Das Versprechen
Das Versprechen Die wahre Geschichte von außerirdischen Besuchern und wie sie der Menschheit helfen w...
66 downloads
1175 Views
682KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Das Versprechen
Das Versprechen Die wahre Geschichte von außerirdischen Besuchern und wie sie der Menschheit helfen wollen Ein Bericht von Dr. Fred Bell, aufgeschrieben von Brad Steiger Ins Deutsche übersetzt von Bea Berczelly
Conzett Verlag 1996
Die Originalausgabe erschien 1991 unter dem Titel The Promise bei Inner Light Publications, New York
Die Handlungen der im Buch vorkommenden historischen Personen sind fiktiv.
© 1991 by Dr. Fred Bell © der deutschsprachigen Ausgabe 1996 by Conzett Verlag, Zürich Alle Rechte vorbehalten Abbildung auf dem Einband: »Götterfrucht«, Mandala auf Seide von Sylvia Stoller, Horgen Druck und Bindung: Franz Spiegel Buch GmbH, Ulm ISBN 3-9520804-3-8
Erstes Kapitel
Und wieder hörte Fred Bell diese Stimme. Die sanfte weibliche Stimme - seltsam vertraut - sprach zu ihm mit einem regelmäßigen, fast singenden Klang: »Sei auf der Hut, mein Lieber, es sind welche anwesend, die dir Böses wollen.« Er verlangsamte seinen Schritt und lehnte sich an die Wand - für einen Moment war er perplex. Was stimmte nicht mit ihm? Er, Dr. Fred Bell, ein verbriefter Wissenschaftler, hörte keine Stimmen in seinem Kopf. »He, was ist los, Chef? Du bist doch nicht etwa nervös, oder doch?« Der neckende Frager war Eric Powell, sein bester Freund. »Hör auf, Eric«, fiel eine resolute Frauenstimme ein. »Fred ist bestimmt nicht >nervös<, wenn er einen Vortrag vor einem Grüppchen von Esoterik-Freaks halten muß!« Erklärung: Eric Powell ist sein bester Freund. Wer zuletzt gesprochen hat, um seine plötzlich auftretende Verwirrung zu bagatellisieren, war Kim Kingswold, seine beste Freundin. Die drei waren seit ihrer Schulzeit in Laguna Beach unzertrennliche Verbündete: Abgänger der Abschlußklasse des Jahrgangs 1957. Das war vor vierzehn Jahren gewesen. »Ich bin nicht nervös«, sagte Fred zaudernd, »ich ... ich dachte, daß ich etwas gehört habe.« »Du hörst das Gras wachsen, Kumpel«, grinste Eric und betrachtete ihn genau. »Was in aller Welt hat dich überhaupt dazu bewogen, an einer Versammlung von metaphysischen Käuzen einen Vortrag zu halten?« »Jeder Topf findet halt seinen Deckel«, lachte Kim. 5
»Sei wachsam, mein Liebster. Gefahr ist in der Nähe.« Fred schüttelte seinen Kopf und stützte sich erneut gegen die Wand. Es bestand kein Zweifel: Die fremden Worte formten sich in seinem Schädel. Das Medaillon seines Vaters, das dieser 1939 in Ägypten gefunden hatte, schien zum Leben zu erwachen: Es begann an seiner Brust zu pulsieren. Seine Mutter hatte ihm das seltsame Schmuckstück erst kürzlich übergeben: Es war ein leuchtender Smaragd in prächtiger Fassung. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, es an diesem Nachmittagsvortrag zu tragen. Immerhin wurde es von seinem Vater gefunden, Dr. Paul Raymond Bell, den er nie kennengelernt hat. Denn sein Vater wurde von den Nazis ermordet, noch bevor er geboren wurde. Wäre es möglich, daß etwas mit dem Medaillon nicht stimmt? Daß es eine fremde Energie aussendet? »Bist du in Ordnung, Fred?« fragte Kim besorgt und stützte ihn. Sogar Powell hörte zu grinsen und hänseln auf und offerierte ihm seinen muskulösen Arm als Gehhilfe. »Ich bin okay«, sagte Fred und löste sich von beiden. »Es ist alles in Ordnung, bitte.« Eric trat zurück und respektierte Freds Anliegen, doch die bemutternde Kim hielt sich immer noch an seiner Seite. Fred schaute sich um. Was war hier zu fürchten - an einer esoterischen Tagung, die in einem Holiday Inn im schönen Städtchen Burbank in Kalifornien im Jahre 1971 stattfand? »Eine kosmische Feier der Kreativität« sollte während dreier Tage abgehalten werden, verkündeten die Plakate, die Werbung und das Programmheft: mit Philosophen, Futuristen, Esoterikern und medial Begabten der verschiedensten Art. Fred wurde als Referent wegen seiner NASA-Vergangenheit und vor allem wegen seiner kürzlich veröffentlich6
ten bahnbrechenden Ideen eingeladen, die die zunehmende Umweltverschmutzung der USA zu lösen helfen könnten. Er hatte diese weibliche Stimme schon vorher gehört. Aber wo? Und wann? War es ein Warnungsmechanismus seiner Mutter, was auf irgendeine Weise zu ihm durchdrang? Nein, die sanfte Stimme war nicht die seiner Mutter ... wenn auch die fremden Worte von Liebe und Zärtlichkeit erfüllt waren. Woher die Stimme aus seinem Hirn auch kam - weshalb kamen Warnungen durch? Fred prüfte die Umgebung kritisch: Bunte Stände boten ein breites Angebot esoterischen Inhalts an - und dies bereits am Eingang des großen Versammlungssaals. Die Tische waren mit okkulten Gegenständen und entsprechender Literatur beladen. Es herrschte eine Stimmung wie an einem mittelalterlichen Markt - mit einer Versammlung von esoterischen Händlern. Alle waren da: Astrologen, Graphologen, Numerologen, Tarot-Deuterinnen, Silva-Mind-Control-Vertreter, Heiler, Ufologen, Vertreter des indianischen Schamanismus, des Buddhismus - und noch viele andere »-ogen« und »-ismen«. Es war die typische Mischung der metaphysischen Gesellschaft: die Echten, die Sensationsgierigen - und die Sucher. Wer unter diesen Leuten könnte ihm etwas Böses wünschen? »Noch 30 Minuten bis zum Vortrag, Chef.« Eric trug sein normales Outfit, bestehend aus blauem Sweatshirt, verblichenen Jeans und ausgelatschten Turnschuhen. Fred hatte vor Kim und Eric keine Geheimnisse. »Hört mal«, begann er und suchte trotz ihrer über zwanzigjährigen Freundschaft sorgfältig nach den richtigen Worten. »Ich hatte plötzlich ein sehr komisches Gefühl ... wie eine Warnung ...« »Dies ist ja auch der richtige Ort für eine Prophezeiung, Fred«, lachte Eric. 7
»Willst du ihn wohl ausreden lassen, du Hornochse!« schalt Kim mit ihm, wobei ihre großen braunen Augen sich vor Ungeduld verengten. Sie hatte sich dem Anlaß entsprechend angezogen und trug eine perlenbestickte Lederjacke sowie ein buntes Hemd im Zigeunerstil. »Eric, lassen wir es so stehen: Ich bitte dich nur, heute besonders aufmerksam zu sein«, sagte Fred und entschloß sich, die Sache vorläufig ruhen zu lassen. »Vielleicht wirst du einige deiner alten American-Football-Muskeln reaktivieren müssen.« Powell zog seinen Bauch ein und streckte sich zu seiner vollen Größe von 194 cm auf. Zu seinem optimalen Spielergewicht von 105 Kilo waren inzwischen noch einige dazugekommen; dieses extra Päckchen könnte jedoch nützlich sein, falls wirklich eine Bedrohung in der Nähe wäre. »Du hast ein schlechtes Gefühl wegen eines dieser Typen hier?« Fred mußte darüber lächeln, wie sein Freund unbewußt die männlich beschützende Haltung einnahm. Auf die eine oder andere Art hatten sie sich gegenseitig beschützt, seitdem sie Kinder gewesen sind. »Es ist bloß ein Gefühl, Eric«, betonte Fred. »Ich will nicht, daß du irgendeinen Freak zu Boden schlägst, nur weil dir seine Perlen oder sein Stirnband nicht passen.« Kim fühlte sich sichtlich unwohl und spähte über ihre Schulter. »Wenn Fred eines jener Gefühle hat, dann sollten wir uns vielleicht entschuldigen und ...« Fred unterbrach sie. »Ausgeschlossen. Wir bleiben. Ich habe zugesagt, hier vor einem Publikum zu sprechen, und die Show muß stattfinden.« Eric schnaubte demonstrativ. »Schaut, wer auf uns zukommt: Moby Dick!« Fred und Kim drehten sich mit wissendem Lächeln um. Diese Beschreibung konnte nur auf Brad Bronson zutreffen, den bekannten Science-fiction-Autor, der Fred beim 8
Publikum heute nachmittag einführen würde. Die drei Freunde grinsten breit, als sie dem 150-Kilo-Mann Bronson zuschauten, wie er sich durch die Menge einen Weg zu ihnen bahnte: ähnlich wie ein Blauwal durch einen Thunfischschwarm. »Willkommen, Freunde, zum New Age«, grüßte sie Brad. Er trug ein schwarzes Jacket - Größe XXL - mit einem schwarz und rot getupften Einstecktuch, das zu seiner großen Fliege paßte. »Du bist echt tief in diesem Zeug drin, nicht wahr?« ließ Eric mehr als Aussage denn als Frage verlauten. »Natürlich, du zynischer Knilch. Wenn wir erst einmal die bewußte Verbindung zum Kosmos gefunden haben, wird jede Facette der menschlichen Existenz bereichert«, gab Bronson in seinem tiefen Baß zurück. »Und all diese Eso-Typen werden uns verbinden?« hakte Eric nach. Brad war gerade dabei, Kims Wange zu küssen, und so kam die Antwort erst, nachdem die Begrüßung vorbei war. »Mein lieber Junge, es ist der kosmisch-spirituelle Impuls, der Angst und Unsicherheit aus unserem Leben vertreibt und uns ermöglicht, unserem Schicksal mit Gleichmut zu begegnen. Diese Männer und Frauen bieten ihre inneren Einsichten nur demjenigen an, der sie hören möchte. Wenn dies nicht dein Bier ist, dann kannst du gehen. Geh, und vergnüge dich im Spielsaloon, oder tu sonst etwas.« Bronson und Fred schüttelten sich die Hände, und die Augen des Autors weiteten sich sichtlich, als er zum ersten Mal das Smaragd-Medaillon erblickte. »Mein Junge, welch schönes ... nein, kraftvolles... äh ... verblüffend.« »Was?« stichelte Powell. »Gehen dem international bekannten Autor die Worte aus?« 9
Bronson hüstelte und brummte zurück: »Die richtigen Worte - wenn überhaupt.« Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Medaillon zu. »Wo hast du es bekommen, Fred?« Fred erklärte ihm, daß er es kürzlich von seiner Mutter erhalten habe; es sei im Nachlaß seines Vaters gewesen, und seine Mutter habe es jahrelang versteckt gehalten. »Wir werden es nachher genau ansehen, mein Junge«, meinte Brad zu ihm. »Ich glaube nicht, daß es wirklich ägyptisch ist. Und ich bin, wie du ja weißt, so etwas wie eine Autorität in diesen Dingen.« In den späten 30er Jahren war Brad Bronson einer der Könige der billigen Science-fiction-Heftchen gewesen, die man an den Kiosken erwerben konnte. In »Weird Tales« faszinierte er seine Leser mit einer in sich geschlossenen logisch aufgebauten Fantasiewelt. Seine erfolgreichsten Geschichten handelten alle von einem uralten Geheimbund mit mächtigen Zauberern, die eine ahnungslose Welt in ihre Gewalt bekommen wollten. Beherrscht wurde dieser schändliche Zaubererverein, der für die Mächte des Dunkels arbeitete, von einem höllischen Meistermagier namens Zobar. Seine Gegenspielerin, die Agentin der Lichtkräfte, war Dr. Sophia Solomon, Archäologin und Reinkarnation einer ägyptischen Hohepriesterin. Dr. Solomons Hauptwaffe in ihrem Kampf gegen Zobars teuflische Heerscharen war ein heiliges Ankh mit einem Kristall in seiner Mitte. Wurde dieser durch ihre Mentalenergie aktiviert, so schickte er sofort einen lasermäßigen Strahl auf die Minister des Bösen und kremierte sie auf der Stelle. Ende der 30er Jahre ließ ein anderer bösartiger Irrer- der wie Zobar eine in sich geschlossene Subkultur mit eigener Logik erschaffen hatte - seinen Masterplan der Aggression gegen die Welt los. Der Horror, den Adolf Hitler in die Welt 10
setzte, modelte die ganze Sache mit den Alptraumstories um und direkt hinein in den Schmerz der Realität. Wenn ein echtes Monster an der Haustür kratzt, muß das Monster der Imagination - für den Moment wenigstens - weichen. Während der Kriegsjahre hörte Bronson also auf, okkulte Geschichten zu schreiben, und kreierte zeitbezogene Charaktere wie den Sergeanten Crash Carter von den US Marines, Buzz Benedict von den »Fliegenden Tigern« und Mad Dog Murphy von der Infanterie. In den 50ern, als Fred an der Hochschule war, hirnte Bronson an billigen B-Movie-Scripten herum, wie zum Beispiel »Die Lust der vom Teufel Besessenen« oder »Die Kinder des Schleimgottes«. Bereits in den 60ern war er aber wieder der erfolgreiche Autor des Okkulten, und zwar mit seiner Erfolgsserie »Die Töchter des Mondes«; doch auch mit Sachbüchern, die sich ernsthaft mit paranormalen und metaphysischen Phänomenen auseinandersetzten. Eine großgewachsene, laute Frau, gekleidet in mehrere Lagen von durchsichtigen grünen Röcken, mit gelber Schärpe und weißem Turban, packte Erics Arm, als sie an einem Stand vorbeigingen, dessen Überschrift klarmachte, daß die Besitzerin in früheren Leben lesen konnte. »Du siehst aus wie ein Lehrer«, sagte sie zu Powell. »Und ich fühle, daß du ein Hohepriester in Atlantis gewesen bist.« Eric versuchte, seinen Arm aus ihrem Griff zu befreien. Nachdem dies geschafft war, fand er sich Aug' in Aug' mit dem Straß-Rubin, den sie sich in die Mitte ihrer Stirn geklebt hatte; zweifellos, um ihr »Drittes Auge« zu energetisieren. »Für nur 15 Dollar«, drängte sie ihn, »gebe ich dir eine vollständige Lesung deiner letzten drei vergangenen Leben.« »Nein danke ...« Eric machte eine Pause; seine Augen suchten ihren Namen auf dem Standschild. »... Madame 11
Kosma. Ich habe genug Probleme damit, in diesem Leben zurechtzukommen. Ich will nicht auch noch wissen müssen, mit welchen Schwierigkeiten ich in den anderen gekämpft habe.« »Es ist schade, daß du nicht um eine Lesung gebeten hast, Eric«, seufzte Brad. »Jaa«, stimmte Kim zu. »Du warst wahrscheinlich ein Pirat oder ein Pferdedieb.« »Im Ernst«, fuhr Bronson weiter. »Das Wissen über vergangene Leben kann dir helfen, dein gegenwärtiges zu verstehen.« »Wir haben noch Zeit, Eric, fällst du zu Madame Kosma zurück willst«, zog Fred seinen Freund auf. »Besser nicht Madame Kosma«, schüttelte Bronson seinen Kopf; offenbar hatte er seine Meinung geändert. »Ich würde andere für eine ernsthafte Lesung empfehlen. Ich befürchte, daß Madame Kosma in einem Heim für unheilbare Esoteriker enden wird.« Des McGowan vom Programmkomitee - er war es, der Freds Referat arrangiert hatte - näherte sich lächelnd dem Grüppchen und winkte. »Schön, euch alle zu sehen«, rief er aus und begann mit dem Händeschütteln. »Was hältst du von der Menge, Brad?« »Sieht gut aus, Des«, versicherte ihm Bronson. »Dies müssen über 3000 Menschen sein, die hier herumstreunen. Und das ist nicht schlecht für zwei Uhr nachmittags.« »Ja, und weitere dreihundert warten bereits im Saal C darauf, daß Freds Vortrag beginnt«, bemerkte McGowan. Des McGowan trug einen tadellosen dreiteiligen Anzug und präsentierte ein Abbild der absoluten Professionalität. Fred war schon mehrmals aufgefallen, daß die metaphysische Gemeinschaft kleidungsmäßig aus zwei Lagern bestand: Die einen sahen aus wie nüchterne Manager, die 12
anderen jedoch hüllten sich wollüstig in die ewig gleichen, bunten, schlabbernden Sachen der Zigeuner, Priester und Gurus. Als hätte sich ein Leuchtturm-Strahl von Freds Medaillon gelöst, bemerkte auch McGowan plötzlich das Schmuckstück. »Mein Gott, Mann, wo hast du das her?« Fred begann zu erklären, daß es sein Vater in Ägypten gefunden habe, doch McGowan unterbrach. »Das ist nicht ägyptisch, Fred. Okay, okay, verdammt, dein Vater wird es in Ägypten gefunden haben, aber das Ding ist älter als die Zeit selber.« »Ich bin einverstanden, Des«, fiel Bronson ein. »Ich glaube auch nicht, daß es ägyptisch ist; auf jeden Fall ist es eines der bemerkenswertesten Schmuckstücke, die ich je gesehen habe.« »Na, hört schon auf, Jungs, übertreibt mal nicht«, protestierte Fred. »Es ist die Energie, die von ihm ausgeht«, sagte Bronson ernst. »Die Vibrationen.« McGowan nickte zustimmend. »Es sind die Schwingungen.« »Weißt du, Fred«, flüsterte McGowan verschwörerisch und legte einen Arm um ihn, »es gibt ganz viele Leute, die darauf warten, daß du klar und ehrlich zugibst, alle deine Erfindungen von deinem Geistführer gechannelt bekommen zu haben.« »Dies würde sein Ego nie zulassen«, meinte Bronson ein bißchen zu abfällig, als daß Fred seinen Kommentar überhören könnte. »Fred braucht von niemandem Hilfe«, sprang Kim ein und verteidigte, wie immer, ihren Freund. »Er ist ein Genie.« »Du heiliger Strohsack!« kommentierte Eric Powell diese Aussage. 13
»Komm schon, Fred«, redete Des auf ihn ein und zog ihn näher zu sich. »Du warst erst ein Lausejunge, als du bereits anfingst, Erfindungen zu machen. Vielleicht stehst du in Kontakt mit den Kosmischen Brüdern?« Eric lachte über McGowans Beharrlichkeit. »Ich weiß nicht, wie es Fred hält, aber ich würde einen Kontakt mit den Kosmischen Schwestern vorziehen!« Fred richtete die Krawatte von Des gerade. »Wenn ich jemals so einen Kontakt erlebe, Des, werden du und Brad die ersten sein, denen ich davon erzähle.« Dann schaute er mit einer gewollt dramatischen Bewegung auf seine Uhr. »Und nun«, lächelte er in die Runde, »denke ich, daß die Showtime beginnt.« Als sie den Saal C betraten, sinnierte Fred gerade darüber nach, daß die meisten Faktoren im Leben eines Menschen nur von der Frage der Perspektive abhängen. Vom kosmologischen Bezugspunkt von Brad und Des aus gesehen, flüstert vielleicht ein Geistwesen in sein Ohr. Was Fred Inspiration oder Intuition nennt, betiteln seine Freunde mit geistiger Führung. Wer kann hier mit Bestimmtheit etwas behaupten? Es gab aber auch Zeiten, und dies gestand er sich ein, in denen er fühlte, daß er mit etwas verbunden war, das ihm selbst als außerirdisch erschien. Je älter er wurde, um so klarer wurde es Fred, daß alle »Fakten«, von denen die Menschen überzeugt waren, sie absolut zu verstehen, nichts anderes waren als ihr eigener Geschmack, ihre eigene Meinung und Überzeugung. Brad Bronson machte ihn mit seiner Einführung fast verlegen: Er kam auf die letzten Forschungsergebnisse von Fred zu sprechen wie auch auf seine vielen Erfindungen. Natürlich vergaß er nicht Freds Fertigkeiten und Auseinandersetzungen bei der NASA zu erwähnen und schloß mit der Aussage, daß Fred seit seinen Kinderjahren als Genie und Wunderkind gegolten hat. 14
So unangenehm aufgeblasen ihm diese Worte über seine Vergangenheit erschienen, so hatte Fred doch keine Ahnung, daß sie fast zu seinem Totengedicht bzw. seiner Grabinschrift wurden. Kaum hatte er nämlich seine einführenden Worte gesprochen, als er wieder die Stimme in seinem Kopf hörte: »Achtung, mein Lieber. Die Gefahr ist jetzt. Die attraktive blonde Frau um Fünfzig; zweite Reihe in der Mitte.« Fred fühlte sich irgendwie benommen. Er wußte genau, wen die Stimme beschrieb: Die Frau hatte ihn von Anfang seiner Rede an - vor genau sieben Minuten - mit einem strahlenden Lächeln begleitet. Er atmete tief ein, um sich zu konzentrieren, und richtete danach seine Aufmerksamkeit auf die lächelnde Frau. »Madame, Sie, in der Mitte der zweiten Reihe.« Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht, und sie begann sich - im Bewußtsein, daß über 300 Menschen auf sie schauten - sichtlich unwohl zu fühlen. »Was wollen Sie von mir?« fragte sie zurück, wobei ein feiner deutscher Akzent hörbar wurde. »Nun, ich wunderte mich, ob Sie mich nicht vielleicht etwas fragen wollten?« Freds Augen suchten Eric Powell. Sein Freund befand sich in der gewohnten »Vorlesungsstellung«, einige Meter vom Podium entfernt an die Wand gelehnt. Ihre Augen trafen sich, und Fred sandte ihm eine verzweifelte wortlose Botschaft. »Ich habe keine Frage.« Die Stimme der Frau war jetzt sicher. »Haben Sie vielleicht ein Problem mit meinen Ausführungen?« hakte Fred nach. Die Frau stand auf. »Ich habe ein Problem mit Ihnen, Dr. Bell!« Die Anwesenden im Saal drückten ihr Erstaunen durch lebhaftes Geflüster untereinander aus. 15
»Warum bin ich für Sie ein Problem?« wollte Fred wissen. »Weil Sie ein Dieb sind! Sie besitzen etwas, das den Ehrwürdigen Alten entwendet wurde. Sie stahlen ihnen das Geschenk der Sternengötter!« Darauf verschwand ihre Rechte in der großen Handtasche und tauchte mit einem verkürzten 38er-Revolver wieder auf. »Und Sie werden für Ihre Einmischung bezahlen!« Aber Eric Powell war schon da. Mit einem gekonnten Karatehieb auf ihr Handgelenk schlug er ihr den Revolver aus der Hand. Und innerhalb von Augenblicken war die Frau von zwei Sicherheitsbeamten umstellt. »Nein, nein, lassen Sie mich in Ruhe!« schrie sie wütend auf. »Sie können mich nicht abfuhren, bevor ich meine Mission beendet habe! Nein, nicht!« Mit Eric an der Spitze begannen die zwei bulligen Männer, die sich wehrende Frau in Richtung des Ausgangs zu zerren. Sie waren schon fast bei der Tür, als sich die Frau von einem der Sicherheitsbeamten losringen konnte. Der andere hielt sie mit seinem Griff in einem Schraubstock, trotzdem schrie sie noch einmal leidenschaftlich los: »Dr. Bell, Sie müssen gestoppt werden! Sie haben etwas, das Ihnen nicht gehört. Sie sind ein Dieb, der das Geschenk der Sternengötter gestohlen hat. Die Ehrwürdigen Alten haben beschlossen, daß Ihnen Einhalt geboten werden muß ... und Sie werden gestoppt!« Schließlich schafften sie es, die Frau aus dem Vortragsraum zu entfernen, und Fred blieb alleine mit 386 Frauen und Männern zurück, die gespannt auf eine Erklärung für diese unglaubliche Unterbrechung eines eher gewöhnlichen Vortrages warteten.
16
Zweites Kapitel
Irgendwie schaffte es Fred, die folgende halbe Stunde normal durchzuziehen, bevor sein Bewußtsein voll erfaßte, was hätte geschehen können. Seine Stimme tönte auf einmal wie das schwache Echo aus einem tiefen Brunnen. Seine Fingerspitzen prickelten, und in seinen Ohren hörte er Wasserrauschen. Er begann sich zu fühlen wie jedesmal, wenn er - sei es wegen Angst oder Schmerz - hyperventilierte. »Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit«, meinte er mit schwachem Lächeln. »Jetzt wissen Sie, weshalb ein Wissenschaftler immer das Unerwartete erwarten muß.« Diese Bemerkung von Fred, die sich auf die seltsame Unterbrechung seines Referates bezog, erntete beim Publikum ein freundliches Gelächter, das in einen tragenden Applaus überging. Fred wußte, daß die Leute nur darauf warteten, den Saal zu verlassen, damit sie Freunden und Bekannten von der irren Frau berichten könnten, die Dr. Bell in eine andere Dimension pusten wollte. »Die Polizei wartet im Sanitätsraum auf dich«, eröffnete ihm Kim. »Woher wußtest du übrigens, daß die Frau eine Waffe trug?« »Ich habe dir doch gesagt, daß ich eine Ahnung hatte, daß etwas nicht stimmte«, erinnerte Fred. »Ja klar«, nickte Kim und rümpfte die Nase. »Aber du hast nicht erwähnt, daß wir nach einer Irren mit einem Revolver Ausschau halten sollen.« »Tja, was soll ich dir also erzählen?« fragte Fred rhetorisch zurück. Als sie den Sanitätsraum betraten, sahen sie zwei Polizi17
sten mit Notizblöcken, die Eric Powell und Brad Bronson befragten. Des McGowan lümmelte auf einer Couch in der Ecke. »Kein besonderer Kult ... keine spezielle Gruppierung«, hörte Fred Brad sagen, als er näher kam. »>Ehrwürdige Alte< kann sich auf vieles beziehen: auf die Ziele der Prähistorik zum Beispiel. Wir müssen viel mehr Informationen haben, um weiterzukommen, das können Sie mir glauben.« Einer der Beamten betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Sie sind Dr. Bell?« Fred nickte zustimmend. »Ich bin Kriminalkommissar Schmidt. Und das ist Leutnant Grove. Ich weiß, daß Sie mit Detektiv-Kommissar Neil Percy befreundet sind, und wahrscheinlich wird er diesen Fall auch übernehmen; aber es gibt einige grundlegende Fragen, die er bestimmt schon beantwortet haben will, okay?« Fred nickte wieder und ließ sich schwer auf den Stuhl neben Brad Bronson fallen. Powell lehnte in seiner typischen Haltung an der Wand, und Kim setzte sich auf die eine Lehne seines Stuhls. »Sind Sie mit Frau Kathryn Bodmer bekannt?« fragte ihn Schmidt. Dankbar nahm Fred das Glas Wasser entgegen, das ihm Des McGowan überreichte. »Darf ich annehmen, daß dies der Name der Frau ist, die meine Vorlesung störte?« »Das war die Frau«, bestätigte Leutnant Grove. »Kannten Sie sie?« »Nicht, daß ich wüßte«, antwortete Fred und zuckte seine Schultern. »Sollte ich sie kennen? Ich meine, was hat sie gesagt? Gab sie an, mich zu kennen?« »Dr. Bell«, Schmidts Stimme war ernst. »Diese Frau hatte eine abgesägte 38er in ihrer Handtasche. Sie erzählte den Sicherheitsbeamten, daß sie hierher geschickt worden sei, um Sie zu töten.« 18
»Von wem?« wollte Eric Powell wissen. Leutnant Grove seufzte und schaffte es, ein forciertes Lächeln zu produzieren. »Genau das möchten wir herausfinden, Herr Powell.« »Aber wer würde Fred töten wollen?« Kims offener Mund bildete ein großes rotes »O« der Verwunderung. Fred fühlte erneut, daß seine Fingerspitzen kitzelten: mich töten. Gott sei Dank für diese Stimme, diese schöne weibliche Stimme und ihre Warnung. »Dr. Bell«, fuhr Leutnant Schmidt fort, »die Frau quasselte den Sicherheitskräften die Ohren damit voll, daß irgendwelche >Ehrwürdigen Altem ihr befohlen hätten, sie zu töten. Sie war wütend auf Herrn Powell, da er sie davon abgehalten hatte, ihre Mission zu erfüllen.« Fred schüttelte seinen Kopf, als wollte er ihn von dieser unangenehmen Realität befreien. »Ich bin meinem Freund Eric auf ewig dankbar, daß er mein Leben gerettet hat, meine Herren, aber Frau Bod ... irgend etwas ... kenne ich nicht. Und mit älteren Typen als Brad Bronson hänge ich nicht herum.« »Sie haben die Frau also vorher, bewußt jedenfalls, nie gesehen?« hakte Kommissar Grove nochmals nach. »Nie«, wiederholte Fred. »Entschuldigung, meine Herren, ich war das potentielle Opfer, Sie erinnern sich doch?« Bronson räusperte sich und ließ seinen überlauten Baß vernehmen. »Ich spreche als Laie, meine Herren, aber Frau Bodmer ist krank. Leider leben wir in sehr gewalttätigen Zeiten. Sie sollte Ihren polizei-psychiatrischen Spekulationen unterworfen werden und nicht Dr. Bell.« »Klar«, stimmte Grove zu. »Die ganze Sache tut mir leid, Dr. Bell. Zum Glück sind Sie nicht verletzt worden. Wir verschwinden jetzt. Detektiv Percy wird mit Ihnen Kontakt aufnehmen und Sie auch wissen lassen, ob wir Ihre vollständige Aussage benötigen oder nicht.« 19
Kaum hatten die Polizisten den Raum verlassen, als Des McGowan ihn das fragte, was alle wissen wollten: »Die Beamten haben sich getrollt; na komm schon, Fred, woher hast du gewußt, daß die Frau eine abgesägte 38er in ihrer Tasche trug?« Fred konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Meine Antwort wird euch Knaben entzücken: Ich hörte eine warnende Stimme in meinem Kopf. Eine süß trällernde weibliche Stimme ermahnte mich, gut aufzupassen. Gefahr sei in der Nähe, wiederholte sie mehrmals.« »Dein Geistführer!« rief McGowan triumphierend aus. »Ich wußte es.« Powell betrachtete ihn schmollend: »Im Ernst, Fred? Du hörst wirklich eine Stimme in deinem Kopf?« »Und natürlich ist es eine Frauenstimme«, schniefte Kim hörbar. »Wer ist diese >sie« fragte Brad weiter. »Keine Ahnung«, antwortete Fred. »Aber die Stimme scheint mir vertraut zu sein. Als ob ich sie schon einmal, vor langer Zeit, gehört hätte.« »Was denkst du, wer diese Bodmer-Kuh ist?« warf Eric ein und wischte alle seltsamen Fragen über eine weibliche Stimme im Schädel seines Freundes weg. »Sie erzählte mir, daß sie dich umbringen müßte, da du etwas von den Sternengöttern gestohlen hättest.« »Der Anblick des Medaillons muß irgend etwas bei ihr ausgelöst haben«, kommentierte Bronson. »Auch ich fühlte die Präsenz dieser Frau, und zwar gleich nachdem wir Saal C betreten hatten. Ich hatte keine Ahnung, daß sie dich angreifen würde, Fred; aber ich spürte, daß sie eine seltsame Energie aussandte.« »Gib's zu, Mann, du hast sie angeglotzt, weil sie eine gutaussehende Blondine ist«, lachte Powell auf und goß sich eine Tasse Kaffee ein. 20
»Ehrlich, mein Neandertaler-Freund, da war schon etwas mehr, als nur ihre physische Gestalt«, fuhr Bronson fort. »Sie schien sich unter Kontrolle zu haben, bis sie das Medaillon sah.« »Woher weißt du, daß es das Medaillon war, Brad, und nicht die schreckliche Krawatte, die Fred anhat?« fragte McGowan. »Im Augenblick, als du das Objekt erblicktest, fühltest du seine Energie, Des«, erwiderte Brad. »Und mir ging es ebenso. Als Frau Bodmer mit den Schwingungen des Medaillons in Kontakt kam, nahm ich eine Art Verbindung wahr ...« »Ich fühlte ... also ich dachte ...« Fred zögerte, seine Gedanken mitzuteilen, entschloß sich dann aber doch, den Satz zu beenden. »Ich dachte, daß ich etwas wie einen Pulsschlag vom Medaillon spürte, sobald ich die Stimme im Kopf hörte.« »Es ist also, wie ich zu Beginn vermutete, mein Junge«, ließ Bronson mit Bestimmtheit verlauten, »mit deinem angeblich ägyptischen Schmuckstück ist viel mehr los, als du ahnst.«
21
Drittes Kapitel
Fred, Kim, Eric und Brad nahmen ein frühes, lustloses Abendessen zu sich; die traumatischen Ereignisse des Tages hatten es sogar geschafft, Bronsons legendären Appetit auf Krustentiere zu dämpfen. Einstimmig beschlossen sie, nicht an die Esoterik-Messe zurückzukehren, sondern zu Freds Haus in Laguna Beach zu fahren. Das Smaragd-Schmuckstück wurde im Wandsafe verwahrt, und die vier ließen sich müde auf die am Boden liegenden Kissen plumpsen - wollten Musik hören, vor sich hinstarren und sich entspannen. Es war gegen zehn Uhr, als das Klopfgeräusch an der Haustür ihre verdienten Träumereien unterbrach. Powell stand auf und kam kurz darauf mit Detektiv-Leutnant Neil Percy im Schlepptau zurück. Fred machte eine Bewegung des Grüßens, stand aber nicht von seinem bequemen Kissenberg auf. »Ich denke, daß du alle Anwesenden kennst, Neil«. Percy nickte Freds sich am Boden lümmelndem Freundeskreis zu, dann holte er sich ein Bier aus dem Kühlschrank und gesellte sich zu den anderen. »Ich bin nicht mehr im Dienst, Powell, also kein Petzen gegenüber dem Captain«, sagte er und schwenkte die Büchse in seiner Linken. »Nun, Fred, altes Haus«, begann Percy und nahm einen Schluck. »Was weißt du wirklich über diese Frau Bodmer?« »Nichts, Percy, gar nichts. Tote Hose. Wenigstens wußte ich nichts von ihr, bis sie mich zu töten versuchte. Ich nehme an, daß du das meinst?« Percy betrachtete versunken die Bierbüchse, als könnte sie den Schlüssel zu dem Unverständlichen liefern, das pas22
siert war. Er war ein untersetzter, muskulöser Mann, der harte Schläge einstecken konnte. »Unsere Frau Bodmer ist eine verrückte Irre - und erst noch eine Fanatikerin.« Bronson verlagerte sein Gewicht hörbar auf der Couch, wie ein großer Bär, der aus dem Winterschlaf erwacht. »Eine Fanatikerin?« Percy schaute sich um und legte seine Stirn in Falten. »Gibt es hier ein Echo? Jaa, Herr Bronson, eine Fanatikerin. Sie ist Mitglied einer Neonazi-Gruppe, die sich die >Ritter von Atlantis< nennt.« »Was zum Teufel haben die Nazis mit Atlantis zu tun?« wollte Powell wissen. »Eigentlich viel«, antwortete Bronson. »Denn sie waren sehr am Okkulten interessiert und versuchten auch, dunkle Mächte für ihre Ziele zu aktivieren.« »Ja nun, wie auch immer, diese Dame ist voll überzeugt von dem ganzen Mist der >ariermäßigen Überlegenheit<«, fuhr Percy fort. »Sie interessiert sich für Astrologie, Atlantis, Ufos und all das Zeug. Wir haben ihre Bücherwände untersucht.« »Aber du, mein lieber Freund«, kam es vorsichtig fragend von Bronson, »Percy, du glaubst doch nicht, daß ein Interesse an der Metaphysik gleichbedeutend mit Nazitum ist?« Percy nahm einen Schluck aus der Bierbüchse, bevor er antwortete: »Bin halt kein Philosoph, Bronson. Aber ich denke, daß all diesen Leuten, die konstant in die Sterne guckend herumlaufen, die Hirnflüssigkeit aus dem Schädel hinunterfließt - und sie schlicht durchdrehen.« Der Leutnant leerte sein Bier und legte die Büchse neben sich. »Wie auch immer, Fred, ob du sie kanntest oder nicht: Die Frau kannte dich. Sie hatte sogar einige Bilder von dir an ihrer Wand hängen.« »Du hältst mich zum Narren«, entgegnete Fred mit ungläubigem Lachen. 23
Percy bekreuzigte sich, um seine Ehrlichkeit zu beweisen. »Ich schwöre bei Jesus, Maria und Joseph. Zuallererst dachte ich, daß du eine Affäre mit ihr hättest, aber irgendwie schien sie mir doch nicht dein Typ zu sein.« Kim warf ein kleines Kissen gegen Percy, das ihn an der Schulter traf. »Du hast das doch nicht wirklich geglaubt, Neil?« erkundigte sie sich. Percy setzte zu einer Bewegung an, als ob er sich nochmals bekreuzigen wollte, doch dann kam ihm etwas anderes in den Sinn. »Ist ja egal; auf jeden Fall fanden wir seitenweise seltsame handgeschriebene Texte neben ihrem Bett. Die Burschen vom Labor brauchten eine ganze Weile, bis sie sie entziffern konnten, kann ich euch sagen.« »So?« stachelte Bronson, als Percys effektheischende Pause etwas zu lang geriet. »Also es war ein Haufen Mist darüber, wie unser Knabe hier etwas von den Sternengöttern gestohlen hat. Sender Empfänger. So etwas Ähnliches. Dann fuhr sie weiter, daß die Ehrwürdigen Alten wütend würden und daß der Empfänger dem Dritten Reich zurückgegeben werden müsse.« Fred fühlte, daß er hierauf noch ein zweites Bier brauchte. Powell hatte sein Bedürfnis vorausgeahnt und reichte ihm bereits die Dose. »Da war aber noch mehr«, lächelte Percy und akzeptierte ebenfalls ein Bier von Powell. »Häßliches Zeug; wie sie dir Herz und Gedärm herausschneiden würde, um dich zu strafen.« »Okay, Mann«, sagte Fred und streckte seine Hand wie ein Verkehrspolizist aus. »Stopp! Ich kann auch ohne diese Informationen leben.« Kim schüttelte sich. »Manchmal bist du wirklich zu grob, Percy.« Percy lachte leise, als hätte er auf seiner privaten Vulgaritäts-Hitliste einen weiteren Punkt gemacht. 24
»Ich darf wohl davon ausgehen, daß ihr diese kauzige Arier-Gruppe vollständig überprüft?« wollte Powell wissen, der sich über Percys zur Schau gestellte Kaltblütigkeit langsam zu nerven begann. »Klar, Mann«, grollte Percy. »Glaubst du etwa, wir ließen zu, daß unserem alten Freund Fred etwas zustößt? Wir können nicht davon ausgehen, daß die Bodmer-Dame allein gehandelt hat. Also müssen wir davon ausgehen, daß andere kommen werden, um zu vollenden, was ihr mißlungen ist.« Fred verdrehte die Augen. »Ja, klar, dies sind meine süßesten Träume, nicht wahr?« »Fred«, meldete sich Bronson und versuchte so, die Gedanken seines Freundes von der eigenen Exekution abzulenken, »ich wollte dich seit einiger Zeit fragen, was deine Mutter dir gesagt hat, als sie dir das Medaillon übergab?« »Interessanterweise bezeichnete sie es als >Empfänger<, genau wie unsere schräge Frau Bodmer«, anwortete Fred und kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Mutter sagte, daß mein Vater es einen >atomaren Smaragd-Empfänger< nannte. Sie sagte, daß er es im Tempel der Hathor, einer ägyptischen Göttin der Liebe und Schönheit, gefunden habe, der den Plejaden geweiht war.« Bronson räusperte sich und verlagerte das Gewicht seiner Masse etwas. »Entschuldige, daß ich es erwähne, Fred, aber ich weiß, daß dein Vater 1939 in Ägypten ums Leben kam. Wie gelangte das Objekt in die Hände deiner Mutter?« »Eine Mitarbeiterin meines Vaters brachte es meiner Mutter - irgendwann im Jahre 1948. Sie hatte es geschafft, das Schmuckstück vor den Nazis zu verbergen, und brachte es meiner Mutter, sobald sie nach Amerika gelangen konnte.« »Wenn dieser Empfänger über dreißig Jahre lang vor den Nazis versteckt gewesen war, woher wußten sie dann, daß Fred ihn heute tragen würde?« fragte Kim. 25
»Dies ist eine gute Frage«, lobte Powell. »Das Bild«, meinte Percy und schüttelte ungeduldig seinen Kopf. »Sie hatte ein Bild von Fred mit dem Medaillon um den Hals an ihre Wand geheftet.« »O Gott, natürlich!« Fred schlug sich an den Kopf. »Ich trug das Medaillon an der Pressekonferenz vor der EsoterikTagung!« »Bingo!« nickte Percy. »Sie hat es aus der Zeitung ausgeschnitten, in der die Vortragenden des >metaphysischen Nonsens< vorgestellt wurden, der im Holiday Inn stattfand.« »Oh, Junge.« Bronsons Augen blickten traurig. »Jetzt wissen alle Neonazis der Welt, daß du das Medaillon besitzt!« Das plötzliche Klingeln an der Haustür schreckte alle auf. Und als Powell zur Tür ging, war Kim froh, daß Leutnant Percy sich in ihrer Mitte befand. Jetzt war es ihr egal, wie grob er sich manchmal benahm. Die Von Raeders waren ein vornehmes Ehepaar um die Sechzig. Sie waren hochgewachsen, tadellos angezogen, hübsch frisiert und wahnsinnig höflich. »Ich heiße Rudolf«, sagte er mit starkem deutschem Akzent. »Meine liebe Frau heißt Freya.« Dann gab er den Blick auf die zwei »Werwolfwelpen« frei, die hinter ihm standen; es waren seine »Mitarbeiter« Otto und Lars. Die zwei bulligen Männer Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig sahen aus, als würden sie sich jeden Abend in den Schlaf weinen - aus Trauer, zu spät geboren worden zu sein, um in die Gestapo eintreten zu können. »Es tut uns leid, Sie zu Hause zu stören, Dr. Bell«, entschuldigte sich Von Raeder. »Doch wir versichern Ihnen, daß es um eine äußerst wichtige Angelegenheit geht.« »Es tut uns auch leid, Ihren vergnüglichen Abend zu unterbrechen«, lächelte Freya scheu in die Runde, als ob sie 26
ihre gesellschaftliche Ungeschicklichkeit überspielen wollte - doch wirkte das Ganze gekünstelt. »Könnten wir bitte mit Ihnen privat reden?« wollte Rudolf wissen; ein blitzender Goldzahn unterstrich noch den Effekt seines öligen Lächelns. Fred war über die Frechheit seiner uneingeladenen Gäste sichtlich erstaunt. »Entschuldigen Sie, wenn ich wie ein etwas unmotivierter Gastgeber erscheine«, brachte er endlich heraus. »Aber ich erinnere mich nicht, Sie eingeladen zu haben.« »Natürlich haben Sie uns nicht eingeladen, Dr. Bell«, sagte Freya und schaute zu Boden, als würde sie formell um Vergebung bitten. »Aber wie wir bereits erwähnten, gelangen wir wegen einer sehr dringenden Sache an Sie.« »Dringend für wen?« wollte Fred wissen. »Ist Ihnen klar, daß es fast elf Uhr nachts ist? Ist dies nicht ein wenig spät, um Unbekannte zu besuchen?« »Ähh, doch; aber Dr. Bell, Sie sind für uns kein Unbekannter«, bemerkte Rudolf rätselhaft. »Also gut«, gab Fred nach, seine Neugier war jetzt größer als sein Ärger. »Wer sind Sie?« »Könnten wir alleine mit Ihnen sprechen?« wiederholte Rudolf seine Bitte. Nun brach Eric Powell sein untypisches langes Schweigen. »Viel privater, als es jetzt ist, können Sie es hier nicht haben, Hans.« »Rudolf«, verbesserte Von Raeder Eric etwas anmaßend. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Fred zu. »Können wir uns alleine unterhalten?« »Diese Leute«, erklärte Fred und zeigte auf Kim, Powell, Bronson und Percy, »sind meine besten Freunde. Sie sind meine Familie. Was immer Sie mir sagen wollen, können Sie vor ihnen loswerden.« »Aber Dr. Bell ...« 27
Eric Powell unterbrach Von Raeders Protest. »Dies sind die Bedingungen, Hans. Akzeptieren Sie sie - oder gehen Sie! Jetzt.« Otto und Lars ließen dumpfe, gutturale Laute hören und bewegten ihre Hände langsam zu den sichtbaren Ausbuchtungen unter ihren Mänteln. Nun stand Neil Percy auf. »Herr Von Raeder, bevor einer Ihrer übergroßen Dobermänner irgend was Dummes tut, sollten Sie wissen, daß ich Polizeioffizier bin.« »Bitte, Herr Offizier«, lachte Von Raeder nervös auf. »Es besteht kein Grund, die Polizei einzuschalten. Wir möchten unsere Kontroverse mit Dr. Bell in Ruhe regeln. Falls wir dies nicht wünschten, hätten wir die Polizei selber mitgebracht.« Fred zeigte nun offenen Ärger. Er hatte je länger, je mehr genug von der ganzen Affäre. Wer waren diese teutonischen Türsteher, die glaubten, in sein Haus eindringen zu dürfen? Für wen hielten sie sich? Und jetzt sprachen sie sogar versteckte Drohungen aus. »Was für einen Streit glauben Sie mit mir zu haben, Leute?« wollte Fred wissen. Der ganze Tag war zuviel für ihn gewesen. Er versuchte zwar immer, seinen Gemütszustand in einer harmonischen Stimmung zu halten, doch nun wurden die Fakten zu lächerlich und extrem, um noch als ausgewogen zu gelten. Die Von Raeders blickten sich an, als suchte einer beim anderen nach Zustimmung, um endlich zur Sache zu kommen. »Sie besitzen etwas, das uns gehört«, antwortete Freya endlich. »O Gott«, seufzte Fred und schnitt eine Grimasse. »Jetzt fängt das schon wieder an!« »Beziehen Sie sich auf das Medaillon, das er heute Nachmittag um den Hals trug?« brauste Bronsons tiefe Stimme plötzlich auf wie ein Donnergrollen vom Olymp. 28
Von Bronsons Frage überrumpelt, fühlte Von Raeder sich sichtlich unbehaglich, und erneut begann er um das zu bitten, was ihm bereits ein paarmal abgeschlagen worden war: »Es ist für uns sehr wichtig, mit Dr. Bell allein zu sprechen. Diese Angelegenheit geht außer ihm niemanden etwas an.« »Natürlich«, lächelte Powell affektiert. »Wenn es so privat ist, weshalb brachten Sie dann die zwei Sturm-StaffelKrieger mit?« Von Raeder führ hoch. »Der Krieg ist längst vorüber, mein Herr. Es ist unnötig, unsere Mitarbeiter durch solche diskriminierenden Bemerkungen zu diffamieren.« »Hör mit dem Mist auf, Mann«, entgegnete Powell, wobei seine Stimme nur wenige Dezibel unter einem Brüllen lag. Auch Freya schien langsam ihre Beherrschung und vorgetäuschte Höflichkeit zu verlieren. »Sie haben den Rezeptor, der uns gehört, und wir wollen ihn zurück.« »Liebling ...«, versuchte Von Raeder sie zu beruhigen, aber es war zu spät. »Sie müssen uns den Rezeptor zurückgeben, oder Sie werden die Folgen bezahlen«, preßte sie mit schrill werdender Stimme heraus. »War das eine Drohung, Percy?« wunderte sich Eric. »Hörte ich gerade eine Drohung?« »Für mich klang es eindeutig wie eine Drohung«, meinte Bronson. »Keine Frage«, ließ nun auch Kim verlauten. »Falls ich je eine Drohung gehört habe, so war dies eine.« »Haben Sie vor, eine weitere Pistolen-Lady auf mich zu hetzen, so wie heute diese Frau Bodkins, oder wie sie heißt?« fragte Fred und streckte trotzig sein Kinn vor. »Die Sache kann ohne Gewalt geregelt werden«, meinte Von Raeder und versuchte sein Bestes, um die Situation wieder unter Kontrolle zu kriegen. »Wir entschuldigen uns 29
für Kathryn; doch handelte sie nicht nach unseren Befehlen, sondern unabhängig.« »Sie können mit den Sternengöttern nicht scherzen!« schrie Freya Von Raeder nun aus Leibeskräften. »Diese segneten das Dritte Reich. Ihr Vater hat diesen Segen von uns gestohlen! Er war ein Dieb; die schlimmste Sorte von Dieb. Er stahl unser Geburtsrecht!« »Das Dritte Reich?« echote Powell und schnappte sich das Wichtigste aus ihrem gehässigen Angriff heraus. »Ich dachte, Ihr Leutchen wolltet gerade nicht, daß wir unser Erinnerungsvermögen zu sehr strapazierten.« »Wir sind die rechtmäßigen Besitzer des Rezeptors«, sagte Rudolf Von Raeder wütend; offenbar hatte er es aufgegeben, Freya zu beruhigen, und sich entschlossen, ihre frontale Attacke zu unterstützen. »Wir sind seine wahren Besitzer, und wir werden ihn zurückbekommen. Aber dies ginge auch ohne Gewalt. Solche unglücklichen Episoden wie heute Nachmittag könnten vermieden werden.« »Das sollten sie besser auch«, sagte Percy und starrte direkt in die Augen von Rudolf und Freya, um danach Otto und Lars drohend zu fixieren. »Ja, das denke ich auch«, bestätigte Fred. »Wir sind bereit, den Empfänger von Ihnen zu erwerben«, sagte jetzt Von Raeder. »Warum, verdammt nochmal, nennen Sie es ständig >Empfänger« drückte Fred seine Verbitterung aus. »Für mich ist es ein Medaillon. Ein altes ägyptisches Schmuckstück. Was ist ein Empfänger?« »Ächh!« krächzte Freya, als würge sie an einer Fischgräte. »Dieser elende Sohn eines Diebes weiß nicht einmal, was er besitzt!« »Noch eine Beleidigung gegen meinen Vater, und diese Diskussion ist sofort zu Ende«, ließ Fred die neue Grundregel verlauten. 30
»Du, Fred«, erinnerte ihn Eric, »ich habe das Gefühl, daß der Hans hier dir gleich ein Angebot unterbreiten wird, dem du nicht widerstehen kannst.« Rudolf verneigte sich leicht vor Eric, so als würde er ihn zum erstenmal wirklich wahrnehmen. »Wir sind bereit, Ihnen 5000 Dollar für das Schmuckstück zu zahlen.« Fred lachte. »Jetzt, da es ums Geld geht, ist das Ding plötzlich kein magischer >Empfänger< mehr, sondern nur noch ein >Schmuckstück<«. »Tauch tiefer, Hans«, Eric verdrehte verächtlich die Augen. »Fünf Riesen sind Peanuts.« »Sogar als Antiquität«, schüttelte Bronson seinen Kopf, »ist es viel mehr wert als bloß 5000 Dollar.« Rudolfs Lippen begannen zu zittern. »7500 ...« »Wir können mit dieser Versteigerung aufhören«, knurrte Fred. »Das Schmuckstück ... der Empfänger ... das Medaillon - welches Etikett Sie auch immer benützen - ist unverkäuflich. Mein Vater starb, als er dieses Objekt erhielt, und es ist sein Vermächtnis an mich. Ich werde es für keinen Preis verkaufen. Verabschiedet euch, Leute.« »Ihr Vater wurde wie ein gewöhnlicher Dieb erschossen, als er die Sternengötter ausplünderte!« kreischte Freya; sie näherte sich entweder einem hysterischen Anfall oder gewalttätiger Wut. »Er stahl etwas, das uns gehört, und wir werden es zurückholen!« »Ich hatte Sie gewarnt: keine weiteren Verleumdungen gegen meinen Vater«, sagte Fred ruhig. »Eric, zeig diesen komischen Vögeln, wo die Tür ist.« »Ihr krimineller Vater wurde wegen des Empfängers getötet«, ließ Freya unnötigerweise erneut verlauten. »Wollen Sie auch wie ein Dieb sterben?« »Nun, dies war eine Drohung, Frau Von Raeder«, bemerkte Percy, seine Worte betonend. »Und ich mache mir eine Notiz davon.« 31
Rudolf nahm seine Frau am Arm und bewegte sich mit ihr auf die Tür zu. »Seien Sie vernünftig, Dr. Bell; all dies könnte heute nacht beendet werden.« Sein kultivierter Bariton hatte sich in ein jammerndes, nasales Bitten gewandelt. »Ich mache Ihnen ein letztes Angebot von 10000 Dollar.« »Ich verkaufe nicht, Von Raeder«, schüttelte Fred verneinend den Kopf. »Sie sind ein Idiot«, schrie Freya Von Raeder, kurz bevor die schließende Tür ihre weiteren Kommentare ausschloß. »Die Ehrwürdigen Alten lassen sich ihre Pläne nicht vereiteln!«
32
Viertes Kapitel
»Bevor ich gestern nacht einschlief«, bemerkte Fred am nächsten Morgen beim Frühstück, »erinnerte ich mich, wo ich die Von Raeders schon mal gesehen hatte. Während der ganzen Zeit, als sie gestern hier waren, hirnte ich an der Frage rum: >Wo habe ich diese zwei schon mal gesehen?<« »Wahrscheinlich in deinen Alpträumen«, meinte Eric trocken. Eric und Brad hatten beschlossen, die Nacht bei Fred zu verbringen, für den Fall, daß die Von Raeders und ihre Handlanger zurückkehren und versuchen würden, in das Haus zu gelangen. Neil Percy hatte Kim nach Hause gebracht und ihr beim Abschied versichert, daß er die Untersuchung über die »Ritter von Atlantis« weiterhin leiten würde. Brad hielt dabei inne, seinen Toast mit Marmelade zu bestreichen, und wollte von Fred wissen, ob er sicher sei, daß es sich um dasselbe Paar handelte. Dieser nickte. »Ja, ich bin ganz sicher. Das erstemal begegneten sie mir, als ich noch ein Kind war. Ich spielte alleine am Strand und war mit dem Bau von Sandburgen beschäftigt, als mich diese Frau mit deutschem Akzent ansprach. Sie fragte mich, ob ich ein Eis haben wolle. Ich schaute auf, und ihr Mann - ich weiß, daß es Rudolf gewesen ist - stolperte auf uns zu; mit einem Schokoladeneis in seiner Hand, das ihm bereits über die Finger tropfte. Nun, meine Mutter hatte mir eingeschärft, nie Süßigkeiten von Fremden anzunehmen - und mir war klar, daß ein Schokoladeneis zu diesen zählte -, und so sagte ich >nein, danke< zu ihnen und fuhr fort, im Sand zu spielen. Als der Mann uns erreichte, kauerte er sich neben mich auf den 33
Boden und fragte, ob wir schöne Dinge aus Ägypten in unserem Haus hätten.« Eric setzte seine Kaffeetasse ab und lachte leise. »Kannst du dir vorstellen, einen Sechsjährigen zu fragen, ob irgendwelche ägyptischen Objekte in seinem Haus wären?« Bronson kaute an einem Stück Toast herum und nuschelte. »Aber im Falle von Fred, dem Sohn eines Archäologen, wäre es ja möglich gewesen.« »Guter Gott, Fred«, anerkannte Eric Brads Meinung. »Du hättest schon damals dein Todesurteil unterschreiben können!« Fred nickte und füllte sein Glas mit Orangensaft. »Zum Glück interessierte mich so etwas zu jener Zeit nicht. Da war ich schon in Düsenantriebe und Rennwagen vertieft. Ich erinnere mich, daß sie sogar etwas Ähnliches wie eine Halskette in den Sand zeichnete. Ich denke, daß ich nichtssagend genug für diese Leute erschien, so daß sie entmutigt wurden. Was ich noch genau über diesen Besuch weiß, ist, wie unglaublich verschmiert die Hand des Mannes aussah, der das Eis in der Hand hielt.« »Aber somit ist klar, daß sie wissen wollten, ob dein Vater es geschafft hat, den Empfänger aus Ägypten herauszuschaffen«, bemerkte Bronson. »Das Objekt mußte verschwunden sein, und sie wußten nicht, wo es war.« »Und wahrscheinlich wußten sie nicht, wo es war, bis sie das Bild in der Zeitung gesehen haben - mit dem verdammten Ding um deinen Hals«, bemerkte Eric über den Rand seiner Tasse hinweg. »Ja, du hast recht«, stimmte ihm Fred zu und erhob sich, um die Rühreier zuzubereiten. »Eric, erinnerst du dich an den Teilzeitjob, den ich während des Gymnasiums hatte?« »Den beim alten Clayborne mit seinem Kuriositätenund Münzenhandel?« 34
»Genau«, fuhr Fred fort. »Während des Semesters, als ich dort jobbte, kam diese Frau - und ich bin sicher, daß es Freya Von Raeder gewesen ist - mehrmals in den Laden und wollte wissen, ob wir irgendwelche ägyptischen Objekte hätten. Ich erklärte ihr, daß Claybornes Spezialgebiet vor allem die amerikanischen Indianer wären, und da fragte sie mich, ob ich selber nicht ägyptische Objekte besäße. Obwohl sie immer höflich war, begann sie mir auf die Nerven zu gehen; so ehrlich ich auch beteuerte, keine ägyptischen Objekte zu besitzen, kam sie immer wieder - mindestens viermal vor den Winterferien. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen; bis gestern abend.« »Heiliger Mist«, schlug sich Eric mit einer Hand an die Stirn. »Mensch, Fred, ich hatte dies total vergessen - und habe es dir auch nie erzählt - aber jetzt sehe ich eine Verbindung!« Bronson rieb sich die Borsten an seinem Kinn. »Nach diesem Ausbruch ist dir unsere Aufmerksamkeit sicher, Eric. Fahr bitte fort.« »Es passierte wahrscheinlich, als wir in der zweiten Oberstufe waren, so mit sechzehn. Ich war auf dem Heimweg nach einem American-Football-Training, als ein Wagen neben mir hielt und dieser schleimige Typ mit deutschem Akzent begann, mich über dich auszufragen, Fred. Er behauptete, ein Onkel von dir zu sein, der dich und deine Mutter suche - und so fiel mir zunächst nichts auf. Aber danach begann er schräge Fragen zu stellen: Ob du mir je etwas zum Aufbewahren gegeben hättest, etwas, das ägyptisch oder noch älter aussehe. Und er fuhr mit der Befragung fort, so daß ich mich plötzlich auf französisch verabschiedete und nach Hause rannte.« Fred servierte die Rühreier und füllte den Toaster. »Weißt du was? So langsam glaube ich, daß wir seit langem einen seltsamen Kampf gegen unheimliche Gegner führen, 35
die wir nicht kennen. Als ich in dem zwei Jahre dauernden Intensivprogramm der Luftwaffenakademie war, erhielt ich mindestens dreißig anonyme Anrufe, die mir geboten, alles zurückzugeben, was nicht mir gehörte - ansonsten ich die Konsequenzen zu spüren bekäme. Ich war überzeugt, daß einer der Kumpels einen mehr als komischen Sinn für Humor hätte - und hängte immer auf.« Fred legte die Bratpfanne ins Abwaschbecken und griff sich die frischen Toasts. »Ah, noch etwas kommt mir in den Sinn; eigentlich bin ich erstaunt, daß ich nicht daran dachte, als meine Mutter mir das Medaillon übergab.« Bronson hielt seine Kaffeetasse hoch, und Fred füllte sie. »Zu jener Zeit war ich bei der NASA. Ich machte gerade Pause in einem Aufenthaltsraum, als ein neuer Angestellter den Raum betrat. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß, aber wegen seines starken deutschen Akzentes dachte ich, daß er entweder mit Von Braun oder Dr. Eric Von Lossburg zusammenarbeitete . »Wie auch immer«, fuhr Fred fort, »der Typ lächelte mich an, ging zur Wandtafel und zeichnete etwas. Dann trat er zurück - wobei er strahlte, als hätte er gerade die Mona Lisa gemalt - und wollte von mir wissen, ob ich das Objekt schon einmal gesehen habe. Jetzt weiß ich«, und Fred zog eine Grimasse, »daß er den Empfänger gezeichnet hatte.« »Wer war der Knabe?« fragte Powell. »Keine Ahnung«, gab Fred zurück. »Er wollte noch wissen, was ich von seiner Zeichnung hielt, und ich murmelte irgend etwas Höfliches. Das Gezeichnete sah nicht nach einer Maschine aus, die ich eines Tages fliegen würde, und das war das einzige, was mich in jenem Lebensabschnitt interessierte. Zum Schluß malte er sogar einige Hieroglyphen neben seine Zeichnung und fragte, ob sie mir etwas sagten.« »Der Mann war hartnäckig«, kommentierte Bronson und tunkte genüßlich sein Hörnchen in den Kaffee. 36
