GENA DALTON
FEURIGES VERSPRECHEN
Ihre Leidenschaft für spritzige Rennpferde hat die versierte Journalistin Deborah Re...
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GENA DALTON
FEURIGES VERSPRECHEN
Ihre Leidenschaft für spritzige Rennpferde hat die versierte Journalistin Deborah Renfro geschickt mit ihrem Beruf verbunden, indem sie in regelmäßigen Abständen Trainingstips herausgibt. Und natürlich geht keine große Pferdeauktion in Oklahoma-City vorüber, auf der sie nicht anwesend wäre. Bei einer solchen Veranstaltung lernt sie durch einen Zufall den superreichen, blendend aussehenden Pferdezüchter Randolph Harlan kennen, und das gemeinsame Interesse an dem erfolgversprechenden Fohlen „Dandy" bringt sie miteinander schnell ins Geschäft. Doch auch privat kommen sie sich dabei entscheidend näher, aber eine ganze Reihe von Mißverständnissen und Eifersüchteleien, an denen die äußerst intrigante Valerie Walker entscheidenden Anteil hat, verhindert immer wieder das heißersehnte Happy-End zwischen Deborah und Randolph ...
LOVE AFFAIR erscheint 14täglich in der (£ CORA VERLAG GmbH & Co, Berlin Redaktion und Verlag: Kaiser-Wilhelm-Straße 6, 2000 Hamburg 36, Telefon 040/347 (1), FS 0 Geschäftsführung: Hans Sommer Geschäftsführender Redakteur: Claus Weckelmann (verantwortlich für den Inhalt) Textredaktion/Lektorat: Ilse Bröhl (verantwortlich) Redaktionelle Produktion: Karin Dickhaut (verantwortlich), L.-L.-Stripling, Marianne Schmidt Gestaltung: Traute Bentel Grafik: Otto Dövle-Moe, Renate Lehrke Herstellung: Jürgen Brühl (verantwortlich), Peter Urbanczyk Vertrieb: Gerhard Bergmann (verantwortlich) Anzeigen: Norbert Büttner (verantwortlich) Anzeigen nach jeweils gültiger Anzeigenpreisliste. © by: Gena Dalton Unter dem Originaltitel: „Sorrel Sunset" erschienen bei Silhouette Books, a Simon & Schuster Division of Gulf & Western Corporation, New York. Übersetzung: Helga Meckes © Deutsche Erstausgabe in der Reihe LOVE AFFAIR Band 25 (l 01), 1984 by CORA VERLAG GmbH & Co, Berlin Alle Rechte vorbehalten. LOVE AFFAIR-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden, Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Satz: Ehapa Verlag GmbH, Stuttgart Druck: Ebner Ulm Printed in Western Germany
1. KAPITEL Deborah fühlte sich beobachtet. Sie sah von ihrem Notizbuch auf und blickte prüfend über die Verschlagboxen mit den zweijährigen Reitpferden hinweg zu der Menschenmenge hinüber. Sie sah gutgekleidete Pferdezüchter und Rancher mit breitkrempigen Hüten und schaffellgefütterten Jacken, Cowboys in Jeans und Steppwesten und Stallburschen mit Baseballkappen und Uniformhemden. Es waren auch ein paar Frauen da. Sie waren sehr unterschiedlich gekleidet. Von der Pelzjacke bis zum Westernhemd war alles vertreten. Niemand sah zu Deborah herüber. Dennoch verstärkte sich der Eindruck, daß jemand sie musterte. Schließlich wanderte Deborahs Blick an der blauen Metallwand des Stalles entlang zu der Tür zum Verkaufsring. Dort lehnte ein hochgewachsener breitschultriger Mann. Er hatte den breiten Rand seines Hutes so tief in die Stirn gezogen, daß seine Augen gerade noch sichtbar waren. Sie waren unergründlich und ließen Deborah nicht mehr los. Ein Schauer überlief sie, und sie hielt unwillkürlich den Atem an. Einen langen Moment verhielten sie so, ohne sich zu rühren. Dann richtete der Mann sich zu seiner vollen Größe auf und begann, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Deborah blickte wieder auf ihr Notizbuch, aber die Worte, die sie darauf geschrieben hatte, verschwammen vor ihren Augen. Sie schloß es und ließ es in die große, hellbraune Ledertasche gleiten, die sie über der Schulter trug. Der Blickwechsel hatte sie aufgewühlt. Sie drehte sich um und trat in den Gang zwischen den Verschlagen. Ich muß einfach ein paar Minuten ins Freie, dachte sie. Die kalte Luft wird mich sicher wieder zur Vernunft bringen. Deborah ging um eine Gruppe von Männern in gutgeschnittenen Westernanzügen herum. Mitten auf dem Weg waren sie in ein Gespräch vertieft. Plötzlich hielt sie inne. Der gutaussehende Fremde versperrte ihr den Weg. „Wohin so eilig?" erkundigte er sich gedehnt. Seine Stimme war dunkel und selbstbewußt, und sie paßte zu seinem Aussehen. Deborah sah ihn an und geriet erneut in den Bann seiner Augen. Sie waren von einem ungewöhnlichen Graublau und hoben sich eindrucksvoll gegen seine dichten, schwarzen Wimpern und die braungebrannte Gesichtshaut ab. Sein dunkles Haar trat leicht gelockt unter dem Rand seines hellgrauen Hutes hervor. Die Nähe des Mannes verwirrte Deborah nur noch mehr. Sie wollte etwas sagen, um das Schweigen zwischen ihnen zu brechen, aber sie wußte nicht mehr, was er sie gefragt hatte. Eine Frau stürzte vorbei und stieß Deborah dabei an. Der Fremde griff nach Deborahs Arm und führte sie zum Zaun hinüber. Deborah konnte nicht noch einmal in diese hypnotisierenden Augen sehen. Sie blickte auf seine langen Beine in der grauen Westernhose und auf seine schwarzen Reitstiefel. Sofort ging er langsamer, um es Deborah leichter zu machen, mit ihm Schritt zu halten. „Das dürfte ein tolles Verkaufsergebnis werden", meinte er. „Tom hat immer hervorragende Tiere." Deborah fand ihre Stimme wieder, als ihre Gedanken von dem Mann an ihrer Seite zu den Pferden zurückkehrten. „Kein Wunder, er züchtet ja auch nur mit Pferden von allerbester Abstammung", antwortete sie. „Ja, das stimmt." Ihr Begleiter nickte und steuerte sie am Ellenbogen durch die Menge. Die Berührung jagte ein feuriges Prickeln durch ihre Adern. Seine kraftvollen Finger brannten auf ihrem Arm, als lägen sie auf der nackten Haut und nicht auf dem Stoff ihrer gefütterten Jacke. Ein schwacher Hauch seines herben Rasierwassers streifte sie, als sie sich zu ihm hinüberbeugte, um ihn trotz des Lärms verstehen zu können. „Nehmen Sie zum Beispiel das Fohlen dort drüben", fuhr er in gespielt belehrendem Ton fort. „Es hat in seinem Stammbaum zahlreiche Derby-Sieger." Er lächelte Deborah an und zeigte dabei blendendweiße Zähne. Deborah sah ihn an und fragte sich, was wohl hinter seiner Stirn vorgehen mochte. Deborah wurde erst nach einer Weile bewußt, daß der Fremde eine Antwort von ihr erwartete. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Fohlen zu, von dem er gesprochen hatte. Anfangs fiel ihr nur die kupferrote Färbung des Tieres auf. Es unterschied sich eigentlich nicht von den anderen Pferden, die sie sich an diesem Morgen angesehen hatte. Doch dann drehte sich das Fohlen elegant in der engen Box, und Deborah stutzte. Etwas an diesem jungen Tier war anders, das fühlte sie. Sie musterte es genauer — den kurzgeformten breiten Kopf, den ausgeprägten Brustkasten und das kräftige Hinterteil, das auf gutgebauten Beinen ruhte. Deborah spürte, daß dieses Tier etwas
Besonderes war. Vielleicht lag das an seiner stolzen Kopfhaltung oder dem Kampfgeist in seinen großen Augen. Was immer es war, sie wußte, daß das Tier jene geheimnisumwitterten Eigenschaften besaß, die einen Sieger ausmachten. Sie sah ihren Begleiter an. Er beobachtete sie scharf und blickte zwischen ihr und dem Pferd hin und her. Auf einmal lächelte er und legte dem Fohlen mit einer fast besitzergreifenden Geste die Hand auf den Nacken. In diesem Augenblick wußte Deborah, daß sie dieses Tier haben mußte. Sie mußte es besitzen, es trainieren und seine schlummernden Fähigkeiten und Kräfte zur vollen Entfaltung bringen. Im selben Moment wurde ihr noch etwas anderes bewußt. Der hochgewachsene Mann neben ihr hatte denselben Wunsch. Seine angespannten Gesichtsmuskeln und der Ton, in dem er sprach, bestätigten diese Vermutung. „Sehen Sie mal", sagte er. „Sie und dieses Fohlen gäben ein ideales Paar ab. Sie sind beide Rotfüchse." Deborah hatte Mühe, sich auf seine Worte zu konzentrieren. „O, da bin ich nicht so sicher. Seine Mähne und der Schwanz sind strohgelb." „Aber sein Fell hat die Farbe Ihres Haares — kupferrot." Er betrachtete Deborahs Züge. „Und Sie scheinen beide dünnhäutig und von heißblütigem Temperament zu sein." Er lächelte und ließ den Blick langsam über ihre Gestalt wandern. Ehe Deborah etwas erwidern konnte, ertönte Tom Bradens laute Stimme hinter ihnen. „Die gefällt Ihnen, wie? Dandy machte ihrem Namen alle Ehre. Sie ist hochnäsig, aber von ganz großer Klasse. Sie stammt von Red Dandy und Texas Red ab. Ihr Stammbaum geht bis auf Old Sorrel von der King Ranch und auf Old Red Bück zurück." Tom trat näher und stemmte den Fuß gegen den Verschlag. Dann stützte er sich mit den Ellenbogen auf. „Sie ist noch ein unbeschriebenes Blatt. Leider habe ich nicht genug Leute, um die Tiere alle so zu trainieren, wie ich es gern hätte", erklärte er. „Aber bei dem Stammbaum muß einfach ein Sieger aus ihr werden.“ Deborah blickte in das wettergegerbte Gesicht des alten Freundes ihres Vaters. Ohne zu überlegen, sagte sie: „Tom, ich weiß, in der Anzeige stand, daß das hier eine Auktion mit Barzahlung ist. Aber ich muß dieses Pferd einfach haben! Ich könnte das Geld schon irgendwie auftreiben, wenn Sie mir etwas Zeit ließen. Ginge das?" Tom Braden schob seinen Hut zurück und rieb sich nachdenklich die Stirn. Dann grinste er und legte Deborah den Arm um die Schultern. „Natürlich, Kindchen. Den Gefallen tue ich der einzigen Tochter von Sherman Renfro gern. Ich werde Dandy also eine Weile für Sie zurückhalten." Der gutaussehende Fremde auf Deborahs anderer Seite straffte sich und wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu. Als er sprach, klang seine Stimme hart und rauh. „Deborah? Deborah Renfro? Ist das Ihr Name?" Deborah blickte ihn an, ohne zu antworten. Tom mischte sich ein. „Ich sollte euch wohl erst mal miteinander bekanntmachen. Da ihr hier zusammen bei dem Pferd steht, dachte ich, ihr kennt euch schon. Deborah Renfro, das ist Randolph Harlan." Jetzt war es an Deborah, überrascht zu sein. Verblüfft sah sie den Mann an, der sie noch vor wenigen Augenblicken so verwirrt hatte. In fast sarkastischem Ton erwiderte sie: „Ich hatte mich schon gewundert, was aus Ihnen geworden ist. In letzter Zeit habe ich von Ihnen gar keine Briefe mehr bekommen." „Ich habe eingesehen, daß ich mir die Zeit und das Porto sparen kann", gab er ruhig zurück. „Sie beherzigen meinen Rat ja doch nicht, sondern schreiben immer nur dasselbe unwissende Gefasel." Seine Augen nahmen einen harten Ausdruck an. „Wie kommt eine Frau überhaupt dazu, sich in einer Spalte über das Zureiten von Jungpferden auszulassen, und das dazu noch in einer so angesehenen Zeitschrift wie dem ,Sunbelt Horseman'?" „Eins kann ich Ihnen sagen, Mr. Harlan, ich bin eine bessere Trainerin, als Sie es je sein werden. Sie mögen zu den besten Rennpferdezüchtern in Oklahoma gehören, aber wie man Jungpferde zureitet, davon haben Sie keine Ahnung!" Tom machte ein paar besänftigende Geräusche, um eine Auseinandersetzung im Keim zu ersticken, aber es war schon zu spät. „Hören Sie, meine Liebe", antwortete Randolph ätzend. „Sogar mein alter Collie wüßte, daß man zwischen den einzelnen Trainingstagen nicht eine Woche Abstand läßt. Rennpferde müssen gefordert
und jeden Tag gedrillt werden. Es ist Quatsch, tagelang Zeit zu verschwenden und zu warten, bis sich das Eiweiß im Hirn des Tieres nachgebildet hat oder was für ein Blödsinn das war, den Sie letzten Monat geschrieben haben." Deborah war wütend. Dieser Mensch hatte die Redaktion in den acht Monaten, seit sie ihre Serie schrieb, mit kritischen und abschätzigen Briefen förmlich bombardiert. Und jedesmal hatte er an dem Umstand Anstoß genommen, daß sie eine Frau war. Wie oft hatte sie sich schon gewünscht, diesem Mann zu begegnen, um ihm den Hals umzudrehen. „Das beweist nur, wie wenig Sie wissen", gab sie zurück. „Diese Theorie ist wissenschaftlich untermauert worden. Eine Universitätsuntersuchung hat ergeben, daß Pferde beispielsweise das Springen und Rückwärtsgehen schneller lernen, wenn sie nur einmal in der Woche trainiert wurden. Dieser ,Blödsinn' mit der Eiweißbildung zur Förderung der Lernprozesse ist eine biochemische Tatsache." Bei den Worten „wie wenig Sie wissen" blitzten Randolphs Augen ärgerlich auf. „Nun, Miß Deborah Renfro, dann wollen wir mal sehen, wieviel Sie wissen. Ich gebe Ihnen Gelegenheit, der Welt zu beweisen, daß all die leckeren kleinen Happen, die sie Monat für Monat servieren, sich auch in der Praxis bewähren." Er ballte die Hand zur Faust und ließ sie auf die Einfriedung fallen. „Ich möchte Dandy auch kaufen. Sie scheint mir das Zeug zu einem erstklassigen Rennpferd zu haben. Ich mache Ihnen daher einen Vorschlag. Ich kaufe dieses Fohlen für Sie und bezahle es Tom in bar. Sie sollen Dandy für mich trainieren." Er spannte die Kiefermuskeln und blickte Deborah herausfordernd an. „Sie können dieses Pferd nicht mehr kaufen. Wenn Sie zugehört hätten, wüßten Sie genau, daß ich Dandy bereits gekauft habe!" erwiderte sie spitz. Tom wollte etwas sagen, aber Randolph brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Sie haben versucht, sie zu kaufen", berichtigte er. „Sie haben ein Vorkaufsrecht auf dieses Tier, wenn Sie eine Bank dazu bringen können, Ihnen das Geld zu leihen. Ob Sie genug Geld zusammenbekommen, ist eine andere Sache. Außerdem haben Sie Tom ja noch nicht mal gefragt, wieviel er haben will. Und wir wissen beide, daß Dandy nicht billig sein wird." Deborah schwieg betreten. Randolph Harlans Worte hatten sie getroffen. Es stimmte, daß sie unter Umständen nicht genug zusammenbekam, selbst wenn es ihren angesehenen Namen und die Gewinnaussichten des Pferdes in die Waagschale warf und ihre gesamten Ersparnisse einsetzte. Mit ruhiger,, beherrschter Stimme fuhr Randolph fort: „Allerdings waren Sie vor mir da. Dafür verdienen Sie eine Entschädigung. Ich kaufe Dandy und bezahle die Rechnungen des Tierarztes. Sie brauchen Dandy nur noch nach Ihren wissenschaftlichen Methoden zu trainieren. Bringen Sie sie soweit, daß sie sich für das Zukunftsrennen in Ruidoso Downs am Tag der Arbeit qualifiziert. Wenn sie unter den ersten Dreien ist, gehört sie Ihnen. Wenn nicht, also selbst wenn Dandy an vierter Stelle durch das Ziel geht, bleibt sie mein Eigentum." Deborah stand reglos da und sah in das hartgeschnittene Gesicht, das sie anfangs so anziehend gefunden hatte. Um Randolphs Kinnmuskeln zuckte es, und seine Lippen bildeten einen schmalen Strich. Er war jetzt nicht mehr so aufgebracht, nur noch kalt entschlossen. Deborahs Herz klopfte so stark, daß sie kaum nachdenken konnte. Der Gedanke, daß ihr dieses Pferd möglicherweise nicht gehören würde, war ihr schrecklich. Sie war so spontan überzeugt gewesen, dieses Tier sei für sie bestimmt, daß sie die Vorstellung, darauf verzichten zu müssen, einfach nicht ertrug. Sie stellte sich vor, wie Bob Watson von der Oklahoma City Western Bank wohl reagieren würde, wenn sie zu ihm kam, um Geld aufzunehmen. Wieviel überhaupt... ? Sie wandte sich an Tom Braden. „Tom, wieviel wollen Sie für Dandy haben?" Der Pferdezüchter überlegte. „Nun, mindestens fünfzig müßten es schon sein", antwortete er bedächtig. Fünfzigtausend Dollar! Deborah erschrak. Soviel würde sie niemals aufnehmen können. Mit fünfundzwanzig- oder höchstens dreißigtausend hatte sie gerechnet, aber fünfzigtausend sprengten ihre Grenzen. „Ich weiß, für ein zweijähriges Tier ist das eine Menge Geld", sagte Tom. „Aber bei Dandys Stammbaum ist das ein fairer Preis. Von mütterlicher Seite her gehört Sorrel Jet zu ihren Vorfahren." „Ja, ich weiß", sagte Deborah und blickte verlangend auf das Pferd. Verzweifelt ging sie die verschiedensten Möglichkeiten durch. Wenn Bob ihr die fehlenden fünfunddreißigtausend Dollar nicht gab, würde sie sie von anderer Seite erst recht nicht bekommen. Sicher, ihr alter Freund Jay Adams würde ihr jederzeit zu helfen versuchen, aber sie bezweifelte stark,
daß er dazu überhaupt imstande war. Jay dürfte kaum soviel Geld besitzen, geschweige denn, eine solch horrende Summe verleihen können. Randolph beobachtete sie gespannt und schien zu erraten, was in ihr vorging. „Okay", sagte er. „Sie haben das Geld nicht. Also regeln wir die Sache auf meine Weise." Deborah packte eiskalte Wut. „Kommt überhaupt nicht in Frage! Das Pferd gehört mir! Ich habe ja noch nicht einmal versucht, das Geld aufzunehmen. Woher wollen Sie also jetzt schon wissen, daß ich es nicht aufbringen kann?" „Sie lehnen mein Angebot ab?" Randolphs Miene wurde verächtlich. „Also gut. Vielleicht ist es sogar besser so. Mit ihren komischen Ideen würden Sie dieses erstklassige Pferd doch nur verderben." Er blickte Tom Braden an. „Ich möchte Dandy kaufen, und ich zahle bar", erklärte er sachlich. „Die Entscheidung liegt jetzt bei Ihnen, Tom. Ich zahle den geforderten Preis auf der Stelle, und Sie nehmen Dandy aus der Auktion heraus. Als guter Handelsmann sollten Sie dem Käufer den Zuschlag geben, der Ihre Forderung erfüllt. Ich kann es." Tom Braden sah Randolph nachdenklich an. „Vielleicht", antwortete er ruhig. „Aber ich habe Miß Renfro bereits meine Zusage gegeben. Sie braucht nur etwas Zeit, um das Geld zu beschaffen." „Wieviel Zeit?" wollte Randolph wissen. „Wenn Sie mir gegenüber fair sein wollen, müssen Sie eine Frist setzen." Tom überlegte. „Nun, die Verkäufe vor der Auktion müssen bis heute nachmittag um drei Uhr abgeschlossen sein. Dann führen wir die ersten Pferde durch den Ring." Er blickte schnell auf die Uhr und sah dann durchdringend Deborah an. „Somit bleiben Ihnen fast vier Stunden. Genügt Ihnen das?" „Bis drei schaffe ich es schon", antwortete sie äußerlich sehr gefaßt. „Meine Bank hat bis ein Uhr geöffnet. Ich mache nur noch ein paar Anrufe und gebe Ihnen dann, wenn ich mehr weiß, gleich Bescheid, Tom." Rasch wandte sie sich um und wollte gehen. „Einen Moment!" Randolphs schroffe Stimme hielt sie zurück. „An dieser Sache bin ich schließlich auch beteiligt. Ich würde sagen, wir treffen uns hier alle drei um fünfzehn Uhr wieder." Seine kühlen grauen Augen maßen Deborah von Kopf bis Fuß. „Dann werden Sie vermutlich eher bereit sein, mein Angebot anzunehmen." Sie gab seinen Blick eisig zurück. „Das bezweifle ich stark", erklärte sie großspurig. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging. Deborah steuerte direkt auf Toms Büroraum am anderen Ende des langen Stallgebäudes zu. Eilig bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, ohne jemanden wirklich zu sehen. Tom Bradens Tochter saß allein an einem großen Schreibtisch, der mit Verkaufsformularen und Registrierunterlagen übersät war. „Hallo, Susie", grüßte Deborah. „Ich habe einen sehr dringenden Anruf zu erledigen." Susie bedachte sie mit ihrem gewohnten erfreuten Lächeln. „Setz dich an meinen Platz und nimm mein Telefon", bot sie sofort an. „Ich wollte sowieso gerade zum Essen gehen. Jetzt ist es noch nicht so hektisch dort. Ich schließe das Büro für eine Viertelstunde, dann hast du Ruhe." Sie stand auf. „Danke, Susie, du bist ein Schatz!" Deborah griff nach dem dicken Telefonbuch und blätterte mit bebenden Fingern darin. Sie suchte nach ihrer Bank, konnte sie jedoch nicht finden. Schließlich fiel ihr ein, daß sie unter Western nachgeschlagen hatte statt unter Banken. Endlich hatte sie die Nummer entdeckt. Sie wählte die Vermittlung und ließ sich mit Bob Watson verbinden. Es dauerte einen Moment, bis er sich meldete. „Ja, Deborah? Was kann ich für Sie tun?" „Bob, ich brauche dringend Geld, eine ganze Menge sogar", erklärte sie. „Tatsächlich? Hat man Ihnen eine Ölquelle angeboten oder etwas Ähnliches?" „Nein, Bob. Es handelt sich um ein Pferd. Aber die Chance, daß es viel Geld bringt, ist genauso groß wie bei einer Ölquelle. Dandy ist zwei Jahre alt und wird ganz sicher ein Superrennpferd. Schon der Stammbaum allein garantiert das praktisch. Ich habe das sichere Gefühl, daß sie mal ein Star wird." „Und wieviel brauchen Sie für dieses Wunderpferd, Deborah?" Deborahs Zuversicht sank. Vielleicht hatte sie sich in ihrer Begeisterung doch zu sehr in diese Sache hineingesteigert. Sie zögerte, weil sie die horrende Summe kaum zu nennen wagte. „Fünf... Fünfzigtausend", brachte sie schließlich hervor. Am anderen Ende der Leitung entstand ein Schweigen. Dann hörte sie Bobs Stimme wieder: „Deborah, Sie wissen doch selbst, daß Sie sich nicht so hoch verschulden können. Wie wollen Sie eine solche Summe bewältigen?" „Ich zahle das Geld so schnell wie möglich zurück", erwiderte Deborah rasch. „Dandy wird mir in den
nächsten ein, zwei Jahren das und noch viel mehr einbringen. Sie wissen doch, daß ich meinen Job
beherrsche. Mit meinen Methoden und ihren Fähigkeiten können wir gar nicht verlieren."
„Und was wollen Sie als Sicherheit für die fünfzigtausend Dollar benutzen?"
Deborah versuchte, ihrer Stimme einen selbstbewußten Ton zu verleihen. „Nun, einmal das Pferd
selbst und meinen guten Namen, und dann sind da ja auch noch die Wertpapiere, die Dad mir
hinterlassen hat."
„Ihre Wertpapiere genügen für so ein Darlehen bei weitem nicht, Deborah. Außerdem sollten Sie sie
unter keinen Umständen aufs Spiel setzen. Denn wenn Sie sie verlieren, sind Sie finanziell am Ende.
Auf Ihren Namen würde man Ihnen schon Geld leihen, aber beileibe nicht fünfzigtausend Dollar. Und
was das Pferd betrifft," — der Bankier sprach jetzt sehr eindringlich —, „ein Pferd kann sterben. Es
kann sich beim ersten Rennen schwere Verletzungen zuziehen oder eine Krankheit bekommen." Bob
schwieg einen Augenblick. „Tut mir leid, Deborah — ehrlich." In seiner Stimme schwang aufrichtiges
Bedauern mit. „Ich kann Ihnen soviel Geld einfach nicht geben."
Deborah schössen Tränen in die Augen. „Ich... ich verstehe. Trotzdem — danke, Bob."
„Warum schauen Sie sich nicht nach einem billigeren Pferd um? Suchen Sie ein gutes Rennpferd für
etwa zehntausend Dollar. Dann werde ich sehen, was ich tun kann", meinte Bob aufmunternd.
„Okay. Nochmals, danke."
Deborah legte auf und ließ sich auf dem altmodischen Drehstuhl zurücksinken. Sie fühlte sich leer und
hatte alle Hoffnung verloren.
Warum bist du eigentlich so enttäuscht? rief Deborah sich schließlich zur Ordnung. Du hast doch von
vornherein gewußt, daß Bob dir die fünfzigtausend Dollar nicht geben kann. Das könnte kein Bankier.
Sie lernen auf der Universität, wie man mit Geld umgeht, und dein Ansinnen widerspricht all ihren
Regeln. Deborah erhob sich und streifte sich ihre Umhängetasche wieder über die Schulter. Sie verließ
das Büro und schloß die Tür sorgfältig hinter sich. Langsam ging sie zum Erfrischungsraum in der
Mitte des Gebäudes. Ich kann auf das Pferd nicht verzichten. Ich kann es einfach nicht, arbeitete es in
ihr. Ich muß Dandy haben.
„Kaffee, bitte", sagte sie zu der Bedienung hinter der Theke, als ihr bewußt wurde, daß sie schon eine
ganze Minute dagestanden haben mußte.
Das Mädchen reichte ihr einen dampfenden Becher. Deborah drehte sich um, weil sie sich nach einem
ruhigen Platz umsehen wollte. Dabei bewegte sie sich zu hastig und hätte um ein Haar Kaffee auf den
makellosen hellbraunen Mantel des Mannes hinter ihr geschüttet.
„He, passen Sie auf, wo Sie hingehen, meine Liebe!" meinte er neckend.
Deborah hob den Kopf und erkannte Jay Adams. „Jay!" rief sie überrascht. „Was für ein Zufall! Ich
habe gerade vorhin an dich gedacht."
Ein vergnügtes Schmunzeln breitete sich auf Jays schmalem Gesicht aus. „Das ist die beste Nachricht,
die ich seit langem gehört habe! Seit unserer Kinderzeit in Little Axe wünsche ich mir, daß du an mich
denkst, und plötzlich klappt es! Ich hole mir auch schnell einen Becher Kaffee. Dann können wir uns
irgendwo hinsetzen, und du kannst mir erzählen, wieso ich es endlich geschafft habe."
Sie fanden einen ruhigen Platz an der Wand, wo Deborah sofort mit ihrem Anliegen herausplatzte.
Jay hörte ihr verständnisvoll zu. „Du weißt, daß ich alles für dich tun würde, Deborah. Wenn ich das
Geld hätte, würde ich es dir geben." Er nippte an seinem Kaffee und schüttelte bedauernd den Kopf.
„Im Augenblick ist aber alles, was ich besitze, gebunden. Ein paar Geschäfte sind noch unsicher Luft,
und ich weiß nicht, ob es damit etwas werden wird."
„Schon gut, Jay", sagte Deborah. „Trotzdem, vielen Dank."
Jay trank seinen Kaffee aus und drückte ihr die Schulter. „Tut mir leid, Deborah, aber ich muß gehen.
Ich bin mit dem alten Jennings dort drüben hier, und er macht mir Zeichen, daß er gehen will.
Wahrscheinlich sind diese Preise auch für ihn zu hoch."
„Auf Wiedersehen, Jay. Bis bald."
„Ja, das hoffe ich. Wir sollten uns bald einmal treffen", erklärte er mit Nachdruck. „Du warst ja bei
deiner Arbeit immer so eingespannt, daß ich dich nicht fortlocken konnte. Aber jetzt, wo du endlich
angefangen hast, an mich zu denken, sollten wir die Gelegenheit beim Schopf packen." Er blickte ihr
eindringlich in die Augen und ging zu seinem Freund.
Deborah zerdrückte ihren Pappbecher und warf ihn ärgerlich in den Abfallkasten.
Da hast du's, dachte sie. Jetzt wird er wieder anfangen, mich zu umwerben. Und er wird mir erst
wieder Ruhe lassen, wenn er zum Spielen nach Nevada oder zu einem Ölgeschäft nach Texas fährt
oder sonst irgendeine seiner fixen Ideen in die Tat umsetzt.
Ein kalter Luftzug wehte durch die Tür herein, als eine neue Gruppe von Interessenten in die Kantine kam. Deborah fröstelte. Einen Augenblick lang wußte sie nicht, was sie als nächstes tun sollte. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, daß es erst zwölf war. Da blieben ihr noch drei Stunden Zeit, ehe sie sich mit Tom und diesem schrecklichen Randolph Harlan traf. Nein, solange halte ich es nicht mehr aus, dachte sie. Ich kann hier nicht den halben Nachmittag herumhängen, obwohl ich genau weiß, daß es für mich keine Möglichkeit gibt, Dandy zu bekommen. Am besten, ich gehe Tom suchen und sage ihm, daß ich das Geld nicht auftreiben kann. Dann gehe ich. Er kann dann Harlan Bescheid sagen. Ich will diesen Mann nie wieder sehen! Deborah wußte jedoch nicht, wo Tom zu finden war. Ziellos drängte sie sich durch die ständig wachsende Menschenmenge in den Gängen. Doch dann fühlte sie sich magnetisch von der Box angezogen, in der sich ihr fuchsroter Favorit befand. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie zwei Männer in ernstem Gespräch direkt vor Dandy sah. Sie blieb ein paar Schritte von ihnen entfernt stehen, um zu warten, daß sie gingen. Sie sprachen jedoch weiter und blickten dabei immer wieder auf das Pferd. Einer der beiden drehte sich um und deutete auf das Tier hinter ihr. Sie erkannte Sonny Nelson, einen bekannten Züchter aus Kansas. Auf einmal fühlte sie sich kalt und ausgehöhlt. Sonny kann Dandy kaufen, dachte sie verbittert. Er hat genug Geld. Doch wie ein Keulenschlag traf sie die plötzliche Erkenntnis, daß Randolph Harlan sie bekommen würde. Sonny hatte gar keine Chance mehr. Wenn sie, Deborah, das Fohlen nicht kaufen konnte, war Randolph Harlan der nächste, der ein Anrecht auf das Tier hatte. Dieser eingebildete Mensch würde ihr Pferd bekommen! Endlich gingen die beiden Männer. Deborah trat ganz nah an den Zaun heran. Dandy stand mit dem Hinterteil zu ihr, aber auf ein paar lockende Laute hin wandte das Fohlen sich ihr zu. Es wieherte leise und blickte sie mit seinen großen braunen Augen erwartungsvoll an. Wieder wurde das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit diesem Pferd übermächtig in ihr. Deborah streckte die Hand aus und streichelte sanft seine seidigen Nüstern. Sie blickte lange versonnen auf die Fuchsstute. Im tiefsten Inneren wußte sie bereits jetzt, daß sie Randolph Harlans Angebot annehmen würde. Sie beugte sich über die Box-Einfriedung und flüsterte: „Es geht nicht anders, Dandy. Ich muß dich haben, ganz gleich, unter welchen Bedingungen. Wir müssen uns halt mit diesem unmöglichen Mann abfinden, wenn wir zusammenkommen wollen." Deborah fuhr noch ein paar Minuten fort, leise auf das Pferd einzureden und es zu tätscheln. Dann war ihr Entschluß gefaßt. Erst jetzt war sie imstande, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie holte ihr Notizbuch hervor und stellte fest, daß sie als nächstes einen Käufer von auswärts interviewen wollte. Dieses Gespräch sollte als kurzer Begleitbericht zu dem Hauptartikel über Tom Bradens Jahresauktion erscheinen. Also machte sie sich auf die Suche nach Sonny Nelson. All ihre Gedanken kehrten immer wieder zu ihrem Dilemma zurück. Es kam Deborah wie eine Ewigkeit vor, bis es endlich drei Uhr war. Randolph wartete bereits am vereinbarten Treffpunkt, als sie dort eintraf. Sekunden später kam auch Tom herangeschlendert. Randolph wandte sich ihr mit ausdruckslosem Gesicht zu. „Nun, wie stehen die Dinge? Pferd oder nicht Pferd?" Deborah bedachte ihn mit einem hoheitsvollen Blick. Mit ruhiger Stimme antwortete sie: „Pferd — aber nicht als Besitzerin. Ich werde für Sie arbeiten." Ein befriedigtes Funkeln trat in Randolphs Augen, doch ansonsten verzog er keine Miene. „Gut", meinte er nur. „Ich bestehe aber darauf, daß alles schriftlich festgehalten wird", fuhr Deborah energisch fort. „Ich möchte schwarz auf weiß haben, daß ich allein für Dandys Training zuständig bin. Außerdem erwarte ich, daß Sie sie mir zur Hälfte überschreiben, ganz gleich, ob sie sich bei dem Rennen plaziert oder nicht. Schließlich ist sie noch vollkommen unausgebildet, und ich habe nur wenige Monate, um sie in Form zu bringen." Deborahs Stimme klang gefaßt, aber innerlich zitterte sie. Doch das durfte dieser Randolph Harlan um keinen Preis merken. Energisch fuhr sie fort: „Das Ruidoso-Rennen ist das wichtigste der Vereinigten Staaten. Ich bin sicher, daß wir ziemlich weit vorn liegen werden. Damit würde Dandys Wert enorm steigen. Und natürlich müßte ich daran auf jeden Fall beteiligt sein. Schließlich investiere ich eine Unmenge Zeit
und Arbeit in dieses riskante Unternehmen." Sie konnte nur hoffen, daß sie einigermaßen überzeugend
klang, denn sie wurde mit jeder Sekunde immer nervöser.
Randolph schüttelte den Kopf. „Kommt nicht in Frage. Es bleibt bei meinem anfänglichen Vorschlag.
Ich weiche nicht einen Deut davon ab. Entweder Sie nehmen mein Angebot an, oder Sie lassen es.
Wenn Dandy sich unter den ersten Dreien plazieren kann, ist sie Ihr Pferd. Andernfalls gehört sie mir.
Daß Sie allein für ihr Training zuständig sind, soll mir recht sein. Das hatte ich Ihnen ja gleich zu
Anfang zugesichert." Er blickte Deborah so durchbohrend an, als wolle er lesen, was hinter ihrer Stirn
vorging. „Einverstanden?"
Sie zögerte einen Moment, dann nickte sie.
„Also, abgemacht", erklärte Randolph sofort und streckte ihr spontan die Hand hin.
„Moment, Deborah", mischte Tom sich ein und griff nach ihrem Arm, aber Deborah nahm Randolphs
Hand und schlug ein.
„Warten Sie hier bei dem Pferd", sagte Randolph. „Ich kümmere mich derweil um die Formalitäten."
Deborah antwortete nicht, sondern wandte sich Dandy zu.
Tom war jedoch erst bereit, Randolph in sein Büro zu folgen, nachdem er sich auch vergewissert hatte,
daß mit Deborah absolut alles in Ordnung war. „Wollen Sie das wirklich, Deborah?" erkundigte er
sich ganz vorsichtig.
Sie drehte sich zu ihm um und lächelte tapfer. „Ja, Tom. Ich habe gar keine andere Wahl. Ich habe ihm
mein Wort gegeben und werde es nicht zurücknehmen. Aber machen Sie sich bitte keine Gedanken,
Tom. Ich weiß schon, was ich tue."
Die beiden Männer gingen davon und redeten leise über die Verkaufsformalitäten.
Deborah blieb benommen zurück. Wollte sie wirklich, was sie da eben so großspurig verkündet hatte?
Aber ich weiß doch eigentlich gar nicht, was ich tue, dachte sie.
Wie konnte ich nur in diese Falle tappen? Ausgerechnet von diesem Randolph Harlan lasse ich mir
mein Pferd wegschnappen und mich obendrein auch noch zu so einer idiotischen Wette verleiten! Bis
zu dem Rennen sind es nur noch sieben Monate, und ich werde wie der Teufel schuften müssen, um
Dandy dafür vorzubereiten. Und es kann gut sein, daß ich sie trotz dieser Wahnsinnsarbeit schließlich
doch verliere...
Dandy knabberte sanft an ihren Fingern. Deborah musterte einen Augenblick nachdenklich ihre
erwartungsvoll gespitzten Ohren und die klugen, aufmerksamen Augen.
Eine wilde Entschlossenheit packte sie plötzlich. „Ich werde dich nicht verlieren, Dandy", flüsterte sie.
„Du wirst dich bei dem Rennen nicht nur plazieren, Dandy, du wirst gewinnen!"
2. KAPITEL Es begann zu schneien, als sie Dandy aus dem Stall holten. Es war schon fast dunkel, und der Wind wurde stärker. Er trieb die weißen Flocken gegen den schwarzgrauen Transporter mit dem Pferdeanhänger. Deborah zog sich die Kapuze ihrer grünen Jacke über den Kopf und schloß den Reißverschluß mit einer Hand, während sie mit der anderen Dandys Halfter festhielt. Das Tier tänzelte und schnaubte leise. Randolph Harlan und Lon, sein Verwalter, verluden zwei Zuchtstuten, die Randolph schon vorher gekauft hatte. Dann kamen sie Dandy holen. Sie sprachen beruhigend auf sie ein. Das Fohlen scheute, doch Randolph nahm Deborah einfach das Halfter ab und führte Dandy, unaufhörlich weiterredend, wie selbstverständlich über die Rampe in den länglichen Anhänger. Nachdem er zugesehen hatte, wie Lon die Türen verriegelte, kam er zu Deborah zurück. „Das Wetter scheint schlechter zu werden. Ich fürchte, wir bekommen einen Schneesturm. Möchten Sie nicht doch lieber nach Hause fahren, oder wollen Sie immer noch bei dem Pferd bleiben?" „Ich komme mit. Ich möchte sehen, wohin Sie sie bringen, und ihr helfen, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen", antwortete sie und hielt die Kapuze gegen den Wind zusammen. „So schlimm ist es mit dem Wetter auch wieder nicht. Die Straßen sind noch nicht glatt,, und ich fahre Ihnen einfach nach." „Ehe wir ankommen, werden sie aber glatt sein", gab Randolph zu bedenken. „Lon, warten Sie auf der Straße auf uns. Ich steuere Deborahs Wagen." Lon signalisierte mit einer Handbewegung, daß er verstanden hatte. Dann stieg er in den Transporter und fuhr von der belebten Zufahrt. Deborah blickte Randolph verdutzt an und ließ die Hände sinken. Eine Bö erfaßte ihre Kapuze und wehte Schnee auf ihr kupferrotes Haar. Sie kämpfte gegen den Wind an und versuchte, ihre Kapuze wieder überzuziehen. „Wie kommen Sie darauf, daß ich Sie meinen Wagen fahren lasse?" erkundigte sie sich ungehalten. „Ich kann sehr gut selbst steuern." „Nicht bei diesem Wetter", erwiderte er schroff und nahm ihren Ellbogen. „Nun kommen Sie schon! Wo steht Ihr Wagen? Es wird Zeit." Deborah wollte protestieren, aber sein Ton sagte ihr, daß das vergebens gewesen wäre. Dieser Mann duldete keinen Widerspruch, soviel war ihr klar. Mit gesenktem Kopf kämpften sie gegen den Sturm an und überquerten den Parkplatz. Gleich darauf bestiegen sie Deborahs alten gelben Kombi. Randolph setzte sich hinter das Steuer und schob den Sitz so weit wie möglich zurück, um Raum für seine langen Beine zu haben. Seinen Hut warf er auf den Rücksitz. „Der Wagen ist nichts für große Leute", sagte er. „Man kann nicht einmal seinen Hut aufbehalten. Sie sollten sich ein größeres Gefährt kaufen." Damit ließ er den Motor an. „Das mache ich, wenn ich das Rennen in Ruidoso gewonnen habe", gab Deborah zurück. Sie war wütend, weil er unbedingt selbst fahren wollte und dann auch noch die Frechheit besaß, sich über ihr Auto zu beklagen. Lon wartete am Ende von Tom Bradens Auffahrt auf sie. Randolph winkte ihm zu. Der Transporter und sein Anhänger setzten sich langsam in Bewegung und rollten auf die zweispurige Überlandstraße. Randolph folgte Lon in dem Kombi. Bald machten sie trotz des stärker werdenden Windes und des Schneetreibens gute Fahrt. Deborah schob ihre Kapuze zurück und öffnete den Reißverschluß ihrer Jacke. Sie versuchte, es sich trotz des engen Raumes neben ihrem Widersacher so bequem wie möglich zu machen. Dabei hatte sie sich darauf gefreut, über ihre vertrackte Situation endlich ungestört nachdenken zu können. Jetzt jedoch mußte sie sich mit der Gesellschaft dieses unerträglichen Mannes abfinden. Die Heizung arbeitete auf Hochtouren. Deborah streifte ihre Jacke ab und wünschte, sie könnte sich dieses Pferdezüchters ebenso mühelos entledigen. „Gute Idee", sagte Randolph. Sein umgänglicher Ton überraschte Deborah. Als sie den Kopf wandte, sah sie, daß er ihr seinen Arm hinhielt. „Helfen Sie mir aus der Jacke?" fragte er. „Wenigstens hat das Auto eine gut funktionierende Heizung." Deborah half ihm, den Arm aus dem Ärmel seiner Lederjacke zu befreien, und wollte dasselbe mit dem anderen Ärmel tun. Dabei berührte sie seine Schulter und verspürte plötzlich wieder die seltsame Erregung wie am Morgen, als er sie angesehen hatte. Ihre Hand streifte die seine, als er die Jacke
abstreifte, und es war, als habe sie einen kleinen elektrischen Schlag bekommen. Deborah drehte sich um und legte die Jacke auf den Rücksitz. Sie war durcheinander und wußte selbst nicht, was auf einmal mit ihr los war. Wie konnte es geschehen, daß sie eben noch am liebsten ausgestiegen wäre, um diesen Mann nicht mehr um sich haben zu müssen, und im nächsten Augenblick erbebte sie unter einer winzigen Berührung von ihm? Wie konnte sie ihn aus ganzer Seele hassen und sich gleich darauf wünschen, er würde sie noch einmal ansehen wie bei ihrer ersten Begegnung? Sie setzte sich zurück und sah auf die wirbelnden Flocken im Scheinwerferlicht. Irgendwie geht es mir wie diesen zarten Schneegebilden, überlegte sie plötzlich. Eine Naturgewalt namens Randolph Harlan hat mich ergriffen, und ich bin ihm ebenso hilflos ausgeliefert wie diese weißen Sternchen dem Sturm. Randolph hielt den Blick unverwandt auf die Straße und die nur schwach sichtbare Rückseite des Anhängers vor ihnen gerichtet. Er wirkte entspannt, und seine Stimme klang fast sanft, als er sagte: „Ich mag den Winter. Irgendwie ist er immer wieder eine Herausforderung. Entweder er bringt zuviel Schnee, Eis oder Regen, oder aber er ist zu trocken oder so warm, daß alles aus der Ordnung gerät." Deborah lächelte. „Nun, wenn Sie es so sehen, müßte der Winter Ihre liebste Jahreszeit sein. Sie scheinen selbst auch zu Extremen zu neigen." Randolph warf ihr einen raschen Seitenblick zu und schmunzelte. „Sagen wir es so, Geschäft ist Geschäft, und Vergnügen ist Vergnügen. Versuchen wir, das Beste aus dieser Fahrt zu machen. Es sieht nämlich so aus, als würde sie ziemlich lang werden." Deborah mußte ihm gleich darauf widerstrebend recht geben. Sie waren bisher unglaublich gut vorangekommen, aber als sie die Autobahn erreichten, kam der Anhänger auf der Auffahrt auf einer Eisfläche ins Rutschen. Beide Fahrzeuge mußten das Tempo daraufhin merklich verringern. „Wie weit ist es bis zu Ihnen?" fragte sie. „Noch etwa sechzig Kilometer. Bei dieser Geschwindigkeit brauchen wir dafür möglicherweise zwei Stunden oder mehr.“ „Ich wünschte, wir könnten etwas schneller fahren", antwortete Deborah. „Bis wir ausgeladen haben und ich mich um Dandy gekümmert habe, wird es für meine Heimfahrt sehr spät sein." „Sie fahren heute nicht mehr nach Hause", kam es prompt zurück. „Sie übernachten bei mir." Deborah protestierte. „Aber das geht doch nicht..." „Keine Sorge, es wird eine Anstandsdame da sein. Hettie, meine Haushälterin, wohnt bei mir", erwiderte Randolph belustigt. „Aber ich kann doch gut noch fahren..." Wieder sprach Randolph in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: „Das Wetter ist jetzt schon schlimm genug, und es wird noch gefährlicher werden. Ich lasse Sie nicht allein losfahren, also vergessen Sie die Heimfahrt." Er sagte das so entschieden, daß Deborah schwieg. Es war wohl besser, sich mit der Tatsache abzufinden, daß sie mit diesem merkwürdigen Mann nicht nur in ihrem Wagen gefangen war, sondern auch noch die Nacht mit ihm unter einem Dach verbringen würde. Sie warf einen verstohlenen Seitenblick auf sein Profil, aber er konzentrierte sich auf das Fahren und sagte nichts. Nun, eigentlich bin ich selbst schuld an dieser Entwicklung, dachte Deborah. Ich wollte ja unbedingt mitkommen. Er hat mich ja schließlich gefragt, ob ich nicht lieber heimfahren wolle. Aber wir werden ja sehen, versuchte sie, sich zu trösten, und entspannte sich. Vielleicht hat sich das Wetter gebessert, wenn es Zeit zum Nachhausefahren ist. Sie waren schon eine Weile gefahren, da bemerkte Deborah im Licht der Scheinwerfer, daß aus den Schneeflocken Eiskügelchen geworden waren. Die Straßenoberfläche war vereist. Sie blickte besorgt auf den Anhänger mit Dandy und den anderen Pferden vor ihnen. Da sie jedoch sehr langsam fuhren, beruhigte sie sich wieder. Sie sah Randolph verstohlen von der Seite an. Sein markantes Profil zeichnete sich scharf gegen die Schneelandschaft ab. Wieder spürte sie dieses seltsame Prickeln. Was hatte er eben gesagt? „Ich lasse Sie nicht allein losfahren." Ein so widersprüchlicher Mensch ist mir noch nicht begegnet, dachte sie. Einerseits bekämpft er mich, andererseits beschützt er mich. Schließlich schloß Deborah die Augen und überließ sich dem Gefühl, mit diesem Mann endlos durch die Winternacht zu fahren. Die monotonen Geräusche der Scheibenwischer lullten sie bald ein. Ein Wechsel im Motorrhythmus ließ sie auffahren. Sie blickte auf den Anhänger vor ihnen und stellte fest, daß sie von der Autobahn abbogen. Sie kamen auf eine zweispurige Überlandstraße, auf der der
Anhänger leicht ins Schlingern geriet.
„Ich hoffe, mit den Pferden ist alles in Ordnung", sagte sie beunruhigt.
„Dessen bin ich sicher. Jetzt sind es nur noch wenige Kilometer", antwortete Randolph.
Deborah kam es dennoch wie eine halbe Ewigkeit vor, bis sie die Landstraße verließen und einer
gewundenen schmalen Straße folgten.
„Hier haben wir mehr Schnee als Glatteis", sagte Randolph wie zu sich selbst. „Da kommen wir
leichter den Berg hinauf."
Die Straße stieg stetig an, und obwohl der Transporter ein-, zweimal Schwierigkeiten hatte, bekam
Lon ihn jedesmal wieder rasch in den Griff.
Schließlich hielten sie vor einem riesigen Stallgebäude, dessen Beleuchtung schwach durch den
dichten Flockenschleier schimmerte. Der Schnee fiel jetzt sehr viel stärker und lag schon fast drei
Zentimeter hoch. Deborah und Randolph waren ebenso schnell an der Anhängertür wie Lon.
Dandys rotbraunes Hinterteil wurde sichtbar, als sie die Rampe herunterklappten. Das Fohlen stampfte
unruhig auf der Stelle.
„Laden wir alle drei hier aus", sagte Randolph zu Lon. „Du kannst die Stuten morgen zum großen Stall
rüberbringen." Er wandte sich an Deborah. „Warten Sie hier. Sie können Dandy schon mal in den Stall
führen, während wir die anderen beiden rausholen."
Deborah wartete gespannt auf das Fohlen, das sie in diese verzwickte Lage gebracht hatte. Dandy kam
leise schnaubend aus dem Anhänger und senkte den Kopf gegen das dichte Schneetreiben.
Randolph vergewisserte sich, daß sie das Tier fest am Halfter hielt, ehe er mit Lon die beiden Stuten
holen ging.
Deborah nahm Dandy am Zügel und ging auf die breite Stalltür zu. Dandy folgte ihr brav. Doch kaum
hatten sie ein paar Schritte getan, da traf Deborah mit dem Stiefelabsatz auf eine vereiste Fläche unter
der trügerischen Schneedecke. Deborah glitt aus und verlor das Gleichgewicht. Dandy warf
erschrocken den Kopf zurück und bäumte sich auf. Der Ruck am Zügel riß Deborah zurück. Sie stürzte
der Länge nach auf den verschneiten Boden. Der Zügel entglitt ihrer Hand, und sie rang hilflos nach
Luft.
Eisige Flocken wirbelten ihr ins Gesicht. Deborah konnte sich nicht rühren. Verzweifelt öffnete sie
den Mund. Sie wollte rufen und versuchte, ihre Arme und Beine zu bewegen, aber sie gehorchten ihr
nicht. Es kam ihr vor, als geschähe lange Zeit gar nichts.
Dann war Randolphs Gesicht plötzlich über ihr. Auf seinen Wimpern und seinem Haar glitzerten
Schneeflocken.
„Was ist passiert, Deborah?" erkundigte er sich besorgt. „Haben Sie sich verletzt?" Er hob sie auf und
drückte sie an seine Brust.
Jetzt konnte Deborah wieder atmen. Sie klammerte sich verstört an ihn und holte mehrmals tief Luft.
Erleichtert barg sie das Gesicht an Randolphs Nacken. Seine harten Muskeln gaben ihr ein
wunderbares Gefühl der Sicherheit. So hätte sie ewig bleiben mögen.
Randolphs beunruhigte Stimme drang an ihr Ohr. „Ist alles in Ordnung, Deborah? Sagen Sie doch
etwas!"
Auf einmal zitterte sie am ganzen Körper. Vor Schreck, vor Kälte und in dem Bewußtsein seiner
körperlichen Nähe.
Verstört nickte sie. „Ja", flüsterte sie. „Es ist alles in Ordnung."
„Ich bringe Sie ins Haus", erklärte er bestimmt und ging mit festen Schritten auf ihren Wagen zu.
Sie wollte sich losmachen. „Wo ist Dandy?"
„Dort drüben. Ihr ist nichts passiert. Lon hat sich ihrer angenommen."
Randolph öffnete die Tür und setzte sie in den Wagen. Dann nahm er wieder hinter dem Steuer Platz.
„Ich möchte aber bei Dandy bleiben und ein wenig mit ihr sprechen, damit sie sich leichter
eingewöhnt", protestierte Deborah. „Deswegen bin ich doch überhaupt hergekommen."
„Sie brauchen jetzt erst mal eine heiße Dusche und trockene Kleidung", wischte Randolph ihren
Einwand einfach beiseite. „Vergessen Sie das Pferd fürs erste. Lon wird sich um Dandy kümmern.
Außerdem fahre ich gleich wieder zurück und helfe ihm."
Er ließ den Motor an und lenkte den Wagen auf die Straße zurück. Sie fuhren den Hang wieder hinauf
und hielten nach einer Kurve. Randolph stieg aus und ging um den Wagen herum, um ihr die Tür zu
öffnen.
