Oscar Cullmann
Das Gebet im Neuen Testament
Das Gebet im Neuen Testament Zugleich Versuch einer vom Neuen Testament a...
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Oscar Cullmann
Das Gebet im Neuen Testament
Das Gebet im Neuen Testament Zugleich Versuch einer vom Neuen Testament aus zu erteilenden Antwort auf heutige Fragen
von
Oscar Cullmann
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
, Die Deutsche Bibliothek - CIP·Einheitsaufnahme
Cullmann, Oscar: Das Gebet im Neuen Testament: zugleich Versuch einer vom Neuen Testament aus zu erteilenden Antwort auf heutige Fragen / von Oscar CuIImann. - Tübingen: Mohr, 1994 ISBN 3-16-146266-1 kart. ISBN 3-16'146278-5 Gewebe
©1994 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aIler seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.' Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen; Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Century Schoolbook gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Gebr. Buhl in Ettlingen gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen geburiden.
Dem Andenken an meine liebe Schwester
Louise Cullmann, ohne deren treue Begleitung und geistige Ausstrahlung sowie ohne deren Aufopferung für meine Entlastung von allen Sorgen ich meine von ihr mit Interesse verfolgte theologische Arbeit nicht hätte verrichten können
Vorwort Der Abschluß dieses von mir längst geplanten und längst begonnenen Buches hat sich verzögert, obwohl es mein Wunsch war, das mir vorschwebende Ziel noch zu erreichen: in die Auslegung des Neuen Testaments, die ich als Gegenstand meiner theologischen Arbeit in Lehre und Forschung gewählt habe, das so zentrale Thema des Gebets aufzunehmen. Grund der Verzögerung ist vor allem die starke Beanspruchung durch meine ökumenische Arbeit, besonders die Abfassung und Diskussion meines mir ebenfalls am Herzen liegenden Vorschlags, schon jetzt über die bereits erreichten notwendigen und sehr erfreulichen, aber doch nie entscheidenden Verwirklichungen hinaus einen zwar auch nicht vollkommenen, jedoch konkreten Zusammenschluß aller christlichen Konfessionen durch die Vielfalt ihrer Charismen und die Duldung der noch nicht versöhnten Divergenzen herzustellen. Aber auch während dieser Bemühungen habe ich nie aufgehört, über die Gebete und Gebetsweisungen des Neuen Testaments nachzudenken, um so mehr, als gemeinsames Beten für. die Sache der Einheit unerläßlich ist und in der Tat schon lange ein zusammenhaltendes Band darstellt. Daß ich mich während so vieler Jahre mit der Vorbereitung dieses Buches beschäftigte, hat zur Folge gehabt, daß ich einerseits immer neu erschienene Einzelbeiträge heranziehen mußte, daß es aber anderseits zu Wiederholungen kam. Beim letzten Durchlesen meines Manuskripts habe ich mich bemüht, diese auszumerzen und überhaupt eine mir immer wichtige Straffung des umfangreichen Stoffes zu erreichen. In den meisten meiner Arbeiten über die Theologie des Neuen Testaments bin ich in die Nähe der Dogmatik gelangt, ohne die Grenze zu überschreiten; Dies ist auch hier der Fall. Allerdings gehe ich dieses Mal in dieser Richtung insofern weiter, als ich bewußt im Neuen Testament die Antwort auf die dogmatischen Gebetsprobleme zu finden versuche. Aber ich glaube, dabei den Boden der neutestamentlichen Forschung nicht verlassen zu haben, da ich bestrebt war, mich immer an diejenige
VI
Vorwort
Antwort zu halten, die sich aus der Exegese, nicht aus anderen wissenschaftlichen Erörterungen, dogmatischen und philosophischen, ergibt, deren Berechtigung damit nicht in Frage gestellt ist. Abgesehen von meiner Dankbarkeit dafür, daß ich mein Vorhaben zu Ende führen durfte, habe ich auf menschlicher Ebene vielen zu danken. Aus dem Buch wird hervorgehen, wo ich aus den zitierten Veröffentlichungen anderer gelernt habe, auch dort, wo mein Widerspruch meine eigene Position geklärt hat. Darüber hinaus habe ich mündliche und schriftliche Anregungen von Kollegen erhalten. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich aus Befürchtung, den einen oder anderen zu vergessen, sie hier nicht namentlich aufführe und mich darauf beschränke , nur die Hilfe zu erwähnen, die mir von einigen Spezialisten der semitischen Umwelt des Neuen Testaments zuteil geworden ist: Prof. Dr. Ernst Jenni, Prof. Dr. Marc Philonenko, Dr. MaxWagner. Besonders ist es mir aber ein Bedürfnis, meimen Dank dem Doktoranden Hn. Matthieu Arnold (Straßburg) und Hn. Christoph Schrodt (Basel, Erlangen) auszusprechen, die außer bibliographischen Mitteilungen keine Mühe gescheut haben, mir zeitraubende technische Arbeit abzunehmen durch Übertragen meines handgeschriebenen Textes auf den Computer, Kontrollieren meiner biblischen und bibliographischen Verweise, Herstellung der Register usw. Ich vergesse hier auch nicht den Verleger, Herrn Georg Sieb eck, der nicht nur durch die Aufnahme meiner Arbeiten in seinen altbewährten Verlag ihre Verbreitung sichert, sondern durch Bekundung seines Interesses für ihren Irihalt immer ein Ansporn für mich ist. Basel, Neujahr 1994
Oscar Cullmann
Inhal tsverzeichnis Vorwort........................................... ....... .....
V
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. EinleitenderTeil
Schwierigkeiten des Betens und Einwände gegen das Beten 1. Kapitel: Die Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragen, die das Beten selbst aufwirft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aus menschlicher Unzulänglichkeit sich ergebende Schwierigkeiten,
8 8 10
2. Kapitel: Prinzipielle Einwändegegen das Beten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 12 16 18
1.' Einwände und Gottesglaube ................................. 2. Einwände gegen alles Beten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwände gegen bestimmte Gebetsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11. Teil
Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
1. Kapitel: Das Gebet in den synoptischen Evangelien ............... 1. Gebet als Zwiegespräch mit Gott. Erleben seiner Gegenwart . . . . . . . . 2. Gott braucht nicht, aber er will das Gebet der Menschen. . . . . . . . . . . . 3. Der Gegenstand des Gebets: Das Bittgebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bitte um materielle Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gebet um Hilfe in materieller Not . ........ ............ ..... . c) Bitte um geistige Gaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . d) Fürbitte. Heilungswunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bitte um Bewahrung in und vor der Versuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Gegenstand des Gebets: Dank- und Lobgebet . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gebetserhörung nach den synoptischen Evangelien. . . . . . . . . . . . . . . a) JesuVerheißungderErhörung ........ ,.................... b) Die Notwendigkeit des Glaubens . ......... . .......... ....... . c) Die Notwendigkeit der Unterwerfung unter Gottes Willen (JesuGethsemanegebet) ......... ',' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 26 29 31 32 33 35 36 37 39 40 41 41 42
VIII
Inhaltsverzeichnis
d) Gebetserhörung im Lichte des unveränderlichen Pianes Gottes und seiner Freiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) DerGlaubeanGottesGüte................................. 6. DasVaterunser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Sonderstellung innerhalb der Synoptiker . . . . . . . . . . . . . . . ß) Zur Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . y) Zur Beziehung zwischen den beiden Fassungen (Matthäus und Lukas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ö) Zur Ursprache .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E) Zur Beziehung zwischen dem Vaterunser und jüdischen Gebeten ................................................. b) Die Anrede ............................................. c) Die dreHbzw. zwei) ersten Bitten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) 1. Bitte: Dein Name werde geheiligt ..... .................. ß) 2. Bitte: Dein Reich komme .............................. y) 3. Bitte: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden . . . . . d) Die 4. Bitte: Unser Brotfür morgen gib uns heute .......... ; . . . . e) Die 5. Bitte: Vergib uns unsere Schulden, wie wir vergeben unseren Schuldigern .......................................... f) Die 6.Bitte: Führe uns nicht in Versuchung ................... g) Sondern erlöse uns von dem Bösen .......................... h) Die Doxologie: Denn dein ist das Reich, und die Kraft und die HerrlichkeitinEwigkeit ..................................
2. Kapitel: Das Gebet bei Paulus (Corpus paulinum) ................ 1. Vorbemerkung. Allgemeine Einteilung der Gebete. . . . . . . . . . . . . . . .
2. Gebet und Heiliger Geist ............................. '," .. .. 3. Die Forderung der Beharrlichkeit im Gebet .................... " 4. Die Vereinigung mit Gottes Willen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Gegenstand der paulinischen Gebete. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 6. Gebetserhörung ........................................... 7. Gebet zu Christus. Gebet durch Christus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 8. Das Gebetsverhalten .......................... -. . . . . . . . . . . ..
3. Kapitel: Das Gebet im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Vorbemerkung .... ,....................................... 2. Gebet in Geist und Wahrheit (Kap.4,20-24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Weder auf diesem Berge noch in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Im Geist ............................................... c) InderWahrheit ......................................... d) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Das Gebet im Namen Jesu Christi in den Abschiedsreden (Kap.13,31-16,33) ......................................... a) Name, Name Gottes, Name Christi .. , ....................... b) Im Namenjemandes; im Namen Jesu Christi ..................
46 47 49 49 49 51 52 53 53 54 57 58 61 63 68 73 77 87 89 91 92 95 106 108 109 112 113 114 116 116 118 118 123 124 126 127 128 129
Inhaltsverzeichnis c) DasGebetimNamenJesu . .......... ...... .... .. ... ..... .. d) Geist und Fürbitte ....................................... e) Die Erhörung des Gebets .................................. 4. Das hohepriesterliche Gebet ................................. 5. Zusammenfassung (Das Gebet in den Johannesschriften) ..........
IX 131 133 135 137 141
4. Kapitel: Übersicht über das Gebet in den anderen neutestamentlichen Schriften (Apostelgeschichte, 1. Petrusbrief, Jakobusbrief, Hebräerbrief, Johannesoffenbarung) .......................... , 143 1. Apostelgeschichte ................................... ~ ..... , 2. 1. Petrusbrief. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Jakobusbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Hebräerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Johannesoffenbarung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
143 145 145 146 148
III. Teil
Synthese. Zugleich Versuch einer vom N euen Testament aus zu erteilenden Antwort auf heutige Fragen Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 152 1. Kapitel:DieSchwierigk~sBetens ........................... 154
2. Kapitel: Die menschlichen Schwächen und das Gebet ............. 156 1. Falsches Beten ............................................ 156 2. Unterlassendes Betens ..................................... 157
3. Kapitel: Gottesvorstellung und Gebet . ........................ ". 161 4. Kapitel: Gottes Vorherwissen und sein Wille, daß wir trotzdem zu ihm beten ................................................... 168 5. Kapitel: Unveränderlichkeit des göttlichen Plans und göttliche Freiheit, Gebete zu erhören ....................................... 171 6. Kapitel: Das Gebet und die Frage nach Gottes Allmacht über das Böse ......... .............................................. 174
Schluß ...................................................... 180 Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 183 Bibelstellenregister .......................................... 187
Vorbemerkung Ein Buch über das Gebet zu schreiben,ist ein fragwürdiges Unternehmen, und zwar für Gläubige und Ungläubige. Der Gläubige, der überzeugt ist, im Beten mit Gott zu sprechen, wird nicht ohne Scheu darüber reden, auch wenn er sich gedrungen fühlt, Zeugnis davon abzulegen. Er muß sich sogar fragen, ob er nicht das, was er als beglückenden Ausdruck seines Glaubens im Vollzug des Gebets erlebt, seiner Tiefe beraubt, wenn er es nachträglich zum Gegenstand der Analyse und der theoretischen Diskussion macht. Er könnte dies als Anmaßung und im Hinblick auf das, was im »Kämmerlein« und nicht an den »Straßenecken« geschehen soll (Mt. 6,5f.), als religiöse Unkeuschheit empfinden. Muß er deshalb darüber schweigen? Vor solche Fragen ist der sogenannte nichtgläubige Religionswissenschaftler nicht gestellt. Denn es gibt in der Tat Aspekte des Betens, die für solche, die nie gebetet haben oder nicht mehr beten, Gegenstand psychologischer Analyse oder moderner Tiefenpsychologie sein mögen. Auch für Theologen, die sich in ihrem Reden über das Gebet bewußt auf diese Aspekte beschränken, bestehen die genannten Hemmungen nicht, aber ebenfalls nicht für solche, die meinen, eine Begegnung mit einem transzendenten Gegenüber, wie sie andere Theologen zu erleben überzeugt sind, tiefenpsychologisch restlos erklären zu können. Freilich sollten sie sich fragen, ob sie das Recht haben, das, was sie selbst nie, was aber andere als über das tiefenpsychologisch Erklärbare hinausgehend erleben, einfach zu ignorieren oder zu leugnen. Für den Beter, der die Wirklichkeif dieses Erlebens mit Max Scheler füt »aller Psychologie entzogen« hält, ist gerade dieses Erleben das, was ihm deshalb alles Theoretisieren darüber zu verbieten scheint. Jedoch gibt ihm anderseits die Notwendigkeit, die Echtheit seines Erlebens zu verteidigen, nicht nur das Recht, sondern macht es ihm zur Pflicht, das Gebet, das nach Origenes »Herzpunkt aller Frömmigkeit« und nach Luther »der eigentliche Beruf des Christen« ist, zum
2
Vorbemerkung
theologisch zu behandelnd~n Thema zu machen, und in der Tat ist jede christliche Glaubenslehre mit diesem Thema untrennbar verbunden 1. Diese theologische Besinnung dient nicht nur der Verteidigung, sondern sie soll auch eine Hilfe sein für alle, die sich aufrichtig bemühen, zu beten, denen aber die zu Gottes Eigenschaften gehörende »Verborgenheit« zur Anfechtung wird, die sie daran hindert, die gesuchte Begegnung mit ihm zu finden. Es mag wenig Beter geben, denen eine solche Anfechtung, besonders angesichts nicht erhörter Gebete, ganz erspart geblieben ist. Nicht immer, aber oft ist sie Folge falschen Betens, das als solches erkannt werden muß. Das Beten ist zugleich größte uns verliehene Gnadengabe und schwierige Aufgabe, die gelernt sein muß .•• Herr, lehre uns beten«, sagen die Jünger zu Jesus (Luk. 11,1). Auch dies ist ein Grund, über das Beten nachzudenken. J esus selbst, der doch daran gehalten hat, die Heiligkeit seines Gesprächs mit Gott nicht zu profanieren und es deshalb in der Einsamkeit zu führen 2 , hat die Seinen nicht nur das Vaterunser beten gelehrt, sondern er hat ihnen immerfort Gebetsanleitungen gegeben, um sie vor falschem Verhalten zu bewahren, sie zum Verharren zu mahnen und ihrem Glauben Erhörung zu verheißen. Auch Paulus kennt die Schwierigkeit des Betens: •• Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie es sich gebührt« (Röm. 8,26), aber er verweist auf den Beistand des Heiligen Geistes und zeigt in allen seinen Briefen durch das eigene Beispiel und durch Belehrung, wie wir mit dieser Hilfe beten sollen. Das ganze Corpus Paulinum sowie die Jo~an neischen und die meisten andern Schriften stellen das Gebet in Zusammenhang mit ihrer Theologie, aber anderseits ist ihre Theologie im Gebet verankert. So ist es berechtigt, die Frage nach dem Wesen allen Betens an Hand einer objektiven neutestamentlichen Darstellung zu behandeln. Dabei 1 Siehe dazu GERHARD EBELING, Das Gebet, ZThK 1973, S. 206ff. und Dogmatik des christlichen Glaubens Bd.l, Tübingen 1979, S.192fT., besonders S.208: Das Gebet ist »nicht ein religiöser Akt neben andern, sondern das Ganze des Gottesverhältnisses konzentriert sich in ihm«. Siehe aber auch schon HEINRICH OrT, Theologie als Gebet und Wissenschaft, Theol. Zeitschrift 1958, S. 123, HANs URS VON BALTHASAR, Das betrachtende Gebet, Einsiedeln 1965 und HANs SCHALLER, Das Bittgebet. Eine theologische Skizze, Einsiedeln 1979, S. 11fT. Zugespitzt, aber sachlich richtig schreibt GOTTHOLD MÜLLER in: TRE, Art. Gebet S. 88: »Die entscheidende Frage kann nicht mehr lauten: Welchen Ort hat das Gebet in der Dogmatik?, sondern nur noch: Welchen Ort hat die Dogmatik im Gebet?« Daß das Gebet ein Mittel der Erkenntnis Gottes und unser selber ist, betont besonders M. Luther, siehe unten S. 13. 2 Siehe unten S. 28.
Vorbemerkung
3
soll aber ja nicht außer Acht bleiben, daß das neutestamentliche Gebet im Alten Testament verwurzelt ist. Obwohl wir uns hier ganz auf das christliche Gebet konzentrieren, dürfen wir von diesem Zentrum aus von »biblischem Gebet« sprechen. In einem weiteren Zusammenhang vergessen wir nicht, daß das Gebet im Islam und in verschiedener Ausprägun~ in andern Religionen seinen festen Platz hat 3 . Dem Neuen Testament wird also der große Hauptteil des vorliegenden Buches gewidmet sein. Aber damit er zugleich als Antwort auf alle Gebetsprobleme diene, wird er, ohne daß die exegetische Darstellung von ihnen beeinflußt wird, von einem kurzen Einleitungs- und einem SchlußteiI eingerahmt. Im ersteren soll eine Übersicht über die Einwände gegen das Gebet, die aufgeworfenen Probleme und das, was man heute die Gebetskrise zu nennen pflegt, geboten werden. Im Schlußteil werde ich versuchen, die verschiedenen neutestamentlichen Aussagen zusammenzufassen in einer Synthese, die gleichzeitig die gesuchte Antwort implizit enthalten soll. Ohne die Vollständigkeit einer Konkordanz anzustreben, werde ich mich bemühen, in drei längeren Kapiteln über die Synoptiker, Paulus und Johannes und einem kürzeren über die anderen Schriften keine wichtige Stelle zu unserem Thema zu übergehen, aber doch diejenigen Aussagen herauszuheben, von denen aus der vielleicht gewagte Versuch einer zusammenhängenden neutestamentlichen Gebetslehre ermöglicht werden kann. Ich schicke im folgenden keine eigentliche Bibliographie voraus. Mehrere z. T. wertvolle Untersuchungen, mit denen ich meine in diesem Buch vorgetragene und in meiner langjährigen Beschäftigung mit dem Neuen Testament gewonnene Sicht in kritischer Prüfung lernend konfrontierte, werde ichjeweils nur im Zusammenhang meiner Ausführungen zitieren. Dies gilt besonders auch für die neutestamentlichen Kommentare .. Im~erhin sollen hier die ausführlichen Monographien aufgeführt werden, die besonders zu berücksichtigen sind, und zwar nur die neue-
Siehe dazu das, wenn auch im einzelnen überholte, doch immer noch klassische Buch Das Gebet. Eine religions geschichtliche und religions psychologische Untersuchung, München 1920ff. 3
FRIEDRICH HElLERS,
4
Vorbemerkung
ren, obwohl ich den alten Kirchenvätern\ vor allem Origenes 5 , den Scholastikern, den Reformatoren und Autoren des 17. und 18. J ahrhunderts 6 wichtige Erkenntnisse verdanke. Unter den Monographien über das neutestamentliche Gebet gibt es nur äußerst wenige, die das ganze Neue Testament daraufhin untersucht haben wie die sehr vollständige und gut dokumentierte, zuweilen den engen Rahmen des Gebets überschreitende des französischen Franziskaners A. Hamman 7 • Stark konzentriert ist die viel kürzere, persönliche Thesen vertretende des verstorbenen Neutestamentlers Chr. Senft von Lausannes. Die andern neutestamentlichen Monographien betreffen einzelne Schriften, besonders das Vaterunser: Als ältere, aber immer noch zu beachtende ist die von E. Lohmeyer zu nennen 9 • In neuerer Zeit hat der französische klltholische Theologe J. Carmignac seine gründlichen philologischen Kenntnisse in den Dienst der Exegese des Herrengebets gestellt und in einem größeren Werk z. T. originelle und interessante, wenn auch nicht allgemein akzeptierte Erklärungen vorgeschlagen 10. Zuletzt hat der Basler reformierte Theologe J. M. Lochman dem Vaterunser eine theologisch tiefgründige Studie gewidmet l l . Über das Gebet bei Paulus besitzen wir vor allem die schon ältere sehr gründliche Arbeit von G. Harder 12 und jetzt die Dissertation vonR. Gebauer l3 • Letztere enthält eine vollständige und ausgezeichnete, auch die ganze nichtdeutsche Literatur- erfassende Geschichte der Ausle4 Für die 3 ersten Jahrhunderte siehe die ausgezeichnete Arbeit von A. HAMMAN, La Priere Bd. II: Les trois premiers siecles, Tournai 1963 (Titel des 1. Bandes siehe nachher unten Anm. 7), jetzt auch .. Das Gebet in der alten Kirche« (Übers. von A.SPOERRr) in: Traditio christiana Bd. VII, Bern 1989. Hier kommen auch Artikel in Enzyklopädien in Betracht, so der SEVERINS in ..Antike und Christentum« und besonders der von KLAus BERGER in der TRE, S. 47ff. - Zumneuen .. Katechismus der Katholischen Kirche«, siehe untenS.6. 5 :rrelJi euxii~ in: Die griechischen christlichen Schriftsteller P. KOETSCHAU, Origenes, Berlin 1899. 6 Für die Sammlung .. Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese« (J. C. B. Mohr, Paul Siebeck, Tübingen) wäre eine Arbeit über die Geschichte der Interpretation des christlichen Gebets in diesen Jahrhunderten wünschenswert. - Zu den Luthertexten siehe die ausftihrliche Arbeit von VILMOS VAJTA, Luther als Beter in HELMAR JUNGHANS, Martin Luther von 1526 bis 1546, 1983, S. 279 ff. 7 A. HAMMAN, La Priere I: Le Nouveau Testament, Tournai 1959. B CHR. SENFT, Le courage de prier'-La priere dans le Nouveau Testament, 1985 (2. Aufl.). 9 E. LoHMEYER, Das Vaterunser, Göttingen 1952. 10 J. CARMIGNAC, Recherehes sur le .. Nob·e Pere«, Paris 1969. 11 J. M. LoCHMAN , Unser Vater. Auslegung des Vaterunsers, Gütersloh 1988. 12 G. HAROER, Paulus und das Gebet, Gütersloh 1936. 13 R. GEBAUER, Das Gebet "bei Paulus. Forschungsgeschichtliche und exegetische Studien, Gießen-Basel 1989.
Vorbemerkung
5
gung des paulinischen Gebets. Mit den von ihm selbst gebotenen Erklärungen wichtiger Stellen werde ich mich im Kapitel über das Corpus Paulinum kritisch auseinandersetzen. Die dogmatisch ausgerichteten Monographien über das Gebet im allgemeinen behandeln alle natürlich auch neutestamentliche Texte, so besonders die schon ältere des früheren Straßburger lutherischen Dogmatikers F. Menegoz, dessen umfassendes im deutschen Sprachbereich nicht genügend berücksichtigtes Werk l4 die Relevanz des Gebets für die chris~liche Glaubenslehre aufzeigt. Während später der bekannte Basler Theologe und Seelsorger E. Thurneysen noch darüber klagt, daß die [prot.J Dogmatiker die Lehre vom Gebet vernachlässigen und den Seelsorger und Prediger in dieser Hinsicht allein lassen, findet diese nicht nur in den großen »Dogmatiken«, etwa K. Barths 15, E. Brunners, P. Tillichs, G. Ebelings, W. Pannenbergs usw. ihren gebührenden Platz, sondern seither sind im Zusammenhang mit der Verschärfung der Gebetskrise mehrere Einzelstudien erschienen: die zu wenig beachtete des schweizerischen reformierten Theologen A. de Quervain 16, die des Genfer Prof. Henry Mottu 17 , die stark neutestamentlich ausgerichtete des norwegischen Prof. O. Hallesby 18, die schon erwähnte G. Ebelings 19 und die neueste, von dem Zürcher reformierten em. Professor R. Leuenberger 20 , der die neutestamentlichen Texte berücksichtigt und auf die Probleme des Betens eingeht, aber auch stark ihre Erklärung durch die Psychologie heranzieht und von hier aus den Begriff'des Gebets sehr weit faßt. Biblische Texte, vor allem das Vaterunser, erklärt in seinem zu beachtenden Buch über das Gebet der Anthroposoph H. W. Schröder 21 • Sehr wertvoll ist auch der den dogmatischen Teil des Artikels »Gebet« behandelnde Beitrag Gotthold Müllers in Realenzyklopädie, S.84ff. Von katholischer Seite verdient da~ konzentrierte, aber tiefschürfen14 F. MENEGOZ, Le probleme de la priere. Principe d'une revision de la methode theologique, Strasbourg-Paris 1925, 19322 • 15 Viele Hinweise in der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths pass., besonders auch über das Vaterunser. 16 A. DE QUERVAIN, Das Gebet, Zollikon 1948. 17 »La pliere et les mouvements theologiques actuels«, Bulletin du Centre protestant d'Etudes 1968. 18 O. HALLESBY, Vom Beten. Deutsch als Taschenbuch, Wuppertal1985. Übersetzt aus der norwegischen schon älteren Originalausgabe (5. a.). 19 G. EBELlNG, »Das Gebet«, ZThK 1973, S. 206ff. 20 R. LEUENBERGER, Zeit in der Zeit. Über das Gebet, Zürich 1988. 21 H. W. SCHRÖDER, Das Gebet. Übung und Erfahrung, Stuttgart 1963fT., 1977, 19883 .
Vorbemerkung
6
de Buch de~ bekannten Theologen R. Guardini 22 besondere Erwähnung. Ebenso die Arbeit über das »Bittgebet«, in dem der katholische schweizerische Studentenseelsorger H. Schaller 23 außer einer Kritik Kants und Bernets 24 positiv die Gebetsauffassung Thomas von Aquins klar wiedergibt und zu der seinen macht, wobei er gut erkennen läßt, daß sie eine vom Neuen Testament inspirierte Antwort auf die von diesem gestellten Zentralfragen erteilt. Wichtige Beiträge enthält das »Demander et rendre graces« betitelte Heft der Revue Concilium, Paris 1990 (Nr.229). Der nach Abschluß meines Manuskripts erschienene »Katechismus der Katholischen Kirche« widmet dem Gebet ein besonders lesenswertes - vielleicht das beste - Kapitel des Werks. Die Verweise auf die Kirchenväter und die Zitate aus ihnen sind sehr wertvoll. Aber auch das Neue Testament ist gebührend berücksichtigt. Nicht vom Neuen Testament aus, sondern besonders von der Tiefenpsychologie aus behandelt der Zürcher em. Professor W. Bernet 25 die Frage des Gebets. Die radikale Kritik, die er von hier aus übt, trifft implizit natürlich auch die neutestamentlichen Gebete: Gebet sei nicht Dialog, nicht Ich-Du-Beziehung, nur Reflexion über sich selbst. Weniger konsequent ist die Stellung D. Sölles, die in verschiedenen Veröffentlichungen über das Gebet geschrieben hat 26 • Sie geht nur teilweise vom Neuen Testament aus, besonders jedoch von der modernen Wirklichkeitserfahrung unq der aus ihr abgeleiteten Welt- und Gottesauffassung. Sie hält aber am Gebet fest und schafft dafür ein Modell eines diesseitig orientierten »Sich Sagens vor Gott«, für das sie sich aufs Neue Testament beruft 27 •
R. GUARDINI, Vorschule des Gebets, Einsiedeln 1952. Erste Ausgabe schon 1943. H, SCHALLER, Das Bittgebet. Eine theologische Skizze, Einsiedeln 1979. 24. W. BERNET, Gebet, Stuttgart 1970. 25 Ibidem. 26 D. SOLLE U. A., Gebet, in: Theologie flir Nichttheologen, Stuttgart 1966, abgedruckt auch in Atheistisch !In Gott glauben, Olten-Freiburg 1968, S. 109ff. (Im folgenden nach diesem Buch zitiert.) E!ldem, .Wir wissen nicht, was wir beten sollen« in: Die Wahrheit ist konkret, Olten-Freiburg 1967. Ead., Politisches Nachtgebet in Köln, Stuttgart 1969 (2. Aufl.). 27 Dies tut sie insofern mit Recht, als dieses Modell sich zu solchen Aspekten des Betens in Gegensatz stellt, die auch vorn Neuen Testament verurteilt werden. Jedoch eliminiert sie gleichzeitig andere, mit ihrem Verständnis unvereinb!lre Elemente, von denen wir exegetisch prüfen müssen, ob sie nicht konstitutiv als unentbehrliche Voraussetzungen zu allen neutestamentlichen Gebetsaussagen und Gebeten gehören. Im Laufe unserer Arbeit werden wir daraufzurückkommmen. 22 23
1. Einleitender Teil
Schwierigkeiten des Betens und Einwände gegen das Beten Die »Gebetskrise«, von der heute so oft gesprochen wird, ist nichts NeuesI. Es hat sie zu allen Zeiten, auch schon im nichtchristlichen Altertum gegeben, also unabhängig von den heutigen wissenschaftlichen Fortschritten, neuen Erkenntnissen und deren Auswirkungen, einschließlich Tiefenpsychologie, in denen gewöhnlich der einzige und entscheidende Grund aller Gebetsproblematik gesehen wird. In Wirklichkeit wirft alles Nachdenken über das Betenals solches Fragen auf. Wir haben schon gesagt: Wie das Beten selbst n.icht nur beglückend, sondern auch schwierig ist, so ruft das Reden über das Beten Einwände hervor, die zu kategorischer Ablehnung führen können. Wenn wir in der vorliegenden Arbeit im Neuen Testament die Antwort auf die Fragen suchen, so heißt dies keineswegs, daß das neutestamentliche Gebet, vom Denken aus gesehen, nur Antwort, nicht auch Frage sei. Im Gegenteil: die Schwierigkeiten und Einwände (auch menschlich bedingte Entstellungen), die wir in diesem einleitenden Teil unseres Buches aufzählen, betreffen gerade auch das christliche Beten, wie es sich uns im Neuen Testament zu erkennen gibt, obwohl wir anderseits gerade im gleichen Neuen Testament die Antwort auf die Gebetsprobleme suchen, die sich in allen Religionen stellen. So sind die Schwierigkeiten, die wir im folgenden beschreiben, solche, die wir als Glieder unserer christlichen Kirchen erleben. Die Ablehnungen stammen zwar teilweise von solchen, die sich nicht als Christen betrachten, aber das Beten, das sie bekämpfen, ist meistens das christliche, dem sie im Umkreis, in dem sie leben, begegnen. 1 Go'I'THOLD MÜLLER, TRE
op. cit. S. 85, erwähnt allerdings auch die Meinung HERMANN Wie betet der heutige Mensch?, 1972, nach der die Gebetskrise wie die "Gott ist tot-Theologie« die umgekehrte Wirkung hervorgebracht hat, daß nie so viel wie heute über das Beten gesprochen und geschrieben worden sei.
SCHMIDTS,
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Einleitender Teil
1. Kapitel Die Schwierigkeiten Wir unterscheiden einerseits die Schwierigkeiten, die den praktischen Vollzug des Betens erschweren, also ein Hindernis auch für Glaubende sind, die gebetet haben, noch beten 'oder zu beten versuchen -Schwierigkeiten, die oft auch zum Verzicht führen; anderseits: prinzipielle Ablehnung, Einwände, die theoretisch gegen alles Beten oder bestimmte Gebetsformen erhol;>enwerden. Bei den Schwierigkeiten handelt es sich zunächst um an sich berechtigte Fragen, die sich aus dem Beten ergeben, dann um solche, die durch menschliche Schwächen erzeugt werden.
1. Fragen, die das Beten selbst aufwirft
Im Vordergrund steht hier die schmerzliche Erfahrung nicht erhörter Gebete, die oft in der mehr oder weniger resignierten Klage ihren Ausdruck findet: ich habe viel gebetet, es hat nichts genützt. Massive Aussagen des Neuen Testaments, Worte Jesu selber, die für aUe Gebete Glaubender Erhörung verheißen, verschärfen den Anstoß. Wenn ein Krieg droht, wird in allen Kirchen für den Frieden gebetet, und Wie oft muß erlebt werden, daß der Krieg ausbricht. Die Bibel selbst, und gerade auch das Neue Testament, berichtet von nicht erhörten Gebeten. Die Erfahrung: Gott bleibt stumm, die Verborgenheit Gottes führt viele, die aufrichtig gebetet haben, zu der oft verzweifelten Folgerung der Nutzlosigkeit des Gebets. Nur selten bleibt es bei dem »Dennoch« des Betens, eines Verhaltens, wie ich es vor Jahren in der Bemerkung einer guten einfachen Frau aus dem Volke, deren Aufrichtigkeit und gesunden Menschenverstand ich schätzte, feststellen konnte. Bekümmert um das Schicksal eines gemeinsamen Bekannten sagte sie mir: •• Glauben Sie, daß Beten etwas nützt? Ich glaube es nicht. Aber ich werde trotzdemfür ihn beten.« Sicher war dies kein gedankenloses Gebet. Das Vorkommen nicht erhörter Gebete im Neuen Testament wird uns erlauben, von jenen Fällen aus die Antwort des Neuen Testaments zu suchen. Wir haben von Gebeten für die Erhaltung des Friedens gesprochen.
Die Schwierigkeiten
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Aber abgesehen von ihrer Nichterhörung wird die Tatsache der Kriege selbst sowie auch der Naturkatastrophen zur Anfechtung fÜr den Betenden. Aus der Geschichte des 18. Jahrhunderts ist bekannt, wie das viele Menschenleben fordernde Erdbeben von Lissabon eine allgemeine Glaubenserschütterung auslöste. Selber denken wir an Kriegsez;eignisse unserer Zeit, die die Gebetskrise verschärfen. Aus den letzten Monaten des ersten Weltkrieges ist mir eine persönliche Erinnerung an die Wirkung der Meldung geblieben, daß eines der ferngesteuerten deutschen Geschosse eine Pariser Kirche und die in ihr zum Gebet versammelte Gemeinde traf. Ich war 16 Jahre alt und weiß noch, wie diese Nachricht mich innerlich aufrüttelte und wie mir (und nicht nur mir) die bange Frage auf der Zunge brannte: Welchen Schluß sollen wir aus solchem Geschehen für das Beten ziehen? Im Anschluß an die furchtbaren Ereignisse des zweiten Weltkriegs sind ähnliche Fragen aufgetaucht, so die oft gehörte: Wie kann man nach Auschwitz noch beten?2 Sie wird begründet mit der Unmöglichkeit, angesichts solchen Geschehens an Gottes Güte zu glauben: In der Tat ist ohne diesen Glauben die von dem Betenden, wie wir sehen werden, nach dem N euen Testament geforderte Bereitschaft, sich Gottes Willen zu beugen, ausgeschlossen. Damit nehmen wir z. T. schon einen der Einwände vorweg, die mit einer bestimmten Gottesauffassung zusammenhängen und die wir erst im nächsten Abschnitt zu behandeln haben. Hier mußte im Rahmen der ohne besonderes menschliches Verschulden auftauchenden Schwierigkeiten bereits von dieser Anfechtung gesprochen werden. Wir werden im letzten Kapitel daraufzurÜckkommen 3 • Denn das Glaubensproblem des Bösen und der Theodizee ist auch ein Gebetsproblem. Ebenfalls mit der nachher zu besprechenden Gottesauffassung hängt eine weitere Frage zusammen, die sich der Betende immer wieder zu stellen versucht ist: Wie kann Gott, der das All regiert, sich um meine kleinen Anliegen kümmern? Wozu überhaupt beten, wenn er doch alles im voraus weiß? Wie kann er gleichzeitig auf diejenigen so vieler betender Mitmenschen eingehen, wie in einem Kriege zugleich auf die Gebete des einen Volks für seinen Sieg und diejenigen seiner Feinde für den ihren? Auch darauf mag im Anschluß an das Neue Testament eine Antwort versucht werden 4 • 2
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Siehe unten S.161; 167 A. 23a; 175ff. Siehe S. 174ff. Siehe unten S. 167.
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Einleitender Teil
2. Aus menschlicher Unzulänglichkeit sich ergebende Schwierigkeiten An festgesetzte Zeiten und Sitten gebundene Gebete sollen und können eine Gebetshilfe sein 5 • Gefährlich werden sie erst, wenn menschliche Schwäche ihre durch ihren Sinn gebotene Regelmäßigkeit in gedankenlose Gewöhnung verkehrt. Dieser Gefahr verfallen wir, wenn wir sie nicht sehen und nicht gegen sie reagieren. Ich denke an Abend- und Morgengebete sowie das Tischgebet, zu denen in christlichen Familien die Kinder angeleitet werden, an denen aber auch Erwachsene oft während ihres ganzen Lebens festhalten. Mönchsregeln schreiben die »Gebetsstunden<~ vor; und gewiß sind sie ein hilfreicher Ansporn zum Beten. Wie die vorher genannten Sitten erleichtern sie das Heraustreten aus aller Geschäftigkeit. Sie sind eine Ermunterung, sich »Zeit« zu nehmen zur Sammlung 6 • Aber gleichzeitig können sie nur allzu oft zu bloß gewohnheitsmäßigen rituelien Verrichtungen werden. So schreibt Franz Overbeck, der Freund Nietzsches, der an der Theologischen Fakultät Basel über die Anfange des Christentums lehrte, ohne sich selbst zu ihm zu bekennen, in seinen »Aufzeichnungen über mein Leben, insbesondere mein öffentliches Amt als Theologe betreffend«, daß er als 19jähriger schon im Laufe des ersten Jahres seines Theologiestudiums in Leipzig seinen Kinderglauben verloren habe, und er fährt fort: »Anfang 1857 legte ich die Gewohnheit des täglichen Abendgebets vor dem Einschlafen, das ich stets bis dahin im Bette knieend verrichtet hatte, ab, schließlich aus Ekel an einem Act, bei dem ich mich immer mehr selbst abwesend und nicht selbst herzlich teilnehmend zu sein empfand.« In einer Anmerkung zu dieser Stelle fügt er hinzu, er sei von niemandem zu diesem Entschluß veranlaßt worden, »außer von mir selbst, in stiller Zwiesprache mit mir selbst«. Er könne ihn fast auf den Tag datieren 7. Viele lehnen aus dem gleichen Grunde das biblisch bezeugte Tischgebet ab, und in der Tat wird es oft zur gedankenlosen Gewohnheit, die 5 Sehr gut hierüber in R. GUARDINI op. cit. das Kapitel über »Die äußere Ordnung«, S. 45ff. 6 Siehe den Titel des Buches von R. LEUENBERGER op. cit. Zeit in der Zeit. 7 Dr. MATTHlAS STAUFFACHER, einer der Herausgeber der in Vorbereitung befindlichen Overbeck-Ausgabe, hat mir freundlicher Weise aus dem -Nachlaß Franz Overbeclt« (Univ. BibI. Basel, Zettel in A 268b) diesen sowie andere Texte Overbecks zum Gebet mitgeteilt. Siehe diesen Text auch in EBERHARD VISCHER, Franz Overbeck. Selbstbekenntnisse 1941, S. 122. -Im Widerspruch zu dieser Äusserung siehe unten S. 17 ÜVERBECKS letzten Wunsch.
Die Schwierigkeiten
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dann von Heranwachsenden gern allem Beten zugeschrieben wird. Es ist zuzugeben, daß es vor einem gedeckten Tisch nicht immer leicht ist, sich wirklich zu sammeln. Ist da ein Reden mit Gott, das ein Gebet doch sein sollte, möglich? Die Schwierigkeit ist nicht zu leugnen. Aber doch müssen wir fragen, ob es nicht an unserer Unzulänglichkeit liegt, wenn wir zu bloßer Gewohnheit werden lassen, was mit innerer Beteiligung ausgeführt werden sollte. Auch die Sitte, in der Kirche vor dem Gottesdienst ein stilles individuelles Gebet zu verrichten, bevor man seinen Platz einnimmt, gehört zu den an sich sinnvollen Gepflogenheiten, die allzu leicht ausarten zu einer bloß äußerlich geübten und inhaltslosen Gebetshaltung 8 • Überhaupt führt bei allem Beten Zerstreutheit zur Entwertung des Gebets. Nicht nur Gedankenlosigkeit, sondern auch falsches und besonders vereinfachendes Denken sind schuld an Zweifeln, die die Abkehr vom Gebet begünstigen. Erschwert wird heute das Beten durch die Geschäftigkeit des modernen Lebens, das keine Zeit zum Beten läßt und, wenn die Frage nach dem Beten überhaupt gestellt wird, dieses als Zeitverlust erscheinen läßt. Eindeutig ist menschlicher Schwäche eine allgemeine Trägheit zur Konzentration zuzuschreiben, auch ein Vergessen, zu beten, das dann zur endgültigen Abgewöhnung führt; eine Unlust zu beten, in Perioden »geistlicher Dürre«, des »taedium spirituale«, das die Mystiker zu bekämpfen sich angestrengt haben. Luther hat sich in seiner gute Ratschläge enthaltenden Schrift aus dem Jahre 1535 Eine einfältige Weise zu beten. An einen guten Freund, Barbier Meister Peter ausführlich gerade mit solchen Schwierigkeiten befaßt 9 • Zum Beten braucht es vor allem auch Mut 10, und dieser Mut fehlt uns oft. Die Rede von der Not, »die beten lehrt«, entspricht gewiß einer Tatsache l l . Aber man sollte doch nicht vergessen, daß auch das UmgeB Ich kann es mir nicht versagen, in diesem Zusamme~hang eine in Basel kursierende witzige, freilich_ auch boshafte, natürlich erfundene Geschichte wiederzugeben: Ein zur Basler Aristokratie gehörender Herr geht am Sonntag, wie es vor Jahren der gute Ruf verlangte, zur Kirche. Ausnahmsweise kommt ein ganz unkirchlicher Geschäftsfreund, der zum ersten Mal ein Gotteshaus betritt, mit ihm. Auf dem Heimweg fragt dieser ihn: .. Was haben Sie eigentlich nach dem Eintritt in die Kirche an Ihrem Platze stehend getan, bevor Sie sich hinsetzten?" Antwort: .. Ich zähle immer bis dreißig. Einige zählen nur bis fünfzehn. Aber das halte ich für Heuchelei." 9 R. LEUENBERGER op. cit. geht ausführlich darauf ein. 10 So hat eHR. SENFT op. cit. seinem Büchlein den Haupttitel ..Le courage de prier« gegeben. 11 D. BONHOEFFER, Widerstand und Ergebung, Siebenstern 1951, S.105: .. [... ] es ist eben
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Einleitender Teil
kehrte zutrifft: daß eine Notsituation das Beten lähmt 12. Ein fürchterliches Geschehen mag Verzweiflung und eine gerade dann zu· bekämpfende Mutlosigkeit bewirken. Das Gebet in der Not sollte nicht nur mit billigen Schlagwörtern als feige,' an einen "Lückenbüßer« gerichtete »Ersatzhandlung« bezeichnet werden l3 • Es kann gerade auch eine sehr mutige Verrichtung sein, zu der man sich aufraffen muß. In der Not ist gewiß Mut zum Handeln notig, aber auch Mut zum Beten. Dies ist die Kehrseite der das Handeln gegen das Beten ausspielend, gern zitierten Erzählung B. Brechts 14 , in der'Bauern angesichts eines Überfalls auf das Nachbardorf in ihrer Hilflosigkeit zu Gott beten, während das stumme Mädchen Kattrin mitten im Gebet aufsteht und die Leute in der Stadt wachtrommelt, womit sie ihr Leben opfert, aber die Bewohner der Stadt rettet 15.
2. Kapitel Prinzipielle Einwände gegen das Beten Wir werden hier zunächst die Beziehung zwischen den Einwänden und dem Glauben an Gott behandeln, dann eine Übersicht über konkrete Einwände erstens gegen alles Beten, zweitens gegen bestimmte Gebetsformen geben, und zum Schluß werden wir untersuchen, inwiefern mehrere Einwände in Wirklichkeit falsches Beten treffen.
1. Einwände und Gottesglaube Die Stellung zum Gebet, zum Reden mit Gott, hängt aufs engste mit der Gottesauffassung, mit dem Reden über Gott zusammen .. Wo die Möglichkeit des Redens über Gott und die Wirklichkeit des Redens mit Gott bejaht werden, befruchten sie sich gegenseitig. Es findet also eine doch so, daß die Not kommen muß, um uns aufzurütteln und ins Gebet zu treiben«, was B, allerdings als ..beschämend.. empfindet. 12 Mit Recht erinnert R. GUARDINI op. cit. S. 237 daran, daß es zuweilen heißen muß .. in der Not vergeht einem das Beten«. 13 D. SOLLE, Atheistisch an Gott glauben, S. 109. 14 B. BRECHT, Mutter Courage und ihre Kinder, Ges. Werke 4, 1930. 15 Siehe zum Ausspielen des HandeIns gegen das Beten unten S. 22; 159 f.
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Wechselwirkung statt: das Gebet setzt eine bestimmte Gottesauffassung voraus, und zugleich ergibt sich diese aus dem Gebet. Luther sieht geradezu im Gebet ein Mittel der Erkenntnis. »Also daß wir durch unSer Gebet mehr uns selbst unterrichten denn ihn«16. Wir werden sehen, daß das Gebet im Neuen Testament, das Gegenstand dieses Buches ist, eine besondere Gottesauffassung voraussetzt, wie auch alles, was dort über Gott und Christus ausgesagt ist, in dem im N euen Testament bezeugten Beten verankert ist. Umgekehrt hat Ablehnung des Glaubens an Gott die Ablehnung allen Betens zur Folge. So werden wir sehen, daß die schärfsten Bekämpfer des Gottesglaubens, wie etwa Nietzsche, besonders gern gerade das Beten der Gläubigen zitieren, um die Absurdität des Glaubens an die Existenz Gottes zu illustrieren, und daß sie so auf negative Weise die unlösliche Verbindung von Gebet und Gottesglauben bestätigen. Daß für Atheisten alles Beten sinnlos ist, kann nur dann bestritten werden, wenn man das Wort »Atheisten« oder das Wort »Beten« nicht im üblichen Sinn versteht: Atheisten nicht als Leugner der Existenz Gottes, Beten nicht als ein Sprechen mit einem transzendenten Gegenüber. Das erstere ist heute der Fall, wenn D. SöUe ihr viel gelesenes Buch, Atheistisch an Gott glauben betitelt. Sie versteht hier »atheistisch« als nichttheistisch oder »nachtheistisch«17 ~nd zieht in diese Auffassung von Atheismus auch die auf K. Barth zurückgehende und von D. Bonhoeffer übernommene Polemik gegen »Religion« mit ein, wie sie auch von J. A. T. Rob'inson (Honest to God) vertreten wird18. Kaum zu Recht verweist sie aber auf die heidnische Bezeichnis der Christen im Altertum als »Atheisten« 19, denn mit dieser wurde den Christen nicht Ablehnung des »Theismus«, sondern Ablehnung der Staatsgötter vorgeworfen. Beten ist nur dann mit Atheismus (im eigentlichen oder im eben bezeichneten abgeleiteten Sinne) vereinbar, wenn der Dialogcharakter des Betens ersetzt wird durch ein »Reflektieren über sich« (so W Bernet)
16 WA32, 419,10. Siehe oben S. 2 G. EBELING, DOgIDatikI, S. ÜI2ff.; auch G. SAUTER, Das Gebet als Wurzel des Redens von Gott (Glauben und Leben) 1986, S.3lf., GCYITHOLD MÜLLER, TRE Art. Gebet, S. 487; U. EIBACH, Priere et representations de Dieu, Concilium 1990, Nr. 229: Demander et rendre gräces, S. 81 ff. 17 Siehe unten S. 14 A. 21; 161 A. 13; 163 A. 14; 165. 18 Zu J. A. T. ROBINSONS Stellung zum Gebet siehe HENRY Morru, La priere et les mouvements theologiques actuels (Bulletin du Centre protestant d'Etudes 1968) S. 7ff. 19 D. SOLLE, Die Wahrheit ist konkret, S. 106, und Atheistisch an Gott glauben, S. 53.
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oder ein »Sich sagen« (D. Sölle) 20. Von W. Bernet wird dabei die Stellung zum Gottesglauben picht besonders diskutiert. D. Sölle dagegen verbindet ihre Aussagen über das Beten mit der von ihr vertretenen Gottesauffassung 21 • Die Hauptkritik am Beten als Zwiegespräch mit einem transzendenten Gegenüber geht von der Bekämpfung des Glaubens an einen Gott aus, den wir nach dem üblichen theologischen Sprachgebrauch den persönlichen Gott nennen, das heißt aber, wie wir sehen werden, gerade des neutestamentlichen und überhaupt biblischen Glaubens. Da, wie wir angedeutet haben 22 , die Einwände,' denen wir hauptsächlich im westlichen Kulturkreis begegnen, das biblische Beten betreffen, richten sie sich in erster Linie gegen das Gebet zu einem zugleich allmächtigen, fernen und nahen Gott, vor den wir unsere intimen Anliegen bringen dürfen 23 , zu einem Gott, der sowohl über Schöpfung, Kosmos, Natur als über die Geschichte der Völker wacht, ein »guter Vater, der droben überm Sternenzelt wohnt«, einem Gott, »der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Laufund Bahn"24. und der nach dem bekannten Kirchenlied sich zugleich um uns kümmert, der nach dem Psalmisten »weiß, wann wir sitzen und wann wir aufstehen« (Ps. 139,2), bei dem auch nach Jesus Über Monolog und Dialog siehe unten S. 22 A. 57. Siehe jetzt ihr Buch «Gott denken« 1989 (1990, 3. Aufl.), in dem sie maßvoller als in ihren früheren Arbeiten und sich um objektivere Darstellung der von ihr abgelehnten Meinungen bemühend, ihre eigene Auffassung der Beziehung zwischen Gott und Mensch, und zwar in der Perspektive der feministischen Theologie und der Befreiungstheologie entwickelt. Ich habe das neue Buch im folgenden erst heranziehen können, nachdem ich bereits die wichtigsten ihr gewidmeten Abschnitte über ihre früheren Ausführungen zum Gebet fertiggestellt hatte. Obwohl die Verfasserin in der neuen Arbeit ausführlicher auf den Gottesglauben eingeht, bekräftigt sie doch nur die schon immer von ihr vertretene Ablehnung des »Theismus« (siehe unten S. 167), die ihrer von ihr nicht aufgegebenen Stellung zum Gebet zu Grunde liegt. 22 Siehe oben S. 7. 23 Dagegen steht die Verurteilung der Auffassung von einem Gott als einem »Lückenbüßer«, einem »alten Magier« (D. SOLLE, Atheistisch an Gott glauben pass.) dann im Einklang mit dem Neuen Testament, wenn sie sich auf die auch von diesem als »heidnisch« bekämpfte Vorstellung eines anthropomorphen Gottes bezieht (Mt. 6,7ff.), nicht aber wenn damit zugleich der oben charakterisierte, vom Alten wie vom Neuen Testament bezeugte Glaube an den theistischen, fernen und nahen Gott abgelehnt wird. 24 Von D. SOLLE bekämpft, op. cit. S. 58. Zu diesem Lied siehe unten S. 167 - Wenn ich in diesem Zusammenhang auf D. Sölle verweise, obwohl sie ihre Auffassung mit vielen andern teilt, so deshalb, weil sie besonders wuchtig und mit Ironie und zügigen Formulierungen, die ihre Wirkung auf die Leser (vor allem im deutschen Sprachbereich) nicht verfehlen, den von ihr abgelehnten Glauben bekämpft. Zu ihrer Berufung aufs Neue Testament siehe das in der vorstehenden Anmerkung und besonders unter S. 165 A. 20 Gesagte. . 20 21
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»unsere Haare auf dem Kopf gezählt sind« (Mt. 10,30): dieser Gott, als Gesprächspartner unserer Gebete, ist Gegenstand vieler z. T. sarkastischer Einwände, sowohl von solchen, für die es keinen Gott gibt, als denjenigen, die dieses »theistische« Bild durch ein anderes ersetzen: dasjenige eines Gottes, dem diese als seiner unwürdig betrachteten Eigenschaften abgesprochen werden, da sie vom modernen Menschen nicht angenommen werden können. Die bereits ältere, aber vor einigen Jahren zum modernen Schlagwort gewordene Rede vom »Tode Gottes«, das »dunkle Wort«, wie E. Jüngel sagt25, wird-hier gern angewandt. Diese Vorstellung Gottes soll durch Reduktion, d.h. durch Eliminierung anderer durch Bibel und »Tradition« ihm zugeschriebener Eigenschaften und Funktionen gerade ihre Würde erhalten. Solche Reduktion beruht, wie wir bei der Behandlung der Einwände gegen bestimmte Gebetsformen sehen werden 26 , auf einer bestimmten Denkweise, die eine Auffassung mit einer bis zur Vereinfachung vorgetriebenen Konsequenz vertritt, so daß kein Nebeneinander entegegengesetzter Aussagen stehen bleiben darf. So werden vom biblischen Glauben nicht zu trennende Eigenschaften Gottes festgehalten, aber nur diese, unter Ausschluß des paradoxen Vorhandenseins der ihnen scheinbar widersprechenden. Dies trifft etwa im Fall der Annahme eines nur nahen oder nur fernen Gottes zu. Das gleiche gilt für die Unveränderlichkeit Gottes. Diese ist unbestreitbar in der Bibel vorausgesetzt, aber in hier in Betracht kommenden Einwänden wird sie exklusiv behauptet, ohne Berücksichtigung ihrer Verbindung mit der ebenso nicht zu bestreitenden biblischen Voraussetzung der göttlichen Freiheit 27 • Auf dieser Reduzierung beruhen viele Einwände gegen das Bittgebet, das als solches auf Gott einwirken, ihn »umstimmen« wolle. Unter vielen andern 28 haben Kant und Rousseau solches Ansinnen aufs schärfste bekämpft; ohne direkte Polemik, mit andern Argumenten und sich nur gegen bestimmte Bitten richtend, bis zu einem gewissen Grade auchF. Schleiermacher. Nach Kant hat Gott sich an das moralische Gesetz, nach Schleiermacher an das Naturgesetz gebunden. Hier wären auch alle auf einer besonderen Gottesauffassung beruhenden Bestrebungen zu nennen, die das Gebet nur als Meditation nach
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Evang. Kommentare 1969, S. 133ff. Siehe unten S. 18ff. Siehe unten S. 46; 171ff. Unter den neuern etwa W. BERNET op. cit.
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Einleitender Teil
Art der östlichen Religionen 29 gelten lassen 30. Auch sie heben einen für das biblische Beten unentbehrlichen Aspekt auf, der gerade das kindliche Vertrauen zu Gott begründet.
2. Einwände gegen alles Beten Ich wähle hier beispielhaft unter den vielen, die bis heute alles Beten ablehnen 3 I, mir zwei große Namen von Männern aus, die besonders schroff und leidenschaftlich und mit oft zitierten Kraftausdrücken das Beten angegriffen haben. Der eine ist der große Immanuel Kant, den die dominierende protestantische Theologie des 19. J ahrunderts ausgerechnet als philosophischen Paten ausersehen hat 32 • Was er im Interesse der Reinerhaltung des von ihm in den Vordergrund gerückten Moralgesetzes in seinem Buch über Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 33 und in den Aufsätzen Vom Gebet 34 über das Beten schreibt, gehört zu den schärfsten Verhöhnungen der Praxis, ohne die es keine Religion gibt, ohne die, wie R. Guardini sagt, man auf die Dauer kein Christ sein kann, so wenig man leben kann, ohne zu atmen 35 , die nach Luther geradezu der Beruf des Christen ist, wie das Herstellen der Schuhe derjenige des Schusters. In den soeben genannten Schriften Kants finden wir geradezu eine Anhäufung von Schimpfwörtern zur Bezeichnung des Betens: »Anwandlung von Wahnsinn«, »eine Art Wahn, in dem Methode sein kann«, »Religionswahn<;. »Afterdienst«, »Fetischmachen«, »religiöse Schwärmerei«, »Heuchelei«. Im Aufsuchen der Verborgenheit zum Beten sieht 29 Siehe dazu auch J. RATZINGERS klärendes Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der christlichen Meditation, Vatikan 1989. 30 R. LEUENBERGER räumt ihnen in seinem Buch einen verhältnismäßig großen Raum ein. Trotz vorha~dener Berührungen und obwohl Meditation zum Gebet führt, scheint mir die Grenze zwischen beiden nicht immer scharf genug gezogen. 31 Zu nennen wäre unter ihnen besonders L. FEUERBACH, der mit seiner allgemeinen Auffassung der Religion als Projizierung menschlicher Wünsche und der daraus folgenden Bezeichnung des Gebets als "Anbetung des eigenen Herzens« (Das Wesen des Christentums 1903, S.151) direkt oder indirekt die meisten Einwände, wohl auch den neueren W. BERNETs (siehe oben S. 6) beeinflußt hat. 32 F. MENEGOZ, op. cit., bemüht sich deshalb, durch seine umfassende Arbeit über das Gebet die protestantische Theologie von der Kantschen Philosophie zu lösen und besonders mit MAx SCHELER eine andere Grundlage zu schaffen. 33 Ed. E. Cassirer 1912. 34 Vom Gebet. 7 kleine Aufsätze aus den Jahren 1788-1791. Ed. Cassirer 1912. 35 R. GUARDINI, op. cit. S. 16.
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Kant nicht etwa den Ausdruck religiöser Keuschheit, sondern ein »Sich.schämen«: »Weiß ein Mensch sich [beim B'eten] entdeckt, wird er in Verwirrung und Verlegenheit geraten wie über einen Zustand, dessen er sich schämen muß; denn er kommt in Verdacht, daß er eine kleine Anwandlung von Wahnsinn habe«36. »De; Betende unterhält sich mit einem imaginären Wesen, als ob es gegenwärtig wäre.« Alles Beten ist nur Selbstgespräch, während der Betende sich einbildet, Umgang mit einem sinnlich vorgestellten Gott zu haben, seine »Gunst« erlangen zu können, auf ihn einwirken zu wollen, was mit seiner Unveränderlichkeit unvereinbar ist. Der Betende entschuldigt sich mit seinem Beten sozusagen dafür, daß er seine Pflicht, moralisch zu handeln, nicht erfüllt.lAnstatt zu beten, gilt es nach Kant, einen moralischen Lebenswandel zu führen 37 . So spielt er das Tun gegen das Beten aus, ähnlich wie wir dies heute mit einer andern Argumentation beiD. Sölle feststellen 38. Statt selbst moralisch zu handeln, wolle man sich von Gott helfen lassen. Nun gibt es bei Kant Stellen 39, an denen er das Gebet allenfalls für solche gelten läßt, die nicht fähig sind, die moralische Gesinnung zu entwickeln, ohne sich sinnlich Gott vorzustellen, die also des Gebets bedürfen, um das moralische Selbstbewußtsein zu stärken. Aber mit diesen im Zusammenhang mit seiner Lehre vom moralischen Gesetz gemachten Zugeständni~sen wird seine Ablehnung des Gebets kaum abgeschwächt 40 • Keinerlei Anlaß zu Konzessionen hatte FriedrichNietzsche von seiner radikal negativen Beurteilung des Christentums und der Religion aus. Seine Verhöhnungen des Gebets in Also sprach Zarathustra 41 überbieten n
Religion in den Grenzen bloßer Vernunft, Cassirer VI, S. 346. Religion innerhalb der Grenzen bloßer Vernunft, Cassirer VI, S. 324. 38 Siehe oben S. 12 und. unten S. 22; 159 f. 39 Vom Gebet. Ausg. Cassirer IV, S. 525. 40 FR. ÜVERBECK erwähnt die von KA.'1T zugestandene Konzession, »den Wert [des Gebets] unter Menschen, den er [Kant] als solchen anerkennt, aber sonst nichts, nichts außer den Wirkungen, die davon unter Menschen beobachtet werden. Kant selbst sagt mit nackten Worten, das Gebet sei eine Torheit ... « Univ. BibI. Basel A 223) - ÜVERBECK hat im Widerspruch zu seinen entschieden ablehnenden Äußerungen zum Beten (siehe oben S. 10) gewünscht, daß bei seinem Begräbnis ein Gebet gesprochen werde. (Erinnerungshaft A 278,S.8). 41 F. NIETZSCHE, Karl Hanser Verlag, München 1973. Bd. I. 36
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»Was geschieht? Was treiben sie? Sie sind alle wieder fromm geworden. Sie beten. Sie sind toll! ... Eine fromme seltsame Litanei zum Lobpreis des angebeteten und angeräucherten Esels. Die Litanei klang also: Amen. Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Stärke unserem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der Esel aber schrie dazu: I_A.«42 »Wir sind wieder fromm geworden, bekennen die Abtrünnigen, und manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen. Denen sehe ich ins Auge. Denen sage ich es ins Gesicht und in die Röte der Wangen: ihr seid solche, welche wieder beten. Es ist aber eine Schande, zu beten! Nicht fm alle, aber für dich und mich ... Du weißt es wohl. Der feige Teufel in dir, der gerne Händefalten und Hände-inden-Schoß legen und es bequem haben möchte, redet zu dir: es gibt einen Gott.,,43 An anderer Stelle heißt es, daß die Betenden die Nacht zum Beten wählen: »Du wähltest die Stunde gut, denn eben wieder fliegen die Nachtvögel aus.« Weiter: .. Wo es ein Kämmerlein gibt, da gibt es neue Bet-Brüder drin und den Dunst von Bet-Brüdern.,,44
Abgesehen von solcher totalen auf das Beten selbst bezogenen Bekämpfung wären riatürli,ch alle Ablehnungen zu nennen, die sich auf die oben erwähnten Schwierigkeiten des Betens berufen, vor allem die Nichterhörung(»Wiekann man nach Auschwitz noch beten?«)45.