»Ich weiß noch, daß ich dann langsam genug von diesem Typ bekam und anfing, selber Fragen zu stellen: Wieso er diese Fragen an mich richte, und warum diese Zeichnung und die Symbole irgendeine Bedeutung für mich haben sollten. Und ob er nicht vielleicht seine Berufung verfehlt habe - also eher Museum als die NASA? Daraufhin lachte er auf und wischte alles von der Wandtafel. Er meinte, er habe nur Blödsinn gemacht, da wäre keine tiefere Absicht dahinter gewesen. Ich habe den Mann nie wieder gesehen«, berichtete Fred seinen Freunden. »Doch beschrieb ich ihn einigen vom NASA-Personal - und niemand war fähig, ihn zu identifizieren. Heute bin ich sicher, daß er gar nicht zum NASA-Personal gehörte.« Nach diesen Ausführungen von Fred waren die drei Männer still und beendeten ihr Frühstück. Es war so, als versuchten sie Freds seltsame Erlebnisse gleichzeitig mit dem Frühstück zu verdauen. Als das Telefon klingelte, wirkte es wie ein Aufruf, um zur bedrohlichen Realität zurückzukehren: Wie gehen sie am besten mit zukünftigen Bedrohungen der Neonazi->Ritter von Atlantis< um? »Es ist ein Typ, der mit deutschem Akzent redet«, berichtete Eric Powell und legte seine Stirn in Falten. »Willst du mit ihm reden?« Fred seufzte und schaute hilfesuchend zu Brad. Dieser zuckte seine breiten Schultern und griff nach einem Zahnstocher. »Er sagt, daß er mit dir sprechen müsse«, fügte Eric hinzu. »Er sei dabei gewesen, als dein Vater getötet wurde.«
37
Fünftes Kapitel
Dr. Wolf Grunewald war Bartträger und wies auch sonst einen wilden Haarwuchs auf; er mußte weit über siebzig sein - doch mit seiner Größe von über 190 cm und dem Blick eines wilden Propheten bot er immer noch eine stattliche Erscheinung. An diesem Nachmittag erschien sein Gesicht dunkel: bewölkt vor Besorgnis. Er stellte sich als Professor der Archäologie vor und machte sich mit Fred, Eric und Brad bekannt; doch war klar, daß er nicht viel Zeit mit höflichem Getue vertrödeln wollte. »Junger Mann«, provozierte er Fred, »wissen Sie eigentlich, daß das Medaillon, welches Sie so marktschreierisch offen an der Pressekonferenz an ihrem Hals trugen, ein Objekt ist, das von vielen in der Geschichte als >Der Stein der Weisen< verehrt wurde?« Fred runzelte die Stirn und blickte hilfesuchend zu Bronson, der sein Mentor in solchen Fragen war. »Der Stein der Weisen sollte im Mittelalter als Katalysator dienen, um unedles Material in Gold zu verwandeln«, antwortete Brad anstatt Fred. »Natürlich wissen wir heute, daß die alchemistischen Experimente nur Metaphern für viel wichtigere Anliegen waren. Die Alchemisten versuchten sich - in geistigem Sinn - in Gold, also in etwas Gottähnliches zu verwandeln.« »Aha, ich bin also nicht ohne einen seelenverwandten Schüler in dieser Versammlung«, seufzte Dr. Grunewald erleichtert auf und plumpste erschöpft auf die Couch. Bronsons Kommentare reichten aus, um bei Fred Erinnerungen auszulösen. Er war immer ein unersättlicher 38
Leser gewesen, und jetzt kam ihm in den Sinn, daß er alte Bücher durchgesehen hatte, die ausführlich schilderten, daß die ältesten griechischen Texte über Alchemie aus dem zweiten Jahrhundert vor Christi Geburt stammten. Diese aber, so wurde in diesen Büchern behauptet, sollen Kopien einer uralten Schriftrolle gewesen sein, die in einer Säule eines ägyptischen Tempels gefunden worden war. Der Text bestand aus Schriften verschiedenster Kulturen, wie zum Beispiel der chinesischen, der indischen und der jüdischen. Sowohl die westliche als auch die asiatische Alchemie kennen die Überlieferung, daß gewisse Rezepte bzw. Techniken - zum Beispiel, um das Leben zu verlängern, um zu heilen oder um die Transformation der menschlichen Struktur zu erreichen - einer gewissen Anzahl ausgewählter Schüler von Meistern übergeben worden sind, die dieses Wissen von göttlichen Wesen erhalten hatten. Diese Übermittlung geheimen Wissens soll zu »Beginn unserer Zeit«, als sich die menschliche Kultur zu entwickeln begann, stattgefunden haben, also etwa vor 7000 Jahren. »Wenn ihr etwas über Alchemie wißt, meine Freunde«, begann Dr. Grunewald, »dann wißt ihr auch, daß manche der alten Texte behaupten, daß diese Geheimnisse von einer viel älteren Tradition, einer sprichwörtlich uralten Kultur, unbenennbar älter als die unsrige, stammen. Diese seit langem untergegangene große Zivilisation stammt aber ursprünglich von der Erde.« »Das sogenannte Atlantis«, warf Eric mit finsterer Miene ein. »Sobald ich Ihren deutschen Akzent hörte, hätte ich wissen müssen, daß Sie ein weiterer Kniich der >Ritter von Atlantis< sind.« Dr. Grunewald zuckte zusammen. »Waren die Von Raeders bereits hier?« rief er aus. »Oh, mein Gott, dann ist es schlimmer, als ich geglaubt habe. Warum trugen Sie den 39
Empfänger in der Öffentlichkeit, Fred? Dachten Sie, Ihr Vater wäre gestorben, um Sie mit einem kosmischen Juwel auszustatten?« »Stopp, stopp, Dr. Grunewald«, warnte ihn Fred, durch diese Bemerkung gekränkt. »Erst kürzlich übergab mir meine Mutter das Objekt. Ich trug es aus Respekt dem Erbe meines Vaters gegenüber und nicht, um ihn zu verleumden.« »Und er hatte zweifellos keine Ahnung, daß er deshalb mit Drohungen und Mordversuchen zu rechnen haben würde«, nahm Bronson Fred in Schutz. Dr. Grunewald lehnte sich nach vorne, ließ seine Ellbogen auf den Knien ruhen und wiegte seinen Kopf in beiden Händen. »Es ist alles meine Schuld. Ich hätte Sie früher aufsuchen sollen. Aber ich war nicht sicher, ob der Empfänger das Bad im Nil überhaupt überlebt hatte. Ich sah Ihren Vater von der Pyramide wegrennen, und ich wußte, daß er verwundet war. Danach habe ich ihn nie mehr gesehen, aber irgendwie wußte ich ...« »Der Empfänger war der Grund für den Tod meines Vaters, nicht wahr?« unterbrach ihn Fred ruhig. Dr. Grunewald hob seinen Kopf und lächelte trocken. »Indirekt, nehme ich an. Aber es war die Gestapo, die Ihren Vater ermordete.« »Die Gestapo?« wunderte sich Bronson. »In Ägypten, im Jahre 1939 und auf einer archäologischen Grabungsstätte?« »Bitte, Dr. Grunewald«, begann Fred, »ich habe so viele Fragen. Bitte erzählen Sie uns, was in Ägypten passiert ist.« Erneut stützte der ergraute Archäologe seinen Kopf in die Hände und schaute zu Boden - so, als spräche er zu seinen abgetragenen Schuhen. »Nun, es ist alles so lange her ... und doch scheint es mir, als wäre es gestern passiert. Ich war ein Professor Ihres Vaters in Heidelberg. Bereits innert 40
kurzer Zeit erkannte ich seine Begabung und nahm ihn zu seiner ersten Grabung mit.« »Nach Petra«, warf Fred lächelnd ein und erinnerte sich an die Erzählung seiner Mutter über dieses Abenteuer. »Sie suchten nach Zeichen des Kanalsystems der alten Nabatäer. Dort haben sich meine Eltern kennengelernt.« »Genau«. Grunewald konnte ein belustigtes Grinsen nicht unterdrücken. »Sie war eine sehr bestimmte junge Frau von der Sarah-Lawrence-Universität. Paul hatte anfänglich eine attraktive britische Assistentin im Visier, aber Ihre Mutter, Natalie, gewann schließlich sein Herz. Er doktorierte 1933 und wanderte anschließend in die USA aus und Deutschland verlor einen weiteren begabten Wissenschaftler.« Grunewald fuhr fort und berichtete, daß er und sein junger Protege weiterhin miteinander korrespondierten. Ihr gemeinsames Forschungsgebiet war die Übersetzung alter Berichte, die davon erzählten, wie Geheimnisse und Wissen an die neu aufkeimende menschliche Kultur übergeben worden waren: entweder durch wohlwollende Wesen aus einer anderen Dimension oder aber durch »Sternengötter«, also Wesen von einem anderen Stern. Es schien eine Übereinstimmung zu geben, und zwar in allen Traditionen: Wurde nämlich eine Botschaft an einen ausgesuchten, empfänglichen Urahn vermittelt, so war der Inhalt immer »versiegelt«, was im Klartext bedeutet, daß sein Inhalt sorgfältigst vor den Massen geheimgehalten wurde. Etwa vor 2500 Jahren wurden gewisse alte Schriften wiederentdeckt, und damit ging eine lange Periode der Verfinsterung zu Ende. Die urzeitlichen Offenbarungen wurden wieder einer ausgewählten Zahl von Adepten zugänglich gemacht, doch unter der Führung einer geheimnisvollen Priesterschaft - und erst nachdem diese eine schwierige Initiationsphase erfolgreich bestanden hatte. 41
Grunewald und Paul Bell begannen Anfang der dreißiger Jahre in den alten Schriften Benennungen verschiedener Objekte zu sammeln und zu klassifizieren: »Kraftkristalle«, »Transformer«, »Empfänger«; all dies waren literarische Begriffe für etwas, das die Sternengötter offensichtlich in der Obhut ausgewählter und weiser Urahnen zurückgelassen hatten. Solche Objekte könnten wirklich als »Stein der Weisen« gedient und beschleunigte Transmutationen und Erleuchtungen herbeigeführt haben. »Ich war damals total absorbiert: Ich lehrte, forschte und korrespondierte mit Paul und anderen Suchenden. Ich übersah völlig, was in Deutschland passierte«, seufzte Grunewald bedauernd. »Politik hat mich nie interessiert, muß ich leider zugeben. Wäre ich wacher gewesen, hätte ich den Aufschwung der Nazis realisiert. Aber wie so viele Intellektuelle nahm ich sie nicht ernst, bis Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde.« Grunewald verfluchte die Wirkungslosigkeit der späten Einsicht, die kein Problem mehr lösen kann. Besonders regte er sich auch darüber auf, daß er Hitlers Besessenheit mit dem Okkulten zu spät bemerkt hatte: Denn in des Führers Sicht war Atlantis mit Supermännern belebt gewesen, deren Handeln jedoch von höheren Wesen diktiert wurde. Plato behauptet, daß die hochentwickelte atlantische Zivilisation wegen unstillbaren Machthungers und moralischer Perversionen untergegangen sei. Die Nazis hingegen führten das Ende von Atlantis auf die Unterwanderung der reinen weißen Arier-Rasse durch unterlegene, dämonische Rassen des asiatisch-semitischen Typs zurück. Laut ihren Postulaten wanderten die atlantischen Giganten, die die große Flut und das Erdbeben überlebten, nach Ägypten und Assyrien aus, wo sie die entsprechenden späteren Zivilisationen gründeten. 42
Einer von Hitlers Mentoren war Dietrich Eckert gewesen, der Gründer der »Thule-Gesellschaft«. Dessen Vision war, alle okkulten Gesellschaften unter einem Hut zu vereinigen, um die alten germanischen Traditionen wiederzubeleben. Hitlers Wahl des Hakenkreuzes - eine ins Negative verdrehte germanische Rune - als sein Parteisignet zeugt von seinem Wunsch, eine universelle Symbolik zu kreieren, die seinen globalen Machtanspruch unterstützte. »In unserer Forschungsarbeit«, erklärte Grunewald, »fanden wir laufend mehr und mehr Bezüge zu den Plejaden und zu Sternenwesen, die die Erde von den »Sieben Schwestern< aus besuchen. Alte Schriften, von denen viele in Tibet entdeckt wurden, gaben Beweise dafür, daß die Vorväter der menschlichen Rasse von den Plejaden auf die Erde kamen.« »Faszinierend«, unterbrach Brad Bronson. »Jetzt, 1971, wurden wir erst kürzlich mit der sogenannten >Alten-Astronauten<-Hypothese bekannt gemacht. Und Sie erzählen uns, daß sie bereits in den dreißiger Jahren öffentlich über dieses Thema diskutiert haben.« Grunewald lachte kurz auf und korrigierte: »Nicht öffentlich, mein Freund. Vergessen Sie nicht, daß ich über private Gespräche oder Briefe spreche - mit nicht mehr als einer Handvoll guter Freunde. Zu diesen gehörten natürlich Dr. Paul Bell hier in den USA; Dr. Neville Bolting in England; Dr. Jacqueline Hillman in München und Dr. Omar Cadafa in Kairo.« Bronson setzte seine Kaffeetasse ab, bevor er antwortete. »Und die große Ironie hierbei ist, daß das Dritte Reich sich langsam und von Ihnen unbemerkt um Sie herum als eine sehr weltliche >Religion< aufbaute - und dazu noch viele Ihrer Hypothesen übernahm.« »Zumindest sehr ähnliche Hypothesen«, gestand Grunewald diesen Punkt Bronson mit einem Seufzer zu und 43
nickte mit seinem struppigen, löwenhaften Kopf; dann fuhr er mit seiner Erzählung fort. »Paul wurde immer ehrgeiziger, das Grab von Pharao Djedefre zu finden. Er war überzeugt, daß er dort auf Objekte treffen würde, die beweisen könnten, daß Wesen von den Plejaden die Erde in ihrer Frühgeschichte besucht hatten. Leider hatte Hitler bereits 1936/37 begonnen - was wir aber nicht wußten - ehrgeizig und eifrigst möglichst viele solcher alten mythischen Relikte zu sammeln. Er sandte Expeditionen aus, um zum Beispiel die Bundeslade, den Heiligen Gral und den Speer der Bestimmung zu suchen; der letztere soll Jesus' Brustkorb durchbohrt haben, als er am Kreuz hing. Eines Tages entdeckte eine Nazigruppe, die in den Karpaten suchte, ein altes Schloß: Gerüchte gingen um, daß es der Aufenthaltsort des legendären St. Germain gewesen sei. In der verfallenden Bibliothek fand die Expedition ein weiteres altes tibetisches Manuskript, das davon sprach, daß eine Anzahl von wissenschaftlichen Objekten von den Plejaden in Ägypten versteckt worden war. Laut der Schrift konnte jeder, der diese Geräte besaß, universelle Mächte beherrschen. Hitler wütete wie ein Berserker, als er von den Kräften der außerirdischen Geräte hörte, und brüllte, daß er diese Objekte unbedingt haben müsse, um die Meisterrasse vollständig entwickeln zu können.« »Das ist ziemlich wildes Zeug, Professor«, bemerkte Eric Powell und stand brüsk auf. »Ich brauche jetzt unbedingt ein Bier, um all dies runterzukriegen. Gibt es noch einen Anwärter für ein Kühles?« Grunewald ignorierte die zurückweisende Bemerkung, nahm aber das Angebot für eine Erfrischung an. »Ich hätte sehr gerne ein Bier; haben Sie auch deutsches?« »Budweiser, Schlitz, Strohs ... sie sind alle deutsch«, runzelte Powell seine Stirn über diese für ihn seltsame Frage. 44
Grunewald staunte ungläubig und ließ dann einen leisen Lacher ertönen. »Gut, dann egal, welches. Dankeschön.« Fred entschied sich wieder für Orangensaft. Er wollte seine Sinne nicht abstumpfen, jetzt, als er endlich etwas über das Schicksal seines Vaters in den Händen der Nazis erfuhr. Bronson bat um eine weitere Tasse Kaffee. Es war klar, daß auch er alle seine Sinne beisammen haben wollte. Fred hatte gesehen, daß Brad während Grunewalds Ausführungen Notizen machte. »Die Sturmwolken des Krieges wurden 1938 immer bedrohlicher«, setzte Grunewald seine Erzählung über den Fund in Ägypten fort. »Trotz des sich verschlechternden politischen Klimas bestand Paul darauf, daß wir uns in Kairo träfen, um eine nächste Grabung zu besprechen. Wie ich bereits erwähnte, war keiner unserer Runde an Politik interessiert. Alle waren wir Schüler, verbunden durch die Liebe zur Menschheit und deren Geschichte. Bedauerlicherweise waren wir blind und realisierten die Geschehnisse um uns herum nicht.« Die kleine Gruppe von Archäologen schaffte es schließlich, sich Anfang Mai 1939 in Ägypten zu treffen. Konkrete Judenpogrome hatten in Deutschland bereits im November begonnen. Deutsche Truppen besetzten Prag Mitte März; und Frankreich, Großbritannien und die USA ließen Hitler wissen, daß sie die Annektierung von Böhmen und Mähren nicht anerkennen würden. Obwohl die fünf Archäologen befürchteten, daß eine globale Auseinandersetzung vor der Tür stand, war keiner von ihnen weitsichtig genug, um zu ahnen, daß die »Hunde des Krieges« in weniger als vier Monaten losgelassen würden - als Hitler im September 1939 Polen besetzte. »Wie gelang es Ihnen, den Rezeptor zu finden?« mußte Fred fragend unterbrechen; er wünschte, daß Grunewald etwas schneller mit seiner Story vorankäme. 45
»Ja, dies ist eine interessante Frage, mein Junge«, nickte Grunewald und gab Powell ein Zeichen für das nächste Bier. »Wir hielten eine Séance ab. Die Geister - oder die Plejader - sagten uns, wo wir suchen müßten.«
46
Sechstes Kapitel
Dr. Grunewalds Bericht ließ für Fred und seine Freunde eine bildhafte, lebendige Vergangenheit entstehen. Es schien fast, als ob eine zurückgebliebene Energie die ehemaligen Hauptdarsteller nochmals auf die Bühne bringen wollte. Dr. Grunewald, Dr. Jacqueline Hillmann, Dr. Neville Bolting und Dr. Paul Raymond Bell trafen sich an einem Maimorgen 1939 um 9.15 Uhr im Büro von Dr. Omar Cadafa in Kairo. Bolting war ein schlanker, großgewachsener Mann Mitte Sechzig, der vor Muskeln und Sehnen strotzte, die von seiner lebenslangen Grabungsarbeit in der menschlichen Vergangenheit zeugten. Er trug einen penibel dünnen Oberlippenbart und sprach mit einer gepreßten, hohen, fast weiblichen Stimme. Mit seinem kultivierten britischen Akzent erreichte er, daß ein jedes seiner Worte gewichtig klang. Dr. Jacqueline Hillman war damals Ende Dreißig; sie war knapp 160 cm groß, hatte hellblaue Augen und dunkelbraunes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten trug. Meistens erschien sie in dunkel gefärbten Cherokee-Blusen mit einem perlenbesetzten Gürtel um die Hüfte und einem rehbraunen Lederrock. Dr. Paul Bell hatte die Gewohnheit, seine blaugrünen Augen zusammenzukneifen, wenn er nach den richtigen Worten suchte; trotzdem blickten sie freundlich und gleichzeitig forschend in die Welt. Zu jener Zeit trug er einen gepflegten Schnurrbart und ein Van-Dyke-Bärtchen. Er war mittelgroß, kompakt gebaut und stand mit 33 Jahren im Zenit seiner geistigen und physischen Fähigkeiten. 47
Grunewald war damals das »Wunderkind« der deutschen Archäologie: Autor von drei Büchern und mehreren Monographien. Jetzt, Mitte Vierzig, erlaubten ihm sein Erfolg und seine imposante Erscheinung, das reifere Alter mit Stil und Schwung anzupacken. Dr. Cadafa, ein sensibler, leise sprechender Wissenschaftler, war durch das Anliegen seiner Freunde verblüfft. »Ihr wollt das Grab des Pharaos Djedefre sehen.« Er sprach die Worte langsam aus, als suchte er ihre versteckte Bedeutung. »Ich fürchte, daß es nicht in meiner Macht steht, euch diesen Gefallen zu tun; ganz einfach deshalb, weil das Grab - wenn es überhaupt je existierte - seit Jahrtausenden verschollen ist.« Dr. Bell war perplex. Die vielen alten Texte wiesen alle darauf hin, daß ein wichtiger Schlüssel zu den Wesen von den Plejaden und ihren Kraftkristallen im Grab des Djedefre zu finden seien. Hatten sie etwa zuviel Zeit damit vertan, das Gestern zu erforschen, und dabei vergessen, nach dem Heute zu fragen? »Können wir wenigstens den Ort besuchen, an dem seine Pyramide gestanden haben könnte?« fragte Bell. »Ich bin überzeugt, daß dies wichtig ist, Omar.« Der Ägypter antwortete mit einem breiten Lächeln. Sie waren seine Gäste, und selbstverständlich würden ihre Wünsche nach Möglichkeit erfüllt. »Meine lieben Freunde«, begann Cadafa seine Einführungsrede zu ihrem Ausflug in die gleißende ägyptische Sonne, »jeder von uns ist bereits Geheimnissen auf der Spur gewesen, von denen der Durchschnittsmensch keine Ahnung hat - und sich wahrscheinlich auch nicht groß darum kümmert. Ich habe viele Jahre daran gearbeitet, eines der größten Rätsel Ägyptens zu lösen: die Frage nämlich, wo sich die Grabkammer von Djedefre befindet.« Am frühen Nachmittag bestiegen sie einen kleinen windgepeitschten Hügel in der Nähe des Dorfes Abu 48
Rawash; 15 Meilen westlich von Kairo und fünf Meilen nördlich der drei großen Pyramiden. Schutt von Kalkstein und rotem Granit lag verstreut umher, dazwischen waren Teile von Skulpturen auszumachen. »Schaut euch dieses zertrümmerte Monument an«, rief Cadafa aus und deutete mit der Spitze seiner Pfeife auf die Überreste von etwas, das offenbar einmal eine Pyramide gewesen war. »Diese wäre so groß gewesen, daß sie mit den drei großen Pyramiden von Gizeh konkurriert hätte. Und irgendwo, unter Tonnen dieses Trümmergesteins, liegen vielleicht die Grabkammer und die Mumie von unserem verlorenen Djedefre, dem Sohn von Cheops, dem Halbbruder von Chephren und dem Onkel von Mykerinos.« Grunewald war sofort von dem Geheimnis fasziniert. »Was denkst du, was passiert sein könnte? Irgendein Krieg oder eine vernichtende Revolution?« Cadafa lächelte seinem Kollegen zu und zuckte mit den Schultern. »Dies ist eines der Teile im Puzzle, die mich zur Weißglut bringen.« Bolting zog seinen Sonnenhelm ein wenig tiefer über die Augen. »Und ihr habt gar keine Anhaltspunkte, was mit dem armen Djedefre passiert sein könnte?« Cadafa schüttelte traurig verneinend seinen Kopf, als wäre dies eine Schande, die einen seiner Verwandten beträfe. »Alles, was wir wissen, meine Freunde, ist, daß Pharao Djedefre ungefähr 2600 vor Christus entweder so verhaßt war, so gefürchtet oder so beneidet wurde - nur Allah weiß es -, daß seine unmittelbaren Nachfolger alles daran setzten, sämtliche Beweise, daß er je gelebt hat, auszulöschen.« »Dies ist erstaunlich«, bemerkte Paul Bell und zwinkerte im hellen Sonnenlicht mit seinen Augen. Er versuchte gerade, die fußballgroßen Überreste von Kalkstein und rotem Granit, die einmal eine Pyramide bildeten, als Ganzes zu überblicken. 49
Jackie Hillman nickte zustimmend. »Und besonders, wenn wir bedenken, wie oft die alten Texte ihn in Verbindung mit den Sternengöttern erwähnen.« Cadafa stieß seinen Sonnenhut nach hinten: »Ihr habt mir bis jetzt nicht viel über die Sternengötter und eure neue Forschungsarbeit erzählt.« »Wir werden bald eine lange Nachtsitzung abhalten, an der du dabei sein wirst, Kollege«, versicherte ihm Bolting. »Jetzt fahre bitte mit deiner geführten Tour weiter.« Cadafa räusperte sich und zeigte mit seiner polierten Pfeife in Richtung des zertrümmerten Monuments. In Oxford erzogen, liebte der Archäologe seine Pfeife und seinen englischen Tabak fast so sehr wie die mystischen Ausgrabungen und Entdeckungen seiner Heimat. »Ausgehend von ihrer Basislänge wissen wir, daß Djedefres Pyramide größer gewesen wäre als diejenige seines Vaters Cheops, die 146,6 m hoch gewesen ist. Das hätte bedeutet, daß des Juniors Spitze näher an die Sonne herangekommen wäre.« »Und das ist ein bedeutsamer Punkt«, bemerkte Bolting, »da die alten Ägypter Ra, den Sonnengott, anbeteten; und den Pharao als den Sohn der Sonne - im Leben wie auch nach dem Tod - verehrten.« »Genau«, sagte Grunewald und sog an seiner soeben angesteckten Zigarre. »Aber es macht doch stark den Eindruck, als hätte Djedefres Pyramide gar nicht viel Zeit gehabt, sich der Sonne entgegenzustrecken.« »Dies ist wahr«, stimmte Cadafa zu. »Irgend jemand wandte einen gründlichen Zerstörungsmechanismus an; wir schätzen, daß Hunderte von Männern während Dutzenden von Jahren damit beschäftigt waren, Stein für Stein und Statue um Statue zu zerbrechen.« In Gedanken versunken, sog Grunewald an seiner Pfeife. »Außer wenn die Zerstörer eine Atombombe benützt hätten - oder so was Ähnliches.« 50
Die fünf Kollegen verharrten einige Sekunden in absoluter Stille. Es war in archäologischen Kreisen allgemein bekannt, daß deutsche Wissenschaftler seit Anfang des Jahrhunderts an einer solchen Erfindung arbeiteten. Paul erstarrte und blickte Grunewald und Jackie wissend an. »Oder es war eine andere, für uns unbekannte Kraft. Eine Energiequelle, die von den Pleijaden aus gelenkt wurde.« Cadafa schüttelte ungläubig seinen Kopf. »Es hätte einer unglaublich großen Energiequelle bedurft, um eine Pyramide, die während Jahren erbaut worden ist, mit einem Schlag zu zerstören.« »Tja«, seufzte Bolting, »wie immer sie es dem alten Knaben auch gegeben haben - sie schafften es perfekt, seine Pyramide in Schutt und Asche zu legen.« »Und dies taten sie so gründlich«, fügte Cadafa hinzu, »daß alle Erinnerungen an ihn und alle schriftlichen Überlieferungen seiner Nachkommen in der Nekropolis von Gizeh ausgelöscht wurden.« »Hat es in Ägypten je einen ähnlichen Fall gegeben?« wollte Dr. Bell wissen. »Keinen, der uns bekannt wäre«, antwortete Cadafa. »Es scheint, als stünden wir vor einem unlösbaren Mysterium: Nie werden wir das Geheimnis entdecken, warum gerade hier solche Anstrengungen zur völligen Zerstörung einer Pyramide angewendet wurden.« Jackie Hillman erschauerte. »Dieser Ort war mehrmals während Jahrhunderten ein Schauplatz der Gewalt gewesen. Wolf: Du und Paul, ihr seid schon einmal hier gewesen. Eure Seelen haben sich an diesem Ort bereits einmal ausgedrückt.« »Was genau willst du sagen, Jackie?« Bell schien über ihren plötzlichen Erguß verblüffender Behauptungen zu erschrecken. »Jackie spricht von früheren Leben«, sagte Grunewald frei heraus und hoffte, daß seine Freunde diese Aussage für 51
den Moment einfach akzeptieren würden und somit nicht die Eingebungen unterbrächen, die Jackie empfing und weitergab. »Ein früheres Leben?« Paul versuchte eine direkte Antwort zu erhalten, doch Jackie fuhr in ihrer seltsam melodischen Sprache fort. »Wolf und Paul wurden hier initiiert. Sie waren Priester des Lichtes. Sie standen im Dienst von Djedefre. Sie starben mit ihm in seinem Kampf gegen die Mächte des Dunklen ...« »Jackie«, fragte Grunewald und legte seinen Arm beschützend um ihre schmalen Schultern. »Könntest du etwas empfangen, wenn wir hier, wo die Schwingungen am stärksten sind, eine Séance abhielten?« Zitternd kuschelte sie sich an seine Brust. »V-v-vielleicht.« Der rational denkende Bolting war sichtlich verwirrt. »Sie kann doch nicht frieren; es herrschen mehr als 34 Grad!! Was fehlt ihr? Ist sie krank?« Die tiefe männliche Stimme, die urplötzlich aus Jackies Mund erklang, ließ Cadafa und Bell mit weiten Augen erstarren: »Die Gräben dort drüben. Heute nacht wäre eine gute Zeit!« »Guter Gott!« Bolting schnappte nach Luft. »Sie hat eine Stimme wie ein Nebelhorn. Wie macht sie das?« Grunewald grinste um seine Zigarre herum. »Dies ist der >Schwarze Falke<, ihr Geistführer. Deshalb hat Jackie auch gezittert. So bezeugt er seine Anwesenheit.« »Geistführer?« echote Bell, und zog fragend eine seiner Augenbrauen nach oben. »Ist Jackie ein Medium?« fragte Bolting und wartete keine Antwort ab. »Dies ist eine ziemliche Überraschung, Wolf. Du hast nie erwähnt, daß ihr zwei Spiritisten geworden seid. Ich weiß, daß dieser Trend vor einigen Jahren in 52
Österreich >in< gewesen ist. Und seit langem natürlich in England.« Grunewald entließ sinnierend einige Rauchwölkchen aus seiner Pfeife, bevor er antwortete. »Keiner von uns ist ein Spiritist im wahren Sinn des Wortes, Neville, obgleich wir spirituelle Wesen sind - wie wahrscheinlich alle, die hier versammelt sind. Jackie erhielt diese - Gabe -, als sie einige Zeit mit Cherokee-Priestern in Oklahoma verbrachte.« Neville nickte nachdenklich. »Und hörte ich richtig, daß du für heute nacht eine Seance vorgeschlagen hast?« »Bist du dabei?« antwortete Grunewald mit einer Gegenfrage. »Zu welchem Zweck?« mußte Bell, der ewige Pragmatiker, fragen. »Na, wozu wohl, Paul? Um Hinweise über das Geheimnis der Sternengötter und deren Kraftquellen zu erhalten. Um einige Schlüssel zum Mysterium von Djedefre zu bekommen«, antwortete er seinem Schüler ungeduldig. Grunewald spürte die bei seinen Füßen kauernde Jackie, die um Unterstützung bat - denn als »Schwarzer Falke« sie verlassen hatte, sank sie einfach in sich zusammen. »Okay, ich habe es«, kündigte Bolting an. »Du nimmst an, daß der Geist, der durch Jackie spricht, irgendwie in Kontakt mit den Geistern kommt, die hier nachts durch die Wüste spuken.« »Als grobem Abriß kann ich dem zustimmen, ja«, nickte Grunewald und kniete nieder, um Jackies Puls zu messen. Cadafa, der sich seit der plötzlichen Einmischung von »Schwarzer Falke« schweigend verhalten hatte, meldete sich nun mit einem praktischen Einwand zu Wort: »Aber was ist mit der Sprachbarriere? Ich kenne niemanden, der den vor 4500 Jahren hier gesprochenen Dialekt beherrscht ...« Grunewald erklärte, daß auf der »anderen Seite« keine Sprachbarrieren existierten: »Schwarzer Falke wird überset53
zen und seine Impulse mittels Energiewellen in Jackies Hirn senden. Sie wird mit ihrem Stimmpotential und Vokabular sprechen. Schwarzer Falke kann nur den >Mechanismus< anwenden, den Jackie ihm zur Verfügung stellt. Welche Energien auch immer hier bei der zerstörten Pyramide anwesend sind: Sie können nur in die gedanklichen Muster und Sprachen übersetzt werden, die Jackie versteht.« Nach einigen Sekunden des Überlegens zuckte Bolting dramatisch mit seinen breiten Schultern: »Okay, ich bin dabei.« Paul schüttelte seinen Kopf und lachte. »Warum, verdammt nochmal, nicht? Falls wir irgendeine Information bezüglich der Sternengötter von den Plejaden erhalten, die uns weiterbringt - warum nicht? Versuchen wir es. Im Interesse der Wissenschaft, so denke ich, sollten wir auch den Geistern eine Chance geben!«
54
Siebtes Kapitel
In der gleichen Nacht kehrten sie gegen 23 Uhr zu den Ruinen zurück. Es herrschte fast Vollmond, und die wenigen Wolken boten ein dramatisches Schauspiel vor dem Hintergrund Tausender heller Sterne. Neville Bolting gab ein schnelles, eindrückliches Zeugnis seiner jahrelangen Feldarbeit: Innerhalb weniger Minuten brannte ein lustiges Feuerchen vor der Pyramidenruine, an der sich die Séance-Teilnehmer wärmen konnten. Die fünf setzten sich ans Feuer und lehnten sich mit dem Rücken an die Wand einer verfallenden Schäferhütte. Grunewald hielt zwei dicke Wolldecken bereit, die er über Dr. Jackie Hillmann legen wollte, wenn Schwarzer Falke sie verlassen hatte. Während einiger Minuten saßen sie in absoluter Stille und starrten ins Feuer - als Bolting flüsternd die Träumereien unterbrach: »Sollen wir eine Hymne oder so etwas singen? Ich habe gehört, daß dies an Séancen getan wird.« »Dies ist nicht nötig«, antwortete Grunewald. »Jackie beginnt bereits, Kontakt aufzunehmen. Ich beobachte sie.« Bolting schien etwas enttäuscht. »Wie du meinst. Aber ich könnte einige Verse von >Amazing Grace< singen. Weißt du, mein Onkel Simon war ein methodistischer Ministrant. Ich selber hatte auch eine ziemlich gute Stimme. Einmal gewann ich sogar den ersten Preis in einem Sommerjugendlager. Damals sang ich auch >Amazing Grace<«. »Höchst interessant«, bemerkte Cadafa. »Oh, ich weiß, daß dies alles nicht sehr interessant ist«, gab Bolting dümmlich grinsend zu. »Es ist nur eine Anekdote, um die Zeit zu vertreiben, verstehst du?« 55
Cadafa lächelte. »Ich meinte nicht, daß es >interessant< sei, daß du in deiner Jugend einen Gesangspreis gewonnen hast«, erklärte er. »Sondern daß ich in dem Moment glaubte, einen Schatten genau hinter Jackie gesehen zu haben.« Paul Bell stimmte dem zu. »Ich sah ihn auch; beziehungsweise glaube, ihn gesehen zu haben.« Jackie begann zu zittern, und ihr Atem ging schwer, so als wäre plötzlich eiskaltes Wasser über ihren Körper gegossen worden. Grunewald legte eine Wolldecke über ihre Schultern. Sie ließ ihren Kopf zwischen die Knie fallen und richtete dann plötzlich ihren Rücken bolzengerade auf, wobei sie die Luft laut hörbar durch die zusammengepreßten Zähne einsog. »Guten Abend, meine Brüder.« Es waren Jackies Lippen, die den Gruß formulierten, doch der donnerähnliche Bariton war die Stimme des Schwarzen Falken. »Willkommen, Schwarzer Falke«, erwiderten Bell und Cadafa die Begrüßung; Grunewald hatte am frühen Abend allen einen Kurzvortrag über Séance-Etikette gehalten. Bolting murmelte etwas, setzte sich gerader hin und rückte ein wenig näher zum Feuer. Dem Engländer fiel es nicht leicht, in solch ein Experiment verwickelt zu werden, doch erlaubten es seine tadellosen Manieren auch nicht, daß er sich unhöflich verhielt. »Ich bitte euch, meine Brüder«, sagte Schwarzer Falke, »einen goldenen, sich um euch drehenden Lichtring zu visualisieren. Stellt euch diesen Bing als einen Schild vor, der euch vor allen negativen Kräften beschützt. Ich gebe euch einige Sekunden, um dies zu tun. Und, Dr. Bolting, versuchen Sie, dies als eine mentale Übung anzuschauen, vielleicht macht es für Sie die Sache einfacher. Aber ich versichere Ihnen, daß es sehr wichtig ist.« 56
Bolting schloß die Augen. »Nun, das kann ja nicht schaden«, seufzte er. »Okay, Schwarzer Falke. Ich sehe jetzt einen goldenen Lichtkreis, der mich umhüllt und als Puffer gegen alle bösen Schatten dient, die hier herumgeistern mögen.« »Ihr verfugt über eine ausgezeichnete Geistenergie«, bemerkte Schwarzer Falke. »Ihr habt eine starke Aura; zusammen bildet ihr einen echten Schutzschild.« »Den können wir auch brauchen«, murmelte Paul Bell und linste über seine Schulter hinweg in die stockdunkle Umgebung. Unter den gegebenen Umständen war es einfach, sich vorzustellen, daß eine versteckte Nachtkreatur am Rande des Lichtfeldes stand, die nur darauf wartete, daß einer der Runde für eine Sekunde die Achtsamkeit verliere, um dann irgendwie zuzuschlagen. »Ich weiß, weshalb ihr heute Nacht diese Séance abhaltet«, sagte Schwarzer Falke. »Ihr habt einen Ort gewählt, dessen Geistenergie sehr dicht und schwer ist. Dies ist günstig, um die Information zu erhalten, die ihr sucht; doch müßt ihr vorsichtig sein: Die, die euch besitzen wollen, sind an diesem Ort auch sehr stark.« »Wenn es so ist, werde ich mich vor allem mit dem goldenen Lichtfeld beschäftigen«, meinte Bolting und rückte noch ein wenig näher zum Feuer. »Fühlt sich Schwarzer Falke nicht ein wenig fremd hier - so weit weg von seiner amerikanischen Heimat?« flüsterte Paul in Grunewalds Ohr. »Auf der >anderen Seite< gibt es keine geographischen Grenzen«, antwortete ihm Wolf leise. »Alles ist ewiges Jetzt ... ewiges Wo. Die Grenzen zwischen Raum und Zeit sind aufgehoben.« »Schwarzer Falke«, fragte jetzt Cadafa höflich, »darf ich wissen, ob der Geist des Pharao Djedefre sich unter uns hier in seinen Ruinen - befindet?« 57
Jackies Kopf drehte sich brüsk nach links, als ob von dort eine Stimme riefe. »Ja, die Geistenergie von Djedefre ist hier«, erwiderte Schwarzer Falke. »Er leidet darunter, daß es ihm nicht gelungen ist, die Anhänger des Belial auszulöschen. Denn der Pharao und seine Priester waren die Gegenspieler der kriegerischen Atlantiden. Djedefre und seine Nachkommen erfuhren von ihnen eine schreckliche Rache.« »Belial?« wiederholte Paul. »Das ist herbräisch ...« »Es bedeutet böser oder verhexter Mensch«, hakte Granewald nach. »Er ist der Prinz der Teufel«, verbesserte Cadafa die Definition. »Kann auch mit Beelzebub oder Satan ausgedrückt werden.« Bolting sehnte sich danach, seine langen Beine auszustrecken. »Kennt jemand von euch einen Kult oder eine Religion unter dem Namen >Schüler des Belial« »Dies könnte doch eine Abspaltung der Teufelsanbeter sein«, spekulierte Paul Bell. Schwarzer Falke lieferte zusätzliche Informationen: »Die Schüler von Belial kamen nach Ägypten, nachdem das große Land zwischen den Wassern, Atlantis, untergegangen war. Diese kriegerischen Priester behaupteten, ihr Wissen direkt von den Sternengöttern erhalten zu haben, die eine Zeitlang bei ihnen in Atlantis gelebt hatten. Die BelialSchüler erzählten Pharao Djedefre, daß sie Geheimnisse der Sternengötter besitzen, die es möglich machten, die Erde wie auch den Himmel - zu kontrollieren. In Wirklichkeit waren sie aber schwarze Magier, die die Lehren der Sternengötter verzerrt und korrumpiert hatten, um ihren eigenen, egozentrischen Machtansprüchen zu dienen. Die atlantischen Krieger-Priester kamen an den Hof von Pharao Djedefre; und mit sich brachten sie Rituale, die bereits Tausende von Jahren alt waren. Sie boten dem Pharao 58
ihre Dienste an - aber um einen schrecklichen Preis: Er hätte ihnen ganz Ägypten in die Hände geben müssen.« »Dies ist für mich alles sehr verwirrend«, sagte Cadafa leise und überlegt. »Versteht jemand von euch, was uns jetzt gesagt wird?« Paul nickte nachdenklich. »Was Schwarzer Falke berichtet, ist dem sehr ähnlich, was wir in einigen der alten tibetischen Texte entdeckt haben. Ich würde gerne mehr hören ...« »Viele tausend Jahre vor dieser Zeit«, fuhr die Geiststimme aus Jackies Mund fort, »kurz nachdem die Sternengötter zu den »Sieben Schwestern<, den Pleijaden, zurückgekehrt sind, kam ein geheimer Rat der atlantischen Magier zusammen. Sie beschlossen, die geheimen Lehren sowie die machtvollen Waffen der Sternengötter für ihren eigenen Machthunger anzuwenden, sprich: zu mißbrauchen.« Bolting räusperte sich etwas lauter, als er beabsichtigt hatte. »Aber kann all dies wahr sein? Wir können niemandem - und den ewig zynischen Kollegen schon gar nicht beweisen, daß Atlantis existierte. Wie könnten wir dann die Existenz von teuflischen Magiern und von aus Atlantis stammenden Belial-Schülern beweisen?« »Aber andererseits«, warf Grunewald ein, »beginnt dies alles sehr nach einem alten okkulten Orden zu riechen: Er nannte sich >Ritter von Atlantis< und behauptete, daß ihre Riten und Rituale bis zu den Zeiten des verlorenen Kontinents von Atlantis zurückgehen.« Ein Gefühl der Dringlichkeit ließ Schwarzen Falken plötzlich schneller sprechen: »Djedefre sagt, daß die BelialSchüler während seiner Erdenzeit eine Realität waren, und er sagt, daß sie während eurer Erdenzeit immer noch real sind. Sie regieren an einem Ort, der den Zeitbegriff nicht kennt und wo sie stärker und stärker werden. Von diesem Königreich aus, das sich in einer zeitlosen Dimension be59
findet, können sie jederzeit an irgendeinen Ort auf der Erde gelangen, nicht nur hier in Ägypten.« Bolting hielt das Sitzen fast nicht mehr aus. »Was soll dieses Gerede über Zeitlosigkeit bedeuten?« Cadafa sagte nichts, doch versuchte er, die gesamte Situation so objektiv wie möglich zu beurteilen. »Die Belial-Schüler befinden sich zwischen der Erdenwelt und der Welt der Großväter - einer höheren, spirituelleren Ebene.« Schwarzer Falke bemühte sich sichtlich, die Dinge zu erklären. »Sie leben in einer Zwischenzone, einer Art Fegefeuer«, sagte Paul. »Doch sind sie dort nicht hilflos«, ließ sich Schwarzer Falke warnend vernehmen. »Alle, die sie auf der Erde verführen können, dienen ihnen dort in ihrem Geiste; und sie versuchen, so viele Menschen zu besitzen wie nur möglich. Sogar jetzt, durch die Führung ihres Meisterschülers Adolf Hitler, besitzen sie Hunderttausende von Frauen und Männern in Deutschland. Sogar jetzt suchen sie die verlorenen Werkzeuge der Sternengötter, um ihre Armeen unbesiegbar zu machen.« Grunewald hat nie vergessen, was nachher passiert ist. Durch eine unerklärbare Art der Gedankenübertragung, durch eine Zeitverschiebung oder seine eigene Seelenerinnerung, konnte er auf einmal sich und Paul Bell in den Roben der ägyptischen Hohepriester sehen. Sie standen vor dem Thron des Pharaos - und er wußte, daß es Djedefre war. Sie befanden sich irgendwo in einem Raum. Außer dem Pharao, Paul und ihm selbst hielten sich noch weitere Priester in dem Raum auf sowie Männer, die wie Soldaten aussahen. Leidenschaftlich berichtete Djedefre von einer großen Gefahr, die dem erst kürzlich zustande gekommenen vereinten Ägypten und der ganzen bekannten Welt drohe. Er 60
befahl seinen Priestern und Soldaten, ihm zu folgen, um die Belial-Schüler zu vernichten. Er habe einen Fehler begangen, gab der Pharao zu, als er den Orden der Krieger-Priester an seinem Hof willkommen hieß. Sie seien nicht die Wohltäter gewesen, für die sie sich ausgegeben hätten: Sie seien Schüler der Dunkelheit gewesen, die Menschenopfer dargebracht und andere Abscheulichkeiten begangen hätten, um ihre egoistischen Ziele zu erreichen. Grunewalds starke, klare Vision wurde brüsk durch Dr. Jackie Hillmanns Schluchzer unterbrochen: Aus ihrem Mund sprach eine Stimme, die aus einer tiefen Schlucht zu kommen schien. Er wußte sofort, daß Schwarzer Falke die Kontrolle über Jackie einem anderen Geistwesen überlassen hatte. Es war klar, daß dies Pharao Djedefre sein mußte. Als der Pharao zu sprechen anfing, konnte Grunewald mit seinem geistigen Auge alles sehen, was vor 4600 Jahren passiert war. Er erblickte eine Armee, bestehend aus Priestern und Soldaten, die gegen die kriegerische Sekte der alten Atlanten, gegen die Belial-Schüler, losmarschierte. »Ich war fähig, meine Seelenenergie wahrzunehmen, so wie sie sich damals ausdrückte«, berichtete er, »und ich wußte, daß ich ich gewesen bin. Auf die gleiche Art konnte ich auch Paul Beils Seelenessenz fühlen. Denn es ist natürlich die Seelenenergie, die zeitlos bestehen bleibt; unabhängig von der physischen Erscheinung in der jetzigen Inkarnation.« Der Hohepriester der Belial-Schüler hielt vom Balkon eines großen Turmes eine Rede, in der er den Anhängern des Pharao darlegte, wie töricht es sei, ihnen widerstehen zu wollen. Warnend ließ er sie wissen, daß sie über Kraftkristalle verfugten, die jede feindliche Armee zerstören könnten. Die Ägypter müßten sich mit ihnen verbinden, anstatt gegen sie zu kämpfen; denn - so drohte er - sie hätten keine Chance zu gewinnen. 61
Selbst im Falle ihres eigenen physischen Todes, informierte der Hohepriester die Ägypter, würden die BelialSchüler triumphieren. Denn mit Hilfe ihrer magischen Kräfte hätten sie bereits eine Welt in einer anderen Dimension - kurz vor der göttlichen - erschaffen. Selbst wenn einige von ihnen stürben, könnten deren Geister die Körper derjenigen besetzen, die sie in ihren Belial-Orden initiiert hatten. Im Tod würden sie also noch mächtiger. Viel versprachen sie denen, die dem Belial-Orden beitreten würden: Reichtum, Erfüllung körperlicher Begierden und weltliche Macht. Sie zeigten sich ihren Anhängern gegenüber dankbar, und es wäre eine Dummheit, sie nicht zu unterstützen. Doch Djedefre und seine ergebenen Priester konnten durch solche falschen Versprechungen nicht erschüttert werden. Mit Kriegsausrufen, die die Heerscharen des Lichtes anspornten, griff die königliche Armee die Invasoren an. Und sie hatten nicht den Hauch einer Chance gegen die Belial-Schüler: Unsichtbare Kräfte hoben die Krieger in die Luft und schmetterten sie zu Boden. Viele Soldaten standen plötzlich in Flammen und verbrannten. Die kriegerischen Priester verfügten über Kräfte, von denen die Ägypter keine Ahnung hatten und gegen die ihnen ihre Götter keine Hilfe senden konnten. In seiner Vision sah Grunewald auch manche seiner Freunde, die angesichts dieses Desasters ihre Seele verkauften und den Belial-Priestern die Treue schworen. Die Seelenenergien von Paul Bell und Granewald hielten sich jedoch bei einer kleinen Gruppe von ägyptischen Priestern auf, die beteuerten, daß sie nie die Kräfte des Bösen unterstützen würden, selbst wenn dies ihren Tod bedeutete. An diesem Punkt der Séance kam Grunewalds Bewußtsein voll in die Realität zurück, da er bemerkte, daß Jackies Körper von Schluchzern, Seufzern und Weinkrämpfen ge62
schüttelt wurde. Die Tränen flossen frei über ihre Wangen, als das Geistwesen Djedefre fortfuhr, ihren Körper zu benutzen, um zu berichten, wie die Baiderschaft des Dunkels seine Dynastie zerstört hatte. »Meine Pyramide war schon fast fertig!« schrie das Geistwesen qualvoll auf. »Sie wäre um einiges größer als die meines Vaters gewesen. Sie hätte fast die Sonne berührt, aber die Teufel haben sie zerstört.« »Unglaublich«, flüsterte Bolting skeptisch. »Die BelialSchüler sollen die Pyramide mit ihrer Schwarzen Magie zerstört haben?« »Wie lange brauchte die Dunkle Bruderschaft dazu, Ihre massive Pyramide zu zerstören?« fragte Cadafa, dessen Neugier noch größer war als seine Verwirrung. »Nicht viel länger als ein Blinzeln«, war die überraschende Antwort, die der Geist von Djedefre murmelte. »Sie benutzten dazu die Kristalle, die sie den Gottpriestern von Atlantis gestohlen hatten. Diese waren die rechtmäßigen Erben der Sternengötter von den Plejaden.« »Das müssen tatsächlich enorme Kristalle gewesen sein, wenn sie eine riesige Pyramide aus Kalkstein und Granit innerhalb eines Augenblicks vernichten konnten«, bemerkte Bolting und schüttelte mit zurückhaltender Ungläubigkeit den Kopf. »Die Belial-Schüler ließen mich wissen, daß sie meine Pyramide zerstört hätten, um sich für meinen Widerstand zu rächen«, sagte der Geist von Djedefre, dessen Stimme sich in ein Wimmern gewandelt hatte. »Sie behaupteten, mit mir ein Exempel für die Zukunft statuieren zu wollen. Sie würden alle Beweise, daß ich und meine Nachfahren existiert haben, auslöschen - so, als hätte ich nie gelebt.« »Wenn dies alles vor Ihrem Tod passiert ist«, ließ sich nun Cadafa vernehmen, »dann sind Sie ja nie in Ihrer Grabkammer beigesetzt worden ...« 63
»Und genau dies war mein Tod!« schrie Djedefre wehklagend auf. »Durch ihre Zauberei befand ich mich plötzlich in meiner Grabkammer. Dann schrie ich aus Angst auf, als sie um mich herum die Pyramide explodieren ließen ... bevor sie fertiggestellt werden konnte ... bevor die Kammer den Ritualen entsprechend vorbereitet war und das Sternenboot, das mich zu den Göttern fahren sollte, sich am richtigen Ort befand!« Die wehklagende Stimme steigerte sich immer höher, bis sie in einer Wiederholung vom fürchterlichen Todesschrei Djedefres - ein Gemisch aus Angst, Wut und Hilflosigkeit - abrupt abbrach. Nach zwei Minuten völliger Stille ließ sich Djedefre nochmals hören; doch nun tönte seine Stimme wie ein Geflüster der Dankbarkeit. Die Geistessenz des alten Pharaos hob eine Hand von Dr. Jackie Hillmann auf und richtete ihren Zeigefinger auf Paul Bell. »Du warst es, mein lieber und ergebenster Priester, der die teuflische Bruderschaft vertrieben hat.« Paul begann, trotz der Kälte der Nacht, heftig zu schwitzen. Die Idee einer spiritistischen Sitzung hatte seiner wissenschaftlichen Grundhaltung sowieso schon Mühe gemacht. Nur sein Respekt für Grunewald und seine Freundschaft mit Jackie konnten ihn überhaupt dazu bringen, anwesend zu sein. Doch ließen ihn die medialen Durchsagen seiner Freundin nicht kalt; im Gegenteil - sie brachten überraschend vertraute Saiten in seinem Innern zum Klingen. Das Geistwesen erzählte weitere bizarre Geschehnisse des ägyptischen Altertums, die nie in einem öffentlichen Geschichtsbuch niedergelegt worden waren: »Du (auf Bell zeigend) und du (auf Grunewald zeigend), ihr wurdet gemeinsam mit den wenigen anderen meiner loyalen Priester zu lebenslanger Sklaverei verurteilt; doch ihr alle schertet euch einen Deut um eure persönliche 64
Sicherheit und brachtet den Smaragd-Rezeptor der Sternengötter in euren Besitz.« Laut Djedefre rannte der ägyptische Priester, dessen Seelenessenz heute Paul Bell innewohnte, unerschrocken nach vorne und riß das Medaillon der Sternengötter von der Brust des Hohenpriesters. Die Seelenenergie, die jetzt Grunewald heißt, warf sich daraufhin in die Speere und Schwerter der Belial-Schüler - und weitere loyale Priester taten dasselbe. Freiwillig opferten sie ihr Leben, um den Rezeptor der Sternengötter für die Kräfte des Lichts zu erhalten. Der Aufstand der Ägypter dauerte nur wenige Stunden und endete im vollkommenen Massaker aller Priester, einschließlich des Pharaos. Der junge Priester, der sich das Medaillon schnappte, schaffte es aber irgendwie zu entfliehen. Er tauchte im Tempel der Hathor, der Göttin von Schönheit und Liebe, unter, und es gelang ihm, ein schützendes Energiefeld um das Gebäude aufzubauen, das die BelialSchüler fernhielt. »Bei dieser Arbeit half ihm eine schöne Sternengöttin«, sagte Djedefre. »Obwohl die Sternengötter nicht in die Geschichte der Menschheit eingreifen wollen, können sie als Lehrerinnen, Führer und Instruktoren fungieren. Durch die Führung dieser Sternengöttin blieb der Rezeptor weiterhin vor dem Zugriff der Belial-Schüler geschützt.« Jetzt wurde die Séance abgebrochen. Grunewald betonte, daß Jackie viel länger in Trance gewesen sei, als es ihrer psychischen Gesundheit bekömmlich sei, und Cadafa war wegen der langen Rückfahrt nach Kairo besorgt. Während der Fahrt zum Hotel wurde fast nicht gesprochen; um so lebhafter und kontroverser waren hingegen die Diskussionen am nächsten Morgen beim Frühstück. Ist es möglich, daß der Abend nur eine unterhaltende Abwechslung gewesen war - eine Art >Entertainment<, bevor sie mit der ernsthaften Grabung anfingen? War es 65
überhaupt möglich, daß angebliche Geistwesen substantielle Informationen durch Dr. Jacqueline Hillmann durchgaben? »Wir haben schon immer zu den Freidenkern unter den Archäologen gehört«, sagte Neville Bolting nach seiner vierten Tasse Tee. »Aber können wir dem Experiment der vergangenen Nacht wirklich Glauben im wissenschaftlichen Sinn schenken? Ich will auf keinen Fall deine Glaubensstruktur ändern, liebe Jackie, aber glaubst du im Ernst, daß das Gespenstergeschwätz von letzter Nacht, daß böse Magier eine Pyramide in Nullkommanichts zerstörten, wahr sein kann?« »Was soll ich dir sagen, Neville?« antwortete Jackie und zuckte die Schultern, scheinbar unberührt durch die Debatte, die sie als Medium ausgelöst hatte. »Die Infos vom Schwarzen Falken haben sich bis jetzt als sehr verläßlich erwiesen. Es hängt von dir ab, ob du sie annimmst oder wegwirfst.« Dr. Cadafa schluckte seinen Toast runter, bevor er in die Diskussion einstieg. »Können wir eines der größten Geheimnisse Ägyptens so einfach, so seltsam lösen? Wer von uns wird der erste sein, der diese Geschichte in einer archäologischen Zeitschrift veröffentlicht?« Dr. Paul Bell stand auf und legte seine Serviette auf das Tablett. »Mir ist die akademische Akzeptanz in diesem Punkt völlig egal, Freunde. Meiner Meinung nach stimmt alles, was wir letzte Nacht gehört haben, mit den Informationen der tibetischen - und anderen alten, vergessenen Texte überein. Irgendein Teil meiner Seele vertraut den von Jackie übermittelten Kommunikationen und Informationen bedingungslos. Und da wir gehört haben, daß der Hathor-Tempel ein Werkzeug von unschätzbarem Wert beherbergt, denke ich, daß wir so bald wie möglich nach Dendera aufbrechen sollten, um den Tempel zu besuchen.« 66
Grunewald nahm noch einen Schluck Kaffee und stellte sich dann neben seinen Schüler. »Ich nehme an, es ist klar: Ich vertrete Pauls Meinung. Wer will, kann nach Dendera mitkommen, um den Hathor-Tempel zu untersuchen.« Eine grobe Stimme unterbrach plötzlich diese intimen Frühstücksüberlegungen und ließ die Anwesenden zusammenzucken. »Hiermit informiere ich Dr. Grunewald und Dr. Hillmann, daß sie nirgendwohin gehen werden, ohne mich vorher umfassend informiert zu haben, was sie hier in Ägypten suchen!« Obwohl sich der Sprecher Mühe gab, laut, befehlend und männlich zu wirken, erklang die Stimme im Ausdruck erstaunlich hoch und weibisch. Grunewald entfuhr ein tiefes Brummen, als er sich umdrehte, um dem ungebetenen Gast ins Gesicht zu sehen. Vor Überraschung riß er die Augen auf - und mit welchem Fluch er den Unterbrecher auch bedacht hätte, sein nicht begonnener Ausruf endete mit einem »nicht-schon-wieder«-artigen Seufzer: Grunewald blickte in die kalten, grausamen Augen von Reinhard Heydrich, dem Chef der Gestapo.
