können auch im balancierten Zustand zu Störungen der Spermatogenese oder Neigung zu Frühaborten führen. Mikrodeletion des Y-Chromosoms. Die für die Spermatogenese verantwortlichen Gene liegen in einer als Azoospermie-Faktor (AZF) bezeichneten Region am langen Arm des Y-Chromosoms. Unterregionen von AZF können einzelne Gene zugeordnet werden (z. B. DFFRY auf AZFa, RBM-1 auf AZFb, DAZ auf AZFc), deren Deletionen sich als Azoospermie oder hochgradige Oligozoospermie (<106/ml) manifestieren (Prävalenz 3,5–18% bei Männern mit dieser Symptomatik). Am häufigsten sind Deletionen des DAZ-Gens (»Deleted in Azoospermia«). Spermatozoen mit solchen Deletionen können bei assistierter Reproduktion den Gendefekt an männliche Nachkommen weitergeben. Spermatozoendefekte. Fehlbildungen bestimmter
14
Organellen aller Spermatozoen. Beispiele: 4 Globozoospermie ist durch den Verlust des Akrosoms während der Spermiogenese (und damit Fehlen des Penetrationsenzyms Akrosin) gekennzeichnet. Im Nativ- und Ausstrichpräparat finden sich ausschließlich rundköpfige Spermatozoen (Kugelkopfspermatozoen). 4 Beim Immotile-Cilia-Syndrom fehlen die Dynein-Arme der Schwanzfibrillen (s. o.), es resultiert Immobilität der Spermatozoen bei erhaltener Vitalität. Dieser Defekt ist häufig mit analogen Veränderungen an den Zilien des Bronchialsystems (chronisch-rezidivierende Infekte der oberen Luftwege) und in 50% mit Situs inversus kombiniert (Kartagener-Syndrom). 4 Beim so genannten »Stummelschwanz-Syndrom« (»tail stump syndrome«) sind die Spermatozoenschwänze nur rudimentär angelegt (Verlust der Motilität).
Missbildungssyndrome mit primärem Hypogonadismus. Hierzu gehören z. B. Werner-, Rothmund-Thom-
son-, Bloom-Syndrom u. a. m. Anorchie. Ein- oder beidseitiges Fehlen des Hodens
(leeres Skrotum); bei beidseitiger Anorchie bleibt der Anstieg des Testosteron nach hCG-Gabe aus. Differenzialdiagnose: Kryptorchismus. Hodenhypoplasie. Kongenital abnorm verkleinerte Testes. Zu unterscheiden von erworbenen Hodenatrophien (Folge postpartaler Hodenschädigung, oder Endstadium einer Orchitis). Hodendystopie. Hierunter fallen der Maldescensus
testis und die Ectopia testis. Bei ersterem unterscheidet man den Kryptorchismus (Bauchhoden), den Leistenhoden und den Gleithoden (springt nach Verlagerung ins Skrotum in die Leiste zurück); der Pendelhoden liegt zwar im Skrotum, zieht sich bei Kältereizen oder psychischer Anspannung aber in den Leistenkanal zurück und reponiert sich spontan. Hodenhochstand findet sich bei 4–6% der männlichen Neugeborenen, am Ende des 1. Lebensjahrs nur mehr bei 0,8%. Beim ein- oder beidseitigen Maldescensus testis kann schon primär ein Hodenschaden bestehen (in 40–50% auch beim kontralateralen, normal deszendierten Hoden – »sympathische« Reaktion). Die Inzidenz von Hodentumoren ist erhöht. Bei der Hodenektopie ist der Deszensus in falscher Richtung erfolgt (penil, femoral, krural, perineal oder transversal: 1–2% der Hodendystopien). ! Hodendystopien sind häufig mit anderen Fehlbildungssyndromen (Klinefelter-Syndrom, Noonan-Syndrom) oder hypothalamisch-hypophysären Störungen kombiniert.
Germinalzellaplasie (Del-Castillo-, Sertoli-cell-only-
Syndrom). Dieser Zustand ist durch komplettes oder inkomplettes Fehlen des Keimepithels bei vorhandenen Sertolizellen gekennzeichnet. Die Tubuli seminiferi sind zart, das Interstitium einschließlich der Leydigzellen jedoch unauffällig. Die Ursachen sind vielfältig: sie können angeboren (Mikrodeletionen am Y-Chromosom) oder erworben sein (ionisierende Strahlen, Infektionen). Klinisch: Azoospermie oder hochgradige Oligozoospermie. Spermatozoenarrest. Arretierung der Keimzell-Aus-
reifung auf unterschiedlichen Stufen (Spermatogonien/ Spermatozyten/Spermatiden); Ursachen angeboren oder erworben.
537 14.2 · Ursachen männlicher Fertilitätsstörungen
Störungen der Testosteron-Biosynthese. Eine Gruppe
von Störungen der Virilisierung unterschiedlicher klinischer Ausprägung, die auf autosomal-rezessiven Enzymdefekten der T-Biosynthese beruhen. Das Ausmaß der Störung hängt von der Natur des jeweiligen Enzymdefekts (d. h. von der androgenen Wirksamkeit der vor dem Enzymblock angehäuften Steroide) ab; das klinische Spektrum reicht vom phänotypischen Mann mit Hypospadie bis zum phänotypisch weiblichen Individuum (Pseudohermaphroditismus masculinus). 3Erklärung: Ein Hermaphroditismus verus liegt vor, wenn gleichzeitig testikuläres und ovarielles Gewebe ausgebildet ist. Ein Pseudohermaphroditismus masculinus ist durch ein weibliches bzw. intersexuelles inneres und äußeres Genitale bei männlichem gonadalem und chromosomalem Geschlecht definiert.
5α-Reduktase-Mangel. Ein autosomal-rezessiver inkompletter männlicher Pseudohermaphroditismus, dem eine defiziente Bildung von DHT aus T in den androgenen Erfolgsorganen zugrunde liegt (T-Biosynthese und Bindung von DHT an Rezeptoren jedoch ungestört!). Schwere Entwicklungsstörung des äußeren Genitales mit perineoskrotaler Hypospadie, Mikrophallus, klaffendem labienartigem Skrotum bzw. blind-endender Vagina. Meist besteht ein Leistenhoden, selten finden sich die Hoden in labienartigen Skrotalwülsten. Die Betroffenen werden meist als Mädchen erzogen. Erst nach der Pubertät kommt es bei Einsetzen der T-Biosynthese zur Virilisierung mit Peniswachstum und Hodendeszensus. Gonadendysgenesie (Synonym Stranggonaden: »streak gonads«). Bei diesem Zustand sind Keimzellen nicht nachweisbar, Karyotyp 45,X0 (Turner-Syndrom), 46,XX; 46,XY oder 45,X/46,XY. Der Befall ist bei der »reinen« Gonadendysgenesie beidseits, bei der »gemischten« findet sich einseitig ein noch besser differenzierter Hoden. Die Patienten werden meist weiblich erzogen. Gonadotropin-Rezeptor-Mutationen. Man unterscheidet aktivierende und inaktivierende Mutationen. Inaktivierende LH-Rezeptor-Mutationen führen zur (autosomal rezessiven) Leydigzell-Hypoplasie, die nach der Pubertät in hypergonadotropen Hypogonadismus mündet; die Klinik kann milde oder schwer ausgeprägt sein (von reduzierter Virilisierung und Pubertas tarda bis zum Pseudohermaphroditismus masculinus). Es finden sich reduzierte Hodenvolumina, Infertilität ist aber nicht obligatorisch. Aktivierende LH-RezeptorMutationen führen zur kontinuierlich erhöhten T-Produktion (»Testotoxikose« – Pubertas praecox schon mit 3–4 Jahren, Kleinwuchs; autosomal dominant).
14
Androgen-Rezeptor-Defizienzen. Eine Gruppe X-chromosomal-rezessiver Fehlbildungssyndrome, die durch Androgenresistenz der Zielorgane aufgrund des Fehlens oder von Defekten der intrazellulären Androgenrezeptoren gekennzeichnet ist. 4 Komplette testikuläre Feminisierung (»hairless women«). Weiblicher Phänotyp (Karyotyp 46,XY) mit blind-endender Vagina. Die Hoden liegen intraabdominell oder in den großen Labien. Nebenhoden, Ductus deferens und akzessorische Geschlechtsdrüsen sind nicht angelegt, Virilisierung bleibt aus. 4 Inkomplette testikuläre Feminisierung. Weiblicher Phänotyp mit spärlicher Virilisierung in der Pubertät (Axillar- und Puberalbehaarung, partielle Verschmelzung der Labien, Skrotalwülste, Klitorismegalie).
Weiters werden eine Reihe unterschiedlich ausgeprägter analoger Syndrome als familiärer inkompletter männlicher Pseudohermaphroditismus (Typ I nach Wilson) zusammengefasst. Erworbene Störungen Tubulusinsuffizienz. Diese kann als Folge sehr unterschiedlicher Noxen auf das Keimepithel entstehen (. Übersicht), wobei häufig weder anamnestische noch klinische Anhaltspunkte für die Ursache vorliegen; sie kann reversibel oder irreversibel sein. Die Orchidopathia e varicocele (s. unten) kann außer Schädigung des Keimepithels auch Tubulussklerose und Leydigzell-Insuffizienz zeigen.
Ursachen der Tubulusinsuffizienz 4 Infektionen: – virale: Mumps, Varizella, Masern, Grippe – bakterielle: Lues, Lepra, Morbus Bang 4 Intoxikationen: – Kadmium, Blei, Quecksilber – Herbizide, Pestizide, chlorierte Kohlenwasserstoffe – Genussgifte (Alkohol, Nikotin, Opiate) 4 Traumen: – Verletzungen, Quetschungen, Herniotomie, Orchidopexie 4 Wärmeschäden: – Varikozele, Leistenhoden, schwere Vernarbungen der Skrotalhaut 4 Ionisierende Strahlen 4 Hypoxämie: – Schock, chronische Anämie 6
538
Kapitel 14 · Andrologie
4 Durchblutungsstörungen: – Gefäßverschlüsse, Arteriosklerose, Mikroangiopathien (Diabetes mellitus) 4 Ernährungsstörungen: – Malabsorptionssyndrom, Alkoholismus 4 Medikamente
Hodentumoren. Seminome, Teratokarzinome, Cho-
rionepitheliome u. a. m. sind mögliche Ursachen der Schädigung des Keimepithels, auch beim nichtbefallenen kontralateralen Hoden (»sympathische Reaktion«, wie bei Varikozele und Maldeszensus). 14.2.2 Sekundäre Hodenschäden Diese werden durch Störungen der übergeordneten hormonellen Regulationszentren in Hypothalamus und Hypophysenvorderlappen verursacht. Die Zahl der Krankheitsbilder bzw. der angeborenen oder erworbenen Ursachen ist groß (. Übersicht). Für die klinische Manifestation ist der Zeitpunkt des Auftretens
Ursachen sekundärer Hodenschäden
14
4 Idiopathischer hypogonadotroper Hypogonadismus 4 Kallmann-Syndrom 4 Paqualini-Syndrom 4 Pubertas tarda 4 Prader-Labhart-Willi-Syndrom 4 Partielle Hypophysenvorderlappeninsuffizienz 4 Panhypopituitarismus 4 Hypophysenadenome, z. B. Prolaktinom 4 Hypothalamische Tumoren und Zysten 4 ZNS-Infektionen: – Meningitis – Enzephalitis 4 Inaktivierende GnRH-Rezeptor-Mutationen 4 Schädeltrauma 4 Sarkoidose 4 Hämochromatose 4 Langerhanszell-Histiozytose 4 Bestrahlungen der Hypophyse 4 Anorexia nervosa 4 Hunger, Kachexie 4 Störungen anderer endokriner Drüsen: – Kongenitale Nebennierenrinden-Hypoplasie – Adrenogenitales Syndrom – Hypo-, Hyperthyreose
entscheidend: vor der Pubertät kommt es zum Eunuchoidismus; nach dieser bleiben die Körperproportionen unbeeinträchtigt, doch bilden sich die sekundären Geschlechtsmerkmale (z. B. Terminalbehaarung) zurück, und die initial normale Spermatogenese wird gehemmt (pathologischer Ejakulatbefund mit hochgradiger Oligo- bzw. Azoospermie). Idiopathischer hypogonadotroper Hypogonadismus (IHH) und Kallmann-Syndrom (IHH und Anosmie).
Eine heterogene Gruppe seltener Syndrome, denen eine Störung der hypothalamischen GnRH-Produktion zugrunde liegt. Ursache: Störung der Migration der GnRH- sowie (beim Kallmann-Syndrom) der olfaktorischen Neuronen in den Hypothalamus. Mehrere Mutationen sind bekannt, u. a. KAL-1 (Anosmin), KAL-2 (FGF-R), die Vererbungsmodi sind je nach Mutation verschieden. Durch das Fehlen des GnRH werden auch FSH und LH nicht freigesetzt, es resultiert ein hypogonadotroper Hypogonadismus mit hochgradiger Spermatogenesestörung. Symptomatik: schon präpubertär Hypogonadismus, fehlende oder unvollständige Pubertät, assoziierte Fehlbildungen. Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung. Diese ist die häufigste Ursache einer verzögerten Pubertät (Pubertas tarda) – sie liegt in der Regel vor, wenn bei einem Knaben die Pubertät bis zum Alter von 14 Jahren nicht einsetzt. Wesentlicher Auslösemechanismus der Pubertät ist der Beginn der Freisetzung von GnRH aus dem Hypothalamus; bei der konstitutionellen Verzögerung startet diese biologische Uhr verspätet, der Verlauf der Pubertät selbst ist dann jedoch ungestört. Hyperprolaktinämie. Erhöhtes Prolaktin hemmt die
Sekretion von GnRH und/oder der Gonadotropine und kann daher zu Hypogonadismus oder Störungen der Spermatogenese führen. Häufigste Ursache sind prolaktinproduzierende Hypophysenadenome (Mikroprolaktinome), seltener Tumoren des Hypothalamus (ausbleibende Freisetzung von Dopamin, dadurch fehlende Hemmung der Prolaktinsekretion). Antidopaminerge Medikamente können eine Hyperprolaktinämie auslösen (z. B. Methyldopa, Reserpin), eine mäßiggradige Erhöhung kann stressbedingt sein. 14.2.3 Extratestikuläre genitale Störungen Verschlüsse der ableitenden Samenwege. Verschlüsse
im Bereich der Ductuli efferentes, der Nebenhoden, des
539 14.2 · Ursachen männlicher Fertilitätsstörungen
Samenleiters und der Ductus ejaculatorii führen zur Verschlussazoospermie (ca. 3% der andrologischen Patienten). Bei angeborenen Verschlüssen handelt es sich um Aplasien des Ductus deferens bzw. des Nebenhodens, evtl. auch der Bläschendrüsen (gemeinsame Abkunft aus dem Wolff-Gang!). Angeborene bilaterale Aplasie der Ductus deferentes ist eine Abortivform der zystischen Fibrose mit Azoospermie und evtl. Fehlanlagen der Nieren ohne sonstige Zeichen der CF. Bei Patienten mit zystischer Fibrose liegt in 97% eine bilaterale Aplasie vor. Erworbene Verschlüsse sind meist Folge einer (z. B. gonorrhoischen) Epididymitis, von Traumen oder chirurgischen Eingriffen (Herniotomie). Störungen der Funktionen von Nebenhoden und akzessorischen Geschlechtsdrüsen. Chronisch-entzünd-
liche Prozesse dieser Strukturen (»männliche Adnexitis«) bzw. deren postentzündliche Schädigung (Fibrose) können massive Störungen verursachen, wobei die Symptomatik vom Ort der Entzündung abhängt: 4 Beeinträchtigung der Spermatozoenvitalität (im Extrem Nekrozoospermie): Nebenhoden 4 Beeinträchtigung der Spermatozoenmotilität: Nebenhoden, Prostata, Bläschendrüse 4 Erniedrigung der Seminalplasmafruktose: Bläschendrüse 4 fehlende Spermakoagulation: Bläschendrüse 4 fehlende Spermaverflüssigung: Prostata Transport- und Entleerungsstörungen. Eine Emissionsstörung (Ejaculatio deficiens) liegt vor, wenn der Transport des Nebenhodensekretes aus den Speichern zusammen mit der Entleeerung der Drüsensekrete in die hintere Harnröhre unterbleibt (»trockener Orgasmus«, Aspermie). Ist lediglich der Blasenhalsschluss gestört, resultiert eine retrograde Ejakulation in die Blase. Ursachen der Aspermie: . Übersicht. Ejaculatio praecox bzw. retardata (vorzeitiger bzw. verzögerter Samenerguss) sind keine Ejakulations-, sondern Orgasmusstörungen. Pathologisch-anatomische Veränderungen der Genitalorgane. Missbildungen und entzündliche oder de-
generative Läsionen des äußeren Genitales können den Koitus erschweren und die Deposition des Ejakulats an den Muttermund verhindern. Die häufigsten Fehlbildungen sind angeborene Phimose und Hemmungsmissbildungen: Hypospadie (Hypospadia glandis penis bis zur perineoskrotalen Hypospadie) und die seltenere Epispadie. Erworbene Kohabitationshindernisse sind z. B. Phimose, Balanitis verschiedener Genese
14
Ursachen der Aspermie 4 Angeboren: – Innervationsstörungen – Missbildungen 4 Erworben: – Urethralstrikturen (postinfektiös) – Trauma (Harnröhrenabriss) – Neurogen (Diabetes mellitus, MS, Querschnittlähmung) – Alterungsvorgänge – Mechanische Hindernisse (Prostatahyperplasie, Phimose) – Psychogen – Iatrogen – Balsenhalsstörungen (z. B. nach transurethraler Prostatektomie) – Lumbale Sympathektomie – Retroperitoneale Lympadenektomie – Abdominoperineale Resektionen – Chemische Sympathektomie (Antihypertensiva, Tranquilizer)
(7 Kap. 10), Lichen sclerosus, Schwellkörperverletzungen, Condylomata acuminata, Peniskarzinom und Induratio penis plastica. Induratio penis plastica (IPP). Eine von der Tunica
albuginea ausgehende und auf die Schwellkörper übergreifende Fibrosierung unklarer Ursache an der Dorsalseite des Penis, die zu Verkrümmung bei Erektion führt. Prävalenz ca. 1% der Männer, Inzidenzgipfel bei 50–60 Jahren. Schränkt die Penisdeviation die Kohabitationsfähigkeit ein, stehen operative Verfahren zur Verfügung. Differenzialdiagnose: kongenitale Penisdeviationen. Varikozele. Eine pathologische Erweiterung des Plexus
pampiniformis (in 80–90% linksseitig!), die durch Insuffizienz der V. testicularis bedingt ist. Prävalenz ca. 15% (in der andrologischen Sprechstunde bis zu 40%!), Manifestation um die Pubertät. Klinisch unterscheidet man 4 Grade: 4 subklinische Varikozele (Reflux nur dopplersonographisch fassbar) 4 Varikozele I°: Venenkonvolute nur bei Erhöhung des intraabdominalen Druckes tastbar 4 Varikozele II°: auch ohne Bauchpresse tastbar 4 Varikozele III°: sichtbare Venenkonvolute. In ca. 30% ein pathologisches Spermiogramm. Differenzialdiagnose: Abflussstauung durch Tumoren!
540
Kapitel 14 · Andrologie
3Der Zusammenhang zwischen Varikozele und Beeinträchtigung der männlichen Fertilität ist noch umstritten. Mögliche Ursachen: gestörte Thermoregulation, Reflux von Katecholaminen aus der Nebennierenvene, testikuläre Durchblutungsstörungen durch Rückstau.
14.2.4 Arzneimittelnebenwirkungen auf
Sexualverhalten und Fertilität Arzneimittel können Störungen von Libido, Erektion, Ejakulation und/oder Orgasmus sowie Fertilität des Mannes verursachen. Häufig ist schwer differenzierbar, ob die Störungen durch die Grunderkrankung oder deren medikamentöse Therapie ausgelöst sind. Nebenwirkungen von Arzneimitteln auf das männliche Sexualverhalten
Grundsätzlich ist mit Arzneimittelnebenwirkungen auf sexuelle Funktionen (Potentia coeundi) zu rechnen, wenn die Arzneimittel endokrin wirksam sind, zentralnervöse Angriffspunkte besitzen, mit Dopamin und/ oder Serotonin interferieren, zur Änderung der Prolaktinsekretion führen, die periphere Durchblutung beeinflussen und/oder am peripheren vegetativen Nervensystem angreifen (. Übersicht).
14
3Mechanismen: Östrogene und Gestagene führen über eine Hemmung der Gonadotropinsekretion zur Erniedrigung des T-Spiegels, Antiandrogene zur kompetitiven Hemmung der Androgenrezeptoren am Erfolgsorgan. Hyperprolaktinämie hemmt die Sekretion von GnRH und/oder der Gonadotropine. Psychopharmaka hemmen über zentralnervöse Angriffspunkte, Antihypertensiva bewirken periphere Ganglienblockade und beeinflussen den Sympathikus. Betarezeptorenblocker können zum Abfall der Durchblutung im äußeren Genitale führen.
Nebenwirkungen von Arzneimitteln auf die männliche Fertilität
Eine direkte Proliferationshemmung der Spermatogenese bis zur Azoospermie bewirken Zytostatika, manche Antidepressiva, Antiemetika, Antiepileptika, Antibiotika und Chemotherapeutika in höherer und längerer Dosierung (Nitrofurantoin, Cotrimoxazol, Gentamicin, Salazosulfapyridin). Hormonell aktive Pharmaka bremsen die Spermatogenese indirekt durch Hemmung der Gonadotropinsekretion. α-adrenolytische Substanzen beeinflussen den Spermatozoentransport durch Blockierung der Emissionsphase der Ejakulation: Antihypertensiva (Guanethidin, Reserpin, Methyldopa), Psychopharmaka (z. B. trizyklische Antidepressiva, Chlordiazepoxid), Ganglienblocker (Hexamethonium, Mecamylamin) und Alpharezeptorenblocker. Schließ-
Arzneimittel mit möglicher Beeinträchtigung der Potentia coeundi 4 Hormone und Hormonantagonisten: – Östrogene, Gestagene – Antiandrogene: Cyproteronacetat, Spironolacton, Cimetidin, Ketokonazol – GnRH-Analoga 4 Medikamentös induzierte Hyperprolaktinämie: – Neuroleptika: Phenothiazine, Thioxanthene, Butyrophenone, Sulpirid, Metoclopramid – Opiate, Beta-Endorphin 4 Antihypertensiva: Reserpin, Methyldopa – Östrogene – Arginin – Antihypertensiva – Rauwolfia-Alkaloide, Methyldopa, Clonidin, Hydralazin, Prazosin, Guanfacin, Labetalol, Benzothiadiazine, Guanethidin, AlphaRezeptorenblocker 4 Betarezeptorenblocker – Perhexilin, Propafenon, Diopyramid 4 Digoxin 4 Verschiedene Pharmaka – Lipidsenker – Parasympatholytika – Antibiotika: Isoniazid, Etionamid, Demeclocyclin, Thiabendazol – Antimykotika: Ketokonazol
lich kann die Spermatozoenmotilität durch Beeinträchtigung von Zellmembranfunktionen gehemmt werden, z. B. Nitrofurantoin, 2,6-Diamino-3-Phenazopyridin, Tetrazykline, Gentamicin, Metoclopramid, Imipramin, Chlorpromazin, Nortriptylin, Lithium, Trifluoperazin, Propranolol, Phentolamin, Dibenamin, Stropin, Bentropinmesylat. 14.2.5 Weitere Ursachen der Sterilität Immunologisch bedingte Sterilität. Der Hoden ist ein immunologisch privilegiertes Organ (Blut-TestisSchranke!). Zelluläre und humorale Immunreaktionen gegen Spermatozoenantigene können jedoch zur Sterilität führen: durch die (noch wenig untersuchte) chronische Autoimmunorchitis und durch Autoantikörper (IgG, IgA; in Blut, Seminalplasma). Autoantikörper können das Eindringen der Spermatozoen in den Zervixmukus behindern (typische Schüttelphänomene beim Zervixmukus-Penetrationstests – »shaking«: hohe Schlagfrequenz ohne Vorwärtsmotilität). Spermato-
541 14.3 · Andrologische Diagnostik
zoenantikörper finden sich gehäuft nach entzündlichen Adnexprozessen, Hodentraumen und bei Verschlüssen der ableitenden Samenwege (Vasektomie!). Psychosoziale Faktoren und Infertilität ohne nachweisbare Ursachen. Folgende Faktoren sollen fertili-
tätsmindernd wirken: Angst, Berufsstress, Störung der Persönlichkeitsentwicklung, gestörte Partnerbeziehung, sexueller Leistungsdruck, ambivalentes Verhalten gegenüber Kinderwunsch. Die Ejakulatqualität kann aber auch situationsbedingt eingeschränkt sein (Spermagewinnung im Krankenhaus, »Reproduktionsstress« vor Inseminationen, IVF, ICSI). Trotz der vielen bekannten Ursachen und großer diagnostischer Fortschritte bleibt in bis zu 40% die Ursache männlicher Subfertilität ungeklärt (»idiopathische« Sterilität). Erektile Dysfunktion als Ursache der Infertilität. Die Inzidenz der erektilen Dysfunktion steigt mit dem Alter an und beträgt 2% bei <40-Jährigen und ca. 19% bei 50- bis 60-jährigen Männern. Die Abgrenzung von (sekundären) psychogenen und organischen Störungen gelingt nicht immer. Organische Ursachen. Diese sind: System- und Organkrankheiten (Leber-, Nieren-, Herzkreislauf- und Gefäßkrankheiten, Krankheiten des zentralen und peripheren Nervensystems), Hypertonie, endokrine Störungen (Diabetes mellitus, Hyper- und Hypothyreose, NNR-Insuffizienz, Hypogonadismus), Tumorleiden, Infektionen, operative Eingriffe im kleinen Becken und Retroperitoneum, Fehl- und Missbildungen, Traumen und entzündliche Erkrankungen des Genitalapparats, chronischer Arzneimittelgebrauch, Umweltschadstoffe (Schwermetalle, chlorierte Kohlenwasserstoffe) und Genussmittelabusus (Alkohol, Nikotin, Drogen). Psychische Ursachen (Libido-, Erektions- und Orgasmusstörungen). Hierzu zählen Neurosen, Depression,
Schizophrenie, Partnerschaftsprobleme, situationsbedingte Potenzstörungen, sexueller Leistungsdruck, aber auch mangelhafte sexuelle Aufklärung und primäre Anorgasmie. 14.3
Andrologische Diagnostik
Diese beruht auf klinischen und laboranalytischen Untersuchungsverfahren, wobei der Spermaanalyse eine zentrale Stellung zukommt.
14
14.3.1 Klinische Untersuchung Sie umfasst Anamnese und körperliche Untersuchung des Patienten mit Inspektion und Palpation des Genitalapparats. Zusätzliche physikalische Untersuchungsverfahren sind Thermographie, Doppler-Sonographie, Hodensonographie, transrektale Prostata- und Bläschendrüsensonographie, Phlebographie, Röntgendiagnostik, Computertomographie und Kernspintomographie. Anamnese. Die Befragung des Patienten lässt häufig erste Schlüsse auf die Ursache einer Fertilitätsstörung zu: Erkrankungen während der Kindheit (chronischrezidivierende Infekte, Diphtherie, Typhus, Herniotomie, Hodenhochstand) und nach der Pubertät (Mumpsorchitis, Hepatitis, Masern, Malaria, Geschlechtskrankheiten). Wichtig sind insbesondere rezente Krankheiten – die Spermatogenese kann durch z. B. Virusinfekte oder allein durch hohes Fieber gebremst werden. Verletzungen und Operationen im Unterbauch und Genitalbereich können Ursachen von Transportund Entleerungsstörungen des Spermas sein. Weiters zu erfragen sind Gefäßkrankheiten, Systemkrankheiten, Stoffwechselstörungen (Diabetes mellitus), Medikamenten- und Genussmittelgebrauch, und die Berufsanamnese (Stressfaktoren, Umweltschadstoffe – Strahlen, radioaktive Isotope, organische Lösungsmittel etc.). Ferner wird auf die sexuelle Entwicklung des Patienten und das Sexualverhalten eingegangen (Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs, Erektionsstörungen, Ejaculatio praecox). Wichtig ist, ob bereits Kinder aus dieser oder einer anderen Verbindung existieren, wie lange der Kinderwunsch besteht und ob gezielter Geschlechtsverkehr zum Eisprung erfolgt. Zur Abklärung einer erektilen Dysfunktion muss nach morgendlichen Erektionen, Erektionsqualität bei Masturbation, und Partner- und Situationsabhängigkeit der Erektionsstörungen gefragt werden. Körperliche Untersuchung. Diese besteht aus der Beur-
teilung der Körperproportionen (eunuchoider Hochwuchs?), der Muskel- und Fettverteilung und der Kopf-, Bart- und Terminalbehaarung (Feminisierung?) sowie der Brustdrüsen (Gynäkomastie?). Nach der Inspektion des Genitales wird das Präputium zurückgestreift (Phimose? Balanitis? Hypospadie?), die Hoden abgetastet (normale Größe? glatte Oberfläche? prallelastische Konsistenz?) und Nebenhoden und Ductus deferentes palpiert. Der Plexus pampiniformis (Varikozele?) wird bei stehendem Patienten mit Hilfe das Valsalva-Pressmanövers untersucht. Die anschließende rektale Untersuchung der Prostata gibt Auskunft über deren Konsistenz, Abgrenzbarkeit und Verhärtungen.
542
Kapitel 14 · Andrologie
Physikalische Untersuchungsverfahren. Ein Routineverfahren ist die Hoden-, Prostata- und Bläschendrüsensonographie. Der venöse Reflux im Plexus pampiniformis wird durch Duplexsonographie bzw. Dopplersonographie beim Valsalva-Pressmanöver erfasst. Die apparative Diagnostik der erektilen Dysfunktion umfasst die dopplersonographische (Duplex-, Farbduplexsonographie) Darstellung der proximalen und distalen Pulse der Aa. profundae penis und Aa. dorsales penis. Es empfiehlt sich, die Untersuchung in der Tumeszenzphase nach Injektion vasoaktiver Substanzen durchzuführen. Fehlende Pulse können erste Hinweise auf eine arterielle Genese der Erektionsstörung sein. Nächtliche penile Tumeszenzen können durch spezielle Messgeräte aufgezeichnet werden. Tritt auch nach Injektion vasoaktiver Substanzen in das Corpus cavernosum (SKIT = Schwellkörperinjektionstest) keine Erektion ein und bieten die dopplersonographischen Untersuchungen keinen Anhalt für eine arterielle Durchblutungsstörung, sind Kavernosographie und Kavernosometrie indiziert. Arterielle Durchblutungsstörungen können durch gezielte Arteriographie der iliakalen und pudendal-penilen Gefäße objektiviert werden. Neurophysiologische Untersuchungen umfassen die Messung der Bulbo-Cavernosus-Reflexzeit (BCR) und Ableitung somatosensibel evozierter Potentiale (SSEP) des N. dorsalis.
14.3.2 Labordiagnostik
14
Die Basisdiagnostik umfasst die Spermaanalyse, endokrinologische und mikrobiologische, im Bedarfsfall auch immunologische und zytogenetische Untersuchungen. Die Spermaanalyse besteht aus dem routinemäßigen Spermiogramm (d. h. der Gesamtheit der an einem Ejakulat erhobenen Befunde) und Zusatzuntersuchungen (»erweiterte Spermaanalyse«). Spermiogramm Das Ejakulat wird durch Masturbation gewonnen (nach Karenzzeit von 3–7 Tagen!) und physikalisch-chemisch sowie biochemisch untersucht (Normalwerte . Tab. 14.1, Terminologie der Ejakulatbefunde . Tab. 14.2). Die WHO empfiehlt die Untersuchung von mindestens 2 Spermiogrammen während eines Spermatogenesezyklus (3 Monate). Physikalisch-chemische Untersuchungen Ejakulatvolumen. Das Ejakulat besteht zu 95% aus den Sekreten der akzessorischen Drüsen, sein Volumen ist ein Maß für deren funktionelle Aktivität. Aspermie bzw. Hypospermie können bei partieller oder vollstän-
. Tab. 14.1. Normwerte des Spermiogramms (WHO 1999) Parameter
Normwert
Volumen
≥2,0 ml
pH
>7,2
Verflüssigung
<60 min
Konzentration der Spermatozoen
≥20,0 × 106/ml
Gesamtzahl der Spermatozoen
≥40 × 106/Ejakulat
Motilität
≥50% (Kategorie a+b) oder >25% (Kategorie a)
Morphologie* (Normalformen)
≥30%
Vitalität
≥75%
Leukozyten
<1 × 106/ml
Fruktose
≥13 mmol/Ejakulat
α-Glukosidase
≥20 mU/Ejakulat
Zink
≥2,4 mmol/Ejakulat
Zitronensäure
≥52 mmol/Ejakulat
Saure Phosphatase
≥200 U/Ejakulat
* In den neuesten Richtlinien der WHO werden keine Grenzwerte für die normale Spermatozoenmorphologie angegeben. Die WHO betont, dass bei Vorlage strenger Kriterien der Grenzwert auf 15% oder weniger sinkt!
. Tab. 14.2. Terminologie pathologischer Ejakulatbefunde Terminus
Beschreibung
Aspermie
kein Sperma
Hypospermie
zu wenig Sperma (<2 ml)
Hyperspermie
zu viel Sperma (>6 ml)
Azoospermie
keine Spermatozoen nach Zentrifugation des Ejakulats
Kryptozoospermie
<1 Mio. Spermatozoen/ml
Oligozoospermie
<20 Mio. Spermatozoen/ml
Polyzoospermie
>250 Mio. Spermatozoen/ml
Asthenozoospermie
herabgesetzte Motilität (<50%) bei normaler Morphologie und normaler Spermatozoenzahl
Teratozoospermie
erhöhter Anteil abnormaler Spermatozoen
Nekrozoospermie
bei normaler Spermatozoenzahl nur tote Spermatozoen (durch Eosintest gesichert)
543 14.3 · Andrologische Diagnostik
diger retrograder Ejakulation, zentralen Verschlüssen (z. B. Utriculus-Zysten; Fehlanlagen der Bläschendrüsen; Aplasien der Ductus ejaculatorii, chronischer Prostatovesiculitis oder herabgesetzter sekretorischer Funktion der Bläschendrüsen (z. B. bei Hypogonadismus, Allgemeinkrankheiten, Medikamentenwirkung) auftreten, Hyperspermie tritt bei entzündlichen Adnexprozessen und Überstimulation auf. pH-Messung. pH-Werte >8,0 finden sich bei akut ent-
zündlichen Adnexkrankheiten, Werte <6,5 bei Verschlüssen der Ductus ejaculatorii. Geruch und Farbe. Das Ejakulat erscheint durch kor-
puskuläre Elemente und Lipidtröpfchen aus der Prostata milchig-weiß, bei Blutbeimengung (Hämospermie) rötlich-bräunlich, bei Eiterbeimengung (Pyospermie) gelblich-gallertig. Der Geruch wird mit dem Duft von Kastanienblüten verglichen; bei bakterieller Infektion (z. B. E. coli) süßlich-faulig. Koagulation und Verflüssigung. Unmittelbar nach der
Ejakulation ist die Konsistenz des koagulierten Spermas gallertig-zähflüssig, fadenziehend. Die Verflüssigung sollte nach spätestens 60 min abgeschlossen sein. Die Viskosität ist bei chronisch-entzündlichen Adnexkrankheiten erhöht.
14
Eosintest. Die Supravital-Färbung mit 0,5% Eosin erlaubt nach 1–2 min die Unterscheidung toter (Eosin-positiver) und vitaler (Eosin-negativer) Spermatozoen. Spermatozoenmorphologie. Die Differenzierung morphologisch normaler und pathologischer Spermatozoen erfolgt im gefärbten Ausstrichpräparat (Papanicolaou, HE, Giemsa o. a.) unter Ölimmersion. Es wird nach verschiedenen Kopf- (Akrosom!), Mittelstückund Schwanzdefekten gesucht (z. B. Rundkopfspermatozoen). Peroxidasepositive Zellen. Finden sich im Nativpräparat vermehrt Rundzellen, werden Leukozyten mit der Peroxidase-Färbung identifiziert. Bei >1/106/ml Ejakulat → mikrobiologische Untersuchungen.
Biochemische Untersuchungen Marker für die Funktion der akzessorischen Drüsen.
Eine Markersubstanz der Bläschendrüsenfunktion ist die Fruktose, solche der Prostatafunktion sind die saure Phosphatase, Zink und Zitronensäure. Der wichtigste Marker der Nebenhodenfunktion ist die α-Glukosidase: sie erlaubt unter Berücksichtigung der Ejakulatparameter und Hormonwerte die Unterscheidung von Störungen der Spermatogenese und Verschlüssen der ableitenden Samenwege.
Motilität. 30–60 min nach der Ejakulatgewinnung wird
ein Nativpräparat erstellt. Unter dem Phasenkontrastmikroskop wird nach spezifischen Agglutinationen (z. B. Kopf-zu-Kopf, Schwanz-zu-Schwanz) und Beimengung von Epithelien, Erythrozyten, Entzündungszellen und Keimen (Trichomonaden) geprüft. Die Routinediagnostik der Spermatozoenmotilität erfolgt durch Schätzung von quantitativen und qualitativen Parametern; nach WHO werden folgende 4 Kategorien klassifiziert: 4 schnelle und lineare progressive Beweglichkeit (WHOa) 4 langsame, träge lineare progressive Beweglichkeit (WHOb) 4 nicht-progressive Beweglichkeit (WHOc) 4 Immotilität (WHOd) Computer-gesteuerte Videosysteme (»computer assisted sperm analysis«) erlauben die exakte Quantifizierung verschiedener Motilitätsparameter und der Geschwindigkeiten der Spermatozoen. Spermatozoenkonzentration. Bestimmung nach Ver-
dünnung in einer immobilisierenden Lösung in einem Hämozytometer (Neubauer-Kammer) oder einer Makler-Kammer.
Entzündungsmarker. Diese dienen der Unterschei-
dung von entzündlichen und funktionellen Adnexstörungen, z. B. entzündliche vs. nichtentzündliche Hämospermie: erhöhtes C3 im Seminalplasma (Durchlässigkeit der Blut-Spermaplasma-Schranke), Granulozyten-Elastase. Marker für Spermatozoenfuktionen. Akrosinaktivität.
Ein wichtiger Funktionstest zur Beurteilung der Penetrationsfähigkeit der Spermatozoen in die Eizelle (z. B. bei Globozoospermie). Die Anilinblau-Färbung misst die Chromatinkondensation (ein Teilprozess der Spermatozoenreifung, bei dem lysinreiche Histone durch Protamine ersetzt werden; Persistenz von Histonen bewirkt Anfärbung mit saurem Anilinblau – normalerweise bei <25% der Spermatozoen). Zur Bestimmung akrosomal reagierter Spermatozoen steht eine Vielzahl von Färbemethoden zur Verfügung (Farbstoffe, fluoreszierende Antikörper, Lektine). Die Induzierbarkeit der akrosomalen Reaktion (z. B. durch Ca-Ionophor oder Kälteschock), d. h. die Differenz zwischen dem Anteil spontan und induziert akrosomal reagierter Spermatozoen korreliert mit den Ergebnissen des IVFProgramms.
544
Kapitel 14 · Andrologie
3Funktionelle Spermaanalyse: zur Beurteilung der Befruchtungsfähigkeit von Spermatozoen, insbesondere bei idiopathischer Sterilität, stehen funktionelle Techniken zur Verfügung: Zervixmukus-Interaktionstest, Tests auf Überlebensfähigkeit und Stimulierbarkeit der Spermatozoen, Gefrierfähigkeit des Spermas, Bindungsfähigkeit an der Zona pellucida u. a. m.
Beurteilung des Spermiogrammbefundes Das Ziel der andrologischen Diagnostik ist die Erstellung einer Fertilitätsprognose. Eine solche lässt das Spermiogramm allerdings nur bedingt zu, da es meist nur ein Symptom und nur selten die Diagnose eines eigenständigen Krankheitsbildes beschreibt (z. B. Globozoospermie). Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Fertilität eines Mannes ist daher immer noch die Erzeugung einer Schwangerschaft. Die Fertilitätsprognose eines andrologischen Patienten wird auch maßgeblich vom gynäkologischen Befund seiner Partnerin mitbestimmt – Einschränkungen der Spermaqualität können durch sehr gute Verhältnisse bei dieser kompensiert werden. Hormondiagnostik Die endokrinologische Basisdiagnostik umfasst die Bestimmung folgender Hormone im Serum: FSH, LH und T. Ihr Ziel ist die Unterscheidung eugonadotroper Störungen (extratestikuläre Fertilitätsstörungen – endokrinologisch unauffällig) von Hypogonadismus (erniedrigte T-Spiegel), und die Bestimmung des Orts einer Schädigung der endokrinologischen Regelkreise (primärer oder sekundärer Hypogonadismus, Schädigung des Leydigzell- oder Tubuluskompartments).
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! Die Indikation von Hormonbestimmungen richtet sich bei Männern mit Fertilitätsstörungen primär nach der Spermaqualität; sie ist eigentlich nur bei reduzierter Spermatozoenkonzentration gegeben. Auch bei der Abklärung der erektilen Dysfunktion wird die Bedeutung hormoneller Ursachen häufig überschätzt – <10% dieser Patienten leiden tatsächlich an Hypogonadismus, und nur ein Teil davon profitiert dann auch von einer Substitution mit T. Indiziert ist die frühzeitige endokrinologische Untersuchung (einschließlich Östradiol und Prolaktin) bei Symptomen von Hypogonadismus, z. B. Gynäkomastie.
Bei Hypogonadismus unterscheidet man 3 Formen: 4 Bei primärem Hypogonadismus ist die Produktion des T in den Leydigzellen gestört, die Serum-LHund FSH-Spiegel sind durch Gegenregulation erhöht (hypergonadotroper Hypogonadismus). Beispiele: Klinefelter-Syndrom, Hodenhochstand, erworbene Schädigungen. 4 Bei sekundärem Hypogonadismus ist die Sekretion von LH (und FSH) aus der Hypophyse beeinträch-
tigt, die Stimulation der Leydigzellen bleibt aus (hypogonadotroper Hypogonadismus). Beispiel: Hypophysentumore (z. B. Prolaktinome). 4 Als tertiären Hypogonadismus (heute unter sekundärem Hypogonadismus subsummiert) bezeichnet man Schäden des Hypothalamus, bei denen durch Ausfall des GnRH keine Stimulation des Hypophysenvorderlappens erfolgt (erniedrigte FSH und LH). Beispiel: Kallmann-Syndrom. Bei Verdacht auf Hypogonadismus werden zunächst T, LH und FSH bestimmt. Gesamt-T und freies T sind gut korreliert, sodass Messungen des freien T nicht routinemäßig notwendig sind. Auch Bestimmungen des SHBG können bestimmten Konstellationen wie Hyperthyreose (SHBG erhöht) oder Adipositas (SHBG erniedrigt) vorbehalten bleiben. Die Bestimmung von T sollte, wegen der zirkadianen Rhythmik, am Morgen oder frühen Vormittag und an mindestens 2 Tagen erfolgen. Prolaktin sollte frühestens 2 h nach dem Aufwachen (nächtliche Prolaktinerhöhungen!), vor der Ejakulatgewinnung und nicht nach üppigen Mahlzeiten oder Geschlechtsverkehr bestimmt werden. Bei niedrigen Gonadotropinspiegeln wird der GnRH-Test durchgeführt. Kommt es nach i.v.-Injektion eines Bolus GnRH zum Anstieg der Gonadotropinspiegel, besteht ein hypothalamischer Schaden; bleibt ein Anstieg aus, liegt die Störung in der Hypophyse. Der HCG-Test erlaubt die Bestimmung der funktionellen Reservekapazität der Leydigzellen: das Ausbleiben eines Anstiegs der T-Spiegel nach Verabreichung von HCG spricht für eine latente oder manifeste Leydigzellen-Insuffizienz. Hodenbiopsie Die Indikation zur Hodenbiopsie wird heute, nach Etablierung der Methoden der assistierten Reproduktion, viel weniger restriktiv gestellt, da diese nicht mehr nur diagnostische sondern auch therapeutische Bedeutung hat. Sie wird selbst bei stark erhöhten FSH-Spiegeln (deutlicher Hinweis auf testikulären Schaden!) durchgeführt, da auch hier in bis zu 40–50% noch einzelne intakte Tubuli gefunden und daraus Spermatozoen für spätere Mikroinjektionen gewonnen werden können. Hodenbiopsien werden daher idealerweise mit der Kryokonservierung des entnommenen Gewebes oder extrahierter testikulärer Spermatozoen kombiniert. Die Biopsie kann als explorativer Eingriff mit Freilegung des Hodens oder als »Knopflochbiopsie« in Vollnarkose oder Lokalanästhesie durchgeführt werden. Zur Erleichterung des Auffindens von Tubuli mit erhaltener Restspermatogenese sollten 5–10 Biopsien
545 14.4 · Therapie männlicher Fertilitätsstörungen
aus verschiedenen Stellen entnommen werden. Für die histologische Beurteilung wird ein reiskorngroßes Hodengewebsstück in Bouin’scher Lösung fixiert (kein Formalin!). Beurteilt werden die Hodentubuli (Durchmesser 170–300 μm) mit dem Keimepithel, den Sertolizellen und den Tubuluswandstrukturen (Basalmembran, peritubuläres Gewebe) sowie im Interstitium des Hoden die Leydig-Zellen und Gefäße. Bei normalem Keimepithel sind alle Stadien der Spermatogenese im Tubuluslumen regelrecht angeordnet (15–20 späte Spermatiden im Tubulus-Querschnitt). Die Spermatogenese und ihre Störungen können mit Hilfe des so genannten Johnsen-Score semiquantitativ erfasst werden. Wichtige histopathologische Befunde sind: 4 Normalbefund: regelrechte Spermatogenese, zarte Tubuluswandungen, unauffälliges Interstitium 4 Spermatogenesehemmung (Hypospermatogenese); Spermatogenesestopp (komplett oder inkomplett) 4 Desorganisation und Desquamation des Keimepithels 4 »Sertoli-Cell-Only-Syndrom« (ausschließlich Sertolizellen im Tubuluslumen) 4 Inhomogene Tubulusschädigung mit Arealen normaler Spermatogenese (»mixed atrophy«) 4 Tubulussklerose, -fibrose, -hyalinose 4 Interstitielle (peritubuläre) Fibrose 4 Leydigzell-Hyperplasie 4 Entzündliche Infiltrationen 4 Carcinoma in situ Weitere Diagnostik Mikrobiologische Untersuchungen. Diese sind bei
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Chromosomenanalyse. 2% aller infertilen Männer ha-
ben kongenitale Chromosomenaberrationen, Patienten mit Oligo- oder Azoospermie in bis zu 20 % (nummerische und strukturelle Anomalien –Deletionen, Translokationen). Indiziert ist die Chromosomenanalyse bei Verdacht auf Chromosomenaberrationen (hypergonadotroper Hypogonadismus, v. a. auf Klinefelter-Syndrom), und vor Durchführung der intrazytoplasmatischen Mikroinjektion. Insbesondere müssen Mutationen in den DAZ- und den Zystischen Fibrose-Genen ausgeschlossen werden (s. o.). 14.4
Therapie männlicher Fertilitätsstörungen
14.4.1 Operative Therapie Varikozele. Mikrochirurgische Verfahren haben ein geringeres Risiko der Erfolglosigkeit als z. B. die Sklerosierung (0,5% gegenüber 5–25%). Ziel ist die Unterbindung der V. testicularis unter Schonung der A. testicularis und der Lymphwege. Alternative Methoden sind die retrograde (Zugang inguinal über die rechte V. femoralis) oder antegrade (Zugang skrotal direkt in die V. testicularis) Sklerosierung; letztere erlaubt auch eine Kontrastmitteldarstellung der V. testicularis. Vasovasostomie. Indikationen sind vorausgegangene
Vasektomien oder umschriebene Obstruktionen des Ductus deferens anderer Genese; die durchgängigen Enden werden mobilisiert und schichtweise mikrochirurgisch verschlossen. Abhängig von der Ursache und der Dauer der Obstruktion werden Durchgängigkeiten bis 90% und Schwangerschaften bis >50% erreicht. Bis zum Wiederauftreten von Spermatozoen im Ejakulat können mehrere Monate vergehen.
Verdacht auf entzündliche Adnexprozesse bzw. Samenwegsinfekte indiziert. Untersucht wird das steril gewonnene Ejakulat, Urethralausstrich, verschiedene Urinportionen (»Vier-Gläser-Probe«) und das Prostatasekret. Häufig nachweisbare Erreger sind: E. coli, Str. faecalis, Proteus (Resistenzbestimmung!), Mykoplasmen, Chlamydien, Trichomonaden. Vor Kryospermakonservierung und assistierter Reproduktion muss ferner auf Hepatitis und HIV getestet werden.
Epididymovasostomie, Tubulovasostomie. Operative
Immunologische Untersuchungen. Zum Nachweis
Mikrochirurgische epididymale Spermatozoen-Aspiration (MESA) und testikuläre Spermatozoen-Extraktion (TESE). Sind bei obstruktiver Azoospermie rekonstruk-
von Spermatozoenantikörpern dienen der MAR-Test (»mixed antiglobulin reaction test«) und der Immunobead-Test. Mit IgG oder IgA beschichtete Latexpartikel werden mit Spermatozoen und Antihuman-IgG gemischt. Sind an der Spermienoberfläche IgG bzw. IgA gebunden, agglutinieren Latexpartikel und Samenzellen. Der Test gilt als positiv, wenn mindestens 50% der beweglichen Spermien Latexpartikel binden.
Anastomosen zwischen Samenleiter und Nebenhoden bzw. Nebenhodengang. Durchgängigkeitsraten sind geringer als bei Vasovasostomie.
tive Maßnahmen (z. B. Vasovasostomie) nicht möglich oder blieben sie erfolglos, können epididymale Spermatozoen in einem mikrochirurgischen Eingriff direkt aus dem Nebenhoden entnommen und sofort oder nach Kryokonservierung für eine Mikroinjektion eingesetzt werden. Kommt MESA nicht in Frage (z. B. bei sehr proximalen Obstruktionen oder bei nichtobstruktiver
546
Kapitel 14 · Andrologie
Azoospermie), können (häufig noch motile) Spermatozoen aus Hodenbiopsien gewonnen werden (TESE). 14.4.2 Medikamentöse Therapie Ziel der andrologischen Therapie ist, die Fertilität des Mannes bzw. dessen Kohabitationsfähigkeit zu verbessern oder zu normalisieren. Eine Reihe andrologischer Krankheitsbilder sind einer kausalen Therapie zugänglich: 4 bestimmte Hormonstörungen durch Substitution 4 infektiöse oder entzündliche Krankheiten durch antibiotisch-antiphlogistische Behandlung 4 Emissions- und Ejakulationsstörungen: s. u.