3. Einwände gegen bestimmte Gebetsformen Unter den verschiedenen Gebetsformen unterscheiden wir das Bittgebet, das Dankgebet und das Lobgebet. Da Dankgebet und Lobgebet einander sehr nahe kommen, können wir im folgenden die drei Formen auf zwei reduzieren. Denn das Bittgebet hebt sich vom Dank- und Lobgebet ab, und wir haben bereits gesehen, daß das Bittgebet die größeren Probleme stellt und die meisten Einwände hervorruft. Freilich sind anderseits das Bitt- und das Dankgebet miteinander verbunden 46 . Das Bitten setzt im Grunde das Danken und Loben voraus. Wenn, wie wir sehen werden, eines der Hauptmerkmale neutestamentlichen Betens Vereinigung mit Gottes Willen ist, so wird dieses Ziel nicht nur im Bittgebet, sondern besonders deutlich im Dank- und Op. cit. 766. Op. cit., 766. Es ist interessant wie der Vorwurf der Feigheit derer, die nicht wagen, sich zum Beten zu bekennen, mit der Bemerkung KANTS über das »Sich-schämen« zusammentl'ifR (siehe oben S. 17). 44 Op. cit., 670. 45 Siehe dazu oben S, 9. 46 Siehe SCHALLER, op. cit. S. 19 f. 42 43
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Lobgebeterstrebt, das den Hintergrund der meisten alttestamentlichen Psalmen abgibt, wo auch die Schöpfung in das Lobgebet miteinstimmt (Ps. 148,3ff.). Bitt- und Lobgebet werden beide sowohl individuell als im Gottesdienst verrichtet. Das Lobgebet ist fester Bestandteil der kirchlichen Liturgie. Wenn das Lobgebet im allgemeinen weniger angefochten wird als das Bittgebet, so deshalb, weil es denen, die das letztere bekämpfen, allein der göttlichen Würde und Majestät angemessen und über allen kleinlichen und sogar egoistischen, irdischen Wünschen erhaben erscheint. Als Vertreter dieser Richtung zitiere ich nur drei berühmte Denker, die besonders konsequent und nachdrücklich das Dank- und Lobgebet gegen .das Bittgebet ausspielen. Ich nenne zuerst Jean-Jacques Rousseau, bei dem es sich allerdings eher um Kontemplation als um ein eigentliches Lobgebet handelt. Er schreibt in seinem großen Werk Emile 47 : »Ich meditiere über die Ordnung des Weltalls, nicht um sie [... ] zu erklären, sondern um sie ständig zu bewundern [... ] und dann den weisen Schöpfer anzubeten, der sich darin spüren läßt [... ], und ich preise ihn für seine Gaben, aber ich bete nicht zu ihm. Was sollte ich von ihm erbitten? Daß er für mich den Laufder Dinge ändere? Daß er zu meinen Gunsten Wunder vollbringe? ... Möchte ich, daß diese Ordnung für mich gestört werde? Nein, dieser verwegene Wunsch verdiente eher bestraft als erhört zu werden. [. .. ] Quelle der Gerechtigkeit und der Wahrheit, gnädiger und gütiger Gott. In meinem Vertrauen in dich ist es der höchste Wunsch meines Herzens, daß dein Wille Geschehe.«
Viel weniger radikal ist der große protestantische TheologeF. Schleiermacher. Er bekämpft in seiner Glaubenslehre 48 zwar nicht das Bittgebet als solches, aber dasjenige, das irdische, materielle Wünsche zum Gegenstand hat, was doch, wie wir sehen werden, konstitutiv zum neutestamentlichen Gebet gehört. Im Rahmen seiner Auffassung der Religion als des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls wendet er sich gegen jedes Ansinnen des einzelnen, auf Gottes Willen und das von ihm gewollte unveränderliche N aturgesetz einzuwirken. Es gibt keine Wechselwirkung z~ischen Geschöpf und Schöpfer 48a • Nur ein Bittgebet ist berechtigt: dasjenige der Kirche. Nur als Ausdruck der Glieder der Kirche ist es sinnvoll und zwar nur als Bitte um das Kommen des Reiches Gottes. J.-J. ROUSSEAU, Emil.e. Ed. Garnier(Paris), sine anno, 8.330f. F. 8CHLEIERMACHER, Glaubenslehre § 147. 48_ Ib. § 147, 2. 47
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»Ich suche nichts Irdisches, weder flir mich noch flir meine Brüder, sondern allein das liegt mir am Herzen, daß das Werk des Herrn immer mehr in Erfüllung gehe, und das alle~~ ist Gegenstand meines Gebets, daß sein Reich immer mehr gebaut werden möge.~49 .
Qbwohl die protestantische Theologie Fr. Schleiermacher wichtige Einsichten verdankt, muß er also trotzdem zu denen gerechnet werden, die offenkundig, wie wir sehen werden, durch einseitige Reduzierung das neutestamentliche Gebet wesenhaft zu ihm gehöriger Bestandteile beraubt haben 50 • Weiter noch in dieser Richtung geht Albrecht Ritschl, der am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die damalige protestantische Theologie entscheidend geprägt hat. Er wirft Schleiermacher, dem er im übrigen folgt, vor, das Bittgebet, wenn auch in beschränkter Form, noch als zulässig angesehen zu haben. Für Ritschl ist jedes Bittgebet gottwidrig. Nur Danken und Loben seien Gottes würdig. So schreibt er: »In dem allgemeinen Begriff des Betens sind die Bitte und der Dank nicht gleichgestellte Arten. Denn dadurch würde die Irrung begünstigt, als ob auch die selbstsüchtige Bitte zu der berechtigten Verehrung Gottes diente. Vielmehr ist das Gebet.als Ganzes und unter allen Umständen auf Dank, Lob und Preis, Anerkennung, Anbetung Gottes gestellt.«51 .
Ritschl geht in der Bekämpfung des Bittgebets sogar so weit, daß er das Vaterunser, an dem er natürlich festhält, als Dank- und Lobgebet interpretiert. Daß aber auch er mit der Reduktion des Gebets auf Dank und Lob sich nicht auf der Linie des Neuen Testaments befindet, bedarf kaum eines Beweises. Martin Kähler, der umsichtige protestantische Kritiker der Theologie seiner Zeit, schreibt dazu: »Wir halten denen, welche den Christen [. .. ] lediglich den Dank statt der Bitte auf die Lippe legen wollen, das Urteil des Herzenskündigers entgegen: der Pharisäer dankt, der Zöllner bittet.«52
Freilich wäre es aber ein Irrtum, zu glauben, daß im Neuen Testament nur der Pharisäer danke. Die umgekehrte Reduktion des Gebets
F. SCHLEIERMACHER, Predigtband 4, S. 357. WILHELM HERRMANN hat in seinem noch immer lesenswerten Buch Der Verkehr des Christen mit Gott. Antwort an Schleiermacher, 1921 (7. Aufl.) S. 273f; die Position Schleiermachers bekämpft. 51 A. RITscHL, Unterricht in der christlichen Religion 1881, § 79. und pass. 52 M. KAHLER, Dogmatische Zeitfragen Heft 11898, S. 186. 49
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im Sinne der Ablehnung des Dank- und Lobgebets würde ebenso weit vom Neuen Testament abweichen wie die Bekämpfung des Bittgebets. Obwohl das letztere bei Jesus stärker bezeugt ist als das Dank- und Lobgebet, fehlt es bei ihm doch keineswegs, wie wir sehen werden 53, und bei Paulus überwiegt es sogar. Es gibt denn auch kaum Beispiele für eine ausschließliche direkte Polemik gegen das Dank- und Lobgebet, wie wir eine solche gegen das Bittgebet festgestellt haben 54. In den Zusammenhang der »Einwände gegen bestimmte Gebetsformen« gehören auch die über die Ablehnung der einen der beiden Gattungen (Lob- und Bittgebet) hinausgehenden allgemeineren Einwände gegen gewisse mit dem Neuen Testament fest verbundene Gebetsverrichtungen. Sie überspitzen und isolieren eine genuin neutestamentliche Auffassung des Betens und die hinter ihr stehende Gottesauffassung so, daß eine andere auch im Neuen Testament vertretene - entgegen dem Neuen Testament 55 - als unvereinbar mit ihr ausgeschlossen und bekämpft wird 56 • Oder sie übernehmen die neutestamentliche Verurteilung falschen Betens, überspannen aber auch diese so, daß sie sie auf solche Gebete ausdehnen, die konstitutiv zum neutestamentlichen Beten gehören. In beiden Fällen beruht die Ablehnung der betreffenden Gebetsform auf Anwendung einer Logik, aufgrund deren einerseits das Nebeneinander verschiedener Auffassungen als gegensätzlich betrachtet wird und Siehe unten S. 40. Auch bei D. SÖLLE ist dies nicht der Fall. Wohl aber fragt es sich, ob nicht bei ihr implizit eine Abwertung dieser Gebetsform vorliegt. Es ist ihr dUl'cha us zuzustimmen, wenn sie ganz im Sinne Jesu das Recht aufs Bitten betont. (Atheistisch an Gott glauben, S. 113f.). Aber ihre an sich berechtigte Polemik gegen die »beati possidentes« (»Wir wissen nicht, was wir beten sollen«, in: Die Wahrheit ist konkret, S. 111) führt sie dazu, vorn Danken nur im Hinblick auf die verpönte Frömmigkeit der »religiosi« zu sprechen und vorn Erntedankfest nur unter Zitierung eines solchen, das ;.ohne das Bewußtsein gefeiert wird, daß zwei Drittel der Menschheit nicht satt werden«, was sie mit Recht als "Heuchelei« bezeichnet. Mit dem ausschließlichen Hinweis auf mißbräuchliches Danken wird aber das Danken selbst in Mißkredit gebracht. Abusus non tollit usum. Siehe dazu S. HAUSAl'.IMANN, »Atheistisch zu Gott beten. Eine Auseinandersetzung mit D. Sölle« in ihrem neutestamentlich fundierten Artikel in Evangelische Theologie 1971, S. 414 ff. In diesem Zusammenhang verweise ich außerdem schon hier auf die sehr lesenswerte Kritik HELMUT GOLLWITZERS. Von der Stellvertretung Gottes. Zum Gespräch mit Dorothee Sölle. 1967. Siehe unten S. 161 A. 13 und S. 163 A. 14. 55 Ich muß hier etwas vorgreifen, wenn ich diese Einwände als Einwände gegen bestimmte neutestamentliche Gebete bezeichne, obwohl erst aus dem Hauptteil des Buches hervorgehen wird, daß diese Gebete nicht aus dem Neuen Testament ausgeschieden werden können. 56 Siehe unten S. 22 A. 57. 63
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anderseits nicht gefragt wird, ob unter Menschen geltende Widersprüche auf Gott übertragen werden können. So wird im ersten Fall etwa die mit der Menschwerdung Christi verwirklichte Nähe Gottes und ihre Auswirkung aufs Gebet so ausschließlich ins Blickfeld gerückt, daß der überweltliche Gott, der gerade auch sein überweltliches Wesen in Jesus Christus mitgeteilt hat und mitteilt, in den Hintergrund tritt 57. Im zweiten Fall geht die neutestamentliche Bekämpfung des anthropomorph vorgestellten Gottes, von dem man mit »Viele Worte machen« die Erhörung erzwingen will (Mt. 6,7f.) über zur Polemik gegen das in der ganzen Bibel bezeugte Beten zum »theistischen« Gott 58 • Der Angriff auf das auch vom Neuen Testament aus abzulehnende Beten, das nicht zu einem absolut gebotenen Handeln führt, oder auf das »Erst in der Not-Beten« legt eine gewisse Abwertung allen Betens zu Gunsten des HandeIns nahe, also eine
57 So stellt D. SÖLLE zwar eindrücklich den wichtigen Paulustext Phil. 2,6ff. (den .Christushymnus«) an die Spitze ihres Buches »Atheistisch an Gott glauben«. Sie sieht hier die Begründung ihrer Hauptthese, nach der Gott »weltlich« geworden ist. Aber die »Entäußerung« Christi in seiner Inkarnation impliziert nach ihr, daß Gott seine überweltlichen Eigenschaften insofern abgelegt hat, als er aufhört, supranatural zu sein. So kommt es zu ihrer Polemik gegen das »theistische« Gebet zu Gott, der »Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Laufund Bahn« (Atheistisch an Gott glauben S. 58), wie es im Kirchenlied heißt, eine Polemik, die allerdings nicht nur auf ihrer Auffassung der »Weltlichkeit« Gottes beruht, sondern vor allem auf ihrer so stark betonten »modernen Welterfahrung«. In Atheistisch an Gott glauben S. 116 findet sie die Weltlichkeit Gottes auch in 2.Mos. 33,11 ausgedrückt, wo Gott mit Mose »von Angesicht zu Angesicht wie jemand zu seinem Freund redet«, einern Text, der genau das Wesen biblischen Betens, nämlich seinen Dialogcharakter wiedergibt. Allerdings ist bei ihr der Unterschied zwischen Dialog und Monolog etwas verwischt, wenn sie Beten ein »Sichsagen« nennt und nicht als ein Zwiegespräch mit einern »gegenständlich gedachten Gegenüber« betrachtet (Atheistisch an Gott glauben S. 115). (Zu einer gewissen Widersprüchlichkeit in ihrem sogenannten »politischen Nachtgebet« in Köln, siehe S. HAusAMMANN op. cit. S. 428f.). Ich betone schon hier, daß alle von mir im folgenden zu ihrer Polemik aufgeworfenen kritischen Bemerkungen im Rahmen des vorliegenden Buches nur die Frage zum Gegen· stand haben, ob sie mit dem Neuen Testament vereinbar sind. Siehe unten S. 165 A. 20. 58 So brandmarkt D. SÖLLE das Beten zu Gott, wenn er als alter »Magier« angesehen wird (Atheistisch an Gott glauben S. 113), und sie kann sich dabei auf Jesus berufen, der das »Plappern wie die Heiden« rügt (Mt. 6,7 f.). Aber sie geht dann weiter und hält auch das Beten zum »theistisch« vorgestellten Gott, zum »Kindervater« (ib. S. 58) für ein Zeichen von Unreife.
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Lockerung der beide verbindenen, von der Bibel inspirierten Benediktinerregel: ora et labora 59 •
69 Wir haben oben gesehen (S. 16f.), daß KANT im Zusammenhang seiner Lehre vom moralischen Gesetz ohne Bezugnahme auf die Bibel das Gebet zugunsten des ethischen Handeins - abgesehen von der erwähnten Konzession - überhaupt ablehnt. D. SOLLE, die auch das Handeln dem Beten gegenüberstellt, geht nicht so weit, und wenn sie ein NurBeten dann verurteilt, wenn gehandelt werden kann und muß, kann sie sich aufs Neue Testament berufen, und besonders gern verweist sie auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. IO,30ff.). Auch mit der wiederholt zitierten (oben S. 12 erwähnten) Geschichte B. BRECHTS von den betenden Bauern und der trommelnden und sich damit opfernden Kattrin bekälJ1pft; sie ein falsches Beten, insofern es nicht zum Handeln führt; ebenso, wenn sie an den Anfang ihres Traktats über das Gebet (Atheistisch an Gott glauben S. 109) die witzige, konstruierte Geschichte von dem Pfarrer stellt, der den Schiffskapitän, der in höchster Seenot sagt: Jetzt können wir nur noch beten, fragt: Ist es schon so weit? Aber die Art und Weise, wie diese Beispiele herangezogen werden, ohne daß auch bloß angedeutet wird, daß das in ihnen praktizierte Gebet nur deshalb anstößig ist, weil es nicht zu einem noch möglichen Handeln führt, erweckt den unvermeidlichen Eindruck, daß mit ihrer Verwendung eine Abwertung des Betens gegenüber dem Handeln überhaupt impliziert ist. (Zur Fürbitte für die verfolgten Juden siehe unten S. 160 A. 11).
II. Teil
Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet Vorbemerkung Wir haben die Gebetsschwierigkeiten und Einwände gegen das Gebet zusammengestellt, ohne eine Antwort zu versuchen. Unabhängig von den aufgeworfenen Problemen werden wir nun dem Hauptthema dieses .Buches gemäß in den verschiedenen neutestamentlichen Schriften die einschlägigen Stellen untersuchen, die vom Gebet sprechen. Implizit werden sich bereits hier die neutestamentlichen Antworten auf jene Fragen aufdrängen, die sich dann im abschließenden 3. Teil aus ~iner Synthese ergeben sollen. Zwar wird im N euen Testament nur ein falsches Beten bekämpft. Die prinzipiellen Einwände gegen das Beten, die wir oben aufgeführt haben, finden wir nicht er~ähntl. Trotzdem erlaubt uns gerade das Neue Testament, Stellung zu ihnen zu nehmen. Denn die neutestamentliche Bekämpfung falschen Betens sowie die positiven Aussagen über das Gebet und die vorhandenen Beispiele lassen die vielfältigen tiefen Wurzeln allen Gebetsgeschehens und mit ihnen eine Lösung der modernen Probleme erkennen. Wir konzentrieren uns aufs Neue Testament und versuchen, seine Neuheit gegenüber anderen Religionen, in deren Gebeten wir Gemeinsames finden, herauszustellen; besonders aber vergessen wir nicht, daß das neutestamentliche Gebet das alttestamentliche voraussetzt 2 und daß dieses teilweise sogar in ihm aufgenommen ist. ~ Sehr ähnliche Einwände lassen sich aber schon im Altertum bei Stoikern und Neupla· tonikern, etwa bei MAxlMUSVONTrn in seinem Traktat EI 6ft EVXWt'Jat (Ed. H. Hobein 1910) aus dem Ende des 2. Jahrhunderts finden. - Spuren der Gebetskritik sind auch im Alten Testament vorhanden (besonders in Hiob und Prediger). 2 Über das Gebet im Alten Testament, siehe J. HEMPEL, Gebet und Frömmigkeit im Alten Testament, Göttingen 1922. .
Synoptische Evangelien
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Dabei ist das Randjudentum in seinen Sonderströmungen, die durch die sogenarmte »intertestamentarische Literatur« und die neugefundenen Texte (Qumran) vertreten sind, deshalb zu berücksichtigen, weil das Christentum sich ja gerade an dieses Judent~ enger anschließt 3 .
1. Kapitel
Das Gebet in den Synoptischen Evangelien Wir beginnen mit der Verkündigung Jesu eigenen Gebeten, wie wir sie den drei synoptischen Evangelien entnehmen. Wo sich dies aufdrängt, werden wir bereits hier zur Erläuterung auch das Johannesevangelium heranziehen, zumal ich der Meinung bin, daß dieses in gewissen Teilen auf ein altes Zeugnis zurückgeht 4 • Da aber die in diesem Evangelium enthaltenen Jesusworte in der ganzen johanneisehen Theologie verankert und von ihr geprägt sind, werden wir dem johanneischen Gebet Jesu ein besonderes Kapitel widmen. Die synoptischen Worte werde ich nicht injedem der drei Evangelien getrennt behandeln, sondern ich werde sie generell nach inhaltlichen Gesichtspunkten verbinden. Die Frage nach »echt« und »unecht,( fällt hier weniger ins Gewicht. Denn gerade die meisten Worte über das Beten gehören zu denen, deren »Echtheit« am wenigsten bestritten wird. Die Abweichungen zwischen den Evangelien sind natürlich zu berücksichtigen. Wenn sie nicht (»formgeschichtlich«) aus verschiedenen Traditionen zu erklären sind, müssen sie (»redaktionsgeschichtlich«) den verschiedenartigen von den Evangelisten gebotenen Erklärungen zugeschrieben werden, um durch ihre Konfrontation der Meinung Jesu so nahe wie möglich zu kommen. Es wird sich ergeben, daß der Verfasser des Lukasevangeliums in besonderer Weise der Evangelist des Gebets ist. Neben den Weisungen Jesu über das Beten werden auch die Mitteilungen der Synoptiker über das Verhalten Jesu bei seülem Beten sowie 3 Dies wird besonders durch den erfreulicherweise zu erwartenden großen .. Kommentar zum Neuen Testament« aus diesen Texten bestätigt werden, den M. PHILONENKO mit seinem Mitarbeiterstab vorbereitet. (Siehe auch mein Buch über die Pseudo-Klementinen 1930, ferner die Aufsätze in K. FROEHLlCH, O. CULL'.L<\NN, Vorträge und Aufsätze 1967, S. 225 ff. und meine Arbeit, Der johanneische Kreis, 1976.) 4 Siehe: O. CULLMANN, Der johanneische Kreis, 1976.
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Die neutestamentlichen Aussr;gen über das Gebet
besonders die von ihm gesprochenen Gebete uns helfen, seinen Gebetsglauben in seiner Tiefe zu erfassen. Als Gebet Jesu sind uns nicht nur das im Matthäus- und im Lukasevangelium enthaltene, für die Jünger bestimmte Vaterunser überliefert, sondern auch Gebete, die Jesus selbst an Gott gerichtet hat. Zu deren Verständnis werden wir bereits Bitten des Vaterunsers heranziehen. Aber wir werden auch das ganze Vaterunser in einem besonderen Abschnitt am Ende dieses Kapitels zusammenhängend behandeln. Zur Semantik in den synoptischen Evangelien: Im Gegensatz zu unseren modernen Sprachen finden wir im Griechischen eine größere Anzahl von Wörtern für Beten. Ich verweise auf ihre Aufzählung mit den Bedeutungsnuancen in A. Hamman, La Priere S.135f. Der Bedeutungsunterschied ist nicht grundlegend.
1. Gebet als Zwiegespräch mit Gott. Erleben seiner Gegenwart Das Wesen allen Betens ist Zwiegespräch mit Gott als einem Gegenüber. Sobald sich Absichten einschleichen, die von diesem Ziel ablenken, wird das Beten profaniert, und wenn dabei ein Reden mit Gott vorgetäuscht wird, wird es gotteslästerliche Heuchelei. Keiner unter den Gegnern des Gebets, die mit dem Hinweis auf dieses falsche Beten das rechte Gebet abtun wollen, hat diese Entstellung so trefflich charakterisiert und so scharf gebrandmarkt wie Jesus. Ein Beispiel liefert das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Luk. IB.IOff.). Der Pharisäer macht sich und andern vor, er danke Gott. In Wirklichkeit hat er bei seinem Beten nur sich und die Menschen im Auge. Von diesem von Jesus gerügten Beten gilt wirklich, wasL. Feuerbach den Betenden überhaupt glaubt vorwerfen zu müssen: ihr eigenes Herz anzubeten. Der Pharisäer spricht nicht mit Gott, der Zöllner dagegen sucht im Bewußtsein seiner Sünde mit der Bitte um Gnade die Verbindung mit Gott. In der Bergpredigt Mt. 6,5 zeichnet J.esus das unvergeßliche Bild der betenden Heuchler, die in den Synagogen und an den Straßenecken von den Menschen mit ihrem Beten gesehen sein wollen. Sie spielen Theater. Das griechische Wort für Heuchler (hypokrites) bedeutet ja »Schauspieler«. Von den Menschen wollen sie gesehen werden, und sie werden von ihnen gesehen; was sie wollen, erreichen sie: »ihr Konto ist gere-
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gelt«, das besagt ja das griechische Wort 5 • Von Gott haben sie nichts zu erwarten. Dann die positive Weisung: "Wenn du betest, gehe in dein Kämmerlein und schließe die Tür zu.« Das griechische Wort für »Kammerlein«6 bezeichnet den abgelegenen, vor Dieben sicheren Raum im Hause (Schatz- oder Vorratskammer), wo niemand eindringt. Dort ist der Betende allein mit Gott. Es heißt hier nicht nur wie beim Almosengeben (Mt. 6,4) daß Gott ins Verborgene sieht, sondern nach der sehr gut, wenn auch nicht ausschließlich bezeugten Lesart 7 , daß er im Verborgenen ist. Dort ist er für uns in besonderer Weise gegenwärtig. Er ist zwar überalls, aber es gibt Orte, an denen es abseits von allen Ablenkungen leichter ist, ihn zu finden, und zwar so, daß er gerade mitjedem einzelnen das Zwiegespräch zu führen bereit ist. Denn darauf kommt es an. Auch im Tempel, dessen Bestimmung zum Gotteshaus, als »Bethaus«, wie Jesus mit Jes. 56,7 (Mk. 11,17 par.) sagt, zur Konzentration einladen soll. Auch dort soll so gebetet werden, daß das Alleinsein mit Gott möglich ist, der für jeden einzelnen, wie für den Zöllner im Gleichnis (Luk. 18,10), auch im Tempel gegenwärtig sein will. Denn er, der außerhalb unser ist, nimmt zugleich Wohnung in uns, im Verborgenen. Er offenbart sich dort, wo wir es nicht erwarten, im Verborgenen. Wir denken an die Erscheinung Gottes vor Elia 1. Kön. 19,11f.: »[. .. ] ein großer, gewaltiger Sturm [... ], kam vor dem Herrn her, aber der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm ein Erdbeben, aber der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Erdbeben ein Feuer, aber der Herr war nicht im Feuer. Nach dem Feuer das Säuseln eines leisen Windes.« Da hörte Elia die göttliche Stimme. Das ist das große biblische Paradoxon. Gottes Verborgenheit, die so oft Anstoß für den Glauben wird, aber in seiner Heiligkeit beschlossen ist 9 , geht zusammen mit seiner Selbstmitteilung in der Liebe: der Heilige und Verborgene läßt sich nieder zu seinem Geschöpf als der liebende Vater. Dieses Paradoxon liegt der Mahnung Jesu zu Grunde, im Gebet das Zwiegespräch mit Gott im Verborgenen zu suchen. 6 cm:t!XE'1 ist die Formel für Quittungen. 6 7:a~tE'rov.
7 Die Zeugen des westlichen Textes (D, altlat. und syr.) lesen. da sie den Artikel njJ vor EV n[J "evn;uü weglassen, "bete im verborgenen zu deinem Vater«. Mit dem Artikel njJ heißt es "bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist«. 8 Ubiquität: Siehe STRACK-BILLE RB ECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch Bd. 1, S. 399f. 9 So gut G. EBELING, Dogmatik op. cit., S. 242.
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In den Evangelien liefert Jesus selbst das Beispiel in der Wahl des Ortes für sein eigenes Beten. Daß die Evangelisten dies jedes Mal besonders vermerken, beweist, daß sie im Aufsuche!} der Einsamkeit, des Alleinseins, durch Jesus eine bewußte Absicht erkannt haben. Mk. 1,35 »in der Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und begab sich an einen einsamen Ort, und dort betete er« (vgl. Luk. 4,42); Mt. 14,13: "er zog sich abseits an einen einsamen Ort zurück«; Luk. 5,16: »er begab sich in einsame Gegenden zurück und betete«; Luk. 9,18: »als er allein betete«; Luk. 9,28: »er stieg auf den Berg zum Beten« (Mk. 9,2 und Mt. 17,1: »auf einen hohen Berg abseits«). Die Bergeinsamkeit (Mk. 3,13; Luk. 6,12; Mk. 6,46; Mt. 14,23) sucht Jesus auch aufdem Ölberg. Luk. 22,39 vermerkt, daß er sich dorthin »nach seiner Gewohnheit« begab. Die Jünger folgen ihm nach Gethsemane, aber er selbst geht dann »ein wenig voran« Mk. 14,35; Mt. 26,39; nach Lukas 22,41 »trennt er sich ungefähr einen Steinwurf weit« zum Beten. Das Zwiegespräch setzt nicht nur voraus, daß Gott ins Verborgene sieht, sondern auch, daß er im Verborgenen hört, sei es, daß die Gebete laut oder leise gesprochen werden lO , wie auch die Betenden ihn dort hören wollen, und Gottes Hören ist an und für sich Erhören. Daher kann Jesus in Mk. 11,24 die Jünger auffordern, während des Betens zu glauben, daß sie »bereits empfangen haben«, worum sie bitten. Dieser Glaube gehört zum Zwiegespräch. Die Erfahrung der Gegenwart Gottes, der sieht und hört, ist bereits Erfüllung. Der Aorist i',laßevist schon von Kopisten nicht verstanden worden. Indern sie ihn durch das Präsens oder das Futurum ersetzten, beraubten sie diesen Ausspruch Jesu gerade seiner Tiefe. Wir werden sehen11, daß Paulus diese Auffassung in Röm. 8,15 und Ga!. 4,6f. im Zusammenhang mit unserer Kindschaft theologisch entwickelt mit dem Argument, daß in unserem Gebet Gott zu uns als Kindern spricht wenn sein Geist uns treibt, ihn als Vater anzurufen.
Wir haben vorhin bei der Erwähnung der Notwendigke~t der Konzentration im Tempel bereits gesehen, daß die Bevorzugung der Einsamkeit durch Jesus selber und seine Mahnung an die Jünger, zu Gott im Verborgenen zu beten, mit dem ganzen Alten Testament nicht ausschließt, daß Gott auch im Tempel, dem »Bethaus« (Jes. 56,7), anzutreffen ist, wo mehrere versammelt sind. In Mt. 18,20 verheißt Jesus seine eigene Gegenwart da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt 10 Daraus, daß wie etwa im Gethsemanegebet der Inhalt von den Evangelisten mitgeteilt wird, kann nicht geschlossen werden, daß Jesus immer laut gebetet habe. 11 Siehe unten S. 96ff.
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sind, und wenn zwei in Übereinstimmung ihre Bitte vor Gott bringen, wird sie ihnen vom Vater gewährt werden (Mt. 18,19). Aber auch hier ist vorausgesetzt, daß sie alles ausscheiden, was sie von ihrem Streben, in ihrem Gebet Gott zu hören, abhalten könnte.
2. Gott braucht nicht, aber er will das Gebet der Menschen In Mt.- 6,7 verwirft Jesus das »Plappern«, wie Luther das seltene griechische Wort 12 übersetzt, und das »Viele-Worte-Machen« sowie die Meinung, dadurch Erhörung zu bewirken. Die Begründung (v. 8) ist für sein Verständnis des Gebets besonders wichtig. »Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, ehe ihr ihn bittet.« Eines der Hauptmerkmale allen Gebetsgeschehens - eine der Grundthesen des vorliegenden Buches liegt in diesem Logion beschlossen .. Wir haben gesehen, daß der Einwand der Nutzlosigkeit des Betens sich gerade auf diesen Anspruch Jesu bezieht: »Warum das Beten, wenn doch Gott alles vorherweiß und - so folgern viele weiter - seinen Plan unabhägig von diesem Beten ausführt, sodaß jeder Versuch, ihn beeinflussen zu wollen, absurd ist?« In Wirklichkeit setzt dieses Wort nur die Gewißheit voraus, daß Gott in der Tat unsere Gebete nicht braucht, da er die Bedürfnisse, um deren Erfüllung wir bitten, kennt, aber daraus folgt nur, daß nach seinem Willen falsches Beten, jedoch nicht das Beten überhaupt abzulehnen ist (v. 7: »wenn ihr betet ... «13). Über das Vorherwissen Gottes lesen wir ähnlich in Jes. 65,24: »Ehe sie rufen, werde ich antworten; während sie noch reden, werde ich erhören.« Aber diese Weissagungen des Propheten gilt erst für die Endzeit: für den neuenHimmel und die neue Erde. Der Ausspruch Jesu dagegen bezieht sich prinzipiell auf alles Beten. Denn abgesehen von der ins Auge gefaßten Konsequenz, daß Gott unsere Gebete nicht braucht, impliziert er, daß Gott trotzdem will, daß seine Geschöpfe zu ihm beten. Diese Weiterführung der Bedeutung des Logions ist nicht nur erlaubt, sondern geboten. Die in ihm enthaltene Voraussetzung der Unabhängigkeit Gottes vom menschlichen Verhalten hat für Jesus auch abgesehen von ihrer Verwendung in Mt. 6,7 ihre Geltung 14 . Aber im 12
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Die gleiche Begründung wie hier flir die Ablehnung des Niele-Worte-Machen« gibt
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Zusammenhang seiner Weisungen zum Beten ist sie zu verbinden mit den eindrücklichen Imperativen, die zum beharrlichem Beten mahnen: "Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihrfinden; klopfet an, so wird euch aufgetan (Mt. 7,7). Diese mit der Verheißung der Erhörung verbundene Forderung zeigt deutlich, daß Mt. 6,8 nicht als Beweis für die Nutzlosigkeit des Betens mißbraucht werden darf. Das auf dem Hintergrund der Aufforderung zum Beten gesprochene Wort setzt zugleich mit der Aussage, daß die Erhörung nicht von den vielen Worten abhängt, voraus, daß diese durch das Beten als solches gesichert ist. Das ist das Paradoxon des Bittgebets: Gott weiß, was wir brauchen, und trotzdem will er, daß wir dafür zu ihm beten. Ein Paradoxon, aber in Gott kein Widerspruch. Oben S. l2f. habe ich erwähnt, daß die Einwände gegen das Beten mit der Einstellung zur Gottesauffassung zusammenhängen. So ist auch das für die Gebetsver" kündigung Jesu grundlegende, scheinbar widersprüchliche Nebeneinander der Unabhängigkeit Gottes von unserem Beten einerseits und seinem Willen, daß wir trotzdem zu ihm beten, anderseits, in der biblischen Auffassung des Schöpfer- und Vatergottes verankert, der zugleich der Heilige und der unendlich Liebende ist. In freier Selbstmitteilung hat er aus Liebe den freien Menschen geschaffen, damit dieser sich mit seinem Liebeswillen vereine. Er will mit ihm verbunden bleiben durch dessen Dank- und Lobgebet, aber besonders auch durch sein Bittgebet 15. Dieses biblische Gottesbild begründet das für alles Beten so wichtige Bewußtsein der Distanz zwischen Schöpfer und Geschöpf16 und doch zugleich das kindliche Vertrauen des Geschöpfs zu seinem Schöpfer. Das Bewußtsein, als Betender Geschöpf zu sein, und das im Gebet zum Ausdruck kommende Vertrauen sind keine Gegensätze, sondern dieses fließt aus jenem. Den unbedingten Willen Gottes, daß wir zu ihm beten, hat Jesus in seiner ganzen Radikalität erfaßt. Daher die wiederholte, so eindringliche Aufforderung zur Beharrlichkeit beim Beten. Die Notwendigkeit dieser Beharrlichkeit entspricht dem göttlichen Willen. Das sollen die Gleichnisse vom bittenden Freund (Luk. 11,5ff.) und von der bittenden Witwe und dem ungerechten Richter (Luk. l8,Hf.) veranschaulichen. Jesus flir die Mahnung, im Vertrauen auf Gottes Vorsehung, nicht zu »sorgen", im gleichen Kapitel Mt. 6,31 f.: "denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr alle diese Dinge braucht." (Siehe dazu unten S. 72 zur Brotbitte des Vaterunsers.) 15 Catechisme catholique Nr. 2560: »Dieu a soif que nous ayons soifde lui." 16 Diesen Aspekt betont CH. SENFT op. cit. pass.: das Gebet als Ausdruck »unserer Kreatürlichkeit«.
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Gott will die Beharrlichkeit des Beters. Um dieser willen (das griechische in Luk ..11,8 gebrauchte Wort 17 bedeutet geradezu »Unverschämtheit«), heißt es, »steht der Freund nachts auf und gibt dem Bittenden, was er braucht.« (Luk. 11,8)18. Im Zusammenhang mit der Erhörung werden wir auf den nicht genug beachteten Grundgedanken, daß Gott das Gebet nicht braucht, wohl aber will, zurückkommen. Daß Gott will, daß wir beten, hat Paul Gerhardt in seinem Lied »Befiehl du deine Wege« (Psalm 37,5) klar zum Ausdruck gebracht: »Mit Sorgen und mit Grämen Und mit selbsteigner Pein Läßt Gott sich 19 gar nichts nehmen, Es muß erbeten sein.«
3. Der Gegenstand des Gebets: Das Bittgebet Wie oben erwähnt (S. 18ff.) wird vielfach das Lob- und Dankgebet gegen das Bittgebet ausgespielt. Nur jenes, nicht dieses, sei mit der Ehrfurcht vor Gottes Majestät vereinbar. Wie könne sich Gott in seinem unabänderlichen Ratschluß um menschliche Bitten kümmern? Besonders wenn es sich um materielle Dinge handelt, wird das Bittgebet ~b gelehnt. Wir fragen zunächst nach dem vielfältigen Gegenstand der Bittgebete. Es könnte naheliegen, uns dafür auf das Vaterunser zu beschränken, das in der Tat die verschiedenen Arten des Bittgebets enthält 2o • Aber in Befolgung unseres für dieses ganze Kapitel geltenden Plans gehen wir vom Gesamtzeugnis der synoptischen Evangelien aus, um dann im Lichte der Ergebnisse dieser Untersuchung, in deren Verlauf wir gelegentlich schon kurz auf die Vaterunserbitten hinweisen, dieses Gebet gesondert und eingehend zu behandeln.
17 ava{ÖEta.
Im Hinblick aufs Ende »zu jeder Zeit« wachen zum Beten. (Luk. 21,36). Im Urtext steht »ihm«. Siehe kritische Gesamtausgabe, hg. EB. VON CRANACH-SICHARD, München 1957. 20 Wenn wir ,9ie Doxologie miteinbeziehen (siehe unten S. 89 ff.), enthält das Vaterunser sogar auch das Lobgebet. 18
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
a) Bitte um materielle Güter Die Ablehnung der Bitte um materielle Güter kann durchaus nicht vom Neuen Testament aus gerechtfertigt werden. Der biblische Glaube (des Alten wie des Neuen Testaments) an Gott als den Schöpfer verlangt die Respektierung des Materiellen, und dies ist auch der Glaube Jesu, den man in Gegenüberstellung zu Johannes dem Täufer einen »Fresser und Säufer« genannt hat (Mt. 11,19)21. So ist es auch nicht in seinem Sinne, wenn Exegeten schön im Altertum und bis heute die Brotbitte des Vaterunsers spiritualisieren (siehe unten S. 68f.)22. In Mt. 7,9f. handelt es sich zwar um ein Gleichnis, und wir dürfen aus dem, was der Sohn von seinem menschlichen Vater erbittet, nämlich Brot und Fisch, nicht ohne weiteres schließen, daß auch materielle Nahrung gemeint sei mit den »guten« Gaben, von denen nachher im gleichen Vers gesagt ist, daß Gott sie den Bittenden verleiht. Aber der Vergleich kann dies doch nahelegen 23. Mit der Annahme, daß Jesus durchaus als Gegenstand des Bittgebets auch materielle Güter angesehen hat, soll nicht gesagt sein, daß diese den Vorrang haben. Aber im Hinblick auf die erwähnten Einwände-muß die Berechtigung ihrer Einbeziehung besonders betont werden. Aus dem Gebet Jesu ist schlechthin nichts ausgeschlossen. Die in anderem Zusammenhang zu zitierende Stelle des Philipperbriefs 4,6 (siehe oben S. 72) entspricht wirklich der Gebetsanleitung Jesu: in allen Dingen 24 soll zu Gott gebetet werden.
21 Diese betonen u. a. eH. SENIT op. cit., D. SOLLE Atheistisch an Gott glauben, op. cit. [allerdings im Zusammenhang mit ihrer ausschließlichen Betonung der "Weltlichkeit" des Gebetsl, M. LoCHMAN, Das Unser Vater op. cit. (besonders S. 71 ff.), R. LEUENBERGER, Zeit in der Zeit, op. cit., pass. 22 H. W. SCHRODER betont in seinem lesenswerten Buch, Das Gebet. Übung und Erfahrung, 1988 (3. Aufl.) gut, daß im Sprechen der Bitten des Vaterunsers etwas geschieht (siehe unten S. 60). Aber bei der Behandlung der Brotbitt~ geht er wohl zu weit, wenn er damit den Bittcharakter nicht mehr im "eigentlichen« Sinne aufrecht erhält und "Ego'ismus« darin siebt. So schreibt er: "Wenn es sich hier um eine eigentliche Bitte handelte, ließe sich kaum etwas Trivialeres denken.« (op. cit., S. 89), und er beruft sich dafür auf das Wort vom Vorherwissen Gottes um unsere Bedürfnisse. Aber daß Gott will, daß wir ihn bitten, gibt auch "egoistischen« Bitten ihre Berechtigung. Darin kann ich D. SOLLE im Sinne des Neuen Testaments zustimmen (Atheistisch an Gott glauben, op. cit., S. 114 f. , "gut egoistisch«). 23 Die Bitte des Freundes für drei Brote in Luk. 11,5ff. kann aber kaum herangez~gen werden, da die Gleichniserzählung nicht den Inhalt der Bitte, sondern Beharrlichkeit des Betenden und göttliche Erhörung zum Vergleichspunkt hat. , 24 fv JrUvr:l.
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Wir kön nen hier anschließen
b) Das Gebet um Hilfe in materieller Not. Die oben schon erwähnte Erzählung B. Brechts von den angesichts des drohenden Angriffs auf das Nachbardorf betenden Bauern und der stattdessen handelnden stummen Kattrin ~rd oft und gern zitiert 25 . Wenn wirklich mit dieser Geschichte die Beschränkung aufs Beten in großer Not, da wo Handeln geboten ist, gebrandmarkt werden soll, geschieht dies zu Recht. Aber stillschweigend wird damit auch die Zuflucht zum Gebet in jeder Notsituation mit leiser oder offener Ironie kritisiert. Es gibt Fälle, wo tatsächlich kein menschliches -Handeln mehr möglich ist - und wer kennt solche nicht? -, wo kein Trommeln der Kattrin erfolgen kann, wo wirklich »mit unserer Macht« »nichts mehr getan ist«. Ich komme auch auf das andere, ebenfalls oben (S. 22 A. 59) auch erwähnte, scherzhaft zitierte 26 Beispiel zurück, in dem der Kapitän in höchster Seenot sagt: »Jetzt können wir nur noch beten« und damit die üble Reaktion des Pfarrers: »Ist es schon so weit?« he~orruft. Wir mögen mit Recht das professionelle Verhalten des Pfarrers und damit überhaupt ein Beten, zu dem nur in der Not und ohne eigenes Verantwortungsgefühl gegriffen wird, dem Spott preisgeben. Aber soll das heißen, daß auch der Kapitän, der wirklich keine menschliche Möglichkeit zu helfen sieht, für die Worte, die er spricht, getadelt werden und der Illusion bezichtigt werden muß? Man mag dies tun im Bewußtsein, über den als naiv und infantil eingestuften Glauben an Gottes Allmacht hinausgekommen zu sein. Nur soll man nicht meinen, sich damit auf de_r Linie Jesu zu befinden. Diesem Irrtum möchte ich hier begegnen. Dabei muß ich aber auch der Willkür gegenübertreten, mit der das Verdikt über »Echtheit« 'oder »Unechtheit« von Jesusworten statt von nur exegetisch begründeten Argumenten auszugehen, von einer anderswoher stammenden Gottesauffassung aus gefällt wird, die als solche hier weder im einen noch im anderen Sinn beurteilt werden soll.
Das Ausspielen des Handeins gegen das Beten kann nicht mit Berufung auf den uns in den Evangelien zugänglichen Jesus begründet werden. Jesus hat in der Not selbst g~betet. In Gethsemane hat er ganz menschlich im Gespräch mit Gott seinen Wunsch vor ihn gebracht, der Kelch (die Stunde) möge, »wenn es möglich« ist, an ihm vorübergehen (Mk. 14,35 par.), und zwar im kindlichen Vertrauen: »alles ist dir möglich« (ib.). Wir werden in diesem Kapitel mehrfach auf diese Erzählung zurückkommen. Sie klärt viele Fragen zum Verständnis der Gebetsauffassung Jesu, gerade auch diejenige, die sich hier aufdrängt: welchen Sinn für Jesus ein Gebet zur Erfüllung eines rein menschlichen Wunsches haben kann, wenn Gott doch seinen Willen nach seinem ewigen Plan ausführt. 25 26
B. BRECHT, Mutter Courage und ihre Kinder, ges. Werke, Bd. 4, 1430. D. SOLLE, Atheistisch an Gott glauben HI6S, S. 109.
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
Jesus sieht die Gefahr der Festnahme auf ihn zukommen. Er,weiß, daß sie nach menschlichem Ermessen kaum abzuwenden ist. Er rechnet damit, daß ihr Eintreten in Gottes Willen liegt: »nicht wie ich will, sondern wie du willst«, daß sein Wunsch also nicht erfüllt wird ~ und er wird nicht erfüllt. Die Evangelisten haben uns einen nicht erfüllten Gebetswunsch mitgeteilt. Und doch spricht Jesus ihn in der Bereitschaft aus, mit dem Willen des Vaters verbunden zu bleiben: »wenn es möglich ist«; »alles ist dir möglich«: das heißt, daß sogar ein menschlicher Wunsch in Gottes unabänderlichen Plan eingefügt werden könnte. Das in der Not gesprochene Gebet, in dem der menschliche Wunsch, nicht zu leiden., und die Bereitschaft, mit Gottes Willen eins zu sein, aufeinanderstoßen, ist ein Gebetskampf und bleibt uns auch so ein Vorbild. An der »Echtheit« dieses Gebetskampfes ist kaum zu zweifeln. Zwar ist immer wieder der Einwand erhoben worden, daß das Gebet von niemandem gehört werden konnte, da die Jünger ja schliefen. Auch Ed. Schweizer erwähnt ihn, allerdings nur beiläufig 27 • Man könnte sich zur Widerlegung mit dem Hinweis begnügen, daß ihr Schlaf nicht sehr tief gewesen sein kann, da sie wiederholt geweckt und von Jesus angesprochen wurden, zumal wenn der Hebräerbriefin Kap. 5,7 eine gute Tradition mit der Erwähnung bewahrt hat, daß Jesus »mit lautem Schreien und untet Tränen« gebetet hat. Entscheidend ist, daß die Evangelisten das Gebet, das Jesus in solcher Menschlichkeit zeigt, weder erfunden noch überliefert hätten, wenn es nicht festgestanden hätte. Auch Ed. Schweizer schreibt, man sollte nicht bezweifeln, daß ein Gebetskampf stattgefunden hat 28 •
Die soeben erwähnte, über die synoptische Erzählung hinausgehende Angabe im Hebräerbrief des »lauten Schreiens und der Tränen« unterstreicht noch stärker die Notsituation. In ihr spricht er seinen Gebetswunsch aus, und zwar ohne Illusion, da er mit der Nichterfüllung rechnet. Aber er betet. Er mahnt die Jünger zum Wachen: um zu beten, und nicht um sich zum Kampf gegen die römische Kohorte 29 und ihre Begleiter zu rüsten: »Stecke dein Schwert in die Scheide« (Mt. 26,52). Am Kreuz betet Jesus in der Leidensnot den Anfang des 22. Psalms: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« ED. SCHWEIZER, Das Evangelium nach Matthäus, NTD 1967, S. 178, Ib., S, 179, ,29 Mit dem Johannesevangelium (Kap, 18,3,12) nehme ich im Einverständnis mit M, GoGUEL, Jesus, 2, Aufl. 1950, S, 363 ff, an und betone, daß es die römische Kohorte (XI).{agxo,) ist, die die Festnahme Jesu vornimmt, Siehe 0, CULLMANN, Der Staat im Neuen Testament, 1961 2 , S. 29ff, und 0, CULLMANN, Jesus und die Revolutionären seiner Zeit, 19702 8,50, 27
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Wir haben oben davon gesprochen, daß Not nicht -nur "Beten lehrt«, sondern auch die Kraft zum Beten lähmen kann. In der Leidensgeschichte der synoptischen Evangelien bietet Jesus ein Beispiel dafür, daß wir auch in höchster Not, wo kein menschlicher Ausweg ersichtlich ist und wo wir auch der Erfüllung des Gebets durchaus nicht sicher sind, noch beten sollen und auch beten dürfen. c) Bitte um geistige Gaben
Dem Gebet um geistige Gaben kommt ein besonderer, wenn auch nicht ausschließlicher Platz in den Evangelien zu 30. Vor allem ist hier die Bitte um Sündenvergebung zu nennen. Im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Luk. 18,10ff.) erscheint sie so sogar als Inbegriff allen rechten Betens, und im Vaterunser lesen wir sie bei Matthäus und bei Lukas. Die Bitten um geistige Gaben sind zusammengefaßt im Gebet für das Kommen des Reiches Gottes. Wir haben gesehen, daß der große protestantische Theologe des 19. Jahrhunderts, Schleiermacher, nur dieses als Bitte gelten läßt (siehe oben S. 19) Die vom Neuen Testament aus notwendige Ablehnung dieser Einseitigkeit soll uns nicht vergessen lassen, daß im Vaterunser diese Bitte zu den drei ersten gehört, in denen dieses Gebet verankert ist. Alles Heilsgeschehen ist ja ReichGottes-Geschehen. Das Gottesreich, für das Jesus die Jünger beten lehrt und für dessen Kommen er wohl selbst gebetet hat, ist eschatologisch, endzeitlich, zukünftig, und zugleich seit seinem irdischen Wirken schon im Kommen begriffen 31. Im Hinblick auf das schon auf Erden zu verwirklichende Reich Gottes, sagt Jesus zu seinen Jüngern: »Betet zum Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende.« (Mt. 9,38). Obwohl Gott es ist, der sein Heilswerk im Hinblick auf sein Reich ausführt, sollen wir dafür beten, und es bestätigt sich, daß nach Jesu Verkündigung Gott unser Gebet nicht braucht, aber will. So betet Jesus selbst in Luk. 6,12 auf einem Berge eine ganze Nacht lang, bevor er am nächsten Tag die zwölf Apostel aus der Schar der 30 Eine gewisse Priorität kann aus dem Wort Mt. 6,33 entnommen werden: .,Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch dieses alles hinzugegeben werden.« 31 Auf das von mir vertretene Verständnis der neutestamentlichen Situation als einer Spannung zwischen »schon« und ),noch nicht«, .,schon erfüllt .. und .,noch nicht vollendet«, werde ich unten S. 61 ff., im Zusammenhang mit der Vaterunser-Bitte und im letzten Teil (S. 176f.) näher eingehen.
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Die neutestamentlichen Aussagen aber das Gebet
Jünger auswählt. Für die für das Fortschreiten des Heilgeschehens wichtige Entscheidung ihrer Berufung erforscht er im Gebet Gottes Willen.
d) Fürbitte. Heilungswunder Injohannischer Ausprägung werden wir das lange Fürbittegebet, das man seit dem 17. Jahrhundert hohepriesterliches Gebet (Joh. 17) nennt, im Kapitel über das Gebet in den Johannesschriften besprechen. Es hat keine eigentliche Parallele in den synoptischen Evangelien. Wohl aber enthalten diese die Mahnung an die Jünger, Fürbitte zu üben, und diese ist in seiner eigenen Fürbitte für die von ihm im Gebet erwählten Jünger und für alle Menschen verankert, wie ja sein ganzes Werk Fürbitte hervorruft 32 • In der Bergpredigt fordert Jesus die Jünger auf, für ihre Verfolger zu beten: »Bittet für die, welche euch verfolgen« (Mt. 5,44). Er begründet diese Mahnung damit, daß sie sich als Söhne des Vaters erweisen sollen, der der Vater aller Menschen ist, also auch unserer Feinde. »Er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.« Gott hat auch sie erschaffen und hat sie in seinen Liebeswillen eingeschlossen. Nach mehreren Textzeugen hat Jesus selbst vor seinem Tode für die gebetet, die ihn, nicht wissend, was sie taten, ans Kreuz brachten (Luk. 23,3fl). Unser Gebet für unsere Mitmenschen stellt ein unsichtbares Band mit ihnen her, das uns mit ihnen verbindet, indem es uns und sie mit dem gemeinsamen Vater verbindet. Jesu Mahnung an die Jünger, auch für die Feinde zu beten, beruht auf seiner Gewissheit, daß sie auf den grenzenlosen Liebeswillen des Vaters für alle Menschen zählen dürfen, der unendlich größer als der ihre ist. Die Kraft eines jeden Fürbittegebets besteht darin, daß die Betenden sich mit Gottes Willen vereinen und so dazu beitragen, daß ein Wall der Liebe um die gelegt wird, für die sie beten. Auch hier gilt: Gott liebt alle Menschen, aber er will, daß wir als seine Geschöpfe für einander beten. Wir sollen vollkommen sein, wie unser Vater im Himmel, der uns nach seinem Bilde geschaffen hat, vollkommen ist (Mt. 5,48). 32 LUKAS VISCHER zeigt in seiner theologisch durchdachten Schrift »Fürbitte« 1979, wie alle neutestamentliche Fürbitte ihren Grund in Christi Person und Werk hat. Von der alttestamentlichen Auffassung der Fürbitte der Gottesmänner, der Propheten, Priester und Könige, besonders des leidenden Gottesknechts, zieht er die Linie zum .,Eintreten des Erhöhten«. So erinnert er auch daran, daß das Neue Testament kein Wort für »Fürbitte«, sondern fiir den .,Fürbitter« (;ral?ax)."TO;) kennt (S. 47, Anm. 3).
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Diese Kraft der Fürbitte vollbringt das Wunder der Krankenheilungen Jesu. Sie vermag den Tod zurückzudrängen. Denn jede Krankheit ist ein Einbruch des Todes in das Leben, und jede Heilung ist daher Vorwegnahme des Sieges über den Tod: Vorwegnahme (aber nur Vorwegnahme) der künftigen Auferstehung des Leibes. Dies ist in den synoptischen Evangelien der Sinn der Heilungen, auch der Erweckungen (denn die Erweckten werden ja wieder sterben). Diese Vorwegnahme der Besiegung des Todes wird durch Jesu eigenes Gebet bewirkt. Sein in der Erzählung vom Taubstummen (Mk. 7,34) erwähntes »Aufblicken zum Himmel« gehört ja zur Gebets-haltung (siehe Mk. 6,41, siehe auch Joh. 11,41; 17,1). Die aramäisch bewahrten Befehlsworte ecpal'f{X (Mk. 7,35), raAtl'fa lf.OVIl (Mk. 5,41) sind wohl als Gebetseingebungen zu verstehen. In der Erzählung vom epileptischen Knaben Mk. 9,17ff. gebietet Jesus dem Geist, aus dem Kranken auszufahren (v. 25), nachdem dies den Jüngern, die vom Vater des Knaben darum gebeten worden waren, nicht gelungen war. Wieder werden wir daran· erinnert, daß Jesus seinen Jüngern vorlebt, was sie selbst durch ihre Fürbitte bewirken sollen. Nach der Klage Jesu über ihren Unglauben (v. 19) und auf ihre Frage, warum sie unfähig dazu waren, antwortet Jesus: Nur durch Beten (Textvariante: »und Fasten«) kann diese Art ausgetrieben werden. Alle Krankheit steht mit dem Bereich der Dämonen in Beziehung. Aber Satan greift die Menschen in den synoptischen Evangelien auch auf andere Weise an, indem er sie versucht. e)
Bitte um Bewahrung in und von der Versuchung
Da wir auf die Versuchung im Zusammenhang mit der 6. Vaterunserbitte später (S. 77 ff.) sehr ausführlich zurückkommen, können wir uns . hier kürzer fassen. Wir sprechen daher von der Versuchung nur, insofern sie Gegenstand des Betens in den synoptischen Berichten abgesehen vom Vaterunser ist. Um ganz zu verstehen, worin der Gegenstand dieses Gebets besteht, ist schon hier eine Vorbemerkung nötig. Wir müssen unterscheiden zwischen der Bewahrung in der Versuchung und der Bewahrung von der Versuchung. Außerdem unterscheiden wir zwischen der göttlichen Versuchung, deren Ziel die heilsame Prüfung, Erprobung und Stärkung der versuchten Menschen ist, und der teuflischen, deren Ziel im Gegenteil ihre Unterwerfung unter das Böse ist. Bei der Besprechung der Vaterunserbitte werden wir sehen,
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
daß in beiden, also auch in der zweiten, Gott die ,Allmacht über den besiegten, aber noch nicht vernichteten Teufel behält, und wie trotz der Gegensätzlichkeit der Ziele die beiden in den biblischen Prüfungsgeschichten miteinander verquickt sind: Gott bedient sich des noch existierenden BÖsen 33 zum Erproben, so im Alten Testament, etwa in der Rahmenerzählung des Buches Hiob (Kap. 1-2, 13; 42,7 ff.). seltener im Neuen. Gebete, die in den synoptischen Evangelien die Versuchung zum Gegenstand haben, sind das Gebet für Petrus in Luk. 22,32 und dasjenige, zu dem J esus die Jüngerin Gethsemane nach Mk. 14,38 par. ermahnt, »zu wachen und zu beten, daß sie nicht in die Versuchung kommen.« Nach Luk. 22,31 hat Satan die Jünger zur Zielscheibe »auserbeten«: »Simon, Simon, siehe, Satan hat euch auserbeten, um euch zu sieben wie den Weizen.« Das Verbum »auserbitten«34 zeigt, daß hier Gott ähnlich wie im Alten Testament, allerdings im Hintergrund, an der Versuchung nicht unbeteiligt ist, daß also eine göttliche Prüfung vorausgesetzt ist, obwohl dies nicht besonders gesagt ist. Dagegen ist der Gegenstand des Gebets Jesu hier klar. Es handelt sich um die Bitte, daß Petrus in der Versuchung (nicht von der Versuchung) bewahrt werde: »ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht nachlasse.« Weniger eindeutig ist der Gegenstand des Gebets, zu dem Jesus die Jünger in Gethsemane auffordert. Sollen sie dafür beten, daß die Versuchung überhaupt nicht an sie herankomme, oder daß sie in der (unvermeidlichen) Versuchung stark bleiben? Hier wäre zu erwägen, ob zur Beantwortung dieser Frage nicht doch schonjetzt die 6. Vaterunserbitte heranzuziehen wäre, falls, wie mehrere Kommentatoren annehmen, die Mahnung Jesu an die Jünger auf diese Bitte Bezug nimmt, was um so eher möglich (aber nicht unbedingt sicher) ist, als bei Matthäus (26,42) die 3. Vaterunserbitte in Jesu eigenem Gethsemanegebet - sogar wörtlich - auch erscheint: »Dein Wille geschehe.« (Siehe ~nten S. 64) Trotzdem werden wir die Frage hier nur im Rahmen der Gethsemaneerzählung behandeln und die Konfrontierung von Mk. 14,38 mit Mt. 6,13 auf das Kapitel über das Vaterunser aufsparen. Denn die Bezogenheit der Gebete ist nicht die gleiche in den beiden Texten: in Gethsemane auf eine ganz besondere konkrete Situation; im Vaterunser auf die alltägliche Notwendigkeit, die Versuchung zum Gegenstand des Gebets zu machen. Vor allem verlangt auch der verschiedene Wortlaut eine gesonderte Untersuchung. 33 Zur Erklärung derTatsache, daß es noch existiert, siehe unten S. 173 und 174 ff. den Abschnitt über die Güte Gottes. 34
E;nn/aaTO.
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Wenn wir die Fortsetzung der Leidensgeschichte in den Synoptikern in Betracht ziehen: die Flucht aller Jünger und die Verleugnung des Petrus, so liegt es am nächsten, als Gebetsgegenstand hier die Bewahrung in der zu befürchtenden Versuchung anzunehmen. Wohl bittet zwar Jesus selbst, was wir nachher hervorheben werden, für Abwendung des Geschehens, aber nachdem er die Worte »nicht wie ich will, sondern wie du willst« gesprochen hat, rechnet er wohl, indem er die Jünger zum Wachen mahnt, bereits mit der Unvermeidlichkeit seiner Festnahme. Trotzdem schließe ich die Möglichkeit nicht aus, daß' das von Jesus den J~ngern aufgetragene Gebet auch die Bitte enthält, sie möchten überhaupt nicht in die Situation der Versuchung (zu fliehen und zu verleugnen) gelangen. Dazu berechtigt das soeben erwähnte von Jesus selbst gesprochene Gebet. Die Bitte, der Kelch möge an ihm vorübergehen, bezieht sich zwar nicht auf Versuchung, sondern auf das Leiden, aber damit doch auf das Geschehen, das die Jünger zur Versuchung führt. Wenn Jesus selbst um Entfernung dieses Geschehens gebetet hat, dürfte wohl auch in dem Jüngergebet, zu dem er mahnt, der Wunsch wenigstens anklingen, daß sie gar nicht in die Lage versetzt werden, zu fliehen oder zu verleugnen. Jesus kennt die Schwachheit der Jünger. Im Lichte dieses Wissens ist die Aufforderung zum Beten, daß die Versuchung gar nicht an sie herankomme, doch auch sinnvoll. Wie berechtigt die Berücksichtigung ihrer Schwachheit ist, zeigt ihr Verhalten nach der Festnahme: »da verließen sie ihn alle und flohen« (Mk. 14,50, siehe auch Joh. 16,32). Wir kommen zum Schluß: Vordergründig ist die Bewahrung in der unvermeidlichen Versuchung Gegenstand des von den Jüngern in Gethsemane geforderten Gebets, ohne daß jedoch im Lichte der ganzen Erzählung und besonders des eigenen Gebets Jesu die Bewahrung von der Versuchung auszuschließen wäre.