67
Achtes Kapitel
»Heydrich will unbedingt wissen, was wir suchen«, berichtete Grunewald seinen Freunden, als sie sich abends zum Essen trafen. »Von jetzt an müssen wir sehr vorsichtig sein.« »Wie haben die Nazis überhaupt von unserer Expedition erfahren?« sinnierte Paul Bell, als ob seine Verwunderung die realistische Warnung von Grunewald zunichte machen könnte. »Zum Beispiel die Schrift, die ich letzten Sommer in München herausgegeben habe«, antwortete ihm Jackie. »Der Artikel, den Bolting im international Archaeologist< veröffentlicht hat. Das Seminar, das Grunewald 1936 in Wien gehalten hat. Oder die Monographie mit dem Titel >Die wahre Bedeutung der Alchemie bei den Katharern<, die du, Paul, herausgegeben hast...« »Die Gestapo hat minuziöse Arbeit geleistet und Stück für Stück das Puzzle zusammengesetzt«, bemerkte Grunewald und legte Messer und Gabel zur Seite, als hätte er die Hoffnung auf eine erfolgreiche Grabung bereits aufgegeben. »Außerdem haben sie unsere Unterhaltung abgehört«, fügte Jackie hinzu, wobei ihre Stimme vor Wut zitterte. »Das elende Schwein«, zischte Bolting, bevor er einen Schluck von seinem Gin Tonic nahm. »Wissen sie alles, was wir entdeckt haben?« Bell wollte der Tatsache nicht ins Auge sehen, daß vielleicht alles, was sie erfahren hatten, bereits auch in anderen Händen war. »Wie können sie all das erfahren haben?« unterstützte Cadafa Pauls protestierende Frage. Grunewald schüttelte den Kopf und füllte sein leeres Glas wieder mit ägyptischem Bier. »Sie wissen nicht alles, 68
aber genug, um uns wie Falken, die über Hasen wachen, zu beobachten.« Paul Bell schlug wütend mit seiner Handfläche auf den Tisch, um seine Aussage zu betonen: »Ich meine, daß wir mehr Quelleninformationen haben und um einiges weniger hilflos sind als Hasen gegen Falken.« »Wieviel wissen die anderen?« fragte Bolting und richtete seine schmalen Schultern auf - als erwarte er das Schlimmste. »Die meisten ihrer Hypothesen basieren auf alten okkulten Lehren, vieles stammt aus den alten tibetischen Schriften, die wir übersetzt haben«, antwortete Jackie lakonisch. »In erster Linie sind sie auf der Suche nach Kraftquellen, um den Sieg des Dritten Reiches zu sichern«, fügte Grunewald hinzu und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse des Abscheus. »Es sind jetzt Expeditionen unterwegs, um den Heiligen Gral, die Bundeslade und den Speer der Hoffnung zu finden. Denn Hitler und seine Berater sind der Meinung, daß große Kräfte in den Objekten liegen, die außerirdische Besucher vor Tausenden von Jahren auf der Erde zurückgelassen haben.« Jackie Hillmann pickte etwas von ihrem Teller und begann zu sprechen: »Einer der alten Mystiker schreibt, daß unsere Vorfahren, die Atlanter, weitestgehend von einer spirituell höher entwickelten Gruppe von Humanoiden angeleitet und geführt worden sind. Diese kommunizierten und interagierten mit den intelligentesten, stärksten und mental flexibelsten der Atlanter. Mit der Zeit erschufen sich diese >Auserwählten< eine Art von Halbgöttern, die fähig waren, Instruktionen von höheren Wesen zu empfangen und weiterzugeben. Durch unsere ganze Geschichte finden wir diese Menschen«, fuhr Dr. Jackie Hillmann fort, »die Abkömmlinge dieser göttlichen, hybriden Rasse sind; Frauen und Männer, 69
die nach hohen Idealen streben und sich selbst als Kinder einer universellen, göttlichen Macht sehen.« Paul Bell konzentrierte sich auf sein mit Weißwein gefülltes Glas. »Und ich könnte mir vorstellen, daß die Nazis sich als diese göttliche, hybride Rasse sehen.« »Oder aber«, fügte Grunewald hinzu, »als die bewußten Menschen, die sich auf die Rückkehr der Sternengötter vorbereiten, damit sie mit ihnen zurückkehren können.« »Der Mystiker berichtet über die aulkommende, sechste postatlantische Rasse, die die Kinder der universellen göttlichen Macht sein würden«, bemerkte Dr. Hillmann. »Diese Wesen wären fähig, jene Männer und Frauen zu initiieren, die ihre geistigen Kräfte so weit entwickelt haben, daß sie sich einfacher mit dem Göttlichen vereinen könnten.« Genüßlich wickelte Grunewald eine lange, dicke Zigarre aus ihrer Cellophan-Umhüllung und steckte sie sich zwischen die Lippen. »Heydrich zeigte uns eine von ihnen verfaßte Hieroglyphen-Übersetzung, die sich offenbar mit dem Vorhandensein von Raumschiffen im Ägypten des Jahres 1482 vor Christus beschäftigt.« Cadafa lockerte seine Krawatte und lehnte sich nach vorne, um Grunewalds Zigarre anzuzünden. »Hmm«, sprach er seine Gedanken laut aus, »du sagtest 1482 vor Christus? Das wäre also während der Regierung von Thutmosis III.« »Richtig«, bestätigte Jackie Hillmann das Erinnerungsvermögen ihres Kollegen. »Und gemäß diesen Aufzeichnungen machte der Pharao selbst einen Ausflug im Raumschiff«. »Fahr weiter«, drängte Bell. »Wie auch immer«, grinste Bolting. »Es ist irgendwie beruhigend, daß diese Nazi-Bulldoggen doch immerhin echt denken können.« 70
»Es war ein warmer Wintermorgen«, begann Grunewald und ließ dicke Rauchwolken aus seiner Zigarre aufsteigen, als er über die Entdeckung der Nazis berichtete. »Die Hieroglyphen beschreiben das Raumschiff als >Feuerkreis<. Es muß lautlos gewesen sein, denn die Inschriften besagen, daß es über >keine Stimme verfügte<.« »Und es war nicht nur ein Raumschiff«, fiel Jackie ein. »Die Hieroglyphen berichten, daß nach einigen Tagen noch viele von ihnen auftauchten.« Paul Bell hatte mittlerweile eine von Grunewalds Zigarren angezündet; zwischen etwas zu geräuschvollen Rauchpuffern erkundigte er sich nun, ob die Schriften auch Detailbeschreibungen der Raumschiffe lieferten. Jackie nickte. »Sie werden als extrem hell, heller als die Sonne beschrieben. Gemäß dem Übersetzer nicht größer als etwa 5,30 Meter im Durchmesser.« »Heydrich mutmaßte, daß es nur Erkundungsschiffe gewesen seien und daß sie wahrscheinlich von einem viel größeren Raumschiff, das im Erdorbit kreiste, ausgesandt wurden«, kommentierte Grunewald. »Was war das, was du über Thutmosis, der einen Raumflug unternommen haben soll, gesagt hast?« erkundigte sich Cadafa. »Oder war das ein Witz?« »Heydrich erzählte uns«, antwortete Jackie Hillmann, »daß die alten Schriften darüber berichten, daß Thutmosis >in den Himmel flog< und dort die >mystischen Wege des Himmels< gelernt habe. Die Nazis glauben also, daß solche Passagen in alten Schriften auf eine Raumschiffreise verweisen.« »Und? Geht es noch weiter?« forschte Bell. »Thutmosis III. stieg vom kleinen Raumschiff auf eine größere Raumbasis um, die - wie gesagt - im Erdorbit kreiste«, fuhr Jackie fort. »Er begegnete außerirdischen Wesen, die er als Götter betrachtete. Nach einer Unterredung mit 71
ihnen und einem kurzen >Sight-Seeing im All< wurde der Pharao mittels des kleineren Gefährtes wieder zur Erde zurückgebracht.« »Und dies soll vor 3400 Jahren passiert sein«, schüttelte Bolting verwundert seinen Kopf. »Nach unseren Forschungsergebnissen«, betonte Bell, »wäre dies ein interplanetarischer Besuch gewesen, der sogar erst >kürzlich< stattgefunden hat.« »Ja«, stimmte Jackie dem zu. »Und den Nazis ist dies ebenfalls bewußt. Erinnert ihr euch? Sie glauben, daß Atlantis von den Sternengöttern kolonisiert worden ist. Und Ägypten scheint eine der entwickeltsten Kolonien gewesen zu sein, die die Atlanter nach der Zerstörung ihres Mutterkontinents aufgebaut haben. So sind denn die Nazis - wie wir auch - überzeugt, daß versteckte Objekte der Sternengötter noch in diesem Land zu finden sind.« Paul Bell mußte wegen seiner eigenen Zigarre husten und legte den Stumpen in den nächsten Aschenbecher. »Nun, ich denke, daß die Informationen deines Geistführers Schwarzer Falke von großem Wert sind. Ich bin überzeugt, daß wir diesen Kontakt weiterverfolgen und im Hathor-Tempel von Dendera graben müssen. Seit langem bin ich sicher, daß ein kleinerer Tempel verborgen neben dem Hauptgebäude liegt; und intuitiv fühle ich, daß das Medaillon, von dem die Geister sprachen, dort gefunden werden kann.« Grunewald bewegte sich mit sichtlichem Unbehagen auf seinem Stuhl, als er die Asche seiner Havanna abschnippte. »Tja, Jackie und ich sind mit dir einverstanden. Aber du mußt bitte auch verstehen, daß Heydrich und seine Gestapo uns überwachen wie ...« »Ja, ja, ich weiß«, beendete Paul den Satz für Grunewald. »Wie Falken. Sie beobachten uns wie Falken.« »Paul«, begann Jackie und senkte unbewußt die Lautstärke ihrer Stimme, als fürchte sie unsichtbare Spione im 72
Raum, die jedes Wort aufschnappten. »Du darfst Heydrich nicht unterschätzen. Du mußt dir klar darüber sein, mit wem du es jetzt zu tun hast.« »Diese aufgemotzten, obrigkeitsgläubigen Blödmänner haben nicht mehr Einfluß auf mich als Zinnsoldaten«, lachte Bell verächtlich auf. »Schließlich bin ich amerikanischer Staatsbürger.« »Dessen ist er sich auch voll bewußt, mein Freund«, ließ ihn Grunewald wissen. »Sonst hättest du wie Jackie und ich ihm einen Nachmittag lang berichten müssen, was du hier suchst.« »Aber Paul«, erinnerte ihn Jackie fast mitleidig an die nackten Tatsachen, »vergiß nicht, daß du nicht in Los Angeles bist. Du befindest dich nicht auf Yankee-Territorium, sondern in einem fremden Land, das immer mehr unter den Einfluß der Deutschen gerät. Ein weiterer, schrecklicher Weltkrieg steht vor der Tür, und du hältst dich sehr weit weg von zu Hause auf.« Paul Bell verstummte und sehnte sich plötzlich stark nach Natalie, dem eigentlichen Zentrum seines Lebens. Als er Los Angeles verließ, war beiden die explosive politische Situation bewußt. Paul hat Natalie um Verständnis gebeten: Diese Expedition müsse er einfach machen. »Himmler selbst ernannte Heydrich 1931 zum Sturmführer«, begann Jackie. »Und beförderte ihn dann einige Monate später zum Sturmbannführer; anschließend nahm er ihn mit sich nach München.« »Im Rang wäre dies wohl einem britischen Major ebenbürtig, ist dies korrekt?« wollte Bolting wissen. Grunewald nickte und lieferte ihnen eine Kurzbiographie des SS-Führers: »Im Juli 1932 beauftragte ihn Himmler mit der Reorganisation des staatlichen Sicherheitsdienstes und verlieh ihm den Titel eines Obersten, also Standartenführers. 1934 schließlich beschloß Himmler, daß Heyd73
rich >begabt< genug war, um sowohl der der Gestapo wie auch der SS vorzustehen; aus der letztern war mittlerweile der Sicherheitsdienst, der SD, geworden.« Jackie konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. »Und er ist so grausam, daß neben ihm Attila, der Hunnenkönig, wie ein friedlicher Tortenbäcker daherkommt. Sogar die schlimmsten Gestapo-Folterknechte zittern vor ihm.« »Trotz seines geschniegelten Äußeren und seines nach Respekt heischenden Auftretens«, fuhr Grunewald flüsternd fort - auch er schien vor Lauschern Angst zu haben, »ist er sexuell gestört. Wir wissen, daß er sich perversesten Ausschweifungen hingibt und die billigsten Prostituierten aufsucht.« Paul hatte Mühe zu glauben, daß seine Freunde den bocksteifen Leuteschinder mit der piepsenden Stimme beschrieben, der ihr Frühstück an jenem Morgen so brüsk unterbrochen hatte. Er hätte Heydrich als hochgewachsenen, gutgebauten Typ mit dem bezeichnenden deutschen militärischen Verhalten geschildert. Seine Augen mit den schweren Lidern erinnerten etwas an den Ausdruck der mongolischen Völker; sie lagen tief unter einer extrem hohen Stirn. Heydrichs Ohren waren für sein ovales Gesicht etwas zu lang geraten, und seine lange Nase endete nur kurz vor den ungewöhnlich dicken Lippen. Am seltsamsten empfand Paul Bell immer noch diese hohe, fast weibisch zu nennende Stimme, die irgendwie gar nicht zu diesem athletischen, männlichen Körper passen wollte. »Cadafa, hast du immer noch genügend Beziehungen zu Dendera, um eine improvisierte >Hopp-hopp<-Grabung zu organisieren?« erkundigte sich Paul und lenkte seine Gedanken von unheimlichen, monströsen Gestapo-Agenten wieder zum Medaillon der Sternengötter zurück. »Ja, Paul, klar«, lächelte der Ägypter begeistert. »Wir werden graben, und zwar trotz der verdammten Nazis!« 74
»Die Nazis sollen verdammt sein!« wiederholte Bell, der kurz davor stand, seine Bestimmung zu erfüllen - den eigentlichen Grund, weshalb er geboren worden war. Er würde es keinem eitlen Irren erlauben, sich das wertvolle Geschenk der Sternengötter zu schnappen.
75
Neuntes Kapitel
Die oberägyptische Stadt Dendera liegt auf der westlichen Seite des Nils - ungefähr 45 Meilen nördlich von Theben. Mit dem Zug ist sie von Kairo aus innert 24 Stunden zu erreichen; doch bedeutet der Besuch Denderas einen riesigen Schritt zurück in die Vergangenheit. Alle folgten Paul Bell zum Hathor-Tempel - Wolf Grunewald, Jackie Hillmann, Neville Bolting und Omar Cadafa. Des letzteren Kontaktperson, ein einflußreicher Ägypter namens Mustafa, versah sie mit zwanzig erfahrenen Ausgräbern, die sich darauf freuten, von den verrückten Ausländern ein paar Münzen beim Sandschaufeln zu verdienen. Jetzt war es Paul Beils Vision, die sie leitete. »Ich bin überzeugt«, wandte er sich an seine Kollegen, als sie abends beim Lagerfeuer saßen, »daß Jackies mediale Informationen mit denjenigen harmonieren, die wir in den Übersetzungen der alten tibetischen Texte gefunden haben. Und deshalb bin ich sicher, daß sich irgendein altes >Kraftobjekt< in der Nähe befindet: sei es in einem kleineren Tempel oder in einer Bibliothek - auf jeden Fall in einem der zerfallenen Gebäude, die zum Hathor-Tempel-Bezirk gehören.« Es war jetzt Mitte Juni, und sie waren erst seit knapp zwei Wochen am Grabungsort, doch hatten sie bereits viermal Besuch von Heydrich und seinen ihn begleitenden Schlägertypen gehabt. Dr. Bell hatte es geschafft, bei der ersten Befragung einen direkten Kontakt mit dem Gestapochef zu vermeiden. Doch war allen klar, daß Paul beim nächsten SS-Besuch Rede und Antwort würde stehen müssen. »Es ärgert mich, Dr. Bell, daß Sie unsere freundlichen Visiten als >Invasion< bezeichnen«, begann Heydrich mit 76
seiner um einiges zu hoch geratenen, piepsenden Stimme mißbilligend. »Und ich sehe nicht ein, daß Sie irgend etwas mit unserer Grabung zu tun haben, Herr Heydrich«, antwortete ihm Bell ernsthaft und senkte bewußt seine Stimme, um den Kontrast der Stimmlagen herauszustreichen. »Dies ist eine internationale Grabung, die Deutschland nicht mitfinanziert.« »Aber zwei Ihrer Kollegen sind Deutsche; und meine nationalistische Hingabe zwingt mich dazu, an Ihren Bemühungen teilzuhaben«, erwiderte Heydrich gestelzt und lächelte salbungsvoll. »Alle sind damit beschäftigt, Löcher in die Erde zu graben«, meinte Paul und wies mit einem Kopfnicken auf die hinter ihm arbeitenden Ausgräber. »Sie sind herzlich eingeladen, sich ebenfalls eine Schaufel zu packen und mit anzufassen.« Heydrich betrachtete seine in schwarzen Lederhandschuhen steckenden Hände. Erst jetzt sah Paul, wie klein sie waren - fast wie Frauenhände. »Dies sind Aristokratenhände, mein Guter«, gab Heydrich zurück. »Sie sind nicht für harte körperliche Arbeit bestimmt.« Paul hatte schreckliche Geschichten von Grunewald und Hillmann gehört, für welche Grausamkeiten diese »aristokratischen« Hände offenbar eine Vorliebe hegten. Heydrich war ein Meister der Folter. Sogar Angeklagte, denen nur kleinere Vergehen angelastet wurden, bekamen von Anfang an heftige Schläge. Sollte einer dieser Unglücklichen tatsächlich für schuldig befunden werden, so mußte er mit Tritten, Peitschenhieben und Verbrennungen durch Zigaretten rechnen. Bestand für Heydrich auch nur der leiseste Verdacht, daß der Gefangene nicht alle Informationen preisgegeben hatte, wurden ihm Zähne und Nägel aus77
gerissen und Elektroschocks an den Genitalien und anderen empfindlichen Körperpartien verpaßt. »Mit dem Mann solltest du nicht spaßen«, hatte ihn Jackie Hillmann gewarnt. »Er ist ein perverser Sadist, der heute deine Hand schüttelt und dir morgen genüßlich die Kehle durchschneidet!« Heydrich kreuzte die Arme vor seiner Brust. Hinter seinen schweren Augenlidern verengten sich die blauen Augen zu Schlitzen, und die weibische Stimme war ruhig, als sie eine unmißverständliche Drohung aussprach: »Dr. Bell, Sie werden jegliche Objekte außerirdischer Art mir aushändigen. Ich hoffe, daß Ihnen dies klar ist.« Paul ließ sich Zeit, eine von Cadafas Zigaretten anzuzünden, die auf dem Tisch im Zelt lagen. Also war es wahr. Auch die Nazis waren auf der Suche nach »Kraftobjekten« der Sternengötter. »Heydrich«, erwiderte er dem Mann kalt und ruhig. »Ich bin amerikanischer Staatsbürger. Und wie ich Ihnen bereits in Erinnerung gerufen habe, wird diese Grabung nicht von Deutschland finanziert.« Heydrichs Verhalten blieb unbewegt. »Sie sind nach Geburt ein Deutscher, Dr. Bell. Wo ist Ihr nationaler Stolz geblieben? Wem sonst als Ihrem Führer sollten Sie einen solchen Gewinn - falls Sie ihn überhaupt ausgraben - übergeben wollen?« »Er ist nicht mein Führer«, verbesserte ihn Bell. »Falls wir das Glück haben, tatsächlich ein außerirdisches Objekt zu entdecken, so wird es der ganzen Welt gehören.« »Sie sind ein Idiot.« Heydrich schaffte es, diese Beleidigung auszusprechen, ohne daß übertriebene Giftigkeit aus den Worten durchklang. »Verstehen Sie denn nicht, daß die Welt sehr bald uns gehören wird? Sie reden von den Sternengöttern. Ist Ihnen nicht bewußt, daß Hitler selbst einer dieser Götterabkömmlinge ist und daß er versucht, Nazi78
Deutschland in eine Rasse von Supermännern zu mutieren, damit wir bereit sind, die Sternengötter bei ihrer Rückkehr wie Brüder zu umarmen?« Bell versuchte wegzugehen, doch hielt ihn der Gestapochef an einem Ellbogen fest. Seine kleinen Hände waren überraschend stark und hielten Beils Arm wie in einer Schraubzwinge. Es war offensichtlich, daß Heydrich das, was er noch sagen wollte, auch an den Mann bringen würde. »Kehren Sie als Held nach Deutschland zurück«, versuchte er Bell zu umgarnen. »In diesem Moment sind andere Expeditionen unterwegs, um den Heiligen Gral, den Speer der Bestimmung und die Bundeslade einzusammeln. Wenn Sie dem Führer den Rezeptor der Sternengötter überreichen, wird er Sie mit Ruhm überhäufen. Sie werden einer der Ritter des Neuen Atlantis.« Heydrich übertrieb enorm. Denn laut Pauls Wissen war noch keines der heiligen Objekte lokalisiert worden - trotz Hitlers unbändigem Verlangen, sie zu besitzen. Der Archäologe befreite sich aus Heydrichs Griff. »Ich muß zu meiner Arbeit zurück. Wenn Sie als einfacher Tourist hier auftauchen, der bei der Grabung zuschauen will, so ist es okay; versuchen Sie nur, niemandem im Weg zu stehen. Wenn Sie aber kommen, um uns zu hindern oder zu stören, so werde ich Sie und ihre Rowdies vom Grabungsfeld wegschaffen lassen.« Heydrich verlor sein kühles Benehmen und brach nach Beils Drohung in hämisches Gelächter aus. »Sie sind weit weg von Amerika, Dr. Bell.« Paul zuckte mit den Schultern. »Und Sie sind fern von Deutschland. Hier gelten Ihre Regeln nicht.« Offensichtlich war Heydrich direkten Widerstand nicht gewohnt. »Wir sind die neuen Herren der Erde, und unsere Regeln werden überall dort befolgt, wo wir es wünschen. 79
Außerdem nehme ich an, daß Sie meine vier strammen Begleiter bereits zur Kenntnis genommen haben. Wie Sie sehen, habe ich ein Stück Deutschland mit nach Ägypten genommen. Und glauben Sie mir, Dr. Bell, es gibt noch viele andere dieser netten Hitler-Anhänger in Kairo.« »>Nette Begleiten nennen Sie diese Gehilfen der Hölle?« fragte Paul zynisch, drehte sich auf dem Absatz um und entfernte sich demonstrativ vom Gestapochef. Nach einigen Schritten konnte er aber der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick auf den vor Wut schäumenden Mann zurückzuwerfen. »Ich warne Sie noch einmal: Wagen Sie es nicht, unsere Arbeit zu stören!« rief er ihm zu. Am nächsten Tag gesellten sich drei der »netten HitlerAnhänger« zum Grabungsteam. »Wir hatten keine Wahl«, versuchte Jackie Hillmann den aufgebrachten Dr. Bell zu beruhigen. »Vergiß nicht, daß Wolf und ich Familien in Deutschland haben. Wir dürfen diesen arroganten Bastard nicht allzu brüsk vor den Kopfstoßen.« Abends, als Grunewald und Bell einander bei einem Schachspiel gegenübersaßen, redete der ältere Mann bittend auf seinen ehemaligen Studenten ein. »Paul, wir haben dich darum gebeten, keinen Stunk mit Heydrich zu beginnen. Dein offener Widerstand hat nur bewirkt, daß wir jetzt drei Spione direkt in unserem Lager haben.« Pauls Ego ließ es nicht zu, wegen seiner offen zur Schau getragenen Verachtung Heydrich gegenüber gerügt zu werden. »Ich habe in diesen letzten Jahren, als ich auf der Suche nach den Objekten der Sternengötter Massen von verstaubten, alten Dokumenten übersetzte, nicht dafür gearbeitet, den eventuellen Preis einem Irren und seinen sadistischen Gefolgsleuten zu überlassen.« »Vielleicht wäre es am besten, wenn du nach Amerika zurückkehrtest«, schlug ihm Grunewald vor. »Die internationale politische Lage verschlechtert sich täglich.« 80
»Ich kann jetzt nicht gehen. Nicht jetzt, Wolf.« »Aber wenn der Krieg ausbricht, bist du hier gefangen«, machte ihm Grunewald deutlich. »Du könntest dann in einer Falle sitzen - weit weg von Natalie, und dies vielleicht für mehrere Jahre.« Diese Worte lösten einen Schmerz aus. Der Gedanke, für eine längere Zeit von Natalie getrennt zu sein, ließ seine Seele vor Pein aufschreien. »Sie kennt die Risiken«, sagte Paul und versuchte sich von seinem emotionalen Aufruhr zu befreien. »Wir haben die Angelegenheit gründlich durchdiskutiert. Ihr ist die Wichtigkeit der Mission bewußt.« Am 24. Juni beschloß Paul, sich eines der Autos der Expedition zu borgen, um im nahegelegenen Theben einen seiner Lieblingsmärkte zu besuchen. Vielleicht würde er für Natalie ein schönes Geschenk finden, daß er ihr in die Staaten senden könnte. Er brauchte ganz simpel eine Abwechslung. Sie hatten jetzt bereits einen Monat gegraben, ohne eine Spur eines Nebengebäudes des Hathor-Tempels ausgemacht zu haben. Alle waren frustriert und begannen ungeduldig zu werden. Und fast jeder von den Ausgräbern hatte bereits ein oder zwei Freitage genommen. Er war der einzige, der während der über vier Wochen an der Grabungsstätte geblieben war. Jetzt kam er dran, um einmal die Szenerie zu wechseln - ansonsten würde er in eine Explosion von Frust und Verwirrung ausbrechen.
81
Zehntes Kapitel
Dr. Paul Bell saß an einem kleinen Tisch in einem Straßenrestaurant. Von seinem Stuhl aus hatte er einen wunderschönen Ausblick auf den Nil. Er war dabei, sein zweites Bier zu leeren, als er zwei Dinge bemerkte: Es war bereits dunkel geworden, und eine Frau stand neben seinem Tisch. »Wenn du mit mir kommst, wirst du das finden, wonach du suchst«, sagte sie mit einer leisen, musikalischen Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Paul schluckte schwer und nahm an, daß die Frau dem »roten Bezirk« angehörte. »Sie - und überhaupt jede Frau haben jetzt etwas, das ich liebend gerne haben würde; aber nur von meiner Frau Natalie. Also, seien Sie so nett und lassen Sie mich in Ruhe.« Ihr anschließendes Lachen tönte wie fernes Glockenspiel. »Du hast mich mißverstanden, Paul, mein Geliebter, ich bin nicht hier, um dein Ehegelübde zu brechen.« Als sie seinen Namen nannte, schaute er verwirrt auf. Die Frau trug zwar die traditionelle, vielschichtige Kleidung der einheimischen Frauen, doch zogen ihn ihre smaragdgrünen Augen, die über dem Schleier zu sehen waren, völlig in ihren Bann. »Wer bist du?« Er war vorsichtig: Eine grünäugige Frau mitten in einem Land von braunäugigen Damen schien ihm verdächtig zu sein. Wieder ließ sie ihr melodisches Lachen erklingen. »Nein, ich bin keine Nazispionin, die dich verführen will«, bemerkte sie, seine Gedanken lesend. »Woher kennen Sie dann meinen Namen?« wollte er wissen. 82
»Ich habe schon immer deine Namen gekannt«, gab die Frau zurück. »Wie meinen Sie das, meine Namen?« »Na ja, du hast schließlich nicht immer Paul geheißen. Vor 5000 Jahren wurdest du anders genannt. Und davor ...« Wer war diese Frau, die sich offenbar einen Spaß mit ihm erlaubte? Und wieder beantwortete sie seine unausgesprochene Frage: »Am liebsten möchte ich, daß du mich als Semjase in Erinnerung behältst.« Beim Klang ihres Namens wurde Paul in einen wirbelnden Sog von seltsamen, wunderschönen Erinnerungen getaucht, dessen Bildsequenzen aber so rasend schnell in seinem Innern abliefen, daß er keine einzige wirklich erfassen konnte. »Ich ... ich kenne dich«, war alles, was er schließlich zu stammeln vermochte. »Aber natürlich, mein Lieber«, pflichtete ihm die Frau bei. »Und jetzt komm bitte mit mir. Wir können uns nicht länger an diesem öffentlichen Ort unterhalten. Diese Nazispione, über die du dir Sorgen machst, sind nicht weit von hier.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stand Paul auf, legte einige Münzen auf den Tisch und folgte der geheimnisvollen Semjase in die dunkle Nacht. Wolf Grunewald fand ihn am nächsten Morgen schlafend hinter dem Steuerrad des Lastwagens. Paul rieb sich die Augen und nahm ein Glas Wasser entgegen, das ihm sein Freund reichte. Er blinzelte in die aufsteigende Sonne und schaute in größter Verwunderung um sich. »Wie bin ich hierhergekommen?« »Das sollst du mir erzählen«, brummte Grunewald. »Wir machten uns Sorgen, als du vergangene Nacht nicht zurückgekommen bist. Ich bin heute morgen früh los und habe dich bis jetzt gesucht.« »Wie ... und wie hast du mich gefunden?« 83
Grunewalds Gesicht war ernst. »Mir war es, als hörte ich eine Stimme ... eine weibliche Stimme ... mitten in meinem Kopf, die mich zu dir führte.« Jetzt erinnerte sich Paul an Semjase: an ihre glänzenden grünen Augen, ihre melodische Stimme. Und mit der Erinnerung an die Frau kam noch viel mehr in ihm hoch. »Dies war Semjase«, brachte Paul ein Flüstern zustande. »Wer? Was?« Grunewald lehnte sich näher an Paul, um ihn zu verstehen. Paul drückte den Arm seines Freundes. »Mein lieber Wolf«, und sein Atem ging schwer. »Ich glaube, daß ich letzte Nacht auf einem UFO verbracht habe. Ich war in einem Raumschiff mit einer Frau aus einer anderen Welt. Ihr Name ist Semjase. Sie erzählte mir, daß sie uns beide dich und mich - aus früheren Leben kennen würde. Und obwohl sie wunderschön ist und auch jung aussieht, muß sie Hunderte von Erdenjahren alt sein. Sie war es, die dich zu mir geführt hat.« Als Grunewald sein Schweigen brach, war Paul über die Antwort erstaunt: »Ich denke, daß dies alles stimmt. Letzte Nacht sahen mehrere der Dorfbewohner - und auch einige von uns im Lager - ein leuchtendes UFO am dunklen Himmel. Einige dachten, daß es ein Zeichen von Gott oder Allah wäre. Heydrich meinte zuerst, es wäre ein Übungsflugzeug, doch ist er mittlerweile auch davon überzeugt, daß es ein außerirdisches Raumschiff gewesen sein muß.« Paul schüttelte seinen Kopf und nahm noch einen Schluck Wasser. Er war immer noch groggy, so als ob er aus einem tiefen Schlaf oder einer Trance aufgewacht wäre. »Und was ist mit Heydrich und seinen Männern?« »Sie suchen dich auch, mein Freund. Und sie glauben, daß du irgendwie mit den komischen Geschehnissen am Himmel in Verbindung stehst. Es scheint, daß sie recht haben. Du bist mit ihnen in Kontakt.« 84
Paul gab Grunewald den Wasserkanister zurück. »Zum Glück suchen Sie mich, denn dies bedeutet, daß sie nicht im Lager sind. Wir müssen so schnell wie möglich zurück.« »Du wärest wie ein dummer Daniel, der zur Löwengrube zurückkehrt«, warnte ihn Grunewald. Pauls Augen weiteten sich vor Aufregung, und er lachte frei heraus. »Wen kümmern diese kleinkarierten Zinnsoldaten?« rief er aus. »Schau, was ich habe!« Er griff in seine Brusttasche und brachte ein goldenes Medaillon mit einem Smaragd in der Mitte ans Tageslicht. »Sie nannte es einen >atomaren Smaragd-Empfängen, Wolf. Irgendwie transferiert es Kraft in das Hirn des Trägers. Es kann einen gewöhnlichen Menschen in >Superman< verwandeln. Dieses Ding kann uns das Wissen der Zukunft lehren, so wie es auf ihrem Planeten bereits bekannt ist.« Grunewalds Kinnlade klappte in offener Verwunderung weit auf. »Sie ... Semjase ... die Fremde ... sie hat dir dies gegeben?« Paul nickte und war nicht fähig, seine plötzlich auftretenden Tränen zu kontrollieren. Dann fragte Grunewald, der ewige Forscher: »Was bedeuten all diese Linien und Markierungen? Einige sind erhöht. Fokussieren sie die Energien?« Paul gab zu, daß er nicht viel über das Medaillon wußte. »Ich weiß nur, daß mir ihre Instruktionen wieder zur Verfügung stehen werden, sobald ich den Empfänger trage.« Grunewald wollte mehr über diese »Instruktionen« erfahren, mit denen Semjase Paul versehen hatte. »Wir sprachen während der ganzen Nacht«, seufzte Paul und schaute Wolf verwundert an. »Es ist so unglaublich.« »Du bist jetzt wie der Prophet Elias«, sagte Grunewald und ließ sich auf den Vordersitz neben seinen Freund plumpsen. »Du bist in einem Feuerwagen in den Himmel mitgenommen worden.« 85
»Nun, der Himmel war es nicht«, verbesserte ihn Paul lächelnd. »Doch verglichen mit der Erde kam es dem Himmel recht nahe.« Paul ließ den Motor an und bat Grunewald, ihn auf dem schnellsten Weg zum Camp zurückzulotsen. Schon bald würde es dunkel, und sie hatten noch einiges zu erledigen, bevor Heydrich und seine Männer zum Lager zurückkehrten. Es war nach Mitternacht, als die zwei Männer den Hathor-Tempel betraten. »Unsere größten Träume stehen kurz davor, realisiert zu werden«, sagte Paul. Sein Atem ging in kurzen Stößen, doch zwang er sich dazu, ruhig zu werden. Sie durchquerten die Eingangshalle und kamen zu dem Raum mit der gewölbten Decke. »Dies müßte er sein«, sagte er mehr zu sich selber als zu Grunewald. Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe nach oben und brach in ein glückliches »Heureka!« aus. »Hm, ja.« Grunewald war ahnungslos und wollte in die Entdeckung miteinbezogen werden. »Schau dort, an der Decke.« Paul zielte mit dem Lichtstrahl auf das an die Decke gemalte Sternenmuster der Plejaden. »Die Plejaden. Semjase und ihr Volk kommen von dort, genau wie wir es vermuteten.« »Soviel ich weiß, ist dies der einzige Tempel in Ägypten, der das Sternenmuster der Plejaden an der Decke eines seiner Räume aufweist«, bemerkte Grunewald. Paul öffnete die faltbare Leiter, die sie mitgebracht hatten, und bat Grunewald, sie zu halten, als er hinaufkletterte. Oben angekommen, begann er verschiedene Punkte im Sternbild zu drücken. »Semjase berichtete mir, daß es einen verborgenen Raum unter der heruntergehängten Decke gebe.« Grunewald beobachtete seinen Freund während einiger Minuten, wie dieser ergebnislos hier und dort herumdrückte. Dann aber konnte sich der Professor nicht mehr zurückhalten. »Paul, vielleicht ist es die Alkyone, das Zen86
trum der Sternenkonstellation. Sie könnte auch die Mitte der gezeichneten Karte sein, die die Tür zur verborgenen Kammer öffnet.« »Natürlich«, Paul schluckte schwer. »Du bist schon immer der einzige Lehrer gewesen, der mehr wußte als ich.« Ein Druck auf Alkyone, und ein Deckenpanel bewegte sich auf die Seite, den Blick auf eine kleine Kammer freigebend. Paul stemmte sich nach oben und trat ein. Danach rief er Grunewald zu: »Komm hoch, ich helfe dir!« Traurig schüttelte Grunewald seinen großen Kopf. »Das schaffe ich nie. Mach weiter.« »Du mußt aber!« argumentierte Paul. »Wegen dieser Sache wurden wir überhaupt geboren!« »Bitte, Paul«, Grunewald versuchte seine Tränen der Frustration zurückzuhalten. »Ich kann mich da weder hinaufstemmen, noch passe ich wahrscheinlich durch die kleine Öffnung. Beeil dich.« Da Paul fühlte, daß der Zeitfaktor wichtig war, akzeptierte er Grunewalds realistische Argumentation. Das Licht seiner Taschenlampe zeigte ihm einen weiteren kleinen Raum. Vorsichtig näherte er sich diesem, und warf - kurz bevor er den Raum betrat - einen kleinen am Boden liegenden Stein über die Türschwelle. Als das Projektil die Schwelle überflog, wurde es durch einen blaugrünen Lichtstrahl vernichtet, wortwörtlich verdampft. »Gott sei Dank, daß ich mich an Semjases Instruktionen erinnere«, seufzte er erleichtert auf. Er betrat den Raum und suchte im offenen Türrahmen nach einer Einkerbung. Nach kurzer Zeit entdeckte er einen kleinen runden Ausschnitt. Er nahm das Medaillon von seinem Hals und ließ es in die Aussparung hineingleiten. »Paßt perfekt«, ließ er laut vernehmen und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von den Augen. Im geheimen Tempelraum war es stickig heiß. 87
»Bitte, lieber Gott, mach, daß es nach all diesen Jahrhunderten noch funktioniert!« Sein Gebet wurde erhört: Ein metallischer Piepston kündigte die Deaktivierung des Schutzmechanismus an. Und der Raum, der dunkel wie hundert Nächte gewesen war, begann auf einmal sanft zu leuchten, als wären seine Wände mit lumineszierender Farbe gestrichen. Paul nahm jetzt wahr, daß er in dem kleinen Raum von Objekten und Bildern umgeben war, die nichts mit Ägypten zu tun hatten. »Atlantis«, stieß Paul flüsternd aus; es klang fast wie ein nächstes Gebet. »Es ist also alles wahr, was uns die alten Texte berichteten.« Er sah jetzt, daß der Raum wie eine Pyramide geformt war: ungefähr 3,80 Meter in den Grundseiten und 2,40 Meter hoch. Als seine Augen den Raum abtasteten, fiel ihm ein smaragdgrünes Kästchen auf, das im Scheitelpunkt der Decke positioniert war. In dieser Schachtel, an die er einfach herankam, da er sie mit seinen Armen erreichen konnte, fand er eine weitere Einkerbung. Und Paul wußte, daß er wieder das Medaillon als »Schlüssel« einsetzen mußte. Unmittelbar nachdem er das Medaillon in die Vertiefung eingeführt hatte, hörte er ein leises Ticken, und das Kästchen fiel in seine wartenden Hände. Er erinnerte sich genau an Semjases Anweisungen: Schnell plazierte er das Objekt auf einem truhenartigen Tisch, der in der Mitte des Raumes stand. Das Kästchen öffnete nun seine Wände und gab den Blick auf mehrere Smaragde, eine alte Papyrusrolle und ein großes, graviertes Bild frei. Sorgfältig entfaltete Paul die Rolle auf dem Tisch, um sie zu untersuchen. Das Bild zeigte eine schöne Frau mit langem Haar und leuchtenden Augen. »Semjase«, murmelte er. »Sie scheint zeitlos zu sein.« Nun richtete er den Strahl der Taschenlampe auf die alte Schrift und las laut vor: »Wir stammen aus einem Ort der Ewigkeit. Unser Streben ist für immer in Dein Herz eingegraben, Geliebter. In 88
Liebe werden wir uns vereinigen und all das zurückbringen, was für die gesamte Menschheit vollkommen ist.« Der junge Archäologe legte das Bild in den Schrein zurück und bemerkte zum erstenmal einen kleinen Ring, der sich auch darin befand. »Dieser Ring bringt eine bekannte Saite in mir zum Schwingen«, sinnierte er. »Ich werde ihn mitnehmen.« Als Paul den hinteren Geheimraum verließ, fiel - von ihm unbemerkt - ein Dokument aus seiner Jackentasche und landete auf dem Boden. Kaum war er aus dem Raum, als sich eine bisher unsichtbare Tür mit leisem Klicken hinter ihm schloß und das Zimmerchen für die nächste Portion Ewigkeit verriegelte. Dasselbe passierte mit dem vorderen Zimmer, als er schließlich zu seinem Freund zurückkehrte: Das Deckenelement schloß sich mit demonstrativer Entschlossenheit, die klarmachte, daß es schwierig sein würde, es wieder zu öffnen. Aufgeregt und mit vielen schnellen Worten versuchte Dr. Paul Bell die unschätzbaren Objekte der vorsintflutlichen Zivilisation zu beschreiben. »Atlantis!« rief er aus, seinen Freund umarmend. »Kunstgegenstände und Objekte, die unsere Sinne verwirren. Und Objekte von den Plejaden. Technologische Errungenschaften, die unserem technischen Wissensstand haushoch überlegen sind.« »Ich will alles hierüber wissen, Paul«, lächelte Grunewald und versuchte Freudentränen wegzublinzeln, in die sich auch Traurigkeit gemischt hatte. »Aber ich habe das ungute Gefühl, daß wir nun wirklich gehen müssen. Du mußt nach Amerika zurück. Du mußt sofort von hier weg; gemeinsam mit deinem neu erworbenen Wissen und deinen Objekten.« Paul blickte in das Gesicht seines alten Lehrers und Freundes und fühlte Tränen in seinen Augen. »Du hast 89
wahrscheinlich recht. Wir dürfen nicht riskieren, daß dieses Wissen in die Hände der Nazi-Kriegsherren fällt.« »Beten wir zum allmächtigen Gott, daß es eines Tages ein Deutschland - eine ganze Welt - geben wird, das bereit ist, die Segnungen unserer Schwestern und Brüder von den Sternen entgegenzunehmen«, murmelte Grunewald; seine Worte klangen wie ein Segensspruch. Nochmals umarmte er Bell und deutete an, daß ihm der junge Mann folgen solle. »Es liegen mehrere kleine Boote am Nilufer«, begann Grunewald. »Ich habe sie schon seit Wochen bemerkt. Sehr wahrscheinlich gehören sie niemandem, doch sollte jemand Anspruch auf eines erheben, werde ich ihn entschädigen. Nimm ein Boot und verlasse das Lager. Geh erst an Land, wenn du das Gefühl hast, sicher zu sein, und versuch nach Kairo zu gelangen.« Als die zwei den Hathor-Tempel über die Außentreppe verließen, hörten sie eine schmetternde, viel zu hohe männliche Stimme: »Herr Doktor Bell! Doktor Grunewald! Was suchen Sie beide hier in der Nacht?« Zu Beginn war es schwierig auszumachen, wie viele Taschenlampen auf sie gerichtet waren, aber Bell war sicher, daß Heydrich mindestens drei Begleiter dabei hatte. »Wo sollten wohl zwei Archäologen sein, wenn nicht in einem alten Tempel mitten in der Nacht?« grinste Grunewald und versuchte ein bißchen Humor in die Sache zu bringen. Paul jedoch ging zum Angriff über. »Herr Heydrich, ich habe Sie gewarnt: Dies ist unsere Grabung. Wieso glauben Sie überhaupt, das Recht zu haben, uns vorschreiben zu dürfen, wann wir wo, ob im Lager oder an der Grabung, zu sein haben?« »Ah, ja«, lachte Heydrich spöttisch auf. »Wir müssen Ihre Befehle akzeptieren, ansonsten Sie uns mit Gewalt hin90
auswerfen würden. Damit haben Sie uns gedroht, oder nicht?« »Ihre Erinnerung ist offenbar viel perfekter als Ihre Manieren, Herr Heydrich«, erwiderte ihm Paul. »Also werden Sie uns jetzt mit Gewalt hinauswerfen?« Heydrich war nur noch ein paar Schritte von ihnen entfernt. Paul konnte die leise flüsternden und hämisch lachenden Stimmen der SS-Leute hören. Er erinnerte sich an die Warnungen von Jackie Hillmann, sich nicht mit diesem Sadisten anzulegen, der die Folter und den Mord liebte. In diesem Moment erblickte er auch die Luger-Pistolen in den Händen der Gestapoagenten. »Das Spiel ist aus, Herr Bell«, sagte Heydrich ernst. »Wir sahen letzte Nacht das Raumschiff. Und wir wissen, daß Sie in Kontakt damit gekommen sind. Falls Sie irgendein Objekt der Sternengötter entdeckt haben sollten, müssen Sie es mir sofort übergeben: zum Ruhm des Dritten Reiches.« Paul fühlte, wie der kalte Schweiß seinen Nacken hinunterrann. Gab es denn keine Lösung? Wenn nur Semjases Raumschiff jetzt über ihnen wäre, das irgendwelche Strahlen schicken könnte, die Heydrich und seine Agenten in Luft auflösten ... Doch erinnerte er sich klar an die Worte seiner schönen Lehrerin, die ihm mitteilte, daß es ihnen weder erlaubt sei, in die Handlungen der Erdenmenschen einzugreifen, noch die Geschichte der Erde zu beeinflussen. Semjase hatte bereits viele Regeln ihres Großen Rates verletzt: durch ihr Erscheinen vor Paul und durch die Informationen, die ihm halfen, den Rezeptor zu finden. Paul wurde plötzlich klar, welches Risiko die Frau aus dem All auf sich genommen hatte, in dem sie mit den Erdschwingungen in Kontakt getreten war - und all dies, um ihm den Rezeptor auszuhändigen. Und was passierte, wenn dieser nun in die Hände der Nazis geriet, die mit ihm schreckliche Kriegsmaschinen produzieren würden? 91
»Durchsucht sie!« befahl Heydrich seinen Männern. Paul taumelte zur Seite, und in der Angst und Aufregung ließ er den Ring fallen, den er aus dem smaragdgrünen Kästchen mitgenommen hatte. Er fiel fast in Ohnmacht vor Wut, als das Schmuckstück mit hellem Geklimper einige der Treppenstufen hinunterkullerte. »Aha, schön«, Heydrich suchte mit dem Strahl seiner Taschenlampe nach dem Objekt. »Was haben wir denn hier?« »Nie, du Schwein!« schrie Paul, als er sich auf den Gestapochef warf. »Nie wird dein teuflisches Reich diese Geheimnisse erfahren!« Heydrich war gerade dabei gewesen, sich zu bücken, um den Ring aufzuheben, als ihn Pauls volles Körpergewicht in der Seite traf. Der Gestapochef sackte in sich zusammen und fiel einige Stufen hinunter. Als nun Paul auf den Knien den verlorenen Ring suchte, warf sich Grunewald mit seinem schweren, großen Körper gegen die drei Agenten. »Renn zum Fluß!« brüllte er inmitten von ringenden Armen und Beinen. »Vergiß den Ring und flüchte!« Grunewald hatte recht, schoß es Paul durch den Kopf; er hatte ja immer noch den Rezeptor. Er begann in Richtung des Nils zu hechten. Er rannte um sein Leben. Er rannte aber auch, um der Welt neue Hoffnung zu geben. Paul hörte die dumpfen Geräusche, die Pistolen verursachen, wenn sie auf menschliche Körper einschlagen. Und dann hörte er pfeifende Geschosse um sich herum, die ihn nicht trafen. Der Gedanke, daß sein Lehrer und Freund allein gegen vier Angreifer kämpfte, ließ ihn anhalten und zögern; er wollte umkehren, um ihm zu helfen. In diesem Moment trafen ihn mehrere Kugeln in die Brust und warfen ihn rückwärts fallend in den Nil hinein.