Deborah stieg zögernd aus. Der eisige Wind erfaßte ihre nasse Hose mit einer Gewalt, die sie
erschauern ließ. Sie mußte sich zwingen, ihre Beine vorwärtszubewegen, als Randolph sie über ein
paar breite Stufen und eine große Terrasse zum Haus führte. Einzelheiten waren in dem dichten Schneegestöber schwer auszumachen, aber Deborah erkannte in dem Stückwerk immerhin den dunklen Bogen einer hölzernen Eingangstür. Dann hatten sie den Wind und die Kälte hinter sich zurückgelassen. Sie betraten eine viereckige offene Diele. Eine Garderobe und ein Stiefelständer säumten die eine Seite des Treppenaufgangs in der Mitte. Von der anderen ging eine lange Bank ab, die bis zur rechten Wand führte. Durch eine Tür rechts neben sich konnte Deborah in die Küche sehen. Zu ihrer Linken öffnete sich ein Raum mit vielen Pflanzen. Randolph zog sie rasch zu der Treppe. „Ich bringe Sie nach oben und zeige Ihnen das Bad. Dort können Sie duschen. Ich fahre zurück und kümmere mich um Dandy." Er führte sie einen breiten Korridor entlang in ein großes Schlafzimmer. Der einladende Kamin in einer Ecke zog Deborahs Aufmerksamkeit sofort auf sich. Am liebsten wäre sie hinübergegangen, um sich an dem prasselnden Feuer zu wärmen, aber Randolph schob sie zur anderen Seite des Raumes. „Benutzen Sie erst mal meine Sachen", sagte er und holte ihr aus dem schweren spanischen Schrank einen Bademantel. „Ich werde Hettie Bescheid sagen, daß sie Ihnen ein Zimmer richtet." Deborah wollte widersprechen, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen. „So seien Sie doch vernünftig. In diesem Zustand können Sie nicht fahren, schon gar nicht, wo man draußen kaum noch die Hand vor Augen sieht." Er wandte sich zum Gehen. „Machen Sie, daß Sie ihre nassen Sachen loswerden, und entspannen Sie sich einfach." Deborah betrat das ganz in Beige und Braun gehaltene Badezimmer. Rasch streifte sie ihre Hose ab, die sich halb vereist anfühlte. Dann zog sie Jacke und Bluse aus. Sie drehte den Warmwasserhahn auf und stellte die richtige Temperatur ein. Mit wenigen Griffen steckte sie ihr Haar mit der langen Spange auf, mit der sie es zurückgehalten hatte. Dann streifte sie ihre Unterwäsche ab und warf sie auf die nasse Kleidung auf dem Boden. Wohlig aufseufzend trat sie unter den herrlich warmen Wasserstrahl. Deborah hatte schon eine ganze Weile unter der Dusche gestanden, als langsam wieder Gefühl in ihre erstarrten Glieder kam. Die Wärme entspannte und versöhnte sie ein wenig mit ihrem Schicksal. Sie blieb so lange unter der Dusche, bis sie sich ganz warm und wohlig fühlte. Dann trocknete sie sich mit dem großen Badehandtuch ab, das sie von einem ordentlich zusammengelegten Stapel am Ende der breiten Ablage genommen hatte. Sie musterte sich in dem Spiegel, der sich über die volle Breite der braungekachelten Ablage hinzog. Nachdenklich löste sie die Spange und ließ ihr volles rotgoldenes Haar offen über die Schultern fallen. Ihre dunkelbraunen Augen waren groß und klar und hatten dichte lange Wimpern. Auch an ihrer geraden Nase und den vollen Lippen war eigentlich nichts auszusetzen. Sie griff nach einem kleinen Handtuch, um die Haarsträhnen zu trocknen, die beim Duschen naß geworden waren. Wie Randolph Harlan mich wohl sieht, überlegte sie. Sie dachte an den Blick, mit dem er sie angesehen hatte, als sie sich noch gar nicht kannten, und die Art, wie er sich auf dem verschneiten Hof über sie gebeugt hatte. Er hatte sie mit Dandy verglichen und sie dabei so seltsam angesehen... Deborah strich sich das Haar glatt und ließ den Blick über ihre wohlgeformten festen Brüste, die schmale Taille, ihre gerundeten Hüften und die schlanken Beine wandern. Ob er dasselbe wie ich empfunden hat, als er mich vorhin in den Armen hielt, schoß es ihr durch den Kopf. Sie betrachtete ihr Spiegelbild noch einen Augenblick länger. Dann schüttelte sie den Kopf und griff nach dem Bademantel, den Randolph ihr gegeben hatte. Was ist nur mit mir los, fragte sie sich. Sie hatte sich noch nie Gedanken über ihr Aussehen gemacht und schon gar nicht darüber, wie sie auf einen Fremden wirken mochte. Dennoch stand sie hier und träumte vor sich hin wie ein Teenager vor der ersten Verabredung. Der Bademantel war ihr viel zu groß, aber da Randolph fast ein Meter neunzig groß sein mußte, während sie es gerade auf einen Meter fünfundsechzig brachte, war das auch kein Wunder. Sie schlüpfte hinein und band den Gürtel fest. Der samtige Stoff fühlte sich angenehm auf ihrer nackten Haut an. Sie ging in Randolphs Schlafzimmer zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, wie betont männlich es eingerichtet war. Die schweren massiven Möbel im spanischen Stil paßten in das Haus. Der Raum war so groß, daß die wuchtigen Stücke darin irgendwie ganz normal wirkten. Deborah überquerte den dunkelroten Teppich, um ihre Hände an das Kaminfeuer zu halten, als eine kleine grauhaarige Frau das Zimmer betrat.
„Hallo, Miß", grüßte sie höflich und kam geschäftig näher. „Ich möchte Ihre Sachen holen, um sie in die Waschmaschine zu stecken." Sie ging zielstrebig ins Bad. Gleich darauf kam sie mit Deborahs Kleidern zurück und blieb freundlich lächelnd stehen. „Bei diesem Winterwetter dürfen Sie auf keinen Fall barfuß herumlaufen", erklärte sie bestimmt. „Warten Sie hier. Ich bringe Ihnen ein Paar von Mrs. Harlans Hausschuhen." Sie legte das Bündel auf den Stuhl beim Fenster und ging zur Tür. „Soll ich Ihnen einen Bademantel holen, der Ihnen besser paßt?" rief sie zurück. „Nein, lassen Sie nur", antwortete Deborah. „Der hier tut's auch." Einen Moment später kam Hettie mit zierlichen, hochhackigen Satinschuhen zurück. „Die sind zwar nicht übermäßig warm", meinte sie in mütterlichem Ton, „aber bei diesen kalten Fußböden sind sie besser als gar nichts. Ich werde Ihnen das Zimmer gegenüber herrichten. Wenn Ihre Sachen trocken sind, lege ich sie Ihnen dort hinein." Hettie nahm die Kleider auf und war verschwunden, noch ehe Deborah in die Pantöffelchen schlüpfen konnte. Während sie sie anzog, durchzuckte sie plötzlich ein Gedanke. Mrs. Harlans Hausschuhe? War Randolph etwa verheiratet? Natürlich, versuchte sie sich einzureden. An diese Möglichkeit hatte sie seltsamerweise noch gar nicht gedacht. Sie verstand selbst nicht, warum dieser Gedanke ihr einen kräftigen Stich versetzte. Deborah ging über die breite Treppe mit dem alten Eichengeländer in die Küche hinunter. Hettie war emsig beim Arbeiten. Es duftete intensiv nach Karotten, Zwiebeln und Rindfleisch, die in einem hohen Kochtopf schmorten. Über allem hing der Duft von frischgebackenem Brot, das auf einem Gestell auf der Anrichte abkühlte. Plötzlich hatte Deborah einen Riesenhunger. Ihr wurde bewußt, daß sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Hettie drehte sich beim Klappern von Deborahs Absätzen um. „Kommen Sie, ich führe Sie ins Wohnzimmer", sagte sie und legte ihren langen Kochlöffel weg. Deborah folgte ihr in einen großen Raum, dem anzusehen war, daß er bereits von mehreren Generationen bewohnt worden war. Der Fußboden bestand aus breiten, dunklen Eichenbohlen, über die Indianerläufer gebreitet waren. Weich gepolsterte Sessel und Sofas waren so um sie herum gruppiert, daß sie gemütliche Ecken bildeten. Deborah ließ sich auf eine schwere, braune Ledercouch sinken, von der aus sie auf den großen Steinkamin mit dem roh behauenen Sims und die hohen Bücherregale blicken konnte, die ihn einrahmten. Die gegenüberliegende Wand bestand aus unterteilten Fenstern. An den übrigen beiden Seiten standen schwere spanische Möbel, zwischen denen ein halbes Dutzend Gemälde mit Westernmotiven hing. Außerdem entdeckte sie in den Vitrinenschränken Bildhauerarbeiten, die Cowboys, Pferde, Rinder und Büffel darstellten. Zwei davon schmückten auch den großen Holzschreibtisch, der bei den Fenstern über Eck stand. Sie glaubte, unter den Skulpturen einen Remington zu erkennen und war fast sicher, bei den Gemälden auch Werke von Russell und Remington bemerkt zu haben, beide sehr berühmte amerikanische Künstler. Aber im Augenblick war sie viel zu erschöpft, um aufzustehen und sie sich näher anzusehen. Hettie brachte ihr einen Kaffee. Deborah trank ihn und blickte in die tanzenden Flammen. Gern hätte sie die Haushälterin über den geheimnisvollen Randolph Harlan ausgefragt, aber ehe sie dazu kam, war diese bereits wieder in die Küche zurückgekehrt. Lautes Stampfen in der Diele verkündete Randolphs Rückkehr von den Ställen. Er schüttelte sich offenbar den Schnee von den Stiefeln. „Das duftet ja verlockend, Hettie", hörte Deborah ihn sagen. „Ich gehe mich waschen, dann können wir im Wohnzimmer essen." Damit stapfte er die Treppe hinauf. Hettie kam gleich darauf zurück. Sie stellte eine Flasche Wein in einen Eiskübel und deckte einen niedrigen runden Tisch am Kamin für zwei. Deborah nippte an ihrem Kaffee und sah verträumt zu, wie Hettie wieder in die Küche zurückging. Der ganze Tag war irgendwie unwirklich gewesen, überlegte sie. Seit dem Augenblick, da diese durchdringenden grauen Augen sie angesehen hatten, waren die merkwürdigsten Dinge geschehen. Sie hatte ihr Traumpferd entdeckt und diesen ungewöhnlichen Mann kennengelernt. Und dann hatte sie sich mit ihm auf diese verrückte Wette eingelassen. Jetzt saß sie hier in seinem Salon und übernachtete obendrein auch noch in seinem Haus. Randolphs dunkle Stimme drang in Deborahs Gedanken ein. Er stand an der Tür und nahm Hettie das beladene Tablett ab. „Laß mich das hineintragen", erklärte er. „Für heute wäre das alles. Jetzt kannst
du dir deine wohlverdiente Ruhe gönnen."
Mit langen, weit ausholenden Schritten trug er das Tablett an den Tisch.
„Alles in Ordnung?" erkundigte er sich aufgeräumt. „Ist Ihnen jetzt warm?" Er setzte die dampfenden
Eintopfschüsseln von dem Tablett auf die gewebten Tischmatten und stellte den Brotkorb daneben.
„Herrlich warm", antwortete sie und wunderte sich, wie gekonnt er den Tisch deckte. Aber vermutlich
hatte er oft kleine intime Abendessen am Kamin, sagte sie sich.
„Wie geht es Dandy?" erkundigte sie sich. „Hat sie sich schon ein wenig an ihre neue Umgebung
gewöhnt?"
„Es geht ihr bestens", versicherte Randolph. „Lon wird sie gut versorgen." Er zog zwei große Kissen
an den Tisch heran und bedeutete Deborah, auf dem einen Platz zu nehmen. Dann ließ er sich auf dem
zweiten nieder.
„Kosten Sie den Eintopf erst mal vorsichtig", warnte er, als Deborah den Löffel zum Mund führte.
„Er schmeckt köstlich", erwiderte sie und hielt im gleichen Augenblick die Luft an. „Was ist denn da
drin?"
„Pfefferschoten. Hettie gibt welche dazu, wenn sie das Fleisch anbrät." Er schmunzelte. „Das ist ein
Rezept, das sie und ich erfunden haben, als ich zehn Jahre alt war."
Deborah blickte ihn erstaunt an. In der Küche konnte sie sich Randolph Harlan eigentlich nicht
vorstellen, ganz gleich, in welchem Alter. „So lange ist Hettie schon bei Ihnen?"
„Ja. Sie hat mich praktisch aufgezogen. Für mich gehört sie fast zur Familie." Randolphs Augen
wurden nachdenklich, und er widmete sich nur noch angelegentlich seinem Essen.
Deborah folgte seinem Beispiel, weil sie vollkommen ausgehungert war.
Als sie mit dem Essen fertig waren, schenkte Randolph Wein nach und streckte sich auf dem langen
Läufer vor dem Kamin aus. Er schob sich sein Kissen unter den Ellbogen und räkelte sich.
Deborah zog ihr eigenes Kissen so herum, daß sie ihm gegenüber saß. Sie zog die Beine an und hüllte
sich wohlig in den viel zu großen Bademantel ein.
Randolph trank von seinem Wein. „Woher haben Sie diese Schuhe?" wollte er wissen. Offenbar
bemerkte er ihre Pantöffelchen erst jetzt.
„Hettie hat sie mir gegeben. Sie sagte, sie gehören Mrs. Harlan."
„Das ist meine Mutter."
„Wohnt sie hier?" fragte Deborah.
„Sie nennt dies hier zwar immer noch ihr Zuhause, aber die meiste Zeit lebt sie in ihrer
Eigentumswohnung in Dallas, oder sie gondelt irgendwo in der Weltgeschichte herum."
Deborah hätte ihm gern weitere Fragen gestellt, aber der endgültige Ton in Randolphs Stimme
veranlaßte sie, das Thema fallenzulassen. Sie nippte an ihrem Wein und war auf einmal irgendwie
verkrampft. Die Gelöstheit von eben war verflogen. Sie drehte den Stiel ihres Glases zwischen den
Fingern und blickte in die dunkelrote Flüssigkeit.
Ohne Vorwarnung hatte Deborah plötzlich wieder die gleiche Empfindung wie am Morgen — das
Gefühl, von einer unwiderstehlichen Macht angezogen zu werden. Langsam hob sie den Kopf.
Randolph hatte den Blick vom Feuer genommen und sah sie unverwandt an. In seinen Augen
spiegelten sich die Flammen wider. Doch da war noch mehr. In ihnen schien eine Glut zu lodern, die
von innen kam. Er schaute sie lange an, ohne etwas zu sagen.
„Komm zu mir", befahl er endlich mit leiser Stimme.
Deborah gehorchte wie unter einem Zwang.
Er strich ihr sanft über das Haar und zog sie an sich. Seine Lippen berührten die ihren sanft, fast
zögernd. Sie trennten sich voneinander, dann küßte er sie erneut.
Wie verzaubert glitt Deborah unter dem Drängen seiner Augen, seiner Hand zu ihm auf den Läufer
hinunter.
Wieder küßte er sie. Mit der Zunge begann er, die Umrisse ihres Mundes zu erkunden. Deborah
erwiderte seine Liebkosungen und öffnete sich ihm nur zu bereitwillig. Sie überließ sich den
erregenden Schauern, die sie durchströmten, und ergab sich der seltsamen Schwäche, die ihren Körper
erfaßte.
Plötzlich löste Randolph seine Lippen von den ihren. Er hielt ihren Kopf zwischen seinen Händen.
Seine Augen nahmen jeden Zug ihres Gesichts auf, als wolle er es sich für immer einprägen. Erst nach
einer Weile ließ er sie los und begann, mit den seidigen Strähnen ihres Haares zu spielen, das der
Feuerschein rot aufschimmern ließ.
„Dein Haar ist wie die Flammen", murmelte er. „Die gleiche Farbe, das gleiche Feuer."
Seine Finger hinterließen eine glühende Spur auf ihrer Wange und ihrem Nacken. Deborah konnte sich weder bewegen noch sprechen, ihm nicht einmal in die Augen sehen. Wieder suchte Randolph ihren Mund, diesmal drängend, verlangend. Deborah antwortete ihm mit bedenkenloser Hingabe. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und verlor sich in der berauschenden Leidenschaft seines Kusses und der Wärme seines muskulösen Körpers. Endlich gab er ihren Mund frei und lehnte sich auf dem Ellbogen zurück. Mit brennenden Augen sah er sie an und berührte mit den Fingerspitzen ihre Lippen, ihren Hals. Dann glitt seine Hand tiefer, unter den Rand des weichen Bademantels zu der zarten Haut zwischen ihren Brüsten. „Ich habe dir heute morgen gesagt, du seist wie eine Fuchsstute, rotbraun und auf die leiseste Berührung ansprechend. Ich wußte es sofort, als ich dich sah. Bei Frauen und Pferden kenne ich mich aus." Seine Worte drangen wie durch einen Nebel in Deborahs Bewußtsein, und sie erstarrte. Was hatte er gesagt? Frauen und Pferde? Eine maßlose Entrüstung packte sie und ließ sie alle Zärtlichkeit, alles Verlangen vergessen. Empört machte sie sich aus seinen Armen los und sprang auf. „Du scheinst dir ziemlich viel einzubilden", stieß sie mit blitzenden Augen hervor und zog ihren Bademantel fest um sich. „Wenn du glaubst, du habest dir zusammen mit dem Pferd eine Frau eingehandelt, hast du dich gewaltig geirrt, mein lieber Randolph!" Deborah kochte vor Zorn, aber ihre Gefühle waren so übermächtig, daß sie sie nicht in Worte kleiden konnte. Mit einem letzten Blick auf sein verdutztes Gesicht drehte sie sich um und stürmte aus dem Zimmer.
3. KAPITEL Deborah rollte sich herum und reckte sich verschlafen. Der Raum war erfüllt von der kalten Luft, die einem Schneesturm folgt. Heller Sonnenschein drang durch die Ritzen der schweren Vorhänge herein. Sie kuschelte sich tiefer unter die warme Bettdecke und ließ sich mit dem Aufwachen Zeit. Mit jeder Stufe des langsamen Erwachens kehrten jedoch beunruhigende Erinnerungen zurück, und bald war es mit ihrer gelösten Zufriedenheit vorbei. Ihre Empörung vom vergangenen Abend kehrte zurück. Sie wünschte von Herzen, Randolph Harlan nicht mehr sehen zu müssen. Aber ich bin ja Gast in seinem Haus, dachte sie unbehaglich. Da kann ich doch nicht einfach verschwinden. Im selben Augenblick fiel es ihr wieder ein: Sie würde ihn in jedem Fall wiedersehen müssen. Mehr noch, sie war für die nächsten Monate an ihn gebunden, ob ihr das paßte oder nicht. Ratlos richtete sie sich halb auf und stopfte sich ein zweites Kissen unter den Kopf. Jetzt galt es erst mal Ordnung in die beunruhigenden Ereignisse des Vortages zu bringen. Randolph ist es gewöhnt, alles und alle um ihn herum zu beherrschen, sagte sie sich. Das merkt man schon an seiner arroganten Art. Doch diesmal soll er eine Überraschung erleben. Ich werde es ihm zeigen! Er wird schnell einsehen, daß ich nicht zu dem Handel gehöre, mit dem er sich gestern das Pferd gesichert hatte. Ich habe ihm das klar genug gesagt, und er wird sich wohl oder übel damit abfinden müssen. Ihr fiel der Ausdruck in Randolphs Gesicht wieder ein, als sie ihm das entgegengeschleudert hatte. Gleichzeitig kehrte die Erinnerung an die verzauberte Hingabe zurück, die sie in seinen Armen erfüllt hatte. Deborah schloß die Augen und setzte sich ruckartig auf. Wie konnte sie nur? Wie hatte sie sich von diesem Mann nur so mühelos einwickeln lassen können? Sie warf die Bettdecke so energisch zurück, als könne sie damit die störenden Gedanken abstreifen. Mit grimmiger Miene schwang sie die Beine aus dem Bett und ging zu dem Kleiderstapel, den Hettie ihr, sauber zusammgefaltet, auf die Truhe neben der Tür gelegt hatte. Sie fror und zog sich rasch an. Dann suchte sie in ihrer Umhängetasche nach der Haarbürste. Mit kräftigen Strichen bürstete sie sich vor dem Frisierspiegel das Haar und nahm es wieder mit der Spange zurück. Ich werde mich Randolph gegenüber jetzt am Morgen kühl und unbeteiligt geben und alles auf rein geschäftliche Art angehen, nahm sie sich vor. Zielstrebig ging sie zu den Vorhängen, die dieselbe Farbe wie der Teppich hatten, und zog sie auf. Überrascht hielt sie inne und blickte mit großen Augen auf die weiße Welt, die sich ihr durch die Glastüren darbot. Trotz der Kälte konnte sie nicht widerstehen, auf den Balkon hinauszutreten. Der Morgen war kristallklar. Während der Nacht waren gut acht Zentimeter Schnee auf den vereisten Boden gefallen, und die Sonne schien strahlend von einem wolkenlosen Himmel. Die Stille war nach dem Heulen des Sturms erquickend, und Deborahs Stimmung hob sich erheblich. Sie schnippte etwas Schnee von dem Eisengeländer und genoß das prickelnde Gefühl an ihren nackten Fingern. Verträumt sah sie zu, wie der Schnee auf die dickbeschneiten Äste der Immergrünbüsche unter ihr fiel. Dann hob sie den Kopf wieder, um den Blick über die herrliche Landschaft schweifen zu lassen. Unterhalb der großen Anhöhe, auf der das Haupthaus stand, erstreckte sich das Ranchgelände kilometerweit. Die zahlreichen Lagergebäude, Ställe und kleineren Häuser irritierten sie anfangs, doch dann entdeckte sie den langen Komplex, in dem sie Dandy zurückgelassen hatten. Jetzt konnte sie sich besser orientieren. Ihr Wagen war nirgends zu sehen. Vermutlich befand er sich in einer der Garagen, die im rechten Winkel zum Haupthaus lagen. Die Ziegeldächer der Garagen und der eingeschossige Seitenflügel des Haupthauses, den sie von ihrem Aussichtsplatz aus sehen konnte, waren von dem gleichen Rostrot wie die endlosen Koppelzäune. Deborahs Blick folgte dem lustigen Muster, das sie auf der endlosen weißen Landschaft bildeten. Auf dem Kamin eines der größeren Häuser in der Ferne stiegen Rauchwolken auf. Dort wohnten sicher Angestellte von Randolph. Vor einem anderen Gebäude fuhr ein Transporter los. Er folgte der Straße um einen der größten Stallkomplexe herum, den Deborah je gesehen hatte. Das mußte das berühmte „Stutenmotel" sein, von dem sie gehört hatte, die Luxusherberge für Stuten, die von den Harlan-Hengsten gedeckt werden sollten. Nun, der Umfang der Stallungen entsprach der Ausdehnung der Ranch und der Größe des Gutshauses, überlegte Deborah. Kein Wunder, daß Randolph es sich leisten konnte, gestern so mir nichts dir nichts
drei Pferde zu kaufen. Sie begann, die Kälte zu spüren, und wandte sich widerstrebend ab. Es war wohl besser, sie ging wieder ins Haus und stellte sich Randolph. Schließlich konnte sie nicht den ganzen Tag auf dem Balkon verbringen, und außerdem wollte sie sehen, wie Dandy sich in ihrer neuen Heimat machte. Der Gedanke an das Pferd erregte Deborah. Sie begann bereits Pläne für das Training zu machen, als sie ins Zimmer zurückging und nach ihrer Jacke und der Umhängetasche griff. Vielleicht sollte sie zu Dandy hinuntergehen und einige Zeit mit ihr verbringen, ehe sie Randolph traf. Doch kaum war sie am Fuß der Treppe angelangt, da rief Hettie ihr von der Küchentür aus lächelnd entgegen: „Hoffentlich haben Sie guten Frühstücksappetit mitgebracht! Kommen Sie am besten gleich mit, und leisten Sie Randolph Gesellschaft. Ich kümmere mich inzwischen um die Eier." Vor Hetties mütterlichem Ton gab es für Deborah kein Entrinnen. Außerdem hätten die verlockenden Düfte, die der Küche entströmten, selbst die größte Pferdenärrin in Versuchung gebracht. Deborah legte ihre Sachen auf der Bank in der Diele ab und folgte Hettie durch die Küche. Die Haushälterin führte sie in ein geräumiges Frühstückszimmer, das die gleiche gemütliche Atmosphäre ausstrahlte wie das Wohnzimmer. Randolph saß am Kopfende eines alten Eichentisches und hatte eine Kaffeetasse und die Morgenzeitung vor sich. Für die Arbeit trug er Jeans und ein Wollhemd, dessen blauweißschwarzes Karomuster seine Augen tiefblau und sein Haar noch dunkler erscheinen ließ. Das große Fenster hinter ihm mit dem blauen Himmel und der Schneelandschaft dahinter bildete genau den richtigen Rahmen für ihn. Bei Deborahs Erscheinen erhob er sich und rückte ihr einen Stuhl zurecht. „Sie sind zu früh auf", meinte er beiläufig, als habe er vergessen, wie sie sich am Abend zuvor getrennt hatten. Sein Arm streifte sie, als sie Platz nahm. Die Berührung schickte ein feines Prickeln durch ihren Körper. Hör auf, ermahnte sie sich. Nach dem, was er gesagt hat, darf ich mich nicht noch einmal von ihm einwickeln lassen! „Ich bin zeitig aufgestanden, weil ich es kaum erwarten kann, Dandy wiederzusehen", erklärte sie betont sachlich. „Es geht ihr gut. Sie hat sich schon eingewöhnt, als sei sie hier geboren", antwortete Randolph und ließ sich in seinen Lehnstuhl zurücksinken. „Sie waren heute schon bei ihr?" erkundigte Deborah sich. Es kam ihr ziemlich blöd vor, daß sie sich wieder siezten. Aber vielleicht war es besser so. Hettie erschien mit heißen Blaubeerwecken und Tellern mit Rührei und Würstchen. Der Gedanke an das Pferd lenkte Deborah von sich und Randolph ab, und sie machte sich mit gutem Appetit über das Frühstück her. „Ich war vorhin unten in den Ställen", sagte Randolph. „Und ich muß gestehen, Dandy gefällt mir heute noch besser als gestern." „Das wußte ich." Deborahs Augen funkelten erregt. „Sie wird ein As werden!" Sie unterhielten sich während des ganzen Frühstücks angeregt über das Pferd und den Schneesturm. Als sie fertig waren und zu Dandys Stall aufbrachen, fühlte Deborah sich in Randolphs Gegenwart fast wieder so unbefangen wie auf der langen Fahrt nach der Ranch. „Heute könnte ich mich Ihrer Philosophie über den Winter fast anschließen", sagte Deborah, als sie in die glitzernde weiße Welt hinaustraten und sich auf den Weg nach unten machten. „Trotz der Kälte ist es schön, im Freien zu sein." „Ja, das geht mir auch so." „Der Schnee auf den Pappeln dort drüben sieht wunderhübsch aus", fuhr sie fort und deutete auf die drei hohen Bäume neben dem Haus. „Aber ich kann mir vorstellen, daß sie eigentlich zu jeder Jahreszeit interessant aussehen." Randolph nickte. „Mein Großvater hat sich ihretwegen diesen Ort für das Haus ausgesucht. Deswegen heißt die Ranch auch Los Arboles, die Bäume." Er schien in Gedanken mit etwas anderem beschäftigt zu sein, und Deborah sagte nichts mehr, während sie durch den frischen Schnee stapften. Randolph nahm ihren Arm, um ihr durch eine besonders verschneite Senke zu helfen. Er ließ ihn auch den Rest des Weges nicht mehr los und führte sie sorgfältig um die Stelle herum, an der sie gestürzt war. Der Druck seiner Finger erinnerte sie daran, wie wunderbar es gewesen war, seine Arme um sich zu spüren. Ob auch er daran dachte? Oder an ihre leidenschaftliche Umarmung vor dem Kamin? Deborah blickte ihn verstohlen von der Seite an, doch in seiner Miene war nichts zu lesen.
Aber unsere Beziehung soll von jetzt ab ja rein geschäftlicher Natur sein, rief sie sich rasch zur Ordnung. „Warten Sie hier, ich hole Dandy", sagte Randolph, als sie das Gehege betraten. Er schloß das Gatter wieder hinter ihnen und bedeutete Deborah, an der Ecke der Umzäunung stehenzubleiben. Dann öffnete er die Stalltür und verschwand in der Dunkelheit. Endlich erschien Dandy. Sie blieb stehen, als sie aus dem Dämmerlicht der Stallungen in den hellen Sonnenschein hinausgetreten war. Deborah hielt bei ihrem Anblick unwillkürlich den Atem an. Das Pferd stand so stolz und würdevoll da, als erwarte es, fotografiert zu werden. Das Licht spielte mit seinem seidigen rötlichen Fell, das die Sonne förmlich aufzusaugen schien. Es blickte hocherhobenen Hauptes und mit wachsam funkelnden Augen in die Runde, und seine Nüstern blähten sich leicht. Dann begann es, in schnellem Trab durch das Gehege zu jagen, um seine neue Umgebung zu erkunden. Randolph tauchte aus dem Stall auf und kam zu Deborah herüber. Sie stand ganz still und verfolgte gebannt Dandys Reaktionen. Sie sprachen nicht und sahen sich nicht an, doch sie gingen gemeinsam in den flüssigen Bewegungen des Fohlens auf, das temperamentvoll am Zaun entlanggaloppierte. „Sie ist das geborene Rennpferd", murmelte Deborah gedankenverloren. „Dandy wird das Rennen gewinnen." „Sie könnte es, wenn sie richtig trainiert wird", schränkte Randolph ein. Deborah warf ihm einen raschen Blick zu, um zu sehen, ob er ihren alten Streit wieder aufwärmen wollte. Doch das schien nicht der Fall zu sein. Er ließ das Pferd auch jetzt nicht aus den Augen und fuhr mit sachlicher Stimme fort: „Ich glaube, wir haben hier alles, was Sie brauchen. Wenn nicht, werden wir es besorgen. Für dieses Pferd ist das Beste gerade gut genug." „Ich werde so bald wie möglich einen genauen Plan aufstellen", antwortete Deborah rasch. Randolph machte eine ungeduldige Handbewegung. „Als erstes sollten Sie sich gleich mal die Stallungen ansehen und entscheiden, wo Sie sie unterbringen wollen", erklärte er. „Ich zeige Ihnen, wo alles ist. Wenn Sie noch irgend etwas brauchen, sagen Sie es. Schließlich ist bis September nicht mehr allzuviel Zeit." Deborahs Magen verkrampfte sich nervös. „Ich weiß", gab sie kurz zurück. „In den nächsten Tagen werde ich alles genau festlegen und entscheiden." Hoffentlich geht es so nicht die ganzen sieben Monate weiter, dachte sie grimmig. Wenn er so weitermacht, werde ich ihm deutlich zu verstehen geben müssen, daß ich die Trainerin bin und keine Angestellte, der er Anweisungen erteilen kann. „Juhuu, Randolph!" rief eine klare Stimme zu ihnen herüber. „Wieso hast du die Straße noch nicht vom Schnee räumen lassen? Es ist nicht nett von dir, deine Besucher durch den Schnee waten zu lassen." Sie drehten sich um und sahen eine schlanke junge Frau auf einem herrlichen schwarzen Wallach, die trotz ihres Vorwurfs in flottem Tempo über die gewundene Straße herauf geritten kam. Sie trug einen großen schwarzen Westernhut und eine dunkelblaue gefütterte Jacke. Als sie näher kam, konnte Deborah erkennen, daß sie außerdem einen darauf abgestimmten weißen Skianzug anhatte. Sie und ihr Pferd zeichneten sich eindrucksvoll gegen die weiße Schneelandschaft ab. Randolph hob grüßend die Hand und ging an den Zaun, um dort zu warten, bis sie herangeritten war. Deborah blickte zu Dandy zurück, die in einer Ecke der Umzäunung stehen geblieben war und mit geblähten Nüstern die kalte Luft einsog. Sie verspürte ein seltsames Nagen in sich. Aber was geht es mich schon an, wer ihn besuchen kommt, sagte sie sich rasch und ärgerte sich über sich selbst. Ich habe mit diesem Mann rein geschäftlich zu tun, mehr ist da nicht. Obwohl sie immer noch zu Dandy hinübersah, lauschte sie auf Randolphs Stimme, als die Reiterin herankam und ihr Pferd zügelte. „Was machst du denn hier draußen im Schnee?" neckte er die Besucherin. „Weißt du nicht, daß dies ein idealer Tag ist, um zu Hause am warmen Kamin zu sitzen?" „Es ist ein idealer Tag für einen Ausritt", widersprach die junge Frau kokett. „Und für eins unserer berühmten Frühstücke." „Deborah, darf ich Sie mit unserer Besucherin bekannt machen?" rief Randolph zu ihr herüber. Deborah drehte sich um und gesellte sich wortlos zu ihm. „Das ist meine Nachbarin Valerie Walker", sagte er. „Valerie, darf ich dir Deborah Renfro vorstellen?" Valerie zog überrascht die Brauen hoch. „Guten Tag", sagte sie zu Deborah gewandt, und blickte sie von ihrem Pferd herunter abschätzend an. „Ich wußte nicht, daß du schon so früh Besuch hast,
Randolph." „Das konntest du auch nicht wissen", antwortete er ruhig. „Wir sind hier, um uns ein neues Pferd anzusehen, das uns gemeinsam gehört, und Pläne zu schmieden, wie wir alle anderen Favoriten beim Ruidoso-Rennen aus dem Feld schlagen." „Laß uns später über Pferde reden", schlug Valerie vor und verzog schmollend den Mund. „Ich bin nach dem langen Ritt zu dir herüber halb verhungert, und du hast mir noch nicht mal eine Tasse Kaffee angeboten." Randolph lachte. „Tut mir leid, daß ich so unhöflich war", erklärte er mit gespielter Zerknirschung. „Steig von deinem hohen Roß herunter, Val. Du bist uns willkommen. Wir haben zwar schon gefrühstückt, aber Hettie wird sich sicher freuen, ein weiteres hungriges Wesen zu füttern." Er kletterte auf den Zaun und schwang sich geschmeidig darüber. Ohne Valeries Antwort abzuwarten, nahm er ihr die Zügel ab und half ihr beim Absteigen. Dann drehte er sich zu Deborah um. „Kommen Sie, Deborah", sagte er und ging am Zaun entlang, um ihr das Gatter zu öffnen. „Gehen wir zum Haus zurück, und geben wir dieser verhungerten Frau etwas zu essen." Deborah hätte sich am liebsten unter einem Vorwand entschuldigt, aber ihr fiel keine glaubwürdige Ausrede ein. Zu dritt machten sie sich bergaufwärts zum Haupthaus auf. Valerie plauderte über ihren Morgenritt, aber insgeheim warf sie immer wieder prüfende Blicke zu Deborah hinüber. Ein junger Mann kam aus einer Tür des langen Stallkomplexes, als sie vorbeigingen. Randolph rief ihn herbei und übergab ihm Valeries Pferd. Er blieb stehen und unterhielt sich mit seinem Chef, während Valerie und Deborah langsam weiterwanderten. „Habe ich richtig gehört, daß Sie und Randolph schon gefrühstückt haben?" fragte Valerie. Sie nahm ihren Hut mit dem weißen Band ab und schüttelte ihr volles Haar aus. Dann unterzog sie Deborah einer erneuten Musterung. Alles an ihr ist vollkommen, dachte Deborah. Die ebenmäßigen weißen Zähne, das schwarze Haar, die leuchtenden dunklen Augen und ihre elegante Kleidung. Sie blickte an ihrer eigenen rotfarbenen Hose und der Steppjacke hinunter, die sie nun schon den zweiten Tag hintereinander trug. Neben Valeries strahlender Erscheinung kam sie sich wie eine Vogelscheuche vor. „Ja...", antwortete sie endlich. „Ja, wir haben schon vor einer Weile gefrühstückt. Aber wir setzen uns gern dazu und trinken eine Tasse Kaffee mit." Valerie bedachte sie erneut mit einem neugierigen Blick. Sie fragt sich, was ich hier mache, dachte Deborah. Genau wie ich mich frage, was sie mit „unseren berühmten Frühstücken" meint. Randolph holte sie ein, als sie das Haus erreicht hatten. „Hettie, hier ist noch jemand, der frühstücken möchte", rief er und hielt den beiden Frauen die Tür auf. Nachdem er ihnen aus den Jacken geholfen hatte, ging Valerie ins Frühstückszimmer voraus, als sei sie hier zu Hause. „Du mußt so bald wie möglich mitkommen und dir den Zaun ansehen, Randolph", sagte sie und setzte sich ganz selbstverständlich rechts neben ihn. „Ich habe nämlich den starken Verdacht, daß jemand die Drähte durchgeschnitten hat und daß ein paar Rinder fehlen." „Du hast zu viele Westernfilme gesehen, Val", erwiderte Randolph belustigt. „Ich habe mir den Zaun angeschaut und das Vieh auch gezählt. Zwei meiner Ochsen sind dort durchgebrochen. Einer deiner Cowboys hat sie auf eurer Weide entdeckt." „Also gut, wenn du das sagst", gab Valerie pikiert zurück. Sie lächelte Hettie an, die einen vollen Teller vor sie hinstellte. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Randolph zu. „Ich dachte nur, wir könnten mal wieder so einen richtig zünftigen Zaunritt zusammen machen", fuhr sie fort und blickte ihm dabei tief in die Augen. Deborah versuchte, Valeries Beziehung zu Randolph auszuloten. Er nannte sie Val, und sie unternahmen offenbar viel gemeinsam. Trotzdem war es schwer zu bestimmen, wie sie zueinander standen. Aber was geht mich das überhaupt an, schalt sie sich. Alles, was ich will, ist diese verrückte Wette gewinnen. Dann gehe ich wieder aus seinem Leben. „Hör auf, dir wegen des Zauns den Kopf zu zerbrechen, und sieh lieber zu, daß du die Mitteilung für das Februartreffen des Reiterverbandes rausschickst", hörte sie Randolph sagen. „Du schiebst die Dinge mal wieder bis zur letzten Minute auf, und dann wunderst du dich, wenn es Probleme gibt." Er blickte zu Deborah hinüber, als wolle er sie in das Gespräch einbeziehen, aber Valerie zwang ihn, ihr wieder seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. „Hör mal, Randolph", erklärte sie und lächelte charmant. „Wann habe ich jemals etwas aufgeschoben, bis es Probleme gab?" Ruhig bestrich sie ein Brötchen mit Butter und biß hinein. „Du weißt, daß ich
meine Pflichten immer sehr ernst nehme, wenn es darauf ankommt." Sie blickte ihm erneut tief in die
Augen und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. „Ich verspreche dir, daß ich die Sachen noch diese
Woche abschicke."
Deborah kam sich vollkommen überflüssig vor. Was soll ich hier eigentlich, fragte sie sich. Warum
bin ich nicht bei Dandy geblieben?
Sie stellte ihre Kaffeetasse ab und wollte aufstehen. „Ich denke, ich gehe jetzt wieder zu Dandy
zurück", sagte sie. „Es ist schließlich wichtig, daß sie sich möglichst rasch an mich gewöhnt."
„Einen Moment noch", bestimmte Randolph. „Wir gehen nachher alle drei wieder zu den Stallungen
zurück. Ich möchte hören, was Valerie von ihr hält."
Seine Worte und sein Ton reizten Deborah nur noch mehr. Doch da Valerie sich jetzt ihr zuwandte,
wollte sie keine Szene machen, indem sie trotzdem ging.
„Sprechen Sie von dem rostbraunen Fohlen?" erkundigte Valerie sich interessiert. „Habe ich vorhin
richtig verstanden, daß das Tier Ihnen und Randolph gemeinsam gehört?"
Alle Achtung, dachte Deborah verblüfft. Valerie hatte bei ihrer Ankunft weiter kein Interesse für ihr
Gespräch gezeigt, und Deborah hatte den Eindruck gewonnen, die schöne Nachbarin habe Dandy
nicht einmal bemerkt. Aber ihr war nichts entgangen.
Deborah zögerte und suchte nach einer Antwort, mit der sie darum herumkam, die Hintergründe ihrer
Abmachung näher zu erläutern. Zu ihrer Erleichterung sprang Randolph in die Bresche.
„Wir sind Partner", erklärte er schlicht. „Wir wollen das Pferd in der kommenden Saison ins Rennen
bringen und sie in Ruidoso plazieren."
Valerie hob überrascht die Brauen. „In Ruidoso?" wiederholte sie ungläubig. „Das muß ja ein
Wunderpferd sein. Und wer trainiert es?"
Deborah gab ihr einen kurzen Überblick über Dandys Stammbaum. Eine Weile unterhielten sie sich
über andere Pferde aus der berühmten Züchtung. Doch als sie sich vom Frühstückstisch erheben
wollten, kam Valerie prompt auf ihre frühere Frage zurück. „Und wer ist ihr Trainer? Wie weit ist
Dandy denn schon?" Randolph ließ sich mit der Antwort Zeit und wartete, bis sie ihre Jacken von der
Garderobe genommen hatten und das Haus verließen. „Nun, Val, die Dinge liegen so", erklärte er
gedehnt. „Sie ist noch ziemlich unerfahren, aber Deborah wird sie schon in Form bringen."
Valerie starrte Deborah fassungslos an. „Sie wollen sie trainieren?" brachte sie endlich hervor. „Und
sie hat bisher noch an keinem Rennen teilgenommen?"
Deborah hielt ihrem Blick ruhig stand. „Erste Frage: Ja", erwiderte sie schlicht. „Zweite Frage: nein."
„Trainieren Sie im Augenblick noch andere Pferde? Wo haben Sie Ihre Ställe?" bohrte Valerie nach.
„Haben Sie denn überhaupt schon mal ein Pferd in Ruidoso laufen gehabt?"
„Mein Vater und ich haben ein Pferd trainiert, das vor vier Jahren dort unter den ersten Dreien war",
antwortete Deborah.
„Sicher hast du schon von ihrem Vater gehört, Val", mischte Randolph sich ein. „Sein Name war
Sherman Renfro."
„Natürlich. Ich glaube, Don hat ihn sogar persönlich gekannt." Sie wandte sich an Deborah. „Don ist
mein verstorbener Mann. Vielleicht sind Sie ihm ja auch schon begegnet, wenn er Ihren Vater gekannt
hat."
„Das glaube ich nicht."
„Sherman Renfro hat ein Pferd von Jim Norman trainiert. Top Deck heißt es, glaube ich...", fuhr
Valerie fort. Sie ging um eine angetaute Pfütze herum und widmete Deborah dann wieder ihre
ungeteilte Aufmerksamkeit. „Das muß das Pferd sein, das Sie meinten. Top Deck hat sich in Ruidoso
plaziert."
„Ja, das ist richtig", stimmte Deborah zu. „Ich habe meinem Vater bis zu seinem Tod vor zwei Jahren
in den Ställen geholfen und auch ein paar Pferde selbst trainiert. Aber einen Stall besitze ich nicht."
Valerie zuckte mit den Schultern. „Nun, Sie müssen ja wissen, was Sie tun. Aber ein unerfahrenes
Pferd für das Zukunftsrennen in Ruidoso trainieren, ist ein ganz schöner Happen."
„Ja, das weiß ich." Wieder begannen Zweifel in Deborah zu nagen. Ich muß es einfach schaffen, sagte
sie sich und versuchte, sich nichts von ihrer Unsicherheit anmerken zu lassen. Ich will Dandy besitzen
und mir von niemandem mehr vorschreiben lassen müssen, was ich mit ihr mache.
Das Füllen stand in einer Ecke des großen Geheges und sah ihnen mit aufgestellten Ohren entgegen.
„Du hast uns kommen gehört, nicht wahr, Mädchen?" meinte Randolph und ging außen am Zaun
entlang zu dem Pferd.
„Sie mag Menschen", sagte er zu Deborah. „Ich bin sicher, daß es leicht sein wird, mit ihr zu arbeiten."
Deborah gesellte sich zu ihm. Sie streckte Dandy die Hand hin, die diese sofort beschnupperte. „Ich weiß, daß sie eine Persönlichkeit ist", antwortete sie lächelnd und betrachtete bewundernd das herrliche Tier, dessen rotgoldenes Fell in der Sonne aufschimmerte. Valerie sah zu den beiden hinüber, die Seite an Seite standen und das Pferd streichelten. Sie runzelte unmutig die Stirn und lehnte sich an den Zaun. Kritisch musterte sie Dandy. „Sie sieht zu gut aus und scheint mehr für das Auge gezüchtet worden zu sein. Ich weiß nicht, ob sie je sehr schnell werden wird." „O, schnell ist sie garantiert, da mache ich mir keine Sorgen", gab Randolph zurück. Er lachte leise. „Ich gebe viel auf dein Urteil, Val, aber sie kann rennen, auch wenn sie mehr wie ein Schaupferd aussieht." Valerie zuckte erneut mit den Schultern, als wollte sie sagen: Wie du willst. Dann erkundigte sie sich bei Randolph, als sei Deborah plötzlich nicht mehr vorhanden: „Wo willst du sie denn trainieren lassen?" „Das machen wir hier", war die kurze Antwort. Deborah zuckte kaum merklich zusammen bei dem „wir". Ich werde es tun, dachte sie ärgerlich. Aber ich trainiere Dandy nur dann hier, wenn sich niemand einmischt. „Du solltest sie lieber zu Cal Lewis bringen", schlug Valerie vor. „Er vermietet Ställe und hat alle Einrichtungen, die du brauchst. Sogar einen Swimming-pool für die Tiere. Und er packt auch selbst mit an, wenn du einen Assistenten benötigst." Deborah war entschlossen, sich als Trainerin durchzusetzen. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht", warf sie mit erzwungener Ruhe ein, obwohl sie Valerie am liebsten gesagt hätte, sie solle sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. „Ich werde nicht so oft hier sein können, wie ich es möchte, und brauche außerdem jemanden, der mit Dandy nach Neu-Mexiko geht. Schließlich kann ich in meiner Redaktion nicht volle zwei Monate Urlaub für Ruidoso bekommen." „Das wird sich schon einrichten lassen", erklärte Randolph mit harter Stimme. „Ich besorge Ihnen einen Assistenten. Wir haben hier auf der Ranch ein paar gute Leute, die dafür geeignet sind." Deborah ballte unwillkürlich die Fäuste. Wenn Valerie nicht dagewesen wäre, hätte sie es mit Randolph jetzt auf einen Kampf ankommen lassen. Sie hatte nicht die Absicht, sich einen Assistenten zuteilen zu lassen. Dandys Training war ihre alleinige Sache! Deborah schwieg, während Valerie von ihren eigenen Pferden und der bevorstehenden Rennsaison plauderte. Ihre Gedanken wanderten zu Dandy und ihrem Training zurück. Sie war überrascht, als der große schwarze Wallach plötzlich auftauchte und Valerie sich verabschiedete. Randolph hielt das Pferd, während seine Besucherin aufstieg. Sie tippte ihm kurz auf die Schulter und übernahm die Zügel. „Danke für das Frühstück. Es war wie immer köstlich", sagte sie mit einem hinreißenden Lächeln und wandte sich dann Deborah zu. „Viel Glück mit Ihrem neuen Pferd!" Trotz des Lächelns fiel Valeries Ton reichlich kühl aus. Fröhlich winkend ritt sie davon. Deborah blickte ihr nach. Das ungute Gefühl, das sie bei Valeries Ankunft empfunden hatte, war plötzlich wieder da. Was bedeutet Randolph diese Frau, fragte sie sich. Wie oft kommt sie hierher? Das Frühstück war köstlich „wie immer" gewesen, hatte sie gesagt... Deborah riß sich gewaltsam aus ihren Grübeleien. Was interessiert es mich, wer Valerie ist oder wieviel Zeit sie hier verbringt, sagte sie sich ärgerlich. Es geht mich nichts an, mit wem Randolph befreundet ist. Doch ihre Gedanken kreisten immer wieder um die schöne Nachbarin. Im Geiste sah sie Valerie plötzlich mit Randolph auf dem Läufer vor dem Feuer. So wie gestern abend. Ich muß fort von hier, dachte sie düster. In den letzten vierundzwanzig Stunden war einfach zuviel geschehen, und sie mußte all das erst einmal verdauen. Sie wandte sich abrupt zu Randolph um, der das Gehege betreten hatte. „Am besten, Sie führen mich hier gleich mal herum", sagte sie sachlich. „Ich muß bald nach Hause." Er blickte sie überrascht an. „Die Straßen sind noch nicht geräumt. Das wird sicher noch bis heute nachmittag dauern. Bis dahin sind Sie mein Gast." „Ich werde schon durchkommen", beharrte Deborah. Panik ergriff sie, als sie in Randolphs Augen sah. Sie wurde plötzlich schwach vor Verlangen nach seinen Liebkosungen. Ich muß den Verstand verloren haben, dachte sie entsetzt. Eben noch will ich, daß er mich und das Pferd in Ruhe läßt, und im nächsten Moment möchte ich in seinen Armen liegen. Randolph begleitete Deborah durch die Stallungen und erzählte ihr von einem anderen Stall, indem sie Dandy unterbringen könne, wenn ihr das lieber sei. Er zeigte ihr den Trainingsring und die
Rennstrecke, die Geschirrund Lagerräume und stellte ihr die Stalljungen vor. Sie versuchte, sich auf seine Worte zu konzentrieren, aber es gelang ihr nur schlecht. „Jetzt muß ich aber gehen", erklärte sie schließlich, als sie aus einem der Ställe in den blendenden Sonnenschein hinaustraten. Randolph sah sie mit einem Blick an, den sie nicht deuten konnte. „Also gut, wenn Sie unbedingt wollen", gab er nach. „Ich werde mit dem Jeep vor Ihnen herfahren und Ihnen bis zur Autobahn den Weg ebnen, so gut es geht. Schätze, dort ist der Verkehr so stark, daß der Schnee schon weitgehend abgefahren ist." Sie gingen zum Haupthaus zurück und sprachen über Dandy. Randolph nannte ihr ein paar von seinen Leuten, die als Assistenten in Frage kamen. Nun, wenigstens scheint er bereit zu sein, mir die Wahl zu überlassen, dachte sie. Sie wollte ihm sagen, daß das allein ihre Angelegenheit sei, aber im Augenblick war sie gefühlsmäßig so aufgewühlt, daß sie einfach nicht die Kraft hatte, sich ihm zu widersetzen. In der Diele wollte Deborah gerade ihre Umhängetasche aufnehmen, als Hettie ihnen aus dem Wohnzimmer zurief: „Telefon für dich, Randolph!" „Kommen Sie mit hinein und setzen Sie sich noch einen Augenblick", sagte er zu Deborah. „Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen. Während Sie warten, können Sie es sich genausogut bequem machen." Sie ließ sich auf der weichen Ledercouch nieder und blickte wie am Abend zuvor in die Flammen. Es kommt mir vor, als sei das schon eine Ewigkeit her, dachte sie verwirrt. Seitdem war so viel geschehen, daß sie wohl nie mehr dieselbe sein würde. Sie merkte, daß Randolphs Stimme ernst wurde, und schaute zu ihm hinüber. Er saß mit starrer Miene hinter dem großen Schreibtisch am Fenster und blickte auf das Gemälde an der Wand, ohne es anscheinend wirklich zu sehen. „Wenn du unbedingt willst", sagte er kühl. „Das mußt du selbst entscheiden." Er klang verärgert und verletzt zugleich. Randolph fuhr sich mit der Hand durch das dichte Haar und nahm geistesabwesend einen bronzenen Briefbeschwerer auf. Er hörte noch einen Augenblick zu und legte dann mit einem knappen „Wiederhören" auf. Sekundenlang saß er reglos da, dann wandte er sich abrupt an Deborah. „Sind Sie soweit?" fragte er. Sie nickte und schaute auf. „Ist etwas?" fragte sie teilnahmsvoll. „Waren das schlechte Nachrichten?" „Meiner Mutter geht es nicht gut", antwortete er schroff. „Sie kommt bald heim." Sein Gesicht war wie versteinert, und seine Stimme klang so abweisend, daß Deborah ihn lieber nicht nach näheren Einzelheiten fragte. Ohne ein weiteres Wort gingen sie zu ihrem Wagen.