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Für die übrigen wurden früher »empirische Therapien« eingesetzt, deren Wirkprinzip und Indikation nicht genau definiert und deren Wirksamkeit nicht in kontrollierten Studien nachgewiesen waren; diese Substanzen werden heute nur mehr in Ausnahmefällen eingesetzt: Kallikrein, Pentoxifyllin, Testolacton (ein Aromatasehemmer), Mastzellblocker, Vitamine E und C, Zink, Selen, ACE-Hemmer, L-Carnitin u. a. Auch die Behandlung eines immunologischen Sterilitätsfaktors (Spermatozoen-Autoantikörper) mit Glukokortikoiden ist aufgrund der Datenlage nicht allgemein zu empfehlen. Eine besondere Stellung unter den empirischen Therapien nimmt das antiöstrogen wirksame Tamoxifen ein: dieses hemmt kompetitiv die Östrogenbindung an hypothalamische und hypophysäre Rezeptoren und führt zur Erhöhung der LH-, FSH- und T-Spiegel sowie zur Stimulation der Spermatogenese. Neuere Daten zeigen verbesserte Schwangerschaftsraten bei Partnerinnen behandelter Männer. Tamoxifen wird auch zur Therapie der Gynäkomastie eingesetzt. »Kausale« Hormontherapien Humanes Choriongonadotropin (HCG). Ein Polypep-
tid, das analog dem LH die T-Produktion in den Leydigzellen stimuliert. Es ist zur Behandlung des Hodenhochstandes, der Pubertas tarda und, bei Erwachsenen, zur Therapie des hypogonadotropen Hypogonadismus zugelassen. Unter dieser Therapie normalisieren sich die T-Spiegel, das Hodenvolumen nimmt zu. Die Substitution mit HCG wird bei gleichzeitig bestehendem Kinderwunsch mit rekombinatem FSH oder humanem Menopausengonadotropin kombiniert (Monate bis Jahre). Bei fehlendem Kinderwunsch wird aus Kostengründen lediglich T substituiert. Humanes Menopausengonadotropin (hMG). hMG wird aus dem Urin menopausaler Frauen gewonnen
und besitzt sowohl FSH- als auch LH-Aktivität. Es stimuliert die Spermatogenese über die Sertolizellen. Bei hypogonadotropem Hypogonadismus wird hMG (3mal/Woche) zusammen mit HCG appliziert (s. o.) – in bis zu 90% setzt die Spermatogenese wieder ein. FSH. Hochgereinigtes und rekombinantes FSH haben
höhere spezifische Aktivitäten als hMG. Gonadotropin Releasing Hormone (GnRH). GnRH
stimuliert die Freisetzung von LH und FSH aus der Hypophyse; es steht als synthetisches Produkt zur Verfügung (Gonadorelin) Die physiologisch pulsatile Sekretion von GnRH wird durch eine Pumpe imitiert, die Gonadorelin pulsatorisch subkutan injiziert. Indikationen: tertiärer hypogonadotroper Hypogonadismus, Pubertas tarda. Unter dieser Therapie normalisieren sich die T-Spiegel, Zunahme des Hodenvolumens. Prolaktinsenker. Hier stehen der Dopaminagonist Bromocriptin (bzw. die länger wirksamen Substanzen Qinagolid, Cabergolin oder Lisurid) oder der dopaminerge Serotoninrezeptor-Antagonist Metergolin zur Verfügung. Testosteronsubstitution
Indikation ist der primäre Hypogonadismus; sekundärer und tertiärer dann, wenn kein Kinderwunsch besteht (s. o.). Eine Normalisierung der T-Spiegel kann alle bei Hypogonadismus auftretenden Symptome bessern: Libido, Häufigkeit und Stärke der Erektionen; allgemeine Aktivität und Stimmungslage. Innerhalb eines Jahres kommt es zu deutlicher Zunahme von Muskelmasse und Muskelstärke, Abnahme des Fettgewebes, Steigerung der Knochendichte, Erhöhung der Talgsekretion. Die Prostata zeigt Größenwachstum bis zum Volumen bei gleichaltrigen, normogonadalen Männern. Labor: Anstieg von Erythrozyten, Hämoglobin und Hämatokrit. Die Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel sind uneinheitlich. Intramuskuläre Applikation. Zur Verfügung stehen
veresterte T-Präparate mit Depoteffekt. Testosteronenantat wird in zwei- bis vierwöchentlichen Abständen injiziert (Einzeldosis 250 mg). Nachteil: supraphysiologische Testosteronkonzentrationen für mehrere Tage nach der Injektion. Testosteronundecanoat liegt in öliger Lösung vor; die Injektionen erfolgen im Abstand von 10–14 Wochen, supraphysiologische T-Spiegel werden nicht erreicht. Orale Applikation. Testosteronundecanoat kann auch
oral appliziert werden; wegen der hohen Lipophilie
547 14.4 · Therapie männlicher Fertilitätsstörungen
wird es aus dem Gastrointestinalsystem direkt in den Chylus aufgenommen, gelangt in den Blutkreislauf und vermeidet dadurch eine vorzeitige Metabolisierung in der Leber (»First pass”-Effekt). Transdermale Applikation. T kann ferner in Form von
Gelen oder Pflastern verabreicht werden; physiologische T-Spiegel werden nach wenigen Tagen erreicht. Bei entsprechender zeitlicher Gestaltung wird eine den physiologischen Bedingungen entsprechende zirkadiane Rhythmik der T-Spiegel erreicht. Nachteile: dem Pflaster sind Resorptions-Enhancer beigemengt, die Irritationen der Haut bewirken können; Hautläsionen können zu verstärkter Resorption führen. Bei Verwendung von Gelen kann T bei engem Körperkontakt übertragen werden (Kinder, Frauen!). ! Kontraindikationen. Eine Substitution mit T ist bei Männern mit Prostata- oder Mammakarzinom kontraindiziert. Vorsicht ist bei schweren Leber-, Nieren- oder Herzkrankheiten (Ödemneigung) oder Bluthochdruck (weiterer Anstieg!) geboten. T kann zur Anhebung der Hämoglobin- und Hämatokritwerte führen und eine Schlafapnoeneigung verstärken. Bei Jugendlichen mit noch nicht abgeschlossenem Längenwachstum droht verfrühter Verschluss der Epiphysenfugen.
14.4.3 Intrauterine Inseminationen (IUI)
und Spermaaufbereitungsverfahren Kommt es auf natürlichem Wege trotz gesicherter Tubendurchgängigkeit bei der Partnerin nicht zur Schwangerschaft, können intrauterine Inseminationen mit aufbereitetem Ejakulat durchgeführt werden, wenn eine ausreichend hohe Zahl progressiv motiler Spermatozoen (mindestens 1/106/ml) vorhanden ist. Die Aufbereitung erhöht den Anteil progressiv motiler Spermatozoen (und vermindert bei Waschvorgängen das Risiko prostaglandinbedingter Uteruskontrakturen). Zur Konzentrierung der Spermatozoen eignen sich das »Split-Ejakulat« (die ersten 2–3 Ejakulatportionen) und das »Pool-Ejakulat« (Pool zweier im Abstand von 1–2 h gewonnener Ejakulate). Zur Trennung progressiv motiler Spermatozoen von toten/unbeweglichen Spermatozoen stehen physikalische Verfahren wie Swimup, Dichtegradientenzentrifugation, Glaswollfiltration und Migration/Sedimentation zur Verfügung. Inseminationen erfordern ein exaktes Ovulationstiming durch den Gynäkologen. Verwendet wird das Sperma des Ehemannes (homolog) oder das eines Spenders (heterolog), entweder frisch (Nativsperma) oder kryokonserviert (Kryosperma). Bei homologen
14
Inseminationen mit Ejakulaten eingeschränkter Qualität liegen die Erfolgsraten bei 10–15% pro Zyklus. 14.4.4 Andere Methoden der assistierten
Reproduktion In-vitro-Fertilisation mit Embryo-Transfer (IVF-ET).
Bei IVF-ET werden nach vorheriger hormoneller Stimulation und Auslösung der Ovulation durch transvaginale Punktion Oozyten gewonnen und mit aufbereiteten Spermatozoen in vitro inkubiert. Nach Fertilisierung werden maximal 3 Embryonen (in Deutschland nach den Vorgaben des Embryonenschutzgesetzes) in den Uterus transferiert. Indikationen sind vorrangig Tubenverschlüsse. Die Schwangerschaftsrate liegt bei ca. 20–30% pro Zyklus, ist aber stark von der Ejakulatqualität abhängig (Morphologie, Progressivmotilität der Spermatozoen). Intrazytoplasmatische Spermatozoeninjektion (ICSI).
Stehen für die konventionelle Befruchtung von Eizellen in vitro nicht ausreichende Mengen vitaler Spermatozoen zur Verfügung (z. B. Kryptozoospermie, hochgradige Einschränkungen der Motilität) oder sind wesentliche Spermatozoenfunktionen gestört (z. B. akrosomale Reaktion, Bindung an die Zona pellucida), können einzelne Spermatozoen per Mikroinjektion direkt in das Zytoplasma der Oozyte transportiert werden; diese wird dann wie bei IVF-ET in den Uterus verbracht. Erst die Etablierung von ICSI hat andere moderne Methoden der assistierten Reproduktion wie MESA und TESE möglich gemacht. Die Schwangerschaftsraten liegen bei ca. 20–30% pro Zyklus. Die Rate der Fehlbildungen nach ICSI und IVF-ET ist etwas höher als bei konventioneller Konzeption. 14.4.5 Spermakonservierung (Kryosperma) Sperma kann in flüssigem Stickstoff über Jahre gelagert (Kryosperma) und (trotz Qualitätsminderung) bis >30 Jahre danach für Methoden der assistierten Reproduktion verwendet werden. Indikation ist z. B. prophylaktische Spermakonservierung bei vorhersehbarem Verlust der Zeugungsfähigkeit (Zytostatika, Röntgenbestrahlung, Hodentumoren). 14.4.6 Therapie der erektilen Dysfunktion Allgemeine Maßnahmen betreffen die Behandlung etwaiger internistischer Grunderkrankungen, Absetzen
548
Kapitel 14 · Andrologie
von Medikamenten mit Wirkung auf die Sexualfunktion, Einschränkung von Alkohol- und Nikotinkonsum. Eine kausale medikamentöse Therapie ist bei endokrinen Störungen möglich (s. oben). Symptomatisch sind folgende Substanzen wirksam: Sildenafil. Dieser spezifische Phosphodiesterase (PDE)5-Hemmer verstärkt die relaxierende Wirkung von NO auf die glatte Schwellkörpermuskulatur. Sildenafil wird 30–60 min vor dem Koitus oral eingenommen; die Wirksamkeit liegt über 80%. Nebenwirkungen: dosisabhängige, reversible Sehstörungen (Interferenz mit PDE-6) – verschwommenes Sehen, Blaustich, Lichtempfindlichkeit (0,3%–10,7%); Kopfschmerzen, Gesichtsrötung, Magenbeschwerden, nasale Kongestion. Die wichtigste Nebenwirkung ist Blutdruckabfall, der bei gleichzeitiger Einnahme von Nitraten und NO-Donatoren lebensbedrohlich sein kann – absolute Kontraindikation! Andere Phosphodiesterasehemmer mit vergleichbarer Effektivität sind Tadalafil (längere Halbwertszeit) und Vardenafil (schnellerer Wirkungseintritt). Yohimbinhydrochlorid. Ein aus der Rinde des Yohim-
bebaums gewonnenes Alkaloid; wirkt als selektiver α2Rezeptorantagonist, Einsatz vorwiegend bei psychogenen und leichtgradig organischen Potenzstörungen. Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT). Eine
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Methode für Patienten mit sonst nicht behandelbaren vaskulären oder neurogenen Erektionsstörungen, die auf Schwellkörperinjektionen mit Prostaglandin E1 (Alprostadil) mit Erektion ansprechen. Der Patient führt im Rahmen eines wohl überwachten Programms die Injektionen nach einer Lernphase selbstständig durch (bis 2-mal/Woche). Nebenwirkungen: Priapismus und Fibrosen (beim früher verwendeten Papaverin in 9% bzw. 50%, bei Prostaglandin E1 und sachgemäßer Durchführung sehr selten), Hämatome, Infektionen. Eine andere Applikationsweise ist das Einführen eines Alprostadil-Pellets in die Harnröhre (MUSE = medicated urethral system for erection); die Wirksubstanz wird innerhalb 10 min zu 80% resorbiert und entfaltet ihre Wirkung (Relaxation der Schwellkörpermuskulatur). Penisprothesen. Solche werden implantiert, wenn die
Erektionsstörung weder kausal noch symptomatisch behoben werden kann und ausführliche psychologische Exploration eine Prothesenversorgung sinnvoll erscheinen lassen. Man unterscheidet semirigide und hydraulische Prothesen; letztere basieren auf Flüssigkeitsverschiebungen aus einem Reservoir.
Erektionshilfesysteme. Manuell bedienbare Vakuum-
pumpen, die über den Penis gestülpt werden und durch Unterdruck eine Tumeszenz induzieren, die durch einen Gummizug um die Penisbasis erhalten wird. Bei falscher Benutzung lokale Ischämien. 14.4.7 Therapie der Ejaculatio praecox Der vorzeitige Samenerguss kann mit der so genannten »Stopp-and-Start-Technique« oder »Squeeze-Technique« behandelt werden, bei der im Rahmen einer partnerschaftlichen Interaktion mehrfach eine sexuelle Stimulation erreicht wird, ohne dass es zur Ejakulation kommt – Entwicklung einer zunehmenden Erregungssicherheit. Ein einfaches Hilfsmittel ist die Verringerung der Reizwirkung auf die Glans penis (Kondome, Lokalanästhetika). Medikamentöse Behandlung umfasst das Antidepressivum Clomipramin (einschleichende Dosierung!) sowie Serotoninwiederaufnahmehemmer (Fluoxetin oder Phenoxybenzamin). Nebenwirkungsspektrum beachten! 14.4.8 Therapie der retrograden Ejakulation
oder von Emissionsstörungen Medikamentös mit dem α-Sympathomimeticum Midodrin (30 min vor der Ejakulation; Kontraindikation: Hypertonie), oder Clomipramin (s. o.). Bei Erfolglosigkeit können retrograd ejakulierte Spermatozoen entweder durch (vorherige) Instillation von IVF-Medium in die Blase oder aus dem postejakulatorischen Urin gewonnen und zur assistierten Reproduktion aufbereitet werden (vorher: Alkalinisierung des Urins und Adjustierung der Osmolarität auf 280–320 mOsm/kg – Trinken!). Bei querschnittsgelähmten Patienten mit Ejakulationsstörungen können rektal applizierte Elektroden oder Vibratoren angewendet werden. 14.5
Zum Problem des »Alternden Mannes«
Die demografische Entwicklung lässt keinen Zweifel, dass künftig mehr ältere Männer mit dem altersbedingten andrologischen Beschwerdekomplex (»late onset hypogonadism«: LOH, partielles Androgendefizit des alternden Mannes: PADM, Andropause) den Arzt aufsuchen werden. Die mittleren T-Spiegel nehmen zwischen dem 4. und 7. Lebensjahrzehnt zwar um ca. 1%/Jahr ab, blei-
549 14.6 · Kontrazeption beim Mann
ben aber dennoch häufig innerhalb der für gesunde Männer geltenden Norm. Bei >70-Jährigen sind außerdem die SHBG-Konzentrationen erhöht, sodass das freie, biologisch aktive T erniedrigt ist. Die Fertilität ist aber nur bei ca. 50% der 80-Jährigen vollständig aufgehoben. Trotz dieser Unterschiede zum Klimakterium der Frau klagen auch Männer über Zeichen reduzierter Virilität (Abnahme von Muskelmasse, Sexualbehaarung und Libido), vegetative Beschwerden, nachlassendes Gedächtnis, Konzentrationsmangel, Müdigkeit, Nervosität und verminderte Stressresistenz. Liegt ein Hypogonadismus vor, kann eine Testosteronsubstitution unter strenger Kontrolle der Prostata (cave Prostatakarzinom!) eingeleitet werden. Eine ausreichende Grundlage für die Therapie mit DHEA oder Östrogenen gibt es noch nicht.
14.6
14
Kontrazeption beim Mann
Die einzigen derzeit weit verbreiteten kontrazeptiven Maßnahmen für den Mann sind die Vasektomie und der Gebrauch von Kondomen. Vor Vasektomie sollte aus Dokumentationsgründen ein Spermiogramm durchgeführt werden; nach dem Eingriff sind bis zum Nachweis zweier Spermiogramme mit Azoospermie (im Zentrifugat!) weiterhin kontrazeptive Maßnahmen indiziert. Der Eingriff kann nicht in allen Fällen rückgängig gemacht werden! Zwei Drittel aller Männer entwickeln nach Vasektomie Spermatozoenantikörper. Die WHO empfiehlt die Vasektomie nach wie vor als sicheres Kontrazeptionsverfahren. Der Gebrauch von Kondomen erreicht nur einen Pearl-Index (Schwangerschaften pro 100 Frauenjahre) von 8–12 auf und ist damit weniger zuverlässig.
15 15
Venerologie
15.1
Allgemeines – 551
15.2
Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues) – 555
15.3
Tropische (endemische) Treponematosen
15.4
Gonorrhoe (Tripper)
15.5
Genitale Chlamydieninfektionen
15.6
Ulcus molle (Synonym Weicher Schanker, Chancroid) – 576
15.7
Granuloma inguinale (Synonym: Donovaniose)
– 576
15.8
»Syndrome« sexuell übertragbarer Infektionen
– 577
15.9
Durch Viren bedingte genitale Kontaktinfektionen – 580
15.10
Besondere Aspekte von STI
15.11
HIV-Infektion – AIDS
– 566
– 567
– 582
– 581
– 572
551 15.1 · Allgemeines
15.1
Allgemeines
Definition. Venerologie ist die Lehre jener Infektions-
krankheiten, die (vorwiegend) durch den Geschlechtsverkehr übertragen werden. Die Gruppe dieser Krankheiten ist naturgemäß nicht streng abgegrenzt, sie umfasst eine große Vielfalt von Erregern (Treponemen, Bakterien, Chlamydien, Viren, Parasiten) und Krankheitsbildern. Die Venerologie ist seit jeher eng mit der Dermatologie verknüpft, da venerische Krankheiten häufig Symptome der Haut hervorrufen und z. B. die Syphilis historisch ein wichtiger Motor zur Entwicklung der Dermatologie war. Terminologie. Syphilis, Gonorrhoe, Ulcus molle, Lymphogranuloma venereum und Granuloma inguinale wurden früher als Geschlechtskrankheiten (Venerea) zusammengefasst, v. a. weil nur sie als sexuell übertragbar erkannt worden waren, als in der Nachkriegszeit die »alten« Geschlechtskrankheitengesetze erlassen wurden. Nach und nach wurden weitere Krankheiten einbezogen und die gesamte Gruppe sexually transmitted diseases genannt. Heute werden die Bezeichnungen sexuell übertragbare Infektionen (sexually transmitted/ transmissible infections, STI) oder genitale Kontaktinfektionen bevorzugt. Die sexuelle Transmission der STI ist differenziert zu sehen. Einige werden nur bei bestimmten Gruppen vorwiegend sexuell übertragen (z. B. Hepatitis B und Zytomegalie bei Erwachsenen), andere bei bestimmten Sexualpraktiken (Hepatitis A, Darminfektionserreger unter homosexuellen Männern). Schließlich werden auch Krankheiten zu den STI gezählt, die häufig auch nichtsexuell übertragen werden (z. B. Skabies), oder solche, bei denen die Übertragbarkeit generell keine wesentliche (vulvovaginale Kandidiasis) (. Tab. 15.1) oder vielleicht keine Rolle spielt (bakterielle Vaginose). Gesetzeslage. In den 1940-er Jahren wurden in vielen Ländern relativ strenge Geschlechtskrankheitengesetze erlassen, die u. a. eine Melde-, Untersuchungs-, Behandlungs- sowie eine Belehrungspflicht enthielten. In Deutschland ist seit 2001 das Infektionsschutzgesetz in Kraft, das die meisten dieser Pflichten nicht mehr beinhaltet. Namentlich meldepflichtig ist nur noch die akute Hepatitis B; HIV- und Syphilis-Infektionen müssen anonymisiert an das Robert Koch-Institut (Berlin) gemeldet werden.
Allgemeine Charakteristika von STI Trotz der genannten Vielfalt von Erregern und klinischen Symptomen folgen die meisten STI einer be-
15
grenzten Zahl von pathologischen Grundmustern (z. B. Urethritis, genitale Erosionen/Ulzera). Gemeinsame Eigenschaften der meisten Erreger von STI: 4 Weitgehende Spezialisierung auf den Menschen. Folgen: Fehlen von Tierreservoirs, Fehlen (oder nur bedingte Verwertbarkeit) von Tiermodellen, die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch. 4 Hohe Empfindlichkeit gegenüber physikalischen und chemischen Noxen, insbesondere Austrocknung. Die Überlebenszeit der Erreger außerhalb des Organismus ist meist sehr kurz. 4 Relativ geringe Infektiosität (gilt nicht für Herpes genitalis und HPV-Infektion!): Voraussetzungen sind, in der Regel, länger währender physischer Kontakt ± Sekretaustausch und/oder mechanische Friktion und feuchtwarmes Milieu. 4 Teilweise Spezialisierung auf die Genitalgegend (Beispiele: Schleimhautepithel: Gonokokken, Scheidenmilieu: Trichomonaden, Haarquerschnitt: Pediculus pubis etc.). 4 Mehrfachinfektionen mit STI sind wegen der ähnlichen Erregereigenschaften häufig. Da die Inkubationszeiten recht unterschiedlich sind, bleibt die »langsamere« Krankheit zunächst oft unbemerkt und unbehandelt. Beispiele: unzureichende Mitbehandlung einer noch nicht manifesten Syphilis durch die Gonorrhoe-Therapie – der Erkrankte kann ohne Primärstadium direkt in die Latenzphase der Syphilis eingehen. Häufig sind ferner Doppelinfektionen von Gonorrhoe und Chlamydien. Eigenschaften von STI, die eine Bekämpfung erschweren, sind:
4 Viele STI verursachen keine Beschwerden und können dennoch übertragen werden. 4 Die meisten hinterlassen keine protektive Immunität. Bemühungen nach aktiven Immunisierungen blieben bisher erfolglos (Ausnahme: Hepatitis B). 4 Virale STI können nur beschränkt kausal behandelt werden. 4 Die Verknüpfung der STI mit dem Geschlechtstrieb setzt die Wirksamkeit rationaler Aufklärung und prophylaktischer Bemühungen herab. Epidemiologie Aus der Verknüpfung mit dem Geschlechtsakt resultiert eine Reihe epidemiologischer Charakteristika aller STI. Bestimmend für die Ausbreitung in der Bevölkerung sind die de facto-Infektiosität des Erregers (d. h. dessen natürliche Infektiosität unter Einrechnung von Gegenmaßnahmen wie Kondomgebrauch, Impfungen
552
Kapitel 15 · Venerologie
. Tab. 15.1. Genitale Kontaktinfektionen (»sexually transmitted infections«) und ihre Erreger Gruppe
Erreger
Erkrankung
Bakterielle Infektionen
Treponema pallidum
Syphilis*
Neisseria gonorrhoeae
Gonorrhoe*
Haemophilus ducreyi
Ulcus molle*
Donovania granulomatosis
Granuloma inguinale*
Chlamydia trachomatis, L1–L3
Lymphogranuloma venereum*
Virale Infektionen
Chlamydia trachomatis, D–K
Okulogenitale Infektion
Genitale Mykoplasmen
Urogenitale Infektion
Anaerobe Bakterien
Bakterielle Vaginose
Darmbakterien 4 Shigellen 4 Salmonellen 4 Campylobacter
Enteritiden
Humanes Immundefizienzvirus (HIV)
AIDS
Humane Papillomviren (HPV)
Condylomata acuminata, zervikale intraepitheliale Neoplasie u. a.
Molluscum contagiosum Virus (MCV)
Mollusca contagiosa
Hepatitis-B-Virus (HBV)
Hepatitis B
Herpes-simpex-Virus (HSV)
Herpes genitalis
Zytomegalievirus (CMV)
Zytomegalie
Pilzinfektionen
Sprosspilze
Genitale Kandidiasis
Durch Protozoen bedingte Infektionen
Trichomonas vaginalis
Trichomoniasis
Enteritische Protozoen 4 Giardia lamblia 4 Entamoeba histolytica 4 Cryptosporidium
Enteritiden
Phthirus (Pediculus) pubis
Pedikulose
Sarcoptes hominis
Skabies
Durch Ektoparasiten bedingte Infektionen
* »Venerea« im herkömmlichen Sinn
15
etc.), die durchschnittliche Häufigkeit des Partnerwechsels, und die de facto-Dauer der Infektiosität (d. h. unter Einrechnung der Gegenmaßnahmen wie medizinische Versorgung, Partnermanagement etc.). Diese Faktoren stehen miteinander in der Beziehung: R=β×C×D (R= Zahl der Neuinfektionen im Beobachtungszeitraum; β= Übertragungskoeffizient – Wahrscheinlichkeit der Übertragung pro Sexualkontakt; C= Zahl der Partner im Beobachtungszeitraum; D= durchschnittliche Dauer der Infektiosität). Vulnerable Gruppen. Bestimmte Bevölkerungsgrup-
pen haben ein deutlich höheres Infektionsrisiko:
4 Alter: Inzidenzgipfel im frühen Erwachsenenalter (25–30 Jahre) 4 Geschlecht: Lediglich im Alter <20 Jahren überwiegt das weibliche Geschlecht, danach stets das männliche 4 Regionale Faktoren: Die Inzidenz von STI ist in Städten höher als auf dem Land und in Großstädten höher als in kleinen 4 Niedrigerer sozioökonomischer Status 4 Prädilektion unterentwickelter Länder (. Tab. 15.2). 4 Berufliche Prädilektion: Personen, die unter erzwungener zeitweiliger sexueller Enthaltsamkeit leben müssen (Militär, Schiffsbesatzungen, Fernfahrer, Migranten etc.). Kondom benutzende und oft von Amts wegen kontrollierte Prostituierte stellen keine herausragende Ansteckungsquelle dar 4 Männliche Homosexuelle
553 15.1 · Allgemeines
15
. Tab. 15.2. Jährliche Inzidenz sexuell übertragbarer Infektionen (1999) – neue Fälle in Millionen Krankheit
Weltweit
HIV-Infektionen (2004) Ulcus molle
Westeuropa
5
0,03
7
<0,001
Syphilis
12
0,14
Gonorrhoe
62
1
Chlamydien-Infektion
92
5
174
11
Trichomoniasis
. Tab. 15.3. Meldungen von Geschlechtskrankheiten in Wien (1946–2002) Jahr
Syphilis
Gonorrhoe
Ulcus molle
Lymphogranuloma venereum
1946
5994
13 012
135
0
1951
420
2709
3
0
1965
240
1340
1
0
1970
397
3462
2
0
1981
424
3638
41
0
1992
107
1160
0
1
1999
130
311
0
0
2002
288
846
0
0
Inzidenz und Prävalenz der STI. (Nach-)Kriegszeiten und Perioden gesellschaftlichen Umbruchs sind mit einem Anstieg der Inzidenz von STI verknüpft (. Tab. 15.3). Der letzte Inzidenzgipfel in den 1970er Jahren ist mit der »sexuellen Revolution« und dem Anstieg des Reiseverkehrs korreliert (. Abb. 15.1). In den letzten 20 Jahren kam es in den Industrieländern bis vor kurzem zur Abnahme der Infektionszahlen (v. a. der heilbaren STI), ab Ende der 1990er Jahre wurde aber aus einzelnen Großstädten wieder eine starke Zunahme von Syphilis und rektaler Gonorrhoe bei homosexuellen Männern beschrieben. Seit 2000 hat sich dieser Trend, der offensichtlich auf einer Zunahme risikoreicher sexueller Aktivität beruht, auf die meisten westeuropäischen Länder ausgedehnt und verstärkt. Eine plausible Erklärung könnte eine Abnahme des Bedrohungsgefühls durch den Wandel von HIV/AIDS zu einer behandelbaren chronischen Krankheit sein.
Diagnostik Die ätiologische Diagnose durch direkten Erregernachweis, Serologie oder Kultur vor Beginn einer Behandlung – früher eine strikte Verpflichtung – hat heute eine
. Abb. 15.1. Der Inzidenzgipfel der Gonorrhoe in den 1970er Jahren verhielt sich in den westlichen Industrienationen im Wesentlichen gleichsinnig.
Lockerung erfahren, ist aber nach wie vor erstrebenswert. Es kann jedoch etwa bei genitalen Ulzera die Zuordnung zu Syphilis, Herpes genitalis o. a. klinisch schwierig sein und auch der ätiologische Nachweis (. Tab. 15.4) misslingen (Erregernachweis z. B. durch antiseptische Vorbehandlung, noch negative Luesserologie, inkonklusiver Herpes simplex-Nachweis). In diesen Fällen stellt man das Syndrom der Genitalen Ulzera fest (eine Syndrom-Diagnose – s. u.) und behandelt empirisch. Dies wird von der WHO für die Entwicklungsländer propagiert, kann aber auch in unseren Breitengraden in bestimmten Situationen sinnvoll sein (z. B. Urlauber, Durchreisende). Eine ähnliche Syndrom-Diagnose existiert für die Urethritis u. a. Viele STI werden nur klinisch diagnostiziert (Kondylome, Skabies u. a.). ! Grundsätzlich ist jede genitale Kontaktinfektion Anlass, nach allen anderen STI zu fahnden. Eine solche Alarmfunktion haben auch jene STI, deren Übertragungsmodus nicht ausschließlich durch Genitalkontakt erfolgt (z. B. Skabies, Hepatitis B, Kondylome).
Prävention Programme zur Kontrolle von STI basieren auf 5 wesentlichen Konzepten: 1. Aufklärung über Verhaltensmaßnahmen zur Reduktion der Übertragung von STI. 2. Erfassung von asymptomatisch Infizierten und symptomatisch Erkrankten, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie sich zeitgerecht einer adäquaten Behandlung unterziehen (z. B. Prostituierte). 3. Effektive Diagnose und Behandlung von infizierten Individuen.
554
Kapitel 15 · Venerologie
. Tab. 15.4. Prinzipielles zur Diagnostik von Geschlechtskrankheiten Klinische Diagnostik
Syndrom-Diagnose
Ätiologische Diagnose
Definition
Identifikation der STI anhand der Symptome, basierend auf klinischer Erfahrung
Identifikation aller STI, die als Ursache des Syndroms infrage kommen, und Verabreichung der empfohlenen Behandlung, basierend auf epidemiologischen Daten
Identifikation der Erreger mittels Laboruntersuchungen
Charakteristika
Auch bei erfahrenen Spezialisten nicht selten Fehldiagnose Übersehen von Mischinfektionen Surveillance ist schwierig
Sofortige Behandlung Transmission und Komplikationen verringert Syndrom-Surveillance möglich Abwägung der Behandlung möglichst vieler potenziell Infizierter (Sensitivität) gegenüber dem Risiko einer Überbehandlung (Spezifität) Resistenz und Stigma
Tests können zeitlich (Zeitaufwand bis 1–2 Wochen) und finanziell (Kosten bis zu € 200,00) aufwendig sein Abhängig von Kompetenz des Labors
Beispiele
Herpes simplex Condylomata acuminata
Urethraler Fluor (= Urethritis) Genitale Erosionen/Ulzera (v. a. Entwicklungsländer)
Syphilis HIV Hepatitis B Chlamydia trachomatis Gonorrhoe
4. Evaluation, Behandlung und Beratung der sexuellen Partner von Personen mit STI. 5. Impfung von Personen mit Risiko für eine STI, die durch Impfung vermeidbar ist.
Für Personen mit Latexallergie (Gummiallergie) sind Kondome aus Polyurethan zu empfehlen. Auch das Kondom für die Frau (Femidom) ist aus Polyurethan. Weitere Maßnahmen. Im Prinzip sollte jedermann ge-
15
Konsequent und korrekt verwendet, sind Kondome (für Männer, Latex) ein effektiver Schutz gegen STI, die über genitale Sekrete bzw. Schleimhäute übertragen werden (Gonorrhoe, Chlamydien, Trichomoniasis, Hepatitis B, HIV). Weniger gut schützen sie vor über Haut-Haut-Kontakte übertragene Infektionen (Herpes simplex, HPV – Kondome bedecken wichtige, aber nicht alle exponierten Areale). Folgende Empfehlungen für den richtigen Gebrauch von Kondomen sollten gegeben werden: 4 Vor jedem sexuellen Akt ein neues Kondom verwenden. 4 Sorgfältig mit dem Kondom hantieren, um Schäden mit Fingernägeln, Zähnen oder anderen scharfen Gegenständen zu vermeiden. 4 Das Kondom sorgfältig und vor jeglichem Genitalkontakt überziehen (über den erigierten Penis). 4 Sicherstellen, dass keine Luft in der Spitze des Kondoms eingefangen ist. 4 Adäquate Lubrikation während des Sexualakts, evtl. durch den Gebrauch exogener Lubrikanzien. 4 Nur Lubrikanzien auf Wasserbasis verwenden. Lubrikanzien auf Ölbasis (Vaseline, Massageöle, Cremes, Suppositorien u. a.) können Latex durchlässig machen.
gen Hepatitis B geimpft sein. Für Personen mit erhöhtem Risiko für STI gilt dies umso mehr, diese sollten auch gegen Hepatitis A geimpft werden. Neu ist eine Impfung gegen die High-Risk HPVTypen 16 und 18 (ursächlich für 70% aller Fälle von Zervixkarzinom) sowie gegen die Typen 6 und 11. Wirksam ist die Impfung vor einer Infektion (daher am besten vor dem 13. Lebensjahr) (7 Kap. 4.3.4). Eine jährliche Untersuchung auf Chlamydien (DNA-Nachweis aus Urin) wird generell für alle sexuell aktiven Frauen bis zum 25. Lebensjahr empfohlen und sollte nach adäquater Therapie zur Reduktion von Adnexitis, ektopischer Schwangerschaft und Infertilität beitragen. Zirkumzision schützt vor den meisten STI (z. B. Reduktion der Transmission von HIV von 60%). Der Einsatz von spermiziden Substanzen, wie Nonoxynol-9, zum Schutz vor STI ist abzulehnen – Irritation der Schleimhäute kann die Übertragung von STI sogar erleichtern (für HIV-Infektion belegt).
555 15.2 · Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues)
15.2
Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues)
Grundlagen Definition. Die Syphilis ist eine komplexe Systemkrankheit mit chronischem, stadienhaftem Verlauf, die durch Treponema (T) pallidum verursacht wird. Sie nimmt in der Medizingeschichte einen besonderen Platz ein: wegen ihrer weiten Verbreitung noch bis vor wenigen Jahrzehnten, wegen ihrer mannigfaltigen klinischen Erscheinungsbilder (»Syphilis ist der Affe unter den Krankheiten«), und weil aus der Beschäftigung mit ihr wesentliche Konzepte der modernen Medizin entwickelt wurden (u. a. die Serologie). 3Historisches Die Bezeichnung »Syphilis« geht auf ein 1530 veröffentlichtes Gedicht des venezianischen Gelehrten Girolamo Fracastoro (»Syphilis sive morbus gallicus«) zurück, das die Geschichte des unter der Krankheit leidenden Hirten Syphilus erzählt. 1495 trat die Syphilis bei der Belagerung Neapels durch den französischen König Karl VIII. erstmals auf und überzog innerhalb von 5 Jahren als Epidemie ganz Europa. In Italien wurde sie als französische, in Frankreich als italienische oder neapolitanische Krankheit bezeichnet. Die Syphilis hatte damals eine hohe Mortalität und war sehr gefürchtet (z. B. wurde Schweizer Söldnern, die von der Belagerung Neapels zurückkehrten, aus Angst vor Ansteckung der Eintritt in Bern verwehrt). Ob T. pallidum aus Amerika eingeschleppt wurde (Neue Welt-Theorie) oder durch den plötzlichen Charakterwandel eines präexistenten Erregers (Alte Welt-Theorie) entstand, ist bis heute Gegenstand der Kontroverse. Eine fast lückenlose epidemiologische Beweiskette verbindet die Epidemie in Neapel über die Schiffsbesatzung des Columbus mit dem karibischen Raum. Das Hauptargument der Neuen Welt-Theorie, dass Spuren von Knochentreponematosen nur in Skeletten präkolumbianischer Indianer zu finden seien, wurde durch Funde aus England und Israel entkräftet (die genaue Zugehörigkeit der Treponemen konnte allerdings nicht bestimmt werden). Um 1900 beobachtete man, dass T. pallidum Temperaturen von >41°C nicht überlebt und entwickelte Fiebertherapien (u. a. infizierte man Kranke absichtlich mit Malaria). Risiken und Nebenwirkungen waren nicht unerheblich, einer tertiären Syphilis jedoch durchaus vorzuziehen. 1906 entwickelte Wassermann die erste Serorektion gegen Syphilis, Paul Ehrlich 1909 das erste wirksame Chemotherapeutikum: Salvarsan, ein relativ ungiftiges, organisches Arsenpräparat. Die Einführung von Penicillin (1945) führte zum dramatischen Rückgang der Syphilis.
Erreger. Treponema pallidum ist ein schraubenförmiger, 7–15 μm großer Keim mit charakteristischen Eigenbewegungen (. Abb. 15.15). Die Generationszeit ist sehr lang (ca. 30 h; bei den häufigsten pathogenen Keimen nur 20–40 min!). Er benötigt ein »mikroaerophiles« Klima mit geringer O2-Spannung (1–3%); dies
15
entspricht etwa den Verhältnissen in der Dermis, wo sich T. pallidum auch am stärksten vermehrt. T. pallidum ist sehr empfindlich gegen Eintrocknung, Hitze und Kälte (bei 4°C Verlust der Vitalität innerhalb 24 h), Seife und Detergenzien sowie verschiedene Desinfizienzien. T. pallidum kann nicht gezüchtet werden (in vivo-Propagation im Kaninchenhoden ist möglich). ! T. pallidum gehört (zusammen mit den Borrelien und Leptospiren) zur Familie der Treponemaceae. Andere Treponemen sind die Erreger der »tropischen« Treponematosen (von T. pallidum morphologisch nicht unterscheidbar, besitzen gemeinsame Antigene und einen hohen Grad an DNA-Homologie); weiters saprophytische Treponemen der Mundhöhle und des Genitalbereichs.
Übertragung. T. pallidum kann wegen seiner hohen Empfindlichkeit nur im feuchten, körperwarmen Milieu übertragen werden, die Infektion erfolgt daher fast nur durch sexuelle Kontakte. Voraussetzung ist das Vorhandensein treponemenhaltiger Schleimhaut- (seltener Haut-)Läsionen der Frühsyphilis (Primäraffekt, nässende lokalisierte Papeln). Das Transmissionsrisiko pro Sexualkontakt beträgt bei Syphilis I etwa 30%. »Akzidentelle« (d. h. nichtsexuelle) Infektionen können (sehr selten) bei Läsionen der Mundschleimhaut vorkommen (Küssen, Verletzungen des Zahnarzts, vorgekaute Babynahrung). Während der Schwangerschaft kann eine erkrankte Mutter die Frucht diaplazentar infizieren (→ Syphilis connata). Hämatogene Übertragung durch Blutprodukte kommt in Industrieländern aufgrund serologischer Voruntersuchungen nicht mehr vor. Epidemiologie. Ende des Zweiten Weltkrieges erreichte
die Syphilis einen Inzidenzgipfel, verschwand nach Einführung des Penicillins fast gänzlich (1955–1960), stieg anschließend wieder an, um bis 1990 abzuflachen. Ab 2000 kommt es wieder zu einer leichten Zunahme; kleinere Epidemien wurden v. a. bei homosexuellen Männern in Großstädten beobachtet (Risikofaktoren: HIV-Infektion, anonyme Sexualpartner, Methamphetamingebrauch). Derzeit liegt die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung der westlichen Länder bei 3–8 Fällen/100 000/Jahr, in den Ballungszentren ist sie bis zu 4-mal höher. In vielen ehemaligen »Ostblockländern« kam es nach der »Wende« zu einem exzessiven und beispiellosen Anstieg der Syphilis. 2007 wurden in Deutschland 3258 Fälle von Syphilis gemeldet. Pathogenese. Die Vermehrung der Treponemen nach
Inokulation erfolgt in den Lymphspalten mit Ausbildung eines lympho-plasmozytären entzündlichen In-
556
Kapitel 15 · Venerologie
. Abb. 15.2. Die Manifestationen der Frühsyphilis in ihrem zeitlichen Verlauf
. Abb. 15.3. Die Manifestationen der Spätsyphilis in ihrem zeitlichen Verlauf
15
filtrats. Der Gefäßbefall führt zu regionalem Lymphstau (derbe Konsistenz!) und ischämischer Nekrose. Durch die Infektion entsteht keine protektive Immunität. Während der floriden Infektion ist der Organismus gegen neuerliche Inokulationen weitgehend geschützt (so genannte »Schankerimmunität«). Bei massiver Inokulation entstehen trotz hoher Antikörperspiegel Läsionen, die dann ein stadiengerechtes Bild annehmen (bei Lues III etwa ein Gumma). Nach adäquater Therapie schwindet dieser relative Schutz bald, Neuinfektionen sind möglich. Verlauf und Stadieneinteilung Die Syphilis verläuft in 3 Stadien mit jeweils unterschiedlicher Krankheitsaktivität und Manifestation. Der Krankheitsverlauf ist zyklisch, wobei aktive Phasen
und Latenzphasen abwechseln (. Abb. 15.2): unter Frühlatenz versteht man Latenzphasen innerhalb des Stadium II, unter Spätlatenz das Intervall zwischen Stadien II und III. Die CDC unterscheidet nur zwischen einer (infektiösen) Früh- und einer (nichtinfektiösen) Spätsyphilis; die Grenze wird künstlich bei 1 Jahr gezogen (nach WHO bei 2 Jahren) – die Frühsyphilis umfasst daher Primär- und Sekundärstadium. Verlauf der unbehandelten Syphilis. Das Sekundärstadium entsteht stets, ein Tertiärstadium nur in ca. einem Drittel der Fälle; der Rest mündet in permanente Latenz oder Spontanheilung. Ca. 10% der Erkrankten sterben an der Syphilis. Die auftretenden Organmanifestationen sind an charakteristische Zeitintervalle gebunden und treten üblicherweise alternativ auf (. Abb. 15.3).
557 15.2 · Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues)
15
3Die Kenntnis des Verlaufs der unbehandelten Syphilis geht im Wesentlichen auf die Oslo- und die Tuskegee-Studien zurück. Bei der Oslo-Studie wurde den Patienten die Therapie mit (dem giftigen und wenig wirksamen) Quecksilber vorenthalten, bei der Tuskegee-Studie (Afroamerikaner aus den Südstaaten) hingegen Penicillin. Diese Studie wurde erst 1972 abgebrochen, erst 1997 gab es eine offizielle Entschuldigung bei überlebenden Betroffenen durch US-Präsident Clinton. Folgen dieser Studie waren Reformen von klinischen Studien (Einführung des »informed consent«).
Primärstadium (Syphilis I) 2–3 Wochen nach der Inokulation (Grenzen: 9–90 Tage – abhängig von der Erregermenge) entwickelt sich an der Eintrittspforte aus einer derben Papel der syphilitische Primäraffekt (PA; Synonyme: harter Schanker, Ulcus durum, Sklerose): ein meist solitäres, derbes, entzündlich infiltriertes schüsselförmiges Ulkus von »schinkenbraunroter« Farbe (. Abb. 15.4). Es ist scharf begrenzt, mit steil abfallenden Rändern (nie unterminiert!), fein granuliertem Grund und relativ schmerzlos. Zusätzlich besteht eine meist einseitige, derbe indolente Lymphknotenschwellung (»Skleradenitis«), Allgemeinsymptome fehlen. Nach 3–8 Wochen kommt es zur spontanen narbigen Abheilung (Reste können zu Beginn der Syphilis II noch erkennbar sein). PA sind in ~90% am Genitale lokalisiert. Prädilektionsstellen: beim Mann Frenulum präputii und Sulcus coronarius, bei der Frau hintere Kommissur, kleine Labien und Portio uteri (. Abb. 15.5). Abweichungen von der Norm sind häufig, z. B. Riesen- und Zwerg-PA, multiple PA, »Abklatsch«-PA (an einander berührenden Stellen, z. B. Glans–Präputium) u. a. Extragenitale PA sind oft schwieriger zu erkennen. Prädilektionsstellen: Mundhöhle (Lippen, Gaumen, Zunge, Tonsillen – einseitige nekrotische Ulzera mit meist massiver regionaler Lymphadenitis); Anus und Rektum; selten Mamillen oder Finger (dort sehr schmerzhaft). Selten bildet sich kein Ulkus sondern lediglich ein derbes Infiltrat (Oedema indurativum) – häufiger bei Frauen (einseitige radiergummiartige Schwellung am Labium), bei Männern kann ein »Glockenschwengelpenis« auftreten. Differenzialdiagnosen: . Tab. 15.5. In 40–60% lässt sich bei Patienten mit Syphilis II ein PA anamnestisch nicht erheben. Sekundärstadium (Syphilis II) Dieses ist durch die systemische Auseinandersetzung des Organismus mit den Erregern gekennzeichnet. Die Immunantwort gewährleistet eine gewisse Kontrolle: die Syphilis II nimmt einen schubhaften Verlauf mit in Art und Intensität sehr wechselnder Symptomvielfalt, dazwischen erscheinungsfreie Intervalle. Die Rezidivschübe werden immer kürzer und schwächer und klin-
. Abb. 15.4. Syphilitischer Primäreffekt beim Mann: ein kreisrundes, schmierig belegtes Ulkus mit derb infiltrierten Rändern und schinkenbraun-roter Farbe
. Abb. 15.5. Syphilitischer Primäreffekt an der Cervix uteri. Differenzialdiagnose: Zervixkarzinom
gen schließlich ab. Bei ca 70% kommt es nur zu einem einzigen Schub (späte Syphilis II ist also selten!). Die Syphilis II beginnt mit unspezifischen Prodromalsymptomen ca. 7–10 Wochen nach der Infektion: subfebrile Temperaturen, Malaise, Gewichtsverlust, Inappetenz, Kopf- und Halsschmerzen, Heiserkeit, konjunktivale Reizung, Nasenkatarrh, Gelenk- und Knochenschmerzen. Analoge Symptome, meist milder, gehen oft auch den Rezidivschüben voraus. Die Seroreaktionen sind bei Syphilis II stets positiv. Die Symptomatik der Syphilis II umfasst folgende 5 klassische klinische Zeichen: 4 Generalisierte Lymphknotenschwellung (>50%) – Lymphknoten im Sulcus bicipitalis medialis! 4 Exantheme: Man unterscheidet Früh- (Erstlings-) und Spät-(Rezidiv)exantheme. Sie sind subjektiv symptomlos. Das Erstlingsexanthem (Roseola sy-
558
Kapitel 15 · Venerologie
. Tab. 15.5. Wichtige Differenzialdiagnosen luetischer Primäraffekte Erkrankung
Charakteristika
Genital Herpes genitalis (wichtigste DD!)
Stark entzündlich, schmerzhaft, aus mehreren Bläschen oder Erosionen zusammengesetzt, häufig Anamnese früherer Episoden
Chronisch-rezidivierende Aphthen (Major-Typ)
Pelzige Nekrose, meist multipel, Lymphadenitis fehlt meist, Anamnese früherer Episoden
Ulcus molle
Schmerzhaft, weich, unterminierte Ränder, schlitzförmig oder hypertroph, meist multipel, Inkubationszeit kurz
Lichen ruber (anuläre Form)
Kein Ulkus, livider Farbton, Infiltration fehlt, schmerzlos, keine Lymphadenitis, andere Herde von Lichen ruber
Karzinome (Penis-, Vulva-, Zervixkarzinom)
Mittleres bis höheres Alter des Patienten, wenig entzündlicher Charakter und besonders derbe Infiltration, unregelmäßig gehöckerter Ulkusgrund
Pyodermie nach Traumen (Haarschnitt)
Stark entzündlich, eiternd, Auftreten kurz nach Traumen (Verkehr)
Extragenital
15
Lippenfurunkel
Schmerzhaft, eitrig, nicht so derb infiltriert
Chronisch-rezidivierende Aphthen (Major-Typ)
s. o.
Herpes simplex
s. o.
Angina Plaut-Vincenti
Ausgedehnte matschig-nekrotisierende Entzündung
Akute Paronychie
Akut entzündlich, schmerzhaft
Entzündliche Hämorrhoidalknoten, Analfissur
Akut entzündlich, schmerzhaft
Karzinome (Lippen-, Zungen-, Tonsillen-, Rektumkarzinom)
s. o.; Koexistenz von Präkanzerosen
philitica, »Kieler Masern«) ist makulös, blassrosabläulich, regellos disseminiert, symmetrisch vorwiegend seitlich am Stamm lokalisiert und zu Beginn sehr unauffällig (. Abb. 15.6). Rezidivexantheme können makulös, papulös, pustulös, squamös (Rupia syphilitica – austernschalenartige Krustenbildung) und sogar ulzerös sein. Sie sind weniger dicht und eher gruppiert. Prädilektionsstellen: Nacken, Schultern, proximale Extremitäten (. Abb. 15.7). 4 Lokalisierte Papeln: Spezifische Infiltrate, die durch fokale Anreicherung von Treponemen bedingt sind (hochinfektiös!). Prädilektionsstellen: 5 Mundschleimhaut, Pharynx (35%): ovale, erhaben-erosive, mit graugelben Fibrinbelägen bedeckte Läsionen (Plaques muqueuses). Charakteristisch sind Papeln der Mundwinkel (syphilitische Perlèche) und der Zunge. Zusätzlich häufig diffuse Rötung des gesamten Pharynx (Angina specifica). 5 Genital-perineal-perianal (20%): beetartige, düster rot-braune erodierte Papeln; oft große, flache Plaques (Condylomata lata) (. Abb. 15.8).
5 Handflächen und Fußsohlen: livid- braunrote, manchmal schuppende flache Papeln oder Plaques (»Clavi syphilitici«) 5 Große Beugen und seborrhoische Areale: Gesicht, Augenbrauen und Nasolabialfalten (»seborrhoische Papeln«), Haaransatz (»Corona veneris«). 4 Luetischer Haarverlust: reversibel. Prädilektion: Parietal- und Okzipitalregionen. 5 Diffuses luetisches Effluvium: toxisches Telogeneffluvium bei der frühen Lues II mit typischer Lichtung der Parietalregion. 5 Alopecia areolaris specifica (selten): disseminierter kleinfleckiger Haarausfall (»von Motten angefressen«) bei später Lues II (. Abb. 15.9). 4 Luetisches Leukoderm: postinflammatorische Hypopigmentierung nach luetischen Papeln; konfettigroße hypopigmentierte Flecken, bei später Lues II. Nichtdermatologische Manifestationen: Hepatosplenomegalie, selten Hepatitis (mit oder ohne Ikterus), Glomerulonephritis und syphilitische Iridozyklitis, selten basale Meningitis (z. B. Hirnnervenausfälle).
559 15.2 · Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues)
15
. Abb. 15.6. Makulöses syphilitisches Frühexanthem mit Ähnlichkeit zur Pityriasis rosea
. Abb. 15.8. Condylomata lata: breitbasig aufsitzende, erosive, konfluierende Papeln
. Abb. 15.7. Papulöses syphilitisches Spätexanthem mit Ähnlichkeit zur Pityriasis lichenoides. Beachte die schüttere Aussaat und beginnende Tendenz zur Gruppierung
. Abb. 15.9. Alopecia areolaris specifica. Kleinfleckiger, konfluierender reversibler Haarverlust (»wie von Motten zerfressen«)
Labor: erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit, Leuko-/Lymphozytose, milde Anämie.
philis III sind fast frei von Treponemen). Klinisch unterscheidet man 3 Symptomkomplexe, wobei manchmal mehrere dieser Formen gleichzeitig entstehen können: 4 Benigne Spätsyphilis 4 Spätsyphilis des ZNS 4 Kardiovaskuläre Syphilis
3Latenzphasen. Klinisch erscheinungsfreie Phasen, in denen die Syphilis nur serologisch diagnostiziert werden kann. »Früh-« und »Spätlatenz« (s. o.) können weder klinisch noch serologisch, sondern nur anamnestisch unterschieden werden; im Zweifelsfall wird entsprechend der Diagnose »Spätlatenz« vorgegangen.
Tertiärstadium (Lues III, Spätsyphilis) Dieses ist durch selektiven Befall eines oder mehrerer Organe (Haut, Knochen, Herz, ZNS etc.) gekennzeichnet. Pathogenetisch liegt eine zelluläre Immunreaktion mit Ausbildung von teils produktiven, teils nekrotisierenden Granulomen zugrunde (Läsionen der Sy-
Benigne Spätsyphilis (15% bei unbehandelter Syphilis; 1–40 Jahre nach Infektion – Inzidenzgipfel bei 15 Jahren) (. Abb. 15.3): fokale proliferative oder destruktive Granulome, die in jedem Organ vorkommen können, am häufigsten (zu etwa gleichen Teilen) an Haut, Schleimhäuten und Knochen. Sie verursachen oft erhebliche Destruktionen, sind aber weitgehend schmerzlos.