92
Elftes Kapitel
Dr. Grunewalds zerfurchtes Gesicht war tränenüberströmt, als er seinen Bericht über den Tod von Fred Beils Vater beendete. Kim Kingswold hatte sich während seiner Erzählung leise in die Runde geschlichen und die ganze Zeit über Freds Hand gehalten. Brad Bronson reichte dem alten Archäologen eine Tasse mit dampfendem Kaffee. »Danke, mein Freund«, ließ sich Grunewald vernehmen. Eric Powell war durch das Gehörte sichtlich bewegt, doch konnte sein logischer Geist das Ende so nicht akzeptieren. »Wenn dies das letztemal gewesen ist, daß Sie Freds Vater lebendig gesehen haben ... und wenn er, das Medaillon auf sich tragend, in den Nil gefallen ist: Wie kann es denn heute in Freds Besitz sein?« Fred trocknete sich die Augen mit einem Taschentuch, das ihm Kim gereicht hatte, und brach sein langes Schweigen. »Ich wollte Ihnen einige Minuten geben, um sich mit einer Tasse Kaffee zu erfrischen. Doch auch ich würde gerne die Auflösung der Geschichte wissen.« »Wissen Sie, Dr. Grunewald«, fügte Bronson, der Schriftsteller, seine Bemerkung hinzu. »Literarisch gesehen, schilderten Sie uns den Höhepunkt der Story; jetzt wollen wir auch das Ende hören.« Der Archäologe verlagerte sein Gewicht auf der Couch. »Es tut mir leid. Meine Erinnerung und meine Trauer, den geliebten Freund im Nil sterben zu sehen, gingen mit mir durch ... Es war natürlich sehr dunkel, und die Gestapoleute versuchten mit ihren Taschenlampen, Pauls Spuren auszumachen. Heydrich verfluchte sie alle als schlampige 93
Blödmänner: >Wenn wir diese Leiche nicht finden, werden wir den Rezeptor nie bekommen!< schrie er immer wieder.« »Sie wußten also, daß mein Vater das Medaillon von der außerirdischen Frau erhalten hat.« stellte Fred fest und zog seine Augenbrauen in die Höhe. »Wie ist das möglich?« Grunewald hatte keine Lösung anzubieten. »Ich vermute, daß einer der Gestapoleute uns beobachtet hat, als wir zum Lager zurückkehrten. Ich war von den Pistolenschlägen völlig benommen und blutete stark, als mich einer der Handlanger fragte, ob es stimme, daß Paul den Rezeptor besitze. Ich antwortete ihm mit einem grölenden >Ja< und irrem Gelächter. Jetzt wird das Dritte Reich es nie besitzen, spöttelte ich. Danach haben sie mich bewußtlos geschlagen.« »Und Dr. Paul Bell fiel in den Nil mit dem Rezeptor um den Hals?« hakte Eric Powell nochmals nach. Nachdenklich spitzte Grunewald die Lippen und nickte langsam mit seinem löwenähnlichen Kopf. »Er war schwer verwundet, aber noch nicht tot. Irgendwie fand er zu Dr. Hillmann, die mit ihm in einem Boot nach Kairo gelangte.« »Jacqueline Hillmann«, sinnierte Fred. »Als Sie zum ersten Mal ihren Namen erwähnten, erinnerte ich mich, daß meine Mutter gesagt hat, daß sie den Rezeptor von ihr erhalten habe.« »So muß es gewesen sein«, bemerkte Grunewald. »Dr. Jacqueline Hillmann. Ich wußte nicht, was mit Paul und ihr geschehen war, bis ich Jackie an einem Seminar wieder begegnete, das sie 1965 an der UCLA in Berkeley hielt. Sie hatte ihren Namen in Greta Schmidt geändert, doch erkannte ich sie sofort. Während 26 Jahren hatte ich keine Ahnung gehabt, daß Paul den Nil überlebt hatte und daß Jackie nicht von der Gestapo ermordet worden war.« Grunewald erzählte ihnen, wie Jackie und er sich bei dieser zufälligen Begegnung im Jahre 1965 umarmt und ge94
meinsam geweint hätten; anschließend gingen sie in ein Restaurant. Dort berichtete ihm Jackie über die letzten Tage im Juni 1939. Sie war wegen der Schießerei aufgewacht. Doch blieb sie danach noch über eine Stunde lang in ihrem Zelt, bevor sie sich herauswagte. Sie gab zu, daß sie Angst vor Heydrich und seinen Kumpanen gehabt hatte, die offensichtlich ihre Waffen einsetzten. Eine sanfte Frauenstimme, die sie in ihrem Kopf vernahm, führte sie zum Nilufer. Und dort - inmitten des Ufergebüsches - fand sie ihren verwundeten Kollegen, Paul Raymond Bell. Mit einer Portion übermenschlichem Mut und viel Energie schaffte es Jackie, Paul in eines der kleinen Boote zu hieven und seine Wunden notdürftig zu verarzten. Dann begann sie, den Nil abwärts - Richtung Kairo oder einer anderen größeren Stadt - zu rudern. Während der ersten Stunden befand sich Paul im Delirium. Er sprach ständig von einer Frau und vom Sonnenuntergang mit zwei Sonnen. Auch erwähnte er den ewigen Sonnenuntergang und daß das Geschenk des ewigen Lebens dem Universum zurückgeben werden müsse. Immer wieder stammelte er den Namen »Semjase«. Als das Morgenlicht dämmerte, schien sich Pauls Geist zu klären. Er nahm den Rezeptor von seinem Hals und übergab ihn Jackie. »Liebe Freundin«, bat er sie, »händige dies Natalie in Amerika aus. Verbirg es vor den Nazis. Es beinhaltet viele Geheimnisse, die die nächste Generation stärken werden. Auch mein Sohn wird es zur Verwirklichung seines neuen Lebens dringend benötigen.« Jackie konnte sich nicht zurückhalten, ihren sterbenden Freund an etwas zu erinnern. »Aber Paul, du hast doch gar keinen Sohn.« Bell lächelte und schien mit Freude erfüllt zu sein. »Die Frau, die mir das Medaillon übergab, ließ mich auch wissen, 95
daß Natalie gerade entdeckt hat, daß sie schwanger ist; es passierte in der letzten Nacht, bevor ich aufbrach ... Im Hathor-Tempel befindet sich das Geheimnis der Plejaden; und die Prophezeiung besagt, daß derjenige, der die Lösung findet, einen Sohn haben wird - und ich habe sie gefunden. Eines Tages wird mein Sohn zum Tempel zurückkehren, um mein Werk zu vollenden. Dabei wird ihm ein Fremder helfen ... ein Fremder, der gleichzeitig sein Seelenbruder ist.« Eine Grimasse des Schmerzes trat an die Stelle des Lächelns. Paul zog sie näher zu sich heran. »Jackie, hüte den Rezeptor wie dein eigenes Leben. Schwör mir, daß du ihn niemandem überlassen wirst, außer meinem Sohn ... nie!« Sie leistete ihm den Eid, und innerhalb weniger Minuten lag Paul tot in ihren Armen. »Ich fragte sie nie, wie sie es geschafft hat zu überleben«, meinte Grunewald leise. »Ihre Augen waren voller Schmerz, doch ohne Bedauern. Sie hat immer an Wunder geglaubt. Vielleicht half ihr ihr Geistführer Schwarzer Falke dabei, die schwierigen Kriegsjahre in Nordafrika zu überstehen.« »Mutter erzählte mir, daß Dr. Hillmann ihr das Medaillon irgendwann im Jahre 1948 übergeben habe«, bemerkte Fred. »Und allein dies ist schon ein Wunder«, sinnierte Grunewald. »Wie schaffte sie es, den Rezeptor während all dieser Jahre verborgenzuhalten?« »Und wie gelang es ihr, den Zoll und seine Inspektoren zu umgehen«, warf Brad Bronson seine Überlegung in die Runde, »die nur nach verborgenen Gegenständen suchten, die illegal aus Ägypten geschmuggelt werden sollten?« »Jacqueline Hillmann war eine bemerkenswerte Frau«, seufzte Grunewald. »Ich bin Gott dankbar, daß ich sie nach all den Jahren nochmals sehen konnte.« »Sie reden von ihr, als weilte sie nicht mehr unter uns«, stellte Kim fest. 96
»Sie wurde umgebracht ... und grausam verstümmelt; vor zwei Jahren, im Dezember 1969«, sagte Grunewald mit rauhem Flüstern. Kim schluckte leer und drückte Freds Arm. Fred fühlte sich, als hätte er gerade einen weiteren geliebten Menschen verloren, den er nie kennengelernt hatte. »Die Polizei in Madison - Jackie lehrte Anthropologie an der Universität von Wisconsin - behauptete, daß es irgendein Psychopath gewesen sei«, informierte sie Grunewald. »Ich bin einverstanden, daß die Tat einem kranken Hirn entstammte; aber die Krankheit war die der Lust nach Macht. Ich befürchte, daß die alten Hüter der >Ritter von Atlantis< in ihr die Frau erkannt haben, die sie seit über 30 Jahren tot wähnten.« Eric Powell drückte seinen Ekel aus: »Die >Ritter von Atlantis Dasselbe Neonazi-Gewürm, das gestern abend hierher kam?« Grunewald schnaubte: »Die sind alles andere als >neo<, mein Guter. Sie sind die Belial-Schüler von Atlantis. Sie sind die Alten aus einer Welt, die vor der unseren entstand. Seit Ewigkeiten versuchen sie, das Himmelsfeuer zu stehlen und die Geschenke der Sternengötter zu mißbrauchen.« Kim stupfte ihren Freund leicht in die Seite. »Fred, dies tönt alles so absurd.« »Ja, Kim«, stimmte er ihr zu. »Doch gleichzeitig auch so vertraut. Ich erinnere mich jetzt an etwas, das passierte, als ich ungefähr fünf Jahre alt war. Ich spielte draußen im Hof mit Autos und GI-Joe-Männchen. Dann fühlte ich eine Präsenz, und ich begann, die vorbeiziehenden Wolken anzustarren. Plötzlich erblickte ich eine silberne, leuchtende Scheibe, die den Himmel durchzog; und ich schwöre dir, daß ich dieselbe Frauenstimme in meinem Kopf hörte... die Stimme, die mich gestern im Auditorium vor der Pistolenlady gewarnt hat.« 97
»Erinnerst du dich auch, was die Stimme sagte?« wollte Bronson wissen. Paul dachte einen Moment nach. »Ja, Brad, ich weiß es. Eigentlich ist es unverständlich, daß ich die Stimme gestern nicht erkannt habe. Wenn ich es mir jetzt überlege, so habe ich sie schon oft in meinem Leben vernommen.« »Und was hat sie dir als Fünfjährigem gesagt?« lieferte Eric das Stichwort. »Etwas Ähnliches wie >Bald mein Liebling< - oder >mein Geliebten, oder so - >bald<« »Wauuh«, grinste Eric. »Bereits im zarten Alter von fünf phantasierte der Junge über Frauen.« »Nein, so war es nicht, Eric«, protestierte Fred. »Natürlich war es nicht so«, unterstützte Kim seinen Einwand. »Fred war schon immer von hoher Gesinnung gewesen.« Powell zwinkerte ihr zu: »Manchmal gar von etwas zu hoher Gesinnung, hm?« Er wußte, daß Kim sich während ihrer über zwanzigjährigen Freundschaft mit Fred Bell schon oft danach gesehnt hatte, mehr als nur die beste Freundin zu sein. Schon oft hat sie ihm, als Freds bestem Freund, ihren diesbezüglichen Frust mitgeteilt. Grunewald ignorierte diese peripheren Unterhaltungen völlig, und blieb auf Freds Erinnerungen der weiblichen Stimme und der silbernen Scheibe konzentriert: »Es scheint also wahr zu sein, was dein Vater Jackie Hillmann erzählt hat. Auch du bist mit Semjase in Kontakt. Dies muß etwas mit eurer spirituellen und körperlichen Evolution zu tun haben. Irgendein Same wurde - vor Jahrhunderten - in die Bell-Gene hineingepflanzt.« Bronson fand die Konversation Minute für Minute spannender. »Vielleicht ist es tatsächlich genetisch«, stimmte er zu. »So wie es in der Bibel steht; Sie wissen schon: >Die 98
Söhne der Götter fanden Wohlgefallen an den Töchtern der Menschen und wohnten ihnen bei<.« Grunewald war sichtlich glücklich darüber, daß einer der Anwesenden mit seinen Gedanken Schritt halten konnte. »Ja, Herr Bronson. Fred wird gerade durch eine Art höherer Dimension der Realität - äh - sozusagen aktiviert. Und da er jetzt auch über den Rezeptor verfügt, wird er gegenüber den Übermittlungen der Plejader noch empfänglicher werden.« »Genau«, nickte Bronson begeistert; momentan befand er sich mit Grunewald in einer seelischen Synchronschaltung. »Eine höhere Dimension oder ein höheres Bewußtsein, also die Sternengötter oder die Plejader, scheinen jetzt aktivierende Erinnerungen an Leute wie Fred auszusenden, die in sich den spirituellen Samen der Außerirdischen tragen. Sie beginnen ihre Schützlinge, oder besser gesagt vielleicht Setzlinge, daran zu erinnern, daß sie zwar auf der Erde leben, daß ihr Bewußtsein aber nicht von diesem Planeten stammt.« »Perfekt getroffen!« rief Grunewald mit demselben Enthusiasmus aus. »Es muß folgendermaßen funktionieren: Wesen einer höheren Intelligenz projizieren ihr Bewußtsein in die Abkömmlinge derjenigen Personen, in die sie vor Tausenden von Erdjahren ihren spirituellen Samen gepflanzt hatten. Ein Netzwerk dieser Wesen, die sich um das Schicksal unseres Planeten kümmern, ist jetzt dabei, ihre geistigen Erben zu mahnen, daß die Zeit anbricht, in der sie für das Wohl ihrer Mitmenschen und der Erde aktiv werden müssen.« Grunewald schenkte sich die nächste Tasse Kaffee ein. Er vertiefte sich sichtlich immer mehr in das Thema. Es war einfach, ihn sich dabei vorzustellen, wie er seine eigene Begeisterung auf seine Studenten übertragen konnte. Fred konnte es förmlich nachvollziehen, wie sein Vater von diesem Mann fasziniert worden war. 99
»Was heißt es, ein Mensch zu sein?« fragte der alte Archäologe theoretisch. »Hamlet staunte darüber, welch ein Meisterwerk der Mensch sei: >Wie edel durch Vernunft! wie unbegrenzt an Fähigkeiten! in Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! im Handeln wie ähnlich einem Engel! im Begreifen wie ähnlich einem Gott
Grunewald ließ ein breites Grinsen sehen. »Wenigstens wegen dieses Schlägers müssen wir uns keine Sorgen mehr machen. Er wurde im Mai 1943 in der Tschechoslowakei ermordet.« »Hurrah, dreimal hoch!« freute sich Eric. »Aber um einen schrecklichen Preis«, fügte Grunewald mit ernster Stimme hinzu, wobei er zum Boden blickte. »Das ganze tschechische Dorf Lidice wurde aus Rache wegen der Ermordung des Gestapochefs dem Erdboden gleichgemacht - die Bewohner mitinbegriffen.« »Welch mörderische Schweine!«, rief Eric verächtlich. »Und was ist mit dem Ring, den Heydrich meinem Vater genommen hat?« fragte Fred. Nachdenklich nibbelte Grunewald die Bartstoppeln an seinem Kinn. »Soweit ich mich erinnern kann, ging er in den Besitz von Professor Keitel über, der jetzt in Hamburg wohnt. Du mußt verstehen; nach dieser Sache wurde ich auf der Grabung in Dendera festgehalten, um nach weiteren Objekten der Sternengötter zu suchen. Als am I. September 1939 die deutsche Armee Polen überfiel, kehrte Neville Bolting sofort nach England zurück. Nur zwei Tage später erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. Ich saß während der meisten Zeit des Krieges in Kairo fest und lebte von der Gastfreundschaft Dr. Cadafas.« Fred schlug vor, die weitere Unterhaltung ins nahegelegene chinesische Restaurant von Mei Ling zu vertagen, damit sie etwas zu Abend essen konnten. Mit Grunewalds detailliertem Bericht über den Tod seines Vaters war der ganze Tag in einem tranceähnlichen Zustand wie im Nu vergangen. Der alte Archäologe hatte die Nebel, die über einer Vergangenheit lagen, von der Fred nichts wußte, weggewischt - und er sah jetzt vieles klarer und in einem größeren Zusammenhang. 101
»Warum hast du so lange gewartet, bevor du mit mir Kontakt aufnahmst?« fragte Fred Grunewald, als sie sein Haus verließen. »Diese Frage werde ich nie wirklich beantworten können«, gab Grunewald zu. »Schon oft wollte ich dich wenigstens anrufen, aber ich fürchtete immer, daß mein Kontakt zu dir dich auch in Kontakt mit den Belial-Schülern bringen würde ... Außerdem darfst du nicht vergessen, daß ich erst vor einigen Jahren von Dr. Hillmann erfuhr, daß du - besser gesagt, deine Mutter - im Besitz des Medaillons bist. Nach meinem Wissen versank es 1939 zusammen mit deinem Vater im Nil.« Grunewald schlug vor, mit zwei Autos zu fahren. Denn nach dem Abendessen würde es schon ziemlich spät sein, und er müsse ja noch nach Hause zurück. Dieser Vorschlag schien sinnvoll, und so warf Fred Eric Powell die Schlüssel seines Kleinbusses zu. »Ich fahre mit Wolf«, sagte er. »Da ist noch einiges, das ich über meinen Vater wissen will.« Grunewald sprach leise und legte Fred seinen Arm über die Schulter, als sie sich dem alten Chevrolet, Jahrgang 1960, näherten, der dem Archäologen gehörte. »Fred, da ist etwas, das du ganz klar sehen mußt. Wir nähern uns tatsächlich einem spirituellen Armagedon, einem großen Zusammenstoß zwischen den Kräften des Lichtes und denen des Dunkels. Der Tag der Entscheidung und Teilung dieses Planeten kommt mit großen Schritten näher - der Tag, an dem alle furchtbaren Ängste und Alpträume von Generationen der Menschheit nur allzu wahr werden.« »Du bist wegen der zunehmenden Aktivität dieser Belial-Schüler, der >Ritter von Atlantis<, sehr besorgt, nicht wahr?« fragte Fred und zollte dem Lehrer seines Vaters seine volle Aufmerksamkeit. »Sie sind noch viel aktiver und erfolgreicher in ihren Handlungen, als du es dir vorstellen kannst, Fred. Ich bin 102
ein Wissenschaftler; und ich sehe jetzt ein, daß wir unsere wissenschaftlichen Dogmen als Schild benutzt haben, um die Realität des Universums zu übersehen. Nun, ich sage dir, mein Sohn, daß alle diese Dogmen bald zerrissen werden. Schon bald werden alle Menschen der harten Realität ins Auge blicken müssen, daß weder unsere Religionen, noch unsere Politik, noch unsere Technologien ausreichen werden, um im angehenden Konflikt, der auf der Erde stattfinden wird, ausreichende Hilfen zu bieten.« Grunewald verstummte und öffnete die Autotür auf der Seite des Lenkers. »Gott sei Dank, Fred, habe ich erfahren, daß wir im kommenden Kampf nicht allein dastehen«, sagte der deutsche Professor, als er hinter das Lenkrad schlüpfte und sich hinüberlehnte, um die Tür des Vordersitzes zu öffnen. »Gott sei Dank verfügen wir über Hilfe«, meinte er und erhob seine Stimme, damit Fred ihn noch hören konnte - dieser lief um den Wagen herum, um vorne neben Grunewald einzusteigen. »Es stimmt also, was alle Seher und Heiligen der Menschheit immer behaupteten: Es existieren tatsächlich Wesen von höherer Intelligenz, die sich um das physische und spirituelle Wohlergehen der Menschheit kümmern.« Fred öffnete die Beifahrertür und hatte bereits einen Fuß im Auto, als Kim ihm die Worte zuschrie, die sein Leben retteten. »Fred, du Idiot, du hast uns die falschen Schlüssel gegeben!« Er murmelte eine Entschuldigung, stieg aus Grunewalds Auto aus und begann in seinen Taschen nach den richtigen Schlüsseln zu suchen. Grunewald lachte und steckte seinen Schlüssel in die Zündung. »Wirf nicht zu hart«, quengelte Kim. »Das tut weh!« 103
Fred bewegte sich einige Schritte vom alten Chevy weg, um Kim so nahe zu kommen, daß er ihr die Schlüssel quasi in den Schoß legen konnte. Danach hörte er, wie Grunewald den Motor anließ. Gleich darauf wurde er von einer Explosion in die Luft gehoben, an die Hauswand katapultiert - und dann verlor er das Bewußtsein.
104
Zwölftes Kapitel
Fred Bell schlenderte auf einem Pfad inmitten des dichten Waldes dahin, außerhalb des Städtchens Bluff Creek, Kalifornien, gelegen. Vor ihm hüpfte glücklich Mackie, eine weiß-braune Mischung aus Zwergterrier und unbekanntem zweiten Elternteil. Merkwürdig daran war, daß Mackie schon vor vielen Jahren gestorben war. Er wurde getötet, als Fred - damals nannte man ihn Billy - seinem Großvater Walter in dessen Ferienhütte in der Bergregion des nördlichen Kaliforniens einen Besuch abstattete. »Laß dich auf die Erinnerung ein, mein Lieber.« Es war dieselbe Stimme, die ihn an der esoterischen Tagung vor Kathryn Bodmer gewarnt hatte, die ihn hatte töten wollen. »Es ist wichtig, daß du dich an den Austausch mit Mackie erinnerst.« Fred lehnte sich schwer gegen eine Eiche und berührte ihre rauhe Rinde mit seinen Handflächen. Es schien ihm, als ob er gleichzeitig der einunddreißigjährige Fred und der neunjährige Billy sei. Er hüpfte zwar den Waldweg in diesem kleinen, übermütigen Körper entlang - in neue Jeans und einen schwarz-rot gestreiften Pullover gekleidet; doch blieb sein Bewußtsein das eines Erwachsenen - wie in einer Art leuchtendem Astralkörper. Fred schaute suchend umher, um den Ursprung der Stimme zu finden. Er wußte mittlerweile, daß es die Entität Semjase sein mußte. Warum zeigte sie sich ihm nicht - so wie sie sich vor seinem Vater materialisiert hatte? »Wir zeigen dir diese Sequenz mit Mackie aus einem ganz bestimmten Grund«, ließ ihn Semjase wissen. »Wir 105
Lichtwesen benützen oft Tiere und Haustiere als Instrumente, um unseren Schützlingen auf der Erde gewisse Lehren zu vermitteln. Wenn du jeweils Mackie in deinen Armen hieltest, bekamst du gleichzeitig Instruktionen von deinem geistigen Mentor - wenn es dir besser gefällt, können wir auch sagen: Du wurdest programmiert.« »Ich war fähig, mit Mackie zu reden!« rief Fred mit derselben Leidenschaft aus, mit der er als Neunjähriger diese unakzeptierte Wahrheit behauptet hatte. »Ja«, stimmte ihm Semjase mit feinem melodischem Lachen zu. »Du konntest telepathisch mit Mackie und anderen Hunden und Katzen sprechen - manchmal sogar mit Pflanzen und Bäumen. Während du mit Mackie eine Unterhaltung hattest, wurdest du von uns für deine Erdenmission aktiviert.« Mackie war als Welpe in Billys Leben getreten. Sie waren bereits seit über vier Jahren unzertrennliche Freunde, als Natalie es Billy erlaubte, Mackie in die dreiwöchigen Ferien beim Großvater in den Norden mitzunehmen. Der Junge und der Hund machten ausgedehnte Spaziergänge im Wald. Sie hatten wundervolle Gespräche über die großen Zusammenhänge des Lebens und über die Bestimmung jeder einzelnen Kreatur im allumfassenden Muster der Existenz. Fred sah, wie Billy (Billy = William wurde zu Fred, als er in die Luftwaffe eintrat) und Mackie sich zu einer kurzen Rast auf einen alten Betonblock im Gelände einer ausgedienten Sägemühle setzten. »Nein, bitte nicht!« schüttelte Fred seinen Kopf und schaute bewußt von diesem Szenario weg. »Ich weiß genau, welcher Tag dies war. Ich will das nicht noch einmal erleben. Ich will nicht zusehen müssen!« Semjases Stimme war sanft, aber bestimmt. »Nimm die Erfahrung an, Fred. Es ist wichtig, daß du diesen Moment 106
jetzt nochmals erlebst. Füge dich bitte in den Rhythmus der Vergangenheit und steig bewußt und ganz in das dir gebotene Bild ein.« Mackies Ohren waren hoch aufgerichtet. Seine Nase zuckte, als er eine bestimmte Witterung aufnahm. Seine großen braunen Augen starrten intensiv auf einen Schatten, der atmete und sich bewegte. »Ein Luchs«, berichtete ihm Mackie. »Er ist groß. Hat Tollwut - er ist verrückt. Er will uns beißen.« Für einen Moment erstarrte Bill, dann aber schaute er sich sorgfaltig um, bis er die großen Augen des Luchses sah, der sie aus dem Gebüsch heraus fixierte. »Wir müssen flüchten!« flüsterte Bill ängstlich. Die Gefährlichkeit der Situation war ihm voll bewußt. »Wir müssen hier raus!« »Du rennst«, antwortete ihm Mackie. »Ich halte ihn von dir fern.« »Du bist zu klein für diesen großen Luchs«, argumentierte Billy. »Wir müssen zusammen rennen.« Der Luchs begann nun, sich ihnen langsam zu nähern, und zeigte dabei die typischen asynchronen Bewegungen tollwütiger Tiere. Mackie begann drängelnd zu sprechen: »Die Nase sagt Mackie, daß ein Mann Eichhörnchen auf dem Hügel schießt. Siehst du ihn?« Ungefähr 40 Meter von ihnen saß ein Mann auf einem Hügel mit einem Gewehr in seinem Schoß. »Er wird die große Katze töten!« rief Mackie. »Renn jetzt!« Billy stand auf, um zu argumentieren, doch als der tollwütige Luchs zu keuchen und spucken begann, da lief er los, so schnell er es mit seinen kurzen Beinen konnte. Hinter sich hörte er, wie Mackie eine Warnung an den Luchs brummte. 107
Er befand sich in der Mitte des Hügels, als er Mackies ersten schmerzvollen Hilferuf vernahm. »Hallo, Sie, Sie! Bitte kommen Sie schnell, mein Hund wird von einem tollwütigen Luchs verfolgt!« Der Mann war zuerst perplex; dann schien er über den Knaben, der seine meditative Ruhe unterbrach, wütend zu werden. Er bedeutete ihm mit Handzeichen, ihn in Ruhe zu lassen. Billy mußte seine Bitte zweimal wiederholen, bevor der Mann verstand, worum es ging. Schließlich erhob er sich, um den tollwütigen Luchs zu erschießen, doch es war zu spät, um Mackie zu retten. Billys Herzensfreund lag sterbend am Boden, mit einer großen offenen Halswunde - der Lebenssaft färbte den Rasen um den kleinen Körper herum rot. »Warum bist du dageblieben, um ihn zu bekämpfen?« schluchzte Billy. »Du bist zu klein gegen ihn gewesen. Das wußtest du.« »Falls Mackie mit Billy rannte ... Luchs beißt Billy. Billy rennt nicht schnell.« »Aber ...« »Mackie liebt Billy.« »Aber du stirbst ...!« »Keine schlechte Sache. Mackie ... sterben ... glücklich.« »Aber du verläßt mich. Ich kann ohne dich nicht leben!« »Billy lebt. Mackie wird immer mit Billy sein. Mackie ... Liebe ...« Billy hörte kaum den Kommentar des Mannes hinter ihm. »Dies war ein wertvoller Hund, dein Kleiner hier. Er schaffte es, den Luchs von dir abzulenken, damit du fliehen konntest. Echt ein mutiger kleiner Kläffer. Er mußte wissen, daß er gegen diesen großen, tollwütigen Gegner keine Chance hatte.« Mackie seufzte ein letztes Mal auf, und rotes Blut erschien in den Ecken seiner Lefzen. Seine fröhlichen braunen 108
Augen schauten zum letztenmal in diejenigen von Billy doch entstanden keine Worte mehr in Billys Kopf. Mackie war tot. »Sie sind wirklich die besten Freunde des Menschen, okay«, fuhr der Mann fort. »Aber ein großer Junge wie du sollte nicht so heulen. Du mußt dich auch in diesen Dingen wie ein Mann benehmen.« Ohne Scham flossen die Tränen Freds Backen herunter zum zweitenmal. Als wären die zwei Momente - getrennt durch 22 Jahre linearer Zeitentwicklung - in einem ewigen Augenblick schmerzhafter Trauer miteinander verwoben worden. »Mut, Selbstlosigkeit und unbedingte Liebe«, sagte Semjase. »Dies sind nur einige der Lektionen, die Mackie dich gelehrt hat. Dazu kommt noch das große Einsehen, daß es keinen Tod, sondern nur eine Veränderung der Welten gibt.« Fred war nun nicht mehr im Wald. Er schien sich irgendwie im Weltraum zu befinden, und Wolf Grunewald stand vor ihm und winkte ihm ein »Mach's gut!« zu. »O Gott - bitte nicht!« schluckte er schwer, als er sich an die Explosion erinnerte. Als sich Grunewald in einem wirbelnden roten Nebel von ihm entfernte, erhaschte Fred einen Blick auf einen anderen Mann, der sich Grunewald näherte und einen Arm um ihm legte. Fred wußte, daß dies sein Vater, Paul Bell, war. Zu den Füßen seines Vaters trottete ein kleiner braunweißer Hund - halb Zwergterrier, der andere Elternteil war unbekannt.