4. KAPITEL Deborah schloß die Tür hinter sich und lehnte sich einen Moment dagegen. Sie kam sich in ihrer eigenen Wohnung wie eine Fremde vor, und ihr war, als sei sie sehr viel länger fort gewesen als nur einen Tag und eine Nacht. Die vier Zimmer erschienen ihr nach Randolphs großem Haus auf einmal sehr klein. Sie bedauerte jetzt fast, die Farm verpachtet zu haben, auf der sie aufgewachsen war. Dort hätte ich wirklich Raum zum Atmen gehabt, überlegte sie. „Aber ich hätte gar keine Zeit, eine größere Wohnung oder gar die Ranch in Ordnung zu halten", murmelte sie vor sich hin. Sie legte ihre Tasche auf den kleinen Eichentisch neben der Wohnungstür und ging ins Schlafzimmer. „Ich habe nicht mal genug Zeit, all das zu tun, auf was ich mich eingelassen habe." Sie zog Jacke, Oberteil, Hose und Stiefel aus und betrat das Badezimmer. Dort ließ sie heißes Wasser einlaufen und schüttete Badezusatz hinein. Sie streifte ihre zarte Unterwäsche ab und warf sie in den großen, handgearbeiteten Wäschekorb, den sie in den Ozark-Bergen gekauft hatte. Dann stieg sie wohlig aufseufzend in die Badewanne. Trotz allem war sie froh, wieder in ihren eigenen vier Wänden zu sein. Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen. Erst jetzt hatte sie Zeit, die Ereignisse der letzten Stunden zu verarbeiten. Bereits auf der Rückfahrt in die Stadt war ihr aufgegangen, was ihr bevorstand. Bis zu dem großen Rennen im September, in sieben Monaten also, lag eine Menge harter Arbeit vor ihr. Sie mußte sich mit Dandy so schnell wie möglich vertraut machen und für sie einen maßgeschneiderten Trainingsplan entwickeln. Ich werde anfangs nur einmal wöchentlich mit ihr arbeiten, überlegte sie, ganz gleich, was Randolph davon hält. Donnerstags oder freitags wäre vielleicht am besten. An den Montagen ging es bei ihr immer besonders hektisch zu, und auch in der Mitte der Woche war immer viel los. Der Gedanke an die Montage lenkte ihre Überlegungen auf den nächsten Tag, der noch schlimmer zu werden versprach als sonst. Sie mußte die Artikel über Toms Auktion schreiben, die Zusage für einen neuen Hintergrundbericht einhalten und ihre derzeitige Dressurkolumne ergänzen und überarbeiten. Plötzlich erschien ihr alles zuviel. Sie glitt, so weit es ging, in das schaumige, heiße Wasser hinein und schloß die Augen. Es gelang ihr ein paar Augenblicke lang, alles von sich zu schieben. Doch dann kehrten ihre Gedanken wie unter einem Zwang zu Randolph zurück. Sie versuchte, sein Bild zu verbannen und sich mit dem Pferd und ihrer Arbeit zu beschäftigen, aber vergeblich. Schließlich mußte sie sich eingestehen, daß dieser Mann Gefühle in ihr geweckt hatte, die sie selbst nicht für möglich gehalten hätte. Seltsam, daß sie sich so stark zu ihm hingezogen fühlte. Seit ihrer mißglückten Verlobung mit John Shaw in ihrem letzten College-Jahr hatte sie kein Mann mehr so beeindruckt wie Randolph Harlan. Dabei hatte sie bewußt eine schützende Mauer um sich errichtet und vor allem nach den schrecklichen Ereignissen vor zwei Jahren gedacht, keine tieferen Gefühle mehr entwickeln zu können. Damals war ihre Mutter nach langem schwerem Leiden an Krebs gestorben. Ihr Vater, der vor Schmerz außer sich gewesen war, war kurz darauf bei einem Jagdunglück ums Leben gekommen. Und jetzt hatte Randolph sie innerhalb weniger Stunden eine Palette von Empfindungen durchlaufen lassen, gegen die sie immun zu sein geglaubt hatte. Der Gedanke an ihre Eltern erinnerte Deborah an Randolphs Telefongespräch mit seiner Mutter. Sein Gesicht war dabei so hart, seine Stimme so kalt gewesen, und dennoch hatte sie irgendwie verletzt geklungen... Sie wusch sich und überlegte, wie er wohl zu seiner Mutter stehen mochte. Sie dachte an die enge Verbundenheit mit ihrer eigenen Mutter und wünschte plötzlich, sie könne sich ihr anvertrauen. Ihre Eltern hatten ihr sehr nah gestanden, und sie hatte sich mit ihrem plötzlichen Tod nur schwer abfinden können. Erst in jüngster Zeit hatte sie langsam begonnen, sich ein eigenständiges Leben einzurichten. Eigenständigkeit — das mußte jetzt ihr Motto sein. Sie würde Randolph Harlan nur einen Platz als Geschäftspartner in ihrem Leben einräumen, mehr nicht. Sie würde nicht zulassen, daß er sie beherrschte und wie eine Angestellte herumkommandierte. Deborah stand auf und drehte die Dusche an, um sich die Haare zu waschen. Dann trocknete sie sich ab und wickelte sich in ihr großes, gelbes Badelaken. Nachdem sie ihr Haar trockengefönt hatte, ging sie ins Schlafzimmer zurück. Sie blickte auf die beruhigend tickende runde Mahagoni-Tischuhr, die sie von den Sachen ihrer Eltern nicht zum Einlagern gegeben hatte. Entsetzt stellte sie fest, daß es bereits vier war. Hastig öffnete sie den Kleiderschrank. Wenn sie sich nicht beeilte, würde ihr diese Woche kein einziger freier
Nachmittag zum Arbeiten mit Dandy bleiben.
Deborah streifte einen schwarzroten Morgenmantel und Slipper über. Sie ging in die kleine Küche und
hatte gerade den Teekessel mit Wasser aufgesetzt, als das Telefon klingelte.
Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Ob das Randolph war?
Mit fliegenden Fingern nahm sie den Hörer ab.
„Deborah?" hörte sie eine besorgte Stimme. „Wo bist du nur gewesen? Seit gestern abend habe ich
immer wieder versucht, dich zu erreichen."
Deborahs Pulsschlag wurde wieder normal. „Hallo, Kathy. Ich... ach, ich habe nicht viel gemacht. Ich
habe nur einen umwerfenden Mann kennengelernt und die Nacht bei ihm verbracht."
„Ausgerechnet du!" gab ihre Freundin irritiert zurück. „Hör mal. Ich habe ein ernstes Problem. Ich
habe die Abzüge von dem Creekmore-Ranch-Auftrag entwickelt, und keiner ist wirklich etwas
geworden." Kathys sowieso schon atemlose Sprechweise wurde noch hastiger. „Jetzt weiß ich nicht,
was ich tun soll", fuhr sie fort, ohne Deborahs Antwort abzuwarten. „Ich weiß auch nicht, wo ich mit
meinen Gedanken war, als ich den Belichtungsmesser eingestellt habe."
„Vermutlich bei Bill Conway", gab Deborah trocken zurück. „Du hast an dem Tag mehr Augen für ihn
als für alles andere gehabt."
„Ach, Deborah, hör auf, mich auf die Schippe zu nehmen. Ich sitze in der Tinte." jammerte Kathy.
„Josh wird mich zur Schnecke machen!"
„Jetzt beruhige dich erst mal und laß mich nachdenken... Der Artikel, den ich über Tom Bradens
Auktion schreibe, wird länger, als ich geplant hatte. Ich habe da außerdem noch ein Interview als
Begleitartikel. Und da ich für beide auch ein paar Aufnahmen gemacht habe, können wir den
Creekmore-Artikel vielleicht zusammenstreichen und einfach auf Fotos verzichten."
Deborah mußte lächeln, als sie Kathys erleichterten Seufzer hörte.
„Wir werden Josh gleich morgen früh darauf ansprechen", entschied Deborah.
Kathy war außer sich vor Freude. „Danke, Deborah, du bist ein Schatz! Ich wußte, daß du eine Lösung
finden würdest!" Ihre Stimme wurde etwas ruhiger. „He, wollen wir irgendwo einen Hamburger essen
gehen? Dann kannst du mir erzählen, was du an diesem Wochenende wirklich gemacht hast."
„Das würde ich gern tun, Kathy, aber ich muß meine Notizen für die beiden Artikel noch zu einem
Rohentwurf verarbeiten, sonst vergesse ich womöglich, worum es ging", antwortete sie. „Wie wär's,
wenn wir statt dessen morgen zusammen frühstücken?"
„Einverstanden", kam es prompt zurück. „Im ,Surrey House'?"
„Ja. Sagen wir um sieben?"
„Okay. Bis morgen also." Kathy legte auf.
Deborah hängte den Hörer wieder an die Gabel des Wandtelefons und füllte das Tee-Ei mit ihrem
Lieblingstee. Dann goß sie das kochende Wasser darüber und schüttelte den Kopf über sich selbst. Sie
hatte doch tatsächlich geglaubt, daß Randolph sie anrief...
Sie holte ihr Notizbuch aus der Umhängetasche und trug es zusammen mit dem dampfenden
Teebecher zu ihrer Schreibmaschine beim Fenster. Einen Augenblick blickte sie in die
hereinbrechende Dämmerung hinaus.
„Ich muß aufpassen, sonst lenkt mich der bloße Gedanke an Randolph Harlan genauso ab, wie das bei
Kathy mit Bill Conway der Fall war", murmelte sie vor sich hin.
Sie erschauerte leicht, als sie an seine Umarmung dachte. Rasch setzte sie sich hin und schob ein Blatt
in ihre Maschine. Es war besser, Randolph Harlan aus ihren Gedanken zu verbannen.
„Ich glaube einfach nicht, daß das wirklich die Wahrheit ist", sagte Kathy und warf ihr langes, blondes
Haar zurück. Mit ihrer üblichen Kameraausrüstung bepackt, betrat sie zusammen mit Deborah am
Montagmorgen das Redaktionsgebäude.
„Aber du wirst mir glauben müssen", antwortete Deborah lächelnd und hielt ihrer Freundin die
schwere Glastür auf. „Warum sollte ich einen gutaussehenden Mann extra für dich erfinden?"
Beim Frühstück hatte sie Kathy von den Ereignissen des Wochenendes ausführlich berichtet. Nur die
Küsse vor dem Kamin und die Gefühle, die sie in ihr ausgelöst hatten, hatte sie unterschlagen. Darüber
konnte sie nicht einmal mit Kathy sprechen, und außerdem war das sowieso bedeutungslos. Ihre
Beziehung zu Randolph war rein geschäftlicher Natur. Hier ging es ausschließlich um Dandy und um
ihren guten Namen und die Zeit und Mühe, die sie in die Arbeit mit dem Pferd stecken wollte. Denn
schließlich war es ihr Ziel, das herrliche Tier eines Tages allein zu besitzen.
„Nun komm schon, Träumerin!" rief Kathy Deborah zu, die gedankenverloren in der marmornen
Eingangshalle des Gebäudes zurückgeblieben war.
Deborah beschleunigte den Schritt und folgte ihrer Freundin in den großen Bürotrakt, in dem der „Sunbelt Horseman" untergebracht war. „Hallo, Nan", grüßte Deborah die elegant gekleidete grauhaarige Frau hinter dem Schreibtisch im Vorzimmer. „Ist Josh schon da?" „Nicht nur da, er trinkt bereits seine erste Tasse Kaffee", antwortete die Sekretärin lächelnd. „Wollen Sie ihn sprechen?" „Ja. Kathy und ich müssen dringend etwas mit ihm bereden, sobald wir diesen Kram hier abgelegt haben", erwiderte Deborah. Kathy verzog das Gesicht. Die Vorstellung, Josh mit ihren Patzern schon so früh am Morgen kommen zu müssen, schmeckte ihr gar nicht. Langsam folgte sie Deborah, um ihre Fotoausrüstung loszuwerden. Wenig später saßen sie in den alten, aber bequemen Sesseln, die Josh trotz der kürzlichen Umgestaltung der Büros unbedingt hatte behalten wollen. Der Redakteur begrüßte sie mit einem Lächeln und meinte kopfschüttelnd: „Da muß es ja um eine weltbewegende Sache gehen, wenn ihr zwei Hübschen am Montagmorgen gleich als erstes bei mir hereinschneit." „Nun, direkt weltbewegend würde ich es eigentlich nicht nennen", antwortete Deborah betont gleichmütig. „Wir wollen Ihnen nur berichten, was wir erreicht haben, und ein paar Änderungsvorschläge machen." Josh paffte an seiner Pfeife, ein Zeichen, daß er bereit war, zuzuhören. Deborah gab ihm eine kurze Zusammenfassung des Artikels über Tom Bradens Auktion und des Begleitinterviews mit Sonny Nelson. Dann warf sie beiläufig ein, sie habe auch ein paar Fotos geschossen, die sich da recht gut machen würden. „Sie scheinen ja ganze Arbeit geleistet zu haben", bemerkte Josh anerkennend. „Aber dafür werden Sie mehr Platz brauchen, als wir eigentlich vorgesehen hatten." „Nun, wir haben uns überlegt, daß wir dafür doch den Creekmore-Bericht kürzen könnten", warf Kathy ein. „Vielleicht könnten wir ihn ohne Bilder bringen." Josh nickte und dachte über den Vorschlag nach, ohne sich jedoch festzulegen. Deborah versuchte, ihn zu einer Entscheidung zu bringen. „Hören Sie, Josh, schließlich war Toms Auktion die wichtigste der Saison. Insgesamt dürften dabei rund eine Million Dollar den Besitzer gewechselt haben. Die Pferde, die auf der Auktion verkauft wurden, werden bald zu den Favoriten im Südwesten gehören. Toms Prachtexemplare werden in den nächsten Jahren eine Menge Rennen gewinnen." Eine Weile war es still im Zimmer. Deborah spielte mit ihrem Notizbuch. Betont gelassen blickte sie aus dem Fenster hinter Joshs Rücken auf die Schnellstraße hinaus. „Da kommt mir eine Idee!" erklärte sie unvermittelt und blickte mit blitzenden Augen von Josh zu Kathy. „Wie wär's, wenn ich eine Serie anfinge, die über die nächsten zwei, drei Jahre läuft? Ich könnte mir eines von den zweijährigen Pferden vornehmen, die an diesem Wochenende verkauft wurden, und über seine Abstammung, seinen Verkaufspreis und so weiter schreiben. Dann könnte ich seine Entwicklung, das Training und seine ersten Rennen verfolgen und ein-, zweimal im Jahr über die neuesten Fortschritte berichten." Sie strahlte Josh an. „Was halten Sie davon?" fragte sie gespannnt. „Gefällt Ihnen die Idee?" Er paffte an seiner Pfeife und nickte bedächtig. „Ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen", versprach er. „Sie müßten sich dafür aber ein Pferd aussuchen, das Sie im Auge behalten können. Natürlich weiß man vorher nie, was aus den einzelnen Tieren wird, aber es dürfte auf keinen Fall ein Pferd sein, das gleich nach Ihrem ersten Artikel nach Australien verschifft wird." „Ich wüßte auch schon ein solches Pferd für dich", mischte Kathy sich ein und lächelte Deborah verständnisinnig zu. „Nein, nein", wehrte diese rasch ab. „Das geht nicht. Ich könnte doch kaum objektiv über mein eigenes Pferd schreiben." „Was höre ich da?" Joshs blaue Augen wurden plötzlich wachsam. „Sie haben sich bei dieser Millionenauktion tatsächlich ein Pferd gekauft?" „Nun, nicht direkt gekauft", antwortete Deborah ausweichend. Von der verrückten Wette wollte sie Josh lieber nichts erzählen und warf Kathy einen warnenden Blick zu. „Ich werde es nur für einen der Käufer trainieren." „So? Und wer ist das?" Deborah wußte bereits im voraus, was für eine Bombe sie platzen ließ. „Randolph Harlan."
Josh erstarrte und blickte sie unter seinen buschigen Brauen fassungslos an. Eine ganze Weile sagte er nichts, bis er merkte, daß es kein Scherz war. Plötzlich lehnte er sich in seinen abgewetzten Sessel zurück und lachte schallend. „Das schlägt dem Faß den Boden aus", rief er vergnügt. „Ihr schlimmster Widersacher! Ausgerechnet der Mann, der mit drei Vierteln Ihrer Beiträge nicht einverstanden ist, nimmt Sie als Trainerin für sein Pferd." Er klopfte die Asche aus seiner Pfeife und beugte sich gespannt vor. „Das wäre eine Story für Sie! Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen?" „Das zu erzählen, würde zu lange brauchen, Josh. Ich möchte mich da nicht weiter auslassen." Deborah schloß ihr Notizbuch und stand auf. Sie tat so, als merke sie nicht, daß Josh sich nicht rührte und den Blick nicht von ihr abwandte. „Wenn Sie einverstanden sind, daß wir den Creekmore-Bericht kürzen und die beiden Artikel über Toms Auktion mit Bildern bringen, gehen wir jetzt an die Arbeit", sagte sie rasch. Sie sah Kathy an, die mit einem wissenden Schmunzeln von Josh zu ihr blickte und wartete, ob Deborah mit ihrem Ausweichmanöver durchkommen würde. Deborah arbeitete jetzt etwas länger als ein Jahr für Josh, während Kathy schon doppelt so lange bei ihm war. Mit seiner herzlichen Art hatte er zu seinen Leuten eher ein freundschaftliches Verhältnis, obwohl er ihr Chef war. Aber er war auch ein überaus neugieriger Mann. „Ich werde schon dahinterkommen", verkündete er trocken. „Mag sein, daß Sie sich im Augenblick nicht näher darüber äußern wollen, aber früher oder später werden Sie es doch tun." Er trank einen Schluck aus seinem großen Kaffeebecher. „Ich kenne Randolph Harlan schon lange", meinte er versonnen. „Ich weiß, wie stur er sein kann. Sie sind genauso dickköpfig. Ihr beide werdet nie zusammenarbeiten können." Er bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. „Außerdem ist Randolph ein skrupelloser Herzensbrecher, soviel ich weiß", setzte er hinzu. „Sie sollten sich besser erst beim guten alten Onkel Josh Rat holen, bevor Sie sich mit ihm einlassen." Er griff nach ein paar Unterlagen und entließ Deborah und Kathy mit einem verständnisvollen Lächeln. „Und jetzt gehen Sie, und schreiben Sie Ihren neuen Artikel, Deborah. Über die vorgeschlagene Serie sprechen wir noch. Den Creekmore-Beitrag werden wir ohne Bilder bringen." Er zwinkerte ihr zu. „Und vergessen Sie nicht, wenn Sie jemanden brauchen, bei dem Sie sich aussprechen können, meine Tür ist immer offen." Kathy stand auf und wollte Deborah hinaus folgen, als Josh ihr in neckendem Ton nachrief: „Ach, übrigens, ich möchte, daß ihr beiden einen Artikel über einen aufstrebenden jungen Tierarzt hier aus der Gegend schreibt, dessen fortschrittliche neue Methoden allgemein Aufsehen erregen." Er blinzelte Kathy zu. „Ich meine Bill Conway. Glaubt ihr, ihr könntet das bald in Angriff nehmen?" Kathy hielt vor Freude die Luft an. „Ach, Josh, dafür könnte ich Sie glatt umarmen!" „Jederzeit", kam es vergnügt zurück. „Jederzeit." „Der gute Josh ist ein schlauer Fuchs", meinte Deborah, als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte. „Manchmal denke ich, es wäre besser, für eine große unpersönliche Zeitschrift zu arbeiten, wo keiner das Privatleben des anderen kennt." Kathy wandte sich ihr mit leuchtenden Augen zu. „Ist das nicht phantastisch?" begeisterte sie sich und schien Deborahs Bemerkung überhaupt nicht gehört zu haben. „Auf diese Weise habe ich die Möglichkeit, Bill Conway näher kennenzulernen." „Dort drüben ist er!" verkündete Kathy aufgeregt, als Deborah auf den Parkplatz der Tierklinik fuhr. Bill Conway lehnte am Zaun eines seiner großen Tiergehege und war in ein Gespräch mit einem hochgewachsenen Mann vertieft, der mit dem Rücken zu ihnen stand. „Er ist beschäftigt", sagte Kathy beunruhigt. „Es kann also gut sein, daß wir eine Weile warten müssen, ehe wir mit ihm sprechen können." „Vielleicht nicht", gab Deborah zurück und betrachtete die beiden Männer durch ihre Sonnenbrille. „Du hast ihm doch gesagt, daß wir um zehn kommen, oder?" „Seiner Sekretärin", antwortete Kathy, ohne Bill aus den Augen zu lassen. „Nun, dann laß uns aussteigen und sehen, was los ist", erklärte Deborah bestimmt und schaltete den Motor aus. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm sie ihre Ledertasche vom Rücksitz. „Gut", antwortete Kathy nervös. Deborah warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Jetzt, wo ihre Freundin den Mann, den sie bisher nur aus der Ferne bewundert hatte, persönlich kennenlernen sollte, verlor sie die Nerven. „Ganz ruhig, Kathy", sagte sie, als sie ausstiegen. Kathy atmete die kalte Luft tief ein. Auf den sonnengeschützten Stellen und an der Nordseite der
Gebäude lag immer noch Schnee, aber die Straßen und die übrigen Flächen waren freigetaut und
zeigten nur noch schwache Spuren des großen Schneesturmes.
„Ich habe richtig Lampenfieber", flüsterte Kathy, während sie auf die beiden Männer zugingen.
„Hoffentlich mag er mich."
„Da habe ich keinen Zweifel, Kathy", sagte Deborah leise. Die Männer blickten auf und kamen ihnen
entgegen. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand dich nicht mag."
„Willkommen!" rief Bill ihnen zu. „Sie sind vom ,Sunbelt Horseman', stimmt's?"
„Ja", antwortete Deborah. Sie wollte sich und Kathy gerade vorstellen, als sie in dem großen Mann,
der Bill auf dem Fuße folgte, Jay Adams erkannte.
Er kam lächelnd heran und legte Deborah sofort den Arm um die Schultern. „Das nenne ich aber
Schicksal", meinte er lachend. „Wir haben uns monatelang nicht ein einziges Mal gesehen, und dann
begegnen wir uns innerhalb weniger Tage gleich zweimal. Wir sind füreinander bestimmt, würde ich
sagen."
Deborah lachte. „Meinst du?" Sie wandte sich ihrer Freundin zu. „Kathy, das ist Jay Adams", sagte sie
und bemerkte, daß Kathy und Bill gerade dabei waren, sich einander vorzustellen.
Zu viert standen sie einen Augenblick in der warmen Sonne, dann fragte Bill: „Wo wollen Sie denn
anfangen? Möchten Sie erst einen Rundgang durch die Anlage machen und mich dabei ausquetschen,
oder wollen Sie Ihre Fragen lieber in meinem Büro auf mich abfeuern?"
„Ich kann Ihnen Bill als Tierarzt nur wärmstens empfehlen", erklärte Jay. „Ich bin gekommen, um ihm
zu sagen, daß er bei meiner Stute recht gehabt hat. Ihre Hinterhufe berührten sich beim Laufen, und
ich dachte schon, da sei wohl nichts zu machen. Aber Bill hat mich zum richtigen Hufschmied
geschickt, der die Sache behoben hat. Jetzt läuft sie prima."
Jay stellte sich in Pose wie die Cowboys in den Werbespots und schob seinen breiten Hut zurück. Mit
gespielt treuherzigem Augenaufschlag blickte er Deborah an. „Ich kann Ihnen nur sagen, Ma'am,
dieser Mann versteht sein Handwerk. Von jetzt ab bringe ich alle meine kranken Tiere zu ihm."
Alle lachten fröhlich. „Wir könnten die Geschichte gut am Schluß unseres Artikels bringen, Jay",
entschied Deborah. „Jetzt sollten wir uns aber vielleicht doch erstmal die Klinik gründlich ansehen
und Bill ein paar Fragen stellen."
Deborah hatte erwartet, daß Jay sich daraufhin verabschieden würde, da der Zweck seines Besuchs
erfüllt war. Er dachte jedoch überhaupt nicht daran, sondern blieb dicht neben ihr, als sie endlich mit
ihrem Rundgang begannen.
„Das hier ist mein hydraulischer Tisch", erklärte Bill. „Viele Kliniken haben so etwas noch gar nicht,
aber ich glaube, daß sich das schon sehr bald ändern wird."
Deborah machte sich Notizen und versuchte, Bill und Jay gleichzeitig zuzuhören.
„Was ist übrigens aus dem Pferd von Tom Bradens Auktion geworden?" fragte Jay. „Hast du das
irgendwie deichseln können?"
Sie nickte und versuchte, die wichtigsten Punkte festzuhalten, die Bill gerade erläuterte. „Ja",
antwortete sie nur kurz, weil sie sich über ihren Handel mit Randolph nicht näher auslassen wollte.
Sie blickte Bill an, weil sie den Rundgang fortsetzen wollte, aber der hatte nur Augen für Kathy, die
ihre Kameras für die Innenaufnahmen schußfertig machte. Deborah unterdrückte ein nachsichtiges
Lächeln. Je mehr Zeit die beiden zusammen verbrachten, um so besser. Kathy hatte sich schon so
lange gewünscht, Bill endlich näher kennenzulernen, und Deborah konnte ihr nur den Daumen
drücken, daß er sie am Ende um ein Wiedersehen bat.
„Wann wirst du mir dein neues Pferd zeigen?" fragte Jay. „Was für ein Tier ist das überhaupt?"
„Ein herrliches rotbraunes Füllen." Deborah sah Dandy im Geiste drahtig am Zaun von Randolphs
Gehege entlanggehen. „Sie ist phantastisch gebaut, und ich weiß, daß sie einmal ein überragendes
Rennpferd wird. Ich spüre es jetzt schon."
„Nun, dann zeig sie mir, und ich werde dir Genaueres sagen", meinte er und wechselte das Thema.
„Aber im Ernst, Deborah, wir sollten uns wirklich zusammentun. Du weißt genau, daß ich schon seit
Jahren verrückt nach dir bin."
Ach, du liebe Güte, dachte sie. Wenn ich erst einmal mit ihm ausgehe, läßt er mir keine Ruhe mehr, bis
etwas anderes sein Interesse findet. Dennoch lächelte sie ihn freundlich an. Jay war unzuverlässig und
manchmal auch nicht ganz aufrichtig, aber er hatte einen natürlichen Charme, dem kaum eine Frau
widerstehen konnte. Außerdem kannte sie ihn schon seit ihrer Teenagerzeit, und er erinnerte sie an
Zeiten, da sie geborgen und sorglos gelebt hatte.
„Na, hast du's dir nun überlegt?" drängte Jay ungeduldig. „Wir sehen uns dein Pferd an, sobald du
Dienstschluß hast, und dann gehen wir irgendwo in aller Ruhe zu Abend essen. Du darfst sogar das
Restaurant aussuchen."
„Nein, Jay, heute habe ich beim besten Willen keine Zeit", wehrte Deborah ab. „Ich muß heute bis spät
arbeiten, und außerdem ist es bis dort draußen eine lange Fahrt."
„Wo hast du das Pferd denn untergebracht?"
„Auf Randolph Harlans Ranch in Los Arboles", antwortete sie betont beiläufig.
Jay sah sie ungläubig an. „Bei Randolph Harlan? Warum denn dort draußen?" Er schwieg einen
Augenblick und kniff die Augen zusammen. „Von ihm hast du also das Geld", meinte er nachdenklich.
„Ich wußte gar nicht, daß du mit Harlan so gut bekannt bist."
„Das bin ich auch nicht", gab Deborah rasch zurück. „Wir haben uns auf der Auktion erst
kennengelernt."
Jay zog die Brauen hoch und blickte sie abschätzend an. Als er endlich sprach, klang seine Stimme
fast ein wenig neidisch. „Nun, mit dem guten Randolph hast du wenigstens einen echten Finanztreffer
gelandet. Der Bursche braucht sich um Geld keine Sorgen zu machen." Jay schob seinen Hut erneut
zurück und setzte sein jungenhaftes Lächeln auf. „Sag mal, wenn ich eine Ranch bekomme, die so
groß wie Harlans ist, gehst du dann mit mir aus?"
Deborah mußte über seine Taktik lachen und gab schließlich nach. „Ach, Jay, mit dir gehe ich doch
auch aus, wenn du ein totaler Habenichts und ein absoluter Tunichtgut bist. Ruf mich doch mal an,
dann fahren wir vielleicht raus und sehen uns einmal mein rassiges Pferd an."
„Das klingt schon besser." Er nickte befriedigt. „Bleib lieber unter deinesgleichen, Deborah. Wenn du
dich mit Randolph Harlan einläßt, wird er dir nur das Herz brechen."
Deborah überging die Bemerkung und wechselte augenblicklich das unangenehme Thema.
Doch auch als sie sich wieder zu Kathy und Bill gesellt hatte und sich weiter eifrig Notizen machte,
gingen ihr Jays Worte absolut nicht mehr aus dem Kopf.
5. KAPITEL Deborah kam mit Dandys Halfter und Zügeln aus dem Geschirraum und ging den breiten Gang zwischen den Boxen entlang. Seit ihrer Ankunft in Los Arboles war ihr niemand begegnet, und sie hätte glauben können, allein auf der Ranch zu sein. Entweder ist gerade Kaffeepause, sagte sie sich, oder aber alle sind ausgeschickt worden, um in der einsetzenden Schneeschmelze verirrtes Vieh aus dem Matsch zu holen. Sie war daher überrascht, plötzlich jemanden vor der Box neben Dandys Verschlag zu sehen. Eine kleine Person versuchte, einen Sattel auf den Rücken einer gedrungenen braunen Stute zu legen. Beim Näherkommen erkannte Deborah, daß es sich um eine zierliche Frau mit kurzem, gelocktem, leicht angegrautem Haar handelte, die die gleichen graublauen Augen hatte wie Randolph. Doch während Randolphs kühn und unergründlich waren, lag in diesen Augen ein Ausdruck tiefen Schmerzes. „Hallo", sagte Deborah und lächelte die Fremde an. „Mein Name ist Deborah Renfro." „Ich bin Myra Harlan", antwortete die Frau und erwiderte das Lächeln. Doch dann verzog sie kläglich die Lippen und setzte hinzu: „Ich habe bis jetzt vergeblich versucht, dieses Pferd zu satteln." „Kommen Sie, ich helfe Ihnen", bot Deborah sofort an. „Ich nehme Ihre Hilfe nur ungern in Anspruch, aber es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, wenn ich heute noch reiten will", sagte Myra. „Von den Cowboys scheint keiner hier zu sein, und ich merke, daß ich allein nicht zurechtkomme." Sie hielt das Halfter und den Leitzügel, damit Deborah die Hände zum Satteln des Pferdes frei hatte. „Ich habe es immer wieder versucht, aber ich kann den Riemen nicht mal fest genug packen, um ihn anzuziehen." „Keine Sorge, das haben wir gleich", antwortete Deborah. „Dann können Sie draußen in der Sonne reiten." Sie zog die Sattelriemen an und prüfte, ob sie auch fest genug waren. Befriedigt wandte sie sich zu Myra um. Die kleine Frau hatte sich an die Box gelehnt und beobachtete Deborah. In ihren hellen Augen schimmerten Tränen, aber sie bezwang sie tapfer. „Bitte entschuldigen Sie", sagte sie leise. „Ich komme mir sehr dumm vor, aber diese Sache ist mir doch ganz schön an die Nieren gegangen. Bis jetzt habe ich bei so einfachen Dingen wie dem Satteln eines Pferdes noch nie Hilfe gebraucht." „Ist etwas mit Ihren Händen?" fragte Deborah teilnahmsvoll, weil sie spürte, daß Myra das Bedürfnis hatte, sich jemandem anzuvertrauen. „Ja. Ich habe Arthritis", antwortete sie. „Gelenkentzündung. Morgen muß ich ins Krankenhaus. Wahrscheinlich werden sie mir ein paar Fingergelenke durch künstliche ersetzen müssen." Sie blickte unglücklich auf ihre Hände. Deborah sah, daß sie verkrümmt waren und die Knöchel groß und hart hervortraten. Mitfühlend sagte sie: „Vielleicht geht es danach wieder besser." In Myras Augen lag eine Mischung aus Hoffnung und Furcht. „Vielleicht. Aber ich bin noch nie operiert worden und habe schreckliche Angst davor." Sie richtete sich auf und schüttelte sich leicht. „Aber ich habe Sie schon genug in Anspruch genommen. Ich werde jetzt losreiten und Sie nicht weiter von der Arbeit abhalten." „Entschuldigen Sie, aber ich habe Ihnen noch gar nicht erklärt, was ich hier in Ihrem Stall mache", erwiderte Deborah. „Ich bin gekommen, um dieses Fohlen zu trainieren." Sie deutete auf Dandys Box. „Sie ist mir gestern schon aufgefallen. Ein schönes Tier", sagte Myra und musterte Deborah von Kopf bis Fuß. „Ich habe meinen Sohn darauf angesprochen, und er sagte, er wolle Dandy zum Rennpferd ausbilden lassen. Aber er hat mir verschwiegen, daß seine Trainerin eine junge Frau ist, die es an Schönheit mit dem Pferd aufnehmen kann." Wieder wurden ihre Augen feucht, und diesmal schienen die Tränen gefährlich locker zu sitzen. „Es gibt so viele Dinge, von denen mein Sohn mir nichts erzählt", setzte sie mehr zu sich selbst hinzu. „Wenn ich nur wüßte, wie ich an ihn herankommen könnte." Myra Harlan reichte Deborah abrupt das Geschirr zurück, als wolle sie das Gespräch damit beenden. Sie versuchte, die Stute zu besteigen, und setzte den linken Fuß in den Steigbügel. Hastig griff sie nach dem Sattelhorn und dem Hinterzwiesel, aber sie konnte nicht fest genug zupacken, um sich hinaufzuziehen. „Kommen Sie, ich stütze Sie ein wenig", sagte Deborah, nachdem sie ihr einen Moment zugesehen hatte.
Myra nickte und ließ sich von Deborah in den Sattel helfen. Sie setzte sich kerzengerade auf und wickelte die Zügel um ihre verkrüppelte Hand. „Danke, Deborah", sagte sie und blickte sie sekundenlang nachdenklich an. Dann ritt sie rasch aus dem Stall. Deborah schaute ihr nach. Sie empfand Mitleid mit Myra und Randolph. Myras Stimme hatte genauso schmerzlich wie Randolphs geklungen, als er vor ein paar Tagen mit seiner Mutter am Telefon sprach. Ein Jammer, dachte sie. Sie sind zusammen und einander dennoch so fern... Deborah ging zu Dandys Box, um das belastende Gefühl abzuschütteln, das die Begegnung mit Myra Harlan in ihr ausgelöst hatte. Das Tier stand mit aufgerichteten Ohren da und blickte ihr erwartungsvoll entgegen. „Hallo, mein Mädchen", sagte Deborah und tätschelte Dandy liebevoll den Kopf. „Wollen wir anfangen, uns besser kennenzulernen?" Sie sprach beruhigend auf das Pferd ein, während sie ihm das Halfter überstreifte und die Zügel anlegte. Langsam führte sie Dandy aus dem Stall in die Sonne hinaus und wartete, bis sie ein paar spielerische Sprünge gemacht hatte. Dann zog sie an der Leine, um zu sehen, ob Dandy sich führen ließ. Das Fohlen leistete schwachen Widerstand und wollte seitlich ausweichen, aber Deborah arbeitete so lange mit ihm, bis es nachgab und ihr am Gehegezaun entlang folgte. Sie führte Dandy zweimal herum und klopfte ihr anerkennend den Nacken. „Braves Mädchen", lobte sie. „Ich bin erstaunt, daß du bereitwillig mitmachst. Meinst du, du läßt mich eine Decke über deinen Rücken legen?" „Sicher wird sie das zulassen", ließ sich Randolphs dunkle Stimme vom Zaun her vernehmen. „Tom hat mir verraten, daß sie schon ein paar Grundübungen und auch das Satteltragen gelernt hat. Ein paar von seinen Leuten haben sie sogar schon geritten, ohne daß es große Probleme gab." Deborah spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß. Ihre Überraschung über Randolphs plötzliches Auftauchen verwandelte sich in Ärger. Mit Dandy am Zügel ging sie entschlossen zu ihm hinüber. Das Tier folgte ihr willig. „Hören Sie, das hätten Sie mir wirklich eher sagen können!" erklärte sie mit mühsam beherrschter Stimme. „Tom hat mir gesagt, sie habe noch keine Erfahrung. Da mußte ich annehmen, daß er das auch so gemeint hat." „Das hat er auch", gab Randolph ruhig zurück. „Keine Erfahrung heißt bei Tom, daß sie noch nicht renntauglich ist, und nicht, daß sie überhaupt noch keine Ausbildung hat." „Da ich Dandys Trainerin bin, hätten Sie mir das immerhin sagen können", stieß sie entrüstet hervor. Es war ihr jetzt egal, ob er merkte, daß sie wütend war. „Sie haben doch hoffentlich nicht vor, mich in den nächsten sieben Monaten an der Nase herumzuführen und sich auf meine Kosten zu amüsieren?" Randolph antwortete nicht sofort. Er sah Deborah nur tief in die Augen, als wisse er genau, was in ihr vorging. Sie hielt seinem Blick stand und spürte, wie ihr Zorn verflog. Sie wollte nur noch in diese unergründlichen Augen sehen und in ihnen ebenfalls zu lesen versuchen. Alles in ihr drängte plötzlich danach, ihn zu berühren, und sie konnte an nichts anderes mehr denken. Sie rührten sich eine ganze Weile nicht. Endlich sprach Randolph: „Ich wollte Ihnen das nicht vorenthalten, Deborah. Offengestanden hatte ich angenommen, Sie wüßten es längst. Jetzt, wo wir darüber reden, fällt mir ein, daß Tom mir erst beim Vertragsabschluß in seinem Büro davon erzählt hat." Er ging zum Tor, öffnete es und kam zu Deborah ins Gehege. „Er meinte, sie könne jetzt intensives Satteltraining brauchen. Aber nicht gleich heute, denn sie hat schon seit Wochen keine feste Hand mehr zu spüren bekommen." Er rieb Dandys muskulöses Hinterteil und bewunderte ihr schimmerndes Fell. „Ein herrliches Tier, nicht wahr?" fragte er und blickte von dem Fohlen zu Deborah. Sie fühlte sich immer noch ganz schwach. Sie mußte sich zusammenreißen, um ihn jetzt, wo er ihr noch näher war, nicht zu berühren. Ich darf mich auf keinen Fall mit ihm einlassen, sonst bin ich verloren, ermahnte sie sich energisch. Sie blickte zu Randolph auf und versuchte, sich auf seine Worte zu konzentrieren. „Sie könnten vielleicht auch John Little nehmen", hörte sie ihn sagen. „Er hat eine Menge Erfahrung, aber das könnte Sie unter Umständen auch stören. Er hat nämlich so seine eigenen Vorstellungen von den Dingen." Deborah nickte und fragte sich sekundenlang, wofür sie John Little nehmen solle. Doch dann fiel ihr ein, daß Randolph sicher von einem Assistenten für sie sprach. Er wandte sich Dandy wieder zu und streichelte sie geistesabwesend. „Oder vielleicht käme dafür auch Steve Harper, Lons ältester Sohn, in Frage. Er ist ständig hier und ist erst neunzehn. In diesem Alter ist
man noch lernbegierig. Er arbeitet meistens hier in den Ställen. Vermutlich werden Sie ihn noch zu
sehen bekommen, ehe Sie gehen."
Deborah versuchte, sachlich mitzudenken, aber es gelang ihr nicht. Dieser Mann brachte sie
vollkommen durcheinander. Wenn ich nicht aufpasse, wird er mir noch mein Pferd wegschnappen,
sagte sie sich.
„Ich... ich werde mir die Sache überlegen", antwortete sie gespielt nachdenklich.
„Leider kann ich nicht bleiben, um Sie mit ihm bekanntzumachen. Ich erwarte einen Anruf", erklärte
Randolph. „Aber Sie werden sich schon allein helfen. Steve ist ein großer, durchschnittlich
aussehender Bursche. Er ist meist hier zu finden." Er blickte sich suchend um. „Haben Sie ihn nicht
gesehen, als Sie mit Dandy herauskamen?"
„Nein. Niemanden, außer Ihrer Mutter."
Seine Züge verhärteten sich, und er antwortete nicht.
„Ich habe ihr geholfen, ihr Pferd zu satteln", fuhr Deborah fort. „Sie hatte ziemliche Schwierigkeiten
mit den Händen."
Randolph sagte immer noch nichts.
Er kann doch nicht so tun, als gäbe es diese Frau nicht, dachte Deborah empört. Kein Wunder, daß sie
weint, weil er sich nicht um sie kümmert.
„Sie sagte, sie müßte in Kürze ins Krankenhaus." Deborah ließ sich nicht beirren.
„Ja, deswegen ist sie ja hier", gab er kurzangebunden zurück und wandte sich dem Tor zu. „Sie kommt
immer nur, wenn sie etwas braucht."
Damit machte er kehrt und ging davon.
Deborah blickte ihm einen Augenblick nach. Dann wandte sie sich seufzend dem Pferd zu. Das Fohlen
sah sie mit wachen, klugen Augen an, als spüre es, daß etwas nicht in Ordnung war.
„Etwas stimmt zwischen diesen beiden nicht", sagte sie zu Dandy und führte sie in den Stall zurück.
„Und obwohl mich das eigentlich nichts angeht, wünschte ich, ich könnte ihnen irgendwie helfen."
Deborah holte eine Satteldecke aus dem Geschirraum und kehrte mit Dandy wieder ins Freie zurück.
Ganz langsam legte sie die Decke auf den Rücken des Tieres, damit es sich wieder an das Gefühl
gewöhnte. Dandy scheute zurück und scharrte leicht mit den Hufen, aber bald duldete sie die Decke
und ließ sich widerstandslos in dem Gehege herumführen.
Deborah wollte sie gerade in den Stall zurückbringen, als ein schlacksiger junger Mann herauskam.
„Darf ich Ihnen Dandy abnehmen?" erbot er sich und griff nach dem Zügel. „Ich habe mich mit ihr
schon ganz gut angefreundet."
Deborah überließ ihm lächelnd den Zügel und folgte ihm in den großen Stall. „Das paßt mir gut",
gestand sie. „Es ist nämlich schon spät, und ich muß in die Stadt zurück."
Sie tätschelte Dandy zum Abschied liebevoll und blickte ihren Helfer an. „Sie müssen Steve Harper
sein. Randolph hat mir gesagt, daß Sie bald hier aufkreuzen würden."
Ein Grinsen überzog Steves Gesicht. „Eigentlich bin ich so gut wie Tag und Nacht hier", erwiderte er
gedehnt. „Ich verbringe mehr Zeit in den Ställen als zu Hause."
„Ich heiße Deborah Renfro." Sie streckte ihm die Hand hin. „Ich werde Dandy trainieren."
„Nett, Sie kennenzulernen", gab Steve zurück. „Sie ist ein vielversprechendes Fohlen."
„Steve?" rief eine weibliche Stimme, und sie hörten Hufgeklapper im Stall. „Könntest du mir bitte
behilflich sein?"
Sie drehten sich um und sahen Myra, die auf ihrer kleinen, braunen Stute schmerzvoll
zusammengesunken dasaß. Sofort eilten sie zu ihr.
„Ach, Deborah! Ich hatte Sie nicht gesehen", sagte Myra. „Ich wollte nicht stören, wenn Steve Ihr
Pferd gerade versorgt."
„Keine Sorge, Mrs. Harlan", erklärte Steve und half ihr beim Absteigen. „Ich kann mich genausogut
um zwei Pferde kümmern." Er hob die zierliche Frau vom Pferd und überließ sie sichtlich erleichtert
Deborah.
Deborah nahm Myras Arm und führte sie an die Wand.
„Die Schmerzen sind beim Reiten schlimmer geworden", klagte Myra und versuchte zu lächeln, aber
sie brachte nur eine Grimasse zustande.
„Ruhen Sie sich einen Augenblick aus, Mrs. Harlan", sagte Deborah beruhigend. „Dann fahre ich Sie
zum Haus hinauf. Sie haben sich wahrscheinlich übernommen."
„Vielen Dank, aber es geht schon wieder." Myra richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter
fünfundfünfzig auf. „Ich möchte Sie nicht aufhalten. Ich weiß ja, daß Sie zu tun haben."
„So eilig habe ich es nun auch wieder nicht", versicherte Deborah. „Möchten Sie jetzt zum Haus
zurück?"
Myra nickte und biß tapfer die Zähne zusammen.
Deborah führte sie zu ihrem Wagen und half ihr beim Einsteigen. Als sie das Haus betraten, kam ihnen
Hettie aus der Küche entgegen, aus der es verlockend nach Putenbraten duftete.
„Würdest du mir bitte meine Medizin bringen, Hettie", sagte Myra. „Ich habe Schmerzen."
Hettie eilte nach oben. Deborah betrat mit Myra das Wohnzimmer, wo die geplagte Frau sich sofort in
einen Sessel sinken ließ. Sie versuchte, ein Gespräch anzufangen, und schien sich auf diese Weise von
den Schmerzen ablenken zu wollen.
„Ich hoffe nur, daß diese Operation bewirkt, was der Arzt mir gesagt hat", erklärte sie Deborah.
„Natürlich wäre es wunderbar, wenn die Schmerzen aufhörten, aber ich möchte auch wieder so
beweglich werden, daß ich alles tun kann, was ich möchte."
Hettie kehrte mit einer Kapsel und einem Glas Wasser zurück. Myra bedankte sich und nahm beides
entgegen.
Deborah merkte, daß Myra nicht allein sein wollte, und ließ sich überreden, ihre Weste auszuziehen
und auf der Couch Platz zu nehmen. Myra redete weiter, bis die Winterdämmerung hereinbrach.
„Bitte, bleiben Sie doch zum Abendessen", meinte sie, als Hettie hereinkam und in dem großen Raum
die Lampen einschaltete.
„Vielen Dank, aber das geht leider nicht. Ich muß in die Stadt zurück", erklärte Deborah.
„Aber irgendwo müssen Sie doch auf jeden Fall zu Abend essen", beharrte Myra. „Bitte, leisten Sie
uns doch Gesellschaft. Das Verhältnis zwischen mir und meinem Sohn ist so gespannt, daß wir uns
kaum etwas zu sagen haben. Und gerade heute abend bin ich so unruhig, daß ich eine weitere stumme
Mahlzeit einfach nicht ertragen könnte."
Deborah wünschte, Randolph würde ins Wohnzimmer kommen. Sie wollte ihn wiedersehen, seine
Stimme hören, aber die Aussicht auf ein spannungsgeladenes Essen zu dritt war wenig verlockend.
Doch Myra sah sie so bittend an, daß sie ihr leid tat und sie sich umstimmen ließ.
„Wunderbar!" freute Myra sich. „Ich würde Sie gern näher kennenlernen und hören, wie Sie dazu
gekommen sind, Pferde zu trainieren." Sie lächelte bezaubernd, und Deborah konnte sich ausmalen,
wieviel Charme diese Frau ausstrahlen mußte, wenn sie nicht von Schmerzen heimgesucht wurde.
Vermutlich bekam sie meist, was sie wollte. Genau wie ihr Sohn.
„Tun Sie auch noch etwas anderes, außer Pferde trainieren?" erkundigte Myra sich, nachdem sie Hettie
mitgeteilt hatte, daß Deborah zum Essen blieb. Sie schien glücklich zu sein, daß die Essensfrage in
ihrem Sinn geregelt war und sie für den Abend eine angenehme Gesellschafterin hatte.
„Ich bin Journalistin und arbeite als Redakteurin für den ,Sunbelt Horseman'", antwortete Deborah.
„Das Trainieren von Pferden ist für mich jetzt nur noch eine Art Nebenbeschäftigung. In den letzten
zwei Jahren habe ich außer Dandy nur ein anderes Pferd ausgebildet."
Myra stellte Deborah ein paar Fragen über ihre Arbeit und ihre Trainingsmethoden. Sie schien jetzt,
wo die Medizin ihre Wirkung tat, sehr viel ruhiger zu sein und war eine gute Zuhörerin.
Deborah erzählte von ihrer journalistischen Tätigkeit, von Josh und Kathy und den anderen
Mitgliedern der vertrauten kleinen Gruppe, die für die Zeitschrift arbeitete.
„Es berührt mich seltsam, daß Ihre Kollegen für sie fast wie eine Familie sind", meinte Myra
nachdenklich. „Ich habe nicht mal hier zu Hause eine Familie." Sie blickte Deborah sinnend an. „Erst
jetzt beginne ich zu verstehen, wie wichtig das sein kann."
Hettie trat ein und meldete, das Essen sei fertig. Die beiden Frauen folgten ihr über die Diele in das
eigentliche Eßzimmer. Randolph kam einen Moment später herunter.
„Deborah bleibt zum Essen", informierte Myra ihn.
„Fein", antwortete Randolph nur und nahm Platz. Er schien noch genauso angespannt zu sein wie
vorhin im Gehege. Deborah faltete ihre Serviette auseinander und wünschte, sie hätte die Einladung
seiner Mutter nicht angenommen.
Myra plauderte munter drauflos. Sie erzählte Deborah von ihren Freunden, ihren Hobbys und ihrer
Klubarbeit in Dallas. Dann schwärmte sie von ihren Erlebnissen auf ihrer jüngsten Kreuzfahrt durch
die Karibik. Mehrmals versuchte sie, Randolph ins Gespräch zu ziehen, aber er antwortete nur
einsilbig. Schließlich hörte sie zu reden auf und widmete sich ganz dem Essen.
Das Schweigen, das nun folgte, wurde immer drückender. Deborah suchte verzweifelt nach einem
unverfänglichen Thema.
„Diese Sauce schmeckt köstlich", sagte sie endlich. „Hettie ist eine ausgezeichnete Köchin."
„Ja, das ist sie", gab Myra zurück. „Aber der Haushalt läuft jetzt nicht mehr so wie früher. Ich glaube, Hettie sollte sich langsam nach einer Hilfe umsehen." Randolph warf seiner Mutter einen durchdringenden Blick zu. Er stellte seine Kaffeetasse ab und widmete ihr zum erstenmal an diesem Abend seine volle Aufmerksamkeit. „Hettie macht ihre Arbeit ausgezeichnet", erklärte er kühl. „Ich dulde in diesem Hause keine Kritik an ihr." „Aber ich... ich wollte sie doch gar nicht kritisieren, Randolph", antwortete Myra mit unsicherer Stimme. „Ich bin mit Hettie sehr zufrieden. Mir ist nur aufgefallen, daß einige der Zimmer im ersten Stock..." „Es interessiert mich nicht, was du an ihnen zu bemängeln hast", unterbrach er sie. „Und ich glaube noch nicht mal, daß dir wirklich etwas aufgefallen ist. Du hast dich in den letzten dreißig Jahren nie für das Haus oder irgend jemanden hier interessiert, und plötzlich machst du dir Sorgen um die oberen Räume." Er hatte den Blick keine Sekunde von seiner Mutter genommen, und seine Stimme klang sarkastisch. „Überlaß die Haushaltsführung also bitte denen, die hier leben, Myra. Wir sind die ganze Zeit über bestens zurechtgekommen." Deborah blickte entsetzt von Randolph zu seiner Mutter. In Myras Augen schimmerten plötzlich Tränen. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber ihre Stimme brach. Langsam schob sie ihren Stuhl zurück und versuchte einen Augenblick, sich zu fassen. Als ihr das nicht gelang, drehte sie sich abrupt um und verließ stumm und kerzengerade aufgerichtet den Raum. Als Myra gegangen war, stellte Deborah ihre Tasse ab, aber ihre Hand zitterte dabei vor Empörung. „Wie konnten Sie das tun?" brach es aus ihr hervor. Randolph blickte sie nur eisig an. „Ihre Mutter geht morgen ins Krankenhaus", fuhr Deborah aufgebracht fort. „Sie hat schreckliche Angst davor, und Sie tun während des ganzen Essens nicht nur so, als gäbe es sie überhaupt nicht, sondern regen sie auch noch so auf, daß sie zu weinen anfängt." Sie spürte, wie ihre Wangen vor Erregung heiß wurden, und war plötzlich nur noch unglücklich über das Zerwürfnis zwischen Mutter und Sohn. „Randolph, ich weiß, es geht mich nichts an, aber Ihre Mutter hat schon genug körperliche Schmerzen. Da sollten Sie wenigstens versuchen, ihr auch noch seelische zu ersparen", schloß sie vorwurfsvoll. Sie dachte plötzlich an ihre eigenen Eltern und stellte sich vor, wie schmerzlich es für sie gewesen wäre, wenn ihre Beziehung jemals so angespannt gewesen wäre. Randolph schob seine Tasse von sich und lehnte sich auf seinem schweren Eichenstuhl zurück. Seine Augen wirkten auf einmal ungewöhnlich blau. Deborah konnte seiner Miene nichts entnehmen. Er schien nicht einmal verärgert über ihre Vorhaltungen zu sein, sondern blickte sie nur durchdringend an. „Sie haben ja keine Ahnung, wovon Sie reden", sagte er hart. Er stand auf und hielt ihr höflich den Stuhl. „Ich werde Hettie bitten, den Kaffee ins Wohnzimmer zu bringen", erklärte er. „Sie haben das Thema angeschnitten. Jetzt sollen Sie auch den Rest erfahren." Er führte sie in den großen, eichengetäfelten Raum und ließ sie auf der braunen Ledercouch Platz nehmen. Hettie brachte den Kaffee auf einem Silbertablett herein und schenkte ihnen beiden ein. Dann verschwand sie diskret wieder. Als Hettie gegangen war, stellte Randolph sich mit seiner Tasse an den Kamin. „Sie können nicht wissen, wie ich zu Myra stehe", begann er mit belegter Stimme. „Ich nenne sie übrigens deshalb beim Vornamen, weil ihr das lieber ist. Damit allein wäre eigentlich schon alles gesagt." Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar und starrte auf das geometrische Muster des Navajoläufers zu seinen Füßen. „Sie hat nie Mutter sein wollen, aber sie liebte meinen Vater, und der wollte Kinder. Sie hatte keine Lust, sich mit uns abzugeben. Hettie und andere Mädchen haben uns aufgezogen. Auch für die Haushaltsführung hatte sie kein Interesse. Das einzige, was ihr an der Ehe wichtig war, war mein Vater. Aber er war durch seine Ölgeschäfte viel unterwegs. Und wenn er hier war, hatte er alle Hände voll mit der Ranch zu tun." Randolph blickte Deborah an, und in seinen Augen lag ein trauriger Ausdruck. Er war auf einmal wieder der kleine Junge, der die Zuwendung seiner Mutter suchte. „Sie wollte ständig eigene Geschäfte aufziehen und Karriere machen. Erst hatte sie eine Boutique und ein Inneneinrichtungsgeschäft, und später hat sie sich als Pferdetrainerin versucht. Aber nach ein paar Monaten war dann meist alles wieder vorbei. Sie verstand weder etwas von geschäftlichen Dingen, noch hatte sie eine Begabung für Pferde. Zwei gute Tiere hat sie zuschanden geritten. Sie hätte sich lieber um ihre Kinder kümmern sollen."