4. Der Gegenstand des Gebets: Dank- und Lobgebet Wir haben bisher nur Bittgebete besprochen. Wie mit Recht gesagt worden ist, stehen sie in den synoptischen Evangelien im Vordergrund, während Lob- und Dankgebete selten vorkommen. In den Paulusbriefen (auch im Johannesevangelium) überwiegen im Gegenteil die Lobund Dankgebete. Wir haben aber bereits gesehen, daß daraus nicht
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geschlossen werden darf (siehe oben S. 20f.), für Jesus seien Dank- und Lobgebet unwichtig gewesen. Wenn diese seltener erwähnt werden, so deshalb, weil Jesus wohl gemeinsame jüdische Gebetsgepflogenheiten mitbefolgte, Lobgebete haben ja oft, aber nicht ausschließlich, mit feststehendem Wortlaut liturgischen Charakter. Hierher gehören die Dankgebete Jesu vor dem Essen (Abendmahl: Mk. 14,22f., Emmaus: Luk. 24,30; Speisung: Mk. 6,41; 8,7 par.). Die Doxologie des Vaterunsers wurde wohl, obwohl sie in den alten Handschriften fehlt, immer, wie zu allen jüdischen Gebeten, hinzugefügt (siehe unten S. 89f.). Lobgebete werden daher besonders gemeinsam gesprochen. Von Jesus höreIl wir in Mk. 14,26, Mt. 26,30, daß er auf seinem letzten Gang zum Ölberg mit den Jüngern Psalmen gesungen hat. Die Psalmen sind ja weitgehend Lobgebete. Von Jesus ist in Mt. 11,25 und Luk. 10,21 ein Lob-und Dankgebet erhalten: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor den Weisen und Vernünftigen verborgen und es den Unmündigen geoffenbart hast ... · Ja, Vater, denn so war es das Wohlgefallen vor dir.« Es geht wohl exegetisch kaum an, dieses Logion wegen seiner Nähe zu denjohanneischen Aussprüchen Jesu als unecht zu erklären. Lukas hat es in den Zusammenhang der Erwäh~ung der Rückkehr der siebzig Jünger und ihres Berichts über die Unterwerfung ~er Dämonen (Luk. 10,17 ff.) sowie des Ausspruches J esu :über den »Fall Satans vom Himmel wie ein Blitz,' (v. 18) gestellt. Wir werden sehen, daß sich bei Paulus die Dank- und Lobgebete ebenfalls auf das Heilsgeschehen beziehen. Daß Jesus das Dankgebet keineswegs niedriger einschätzt, beweist auch die Erzählung von den zehn Aussätzigen Luk. 17,12ff., von denen nur der eine, und zwar ausgerechnet ein Samaritaner, Gott für seine Heilung preist und dankt.
5. Gebetserhörung nach den synoptischen Evangelien Wir kommen hier zu dem wohl schwierigsten Gebetsproblem. Wir behandeln es unter seinen verschiedenen Aspekten: Jesu Verheißungen der Erhörung; Notwendigkeit des Glaubens; Notwendigkeit der Unterwerfung unter Gottes Willen (das nicht erhörte Gethsemanegebet: »wenn es möglich ist,,); Gottes Unveränderlichkeit und Freiheit; Notwendigkeit des Glaubens an Gottes Güte.
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a) Jesu Verheißungen der Erhörung In vielen Aussprüchen sichert J esus in den drei ersten Evangelien mit einer unbegrenzten und in ihrer Absolutheit geradezu kühnen Gewißheit Erhörung zu: »Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan« (Mt. 7,7 Luk. 11,9), und der nächste Vers fügt noch unbedingter hinzu: »Jeder, der bittet, empfängt.« (Mt. 7,8; Luk. 11,10) Das Versprechen wird erhärtet durch die darauf folgenden Beispiele des um Brot oder Fisch bittenden Sohnes, dem der Vater stattdessen nicht einen Stein oder eine Schlange geben wird (Mt. 7,9ff., Luk. 11,l1ff.); dann durch das bei Lukas davor stehende (v. 5) Gleichnis vom bittenden Freund, der um seiner »Unverschämtheit« willen Erfüllung seines Wunsches erlangt, und durch dasjenige der bittenden Witwe, der vom »upgerechten« Richter das ihr zustehende Recht gewährt wird, damit er nicht weiter von ihr belästigt werde (Luk. 18, Hf.) »Wie sollte Gott nicht seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, zu ihrem Recht helfen?« (v. 7) Die zuletzt erwähnten Gleichnisse sollen nicht etwa eine Beeinflussung Gottes durch die »Unverschämtheit« erweisen, was dem Jesuswort über das göttliche Vorherwissen (Mt. 6,8) widersprechen würde, sondern sie sollen den Betenden die Gewißheit der Erhörung drastisch einprägen und sie zur Beharrlichkeit ermuntern: »Er sagte ihnen das Gleichnis, um zu zeigen, daß sie immerfort beten und nicht müde werden sollen« (Luk. 18,1). Das heißt aber, daß' die Erhörung eine gewisse Haltung der Betenden erfordert.
b) Die Notwendigkeit des Glaubens Jesus weiß, daß es Gebete der Jünger gibt, die nicht erhört werden. Dieses Wü;;sen veranlaßt ihn, seine Verheißungen nicht in ihrer Bedingungslosigkeit stehen zu lassen, sondern an die Notwendigkeit des Glaubens zu binden. Von einer anderen Notwendigkeit werden wir nachher sprechen. In den Weisungen an die Jünger faßt er nur diese eirie Forderung eines unerschütterlichen Glaubens ins Auge, und wir werden später sehen, daß uns dies vor eine Frage stellt. Immer wieder betont er diese Notwendigkeit des Glaubens. In Mk. 11,22 (Mt. 21,21) sagt er nach der Verfluchung des Feigenbaums: »Habt Glauben an Gott. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: wer zu diesem Berge sagt: hebe dich weg, wirf dich ins Meer, und nicht in seinem
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Herzen zweifelt, sondern glaubt, daß, was er spricht, geschieht, dem wird es zuteil werden ... Alles, worum ihr betet und bittet, glaubt, daß )hr es empfangen habt, es wird euch zuteil werden.« Wir haben schon gesehen (oben S. 28), daß die Vergangenheitsform »daß ihr empfangen habt« impliziert, daß im Beten selbst, insofern es Vereinigung mit Gott ist, Erhörung gegeben ist. In der Erzählung Mk. 9,14ff. vom epileptischen (nach Mt. 17,15 mondsüchtigen) Knaben bittet der Vater: »Wenn du es kannst, hilf uns.« »Wenn du es kannst?«, erwidert Jesus, »alles ist möglich dem, der glaubt« (v. 23). Da Jesus gehört hatte (v. 18), daß den Jüngern die Heilung durch Austreibung des stummen »Geistes«, die nach v. 29 nur durch Beten möglich ist, nicht gelungen ist, klagt er über das »ungläubige« Geschlecht, das er so lange »ertragen muß«. Das Beten ist also nur wirkungskräftig, wenn es in unerschütterlichem Glauben verrichtet wird. So antwortet Jesus an der parallelen Stelle in Mt. 17,20 auf die Frage der Jünger, warum sie den Dämon nicht austreiben konnten: »wegen eures Kleinglaubens.« Offenbar sieht er aber in ihrem »kleinen Glauben« fast überhaupt keinen Glauben. Denn er fährt fort: »Wenn ihr [wenigstens, auch nur] Glauben wie ein Senfkorn habt, werdet ihr zu diesem Berge sprechen: »Hebe dich weg ... , und nichts wird euch unmöglich sein.« Das in der Tradition offenbar (wie das Wort vom BergeVersetzen) fest bezeugte Bild vom Senfkorn bringt auch Lukas, aber in einer Variante (Luk. 17,6), als Antwort auf die Bitte der Jünger: »Vermehre uns den Glauben.« (Das Versetzen des Berges wird hier zur Verpflanzung des Maulbeerbaums ins Meer.) c) Die Notwendigkeit der Unterwerfung unter Gottes Willen (Jesu
Gethsemanegebet) Die zitierten Jesusworte nennen nur den Glauben als fundamentale Bedingung der Erhörung. Die Bitten beziehen sich dort auf Vollbringung einer Tat. Wenn wir sie aber im Zusammenhang mit dem Gesamtzeugnis der synoptischen Evangelien über das Beten bringen, so bleibt zwar der Glaube immer die durchaus notwendige, aber nicht ausreichende Forderung an die Haltung der Betenden. . Denn auch in vollem Glauben an Gott gerichtete Gebete sind nicht erhört worden: die Bitte Jesu in Gethsemane (Mk. 14,35 par.), daß der Kelch (Mk. 14,35: >,diese Stunde«) an ihm vorübergehe, ist nicht erhört worden. Die dort von Jesus gesprochenen Gebetsworte: »nicht wie ich
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will, sondern wie du willst«, zeigen eine andere Notwendigkeit auf: die bedingungslose Bereitschaft zur Unterwerfung unter Gottes Willen. Sie muß zum Glauben hinzukommen. Wohl bleibt es dabei, daß der in der Bitte ausgesprochene Wunsch nicht erfüllt wird. Aber durch seine Verbindung mit demSichfügen unter Gottes Willen wird dieNichterhörung so entschärft, daß sie vom Licht dieses auf unser Heil zielenden Willens überstrahlt und auf dieser neuen Ebene zur Erhörung wird; Der anstößige Widerspruch zwischen Jesu kategorischer Verheißung der Erhörung für das gläubige Beten einerseits und nicht erhörten, im Glauben verrichteten Bitten anderseits kann nur behoben werden, wenn wir die Lehre, die im Gethsemanegebet enthalten ist, mitheranziehen. Dieses Gebet dürfen und müssen wir berücksichtigen 35 ; denn es gehört zum Zeugnis der synoptischen Evangelien über das Beten . . Allerdings ergibt sich eine Schwierigkeit daraus, daß Jesus im Zusammenhang der oben genannten Worte über die Notwendigkeit des Glaubens die Unterwerfung unter den göttlichen Willen nicht nur nicht erwähnt, sondern es fast auszuschließen scheint, daß der Glaubende mit der Möglichkeit zu rechnen hat, Gottes Wille könnte dem Wunsche der Glaubenden entgegengesetzt sein: die Jünger sollen nicht »zweifeIn« (Mk. 11,23). Dies hängt jedoch damit zusammen, daß Jesu absolute Forderungen an die Jünger, zu glauben, sich, wie bereits erwähnt, auf Vollbringung einer Tat beziehen, während es sich in Gethsemane (und in der Folge in allen den Willen Gottes einschließenden Gebeten) eher um Errettung aus einer als Unglück betrachteten Lage handelt. Immerhin sind jedoch die Grenzen fließend, und wir müssen zur Feststellung der Lehre der synoptischen Evangelien über das Beten d~e Mahnungen J esu an die Jünger, zu beten, mit seiner eigenen Bereitschaft, sich unter Gottes Willen zu beugen, zusammennehmen. Eine Erklärung derTatsache, daß wir erst im Zusammenhang mit Leiden und Tod von der Unterwerfung unter Gottes Willen im Gebet hören, könnten wir im Hebräerbrief finden, wo der Verfasser in Kap. 5,8 schreibt, daß Jesus den Gehorsam aus seinem Leiden erlernt hat. Aber die Vereinigung Jesu mit Gottes WilleI.1 mag doch wohl alle Gebete Jesu geprägt haben. Auch das Wort »niemand kennt den Sohn als der Vater und niemand den Vater als der Sohn« (Mt. 11,27 f.; Luk. 10,22) weist auf das Einssein Jesu mit des Vaters Willen.
Jesu Vereinigung mit dem Willen Gottes im Gebet ist ein Vorbild für alles Beten deshalb, weil sie in dem Dialogcharakter verankert ist, den 35
Über seine .,Echtheit« siehe oben S. 34.
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wir als seinen' hauptsächlichen Wesenszug erkannt haben. In jedem Gebet ist die Begegnung des Geschöpfs mit dem Schöpfer, abgesehen von der Erfüllung der Wünsche, allein schon Erreichung des grundlegendes Ziels, und alle Bitten müssen im Rahmen dieser Begegnung ihren Platz finden. Wo diese fehlt und nicht gesucht wird, kommt das Bitten in den Verdacht der magischen Formel. Jesus bleibt sogar noch in der tiefsten Verlassenheit am Kreuz mit dem Vater verbunden, wenn er mit den Anfangsworten des Psalms 22 (v. 2) ausruft: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Mk. 15,34 par.); denn er richtet ja die Frage an Gott, wie der Psalmist, der sie in der Fortsetzung des Psalms zu beantworten sucht (siehe unten S. 160). Die Sünde der Menschen ist zwar kein Hindernis für die Vereinigung mit Gottes Willen. Aber freilich verbindet Jesus ihre Vergebung mit dem Gebet in Mk. 11,25: .. Wenn ihr dasteht zum Beten, vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit euer himmlischer Vater euch,die Übertretung vergebe.« Wer betet, muß sich in den Bereich der Vergebung hineinstellen, die tiefster Ausdruckseines Willen ist. Daher auch das Grundgebet des Zöllners: •• Gott sei mir Sünder gnädig.« (Luk. 18,13) und die Zugehörigkeit der Bitte um Vergebung zu dem größte Kürze anstrebenden Vaterunser 36 •
Die Unterwerfung unter den göttlichen Willen kommt im Gethsemanegebet in den bei den Zusätzen zur Bitte zum Ausdruck: »wenn es möglich ist« (Mk. 14,35; Luk. 22,42: »wenn es dein Wille ist«) und »nicht was 37 ich' will, sondern was du willst« (Mk. 14,36, eingeleitet mit •• aber«38; in Mt. 26,39 und Luk. 22,42 mit dem den Gegensatz zwischen Wunsch und Unterwerfung noch stärker betonenden »jedoch«39.) Die Zufügung dieser Worte setzt eine bereits bestehende ganz innige Willenseinheit Jesu mit Gott voraus 40 . Wir müssen diese in ihrer Einzigartigkeit berücksichtigen bei unserm Versuch, aus dem Verhalten Jesu eine Forderung an alle Betenden abzuleiten. Die Kraft zur Bereitsch~ft, mit jeder Bitte das Versprechen zu verbinden, ihre Ablehnung anzunehmen und sogar darum zu
36 Über die Beziehung zwischen unserem Vergeben und dem Vergeben Gottes siehe unten S. 73 ff. das zur 5. Vaterunserbitte Gesagte. . 37 Mk. 14,36: was (n'), Mt. 26,39: wie (cU,). 38 &))"a, 39 rr).1jl'. 40 Besonders ist diese betont im Johannesevangelium: "Meine Speise ist es, den Willen dessen, der mich gesandt hat, auszuführen und zu vollenden.« (Kap. 4,34).
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beten, daß »Gottes Wille geschehe«41, ist ebenso groß und ebenso schwer zu erlangen wie diejenige, die Jesus vom Glauben der Jünger (auch wenn er nur wie ein Senfkorn ist), verlangt. Es ist unendlich schwer, zu einem flehentlichen Gebetswunsch für Errettung aus einer schrecklichen Notlage hinzuzufügen: »Aber nicht, was ich will.« Diese Kraft kann nur erstrebt werden, indem im Gebet das Zwiegespräch, die Begegnung mit Gott, gesucht und gefunden wird. Sie muß dem Betenden im Beten selbst zuteil werden. Dann ist Nichterfüllung des Wunsches nicht mehr Nichterhörung des Gebets. Die Kraft, sich mit Gottes Willen zu verbinden, ist Erhörung. Aber genügt es dann nicht, nur um diese Kraft der Vereinigung mit Gott zu bitten, ohne den konkreten Wunsch vor ihn zu bringen? In der Tat haben viele Gebete nur dieses Hauptziel zum Gegenstand. Ist jedoch damit das Bitten um Erfüllung bestimmter Wünsche ausgeschlossen? Wir haben gesehen (siehe oben S. 19f.), daß die Frage nach der Berechtigung der Bittgebete von Schleiermacher teilweise, von Ritschl radikal, verneint worden ist. Das Gethsemanegebet beantwortet sie positiv,da Jesus die Bereitschaft, sich unter Gottes Willen zu beugen, ob er seinem Wunsche entspreche oder nicht, in die Bitte »laß diesen Kelch an mir vorübergehen« einbezieht. Wir habenja festgestellt (siehe oben S. 29ff.), daß 'seine Gebetsanweisungen davon ausgehen, daß Gott das Gebet zwar nicht braucht, aber will. Das gilt gerade auch für das Bittgebet. Es gehört zu Gottes Liebeswillen, daß seine Geschöpfe auch mit ihren Wünschen, ob er sie gewähren kann oder nicht, an ihn gelangen, wie Eltern es wünschen, daß ihre Kinder sie vertrauensvoll um eine Gabe bitten, auch wenn sie nicht sicher sind, sie zu erhalten 42 . Die Worte »wenn es möglich ist«, setzen ja voraus, daß Gott den Wunsch nicht nur ablehnen, sondern auch erfüllen kann: »alles ist dir 41 Mt. 26,42a bringt bei der Wiederholung des Gebets genau den Wortlaut der 3. VaterUnser-Bitte. Über die Beziehung zwischen dem Gethsemanegebet und der 3. Bitte des Vateru'nsers siehe unten S. 64. Luk. 22,42 interpretiert: .. Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.« 42 E. DREWERMANN zitiert zu Mk. 11,22ff. auch das Beispiel des bittenden Kindes, in seinem unter Beiziehung der einschlägigen katholischen und protestantischen Literatur außerordentlich gut dokumentierten, allerdings allzu einseitig die Tiefenpsychologie als Hl,luptschlüssel zur Erklärung benützenden Kommentar. Das Markusevangelium, OltenFreiburg 1990 (3. Ausg.). Richtig ist in seinem Beispiel (2. Teil, S. 211 ff,) des das Christkind um einen roten Ball oder eine Puppe bittenden Kindes, daß der Wunsch, vorn Christkind oder von den Eltern geliebt zu werden, entscheidend mitspielt. Aber daß dies dem Kinde im Grunde wichtiger sei als der rote Ball, scheint mir nicht der Wirklichkeit zu entsprechen, und auf jeden Fall ist es nicht die Absicht Jesu, mit der Forderung unbedingten Vetrauens die Bitte um materielle Güter als solche in den Hintergrund zu drängen.
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möglich« (Mk. 14,36). Gerade in diesem Fall der Erfüllung braucht er die menschliche Bitte nicht, aber er will, daß die, die er aus Liebe geschaffen hat, sich mit seinem Liebeswillen vereinen, wenn er ihren Wunsch erfüllt. Nur in diesem Sinne können wir sagen, daß unsere Bitten eine Wirkung auf die Erhörung haben. Hier. taucht aber eine Frage auf, die die Gottesauffassung betrifft.
d) Gebetserhörung im Lichte des unveränderli~hen Planes Gottes und seiner Freiheit Wie überhaupt das Gebet Jesu, so hängt auch der Zusatz »wenn es möglich ist« zu seinem Gebet in Gethsemane mit seiner Gottesauffassung zusammen. Wie ist es mit Gottes unveränderlichem Plan vereinbar, daß er auf menschliche Wünsche eingehen kann? Die Worte »wenn es möglich ist« beziehen sich auf die Freiheit Gottes, die Bitte zu gewähren oder nicht zu gewähren, aber sie beziehen sich auch auf die Freiheit der Kinder Gottes, ihre Wünsche vor ihn zu bringen. In seiner aus seinem Liebeswillen hervorgehenden Selbstmitteilung hat Gott freie Menschen geschaffen, und er will, daß sie in Freiheit in seinen Liebeswillen eingehen. Aber ist damit nicht die mit dem Jesus wichtigen Vorherwissen (siehe oben S. 29) vorausgesetzte »Unveränderlichkeit« Gottes, um diesen eher philosophischen Terminus zu gebrauchen 43 , in Frage gestellt? Im Alten Testament ist zugespitzt von der »Reue« Gottes die Rede 44 • Daß »Gott alles möglich ist« (Mk. 14,36), heißt, daß er seinen auf sein Reich zielenden Plan mit seiner Freiheit, den Geschöpfen Bitten zu gewähren, verbinden kann. Das Problem, dem wir hier begegnen, ist dasjenige, das ich in Heil als Ge. schichte 45 behandelt habe: Kontinuität und Kontingenz. Die Kontingenz ist in die Kontinuität aufgenommen. Das Verhalten der Menschen, ihr Widerstand gegen. Gottes Plan, verändert diesen nicht, wohl aber führt Gott ihn unter Einbeziehung dieses Verhaltens weiter. Freilich handelt es sich dort um die menschliche Auflehnung durch die Sünde. Für die Einreihung der Bitten in den göttlichen Plan kommt das positive Verhalten der Bittenden in Betracht.
43 Allerdings nennt auch der Jakobu~brief (Kap. 1,17) Gott den »Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung und kein Schatten eines Wandels ist.« 44 Etwa Jer. 13,8; hier allerdings an die Buße gebunden. Siehe zur »Reue« ,die Arbeit von JüRGJEREMIAS, Die Reue Gottes, 1974. 45 1967, S. 104ff.
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Gott hat in seinem Heilsplan vorgesehen, daß seine in Freiheit gewährte Erhörung der Bitten in diesem ihren Platz findet, indem er seinen Plan ihretwegen nicht aufgibt, sondern sie ihm in seinem Fortschreiten eingliedert 46 • Die Antwort auf die hier gestellte Frage gehört zwar eher an den Rand unserer neutestamentlichen Untersuchung, ist aber doch mitbestimmend für die Lehre, die sich aus dem Gethsemanegebet ergibt und die letzten Endes dieses nicht erhörte Gebet auf eine Ebene erhebt, wo es ins Licht des göttlichen Heilsplans gerückt wird und so in den Bereich einer Erhörung höhererOrdnung gelangt. Voraussetzung ist aber, daß der in diesem Plan zum Ausdruck kommende Wille Gottes, dem sich der Betende unterwirft, auf das Gute, auf das Heil zielt. Diese Voraussetzung haben wir im folgenden letzten Abschnitt dieses Kapitels noch näher ins Auge zu fassen. e) Der Glaube an Gottes Güte
Die Kraft Jesu, im Zwiegespräch mit Gott in Gethsemane zu seinem Wunsch, »der Kelch möge an ihm vorübergehen«, die Worte »nicht was ich will, sondern was du willst« hinzuzufügen, ist nicht nur in seinem Einssein mit Gottes Willen verankert (siehe oben S. 44 und unten S. 56), sondern in seiner Gewißheit, daß das Ziel dieses Willens das Gute ist. Seine massiven Zusagen der Erhörung: »Bittet, so wird euch gegeben ... « sind vom Glauben an Gottes Güte getragen. Diesen will er den Jüngern einprägen mit dem Beispiel des Sohnes, der den Vater um Brot oder einen Fisch bittet (Mt. 7,9ff.; Luk. 11,11 ff.: Fisch oder Ei) und nicht eine Schlange erhält. Wenn die Menschen (»die doch böse sind«, Mt. 7,11 par.) Gutes geben, »um wieviel mehr wird euer himmlischer Vater Gutes geben denen, die ihn bitten.« Daß den Betenden auch dann das Gute zuteil wird, wenn sie etwas anderes als das im Plane Gottes beschlossene Gute wünschen, ist an dieser Stelle zwar nicht besonders gesagt, aber doch vorausgesetzt, und im Gethsemanegebet kommt es in dem Zusatz klar zum Ausdruck. Obwohl wir erst im letzten Teil dieses Buches versuchen werden, die Ant!"ort des Neuen Testaments auf die am Anfang aufgeführten Einwände zu geben, drängt sich bereits hier im Zusammenhang mit der aus den Evangelien sich ergebenden Notwendigkeit, beim Beten an Gottes 46 Dieses Problem, das ich hier nur andeutend mit meiner AufTassung der biblischen Heilsgeschichte zusammenbringe, hat H. SCHALLER op. cit., S. 139fT. umfassend und philosophisch im .Zusammenhang mit der Lösung des Thomas von Aquin behandelt.
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Güte zu glauben, die oft gestellte Frage auf: Wie kann man nach Auschwitz noch beten? Wie kann man auch da noch in Unterwerfung unter Gottes Willen die Nichterfüllung unserer Wünsche in das Gebet aufnehmen? Im Sinne der synoptischen Evangelien können wir eine Antwort in einer Gegenfrage finden: Wie können wir angesichts der Kreuzigung Jesu noch glauben, daß Gott das Gute will? Dabei ist nicht nur an den besonders schmerzvollen Kreuzestod zu denken, sondern auch an alle Marterqualen, die mit ihm zusammenhingen: Verhöhnung, Geißelung (Mk. 15,19ff.; Mt. 27,26ff.) Wie dem ganzen Neuen Testament47 ,so ist auch den synoptischen Evangelien die indir~kte Antwort zu entnehmen, daß Erlösung durch das Leiden erfolgt, daß Gott aus dem das Leiden verursachenden Bösen das Gute hervorgehen läßt. Dies gilt ja abgesehen vom Leiden auch von der Versuchung durch das Böse als Gottes Erprobung zum Guten (siehe obenS. 37f. und unten S.175). Gott bedient sich des existierenden Bösen zum Guten. Die hier sich jedoch aufdrängende, nicht zu umgehende Frage, ob es auch mit Gottes Allmacht vereinbar ist, daß das Böse in seiner ganzen Schrecklichkeit existiert, stellt sich im Neuen Testament nicht, da die göttliche Allmacht überall als mit dem Gottesglauben untrennbar verbundene göttliche Eigenschaft vorausgesetzt ist. Trotzdem werden wir im letzten Teil dieses Buches (S. 174ff.) versuchen, im Neuen Testament eine indirekte Antwort auch auf diese nicht von ihm aufgeworfene Frage zu finden, und zwar in der zeitlichen Spannung zwischen »schon« und »noch nicht«, zwischen dem schon besiegten und dem noch nicht vernichteten Bösen. Dieser Hinweis ist in diesem Zusammenhang unvermeidlich 48 • Die Spannung durchzieht das ganze Neue Testament, aber ich erwähne sie nur kurz schon in diesem Kapitel über die synoptischen Evangelien, denn wir werden sehen, daß sie auch hier in Jesusl.ogien vorhanden ist (schon: Mt. 11,2ff. Luk. 7,18ff.; Luk. 10,18; Mt. 12,28, Luk. 11,20; noch nicht: Mk.13 par.,Mk. 14,62 und pass.)
Auch dem Alten (Jes. 53 der leidende Gottesknecht). Kritiker werden mir vielleicht ihre wiederholte Betonung vorwerfen. Sie ist für mich wirklich der Schlüssel zum Verständnis der Grundprobleme der neutestamentlichen Theologie. 47
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6. Das Vaterunser 49
a) Vorbemerkungen Wir haben bereits in dem ganzen Kapitel über das Gebet in den synopti~chen Evangelien das Vaterunser im Zusammenhang mit den vielen Aussagen J esu über das Gebet mitberücksichtigt. Aber es ist doch wichtig, es als ganzes zu behandeln. a) Zur Sonderstellung innerhalb der Synoptiker Innerhalb der "1.Tadition der drei ersten Evangelien kommt dem Vaterunser eine einzigartige Bedeutung zu: Denn da Jesus zum Beten die Einsamkeit aufgesucht hat, ist es begreiflich, daß die drei Evangelisten außer dem Gethsemanegebet, dem Dankgebet (Mt. 11,25 ff. , Luk. 10,21ff.) und dem allerdings nur im Zitat des Anfangs von Psalm 22 bestehenden Kreuzesruf (Mk. 15,34; l\ft. 27,46) und drei umstrittenen nur bei Lukas vorhandenen Gebeten am Kreuz 50 (im Unterschied zum Johannesevangelium) keine anderen Gebetstexte Jesu überliefert haben 51. Das Vaterunser bietet eine Anwendung seiner Gebetsweisungen, und wir werden es besonders unter diesem Gesichtswinkel untersuchen. Matthäus hat es denn auch (gemäß seiner systematischen Anordnung des überlieferten Stoffes) in diesen Rahmen gestellt (Kap. 6,9), während Lukas (Kap. 11,1) den zeitlichen Anlaß der Bitte eines der 49 Ich hoffe, daß mir nicht vorgeworfen wird, daß ich die mir aus der elsässischen lutherischen Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin, vertraute Bezeichnung ..Vaterunser .. und nicht das im Deutschen grammatisch korrektere .. Unser Vater.. gebrauche. Die Entscheidung für die eine oder die andere ist im Grunde unwichtig, und es sollte ihr nicht die oft festzustellende Bedeutung beigemessen werden. Einerseits erinnere ich mich, daß mir ein ehemaliger Mitstudent einmal erzählt hat, daß er als junger Kandidat in einer elsässischen Dorfgemeinde in einem Probegottesdienst das Herrengebet mit .. Unser Vater .. einleitete und der der Gemeinde vorstehende Landwirt sich am Ende an ihn wandte: ..Zu Inrer Predigt, Herr Pfarrer, will ich micht nicht äußern, aber eines muß ich Ihnen sagen: .. Unser Vater«, das gibt es bei uns nicht. Wir können unterscheiden, wer ein gläubiger Christ ist.« Anderseits sollte man sich aber über das oft auch als .. katholisch« empfundene Wort ..Vaterunser" aus grammatikalischem Purismus nicht ärgern. Gewiß ist ..Vater Unser .. die allzu wörtliche Übersetzung des lateinischen .. Pater naster ... Aber schimmert übrigens nicht doch auch in aem nachgestellten Wort "unser.. der griechische Genitiv hindurch, in dem oft mit Recht ein Hinweis darauf gesehen wird, daß Gott der Vater aller Menschen ist? (Siehe z.B. LoCHMAN, op. cit.. S. 26f., der aber .. unserVater .. sagt.) 50 Luk. 23,34; 43,46. Dagegen fehlt bei ihm der auf Psalm 22 verweisende Kreuzesruf. 51 Trotz der geringeren Verwendung des Redestoffs im Markusevangelium ist es erstaunlich, daß das Vaterunser in diesem Evangelium fehlt.
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Jünger mitteilt, er möchte sie beten lehren, wie der Täufer dies für die seinen getan habe 52 , allerdings dann im gleichen Kapitelll ebenfalls andere Gebetsgleichnisse und Aussprüche (v. 5ff., v. 9f., v. llff.) mit dem Vaterunser verbindet. In diesem Gebet vernehmen wir Jesus selber; seine »Echtheit« ist nie ernsthaft bestritten worden. Wenn das »Hören« für alles Beten wichtig ist 53, so gilt dies besonders für das Vaterunser. Wir sollten versuchen, hier sozusagen konkret Jesu Stimme zu hören. Anderseits soll dieses Gebet aus dem gleichen Grunde trotz aller beim Beten erforderlichen Zuversicht mit einer frommen Scheu gesprochen werden, was in den späteren kirchlichen Liturgien in dem in der Einleitung zu ihnen gebrauchten Wort »wagen« festgehalten ist, das besonders die Vateranrede anvisiert 54 • Es kann vom einzelnen Jünger gebetet werden, nicht als ob es alle selbständigen individuellen Gebete ausschließen oder ersetzen sollte, sondern als Vorbild und Ansporn für diese, und wenn kein eigenes formuliert werden kann, auch als Möglichkeit zum Selbstsprechen. Aber Jesus teilt es den Jüngern besonders mit, damit sie es in ihrer Gemeinschaft - vielleicht auch mit ihm 55 - nicht als Liturgie, wohl aber gemeinsam beten sollten 55a • Wenn für ihn das Gebetsziel die Vereinigung mit Gott ist und es Gottes Wille ist, daß zu ihm gebetet werde, so kann das Streben nach diesem Ziel dort, »wo zwei oder drei versammelt sind«, sozusagen verstärkt und erleichtert werden. Gemeinschaftsgebet ist es schon bald in der Urgemeinde, was sowohl die alte Gebetsammlung der Didache 56 als auch Anklänge in den Paulusbriefen und im 52 Leider besitzen wir dieses Gebet des Täufers nicht. Den mandäischen Texten kann es wegen der Schwierigkeit der Sichtung des in ihnen enthaltenen weitschichtigen Stoffes nicht entnommen werden. 53 Siehe oben S. 28, unten S. 150. Wenn wir in Röm. 8,15,26 und Ga!. 4,6 feststellen werden, daß im Gebet der Geist Gottes spricht, so könnte das in der Johannesapokalypse zu jedem der Sendschreiben hinzugefügte Schlußwort .. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist zu den Kirchen sagt« (Kap. 2-3), als Parallele zum Hören auf das Reden des Geistes im Gebet angesehen werden. 54 Siehe J. JEREMlAS, Neutestamentliche Theologie, op. cit., S. 191. 55 Dies ist allerdings unsicher, aber es wäre nicht unvereinbar mit seinem Wunsch, in der Einsamkeit allein zu seinem Vater zu beten. Auch daß in den Evangelien Jesus in seinem eigenen Gebet ..mein« und nicht »unser" Vater sagt (siehe unten S. 57), ist kein sicherer Gegenbeweis. 550 R.AINER RIEsNER nimmt in seiner interessanten, die These B. GERHARDSSONS (Memory and Manuscript 19642 ) weiterführenden Arbeit Jesus als Lehrer (1981), S. 446, an, daß die in Luk. 11,1 an Jesus gerichtete Bitte der Jünger, sie ein Gebet zu lehren, das Auswendig· lernen eines Formulars für das Gemeinschaftsgebet im Auge hatte. 56 Freilich birgt die Aufforderung dieser Schrift, das Vaterunser im Anschluß an jüdi.
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Johannesevangelium 57 beweisen, und es ist mit Recht bis heute das Kirchengebet in allen christlichen Konfessionen geblieben 58 •
ß) Zur Bibliographie Seit dem Altertum ist es Gegenstand vieler theologischer Untersuchungen bis in die Gegenwart, und oft ist es geradezu als »Kompendium« der christlichen Lehre betrachtet worden 59 , was es freilich nach Jesu Absicht, die Jünger ein Gebet zu lehren, nicht ist. Ich gebe hier keine Übersicht über die außerordentlich umfangreiche Literatur 6o . Ich nenne nur wichtige neuere, z. T. schon oben S. 4 genannte und von mir öfter zitierte Arbeiten: die schon ältere von E. Lohmeyer, Das Vaterunser 1962 (5. Aufl.); Joachim Jeremias, Das Vater-Unser im Lichte der neuern Forschung, Stuttgart 1962 (auch in Abba. Studien zur Neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, 1966, S. 152ff.); NeutestamentlicheTheologie. 1. Teil. Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 1971, S. 188ff.; J. Carmignac, Recherehes sur le Notre Pere, Paris 1969; J. M. Lochman, Unser Vater, 1988. Für die Matthäusfassung: den Matthäuskommentar von U. Luz, Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament, 1. Teilband, 1988 (2. Aufl.)
schen Gebetsbrauch drei Mal täglich zu beten, die Gefahr einer »Mechanisierung« in sich, wie sie Jesus fern lag (Mt. 6,7). 57 Z.B. 2.Tim. 4,18; Joh.17,15. 58 Wenn wir hier, über den exegetischen Rahmen hinausgehend, auf die heutige Praxis Bezug nehmen, so ist es als sachgemäß anzusehen, daß das Herrengebet ein Hauptstück im christlichen Gottesdienst ist. Auch das gemeinsame Sprechen des Vaterunsers ist sinnvoll, um die Gemeinsamkeit im Beten besonders kräftig zum Ausdruck zu bringen. Immerhin möchte ich hier auf eine Gefahr aufmerksam machen, die diese heute fast allgemeine Sitte mit sich bringt: die Gefahr der Ablenkung vom Inhalt, die im Sinne Jesu vom Beten ferngehalten werden soll, damit es seinen Sinn als Zwiegespräch mit Gott auch im Gottesdienst behält. Die Konzentration kann nämlich. erschwert werden, wenn, wie man oft beobachten kann, alle sich bemühen, Diskordanzen zu vermeiden, denen gemeinsames Sprechen leicht ausgesetzt ist. Die Konzentration auf den Inhalt des Gebets wird durch dieses Bemühen bedroht. 59 So CVPRIAN (De domenica oratione) »coelestis doctrinae compendium«. 60 Sie ist bis 1969 in dem ausführlich dokumentierten Werk J. CARMIGNACS im Register, op. cit., S. 469ff. und innerhalb der Kapitel enthalten; ferner bis 1984 sehr vollständig in dem Matthäuskommentar von U. Luz, EKK, 19882 , S. 332 f.
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Die neutestamentlichen Aussagen,über das Gebet y) Zur Beziehung zwischen den beiden Fassungen (Matthäus und Lukas)
Das Vaterunser ist uns im Neuen Testament in zwei voneinander verschiedenen Varianten: in Mt. 6,9ff. und in Luk. 1l,2ff., überliefert. Außerdem ist es in der oben genannten alten Liturgieensammlung der Didache (Kap. 8,2 ff.) enthalten, die allerdings, abgesehen von unwichtigen Einzelheiten und der Zufügung einer Doxologie, den Matthäustext wiedergibt, sodaß wir sie nicht besonders berücksichtigen müssen. Zwischen den beiden Evangelientexten, dem' längern, in unsern Gottesdiensten verwendeten, des Matthäus (6, bzw. 7 Bitten) und dem kürzeren des Lukas (5 Bitten)61 kann die Entscheidung nicht pauschal getroffen werden. Viehriehr werden wir für jede Bitte die Frage aufz!lwerfen haben, welche Form die ältere ist und das von J esus gesprochene Gebet am treuesten erhalten hat 62 • Da wir Anlaß habel} werden, bald Matthäus, bald Lukas den Vorzug zu geben, müssen beide Texte im ganzen als alt angesehen werden. Die Erklärung des Origenes (op. cit. XVIII, 3), Jesus habe das Vaterunser zwei Mal bei je verschiedener Gelegenheit, das eine Mal in der vollständigen Fassung, das andere Mal in der verkürzten Form mitgeteilt, ist, ohne unmöglich zu sein, doch wohl allzu einfach. Für die Verschiedenheit sind wahrscheinlich auch die bei den Evangelisten nicht verantwortlich, sondern sie mag durch zwei alte Traditionen, bzw. Gemeindebräuche, von denen der eine diese, der andere jene benutzte, erklärt werden 63 • Zu beachten ist auch, daß im zeitgenössischen Judentum Gebete - sicher die nicht offiziellen'- nicht fest fixiert waren, sondern frei, mit Zusätzen und Weglassungen gesprochen wurden. 61 Bei Matthäus wird die Bitte, »sondern erlöse uns von dem Bösen« von den Auslegern entweder als 7. Bitte gezählt oder als Nachsatz zur 6. angesehen. Bei Lukas fehlt sie ganz, ebenso die 3. des Matthäustextes (»Dein Wille geschehe ... «). 62 Zum Versuch einer Rekonstruktion eines Q-Textes siehe J. M. ROBINSON, A Critical Text ofthe Sayings Gospel Q (in der mir zum 90. Geburtstag gewidmeten Nr.1 der RHPhR 1992, S. 15fT.), siehe S. 21f. 63 Nach E. LoHMEYER op. cit. S. 208fT. stammt die eine, von Matthäus benützte, aus Galiliäa, die andere, von Lukas benützte, aus Jerusalem. J. JEREMlAS, Neutestamentliche Theologie, S. l89f. (auch schon früher) vertritt die Meinung, daß hinsichtlich der Länge der kürzere Lukastext, hinsichtlich des gemeinsamen Wortlauts der Matthäustext als ursprünglicher zu gelten habe. Unter den neuen Forschern ist es besonders J. CARMIGNAC op. cit. 25f., der konsequent die Lukasfassung als eine Abkürzung des Matthäustextes ansieht und dementsprechend den letzteren durchweg für älter hält. Im Gegensatz zu ihm gibtP. GREWf, L'arriere-plan arameen du Pater, Revue Biblique 1984, S. 531 fT. (auch schon in seiner etwas früheren Arbeit »La quatrieme dem ande du Pater«, NTS 1978/1979, S. 299 fT.) ebenso konsequent dem Lukastext den Vorzug.
Synoptische Evangelien
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ö) Zur Ursprache
Als ursprüngliche Sprache des Vaterunsers wird fast allgemein die aramäische angenommen 64 • In neuerer Zeit hat allerdings J. Carmi. gnac (op. cit., S. 30ff.) sich besonders bemül~t, unter Bezug auf die zahlreichen hebräischen Qumrantexte zu beweisen, daß der Urtext auf hebräisch verfaßt sei 65 . Er stützt sich auf die Tatsche, daß für die offiziellen jüdischen Gebete die hebräische Sprache verwendet werden mußte. P. Grelot, einer der Hauptbestreiter der These Carmignacs, betont jedoch 66, daß das Vaterunser unter die privaten Gebete einzureihen sei, für die diese Verpflichtung nicht galt 67 • Er selbst versucht eine Rückübersetzung aus dem Griechischen ins Aramäische, macht aber dazu die wichtige Bemerkung, daß alle Rückübersetzungen hypothetisch sind 68 • Dies ist auch hinsichtlich der zahlreichen andern Rückübersetzungen zu beherzigen, da diese oft ohne weiteres als Originale der von Jesus gesprochene Worte betrachtet werden. Dies gilt, wenn sie nicht in der Evangelien belegt sind, um so mehr, als es mehrere aramäische Dialekte gibt. Dies führt uns zur letzten Vorbemerkung: e) Zur Beziehung zwischen dem Vaterunser und jüdischen Gebeten Bei der Erklärung werden wir sehen, daß bei Matthäus die drei, bei Lukas die zwei ersten Bitten - die sogenannten Du-Bitten, die den ersten Teil bilden 69 - sich besonders eng an das aramäische sogenannte Qaddisgebet anlehnen, ja dieses, wenn auch in etwas anderer Form, reproduzieren. Das später so bezeichnete »18 Bitten-Gebet« kommt ebenfalls in Betracht. Auch zu den einzelnen Bitten lassen sich durchweg Parallelen heranziehen 70. Jesus hat das kostbare Gebetsgut aus 64 In älterer Zeit G. DALMAN, Die Worte Jesu, 1898, jetzt J. JEREMlAS in seinen oben zitierten Arbeiten (zuletzt in Neutestamentliche Theologie, op. cit., S. 190) und,besonders P. GRELOr, L'arriere-plan arameen du Pater, op. cit., S. 531 ff. 65 Auch J. STARCKY, La quatrieme demande du Pater, in HTR 1971, S. 401ff. 66 Revue Biblique, siehe oben S. 52, Anm. 63. 67 Die Grenzen zwischen der Verwendung aramäischer und hebräischer Sprache sind z. T. fließend. Zu dieser Diskussion siehe auch M. HENGEL, "Zur matthäisehen Bergpredigt und ihremjüdischen Hintergrund« (Theol. Rundschau 1987, S. 387 f.li aueh W. D. DAVlS, D. C. ALLISON, The Gospel according to St. Matthew, 1988, S. 592. 68 Op. eit. S. 554 und 556. 69 Für den 2. mit der Brotbitte beginnenden Teil ist das "Wir«, »uns« kennzeichnend. Siehe unten S. 57. 70 Aus älterer Zeit schon J. LIGHTFOOT, Horae hebraicae et talmudicae in quattu\?r evangelistas 1684, S. 299ff. und J. J. WETTSTEIN, Novum Testamentum Graecum, 1781,
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Die neutestamentlichen Aussagen aber das Gebet
dem Judentum übernommen, wie er die Psalmen, die ja auch Gebete sind, mit den Jüngern gesungen (Mk. 14,26; Mt. 26,30) und am Kreuz den Anfang des Psalms 22 gebetet hat (Mk. 15,34; Mt. 27,46). Aber abgesehen von einzelnen Besonderheiten, für die jüdische Belege schwer zu finden sind (zu Abba als Bezeichnung für Gott, siehe unten), besteht das Neue darin, daß das, was im Judentum auch vorkommt, ohne dort typisch zu sein, im Vaterunser eine besonders geprägte Tiefe dadurch erhält, daß es nicht nur in den Gebetsweisungen Jesu, sondern in seiner ganzenVerkündigung verankert ist. Dies gilt auch für die oft hervorgehobene Kürze des Herrengebets (Mt. 6,7), obwohl kurze Gebete im Judentum nachweisbar sind. Überhaupt ist nicht nur zu beachten, was im Vaterunser und im Judentum vorhanden ist, sondern was im Judentum zu den Hauptstücken gehört und im Vaterunser fehlt. 71
b) Die Anrede An Stelle der uns aus dem Matthäustext vertrauten Anrede: ,>Vater unser, der du bist im Himmel« (Kap. 6,9) steht im Lukasevangelium (11,2) nur das Wort »Vater« (1UlrE(J). Sehr viele Ausleger sehen hier wohl mit Recht den Lukastext als ursprünglich an. Für ihn spricht die Tatsache, daß Jesus in seinen eigenen Gebeten im griechischen Text nur ,>Vater« oder »mein Vater« sagt (Mk. 14,36 par. 72 , auch Mt. 11,25, Luk. 10,21 73 ), besonders aber das aramäische Grundwort »abba«, das in dieser Form im Gethsemanegebet neben der griechischen Übersetzung 01Cai'r/(J steht und offenkundig Jesu besondere Gottesanrede war. Gerade als Gebetsanrede liefert uns dieses Wort, wie Joachim Jere-
s. 323. Unter vielen neueren siehe besonders J. JEREMIAS, Neutestamentliche Theologie, op. cit. 188ff. 71 U. Luz op. cit. S. 351 verweist auf das Zurücktreten der Erwähnung entscheidender Ereignisse der Geschichte Israels. Ich würde jedoch die Bitte um das Kommen des Reiches Gottes nicht dagegen ausspielen. Die Heilsgeschichte ist in dieser vielmehr vorausgesetzt. Im übrigen sind die Ausflihrungen von U. Luz, op. cit. S. 350f. zu der Frage nach der Beziehung zum jüdischen Beten sehr beachtenswert (abgesehen von der Verwendung des unschönen Wortes »jesuanisch«, für das ich allerdings auch keinen kUl"zen adäquaten Ausdruck finde). 72 In Mk. 14,36 steht als Übersetzung für »abba« 0 lwnj/l, also der als Vokativ gebrauchte Nominativ, in Mt. 26,39 mhE/l IIOU, in Luk. 22,42nCtTE/l. 73 Bei Matthäus und Lukas steht im gleichen Vers das erste MalnCtTE(!, das zweite Mal 0 nan//l als Vokativ, bei beiden das erste Mal ähnlich wie im Vaterunser (des MatthäusJ verbunden mit .,Herr des Himmels und der Erde.«
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mias gezeigt hat 74, den Schlüssel zu einem besondern Vaterverständnis Jesu 75. Schon ohne Berücksichtigung des aramäischen »abba« ersehen wir aus der synoptischen Überlieferung, etwa dem Gleichnis vom verlorenen Sohn (Luk. 15,l1ff., besonders v. 20), welch tiefe Bedeutung JesUs mit dem Wort »Vater« verbindet. Auch im Judentum wird Gott außerhalb des Gebets als »Vater« bezeichnet. Aber angeredet wird er als Vater selten, und in dieser Verwendung komme nach Jeremias das aramäische Wort »abba« nicht vor, sei also bei Jesus singulär76. Neuere Arbeiten haben aber aus der intertestamentären Literatur, besonders auch aus den Qumranfunden weitere Texte zu »abba« und zur Vateranrede Gottes herangezogen 77. Obwohl aus diesen hervorzugehen scheint, daß nicht überall dem neutestamentlichen Vateranruf das aramäische »abba«, sondern auch andere semitische Sub strata zu Grunde liegen können, so ist doch der Hauptthese von J. Jeremias insofern zuzustimmen, als das Wort »abba« als Gottesanrede für Jesus, wenn nicht singulär, so doch besonders typisch ist. J. Jeremias hat nachgewiesen 78, daß erwachsene Söhne und Töchter zu ihrem Vater »abba«sagten 79 und daß das Wort auch als Anrede an ältere Respektspersonen gebraucht wurde 80 • Daß Jesus es in dieser Familarität auf Gott in seinen Gebeten 74 J. JEREMIAS, siehe besonders den Aufsatz ..Abba« im Sammelband "Abba. Studien«, op. cit. S.15-67,jetztTheologie op. cit. S. 69ff. 75 Die folgenden Ausfuhrungen über Abba können ein besonderes Licht aufKARLBARTHs dogmatische Aussagen in seinem aus dem Nachlaß herausgegebenen letzten Band K D. IV, 4. Das christliche Leben (mit der bei der 2. Bitte abgebrochenen Auslegung des Vaterunsers), werfen. Für ihn ist die Anrede Gottes besonders wichtig, weil man eigentlich nur im Vokatiu Gott nennen könne, nur zu ihm sprechen könne und alles Sprechen aber ihn im Nominativ aus diesem Vokativ abgeleitet werden müsse. In allen Äußerungen K BARTHs zum Gebet ist ja dieses als Antwort auf Gottes Offenbarung in Christus aufgefaßt. Daher sein Bemühen, daß das Dankgebet neben dem fur ihn unerläßlichen Bittgebet (siehe unten S. 169 A. 27) doch auch nicht zu kurz komme. 76 J. JEREMIAS, "Abba« op. cit. und jetzt Theologie op. cit. Dazu auch die gründliche Untersuchung von G. SCHELBERT, Sprachgeschichtliches zu Abba, in Melanges Barthelemy 1981, S. 395ff. 77 P. GRELOT, "Une mention inaper~ue de ,Abba. dans leTestament arameen de Levi« in Semitica 1983 S. 101 ff.; J. A. FITZMYER, Abba and Jesus' Relation to God in Etudes offertes au Pere Jacques Dupont 1985; J. BARR, Abba isn't Daddyin J. T. S. 1988 S. 28ff.; besonders E. M. SCHULLER, The Psalm of Q 372,1 within the Context of second Temple Prayer in The Catholic Biblical Quarterly 1992 S. 67ff. 78 J. JEREMIAS, Ib. 79 Früher hatte JEREMIAS die Meinung ausgesprochen, daß es ein Kosewort der Kleinkinder (wie etwa "Pa pi«) gewesen und als solches von Jesus übernommen worden sei. Aufgrund seiner späteren Auffindung weiterer, auch für Erwachsene geltenden Bezeugungen des Worts hat er diese Annahme aufgegeben (Theol., op. cit., S. 73). Siehe dazu die oben Anm. 77 zitierte Arbeit von J. BARR. BO J. JEREMIAS erklärt auf diese Weise das Jesuswort Mt. 23,9, .. Ihr sollt niemanden auf
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anwandte, muß aufgrund seiner persönlichen Gebetserfahrung einer Absicht entsprochen haben, und so muß es auch von seinen Jüngern empfunden worden sein. Daraus erklärt es sich, daß es auch später noch in seiner aramäischen Form sogar im hellenistischen Bereich als ,Gottesanrede im Gottesdienst benützt wurde, wie Paulus dies in Röm. 8,15 und Gal. 4,6 voraussetzt, mag es sich dabei um den Anfang des Vaterunsers oder um das Gebet überhaupt handeln. Es wurde wohl mit besonderer Ehrfurcht ausgesprochen, weil die Erinnerung lebendig geblieben war, daß Jesus Gott so angeredet und seine Jünger so beten gelehrt hatte. Diese intime Ausdrucksweise bestätigt, daß Jesus sich im Gespräch mit Gott in einer ganz besonders engen und ungewöhnlichen Vereinigung befand. Sie gab ihm die Kraft, sich seinem Willen im Gebet zu unterwerfen (siehe oben S. 43 ff.). Von diesem Sohnes bewußtsein aus ist es verständlich, daß das Gebet, das Jesus seine Jünger lehrt, mit'Abba anfängt. Die Tatsche, daß dieses bei Matthäus mit unser Vater (mhe(J 71Wiw) übersetzt ist 81 und daß es in Anlehnung an die jüdischen Gebete durch den Zusatz »im Himmel« erweitert ist (wie auch ähnlich in Mt. 11,25, Luk. 10,21 82 ), steht nicht in Widerspruch zu Jesu Gebetshaltung, auch wenn er wahrscheinlich nur Abba gesagt hat. Denn die im Gebrauch dieses Wortes zum Ausdruck kommende Familiarität geht für Jesus zusammen mit seiner Anbetung der Heiligkeit Gottes, mit der »Heiligung seines Namens«, die Gegenstand der gleich nachfolgenden ersten Bitte ist. Man kann sogar sagen, daß die Hinzufügung der Worte »im Himmel« gerade wegen der Anrede >,Abba« als notwendige Ergänzung im Sinne Jesu erfolgte. Dann ist mit dem Hinweis auf den »Himmel« weniger der Unterschied zum leiblichenVater, auch weniger die Befreiung von der Bindung an'Zion oder Garizim 83 betont, als vielmehr die Transzendenz Gottes 84 • Erden euern Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater, der himmlische«. Das Verbot b!ilziehe sich natürlich nicht auf den leiblichen Vater, sondern eben auf ältere Respektspersonen. Zu diesen sollten sie nicht dem Brauch gemäß .. Abba« sagen, da diese Anrede für Gott vorbehalten sei. 81 Nach J. JEREMlAS, Abba op. cit. S. 60 ff. mögliche Übersetzung. 82 Viele Belege, siehe z.B. STRACK-BILLERBECK, Kommentar zum N. T., Bd. I Matthäus, ad loc. 83 Diese Erklärung bei E. LoHMEYER op. cit. S. 39 und J. M. LoCHMAN op. cit. S. 26. 84 Gegen U. Luz op. cit. S. 341. Dem Nebeneinander von Abba und aimmel kommt das nahe, was ich oben S. 27 über alles Beten sagte: wir beten zugleich zu Gott, der in uns ist und der außer uns ist.
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Wenn Jesus auch die Jünger "Abba« beten lehrt, so heißt dies, daß er trotz seines so außergewöhnlich intensiven Sohnesbewußtseins auch sie zum intimen Zwiegespräch, zu der Vereinigung mit Gott führen will. Deshalb bin ich wie auch U. Luz(op. cit. S 340) nicht der von J. Jeremias (Abba, op. cit. S. 62 ff.) vertretenen Meinung, J esus habe seine freilich einzigartig enge Verbindung mit Gott von derjenigen der Jünger ausdrücklich abgegrenzt. Es stimmt zwar, daß er in den Evangelien »mein,( Gott und »euer Gott« sagt; aber daraus darf wohl kaum geschlossen werden, daß er nicht auch »unser Gott« sagen konnte. Auch die Worte, die auf den »Jubelrufce bei der Rückkehr der Jünger folgen: •• Niemand kennt den Vater als der Sohn ... ce (Mt. 11,27; vgl. Luk. 10,23) können nicht mit Jeremias (ib.) als Beweis dagegen angeführt werden, daß Jesus sich mit den Jüngern in der Vereinigung mit Gott als »unserem« Vater zusammenschließen konnte. Ich halte zwar mit J. Jeremias (auch mit Albert Schweitzer 85 ) diese Worte für echt, da ihre »johanneische cc Prägung nicht erlaubt, sie Jesus abzusprechen. Aber sie bestätigen nur sein besonders im Gebet festzustellendes, freilich einzigartiges Einssein mit Gott 86 , bezeugen jedoch nicht seine Absicht, sich in dieser Hinsicht von den Jüngeren zu distanzieren.
c) Die drei (bzw. zwei) ersten Bitten Das Vaterunser wird mit Recht in zwei Teile eingeteilt: Der erste Teil ist durch die 2. Pers. Singular: »Duc(, »Dein« gekennzeichnet, der zweite durch die 1. Pers. Plur.: »wir", »unser". Der erste Teil betrifft ein göttliches Geschehen, das zwar auch uns zu Gute kommt und an dem wir, wie wir sehen werden, teilhaben, das aber nicht direkt im menschlichen Bereich liegt. Der zweite Teil bezieht sich auf ein göttliches Geschehen, das direkt den Menschen zum Gegenstand hat. Aber beide Teile sind doch dadurch verbunden, daß es sich beide Mal um von Gott zu erbittende Heilstaten handelt. Die Bitten des ersten Teils schließen sich ganz eng an das jüdische, aramäische Qaddisgebet an. Der Wortlaut dieses am Ende des Synagogengottesdienstes gesprochenen Gebets hat verschiedene Stadien durchgemacht. Aber konstant ist, daß die Bitte um Heiligung des Namens und diejenige um das Kommen der Königsherrschaft eng verbunM. A. SCHMIDT, Thomas von Aquin ZU Matthäus 6,9-10 in Th. Z. 1992, NI'. 1 S. 44ff. (J. M. Lochman gewidmet) zeigt, daß Thomas ebenfalls die Worte "Vater« und "im Himmel .. als sich ergänzend einander gegenüberstellt; "Vater«: Gott will geben, was den Kindern nützt; "im Himmel«: er kann es geben. 85 ALBERTSCHWElTZER, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 19132 ), S. 310 . .86 In seiner Theologie op. cit. S. 73 verwahrt sich aber J. JEREMIAS dagegen, daß er mit seiner so starken Betonung des einzigartigen Sohnesbewußtseins bereits die ganze spätere Gottessohnchristologie "in allen Einzelheiten« Jesus selber zuschreiben wolle.
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den sind: »Verherrlicht und geheiligt werde sein großer Name in der Welt, die er nach seinem Willen geschaffen hat ... er lasse seine Königsherrschaft herrschen ... in Eile und in naher Zeit«87, eine Verbindung, die übrigens auch in anderen jüdischen Gebeten vorkommt 88 . Wie bei Lukas stehen hier nur diese. zwei Bitten nebeneinander, während bei Matthäus eine dritte, für das Geschehen des göttlichen Willens, auf sie folgt89. Jesus hat das ihm aus den Synagogengottesdiensten vertraute Gebet gekürzt übernommen, und man hat wohl mit Recht gesagt90, daß das eigentlich Neue im Vaterunsergebet erst die »Wir-bitten« sind. Dies bedeutet nicht etwa, daß er durch die Hinzufügung dieses zweiten Teils das Qaddisgebet habe kritisieren wollen, aber andererseits auch nicht, daß die Du-Bitten in seinem Munde genau den gleichen Sinn haben wie im Qaddis. Vielmehr gilt hier das oben S. 54 gesagte: die gleichen Bitten müssen, von Jesus gesprochen, im Zusammenhang mit seiner ganzen Verkündigung verstanden werden, und dabei ist gerade auch die Kürzung zu beachten: das, was Jesus nicht sagt (siehe Mt. 6,7 über das »Viele-Worte-Machen«). Beides, Verankerung des Vaterunsers im jüdischen Gebet und in der Verkündigu~g Jesu, werden wir im einzelnen feststellen. a) 1. Bitte. Dein Name werde geheiligt Der »Name« hat im Neuen Testament wie im Judentum im Unterschied zu unserem heutigen Gebrauch eine tiefe, gefüllte Bedeutung. Schon Origenes schreibt in seinem Traktat »Über das Gebet« (24,2), daß der Name die wesenhafte Eigenschaft seines Trägers bezeichnet. Es erübrigt sich, hier alle die unzähligen biblischen Texte aus dem Alten und Neuen Testament zu zitieren. Wenn es etwa in Jes. 43,1 heißt: »Ich rufe dich bei deinem Namen«, so ist hier die tiefe Bestimmung des 87 Siehe J. ELBOGEN, Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, 1962 (4. Aufl.), S. 92ff. 88 Siehe W. STÄRK, Altjüdische liturgische Gebete, 1910. 89 Der Wille ist im Qaddis allerdings im Zusammenhang mit der Heiligung des Namens erwähnt, jedoch nicht als Bitte, sondern als Aussage über die Weltschöpfung »mich seinem Willen«. . 90 So P. FIEBIG, Das Vaterunser, Ursprung, Sinn und Bedeutung des christlichen Hauptgebets, 1927,S. 109. R. RIi;;SNER op. cit. s. S. 446 schließt aus der Voranstellung dieses ersten, den jüdischen gottesdienstlichen Gebeten so nahekommenden Teils, daß das Vaterunser als Gemeinschaftsgebet gedacht war.