109
Dreizehntes Kapitel
Fred öffnete die Augen - und traf auf Schmerz. Mit geschlossenen Augen war es besser. Er zog es vor, in diesem Zwischenuniversum zu bleiben; vielleicht könnte er Mackie finden. Oder seinen Vater. »Bill, was ist los? Weshalb starrst du mich so an?« Kim Kingswold betrachtete ihn genau mit ihren großen braunen Augen und hob ihre kleine Nase zu seinem Gesicht hoch. »Komm schon, Bill. Wir sind hier, um Fossilien und solches Zeug zu suchen!« Es passierte also wieder. Fred war in eine weitere Szene seiner Vergangenheit versetzt. Ojemine! Ungläubig schaute er zu, wie sich das lebendige Theater von gestern vor seinen Augen abspielte. Er war siebzehn Jahre alt: kurzer American-FootballHaarschnitt; seine Schuluniform bestand aus einem rosa Hemd und dunkelgrauer Hose. Es war im Jahr 1957. »Es ist 1957!« verbesserte ihn die sanfte Stimme Semjases. »Aha, also gut«, seufzte Fred in die Luft. »Eine weitere Lernerfahrung, nehme ich an. Diese kann nicht allzu schlecht sein. Nicht wie die, in der Mackie starb. Dies muß die Exkursion sein, auf der uns Herr Self in die Ortegas mitgenommen hat. Damals fand ich die Meteoriten.« »Geh in das Bild hinein, Fred«, befahl Semjase. »Jetzt!« »Bill!« quengelte Kim nun. »Du hast mich von den anderen abgespaltet und mich in diesen Busch mitgenommen. Ich kann mir vorstellen, wie mich die Mädchen bestürmen werden, ob wir die große Leidenschaft erlebt haben oder nicht. Und Herr Self wird einen Tobsuchtsanfall bekommen. Wir sollten doch in Gruppen von drei oder vier arbeiten.« 110
Bill pflückte sich einen Grashalm und knabberte an dessen weichem weißen Ende. »Nee, Kim, ich will nicht mit den anderen Zusammensein. Du bist die einzige mit den richtigen Schwingungen.« Kim verdrehte ihre Augen. »Immer sagst du so komische Dinge. Ich vibriere nicht, du verdrehte Nuß.« »Es sind die Energien, die du aussendest«, versuchte ihr Bill zu erklären, wobei er Kims Hand nahm und ihr half, die sicheren Steine über ein Rinnsal zu finden. »Es sind die Gefühle, die ich von dir erhalte - wir sind kompatibel.« »Ja sicher«, murmelte Kim. »Wir sind fast immer zusammen. Wir zwei und der Kauz Eric Powell. Alle Mädchen fragen mich, wie du bist. Die Hälfte der Gymnasiastinnen hat ein Auge auf dich geworfen.« Bill hörte ihr nicht zu. »Ich fühle eine starke >Vibration<, daß wir uns nördlich halten sollten.« Kim fuhr ungerührt mit ihrer Beschwerde fort: »Aber sie alle wollen wissen, weshalb du immer so ... so zurückhaltend bist. Viele der Mädchen denken, daß du ein Snob bist: Herr Nasehoch. Natürlich versichere ich ihnen ständig, daß das nicht stimmt. Es ist wohl bloß deshalb, weil du immer lieber Wissenschaft und Archäologie studierst, anstatt ins Kino zu gehen - oder in die Disco.« Bill schnappte ihren letzten Satz auf. »Ich mag Kino. Kim, wir waren vor zwei Wochen zusammen im Kino.« »Ja, schon. Wir waren«, stöhnte sie auf. »Ich, du und Eric, der Kauz. Weißt du, Bill Bell, wir kennen einander, seit wir sieben waren, und du hast mich erst einmal geküßt: an meinem 13. Geburtstag, als deine Mutter für mich eine Überraschungsparty organisierte.« Bill grinste und küßte Kim auf die Wange. »So, jetzt ist es bereits zweimal passiert«, lachte er. »Jetzt hör zu plappern auf und folge mir.« III
»Sehr wohl, Meister«, murmelte sie traurig und schüttelte ihren Kopf in Selbstmitleid. Dann hörte Bill das Geräusch. Der »erwachsene Fred« in ihm verstand jetzt, worum es ging. »Ich vernahm Semjase bereits damals«, sagte sein Höheres Bewußtsein, ziemlich aufgeregt durch diese Entdeckung. »Ihr Raumschiff produzierte ein sehr hohes Pfeifgeräusch. Zuerst schmerzte es in meinen Ohren, doch dann erkannte ich es plötzlich.« »Was ist denn nun los?« wollte Kim wissen. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt: »Verdammt. Schau mal, Bill! Ich habe einen Riß in meinen neuen Jeans, siehst du? Meine Mutter wird mir wieder eine Predigt halten ...!« »Kim, bitte«, bat Bill, als der Pfeifton in seinen Ohren lauter wurde. »Könntest du dich einfach - für eine kurze Zeit auf diesen Stein setzen und auf mich warten? Es wird nicht lange dauern. Bitte?« Kim zog eine Schnute und setzte sich auf den Felsen. »Herr Self wird uns umbringen. Meine Mutter wird mich töten - mein Leben ist vorbei, und dabei bin ich erst siebzehn.« Kim drehte sich um und schaute in die Richtung, in die Bill im Busch verschwunden war. Plötzlich schreckten viele kleine Vögel auf. »Wahrscheinlich muß er Pipi«, beruhigte sie sich. Währenddessen überquerte Bill eine Bodenerhebung und erblickte vor sich ein kleines Raumschiff, das geräuschlos über einem Feld schwebte. Er bemerkte, daß das dicke Gras durch eine unsichtbare Kraft völlig flachgedrückt am Boden lag. Er hatte keine Angst; er näherte sich dem UFO wie im Traum oder in Trance. Ein kleines Geräusch zu seiner Linken ließ ihn in diese Richtung schauen - und er stand einer Frau mit langem braunem Haar gegenüber. Sie trug einen einteiligen Raumanzug. 112
»Guter Gott, du bist es!« rief der Fred-Aspekt in Bill aus. »Ich habe dich damals getroffen? Lieber Gott, bist du schön. Warum erinnere ich mich nicht daran?« »Damals war die Zeit noch nicht reif«, erklärte ihm Semjase mit ihrer musikalischen Stimme, die seinen Kopf ausfüllte. »Ich wollte dir nur etwas geben, damit mehr von deiner Erinnerung an deine wahren Vorfahren von den Plejaden aktiviert werde.« Verwundert beobachtete Fred, wie der 17jährige Bill zwei Objekte von der liebenswerten außerirdischen Frau entgegennahm. »Nimm diese Dinge, mein Lieber«, sagte sie zu ihm. »Du wirst dich an unser Treffen nicht erinnern, doch wirst du immer in dir das Wissen tragen, daß du geliebt und beschützt wirst von jemandem, der sich liebevoll um dich kümmert.« Der Teenager-Junge stand da - seinen rechten Arm ausgestreckt, und nahm sowohl die Objekte wie auch die Instruktionen entgegen. »Und jetzt geh zu deiner kleinen Freundin zurück. Ihr kannst du deinen neu gewonnenen Preis zeigen, doch ist er nicht für die anderen bestimmt.« Kim war wegen des sirrenden Geräusches verwirrt, das von dort zu stammen schien, wo sie Bill verschwinden gesehen hatte. Noch mehr kleine Vögel entschlossen sich plötzlich fortzufliegen. Kurz darauf schien sie etwas über ihrem Kopf zu hören; etwas, das sich schnell himmelwärts bewegte. Sie blickte nach oben - und sah nichts. Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Hügel zuwandte, sah sie Bill auf sich zukommen. Er stolperte etwas ungeschickt herum, als hätte er die Orientierung verloren; vor allem war er ziemlich blaß. »Alles in Ordnung?« wollte sie wissen. »Was ist los? Was sind diese Dinge in deiner Hand?« 113
Bill streckte seine offenen Hände aus, so daß sie die Schätze betrachten konnte. Kims Lippen formten ein geräuschloses »Oh« der Verwunderung, als sie die zwei Objekte genauer anschaute. Sie wiesen einen Durchmesser von etwa zehn Zentimetern auf und bestanden aus Gold und Silber. In ihrer Mitte waren grüne Steine - wie Smaragde - eingebettet. »Dies sind Meteoriten«, sagte er zu ihr. »Wauuh«, quietschte Kim. »Sie sehen aber wie wertvolle Schmuckstücke oder so etwas aus. Laß uns schnell zu den anderen zurückkehren und sie ihnen zeigen.« »Nein, Kim«, meinte Bill bestimmt. »Die sind für uns.« »Denkst du das wirklich, Bill?« »Ich habe sie schließlich auch gefunden, oder etwa nicht?« argumentierte er entschieden. »Da, nimm deines in deine Jackentasche. Zeig es niemandem. Auf keinen Fall während der Exkursion. Am besten, du wartest einige Tage, bevor du es überhaupt jemandem zeigst.« Kim zuckte ihre Schultern. Das Ding war zu schön, um weggegeben zu werden. Und Herr Self würde es einfach in seinen Fundus einschließen. »Aber irgend etwas müssen wir von unserem geheimen Stelldichein im Busch schon mit zurückbringen.« Bill nickte ihr ein Okay zu und neigte seinen Kopf auf eine Seite - als höre er einen fernen Ruf. »Da drüben«, sagte er ihr. »Laß uns weiter rechts suchen.« Nach ungefähr sechs Metern hielt Bill an und hob einen großen Kristall vom Boden auf, der teilweise von Gebüsch bedeckt war. »Dies ist für Herrn Robert Self!« Kims Sorgen lösten sich in nichts auf, als sie sah, welches Mitbringsel sie ihrem Erdkundelehrer präsentieren konn114
ten. »Das ist echt cool, Mann! Aber woher wußtest du, wo du suchen mußtest?« »Ich hörte, wie es uns rief. Hast du den Ruf etwa nicht vernommen?« Ständig zog Bill sie auf diese Art auf. »Doch, natürlich«, meinte sie also und kräuselte ihre Lippen. »So, wie halt Felsen reden, nicht wahr? Und wie hast du die Meteoriten gefunden? Sie kommen aus dem Kosmos. Sprichst du auch zu Dingen aus dem Weltall? Komm, Bill, sag schon etwas auf marsianisch ...! Etwas wie: >Bring mich zu deinem Führer< oder so.« »Sagen wir, daß ich geführt wurde«, erwiderte Bill. »Und jetzt laß uns zurückrennen, bevor Herr Self den Plan durchsieht und bemerkt, daß wir zwei etwas weiter vorgedrungen sind, als er es geplant hat.« Der weiche, rot wirbelnde Nebel begann erneut um Fred zu kreisen, und seine Nase nahm den ätzenden Geruch von brennendem Gummi, heißem Metall, Öl und Schmiere wahr. Als der Nebel sich lichtete, bemerkte er, daß er wiederum siebzehn Jahre alt war. Er befand sich in der Metallwerkstatt der Laguna-Beach-Hochschule. Als sich das Bild schärfer fokussierte, nahm Fred wahr, wie er völlig in die Szenerie einstieg. Er arbeitete gerade an einem mittelgroßen Düsenantrieb. Der Rest der Klasse bearbeitete normale Metallgegenstände wie Tablare, Kerzenständer und Tischchen. Ihm zur Seite stand Eric Powell und half ihm. Einige unvollendete Stücke lagen in der Nähe auf einer ausgeleierten Werkbank. »Dies wird eine Supermaschine, Mann«, ließ Eric verlauten. »Was wirst du mit ihr machen, Bill?« »Das habe ich dir bereits gestern erklärt, Eric. Ich montiere es in ein Auto und versuche den Landgeschwindigkeitsrekord zu brechen.« 115
»Ja, das sagtest du, Mann, aber meinst du es auch ernst?« Bill nickte und fuhr fort, einen heiklen Teil des Mechanismus einzufügen. Einer der Jungen, der an einem 48er Ford etwas änderte, hatte das Autoradio angeschaltet, und so füllte Elvis Presleys Stimme die Werkstatt mit der Bitte an seine Liebste, nicht allzu grausam zu sein ... »Schalte sofort diesen musikalischen Schrott aus!« schrie Herr Hennessy, der Werkstattleiter. »Dieser neue Rock'n' Roll-Mist gehört zu den Wilden im Dschungel, und dieser Elvis ist ein unmoralischer Perverser - so wie er sich beim Tanzen bewegt. Außerdem befindet ihr Herumlungerer euch immer noch an einer höheren Schule, ist das klar?« Das Radio schwieg sofort. Herr Hennessy war ein stämmiger Mann, der vor seiner Knieverletzung halbprofessioneller American-Football-Spieler gewesen war. »Ich frage mich, wo du all dies gelernt hast«, schüttelte Eric Powell bewundernd seinen Kopf. »Du arbeitest an mehr Projekten als wir Banausen alle zusammen in diesem Raum. Nur daß dein Zeug so weit fortgeschritten ist, daß es uns anderen wie die Wilden des Dschungels erscheinen läßt, über die sich der alte Hennessv vorher so wütend ausgelassen hat.« »Na, nun halt mal an, Eric. So geheimnisvoll ist es nicht. Du weißt, daß ich seit Jahren Abendkurse an der Universität besuche«, antwortete ihm Bill. »Reich mir mal den %erSchlüssel, bitte.« »Dorthin verschwindest du also, wenn ich dich abends suche und mir deine Mutter jeweils mitteilt, daß du nicht zu Hause bist.« »Klar, doch«, grinste Fred, als er sorgfältig eine kleine Schraube befestigte. »Du weißt ja, daß mein Vater dort Professor gewesen ist. Meine Mutter schrieb mich in ein spezielles Wissenschaftsprogramm ein, als ich noch klein war sieben oder acht Jahre.« 116
»Von so etwas habe ich noch nie gehört«, runzelte Eric die Stirn. »Ich nehme an, daß du das machen konntest, da du ja so eine Art Genie bist, nicht wahr?« Bill blinzelte einige Schweißtropfen in der Nähe seines rechten Auges weg. »Du könntest es auch schaffen, Mann, wenn du nicht so wärest wie die meisten Typen hier an der Schule, die nur den Röcken nachjagen. Die merken ja gar nicht, daß solche Programme für alle existieren, die sich qualifizieren.« »Jaah, vielleicht«, lächelte Eric einfältig. »Aber ich qualifiziere mich halt auf ganz natürliche Art auf das Röckejagen - und das ist viel lustiger!« »Warum hast du dann nie eine Partnerin für die großen Bälle und formellen Anlässe?« fragte Bill. Eric fühlte sich unbehaglich, als seine Macho-Fassade gelöchert wurde. »Tja, ich habe das richtige Mädchen noch nicht gefunden. Das kommt noch.« »Na, da sei mal bloß nicht zu sicher, Powell.« »Danke für die Blumen, Freund«, sagte Eric weinerlich. »Habe ich denn die Lepra oder was?« Bill tat es leid, als er merkte, daß er seinen besten Freund wirklich verletzt hatte. »Ich meinte nur, daß das richtige Mädchen auftauchen wird, sobald du aufhörst herumzublödeln und deine eigentliche spirituelle Aufgabe gefunden hast.« »Und was bitte soll das bedeuten, meine eigentliche spirituelle Aufgabe« Eric versuchte gleichgültig dreinzublicken, doch war klar, daß er mehr hören wollte. »Das heißt«, suchte Bill nach den richtigen Worten, »das zu tun, was sich für dich richtig anfühlt, und nicht das, was andere von dir erwarten. Und vor allem muß es etwas sein, das niemandem schadet.« Eric rieb sich die Hände und lachte auf. »Eben, Mädchenjagen fühlt sich für mich wenigstens großartig an, und ich denke, daß es auch niemandem schadet.« 117
Bill seufzte. »Du bist ein hoffnungsloser Fall, Powell.« »Jetzt erzähl du mir mal, Freund«, beschloß Eric das Zentrum der Diskussion zu wechseln, »was ist mit Kim? Ist sie für dich die Richtige?« »Sie ist eine sehr besondere Freundin«, antwortete Bill. Fred fühlte, wie er von der Szenerie weggewirbelt wurde Der rote Nebel hatte ihn wie eine pulsierende Puppe umarmt. Für einen Moment schien sie sehr eng zu sein - zu eng. Er öffnete seine Augen und blinzelte. Kim Kingswold lächelte auf ihn herunter. »Eric!« lachte sie, und die Tränen liefen ihr die Backen hinunter. »Er ist aufgewacht.« Fred brauchte einige Sekunden, bis er herausfand, wo er war, und sich auch an das Warum erinnerte. Er war in einem Krankenhaus. Seine linke Hand war verbunden, und auch sein Kopf war bandagiert. Er lag flach auf dem Rücken. »Kim«, sagte er mit rauhem Flüstern. »Du bist eine ganz besondere Freundin.«
118
Vierzehntes Kapitel
Kim Kingswold lehnte sich nach vorne und küßte Fred. »Darauf kannst du wetten, daß ich eine ganz besondere Freundin bin!« »Geh aufs Ganze, Kim«, neckte sie Eric Powell. »Vielleicht willigt er ein, dich zu heiraten - jetzt, wo er schwach ist.« Kim verdrehte die Augen und drückte offen ihren Mißmut aus. Ihr Kreuz, das sie seit über zwanzig Jahren tragen mußte, hieß »Powell«. »Ich nehme an, daß ich im Krankenhaus bin«, sagte Fred und versuchte sich auf die Ellbogen zu stützen. Schon das Sprechen tat weh - und erst recht seine Bemühungen, sich aufzurichten. »Ja, im Laguna Memorial«, ließ ihn Kim wissen. »Zimmer 1287.« »Und Grunewald?« Fred war sicher, die Antwort bereits zu wissen, doch wollte er die Bestätigung hören. Kim schaute kurz zu Boden, bevor sie antwortete: »Er hat es nicht geschafft.« Fred schien es unglaublich, sich vorzustellen, daß ein bemerkenswerter Mann wie Dr. Wolf Grunewald, seines Vaters bester Freund, nur in sein Leben getreten war, um schon nach wenigen Stunden für immer zu verschwinden. »Es war eine billige Röhrenbombe«, sagte Powell und näherte sich dem Krankenbett. »Percy verfolgt den Fall. Wir wissen alle, daß es dieser Neonazi-Abschaum gewesen ist.« Fred bemerkte nun, das Powells rechte Hand bandagiert war. Kim trug ein Pflaster über ihrem rechten Auge und ein weiteres am Kinn. 119
»He«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Ihr seid ja auch verletzt.« »Das ist zu erwarten, wenn man mit dir herumhängt«, grinste ihn Eric an. »Und was ist mit mir los?« Fred konnte diese Frage nicht mehr zurückhalten. »Deine Linke ist ziemlich schwer verbrannt«, informierte ihn Kim unverblümt. »Wahrscheinlich hast du eine Gehirnerschütterung, vielleicht einen Schädelbasisbruch. Sie wollen dich für einige Tage hier behalten.« »Keine große Sache, Fred«, versicherte ihm Powell. »Sie müssen dich beobachten. Du bist doch ziemlich durchgeschüttelt worden.« Als beantwortete sie eine unausgesprochene Frage, ließ Kim ihn jetzt wissen, daß Brad Bronson in sein Haus gezogen sei, um es zu beaufsichtigen. Fred lächelte. »Bewacht ihr den Rezeptor in Schichten?« »Genau das sollen die bösen Buben denken,« zwinkerte ihm Eric zu. »Wir haben über die Sache abgestimmt und entschieden, daß das Medaillon am sichersten hier bei dir aufgehoben wäre.« Auf diese Information hin schaffte es Fred, sich aufrecht hinzusetzen. »Ihr haltet mich zum Narren!« Kim schüttelte ihren Kopf. »Keineswegs. Es wurde uns einfach klar, daß du am sichersten bist, wenn du den Rezeptor bei dir trägst.« Sie griff in ihre Handtasche, holte das Objekt hervor und hängte es um Freds Hals. »Hör mal, Chef«, erklärte Eric. »Wir haben gestern bis spät nachts darüber geredet. Irgend etwas scheint in Bewegung gekommen zu sein, etwas Großes. Wir verstehen zwar nicht ganz, was es ist, doch denken wir, daß diese Astronauten-Dame dich beschützen wird. So, wie sie es mit deinem Vater getan hat.« I20
»Na ja - hoffen wir, daß sie bei mir besser aufpaßt als bei meinem Vater«, meinte Fred bitter. »Sprich nicht so«, bat ihn Kim. »Es wird dir schon nichts passieren. Nicht jetzt. Und nicht, solange du den Rezeptor trägst.« Fred hielt das Medaillon in seiner Rechten und rieb mit seinem Daumen den Smaragd in kreisenden Bewegungen. »Hm, ihr Leute >fühlt< also wirklich, daß hier auf der Erde bald etwas passieren wird?« »Ja«, sagte Eric ernsthaft. »Und du kennst mich. Ich >fühle< nicht allzuoft Dinge.« Fred versuchte zu lächeln, aber sein Gesicht schmerzte. »Genau das erstaunt mich ja so«, sagte er mit seiner krächzenden Stimme, die ein Resultat des Unfalls war. »Normalerweise fühlst du nur Hunger, Durst, Nässe, Kälte ... und so Zeug.« Eric zog vor Ärger seine Augenbrauen zusammen. »Hör mal, Fred. Es ist mir ernst. Warum sollten dich - einfach so - eine verrückte Frau zu ermorden versuchen, zwei Nazi-Aristokraten dich mit bewaffneter Gefolgschaft besuchen und der nette alte Grunewald in die Luft gejagt werden?« »Und dies, kurz nachdem wir über den Tod deines Vater, die außerirdische Frau sowie die Suche der Nazis nach außerirdischen Objekten informiert wurden«, fügte Kim hinzu. »Etwas Großes liegt in der Luft.« Eine imponierende, rothaarige Krankenschwester betrat den Raum mit einem Tablett. Als sie sah, daß Fred wach war, legte sie es ab und griff nach einem Thermometer. Kurz bevor sich die Tür hinter ihr schloß, erblickte Fred einen Polizisten vor seiner Tür. »Sie haben versprochen, mich zu rufen, wenn Dr. Bell aufwacht«, rügte die Schwester und schob Fred das Thermometer unter die Zunge. 121
»Er hat erst gerade die Augen geöffnet«, verteidigte sich Eric und versuchte sie zu besänftigen. Die Krankenschwester bemerkte den Rezeptor um Freds Hals und begann zu kichern. »Das ist sehr hübsch, Dr. Bell. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie ein Hippie sind. Vielleicht passen Sie in einen unserer spitaleigenen Nehru-Kittel.« »Wir brachten es ihm als eine Überraschung, Madame«, fügte Eric zu. »Unter dem Motto: Laß den Sonnenschein rein und sei fröhlich, lieber Fred.« »Aber natürlich«, lachte die Schwester. »Ich verstehe; ein Witz. Es ist wirklich hübsch. Eigentlich wunderschön. Etwas teuer für einen Witz, meinen Sie nicht auch?« »Für unseren besten Freund ist uns nichts gut genug«, erwiderte Eric. Sobald die Schwester das Zimmer verlassen hatte, erkundigte sich Fred nach dem Polizisten vor seiner Tür. »Zu deinem Schutz, Fred. Wie ich gerade sagte: Nichts ist uns für unseren Freund gut genug.« »Leutnant Percy dachte, dies sei am besten«, meinte Kim. »Bis er die Von Raeders oder ihre Helfershelfer verhaftet hat - oder beide.« Fred nickte langsam. »Okay, wenn Percy meint, daß dies das Beste sei...« Er war mittlerweile sehr müde geworden. Auch war er wahrscheinlich mit Schmerzmitteln vollgepumpt. Eric sagte etwas, doch konnte Fred nicht mehr richtig zuhören. Und Erics Stimme schien immer weiter weg zu sein. Fred legte seine Rechte auf den Rezeptor, und erneut umschwebte ihn der schöne rote Nebel. »Sei nicht so hochnäsig und arrogant, Bill!« schrie ihn Kim an. »Du mußt jetzt helfen!« Fred blinzelte verwundert. Wieder befand er sich im Jahre 1957. Er war zurück in der Metallwerkstatt der Laguna-Hochschule. Bill hatte lange gearbeitet und seinen selbstgebastel122
ten Düsenmotor in den Rennwagen eingebaut. Außer ihm hielten sich noch Kim, Frau Eliade, die Schulkrankenschwester, Herr Henderson, der Schulleiter, Herr Lansing, der Biologielehrer, und Herr Self, der Geschichtslehrer, in der Werkstatt auf. »Helfen?« fragte er laut heraus. »Womit helfen?« »Wir haben es dir schon mal erklärt, William«, bemerkte Herr Henderson mit verengten Augen und skizzierte das Problem noch einmal. »Über ein Viertel der Schüler kommen nicht mehr zur Schule, da sie krank sind. Wir scheinen eine Epidemie an der Schule zu haben.« Herr Henderson war ein hochgewachsener, schmalschultriger Mann, der langsam, aber sicher seine Haare verlor. Bill nahm an, daß er täglich denselben dreiteiligen schwarzen Anzug trug. »Und es ist nicht der normale Schnupfen«, warf Frau Eliade ein. Sie trug außerordentlich dicke Brillengläser, war aber ansonsten eine attraktive Frau in den späten Vierzigern. »Nein, das ist es nicht«, stimmte Lansing ihr zu. »Zahlreiche Fische verendeten kürzlich in unseren Frischwasseraquarien. Und du weißt ja, daß die Wasserversorgung der Laguna durch eine der wenigen noch funktionierenden Quellen der Umgebung gespeist wird.« Frau Eliade räusperte sich: »Ich habe einige Erkundigungen eingezogen: Die Hälfte der Stadtbewohner ist ebenfalls krank.« Lansing war wegen der Unterbrechung für einen Moment irritiert, fuhr dann aber fort: »Ich entnahm der Quelle Proben und stellte fest, daß sie eine abnormal hohe Konzentration von Petroleum-Nebenprodukten aufweist.« »Und was soll ich dagegen unternehmen?« fragte Bill und schaute finster drein. »Ich habe keine fehlerhaften Tankbehälter in den Tankstellen installiert oder Öl ins Meer gelassen.« 123
Lansing akzeptierte die Anklage. Er hatte erst vor wenigen Jahren sein Studium beendet und war ein athletisch gebauter 27jähriger Lehrer, den alle Studenten verehrten. »Hey, Bill, auch ich bin nicht der Verursacher der Schweinerei. Aber ich versuche wenigstens, etwas dagegen zu unternehmen.« Bill zuckte mit den Schultern. »Ich bin mit meinem Düsenauto beschäftigt. In weniger als einem Monat ist Schulabschluß, und dann gehe ich nach Bonneville Fiats, um den neuen Landgeschwindigkeitsrekord zu erkämpfen.« Herr Self begann sich sichtlich über seinen Schüler zu nerven. »Bill, wir alle hier anerkennen deine überragende Intelligenz. Wir sind jedesmal stolz und erstaunt, wenn wir von deinen Erfindungen hören. Aber all diese Fähigkeiten und dein ganzes Wissen nützen nichts, wenn sie nicht den Menschen helfen.« Kim spitzte die Lippen und entschloß sich zu einem Frontalangriff: »Du mußt jetzt helfen, Bill.« »Du bist eine sehr begabte Persönlichkeit, Bill Bell«, fuhr Herr Self weiter. »Ich denke, daß du mit gutem Gewissen einen Teil der Zeit, die du mit deinen Hobbies verbringst, auch deinem sozialen Umfeld widmen solltest.« »Und warum hat nicht bereits Ihre Generation begonnen, sich Sorgen um die Luft- und Wasserverschmutzung zu machen?« begehrte Fred auf. »Warum hat nicht Ihre Generation angefangen, nach Lösungen zu suchen - anstatt das Problem einfach weiterzugeben?« »He, Mann«, schüttelte Lansing traurig den Kopf. »Du kannst der älteren Generation vorwerfen, was du willst. Und zwar mit verdammt gutem Recht. Aber dies wird kein einziges Problem lösen.« Er schlenderte zu der Bank, auf die Bill einige seiner Antriebsraketen gelegt hatte. »Schau es mal so an«, sagte er 124
und nahm eine der fertiggestellten Raketen in seine Hand. »Wozu wird dieses Apparätchen gut sein? Und welchen Nutzen wird dein Düsenauto haben ... auf einem Planeten, auf dem die Kinder wegen der Umweltverschmutzung sterben?« »Zier dich nicht so, Bill«, argumentierte Kim. »Herr Self, Herr Lansing, Herr Henderson und Frau Eliade sind hierhergekommen, um dich um Hilfe zu bitten. Vielleicht ist es ihre Generation - und die vor ihnen -, die uns diesen Schlamassel eingebrockt hat, aber immerhin haben sie den Mut, den Tatsachen ins Auge zu sehen und nach Hilfe zu suchen. Sie wollen jetzt etwas dagegen unternehmen. Sei nicht so verdammt anmaßend!« Bill lachte und legte die Rakete ab, die er gerade einbauen wollte. »Wissen Sie, verehrte Fakultätsmitglieder, Pinocchio stand Jiminy Cricket als sein Gewissen zur Verfügung. Ich denke, daß ich mit Kim Kingswold gesegnet bin. Sie ist mit der einzigartigen Fähigkeit ausgestattet, mich immer dann aufzuwecken, wenn ich meine, daß alles stimmt - und ich im Unrecht bin!« Nach einem kurzen roten Nebelwirbel sah sich Bill emsig in Herrn Lansings Laboratorium arbeiten. Er beugte sich über ein langes, zylinderförmiges Objekt, das auf der einen Seite eine Glasröhre hatte. Davor befand sich eine kleinere, ähnliche Einheit. Um ihn herum standen als Assistenten - für Handreichungen und Besorgungen - Kim, Eric, Herr Self, Herr Lansing und Darla Weiß, Kims Freundin. »Dies scheint auf jeden Fall eine beeindruckende Erfindung zu sein«, meinte Herr Self etwas ängstlich. Nach einem langen Schultag hatte er gerade erst das Laboratorium betreten. »Es sieht nicht nur beeindruckend aus«, ließ sich Kim, die ewige Optimistin, vernehmen. »Es wird auch funktionieren!« 125
Bill staunte über Kims Enthusiasmus, doch gefiel ihm, daß sie immer bereit war, ihn zu unterstützen. »Ich hoffe, daß es klappen wird«, sagte er. »Der Mechanismus beinhaltet einige neue Konzepte - ich sollte besser sagen: >neu< für unsere Wissenschaft. Ich arbeite in erster Linie mit Pyramidenenergie, gekoppelt an ultraviolette Strahlung.« »Pyramidenenergie«, wiederholte Lansing leise, fügte jedoch keinen weiteren Kommentar bei. Bill fuhr mit seiner Erklärung fort: »Der Kohlefilter hier am Gerät verhindert die starke Verschmutzung; dies hat aber den Nachteil, daß sich nach einer Weile schädliche Bakterien ansammeln. Um dieses Problem zu lösen, füge ich ultraviolettes Licht zu, das beide - Bakterien wie Algen - fernhalten wird.« Neugierig wie immer, wollte Kim etwas über pyramidenförmige Strukturen wissen. »Du weißt ja, Kim, daß ich viel über die ägyptischen Pyramiden gelesen habe. Ich bin überzeugt davon, daß die Ägypter die Energie, die in den Pyramiden entstand, genau gekannt haben. Sie beschleunigt den Zellerneuerungsprozeß - wie eine Art Verjüngungskur. Ich glaube, daß dieser Vorgang es ihnen ermöglichte, ihre Mumien über Tausende von Jahren zu erhalten. Weiterhin bin ich sicher, daß in nicht allzu ferner Zukunft unsere Wissenschaft bestätigen wird, was ich jetzt als Theorie dargelegt habe.« »Wie, Bill?« fragte Eric und war sichtlich verwirrt. »Heißt das, daß wir uns in Mumien verwandeln, wenn wir Wasser trinken?« »Für mich klingt es mehr nach einem Jungbrunnen oder so«, mutmaßte Darla. »Es ist keines von beiden, Leutchen«, lachte Bill. »Aber danke fürs Mitspielen. Auf jeden Fall wird die Anlage unser Trinkwasser beträchtlich energetisieren.« 126
Sorgfältig fuhr Herr Lansing mit seinem Zeigefinger die Umrisse des Objektes nach, an dem Bill arbeitete. »Ich habe vor nicht langer Zeit mein Physikstudium abgeschlossen. Wie ist es möglich, daß ich nichts von diesen Theorien weiß?« Bill zuckte mit den Schultern. »Ich denke deshalb, Herr Lansing, weil unsere Wissenschaft immer von soliden und konkreten Ideen ausgeht, die auf der eigenen Forschungsarbeit basieren. Fast alle Wissenschaftler gehen auf Nummer Sicher, also davon aus, was bereits bekannt ist. Ich hingegen bin fasziniert von der Forschung nach der Lebenskraft. »Zum Beispiel«, fuhr er fort, »abonniere ich das International Journal of Radionics, das in Großbritannien erscheint. Kürzlich habe ich mir vom Verlag eine Dokumentation über die Kirlian-Photographie zukommen lassen, die das Vorhandensein von Lebenskräften, auch Auren genannt, um alle lebendigen Dinge herum belegt. Vieles war auf deutsch und französisch geschrieben; meine Mutter half mir beim Übersetzen.« »Hört mal, Leute«, warnte Eric sie, »diese Sache ist völlig wild. Ich habe gesehen, wie es funktioniert. Soll ich schnell ein Blatt von der Eiche im Hof abzupfen, Bill?« Bill nickte und setzte seine Erklärungen fort, währenddessen Eric die Blätter holte. »Die Forschungsergebnisse wurden erst vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt, doch haben Seymour und Valentina Kirlian mit ihren Experimenten bereits Ende der dreißiger Jahre begonnen. Kirlian, ein Elektriker und Amateurphotograph, und seine Frau Valentina entdeckten, daß sie auf photographischem Weg ein besonderes Leuchten aufnehmen können, das allen lebenden Dingen zu entströmen scheint, von bloßem Auge allerdings unsichtbar ist. Um die Aufnahmen zu machen, benötigten sie weder Kamera noch 127
Linse: Sie brachten das aufzunehmende Objekt lediglich in direkten Kontakt zum Film und ließen sehr schnell fließenden elektrischen Strom durch das Objekt hindurch.« Während er sprach, führte Bill seine Zuhörer zu einer großen schwarzen Box, die auf der einen Seite ein Guckloch aufwies. Daneben stand eine Starkstromanlage. »Ich habe diese Maschine nach Plänen zusammengesetzt, die ich im Psychotronic Experimenter gefunden habe, der in Deutschland erscheint«, erzählte ihnen Bill. »Wenn Eric mit dem Blatt zurückkommt, werden wir es auf eine dieser Glasplatten legen. Der Starkstrom des Generators ist auf der einen Plattenseite bereits vorhanden. Der Generator produziert eine Stromstärke, die zwischen 75000 und 200 000 elektrischen Impulsen pro Sekunde liegt. Die Testobjekte kommen zwischen die Glasplatten zu liegen und werden durch diese isoliert. Der Prozeß elektrisiert die isolierten Testobjekte, und die Ladung wird durch die umgebende Atmosphäre neutralisiert.« Nur Herr Self war mutig genug, um Bill zu bitten, etwas langsamer zu erklären. Bill grinste in sich hinein, als er realisierte, daß alle Mühe hatten, diese völlig neue Idee - auf dichteste Art präsentiert - zu verstehen. »Die Theorie besagt, daß unsichtbar anwesende Kraftfelder die Leitfähigkeit der Testobjekte erhöhen. Und in einem dunklen Raum ist dieses Phänomen sichtbar.« Eric kehrte mit großen Eichenblättern zurück. Bill suchte eines aus und legte es zwischen die Glasscheiben in der schwarzen Box. Er schaltete den Strom ein und bedeutete allen hineinzublicken. »Erstaunlich«, bestätigte Lansing Bills Erklärungen. »Ich sehe tatsächlich ein leuchtendes Feld um das Blatt hemm.« Bill strahlte wie ein kleiner Junge, der ein heiß ersehntes Geschenk unter dem Weihnachtsbaum findet. »Jetzt zeige 128
ich euch etwas noch Erstaunlicheres.« Er schaltete die Anlage aus, öffnete sie, zog das Blatt heraus und riß es entzwei. Mit der Gestik eines Zauberers zeigte er die zerrissene Hälfte in der Runde herum, dann plazierte er sie wieder in der Anlage. Als er den Strom einschaltete, fragte er Herrn Lansing, was er beim zweitenmal zu sehen erwarte. Lansing lächelte und fühlte, daß die Dinge etwas komplizierter würden. »Hm, ich meine, daß wir eine halbes leuchtendes Blatt erblicken werden.« »Darauf würde ich aber nicht wetten«, warf Eric in bester Laune ein. Lansing schaute rasch in die Box. »Guter Gott! Ich glaube es nicht. Das ganze Kraftfeld, die Aura, es ist immer noch dort...« »Glauben Sie es!« forderte ihn Bill auf. »Diese Kraftfelder sind weder physisch noch konkret.« Herr Self merkte, daß er richtig kombiniert hatte. Er schaute noch einmal in die Box und sagte dann zu Bill: »Du meinst also, daß die Pyramiden irgendwie dieselbe Lebenskraft bzw. dasselbe Kraftfeld vermitteln?« »Ja«, antwortete Bill und zeigte auf seine neuerstellte Wasseraufbereitungsanlage. »In diesem Fall wird das aufbereitete Wasser revitalisiert. Es wird die gleiche Qualität aufweisen wie frisches Quellwasser - obwohl es aus dem Wasserhahn kommt.« Plötzlich bekam seine Stimme diesen besonderen Klang, und er sah zu seinen Füßen auch schon den roten Nebel aufwallen; trotzdem sprach er weiter. »Herr Lansing, ich denke, Sie sollten den Apparat zuerst an die Aquarien anschließen, bevor Sie ihn mit der Wasserversorgungseinheit der Schule verbinden.« Er sah, wie Lansings Lippen Worte formten, doch hörte er nichts. Bill war jetzt ganz vom Nebel eingehüllt, und er fühlte, wie er ein bißchen weiter in der Zeit fortschritt. 129
Diesmal befand er sich nicht im Bild; er war nur Beobachter. Semjase zeigte ihm einen wichtigen Moment seines Lebens aus einer Perspektive heraus, die er im linearen Zeitfluß der Erde so nie hätte wahrnehmen können. Bill erblickte in Herrn Hendersons Büro den Schulleiter, Herrn Lansing und Herrn Self. Herr Henderson befragte Lansing nach dem Experiment mit der neuen Wasseraufbereitungsanlage. »Es ging besser, als ich erwartete«, antwortete Lansing. »Ich mußte ein Gitter über das Aquarium legen.« Herr Henderson wühlte aufgeregt in einigen Akten ihm schwante Böses. »Sie mußten die Fische einsperren?« »Nun, ja«, erklärte der Biologielehrer, »nach ungefähr drei Tagen haben sich die Fische im behandelten Tank nicht nur erholt, sondern begannen wortwörtlich aus ihrem Behälter zu springen. Wir prüften einen auf Bills Apparatur und fanden, daß seine Aura doppelt so groß war, wie die eines Fisches aus einem noch unbehandelten Tank.« Henderson lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück, kreuzte seine Hände über dem Bauch und machte ein höchst zufriedenes Gesicht. »Dies ist erstaunlich. Schließen Sie die Anlage sofort an das System der Schule an.« »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß der Junge ein Genie ist«, meinte Herr Self selbstgefällig. »Wir sind nicht die einzigen, die dieser Meinung sind, meine Herren«, sagte Henderson auffallend leise, als sollte diese Information ein Geheimnis bleiben. Die plötzlich aufgetretene Ernsthaftigkeit des Schulleiters ließ die Begeisterung von Herrn Self erstarren. »Und wer teilt unsere Meinung über William Beils Fähigkeiten?« »Uncle Sam, meine Herren«, antwortete Henderson mit traurigen Augen. Uncle Sam! Die zwei Worte hallten in Bills erweitertem Bewußtsein wieder. Also waren sie ihm damals schon nachgeschlichen! 130
Fünfzehntes Kapitel
Onkel Sam! Einmal mehr formierte sich der rote Nebel eng um ihn herum, so daß er sich wie eine Raupe fühlte, die sich aus ihrer Verpuppung befreien wollte. »Du willst also zur Luftwaffe, hm?« grinste ihn der empfangende Wachtmeister dümmlich an und klopfte mit einem Kugelschreiber geistesabwesend gegen seine Zähne. »Ja, Sir«, antwortete der 18jährige Bill respektvoll. »Ich denke, daß es für mein berufliches Weiterkommen von großem Nutzen sein wird.« Der Wachtmeister schniefte etwas verächtlich. »Vielleicht. Obwohl jetzt nicht allzuviel läuft. Ich meine, also kein Korea. Aber ziemlich Action in Israel, auf der SinaiHalbinsel und dem Gaza-Streifen. Das sind alles Geschäfte der Vereinten Nationen. Ich denke nicht, daß wir an einem dieser Orte in einen echten Krieg verwickelt werden. Eisenhower war als General verdammt besser denn als Präsident, wenn du meine Meinung hören willst.« Bill fühlte sich in der folgenden Stille unbehaglich. Der Wachtmeister saß einfach nur da und starrte ihn an - wieder klopfte er mit dem Kugelschreiber an seine Zähne. Wollte der Wachtmeister wirklich, daß Bill ihn über die aktuellen politischen Ereignisse befragte? Sollte er diesem spontanen Erguß über die internationalen Verhältnisse des Jahres 1957 zustimmen oder sie ablehnen? »Wir haben dich bereits durch den Sicherheitsdienst überprüfen lassen«, ließ der Sergeant plötzlich verlauten. Bill verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. »Und, habe ich bestanden?« fragte er mit nervösem Lächeln. 131
Der Wachtmeister nickte. »Mit einer Ausnahme.« Wieder diese Stille. Bill hatte keine andere Möglichkeit, als eine direkte Frage zu stellen: »Eine Ausnahme, Sir?« »Ja, in deiner Geburtsurkunde«, erwiderte der Wachtmeister. »Wir fanden einen Fehler in deiner Geburtsurkunde. Offenbar hat deine Mutter deinen Vater geheiratet, sich dann scheiden lassen und ihn wieder geheiratet.« Bill konnte es nicht glauben. »Hiervon weiß ich nichts, Sir.« »Es passierte, bevor du geboren wurdest.« »Nun, ja - aber sind Sie sicher?« Der Sergeant fixierte Bill mit wachsender Frustration und zurückgehaltener Wut. Er hätte nicht vorwurfsvoller aussehen können, wenn Bill darum gebeten hätte, die amerikanische Flagge verbrennen zu dürfen. »Die Luftwaffe macht keine Fehler, Junge. Brenn dir dies lieber gleich jetzt in dein Hirn ein; vorausgesetzt, du willst länger als zwanzig Minuten bei der Luftwaffe überleben.« »Aber was für einen Irrtum haben Sie denn gefunden?« war Bill mutig genug zu fragen. »Laut den offiziellen Unterlagen ist dein erster Name Fred«, ließ ihn der Wachtmeister nach erneuter eisiger Stille wissen. »Verbesserung, Sir. Das ist mein mittlerer Name.« »Nicht mehr, mein Herr«, murmelte der Sergeant die endgültigen Worte. »Wir gehen nach der Urkunde, und laut der heißt du Fred Bell.« Bill ... Fred sah, daß es keinen Sinn hatte zu argumentieren. Wenigstens haben sie seinen wirklichen Namen Alice nicht endeckt. Alles, was er tun mußte, war einfach seinen ersten Namen mit dem mittleren zu tauschen. Als er später mit seiner Mutter telephonierte und ihr den seltsamen Namenstausch berichtete, erzählte sie ihm, daß sie von zwei 132
Regierungsbeamten besucht worden sei, die ihr die gleiche Information gegeben hätten. Doch war der rote Nebel wieder dabei, ihn in seine größer werdenden Arme zu nehmen. Da waren viele verwischte Gesichter, Szenen und Stimmen; und dann sah er sich an der Luftwaffenakademie in Boulder, Colorado. Es war im Jahre 1958. Er befand sich in der Mitte eines speziellen zweijährigen Ausbildungsprogrammes. Er und eine Anzahl weiterer Kadetten wurden von den anderen getrennt und auch anders behandelt als die übrigen. Als sich der Nebel auflöste und Fred klar sehen konnte, befand er sich in der zweiten Reihe eines Schulzimmers im Ingenieursgebäude. Der Lehrer war gerade dabei, ihnen das Radarverfahren zu erklären: »Die zwei ersten Radaranlagen, auf denen ihr trainieren werdet, sind ein ANFPS 26, der die Höhe bestimmt, und ein ANFPS 35, eine Suchanlage, eine Koproduktion von General Electric, Westinghouse und Sylvania. Eure zukünftigen Offiziere sind für Wartung, Bedienung und Sicherheit der Anlagen verantwortlich.« Der Instruktor deutete auf ein Diagramm und fuhr mit dem Unterricht weiter: »Der Positionsoperator wird dieses Diagramm benützen, um die verschiedenen fliegenden Objekte zu identifizieren, die wir bogics nennen.« Fred betrachtete die verschiedenen Formen der vielen Flugzeuge, und seine Aufmerksamkeit wurde von einem seltsamen, rechteckigen Objekt angezogen. Er hob seine Hand und wurde aufgerufen. »Was für ein Flugzeugtyp ist das, Sir?« »Das, Kadett Bell, wird als ein UFO klassifiziert - ein Unbekanntes Fliegendes Objekt.« Plötzlich durchlebte er eine schmerzhafte, sehr klare Erinnerung, und Fred wandte sich wieder dem Objekt zu. Nach einigen Momenten hob er wieder die Hand und ent133
schuldigte sich für die Unterbrechung. »Sir, sind diese ... UFOs ... häufig?« »In einigen Gebieten treten sie häufig auf«, antwortete der Lehrer, ohne zu zögern. »In welchen Gebieten, Sir?« »Um die Polarregionen herum und in weiteren abgelegenen Gegenden wie Washington State und Nordkalifornien.« »Und wo in Nordkalifornien?« Der Instruktur verhielt sich immer noch höflich, doch war klar, daß er lieber zu seinem ursprünglichen Thema zurückkehren wollte. »Point Arena. Und die Landmasse Nordkaliforniens, die bis zum Meer hinreicht.« Fred notierte sich die Angaben in seinem Heft. »Sir, warum habe ich - als gebürtiger Kalifornier - noch nie von diesen Vorkommnissen gehört?« »Weil sie geheimgehalten werden, mein Herr!« »Warum?« fragte Fred und fühlte, daß er für die anderen Kadetten wie ein kleiner Junge erschien, der seinem Vater Löcher in den Bauch fragte, weshalb der Himmel blau sei. Der Lehrer nahm die Enden des Zeigestockes in seine beiden Hände und begann auf und ab zu tigern. »Diese Objekte sind geheim, da sie alle unsere eigenen Flugobjekte haushoch übertreffen. Sie enthalten hochentwickelte, fremde Technologien, die laut unseren Geheimdiensten nicht von der Erde stammen können.« »Wollen Sie damit sagen, Sir, daß diese Objekte außerirdisch sind?« Ein hinten sitzender Schüler ließ in einem Falsetton ein lautgezogenes »Oooo-oooo-oooh ...« ertönen, ähnlich wie die Titelmelodien der Science-Fiction-Filme »Krieg der Sterne« und »Der Tag, an dem die Erde stillstand«. Der Lehrer suchte den Raum nach dem Spaßvogel ab, wobei seine Augen so eisig blickten, daß selbst das Bier im 134
Humpen sofort zu Eis erstarrt wäre. Er war nun sichtlich von Freds beharrlicher Fragerei irritiert. »Genau das meine ich, Kadett Bell. Diese Dinger sind außerirdisch.« »Sir, woher stammen sie?« »Das, Kadett Bell, ist geheime Information!« Fred drehte sich um. Einige seiner Mitkadetten waren deutlich gelangweilt. Andere jedoch schienen zu hoffen, dalß er noch weitere Fragen stellen würde. »Sir, ich habe einen Sicherheitspaß. Alle in dieser speziellen Gruppe haben einen. Wie können also Sachen geheim sein, wenn wir doch alle im Besitz des Sicherheitspasses sind, der Zugang zu sämtlichen Informationen erlaubt?« Der Instruktor knirschte fast mit den Zähnen, als er antwortete: »Diese Informationen läßt die Luftwaffe nur ganz bestimmten Personen zukommen; quasi nach der im Moment aktuellen Dringlichkeit der Sache.« »Okay, Sir; ich bin aber sicher, daß ich diese Informationen dringend benötige.« Als sich der rote Nebel erneut um Fred herum formierte, wurde ihm bewußt, daß so etwas wie >der Zufall< nicht existierte. Fred sah, wie nach seiner Diplomfeier die zukünftigen Jobs verteilt wurden: Er selber wurde der 776. Radarabteilung in Point Arena AFS, Kalifornien, zugeteilt. Mit seinem jetzigen erweitertem Bewußtsein erblickte Fred Point Arena von weit oben - als ob er darüber fliegen würde. Klar zeichneten sich die über 360 Meter hohen Antennen und die großen Radarschirme ab. Die großartige Sicht zeigte ihm eine 300-Grad-Perspektive der dahinterliegenden Berge sowie eine unendliche Aussicht auf das Meer. Kurz darauf befand er sich mit überraschender Geistesgegenwart im Büro des Kommandeurs der Basis, Oberst Colonel Bunting. Mit Hilfe von Semjase waren seine Sinne maximal erweitert, und er nahm wahr, daß er einer Diskus135
sion beiwohnte, die kurz vor seiner Ankunft in Point Arena stattgefunden hatte. Wachtmeister Franks überreichte Bunting ein Aktenbündel, das die neuen Truppenmitglieder beschrieb: »Sir, dies sind die neu Angekommenen. Es scheint, daß wir einen heißen OCS-Abgänger namens Fred Bell unter ihnen haben, für den Onkel Sam spezielle Pläne bereithält.« Nachdenklich zündete sich Bunting eine Zigarre an. »Ich hoffte, daß unsere Gruppe nie mit einem dieser genialen Theorie-Frischlinge in Berührung kommen muß.« Sergeant Franks wählte seine Worte sorgfältig: »Dann sind also die Gerüchte wahr, Sir? Daß Kinder mit besonderen Fähigkeiten von der Regierung beobachtet werden? Daß jugendliche >Wunderkinder< eingearbeitet werden, um ihr Bestes zu tun, damit sie anschließend wieder aus der Armee entfernt werden können?« »Wachtmeister«, warnte Bunting den Mann, »vergessen Sie nicht, daß all dies >top secret< ist. Jede Übertretung wird als Verrat angesehen, und die Meinung des Kriegsgerichts wäre diesem Thema gegenüber von vorneherein eindeutig parteiisch.« »Machen Sie sich keine Sorgen«, versicherte ihm der Wachtmeister. »Dreißig Jahre Arbeit an diesem Ort haben mich zu einem Gläubigen gemacht.« Als würde eine verborgene Kamera sein Leben filmen, sah sich Fred aus einem Bus aussteigen, der in Point Arena am Nachmittag ankam. Er trug seinen großen Armeesack und marschierte mit den anderen Neuangekommenen den Weg zum Empfang. Wachtmeister Frank erschien, begrüßte sie und hieß sie in Point Arena willkommen. Fred spürte wieder eine spiralneblige Bewegung, und dann befand er sich in einem Bild von Point Arena. Er saß an einem Tisch in der Offiziersabteilung der Kantine. Dann sprachen die Leutnants Blakley und West zu ihm. 136
West war ein dürrer, schweigsamer Typ aus New England. Und obwohl er einen strengen und zurückhaltenden Eindruck machte, war sein gutmütiges Inneres klar erkennbar. Blakley war von mittlerer Statur, gut gebaut und hatte stechende blaue Augen. »Bist du gekommen, um die Verwirrung noch größer zu machen«, fragte Blakley Fred, »oder um Ordnung ins Chaos zu bringen?« »Das neuste Gerücht flüstert, daß du ein geheimgehaltener, genialer Wissenschaftler bist«, fügte West hinzu. Fred schüttelte beiden die Hand. »Du wirst mit uns an den 35er- und 26er-Anlagen arbeiten«, informierte ihn Blakley. »West ist hier der wachhabende Offizier.« »Ich nehme also an, daß ich den Posten eines Ingenieurberaters innehaben werde?« fragte Fred etwas rhetorisch. »Genau«, betonte West seine Worte mit einem freundlichen Blinzeln. »Du wirst vor allem mit der Luftwaffe selber und General Electric zu tun haben. Westinghouse und Sylvania sind selten hier, da G. E. fast den gesamten Komplex gebaut hat. Beende deine >lukullische< Mahlzeit, und ich führe dich rum.« Nach einigen Minuten betraten Fred und West den Hochsicherheitstrakt. Eine Wache, die West begrüßte und als Jim anredete, informierte den Leutnant, daß sich General Electric bereits in der Zentralen Kontrolle aufhalte. »Die Zentrale Kontrolle kann nur mit einem geheimen Zahlencode betreten werden«, erklärte ihm West. »Dort drin sind die Bildschirme sämtlicher Radaranlagen stationiert.« »Und was macht G. E. dort drin?« wollte Fred wissen. »Sie versuchen herauszufinden, ob die Bildschirme der PPI - der pyramidenförmig positionierten Indikatoren 137
eine Störfunktion aufweisen«, antwortete West. Dann zeigte er nach rechts auf den 26er-Höhenradar. »Der kleine Kerl daneben ist eine IPS-6-Unterstützungseinheit. Gemeinsam schauen sie 40 Kilometer weit in den Weltraum hinein und 160 Kilometer lang entlang dem Horizont. Die Bildschirme, die du in der Zentralen Kontrolle sehen wirst, messen alle die Höhe.« Der nächste Halt auf Wests Führungstour war die neunstöckige ANFPS-35-Sucheranlage. »Der hier schaut 640 Kilometer in jede beliebige Richtung«, sagte West und klang wie ein stolzer Vater. »Er kann uns sagen, wie weit weg die Objekte sind. Der 35er wie auch der 26er sind Teil eines Systems, das sich wiederholt und vom Nordpol bis nach Mexiko reicht. Das System heißt NORAD: Nordamerikanisches Radar-Verteidigungssystem. Sämtliche Informationen, auch diejenigen dieser Station, werden an einen zentralen Computer weitergeleitet, der sich im Luftwaffenstützpunkt Beale befindet. Von dort aus beginnt dann die große Hektik, wenn ein bogie gesichtet wird.« »Wie lange brauchen unsere Flugzeuge, um im Ernstfall in der Luft sein?« erkundigte sich Fred. »Falls ein UFO auftaucht, sind unsere für einen Erkundungsflug in weniger als fünf Minuten oben«, erwiderte West. »Die Kampfeinheiten fliegen mit dreifacher Überschallgeschwindigkeit; wenn also ein Feind in einer Entfernung von 640 Kilometern draußen über dem Meer gesichtet wird, begrüßen wir ihn, lange bevor er das Festland erreicht.« »Eine unsichtbare Warnungsbarriere, die nichts durchdringen kann«, meinte Fred, während er die hochentwickelte Technologie um ihn herum begutachtete. West war für einen Moment lang still. »Von fast nichts.« Sie betraten den Bildschirmraum, und Fred nahm mehrere Reihen von 180 cm hohen Computern wahr. 138
Links befanden sich ein Aktenvernichter und einige verschließbare Fächer, in denen geheime Ordner aufbewahrt wurden. Auf der rechten Seite lag das Zimmer der diensthabenden Wache. Im hinteren Teil des Raumes konnte Fred die pyramidenförmig angeordneten Bildschirme sehen. Hinter jedem saß ein Operateur mit Kopfhörer; jeder hatte ein Telefon vor sich. Die Schirme waren entweder blau oder grün - und alle in Betrieb. West stellte Fred Louie Long, einen der Operateure, vor. »Irgendwelche Aktivitäten heute?« fragte West. »Nein, Sir, aber gestern Nacht kamen sehr viele rein. Wenigstens haben die Bildschirme dies behauptet.« »Hast du Beale informiert?« wollte Fred wissen und betrachtete die Anzeigetafel genau. »Nein, Sir«, antwortete Long. »Nicht bevor G. E. bestätigt, daß die Bildschirme einwandfrei arbeiten.« »In Ordnung. Ist Jones schon angekommen?« »Wer mißbraucht da meinen Namen?« brummte ein großer, bärenhafter Mann in einem dreiteiligen Anzug, der unbemerkt eingetreten war, während West gesprochen hatte. Fred wurde nun Duncan Jones, dem Vertreter von General Electrics, vorgestellt. »Jones«, sagte West mit ernster Stimme, »wir müssen uns völlig auf die PPIs verlassen können. Laufend bekommen wir zahlreiche bogies mit hoher Geschwindigkeit rein, und wir sind nicht in der Lage, sie zu identifizieren.« Jones zog eine Grimasse. »Bereits letzte Woche haben wir einige Teile ausgewechselt. Aber ich schau's mir nochmals an, wenn du das Gefühl hast, daß etwas nicht stimmt.« »Wir wissen, daß etwas nicht stimmt«, erwiderte West. Über den Lautsprecher wurde jetzt Leutnant West ins Büro des Kommandeurs gerufen. 139
»Mach weiter, Leutnant Bell«, sagte West zu Fred. »Ich komme zurück, so schnell es geht.« Jones drückte übertriebene Ungeduld und Abscheu aus. »Entweder erwartet ihr Luftwaffen-Knüsel zu viel von diesen Bildschirmen, oder aber ihr habt keine Ahnung, wie man sie bedienen muß.« »Long«, erkundigte sich Fred mit Autorität in der Stimme, »was ist hier los? Was passiert mit den Bildschirmen Geheimnisvolles?« Long bedeutete Fred, ihm zu folgen. »He, Jones, da du die Dinger wieder auseinandernimmst, könnten wir doch eine Pause machen, oder?« Duncan Jones zuckte mit den Schultern. »Klar, nütz die Lage ruhig aus, Junge.« Nachdem sie einige Schritte von Jones entfernt waren, eröffnete Long Fred, daß sie fast unter Belagerung stünden. »Fast jede Nacht kommt eine große Anzahl von UFOs aus dem All herein«, sagte er. »Sie kommen mit einer Geschwindigkeit von über 32 000 Kilometern pro Stunde runter! Sie haben Durchmesser zwischen 12 und 1500 Metern und fliegen mit 8000 Kilometern pro Stunde nach Süden, Richtung Mexiko.« Fred merkte, wie sein Mund vor Verwunderung offen blieb. »Aber da die Anlage neu ist, Sir«, fügte Long hinzu, »können wir nicht sicher sein, ob die Information korrekt ist oder auf einer technischen Störung beruht.« »Was ist mit den anderen Radar-Basisstationen?« erkundigte sich Fred. »Sind sie deswegen schon angefragt worden?« »Canada und Alaska liegen zu weit nördlich, um diese Einfälle wahrzunehmen, Sir. San Pedro im Süden hat die gleiche neue Anlage wie wir - und befindet sich in derselben mißlichen Lage.« 140
Inzwischen hatten weitere Angestellte die Zentrale Kontrolle betreten. »Ich hoffe, daß ich keine Sicherheitsregeln durchbrochen habe«, flüsterte Long aufgeregt. Fred versicherte ihm, daß er ihn nicht als Informanten entlarven, sich jedoch bei anderen Offizieren über Longs Informationen erkundigen würde. Fred setzte sich auf einen Drehstuhl vor einem ausgeschalteten Bildschirm. Das war unglaublich. Belagert von vielen UFOs - und dies jede Nacht? Warum wurde die Öffentlichkeit nicht informiert? Würde eine Panik ausbrechen? Die Raumschiffe schienen ja nicht feindlich gesinnt zu sein. Mit ihrer Technologie hätten sie die Welt schon lange in die Luft jagen können, wenn sie das gewollt hätten. In den nächsten Tagen erschienen weiterhin zahlreiche bogies auf den Radarschirmen. Fred zerbrach sich den Kopf wegen dieser Situation. Eines Abends in der Offiziersmesse fragte er West und Blakley, ob ihrer Meinung nach die vielen blinkenden Punkte auf den Schirmen außerirdische Flugobjekte sein könnten. West grunzte nur unverständlich über seiner Hähnchenkeule, doch Blakley gab die Frage an Fred zurück. »Du bist doch der heiße Wissenschafts-Zauberlehrling. Glaubst Au, daß die bogies aus dem All kommen?« Fred schob sein leeres Tablett zur Seite und lehnte sich etwas nach vorne. Er überlegte einige Sekunden und antwortete: »Ich versuche immer, das Leben aus einer wissenschaftlichen Sicht zu betrachten. Die Essenz der Wissenschaft ist nämlich ihre Offenheit gegenüber allen Fakten.« »Ist das jetzt ein Ja oder ein Nein?« wollte Leutnant Blakley wissen. West räusperte sich und stieg auch in die Diskussion ein: »Also ich habe schon öfter daran gedacht, daß wir haarlosen Erdenaffen vielleicht nur ein wissenschaftliches Projekt einiger außerirdischer Astronauten sind. Es kann ja 141
sein, daß wir die vielen bogies nur deshalb sehen, weil die Typen so entsetzt vom Resultat ihres Laboratoriumprojekts sind, daß sie jetzt zurückkehren, um uns auszuradieren und nochmals von vorne zu beginnen.« »Du morbider Kauz«, nervte sich Blakley. »Diese Theorie macht depressiv. Ich sehe mich nicht gerne als Besitz eines glubschäugigen Monsters.« »Warum glubschäugiges Monster?« griff Fred die negative Beschreibung auf. »Was ist, wenn sie Menschen sind wie wir?« »Das gefällt mir schon besser«, stimmte Blakley schnell zu. »Vielleicht sehen wir in unserer Radar-Basis hier in Point Arena deshalb so viele UFOs, weil die Fremden gemerkt haben, daß wir die nettesten Menschen dieses Planeten sind. Eventuell werden sie uns sogar in ihre Welt mitnehmen und königlich behandeln.« »Ich meine nicht, daß sie Menschen sind wie wir«, argumentierte West. »Humanoide vielleicht. Vielleicht aber auch Reptilien- oder gar Amphibienwesen.« Fred gestand ihm diesen Punkt zu. »Es könnten ja mehrere Spezies von Raumreisenden existieren. Das wäre nicht so gut, nicht wahr, Blakley? Königlich auf dem Planeten der Schlangen behandelt zu werden ...« Blakley schüttelte sich. »O Graus! Schlangen sind Kaltblütler. Kannst du dir vorstellen, mit einer Schlangenfrau zu schlafen? Denk mal an Frigidität! Und Kälte!« »Geh zum Teufel, Blakley«, lachte West. »Das ist sowieso die einzige Art von Frau, die du je bekommen wirst!« Die Diskussion endete mit gutgelauntem, mehr oder weniger hoffähigem Machismo-Gehabe. Zwei Tage später hatte Fred jedoch Gelegenheit, mit Louie Long als Privatmann zu sprechen. »Ich verstehe einfach nicht, weshalb sich alle so benehmen, als hätten sie vor etwas Angst«, gestand er Long. »Und 142
du wirst mir jetzt erzählen, daß wir uns völlig zu Recht furchten. Wovor?« Long nahm einen großen Schluck Kaffee und legte seine Füße auf den gegenüberliegenden Stuhl. »All dies begann vor sechs Monaten, Sir, als die neue Anlage installiert und der AMFPS 35 in Betrieb genommen wurde. Vorher hatten wir nur den alten FPS 8, der ungefähr 160 Kilometer über das Meer blicken konnte. Als der 35er zu arbeiten begann, kontrollierten wir plötzlich eine Weite von 640 Kilometern. Wenn das Wetter es erlaubte, sogar bis zu 800. Eines Abends sahen wir einige bogies.« Long erzählte, daß Leutnant West, Duncan Jones, der G. E.-Mann und noch andere anwesend waren, und er erinnerte sich, daß er alle angeschrien hätte, den Schirm zu beobachten. »Er war voller bogies«, sagte er zu Fred. »Ich fragte: >Ist dies eine Invasion, ein kaputter Radar, oder was?<« Jones meinte, daß die Radaranlage offensichtlich kaputt sein müsse, da die Objekte viel zu schnell seien, um real zu sein. Allein schon die Fallbeschleunigung »G« würde jedes lebende Wesen in den UFOs zerschmettern. Jones schaltete die Anlage ab und öffnete die Wartungspaneele. Nach zwei Minuten sah Louie Long, wie der G.E.-Techniker erbleichte und die Paneele wieder schloß. Ohne Kommentar schaltete Jones den Radar wieder ein. »Doch dann bemerkte ich wieder die Objekte«, fuhr Long mit seinem Bericht fort. »Sie hatten sich nach Süden gewandt und flogen Richtung Mexiko.« »Long«, fragte Fred in bittendem Ton, »Du hast doch über diese Sache bestimmt einen Bericht abgeliefert?« Verbittert lachte Long auf. »Natürlich habe ich einen Bericht geschrieben und ihn der Wache übergeben. Bevor ich die Zentrale Kontrolle verließ, sah ich noch, wie sie ihn in den Aktenvernichter schmiß.« 143
Fred war geschockt. »Sie haben deinen Bericht in den Aktenvernichter geschickt?« Long nickte und zündete sich eine Zigarette an. Er schloß seine Augen; und wie ein Schuljunge ein Gedicht vorträgt, begann er zu rezitieren: »DDS Formular 332. Im Radar-Umfang von 640 Kilometern UFOs gesichtet. Geschwindigkeit 32 000 Kilometer pro Stunde bei einer Höhe von 1500 Metern. Sie drehten rechts ab - nahmen ihre Horizontal-Geschwindigkeit von 8000 Kilometern pro Stunde auf- und flogen in Richtung Mexiko. Zitatende.« »Dies ist schlicht unglaublich«, schüttelte Fred seinen Kopf, als ob er aus einem bösen Traum erwachen würde. »Eigentlich hätten sie aus Pearl Harbour etwas lernen müssen. 1941 ignorierten sie das Radarsystem, da es neu war. In diesem Fall blickte die Radaranlage ins Weltall - und nicht nur über eine gewisse Sektion oberhalb des Pazifiks. Hast du dies auch in deinem Bericht erwähnt?« »Leutnant Bell«, mußte ihn Long erinnern, »Sie wissen, daß alles, was in der Zentralen Kontrolle passiert, höchst geheim ist. Man darf es nicht einmal auf dem Gelände erwähnen.«
144
Sechzehntes Kapitel
Fred war durch die neuen Tatsachen aufgewühlt: Wie können sie bloß die Berichte vernichten, die die hohen UFOAktivitäten im Bereich von Point Arena belegen? In der siebten Woche seines Aufenthalts in der Radarstation begann sein Geduldsfaden langsam zu reißen. Es war während einer Nachtschicht in der Zentralen Kontrolle, als Louie Long am Bildschirm war und alle Systeme funktionierten. Natürlich befanden sich auch andere Mitarbeiter an den Bildschirmen und Computern. Fred analysierte einige der Tabellen, die an der hintersten Wand des Raumes angebracht waren. »Wie gefällt Ihnen die Mitternachtsschicht, Sir?« fragte Long. Fred blieb indifferent und gähnte. »Sie ist ruhig.« Long lachte leise in sich hinein, als ob er sich freute, einen kleinen Spaß mit Fred zu teilen. »Nicht heute Nacht. Schauen Sie auf meinen Schirm, Sir.« Verwundert betrachtete Fred die bogie-Aktivitäten auf dem Radarbild. »Ist die Anlage in Ordnung?« wollte er wissen. »Sie arbeitet perfekt«, antwortete Long und wischte somit sämtliche Fragen in diese Richtung weg. »Der G.E.Wartungsmann ist gerade erst gegangen.« Die anderen im Raum begannen aufgeregt miteinander zu flüstern. Und Fred fühlte, wie sein Körper durch die Aufregung zu zittern anfing. »Das müssen an die 200 UFOs sein, die herunterkommen!« »Sie haben ein gutes Auge, Sir. Laut dem Computer sind es 187 Objekte. Sie fliegen Richtung Südamerika. Ihre Sink145
geschwindigkeit beträgt 32000 Kilometer pro Stunde, die horizontale Fluggeschwindigkeit 8000 Kilometer pro Stunde.« »Was ... was wirst du nun tun, Long?« fragte Fred. »Na, was nun, Sir«, erwiderte der einfache Soldat sachlich und monoton. »Das, was ich immer tue. Ich werde mein DDS-332-Formular ausfüllen und es dem wachhabenden Offizier überreichen, wenn mein Dienst zu Ende ist.« Um 5.30 Uhr am Morgen war Longs Schicht fertig. Fred schaffte es, sich zu dieser Zeit bei der Kaffeemaschine aufzuhalten, die beim Eingang der Zentralen Kontrolle stand. Die Ablösungsmannschaft betrat mit einem neuen bewaffneten Offizier die Zentrale Kontrolle. Und Fred sah, wie der Wachhabende der vorigen Schicht um die Ecke zum Aktenvernichter ging: Nach einigen Sekunden war Louie Longs Bericht nur noch ein Haufen bedeutungsloser dünner Papierstreifchen. »Wachtmeister!« schnappte sich Fred den Mann. »Wieso zerstören Sie diese Berichte? Sie beinhalteten höchst wichtige Informationen.« Der Mann sah todmüde aus. Seine mit dunklen Ringen umgebenen Augen baten Fred, ihm das Leben nicht noch schwerer zu machen - und ihn nicht vom wohlverdienten Schlaf abzuhalten. »Dies sind meine Befehle, Sir.« »Von wem?« wollte Fred wissen. Zum Teufel mit der offensichtlichen Müdigkeit des Mannes; einige Fragen wird er schon noch beantworten müssen. »Von höher, als ich denke, daß Sie gehen möchten, Sir«, antwortete dieser. Fred betrachtete ihn genau. Es schien klar, daß er nicht viel mehr wissen konnte, als was ihm ein Vorgesetzter in die Ohren gebrüllt hatte. Er ließ ihn also gehen und entschloß sich, Bunting, den Kommandeur der Station, am selben Nachmittag aufzusuchen. 146
Oberst Bunting schien ihn bereits erwartet zu haben. Selbstsicher saß er hinter seinem übergroßen Pult wie hinter einer uneinnehmbaren Festung. Der großgewachsene, schwere Mann schien Fred als ein leicht abschießbares Ziel zu betrachten. Als Antwort auf Freds leidenschaftlich vorgebrachte Frage, weshalb die UFO-Berichte zerstört, anstatt verbreitet wurden, kam eine harsche und kurze Antwort: »Befehl aus Washington.« »Wer im Besitz von gesundem Menschenverstand würde solch einen Unsinn befehlen?« ließ Fred seine ehrliche Meinung hören. Seine Augen wurden von den Familienphotos angezogen, die auf Buntings Schreibtisch standen. Es schien ihm unvorstellbar, daß der kalte, unbewegte Mann, der vor ihm saß, eine Frau lieben und Vater von Kindern sein könnte und vielleicht sogar den Rasen mähte. Bunting nahm seine Zigarre aus dem Mund und strich zärtlich mit dem Zeigefinger an ihr entlang. Fred wurde klar, daß der Mann mehr an der Zigarre interessiert war, als daß er sich über seinen jungen Offizier aufregte. »Es ist nicht unsere Aufgabe, Befehle zu hinterfragen, Leutnant Bell.« »Aber, Sir«, entgegnete Fred, »es ist auch nicht unsere Aufgabe, höheren Technologien den Rücken zuzukehren und zu behaupten, daß sie nicht existierten. Bitte, Sir, lassen Sie mich wissen, wie lange dies schon andauert.« Nun überraschte ihn Bunting mit seiner verblüffenden Ehrlichkeit. »Schon lange - zu lange. Wie auch immer: Was diese Dinge, Objekte auch sind - sie sind von unserem Wissensstand aus gesehen unberührbar. Also tun wir so, als wären sie nicht existent.« Fred sank in seinen Stuhl zurück. Er wurde der ganzen Angelegenheit immer müder, fast wie unbeteiligt. »Hat denn nie jemand versucht, mit den UFOs, mit ihnen zu kommunizieren?« 147
Diese Frage machte Bunting wütend, wobei Fred nicht wußte, weshalb: Sein Gesicht und sein Hals röteten sich, und zum erstenmal, seitdem er das Büro betreten hatte, erhob Bunting seine Stimme: »Dies, mein Herr, geht Sie nichts an!« Fred merkte, wie nun seine Gefühle zurückkamen. Er war ehrlich entrüstet. Sein Blick fiel auf die US-Flagge an der Wand hinter dem Colonel. »Ich bin nicht Ihrer Meinung, Colonel Bunting«, begann er. »Wir sind Angestellte der Steuerzahler, und die Leute haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Falls dies eine Invasion einer ausländischen Macht wäre, können Sie darauf wetten, daß die Medien - wie auch das Volk - informiert würden. Sir, wir leben im 20. Jahrhundert und in einer Demokratie. Diese Vorkommnisse sind für unsere Nation, für unser Volk und die ganze Erde von großer Wichtigkeit.« »Leutnant Bell, Sie vergreifen sich eindeutig im Ton!« preßte Bunting zwischen den Zähnen hervor. »Nein, Sir«, protestierte Fred, »Sie und das gesamte Verteidigungssystem vergreifen sich im Ton. Hiermit kündige ich meinen Posten. Ich will nicht Teil einer solch durchorganisierten Dummheit sein.« Buntings Mund öffnete sich in Verwunderung. Er starrte Fred mit verengten Augen an, runzelte die Stirn, und dann begann sich sein dicker Körper vor Lachen zu schütteln. Fred fühlte sich in seinem ledernen Stuhl plötzlich ungemütlich; als säße er auf dem elektrischen Stuhl. Der Basiskommandeur griff sich ein frisches weißes Taschentuch, um sich die Lachtränen abzuwischen. »Leutnant Bell«, sagte er, nach den richtigen Worten suchend, ohne wieder in Lachen auszubrechen. »Sie können nicht kündigen, bevor Ihre Dienstzeit abgelaufen ist.« Jetzt erhob sich Fred zu seiner ganzen Größe und atmete tief ein. »Weder Sie noch irgendeine andere Institution wird 148
je Macht über mich haben. Diktatoren werde ich nie respektieren und erst recht keine Ignoranten.« Sein Kommandeur fand die Situation nicht länger amüsant. »Sie unverschämter Grünschnabel! Dafür können Sie vor das Militärgericht zitiert werden!« Fred salutierte. »Ich werde nicht mehr lange genug hier sein, um Ihnen dieses Vergnügen zu gewähren«, sagte er und verließ den Raum. Fred war bis in sein Innerstes angewidert. Er konnte diese Verschleierung der UFO-Aktivitäten durch die Regierung nicht länger tolerieren. Er war der Luftwaffe mit einer Art moralischer Absicht beigetreten. Dieser ioo Millionen Dollar teuren Verschleierungstaktik, die das Volk betrog, konnte er nicht mehr länger zusehen. Und jetzt mußte er sich aus einer anscheinend unmöglichen Situation hinausmanövrieren - irgendwie. Er war sicher, daß er dies schaffen konnte, ohne ihre Regeln zu verletzen; er mußte einfach ein paar eigene erschaffen. Plötzlich fühlte er Angst und eine große Bedrohung. Und da war wieder der rote Nebel, der ihn einhüllte und ihn in einen Moment des Ewigen Jetzt hineinsog.