„Aber viele Frauen schaffen es, Beruf und Kinder unter einen Hut zu bringen", gab Deborah zu
bedenken. „Wir leben schließlich im zwanzigsten Jahrhundert, Randolph."
„Sie konnte beides nicht schaffen", gab er ziemlich verbittert zurück. „Genau genommen kam sie
schon mit einer einzigen Sache nicht zurecht." Er nippte vorsichtig an seinem Kaffee und schien in
Gedanken ungeheuer weit weg zu sein.
„Vielleicht hätte sie niemals Ehefrau und Mutter werden sollen", sagte Deborah. „Es gibt Frauen, die
besser unabhängig bleiben."
„Dann hätte sie sich gar nicht erst darauf einlassen dürfen", antwortete Randolph erschreckend schroff
und setzte sich auf das andere Ende der Couch. Er schlug die Beine übereinander und wandte sich
Deborah zu und sah sie einen Augenblick schweigend an.
„Als ich zehn war, bin ich von einer der großen Pappeln gestürzt und habe mir den Arm gebrochen",
fuhr er fort. „Und wo, glauben Sie, war Myra? In Dallas. Sie kaufte Kleider ein, die ihr dann niemand
abnehmen wollte. Seitdem gondelt sie ständig in der Welt herum und hat für niemanden hier Zeit.
Doch jetzt, wo sie krank ist, fällt ihr plötzlich ein, wo ihr Zuhause ist!"
Randolph schwieg, doch trotz der harten Linien in seinem Gesicht hatte seine Stimme einen verletzten
Ton angenommen.
„Aber Randolph", sagte Deborah sanft, „all das gehört doch schon längst der Vergangenheit an. Sie
werfen Myra vor, keine gute Mutter gewesen zu sein. Aber vielleicht war ihr das nicht möglich. Ich
habe den Eindruck, daß ihr jetzt langsam aufgeht, was sie verpaßt hat. Daß ihre Wertvorstellungen
sich nun mit einem Schlage zu ändern beginnen. Ihr beide könntet euch heute recht gut verstehen,
auch wenn das früher unmöglich war."
Randolph hob zweifelnd eine Braue und zuckte verächtlich mit den Schultern. „Ich wüßte nicht mal,
wo ich da überhaupt anfangen sollte, und sie vermutlich auch nicht."
„Sie könnten vielleicht damit anfangen, daß Sie sie öfter im Krankenhaus besuchen", schlug Deborah
vor. „Zwei Menschen, die miteinander in einem engen Raum allein sind, finden immer etwas, worüber
sie reden möchten. Ich weiß das, weil meine Mutter ziemlich oft in ihrem Leben im Krankenhaus lag."
Er schien über ihren Vorschlag nachzudenken, äußerte sich jedoch nicht dazu. Ein paar Augenblicke
später wechselte er das Thema. „Wie war Ihre Kindheit eigentlich?" fragte er interessiert.
„Wahrscheinlich sehr glücklich, wie bei den meisten."
Deborah lächelte. „Warum?" erkundigte sie sich neckend. „Wirke ich so durchschnittlich?"
„Nein, nein. Ganz im Gegenteil", erwiderte Randolph mit warmer Stimme. „Sie erwecken einfach nur
den Eindruck, daß Sie ein gutes Verhältnis zu Ihren Eltern hatten."
„Ja, das hatte ich auch." Deborah nickte. Sie blickte sinnend ins Feuer. „Jetzt, da sie nicht mehr am
Leben sind, wird mir das noch mehr bewußt." Sie sah Randolph wieder an. „Deswegen tut es mir auch
so unglaublich weh, daß Sie nicht wenigstens jetzt versuchen, die Beziehung zu Ihrer Mutter zu
bessern."
Randolph wich ihr aus. „Meine Kindheit war eigentlich trotzdem recht glücklich", sagte er. „Ich bin
auf der Ranch herumgestromert und habe früh gelernt, wie man Rennpferde züchtet. Das war gut so,
denn das sind die beiden Dinge, die mir im Leben etwas bedeuten. Die Ranch und die Pferde.
Woanders könnte ich nicht leben."
Er schwieg, als bereue er bereits, so offen über seine tiefsten Gefühle gesprochen zu haben.
„Ich weiß, was Sie meinen", antwortete Deborah leise. „Ich habe es auch nicht über das Herz gebracht,
unser Anwesen zu verkaufen, nachdem meine Eltern gestorben waren. Obwohl die Hypotheken noch
nicht abbezahlt waren und die Unterhaltung aufwendig ist. Ich habe mich richtig überwinden müssen,
in die Stadt zu ziehen, weil ich meinem Beruf dort besser nachgehen konnte. Trotzdem fahre ich
gelegentlich an den Wochenenden zum Reiten hinaus. Zum Glück haben die Leute, die es gepachtet
haben, nichts dagegen."
Randolph nickte. „Seltsam, daß man an einem Stück Erde so hängen kann", meinte er nachdenklich.
Deborah lächelte. „Und an Pferden. Auch ich bin ja mit ihnen aufgewachsen. Deswegen habe ich auch
ab und zu das Bedürfnis, eins zu trainieren."
„Ich bin Ihrem Vater bisher zweimal in meinem Leben begegnet", sagte Randolph. „Er war ein
wirklicher Pferdekenner."
„Ja, das war er. Es war einfach unglaublich, wie er mit ihnen umgehen konnte."
Deborah berichtete Randolph von ihrem Vater, den berühmten Pferden, die er trainiert hatte, und ihrer
gemeinsamen Arbeit. Er unterbrach sie nicht und schien sich für das, was sie sagte, wirklich zu
interessieren. Seit dem Tode ihrer Eltern hatte ihr niemand mehr so aufmerksam zugehört. Randolph
war ihr innerlich auf einmal sehr nah. Wieder wurde das Bedürfnis, ihn zu berühren, in ihr so übermächtig, daß sie nach ihrer Tasse griff, um sich abzulenken. Mit dunkler, gelöster Stimme begann Randolph dann, von sich zu sprechen. Er erzählte ihr Begebenheiten aus seiner Kindheit, die ihn so stark an die Ranch banden. Er berichtete von seinem Vater und seiner weisen Entscheidung, Randolph die Ranch und die Pferde und seinem Bruder Ray dafür die Ölfirma zu hinterlassen. Schließlich bemerkte sie, daß das Feuer heruntergebrannt war. Randolph nahm ein paar riesige Scheite von dem Stapel neben dem Kamin und hockte sich vor die Glut. Seine Beinmuskeln zeichneten sich unter den engen Jeans ab, als er, geschmeidig auf den Fersen balancierend und das Feuer schürte. Der alte Raum strahlte Wärme und Geborgenheit aus. Deborah hatte das Gefühl, sich in einer Welt zu befinden, in der es nur sie und Randolph gab. Jetzt war zwischen ihnen noch sehr viel mehr als die magnetische Anziehungskraft, die sie von Anfang an gespürt hatte. Sie fühlte sich ihm nun auch seelisch nah. Das Feuer brannte wieder, und Randolph stellte den Schürhaken in den Ständer zurück. Deborah verfolgte wie in Trance jede seiner Bewegungen. Der Drang, zu ihm zu gehen, überkam sie wie eine Welle, die alles mit sich reißt. Randolph drehte sich um und sah sie an. Sein Blick zog sie so magisch an wie bei ihrer ersten Begegnung. Er kam auf sie zu, und plötzlich lag sie in seinen Armen. Wie selbstverständlich schlang sie plötzlich die Arme um seinen Hals und fuhr ihm mit unglaublicher Zärtlichkeit mit den Fingern sacht durch das dichte, schwarze Haar. Dabei spürte sie ein unglaubliches Verlangen nach seiner Nähe. Er streichelte ihren Rücken und die Rundungen ihrer Hüften. Dann riß er sie an sich und suchte ihren Mund. Jetzt gab es nur noch das Drängen seiner Lippen, seiner Zunge. Sie erwiderte seinen Kuß, bis sie kaum noch atmen konnte. Randolph nahm sie auf die Arme und trug sie zur Couch. Dort legte er sie auf die weichen Kissen und kniete sich vor ihr hin. In seinem Blick lag ein Verlangen, das so glühend war wie die Flammen hinter seinem Rücken. Er beugte sich über sie und berührte ihre Lippen mit kleinen Küssen, als wolle er sich ihren Geschmack einprägen. Dann nahm er ihren Mund erneut in Besitz, und ihre Lippen und Zungen fanden sich in einem Kuß, der sie schwindelig machte. Sie klammerte sich an ihn und streichelte seinen muskulösen Rücken. Endlich löste er sich von ihr und liebkoste sie mit den Augen. „Deborah", murmelte er heiser, „Deborah." Er begann, die Perlenknöpfe ihrer Bluse zu öffnen und schob den Stoff zur Seite. Sein Blick wanderte von ihren Augen zu der zarten Haut ihrer Brüste, die im Schein des Feuers aufschimmerten. Er bedeckte sie mit Küssen, die heiße Schauer durch Deborahs Körper jagten. Sie murmelte seinen Namen und wußte nur noch, daß alles in ihr ihm entgegendrängte. Das schrille Klingeln des Telefons war so fremd und unerwartet, daß Deborah einen Augenblick nicht wußte, was los war. Erst als es wieder und wieder läutete, fand sie in die Wirklichkeit zurück. Was tat sie hier eigentlich? Sie war drauf und dran, sich in den Armen eines Mannes zu verlieren, den sie erst kurze Zeit und nur sehr oberflächlich kannte. Ich muß aufpassen, dachte sie plötzlich voller Panik. Sonst verliebe ich mich in ihn. Mit zitternden Fingern schob sie Randolph von sich und versuchte, sich aufzusetzen. „Ausgerechnet jetzt!" brummte Randolph und ging zu dem Schreibtisch in die Ecke. „Hallo", sagte er schroff. Er lauschte einen Augenblick in den Hörer. Dann sprach er wieder. „Valerie... Nein, ich war... beschäftigt." Er öffnete eine Schreibtischschublade. „Ich suche es heraus. Warte einen Augenblick, bitte." Alle Wärme wich aus Deborahs Körper. Eine eisige Hand griff nach ihrem Herzen. Ihr Traum war ausgeträumt, und ihr Gehirn begann, wieder mit kalter Präzision zu funktionieren. Was für eine Närrin sie doch war! Sie hatte geglaubt, Randolph etwas zu bedeuten, und hatte vergessen, daß es Valerie gab. Mit fliegenden Fingern zupfte sie ihre zerdrückte Bluse zurecht und floh mit ihrer Weste und der Handtasche panikartig aus dem Raum. Nur fort, war alles, was sie in diesem Moment denken konnte. Fort von Randolph und der Macht, die er zweifellos über sie besaß. Wenn sie sich mit ihm einließ, würde es früher oder später nur ein böses Erwachen für sie geben.
Sie rannte in die Nacht hinaus und hörte die schwere Eichentür hinter sich zuschlagen. Der Himmel war schwarz und von Wolken überzogen, die den Mond und die Sterne fast verdeckten. Ein eisiger Wind erfaßte sie, als sie den Schutz des Hauses verließ und über die Auffahrt zu ihrem Wagen lief. „Ich muß ungeheuer aufpassen", wiederholte sie laut und ließ dann den Motor an. „Von jetzt ab werde ich ihm aus dem Wege gehen, wo immer ich nur kann."
6. KAPITEL Sie bogen in die Ausfahrt der Autobahn ein, und Deborah versuchte, sich auf Kathys Geplauder zu konzentrieren. Während der ganzen Fahrt von der Redaktion hatte sie nur vage mitbekommen, daß es wieder einmal um Bill ging. Doch ihre Welt bestand an diesem Morgen nur aus Erinnerungen an den vergangenen Abend, und nichts schien wirklich zu ihr durchzudringen. Sie spürte Kathys Blick auf sich, aber sie tat so, als merke sie nichts. „Was ist los mit dir, Deborah?" fragte ihre Freundin. „Du hast den ganzen Tag kaum ein Wort gesagt." Sie schaute wieder auf die Straße und lenkte ihren blauen Volkswagen auf die zweispurige Straße, die zu Bills Klinik führte. „Wenn du nicht reden kannst, wirst du kein Interview zustande bringen." „Ich werde nicht viel reden müssen", gab Deborah lustlos zurück. „Diesmal begleiten wir Bill ja nur bei ein paar Besuchen. Da wird es wenig zu fragen geben." Sie empfand ihre Stimme selbst als so flach und leblos, daß sie sich zur Ordnung rief. Sie straffte sich und versuchte, Interesse für das vor ihnen Liegende zu entwickeln. Sie mußte Randolph vergessen und ihr Leben allein gestalten, da er ja offenbar nicht daran teilhaben konnte. Doch seine Umarmungen und Küsse ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Vermutlich hat er mich bereits wieder vergessen, sagte sie schließlich. Wer weiß, möglicherweise hatte Valerie ihn auf ihre Weise getröstet, nachdem sie gegangen war. Sie lächelte Kathy an und bemühte sich, ihrer Stimme einen heiteren Ton zu geben. „Außerdem brauche ich gar nicht mit Bill zu reden", sagte sie. „Das wirst du schon übernehmen." „Ach, Deborah..." Kathy parkte den Wagen am Ende des langen Gebäudes, in dem Bills Klinik und sein Büro untergebracht waren. „Ich bin so aufgeregt. Es ist noch viel schlimmer als beim erstenmal." Sie nahmen ihre Notizbücher und die Kameraausrüstung und stiegen aus dem Wagen. Doch ehe sie das Gebäude betreten konnten, kam Bill heraus. „Hallo, ihr beiden", begrüßte er sie. „Ich wollte schon auf euch verzichten und allein losfahren. Dan Bookman hat eben angerufen. Eine seiner Kühe wird beim Kalben vermutlich Schwierigkeiten haben." Zu dritt bestiegen sie Bills Transporter. Während sie zur Autobahn zurückfuhren, erzählte Bill von seiner Arbeit. Kathy war ungewohnt still. Ihr langes, glattes Haar fiel ihr ins Gesicht, so daß Deborah nicht erkennen konnte, was mit ihr los war. Den ganzen Morgen über hatte ihr Mundwerk nicht stillgestanden, doch jetzt sagte sie kein Wort. So sah Deborah sich gezwungen, ihren Teil zum Gespräch beizutragen. Sie hatte keine Zeit, über sich und Randolph nachzudenken. Auf der Bookman-Ranch, wo Bill die Kuh untersuchte, war sie hinreichend abgelenkt. Doch als sie dort fertig waren und über die Harrison-Lake-Straße in die Gegend kamen, in der sie aufgewachsen war, wurde sie wieder an die Geschichten aus ihrer Kindheit erinnert. Der Schnee war jetzt vollkommen geschmolzen, und die rote Erde, das braune Gras und die Bäume bildeten einen dürftigen Rahmen für die vertrauten Häuser und Ställe ihrer alten Nachbarn. Im Vorbeifahren erhaschte sie einen Blick auf ihr früheres Zuhause und wunderte sich, daß es ihr selbst jetzt, nach zwei Jahren, immer noch seltsam vorkam, einen fremden Wagen auf der Auffahrt und eine neue Kinderschaukel im Garten zu sehen. Deborah wurde aus ihren Träumen aufgeschreckt, als der Wagen ein paar hundert Meter weiter plötzlich zum Stillstand kam. Sie blickte überrascht auf und sah Jay Adams auf die Veranda des zweigeschossigen Hauses hinaustreten, in dem er aufgewachsen war. Er kam herangeeilt, um ihr die Wagentür zu öffnen. Erfreut lächelte er sie an. „Hallo!", rief er und ergriff ihren Arm. „Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Da lasse ich den guten alten Bill kommen, und er bringt mir gleich zwei schöne Frauen mit." Während sie zu viert zum Stall gingen, ließ er den Blick anerkennend über Deborahs schlanke Gestalt in dem eleganten graublauen Overall wandern. „Seit du das letztemal hier warst, bis du ganz schön gewachsen", sagte er. „Schon damals warst du eine Augenweide, aber heute gefällst du mir noch besser." Deborah lachte. „Du bist immer noch der alte Schmeichler, Jay!" Jay nahm seine Hand auch beim Weitergehen nicht von ihrem Arm. Deborah verglich die kameradschaftlichen Gefühle, die sie dabei empfand, unwillkürlich mit dem Feuer, das in ihr jedes Mal aufloderte, wenn Randolph sie so berührte. Doch sogleich ermahnte sie sich, daß Randolph Harlan absolut keinen Platz in ihrem Herzen haben durfte. Jay mochte für sie wie ein Bruder sein und wenig Verantwortungsgefühl besitzen, aber wenigstens wußte sie bei ihm wirklich, woran sie war. Er konnte ihr niemals gefährlich werden.
Bill und Kathy sahen sich den Schecken vor dem Stall an, und Kathy holte ihre Kamera aus der Tragetasche, um Aufnahmen zu machen. Jay hielt Deborah an einer Box mit einem kleinen, braunen Wallach zurück. „Was hältst du von diesem Burschen?" fragte er. „Er hat sich in der letzten Saison gut gemacht, aber jetzt ist er faul geworden und will nicht mehr rennen." Er bedachte Deborah mit einem Lächeln, das er anscheinend für unwiderstehlich hielt. „Nun, wie wär's, Mädchen? Hättest du nicht Lust, einmal wöchentlich herauszukommen und ein bißchen mit ihm zu arbeiten? Ich bin sicher, daß du in ihm wieder den richtigen Sportsgeist erwecken kannst." Sein jungenhaftes Lächeln erinnerte sie an die Zeit, als sie als junges Mädchen mit Jay über die roten Feldwege der Umgebung geritten war. Sie lächelte zurück und blickte ihm in die Augen, die er wegen der Mittagssonne zusammengekniffen hatte. „Und wieviel willst du mir für meine Dienste bezahlen?" erkundigte sie sich leichthin. „Du weißt, ich bin ziemlich beschäftigt, und meine Zeit ist kostbar." Jay stemmte sich mit einem Fuß gegen die Boxenwand und stützte sich mit dem Ellbogen auf. „Ja, ich weiß", antwortete er gedehnt. „Ich habe mich schon gefragt, ob ich mir dich überhaupt leisten kann." Deborah war plötzlich nicht mehr sicher, ob sie Jay wirklich so gut kannte. In seiner Stimme lag immer noch die gleiche Bewunderung, aber da war noch etwas anderes: Eifersucht. Dieselbe Eifersucht, die sie herausgehört hatte, als sie ihm gesagt hatte, daß Dandy bei Randolph war. Er ist eifersüchtig, überlegte sie, weil ich einen Teil meiner Zeit bei Randolph verbringe. Und er neidet ihm seinen Reichtum. Jay war immer in Geldnöten, weil er spielte und sich auf riskanten Pferdehandel einließ. Außerdem war er nicht in der Lage gewesen, ihr das Geld für Dandy zu leihen. Für Randolph war das eine Kleinigkeit gewesen. „Also gut, Jay, ich werde dir dabei helfen, so gut ich kann", lenkte sie ein. „Aber natürlich kann ich mit ihm kein systematisches Training durchführen. Ich habe mir jetzt schon mehr aufgehalst, als ich bewältigen kann." Jay blickte sie prüfend an. „Lassen wir das fürs erste", erklärte er ausweichend. Er strich sich eine Haarsträhne zurück, die sich in seiner Sonnenbrille verfangen hatte. „Aber sicher hast du doch wenigstens genug Zeit, um mir dein Pferd zu zeigen und mich zum Essen einzuladen? Schließlich hast du mir das versprochen." „Ich habe versprochen, mit dir nach Los Arboles zu fahren, Jay. Die Essenseinladung ging von dir aus", verbesserte sie ihn. „Stimmt! Wie wär's also mit morgen? Wann hast du Büroschluß? Wo soll ich dich abholen?" Zu jedem anderen Zeitpunkt hätten Jays Beharrlichkeit und der besitzergreifende Ausdruck in seinen Augen Deborah gestört. Doch hier, im kalten Wind in der Gegend, in der sie zusammen mit ihm aufgewachsen war, vermittelte Jay ihr ein seltsames Gefühl von Geborgenheit. Am liebsten hätte sie sich wie eine Schwester an ihn geschmiegt, um ihre Probleme für einen Augenblick zu vergessen. „Also gut", gab sie nach. „Morgen kann ich schon zeitig Schluß machen. Kannst du mich gegen halb drei im Büro abholen?" „Aber sicher!" Jay strahlte. Er legte ihr den Arm um die Schulter und ging mit ihr zu Bill und Kathy hinüber. Nach der Visite bei Jay besuchten sie noch eine andere Ranch, um nach einem Bullen zu sehen, der zu Bills Patienten gehörte. Danach fuhren sie in die Klinik zurück. Deborah war zufrieden mit ihren Aufzeichnungen, und Kathy hatte eine Menge Fotos geschossen. So begaben sie sich nach der Ankunft sofort zu ihrem Auto. Bill begleitete sie zu dem kleinen blauen Volkswagen und plauderte noch einen Augenblick mit ihnen. „Nun, ich glaube, es wird Zeit, daß ich wieder an die Arbeit gehe", meinte er schließlich. „Danke für die Publicity." Er warf Kathy einen kurzen, fast schüchternen Blick zu. „Bis Freitagabend, Kathy", sagte er. Kathy errötete und nickte. „Ich freue mich schon darauf", gab sie rasch zurück. Sie verabschiedeten sich, und Kathy kurbelte die Scheibe hoch. Sie lenkte den Wagen vom Parkplatz und hielt auf die Autobahn zu. „Was höre ich da?" erkundigte Deborah sich erfreut. „Du hast eine Verabredung mit Bill?" Kathy nickte stumm und blickte konzentriert auf die Straße, bis sie zur Autobahnzufahrt kamen. „Wann hat er dich denn eingeladen?" bohrte Deborah nach. „Wie kannst du mir so etwas nur vorenthalten? Da erfüllt sich dein sehnlichster Traum, und ich habe keine Ahnung davon." „Während du mit Jay gesprochen hast", antwortete Kathy. „Und bis jetzt war ich ja keine Minute mit
dir allein."
„Ach, Kathy, ich freue mich ja so für dich!"
Kathy schwieg, doch ein glückliches Lächeln lag auf ihren Zügen, als sie weiterfuhr.
Deborah blickte sie forschend an. „Ich hätte nie gedacht, daß du auch schüchtern sein kannst, Kathy."
Sie dachte an die Abschiedsszene von eben. „Und Bill auch! Ihr beide paßt gut zusammen."
„Das habe ich gleich gewußt", sagte Kathy leise und wechselte den Gang.
Deborah lächelte und erging sich weiter in ihrer Entdeckung. „Und dabei seid ihr beide sonst so locker
und kontaktfreudig", überlegte sie laut. „Nur wenn ihr verliebt seid, scheint eure Schüchternheit
durchzukommen."
„Das glaube ich auch", pflichtete Kathy ihr bei. „Er hat die ganze Zeit über herumgedruckst, aber dann
hat er mich doch gefragt, ob ich Lust hätte, am Freitag mit ihm ins Chi-Chi essen zu gehen."
„Finde ich einfach super!" bekräftigte Deborah. „Da sieht man wieder, daß Träume doch tatsächlich
wahr werden können." Dabei dachte sie unvernünftigerweise sofort an Randolph.
Ihre Gedanken waren immer noch bei Randolph, als sie in die Redaktion zurückkamen. Deborah setzte
sich an ihren Schreibtisch und starrte auf ihr Lieblingsbild an der Wand, das einen alten Heurechen
vor einer verfallenen Scheune zeigte. Sie hatte es gleich am ersten Tag im Büro aufgehängt, und
obwohl sie es täglich dutzende Male angesehen hatte, hatte sie sich immer wieder daran erfreut.
Schließlich schlug sie eine Telefonnummer nach und wählte. „Bitte, kann ich mit ihrer Patientin Myra
Harlan sprechen?" fragte sie.
Myras Stimme klang erzwungen zuversichtlich. „Deborah! Wie lieb von Ihnen, mich anzurufen", sagte
sie. „Dies ist das erstemal, daß mein Telefon klingelt. Es muntert mich richtig auf."
„Ich habe gerade an Sie gedacht, Mrs. Harlan, das wollte ich Ihnen sagen."
„Ach, bitte, nennen Sie mich doch Myra!" kam es prompt zurück. „Nach unserem langen Gespräch
gestern ist das ,Mrs. Harlan' mir einfach zu fremd."
Deborahs Magen zog sich bei der Erwähnung des vergangenen Abends zusammen. Sie dachte an
Randolph und die peinliche Szene beim Abendessen. Instinktiv spürte sie, daß es Myra genauso ging.
Keine von ihnen sprach jedoch diese Gedanken aus. Statt dessen plauderten sie eine Weile über die
Ereignisse des Morgens. Myra erzählte, daß ihre Operation nun doch noch ein paar Tage aufgeschoben
würde, weil vorher noch verschiedene Untersuchungen erforderlich seien. Deborah berichtete von
ihrer Fahrt mit Kathy und Bill.
Myra schien nach Gesprächsstoff zu suchen, um die Unterhaltung noch etwas hinauszuziehen.
Schließlich meinte sie betont beiläufig: „Wahrscheinlich haben Sie von Randolph heute noch nichts
gehört, nicht wahr?"
„Nein, Myra." Deborah spürte, wie ihr Pulsschlag schneller wurde.
„Ich auch nicht", sagte Myra. Es klang, es würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
Deborah versuchte, sie zu trösten. „Sicher ruft er bald an. Wahrscheinlich hat er jetzt am Morgen viel
zu tun."
„Sicher haben Sie recht", brachte Myra mühsam hervor.
Warum ruft er sie nicht wenigstens an, dachte Deborah. Die arme Frau! „Hören Sie, Myra", schlug sie
rasch vor, „wie wär's, wenn ich Sie besuchen käme? Ich könnte heute am späten Nachmittag nach der
Arbeit bei Ihnen vorbeischauen."
„Würden Sie das wirklich tun, Deborah?" Myras Dankbarkeit war rührend. „Das wäre wunderbar!"
Am folgenden Nachmittag beendete Deborah den Rohentwurf ihres Artikels über Bill Conway. Sie
warf einen Blick auf die Uhr. „Schon zwei", murmelte sie und zog die letzte Seite aus der
Schreibmaschine. Jetzt mußte sie noch einen Beitrag für die laufende Ausgabe überarbeiten und die
Termine für den nächsten Tag durchgehen.
Sie war gerade mit dem Artikel fertig, als sie Jays hochgewachsene Gestalt an der Tür entdeckte. Er
hatte seinen Rancherhut lässig aus der Stirn geschoben, und seine braunen Augen blitzten
unternehmungslustig. „Wer arbeitet, soll sich auch amüsieren", erklärte er. „Ich bin da, um dich zum
vergnüglichen Teil des Tages abzuschleppen."
„Hallo, Jay! Komm doch herein. Ich bin gleich fertig."
Er setzte sich auf einen der beigeroten Tweedsessel vor ihrem Schreibtisch und blickte sich interessiert
in ihrem Büro um.
Deborah ordnete noch die Seiten ihres Artikels in eine Mappe und stand auf. „Ich hätte dich schon
eher herbestellen sollen", sagte sie bedauernd. „Wir brauchen eine ganze Weile, ehe wir draußen sind,
und da es um diese Jahreszeit schon zeitig dunkel wird, werden wir wohl nicht gerade viel tun
können." Jay zuckte mit den Schultern.„Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich schon am Morgen gekommen. Da hätte ich dich den ganzen Tag über anschauen können." Er trat näher und ließ den Blick eindringlich über ihr glänzendes, seitlich zusammengehaltenes Haar, ihre cremefarbene Seidenbluse und den rostroten Wildlederhosenrock mit der dazu passenden Jacke wandern. „In dieser Kleidung kannst du aber kein Pferd reiten", entschied er und holte ihren Mantel von dem Garderobenständer in der Ecke. „Wir sollten lieber erst bei dir vorbeifahren, damit du dich umziehen kannst. Wenn du willst, helfe ich dir gern dabei." Deborah lächelte. „Danke für das Angebot, aber das wird nicht nötig sein. Ich habe ein paar Sachen in Los Arboles gelassen, damit ich mir über dieses Problem keine Gedanken mehr machen muß." Jay machte ein betroffenes Gesicht. „Das klingt ja so, als fühltest du dich dort schon wie zu Hause", meinte er herausfordernd. „So würde ich es nicht nennen." Deborah ärgerte sich, aber sie bemühte sich dennoch, ihrer Stimme einen beiläufigen Ton zu verleihen. „Ich versuche nur, die Dinge zu vereinfachen. Auf diese Weise kann ich dort jederzeit einfach aufkreuzen und mit Dandy arbeiten, ohne jedesmal erst zum Umziehen nach Hause fahren zu müssen. Ich habe auch so schon alle Hände voll zu tun, wenn ich Dandy bis September soweit haben will, daß sie in Ruidoso eine echte Chance hat." Sie gingen auf den Parkplatz hinaus. Jay half Deborah in seinen schnittigen, neuen metallicbraunen Sportflitzer. „Du hast einen neuen Wagen!" staunte sie. „Ich muß sagen, der zeigt was her." „Finde ich auch", gab Jay trocken zurück. „Jetzt brauche ich ihn nur noch zu bezahlen. Es wird immer schwieriger, an Geld heranzukommen." „Ja, davon kann ich auch ein Lied singen", seufzte Deborah und sah zu, wie Jay den Wagen auf die verkehrsreiche Schnellstraße lenkte. „Leider werde ich in den nächsten Monaten keine Minute Zeit haben, mir etwas nebenbei zu verdienen. Jede freie Minute gehört von jetzt ab dem Pferd, das du nachher sehen wirst." Sie unterhielten sich während der langen Fahrt aufs Land über Dandy und ihre Zukunftsaussichten. Jay versuchte diskret, aus ihr herauszufragen, wie sie das Pferd finanziert habe, aber Deborah erzählte ihm keine Einzelheiten. Er war unterhaltsam, und sie berichtete ihm von ihren Sorgen wegen des Rennens. Doch ihr fiel auf, daß Jay ihr die meiste Zeit nicht richtig zuhörte. Bei Randolph war das ganz anders gewesen. Er hatte sich für alles interessiert, was sie ihm anvertraute. Wie immer hatte Jay nur seine eigenen Dinge im Kopf. Deborah war enttäuscht, als sie bei ihrer Ankunft in Los Arboles Randolphs Transporter nirgends entdecken konnte. Sofort schob sie den Gedanken an ihn wieder beiseite und widmete ihre Aufmerksamkeit dem Wagen, der auf der Auffahrt stand. Es war ein eleganter schwarzer Zweisitzer, dessen Beifahrertür offenstand. „Schon an dem Wagen kannst du erkennen, daß wir es hier mit reichen Leuten zu tun haben", bemerkte Jay. „Das ist ein toller Schlitten. Gehört der Harlan?" „Das weiß ich nicht. Ich habe ihn bisher nur einen grauen Transporter fahren sehen." Jays Frage sollte sofort beantwortet werden. Valerie trat beschwingt aus der schweren Eingangstür. Sie trug schicke Designer-Jeans und ein Westernhemd aus rotem Satin und schien allerbester Stimmung zu sein. Ihr Blick traf Deborah und Jay, die aus dem Wagen stiegen, und sie lächelte charmant. „Hallo, ihr beiden! Ich wußte nicht, daß ihr einander kennt." Sie blieb vor ihnen stehen und lächelte kokett zu Jay auf. „Ihr gebt ein hübsches Paar ab." „Das versuche ich Deborah schon seit Jahren klarzumachen", antwortete Jay ernsthaft. „Wie geht es dir, Valerie?" „Super. Seit der Party bei Dolores letztes Jahr habe ich dich nicht mehr gesehen, glaube ich." Sie unterhielten sich eine Weile. Dann ging Valerie zu ihrem Wagen und machte sich daran, Behälter mit roten Tulpen und Blumenarrangements mit weißen Narzissen auszuladen. „Randolph ist nicht da", erklärte sie gutgelaunt. „Aber ihr könnt trotzdem reingehen und dort warten." „Wir sind nicht wegen Randolph gekommen", gab Deborah kurz zurück. „Ich möchte mich nur schnell drinnen umziehen." „Wir trainieren Rennpferde", sagte Jay leichthin. „Und das können wir schlecht in diesen Nobelsachen tun." Er ging zu Valerie. „Komm, ich helfe dir mit den Blumen", erbot er sich. „Du kannst das alles unmöglich allein tragen."
„Danke. Ich habe schon ein paar reingeschafft und muß mich mit dem Ausschmücken beeilen, weil ich mich zu Hause noch umziehen muß." „Was für ein großes Ereignis steht denn diesmal bevor?" wollte Jay wissen, während sie die Auffahrt überquerten. „Das Jahresbankett des Vorstands des Reiterverbandes", erklärte Valerie. „Ich spiele für Randolph auch diesmal wieder die Gastgeberin. Da habe ich mir eine Dekoration aus roten und weißen Blumen und herzförmigen Servietten als Platzkarten ausgedacht, um den Valentinstag vorwegzunehmen. Schließlich steht er ja direkt vor der Tür, und es ist mein ganz besonderer Tag", plauderte sie munter weiter, während sie die Stufen hinaufstieg. „Der heilige Valentin ist ja gewissermaßen mein Namensbruder." Die Beklommenheit, die Deborah bei Valeries Anblick empfunden hatte, verstärkte sich. Valerie spielte also für Randolph die Dame des Hauses. Und sie hatte sich für dieses Ereignis ein romantisches Motto ausgesucht... Jay hielt ihnen die Tür auf. Deborah versuchte, nicht hinzuhören, als Valerie Hettie, die in der verlockend duftenden Küche beschäftigt war, eine Anweisung zurief. Dann ging sie Jay mit den Blumen ins Eßzimmer voran. Deborah begab sich zu dem Schrank unter der Treppe, wo Hettie ihr einen Platz für ihre Jeans und Stiefel eingeräumt hatte. Mit den Sachen in den Händen betrat sie das danebenliegende Bad. Was geht es mich an, wie viele Essen Valerie und Randolph gemeinsam geben, sagte sie sich. Mit zittrigen Fingern knöpfte sie ihre Bluse auf und vertauschte sie gegen ihren dicken Strickpullover. Randolph bedeutete ihr gar nichts. Er war lediglich ihr Geschäftspartner, das war alles. Sollte Valerie sich ruhig an ihn heranmachen. Deborah hängte ihre Sachen auf und streifte ihre verblichenen Jeans und die Reitstiefel über. Vergiß Randolph und konzentriere dich lieber auf das Pferd, schalt sie sich ärgerlich. Mit Randolph konnte sie sich nur Probleme einhandeln. Wenn sie Dandy jedoch richtig trainierte, würde sie bald ein herrliches Pferd ihr eigen nennen und sich gleichzeitig eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit aufbauen. Jay schloß gerade die Tür von Valeries Zweisitzer, als Deborah wieder ins Freie kam. „Jetzt zeige ich dir das Wunderpferd", sagte Deborah mit einer Unbeschwertheit, die sie nicht empfand. Während sie sich Dandy ansahen und mit ihr arbeiteten, wanderten Deborahs Gedanken immer wieder zu Randolph und Valerie und dem geplanten Festessen. Trotz ihrer Bemühungen, sich voll dem Pferd zu widmen, flog ihr Blick immer wieder zu der gewundenen Straße, die an den Ställen vorbei zum Haupthaus führte. Er muß ja bald nach Hause kommen, wenn er heute abend Gäste hat, überlegte sie. Endlich hatte Deborah die vorgesehenen Übungen mit Dandy hinter sich gebracht. Völlig außer Atem übergab sie Steve ihren kostbaren Schützling wieder. „Sie ist ein Klassepferd", meinte Jay anerkennend und schloß das Gehege hinter ihnen. „Aber warum bringst du sie nicht irgendwo bei dir in der Nähe unter?" wollte er wissen. „Du könntest sie bei mir einstellen." Deborah nahm gar nicht richtig wahr, was er sagte. Sie gingen den Berg hinauf, und sie lauschte gebannt auf das erwartete Knirschen der Reifen hinter ihnen. „Es sei denn, du hättest einen besonderen Grund, sie hier zu lassen." Deborah blickte ihn verständnislos an. Erst als sie den vorwurfsvollen Ausdruck in Jays Augen sah, wurde ihr bewußt, daß sie ihn kaum beachtet hatte. „Nun, Jay, schließlich ist Randolph der Geldgeber", sagte sie. „Wahrscheinlich hat er sie eben lieber hier, wo er ab und zu ein Auge auf sie haben kann." Jay seufzte. „Wahrscheinlich. Ich wollte sie nur bei mir aufnehmen, damit ich dich öfter sehen kann", antwortete er, und seine eben noch ernste Miene zeigte wieder das jungenhafte Lächeln. „Aber wenigstens gehst du ja heute abend mit mir zum Essen aus. Wir können auf der Rückfahrt in die Stadt in Barney's Steakhaus einkehren." Während des ganzen Essens war Jay sehr aufmerksam. Und obwohl es Deborah nicht ganz gelang, die Gedanken an Randolph zu verdrängen, genoß sie es, ihre Pläne und ihre Trainingsmethoden ausgiebig erläutern zu können. „Ich habe vor, Dandy zum erstenmal beim Blue-Ribbon-Downs-Rennen in Sallisaw laufen zu lassen", erklärte sie, als die Kellnerin ihre Teller fortgenommen und ihnen eine frische Kanne Kaffee hingestellt hatte. „Das ist in drei Wochen. Steve hat sie inzwischen eingeritten, und bis dahin müßte es
mit dem Galopp klappen."
Jay schenkte ihr Kaffee nach. „Sie hat sich enorm rasch entwickelt", meinte er und bediente sich
ebenfalls.
„Tom Bradens Leute hatten schon etwas Vorarbeit geleistet", mußte Deborah zugeben. „Sie war schon
ein ganzes Stück weiter, als ich anfangs gedacht hatte."
„Das ist gut." Er zündete sich eine Zigarette an. „Und was Sallisaw betrifft, da bin ich mit von der
Partie. Du brauchst beim Be- und Entladen Hilfe und auf der Fahrt Gesellschaft." Er lächelte, und
seine Zigarette glühte in dem gedämpft beleuchteten Raum hell auf. „Allein würde es auf der langen
Fahrt ziemlich einsam sein."
Deborah nickte. „Also gut. Ich nehme dein Angebot an."
Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten über die Fahrt, dann griff sie nach ihrer Handtasche.
„Stichwort lange Fahrten, wir sollten sehen, daß wir weiterkommen. Ich bezweifle, daß das bei dir
auch so ist, aber ich muß morgen arbeiten."
„Warum nur glauben alle, ich arbeite nie?" brummte Jay. Er schob ein paar Geldscheine unter die
Rechnung und folgte ihr zur Tür.
7. KAPITEL Deborah legte die Seiten des Artikels, den sie überarbeitet hatte, sorgfältig zusammen und legte sie in die Mappe. In diesem Augenblick klopfte Kathy an ihre offene Bürotür. „Nur hereinspaziert." Deborah lächelte ihrer Freundin entgegen. „Ich hatte die ganze Zeit über gehofft, du würdest zurückkommen, ehe ich gehen muß." „Hier bin ich", antwortete Kathy und ließ sich auf den Stuhl vor Deborahs Schreibtisch sinken. Ihre Handtasche und die Kameraausrüstung stellte sie auf dem Boden ab. „Seit Freitagabend kann ich es kaum erwarten, dir Bericht zu erstatten. Als Josh mir dann heute morgen sagte, du seist den ganzen Tag unterwegs, hätte ich schreien können." „Ich war auch enttäuscht, als ich dich nicht antraf." Deborah lächelte. „Den ganzen Tag habe ich überlegt, ob Träume wirklich wahr werden. War dein Rendezvous mit Bill auch nur halb so aufregend, wie du es dir vorgestellt hattest?" Kathy lächelte verträumt. „Es war sogar noch besser", antwortete sie leise. „Wir sind essen gegangen und waren im Kino, und hinterher haben wir geredet und geredet. Ich hätte nie gedacht, daß wir uns so viel zu sagen hätten." „Da freue ich mich wirklich mit dir, Kathy." Deborah setzte sich befriedigt zurück. „Mein Glaube an Märchen ist wiederhergestellt. Da schwärmst du nun schon so lange aus der Ferne von Bill, und dann gehst du tatsächlich mit ihm aus und hast soviel Spaß." „Spaß? Das waren die schönsten Stunden meines Lebens!" erklärte Kathy, und ihre Augen blitzten in Erinnerung an die verzauberten Stunden glücklich auf. „Irgendwie kann ich es immer noch nicht richtig glauben, daß es Wirklichkeit ist." „Ist es aber. Ich finde, ihr beide gebt ein schönes Paar ab." Kathy strahlte und erging sich in eine erregte Schilderung der Einzelheiten des Abends. Anfangs hörte Deborah ihr aufmerksam zu. Doch dann begann sie, Kathys überschäumende Glücksgefühle mit ihrem Verhältnis zu Randolph zu vergleichen. Als Kathy ihren Bericht beendet hatte, fragte sie sich, ob Valeries Abend in Los Arboles ebenso erfolgreich verlaufen war wie Kathys. Deborah schüttelte den Kopf, als könne sie damit ihre beunruhigenden Gedanken loswerden, und stand auf. „Ich muß jetzt aufbrechen." Sie ging um den Schreibtisch herum und umarmte ihre Freundin. „Ich freue mich, daß du dich mit Bill so blendend verstehst. Wann trefft ihr euch wieder?" „Am Wochenende", kam es wie aus der Pistole geschossen zurück. „Wir wollen uns in Tulsa ein Theaterstück ansehen." „Aha!" Deborah nahm ihre Tasche und ihre Weste vom Garderobenständer. „Ihr macht also bereits die weitere Umgebung unsicher." Kathy lachte selig. Dann fragte sie: „Warum hast du es übrigens so eilig? Ich dachte, wir könnten vielleicht irgendwo etwas essen." „Klingt gut, aber das werden wir auf ein andermal verschieben müssen. Ich fahre erst am Krankenhaus vorbei, um bei Myra Harlan hereinzuschauen, und dann muß ich zu Dandy. Es ist wichtig, daß ich möglichst oft mit ihr arbeite, denn jede Stunde ist kostbar, wenn ich sie bis Anfang September in Form haben will." „Wie geht es Mrs. Harlan?" Kathy sammelte ihre Siebensachen ein und folgte Deborah hinaus. „Ist sie schon operiert worden?" „Nein. Und das Warten nervt sie natürlich noch mehr. Sie tut mir richtig leid, aber ich weiß nicht, wie ich ihr helfen könnte." „Schon deine Besuche tun ihr gut", versicherte Kathy. „Das Beste für sie wäre, wenn ihre Träume wahr würden, so wie bei dir." Während sie zu ihrem Wagen ging und zum Krankenhaus fuhr, überlegte sie erneut, wie sie Myra und Randolph wieder versöhnen könnte. „Wie fühlen Sie sich, Myra?" fragte Deborah teilnahmsvoll, als sie das stille Krankenzimmer betrat. Bei ihrem ersten Besuch war Myra in einem eleganten Morgenmantel erwartungsvoll herumgewandert. Diesmal jedoch lag sie lustlos in ihrem Bett. „Ich bin nur deprimiert, weiter nichts", antwortete Myra, als Deborah an ihr Bett trat. Sie setzte sich auf und drückte mit unsicheren Fingern auf den Knopf, mit dem sie das Kopfende ihres Bettes hochstellen konnte. „Meine Operation ist wieder verschoben worden. Der Arzt ist krank, und ich will keinen anderen." Sie fuhr mit ihren verknöcherten Händen mehrmals hilflos über die Bettdecke,
konnte sie aber nicht greifen. „Das tut mir wirklich leid", sagte Deborah und reichte ihr die lustig verpackte Puderdose, die sie ihr mitgebracht hatte. „Das Warten muß schrecklich sein." „Ja, das ist es", murmelte Myra niedergeschlagen und legte das Päckchen neben sich aufs Bett. „Ich hasse es, hier tatenlos herumzuliegen und warten zu müssen. Und ich kann nicht mal handarbeiten oder malen oder sonst etwas tun, was mir Spaß macht. Ich kann nichts tun, als darüber nachgrübeln, wie verkorkst mein Leben ist." Ihre Augen wirkten erloschen, und ihr sonst so sorgfältig zurechtgemachtes Gesicht war ohne Make up, und man konnte jede einzelne Falte deutlich sehen. Sie blickte Deborah verloren an. „Und bitte versuchen Sie nicht, mir das auszureden", fuhr sie mit etwas kräftigerer Stimme fort. „Ich habe einen Sohn, der mich seit meiner Einlieferung nur einmal für zehn Minuten besucht hat, und einen, der sich überhaupt noch nicht nach mir erkundigt hat." Sie senkte die Lider und bewegte unglücklich die Hände. „Wenn man in meinem Alter nicht mal mehr der Liebe seiner Kinder sicher sein kann, was hat man dann noch vom Leben?" „Aber Sie sind doch noch gar nicht alt, Myra...", begann Deborah, aber die Kranke sprach weiter, als habe sie nichts gehört. „Und ich kann den beiden Jungen noch nicht einmal einen Vorwurf machen. Es ist alles meine Schuld. Wäre ich nur nicht so ruhelos gewesen! Ich habe ständig versucht, mir selbst etwas zu beweisen, als sie noch klein waren." „Sie haben damals getan, was sie unbedingt tun mußten, Myra", sagte Deborah. „Sie und Ray und Randolph können immer noch zueinander finden, wenn sie alle die Vergangenheit ruhen ließen und lernten, aufeinander zuzugehen." In Myras blaßblaue Augen trat ein Hauch von Interesse. „Dazu braucht es viel gegenseitiges Bemühen und Verständnis", fuhr Deborah fort. „Aber ich glaube einfach nicht, daß es dafür schon zu spät sein soll. Wäre es denn nicht wenigstens einen Versuch wert?" Myra schien darüber nachzudenken. Als Deborah sich verabschieden wollte, wirkte sie sehr viel hoffnungsvoller. Sie streckte die Hände aus und zog Deborah in die Arme. „Ich danke Ihnen sehr", flüsterte sie voller Rührung. „Ich werde mir Ihre Worte sorgfältig durch den Kopf gehen lassen." Deborah parkte in der Nähe des Stalles. Sie trug bereits Jeans und brauchte deshalb nicht erst zum Haupthaus hinaufzufahren, wo sie mit Randolph zusammenstoßen konnte. Aber natürlich war es durchaus möglich, daß sie ihm auch hier über den Weg lief, dachte sie und spürte, wie ein elektrisierendes Prickeln sie durchlief. Sie stieg aus dem Wagen und ging Dandys Geschirr holen. „Hallo, Deborah", grüßte Steve, der an der Box neben Dandys Verschlag stand. „Ich bin hier gerade fertig. Brauchen Sie bei Dandy Hilfe?" Ehe sie antworten konnte, drangen die Geräusche eines sich nähernden Transporters an ihr Ohr. Gleich darauf ertönte Randolphs Stimme. „Steve!" rief er. „Komm einen Augenblick heraus, ja?" Deborah zuckte innerlich zusammen. Der Klang seiner Stimme brachte die Erinnerung an ihr letztes Beisammensein zurück und ließ die Tage ohne Randolph plötzlich leer erscheinen. Sie spürte Dandys Schnauze an ihrer Schulter und wandte sich dem Pferd zu. Sie durfte sich nicht mit Randolph beschäftigen. Jetzt brauchte sie ihre ganze Kraft und Konzentration, um ein gutes Rennpferd aus Dandy zu machen und sie zum Sieg zu führen. Deborah holte das Fohlen gerade aus der Box, als Randolph den Gang herunterkam. Seine Augen waren kalt und wachsam, und er schien sie zu suchen. Als er sie entdeckte, musterte er sie mit ausdrucksloser Miene von Kopf bis Fuß. Dann glitt sein Blick zu Dandy. Deborah erbebte innerlich. Sie fühlte sich ihm nah und doch so fern. „Ich wüßte gern, wie Sie sich wegen Ihres Assistenten entschieden haben", sagte Randolph kühl. „Da Sie ja nicht so oft hier rauskommen, brauchen Sie jemanden, der sich um das Pferd kümmert." Deborah hielt seinem Blick tapfer stand. „Ich habe mich für Steve entschieden", antwortete sie gefaßt. „Er ist ständig hier und scheint mir recht tüchtig zu sein." Sie fuhr mit unsicheren Fingern über die Mähne des Pferdes. „Ich weiß, er mag Dandy, und das scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen.“ „Gut“, gab er knapp zurück. „Er wird gleich wiederkommen. Dann können wir mit ihm darüber sprechen. Ich habe ihn zu einer Stute geschickt, die frisch gefohlt hat." Das Wort „wir" störte Deborah. Es erinnerte sie an den ersten Tag, als Randolph um ein Haar über
ihren Kopf hinweg einen Assistenten bestimmt hatte. Damals hatte sie ihm das durchgehen lassen, weil sie zu verwirrt gewesen war. Das durfte ihr diesmal nicht wieder passieren. „Sie brauchen nicht auf ihn zu warten", erklärte sie bestimmt. „Ich kann mich sehr gut allein darum kümmern." „Ich werde trotzdem auf Steve warten", erwiderte er schroff. „Schließlich ist er mein Angestellter. Er wird durch diese Aufgabe von seinen anderen Pflichten abgezogen. Sie können diese Dinge also nicht allein entscheiden." Deborah öffnete den Mund, um ihm eine scharfe Antwort zu geben, aber Randolph ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. „Sie können ruhig schon mit der Arbeit anfangen", entschied er. „Steve wird noch ein Weilchen fortbleiben." Deborah war wütend. Sie wollte ihm erklären, daß Steve seine Anweisungen von ihr erhalten würde. Daß Randolph sich da nicht einmischen solle. Aber sie war im Augenblick nicht in der richtigen Verfassung dafür. Es war besser, sie arbeitete erst einmal draußen mit Dandy und legte sich in dieser Zeit die richtigen Argumente zurecht. Wenn sie zurückkam, würde sie es Randolph schon geben. Deborah führte das Pferd aus dem Stall. Sie war entschlossen, die wenigen Stunden, die sie Dandy widmen konnte, gut zu nutzen. Rasch saß sie auf und ritt eine Runde. Dabei entdeckte sie Randolph an der Stalltür. Er beobachtete sie. Als sie näher kam, befahl er ihr in einem Ton, als sei sie eine seiner Angestellten: „Gehen Sie mit ihr auf die Rennstrecke. Sie ist jetzt reif für den Galopp." „Noch nicht ganz", gab Deborah ärgerlich zurück. „Ich werde damit noch etwas warten." Ihre Augen blitzen kampfeslustig. „Heute ist es noch zu früh dafür." Ohne Randolphs Antwort abzuwarten, ritt sie eine weitere Runde. Als sie das nächste Mal zur Stalltür blickte, war Randolph verschwunden. Sie stieg ab, öffnete das Gehegetor und führte Dandy hinaus. Sorgsam verschloß sie das Tor wieder und ritt zur Arena hinüber. Ein alter Cowboy war dort beschäftigt, aber er schenkte ihr keine Beachtung. Deborah arbeitete mit Dandy und genoß das Spiel der kraftvollen Muskeln unter sich und die letzten Strahlen der Abendsonne. Innerlich bereitete sie sich jedoch auf die Auseinandersetzung mit Randolph vor, die sie nach dem Training erwartete. Sie wußte, daß sie sich jetzt durchsetzen mußte, sonst würde sie bald zur Befehlsempfängerin wie alle anderen werden. Randolph stand am Stalleingang, als sie zurückkehrte. Das künstliche Licht im Inneren des ausgedehnten Komplexes erschien ihr nach der Abenddämmerung noch greller. Es unterstrich die harten Linien seines Gesichtes. Sobald Deborah herankam, nahm er ihr die Zügel ab und übergab sie einem seiner Männer. Dann rief er Steve heran. Jetzt war es für Deborah an der Zeit, zu sprechen. „Ich möchte Sie vor Steve nicht in Verlegenheit bringen", erklärte sie rasch. „Lassen Sie uns also jetzt nicht streiten. Aber ich möchte, daß Sie eins klar sehen: Ich bin diejenige, die den Assistenten aussucht und die Fragen stellt." Randolph blickte sie verblüfft an. „Aber ich zahle sein Gehalt", gab er zurück, während Steve näher kam. Zu Deborahs Überraschung schwieg Randolph jedoch, als sie mit Steve über Dandy sprach. „Sie müßten mit ihr im Juni oder Juli nach Neu-Mexiko gehen", informierte sie Steve. „Ich kann meine Arbeit nicht zwei, drei Monate im Stich lassen, während Dandy sich an das Höhenklima gewöhnt." Steve blickte fragend Randolph an. Als dieser nickte, wandte er sich Deborah wieder zu. „Ich freue mich schon darauf", sagte er und strahlte. „Okay, Steve, das wäre fürs erste alles", mischte Randolph sich ein. „Über die näheren Einzelheiten kannst du mit Deborah sprechen, wenn sie das nächstemal kommt. Jetzt kannst du dich zusammen mit Mac wieder um das frischgeworfene Fohlen kümmern." Steve ging. Deborahs Wangen glühten vor Zorn. „Ich war mit ihm noch nicht fertig", fuhr sie Randolph an. „Wie Sie sich vielleicht erinnern, hatten wir vereinbart, daß ich das Pferd so trainiere, wie ich es für richtig halte. Ich kann aber nicht als Trainerin arbeiten, wenn Sie sich immer wieder einmischen und den Boß spielen!" „Aber ich bin der Boß", gab Randolph gelassen zurück. Er nahm ihren Arm und führte sie den Gang entlang. „Nicht in diesem Fall!" fauchte sie und entriß ihm ihren Arm. „Über Dandys Training entscheide ich allein! Warum halten Sie sich da nicht heraus?"