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Angerufenen gemeint: »Du bist mein.« (ib.) In Luk. 10,20 fordert Jesus die Jünger auf, »sich zu freuen, daß ihre Namen im Himmel aufgeschrieben sind« (vgl. Offb. 3,5). Im Johannesevangelium (10,3) ruft der gute Hirte seine Schafe bei ihrem Namen. So bezeichnet der Name Gottes sein innerstes Wesen: 2. Mose 3,l3f. »Welches ist sein Name?« ... Gott sprach zu Mose: »Ich bin, der ich bin.« Wenn dieser Name »geheiligt« werden soll, so heißt dies, daß Gott als der Heilige anerkannt werden soll. Denn Heiligkeit ist sein Wesen. Aber die Paradoxie der göttlichen Heiligkeit besteht darin t daß der heilige Gott, der der Verborgene, der Unerforschliche, ist, sich gerade in seiner Heiligkeit offenbart. Damit hängt es zusammen, daß »heiligen« und »verherrlichen«91 ganz verwandte Begriffe sind 92 . So heißt es in Joh. 12,28: ..Verherrliche deinen Namen.« Daß Gott seinen Namen heiligt, hören wir im Alten Testament und auch in außerbiblischen jüdischen Texten sehr oft. An mehreren Stellen wird Heiligung seines Namen im Zusammenhang mit seiner Entheiligung, seiner Lästerung genannt: Nach Ez. 36,20ff. hat das Haus Israel seinen Namen unter den Völkern entweiht, V. 22: »Ich werde meinen großen Namen wieder heiligen«; in 3.Mos. 22,32: »Ihr sollt meinen heiligen Namen nicht entweihen, damit ich heilig gehalten werde unter den Israeliten.« Viel diskutiert wird die Frage, ob die Heiligung des Namens Gottes nach der 1. Bitte von Gott selber oder von den Menschen vollzogen wird. Der Befund der alttestamentlichen und der außerbiblischen jüdischen Texte zeigt, daß bei des zusammengehört, wobei die Heiligung durch Gott selbst im Vordergrund steht: Gott bedient sich der Menschen. Die Bitte ist zugleich eschatologisch und ethisch. Daß die erste Bitte ihren Sinn deshalb erhält, weil die Menschen den Namen Gottes ständig entheiligen, hebt nachdrücklich und eindrücklich Karl Barth in seiner oben -S. 55 A. 75 erwähnten nachgelassenen Arbeit »Das christliche Leben« S. 218 hervor. Er stellt die Bitte um die Heiligung des Gottesnamens in den Rahmen des unheiligen, tief im Menschenwesen verwurzelten Egoismus, den er schon in der letzten Endes immer vorhandenen Indifferenz gegenüber den Mitmenschen und in ihrer Tarnung durch die Rede vom .. Nächsten« und 91 aYl(I~Et v und lio;a~Et v ..
Siehe dazu E. LoHMEYER op. cit. p. 47; J. CARMIGNAC op. cit. S. 85ff. erhärtet an Hand von vielen Beispielen aus dem Alten Testament und mit Berufung auf Qumrantexte (Regel 10, 3; Kriegsregel12, 2) die Sinngleichheit der beiden Wörter. P. GRELOr op. cit. S. 543 gibt sachliche Verwandtschaft zu, betont jedoch die philologische Verschiedenheit zwischen den beiden Wörtern. 92
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vom »Freund« am Werke sieht. Die Notwendigkeit, die oft so gedankenlos ausgesprochene Bitte, »Dein Name werde geheiligt«, ernst zu nehmen, wird auf diesem Hintergrund deutlich 93 .
Die Verbindung der Heiligung durch Gott und derjenigen durch die Menschen ist im Alten Testament durch die wiederholte Aussage 3.Mose 11,44; 19,2; 20,26 hergestellt: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.« In Abwandlung dieser altestamentlichen Stellen, aber wahrscheinlich in Anlehnung an sie, sagt Jesus in der Bergpredigt: »Ihr sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist« (Mt. 5,48). Im Hinblick auf die ethische Heiligung hat man auch die Möglichkeit erwogen, die Bitte am Anfang des Gebets als von uns an uns selbst gerichteten Imperativ aufzufassen: »laßt uns den Namen Gottes heiligen«94. Aber ich möchte dabei in diesen Imperativ auch das Sprechen der Bitte selbst einbeziehen. Im Sprechen erfolgt Heiligung. Hier ist auf das »Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen« (das »Trishagion«) hinzuweisen, das Jesaja (Kap. 6,3) im Tempel die den Thron Gottes umgebenden Seraphim rufen hört. In den jüdischen Gebeten für die Heiligung des Namens ist wohl daran gedacht 95 . Im Beten, nicht in leerem Reden, sondern wenn es uns wirklich ernst ist mit unserm Sehnen nach der Verwirklichung der unermeßlichen Heiligkeit Gottes, geschieht Heiligung. Überall soll für sie gebetet werden, damit in dem Vollzug des Betens der Name Gottes geheiligt werde. Zu diesem Geschehen sollen wir beitragen jedes Mal, wenn wir die erste Bitte sprechen 96 • Daß im Gebet selbst etwas geschieht, das gehört ja, wie wir gesehen haben, zum Wesen allen Betens, wenn es wirklich zum Zwiegespräch kommt. 93 Auch LoCHMAN op. cit. S. 38f. räumt dem ethischen Verständnis der Bitte einen großen Platz ein, ordnet es aber doch der Heiligung des Namens durch Gott selber unter. 94 Allerdings ist dann die erste Bitte den beiden nächsten nciht mehr ganz parallel. 95 Dazu sehr gut P. PRIGENT, Apocalypse et liturgie, 1964, S. 56. Er nimmt an, daß das .:rrishagion« injüdischen Liturgieen verwendet wurde (Hinweis auf Quedduta J oser, siehe W., STÄRK op. cit. S, J.5) und so in die von den 4 Tieren gesprochene Himmelsliturgie gelangte. 96 Mit besonderem Nachdruck hebt H. W. SCHRÖDER, Das Gebet. Übung und Erfahrung, 1988 3 , S. 43, hervor, daß beim Sprechen der Bitten des Vaterunsers etwas geschieht: .. Die Wirklichkeit des Ausgesprochenen wird im Aussprechen geschaffen ... Indem ich diese Worte spreche, werden sie Wirklichkeit.« Siehe das von G. MÜLLER in TRE zum Gebet als Sakrament Gesagte. Auch H. OrT, Das universale Gebet, in Th. Z. Nr. 1, S. 7 (J. M. Lochman gewidmet). betont S. 7 im Hinblick auf die Universalität, daß im Gebet etwas .. geschieht«.
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Auf die Möglichkeit, daß im Matthäustext die Worte »wie im Himmel, also auch auf Erden«, sich nicht nur auf die dritte, sondern auf alle 3 Bitten des 1. Teils beziehen, werden wir nachher zu sprechen kommen. In diesem Fall wäre die Heiligung, für die wir für die Erde noch bitten müssen, im Himmel bereits verwirklicht.
ß) 2. Bitte. Dein Reich komme Das griechische Wort basileia für Reich kann statisch als Ort und dynamisch als Königsherrschaft aufgefaßt werden. Im Judentum sind beide Bedeutungen bezeugt, aber die zweite kommt viel häufiger vor. In den Aussprüchen J esu begegnet die eine ungefähr so oft wie die andere. Wenn etwa in Mt. 7,21 vom >,Eintreten ins Reich der Himmel« oder.in Mt. 8,11 vom »Essen im Reiche Gottes« die Rede ist, so handelt es sich um die räumliche Auffassung. Dagegen die Verkündigung, daß das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist (Mk. 1,15; Mt. 4,17) und daß es schon gekommen ist (Mt. 12,28; Luk. 11,20), bezieht sich eher auf die Königsherrschaft Gottes. Wenn im Vaterunser für das Kommen des Reiches gebetet wird, so ist wohl auch in erster Linie an diese zu denken. Die Herrschaft, die Gott im Himmel, in seinem Reiche, ausübt, soll überall, auch auf Erden Wirklichkeit Wel'dEm 97 . Hier ist aber eine andere Spannung, nämlich die zeitliche zu berücksichtigen, die für das ganze Neue Testament und besonders auch für die Verkündigung Jesu grundlegend ist: zwischen »schon erfüllt« und »noch nicht vollendet«. Sie kommt' gerade für das Verständnis der zweiten Bitte in Betracht. Die Jünger sollen für das zukünftige Kommen des Gottesreiches beten, das bereits angebrochen ist. Ich muß hier diese Sicht erneut betonen. Denn zu einseitig ist die Auffassung Albert Schweitzers, die nur mit der zukünfti~en Reichgotteserwartung Jesu rechnet; zu einseitig umgekehrt diejenige C. H. Dodds, die im Gegenteil die Reichgotteshoffnung als »schon verwirklicht«98 ansieht. Mit W. G. Kümmel betone ich, daß für J esus das Gottesreich zugleich schon da und doch noch zukünftig ist. Es ist schon im Anbruch und, im Wachsen 99, 97 Die schon oben erwähnte Annahme, das die Worte »wie im Himmel so auf Erden« sich auf alle drei Anfangsbitten des Matthäustextes beziehen, könnte hier eine Bestätigung finden. Siehe zu dieser Hypothese unten S. 67 f. 98 »Realized eschatology«. 99 M. LIENHARD erwähnt in seinem Aufsatz »Luther et Calvin commentateurs du Notre Pere« (in der mir zum 90. Geburtstag gewidmeten Nr. 1, i992 der RHPhR, S. 73f'f.), in dem er gut die Übereinstimmungen und die Abweichungen in der Erklärung des Vaterunsers
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aber noch nicht vollendet. Dies gilt nicht nur für Lukas, wie man heute gern behauptet, sondern für Jesus selbst. Dies ist durch kaum zu bestreitende Jesusworte zu belegen. Daß es schon angebrochen ist, zeigt die Antwort Jesu auf die Frage des Täufers Mt. 11,2ff. und Luk. 7,18ff., ob er der sei, der kommen soll oder ob ein anderer zu erwarten sei. Mit Hinweis auf Jes. 35,5ff. und 61,1 lautet sie: »Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt, Taube hören, Tote auferstehen, den Armen wird die Frohbotschaft verkündigt.«lOo Explizit sagt es Jesus in Luk. 11,20 (Mt. 12,28): »Wenn ich mit dem Finger Gottes (wohl sekundär: Matthäus »mit dem Geist«) Dämonen austreibe, so ist das Reich Gottes schon gekommen«; und als von ihm erlebtes Zeichen: »Ich sah Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz« (Luk. 10,18). Daß trotzdem das Reich Gottes in seiner Vollendung von Jesus auch noch erwartet wird, beweisen viele rein eschatologische Aussagen, die er mit der jüdischen Enderwartung teilt und die hier nicht besonders aufgezählt werden müssen 101. Man möge es nicht als lästige und mißbräuchliche Wiederholung eines mir lieben »Steckenpferds« ansehen, wenn ich zur Verdeutlichung hier wieder an das zur Zeit der Abfassung meines Buches »Christus und die Zeit« (1944) aktuelle, damals von mir verwendete Bild erinnere: die Entscheidungschlachtist geschlagen, der Sieg gesichert, und doch ist der Waffenstillstand - der Victory Day, wie man damals sagte - noch nicht da. Dem Judentum wie dem Neuen Testament ist gemeinsam das eschatologische Warten auf die Zukunft - und diese Adventserwartung verbindet auch das heutige Judentum mit dem Christentum. Auch für das Judentum ist die Zukunftshoffnung auf die Vergangenheit, auf die göttlichen Großtaten am Volke Israel gegründet, die im Neuen Testament ebenfalls zur Heilsgeschichte gehören 102. Aber für die Christen ist der entscheidende Augenblick der Zeit in durch die heiden Reformatoren feststellt, auf S. 78 f., daß die beiden übereinstimmend von dem einerseits stets wachsenden, anderseits doch erst am Ende kommenden Reich sprechen (Luther WA30, 1, 200, 25ff.; Calvin Corp. Ref. 34, Bd. 6, Co!. 97). 100 Als endzeitliche Zeichen werden im Jesajabuch die Erlangung des Sehens durch die Blinden (Jes. 35,5) und die Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen (Jes. 61,1) genannt. 101 Nicht nur die .. synoptische Apokalypse" Mk. 13 par., sondern Aussprüche wie die vor dem Hohenpriester Mk. 14,62 (Zitat aus Daniel 7,13) über das Kommen des Menschen~ sohns auf den Wolken des Himmels. 102 Zur Verwendung der historischen Bücher des Alten Testaments im Neuen siehe B. CORSANI in Festzschrift für A. Soggin. Über das Problem der Heilsgeschichte im Neuen Testament siehe K. H. SCHLAUDRAFFS Arbeit über meine Konzeption: »Heil als Geschichte? Die Frage nach dem heilsgeschichtlichen Denken, dargestellt an Hand der Konzeption Oscar Cullmanns, mit einem Vorwort von O. Cullmann", 1988, und seinen Aufsatz .. Oscar Cullmann. Neutestamentliche Theologie in heilsgeschichtIicher Perspektive", in: Gegen
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Christus erreicht, für die Juden steht er noch aus. Im Neuen Teßtament hat die Zukunft nicht mehr Entscheidung, sondern nur noch Vollendung zu bringen 103. Der Sinn der verbleibenden Zeitspannung ist von daher zu bestimmen.
Wenn die Christen also beten: »Dein Reich komme«, so sprechen sie dieses Gebet mit dem Judentum, jedoch in der Nachfolge J esu beten sie für die Vollendung eines mit ihm schon gekommenen Reiches. Gerade weil es schon gekommen ist, müssen sie um so mehr darunter leiden, daß es - durch ihr menschliches Verschulden - so weit entfernt ist, wo es doch nahe sein sollte. Um so weniger gedankenlos, um so inbrünstiger sollen wir als Jünger Jesu beten: Dein Reich komme, und dabei auch an unsere ethische Aufgabe denken 104 • Aber anderseits dürfen wir auch, gerade weil es schon gekommen ist, um so zuversichtlicher um sein Kommen bitten. Als Jesus die Jünger lehrte, diese Bitte in ihr Gebet aufzunehmen, konnte er nicht vergessen haben, was er ihnen über das schon angebrochene Reich verkündet hat. y) 3. Bitte. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden
Diese 3. Bitte steht nur bei Matthäus. Sie fehlt in der Lukasfassung. Die Frage, welcher der beiden Texte in diesem Falle der ältere und wohl der ursprüngliche ist, wäre im voraus gelöst, wenn wir mit den einen, heute vor allem Joachim Jeremias 105 , die kurze Lukasfassung als die ältere und die längere Matthäusfassung als eine liturgische Erweiterung ansähen, oder wenn wir umgekehrt mit anderen, heute besonders
die Gottvergessenheit. Schweizer Theologen im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. Stephan Leimgruber und Max Schoch, 1990, S. 206ff. 103 Immer wieder muß ich angesichts eines falschen Verständnisses meines Buches "Christus und die Zeit« betonen, daß ich dieses nicht geschrieben habe um das Problem der "linearen Zeit« zu behandeln, die ich nur zur Verdeutlichung herangezogen habe, sondern um diese Spannung zwischen »schon« und »noch nicht« als grundlegendes neutestamentliches Erleben von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erweisen (z.B., gegen J. ANSALDl, L'articulation de la foi, de la theologie et des ecritures, Paris, 1991, S. 35 u. 202 Anm. 41). Der Heidelberger Philosoph (Nachfolger Heideggers) K. LÖWITH hat diese Absicht meines Buches richtig erfaßt (Weltgeschehen und Heilsgeschichte, 1953) im-Gegensatz zu andern Philosophen, die darin einen Traktat über das philosophische Zeitproblem gesehen haben. 104 Wenn in den drei (bzw. zwei) Bitten die 2. Person Singular (ooü) besonders zu betonen ist, so ist dies auch für diese Bitte sinnvoll: Dein Reich. Königsherrschaft Gottes tritt an Stelle aller menschlich unvollkommenen Herrschaften (Luk. 22,25). 105 "Das Vaterunser im Lichte der neuern Forschung« in: Abba, S. 152ff. Siehe oben S.51.
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J. Carmignac 106 , das lukanische VaterunSer für eine (der Tendenz
dieses Evangelisten entsprechende) Kürzung des matthäisehen hielten. Obwohl im allgemeinen manches für die Bevorzugung der von J. Jeremias vertretenen These spricht, scheint mir die Frage im Falle dieser Bitte (Zufügung oder Auslassung?) wie überhaupt (siehe oben S. 57). nicht so eindeutig zu lösen zu sein. Wir werden auch hier untersuchen, welche Beziehung zwischen dieser Bitte und dem synoptischen Gesamtzeugnis über Jesu Stellung zum Gebet besteht, und inwiefern das Vaterunser dieses ergänzt. Hier drängt sich als Parallele die schon oben im Kapitel über die Gebetserhörung behandelte synoptische Gethsemaneerzählung auf, und sie wird denn auch in den meisten Erklärungen des Vaterunsers herangez,ogen. In allen drei Synoptikern gipfelt ja das Gebet Jesu in der Unterordnung des menschlichen Wunsches unter Gottes Willen: »nicht wie ich will, sondern wie du willst.« Nur bei Matthäus (26,42) enthält das zweite von Jesus dort gesprochene Gebet den genauen Wortlaut der Vaterunserbitte: »Dein Wille geschehe.« Nach Matthäus hat Jesus also die Bitte, die er die Jünger gelehrt hatte, in Gethsemane selbst an den Vater gerichtet 107 • Dies trifft auch dann zu, wenn wir im Rahmen des • des göttliVaterunsers, wo die Bitte mit derjenigen für die Heiligung chen Namens und das Kommen seines Reiches zusammengehört,jedenfalls primär Gottes Willen unter Absehung von seiner Gegenüberstellung gegen den menschlichen Willen bestimmen. Im Gethsemanegebet kommt es ja gerade auf diese Gegenüberstellung an: Dein, nicht mein Wille. Der, wie wir sehen werden, nicht unbedingt gegensätzliche Unterschied darf nicht übersehen werden. Wir fragen daher zunächst: Worin besteht im Vaterunser der Wille Gottes, um dessen Geschehen »wie im Himmel also auf Erden« gebetet werden soll? Für die Beantwortung scheint mir die Auseinandersetzung mit der von G. Lohfink in seinem klaren Artikel der Festschrift für R Schnackenburg 108 entwickelten Siehe oben S. 52 Anm. 63. Diese Meinung vertritt auch M. PHlLONENKO in seinem Artikel, auf den wir nachher zurückkommen (siehe unten S. 68 A. 117), .. La troisieme demande du Notre Pere et l'hymne de Nabuchodonosor« (RHPhR 1992, S. 23 Cf.) auf S. 30, entgegen der Ansicht von M. DIBE' LIUS, Die dritte Bitte des Vaterunsers, in: Botschaft und Geschichte, 1953, S. 174ff., der umgekehrt die nur bei Matthäus (6,10b) stehende Vaterunserbitte von dem synoptischen Gethsemanegebet ableitet. 108 G. LoHFINK, Der präexistente Heilsplan. Sinn und Hintergrund der 3. Vaterunserbitte, in: Festschrift fur R. Schnackenburg, 1989, S. 110ff. 106 107
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These besonders hilfreich, zumal es sich um eine besonders gründliche Behandlung der dritten Vaterunserbitte handelt. In Anlehnung an R. Schnackenburgs eigene Auffassung der Bitte im Sinne der Durchführung des göttlichen Heilsplans 109 , untersucht er diese exegetisch mit Hinweis auf Apg. 22,14 und Eph. 1,3 ff., und historisch u~ter Beiziehung jüdischer Anschauungen über diesen Heilsplan 110, besonders der wohl aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts stammenden, nur slavisch erhaltenen »Apokalypse Abrahams,,111, in der dem Abraham in einer »Voraus darstellung« der Plan Gottes gezeigt wird, wie er im Himmel vorhanden ist und sich in der Geschichte auf Erden entfaltet. Diese Vorstellung wirft auch Licht auf die Worte: »wie im Himmel, so auf Erden«, die ja nicht eindeutig zu erklären sind. Sie können im Sinne von ,;sowohl im Himmel als auch auf Erden« verstanden werden. Für diese Anschauung, daß auch im Himmel der göttliche Wille sich noch durchsetzen muß, lassen sich Belege finden. Aber philologisch und inhaltlich sind die Worte wohl eher im Sinne einer Entsprechung zu verstehen: was im Himmel schon existiert, soll auf Erden verwirklicht und erbetet werden 112. Es kommt Lohfink darauf an, zu zeigen, daß der Wille Gottes sich im Vaterunser nicht auf die ethische Erfüllung seiner Gebote beziehe, aber auch nicht auf das Los des einzelnen, sondern auf die Verwirklichung seines Heilsplans wie Paulus in Apg. 22,14 Instrument desjenigen göttlichen Willens sei, der hinter seinem Heilsweg gegenüber den Heiden steht. Ich bin weitgehend mit Lohfink einverstanden. Aber ich kann keinen so schroffen Gegensatz zwischen dem menschlichen Einzellos und der irdischen Verwirklichung _des himmlischen Heilsplans sehen. Gewiß steht im Lichte der Vaterunserbitte alles, was dem einzelnen widerfährt und aufgetragen ist, in klarer Unterordnung unter den Gesamtplan. Dies trifft für die Aufgabe des Paulus zu, und in Gethsemane ist 109 R. SCHNACKENBURG, Das Matthäusevangelium, 1985, S. 65. Siehe auch B. GERHARDSSON, The Matthaean Version ofthe Lord's Prayer. Some Observations, in Festschrift für B. Reicke, 1984, Bd. 1, S. 207ff. -110 Z.B. in den Qumrantexten QS 3, 15f. Vgl. die Vorstellung der himmlischen Tafeln und Buchrollen in den .. Testamenten der 12 Patriarchen« (Levi 5,3; Ass. 2,18; 7,5) und im 4.Esdras 6,20. . 111 G. LoHFINCK, op.cit., S. 126f. stützt sich dabei auf die verdienstvolle Ausgabe PHlLONENKO-SAYAR in M. PHlLONENKO, Die Apokalypse Abrahams (Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit) 1982, S. 421 ff. 112 Siehe dazu den oben S. 64 Anm. 107 und unten S. 68 Anm. 117 zitierten Artikel M. PHlLONENKOS, S. 28.
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der Wille, in den Jesus sich fügt trotz seines Wunsches, der Kelch möge an ihm vorbeigehen, das von ihm nach Gottes Plan zu erfüllende Erlöserwerk. Mit den Worten »wenn es möglich ist«,. ist die Möglichkeit gemeint, die dieser Heilsplan zuläßt oder nicht zuläßt. Aber im Gethsemanegebet ist das von Jesus in Demut hingenommene Geschehen des göttlichen Willens die letzte Antwort auf einen menschlichen Wunsch, vom Leiden bewahrt zu werden, den er als Mensch äußert. Das Los des einzelnen kann aus dem Heilswillen Gottes, in den es freilich zu integrieren ist, nicht ausgeklammert werden. Am Schluß seines Artikels (S. 139) definiert Lohfink die ethische Aufgabe, die sich aus der von ihm so konsequent verteidigten Beschränkung der Bitte auf den präexistenten Plan Gottes ergibt, als »ein Leben, das dem Plane Gottes Raum gibt«, was der von mir in »Heil als Geschichte« vorgeschlagenen Formulierung »Einreihung in die Heilsgeschichte an dem Ort an den wir gestellt sind« entspricht 1l3 • Nach dieser Bemerkung Lohfinks scheint mir doch der Heilsplan Gottes mit seiner Entfaltung im großen irdischen Weltgeschehen auch das Leben des einzelnen betenden Menschen einzuschließen. So ist es gewiß eine über die dritte Bitte, in deren Blickfeld der Gesamtplan Gottes steht, hinausgehende aber nicht illegitime Weiterführung, wenn sie, wie dies in der Matthäuserzählung Kap. 26,42 der Fall ist, mit einem menschlichen Gebetswunsch in Zusammenhang gebracht wird. Diese Weiterführung findet ihre Berechtigung in der synoptischen Verkündigung Jesu. Denn einerseits ist in dem auch von Lohfink zitierten »Jubelruf« Mt. 11,25f.; Luk. 1O,21f. für Jesus der »Wille« Gottes 1l4 in einem Heilsplan festgelegt, dessen Offenbarung ihm mit »allem, was ihm übergeben ist«, als Auftrag anvertraut ist. Insofern ist die Vaterunserbitte, selbst wenn sie, wie in der Lukasfassung, nicht von Jesus gesprochen sein sollte, doch ganz im Sinne Jesu. Aber gerade nach der zitierten Stelle betrifft der Heilswille Gottes nicht nur allgemein die Heilsgeschichte, sondern in und mit ihr eben auch das Geschehen der einzelnen Menschen: der »Weisen und Verständigen«, denen er »dies verborgen hat«, und der »Unmündigen«, denen er es enthüllt hat. Besonders ist die Integrierung des einzelnen in den göttlichen Heilsplan in O. CULLMANN, Heil als Geschichte,1967, etwa S. 52, 102, 120 und pass. So finde ich in Artikel, obwohl seine Zielrichtung verschieden ist, in gewissem Sinn eine Bestätigung und Ergänzung meiner heilsgeschichtlichen Auffassung. ·113
LoHFINKS 114
euDox{a.
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dem Vorsehungsglauben Jesu vorausgesetzt, der in dem Wort Mt. 10,30, Luk. 12,7 drastisch zum Ausdruck kommt: »auch eure Kopfhaare sind alle gezählt.« Wenn die Jünger darum bitten sollen, daß der Heilsplan, der im Himmel vollendet ist, auf Erden entfaltet werde, so ist schlechthin alles Geschehen in dieses Licht zu rücken. Dann dürfen und sollen wir aber in der Anwendung der Vaterunserbitte trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtung das oben (S. 45) im Zusammenhang mit dem Gethsemanegebet Gesagte mitberücksichtigen. Wir haben gesehen, daß die Unterwerfung unter Gottes Willen im Gebet die Freiheit des Betenden nicht ausschließt, einen menschlichen Wunsch vor Gott zu bringen, auch wenn dessen Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen für ihn ungewiß ist; anderseits, daß sie die Freiheit Gottes voraussetzt, diesen Wunsch in seinen ewigen Ratschluß aufzunehmen, ohne diesen zu verändern. Die Verbindung der Unveränderlichkeit des göttlichen Willens, dessen Niederschlag sein HeiIsplan ist, mit seiner Freiheit, menschliche Wünsche zu erhören oder nicht, geht aus dem Schöpferwillen Gottes hervor, der in seiner in der Liebe verankerten Selbstmitteilung die von ihm geschaffenen Menschen als solche will, die in Freiheit sich mit seinem Willen vereinen 115. Mit Recht zeigt Lohfink, daß mit der Beziehung auf den göttlichen Heilsplan die dritte Bitte des Matthäustextes sich inhaltlich in den Rahmen des ganzen ersten Teils des Vaterunsers einfügt, da der Gegenstand der ersten und der zweiten Bitte der gleiche ist: das im Himmel sich vollziehende Geschehen (Heiligung, Königsherrschaft) soll auf der Erde verwirklicht werden. Dann ist aber der Vorschlag des Origenes (De oratione 26,2) nicht apriori abzuweisen, den Zusatz »wie im Himmel also auch auf Erden« auf alle drei Bitten zu beziehen 116 , also nach den Worten: »Dein Wille geschehe« einen Punkt oder Strichpunkt zu setzen und den dann auf den ganzen ersten Teil zu beziehenden Zusatz als dessen Abschluß aufzufassen. Eine letzte Entscheidung ist hier schwer möglich. Wenn die These des Origenes richtig ist, dann entsprächen sich die drei Bitten nicht nur inhaltlich, sondern auch in der kurzgefaßten Struktur: "Es geschehe die Heiligung deines Namens, das Kommen
Siehe unten S. 171ff. Die summarische Ablehnung dieser Erklärung scheint mir bei LoHFINK op. cit. S. 131 Anm. 67 nicht genügend begründet, obwohl die dritte Bitte der Matthäusfassung in besonders enger Verbindung mit dem Zusatz »wie im Himmel .. steht. 115
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deines Reiches, deines Willens«, wobei in allen drei Fällen die Betonung der 2. Person »Dein« mitklingt117.
d) Die 4. Bitte. Unser Brot für morgen gibt uns heute Obwohl diese vierte Bitte für den unvoreingenommenen Hörer keinerlei Probleme aufzuwerfen scheint, hat sie seit dem Altertum sehr verschiedene Erklärungen hervorgerufen. Dies hängt mit dem Verständnis des Wortes ),Brot« zusammen, und dieses wiederum steht in engem Zusammenhang mit der problematischen Bedeutung des vorangehenden Adjektivums 118, das in dem uns vertrauten Wortlaut und nach alter Tradition 119 mit »täglich« übersetzt ist. Die Abweichung in den Deutungen kommt abgesehen von der nachher zu behandelnden Schwierigkeit der Übersetzung dieses griechischen Wortes daher, daß seit den ersten Jahrhunderten die unmittelbar sich aufdrängende Beziehung auf materielles Brot als unvereinbar mit der tiefgründigen Spiritualität der alldem Vaterunserbitten und besonders des ersten Teils angesehen wird. Offenbar hatte man Mühe, entsprechend dem oben S. 32 Festgestellten, Jesus bei der Mitteilung des Gebets die Aufnahme als niedrig angesehener Bedürfnisse wie des Essens zuzutrauen: eine Form doketischerTendenz. Im Hinblick auf die besonders im Altertum und im Mittelalter, aber auch heute noch festzustellende Spiritualisierung, müssen wir auch diese Bitte in den Rahmen des synoptischen Gesamtzeugnisses stellen, also auf die Frage nach Jesu Haltung gegenüber der materiellen Speise zurückkommen .. Jesus liegt jede Verachtung des Essens fern. Das Zitat von 5. Mose 8,3 der Versuchungsgeschichte Mt. 4,4; Luk. 4,4: »Der Mensch lebt nicht vom Brote allein«, auf das man sich gerne beruft, hat dort seinen Platz in Wirklichkeit nur im Zusammenhang mit dem an Jesus gerichteten Ansinnen des Teufels,- Steine in Brot zu verwandeln. Jesus wurde bei der Vergleichung seines Verhaltens mit demjenigen des asketisch fa117 Was die Formulierung der Bitte betrifft, ist der Vorschlag M. PHlLONENKOS sehr zu beachten, sie auf eine Reminiszenz aus dem Hymnus Nabuchodonosors, Daniel 4,32, zurückzuführen, den er im masoretischen aramäischen Text und in der Übersetzung Theodotions untersucht. Siehe M. PHILONENKO, La troisieme demande du Notre Pere et l'hymne de Nabuchodonosor, RHPhR 1992/1, S. 23 ff. Siehe auch oben S. 64 A. 107). 118 bnouaw!;. 119 Die Vulgata übersetzt es nur im Lukasevangelium (nicht im Matthäusevangelium) mit quotidianus (siehe unten S. 71).
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stenden und deshalb als "vom Dämon besessen« betrachteten Johannes des Täufers im Volk ein "Fresser und Säufer« genannt (Mt. 11,19). Gerade an diesem Punkte des Fastens hatte er sich vom Täufer, dem er zuerst gefolgt war, und von dessen Jüngern bewußt unterschieden 120 (Mk: 2,18 par.), obwohl er durch besondere Umstände gefordertes Fasten nicht ausschloß (Versuchungsgeschichte Mt. 4,2, Lk. 4,2; auch Mk. 9,29, aber nur nach einigen Textzeugen) 121. Die Scheu, Jesus ein Gebet für materielles Brot zuzuschreiben, besonders innerhalb des Vaterunsers, das im übrigen die höchsten Glaubensziele zum Gegenstand hat, stellen wir heute besonders bei den Vertretern der Meinung fest, daß das ganze Gebet nur 'auf die Zukunft ausgerichtet sei 122. Sie denken an das zukünftige Brot im Reiche Gottes und beziehen, wie wir sehen werden, das bestimmende vieldeutige Adjektivum auf die Zukunft. Oft wird aber diE; spirituelle mit der materiellen Auslegung verbunden, so 'daß diese letztere von daher eine höhere Würde erhält 123. Immerhin gibt es anderseits eine beträchtliche Anzahl von Gelehrten, die, wie wir dies hier vorschlagen, nur die materielle Speise in Betracht ziehen 124. Luther hat zwischen 1519 und 1528 nach mehrfachem St:hwanken von der spirituellen zur materiellen Erklärung gewechselt 125. Ohne Konzession nimmt Calvin in der Institutio nur materielles Brot an; ebenso Bucer in den Enarrationes perpetuae (1536). Dieser fügt aber in der ihm eigenen, auf andere Meinungen eingehenden Gesinnung hinzu, er werde deswegen die Verteidiger der spirituellen Deutung nicht bekämpfen, unter der Bedingung, daß sie es nicht als für Jesus unwürdig erachten, für materielles Brot zu beten.
Vom Gesamtzeugnis der Synoptiker aus kann also das sich bei unbefangenem Hören der vierten Bitte aufdrängende Verständnis des Wortes Brot nicht angefochten werden. Es muß jedoch durch die Untersuchung der so viel diskutierten Deutung des griechischen Adjektivums (epiousios) bestätigt werden. 120 Besonders nachdrücklich hat MAURICE GOGUEL in seinen Arbeiten über Johannes den Täufer und Jesus auf die Wichtigkeit dieser Frage hingewiesen. 121 Auch Mt. 6,16 f. ist hier zu erwähnen. Wenn Jesus dort über die rechte Haltung beim Fasten spricht, so setzt dies voraus, daß er dieses nicht prinzipiell abgelehnt hat. 122 Besonders u. a. ~. LoHMEYER und R. E. BROWN. 123 So z.B. J. JEREMIAS, Theologie, S. 194. 124 Unter den neuern Forschern nenne ich wahllos etwa A. SCHLATfER, Der Evangelist Matthäus, 1929, S. 210; P. BONNARD, L'Evangile selon S. Matthieu 19622 , ad.loc.; A. HAMMAN, op. cit., S. 119; U. Luz, op. cit., ad locum. 125 U. GÄBLER, Das Vaterunser in der Basler Reformation, in: TH.Z. 1992 Nr. 1 (J. M. Lochman gewidmet), S. 118ff. zeigt, S. 122, daß J, ÖKOLAMPAD die Wendung Luthers nicht mitgemacht hat und bei der spirituellen Deutung des frühen Luthers blieb. Siehe auch unten S. 70 Anm. 130.
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Die Schwierigkeit entsteht aus der Tatsache, daß dieses Wort sonst nirgends vorkommt, daß also sein Sinn nicht aus anderer Verwendung abgeleitet werden kann. Schon Origenes schreibt: kein griechischer Gelehrter habe das Wort verwendet, und auch in der Umgangssprache werde es nicht gebraucht (De Oratione 27,7 ff.) Zwar hat man 1889 einen ägyptischen Papyrus gefunden, in dem das Wort steht 126 • Er war jedoch bereits verstümmelt, und heute ist er verloren. Mangels eines erklärenden Kontextes ist die Bedeutung unsicher. Da es sich immerhin um eine Ausgabenliste zu handeln scheint, kann man es im Sinne von »das für die (Tages)ration Notwendige« verstehen 127. , Auch abgesehen von diesem Papyrusfund, hat man epiousios oft mit dem griechischen Wort ousia »Lebensunterhalt" zusammengebracht. Aber abgesehen von der philologischen Schwierigkeit 128 hat man mit Recht gesagt, daß im Vaterunser dafür geläufigere Worte zur Verfügung gestanden hätten 129. Die älteste unter den zahlreichen Erklärungen des problematischen Adjektivums ist die von Origenes bevorzugte (op. cit. ib.) und dann von den Kirchenvätern, besonders von Hieronymus, weiterentwickelte (Commentar in Matthaeum, ad Mt. 6,11). Sie geht auch von dem Substantiv ousia aus, versteht dieses aber als »Substanz;"und in Verbindung mit der Präposition epi = »darüber hinaus« übersetzt Hieronymus das Wort epiollsios mit supersubstantialis, also »übernatürliches« Brot. Diese in der Folgezeit beliebte und besonders auf die Eucharistie bezogene Erklärung 130 ist philologisch dadurch erschwert, daß das L von mL vor ouaLa elidiert werden müßte, daß es also nicht tmovaw~, sondern brovaw~ heißen müßte. Die gleiche Schwierigkeit ergibt sich bei der Zurückführung des Wortes auf oliaa ~lIl(Ja = heutiger Tag.
Die eben genannte Schwierigkeit besteht nicht, wenn epiousios vom Verbum brtivat = nachfolgen abgeleitet wird. Denn hier gehört das i zum Stamm des Verbums und kann nicht elidiert werden. Dann ergibt sich die Bedeutung: »für den folgenden, den morgigen Tag«. Diese AbleiSieheA. DEBRUNNER, TheoI. Lz. 1925,S. 303f. A. H. SAYCE bei PREISIGRE Nr. 5224. So etwa P. JOÜON, L'evangile de notre Seigneur Jesus':.Christ, 1930, S. 35; in neuerer ZeitJ. M. LoCHMAN, op. cit., S. 82. 128 Siehe unten. 129 bflT~6EIO" avay"aio,. Siehe U. Luz, op. cit., S. 346. 130 Zuweilen wurden Forderung der täglichen Kommunion und Verbot des Laienkelches mit dieser Erklärung begründet. . U. GABLER, op. cit. S. 123 erwähnt, daß J. ÖKOLAMPAD in seiner Ordnung des Gottesdienstes das Vaterunser nach den Einsetzungsworten des Abendmahls bringt. 126 127
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tung wird durch die Mitteilung des Kirchenvaters Hieronymus erhärtet, er habe im Evangelium, das er Hebräerevangelium nennt 131, für epiousios das hebräische Wort »mahar« = »morgen« gelesen. Eine große Anzahl von Exegeten schließt sich dieser Erk~ärung _an 132; Freilich verstehen aber viele von ihnen gemäß ihrer eschatologischen Auslegung des ganzen Vaterunsers »morgen« im Sinne von »zukünftig«, eine Deutung, die philologisch belegt werden kann. Dies ist aber letzten Endes auch eine Form der Spiritualisierung der vierten Bitte und fällt unter die Kritik, die schwer zu unterdrücken ist: sie beläßt nicht das sich natürlich aufdrängende Verständnis, das doch auch im Rahmen der neutestamentlichen Zukunftserwartung seine Geltung behält. Außerdem spricht auch das Pronomen »unser« (unser Brot) eher gegen die Spiritualisierung dieser Bitte, die gerade in ihrer konkreten, auf alltägliche Notwendigkeiten eingehenden Art, für Jesus charakteristisch ist. Für die Nahrung des nächsten Tages zu bitten, ist ein naheliegendes Bedürfnis. Das Wort »heute« ist hier ganz angebracht. Es ist, weil konkret, dem »für jeden Tag«, das wir stattdessen bei Lukas (11,3) lesen, vorzuziehen. Die Lukasversion hat abstrakter das immer nötige Brot im Auge 133. Daher übersetzt die Vulgata das epiousios mit »täglich« (quotidianusp,34. Ein Einwand ist von Mt. 6,34 aus gegen die Übersetzung »für morgen« erhoben worden. »Sorget nicht für den morgigen Tag... Der morgige Tag sorget für sich selber.«135 Ich halte diesen Einwand für unberechtigt, denn »sich sorgen für den morgigen Tag« ist nicht das gleiche wie »beten
131 Es handelt sich um das nur in Bruchstücken erhaltene Nazaräerevangelium, das wahrscheinlich aus dem griechischen Matthäusevangelium ins aramäische übersetzt ist. Siehe dazu P. VIELHAUER-G. STRECKER, in: HENNECKE-SCHNEEMELCHER, Neutestamentliche Apokryphen, 1990 (6. Aufl.), Bd. 1, S. 128f. Zu Unrecht wird aber hier (S. 130) die Meinung geäußert, mahar sei eine .fehlerhafte« Übersetzung aus dem griechischen eJrlo6atO~. J. JEREMIAS, Theologie, op. cit. S. 193 schreibt wohl richtig, der Übersetzer habe das Wort mahar so hingeschrieben, wie es ihm aus der aramäisch sprachigen Gebetspraxis geläufig war. 132 Unter vielen anderen z.B. A. SCHLATTER, op. cit. S. 211f.; UmMEYER op. cit. S. 107f.; R. E. BROWN op. cit. S. 299ff.; P. BONNARD, Commentaire S. 83; J. JEREMIAS, Theologie, S. 193 f. Dagegen W. FOERSTER, in ThWB H, 593 f. 133 Dementsprechend setzt Lukas das Präsens M60v statt des Aorists M<; des Matthäus. 134 In Mt. 6,11 übersetzt sie es mit »supersubstantialis« (siehe oben S. 70). 135 Siehe meinen Artikel »Beten und Sorgen«. Zur vierten Bitte des Vaterunsers, in der Festnummer Th. Z. 1992, Nr.1 für J. M.LocHMAN, der mit dem gleichen Einwand die Übersetzung .für morgen« ablehnt. Siehe LoCHMAN, op. cit. S. 81.
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für den morgigen Tag«136. Man kann geradezu sagen: weil wir uns f~r morgen nicht Sorgen machen müssen und sollen, sollen wir beten; oder anders ausgedrückt: weil wir beten, müssen und sollen wir uns keine Sorgen machen. Die Begründung, daß der Vater um unsere Bedürfnisse weiß, ist in beiden F.ällen die gleiche: für die Mahnung; sich für die Nahrung des kommenden Tages nicht zu sorgen (Mt. 6,31f.) wie für die Forderung, beim Beten nicht viele Worte zu machen (Mt. 6,7). Aber die Gleichheit dieser Begründung bedeutet gerade nicht, wie gesagt woi:den ist, daß das Beten für den nächsten Tag hier ausgeschlossen sei. Der Hinweis auf das »Wissen« des Vaters ist nur gegen das beim Beten »Viele-Worte-Machen« gerichtet, nicht aber gegen das Beten an sich. Die Übersetzung des Adjektivums epiousios mit »für morgen« scheint mir also durch die in der Verkündigung Jesu verankerte Beziehung zwischen »beten« und »nicht sorgen«, gerechtfertigt137. Paulus hat den Unterschied zwischen »Nicht-sorgen« und »Beten« scharf gesehen, wenn er in Phil. 4,p schreibt: >,Macht euch keine Sorgen 138 , sondern in allem soll euer Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundgetan werden«. Auch die oben S. 31 zitierte Strophe aus dem Liede Paul Gerhardts stellt richtig das »Sorgen und Grämen« dem »Beten« gegenüber. Carmignac bringt viele z. T. erwägenswerte Argumente bei, um das »Brot«, für das wir bitten, mit dem Manna in Beziehung zu setzen. Er beruft sich dabei auf 2.Mose 16,4ff. (»bis morgen«). Obwohl wir diese Erklärung auch bei andern namhaften Auslegern des Vaterunsers finden 139, scheint sie sich mir doch aus den angegebenen Gründen nicht aufzudrängen. Die schlichte Bitte fürs Essen für den nächsten Tag entspricht viel mehr der Art der Weisungen Jesu in den synoptischen Evangelien.
136 J. CARMIGNAC op. cit. S. 215f. stützt diesen Einwand, insofern er sich auf das materielle Brot bezieht, auf dieses Jesuswol't, das jedoch eingeleitet ist mit dem Imperativ »Sorget nicht« (und nicht: »Betet nicht«). Auch die Weisung Jesu an die Jünger, auf ihren Reisen nichts mitzunehmen (Mt. 10,9ff.; Luk. 10,4ffJ schließt ihr Gebet, die Gastfreundschaft zu finden, nicht aus. 137 Dies betriffi nur die Übersetzung des Wortes. Der Sinn der Bitte ist nicht grundlegend verschieden, ob wir »für morgen" oder .,täglich«, bzw. .,(für heute) nötig« sagen, vorausgesetzt allerdings, daß wir die materielle Bedeutung für »Brot« stehen lassen. 138 Der Apostel gebraucht genau das gleiche griechische Wort I!EQ.LI!Vö'V wie Matthäus. 139 Z. B. R E. BRoWN op. cit. Th. St. 1961 S. 175ff.; J. STARCKY op. cit. S. 401ff.; P. GREwr, quatrieme demande, op. cit. S. 291 ff.
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e) Die 5. Bitte. Vergib uns unsere Schulden, wie wir vergeben
unsern Schuldigem Bei Matthäus heißt es Schuld und Schuldner; bei Lukas »Sünde!)« (nachher auch Schuldner). Dem Sinne nach besteht hier kein Unterschied, und die beiden griechischen Wörter gehen auf das gleiche aramäische Wort zurück 140 . Die konkretere Übersetz~ng des Matthäus ist hier wohl als die ursprünglichere anzusehen, zumal Jesus in Gleichnissen gern zur Illustration die Situation des Geldschuldens herangezogen hat 141 . Viel wichtiger ist das Verhältnis des Nebensatzes (»wie ... «) zum Hauptsatz, und hier liegt das eigentliche Problem, das diese Bitte aufwirft. Begründet die Aussage des Nebensatzes einen menschlichen Anspruch auf die göttliche Vergebung, für die wir bitten? Zunächst ist ein Unterschied zu erwähnen, der zwischen Matthäus und Lukas besteht. Während bei Matthäus der Nebensatz mit »wie«142 eingeleitet ist, schreibt Lukas »denn« 143, womit das zu behandelnde Problem noch verschärft wird. Es ist möglich, daß auch hier nur Übersetzungsvarianten vorliegen 144. Aber das Problem bleibt bestehen. Für seine Lösung fällt besonders das Tempus der Verbalform im Nebensatz ins Gewicht. Gewöhnlich wird nicht genug beachtet, daß es im griechischen Text bei Matthäus, auf dem unsere modernen pbersetzungen beruhen, heißt: »wie wir vergeben haben«, bei Lukas dagegen: »wie wir vergeben«. Wir vergessen gewöhnlich, daß wir, indem wir übersetzen: »wie wir vergeben«, in die Lukasfassung verfallen (siehe auch Did. 8,2), während wir im übrigen dem Matthäustext folgen. Die Frage ~ach der aramäischen, bzw. semitischen Urform, die wir ja für Jesus anzunehmen haben, ist in diesem Falle insofern von grundlegender Bedeutung, als sie den Weg zur Beantwortung des genannten Problems dieser Bitte zeigt: Daß bei Matthäus die Vergangenheitsform steht, bei Lukas das Präsens, erklärt sich aus einer grammatikalischen Besonderheit des Semitischen. 140
hoba.
R. BRANDLE, Die 5. Bitte in der Auslegung Gregors von Nyssa, in: Th. Z. 1992 Nr.1 S. 70ff. zeigt, daß Gregor in der Auslegung der 5. Bitte die materiellen Schulden und den Schuldenerlaß in den Mittelpunkt stellt. 142 ili~. ' 141
143 Xut yaQ.
So der Versuch P. GRELOTS, op. cit. S. 547. Auch P. JOOON, L'evangile de notre Seigneur Jesus-Christ, 1930, S. 47, nähert Lukas an Matthäus an, wenn er vom aramäischen aus das lukanische xuI yaQ mit »so auch« (»aussi bien«) übersetzt. 144
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Den Spezialisten für die aramäische und hebräische Sprache verdanken wir, daß sie auf die Eigentümlichkeit des semitischen Perfektums aufmerksam gemacht haben, die, wie P. Joüon 145 zeigt, für Matthäus 6,12 in Betracht kommt. Das aramäische Perfektum bezeichnet eine im Augenblick des Sprechens, bzw. Schreibens, vollendete Handlung, die sich jetzt während der Aussage auswirkt. Diese Koinzidenz, d. h. präsentische Verwendung des Perfektums ist nicht nur im Aramäischen, sondern auch im Hebräischen geläufig 146 . So übersetzt P. Joüon in der 5. Bitte des Vaterunsers das hier zu Grunde gelegte aramäische sebuqnem: »wie wir jetzt vergeben«147. J. Jeremias schlägt unter Berufung auf P. Joüon als deutsche Übersetzung vor: »wie wir hiermit vergeben«148. Die gleiche aramäische Verbalform (präsentisches Perfektum) ist dann also bei Matthäus wörtlich mit dem griechischen Vergangenheitstempus (Aorist) übersetzt, bei Lukas dem aramäischen Sinne nach korrekter mit dem Präsens. Ich halte mich bei dieser philologischen Erörterung deshalb länger auf, weil sich aus ihr eine Lösung des erwähnten theologischen Problems ergibt. Auf Grund der semitischen zeitlichen »Koinzidenz« bezieht sich der Nachsatz »wie wir vergeben ... « auf Vergangenheit und Gegenwart und sogar auf die Zukunft 149. Dann darf nicht betont werden, daß wir vergeben müssen, bevor Gott in Erhörung unserer Bitte uns vergibt, so daß unser Vergeben eine einen Anspruch schaffende Bedingung wäre, von der Gottes Vergeben abhinge; daß wir also mit unse~em Verhalten das göttliche Vergeben bestimmen würden. Ob unser Vergeben vor dem göttlichen, gleichzeitig mit ihm oder nach ihm stattfindet 150, es kommt nur darauf an, daß wir mit unserem Bitten um Vergebung immer im Bereich, oder wie M. Lochman im Anschluß an
Op. cit. S. 35. C. BROCKELMANN, Hebräische Syntax, 1956, S. 40f. führt für dieses grammatikalische Phänomen viele Beispiele an (z. B. Jes. 14,22). Er bezeichnet dieses Perfektum gut als (zeitliches) .Zusammenfallen«: »Koinzidenz« zwischen präsentischer Aussage und perfektischer vollzogener Handlung. Siehe auch RUDOLF MEYER, Hebräische Grammatik 1972 (3. AufU, S. 54f. und auch schon P. JOÜON, Grammaire de I'Hebreu biblique, S. 298 (auch futurische Bedeutung miteinbezogen). 147 P. JOÜON, L'evangile ... , op. cit. S. 35: "comme nous remettons en ce moment«. 148 J. JEREMIAS, Theologie, S. 395. 149 C. BROCKELMANN, op. cit. S. 40 f., wie JOÜON oben Anm. 146. 150 Bzw. wie in Mt. 18,23ff. nicht stattfindet. 145
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Jeremias sehr gut formuliert 15 1, im »Kraftfeld•• des vergebenden Gottes stehen .. Für das theologische Problem ist dabei von grundlegender Wichtigkeit - dies ist die Hauptsache -, daß der Nachsatz »wie wir vergeben ... « überhaupt nicht die göttliche Erfüllung unserer Bitte betrifft, sondern unsere menschliche Bitte selbst, also unsere innere Einstellung beim Aussprechen der Bitte. Wir können um Vergebung Gottes nur bitten, wenn wir, während wir beten, selbst in dem von ihm gewollten Bereich seiner Vergebung stehen 152 • Wir müssen wissen, daß das Vergeben Gottes nicht irgend eine Eigenschaft ist, sondern zu seinem innersten Wesen, zu seiner unendlichen Liebe gehört. Glaube an Gott ist Glaube an den vergebenden Gott. Wir müssen also wissen, daß wir selbst, wenn wir um Vergebung bitten, von seiner Vergebung her denen, die uns ein Leid zufügen, vergeben müssen, so wie wir überhaupt von Gottes Liebe her selbst Liebe üben müssen. Andernfalls wissen wir nicht, was wir tun, wenn wir die 5. Bitte des Vaterunsers sprechen 153. Mit diesem Verständnis können wir dann auch der Vergangenheitsform (dem griechischen Aorist) der Matthäusfassung (»wie wir vergeben haben •• ), obwohl das Präsens bei Lukas korrekter ist, einen mit dem Gesagten vereinbaren Sinn abgewinnen. Wir müssen auch aus unserer vergangenen Erfahrung wissen, wie schwer das Vergeben ist, wenn jemand uns ein ganz großes Unrecht zugefiigt hat. Wir müssen wissen, was wir tun, wenn wir von Gott Vergebung unserer viel größeren Schuld in Aufrichtigkeit erbitten.
Die Aufrichtigkeit unseres Betens verlangt, daß wir selbst im Umkreis, im »Kraftfeld •• der Vergebung stehen. Dann ist jeder menschliche Anspruch auf Gottes freies Vergeben ausgeschlossen. Allerdings stellen wir uns selber außerhalb dieses göttlichen Kraftfeldes, wenn wir nicht auch unsererseits immerfort zum Vergeben bereit sind; denn dann ist das Sprechen dieser Bitte sinnlos. Das hier philologisch untermauerte Verständnis des Nachsatzes wird 151 Op. cit. S. 106. Allerdings ohne auf die hier erörterte philologische Argumentation einzugehen. 152 Wenn wir den Nachsatz so auffassen, also auf das Beten selbst beziehen, gewinnt die Übersetzung des xut YUQ bei Lukas (vom aramäischen aus) mit "so auch« (siehe oben S. 73 A. 144) eine besondere Bedeutung. 153 MARe LIENHARD hebt in seinem oben S. 61 A. 99 genannten Aufsatz op. cit., S. 83, hervor, daß beide, Luther und Calvin, übereinstimmend im Nachsatz den Gedanken finden, daß unsere Fähigkeit, zu vergeben von der Vergebung unserer Sünden durch Gott abhängt und nicht umgekehrt (natürlich noch ohne die moderne philologische Begründung),
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durch die ganze synoptische Verkündigung erhärtet. Zunächst durch Mk. 11,25: »wenn ihr dasteht zum Beten, vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit euer himmlischer Vater euch eure Verfehlungen vergibt.« Auch hier bezieht sich die Vergebung Gottes auf das menschliche Beten, das im Stehen im Kraftfeld des göttlichen Vergebens erfolgen um Vergebung, muß. Nach diesem Wort erfordert nicht nur die Bitte . sondern jegliches Beten, daß wir im Bereich der göttlichen Vergebung stehen. Denn Gottes Vergeben ist nicht nur ein Ausdruck seines Liebeswillens neben andern, sondern sie ist grundlegend für seine Beziehung zu seinen Geschöpfen. Das bestätigt auch das Wort Jesu vom Opfer, das erst dann zum Altar gebracht werden soll, wenn die Versöhnung mit dem Bruder stattgefunden hat (Mt. 5,23 ff.). Da alles Beten, wie wir gesehen haben, Begegnung mit Gott, Vereinigung mit seinem Willen sein soll, so ist es dabei unerläßlich, daß das Vergeben uns mit Gott verbinde. Wo dieses Band durch unsere Verweigerung, den Mitmenschen zu vergeben wie im Gleichnis vom Schalksknecht (Mt. 18,23ff.), zerstört ist, da ist die Begegnung mit Gott zerstört, da ist alles Beten und die Bitte um Vergebung unserer Sünden sinnlos. \
Die Worte Mt. 6,14f., die unmittelbar auf das Vaterunser folgen, »wenn ihr den Menschen ihre Vergehen vergebt, so wird auch euer himmlischer Vater euch vergeben; wenn ihr den Menschen nicht vergebt, so wird auch euer Vater eure Vergehen nicht vergeben«, könnte nur dann, wenn sie unabhängig vom Kontext des Gebets gelesen würden, den Gedanken aufkommen lassen, daß Gott mit seinem Vergeben von um;erm Vergeben abhänge. Aber Matthäus hat diese Worte in den Zusammenhang des Vaterunsers sozusagen als »Nachwort« gestellt, weil ihm bewußt war, daß für Jesus Vergeben und Beten zusammengehören 154. Die Auffassung, daß Gott von unserem Verhalten abhänge, würde der ganzen Verkündigung Jesu widersprechen, etwa dem Gleichnis Mt. 20,lff. von den Arbeitern der elften Stunde, die den gleichen,Lohn erhalten wie die der ersten. Der V. 15 betont die Freiheit des Herrn des Weinbergs: »Ist eS mir nicht erlaubt, mit dem Meinen zu tun, was ich will?« Dies gilt auch für das Vergeben: Gott ist nicht abhängig von uns, aber er will, daß wir im Gebet um Vergebung mit ihm vereint seien in der Kraft, den Mitmenschel1; zu vergeben.
Wir schließen: Das Sprechen der 5. Bitte setzt voraus, daß wir von Gott her uns jedes Mal beim Beten neu in den Bereich der Vergebung stellen und bereit sind, in unseren Beziehungen zu den Mitmenschen darin zu bleiben. 154 Daher verbinden viele gute Textzeugen diese Verse 14ff. sogar durch YUQ. "denn«, mit dem davorstehenden Vaterunser..
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f) Die 6. Bitte: Führe uns nicht in Versuchung Diese Bitte hat von jeher die meisten Diskussionen hervorgerufen, und ich werde mich daher länger bei ihr aufhalten, um so mehr als die Auslegung, die ich vorschlagen werde, von der üblichen abweicht und auf Kritik stoßen wird. Entgegen meinem Bemühen um Kürze wird daher dieser Abschnitt verhältnismäßig lang ausfallen, zumal ein Eingehen auf die verschiedenen und außerordentlich zahlreichen Erklärungen unvermeidlich ist. Man sollte die Bitte nicht vorschnell mit Jak. 1,13 in Zusammenhang bringen: »Gott versucht niemanden.(' 155 Wir werden die 6. Bitte hier im Rahmen der Synoptiker, in den sie gehört, erklären. Auch von hier aus ist freilich die Frage zu stellen: Was heißt das, wenn wir Gott bitten, er möge uns nicht in Versuchung führen? Kann er, der allein Gute (Mk. 10,18) die Menschen mit dem radikal Bösen überhaupt in Verbindung bringen? So wie die griechischen Worte dastehen 156, legen sie die anstößige Bejahung dieser Frage nicht nur nahe, sondern sie lassen kaum eine andere Antwort zu. Immer wieder haben sich die Theologen seit dem Altertum bemüht, diesen Anstoß zu beseitigen, oft mit Erklärungen, die sich vom griechischen Text aus nicht rechtfertigen lassen. So haben etwa Marcion, Tertullian, auch Augustin, den Sinn der Bitte abgebogen, als heiße es: lasse uns nicht der Versuchung unterliegen. J. M. Lochman spricht mit Recht von »Manipulation« und "Erweichung«. Wenn wir zunächst einmal beim griechischen Wortlaut bleiben - wir werden nachher wie für die 5. Bitte auf eine grammatikalische Eigenheit des Aramäischen eingehen - so heißt es nun einmal eindeutig sowohl bei Matthäus als bei Lukas: »führe uns nicht«. Nun gibt es allerdings eine Erklärung, die das Verbum "führen« stehen läßt, ihm aber einen philologischen Sinn verleiht, der dem "Unterliegenlassen« nahe kommt. Namhafte Ausleger betonen die Vorsilbe hinein (führen) (griechisch: eis) auf die Weise, daß auf ihr das ganze Gewicht des Verbums liegt: wir bitten darum, nicht gänzlich in die Versuchung hineinzufallen, d. h. ihr zu unterliegen l57 . Siehe zu dieser Stelle unten S. 83 Anm. 174. /lT] ELoEveyxn,; T]/la,; EL'; 1tELQaO/lOv. 157 M. LIENHARD op. cit. S. 84 zitiert den Text Luthers WA 30, 1, 209, der beweist, daß schon der Reformator das hinein führen betont hat, und daß er dies (vielleicht allzu schnell) als .. unterliegen lassen« versteht, wenn er von .. ertrinken .. (in der Versuchung) spricht. J. CARMIGNAC op. cit., S. 269fT., untel'scheidet philologisch EiocfJEQELV mit Dativ = entge155
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Die Vertreter dieser Auslegung verweisen auf die Gethsemaneerzählung, die gewiß, wie wir oben S. 38 f. schon gesehen haben und wie wir es nachher zur Rechtfertigung meiner eigenen Erklärung tun werden, trotz ,der Verschiedenheit der Situation in Beziehung zu unserer Vaterunserbitte zu setzen ist. Sie heben hervor, daß dort bei Matthäus (Kap. 26,41) und bei Lukas (Kap. 22,46) ein mit eis zusammengesetztes Verbum steht: Jesus ermahnt die Jünger zu wachen und zu beten, damit sie nicht in die Versuchung »hinein kommen«158. Wir werden nachher, S. 79, 83f., uns fragen müssen, ob die von diesen Auslegern unter Beiziehung semitischer Texte vorgenommene Gleichsetzung vOn »in die Versuchung hineinkommen« mit »unterliegen« wirklich gesichert ist. Carmignac geht aber außerdem auf eine andere semitische Eigenheit zurück: auf die dort übliche sogenannte kausative Verwendung der Verben: »etwas tun lassen«. In unserem Fall ergibt dies: »veranlasse, daß wir nicht in die Versuchung hineinkommen«159. Eine gründliche philologische Stütze für den kausativen Charakter (»veranlasse«) bietet die kürzlich verfaßte Arbeit von Ernst Jenni 160 • Er geht von der berechtigten Frage aus, warum es nicht einfach heißt: »versuche uns nicht«, sondern erweitert: »führe uns nicht in Versuchung«. Unter Verwendung philologischer Arbeiten von Germanisten 161 bezeichnet er die erweiterte Ausdrucksweise mit der etwas schwerfaIliger Wortbildung »Funktionsverbgefüge«. Wichtig ist, daß diese dem einfachen Verbum einen kausativen Sinn verleiht (auf unsere Vaterunserbitte angewendet, wiederum: veranlasse, daß wir nicht in die Versuchung (hinein)kommen). Für dieses im indogermanischen Sprachgebrauch festzustellende philologische Phänomen findet E. Jenni an Hand vieler Beispiele eine Entsprechung in der im aramäischen vorhandenen Möglichkeit, bzw. Notwendigkeit, in gewissen Fällen das Verbum kausativ zu verstehen. genflihren (faire venir vers) von ElacpEQELv Ei~ = hineinführen (introduire dans). Dabei nimmt auch er an, daß .. in die Versuchung hineinführen« soviel bedeute wie »der Versu-· chung unterliegen lassen« (.. consentir«). 158 elae).:(}rrre: Markus 14,38 schreibt allerdings nach guten Handschriften (B und N)nur e).{hrre(C und D dagegen elaeMrrre); Mt. 26,41 liest nach p. 37: f).(}rrre. 159 J. CARMIGNAC beruft sich dabei mit großem Nachdruck auf eine ältere Arbeit: J. HELLER, Die 6. Bitte des Vaterunsers, Zeitschrift flir kath. Theologie 1901, S. 85ff. (in französischer Übersetzung in J. CARMIGNAC S. 437 ff.), besonders auf die Ausführungen über den Gebrauch der Negation im Hebräischen und Aramäischen, die sich dort in Verbindung mit einem kausativ verwendeten Verbum nicht auf das veranlassende Subjekt, sondern auf das Objekt, in unserem Fall auf .. uns .. bezieht (J. HELLER, op. cit. bei J. CARMI~AC 443fT.). 160 Kausativ und Funktionsverbgefüge, Sprachliche Bemerkungen zur Bitte »Führe uns nicht in Versuchung«, ThZ 1992 Nr. 1,S. 77ff. 161 H.-J. HERINGER, Die Opposition von kommen und bringen als Funktionsverben 1968 und R. LÖHR, Neuhochdeutsch. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft 1986, S. 102fT.