560
15
Kapitel 15 · Venerologie
. Abb. 15.10. Gumma der Scheinbeinkante. Ein tiefes, nekrotisches Ulkus mit scharfen, steil abfallenden Ulkusrändern (»wie mit dem Locheisen ausgestanzt«)
. Abb. 15.11. Perforation des harten Gaumens nach syphilitischem Gumma (»Wolfsrachen«)
4 Spätsyphilis der Haut: 5 Syphilide sind flache, braunrote, gruppierte, oft serpiginös und asymmetrisch angeordnete plattenartige/knotige Läsionen (tuberöse, tubero-serpiginöse Syphilide) mit Neigung zu Ulzeration, Narbenbildung und Mutilation (Nase, Ohren). Prädilektionsstellen: Rücken, Streckseiten der oberen Extremitäten, Gesicht. 5 Gummen (die »klassische« Läsion der Spätsyphilis): livid-braunrote, derb-elastische, tiefere Knoten, die später einschmelzen, exulzieren und scharf begrenzte, »wie mit dem Locheisen ausgestanzte« Ulzera bilden (. Abb. 15.10). Sie entstehen häufig im Periost! Prädilektionsstellen: Kapillitium, mediale Klavikularregion, lange Röhrenknochen (Tibia), Gaumen (Perforation → »Wolfsrachen«) (. Abb. 15.11) und Nasenseptum (→ Sattelnase). Histologie: zentral verkäsendes tuberkuloides Granulationsgewebe. Differenzialdiagnose: Neoplasien; Ulcus cruris venosum, Tuberkulom. 4 Spätsyphilis der Knochen (Gummen) kann zu Frakturen oder Gelenkdestruktion führen. Prädilektion: Tibia, Sternum, Klavikula, Wirbel, Rippen, lange Röhrenknochen. Mitbefall der darüberliegenden Haut oder Schleimhaut ist häufig (s. o.). Die luetische Periostitis führt zu schalenförmigen Knochenauflagerungen und zur Osteolyse; endostale Spätsyphilis führt zur Sklerosierung des Markraumes (»Elfenbeinknochen«). 4 Spätsyphilis anderer Organe: Augen (Uveitis, Chorioretinitis, Optikus-Atrophie), Leber, Magen, Lymphknoten, Genitaltrakt und Skelettmuskeln Am häufigsten ist die Leber betroffen (Hepar lobatum).
Spätsyphilis des Zentralnervensystems (Lues cerebrospinalis, Neurolues). Da das ZNS bereits in der Phase
der Dissemination von T. pallidum besiedelt wird, können neurologische Manifestationen schon in der Frühsyphilis auftreten. Die Neurosyphilis trat auch in der Vor-Antibiotikaära nur bei einer Minderheit auf, seit Einführung des Penicillins ist sie selten. Möglicherweise als Folge häufigen, oft ungezielten Einsatzes von Antibiotika haben abortive, maskierte, monosymptomatische Formen die klassischen Bilder abgelöst. Die Neurosyphilis beruht auf 3 wesentlichen pathologisch-anatomischen Substraten: 4 (akute oder chronische) Meningitis (kann jedes Areal betreffen) 4 obliterierende Endarteriitis der meningealen/zerebralen Gefäße mit Thrombosen 4 Parenchymdegeneration Klinisch werden folgende Formen unterschieden: 4 Asymptomatische Neurosyphilis: Zufallsbefund. In 10–35% Übergang in eine symptomatische Form (»Paralysis imminens«). 4 Akute syphilitische Meningitis 4 Meningovaskuläre Neurosyphilis: klinisch vielgestaltig; überwiegt die meningitische Komponente, dominieren basale Hirnnervenausfälle (besonders III, VI, VII, VIII) und Optikusatrophie; vaskulärer Befall: zerebrovaskuläre ischämische Insulte (A. cerebri media!). 4 Lues parenchymatosa: 5 Tabes dorsalis (Entmarkung der Hinterstränge und der Dorsalwurzeln, Zeichen chronischer Leptomeningitis) mit tabischen Schmerzen (heftige, krisenartig auftretende, brennende Schmerzen in den Extremitäten oder abdominell), Pupillen- (Argyll-Robertson-Phänomen),
561 15.2 · Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues)
Koordinationsstörungen, organischem Psychosyndrom, vestibulocochleären Symptomen, Optikusatrophie, Reflex- und Sensibilitätsverlust, Blasenstörungen, Impotenz, neurotrophischen Störungen (Mal perforant, Charcot-Gelenke). 5 Progressive Paralyse (luetische primäre chronische Enzephalitis mit frontalhirnbetonter Parenchymschädigung und Atrophie; daneben chronische Leptomeningitis. Klinisch: organisches Psychosyndrom, Sprachstörungen, Pupillen- und Reflexanomalien, epileptische Anfälle, Koordinationsstörungen, Hirnnervensymptome u. a. 4 Spinale Manifestationen (bis 5%): radikuläre Syndrome, spastische Spinalparalyse, akutes vaskuläres Querschnittsyndrom. ! Verdacht auf Vorliegen einer Neurolues besteht bei: 5 neurologischer Symptomatik (inkl. ophthalmologischer Läsionen) bei Lues in jedem Stadium (behandelt oder unbehandelt, symptomatisch oder nicht) oder 5 verzögertem Lipoidantikörper-Titerabfall (RPR oder VDRL) innerhalb von 2 Jahren nach Behandlung einer Lues II oder III oder 5 Serum RPR/VDRL ≥1:32 (bei HIV-Infizierten)
Kardiovaskuläre Spätsyphilis. Eine obliterierende Endarteriitis der Vasa vasorum mit epitheloidzelligen Granulomen, die durch Narbengewebe ersetzt werden. Folgen: Dilatation der Aorta ascendens, Insuffizienz der Aortenklappen und/oder Aneurysmabildung, Stenosierung der Ostien der Koronararterien (Angina pectoris). Die kardiovaskuläre Syphilis existiert heute kaum mehr (außer Zufallsbefunden post mortem). Früher trat sie bei unbehandelter Lues in etwa 10% auf, die Mortalität betrug 70–90%.
Konnatale Syphilis (Synonym Lues connata) Ein seit Einführung des serologischen SchwangerenScreenings extrem seltenes Krankheitsbild; es entsteht durch Übertragung auf den Fötus in utero.
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Die Frucht einer an Syphilis erkrankten Frau wird nicht zwangsläufig diaplazentar infiziert. Ob eine Infektion stattfindet und welche Konsequenzen diese hat, hängt von der Menge der in den Föten eingeschwemmten Treponemen und damit vom Stadium der Syphilis der Mutter ab. Folgende Endausgänge sind für das Kind grundsätzlich möglich: 4 Abort (Spätabort, meist nach der 18. SSW, Häufigkeitsgipfel im 8. Lebensmonat) 4 Totgeburt zum Termin 4 Lues connata (Frühgeburt oder zum Termin) 4 Ausbleiben der Infektion Welcher Endausgang eintritt, unterliegt folgenden Faustregeln: 1. Erfolgt die Infektion der Mutter zum Zeitpunkt der Konzeption oder bis zum 7. Lunarmonat, ist die Wahrscheinlichkeit der Übertragung fast 100%. Folgen: Abort, Totgeburt oder schwere Lues connata praecox (s. u.). Je länger die Syphilis der Mutter vor der Konzeption bestanden hat, desto seltener ist die Übertragung (2 Jahre: 50%, 2–5 Jahre: 25%, >5 Jahre: <20%). Kommt es zur Infektion, resultiert eine Lues connata. 2. Bei Infektion der Mutter zwischen dem 7. Lunarmonat und der Geburt nimmt das Infektionsrisiko des Kindes ab, je später die Infektion erfolgt; kommt es dennoch zur Übertragung, ist der Fruchttod unwahrscheinlich. Bei Infektion der Mutter in den letzten SSW unterbleibt die diaplazentare Übertragung meist, das Kind kann jedoch bei der Geburt am Primäraffekt der Mutter infiziert werden (es entsteht eine erworbene, keine angeborene Lues). Die Lues connata läuft wie die Syphilis des Erwachsenen in Stadien ab (. Abb. 15.12), wobei ein Äquivalent zur Syphilis I naturgemäß fehlt. Man unterscheidet: 4 Frühmanifestationen (Lues connata praecox; Säuglingsalter bis Ende des 2. Jahres),
. Abb. 15.12. Die Manifestationen der Lues connata in ihrem zeitlichen Verlauf
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Kapitel 15 · Venerologie
4 Erscheinungen der so genannten Rezidivperiode (2.–4. Lebensjahr) und 4 Spätmanifestationen (Lues connata tarda; Schulund Jugendalter).
C A V E
Infektiös sind die syphilitischen Infiltrate an Plazenta und Nabelschnur, die entzündlichen Läsionen der Frühperiode und das Blut. Die Veränderungen der Lues connata tarda sind hingegen nicht infektiös.
Lues connata praecox. Die Kinder sind meist Früh-
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geburten, untergewichtig, mit gelblich-schlaffer Haut, »greisenhaftem« Gesicht, wimmern statt kräftig zu schreien und haben ein ungewöhnlich großes Abdomen (»kleiner alter Mann mit großem Bauch«); erhöhte Säuglingssterblichkeit. Systemische Manifestationen bestehen in >50%: interstitielle Pneumonie (Pneumonia alba), Hepatosplenomegalie, interstitielle Hepatitis (Feuersteinleber), Iritis und Chorioiditis, generalisierte Lymphadenopathie, Anämie, Thrombopenie, aktive oder stumme Neurolues. Knochenveränderungen stellen sich meist im 4. Monat ein: Osteochondritis dissecans mit Epiphysenlösung und schmerzbedingter Ruhigstellung einer Extremität (Parrot-Pseudoparalyse). Durch die luetische Periostitis bilden sich schalenförmige Auflagerungen an Diaphysen und flachen Knochen. Hautläsionen: zwischen der 2. und 6. Woche erscheinen lokalisierte Papeln, v. a. perioral (Hochsinger-Infiltrate mit tiefen Einrissen, die mit typischen radiären Narben abheilen – Parrot-Furchen), anogenital (Condylomata lata, Fissuren), palmoplantar und in den Beugen. Seltener bilden sich an Handflächen und Fußsohlen Blasen mit serös-eitrigem Inhalt (»Pemphigus palmoplantaris syphiliticus«). Häufigstes Schleimhautsymptom ist eine erst trockene, später seröse oder blutige Rhinitis durch Papeln der Nasenschleimhaut (Coryza neonatorum). Bei ausgeprägtem Befall werden die Knochen der Nasenwurzel destruiert (Spätfolge: »syphilitische Sattelnase«) (. Abb. 15.13). Unbehandelt stellt sich im 2. Lebensjahr eine spontane Defektheilung ein. Diese drückt sich durch lebenslang bestehen bleibende »Stigmen« aus: syphilitische Sattelnase, Parrot-Furchen, Säbelscheidentibia und Caput natiforme (»Olympierstirn«) als Folgen der ossifizierenden Periostitis, Perforationen von Nasenseptum und Gaumen. Lues connata tarda. Hautmanifestationen stellen sich zwischen dem 5. und 20. Jahr ein und entsprechen der benignen Spätlues (s. o.). Daneben kann jedoch die für
. Abb. 15.13. Lues connata tarda im Erwachsenenalter. Luetische Sattelnase mit Perforation. Beachte Konturveränderungen der Stirn durch abgelaufene Gummen
. Abb. 15.14. Hutchinson-Zähne. Kleine, sich distalwärts verjüngende Zähne, Diastemata
die Lues connata tarda charakteristische HutchinsonTrias auftreten: Keratitis parenchymatosa (Gefahr der Erblindung), Neurolabyrinthitis – Innenohrschwerhörigkeit und Hutchinson-Zähne: die mittleren oberen Schneidezähne (des bleibenden Gebisses, Milchzähne sind normal!) sind verkleinert, haben an der Schneide eine halbmondförmige Ausnehmung und sind an der Krone schmaler als an der Basis (. Abb. 15.14). Häufig ist ferner die Neurolues, die Zeichen der Tabes dorsalis und der progressiven Paralyse vereint (gegen Ende der 2. Lebensdekade). Diagnostik der Syphilis Grundsätzlich stehen der direkte Erregernachweis sowie sero- bzw. molekularbiologische Reaktionen zur Verfügung. Kulturen sind nicht möglich. Die Wahl des sinnvollsten Nachweises hängt vom Stadium ab (. Tab. 15.6).
563 15.2 · Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues)
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. Tab. 15.6. Diagnostik der Syphilis Stadium
Diagnostik
Syphilis I
Direkter Erregernachweis (Primäraffekt) Serologie: ist bei bis zu 50% noch negativ. Bei klinischem Verdacht Wiederholung in Abständen von 1–2 Wochen. Eine Syphilis I kann erst nach 12 Wochen Seronegativität ausgeschlossen werden
Syphilis II
Serologie (zu 100% positiv) Direkter Erregernachweis (aus lokalisierten Papeln)
Latenz
Serologie (in Spätlatenz VDRL/RPR nicht selten negativ)
Benigne Spätsyphilis
Serologie (TPPA/TPHA/MHA-TP; VDRL/RPR manchmal negativ)
Neurosyphilis
4 Blut- und Liquor-Serologie; TPHA/TPPA- und ITPA-Index! 4 Liquoruntersuchung auf Leukozyten, Erhöhung aller Eiweißfraktionen, Glukose
Kardiovaskuläre Syphilis
4 Serologie 4 Kardiologische Diagnostik
Syphilis connata
4 Serologie beim Neugeborenen 4 Direkter Erregernachweis bei florider Lues connata praecox
Direkter Erregernachweis im Nativpräparat. Das Ulkus (bzw. Erosion) wird gereinigt und Gewebsflüssigkeit exprimiert (»Reizsekret«) – gegebenenfalls nach vorsichtiger (!) Skarifikation mit einer Nadel. Der gewonnene Tropfen wird mit einer Glaskapillare aufgenommen, auf einen Objektträger geblasen, mit einem Deckglas bedeckt und im Dunkelfeldmikroskop untersucht (Nativpräparat). Material aus dem Ulkusrand enthält am reichlichsten Treponemen. Diese werden anhand ihrer Morphologie und charakteristischen Knickbewegungen identifiziert (. Abb. 15.15a). 3T. pallidum muss im Dunkelfeldmikroskop von saprophytären Treponemen und Spirochaeta refringens (z. B. bei Angina Plaut Vincenti) unterschieden werden. Die episodische »Klappmesser«-artige Knickbewegung mit abwechselnder Ausbildung von stumpfen und spitzen Winkeln ist für T. pallidum diagnostisch. Unspezifisch sind hingegen Rotationen um die Längsachse (»Korkenzieher«) und Streck- bzw. Schrumpfbewegungen (»Ziehharmonika«).
Der direkte Erregernachweis im »Reizsekret« ist weiters durch direkte Immunfluoreszenz (. Abb. 15.15b), in Gewebsschnitten mit Immunhistochemie möglich (. Abb. 15.15c); falsch positive Resultate durch Kreuzreaktion mit anderen Treponemen kommen vor. Der klassische Nachweis von T. pallidum in Gewebsschnitten war die Versilberungsmethode (Levaditi). Ein (nicht mehr erhältlicher) PCR-Nachweis ermöglichte die Unterscheidung von kontaminierenden saprophytären Treponemen bei oralen/analen Läsionen. Serologie. Man unterscheidet treponemale (»spezi-
fische«) und nichttreponemale (»unspezifische«) Tests
(. Tab. 15.7). Im Prinzip benötigt man für die Diagnostik jeweils einen »spezifischen« und einen »unspezifischen« Test. Beide Arten von Tests dienen der Diagnostik (die treponemalen auch als »Screening-Test« – TPPA), die nichttreponemalen zusätzlich dem Monitoring der Therapie. Nichttreponemale Antikörper (»Reagine«) sind (Auto)Antikörper gegen Phospholipide der Mitochondrienmembran (Cardiolipin), die nicht nur in verschiedenen Organextrakten (deshalb »unspezifisch«), sondern auch in T. pallidum und anderen Mikroorganismen enthalten sind. Man findet diese Antikörper daher auch bei einer Reihe anderer Krankheiten (»biologisch falsch positive Reaktionen«): bei Infektions-, Autoimmunkrankheiten, Leberzirrhose, Schlafmittelabusus, Schwangerschaft und sogar – in niedrigen Titern – im Serum gesunder Menschen (s. Antiphospholipid-Syndrom, 7 Kap. 7). RPR und VDRL (. Tab. 15.7)
. Tab. 15.7. Antikörpernachweis bei Syphilis Cardiolipin (»Reagin«) Tests
Treponemale Tests
4 Venereal Diseases Research Laboratory Test (VDRL) 4 Rapid Plasma Reagin Test (RPR)
4 T. pallidum Hämagglutinationstest (TP-HA, MHA-TP), T. pallidum Partikelagglutinationstest (TP-PA) 4 Fluorescent treponemal antibody absorption test (FTA-abs) – für IgG oder IgM 4 ELISA für IgG, IgG plus IgM, oder für IgM 4 Western Blot (für IgG oder IgM)
564
Kapitel 15 · Venerologie
wird der Test manchmal erst in höherer Verdünnung positiv (Prozonenphänomen). Der Titer sinkt nach Behandlung der Frühsyphilis rasch ab (umso rascher, je kürzer sie bestanden hatte) und wird negativ. Bei Krankheitsdauer >12 Monaten sinken sie zwar ebenfalls ab, können aber in niedrigen Titern jahrelang bis zeitlebens reaktiv bleiben. Treponemale, d. h. mit Treponemen-Antigenen nachweisbare Antikörper treten typischerweise nach 1 Woche (oder länger) nach Entstehen des Primäraffekts auf. Der Titer steigt bis zur 5./6. Woche an, fällt dann langsam wieder ab und kann nach Jahren (Jahrzehnten) unter die Grenze der Nachweisbarkeit sinken. Die IgG-Titer sinken nach erfolgreicher Behandlung nur wenig ab (Ausnahme: Therapie in den ersten Wochen nach Infektion) und bleiben zeitlebens erhalten (»Seronarbe«). Eine Vielzahl von Methoden steht zur Auswahl: bisher am gängigsten sind der TPPA, der TPHA und der FTA-ABS-Test (. Tab. 15.7). Nachweise treponemaler Antikörper mit ELISA oder Westernblot sind gleichwertig und werden zunehmend eingesetzt. Tests zum Nachweis von IgM-Antikörpern (IgMFTA-Abs-Test, IgM-EIA, 19-S-IgM-FTA-ABS-Test, IgM-Westernblot), werden bei einer Erstinfektion als erste positiv. Sie sollten in der Frühphase der Infektion verwendet werden. Praktisch wichtig ist der IgM-Nachweis auch zur Diagnose der Neurolues und der Lues connata. Nach Behandlung sinken die spezifischen IgM-Titer bei der Frühsyphilis innerhalb einiger Wochen (Monate) auf Null, bei der Spätsyphilis dauert dies etwa 1 Jahr.
a
b
3Der 19S-IgM-FTA-ABS-Test ist eine Verfeinerung des FTA, die die mittels HPLC isolierte IgM-Antikörperfraktion (19S-IgMFraktion) des Patientenserums einsetzt. Dieser Test ist allen anderen serologischen Methoden an Spezifität überlegen; er wird als »letzte Instanz« bei zweifelhaften Seren in Speziallabors durchgeführt.
15 c . Abb. 15.15a–c. Erregernachweis bei Syphilis. Die Identifikation erfolgt (a) anhand seiner Morphologie und der charakteristischen Bewegungen (Dunkelfeld, ×45), (b) direkte Immunfluoreszenz im »Reizsekret« (×25) oder (c) Immunhistochemie in Gewebsschnitten (×25) (jeweils polyklonale Kaninchen-Antikörper)
sind einander in Sensitivität und Spezifität gleichwertige Flockungstests. Nichttreponemale Antikörper sind in aktiven Phasen der Syphilis regelmäßig nachweisbar; ihr Titer ist ein grobes Maß der Krankheitsaktivität (auch bei Syphilis III). Bei Syphilis I ist der Test noch in bis zu 50% negativ, bei Syphilis II sind die Titer am höchsten – hier
Liquor-Serologie. Negative Ausfälle der spezifischen Tests im Liquor (TPPA, FTA-ABS) schließen eine Neurolues praktisch aus (hoher negativer prädiktiver Wert); geringe Titer beweisen die Neurolues jedoch nicht, da IgG-Antikörper partiell liquorgängig sind und daher aus dem Serum stammen können (hohe Sensitivität, niedrige Spezifität). Erst der Nachweis der Produktion spezifischer Antikörper im ZNS sichert die Diagnose. Eine solche ist bei Vorhandensein treponemaler IgM Antikörper im Liquor wahrscheinlich und kann durch den TPHA/TPPA-Index (nach Luger) und den ITPAIndex (intrathekale T. pallidum Antikörper) bewiesen werden.
565 15.2 · Syphilis (Synonym Lues venerea – »Lustseuche«, Lues)
15
TPPA – Titer im Liquor TPHA/TPPA – Index = 0000000022 103 Liquoralbumin in (mg/dl) × 0008 Serumalbumin (mg/dl) Werte > 500 sind diagnostisch für eine Neurolues, zwischen 70 und 500 ist diese wahrscheinlich. TPHA – Titer im Liquor 0008 IgG im Liquor ITPA – Index = 0008 TPHA – Titer im Serum 0008 IgG im Serum Ein ITPA-Index >2 weist auf eine spezifische Antikörpersynthese des ZNS hin. C A V E
Die Angaben für beide Indices haben nur Aussagekraft, solange die Blut-Hirn-Schranke nicht wesentlich beeinträchtigt ist (d. h. solange das Verhältnis Serum-Albumin zu Liquor-Albumin >144 ist).
Diagnostik der Lues connata Die Indikation zur Abklärung bezüglich einer Lues connata besteht bei Kindern, deren seropositive Mutter entweder nicht oder schlecht dokumentiert oder im letzten Monat vor der Geburt behandelt wurde; oder: wenn nach Therapie der Titerabfall ausblieb/keine serologischen Kontrollen erfolgten. Untersucht wird das Säuglingsblut, nicht! das Nabelschnurblut. Indikationen zur Therapie sind: 4 klinisch und röntgenologisch gesicherte Lues connata 4 positiver 19S-IgM-FTA-ABS 4 positiver RPR oder VDRL im Liquor 4 abnormer Liquorbefund (auch bei negativer Serologie) 4 RPR- oder VDRL-Titer des Kindes 4-fach höher als jener der Mutter 4 unbehandelte Syphilis der Mutter 4 Antibiotikabehandlung während der Schwangerschaft nicht mit Penicillin (z. B. Erythromycin) Therapie Penicillin ist das Mittel der Wahl, Penicillin-Resistenz von T. pallidum wurde bisher noch nicht beobachtet. Wegen langer Generationszeit von T .pallidum muss eine minimale Hemmkonzentration von Penicillin (0,0025 E/ml) über mindestens 7–10 Tage aufrechterhalten werden. Dies geschieht am einfachsten durch das Langzeit-Depot-Präparat Benzathin-Penicillin. Trotz
Behandlungsschemen der Syphilis Frühsyphilis (Dauer <1 Jahr): Erwachsene: 2,4 Mio. E Benzathin-Penicillin G i. m. (Einzeldosis). Kinder: 50 000 E Benzathin-Penicillin G/kg KG i. m. (Einzeldosis). Bei Penicillinallergie: Doxycyclin 2-mal tgl. 100 mg (p. o.) über 14 Tage. Spätsyphilis (Dauer >1 Jahr) sowie Lues unbekannter Dauer und Spätlatenz (außer bei Neurosyphilis): Erwachsene: 3-mal 2,4 Mio. E Benzathin-Penicillin G i. m. im Abstand von je einer Woche. Bei Penicillinallergie: Doxycyclin 2-mal tgl. 100 mg über 28 Tage. Neurosyphilis: wasserlösliches kristallines Penicillin G 24 Mio. E/Tag i. v. (4 Mio. E alle 4 h) über 10–14 Tage, anschließend evtl. 3-mal 2,4 Mio. E Benzathin-Penicillin G i. m. im Abstand von je 1 Woche. Bei Penicillinallergie: Ceftriaxon 2 g i. m. oder i. v. über 10–14 Tage. Syphilis in der Gravidität: 2,4 Mio. E Benzathin-Penicillin G i. m. (je nach Stadium 1-mal oder 3-mal). Penicillinallergie: Desensiblisierung mit Penicillin unter stationären Bedingungen. Nach Therapie einer Frühsyphilis bei Graviden serologische Kontrollen in Monatsabständen. Therapie im Neugeborenenalter: wasserlösliches kristallines Penicillin G 100–150 000 E/kg KG tgl. i. v., 2–3 Einzeldosen, 10 Tage. Alternativ: Procain-Penicillin G 50 000 E/kg KG tgl. i. m., 10 Tage. Bei klinisch erscheinungsfreien Kindern mit RPR/VDRL-Titern gleich denen oder kleiner als die der Mutter erfolgt eine Sicherheitsbehandlung wie bei Frühsyphilis bei Kindern (s. o.). Kann eine Lues connata nicht ausgeschlossen werden (Verdachtskriterien s. u.), Behandlung wie bei Lues connata.
Fehlen von Resistenzen sprechen etwa 5% (bei HIVPositiven 10–15%) nur ungenügend auf die StandardTherapie an. Zur Beurteilung des Therapieerfolgs wurden serologische Kriterien entwickelt (s. u.). Jarisch-Herxheimer-Reaktion. 2 h bis maximal 12 h nach Verabreichung von Penicillin kann es durch rapide Bakteriolyse (Freisetzung von Endotoxinen) zu Fieber bis 40°C und grippeartigen Symptomen kommen.
566
Kapitel 15 · Venerologie
Serologische Kontrollen zum Nachweis des Therapieerfolgs. Nach Frühsyphilis bzw. Lues connata im 1. Jahr
wird der Serumtiter 3, 6, 12 und 24 Monate nach Behandlung kontrolliert. Der RPR/VDRL muss innerhalb von 6 (–12) Monaten um mindestens 2 Titerstufen abfallen. Wird dies nicht erreicht, oder bleibt der Titer nach 1 Jahr >1:8, ist eine neuerliche Therapie indiziert (wie bei Spätsyphilis). Nach Spätsyphilis bzw. Lues connata nach dem 1. Jahr: Kontrollen nach 3, 6, 12 Monaten und weiter halbjährlich, bis der RPR negativ wird oder gleichmäßig auf niedrigen Titern bleibt. Als Therapieerfolg gilt ein Abfall um mindestens 2 Titerstufen nach 12–24 Monaten. Der Liquor wird nach 2 Jahren kontrolliert (!). Nach Neurolues erfolgen 6-monatliche Liquorkontrollen bis zur Normalisierung, dann halbjährlich über mindestens 3 Jahre. Bei unklaren Ergebnissen: 19S-IgM-FTA-ABS-Test. Hinweise auf Reinfektion. Rasches Ansteigen des VDRL/
RPR um mindestens 2 Titerstufen und Nachweis von IgM-Antikörpern. Management der Sexualpartner. Eine präsumptive Behandlung (postexpositionelle Prophylaxe) erfolgt, wenn sexuelle Kontakte innerhalb der letzten 90 Tage stattgefunden haben (auch bei negativer Serologie), oder wenn diese Kontakte zwar länger als 90 Tage zurückliegen, aber weitere serologische und klinische Kontrollen nicht möglich sind.
15
3Syphilis und HIV-Infektion 4 Syphilis erhöht die Suszeptibilität für HIV um das 2-bis 4-Fache und die Infektiösität für HIV um das 2- bis 9-Fache. 4 Abhängig vom sexuellen Risikoverhalten der Patienten sollte halbjährlich, zumindest jedoch jährlich die Syphilisserologie bestimmt werden. 4 Atypische Verläufe der Frühsyphilis bei HIV-Infizierten (selten): Syphilis II als Erstmanifestation; multiple und/oder verzögert abheilende Primäraffekte. 4 Unspezifische Tests können bei HIV-Infizierten gelegentlich durch polyklone B-Zell-Aktivierung von der Norm abweichen (falsch positiv, höhere Titer als bei HIV-Negativen). 4 HIV-Infizierte mit einem RPR/VDRL ≥1:32: hohes Risiko für Neurosyphilis. 4 Indikationen zur Liquorpunktion bei HIV-Infizierten bestehen bei Spätlatenz oder Latenz unklarer Dauer, Syphilis III, Therapieversagen und neurologisch/ophthalmologischen Beschwerden. Einige Experten empfehlen eine Liquorpunktion bei allen HIV-Infizierten (bei Frühsyphilis erst 6 Monate nach Therapie). 4 Im Prinzip gelten dieselben Therapieempfehlungen wie bei HIV-Negativen. Einige Experten empfehlen jedoch eine längere Therapie (höhere Rate ungenügenden Therapieansprechens!) oder auch grundsätzlich eine Therapie wie bei Neurosyphilis.
15.3
Tropische (endemische) Treponematosen
Definition. Eine Gruppe Syphilis-ähnlicher Krankheiten, die vorwiegend in tropischen Gebieten vorkommen. Ihre Erreger sind weder morphologisch noch serologisch von T. pallidum unterscheidbar. Die Übertragung erfolgt auf nichtgeschlechtlichem Wege. Epidemiologie, Symptomatik. Frambösie. Diese durch T. pertenue verursachte Infektion kommt u. a. in Afrika, Südamerika, Indien, Australien und der Karibik vor. Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt (evtl. auch Insektenstiche), Infektionsalter ist meist die frühe Kindheit. Beginn mit einem schmerzlosen Primäraffekt (untere Extremitäten) mit regionaler Lymphadenitis. Nach einigen Wochen Exantheme und lokalisierte Papeln, die durch Superinfektion häufig nässend, krustig, vegetierend sind, besonders charakteristisch an den Fußsohlen. Schmerzhafte periostitische Beschwerden. Nach einer Latenzphase von 5–10 Jahren kann sich ein Spätstadium ähnlich der Lues III entwickeln (destruktive gummaartige Veränderungen an Knochen und Gelenken – Säbelscheidentibia, . Abb. 15.16, Wolfsra-
. Abb. 15.16. Frambösie: Säbelscheidentibia
567 15.4 · Gonorrhoe (Tripper)
chen, »luetische« Sattelnase etc.). Kardiovaskulärer und ZNS-Befall sind sehr selten. Übertragung auf den Fötus wird nicht beobachtet (vermutlicher Grund: Infektion der Frau noch lange vor der Geschlechtsreife). Pinta. Diese am wenigsten aggressive Treponematose
kommt in Zentral-/Südamerika vor. Ihr Erreger, T. carateum, wird schon in der Kindheit übertragen. Primäraffekt meistens an den Beinen, nach einigen Wochen generalisierte Hautläsionen. Destruktive Knochenläsionen, Befall von ZNS und kardiovaskulärem System bleiben aus. Keine Übertragung auf den Fötus. Endemische Syphilis. Eine Verlaufsform der Syphilis
bei so hoher Durchseuchung, dass die nichtgeschlechtliche Übertragung zur Regel wird. Die Klinik entspricht der Syphilis, doch treten die Veränderungen der Spätphase schon in der Adoleszenz auf – keine diaplazentare Übertragung. Bejel ist eine im Nahen Osten und Afrika beheimatete Sonderform. Bei ihr fehlt ein Primäraffekt; neben den charakteristischen Hauterscheinungen typische Veränderungen an Larynx und Knochen. ZNS-, kardiovaskulärer Befall und diaplazentare Übertragung fehlen. Diagnostik und Therapie aller endemischen Treponematosen: analog zur Syphilis. 15.4
Gonorrhoe (Tripper)
Grundlagen Definition. Gonorrhoe (Go) ist eine durch Neisseria (N.) gonorrhoeae (Gonokokken) verursachte STI, deren Leitsymptom die Urethritis ist. Aufsteigende Ausbreitung im Urogenitalsystem kann zu Komplikationen wie Epididymitis und Adnexitis führen (Folgen: Sterilität, Extrauteringravidität). Hämatogene Dissemination (Bakteriämie) ist selten (klinische Zeichen: Arthritis, Endokarditis, Meningitis). Die Resistenzlage von N. gonorrhoeae hat sich im Lauf der Jahrzehnte erheblich verändert. Therapie der Wahl ist heute Ceftriaxon. 3Historisches N. gonorrhoeae wurde 1879 von Neisser entdeckt und 1882 von Leistnikov gezüchtet; die Kultur wurde durch den Selektionsnährboden (Thayer und Martin, 1964) entscheidend erleichtert. Die konjunktivale Silbernitrat-Prophylaxe beim Neugeborenen wurde durch Credé eingeführt (1884) – Gonoblenorrhoe (s. u.) war damals eine häufige Ursache kindlicher Blindheit.
Erreger. N. gonorrhoeae ist ein schnell wachsender
(Generationszeit ca. 5 min), gramnegativer aerober Diplokokkus.
15
Epidemiologie. Go ist die häufigste der »klassischen« Geschlechtskrankheiten (s. o.). Übertragung. Diese erfolgt fast ausschließlich durch sexuelle Kontakte. Die Transmissionseffizienz ist hoch: Frauen werden bis zu 80% pro Kontakt infiziert, Männern zu 20%. Die Go kann intra partum auf das Neugeborene übertragen werden. Krankheitsverlauf. Die Inkubationszeit beträgt 2–4
(1–10) Tage. Die Infektion beginnt in der Fossa navicularis bzw. Urethra und Zervix uteri und breitet sich aszendierend aus. Gonokokken sind »Epithelparasiten« mit Prädilektion für Zylinderepithel (beim Mann die Urethra und deren Anhangsgebilde, Prostata und Nebenhoden; bei der Frau die Bartholin-Drüsen, Urethra, Zervix und Tuben). Rektum und Pharynx können bei beiden Geschlechtern betroffen sein; Harnblase, oberer Harntrakt, Vulva, Vagina und Endometrium sind kaum je ergriffen (. Abb. 15.17). In der akuten Phase ist die Symptomatik der Go beim Mann meist stärker und bleibt selten unbemerkt (s. u.); bei Frauen kann sie sich hingegen lediglich als kaum merklich verstärkter Fluor äußern. Unbehandelt geht die akute in die symptomarme subakute bzw. chronische Phase über, die in Spontanheilung münden kann (nach 6–12 Monaten). Eine vor Reinfektion schützende Immunität entsteht nicht. Symptomatik Akute Gonorrhoe des Mannes Urethritis. Erste Symptome sind Prickeln der Fossa navicularis und Brennen der Harnröhre, das sich beim Urinieren verstärkt (Dysurie). Meist innerhalb von 24 h folgt ein eitriger, »rahmiger«, gelb bis gelb-grünlicher und reichlicher Urethralausfluss (Flecken der Unterwäsche) – Urethritis anterior (. Abb. 15.18). Systemsymptome fehlen meist. Aszendiert die Infektion über den Sphincter urethrae externus, entwickelt sich – ohne Behandlung – eine Urethritis posterior (nach 10–14 Tagen). Dies wird durch mechanische Einflüsse beschleunigt (Reiten, Motorrad fahren, etc.). Symptome: Verstärkung der Dysurie, Harndrang und (bei schweren Fällen) terminale Hämaturie. Systemzeichen: Fieber, Krankheitsgefühl, Gelenkbeschwerden. Komplikationen:
4 Balanoposthitis: fast nur bei Phimose; Genese: Irritation durch den eitrigen Urethralausfluss. Tysonitis: abszedierende Entzündung der freien Tyson-Talgdrüsen (beidseits des Frenulum).
568
Kapitel 15 · Venerologie
. Abb. 15.17. Das klinische Spektrum der durch Neisseria gonorrhoeae hervorgerufenen Infektionen
15
. Abb. 15.18. Gonorrhoe des Mannes. »Rahmiger«, eitriger Urethralausfluss
4 Periurethralabszess: entsteht durch Konfluenz von Littre-Abszessen im Corpus spongiosum penis, meist an der Fossa navicularis oder im Bulbus urethrae, und manifestiert sich als derber, später fluktuierender tiefer Strang → schmerzhafte Erektion mit Deviation des Gliedes nach ventral – »Chorda venerea«. Die Abszesse brechen häufig (in die Urethra) durch; manchmal entstehen Fisteln. 4 »Cowperitis«: meist einseitige abszedierende Entzündung der Cowper-Drüsen. Symptome: klopfender Schmerz, brennendes Fremdkörpergefühl (»glühende Kastanie«) in der Analgegend. Defäkation schmerzhaft, Harndrang, Fieber, oft akute Harnverhaltung. Nachweis durch Palpation (Vorsicht – sehr schmerzhaft!). Der Abszess bricht meist am Perineum durch. 4 Prostatitis: Bei Aufsteigen in die Prostata entsteht eine akute Prostatitis oder – bei Verschluss von Ausführungsgängen – ein Prostataabszess (heute sehr selten). Symptome: hohes Fieber, schwere All-
569 15.4 · Gonorrhoe (Tripper)
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Bonjour-Tropfen (während der Nacht angesammelter Schleimtropfen in der Urethralöffnung). Diese Entwicklung kann in Spontanheilung münden; meist entsteht jedoch eine milde chronische gonorrhoische Urethritis, die periodisch exazerbieren (forcierter Geschlechtsverkehr, Begleitkrankheiten etc.) und zu Komplikationen führen kann (Strikturen, Prostatitis, Epididymitis).
. Abb. 15.19. Epididymitis. Linksseitig vergrößertes, gerötetes, ödematöses Skrotum. In der Tiefe ein prall geschwollener Nebenhoden (vom Hoden palpatorisch schwer abgrenzbar)
gemeinbeschwerden, perineale Schmerzen, Harndrang, Dysurie, Tenesmen, akute Harnverhaltung. Rektale Palpation (äußerste Vorsicht!) zeigt eine meist einseitig geschwollene, schmerzhaft indurierte Prostata. Der Abszess öffnet sich meist in die Harnröhre (profuse Entleerung von Eiter), gelegentlich in das Rektum. 4 Befall der Vasa deferentia (»Deferentitis«) und der Nebenhoden (Epididymitis). Symptome: eine plötzlich einsetzende, heftig schmerzende Schwellung des unteren Nebenhodens, mit Ausstrahlung entlang dem Samenstrang in den Unterbauch. Das Skrotum ist – meist einseitig – vergrößert, gerötet, ödematös, der Nebenhoden prall geschwollen und verdickt (. Abb. 15.19). Hohes Fieber, Krankheitsgefühl, Laborzeichen der akuten Entzündung. Differenzialdiagnose. Hodentorsion. Unterscheidung: Prehn-Zeichen (Heben des Skrotums führt bei Epididymitis zur Erleichterung, bei Hodentorsion zur Verstärkung des Schmerzes). Die Epididymitis heilt mit Fibrose und Obstruktion des Lumens ab; beidseitiger Befall führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Sterilität. Die akute Epididymitis kann auch, scheinbar aus heiterem Himmel, als Komplikation der chronischen Go auftreten. Chronische Gonorrhoe des Mannes Unbehandelt nimmt die Akuität der Go sukzessive ab, die Menge des Ausflusses wird geringer, seine Beschaffenheit schleimig. Nach Wochen bis Monaten wird die Go asymptomatisch. Restsymptom ist der so genannte
Akute Gonorrhoe der Frau Bei Frauen verläuft die Go in der Initialphase generell milder und uncharakteristisch (in etwa 50% unbemerkt). Deshalb sind bei der Frau das Risiko zur Entwicklung einer chronischen Go höher, schwere und systemische Komplikationen häufiger, und die Infektiosität erheblich länger. Die Go der Frau beginnt – anders als beim Mann – häufig an mehreren Lokalisationen zugleich: als Urethritis (Nachweisquote 75%), Zervizitis (90%) und Proktitis (40%). Die Vagina bleibt ausgespart (resistent wegen ihres geschichteten Plattenepithels und ihres sauren Milieus). Urethritis. Verläuft nur in ca. 10% symptomatisch, und
dann milde: vermehrter Harndrang, Dysurie. Zervizitis. Häufig symptomlos, manchmal unklare Schmerzen im Kreuz- oder Unterbauchbereich, Dysmenorrhoe, keine Systemzeichen. Nur in schweren Fällen wird ein eitriger Fluor bemerkt; bei Spiegelung eitriger oder schleimig-eitriger zervikaler Fluor, oft assoziiert mit einer Portioerosion. Vaginitis. Bei präpuberalen Mädchen möglich, da diese
noch nicht durch sauren Scheiden-pH geschützt sind (Vulvovaginitis gonorrhoica infantum). Kindesmissbrauch höchstwahrscheinlich! Komplikationen:
4 Vulvitis: Genese: Irritation durch Ausfluss. 4 Skenitis: Entzündung der Skene-Gänge (paraurethrale Blindgänge beim Meatus urethrae). Beschwerden meist gering; manchmal schmerzhafte Verhärtung. Hieraus kann ein sehr schmerzhafter Periurethralabszess an der vorderen Vaginalwand hervorgehen, der in die Vagina durchbrechen kann (. Abb. 15.20). 4 Bartholinitis. Entzündung der Bartholin-Drüse (eine Drüse im unteren Drittel des Labium majus, deren Ausführungsgang an der Innenseite des Labium minus mündet): ein außerordentlich schmerzhafter tiefer, prall gespannter Knoten, der die Vulva einseitig vorwölbt. Das Labium minus zeigt ein starkes Kollateralödem und ein Erythem um die
570
Kapitel 15 · Venerologie
4 Gonorrhoische Perihepatitis (Fitz-Hugh-CurtisSyndrom): selten, fast ausschließlich bei Frauen. Sie entsteht durch direkte Aszension von einer gonorrhoischen Adnexitis oder (selten) metastatisch. Symptome: akute Schmerzen im rechten oberen Abdomen mit Druckschmerz und Abwehrspannung. Diagnose: Erregernachweis aus dem Genitale.
. Abb. 15.20. Gonorrhoe der Frau: Periurethralabszess. Schmerzhafte entzündliche Vorwölbung der vorderen Vaginalwand
15
Mündung des Ausführungsgangs (Sänger-Fleck). Die Schmerzhaftigkeit erzwingt einen »diagnostischen« breitbeinigen Gang. Bei Obstruktion des Ausführungsgangs (meist!) resultiert ein Bartholinitischer Abszess, der nach außen oder in die Vagina durchbricht. Rezidivierende Bartholinitis kann zur Bartholin-Zyste führen, deren Therapie nur mehr chirurgisch erfolgen kann (Exzision oder so genannte »Marsupialisation«: Schaffung einer künstlichen permanenten Mündung; erhält die Funktion der Drüse). 4 Zystitis: Milde »Trigonum-Vesizitis« ist nicht ungewöhnlich, Symptome: Harndrang, Dysurie. 4 Salpingitis. Die Go kann, unter Aussparung des Endometriums, in die Tuben aufsteigen und zur gonorrhoischen Adnexitis (pelvic inflammatory disease, PID) und deren Komplikationen führen – eine relativ häufige (ca. 10%) und frühzeitige Komplikation (in einem Drittel der Fälle Erstsymptom!) und häufige Ursache der Sterilität, besonders in Entwicklungsländern. Symptome: akute krampfhafte Schmerzsymptomatik im unteren Abdomen (meist einseitig, im Anschluss an die Menstruation), Fieber bis 39°C, Allgemeinsymptome, Leukozytose. Bei der manuellen Exploration Schmerzen bei seitlicher Bewegung der Zervix. Alle pelveoperitonealen Komplikationen der Go sind auf Mitbeteiligung von Chlamydien verdächtig! Die Diagnostik der Salpingitis und ihrer Komplikationen ist schwierig (Kooperation mit dem Gynäkologen!).
Chronische Gonorrhoe der Frau Unbehandelt geht die akute Go in oligosymptomatische chronische Zustände über (mukopurulenter Fluor, rezidivierende Portioerosionen, Retentionszysten der Zervix – Ovula Nabothii, milde chronische Urethritis, rezidivierende Bartholinitis, Bartholin-Zysten). Die Diagnostik ist schwierig, da Ausstrichpräparat und Kultur häufig negativ bleiben. Endzustand ist am häufigsten eine chronische Adnexitis. Dauerschäden resultieren aus narbigen Fibrosen: Tubenverschluss, Sterilität, hohes Risiko von Tubenschwangerschaften, Adhäsionen des Uterus, Hydrosalpinx, tuboovarielle Zysten. Gonokokken-Infektionen bei beiden Geschlechtern Oropharyngeale Gonorrhoe. Diese tritt selten isoliert auf (<5%), genitale Go ist mit ihr in bis 10% assoziiert. Ansteckung durch Oralverkehr, fast nie durch Küssen (pharyngeale Go ist keine sehr effiziente Infektionsquelle). Symptomatik: milde Pharyngitis oder Tonsillitis, meist asymptomatisch. Gonorrhoische Proktitis. s. Syndrome (s. u.). Gonorrhoische Blepharokonjunktivitis (Synonym Gonoblennorrhoe, gonorrhoische Ophthalmia neonatorum). Bei Neugeborenen verläuft diese (. Abb. 15.21) stürmischer und komplikationsreicher als analoge Infektionen durch andere Keime (Chlamydien, Moraxella sp., Staphylokokken): 1–3 Tage nach Geburt akute Rötung und Schwellung der Augenlider und Konjunktivitis mit reichlich dickflüssig-rahmigem Eiter. Bei zeitgerechter Behandlung Restitutio ad integrum; bei Ausbleiben entwickeln sich Ulcera corneae und, als maximale Komplikation, eine Panophthalmie. Bei Erwachsenen ist die Gonoblennorrhoe sehr selten (Autoinokulation!), meist einseitig und von weniger riskantem Verlauf. Disseminierte gonorrhoische Infektion (DGI, Gonokokkensepsis). Diese ist die Folge einer gonorrhoischen
Bakteriämie. Sie ist meist nicht mit floriden Veränderungen des Genitaltrakts verknüpft und äußert sich am häufigsten (<3% der Patienten mit unbehandelter Go)
571 15.4 · Gonorrhoe (Tripper)
. Abb. 15.21. Gonoblennorrhoe des Neugeborenen. Rötung und Ödem des rechten Auges, eitrige Sekretion aus dem Konjunktivalsack
15
. Abb. 15.23. Direkter Erregernachweis bei Gonorrhoe: Methylenblau-gefärbtes Ausstrichpräparat bei akuter gonorrhoischer Urethritis anterior des Mannes. Beachte die multiplen Diplokokken im Zytoplasma einzelner neutrophiler Leukozyten. ×100, Ölimmersion
vorwiegend an den distalen Extremitäten – metastatische Herde (septische Vaskulitis) (. Abb. 15.22). Analoge metastatische Läsionen wurden an inneren Organen beschrieben. Selten sind makulöse toxische Exantheme (Prädilektion: Rumpf). Die gonorrhoische Endokarditis und Meningitis sind seltene, dramatische und komplikationsreiche Formen der DGI (»Gonokokkensepsis«), die den Patienten akut gefährden.
. Abb. 15.22. Hämorrhagische Pusteln am seitlichen Fuß bei disseminierter gonorrhoischer Infektion
als so genanntes Arthritis-Dermatitis-Syndrom (Symptomtrias: intermittierendes Fieber, Arthralgien und Exantheme): 4 Fieber: selten >39°C. Während der Fieberschübe kann der Erreger in ca. 50% aus dem Blut isoliert werden 4 Gelenkbefall: Arthritis (mit Erguss!) einzelner (2 oder 3) meist großer Gelenke – Knie, Handgelenke, Knöchel u. a. Bei Aspiration: rahmiger Eiter mit reichlich Gonokokken (Diagnose!). Röntgen: Verschmälerung des Gelenkspalts (Zerstörung des Gelenkknorpels, Ankylose möglich). 4 Exantheme: diese sind relativ schütter – bis etwa 20 papulopustulöse, hämorrhagische Einzelläsionen
Diagnostik und Therapie der Gonorrhoe Diagnostik. Der direkte Erregernachweis an Ausstrich-
präparaten hat den Rang eines Screeningtests, wobei jedoch Urethralausstriche beim symptomatischen Mann praktisch diagnostisch sind (Spezifität >99%, Sensitivität >95%) (. Abb. 15.23). Grundsätzlich wird die Diagnose durch die Kultur bestätigt, auch zur Beurteilung einer evtl. Resistenz. Bei Frauen entnimmt man Abstriche aus Zervix und Urethra. Gleichzeitig werden bei beiden Geschlechtern routinemäßig Ausstriche aus dem Analkanal und vom Pharynx durchgeführt. Die Sensitivität der Kultur ist bei der gonorrhoischen Urethritis beim Mann sehr hoch (98%), bei Frauen und homosexuellen Männern nur dann, wenn Abstriche aus allen genannten Lokalisationen erfolgt sind. Es stehen auch DNA-Amplifizierungsverfahren zur Verfügung, die den gleichzeitigen Nachweis von Chlamydien und Gonokokken erlauben (s. u.), wobei sich aus dem Pha-
572
Kapitel 15 · Venerologie
rynx gehäuft falsch positive Befunde ergeben. DNA-Verfahren eignen sich besonders, um Transportprobleme zu vermeiden und sind auch für Urinproben geeignet. Serologische Methoden sind bedeutungslos. Therapie. Die Resistenzlage von N. gonorrhoeae hat
sich im Lauf der Jahrzehnte erheblich verändert. Mittel der Wahl ist heute Ceftriaxon. Hohe Serumkonzentrationen des Antibiotikums durch einige (4–6) Stunden sind – unabhängig von der Lokalisation der Infektion – wegen der kurzen Generationszeit der Gonokokken ausreichend. Wegen der häufig begleitenden Chlamydien-Infektion (10–30%) wird eine Kombination mit Azithromycin oder Doxycyclin empfohlen. Therapie der unkomplizierten genitalen, pharyngealen und rektalen Gonorrhoe (Empfehlungen von
WHO und CDC): 4 Standardtherapie: Ceftriaxon 125 mg i. m., einmalig. 4 Alternativ: Cefixim, Levofloxacin oder Ciprofloxacin, jeweils p. o., einmalig Therapie der komplizierten Gonorrhoe (z. B. Epididymitis, Adnexitis). Dieselben Antibiotika in analoger Dosierung, jedoch länger (z.B. 7 Tage, DGI bis zu 1 Monat). Gonoblennorrhoe beim Erwachsenen 1 g Ceftriaxon i. m., beim Neugeborenen 50 mg/kg Körpergewicht, jeweils einmalig.
15
Nachkontrollen: Eine Woche nach Therapie: klinische Nachuntersuchung, Ausstrich und Kultur. Finden sich immer noch klinische Symptome und gramnegative Diplokokken, ist eine Reinfektion wahrscheinlich. Der Keim muss dann exakt identifiziert und seine Resistenzlage bestimmt werden. Lassen sich trotz Persistenz oder Neuaufflammen der klinischen Symptome keine Gonokokken nachweisen, liegt sehr wahrscheinlich eine Chlamydien-bedingte »postgonorrhoische« Urethritis bzw. Zervizitis vor (s. u.). Spätestens dann muss eine Chlamydientherapie durchgeführt werden. ! Prophylaxe der Ophthalmia neonatorum: Die beste Prophylaxe ist die korrekte Diagnostik (auch bzgl. Chlamydien!) und Therapie der Graviden. Zur chemotherapeutischen Prophylaxe wird heute nicht mehr die bindehautreizende 1%ige Silbernitratlösung (Credé) verwendet, sondern Tetrazyklin- oder Erythromycin-Präparationen. Diese schützen vor der Gonoblenorrhoe und häufig auch vor der Chlamydienkonjunktivitis, verhindern jedoch nicht die nasopharyngeale Chlamydieninfektion (s. u.).
15.5
Genitale Chlamydieninfektionen
Grundlagen Definition. Die genitalen Chlamydieninfektionen umfassen 2 im klinischen Aspekt völlig unterschiedliche Krankheitsbilder: 4 die häufige, in ihrer klinischen Symptomatik einer milden Gonorrhoe ähnelnde aszendierende okulogenitale Chlamydieninfektion 4 das seltene, durch genitale Ulzera gekennzeichnete Lymphogranuloma venereum (LGV). 3Historisches Chlamydien wurden 1907 erstmals von Halberstädter und Prowazek dargestellt (»Chlamydozoen« - »Manteltierchen«). Zwei charakteristische Krankheitsbilder sind seit altersher bekannt: das Trachom und das Lymphogranuloma venereum. Die dritte, häufigste Manifestation – die aufsteigende Urogenitalinfektion – wurde erst in den letzten 3 Jahrzehnten aufgeklärt.