Deborahs Herz klopfte wie wild. Wieder ergriff Randolph ihren Arm und schob sie ins Freie. Dort ließ er sie los und wandte sich zum Gehen. Aber Deborah stellte sich ihm in den Weg. Sie war entschlossen, ihn zu einer Antwort zu zwingen. „Warum mischen Sie sich überhaupt in das Training ein? Wenn Sie meine Methoden für falsch halten und glauben, ich könne Dandy damit nicht zum Sieg führen, warum halten Sie sich dann nicht ganz heraus? Statt dessen reden Sie mir ständig rein!" Deborahs Augen funkelten aufgebracht. „Nun?" setzte sie nach, als er sie nur kühl anblickte. „Antworten Sie! Warum lassen Sie mich nicht einfach ins offene Messer laufen? Dann gehört Dandy doch Ihnen!" „Wegen einer Wette würde ich Sie ein Pferd wie Dandy nicht verderben lassen. Ganz gleich, wer sie schließlich bekommt, ich lasse nicht zu, daß Sie sie zuschanden reiten." Die Endgültigkeit seines Tons gab Deborah zu denken. Randolph würde Steve also unter Umständen Befehle erteilen, die ihren eigenen Anweisungen zuwiderliefen. „Ich glaube, es war ein großer Fehler, mir überhaupt einen Assistenten zu nehmen", erklärte sie verbittert. „Wahrscheinlich werden Sie ständig hier aufkreuzen und Steve vorschreiben, was er tun soll. Dann wird er Dandy nach Ihrer Methode und nicht nach meiner ausbilden." Hitzig fuhr sie fort: „Wenn Dandy aber von zwei Seiten bearbeitet wird, ist das der sicherste Weg, sie kaputtzumachen." Randolph nickte. „Ja, das stimmt." Er sah sie einen Augenblick nachdenklich an. „Wir müssen miteinander reden", erklärte er plötzlich. „Aber jetzt geht es nicht. Ich habe eine Verabredung mit jemandem, der bereits hier ist, wie ich sehe." Deborah folgte seinem Blick und entdeckte auf der Anhöhe des Haupthauses einen weißen Mercedes. Er wandte sich ihr wieder zu. „Ich hole Sie morgen abend ab. Dann können wir zusammen essen gehen." „Nein", antwortete Deborah rasch und floh zu ihrem Wagen. Ein Abend mit Randolph war ihr viel zu gefährlich. Selbst jetzt, wo sie Streit hatten, spürte sie die magnetische Anziehungskraft, die seit ihrer ersten Begegnung zwischen ihnen bestanden hatte. „Wir werden beim Essen schon eine passende Lösung finden", bestimmte Randolph. Er war ihr gefolgt und hielt ihr höflich die Wagentür auf. Deborah kämpfte mit sich. „Wir treffen uns hier. Ich muß sowieso wieder herkommen." „Nein, ich hole Sie ab", beharrte er und schloß die Wagentür. Er stützte sich mit einem Ellbogen auf das Dach und blickte sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an. „Wenn Sie dann immer noch hierher kommen möchten, bringe ich Sie her", setzte er ganz leise hinzu. Er klopfte kräftig auf das Wagendach und ging mit langen, geschmeidigen Schritten in Richtung auf das Haupthaus davon. Das beliebte, abgelegene Restaurant in einem Waldgebiet nördlich von Oklahoma-City gehörte zu Deborahs Lieblingslokalen. An diesem Abend kam es ihr noch gemütlicher als sonst vor. Es war ein alter Bau, der wie Los Arboles in der Zeit des Ölrausches gebaut worden war. Doch im Gegensatz zu den Harlans war diese Familie auseinandergegangen und und hatte ihren Besitz verkauft. Jetzt war es eine Mischung aus Klub und Restaurant, berühmt für seine Steaks. Deborah blieb in der geschmackvoll eingerichteten Eingangshalle stehen, während Randolph ihre Garderobe abgab. Sie rief sich in Erinnerung, daß dies ein geschäftliches Essen und keine romantische Verabredung war. Seit seiner Ankunft in ihrem Apartment hatte Randolph sich als aufmerksamer Begleiter gezeigt, und in dieser traulichen Atmosphäre konnte es leicht passieren, daß sie ihre guten Vorsätze vergaß. Deborah musterte sich in den hohen Spiegeln, die die geschnitzten Doppeltüren säumten. Ihre rostfarbene Seidenbluse und die darauf abgestimmte Hose schimmerten warm. Der Ton entsprach genau ihrem Haar, das sie an einer Seite zurückgesteckt hatte und auf der anderen offen trug. Das gedämpfte Licht ließ das Kupferrot aufleuchten. Sie drehte sich um, als Randolph zu ihr trat. Der Oberkellner führte sie an der langen geschnitzten Bar vorbei über eine teppichbelegte Treppe nach oben. Deborah spürte dabei Randolphs Hand in ihrem Rücken und erschauerte innerlich unter der Berührung. Randolph bestellte Wein und für beide das Spezialsteak des Hauses. Dann verwickelte er sie wie auf der Fahrt in ein unverfängliches Gespräch. Der Kellner erschien mit dem Wein und Käsestangen. Deborah faltete die Serviette auseinander und nippte an ihrem Glas. Sie fühlte sich wie in einer Traumwelt, in der seit dem Augenblick, als das Telefon in Los Arboles geklingelt hatte, und diesem intimen Beisammensein nichts geschehen war. Wieder spürte sie Randolphs magnetische Anziehungskraft, und wieder hatte sie den Wunsch, die Hand nach ihm
auszustrecken und ihn zu berühren. In seinem dunkelblauen Nadelstreifenanzug und dem hellblauen Hemd sah er ungewohnt, aber umwerfend gut aus. Aber sie mußte an Dandy denken. Auf keinen Fall durfte sie zulassen, daß sie beide versuchten, das Pferd zu trainieren. Sie mußte Dandy schützen und sich gleichzeitig vor dem Mann hüten, für den sie ganz sicher nur ein Abenteuer war. Als sie endlich sprach, bemühte sie sich, ihrer Stimme einen ruhigen und geschäftsmäßigen Klang zu geben. „Lassen Sie uns über Dandy reden", sagte sie und biß herzhaft in eine Käsestange. „Deswegen sind wir ja schließlich hier." Randolph hob spöttisch eine Braue und blickte sie durchdringend über den Rand seines Glases an. „Wirklich?" fragte er in einem Ton, der ihr ein ungeheuer erregendes Prickeln über die Haut jagte. „Natürlich", gab sie sachlich zurück. „Wir hatten uns doch geeinigt, daß wir Dandy nicht beide trainieren können, wenn in Zukunft etwas aus ihr werden soll." „Also gut, reden wir über Dandy, wenn Sie unbedingt wollen", antwortete Randolph, und seine Stimme wurde härter. „Sie sollten eigentlich wissen, daß ich nicht der Mann bin, der Steve hinter Ihrem Rücken Anweisungen erteilt. Wenn ich zu der Auffassung komme, daß Sie das Pferd falsch ausbilden, werden Sie die erste sein, die das erfährt." „Sie wissen genau, daß ich mein Handwerk verstehe", gab sie ärgerlich zurück. „Sonst hätten Sie sich gar nicht erst auf die Wette mit mir eingelassen. Wenn Sie von meinen Methoden nichts hielten, hätten Sie Dandy einfach gekauft und mich zum Teufel gejagt." Randolph lehnte sich zurück und trank von seinem Wein. „Das stimmt nicht ganz", erwiderte er gedehnt. „Sie erinnern sich vielleicht, daß Sie das Vorkaufsrecht auf Dandy hatten. Und als Gentleman mußte ich das respektieren." „Nun, dann kann ich nur hoffen, daß Sie unsere Vereinbarung genauso respektieren wie dieses Vorkaufsrecht und daß Sie sich nicht in meine Trainingsentscheidungen einmischen", parierte Deborah. „Da wir gerade versuchen, eine Einigung zu finden, ich dachte, wir waren uns neulich abend mehr als einig", antwortete er leichthin und blickte sie über die Kerzen hinweg fragend an. „Warum sind Sie einfach davongelaufen?" Deborah senkte verlegen die Lider und probierte den Salat, den der Kellner gerade gebracht hatte. Beim Gedanken an Valerie krampfte sich alles in ihr zusammen. „Weil Sie damals einen Anruf bekamen", murmelte sie und sah im Geiste sofort wieder die lebenssprühende junge Nachbarin vor sich. „Gut, ich bekam einen Anruf", gab er gereizt zurück. „Ich wußte aber nicht, daß ein Anruf ein Grund ist, aufzustehen und fortzurennen. Ohne ein einziges Wort des Abschieds." Deborah sah ihm voll in die Augen. „Denken Sie mal darüber nach", erklärte sie mit fester Stimme. „Vielleicht fällt Ihnen dann ein, warum es in diesem Fall einen Grund dafür gab." Randolph sah sie lange nachdenklich an. „Vielleicht sollten Sie mir das näher erklären", meinte er. „Ich muß gestehen, daß ich das nicht ganz verstehe." Deborah dachte an den fraglichen Abend und schwieg. Randolph sah sie so eindringlich an, daß ihr ganz seltsam wurde. Verzweifelt versuchte sie, das Gespräch auf sichereren Boden zu bringen. „Ach, lassen wir doch neulich abend. Ich möchte lieber klargestellt wissen, daß Sie sich bei Dandys Training heraushalten", antwortete sie, als der Kellner mit den Steaks erschien. Randolph sah sie weiterhin forschend an und sprach erst nach einer Weile. „Lassen Sie uns den Abend genießen", meinte er ausweichend. „Es ist so gemütlich hier, daß wir uns nicht mit geschäftlichen Dingen belasten sollten." Der Wein, der einschmeichelnde Klang seiner Stimme und die Atmosphäre stimmten Deborah weich. Also gut, dachte sie. Wir können auch darüber reden, wenn ich das nächstemal nach Los Arboles kommen. Er hat recht, wir sollten den Abend lieber genießen. Ein sternenklarer Himmel wölbte sich über ihnen, als sie das Restaurant verließen. Die Luft war kalt, und Deborah trat unwillkürlich etwas näher an Randolph heran. Er legte ihr den Arm um die Taille. In einträchtigem Schweigen gingen sie zu seinem eleganten Wagen. Der Wein, den sie zum Essen getrunken hatten, und der abschließende Cognac machten Deborah gelöst und schläfrig zugleich. Als Randolph den Motor anließ und auf die Straße hinausfuhr, legte sie den Kopf zurück und überließ sich ihren Empfindungen. Die nächtliche Landschaft glitt einförmig an ihr vorbei und lullte sie ein. Erst als sie von der Autobahn abbogen, wurde Deborah bewußt, wohin sie fuhren. „Randolph!" protestierte sie schwach. „Ich dachte, Sie fahren mich jetzt nach Hause."
Er blickte sie lächelnd und durchdringend an. „Und ich dachte, Sie hätten gestern gesagt, Sie wollten nach Los Arboles herauskommen", gab er schlagfertig zurück. Er steuerte den Wagen geschickt über die gewundene Straße, die zu seiner Ranch führte. „Erinnern Sie sich! Ich hatte Ihnen doch gesagt, ich würde Sie heute herbringen, wenn Sie es wollten." Wieder blickte er ihr in die Augen. „Nun?" fragte er leise. „Wollen Sie? Ich würde mich freuen, wenn Sie ja sagten." Deborah sah ihn an und konnte nicht sprechen. Ihr Puls ging so schnell, daß ihr ganz schwach wurde. Sie schwieg immer noch, als Randolph den Wagen parkte und ihr beim Aussteigen behilflich war. Ihr Herz schlug so laut, daß sie sicher war, er müsse es hören. Sie suchte nach einem Grund, warum sie nicht hier sein sollte, aber Randolphs Nähe machte es ihr unmöglich, klar zu denken. Im Wohnzimmer prasselte ein Feuer im Kamin. Sein Schein überzog alles mit einem warmen Glanz. Deborah bebte innerlich. Randolph hatte sie auf der ganzen Fahrt nicht berührt und sie nur immer wieder angesehen. Jetzt schloß er die Tür und wandte sich ihr zu. Als sie ihre Jacke abstreifte und sie zu Boden fallen ließ, nahm er ihr Gesicht in die Hände. „Deborah", sagte er mit einer Stimme, die heiser vor Verlangen und Begierde war. Der Ausdruck in seinen Augen und die Berührung seiner Finger ließen ihre Knie weich werden. Sie streckte die Hände nach ihm aus, als könnte nur er sie vor dem Zusammensinken bewahren. Aufstöhnend preßte er sie an sich und fuhr mit den Händen suchend über ihren Rücken und die Rundungen ihrer Hüften. Er barg den Kopf an ihrem Haar, und sie hörte, daß er immer wieder ihren Namen flüsterte. Dann fanden seine Lippen die ihren, die sie ihm erwartungsvoll bot. Er küßte sie voller Zärtlichkeit und Leidenschaft und erkundete ausgiebig jeden Winkel ihres Mundes. Ohne ihre Lippen nur einen einzigen Moment freizugeben, glitten seine Finger zu den Knöpfen ihrer Bluse und öffneten sie langsam. Dann löste er sich von ihr, um ihr den seidigen Stoff von den Schultern zu streifen. Seine Augen liebkosten ihre prallen Brüste in dem knappen Spitzenbüstenhalter so aufreizend, wie seine Hände es gerade noch getan hatten. Dann wanderte sein Blick langsam an ihren wohlgeformten Beinen hinab bis hinunter zu den hochhackigen Sandalen. Mit einem gequälten Laut hob er sie hoch und trug sie zu dem Läufer am Feuer. Mit wenigen geübten Griffen entledigte er sich seiner Kleidung. Das Verlangen, ihn in diesem Augenblick zu berühren, jeden Zentimeter seines muskulösen Körpers zu erforschen, wurde übermächtig in Deborah. Sie streckte die Hände nach ihm aus, weil sie nicht mehr länger warten konnte und wollte. Sofort kam er zu ihr und küßte ihre Brüste. Er streifte ihr das zarte Spitzengewebe von der Haut, begann, sie mit der Zunge zu liebkosten. Glühende Ströme jagten durch Deborahs Körper. Sie zog seinen Kopf an sich und streichelte seinen drahtigen Körper mit all dem Verlangen, das sich seit Tagen in ihr aufgestaut hatte. Der weiche Läufer unter ihrem nackten Rücken erregte ihre Sinne. Die Empfindung verblaßte jedoch, als Randolph erneut von ihren Lippen Besitz ergriff und seine Hände die letzten störenden Barrieren zwischen ihnen entfernten. Dann begann er, ihren Körper mit einer Leidenschaft zu erkunden, die Deborah in Ekstase brachte. Die Welt um sie herum versank, sie konnte an nichts mehr denken. Als Randolph ihre Lippen endlich wieder mit seinem Mund bedeckte und ihre Körper verschmolzen, war es, als hätten sie ein Leben lang aufeinander gewartet. Ein feuriger Wirbel riß sie mit sich fort und trug sie in immer schwindelndere Höhen hinauf, bis er zum Mittelpunkt ihres Seins wurde. Bis es nichts anderes mehr gab als die verzehrende Glut, die jede Faser ihrer Körper erfüllte. Randolph rollte sich zur Seite und zog sie dabei mit sich. Deborah war nicht mehr in der Lage, die Augen zu öffnen. Für sie gab es keinen Gedanken, keine Worte mehr. In diesem Augenblick bestand sie nur noch aus zärtlichen Gefühlen und dem brennenden Wunsch nach der letzten Erfüllung. Sie preßte sich an ihn, und alles in ihr drängte danach, mit Randolph endlich eins zu werden. „Deborah", murmelte er an ihrem Haar. „Ich habe mich so nach dir gesehnt." Wortlos schmiegte sie sich an, als wolle sie ewig so in seinen Armen bleiben. Eine Weile lagen sie stumm da, ohne sich zu rühren. Dann flüsterte Randolph: „Gehen wir ins Bett." Er hob sie auf die Arme und trug sie in sein Schlafzimmer. Mit einer Hand schlug er die Tagesdecke zurück. Ohne zu sprechen, schlüpften sie in das große Bett und streckten die Arme nacheinander aus.
8. KAPITEL „Ich kann es kaum glauben. Aber es ist tatsächlich schon warm genug, um draußen zu essen", sagte Deborah. Sie rollte die Ärmel des Hemdes auf, das sie von Randolph geborgt hatte. Der Frühlingssonnenschein schien den Kampf gegen den kalten Wind gewonnen zu haben, so daß die große Terrasse geradezu ideal für ein spätes Frühstück war. Deborah warf ihr Haar zurück und blickte Randolph verträumt an. Das herrliche Gefühl seiner Nähe erfüllte sie immer noch und machte sie glücklich. „Es kann natürlich sein, daß es noch mal ein paar kalte Tage gibt", antwortete Randolph, „aber es hat wirklich den Anschein, daß der Winter endgültig vorbei ist." Hettie servierte ihnen Rühreier mit knackigem Speck. Sie ließ die silberne Kaffeekanne auf dem Tisch zurück und ging wieder ins Haus. Während sie aßen, sprachen sie über die bevorstehende Rennsaison und schließlich natürlich über die Frage, für welche Rennen Deborah Dandy anmelden wollte. „Jay Adams will mich zu ihrem ersten Rennen nach Sallisaw begleiten", sagte Deborah und schenkte Randolph Kaffee nach. Er hielt mitten in der Bewegung inne. „Jay Adams? Sag ihm, das hat sich erledigt!" Deborah richtete sich kerzengerade auf. „Was willst du damit sagen, das hat sich erledigt?" fragte sie unwillig. „Er hat mir seine Hilfe angeboten, und ich habe bereits ja gesagt." „Hör mal, es wundert mich, daß du den Burschen überhaupt kennst. Daß du obendrein auch noch Wochenendreisen mit ihm machen willst, finde ich unglaublich." Deborah ärgerte sich. Randolph spielte sich auf, als hätte sie gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen. Er tat gerade so, als brauche sie seine ausdrückliche Erlaubnis für alles, was sie unternahm. „Ich bin seit meiner Kinderzeit mit Jay befreundet", erwiderte sie kühl. „Wir kannten uns schon, als ich sieben Jahre alt war." „Dann mußt du doch aber auch wissen, daß er ein Windhund ist", gab Randolph zurück. „Er verschuldet sich durch unsinnige Wetten, rennt mit allen möglichen Frauen herum, und ich habe sogar den Verdacht, daß er sich auf allerlei undurchsichtige Sachen einläßt. Dieser Mann ist einfach kein Umgang für dich." „Deine Beschuldigungen gefallen mir nicht," erwiderte Deborah mit gezwungener Ruhe. „Auf Gerüchte gebe ich nichts." Sie nippte an ihrem Kaffee und suchte in Randolphs Augen vergeblich nach der Wärme, die eben noch darin gelegen hatte. „Ich weiß, daß Jay ziemlich leichtlebig ist, aber ich weiß auch, wie ich ihn zu nehmen habe." „Das glaubst du!" Randolph stellte seine Tasse heftig ab. „Sag ihm, daß Steve mit dir nach Sallisaw fährt." Sein Ton sagte ihr, daß die Sache für ihn damit erledigt war. Er widmete sich wieder dem Essen und schien zu erwarte, daß sie widerspruchslos gehorchte. Deborah antwortete nicht. Verletzt und enttäuscht brütete sie vor sich hin. Warum bot Randolph ihr nicht an, selbst mitzukommen? Und warum führte er sich so halsstarrig und herrisch auf? Ein schrecklicher Gedanke drängte sich ihr auf. Hatte sie damals doch recht gehabt? Sah er in ihr nicht mehr als in Dandy? Eine interessante Neuerwerbung? Traute er Frauen kein eigenes Urteils- und Entscheidungsvermögen zu? Wut stieg in ihr auf, und sie gab hitzig zurück: „War die letzte Nacht für dich etwa so eine Art Besitzergreifungsritual? Du scheinst plötzlich zu glauben, ich gehörte dir." Bei der Erwähnung der Nacht wurden Randolphs Züge sogleich hart. „Tu, was ich dir sage, Deborah", erklärte er kühl. „Halte dich unbedingt von Jay Adams fern. Er ist ein Nichtsnutz, und je eher du das einsiehst, desto besser für dich." „Du hast kein Recht, mir meine Freunde zu verbieten." Aufgebracht warf sie ihre Serviette auf den Tisch und sprang auf. „Ich treffe mich, mit wem ich will." Auch Randolph erhob sich. Sein Gesicht zeigte wieder die Entschlossenheit, die sie bei Tom Bradens Auktion an ihm bemerkt hatte. „Tu, was du willst, aber laß mein Pferd und meine Ranch aus dem Spiel. Ich will Adams weder bei Dandy noch auf Los Arboles sehen." „Sie ist mein Pferd", gab Deborah zurück. „Sie gehört mir, und nach dem Rennen in Ruidoso wirst du keinerlei Ansprüche mehr auf sie haben. Genausowenig wie auf mich! Niemand, und ich wiederhole, niemand schreibt mir meine Freunde vor." Damit drehte sie sich um und stürmte wutentbrannt ins Haus. „Ich gehe mich anziehen!" rief sie über die Schulter zurück. „Bitte sag Steve, er soll mich sofort, wenn ich fertig bin, nach Hause fahren. Ich kann über das Training mit ihm auch auf der Rückfahrt reden!"
Die folgende Woche war eine einzige lange Folter für Deborah. Sie konnte die Zärtlichkeit, die sie in Randolphs Armen erfahren hatte, nicht mit dem eiskalten Mann vereinbaren, der sie am Morgen danach herumkommandiert hatte, als gehöre sie ihm. Sie war am Boden zerstört, und weder ihre Arbeit noch Dandy konnten ihr über ihren Kummer hinweghelfen. Während der Woche fuhr sie zweimal hinaus, um das Pferd auf das bevorstehende Rennen vorzubereiten, aber der bloße Aufenthalt auf der Ranch wurde ihr zur Qual. Beide Male hatte sie sich vorher bereits umgezogen, um nicht ins Haupthaus zu müssen. So hatte sie Randolph überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Am Freitagnachmittag kam sie gerade von Los Arboles in ihre Wohnung zurück, als das Telefon klingelte. Müde legte sie ihre Tasche auf den Stuhl bei der Tür und ging in die Küche, um abzunehmen. „Deborah?" hörte sie eine zaghafte Stimme. „Myra! Wie geht es Ihnen? Ich wollte Sie anrufen, aber ich war so beschäftigt." „Das verstehe ich", war die Antwort. „Ich will Sie auch nicht weiter stören, aber ich hatte das Bedürfnis, wenigstens einen Augenblick mit Ihnen zu reden. Mein Arzt hat mir gerade gesagt, daß ich Montag früh operiert werde." Myras Stimme klang gepreßt. „Aber das ist doch gut." Deborah schlug einen aufmunternden Ton an. „Dann haben Sie es endlich hinter sich und brauchen dieses zermürbende Warten nicht mehr länger zu ertragen." „Ich weiß. Darüber bin ich ja auch froh", gab Myra zu. „Es ist nur..." Sie brach ab. „Was nur?" Deborah bückte sich und streifte ihre staubigen Stiefel ab. Die Angst in Myras Stimme war jetzt nicht mehr zu überhören, und Deborah wußte plötzlich instinktiv, was Myra von ihr wollte. „Möchten Sie, daß ich am Montagmorgen ins Krankenhaus komme und auf Sie warte, während Sie operiert werden?" fragte sie sanft. „Ich könnte in der Redaktion Bescheid sagen, daß ich später komme." „Ach, Deborah, würden Sie das wirklich tun?" Myras Erleichterung war groß. „Dann würde ich mich viel besser fühlen. Ray und Elaine sind in Mexiko und werden bis dahin noch nicht zurück sein, und Randolph..." Ihre Stimme versagte, und es dauerte einen Augenblick, ehe sie fortfuhr: „Ich werde ihm nichts davon sagen. Er hat mich bis jetzt noch nicht besucht, warum sollte er also am Montag kommen?" „Ich werde da sein, Myra", sagte Deborah rasch. Daß Myra Randolph erwähnte, gab ihr einen Stich, aber sie versuchte, darüber hinwegzugehen. „Ich sehe Sie vor der Operation auf jeden Fall noch." „Sie wird aber sehr früh sein", sagte Myra. „Das macht nichts. Ich bringe Dandy morgen nach Sallisaw, aber am Sonntag kann ich kurz bei Ihnen vorbeikommen und mich erkundigen, um welche Zeit ich am Montag da sein muß." Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten, dann hängte Deborah ein und ging ins Bad. Myras verzagte Stimme klang in ihr nach. Die unglaubliche Traurigkeit, mit der sie von Randolph gesprochen hatte, ging ihr nah. Als sie gebadet hatte und in ihren Morgenrock schlüpfte, hatte sie einen Entschluß gefaßt. Warum sollte sie Randolph nicht anrufen und ihn auffordern, seine Mutter zu besuchen? Schließlich machte er ihr ja auch immer Vorschriften. Doch als sie die Nummer von Los Arboles gewählt hatte, meldete sich Hettie. „Er ist nicht da", sagte sie auf Deborahs Frage nach Randolph. „Kann ich ihm etwas ausrichten?" „Er soll nur wissen, daß seine Mutter Montag früh operiert wird", erwiderte Deborah. „Ich weiß nicht, ob sie Ihnen schon Bescheid gesagt hat." „Nein, das hat sie nicht getan", antwortete Hettie. „Ich werde Randolph gleich nachher davon berichten." Wer weiß, ob das etwas hilft, dachte Deborah und ging barfuß in die Küche. Möglicherweise würde das Randolph nur noch wütender machen, aber das war ihr jetzt egal. Es wäre wunderbar, wenn er sich mit seiner Mutter nach all den Jahren wieder versöhnen würde. „Willst du wirklich nicht, daß wir irgendwo zum Essen anhalten?" fragte Jay zum zweitenmal. „Seit dem Frühstück sind schon Stunden vergangen." Deborah blickte durch das Rückfenster seines Transporters auf den Pferdeanhänger hinter ihnen. „Nein. Ich möchte Dandy nicht länger im Anhänger lassen als unbedingt nötig", antwortete sie entschlossen. „Sie hat auf dem linken Vorderhuf etwas gelahmt, als sie von der Rennstrecke kam, und ich möchte sie so schnell wie möglich heimbringen." Jay steuerte den Wagen an einem Laster vorbei auf die rechte Fahrspur zurück. Dann blickte er sie an. „Ich glaube nicht, daß sie sich verletzt hat, Deborah. Sie ist als fünfte durchs Ziel gegangen, weil..."
„Weil was?" erkundigte Deborah sich gereizt.
Jays Stimme wurde sanfter. „Nun, vielleicht ist Dandy doch nicht ganz das Pferd, für das du sie
gehalten hast. Vielleicht hast du dir für Neu-Mexiko doch zu große Hoffnungen gemacht."
„Ich habe mich in ihr nicht getäuscht", beharrte Deborah. „Du willst sie ja nur schlecht machen, um sie
mir dann billig abkaufen zu können."
Jay lachte. „Nichts liegt mir ferner", erwiderte er leichthin.
„Außerdem war das ihr erstes Rennen", gab Deborah zu bedenken. „Da können wir kaum erwarten,
daß sie gleich gewinnt."
„Ich habe es auch nicht erwartet", antwortete Jay mit Betonung auf dem Ich.
Jays ständige Anspielungen auf Dandy und seine Versuche, aus ihr herauszubekommen, welcher Art
ihre Abmachung mit Randolph war, nervte Deborah. Er hatte damit gleich am Morgen angefangen,
nachdem sie nach Sallisaw aufgebrochen waren. Trotz seiner witzigen, charmanten Art hatte er keine
Ruhe gegeben. Sie war daher froh gewesen, daß er sie die meiste Zeit mit Dandy allein gelassen hatte,
um sich mit Bekannten zu unterhalten. Jetzt lagen fast noch hundertzwanzig Kilometer vor ihnen, und
sie hatte keine Lust, sich sein Gerede die ganze Zeit anzuhören.
„Mein lieber Jay", sagte sie spöttisch, „du führst anscheinend mal wieder was im Schilde. Aber was
immer es sein mag, vergiß es." Sie öffnete ihren Sicherheitsgurt und zog die Beine an. „Wir sind schon
lange befreundet, Jay", fuhr sie fort. „Also raus mit der Sprache! Was ist los?"
Er blickte kurz zur ihr herüber und fuhr ihr mit der Hand durch das Haar. Widerstrebend wandte er
seine Aufmerksamkeit wieder dem Verkehr zu. „Willst du es wirklich wissen?"
„Natürlich", erklärte Deborah ziemlich bestimmt. „Du hast mich den ganzen Tag mit deinen
Bemerkungen über Dandy und Randolph Harlan gelöchert. Jetzt sag endlich, was du eigentlich willst,
damit ich ein für allemal Ruhe habe."
„Ich beichte dir alle meine Geheimnisse, wenn du mich endlich erhörst", antwortete er mit einem
äußerst jungenhaften Grinsen und sah sie dabei vielsagend an.
Deborah lächelte. „Versuche nur nicht abzulenken, mein Lieber. Los, spuck's endlich aus!"
Jay schaute sie mit seinen braunen Augen eindringlich an. „Ich versuche, dir klarzumachen, daß wir
zusammengehören", erklärte er mit Nachdruck. „Randolph Harlan verdient dich nicht, Deborah. Er hat
alles, was man sich wünschen kann, und braucht dich nicht auch noch in seine Besitztümer
einzureihen." Er blickte rasch wieder fort, als mache ihn das Geständnis verlegen. Als er wieder
sprach, klang seine Stimme gezwungen.
„Ich weiß, daß du mich nicht ernst nimmst, wenn ich dir das sage", nahm er den Faden wieder auf.
„Aber ich meine es ehrlich. Im tiefsten Innern habe ich immer gewußt, daß wir beide
zusammenkommen würden." Er schob seinen Hut zurück.
„Ich bin nicht Randolph Harlans Besitz, Jay", erwiderte Deborah mit fester Stimme. „Ich gehöre
niemandem, nur mir selbst. Und dabei wird es auch bleiben. Ich brauche meine Freiheit." Sie dachte an
die Augenblicke in Randolphs Armen, in denen sie gewünscht hatte, ihm für immer zu gehören. Doch
dann schob sie die Vorstellung rasch wieder von sich.
Jay warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Doch er sagte nichts und widmete sich wieder dem Fahren.
Deborah stopfte ihre Jacke in den Spalt zwischen Sitz und Wagentür und legte den Kopf dagegen. Sie
versuchte, sich zu entspannen, und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Träge verfolgte sie, wie die
Landschaft vorbeiglitt. Die ersten zartgrünen Blättchen hoben sich verheißungsvoll gegen den blauen
Frühlingshimmel ab.
Jays Bemerkungen über Randolph fielen ihr wieder ein. O nein, Randolph Harlan würde sie niemals
„besitzen"! Er fühlte sich zu ihr hingezogen und war es gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen. Aber
sie würde sich ihm nicht unterordnen. Nie und nimmer.
Die frühe Morgenluft ließ Deborah erschauern. Sie eilte über den Krankenhausparkplatz. Nur wenige
Leute waren um diese Zeit schon unterwegs.
Vor Myras Zimmer klopfte sie leise an die Tür.
„Herein!" antwortete eine schwache Stimme.
Deborah trat ein. Myra lag in ihrem Bett, dessen zerwühlte Kissen und Decken von einer ruhelosen
Nacht zeugten.
„Ich bin ja so froh, daß Sie gekommen sind", erklärte sie erleichtert. „Es ist schön zu wissen, daß Sie
hier sein werden, wenn ich aus der Narkose aufwache."
„Ja, ich werde da sein. Und ich werde die ganze Zeit über an Sie denken."
Myra trug bereits das Krankenhaushemd für den Operationssaal und bat Deborah, ihr das Haar ein
wenig zu ordnen. Deborah griff gerade nach dem Kamm, als sie die Tür gehen hörte. Sie blickte auf und sah Randolph. Er trug einen sportlichen, dunkelgrauen Anzug und hielt einen weißen Rancherhut in der Hand. Sie erstarrte mitten in der Bewegung. Myra stieß vor Verblüffung hörbar die Luft aus, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sekundenlang stand Randolph reglos an der Tür. Dann trat er an das Bett seiner Mutter. Dort blieb er steif stehen, als sei er nicht sicher, ob er willkommen war. „Das ist aber eine Überraschung", brachte Myra heraus. Sie sah aus, als wolle sie am liebsten die Hände nach ihrem Sohn ausstrecken, aber ihre verknöcherten Finger blieben reglos auf ihrem Schoß liegen. Es entstand ein kurzes, unbehagliches Schweigen. Randolph war anzusehen, daß er nach einer Antwort suchte. Endlich sagte er: „Nun, eigentlich war das Deborahs Idee." Zum erstenmal blickte er sie an. Myra wandte sich Deborah nun ebenfalls zu. In ihren Augen lag eine Mischung aus Dankbarkeit und Furcht. Wieder mußte Deborah bei sich denken, wie ähnlich sich die beiden waren. Die Spannung wuchs mit jeder Minute. In dem erneut folgenden Schweigen tastete Myra unbeholfen nach einem Papiertaschentuch. „He, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen", brummte Randolph verlegen. „Vielleicht hätte ich doch lieber nicht kommen sollen." „Nein, nein, ich bin froh, daß du da bist", widersprach Myra sofort. „Seit ich im Krankenhaus bin, habe ich auf deinen Besuch gewartet. Ich kann unseren Streit bei dem Abendessen neulich nicht vergessen." Randolph wandte sich ab und ging zum Fußende des Bettes. „Vergiß ihn", sagte er schroff. „Du brauchst dir keine Gedanken mehr darüber zu machen." „Ich kann an nichts anderes denken", erwiderte Myra mit etwas festerer Stimme. „Für mich ist das die wichtigste Sache der Welt." Sie sah Randolph voller Hoffnung an. „Wir müssen uns endlich einmal aussprechen, Randolph. Ich muß versuchen, dir klarzumachen, wie ich heute denke und was früher war. Du hast mir vorgeworfen, ich hätte euch Kinder nicht geliebt, aber das stimmt nicht." Bitte nicht jetzt, dachte Deborah gequält. Sie wollte, daß die beiden reinen Tisch machten, aber nicht vor ihr. Noch eine Auseinandersetzung wie die bei dem Abendessen hätte sie nicht ertragen. Sie holte tief Luft und sagte: „Ich gehe ein Weilchen hinaus, damit Sie sich in Ruhe unterhalten können. Irgendwo wird es hier ja einen Kaffeeautomaten oder so etwas geben." Myra blickte sie kurz an, dann wandte sie sich rasch wieder Randolph zu, als hätte sie Angst, er könnte gehen. „Bleiben Sie", bestimmte sie. „Sie haben sich unseretwegen so viele Gedanken gemacht, da gehören Sie mit dazu." Myra war bereits erregt genug, und Deborah wollte sie nicht noch mehr aufregen. Sie blickte fragend zu Randolph hinüber. Er nickte kurz, um ihr anzudeuten, daß sie dem Wunsch seiner Mutter nachkommen solle. Also ging Deborah zum Fenster und schaute hinaus. „Worte helfen da nicht, Myra", erklärte Randolph mit belegter Stimme. „Es gibt Dinge, die man durch Worte nicht aus der Welt schaffen kann." „Vielleicht nicht aus der Welt schaffen, aber zumindest klären", antwortete sie fest. „Du hast mir neulich abend unrecht getan. Du verstehst mich überhaupt nicht." „Ich habe dir unrecht getan!" brache es aus Randolph hervor. „Wie kannst du so etwa sagen? Ray und ich waren diejenigen, denen unrecht getan worden ist. Wir sind ohne Mutter aufgewachsen!" Er schleuderte seinen Hut auf den Sessel in der Ecke und wandte sich Myra mit zornesfunkelnden Augen zu. „Du sagst, ich verstünde dich nicht. Wann hast du jemals versucht, mich zu verstehen?" „Seit du geboren wurdest", antwortete sie gefaßt. Deborah war verblüfft. Myra hatte sich vollkommen verändert. Aus der nervösen, unsicheren Kranken war plötzlich eine entschlossene Frau geworden. Jetzt wird nichts mehr sie davon abhalten, Randolph zu überzeugen zu versuchen, dachte Deborah. Sie kämpft verzweifelt um ihr Kind. „Randolph, du hast mir gesagt, was du empfindest, und ich habe dir zugehört und darüber nachgedacht. Jetzt ist es nur fair, daß du mich auch anhörst." Er sah sie an, ohne etwas zu erwidern. Doch Deborah merkte, daß auch er die Entschlossenheit seiner Mutter spürte. Er würde ihr zuhören müssen, ob er wollte oder nicht. „Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, wenn man fürchten muß, seine Persönlichkeit zu verlieren. Du hast immer tun können, was du wolltest, ohne dich irgend jemandem gegenüber rechtfertigen zu müssen. Da kannst du gar nicht wissen, wie es ist, wenn man plötzlich ständig an ein kleines Kind
gebunden ist und rund um die Uhr Mutter sein muß." „Nein, aber du auch nicht", gab er kurz zurück. „Du hast immer genug Personal gehabt." „Erst als du geboren wurdest, habe ich Hilfe bekommen. Bei Ray habe ich noch alles allein zu machen versucht." Myra blickte an die Wand. Sie schien in Gedanken wieder bei der Zeit zu sein, als ihre Kinder noch klein waren. „Ich habe den Kopf verloren", fuhr sie leise fort. „Vorher hatte ich stets Zeit für meine Malerei, zum Lesen und für meine sonstigen Interessen. Und von einem Tag auf den anderen blieb mir auf einmal überhaupt kein Augenblick für mich selbst mehr. Ich war die Sklavin eines anderen Menschen, auch wenn er nur acht Pfund wog. Das hat mir Angst gemacht. Ich hatte das Gefühl, mein Ich für immer verloren zu haben. Daß eine fremde Person namens Mutter an meinen Platz getreten war." Randolph ging an das zweite Fenster des Eckzimmers und blieb mit verschränkten Armen davor stehen. „Ich habe es geschafft, die ersten beiden Jahre mit Ray durchzustehen", fuhr Myra mit klarer Stimme fort. „Doch als du dann geboren wurdest, hatte ich zwei kleine Diktatoren und konnte nicht mehr. Da habe ich deinen Vater Hettie als Kindermädchen einstellen lassen und nach Möglichkeiten gesucht, mich doch noch selbst zu verwirklichen." „Und als Mutter konntest du das nicht", warf Randolph ein. „Du mußtest ein Geschäft aufmachen." „Ich hatte nicht vorgehabt, mich nur noch dem Geschäft zu widmen", gab Myra zurück. „Es war einfach nur so, daß ihr beide euch ganz an Hettie gehängt habt. Da fühlte ich mich irgendwie ausgeschlossen. Ich habe mich immer weiter von euch entfernt, weil ich mich meiner Rolle als Mutter nicht gewachsen fühlte. Ich suchte verzweifelt nach etwas, womit ich beweisen konnte, daß ich auch etwas leisten konnte." Randolph blickte sie nur stumm an. Myras Augen füllten sich erneut mit Tränen. „Du hast recht", sagte sie leise. „Ich habe auf der ganzen Linie versagt." Sie blickte auf ihre gekrümmten Finger, die das Taschentuch zerknüllten, aber sie wischte sich nicht die Augen. Es war, als wolle sie das bißchen Kraft, das ihr geblieben war, nicht auf etwas so Unwichtiges vergeuden. Als raffte sie sich zu einem letzten verzweifelten Versuch auf. Deborah zerriß es fast das Herz. Es war schlimm genug, jemanden zu lieben, von dem man nicht wiedergeliebt wurde. Aber wenn dieser Jemand auch noch das eigene Kind war, mußte das die Hölle sein. Randolph sah seine Mutter immer noch an. Er hatte die Arme immer noch vor der Brust verschränkt, und sein Gesicht war eine harte Maske. Sie schwiegen alle drei. Als die Stille fast unerträglich wurde, blickte Myra ihren Sohn an. „Ich habe in allem versagt, Randolph, aber ich habe dich trotzdem geliebt. Ich habe dich als Kind geliebt, und ich liebe dich heute noch. Ob du mir glaubst oder nicht, ob du mir verzeihen kannst oder nicht, das ist die volle Wahrheit." Randolph und seine Mutter blickten sich unverwandt an. Aber irgend etwas war anders geworden. Randolph rührte sich nicht, und er sprach auch nicht, aber die harten Linien waren plötzlich aus seinem Gesicht verschwunden. Deborah spürte, daß das Bekenntnis seiner Mutter ihn berührt hatte. Die Tür wurde geöffnet, und eine Schwester kam herein. Sie konnte nicht ahnen, was los war, und verkündete lächelnd: „Es ist Zeit für die Spritze vor der Operation, Mrs. Harlan. Wenn Ihre Besucher jetzt einen Augenblick nach draußen gehen, könnten sie gleich wieder hereinkommen." Deborah und Randolph kamen der Aufforderung nach und begaben sich auf den Korridor hinaus. Deborah war verlegen. Sie wußte nicht, was sie mit Randolph reden sollte. Er wanderte ruhelos auf und ab. Zwischendurch blieb er stehen, um eine Wandmitteilung zu lesen. Dann ging er zum Fenster am Ende des Ganges und starrte hinaus. Er tat so, als gäbe es Deborah nicht. Doch schließlich kam er zu ihr zurück und sagte höflich: „Nur eine echte Freundin würde morgens um halb sieben hierher kommen." „Ja, es ist ziemlich früh, aber ich habe das oft getan, als meine Mutter hier lag.“ Die Schwester kam heraus. „Sie können jetzt wieder hineingehen", sagte sie. „Wir rollen sie bald zum Operationssaal. Bis zum Lift können Sie mitkommen, wenn Sie möchten." Randolph und Deborah gingen ins Krankenzimmer zurück und blieben verkrampft an Myras Bett stehen. „Viel Glück", sagte Randolph ernst. „Wir werden hier sein, wenn du zurückkommst." Deborah sprach noch ein paar Minuten leise mit Myra, bei der die Wirkung der Spritze sich rasch bemerkbar machte. Als die Pfleger kamen, begleiteten sie sie noch bis zum Aufzug. Dabei ließ Deborah ihre Hand nicht los. Ehe die Türen sich hinter Myra schlössen, lächelte sie ihnen noch einmal
benommen zu.
„Ich glaube, jetzt wird alles gut verlaufen", sagte Deborah, als sie langsam zum Warteraum gingen.
„Sie hatte gehofft, daß du kommen würdest. Und jetzt, wo sie sich alles von der Seele geredet hat,
wird sie sich sicher sehr viel schneller erholen, als das sonst der Fall gewesen wäre. Viele Ärzte
behaupten, daß die seelische Verfassung des Menschen der wichtigste Genesungsfaktor ist."
„Mag sein", antwortete Randolph nachdenklich. „Jetzt weiß ich wirklich nicht mehr so recht, was ich
von einigen Dingen halten soll." Er blickte Deborah unsicher an. „Aber du hast vielleicht recht."
Deborah nickte. „Myra möchte deine Freundin sein, Randolph, selbst wenn es zu spät ist, deine Mutter
zu sein. Sie braucht jetzt viel Verständnis."
Randolphs Kinnmuskeln spannten sich, aber in seinen Augen lag jetzt keine Verbitterung mehr. „Ich
werde über alles nachdenken", erklärte er und schien das Thema damit abschließen zu wollen. „Gehen
wir einen Kaffee trinken."
Sie fanden einen verhältnismäßig ruhigen Tisch in einer Ecke der Cafeteria und unterhielten sich fast
eine Stunde. Deborah berichtete Randolph in allen Einzelheiten über Dandys Abschneiden bei dem
Rennen in Sallisaw. Danach ergingen sie sich in Vermutungen über die Gründe des Lahmens.
Deborah verschwieg jedoch, daß Jay mitgefahren war, und Randolph kam nicht darauf zu sprechen.
Schließlich blickte sie auf die Uhr. „Ich muß ständig an Myra denken. Vielleicht können wir im
Warteraum schon etwas erfahren."
Doch die Geduldsprobe dauerte länger, als sie erwartet hatten. Die meiste Zeit schwiegen sie.
Randolph hing seinen Gedanken nach, und Deborah versuchte sich abzulenken, indem sie die
abgegriffenen Zeitschriften durchblätterte und andere Wartende beobachtete.
Endlich erschien der Arzt. „Es geht Mrs. Harlan gut, und sie wird ihre Hände bald wieder besser
gebrauchen können."
„Das ist eine gute Nachricht, Doktor", sagte Randolph und schüttelte ihm die Hand. „Wir hatten uns
schon Sorgen gemacht, weil es so lange dauerte."
„Nun, die Operation selbst ist recht problemlos gewesen", antwortete der Arzt. „Ich komme deshalb so
spät, weil ich mich hinterher gleich noch um einen Unfallpatienten kümmern mußte. Mrs. Harlan ist
jetzt wieder in ihrem Zimmer, und Sie dürfen kurz bei ihr hineinschauen, wenn Sie möchten."
Der Arzt ging, und sie begaben sich zu Myras Zimmer. Randolphs Nähe und der gute Ausgang der
Operation beflügelten Deborahs Schritte.
Myra war immer noch etwas betäubt, aber sie wußte, daß sie da waren und lächelte befreit. Wenig
später schlief sie fest ein.
Randolph und Deborah hinterließen bei der Schwester, daß sie Myra bald wieder besuchen kommen
würden, und gingen.
„Trotz allem, was sie hinter sich hat, wirkte sie glücklich", meinte Deborah, als sie den Lift bestiegen.
„Das wäre sehr schön", antwortete Randolph versonnen und drückte auf den Knopf. „Seit dem
plötzlichen Tode meines Vaters ist sie nicht mehr richtig glücklich gewesen."
„Vielleicht wird alles anders, wenn sie ihre Hände wieder gebrauchen kann und die Beziehung zu dir
besser wird", überlegte Deborah.
Randolph nickte. „Wir werden sicher nicht über Nacht zu einem liebenden Mutter-Sohn-Gespann
werden, aber vielleicht kann es zwischen uns sehr viel besser als bisher werden." Er lächelte jetzt
sogar ein wenig. „Du hattest recht, als du mir vor ein paar Wochen geraten hast, die Vergangenheit zu
vergessen. Ich werde es versuchen. Vermutlich wollte ich ihr immer näherstehen, ohne es wahrhaben
zu wollen. Aber sie hat mir als Kind so weh getan, daß etwas in mir zerbrochen sein muß. Da habe ich
mich in Ablehnung und Haß geflüchtet."
Die frische Märzluft und der blaue Himmel bildeten einen belebenden Gegensatz zu der Enge des
Krankenhauses. Die Parkanlagen um den Gebäudekomplex herum wirkten trotz des vorbeibrausenden
Verkehrs erholsam.
Deborah wußte nicht, was sie antworten sollte, und streckte ihre Arme dem Wind entgegen. „Ich
verstehe nicht, wie Leute an Orten leben können, wo sie den Himmel nicht sehen", merkte sie und
atmete die Frühlingsluft tief ein.
Randolph schmunzelte. „Du liebst die Berge, nicht wahr?"
„Ja, obwohl ich nur an den Ausläufern wohne."
„Ich werde dich demnächst einmal zu unserem Besitz in Montana mitnehmen", meinte er leichthin, als
sie auf den Wagen zugingen. „Der freie Himmel dort wird dir sicher gefallen."
Bei der Erwähnung gemeinsamer künftiger Unternehmungen setzte Deborahs Herz einen Schlag aus.
Doch dann sagte sie sich, daß diese beiläufige Bemerkung wohl nichts weiter zu bedeuten habe.
„Sicher, aber der Himmel in Neu-Mexiko ist noch schöner. Das Licht dort hat eine besondere
Qualität."
Randolph blieb stehen und lächelte versonnen. „Ja, das stimmt. Das habe ich auch so empfunden."
Deborah hatte das Gefühl, in ihm eine Saite zum Klingen gebracht zu haben. Er schien die Hände nach
ihr ausstrecken zu wollen, aber er blickte sie nur zärtlich an. Langsam gingen sie auf Deborahs kleinen
Wagen zu und blieben stehen.
Deborah sah ihn an. In seinen Augen lag das gleiche verzehrende Verlangen wie früher.
Er strich ihr mit der Hand über die Wange, und sie erschauerte. Am liebsten hätte sie die Arme um
seinen Hals geschlungen und ihn geküßt, aber sie traute sich nicht. Sie hatte Angst vor der Macht, die
er über sie besaß. Angst vor den Gefühlen, die sein Kuß auslösen würde.
Doch als Randolphs Lippen ihren Mund suchten, war alle Furcht plötzlich vergessen. Ihre Körper
verschmolzen wie von selbst, und sie kannte nur das Sehnen dieses einen Augenblicks. Seine Zunge
begann, zärtlich ihren Mund zu erkunden, und sie antwortete mit der gleichen glühenden Leidenschaft,
die er stets in ihr entfachte. Als ihre Finger über seine Schultern glitten, mußte sie daran denken, wie
sie sich nackt angefühlt hatten.
Erst nach einer Weile löste er sich nur sehr widerstrebend von ihr. „Wir sehen uns morgen abend",
erklärte er. „Ich muß zwar heute nachmittag geschäftlich nach Dallas fliegen, aber ich komme auf
jeden Fall morgen früh mit der ersten Maschine bestimmt zurück. Dann rufe ich dich sofort in der
Redaktion an."
Diesmal küßte er sie nur ganz leicht und zärtlich auf den Mund. Dann ging er davon, ohne sich noch
einmal umzudrehen und überließ sie ihren Gedanken.
9. KAPITEL Ein scharfer Wind blies um das Apartmenthaus und schlug die Äste des kleinen Judasbaumes gegen
Deborahs Schlafzimmerfenster. Langsam kam sie zu sich. Sie schlug die Bettdecke zurück und räkelte
sich. Ihr erster Gedanke galt Randolph. Wieder glaubte sie, seinen Mund auf ihren Lippen zu spüren,
und erglühte innerlich.
Sie versuchte sich vorzustellen, was er im Augenblick gerade tat. Ein Blick auf den Wecker sagte ihr,
daß er jetzt vermutlich die erste Maschine nach Dallas nahm. „Ich rufe dich morgen früh an", hatte er
gesagt. Plötzlich konnte Deborah es kaum noch erwarten, seine dunkle Stimme wieder zu hören.
Sie griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch und wählte.
„Nan?" fragte sie, als die Sekretärin antwortete. „Ich bin's, Deborah. Tut mir leid, dich zu Hause zu
stören, aber ich treffe mich mit Kathy zum Frühstück. Hinterher habe ich einen Auftrag und komme
erst später in die Redaktion. Ich erwarte heute vormittag einen wichtigen Anruf von Randolph Harlan.
Würdest du dir bitte eine Nummer geben lassen, unter der ich ihn erreichen kann?"
Sie plauderte noch einen Moment mit Nan, dann legte sie auf. Sie ging zum Kleiderschrank, um zu
überlegen, was sie anziehen sollte. Schließlich nahm sie ein Paar engsitzende Jeans und einen
eierschalenfarbenen handgestrickten Baumwollpullover heraus.
Als sie das Apartment verließ, nahm sie noch eine leichte Jacke mit. Es war jedoch bereits so warm,
daß sie sie eigentlich nicht gebraucht hätte. Mit heruntergekurbelten Scheiben fuhr sie zu dem
Restaurant und genoß in vollen Zügen den milden Frühlingswind, der sanft mit ihrem Haar spielte.