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Dieser Nachweis ist mir wertvoll für meine eigene, im folgenden vorgeschlagene Lösung, die von der üblichen Erklärung abweicht, aber auch von E. Jenni als Folgerung aus seiner Beweisführung nicht in Betracht gezogen wird. Er glaubt, mit seiner Untersuchung nur die von den oben (S. 77f.) genannten Forschern vertretene Auslegung zu stützen, der i.ch in ihrer Voraussetzung »hineingelangen = unterliegen« nicht zustimme. Zwar ist anzuerkennen, daß die von J. Carmignac und J. Heller gegebene Erklärung (der auch J. M. Lochman folgt) den oben genannten Anstoß beseitigt, der Gott zum Urheber der Versuchung zum Bösen macht, so daß das Hineingelangen = Unterliegen also nicht durch ihn bewirkt wäre. Aber obwohl sie ferner den Vorzug hat (im Gegensatz zu den älteren, nicht philologisch begründeten »Manipulationen« des Textes), das griechische Verbum stehen zu lassen, leidet sie an der, wie ich meine, nicht genügend bewiesenen Voraussetzungen, daß »in die Versuchung hineingelangen« soviel bedeuten müsse wie »der Versuchung unterliegen« 162. Auch wenn wir die Berechtigung der (jedoch nicht ganz problemlosen) Betonung der Silbe »hinein« anerkennen, folgt daraus jedenfalls nicht die Notwendigkeit, den Ausdruck »in den Bereich des Teufels gelangen« mit »unterliegen« gleichzusetzen. Die genannten Forscher schließen von vornherein aus, daß in der Vaterunserbitte mit »hineingeführt werden« die Versuchung als Prüfung gemeint sein kann, in der wir unterliegen oder aber auch standhaft bleiben können. Sie heben zwar das Vorhandensein und die Wichtigkeit der Bedeutung Versuchen = Prüfen gebührend hervor, wenden sie aber aus einem nacher zu besprechenden, zunächst einleuchtenden Grunde (siehe unten S. 84f.) nicht auf die Bitte an, »nicht in die Versuchung geführt zu werden« (oder im Sinne Hellers und Carmignacs: auf die Bitte, »zu veranlassen, daß wir nicht hineingelangen«). Zum besseren Verständnis des folgenden müssen wir auf die Doppelbedeutung oder sogar Mehrbedeutung des griechischen Wortes peirazein (versuchen) eingehen 163. Zunächst die endzeitliche. Die Vertreter der eschatologischen Auslegung des 'ganzen Vaterunsers sehen den eigentlichen Sinn auch dieser Bitte in ihrer Beziehung auf die am Ende eintretende Versuchung. Das Substantivum peiras162 Die ,Beispiele, die HELLER (op. cit. französisch S. 442f.) und J. CARMIGNAC (op. cit. S. 272) zitieren, sind nicht so eindeutig, daß sich die Gleichsetzung aufdrängte. 163 Über das »weitgefächerte Bedeütungsspektrum« des Verbums im Alten Testament siehe H. J. STOEBE, Überlegungen zur 6. Bitte des Vaterunsers in ThZ 1992 Nr. I, S. 89ff.
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mos wird ja oft zur Bezeichnung der da~it verbundenen endzeitlichen Schrekken verwendet. Gewiß mag diese Perspektive mit zu berücksichtigen sein, insofern der eschatologische Rahmen als Hintergrund des Vaterunsers vorhanden ist. Aber ebenso wie sie für die andere Bitten nicht ausschließlich bestimmend ist, so ist auch für diese die eschatologische Einengung des vieldeutigen Wortes nicht angebracht.
Vor allem sind zwei andere Bedeutungen des griechischen Verbums peirazein in Betracht zu ziehen. Erstens: Versuchung mit dem Ziel, Menschen zum Bösen zu verführen; zweitens:Versuchung mit dem Ziel, Menschen auf die Probe zu stellen, durch Verlockung zum Bösen ihre Bewährung, ihre Widerstandskraft zu prüfen und zu stärken 164 • Im ersten Falle ist Subjekt der Teufel 165 ; er ergreift die Initiative zum Bösen, indem er alle Menschen angreift. Im zweiten Fall, den wir oben S. 37 f. bereits erwähnt haben, ist Subjekt Gott; aus Liebe kann er in Einzelfällen Menschen erproben, aber auch hier ist der Teufel am Werk, jedoch im Auftrag Gottes. Da diese Verwendung des Wortes in der Bibel häufig vorkommt, darf ihr keine untergeordnete Rolle zugeschrieben werden 166 • Im Alten Testament begegnen wir ihr oft, z. B. im Buche Hiob, besonders in der Rahmenerzählung (Hiob 1-2, 13; 42,7-17). Hier ist es das vom Bösen verursachte Unglück, das Hiob zum Irrewerden an Gott verleiten soll. In der Erzählung von der Opferung Isaaks (l.Mos. 22,lff.) bedient sich Gott zur Prüfung des Gehorsams Abrahams nicht des Teufels (nur im Buch der Jubiläen, Mastemas, Kap. 17,15 ff.) 167 - Nicht nur einzelne, sondern auch das Volk wird von Gott »versucht« 168. 164
Daß auch Menschen Gott verführen können, ist zwar f'ür die Bedeutung "versuchen"
= "prüfen« wichtig, kann aber zum Verständnis der Vaterunserbitte außer Acht gelassen werden. 165 Die versuchende Macht des Bösen nenne ich mit den Synoptikern und dem Neuen Testament Teufel (Satan). , 166 CARMIGNAC unterscheidet zwischen »Prüfung", die er im Alten Testament findet, und der Versuchung zum Bösen im Neuen Testament (Übergang in Qumrantexten). Er nennt die erste »epreuve« und nur die zweite »tentation« (S. 263ff.). Er trennt scharf zwischen beiden und schließt in der Vaterunserbitte die erste (»Prüfung«) ganz aus. Er berücksichtigt nicht die innere Beziehung zwischen beiden, wie ich sie im folgenden nachzuweisen suche. U. Luz op. cit. S. 39, Anm. 101 lehnt in Mt. 6,13 die Bedeutung »Erprobung« ab, weil es im Griechischen dann nicht lrElgaOiJO; sondern ,TEf/?a heißen müßte. Da aber lrEl/?u nur im profanen Sinn belegt ist (ThWb., Artikel SEESEMANN, Bd. VI S.' 23 und 28), stand für die religiöse Verwendung im Neuen Testament nur das vorn Verbum lrEI/?a~E'v, das »versuchen« und »erproben« heißt, abgeleitete Substantiv lrEI/?UOtIO; zur Verfügung. 167 Über 1. Mose 22 schreibt I. WILLI,PLEIN, Die Versuchung steht am Schluß. Inhalt und Ziel der Versuchung Abrahams in der Erzählung in Gen. 22, ThZ 1992 Nr. I, S. 101 ff. 168 Etwa 2. Mose 20,20.
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In der Versuchung als Prüfung sind also Gott und zugleich der Teufel am Werk, aber Gott als das eigentliche Subjekt, der Teufel als sein Werkzeug l69 • Auch diese Bedeutung von Versuchung"':' und ich möchte sagen: . gerade sie - bedarf der kausativen Erklärung: Gott läßt uns durch den Teufel zur Erprobung in die Versuchung hineinkommen. Er führt hinein, und doch nicht er selbst, sondern der Teufel. Obwohl der Teufel der Handelnde ist, bleibt Gottes Allmacht gewahrt. Sie ist aber auch dann nicht ausgeschaltet, wenn, wie wir oben gesagt haben, der Teufel von sich aus in Ausübung einer ihm zur Verfügung stehenden Freiheit alle Menschen versucht. Die Allmacht Gottes manifestiert sich hier nicht wie im Fall der Prüfung einzelner, aber sie ist nicht abwesend. Die Kontrolle übt Gott auch dann aus 170. Er kann eingreifen. Dies ist wichtig zum Verständnis der Vaterunserbitte : »Führe uns nicht in Versuchung.« Das Neue Testament, besonders auch Jesus selbst, kennt keinen eigentlichen Dualismus, sondern nur einen relativen, »zeitlich« bestimmten. Der Teufel ist besiegt, und doch ist er noch am Werk und wird erst am Ende vernichtet. Wieder muß ich hier auf das »Schon« und »Noch nicht« hinweisen. Der Teufel hat noch eine gewisse Freiheit, um seine Macht in der Verfolgung seines Ziels auszuüben, das darin besteht, die Menschen durch Versuchung zum Bösen zu führen 171.
Eine gewisse Erklärung der im ganzen Neuen Testament vorhandenen unleugbaren und nicht rationell auflösbaren Spannung zwischen Gottes Allmacht und der zugestandenen Tatsache, daß noch eine andere Macht als die seine am Werk ist, bietet im Anschluß an Johannesoffenbarung 20,3 das Bild von der »Bindung« des Teufels, das ich ergänze durch dasjenige von den »Leine«, die bald verkürzt, bald verlängert werden kann 172. Wenn Gottes Allmacht über das noch existierende Böse Wirklichkeit 169 In Institutio IH, 20, -45 (Ausgabe Benoit, S. 396) unterscheidet CALVlN zwar gut die Versuchung des Teufels zum Bösen von der Versuchung Gottes zur Stärkung s~im;r Diener. Aber er definiert nicht den Zusammenhang und die Beziehung zwischen beiden. Deshalb muß er ablehnen, daß im Vaterunser Gott als der in Versuchung Führende, bzw. nicht -Führende, gedacht sei. 170 Was Paulus in 1. Kor. 10,13 schreibt, dürfte auch nach Jesus für alle Versuchungen durch den Teufel gelten: (Gott) "iäßt es nicht zu« (tCtaEtJ, daß die Menschen "über Vermögen" versucht werden. 171 DieSpannung zwischen Gottes Allmacht und der dem Teufel möglichen Machtausübung tritt im Alten Testament weniger in Erscheinung, da sie nicht durch das "Schon« ("Satan vorn Himmel gefallen", Luk. 10,18) verschärft ist. Siehe zur Frage dieser Spannung untenS.174ff. 172 Auch W. PFENDSACK, Das Vaterunser 1961, S. 87, zeigt, daß in beiden Arten von Versuchung Gottes Allmacht nicht ausgeschaltet ist.
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bleibt, so sind auch diejenigen Versuchungen, für die der Teufel gegenüber allen Menschen die Initiative hat, ihr' nicht entzogen. Da die Allmacht Gottes von seiner Liebe nicht zu trennen ist, so könnten wir den Begriff der »Prüfung« - mit dem nötigen Vorbehalt und indirekt auf alle Versuchungen ausdehnen. Wenn Gottes Allmacht überall vorauszusetzen ist, wo von Versuchung durch den Teufel die Rede ist 173 , verliert die prinzipiell zu berücksichtigende Unterscheidung zwischen Versuchung als Prüfung und allgemeiner Versuchung an Gewicht. Für. das Gebet trifft dies um so mehr zu, als wir ja nicht wissen können, welchen besonderen Sinn die Versuchung in Gottes unerforschlichem Liebeswillen flir jeden von uns hat. Nach diesem unvermeidlichen Umweg über die Präzisierung des Spannungsverhältnisses zwischen der göttlichen Allmacht und der Macht des Bösen kehren wir zum Wortlaut unserer Vaterunserbitte zurück. Ich nehme meine nachher näher zu erläuternde These vorweg, die sowohl den griechischen Wortlaut als die im aramäischen häufige Verwendung des Kausativs berücksichtigt. Mit einer Minderheit der Exegeten en'tnehme ich der Bitte den Sinn: Erspare uns die Versuchung, also nicht primär: erspare uns das Unterliegen, sondern die Versuchung als solche. Und zwar handelt es sich zugleich um die göttliche Prüfung (durch den Teufel als Werkzeug) im engeren Sinn und um die vom Teufel hervorgerufene Versuchung, Diese letztere kann Gott uns, wenn er die Bitte erhört, dadurch ersparen, daß er uns nicht in die Situation führt, wo der Teufel die Versuchung, mit der er alle Menschen,jeden aufseine Weise, bedroht, wirksam machen kann. In beiden Fällen befinden wir uns wegen unserer Schwachheit in der gefährlichen Lage zwischen Widerstehen und Unterliegen. Die beiden Arten von Versuchung sind daher in der Bitte nicht voneinander getrennt. Beide Male bitten wir Gott, mit dem Teufel nicht konfrontiert zu werden. Um dem kausativen Gebrauch des Verbums gerecht zu werden, formulieren wir die Bitte präziser: veranlasse, daß wir nicht in die Versuchung durch den Teufel gelangen. 173 U. Luz betont in seinem Kommentar op, cit. S. 349 mit Recht, daß bei Matthäus der Glaube an Gottes Allmacht als selbstverständlich angenommen sei. Nur scheint mir die Folgerung, die er daraus zieht, nicht berechtigt, daß deshalb in der Formulierung "führe uns nicht in Versuchung« kein Problem zu sehen sei. Die erwähnte Spannung zwischen Gottes Allmacht und der Macht des Teufels muß beachtet werden.
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In der PIiifung ist Gott als übergeordnetes Subjekt nicht der, der uns selbst zum Bösen versucht, sondern der den Teufel in seinen Dienst stellt und ihn als untergeordnetes Subjekt die Versuchung zur Erprobung ausführen läßt (kausatiV)174.
Mit obiger Formulierung stellen wir uns in Gegensatz zu der von Carmignac am Ende seines sehr ausführlichen Kapitels vorgeschlagenen, die von vielen akzeptiert wird: veranlasse, daß ich nicht in die Versuchung hineingelange, indem ich ihr nachgebe 175. Wenn wir als Gegenstand der Bitte die Ersparung der Versuchung verstehen, ergibt sich da!aus die Folgerung, vor der die meisten Ausleger zurückschrecken, daß es in Gottes Allmacht steht, uns in die Versuchung zu führen, bzw. nicht zu führen. Aber wir nehmen ja auch nicht Anstoß daran, daß es in Jesu Versuchung unzweideutig heißt, der Geist, also letzten Endes Gott, habe Jesus in die Wüste »getrieben« (Mk. 1,12); vom Geiste sei er in die Wüste »entrückt worden, um vom Teufel versucht zu werden« (Mt. 4,1); vom Geist sei er in der Wüste »herumgeführt worden« (Luk. 4,1)176. Die hier vorgeschlagene Auslegung ist schon im Altertum auf Ableh174 Dann sind ·primär nicht die versuchten Menschen das untergeordnete »ausführende« Subjekt, wie bei den Auslegern, die den Kausativ auf das »Nichtunterliegenlassen« der Menschen beziehen (siehe oben S. 78 A. 159), sondern der Teufel als der die Versuchung Ausflihrende. Freilich bedient sich dieser der menschlichen »Lust«, von der Jak. 1,1-4 spricht, er ist in ihr am Werk. In diesem Zusammenhang sei mir erlaubt, zu der mit der 6. Vaterunserbitte immer zusammen erwähnten Jakobusstelle Kap. 1,13 die Frage zu stellen, ob ihre immer angenommene Bestreitung durch die Aussage »Gott selbst versucht niemanden« von dem oben vorgeschlagenen Verständnis von Mt. 6,13 wirklich so weit entfernt ist. Wenn das griechische Pronomen atir6,nicht nur unbetonte, im Verbum enthaltene 3. Person (»er«), sondern, wie es naheliegt, betont ist (»er selbst«): Gott selbst versucht niemanden, könnte man hier doch einen indirekten, Hinweis auf einen hier nicht genannten Urheber der in V. 14 allein genannten menschlichen »Lust« sehen. Ich stelle nur die Frage. Sie scheint mir nicht ganz unberechtigt, da der Jakobusbrief an anderer Stelle, Kap. 4,7 die Leser aufruft, »dem Teufel zu widersteh.en«, und in dem perühmten Abschnitt über Glauben und Werke Kap. 2,19 die »Dämonen« erwähnt sind. Daß der Teufel im Zusammenhang von Jak. 1,13 nicht genannt ist, sondern nur die Lust der Menschen, könnte sich daraus erklären, daß der ganze Abschnitt in V. 12 eingeleitet ist durch die Seligpreisung üwxa{JIO,) des in der Versuchung .. sich bewährenden« Menschen. 175 »Fais que nous n'entrions pas dans la tentation en y consentant«, CARMIGNAC, op. cit., S.292. 176 Selbst wenn CARMIGNAC op. cit. S. 28lf. mit der problematischen Annahme recht haben sollte, daß in Mt. 4,1 nach den Worten »er wurde vorn Geist in die Wüste entrückt« der Infinitiv :rr:E!(!aafHjvat u:rr:o TOD öwß6?ou nicht die Absicht des Geistes (um versucht zu werden), sondern das Resultat (und er wurde versucht) ausdrückte, bleibt es dabei, daß es in allen drei Synoptikern der Geist ist, der Jesus in die Wüste, also an den Ort wo er dem Teufel begegnet, führt (bzw. treibt, Mk. 1,12).
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nung gestoßen, zum ersten Mal.von Origenes 177. Wir können nicht, so argumentiert er, Gott darum bitten, uns die Versuchung zu ersparen, denn es sei für Menschen unmöglich, nicht versucht zu werden. Aus der Aufzählung der ihm folgenden Kirchenväter nenne ich nur Cyrill, Hieronymus, Augustin und Thomas von Aquin. Mit den Kirchenvätern sprechen sich auch Luther und Calvin gegen die erwähnte Deutung aus 178, weniger entschieden M. Bucer (1536)179. Die große Mehrzahl der heutigen Ausleger bekämpfen mit der gleichen fast regelmäßig wiederholten Argumentation die Beziehung der Bitte auf »Ersparung der Versuchung« sehr energisch. Allerdings begnügen sie sich zuweilen (im Gegensatz zu Carmignac) mit einer summarischen Ablehnung, als ob diese Erklärung zu absurd wäre, um diskutiert zu werden. In Anbetracht des fast allgemeinen diesbezüglichen Konsensus erübrigt sich eine Aufzählung. Ich beschränke mich darauf, einige unter den wenigen Ausnahmen anzuführen: Vor allem P. Fiebig l80 , der die Bitte ähnlich wie ich versteht, im Sinn von: bringe uns nicht in die Situation, in der wir wegen unserer Schwachheit in Gefahr geraten, dem Bösen zu unterliegen. Die französische ökumenische Übersetzung (TOB), »ne nous soumets pas a la tentation«, kommt dieser Erklärung nahe und entfernt sich damit nicht wesentlich von der früher üblichen Übersetzung des griechischen Textes 181. Auch P. Grelot for~uliert präzisierend gut: »Setze uns nicht der Prüfung aus, die in der Versuchung besteht.«182 Carmignac zitiert als ältere Vertreter der von ihm abgelehnten Deutung P. Dausch 183 und H. Schürmann 184. Meinerseits nenne ich H. W. Schröder 185, der unter Berufung auf F. Rittelmeyer 186 die Ersparung der Versuchung mit der besonders engen Verbindung der Betenden mit Gott begründet. Das aufOrigenes zurückgehende hauptsächliche Gegenargument der Unvermeidlichkeit der Versuchung geht zwar von der richtigen Tatsache aus, daß der Teufel alle Menschen versucht; und richtig ist auch die ORIGENES, op. cit., 29, 9, Migne X, col. 530. Siehe M. LIENHARD, op. cit., S. 84. 179 CARMIGNAC, op. cit., S. 291. 180 P. FIEBIG, Das Vaterunser. Ursprung, Sinn und Bedeutung des christlichen Hauptgebets 1927, S. 90. 181 .,Ne nous induis point en tentation«. Die ökumenische Übersetzung ist daher schon mehrfach kritisiert worden. 182 »Ne nous soumets pas a l'epreuve qui est la tentation«. 183 Die drei ältesten Evangelien (In: Die heiligen Schriften des Neuen Testaments 1918, S.139). 184 Das Gebet des Herrn 1958. 185 Op. cit. S: 55 ff., besonders S. 61. 186 Das Vaterunser, 5. Aufl. 1985, S. 124f. 177
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damit verbundene Annahme, daß Versuchung (auf eine für uns im einzelnen unerforschlichen Weise) in Gottes Heilsplan eingeschlossen ist. Aber heißt dies, wir hätten nicht das Recht, dafür zu beten, daß Versuchungen nicht an uns herankommen? Jeder weiß, welche Versuchungen gerade ihn besonders bedrohen. Jeder kennt auch die Situationen, die ihn in dieser Beziehung besonders gefährden und in denen der Teufel leichtes Spiel mit ihm hat. Sollten die Jünger, für die Jesus diese Bitte formuliert, nicht befugt sein, wie jedes Anliegen auch den menschlichen Wunsch vor 90tt zu bringen sie mögen nicht in solche Situationen gelangen, so daß sie sprechen durfen: »führe uns nicht in sie«,.»führe uns nicht in diese Gefahr«? Angesichts der uns bekannten Schwachheit bedeuten gewisse Versuchungssituationen eine besondere Gefahr. Wir dürfen doch auch zu Gott für die Abwehr von Gefahren überhaupt beten, und zwar obwohl wir wissen, daß die,Gefahren von ihm zugelassen sind, daß er in sie hineinführen kann, daß er aber anderseits auch die Macht über sie behält (Mk. 14,36 par.). Wenn wir an die Prüfung im engeren Sinne denken, könnte der Einwand gegen ein Gebet für Ersparung der Versuchung einleuchtend erscheinen von der Erwägung aus, daß Gott es für gewisse Menschen für heilsam erachtet, wenn sie vom Teufel versucht werden. Ist es nicht sinnlos, so fragt man, dafür zu beten, Gott möge seinen Plan, der das Heil eines Menschen zum Ziel hat, nicht ausführen? So lesen wir im Kittelsehen Wörterbuch 187: Die Vaterunserbitte müßte (bei der Annahme, daß sie sich auf die göttliche Prüfung beziehe) genau umgekehrt heißen: »führe uns in die Versuchung«. Wenn es richtig ist, daß nicht nur die göttliche Prüfung einzelner sondern auch die vom Teufel veranlaßte Vesuchung aller Menschen zwar nicht von Gott ausgeht, wohl aber seiner Macht und seinem Liebeswillen nicht entzogen ist (siehe oben S. 81), daß also die beiden Arten von Versuchung nicht scharf zu trennen sind, so trifft der erwähnte Einwand auch die letztere. Dann gilt aber auch für diese die gleiche Antwort auf den Einwand, nämlich daß unser Wissen um die Möglichkeit, daß Gott das Böse - den »Bösen« - als Werkzeug in seinen Dienst stellen kann, uns nicht hindern darf, Gott zu bitten, daß wir überhaupt nicht mit dem Bösen 188 in Berührung kommen. In Befürchtung einer uns besonders bedrohehden Versuchung dürfen wir dafür beten, daß 187 188
THWb Band VI, Art. flEtpausw. SEESEMANN), S. 31. Die Evangelien enthalten im Gegensatz zu entsprechenden Andeutungen im Alten
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unsere Vereinigung mit Gott, die wir in jedem Gebet suchen, so eng sei, daß die Versuchung uns erspart bleibe, obwohl es zum göttlichen Plan gehört, daß wir versucht werden. Mit dieser Vaterunserbitte verleiht Jesus den Jüngern den Mut, Gott in kindlichem Vertrauen zu bitten, einen menschlichen Wunsch in seinen ihnen freilich im einzelnen unerforschlichen Plan aufzunehmen. Dieses Vertrauen - »wenn ihr nicht werdet wie die Kinder« - wird heute oftmals als Zeichen einer eben zu überwindenden menschlichen Unreife, sogar einer Mißachtung der göttlichen Majestät angesehen. Aber es ist gerade das Vertrauen, das Jesus in den Evangelien verlangt, ja mehr: das Vertrauen, das er uns in Gethsemane selbst vorlebt. Noch einmal müssen wir hier aufsein eigenes Gebet zurückkommen. Er spricht dort seinen Gebetswunsch aus (den Gott nicht erfüllen wird), der »Kelch« möge an ihm vorübergehen (Mk. 14,35ff. par.). Zwar handelt es sich nicht um Ersparung der Versuchung, aber auch um Verschonung von einem Geschehen, das in Gottes Plan gehört. Jesus bringt vor den Vater diesen Wunsch in der Gewißheit, daß ihm »alles möglich ist«, also auch einen Wunsch des Betenden in seinen trotzdem unabänderlichen Plan einzugliedern; aber freilich mit dem Zusatz: »wenn es möglich ist«. Indem Jesus den rein menschlichen Wunsch (»wahrer Mensch«), der Kelch möge an ihm vorübergehen, zum Gegenstand seines eigenen Gebets macht, ermächtigt uns sein Beispiel indirekt, im Vaterunser dafür zu beten, daß auch die Versuchung »an uns vorübergehe«. Gott will, daß wir zu ihm beten, obwohl er unser Gebet nicht braucht. Dieser Wille schließt ein, daß wir uns sogar mit einem vielleicht unerfüllbaren Wunsch an ihn wenden, wie ein Kind in hoffnungsvollem Vertrauen an die Eltern mit der Bitte gelangt, von der es nicht sicher ist, ob sie ihm gewährt wird. So verlangt freilich auch diese Vaterunserbitte, wie jedes Gebet, die Worte »doch nicht wie ich will«, »dein Wille geschehe«, also die Möglichkeit der Nichterfüllung in das Gebet für die Verschonung von der Versuchung mit aufzunehmen. Dann rückt - jedoch erst im Hintergrund und erst im Zusammenhang mit der nachher zu besprechenden Schlußbitte: »erlöse uns von dem Bösen« - die Bitte um die Kraft des Wi~erstands in der Versuchung ins Blickfeld. Testament keine Offenbarung über die Frage, woher das Böse kommt, auch warum es in der Zwischenzeit, obwohl besiegt, noch existiert. Siehe dazu unten S. 178.
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Mit diesem Ausblick will ich keineswegs etwa nachträglich auch meinerseits doch noch das »Nichtführen in die Versuchung« umbiegen zu einem »Nichtftihren in das Unterliegen«. Wohl aber finde ich, indem ich hier wie für die ganze Erklärung des Vaterunsers die übrigen synoptischen -Aussagen über das Gebet berücksichtige, in dem Gedanken, daß die Bitte um Ersparung der Versuchung nicht erfüllt werden könnte, eine Überleitung zu dem Nachsatz: »sondern erlöse uns von dem Bösen«189. Denn mit diesem weitet sich die Bitte um Verschonung von der uns in den Bereich des Bösen führenden Versuchung aus zur allgemeinen Bitte, überhaupt vom Bösen erlöst zu werden. Erst diese begreift in ihrer Absolutheit dann auch die Bitte um Beistand in der Versuchung in sich. Der Nachsatz ergänzt die Bitte »führe uns nicht in Versuchung«. Die Auffassung dieser Schlußworte als eines zur 6. Bitte gehörenden Nachsatzes soll der näher zu erörternde Gegenstand des nächsten Abschnitts sein.
g) Sondern erlöse uns von dem Bösen Zunächst ist zu fragen: Handelt es sich wirklich um einen Zusatz zur 6. Bitte oder um eine unabhängige 7. Bitte? Um (bei Matthäus) auf die Siebenzahl zu kommen, fassen viele Ausleger den Nachsatz als eine neue Bitte. Die griechische grammatikalische Konstruktion läßt eigentlich nur die Möglichkeit zu, daß die Bitte sich als Nachsatz zur 6. Bitte, und zwar sie ergänzend, gehört 190 . Sie erweitert gleichzeitig die 6. Bitte: sondern erlöse uns überhaupt 189 Wir haben oben S. 39 gesehen, daß die Mahnung Jesu an die Jünger in Gethsemane, dafür zu beten, daß sie nicht in Versuchung kommen, in'erster Linie die Bewahrung von dem Unterliegen in der kommenden Versuchung zum Gegenstand hat, daß aber im Zusam· menhang mit Jesu eigenem Gebet für das "Vorbeigehen des Kelches« die Bitte um Ersparung der Versuchung mit anklingt, daß also Jesus, der die menschliche Sch'wachheit der Jünger kennt, mit seiner Mahnung auch daran denkt, ihr Gebet solle verhindern, daß die Versuchung zu fliehen, ihn zu verleugnen, überhaupt an sie herankomme. In der Vaterunserbitte dagegen steht umgekehrt die Bitte um Verschonung von der Versuchung im Vordergrund, und erst in Verbindung mit der für jedes Gebet erforderlichen Unterwerfung unter Gottes Willen, der sie ausschlagen kann, mündet sie in den Nachsatz "erlöse uns von dem Bösen", der mit seiner allgemeinen Formulierung die Bitte um Beistand in der Versuchung impliziert. 190 AUGUSTIN ist in der Frage, ob 6 oder 7 Bitten, schwankend. J. CARMIGNAC (op. cit. S. 313) weist nach, daß er nicht immer die gleiche Meinung vertritt. MARTIN BucER (In sacra evangelia enarrationes perpetuae 1536 S.) und CALVIN (Institution 1936, J. D. Benoit S. 377) nehmen 6 Bitten an.
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
vom Bösen: die Vermeidung jeden Kontaktes mit dem Bösen wird erbeten 191. Denn Berührung mit dem Bösen ist eben auf zweierlei Weise möglich: einerseits erfolgt sie auch bei der Erprobung und dies ist, wenn unsere Erklärung der 6. Bitte richtig ist, der unmittelbare Sinn. Aber anderseits ist mit der Erweiterung wohl zugleich daran gedacht, daß wir auch dann, wenn uns die Versuchung nicht erspart bleibt und wir direkt von ihr ergriffen werden, Gottes Hilfe benötigen, um zu widerstehen und so vom Bösen erlöst zu werden. Viel wird seit dem Altertum darüber diskutiert, ob in der Bitte um Befreiung vom Bösen, das Maskulinum »der« Böse, d. h. der Teufel, oder "das« Böse gemeint sei. Der Genitiv, der hier im Griechischen steht, kann ja sowohl Maskulinum als Neutrum sein. Das gleiche ist bei dem deutschen Dativ "von dem Bösen« der Fall. Die philologische Untersuchung über die Anwendung des griechischen poneros bzw. ponerpn kommt zu keinem ganz eindeutigen Ergebnis. Jedoch ist im NeuenTestament das Maskulinum als Bezeichnung für den Teufel bezeugt: im Gleichnis Jesu Mt. 13,19; (bei Markus (4,14) steht an der gleichen Stelle »der Satan«, bei Lukas (8,12) »der Teufel«). Außerhalb der Synoptiker sind besonders Eph. 6,16 und1.Joh. 2,13; 3,12; 5,18 zu nennen. Die Stellen, die für das Neutrum besonders angeführt werden (Joh. 17,15; 2 Thess. 3,3) wiegen demgegenüber weniger schwer 192 . Aber abgesehen davon ist in der synoptischen Gesamtverkündigung Jesu das Böse so selbstverständlich personifiziert, daß die Erklärung der Beziehung des Genitivs auf den Bösen derjenigen auf das Böse vorzuziehen ist 193 •
191 Auch P. GRELCY!' faßt die Bitte in dieser Weise als Korrektur der Bitte um Ersparung der Versuchung auf. Aber gemäß seiner allgemeinen.Bevorzugung der Lukasform, in der ja dieser Satz fehlt, sieht er sie als sekundäre Erweiterung durch die Matthäusform an. 192 Richtig ist, daß im Judentum das semitische Äquivalent (rasha) sehr selten vorkommt. Immerhin weist M. BLACK in seinem Artikel, "The Doxology to the Pater Noster with a Note on Matthew 6,13b« (In A Tribute to Geza Vermes 1990) Additional Note S. 333ff., sein Vorkommen einerseits in den Qumrantexten 4 Q Amram b und 4 Q 280, 286, anderseits in Targum Jes. 11,4 nach, und er meint, die Bezeichnung sei wahrscheinlich häufiger gewesen als ihre Bezeugung. 193 Man hat geltend gemacht, daß im Neuen Testament 6ueaOm cilr6 sonst immer auf Menschen, nie auf den Teufel bezogen ist. Dies ist jedoch ein argumentum e silentio. Wenn wir im übrigen mit LoCHMAN (op. cit., 8.128) unter Hinweis al!fviele PsalmsteIlen statt .,erlöse uns·( .,errette uns« übersetzen, so paßt dies besonders gut zur Personifikation des Bösen im Teufel.
Synoptische Evangelien
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Besonders den griechischen Vätern ist die maskulinische Deutung ganz geläufig. Augustin entscheidet sich für das Neutrum (De Sermone in montagna II,4), und dies ist für alle lateinischen Väter die Regel, bis heute für die meisten katholischen Ausleger. Dagegen tritt J. Carmignac sehr energisch für die Beziehung auf den Teufel ein (op. cit. S. 306ff.). . Von den Reformatoren folgt Luther (in mehreren Schriften) den lateinischen Vätern, nimmt also im Vaterunser das Neutrum, »das« Böse an. Dagegen spricht sich Martin Bucer (in sacra quattuor evangeliorum enarrationes perpetuae 1536, S. 64) für das Maskulinum ,aus, und ebenso stellen sich die meisten neueren protestantischen Exegeten in dieser Frage in Gegensatz zu Luther l94 , so etwa E. Lohmeyer, op. cit. S. 119, R. Brown, New Testament Essays 1965, S. 251ff., P.Bonnard, commentaire ad.loc., S. 87).
Die Ablehnung (oder Annahme) des Teufelsglaubens sollte bei der Entscheidung nicht mitspielen. Gut schreibt Calvin in Concordance des 3 evangelistes 1555, S. 142, die Frage sei im Grunde unwichtig und sollte nicht zU Diskussionen Anlaß geben, da es das gleiche sei, ob man die Sünde oder den Teufel meine.
h) Die Doxologie,' Denn dein ist das Reich, und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit Die Doxologie fehlt in den guten alten Handschriften des Neuen Testaments. In der Liturgiesammlung der Didache (Anfang 2. Jahrhundert) ist sie vorhanden (Did. 8,2), aber nur zweigliedrig: Kraft und Herrlichkeit. Von da aus könnte der Brauch der katholischen Kirche verständlich sein, das Vaterunser ohne die Doxologie zu zitieren und es mit der Bitte »erlöse uns von dem Bösen« enden zu lassen, im Gefolge der alten Kirchenväter, die sie entweder auslassen oder mit Irenäus als einen zu einem Jesu-Gebet hinzugefügten liturgischen Anhang betrachten. Hier ist jedoch die historische Frage, ob die älteste Jüngergemeinde (auch Jesus selber) das Vaterunser je ohne die Worte der Doxologie gesprochen haben, nicht von dem literarischen Befund aus zu beantworten. Denn die jüdischen Gebete zeigen, daß es Gebete mit fest fixiertem Schluß und daneben solche gab, besonders nicht offizielle, zu denen das Vaterunser gehört (siehe oben S. 50, 53), die mit einem frei formulierten sogenannten »Siegel«195 beendet wurden. Überhaupt mußten aber Gebete in eine Doxologie einmünden 196, und von daher ist 194
Aber nicht Luz, 0p. cit. S., der das Neutrum annimmt.
195
Hatima (s. J. JEREMIAS, Abba und Neutestamentliche Theologie, S. 196).
196
J. ELBOGENßp. cit. S. 249.
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Die neutestamentlichen Aussagen aber das Gebet
gewiß der Annahme Schlatters 197 und J. Jeremias 198 zuzustimmen, daß auch das Vaterunser von Anfang an einen solchen Schluß besaß. Mit Recht hat man auch geltend gemacht, daß das von Jesus gelehrte Gebet wohl kaum mit den Worten »von dem Bösen« in der Matthäusfassung, »in Versuchung« mit der Lukasfassung abgeschlossen worden ist. Daß die alten Handschriften die Doxologie weglassen, mag seinen Grund darin haben, daß Jesus sie als mehr oder weniger selbstverständlich nicht hinzufügen muß;e. Anders stellt sich die Frage des Amen, das auch erst in späten Handschriften mit dem Vaterunser verbunden wird. Das aus dem.Hebräischen übernommene, wohl aufs Ägyptische zurückgehende Lehnwort wurde ursprünglich als profane Quittierung, dann als liturgische Antwort im jüdischen Gottesdienst verwendet, und auch im Frühchristentum kommt ihm nur diese Funktion als Bestätigung durch die Gemeinde zu. Erst spät und selten wird es als "Erfüllungswunsch« vom Beter selbst gesprochen199 .,
Was den Wortlaut betrifft, so ist zunächst zu bemerken, daß sich Doxologien nicht nur in Gebeten, sondern auch in anderen Texten im Alten und Neuen Testament finden 20o • Besonders oft kommen sie in den Paulusbriefen vor. An gewissen. Stellen seiner ihm zuteilgewordenen Erkenntnisse, die für ihn in einen Lobpreis Gottes einmünden, sieht sich der Apostel veranlaßt, doxologische Formeln zu zitieren. Zur Erklärung der Entstehung der üblich gewordenen dreigliedrigen Doxologie, nimmt neuerdings Matthew Black 201 im Anschluß an die älteren Arbeiten von J. J. Wettstein 202 und F. H. Chase 203 eine genaue Sichtung aller Stellen vor. Unter besonderer Berücksichtigung der schon immer herangezogenen Formel1.Chron. 29,lOf. und des aramäischen Targum zeigt er das Vorkommen ein- und mehrgliedriger Doxologien auf, in denen die Doxa, die Herrlichkeit, als Konstante immer vorhanden ist: die zweigliedrige und dann die dreigliedrige haben sich durchgesetzt. Theologisch hat die Doxologie im Rahmen des ganzen Vaterunsers den tiefen Sinn, daß sie die liturgische Antwort auf die drei ersten Bitten enthält, sodaß sich der Kreis harmonisch schließt 204 • Sie spricht A. SCHLATTER, Der Evangelist Matthäus 1929, S. 217. Op. cit., S. 196. 199 Siehe dazu K. SEYBOLD, "Zur Vorgeschichte der liturgischen Formel ,Amen"" ThZ 1992 Nr. 1, S. 109fT. 200 Auch in Didache, 1.IOem., Mart. Polykarp. 201 M. BLACK. Siehe den oben S. 88 Anm. 192 zitierten Artikel, S. 327 ff. 202 Novum Testamentum Graecum 1781. 203 The Lord's Prayer in the Early Church 1891. 204 Die Doxologie ist zwar im Gegensatz zum .. Amen« nicht Bestätigung durch die 197
198
Paulus (Corpus paulinumJ
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an diesem Platz die Zuversicht aus, daß die grundlegenden Anfangsbitten erhört werden. Dadurch daß sie direkt auf die Bitte um Erlösung vom Teufel folgt, kann sie außerdem als Hinweis auf die Allmacht Gottes über den allerdings noch nicht vernichteten, aber doch schon besiegten Bösen aufgefaßt werden 205 . Daß auch die Herrlichkeit (doxa) in diesem Schluß ihren festen Platz hat, ist, wie Lochman zeigt206, theologisch bedeutsam 207 : Dank ihrer Hinzufügung ist das Vaterunser nicht nur Bittgebet, sondern auch Lobgebet.
2. Kapitel
Das Gebet bei Paulus (Corpus paulinum) Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, hier das ganze corpus paulinum, d. h. sämtliche dem Paulus zugeschriebene Briefe heranzuziehen, obwohl alle für die Gebetsauffassung des Apostels einschlägigen Stellen in den. sogenannten unumstrittenen Briefen enthalten sind. Die Frage Iiach der Echtund Unechtheit der anderen, deren Lösung ohnehin auch bei Anwendung der gleichen philologischen und historischen Kriterien nicht zu einem Konsens gelangen wird, kann für unser Problem außer Acht bleiben. Ich habe nicht darauf verzichtet, aus »umstrittenen« Schreiben die für die Untersuchung des Gebets bei Paulus in Betracht kommenden Verse zu zitieren. Denn sie liegen so offensichtlich auf der gleichen Linie wie die den unumstrittenen Briefen zu entnehmenden Stellen, daß wir annehmen dürfen, daß etwaige Paulusschüler gerade die Gebetsübung und Gebetsauffassung des Meisters getreu in seiner Linie weitergeführt haben. Ob von Paulus oder von Paulusschülern stammend, tragen sie jedenfalls zur Vollständigkeit des Bildes bei.
versammelten Gläubigen der von einem Vorbeter gesprochenen Worte, sondern sie wird von diesem selbst hinzugefügt. Trotzdem wäre es auch im Lichte des liturgischen Charakters der Doxologie sinnvoll, wenn heute, wie ich oben S. 51 A. 58 aus einem ganz anderen (nämlich praktischen) Grunde vorgeschlagen habe, nur die sechs (bzw. sieben) Bitten vom Pfarrer gesprochen würden und die Doxologie als Antwort von der Gemeinde. 205 Diese Verbindung zeigt auch das Wort ÖTI, .. denn«, an. 206 Op. cit., S. 145ff. 207 Sie sollte uns auch von einer übertriebenen protestantischen Angst vor einer ..theologia gloriae« bewahren, als ob die Hervorhebung der göttlichen Herrlichkeit, der Auferstehung und Erhöhung Christi, dem gewiß besonders zu betonenden Kreuz Abbruch täte.
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
1. Vorbemerkung. Allgemeine Einteilung der Gebete In allen dem Gebet gewidmeten allgemeinen Arbeiten nehmen die Paulusbriefe einen besonders großen Raum ein 208 , erst recht in den auf das Neue Testament beschränkten 209 . In neuerer Zeit sind viele Monographien über das Beten des Apostels erschienen. Aus der Fülle greife ich diejenige G. Harders 210 und die neueste, eine Dissertation von R. Gebauer 211 , heraus. Letztere bietet einen guten und vollständigen Überblick über die gesamte diesbezügliche Literatur 212 • Anders als die oben behandelten Texte der synoptischen Evangelien, die grundlegende Weisungen über das Beten enth~lten, aber abgesehen vom Vaterunser und dem Gethsemanegebetnur ausnahmsweise Jesu eigene an den Vater gerichtete Gebete mitteilen, gibt Paulus im allgemeinen zwar nicht den Wortlaut der seinen wieder, berichtet aber sehr oft über ihren Inhalt. Eine Aufzählung verschiedener Gebete finden wir in 1 Tim. 2,1 213 • Die wichtigste Unterscheidung ist auch bei Paulus diejenige zwischen Bitt- und Dankgebeten. Während in den Synoptikern die Bittgebete zahlreicher sind, überwiegend bei Paulus die Dankgebete 214 • Abgesehen von dieser Unterscheidung läßt der Gebrauch der verschiedenen griechischen Verben und Substantive zur Bezeichnung des Betens keine wirklich grundlegenden Bedeutungsmerkmale erkennen. Ich entnehme im folgenden auch hier wie für die Synoptiker und die Johannesschriften ihre Aufzählung Ich nenne etwa die ältere von F. MEN1WOZ, op. cit. Aus älterer Zeit: E. VON DER GOLTZ, Das Gebet in der ältesten Christenheit 1901. Jetzt: A.lIAMMAN, op. cit. 210 G. HARDER .. Paulus und das Gebet 1936. 211 ROLAND GEBAUER. Das Gebet bei Paulus. Forschungsgeschichtliche und exegetische Studien 1989. 212 Auch mehrere eigene exegetische Untersuchungen des Verfassers sind beachtenswert. Leider vertritt er aber in der Behandlung von Röm. 8,12-27, des Abschnitts, der in meiner und anderer Sicht ganz und gar grundlegend für das Verständnis des paulinischen Betens ist und dem ich eine Schlüsselstellung einräume, eine Auslegung, die mir (und nicht nur mir) der Originalität und Tiefe der Auffassung des Apostels nicht gerecht zu werden scheint (Siehe unten S. 95 ff.). Die Benutzung der Arbeit ist etwas erschwert durch die auch sonst immer, aber hier ganz besonders zu beklagende Unterbringung der Anmerkungen am Ende des Buches statt unter den Seiten, zumal sie ein Drittel des Umfangs der ganzen Arbeit GEBAUERS ausmachen. Dies ist in diesem Fall um so bedauerlicher, als sie sehr wichtige und wertvolle Hinweise enthalten. 213 öe~ae~~. 1tQoaeUXUL, EV1:EUSEL~, eUxuQlOTlm. 214 KARLBARTH sieht nicht zu Unrecht im paulinischen Überwiegen des Dankgebets den Vorteil, daß das Bittgebet nicht zu ausschließlich ins Auge gefaßt wird. Aber die heutige Situation verlangt, daß das Bittgebet verteidigt werden muß. 208
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Paulus (Corpus paulinum)
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und Charakterisierung der Arbeit A. Hammans op. cit., unter Beiziehung des Kittelsehen Wörterbuchs: evxuQwT{a Dankgebet (besonders charakteristisch für Paulus). 6eoIJ.ar, DEfJar~ rur Bittgebete, aber auch rur andere verwendet, im besonderen hinsichtlich seines Apostelberufs (Röm. 1,10; l.Thess. 3,10) al'TfJJIa nur ein Mal vorkommend und den Gegenstand des Gebets betreffend (Phil. 4,6). JrQooevxeuf}aL, JrQooevx~ Gebet im allgemeinen, aber dem antiken Gebrauch gemäß besonders Bittgebet 215 . AaTQeveLv, AaTQda (wie eVAoyeiv) (gemeinsam mit Lukas, nicht Markus und Matthäus) ursprünglich auf den von Moses eingeführten Gottesdienst bezogen; in Röm. 1,9 auf den geistigen Gottesdienst, den Paulus durch sein Apostelamt darbringt; in Phil. 3,3 u. 2. Tim. 1,3 auf das christliche Leben. "avxäoiJm, "auXfJIJ.a Dank und Lob Gottes xQaCeLv in der Septuaginta Übersetzung von qara; in den wichtigen Stellen Röm. 8,15 und Gal. 4;6 verwendet: siehe unten S. 97.
Weiterhin sind die Gebete, von denen in den paulinischen Briefen die Rede ist, aufzuteilen in spontane und liturgische. Des Apostels eigene spontane Gebete wurden von ihm wohl »im Verborgenen« gesprochen, um Jesu Ausdruck zu gebrauchen, Aber spontane Gebete fanden ihren Platz auch im Gottesdienst. Sie konnten außerhalb und im Gottesdienst auch die Form des Zungenredens annehmen, mußten dann aber, um in ihm zugelassen zu werden, gemäß der Forderung des Paulus in der für alle verständlichen Sprache interpretiert werden (siehe unten S. 102 ff.) Liturgisch fixierte Gebete, die .Paulus wohl aus der Urgemeinde übernommen hat, drängten sich ihm besonders am Ende seiner Briefe auf: Er weiß, daß diese in der gottesdienstlichen Versammlung vorgelesen werden. Er sieht im Geiste die Gemeinde VOI: sich. Der briefliche Gebetschluß »die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch« und in der trinitarisch erweiterten Form von 2. Kor. 13,13 »die G~Jl.de des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen« gehörten wohl zu den ältesten Gottesdiensten. Der Gedanke an die zum Brotbrechen versammelte Gemeinde legt dem Apostel llm Ende des 1. Kor.-Briefes (16, 23) alte schon feststehende liturgisch-eucharistisc~e Bestandteile nahe mit dem Gebetsruf »maranatha« (nicht Indikativ, sondern Imperativ: »Herr komme«, siehe Johannesoffenbarung 22,20)216, dessen aramäiDies besonders hervorgehoben von CH. SENFT, op. cit. S. 59f. Siehe LIETZt<.lANN, Messe und Herrenmahl1926 (1962 4 ) und O. CULLMANN, Urchristentum und Gottesdienst, 1944 (1963 4 ). 216
216
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sche Urform, ebenso wie die der Abba-Anrede, auch im hellenistischen Sprach bereich seit der ersten Zeit respektiert wurde. Ei~e besondere Form erhält das liturgische Gebet in den »geistigen« Hymnen, die aufs Judentum, auf die alttestamentlichen Psalmen zurückgehen, aber auch christliche Neuschöpfungen umfassen, von denen einige in die Johannesoffenbarung aufgenommen sind. Mit diesen dankt die Gemeinde Gott und lobt ihn (KoI. 3,16; Eph. 5,19). Alle in der Gemeinde gesprochenen Gebete, die spontanen wie die liturgischen, haben nach 2.Kor. 4,15 eine um so größere Wirkung als die Gemeindeglieder zahlreicher sind 217. Paulus teilt in seinen Briefen, wie schon erwähnt, nicht den Wortlaut seiner Gebete mit, wohl aber berichtet er über ihren Inhalt. In sorgfältigen Arbeiten über den jüdischen Hintergrund 218 und besonders über hellenistische »Briefformulare« ist nachgewiesen worden, daß Paulus in diesen Berichten der Eingangsverse briefliche Konventionen befolgt219. Diese Untersuchungen sind sehr zu beachten. Aber die wichtigen Ergebnisse, zu denen sie gelangen, dürfen nicht überbewertet werden. Denn die Gebetslehre des Paulus ist, wie wir sehen werden, so intensiv und so eng mit dem Bewußtsein des Geistbesitzes und mit dem Glauben an Christi Werk verbunden, daß sie trotz der Beeinflussung seiner brieflichen Mitteilungen durch überlieferte Formen diesen Rahmen sprengt220. '. Die Gebete selbst, die der Apostel vor jeder wichtigen Entscheidung an Gott richtet und mit denen er ganze Nächte für die Gemeinden fUrbittend verbringt (1 Thess. 3,10) sind von Konventionen unberührt. Den Widerhall dieser Gebete, die wir als solche nicht im Wortlaut kennen, vernehmen wir in den erwähnten Berichten am Anfang der Briefe. Diese lassen uns ahnen, daß er sie der Eingebung durch den 217 Dies steht nicht in Widerspruch zu dem Jesuswort »wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen ... « (Mt. 18,20), da es in diesem nicht auf (kleine) Zahl ankommt, sondern überhaupt auf den Zusammenschluß. 218 U. a. siehe J. M. ROBINSON, Die Hodajot Formel in Gebet und Hymnen des Frühchristentums (Festschrift E. Haenchen 1964). 219 P. SCHUBERT, Form and Function ofthe PaulineThanksgivings, BZNW 1939. Aber O. ROLLER, Das Formular der paulinischen Briefe 1933 J. M. LIEU, »Gräce to You and Peace«. The Apostolic Greeting, BJRL 68 (1965), S. 161ff., haben nachgewiesen, daß die Wortverbindung xaQL~ Kat dQ~V1] weder aus jüdischen noch aus hellenistischen Formeln stammt. 220 R. GEBAUER op. cit. S. zeigt dies in seiner Exegese des langen Gebetsberichts Phil. 1,3-11, der zugleich eine Vorschau auf den Inhalt des Briefs bietet. M. ARNOLD, Luther, imitateur de Paul: ses lettres aux communautes evangeliques, RHPhR 72 (1992), S. 103-106, zeigt gut, daß Luther die Einleitungsdankformel des Paulus, gerade auch in ihrer paulinischen Prägung übernimmt.
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Heiligen Geist zuschreibt, dessen Wirken er in seinem ganzen Leben und besonders in seiner apostolischen Tätigkeit zu erfahren bewußt ist.
2. Gebet und Heiliger Geist Um die tiefe Bedeutung des Gebets nach Paulus in ihren verschiedenen Belangen besser zu verstehen, gehen wir von der unlöslichen Beziehung aus, die für ihn zwischen Gebet und Heiligem Geist besteht. In ihr haben alle Gebetsaspekte ihren Grund: Forderung der Beharrlichkeit im Gebet, Vereinigung mit Gottes Willen; Gebetsgegenstand, Erhörung. Deshalb werden wir die Exegese des wichtigen Abschnitts des Römerbriefs Kap. 8,12-27 als Ausgangspunkt nehmen. Vorher nenne ich aber noch andere Stellen, die zeigen, daß für Paulus Beten ohne den Heiligen Geist nicht möglich ist. Was er in I.Kor. 12,3 vom Bekennen schreibt, gilt auch vom Beten: »Niemand kann sagen: »Herr ist Christus« ohne den Heiligen Geist.« Bekennen ist ja eine Form des Lobgebets. Der Heilige Geist ist für Paulus eine ganz konkret erlebte Gegebenheit. Seine Wirkung bezeichnet er als Kraft - Wunderkraft - (griechisch dynamis). Daß sie in unserer »Schwachheit« (Krankheit) »zu ihrer vollen Entfaltung kommt« erfährt er als Antwort auf sein Gebet in 2.Kor. 12,9, eine Stelle, auf die wir unten (S. 112) zurückkommen werden. In Eph. 6,18 werden die Leser aufgefordert, »zu jeder Zeit im Geiste zu beten«. Nach Eph. 3,20 erhalten wir von Gott durch die Geisteskraft »unendlich viel mehr, als wir erbitten und ersinnen«. In Röm. 15,30 bittet Paulus die Gemeinde, »durch Christus und durch die Liebe des Geistes« in ihren Gebeten zu Gott für ihn mitzukämpfen. Von der »Liebe des Geistes« ist hier im Zusammenhang mit dem Gebet die Rede, da alle Fürbitte die durch den Geist geschenkte Liebe voraussetzt. In KoI. 3,16 und Eph. 5,19 werden die dort genannten Psalmen, Hymnen und Lieder, dieja auch Gebete sind, »geistig« (pneumatikoi), vom Geist eingegeben, genannt. Auch in l.Kor. 14,15 sind vom Geist inspirierte Psalmen erwähnt. Die theologische Begründung der Beziehung zwischen Gebet und Heiligem Geist ist jedoch aus dem Abschnitt Röm. 8,12-27 zu erschließen, zu ergänzen durch Ga!. 4,6. Um zu beweisen, daß wir nicht mehr Sklaven, sondern Söhne sind, führt Paulus an den beiden Stellen das Gebet zum Vater an, und beide Male zitiert er als Beweis die aufJesus
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zurückgehende Vateranrede auf aramäisch, Abba. Gal. 4,6: »Daß ihr Söhne seid, (geht daraus hervor,) daß er in eure Herzen den Geist des . Sohnes gesandt hat, der ruft: »Abba, Vater«.«; Röm. 8,15: " ... sondern ihr habt einen Geist der Sohnesschaft erhalten, in dem wir rufen: »Abba, Vater«.« Wie kann aber unser Gebet zum Vater Beweis dafür sein, daß Gott uns zu Söhnen macht? Diese Folgerung des Paulus ist nur möglich von der Überzeugung aus, daß der Geist in unserem Beten spricht. Weil er uns im Gebet den Vaternamen inspiriert, heißt dies, daß Gott uns als seine Kinder proklamiert. Daß der Heilige Geist als der Sprechende in unserem Gebet Subjekt ist, geht aus beiden Stellen klar hervor: Gal. 4,6 Gott hat den Geist des Sohnes in unsere Herzen gesandt, der ruft Abba, Vater. In Röm. 8;15 sind zwar wir als die Betenden Subjekt: "im Geist (durch ihn) rufen wir Abba, Vater.« Dieser Unterschied ist jedoch nur scheinbar221.~Denn selbstverständlich. muß sich der Geist unseres menschlichen Sprechens bedienen. Wir finden hier eine ähnliche paradoxe Einheit wie in Gal.2,20, wo Paulus sagt: »ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir«. Der Apostel will damit nicht behaupten, daß er im anthropologischen Sinne kein »ich« mehr habe; wohl aber stellt er eine dynamische Innewohnung Christi fest, die seine gesamte Existenz durchdringt und belebt und die sich nicht mehr in anthropologische Kategorien zwängen läßt. Dasselbe finden wir nun auch beim Beten nach Röm. 8,12ff. »Der Geist selbst« Röm. 8,16 222 ist dabei am Werk, aber auch »unser Geist«223. Der »Geist selbst« ist der (transzendente) Geist außer uns. »Unser Geist« ist von diesem so ganz durchdrungen und belebt (»er wohnt in uns«, Röm. 8,11; »in unsern Herzen«, Gal. 4,6), daß er mit ihm eine Einheit bildet 224 . Es ist der Heilige Geist, der im Gebet spricht 225 . 221 Zu stark betont ihn dagegen W. BIEDER in seinem im übrigen meiner Auffassung sehr nahe kommenden Aufsatz »Gebetswirklichkeit und Gebetsmöglichkeit bei Paulus. Das Beten des Geistes und das Beten im Geist«, ThZ 1948, S. 27. 222 ulJ1:6l:0 ltVEl·!la.
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Das »Zusammen-Zeugnis-ablegen« kommt im V. 16 im Verbum Ausdruck. 224 So mit Recht E. KASEMANN, An die Römer (Handbuch zum N.T.) 1973, S. 218; auch A. SCHLAITER, Gottes Gerechtigkeit. Ein Kommentar zum Römerbrief19765 ,S. 266, E. SCHWEIZER, TWB IV, 434; auch O. Kuss, Der Römerbrief 1963 ad. loc. Dagegen nehmen u. a. R. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments 19849 S. 208 und F. LEENHARDT, L'Epitre de S. Paul aux Romains, 19672 S. 123 Anm. 2 an, es sei hier untersCl1ieden zwischen Gottes Geist und dem natürlichen Menschengeist. F. LEENHARDT schreibt, man käme andernfalls zu der »subtilen« Behauptung, daß der Geist zu sich selbst spreche. Dies ist aber in der Tat des 223
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Dies ist die tiefe Wahrheit über das Gebet, die wir dem Apostel verdanken. Daß sie zwei Mal in zwei verschiedenen Briefen begegnet, zeigt, wie wichtig sie ihm ist. Ihre Bedeutung darf nicht mit dem richtigen Hinweis entwertet werden, daß sie beide Male als Beweis in den Dienst der Aussage über unsere Kindschaft Gottes gestellt ist. Gewiß ist das Thema,: Kindschaft, Sohn, aber präzis eben: die Proklamation dieser Kindschaft durch den Geist im Gebet, und diese Präzision durchzieht den ganzen Abschnitt und macht seine Einheit aus. Kindschaft und Gebet als Gebet zum Vater gehören in Röm. 8,12ff. ganz eng zusammen und sollten nicht voneinander getrennt werden. Denn alles Beten hat nur einen Sinn, wenn wir als Kinder zum Vater beten. Wir beten, weil wir Gottes Kinder sind, und umgekehrt: wir sind Gottes Kinder, weil wir zu ihm als unserem Vater beten. Auch darf nicht behauptet werden, das Sprechen des Heiligen Geistes, wenn wir >>Vater« rufen, gelte nicht für das Beten überhaupt, sondern nur für eine sogenannte »Akklamation«, die in einem gottesdienstlichen Ausrufen Gottes in der aramäischen Urform »Abba« bestehe 226 • Selbst falls hier nur ein Hinweis auf einen derartigen Brauch vorliegen sollte, was aber keineswegs sicher ist, so handelte es sich auch bei einer derartigen »Akklamation« um einen Gebetsruf227. So wie nachher (siehe unten S. 104) das Zungenreden von Paulus nur deshalb beigezogen ist, weil es besonders deutlich das Reden des Geistes in allen Gebeten zum Ausdruck bringt, so würde auch hier nur deshalb auf solchen Gebetsruf Bezug genommen, weil er alles Beten zum Vater als Proklamation des Geistes besonders eindrücklich bezeugen würde. Das hier für »beten« gebrauchte griechische Verbum krazein berechPaulus Auffassung, (so auch P. TILLlcH, siehe unten S. 98 A. 230) wobei jedoch zwischen Geist »in uns« und Geist »außer uns« (airta 1:0 ltVEÜIl(() zu unterscheiden ist, so wie der'zur Rechten Gottes sitzende »Christus« und .Christus in uns« unterschieden sind, obwohl es der gleiche Christus ist, und wie wir oben (S. 27) in anderem Zusammenhang von .. Gott in uns« und .. Gott außer uns« gesprochen haben (Ubiquität). 225 ARMIN DIETzTEL, Beten im Geist, ThZ 1957, S. 12ff. zitiert als Parallele aus den hodajot von Qumran Texte, die wie Paulus ein Beten des Geistes im Menschen und das des Menschen im Geist kennen. 226 Es wird vergessen, daß die Behauptung, es handle sich hier um eine »Akklamation« auf einer Annahme beruht, die nur eine (mögliche) Hypothese ist: »abba« wie »maranatha« (auch .XUQLO<;«) seien gottesdienstliche ekstatische Rufe gewesen. R. GEDAUER, in dessen Argumentation sie eine so große Rolle spielt, übernimmt diese heute üblich gewordene Erklärung, wie sie fast als Selbstverständlichkeit z. B. auch bei E. KASEMANN in seinem Kommentar »An die Römer« (Handbuch zum N.T.! 1973 S. 218 vorliegt. 227 So mit Recht U. WILCI(ENS, Der Briefan die Römer, EKK 1978ff. Bd.II, S. 137.