Erregergruppe. Die Gattung Chlamydia (C.) umfasst die Arten C. trachomatis, C. pneumoniae und C. psittaci. Chlamydien sind kleine, gramnegative und obligat intrazelluläre Bakterien. Ihre Vermehrung erfolgt in einem spezifischen Entwicklungszyklus: die metabolisch inaktiven Elementarkörperchen sind die infektiöse, extrazelluläre Form: sie werden von der Wirtszelle in endozytotische Vakuolen aufgenommen, werden dort metabolisch aktiv und vergrößern sich zu reifen Initialkörperchen. Diese vermehren sich rapide, schwellen an und konfluieren zu den großen Einschlusskörperchen. Nach ca. 48 h enthält das Einschlusskörperchen tausende Chlamydienpartikel, die schließlich durch Lyse der Wirtszelle freigesetzt werden (zytopathogener Effekt). Eine alternative Form des Zellparasitismus zeigt einen stark verzögerten Vermehrungszyklus: die Elementarkörperchen werden hier durch Exozytose durch die intakte Zellmembran freigesetzt, die befallene Zelle bleibt lebens- und sogar teilungsfähig. Diese Form liegt chronisch-rezidivierenden Chlamydieninfekten zugrunde (Aufflammen der Infektion bei Absinken der Immunlage). Klassifikation. C. trachomatis ist weltweit verbreitet. Man unterscheidet 15 durch verschiedene Proteinantigene definierte Serotypen, die mit den Buchstaben A–C, D–K und L1–L3 bezeichnet werden: 4 Serotypen A–C sind Erreger des Trachoms 4 die übrigen Serotypen sind Erreger von genitalen Kontaktinfektionen: 5 Serotypen D–K verursachen eine aufsteigende (aszendierende) okulogenitale Epithelinfektion. Sie sind Epithelparasiten des Urogeni-
573 15.5 · Genitale Chlamydieninfektionen
15
tal- und Konjunktivalepithels und rufen typischerweise »katarrhalische« (serös-muköse) Sekretion mit (im Vergleich zur Gonorrhoe) geringer Entzündung und milder Allgemeinsymptomatik hervor. Asymptomatische Infektionen sind häufig. Die Hauptgefahr der okulogenitalen Chlamydieninfektion sind postpartale Komplikationen und Spätfolgen (Extrauteringravidität, Infertilität). 5 L1–L3 erregen das Lymphogranuloma venereum – sie sind besonders invasiv, vermehren sich schneller in der Zellkultur, können auch andere Gewebe als Epithelien befallen (z. B. Lymphozyten) und Labortiere infizieren. Infektion durch C. trachomatis D–K Epidemiologie. Die aszendierende okulogenitale Chlamydieninfektion ist besonders bei Jugendlichen häufig (Prävalenz 2–5%), ihre Inzidenz ist in den westlichen Ländern viel höher als die der Gonnorhoe. Die Übertragung erfolgt wahrscheinlich ausschließlich sexuell, bzw. beim Geburtsakt auf das Neugeborene. Die Infektiosität ist sehr hoch: bei >60% der Partnerinnen von Männern mit C.-Urethritis ist der Keim in der Zervix nachweisbar. Symptomatik der genitalen Infektion des Mannes. C.-Urethritis. Nach einer Inkubationszeit von 1–3 Wo-
chen stellen sich Dysurie und ein oft milder, wässrigschleimiger, selten schleimig-eitriger Ausfluss ein. Klinisch stumme Infektionen sind häufig. Unbehandelt bildet sich die Urethritis innerhalb einiger Tage bis Wochen zurück, im weiteren Verlauf oft Exazerbationen, die durch Infekte, mechanische Trigger (Sport, vehementer Koitus etc.) ausgelöst werden können. Klinisch sind Erstinfektion und Exazerbationen nicht unterscheidbar. Komplikationen: Klinisch bedeutsame Urethralstrikturen sind seltener als bei Gonnorhoe, symptomlose Strikturen finden sich urethroskopisch jedoch bei 5% der Patienten mit abgeheilter C-Urethritis. C.-Epididymitis. Diese ist meist einseitig und manifes-
tiert sich im akuten Stadium als schmerzhafte Schwellung und Verhärtung von Nebenhoden und meist auch Hoden (Epididymo-Orchitis). Die Schmerzen strahlen in schweren Fällen in Leiste und Unterbauch aus, es besteht Krankheitsgefühl und Fieber. Spätfolge bei bilateralem Befall: Sterilität. ! Bei älteren Männern (>35 Jahre) ist die Epididymitis meist Folge eines bakteriellen Harnwegsinfekts, bei jüngeren hauptsächlich sexuell erworben (>75% C. trachomatis).
. Abb. 15.24. Chlamydienzervizitis: die Portio einer Graviden mit ödematös glänzender Ektopie und mukopurulentem Exsudat
Symptomatik der genitalen Infektion der Frau. C.-Zervizitis. Fluor mit dickem, mukösem Ausfluss aus der
Zervix, häufig auch Portioerosionen (»hypertrophe mukopurulente Zervizitis« – . Abb. 15.24). Bei der Mehrzahl der Frauen ist isolierter Zervixbefall symptomlos. C.-Urethritis (»female urethral syndrome«). Meist ein Begleitbefund der C.-Zervizitis, nur in 5–10% isoliert (eher Frauen >30 Jahre). Subjektive Beschwerden (Dysurie, Harndrang) bestehen nur bei etwa der Hälfte der Betroffenen. C.-Adnexitis (Pelvic inflammatory disease, PID). Die
Symptome sind analog der gonorrhoischen Adnexitis, oft nur geringfügig. Die typische Patientin ist jung (75% <25 Jahre), es bestehen meist schon mehrere Tage menstruationsähnliche Bauch- oder Rückenschmerzen, Metrorrhagien (40%) und Fieber (30%). Der Tastbefund ist oft wenig ausgeprägt, im Gegensatz dazu in der Laparoskopie oft heftig entzündliche Adnexe. Klinische Minimalkriterien (s. u. »Syndrome«): Schmerzhaftigkeit des unteren Abdomens/der Adnexe sowie Schmerzen bei passiver Bewegung der Zervix (schon diese Kriterien rechtfertigen eine antibiotische Therapie, um das Risiko einer Tubeninfertilität zu reduzieren). Die definitive Diagnose wird durch Sonographie (verdickte, flüssigkeitsgefüllte Eileiter) oder Laparoskopie gestellt (nicht bei nur vagen Symptomen!). Der prädiktive Wert der klinischen Diagnostik im Vergleich zur Laparoskopie liegt bei nur 65–90%. Ein auf Chlamydien positiver Zervikal- oder Urethralabstrich bei
574
Kapitel 15 · Venerologie
Symptomen einer Salpingitis ist kein Beweis, aber ein starker Hinweis auf eine C.-Infektion (negativer Befund ist kein Ausschlusskriterium). Post-partum-C.-Endometritis. Die Geburt triggert oft die Exazerbation einer persistenten C.-Infektion und kann zum Befall des (sonst selten befallenen) Endometriums führen. Die Patientin fiebert an, eine auffällige Vergrößerung oder Druckempfindlichkeit des Uterus bleibt jedoch aus. C.-Perihepatitis. Diese manifestiert sich analog der go-
norrhoischen Perihepatitis (s. o.). Manifestationen bei beiden Geschlechtern. Einschlusskörperchen-Konjunktivitis (»Paratrachom« des
Erwachsenen). Die Infektion erfolgt durch Autoinokulation, Inkubationszeit 1–2 Wochen (2–21 Tage). Eine meist unilaterale chronisch-follikuläre Konjunktivitis mit akutem/subakutem Beginn und mukoid-mukopurulenter Sekretion (. Abb. 15.25). Nach ca. 1 Woche zunehmende follikuläre Hypertrophie (lymphoides Gewebe!) der Konjunktiven, besonders in den Fornices. Typisches Spätsymptom: Ptosis. Die Kornea ist meist unbefallen. Unbehandelt heilt das Paratrachom ohne Dauerschäden, oft jedoch erst nach vielen Monaten ab. Proktitis. 7 »Syndrome«
15
Reaktive Arthritis (»sexually acquired reactive arthritis« – SARA, Morbus Reiter, 7 Kap. 5.2.4). Eine sterile Synovitis als Begleitsyndrom von Infektionskrankheiten (meist einer urogenitalen C.-Infektion, seltener Infektionen des Darmtrakts). Bei einem Drittel der Patienten kann C. trachomatis aus dem Genitaltrakt isoliert werden, >70% zeigen hohe IgG-Antikörper-Titer (parallel zur Krankheitsaktivität). Perinatale Chlamydieninfektionen. Bei etwa 30% der
Neugeborenen infizierter Mütter tritt 5–14 Tage nach Geburt eine mukopurulente Konjunktivitis auf (Einschlusskörperchen-Konjunktivitis), die nach 2–3 Wochen meist spontan abheilt. Dauerschäden sind selten. Differenzialdiagnose: Gonoblenorrhoe (bei dieser kurze Inkubationszeit und stürmischerer Verlauf). Bronchitis bzw. Pneumonie entwickeln sich bei ca. 3% der Neugeborenen infizierter Mütter (typisches Prodrom: Rhinitis). Die Inkubationszeit der meist a(sub)febrilen Pneumonie beträgt 2 Wochen bis 4 Monate (Gipfel bei 10 Wochen). Symptome sind hackender, trockener Husten und inspiratorischer Stridor. Selbstlimitiert, mögliche Langzeitfolgen sind obstruktive Lungenveränderungen.
. Abb. 15.25. Einschlusskörperchen-Konjunktivitis (Paratrachom) des Erwachsenen. Injektion der Konjunktiven, follikuläre Hypertrophie besonders des Fornixbereichs
Diagnostik. Die Sensitivität von DNA-Amplifizierungs-Methoden ist wesentlich höher als die sämtlicher älterer Verfahren, die daher für die meisten Fragestellungen obsolet geworden sind. Kommerziell erhältliche Testsysteme für C. trachomatis sind: der PCR-Test (COBAS Amplicor), die Transkriptions-mediierte Amplifikation (TMA) (APTIMA Combo 2) und der »Strand Displacement Amplification« (SDA) Test ProbeZec ET. Material: Abstriche aus Urethra, Zervix, Vagina und Analkanal (unvollständige Validierung!), aber auch Harn (Zentrifugat von 10–30 ml der Erstportion frisch gelassenen Harns). In Diskussion ist, ob Harn als Screening (s. u.) mit der SDA-Methode sensitiv genug ist. Die Sensitivität der Zellkultur für den Erregernachweis ist etwa 80%, die Spezifität annähernd 100%. Antikörpernachweise haben eine gewisse Bedeutung in der Diagnose von Folgezuständen (z. B. reaktive Arthritis), sind jedoch in der Diagnostik der okulogenitalen Infektion praktisch nutzlos (gilt nicht für LGV! – s. u.). Antikörper können monate- oder jahrelang persistieren; zwischen manifesten und zurückliegenden Infektionen kann daher nicht unterschieden werden. ! Der Chlamydiennachweis wird nicht nur bei Symptomen einer Zervizitis eingesetzt, sondern auch als Screeningtest für gesunde, sexuell aktive Frauen (auch während der Schwangerschaft!): 5 <25 Jahren 5 mit anderen STI 5 zwischen 25–35 Jahren bei neuen Partnern, mehreren Partnern, oder mit Partnern, die ihrerseits mit anderen Partnern Verkehr haben.
Therapie (Empfehlungen des CDC). Unkomplizierte
urogenitale Infektionen, Paratrachom und reaktive Arthritis: Azithromycin 1 g p. o., einmalig, oder Doxycyclin 2-mal 100 mg/Tag p. o., 7 Tage. Alternativen: Levofloxacin, Erythromycin; auch bei Gravidität.
575 15.5 · Genitale Chlamydieninfektionen
15
Schwer verlaufende Infektion mit möglichen Komplikationen (Adnexitis). Doxycyclin 2-mal 100 mg/Tag, 14 Tage. Die Wirkung von Tetrazyklinen bei reaktiver Arthritis ist umstritten. Chlamydieninfektionen des Neugeborenen. Erythromycin-Sirup 50 mg/kg/Tag, in 4 Einzelgaben, 10– 14 Tage. Zusätzliche Lokalapplikation von Antibiotika ist überflüssig! Infektionen durch C. trachomatis L1–L3: Lymphogranuloma venereum (LGV) Epidemiologie. Eine hauptsächlich in Entwicklungsund tropischen Ländern endemische Krankheit. Die genaue Inzidenz ist nicht bekannt, in Europa und den USA jedoch sehr niedrig (kleinere Endemien bei Homosexuellen). Symptomatik. Das LGV verläuft in 3 Stadien: dem Primär- (Läsion an der Eintrittspforte), dem Sekundär- (Befall der regionalen Lymphknoten), und dem Tertiärstadium (»genitoanorektaler Symptomkomplex«). Primärläsion. Diese entsteht nach einer Inkubations-
zeit von 7–10 (3–30) Tagen als unauffälliges, schmerzloses Bläschen, das später exulzeriert und nach etwa 14 Tagen abheilt. Prädilektionsstellen: Glans penis, Präputium und anal, bei der Frau das äußere Genitale, Vaginalwand und Zervix. Zu Beginn des Sekundärstadiums ist die Primärläsion meist schon abgeheilt (. Abb. 15.26). Sekundärstadium. 3–4 Wochen nach Infektion kommt es unter Temperaturanstieg und Krankheitsgefühl zur zunehmend dolenten, meist einseitigen inguinalen Lymphknotenschwellung – »Bubonen«, das Leitsymptom des LGV. Die bis faustgroßen Bubonen sind heftig entzündlich, mit der darüber liegenden geröteten Haut wie mit der Unterlage verbacken, schmelzen eitrig ein und wandeln sich in fistulierende Abszesshöhlen um. Unbehandelt heilen sie innerhalb eines halben Jahres langsam ab; gleichzeitig aszendieren die Erreger bei einem Teil der Patienten in die Lymphknoten des kleinen Beckens und können nach Jahren das Tertiärstadium auslösen. Über 90% der diagnostizierten Fälle von LGV sind Männer im Sekundärstadium, die wegen der schmerzhaften Bubonen Behandlung suchen. Bei Frauen sind häufiger die retroperitonealen Lymphknotenstationen betroffen (inguinale nur in ca. 10%); die Infektion bleibt daher eher unbemerkt und kann in das Tertiärstadium fortschreiten.
. Abb. 15.26. Lymphogranuloma venereum. Am Penisschaft (Pfeil) ist ein kleines Närbchen nach dem Primäraffekt zu erkennen. Bubo der rechten Inguinalregion (Ring)
Tertiärstadium. Dieses beginnt nach 5–10 Jahren und
erstreckt sich meist über Jahrzehnte. Es ist durch eine teils destruktive, teils produktive granulomatöse Entzündung um Rektum, Analgegend und äußere Geschlechtsorgane mit Fisteln und Strikturen gekennzeichnet; Lymphödeme (bis zur Elephantiasis!). Proktitis als Primärläsion (s. auch »Syndrome«). Hauptsächlich bei Homosexuellen. Das Krankheitsbild ist weit schwerer als die Proktitis durch C. trachomatis D–K: der Lokalbefund ist ausgeprägter, dazu schmerzhafte Stuhlverhaltung und Allgemeinsymptome – Fieber, Krankheitsgefühl, Gewichtsabnahme. Die Rektoskopie zeigt nekrotische Ulzera und/oder hypertrophe Granulationen (Histologie ähnlich der Colitis ulcerosa!). Differenzialdiagnose: Herpes-simplex-Proktitis. Diagnostik. Die kommerziell verfügbaren DNA-Am-
plifikationstests können C. trachomatis L1–L3 nicht von den Serogruppen D–K differenzieren (dazu wäre eine Sequenzierung erforderlich). Ein positiver Nachweis mit diesen Methoden erlaubt jedoch gemeinsam mit der Klinik eine ausreichend begründete Diagnose. DNA-Amplifikationsmethoden sind nicht für alle Materialen validiert, ihr negativ prädiktiver Wert beträgt daher <95%. Serologie (eine Komplementbindungsreaktion) kann von Nutzen sein. Therapie. Primär- und Sekundärstadium. Doxycyclin 2-mal 100 mg/Tag, 3 Wochen. Alternative: Erythromycin. Tertiärstadium: Langzeittherapie (Monate).
576
Kapitel 15 · Venerologie
15.6
Ulcus molle (Synonym Weicher Schanker, Chancroid)
Definition, Epidemiologie. Ulcus molle ist eine in der
westlichen Welt seltene, in tropischen und subtropischen Gegenden (Südostasien, Afrika) endemische und relativ häufige, durch Haemophilus ducreyi erregte STI. Sie ist durch genitale Ulzera und regionale Lymphadenitis gekennzeichnet.
mehrere Lymphknoten. Diese sind vergrößert, schmerzhaft und miteinander verbacken, die bedeckende Haut gerötet. In etwa der Hälfte der Fälle schmelzen sie eitrig ein, brechen durch und bilden große, dem Ulcus molle ähnliche Geschwüre. Diagnostik. Gramfärbung von Abstrichen aus genitalen Ulzera (Sensitivität <50%). Die Kultur ist nur an wenigen Speziallabors routinemäßig eingeführt (Sensitivität kaum höher als beim Abstrichpräparat).
Erreger. H. ducreyi ist ein gramnegativer, kurzer und
schlanker Kokkobazillus. Er ist schwer kultivierbar und zeigt im Abstrich eine Neigung zu kettenförmiger Anordnung (»Fischzugformation«).
Therapie (Empfehlungen der WHO und CDC). Ceftria-
xon 250 mg i. m., einmalig, oder Azithromycin 1 g p. o., einmalig. Alternativen: Erythromycin, Ciprofloxacin.
Symptomatik, Verlauf. Die Inkubationszeit ist kurz
(3–7 Tage, ausnahmsweise länger). Die Läsion beginnt als Papel, die rasch pustuliert und sich in ein sehr schmerzhaftes Ulkus umwandelt (. Abb. 15.27). Dieses ist scharf begrenzt, meist oval und durch ausgefranste, überhängende Ränder charakterisiert. Der Ulkusgrund ist weich, eitrig-schmierig-nekrotisch bedeckt und blutet leicht bei Berührung. Häufig finden sich mehrere Ulzera unterschiedlicher Größe. Prädilektionsstellen: inneres Vorhautblatt, Frenulum, Fossa navicularis, bei Frauen: hintere Kommissur, Labia minora und Meatus urethrae. Extragenitale Ulzera sind selten, Systemzeichen fehlen. Die Ulzera heilen unbehandelt nach mehreren Wochen spontan ab. In etwa 50% entsteht Tage bis Wochen nach den Ulzera eine massive regionale Lymphadenitis (Bubo). Die Infektion bewirkt keine Immunität; durch Autoinokulation können immer wieder neue Ulzera entstehen.
15
Komplikationen. Phimose, Paraphimose, Urethralfisteln, selten auch akute purulente Urethritis. Die regionäre Lymphadenitis ist meist einseitig und umfasst
. Abb. 15.27. Ulcera mollia an Präputialblatt und Glans penis. Weiche, rundliche, relativ kleine, schmierig belegte Ulzera mit überhängenden Rändern
15.7
Granuloma inguinale (Synonym: Donovaniose)
Definition, Epidemiologie, Erreger. Eine in der west-
lichen Welt sehr seltene, aber in manchen Entwicklungsländern (Indien, Papua-Neuguinea, südliches Afrika) wichtige Ursache chronisch progressiver genitaler Ulzerationen. Erreger: Klebsiella (früher Donovania) granulomatis: ein kleines, enkapsuliertes, intrazelluläres gramnegatives Stäbchen. Die sexuelle Übertragung auf den Partner ist selten (1–2%), andere Übertragungswege (z. B. über den Stuhl) werden diskutiert. Symptomatik, Verlauf. Die Inkubationszeit ist nicht genau bekannt (8–80 Tage). Erstmanifestation sind schmerzlose, derbe entzündliche subkutane Papeln und Knoten, die sich in Geschwüre und langsam anwachsende vegetierende Massen umwandeln (. Abb. 15.28). Primäre Lokalisation sind meist die Genitalien, seltener Inguinalregion und Perineum. Durch periphere Ausbreitung und Autoinokulation entstehen ausgedehnte verletzliche und leicht blutende, düsterrote, verkrustete ulzero-granulomatöse Läsionen, die früh zu Fibrose, narbigen Strikturen und durch Lymphstau zu Elephantiasis führen können. Keine Spontanheilung. Die regionären Lymphknoten sind manchmal betroffen. Systemzeichen sind selten, metastatische Läsionen der inneren Organe kommen vor. Donovaniose ist bei früh einsetzender Behandlung harmlos, führt jedoch anderenfalls zu gravierenden Destruktionen. Diagnostik. Nachweis von Donovankörperchen (in der Giemsafärbung tiefblau gefärbte intrazytoplasmatische Partikel in mononkleären Zellen – Ausstriche von Biopsiematerial). Die Kultur ist zwar möglich (Dottersack), jedoch sehr schwierig.
577 15.8 · »Syndrome« sexuell übertragbarer Infektionen
. Abb. 15.28. Granuloma inguinale. Ulzero-granulomatöse Läsionen der Inguinalregion
15
STI sind zwar im Erregerspektrum und im Erscheinungsbild vielfältig, doch folgen sie oft einer Reihe von klinischen Grundmustern, die von verschiedenen Erregern verursacht werden können (. Tab. 15.8). Diese Grundmuster sind als solche leicht erkennbar, während die ätiologische Diagnose manchmal schwierig zu stellen ist bzw. wegen der erforderlichen Untersuchungen einige Tage dauert. Aus dem »Syndrom« allein lassen sich hingegen praktisch wichtige Hinweise für ein rasches Vorgehen ableiten – Vorteile: die Behandlung kann schon bei Erstkontakt erfolgen, Komplikationen und weitere Transmission werden verhindert, Meldung und Supervision wird vereinfacht. Nachteile: mögliche »Überbehandlung«, Probleme der Partnernotifizierung (besonders bei »falschen« Diagnosen), Berücksichtigung nur von Personen mit Symptomen. Besonders erfolgreich ist das »Syndrom-Management« bei der Urethritis des Mannes und den genitalen Ulzera und wird deshalb von der WHO unterstützt. Urethritis des Mannes
Therapie. Doxycyclin 2-mal 100 mg oder Cotrimoxa-
zol (160 mg/800 mg) 2-mal/Tag über 3 Wochen. Alternativ: Ciprofloxazin oder Azithromycin. 15.8
»Syndrome« sexuell übertragbarer Infektionen
Definition. Unter »Syndromen« (s. auch oben unter »Allgemeines«) werden hier klinische Grundmuster von STI verstanden, die durch verschiedene Erreger hervorgerufen werden.
Definition und Symptomatik. Eine Urethritis liegt vor, wenn sich im Urethral-Abstrich ≥5 Leukozyten in einem Gesichtsfeld finden (Immersion). Diese Voraussetzung ist immer erfüllt, wenn sichtbares Sekret vorhanden ist. Meist handelt es sich nur um eine Urethritis anterior. Symptomatik: Dysurie, schleimig-eitriger/ eitriger Ausfluss. ! Asymptomatische Infektionen sind häufig! Die klinisch symptomatische Urethritis beim Mann ist »die Spitze des Eisbergs der Infektionen durch N. gonorrhoeae und C. trachomatis«.
. Tab. 15.8. Syndrome sexuell übertragbarer Infektionen und deren Erreger Syndrom
Mögliche Erreger
Urethritis beim Mann (urethraler Fluor)
N. gonorrhoeae, C. trachomatis, genitale Mykoplasmen (M. genitalium, Ureaplasma urealyticum), Trichomonas vaginalis
Vaginaler Fluor
Vaginitis : Trichomonas vaginalis, Candida albicans*, bakterielle Vaginose* Zervizitis: N. gonorrhoeae, C. trachomatis Selten: HSV (Herpes simplex)
Adnexitis (pelvic inflammatory disease)
N. gonorrhoeae, C. trachomatis, Vertreter der vaginalen Flora (Gardnerella vaginalis, Anaerobier, Haemophilus influenzae, Streptococcus agalactiae, gramnegative Stäbchen aus dem Darm), M. hominis, Ureaplasma urealyticum
Genitale Erosionen/Ulzera (meist mit Lymphknotenschwellung)
HSV, T. pallidum (Syphilis I) Selten: H. ducreyi (Ulcus molle), C. trachomatis (LGV), D. granulomatis (Donovaniose)
Sexuell erworbene Proktitis** (rektaler Fluor)
N. gonorrhoeae, C. trachomatis, HSV, T. pallidum, Darminfektionserreger (Proktokolitis)
Nicht als Syndrom klassifizierbar
HIV, Hepatitis B-Virus (HBV), Syphilis II, III Humane Papillomaviren, Scabies, Pediculosis pubis, Hepatitis A-Virus (HAV), Darminfektionserreger
*Sexuelle Übertragung spielt eine unwesentliche (Candidiasis) oder unklare Rolle (bakterielle Vaginose) **Fast ausschließlich bei homosexuellen Männern
578
Kapitel 15 · Venerologie
Diagnostik. Eine spezifische Diagnose soll angestrebt werden – teils meldepflichtige Krankheiten! Auch Compliance und Partnersuche können dadurch profitieren. Das Urethralsekret wird mikroskopisch beurteilt und kulturell auf Gonokokken untersucht, serologische Tests sind nie von Nutzen. Zur Routine geworden ist der Nachweis von Gonokokken und Chlamydien aus der ersten Urinportion durch DNA-Amplifizierungsverfahren (s. o.). Nicht selten wird kein ätiologisches Agens gefunden. Therapie. Empirische Therapie gegen Gonokokkenund Chlamydien, s. o. Bei Go-Urethritis (Koinfektion mit Chlamydien in 20–40%!) wird routinemäßig eine Doppelbehandlung empfohlen (aber nicht vice versa!). Dies hat möglicherweise zum registrierten Rückgang an Chlamydien-Infektionen beigetragen. Alle sexuellen Partner der letzten 60 Tage sollten evaluiert und behandelt werden. Für 7 Tage kein Sexualverkehr! Persistiert die Urethritis oder rezidiviert sie ohne Reexposition, kommt auch eine Trichomoniasis infrage. Deren Diagnose ist problematisch, weil das Nativpräparat wenig sensitiv ist und andere Methoden (Kultur, PCR) meist nicht zur Verfügung stehen. Empfohlenes Vorgehen: Metronidazol 2 g als Einmaldosis. 3Trichomoniasis. Eine häufige (letztens durch obligate Partnermitbehandlung seltenere), nicht meldepflichtige, auf den Urogenitaltrakt beschränkte Infektion mit dem Flagellaten Trichomonas vaginalis. Übertragung fast ausschließlich durch Geschlechtsverkehr. Die klinischen Symptome sind meist milde und bei Frauen deutlich intensiver (Vaginitis, Vulvitis, dünner, schaumiger, süßlich-übelriechender Fluor vaginalis). Diagnostik: Nativpräparat (Dunkelfeld – Nachweis der typischen Geißelbewegungen). Ureaplasma urealyticum, Mycoplasma genitalium: Opportunistische Mycoplasmenarten des Genitaltrakts. Nachweis: Kultur, Therapie: Tetrazykline, Makrolide.
15 Epididymitis Ätiologie. Eine sexuell übertragene Epididymitis ist meist von einer (oft asymptomatischen) Urethritis begleitet. Bei Männern <35 Jahren sind die häufigsten Erreger N. gonorrhoeae und C. trachomatis, bei homosexuellen Männern auch E. coli (der insertive Partner). Risikofaktor: chronische bakterielle Prostatitis. Im höheren Alter sind erworbene anatomische Veränderungen (z. B. Prostatasteine, benigne Prostatahypertrophie) prädisponierend, bei Kindern Fehlbildungen. Die Erreger sind in beiden Fällen meist coliforme Bakterien oder P. aeruginosa. Therapie. Eine empirische Therapie muss sofort, vor
Einlangen des Erregernachweises, eingeleitet werden.
Sind N. gonorrhoeae und C. trachomatis die wahrscheinlichsten Erreger, erfolgt die Therapie wie oben. Sind Darmkeime wahrscheinlicher oder besteht eine Cephalosporin- und/oder Tetrazyklinallergie: Levofloxacin 750 mg/Tag, 10 Tage. Viele Patienten können ambulant behandelt werden, bei starken Schmerzen ist eine sofortige Hospitalisierung jedoch unumgänglich. Differenzialdiagnose: Abszesse, Hodeninfarkt, Hodentumor, v. a. aber der akute Notfall der Hodentorsion (s. o.; Doppler-Ultraschall, Technetium-Szintigraphie). Eine Hodentorsion ist wahrscheinlich, wenn Hinweise für Entzündung oder Infektion fehlen. Vaginaler Fluor (Vaginitis und Zervizitis) Vaginitis Ätiologie, Symptomatik. Eine Vaginitis ist gewöhnlich mit vaginalem Fluor, Juckreiz/Irritation der Vulva und oft mit unangenehmem vaginalem Geruch assoziiert. Die 3 häufigsten (. Tab. 15.9) mit vaginalem Fluor assoziierten Infektionen sind Trichomoniasis, bakterielle Vaginose (BV) und Candidiasis (7 Kap. 4.4). Bei einem Teil der Frauen kann kein auslösendes Agens identifiziert werden (Sensitivität der Nachweismethoden <90%; andererseits kommen auch die seltene desquamative entzündliche Vaginitis und die zytolytische Vaginose infrage – s. Lehrbücher der Gynäkologie). Therapie. Die Trichomoniasis bedarf immer einer sys-
temischen Therapie. Bei gleichzeitiger Partnerbehandlung beträgt die Erfolgsrate 95%. Ziel der Therapie bei BV ist die Befreiung von Symptomen, unabhängig vom Status einer Schwangerschaft (7 Kap. 15.10). 3Bakterielle Vaginose (NV; Synonyme Aminkolpitis, Gardnerella vaginalis-Vaginitis, Lactobacillary deficiency syndrome). Ein sehr häufiges Fehlbesiedelungssyndrom der Vagina, das mit Alkalinisierung des vaginalen Milieus, Verdrängung der normalen Laktobazillen-Flora durch Gardnerella vaginalis und eine Reihe anaerober Keime (Mobiluncus, Prevotella u.a.) assoziiert ist. Symptome: grau-weißer, dünnflüssiger Fluor vaginalis mit fischartigem üblem Geruch (besonders bei Zugabe von 10% Kalilauge – Freisetzung von Aminen). Nachweis: »clue« cells (dicht mit kurzen Stäbchen besetzte Epithelzellen). BN wird wahrscheinlich kaum durch Geschlechtsverkehr übertragen, der Partner ist entweder asymptomatisch oder zeigt lediglich eine milde irritative Balanoposthitis.
Zervizitis Symptomatik. Die Zervizitis ist bei der Frau (wie die Urethritis beim Mann) die »Spitze des Eisbergs der Infektionen durch N. gonorrhoeae und C. trachomatis«. Sie ist häufig asymptomatisch, manche Frauen klagen über Ausfluss und/oder Blutung (z. B. nach Sexualverkehr).
15
579 15.8 · »Syndrome« sexuell übertragbarer Infektionen
. Tab. 15.9. Diagnostische Merkmale und Management von vaginalen Infektionen Trichomoniasis
Kandidiasis
Bakterielle Vaginose
Ätiologie
Trichomonas vaginalis
Candida albicans (91%), C. glabrata (7%), andere C. Species
Assoziiert mit Gardnerella vaginalis, diversen Anaerobiern und Mycoplasmen
Laktobazillen
Typische Symptome
Ausfluss variabel – reichlich, süßlich riechend, schaumig
Heftig juckend, Brennen der Vulva, Vagina überempfindlich
Ausfluss leicht vermehrt, übelriechend (»fischig«)
–
Ausfluss Menge Farbe Konsistenz
Reichlich Gelb-grün (30%) Homogen, schaumig
Gering bis mäßig Weiß Bröckelig, adhärent
Mäßig Meist grau oder weiß Homogen, dünnflüssig***
Variabel; gering Klar oder weiß Flockig
Entzündung des Vaginalepithels
Vaginalepithel erythematös (»Kolpitis macularis«)
Vaginalepithel erythematös, Vulvitis
Keine
Keine
pH der Vaginalflüssigkeit*
Meist >4,5
Meist ≤4,5
Meist >4,5***
Meist ≤4,5
Amin- (Fisch-) Geruch mit 10% KOH
Manchmal
Fehlt
Vorhanden***
Fehlt
Normal ≥1 Grampos. Stäbchen
Normal Variabel Grampos. Stäbchen
clue cells*** ≤1 Gramvariable Kokkobazillen, wenig Leukozyten; wenig Laktobazillen bei reichlicher, gemischter Flora
Normal ≤1 Grampos. Stäbchen (Laktobazillen)
Pathogen
T. vaginalis im Dunkelfeld/ Phasenkontrastmikroskop Sensitivität 80–90%
Pseudohyphen in 80–90%
s. o.
–
Standardtherapie
Metronidazol 2 g, Einzeldosis
Fluconazol 150 mg, Einmaldosis Lokal: Imidazolpräparat
Metronidazol 500 mg 2-mal tgl. für 7 Tage Lokal: Metronidazol Gel oder Clindamycin Creme 5–7 Tage
–
Standardtherapie des Partners
Metronidazol 2 g als Einzeldosis Screening auf STI
Keine Lokal-Imidazolpräparat falls Balanitis
Keine Screening auf STI
–
Mikroskopie** Epithelzellen (EZ) Leuko per EZ Bakterien
Normale Vagina
* pH-Bestimmung ist nur nützlich, wenn keine Blutbeimengungen vorhanden sind ** Pilzbefund: das Vaginalsekret wird mit 10% KOH versetzt; für andere Untersuchungen 1:1 mit 0,9% NaCl. Gramfärbung: Erfassen von Pilzelementen, Unterscheidung der normalen von der gemischten Flora bei der bakteriellen Vaginose. *** Für die Diagnose bakterielle Vaginose müssen 3 dieser 4 Kriterien erfüllt sein
Diagnostik. Die mikroskopische Beurteilung des Zervikalsekrets ist schwierig und deshalb auch nicht standardisiert – die Definition » ≥10 Leukozyten in einem Gesichtsfeld (Immersion)« ist nicht allgemein anerkannt. Eine persistierende oder rezidivierende mukopurulente Zervizitis ist häufig auch nicht Folge einer Infektion sondern unspezifisch, z. B. bei Ektopie. Des-
halb sind zur Abklärung die sensitivsten und spezifischsten Methoden erforderlich, am besten der DNANachweis von N. gonorrhoeae und C. trachomatis mittels PCR- oder SDA-Technik aus dem Harn (s. o.). Therapie. Sinngemäß wie bei der Urethritis des Mannes
(s. o.).
580
Kapitel 15 · Venerologie
Adnexitis (pelvic inflammatory disease) Definition. Diese umfasst ein Spektrum von Entzündungen des oberen weiblichen Genitaltrakts, einschließlich jeder Kombination von Endometritis, Salpingitis, tubo-ovariellem Abszess und Peritonitis des Beckens. Meist sind sexuell übertragbare Erreger die Ursache, besonders N. gonorrhoeae und C. trachomatis, manchmal auch Keime der vaginalen Flora. Epidemiologie. Bei Jungfrauen ist die Adnexitis sehr
selten; bei monogamen Frauen korreliert sie mit der Häufigkeit des Sexualverkehrs.
Genitale Ulzera/Erosionen In Westeuropa kommen als infektiöse Ursachen von genitalen Erosionen/Ulzera ein Herpes genitalis oder Syphilis I infrage, andere Erreger sind sehr selten. Die klinischen Bilder sind jeweils sehr charakteristisch (s. entsprechende Kapitel), die Diagnostik nur auf Basis von Klinik und Anamnese aber trotzdem nicht selten falsch. In Ländern der Dritten Welt unterstützt die WHO daher die »Syndrom«-Diagnose mit anschliessender empirischer Behandlung, die sich auf Klinik und epidemiologische Gegebenheiten stützt; dadurch werden mitunter auch mögliche andere Infektionen (Ulcus molle, Lymphogranuloma venereum) miterfasst.
Symptomatik, Diagnostik. Wegen der hohen Variati-
15
onsbreite der Symptome ist die Diagnose schwierig (s. o.). Viele Frauen haben nur milde Beschwerden, was Diagnose und Therapie verzögert und Dauerfolgen wahrscheinlicher macht. Eine laparoskopische Untersuchung schafft klare Verhältnisse, ist jedoch bei nur vagen Symptomen nicht gerechtfertigt. Die Diagnose basiert daher meist auf klinischen Befunden, obwohl deren positiver prädiktiver Wert lediglich 65–90% der Laparoskopie beträgt. Der prädiktive Wert der klinischen Diagnose nimmt zu, wenn epidemiologische Umstände für eine Infektion mit N. gonorrhoeae oder C. trachomatis sprechen. Folgende Minimalkriterien indizieren bei Frauen mit dem Risiko einer STD eine empirische Behandlung: Schmerzhaftigkeit des unteren Abdomens, der Adnexe und bei passiver Bewegung der Zervix. Additive Kriterien: Kerntemperatur >38,3°C, pathologischer genitaler Fluor, Erhöhung von Blutsenkung und C-reaktivem Protein, Infektion der Zervix mit N. gonorrhoeae oder C. trachomatis. Definitive Kriterien sind nur in Einzelfällen gegeben, nämlich: 4 Histopathologischer Nachweis der Endometritis 4 Transvaginale Sonographie oder andere bildgebende Verfahren: verdickte flüssigkeitsgefüllte Eileiter, mit oder ohne freie Flüssigkeit, oder tubo-ovarieller Abszess 4 Laparoskopischer Befund einer Adnexitis Eine frühe, empirische antibiotische Therapie kann das Risiko einer Tubeninfertilität reduzieren. Zumindest die Einleitung der Therapie sollte stationär erfolgen. Mehrere antibiotische Regimes, die alle relevanten Keime abdecken, sind wirksam (http://www.cdc.gov/ STD/treatment/). Nachweiskontrollen von N. gonorrhoeae und C. trachomatis: ein Monat nach Therapieende.
Proktitis Ätiologie und Symptomatik. Sexuell übertragene gastrointestinale Syndrome umfassen Proktitis, Proktokolitis und Enteritis (Erreger . Tab. 15.8). Proktitis kommt vorwiegend bei Personen mit Analverkehr vor, Enteritis bei Personen mit oral-analen Kontakten. Proktokolitis (Befall auch des Sigmoids) kann über beide Wege erworben werden. Proktitis ist durch rektalen Ausfluss, Tenesmen und Obstipation gekennzeichnet; Proktokolitis zeigt zusätzlich Durchfälle, Bauchkrämpfe und Fieber. Diagnostik, Therapie. Der rektale Fluor ist analog zum zervikalen/urethralen Fluor, aber auch auf Syphilis I zu untersuchen. Finden sich im rektalen Fluor Leukozyten, so ist auf jeden Fall folgende Therapie durchzuführen (und ggf. je nach Laboruntersuchungen zu erweitern): Ceftriaxon 125 mg i. m. als Einmaldosis und Doxycyclin 100 mg 2-mal tgl. für 7 Tage oder Azithromycin 1 g oral als Einmaldosis.
15.9
Durch Viren bedingte genitale Kontaktinfektionen
Die hierher gehörenden Krankheitsbilder – Infektionen durch die Herpesvirusgruppe (Herpes genitalis, Epstein-Barr- und Zytomegalievirus), genitale Viruswarzen, Molluscum contagiosum und Hepatitis A und B – werden in 7 Kap. 4 bzw. in einschlägigen Lehrbüchern abgehandelt. Hier werden einige besondere Aspekte herausgegriffen. Herpes genitalis (7 Kap. 4.3.5) Klinische Ausprägung und Rezidivrate des Herpes genitalis hängen von Virustyp, vorbestehender Immunität, Geschlecht und Immunstatus ab. Eine orolabiale HSV-1-Infektion schützt zwar weitgehend vor einer sexuellen Infektion mit HSV-1, nicht aber mit HSV-2
581 15.10 · Besondere Aspekte von STI
(erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit einer asymptomatischen HSV-2-Infektion!). Bei der Frau sind die Symptome sowohl der Erstmanifestation als auch des rezidivierenden genitalen Herpes stärker ausgeprägt. Die HSV-2-Erstinfektion verläuft bei Männern häufiger asymptomatisch als bei Frauen. Der symptomatischen Erkrankung kann eine Serokonversion vorausgehen (diagnostisch wichtig!): 10–15% der Patienten mit symptomatischer HSV-2-Erstinfektion zeigen keine Haut-, sondern extrakutane Manifestationen, die nicht unmittelbar an Herpes genitalis denken lassen (Zystitis, Urethritis, Zervizitis, Meningitis). Beim rezidivierenden Herpes genitalis ist die Symptomatik auf die Genitalregion beschränkt. Die Läsionen sind milder und weniger ausgedehnt, die Episoden dauern 6–12 Tage. Dem Ausbruch gehen meist Prodromi voraus (Kribbeln bis zu Sakralneuralgien), 20% haben lediglich Prodromi-artige Beschwerden. Die Häufigkeit der Rezidive ist bei HSV-2-Infektionen wesentlich höher als bei HSV-1 (0,33 vs. 0,11 Rezidive/ Monat), eine vorbestehende orolabiale HSV-1-Infektion wirkt sich nicht auf die Rezidivrate aus. Diese sinkt langsam spontan ab (»ein Rezidiv pro Jahr weniger«). Subklinisches virales »Shedding« ist häufig: es findet sich periodisch bei 50–70% der Infizierten (2–3% der Tage), unabhängig, ob ein symptomatischer Herpes genitalis bestanden hatte oder nicht. Atypische Manifestationen eines rezidivierenden genitalen Herpes werden häufig fehldiagnostiziert, z. B. lineäre Erosionen (DD: Trauma, Kandidiasis) oder nichtkonzentrische Erosionen ohne erythematösen Hof. Es sollte daher bei allen genitalen Läsionen eine Herpesinfektion überlegt werden. Infektion mit Humanen Papillomviren (7 Kap. 4.3.4) Mehr als 20 HPV-Typen können den Genitaltrakt (einschließlich Zervix, Vagina, Urethra und Anus) infizieren. Die meisten HPV-Infektionen sind asymptomatisch, subklinisch oder bleiben unerkannt. HPV wird nach einigen Monaten meist wieder eliminiert, bei einer Minderheit bleibt die Infektion jedoch länger persistent (High-risk-HPV, höheres Alter, HIV u. a.) und birgt damit ein Risiko für zytologische Veränderungen. Sichtbare genitale Warzen werden meist durch die HPV-Typen 6 und 11 verursacht; gleichzeitige Infektion mit multiplen Typen ist möglich. Im Unterschied zu perianalen Warzen findet man intraanale Warzen vorwiegend bei Personen mit rezeptivem Analverkehr. Ziel der Behandlung ist die Entfernung sichtbarer Warzen. Welchen Einfluss diese auf den Verlauf der HPV-Infektion selbst hat, ist noch unsicher; die Infektiosität kann, muss aber nicht abnehmen. Es ist auch nicht
15
erwiesen, dass eine solche Behandlung die Wahrscheinlichkeit eines z. B. Zervixkarzinoms reduziert. Keine der verfügbaren Behandlungen (Podophyllin, Imiquimod, Kryotherapie, operativ u. a.) ist einer anderen eindeutig überlegen, die Therapie richtet sich daher nach der Präferenz des Patienten und der ärztlichen Erfahrung. Die Therapie sollte gewechselt werden, wenn nach 3 Behandlungen keine Besserung oder nach 6 keine vollständige Entfernung erzielt ist. Exophytische Warzen der Zervix dürfen nur von Experten behandelt werden! Eine Partneruntersuchung wird nicht generell empfohlen, weil Reinfektion vermutlich keine Rolle spielt und keine Therapie die Infektiosität sicher beseitigen kann – (dennoch profitieren die Partner natürlich von einer Untersuchung auf Warzen und gleichzeitig andere STI). Frauen, deren Partner genitale Warzen haben, müssen an die (6)–12-monatliche zytologische Untersuchung erinnert werden! Ehemänner, deren Frauen an einem Zervixkarzinom erkrankten, haben ein mäßig erhöhtes Risiko für Anal- und Peniskarzinome. Genitale intraepitheliale Neoplasien und HPVImpfung 7 Kap. 4. 15.10
Besondere Aspekte von STI
Schwangerschaft Folgen einer genitalen Kontaktinfektion während der Schwangerschaft können sein: 4 Tubeninfertilität, Extrauteringravidität 4 Spontanabort, intrauteriner Kindestod 4 postabortale, intrapartale, postpartale aszendierende Infektion der Mutter 4 Frühgeburt, vorzeitige Wehentätigkeit und Membranruptur 4 kongenitale Missbildungen des Föten 4 perinatale Infektion des Föten bzw. Neugeborenen Die effektivste Maßnahme zur Verhinderung dieser Folgen sind Screening (Syphilis, Chlamydien, HIV), Abklärung von pathologischen Befunden im Vaginaloder Zervixsekret, und die daraus folgende adäquate Therapie. Die asymptomatische bakterielle Vaginose in der Schwangerschaft ist mit einem erhöhten Risiko u. a. von Frühgeburtlichkeit assoziiert; durch systemische Behandlung wird die Frühgeburtlichkeit reduziert. Weiters wird ein präpartales Bakterienscreening zur Prävention einer Neugeborenensepsis empfohlen (Streptokokken der Gruppe B!). Kindesmissbrauch Der Nachweis bestimmter STI bei Kindern gilt als Beweis für sexuellen Missbrauch, wenn eine perinatale
582
Kapitel 15 · Venerologie
. Tab. 15.10. Implikationen von bestätigten sexuell übertragbaren Infektionen auf die Diagnose und Meldung eines sexuellen Kindesmissbrauchs
15
Bestätigte Infektion
Evidenz für sexuellen Missbrauch
Vorgeschlagene Maßnahme
Gonorrhoe
Diagnostisch
Meldung
Syphilis
Diagnostisch
Meldung
HIV
Diagnostisch
Meldung
Chlamydia trachomatis
Diagnostisch
Meldung
Trichomonas vaginalis
Höchst verdächtig
Meldung
Condylomata acuminata
Verdächtig
Unklar
Genitaler Herpes
Verdächtig
Unklar
oder unter ungewöhnlichen Umständen erfolgte nichtsexuelle Übertragung ausgeschlossen werden kann (. Tab. 15.10). Die Verpflichtung, diesen Sachverhalt den Behörden und/oder Kinderschutzeinrichtungen mitzuteilen, ist unterschiedlich geregelt. Deutschland: Eine Meldepflicht besteht bei Bekanntwerden einer sexuellen Misshandlung noch nicht, Ärzte und Psychologen sind an ihre Schweigepflicht gebunden. Wenn es um die Abwehr einer gravierenden Gefahr für Gesundheit oder Leben von Kindern/ Jugendlichen geht, können sie aber einen »rechtfertigenden Notstand« geltend machen, der die Verletzung der Schweigepflicht rechtfertigt. Österreich: Prinzipiell muss ein solcher Verdacht der Polizei angezeigt werden. Wenn als Täter ein naher Angehöriger vermutet wird, »so kann die Anzeige so lange unterbleiben, als dies das Wohl des Minderjährigen erfordert und eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger und ggf. eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt«. Die Notwendigkeit von Untersuchungen auf STI bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch sollte sehr sorgfältig beurteilt werden. Falls invasivere Untersuchungsmethoden indiziert sind, sollten sie nur von sehr erfahrenem Personal vorgenommen werden. Die Erregerdiagnostik mit Nukleinsäurenachweisen brachte hier einen wesentlichen Fortschritt. 15.11
HIV-Infektion – AIDS
Grundlagen Definitionen, Herkunft von HIV. HIV (Human Immunodeficiency Virus) ist ein Prototyp der Lentiviren:
eine Untergruppe der Retroviren, die charakteristisch »träge« Infektionen verursachen, häufig das ZNS betreffen, eine lange klinische Latenzzeit haben und, bei persistierender Virämie, eine nur schwache Immunantwort hervorrufen. Zwei Typen von HIV sind bekannt: HIV-1 und HIV-2. Beide leiten sich von PrimatenRetroviren ab (»cross-species«-Übertragung). Beide beeinträchtigen auf vielfältige Weise die Immunfunktionen (→ Immundefizienz). Man unterscheidet die (meist symptomatische) akute von der (asymptomatischen) chronischen HIVInfektion. Nach jahrelanger »Latenz« stellen sich definierte zusätzliche Krankheiten ein (»AIDS-definierende Krankheiten«), meist direkte Folgen der Immundefizienz, die zum fortgeschrittenen Stadium AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome) überleiten. Wesentliche Eigenschaften der HIV-Infektion sind: 4 der lebenslange Verbleib von HIV im Wirtsgenom und dadurch lebenslange Infektiosität 4 die sehr lange Zeit von der Infektion bis zur Manifestation von AIDS (unbehandelt im Mittel 10 Jahre) 4 der außerordentliche Polymorphismus von HIV, der die Aussichten auf eine Vakzine trübt 4 die wichtigsten Wirtszellen sind CD4+-T-Lymphozyten (CD4-Zellen) und Makrophagen AIDS ist ein ohne den Einsatz antiretroviraler Kombinationstherapien innerhalb kurzer Zeit zum Tod führendes Syndrom – ein Spektrum klinischer Merkmale/ Krankheiten, die Folge der Störung wesentlicher Teile des Immunsystems sind: opportunistische Infektionen, maligne Neoplasien, das HIV-Auszehrungssyndrom und die HIV-Enzephalopathie. 3Historisches 1981 wurde AIDS in den USA bei homosexuellen Männern erstmals beschrieben. Die erste Isolierung von HIV gelang 1983 Montagnier (Frankreich). 1985 wurde der HIV-Test zum Screening von Blutspenden eingeführt. Neutralisierende Antikörper und zytotoxische T-Zellen als Ausdruck der Immunantwort auf HIV wurden 1985–1987 beschrieben. 1984 wurde das CD4-Molekül als wichtigster Virusrezeptor identifiziert, 1985 wurde das Virus geklont und sequenziert. Ebenfalls 1985 wurde gezeigt, dass ein Affenvirus, (»simian«) SIVmac, bei Makaken eine AIDSähnliche Erkrankung auslösen kann. Ein zweites, biologisch unterscheidbares HIV, HIV-2, wurde 1986 gefunden. 1986 erwies sich die antiretrovirale Wirksamkeit von Zidovudin – allerdings begleitet von rascher Resistenzbildung durch Mutationen der Reversen Transkriptase. Einige Jahre später wurde die HIV-spezifische Protease kristallisiert, was die Synthese zahlreicher Inhibitoren ermöglichte (»Designer Medikamente«). 1996 war ein Jahr großer Fortschritte: der Einsatz von antiretroviralen Kombinationstherapien (»Tripletherapie«) führte zum dramatischen Rückgang der Mortalität; moderne Amplifikationstechniken zur Messung der Plasma-HIV-RNA wurden
583 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
verfügbar (bessere Beurteilung der Prognose und der Effizienz der Therapie); schließlich wurden die für die Infektion notwendigen Korezeptoren (Chemokinrezeptoren) von CD4+-T-Lymphozyten und Makrophagen entdeckt.