Kathy saß bereits an ihrem Stammtisch in der hintersten Ecke beim Fenster. Sie hatte eine Tasse
Kaffee vor sich und blickte trübsinnig auf die Straße hinaus. Nicht einmal ein Lächeln brachte sie
zustande, als Deborah sich ihr gegenüber niederließ.
„Hallo, Kathy", begrüßte sie ihre Freundin strahlend. „Wie geht es dir?"
„Gut", antwortete Kathy lustlos.
Deborah wollte sich ihre gute Laune nicht verderben lassen. Vorsichtig erkundigte sie sich: „Stimmt
irgend etwas nicht, Kathy?"
„Ach, ich wünschte, ich könnte diesen Auftrag loswerden", erwiderte Kathy. „Heute morgen möchte
ich Bill nicht sehen."
Deborah hielt mitten in der Bewegung inne. „Ich traue meinen Ohren nicht. Du willst Bill Conway
nicht sehen?"
„Es ist ja nicht, daß ich ihn nicht sehen will", antwortete Kathy mit kaum hörbarer Stimme und malte
mit dem Löffelstiel ziellos auf der Tischdecke herum. „Ich möchte ihn sogar schrecklich gern sehen,
aber es wird ein ziemlicher Kampf werden."
Deborah unterdrückte einen Seufzer. Jetzt mußte sie sich trotz ihres Glücksgefühls Kathys Problemen
widmen. Mit ihrer großen Liebe schien etwas nicht zu stimmen. „Warum wird es ein Kampf werden?"
fragte sie sanft.
„Er hat mich schon seit zwei Wochen nicht mehr angerufen", antwortete Kathy unglücklich.
Die Kellnerin kam, um ihre Bestellung aufzunehmen. Als sie gegangen war, sagte Deborah: „Also gut,
schieß los. Sag mir, was passiert ist, dann werden wir schon eine Lösung finden."
Kathy warf ihr einen hoffnungsvollen Blick zu, doch dann schüttelte sie resignierend den Kopf. „Das
bezweifle ich. Ich glaube, ich bin einfach nicht fähig, eine Beziehung zu einem Mann
aufrechtzuerhalten, den ich wirklich mag und bewundere."
Deborah sah ihre Freundin prüfend an. „Und warum nicht?"
Als Kathy nicht antwortete, fuhr sie fort: „Meinst du etwa, eine Beziehung zu einem Mann, den du
nicht magst und bewunderst, wäre besser?"
Kathy versuchte ein Lächeln, aber es gelang ihr nicht. „Je öfter ich Bill sehe, um so mehr bedeutet er
mir. Als mir das aufging, bekam ich es mit der Angst zu tun. Da fing ich plötzlich an, mich zu fragen,
wie er zu mir steht. Ob auch ich für ihn etwas Besonderes bin. Oder ob er in ein paar Wochen oder
Monaten wieder aus meinem Leben verschwinden wird. Und auf einmal war ich schrecklich
verkrampft, wenn wir ausgingen." Die Worte sprudelten jetzt nur so aus Kathy hervor. „Ich wußte auf
einmal nicht mehr, über was ich reden sollte. Ich war wie ein Schulmädchen bei seinem ersten
Rendezvous."
Sie legte ihre Serviette zusammen und faltete sie wieder auseinander. „Ich kann Bill ja sogar
verstehen", fuhr sie bedrückt fort. „Ich war einfach zu langweilig. Kein Wunder, daß er sich nicht
mehr gemeldet hat." Sie nahm ihre Gabel auf, weil die Kellnerin ihren Teller vor sie hingestellt hatte,
doch dann legte sie sie wieder hin und trank von ihrem Kaffee. Deborah sann über Kathys Dilemma nach. „Erinnerst du dich an deine erste Verabredung mit Bill?" fragte sie schließlich. „Da haben wir festgestellt, daß er ein wenig schüchtern ist. Und du bist es auch, wenn du verliebt bist. Du bist schon einmal enttäuscht worden und er vielleicht auch. Da habt ihr beide Angst vor euren eigenen Gefühlen. Ich glaube, das ist das einzige Problem." „Ach, Deborah, wie kannst du das so beiläufig mein ,einziges Problem' nennen? Für eine Zweiundzwanzigjährige ist das ein schreckliches Problem!" Deborah lächelte und probierte ihr Omelett. „Nun, immerhin ist ein einziges Problem besser als viele Probleme." Sie blickte Kathy ernst an. „Du hast dich so in deine Arbeit gekniet, um beruflich weiterzukommen, daß du viel zu selten ausgegangen bist. Und ich wette, das gleiche gilt für Bill. Ihr beide habt einfach verlernt, euch mitzuteilen." Sie nippte an ihrem Kaffee und versuchte, Kathys Situation durchzudenken. „Ihr habt euch doch aber gut unterhalten, als ihr die ersten Male miteinander ausgegangen seid. Im Prinzip versteht ihr euch also. Vielleicht hat Bill angenommen, du interessierst dich doch nicht für ihn, als du immer stiller und zurückhaltender wurdest." Kathys Gesicht hellte sich ein wenig auf. „Vielleicht dachte er, er langweilt mich, während ich umgekehrt das gleiche von ihm annahm." „Richtig. Möglicherweise sitzt er jetzt irgendwo und denkt sich etwas Ausgefallenes für eure nächste Verabredung aus, um dein Interesse an ihm wieder zu wecken." Deborah lächelte. „Ihr müßt einfach nur offen miteinander sein, dann ist bald alles wieder in Butter." Jetzt lächelte Kathy auch. „Ich hoffe, du behältst recht. Aber ich weiß nicht, wie wir offen und ehrlich miteinander sein sollen, wenn wir uns nicht wiedersehen." Deborah lachte belustigt. „Das klingt reichlich dramatisch, Kathy. Du wirst Bill doch sogar schon heute morgen wiedersehen. Und jetzt iß dein Frühstück, und hör auf, dir das Leben schwerzumachen. Etwas..." Deborah brach ab und vergaß, was sie hatte sagen wollen. Die Kellnerin hatte ein Paar an einen Tisch am anderen Ende des großen Raumes geführt. Deborah konnte Randolphs markantes Profil deutlich erkennen. Sie starrte fassungslos hinüber. Es dauerte eine Weile, bis ihr bewußt wurde, daß die Frau in seiner Begleitung Valerie war. „Was wolltest du sagen?" fragte Kathy. Deborah zwang sich, den Blick von Randolph und Valerie abzuwenden. Betroffen schaute sie auf ihren Teller. „Ach, nichts", murmelte sie. Ihr erster Impuls war, aus dem Restaurant zu flüchten. Aber der einzige Ausgang befand sich in der Nähe des Tisches von Randolph und Valerie, und sie hätte die beiden beim Vorbeigehen begrüßen müssen. Doch das konnte sie unmöglich tun, ohne ihre Gefühle zu verraten. Also zwang sie sich, gefaßt sitzenzubleiben. Ein Gedanke drängte sich immer mehr in den Vordergrund. Randolph hatte sie belogen. Die beiden waren offenbar auf der Heimfahrt vom Flughafen. Valerie mußte ihn begleitet haben, und sie waren hier zum Frühstück eingekehrt. In Dallas hatte es keine geschäftliche Besprechung gegeben. Die beiden hatten sich dort privat vergnügt. Deborah zwang sich, mit Kathy zu plaudern. Sie wollte in ihrer Ecke sitzenbleiben, bis Randolph und Valerie gegangen waren. Sie wußte selbst nicht, wie sie die endlosen Minuten durchstehen würde, aber Kathy redete, und sie brauchte nur etwas halbwegs Vernünftiges zu erwidern. Um Zeit zu gewinnen, bestellte Deborah Kaffee nach und versuchte, sich auf Kathys Worte zu konzentrieren. Aber ihre Hände zitterten, und in ihrem Hals saß ein dicker Kloß. Kathy erging sich in Überlegungen, wie sie ihre Beziehung zu Bill verbessern konnte, und fürchtete sich gleichzeitig vor dem Wiedersehen. „Warum brauchen wir überhaupt noch Bilder für den Artikel über ihn?" fragte sie. „Ich brauche mehr Zeit, um mir über alles klarzuwerden, ehe ich ihn wiedersehe. Außerdem ist ein Pferd mit einem geschienten Bein doch heute etwas Alltägliches. Warum also ein Bild davon?" Sie dachte einen Augenblick nach. „Ich weiß, was was wir machen. Wir fahren ins Büro und verschieben die Aufnahmen auf später, wenn ich besser dafür gerüstet bin." „Das geht nicht, Kathy", gab Deborah zu bedenken. „Wir brauchen noch zwei Fotos, weil das der Hauptartikel der Ausgabe werden soll. Und damit sind wir sowieso schon auf dem letzten Drücker." Sie zwang sich, nicht mehr an Randolph, sondern statt dessen an ihre Arbeit zu denken. „Außerdem ist
ein geschientes Pferd immer noch ein Blickfang, weil ein Pferd mit einem gebrochenen Bein in
früheren Zeiten erschossen werden mußte." Wie magnetisch angezogen, wanderte ihr Blick wieder zu
Randolph und Valerie zurück.
„Hast du etwas, Deborah?" fragte Kathy, die plötzlich merkte, daß ihre Freundin mit eigenen
Problemen beschäftigt war. „Du hast weiter nichts gegessen und machst so ein komisches Gesicht."
Randolph und Valerie erhoben sich und verließen das Restaurant. Wut und Enttäuschung erfüllten
Deborah. Aber sie brachte es nicht über sich, sich Kathy anzuvertrauen. Sie war es nicht gewohnt,
anderen ihr Herz auszuschütten.
„Nein, ich habe wirklich nichts von Bedeutung", sagte sie abwehrend. „Laß uns den Kaffee austrinken
und gehen."
Sie nahmen Kathys Wagen, da sie ihre gesamte Kameraausrüstung auf dem Rücksitz liegen hatte.
Deborah war froh darüber. Vielleicht würde sie ruhiger sein, wenn sie zurückkamen, um ihr Auto
abzuholen.
Während der ganzen Fahrt zu Bills Klinik war sie still und in sich gekehrt. Kathy warf ihr von Zeit zu
Zeit fragende Blicke zu, aber Deborah tat so, als merke sie es nicht. Zu ihrer Erleichterung drang
Kathy auch nicht weiter in sie.
„Nun, wenn es mit Bill aus sein sollte, kann ich dir immer noch den charmanten Jay Adams
abluchsen", meinte Kathy leichthin, als sie auf den Parkplatz neben Bills Klinik fuhren. „Ist das nicht
sein Transporter?"
Der hat mir gerade noch gefehlt, dachte Deborah. Ihre Hoffnung, sich bei dieser Reportage im
Hintergrund halten zu können, würde sich nicht erfüllen. Jay würde sie nicht in Ruhe lassen, und wenn
sie ihn noch so sehr darum bat.
Und natürlich saß Jay prompt vor Bills Schreibtisch, als sie sein Büro betrat. Vor ihm stand ein
Kaffeebecher, und er hielt eine Zigarette in der Hand. Bei ihrem Erscheinen standen die beiden
Männer auf, und Jay holte Deborah und Kathy Stühle heran.
„Was machst du denn schon wieder hier, Jay?" fragte Deborah. „Hat Bill dich etwa eingestellt?
Jedesmal, wenn wir hier auftauchen, bist du auch da."
„Diesmal bin ich gekommen, um meine Schulden bei Bill zu begleichen", antwortete Jay grinsend.
„Da hatte sich inzwischen einiges angesammelt, und wir feiern. Keiner von uns beiden hatte erwartet,
daß ich sie je bezahlen würde."
„Möchtet ihr beiden Hübschen auch Kaffee?" mischte Bill sich ein.
„Nein, danke", erwiderte Kathy etwas zu schnell. Dann schwieg sie.
„Wir haben im Surrey House gerade mehrere Tassen Kaffee getrunken", sagte Deborah, um das
Schweigen zu überbrücken.
Bill und Kathy vermieden es, einander anzusehen. Deborah litt mit ihrer Freundin. Die beiden paßten
so gut zueinander. Sie mußten einfach wieder zusammenkommen.
Zu viert unterhielten sie sich eine Weile, dann gingen sie zu den Boxen hinaus, wo Kathy ein paar
Aufnahmen von dem geschienten Pferd und von einem Mutterschaf und seinen frischgeworfenen
Lämmchen machte. Jay wich wie gewöhnlich nicht von Deborahs Seite, aber seltsamerweise störte sie
das jetzt nicht. Er war witzig und bester Laune, und sie versuchte, die quälenden Gedanken an
Randolph zu unterdrücken.
Um sich abzulenken, verwickelte sie Jay in ein Gespräch. „Du bist so guter Stimmung", sagte sie und
blieb absichtlich etwas zurück, um Kathy und Bill allein zur Klinik vorgehen zu lassen. „Wie kommt
es, daß es dir plötzlich so gut geht?"
„Ich habe gewonnen, Liebling. Ganz groß sogar", antwortete er und hakte sich bei ihr unter. „Und da
ich im Moment eine Glückssträhne habe, fliege ich morgen nach Houston. Dort findet ein großes Spiel
statt, und bei der Gelegenheit werde ich auch gleich ein paar Ölgeschäfte unter die Lupe nehmen."
„Puh! Da werde ich ja bald sagen können, ich hätte Jay Adams schon gekannt, als er noch arm war",
neckte Deborah ihn.
„Gut möglich", meinte Jay augenzwinkernd. „Ich freue mich über jede Publicity von dir." Er blieb
stehen und sah ihr tief in die Augen. „Und ich würde mich auch freuen, wenn du nach meiner
Rückkehr ganz groß mit mir ausgingst."
Seine Miene war plötzlich ernst. Deborah hatte das Gefühl, daß ihre Antwort für ihn wichtig war.
Zwar hatte sie sich vorgenommen, sich nicht näher mit Jay einzulassen, aber sein unverhohlenes
Interesse an ihr war Balsam für ihr wunde Seele.
„Also gut", sagte sie. „Ich werde dir helfen, dein Geld unter die Leute zu bringen."
Sie blickte zu Kathy und Bill, die vor ihnen ging. Die beiden hatten immer noch kein Gesprächsthema gefunden und wirkten steif und verkrampft. Plötzlich kam Deborah eine Idee. „Die beiden brauchen mehr Zeit miteinander, Jay. Wir sind mit der Arbeit hier fertig, und ich habe keine Lust, in die Redaktion zurückzukehren. Wie wär's, wenn wir Bill überreden, mit uns zu Dandy hinauszufahren. Hättest du Zeit?" Er warf einen Blick auf die Uhr. „Eine gute Stunde schon. Aber ich müßte meinen eigenen Wagen nehmen." „Genehmigt." Sie holten Kathy und Bill ein, als diese sich gerade voneinander verabschieden wollten. „Bill", sagte Deborah, „ich mache mir ziemlich große Sorgen, weil Dandy plötzlich auf dem linken Vorderfuß ein bißchen lahmt. Hätten Sie vielleicht Zeit, jetzt mit uns hinauszufahren und sie sich mal kurz anzusehen?" Kathy warf ihr einen dankbaren Blick zu und wartete gespannt auf Bills Antwort. „Ja, das ginge", erwiderte er. „Ich muß heute vormittag sowieso zu Fred Gardner hinaus, und das liegt praktisch auf dem Weg." „Ich nehme meinen Transporter", sagte Jay. „Fährst du mit mir mit, Deborah? Kathy könnte Bill Gesellschaft leisten." Er wandte sich an Kathy. „Sicher bringt Bill Sie hinterher dann wieder zu Ihrem Wagen zurück. Einverstanden, Bill?" „Natürlich", antwortete dieser sofort. „Nach dem Besuch bei Gardner komme ich hierher zurück. Nimm deine Kamera mit, Kathy. Er hat frischgeworfene Kälberzwillinge." „Wunderbar!" Kathy strahlte. Als die beiden Wagen dann hintereinander in Richtung Los Arboles fuhren, sprach Deborah Jay ihre Anerkennung aus. „Das war wirklich genial von dir, die beiden in Bills Auto zu stecken. Du bist ein ungeheuer schlauer Fuchs!" „In Herzendingen schon, Ma'am", gab Jay zurück. „Vielleicht ist dir sogar aufgefallen, daß mein schlauer Plan nicht nur die beiden anderen Verliebten, sondern auch uns beide zusammengebracht hat." „Was meinst du mit,anderen'?" Deborah versuchte, die Sache bewußt ins Komische zu ziehen. „Du bist der hartnäckigste Mann, der mir je begegnet ist." „Das will ich auch hoffen." Jay grinste zufrieden. Als sie sich Los Arboles näherten, drängte Randolph sich wieder in Deborahs Gedanken. Sie wünschte jetzt, sie hätte den Besuch bei Dandy nicht vorgeschlagen. Was, wenn sie Randolph begegnete? Aber nach einer heißen Nacht und dem Flug von Dallas wird er sicher nicht so früh am Morgen bei den Pferden aufkreuzen, sagte sie sich. Vermutlich war er von Surrey House direkt nach Hause gefahren und schlief jetzt. Ob Valerie noch bei ihm war? Die Überlegung versetzte ihr einen Stich ins Herz. Im Geiste sah sie die beiden in Randolphs großem Bett vor sich, und ihre Augen brannten plötzlich. Bei der Ankunft in Los Arboles wehte immer noch ein kalter Wind, obwohl die Sonne den Sommer anzukündigen schien. Steve hielt mit einem heubeladenen Lastwagen neben ihnen. „Hallo, Deborah!" rief er. „Kommen Sie unsere Dandy besuchen?" „Ja. Der Tag ist zu schön, um im Zimmer zu hocken." „Klar", stimmte Steve ihr zu und stieg aus, um Jay guten Tag zu sagen. Die beiden Männer schüttelten einander die Hände. „Ich hole sie Ihnen, wenn Sie wollen", erbot sich Steve. „Fein." Deborah drehte sich zu Kathy und Bill um, die gerade ankamen. „Doktor Conway will sich Dandy mal ansehen, um festzustellen, was mit ihrem Bein los ist." „Okay. Ich bringe Dandy ins hintere Gehege." „Wir dachten schon, wir hätten euch abgehängt", meinte Jay, als Kathy und Bill aus dem Wagen stiegen. „Deborah und ich hatten nämlich vor, nach Mexiko durchzubrennen." Kathy lächelte und warf Deborah einen dankbaren Blick zu. Gemeinsam gingen sie zu dem Gehege am anderen Ende der Stallung. Gleich darauf erschien Steve mit Dandy. Sie blieb hocherhobenen Hauptes mit aufgestellten Ohren mitten im Gehege stehen und prüfte den Wind. Steve führte Dandy am Zaun herum, erst im Schritt, dann in leichtem Galopp, damit Bill ihren Gang begutachten konnte. Doch sie bewegte sich mit der für sie typischen flüssigen Geschmeidigkeit. Von dem leichten Lahmen, das sie beim Rennen gezeigt hatte, war nichts mehr zu merken. Dann führte Steve sie zu Bill, der sich hinhockte, um die kraftvollen Muskeln ihres Beines abzutasten. Deborah ging zu ihm und sah ihm gespannt zu. Sie überlegte, daß Dandys Zukunft als Rennpferd
gefährdet war, wenn Bill die Ursache ihres Lahmens nicht finden konnte. Randolphs dunkle Stimme riß sie aus ihren Gedanken. Er kam mit raschen Schritten vom Stall herüber und schien überrascht zu sein, sie zu sehen. „Deborah!" begrüßte er sie. „Eure Sekretärin hat mir gerade gesagt, du seist beruflich unterwegs. Ich habe den ganzen Morgen versucht, dich anzurufen." Deborah zitterte innerlich. Trotz der Qualen, die sie in den letzten beiden Stunden durchgestanden hatte, verfehlte seine männliche Erscheinung auch diesmal ihre Wirkung auf sie nicht. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt engsitzende Jeans und ein Westernhemd. Offenbar hatte er eben erst geduscht, denn sein lockiges Haar war noch feucht, und ein Hauch seines herben Rasierwassers streifte Deborahs Nase. Einen Augenblick lang starrte sie ihn fassungslos an. Randolph tat gerade so, als hätte es die Episode mit Valerie nie gegeben! „Du kannst gar nicht den ganzen Morgen versucht haben, mich zu erreichen", antwortete sie ärgerlich. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, wie er nach ihrem zärtlichen Abschied auf dem Krankenhausparkplatz die Nacht mit Valerie hatte verbringen können, aber ihr Stolz verbot es ihr. Randolph trat näher, ohne die anderen zu beachten. „Warum bist du so wütend?" wollte er wissen. „Du bist doch schuld, daß ich dich nicht erreichen konnte. Warum hast du mir nicht gesagt, daß du herkommst?" „Erwartest du etwa, daß ich dich in allem um Erlaubnis frage?" gab sie scharf zurück. „Daß ich dir meine Terminpläne erst zur Genehmigung vorlege?" Randolphs Gesichtsausdruck wurde eisig. „Was redest du da für einen Unsinn?" fragte er schroff und ergriff ihren Arm. „Erkläre mir lieber, was los ist. Ich scheine nicht ganz auf dem laufenden zu sein." „Ich bin beschäftigt", antwortete sie spitz und befreite ihren Arm. „Ich habe Bill gebeten, sich Dandys Bein anzusehen." Randolph blieb stehen und verfolgte mit zusammengekniffenen Augen, wie sie um Dandy herumging. Bill richtete sich auf. Er und Randolph stellten sich einander kurz vor, dann gab Bill ihnen seinen Befund. „Ehrlich gesagt, ich kann nichts entdecken", sagte er. „Es scheint alles in Ordnung zu sein. Manchmal kommt und geht so eine kleine Störung, ohne daß wir den Grund feststellen können." Er schwieg und musterte Dandy nachdenklich. „Ich kann Ihnen im Augenblick nur raten, sie gut zu beobachten und darauf zu achten, daß sie die richtige Art von Bewegung bekommt. Was sicher gut wäre und bestimmt nicht schaden könnte, wäre, sie mindestens einmal die Woche schwimmen zu lassen. Immer mehr Trainer tun das." „Wird sofort erledigt." Randolph nahm die Situation gleich in die Hand. „Steve, ruf Cal Lewis an. Sag ihm, wir bringen Dandy zu seinem Schwimmbad rüber." Er wandte sich Bill wieder zu, nachdem Steve gegangen war. „Ich hatte schon längst vor, hier ein Pferdeschwimmbad anlegen zu lassen, aber damit wollte ich noch warten, bis das Wetter besser wird." Er sprach zu Deborah in der gleichen Tonart wie zu Steve. „Warum hat Bill sich Dandy nicht schon eher angesehen?" wollte er wissen. „Du hättest ihn sofort rufen müssen, nachdem sie zu lahmen begann." Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er belehrend fort: „Ein gutes Pferd ist schnell verdorben." Er blickte sie so kalt an, als sei sie eine Fremde. „Es ist immer besser, für solche Dinge einen Fachmann heranzuziehen." „Das gilt auch für das Training", parierte Deborah scharf. „Ich bin sehr wohl in der Lage, mich darum auch ohne deine Einmischung zu kümmern." Bill war von dem hitzigen Wortwechsel peinlich berührt und blickte zu Kathy hinüber, die sich am Zaun mit Jay unterhielt. „Können wir fahren, Kathy?" rief er ihr zu. „Ich muß noch zu Gardner." Randolph drehte sich zu Kathy um. Als er Jay sah, wurde sein Gesicht zu einer starren Maske. Mit verkniffenen Lippen wandte er sich Deborah wieder zu. „Du weißt genau, was ich von dem Burschen halte", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Was hat er hier zu suchen?" „Er hat mich hergebracht", gab Deborah pikiert zurück. Bill und Kathy kamen herüber, um sich zu verabschieden, und Jay folgte ihnen. Randolph schüttelte Bill die Hand und bedankte sich. Dann nickte er Kathy kurz zu und sagte zu Jay: „Sie sollten lieber auch gehen, Adams. Deborah und ich haben noch etwas zu besprechen." „Die Dame ist mit mir gekommen, Harlan", gab Jay zurück und schob die Daumen lässig in seine Gürtelschlaufen. „Ich gehe, wenn sie soweit ist."
„Ich wüßte nicht, was wir uns noch zu sagen hätten, Randolph", erklärte Deborah scharf. „Wir
scheinen auf der ganzen Linie gegenteiliger Auffassung zu sein. Warum wollen wir uns also den
schönen Tag verderben?"
„Du bleibst hier", bestimmte Randolph. In seinen Augen glitzerte es gefährlich, als er sich Jay wieder
zuwandte: „Guten Tag, Adams." Deborah kochte vor Wut. Sie war so empört über Randolphs
herrisches Auftreten, daß ihr das Blut in die Wangen schoß. Nur mit Mühe hielt sie sich zurück,
Randolph gehörig die Meinung zu sagen.
Jay hob eine Braue und blickte sie fragend an.
„Fahr lieber, Jay", entschied Deborah. „Du hast einen Termin, und das hier kann länger dauern."
„Wenn du meinst, Liebling", gab Jay zurück, ohne auf Randolph zu achten. „Aber vergiß unsere
Verabredung nicht."
„Nein, ich werde sie nicht vergessen. Danke für alles, Jay."
„De nada, keine Ursache", antwortete er und ging lässig davon.
Deborah blickte Randolph an, dessen Augen zornige Blitze schössen. „Was soll dieses
Lieblinggeflöte?" fuhr er sie an.
„Ach, das hat nichts weiter zu bedeuten. Jay nennt alle Frauen Liebling", erwiderte sie trocken.
„Dann überrascht es mich um so mehr, daß du dich von ihm mit anderen Frauen über einen Kamm
scheren läßt. Ich dachte, du seist etwas Besonderes und ließest dich nicht unter ,ferner liefen'
einreihen."
Deborah blickte ihn stolz an. „Das tue ich auch nicht", erklärte sie mit Nachdruck. „Das solltest du
inzwischen eigentlich wissen."
Randolph sah sie merkwürdig an, sagte jedoch nichts.
„Außerdem geht es dich nichts an, wie andere mich nennen", konnte sie sich nicht enthalten
hinzuzufügen.
„Nein, das tut es wohl nicht", gab er betont langsam zurück. „Das hast du heute deutlich genug
klargestellt."
„Da sind noch ein paar Dinge, die wir klarstellen sollten", fuhr sie in hartem Ton fort, obwohl ihr die
Tränen locker saßen. „Wir hatten abgemacht, daß ich Dandy trainiere. Und dabei wird es auch bleiben.
Wage ja nicht, mich noch einmal wie eben zu behandeln!"
„Wovon redest du eigentlich?"
„Ich rede davon, daß du versuchst, meine Autorität zu untergraben, indem du Steve Befehle erteilst,
die von mir kommen sollten", antwortete sie mit mühsam beherrschter Stimme.
„Steve ist mein Angestellter", erwiderte Randolph eisig. „Ich kann ihm Befehle erteilen, wann immer
ich will."
„Er ist mir unterstellt, wenn es um Dandy geht", widersprach Deborah energisch. „Ich allein bin für ihr
Training verantwortlich, falls du das vergessen haben solltest."
„Nun, dann ist es ein Jammer, daß du keine Ahnung davon hast", gab er ätzend zurück.
„Ich kann sehr wohl ein Pferd trainieren. Ebenso wie ich mir meine Freunde selbst aussuchen und mir
mein Leben selbst gestalten kann", gab sie zurück. „Du willst nur nicht zugeben, daß ich Pferde
trainieren kann, weil deine Mutter es nicht konnte. Weil sie in diesem Punkt versagt hat, unterstellst du
das anderen Frauen auch."
Deborah hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blicke ihn herausfordernd an. „Laß mich in
Ruhe, Randolph", erklärte sie drohend. „Verschwinde aus meinem Leben. Ich komme ohne dich sehr
viel besser zurecht."
Er wandte sich verächtlich ab und ging davon, ohne sie einer Antwort zu würdigen.
10. KAPITEL Deborah schob den Gürtel durch die Schlaufen ihrer bequemsten Jeans und ging barfuß in die Küche.
Sie war noch nicht richtig wach. Sie füllte die Kaffeemaschine und ging nach draußen, um die Zeitung
zu holen. Der Morgen war für Mitte April ungewöhnlich warm. Eine leichte Brise erfaßte ihr Haar.
Das Wetter entsprach genau ihrer Stimmung. Ein Samstag wie geschaffen zum Faulenzen. Selbst das
Denken war ihr lästig.
Und nachdenken wollte sie schon gar nicht. Seit drei Wochen hatte sie Randolph nicht mehr gesehen,
obwohl ihre Gedanken immer wieder zu ihm wanderten. Unglaublich, welche Macht er über sie besaß.
Obwohl sie sich vorgenommen hatte, ihn zu vergessen, verfolgte sie die Erinnerung an ihn. Es war, als
könnte sie erst wieder glücklich sein, wenn sie wieder zusammen waren. Wenn das stimmte, war ihre
Lage hoffnungslos.
Deborah bückte sich, um die Zeitung aufzuheben. Sie konnte Randolph nicht mit Valerie teilen.
Ebensowenig konnte sie sich den Vorwurf gefallen lassen, unfähig zu sein oder sich
herumkommandieren lassen.
Sie hob das Gesicht einen Augenblick der Sonne entgegen, dann ging sie seufzend wieder hinein.
Gedankenverloren trug sie die Zeitung, den Morgenkaffee und ein Hörnchen auf ihre kleine Terrasse
hinaus. Trotz der vielen Arbeit, die auch am Wochenende auf sie wartete, wollte sie sich wenigstens
jetzt ein paar beschauliche Minuten gönnen.
Doch kaum hatte sie die Zeitung zu lesen begonnen, als das Telefon klingelte. Sie ließ ihren Kaffee
stehen und ging an den Apparat.
„Hallo, meine Schöne", hörte sie eine vertraute Stimme.
„Jay! Wo bist du? Rufst du aus Las Vegas an?"
„Nein, ich bin zu Hause", kam es aufgeräumt zurück. „Ich war in Houston und rufe dich, wie
versprochen, gleich an." Er lachte vergnügt. „Zwar bin ich nicht viel reicher als vorher, aber ärmer bin
ich auch nicht geworden. Auf jeden Fall kann ich dich immer noch mit Stil ausführen. Wollen wir
heute abend die Stadt auf den Kopf stellen?"
Das letzte, wozu Deborah jetzt Lust hatte, war der große Abendbummel, von dem Jay seit Wochen
gesprochen hatte. Sie hatte die ganze Woche über hart gearbeitet, um zwei längere Artikel zu
schreiben, die endgültigen Fassungen waren am Montag fällig. Außerdem hatte sie vor, zu Dandy zu
fahren und mit ihr für das Rennen in Stroud zu trainieren, da sich ihr Lahmen nicht mehr gezeigt hatte.
„Tut mir leid, Jay, aber ich kann nicht", sagte sie. „Ich will gerade nach Los Arboles rausfahren, um
mit Dandy zu arbeiten. Und heute abend muß ich zwei Artikel überarbeiten, die Montag fertig sein
müssen." Selbst wenn sie nichts vorgehabt hätte, wäre sie nicht in Stimmung für Jay gewesen.
„Nun, wie war's dann mit morgen abend?" Jay ließ sich nicht abwimmeln.
„Hör mal, Jay, vergiß nicht, daß ich am nächsten Morgen arbeiten muß."
„Ach was, du bist doch auch sonst schon mal später in der Redaktion erschienen, Deborah", beharrte
Jay. „Du hast mir versprochen, daß wir nach meiner Rückkehr groß ausgehen. Oder willst du dein
Wort brechen?"
Deborah unterdrückte einen Seufzer. Jay würde sich nicht abweisen lassen, soweit kannte sie ihn
inzwischen.
„Also gut", gab sie resignierend nach. „Wohin gehen wir?"
„Fangen wir mit einem schlichten kleinen Essen bei Jamil an", schlug er vor. „Dann werden wir
weitersehen. Wer weiß, vielleicht reden wir auch nur irgendwo. Ich habe dir eine Menge zu erzählen."
„Das bezweifle ich nicht", gab Deborah trocken zurück. „Bei Jamil also. Sagen wir um halb acht?"
„Gut. Und wie stehen die Dinge sonst? Was machen unsere beiden Turteltauben?"
„Bei denen ist alles bestens." Deborah lächelte bei dem Gedanken an das glückliche Leuchten, das
jetzt immer in Kathys Augen lag. „Sie sind so verliebt, daß einem ganz komisch werden kann."
„Wunderbar!" Jay lachte. „Wir geben ein gutes Team ab." Er senkte verführerisch die Stimme. „Das
habe ich dir ja schon lange klarzumachen versucht, Deborah."
„Ich weiß, daß du nie aufgibst, Jay. Aber jetzt muß ich mich wirklich beeilen."
„Natürlich, mein kleiner Liebling. Bis morgen abend dann also." Deborah legte auf und ging zu ihrem
Frühstück zurück. Doch plötzlich hatte sie keinen Appetit mehr. Entspannen konnte sie sich jetzt doch
nicht mehr. Da war es besser, sie machte sich auf den Weg zu Dandy, damit sie sich am Nachmittag
ihre Artikel vornehmen konnte.
Deborah hielt vor den Stallungen. Die Fahrt durch die sonnige Frühlingslandschaft hatte ihr gutgetan,
und sie konnte es kaum erwarten, mit Dandy zu arbeiten. Unternehmungslustig stieg sie aus dem
Wagen und überquerte den sonnenbeschienenen Streifen von den Stallungen. Im Inneren des
langgezogenen Komplexes war es still, und es herrschte gedämpftes Licht. Wie stets roch es nach Heu
und Pferden.
Steve kam ihr auf dem Gang entgegen. „Hallo, Deborah", sagte er.
„Sie klingen enttäuscht", neckte Deborah ihn. „Hatten Sie das Mädchen Ihrer Träume erwartet?"
„Nein", antwortete er mit einem kleinen scheuen Grinsen. „Als ich die Wagentür hörte, hatte ich
eigentlich gehofft, Hank käme zurück, weil ich dann gehen kann."
„Wohin wollen Sie denn?"
„Nach Cowtown, um mir neue Stiefel zu kaufen. Aber ich wollte die Pferde und die Ställe nicht allein
lassen."
„Es ist heute wirklich ungewohnt ruhig hier", erwiderte Deborah. „Wo sind denn die anderen alle?"
„Ach, ein paar von den Jungs sind beim Rennen in Stroud. Es wird ja heute eröffnet. Einige sind bei
der Reitpferdeausstellung, und die übrigen hängen irgendwo herum, weil der Boß fort ist."
„Die alte Geschichte. Wenn die Katze nicht da ist, tanzen die Mäuse auf den Tischen." Deborah lachte.
„Nun, ich werde heute bis zum nächsten Nachmittag hier sein." Sie unterdrückte ein Lächeln, als
Steves Augen prompt aufleuchteten. „Gehen Sie also Ihr Geld ruhig ausgeben. Ich halte inzwischen
die Festung."
„Aber brauchen Sie mich denn nicht als Jockey?" erkundigte Steve sich vorsichtig.
„Diesmal nicht. Ab und zu reite ich sie gern mal selbst. Außerdem habe ich nichts Großes vor, nur ein
paar von den alten Übungen."
„Danke, Deborah." Steve strahlte und wollte zur Tür eilen. „Ach, übrigens..." Er hielt, blieb noch
einmal stehen. „Hank muß jeden Augenblick hier sein, und Dad kommt in einer Stunde."
„Gut." Deborah winkte ihm zu und ging zu Dandys Box.
Das Fohlen blickte ihr mit seinen großen, braunen Augen erwartungsvoll entgegen. Deborah
streichelte seinen Nacken und seine weichen Nüstern. Dandy schnupperte an ihrer Handfläche. Ihr
warmer Atem roch nach Heu. Deborah sprach liebevoll auf das Tier ein und tätschelte seine Stirn mit
dem sternförmigen Mal. Ihr Blick wanderte zu seinem kurzen Rücken und der muskulösen
Hinterhand. Auf einmal erfüllte sie eine Zuversicht, die sie seit dem ersten Lahmen nicht mehr
besessen hatte.
„Wir werden gewinnen, mein Mädchen", murmelte sie. „Gehen wir in den herrlichen Frühlingstag
hinaus und üben noch ein bißchen."
Deborah ging in den Geschirraum, um das Sattelzeug zu holen. Als sie die Tür öffnete, klingelte das
Wandtelefon. Im ersten Moment erwartete sie, daß jemand an den Apparat ging, doch dann fiel ihr ein,
daß niemand da war. Also nahm sie ab.
„Hallo", meldete sie sich.
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann hörte sie eine vertraute dunkle Stimme, die ihre Knie
weich werden ließ.
„Deborah?" fragte Randolph.
Sie stand wie erstarrt da und preßte den Hörer ans Ohr. Die Spannung, die seit dem ersten Augenblick
zwischen ihnen bestanden hatte, war wieder da. Ihre Hände begannen zu zittern.
„Deborah?" fragte Randolph noch einmal.
„Ja..." Sie war überrascht, daß sie überhaupt einen Ton herausbrachte.
„Wie geht es dir?" erkundigte er sich.
„Gut", log sie tapfer.
„Ich brauche jemanden, der mich abholt", fuhr Randolph fort. „Ich bin auf dem Flughafen von Will
Rogers."
Deborah wußte sofort, daß sie ihn abholen würde. Sie mußte ihn sehen, weil sie es vor Sehnsucht nach
ihm plötzlich nicht mehr aushielt.
„Ich komme", sagte sie. „Wo treffe ich dich?"
„Am Haupteingang. Ich halte nach dir Ausschau." Damit hängte er ein.
Benommen vergewisserte sie sich, daß Dandys Box auch geschlossen war. Dann eilte sie zu ihrem
Wagen hinaus. Sie blickte sich suchend um, während sie die Schlüssel herausholte, weil sie Steve
hoch und heilig versprochen hatte, auf die Ställe aufzupassen. Doch dann war das Verlangen,
Randolph endlich wiederzusehen, stärker als ihr Pflichtgefühl.
Sie seufzte erleichtert auf, als sie Hanks Transporter aus der Richtung des Stutenmotels herankommen
sah. Er kletterte aus dem verblichenen roten Wagen, und sie rief ihm zu, daß sie bald zurück sein werde. Deborah fuhr in gewagtem Tempo die gewundene Zufahrtsstraße hinunter und bog auf die schmale Landstraße ein. Hoffentlich ist auf der Autobahn nicht zuviel Verkehr, überlegte sie, weil sie Randolph im Geiste am Flughafeneingang auf und ab marschieren sah. Sie konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen, ihn zu berühren, seine Stimme wieder zu hören. Dabei hatte sie sich doch fest vorgenommen, ihn aus ihrem Leben zu streichen. Dennoch war er ihr die ganzen drei Wochen über nicht aus dem Kopf gegangen und hatte sie bis in ihre Träume verfolgt. Und jetzt ließ sie einfach alles stehen und liegen und stürzte auf einen einzigen Anruf hin zu ihm. Randolph wanderte tatsächlich am Haupteingang vor seinem Gepäck auf und ab. Bei seinem Anblick wurden Deborah prompt wieder die Knie weich. Sie parkte in der Ladezone und stieg rasch aus, um den Kofferraum zu öffnen. Randolph verstaute seine Sachen und wandte sich ihr zu. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich fahre?" fragte er. Deborah hatte nichts dagegen. Sein Vorschlag konnte ihr nur recht sein. Sie war viel zu nervös zum Fahren und nahm dankbar auf dem Beifahrersitz Platz. „Immer noch derselbe Wagen, wie ich sehe." Randolph seufzte in gespielter Resignation und nahm vor dem Einsteigen seinen weißen Rancherhut ab. „Wann wirst du endlich ein Vehikel haben, in dem ich den Hut aufbehalten kann?" „Das habe ich dir doch schon gesagt. Wenn mein Pferd das Rennen gewonnen hat", antwortete sie leichthin, obwohl ihr Herz unruhig pochte. Er warf ihr einen belustigten Seitenblick zu und fuhr los. „Hast du Dandy denn schon soweit?" „Bald", antwortete sie kurz. „Sie lahmt nicht mehr und ist in bester Verfassung." „Das freut mich." Randolph lenkte den Wagen geschickt durch den dichten Verkehr. „Als ich mit Lon sprach, sagte er, sie mache sich gut." Sie ließen den Flughafen hinter sich zurück und hielten auf die Autobahn zu. Randolph blickte zu einem Restaurantschild auf der rechten Seite und dann auf seine Uhr. „Fast Mittagszeit", meinte er. „Da sollte ich dich wohl zum Essen einladen." Deborah straffte sich. „Du brauchst dich zu nichts verpflichtet zu fühlen", erwiderte sie rasch. „Ich bin dich gern abholen gekommen." Randolph lachte leise. „Es macht mir aber Freude, mit dir zu essen." Er warf ihr einen forschenden Seitenblick zu. „Ich möchte dich gern einladen, aber im Augenblick habe ich die Nase voll von Restaurants. Was hältst du davon, wenn wir nach Los Arboles durchfahren und uns dort stärken?" „In Ordnung, aber in der Küche gibt es vermutlich nichts. Myra erholt sich nach der Operation bei Ray, wie du ja weißt, und hat Hettie Urlaub gegeben." „Richtig. Dann gehen wir eben erst einkaufen." Die lange Fahrt verlief angenehm. Deborah entspannte sich langsam und genoß den Augenblick. Irgendwie kam es ihr immer noch unwirklich vor, daß sie wieder mit Randolph zusammen war. Er berichtete ihr von seinen Reisen nach Kalifornien und Arizona, wo er sich Pferde angesehen hatte, und von dem Abstecher nach El Paso zu einer Regionaltagung des Pferdezüchterverbandes. Er kam direkt aus Mexiko-Stadt, wo er für Ray ein paar Ölprojekte überprüft hatte. Sie unterhielten sich über Myras Fortschritte und auch ein wenig über Dandy. Aber dieses Thema war noch zu heiß, und keiner von beiden wollte den alten Streit wieder aufleben lassen. Dafür war der Tag zu schön. Schließlich kamen sie in das kleine Einkaufszentrum in der Nähe von Los Arboles. Randolph fuhr auf den Parkplatz und schaltete den Motor ab. „Wie wär's, wenn du im Supermarkt Obst und Käse besorgst, während ich uns von nebenan aus der Imbißstube Idas berühmte gebackene Hähnchen und heiße Brötchen hole. Dann könnten wir irgendwo picknicken." Deborah war sofort einverstanden. Sie erledigten ihre Einkäufe und fuhren nach Los Arboles. Randolphs Blicke wanderten immer wieder begeistert über die blühende, hügelige Landschaft. „Das alles hier habe ich sehr vermißt", sagte er mehr zu sich selbst. „Ich habe dir ja schon einmal gesagt, daß ich woanders nicht leben könnte." Deborah blickte ihn nur stumm an, aber sie empfand genauso. Auf der Ranch bat Randolph Deborah, den Picknickkorb zu packen, während er sich oben umziehen wollte. Es machte ihr Spaß, in der riesigen Küche zu hantieren, in der es alles gab, was man nur brauchen konnte, angefangen bei sieben verschiedenen gußeisernen Bratpfannen bis zu einem Bowleservice für fünfzig Personen. In einem der Schränke, die sich vom Boden bis zur Decke
erstreckten, fand Deborah zwei geflochtene Picknickkörbe und Servietten mit dazu passenden Tischtüchern. Sie entschied sich für den leichteren, flacheren Korb, der sich besser hinter dem Sattel befestigen ließ, und suchte die anderen Sachen zusammen. Die in Folie verpackten Hähnchen und die heißen Brötchen steckte sie zwischen Tischtuch und Servietten, um sie warm zu halten. Dann wusch sie die Weintrauben und Birnen, die sie gekauft hatte. Sie trocknete sie gerade mit einem Papierhandtuch ab, als Randolph die Treppe herunterkam. Bei seinem Anblick hielt sie unwillkürlich den Atem an. Er hatte sich geduscht, und sein lockiges Haar war noch feucht. In seinem blauweißkarierten Westernhemd und den frischen Jeans sah er sportlich-drahtig aus. Seine Augen wirkten durch die Farbe des Hemdes noch blauer. Er sah sie an, und ihre Blicke hielten sich einen Augenblick fest. Dann kam er näher, um in den Korb zu schauen. „Hmm, sieht gut aus und riecht noch besser", meinte er, als die verlockenden Hähnchendüfte ihm entgegenströmten. „Jetzt brauchen wir nur noch eine Flasche Wein. Glaubst du, daß hier irgendwo eine kaltgestellt ist?" Er ging zum Kühlschrank und holte eine Flasche heraus. In der Speisekammer entdeckte er einen Weinkühler, in den er die Flasche packte. Schließlich zauberte er einen Korkenzieher und zwei Stilgläser herbei, die Deborah ebenfalls in Servietten wickelte. Nachdem alles in dem Korb verstaut war, holte Randolph aus der Garderobenkammer unter der Treppe eine Decke. Unternehmungslustig wanderten sie über die Auffahrt zu den Ställen hinunter, wo Hank ihnen zwei fertig gesattelte Pferde brachte. „Ich weiß, daß ich die Rotbraune für Deborah satteln sollte", sagte er zu Randolph. „Aber sie ist draußen auf der Ostweide, da habe ich die hier genommen." Er deutete auf eine kastanienbraune Stute, die fast so groß wie der braune Wallach war, den Randolph meist ritt. „Das ist schon in Ordnung, Hank", erwiderte Randolph. Sie befestigten den Picknickkorb hinter Randolphs Sattel und stiegen auf. In flottem Trab brachen sie auf. Deborah genoß das Gefühl der Freiheit, das sie stets überkam, wenn sie auf einem guten Pferd durch offenes Gelände ritt. Die Sonne war jetzt fast sommerlich warm, und es wehte eine sanfte Brise. Sie folgten dem schmalen Weg, der sich von einem Ranchgebäude zum anderen wand, bis sie das massige Stutenmotel mit seinen abgetrennten Weiden hinter sich gelassen hatten. Erst jetzt wandten sie sich auf das offene Land hinaus. Der Wind und die Sonne waren so herrlich, daß sie lange Strecken schweigend ritten, um die friedliche Stimmung in sich aufzunehmen. Der Rhythmus des Pferdes unter ihr und die Wärme der Sonne hatten eine fast hypnotisierende Wirkung auf sie. Sie begann, sich zu entspannen, wie sie es seit Wochen nicht mehr getan hatte. Sie hielten auf einen Teil der Ranch zu, in dem sich mächtige Schwarzeichen und Zwergulmen mit fast kahlen Hügeln abwechselten. Von Zeit zu Zeit blickte Deborah zu Randolph hinüber. Seine kraftvollen Beinmuskeln zeichneten sich unter seinen Jeans ab, wenn das Pferd bergan oder abwärts kraxelte. Deborah dachte an die Nacht, die sie mit ihm verbracht hatte, und konnte es kaum fassen, daß sie jetzt mit ihm friedlich zum Picknick ausritt. Obwohl sie ihn bei ihrer letzten Begegnung noch angeschrien hatte, er solle aus ihrem Leben verschwinden. Sie ließen die Bäume hinter sich und gelangten auf einen großen, flachen Hügel, von dem aus sie in alle Richtungen sehen konnten. Nur ein Baum befand sich darauf, eine knorrige Schwarzeiche. Sie stiegen ab, und Randolph band den Picknickkorb und die Decke vom Pferd los. „Laß uns unter dem Baum essen", schlug er vor. „Dort ist es etwas windgeschützter." Deborah half ihm, die Decke auf dem zarten Gras auszubreiten. Dann legte sie die Tischdecke darüber und packte das Essen aus. Auf dem leuchtendroten Stoff nahmen sich die goldbraunen Hähnchen und die Brötchen noch appetitlicher aus. Sie aßen mit gutem Appetit und sprachen dabei nur wenig. Dann räumten sie auf, und Randolph schenkte Wein nach. Er streckte sich auf einer Seite der Decke aus und stützte sich auf einen Ellbogen. „Weißt du, ich glaube, wir können doch Freunde sein", meinte er scherzend. „Immerhin hast du mich wieder ein bißchen in dein Leben aufgenommen, sei es auch nur für einen Nachmittag." Deborahs Herz begann schneller zu schlagen. Sie blickte ihn über den Rand ihres Glases an, ohne etwas zu sagen. „Ich verstehe immer noch nicht, was plötzlich mit dir los war", fuhr er fort. „Warum hast du mir beim letztenmal diese Dinge an den Kopf geworfen? Einen Tag vorher waren wir noch Freunde, und am nächsten erklärst du mir, ich solle verschwinden. Warum diese wechselnden Stimmungen?" Deborah
sah die Szene im Surrey House wieder vor sich, und ihre Hand begann zu zittern. „Vielleicht verstehst du es besser, wenn du mal nachdenkst, was zwischen den beiden Tagen gewesen ist", gab sie verbittert zurück. „Ich habe keine Lust, einen Mann, der mir etwas bedeutet, zu teilen. Und von Lügnern halte ich schon gar nichts." Randolph starrte sie einen langen Augenblick verständnislos an. „Wovon sprichst du überhaupt?" fragte er mit harter Stimme. „Von dir und Valerie. Du hast deine angebliche Geschäftsreise nach Dallas mit ihr gemacht. Vergnügungsausflug wäre da eine angemessenere Bezeichnung gewesen, würde ich sagen." Randolph schüttelte fassungslos den Kopf. „Valerie ist nicht mit mir nach Dallas geflogen", antwortete er bestimmt. „Wie kommst du nur auf die Idee?" „Weil du mit ihr im Surrey House gefrühstückt hast", erwiderte Deborah und kämpfte gegen die Tränen an. Er stellte seinen Wein ab und blickte sie durchdringend an. Rasch senkte sie die Lider und sah auf ihr Glas, das auf einer Falte der Decke bedenklich kippelte. Er durfte nicht merken, daß sie den Tränen nahe war. „Warst du dort?" fragte er ungläubig. „Ich habe dich gar nicht gesehen." „Nun, ich habe dich aber gesehen. Und Valerie." „Sieh mich an, Deborah", befahl Randolph. „Valerie und ich haben uns an dem Morgen zum Frühstück getroffen, um die Tagesordnung für die bevorstehende Sitzung des Pferdezüchterverbandes durchzusprechen. Ich konnte nicht daran teilnehmen, und sie hatte sich bereit erklärt, für mich den Vorsitz zu übernehmen." „Und warum konntest du nicht daran teilnehmen?" fragte Deborah leise, weil ihr nichts anderes einfiel. „Weil ich den Abend mit dir verbringen wollte und wegen einer dummen Sitzung nicht darauf verzichten wollte." Überrascht blickte sie ihn an, ohne in diesem Moment daran zu denken, daß er die Tränen in ihren Augen sehen mußte. Instinktiv wußte sie, daß er die Wahrheit sagte. „Ich denke genau wie du und möchte einen Menschen, der mir viel bedeutet, nicht teilen", sprach Randolph ruhig weiter. „Da kannst du dir vorstellen, daß ich alles andere als begeistert war, als ich Jay Adams an dem Morgen bei mir auf der Ranch sah." „Ich habe dir doch schon gesagt, daß Jay ein Freund aus meiner Kinderzeit ist, mehr nicht." Er sah ihr eindringlich in die Augen, als wolle er ihr ein Versprechen abnehmen. Deborah hielt seinem Blick stand. Ein heißes Glücksgefühl durchströmte sie plötzlich. Randolph nahm sie in die Arme und zog sie zu sich auf die Decke hinunter, ohne auf den Wein und die Gläser zu achten. Deborah überließ sich seinen Armen, seinen Lippen nur zu willig und ließ ihn mit ihrem ganzen Körper spüren, wie sehr sie sich nach ihm gesehnt hatte. Als sein Mund zu ihrem Hals und ihrem Nacken wanderte, nahm sie sein Gesicht in die Hände und zog seine Lippen zu den ihren zurück, um ihm zu zeigen, wie sehr sie nach ihm verlangte. Endlich löste er sich von ihr und blickte sehr zärtlich auf sie herab. Der Wind war jetzt stärker geworden und spielte mit seinem Haar, das sich dunkel gegen den blauen Himmel abhob. Die Gerüche des jungen Frühlingsgrases und des vergossenen Weins vermischten sich. Diesen wunderbaren Augenblick werde ich nie mehr vergessen, dachte sie. In meinem ganzen Leben nicht. Randolph beugte sich wieder über sie. Er küßte sie mit einer Leidenschaft, die Deborahs Blut immer heftiger in Wallung brachte. Der Wind und das Gras und der weite Himmel waren vergessen. Randolphs Lippen und Hände waren ihre ganze Welt. „Deborah", murmelte er und streichelte ihre Haut mit einer Hingabe, die sie erbeben ließ. „Du hast mir schrecklich gefehlt, Deborah." Sie öffnete die Knöpfe seines Hemdes und vergrub die Finger in seinem dichten Brustflaum. Dann fuhr sie lustvoll aufseufzend über seinen nackten Oberkörper. „Ich dachte, du würdest nie mehr heimkommen", flüsterte sie sehnsüchtig. Sie berührten und streichelten sich, ihre Körper drängten sich aneinander. Deborah vergaß alles um sich herum. Nur noch dieser Mann war da. Er entfachte in ihr eine Leidenschaft, die sie nicht für möglich gehalten hatte. Und dann plötzlich explodierte alles in ihr, und eine unbeschreibliche Glückseligkeit hüllte sie ein. Sie lagen lange aneinandergeschmiegt da und waren eins mit sich und der Natur. Deborah genoß die Geborgenheit der starken Arme, die sie umfangen hielten. Bald merkte sie, daß Randolph eingeschlafen war. Sie lockerte ihren Griff und zog seinen Kopf an ihre Brust. Verträumt lauschte sie
auf das leise Schnauben der Pferde und das Rauschen des Windes.