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tigt nicht zur Annahme einer solchen Einschränkung unter Ausschluß des Betens im allgemeinen. In den alttestamtlichen Psalmen ist das hebräische Äquivalent qara geläufig, und das griechische Verbum begegnet auch in 1.Klem. 22,7 zur Bezeichnung allen Betens. Von seiner Beziehung aufjede autoritative prophetische VerkündigUl,lg aus wird es für ein inbrünstiges Beten verwendet 228 • Die Abba-Anrede ist für alles Beten charakteristisch. Wenn seine aramäische Urform auch im griechischen Sprachbereich mit solcher Ehrfurcht beibehalten wurde, so deshalb, weil im ganzen Urchristentum die Erinnerung daran lebendig blieb, daß das besondere Sohnes bewußtsein Jesu eben in der Abba-Anrede zum Ausdruck kam (siehe oben S. 56). Weil diese für Jesus eine einzigartige Prägung hatte, bezeichnet Paulus in unserer GalatersteIle 4,6 den Heiligen Geist als »Geist des Sohnes«, der in unsere Herzen gesandt ist und Abba ruft. Durch den Sohn werden wir zu Söhnen. Obwohl der in Röm. 8 folgende Abschnitt, wie wir sehen werden, in V. 26f. das sogenannte Zungenreden als besondere Form des Gebets einbezieht, in dem der Geist seine eigene Sprache spricht, ist es wohl abwegig, im Vers 15 ),Abba« als einen durch Zungenreden zustande gekommenen Laut anzusehen. Denn der ganze Zusammenhang zeigt, daß hier die für alle Gemeindeglieder verständliche Wortbedeutung vorausgesetzt ist. Man kann sich aber fragen, ob der Apostel nicht den Anfang des Vaterunsers (in der Lukasfassung) im Auge hat. Dies ist allerdings nicht sicher229 • Es ist kein Widerspruch, daß nach der hier dargelegten Gebetsauffassung des Paulus der Geist es ist, der in uns spricht, und daß der Apostel es anderseits uns zur Aufgabe macht, daß wir beten sollen 230. Wir haben SieheTh. Wb I1I, 899f. (GRUNDMANN). Die Hypothese wird von vielen befürwortet, z. B. TH. ZAHN, Der Brief des Paulus an die Römer 1910, S. 396, H. LIETzMANN, An die Römer 19334, S. 83 und C. H. DODD, The Epistle ofPaul to the Romans 1973 ad loc., aber bestritten von E. KAsEMANN, An die Römer. Handbuch zumN.T. 1973, S. 217. Auch vonR. GEBAUEROp. cit. S. 155. Sein Argument, daß in Matthäus und Lukas ja nur die griechische Übersetzung von Abba stehe, scheint mir aber nicht überzeugend. Denn bei der Übersetzung des ganzen Vaterunsers ins Griechische konnte auch das eigentlich nicht zu übersetzende Wort mitübersetzt werden. Auch daß nur das Wort Vater hier zitiert ist, würde nicht gegen eine Anspielung aufs Vaterunser sprechen; denn fUr den in Röm. 8,15 zu erbringenden Beweis, daß wir Kinder sind, konnte sich Paulus auf das Anfangswort des Vaterunsers beschränken. Ebenso wenig stichhaltig scheint mir R. GE BAUERS Argument, das Vaterunser sei nicht als vom Heiligen Geist inspiriert angesehen worden. 230 Besonders treffend hat P. TILLICH das hier vertretene Verständnis von Röm. 8,12ff. formuliert. Siehe Systematische Theologie (Evg. Verlagswel'k 1966). In Bd. III S. 233 228 229
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oben (S. 96) gesehen, daß in Gal. 4,6 der Geist das Abba spricht~ daß an der parallelen Stelle Röm. 8,15 zwar wir es beten, daß dies aber auch hier »im Geist« geschieht und daß im folgenden Vers der Geist Subjekt ist. Ein in Mt. 10,20 überliefertes Jesuswort besagt deutlich, daß es ein menschliches Reden gibt, in dem der Geist es ist, der spricht. Es handelt sich zwar nicht um ein Gebet, sondern um das Bekennen der Jünger vor Gericht: »Wenn sie euch überliefern, sorget nicht, wie oder was ihr reden werdet. Denn nicht ihr werdet es sein, die reden, sondern der in euch redende Geist des Vaters wird es sein«. In den gleichen Zusammenhang gehört aber die der in Gal. 4,6 und Röm. 8,15f. vorausgesetzten Gebetsauffassung sehr nahekommende Aussage des Paulus über Bekennen und Geist in l.Kor. 12,3; Niemand kann sagen: Herr ist Jesus außer im Heiligen Geist. Bekennen gehört ja auch in den Bereich des Lobgebets. Es ist also klar, daß weder das menschliche Reden das Sprechen des Geistes ausschließt noch umgekehrt das Sprechen des Geistes das menschliche Reden. Die eindringlichen Aufforderungen zur Beharrlichkeit im Beten, die wir bei Paulus finden werden, bleiben sinnvoll, denn der Geist bedient sich des Gebets, zu dem wir bereit sein müssen. Die Spannung, die wir hier feststellen, durchzieht die ganze Bibel. Es ist die Spannung zwischen dem Indikativ des Glaubens und dem Imperativ der Ethik: »Ihr seid heilig«, »ihr sollt heilig sein«. Der Indikativ »der Geist betet in uns« entbindet uns nicht vom Imperativ: »betet ohne Unterlaß«. Weil der Heilige Geist durch sein Sprechen seine Gegenwart bezeugt, sollen wir beten. Nach Paulus, wie nach Jesus, will Gott, daß wir beten, »bittend und dankend«, obwohl er Herr unserer Gebete ist und obwohl er weiß, wessen wir bedürfen, ehe wir ih.n bitten. Die Gegenwart des Heiligen Geistes im Gebet bedeutet zweierlei: der Geist bekundet uns seine Gegenwart; wir dürfen und sollen in dieser Gegenwart die Antwort auf unser Beten suchen. Das hat Pascal erfahren, als
betont er, daß »das Subjekt-Objekt·Schema, das Sprechen zu jemand anders überwunden ist: der durch uns spricht, ist der, zu dem wir sprechen«.Ib. III, S. 143: »Die Paradoxie (daß Gott nur Objekt werden kann, wenn er zugleich Subjekt ist) löst sich auf, wenn man sich klar macht, daß der göttliche Geist, der den Betenden ergreift, Gott selbst ist, und daß man sagen kann: Gott spricht durch uns zu sich selbst.« Zur Wechselwirkung (wir beten für den Heiligen Geist, und zugleich betet der Geist) siehe !luch K. BERGER in TRE »Gebet« S. 50.
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er die Interpellation Gottes vernahm: »Du würdest mich nicht suchen,. wenn du mich nicht gefundenhättest.«231 Mit diesem paulinischen Verständnis übersteigt das Gebet an Würde alles andere menschliche Reden. Es ist das einzige menschliche Sprechen, mit dem wir über unser Menschsein hinausgehen. Eine Überwindung des "noch nicht« kündigt sich an: Beten ist ein eschatologisches Reden 232 . Beten und Kindschaft sind beide vorweggenommene. Zukunft. Diese Gemeinsamkeit ist deutlich in Röm. 8,17 wie in Gal. 4,7 durch die Gleichsetzung von Sohn und Erbe 233, die im Beten bezeugt ist. ),Sind wir Söhne, so sind wir Erben.« Mit diesem Begriff des Erbeseins ist der Bezug des ganzen Abschnitts auf die Zukunft gegeben. Unsere Erhebung zu Kindern und Erben wird ja im Gebet durh den Geist verkündet, der für Paulus die schon jetzt in unseren Äon hereinragende Zukunft ist: er ist "Angeld«234. So bezeichnet ihn der Apostel in 2.Kor. 1,22; 5,5. In Eph. 1,14 wird er "Angeld der Erbschaft«235 genannt. Anderseits ist aber der Geist - auch im Beten - nur Angeld, und das heißt, daß die Würde des Erbeseins zunächst das "Mitleiden« mit Christus vor dem "mit ihm Verherrlichtwerden« bewirkt (Röm. 8,17). Die Spannung zwischen "schon« und "noch nicht« betrifft die ganze Existenz der Gläubigen, also, wie wir im V. 26 sehen werden, auch das Beten, das ihn als Sprechen des Geistes zugleich den höchsten von Menschen erreichbaren Gipfel erleben läßt und doch nur ein Stammeln ist, das die Entfernung vom Ziel der Verherrlichung kundtut. Erst am Ende wird die in der Kindschaft zugesicherte »Erlösung des Leibes« (V. 23) erfolgen. Erst dann wird der schon "in uns wohnende Geist« ,'unsere sterblichen Leiber lebendig nachen«. Dies steht im gleichen 8. Kap. des Römerbriefs im V. 11, unmittelbar vor dem Abschnitt des im Beten proklamierten Kind- und Erbeseins. Die Verse 24ff. bringen die Hoffnung auf die Zukunft, die wir noch nicht "sehen«, sondern "erwarten«, direkt in Verbindung mit dem 231 Console-toi; tu ne me chercherais pas, si tu ne m'avais pas trouve. B. PASCAL, Pensees, Hrsg. Leon Brunschvig. Der Herausgeber verweist dazu in einer Anmerkung auf St. Bernard De Deo diligendo VII, P. 1. Bd. CLXXXII co!. 987: allein derjenige kann dich suchen, der dich schon gefunden hat. 232 Zum eschatologischen Charakter des Gebets siehe H. GREEVEN, Gebet und Eschatologie im Neuen Testament 1931. 233 K;"T]gov6~10l. 234 235
aggoßulLV; als Synonym .. Erstling.. amlQX~ Röm. 8,23. aggoßo)v tfi~ K;"llQovo~lio; ~!I(j)V.
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menschlichen Beten. Damit leitet der Apostel nicht etwa ein neues Thema ein, sondern er führt dasjenige von V. 15 fort. Der ganze Abschnitt V. 12-27 bildet eiMEinheit. So ist zunächst der V. 26 mit V. 15 zu verbinden: »wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie es sich gebührt, aber der Geist tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern«. Diese Aussage von V. 26 schließt sich genau an die grundlegende Gebetsvorstellung vom Sprechen des Geistes im Abbasagen in V. 15 an 236 . Nur ist dort die positive Seite ins Auge gefaßt, hier die negative, ,begrenzende, des Eintretens des Geistes: das »Seufzen«. Diese Doppelerfahrung durchzieht die ganze Argumentation. Eindeutig ist in dem zitierten V. 26 von allem Beten die Rede 237 . Was im V. 15 als Beweis für die Sohn schaft angeführt war, wird hier zum Thema. Das Beten steht ständig im Hintergrund und wird nicht aus dem Auge verloren. Erst die Verbindung mit V. 15 erlaubt uns, den V. 26 richtig zu verstehen. Daß »wir nicht wissen, was wir beten sollen, wie es sich gebührt«238 und daß der Geist selbst für uns eintreten muß 239, ist die natürliche Voraussetzung, Folge und Erklärung der Aussage vom V. 15, daß >,der Geist selbst« es ist, der in unserem Beten in uns spricht. 236 Die (von R. GEBAUER bestrittene) Verbindung (siehe sein ganzes Kapitel über Röm. 8,26 op. cit. S. 166ff') nimmt u.a. mit Recht O. MICHEL in seinem Kommentar .. Der Brief an die Römer .. (14. Aufl.) 1978, S.177 an. 237 Dies wird von GEBAUER in seinem ganzen Kapitel über Röm. 8,26 mit Nachdruck bestritten. Nach seiner Auffassung würden sich weder V. 15 f. noch V. 26 auf das Beten im allgemeinen beziehen. Vielmehr handle es sich in den bei den nicht zu verbindenden Versen um Sonderfälle: im V. 15 um die vom Beten zu unterscheidende Abba-Akklamation, im V. 26 um Beten und Zukunftshoffnung, also beide Male nicht um die allgemeine Unfahigkeit des Menschen, zu wissen, was er beten solle. Diese grundsätzliche Unfähigkeit nimmt dagegen nach W. BIEDER op. cit S. 27 (siehe oben S. 96 A. 221) mit Recht auch W. NIEDERWIMMER, Das Gebet des Geistes Röm. 8,26, Th.Z. 1964, S. 252 an. Für die von mir vertretene Auffassung ist diese Interpretation unentbehrlich. Sie ist auch nahegelegt durch die oben zitierte Stelle l.Kor. 12,3: ..Niemand kann sagen: ,Herr ist Christus< außer im Heiligen Geist .• 238 E. KASEMANN op. cit. ad loc. und R. GEBAUER loc. cit., auch SENFT op. cit. S. 70, betonen, daß nur 1:[ der Gegenstand, und nicht das Wie des Gebets anvisiert sei. Es heiße nicht, wie wir beten, sondern was wir beten sollen. Dies ist richtig und kommt auch flir meine Auffassung in Betracht. Denn auch der Gegenstand des Gebets ist vom Geist inspiriert, wenn es so beschaffen ist, .. wie es sich gebührt«. (ltaß Ö ÖElV. 26 oder XUTet ßEOV V. 27). Aber in dem, was wir beten, ist dann auch das Beten, wie es sich gebührt, miteingeschlossen. Beides geht auf den Geist zurück, wenn dieser in uns betet. So auch in dem oben S. 99 zitierten Jesuswort Mt. 10,20: .. wie und was ihr reden werdet ... 239 UlJvavnÄa~LßaVETm .. er kommt zu Hilfe« und tlltEQEVTUYXavEL, .. er tritt für uns ein ... Fürbitte und Stellvertretung, die in diesen letzteren Verben impliziert sind, passen zu dem Sprechen des Geistes in unserem Beten (gute Formulierung bei E. KASEMANN, op. cit. S. 231: die .. Fürsprache.. im Geist erfolgt .. im Himmel .. ; die Glossolalie ist der Geist, als .. die irdische Präsenz des Erhöhten«).
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Wenn es noch eines Beweises dafür bedürfte, daß die beiden Verse zusammenzunehmen sind, so müßte auch die sehr bemerkenswerte Tatsache angeführt werden, daß die Bezeichnung »der Geist selbst« für den in unserem Beten sprechenden transzendenten Geist Gottes sowohl in dem mit dem'V. 15 verbundenen (und. ihn interpretierenden) Vers 16 (»der Geist selbst bezeugt dem Geist in uns ... «) erscheint als im V. 26 (»der Geist selbst tritt für uns ein ... «). Auch das Zwischenstück über die seufzende Schöpfung V. 19-23 ist, wie wir sehen werden, keinesfalls eine eigentliche Unterbrechung. Vielmehr wird die erwähnte Doppelerfahrung des Wirkens des Geistes bis in die Schöpfung aufgezeigt;, insofern auch in ihr gerade die schmerzvolle Bekundung der unerlösten Schwachheit (das »Noch nicht«) von der Gegenwart des »Schon«, der erfüllten (und deshalb erwarteten) Erlösung Zeugnis gibt. Zunächst halten wir aber fest, daß sich im Beten dieses Nebeneinander kund gibt: Erreichung der höchsten Stufe menschlichen Redens und Erfahrung der wegen unserer Unzulänglichkeit noch unüberschreitbaren Grenze. Es kommt' trotz allem nur zum Stammeln, zu einem Seufzen 240. Um die Auffassung des Betens als Sprechen des Geistes ganz zu erfassen, müssen wir aber weiter die wichtige Rolle berücksichtigen, die im Urchristentum der besondern Form des Gebets zukommt, in der fast sinnenfällig der Geist durch die menschlichen Organe hindurch zum Durchbruch zu gelangen sucht, sich aber doch an deren Unzulänglichkeit stößt ... Es ist das.Beten, das im Neuen Testament als »Zungenreden« (Glossolalie) bezeichnet wird, eine Sprache, die mit keiner menschlichen Sprache verwandt ist und sich in Lauten äußert, die nur denen zugänglich ist, die von einer Art heiliger Ekstase ergriffen sind, den anderen aber unverständlich ist und als sinnloses Stammeln (Seufzen), ja als Zeichen von Verrücktheit (1.Kor. 14,23) vorkommen kann. Ob uns dieses überschwengliche ekstatische Phänomen, das es auch heute in sogenannten charismatischen Kreisen gibt, sympathisch ist oder nicht, in den historischen Darstellungen des Urchristentums sollte ihm größere Beachtung geschenkt werden, als dies geschieht 241 • Man sollte anerkennen, daß es eine für die ersten Christen sehr wichtige 240 Um die vermeintliche Unmöglichkeit, V. 26 und V. 15 zusammenzubringen, zu beweisen, argumentiert R. GEBAUER folgendermaßen: wenn der Geist im Gebet spricht, so ist doch keine Unvollkommenheit möglich (Anm. 340). Aber das Sprechen des Geistes im menschlichen Beten ist notgedrungen an die menschliche Unzulänglichkeit gebunden. 241 Dagegen widmet RUDOLF BOHREN in seiner Predigtlehre 1986', S. 331 ff. dem Zungenreden einen ausführlichen und instruktiven Paragraphen.
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Form des Gebets ist 242 • Nicht umsonst widmet Paulus ihr im 1.Korintherbrief(Kap. 12 und 13 und besonders 14) eine so lange Auseinandersetzung. Freilich bemüht er sich, von der christlichen Liebe aus und mit dem ihm eigenen Sinn für Maßhalten, ihm den rechten Platz im Gottesdienst zuzuweisen und dort vor ihrer Überbewertung gegenüber dem verstandesmäßigen Beten zu warnen. Aber mit dem ganzen Urchristentum hält er es für eine durchaus legitime Geistesgabe, und er dankt Gott dafür, daß er selbst dieses Charisma in höherem Maße als alle anderen besitzt (1.Kor. 14,18) (und offenbar außerhalb der gottesdienstlichen Versammlung in seinem Gebetsleben praktiziert). Nur im Gottesdienst zieht er es vor, wie er im nächsten Vers (19) schreibt, "fünf verständliche Worte lieber als zehntausend in Zungenreden zu sagen«. Denn wie alle das Zusammenleben der Gemeindeglieder betreffenden Fragen (etwa seine Haltung gegenüber den im Hinblick auf rituelle • Verbote »Schwachen im Glauben«), behandelter auch diese im Lichte der Rücksicht auf die Einheit der Gemeinde, also in diesem Fall auf diejenigen Brüder, denen die Gabe des Zungenredens nicht zuteil geworaen ist. Er läßt diese Form des.Gebets zwar auch im Gottesdienst zu, aber nur unter der Bedingung, daß jemand anwesend ist, der ihren Inhalt in der für alle verständlichen Sprache interpretiert. Es ist nicht zu vergessen, daß das sogenannte "hohe Lied von der Liebe« in l.Kor. 13 in diesem präzisen Zusammenhang vom Apostel geschrieben worden ist: "wenn ich in Menschen- und Engelzungen rede und habe der Liebe nicht... « Mit dem "Reden in Engelzungen« ist das Zungenreden gemeint, das der Apostel im folgenden Kapitel dieser Liebe unterworfen wissen will. -R. Bohren op. cit. S. 335, verweist auf J. C. Lavaters Spekulation (in "Aussichten in die Ewigkeit«, 16. Brief 1821, ausgewählte Werke hg. E. Staehelin) zwar nicht direkt über das Zungenreden, aber eine "Sprache im Himmel, die alle erlernte Sprache entbehrlich macht, die lauter unmittelbare Sprache ist ...«. (Siehe auch unten S. 105 Anm. 249 die vonK.Barth gegebene Definition des Zungenredens.)
Wichtig bleibt jedoch, daß Paulus ausdrücklich das Zungenreden als Gebet bezeichnet: »wenn ich in Zungen bete, so betet 243 mein Geist (der Geist in mir)« (1.Kor. 14,14). Im folgenden Vers (15) stellt er beide Gebetsformen als legitim nebeneinander: "Wie nun? Ich werde im Geiste beten, ich werde auch mit dem Verstande beten.« Diese Zweiteilung steht im Hintergrund der paulinischen Ausführun242 In Apg. 10,46 und 19,6 wird die Tatsache, daß bei der Taufe die Glaubenden beginnen, in Zungen zu reden, als Beweis dafür angesehen wird, daß der heilige Geist auf sie gefallen ist.
243 lC(jOOEVXETm.
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gen in unserem Abschnitt Röm. 8,12ff., zu dem wir nun nach diesem notwendigen Hinweis auf die große Bedeutung der Glossolalie für Paulus zurückkehren. Vor allem ist der unzweideutig von ihm vorgenommenen Einreihung des Zungenredens unter die legitimen Formen des Gebets größte Bedeutung zu schenken. Denn sie berechtigt uns zu der Annahme, bei der Aussage, der Geist trete für uns ein mit »unaussprechlichen Seufzern«, an die Glossoialie zu denken 244 . Das Wort Seufzen ist zur Bezeichnung des Zungenredens angemessen, denn obwohl es als beglückende Geistesgabe von denen empfunden wird, denen es zuteil wird, kommt es eben doch nur zur Glossolalie, die im Lichte des Verstandes den Eindruck unverständlichen Stammeins, unaussprechlichen Seufzens macht. Das Adjektivum »unaussprechlich 245 « ist nicht als »wortlos« »stumm« zu verstehen 246 , sondern im Sinne der »lmäussprechlichen Worte«247. von 2.Kor. 12,4, die Paulus auch in einem ekstatischen Zustande gehört hat, als er »in den dritten Himmel, ins Paradies« entrückt wurde. Es ist also nicht so, als ob Paulus hier nur Zungenreden im Auge hätte; das Vatergebet, von dem' er ausgeht, ist ja ein verständliches Reden, und alles hier Ausgeführte betrifft ·alles Beten überhaupt 248 . Aber die Form des Zungenredens steht in V. 26 deshalb im Vordergrund, weil sich das Sprechen des Geistes, das in allen Gebeten erfolgt, in diesem Falle durch die Ausschaltung des menschlichen Verstandes besonders deutlich kundgibt. Aber auch das Zungenreden ist wie alles Beten nur ein Seufzen. Der Geist ist an die Unzulänglichkeit des noch nicht erlösten menschlichen Leibes gebunden: »wir wissen nicht, was wir beten sollen, w~e es sich gebührt«. Mit unserer menschlichen Sprache können wir alles sagen, was wir unseren Mitmenschen mitzuteilen haben. Aber Beten heißt mit 244 E. KASEMANN 0p. eit. S. 230 erklärt ebenfallsdas Seufzen als Glossolalie, wie schon andere vor ihm, z.B. TH. ZAHN, Der Brief des Paulus an die Römer 1930, ad loc., als Möglichkeit auch G. HARDER op. cit. S. 169. Dagegen lehnen u.a. GEBAUER op. cit. S. 60 f. und 168 und F. LEENHARDTOp. cit. S. 131 Anm. 4 diese Annahme ab (LEENHARDT merkwürdig rasch in einer Anmerkung), auch A. SCHLATTER op. cit. ad loc., O. MICHEL op. cit. S. 178 und CH. SENFT S. 70, ohne (abgesehen von GEBAUER) näher auf sie einzugehen: 245 tUci,1.1/ro,. 246 Wie R. GEBAUER op. eit. S. 168f. im Zusammenhang mit seiner Ablehnung der Beziehung auf das Zungenreden deutet. . 247 Ü{!{!I/T:a /?~,uara. Auch KASEMANN op. cit. S. 230 nimmt diese Verbindung an. 248 Gut P. TILLICH op. cit. III, 140; "er [Paulusl wußte, daß jedes erfolgreiche Gebet, d. h. ein Gebet, das die Wiedervereinigung mit Gott schafft, ekstatischen Charakter hat. Ein solches Gebet kann der menschliche Geist nicht bewirken, weil der Mensch nicht weiß, was er beten soll, aber der göttliche Geist kann durch den Menschen beten.«
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Gott sprechen. Dazu ist unsere Sprache nicht fahig. Deshalb muß der heilige Geist in uns sprechen, wenn ein Gebet überhaupt möglich sein soll, wie es der ganze Abschnitt zeigt. Der Vers 26 wiederholt dies, aber mit Anspielung auf das Zungenreden: der Geist steht uns bei und tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern 249 . Das Stichwort »Seufzen« verbindet die Aussagen über das Gebet mit denjenigen über die Schöpfung V. 19-23. Dieses Seufzen findet sich nach dem Apostel überall dort, wo in dem, was Gott zur Vollkommenheit bestimmt hat, im unvollkommenen Rahmen des noch unerlösten Äons zugleich die göttliche Bestimmung und die Entfernung von ihrer Verwirklichung dumpf erahnt wird. Es ist wahrnehmbar in der göttlichen Schöpfung, die auf die von der gegenwärtigen Verderbtheit befreite Neuschöpfung »wartet«. Das griechische Wort 250 , dessen Paulus sich hier (V. 19) bedient, drückt eine ganz besonders intensive Sehnsucht aus. In der ganzen Schöpfung vernimmt er wie eine »Symphonie« des Seufzens, ein »Zusammenseufzen" 251 , das alle Geschöpfe verbindet (Y. 22), und im gleichen Vers fügt er ein anderes Verbum hinzu: »zusammen die Geburtswehen erleiden«252, das zugleich auf die end zeitliche herrliche Verwandlung aller Dinge durch den heiligen Geist in der Neuschöpfung hinweist, wenn die menschlichen Leiber der Kinder Gottes befreit werden (V. 21). Die Solidarität zwischen Mensch und außermenschli.eher Schöpfung wird in der endzeitlichen Erlösung wie am Anfang offenbar. Die ganze Schöpfung ist in die Vergänglichkeit hineingezogen worden durch die Sünde Adams 253 , »um dessentwillen, der sie ihr unterworfen hat«, heißt es in V. 20. Die Präposition dia »wegen« bezieht sich wohl nicht auf Gott, . wie mehrheitlich angenommen wird, sondern auf Adam 254 . Sie verweist auf 1. Mose 3,17: »um deinetwillen wird die Erde verflucht sein.« Aber Solidarität auch im Seufzen, das jedoch in der »Hoffnung« begründet ist (V. 19-26), im »Warten«, im »Schon« des Heiligen Geistes, den wir »als 249 KARLBARTH K.D. IV, 2, 14lf., definiert sehr gut das Zungenreden als .. Grenzfall des christlichen Redens als solchen, das Aussprechenwollen des. Unaussprechlichen, bei dem die Zunge der zur normalen Rede,notwendigen Anschaulichkeit und Begriffiichkeit gewissermaßen voraneilt und ausspricht, was nur eben als Seufzer oder Jauchzer vernehmbar werden kann«. 250 U1W1W(!Do,,{a .. erhobenen Hauptes«.
251 avoTEV/ll;E! v. 252 avvwD{I'E!V.
Die Solidarität wird im Judentum mehrfach hervorgehoben: u. a. 4.Esdr. 7,11. Für Adam entscheiden sich u. a. auch A. JlLICHER, Der Briefan die Römer (Schriften des N. T.) i907, TH. ZAHN op. cit., E. FÖRSTER Th. Wb. Bd. 3, S. 1030. 253
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den Erstling des Geistes« haben (V. 23). Durch das »Mitseufzen« hat die Schöpfung teil an unserem Schonerfaßtsein durch den Geist. Obwohl wir schon weiter sind, befindet sich doch auch die Schöpfung im Bereich des heiligen Geistes. Es gibt einen »Karfreitagszauber« der Schöpfung, und im Sinne des ganzen Abschnitts können wir sogar sagen: sie befindet sich im Bereich des Gebets. Die Schöpfung indirekt im Kontakt mit dem Heiligen Geist: ein kühner Gedanke, der aber theologisch weiter verfolgt werden sollte 255 . Die hier behandel~ ten Verse des Römerbriefs sind um so wichtiger, als abgesehen von den Worten Jesu über die »vom himmlischen Vater ernährten Vögel des Himmels« und über »die Blumen auf dem Felde« an die »Salomon in all seiner Pracht nicht herankommt« (Mt. 6,26ff.), die auch in der gefallenen Schöpfung noch vorhandenen göttlichen Elemente im Neuen Testament weniger erscheinen als im Alten. Unser Abschnitt ist auch deshalb um so mehr zu beachten, weil im Christentum die außermenschliche Kreatur weniger in die religiöse Sphäre einbezogen ist als in anderen Religionen. Franz von Assisi bildet eher eine Ausnahme.
Ich habe mich bei der paulinischen Verbindung des Gebets mit dem Heiligen Geist und vor allem seiner Auffassung des Betens als eines Sprechens des Geistes deshalb länger aufgehalten, weil sie mir, wie schon erwähnt, die Grundlage zu den in den nächsten Paragraphen zu behandelnden Aspekten zu bilden scheint.
3. Die Forderung der Beharrlichkeit im Gebet Wir haben gesehen (oben S. 102): Daß der Geist in uns spricht, heißt nicht etwa, daß wir dabei unbeteiligt seien, sondern im Gegenteil, daß wir gerade deshalb das Zwiegespräch mit Gott suchen sollen. Denn daß der Heilige Geist uns schonjetzt »von Tag zu Tag erneuert« (2 Kor. 4,16), heißt ja auch nicht, daß wir dabei nicht das unsere zu tun haben, damit all unser Denken und Handeln von ihm seinen Impuls erhalte. So ist es nur natürlich, daß Paulus gerade von seiner tiefschürfenden Verankerung des Gebets im Geist aus nicht müde wird, die Leser zur Beharrlichkeit im Gebet zu mahnen, und daß er selbst das Beispiel eines ganz vom Gebet geprägten Lebens gibt. Wie kein anderer zeigt er, daß das Gebet das Handeln nicht ausschließt, sondern in einzigartiger Weise befruchtet. Die Verbindung mit Gott bricht in allen Anliegen des Apostels keinen Augenblick ab. Weil er überzeugt ist, daß im Gebet der 255
Ansätze sind in der orthodoxen Theologie zu finden.
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Geist spricht, will er auf diese Weise kontinuierlich vOlll Heiligen Geist beseelt bleiben. So ist es mehr als rhetorische Emphase, wenn er in 1. Thess. 3,10 erwähnt, daß er»Tag und Nacht« dafür bete, er möge die Thessalonicher von Angesicht sehen, »um das, was ihrem Glauben noch fehle, aufzurichten«, oder wenn er in 2. Tim. 1,3 schreibt, er »gedenke des Timotheus in seinen Gebeten Tag und Nacht«, auch mit dein Wunsch ihn zu sehen. Es ist auffällig, wie in seinen Berichten über seine Bitt- und besonders Dankgebete, die Worte »immerfort«, »ohne Unterlaß«256 wiederkehren (Röm. 1,9; 1 Thess. 1,2; 2 Thes 1,11; 2,13; Phil. 1,3; KoI. 1,3: 2 Tim. 1,3). In Kol. 1,9 heißt es: »wir hören nicht auf, für euch zu beten«. Zu dieser Beharrlichkeit ermahnt er auch seine Leser: Röm. 12,12: »verharret im Gebet«; 1. Thess. 5,18: "betet ohne Unterlaß«; »sagt Dank beijeder Gelegenheit«. Auch in Kol. 4,2 ist die Aufforderung zur Beharrlichkeit mit dem Danksagen verbunden. Die Epheser sollen die schlaflosen Nächte benützen, um für alle Brüder und auch für den Apostel zu beten (Eph. 6,18). Paulus weiß, wie sehr Nachlässigkeit und Vergessen dazu führen, daß man nicht mehr betet. Er weiß auch, daß gerade das Danken vernachlässigt wird. Darum fügt er dieses bei der Mahnung zum Beten oft besonders hinzu, so auch in Phil. 4,6, wo er das Beten "in allen Dingen« verlangt. Die fast stereotype Verwendung des Verbums "danken« (eucharistein) in den Briefeingängen entspricht zwar, wie schon oben erwähnt, hellenistischer brieflicher Tradition, aber entspringt bei Paulus auch seinem inneren Bedürfnis, Gott zu danken. Daß er dabei doch nicht nur eine Konvention befolgt, zeigt die Abwesenheit des Dankes am Anfang des Galaterbriefes, da er ja in diesen Gemeinden so viel zu bemängeln hat. So schreibt er hier anstatt des üblichen an Gott gerichteten Dankes: "ich wundere mich, daß ihr euch so schnell von dem, der euch durch die Gnade Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium abgewendet habt« (Gal. 1,6): Gerade weil in den anderen Briefeingängen der Dank formal dem Briefstil angepaßt ist, hält er daran, die Aufrichtigkeit seines Dankes zu betonen. Dafür ruft er Gott als Zeugen an: Röm. 1,9. Da es sich um ein Zwiegespräch mit Gott handelt, kommt ja nur er allein als Zeuge in Betracht (siehe auch Phil. 1,8).
256 naVTOTE,
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
Paulus ist gewiß, daß Gott will, daß wir zu ih,m beten, und wiederum, daß wir ihm auch danken (1. Thess. 5,18: "in allen Dingen dankt, denn dies ist der Wille Gottes«), und zwar danken für das Heilsgeschehen, das, wie wir sehen werden, bei ihm ein so wichtiger Gebetsgegenstand ist. Wenn wir Gott dafür danken, ist uns auf diese einzig mögliche Weise Gelegenheit geboten, durch Gottes Gnade, teil zu bekommen an seinem Heilshandeln. Auch das dem Dankgebet so nahe stehende Lobgebet ist bei aller Wahrung der unendlichen Distanz ein Teilbekommen an Gottes Herrlichkeit (doxa). Die Gnade wird durch die Vermehrung der Danksagungen vieler »überfließen zur Herrlichkeit Gottes« (2.Kor. 4,15) Das Gebet ist die einzige Möglichkeit, in unserer Schwachheit es zu wagen, uns diesem Ziele schon jetzt von ferne zu nähern. In Röm. 1,21 schreibt der Apostel die Verderbnis allen Denkens der Heiden der Tatsche zu, daß sie trotz des theoretischen »Erkennens« Gottes »ihn nicht als Gott verherrlicht und ihm nicht als-solchem gedankt haben.« Ein Erkennen Gottes ist ohne das Gebet zu ihm nicht möglich. Gott spricht im Gebet. Im Erkennen wie im Beten geht das Aktivum unseres Tuns aus dem von Gott bewirkten Passivum hervor: »jetzt erkenne ich stückweise, dann werde ich erkennen, wie ich erkannt worden bin.« (1.Kor. 13,12)
4. Die Vereinigung mit Gottes Willen Alles Beten ist Zwiegespräch mit Gott, und da Gott in seiner Selbstrnitteilung aus Liebe die Menschen geschaffen hat, will er, daß sie teilnehmen an seinem Liebeswillen. So ist Beten an sich schon Vereinigung mit Gottes Willen. Paulus sucht darüber hinaus in allen Lebenslagen die Erforschung seines Willens. Er ist überzeugt, im Gebet, in dem der Geist spricht, ihn zu erfahren. Bis in die Einzelheiten seiner Reisen I' sucht er seinen Willen auszuführen. So bittet er darum, »durch Gottes Willen« die Möglichkeit zu finden, die Römer zu besuchen (Röm. 1,10). Die Römer ihrerseits sollen durch Beten mit ihm kämpfen, damit er nach allen Gefahren »durch den Willen Gottes in Freude zu ihnen komme und mit ihnen Erholung finde« (Röm. 15,32). Auch die Leser sollen sich so im Gebet mit Gottes Willen vereinen. Es ist Gegenstand seines Gebets in KoI. 1,9, daß die Kolosser erfüllt werden mit der Erkenntnis des göttlichen Willens, und er fügt hinzu: .,in aller Weisheit
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und dem Verstehen des Geistes«257. Denn der Geist verleiht diese Erkenntnis. Epaphras, der Begleiter des Apostels, betet für die Kolosser, daß sie »mit jeglichem Willen Gottes« bereichert werden« (KoI. 4,12). Auch wenn Paulus seine geplanten Reisen nicht ausführen kann, unterzieht er sich dem ihm auferlegten Verzicht. Daß dies im Fall der Reise nach Rom im Gebet geschieht, ist allerdings in Röm. 15,22 nicht gesagt258, und l.Thess. 2,18 legt eher nahe, daß dort >:Satan« seine Pläne scheitern ließ; während Lukas in Apg. 16,6 die Unmöglichkeit für den Apostel, sich nach Asien zu begeben, einer >>Verhinderung durch den Heiligen Geist« zuschreibt 259 . . Durch die Fürbitte - sei es des Apostels für die Gemeinden, sei es der Gemeinden für ihn - sind die, für die gebetet wird, mit den Betenden im göttlichen Willen vereint.
5. Gegenstand der paulinischen Gebete Obwohl w~r feststellen werden, daß Hauptgegenstand der Gebete in den paulinischen Briefen Gottes Heilsgeschehen in Christus ist, muß zunächst gesagt werden, daß nach Paulus nichts aus dem Beten auszuschließen ist, also auch persönliche Anliegen nicht. »In allen Dingen« sollen die Philipper ihre Bitten vor Gott bringen (PhiI. 4,6), und die Thessalonicher sollen bei jeder Gelegenheit »danksagen« (l.Thess. 5,18). Im Kolosserbriefheißt es »alles was ihr tut in Reden und Handeln, tut es im Namen des Herrn Jesus, indem ihr dem Vater durch ihn dankt.« Hier werden die persönlichen Anliegen mit dem Heilsgeschehen verbunden. Im Zusammenhang mit dem Inhalt der Briefe, in denen der Apostel alle Probleme der Gemeinden im Lichte einer theologischen Belehrung behandelt, steht das Werk Christi naWrlicherweise im Vordergrund seines Betens. In dieses bezieht er in seinen Gebeten sein eigenes missionarisches Handeln mit ein, durch das er das Bewußtsein hat, Gottes Heilsplan entscheidend weiterzuführen: »damit das Wort des Herrn weiterlaufe und verherrlicht werde« (2.Thess. 3,1). Selbstver257 EV 1U10n oorpl(l "ai ouveoEI JrVEU/WW'ij. 258 E. TROCME, L'apötre Paul et Rome: reflexions sur une fascination, RHPhR 72 (1992), S. 41-51 (besonders 43ff., 50), verweist in seinem Artikel auf die große Wichtigkeit, die Paulus dieser Reise zugeschrieben hat.
259 xWAuffEVTEC; VJrO roü äyfou JrVEU/lUmc;.
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ständlich erwähnt er das Danken gerade auch im Hinblick auf das Heilsgeschehen. Formal folgt er antiker Brieftradition, aber inhaltlich handelt es sich um das einmalige Erlösungsgeschehen durch Christus. So betet er für die von ihm gegründeten oder betreuten Gemeinden, deren Verankerung und Fortschreiten im Glauben zum göttlichen Heilswerk in Christus gehört. Er dankt dafür, daß »die Kunde .vom Glauben der Christen in Rom (Bekehrung und Glaubenshaltung) in der ganzen Welt sich ausbreitet« (Röm. 1,8), daß den Korinthern »die Gnade Gottes in Christus verliehen worden ist«, daß sie »in allem Reden und in aller Erkenntnis reich geworden sind, ... daß es ihnen an keinem Charisma fehlt.« Cl.Kor. l,4ff.) Auch in dem kurzen Brief an Philemon fehlt der Dank nicht: "für seine Liebesübungen und seinen Glauben Gott und allen Heiligen gegenüber« (V.4f.). Am Anfang des 1. Thessalonicherbriefs sind Glaube, Liebe und Hoffnung der Gemeindeglieder Gegenstand des Dankgebets (V. 2f.), und im 2. Thessalonicherbrief das Fortschreiten ihres Glaubens und der gegenseitigen Liebe aller (2. Thess. 1,3) (auch ihre Erwählung 2.Thess. 2,13f.). Für das Fortschreiten der Gemeinden bittet der Apostel im besondern. Denn das Heilsgeschehen gehört auch in das Bittgebet: In Phil. 1,9 fOlgt auf die Danksagung für die Gemeinde, für die er so viel zu danken hat, die Bitte, daß ihre Liebe immer mehr wachse. Im 2. Korintherbrief bittet er für die Stärkung der Gemeinde (2.Kor. 13,9). Wenn er im 1. Thessalonicherbrief so inständig Tag und Nacht dafür bittet, er möge diese Gemeinde besuchen, so deshalb, weil er das, was an ihrem Glauben fehlt, »aufrichten« will (l.Thess. 3,10). In 2.Thess. 1,11 bittet er für ihre Glieder, Gott möge sie würdig machen der Berufung, die durch ihn an sie ergangen ist. Paulus kennt genau jede Gemeinde, er kennt ihre Stärke und ihre Schwächen. Er bedarf dafür keiner »Fiches«. Seine Gebete beziehen sich immer auf die spezielle Situation einerjeden von ihnen. Das Gebet stellt ein besonders enges Band zwischen ihm und der Gemeinde her. Es vereint sie untereinander, weil es sie mit Gott verbindet. Deshalb muß dem Gebet des Apostels für die Gemeinden das Gebet der Gemeinden für den Apostel entsprechen. Denn er ist ja Instrument des Heilsgeschehens. »Betet für uns«, schreibt er den Thessalonichern am Ende des 1. Briefes (5,25), und im 2. (3,1): »betet für uns«, damit das Wort weiterlaufe und verherrlicht werde wie bei euch«, ebenso den Kolossern, »damit Gott ihm eine Tür öffne zur Verkündigung des Mysteriums Christi« (KoI. 4,3). Für die Epheser, an die er die gleiche Mahnung richtet, fügt er
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hinzu: »damit mein Mund geöffnet werde, um das Mysterium Christi zu verkündigen in Überzeugungskraft«260 (Eph. 6,18) Er hat es nötig, daß für ihn gebetet werde. Öfter berichtet er, wie gefährdet sein Werk war, wie Satan »nicht nur einmal, sondern zweimal« ihn hinderte, die Thessalonicher Gemeinde zu besuchen (1.Thess. 2,18). Aber mehr noch war es in Frage gestellt durch die Gefahren, auf die er im 2.Korintherbriefhinweist (2.Kor. 11,23ff., auch 2.Kor. 6,4f.). Im Römerbrief (15,30ff.) bittet er die Gemeinde, mit ihm im Gebet zu kämpfen, damit er aus der Hand der Ungläubigen in Judäa befreit werde und damit die Kollekte bei den J erusalemern wohl aufgenommen werde. Denn dies alles gehört mit zum Fortschreiten des Heilsgeschehens. Gerade auch die Kollekte für die Urgemeinde, dieja nicht nur eine humanitäre Hilfeleistung war, sondern das Band der Einheit sein sollte, das die beiden Missionen, die für die Judenchristen (durch Petrus) und die für die Heidenchristen (durch Paulus) bestimmte, vereinen sollte (Gal. 2,10). Ohne diese Einheit wäre das Werk des Paulus zerstört worden. Aber nicht nur die Christen, sondern alle Menschen sind in das Gebet des Apostels einbezogen, und in erster Linie das Volk Israel, für das er betet, es möge zum Heil gelangen (Röm. 10,1), aber auch für Könige und alle, die sich in einer Machtstellung befinden (l.Tim. 2,lff.) So bleibt auc~ der verfolgte Jünger Christi mit dem feindlichen heidnischen Staat, der die ihm von Gott gesetzte Ordnung überschreitet, durch das Gebet noch verbunden. Nur indirekt stehen mit dem Missionswerk auch die Gebete, die nur die Person des Apostels betreffen, in Beziehung. Daß auch solche bei Paulus nicht fehlen, ist ja durch die schon erwähnte Stelle in Phil. 4,6 nahegelegt: in allen Dingen soll gebetet werden. Hier ist an 2.Kor. 12,5ff zu denken. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf seiner Gegner, sich zu rühmen, erwähnt er seine Krankheit und ein Gebetserlebnis, das mit ihr verbunden ist. Nur dieses mit seiner Schwachheit verknüpften Erlebnisses will er sich rühmen, nicht desjenigen eines ekstatischen Zustandes, der ihm in einem Augenblick seines Lebens gewährt worden war (V. 6)261. Nur seiner »Schwachheit« - und das griechische Wort für 260
Wb).
lrappqota, ein Begriff, dessen Anwendung auf das Gebet wichtig ist (siehe dazu Th.
•
"Entrückung zum dritten Himmel .. , wo er »unaussprechliche (appqw)" Worte vernahm. Zu ekstatischen Erlebnissen des Apostels gehört ja auch - allerdings in schwächerer Form - seine Fähigkeit des (oben S. 103ff.) erwähnten Zungenredens. 261
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Schwachheit 262 bedeutet zugleich Krankheit-, will er sich rühmen und der Antwort Christi, die er dort im Gebet vernommen hat. Mit dem »Pfahl im Fleisch«, dem »Satansengel, der ihn damit schlägt«,ist wohl entgegen ferner liegenden Erklärungen eine chronische Krankheit gemeint 263 , die näher zu bestimmen unmöglich und auch unwichtig ist 264 . Die Bitte um Heilung, die Gegenstand dieses Gebets ist, ist nicht erhört worden, und dies führt uns zur Frage der Erhörung.
6. Gebetserhörung Das dreimalige Gebet 2.Kor. 12,8 ist nicht erhört worden. Aber ein Wunder hat sich in jenem Augenblick ereignet. Paulus hat offenbar sinnenfällig (wie nach Apg. 9,3 bei seiner Bekehrung) Christi Stimme als Antwort vernommen: »Meine Gnade genügt dir«. »Genügt«, das heißt: mehr wird ihm nicht zugesagt: »Die Wunderkraft« (dynal1üs) des Geistes 265 »kommt in der Schwachheit (der Krankheit) zur Vollendung.« Das heißt, daß die Krankheit bleibt, aber die heilende Kraft des Geistes trotz der bleibenden Krankheit und in ihr sich auswirkt. Damit ist gesagt, daß das Gebet zwar nicht erhört, aber gehört worden ist, daß also doch Erhörung durch die Gegenwart Christi in der Nichterhörmig stattgefunden hat. Der lebenspendende Heilige Geist ist in dem kranken, dem Tode geweihten Leib gegenwärtig. Dies »genügt«266. Der mit dem Zitat aus Jes. 49,8 eingeleitete Abschnitt 2.Kor. 6,1-10 weist in die gleiche Richtung: Erhörung.in der Schwachheit 267 . Wir können über dieses einmalige in 2.Kor. 12,5ff. berichtete Ereignis hinausgehen. Des Apostels Auffassung von allem Beten als einem· Sprechen des Heiligen Geistes impliziert eine Antwort, die nicht an ein wunderbares, sinnen262 daUeVEta. 263 Seit TERTULLIAN wird mit Recht hauptsächlich an eine Krankheit gedacht. Die Hypothese PH. MENOUDS, L'echarde et l'ange satanique (Festschrift F. de Zwaan 1953), nach der die Unmöglichkeit, die Juden zu bekehren, gemeint wäre, scheint mir mit dem Bild des .,Pfahls« schwer vereinbar. M. CARREZ, La demdeme Epitre de St. Paul aux Corinthiens, 1986, S. 230f. schließt sich ihr allerdings an. Auf einen Krankheitszustand ist ja sehr wahrscheinlich auch in Gal. 4,13f. angespielt, dort im Zusammenhang mit seinem Missionswerk in Galatien; 264 M. CARREZ op. cit. S. 230 teilt mit, daß bis jetzt über 150 Krankheiten vorgeschlagen worden sind! 265 Siehe öVVUtltl;, in Th. Wb.
266
d(l"Ef.
_
R. GEBAUER behandelt die Frage der Erhörung bei Paulus im Zusammenhang mit der Erklärung von 2.Kor. 6,4ff., aber ohne Verbindung mit 2.Kor. 12,5ff. 267
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fälliges Hören der Stimme Christi wie in 2.Kor. 12,9 gebunden sein muß. Die göttliche Gegenwart durch den Heiligen Geist ist Erhörung 268 .
7. Gebet zu Christus. Gebet durch Christus In 2.Kor. 12,8 betet Paulus zu Christus (Kyrios). Es ist die einzige Stelle, an der er nicht wie sonst zu Gott betet. Es gibt allerdings indirekte, aber nicht so eindeutige Zeugnisse dafür, daß er zu Christus beten konnte. In Röm. 10,12 ist der Ausdruck, »die, welche Christus anrufen« Bezeichnung für die Christen. Das Verbum »anrufen«269 ist bei Paulus nicht gebräuchlich für »Beten«. Aber wie das deutsche »anrufen« impliziert auch das griechische Wort zugleich Bekennen und Beten zum Kyrios Christus. Daraufweist auch Röm. 10,10. Auf Grund des urchristlichen Bekenntnisses Phil. 2,9ff. zum Kyrios Jesus Christus, dem der Name, der über allen Namen ist, verliehen wurde (der Name Gottes: Adonai, Kyrios), kann Paulus im Prinzip unterschiedslos zu Gott oder zu Christus beten. Auch das aramäische, wohl als fester Bestandteil zu der ältesten Abendmahlsliturgie gehörige und von Paulus übernommene (I.Kor. 16,23, siehe oben S. 93) Maranatha »Herr komme« ist ein (liturgisches) Gebet zu Christus. Warum aber von Paulus eindeutig nur in 2.Kor. 12,8 ein persönliches Gebet ,zu Christus erhalten ist, verstehen wir, wenn wir mit den meisten Auslegern annehmen, daß mit dem »Pfahl im Fleisch« eine Krankheit gemeint ist: der Apostel mag an die Krankenheilungen Jesu gedacht haben 270.
Was bedeutet aber die nicht nur in Gebeten von Paulus gebrauchte Wortverbindung »durch Christus«? Wir werden sehen, daß im Johannesevangelium im Zusammenhang mit dem Gebet »im Namen Christi« (siehe unten S. 131 r.) der gegenwärtigen Mittlerrolle Christi eine wich268 Siehe dazu P. TILLICH op. cit. Hr, 222: .. ein Gebet, in dem dies geschieht (Gegenwart des göttlichen Geistes), ist erhört, selbst wenn ihm Ereignisse folgen, die dem konkreten Inhalt des Gebets widersprechen.«
269 bWWAEfv. 270 Anders stellt E. FUCHS, Die Freiheit des Glaubens. Röm. 5-8 ausgelegt. 1949, die besondere Beziehung des' Ereignisses von 2.Kor. 12,8ff. zu Jesus her: die Schwachheit des Paulus wiederhole die Schwachheit Jesu. R. GE BAUER Zu .. Beten durch Christus« op.cit. S. 120 erklärt das nur einmalige Vorkommen des Gebets zu Christus, in2.Kor. 12,8, daraus, daß Paulus zu diesem Zeitpunkt noch völlig unter dem Damaskuserlebnis gestanden hätte, wo er Christi Stimme vernommen hatte.
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tige Bedeutung zukommt. Ist dies der Sinn von »durch Christus« bei Paulus? In Kol. 3,17 sind die Worte "im Namen Christi« und »durch Christus« parallel gebraucht: »tut alles im Namen des Herrn Jesus, indem ihr Gott dankt durch Christus.« Bei Paulus muß außer der Beziehung auf den gegenwärtigen Christus als Gebetsmittler eine zweite stark berücksichtigt werden. Wenn wir in Betracht ziehen, daß der Hauptgegenstand der paulinischen Gebete, im besonderen der Dankgebete, das Heilsgeschehen in Christus ist, so bezieht sich der Ausdruck wohl in erster Linie auf dieses. Aber die Gl'lgenwart Christi bei unserem Beten - er steht als der Erhöhte durch seinen Geist sozusagen neben uns - darf dabei nicht ausgeschlossen werden. Dies umso weniger, wenn wir daran denken, daß nach Paulus in unseren Gebeten der Heilige Geist spricht (siehe oben S. 96). Diese Gegenwart ist außerhalb der Gebetstexte nahegelegt durch Röm. 8,34, wo es heißt, daß »Christus zur Rechten Gottes für uns eintritt«. Dabei ist doch wohl- zummindesten auch - an unser Beten zu denken 271 , was in Kol. 3,17 sicher der Fall ist 272 • Die beiden Bedeutungen sind durch den Gedanken verbunden, daß wir durch Christus in seine Gemeinschaft mit dem gegenwärtigen Gott aufgenommen sind.
8. Das Gebetsverhalten Wir unterscheiden den äußern Gebetsgestus und die innere Disposition. Über den ersten ist nicht viel zu sagen. Wir haben gesehen (oben S. 37), daß in den synoptischen Evangelien (wie auch im J ohannesevangelium) der Blick Jesu zum Himmel erwähnt ist. Man kann diesen in l.Tim. 2,8 vorausgesetzt finden, wo von den zu Gott erhobenen Händen die Rede. ist. Gesichert aber ist das Vorkommen des »Beugens der Kniee«, das in Eph. 3,14 genannt ist. Für Paulus wie für Jesus kommt jedoch dieser Frage wohl kaum Bedeutung zu. 271. Dagegen R. GEBAUER op. cit. S. 141. Er kommt in einem Exkurs S. 139ff. aufgrund einer Untersuchung der Stellen, in denen die Formel erscheint: Röm. 1,8; 2.Kor. 1,20; auch Kol. 3,17 und außerhalb der Gebetstexte: Röm. 7,25, zum Schluß, daß die Formel auf das Heilshandeln in Christus als .. Ermöglichungsgrund des paulinischen Dankens und Lobens zu beziehen ist« (S. 141). Die präsentische Bedeutung, die er auf S. 139 für die Gesamtheit der .. Durch Christus-Wendungen« gelten läßt, kommt in dieser Folgerung doch wohl zu kurz. 272 Von R. GEBAUER op. cit. S. 140 zugegeben (ohne die gleichzeitige Beziehung auf Christi Heilswefk daneben auszuschließen), allerdings mit der Erwähnung, daß die Echtheit des Kolosserbriefs umstritten ist.
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Wichtiger ist die Geisteshaltung der Betenden. In der vorhin erwähnten Stelle l.Tim. 2,8 heißt es, die Männer sollen »heilige Hände ohne Zorn und ohne Streitsucht« zu Gott erheben. Das erinnert an Mk. 11,25 und Mt. 5,25: man solle sich mit dem Bruder versöhnen, wenn man bete, bzw. bevor man »die Opfergabe zum Altar bringe« 273 . Besonders aber soll freudig gebetet werden. Am Anfang des Philipperbriefs erwähnt der Apostel bereits die Freude, die im ganzen Brief an diese Gemeinde ein Leitmotiv ist. Sie begleitet alles Beten, das Paulus für die mit ihm besonders verbundenen Gläubigen von Philippi verrichtet (1,5). Auch im Thessalonicherbreif(l.Thess. 5,17) schließt er an die Forderung zum »Beten ohne Unterlaß« die Ermahnung zu ständiger Freude (»immerfort«274). Wo der Heilige Geist im Betenden am Werk ist, da ist Freude. Im 2. Jahrhundert wird Hermas in einer im übrigen eher mittelmäßigen Schrift, "Pastor«, die Notwendigkeit der Freude beim Beten ganz in diesem Sinne des Paulus betonen, wenn er schreibt, das Gebet des traurigen Menschen dringe nicht bis zu Gott vor, weil Traurigkeit mit dem, Heiligen Geist nicht vereinbar sei.
Anderseits vergiBt Paulus aber auch nicht, daß das Beten ein Kämpfen sein kann. So bittet er die Römer »durch unseren Herrn Jesus Christus und die Liebe des Heiligen Geistes« mit ihm zu kämpfen in ihren Gebeten für ihn (Röm. 15,30). Hier ist der Kampfbesonders nötig, denn es handelt sich darum, daß er »vor den Ungläubigen bewahrt bleibe«. Nach Kol. 4,12 »kämpft« auch Epaphras in seinen Gebeten für die Kolosser. Nach der Beschreibung der geistigen Waffenrüstung, die nötig ist, um die Angriffe des Teufels und der Mächte der Finsternis abzuwehren (Eph. 6,12ff.) erfolgt in V. 18 die Aufforderung, »zum Wachen in beharrlichem Gebet«. Beten als Kampf ist - freilich nicht ganz im gleichen Sinn - aus dem Alten Testament bekannt: Abraham (1. Mose 18,23ff.); Jakob (1. Mose 32,23ff.); Moses (2. Mose 32,11ff.). Obwohl das griechische Wort für (freudige, mutige) Zuversicht (JraQQT/a{a, etymologisch = alles sagen), mit dem Lukas in der Apg. das Verhalten der ersten Christen als besonderes Merkmal kennzeichnet,
273 Eine -jedoch zeitlich begrenzte - Enthaltung vom ehelichen Geschlechtsverkehr mit gegenseitigem Einverständnis gesteht Paulus den Korinthern zu, damit sie sich (während einer solchen Periode) ganz dem Beten widmen (l.Kor. 7,5). 274 1lavroTE.
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zwar oft von Paulus gebraucM wird 275 , aber (vielleicht aus Zufall) nicht direkt im Zusammenhang mit dem Gebet vorkommt, charakterisiert es gut nicht nur seine Verkündigung in Predigt und Verteidigung, sondern auch die ruhige Gewißheit der Erhörung, mit der er sich an Gott wendet, in dem Bewußtsein, in der Führung durch den Heiligen Geist ihm »alles sagen« zu können, eine Gewißheit, zu der er auch seine Leser ermutigt. In 2.Kor. 3,12, Phil. 1,20, Eph. 3,12,1.Tim. 3,13 bezieht sichja das Wort vor· allem auf die Haltung gegenüber Gott.
3. Kapitel
Das Gebet im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen 1. Vorbemerkung Die Bemerkung, die ich der Untersuchung des Gebets bei Paulus über die Einbeziehung des ganzen Corpus paulinum vorausgeschickt habe, gilt in erhöhtem Maße für die Johannesschriften: Auch wenn für sie mehrere Verfasser anzunehmen sind, ist al"len trotz verschiedener Enthaltung eine Grundanschauung gemeinsam, besonders hinsichtlich unseres Problems. Was das Evangelium betrifft, so spricht ja offensichtlich am Ende des 21. Kapitels ein vom eigentlichen Verfasser verschiedener Redaktor. Es ist also mehr als eine Hypothese, daß ein Redaktor das Evangelium »herausgegeben« und dabei überarbeitet hat. Daher ist mit einer Gruppe von Schülern zu rechnen, die sich bemüht haben, das besonders geprägte Christusverständnis im Sinne der starken Persönlichkeit des Evangelisten ~eiterzuführen, der seinerseits von einer jüdischen Sondergruppe herkommt. Ich muß hier auf meine Arbeit »Der johanneisehe Kreis Sein Platz im Spätjudentum, in der Jüngerschaft Jesu und im Urchristentum: Zum Ursprung des Johannesevangeliums«, 1975, verweisen. Die uni-ähligen Versuche, im Johannesevangelium zwischen den Texten zu unterscheiden, die vom Evangelisten und denen, die vom Redaktor oder Redaktoren stammen, gehenz. T. völlig auseinander. Nicht nur ist ihr hypothetischer Charakter zu berücksichtigen, sondern es ist berechtigt, die >>johanneisehe« Gebetsauffassung unter Absehung des literarischen Problems als 276
l.Thess. 2,2; 2.Kor. 3,12; 7,4; Phil. 1,20; Eph. 3,12; 6,19; Phm. 8; l.Tim. 3,13.
Johannesevangelium und Johanriesbriefe
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gemeinsames Gedankengut des ganzen Kreises zu behandeln 275a • Der Evangelist, der die Initiative ergriffen hat, aufgrund persönlicher Erlebnisse (in Judäa) und der Beeinflußüng durch (in Palästina, nicht erst in der Diaspora) vorhandene jüdische Sonderanschauungen ein Leben Jesu zu schreiben, war von dem Bewußtsein beseelt, daß der »in alle Wahrheit führende« Heilige Geist (Joh. 16,13) ihm die tiefe Bedeutung, »alles dessen, was Jesus gesagt hat« (Kap. 14,26), erschlossen hat. Von dieser'Überzeugnung aus erlaubt er sich, die Linien weiterzuziehen. Die Abschiedsreden (Kap. 14-16) sind sozusagen die Rechtfertigung der besonderen Prägung, die seine Darstellung des Lebens Jesu kennzeichnet. Was wir sein Evangelistenbewußtsein nennen könnten, ist in den Versen über den Heiligen Geist (den Parakleten) in diesen Kapiteln enthalten: "der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, er wird euch über alles belehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe« (Kap. 14,26). »Erinnern« ist im Johannesevangelium mehr als nur »ins Gedächtnis rufen«, es bezieht sich zugleich auf die Offenbarung des tieferen Sinns 276 . »Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber jetzt könnt ihr es nicht in seinem Gewicht erfassen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommt, wird er euch in alle Wahrheit führen« (Kap. 16,12f.). Von diesem Geist weiß der Evangelist seine Leben-Jesu Darstellung inspiriert. Das Ziel seiner so ausgerichteten Beschreibung der Taten und der Lehre Jesu ist, zu zeigen, daß der jetzt erhöhte und in seiner Kirche gegenwärtige Christus schon injedem vom inkarnierten Jesus gesprochenen.Wort am Werke ist. Der ganze Kreis seiner Schüler machte sich diese Sicht des Evangelisten zu eigen. Welches auch das Verhältnis zwischen dem Johannesevangelium und den·Joharinesbriefen ist, gewiß vorhandene Abweichungen sind für die Frage des Gebets nicht grundlegend. Obwohl auch zwischen der Johannesoffenbarung und den übrigen Johannesschriften nicht zu bestreitende Ähnlichkeiten bestehen und vielleicht eine spätere Verbindung mit dem gleichen Kreise anzunehmen sein kann, werden wir sie im Hinblick auf die mit der verschiedenen literarischen Gattung zusammenhängenden Thematik erst im nächsten Kapitel besprechen. 275. Auch Redaktoren sind theologisch ernst zu nehmen. Siehe O. CULLMANN. The theological Contents ofthe Prologue to John. In FestschriftJ. L. Martyn hg. von Fortna und B. Garvta. 1990,8. 295ff. 276 Siehe A. DAHL, Anamnesis. Memoire et commemoration dans le christianisme primitif(8tudia theologica) 1947, S. 94ff. und O. CULLMANN, Urchristentum und Gottesdienst, 3. Aufl. 1956;8. 48f.