Herkunft von HIV. Primaten-Lentiviren sind in ihren
natürlichen Wirten apathogen, eine »cross-species«Übertragung kann jedoch eine Änderung ihrer Virulenz bewirken (z. B. Entstehung einer AIDS-ähnlichen Krankheit); dies ist auch die derzeitige Erklärung für die HIV-Infektion des Menschen. HIV sind mit SIV (simian immunodeficiency virus) phylogenetisch sehr nahe verwandt, wobei einzelne HIV-Gruppen mit SIV-Gruppen »Cluster« bilden. HIV-2 leitet sich vom SIVsm ab, mit dem »Sooty«-Mangaben (eine in Westafrika zahlreiche Affenart) stark durchseucht sind. Das natürliche Habitat dieser Mangaben koinzidiert mit HIV-2-Endemiegebieten – die Tiere werden wegen ihres Fleischs häufig gejagt und gelegentlich als Haustiere gehalten. HIV-1 sind phylogenetisch eng verwandt mit Gruppen von SIVcpz bzw. SIVgor – Lentiviren von Schimpansen (Pan troglodytes troglodytes) bzw. Gorillas, die im westlichen Äquatorialafrika bzw. Kamerun heimisch sind und gleichfalls in Kontakt mit Menschen stehen (Jagd). Die gegenwärtige HIV-Epidemie entsprang vermutlich einer einzigen Übertragung, die für das Jahr 1930 berechnet wurde (±20 Jahre). Die erste humane HIV-1-Infektion ist für 1959 in Zentralafrika dokumentiert (Antikörper in eingefrorenem Spenderplasma). Die Prävalenz in Zentralafrika stieg erst nach 1980 dramatisch an. Zur epidemischen Verbreitung von AIDS beigetragen haben v. a. gesellschaftliche Veränderungen (Urbanisierung, Krieg). Epidemiologie. Nach Schätzungen der WHO wurden
im Jahr 2006 4,3 Mio. Menschen mit HIV infiziert, 2,9 Mio. Menschen verstarben an AIDS, darunter 380 000 Kinder. Ende 2006 lebten weltweit 39,5 Mio. HIVinfizierte Personen, allein im südlichen Afrika 24,7 Mio. (6,1% der Erwachsenen). Weltweit waren Ende 2005 1% der Erwachsenen mit HIV infiziert; die Zahl der Infizierten in West- und Zentraleuropa wurde auf 740 000, in Deutschland auf 49 000, in Österreich auf 6000 und in der Schweiz auf 15 000 geschätzt. In Deutschland wurden 2007 2752 Fälle von HIV-Infektionen neu gemeldet. Übertragung. Es gibt folgende Übertragungswege für
HIV: 4 Geschlechtsverkehr: HIV wird über Genitalsekrete übertragen. Die HIV-Menge ist im Samen höher als im vaginal/zervikalen Sekret – die Übertragung Mann-Frau ist daher häufiger als umgekehrt. Das
15
Risiko einer HIV-Übertragung durch einen neuen Partner wird für die ersten Wochen auf bis zu 5% geschätzt. Anschließend ist das Risiko für einen einzigen Vaginalverkehr <1%, kann allerdings durch bestimmte Risikofaktoren stark erhöht sein. Analverkehr ist bei der Übertragung von HIV wirksamer als Vaginalverkehr (größtes Risiko: rezeptiver Analverkehr), auch Oralverkehr kann (sehr selten) zur Übertragung führen. Kondome, von guter Qualität und richtig angewendet, schützen vor der HIV-Infektion (nicht absolut). 4 Blut zu Blut: Eine Stichverletzung mit einer (durch unmittelbar vorhergehende Benutzung) HIV-kontaminierten Nadel bei medizinischem Personal führt in ca. 0,3% der Fälle zur Infektion, Kontakt von HIV-kontaminiertem Blut mit Schleimhäuten (Konjunktiven!) durch Blutspritzer in etwa 0,1%. Das Risiko einer Infektion durch gemeinsame Benutzung des Injektionsbestecks bei Drogenbenutzern (»Needle-Sharing«) beträgt bis einige Prozente, das einer HIV-kontaminierten Bluttransfusion >90%. 4 Mutter auf Kind: Intrauterin bzw. v. a. perinatal werden 15–25% der Kinder HIV-positiver Mütter infiziert. Alle Säuglinge HIV-positiver Mütter haben jedoch bis zu 18–24 Monate nach der Geburt mütterliche Antikörper (der HIV-Test ist daher in diesem Zeitraum auch dann »positiv«, wenn keine Infektion vorliegt). Virologie HIV-1, ein RNA-Virus, ist der Prototyp eines Lentivirus, einer Untergruppe der Retroviren. Lentiviren haben ein komplexes Genom; dies unterscheidet sie von anderen Retroviren, die meistens nur die 3 essenziellen Strukturgene gag, pol und env besitzen. gag und env kodieren für die Nukleokapsidproteine des Kerns und die Hüllproteine, pol für die Reverse Transkriptase und andere Enzyme. Das Genom von HIV-1 enthält in seinem 9 Kilobasen langen RNA-Strang noch mindestens 6 weitere proteinkodierende Gene, die vermutlich alle eine kritische Rolle in der Pathogenität in vivo spielen (. Abb. 15.29, . Abb. 15.30). Morphologie. Ultrastrukturell (. Abb. 15.30) zeigt das HIV-1-Virion eine Ikosaeder-Struktur, aus der 72 Zacken (Spikes) ragen – Tri- oder Tetramere des Hüllglykoproteins gp120, das über gp41 in der doppellagigen Lipidhülle verankert ist. Die letztere stammt von der Wirtszelle und enthält auch deren Proteine (z. B. MHC I, MHC II). Der Kern enthält 4 Nukleokapsidproteine (p24, p17, p9 und p6) und 2 Kopien einer EinzelstrangRNA, die wieder mit präformierten viralen Enzymen
584
Kapitel 15 · Venerologie
. Abb. 15.29. Struktur des HIV-1-Genoms
assoziiert sind (reverse Transkriptase, Ribonuklease H, Integrase und HIV-Protease). Replikationszyklus (. Abb. 15.31). Der erste Schritt der
Infektion mit HIV-1 ist die Bindung des gp120 an den Rezeptor der Wirtszelle, das CD4-Molekül. gp120 und CD4 erfahren durch ihre Bindung Konformationsänderungen, die die Bindung von gp120 an weitere Rezeptoren – Chemokinrezeptoren – ermöglicht: T-Zelltrope HIV binden an den C-X-C-Chemokinrezeptor (CXCR4), Makrophagen-trope HIV an den C-C-Chemokinrezeptor (CCR5). Die sexuelle Übertragung erfolgt über Makrophagen-trope HIV. Weitere Chemokinrezeptoren (CCR 2b, CCR 3) können als Korezeptoren für HIV dienen (»Promiskuität von HIV«); CXCR 4 ist bei bestimmten Viren (z. B. HIV-2) alleiniger primärer Rezeptor. Die virale Replikation beginnt im Zytoplasma der Wirtszelle mit der Synthese einer Einzelstrang-DNA-
15
. Abb. 15.30. Aufbau von HIV-1
Kopie der viralen RNA (reverse Transkriptase), nach Abbau der RNA-Vorlage (Ribonuclease H) beginnt die Synthese des DNA-Doppelstrangs (reverse Transkriptase). Die Doppelstrang-DNA wird dann im Zellkern als Provirus in das Wirtsgenom eingebaut (Integrase). HIV-1 kann im Wirtsgenom als latente, persistierende Infektion verbleiben. Bei ruhenden (wie auch bei aktivierten!) CD4-Zellen ist der Anteil von Zellen mit stabilem, integriertem, replikationskompetentem Provirus jedoch klein (<0,1%, Post-Integrations-Latenz). Häufiger (1%) beherbergen sie nicht-integrierte HIVDNA im Zytoplasma; diese zerfällt, falls die Aktivierung der CD4-Zellen längere Zeit ausbleibt (Prä-Integrations-Latenz). Erst die Aktivierung durch Antigene, Mitogene, bestimmte Zytokine (TNF-α, IL-1) u. a. schafft ein für die HIV-1-Replikation permissives Milieu. Die aktivierenden Agenzien induzieren induzierbare Transkriptionsfaktoren (v. a. Proteine der NF-kB Familie), die gemeinsam mit konstitutiven Transkriptionsfaktoren der Wirtszelle an die LTR-Region von HIV-1 binden und zu einer niedrigen, aber wichtigen Expression von HIV-1-Genen führen. Zuerst werden lediglich die Regulatorgene tat, rev und nef transkribiert, in der Folge auch env, gag, und pol und in die entsprechenden Struktur- und Enzymproteine übersetzt. Der virale Kern (gag- und pol-kodierte Proteine) wird im Zytoplasma zusammengesetzt; die (env-kodierten) Hüllproteine werden in die Wirtszellmembran eingelagert. Beim Verlassen der Wirtszelle (Abknospen) umhüllt sich der Viruskern mit der Wirtszellmembran und bildet so ein neues, intaktes Virus. Die Zeit zwischen Infektion und Manifestation der Erkrankung wird oft als Latenzzeit bezeichnet. Die HIV-Infektion ist jedoch auch in dieser Phase nicht latent, sondern chronisch mit ständiger und hoher Virusreplikation. Bei der akuten HIV-Infektion ist die Virämie am höchsten, die Zahl zellfreier Virionen (so
585 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
15
. Abb. 15.31. Der Replikationszyklus (»Lebenszyklus«) von HIV-1. Reverse-Transkription und Integration sind in ruhenden CD4+-T-Lymphozyten unvollständig
genannte Plasma-RNA) beträgt oft >106 Kopien/ml (. Abb. 15.32). In den folgenden 3–6 Monaten fällt die Viruskonzentration stark ab und pendelt sich auf ein individuell verschieden hohes Niveau ein (set-point), das über Monate anhält. Pro Tag werden etwa 1010 Viren gebildet, die Halbwertszeit beträgt <6 h. Pathogenese. Die fundamentale pathologische Auffäl-
ligkeit bei HIV-Infizierten ist die quantitative und qualitative Dysfunktion der CD4-Zellen – die opportunis-
tischen Infektionen bei fortgeschrittener Infektion sind Folge dieses Defekts. Die wichtigsten Ursachen der Verminderung der CD4-Zellen sind: 4 verkürzte Lebenszeit: Bei der akuten HIV-Infektion ist der direkte zytopathische Effekt ein wichtiger Faktor; bei der chronischen replizieren nur wenige Zellen HIV, in den Vordergrund treten Synzytienbildung, Zerstörung HIV-infizierter CD4Zellen durch zytotoxische T-Lymphozyten, Apoptose.
586
Kapitel 15 · Venerologie
. Abb. 15.32. Plasma-HIV-RNA und CD4+-T-Lymphozyten im Verlauf der HIV-Infektion
4 gestörte Erneuerung der T-Lymphozyten in Knochenmark, Thymus und Peripherie: virale Proteine und HIV-induzierte Zytokine beeinträchtigen das Überleben und das klonogene Potenzial der CD34+Vorläuferzellen im Knochenmark, bewirken Störungen des »microenvironment« im Thymus (Verminderung der Thymozyten, mangelhafte Erneuerung der CD4-Zellen) und hemmen die Proliferation naiver CD4-Zellen im Blut. Die Halbwertszeit von HIV-replizierenden CD4-Zellen beträgt ca. 2 Tage.
15
! Abgesehen vom direkten zytopathischen Effekt könnten alle diese Mechanismen Epiphänomene einer generalisierten Immunaktivierung sein. Diese ist schon vom Zeitpunkt der akuten Infektion an gegeben und in den ersten Wochen durch die hohe virale Replikation per se erklärbar. Die Quelle der chronischen Immunaktivierung ist nicht gänzlich klar, beitragen könnte die (niedrige) persistierende Virusreplikation, das Nef Gen von HIV-1, und schließlich die so genannte mikrobielle Translokation (durch die Schädigung der CD4-Zellen im Darmepithel, die eine antimikrobielle Barriere darstellen, gelangen ständig Lipopolysaccharide von gramnegativen Bakterien in die Zirkulation). 3Duale Rolle der Immunaktivierung Jede Komponente des aktivierten Immunsystems kann sowohl protektive als auch schädliche Auswirkungen auf die HIV-Infektion haben. Komponenten der primären Immunantwort, z. B. komplementbindende Antikörper, tragen signifikant zur Clearance von HIV durch Einfangen (»trapping«) im Netzwerk der follikulären dendritischen Zellen des Lymphknotens bei. Dort bleibt HIV extrazellulär in Immunkomplexen liegen → eine bedeutsame Quelle kontinuierlicher de novo-Infektion, da normalerweise >98% der T-Lymphozyten in den lymphatischen Organen lokalisiert sind.
Neutralisierende Antikörper treten erst nach dem trapping der Viren im Lymphknoten auf. Die Produktion bestimmter Zytokine mag antiviral wirken und die Immunantwort verstärken, andere hingegen verstärken die Virusexpression und schwächen die Immunantwort; manche Zytokine können beides (z. B. IL-2, Interferon-γ). Die Persistenz von HIV mag die protektive Immunantwort stimulieren, umgekehrt können virale Antigene die Interaktion von CD4-Zellen mit antigenpräsentierenden Zellen beeinträchtigen. Die CD95(Fas)-Ligand mediierte Apoptose ist bei der HIVInfektion deutlich vermehrt. Zudem können zytotoxische TLymphozyten virusexprimierende, aber auch antigenpräsentierende Zellen zerstören und damit zur Immunpathologie beitragen. Die kontinuierliche HIV-Replikation verhindert schließlich die Regeneration der CD4-Zellen der Darmwand → die mikrobielle Translokation bleibt erhalten.
Klinische Manifestationen Das klinische Spektrum HIV-bedingter Krankheitsbilder ist mannigfaltig und fachüberschreitend. Im Folgenden werden nur die wichtigsten und häufigsten dargestellt. Verlauf und Klassifikation Die Krankheit beginnt mit der akuten HIV-Infektion, die nach spätestens einigen Wochen spontan abklingt und in die chronische HIV-Infektion übergeht (. Abb. 15.33). Es schließt eine jahrelange asymptomatische Phase an, die in eine Phase unspezifischer konstitutioneller Symptome bzw. mäßiger Krankheitszustände übergeht (. Tab. 15.11 und . Tab. 15.12). Diese können einzeln oder kombiniert auftreten; eine häufige Manifestation ist etwa die Soorstomatitis (. Abb. 15.41). Oft, aber nicht zwangsläufig, findet man unspezifische Laborveränderungen, die auf eine HIV-Infektion hinweisen (. Tab. 15.13). Diese Phase wird durch das Auftreten »AIDS-definierender Krankheiten« beendet – eine Reihe schwerer, mit der Immundefizienz meist in
. Abb. 15.33. Durchschnittlicher Verlauf der HIV-Infektion ohne antiretrovirale Kombinationstherapie
587 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
15
. Tab. 15.11. Klassifikation der HIV-Infektion (CDC 1993 und europäische AIDS-Falldefinition für Meldezwecke 1993) Kategorien A 4 Asymptomatische HIV-Infektion 4 Persistierende generalisierte Lymphadenopathie (LAS) 4 Akute (»primäre«) HIV-Infektion (auch in der Anamnese) Kategorie B (früher »AIDS-related complex« – ARC) Krankheitssymptome oder Krankheiten, die nicht in die AIDS-definierende Kategorie C fallen, aber dennoch der HIV-Infektion zuzuordnen sind. Hierzu zählen: 4 Bazilläre Angiomatose 4 Oropharyngeale Kandida-Infektionen 4 Vulvovaginale Kandida-Infektionen: chronisch (länger als ein Monat) oder schlecht therapierbar 4 Zervikale Dysplasien oder Carcinoma in situ 4 Konstitutionelle Symptome, z. B. Fieber >38,5°C (>1 Monat) oder Diarrhoe (>1 Monat) 4 Orale Haarleukoplakie 4 Herpes Zoster: Befall von mindestens zwei Dermatomen oder Rezidive in einem Dermatom 4 Idiopathische thrombozytopenische Purpura 4 Listeriose 4 Entzündungen des kleinen Beckens, besonders bei Komplikationen (Tuben-, Ovarialabszess) 4 Periphere Neuropathie 4 Viszerale Leishmaniose Kategorie C (=AIDS) AIDS-definierende Krankheiten: 4 Kandidiasis von Trachea, Bronchien oder Lungen 4 Kandidiasis des Ösophagus 4 Invasives Zervixkarzinom 4 Disseminierte Kokzidioidomykose (an anderer Lokalisation als oder zusätzlich zu den Lungen-, den zervikalen oder Hiluslymphknoten) 4 Extrapulmonale Kryptokokkose 4 Chronische intestinale Kryptosporidiose, > als ein Monat persistierend 4 Zytomegalievirus-Erkrankung bei Patienten, die älter als ein Monat sind 4 Zytomegalievirus-Retinitis mit Visusverlust 4 HIV-Enzephalopathie oder »subakute HIV-Enzephalitis« 4 Herpes simplex-Virus (Ulkus >1 Monat persistierend) oder Pneumonie/Ösophagitis unbestimmter Dauer bei Patienten, die älter als 1 Monat sind 4 Disseminierte Histoplasmose (andere Lokalisation als oder zusätzlich zu Lungen-, zervikalen oder Hiluslymphknoten) 4 Chronische intestinale Isosporiasis, >1 Monat persistierend 4 Kaposi-Sarkom 4 Lymphom: Burkitt- oder Nicht-Burkitt-Typ 4 Lymphom: immunoblastischer Typ 4 Lymphom des ZNS 4 Jede disseminierte, durch andere Mykobakterien als M. tuberculosis verursachte mykobakterielle Erkrankung 4 Extrapulmonale Tuberkulose an zumindest einer anderen Lokalisation außer den Lungen, ohne Berücksichtung gleichzeitiger pulmonaler Beteilung 4 Lungentuberkulose 4 Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie 4 Progressive multifokale Leukenzephalopathie 4 Wiederkehrende Salmonellensepsis (non-typhoid) 4 Toxoplasmose des ZNS 4 HIV-Auszehrungssyndrom (HIV-Kachexie) Bei Kindern <13 Jahren: 4 Lymphoide interstitielle Pneumonie und/ oder pulmonale lymphoide Hyperplasie (LIP/PLH-Komplex) 4 Multiple oder wiederkehrende schwere bakterielle Infektionen, und zwar jede Kombination von mindestens 2, die innerhalb einer Periode von 2 Jahren liegen: Sepsis, Pneumonie, Meningitis, Knochen/Gelenkinfektionen oder Abszess innerer Organe/einer Körperhöhle (ausgeschlossen Otitis media, oberflächliche Haut- und und Schleimhautinfektionen und Katheter-assoziierte Infektionen).
588
Kapitel 15 · Venerologie
. Tab. 15.12. Charakteristika der chronischen HIV-Infektion vor Manifestation von AIDS: Indikationen für einen HIV-Test Jahrelang meist asymptomatisch ± Lymphadenopathie Charakteristische unspezifische konstitutionelle Symptome (einzeln oder kombiniert):
4 4 4 4 4 4
Gewichtsverlust Nachtschweiß Müdigkeit Fieber Anorexie Diarrhoe
Dermatologisch:
4 4 4 4 4
Trockene Haut Seborrhoisches Ekzem Herpes Zoster Orale haarige Leukoplakie Soorstomatitis
Neurologisch/ psychiatrisch:
4 Minderung des Kurzzeitgedächtnisses, psychomotorische Verlangsamung 4 Polyneuropathie 4 Epileptische Anfälle
Frauen:
4 Stark erhöhtes Risiko von zervikaler intraepithelialer Neoplasie (und Zervixkarzinom)
Häufige, nicht zwangsläufig auftretende unspezifische Laborveränderungen, die auf eine HIV-Infektion hinweisen:
4 4 4 4 4 4 4
HDL-Cholesterin ↓ Triglyzeride ↑ Hypergammaglobulinämie (IgG ↑) Senkung ↑ Thrombozytopenie, Anämie, Lymphozytopenie, Leukopenie Ferritin ↑ Immunaktivierungsparameter ↑ (z. B. β2-Mikroglobulin, Neopterin etc.)
direktem Zusammenhang stehender Krankheiten, die zu epidemiologischen und diagnostischen Zwecken festgelegt wurden. Ohne antiretrovirale Therapie dauert es durchschnittlich 10 Jahre, bis eine Immundysfunktion dieses Grades eingetreten ist; innerhalb von 20 Jahren würden >90% der HIV-Infizierten AIDS entwickeln (. Abb. 15.34). Die CDC-Klassifikation (1993) ist immer noch in Gebrauch, doch ist ihre klinische Nützlichkeit begrenzt. Sie sieht vor, die Patienten in eine von 3 klinischen Ka-
15
. Abb. 15.34. Soorstomatitis bei HIV-Infektion. Atrophe Form: flächige glatte Erytheme, keine Beläge
tegorien (A, B, C – s. o.) und eine von 3 CD4-Lymphozyten-Kategorien (1, 2, 3) einzuordnen (. Tab. 15.13). Eine Rückstufung nach Besserung sowohl innerhalb der klinischen als auch der Laborkategorien ist nicht vorgesehen. Faktoren mit Einfluss auf die Progression der HIV-Infektion
Folgende Faktoren beeinflussen die individuelle Progression der HIV-Infektion: 4 Lebensalter: Dieses ist über das gesamte Altersspektrum der am stärksten die Progression bestimmende Faktor: ältere Personen schreiten rascher fort als Jüngere. Ausnahme: Säuglinge nach perinataler Übertragung (Erkrankung von 25% bereits im 1. Jahr). 4 Genetische Faktoren: Heterozygote Defekte im Ko-Rezeptor CCR5 und Mutationen im CCR2-Rezeptor verzögern die Progression mäßig. Raschere Progression zeigen hingegen Patienten mit bestimmten Allelen des HLA-B*35. 4 Andere Faktoren: Gleichzeitige Infektion mit CMV scheint die Progression zu beschleunigen, eine GBVirus-C (Hepatitis-G-Virus)-Virämie hingegen diese zu verzögern. Studien über die Rollen von Alkohol, Drogen und Depression auf den Abfall der CD4Zellen kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen.
589 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
15
. Tab. 15.13. Klassifikation der HIV-Infektion (CDC 1993), Zusammenfassung CD4+-Lymphozyten
Klinische Stadien A Asymptomatisch, Lymphadenopathie
B Symptomatisch
C AIDS-definierende Erkrankungen
(1) >500/ml
A1
B1
C1
(2) 200–499/ml
A2
B2
C2
(3) <200/ml
A3
B3
C3
4 Keinen unabhängigen Einfluss auf den Verlauf haben: ethnische Herkunft, Geschlecht (Ausnahme: bei Frauen ist die Viruslast im peripheren Blut in den ersten Jahren aus ungeklärten Gründen niedriger) und Route der Infektion (außer bei perinataler Übertragung). Progressionsparameter. Hierunter versteht man Mar-
ker, die Aussagen über das gegebene Stadium der HIVInfektion und den zu erwartenden Verlauf (Monate, wenige Jahre) zulassen. Sie helfen bei der Entscheidung, ob und welche therapeutischen Maßnahmen zu ergreifen sind: 4 Klinische Marker: Diese sind insgesamt wenig sensitiv (keine exakten Messgrößen!). Personen mit ausgeprägter akuter HIV-Infektion scheinen rascher progredient zu sein als solche, die mit wenigen Symptomen serokonvertieren. Die zuverlässigsten klinischen Progressionsmarker sind: orale Kandidiasis, persistierendes Fieber, Diarrhoen unklarer Ursache, (unbeabsichtigter) Gewichtsverlust, die orale haarige Leukoplakie und Herpes zoster (bei Befall von >2 Dermatomen oder rezidivierend). Lymphadenopathie ist nicht mit Progression assoziiert (jedoch die schnelle Involution vergrößerter Lymphknoten!). 4 Immunologische Marker: Die quantitative Bestimmung der CD4-Zellen im peripheren Blut bzw. deren Abfall ist ein zentraler prognostischer Test, erlaubt bei der frühen Infektion jedoch keine verlässliche Aussage. Der Abfall der CD4-Zellen beträgt durchschnittlich 60–80/μl/Jahr, doch bleiben viele Patienten längere Zeit stabil (auch im pathologischen Bereich), andere fallen dagegen jäh ab. Als zuverlässigster Marker (wenn auch selten verwendet) gilt die Expression von CD38 pro CD8+-TLymphozyt (»relative Fluoreszenzintensität«). Die Erhöhung der löslichen Marker der Immunaktivierung (z. B. Neopterin) und niedriges Hämoglobin sind mit rascherem CD4-Zell-Abfall und Progression assoziiert (unabhängig von der Menge der CD4-Zellen und der Plasma-HIV-RNA).
4 Virologische Marker: Auch die direkte quantitative Messung von HIV-RNA im Plasma ist ein Progressionsmarker, dient aber v. a. der Beurteilung des antiretroviralen Therapieeffekts. Drei Methoden stehen zur Verfügung: branched DNA (bDNA), Reverse-Transcription-PCR (RT-PCR) und Nucleic-Acid-Sequence-based Amplification (NASBA). Die Grenze der Nachweisbarkeit liegt heute bei 50 Viruskopien/ml Plasma. Unter Zusammenschau von Lebensalter, Viruslast und CD4-Zellzahl kann für asymptomatische Patienten ohne HIV-Therapie die Wahrscheinlichkeit geschätzt werden, innerhalb von 6 Monaten an AIDS zu erkranken (s. weiterführende Literatur). Langzeitüberlebende mit HIV (»Long-term Nonprogressors«). Etwa 5% der HIV-Infizierten haben auch nach 10 Jahren nicht nur keine klinischen Symptome, sondern auch eine stabile CD4-Zellzahl (im Normbereich). Bei ihnen finden sich im Lymphknoten nur wenige »eingefangene« Viren, sehr wenige Virus-exprimierende Zellen und eine niedrige Virusmenge im peripheren Blut – HIV ist hierbei zumeist replikationskompetent und infektiös (nicht attenuiert). Long-term Nonprogressors zeigen eine starke spezifische humorale wie zellvermittelte Immunität und keine abwegige Immunaktivierung.
Akute (»primäre«) HIV-Infektion (Synonym Akutes Retrovirales Syndrom) Definition. Ein polymorphes virales Syndrom, das 2 Wochen nach Infektion mit HIV auftritt (. Abb. 15.35). Das Spektrum reicht von Symptomlosigkeit (10%?) über ein Mononukleose-ähnliches bis zu einem lebensbedrohlichen Bild (extrem selten). Die akute HIV-Infektion ist ein erkennbares klinisches Syndrom, wird aber meist nicht diagnostiziert (mangelndes Bewusstsein). Sie sollte bei allen akuten fieberhaften Episoden erwogen werden, wenn eine HIVExposition möglich war (. Übersicht: Differenzialdiagnose).
590
Kapitel 15 · Venerologie
Therapie. Der Nutzen einer antiretroviralen Behand-
lung der akuten HIV-Infektion ist nicht belegt.
. Abb. 15.35. Varicelliformes Exanthem bei akuter HIV-Infektion
Differenzialdiagnose der akuten HIV-Infektion 4 4 4 4 4 4 4 4 4
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Epstein-Barr-Virus-Mononukleose Zytomegalievirus-Mononukleose Röteln Varizellen Grippe Andere virale Infektionen (z. B. Coxsackievirus) Lues II Toxoplasmose Arzneimittelexanthem
! Das Erkennen der akuten HIV-Infektion ist für den Betroffenen, aber auch epidemiologisch wichtig: die Beratung Betroffener über Schutzmaßnahmen kann Jahre früher stattfinden als nach Verstreichen der folgenden asymptomatische Periode, und die Partnernotifikation ist einfacher.
Symptomatik. Kardinalsymptome sind das Exanthem, mukokutane Erosionen, Lymphadenopathie und eine nichteitrige Pharyngitis. Das Exanthem ist makulös (Größe 5–10 mm) bis makulopapulös, selten varizelliform, symmetrisch und nichtjuckend. Es befällt meist Gesicht und Stamm, kann jedoch auch generalisiert sein. Begleitsymptome: Fieber, Arthralgien, andere Systemzeichen. Die Symptome dauern Tage bis wenige Wochen, ihr Ausmaß korreliert mit der Höhe der Virämie. Der kombinierte Antikörper/Antigentest sollte daher bei fast allen Patienten positiv ausfallen (PCR zu 100% positiv).
AIDS-definierende Krankheiten Die häufigsten AIDS-definierenden Krankheiten bei Patienten, deren HIV-Infektion bisher nicht erkannt wurde, sind: 4 HIV-Auszehrungssyndrom (Wasting-Syndrome): Ein sehr charakteristisches Zeichen, das enorme Ausmaße annehmen kann; es wird als Gewichtsverlust von >10% definiert, wenn keine anderen Erklärungen vorliegen (Ausschlussdiagnose!). Es nimmt die gesamte Körperzellmasse ab (Cave: Verwechslung mit dem Lipodystrophiesyndrom!). Genese: multifaktoriell – verminderte Nahrungsaufnahme (Hauptfaktor!), intestinale Dysfunktion und metabolische Störungen. Biochemische Mediatoren wurden bisher nicht identifiziert (Interferon-γ, IL-1, IL-6, TNF-α?). Verminderte Nahrungsaufnahme ist zwar ein generelles Zeichen bei systemischen Infektionen, dauert aber meist nur kurz; bei der HIV-Infektion ist sie jedoch permanent oder immer wiederkehrend. Bis zur Ära der HAART (s. u.) brachten therapeutische Versuche nur bescheidene Erfolge, seither ist das Krankheitsbild weitgehend reversibel (Rolle der Immunaktivierung?). 4 Soorösophagitis: Wichtige Symptome sind Schluckbeschwerden (Dysphagie: »Essen bleibt stecken«) und Odynophagie (schmerzhafter Schluckakt), die beide die Nahrungsaufnahme stark beeinträchtigen, weiters diffuse epigastrische Beschwerden und Singultus. 4 Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie: diese interstitielle Pneumonie ist die vorherrschende Infektion der Lunge und immer noch in 30–40% die Erstmanifestation von AIDS. Der Beginn ist schleichend; erste Symptome sind trockener Husten und Fieber, später Atemnot, vorerst bei Belastung. In der Folge kann sie einen fulminanten Verlauf nehmen. Erregernachweis: Bronchiallavage. 4 Rezidivierende bakterielle Pneumonien: Hauptsächliche Erreger sind Pneumokokken. Oft sind bakterielle Pneumonien bei HIV-Infizierten mit Bakteriämie assoziiert, die Erreger daher aus dem Blut kultivierbar. 4 Tuberkulose: Die Inzidenz an Tuberkuloseerkrankungen ist erhöht, insbesondere bei kurz davor aus Entwicklungsländern Eingewanderten; meist eine extrapulmonale Tuberkulose (Lymphadenitis, z. B. zervikal), oft jedoch in Verbindung mit Lungentuberkulose.
591 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
15
4 Zerebrale Toxoplasmose: Die häufigste ZNS-Manifestation, fast stets Folge der Reaktivierung einer latenten Infektion (Antikörper in >90% nachweisbar). Manifestation: meist fokale Herdzeichen (z. B. Lähmung einer Gliedmaße), Kopfschmerz, Anfälle, Fieber, Bewusstseinsstörungen. Diagnose: Computertomographie (typische, meist mehrere ringspeichernde Raumforderungen) und Ansprechen auf Therapie (Pyrimethamin und Sulfadiazin). Klinische Manifestationen von HIV/AIDS Neurologische Manifestationen HIV-assoziierte Enzephalopathie. Vor Einführung der
HAART entwickelten etwa ein Drittel der Erwachsenen und die Hälfte der Kinder eine langsam progressive Enzephalopathie als direkte Folge der HIV-Infektion. Die CD4-Zellzahl liegt meist <200/μl. Symptome sind zunächst eine Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses, psychomotorische Verlangsamung und Beeinträchtigung koordinierter Bewegungen, später eine globale Demenz (AIDS-Demenz-Komplex). HIV gelangt schon in frühen Stadien über Monozyten in das Gehirn (HIV ist neuroinvasiv). Die schweren Symptome entstehen nicht durch Infektion der Neuronen (HIV ist nicht neurotrop), sondern von Makrophagen, Mikroglia und vielkerniger Riesenzellen. Die Neuronen werden indirekt geschädigt, wahrscheinlich durch chronische Aktivierung der Makrophagen (Interferonγ, lösliches gp 120) mit Freisetzung von Mediatoren (Stickstoffmonoxyd, Arachidonsäure, PAF, TNF-α, IL-1 u. a.). Der Schaden wird erst in späten Stadien manifest (HIV ist neurovirulent). Die antiretrovirale Kombinationstherapie ist neuroprotektiv. Die Diagnose wird klinisch gestellt: keine fokalen Läsionen, im MRT in fortgeschrittenen Fällen Atrophie und in der T-2-Gewichtung flockige Ödeme der weißen Substanz ohne Masseneffekt, ohne Kontrastmittelanspeicherung. Der Schweregrad der Enzephalopathie korreliert mit der Menge an HIV-RNA und löslichen Parametern der Immunaktivierung im Liquor. Die HIV-Enzephalopathie ist im Anfangsstadium durch adäquate antiretrovirale Therapie reversibel. Vakuoläre Myelopathie. Eine meist gemeinsam mit der HIV-Enzephalopathie auftretende subakute, langsam progrediente Erkrankung des Rückenmarks. Klinisch früh schwere Gangstörungen mit Ataxie und Spastik, Harn- und Stuhlinkontinenz (ähnlich den Veränderungen bei Vitamin-B12-Mangel). Periphere Polyneuropathie. Verschiedene Formen von
Polyneuropathien können auftreten. In späten Stadien
. Abb. 15.36. Kaposi-Sarkom bei HIV-Infektion
ist eine distal betonte, vorwiegend sensorische axonale Neuropathie ähnlich der diabetischen Neuropathie häufig. Therapie: symptomatisch. Maligne Neoplasien Kaposi-Sarkom (KS). Diese häufigste HIV-assoziierte
Neoplasie (. Abb. 15.36, 7 Kap. 9) ist mit der (homo)sexuellen Übertragungsroute verknüpft und daher heute relativ seltener als zu Beginn der HIV-Epidemie. Voraussetzungen zur Entstehung des KS sind die Infektion mit dem humanen Herpesvirus 8 (HHV-8) und mehrere Kofaktoren (HIV-tat-Protein, Interferon-γ, Androgene u. a.) – Ausdehnung und Progredienz hängen von diesen Kofaktoren ab. Das »epidemische« (HIVassoziierte) KS tritt wie das »klassische« primär multipel auf, unterscheidet sich von diesem jedoch in klinischen Aspekten (z. B. Verteilung, schnellere Beteiligung innerer Organe). Es war früher therapeutisch kaum zugänglich, selbst komplettes Ansprechen (z. B. durch Strahlentherapie) hielt nur kurzzeitig an; unter HAART bilden sich KS-Läsionen jedoch oft (nicht stets) zurück. Primäres Behandlungsziel ist immer noch die Palliation von Symptomen (Schmerzen, Schluckbeschwerden, Husten, Atemnot, Obstipation u. a.) und die kosmetische Verbesserung (häufig auffallende Herde im Gesicht!). Bei raschem Fortschreiten und/oder massiver Ausdehnung: liposomales Doxo-/Daunorubicin. Non-Hodgkin-Lymphome. Diese treten bei bis zu 10%
aller AIDS-Patienten auf (seit Einführung der HAART rückläufig), meist hochmaligne B-Zell-Lymphome – etwa gleich häufig lymphoblastische (Burkitt- und Non-Burkitt-Typen), großzellige und immunoblastische Lymphome. Entstehung: kontinuierliche Aktivie-
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Kapitel 15 · Venerologie
rung von B-Lymphozyten durch HIV und EBV (das EBV-Genom ist in 50% nachweisbar). Sie kommen häufig primär extranodulär vor, bevorzugt in ZNS, GI-Trakt, Knochenmark und sonst atypischen Lokalisationen (Hoden, Lunge, Muskeln u. a.). B-Symptomatik ist häufig. Gleichzeitige opportunistische Infektionen verschlechtern die Prognose. Chemotherapien sind wegen der eingeschränkten Knochenmarkreserve schwierig. HAART führt zur Aufhebung der Hämatosuppression, die Chemotherapien werden dadurch besser vertragen und können dann voll dosiert werden. Angewendet werden das CHOP- oder ein modifiziertes m-BACOD-Schema, bei CD20 exprimierenden Lymphomen auch kombiniert mit Rituximab. Anogenitale Plattenepithelkarzinome. Die Assoziation dieser Tumoren mit Immundefizienz ist lange bekannt – immunsupprimierte Transplantatempfänger haben ein 100-faches Risiko von Anal-/Vulva- und das 14-fache Risiko von Zervixkarzinomen. Ähnliches ist für AIDS-Patienten zu erwarten: High-Risk-HPV-DNA und intraepitheliale Neoplasien der (unbefallenen) Analhaut werden viel häufiger bei HIV-positiven als bei HIV-negativen homosexuellen Männern gefunden. Ähnlich ist bei HIV-infizierten Frauen das Risiko einer zervikalen intraepithelialen Neoplasie deutlich erhöht, jedoch wurden bisher nur wenige Fälle invasiver Zervixkarzinome beschrieben. Infektionen des Verdauungstrakts
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Die häufigsten opportunistischen Infektionen sind Soorstomatitis und Soorösophagitis, meist durch Candida albicans. Häufigkeit und Schwere korrelieren mit der Schwere der Immundefizienz. Ösophagitis mit Ulkusbildung kann auch durch HSV oder CMV verursacht werden; die Ulzera sind dann meist riesig und reaktionslos. CMV kann auch eine Gastritis und eine Kolitis hervorrufen. Homosexuelle AIDS-Patienten haben häufiger Diarrhoe als drogenbenutzende. Die Durchfälle können bei Dünndarmbefall mit Kryptosporidien überaus massiv sein (Wasserverlust bis zu >10 l täglich). Die Abklärung einer Diarrhoe erfolgt in Stufen: 4 akute Diarrhoe: Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Clostridium difficile (letzteres bei vorhergehender Antibiotikaeinnahme) 4 chronische Diarrhoe (>1 Monat) zusätzlich: Kryptosporidien, Mikrosporidien, CMV, atypische Mykobakterien, Wurmeier und andere Parasiten Hepatobiliäres System
Dieses nimmt bei der HIV-Infektion zunehmend eine zentrale Rolle ein. Bei fast allen HIV-Infizierten treten
im Lauf ihrer Krankheit (meist bei CD4-Zellen <200/μl) pathologische Leberfunktionsparameter auf. Die Ursachen sind vielfältig: die Leber kann sowohl Reservoir vorbestehender (Hepatitis B und C) als auch Zielorgan opportunistischer Infektionen sein (Mykobakteriosen, CMV, Kryptokokkose, Krypto- und Mikrosporidiosen); schließlich manifestieren sich dort häufig Medikamentennebenwirkungen (Stavudin, Didanosin, Nevirapin). Hepatitis C ist eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität bei der HIV-Infektion; umgekehrt ist letztere auch ein wichtiger Faktor für die Progression der Hepatitis C. Die Gallenwege sind in fortgeschrittenen Stadien (CD4-Zellen <50/μl) häufig von Kryptosporidien, Mikrosporidien und/oder CMV befallen. Im Ultraschall zeigen sich Erweiterung und Wandverdickung der intra- und/oder extrahepatischen Gallenwege und Gallenblase (sklerosierende Cholangitis). Dermatologische Manifestationen
Die meisten HIV-Infizierten entwickeln Hautläsionen, zumindest bei längerer Beobachtung. Einige davon sind »neu« und (fast) pathognomonisch für AIDS, die Mehrzahl sind hingegen unspezifisch bzw. Dermatosen, die auch beim HIV-Negativen auftreten (nur meist erheblich milder). 4 Seborrhoisches Ekzem: bei etwa 80% der HIV-Infizierten, oft als erstes klinisches Zeichen. 4 Psoriasis: HIV kann sowohl eine Erstmanifestation auslösen als auch eine präexistente Psoriasis verschlechtern. 4 Papular Dermatitis of AIDS: schlecht definierte, Neurodermitis- oder auch Psoriasis-ähnliche Bilder, die bei fortgeschrittener Immundefizienz auftreten (CD4-Zellen <200/μl). 4 Hyperpigmentierungen: ein häufiger Befund: diffuse, fleckige Läsionen des Gesichts ähnlich dem Melasma, vorwiegend bei weit fortgeschrittener Infektion (CD4-Zellen < 50/μl); meist mit generalisierter Exsikkose assoziiert. 4 Staphylodermien: Staph. aureus ist der häufigste kutane Erreger bei der HIV-Infektion. Bilder: Follikulitis (die häufigste Manifestation; Prädilektionsstellen: Gesicht, Stamm, Leisten), bullöse Impetigo, Furunkel, Phlegmone, Hidradenitis suppurativa. 4 Infektionen mit HSV (Herpes genitalis bzw. perianalis) und VZV (Herpes zoster). Beide sind sehr häufig und durch schwere, nekrotisierende und langwierige Verläufe gekennzeichnet 4 Mollusca contagiosa: bei fortgeschrittener HIVInfektion sehr häufig. Prädilektionsstellen Gesicht, Genitalregion und Stamm. 4 Scabies: kann bei der HIV-Infektion auch atypisch auftreten: als disseminierte Papeln ohne Juckreiz
593 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
(anergische Form), generalisiert ähnlich einem Arzneimittelexanthem (exazerbierte Form) und schließlich als generalisierte krustig-schuppige Form (Scabies norvegica). 4 Orale haarige Leukoplakie (7 Kap. 9.3): kommt nur selten außerhalb der HIV-Infektion vor. Sie wird als eine EBV-induzierte benigne epitheliale Hyperplasie interpretiert. 4 Krankheiten des gingivoparodontalen Gewebes finden sich bei bis zu 50%: HIV-assoziierte Gingivitis (auch in Abwesenheit von Plaques!) und HIVassoziierte Periodontitis (rascher und gleichzeitiger Verlust von Schleimhaut und Knochen → Zahnlockerung und -ausfall). Hyperinflammatorische und Autoimmunphänomene
Die chronische HIV-Infektion ist nicht nur durch Immundefizienz, sondern auch durch Immundysregulation charakterisiert, das Auftreten von Autoimmunphänomenen ist daher plausibel: 4 Diffuses infiltratives Lymphozytose-Syndrom: Gehäuft bei Personen mit bestimmten HLA-Merkmalen (u. a. HLA-DRB1*1102) wird eine HIV-getriebene Expansion von CD8+-T-Lymphozyten beobachtet, die zu einem/mehreren der folgenden Bilder führen kann: Vergrößerung der Speicheldrüsen (Parotis!), meist verknüpft mit Sicca-Symptomatik; Polyarthralgien, Myopathien, Neuropathien, lymphozytäre interstitielle Pneumonie, lymphozytäre Hepatitis, Fazialisparese, HIV-Nephropathie (fokale Glomerulosklerose). Sehr selten ist eine Sézary-Syndrom-ähnliche Infiltration der Haut. Die Behandlung dieser Krankheitsbilder ist nicht etabliert; systemische Kortikosteroide sind symptomatisch hilfreich. . Abb. 15.37. Algorithmus für die Diagnose der akuten bzw. chronischen HIV-Infektion
15
4 HIV-assoziierte Thrombozytopenie: Unter den (vielen möglichen) Ursachen einer Thrombozytopenie im Rahmen der HIV-Infektion ist die häufigste die immunmediierte (d. h. durch Autoantikörper gegen Thrombozytenantigene verursachte). Ihre Inzidenz korreliert nicht mit dem Fortschreiten der HIV-Infektion. Megakaryozyten und Thrombozyten exprimieren den CXCR4-Rezeptor, und das Auftreten der Thrombozytopenie scheint mit bestimmten HIV-Quasispezies assoziiert zu sein. Antiretrovirale Therapie korrigiert die Werte meist soweit, dass keine weiteren Maßnahmen erforderlich sind. Diagnostik der HIV-Infektion Der HIV-Test ist eine differenzialdiagnostische Hilfe zur Abklärung von medizinischen Symptomen. Für diese Indikation wird er zu selten verwendet: die Diagnose HIV-Infektion wird in etwa 30% erst in einem fortgeschrittenen Stadium gestellt (CD4-Zellzahl <200/μl). Als Suchtest wird der empfindliche Enzymimmunoassay (ELISA) eingesetzt, der Antikörper allein oder Antigen und Antikörper gleichzeitig nachweisen kann. Die derzeit zugelassenen HIV-Tests erkennen Antikörper sowohl gegen HIV-1 wie auch HIV-2. Die Serokonversion (Auftreten von IgG-Antikörpern) tritt zu 50% innerhalb von 3 Wochen ein, zu >90% innerhalb von 3 Monaten, zu 99–100% in 6 Monaten. Ein positives ELISA – Testergebnis muss in einem zweiten Testverfahren mit der Western-Blot-Technik bestätigt werden (. Tab. 15.14 und . Abb. 15.37). Ein positiver WesternBlot liegt dann vor, wenn mindestens 2 HIV-spezifische Banden vorliegen. Bei Positivität einzelner Banden lautet das Ergebnis »unbestimmt« – die Untersuchung ist nach 1 und 6 Monaten zu wiederholen.
594
Kapitel 15 · Venerologie
. Tab. 15.14. Diagnostik der HIV-Infektion HIV 1+2 Antikörpersuchtest
HIV 1+2 Antikörper und p24-AntigenKombinationstest
Western-Blot
HIV 1-RNA
Material
Serum
Serum
Serum
Frisches EDTA-Plasma
Funktion
Antikörper gegen HIV
Antikörper gegen HIV-Virales Protein (p24)
Antikörper gegen HIV; Auftrennung der Antikörper
Amplifikation viraler RNA
Methoden
ELISA (EIA)
ELISA (EIA)
Western-Blot; Ergebnis positiv, wenn mindestens zwei der folgenden drei Banden positiv sind (p24, gp 160, gp 120)
RT-PCR, bDNA, NASBA
Indikation
Suchtest, Schnelltest
Suchtest (v.a. frische Infektion)
Bestätigung Unterscheidung HIV-1/-2
(Suchtest frische Infektion; Bestätigung) Progressionsparameter, Therapiekontrolle
Akute HIV-Infektion (frühester Nachweis)
Tag 22
Tag 16
Sensitivität bei chronischer Infektion
99,99%
99,99%
Spezifität bei chronischer Infektion
99,8–99,9%
»Negativ« ist ein Western-Blot nur dann, wenn er keinerlei Banden aufweist. Falsch positive ELISA –Tests findet man selten bei polyklonaler B-Zell-Aktivierung (Autoimmunkrankheiten, Infekte u. a.). Initiale Untersuchung von HIV-Infizierten (Staging)
15
Das Staging hilft Patienten und Arzt, eine prognostische und therapeutische Strategie zu formulieren. Es umfasst die Erhebung der Progressionsparameter (s. o.), eine körperliche Untersuchung mit Anamnese und Laboruntersuchungen: Blutsenkung, Blutbild inkl. Differenzialblutbild, Leber- und Nierenfunktionsparameter, Harnstatus, Ultraschall des Abdomens und Thorax-Röntgen, bei Frauen (unabhängig vom Alter) auch ein Zervixabstrich (halbjährliche Kontrollen!). Eine initiale Untersuchung des Augenhintergrundes empfiehlt sich erst bei einer CD4-Zellzahl <100/μl. Erfasst werden sollten auch Ko-Infektionen mit Hepatitis B und C, CMV, Toxoplasma gondii und M. tuberculosis. Therapie Antiretrovirale Therapie Das 1986 eingeführte Nukleosidanalogon Zidovudin führt in Monotherapie rasch zu Resistenzen. Ab 1996 wurden Proteasehemmer gemeinsam mit 2 Nukleosiden als so genannte Tripletherapien eingesetzt. Diese bewirken in der Regel eine so starke antivirale Replikationshemmung, dass keine HIV-RNA mehr im Plasma
Tag 11 (Sensitivität 100%, Spezifität 98%) 99,99% 100%
nachweisbar ist → »hochaktive antiretrovirale Therapie« (HAART). ! Wunschziel der Therapie wäre natürlich die Elimination von HIV. Allerdings würde die Eradikation des latenten Reservoirs (d. h. aller Zellen, in denen HIV als Provirus eingebaut ist) selbst bei vollständiger Unterdrückung der Virusreplikation Jahrzehnte dauern. Leider läuft aber auch unter HAART eine dauernde, wenn auch minimale Virusreplikation ab, das Ziel einer Eradikation ist daher illusorisch. Die HIV-Infektion ist auch heute noch nicht heilbar – sie wurde aber eine behandelbare chronische Krankheit.
Ziele der antiretroviralen Therapie sind Reduktion der HIV-assoziierten Morbidität/Mortalität und Verbesserung der Lebensqualität. Erreicht können diese Ziele werden, wenn die Zahl der CD4-Zellen erhöht und auf relativ hohem Niveau gehalten wird. Dies erfordert eine »maximale« Unterdrückung der Virusreplikation, um die Bildung von medikamentenresistenten Mutanten zu verhindern (. Abb. 15.38). Ein beträchtliches Risiko von medikamentenresistenten Mutanten ergibt sich aus: dem hohen viralen Turnover (1010 Viren/Tag), der hohen Mutationsrate (1 Substitution/Genom/Replikationsrunde) und der hohen Rate an Rekombinationen (7–20 Rekombinationen/Genom/Replikationsrunde). Angriffspunkte im Replikationzyklus von HIV. Die derzeit geeignetsten Angriffspunkte sind die Enzyme Re-
595 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
15
. Abb. 15.38. Behandlungsziel bei der HIV-Infektion ist die Unterdrückung der Plasma HIV-RNA unter die Grenze der Nachweisbarkeit. Der Abfall der Plasma HIV-RNA erfolgt biphasisch
verse Transkriptase und HIV-spezifische Protease, ein potenzielles weiteres die Integrase. Strategien zur medikamentösen Blockade der Virus-Korezeptoren CCR5 und CXCR4 sind in Entwicklung; solche Substanzen wären auch topisch als Infektionsschutz (Mikrobizide) einsetzbar. Ein Peptidanalogon des gp41 ist als Fusionsinhibitor in Verwendung. Nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer
(NRTI). Die reverse Transkriptase ist eine RNA-abhängige DNA-Polymerase. Nucleosidanaloga werden durch Enzyme der Wirtszelle zu Triphosphaten phosphoryliert (die aktive Form), konkurrieren mit den natürlichen Nucleotiden um die Bindungsstelle an der reversen Transkriptase und werden als falsche Bausteine in die DNA eingebaut. Zidovudin war das erste dieser Medikamente. Die Nebenwirkungen der Nukleoside sind zahlreich, viele davon sind Folge ihrer mitochondrialen Toxizität (s. u.) (. Tab. 15.15). Nicht-nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI). Diese hemmen durch nichtkompetitive
Bindung an eine hydrophobe Tasche des Enzymmoleküls. NNRTI hemmen die HIV-Replikation wesentlich stärker als NRTI, führen in Monotherapie aber in wenigen Wochen zur Resistenz (»niedere genetische Barriere«). Alle NNRTI verursachen häufig Exantheme (s. u.). HIV-Proteasehemmer (PI). Das Substrat der HIV-Protease sind die viralen gag- und pol-Proteinpräkursoren, die sie hydrolytisch zu funktionsfähigen HIV-Enzymen und Kapsidproteinen spaltet. PI wirken in der Posttranslationsphase der HIV-Replikation; bis auf die neuesten PI sind sie »peptidomimetische« Moleküle, d.h. sie ähneln dem natürlichen Substrat und binden an die HIV-Protease, können jedoch nicht hydrolysiert werden und blockieren daher das Enzym – es entstehen unreife, nichtinfektiöse Virionen.