Die Sonne sank langsam tiefer und malte rötlichgoldene Schatten auf die zarten Wölkchen am
Horizont. Deborah beobachtete verzaubert, wie die Sonne langsam unterging. Die Farbensymphonie
und der Mann in ihren Armen versetzten sie in einen Rauschzustand, und die Zeit schien stillzustehen.
Erst als die ersten Schatten der Dämmerung heraufzogen, kam sie in die Wirklichkeit zurück.
Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen, und ihr Hals war wie zugeschnürt. Der Sonnenuntergang war
vorbei. Es konnte gut sein, daß das auch für diese kostbaren Augenblicke mit Randolph galt.
11. KAPITEL Während sie friedlich nach Los Arboles zurückritten, ergab Deborah sich erneut der Traumwelt ihres Nachmittags. Sie sprachen nur wenig, und sie genoß Randolphs Nähe. Als sie an den Ställen ankamen und das große, weiße Ranchhaus vor sich sahen, war ihr, als gehöre sie hierher. Zu Randolph und der Erde, die er so liebte. Sie überließen die Pferde einem Stallburschen und wanderten über die Auffahrt zum Haus hinauf. Dabei gingen sie bewußt langsam, als wollten sie den Bann noch nicht brechen. Randolph hatte den Arm um Deborah gelegt, und sie fühlte die Wärme seines Körpers. „Laß uns heute abend hierbleiben und einfach ausspannen", schlug Randolph leise vor. „Morgen können wir dann zum Abendessen in die Stadt fahren und eventuell auch ins Kino gehen." Seine Worte riefen Deborah in die Wirklichkeit zurück. Ihre Verabredung mit Jay fiel ihr wieder ein. Sie öffnete den Mund, um ihm zu sagen, daß sie sich hatte breitschlagen lassen, ihr vor langer Zeit gegebenes Versprechen endlich einzulösen. Doch dann verzichtete sie darauf, weil sie Randolph nicht die Stimmung verderben wollte. „Das geht leider nicht", antwortete sie. „Ich habe eine harte Woche vor mir und muß morgen abend noch verschiedene Dinge vorbereiten." Sie lächelte ihn glücklich an. „Aber bis dahin kann ich bleiben." „Dann muß ich mich damit wohl zufriedengeben", sagte Randolph und zog sie fester an sich. In der Küche stellten sie die Picknicksachen fort und gingen auf die Terrasse hinaus. Sie wollten nur beisammen sein und sich unterhalten. Randolph stellte zwei Stühle an die Umrandung, und sie sahen auf das Land und die verstreuten Gebäude der Ranch. Ein Nachtvogel zwitscherte in einer der Pappeln, und von dem Vieh, das auf einer Weide im Westen graste, trug der Wind blökende Laute zu ihnen herüber. „Verstehst du, warum ich dieses Land so liebe?" fragte Randolph und ergriff ihre Hand. „Ich könnte mir auf der Welt nichts Schöneres vorstellen." „Ich weiß, was du meinst. Jedesmal, wenn ich hierher komme, um mit Dandy zu arbeiten, entdecke ich etwas Neues, Wunderbares, das mir vorher entgangen ist." Deborah wurde ganz still. Sie dachte an den Sonnenuntergang, den sie in Randolphs Armen erlebt hatte. An diesem Nachmittag war das Gefühl, zu Los Arboles und seinem Besitzer zu gehören, in ihr geboren worden. Und plötzlich wußte sie, warum seitdem alles anders war. Ich liebe Randolph, dachte sie erschrocken. Mir ist genau das passiert, was ich unter allen Umständen vermeiden wollte. Ich habe mich in ihn verliebt! Deborah blickte in die Nacht hinaus. Die wohlige Entspanntheit, die sie eben noch erfüllt hatte, war verflogen. Eine fiebrige Erregung packte sie. Randolph mußte sie auch lieben. Er mußte es einfach! Um ihn an ihrem Glücksgefühl teilhaben zu lassen, ergriff sie seine Hand und hielt sie ganz fest. Randolph beugte sich vor und zog ihr Gesicht mit der freien Hand sanft zu sich heran. Seine Augen glühten vor Verlangen. „Gehen wir hinein", murmelte er. Deborah stand auf und folgte ihm wie in Trance. Nur eine Lampe brannte im Haus. Sie befand sich in der Diele. Randolph schaltete keine weiteren ein. Im Schein des Mondlichts gingen sie wortlos nach oben. Deborah mußte unwillkürlich an die Nacht denken, die sie in Randolphs Zimmer verbracht hatte. „Ich habe jeden Tag an dich gedacht, während ich fort war", sagte er, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. „Ich konnte dich nicht vergessen, wie sehr ich es auch versucht habe." Er zog sie an sich und schob die Hand unter ihr T-Shirt. Wieder hatten seine Finger, seine Stimme, eine hypnotisierende Wirkung auf sie. Vergessen waren alle Befürchtungen, daß dieses Glück nicht von Dauer sein könnte. Randolph suchte ihre Lippen und bedeckte sie mit kleinen Küssen. Eng umschlungen gingen sie zu dem großen Bett und sanken darauf nieder. Nur vage spürte Deborah den Hauch der warmen Nachtbrise, die durch das Fenster herein wehte. Ohne die Lippen von ihrem Mund zu nehmen, streichelte Randolph die Rundungen ihres Körpers, als wolle er sie sich für immer einprägen. Deborah erwiderte seine Liebkosungen. Mit jeder Berührung versuchte sie, ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte und nach ihm verlangte. Es kam ihr endlos vor, bis Randolph sie entkleidet hatte, obwohl nur Minuten verstrichen. Zärtlich
küßte er ihre Schultern und ihre Arme, seine Zunge liebkoste ihre Brüste. Sie stöhnte leise auf, als er erst die eine, dann die andere Spitze behutsam zwischen die Lippen nahm und sanft daran sog, bis Deborah es nicht mehr erwarten konnte, mit ihm eins zu werden. Endlich streifte er seine eigenen Sachen ab und entfernte ihre restliche Kleidung. Als sie zueinander kamen, nahm er sie mit einer Zärtlichkeit, die so überwältigend war wie die Leidenschaft, mit der er sie am Nachmittag geliebt hatte... Später, als die klare Nachtluft die Ränder der schweren Vorhänge bewegte und Deborah selig in seinen Armen lag, schrie alles in ihr danach, Randolph zu sagen: Ich liebe dich. Die Worte klangen wieder und wieder in ihrem Kopf nach, aber sie brachte sie nicht über die Lippen. Schließlich barg sie den Kopf an seiner Schulter und schlief in seinen Armen ein. Mehrmals während des glückerfüllten Sonntags, der dieser Nacht folgte, versuchte Deborah, Randolph zu gestehen, warum sie am Nachmittag gehen mußte. Doch der Wunsch, keinen Mißton in diese verzauberten Stunden zu bringen, hielt sie schließlich davon ab. Als sie am späten Nachmittag bei ihrem Wagen standen, bot Randolph ihr ahnungslos eine letzte Gelegenheit, die Wahrheit zu sagen. „Warum bleibst du nicht, Deborah?" drängte er. „Ich verspreche dir auch, dich morgen frühzeitig zu wecken. Dann kannst du ins Büro fahren und die Arbeit von heute nachholen." Sie blickte in seine klaren, graublauen Augen und hätte fast nachgegeben. Doch dann dachte sie an das Versprechen, das sie Jay gegeben hatte. Gleichzeitig meldeten sich die alten Bedenken wieder. Randolph hatte ihr mit keinem Wort gesagt, wie er zu ihr stand. Da war es besser, sie gewann Abstand, um sich über alles klar zu werden. „Nein, Randolph, ich muß gehen", antwortete sie leise und stieg rasch in den Wagen. Er griff durch das offene Fenster und fuhr ihr mit dem Finger zärtlich über die Wange. Dann hob er ihr Kinn, so daß sie ihn ansehen mußte. „Bis bald", sagte er leise, und in seinen Augen lag ein warmer Glanz. Jay kam pünktlich. Er lachte und war bester Laune, da er mit Deborah nun endlich den lange geplanten Nachtbummel unternehmen konnte. „Vergiß aber nicht, daß ich morgen arbeiten muß", ermahnte Deborah ihn, als sie in dem beliebten Steakhaus Platz genommen hatten. „Ich weiß, daß man hier kleben bleiben kann, aber ich muß auch ein wenig Schlaf bekommen." „Wir werden hier nicht kleben bleiben", gab er übermütig zurück. „Hier wollen wir nur essen, weil die Küche so berühmt ist. Hinterher gehen wir..." Er schwärmte von seinen weiteren Plänen für den Abend. Deborah ließ ihn reden. Wenn Jay sich Vernunftsgründen nicht zugänglich zeigen sollte, würde sie eben später Kopfschmerzen vorschützen. Hauptsache, sie hatte ihr Versprechen eingelöst, aber alles hatte seine Grenzen. Sie aßen saftige Steaks, und Deborah schaffte es auch, ihren Anteil zum Gespräch beizutragen. Sie atmete jedesmal auf, wenn Jay sie einen Augenblick allein ließ, um Bekannte zu begrüßen. Endlich verließen sie das Restaurant und gingen zu seinem Sportwagen. Sie hatten sich immer noch nicht geeinigt, wie sie den Rest des Abends verbringen wollten. „Vielleicht könnten wir noch kurz irgendwo tanzen gehen", schlug Deborah vor. „Aber spät darf es auf keinen Fall werden." Sie fuhren vom Parkplatz und hielten an der Straße, um eine Lücke im Verkehr abzuwarten. Ein grauer Transporter kam ihnen entgegen. Als er direkt vor ihnen war, hob Deborah zufällig den Kopf. Der Wagen blieb stehen. Der Fahrer sah sie erstaunt an. Es war Randolph. In seinen Augen war zu lesen, was in ihm vorging. Er schaute kurz zu Jay, dann wieder zu ihr. Der schmerzliche Ausdruck in seinen Augen versetzte Deborah einen Stich ins Herz. Doch dann wurde seine Miene ausdruckslos, und der Transporter fuhr mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz. Jay reihte sich in den Verkehr ein und hielt auf die Innenstadt zu. Deborah saß wie versteinert da. Sie wollte aus dem Wagen springen und zurückrennen, um Randolph zu suchen und ihm alles zu erklären. Doch der Ausdruck von Schmerz und Enttäuschung und die darauffolgende maskenhafte Starre, die sie in seinen Zügen gesehen hatte,hielten sie zurück. Sie war am Boden zerstört und konnte sich nicht rühren oder etwas sagen. „He, was ist los?" Jays Stimme schien von einem anderen Planeten zu kommen. „Ist dir nicht gut, oder was hast du?" Mühsam stammelte sie: „Mir ist schlecht, Jay, bitte fahr mich nach Hause." Jay brachte Deborah brummig in ihr Apartment zurück. Er war enttäuscht und wütend, weil Randolphs
bloßer Anblick ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.
Sobald er fort war, ließ Deborah sich auf die Couch sinken und hüllte sich in eine Decke ein. Alles in
ihr war eiskalt. Sie hatte das Gefühl, nie mehr Wärme verspüren, nie mehr essen oder schlafen zu
können, wenn mit Randolph nicht alles wieder gut würde.
Deborah wußte nicht, wie lange sie so dagesessen und versucht hatte, einen vernünftigen Gedanken zu
fassen. Als sie schließlich auf die Uhr sah, war es nach zehn. Jetzt mußte Randolph doch wieder zu
Hause sein. Am liebsten wäre sie zu ihm hinausgefahren, aber der Blick, den er ihr zugeworfen hatte,
ließ sie befürchten, daß er sie nie mehr sehen wollte.
Aber ich könnte ihn doch anrufen, sagte sie sich. Er wird doch nicht gleich wieder auflegen...
Hettie kam erst nach mehrmaligem Läuten an den Apparat. Sie erklärte, Randolph sei nicht zu Hause,
sie würde ihm jedoch hinterlassen, daß er zurückrufen solle. Deborah wartete. Nur manchmal in dieser
Nacht dämmerte sie für eine Weile ein. Aber das Telefon klingelte nicht.
Deborah litt fast eine ganze Woche. Sie schaffte es nur mit Müh und Not, die wichtigsten Arbeiten in
der Redaktion zu erledigen, und wich allen aus. Nachmittags verließ sie das Büro zeitig unter
irgendeinem Vorwand. Sie konnte nichts denken und hatte nur ständig den Blick vor sich, mit dem
Randolph sie angesehen hatte.
Alles in ihr drängte danach, zu seiner Ranch hinauszufahren, um sich mit ihm auszusprechen. Doch
der Umstand, daß Randolph keinen Versuch gemacht hatte, sich mit ihr in Verebindung zu setzen,
hielt sie davon ab. Ihn anzurufen, traute sie sich auch nicht, weil er ihr vermutlich doch nicht glauben
würde.
Gegen Ende der Woche hatte Deborah sich jedoch wieder soweit gefangen, daß sie beschloß, die
Initiative zu ergreifen. Sie mußte nicht nur mit Dandy arbeiten, sondern Randolph auch endlich die
Wahrheit sagen, ganz gleich, wie wütend er sein würde. Wenigstens anhören mußte er sie doch. Dann
konnte sie ihn zu überzeugen versuchen, daß alles ganz harmlos war. Sie liebte ihn über alles und
durfte nicht zulassen, daß ein dummes Mißverständnis sie auseinderbrachte.
Als Deborah ihren Wagen vor den Ställen parkte, kämpften die widersprüchlichsten Empfindungen in
ihr. Einerseits war sie glücklich, Randolph wiederzusehen, doch auf der anderen Seite hatte sie auch
Angst vor der Begegnung. Würde er ihr glauben?
Mac kam gerade mit zwei Pferden aus dem Stall. Deborah unterhielt sich einen Augenblick mit ihm,
ehe sie zu Dandy hineinging. Als erstes begab sie sich in den Geschirraum, um das Sattelzeug zu
holen. Ich werde erst eine Weile reiten, um meine Gedanken zu ordnen, sagte sie sich. Hinterher werde
ich sehen, ob ich mit Randolph sprechen kann.
Sie legte Dandy gerade das Zaumzeug an, als seine Stimme sie mitten in der Bewegung erstarren ließ.
Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als er näher kam und ein paar Schritte von ihr entfernt mitten
auf dem Gang stehenblieb. Sekundenlang war sie so benommen, daß sie den Sinn seiner Worte nicht
gleich verstand.
„Ich habe deinen Wagen draußen gesehen", sagte er. „Wo ist denn dein Freund Jay? Ist er nicht
mitgekommen?" Seine Stimme war unendlich kalt und abweisend.
Erst jetzt löste Deborah sich aus ihrer Erstarrung. Sie spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.
„Randolph...", flüsterte sie, „Randolph, ich..."
Sie konnte nicht weitersprechen. Sein Blick war so hart, und seine Miene so abweisend, daß ihr war,
als habe sie einen Fremden vor sich.
Das Schweigen zwischen ihnen wurde immer drückender, bis Dandy ungeduldig mit dem Kopf
schüttelte und Deborah an die Schulter stupste. Sie strich ihr geistesabwesend über die Nase und nahm
allen Mut zusammen.
„Ich muß mit dir reden, Randolph", brachte sie hervor. „Ich kann dir alles erklären."
„Wozu?" unterbrach er sie schroff. „Ich würde dir doch kein Wort glauben."
Deborah fuhr auf. „Ich pflege nicht zu lügen."
„Den Eindruck habe ich aber ganz und gar nicht. Du hast es neulich sogar sehr gut gekonnt und
scheinst Übung darin zu haben."
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, wie ich zu Jay stehe. Er ist ein alter Freund von mir, mehr nicht."
„Wenn er nur ein alter Freund wäre, hättest du mir wegen eurer Verabredung nichts vorzulügen
brauchen." Randolphs Augen waren frostiggrau. „Dann hättest du keinen Grund dazu gehabt."
„Doch, den hatte ich!" Deborah unterdrückte ein Schluchzen. „Ich wollte dir an diesem schönen Tag
die Stimmung nicht verderben."
„Erwähne diesen Tag nie mehr vor mir", sagte Randolph, und in seinen Augen lag plötzlich ein
schmerzlicher Ausdruck. „Ich werde vergessen, daß es ihn gegeben hat." Ohne ihr Zeit zum Antworten zu lassen, machte er auf dem Absatz kehrt und ging davon. Deborah war, als drehe sich ein Messer in ihrer Brust, und sie konnte kaum noch atmen. Sie wollte ihm nachrennen und sich in seine Arme werfen, doch statt dessen barg sie ihr Gesicht in Dandys seidiger Mähne. Es dauerte zwei Wochen, ehe Deborahs Leben auch nur wieder halbwegs normal verlief. Sie ließ zwei Trainingsrunden mit Dandy ausfallen und gab Steve nur telefonisch ihre Anweisungen durch. In die Redaktion ging sie meist erst spät und verließ sie früher als sonst. Statt nach Hause zu gehen, wanderte sie dann ziellos durch ein Einkaufszentrum oder setzte sich ins Kino, ohne zu erfassen, was auf der Leinwand vorging. Als sie es schließlich nicht mehr aushielt, versuchte sie eines Abends, mit Randolph zu reden. Doch Hettie sagte ihm, wer ihn sprechen wolle, und er weigerte sich, an den Apparat zu kommen. Deborahs Qualen wurden unerträglich. Deshalb lud sie Kathy eines Tages zum Mittagessen ein und berichtete ihr die ganze Geschichte. Kathys Zuspruch war es zu verdanken, daß sie nicht verzweifelte. Ihre Freundin sah die Sache noch längst nicht als verloren an. Sie riet ihr, Randolph Zeit zu lassen, seinen verletzten Stolz zu überwinden. Früher oder später würde er dann sicher zur Vernunft kommen. Erst da begann Deborah, neue Hoffnung zu schöpfen und sich langsam wieder für ihre Arbeit zu interessieren. Auch ihr Training mit Dandy nahm sie wieder auf. Sie zwang sich, sich ganz auf das Pferd zu konzentrieren und jeden Gedanken an Randolph zu verdrängen. Bei den ersten beiden Besuchen in Los Arboles bekam sie Randolph nicht zu Gesicht. Doch eines Tages, als sie Dandy gerade aus dem Stall führte, sah sie ihn im Gespräch mit Mac. Der alte Cowboy begrüßte sie freundlich, aber Randolph redete kaum ein Wort mit ihr. Das nächste Mal begegnete sie ihm allein. Aber auch diesmal hatte er ihr nichts zu sagen. Er behandelte sie mit kalter Höflichkeit, als wäre sie eine Fremde, die ihn störte. Ohne ihr Gelegenheit zu geben, sich zu erklären, zog er sich gleich wieder zurück. Schließlich wurde der Kummer Deborahs ständiger Begleiter. Um sich abzulenken, vergrub sie sich verbissen in ihre Arbeit bei der Zeitschrift und in Dandys Training. Sie schob jeden Gedanken an Randolph beiseite, und nur nachts, ehe sie erschöpft einschlief, sah sie sein Bild wieder vor sich. Es wurde Juni. Deborah beschloß, Dandy früher als geplant nach Neu-Mexiko zu schaffen. Die zusätzliche Eingewöhnungszeit in der Höhenluft würde dem Fohlen guttun. Sie hatte jetzt nur noch wenig Zeit für ihr Pferd, da es im „Sunbelt Horseman" mit den Vorbereitungen für eine Jubiläumsausgabe sehr hektisch zuging. Mit gemischten Gefühlen fuhr sie nach Los Arboles hinaus, um mit den beiden Cowboys zu sprechen, die Dandy nach Ruidoso bringen sollten. Einerseits fürchtete sie sich davor, die letzte Verbindung zu Randolph zu lösen. Andererseits hoffte sie, ihn danach leichter aus ihrem Herzen verbannen und ihrem Leben eine neue Richtung geben zu können. Zwar würde sie ihn bei dem Rennen noch einmal sehen, aber das würde bald vorüber sein. Die Cowboys hatten sich verspätet, so daß Deborah in den Stall ging, um ein wenig bei Dandy zu sein. Als sie den halbdunklen Gang zur Box des Fohlens entlangging, bot sich ihr unverhofft ein Bild, das sie schon einmal gesehen hatte. Myra war da und zupfte an dem Sattel der braunen Stute. „Myra!" rief sie überrascht. „Wie schön, Sie wiederzusehen." Randolphs Mutter kam ihr entgegen und schloß sie in die Arme. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Deborah", erwiderte sie strahlend. „Ich wollte Sie schon die ganze Woche anrufen und Ihnen sagen, daß ich zurück bin." „Und wie geht es Ihnen?" fragte Deborah. „Sie sehen wunderbar aus." „Genauso fühle ich mich auch." Myra lächelte glücklich. „Meine Operation war ein voller Erfolg." Sie hielt die Hände hoch und bewegte ihre Finger. „Und es gibt noch einen Grund, warum ich mich so viel besser fühle, seit ich von Ray zurück bin", fuhr sie fort. „Randolph und ich verstehen uns so gut wie noch nie. Er hat mich sogar eingeladen, mit ihm nach Ruidoso zu fahren, um Dandy bei dem Rennen laufen zu sehen und all die Partys zu besuchen." Sie umarmte Deborah erneut. „Und all das verdanke ich Ihnen." Bei der Erwähnung von Randolphs Namen hatte Deborah sich unwillkürlich verkrampft. Myra musterte sie besorgt. „Irgend etwas stimmt mit Ihnen nicht", meinte sie kopfschüttelnd. „Möchten Sie sich mir anvertrauen?" „Das kann ich nicht, Myra", antwortete Deborah verlegen. Myra runzelte die Stirn. „Ich weiß zwar nicht, worum es geht, aber hatten Sie mir nicht einmal klarzumachen versucht, wie wichtig es ist, sich auszusprechen?"
Deborah blickte sie ernst an, dann wandte sie sich ab. „Es geht wirklich nicht, Myra", murmelte sie und streichelte Dandys weiche Schnauze. „Wo werden Sie in Ruidoso absteigen?" versuchte sie das Thema zu wechseln. „Ich fahre nicht", kam es prompt zurück. „Randolph hat mich zwar eingeladen, aber ich bleibe hier." „Aber warum denn?" fragte Deborah verständnislos. „Wir könnten zusammen einkaufen und essen gehen. In den letzten Tagen vor dem Rennen werde ich schreckliches Lampenfieber haben und dringend jemanden brauchen, der mich aufrichtet." „Sicher, aber das kann mein Sohn sehr viel besser als ich", gab Myra bestimmt zurück. „Ich bleibe hier, weil ich nicht möchte, daß ihr euch mir widmet. Die Zeit, die ihr habt, sollt ihr miteinander allein verbringen." Jetzt war Deborah vollkommen verwirrt. „Aber das ist doch Unsinn, Myra", brach es aus ihr hervor. „Randolph und ich werden überhaupt nicht zusammen sein, weder in Ruidoso noch sonstwo. Unsere Beziehung ist rein geschäftlicher Natur. Alles andere ist vorbei." „Das dürfen Sie nicht sagen", unterbrach Myra sie energisch. „Ihr beide seid füreinander bestimmt, und das wissen Sie auch. Ihr müßt euch einfach nur aussprechen, worum es auch gehen mag." Deborah zitterte ein wenig, als sie ihre letzten Sachen im Wagen verstaute. Dabei war es eigentlich nicht kalt. Trotz der frühen Morgenstunde spürte man, wie heiß dieser Augusttag werden würde. Doch der Umstand, daß sie jetzt endlich nach so vielen Wochen angespannten Wartens nach Ruidoso fuhr, machte sie vor lauter Aufregung ganz flattrig. Sie ging noch einmal in ihr Apartment zurück, um sich zu vergewissern, daß sie auch wirklich nichts vergessen hatte. Wenn sie ihre Wohnung das nächste Mal betrat, würde sie Dandy entweder besitzen oder tatsächlich alles verloren haben. Dieser Gedanke versetzte ihr einen Stich ins Herz. Ganz gleich, wie das Rennen ausging, sie hatte Randolph bereits verloren. Der Schmerz war immer noch so frisch wie vor Monaten. Dabei hätte sie über diese Geschichte doch eigentlich längst hinweg sein müssen. Mit einem tiefen Seufzer nahm sie ihre Ledertasche und trat erneut in die warme Sommerluft hinaus. Deborah setzte sich hinter das Steuer ihres Wagens und prüfte im Rückspiegel, ob das Gepäck auf dem Rücksitz ihr auch nicht die Sicht versperrte. Dann lenkte sie den Wagen auf die Straße, die um diese Zeit noch leer war. Sie fuhr schneller, als erlaubt, zur Autobahn. Sobald sie die vierspurige Strecke erreicht hatte, wurde das Fahren zur Routine. Jetzt holten die Grübeleien, die sie verdrängt hatte, sie wieder ein. In den letzten zwei Monaten hatte sie zwar alles versucht, um Randolph zu vergessen. Doch jetzt, wo das Rennen und damit die die Entscheidung ihrer Wette unmittelbar bevorstanden, verfolgten die Gedanken sie erneut. „Das Schlimmste ist, daß alles nur meine Schuld ist", murmelte sie verbittert vor sich hin. „Hätte ich doch Randolph nur von meiner Verabredung mit Jay erzählt!" Deborah zwang sich, sich auf das Fahren zu konzentrieren. Der Berufsverkehr setzte ein. Sie wechselte die Spur, um einen Lastwagen mit Anhänger zu überholen. Die Sonne war aufgegangen und ließ einen blaugelben Ölbohrturm mit der blauen Oklahomaflagge zu ihrer Rechten aufleuchten. Die Landschaft war jetzt nach allen Seiten flach. Sie entdeckte ein Restaurantschild und bog in die Einfahrt ein. Eine Tasse Kaffee und der Anblick unternehmungslustiger Menschen würde sie aufmuntern und sie von ihren trübsinnigen Überlegungen ablenken. Deborah kaufte sich eine Zeitung und betrat das große, hellerleuchtete Restaurant. Während sie las und ihren Kaffee trank, entspannte sie sich. Es war besser, an Dandy und die mit dem Rennen verbundenen Probleme zu denken, als nutzlosen Selbstvorwürfen nachzuhängen. Nach der Stärkungspause reihte sie sich wieder in den Autobahnverkehr ein und ging im Geist durch, was sie in den letzten Tagen vor dem Rennen noch alles mit Dandy machen wollte. Sie freute sich auf das Wiedersehen mit ihrem Pferd. Steve hatte sie in den letzten beiden Monaten regelmäßig aus NeuMexiko angerufen und von Dandy berichtet. Seine Schilderungen waren so vielversprechend gewesen, daß Deborah es kaum erwarten konnte, sich selbst von den Fortschritten ihres Lieblings zu überzeugen. Sie selbst war schon zweimal in Ruidoso gewesen, um sich persönlich vom Stand der Dinge zu überzeugen, aber in letzter Zeit war sie nicht mehr dazu gekommen. Zwischendurch hatte Dandy wieder angefangen, leicht zu lahmen, aber das hatte sich wieder gegeben, wie sie von Steve gehört hatte. Deborah fuhr den Rest des Tages ohne Pause durch Texas. Als sie in Clovis ankam, war sie so müde, daß sie beschloß, nicht wie ursprünglich geplant in einem Tag bis Ruidoso durchzufahren. Sie aß in
einem Restaurant ein Steak mit Salat, dann nahm sie sich in einem der zahlreichen Motels an der Autobahn ein Zimmer. Sie duschte und ging sofort zu Bett. Am nächsten Morgen erreichte sie Neu-Mexiko. Jetzt ging die Fahrt durch Wüste und Kakteengegenden. In der Ferne erhoben sich die Berge wie eine zarte, bläuliche Kette. Der Himmel über ihr war von einem tiefen Blau, das zum Horizont hin heller wurde. Kurz vor Mittag konnte sie das Schild der Nordranch der Diamond A Cattle Company ausmachen. Die Wüste blieb jetzt langsam hinter ihr zurück. Sie kam in bergiges Gelände, und es würde nun nicht mehr lange dauern, bis sie den malerischen Ort Ruidoso erreichte. Jetzt nahte der Augenblick, in dem sie sich der Wirklichkeit und den Folgen der Wette stellen mußte, die sie vor Monaten so spontan eingegangen war. Sie schaltete die Klimaanlage ab und kurbelte das Fenster herunter, um die reine Bergluft einzuatmen. Die Sonne stach vom Himmel, und selbst in dieser Höhe war es so heiß, daß sie sehnsüchtig an den Swimming-pool und den großen blauen See des „Inn of the Mountain Gods" dachte, des Hotels, in dem sie ein Zimmer bestellt hatte. Der Gedanke daran war verführerisch. Dennoch wußte Deborah, daß sie ihn nicht in die Tat umsetzen würde. Sie würde sich im Hotel lediglich kurz duschen und umziehen und dann gleich wieder nach Ruidoso Downs zurückkehren. Sie durchfuhr die letzte Kurve und hatte auf der rechten Seite das natürliche Tal vor sich, in dem die Rennbahn, die Ställe und das Trainingsgelände lagen. Rasch überflog sie die Bauten und versuchte, den Stall auszumachen, der seit zwei Monaten Dandys Heimat war. Jetzt konnte sie es kaum noch erwarten, wieder mit ihrem Pferd zu arbeiten. Für sie beide ging es bei diesem Rennen ums Ganze. Da mußten sie sich gemeinsam für den großen Kampf rüsten. Deborah fuhr durch den östlichen Teil des Ortes. Dann nahm sie die schmale Straße, die zur „Mescalero Apache Reservation" hinausführte. Sie genoß diese Fahrt von Herzen. Nie würde sie das letzte Mal vergessen, da sie mit ihrem Vater in Ruidoso gewesen war. Sie waren früh am Morgen vom Hotel zu den Ställen aufgebrochen, als sie plötzlich keine zehn Meter vom Wagen entfernt zwei Rehe auf einem Hang unter Bäumen entdeckten. Ihr Vater hatte sie auf die Rehe aufmerksam gemacht und den Wagen behutsam zum Stehen gebracht. Keiner von ihnen hatte gesprochen. Sie hatten die scheuen Tiere stumm beobachtet, die zu ihnen herüberäugten, jedoch nicht fortgelaufen waren. Das war ein Augenblick gewesen, der sie damals zutiefst beeindruckt hatte. Deborah fuhr an der Stelle vorbei, an der die Rehe gestanden hatten. Hinter einer Kurve hatte sie plötzlich den blauen See vor sich. Er schmiegte sich in das Tal und glitzerte einladend in der Sonne. Seine Ufer wurden von Felsen und Kiefern gesäumt. Zwei Indianerzelte waren auf der gegenüberliegenden Seite aufgebaut gewesen. Genau der Anblick, den unvorbereitete Besucher eines amerikanischen Indianerreservats erwarteten. Statt dessen sahen die meisten nur das große, moderne Hotel an der Uferstraße. Deborah parkte ihren Wagen direkt vor dem holzgedeckten Hauptgebäude. Sie stieg aus und ging über die Eingangsbrücke, unter der das Wasser lustig dahinplätscherte. Eine plötzliche Müdigkeit überkam sie. Doch die war weniger auf die vielen Kilometer zurückzuführen, die sie in den letzten beiden Tagen zurückgelegt hatte, sondern auf die Gewißheit, Randolph nun bald wiederzusehen. Er mußte jetzt auch bald nach Ruidoso kommen, und sie war sicher, daß er im selben Hotel absteigen würde. Immerhin sollten alle Tagungen und auch das große Fest des Pferdezüchterverbandes hier stattfinden. Und über das Fest sollte sie für ihre Zeitschrift eine Reportage schreiben. Irgendwie muß ich es schaffen, ihm gegenüber gleichmütig zu erscheinen, überlegte sie und stieß die Doppeltür auf. Ein großer Kupferkamin, der über drei Geschosse verlief, beherrschte die Eingangshalle. Auf einem runden Sockel daneben stand ein tanzender Krieger, das Symbol der Mescalero-Indianer. Auch diesmal wieder war Deborah von der indianischen Atmosphäre des Luxushotels beeindruckt. Es lag mitten in dem Reservat und wurde nicht nur von den Mescaleros geführt, sondern es gehörte ihnen auch. Sie liebte den Schmuck und die Körbe, die die Apachen fertigten, und blickte neugierig in die Richtung der Geschenkeboutique und ihrer Schätze. In diesem Augenblick erschien eine hübsche junge Indianerin am Empfang und erkundigte sich nach ihren Wünschen. Deborah machte sich klar, daß sie sowieso kein Geld für Extravaganzen hatte. Sie durfte sich nicht von Dingen verlocken lassen, die sie sich nicht leisten konnte. Also schrieb sie sich ein, holte ihren Wagen und fuhr ihn zu ihrem Motelblock. Deborah dachte an den Tagessatz, den das Mädchen am Empfang ihr genannt hatte, und war froh, daß der „Sunbelt
Horseman" ihre Rechnung bezahlte. Das hatte sie Josh zu verdanken, der ihr augenzwinkernd den Auftrag erteilt hatte, einige Tage eher herzufahren und schon vor dem Rennen ein paar Reportagen zusammenzustellen. Wenn ich die beiden Wochen aus eigener Tasche hätte bezahlen müssen, hätte ich in den Ställen übernachten müssen, überlegte sie. Deborah hielt auf dem einen freien Platz direkt vor dem Eingang zu Komplex B und begann, ihr Gepäck auszuladen. Der gute alte Josh, dachte sie dankbar. Sie hätte ihn gern in ihren Kummer eingeweiht, aber dann hatte sie doch geschwiegen. Auch Kathy wollte sie nicht mehr länger mit ihren Problernen behelligen, denn seit sie und Bill zu heiraten beschlossen hatten, hatte ihre Freundin andere Dinge im Kopf. So kam es, daß Deborah ihre Eltern in letzter Zeit mehr denn je vermißte und sich sehr einsam fühlte. Sogar Jay war viel unterwegs gewesen, dachte sie. Sie stellte ihr Gepäck vor dem Schrank ab und öffnete die gläserne Schiebetür zum Balkon. Nun, auch er mußte bald hier auftauchen. Dieses Rennen würde er sich auf keinen Fall entgehen lassen. Deborah ließ sich in einen Sessel auf dem Balkon sinken und blickte auf die friedvolle Landschaft hinaus. Die Gipfel der Sierra Bianca und die Kämme der anderen Bergketten wirkten sehr nah und bildeten einen interessanten Kontrast zu den drohenden Gewitterwolken, die sich am Himmel zusammenballten. Ich sollte mich eigentlich fertigmachen und sofort zu den Ställen gehen, dachte sie. Sonst gerate ich doch noch mitten in den Regenguß. Dennoch blieb sie reglos sitzen und sah gedankenverloren zu, wie sich das Unwetter zusammenbraute. Der Wind wurde immer stärker und schüttelte die Kiefern in scharfen Böen. Der Stamm vor ihrem Balkon begann zu schwanken und rieb sich knarrend an der Holzbrüstung. Der Duft der Kiefern mischte sich jetzt mit dem frischen Geruch des nahenden Regens. Es dauerte nicht lange, und dicke Tropfen prasselten auf die Erde herab. Als der Regen in dichten Schwaden herunterkam, begann es in den Bergen zu donnern. Der Tumult der Naturgewalten, die jetzt losbrachen, entsprach genau der Stimmung, in der Deborah sich befand. Selbst als der Guß vorüber war, blieb sie still sitzen und blickte starr zu den Bergen hinüber. Wenn der Sturm in ihrem Herzen doch auch so rasch vorüberzöge und ihre Liebe zu Randolph mitnähme. Aber trotz ihrer kühlen Erklärung Myra gegenüber und ihrer Vorsätze mußte sie sich eingestehen, daß sie gar nicht wollte, daß Randolph aus ihrem Leben ging.
12. KAPITEL „Ich kann es kaum glauben, daß es in zwei Tagen schon soweit ist", sagte Deborah zu Steve, während sie Dandy beim Abkühlen vor dem Stall beobachteten. „Aber heute ist sie eine gute Zeit gelaufen. Ich glaube, sie ist jetzt startbereit, meinen Sie nicht auch?" Steve nickte. Er schob seinen zerdrückten Strohhut in den Nacken und grinste belustigt. „Das haben Sie mich in der letzten halben Stunde nur siebzehnmal gefragt. Warum ruhen Sie sich nicht irgendwo ein wenig aus?" „Das kann ich nicht", antwortete Deborah nervös. „Dandy soll in zwei Tagen laufen, und da geht es nicht nur um ihre Zukunft, sondern auch um meinen Ruf als Trainerin. Außerdem haben wir soviel Arbeit in sie gesteckt..." Sie ließ den Satz unvollendet und stopfte ihr dünnes Strickhemd wieder in die Jeans zurück. „Machen Sie sich nur keine Sorgen, Deborah", meinte Steve tröstend. „Dandy ist ein Klassepferd, und sie ist jetzt in Topkondition. Ich lasse sie keine Sekunde aus den Augen, und es gibt keinen Grund zur Besorgnis." „Da haben Sie wohl recht", mußte Deborah zugeben. Sie drehte sich um und ging rastlos zum Stall. Von dort aus blickte sie über das Tal, ohne die Rennstrecke oder die Tribünen wirklich zu sehen. „So aufgeregt bin ich sonst nie", sagte sie entschuldigend zu Steve, der ihr gefolgt war. „Aber ich kann einfach nichts dagegen tun." „Schon gut", meinte er. „Die meisten haben vor dem Rennen Lampenfieber." Er musterte sie mitfühlend. „Es ist schon spät, Deborah", erinnerte er sie sanft. „Findet heute abend nicht die Party des Pferdezüchterverbandes statt?" Deborah nickte nur, ohne den Blick von den fernen Bergen zu nehmen. Endlich sagte sie besorgt: „Bitte, lassen Sie Dandy auf keinen Fall allein, Steve. Ich weiß, das klingt übertrieben, aber man kann nie wissen, was geschieht. An diesem Wochenende schwirrt es hier nur so vor Menschen, und die Hälfte von diesen Leuten gehört bestimmt nicht hierher. Lassen Sie einen von Ihren Leuten auf sie aufpassen, wenn Sie essen gehen, ja?" „Das tue ich immer", versicherte Steve. „Ich bleibe dann morgen abend bei ihr", fuhr Deborah fort. „Sie haben es verdient, zu einigen von den Veranstaltungen zu gehen, und ich werde sowieso nicht schlafen können." „Okay. Aber heute passe ich auf Dandy auf. Da können Sie auf der Superparty unbesorgt das Tanzbein schwingen." Er nahm ihr einen Halm aus dem Haar. „Aber vorher sollten Sie sich säubern gehen", neckte er sie. „Wenn Sie Heu im Haar haben, wird keiner von den Jungs mit Ihnen tanzen." Deborah lächelte über seine Bemühungen, sie aufzuheitern. „Wie Sie meinen, Boß", erwiderte sie betont munter. „Natürlich will ich bei den Jungs groß ankommen. Da gehe ich nun wohl lieber nach Hause und mache mich fein." Ehe Deborah den Motor anließ, sah sie sich noch einmal nach Dandy um. Hocherhobenen Hauptes ließ sie sich tänzelnd von Steve zum Stall führen. „Mach weiter so, Dandy", murmelte sie vor sich hin. „Halt die Ohren steif, Mädchen. Ich habe das Gefühl, daß wir deinen Kampfgeist brauchen werden." Deborah fuhr auf die Straße hinaus. Doch statt direkt zu ihrem Hotel zurückzukehren, lenkte sie den Wagen ins Geschäftszentrum von Ruidoso. Vor dem Umziehen blieb ihr noch eine Menge Zeit, und sie war zu ruhelos, um bis dahin allein in ihrem Hotelzimmer herumzusitzen. Da war es besser, sie machte einen Schaufensterbummel, um sich abzulenken. Sie überlegte es sich jedoch wieder anders, als sie sich der Ortsmitte näherte. In der Einkaufszone herrschte geschäftiges Treiben. Auf den schmalen Gehwegen drängten sich Pferdebesitzer, Trainer, Jockeys, Hilfskräfte und Hunderte von Pferde- und Rennbegeisterten. Alle sahen so aus, als verbrächten sie hier sorglose Urlaubstage. Deborah hatte keine Lust, nach einem Parkplatz zu suchen oder sich in das Menschengewühl zu stürzen. Die ausgelassene Stimmung um sie herum machte sie nur noch unruhiger. Was ist nur mit mir los, fragte sie sich zum zweiten Mal an diesem Tag. Sonst hat mir dieser Trubel doch immer Spaß und Freude gemacht. Aber heute nervt mich absolut alles. Ihre Gedanken wanderten wieder zu dem Rennen zurück. Aber selbst wenn Dandy das Rennen gewann, würde das wirklich etwas ändern? Sobald sie einen Durchschlupf fand, wendete sie den Wagen und fuhr geradewegs zum Reservat. Deborah kleidete sich für das Fest sehr sorgfältig an, obwohl sie doch nicht als Gast, sondern als Reporterin hinging. Unter diesem Vorwand hatte sie auch Jay sofort abgewimmelt, der sie natürlich
unbedingt als seine Tischdame haben wollte. Während sie ihr Haar zurückbürstete und ein leichtes Make-up auflegte, wanderten ihre Gedanken wieder zu Randolph. Myra hatte gesagt, sie seien füreinander bestimmt. War es da nicht schrecklich, wenn ihre Wege sich wegen eines dummen Mißverständnisses trennten? Deborah beschloß, die Initiative zu ergreifen und wenigstens noch einmal zu versuchen, mit Randolph zu sprechen. Inzwischen hatte er Zeit gehabt, sich zu beruhigen und seine Enttäuschung zu verarbeiten. Vielleicht konnte sie ihm jetzt erkären, warum sie sich nach ihrem Traumwochenende mit Jay getroffen hatte. Immerhin hatte sie Randolphs Version des Frühstücks mit Valerie auch geglaubt. Da mußte er ihr doch zubilligen, daß auch ihre Verabredung mit Jay harmlos gewesen war. Als Jay sie daher zu drängen begann, mit ihm zu der größten Party der Rennwoche zu gehen, dem Pferdezüchterball, hatte Deborah sofort abgelehnt. Sie wollte Jay nicht verletzen, aber sie wußte, daß sie Randolph nie überzeugen würde, wenn sie an Jays Arm auf der Party erschien. Sorgfältig legte sie etwas Wangenröte und Lippenglanz auf. Sie zog die Konturen ihres vollen Mundes nach und malte ihn mit Lippenstift aus. Nach kurzem Überlegen bürstete sie ihr dichtes Haar so, daß es ihr Gesicht weich umfloß. Schließlich trat sie zurück und musterte ihr Spiegelbild kritisch von Kopf bis Fuß. Deborah war mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen zufrieden. Von ihrer angespannten Stimmung war ihr nichts mehr anzumerken. Aus der nervösen jungen Frau vom Nachmittag war eine zuversichtliche, elegante junge Dame geworden. Ihr Partyanzug war nicht neu, aber sie wußte, daß er ihr besonders gut stand. Er war genau richtig für das Essen am Seeufer, dem ein Ball im Chiricahuasaal folgen sollte. Die orangefarbenen und rostroten Muster, die in den schwarzen Untergrund ihres Georgetteoberteils gewoben waren, entsprachen der herbstlichen Stimmung im Freien und nahmen den rotgoldenen Glanz ihres Haares auf. Dazu trug sie eine schwarze Seidenhose und hochhackige schwarze Sandalen. Deborah strich sich noch einmal über das Haar und ging zum Bett. Sie nahm ihre kleine schwarze Schulterabendtasche und die auf das Oberteil abgestimmte Kimonojacke. Entschlossen begab sie sich nach unten zu dem überdachten Gehweg, der zum See führte. Er muß mich anhören, dachte sie mit klopfendem Herzen. Er kann mir vor all seinen Freunden doch nicht einfach den Rücken kehren. Doch als Deborah am Badehaus vorbeiging und sich den weißgedeckten langen Tischen am Seeufer näherte, verließ sie der Mut. Wie magnetisch angezogen, suchte ihr Blick nach Randolph. Obwohl er von einer Gruppe festlich gekleideter Männer umringt war, entdeckte sie ihn sofort. Sekundenlang verspürte sie eine schreckliche Schwäche in den Beinen. Er stand in der Nähe des Wassers auf der anderen Seite eines hufeisenförmigen Tisches und lachte mit den anderen. Er redete auf jemanden ein, den Deborah nicht sehen konnte, und die Spätnachmittagssonne ließ sein schwarzes Haar aufschimmern. Er war ihr so vertraut und doch so fern. In ihr kämpfte der Wunsch, ihm nah zu sein, mit der Angst, zurückgewiesen zu werden. Doch dann riß sie sich zusammen und ging zu dem weißen Zelt, in dem eine Bar errichtet worden war. Während sie sich durch die Menge bewegte, wich sie verschiedenen Leuten aus, die sie kannte. Deborah ließ sich vom Barkeeper ein Glas Weißwein geben. Dann trat sie wieder ins Freie und spähte nach einer ruhigen Ecke, in der sie sich sammeln konnte. In ihrer augenblicklichen Verfassung konnte sie unmöglich mit Randolph reden. „Deborah, meine Liebe, wie geht es Ihnen?" ließ eine tiefe Stimme sich hinter ihr vernehmen. Sie drehte sich um und sah Tom Braden auf sich zukommen. „Wollen Sie uns beide übermorgen berühmt machen?" Deborah ließ sich von Tom die Hand drücken. „Dandy wird uns beide berühmt machen, Tom, nicht ich", erwiderte sie lächelnd. „Sie ist ein Naturtalent und hätte mich gar nicht gebraucht." „Papperlapapp!" meinte Tom und winkte seiner Frau, einer stattlichen, grauhaarigen Frau zu. „He, Martha, komm her und sag Deborah, wie wichtig der Trainer beim Pferderennen ist." Alle drei lachten, Martha, eine echte Pferdekennerin, kam näher und ließ sich nur zu gern in eine Diskussion über Dandys Chancen verwickeln. Doch obwohl Deborah auf den Ausgang des Rennens gespannt war und sich über Marthas günstige Beurteilung ihres Pferdes freute, fiel es ihr schwer, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren. Ab und zu warf sie einen verstohlenen Blick zu Randolph hinüber, aber er war immer noch in ein Gespräch vertieft. Sie fragte sich, ob sie im Laufe des Abends überhaupt eine Gelegenheit haben würde, ihn allein zu sprechen.
Martha und Tom schwelgten in Erinnerungen an vergangene Rennen, und wieder begannen Deborahs Gedanken abzuschweifen. Während ihre Freunde sich die Köpfe heiß redeten, blickte sie versonnen über den See zu den roten und rosa Streifen, die die untergehende Sonne auf die Kämme der Sierra Bianca malte. Wehmütig dachte sie an den Sonnenuntergang auf dem Hügel in Los Arboles, bei dem Randolphs Kopf an ihrer Brust gelegen hatte. Wieder verspürte sie den alten Schmerz, aber sie verdrängte ihn. Heute würde sie ein letztes Mal versuchen, die Situation zu bereinigen. Ihr wurde vage bewußt, daß die Leute auf die Tische zuströmten, um ihre Plätze einzunehmen. Der Kreis um Randolph löste sich auf. Als Deborah wieder in seine Richtung spähte, sah er sie direkt an. Ein Schauer der Erregung durchlief sie wie an dem Tage ihrer ersten Begegnung. Ihre Blicke hielten sich einen langen Augenblick fest. Deborah versuchte, in seinen Augen zu lesen, aber sie konnte ihren Ausdruck aus der Entfernung nicht deuten. Als Randolph sich abwandte, konnte Deborah endlich erkennen, mit wem er sich die ganze Zeit unterhalten hatte. Es war Valerie. Sie ging beschwingt neben ihm her und trug ein enganliegendes, türkisfarbenes Kreppkleid, das an einer Seite schulterfrei war und an der anderen von einem schmalen Träger gehalten wurde. Randolph widmete ihr jetzt seine ungeteilte Aufmerksamkeit und blickte nicht mehr zu Deborah herüber, als er mit den anderen Vorstandsmitgliedern am Kopf der Tafel Platz nahm. Die Hoffnung, die Deborah erfüllt hatte, als ihre Blicke sich trafen, erstarb wieder. Randolph hatte sie angesehen, aber heute abend war er mit Valerie zusammen. Und wie viele andere Abende mochte er in den letzten Wochen mit ihr verbracht haben? Deborah dachte daran, wie oft sie Valeries Wagen in Los Arboles gesehen hatte, wenn sie in dieser schrecklichen Zeit mit Dandy trainiert hatte. Sie zog ihre Kimonojacke fester um sich, weil ihr plötzlich kalt war. „Kommen Sie, Deborah", hörte sie Tom sagen. „Setzen wir uns zu den Hendersons." Deborah folgte ihm benommen. Es war ihr egal, bei wem sie saß. Am liebsten wäre sie auf der Stelle gegangen, aber sie mußte ja aufpassen und über die Ereignisse des Abends schreiben. Also setzte sie sich mit Tom und Martha zu den Hendersons. Sie stellte ihr Weinglas ab und holte ihr Notizbuch aus der Handtasche. Ihr war nicht nach Unterhaltung zumute, und sie war froh, daß die Hendersons und die Bradens sich soviel zu erzählen hatten. Stumm spielte sie mit ihrer Serviette und verfolgte geistesabwesend, wie die Kellner anfingen, dicke, über Hickoryholz gegrillte Steaks von den großen Feuerstellen zu servieren, die in der Nähe aufgestellt waren. Heute habe ich keine Gelegenheit, mit Randolph zu reden, dachte Deborah niedergeschlagen und stocherte lustlos in ihrem Salat herum. Wahrscheinlich ist er sofort zu Valerie zurückgekehrt, nachdem er mich mit Jay gesehen hatte. Ich muß mich damit abfinden: Es ist zu spät. Sie setzte sich kerzengerade auf und warf das Haar über die Schultern zurück. Aber vielleicht ist das ganz gut so, versuchte sie sich einzureden. Wenn unsere Beziehung ihm nicht mehr bedeutet hat, habe ich wohl nicht viel an ihm verloren. Doch dieser Gedanke konnte sie über die schreckliche Leere in ihrem Herzen nicht hinwegtrösten. Sie wußte, daß Randolph wegen seiner Erfahrung mit seiner Mutter sowieso nicht an die Beständigkeit einer Beziehung zu einer Frau glaubte. Außerdem war er von Anfang an dagegen gewesen, daß sie sich mit Jay Adams abgab. Um den Krug zum Überlaufen zu bringen, hatte sie seinen Stolz zutiefst verletzt, indem sie ihn belogen hatte und von ihm direkt zu Jay gegangen war. Nein, sie durfte sich keine Hoffnung mehr machen. Schon der Umstand, daß er sich nach dem Vorfall mit Jay ganz von ihr zurückgezogen hatte, zeigte, daß das, was zwischen ihnen gewesen war, ihm nicht viel bedeuten konnte. Wieder wollte der Schmerz sie übermannen, aber sie zwang sich, dem Geschehen um sie herum zu folgen. Josh wollte einen kurzen, aber farbigen Artikel über das Essen. Da war es besser, sie machte sich Notizen. Es gelang ihr, ihre Gefühle bis zu einem gewisen Grad unter Kontrolle zu halten. Sie bewahrte selbst dann eine kühle Fassade, als Randolph als Gastgeber und Präsident des Pferdezüchterverbandes aufstand und eine kurze Willkommensansprache hielt. Endlich war der Nachtisch serviert, und die Menge begann langsam über den Grashang zum Chiricahuasaal zu strömen, aus dem die einladenden Rhythmen der Band drangen. Der riesige, ganz in Orange und Gold gehaltene Ballsaal war festlich geschmückt und in eine Tanzfläche verwandelt worden. Deborah hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nicht so fehl am Platz gefühlt. Innerlich war sie dem festlichen Getriebe so fern, als säße sie allein am Seeufer.