149
Siebzehntes Kapitel
Fred träumte, öffnete die Augen und stieß mit beiden Händen gegen einen unsichtbaren Feind. Die rothaarige Schwester taumelte zurück und japste laut auf, als sie gegen einen Stuhl stolperte. »Das tut mir verdammt leid«, entschuldigte er sich. An diesem Spätnachmittag war sein Zimmer nur spärlich beleuchtet. Er sah, daß die Schwester ihm eine Spritze geben wollte. »Ach, haben Sie mich erschreckt!« seufzte die Schwester mit deutschem Akzent auf. »Ich wollte Ihnen gerade eine Injektion geben, damit Sie besser schlafen.« Fred stutzte. Mit dieser Krankenschwester stimmte etwas nicht. »Ich habe genug geschlafen. Bitte geben Sie mir nur etwas gegen die Schmerzen.« »Nein«, insistierte sie. »Sie müssen schlafen!« Fred begann sich aufzusetzen, um zu protestieren, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel: deutscher Akzent! Die andere Schwester hatte keinen Akzent. »Wer sind Sie?« »Die Krankenschwester, die Ihnen den Schlaf bringen soll.« Jetzt wußte er es: »Sie sind Freya Von Raeder!« »Schwein!« rief sie gleichzeitig mit ihm aus. »Ich werde den Rezeptor bekommen, den ihr Vater vom Dritten Reich gestohlen hat. Ich werde ihn für die >Ritter von Atlantis< zurückholen!« Fred versuchte jetzt, die Bettdecken loszuwerden, die auf ihm lagen. Freya Von Raeder näherte sich ihm inzwischen erneut mit der gefüllten Spritze. Es war ihm klar, daß sie etwas enthalten mußte, das ihm dem ewigen Schlaf verpas150
sen würde. Und in diesem Augenblick der absoluten Hilflosigkeit passierte das Wunder: Vom Rezeptor an seiner Brust löste sich ein grünlicher Strahl und schmetterte seine Angreiferin gegen die Wand. Freya Von Raeder schrie vor Schmerz auf, als die Energie sie hochhob und mit solcher Kraft gegen die Wand warf, daß ihre rote Perücke wegflog. Nach einigen Sekunden trat der Polizist ein, der vor Freds Tür Wache hielt. »Passen Sie auf!« warnte ihn Fred. »Sie hat eine Spritze mit Gift oder einem starken Schlafmittel.« Der Polizist näherte sich der benommenen Frau. Als er ihr Handschellen anlegte, sah er die zerbrochene Spritze am Boden liegen. »Kommen Sie. Wir werden dafür sorgen, daß Sie von nun an für eine lange Zeit nicht mehr Krankenschwester spielen können.« Nachdem der Beamte den Raum mit der fluchenden und kreischenden Freya Von Raeder verlassen hatte, kamen die echte rothaarige Schwester und ein Arzt zu Fred, um ihn zu untersuchen. »Ich bin okay«, versicherte ihnen Fred. »Ich wachte ... gerade zur richtigen Zeit auf.« Geduldig ließ er die Untersuchung über sich ergehen; er wußte, daß kein Arzt auf Erden seinem Patienten glaubt, wenn dieser meint, es gehe ihm gut. Wieder allein, traf ihn der Schock des Vorgefallenen. Noch einige Sekunden, und er wäre ein toter Mann gewesen. Dieselbe kranke, machthungrige Energie, die seinen Vater umgebracht hatte, hätte auch sein Leben vernichtet. Und was war mit diesem grünlichen Strahl, der plötzlich aus dem Medaillon gekommen war? Sanft, fast ehrfürchtig streichelte er den Rezeptor. Hatte er diese Reaktion ausgelöst, oder war sie von jemandem initiiert worden? Er lehnte sich in sein Kissen zurück und schaute an die Decke. »Kannst du mich hören, Semjase? Bist du in der Nähe?« 151
Irgendwie fühlte er sich lächerlich dabei: Als wäre er Lois Lane, die von Superman wissen will, ob er ihre Gedanken lesen könne. Eric Powell klopfte an und betrat das Zimmer; Kim Kingswold befand sich einen Schritt hinter ihm. »Hey, Fred, ich habe offenbar was Spannendes verpaßt.« »Bist du in Ordnung?« fragte Kim und zog sich mit ihrem Absatz einen Stuhl heran. Mit zitternden Fingern griff sie sich Freds unverbundene Hand. Fred beruhigte seine Freunde und beschloß gleichzeitig, nichts vom grünen Strahl zu erzählen. »Ich wußte, daß wir dich nicht alleine hier lassen sollten«, seufzte Kim und schaute Eric vorwurfsvoll an. »Aber, Mädchen«, gab Eric zurück und hob abwehrend seine Hände. »Dafür kannst du mich nicht beschuldigen, okay? Der Polizist stand ja vor seiner Tür.« »Das genau ist mein Punkt, Eric«, grinste Kim forciert. »Er war vor der Tür. Fred brauchte die Hilfe drinnen.« »Alles in Ordnung«, meinte Fred und drückte ihre Hand in einer Geste der Dankbarkeit für ihre Freundschaft und Besorgnis. »Ich bin okay. Und nur das zählt.« »Richtig, Fred«, stimmte ihm Powell zu. »Und jetzt kommt noch was, das zählt: Percy und seine Leute haben Von Raeder und seine Gehilfen im Zusammenhang mit der Autobombe in Grunewalds Wagen verhaftet.« »Gott sei Dank! Das ist eine wirklich gute Nachricht.« »Und nun kommt Freya auch ins Kittchen; für ihren Versuch, dich ... zu verletzen«, fügte Kim hinzu. Sie konnte die Worte, daß Fred hätte umgebracht werden sollen, nicht einmal aussprechen. »Die ganze Neonazibrut wird - für ein Weilchen wenigstens - entsorgt.« Freds triumphierendes Lächeln verschwand, nachdem er einige Sekunden nachgedacht hatte. »Doch wie viele ihrer teuflischen Brigade mögen wohl übrig sein?« 152
Brad Bronson betrat gerade den Raum und hörte Freds ängstliche Frage. »Wie die Bibel sagt, mein Junge: >Ihre Anzahl ist Legion.<« »Legion?« fragte Fred. »Das verstehe ich nicht.« »Sie sind nicht zählbar«, erklärte Bronson. »Die Mächte der Dunkelheit scheinen die Lichtkräfte zahlenmäßig immer zu übertreffen.« Verwirrt schüttelte Eric seinen Kopf. »Weißt du, Brad, je länger, je mehr klingst du wie einer deiner Romancharaktere: >Die teuflischen Heerscharen der satanischen Prinzen überrollen die Unschuldigen und Reinen ...<« Brad setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite von Freds Bett. »Ich bin die Personen meiner Geschichten, Eric. Ich versuche, die dunkle Seite mit ihren negativen Gedanken und krankmachenden Aspekten unter Kontrolle zu halten, und ich gebe mir Mühe, so oft wie möglich wie einer meiner strahlenden Helden zu handeln: moralisch, würdig und mutig.« »Richtig«, stimmte Powell zu und wünschte, nie seinen Mund geöffnet zu haben. Bronson wandte seine Aufmerksamkeit nun Fred zu. »Ich bin sicher, daß Leutnant Percy bald mit einem vollständigen Report auftauchen wird. Wahrscheinlich wirst du auch einige Papiere zu unterzeichnen haben - wegen der Inhaftierungen. Aber wie du richtig bemerkt hast, haben wir keine Ahnung, wie viele der >Ritter von Atlantis< noch herumschwirren.« Kim war unglücklich über die Wendung, die das Gespräch nahm. »Komm schon, Brad, bitte.« »Nein, Kim, er hat recht«, sagte Fred. »Ich muß aus diesem Bett raus und sofort nach Ägypten.« »Ägypten!« grunzte Eric. »Du kommst nicht mal bis San Diego. Laß vorläufig Ägypten mal Ägypten sein, Kumpel.« 153
Fred fühlte, wie der warme Rezeptor eine wunderbare Energie durch seinen Körper strömen ließ. »Ich erwarte dich morgen früh«, sagte er zu Eric. »Ich werde das Krankenhaus morgen verlassen.« »Fred«, warf Kim ein und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, »tu dir das bitte nicht an. Du mußt die Realität der Situation akzeptieren. Du bist herumgeschleudert, verbrannt und am Kopf verletzt worden.« »Chef«, mahnte Powell. »So sehr Macho bist du nun auch wieder nicht!« Bronson bekam eine Ahnung. »Fred weiß etwas, was wir nicht wissen, meine Freunde. Was passierte wirklich in diesem Raum zwischen dir und Freya Von Raeder, Dr. Bell?« Fred nahm ein wissendes Glänzen im Auge seines Freundes wahr. »Später, Brad. Später - ich verspreche es.« »Was geht hier vor?« fragte Eric, eifersüchtig auf alles, was mit dem Leben seines besten Freundes zu tun hatte. »Später«, wiederholte Fred. »Ich schwöre, euch alles zu erzählen, wenn die Zeit reif dafür ist.« Bronson akzeptierte die momentane Informationspause. »Sei es, wie es ist. Aber vergiß nicht, daß die Von Raeders reiche und mächtige Leute sind, die Freunde in hohen Positionen haben. Mit ihren Verbindungen ist es gut möglich, daß sie nur kurze Zeit im Knast bleiben werden.« »Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, damit sie für längere Zeit außer Gefecht bleiben«, betonte Fred seine Worte mit Überzeugung. »Das ist klar«, meinte Bronson. »Aber vergiß nicht, daß sie zu einer weltweiten okkulten Verbrüderung gehören, die ihre Mitglieder überall hat.« »Dies ist aber nichts Neues«, erinnerte sie Fred. »Wißt ihr noch, was uns Grunewald erzählte? Der Kampf um die Geschenke der Sternengötter geht bis in die alten Tage von Atlantis zurück.« 154
»Aha«, brummte Bronson und lehnte sich mit zufriedenem Lächeln in seinem Stuhl zurück. »Du hast also Grunewalds Worte ernst genommen - und hast nun ein genaueres Bild deiner Bestimmung. Deiner Bestimmung ... und derjenigen deines Vaters.« Eric lehnte sich an die Wand und meinte mit ernster Stimme: »Nicht wahr, Fred, du hast viel nachgedacht, während du hier gelegen hast, hm?« Sorgfältig wählte Fred seine Worte aus. »Mir wurde sehr viel aus meiner Vergangenheit ... gezeigt. Dabei sah ich einige Szenen aus einer breiteren Perspektive. Es scheint ganz so, als hätte ich eine neue Art von Wahrnehmung.« Powell hörte nachdenklich zu. »Vielleicht hat der böse Schlag auf deinen Kopf dein Ablagesystem im Hirn reorganisiert ...?« Fred lachte leise. »Das hat wahrscheinlich etwas damit zu tun. Aber glaub mir, da ist noch viel mehr gegangen. Jetzt sehe ich, daß Semjase immer schon subtil in mein Leben eingegriffen hat ... genauso, wie in das meines Vaters.« Kims hübsches Gesicht verzog sich unwillig. »Aha, während du hier lagst, träumtest du von deiner schönen Göttin aus dem All.« Powell konnte ein herzhaftes Lachen nicht unterdrükken. »He, Baby! Es ist doch besser, auf eine Weltraummaus eifersüchtig zu sein als auf die Zicke vom nächsten Wohnblock, oder nicht?« »O Eric«, gab sie zurück und schnitt eine Grimasse, »du hast wirklich eine höchst intellektuelle Art, gewisse Dinge zu behandeln.« »Semjase scheint mit mir - mit uns - bereits in mehreren früheren Leben verbunden gewesen zu sein«, fuhr Fred fort. »Reinkarnation?« Jetzt begannen die Dinge für Powell schwierig zu werden. 155
»He, Eric«, schluckte Bronson, »vielleicht wirst du doch noch etwas lernen!« »Alles paßt zusammen, besser gesagt: der größte Teil des Puzzles - und sämtliche Fäden fuhren nach Ägypten«, sagte Fred, wobei er fünfte, wie die pulsierende Energie des Rezeptors ihn erfüllte. »Deshalb muß ich dorthin. Ich muß einige wenige Dinge vollenden, die meinem Vater verwehrt geblieben sind.« »Aber Sie werden dich nicht aus dem Krankenhaus entlassen!« preßte Kim entrüstet heraus. Powell seufzte. »Zum Teufel, Kim, du weißt ganz genau, daß Fred seinen Kopf immer durchsetzt, wenn er etwas will. Vergiß nicht, wie er bereits nach knapp sechs Monaten aus seinem Luftwaffenvertrag in Point Arena schlüpfen konnte ...« »Nein!« rief Kim aus - und diesmal kreischte sie. »Du wirst nicht noch einmal einen Selbstmordversuch machen. Du bist jetzt schon genug verletzt.« »Was war das?« fragte Bronson. Jetzt war er dran, sich uninformiert zu fühlen. »Diese Geschichte habe ich nicht gehört.« »Tja«, grinste Powell. »Dies ist eine verworrene Geschichte. Freds Sturheit ist ja bekannt und unvergleichbar ...« »Sie ist nicht >unvergleichbar<, sondern einzigartig«, verbesserte ihn Fred im Bewußtsein, daß er jetzt eine Geschichte über sich selber werde anhören müssen. »Wie auch immer«, führ Powell fort, »Fred hatte gerade dem Kommandanten der Basis, Colonel Bateman, die Leviten gelesen ...« »Bunting hieß der Mann«, korrigierte ihn Fred. »Egal; wie auch immer«, machte Eric unbeirrt weiter, »Fred erklärte ihm, daß er der Luftwaffe kündige, da sie Informationen über UFO-Aktivitäten vor der amerikanischen 156
Öffentlichkeit verberge. Natürlich ließ der Oberst unseren Jungen wissen, daß er den Verstand verloren hätte.« »Daraufhin ging Fred in eine Werkzeugkammer«, spann Kim den Faden weiter, »holte sich einen Lumpen und einen gefüllten Benzinkanister und ging zu Bunting zurück.« Ungläubig schüttelte Bronson seinen Kopf. »Ich kann kaum glauben, daß sie von dir erzählen.« »Es wird noch besser«, versprach Eric. »Fred will also vom Kommandanten wissen, ob er die Entlassungspapiere bereit habe. Der verneint natürlich, da Fred nicht lange genug bei der Luftwaffe gewesen sei, um kündigen zu können. Gut, sagt Fred, okay, es gibt auch eine schnellere Methode, hier rauszukommen. Er setzt sich, befeuchtet den Lappen mit dem Benzin und legt ihn sich auf das Gesicht.« »Es gibt mehr als einen Weg, hier herauszukommen«, zitierte Kim Fred. »Sir, ich werde Ihnen eine Macht zeigen, die der Ihren weit überlegen ist.« »Wie melodramatisch, Fred«, bemerkte Bronson. Fred grinste etwas dümmlich. »Na ja, aber es hat geklappt.« »Danach wurde Fred von einigen Wachen geschnappt, und sie brachten ihn ins Lettermann-General-Krankenhaus von San Francisco«, erzählte Eric die Geschichte weiter. »Sag mal, mein Guter«, wollte Bronson wissen. »Hattest du wirklich vor, dich umzubringen?« Fred setzte sich aufrecht hin. »Ich hatte nicht die Absicht, Selbstmord zu begehen. Der Basiskommandant begann sich unvernünftig zu verhalten, also beschloß ich, ihn auf seinem Niveau zu treffen.« »Und das ist dir gründlich gelungen, Chef«, unterstrich Eric den Erfolg seines Freundes. »Aber als ich im Krankenhaus befragt wurde«, erinnerte sich Fred, »habe ich einige sehr verständnisvolle Offiziere getroffen. Männer, die respektierten, was ich getan hatte, 157
und die verstanden, daß ich nicht für eine Organisation arbeiten konnte, die auf Lügen aufgebaut ist; damit hätte ich mich lebendig begraben. Ich erklärte ihnen, daß ich den Selbstmordversuch nur vortäuschte. Denn wer nicht akzeptieren konnte, daß wir von außerirdischen Intelligenzen besucht wurden, mußte wahrscheinlich auch eine paranoide Angst vor dem Tod haben.« »Und so konntest du die Luftwaffe nun hinter dir lassen«, überlegte Bronson, »und warst frei für die NASA.« »Ja«, stimmte Fred zu. »Seal Beach, Kalifornien. Heimat der Saturn-Mondrakete ... dort war ich sowieso für alle viel nützlicher.« »Wenigstens eine Zeitlang«, warf Kim sehnsüchtig ein. »Fred, wann wirst du endlich zur Ruhe kommen?« »Da haben wir es!« rief Powell aus und zählte seine Finger. »Ist das die 26. Einladung zur Heirat?« »Wenn der undankbare Knabe dir nicht bald antwortet, Kim«, versicherte ihr Brad Bronson, »dann mußt du mich nur einmal fragen.« Fred hatte sich von diesem Gespräch zurückgezogen und damit begonnen, den Verband von seiner verbrannten Hand abzuwickeln. »Was machst du da?« Kim lehnte sich vor, um ihn daran zu hindern. »Bitte, setz dich wieder hin«, sagte Fred leise, doch so bestimmt und ernst, daß sich Kim sofort zurückzog. »Hey, Chef?« fragte Powell. Fred warf die Bandagen auf den Boden und zeigte allen seine Hand. Sie war vollkommen geheilt. Sie zeigte keinerlei Spuren der schweren drittgradigen Verbrennungen. »Seid bitte morgen früh hier«, sagte Fred zu ihnen. »Ich fliege morgen abend nach Dendera, Ägypten.« 158
Achtzehntes Kapitel
Dr. Fred Bell flog am nächsten Abend um 23.45 Uhr mit der Trans World Airlines nach New York, von dort nach Paris und anschließend nach Kairo. Eine Stewardeß erkundigte sich nach seinem Befinden. »Ich habe mich noch nie besser gefühlt«, versicherte ihr Fred. Er bestellte ein Bier und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Der größte Vorteil eines Nachtfluges ist, daß die Chance sich verringert, neben einem quatschenden Vertreter sitzen zu müssen ... Gedankenverloren streichelte er den Smaragd, der um seinen Hals hing. Und staunte nachträglich nochmals über den unglaublichen Heilungsprozeß, den die unbekannte Energie des Rezeptors an ihm vollbracht hatte. Er mußte sich zurückhalten, nicht laut loszulachen, als er sich an die Gesichter der zwei Ärzte erinnerte, die ihn am Morgen untersucht hatten. Der eine wiederholte nur ständig »unglaublich, bemerkenswert«. Der andere hingegen begann eine endlose Litanei zu babbeln: »Dies ist unmöglich. Sie haben keine Spuren der schweren Verbrennungen an ihrer linken Hand, der linken Schulter und ihrem Hals. Auch der Schädelbasisbruch ist auf den Röntgenbildern nicht mehr zu eruieren. Und was ist mit all den anderen Kratzern, Schnitten und Schürfungen, he? Ihr ganzer Körper war übersät mit kleineren und größeren Hautverletzungen. Wohin sind die verschwunden?« Der Arzt schien ihn anzuklagen, alle Spuren seiner Verletzungen entfernt zu haben und an einem geheimen Ort aufzubewahren, wo sie weder von Ärzten noch von Krankenschwestern gefunden werden konnten. 159
Fred bestand darauf, entlassen zu werden, und da die Ärzte keinerlei Spuren irgendeiner Verletzung mehr fanden, wartete er ungeduldig darauf, daß Eric ihn um 10.15 Uhr abholen kam. Kim protestierte erfolglos gegen Freds Reise nach Ägypten so kurz nach seinem Krankenhausaufenthalt: »Nun ja, ich weiß, daß du jetzt gesund bist und so; aber Fred, in Gottes Namen, du warst drei Tage lang praktisch ohne Bewußtsein!« Powell wollte nicht, daß Fred die Reise allein unternahm: »Hey, Fred, wir sind doch ein Team, Mann? Wir sind ein Team, seitdem wir Lausebengel waren. Du brauchst deine alte bessere Hälfte neben dir.« Brad Bronson stimmte Kim und Eric zu. Er fand, daß Fred sich noch mindestens einen Tag ausruhen sollte, und bedrängte ihn, Eric mitzunehmen: »Du hast die >Ritter von Atlantis< nicht zum letztenmal gesehen, mein Junge. Die geben nicht so schnell auf. Die Von Raeders und ihre Gehilfen erwartet vielleicht ein längerer Gefängnisaufenthalt, aber es gibt wahrscheinlich noch viele andere Belial-Schüler, die den Rezeptor wiederbeschaffen und dir deinen unnachgiebigen Hals durchschneiden wollen.« Fred bedankte sich bei allen, daß sie sich Sorgen um ihn machten, stellte aber klar, daß er die Reise nach Ägypten alleine unternehmen müsse. »Ich weiß, daß du dich mit dem Medaillon um den Hals sehr sicher fühlst«, gab ihm Bronson einen weisen Rat. »Es heilte dich auf mysteriöse Weise und schützte dich gegen Freya Von Raeder. Glaub jetzt bloß nicht, daß du Superman bist. Mißbrauch die Macht des Rezeptors nicht.« Machtmißbrauch. Das wäre das letzte, womit er sich schuldig machen würde. Seit vielen Jahren war er mit Machthungrigen und denen, die Machtmißbrauch betrieben, in Konflikt. 160
Bildfetzen begannen sich in seinem Hirn zu bilden, von denen einige sich zu lust- und machthungrigen Gesichtern zusammensetzten. Fred atmete tief ein und nahm bereits den roten Nebel der Zeit wahr, der sich um ihn herum drehte. Er sah sich an einem Computer sitzen. Er wußte, daß er eine Szene aus seinem ersten NASA-Jahr gezeigt bekam. Er war in Seal Beach, Kalifornien, der Heimat der SaturnMondrakete. Flutlichter beleuchteten die riesigen Raketen, »die Vögel«, die in großen Hangars aufbewahrt wurden. Er schaute auf, als ein weiterer Ingenieur den Raum betrat. Es war Sal Muncusio. »Du, Bell«, sagte Muncusio zu Fred. »Sei vorsichtig, wenn du im Vogel bist, okay? Seit Rockwell die Sparmaßnahmen befohlen hat und ungelernte Arbeiter angestellt werden, hatten wir verdammt viele elektrische Pannen.« Muncusio füllte sich Kaffee ein. Dann fügte er wie beiläufig hinzu: »Oh, übrigens, Von Lossburg will dich sprechen.« Fred stöhnte und lehnte sich zurück. »Was ist denn jetzt los? Er und seine Busenfreunde sind für mich wie Nachhilfelehrer an der Universität.« Fred setzte sich den Sicherheitshelm auf und machte sich auf den Weg zu seinem Chef. Nach wenigen Minuten betrat er kleines, penibel aufgeräumtes Büro. Hinter dem auf Hochglanz polierten Schreibtisch saß Dr. Eric Von Lossburg. Obwohl er Freds Eintreten bemerkt haben mußte, fuhr er während einiger Minuten fort, in seinem Papierkram zu wühlen, bevor er aufblickte, um seinen Besucher anzuschauen. Er war ein hochgewachsener, dünner deutscher Wissenschaftler, der nach dem Krieg in die USA gebracht worden war. Er war in einen schwarzen Après-Skianzug gekleidet. »Bell«, begann er endlich. »Es enttäuscht mich zu hören, daß ihre Gruppe viel zu schmutzig aussieht.« 161
Fred konnte die Besessenheit des Mannes mit Trivialem und Unwichtigem fast nicht ertragen. »Dr. Von Lossburg«, antwortete er, wobei er wußte, daß keine Begründung diesen Schreibtischtyrannen befriedigen konnte, »meine Leute arbeiten in zwölfstündigen Schichten, da das Programm sonst nicht bewältigt werden kann.« Von Lossburgs Gesicht blieb unbewegt. Er war einer der Offizierstypen, die ihre Männer rügen, wenn sie in einem Regenmanöver naß werden. »Es geht vor allem um die Helme ihrer Männer.« Helme? Fred war im Augenblick verwirrt. »Aha«, endlich verstand er. »Sie meinen die Sicherheitshelme.« Von Lossburg starrte Fred an, als sei er ein zurückgebliebener Schuljunge, der das Alphabet zu rezitieren versucht. »Ja, Dr. Bell. Ich meine exakt die Sicherheitshelme. Ihre Leute versäumen es, ihre Helme zu polieren. Die Männer meiner Schicht sind auch im Aussehen immer >top<. Sie sind perfekte Beispiele der besten Rockwell-Wissenschaftler und -Ingenieure.« Fred kämpfte gegen den Impuls an, schreiend aus dem Büro dieses Mannes wegzurennen. »Sir, wir sind Wissenschaftler und Ingenieure, wie Sie es eben erwähnt haben. Wir sind keine Soldaten. Ich denke, daß wir nach unseren Leistungen beurteilt werden sollten und nicht nach dem Glanz unserer Sicherheitshelme.« Fred staunte, als Von Lossburg seine geballte Faust auf den Tisch knallen ließ. »Sie und Ihre Männer werden sowohl nach Leistung als auch nach Aussehen taxiert. Gehen Sie jetzt zurück zu Ihrer Aufgabe. Und stellen Sie sicher, daß Dr. Werner Von Braun zufrieden ist, wenn er zurückkehrt!« Fred kehrte zur Raketenbasis zurück und wunderte sich, weshalb immer gerade er mit solchen machthungrigen Irren zusammenarbeiten mußte. Von Lossburg und Oberst Bunting waren doch irgendwie seelenverwandt. 162
Seine Traummaschinerie spulte plötzlich schnell vorwärts und fokussierte sich wieder im Computerraum desselben Nachmittags. Ein rotes Licht blinkte auf seiner Anzeigetafel auf, und Freds Aufmerksamkeit richtete sich auf einen Arbeiter, der einen Schwelbrand in einer der Raketen löschte. »Schau, Sal!« rief er Muncusio zu, »schon wieder ein elektrischer Brand in einem der Vögel! Interessiert es denn niemanden, was hier vorgeht? Wenn wir die Versuche mit gefüllten Tanks beginnen, könnte so etwas echt gefährlich werden.« Muncusio zuckte mit den Schultern. »Zum Teufel, Bell. Du kennst das System. Es ist zu groß und zu verfilzt...« Fred zerdrückte seine Plastiktasse in der Hand und schmiß sie in den Abfalleimer. »Sal, Systeme sind da, um herausgefordert zu werden - besonders politische. Ohne persönlichen Einsatz aller hat dieses Programm nicht die geringste Chance. Ich gehe zu Von Braun. Und ich bin verdammt sicher, daß er mir zuhören wird.« Muncusio griff sich eine Zigarette aus der halbleeren Schachtel neben seinem Computer. »Du suchst ja direkt nach Schwierigkeiten, Kollege.« Heftig schüttelte Fred seinen Kopf. »Nein, Sal, ich suche die Wahrheit. In dieser Situation müßten alle Beteiligten ein echtes Interesse am Projekt haben. Wir dürfen nicht wie eine Bürokratie funktionieren, die einfach eine Rakete produziert, in der dann ein Astronaut umkommen kann. Wir müßten uns um die Leute kümmern - und nicht nur um unser Gehalt und unsere polierten Sicherheitshelme!« Nach einer kaum wahrnehmbaren Bewegung des roten Nebels sah sich Fred auf dem NASA-Gelände dem Gebäude nähern, in dem der respektierte deutsche Raketenspezialist Dr. Werner Von Braun sein Büro hatte. »Er ist gerade erst angekommen«, ließ ihn einer der Ingenieure wissen. »Ich bin sicher, daß er noch unter der Zeit163
Verschiebung leidet. Zusammen mit einigen anderen arbeitete er bis spät nachts in Kap Kennedy, um das ApolloRaumschiff bereitzumachen - danach flogen sie sofort zurück. Ich hoffe, daß Ihr Anliegen wichtig ist.« »Ich werde seine Zeit nicht vergeuden«, versicherte Fred dem Mann. Von Braun stand auf, um Fred zu begrüßen, als er das Büro betrat. Von Braun war über 185 cm groß, athletisch gebaut und ein attraktiver Mann, der erste Zeichen des Alterns zeigte. »Tja, Dr. Fred Bell«, sagte er beim Händeschütteln, »Ich habe viel von Ihnen gehört. Und ich muß sagen, daß sie mich sehr an meine eigene Vergangenheit erinnern, als ich Anfang der dreißiger Jahre in Peenemünde am ersten Raketenprojekt teilnahm.« Von Braun hatte zwar angefangen, Raketen für die Nazis zu bauen, doch protestierte er, als er erfuhr, daß Hitler diese als Waffen gegen unschuldige Zivilisten gebrauchen wollte. Dem jungen Wissenschaftler war klar, daß er Raketen bauen mußte, die ins Weltall fliegen konnten. Von Brauns Träume handelten vom Kosmos ... und nicht von der Herstellung von todbringenden Waffen. »Ich fühle mich geehrt, daß ich offen mit Ihnen sprechen kann«, sagte Fred. »Ich habe das Gefühl, daß ich mich von diesem Programm zurückziehen muß - so wie Sie sich aus Hitler-Deutschland abgesetzt haben. Doch Amerika sollte ja anders sein ...« Von Braun war verblüfft. Er bedeutete Fred, sich zu setzen. »Wie meinen Sie das? Und was soll das Gerede von Rückzug?« »Nun, Sir«, erklärte Fred, als er sich in einen Stuhl gegenüber von Von Brauns Schreibtisch setzte. »Sie haben das Land eines Irren verlassen. Und ich fühle, daß ich vor dieser irren Situation hier in Rockwell flüchten sollte.« 164
»Eine irre Situation?« Von Braun gefiel es gar nicht, einen solchen Bericht anhören zu müssen. Fred nickte. »Gleichzeitig drängt es mich aber, zu bleiben und weiterhin mein Bestes zu geben; denn ich bin fast sicher, daß jemand in dieser Testreihe ernstlich verletzt werden wird.« Von Braun war die offensichtliche Ehrlichkeit des jungen Mannes sympathisch. »Fahren Sie fort. Erklären Sie, was Sie meinen.« »Sir, wir haben ernsthafte Probleme mit der Qualitätskontrolle. Ich habe versucht, das Management über diese Tatsache zu informieren, doch die Leute dort sind nur an Quantität, nicht aber an Qualität interessiert. Wußten Sie, daß wir täglich Feuer in den Vögeln haben?« Von Brauns Gesichtsausdruck ließ Fred sofort erkennen, daß der berühmte Wissenschaftler dies nicht zum erstenmal hörte. »Die Nachricht über diese Probleme hat bereits das Kap erreicht«, gab er mit leiser Stimme zu. »Ehrlich gesagt, konnte ich deshalb gestern nacht nicht schlafen. Dr. Bell, würden Sie mir Ihren Bericht schriftlich einreichen?« Fred griff in seine Tasche. »Sir, das habe ich bereits getan.« Von Braun mußte über den Eifer seines jungen Kollegen lächeln. »Und es ist Ihnen völlig bewußt, daß, wenn Ihre Vorgesetzten hiervon erfahren, sie alles daransetzen werden, Sie politisch zu verunglimpfen, um ihre weitere Karriere zu zerstören?« »Sir, es gibt drei Dinge, an die ich mich in dieser hochtechnisierten und höchst wettbewerbsorientierten Gesellschaft, in der wir leben, bereits gewöhnt habe.« »Und die wären?« wollte Von Braun wissen. »Galgen, Guillotine und Henker!«
165
Einige Tage nachdem Freds Report beim Management eingereicht worden war, entließ ihn Von Lossburg wegen »Nachlässigkeit« seinen Pflichten gegenüber. Gleichzeitig beschuldigte er Fred, für viele der technischen Störungen verantwortlich zu sein. Und obwohl ihn Hank Laceo von der zuständigen Gewerkschaft unterstützte und ihn wissen ließ, daß seine Entlassung vor das gewerbliche Schiedsgericht getragen würde, war Fred klar, daß ein weiteres Kapitel in seinem Leben zu Ende gegangen war. Er war erneut innerlich gewachsen und hatte viel dazugelernt.