Der klinische Nutzen von PI hängt von der Beachtung ihrer komplexen pharmakokinetischen/-dynamischen Eigenschaften ab. Sämtliche PI werden vom Cytochrom-p450-3A-System metabolisiert, hemmen es jedoch auch in unterschiedlichem Maß (am stärksten Ritonavir). Diese Eigenschaft wird klinisch eingesetzt, um die Plasmaspiegel (insbesondere Talspiegel) anderer PI zu heben. PI werden deshalb fast immer gemeinsam mit einer »Babydosis« Ritonavir verabreicht (100 mg, eine Dosis, die die Virusreplikation kaum supprimiert). Ritonavir scheint ferner die Funktion des pGlykoproteins zu hemmen (Produkt des MDR1- Multi Drug Resistance Gens), das für die Ausschleusung von Medikamenten aus Zellen verantwortlich ist (z.B. Chemoresistenz von Tumoren). Eine Abnahme der Empfindlichkeit gegen PI (phänotypische Resistenz) erfordert in der Regel die Akkumulation mehrerer Mutationen von HIV (genotypische Resistenz), die schrittweise erfolgt. PI sind (mit Ausnahme von Nelfinavir) deshalb Substanzen mit hoher genetischer Barriere. Prinzipien der antiretroviralen Therapie
Es sollten immer 3 antiretrovirale Medikamente kombiniert werden. Die initiale antiretrovirale Therapie sollte mit 2 NRTI und 1 NNRTI oder mit 2 NRTI und 1 PI erfolgen. Ein Wechsel der Therapie auf 3 NRTI oder auf PI allein erfolgt gelegentlich bei erfolgreicher Unterdrückung der viralen Replikation und bei Nebenwirkungen gegen die anderen Medikamentenklassen. Fast jede antiretrovirale Therapie enthält die Kombination von 2 NRTI. Manche Kombinationen sind nicht erlaubt: z. B. Zidovudin + Stavudin (Antagonismus!). Wegen leichterer Einnahme (Compliance!) und vermindertem Risiko von Nebenwirkungen (v. a. Lipodystrophie) werden Kombinationspräparate wie Abacavir/Lamivudin und Tenofovir/Emtricitabin bevorzugt (. Tab. 15.15, . Tab. 15.16).
596
Kapitel 15 · Venerologie
. Tab. 15.15. Antiretrovirale Substanzen (Auswahl) Substanz
Dosierung
Einnahmevorschriften
Toxizität
Nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI/NtRTI) Einzelpräparate Abacavir (ABC)
300 mg bid; 600 mg qd
± Mahlzeit
Hypersensitivitätssyndrom, sonst minimal
Didanosin (ddI)
>60 kg 400 mg qd
nüchtern#
Pankreatitis, periphere Neuropathie Minimal
Emtricitabin (FTC)
200 mg qd
± Mahlzeit
Lamivudin (3TC)
150 mg bid oder 300 mg qd
± Mahlzeit
Minimal
Tenofovir (TDF)
300 mg qd
± Mahlzeit
Selten Nephrotoxizität, Osteomalazie?
Zidovudin (AZT, ZDV)
300 mg bid
± Mahlzeit
Anämie, GI-Intoleranz*, Lipoatrophie
ABC+3TC
1 Tbl. qd
± Mahlzeit
s. Einzelsubstanzen
AZT+3TC
1 Tbl. bid
± Mahlzeit
s. Einzelsubstanzen
AZT+3TC+ABC
1 Tbl. bid
± Mahlzeit
s. Einzelsubstanzen
TDF+FTC
1 Tbl. qd
± Mahlzeit
s. Einzelsubstanzen
TDF+FTC + EFV
1 Tbl. qd
± Mahlzeit
s. Einzelsubstanzen
Kombinationspräparate
Nicht-nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI) Efavirenz (EFV)
600 mg qd
Fette Mahlzeit vermeiden
Insomnie, Schwindel; Exanthem, Teratogenität
Etravirin (ETV)
200 mg bid
+ Mahlzeit
Zu wenig Daten
Nevirapine (NVP)
200 mg qd für 14 Tage, dann 200 mg bid
± Mahlzeit
Exanthem, Hepatitis (z. T. fulminant)
+ Mahlzeit
Diarrhoe, PI-Nebenwirkungen**
HIV-Proteasehemmer (PI) Nicht mit Ritonavir geboosterte Protease-Hemmer Nelfinavir (NFV)
1250 mg bid
Boosterung mit Ritonavir (jeweils mit 100 mg, außer Lopinavir/Ritonavir)
15
Atazanavir (ATV) 150 mg
(300 mg ATV+100 mg r) qd
+ Mahlzeit, keine PPI einnehmen
Indirekte Hyperbilirubinämie, verlängertes QT-Intervall?
Darunavir (DRV) 300 mg
(600 mg DRV+100 mg r) bid
+ Mahlzeit
Kopfschmerz, Exanthem, GI-Intoleranz*, PI-Nebenwirkungen**
Fosamprenavir (FPV) 700 mg
(700 mg FPV+100 mg r) bid
± Mahlzeit
GI-Intoleranz**, Exanthem, PI-Nebenwirkungen**
Lopinavir/Ritonavir (LPV/RTV)
2 Tbl (LPV/r) bid
± Mahlzeit
GI-Intoleranz**, PI-Nebenwirkungen**
Saquinavir (SQV-HGC) 500 mg
(1000 mg SQV+100 mg r) bid
+ Mahlzeit
GI-Intoleranz**, PI-Nebenwirkungen**
400 mg bid
± Mahlzeit
Zu wenig Daten
Integraseinhibitoren (II) Raltegravir
Bindungs- oder Fusionsinhibitoren (FI) Maraviroc
300 mg qd oder bid
± Mahlzeit
Zu wenig Daten
Enfuvirtide (T20)
90 mg bid subkutan
± Mahlzeit
Lokalreaktionen, Exanthem
qd: 1-mal täglich (24-stündlich), bid: 2-mal täglich (12-stündlich); PPI: Protonenpumpenhemmer * Gastrointestinale Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen, Meteorismus, Diarrhoe) ** Hyperlipidämie, Erhöhung der Transaminasen, Hyperglykämie, Fettverteilungsstörung, möglicherweise vermehrt Blutungen bei Hämophilen # 1 h vor und 2 h nach einer Mahlzeit
597 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
. Tab. 15.16. Initiale antiretrovirale Therapie 2007 Empfohlene Medikamente (Medikamente der Kategorien A, B und C werden kombiniert!) A
B
C
Efavirenz
Abacavir
Lamivudin
Lopinavir/r
Tenofovir
Emtricitabin
Alternativ-Medikamente Atazanavir/r
Zidovudin
Fosamprenavir/r
Didanosin
Saquinavir/r Spezielle Populationen (z. B. Schwangerschaft) Nelfinavir
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aber auch bei Hepatitis B oder C. Die Reaktionen sind in der Regel selbstlimitiert und nicht bedrohlich, doch sind im Einzelfall nichtsteroidale Antiphlogistika oder Kortikosteroide indiziert. Zur Prävention wird empfohlen, vor Beginn der antiretroviralen Therapie eine Therapie der opportunistischen Infektion durchzuführen. Eine kontinuierliche Therapie zeigt signifikant weniger Komplikationen als eine solche, wo bei CD4-Zellen >350/μl unterbrochen und bei <250/μl wieder aufgenommen wird. Therapieunterbrechungen wegen Nebenwirkungen und/oder Therapiemüdigkeit des Patienten sind bei kurzer Dauer (wenige Wochen) im Prinzip unproblematisch, allerdings entwickeln etwa 10% der Patienten Symptome der akuten HIV-Infektion.
Zidovudin
Spezielle Populationen (z. B. Frauen und CD4 <250, Männer und CD4 <400) Nevirapin
Eine klare Indikation für eine antiretrovirale Therapie besteht bei Patienten mit AIDS oder schweren Symptomen. Bei asymptomatischer HIV-Infektion ist durch randomisierte kontrollierte Studien ein langfristiger Nutzen belegt, sofern die CD4-Zellzahlen <200/μl liegen. Die Entscheidung über den Beginn der Therapie hängt von folgenden Faktoren ab: Risiko der Progression zu AIDS (Zahl der CD4-Zellen und der HIV-RNA im Plasma), Nutzen und individuelle Risiken der antiretroviralen Therapie sowie »perfekte« Compliance des Patienten. Behandlungsziele und Notwendigkeit der Compliance müssen vom Patienten verstanden und unterstützt werden. Der Behandlungsbeginn ist bei persistierenden CD4-Zellen <350/μl anzustreben. Bei >200/μl sollten Laborwerte nicht »zwingende« Grundlage therapeutischer Entscheidungen sein – zusätzliche Risikofaktoren für raschere Progression sind zu berücksichtigen (erhöhte Immunaktivierung, hohe Plasma-HIV-RNA, höheres Alter, Koinfektion mit Hepatitis-C-Virus u. a.). Der Beginn einer HAART ist in der Regel keine Notfallentscheidung (Ausnahmen: Postexpositionsprophylaxe, Prophylaxe der perinatalen Transmission und Erstpräsentation in fortgeschrittenem Stadium). In den ersten Wochen/Monaten nach Beginn einer HAART können inflammatorische Erkrankungen durch die Immunrekonstitution (»paradoxe Reaktionen«, »Immunrekonstitutionserkrankungen«) auftreten, die als Verschlechterung einer vorhandenen oder Manifestation einer bisher subklinischen opportunistischen Infektion in Erscheinung treten. Charakteristisch sind solche Reaktionen bei Infektionen durch Pneumocystis jiroveci, CMV, Mykobakteriosen und Systemmykosen,
Resistenz gegen antiretrovirale Medikamente
Resistenzentwicklung mit Verlust antiretroviraler Aktivität ist das wesentliche Limit für die Langzeitwirksamkeit sämtlicher Medikamente gegen HIV. Resistente Mutanten liegen auch schon vor einer Therapie vor (»Quasispezies«). Diese »natürlichen« Resistenzmutationen (Polymorphismen) existieren vermutlich jeweils nur singulär (selten zweifach) innerhalb eines Genoms, Kombinationstherapien enthalten daher fast immer Medikamente, die die Virusreplikation ausreichend hemmen. Bei durch antiretrovirale Therapie selektionierter Resistenz finden sich hingegen (durch Rekombination) innerhalb eines Genoms meist multiple Mutationen, die die Wirksamkeit wesentlich beeinträchtigen können. Das Konzept der antiretroviralen Therapie basiert darauf, die Virusreplikation so lange und so stark wie möglich zu senken, um die Mutations- und dadurch Rekombinationsrate zu reduzieren. Wird durch HAART die Plasma-HIV-RNA unter die Nachweisbarkeitsgrenze abgesenkt, ist – im Gegensatz zu früheren Therapien –ein virologischer »Rebound« bei guter Compliance für Jahre sehr unwahrscheinlich. Die Abnahme der Empfindlichkeit gegen antiretrovirale Medikamente kann mit Viruskulturen beurteilt werden (phänotypische Resistenzbestimmung). Diese Testung ist technisch anspruchsvoll, teuer und langwierig, weshalb zur Erfassung einer Resistenz meist die Genomsequenz für die Reverse Transkriptase und Protease bestimmt wird (genotypische Resistenzbestimmung). Empfohlen wird diese Analyse bei PlasmaHIV-RNA-Konzentrationen >1000 Kopien/ml, prinzipiell auch bei allen Patienten vor der Therapie. Innerhalb der Medikamentenklassen besteht beträchtliche Kreuzresistenz. Management der Therapie-assoziierten Toxizität
Die hohe Wirksamkeit der HAART impliziert jahrelange Therapien, Nebenwirkungen werden daher zuneh-
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Kapitel 15 · Venerologie
. Abb. 15.39. 36-jährige Frau mit subkutanem Fettverlust nach 16 Monaten Therapie mit Stavudin, Lamivudin und Indinavir (subjektive Beschwerde: »große Venen«)
mend bedeutsamer. Nebenwirkungen (nicht Resistenzmutationen!) sind der häufigste Grund von Therapiemodifikationen (im ersten Jahr bis zu 50%!) oder -unterbrechungen. Die Änderung kann sich auf den Austausch jenes Medikaments beschränken, das Ursache der Nebenwirkungen war. Der gemeinsame Nenner der Toxizität von NRTI ist die Schädigung von Mitochondrien: NRTI hemmen auch die Polymerase-γ der Wirtszellen, ein zur Synthese der mitochondrialen DNA essenzielles Enzym. Die mitochondriale Toxizität erklärt viele Organstörungen; am besten dokumentiert sind Laktatazidosen mit Le-
15
. Abb. 15.40. Metabolische Störungen bei HIV-Infektion und antiretroviraler Therapie
bersteatose, Pankreatitis, Myopathie und Polyneuropathie. NRTI spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Lipodystrophiesyndroms. NNRTI verursachen sehr häufig Exantheme (>20%), besonders Nevirapin (bis zu 8% der Patienten!). Ein erhöhtes Risiko trifft Frauen bei CD4-Zellzahl >250 Zellen/μl. Nevirapin, v. a. aber Abacavir (NRTI), sind auch Ursachen des generalisierten Hypersensitivitätssyndroms (7 Kap. 3). Das Lipodystrophiesyndrom ist das auffälligste mit der HIV-Therapie assoziierte Phänomen und daher von den Patienten gefürchtet. Lipoatrophie (Verlust des subkutanen Fettgewebes an Extremitäten, oft auch im Gesicht) und Lipoakkumulation (abdominale Korpulenz) sind typischerweise kombiniert, oft aber auch getrennt - vermutlich handelt es sich um mehr als eine Entität. Beide Zustände sind häufig mit Hypertriglyzeridämie mit oder ohne Insulinresistenz assoziiert. Die Lipoakkumulation betrifft vorwiegend das abdominale viszerale Fett, aber auch den Nacken (»Büffelhöcker«), Brust und Schultergürtel. Sie ist möglicherweise einfach Folge einer unkontrollierten Gewichtszunahme bei Immunrekonstitution und vergleichbar häufig wie bei gleichaltrigen HIV-Negativen. Die Lipoatrophie ist hingegen bei HIV-infizierten Patienten klar häufiger (. Abb. 15.39, . Abb. 15.40), ihr Risiko nimmt mit Alter, Krankheitsdauer und Schweregrad der Immundefizienz zu und ist vor allem mit dem Gebrauch bestimmter NRTI (Stavudin > Zidovudin > Didanosin), viel weniger von Proteasehemmern assoziiert. Weitere Therapieformen Immunmodulatorische Therapien. Die Rekonstitution des Immunsystems und die Stärkung der Immunantwort auf HIV bleiben auch in der Ära der HAART ein
599 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
wichtiges Ziel, da die Unterdrückung der HIV-Replikation die Immunfunktionen nur unvollständig wiederherstellt und mit schweren Nebenwirkungen verbunden sein kann. Studien mit Imunmodulatoren und Anti-TNF-Substanzen zeigten jedoch keinen signifikanten Nutzen. IL-2 führt jedoch zum deutlichen Anstieg der CD4-Zellen ohne Anstieg der Plasma-HIVRNA, die Zahl der CD8+-T-Lymphozyten bleibt konstant. HAART mit komplementärer IL-2-Therapie ist daher ein verfolgenswertes Konzept.
4
Ernährung. Zahlreiche Mangelzustände an Vitaminen
und Spurenelementen wurden beschrieben und zahlreiche Nahrungszusätze entwickelt, ohne dass ein klarer Nutzen zutage trat. Es ist keine Diät bekannt, die die HIV-Infektion selbst günstig beeinflusst, doch spielt die Ernährung eine wichtige Rolle bei der Mitigierung metabolischer Störungen im Rahmen der HAART (Hypertriglyzeridämie, Insulinresistenz, Diabetes). Psychotherapie, Sport oder Vorschläge zur Lebensgestaltung sind ein Beitrag zum Wohlbefinden, haben jedoch nach derzeitigem Wissensstand keinen Einfluss auf die Progression der HIV-Infektion. Expositions- und Primärprophylaxe für Infektionen Opportunistische Infektionen werden durch (meist ubiquitäre) Erreger verursacht, die Immungesunden wenig bis nichts anhaben können. Vorwiegend betroffen sind Haut/Schleimhaut, Lunge, ZNS, Auge und Darm. Durch Verbesserung der Expositions- und medikamentösen Prophylaxe sowie die Therapie-bedingte Immunrekonstitution hat die Inzidenz dieser Krankheiten dramatisch abgenommen. 4 Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie: Kann durch primäre Prophylaxe vollständig vermieden werden. Die Prophylaxe erfolgt stadienabhängig, sobald die CD4-Zellen <200/μl sind (und kann abgesetzt werden, wenn diese 3 Monate >200/μl liegen). Mittel der Wahl: Trimethoprim/Sulfamethoxazol. 4 Toxoplasmose: Wie bei Pneumocystis-jiroveciPneumonie. Bei Fehlen von Antikörpern beschränkt man sich auf die Expositionsprophylaxe (kein ungenügend erhitztes Fleisch; Meiden von Katzenkot etc.). 4 Mycobacterium-avium-complex: Bei CD4-Zellen <50/μl ist eine primäre Prophylaxe mit Clarithromycin oder Azithromycin indiziert. Sie kann abgesetzt werden, wenn die CD4-Zellen 3 Monate >100/μl liegen. 4 Tuberkulose: Bei positivem Tuberkulintest wird eine INH-Prophylaxe für 9 Monate empfohlen (Risiko einer Reaktivierung bei HIV-Infizierten bis
4
4 4
4 4 4 4
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zu 5% pro Jahr!). Die Rate falsch negativer Tuberkulinreaktionen nimmt mit der Progression der HIV-Infektion zu. Bei Kontakt mit Personen mit Lungentuberkulose Prophylaxe unabhängig vom Intrakutantest! Zytomegalievirus: Komplikationen durch CMV kommen fast nur vor, wenn die CD4-Zellen <50/μl liegen. Eine primäre Prophylaxe mit antiviralen Medikamenten wird nicht empfohlen, üblich ist eine »präemptive« Therapie bei Virämie. Bei Fehlen von Antikörpern Verabreichung ausschließlich CMV-freier Blutprodukte! Kryptosporidiose: Die Übertragung erfolgt über die fäkal-orale Route; neben Mensch-zu-MenschÜbertragung sind Kälber und Lämmer Hauptquellen der Infektion. Prophylaxe: Handhygiene, Verwendung nur von deklariertem Trinkwasser. Hepatitis B: Impfung bei Fehlen von Antikörpern. Hepatitis A: Impfung wird empfohlen für homosexuelle Männer, i.v.-Drogengebraucher, Patienten mit Hämophilie oder Leberkrankheiten (Hepatitis B, C). Pneumokokken: Impfung wird empfohlen, die Wirkung ist allerdings nicht gesichert. Influenza: Jährliche Grippeimpfung wird empfohlen. Varizellen: Bei Kindern mit einer CD4-Zellzahl >200/μl ist die Impfung sicher und wirksam. Für alle Impfungen gilt: Die Impfantwort kann durch die Immundefizienz fehlen, weshalb Impfungen bei einer CD4-Zellzahl >200/μl und/oder Plasma-HIV-RNA unter der Nachweisbarkeitsgrenze empfohlen werden. Fallberichte von schweren disseminierten Erkrankungen bei HIV-Infizierten wurden bei folgenden Lebendimpfstoffen beschrieben: Varizellen, BCG, Polio, Pocken, Masern und Gelbfieber. Impfungen gegen Masern und Gelbfieber können bei asymptomatischen HIV-Infizierten durchgeführt werden.
Prävention 4 Blut-zu-Blut-Übertragung: Das Screening von Blutspenden hat das Risiko einer Übertragung von HIV im Transfusionswesen drastisch vermindert. Eine Übertragung ist aber immer noch möglich, da die mittlere Dauer von der Infektion bis zur Serokonversion etwa 4 Wochen beträgt. Die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland oder Österreich eine HIV-Antikörper-negative, aber dennoch HIV-kontaminierte Transfusion zu erhalten, ist <1:500 000. 4 Medizinisches Personal: Prinzipiell sollte Blut bzw. alle Blutbestandteile wie Serum, Plasma u. a.
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Kapitel 15 · Venerologie
als potenziell infektiös angesehen werden, ebenso Samen, Vaginalsekret, Liquor, Gelenk-, Pleura-, Perikard-, Aszitesflüssigkeit, Fruchtwasser und alle Gewebe. Alles andere (Harn, Stuhl, Speichel, Nasensekret, Tränen, Erbrochenes) hat – falls nicht sichtbare Blutbeimengungen enthalten sind – für die Übertragung keine praktische Bedeutung. Nadeln oder Skalpelle dürfen nie in die Hülle zurückgesteckt werden (häufigste Ursache für Verletzungen!), sondern müssen sofort (selbst!) an Ort und Stelle – und möglichst ohne die Nadel von der Spritze zu trennen – in einem stichfesten und verschließbaren Behälter entsorgt werden. 4 Injizierende Drogenbenutzer: Die starke Verbreitung der HIV-Infektion in diesem Personenkreis hat den Umgang mit Drogen und Drogenabhängigen im Sinne einer Politik der Schadensbegrenzung beeinflusst: es gilt, den größten Schaden abzuwenden, nämlich die HIV-Infektion – die Erreichung einer absoluten Drogenfreiheit muss dahinter zurückstehen. Folgen dieser Politik waren u. a. die Legalisierung der Nadel- und Spritzenabgabe, Nadelaustausch- und Substitutionsprogramme. 4 Sexuelle Übertragung: Hauptinstrument der Prävention ist die Aufklärung, die die Idee des Safer Sex durchsetzen soll (Verwendung von Kondomen, Vermeidung von Kontakt mit infektiösem Sperma etc.). Das Wissen um die Einstellung und das Verhalten HIV-Infizierter sollte erweitert werden: Personen, die um ihre HIV-Infektion nicht Bescheid wissen, sind überproportional an der Übertragung beteiligt. Die Virussuppression unter die Nachweisbarkeitsgrenze eliminiert nicht die Übertragung von HIV!
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3Aufklärung/Prävention Kontrovers wird die Prävention der heterosexuellen Übertragung von HIV diskutiert. Das höchste Risiko besteht für Personen, deren Sexualpartner aus Endemiegebieten stammen; erhöht ist es auch bei Personen mit STI, beim größten Teil der Heterosexuellen ist es hingegen sehr gering. Daraus ergibt sich ein Dilemma: soll die Aufklärung gleichermaßen alle ansprechen (AIDS kann jede(n) treffen) oder soll sie sich auf wesentliche Gruppen beschränken (AIDS betrifft Risikogruppen)? Die erste Option läuft Gefahr, im Laufe der Zeit unglaubwürdig zu werden – die meisten Menschen tun sich mit der Verarbeitung »abstrakter« Botschaften schwer und unter- oder überschätzen ihr Risiko. Die Konzentration auf Risikogruppen birgt wieder die Gefahr einer verstärkten Stigmatisierung und schafft ein Klima, das ebenfalls die Prävention (und den sozialen Zusammenhalt) ungünstig beeinflusst. Nicht vergessen sollte werden, dass die Zirkumzision das Übertragungsrisiko reduzieren hilft (60% in einer prospektiven randomisierten Studie aus Südafrika).
Postexpositionelle Prophylaxe (PEP). Zidovudin als
PEP kann das Risiko einer HIV-Infektion um etwa 80% reduzieren. Selbst PEP mit HAART können Übertragungen jedoch nicht absolut verhindern, berufliche HIV-Infektionen unter diesen Umständen wurden dokumentiert. Eine PEP wird auch bei nichtberuflicher HIV-Exposition durchgeführt, und zwar bei ungeschütztem vaginalen/analen Geschlechtsverkehr oder bei gemeinsamem Gebrauch von Injektionsbesteck (. Übersicht).
Indikation zur antiretroviralen postexpositionellen Prophylaxe (»PEP«) nach sexueller und anderer HIV-Exposition (Gemeinsame Richtlinie der Deutschen und Österreichischen AIDS-Gesellschaft) Empfehlen bei: ungeschütztem vaginalem oder analem Geschlechtsverkehr (z. B. geplatztes Kondom) mit einer HIV-infizierten Person. Gebrauch von HIVkontaminiertem Injektionsbesteck durch mehrere Drogengebrauchende Anbieten bei: ungeschütztem oralen Geschlechtsverkehr mit Aufnahme von Sperma des HIV-Infizierten Partners in den Mund Nicht empfehlen bei: Küssen und anderen Sexualpraktiken ohne Sperma/Blut-Schleimhaut-Kontakte. Verletzung an Spritzenbesteck (Drogen oder Insulin)
Ist der HIV-Status der Kontaktperson unbekannt, müssen die Umstände der Exposition berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich eine vorläufige PEP, die bei negativem HIV-Status der Kontaktperson wieder abgebrochen werden kann. Zeigte die Kontaktperson Risikoverhalten, muss sie auf das Vorliegen einer akuten HIV-Infektion untersucht, und bei Verdacht eine Bestimmung der HIV-RNA durchgeführt werden. Die PEP sollte möglichst rasch nach der Exposition durchgeführt werden (Minuten bis wenige Stunden). Der zeitliche Spielraum, der für den Beginn der PEP bei optimaler Wirksamkeit offen steht, ist nicht bekannt, ebensowenig deren optimale Dauer. Da mit Zidovudin eine Reduktion des Infektionsrisikos für eine 4-wöchige Behandlung dokumentiert wurde, werden allgemein 4 Wochen empfohlen. Schwangerschaft ist kein Ausschlussgrund für eine beruflich begründete PEP, doch muss eine mögliche Schädigung des Föten mitberücksichtigt werden.
601 15.11 · HIV-Infektion – AIDS
Übertragung von der Mutter auf das Kind. Zidovudin-
Behandlung (Monotherapie!) HIV-positiver Mütter während der Schwangerschaft und der Neugeborenen in den ersten 4–6 Lebenswochen führte zur Verminderung des Übertragungsrisikos von 25% auf 8%; in Kombination mit einer elektiven Sectio caesarea in der 38. SSW (Vermeidung des Blasensprungs) sogar auf etwa 2%. Heute werden Schwangere (in Industrieländern) mit gängigen Kombinationstherapien behandelt – seither sind Übertragungen extrem selten. Allen Schwangeren sollte routinemäßig der HIV-Test angeboten werden. Selbst wenn die antiretrovirale Therapie erst Stunden vor der Geburt begonnen (und beim Neugeborenen fortgeführt) wird, kann damit die perinatale Übertragung um 50% reduziert werden. Bei natürlicher Geburt muss verhindert werden, dass zwischen Blasensprung und Entbindung mehr als 4 h verstreichen. Wichtig ist ferner die Vermeidung invasiver Maßnahmen wie Amniozentese, Platzieren ei-
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ner Schädelelektrode und Sammeln von fötalem Blut. Empfohlen wird ferner, das Stillen zu unterlassen, weil HIV auf diesem Weg übertragen werden kann (8% bei unbehandelten Müttern). Impfungen gegen HIV. Zahlreiche Impfstoffe aus viralen Proteinen oder Antigenen (meist gp160 oder gp120) wurden getestet. Schutz wurde im Tiermodell nur für bestimmte Laborstämme erreicht, nie für das Wildtyp-Virus. Einige dieser Impfstoffe wurden bereits erfolglos an HIV-negativen Personen getestet. Heute werden Impfungen, die eine Infektion über neutralisierende Antikörper verhindern sollen (sterilisierende Immunität), als wenig aussichtsreich eingeschätzt. Impfungen, die auf die Induktion zytotoxischer CD8+-TLymphozyten abzielen, könnten erfolgreicher sein. Mit solchen könnte zwar nicht die Infektion, jedoch das Auftreten von Krankheitssymptomen verhindert oder verzögert werden.
Anhang Glossar
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Sachverzeichnis
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Anhang
Glossar Studenten der heutigen Zeit sind oft mit den klassischen Sprachen nicht vertraut und kennen auch manche deutsche Bezeichnungen nicht mehr gut. Die Sprache des Dermatologen ist bilderreich und bezieht die Fülle ihres Ausdrucks aus dem Wortgebrauch der gesamten Medizingeschichte. Natürlich kann man alle Fremdwörter bzw. fremde Wörter auswendig lernen, aber das wirkliche Verständnis des Inhalts hängt zum guten Teil am Verstehen des Wortes und an den Gedanken, die dadurch ausgelöst werden. Dieses Glossar soll die »Dermatologenworte« erklären, die vielleicht manchen nicht von vorneherein klar sind – diejenigen, die ohnehin A Acanthus, griech. akantha – Stachel, Dorn; dieser Begriff wird wie lat. spina (s. u.) zur Bezeichnung der »Stachelzellen« der Epidermis verwendet – Stratum spinosum. Davon leiten sich selbstständige Neubildungen ab, wie Akanthom (benigne Neoplasie der Epidermis), Akanthose (Verbreiterung der Epidermis) u. a. Acuminatus Zugespitzt, von acumen, lat. Spitze – Condylomata acuminata. Oft fälschlich »accuminatus« geschrieben. Adeno- (Präfix) Von Drüsen abkommend, griech. Eichel; Bedeutungswandel zu Drüse Agminiert Gruppiert angeordnet, von lat. agmen: Heerhaufen, Schlachtreihe
alles wissen, mögen darüber hinweglesen. Natürlich handelt es sich hier um ein Fass ohne Boden. Sie werden hier nur Worte finden, deren Bedeutung nicht durch die Alltagssprache selbstverständlich ist, die Sie nicht schon in früheren Stadien des Medizinstudiums kennengelernt haben und die spezifisch mit der Dermatologie zu tun haben. Und von diesen Begriffen sind auch nicht alle aufgeführt, sondern nur solche, die nicht allzu selten sind und nicht durch simples Nachschlagen im Wörterbuch übersetzt werden können, weil sie vielleicht einen unerwarteten Bedeutungswandel durchgemacht haben.
sprachlich falsch ist. Es wurde aus »Prophylaxe« (Vorbeugung) gebildet – die Erstbeschreiber Portier und Richet, 1902, deuteten den Tod des Versuchstiers nach einer 2. Vakzination gegen ein Seeanemonengift als Schutzlosigkeit gegen das Gift, nicht als Überempfindlichkeitsreaktion. Zusätzlich ist die Wortbildung falsch: ana heißt griech. »hinauf«, beabsichtigt war im Präfix jedoch das verneinende »a« (das so genannte Alpha privativum) – sprachlich korrekt müsste es »Aphylaxie« heißen. Wie in vielen ähnlichen Fällen ist die Anaphylaxie jedoch im Medizinergeist festgebrannt, und es hat ja auch etwas für sich, wenn eine so wichtige Reaktion einen ins Ohr gehenden Namen hat. Aneto- (Präfix) Von griech. anetos: schlaff, z. B. Anetodermie Aneurysma Von griech. aneuryno: erweitern
Akren Die Spitzen (Finger, Zehen, Nase etc.) von griech. akros: Spitze, das Äußerste (analoge Bildung wie »Extremität«)
Anorexie Appetitlosigkeit, von griech. orexis: Verlangen
Akrochordon Dünnstielige »Warze«, von griech. akros und chorde: Band
Apfelgelee Geliertes Apfelmus – charakteristische gelb-graubräunliche Farbe (bei Tuberkulose/Sarkoidose der Haut).
Aktinisch Mit Strahlung zusammenhängend, von griech. aktis: Strahl, Licht
Aphthen Kleine, meist multiple schmerzhafte Geschwüre der Mundschleimhaut. Wird üblicherweise von griech. haptomai: brennen abgeleitet (?)
Allergen Ein eine allergische Reaktion auslösendes Antigen Allergie Immunologisch bedingte Überempfindlichkeitsreaktion: ein von Pirquet 1906 geprägtes Kunstwort, das »andersartige« Reaktionen auf Fremdstoffe bezeichnet (griech. allos: anders, fremd; ergon: Werk, Wirkung). Alopezie Medizinisches Kunstwort von griech. alopex: Fuchs für Glatze; leitet sich angeblich von der »Räude des Fuchses« ab. Amplifikation Von lat. amplificatio: Verstärkung, Erweiterung, Vermehrung – z. B. der DNA, der epidermalen Mitosen u. a. Amyloid Ablagerungen eines fehlerhaft gebildeten Proteins. Ableitung von griech. amylon: Stärke Anaphylaxie Die maximale allergische Sofortreaktion: ein medizinisches Kunstwort (»Schutzlosigkeit«), das sowohl sachlich wie
Apoptose Von griech. apopipto: herabfallen. Apoptose, der »friedliche«, physiologische Tod, ist eine Bedeutungsverschiebung der griechischen Wurzel und bezieht sich auf das Bild des herbstlichen Laubfalls. Appretur Substanzen, die einem Textil zugesetzt werden, um es gebrauchsfertig zu machen (z. B. Glanz, Fülle etc.), von frz. appreter. Zumindest früher eine nicht seltene Ursache eines allergischen Kontaktekzems. Artefakt Kunstprodukt, z. B. Kratzeffekte. »Kunst« ist dabei nicht im höheren Sinn im Spiel. Atopie Eine Gruppe von Krankheiten, die mit IgE-mediierten Überempfindlichkeitsreaktionen verknüpft sind. Das Wort leitet sich ab von griech. atopos: am falschen Platz, ungewöhnlich.
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Ausstrich-, Abstrichpräparat Material (z. B. aus einem Ulkus oder von einer Schleimhaut) wird mit einer Platinöse oder einem Stieltupfer dünn ausgestrichen – entweder zur mikroskopischen Beurteilung (Ausstrich auf Objektträger, Eintrocknen, Hitzefixierung, Färbung) oder zum Anlegen einer Kultur (z. B. Agarplatte). Nativpräparate (s. u.) sind keine Ausstrichpräparate! B Berlocque Ziergehänge an Uhr- oder Halskette (bei der Berlocque-Dermatitis finden sich Abrinnspuren: Kette, und klecksartige Läsionen: Anhänger) Blanching (engl.) Umschriebenes Erblassen. Dies kommt z. B. bei intrakutaner Injektion von Adrenalin oder Kortikosteroiden zustande oder auch beim Durchstrecken der Finger bei Sklerodermie. Blätterteig Ein besonders feiner Teig, aus mehreren aufeinander liegenden dünnen Teigschichten bestehend. Der Dermatologe spricht von blätterteigartiger Abschuppung, z. B. nach einer akuten Kontaktdermatitis. Blennorrhoe Schleimige Sekretion, heute nur mehr für die Konjunktiven gebraucht, z. B. Gonoblenorrhoe, von griech. blenna: Schleim. Blepharochalasis Schlaffwerden der Lider, von griech. Chalasis: nachlassen Blush (engl.) Erröten Bordeaux In Bordeaux wächst ein besonders intensiv rotblauer Wein.
Chagrinleder Aus dem frz. abgeleitet: »genarbtes« Leder (charakteristische flache Erhabenheiten). Wird in der Dermatologie als Vergleich mit Läsionen bei Morbus Pringle und Morbus Recklinghausen verwendet. Cheilos (griech.) Die Lippe; Cheilitis, Makrocheilie etc. Chloasma Wahrscheinlich von chloe (griech.: gelb-grüne Farbe). Warum diese braunen Flecken als gelb-grün bezeichnet werden, bleibt der Phantasie des Studenten überlassen. Chrom- (Präfix) Farbig – von griech.: Chroma, Farbe, z. B. Chromhidrose Circinatus (lat.) Von circinare: zirkeln. Die Begrenzung mancher Läsionen ist bogig, »wie mit dem Zirkel gezogen«. Clavus (lat.) Nagel; Hühnerauge (»wie ein Nagel in der Sohle«) Clue (engl.) Schlüssel, Anhaltspunkt – »clue cells« bei der bakteriellen Vaginose Collerette (frz.) Halskrause Condyloma Von griech. kondylos: die Knolle Craquelé (frz.) Töpferware mit rissiger Glasur – durch Einrisse in der trockenen Hornschicht entstandenes charakteristisches Muster beim exsikkotischen Ekzem (weiterer Vergleich: rissig wie eingetrockneter Schlamm). Crepitus (lat.) Schall; in der Dermatologie wird das Wort für das Knistern durch Gasbläschen im Gewebe (bei z. B. Gasbrand) verwendet.
Botrys (griech.) Weintraube, davon abgeleitet z. B. Botryomykose. Das Bild bezieht sich auf die weintraubenartige Anordnung von Bakterien.
Crescendo, decrescendo (lat./ital.) sich steigern bzw. abflauen. Diese Ausdrücke aus der Musik werden für die zeitliche Dynamik von Hautläsionen verwendet, z. B. bei der allergischen vs. toxischen Reaktion im Epikutantest.
Branchiogen Sich von den Kiemen(gängen) ableitend, von griech. bragchion: Kiemen
Cuniculus (lat.) Kaninchen. Das Carcinoma cuniculatum entwickelt Fistelgänge ähnlich einem Kaninchenbau.
Brom- (Präfix) Stinkend – von griech. bromos: Gestank, z. B. Bromhidrose
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Bubo (lat.) Beule – im dermatologischen Gebrauch einschmelzende Lymphadenitis (z. B. bei Lymphogranuloma inguinale)
C Canities (lat.) Grauhaarigkeit – von caneo (weiß, grau sein). Weitere Ableitungen: candidus, candidatus (einer mit einer weißen Toga) Caspasen Eine Enzymfamilie, die bei der Apoptose eine entscheidende Rolle spielt: ein Akronym (aus Anfangsbuchstaben zusammengesetztes Wort) – cysteine-aspartic acid proteases Cayennepfeffer Chili. Der Dermatologe beschreibt die Einblutungen bei der Pigmentpurpura als Cayennepfeffer-artig, weil dunkelrote (frische), gemischt mit hellrot-gelblichen (älteren) Blutpünktchen vorliegen.
Diaskopie Von griech. diaskepo: durchschauen. Das Diaskop ist ein Glasspatel, mit dem die Haut durch Anpressen anämisiert wird; dies erlaubt die bessere Beurteilung der Eigenfarbe, z. B. apfelgeleefarben bei Hauttuberkulose. Dimple (engl.) Grübchen der Haut, z. B. Wangengrübchen. Wird in der Dermatologie für kleine grübchenartige Narben verwendet, z. B. beim Neugeborenen nach Amniozentese. Diskret Von lat. discernere: unterscheiden. Diskret sind einzeln stehende, nicht konfluierende Hautläsionen – hier nicht als Eigenschaft des Kavaliers zu verstehen. Disseminiert Unregelmäßig verstreut – Vergleich mit der Anordnung der aus der Hand des Sämanns verstreuten Körner Drusen Ein Begriff aus der Mineralogie: ein von Kristallen ausgekleideter Hohlraum im Gestein. Der Pathologe versteht unter
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Drusen kristallähnliche Aggregate von Pilzen oder Aktinomyzeten, umgeben von einer granulomatösen Bindegewebsreaktion.
E Effloreszenz Hautläsion jeglicher Art, von lat. efflorescere: erblühen Effluvium (lat.) Ausfluss (von effluere: ausfließen). In der Dermatologensprache heißt effluvium ausschließlich »Haarausfall«. Ekchymose Von griech. excheo: ausgießen. Bedeutungswandel zu Einblutungen in die Haut (Purpura). Ekthyma Eine nekrotisierende Pyodermie. Ekthymos (griech.) bedeutet im klassischen Gebrauch »übermütig«, im Medizinerlatein ist der Wortsinn eingeengt. Ekzem Ein medizinisches Kunstwort ungeklärten Ursprungs (griech. ekzeo: aufwallen?) Emaille (frz.) Geschmolzener, glasartiger Überzug von metal-
F Feldeffekt Ein Begriff aus der Elektrophysik, für die Dermatologie zweckentfremdet: damit meint man die größerflächige Wirksamkeit einer Noxe, z. B. von UV in den exponierten Hautarealen. Der Feldeffekt resultiert in einer Vielzahl gleichartiger Läsionen, z. B. aktinischen Keratosen. Fibra (lat.) Faser; davon abgeleitet Fibrille, Fibrin, fibrös u. v. a. Filum (lat.) Faden; davon abgeleitet Filament u. a. Fissura (lat.) Von lat. findere: spalten. Der Dermatologe versteht unter Fissur ein schlitzförmiges Ulkus, das meist durch tangentialen Zug in pathologisch veränderter Haut entsteht (z. B. bei einer Interdigitalmykose). Flöz Horizontal im Gestein verlaufende Sedimentschichten aus abbauwürdigem Material (z.B. Kohle, Erze). In der Dermatohistopathologie spricht man von Leukozyten- »Flözen« innerhalb der parakerotischen Hornschichte bei z.B. Psoriasis. Fluor Ausfluss, von lat. fluere: fließen Flush (engl.) Plötzliches Erröten
lischen Werkstücken mit charakteristisch glänzender Oberfläche. Wird in der Dermatologensprache für rot glänzende Läsionen verwendet, z. B. bei Kwashiorkor. Epiphänomen Ein ursächlich nicht mit dem krankhaften Prozess verbundenes Begleitsymptom. Eruption, eruptiv Ausbruch (von Hautläsionen jeglicher Art), von lat. erumpere: ausbrechen. Unter eruptiv versteht der Dermatologe eine plötzlich auftretende Aussaat multipler, meist kleiner Läsionen. Erysipel Der Rotlauf: ein fehlerhaftes medizinisches Kunstwort griechischer Provenienz (erythra pella: »rote Haut«). Exanthem Ausschlag, von griech. exantheo: aufblühen Exfoliativ Abblätternd, von lat. folium: das Blatt; z. B. Dermatitis exfoliativa Exkochleieren Ein medizinisches Kunstwort: mit einer Kürette (s. u.) heraushebeln (griech. kochlias: Schnecke, Schraube) Exkoriieren Die Haut abziehen, von lat. corium: Haut, Fell. Der Dermatologe gebraucht das Wort exkoriieren in einem eingeengten Sinn: eine Exkoriation ist ein oberflächlicher traumatischer Substanzdefekt, während das Abziehen der Haut (»abledern«) natürlich einen tiefen Substanzdefekt ergibt. Erosion Ein oberflächlicher Substanzdefekt in schon vorher krankhaft veränderter Haut; von lat rodere: annagen Excreszenz Auswuchs, von lat. excrescere – z. B. ein cornu cu-
Follikel Ein in der Medizin in mehreren Bedeutungen verwendeter Begriff, von lat. folliculus: Schlauch, Sack. Die Haarfollikel entsprechen tatsächlich Säckchen, die Lymphfollikel sind jedoch solide Zellansammlungen.
G Gamasche (frz.) Über Strumpf bzw. Schuh getragenes Beinkleid aus Leder oder Stoff. In der Dermatologie fast ausschließlich als Bezeichnung zirkulärer Unterschenkelgeschwüre verwendet (Gamaschenulkus). Gemme Ein geschnittener Schmuckstein (oder Siegel), bei dem die Darstellung durch Vertiefungen zustande kommt. Der Vergleich wird z. B. beim Lichen ruber gebraucht, wo eng stehende Papeln ein gemmenartiges Bild ergeben können. -gen (Suffix) Aus etwas entstehend: von griech. gignomai – z. B. endogen, kryptogen u. a. m. Gestippelt Oberfläche mit zahlreichen kleinen Erhabenheiten (z. B. die Gingiva). In der Dermatologie wird gestippelt für die Beschreibung der Oberfläche von seborrhoischen Warzen verwendet. Girlande Bandförmiges Blumengebinde
H Halo (lat.) Hof (z. B. des Mondes). Haloläsionen sind solche, bei denen ein zentraler Teil durch eine periphere kreisförmige Läsion anderer Art umgeben wird (Beispiel: ein Varizellenbläschen, umgeben von einem Erythem – »Tautropfen auf Rosenblatt«).
taneum
Hamartom Fehlerhafte Bildung, von griech. hamartano: irren
Exzem Eine volkstümliche Verballhornung von Ekzem – Symp-
Harlekin Von Arlecchino, einer Figur der Commedia dell’arte. Bei der Harlekin-Ichthyose ist die Haut in große hyperkera-
tom der Halbbildung
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totische Platten umgewandelt, die an das charakteristische, aus bunten rautenförmigen Flicken bestehende Gewand des Harlekins erinnern. Heliotrop Eine auch in gemäßigten Zonen verbreitete Pflanze mit violetten Blüten (Heliotropium arborescens, Vanilleblume) – Vergleich mit dem lividen Heliotrop-Erythem der Dermatomyositis. Kein Zusammenhang mit dem Schmuckstein Heliotrop (Blutjaspis), ein grünes Mineral mit roten Einsprengungen. Herpes Abstrakter Gebrauch: in Gruppen stehende Bläschen; Herpes simplex und H. zoster sind spezifische Viruskrankheiten der Haut. Der Terminus Herpes findet sich schon in alten Quellen, ist jedoch mit keinem fixen (modernen) Begriffsinhalt korreliert. Man vermutet, dass er sich von griech. herpeo: kriechen ableitet, wobei jedoch weder Herpes simplex noch zoster durch besondere Neigung zum Kriechen ausgezeichnet sind (mit Ausnahme des seltenen Herpes simplex vegetans).
bei der ein ca. rundes Loch durch mehrere sichelförmige Metallplättchen vergrößert oder verkleinert werden kann.
J Junktionszone Verbindungszone, von lat. iungere. In der Dermatologie ist damit die dermoepidermale Junktionszone gemeint.
K Kallus (»Harte Haut«) Hornsubstanz, von lat. callum: Schwiele Kalotte (frz.) Flache Kuppel Karenz Enthaltsamkeit, von lat. carere: entbehren, z. B. Nahrungskarenz Karunkel Von lat. caruncula: Fleischwärzchen, z. B. carunculae hymenales Kinky (engl.) Verdreht
Hidros (griech.) Schweiß: Anhidrose, Hyperhidrose etc., hat nichts mit griech. Hydor: Wasser zu tun!
Kleie Beim Mahlen von Getreide anfallender Rückstand, der vorwiegend aus den Hüllblättern (Spelzen) der Körner besteht – kleine dünne, weißliche Blättchen.
Homme rouge (frz.) Der »rote Mann« – der Ausdruck wird lediglich für die Erythrodermie bei Sézary-Syndrom verwendet.
Koilo- (Präfix) Von griech. hohl – Koilozyten, Koilonychie etc.
Hyalin Ein Ablagerungsprotein verschiedener Genese, morphologisch hell homogen; von griech. hyalos: Glas Hypertelorismus Zu enger Augenabstand; ein Symptom mehrerer Fehlbildungssyndrome, z. B. Noonan-Syndrom; etymologisch unklar. Hyphe Keimschlauch von Pilzen, von griech. hyphaino: weben. Die Gesamtheit der Hyphen ist das Myzel.
Kollodium Von lat. collodium, griech. Kolla: Leim – zähflüssige Lösung von Nitrozellulose in Alkohol/Äthergemisch. Bildet nach Eintrocknen einen durchsichtigen Film. Bei manchen Ichthyosen ist das Neugeborene von einer ähnlich aussehenden Membran umgeben (»Kollodiumbaby«). Konfluieren von lat. confluere: Zusammenfließen – »ineinander übergehen«
Ichthyose Fischschuppenkrankheit, von griech. ichthys: Fisch.
Konsistenz Beschaffenheit, von lat. consistere. In der Dermatologensprache bezieht sich Konsistenz vorwiegend auf die Eigenschaften von Läsionen, die sich bei Palpation zeigen (hart, weich, radiergummiartig etc.).
Impetigo Schmutzflechte, angeblich abgeleitet von lat. impetere: angreifen. Im Vulgärlatein bedeutet (Im)petigo nichts Spezifischeres als »Ausschlag«.
Krasenlehre Antikes medizinisches Gedankengut, nach dem die Krankheiten auf Fehlmischung der Körpersäfte zurückgehen.
Indian filing Bei manchen Neoplasien liegen die Tumorzellen linienartig hintereinander, ähnlich wie angeblich die Kampfformationen der Indianer.
Krosse Von frz. crosse: Bischofsstab. Die Einmündungen der V. saphena magna in die V. femoralis bzw. der V. saphena parva in die V. poplitea. Der Vergleich bezieht sich auf die bogenartige Form des Mündungsstücks.
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Infundibulum (lat.) Der Trichter (z. B. des Haarfollikels) Interface process (engl.) Ein entzündlicher Prozess der Haut mit Maximum an der dermoepidermalen Junktionszone, z. B. Erythema multiforme. In transit (engl.) Im Übergang (nämlich Metastasen zwischen Primärtumor und regionärer Lymphknotenstation) Irisläsion Kreisrunde Läsion bei Erythema multiforme, oft aus konzentrischen Ringen bestehend (Schießscheiben-Läsionen). Das Bild bezieht sich vermutlich weniger auf Iris (griech. Eos), die rosenfingrige Göttin der Morgenröte, sondern auf die Irisblende,
Kryo- (Präfix) Von griech. kryos: Kälte, z. B. Kryotherapie, Kryoglobuline. Kürette Scharfer Löffel (franz. Curette)
L Lachs Eine im Nordatlantik lebende Fischart, deren Fleisch einen gelblich-rötlichen Farbton hat. Läsion »Beschädigung«, von lat. laedere: beschädigen – ein Wort für alle krankhaften Veränderungen der Haut.
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Lamina (lat.) Platte, Plättchen, davon abgeleitet Lamelle Lanugo (lat.) Haarflaum. Lanugohaar: dünnes, kurzes, markloses Haar (s. vellus) Lens (lat.) Linse, davon abgeleitet: Lentigo (Linsenfleck), lenticulär etc. Lichen (griech.) Flechte – botanisch eine Symbiose von Algen und Pilzen, die den Baumrinden eine borkige Beschaffenheit verleihen kann. Der Begriff findet sich schon im antiken Schrifttum, allerdings ohne definierten Inhalt. »Flechte« wird auch heute noch im Volksmund für allerlei Hautkrankheiten eingesetzt, dermatologisch bedeutet es (abstrakt) in Gruppen stehende Papeln; auch einige wohl definierte Krankheiten tragen diese Bezeichnung (Lichen ruber, Lichen sclerosus etc). Lichenifikation: Einlagerung von entzündlichen Papeln, ein Merkmal der chronischen Ekzemreaktion. Lilac (engl.) Fliederfarben Livedo, livid Von lat. liveo: dunkelblau sein. Livedo ist eine bläuliche Zeichnung der Haut, die regelmäßig, netzartig (Livedo reticularis) oder bizarr, unregelmäßig sein kann (Livedo racemosa). Locheisen Ein rohrartiges Gerät mit geschärftem Ende, mit dem Löcher aus z. B. Leder gestanzt werden können. Diese Löcher sind rund und haben vertikal abfallende Ränder, wie z. B. Gummen. Löffel, scharfer s. Kürette: ein löffelförmiges Metallinstrument mit geschärften Rändern zum Aushebeln von soliden Läsionen. Lyonisierend Lyon-Effekt: Inaktivierung eines X-Chromosoms. Bei X-chromosomalen Genmutationen kommen dadurch Mosaikmuster der Haut zustande – aber: nicht alle Mutationen zeigen diesen Effekt (lyonisierend, nicht-lyonisierend).
M Mäandrieren Der sich »schlängelnde« Verlauf von Flüssen, wie z.B. des Mäander in Kleinasien. Der Dermatologe spricht vom »mäandrierenden« Verlauf von Gefäßen, z.B. der A. temporalis superficialis bei der Arteriitis temporalis. Mal (1) Ein Hamartom der Haut beliebigen Ursprungs (Synonym Nävus) Mal (2) (frz.) Das Übel – z. B. mal perforant du pied Marasmus Körperlicher Verfall; von griech. maraino: verwelken Marginiert Randbetont, von lat. margo: Rand Mariske Analfalte, von frz. marisque Mazerieren Von lat. macerare: mürb machen. In der Dermatologie bedeutet mazerieren die Auflösung von Schuppen und/ oder Krusten – entweder spontan im feuchtwarmen Milieu (z. B. die Fußsohlenhaut in der feuchten Kammer des Schuhwerks)
oder therapeutisch durch Umschläge oder Salben (wässrige bzw. fette Mazeration). Meißelsonde Eine Sonde mit flachem Ende ähnlich einer Meißel; dient zum Abschaben z. B. von Erosionen beim TzanckTest. Mesh (engl.) Gitter. In der Medizin bedeutet meshen die gitterartige Durchlöcherung eines Spalthautlappens, wodurch der Lappen ausgezogen werden kann (was neben anderen Vorteilen die Deckung größerer Areale erlaubt). Milium (lat.) Hirsekorn. Milien sind hirsekornähnliche Hornzystchen, bei der Miliartuberkulose kommt es zu einer systemischen Aussaat hirsekorngroßer tuberkulöser Granulome. Morphea Die umschriebene Sklerodermie. Der Ausdruck ist alt (kein Kunstwort!), aber unverständlich. Üblicherweise wird eine Verbindung zu griech. morphe: Gestalt, oder sogar zu morpheeis: wohlgestaltet, hergestellt; es ist jedoch schwer zu verstehen, was hier der Vergleichspunkt sein soll. Zur Verwirrung trägt bei, dass nicht einmal die Schreibweise des Wortes im Konsens geklärt ist. Der Student wird, wenn er sich dafür interessiert, Morphea, Morphäa und auch Morphöa finden. Mutilieren Verstümmeln, von lat. mutilare Myiasis Befall mit Fliegenlarven, von griech. myia: Fliege Myrmecien Einzeln stehende Fußsohlenwarzen, wohl von griech. myrmex: die Ameise (der inhaltliche Konnex ist wenig klar) Myxo- (Präfix) Griech. Schleim, z. B. Myxosarkom Myzel Keimgeflecht von Pilzen, Gesamtheit der Hyphen; von griech. mykes: Pilz
N Naevus (lat.) Muttermal; in der Dermatologie bedeutet Nävus ein Mal (s. o.) aller Art, z. B. Naevus flammeus (Feuermal) Nativpräparat Eine mikroskopische Untersuchungsmethode, bei der das Material in nativem Zustand (d. h. ohne Trocknen, Fixieren und Färben) auf einen Objektträger verbracht, in flüssigem Milieu (Wasser, phys. NaCl oder – beim Pilzbefund – 30% KOH) und mit einem Deckglas abgedeckt, direkt im Mikroskop untersucht wird (je nach Art der Untersuchung Lichtmikroskop, Phasenkontrast, Dunkelfeld). Das Nativpräprat ist die Standardmethode zum Nachweis von T. pallidum, Trichomonas vaginalis und Hautpilzen. Needle sharing (engl.) Eine Praktik bei i. v.-Drogenabhängigen: gemeinsamer Gebrauch von Injektionsnadeln – eine wichtige Infektionsquelle für HIV, Hepatitis B u. a. Neurodermitis Ein immer noch gebräuchliches Kunstwort für das atopische Ekzem: die Bezeichnung bezieht sich auf die
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früher vermutete kausale Verbindung neuropsychiatrischer Faktoren mit dem atopischen Ekzem. Noxe Von lat. nocere: schaden. Nocizeption ist ein der Perzeption nachempfundenes Kunstwort Nummulär Münzgroß, von lat. nummus: Münze
Pellagra Vitamin 6-Defizienz. Die Bezeichnung ist ein Kunstwort, das aus pella (griech. Haut) und -agra (Suffix, neoklassisch für »Weh« zusammengesetzt ist. Pemphix, Pompholyx (griech.) Blase. Pemphix heißt ursprünglich »Hauch«, ein Bild für die beim Kochen des Wassers aufsteigenden Gasblasen.