„Darf ich um diesen Tanz bitten?" fragte plötzlich eine einschmeichelnde Stimme. Sie drehte sich um und hatte Jay vor sich. Deborah schaffte es, zurückzulächeln und zu nicken. Jays beharrliche Werbungen nervten sie ebenso wie Randolphs Entschlossenheit, ihr die kalte Schulter zu zeigen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie brachte kein Wort heraus. Stumm glitt sie in Jays Armen über die Tanzfläche und versuchte, sich wieder zu fangen. „Du bist ja heute so still", meinte Jay trocken. „Könnte das etwas mit Randolph Harlan zu tun haben?" Jays besitzergreifender Ton und die Bitterkeit, mit der er Randolphs Namen aussprach, brachten Deborah auf. „Wie oft muß ich dir noch erklären, daß du keinerlei Ansprüche auf mich hast?" wies sie ihn scharf zurecht. „Oder brauchst du das schriftlich?" Er hielt sie nur noch fester in seinen Armen und blickte ihr ruhig in die Augen. „Ich gebe nicht auf", sagte er bestimmt. „Das kann ich dir auch schriftlich geben." Die Band legte eine Pause ein. Deborah blitzte ihn wütend an, ohne etwas zu antworten. Während sie sich einen Weg an den Rand der Tanzfläche bahnten, war eine Fortsetzung des Wortwechsels nicht möglich. Was ist nur in Jay gefahren, dachte sie ärgerlich, als er sie um das Menschengewimmel an der Bar herumführte. Er hatte doch sonst immer einen Rückzieher gemacht, wenn sie ihn in seine Schranken verwiesen hatte. Warum also plötzlich diese besitzergreifende Art? Das hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt! Als sie die offene Terrassentür erreichten, gab Jay ihren Ellbogen frei und blickte Deborah an. „Ich hole uns etwas zu trinken", sagte er. „Warte draußen auf mich." Er war fort, ehe sie etwas antworten konnte. Sein Befehlston verstimmte Deborah nur noch mehr. Sie trat auf die Terrasse hinaus und hatte nicht die Absicht, auf Jay zu warten. Statt dessen wollte sie ihren Wagen holen und im Mondschein in die Sierra Bianca hinauffahren. Die steilen Haarnadelkurven und die Schönheit der bewaldeten Berge würden ihr helfen, klarer zu denken. Sie ging entschlossen an den Grüppchen vorbei, die sich auf der Terrasse versammelt hatten. Plötzlich stand sie Randolph gegenüber. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und sie blieb wie angewurzelt stehen. „Ich muß mit dir reden", sagte er leise. „Morgen abend um sechs hole ich dich ab. Dann fliegen wir zum Abendessen nach Chimayo." Seine dunkle Stimme brachte alles zurück, was sie in der letzten Zeit durchgemacht hatte. Kalte Wut stieg in ihr auf. „Ich will schon seit Wochen mit dir sprechen", fuhr sie ihn mit funkelnden Augen an und betonte jedes Wort. „Aber du wolltest mich ja nicht anhören. Warum sollte ich jetzt auf einmal Zeit für dich haben?" Auch in Randolphs Augen blitzte es ärgerlich auf. Ihre Blicke hielten sich sekundenlang fest. „Hier können wir darüber nicht reden", entschied er. „Warten wir bis morgen." „Ich lasse mir von niemandem Vorschriften machen", gab Deborah kühl zurück und wollte um ihn herumgehen. Er verstellte ihr den Weg und war ihr plötzlich so nah, daß sie trotz ihrer Verärgerung daran denken mußte, was sie in seinen Armen empfunden hatte. „Deborah", sagte er und sah ihr eindringlich in die Augen. „Sechs Uhr?" Sie hielt seinem Blick stand. In ihr kämpften die widersprüchlichsten Gefühle. Ihre Liebe trug den Sieg davon. „Sechs Uhr", brachte sie flüsternd hervor und floh. Deborah hörte Kathy kräftig an die Tür klopfen, als sie gerade unter der Dusche hervorkam. Rasch trocknete sie sich ab und schlüpfte sie in ihren hellgelben Bademantel. „Du kommst gerade richtig, um mir bei der Kleiderfrage zu helfen", begrüßte sie ihre Freundin. „Du läßt mich also wirklich rein?" Kathy setzte sich auf die Kante eines der beiden großen Betten. „Nachdem du mich gestern abend nicht mal zur Kenntnis genommen hast, wußte ich nicht, ob du überhaupt mit mir reden würdest. Daß ich dich dann auch noch beim Anziehen beraten soll, ist zuviel der Ehre." Deborah lächelte und nahm ihren Fön aus der Frisierkommode. „Ich habe dir doch schon am Telefon gesagt, daß ich dich gestern abend überhaupt nicht gesehen habe", entschuldigte sie sich. „Sicher, ich wußte, daß du mit Bill zu der Party kommen würdest, und ich hatte mich auch auf euch gefreut, aber in all dem Durcheinander ist das dann irgendwie an mir vorbeigegangen." Kathy zeigte sich versöhnlich. „Ich weiß. Ich habe dich beim Essen gesehen, aber später im Chiricahuasaal und auf der Terrasse konnte ich dich nirgends entdecken."
„Ich bin nicht lange geblieben", antwortete Deborah. Sie merkte, daß sie dringend mit jemandem über die Ereignisse des Abends reden müßte. „Wieso denn das?" fragte Kathy gespannt. „Im Augenblick habe ich keine Zeit, dir das näher zu erklären, Kathy. Außerdem bin ich noch so durcheinander, daß ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll." Kathy seufzte. „Schon gut, schon gut", meinte sie achselzuckend. „Ich weiß inzwischen ja sowieso nicht mehr, was sich bei dir tut." Deborah lächelte ihr im Spiegel liebevoll zu, während sie sich das Haar trocken fönte. „Laß dir dein Glück nicht von meiner Leidensgeschichte verderben, Kathy. Jetzt mußt du an dich und die bevorstehende Hochzeit denken. Habt ihr den Termin schon festgelegt?" „Noch nicht endgültig." Kathy strahlte vor Glück, wie meist seit ihrer Verlobung mit Bill. „Es wird irgendwann diesen Monat sein." „Um so mehr weiß ich es zu würdigen, daß ihr mir einen ganzen Abend opfern wollt.“ Deborah legte den Fön fort und ging zum Schrank. „Aber ihr helft mir wirklich aus der Patsche. Ich weiß, daß Steve bleiben würde, wenn ich ihn darum bäte. Aber ich hatte ihm für heute einen freien Abend versprochen, und er hat etwas vor." „Wir bleiben gern bei Dandy, Deborah", antwortete Kathy lächelnd. „Bill freut sich schon darauf, sich in den Ställen umschauen und sich die Pferde ansehen zu können." „Nun, später als zehn wird es bei mir wohl nicht werden", überlegte Deborah. „Ich übernehme die Nachtschicht, denn schlafen kann ich heute sowieso nicht. Ich würde doch nur die ganze Nacht im Zimmer herumwandern und mir Gedanken wegen Dandy machen. Da ist es schon besser, ich bleibe bei ihr." „Bleib solange fort, wie du willst." Kathy stand auf. „Viel wichtiger ist jetzt, daß du endlich die Sache mit Randolph ins reine bringst. Bill und ich passen schon auf das Pferd auf." Ein Schatten flog über Deborahs Züge. Geistesabwesend breitete sie die Bluse und den Rock auf dem anderen Bett aus, die sie anziehen wollte. „Ich glaube eigentlich nicht, daß zwischen Randolph und mir alles wieder gut wird. Aber ich habe seit Wochen nach einer Gelegenheit gesucht, mich mit ihm auszusprechen, und jetzt habe ich sie endlich." „Hör mal, Deborah, willst du das hier etwa anziehen?" fragte Kathy entsetzt. „Was gefällt dir daran nicht? Diese Kombination trage ich besonders gern." „Ach was, das ist viel zu brav und überhaupt nicht sexy", erklärte Kathy entschieden. „So kannst du nicht losgehen." Deborah streifte den Bademantel ab und zog die üppig bestickte Bauernbluse an. „Mir ist überhaupt nicht nach Raffinesse", erwiderte sie und zog die Schnüre zu. Dann schlüpfte sie in den blauen Prärierock. „Außerdem habe ich das Gefühl, daß der heutige Abend eher eine zwanglose Angelegenheit wird." Sie ignorierte Kathys mißbilligenden Blick und setzte sich in den Sessel, um ihre flachen Ledersandalen zuzubinden. „Wirklich, Kathy, wahrscheinlich läuft das Ganze nur auf das einzige Thema hinaus, das uns verbindet: Dandy." „Schon möglich", meinte ihre Freundin trocken. „Wenn du das zuläßt." Sie sah Deborah eindringlich an. „Ich kann dir nur eins raten: sei offen und aufrichtig. Du wolltest die ganze Zeit mit Randolph über deine Gefühle für ihn sprechen, jetzt tu's auch!" Sie warf einen Blick auf die Uhr und wandte sich zum Gehen. „Ich würde dir gern eine ausführliche Gardinenpredigt halten, aber Bill wartet", sagte sie. „Wir wollen zur Rennbahn, und ich muß mich beeilen." Als Deborah nichts erwiderte, nahm sie sie in die Arme. „Vergiß nicht, daß Bill und ich ohne dich heute nicht zusammen wären. Du warst es, die mir geraten hat, ihm einfach zu sagen, was ich wirklich für ihn empfinde. Und damit hat sich alles entschieden." Kathy legte die Hand auf die Klinke. „Ich werde an dich denken. Konzentriere du dich nur auf Randolph. Bill und ich kümmern uns um Dandy." Deborah warf einen verstohlenen Seitenblick auf Randolphs ausdrucksloses Gesicht. Er hatte sie abgeholt, und sie fuhren zum Flughafen von Ruidoso hinaus. Bis jetzt hatten sie sich nur höflich unterhalten, und sie hatte keine Ahnung, was er dachte. Sie hatten die Fenster heruntergekurbelt, und die frische Bergluft, die in den Wagen wehte, war erfüllt vom Duft der Kiefern. Der Wind spielte mit Randolphs dunklem Haar, und die späte Nachmittagssonne erhellte seine markanten Züge. Er trug perlgraue Westernhosen und ein dazu
passendes, am Hals offenes Hemd. Sein Anblick machte Deborah glücklich, obwohl er ihr innerlich so fern zu sein schien. Sie wandte sich ab und blickte auf die Landschaft englang der kurvigen Straße hinaus. Im Augenblick wußte sie noch nicht, wie sie auf das Mißverständnis zwischen ihnen zu sprechen kommen konnte. „Diese Berglandschaft ist einmalig schön", meinte Randolph beiläufig. „Ich könnte nirgendwo anders leben als auf Los Arboles, aber von Zeit zu Zeit habe ich einfach Sehnsucht nach Bergen." „Ich kann es kaum erwarten, sie aus dem Flugzeug zu sehen", antwortete Deborah. „Ist dir schon mal aufgefallen, wie das Grün und Blau von dort oben wirkt? Irgendwie unwirklich." Randolph parkte den Wagen vor dem Zaun, der die Landefläche umschloß. Sie betraten das Flughafengebäude, wo er sich vergewisserte, daß die zweimotorige Maschine startklar war. Dann führte er Deborah zur Landebahn hinaus. „Der Flughafen scheint ja total überfüllt zu sein", meinte Deborah, nachdem Randolph ihr in seine Maschine geholfen hatte. „Ich glaube, ich habe noch nie so viele kleine Flugzeuge auf einmal gesehen." „Dann solltest du wirklich mal am Ende einer großen Rennwoche herkommen", erwiderte er schmunzelnd und ließ dann erst den rechten, dann den linken Motor an. „Die Leute aus der Stadt kommen extra hier heraus, um sich das komplette Chaos anzusehen, wenn alle möglichst gleichzeitig starten wollen." Sie rollten auf die Startbahn hinaus. Die Maschine wurde rasch schneller und hob gegen den Südwind ab. Sie schwebte majestätisch über die waldbestandenen Hänge hinweg auf die Pajarito-Berge zu. Dann änderte Randolph den Kurs und hielt durch den rotgold aufleuchtenden Abendhimmel auf die Sierra Bianca zu. Die Straße, die zum Skigebiet führte, schlängelte sich unter ihnen wie ein grauweißes Band über die Bergrücken durch den grünen Wald. Sie folgten ihr und hielten auf Santa Fe und das abgelegene Restaurant mit dem Namen Rancho de Chimayo zu. Während des Fluges entspannte sich die Atmosphäre zwischen ihnen. Als sie schließlich auf dem Flughafen von Santa Fe einen Wagen mieteten, kam es Deborah fast so vor, als hätte es die vergangenen Wochen nie gegeben. Das Gefühl der Vertrautheit zwischen ihnen war wieder da. Sie sprachen über Sehenswürdigkeiten in Santa Fe und natürlich auch über das Rennen und seinen Ausgang. Randolph parkte unter einem knorrigen Piniennußbaum. Er kam um den Wagen herum und hielt Deborah die Tür auf. Sie stieg aus und wurde von einer leichten Brise erfaßt, die von Westen herüberwehte. Sie preßte ihr den Rock an die Beine und blies ihr die Haare ins Gesicht. Randolph strich ihr das Haar zurück und nahm ihr Kinn zärtlich, doch bestimmt in die Hand. Er blickte ihr lange in die Augen, dann bedeckte er ihre Lippen mit den seinen. Deborah erwiderte seinen Kuß mit all dem Verlangen, das sie seit Wochen gequält hatte, während seine suchende Zunge heiße Schauer über ihren Körper schickte. Er ließ ihr Gesicht los und zog sie an sich. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und grub die Finger in sein Haar, als wolle sie ihn nie mehr freigeben. Schließlich löste Randolph sich von ihr. Für einen langen Augenblick hielten sie sich stumm an den Händen, weil sie den Zauber nicht brechen wollten. Dann legte er den Arm um Deborahs Taille, und sie gingen langsam zum Eingang des alten Ranchhauses. Plötzlich hatte Deborah Hoffnung, daß zwischen ihnen doch noch alles gut werden würde. Vielleicht habe ich mich, was Valerie betrifft, doch getäuscht, dachte Deborah. Randolph könnte mich doch nicht so küssen, wenn er etwas mit ihr hätte. Wir werden beim Essen darüber reden. Dann kann ich ihm auch sagen, was mit Jay ist. Wir werden wieder zusammenkommen, jubelte es auf einmal in ihr. Der Wind wurde stärker. Er trug süße Düfte und sanfte Laute von den Bergen zu ihnen herüber. Es war wie ein verheißungsvolles Omen, daß sie doch noch zusammenfinden würden. Eine indianische Empfangsdame kam ihnen in einem langen Rock und einem farbenfrohen Schultertuch entgegen. Es war, als seien sie in die Zeiten zurückversetzt, als die Spanier dieses Land eroberten. Sie gingen durch eine schwere, alte Tür, deren Schwelle die Spuren der Jahrhunderte trug. An den Wänden der Diele standen massive Bänke aus dunklem Holz. Ähnliche Stühle und Tische befanden sich in den verschieden großen Räumen, durch die die Indianerin sie führte. Randolph wählte einen Ecktisch auf der Terrasse, von dem aus sie die schwachen Umrisse der Berge gegen den dunkler werdenden Abendhimmel sehen konnte. Eine Kellnerin in flachen Sandalen erschien und stellte einen Krug mit Sangria zu der Kerze auf den Tisch. Randolph bestellte Enchiladas
und Maistortillas.
„Dies ist für mich die schönste Zeit des Tages", sagte Deborah versonnen. „Wenn die Dämmerung
einsetzt, ist alles immer so friedvoll."
„Ja, da hast du recht", stimmte Randolph ihr zu und füllte ihr Glas. Er ließ den Blick zärtlich über ihr
Gesicht und ihre entblößten Schultern schweifen, als wolle er sie sich erneut einprägen.
Deborah fragte sich, ob sie ihm genauso gefehlt hatte wie er ihr. War er auch glücklich, wieder mit ihr
zusammenzusein?
Jetzt wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt gewesen, sich mit Randolph auszusprechen. Doch
irgendwie brachte Deborah es nicht über sich, den Zauber des Augenblicks zu stören.
Sie senkte die Lider und nippte an ihrer Sangria. Das kann ich auch später noch tun, dachte sie.
„Ich freue mich, daß wir hierher gekommen sind", sagte sie endlich. „Die Atmosphäre ist traumhaft,
und der Flug über die Berge beim Sonnenuntergang war für mich ein einmaliges Erlebnis."
Randolph trank ebenfalls von seinem Wein und nickte. „Ich hielt das für eine gute Idee", antwortete er
leichthin. „Eine Partnerschaft wie unsere sollte mit einem besonderen Abend gefeiert werden.
Schließlich entscheidet sich morgen unsere Wette."
Eine eisige Hand legte sich auf Deborahs Brust. Dies ist für ihn also nur eine Art Geschäftsessen,
schoß es ihr durch den Kopf.
Und was er wohl mit „besonderer Abend" meint, überlegte sie ernüchtert. Sie dachte an die anderen
besonderen Abende, die sie mit ihm verbracht hatte. Abende, die sie niemals vegessen würde. Hatten
diese Stunden ihm nichts bedeutet?
Deborah lehnte sich enttäuscht zurück. Sie war eine Närrin gewesen, zu glauben, daß sie sich
aussprechen und wieder zusammenkommen würden. Wie hatte sie sich nur einbilden können, daß
Randolphs Gefühle für sie ebenso stark waren wie ihre für ihn? Für ihn war sie nichts weiter als eine
impulsive junge Frau, die sich auf eine ausgefallene Wette mit ihm eingelassen hatte. Wenn die Wette
entschieden war, würde er sie wieder aus seinem Leben streichen.
Dieser Abend war also kein neuer Anfang, sondern nur ein Abschiedsessen. Ein sentimentales
Beisammensein am letzten Tag ihrer Partnerschaft. Ab morgen würde Dandy nur noch Randolph oder
ihr gehören. Das Bindeglied, das sie aneinandergeschmiedet hatte, würde dann zerbrochen sein.
13. KAPITEL „Du bist ja früh zurück", begrüßte Kathy Deborah, als diese auf den Eingang des langgezogenen Stallgebäudes zukam. Kathy und Bill saßen auf Klappstühlen vor dem großen Eingangstor, von dem aus sie Dandys Box im Auge hatten. „Ich hatte dir doch gesagt, daß ich gegen zehn zurück sein würde", antwortete Deborah. Sie war selbst überrascht, wie ruhig ihre Stimme klang. „Ich löse euch ab, dann könnt ihr noch bei den Partys die Runde machen." „Ohne mich", meinte Bill entsetzt. „Da geht es inzwischen bestimmt schon ziemlich stürmisch her." Kathy lachte. „Wir sind schon fast wie ein altes Ehepaar. Es hat uns Spaß gemacht, hier ganz still zu sitzen und die Nacht zu genießen." Deborah verspürte einen Stich in der Brust. Die Vertrautheit der beiden erinnerte sie an ihre eigene Einsamkeit und die Verlorenheit, gegen die sie auf dem ganzen Rückweg von Chimayo angekämpft hatte. „Nochmals ganz herzlichen Dank, daß ihr bei Dandy geblieben seid", sagte sie rasch. „Ich übernehme jetzt. Heute nacht finde ich doch keinen Schlaf." Kathy und Bill wollten Deborah nicht allein lassen, doch schließlich konnte sie sie zum Gehen überreden. Sie winkte den beiden nach und ging in den Stall, um nach Dandy zu sehen. Sie schien zu schlafen, aber als sie Deborah hörte, hob sie den Kopf und streckte ihr erwartungsvoll die Nase entgegen. „Ach, Dandy", murmelte Deborah verloren. „Hoffentlich gewinnst du morgen. Ich könnte es nicht ertragen, dich auch noch zu verlieren." Sie blieb ein paar Minuten bei dem Pferd, dann wanderte sie rastlos über den Gang mit seinen vertrauten Gerüchen. Im Stall und seiner Umgebung war es ruhig. Zwar waren noch ein paar andere Pferde untergestellt, aber keines davon sollte bei dem morgigen Rennen starten, und ihre Trainer feierten sicher irgendwo. Sie hörte nur die leisen Geräusche der schlafenden Pferde und ferne Stimmen aus den Ställen weiter unten am Hügel. Schließlich ging sie in die kleine Abstellkammer, in der sich Steves Feldbett und ein paar von seinen persönlichen Sachen befanden. Sie nahm sein kleines Transistorradio von dem Regal neben der Tür und begab sich damit zu den Klappstühlen im Freien zurück. Dort setzte sie sich und schaltete die einzige Station ein, die sie klar hereinbekam. Im Grunde war es ihr gleichgültig, was sie hörte. Sie wollte nur ein paar Hintergrundgeräusche, um sich nicht so allein zu fühlen. Deborah blickte unglücklich auf die langen Ställe und die Gebäude unter ihr hinunter. Die Lichter verschwommen vor ihren Augen, weil ihr die Tränen kamen. Ich muß Randolph vergessen, dachte sie verzweifelt. Es gibt keine Hoffnung mehr, daß wir je zusammenkommen. Er hatte gar nicht gemerkt, daß er sie mit seiner Erklärung zutiefst getroffen hatte. Von da ab war sie einsilbig geworden und hatte sich vollkommen abgekapselt. Deborah zog einen Fuß auf das andere Knie und spielte geistesabwesend mit dem Band ihrer Sandale. Sie hörte kaum, daß die Musik aus dem Radio plötzlich lauter wurde. Randolphs Miene war auf einmal so hart gewesen. Er hatte sie mehrmals gefragt, was mit ihr los sei, aber sie hatte es nicht über sich gebracht, sich ihm zu öffnen. Wie hätte sie ihm auch erkären sollen, daß sie auf eine Beziehung von Dauer gehofft hatte, wo er ihr doch gerade klargemacht hatte, daß ihre „Partnerschaft" mit dem Ausgang der Wette beendet sein würde? Deborah erschauerte, als sie an die lange, qualvolle Rückfahrt zum Flughafen von Santa Fe, den Flug und die letzte Strecke zum „Inn of the Mountain Gods" dachte. Sie hatten wie Fremde nebeneinander gesessen. Wie reserviert höfliche Reisende, die zufällig ein Stück des Weges teilten. „Wo kommen wir hin, wenn das hübscheste Mädchen weit und breit allein vor einem Pferdestall sitzt?" Deborah fuhr zusammen, als die Stimme in ihre Gedanken einbrach. Sie sprang auf und fuhr herum. Unmittelbar hinter ihr stand Jay. „Jay!" rief sie vorwurfsvoll. „Du hast mich zu Tode erschreckt! Was fällt dir ein, dich hier so einfach anzuschleichen?" „Ich mußte mich anschleichen, Liebling", antwortete er. „Wenn du gewußt hättest, daß ich komme, wärst du vermutlich verschwunden wie gestern abend."
Er musterte Deborah von Kopf bis Fuß. Sie hatte Jeans angezogen, nachdem Randolph sie zurückgebracht hatte, aber sie trug immer noch die dünne Bauernbluse. Als sie merkte, daß Jays Blick an ihren nackten Schultern haften blieb, wünschte sie, sie hätte etwas Hochgeschlosseneres angezogen. „Entschuldige, Jay, ich wollte wirklich nicht fortlaufen, aber irgendwie hatte ich plötzlich genug von der Feierei." Sein Blick sagte ihr, daß er ihr nicht glaubte. Doch dann wandte er sich achselzuckend dem Stall zu. „Was macht dein Pferd?“ erkundigte er sich beiläufig und ging in den Stall. „Glaubst du, daß sie fit genug ist, das Rennen zu machen?" „Ich denke schon", antwortete Deborah und folgte ihm in das Gebäude. „Sie scheint jedenfalls sehr viel ruhiger zu sein, als ich es bin." Jay blieb auf dem Gang stehen. Er warf Dandy nur einen flüchtigen Blick zu und drehte sich zu Deborah um. „Wieso bist du so nervös?" erkundigte er sich anzüglich. „Hat dein alter Freund Harlan dich nicht beruhigen können? Ich hatte eigentlich gedacht, du würdest von dem Flugzeugausflug schnurrend wie ein Kätzchen zurückkommen." Sein Charme war verflogen, und seine Stimme klang jetzt verbittert. „Ich möchte nicht darüber reden, Jay", gab Deborah ärgerlich zurück. „Und außerdem geht dich das ja wohl nichts an." „Nun, ich will aber darüber reden." Jay trat näher und ergriff ihre Schultern. Sein alkoholisierter Atem schlug ihr ins Gesicht. „Du bist mir zum letzten Mal davongelaufen, um zu Harlan zu gehen." Deborah versuchte, sich zu befreien, aber er war stärker als sie. „Du bist betrunken, Jay", stieß sie hervor. „Laß mich los und geh nach Hause." „Diesmal nicht, Baby." In seinen Augen glitzerte es gefährlich. „Diesmal wirst du mich nicht so schnell los." Deborah wollte protestieren, aber er grub ihr die Finger in die Schultern und ließ sie gar nicht zu Wort kommen. „Jetzt rede ich", bestimmte er. „Ich muß dir endlich mal meinen Standpunkt klarmachen." Damit schob er sie vor sich her, bis sie mit dem Rücken die Abstellkammertür berührte. „Warum willst du nicht einsehen, daß wir zusammengehören?" wollte er wissen. „Warum läßt du Harlan nicht sausen?" Jay schien sie mit seinem Blick durchbohren zu wollen. „Er paßt nicht zu dir. Deborah. Aber ich! Seit unserer Teenagerzeit wußte ich, daß aus uns beiden eines Tages ein Paar werden würde. Randolph Harlan braucht dich nicht. Er hat jede Menge Geld, die große Ranch und all die Pferde. Das werde ich nicht zulassen, daß er dich auch noch bekommt." Jay redete sich in Hitze. „Das habe ich beschlossen, als er dich heute abend in seinem Spielzeugflugzeug entführt hat." „Bist du mir etwa nachgeschlichen?" fragte Deborah wütend. „Was fällt dir ein, mir nachzuspionieren?" Sie wollte sich losmachen, aber Jay keilte sie mit seinem Körper ein und streifte ihr die Bluse von einer Schulter. Aufreizend langsam begann er, ihre nackte Haut zu streicheln. „Hör mal, Liebling, der Nachtbummel, den du mir so lange versprochen hattest, ist geplatzt, nur weil du Harlan plötzlich gesehen hast. Und gestern abend bist du einfach verschwunden, nachdem du ihm begegnet bist. Das lasse ich nicht mehr zu. Jetzt ist Schluß damit!" Dandy stampfte in ihrer Box und wieherte leise. Der enge Verschlag schien ihr nicht zu behagen. „Laß uns nach dem Rennen darüber reden, Jay." Deborah suchte nach einer Möglichkeit, ihn hinzuhalten. „Du regst mich nur auf und Dandy auch." „Gut, dann gehen wir hier rein. Ich werde dich schon beruhigen, da Harlan das offenbar nicht geschafft hat." Jay stieß sich von der Wand ab und wollte die Tür zur Abstellkammer öffnen. „Ich werde dir eine Menge Dinge zeigen, die Harlan nicht kann." „Nein, Jay!" Deborah versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken. „Nicht jetzt. Laß uns..." Jay schnitt ihr ungeduldig das Wort ab. Er riß sie an sich und bemächtigte sich ihrer Lippen. Deborah versuchte mit aller Kraft, sich zu befreien. Sie drehte den Kopf zur Seite und wand sich unter seinem Griff. „Ich habe dir doch gesagt, nicht jetzt, Jay!" stieß sie keuchend hervor und hörte, wie Dandy erneut wieherte. Eine vertraute Stimme mischte sich ein. „Sie sagt, nicht jetzt, Adams", stieß Randolph zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sind Sie schwerhörig?" Jay fuhr überrascht herum. Er gab Deborah frei und ließ die Arme sinken.
„Raus mit Ihnen, Harlan!" schnaubte er und ballte die Hände zu Fäusten. „Und zwar dalli!" Er wollte sich auf Randolph stürzen, aber der Whisky, den er getrunken hatte, verlangsamte seine Reaktionsfähigkeit. Randolph konnte seinem Schlag mühelos ausweichen. Randolph richtete sich wieder auf und sah Jay einen Augenblick verächtlich an. Dann streckte er ihn mit einer harten Rechten zu Boden. Randolph blickte immer noch auf Jay hinunter, der benommen auf dem mit Sägemehl bestreuten Boden lag. Dann wandte er sich abrupt an Deborah. „Deshalb hast du es also so eilig gehabt, aus Chimayo zurückzukehren. Ich hätte mir denken können, daß du heute abend mit ihm verabredet bist. Es ist ja schließlich nicht das erste Mal, daß du von mir direkt zu ihm gehst." Deborah stand wie versteinert da. All die Schmerzen und Qualen, die sie wegen ihres Mißverständnisses erduldet hatte, wurden durch Randolphs Unterstellung, sie hätte etwas mit Jay, noch schlimmer. Sie konnte ihn nur verzweifelt ansehen und brachte kein Wort heraus. „Ich wollte mit dir reden", sagte Randolph gepreßt. „Ich wollte wissen, warum du es vorhin so eilig hattest. Ich habe sogar Steve aufgestöbert und ihn gebeten, auf Dandy aufzupassen, wähend wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten." In Randolphs Augen blitzte es betroffen auf. „Aber wenigstens bin ich nicht umsonst gekommen. Jetzt habe ich die Antwort auf meine Frage." Er ging nach draußen und winkte Steve heran. „Bring Deborah ins Hotel zurück", sagte er kühl, als dieser erschien. „Danach komm wieder her." „Ich entscheide selbst, wann ich gehe", widersprach Deborah matt. „Du kehrst ins Hotel zurück", befahl Randolph in dem gleichen Ton, in dem er zu Steve gesprochen hatte. „Ich kümmere mich um das Pferd." Tiefe Hoffnungslosigkeit befiel Deborah und ließ jeden Widerstand in ihr ersterben. Es hatte keinen Zweck mehr, sich zu verteidigen. Randolph würde ihr jetzt doch nicht mehr glauben. Sie hatte gewußt, daß es zwischen ihnen aus war, als sie aus Chimayo kam. Jetzt, wo er sie mit Jay überrascht hatte, war alles endgültig verloren. Randolph mußte glauben, daß sie die ganze Zeit über mit Jay liiert gewesen war. Nichts, was sie jetzt noch sagte, würde ihn von dieser Überzeugung abbringen. Sie ließ es zu, daß Steve ihren Arm nahm. Stumm ging sie mit ihm zu dem Transporter. Randolphs höhnische Worte klangen in ihr nach. Deborah hatte Dandy mindestens ein dutzendmal überprüft. Sie richtete sich auf und rieb sich den Nacken, um ihre verkrampften Muskeln zu lokkern. Es war jetzt fast Zeit, Dandy zum Sattelplatz zu bringen. Sie wußte, daß Steve ihre Unruhe spürte, und hatte Angst, sie könne sich auch auf das Pferd übertragen. Aber sie konnte nichts dagegen tun. Ihr Blick wanderte über Dandys muskulöses Hinterteil und ihre kraftvollen Läufe. Im stillen betete sie erneut, daß das Lahmen sich nicht wieder einstellen möge. Dandy sah sie mit ihren großen, braunen Augen an. In ihnen lag der Kampfgeist, der Deborah sofort für das Pferd begeistert hatte. Dandy warf unternehmungslustig den Kopf zurück, und Deborah mußte trotz ihrer Ängste lächeln. Liebevoll streichelte sie die Nüstern des Tieres. „Wir werden gewinnen, Dandy", sagte sie leise. Sie blickte das Pferd bittend an. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals. „Wir müssen gewinnen, Dandy. Denk daran, daß es jetzt ums Ganze geht. Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren. Du bist alles, was mir geblieben ist." Steve kam aus dem Geschirraum und grinste ihr aufmunternd entgegen. „Zeit zum Gehen", sagte er und reichte ihr die Zügel. Deborah streifte sie Dandy über und befestigte sie. Ihre Kehle war wie zugeschürt, als sie stumm neben Steve dahinschritt. Sie führten das Pferd zu dem schmalen Pfad, der sich zum Sattelplatz und zur Rennbahn hinunterschlängelte. Er trug sie der endgültigen Entscheidung entgegen. Dem schicksalsschweren Augenblick, der ihr damals, bei ihrer ersten Begegnung mit Dandy, so fern erschienen war. Das war auch der Tag gewesen, als Randolph in ihr Leben getreten war. Deborah schob den Gedanken beiseite und zwang sich, sich der Gegenwart zu stellen. An die Zukunft konnte und durfte sie nicht denken. Die Sonne schien so grell, daß sie die Augen zusammenkneifen mußte. Sie brannten, weil sie kaum geschlafen hatte. Gegen Morgen war sie ein wenig eingenickt, aber da hatten Alpträume sie gequält. Schließlich war sie kurz nach Sonnenaufgang aufgestanden und wieder zu den Ställen zurückgekehrt.
Der Vormittag und der frühe Nachmittag waren ihr ebenso endlos wie die Nacht vorgekommen. Sie sah auf die Uhr und konnte kaum glauben, daß es noch nicht einmal vier war. Dandy folgte ihr brav, aber auch sie schien aufgeregt zu sein, denn sie warf ab und zu ungestüm den Kopf zurück. Steve ließ sie ein wenig traben, um sie abzulenken, und tätschelte sie sanft. Es kam Deborah wie eine Ewigkeit vor, bis sie die Rennbahn erreichten. Der gewundene Weg schien sich kilometerweit dahinzuziehen. Deborah wollte jetzt endlich ankommen und das Rennen hinter sich bringen. Zugleich hätte sie die Zeit am liebsten angehalten, weil sie Angst vor dem Rennausgang und seinen Folgen hatte. Zu viele Monate harter Arbeit und banger Hoffnung lagen hinter ihr. Endlich kamen sie auf den Sattelplatz am Ostende der Tribünen. Sie führten Dandy zu der Box mit der Nummer drei. Die meisten anderen Pferde waren bereits da. Die knisternde Spannung, die vor dem größten Rennereignis des Jahres herrschte, steigerte sich von Minute zu Minute. Der Rennbeauftragte, der die Identität der Pferde überprüfte, grüßte Deborah und ging zu Dandy. Er stülpte ihre Lippe um, um die auf der Innenseite eintätowierte Nummer abzulesen. Nachdem er sie mit der auf seinem Block verglichen hatte, nickte er. „Ja, das ist Dandy", erklärte er. „Sie können sie satteln lassen." Der Mann ging zum nächsten Pferd, und Deborah trat zu Dandy. „Lassen Sie sie mich noch einmal anschauen", sagte sie zu Steve. „Hoffentlich ist mit ihrem Bein alles in Ordnung." In diesem Augenblick erschien Jerry Bayless, der Jockey, den Deborah engagiert hatte. Als sie sich begrüßt hatten, antwortete Steve: „Machen Sie sich deswegen nur keine Sorgen, Deborah. Dandy hat seit Monaten nicht mehr gelahmt. Sie ist in Bestform. Warum gehen Sie nicht zu den Tribünen und suchen Bill und Kathy, um sich das nächste Rennen anzusehen? Ehe Dandy dran ist, läuft noch eins. Wir kommen hier prima zurecht." Steves sonst so gelassene Stimme klang etwas gepreßt. Deborah wurde bewußt, daß ihre eigene Nervosität sich offenbar auf ihn übertragen hatte. Sie wollte nicht, daß Dandy ihr nächstes Opfer wurde, und stimmte nach kurzem Zögern zu. „Also, gut", sagte sie und strich Dandy noch einmal zärtlich über das Fell. „Gewinne, Dandy, ja?" flüsterte sie. In ihrer Kehle saß plötzlich ein Kloß. Dann formte sie, zu Steve und Jerry gewandt, mit Mittel- und Zeigefinger das Siegeszeichen und ging. Auf der Tribüne suchte sie nicht nach Kathy und Bill, wie Steve vorgeschlagen hatte, sondern bahnte sich einfach nur ziellos einen Weg durch die Menge. Schließlich landete sie an einem Platz, wo sie nah am Geländer stand. Bei diesem Rennen wollte sie nicht mit Bekannten Zusammensein, sondern Dandy allein beobachten. Die Massen um sie herum waren in Bewegung. Es waren Menschen, die wetten wollten oder nach Freunden Ausschau hielten. Erst bei Rennbeginn wurden sie ruhiger. Deborah stand am Geländer und merkte kaum, daß das Rennen lief. Erst als die Menge aufbrüllte, wurde ihr bewußt, daß die Entscheidung gefallen war. Ihre Gedanken galten nur ihrem eigenen Pferd. Im Geiste ging sie alles noch einmal durch und konnte nichts finden, was sie vergessen hatte. Dandy war in Höchstform. Der Jockey war ein Könner. Mehr hätte sie nicht tun können. Jetzt hing alles von Dandy und jenen unberechenbaren Faktoren ab, die die Spannung eines Pferderennens ausmachten. „Und jetzt, meine Damen und Herren, folgt das letzte Rennen des Tages. Das Ereignis, auf das Sie alle gewartet haben!" Die Stimme des Ansagers und die Fanfaren, die die Parade der einziehenden Pferde ankündigte, zerrissen die schützende Hülle, die Deborah um sich errichtet hatte. Sie war plötzlich wie elektrisiert, und all ihre Sinne waren hellwach. Jetzt hörte sie jedes Wort, das gesprochen wurde, die Geräusche aus der Menge und von der Rennbahn. Während der Ansager weiterredete, verrenkte sie sich den Hals, um einen Blick von Dandy zu erhaschen. Die ersten Pferde kamen heraus, aber Dandy konnte sie nicht entdecken. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, als der Ansager sich in die geschichtlichen Hintergründe des Rennens erging. Warum kommt er nicht endlich zur Sache, dachte Deborah erregt. Die Gegenwart ist doch viel wichtiger. Es war, als habe der Mann ihren stummen Vorwurf gehört. Er begann, die Namen und Daten der Pferde vorzulesen. Und endlich erschien nun auch Dandy, begleitet von dem großen Schecken, der ihr als Leitpferd diente. Von da ab sah Deborah kein anderes Pferd mehr. Als der Zug an der Stelle vorüberkam, an der sie
stand, konnte sie den Blick nicht von Dandy lassen. Dandy war nervös. Sie zog an der Leine und tänzelte unruhig. Die Sonne ließ ihr seidiges Fell bei jeder Bewegung aufschimmern. Wieder flehte Deborah sie wie am ersten Tag stumm an: Du mußt gewinnen, Dandy! Du mußt es einfach schaffen! Sie folgte Dandy mit den Augen, soweit sie konnte. Doch schließlich wurde ihr Pferd von anderen Tieren verdeckt. Deborah machte nicht einmal den Versuch, einen besseren Platz zu ergattern. Sie wußte, daß sie keine Chance auf eine bessere Sicht haben würde, wenn sie ihren Platz einmal aufgab. Endlich war die Parade vorüber, und die Leitpferde trabten davon. Das erste Rennpferd wurde an die Startlinie geführt. „Dandy", verkündete der Ansager endlich. „Nummer drei. Jockey Jerry Bayless, Besitzer Randolph Harlan, Trainerin Deborah Renfro." Auf Deborahs Armen bildete sich eine Gänsehaut. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde gleich stehenbleiben. Zitternd stellte sie sich auf die Zehenspitzen und starrte auf die Startlinie. Auch Dandy stand jetzt dort aufgereiht. Deborah seufzte erleichtert. Sie hatte befürchtet, Dandy könne scheuen, aber ihre Sorge erwies sich als unbegründet. Die meisten anderen Pferde wurden rasch in die Startboxen geführt. Doch Nummer sieben bäumte sich auf. Als das Tier endlich an seinem Platz stand, wollte es nach hinten ausbrechen. Deborah hatte Angst, daß Dandy nervös werden könnte. Es kam ihr endlos vor, ehe der Ansager den Start ankündigte. Dandy kam aus irgendeinem Grund nicht gut los. Deborah hielt für Sekunden entsetzt den Atem an. Von ihrem Platz aus konnte sie allerdings nicht erkennen, woran es lag. Als Dandy sich wieder gefangen hatte, lag sie ganz hinten, weit abgeschlagen. Sie wird es nie schaffen, dachte Deborah erschrocken. Sie ist die letzte, und die anderen versperren ihr den Weg. Sie sah den Staub, der hinter den stampfenden Hufen aufwirbelte, und die farbenfrohen Gewänder der Jockeys, die in der Sonne aufleuchteten. In diesem Augenblick war ihr, als stünden alle Pferde still. Wenn ich sie doch hypnotisieren könnte, daß sie wirklich stillstehen, dachte sie verzweifelt. Alle, außer Dandy. Aber sie kamen schneller näher. Deborah sah, wie Jerry Dandy geschickt durch die scheinbar undurchdringliche Mauer von Pferdekörpern nach außen manövrierte. Nach ein paar Metern wurde sie nicht mehr von anderen Konkurrenten behindert. Jetzt konnte sie sich frei bewegen und zeigen, was in ihr steckte. Die Menge begann zu rasen. „Dandy holt von außen auf!" rief der Ansager. „Sie zieht jetzt hinter Jet Wampum auf und ... Leute, das wird ein knappes Rennen!" Deborah wußte jedoch, daß er sich täuschte. Sobald Dandy frei lief, bewegte sie sich mit einem Tempo und einer Zielstrebigkeit, die für Deborah keinen Zweifel mehr an dem Ausgang des Rennens ließen. Sie war jetzt sicher, daß Dandy gewinnen würde. Dandys Geschwindigkeit steigerte sich rhythmisch. Sie holte Jet Wampum ein, und für ein paar Sekunden jagten die beiden Tiere Kopf an Kopf nebeneinander dahin. Als sie an Deborahs Standort vorbeikamen, schien Dandy erst richtig loszulegen. Anfangs kaum merklich, dann immer schneller, zog sie nach vorn. Sekunden später führte sie das Feld an. Deborah erhaschte einen Blick auf ihr rötlich schimmerndes Fell, als Dandy über die Ziellinie ging. Im selben Augenblick schrie der Ansager mit sich überschlagender Stimme: „Ein Außenseiter hat das Rennen gemacht, Leutel Dandy ist die Siegerin des Tages!" Später wußte Deborah nicht mehr genau, wie sie zur Siegerehrung gekommen war. Nur vage erinnerte sie sich, daß Kathy auf sie zugestürzt war und Steve ihren Arm ergriffen hatte. Irgendwie war Randolph dann plötzlich an ihrer Seite gewesen. Sie nahm die Glückwünsche der Rennleitung entgegen und stellte sich der Presse. Sie lächelte und beantwortete die Fragen der Reporter, ohne sie wirklich zu verstehen. Sie wußte, daß sie gewonnen hatte, daß Dandy ihr endlich allein gehörte. Dennoch verspürte sie nicht das Glücksgefühl, das sie sich ausgemalt hatte, wenn sie von diesem Augenblick geträumt hatte. Das einzige, was sie wirklich wahrnahm, war Randolph, der neben ihr stand und ihr nah und doch so fern war. Deborah war fast erleichtert, als sie endlich zu den Ställen zurückkehren konnte. Endlich hatte sie die Massen hinter sich gelassen und war nur noch in der kleinen Gruppe von Freunden. Sie jubelten und sahen Steve und seinen Stallburschen zu, die Dandy abrieben. Kathy und Bill schmiedeten bereits Pläne, wie sie das denkwürdige Ereignis gebührend feiern könnten.
„Was hältst du davon, wenn wir heute abend ganz groß ausgehen, Deborah?" fragte Kathy aufgeregt.
Deborah blickte Dandy nachdenklich an. Ganz langsam begann sie, sich an die Vorstellung zu
gewöhnen, daß dieses herrliche Tier ihr nun wirklich gehörte.
„Deborah?"
„Was hast du gesagt?" Deborah brauchte ein paar Sekunden, ehe die Frage zu ihr durchdrang. „Ja,
natürlich", antwortete sie mechanisch.
„Bill und ich werden einen Tisch bestellen", fuhr Kathy fort. „Wir holen dich in deinem Zimmer ab,
einverstanden?"
„Gut." Deborah war einverstanden und nickte zustimmend. „Bis dann."
Steve führte Dandy in ihre Box, dann ging er nach draußen. Deborah trat zu ihr. Gedankenverloren
streichelte sie das Tier. Ihr Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an, weil sie in diesem
Augenblick zu einem Entschluß gekommen war.
Dandy gehörte ihr nur noch diese wenigen Minuten. Dann würde sie sie Randolph zurückgeben. Sie
konnte sie nicht behalten. Er hatte sie schließlich mit seinem Geld gekauft, und es wäre nicht richtig,
sie ihm wegzunehmen. Sicher, sie hatte sie trainiert. Aber Dandy war ein Naturtalent und hätte
vermutlich in jedem Fall gewonnen, ganz gleich, wer sie trainiert hatte.
Sie konnte Dandy nicht behalten, und sie konnte mit ihr auch nicht weiterarbeiten, solange sie
Randolph gehörte. Sein bloßer Anblick bereitete ihr Qualen, obwohl sie sich nach ihm sehnte. Seit
dem verunglückten Ausflug nach Chimayo wußte sie, daß sie nur eine vorübergehende Episode in
seinem Leben war. Er hatte sich zu ihr hingezogen gefühlt, aber das war eine rein körperliche Sache
gewesen. Zwar hatte er sich mit ihr aussprechen wollen, aber nur über die geschäftliche Seite ihrer
Beziehung. Mit keinem Wort hatte er angedeutet, daß sie für ihn mehr war als nur eine Partnerin.
Er traut keiner Frau, überlegte Deborah, weil seine Mutter ihn enttäuscht hat. Und er reiht mich in
dieselbe Kategorie ein, weil er glaubt, ich hätte ihn zweimal wegen Jay hintergangen. Wenn ich nicht
ganz zu ihm gehören kann, ist es besser, ich gehe aus seinem Leben. Also gibt es für mich nur eine
einzige Lösung: Ich muß ihm Dandy zurückgeben.
Deborah strich Dandy sanft über das Fell und dachte an die Ereignisse der letzten Monate. Sie mußte
sich mit der Tatsache abfinden, daß all das bald nur noch Erinnerungen sein würden.
„Leb wohl, Dandy", flüsterte sie und legte die Stirn an den Nacken des Pferdes. „Du hast es geschafft.
Du hast gewonnen. Aber ich habe dich verloren. Ich muß dich trotz allem aufgeben."
Die Worte machten ihre Entscheidung noch endgültiger. Sie schloß die Augen, weil ihr plötzlich die
Tränen kamen.
„Genauso haben wir uns kennengelernt", sagte eine dunkle Stimme hinter Deborah.
Eine Sekunde lang glaubte sie, sie sei ein Opfer ihrer Phantasie. Randolphs Stimme ließ sie erzittern,
und sie griff haltsuchend nach der Boxtür.
„Wir haben damals am Zaun gestanden und uns gemeinsam ein Pferd angesehen, das genau die Farbe
deines Haares hatte", fuhr er fort.
Deborah hielt den Atem an und drehte sich zu ihm um. In ihren Augen brannten Tränen, und ihre
Kehle war wie zugeschnürt. Sie konnte nicht sprechen und ihn nur gequält ansehen.
Für einen langen Augenblick erwiderte Randolph ihren Blick. Dann nahm er ihr Gesicht in seine
Hände. Seine Lippen berührten ihren Mund ganz zart. Er hob den Kopf und sah ihr erneut in die
Augen. Dann küßte er sie wieder. Und diesmal war die Berührung seiner Lippen eindringlicher,
drängender.
Deborah konnte seit dem Moment, in dem sie seine Stimme gehört hatte, nichts mehr denken. Sie
schwebte in einer Welt, in der es nur noch sie beide gab. Sie schlang die Arme um seine Taille und
drängte ihm entgegen, als seien sie nie getrennt gewesen.
Erst nach einer Weile löste Randolph sich von ihr. „Ich muß mit dir reden", sagte er rauh. Er nahm sie
beim Arm und führte sie aus dem Stall.
Sie gingen langsam zum Westende des langen Gebäudes. Das Knirschen der Kieselsteine unter ihren
Füßen war das einzige Geräusch in der stillen Abendluft. Ohne zu sprechen, blieben sie stehen und
blickten auf das Tal hinunter, in das sich die Rennbahn mit den Tribünen schmiegte.
Die untergehende Sonne tauchte das Tal und die Berge in ein Farbenmeer aus Rot, Gold und Orange.
Die Welt unter ihnen war wie verzaubert.
Die Farbensymphonie, die Abendbrise, der Mann neben ihr erinnerten Deborah an den Abend, als sie
im Bann eines anderen Sonnenuntergangs gestanden hatte. Damals war ihr bewußt geworden, wie sehr
sie Randolph liebte. Jetzt gab es keine Hoffnung mehr, daß aus dieser Liebe Wirklichkeit wurde.
Heute war sie zum letzten Mal mit Randolph zusammen. Danach würde ihr Leben leer und einsam
verlaufen.
Sie blickte zum Horizont hinüber und sah zu, wie die Farben sich langsam veränderten und schwächer
wurden. So wie diese Farben würde bald auch alles, was sie mit Randolph verbunden hatte, erloschen
sein.
Schließlich hielt Deborah es nicht mehr aus. Inmitten dieser verzauberten Landschaft so nah neben
Randolph zu stehen, war eine grausame Illusion, eine Folter, die sie besser abkürzte.
Randolph war irgendwie anders als am Abend zuvor. Sie hatte keine Ahnung, was er von ihr wollte.
Aber sie hatte ihn wohl nie wirklich verstanden.
Nach der Abreise aus Ruidoso würde sie ihn wohl nicht wiedersehen. Da war es besser, sie strich ihn
aus ihrem Leben, ehe er ihr erneut Schmerzen bereitete. Sie würde ihm ihre Entscheidung mitteilen
und dann gehen.
„Randolph", setzte sie vorsichtig an, „ich bin heute nachmittag zu einem Entschluß gekommen. Ich
kann Dandy nicht behalten. Ohne dich hätte ich sie nie bekommen. Ich gebe sie dir zurück."
Er antwortete nicht. Als sie zu ihm aufblickte, waren seine Augen auf sie gerichtet. In ihnen lag ein
Ausdruck, den sie nicht bestimmen konnte.
Sie wandte sich ab und schaute wieder zu den goldüberzogenen Bergen hinüber, die zum Greifen nah
zu sein schienen.
Randolph trat einen Schritt zurück, um sie besser betrachten zu können. Er legte ihr die Hände auf die
Schultern und drehte sie so, daß sie ihn ansehen mußte. Der Ausdruck in seinen Augen war immer
noch unergründlich. Ohne etwas zu sagen, fuhr er ihr mit den Fingern durch das Haar. Dann nahm er
ihren Kopf in die Hände und schien jeden Zug ihres Gesichts in sich aufnehmen zu wollen.
„Warum sagst du nichts zu deinem Geschenk?" fragte sie leise. „Willst du Dandy nicht?"
„Doch", antwortete er ernst. In seinen Augen lag ein Verlangen, das ihr alles sagte.
Deborah hielt den Atem an und schmiegte sich an ihn. Ehe sie wußte, wie ihr geschah, lag sie in
Randolphs Armen. Schwindlig vor Glück schlang sie die Arme um seinen Hals. Sein Mund brauchte
keine Worte, um ihr zu sagen, wie sehr er sie begehrte. Sie erwiderte seinen Kuß so leidenschaftlich,
als wolle sie für den Rest ihres Lebens von diesem Augenblick zehren.
Endlich löste sie die Lippen von seinem Mund. Dennoch brachte sie es nicht über sich, die Arme von
ihm zu nehmen. Sie legte nur den Kopf an seine Brust und ergab sich dem wunderbaren Gefühl seiner
Nähe.
Es dauerte eine Weile, ehe Randolph mit leiser Stimme sagte: „Ich habe mich gestern abend gründlich
mit Jay unterhalten."
Deborah blickte überrascht auf. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, und seine Augen hatten jetzt einen
warmen Glanz.
„Worüber habt ihr denn geredet?" fragte sie unsicher.
„Über dich. Er war betrunken genug, um mir gegenüber ehrlich zu sein. Da habe ich herausgefunden,
wie sehr ich mich getäuscht hatte."
Deborahs Herz begann, wild zu hämmern. Sie konnte die Augen nicht von ihm abwenden.
„Ich habe dir mit meinem Mißtrauen Unrecht getan, Deborah", fuhr er bewegt fort. „Und ich möchte
dir sagen, daß ich diesen Fehler nie mehr machen werde."
Deborah war zu verwirrt, um etwas sagen zu können.
„Ich möchte dir deshalb einen Vorschlag machen", fuhr Randolph fort. „Das Geschenk, das du mir
anbietest, kann ich nicht annehmen. Einmal, weil ich es nicht über mich brächte, dir dein Pferd zu
nehmen, und zum anderen, weil ich eine eingegangene Wette nicht zurücknehme." Er lächelte
vielsagend. „So wie ich es sehe, gibt es für dieses Dilemma nur eine Lösung: Du behältst Dandy und
teilst sie mit mir."
„Aber..." Deborah versagte die Stimme.
„Weil wir beide vom ersten Augenblick an in sie vernarrt waren", fuhr Randolph fort. „Und weil sie
uns beide braucht. Dich, damit du sie weiter trainierst, und mich als denjenigen, der das viele Heu
heranschafft, das sie verputzt."
Deborah lächelte sanft. „Aber wenn wir sie gemeinsam besitzen, wird es Probleme geben, Randolph."
Er legte ihr den Finger auf die Lippen. „Ich wußte nicht, warum es da Probleme geben sollte", sagte er
leise. „Mann und Frau haben doch nur gemeinsamen Besitz. Und ich liebe dich so sehr, daß ich dich
bitte, meine Frau zu werden."
Alle Hoffnungslosigkeit fiel plötzlich von Deborah ab. Eine Welle der Seligkeit erfaßte sie. Sie
streckte die Arme nach Randolph aus, und sie fanden sich in einem Kuß, der so glutvoll war wie die Strahlen der untergehenden Sonne. - ENDE