166
Neunzehntes Kapitel
Der chaotische Kairoer Feierabendverkehr ließ denjenigen von Los Angeles wie eine geordnete Parade erscheinen. Die Straßen erschienen wie massive, sich langsam vorwärtsbewegende Riesenparkplätze - hoffnungslos ineinander verkeilt. Hin und wieder scherte eine der Blechbüchsen aus dem großen Strom aus, um in eine Seitenstraße einzubiegen. Fred Bell konnte nicht verstehen, wie sich so viele Menschen gleichzeitig in Busse quetschen konnten. Er erwartete jeden Augenblick, einen großen Hammer zu sehen, der die Passagiere flach wie Konservenbüchsen hämmern würde, damit sie besser in die Massentransportsysteme paßten. Und trotz der endlosen Auto- und Bus-Prozessionen waren noch Tausende von Frauen und Männern unterwegs: Auf Fahrrädern und zu Fuß strebten sie heimwärts, zum Abendessen, zum Feierabend. Er wollte zwar so schnell wie möglich nach Dendera, doch blieb Fred vernünftig. Er wußte, daß ihn der Jet-lag und die Müdigkeit überfallen würden; erst recht, wenn er etwas zu Abend gegessen hatte. Nach dieser langen Reise war es auf jeden Fall besser, eine Nacht zu schlafen. Er übernachtete also im Holiday Inn mit Blick auf die Große Pyramide. Ein McDonalds befand sich direkt am Ende der Straße. Ständig mußte Fred daran denken, wie vieles sich seit der Expedition seines Vaters im Jahre 1939 verändert hatte. Das an einen Ameisenhaufen erinnernde scheinbare Chaos des Kairoer Hauptbahnhofes gemahnte Fred am nächsten Morgen an eine Evakuierungsszene aus einem 167
Kriegsfilm. Straßenverkäufer, Bettler, reisende Händler, Soldaten, Hausierer, Taschendiebe, Touristen und Massen von Frauen und Männern schwärmten zielbewußt im Bahnhof umher. Als er von der Menge herumgeschubst und -gedrückt wurde, war er froh, daß er sein Gepäck im Holiday Inn zurückgelassen hatte. Er reiste nur mit leichtem Gepäck; einer Schultertasche, in der sich Kamera, Zahnbürste, Paß und einige Vitamine befanden. Es war nicht ganz einfach, den richtigen Zug nach Theben zu finden. Als er endlich bequem in seinem Abteil installiert war, bestellte er sich beim Schaffner ein Stella, ein ägyptisches Bier. Er würde erst spät nachts an seinem Ziel ankommen, doch wenn sein bisheriges Glück anhielt, würde ihn ein Mietwagen am Thebener Bahnhof erwarten. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und staunte, wie bequem er war. Die vorbeihuschende Landschaft erregte sein Interesse. Er bekam Lust, seine Kamera aus der Tasche zu nehmen und einige Bilder als Erinnerung für Kim zu schießen. Fred erblickte Dörfer, die aussahen, als wäre die Zeit stehengeblieben. Männer ritten auf Eseln und Kamelen; kein modernes Fahrzeug war zu sehen. Als hätte hier noch nie jemand etwas von einem Verbrennungsmotor gehört. Verschleierte Frauen trugen schwere Wasserkrüge auf ihren Köpfen; Ochsen trotteten im ewigen Kreis herum, Tonkrug um Tonkrug mit Nilwasser aus dem Ziehbrunnen ans Tageslicht befördernd. Mit diesem endlosen, faszinierenden Panorama vor Augen verging die Zeit wie im Flug. Am Nachmittag endlich - nach einem reichlichen Mittagessen und einem weiteren Stella - streckte er seine Füße aus und hielt ein Nickerchen. Interessanterweise war es der Rezeptor, der ihn durch sein Pulsieren weckte, noch bevor der Schaffner die baldige Ankunft in Theben verkündete. 168
Er bedauerte, nicht eine Zeitlang als einfacher Tourist hier bleiben zu können. Er befand sich jetzt im alten Luxor mit der Tempelanlage von Karnak und ihren Wundern. »Ich werde dies einmal nachholen«, sagte er zu sich. Plötzlich fühlte er sich sehr unter Druck - als würde er ein Rennen gegen eine unsichtbare Uhr führen. Der Wagen, es war ein Peugeot, wartete auf ihn beim Hauptbahnhof. Er wußte, daß er ungefähr eine Stunde brauchen würde, um zum Hathor-Tempel in Dendera zu gelangen. Als er am Bahnhof die Straßenkarte studierte, fühlte er sich plötzlich sehr allein. Er betrachtete die Menschenmenge um sich herum; die meisten Leute nahmen ihn nicht wahr. Andererseits beobachteten ihn einige mit aufmerksamen und scheinbar feindlichen Blicken. Gehörten diese zu den Rittern von Atlantis? War ihm vielleicht jemand von Los Angeles gefolgt? Warum hatte er nicht erlaubt, daß Eric Powell ihn begleitete? Weshalb wußte er, daß er diese Angelegenheit alleine durchstehen mußte? Ein großgewachsener, blonder Mann mit getrimmtem Bärtchen schien ihn mit besonderem Interesse anzuschauen. Fred beobachtete ihn genau über den Rand der Straßenkarte hinweg. Hatte er diesen Mann nicht schon im Flugzeug von Los Angeles nach New York gesehen? War das nicht der Mann, der gestern abend im Eingang des Hotels eine Zigarette geraucht hatte? Fred fühlte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterrann. Der eiskalte Finger der Angst kitzelte seinen Magen. Der Mann sah eindeutig wie ein typischer Neonazi aus: groß, blond, gut gebaut. Falls Fred je einen Film über machthungrige Nazis drehen wollte, erhielte dieser Typ bestimmt eine Rolle. Er begann auf Fred zuzugehen, wobei er ein seltsames Lächeln auf den Lippen hatte. Ein sadistisches Lächeln, 169
konstatierte Fred und bereitete sich auf einen Kampf vor: Er atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Er hatte keine Waffe, trug nur seine Kamera über die Schulter. Obwohl der Mann größer und schwerer war als er selber, würde Fred zuerst zuschlagen - bevor der andere überhaupt wußte, was los war. Angriff war noch immer die beste Verteidigung. Links hinter Fred begann jetzt eine Frau laut französisch zu sprechen. Der große Blonde antwortete ihr in derselben Sprache. Fred fühlte sich wie ein Narr, als die zwei französischen Touristen Arm in Arm, davonzogen. Gott sei Dank hatte er seine Ängste und Aggressionen zurückgehalten. Das Smaragd-Medaillon auf seiner Brust begann Hitze auszustrahlen, und Fred vernahm ein hohes, metallisches Pfeifen in seinem linken Ohr. Er verstand. Der Rezeptor bekundete seine Anwesenheit. Er hatte nichts zu befürchten, solange er seiner Mission treu blieb - und auf die Führung und beschützende Energie des Medaillons vertraute. Nach diesem Zwischenfall mußte Fred im dunkel werdenden Bahnhof laut lachen. Warum sollte er Angst davor haben, allein einen altägyptischen Tempel bei Nacht zu betreten, selbst wenn eine Horde von blutrünstigen Neonazis seine Spur verfolgte? Obwohl sich Fred von der Energie des Rezeptors gut beschützt fühlte, weckte der Anblick des Tempels im Mondlicht in ihm uralte Ängste. Er verfluchte jetzt, daß er all die dunklen, geheimnisvollen Novellen von Brad Bronson in seiner Teenagerzeit gelesen hatte: Mumien, die aus ihrem Sarkophag schlurften; Werwölfe, die im Wüstensand heulten; jahrhundertalte Flüche, die heute noch wirksam sind diese Geschichten gingen ihm jetzt im Kopf herum. Das Standlicht des Peugeots vermochte die Treppen des Tempels nur schwach zu beleuchten. Fred bemerkte sofort, daß der Tempel verwahrlost war; offensichtlich zählte er nicht zu den Touristenattraktionen. 170
Als er die steinernen Treppen emporstieg, erinnerte er sich an die Erzählung von Grunewald über den Kampf seines Vaters vor mehr als dreißig Jahren an genau diesem Ort. Fred war selber überrascht, als er sich plötzlich hinkniete und laut zu sprechen begann: »Vater, ich bin hier. Ich bin gekommen, um deine ... unsere Mission zu beenden. Eigentlich weiß ich nicht genau, weshalb ich hier bin, Vater. Doch bin ich mit dem Wissen gekommen, daß ich geführt werde.« Es überraschte ihn noch mehr, als er merkte, daß Tränen über seine Wangen liefen. Seit dem Tod von Mackie hatte er nicht mehr geweint, bis vor wenigen Tagen Grunewald die Umstände des Todes seines Vaters genau beschrieben hatte. Nach einigen Minuten des stillen Betens stand Fred auf, zentrierte sich und betrat den Hathor-Tempel. Bereits nach einigen Schritten hörte er ein merkwürdiges Geräusch zu seiner Linken. Das Licht seiner Taschenlampe fand aber keine Erklärung für den vogelähnlichen Klang. »Das Letzte, was ich hier finden möchte, sind Riesenfledermäuse oder gar Geier«, murmelte Fred zwischen zusammengepreßten Zähnen. Von den jahrtausendealten Wandmalereien starrten ihn schöne, großäugige Frauen und Männer an. Es war erstaunlich, wie lebendig die Farben geblieben waren. Welch bemerkenswertes Kompliment an die Kunstfertigkeit von lang verstorbenen Handwerkern. Kurz darauf stand Fred unter der Sternenkarte der Plejaden. Die verborgene Tür lag hinter der Alkyone. »Oh, Mist, ich unterschätzte die Innenhöhe des Raumes«, seufzte er laut zu sich. Er hatte vergessen, daß seinem Vater die Schultern des großgewachsenen Dr. Wolf Grunewald zur Verfügung gestanden haben, auf die er sich stellen konnte. Tschi... tschiii... tschibrr. Fred erstarrte, als er die undeutbaren Töne aus der Dunkelheit um sich herum wahrnahm. Nun endlich fand das 171
Licht seiner Taschenlampe den Ursprung der seltsamen Klänge, und es gab nichts, das ihn auf diesen Anblick hätte vorbereiten können. Zwei humanoide Wesen mit übergroßen Augen traten zurück, als die Helligkeit der Taschenlampe sie traf. Eine der Kreaturen schrie auf und versuchte den Lichtstrahl mit ihrer dreifingrigen Hand abzuwehren, als würde das Licht ihren großen schwarzen Augen weh tun. Sie waren weniger als 150 cm groß und hatten unverhältnismäßig große Köpfe und Augen. Eine Nase in unserem Sinn hatten sie nicht, doch konnte Fred deutliche Nasenlöcher ausmachen. Der Mund war nur ein Schlitz; und diejenige, die geschrien hatte, wies keine wahrnehmbaren Zähne auf. Sie waren beide in enge Catsuits gekleidet. »Lieber Gott«, dachte Fred. »Sie sehen wie riesige Insekten aus ... oder wie reptilhafte Humanoide.« Eines der Wesen hielt ein Objekt in seiner dreifingrigen Hand. Fred wußte, daß es eine Waffe sein mußte. Ein gelbliches Licht schoß in Richtung von Freds Brust, doch schien der Smaragd-Rezeptor nach außen zu reichen und den fremden Strahl zu absorbieren. Fred torkelte rückwärts und landete auf einem Knie. Die Vernichtung des Strahles blieb also nicht ohne Auswirkung, und das Medaillon an seiner Brust fühlte sich sehr warm an. Die zwei Wesen zwitscherten aufgeregt miteinander und zielten nun gemeinsam mit ihren Waffen auf Fred. Er betete, daß das Medaillon die vernichtenden Strahlen noch einmal neutralisieren würde. Ein leichtes, huschendes Geräusch erklang, und die zwei menschenähnlichen Wesen waren plötzlich von einem blauen Nebel umgeben. Innerhalb von Sekunden waren sie verschwunden. »Sie brachen die Gesetze des Nichteinmischens zuerst.« 172
Fred drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Es war dieselbe sanfte weibliche Stimme, die ihn vor dem Angriff auf sein Leben an der Esoterikmesse in Burbank gewarnt hatte. Und dann stand sie neben ihm. Semjase. Obschon sie zierlich gebaut war, strahlte sie eine mächtige Autorität auf Fred aus. Ihre großen grünen Augen strahlten wie Smaragde, und ihr langes, goldbraunes Haar fiel offen bis auf die Taille. Sie trug einen silbernen Catsuit mit einem Gürtel in der Farbe ihrer Augen. »Zeta Reticulaner«, erklärte sie, auf den Ort zeigend, an dem die zwei großäugigen Wesen noch vor einigen Sekunden gestanden hatten. »Sie wollten dich lähmen und mitnehmen. Es scheint, als hättest du auf ihrer heutigen Entführungsliste gestanden. Ich schickte sie vorzeitig auf ihr Schiff zurück - und erst noch mit leeren Händen. Richtig angewandt, hätte der Rezeptor sie unschädlich gemacht. So erreichtest du bloß, daß sie einige Verbrennungen davontrugen.« Fred fühlte sich, als wenn er zwischen verschiedenen Dimensionen gefangen wäre. War es wirklich möglich, daß er vor einer außerirdischen Frau stand? Ihr Lachen war wie ein musikalisches, fröhliches Singen. »Ja, Fred, es ist klar, daß du viele Fragen hast. Aber jetzt ist weder die Zeit noch der Ort dafür. Du mußt schnell deine Aufgabe lösen.« »Du bist wirklich ... Semjase«, staunte er. Er streckte seine rechte Hand aus und zögerte, ihre Schulter zu berühren. Semjase lachte erneut auf: »Komm schon, berühre mich. Beweise dir selber, daß ich wirklich bin.« Fred zögerte immer noch. Dann befühlten seine Fingerspitzen das metallartige Gewebe mit eindeutig wahrnehmbarem warmem Fleisch darunter. »Du ... du scheinst eindeutig Wirklichkeit zu sein.« 173
»Danke«, lächelte sie und verbeugte sich leicht. »Und da du ohne Leiter gekommen bist, werde ich dir helfen, nach oben zu gelangen; aber du mußt dich beeilen.« »Warte!« protestierte Fred. »Weshalb die Eile? Können wir uns nicht etwas unterhalten?« »Ich verspreche, daß wir einmal Zeit dafür haben werden, aber nicht jetzt«, antwortete sie, ohne zu zögern. »Schon rein dadurch, daß ich hier mit dir spreche, verletze ich eine ganze Reihe von intergalaktischen Gesetzen. Wir werden ein Problem mit den Zeta Reticulanern haben, obwohl sie ihr Wort nie halten. Sie haben schon uns wie auch deine Regierung betrogen.« »Meine Regierung?« Fred war völlig verwirrt. »Bitte erkläre mir einige Dinge, von denen du sprichst. Bitte.« Sie schüttelte ihren Kopf mit den langen, wunderschönen Haaren. »Ihr Beil-Männer seid doch alle aus demselben Tuch geschnitten, also okay. Ich brach ja bereits die Verfügtingen des Großen Rates für deinen Vater.« »Aber du kannst doch nicht dieselbe Semjase sein«, argumentierte Fred mit seinem Realitätsbegriff. »Du kannst nicht die sein, die meinem Vater half, das Medaillon zu bekommen. Die, die mir in der High-School erschien. Du siehst nicht älter aus als ich.« »Später, mein Lieber«, versprach Semjase. »Denk an deine Mission. Diejenigen, die den Rezeptor wiederhaben wollen, kommen jetzt immer näher.« »Mehr von diesen insektenähnlichen Wesen?« wollte Fred wissen. Semjase schüttelte den Kopf, und wieder war er von ihrem verblüffenden Aussehen wie paralysiert. Sie war die schönste Frau, der er je begegnet war. »Außerirdisch« beschrieb nicht nur ihre atemraubende Schönheit, sondern auch ihre Herkunft. »Diejenigen, die das Hakenkreuz verehren, die Belial174
Schüler, die >Ritter von Atlantis<, nähern sich diesem Tempel«, warnte sie ihn. »Sie suchen den Rezeptor und andere Objekte unserer Technologie seit den Tagen von Atlantis.« Bevor er antworten konnte, befand er sich auf einmal an der Decke unter der Alkyone. Die Türöffnung glitt zur Seite, und er kroch in den Raum über dem Tempeleingang. Semjase folgte ihm mühelos. »Dein Vater war der letzte Mensch, der diesen Raum betreten hat«, sagte sie leise. »Irgendwie weiß ich, was ich zu tun habe«, meinte Fred. Er nahm das Medaillon von seinem Hals und fügte es in eine Wandvertiefung ein. »Diese Vertiefung scheint einen Rezeptor zu brauchen.« Im Fluß der Ewigen Gegenwart waren 1939 und 1971 nur durch einen Pulsschlag getrennt, als sich die geheime Tür der pyramidenförmigen Kammer öffnete. Freds Taschenlampe war nun nicht mehr nötig, da sich der Raum selber erleuchtete. Er brannte darauf einzutreten. Er erinnerte sich an Grunewalds präzise Beschreibungen der atlantischen Objekte und an die vielen anderen Schätze irdische, aber auch außerirdische. »Warte!« schrie Semjase auf, als er die Kammer betreten wollte. Fred hielt überrascht, aber gehorsam an. Semjase hob ein Stück Mörtel auf und warf es durch die Tür, die sich soeben zur Seite geschoben hatte. Das Steinchen verdampfte mit einem zischenden Geräusch. Sie mußte Fred nicht sagen, daß auch er auf diese Art sehr schnell hätte verschwinden können. »So viel dazu, daß du weißt, was du zu tun hast!« sagte Semjase ernst, wie eine etwas ungeduldige Mutter. »Grunewald hatte dich vor dieser Tür gewarnt. Dies hättest du wissen müssen.« 175
Fred errötete, als er den Rezeptor in die zweite Vertiefung einführte und somit die den Raum schützende, tödliche Energie neutralisierte. »Jetzt kann ich dich alleine lassen, mein Lieber«, seufzte Semjase erleichtert auf. Noch bevor Fred sie überzeugen konnte dazubleiben, war Semjase bereits weg. Nun stand er da und schwankte wie ein großer Baum im Sturm. Er mußte sein Gleichgewicht finden, bevor er den nächsten Schritt unternahm. Innerhalb der letzten fünf Minuten war er fast von zwei käferäugigen Monstern entführt, und danach von der schönsten Frau, der er je begegnet war, mühelos zur Decke des Tempels gehoben worden; einer Frau, die sich innerhalb von Sekunden materialisieren und wieder verschwinden lassen konnte. Fred begann zu handeln, als sei der »automatische Pilot« eingeschaltet. Ob es der Geist seines Vaters war oder Grunewalds Erzählungen, die seine nächsten Schritte bewegten, wußte er nicht. Doch betrat Fred selbstsicher die pyramidenförmige Kammer. Ohne zu zögern, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Schachtel, die vom höchsten Punkt der Decke herausragte. Auf ihrer Unterseite - in greifbarer Höhe - befand sich eine weitere Vertiefung für den Rezeptor. Mit einem leisen, metallischen Klicken fiel der Schlußstein in seine Hände. Fred fühlte sich wie ein Geburtstagskind, als er den Schlußstein auf den Tisch setzte und sich dessen Wände öffneten, um seine darin verborgenen Schätze zu offenbaren. Er mußte sich in der Kammer hinknien, um seine Atmung zu beruhigen. Danach wurde er, genau wie sein Vater vor über dreißig Jahren, von dem bezaubernden Bild Semjases fasziniert. Es verwirrte ihn, daß die wunderschöne Frau von den Plejaden, die er wenige Minuten vorher getroffen hatte, mehrere hundert Erdenjahre alt sein sollte. 176
Als er den Inhalt des Schlußsteins bewunderte, nahm er ein altes ägyptisches Buch wahr, das am Boden lag. »Vater«, flüsterte er. »Ich fühle deine Anwesenheit. Alles in dieser Kammer ist an seinem Platz, außer diesem alten Buch, das auf dem Boden liegt. Ich weiß, daß es dir entfallen ist, als du den Raum verlassen hast.« Fred war überrascht, als er feststellte, daß die Seiten des Buches aus feinem Plastikmaterial bestanden. »Hey, Mann, das ist kein Papyrus.« Obwohl der Text in einer Art von Hieroglyphen verfaßt war, zogen vor allem die Abbildungen Freds Aufmerksamkeit auf sich. »Der Rezeptor. Hier ist ein Diagramm des Rezeptors«, hielt er aufgeregt ein Selbstgespräch im leeren Raum. »Diese Abbildungen sind wohl die Bauanweisungen.« Rasch blätterte er das Buch durch und sah, daß es Abbildungen von verschiedenen technischen Geräten enthielt. »Vater hat dies in seiner Aufregung fallen lassen«, sprach Fred zu sich selber, als er das Buch in seine Kameratasche steckte. »Sein Sohn wird besser darauf aufpassen!« Als er den Hathor-Tempel verließ, warteten beim Peugeot drei Männer auf ihn. An diesem Morgen verzauberte ein wunderbarer, tiefroter Sonnenaufgang die Landschaft am Nil. »Wie schade«, dachte Fred, »daß drei dieser negativen Typen die Schönheit dieses malerischen Anblicks zerstören.« Einer der Männer war bereits ziemlich alt; das weiße Haar sproß nur spärlich auf seinem Schädel. Die zwei anderen waren jünger: in ihren späten Dreißigern oder frühen Vierzigern. Es waren großgewachsene, gutgebaute Männer. Alle waren in dunkle Anzüge gekleidet und trugen darüber schwarze Ledermäntel. »Wir werden den Rezeptor bekommen, Dr. Bell«, sagte der ältere Mann mit starkem Akzent und richtete eine Luger auf Freds Brust. 177
»Gebt ihr Schleimer eigentlich nie auf?« fragte Fred ätzend und versuchte gar nicht, seinen Ekel zu verbergen. »Verschwindet in eure Höhlen, verkriecht euch.« Keiner der Männer reagierte auf Freds Ausbruch. Nun näherte sich ihm der ältere Mann, wobei seine Lederstiefel laute Klackgeräusche auf dem Steinboden erzeugten. Fred fühlte die Schwingungen der Dekadenz und des Bösen. Etwas an diesem Mann erinnerte ihn an einen Horrorfilm. Seine Augen blickten wie schwarze Glaskugeln, und seine zerknitterte Haut war mit Altersflecken übersät. »Du elender Schweinehund«, knurrte ihn der Mann haßerfüllt an. »Du bist der Hundesohn, der uns das Geschenk der Sternengötter gestohlen hat. Ich wünschte, wir hätten genug Zeit, uns um dich zu kümmern, so daß du nur noch deinen Tod herbeisehnst.« Fred bemerkte, daß sich nun auch die jüngeren Männer auf ihn zubewegten. Er mußte aufpassen, daß sie ihn nicht einkreisten. »Gib uns sofort den Rezeptor, und wir beschenken dich mit einem schnellen Tod«, sagte der alte Nazi. »Übergib uns den Rezeptor ohne Widerstand wie ein Mann, und mache somit die Sünden deines diebischen Vaters wieder gut.« Wütend zog Fred seine Augenbrauen zusammen. »Ihr Würmer seid eine Bedrohung für die Gesellschaft. Was mein Vater entdeckt hat, muß mit der ganzen Menschheit geteilt werden und darf nicht einem krankhaften Reich dienen. Ihr und eure Anhänger bringt nichts als Qualen auf die Erde.« »Ich werde dein Herz mit meinen eigenen Händen herausreißen«, versprach der Alte und hob drohend die Arme. »Bist du nicht ein wenig zu alt, um solche Sprüche zu schwingen, Opa?« lachte Fred ihn verächtlich aus. 178
Der Mann ohrfeigte Fred zweimal und boxte ihn blitzschnell in den Magen, noch bevor er sich verteidigen konnte. Fred sank in die Knie. Der Alte konnte wirklich zuschlagen; es war dumm gewesen, ihn zu hänseln und sich so überrumpeln zu lassen. Die zwei anderen waren nun schon fast bei ihm: Jetzt mußte er schnell handeln. Zum Glück hatte ihn der Alte nicht k. o. geschlagen. Fred packte den Mann mit einer Hand zwischen den Beinen, mit der anderen ergriff er dessen Krawatte und schmiß ihn die Treppe runter, auf die zwei jüngeren. Mit grimmiger Befriedigung beobachtete er, wie seine drei Angreifer in einem Geknäuel von Gliedern die Treppe hinunterpurzelten. Mit dem linken Fuß trat Fred dem einen Mann die Luger aus der Hand. Dann knallte er sein Knie in das Gesicht des Kahlgeschorenen, bevor dieser sich aufsetzen konnte. »Ich bring dich um!« schrie der Alte und griff mit der behandschuhten Rechten in seine Jackentasche, um seine eigene Waffe hervorzuholen. Mit dem anderen Fuß trat ihn Fred in die Kehle; er fiel nach hinten und schlug mit seinem Kopf hart auf der Treppe auf. Der dritte Angreifer, ein Blonder, kam torkelnd auf seine Füße; Blut strömte von seiner Stirn in die Augen. »Schlag mich nicht noch einmal«, winselte er. »Ich habe genug.« Fred drehte sich zum Kahlgeschorenen um, den er mit seinem Knie außer Gefecht gesetzt hatte: Er schien bewußtlos zu sein. Als er sich wieder dem Blonden zuwandte, der um Gnade gebeten hatte, merkte er, daß er erneut hereingelegt worden war. Mit häßlichem Grinsen hielt der Nazi eine Luger in seiner Faust. »Heute kommt der Ruhm über mich!« rief er siegesbewußt aus. »Jetzt werde ich ein >Ritter von Atlantis<.« 179
»Ihr Nazis sagt wohl nie die Wahrheit, was?« brüllte Fred. »Zuerst bittest du um Erbarmen, dann ziehst du eine Pistole.« »Und ihr werdet immer vertrauensselig und naiv bleiben«, erwiderte der Blonde höhnisch. »Ihr seid nutzlos; euch kann man ruhig schlachten. Dumm, wie ihr seid, glaubt ihr, daß die Welt den Demütigen gehören werde. Ich werde dich nicht nochmal um den Rezeptor bitten, Dr. Bell. O nein, ich werde dich einfach umbringen und ihn an mich nehmen, bevor ich deine Leiche den Krokodilen zum Fraß vorwerfe!« Fred erinnerte sich: Semjase sagte, daß das Medaillon die insektenhaften Außerirdischen außer Gefecht hätte setzten können - wenn er gewußt hätte, wie er damit umgehen müßte. Er hatte eine kurze Vision von Freya Von Raeder im Krankenhaus. Als sie nach dem Rezeptor griff, schrie er innerlich »Nein!« Und als der großäugige Fremde den tödlichen Strahl auf ihn gerichtet hatte, schien das Medaillon wie automatisch zu reagieren. Auch damals hatte er innerlich nach irgend etwas geschrien, das verhindern sollte, vom Strahl getroffen zu werden. Es existierte offenbar eine Verbindung zwischen seinen Gedanken und dem Funktionieren des Medaillons. Diese Theorie mußte er sogleich überprüfen. »Nein! Halt ihn an! Zerstöre die Waffe!« Ein feuerroter Strahl schoß vom Rezeptor unter Freds Hemd hervor und traf die Luger. Für eine Sekunde war die Waffe so rot wie der Strahl, danach war sie verschwunden. Freds Angreifer schrie vor Schmerz und Wut auf, als er mit ungläubigen Augen auf seine verbrannte Hand blickte. Nachdem er das verkohlte Fleisch genauer betrachtet hatte, fiel er in Ohnmacht. Der Kahle jammerte und murmelte immer wieder deutsche Brocken; das Blut seiner gebrochenen Nase hatte seinen Anzug verschmiert. 180
»Ein Ring wurde meinem Vater entwendet, als er hier an diesem Ort ermordet wurde. Sie müssen wissen, wo sich dieser Ring befindet oder wer ihn besitzt. Ich zähle bis drei. Wenn Sie mir nicht sagen, was ich wissen will, werden auch Sie erfahren, wozu der Rezeptor fähig ist.« Der blutverschmierte Nazi wartete nicht mal die erste Zahl ab. »Er befindet sich auf der Insel Fehmarn, im Museum der >Ritter von Atlantis<. Elitemitglieder unserer Sache bewachen ihn. Von ihnen wirst du ihn nicht bekommen, du Schwein.« Fred spürte den Impuls, den Mann zu treten, doch war er zufrieden, als er ihn zurückweichen sah. »Ich denke, daß ich den Ring kriegen werde. Mit dem Rezeptor wird das ein Kinderspiel.«
181
Zwanzigstes Kapitel
Zwei Nächte später, am 19. Februar 1971, befand sich Fred Bell ganz entspannt auf dem Rückflug von Kairo nach Paris, als er erneut die Anwesenheit von Semjase wahrnahm. Er spürte ein euphorisches Hoch: Es prickelte ihn im Nacken, und er bekam eine Gänsehaut. Das merkwürdige metallische Pfeifen summte in seinem linken Ohr. Er blickte sich in der Boeing 747 um. Fast alle schliefen; einige der Passagiere schauten Bordkino oder lasen. Würde es Semjase wagen, sich hier im Flugzeug vor aller Augen zu materialisieren? »Geh in die Toilette. Sofort bitte. Mach schnell, solange unsere Koordinaten noch übereinstimmen.« Hiermit war die Frage beantwortet. Willig stand Fred auf; ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Was wäre, wenn diese halbverschlafenen Leute wüßten, daß er auf dem Weg zu einem Rendez-vous in der Toilette mit einer wunderschönen Kosmonautin aus einer anderen Welt war? Um drei Uhr morgens hatte Fred keine Schwierigkeiten, eine leere Toilette zu finden. Er trat ein und verriegelte die Tür. »Okay«, sagte er leise. »Ich bin hier. Wo bist du?« Ein funkelndes blaues Licht umwirbelte ihn. Er erinnerte sich sofort, wo er es schon einmal gesehen hatte: Es hatte die zwei insektenäugigen Zeta-Reticula-Dinger verschwinden lassen. Fred fühlte eine angenehm kitzelnde Wärme und sah die Farben des Regenbogens vor seinen Augen schimmern. Und danach stand er neben Semjase in ihrem plejadischen Raumschiff. Er hörte Summen und Schwirren um sich herum und spürte eher, als daß er sah, daß noch andere 182
Kosmonauten an Bord waren. Er hatte den Eindruck, als würde seine Wahrnehmung bewußt eingeschränkt. Semjase streckte ihre Rechte aus, was Fred als freundliche Geste interpretierte. Er wagte es nun, sie zu berühren, und staunte über die Wärme ihres Körpers. Sie ... das Raumschiff ... alles war real. Und es passierte wirklich mit ihm. »Fred, wir müssen uns ernsthaft unterhalten.« Ihre Stimme war immer noch melodisch und wohlwollend, doch etwas ernster und leicht irritiert. »Natürlich«, gab Fred zurück. Er konnte kaum das Gefühl unterdrücken, diese ätherische Schönheit in seine Arme zu nehmen. Doch beherrschte er sich, da er wußte, daß diese Regung den Umständen entsprechend völlig unpassend war. »Du wirst deine Flugpläne nicht ändern und nach Hamburg fliegen, wenn du in Paris angekommen bist«, sagte sie zu ihm im Ton einer ungeduldigen Mutter. »Du wirst den Ring nicht behändigen; er ist ohnehin völlig bedeutungslos. Du hast das Buch, und das ist das einzige, das für dich zählt.« »Aber sie stahlen den Ring von meinem Vater«, widersprach er. Die smaragdgrünen Augen von Semjase bohrten sich in sein Innerstes. »Deine Motivation ist Rache. Du hast bereits lange genug auf dieser primitiven emotionellen Ebene reagiert. Du mußt dich jetzt auf deine wahre Mission auf der Erde konzentrieren. Deine Seele ist reinkarniert worden, damit du die positiven Aspekte gewisser plejadischer Technologien mit der Menschheit teilen kannst.« »Und der Ring ... ich meine, also, dann ist er nicht etwas wie der Rezeptor?« hatte Fred Schwierigkeiten, die Zusammenhänge zu begreifen. »Wenn du wissen willst, ob er Strahlen aussenden könne, die die Hände von Angreifern verkohlen, dann ist die Antwort nein. Er ist ein simpler Ring.« 183
Er wußte, daß er Semjase verärgert hatte, trotzdem wollte er sein Anliegen besprechen. »Jene Nazis hätten mich umgebracht und den Rezeptor mißbraucht, um gegen die Menschheit zu wüten. Sie ...« Semjase hob ihre Hand, um seinen Redefluß zu unterbrechen. »Selbstverteidigung, um den Rezeptor vor den Belial-Schülern zu bewahren, war eine Sache, mein Lieber. Es ist jedoch was ganz anderes, sich in ihr Versteck zu begeben und ihnen mit Hilfe des Rezeptors Schaden zuzufügen, nur um einige wertlose Objekte aus ihnen herauszupressen.« Sie gab den Worten Zeit, in Freds Bewußtsein einzusickern, dann fuhr sie fort: »Ich betone: Deine Aufgabe ist es, gewisse unserer Technologien mit unseren Brüdern und Schwestern auf Terra, der Erde, zu teilen. Aber dieser Prozeß des Teilens muß nach einem genau festgelegten Programm ablaufen. Ich denke, ich habe mich klar ausgedrückt: Wir dürfen nicht direkt in die Entwicklung dieses oder irgendeines Planeten eingreifen«, sagte sie mit Nachdruck. »Falls du mit dem aktivierten Rezeptor in die Höhle der Belial-Schüler eindrängest, würden eure Wissenschaftler unnötigerweise auf dessen Kräfte aufmerksam. Wir werden dir erlauben, den Rezeptor nachzubauen, doch mit begrenzten Fähigkeiten.« »Und der Ring?« fragte Fred. Er kam von diesem Thema nicht los. »Besitzt er tatsächlich keine ... Kräfte?« Semjase war eher ungeduldig als ungehalten. »Er ist einfach ein Schmuckstück. Er ist zwar sehr hübsch, aber kein Menschenleben wert. Mein Großvater Mazzar schenkte ihn dem Dalai Lama im 5. Jahrhundert vor Christus.« »Dein wirklicher Großvater?« Fred war verwirrt. »Du meinst wohl irgendeinen deiner Vorfahren?« »Nein«, lächelte ihn Semjase an und zeigte damit endlich einen freundlicheren Gemütsausdruck, »ich meine meinen 184
echten Großvater. Wir leben mehr als zehnmal länger als ein Terraner.« »Wie ist das möglich?« rief Fred ungläubig aus. »Indem wir Streß vermeiden: mit der Umwelt wie auch in zwischenmenschlichen Bereichen. Wir leben in Harmonie mit den Naturgesetzen. Dies geht so weit, daß unsere Raumschiffe eure Atmosphäre heilen, indem sie sie negativ ionisieren.« Fred verzog sein Gesicht. »Das ist das Gegenteil unserer Technologie, die die Ozonschicht zerstört und überall giftige Abgase freiläßt.« Sie setzten sich auf eine bequeme Couch gegenüber einer Art von Bildschirm. »Du mußt darauf hinarbeiten, daß eure Umwelt gereinigt wird«, sagte sie zu ihm. »Die Verschmutzung der Biosphäre verursacht auch diejenige des menschlichen Geistes.« Semjases funkelnde Augen trübten sich aus Sorge und Traurigkeit. »Wegen der großen Verschmutzung und der Zerstörung der Ozonschicht sind die Menschen den ultravioletten Strahlen der Sonne zu stark ausgesetzt; die durchschnittliche Lebenserwartung verkürzt sich somit drastisch.« Fred sagte, es sei ihm bewußt, daß die Abnahme der Ozonschicht auch das Immunsystem schwäche. Entschieden bestätigte Semjase diese Aussage. »Deswegen erkranken die Menschen zunehmend an Krebs und Herpes.« Die schöne Kosmonautin schien einen inneren Kampf auszufechten, ob sie Fred eine besonders unangenehme Nachricht über die Zukunft der Menschheit mitteilen solle oder nicht. »Anfang der achtziger Jahre«, begann sie langsam und vorsichtig, »wird eine schreckliche Krankheit des Immunsystems die Erde überfluten. Sie wird zuerst in homosexuellen Kreisen auftreten, später aber auch Heterosexuelle befallen.« 185
Semjase legte ihre Hand auf seine Schulter. »Es hat uns immer traurig gemacht, daß die irdische Technologie einen Streß verursacht, der die moralischen und gesellschaftlichen Werte deiner Gesellschaft langsam zernagt. Es ist deine spezielle Aufgabe, mein Lieber, dies zu ändern.« »Wirst du mir helfen, Semjase?« wollte er wissen und fühlte sich neben diesem universellen Problem verschwindend klein. »Ich werde dich instruieren, wie du gewisse Erzeugnisse herstellen kannst, die du mit der Menschheit teilen sollst«, antwortete sie. »Den Rezeptor habe ich bereits erwähnt. Wir werden zwar nicht das Geheimnis einer Technologie preisgeben, die anderen Schaden zufügen kann, aber ich werde dir zeigen, wie du einen Rezeptor bauen kannst, der das Leben verlängert.« Semjase erklärte, daß der neue Rezeptor die DNS-Frequenz in einer Art modifizieren würde, daß neue Hormone im Körper geschaffen und somit ein höheres Energiepotential erreicht würden. Semjase wiederholte, daß der Rezeptor, den Fred nachbauen dürfe, vom wissenschaftlichen Rat der AndromedaFöderation bewilligt wurde. Dieser Rat besteht aus Mitgliedern vieler galaktischer Systeme und arbeitet konstant an Verträgen, damit die zahlreichen intergalaktischen Zivilisationen in Frieden und Harmonie zusammenleben können. »Bevor ich dich zum Flugzeug zurückbringe«, sagte die zauberhafte Semjase, »möchte ich noch etwas mit dir teilen.« Auf diese Worte hin entspannte sich Fred ein wenig. Vielleicht würde sie jetzt auf sein Ringproblem eingehen. Eigentlich konnte er die Beschleunigung des Raumschiffs nicht wirklich spüren, doch war ihm bewußt, daß das Schiff eine unheimliche Geschwindigkeit aufnahm, als das Bild unseres Sonnensystems sich in feine Streifchen aufzulösen begann: Es sah aus wie ein psychedelisches Muster. 186
Semjases grüne Augen begannen zu leuchten, was durch das grüne Licht, das durch die Sichtluken eindrang, noch intensiviert wurde. »Wohin gehen wir?« stammelte er. »Nach Proximi Centuri, 45 Lichtjahre von eurem Planeten entfernt«, antwortete Semjase lächelnd. Fred schaute wieder hinaus - welche Schönheit dort draußen ... das Raumschiff ... und Semjase hier drin mit ihm ... ihre Schönheit. Es war alles zuviel. Dieser Moment durfte nie zu Ende sein. Semjase stand auf und ergriff Freds Hände. »Ich hoffe, du weißt, daß du sofort in die USA zurückfliegen wirst. Du hast Arbeit zu verrichten - nicht Rache zu nehmen.« Er spürte einen überwältigenden Verlust, als ihm klar wurde, daß man ihn auf die gewöhnliche Erde zurückschicken würde. »Es tut mir echt leid, daß meine Rachegefühle überhandnahmen. Ich wollte dich nicht enttäuschen. Ich denke, daß Gewalt und Bösartigkeit in den Augen eines höheren Wesens, wie du es bist, als sehr primitiv erscheinen müssen«, sagte Fred. Semjase verengte ihre smaragdgrünen Augen, und er wußte, daß sie ihn erneut rügen würde. »Ich bin kein höheres Wesens Fred. Ich bin weder Engel noch Göttin. Ihr Erdlinge zieht oft den falschen Schluß, daß technisch fortgeschrittenere Wesen auch spirituell weit entwickelt sind. Wir Plejader lieben euch, da wir mit euch verwandt sind. Dies gilt nicht für alle Wesen, denen du begegnen wirst. Du mußt dir klarmachen, daß es überall im All auch negative Wesen und zerstörende Energien gibt. Wir hatten noch nie Krieg auf unserem Planeten, doch hat unsere Rasse ihren Ursprung vor Jahrtausenden auf der Erde genommen. Viele Kämpfe wurden in dieser Welt zu jener Zeit geführt, die eure Wissenschaft als prähistorisch einstuft.« 187
»Diese insektenähnlichen Kreaturen, die Zeta Re-zezies oder wie auch immer, sind die bösartig?« wollte Fred wissen. Semjase schüttelte den Kopf. »Das kommt auf den Standpunkt an. Sie haben einige diplomatische Abmachungen mit deiner Regierung. Sie liefern ihr gewisse Technologien, und als Gegenleistung haben sie das Recht, den Planeten und seine Bewohner - ohne Kontrolle eurer Regierung - zu beobachten und zu untersuchen.« »Hierüber muß ich mehr hören!« insistierte Fred. »Später, mein Lieber. Jetzt mußt du ins Flugzeug nach Paris zurück.« »Wann sehe ich dich wieder?« fragte er und schämte sich, daß seine Stimme wie ein Winseln klang. Semjase spielte einmal mehr die Rolle der strengen Mutter, die sich nicht vom Wesentlichen ablenken ließ. »Hast du deine Pläne, die Belial-Schüler zu verfolgen, aufgegeben, und wirst du nach Hause, nach Laguna Beach, zurückkehren?« Fred gab ihr sein Wort, daß »die Rache die des Herrn« bleiben würde. Das funkelnde blaue Licht umwirbelte seinen Körper, und er bemerkte, daß er sich wieder in der Toilette der Boeing befand. Leise verklangen Semjases letzte Worte: »Bald, mein Lieber, wirst du mich wiedersehen.« »Bitte nehmen Sie Ihren Sitz wieder ein«, klopfte eine Stewardeß an die metallische Tür. »Machen Sie sich auf die Landung in Paris bereit.«
188
Einundzwanzigstes Kapitel
Dr. Fred Bell landete in Los Angeles voller Begeisterung für ein neues Lebensziel. Seinen drei besten Freunden vertraute er an, was in Ägypten und auf dem Heimflug passiert war. Eric Powell bedauerte, daß er auf diesem Flug nicht hatte dabeisein können, und mutmaßte, daß Fred betrunken gewesen war, als er sich in Semjases Raumschiff wähnte. Brad Bronson erschrak darüber, welchen Gefahren sein Freund ausgesetzt gewesen war, und bezeichnete die Interaktion mit Semjase als eine visionäre Erfahrung. Kim Kingswold schließlich war dankbar, daß Fred dem Tod entronnen war, und beschloß für sich, daß er eine romantische Begegnung mit einer der Stewardessen der Boing 747 gehabt habe. Für Fred spielte es keine Rolle, wie seine Freunde die Begegnung mit Semjase bewerteten. Ihm war klarer als je zuvor, was er mit seinem weiteren Leben anfangen mußte. Am 1. März schrieb er sich in ein medizinisches Spezialprogramm an der U.C.L.A. ein und begann Vorträge im Rahmen der nationalen Gesundheitsvorsorge zu halten. Abends arbeitete er entweder an dem geheimnisvollen Buch mit den unentzifferbaren Hieroglyphen, an den Illustrationen des Rezeptors und dessen Beschreibungen oder anderen unbekannten Objekten der plejadischen Technologie. Obwohl er völlig beschäftigt war, vermißte Fred die Anwesenheit von Semjase. Sie hatte ihm versprochen, ihn bald wieder zu besuchen, wenn er sein Ein-Mann-RacheProjekt gegen die »Ritter von Atlantis« aufgegeben hätte. Langsam sorgte er sich darüber, daß »bald« auch in achtzig Jahren sein könnte, da Semjase und ihre Rasse ja so langlebig waren! 189
Kurz vor Mitternacht am 24. April fühlte Fred wieder das Prickeln am Hinterkopf und hörte das metallische Pfeifen in seinem linken Ohr. Semjase war nahe. Er wartete eine halbe Stunde darauf, daß sie sich in seinem Laboratorium materialisierte, wobei sein Herzklopfen eine beängstigende Intensität erreichte. Er ging hin und her, schaute mindestens fünfzigmal aus dem Fenster und konnte sich nicht entscheiden, ob er ihr Kaffee, Tee oder Wein anbieten sollte. Als er endlich aufhörte zu warten und aufgeregt zu sein - da nichts passierte - und zu seinem Schreibtisch zurückkehrte, war er plötzlich in der Lage, die unentzifferbaren Hieroglyphen zu lesen wie ein Sechsjähriger das Alphabet. Semjase hatte ihn also an diesem Abend wirklich besucht, doch war sie unsichtbar geblieben. Und irgendwie hatte sie es innert Sekunden geschafft, ihm ein beträchtliches Wissenspotential zu vermitteln. Fred arbeitete Tag und Nacht, nahm nur hin und wieder ein Sandwich von Kim entgegen und schlief erst dann ein wenig, wenn seine Augen nicht mehr mitmachen wollten. Es war ihm klar, daß der Rezeptor, den er jetzt herstellte, nicht all die Wunder vollbringen konnte wie das Original der Plejader. Doch wußte er nicht, daß er den Menschen ein Objekt anbieten würde, das über die einzigartige Fähigkeit verfügen würde, giftige und unharmonische Energieformen in positive elektrische Impulse umzuwandeln, die den menschlichen Stoffwechsel in allen seinen Aspekten unterstützen. »Wenn der Rezeptor fertig ist«, erzählte er Brad Bronson, »wird sein Vibrationsimpuls auf das Universum ausgerichtet sein, wobei die emotionale Energie sich in eine physische umwandelt.« »Das ist ein bemerkenswerter Anspruch für ein so kleines Ding«, sinnierte Brad. Fred lachte zustimmend. »Es ist so kompakt, weil ich eine Technik der NASA anwende, die die Fokuslängen ver190
kürzt. Ohne diese Methode brauchte ich eine Parabolscheibe von 15 Metern Durchmesser, um dasselbe zu bewirken, was dieser kleine Rezeptor mit 3 cm erreicht.« Am 15. Juni erhielt Fred Bell ein eindeutiges Zeichen »von oben«, daß er den von den Plejadern bewilligten Rezeptor perfekt hergestellt hatte. Kurz vor Mitternacht begann der Smaragd-Rezeptor seines Vaters zu summen. Fred nahm ihn von seinem Hals und hielt ihn auf Armeslänge vor sich. Als er das leuchtende blaue Licht um den Rezeptor sah, wollte er eigentlich protestieren, sah dann aber ein, daß er in dieser Sache nichts zu melden hatte. In weniger als einer Sekunde war der wertvolle Nuklear-Rezeptor verschwunden. «Da du sehr gute Arbeit geleistet hast, wollen wir dich belohnen«, vernahm er Semjases musikalische Stimme. «Ich werde dir mein Raumschiff zeigen!« Als sich daraufhin das blaue Licht um ihn herumwand, hätte er vor Glück jauchzen können. Semjase saß auf der Couch gegenüber dem großen Bildschirm. »Ich gratuliere dir«, begrüßte sie ihn. Erneut raubte ihm ihre überwältigende Schönheit in den ersten Sekunden die Worte. »Ich glaubte schon, du hättest dein Versprechen vergessen«, sagte er und bereute sofort, sich gegenüber diesem überragenden Wesen so kindisch zu benehmen. »Alles zu seiner Zeit«, antwortete sie und hieß ihn, sich neben sie zu setzen. »Was ist wohl in deiner Seelenessenz, das dich so ungeduldig werden läßt?« überlegte sie laut. »Du hast schon mehrmals Bemerkungen darüber gemacht, daß du mich bereits aus anderen Leben kennst«, begann Fred. »Du bist doch sicher nicht so ... so alt, daß du meine Seelenessenz aus anderen Leben kennen könntest?« Semjases smaragdgrüne Augen glühten. »Ich bin mehrere hundert Erdenjahre alt - nicht mehrere tausend.« 191
»War nicht böse gemeint«, entschuldigte sich Fred. »Ist auch nicht so verstanden worden«, lächelte ihn Semjase an. »Ich habe Zugang zum Seelenarchiv derjenigen unserer Abkömmlinge, die noch in ihrem physischen Körper gefangen sind. Ich weiß zum Beispiel, daß deine Seelenessenz ein Wissenschaftler in Atlantis war. Du wurdest von den Belial-Schülern getäuscht und gewährtest ihnen Zugang zu vielen von dir erfundenen Technologien. Bedauerlicherweise brachte deren Mißbrauch durch die Belial-Schüler diesem großen Reich etwa 10 000 v. Chr. den endgültigen Untergang.« »Schon wieder diese verdammten Belial-Schüler!« rief Fred aus. »Und mein Vater? Warum mußten mein Vater und ich in diesem Leben auf die Belial-Schüler treffen?« »Dein Vater, Paul Raymond Bell, und Wolf Grunewald befanden sich beide mit dir in Atlantis. Interessanterweise war Paul auch damals schon dein Vater. Grunewald war sein Bruder, dein Onkel. Sie waren brillante Wissenschaftler und deine Mentoren. Sie versuchten dich vor den Belial-Schülern zu warnen, doch erreichten sie dich zu spät.« »Das sind ja verblüffende Parallelen zu diesem Leben«, bemerkte Fred. »Da ihr alle einen plejadischen Wesenskern habt, werden auf der Erde immer diejenigen eure Feinde sein, die die Geschenke der Weisheit und des Wissens mißbrauchen wollen«, teilte ihm Semjase ernst mit. Fred nahm einen hohen, summenden Ton wahr und erkundigte sich nach dessen Ursprung. »Im äußeren Ring des Schiffes befinden sich übereinander zwei schwimmringartige flüssige Kammern; die eine enthält ein nickelähnliches, die andere ein kupferähnliches Metall. Beide befinden sich in einer ölartigen Lösung und werden in entgegengesetzte Richtungen gepumpt. Die Pumpen arbeiten auf der Basis der Hysterese.« 192
Fred sagte, daß er mit dieser Methode vertraut sei, da er in der Schule mit ihr bereits experimentiert habe. Semjase schien sich zu freuen, daß Fred nicht auf dem geistigen Niveau eines Neandertalers war. Sie hatte ihm eine Demonstration des Raumschiffs versprochen. Es sah also ganz so aus, als würde er einen kleinen Einblick in die außerirdische Technologie bekommen. Seine früheren Kollegen von der NASA würden vor Neid platzen! Semjase drückte nun einen Hebel nach vorne und erklärte, daß dieser das spezielle, oszillierende Magnetfeld steuere. »Aber ja, natürlich«, lachte Fred. Als ihn Semjase neugierig anschaute, realisierte er, daß die Plejader keinen Erdenhumor verstehen - insbesondere nicht den von Fred Bell. »Ich machte nur Blödsinn«, sagte er sanft. »Fahr bitte weiter.« Die schöne Kosmonautin erstarrte für einige Sekunden, schien dann aber den seltsamen Terraner ein bißchen zu begreifen. Sie redete weiter: »Sobald die zwei Flüssigkeiten rotieren, verschmälern wir ihre Durchmesser. Dadurch entstehen Energiefelder, die ähnlich erzeugt werden wie das Klystron-Feld in euren Linearbeschleunigern. Dies produziert Gravitationswellen inner- und außerhalb des Raumschiffes. Du kannst hören, wie das System zu arbeiten beginnt.« Fred konnte jetzt - nebst dem vorhandenen konstanten Summen - einen hohen Ton ausmachen, der abwechselnd anstieg und wieder leiser wurde. »Schau jetzt durch die transparenten Wände!« rief ihm Semjase zu. Durch eine unglaubliche Verwandlung wurden einige Außenwände des Schiffes durchsichtig und vermittelten Fred die Illusion, frei im Weltall zu schweben. Die Erde wurde mit rasender Geschwindigkeit immer kleiner und kleiner. 193
»Als würden wir von der Erde aus weggeworfen - wie ein Stein«, meinte Semjase und war durch den Startprozeß sichtlich aufgeregt; obwohl sie dieses Manöver nicht zum erstenmal durchführte. »Wir bewegen uns fast mit FluchtGeschwindigkeit.« Fred verstand. »Da wir unsere eigene Schwerkraft erschufen.« »Genau«, stimmte Semjase zu. »Und als unsere Gravitation die Schwerkraft der Erde überwand, wurden wir dank der zentrifugalen Kräfte des um seine eigene Achse rotierenden Planeten in das All hinausgeschleudert.« »Es ist alles so klar und einfach«, drückte er seine Begeisterung für den Vorgang aus. »Ich werde so ein Ding nachbauen und dann sämtliche Flugzeugfabrikanten wie Goldhamster aussehen lassen!« »Zur richtigen Zeit, mein Lieber«, lächelte Semjase. »Du mußt lernen, Geduld in deine Seelenessenz zu bringen!« Nachdem sie ihre Erdumlaufbahn erreicht hatten, schaltete Semjase die Energiequellen ab, und sie umkreisten die Erde in einer Höhe von 400 Kilometern. Die Erde war wunderschön: blau und weiß vor nachtschwarzem Hintergrund. Semjase schaltete eine Musikanlage ein, die den Raum mit verführerischer, ätherischer Musik erfüllte. »Meine Sinne stehen kurz vor einem Kurzschluß«, lachte Fred leise und lehnte sich in der Couch zurück. »Ich schwebe im Raum mit der schönsten Frau, die ich mir vorstellen kann. Dies wird mir nie jemand glauben! Um ehrlich zu sein, glaube ich meinen eigenen Erfahrungen nicht mehr!« »Du drückst dich merkwürdig aus«, sagte Semjase. Fred konnte nicht ausmachen, ob sie nun amüsiert oder verwirrt war; doch schien ihr Kommentar mehr eine sachliche Bemerkung denn eine Zurückweisung zu sein. »Das letztemal hast du mir die >Wir sind weder Götter noch Engel<-Lektion erteilt«, erinnerte sich Fred. »Doch 194
ehrlich gesagt, ist dies alles ein bißchen zuviel. Ich will auf keinen Fall blasphemisch erscheinen, aber wenn du plötzlich vor einem gläubigen Katholiken aus deinem Raumschiff stiegest, wäre er sicher, vor der Jungfrau Maria zu stehen. Ein Hindu würde glauben, daß er die Große Mutter träfe. Und ich? Was soll ich denken?« »Fühle dich bitte nicht unwohl, Fred«, bat ihn Semjase. »Wir sind schon oft zusammengewesen.« »Das ist mir klar«, erklärte er. »Ich spüre, daß ich dir nicht sagen muß, wieviel Liebe ich dir entgegenbringe. Irgendwie weiß ich, daß du das bereits weißt.« »Und ich liebe dich bedingungslos, Fred«, lächelte sie. In der Hoffnung, sie zu küssen, lehnte er sich vor. Semjase preßte seine Hand und erhob sich. »In unseren jetzigen Inkarnationen, Fred, ist es am besten, wenn du mich als deinen Schutzengel betrachtest.« Er fühlte sich dumm und ungeschickt, als hätte er ein klares Protokoll auf grobe Weise verletzt. »Du hast keinen Grund, dich schlecht zu fühlen«, sagte sie und preßte nochmals seine Hand. »Dieser Schutzengel hat deine Haut mehr als einmal gerettet. Laß mich dir eine Situation zeigen, an die du dich vielleicht erinnerst.« Semjase zeigte auf den großen Schirm, auf dem sich Bilder abzuzeichnen begannen. »Ich glaube es nicht«, rief Fred aus. »Bonneville Flats, 1957. Als ich den Landgeschwindigkeitsrekord gewann!« »Mit etwas Hilfe deiner Freunde«, warf Semjase ein. Es war frühmorgens um 5.30 Uhr, zwei Tage vor dem endgültigen Rennen. Fred (damals noch Bill) machte einen weiteren Testdurchgang, bevor die Sonne das Salz aufheizte. Hierbei aber überstrapazierte er den Wagen und seine Reifen. Er hatte den Wagen, an dem er lange gearbeitet hatte, um ihn perfekt zu konstruieren, »Thors Donnerstrahl« getauft. 195
Kim Kingswold rannte zu dem schlanken Rennwagen, um ihm Glück zu wünschen. Eric Powell zeigte ihm seinen aufgerichteten Daumen, als er ihn auf die Rennstrecke eskortierte. »Jetzt geht's los«, sagte Fred aufgeregt, erfüllt von den Erinnertingen, die er auf dem Bildschirm sah. »Ich komme echt nah dran, die Düsenantriebe gaben damals ihr Bestes.« Der Wagen machte einen Sprung nach vorne; innert einiger Sekunden auf 160, dann 240 ... 280 ... 400 ... 440 Kilometer pro Stunde. »So ungefähr bei 630 Kilometern pro Stunde platzten die Reifen«, erinnerte sich Fred. »Ich hatte Glück, daß ich nicht gestorben bin!« »Mit Glück hatte das nichts zu tun«, sagte Semjase. »Beobachte genau!« Nachdem die Reifen mit einem lauten Knall geplatzt waren, begann der Wagen, der bis anhin ruhig auf der Bahnmarkierung dahingeglitten war, plötzlich seitlich auszuscheren. »Wau, schau mal«, sagte Fred, der eine Gänsehaut bekam, »wie der Kleine zittert! Ich erwartete bereits, mich zu überschlagen.« Das Heck des schnell dahinfliegenden Autos begann sich vom Boden zu lösen. »Oh, Mann! Jetzt kommt's!« rief Fred aus. »Ich spürte wie sich >Donnerstrahl< hinten hob ... Tja, das ist das Ende, dachte ich.« Und dann sah Fred, weshalb er und Thors Donnerstrahl an jenem Tag in der Salzwüste nicht verunglückt waren: Eine große, leuchtende Scheibe näherte sich mit riesiger Geschwindigkeit und hob den Wagen vom Boden auf. Dann stoppte das Raumschiff plötzlich und ließ das Auto - samt Fred - sanft auf den Erdboden zurückgleiten; außer den geplatzten Reifen und dem Öldrucksystem war alles intakt. 196
Mit absoluter Verblüffung beobachtete Fred sich selber als Siebzehnjährigen, wie er aus dem Wagen ausstieg, um die Schäden zu begutachten. Die Scheibe befand sich nun wieder in großer Höhe; völlig unbemerkt von Bill, der damit beschäftigt war, die Reifen zu ersetzen und die mechanischen Defekte zu reparieren. »Aber irgend etwas hörte ich schon damals«, stammelte Fred und versuchte, die richtigen Worte zusammenzubringen. »Ich begann mich an all dies zu erinnern, als die irre Frau Bodmer versuchte, mich umzubringen. Ich hörte deine Stimme in meinem Kopf: »Bald, mein Geliebter, sehr, sehr bald.<« Semjase freute sich offensichtlich darüber, solch einen effizienten Erinnerungsjogger erschaffen zu haben. »Ja, und zwei Tage später brachtest du deine Kristallresonatoranlage im Wagen an und gewannst den Landgeschwindigkeitsrekord mit über 800 Kilometern pro Stunde.« »Aber du hast dies ermöglicht«, sah Fred nun klar und schüttelte seinen Kopf. »Du hast mein Leben gerettet. Du hast mich davor bewahrt, eins mit einem Metallknäuel zu werden.« »Darum, weil du wichtige Arbeit auf diesem Planeten zu verrichten hast, mein Lieber«, sagte Semjase bewußt. »Wir haben nicht in dein Schicksal eingegriffen, um deine egoistischen Ziele zu unterstützen, sondern deshalb, weil du eine Mission zu erfüllen hast!«
197
Zweiundzwanzigstes Kapitel