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Perennial Ganzjährig (von lat. perennis)
-odynie (Suffix) Von griech. odyne: Schmerz – Glossodynie, Vulvodynie etc.
Pergament Ein nach der Stadt Pergamon benanntes feines,
Onko- (Präfix) Von griech. ogkoo: schwellen, sich aufblähen (analog zum lat. tumor), z. B. Onkozyt. Bedeutungswandel zu »malignen Neoplasien«, z. B. Onkologie. Ontogenese Kunstwort: die Lehre von der intrauterinen Entwicklung von Organismen Ophiasis Ein medizinisches Kunstwort: eine Verlaufsform der Alopecia areata im Nackenbereich, gekennzeichnet durch »geschlängelte« Grenzlinien; ein prognostisch ungünstiges Zeichen. Von griech. ophis: Schlange. Opportunistisch Von lat. opportunus: günstig, »nahe zum Hafen«. Opportunistische Infektionen sind solche, die nur bei Immundefizienz auftreten. Orange Eine wegen ihres Geschmacks beliebte Südfrucht, deren runzelige Schale zahlreiche punktförmige Einziehungen hat. Bei Volumenzunahme in der Dermis kommt es zum Klaffen der Haarfollikel, es entsteht ein Bild ähnlich der Orangenhaut (peau d‘orange-Zeichen).
P Palisade (frz.) Eine Befestigungsanlage aus aneinander gefügten, aufrecht stehenden (oben zugespitzten) Pfählen. In der Dermatohistopathologie spricht man von der Palisadenstellung der Zellen in der Peripherie von Basaliomen, bzw. von Histiozyten am Rand von Granulomen (Palisadengranulome). Papille Ursprüngliche Bedeutung: lat. papilla: die Brustwarze. In der Medizinersprache wandelte sich die Bedeutung zu knopfartigen Erhabenheiten vieler Art (z. B. Papilla Vateri). Der Dermatologe versteht unter Papillen kleine Papeln, insbesondere eng stehende, längliche Excreszenzen, wie sie bei Viruswarzen typisch sind (papillärer Aufbau).
geglättetes Leder zu Schreibzwecken. In der Dermatologensprache beschreibt pergamentartig eine glatte, nichtschuppende Hyperkeratose (z. B. der Handflächen bei Pityriasis rubra pilaris). Perlèche (frz.) Faulecke – eine Entzündung des Mundwinkels Perlmutt(er) Die glänzende, irisierende Innenschicht von Muscheln. Für den Dermatologen haben Basaliomknötchen einen perlmutterartigen Glanz. Petaloides Von griech. petalon: Blatt. Das ekzema petaloides ist eine Variante des seborrhoischen Ekzems, bei dem am Körper blütenblätterartige Läsionen auftreten. Petechien Punktförmige Hautblutungen. Der Begriff stammt aus dem Italienischen (petecchie), und hier wieder aus dem Vulgärlatein (petigo: Ausschlag, Räude). Phakomatose Ein verlassener Begriff für Fehlbildungssyndrome mit Haut- und ZNS-Beteiligung, von griech. phakos: Linse, Linsenfleck. Phäo- (Präfix) Griech. phaios: grau. In der Dermatologie wird Phäo- fast nur in der Zusammensetzung Phäomelanine (also die nichtschwarzen Melanine) verwendet, die aber paradoxerweise gelbrot sind. Phimose Von griech. phimos: Maulkorb Phrynoderm Von griech. phryne: Kröte. Der Vergleich zielt auf die warzig-bräunliche Krötenhaut ab, die angeblich dem Aussehen der Haut bei Hypovitaminose A ähneln soll (Trockenheit, Rauheit durch follikuläre Hyperkeratosen). Piebald (engl.) Der Schecke (besonders bei Pferden) Pilus (lat.) Das Haar Pit (engl.) Grube bzw. Grübchen (z. B. an Handflächen und Fußsohlen bei Morbus Darier)
Peeling (engl.) Das Wort leitet sich von griech. pella: Haut, Fell ab und bedeutet ursprünglich »die Haut (ein Häutchen) abziehen«. In der kosmetischen Dermatologie wird es für die Entfernung oberflächlicher Hornschichten mit z. B. Fruchtsäuren verwendet. Pelade (frz.) Haarausfall. Wird in der Dermatologensprache lediglich für Alopecia areata verwendet (und auch das nur selten).
Pityron (griech.) Kleie Plaque (frz.) Platte – oft fälschlich als »der« statt »die« Plaque gebraucht Platinöse Eine Öse aus Platindraht zur Entnahme von Fluor urethralis (Platin kann fast unbegrenzt zur Sterilisation ausgeglüht werden). Platinöse ist daher keine analoge Bildung zu Fritteuse o. ä.
610
Anhang
Pleo-, pleio- (Präfix) Mehr, von griech. pleon, pleion (Kompara-
Riefelung Streifenartige rillenförmige Musterung
tiv von polys: viel)
Rupia Von griech. rhypos: Schmutz – eine schwer impetiginisier-
Plexus Das Geflecht, von griech. pleko: flechten
te Läsion, »borkig«. Wird heute nur mehr im Zusammenhang mit
Podagra Gicht, bei Befall des Großzehengrundgelenks. Die Bezeichnung ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus griech.
rupia syphilitica verwendet (borkig belegte Läsion bei Lues II). Rush (engl.) Hasten - z. B. Rush-Hyposensibilisierung
pous: Fuß, und –agra: neoklassisches Suffix für »Weh«.
S Poliose Grau-, Weißhaarigkeit, von griech. polios: grau, weiß. In der Dermatologensprache wird Poliose meist als umschriebene
Sargdeckelartig Manche Schuppen lösen sich leicht, bleiben
Weißhaarigkeit verwendet – Poliosis circumscripta.
aber an einem Ende hängen (z. B. bei der Pityriasis lichenoides
Polyp Ein gutartiges oder prämalignes knotiges Gewächs. Der Name leitet sich vom Tintenfisch ab (griech. polypous: vielfüßig). Ponton (frz.) Schwimmende Tragkörper, z. B. zur Errichtung einer provisorischen Brücke Porphyrine Stoffwechselprodukte des Häm von intensiv roter Farbe, von griech. porphyreos: purpurrot.
chronica). Serpiginös Von lat. serpigo: »Flechte« – eine bogig begrenzte Läsion beliebiger Ursache. Ursprung vermutlich lat. serpens: Schlange. Shedding (engl.) Etwas abwerfen, sich häuten, haaren etc. Wird in der Dermatologie z. B. für das klinisch stumme Freisetzen von Herpesviren aus einem chronisch rezidivierenden Herpes
Porus Die Pore, von griech. poros: Öffnung, Weg
simplex-Herd verwendet.
Praecox Verfrüht (von lat. praecoquis: ungegart, von coquere:
Sheet (engl.) Blatt, Tuch etc. In der Dermatologie versteht man
kochen). Verwendet in pubertas praecox, Lues connata praecox
darunter z. B. ein Stück von der Dermis abgelöste Epidermis
Prädilektion Bevorzugung, von lat. diligo: auswählen. Der Der-
(etwa zum Studium der Melanozyten).
matologe bezeichnet Regionen, an denen bestimmte Krank-
Spatel Von griech. spathe: ein breitflächiges Werkzeug z. B. zum
heiten mit Vorzug auftreten, als Prädilektionsstellen.
Auftragen von Kitt. Der Dermatologe verwendet den Holzspatel
Prolaps Vorfall; von lat. prolabor: herabfallen
(zu einfachen Manipulationen z. B. an Schleimhäuten) und den Glasspatel (zur Diaskopie).
Pruritus Juckreiz, von lat. pruio, jucken. Prurigo ist eine heftig juckende Papel
Spina (lat.) Stachel. Wegen ihrer dornartigen Fortsätze (Fixationsartefakt!) werden die Zellen der lebenden Epidermis als
Pterygium Von griech. pterygion: kleiner Flügel. In der Dermatologie wird das Wort für das flügelartige Überwachsen einer Struktur durch eine andere verwendet, z. B. pterygium unguis
Stachelzellen bezeichnet (stratum spinosum). Die griechische Entsprechung ist akanthus (s. o).
– wenn Epidermis aus dem Paronychium über den (zerstörten)
Spongia (lat.)
Nagel wächst.
(»schwammartiges« Ödem der Epidermis); engl. sponge, z. B.
Punze Kleine, in z. B. Silber oder Gold eingestanzte Markierungszeichen (Echtheitsgarantie)
Schwamm – davon abgeleitet Spongiose
white sponge nevus Stanze In der Dermatologie bedeutet Stanze ein Gerät zur leichten Entnahme von Biopsien: ein Rohr unterschiedlichen Durch-
R Racemus (lat.) Weintraube, verwendet in Angioma racemosum, Livedo racemosa Ranke Schnurartige, meist unregelmäßig gestaltete Anteile mancher Pflanzen (z. B. Wein) mit Haftmechanismen. In der Dermatologie wird der Begriff meist zur Beschreibung vaskulärer Phänomene verwendet, z. B. Rankenangiom, Livedo racemosa. Rash (engl.) »Ausschlag« beliebiger Art Rebound (engl.) Rückprall. Der Mediziner versteht darunter die
messers mit geschärftem Ende, das in die Haut eingedreht wird und ein zylinderförmiges Gewebestück ausschneidet. Stigma (griech.) Stich, Brandmal, Merkmal. In der Dermatologie verwendet man den Begriff z. B. bei den Stigmata der Lues connata. Stratum (lat.) Die Schicht, von lat. sternere Stripping (engl.) Ablösen, ein Fachausdruck für eine Venenoperation, bei der variköse Venen (mittels eines eingeführten Metalldrahts) herausgezogen werden.
Verschlechterung einer Krankheit nach Absetzen/Reduktion
Sugillation Hautblutung, meist traumatisch; von lat. sugillare:
einer wirksamen Therapie (z. B. von Kortikosteroiden).
quetschen
Redundant Wiederholend, überflüssig, von lat. redundare:
Symbiont Mitbewohner (von griech. syn: mit, bios: Leben); z. B.
überfließen
die symbiontische Hautflora
611 Glossar
Swab (engl.) Abstrich, z. B. von der Cervix uteri oder der Mundschleimhaut
Türkenbundhose Eine Hosenform, die (früher) in der Türkei getragen wurde: Pluderhosen, die im Knöchelbereich gebunden sind.
T Tylose (lat.) Hornschwiele Tabaksbeutel Vor Aufkommen der kommerziellen Plastiktaschen zum Mitführen von Tabak benutzten die Raucher einen runden Lederbeutel, dessen Öffnung durch Anziehen einer durchgezogenen Schnur verschlossen wurde. Dabei entstanden vertikale Falten – Vergleich mit dem Tabaksbeutelmund bei Sklerodermie. Tachyphylaxie Ein medizinisches Kunstwort: der schnelle Wirkungsverlust topischer Kortikosteroide. Tandem Ein Zwei-Personen-Fahrrad. Der Vergleich bedeutet eine fixe Kopplung zweier Elemente, z. B. Lokaltherapie mit Kortikosteroiden und später mit Salbengrundlagen. Targetläsion Schießscheibenläsion bei Erythema multiforme (von target engl.: Schießscheibe) Tinea (lat.) Motte, Schabe, Raupe. In der Dermatologensprache ein Sammelbegriff für oberflächliche Hautmykosen aller Art. Der Zusammenhang ist nicht ganz klar (wurmstichiges Aussehen?); manche Quellen vermuten einen Ursprung des Wortes aus dem Arabischen. Tombstone-pattern (engl.) Grabstein-Muster (in der Histologie des Pemphigus vulgaris). Der Vergleich bezieht sich auf die nach Akantholyse der Epidermis erhalten gebliebenen Basalzellen (deren basaler Halteapparat ja unbeschädigt blieb). Diese stehen aufrecht auf der Basalmembran ähnlich den Grabsteinen in einem Friedhof. Tonnennagel Tonnenförmig aufgewölbte Nägel (meist Zehennägel), häufige Ursache des Unguis incarnatus Tonsur Von lat. tondere: scheren. Eine durch Rasur erzeugte, meist kleine und runde kahle Stelle am Hinterkopf (bei Mönchsorden)
U Uhrglasnagel Eine Nagelanomalie, bei der die Nägel nicht länglich, sondern kreisrund und auch in der Längsrichtung gebogen sind. Ulcus (lat.) Geschwür; ein auf dem Boden krankhaft veränderter Haut entstandener Substanzdefekt bis mindestens in die tiefe Dermis, der narbig abheilt. Ulcus rodens, terebrans Bezeichnungen für spezifische Verlaufsformen von Basaliomen: Ulcus rodens – (lat. rodere: nagen; terebrare: bohren)
V Vagant, Vagabund Von lat. vagari: umherschweifen. Personen mit unstetem Aufenthalt tun sich mit der Körperhygiene schwerer – »Vagantenhaut.« Vellus (lat.) Wollhaar, synonym mit Lanugohaar Venus Göttin der Liebe. Venerisch wird als Euphemismus (Verniedlichung) für genitale Kontaktinfektionen verwendet. Venerisch hat natürlich nichts mit Venen zu tun, ist manchen Dermatologen als nützlicher Irrtum jedoch willkommen (am Arztschild). Versus (lat.) Hin-, zugewandt, gegen. Dieses klassische lateinische Wort ist in den letzten Jahren aus dem englischen Sprachraum wieder zurückgekommen und wird im Jargon häufig verwendet, um einen Gegensatz deutlich zu machen (z. B. die infektiöse vs. idiopathische Genese der Sarkoidose). Virilisierung Vermännlichung, von lat. vir: Mann
Torpid Von lat. torpidus: starr, gelähmt. Im Dermatologenjargon werden mit diesem Begriff schlecht heilende z. B. Ulzera belegt.
Virus (lat.) Das Gift, z. B. virulent. Unter Virus versteht man heute natürlich vorwiegend Viren, wobei jedoch auch manche Gebildete meinen, es heiße der und nicht das Virus.
Tricolore Die dreifarbige französische Flagge (rot, blau, weiß). Mit diesem Ausdruck wird ein Phänomen beim Raynaud-Symptom beschrieben, wenn gleichzeitig Anämisierung, Stase und Wiederdurchblutung manifest sind.
W
Trigger (engl.) Hahn des Gewehrs: Bezeichnung für auslösende Faktoren (z. B. Tonsillitis bei Psoriasis)
Wamme Eine mit Fettgewebe gefüllte herabhängende Hautfalte am Rumpf – bei manchen Tieren physiologisch, in der Dermatologie werden mit Wammen z. B. große, schlaff herunterhängende Neurofibrome bei Morbus Recklinghausen bezeichnet. Wasting (engl.) Auszehrung
Trimmen (engl.) Zurechtstutzen -trop (Suffix) »Ausgerichtet sein«, von griech. trepo: sich hinwenden; z.B. neurotrop, androtrop etc. Tumidus (lat.) Angeschwollen; mit diesem Wort wird z. B. eine spezifische Verlaufsform des Lupus erythematodes bezeichnet.
Z Zyanose Dunkelblaue Verfärbung z. B. der Lippen oder der Akren, von griech. Kyaneos: schwarzblau
Sachverzeichnis . verweist auf Abbildung des gesuchten Stichworts Fette Seitenzahlen kennzeichnen Hauptfundstellen.
A Abrikossoff-Tumor 428 Abschürfung 78 – 7 Exkoriation Abt-Letter-Siwe-Syndrom 430 Acanthosis nigricans 275 Acinetobacter 140 Acne – 7 Akne – comedonica 469, 470. – conglobata 470, 470., 472, 472. – cosmetica 471 – excoriée des jeunes filles 471 – fulminans 471 – keloidalis nuchae 464 – neonatorum 471, 493 – nodulocystica 470, 470. – papulopustulosa 469 – tarda 471 – vulgaris 469–471 Acrodermatitis enteropathica 245 Actinomyces israelii 204 Additionsdiät 127 Adenokarzinom, aggressives digitales papilläres 384 Adenoma sebaceum 359, 412 Adenose, vaginale 489 Adhäsionsorganellen 8 Adipositas dolorosa 424 Adnexitis 580 – gonorrhoische 570 Adnexorgane 7 Hautanhangsgebilde Adnextumoren 380–390 Adrenalin 119 – Schwangerschaft 258 adrenogenitales Syndrom 253, 254 Affenpocken 163 Agammaglobulinämie, X-chromosomale 366 AIDS – 7 HIV-Infektion AIDS-definierende Krankheiten 590, 591 AIDS-Demenz-Komplex 591 AIDS-related complex 587 Akantholyse 8, 282 Akanthom, epidermolytisches 374 Akanthose 36
Akne – 7 Acne – exogen bedingte 471 – medikamenteninduzierte 471 – Therapie 470, 471 Aknenarbe 470, 470. Akroangiodermatitis 424 Akrochordon 410 Akrodermatitis 211 – chronica atrophicans 158 – infantile papulöse 498 – suppurativa 226, 226. Akrofibromatose 158 Akrokeratosis 276 Akromegalie 251 Akrosklerose 310 Akrozyanose 82, 83 Aktinfilamente 8 Aktinomykose 204 Albinismus 17, 451, 451., 452 Alkalineutralisationstest 98 Allergenkarenz 74 Allergene, inhalative 49, 50 Allergie, Diagnostik 48–54 Allylamine 65 Alopecia – areata 462, 463, 463., 464 – areolaris specifica 464, 558 – mucinosa 269 Alopezie – androgenetische 461 – mechanisch bedingte 79, 464 – umschriebene 462, 462. – vernarbende 464 Altersdermatosen 499–504 Aluminiumintoxikation 246 Alveolitis, exogen allergische 54, 136 Amöbiasis 212, 213 Amphotericin B 65 Ampicillinexanthem 131 Amputationsneurom 427 Amyloidelastose 267 Amyloidose 265–268 – A 267, 268 – anosakrale 266 – familiäre 268 – K 266 – kutane 266, 266. – L 267 – makulöse 266, 450 – noduläre 267
– systemische 266, 267, 267. Anageneffluvium 458–460 Analabszess 528 Analekzem 523, 525, 525., 526 Analfissur 527 Analfistel 528, 528. Analkarzinom 529 Analpapille, hypertrophe 527 Analpolyp 527 Analprolaps 526 Anamnese, dermatologische 41–43 Anaphylaxie 115 Androgeneffluvium 458–462 Anetodermie 356 Angina specifica 558 Angiödem – ACE-Hemmer 122 – hereditäres 119, 120, 120. Angioendotheliomatose, reaktive 424 Angiofibrom 359, 359., 412 Angiogenese 31 Angiokeratom(a) – circumscriptum 416, 416. – corporis diffusum universale 260 – Mibelli 416 – scroti 416, 489 – vulvae 416 Angioleiomyom 427 Angiolipom 425, 425., 426 Angiom – kapilläres 416 – seniles 420, 421, 422., 501 – thrombosiertes 414 Angioma serpiginosum 415 Angiomatose – bazilläre 156 – neurokutane 359, 360 Angioödem 115 – 7 Urtikaria Angiosarkom 422, 423 – Brust 423 – epitheloides 423 – Kopfhaut 423, 423. – strahleninduziertes 423 Angulus infectiosus 501 Anhangsgebilde 7 Hautanhangsgebilde Anhidrose 475 Ankylostomen 215, 216 Anomanometrie 529 Anonychie 478 Anopheles 217
613 Sachverzeichnis
Anorchie 536 anorektaler Reflex 522 Anthrax 154, 155, 155. Antibiotika 57, 64 Antibiotikaproktitis 530 Antihistaminika 67 – nicht sedierende 67 – Schwangerschaft 258 – sedierende 67 Antikoagulation 516 Antikörper, antinukleäre 293, 294. Antimalariamittel 67 Antimykotika 58, 65 – Schwangerschaft 258 Antiparasitika 58 Antiphlogistika 57, 67 – nichtsteroidale 67 Antiphospholipid-Syndrom 68, 310, 321, 334 – sekundäres 296 Antiseptika 58 Antithrombin-III-Mangel 320 α1-Antitrypsinmangel 456 Aphthe(n) – chronisch-rezidivierende 336, 481, 481., 482 – genitale 336 – herpetiforme 482 – orale 336 Aplasia cutis – congenita 495 Apoptose 10, 73 Arboviren 212 Argasides 212 Argyll-Robertson-Phänomen 560 Argyrose 246 Arsenintoxikation 246 Arsenkarzinom 378. Arteriitis temporalis 331, 332, 332. Arthritis – erosive 224 – mutilans 224 – reaktive 574 – rheumatoide, Hautveränderungen 315 Arthroderma 181 Arzneimittelexanthem 131 – fixes 132, 133, 133. – generalisiertes 114 – lichenoides 131 Arzneimittelunverträglichkeit 128–134 – Klinik 131 – Pathogenese 128–130 Aspergillose 195 Aspermie 539, 542 Asteatose 500 Asthenozoospermie 542 Ataxia teleangiectatica 362, 363, 363.
Atherom 380 Atherosklerose 502 Atopie-Patch-Test 54, 106 Atrichie 465 Atrophia – cutis idiopathica 158, 158., 313 – mediana rhomboidalis linguae 484 – mediana unguis canaliformis 478. Atrophie 40 – blanche 334, 335, 509 Auflichtmikrokop 43, 46 aurikulotemporales Syndrom 474 Auslassdiät 127 Auspitzphänomen 221 Ausstrichpräparat 43 Autoimmundermatosen – blasenbildende 279–292 – – Diagnostik 281 – – Klassifikation 279 – – Zielantigene 281 Autoimmunorchitis 540 Azathioprin 68 Azoospermie 542
B Babesiose 212 Bacillus anthracis 154 Bäcker-Asthma 126 Bakterien, koryneforme 140 Balanitis – atrophe 487, 487. – circinata 486 – xerotica obliterans 486 Balanoposthitis 486, 567 – herpetische 172 Bambushaar 343 Barrierefunktion 2, 12, 13, 47 Bartholinitis 489, 569 Bartonellose 156 Basaliom 387–390 – adenoides 389 – infundibulozystisches 388 – keratotisches 389 – knotiges 388, 388. – mutilierendes 389, 389. – noduläres 388 – oberflächliches 388 – pigmentiertes 388, 388., 389 – sklerodermiformes 388, 389 Basaliomknötchen 387 Basalzellnävus-Syndrom 363, 364, 364., 390 Basophilen-Degranulationstest 53 Bauchhoden 536 Beckenbodentraining 529
A–B
Becker-Nävus 426, 448, 448. Beifuß-Sellerie-Gewürz-Syndrom 126 Beinvenen 506, 507 Beinvenenthrombose, tiefe 515 Benzoylperoxid 56 Berloquedermatitis 91 Berufsdermatosen 134–136 Besenreiservarize 508 Bettwanze 206 Bexaroten 69 Bienenstich 208 Bilharziose 215 Bindegewebsdefekte, hereditäre 353–356 Bindegewebsnävus 339, 412 Biologics 69, 228 Biopsie 43, 44 Biotinmangel 244 Bird-Egg-Syndrom 125 Birke-Apfel-Nuss-Syndrom 126 Birt-Hogg-Dube-Syndrom 365, 381 Blaschko-Linie 41, 339, 340, 340. Blase 39 – dermolytische 36, 289 – junktionale 36 – mechanisch bedingte 78 – zytolytische 36 Blasenbildung 36 Blastomykose 195 – europäische 195 Bleiintoxikation 246 Blepharochalasis 356 Blepharokonjunktivitis, gonorrhoische 570, 571. Blitzfigur 84, 84. Blitzschlag 84 Bloch-Sulzberger-Syndrom 450, 450. Bloom-Syndrom 362 Blue-rubber-bleb-Nävus-Syndrom 417 Blütenpollen, allergene 49 Blutsee 414 Bonjour-Tropfen 569 Borderline-Lepra 203, 204 Borrelia burgdorferi 157 Borreliose 7 Lyme-Borreliose Botulinum-Toxin A 71 Brevibacterium 140 Brivudin 65 Bromhidrose – apokrine 476 – ekkrine 474 Bronchokonstriktion 29 Bronzediabetes 245 Bubonen-Pest 155 Bulla 7 Blase Bullosis diabeticorum 248 Burkholderia mallei 155 Burkitt-Lymphom 179
614
Sachverzeichnis
Buruli-Ulkus 202 Buschke-Löwenstein-Tumor 168, 168. B-Zell-Lymphom – follikuläres 441 – großzelliges 441, 441. – primär kutanes 441 B-Zell-Pseudolymphom 443
C Cadherine 8 Café-au-lait-Flecken 357, 357., 448 Calcineurininhibitoren 56, 106 Calcinosus cutis 270, 271, 271., 311 Candida albicans 188 – 7 Kandidamykose – Onychomykose 187, 191 Candida-Vulvovaginitis 257 Canities 454, 455, 467 capillary leak 146 Caput – medusae 272 – natiforme 562 Carcinoma erysipelatodes 274, 274. Cardiolipin 563 Casal-Halsband 244 CAST 53 Castleman-Tumor 286 Cathelizidine 105 Chagas-Krankheit 213 Chagom 213 Chagrinläsion 359, 359. Chanarin-Dorfman-Syndrom 341, 344 Chancroid 576 Chediak-Higashi-Syndrom 367, 452 Cheilitis 113 – aktinische 376 – granularis 485 – granulomatosa 485 Cheilosis 105 chemical peeling 71 Chemokine 14 Cheyletiellose 211 Chilblain-Lupus 297 CHILD-Syndrom 344 Chlamydia – pneumoniae 572 – psittaci 572 – trachomatis 572, 575 Chlamydienadnexitis 573 Chlamydienepididymitis 573 Chlamydieninfektionen 572–575 – okulogenitale 573 – perinatale 574 Chlamydienperihepatitis 574 Chlamydienurethritis 573
Chlamydienzervizitis 257, 573, 573. Chloasma hepaticum 272 Cholesterinembolie 272, 381 Chondrodermatitis helicis nodularis 79 Chondrodysplasia punctata 344 Chorda venerea 568 Choriongonadotropin 546 Chromhidrose, apokrine 475, 476 Chromoblastomykose 194 Churg-Strauss-Granulomatose 330 Cimex lectularius 206 Cladosporium werneckei 187 Clavi 78, 502 – symphilitici 558 Clindamycin 57 Clostridium perfringens 155 Clotrimazol, Schwangerschaft 258 Cluster-Immuntherapie 76 Cockayne-Syndrom 361 Colitis ulcerosa 530 Collerette 231 Colorimetrie 47 Compound-Nävus 393, 393. Condylomata – acuminata 165, 167, 167., 168, 168., 170, 257, 529 – lata 558 – plana 167, 168, 168., 529 Conglutinatio praeputii 496 Conradi-Hünermann-Happle-Syndrom 341, 344 Copepoden 216 Cornu cutaneum 374, 375. Corona – phlebectatica paraplantaris 509 – veneris 558 Corynebacterium minutissimum 140, 141 Coup-de-Sabre-Morphaea 308, 308. Cowden-Syndrom 365, 365., 485 Cowperitis 568 Coxsackieviren 161, 162 Creme 55 Crepitus 154, 155 CREST-Syndrom 294 Cronkhite-Canada-Syndrom 447 Culex 217 Culicosis bullosa 207, 207. Cushing-Syndrom 252, 474 Cutis – laxa 355, 356, 356. – marmorata 82, 333, 493 – rhomboidalis nuchae 87 – teleangiectatica 493 – verticis gyrata 496 Cyclophosphamid 68 Cyclosporin A 68, 228
D DNA-Polymorphismus 339 Darier-Zeichen 434 Defäkation 522 Defensine 15, 105, 139 Degeneration, hepatolentikuläre 246 Dekubitus 78, 502–504, 503. Del-Castillo-Syndrom 536 Demodikose 211 Dennie-Morgan-Falte 105, 105. Dermabacter 140 Dermatitis – atopische 19, 102–107, 496 – chronische aktinische 93 – exfoliativa neonatorum 149 – herpetiformis (Duhring) 290, 291, 291., 292, 292. – papular of AIDS 592 – periorale 473, 473. – pratensis 90 – seborrhoische 7 Ekzem, seborrhoisches Dermatofibrom 411, 411. Dermatofibrosarcoma protuberans 413, 413. Dermatofibrosis lenticularis desseminata 412 Dermatoheliosis 500 Dermatomykosen 7 Mykosen Dermatomyositis 275, 276, 304–306, 305. Dermatophagoides pteronyssinus 50 Dermatophytose 180–187 Dermatose(n) – akute febrile neutrophile 235, 236, 236. – bullöse 279–292, 289. – Diagnostik 38–54 – granulomatöse 238–241 – juckende 32 – Kleinkindalter 498, 499 – Mundschleimhaut 480–485 – neonatale 492–495 – photoaggravierte 90 – pluriorifizielle erosive 113 – subkorneale pustulöse 286 – Therapie 54–76 – – medikamentöse 64–70 – – operative 70, 71 – transiente akantholytische 350 Dermis 2, 7, 18, 26–28 – Atrophie 40 – papilläre 37 – retikuläre 40 Dermographismus 43 – urtikarieller 120
615 Sachverzeichnis
– weißer 105, 105. Dermopathie, diabetische 248 DeSanctis-Cacchione-Syndrom 361 Desmogleine 8 Desmoidtumor 413 Desmoplakin 8 Desmosom 8, 280. Diabetes mellitus 247–249 Diapedese 35 Diaskopie 43 Diclofenac 57 Di-George-Syndrom 366 Digitalfibrom, infantiles 412 Diphenylcyclopropenon 56 Diphtherie 155 Dithranol 227 Donovankörperchen 576 Dopplersonographie 46 Drakunkulose 216 Druckalopezie 464 Druckatrophie 79 Druckbrand 7 Dekubitus Druckgeschwür 7 Dekubitus Druckurtikaria 121 Druse 204 Dupytren-Kontraktur 411, 412 Dysfunktion, erektile 541 – Therapie 547, 548 Dyshidrosis lamellosa sicca 104, 109 Dyskeratom, warziges 374 Dyskeratosis – congenita 346, 347, 363 – follicularis 349 Dysmorphophobie 474 Dysplasie – anhidrotische ektodermale 350 – hidrotische ektodermale 346 Dysraphie 415
E Echinokandine 65 ECHO-Viren 161, 162 Ectodysplasin 350 Ectopia testis 536 Eczema cruris 509, 509. Effloreszenz 38, 38., 39. Effluvium – androgenetisches 461, 462. – diffuses 459 – – luetisches 558 – postpartales 255 – des Neugeborenen 460 – postpartales 460 – postpubertäres 460 – seniles 460
– umschriebenes 459 – Ursachen 460 Ehlers-Danlos-Syndrom 353, 354, 354. Ehrlichiose 212 Eigenhaartransplantation 462 Einschlusskörperchen-Konjunktivitis 574, 574. Einschlusskörperchen-Myositis 304 Eisenmangel 245 Eisenüberschuss 245 Eiterung 36 Ejaculatio – deficiens 539 – praecox 539 – – Therapie 548 – retardata 539 Ejakulation 533 – retrograde 539 – – Therapie 548 Ekchymose, Definition 316 Ekthyma 143 – contagiosum 163 – gangraenosum 153, 494 Ektropion 343 Ekzem 95–114 – asteatotisches 108 – atopisches 7 Dermatitis, atopische – atopisches 20 – Definition 95 – dyshidrotisches 104, 109 – generalisiertes 97 – intertriginöses 110, 140, 243 – juveniles squamatöses palmoplantares 498 – kindliches 495, 496 – Klassifikation 96 – kontaktallergisches 20 – Pathogenese 96 – periorifizielles 110 – seborrhoisches 107, 496, 592 – – infantiles 107, 108, 108. – toxisches 7 Kontaktekzem – tylotisches 348 Ekzema – cruris varicosum 109 – flexurarum 104 – herpeticatum 105, 106, 173, 173. – vaccinatum 163 Ekzemreaktion 96 – allergische 99 – chronische 97 – toxische 35 Elastin 28 Elastolyse – generalisierte 355 – systemische erworbene 356 Elastose, solare 37
B–E
Elastosis – cutis 501 – perforans serpinigosa 355 Elektronenmikroskop 44 Elephantiasis 144, 144., 217 Embolia cutis medicamentosa 318 Embryotransfer 547 Endokarditis, Libman-Sacks 298 Endothelzellen 30 Entamoeba histolytica 212 Enterobakterien, gramnegative 153 Enteropathie, glutensensitive 291 Enteroviren 161, 162 Enthesiopathie 224 Eosinophilie-Myalgie-Syndrom 246, 313 Epheliden 446, 447. Epidermis 2, 7, 13 – Atrophie 40 – Reaktionen 35, 36 – Regeneration 36 Epidermodysplasia verruciformis 165, 167 Epidermolysis bullosa – acquisita 281, 289, 290, 290. – hereditaria 351–353 – – dystrophicans 352, 353. – – junctionalis 352 – – non-Herzlitz 352 – – simplex 352 Epidermomycosis – corporis 182, 182. – inguinalis 182, 182. – manus 183, 183. – pedis 182 Epidermomykose 36, 181, 182, 243 – palmare 183 – plantare 183 – Therapie 183 Epidermophyton 181 Epidermotropismus 438 Epididymitis 569, 569., 573, 578 Epididymo-Orchitis 573 Epididymovasostomie 545 Epikanthus 496 Epikutantest 53. 53., 54 – belichteter 48 – auf Medikamente 133 Epilation 73 Epispadie 539 Epithelioma – calcificans Malherbe 381 – cuniculatum 380 Epithelzyste, traumatische 372 Epizoonose 205–212 Epstein-Barr-Virus 179 erektile Dysfunktion 541 – Therapie 547, 548
616
Sachverzeichnis
Erektion 533 Erektionshilfesysteme 548 Erfrierung 81, 81., 82 Erntekrätze 211 Erosion 40 Erysipel 143–145 – bullöses 144 – hämorrhagisches 144, 144. – nekrotisierendes 144, 144. – rezidivierendes 144 Erysipelas – carcinomatosum 274, 274. – perstans 297 – saltans 143, 143. Erysipeloid 154, 154. Erysipelphlegmone 144 Erythem – diffuses palmoplantares 133 – figuriertes 134, 134. – migratorisches nekrolytisches 276 – phototoxisches 87 Erythema – ab igne 81 – anulare centrifugum 134 – contusiforme 124 – dyschromicum perstans 233, 449 – gyratum repens 134, 275, 276 – induratum Bazin 201, 457 – infectiosum 160, 161, 161. – marginatum rheumaticum 134, 134., 147 – migrans 157, 157. – multiforme 110–114 – – rezidivierendes 112 – nodosum 124, 124., 456 – solare 85, 86 – toxicum neonatorum 493 Erythema-migrans-Krankheit 7 Lyme-Borreliose Erythemdosis, minimale 48, 86 Erythrasma 140, 140., 243 Erythrodermie 221 – kongenitale ichthyosiforme 343, 493 – – bullöse 343 – physiologische 493 Erythrodontie 262 Erythrokeratodermia – progressiva symmetrica 341 – variabilis 341, 344 Erythromelalgie 82 Erythromycin 57 Erythroplasie 169, 377, 489 Erythrosis interfollicularis colli 87, 501 Eschenlaubflecken 495 Espundia 214 Etagentuberkulose 200 Etretin 228 Eulenaugen-Zellen 179
Eumelanin 17, 86 Eunuchoidismus 254, 538 Exanthem 40, 41 – arzneimittelinduziertes 7 Arzneimittelexanthem – lichenoides 115 – makulöses 115 – toxisches 114, 115 – varicelliformes 590, 590. Exanthema subitum 161 Exfoliatio areata linguae 484 Exkoriation 35, 40, 78 Exophthalmus, maligner 250 Expositionstest 133 Exsikkationsekzem 108 Exsikkose 55, 500, 501
F Facies – leonina 204 – mitralis 272 Fadenpilze 180 Faktor-V-Leiden 320 Famciclovir 65 Fanconi-Anämie 363 Farbduplexsonographie 47 Farmerlunge 136 Fasziitis – eosinophile 308 – nekrotisierende 145, 146 – noduläre 412 Faulecke 501 Favre-Recouchot-Syndrom 87, 87. Favus 185, 185., 186 Fehlbildung, Definition 370 Feigwarze 167, 529 Feinkontinenz 522 Femidom 554 Feminisierung, testikuläre 537 Fertilitätsstörungen, männliche 535–541 Fettembolie 318 Fettnekrose, subkutane 83, 493 Fettsalbe 55 Feuchtblattern 176 Feuermal 7 Naevus flammeus Fibrinolyse 516 Fibrinolysestörungen 320, 321 fibroblast growth factor 15 Fibrofollikulom 381 Fibrom, weiches 410, 411. Fibroma – durum 411 – molle 410, 411. – pendulans 410, 411.
Fibromatose – palmare 411, 412 – penile 488 Fibrosarkom 413, 414 Fibrose 37 Fibroxanthom, atypisches 429 Filaggrine 11 Filarienfieber 217 Filariose, lymphatische 217 Filzlaus 206, 206. Fissur 40 Fleck 39 Fleckfieber 155 Flecktyphus 155 Fleischhauerwarze 165 Flohbefall 206 Fluconazol 65 Fluorozyten 262 5-Fluorozytosin 65 5-Fluorouracil 57 Flushsymptomatik 272 Flussblindheit 216 Folliculitis 151, 151. – decalvans 464 – eosinophile 238 – et perifolliculitis capitis abscedens et suffodiens 464 Fordyce-Talgdrüse 485 Foscarnet 65 Fournier-Gangrän 146 Fox-Fordyce-Krankheit 476 Frambösie 566, 566. Francisella tularensis 154 Friseurekzem 135 Fruchtsäuren 56 Frühsommermeningoenzephalitis 212 Frühsyphilis 555 – Therapie 565 Fungi imperfecti 180 Furunkel 36, 151, 152 Furunkulose 151, 151. Fußsyndrom, diabetisches 248, 249, 249.
G Gamaschenulkus 510, 510. Gammopathie, monoklonale 276 Ganciclovir 65 Gangrän – diabetische 248, 249 – progressive synergistische 146 Gardner-Syndrom 365 Garin-Bujadoux-Bannwarth-Meningopolyneuritis 157 Gasbrand 155
617 Sachverzeichnis
Gate-Control-Theorie 33 Gelatinase 28 Genitalapparat, männlicher 532, 533 Genitalkrankheiten, äußere 485–490 Genodermatosen 339 Gerinnungssystem 316 Germinalzellaplasie 536 Geschlechtskrankheiten 5 – Definition 551 Gianotti-Crosti-Syndrom 179, 498 Gicht 260, 261 – chronisch tophöse 260, 260. Gichtanfall, akuter 260 Gingivitis – akute nekrotisierende 482 – nekrotisierende ulzerierende 243 Gingivostomatitis, herpetische 172 Gleithoden 536 Globozoospermie 536 Glomangioleiomyom 421 Glomangiom 421 Glomustumor 421 Glossitis mediana rhomboidalis 190 Glossodynie 504 Glukagonomsyndrom 276 Glukokortikoidmangel 252 GnRH-Test 544 Gonadendysgenesie 537 Gonadotropin Releasing Hormone 546 Gonoblennorrhoe 570, 571., 572 Gonokokkensepsis 570, 571, 571. Gonorrhoe 567–572 – Diagnostik 571, 572 – Erreger 552 – Inzidenz 553 – oropharyngeale 570 – rektale 572 – Therapie 572 – Übertragung 567 – Urethralausfluss 568, 568. Goodpasture-Syndrom 322 Gorlin-Syndrom 363 Gottron-Zeichen 305 Graft-versus-Host-Krankheit, chronische 235 Graham-Little-Syndrom 233, 234, 234. Granularzelltumor 428, 429 Granuloma – anulare 238, 239, 239. – glutaeale infantum 498 – inguinale 576, 577, 577. – – Erreger 552 – pyogenicum 420, 420. Granulomatose – allergische 330 – chronische 367 – lymphomatoide 442 Granulozyten, eosinophile 19
Griscelli-Syndrom 452 Griseofulvin 65 Grobkontinenz 522 Gummen 560, 560. Gummibandligatur 524
H Haar 21 – Bildung 22 Haarausfall – 7 Alopezie – 7 Effluvium – kreisrunder 462 Haarbulbus 21 Haarentfernung 73 Haarfollikel 21, 23, 32 Haarleukoplakie, orale 179, 483 Haarschaftanomalien 465, 465., 466, 466. Haarwuchsstimulanzien 58 Haarwurzel 21 Haarzunge 483 Haarzyklus 22, 23 Haemophilus influenzae 153 Hakenwürmer 215, 216 half and half nails 478 Halo-Nävus 393, 393., 394 Hämangioblastom, retinozerebelläres 360 Hämangiom – kapilläres 418–421 – – infantiles 416, 418, 419, 419., 420, 421 – epithelioides 421 Hämangiomatose, benigne neonatale 419 Hamartom 339 – arteriovenöses 417 – Blut- und Lymphgefäße 414 – Definition 370 – follikuläres 381 – kapilläres 414 – lipogenes 425 – lymphatisches 418 – teleangiektatisches 415 – venöses 417 Hamartom-Syndrom, multiples 365, 485 Hämatom, Definition 316 Hämochromatose 245 Hämorrhagie, subunguale 480 Hämorrhoidektomie 525 Hämorrhoiden – innere 523–525 – intermediäre 523
E–H
Hand-Fuß-Mund-Krankheit 161, 162 Hand-Schüller-Christian-Trias 430 Haptene 130 Harlekin-Ichthyose 341, 343 Harnstoff 12 Hashimoto-Thyreoiditis 250, 251 Hausstaubmilbe 211 Haut – Altersatrophie 501, 502. – Alterung 499, 500 – Aufbau 2, 7 – Blutversorgung 29–31, 30. – klinische Untersuchung 41–43 – Lymphgefäße 31 – mechanische Eigenschaften 28 – Nervenversorgung 31, 32 Hautanhangsgebilde 7, 21–26, 37 Hautbiopsie 43, 44 Hautblutung 7 Purpura Hautfarbe 17 Hautflora – residente 139, 139., 140, 148 – transiente 139, 140 Hautläsion – ionisierende Strahlen 89 – mechanische 78, 79 – pigmentierte 72 – thermische 79–82 – Untersuchung 40, 41 Hautmetastase 273, 274, 274. Hautsarkoidose 240, 241, 241. Hautsklerose 307 Hauttest 50, 51, 127 Hauttesttitration 51 Hauttuberkulose 197–200 – postprimäre 197, 198 – primäre 197 Hautverjüngung 73 HCG-Test 544 Helfer-T-Lymphozyten 19 Heliotrop-Erythem 305, 305. Hemidesmosomen 8, 9 Hepatitis – A 580, 599 – B 580, 599 – – Impfung 554 Herbstbeiß 211 Hermansky-Pudlak-Syndrom 452 Herpangina 162 Herpes – genitalis 174, 175, 580, 581 – – Erreger 552 – – Schwangerschaft 257, 258 – gladiatorum 174 – glutaealis 174 – iris 112 – simplex neonatorum 493 – simplex vegetans 175, 174., 175
618
Sachverzeichnis
Herpes – tonsurans 183 – zoster 175, 177, 177., 178, 179 – – gangraenosus 177, 178 – – generalisierter 178 – – ophthalmicus 178, 178. – – Schwangerschaft 177, 258 Herpes-simplex-Enzephalitis 174 Herpes-simplex-Virusinfektion 170–174 – Diagnostik 175 – disseminierte 175 – Infektionskette 171, 172, 172. – Klassifikation 171 – Klinik 172, 173 – neonatale 175 – rezidivierende 173, 175 – Schwangerschaft 174, 175 – Therapie 175 Herpesviren 159, 170–179 Hertoghe-Zeichen 105, 105. Hexenwarze 395 Hibernom 426 Hidradenitis, neutrophile ekkrine 133 Hidradenokarzinom 385 Hidradenom, apokrines 384 Hidradenoma papilliferum 384 Hidroa vacciniforme 92 Hidrosadenitis suppurativa 152 Hidrozystom, apokrines 384 Hinterhauptalopezie 464 Hirnsklerose, tuberöse 359, 360, 360. Hirsuties papillaris coronae glandis 488, 488. Hirsutismus 253, 467, 468, 468. Histamin 29 Histaminintoleranz 126 Histaminliberalisierung, mechanische 43 Histaminrezeptoren 29 Histiozytom 411 – malignes fibröses 429 Histiozytosen 430, 430. Histoplasmose 195 Hitzereflexurtikaria 122 HIV – Übertragung 583 – Virologie 583, 584 HIV-Auszehrungssyndrom 582 HIV-Enzephalopathie 582, 591 HIV-Infektion 582–601 – akute 589, 590 – chronische 582, 588 – Diagnostik 593, 594 – Epidemiologie 583 – Ernährung 599 – Expositionsprophylaxe 599 – Impfung 601 – Klassifikation 587
– – – – – – – – – – –
Klinik 586–588, 590–593 Langzeitüberleben 589 Pathogenese 585, 586 Postexpositionsprophylaxe 600 Prävention 599, 600 Primärprophylaxe 599 Progressionsparameter 589 Staging 594 Therapie 594–599 – antiretrovirale 594–598 Übertragung von Mutter auf Kind 601 HIV-Proteasehemmer 595, 596 Hodenbiopsie 544 Hodendystopie 536 Hodenhypoplasie 536 Hodeninsuffizienz – endokrine 535 – tubuläre 535 Hodentumor 538 Hodgkin-Lymphom 435 Hohlnagel 478 Holzbock 157 Hormontherapie 546 Hornpfropf 348 Hornschicht 12 Hornzyste – epidermoidale 380, 381, 381. – hamartomatöse 383 Howell-Evans-Clark-Syndrom 346 HPV-Infektion 581 – – Impfung 554 Hühnerauge 78, 502 Humane Papillomvirus 7 HPV-Infektion Hunter-Glossitis 245 Hutchinson-Trias 562 Hutchinson-Zähne 562 Hyalinosis cutis et mucosae 313 Hydrochinon 57 Hygrom, zystisches 418 Hyperämie, postpartale 493 Hyperandrogenismus, bei der Frau 253, 254 Hypereosinophilie-Syndrom 238 Hypergonadismus, hypergonadotroper 536 Hyperhidrose 474, 475 Hyperhomocysteinämie 320 Hyper-IgE-Syndrom 498 Hyper-IgM-Syndrom 366 Hyperkeratose – epidermolytische 341 – follikuläre 244 Hyperkoagulabilitätssyndrom 319 Hyperkortizismus 252 Hyperlipoproteinämie 258, 259, 259. Hypermelanose 252, 446, 447 – diffuse 446
– umschriebene dermale 449 – umschriebene epidermale 446, 449 Hyperöstrogenismus 254 Hyperparathyreoidismus 251 Hyperpigmentierung 133, 447 – diffuse 277 – Morbus Addison 252 – postinflammatorische 29, 448, 449 – Schwangerschaft 255 – toxische 455 Hyperplasie – angiolymphoide 421 – fokale epitheliale 168 – kongenitale adrenale 253, 254 – papilläre endotheliale 424 Hyperprolaktinämie 538 Hypersensitivitätssyndrom 132, 598 Hyperspermie 542, 543 Hyperthyreose 249, 250 Hypertrichose 467, 468 – erworbene 467 – Gesicht 263 – kongenitale generalisierte 467 – kongenitale umschriebene 467 – lanuginosa 275 – – akquirierte 467 – POEMS-Syndrom 277 Hypervitaminose A 243, 244 Hypervitaminose D 244 Hyphen 180 Hypodermitis, sklerodermiforme 458 Hypogonadismus – hypergonadotroper 544 – idiopathischer hypogonadotroper 538 Hypohidrose 475 Hypomelanose 450–455 – diffuse 450 Hypomelanosis – guttata 501 – Ito 453 Hypoöstrogenismus 254 Hypoparathyreoidismus 251 Hypophysenhormonmangel 251 Hypophysenhormonüberschuss 251 Hypopigmentierung – postinflammatorische 455 – toxische 455 Hypopyoniritis 336 Hyposensibilisierung 74–76 Hypospadie 539 Hypospermie 542 Hypothyreose 250 Hypotrichie 465 Hypovitaminosen 243–245
619 Sachverzeichnis
I Ichthyose(n) 340–345 – autosomal rezessive 341, 342 – epidermolytische 343 – syndromische 340 – Therapie 345 – X-chromosomal rezessive 341, 342 Ichthyosis vulgaris 341, 341., 342. IgA-Defizienz 498 IgA-Dermatose 281, 289 – lineare 289 IgA-Pemphigus 281, 286 Ig-Defizienz, selektive 366 I-Hand 342 Ikterus 272 Imiquimod 56, 71 Immotile-Cilia-Syndrom 536 Immundefizienz 366, 367 – schwere kombinierte 366 – zelluläre 366 Immundefizienz-Syndrom, primäres 495 Immunfluoreszenz 44 Immunglobulin-Amyloidose 267 Immunglobuline – E, allergenspezifische 52 – – atopische Dermatitis 103 – hochdosierte 69 Immunglobulin-G-Antikörper – blockierende 53 – präzipitierende 53 Immunität – adaptive 19 – natürliche 19 Immunkomplex-Vaskulitis 325–327 Immunmodulation, lokale 71 Immunmodulatoren 56, 68 Immunsuppressiva 68 Immunsystem – natürliches 139 – spezifisches 139 Immuntherapie, spezifische 74–76 Impetigo 36 – bullöse 148, 148., 149, 494 – – generalisierte 149 – contagiosa 142, 142., 143 – großblasige 148 – herpetiformis 226, 255, 257 – kleinblasige 142 Impftuberkulose 197, 200 Incontinentia pigmenti 450, 450. Induratio penis plastica 412, 488, 539 Infektion – disseminierte gonorrhoische 570, 571, 571.