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Die neutestamentlichen Aussagen aber das Gebet
Wir werden die johailneische Gebetsauffassung in den folgenden drei Abschnitten untersuchen: 1. Die Anbetung im Geist und in der Wahrheit (Gespräch mit der Samariterin, Kap. 4,20-24). 2. Das Gebet im Namen Jesu Christi (Abschiedsreden Kap. 14-16). 3. Das hohepriesterliehe Gebet Jesu (Kap. 17).
2. Gebet in Geist und Wahrheit (Kap. 4,20-24) Das Gespräch J esu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen betrifft in erster Linie die kultische Anbetung. Die Antwort Jesu ist aber für das Beten überhaupt grundlegend. Die Frau benützt die Gelegenheit der Begegnung mit Jesus, um von ihm zu erfahren, was er zu der Juden und Samaritaner trennenden Frage der Anbetung Gottes, in Jerusalem oder auf dem Berg Garizim, zu sagen habe. Die Samaritaner hatten ja den von ihnen nicht als legitim anerkannten Tempel zu Jerusalem durch das Heiligtum auf dem Garizim oberhalb von Nablus ersetzt 277 • Die Frau erhält von Jesus die Antwort: »Die Stunde kommt, wo ihr den Vater weder aurdiesem Berge noch in Jerusalem anbeten werdet (V. 21) ... , die Stunde kommt, und sie ist jetzt da, wo die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten« (V. 23).
a) Weder auf diesem Berge noch in Jerusalem Um die Verankerung der johanneischen Aussage Jesu recht zu verstehen, greifen wir zunächst auf die Stellung Jesu zum Tempel in den Synoptikern zurück und untersuchen sie sowie diejenige des Stepha277 Der wohl im 4. Jahrhundert errichtete Tempel war im Jahr 128 von Johannes Hyrkan zerstört worden. Der Berg blieb (und bleibt bis heute) in seiner Heiligkeit der Kultort der Samaritanergemeinde. In neuerer Zeit ist die Religionsgemeinschaft Gegenstand eingehender Untersuchungen geworden. Siehe die Bibliographie von L. A. MEYER und D. BROAD RIBB, Bibliography ofthe Samaritans 1964, und von P. SACCHl, Studi Samaritani (R.St.L.R.S.) 1969. Außer dem schon älteren Werk von M. GASTON, The Samaritans. Doctrines and Literature, 1925, siehe Me. DONALD, The Theology ofthe Samaritans 1964. Jetzt: DEXINGER-PLUMMER, Die Samaritaner, 1991. Über die Beziehung zum Urchristentum C. H. H. SeoBIE, The Origins and Development of Samaritan Christianity NTS 1972-73, O. CULLMANN, Der Johanneische Kreis op. cit., und den Artikel: »Von Jesus zum Stephanuskreis und zum Johannesevangelium« in: Festschrift für W. G. Kümmel 1975, S. 44ff.,jetzt abgedruckt in DEXINGER-PLUMMER op. cit. 1991, S. 393ff.
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nuskreises in ihrer Beziehung zu derjenigen der Qumrangemeinschaft und der Samaritaner 278 • Wir haben gesehen, daß der Ort des Betens für Jesus in den synoptischen Evangelien keine entscheidende Rolle spielt. Wie im Judentum kann überall gebetet werden. Aber doch respektiert Jesus den Tempel als das Haus Gottes, das ein Gebetshaus sein s~ll (Mk. 11,17 par. Jes. 56,7). Deshalb ist es ihm wichtig, nicht ihn abzuschaffen (siehe auch Mt. 5, 23), sondern zu reinigen und zu verhindern, daß eine »Räuberhöhle« (Mk. 11,17; Jer. 7,11) aus ihm gemacht werde. Trotzdem relativiert er seine ihm zukommende Bedeutung. Nicht nur sagt er im Zusammenhang mit der Sabatheiligung: »hier ist mehr als der Tempel« (Mt. 12,6), sondern in Anlehnung an die jüdische Erwartung, daß am Ende der Tempel verschwinden und ein neuer an seine Stelle treten werde (Ez. 40-44; aeth. Henoch 90, 28ff., Tob. 13,15f.) und daß der Messias dabei am Werke ist, hat er vom Abbruch des Tempels und seinem Wiederaufbau gesprochen. Dieses Wort ist eines der bei den Hauptgegenstände der Anklage vor dem Hohenpriester. Freilich sind es nach Mk. 14,57f., Mt. 26,59 falsche Zeugen, die diese vorbringen, und Markus hat, wie wir sehen werden, betont, worin das falsche Zeugnis bestand. Aber daß eine derartige Weissagung tatsächlich auf Jesus zurückgeht, kann kaum bezweifelt werden. Daß in der Verurteilung durch die jüdische Obrigkeit dieser Anklage ein besonderes Gewicht zukam, wird bestätigt durch die Tatsache, daß die höhnenden Passanten unter dem Kreuz sie zitierten: »Heh, der du den Tempel abreißen und in drei Tagen aufbauen wirst, rette dich selber, steige vom Kreuz herab.« (Mk. 15,29f.) Das falsche Zeugnis war also nicht völlig aus der Luft gegriffen. Aber worin bestand die Verdrehung der Aussage Jesu durch die falschen Zeugen? Erst die Variante, in der das Johannesevangelium das Wort als Jesuswort im Zusammenhang der vom Verfasser an den Anfang seines Evangeliums gestellten Tempelreinigung bringt279, erlaubt uns, die in den Synoptikern offen gelassene Frage zu beantworten. Nach Mk. 14,57 gingen im Zeugenverhör die Zeugnisse auseinander, aber dann heißt es weiter: »einige standen auf und legten ein falsches Zeugnis ab: wir haben ihn sagen hören: ich selbst (eyw) werde diesen von Menschenhand gefertigten Tempel abbrechen und in drei Tagen einen nicht von Menschenhand gefertigten aufbauen« (V. 58). Die als wirkliches Wort Jesu in Joh. 2,19 zitierte Weissagung dagegen lautet: »brecht diesen Tempel ab, ich werde ihn in 3 Tagen (= in kurzer Zeit) aufrichten.« In dieser johanneischen Variante ist der Imperativ natürlich nicht als tatsächliche Aufforderung aufzufassen, sondern im Sinn des Konditionalis zu verstehen: "Wenn der Tempel abgerissen sein wird, werde ich ihn aufrichten.« Dann besteht das falsche Zeugnis in Mk. 14,57 darin, daß der Imperativ "brecht ab« in die 1. Person Singularis verdreht wurde: ich werde abbrechen. Markus betont dieses "ich« mit eyw "ich selbst werde abbrechen«, während 278 Wo im folgenden auf neutestamentliche Texte direkt Bezug genommen ist, übernehmen wir die neutestamentliche Bezeichnung "Samariter«, im übrigen die in religionsgeschichtlichen Arbeiten gebräuchliche Form "Samaritaner«, 279 Gemäß der von ihm befolgten Stoffanordnung,
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Matthäus 26,61 schreibt: »ich kann abbrechen«. Lukas läßt das Wort im Bericht über den Prozeß (Kap. 22,66m ganz fort. Dieser synoptische Vergleich zeigt deutlich, daß das Wort von Jesus in der johanneischen Form gesprochen worden ist und daß die drei ersten Evangelisten, jeder auf seine Weise, sich bemühten, jedes Mißverständnis im Sinne des falschen Zeugnisses auszuschließen: Lukas, indem er die darauf bezügliche Anklage ganz wegläßt, Markus und Matthäus indem sie nur das falsche Zeugnis bringen, Markus noch im besonderen, indem er mit "€yw« betont, worin dieses bestand. In welchem Sinn hatJesus das im Johannesevangelium im ersten Teil richtig überlieferte Wort gesprochen? Der erste Teil: »Wenn der Tempel abgebrochen wird« betrifft den steinernen Tempel zu Jerusalem, de'ssen Zerstörung Jesus nach Art der politischen Weissagungen der Propheten (Micha 3,12; Jer. 7,14; 26,18) wohl öfter vorhergesagt hat: "Siehst du diese gewaltigen Bauten? Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht abgebrochen wird« (Mk. 13,2; vgl. Mt. 24,2; Lk. 21,6; Mt. 23,38; Luk. 13,35)280. Schwieriger ist der zweite Teil, der von den falschen Zeugen wohl korrekt zitiert wurde (Mk. 14,58), im Munde Jesu zu erklären: "... werde ich einen anderen nicht von Menschenhand gefertigten aufbauen.« Gewöhnlich wird er auf die kommende Gemeinde gedeutet, und in der Tat ist diese Annahme möglich im Hinblick auf das später geläufige Bild des Baus für Gemeinde. Man hat auch angenommen, die Qumransekte habe sich als geistigen Tempel angesehen 281 • Aber A. Caquot hat dies in !ieinem gründlich dokumentierten und die neuesten zugänglich gemachten Texte 282 heranziehenden Artikel »Qumran et le Temple. (Essai de synthese)«, RHPhR 1992, bestritten, und es ist auch nicht ganz sicher, daß Jesus den nicht von Menschenhand gefertigten Tempel so gemeint hat. Aber auf jeden Fall sieht er wie Oflb. 21,22 für das kommende Jerusalem keinen materiellen Tempel voraus, wie er ihn jedoch vorläufig als gereinigten noch gelten läßt. Viel radikaler bekämpft Stephanus in seiner Verteidigungsrede (Apg. 7,2m, in einem Überblick auf die Geschichte Israels und mit Hinweis auf das Alte Testament, besonders Jesaja 66,1 (»der Himmel ist mein Thron«), den Tempelbau als großen Abfall. Wie Jesus rechnet er für die Zukunft demnach nicht mit einem Tempel, im Gegensatz zu der Qumransekte, in deren Texten außer dem von ihnen selbst zu erstellenden neuen Tempel ein am Ende von Gott errichteter erscheint 283 sowie auch im Gegensatz zu den Samaritanern, die den von ihnen abgelehnten Tempel zu Jerusalem durch den konkreten Kultort auf dem Garizirn ersetzten 284. 280 Dazu L. GASTON, No stone on another. Studies on the Significance of the Fall of Jerusalem in the Synoptic Gospels, 1970. 281 B. GÄRTNER, The Temple and the Community in Qumran and the New Testament 1965; G. KLINZING, Die Umwandlung des Kultus in der Qumrangemeinde und im Neuen Testament 1971. Auch R. SCHNACKENBURG in seinem Kommentar 1966 S. 365. Die drei Autoren konnten die »Tempelrolle« (11 Q Tempel) herausgegeben 1977178 von Y. YADIN noch nicht kennen. 282 Y. YADIN, Megillat ha-miqdalI977178. 283 Siehe A. CAQuar op. cit. S. 4 ff. 284 Siehe zu den Zusammenhängen: Jesus, Stephanus, Qumran, Samarien, Johannesevangelium außer meiner Arbeit über denjohanneischen Kreis op. cit. meinen Artikel Von
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Nach diesem langen Exkurs, der nötig war, um die Verbindung des Ausspruchs des inkarnierten Jesus über den Tempel mit und in seiner johanneischen nachösterlichen Vertiefung zu verstehen, kehren wir zum Johannesevangelium, zur Erzählung der Begegnung Jesu mit der Samariterin zurück. Gemäß seinem Bewußtsein, berufen zu sein, beseelt von dem in alle Wahrheit führenden Heiligen Geist (dem Parakleten), den tiefen Sinn der Worte Jesu im Lichte des Erhöhten und seiner Kirche zu offenbaren (siehe oben S. 117), findet der Evangelist im Tempelwort mitenthalten: einerseits die Beziehung zum gekreuzigten und auferstandenen Leib Jesu (Kap. 2,21), anderseits die Antwort Jesu an die Samariterin auf die Frage nach dem Ort der Anbetung. Die Identifizierung des abgebrochenen und wiederaufgebauten Tempels mit Jesu Leib (Kap. 2,21) ist die johanneische Weiterführung der oben zitierten von Jesus nicht näher präzisierten Weissagung der Erstellung eines nicht von Menschenhand gefertigten Tempels. Diese im Johannesevangelium am Ende der Erzählung von der Tempelreinigung erteilte Deutung: '.er sprach vom Tempel seines Leibes« (Kap. 2,21) ist im folgenden Vers 22 ausdrücklich als nachträglich erschlossen bezeichnet: »als er auferstanden war von den Toten, erinnerten sich die Jünger ... «285 Das Bild des Tempels für Leib gebraucht auch Paulus in 1. Kor. 6,19. Diese johanneische Erklärung entspricht dem Gedanken ~es Johannesprologs:'Christus ersetzt den Tempel. Die göttliche Herrlichkeit (griechisch doxa; Hebräisch: schekina), die bisher an den Tempel gebunden war, hat sich von ihm losgelöst und ist jetzt in dem fleischgewordenen Logos, in Jesus Christus, offenbar: »er hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen« (siehe das Zelt als Wohnung Gottes in der Stephanusrede Apg. 7,44), »und wir haben seine Herrlichkeit (doxa) gesehen, Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater her« (Joh. 1,14). Die gleiche johanneische Auffassung: Jesus als Kultort bildet den Schluß des Gesprächs Jesu mit Nathanael: »ihr werdet den Himmel offen und die Engel Gottes auf den Menschensohn auf- und absteigen sehen« (Joh. 1,51). Der EVaIlgelist führt hier die Erzählung von der Errichtung des Malsteins zu Bethel und der Jakobsleiter 1. Mose 28,12 weiter: nunmehr steigen die Engel auf der Leiter nicht mehr auf das Heiligtum zu Bethel auf und ab, sondern auf den Menschensohn. Die Verbindung zwischen Himmel und Erde ist Christus selbst: Jesus ChriJesus zum Stephanuskreis und zum Johannesevangelium in Festschrift für W. G, Kümmel 1975,jetzt abgedruckt in F, DEXINGER, R. PLU~[)[ER, Die Samaritaner 1991. 285 Siehe zum Sinn desjohanneischen »Erinnern« oben S. 117 Anm. 276,
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stus der wahre Kultort. Dieser christozentrische Gedanke erhellt Jesu Antwort: "in Geist und Wahrheit« auf die Frage: Tempel oder Garizim (Joh. 4,21), und er sollte bei ihrer Erklärung nicht außer Acht gelassen werden. Die Begrenzung der Geltung des Tempels als Ort der Anbetung durch J esus als Inkarnierten führt zu der johanneischen Sicht, nach der der Tempel durch den erhöhten Christus· selber ersetzt ist: in ihm begegnen wir Gott, wenn wir beten. "Die Stunde kommt, und sie ist jetzt da« (V. 23). Die mit dem Kommen Christi gegebene Zeitauffassung der Spannung zwischen Zukunft und Gegenwart, die wir im ganzen Neuen Testament feststellen, kommt auch hier zum Ausdruck 286 . Im Augenblick, wo Jesus am Jakobsbrunnen selbst sprechend zugegen ist, muß neben das ),Kommen« der Stunde das »jetzt« gestellt worden. Die Spannung zwischen "Schon« und "Noch nicht« fehlt auch im Johannesevangelium nicht, aber das "Schon« ist der ganzen johanneischen Perspektive gemäß stärker betont, denn das Leben des Inkarnierten wird ja im Lichte des Erhöhten (und mit diesem zusammen) geschaut. Was in den Synoptikern für die Zukunft.geweissagt ist: die Zerstörung des Tempels und sein Wiederaufbau ist in der johannelschen Sicht bereits Wirklichkeit. Christus ist schon der Kultort. ),Solche Anbeter sucht der Vater« (V. 23). Daß der Vater Anbeter in Geist und Wahrheit ',sucht«287, entspricht der Gebetsauffassung, die wir den synoptischen Evangelien entnommen haben (siehe oben S. 29f.): Gott, der die Gebete der Menschen nicht braucht, will sie, fordert sie. Neu ist aber hier im Zuge der christologischen Konzentration die Betonung der Art der Anbetung, die der Vater sucht und fordert 288 : ,)in Geist und Wahrheit«. Jetzt, wo die Stunde in Christus schon da ist, kommt es darauf an, daß so gebetet werde. Die Präposition »in«, die ja sowohl lokale als instrumentale Bedeutung (»durch«) haben kann, ist hier wohl in erster Linie lokal zu verstehen, da ja die Aussage Jesu die Antwort auf die Frage: »Wo« ist: in 286 Dies gilt auch wenn die Worte ""ai viiv taT/v« eine Glosse sein sollten, wie oft angenommen wird. 287 R. BULTMANN, Das Evangelium des Johannes 1941, S. 141, versteht wohl mit Recht das griechische Wort 1;;1/,efv ftir »suchen« nicht als »sich bemühen«, sondern als »fordern« (wie in Mk. 8,12). Immerhin sollte im Hinblick darauf, daß Gott die Menschen als freie Wesen in seiner Selbstmitteilung aus Liebe geschaffen hat, damit sie in Freiheit in seine Liebe eintreten, das »Suchen« im Sinne der göttlichen Schöpfungsintention nicht ausgeschlossen werden. 288 »Solche« Anbeter: ähnlich Paulus Röm. 8,26 (»wie es sich gebührt«).
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Jerusalem oder auf dem Garizim?289 Die Anbetung erfolgt in einem anderen Bereich, in dem des Geistes und der Wahrheit.
b) Im Geist Wir dürfen hier nicht vergessen, was im ganzen Johannesevangelium »Geist,( heißt. Er ist nicht eine anthropologische Gegebenheit, ist auch nicht im philosophischen Si~ne des Gegensatzes zu Materie zu verstehen 290. Vielmehr bezeichnet auch das Johannesevangelium mit dem Wort »Geist« die transzendente göttliche Macht, die in unsere Welt eintritt, in uns Wohnung nimmt und die Neugeburt (»von oben«) bewirkt; »der Geist weht, wo er will«, ist also nicht an einen bestimmten Ort gebunden (siehe das Gespräch Jesu mit Nikodemus Kap. 3,lff.). Wohl aber steht er in enger Verbindung mit Christus. In den johanneisehen Abschiedsreden (Kap. 14-16) ist er als der »Tröster« beschrieben, der jetzt, wo Jesus nicht mehr als Inkarnierter unter den Seinen weilt, ihn vertritt, ihn unter ihnen gegenwärtig sein läßt, sie von dem Schmerz des Getrenntseins befreit; der sie anderseits in die »Wahrheit« der göttlichen Offenbarung in Christus führt; der aber auch fürbittend für sie eintritt. Die durch ihn erlangte Überwindung allen Getrenntseins und seine Fürbitte kommen in dem griechischen Wort »Paraklet« (Doppelbedeutung: »Tröster« und »Fürsprecher«) gut zum Ausdruck. Im Sinne dieser im ganzen Johannesevangelium vertretenen Geistauffassung muß der Verfasser, der die Erzählung des Gesprächs Jesu mit der Samariterin überliefert hat, das Wort von der Anbetung im Geist und in der Wahrheit verstanden haben. Im Rahmen des Johannesevangeliums steht auch hier die christologische Beziehung zumindest im Hintergrund 291. Der von Gott gesandte nicht örtlich begrenzte Geist, in dem »die wahren Anbeter« zum Vater beten sollen, ist mit Christus verbunden. Das ist auch das Hauptmotiv des »Betens im Namen Christi«, das wir in den Abschiedsreden, Kap. 14-16 finden werden. Das christologische Verständnis der Anbetung im Geist steht nicht in 289 ev 'IE(Joao).uIlOL';; ev
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Ebensowenig ist nach R. BULTMANNS Kommentar in Joh. 4,23 mit Anbetung im Geist eine Ablehnung allen kultischen Betens wie in Jes. 1,11 und Amos 5,21 ff. verbunden. 291 Sicher ist auch anzunehmen, daß der Evangelist das ebenfalls von ihm überlieferte Wort Kap. 1,51 (siehe oben S. 121) von den Engeln, die statt auf den Kultort zu Bethel auf den Menschensohn auf- und absteigen, in Verbindung mit der Antwort an die Samariterin gebracht hat. 290
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
Widerspruch mit dem unmittelbar nachfolgenden Vers Joh. 4,24; der die Notwendigkeit dieser Art der Anbetung damit begründet, daß Gott selbst »Geist ist«, und daß deshalb im Geist (und in der Wahrheit) gebetet werden soll. Diese letztere Aussage bringt uns, ohne daß damit der Unterschied zwischen johanneischer und paulinischer Theologie verwischt werden sollte, in die Nähe der paulinischen Gebetsauffassurrg, die wir so stark betont haben: nach der Gott selbst durch den in uns wohnenden Geist in unseren Gebeten spricht: Geist zu Geist. c) In der Wahrheit
Geist und Wahrheit sind im johanneischen Verständnis eng miteinander verbunden. In l.Joh. 5,6 heißt es daß »der Geist die Wahrheit ist«. In den Abschiedsreden finden wir sogar den Ausdruck »Geist der Wahrheit«292 (Kap. 14,17 und 16,13. Vgl. auch 1.Joh. 4,6). Aber welches ist die präzise Bedeutung der johanneischen Wahrheit 293? Wie das Wort »Geist« so darf auch »Wahrheit« nicht im üblichen Sinn der griechischen Philosophie aufgefaßt werden, und vor allem müssen die anderen Stellen im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen berücksichtigt werden. Der johanneische Begriff der Wahrheit impliziert ein Beziehungsverhältnis, im Gegensatz zu einer »objektiven« Distanzbetrachtung 294 . In der Tat kann für Johannes Wahrheit dem Menschen nur von Gott mitgeteilt, nicht vorn Menschen als ein von ihm getrenntes Objekt gesucht werden. Die Wahrheit für den Jünger Christi besteht dann in der Offenbarung Gottes an die Menschen in Christus. Etymologisch bedeutet das griechisehe Wort A-letheia für Wahrheit: das »Nichtverborgensein«. Dem entspricht genau das deutsche Wort Offenbarung: im Neuen Testament 292
Ta lrvev/lu Tl1<; uArjl1e(a<;.
Abzusehen ist hier von dem adverbialen Gebrauch des Ausdrucks €v clAll"hi{l im Sinne von »wirklich«, der vielleicht in 2.Joh. 1 und 3.Joh. 1 vorliegt. (So R. BULTMANN ad loc. und R. SCHNACKENBURG, .. Zum Begriff der Wahrheit in den beiden kleinen Johap.nesbriefen«, BibI. Zeitschrift 1967, S. 259ff. Dagegen P. BONNARD op. cit. S. 120 und S. 130, der beide Male den Worten iv CcAl1UEl{l die johanneisch theologisch gefüllte Bedeutung beimißt und in ihnen eine polemische Spitze gegen die bekämpften Häretiker sieht.) 294 Eine sehr gründliche Arbeit verdanken wir I. DE LA POTTERlE, La verite dans St. Jean (Analecta biblica) 2 Bde. 1977; vor ihm vor allem R. BULTMANN (TWNT I, 245ff. und Kommentar pass.), der die Beeinflussung durch jüdische Sonderströmungen besonders betont. Wichtig ist, daß diese in Palästina nicht erst in der Diaspora auftauchen. Mit dem zu engen Begriff .. Gnosis« können sie nicht erfaßt werden (siehe O. CULLMANN, Der johan~ neische Kreis, op. cit.). 293
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zugleich im Sinne der göttlichen Funktion der Selbstmitteilung in Christus und des vom Menschen entgegengenommenen Inhalts dieser Mitteilung. Im Verhör Jesu vor Pilatus stehen sich die beiden verschiedenen Wahrheitsbegriffe gegenüber: Wahrheit als göttliche Offenbarung und Wahrheit als aus der Distanz zu suchendes getrenntes Objekt. Die erstere ist in Jesu Erklärung vorausgesetzt: »Ich bin gekommen, um von der Wahrheit Zeugnis abzulegen. Wer aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.« (Joh. 18,37). Die wohl von Achselzucken begleitete Frage des Pilatus: »Was ist Wahrheit?« setzt auf jeden Fall die philosophische Auffassung von Wahrheit voraus. Diese mag vielleicht für Pilatus die Form des philosophischen Skeptizismus angenommen haben 295, wahrscheinlicher steht aber hinter der Frage einfach Indif-. ferenz ihr gegenüber 296 . Zugleich aber drückt die Frage wohl auch ein völliges, mit etwas Verachtung verbundenes Unverständnis für die Aussage Jesu über die »Wahrheit« aus. Parallel zu Joh. 18,37 »wer aus der Wahrheit ist« sagt Jesus in 8,47: »Wer aus Gott ist, l1ört die Stimme Gottes«. Gott ist also mit der Wahrheit gleichgesetzt. Er ist der Offenbarer in Christus. Wir denken an den Prolog Joh. 1,1 »und der Logos (der in Jesus Fleisch wird) war Gott«: Gott, insofern er zur Welt spricht, sich durch die Offenbarung in Jesus mitteilt. »Dein Wort ist die Wahrheit«, sagt Jesus im hohenpriesterlichen Gebet zu Gott Joh. 17,17: das von ihm in Christus mitgeteilte Wort. So kann dann Jesus im Jo.hannesevangelium sagen: »Ich bin die Wahrheit.« (Joh. 14,6) Das ist die Antwort auf die Frage des Thomas nach dem "Weg zu Gott«. Jesus selbst ist der Weg. Weg und Ziel sind eins: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen« (Joh.14, 9). Da Christus die den Menschen geoffenbarte Wahrheit ist, heißt es am Ende des Prologs (1,17): »Gnade und Wahrheit sind durch Jesus Christus geworden«: Nicht nur verkündet, sondern »geworden«297. Weil die Wahrheit in der Beziehung Gottes zum Menschen als Offenbarung in Christus besteht, schließt sie gleichzeitig die Befähigung der Jünger zu ihrer Entgegennahme mit ein: sie sind »aus Gott« und hören deshalb »Gottes Stimme« (Joh. 8,47; vgl. l.Joh. 4,6). In den Gegen diese Interpretation M. DIBELIUS, RHPhR 1933, S. 42. . Nach BULTMANN, Kommentar S. 507 Anrn. 8 die Indifferenz des an der nicht interessierten Vertreters des Staates. 295
296
297 iyEvET.O.
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Johannesbriefen, die im Kampf gegen die Häretiker die »Wahrheit« so stark betonen, ist vom »Tun der Wahrheit« (1.Joh. 1,6) und vom »Wandeln in der Wahrheit« (3.Joh. 3) die.Rede. Die Jünger »erkennen« die Wahrheit, wenn sie »in seinem Wort bleiben« (Joh. 8,31f.), wobei »Wort« mit »Wahrheit« gleichgesetzt werden kann (Joh. 17,17 »Dein Wort ist die Wahrheit«). Erst das Verbleiben in der empfangenen Wahrheit fUhrt zum »Erkennen«298. Aber auch das johanneische Erkennen ist nicht im griechischen Sinne, sondern entsprechend der johanneischen »Wahrheit« als ein »Anerkennen« zu verstehen. Daß es sich nicht um »distanzhaftes« Erkennen handelt, zeigt auch l.Joh. 3,19ff. Es bedarf der Liebesübung der Jünger, damit sie erkennen, daß sie aus der Wahrheit sind. d)
Zusammenfassung
»Anbetung in Geist und Wahrheit« (Joh. 4,23) heißt also: den Vater nicht an einem besonderen Ort anbeten, sondern in seinem Geiste, in dem er sich in Christus zu uns wendet und in seiner Wahrheit, in der er sich uns in Christus offenbart. Beide, Geist und Wahrheit, gehören eng zusammen. Das Gebet in Geist und in der Wahrheit ist an die Offenbarung in Christus gebunden. Es ist Antwort. In Gottes uns geschenktem Geist und in seiner durch diesen Geist uns geschenkten Wahrheit beten wir zum Vater. Das ist der Ort, wo wir ihm begegnen. Seine Herrlichkeit (doxa), losgelöst von der Bindung an den Tempel, ist im Logos Christus sichtbar (Joh. 1,14). So ist uns die für alles Beten unentbehrliche Nähe Gottes durch und in Christus geschenkt. Mit dieser Ortsbestimmung befinden wir uns in der Nähe der Johannesoffenbarung Kap. 21,22, wo der Seher in der vom Himmel am Ende herabsteigenden Stadt keinen Tempel sieht: denn »der allmächtige Herr wird mit dem Lamm derTempel sein«. »Die Stunde kommt, und sie ist schon da.« Noch ist der Tempel nicht zerstört und wird gereinigt (Joh. 2,13ff.), aber schon gilt die Anbetung in Geist und Wahrheit. Wenn wir versuchen, die Linie imjohanneischen Sinne im Blick auf die Anwendung auf unsere Zeit weiterzuziehen, so ist festzuhalten, daß es 298 Die in den Johannesbriefen bekämpften Häretiker sind nicht in der Wahrheit verblieben. Mit den in 2.Joh. 1 als solche, die die Wahrheit erkannt haben, Bezeichneten sind nach BULTMANN op. cit. ad loc. alle Christen gemeint, während P. BONNARD op. cit. S. 120 in ihnen die besondere johanneische Gruppe sieht und in der von ihnen vertretenen Auffassung der" Wahrheit« eine Spitze gegen die Häretiker annimmt.
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auch in unserer kultischen Anbetung darauf ankommt, daß sie in diesem Geist und dieser Wahrheit erfolgt, denn "die Zeit ist schon da«.
3. Das Gebet im Namen Jesu in den Abschiedsreden (Kap. 13,31-16,33) In den johanneischen Abschiedsreden Jesu nimmt die Anbetung in Geist und Wahrheit die Form des Gebets »im Namen Jesu Christi« an. Das (ständig zu verrichtende) »Danken im Namen unseres Herrn Jesus Christus« kommt auch im Epheserbrief (5,20) vor, und in KoI. 3,17 erscheint es in Parallele zu den bis heute am Ende der Gebete gebräuchlichen, oft gedankenlos gesprochenen Worten »durch« Jesus Christus. Dieser letztere Zusatz hat heute vielfach nur formelhaften Charakter. Um so mehr ist es geboten, die Aufforderung zu untersuchen, die im Johannesevangelium der scheidende Jesus mit besonderem Nachdruck an die Jünger richtet, nunmehr »in seinem Namen« zu beten. Sie gehört zu den verschiedenen Tröstungen Jesu, die seine Jünger überzeugen sollen, daß er sie nach seinem Fortgang nicht als »Waisen« zurückläßt (14,18). Seine immerwährende Gegenwart ist in dreifacher Weise verwirklicht: erstens (13,34f.) durch die Liebe, die sie untereinander üben sollen und die diejenige ist, mit der er sie geliebt hat: wegen dieser Näherbestimmung, in der die Fortdauer der Verbindung mit ihm verankert ist, nennt er diese Liebe ein »neues Gebot«299; zweitens (14,16; 15,26; 16,13ff.) durch die Sendung des Geistes, des »Trösters«300, und drittens eben (und zwar besonders) durch das »Beten in seinem Namen«. Die Notwendigkeit der Verbindung des Gebets mit seinem Namen wird mehrere Male wiederholt: Kap. 14,13; 14,14; 15,16; 16,23f. Auch in diesem Kapitel gehen wir nicht auf die verschiedenen erwägenswerten Vorschläge ein, zwischen ursprünglichem Evangelium und späterer Redaktion zu unterscheiden.
Um den genauen Sinn des Ausdrucks »Beten im Namen Christi« zu erfassen, halten wir also fest, daß er eine der entscheidenden tröstenden Verheißungen der verbleibenden ständigen Gegenwart des die Erde verlassenden Christus unter den Seinen bezeichnet. Er verläßt die Erde, aber nicht die Seinen. 299 Ev'tOÄ~V XatV~V. 300 lWQCtXÄI'j'tO<;.
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
Die Worte "im Namen Jesu« b~dürfen jedoch einer weiteren Erklärung. Sie kommen ja nicht nur im Zusammenhang mit dem Beten vor. Schon hier bemerke ich, daß ihre Bedeutung vielschichtig ist. Nicht nur ist sie je nach dem Kontext verschieden, sondern auch da, wo die eine vorherrscht, klingen oft die andern mit. a) Name, Name Gottes, Name Christi
Was ist zunächst unter »Name« zu verstehen? Wir können hier nicht auf die Ergebnisse aller, auch religionsgeschichtlichen Arbeiten über diesen Begriff in den verschiedenen Religionen eingehen. Außer der älteren Untersuchung von W. Heitmüller, Im Namen J esu. Eine Sprachund religionsgeschichtliche Untersuchung zum Neuen Testament (1909) verweise ich auf den Artikel im Theologischen Wörterbuch 301 , auch auf J. M. Lochman, op. cit. zur ersten Vaterunserbitte 302 , und ich beschränke mich auf eine Zusammenfassung, die für das Gebet im Johannesevangelium in Betracht kommt. Im Umfeld des Neuen Testaments bezeichnet der Name alles, was den Träger des Namens charakterisiert, sein tieferes Wesen, seine Attribute. Das erklärt die Aufzeichnung der Namen im »Buch des Lebens« (Phil. 4,3; Oftb. 3,5). Die Jünger sollen sich freuen, daß ihre Namen im Himmel aufgeschrieben sind (Luk. 10,20). In Joh. 10 ruft der Hirte die Schafe bei ihrem Namen (V. 3), er kennt sie (V. 27). Gottes Name tut seine Gegenwart, seine Macht kund. Im Alten Testament wohnt der Name Gottes im Tempel(1.Kön. 8,29). Das hebräische Wort für Name (schem) kann Bezeichnung für Gott werden. »Seinen Namen heiligen« (siehe oben S, 59) heißt, die durch die menschliche Sünde hervorgerufene Profanierung von seinem Namen fernhalten. Im Neuen Testament ist der Gottesname mit dem von Christus vollbrachten Werk verbunden. Nach dem von Paulus, Phil. 2,6ff. zitierten Hymnus verleiht Gott den »Namen«, der sein eigenes Wesen zum Ausdruck bringt, an Christus, indem er ihn nach der »Erniedrigung bis zum Kreuz« »mehr als erhöht: ihm den Namen, der über allen Namen ist«, »Kyrios Jesus Christos« verleiht. Dieser ist höher als alle anderen Namen, denn es ist sein eigener Gottesname Kyrios = Adonaj. Von diesem heißt eS daher in Apg. 4,12, daß »es in keinem anderen Heil gibt« und Th. Wb. Bd. V. S. 242ff. ÖVOlIU. J. M. LoCHMAN. op. cit. S. 30ff. Siehe auch das oben S. 58f. zur ersten Vaterunserbitte Gesagte. 301 302
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daß kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen zu ihrer Erlösung gegeben ist. Im Sendschreiben der Johannesoffenbarung an Pergamon (Kap. 2,13) wird diese Gemeinde dafür gelobt, daß sie »den Namen festhält hat«. Im johanneischen Rahmen zeigt sich die Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn (dem Logos; GQtt, der sich mitteilt)303 gerade in der Offenbarung seines Namens. Es ist das gleiche, wenn Christus in Joh. 12,28 den Vater angesichts der bevorstehenden »Stunde« des Todes bittet: »verherrliche deinen Namen«, und wenn er im hohenpriesterlichen Gebet (Kap. 17,1) »die Augen zum Himmel erhebt: gekommen ist die Stunde, Vater, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich ver-· herrliche«. Einige Verse weiter (V. 6) sagt er von dem göttlichen Namen, daß er ihn den Menschen geoffenbart hat. Am Ende des Gebets (Kap. 17;26) wiederholt er: »ich habe ihnen deinen Namen kundgetan, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen.« Der Name Gottes, sein innerstes Wesen, ist die Liebe (I.Joh. 4,16). Sie kann mit Christus gleichgesetzt werden: »Die Liebe Gottes in uns« heißt so viel wie »Christus in uns«. »Glauben an den Namen« des Sohnes (Joh. 1,12; Joh. 2,23; I.Joh. 3,23; I.Joh. 5,13) heißt, an seine Beziehung zum Vater und an sein Werk glauben. Daher ist der Ausdruck »alle, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen«, womit zugleich »beten« und »bekennen« gemeint ist, eine der ersten Bezeichnungen für Christen 304.
b) Im Namenjemandes; im Namen Jesu Christi Was bedeutet: »im Namen jemandes handeln oder sprechen?« Die oben erwähnte durch den jeweiligen Kontext bestimmte Mehrdeutigkeit gibt der Wendung einen schillernden Charakter, und es ist nicht möglich, die Formel in jedem Fall auf einen bestimmten Sinn zu beschränken. $ehr allgemein handelt oder spricht man im Namen eines anderen, wenn man diesen sozusagen ersetzt, an seiner Stelle etwas vornimmt, wie wenn er selbst gegenwärtig wäre. So sagt Gott in 5.Mose. 18,19 von dem Mose gleichen Propheten, den er erwecken werde: »wenn jemand nicht auf meine Worte hören wird, die er in meinem Namen Joh. 14,9: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.« Siehe O. CULLMANN, Alle, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen (K FROEHLICH, Oscar Cullmann. Vorträge und Aufsätze, 1966, S. 605 ff.). 303 304
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verkünden wird, werde ich ihn zur Rechenschaft ziehen.«305 Auch die Bedeutung "im Auftrag« Gottes klingt hier mit, mehr juristisch orientiert: »unter Berufung auf«. Die Worte "im Namen« eines Angerufenen können die effektive Wirkung seiner Macht bezwecken. Wenn diese Wirkung nur formelhaftem Sprechen als solchem zugeschrieben wird, grenzt die Anrufung an eine magische Praktik. Dies ist nicht der Fall, wenn verehrte abweisende oder verstorbene Persönlichkeiten ~ in Israel etwa die Patriarchen - angerufen werden und wenn damit ihr ethische Verantwortung forderndes Vorbild wachgerufen werden soll, aber darüber hinaus ihr wirklicher Einfluß auf das Gegenwartsgeschehen erwartet wird. In diesem Falle kommt die Anrufung des Namens einem an Gott gerichteten Gebet nahe. Die Zugehörigkeit zu Christus,' bzw. zu seiner Gemeinde wird durch den Ausdruck »im (auf den) Namen Jesu Christi« angezeigt. Dies geschieht vor allem bei der Taufe 306 . Aber zu Unrecht berufen sich nach Matth. 7,22 solche, »die den Willen des Vaters nicht tun« (7,21) auf den Namen Jesu: »haben wir nicht in deinem Namen«307, »prophezeit«, »Dämonen ausgetrieben«, viele »Wundertaten vollbracht«? Jesus anerkennt ihre Zugehörigkeit zu ihm nicht. Dagegen gesteht er in einem anderen Fall (Mk. 9,38f.) solchen, die in seinem Namen Dämonen aus~ getrieben haben, ohne zum Jüngerkreise zu gehören, eine geistige Zusammengehörigkeit zu. Trotz der Mannigfaltigkeit der Bedeutungen der Formel implizieren fast alle die Gegenwart des erhöhten Christus. Dies wird für das Verständnis der johanneischen Forderung, im Namen Jesu zu beten, wichtig sein. So wird in I.Kor. 5,4f. die Verurteilung des Blutschänders »im Namen des Herrn Jesus Christus« ausgesprochen. Das heißt zwar, daß das Urteil unter Befolgung der Gebote Christi gefällt worden ist, aber doch auch zugleich: in seiner Gegenwart. Das gleiche gilt in 2.Thess. 3,6, für die Ermahnung »im Namen des Herrn Jesus Christus«, die Leser mögen sich von dem ausschweifend lebenden Bruder ,)fernhalten«. Wenn Paulus die Kolosser (Kap. 3,17) auffordert, ,)alles, was sie in Reden oder Handeln unternehmen, im Namen des Herrn Jesus zu tun« so verlangt er damit wohl ihre ständige Besinnung auf Christi Lehre 305 R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium 1975 IH, S. 82 zitiert diesen Text gerade zu Joh. 14,13, dem Gebet im Namen Jesu. 306 Dabei kann die Präposition vor der Nennung des Namens wechseln: gewöhnlich Eit; (Mt. 28,19; Apg. 8,16; 19,5; l.Kor. 1,13); aber auch ilv (Apg. 10,48) und bri (Apg. 2,38 Variante B D ilv). 307 Hier ohne Präposition, nur im Dativ: tlj! alj! ÖVOj!a1:l.
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und Werk, aber zugleich doch auch ihre Vereinigung mit dem erhöhten Herrn. Ganz klar ist die Wendung »im Namen« in dem Wort Jesu Mt. 18,20 auf seine Gegenwart unter den Seinen ausgerichtet: »wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen«. c) Das Gebet im Namen Jeslt
Nach der Untersuchung über den Begriff »Name« und die Wortverbin~ung »im Namen (Jesu)« kommen wir zumjohanneischen »Gebet im Namen Jesu«: Kap. 14,13f.; 15,16; 16,23f., 16,26. Die Vielfalt der Bedeutungen von »im Namen« prägt die für Joh. 14-16 charakteristische Auffassung des Betens im Namen Jesu. Gewiß ist an die Berufung auf Christi Werk zu denken. Jedoch ist die Beziehung auf die verbleibende Anwesenheit Jesu bei den betenden Jüngern vorherrschend. Sie ist bedingt durch die Perspektive der Abschiedsreden: seine Erhöhung zum Vater gewährleistet ihnen nicht nur die Fortsetzung seines irdischen Zusammenseins mit ihnen, sondern sogar eine engere Verbindung, die sie zu »größeren Werken« führt. Denn er geht ja nicht irgendwohin, sondern »zum Vater« (Kap. 14,12). Diese »Tröstung« ist besonders nötig im Hinblick auf das nachösterliche Beten. Während der Inkarnation Jesu bedurften die Jünger seiner Belehrung für ihr Beten: »Herr, lehre uns beten.« (Luk. 11,1) Auf diese Bitte hin teilt Jesus im Lukasevangelium das Vaterunser mit. Wir haben gesehen, daß wir nach Paulus (Röm. 8,26) »nicht wissen, was wir beten sollen, wie es sich gebührt« und daß der Geist helfend für uns eintritt. Auch in den johanneischen Abschiedsreden werden wir feststellen, daß der Geist als Tröster nach Jesu Tod und Auferstehung gesandt wird. Aber zunächst besagt die Formel »beten im Namen Jesu«, daß die Jünger bei ihrem Beten die Gegenwart Jesu selber weiterhin wie während seines irdischen Lebens benötigen, und daß ihnen diese Hilfe zuteil wird, weil er nicht abwesend sein wird. »Bis jetzt habt ihr nichts in meinem Namen erbeten«, sagt Jesus in Kap. 16,24. Denn er war ja als Inkarnierter mit seiner Fürbitte bei ihnen. Von jetzt an muß ihnen die Gebetshilfe durch die Anrufung seines Namens geschenkt werden. Der vorhergehende Vers 23 verheißt: »worum ihr den Vater bitten werdet, wird er es euch in m~inem Namen geben«. Hier ist der Vater als Erhörer des Gebets Subjekt der Worte »in meinem Namen«. In diesem Vers haben diese zugleich den Sinn: »auf meine Fürbitte hin«. Damit ist auf die doppelte Art der Gebetshilfe Jesu
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nach seiner Auferstehung bei Anrufung seines Namens durch die Jünger hingewiesen: einerseits ist er sozusagen neben (in) ihnen anwesend, während sie beten, anderseits tritt er im Himmel fürbittend beim Vater für sie ein. Dies hat er im Johannesevangelium schon als Inkarnierter getan. Seine Fürbitte hat die Auferweckung des Lazarus bewirkt: »Nun weiß ich«, sagt Martha zu Jesu (Kap. 11,22) »daß Gott alles, worum du ihn bittest, dir gewähren wird.« In Kap. 11,41 dankt Jesus selbst Gott dafür, daß er ihn erhört hat. Der folgende (wohl vom Redaktor stammende) Vers 42 fährt fort: »ich wußte, daß du mich immer erhörst«, und er fügt hinzu, daß das Aussprechen dieses Dankes nur nötig war, damit »die Umstehenden dadurch zum Glauben an seine göttliche Sendung« gelangen 308 • Dieser Fürbitte dürfen die Jünger auch nach Tod und Auferstehung gewiß sein, und zwar dann erst recht, weil er zum Vater zurückgekehrt sein wird. Die seit Ewigkeit bestehende Einheit des Sohnes mit dem Vater und seine Teilnahme an dessen göttlicher Herrlichkeit (Kap. 17,5) gibt gerade dann dem Gebet im Namen Jesu seinen tiefen Sinn. Das ganze auf die Abschiedsreden folgende hohepriesterliche Gebet (Kap. 17) ist sozusagen die Begründung der Notwendigkeit für die Jünger, seit seiner Verherrlichung zu Gott in seinem Namen zu beten. Diese Fürbitte des zu Gott Erhöhten bedeutet für unser Beten zugleich, daß wir seine Hilfe zum Beten brauchen und daß wir auf Grund des Seins des Sohnes beim Vater unserseits mit unserem Beten in direkter Verbindung mit dem Vater stehen . . Daher sind bei aller johanneischen Christozentrik die Gebete im Namen Jesu, auf die sich die behandelten Texte der Abschiedsreden beziehen, an Gott den Vater gerichtet. Nur in Kap. 14,14 (und hier nicht in allen Handschriften) an Christus. Im Rahmen der johanneischen Grundauffassung besteht hier kein Problem. Der Zweifler Thomas, zu dem Christus gesagt hat: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gese308 Vielleicht ist von hier aus der schwer verständliche Vers 26 in Kap. 16 zu erklären: "an jenem Tage werdet ihr in meinem Namen bitten, und ich sage nicht, daß ich den Vater für euch bitten werde. Denn der Vater selbst liebt euch, weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, daß ich von Gott ausgegangen bin ... Vielleicht kann dies bedeuten: Christus ist als Erhöhter so eng mit dem Vater verbunden, daß jedes im Namen Christi gesprochene Gebet l'on selbst auch die Fürbitte Christi in sich schließt, also implizit die Jünger in direkten Kontakt mit dem Vater bringt, weil sie mit ihrem Gebet im Namen Jesu ihre Liebe zu Jesus und ihren Glauben an sein Hervorgehen aus Gott bekunden und auf diese Weise die Liebe -. Gottes, mit der er sich zu ihnen neigt, in Erscheinung treten lassen.
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hen« (Kap. 14,9) kann zum Auferstandenen nach dessen Aufforderung, seine Hand in seine Seitenwunde zu legen, sagen: »Mein Herr und mein Gott« (Kap. 20,28). Also: Gebet zu Gott, aber im Namen Jesu, der als Kyrios durch ,seinen Tod und in diesem »verherrlicht« wird und so Gottes Namen verherrlicht. Obwohl aber Christus nunmehr bei Gott ist und dort kraftvoll für uns eintritt, ist auch in den Johannesschriften seine Fürbitte und damit unser Gebet in seinem Namen deshalb eine so besondere Hilfe für uns, weil er das Menschsein. mit uns geteilt hat (freilich ohne Sünde, wie es im Hebräerbrief heißt). Da ja das Johannesevangelium und besonders die Briefe die Menschheit Christi in Abwehr der doketischen Häresie und ihrer Irrlehre vom Scheinleib Christi stark betonen, mag auch dieser Aspekt im Hintergrund des »Gebets im Namen Jesus« stehen.
d) Geist und Fürbitte Wenn Christus die Erde verläßt, bleibt er unter den Seinen gegenwär- tig, und zwar einerseits auf Erden: in den Betenden, anderseits bei Gott: durch seine Fürbitte. Dieses zweifache Eintreten bekundet sich und wird verstärkt duch die Sendung des Heiligen Geistes. Auch seine Gegenwart wird Christi irdisches Werk weiter führen. Auch er wird den Jüngern über den Abschied vom inkarnierten Jesus hinweghelfen. Er wird sie von aller Trauer über das Verlassensein befreien. Er wird sie »trösten«. Deshalb wird er ja »Tröster« genannt. Das ist der etymologische Sinn des griechischen Wortes »Paraklet«309. »Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster beigeben, damit er in Ewigkeit bei euch sei. .. Er bleibt bei euch und wird in euch sein.« (Kap. 14,16f.) Auch in Kap. 14,26 nennt Jesus ihn den Parakleten, den Tröster. Auch er bekundet seine Gegenwart, wie Christus selber als Erhöhter es für unser Beten tut, einerseits auf Erden in uns (Kap. 14,17b: »er wird in euch sein«), anderseits bei Gott als Fürsprecher. Denn wie so oft verwendet das Johannesevangelium mit der Wahl der Bezeichnung "Paraklet« für Geist ein Wort mit Doppelbedeutung 31o : es heißt im griechischen nicht nur »Tröster«, sondern es ist auch der juristische 309 l'ta(lCtXl..l]TO';. 310 Siehe O. CULLMANN, Der johanneische Gebrauch doppeldeutiger Ausdrücke als Schlüssel zum Verständnis des vierten Evangeliums in: K. FROHLICH, Oscar Cullmann. Vorträge und Aufsätze, op. cit. S.176ff.
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Terminus für »FÜrsprecher« (und wird in der Vulgata mit advocatus ins Lateinische übersetzt) . . Der Geist ist eng mit Christus verbunden. Nach Kap. 14,26 sendet der Vater ihn in seinem [Christi] Namen. Nach Kap. 15,26 wird Christus selbst (ego) ihn senden, »vom Vater her«; »er geht aus dem Vater hervor«, aber »er wird von mir [Christus] zeugen«. Die Einheit zwischen Christus und Geist 311 wird weiter betont Kap. 16,13f.: »er [der Geist] wird nicht aus sich selbst reden, sondern alles, was er von mir hört wird er reden ... von dem Meinen wird er nehmen und verkünden.« Da die Fortdauer der Anwesenheit Christi bei den Jüngern und diejenige des Geistes zusammengehören, wird im l.Johannesbrief2,1 Christus auf dieselbe Weise wie der Geist als Paraklet, als »Tröster« und «Fürsprecher« bezeichnet, zwar nicht im Hinblick auf das Beten, sondern auf die Sündenvergebung, die jedoch Gegenstand des Gebets sein kann. Auch wenn der vom Vater auf Christi Bitte verliehene Geist in Kap. 14,16 »ein anderer Tröster (Fürsprecher)« heißt, so ist vorausgesetzt, daß Christus selber ein Parakletos ist. Im ganzen »hohenpriesterlichen Gebet« (Kap. 17) redet Christus als »Fürsprecher« (advocatus). Der Paraklet wird »Geist der Wahrheit genannt: Kap. 14,17; 15,26; 16,13. Geist und Wahrheit sind eng miteinander verbunden. Der Geist »führt in alle Wahrheit« (Kap. 16,13); er wird die Jünger »über alles belehren und [sie] erinnern an alles, was [er] gesagt [hat]« (Kap. 14,26). Es bestätigt sich hier, was wir zur Erklärung der Antwort Jesu auf die Frage der Samariterin nach dem Ort der Anbetung (»in Geist und Wahrheit«) festgestellt haben (siehe oben S. 123ff. einerseits daß die johanneische Wahrheit die von Gott den Menschen in Christus mitgeteilte Offenbarung ist; anderseits daß Geist und Wahrheit zusammengehören. Im Gespräch mit der Samariterin betreffen sie beide das Gebet. Ist dies auch in den Abschiedsreden der Fall? Die Frage muß gestellt werden, denn der Geist ist in den zitierten Texten nicht im Zusammenhang mit dem Beten erwähnt. Aber im Rahmen dei" Ausführungen dieser Kapitel, die so betont um das Gebet kreisen, ist anzunehmen, daß auch das über den Heiligen Geist Ausgesagte in dieses Blickfeld ge-
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Ohne sie gleichzusetzen, wie dies bei Paulus in 2.Kor. 3,17 der Fall ist.
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hört 312 . Dies wird im Kapitel 14 bestätigt durch die Aufeinanderfolge der Verse 14 (Gebet) und 16 (Sendung des Geistes)313. e) Die Erhörung des Gebets
In den Abschiedsreden und in den J ohannesbriefen wird rückhaltslos Gebetserhörung verheißen: Kap. 14,13f.: »was ihr in meinem Namen erbittet, werde ich tun«; Kap. 15,7: »wenn ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, wird euch alles, worum ihr bittet, zuteil werden«; Kap. 15,16: »Worum ihr den Vater in meinem Namen bittet, das wird er euch in meinem Namen geben«; Kap. 16,24: »bittet, und ihr werdet empfangen«; 1.Joh. 3,22: »was wir erbitten, empfangen wir von ihm«; 1.Joh. 5,14: »wenn wir etwas nach seinem Willen erbitten, hört er uns«. Daß Jesus in den 4 Evangelien die Verheißung so oft wiederholt, beweist, daß sie wohl auf eine gemeinsame alte Tradition zurückgeht 314 . In den meisten der johanneischen Texte wird die Erhörung an den Zusatz »in meinem Namen« gebunden. Wo dies nicht der Fall ist, ist er vorausgesetzt, so besonders in Kap. 15,7: das »Bleiben« der Jünger in ihm und sein »Bleiben« in ihnen, das in V. 4ff. mit dem Bild der Schoße verdeutlicht wird, die verdorren, wenn sie von der Rebe gelöst werden, wird hier als Bedingung der Erhörung genannt. Die damit bezeichnete Vereinigung mit Christus besagt das Gleiche wie die Formel »beten in meinem Namen«. Der in den Synoptikern für die Erhörung mit so großem Nachdruck geforderte Glaube erscheint in den Johannesschriften weniger eindringlich, ist aber doch wohl in dem »Bleiben in ihm« impliziert. Ausdrücklich wird die Zuversicht 315 der göttlichen Erhörung in 1.Joh. 5,13f. auf den »Glauben an den Namen des Sohnes Gottes«316 gegründet, noch deutlicher in 1.Joh. 3,21. 23. Zum Glauben kommt hier als 312 Auch R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium IH, 1975, S. 181 nimmt diese Beziehung an. 313 Wenn der Geist, der nach Kap. 14,17 .. in uns ist .. , in unserem Gebet am Werke ist, so könnte dies an Paulus Ga!. 4,6; Röm. 8,15 erinnern, wobei allerdings der Unterschied nicht zu übersehen ist, da der Geist sich im Johannesevangelium nicht wie bei Paulus im Sprechen des Gebets zeigt. 314 So auch C. H. Donn, The Interpretation ofthe fourth Gospel, 1956 S. 349. 315 ltuQQT)o(u. 316 Abgesehen von der Beziehung auf das Gebet kommt der Ausdruck .. Glaube an den Namen Christi.. im Johannesevangelium öfter vor: Kap. 1,12; 2,23; 3,18.
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notwendig zu erfüllendes »Gebot« die gegenseitige Liebe der Betenden hinzu - das »neue« Gebot nach Kap. 13,34 (siehe oben S. 127) -. Dies erinnert an die synoptische Forderung Jesu, vor dem Beten Liebe zu üben, im. besonderen durch Vergebung der Sünden (Mk. 11,25; Mt. 5,23). Wenn der Verfasser des 1.Johannesbriefs (Kap. 5,14) die Erhörung mit der Bedingung verknüpft, daß »nach seinem [Gottes] Willen« gebetet werde, kann auch an die Sündenvergebung gedacht werden, zumal der nächste Vers 16 dazu auffordert, »für den Bruder, den er sündigen sieht, zu beten«317. Die Nichterhörung eines Wunsches und die Unterwerfung unter Gottes Willen, auf die wir in der Untersuchung des Gebets in den synoptischen Evangelien, im besonderen des Gebetskampfes in Gethsemane, ein so großes Gewicht gelegt haben, stehen nicht im Blickfeld der J ohannesschriften. Ohne jede Einschränkung wird Erhörung verheißen. Den Rahmen der Exegese überschreitend, könnte man in der Gleichsetzung des Verbums »hören« mit »erhören«318 in l.Joh. 5,14f. (wenn wir etwas erbitten, so »hört« er uns) den Gedanken finden, daß auch schon die Begegnung mit Gott als solche Erhörung sei.
Es ist, als ob die Vereinigung mit Christus beimjohanneischen Beten so intensiv erlebt wurde, daß alle Einzelwünsche problemlos unbeach" tet blieben. Eine letzte Frage: Wer erhört? Wir haben gesehen, daß das Gebet im Namen Christi an den Vater gerichtet wird und nur ausnahmsweise an den Sohn. Demgegenüber wird Christus einige Male als der bezeichnet, der erhört. In Joh. 14,13 und 14 verheißt Jesus, daß er die Bitte erfüllen werde 319; in V. 14 ist dies sogar durch Zufügung von ego betont. Auch in 317 Schwierig zu erklären ist aber hier die Einschränkung: (beten für) »die Sünde, die nicht zum Tode ist« (V. 16: a~laQ1:(a!.lTJ ltQo<; tlava1;ov), und besonders der erklärende Schluß dieses Verses 16: »es gibt eine Sünde zum Tod, nicht von dieser sage ich, daß er [der Bruder] beten soll.« R. BULTMA.'lN op. cit. ad locum hält diese Einschränkung für einen redaktionellen Zusatz (gegen P. BONNARD op. cit. S. 114, der diese ;>terrible restriction« dem Verfasser zuschreibt und auf die im ganzen Brief so überaus heftig bekämpften Häretiker bezieht, besonders diejenigen, die die Gemeinschaft der Brüder verlassen haben). Das Judentum nahm bereits eine Unterscheidung zwischen Sünde und Todsünde an. Auf christlichem Boden wäre an den »zweiten« (endgültigen) Tod zu denken. Da das göttliche Urteifhier schon gesprochen wäre, hätte in diesem Fall das menschliche Beten. seinen Sinn verloren. Aber die Einschränkung bleibt innerhalb der Johannesschriften und überhaupt des Neuen Testaments schwierig. 318 Siehe O. CULDL-I...'\IN, Der johanneische Gebrauch doppeldeutiger Ausdrücke, op. cit. Siehe oben S. 133, Anm. 310. . 319 ltOI~O(J).
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I.Joh. 5,15 ist es wohl Christus, der »hört«. Aber in Joh. 15,16; 16,23 und I.Joh. 3,21 ist es Gott. Die Frage ob Gott oder Christus erhört, ist in den Johannesschriften, die die Einheit des Sohnes mit dem Vater so stark betonen, nicht von grundlegender Bedeutung. In Joh. 15,7 ist kein Subjekt des Erhörens genannt; es heißt nQr: »es wird euch zuteil werden«320.
4. Das hohepriesterliehe Gebet Wir haben gesehen, daß in den johanneischen Weisungen, die der scheidende Christus den Jüngern für ihr Beten gibt, vor allem für ihr Beten in seinem Namen, seiner Fürbitte für sie ein besonderes Gewicht zukommt. In dieser Hinsicht ist das lange Gebet, das seit dem lutherischen Theologen des 16. JahrhundertsD. Chytraeus als »hohepriesterliches Gebet« bezeichnet wird 32 1, bedeutungsvoll. Christus tritt hier als »Fürsprecher« für die Jünger ein. Dieses Gebet zeigt uns, worin im besonderen die Fürbitte besteht, die Christus .den Seinen verheißt, indem er sie auffordert, in seinem Namen zu beten. Ohne auf alle Einzelheiten der Exegese des 17. Kapitels einzugehen, konzentrieren wir uns daher auf diesen Aspekt. Gewiß haben wir es auch hier mit einer entfaltenden Weiterentwicklung der Verkündigung des inkarnierten Jesus zu tun. In V. 3 ist es offenkundig, daß der Evangelist es ist, der spricht. Denn der noch auf Erden lebende Jesus konnte ja nicht sich selbst als den bezeichnen, .. den du gesandt hast, Jesus Christus«. Wie ich oben (8. 117) bemerkt habe, umfaßt die Perspektive des Johannesevangeliums in einer Zusammenschauzugleich den Fleisch gewordenen Jesus und den .Erhöhten, den in seiner Gemeinde gegenwärtigen Herrn. Der Evangelist ist sich bewußt, im Blick auf diese Entfaltung auf Grund der .. Führung in alle Wahrheit« (Kap. 16,13) ..über alles belehrt« worden zu sein, was der Inkarnierte gesagt hat (Kap. 14,26). Man mag dies in gewissen Anklängen dieses johanneischen Gebets an das Vaterunser bestätigt finden 322.