»Sie nannte es ein >Drei-Strahlen-Schiff<«, erklärte Dr. Fred Bell Eric Powell drei Nächte später am 18. Juni, als sie spät abends im Laboratorium arbeiteten. Sie stellten beide manuell Rezeptoren her, die Fred an seinem bevorstehenden Vortrag für die amerikanische Gesundheitsföderation zum Verkauf anbieten wollte. Dies wäre das erstemal, daß er die Rezeptoren der Öffentlichkeit vorstellen würde. »Es verfügt über drei Antriebsformen; doch einfacher ausgedrückt, bewegen sich die Plejader durch den Raum, indem sie Bilder von sich selbst am Zielort projizieren.« Eric stellte seine Tasse auf die Werkbank ab. »Chef, du hast mich bereits soweit, daß ich dir glaube, daß du mit dieser phantastischen außerirdischen Puppe in ihrem UFO gewesen bist; doch die Geschichte mit dem Antriebssystem mußt du mir nochmals bringen. Okay?« Fred verstand die Verwirrung seines Freundes. »So, wie ich es verstand, sind die obere und die untere Seite des Schiffes Linsen, welche sämtliche optischen und magnetischen Strahlen ober- und unterhalb des Schiffes sammeln. Diese Parameter werden sodann in den Countdown-Computer eingegeben. Einmal eingegeben, können die Parameter, die das Schiff an seinem Zielort wahrnehmen würde, abgerufen werden. Die Sammellinsen verwandeln sich nun in Projektoren, die die Bestimmungskoordinaten der unmittelbaren Umgebung festsetzen und aussenden. Ist dieser Prozeß vollendet, befindet sich das Schiff bereits an seinem Ziel.« »Woher bekommen sie die Koordinaten, die sie eingeben?« wollte Powell wissen. 198
»Gute Frage«, lächelte Fred. »Die Plejader entwickelten ihren Raumflug mit konventionellen Mitteln, da ihre Sonnen nur einige Lichtjahre voneinander entfernt sind. Mit Hilfe von gewöhnlichen Raketen vermaßen sie die Energien um ihre Sonnen herum, die sie >Vorhänge< nennen.« »Ich bin ganz Ohr«, grinste Powell. »Erzähl weiter!« Fred freute sich, daß sein Freund an der Thematik interessiert war. »Die vermaßten Koordinaten werden >Wellenvorhänge< genannt. Nachdem ein Bestimmungsort gewählt ist, werden gleichzeitig gewisse Energien blockiert und andere freigesetzt. Den Vorgang des tatsächlichen Überblendens von A nach B führt schließlich der Countdown-Computer aus. Während des Überganges gewinnt das Raumschiff eine unglaubliche Geschwindigkeit und Masse. Bis zu dem Moment, in dem es von einem >Bild zum anderen wechselte, also von einer Dimension zur nächsten hinübergleitet, behält es seinen anfänglichen Wellenvorhang.« Fred hielt inne, um die folgende Warnung zu betonen: »Die Transaktion ist aber nicht ohne Gefahr. Wenn das Raumschiff nämlich seine sichernden >Vorhänge< zu früh entläßt, erleiden die Insassen ein jähes Ende. »Übrigens«, fügte Fred hinzu, »erzählte mir Semjase, daß eine Gruppe von Plejadern existierte, bestehend aus erfahrenen Raumreisenden, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hätten, die Randgebiete des Universums zu erkunden.« »So 'ne Art Christoph-Columbus-Gruppe«, kicherte Powell. »Ist je mal einer von diesen über den Rand hinaus gewesen?« Fred lächelte und schüttelte seinen Kopf. »Die Plejader behaupten, daß es weder einen >Rand< noch eine >andere Seite< gebe; kein Ende - nur Ewigkeit.« Powell hatte sich in den letzten Jahren, während seiner Kooperation mit Fred, zu einem äußerst brauchbaren Ma199
schineningenieur entwickelt. Kürzlich hatte er sogar begonnen, einige philosophische und metaphysische Standpunkte seines Freundes zu verinnerlichen. »Wau«, meinte er, »das ist, als würde man von einem Bild in das andere springen.« Fred freute sich, daß Eric seine gewohnte Skepsis beiseitelegte und bereit war, neue Konzepte vorurteilslos zu diskutieren. »Es ist so, als hätten sie das >Zielbild< bereits in ihrem Raumschiff-Computer gespeichert«, sagte Fred und setzte einen Smaragd in die Mitte des Rezeptors, an dem er gerade arbeitete. Powell nahm sich ein weiteres Hörnchen. »Was passierte, wenn unsere Regierung sich ein solches Raumschiff schnappen könnte? Wäre sie in der Lage, es zu reproduzieren?« »Ich bezweifle es«, meinte Fred. »Sie könnten zwar einige der Systeme nachbauen. Doch ist jedes plejadische Raumschiff auf die persönliche Aura-Schwingung seines Piloten oder seiner Pilotin eingestellt. Wenn sie das DreiStrahlen-Schiff dirigiert, muß zum Beispiel Semjase sich bei einer >Unterschriftsstation<, wie sie es nennt, anmelden. Es handelt sich um ein Raster, das auf ihre Aura eingestellt ist.« »Das heißt also, daß das Raumschiff nicht funktioniert, wenn das bedienende Personal nicht über bestimmte codierte Eigenschaften verfügt«, wiederholte Powell das, was er von Freds Ausführungen begriffen hatte. »Genau«, bestätigte Fred. »Dies bedeutet, daß unbedingt ein Plejader anwesend sein muß, damit ihre Raumschiffe überhaupt fliegen können. Außerdem würden sich wichtige Teile des Schiffes selber zerstören, sobald sie unangenehme Schwingungen von einem Piloten wahrnähmen. Würde ein Pilot gänzlich vom Vehikel entfernt, würde dasselbe geschehen.« 200
Powell legte ein fertiges Medaillon in eine kleine Schachtel und stand auf, um sich zu strecken und zu gähnen. Es war beinahe vier Uhr morgens. »Erzähl mir nochmals von der Reise nach Proxima Centuri, Fred. 4,5 Lichtjahre sind doch immerhin ein gewaltiger Sprung!« Fred stimmte ihm zu und nahm noch einen Schluck Kaffee. Dann berichtete er ihm, wie sich die sichtbaren Sterne in Streifchen von Regenbogen umformten. Als das Schiff schneller wurde, verwandelten sich die Regenbogenstreifchen in paisleyähnliche Muster. Semjase erklärte ihm, daß das weiße Sternenlicht, das er zuerst gesehen hatte, sich bei annähernder Lichtgeschwindigkeit in die einzelnen Farben des Regenbogens aufteilen würde. »Sie sagte mir, daß wir jetzt reine Energie wären, Eric. Die Geräusche, die wir hörten, waren die der Maschinen des Raumschiffes, die im Einklang mit dem Universum pulsierten.« Fred sagte, es wäre wie eine Reise in seine innere Welt. »Deine innere Welt, dein Geist, ist Teil des physischen Universums«, hat Semjase gesagt. »Wo wir uns jetzt befinden, ist ein Teil deiner und meiner inneren Welt. Sobald wir an unserem Bestimmungsort angekommen sind, werden wir uns wieder in der physischen Welt befinden.« Fred wollte wissen, ob selbst das plejadische Drei-Strahlen-Schiff eine Erweiterung seines Geistes sei. »Sämtliche Erfindungen sind Schöpfungen des Universellen Geistes«, antwortete Semjase. »Es ist unwichtig, ob eine Schöpfung nach einer menschlichen oder plejadischen Wunschvorstellung erschaffen wurde. Je näher der >Erfinder< der göttlichen Absicht ist, um so perfekter wird seine Kreation. Dieser Prozeß verfeinert sich konstant im Individuum bis zu dem Punkt, an dem es sich nicht mehr nach der 201
physischen Welt - und deren Freuden und Leiden - zurücksehnt. In diesem Augenblick wird das Individuum zum Sternengeborenen, und viele neue Ziele stehen ihm offen.« Semjase informierte ihn, daß sie gerade einen HyperSprung-Wiedereintritt vollzogen hätten und sich nun wieder »im Projektionsbild« befänden. Sie waren in Proxima Centuri angekommen. Vier bis fünf Lichtjahre bedeuteten für ein Drei-Strahlen-Schiff eine eher kleine Distanz. Fred schaute hinaus und erblickte einen besonders hellen Stern; im Gegensatz zu der Sonne, die ihm bekannt war, war diese blau. Etwas weiter weg befand sich ein anderer heller Stern. Auch konnte er einige Planeten ausmachen, die nicht allzuweit entfernt waren. »Das klingt ja verrückt, Mann«, protestierte Eric. »Mit unseren heutigen Antriebssystemen würde ein Avisflug nach Proxima Centuri an die fünfzehn Jahre dauern, mindestens!« Fred gab zu, daß er zu Semjase eine ähnliche Bemerkung gemacht hatte. »Dies stimmt«, meinte sie. »Hätte aber eure Wissenschaft auf die Stimmen von Nicola Tesla und Michael Faraday gehört, würdet ihr bereits heute über Hochgeschwindigkeits-Raumschiffe verfügen. Statt dessen haben sich eure Wissenschaftler und Ingenieure für den Verbrennungsmotor entschieden - und für diese Entscheidung muß eure Rasse vielleicht schon bald den höchsten Preis bezahlen.« Das Schiff senkte sich auf einen der Planeten hinab, die kurz zuvor im Fenster sichtbar gewesen waren. Als das plejadische Vehikel mit großer Geschwindigkeit das Terrain überflog, bemerkte Fred die unfruchtbare, öde Landschaft. Semjase erzählte ihm, daß der Planet einmal bewohnt gewesen war - und zwar mit einer sehr kriegerischen Bevölkerung. Nach endlosen Kriegen wurde ihre Atmosphäre zerstört. Der übrigbleibende Sauerstoff verstreute sich im 202
All; alle Lebensformen starben aus wegen des Sauerstoffmangels und der zu hohen ultravioletten Strahlung. Eric Powell unterbrach seine Arbeit an einem Rezeptor: »Chef, wir haben bereits viel Gemeinsames hinter uns. Trotzdem ist es nicht einfach zu glauben, daß du mit einer außerirdischen Königin durch das All geschwirrt bist.« Fred sagte ihm, daß die Reise sogar in noch kürzerer Zeit möglich wäre. »Mit Hilfe ihrer entwickelten Technologie haben die Plejader >Korridore< im All gefunden. Unsere Wissenschaft geht immer noch von der traditionellen Technik aus«, fuhr er fort. »Innerhalb des Universums existiert ein spezielles Energiefeld, das über eine eigene Aura verfügt. Ist man in der Lage, sich mit dieser Aura zu vereinigen, wird das Reisen von A nach B - und sei es selbst im Raum - viel einfacher. Die Reisegeschwindigkeit innerhalb dieses Energiefeldes ist fast >augenblicklich<. Die Plejader haben die Korridore dieses Energiefeldes berechnet, kartographiert und verschiedenen Kulturen auf verschiedenen Planeten zugänglich gemacht«, erzählte Fred seinem Freund. »Vielleicht wird eines Tages auch unsere Spezies reif genug dazu sein, dieser Gesellschaft von fortgeschrittenen Wesen anzugehören.« Powell versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. »Fred?« »Ja, okay, du hast Recht«, grinste Fred in sich hinein. »Machen wir Schluß für heute nacht.« »Dann müssen wir uns aber beeilen«, erwiderte Powell, »denn es ist bald Morgen.« Fred packte einige Rezeptoren in seinen Aktenkoffer. »Ich denke, daß wir gute Arbeit mit den ersten Modellen geleistet haben. Ich muß noch einige Smaragde besorgen.« »Könnte man nicht auch Rubine oder andere Edelsteine verwenden?« schlug Powell vor. Fred machte seinem Freund auf dem Weg zum Auto gerade ein Kompliment wegen dieser guten Idee, als ihnen auf 203
dem Parkplatz ein schwarzer Lincoln Continental die Ausfahrt versperrte. Innerhalb von Sekunden standen sechs schwarzgekleidete Männer vor dem Lincoln. »Mann, müssen die Schleimer lange gewartet haben«, bemerkte Paul. »Wenigstens verpasse ich diesmal nicht den Kampf!« Es überraschte Fred nicht, daß die »Ritter von Atlantis« auf seiner Spur waren. Eigentlich hatte er sie schon früher erwartet. Ein großer, blonder Mann - um die Vierzig näherte sich ihm und stellte sich auf eine sehr militärische Art vor: »Dr. Fred Bell, ich bin Dr. Hans Diels. Sie wissen, weshalb ich hier bin. Bitte übergeben Sie uns jetzt sofort den Rezeptor. Es muß keine Gewalt geben. Wir wissen, was Sie mit dem Objekt anstellen können, doch halten meine Männer einen Sicherheitsabstand ein. Ich hoffe, daß Ihnen klar ist, daß Sie erschossen werden, wenn Sie mir das Medaillon nicht übergeben haben, bevor ich bis drei gezählt habe.« Fred lächelte. »Kein Problem, Dr. Diels. Sie sollen den Rezeptor haben. Sie scheinen ein viel höheres Niveau zu haben als die anderen Kriechtiere, die bis jetzt geschickt wurden, um das Medaillon zurückzuerobern.« »Fred«, bemerkte Powell, »dieses Ekel sieht genauso widrig aus wie die anderen. Aber mach nur weiter; gib ihm den Rezeptor.« Der Neonazi war vom unerwarteten Entgegenkommen sichtlich überrascht. Fred stellte seinen Aktenkoffer ab und griff nach dem Smaragd-Rezeptor, den er um den Hals trug. Sofort entsicherten die übrigen fünf »Ritter von Atlantis« ihre automatischen Waffen. Dr. Diels stoppte sie mit seinem erhobenen Arm. »Er gibt uns den Rezeptor!« brüllte er ihnen zu. Fred übergab den Rezeptor Dr. Diels, der seine kulti204
vierte militärische Haltung verloren hatte und das Schmuckstück mit zitternden Händen entgegennahm. »Das Geschenk der Sternengötter ist endlich zurück in den Händen seiner rechtmäßigen Besitzer«, ließ er mit bewegter Stimme vernehmen. »Der Morgen gehört uns!« »Es stimmt, daß der nukleare Smaragd-Rezeptor sich jetzt bei seinem rechtmäßigen Besitzer befindet«, stimmte ihm Fred zu. »Vor sechs Wochen haben ihn die Plejader nämlich wieder zurückgenommen.« Diese Aussage konnte Dr. Diels überhaupt nicht begreifen. Seine blauen Augen blinzelten in Verwirrung; erschien an etwas zu würgen, das ihm gar nicht schmeckte. »Es wäre doch ungerecht, wenn nur Sie einen Rezeptor erhielten, Dr. Diels«, meinte Fred. »Denn eigentlich leiden Ihre Angestellten genauso unter den Umweltgiften wie Sie. Eric, komm, geben wir diesen hart arbeitenden Typen einen Bonus.« Powell resignierte und entnahm Freds Aktentasche weitere Medaillons. »Na, kommt schon, ihr verrückten Wilden, und holt euch euren persönlichen Rezeptor - mit den Komplimenten von Powell und Bell.« Die Sturmstaffelmitglieder hielten zunächst ihre Waffen auf Powell gerichtet, doch als sie sahen, daß er ihnen einen unvorstellbaren Schatz übergeben würde, kamen sie eifrigst näher, um den Rezeptor in Empfang zu nehmen. »Was ist los, Dr. Bell?« wollte Diels wissen, nachdem er seine Selbstbeherrschung einigermaßen wiedererlangt hatte. »Halten Sie uns zum Narren?« Fred schüttelte den Kopf. »Sie werden höchstens sich selber zum Narren machen, wenn Sie unsere Geschenke nicht annehmen und uns nicht in Ruhe lassen. Wie ich Ihnen sagte, Dr. Diels, haben die Sternengötter, die Plejader, ihren nuklearen Rezeptor vor einigen Wochen zurückgefordert.« 205
»Sie haben ihn Ihnen weggenommen?« Der »Ritter von Atlantis« begann langsam, Fred Glauben zu schenken. Warum hätte er sich sonst nicht der Fähigkeiten des Rezeptors bedient, wie er es in Ägypten getan hatte? »Sie nahmen ihn mir weg«, antwortete Fred, »doch erlaubten sie mir, Kopien des Rezeptors anzufertigen, die keine der zerstörerischen, doch viele der heilenden Kräfte des Originals aufweisen: negative Energien in positive umzuwandeln, das Altern zu verzögern und noch vieles mehr. Ich bin gerne bereit, diese Rezeptoren mit Ihnen zu teilen, und hoffe, daß auch Sie von deren Wirkung profitieren.« »Aber wieso haben sie es nach so langer Zeit zurückhaben wollen?« hakte Diels nach, immer noch Fred ausfragend. »Schauen Sie sich um«, antwortete Fred. »Genau aus diesem Grund. Ihr kommt hierher, wollt etwas von uns und seid bereit, uns zu töten. Ich verlor meine Selbstbeherrschung und wollte Rache für den Tod meines Vaters und Dr. Grunewalds nehmen. Wir sind immer noch primitive, wilde, haarlose Affen. Bevor wir uns geistig nicht weiterentwickelt haben, werden die Plejader uns nicht mit ihrer fortgeschrittenen Technologie beschenken. Welche vernünftige Person würde einem Kind eine Stange Dynamit und eine Schachtel Streichhölzer überlassen?« Diels dachte sorgfältig über Freds Worte nach. »Irgendwie weiß ich, daß Sie die Wahrheit sagen. Aber was wäre, wenn wir Sie als letzten primitiven Akt einfach umbringen würden? Als ein Exempel für diejenigen, die sich den >Rittern von Adantis< und dem Aufkommen des neuen Reichs widersetzen?« »Dann wären Sie, wie ich schon gesagt habe, ein Idiot«, bemerkte Fred in einem scharfen Ton. »Seit Grunewalds Tod existiert eine Fiche über die >Ritter von Atlantis< in Kalifornien. Leutnant Neil Percy, der ein guter Freund von mir 206
ist, läßt Sie überwachen, seitdem Sie vor zehn Tagen in Los Angeles ankamen. Er schickte mir ein Photo von Ihnen, um mich zu warnen. Eigentlich habe ich Sie schon seit einigen Tagen erwartet. Sollte mir oder meinen Freunden irgend etwas zustoßen, so werden Sie innerhalb einer Stunde wegen Mordverdachtes verhaftet.« Diels lächelte Fred an, befahl seinen Leuten, die Waffen wegzustecken und ins Auto einzusteigen. »Sie haben wieder gewonnen, Dr. Bell«, meinte er, als er zum Lincoln ging. »Aber ich bin sicher, daß wir uns eines Tages wiedersehen werden.« »Daran zweifle ich nicht, Dr. Diels«, stimmte Fred zu. »Wir sind wie die zwei Seiten einer Münze. Sie arbeiten für die dunkle Seite, ich jedoch für das Licht; es ist unvermeidbar, daß wir uns wiedersehen.« Als die Neonazis in der Morgendämmerung davonfuhren, fluchte Eric Powell leise: »Was für elende Typen! Sie haben sich nicht einmal für die Rezeptoren bedankt! Und ich habe viel Arbeit in diese Medaillons gesteckt!«
207
Dreiundzwanzigstes Kapitel
»Es ist schön und gut, daß du mit deiner schönen, seelenverwandten Kosmonautin herumschäkerst, Fred«, schmollte Brad Bronson; er lehnte sich zurück und faltete seine Hände über dem Bauch. »Aber wann werde ich sie treffen?« Bronson kam zu Fred zum Mittagessen, zwei Tage nachdem Fred Dr. Diels und seinen Schlägern begegnet war. Eric Powell hatte ihm die Details geschildert, und jetzt war er leicht irritiert, daß so viel in Freds Leben geschah, ohne daß er daran teilnehmen konnte. Fred schob ihm die Platte mit dem gegrillten Lachs zu. »Nimm dir noch mal, Brad.« »Ich fragte nach Semjase und nicht nach Lachs«, brummte Bronson, doch trotzdem nahm er sich noch ein Stück Lachs und eine zusätzliche Portion Petersilienkartoffeln. »Du weichst meiner Frage aus.« Fred schenkte sich etwas Weißwein ein und antwortete offen. »Ich weiß nicht, ob du oder sonst jemand Semjase je sehen werden.« »Ich verstehe«, nickte Bronson und nahm ein Stück Lachs in den Mund. »Du glaubst also immer noch, daß ich bloß Visionen habe, oder nicht, Brad?« Brad legte seine Gabel hin. »Fred, ich wäre der letzte, den du vom Vorhandensein von Wesen wie Semjase überzeugen müßtest. Um Himmels Willen, Mann, ich bin doch kein Heuchler! Ich schrieb bereits über solche Erfahrungen, als es dich noch gar nicht gab!« Fred war von den Beteuerungen seines Freundes nicht überzeugt. »Ich weiß, daß du an die Macht des Rezeptors 208
wie auch an die Materialisierungen von Semjase glaubst. Aber meine interstellaren Reisen auf Semjases Schiff kaufst du mir nicht ab.« »Nein, Fred; ich frage mich nur, ob Semjase diese Erfahrungen nicht einfach simuliert«, fuhr Bronson fort. »Du hast diesen riesigen Bildschirm erwähnt. Wäre es nicht möglich, daß du nur eine sehr realistisch simulierte Reise durch den Raum erlebt hast?« Fred war durch Bronsons alternative Theorie in bezug auf seine kosmische Reise mit Semjase beleidigt. »Für dich ist es schwierig zu glauben, daß solch lange Reisen in so kurzer Zeit stattfinden können.« »Tja, mein Junge«, machte es sich der Autor in seinem Stuhl bequem. »Du sprichst über technische Errungenschaften, die den unsrigen weit überlegen sind ...« »Aber das genau ist es, Brad! Die Plejader sind uns Äonen voraus!« Bronson schwieg für eine Weile, dann füllte er nachdenklich sein Weinglas. »Vielleicht bin ich nur neidisch«, sagte er ehrlich, seine tiefsten Gefühle ausdrückend. »Immerhin widmete ich mein ganzes Leben ...« Fred drückte Bronsons Unterarm mit Empathie. »Niemand auf der Erde kann den Auswahlprozeß verstehen, wer warum für diese Begegnungen auserwählt wird. Wie wir voller theoretisierten, muß es etwas mit Genetik, früheren Leben und der Seelenessenz zu tun haben - aber wer weiß es wirklich?« Bronson nickte nochmals, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er atmete tief ein und begann dann zu lächeln. »Aber ist es tatsächlich so, wie Grunewald vor seinem Tod berichtet hatte? Kümmern sich die Plejader wirklich um uns?« Fred war erleichtert, daß sich die Spannung zwischen ihnen gelöst hatte. »Eindeutig. Semjase spricht oft von der 209
Einheit zwischen Erdlingen und Plejadern. Sie sagt, daß wir alle Zellen im Körper eines größeren Wesens sind. Wenn einige der Zellen krank werden, ist das Wohlbefinden des ganzen Wesens beeinträchtigt.« »Das ist sehr schön ausgedrückt«, lobte Bronson, »aber wenn sie sich schon so lange um uns gekümmert haben und so lange mit uns gewesen sind, weshalb greifen sie denn nicht ein, um uns zu helfen, unsere Probleme auf der Erde zu lösen?« Fred erwiderte, daß jede Hilfe von außen zu dieser Zeit nutzlos wäre. »Unsere Politiker, unsere Wissenschaftler, unsere Geschäftsleute - die Menschheit überhaupt - müssen zuerst realisieren, daß die Erde wirklich in Gefahr ist. Falls wir in diesem Stadium unseres Bewußtseins eine Hilfe bekämen, wäre sie eine wertlose Geste.« »Wertlos?« runzelte Bronson seine Stirn. »Ja, völlig wertlos. Die Hilfe der Plejader würde vielleicht für eine Weile gewisse Zustände hier auf der Erde verbessern, aber sie würde wenig, ja gar nichts tun, um die Umstände, die die Ursache dieser Bedingungen sind, zu verändern.« »Jetzt ist mir klar, was du meinst«, sagte Bronson. »Nicht das, was ich meine«, gab Fred mit einem Lächeln zu. »Auch ich mußte diese Fragen stellen. Semjase sagte mir auch, daß die Menschen auf der Erde kränker werden müßten. Die Lebensbedingungen auf unserem Planeten müßten sich weiter verschlimmern, bis die vielen Menschen, die zum Chaos beigetragen haben, gestorben sind. Die Bewohner der Erde müßten endlich erwachen und realisieren, was passiert ist; sodann müßten sie eigene Anstrengungen unternehmen, um die Lage zu verbessern.« Bronson verstand den Standpunkt der Plejader: »Vielleicht wird die Sensibilisierung auf die Umweltprobleme, 210
die wahrscheinlich mit der Woodstock-Generation begann, dazu beitragen, diese Themen ernster zu nehmen.« Fred fuhr weiter mit Semjases Worten: »Solange irgendwo auf der Erde noch Krieg herrscht, wird dieser Planet keine umfassende Hilfe bekommen. Schau, was heute, 1971, los ist: Der Vietnamkrieg dehnt sich nach Laos und Kambodscha aus. Die Gewalt zwischen Katholiken und Protestanten nimmt zu. Zwischen Indien und Pakistan herrscht Krieg. Und die endlose Zankerei im Nahen Osten scheint kein Ende zu finden. Die Erde muß sich vereinen und ihre seelische Krankheit erkennen.« Fred wußte, daß Bronson von Zyklen fasziniert war, also berichtete er ihm, daß die Plejader den kosmischen 25 827Jahres-Zyklus sehr gut kannten. Während der 12000 Jahre dauernden Dunkelheit kann das endokrine System des menschlichen Körpers nicht auf das Bewußtsein reagieren, das eigentlich jederzeit zur Verfügung steht. Während der 12 000 Lichtjahre hingegen beginnt das endokrine System auf das überphysische Sein und Bewußtsein einzugehen. Bronson schien zu hoffen, daß daraus neue Einsichten gewonnen werden: »Diese zwei Hauptzyklen, die in etwas mehr als 2000jährige Zyklen aufgeteilt sind, stellen die Zeitalter der Tierkreiszeichen dar. Gegen Ende eines Zeichens und eine solche Zeit hat gerade begonnen - ist das Massenbewußtsein gegenüber dem Christus-Bewußtsein empfänglicher. Ich hoffe, daß dem so ist. Ich bete darum, daß diese Tatsache uns zu einem intensiveren Kontakt mit den Plejadern verhilft.« Fred sagte, daß er die Hoffnungen seines Freundes teile. »Aber offensichtlich werden nicht alle Menschen im kommenden positiven Zyklus der nächsten 12000 Jahre erleuchtet. Doch werden von dieser Arbeit 144 000 Seelen in eine höhere Dimension der Realität gehoben.« 211
»Das heißt also«, meinte Bronson freudig, »daß die Plejader uns versprechen, irgendwann einmal mit uns auf gleicher Ebene zusammenzuarbeiten.« »Genau«, bestätigte Fred die Vermutung seines Freundes. »Sie wollen sich mit uns vereinigen. Sie wünschen, daß wir ihre Wahrnehmungsstufe erreichen. Sie hoffen, daß wir so fein wie möglich auf sie eingestimmt sind, wenn wir ihre Schwingungsfrequenz aufnehmen.« Bronson schob seine letzte Portion Lachssteak von sich. »Ich hoffe, daß du mir meine Frage nicht übelnimmst, mein Junge«, begann er und stand auf, um sich auf der bequemeren Couch niederzulassen. »Doch hast du mehrmals betont, daß deine Begegnungen mit Semjase physischer Art waren. Was ich wissen will -, also ich frage mich, ob ihr beiden ... « Fred mußte über Bronsons sichtliches Unbehagen in sich hinein schmunzeln. »Ob wir je zusammen geschlafen haben? Ist es das, was du wissen willst?« Bronson seufzte und wirkte etwas geniert. »Na ja, hast du? Du beschreibst sie ständig als atemberaubend schön<. Und sie scheint dich außergewöhnlich gern zu haben.« »Ich weiß, daß Semjase und ich viele gemeinsame Erfahrungen in vergangenen Leben haben«, sagte Fred und fühlte, wie seine Seelenerinnerung ihn in seinem HerzChakra berührte. »Ich denke, daß das, was wir normalerweise unter >Sex< verstehen, zwischen Semjase und mir in dieser Inkarnation nicht möglich ist. Aber dir, als einem guten Freund, werde ich etwas ganz Persönliches berichten, das nach dem Treffen mit den >Rittern von Atlantis< vor zwei Tagen geschehen ist.« Es war nach sieben Uhr morgens, als Fred endlich im Bett war. Er hatte es sich gerade bequem gemacht, als sich eine angenehm glühende Wärme über seinen Körper ausbreitete. 212
»Semjase?« hatte er in die Dunkelheit des Schlafzimmers gerufen. »Bist du in der Nähe? Ich spüre eine Wärme, die mir neu ist. Irgendwie weiß ich, daß du hier bist.« In diesem Augenblick hörte Fred eine leise, aber deutliche Stimme. Sie war einerseits außerhalb seines Körpers, andererseits in seinem Kopf - auf jeden Fall war sie sehr nahe. »Ja, Fred«, flüsterte ihm Semjase zu. »Ich kann dich hören und sehen. Das hast du heute morgen sehr gut gemacht, mein Lieber. Ich bin stolz darauf, wie du dich gekonnt beherrscht hast.« Er sagte ihr, daß es ihn glücklich mache, ihre Anerkennung errungen zu haben. Andererseits ließ er sie wissen, daß er traurig war, daß er zwar ihre Gegenwart spüren und ihre Stimme hören, sie jedoch nicht sehen konnte. Er wollte gerne wissen, warum dies so sei. »Unsere Technologie ermöglicht uns, mit Hilfe der Kraftkristalle, die überall auf der Welt verstreut sind, Kontaktpersonen wie dich sofort aufzufinden, da ja ihre Seelenmuster in unseren Computern eingegeben sind«, erklärte die Kosmonautin. Semjase erläuterte, daß ein Seelenmuster einem Persönlichkeitsmuster gleiche. Aber anstatt die Spuren eines einzigen Lebens zu beschreiben, zeige das Seelenmuster die Verschmelzung von vielen Inkarnationen. Ein Seelenmuster, so behauptete sie, sei so einzigartig wie ein Fingerabdruck - es gebe keine zwei, die identisch seien. Fred fragte, wo der Zusammenhang zwischen den Kristallen und Computern liege. »Dein Körper ist aus Erde geschaffen«, ließ sie ihn wissen. »Die Elemente in ihm erinnern sich an alle deine Lernprozesse. Wenn du stirbst, geht der Körper zurück zur Erde, und sie speichert deine Erfahrungen. Der universelle Speicher heißt Akasha, und dessen Bewußtsein wächst ständig. 213
Das Reich unserer Kristalle agiert wie eine reinigende Diode für die Intelligenz der Menschheit. Wir haben auf unseren Schiffen >individuelle Zugangsempfängers< mit denen wir die Informationen der Akasha anzapfen können.« Fred erzählte Bronson, daß er die Gegenwart von Semjase immer intensiver wahrnahm, obwohl sie weiterhin unsichtbar blieb. Die Wärme breitete sich immer noch wohlig über seinen Körper aus. »Dann war es, als ob mich ein Blitz getroffen hätte, und ich wußte, daß etwas Mächtiges aus Semjases weiblicher Essenz herausgetreten und in meiner Seele explodiert war. Es war eine totale physische Erfahrung, doch war sie auch auf der geistigen und emotionellen Ebene höchst erfüllend.« Am besten konnte Fred den Energieaustausch mit Semjase noch mit den Praktiken des Tantrismus erklären; einer Vermischung der weiblichen und männlichen Energien auf einer spirituellen Ebene. »Wegen unserer gemeinsamen Erfahrungen in vergangenen Leben und der starken seelischen Bindung zwischen uns war das Zusammenkommen auf einer höheren Ebene sehr intensiv.« Fred gab zu, daß ihm schlicht die Worte fehlten, um einen adäquateren und genaueren Bericht zu geben über die Art, wie Semjase und er sich >geliebt hätten<. »Vielleicht fand es in unseren Astralkörpern statt - mit sexuellen Gefühlen - eine kosmische, tantrische Erfahrung. Es war himmlisch, Brad; echt, ganz und gar göttlich!«
214
Vierundzwanzigstes Kapitel
9. Oktober 1971 Fred Bell hatte seit über drei Monaten keinen Kontakt mehr zu Semjase gehabt, doch war er voll beschäftigt. Mit seinem Dodge-Mobilhome reiste er, begleitet von Kim Kingswold und Eric Powell, von Küste zu Küste und hielt Vorträge über ganzheitliche Gesundheit. Fred befand sich jetzt in einem neuen Lebensabschnitt. Er mußte lächeln, als er sich an den Anruf von Hank Laceo erinnerte. »Fred«, sprach Hank atemlos, »Rockwell will dich jetzt zurückhaben und erst noch mit einem höheren Gehalt und weiter oben auf der Karrierenleiter. Zusätzlich würden sie dir sogar deine >Abwesenheitszeit< voll entschädigen.« Als Fred wissen wollte, weshalb, antwortete Hank: »Sie verloren gestern auf dem Kap die Astronauten Grissom, White und Chaffee. Es scheint, daß das Feuer, in dem sie umkamen, auf einen Schwelbrand in der Elektronik zurückzuführen ist; genau so, wie du es vorhergesagt hast.« Dies war vor vier Jahren gewesen, sagte sich Fred. Und drei gute Männer mußten mit ihrem Leben bezahlen, daß man nicht auf ihn gehört hatte. Es schien ihm wie gestern. Er fragte sich, wie lange die Menschen jetzt brauchen würden, bevor sie ihm glaubten. Und er hoffte, daß nicht vorher der halbe Planet ausgelöscht werden mußte. Mit zunehmender Leidenschaft warnte Dr. Fred Bell davor, daß sich die Welt am Rande des Abgrunds befinde: wegen der Umweltzerstörung sowie der seelischen Degeneration. Dem interessiert lauschenden Publikum demonstrierten die drei, wie jedermann sich selber und seine 215
Umgebung reinigen kann: mit dem atomaren Rezeptor, dem Negativ-Ionen-Generator, der Pyramidenenergie und selbstverständlich mit der richtigen Ernährung. An diesem wunderschönen Oktobertag reisten sie ostwärts durch die Wüste auf der I-40. Sie hatten gerade das Tal verlassen, in dem Albuquerque, New Mexico, liegt, und hinter ihnen ging die Sonne unter. »Oh, Fred«, ließ Kim vom Rücksitz aus verlauten, auf dem sie gerade ein Nickerchen gehalten hatte. »Der Sonnenuntergang ist so malerisch. Könnten wir nicht anhalten und ihn genießen - nur für einige Minuten?« Fred stimmte zu, und Powell lenkte den Wagen auf einen Rastplatz. »Nichts übertrifft diese Wüstensonnenuntergänge«, doppelte sogar Eric nach. Während einiger Minuten standen die drei Freunde in völliger Stille, mit sich und der Welt zufrieden. Fred legte sanft einen Arm um Kims Taille, und sie rückte ein wenig näher. »Weißt du, Fred«, sagte sie ein wenig anklagend, »ich wünschte, du wärest nicht in eine außerirdische Frau verliebt.« Fred lachte auf und drückte sie freundschaftlich. »Du wirst immer meine Seelenschwester bleiben, Kim. Es ist nicht so, wie du denkst. Also ich meine mit Semjase und mir. Aber jetzt kann ich mich nur auf meine Mission konzentrieren. Ich habe für nichts anderes Zeit als für meine Arbeit. Irgendeine Beziehung in diesem Lebensabschnitt anzufangen wäre unfair von mir.« »Wann können wir - Eric und ich - sie treffen?« Fred zog sie näher an sich heran. »Ich habe keine Ahnung, Kim. Bald, hoffe ich. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als daß ihr zwei Semjase kennenlernt.« Ungefähr vier Stunden später, kurz nachdem er das Lenkrad übernommen hatte, war er gleichzeitig erstaunt 216
und überglücklich, als er das bekannte Prickeln im Nacken verspürte, zusammen mit den anderen körperlichen Wahrnehmungen, die zu »Semjases Signalen« zählten. «Biege die nächste rechts ab, mein Lieber, und fahre danach geradeaus weiter, bis ich mich wieder melde. Dann steig aus dem Wagen.« »He, Mann«, nörgelte ein verschlafener Eric Powell, der durch das Rütteln der schlechten Nebenstraße unsanft geweckt worden war. »Bist du in eine Panzerfalle gefahren?« »Aua«, beschwerte sich Kim. »Ich habe meinen Kopf am Fenster angeschlagen!« »Was machst du, Chef«, wollte Eric wissen und blinzelte, um ganz wach zu werden. »Diese Straße ist nur für Pferde und Maultiere gedacht, aber nicht für Mobilhomes.« »Kühl dich ab, Mann«, gab Fred etwas abweisend zurück. »Wir werden ein Treffen mit Semjase haben.« »Willst du damit sagen, daß wir deine Traumfrau von der Venus sehen werden?« rief Powell. »Juhuu!« »Ist es dir Ernst damit, Fred?« fragte Kim, wobei sich widersprechende Gefühle auf ihrem Gesicht abzeichneten. »Ich werde Semjase innert kurzer Zeit treffen«, gab er zurück. »Und ich hoffe, daß ihr zwei sie auch sehen werdet.« Als das metallische Pfeifen in seinem linken Ohr begann, stellte Fred den Motor ab und stieg aus. »Wo ist sie?« Powell machte einen langen Hals und suchte den Himmel ab. »Kannst du ihr Raumschiff sehen?« Plötzlich tauchte ein großes leuchtendes Objekt direkt über ihren Köpfen auf. Als es langsam tiefer kam, sahen sie seine runde Form deutlicher. Es schien eine große Kuppel auf seiner Oberseite zu haben. »Wauh! Oh, wauh! Juppieh!« Powell hüpfte kindisch herum und schrie vor Freude laut auf, wie an dem Tag, an dem Fred den Landgeschwindigkeitsrekord gebrochen hatte. »Mann, dies ist absolut megacool!« 217
Kim begann zu schluchzen. »Oh, Fred, es ist wahr. Und es ist so ... so ... « Bevor jedoch Fred auf die Ausbrüche seiner Freunde eingehen konnte, nahm er leicht enttäuscht wahr, daß bereits das funkelnde blaue Licht seinen Körper umspielte. Sie holte ihn an Bord; und dies bedeutete, daß Kim und Eric Semjase nicht treffen würden. Semjase empfing ihn mit einer warmen Umarmung und einem Begrüßungskuß. »Ich bin sehr stolz auf dich und die Arbeit, die du leistest, mein Liebling. Endlich wird die Tatsache verbreitet, daß euer Planet in Gefahr ist.« »Ich sagte dir ja, daß ich keine Zeit verlieren würde, um mit meiner Mission zu beginnen«, gab Fred zurück. »Deine Freunde sind mit dir hier«, stellte die Kosmonautin fest. »Hm, ja«, meinte Fred zögernd. »Ich ... hoffte so sehr, daß sie dich treffen könnten - oder dich wenigstens sehen.« »Es tut mir leid«, schüttelte Semjase den Kopf, und ihre smaragdgrünen Augen drückten Mitgefühl aus. »Dies ist einfach nicht möglich. Du bist ausgewählt worden und kein anderer. Es ist nicht meine Entscheidung, sondern ein Gesetz des Rats. Falls Kim und Eric mich träfen, so bestünden bald andere deiner Freunde darauf, mich zu sehen, wie zum Beispiel Brad Bronson. Und so würde eine Kette von verfrühten Geschehnissen ihren Anfang nehmen. Wie in allen Dingen«, erinnerte sie ihn, »müssen auch hier Prioritäten gesetzt werden. Verbreite die Botschaft unserer körperlichen Präsenz für einige Auserwählte. Laß deine Mitmenschen wissen, daß wir bereit sind zu helfen, sobald ihr soweit seid. Jetzt, in eurem Erdenjahr 1971, müssen die Massen vor allem auf die mißliche Lage ihrer Umwelt aufmerksam gemacht werden.« »Wäre es nicht möglich, daß allein die Enthüllung eures 218
realen Vorhandenseins die Akzeptanz beschleunigen würde? Daß die Umweltverschmutzung ernster genommen würde, wenn die Menschen wüßten, daß es dich und deine Art wirklich gibt?« argumentierte Fred. »Bist du nicht eine Missionarin mit einer Aufgabe?« Semjase fixierte ihn mit einem ungeduldigen Blick. »Ganz bestimmt nicht. Ich erklärte dir schon einige Male, daß wir keine Missionare seien. Wir sind weder Götter, Engel noch Superwesen. Wir sind ein Teil der Schöpfung, genau wie ihr. Wir lernen Neues mit jedem Atemzug unseres Daseins. Sobald deine Art dies realisiert, können wir eingreifen. Alles, was wir vorher unternähmen, würde eine Abhängigkeit von uns zur Folge haben. Und in dem Moment, wenn dies passierte, würden sich eure religiösen Führer und Regierungen ihrer Autorität beraubt fühlen - das Resultat wäre chaotisch. Die wahre Macht liegt in den Händen der Massen; doch diese waren schon immer durch verschiedenste Autoritäten unterdrückt. Alle diese Unterdrückungen müssen sofort aufhören, und dann können wir anfangen, wirklich mit den Terranern zu arbeiten.« »Ich weiß nicht genau, ob ich nun gerügt oder erzogen werde«, seufzte Fred. »Du Blödmann«, lachte Semjase und streichelte seine Wange mit einem Kuß. »Paß auf, ich habe jemanden mitgebracht, den du kennenlernen sollst.« Sie drückte auf einen Knopf in der Wand. Nach wenigen Momenten glitt eine Tür zur Seite, und eine bezaubernde Kosmonautin mit kastanienbraunem Haar und großen hellblauen Augen betrat den Raum. »Ich möchte dir meine Schwester Flava vorstellen.« Die schöne, in einem silbernen Catsuit steckende Plejaderin schüttelte Freds Hand und küßte ihn auf die Wange. 219
»Ich freue mich, eine unserer Kontaktpersonen zu treffen«, sagte sie mit einer melodischen Stimme, die der von Semjase sehr ähnlich war. »Meine Schwester hat mir viel von dir erzählt.« »Ihr zwei seid Schwestern?« Fred konnte nicht erklären, weshalb er diese Tatsache so unglaublich fand. »Na, komm schon, Fred«, nun war es Semjase, die ironisch wurde. »Wir leben in Familien; genauso wie ihr Erdlinge.« Fred war wegen der Schönheit der zwei Frauen sprachlos. Playa glich Semjase nicht wirklich - außer in ihrer atemberaubenden Erscheinung. »Playa«, insistierte er. »Sei bitte ehrlich. Ist eure Schönheit typisch für deine Familie, oder gehört sie zu der Rasse der Plejader?« Playa antwortete mit einem kleinen Lacher. »Nun, ich denke, daß unser Aussehen zu unserer Welt gehört. Für unsere Leute sind Semjase und ich schlicht durchschnittliche Mädchen.« Fred war immer noch verblüfft. »In meiner Welt würdet ihr zumindest Filmstars werden!« Playa runzelte fragend ihre Stirn. »Filmstars?« fragte sie hänselnd. Semjase schien zu Beginn Spaß am Unverständnis ihrer Schwester zu finden, doch schon nach wenigen Minuten gab sie Erklärungen zu dieser irdischen Erfindung ab. »Fred bezieht sich auf eine alte Illusionstechnik, die auf Zelluloid festgehalten wird und mit deren Hilfe die Erdlinge sich zu vergnügen suchen. In diesen >Filmen< spielen verschiedene Schauspieler verschiedene Rollen. Einige von den Akteuren werden mit der Zeit so berühmt, daß man sie dann Filmstars nennt.« Playa blieb unberührt. »Dies tönt nett«, sagte sie und versuchte tolerant zu erscheinen, »aber ich ziehe unsere dreidimensionalen Realitätsbildschirme vor.« 220
Playa spürte Freds Neugier, und so führte sie ihn in einen Teil des Raumschiffes, der offensichtlich zum Ausruhen gedacht war. Es waren keine Bedienungskonsolen zu sehen, hingegen ein Bildschirm, eine Art Minibühne, die fast einen Meter breit und an die 60 Zentimeter tief war; ihre Höhe reichte bis zur Decke. Als Playa einen kleinen Knopf drückte, war sofort ein dreidimensionales Hologramm zu sehen: Ein Segelschiff aus dem 17. Jahrhundert zerschellte an irgendeiner Küste, und die überlebenden Seeleute versuchten, sich schwimmend ans Ufer zu retten. Fred bemerkte, daß das donnernde Geräusch der aufgepeitschten See wie auch das Pfeifen des Sturmwindes von überall her zu kommen schienen. »Dies ist ein gut gemachter, spannender Film«, gab er zu. Playa erklärte ihm, daß sie keinen Spielfilm sähen. »Fred, wir betrachten ein reales Schiffsunglück, das vor ungefähr 400 Jahren auf deinem Planeten passiert ist. Die Projektion entstammt der sogenannten >Akasha-Chronik<. Die Realität folgt früher oder später der Phantasie - vorausgesetzt, daß ihr genügend Individuen beistimmen.« Jetzt betrat Semjase den Raum und sagte zu ihm: »Wir möchten, daß du mehr von Erra, unserem Heimatplaneten, kennenlernst.« »Aber was ist mit meinen Freunden?« sorgte sich Fred. »Wo sind Kim und Eric?« »Wir haben sie bequem untergebracht«, antwortete Playa. »Sie befinden sich in einer Art erweitertem Animationsprogramm. Sie werden sich nur daran erinnern, einen hellen Stern am Nachthimmel beobachtet zu haben. Mach dir keine Sorgen. Ihnen wird nichts passieren.« Hiervon beruhigt, setzte sich Fred auf die bequeme Couch gegenüber dem Bildschirm. Nach einigen Sekunden sah er einen grünlichen Planeten. »Das ist Erra, unsere Heimat«, ließ ihn Semjase wissen. 221
»Ein wenig kleiner als die Erde«, informierte ihn Flava, »verfügt Erra aber über eine größere Rotationsgeschwindigkeit; entsprechend sind unsere Tage etwas länger.« »Das Verhältnis von Land- zu Wassermasse beträgt 50:50«, fuhr Semjase mit den Erklärungen fort. »Unsere Leute frönen dem Gartenbau. Er ist das Hobby fast der ganzen Bevölkerung.« Als nächstes sah Fred eine typische Stadt auf Erra und war zum erstenmal mit plejadischer Architektur konfrontiert. Die meisten Gebäude waren kreisförmig, einige hatten die Form von Pyramiden, und andere konnte er für sich nur mit muschelförmig umschreiben. Semjase dozierte weiter, daß die Form der Häuser in erster Linie Lärmbeeinträchtigungen vermeiden sollte. Ihre Ingenieure hätten seit langem entdeckt, daß jedes Lebewesen eine größere Lebensspanne hätte, wenn der Lärmpegel seiner Umwelt sich im Gleichgewicht befände. Sogar die Winde auf Erra würden - aufgrund der Formen von Häusern und Brücken - nicht einfach blasen, sondern eine Art von Musik erklingen lassen. Plötzlich war in der linken Ecke des Hologramms eine liebliche Frau zu sehen, die Semjase sehr ähnlich war, außer daß sie etwas älter zu sein schien. »Das ist Rayah«, sagte Playa erfreut. »Sie ruft uns auf dem Kommunikator an und interagiert mit der Projektion des Hologramms.« »Hallo, Mutter«, grüßte Semjase in das Bild. Rayah hatte dieselben smaragdgrünen Augen wie Semjase. »Seid gegrüßt, meine Kleinen. Wer ist das dort mit euch?« »Fred Bell«, stellte ihn Semjase vor. »Er ist eine unserer ganz speziellen Kontaktpersonen auf Terra.« Rayah begrüßte Fred wärmstens und erkundigte sich sodann nach ihrem Ehemann. 222
»Vater arbeitet immer noch auf dem großen Basisschiff«, gab Playa zur Antwort. »Sie befinden sich in der Umlaufbahn von Pluto; das ist ein Planet in Freds Sonnensystem.« »Pluto ist mir bekannt«, gab Rayah leicht genervt zurück. »Aber was tun sie dort?« »Die Befehle des Rates sind beständig, Mutter«, beantwortete Playa ihre Frage. »Sie warten auf die richtige Zeit, den Terranern zu helfen. Die meiste Zeit verbringen sie damit, Kontaktpersonen wie Fred zu beobachten und deren Bewußtsein auf das New Age vorzubereiten; aber sie versuchen auch ganz allgemein, seine Zivilisation auf die Tatsache vorzubereiten, daß außerirdische Lebensformen existieren.« »Schön, sehr gut«, Rayah drückte nur durch einen kleinen Flunsch ihren Mißmut aus. »Ich hoffe, daß ihr Mädchen bald nach Hause kommt. Ich vermisse euch.« Nachdem die zwei versprochen hatten, sie bald zu besuchen, verschwand Rayahs Bild aus dem Hologramm. »Mir scheint, daß alle Mütter im Universum sehr ähnlich sind«, bemerkte Fred mit breitem Grinsen. Nach zustimmendem Gekicher lenkten die Frauen Freds Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. »Es wird dir auffallen, daß keine Polizeisirenen unsere Harmonie stören«, meinte Playa. »Du wirst auch keine hektischen Menschen sehen - keine Autos, keine Busse oder Lastwagen, die giftige Abgase in die Atemluft entlassen. Es herrschen Ruhe und bedachte Bewegungen vor.« Das nächste Bild enthüllte eine sanfte Landschaft, durchzogen von Flüssen und Bächen. Eine helle Sonne war nah, und eine zweite, etwas rötlicher, schien im Hintergrund. »Sehe ich richtig, daß viele Gewässer direkt in einige der Gebäude hineinfließen?« fragte Fred. Semjase informierte ihn, daß die Plejader zwar technisch viel entwickelter als die Erdbewohner seien, daß sie aber 223
trotzdem so naturbezogen wie nur möglich lebten. Fließendes Gewässer, wie zum Beispiel ein Bach, produziere ein Geräusch, das die Nerven beruhige. »Ein Aspekt unserer Langlebigkeit ist auf die Ruhe zurückzuführen, die in unserer Rasse herrscht«, redete Semjase weiter. »Unsere Wohnhäuser, Geschäfte und Fabriken weisen Kristalldächer auf und werden gleichzeitig von fließenden Gewässern durchzogen. Wir können direkt aus ihnen trinken. Wir kennen keine verschmutzten Gewässer. Wir lassen keine Bomben in unserem Himmel explodieren, verbrennen keine fossilen Öle, und unser Abwasser wird in jedem einzelnen Haushalt und Geschäft, in jeder Fabrik direkt geklärt und entsorgt.« Playa erzählte Fred nun, daß die Kinder auf Erra ungefähr sechzig Jahre zur Schule gingen, bevor sie einen Beruf auswählten. Karriere und/oder Heirat begannen durchschnittlich nach dem 125. Lebensjahr. Fred fragte, ob er unter den gegebenen Umständen überhaupt eine Chance hätte, solch ein langes Leben zu erreichen. Semjase und Playa sagten ihm, daß seine Aussichten exzellent seien, falls er sich strikt an gewisse ganzheitliche Praktiken hielte. Mit strenger Disziplin könne er seine Lebenserwartung verdreifachen und gleichzeitig die Auswirkungen des Alterns reduzieren. Auf dem Bildschirm erschienen jetzt verblüffend schöne, mehrfarbige Blumen. Fred hatte noch nie solche regenbogenartig gefärbte Blumen gesehen. Playa vergrößerte eine Blüte, die durch ihre mannigfachen purpurnen und lila Schattierungen auffiel. »Wir arbeiten auch mit Klonen und Speziesinzucht. Die DNS dieser Blume zum Beispiel reagiert auf ultraviolettes Licht, so daß sie ihre Farben je nach Sonnenstand verändert.« »Semjase erzählte mir, daß eure Schiffe zum Teil aus organischen Teilen bestehen«, warf Fred ein. 224
»Ja, das stimmt«, gab Playa zu. »Wir kultivieren die Wurzeln der Pflanzen in Räumen, die mit Musik berieselt werden. So entwickeln sie Resonanzräume in ihrer Struktur, die mathematisch dem entsprechen, was wir als >göttliche Proportionen< bezeichnen. Anschließend behandeln wir die Wurzel mit einem Harz, das deren Zugfestigkeit um das Tausendfache erhöht. Am Ende des Prozesses ernten wir diese neu geschaffenen Strukturen und verwenden sie in verschiedenen unserer Technologien. Der größte Teil unserer Wissenschaft basiert, wie du ja bereits weißt, auf harmonischen und seelenverwandten Schwingungen.« »Aber wie werden diese Organismen in den Computern eurer Raumschiffe angewandt?« fragte er sie. »Du hast doch bestimmt auch schon mal eine Muschel am Strand aufgehoben und sie ans Ohr gehalten, nicht wahr?« meinte Playa. »Nun, Fred, unsere RaumschiffComputer arbeiten auf dieselbe Weise. Bevor sie vom einen Bild zum nächsten >springen<, >hören< sie sich zuerst den Klang des kommenden neuen Bildes an. Ihr Hörmechanismus wird von den Resonanzräumen, die hier auf Erra kultiviert wurden, geleitet.« Fred kam mit Playas Erklärungen nicht zu Rande. »Behauptest du jetzt, daß Ton schneller als Licht ist? Das ist ja das Gegenteil von dem, was unsere Wissenschaftler predigen!« »Mein Lieber«, gab Semjase zurück und mußte wegen Freds sichtlicher Verwirrung lachen, »dies ist ja der Grund, weshalb eure Wissenschaft so rückständig ist!« Er fiel in das Gelächter der zwei Frauen ein und fragte anschließend, wie lange es noch dauern würde, bis die Menschheit das wissenschaftliche und gesellschaftliche Niveau der Plejader erreichte. Semjase meinte, daß der effektive Entwicklungsstand einer Zivilisation am besten durch ihr soziales Engagement 225
gemessen werden könne: Wie - und in welchem Ausmaß wird den Kranken, Invaliden, Alten und Armen geholfen? »Deine Rasse hat noch einen weiten Weg zu gehen, bevor sie erwachsen wird«, sagte Playa, »aber wir werden stets mit euch arbeiten.« »Ist dies ein Versprechen?« wollte Fred wissen. »Ein Versprechen, das wir seit mehreren tausend Jahren aufrecht erhalten«, sagte Semjase ernst, wobei ihre smaragdgrünen Augen mit einer inneren Kraft leuchteten, um die er sie beneidete. »Ein wichtiger Teil unseres Versprechens beinhaltet auch das Fernhalten von unfreundlichen Besuchern aus dem All«, fügte Flava hinzu. »Ja, ich weiß«, seufzte Fred und erinnerte sich an frühere Gespräche mit Semjase. »Nicht alle Sternenwesen sind positive Kreaturen.« »Die Natur der Schöpfung beruht auf dem Gesetz der Polarität. Also müssen stets auch entgegengesetzte Kräfte vorhanden sein«, fügte Semjase hinzu. »Zwischen den Polaritäten existiert ein leerer Raum, in dem Konfusion, also Streit, entsteht. Wachsen und Leiden bilden das Gefälle, aus dem mit der Zeit echtes Bewußtsein entsteht. Solange das menschliche Bewußtsein sich nicht mit dem perfekten Ziel vereinbaren kann, werden immer feindliche oder unharmonische Wesen in der Schöpfung herumirren. Diese Tatsache ist uralt. Das Resultat unserer Erkundungsflüge im Raum ist das Zustandekommen des >Andromeda-Rats<, einer Föderation von verschiedenen Zivilisationen. Sämtliche kriegerischen Rassen, die das Territorium des >Andromeda-Rats< betreten, werden danach genauestens beobachtet und abgeschottet. Diese Sicherheitszonen nennen wir >Begegnungsgebiete<«. »Und was ist mit der Erde?« fragte Fred aufgeregt. 226
»Terra liegt am äußersten Rand einer dieser Sicherheitszonen«, antwortete Playa ehrlich. »Die Erde wird bereits seit langem von bösartigen Außerirdischen bedroht. Sie führen gentechnische Versuche mit Rindern und Schafen durch und entführen Menschen, um mit ihnen zu experimentieren.« Fred fühlte, wie ihm schlecht wurde. »Zu all dem haben wir noch die >Ritter von Atlantis< und andere dämonische Gruppierungen, die versuchen, die Entwicklung des höheren Bewußtseins zu stoppen, das ihr mit uns teilen wollt. Bitte, werdet ihr uns helfen?« »Dies haben wir bereits versprochen«, sagte Semjase und fügte eine gewichtige Aussage hinzu. »Doch wie bereits mehrmals erwähnt, können wir euch dann am besten helfen, wenn ihr endlich beginnt, euch selbst zu helfen. Dies ist auch der Grund, weshalb du in Kontakt mit uns stehst: Du mußt lernen, was getan werden muß, und dieses Wissen an andere Menschen weitergeben.« »Es ist noch so viel Arbeit zu tun, Fred«, sagte Playa nachdenklich. »Aber es bleibt nur wenig Zeit, alles zu erledigen.« Fred zuckte mit seinen Schultern. »Also muß ich die Ärmel hochkrempeln und an die Arbeit gehen!« Semjase kam zu ihm, küßte ihn liebevoll auf die Wange und umarmte ihn. »Du mußt jetzt zu deinen Freunden zurückkehren.« Playa berührte ihn sanft an der Schulter. »Du hast unser Versprechen, Fred.« Als das blaue Licht um ihn herumwirbelte, vernahm er nochmals die Stimme von Semjase. »Bald, mein Lieber, werden wir wieder zusammen sein.« Eric Powell kratzte sich am Kinn und war erstaunt, als er den Abendhimmel erblickte. »Ich glaubte, etwas am Himmel zu sehen. Frag mich auf jeden Fall nicht, was es war.« 227
»Ich sah eindeutig etwas«, argumentierte Kim. »Fred, hast du das Objekt am Himmel gesehen?« »Natürlich«, gab er zurück. »Und es war sehr beeindruckend.« »Fahren wir weiter, Chef?« wollte Eric wissen. »Ja, meine Freunde«, meinte er. »Wir haben noch viel Arbeit zu erledigen.« Als Fred die Tür des Mobilhomes öffnete und sich hinter das Lenkrad setzen wollte, hielt er kurz inne: Er krempelte seine Ärmel hoch und schaute anschließend lächelnd zum Sternenhimmel empor.
Zu den Autoren
Dr. Fred Bell begann seine wissenschaftliche Karriere 1952, im Alter von neun Jahren, mit Arbeiten über selbstregulierende biologische Systeme und anderen Versuchen. Bereits als Teenager erhielt er staatliche Stipendien, um an Themen wie Atomenergie und Teilchenphysik forschen und experimentieren zu können. Noch bevor er zwanzig wurde, arbeitete er bereits bei der amerikanischen Luftwaffe als Ingenieur, und einige Jahre später im Raumfahrtprogramm der NASA, gemeinsam mit Dr. Werner von Braun. Während er Unterweisungen von orientalischen Meistern bekam, wurde er auch von der inzwischen berühmten Plejaderin Semjase kontaktiert. Brad Steiger verfaßte den Bestseller »The Fellowship«, in dem einige von Dr. Beils Erfahrungen beschrieben werden. Da er auch ein talentierter Musiker ist, komponierte Fred Bell »Fellowship«: den Sound, um am Abenteuer der übernatürlichen Chakra-Wahrnehmung durch Raum und Zeit teilzunehmen. Dr. Fred Bell bereist die Welt, gibt Vorlesungen und Konzerte, die auf der Botschaft der Plejader beruhen.
ISBN 3-9520804-3-8