– okulogenitale 552 – opportunistische 582, 592 – sexuell übertragbare 7 sexuell übertragbare Krankheiten Inkontinenz 529 Inokulationstuberkulose – postprimäre 198, 198. – primäre 198 Insektengiftallergie 123 Insektenstichreaktion, persistierende 207 Insemination, intrauterine 547 In-situ-Hybridierung 44 Interdigitalmykose 182, 183, 183. Interleukine 14 Intertrigo 140 Intoleranzreaktion 95 – auf Nahrungsmittel 124–128 – gegen Medikamente 128–134 Intrakutantest 51, 123, 193 In-vitro-Fertilisation 547 Involukrin 11 Irisläsion 110, 111 Isthmus-Katagenzyste 383 Itraconazol 65 Ixodes 157, 212
J Janeway-Flecken 147 Job-Syndrom 366 Juckkrise 104 Juckreiz – arzneimittelinduzierter 33 – Mediatoren 33 – Pathophysiologie 32, 33 – Qualität 33 Junktionsnävus 393, 393. Junktionszone, dermoepidermale 7, 9
K Kallmann-Syndrom 538 Kälteagglutininkrankheit 83 Kältehämolysinkrankheit 83 Kältepannikulitis 83 Kälteschaden – akuter 81 – chronischer 82 Kälteurtikaria 121, 121., 122 Kalzinose 270, 271, 271. – dystroph(isch)e 270, 271, 271. – – disseminierte 271 – – lokalisierte 271
H–K
– metastatische 270, 271, 271. Kalziphylaxie 251, 270 Kandidabalanitis 191 Kandidämie 192 Kandidamykose 180, 181, 188–192 – 7 Kandidiasis – genitale 191 – interdigitale 190 – intertriginöse 190, 190. – systemische 191, 192 – Therapie 192 Kandida-Onychomykose 187, 191 Kandidaparonychie 191 Kandidasepsis 192, 495 Kandidavulvovaginitis 191 Kandidiasis 494, 495, 579 – 7 Kandidamykose – chronische mukokutane 191, 366 – disseminierte 192 – genitale 552 – konnatale kutane 495 – neonatale kutane 494 – oberflächliche 192 – orale 190, 190., 494, 495 Kaposi-Sarkom 422, 422., 423, 591, 591. Karbunkel 151, 152 Karzinogene 371, 372 Karzinogenese 370, 371 – UV-induzierte 7 Photokarzinogenese Karzinom – sebazeäres 384 – syringomatöses 387 – verruköses 379, 380, 380. – – Mundschleimhaut 483 Kasabach-Merrit-Syndrom 318 Katzenkratzkrankheit 156 Katzenpocken 163 Katzenzahn 527 Kawasaki-Syndrom 499 keratinocyte growth factor 15 Keratinozyten 2, 10 – aktivierte 13 – Differenzierung 11 – Funktion 12 – Pigmentgehalt 16 Keratinsynthese 11 Keratitis-Ichthyosis-Deafness-Syndrom 344 Keratoakanthom 382, 382. Keratoconjunctivitis sicca 306 Keratoderm – epidermolytisches palmoplantares 344, 345 – paraneoplastisches 348 – hereditäres palmoplantares 344–348 – – papulöses 346 – – Differenzialdiagnose 348
620
Sachverzeichnis
Keratoderm – – diffuses 345, 346 – – epidermolytisches 345 – – fokales 347 – – striäres 346 – – Therapie 348 Keratoderma blennorrhagicum 231, 348 Keratokonjunktivitis, herpetische 173 Keratolytika 56 Keratoma sulcatum 140, 141 Keratose – aktinische 374, 374., 375 Keratosis – follicularis 348, 349 – – spinulosa decalvans Siemens 349 – palmoplantaris – – papulosa 347 – – striata 347 – pilaris – – atrophicans faciei 349 – – atrophisierende 349 Kerion Celsi 184 Ketotifen 67 KID-Syndrom 344 Killerzellen, natürliche 19 Kindesmissbrauch 581 Klarzellsarkom 429, 430 Kleiderlaus 205, 206 Kleienflechte 187 Klinefelter-Syndrom 535 Klippel-Trenaunay-Syndrom 360, 415, 495 Knopflochphänomen 358 Knötchen 39 Knötchenflechte 7 Lichen ruber planus Knoten 39 Koagulationsnekrose 83, 93 Köbner-Phänomen 219, 219., 222 Köbner-Syndrom 454 Koenen-Tumor 359 Koilonychie 478 Koilozyten 169, 169. Kokzidiodimykose 195 Kolbenhaar 23 Kollagen 26–28, 27. – Abbau 28 – Biosynthese 27 – Typen 27 Kollagenase 28 Kollagenosen 292–314 – antinukleäre Antikörper 293 Kolliquationsnekrose 93 Kollodiumbaby 342, 344 Koloniestimulierende Faktoren 14, 15 Kolonkarzinom 530
Komedo 469 – seniler 87 Komplementsystemdefekt 367 Kompressionstherapie 515 Kondom 554 Konidien 180 Kontaktallergene 100 Kontaktallergie 20 Kontaktdermatitis – allergische 35 – irritative 211 Kontaktekzem – allergisches 99–101 – – akutes 99, 101 – – Alter 501 – – Auslösung 100 – – berufsbedingtes 135 – – chronisches 99, 101 – – Lokalisation 101 – – Prävention 101 – – Symptomatik 100, 101 – irritatives 98, 495, 496 – photoallergisches 91, 91. – toxisches 98, 98., 99, 135 Kontaktinfektion, genitale 7 sexuell übertragbare Krankheiten Kontinenz 522 Kopfekzem 108 Kopflaus 205, 206 Kopfschuppen 108 Koplik-Flecken 159 Koproporphyrie, hereditäre 265 Kortikosteroide 56, 60, 61, 65, 66 – anaphylaktische Reaktion 119 – Schwangerschaft 258 – topische 106 Krankheit, sexuell übertragbare 7 sexuell übertragbare Krankheiten Kranzfurchenlymphangitis 488 Krätze 209–211 Kraurosis vulvae 314, 314. Kräuselhaar 466 Kreuzsensibilisierung 130. 131 Kriebelmücke 207 Kruste 40 Kryofibrinogenämie 83, 334 Kryoglobulinämie 83, 327, 328, 334 Kryotherapie 70 Kryptitis 527 Kryptokokkose 195, 196, 196. Kryptorchismus 536 Kryptosporidiose 599 Kryptozoospermie 542 Kuhmilchallergie 125 Kuhpocken 163 Kumarin-Nekrose 128 Kunstharzekzem 135 Kupfermangel 246
Kupferüberschuss 246 Kwashiorkor 243
L Labordiagnostik 46 LAMB-Syndrom 447 Langerhans-Zellen 18–20 Langerhanszell-Histiozytose 430, 430., 431, 431. Langerin 18 Lanugohaare 275, 492 Larva – currens 216 – migrans 216, 216. Larynxpapillom 165, 168 Lasertherapie 72, 73 Latexallergie 136, 554 Latex-Frucht-Syndrom 126 Laugenverätzung 93, 94. Launois-Bensaude-Syndrom 424 Lausbefall 205, 206 Läuseekzem 205 Leberzirrhose 272 Lederhaut 2, 7, 18 Leiomyosarkom 427 Leishmaniose 213, 214 – disseminierte 214 – kutane 213, 214, 214. – mukokutane 214 Lentiginose, großfleckige 365 Lentiginosis profusa 447, 447. Lentigo – maligna 402, 402. – senilis 374, 447, 448., 501 – simplex 447 Leopard-Syndrom 447 Lepra 202–204 – Borderline 203, 204 – determinierte 202 – Diagnostik 204 – indeterminierte 202 – Klinik 203 – lepromatöse 202 – makuloanästhetische 203, 204. – Therapie 204 – tuberkuloide 202, 203 Lepraglobi 204 Leprom 204 Lepromin-Reaktion 203 Leptospirose 155 Leuködem, Mundschleimhaut 482 Leukoderm – luetisches 558 – psoriatisches 222, 222. Leukokeratosis nicotinica palati 482
621 Sachverzeichnis
Leukonychia – punctata 477 – totalis 479 Leukoplakie 481 – flache 482, 482. – präkanzeröse 483 – verruköse, der Mundschleimhaut 376 Leukozyten, basophile 29 Leukozyten-Adhäsionsprotein-Defizienz 366 Leydig-Zellkompartiment 532 Lichen – amyloidosus 266 – myxoedamatosus 268 – nitidus 235 – pilaris 348, 349, 349. – ruber planopilaris 233, 234, 234, 234. – ruber (planus) 231, 232., 233, 233., 234, 234., 235, 490 – – bullöser 234 – – erosiver 234 – – Nagelbefall 234, 234. – – pemphigoider 23,4 235 – – Therapie 233 – – ulzeröser 234 – sclerosus et atrophicans 314, 314., 489, 490 – scrofulosorum 201 – simplex chronicus 235, 501 – – Skrotum 489 – – vulvae 489 Lichenifikation 42, 97 Lichtalterung 87 Lichtdermatose(n) 89–93 – polymorphe 68, 91, 92 Lichtreflexionsspektrometrie 47 Lichtreflexionsrheographie 513 Lichtschutzfaktor 88 Lichtschutzmittel 88 Lichtschwiele 86 Lichttestung 47, 48 Lichttreppe 48 Lichturtikaria 92, 92. Lidocain 57 Lilac-Ring 307 Lingua – geographica 484, 484. – nigra 483 – plicata 484, 484. Lip(o)atrophie 458, 598, 598. – semicircularis 458, 458. Lipoblastom 426 Lipödem 518, 518., 519 Lipodermatosklerose 458, 509 Lipodystrophie 248, 313, 458 Lipom 425
– pleomorphes 425 – subkutanes 425 Lipomatose – fazial-nuchale 425 – gynäkoide 424 – nuchale 424 – pseudoathletische 424, 424. – symmetrische 424, 424. Liposarkom 426 Lippenkarzinom 483 Lisch-Knötchen 358 Listeria monocytogenes 155 Listeriose 155, 212 Livedo 332–335 – calorica 81, 81. – racemosa 82, 298, 333, 333., 335 – reticularis 298, 333, 333., 493 – – apoplectica 333 Livedovaskulitis 334, 335, 335., 510 Löfgren-Syndrom 124, 240 Lokalanästhetika 57 Lokaltherapeutika – kortikosteroidhaltige 60, 61 – Nebenwirkungen 60, 61 Loricrin-Keratoderm 341 Louis-Bar-Syndrom 362 Lues – cerebrospinalis 560 – connata 561, 562, 562. – – Diagnostik 565 – – praecox 562 – – tarda 562, 562. – parenchymatosa 560 Lungenembolie 511 Lupus erythematodes 68, 294–304 – akut-kutaner 295–297 – bullöser 281, 301 – chronisch-diskoider 301, 301., 302, 302. – hypertropher 301 – Klassifikation 295 – kutaner 295–297 – medikamenteninduzierter 302, 303 – neonataler 296, 300, 303, 303., 304 – Pannikulitis 296, 457 – profundus 301 – Schwangerschaft 257, 303 – subakut-kutaner 131, 295, 296, 300, 300., 301 – systemischer 296–300, 297. – – bullöser 290 – – arzneimittelinduzierter 131 – – Ätiologie 297 – – bullöser 281, 297 – – Diagnostik 299 – – klassischer 296 – – late onset 296 – – latenter 296
K–M
– – Organmanifestationen 298 – – Schwangerschaft 297, 303 – – sekundäres AntiphospholipidSyndrom 296 – – Therapie 300 – – Zielantigene 293 – tumider 296, 301 Lupus pernio 240, 241, 241. Lupus vulgaris 198, 198. Lupusendokarditis 298 Lupushepatitis 298 Lupusknötchen 198, 198. Lupuspleuritis 298 Lupuspneomonitis 298 Lupussyndrom, neonatales 300, 493 Luzio-Phänomen 203 Lyme-Borreliose 156–159, 157., 158. – Schwangerschaft 158 – Therapie 159 Lymphadenitis 202 Lymphadenopathie, generalisierte 298 Lymphadenosis cutis benigna 443 Lymphangiom 417, 418. Lymphangioma circumscriptum 418 Lymphangitis 143 Lymphknotendissektion 409 Lymphknotenmetastasen 274 Lymphödem 509, 510, 517–519 – Klassifikation 517 – primäres 517 – sekundäres 517 – Therapie 518 Lymphoedema praecox 517, 518. Lymphogranuloma venereum 573, 575, 575. – – Erreger 552 – – Inzidenz 553 Lymphographie, indirekte 518 Lymphom 435–443 – 7 Hodkin-Lymphom – 7 Non-Hodkin-Lymphom – sekundäres 442 – zentroblastisch-zentrozytisches 441 Lymphozytom 443 Lymphozytose-Syndrom, diffuses infiltratives 593 Lyon-Effekt 340
M Madonnenfinger 310, 310. Madurafuß 194, 194. Maffucci-Syndrom 417 Makroangiopathie, diabetische 248
622
Sachverzeichnis
Makroglossie 267 Makrophagen 19 Makula 39 Malabsorptionssyndrom 273 Malassezia furfur 139., 140, 187 Maldescensus testis 536 Malum perforans 248, 249, 249. Mangelernährung 243 Marasmus 243 Mariske 526, 527 Masern 159, 160 – Enzephalitis 160 – hämorrhagische 160 Masque biliaire 272 Masson-Tumor 424 Mastozytose 432–435 – aggressive 435 – Klassifikation 433 – kutane 433, 435 – lymphadenopathische 435 – okkulte 435 – systemische 435 Mastzellen 29 Mastzell-Leukämie 433, 435 Matrixkarzinom 382 Maulbeerzellen 260 Maurerekzem 135 Medinawurm 216 Mees-Streifen 485 Melanin 16, 17 Melanoakanthom 374 Melanoblasten 17 Melanodermitis toxica 449 Melanom 398–410 – akral-lentiginöses 404, 404. – Ätiologie 398 – depigmentiertes 404 – Diagnostik 406, 407 – Epidemiologie 398 – Klinik 401, 402 – Metastasierung 405, 405., 406, 406. – Mundschleimhaut 484 – noduläres 403, 403., 404 – pagetoides 402, 403 – Pathogenese 399 – Prognose 407 – Risikofaktoren 398 – rückgebildetes 404, 405, 405. – Schleimhaut 404, 404. – Stadieneinteilung 400, 401 – Staging 407 – superfiziell spreitendes 402, 402., 403, 403. – Therapie 408–410 – TNM-Klassifikation 400 Melanonychia striata 479 Melanophagen, dermale 233
Melanose – makulöse orale 484 – makulöse penile 488, 488. – mukokutane 484 – neonatale pustolöse 493 Melanosomen 16, 17 Melanozyten 16 – dermale 17, 18 – UV-Licht 18 Melanozytose – dermale 449 – okulodermale 449 Melasma 449 Melioidose 155 Melkerknoten 163, 163. Melkersson-Rosenthal-Syndrom 485 Memory-Helfer-T-Lymphozyten 7 Meningitis, akute syphilitische 560 Meningokokken 153 Meningokokkensepsis 153, 153. Menkes-Syndrom 246 Menopausengonadotropin 546 Merkel-Zellen 20, 32 Merkelzellkarzinom 390 metabolisches Syndrom 247 Methotrexat 68, 228 Metronidazol 57 – Schwangerschaft 258 Metrorrhagie 573 Mikroangiopathie, diabetische 248 Mikrokokken 140 Mikrolymphangiographie 518 Mikrosporie 185, 185. Mikrosporum 181 Milben 208–211 Milchschorf 104, 104. Miliaria 475 – apokrine 476 – cristallina 475, 475. – rubra 475, 475., 493 Miliartuberkulose 197, 200 Milien 380, 380. Milzbrand 154, 155, 155. Mitesser 469 mixed connective tissue disease 312, 313 Molluscipoxviren 162 Molluscum contagiosum 164, 164., 580, 592 Molluskumbrei 164 Molluskumkörperchen 164 Mondor-Phlebitis 319 Mongolenfleck 416, 449, 449., 496 Monilethrix 466 Morbilli 159, 160 Morbus – Addison 252, 253.
– Basedow 249, 250 – Behçet 335, 336, 336., 337 – Bourneville-Pringle 359, 360, 360. – Bowen 376, 377, 377. – Crohn 530 – Cushing 252 – Darier 349, 350, 350., 374 – Dercum 424 – Fabry 37, 260 – Gaucher 344 – Graves 249, 250 – Grover 350 – Hailey-Hailey 350 – Heck 165, 168 – Hodgkin 441, 442 – Madelung 424 – Ofuji 238 – Paget 274 – – mamillae 384 – Peyronie 488 – Pringle 495 – Queyrat 377 – Reiter 231, 348 – Sudeck-Kienböck 273 – Wilson 246 Morgagni-Analkrypten 521, 527 Morphaea 307, 307. – guttata 308 – profunda 308 Morsicatio 482 Mosaikmuster 339, 340 Mosaikwarze 165 MRSA 148 Mucinosis follicularis 269, 465 Muckle-Wells-Syndrom 268 Muir-Torre-Syndrom 365, 384 Mukoidzyste 269, 270, 270. Mukopolysaccharidose 37, 356 Mundhöhlensoor 494 Mundschleimhaut – Pigmentstörungen 48 – Plattenepithelkarzinom 483 Mundschleimhauterkrankungen 480–485 Mundschleimhautmelanom 484 Mundschleimhautwarze 168 Munro-Mikroabszess 225, 225. Muzinose 268–270 – fokale 269, 270, 270. – papulöse 268 – primäre 268 – sekundäre 268 – retikuläre erythematöse 269, 269. Mycobacterium – avium intracellulare 202, 599 – fortuitum chelonei 202 – kansasii 202 – leprae 202
623 Sachverzeichnis
– marinum 201 – tuberculosis 196 – ulcerans 202 Mycophenolat-Mofetil 68 Mycoplasma genitalium 578 Mycosis fungoides 436, 437, 437., 438, 438. – Phototherapie 73 Myelopathie, vakuoläre 591 Myiasis 207, 208, 208. – fakultative 208 – furunkuloide 208 – wandernde 208 Mykosen 180–195 – Diagnostik 192, 193, 193. – opportunistische 181, 195, 196 – subkutane 181, 193, 194 Myofibrom, kutanes 413 Myopathie, medikamenteninduzierte 306 Myositis, anaerobe 155 Myrmezien 165 Myxödem 250 – prätibiales 250, 250. Myxofibrosarkom 413 Myxolipom 425 Myzel 180 Myzetom 194
N Naevus (Nävus) 370, 414, 415 – anaemicus 416, 417. – araneus 414, 414. – comedonicus 381 – depigmentosus 453 – dermaler 393 – epidermaler 339 – epidermolytischer 344 – flammeus 414, 415, 415. – hyperkeratotischer 372 – Ito 449 – lipomatosus superficialis 425 – melanozytärer 390–398 – – atypischer 392 – – blauer 396, 396., 397 – – Clark 392, 392. – – kombinierter 397 – – Mark 394, 394., 395, 395. – – Miescher 395, 395. – – Spitz 396, 396. – – Sutton 393, 394 – – Therapie 397, 398 – – Unna 395, 396 – – Zitelli 394, 394. – organoider 383
– Ota 449, 450. – papillomatosus 395 – sebaceus 383, 383., 384 – spilus 448 – verrucosus 372, 373. – epidermaler 372, 373. Nagel 24, 24. – 7 Unguis – Längsrille 476, 477, 477. – Querrille 476, 477, 477. Nagelbeißen 479 Nagelbett 24 Nagelbettläsionen 479, 480 Nagelbildung 24 Nageldystrophie 478 Nagelfalz 24 Nagelfalzteleangiektasie 298, 305 Nagelkrankheiten 476–480 Nagelläsionen 476, 477 Nagelplatte, Pigmentierungsanomalien 479 Nagelpsoriasis 479 Nagelwachstum 24 – Pathomorphologie 476 Nahrungsmittelunverträglichkeit 124, 124., 125–128 – Diagnostik 127 – Therapie 127, 128 Nahrungsmittelzusatzstoffe 126, 127 Narbe 40 – hypertrophe 410 Narbensarkoidose 241 Nävoxanthoendotheliom 431 Nävus 7 Naevus Nävussyndrom, dysplastisches 398 Naxos-Syndrom 346 Nebenastvarize 508 Necrobiosis lipoidica 239, 239. Nekrolyse, toxische epidermale 112, 113. Nekrozoospermie 542 Neoplasie – EBV-assoziierte 179 – genitale intraepitheliale 581 – zervikale intraepitheliale 168, 552 Nervenscheidentumor, maligner peripherer 428 Netherton-Syndrom 343, 344 Neuralgie, postzosterische 178 Neurilemmom 428 Neurinom 428 Neuroborreliose, tertiäre 158 Neurodermitis 7 Dermatitis, atopische Neurofibrom 357, 357., 427, 428 Neurofibromatose 356, 357, 357. – I 357 – II 359
M–O
Neurofibrosarkom 428 Neurolues 560 Neurom 427 Neuropeptide 32 Neurosyphilis – asymptomatische 560 – meningovaskuläre 560 Neurothekom 429 Neutralfettspeicherkrankheit 344 Nezelof-Syndrom 366 Niacinmangel 244, 244. Niereninsuffizienz 273 Nikolski-Zeichen 42, 42., 43, 282 – direktes 113 Nisse 205, 205. Nodulärvaskulitis 456, 457 Nokardiose 205 Noma 243 Non-Hodgkin-Lymphome 435, 436, 591, 592 – Klassifikation 436 Noon-Syndrom 349 Nozizeptoren 33 Nystatin 65 – Schwangerschaft 258
O Oberhaut 2, 7 Obstipation, chronische 523 Ödem – akutes hämorrhagisches infantiles 327 – hereditäres angioneurotisches 367 – umschriebenes 78 – venöses 509, 509. – zyklisch-idiopathisches 519 Odland-Körperchen 12 Okklusionssyndrom, follikuläres 472, 472. Ölakne 136, 471 Oligozoospermie 542 Omenn-Syndrom 366 Omphalitis, eitrige 494 Onchozerkose 216, 217 Online Mendelian Inheritance in Man 339 Onychodystrophie 79, 477 – durch Nagelbeißen 479 Onychogryphose 478. Onycholyse 479 – infektiöse 479 – traumatische 479 Onychomykose 186, 186., 187 – distale subunguale 186 – proximale subunguale 186
624
Sachverzeichnis
Onychomykose – Therapie 187 – totale dystrophische 186 – weiße oberflächliche 186 Onychoschisis lamellosa 478., 479 Ophiasis 463 Ophthalmia neonatorum 572 Ophthalmopathie 250 Orbitopathie, endokrine 250 Orchidopathia e varicocele 537 Orf 163 Oroya-Fieber 156 Orthohyperkeratose, follikuläre 469 Orthokeratose 36 Orthopoxviren 162 Osler-Knoten 147 Osteochondrom, subunguales 424, 480, 480. Ostitis cystoides multiplex Jüngling 241 Östrogenmangel 254 Östrogenüberschuss 254 Ovarsyndrom, polyzstisches 253, 254
P Pachyonychia congenita 346, 483 Pacini-Körperchen 32 Paget-Karzinom 384, 385, 385. – extramammäres 384 Paget-Zelle 385 Palmoplantarkeratose 344 Palpation 42 Panaritium 149 Panfollikulom 381 Panhypopituitarismus 251 Pankreaskarzinom 272, 273 Pankreatitis 272, 273 Pannikulitis 68, 94, 455–458 – bei α1-Antitrypsinmangel 456 – nach Injektion 456 – Klassifikation 455, 456 – lobuläre 455, 456 – Lupus erythematodes 457 – pankreatische 456 – septale 455, 456 – sklerosierende 458 – traumatische 78 Panophthalmie 570 Papillen 7 Papillomatose 36 – floride orale 379, 380. Papillomatosis – confluens et reticularis 266 – cutis carcinoides 380 Papillomviren 159, 164–169, 165.
Papillon-Lefèvre-Syndrom 346 Papula 39 Papulose – bowenoide 165, 169 – lymphomatoide 440 Parakeratose 36 Parakokzidioidomykose 195 Paralyse, progressive 561 Paramyxovirus 159 Paraneoplasie 275 Paraphimose 488, 488. Paratrachom 574 Paravasate 94 Parkes-Weber-Syndrom 415 Parkinsonismus 273 Paronychie 149 Parrot-Pseudoparalyse 562 Parvovirus B19 160, 161, 258 Pasqualini-Syndrom 538 Paste 55 Pasteurella multocida 154 Pathergie-Phänomen 236, 237., 329, 481 Pautrier-Mikroabszess 438 Peau-d’orange-Zeichen 143 Pediculosis – capitis 205 – pubis 206, 206. – vestimentorum 205, 206 Pélade 462 Pellagra 244, 244. Pemphigoid 286–289 – bullöses 281, 286, 287, 287. – gestationis 255, 256 281 288, 289 – vernarbendes 281, 288, 288. – zikatrizierendes 288 Pemphigus 282–286 – brasilianischer 285 – erythematosus 286 – familiaris chronicus 350 – foliaceus 281, 285 – herpetiformis 281, 284 – medikamenteninduzierter 281, 286 – palmoplantaris syphiliticus 562 – paraneoplastischer 275, 276, 286 – seborrhoicus 285, 285. – vegetans 281, 284, 285, 285. – vulgaris 35, 281, 282–284, 283., 284. Pendelhoden 536 Penisprothese 548 Perianalvenenthrombose 526, 527, 527. Perihepatitis, gonorrhoische 570 Perineuralzelltumor 428 Perineuriom 428 Periodontitis, schnell progrediente 482
Periostitis, luetische 560 Periporitis suppurativa 152 Periurethralabszess 568–570. Perlèche 190, 501 – syphilitische 558 Permeabilitätssteigerung 34 Permethrin, Schwangerschaft 258 Pest 155 Petechie 316 Peutz-Jeghers-Syndrom 365, 447, 484 Phakomatosis pigmentovascularis 416 Phäomelanin 17, 86 Phenylketonurie 246 Phimose 487, 487. Phlebektasie 508 Phlebographie 513 Phlebothrombose 319 – tiefe 511 Phlebotomen 206 Phlegmasia coerulea dolens 512 Phlegmone 36, 145 – gramnegative 153, 154 Photochemotherapie 73, 228 Photodermatosen 7 Lichtdermatosen photodynamische Therapie 71 Photokarzinogenese 85, 87, 88 Photoonycholyse 479 Photopatchtest 48 Photoplethysmographie 513 Photoprovokation 48 Photosensibilisatoren 90 Photosensibilisierung 90 Phototestung 47, 48 Phototherapie 73, 74, 228 Phytophotodermatitis 90 Piebaldismus 452, 452. Piedra 187 Pigmentierung, UV-induzierte 87 Pigmentinkontinenz 233 Pigmentmodulatoren 57 Pigmentpurpura, ekzematoide 323 Pigmentstörungen 446–450 Pigmentsystem 17, 18 Pigmentzellnävus 7 Nävus, melanozytärer Pili – anulati 466, 466. – torti 466 – trianguli et canaliculati 466 Piloleiomyom 426 Pilomatrixom 381, 382 Pilonidalsinus, sakraler 528 Pilzinfektionen 7 Mykosen Pinta 567 Pityriasis – alba 104, 188 – lichenoides 229, 229., 230 – rosea 230, 231, 231.
625 Sachverzeichnis
– rubra pilaris 230, 230. – versicolor 187, 188, 188. – – alba 188 – – follikuläre 188 Pityrosporum-Follikulitis 188 Plaques 39 – muqueuses 558 Plasmazell-Vulvitis 489 platelet activating factor 116 platelet-derived growth factor 15 Plattenepithelkarzinom 374–380 – anogenitales 592 – dedifferenziertes 379 – desmoplastische 378 – invasives 377–379 – Mundschleimhaut 483 – muzinproduzierende 378 – Therapie 377, 379 Plektin 9 Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie 590, 599 Pneumonia alba 562 Pocken 163 Pockenschutzimpfung 163 Pockenviren 159, 162 POEMS-Syndrom 276, 277 Poikilodermie 305 Poliosis 454 Polioviren 161 Polyangiitis, mikroskopische 329, 330 Polyarteriitis nodosa 330, 331 – kutane 335 Polychondritis, rezidivierende 314, 315, 315. Polyene 65 Polymyalgia rheumatica 331 Polymyositis 304 Polyneuropathie, periphere 591 Polyp, kolorektaler 530 Porokarziniom 387 Porokeratose 348 Porom 386, 386. Porphyria – congenita Günther 262 – cutanea tarda 263, 263., 264, 264., 313 – variegata 265 Porphyrie(n) 260–265 – akut intermittierende 265 – akute 264, 265 – erythropoetische 261, 262 – hepatische 68, 263, 264 – hepatoerythropoetische 263 Porphyrinopathie, sekundäre 265 Porphyrinurie 265 Portweinnävus 414 Positronenemissionstomographie 47 Post-partum-Endometritis 574
postthrombotisches Syndrom 511 Povidonjod 57 Prader-Labhart-Willi-Syndrom 538 Prehn-Zeichen 568 Pricktest 50, 51, 51., 123 Primäreffloreszenz 38 Proktitis 530, 580 – herpetische 172, 173 Proktodäaldrüse 521, 527 Proktoskopie 523 Proliferationshyperkeratose 340, 342 Propionibacterium 140 Proptose 250 Prostatitis 568 Protein-C-Mangel 320 Protein-S-Mangel 320 Protoonkogen 371 Protoporphyrie, erythropoetische 262, 263, 263. Protozoeninfektionen 212, 213 Provokationstest 51, 127 Prurigo 235 – gravidarum 256, 257 – simplex chronica 235 – simplex subacuta 235 Prurigoknoten 78, 235 Pruritus – 7 Juckreiz – ani 526 – Kopfhaut 504 – perianaler 524 – senilis 501 – sine materia 33, 34., 235, 236., 275, 504 – vulvae 489, 504 Pseudoakanthosis nigricans 247 Pseudo-Darier-Zeichen 426 Pseudohermaphroditismus masculinus 537 Pseudoichthyose 243, 275, 276, 345 Pseudo-Kaposi-Sarkom 360, 423, 424 Pseudolymphom 442, 443 Pseudomonas aeruginosa 152, 494 Pseudomonassepsis 152 Pseudonarbe 87 Pseudoporphyrie 265 Pseudorotz 155 Pseudosarkom 423, 424 Pseudosklerodermie 277, 307, 313, 314 – chemisch bedingte 313 – physikalisch bedingte 313 Pseudoxanthoma elasticum 270, 354, 355, 355. Psoriasis 219–229 – arthropathica 224, 224., 225, 229 – arzneimittelinduzierte 132 – capillitiis 223, 223.
– – – – – – – – – – –
O–P
chronisch-inveterierte 221 Epidemiologie 219 eruptive 221, 222 erythrodermische 221 geographica 221 guttata 221, 222, 222. inversa 221, 222 nummularis 221 Phototherapie 73 punctata 221 pustulosa 36, 219, 223, 225, 225., 226 – – lokalisierte 226 – Schwangerschaft 257 – Therapie 226–229 – vulgaris 36, 219–224 Psoriasisplaque 221, 221., 222, 222. Pterygium unguis 234, 477 Pubertas tarda 538 Puder 55 Pulikose 206 Purpura 34, 316–319 – anularis teleangiectodes Majocchi 323 – cryoglobulinaemica 327, 328 – Definition 316 – fulminans 147, 318 – Gerinnungsstörungen 317 – hypergammaglobulinaemica 328 – mechanisch-traumatische 318 – nichtvaskulitisch vaskuläre 318 – palpable 316, 324, 325 – periorbitale 267 – pigmentosa 323, 323. – senilis 319, 501 – symptomatische 318 – Thrombozytopenie 317 – traumatische 78 – Waldenström 328 Pustel 36 Pustula maligna 154 Pustulose – akute generalisierte exanthematische 133 – palmoplantare 226 – Staphylokokken-bedingte 494 PUVA 73, 228 Pyocyaneus 152 Pyocyaneusparonychie 152 Pyoderma – gangraenosum 236, 237, 237., 273 – vegetans 237 Pyodermie 139 – follikuläre 151 – nichtfollikuläre 148 – schweißdrüsengebundene 152 Pyostomatitis vegetans 237
626
Sachverzeichnis
Q Quaddel 39, 115, 116. – strichförmige 43 Quaddelbildung 29 Quecksilberintoxikation 246 Quincke-Ödem 7 Angiödem
R Radiodermitis – acuta 89 – chronica 89 Ramsay-Hunt-Syndrom 178 RAST 52 Rattenbissnekrose 310., 311 Raynaud-Phänomen 83, 298, 307, 309 Reaktion – anaphylaktische 118 – anaphylaktoide 128 – idiosynkratische 128 – lichenoide 35 – multiformeartige 35 – photoallergische 90, 91 – phototoxische 90 Reaktivierungstuberkulose 196 Refsum-Syndrom 344 Reibetest 51 Reinlichkeitsbalanitis 486, 487. Rektumkarzinom 530 Rektumprolaps 526 REM-Syndrom 269 Retentionshyperkeratose 340–342 Retentionszyste 380 Retikulohistiozytose – kongenitale 432 – multizentrische 275, 276, 432 Retinoide 56, 69 Reverse-Transkriptase-Hemmer – nicht-nukleosidanaloge 595, 596 – nukleosidanaloge 595, 596 Rhabdomyom 427 Rhabdomyosarkom 427 Rhagade 40 Rheumaknoten 315 Rhinophym 472 Riboflavinmangel 244 Rickettsien 155, 212 Rickettsiose 155 Riesencondylomata acuminata BuschkeLöwenstein 168, 379, 489 Riesenzellarteriitis 331, 332 Ringelröteln 160, 161, 161. Rocky Mountain Spotted Fever 156, 212
Röntgenepilation 89 Röntgenkeratose 89 Röntgenschaden 89 Röntgenulkus 89 Rosazea 472, 473, 473. – okuläre 472 Roseola – infantum 161 – syphilitica 557, 558 Röteln 160 Rötelnembryopathie 160 Rothmund-Thomson-Syndrom 362 Rotz 155 Rowell-Syndrom 297 Rubella 160 Rubeola 159, 160 Rubeosis diabetica(-orum) 248, 272 Rückfettung 55 Rumpfhautbasaliom 388 Rush-Hyposensibilisierung 76
S Säbelscheidentibia 566, 566. Sakraldermoid 528 Salbengesicht 469 Salicylsäure 56 Salpingitis 570 Sandmücke 207 Sänger-Fleck 570 Sarcoptes hominis 209 Sarkoidose 240, 241 Sarkom, epithelioides 429 Satellitenzellnekrose 110, 111 Säuglingsekzem 104, 104. – seborrhoisches 107, 108, 108. Saugwürmer 215 Säureschutzmanel 47 Säureverätzung 93 Scabies – 7 Skabies – norvegica 210, 348, 593 Schafblattern 176 Schanker, tuberkulöser 198 Scharlach 146, 147 Scharlachtoxin 142 Schirmer-Text 307 Schistosomiasis 215 Schlafkrankheit 213 Schleimhautmelanom 404, 404., 446, 447 Schleimhautmelanose 484 Schleimhautneurom 428 Schleimhautpemphigoid 288 Schleimhautxanthom 259 Schleimzyste, Mundschleimhaut 485
Schmerz, chronischer 70 Schmetterlingserythem 297, 297. Schmutzflechte 142 Schnitzler-Syndrom 276 Schock – anaphylaktischer 50, 118 – hämodynamischer 80 Schönlein-Henoch-Syndrom 327 Schuppen 36, 40 Schuppenflechte 7 Psoriasis Schüttelmixtur 55 Schwangerschaftscholestase, intrahepatische 256, 257 Schwangerschaftsdermatose(n) 255–258 – atopische 256 – polymorphe 255, 256 Schwangerschaftsstreifen 255 Schwannom 428 Schweinerotlauf 154 Schweiß 25 – Zusammensetzung 25 Schweißdrüse 24, 25 – apokrine 24, 25, 475, 476 – ekkrine 24, 25, 474, 475 Schweißdrüsenabszess 152 Schwellkörperautoinjektionstherapie 548 Schwimmbadgranulom 201, 201. Schwitzen, emotionales 25 Sclerema neonatorum 493 Sebazeom 384 Seborrhoe 468, 469 Sehnenscheidenriesenzelltumor 412, 413 Sehnenscheidenfibrom 412, 413 Sekundäreffloreszenz 38 Selbstbräuner 89 Selenmangel 246 Senear-Usher-Syndrom 286 Sensibilisierung 99, 100 Serositis 298 Sertoli-cell-only-Syndrom 536 Sertoli-Zelle 532 Serumkrankheit 119 sexuell übertragbare Krankheiten – Charakteristika 551 – Definition 551 – Diagnostik 553 – Epidemiologie 551, 552 – Erreger 572 – Prävention 553, 554 – Risikogruppen 552 – Schwangerschaft 581 – Syndrome 577–580 – virale 580, 581 Sézary-Syndrom 348, 439, 439. Sézary-Zelle 438
627 Sachverzeichnis
Sharp-Syndrom 312 Shulman-Syndrom 308 Sicca-Symptomatik 306 Silikongranulom 456 Sinushistiozytose 432 Sinuszyste, dermale 496 Sjögren-Larsson-Syndrom 341, 344 Sjögren-Syndrom 306, 307 Skabies 209, 210, 210., 211, 552, 592 – gepflegte 210 – granulomatöse 210 – norwegische 210, 348, 593 Skenitis 569 Sklerodaktylie 310 Sklerodermie 37, 307–312 – diffuse systemische 294 – lineare 234 – systemische (progressive) 307, 309, 310, 310., 311, 311., 312 – – Klassifikation 310 – – limitierte 310 – – Organmanifestationen 311, 312 – – Therapie 312 – Therapie 309 – zirkumskripte 307 Skleroedema adultorum (Buschke) 269; 276, 313 Skleromyxödem 268, 268., 276, 313 Sklerose 37 Sklerotherapie 524 Sklerotien 194 Skorbut 244 Skrophuloderm 199, 200, 200. Smegma 486 Sneddon-Syndrom 333, 333. Sofortbräunung 18, 87 Sofortreaktion, allergische 20 Soforttyp-Reaktion 52 Sommersprossen 446, 447. Sonnenbrand 85, 86 – schwerer 398 Sonnenbräunung 18 Sonnenschutz 88 Sonnenstrahlung 84, 85 Sonographie 46 Soor 494 Soormykose, intertriginöse 190, 190. Soorösophagitis 592 Soorstomatitis 592 Spaltbildung – dermolytische 281, 289 – junktionale 281, 286 Spätsyphilis 559, 560 – kardiovaskuläre 561 – Therapie 565 Spermaanalyse 543, 544 Spermaaufbereitungsverfahren 547 Spermakonservierung 547
Spermatozoenarrest 536 Spermatozoenaspiration, mikrochirurgische epididymale 545 Spermatozoendefekte 536 Spermatozoenextraktion, testikuläre 545 Spermatozoeninjektion, intrazytoplasmatische 547 Spermiogramm 542–544 Spindelzellkarzinom 378, 379 Spindelzelllipom 425 Spindelzellnävus 396 Spinnenbiss 211, 212 Spiradenom 386 Spitz-Nävus 396 Spongiose 35 Spontankeloid 410, 410. Spontan-Palma 512 Sporothrix schenckii 193 Sporotrichose 193, 194 Spritzenabszess 456 Sprosspilze 180 Stammvarize 508 staphylococcal scalded skin syndrome 114, 149, 150, 150., 494 Staphylococcus – aureus 147, 148 – epidermidis 494 Staphylodermie 592 Staphylokokken – Koagulase-negative 104 – Methicillin-resistente 148 Staphylokokkenimpetigo 148 Staphylokokken-Pustulose 494 Staphylokokken-Sepsis 494 Staphylokokken-toxisches-Schocksyndrom 150 Stasisekzem 109, 110 Stasispurpura 318 Steatozystom 384 Stechmücke 207 Stemmer-Zeichen 512, 517 Sterilität – arzneimittelbedingte 540 – immunologisch bedingte 540 – männliche 535–541 – psychisch bedingte 541 Sternenhimmel 176 Steroidakne 471 Steroidsynthese 533, 534. Stevens-Johnson-Syndrom 112–114 Steward-Treves-Syndrom 423 Stomatitis 113, 481 Storchenbiss 414 STORCH-Syndrom 493 Strahlenerythem 89 Strahlenreaktion 89 Stranggonaden 537
Q–S
Streptococcus – pyogenes 141, 142 – viridans 147 Streptokokken, β-hämolysierende 141, 142 Streptokokkenangina 142 Streptokokkengangrän 145, 146 Streptokokkenimpetigo 142 Streptokokkeninfektionen 494 Streptokokken-toxisches-SchockSyndrom 146 Streuekzem, nummuläres 110 Striae distensae 255, 255. Stromelysine 28 Strommarke 84 Stromunfall 83, 84 Stukkokeratose 373, 501 Stummelschwanz-Syndrom 536 Sturge-Weber-Syndrom 360, 415, 495 Subkutis 2, 7, 34, 35 Sudeck-Dystrophie 273 Suffusion 78, 316 Sugillation 316 Sulfone 68 Sweet-Syndrom 235, 236, 236. Sycosis barbae 184, 185. Symbionten, epidermale 16 Syndaktylie 353 Syndrom – adrenogenitales 253, 254 – akutes retrovirales 589 – aurikulotemporales 474 – der genitalen Ulzera 553 – der verbrühten Haut 149, 150, 150. – metabolisches 247 – papulovesikulöses akrolokalisiertes 498, 499. – postthrombotisches 511 – pulmorenales 330 Syphilis 555–566 – Diagnostik 562, 563 – Differenzialdiagnostik 558 – endemische 567 – Erreger 552 – Inzidenz 553 – konnatale 561, 562, 562. – Primärstadium 557, 557. – Prodromalsymptome 557 – Schwangerschaft 565 – Sekundärstadium 557–559, 559. – Tertiärstadium 559, 559. – Therapie 565, 566 – Übertragung 555 – Verlauf 556–560 Syringom 386, 386. Syringozystadenoma papilliferum 384 systemischer Lupus erythematodes 7 Lupus erythematodes, systemischer
628
Sachverzeichnis
Systemmykosen 180, 194, 195 Systemvaskulitis, nekrotisierende 328, 329
T Tabaksbeutelmund 311, 311. Tabes dorsalis 560 Taches bleues 206 Tacrolimus 228 Takayasu-Arteriitis 332 Talgdrüse 21, 23 – ektope 383 Talgdrüsenhyperplasie, senile 383 Talgproduktion 23 Talgzyste(n) 380 – multiple 489 Tastkörperchen 32 Tätowierung, Entfernung 72 Taubenzüchterlunge 136 Tay-Syndrom 344, 362 Tazaroten 227 Teerakne 471 Teleangiectasia macularis eruptivae perstans 434 Teleangiektasie, essenzielle 415 Teleogeneffluvium 458–460 Teratozoospermie 542 Terbinafin 65 Testosteronsubstitution 546, 547 Testosteronsynthese 533 TGF-β 15 Therapie, photodynamische 71 Thrombektomie 516 Thrombophilie 320–322, 511, 512 Thrombophlebitis migrans 319, 321 Thrombophlebitis 78, 93, 319, 511, 515 Thrombose 35, 319 – arterielle 319, 321, 322 – tiefe 511, 512 Thromboseprophylaxe 516, 517 Thrombozytopenie, heparininduzierte 320 Tierpocken 163 Tierräude 211 Tinea – incognita 182, 183. – nigra 187 – pedis 182 T-Lymphozyten, zytotoxische 19 Togavirus 160 Toleranz 19 – periphere 19 – zentrale 19 Toll-like-Rezeptor 19, 139
Tonsillopharyngitis 146 Toxic-shock-Syndrom 148 Trachom 572 Traktionsalopezie 464 transforming growth factor 15 Trematoden 215 Trench-foot 82 Treponema pallidum 552, 555, 564, 564. Treponematose, tropische 566, 567 Triazole 65 Trichilemmalzyste 383, 383. Trichoblastom 381 Trichodiskom 381 Trichoepitheliom 381, 382. Trichofollikulom 381 Trichogramm 43, 459 Trichomalazie 466 Trichomoniasis 257, 552, 578, 579 Trichomycosis palmellina 141 Trichomykose 181, 183, 184 – nichtentzündliche 185 – oberflächliche 184, 184. – Therapie 187 – tiefe 184, 184. Trichonodosis 466 Trichophyton 181 Trichorrhexis – invaginata 466, 466. – nodosa 466 Trichoschisis 466 Trichosporon 187 Trichothiodystrophie 344, 362 Trichotillomanie 464, 464. Tripletherapie 594 Tripper 7 Gonorrhoe Trombidiose 211 Trommelschlegelfinger 272 Tropoelastin 28 Trypanosomen-Schanker 213 Trypanosomiasis 213 Tryptase 53 Tuber 39 Tuberculosis – colliquativa cutis 199 – cutis luposa 198 – ulcerosa cutis et mucosae 200 – verrucosa cutis 198, 198., 348 Tuberkulide 200, 201 Tuberkulin-Hauttest 197 Tuberkulose 196–200 – multi-drug-resistente 197 – orifizielle 200 – Therapie 197 Tubulovasostomie 545 Tubulusinsuffizienz 537 Tularämie 154, 212 Tumorakantholyse 378
Tumoren – benigne 72 – maligne 72 Tumorlysesyndrom 260 Tumor-Nekrose-Faktor-α 14 Tumorsuppressorgen 371 Tunga penetrans 206 Tungiasis 206 Tüpfelnagel 477 twenty nail syndrome 477 Tylose 36, 78, 502 Typ-I-Allergie, perkutan erworbene 135 Typ-I-Immunreaktion 49, 117, 118 Typ-III-Immunreaktion 119 Tyraminintoleranz 126 Tyrosinämie 246 Tysonitis 567 Tzanck-Test 43, 283 T-Zell-Leukämie, adulte 442 T-Zell-Lymphom – primär kutanes 436–441 – – anaplastisches, großzelliges 440 – subkutanes, Pannikulitis-ähnliches 440 T-Zell-Pseudolymphom 443
U Überempfindlichkeitsreaktion, immunologische 130 Überernährung 243 Uhrglasnagel 272, 478 Ulcus (Ulkus) 40 – cruris – – arterielles 510 – – venosum 510, 515 – genitales 553, 580 – molle 576 – – Erreger 552 – – Inzidenz 553 – neuropathisches 273 – rodens 388, 389. – terebrans 388 – trophisches 273 Ulerythema ophryogenes 349 Urea 56 Unguis incarnatus 480, 502 Unterschenkelekzem 509 Unterschenkelgeschür 510 Ureaplasma urealyticum 578 Urethritis 569 – Mann 577, 578 – posterior 567 Urticaria – factitia 43, 120 – mechanica 121
629 Sachverzeichnis
– pigmentosa 434, 434. – porcellanea 115 – solaris 7 Lichturtikaria Urtikaria 115–123, 116. – cholinerge 82, 122 – dermographische 120 – Differenzialdiagnose 123 – idiopathische 123 – IgE-mediierte 117 – medikamenteninduzierte 131 – Pathogenese 116, 117 – physikalisch ausgelöste 120, 121 – Therapie 123 UV-A-Phototherapie 73 UV-B-Phototherapie 73 UV-Bräunung, verzögerte 87 UV-Dosis, kumulative 88 UV-Erythem 85, 86 UV-Schaden 84–87 – akuter 85, 86 – chronischer 87
V Vagantenhaut 206 Vaginitis 569, 578 Vaginose – bakterielle 257, 552, 578, 579 – zytolytische 578 Vakuumversiegelungstechnik 63, 64 Valaciclovir 65 Valsalva-Versuch 512 Van-Lohuizen-Syndrom 493 Varizellen 176, 177 Varikozele 539 Varize 507, 508, 508. – retikuläre 508 – Stripping 514 – Therapie 513, 514 – Verödung 514 Varizella-Zoster-Virus 175, 176 Varizenblutung 514 Vasektomie 548 Vaskulitis 322–331 – allergische 324 – Definition 316 – hypokomplementämische 327 – Klassifikation 323 – kutane granulomatöse 330 – leukozytoklastische 325 – lymphozytäre 323 – nekrotisierende 35, 298, 324–327 – – ANCA-assoziierte 325 – – Ätiopathogenes 324 – – kutane 325, 326, 326. – noduläre 201
– rheumatoide 315, 328 – Schönlein-Henoch 327 – segmentale hyalinisierende 334 – septische 147, 571 – urtikarielle 327 Vasokonstriktion 34 Vasovasostomie 545 Vellushaarzyste, eruptive 384 Venektasie 508 Venendruckmessung 513 Veneninsuffizienz 507 – chronische 508, 509, 509., 514, 515 Venulitis 325 Verätzung 93 Verbrauchskoagulopathie 317, 318 Verbrennung 79–81 – Schweregrad 80 – Therapie 80 Verhornungsstörungen, follikuläre 348, 349 Vernix caseosa 492 Verrucae – planae juveniles 165, 167, 167. – plantares 165, 166, 166. – seborrhoicae 372, 373, 374. – vulgares 165, 166, 166., 169 Verruga peruana 156 Verschlussazoospermie 539 Vestibulitis 489 Vibrationstrauma 313 Vinylchlorid-Krankheit 313 Virchow-Trias 511 Virustatika 58, 65 Vitamin-A-Derivate 56 Vitamin-A-Mangel 243 Vitamin-A-Präparate 69 Vitamin-B2-Mangel 244 Vitamin-B3-Mangel 244, 244. Vitamin-B12-Mangel 244 Vitamin-C-Mangel 244 Vitamin-D-Derivate 56 Vitamin-D-Mangel 244 Vitiligo 453, 453. Vogelgesicht 361 Vogelmilbe 211 Vogt-Koyanagi-Harada-Syndrom 454 Vohwinkel-Syndrom 341 Von-Hippel-Lindau-Syndrom 360 Von-Willebrand-Faktor 31 Vorbräunung 88 Vulvaatrophie 489 Vulvakarzinom 490 Vulvitis 569 Vulvodynie 489 Vulvovaginitis 257 – gonorrhoica infantum 569 – herpetische 172, 173.
S–X
W Waardenburg-Syndrom 453 Wachstropfenphänomen 221 Wachstumsfaktoren 14, 15 Wärmeschaden – akuter 7 Verbrennung – chronischer 81 Wärmeurtikaria, generalisierte 122 Warze, seborrhoische 372, 373, 374. Warzen 164, 165 – filiforme 167 Wegener-Granulomatose 329 Weibel-Palade-Körperchen 31 weicher Schanker 7 Ulcus molle Weizenmehlallergie 126 Wells-Syndrom 237, 238 Werner-Syndrom 313, 362, 362. Wespenstich 208 White-sponge-Nävus 483 Wickham-Streifen 232 Windeldermatitis 496, 497, 497., 498 Windelsoor 497 Windpocken 176 Windrose 176 Winkelmann-Granulom 330 Wiskott-Aldrich-Syndrom 366, 498 Wood-Licht 43 Wundauflage, interaktive 63 Wundbehandlung 62, 63 Wunddiphtherie 155 Wunde, chronische – 7 Ulkus – Behandlung 62–64 – Ursache 62 Wundheilung 62 Wundreinigung 62 Wundrose 7 Erysipel Wundscharlach 146 Wundspülung 62 Wurmbefall 215–217
X Xanthelasma palpebrarum 259, 259. Xanthogranulom – adultes 432 – juveniles 431, 432, 432. Xanthom 258, 259, 259. – lipidämisches 259 – normolip(id)ämisches 259, 431 – planes 259 – tuberoeruptives 259 – tuberöses 259, 259.
630
Sachverzeichnis
Xanthoma – disseminatum 259, 432 – palmoplantare striatum 259 Xeroderma pigmentosum 360, 361, 361. Xerose 500 Xerosis cutis 55 Xerostomie 306
Y Yersinia pestis 155
Z Zeckenstich 155, 156, 157, 212 Zellulitis, eosinophile 237, 238 Zerkariendermatitis 215 zervikale intraepitheliale Neoplasie 168 Zervixkarzinom 169 Zervizitis 569, 573, 573., 578, 579 Zimikose 206, 207 Zinkmangel 245 Zinsser-Cole-Engman-Syndrom 363 Zöliakie 125
Zoster-Neuralgie 178 Zosterschmerz 179 Zyanose 272 Zylindrom 386, 387. Zyste – Definition 372 – piläre 383 Zytokine 13, 14, 69 – proinflammatorische 14 Zytokrinie 16 Zytologie, exfoliative 43 Zytomegalie-Virus 179, 180 Zytostatika 69