Ulllv YEVTjunaL. .' R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium III, 1975, S. 190 Anm. 2 macht darauf aufmerksam, daß schon zwei Kirchenväter den »hohenpriesterlichen« Charakter des Gebets hervorgehoben haben. Was den einen der beiden, Cyrill von Alexandrien betrifft, siehe schon R. BRoWN,The Gospel accordigto S. JohneXIII-XXIl 1970, S. 747. 322 Heiligung des Namens: Joh. 17,6.26; Mt. 6,9; Bewahrung von dem Bösen: Joh. 17,15; Mt. 6,13. 320
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Ob das Kap. 17 seinen Platz am Ende der Abschiedsreden hat, wo es in den Handschriften steht, oder im Gegenteil, wie verschiedene Exegeten annehmen, an den Anfang gehört 323 : sicher ist, daß eine innere Beziehung zwischen diesem Gebet und den vorherstehenden Kapiteln besteht. Gemeinsam ist ihnen das Thema: Keine Traurigkeit soll das Herz der Jünger erfüllen wegen des Abschieds Christi von der Erde. Die Trauer soll in Freude verwandelt werden (Kap. 17,13 zu vergleichen mit Kap. 15,11; 16,20). In diesem Gebet darf nicht eine logische Aufeinanderfolge der Sätze gesucht werden, von denen jeder auf dem vorhergehenden aufgebaut wäre, nicht ein Fortschreiten ohne Wiederholung. Vielmehr ist die Darstellung der Gedanken, wie überhaupt in denjohanneischen Schriften eine zyklische. Trotzdem können wir im folgenden die Grundgedanken herauszuheben versuchen. Die Beziehung der Jünger zur Welt durchzieht als Leitmotiv das ganze hohepriesterliehe Gebet, das in dieser Hinsicht von besonderer Wichtigkeit und sogar Aktualität ist, obwohl es, wie wir sehen werden, als Fürbitte für die Jünger gesprochen ist, die mit Jesus auf Erden gelebt haben 324• Der Vers 9 erregt in diesem Zusammenhang zunächst Anstoß: »nicht für die Welt bete ich, sondern für die, die du mir gegeben hast«. Heißt dies, daß die Welt dem Verderben überlassen ist? Die Verse 21 und 23 geben gerade im Gegenteil als Endziel an: »damit die Welt glaube (bzw. erkenne), daß du mich gesandt hast«, und in V. 26 betet Jesus für die, die auf die Predigt der Jünger hin glauben werden. Dieses Ziel steht im Einklang mit Joh. 3,16f.: »Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden ... Nicht hat Gott den Sohn hl. die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern daß sie gerettet werde.« In dieses Heilswerk sollen die Jünger nach Joh. 17 eintreten, und im Hinblick auf diese gewaltige Aufgabe gegenüber der Welt sind gerade sie Gegenstand dieser Fürbitte. Von hier aus muß die Beschränkung des Gebets auf die Jünger verstanden werden. Sie hat er »ausgewählt« (Kap. 15,16), damit sie »Frucht bringen«, d.h. daß sie die weltumfassende Mission durchfüh323 So R. BULTMANN op. cit. 1941, S. 350f. Für den Platz am Ende: R. E. BRoWN op. cit. S. 741 und R. SCHNACKENBURG op. cit. III S. 189. 324 Entgegen einer heutigen Tendenz sollte die Zeitgeschichtlichkeit nicht nur nach der für die Anwendbarkeit der Bibel auf unsere Probleme negativen Seite bewertet werden, sondern sie sollte auch in der geschichtlichen Entwicklung die Kontinuität aufdecken.
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ren 325 : Erwählung einer Minderheit, um alle zum Heil zu füh~en. Dies ist der Weg der ganzen Heilsgeschichte in der Bibe1 326 , und das ist die besondere Mission der kleinen Jüngergruppe in der Zeit, wo Jesus zum Vater zurückkehrt. Sie sind es, die die Entfaltung des Werkes sicher zu stellen haben, für dessen Durchführung Jesus in die Welt gesandt worden ist. So ist die Konzentration des hohepriesterlichen Gebets auf sie zu verstehen. Die Blickrichtung der auf das Leben der Jünger in der Welt bezogenen Bitten ist eine doppelte: einerseits die von den Jüngern in der Welt zu erfüllende Aufgabe (V. 18 f.), anderseits die Bewahrung vor der Welt, vor dem Bösen, in das die Welt fest verstrickt ist (V. 11 und 15). Nicht nur die Bitten selbst, sondern ihre Voraussetzung, ihr Ausgangspunkt betrifft das Verhältnis der Jünger zur Welt. In welcher Situation befinden sie sich? In der Zeit nach seinem Tod und seiner Auferstehung ist Jesus »nicht mehr in der Welt«, aber »die Jünger sind in der ,Welt« (V. 11). Wegen dieses ihres scheinbaren Alleinseins in der Welt ist es nötig, daß sie vor ihr in dieser Zeit bewahrt werden, so wie Jesus sie bewahrt hat, als er mit ihnen auf Erden lebte (V. 12a) und »keiner von ihnen ins Verderben kam außer dem Sohn des Verderbens [Judas]« (V. 12b). Anderseits sind sie, die weiterhin in der Welt sind, »nicht von der Welt 327 , wie Jesus selbst nicht von der Welt ist« (V. 14,16). Darum »haßt die Welt sie« (V. 14). In diesem »Nicht-von-der-Welt-sein« müssen sie, während sie in der Welt sind, bewahrt bleiben. Deshalb muß Christus Gott, den er hier mit Absicht als »heiligen Vater« anredet, bitten, er möge sie »in seinem Namen«, den er ihm (Christus) gegeben hat, »bewahren« (V. 1i b). Der Ausdruck sie »bewahren«, sie »absondern«, ist in V. 17 in die Worte der Bitte gekleidet: »heilige sie in der (durch die) Wahrheit«, und wiederum wird das Teilhaben der Jünger an dem, was Christus selbst auszeichnet, hinzugefügt: »für sie heilige ich, mich selbst, damit auch sie geheiligt seien in der (durch die) Wahrheit (V. 19). Durch »die Wahrheit« sollen sie geheiligt werden, und zwar die Wahrheit im johanneischen Sinn (siehe oben S. 124f.), d. h. die Offenbarung Gottes in Christus. Diese Wahrheit oder was das gleiche ist: den »Namen« Gottes hat Jesus den Seinen offenbart (V. 6). Diesen »Namen hat 325
Die ist der Sinn von xaQno~ besonders in den Paul usbliefen. Siehe ThWNT Bd. II!. S.
618, 326
O. CULLMANN, Christus und die Zeit, 1962 3 , besonders S, HOff.
327 EX 'tOÜ XOO[lOU.
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er ihnen kundgetan und wird ihn (weiter)~undtun«: (V. 26), und derV. 25 zeigt wiederum an, daß Wahrheit und Name, die es auf Grund dieser Offenbarung zu »erkennen« gilt, zum Inhalt haben, daß Christus »von Gott gesandt ist«. Schon nach dem ersten Teil des Gebets haben die Jünger »erkannt« daß Christus von Gott »ausgegangen ist«, haben sie »geglaubt«, daß Gott ihn »gesandt hat« (V. 8). Das Verbum »senden« kehrt in dem ganzen Gebet immer wieder. Nicht nur wird Gott darin erkannt, daß er Christus gesandt hat, sondern Sendung ist überhaupt das Prinzip allen Offenbarens: auch Christus »sendet« die Jünger: »wie du mich gesandt hast in die Welt, so habe ich sie gesandt in die Welt« (V. 18). Ausdrücklich bittet er Gott »nicht darum, daß er die Jünger aus der Welt herausnehme, sondern daß er sie vom Bösen bewahre« (V. 15). Denn Christus hat sieja gerade in die Welt gesandt. Und welches ist das Ziel dieser Sendung? Gerade, daß die Welt erkenne, daß Gott Christus »gesandt« hat (V. 23). Diese soll in der Erkenntnis, daß Gott Christus gesandt hat, sozusagen den ganzen Weg des göttlichen Sendens überschauen, der in ihrer eigenen Erkenntnis endet und sie so zu Gott führt. Denn dieser ganze Sendungsprozeß: Sendung Christi durch Gott, der Jünger durch Christus, gipfelt darin, daß die Welt zur Erkenntnis gelange, daß Gottes Selbstmitteilung sich in diesem Heilsweg des Sendens zeige. »Gesendet werden durch Gott« gehört aber in diesem Gebet zusammen mit »geliebt werden durch ihn«. Denn Selbstmitteilung Gottes ist ja Selbstmitteilung seiner Liebe. Nach dem schon zitierten V. 23 soll die Welt erkennen: »daß du mich gesandt hast und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast.« Der Glaube daß Gott die Liebe ist, wie der Verfasser des l.Johannesbriefs (4,16) schreibt, liegt der ganzen johanneischen Theologie zugrunde. Darin ist ihre Christozentrik gegründet: Gott hat Christus »von Anbeginn der Welt an geliebt« (V. 24 b). Die gleiche Liebe durchzieht wie ein Strom alles Heilsgeschehen: die gleiche Liebe verbindet Gott mit Christus, Christus mit den Seinen, die Seinen mit Christus und mit Gott. Auch die Liebe der Jünger untereinander ist eingebettet in dieser Liebe, in der Gott sich mitteilt. Nur darauf beruht das Neue an dem »neuen« Liebesgebot wie es Christus in Joh. 13,34 bezeichnet und bestimmt: »wie ich euch geliebt habe: das Gebot, auf dessen Erfüllung nach l.Joh. 3,21-23 (siehe oben S. 135) die »Zuversicht« beruht, daß unser Gebet erhört werde. Das johanneische Gebet ist ganz und gar gegründet in der Selbstmitteilung Gottes als Liebe und aus Liebe, und ihr Höhepunkt ist die Selbstmitteilung in Christus.
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Dies ist aber auch das Besondere an der mit diesem Gebot eng zusammenhängenden Bitte für die Einheit in V. 21, »damit alle eins seien«. In ökumenischen Versammlungen wird diese immer wieder und mit Recht zitiert. Aber z~ Unrecht ohne die Fortsetzung 328 • Erst diese gibt ihr ihre Tiefe: »wie der Vater in mir und ich in dir, damit auch sie in uns seien, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast«. Und in V. 23 nochmals: »ich in ihnen und du in mir, damit sie in der Einheit vollkommen seien, damit die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast.« Die Einheit der Jünger untereinander ist für die Welt die Grundlage der Erkenntnis Gottes. An ihr soll sie die Liebesströmung erkennen, die aus dem gleichen Liebesquell stammt: Gott, Christus, Jünger, Welt: Nicht nur auf die zeitliche Abfolge, sondern auf die innere Verbindung durch die Liebe kommt es an. Die Welt wird sozusagen den Weg des Erkennens in umgekehrter Reihenfolge zurücklegen: sie sieht das Liebesband der unter den Jüngern verwirklichten Einheit und kommt zum Erkennen und Glauben, daß Gott Christus in die Welt gesandt hat aus Liebe zu dieser: »also hat Gott die Welt geliebt ... « (Joh. 3,16) Darum muß der scheidende Christus für die Einheit der Christen und derjenigen, »die auf der Jüner Predigt hin zum Glauben gelangen« (V. 20), beten. Deshalb gilt das abschließende Gebet im letzten Vers (V. 26) der Jüngern: »damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen.«
5. Zusammenfassung (Das Gebet in den Johannesschriften) Im Zusammenhang mit drei verschiedenen Abschnitten des Johannesevangeliums haben wir die johanneische Gebetsauffassung untersucht: 1) in dem Gespräch Jesu mit der Samariterin (Kap. 4,20ff.): Anbetung in Geist und Wahrheit; 2) in den Abschiedsreden (Kap. 14-16): Beten im Namen Jesu, Geist als Paraklet, Erhörung; 3) im hohepriesterlichen Gebet (Kap. 17): Fürbitte Jesu für die Seinen. Eine gleiche Grundauffassung verbindet die drei Abschnitte. Sie ist charakterisiert durch die konsequent christozentrische Ausrichtung des Gebets. Ihr großer Beitrag zum Verständnis des Gebets besteht darin, 328 J. WILLEBRANDS, der frühere Präsident des Einheitsekretariats, hat dagegen in seiner Ansprache in Cambridge mit Recht die Bitte in ihren Kontext gestellt (Ökumenische Tagung 18. 1. 1970).
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Die neutestamentlichen Aussagen Uberdas Gebet
daß sie die Hilfe, die wir nach dem ganzen Neuen Testament (besonders Röm. 8, 26) zum Beten brauchen,an den Beistand Jesu Christi bindet. Unser Gebet bleibt zwar an Gott den Vater gerichtet, ist aber im Werk des menschgewordenen und erhöhten Herrn Jesus Christus verankert. Die johanneische Verkündigung, nach der wir Gott durch Christus kennen - »wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen« (Joh. 14,9),gilt auch für das Beten. Der Weg zum Ziel eines jeden Gebets, Begegnung mit Gott, wird uns durch Jesus, den Menschgewordenen, in dem Gott sich zu den Menschen neigt, eröffnet. Jesus verkündet der Samariterin für die Endzeit, die mit seinem Kommen eingeleitet ist, die Anbetung Gottes, die nicht mehr an einen bestimmten Ort gebunden ist, sondern die die Begegnung mit ihm, der selbst Geist ist, im Geiste sucht - in dem Geist, der uns Gott in Christus offenbart, der uns in die Wahrheit führt und daher mit der Wahrheit eng verbunden ist. _ Darum soll in der Zeit, die nach Christi Tod und Auferstehung anbricht, d. h. der Zeit, auf die sich die Abschiedsreden beziehen, Jesus nicht nur im Gedenken der Jünger, sondern als lebendige Realität wirklich unter ihnen gegenwärtig sein, wenn sie zu Gott in seinem »Namen« beten. Dieses Gebet vereinigt sie mit ihm. Sie sehen ihn sozusagen bei ihrem Beten neben sich und gewinnen so die Zuversicht, daß er mit ihnen betet, aber anderseits ihre Bitten »fürbittend« vor Gott bringt. Worin diese Fürbitte besteht, das lehrt uns das hohepriesterliche Gebet: Fürbitte für die Bewahrung der Jünger in der Welt, in die sie gesandt sind zur Erfullung ihrer Aufgabe, die Welt zur Erkenntnis der Liebe Gottes zu führen; Fürbitte für ihre Bewahrung vor der Welt, durch ihre Heiligung in der Liebe, die das Wesen Gottes ist und die sie und die Welt mit Christus und mit Gott verbindet.
Übrige neutestamentliche Schriften
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4. Kapitel
Übersicht über das Gebet in den anderen neutestamentlichen Schriften. (Apostelgeschichte, 1. Petrusbrief, Jakobusbrief, Hebräerbrief, J ohannesoffenbarung) Wie ich am Anfang dieses Buches bemerkt habe, verfolgt die vorliegende Arbeit nicht das Ziel, lexikographisch alle Stellen des Neuen Testaments zu erfassen, in denen das 'Gebet erwähnt wird 329 • Vielmehr soll aus dem Zeugnis der theologisch entscheidenden, grundlegenden Aussagen eine Gebetstheologie des ganzen Neuen Testaments erschlossen werden. Eine solche scheint sich mir in der Tat schon aus den vorstehenden Kapiteln zu ergeben: Synoptische Evangelien, Paulus,die Johannesschriften. Jeder dieser drei Bibelkomplexe bietet einen besonderen Aspekt, und im letzten Teil des vorliegenden Buches soll eine Synthese der vielfältigen Ausprägungen versucht werden. Wenn ich jetzt zunächst im Gegensatz zu den sehr ausführlich behandelten vorstehenden Kapiteln kürzer auf die anderen Schriften (Apostelgeschichte, 1.Petrusbrief, Jakobusbrief, Hebräerbrief, Johannesoffenbarung) eingehe, so soll dies nicht heißen, daß sie ftir unsere Frage nicht wichtig sind, wohl aber daß sie die schon festgestellten Auffassungen bekräftigen sollen. Einige der in ihnen enthaltenen Stellen haben wir übrigens beiläufig schon herangezogen.
1. Apostelgeschichte Die Apostelgeschichte stammt vom gleichen Verfasser wie das Lukasevangelium. In dieser Arbeit hatten wir die beiden Bücher jedoch nicht zusammen zu besprechen, da die Apostelgeschichte sich nicht mit dem Gebet Jesu nach den synoptischen Evangelien befaßt, das das Thema des entsprechenden Kapitels ist. Wohl finden wir aber in der Darstellung des Lebens der Urgemeinde gemeinsame Züge mit derjenigen des 329 Auch das mehrfach zitierte gründliche Buch von A. llAMMAN, La priere du Nouveau Testament, ist weit mehr als eine eher lexikographische Übersicht. Der Verfasser bemüht sich um eine theologische Erfassung. Er geht allerdings anders vor als meine Arbeit, vertritt auch oft andere Erklärungen, und die bei den Untersuchungen können sich ergänzen. A. HAMMAN räumt der Semantik und dem theologischen Kontext der Gebetsstellen einen größeren Raum ein, entfernt sich dabei allerdings nach meinem Empfinden zuweilen etwas weit von dem besonderen Thema der Arbeit.
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Die neutestamentlichen Aussagen aber das Gebet
Lebens Jesu durch den gleichen Verfasser. Für unsere Frage ist wichtig, daß wir auch in der Apostelgeschichte feststellen, daß Lukas unter den verschiedenen Lebensäußerungen der ersten Christen ihr Beten besonders betont, was den zahlreichen Erwähnungen des Betens Jesu in seinem Evangelium entspricht (Lukas der »Evangelist des Gebets«). Wie er als einziger unter den Synoptikern in seinem Evangelium berichtet, daß Jesus vor der Wahl der zwölf Apostel die ganze Nacht gebetet habe (Luk. 6,12ff.), so teilt er am Anfang der Apostelgeschichte (1,24ft) das Gebet mit, das Petrus mit den versammelten Brüdern vor der Wahl des Matthias, des Ersatzapostels für Judas, spricht. Wohl entscheiden nachher die Lose (V. 26), aber das Gebet entzieht die Wahl dem Bereich des Zufalls und führt ,sie auf Gott zurück 330 • In der zusammenfassenden Beschreibung des Lebens der Urgemeinde (Kap. 2,42ft) wird das »Beharren« im Gebet (siehe oben S. 10,106ff., unten S. 157f.) und das »Loben Gottes« (V. 47) neben der »Unterweisung in der Lehre der Apostel und dem Brotbrechen« :nicht vergessen. Theologisch kommt in Betracht, daß Lukas wie Paulus das Gebet auf den Heiligen Geist gründet. Auch dies steht im Einklang mit seinem Evangelium, in dem der Heilige Geist so stark in den Vordergrund gerückt ist. Nach der Mitteilung des Gebets, das die Versammelten nach der Befreiung des Petrus und des Johannes (Kap. 4,24ff.) sprechen 33 I, heißt es im V. 31, daß während ihres Betens der Ort der Zusammenkunft erbebte und so die Gegenwart des Heiligen Geistes sich kundtat, mit dem sie »erfüllt wurden«, wie an Pfingsten das Geräusch vom Himmel, das das ganze Haus erfüllte, das Geistwunder begleitete (Kap. 2,2ff.). Die Himmels- und Christusvision wird dem Stephanus (Kap. 7,55 f.) wohl auch im Augenblick zuteil, wo er - »erfüllt mit dem Heiligen Geist, zum Himmel blickend« (V. 55) - sich zum Beten anschickte, als seine Feinde nach seiner Rede »mit Zähneknirschen« auf ihn losstürmten, wie er auch gleich nachher während der Steinigung (V. 59 und 60) noch betete 332 • Die ganze lukanische Erzählung (Apg. 10,10ff.) von der von Petrus geschauten Vision des gedeckten Tisches als Aufforderung an ihn, »das von Gott Gereinigte nicht für unrein zu 330 In Kap. 6,1 ff. ist nur das Gebet erwähnt, das mit Handauflegung erst nach der Wahl gesprochen wird. 331 Eine theologische Analyse dieses Gebets beiA.liAMMANop. cit. S. 174. 332 Es hängt wohl mit der Christusvision und mit dem Inhalt dieser Gebete zusammen, die sich an die Worte anlehnen, die (nur nach dem Lukasevangelium, Kap. 23,46 und 34) der gekreuzigte Jesus spricht, daß Stephanus im Unterschied zu den anderen Gebeten der Apostelgeschichte, die alle an Gott gerichtet sind, den »Herrn Jesus« (KUQLE, 'ITjooü) anruft.
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halten«, spielt sich im Bereich der beim Beten erfolgenden Geisteswirkung (»Ekstase« V. 10) ab, als er »zum Beten« (V. 9) aufs Dach steigt wo die Vision stattfindet333 •
2. l.Petrusbrief Wenn in 1.Petr. 3,7 am Schluß der langen Aufzählung der Pflichten der Diener, der Frauen, der Männer, als Ziel ihrer Erfüllung am Ende die Ermahnung an die Männer angegeben ist: "damit eure Gebete nicht behindert werden«, so ist damit wohl kaum, wie einige Ausleger meinen, die von Paulus in l.Kor. 7,5 für kurze Zeit zum Zweck der Konzentration aufs Gebet den Ehepartnern empfohlene Enthaltung gemeint, sondern das sittliche Verhalten überhaupt als Vorbedingung für das Beten. Wo diese fehlt, das ist wohl der Gedanke, ist die zu rechtem Beten nötige Gesinnung nicht vorhanden, ähnlich wie in den synoptischen Evangelien und in anderen Schriften die Forderung der Liebesübung erhoben wird. Im gleichen Sinne heißt es in Kap. 4,7: »seid vernünftig und mäßig, im Hinblick auf das Beten«, und im nächsten Vers wird »vor allem« zur gegenseitigen Liebe gemahnt. Im übrigen ruft der Verfasser in Kap. 5,7 die Leser dazu auf, »alle ihre Sorgen auf Gott zu werfen«, da er für sie sorgt. Wie für Jesus (siehe oben S. 71 f.) und für Paulus, Phil. 4,6, ist auch hier das Beten dazu bestimmt, alles Sorgen auszuschließen.
3. Jakobusbrief Im Jakobusbriefnimmt das Beten einen großen Raum ein. In Anlehnung an die Verheißungen der Erhörung durch Jesus in den synoptischen Evangelien »Bittet, so wird euch gegeben«, schreibt der Verfasser schon am Anfang (Kap. 1,5): »wenn einer von euch der Weisheit ermangelt, erbitte er sie vom Vater, der allen freigebig und ohne Vorwurf die Gaben verleiht, und sie wird ihm gegeben werden.« Weiter (V. 6) heißt es ähnlich wie in Mt. 21,21: »er soll im Glauben bitten ohne jeden Zweifel; denn der Zweifler gleicht einer Meereswelle, die vom Wind bewegt und getrieben wird.« Den Streitsüchtigen wirft er in Kap. 4,3 333
Der Geist ist es, der ihm dort die Weisung erteilt, mit den zwei Männern zu gehen
(v. 19).
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
vor, daß sie nicht empfangen, »weil ihr in schlechter Gesinnung bittet.« Der Kontext zeigt, daß damit ihr Verstoß gegen das sittliche Verhalten gemeint ist, wie Jesus in den synoptischen Evangelien als Vorbedingung für das Beten Vergebung der Sünde und wie auch der l.Petrusbrief(siehe oben S. 145) »im Hinblick auf das Beten« vor allem Liebesübung verlangt. Im Jakobusbrief mag die Forderung eines sittlichen Lebens mit seiner starken Betonung der Gerechtigkeit zusammenhängen. In Kap. 5,16 schreibt der Verfasser, daß »das Gebet des Gerechten große Kraft hat.« Daß daneben auch der Glaube nicht fehlt, haben wir soeben in Kap. 1,6 festgestellt, wo im Glauben um die Weisheit gebetet werden soll, und in Kap. 5,15 ist die Rede vom »Gebet des Glaubens 33 4, das den Kranken retten wird.« Wie in Phil. 4,6 soll auch nach Jak. 5,13f. in jeder Lebenslage gebetet werden: »Ist einem übel zu Mute, so soll er beten; ist er in guter Stimmung, so soll er mit Psalmen singend danken; ist einer krank, so soll er die Ältesten der Gemeinde kommen lassen, und sie sollen über ihn beten - mit (nach) Ölsalbung- im Namen des Herrn«. Das ganze Leben wickelt sich in Gebetsverrichtung ab. Die Verbindung mit Gott darf keinen Augenblick abbrechen, sei es in Bitt- oder Dankgebet.
4. Hebräerbrief Der Hebräerbrief kommt für unser Problem weniger durch direkte Anweisungen als durch seine theologischen Grundgedanken in Betracht, die als Voraussetzung für das Beten angesehen werden könrl,en. Zwar steht - etwas unvermittelt - in Kap. 13,18 der Imperativ »betet für uns«, und auch das »Bitten und Flehen« Jesu 335 in Gethsemane wird in Kap. 5,7 erwähnt, sogar mit Einzelheiten, die über die Evangelienberichte hinausgehen. Aber so wichtig diese für das Jesusbild sind, der eigentliche, allerdings eher indirekte Beitrag des Hebräerbriefs zur neutestamentlichen Gebetsauffassung ist der im Vordergrund stehende Hohepriesierbegriff. Wir sind diesem im Johannesevangelium und überhaupt im Neuen Testament im Zusammenhang mit der Fürbitte Jesu begegnet, obwohl 334
f) EUX~ "tij~ 1(1(1'([(0 •• Km lKlJ1:lJQla;.
335 ÖE~OEl;
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die Bezeichnung »Hohepriester« für Jesus erst im Hebräerbrief vorkommt. Im Gegensatz zu den Fürbittetexten des Johannesevangeliums (mit dem der Brief im übrigen manche Verwandtschaft aufweist), wird der Hohepriesterbegriff unseres Schreibens nicht mit dem Beten in Zusammenhang gebracht. Erst in den die ganze Argumentation beherrschenden Ausführungen über die Überlegenheit des neuen Priestertums über das alte, dessen altestamentliche Terminologie übernommen wird, lassen sich die Linien aufzeigen, die zum Gebet führen. Der Zugang zu Gott ist durch das von Christus ein Mal dargebrachte Opfer in einzigartiger Weise ermöglicht. Der Zugang zum Heiligtum ist offen (Kap. 10,19). Durch das von Christus vergossene Blut ist nach Kap. 9,14 für unser »Gewissen« die Möglichkeit gegeben, nicht mit »toten Werken«, sondern »dem lebendigen Gott zu dienen,<. Der Ausdruck für »dienen«336 umfaßt hier unsere ganze Lebenshaltung, aber die ursprüngliche, kultische Bedeutung. ist wohl miteingeschlossen. Diese liegt sicher der Aussage von Kap. 12,28 .über die Gnade zu Grunde, durch die wir »wohlgefällig Gott dienen in Scheu und Ehrfurcht.« Mit dem mehrfach wiederholten Verbum »herzutreten«337 wird der durch Christus neu eröffnete Zugang zu Gott bezeichnet, und wenn das Ziel allen Betens die Begegnung mit Gott ist, so bringt uns dieser Grundgedanke des Hebräerbriefs zu einem wichtigen Aspekt unseres Themas. Die durch den »großen Priester« geschaffene Möglichkeit des »Herzutretens« zum »Thron der Gnade« in Kap. 4,16 sowie der »Zugang zum Heiligtum« in Kap. iO,19 verleihen uns die an beiden Stellen genannte »Zuversicht«338, die in anderen neutestamentlichen Texten auf die Gewißheit der Gebetserhörung bezogen ist. Das priesterliche Werk Christi, das uns den Zugang zu Gott und damit die »Zuversicht« geschenkt hat, dieser Indikativ der Gnade: »wir haben den Zugang«, stellt beide Male, in 4,16 und in 10,22, den Imperativ aus sich heraus: »laßt uns herzutreten«. Das neue Priestertum verpflichtet uns zur »Darbringung des Opfers«, das nach Kap. 13,15 im >,Lobpreis Gottes« besteht und das als »Frucht der Lippen, die seinen Namen be~ennen«, näher bezeichnet wird. So fordert der Verfasser die Leser hier zum Beten auf.
336 AU1:Q€U€LV. 337 1tQOoEQx w t}m. 338 1tUQQTjOLU.
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Die neutestamentlichen Aussagen über das Gebet
Es handelt sich um das' Lobgebet, dem das »Bekennen der Lippen« zugerechnet werden kann 339.
5. Johannesoffenbarung Obwohl sich - in begrenztem Maße - eine gewisse Verwandschaft der Johannesoffenbarung mit den anderen johanneischen Schriften nachweisen läßt, haben wir sie nicht zusammen mit ihnen behandelt, da sie einer sehr verschiedenen und ganz besonderen Literaturgattung angehört. Außerdem' unterscheidet sie sich von ihnen dadurch, daß wir ihr keine Angaben über individuelle, sondern über liturgische Gebete entnehmen. Abgesehen von dem Gebetsruf »Herr komm« sind es nicht Bittgebete, sondern Lob- und Dankgebete. Sie sind nicht von Menschen auf der Erde gesprochen, sondern im Himmel und am Ende. Trotzdem kommen sie als Quelle für die in der Gemeinde verrichteten Lob- und Dankgebete, bzw. Doxologien, in Betracht. Der ganze Rahmen bietet ja einen Gottesdienst im Himmel. Der Seher hört im Himmel Gebete, die ihm aus dem Gemeindegottesdienst vertraut sind, zumal dieser ja als Vorwegnahme des zukünftigen Gottesdienstes aufgefaßt ist 340. Von dieser urchristlichen Annahme aus ist es erlaubt, Rückschlüsse aus' den zahlreichen in der Johannesoffenbarung enthaltenEm Hymnen auf altchristliche Liturgiegebiete zu ziehen 341 . Am Anfang (Kap. 1,5f.) steht eine an Christus gerichtete Doxologie, die in einer kurzen Zusammenfassung seine Person und sein Werk verherrlicht. Mit dem dreimaligen »Heilig« aus Jes. 6,3 (>,Trishagion«, siehe oben S. 60) wird in Kap. 4,8 von den beflügelten Tieren dem ,>allmächtigen«342 Gott, »der da war, der da ist und der da kommt«, lobgesungen, und anschließend wird berichtet, daß die 24 Älteste,n nach monarchischem Brauch ihre Kränze dem auf dem Thron Sitzenden zu
Die 6I.lOAOY(U wird im Hebräerbriefoft genannt: 3,1; 4,14; 10,23. Siehe O. CULLMANN, Urchristentum und Gottesdi'enst, 1949'. 341 Außer E. LoHMEYER, Die Offenbarung des Johannes, 1926 hat besonders P. PRIGENT, L'Apocalypse de Saint Jean, 1981, 1988' den liturgischen Charakterder Johannesoffenbarung hervorgehoben. 339 340
342 nUV'toxQCx'WQ.
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Füßen werfen und die typische Huldigungsformel sprechen: »Du bist würdig, zu nehmen Herrlichkeit, Ehre und Kraft ... « (V. lOf.)343 Im Unterschied zu den weitaus meisten Gebeten, denen wir in den anderen neutestamentlichen (einschließlich denjohanneischen) Schriften begegnet sind, die fast alle an Gott gerichtet sind, lobsingen mehrere Hymnen der Johannesoffenbarung Christus, dem »geschlachteten Lamm«. So werfen sich in Kap. 5,8 »die Tiere und die 24 Ältesten vor dem Lamm nieder und singen ihm, versehen mit Harfen und goldenen Schalen mit Räucherwerk, die die Gebete der Heiligen sind34~, ein neues 345 Lied ... Myriaden v~n Engeln stimmen in den Lobgesang in der 3. Person ein: »würdig ist das Lamm ... « (Kap. 5,12). Die von einer unzähligen Menge aus allen Nationen, Völkern, Stämmen und Sprachen in Kap. 7,10 dargebrachte Huldigung gilt zugleich Gott und Christus: »Heil unserem Gott, der auf dem Throne sitzt und dem Lamm.« In einem langen Lobgebet danken:J46 in'Kap. 1l,17f. die 24 Ältesten Gott dem Allmächtigen dafür, daß er seine Macht ergriffen, Herrschaft und Gericht ausgeübt hat. Auch an den allmächtigen Gott sind der ~>Hymnus Moses« und derjenige des »Lammes« gerichtet (Kap. 15,3). Nach dem Fall BabyIons hört der Seher in Kap. 19,1ff. »eine laute Stimme Wie von einer großen Menge im Himmel«, einen mit Halleluja .eingeleiteten Jubelruf, der in der 3. Person Gott für seine gerechten Gerichte preist, und gleich nachher hört er noch drei Mal das auf den alttestamentlichen Gottesdienst zurückgehende und vom christlichen übernommene Halleluja. So durchziehen Hymnen das ganze Buch des Verfassers. Für die Gebetsauffassung ist es bedeutsam, daß die Zukunft sich in Form eines gewaltigen Gottesdienstes abspielt in Lobgesängen und Dankgebeten an Gott und das Opferlamm Christus. Erst am Ende, Kap. 22,17, steht ein Bittgebet, und zwar auch eines, das - in der aramäischen Uniform - zur ältesten Gottesdienstliturgie gehört 347 : »Der Geist und die Braut sprechen: »Komm«, und derjenige, der es hört, soll sprechen: »Komm«, und der Seher be endet sein Buch (V. 20) mit dem gleichen Gebet, das er gehört hat: »Amen, komm, Herr 343
Siehe zur Formel: TH. KLAUSER. Realenzyklopädie für Christentum und Antike I.
228. 344 Zu beachten. daß hier auch eine Übermittlung der Gebete - wenn auch nicht durch Christus - angenommen wird. 345 Die Bezeichnung »neu« in den Psalmen vorkommend (siehe Ps. 33,3). auch Oflb. 14,3. 346 Eingeleitet mit: El'XUQLOl:OiiIJEV um. 347 Siehe 0, CULLlHANN. Urchristentum und Gottesdienst, 19472 •
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Jesus«348. Es ist. das Gebet für das »Kommen« der herrlichen Zukunft, das Jesus selbst die Jünger im ersten Teil des Vaterunsers gelehrt hat, »dein Reich komme«, das Gebet, in dem wir sozusagen die Stimme Jesu hören. Die große Bedeutung der Johannesoffenbarung für das Verständnis des neutestamentlichen Betens besteht in zweierlei: einerseits der Betonung des »Hörens« auf die himmlische Stimme, auf das Sprechen des Geistes, das unsere Gebete bestimmt; anderseits - damit zusammenhängend - in dem eschatologischen, die Zukunft vorwegnehmenden Charaktt:!r des Betens. Das "Hören« spielt eine hervorragende Rolle in der Johannesoffenbarung 349. Der »Seher« sieht nicht nur, besonders hört er. Er hört die »Stimme« derer, die in den zitierten Texten die Lobgesänge anstimmen . . Hören ist aber auch einer der Hauptzüge allen neutestamentlichen Betens. Wir erinnern uns an die Auffassung des Gebets bei Paulus (siehe oben), wonach in unseren Gebeten der Geist Gottes spricht, und wo wir in menschlich unvollkommene Formen kleiden, was wir vom Geiste »hören«. In der Johannesoffenbarung ist die Beziehung zwischen dem Sprechen des Geistes und unserem Beten klar ausgedrückt in dem vorhin erwähnten Schlußgebet Kap. 22,17, wo es heißt, daß der Geist (und die Braut) sprechen: »Komm« und »der, der es hört« aufgefordert wird, das gleiche Wort auszusprechen: »Komm«. Das Hören auf das Sprechen des Geistes im Gebet ist eine Verpflichtung, die nicht nur das Gebet betrifft. So werden am Ende der sieben Sendschreiben (Kap. 2-3) die Gemeinden gemahnt: »Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.«
Daß aller Gottesdienst und damit alles Beten Antwort auf ein Hören sein muß, kommt auch in den Worten Christi am Ende des Briefes an die wegen ihrer Lauheit schwer getadelte Gemeinde in Laodizea zum Ausdruck (Kap. 3,20): »Siehe, ich stehe an der Türe und klopfe. Wenn einer auf meine Stimme hört und die Tür öffnet, werde ich eintreten und mit ihm essen und er mit mir.« Hier ist wohl an den urchristlichen Gottesdienst mit dem Brotbrechen gedacht. Daß es hier Christus ist und nicht der Geist, auf dessen Stimme gehört werden muß, macht keinen Unterschied aus. Im Gebet ist Christus und der Geist gegenwärtig. 348 ~QXOU xl'QIE griechische Übersetzung von llUQava'lta. 349 Darauf verweist auch HENRY MCYl'TU in seinem Aufsatz »Apocalypse 2-3 comme modele homiletique«, in: Bulletin du centre protestant d'Etudes (Geneve), Mars 1991, S. 5. Was der Verfasser im Hinblick auf die Predigt sagt, gilt auch für das Gebet.
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Die festgestellte Übereinstimmung des urchristlichen Gemeindegebets mit dem endzeitlichen Gottesdienst, den der Seher im Himmel hört, ist darin begründet, daß unser Beten ein Hören auf den Heiligen Geist ist; denn sein Wirken unter uns ist Vorwegnahme des Endes ("Angeld«, siehe oben). So ist all unser Beten Vorwegnahme des Endes: ein endzeitliches, eschatologisches Handeln. Wenn wir beten, überschreiten wir schon die Grenzen unseres Daseins. Das ist der höchste Adel des Gebets.
III. Teil
Synthese Zugleich Versuch einer vom Neuen Testament aus zu erteilend~n Antwort auf neue Fragen
Vorbemerkung In diesem Schlußteil versuchen wir eine Synthese der verschiedenen neutestamentlichen Gebetsaspekte und kommen zugleich auf den Anfang der vorliegenden Arbeit zurück, der einen Überblick über die Einwände gegen das Beten oder bestimmte Gebetsformen enthält. Der Hauptgegenstand des Buches ist zwar, wie ich von Anfang an (oben S. 3) betont ha.be, nicht die Widerlegung der Einwände, sondern die Darstellung der Gebetsauffassung des Neuen Testaments. Aus der Art der Behandlung dieses Themas in den vorstehenden Kapiteln mag ersichtlich geworden sein, daß ich diese Untersuchung unabhängig von der jenen EinWänden zugrundeliegenden Fragestellung durchgeführt habe, obwohl sich bereits da und dort implizit Antworten auf jene von selbst aufdrängten. Diese Unabhängigkeit war um so mehr geboten, als es im Umkreis des Neuen Testaments zwar solche Einwände bereits gab, die aber spezifischer doch erst in der neueren Zeit aufgetaucht sind und für die neutestamentlichen Schriftsteller keine besondere Herausforderung waren. Trotzdem ist es möglich und als Nebenziel geboten, am Schluß der neutestamentlichen Arbeit zu versuchen, nun vom Neuen Testament her auf jene Einwände einzugehen. Ich betone, daß hier nur diejenigen Antworten erteilt werden, die aus der neutestamentlichen Gebetsauffassung abgeleitet werden können. Eine umfassende, sämtliche, vor allem die philosophischen Probleme berücksichtigende Behandlung wird hier nicht angestrebt. Jedoch war es für mich selbst im Laufe der Befragung der neutestamentlichen Schriften nach ihrer Bedeutung für das Gebet eine Überraschung, fest-
Synthese
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zustellen, wie sachgemäß doch gerade· von diesem Standort aus jener Bekämpfung des Betens in vielen Punkten zu begegnen ist. So scheint es mir angezeigt, doch in den Folgerungen, die sich aus der rein exegetischen Arbeit ergeben, eine Antwort auf die Argumente derer zu finden, die das Beten für widersinnig halten,. aber auch auf die Argumente· derer, die nur ein gewisses Beten gelten lassen. Es scheint mir um so dringlicher, zu fragen, ob eine solche Reduktion gerechtfertigt ist, als Verfasser moderner Monographien meinen, sich auf das Neue Testament stützeri zu,können, um dasjenige Beten zu bekämpfen, das auf einem »theistischEm« Gottesglauben beruht. Ob diese Berufung aufs Neue Testament zu Recht geschieht, kann nur von diesem selbst aus untersucht werden. In Anbetracht der Wichtigkeit, die, wie fast alle Vertreter der »systematischen Theologie« betonen, dem Gebet zukommt, kann der Schlußteil des vorliegenden Buches der neutestamentlichen Forschung und zugleich derjenigen theologischen Disziplin zugewiesen werden, die im protestantischen Fakultätsbetrieb als »Dogmatik«, im katholischen als »Fundamentaltheologie« bezeichnet wird. Wir haben im einleitenden Teil gesehen, daß sowohl die Behauptung der Sinnlosigkeit des Betens als die neutestamentliche Gebetsauffassung in der Stellung zum Gottesglauben verankert ist. Damit befinden wir uns im Herzen der systematischen Theo-Iogie. Letzten Endes ist ja eine Synthese der Theologie des Neuen Testaments Grundlage jeder christlichen Dogmatik. Ist es aber nur Sache der Dogmatik, eine solche Synthese der vielfältigen im Neuen Testament enthaltenen Theologien (Theologie der Synoptiker, des Paulus, des Johannes usw.) zu bieten? Muß ein solcher Versuch überhaupt aus dem Aufgabenbereich des Exegeten als solchem ausgeschlossen werden? Viele Neutestamentler sind geneigt, diese Frage zu bejahen, da sie als eigentlichen Gegenstand der Exegese die Hervorhebung der unterschiedlichen Auffassungen betrachten. Ich erinnere mich, daß mein früherer Pariser Lehrer und späterer Kollege, Maurice Goguel die Möglichkeit, eine "neutestamentliche Theologie«.zu schreiben, sofern sie eine Synthese voraussetzt, energisch bestritten hat. Ohne so weit zu gehen, gilt es für viele Neutestamentler als verdächtig, Übereinstimmungen zwischen Jesus und Paulus, Paulus und Johannes zu suchen. Sie sehen darin offenen oder versteckten »integristischen Fundamentalismus«. Aber gehört Feststellung von Gemeinsamkeiten zwischen den neutestamentlichen Texten neben derjenigen der Verschiedenheiten nicht doch auch zu den Aufgaben des Exegeten? Gewiß darf der Wunsch, Verbindungslinien herzustellen, nicht Ausgangspunkt der Erklärung sein. Zunächst muß jeder neutestamentliche Autor für sich interpretiert werden. Gerade die Vielfalt macht den Reichtum des Neuen Testaments aus; aber nicht nur Reichtum, sondern auch
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die aus der gleichen freizulegenden Wurzel stammende Einheit, so wie, um das aus l.Kor. 12 bekannte Bild des Paulus zu gebrauchen, der menschliche Leib ein einheitlicher Organismus dank der Verschiedenheit der Glieder ist.
Auf der Basis der Darstellung der jedem neutestamentlichen Verfasser eigenen besonderen Prägung, wie wir sie in den vorstehenden Kapiteln versucht haben, werden wir also, ohne gewisse Verschiedenheiten gewaltsam zusammenzubringen, versuchen, die gemeinsamen Tendenzen exegetisch nachzuweisen und so einen kurzen Entwurf einer »neutestamentlichen Theologie des Gebets« zu wagen. Der aller apostolischen Praxis des Gebets zugrunde liegende gemeinsame christliche Kern soll auf diese Weise sichtbar werden. Um einem ungerechtfertigten Vorwurf vorzubeugen, bemerke ich ausdrücklich, daß ich da, wo ich zum Verständnis dieses Kerns die Linien weiter ausziehe, dies bewußt tue, aber mich dabei bemühe, dem Glauben der urchristlichen Verfasser treu zu bleiben.
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Die Schwierigkeit des Betens Beten ist schwierig. Können wir Menschen überhaupt zu Gott beten? Kann ein schwacher Men!;ch sich anmessen, mit Gott zu sprechen? Kann anderseits von Gespräch die Rede sein, wenn gegenseitig die Ausdrucksform der Partner so abgründig verschieden ist? Ein Gespräch besteht doch in Rede und Gegenrede. Diese allem Beten innewohnende Schwierigkeit, die oft Anlaß der Behauptung der Unmöglichkeit, des Widersinns allen Betens ist, wird vom Neuen Testament anerkannt. "Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie es sich gebührt«, schreibt Paulus im Römerbrief, und im Lukasevangelium haben wir gehört, daß die Jünger Jesus bitten müssen: »Lehre uns beten.« Er muß ihnen ein Beispiel geben. Beten muß gelernt werden. Aber das Neue Testament gibt uns die Hilfe an: der Heilige Geist betet in uns. Nur wenn er in uns spricht, ist ein Reden mit Gott möglich; er bringt uns der göttlichen Ausdrucksweise näher. Das schreibt Paulus im gleichen Kapitel, in dem er unsere menschliche Unfähigkeit, mit Gott zu sprechen, erwähnt. Der Geist muß sich allerdings unserer unvollkommenen Sprache bedienen und stößt sich an
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ihren Grenzen, die das Zungenreden zu überschreiten sucht. Aber in allem Beten ist es der Geist, der in uns spricht: Geist spricht zu Geist. Das lehrt uns aber auch das Johannesevangelium, wenn Jesus bei der Begegnung mit der Samariterin seine Verkündigung, daß eine Zeit kommt, wo ),im Geist« gebetet wird, damit begründet, daß Gott selbst Geist ist. Auch in denjohanneischen »Abschiedsreden« bezeichnet Christus den Geist als den »Helfer«, indem er ihn "Tröster«, »Advokat« nennt. Wenn in unserem Beten Gottes Geist selbst spricht, so kann hi.er eingewendet werden und ist eingewendet worden: bin ich dann verantwortlich dafür, daß ich nicht bete, wenn der Geist nicht in mir spricht?l So ist die Zusicherung der Hilfe sicher nicht gemeint. Sonst hättenja die vielen neutestamentlichen Ermahnungen zum Beten keinen Sinn. Vielmehr folgt aus dem Indiktiv: »der Geist betet in uns, in ihm ist uns die Hilfe angeboten« der Imperativ: ),betet«. Die Bereitschaft, uns helfen zu lassen: das ist unsere Aufgabe. Weil uns die Gebetshilfe angeboten ist, weil beten möglich ist, müssen wir beten. Das Gebet gehört zu den großen Gaben, die Gott aus Liebe seinen Geschöpfen schenkt. Verschmähung dieses Geschenks ist menschliche Überheblichkeit. Der Geist ist niemandem vorenthalten, wenn er sich auch in verschiedenen Formen ausdrückt: in den allen zugänglichen Sprachen oder in besonderen Fällen auch im Zungenreden. Noch auf andere Weise wird im Neuen Testament zugleich die Schwierigkeit des Betens indirekt anerkannt und Hilfe angeboten. Wir haben gesehen, daß mit ganz wenig Ausnahmen die Gebete im Neuen Testament an Gott, nicht an Christus gerichtet werden, auch im Johannesevangelium, das doch die Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn so stark betont. In den johanneischen »Abschiedsreden« ermahnt aber Jesus die Jünger, »in seinem Namen« zu Gott zu beten. Die Zufügung dieser Worte könnte einerseits eine Gebetshilfe, anderseits eine Erschwerung des Be~ens sein. Als Gebetshilfe sind sie im johanneischen Kreis gedacht und ebenso wohl im Urchristentum überhaupt, insofern sie die Distanz zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf verringern, die Hemmungen beseitigen, indem sie uns darauf hinweisen, daß Gott in der Selbstmitteilung seiner Liebe sich in der Menschwerdung Christi und in seinem Werk zu uns gewendet hat, sodaß unser Beten Antwort 1 Ein analoger Einwand begegnet dem Bekennen gegenüber, das ja eine Form des Lobgebets ist: I.Kor. 12,2f. Hier lehnt Paulus den Einwand ab, daß der Geist (einen Besessenen) dazu treiben könne, zu sprechen: verflucht sei Jesus.
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auf seine Liebe ist, mit der »er uns zuerst geliebt hat«. Die Menschwerdung macht uns das Beten zu Gott leichter. In dem Menschgewordenen ist Gott, mit dem wir im Gebet reden, uns nahe gerückt. Dies sollte der Sinn der Worte »im Namen Christi« oder »durch Jesus Christus, unseren Herrn« sein, die am Schluß unserer Gebete oft gedankenlos hinzugefügt werden. Heute mögen sie jedoch anderseits im Gegenteil eher eine weitere Belastung für diejenigen darstellen, die Jesus Christus aus dem Gebet ganz ausschalten wollen. Jedoch wie Jesus auf Erden die Jünger beten gelehrt hat (Vaterunser), so will er ihnen auch jetzt beim Beten beistehen. Aber auch diese Hilfe, die uns das Beten erleichtern soll, enthebt uns nicht der eigenen Mühe, die wir uns geben müssen, um die jedem Gebet innewohnende Schwierigkeit zu überwinden, aber auch die eigenen Schwächen zu bekämpfen, die uns durch unser Verschulden vom Gebet fernhalten und zu denen wir nun übergehen.
2. Kapitel
Die menschlichen Schwächen und das Gebet 1. Falsches Beten Das Neue Testament kennt auch die menschlichen Schwächen, die zu einem falschen Beten führen. Zu Unrecht wird gerade dieses vom N euen Testament selbst bekämpfte falsche Beten aus Unkenntnis der Bibel oft gegen das christliche Gebet und gegen alles Beten ins Feld geführt, als ob diese Schwächen zum Beten selbst gehören würden. Es genügt, um solchen Vorwürfen vom Neuen Testament aus zu begegnen, die diesbezüglichen Stellen zu zitieren 2 • So wird das magische Beten, das im »VieleWorte-Machen« (Luther: »plappern«) besteht, von Jesus gebrandmarkt mit dem auch in anderer Hinsicht, woraufwir zurückkommen, so wichtigen Hinweis, daß »Gott weiß, wessen wir bedürfen, ehe wir ihn bitten«. Auch alles so häufig gedankenlose Beten gehört zu solchem »Plappern«. 2 Von anderen wird zwar anerkannt; daß dieses falsche Beten vom Neuen Testainent selbst verurteilt wird, aber zu Unrecht leiten sie aus dieser Verurteilung auch die Berechtigung ab, andere Gebetselemente abzulehnen, die durchaus zum N euen Testament gehören. Siehe oben S. 22.
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Weiter hat Jesus sich mit besonderer Schärfe gegen das Beten des heuchlerischen Pharisäers gewendet, der mit seinen Gebeten vorgibt, mit Gott in Verbindung zu sein, in Wirklichkeit aber von den Menschen dabei bewundert werden will und sich selbst in seiner vermeintlichen Gerechtigkeit gefällt. In unvergeßlichen Bildern hat er diesen an den Straßenecken oder im Tempel B~tenden beschrieben. Es könnte scheinen, als gäbe es dies heute nicht mehr. In dieser Form gewiß nicht. Aber unter dieses falsche· Beten fallen doch auch gewisse in kirchlichen Versammlungen gesprochene Gebete in denen man den Schein erweckt, mit Gott zu sprechen, aber andere Ziele verfolgt. Gewiß soll auch in Gemeinschaft gebetet werden, aber anderseits verlangt alles Beten auch eine religiöse Keuschheit. Diese soll sowohl in der Gemeinde als im verborgenen Kämmerlein, in das Jesus die Jünger zum Beten weist, beobachtet werden. Die Nichtbefolgung des Beispiels, das der zum Gebet die Einsamkeit aufsuchende Jesus liefert, kommt auch heute auf verschiedene Weise vor. Falsches Beten ist eher schlimmer als der völlige Verzicht aufs Beten. Jedoch darf es nicht mit dem Beten überhaupt identifiziert werden.
2. Unterlassen des Betens Im Unterschied zum falschen Beten ist das Unte~lassen oder Aufgeben des Betens im Neuen Testament nicht direkt, wohl aber indirekt bekämpft. Wir haben erwähnt, daß heute außer den prinzipiellen Einwänden,zu denen wir nachher kommen werden, auch menschliche Schwächen wie Trägheit, Geschäftigkeit ("Stress«), Vergessen, Ungeduld, Mangel an Mut eine Unlust zum Beten oder völligen Verzicht erzeugen. Obwohl solche Schwächen nicht ausdrücklich bekämpft werden, können sie doch implizit als Gebetshindernisse aus den Ermahnungen zum Beten und den im Neuen Testament vorhandenen Beispielen rechten Betens erschlossen werden. Daß durch das ganze Neue Testament hindurch immer wieder die Hörer und Leser aufgefordert werden, zu beten, beweist, daß es auch· dort schon solche Schwächen gegeben hat, die gänzlich vom Beten abhalten. Daher wird »Verharren«3 beim Gebet so oft verlangt. Deshalb verbindet Paulus die Ermahnung zum Beten so häufig mit dem Wort »immer3 1rpOaXClpT:EpEiV.
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Synthese
fort«4 oder »ohne Unterlaß«5. Das Gleichnis von der um ihr Recht kämpfenden Witwe (Luk. 18,1 ff.) ist zwar wie dasjenige des um Brot bittenden Freundes (Luk. 1l,5ff.) dazu bestimmt, die Gewißheit der Erhörung eines nicht nachlassenden Gebets zuzusichern, aber 18,1 erwähnt ausdrücklich, daß Jesus mit ihm die Pflicht, »immerfort zu beten«, einschärfen will. Die Kontinuität des Gebetslebens verleiht allen Gebeten die Kraft, deren sie bedürfen. »Beijeder Gelegenheit« soll gebetet werden, schreibt der Apostel an die Thessalonicher, und die Philipper sollen »in allen Dingen« auch ihre Sorgen vor Gott bringen. Die Forderung der gleichen Kontinuität haben wir im Jakobusbrief gefunden: ob wir in guter oder schlechter Verfassung sind. Die Apostelgeschichte hebt neben den anderen geistgewirkten Lebensäußerungen der Urgemeinde ihr ,>Verharren« im täglichen Beten im Tempel hervor. Das Verharren im Gebet ist zugleich eine Forderung und ein Hilfsmittel, um die menschliche Versuchung zur Vernachlässigung des Betens zu überwinden. Gewiß darf nicht mechanisch aus Routine gebetet werden, aber anderseits erleichtert regelmäßiges Gebet die Vereinigung mit Gott - das ist der Sinn der Einhaltung von Gebetsstunden in den Klöstern. Wenn Jesus vor den Mahlzeiten immer betet6 , so ist dies für ihn nicht nur Befolgung eines Ritus, sondern Zeichen seiner ununterbrochenen Verbindung mit seinem Vater. So könnte auch unser Tischgebet die Kontinuität eines Gebetslebens begünstigen. Ich habe oben S. 11 erwähnt, daß eine wirkliche Konzentration, die dabei nötig ist, durch den äußeren Rahmen sehr erschwert ist. Sie ist es auch durch die Tatsache, daß mit mehreren Gästen keine religiöse Kommunikation, die doch nötig wäre, besteht, und das Gebet bei diesen nur ein rein äußerliches Händefalten aus Höflichkeit veranlaßt und auf passiven Widerstand und stillschweigende Mißbilligung stoßen muß. In diesem Fall kann auch ein Zeugnisablegen durch das Beten vor Nichtgläubigen fragwürdig sein. Wenn unsere Tischgebete nur aus gedankenloser Gewohnheit gesprochen werden, können sie nicht als Gebete bezeichnet werden, da die Absicht, mit Gott zu reden, die ein Gebet zum Gebet macht, fehlt. Nur wenn das Tischgebet in wahrhaftiger Dankbarkeit und im fürbittenden Gedanken an alle, die nicht genug zu essen haben, verrichtet wird, fördert es das Bewußtsein, »in allen Dingen«, wie Paulus sagt (Phil. 4,6), Gott Dank zu schulden. 4 Jr<1VWTE. 6 &OlaAElJrT(O,. 6 EVXaPU7TEfl'.
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Das Verharren im Gebet ist besonders nötig, wenn wir in große Not geraten. Verharren ist dazu nötig, aber dann auch Mut zum Beten. Wohl »lehrt Not beten«, wie es in dem bekannten Wort heißt. Aber die Schwierigkeit, in einer wirklich schweren Not noch zu beten, sollte auch zugegeben werden. Wer hat es nie erlebt, daß uns gerade in dieser Lage der Mut zum Beten oft fehlt, der Mut, gegen die Verzweiflung anzukämpfen, die jeden Versuch, zu beten, lähmt und sogar erstickt; der Mut, den Zweifel an Rettung aus der Notlage nicht zur Verzweiflung an Gott werden zu lassen. Die so gern zitierte Geschichte des deutschen Schriftstellers B. Brecht von den (zu tadelnden) Bauern, die in großer drohender Not beten, während die stumme Kathrin handelt, und so das Unglück abwehrt, sollte nicht dazu führen, das Beten in der Not als solches an den Pranger zu stellen. Gewiß ist ein Beten zu verurteilen, das von einem noch möglichen Handeln abhält. Das ist falsches Beten. Rechtes Beten treibt uns nach dem Neuen Testament im Gegenteil zum Handeln. Wenn dies der Fall ist, können wir sagen: »Wir handeln, weil wir beten«7. Gewiß stellt Jesus uns »auf die Straße«8, aber er stellt uns auch »ins Kämmerlein« (Mt. 6,6). Gewiß hat der Samariter im Gleichnis im entscheidenden Augenblick, wo es zu handeln galt, im Gegensatz zu dem Priester und dem Leviten gehandelt. Daraus folgt aber nur, daß das Beten des "frommen« Priesters und des »frommen« Leviten falsches Beten war. Nicht folgt daraus, daß der vom offiziellen Judentum ausgeschlossene Samariter, der sich als »Nächster erwies«, auf dem Garizim nicht gebetet hat. Die Geschichte B. Brechts setzt voraus, daß Handeln noch möglich ist. Die Bauern wären keinenfalls wegen ihres Betens zu tadeln gewesen, wenn es für sie ein Ansporn zum Handeln gewesen wäre. Denn dies ist der Sinn des mutigen Betens in der Not: es soll uns vor der Verzweiflung bewahren, die ja auch das Handeln in der Not lähmt. Es gibt aber Notsituationen, wo ein Handeln nicht wie im Fall der Geschichte B. Brechts möglich ist. Wäre auch dann, wenn weder Trommeln noch ein anderes tatkräftiges Eingreifen möglich gewesen wäre, das Beten zu verurteilen gewesen? Im Gegenteil: es wäre ein Verhalten gewesen, das Mut erfordert. pies gilt besonders auch gegenüber der anderen oben erwähnten Geschichte von der Seenot, die D. Sölle an den Anfang ihrer Abhandlung über das Gebet stellt. Gewiß ist das Verhalten derjenigen zu verurteilen, die nur beten, wenn sie in Not sind. Dann 7
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So auch S. HAUSAMMANN op. cit. S. 425 und H. SCHALLER op. cit. S. 97. »von Jerusalem nach Jericho«, wie D. SOLLE wiederholt sagt.
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wird Gott wirklich zum »deus ex machina«9. Aber Beten in der Not als solches darf von diesem Urteil nicht mitbetroffen werden. Die erwähnte (konstruierte) Geschichte könnte übrigens ergänzt werden durch eine Erzählung aus der Apostelgeschichte (Kap. 27,14ff,) von einem durch tagelang andauerndes Unwetter verursachten Schiffbruch. Als· alle Hoffnung auf Rettung verschwunden war, sprach Paulus der Besatzung . Mut zu (V. 21 ff.) aufgrund der göttlichen Zusicherung, die ihm in der Nacht zuvor wohl als Antwort auf sein Gebet um Rettung zuteil geworden war durch einen Engel des Gottes, dem er, wie er sagte, »betend diente« 10. Das Handeln in der Not ist nicht gegen das Beten auszuspielen. Auch in der Not gilt die benediktinische Devise: ora et labora, und es geht nicht an, diese einseitig zu einem bloßen »labora« zu verstümmeln. Wenn das »laborare« nicht mehr möglich ist, darf und soll das »orare« allein stehen bieiben 11. Jesus hat in Gethsemane in höchster Not gebetet. Er hat auch am Kreuz noch gebetet. Obwohl wir im Sinne des Neuen Testaments die Erlösungstat Christi nicht auf die Stufe unseres menschlichen Leidens stellen dürfen, ist es uns doch erlaubt, daran zu erinnern, daß er während seines irdischen Menschseins in dieser unvergleichbaren Not das größte Beispiel von Mut zum Beten gegeben hat. Wenn auch der Schrei »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen«, der den Anfang des 22. Psalms bildet, den Schmerz der physischen Qualen und des Verlassenseins bis zur Grenze der Verzweiflung zum Ausdruck bringt, hat Jesus diese Grenze doch nicht überschritten. Denn mit seiner qualvollen Klage über das Fernsein Gottes ist er paradoxer Weise doch noch in dem von ihm während seines Lebens nie unterbrochenen Gespräch mit Gott geblieben und hat mit dem Psalmisten noch gebetet 118 . Man 9
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D. BONHoEFFER, Widerstand und Ergebung (München, Siebenstern), S. 134. AaT{JdlEL v•
Dies gilt auch für die Fürbitte für die Mitmenschen, die in Not sind. D. SOLLE bezeichnet es verallgemeinernd und ohne nuancierende Präzisierung als "die verlogenste Auskunft, wenn Christen auf die Frage, was sie während der Verfolgung für die Juden getan hätten, sagen: wir haben für sie gebetet« (Atheistisch an Gott glauben, S. 111). Natürlich ist es dann Heuchelei und Verlogenheit, wenn diese Christen etwas hätten tun können, indem sie sich eigener Gefahr ausgesetzt hätten, und nichts getan haben. Aber durch die Verallgemeinerung sollte rii!!ht der Eindruck erweckt werden, daß das Beten auch dann zu verurteilen wäre, wenn keine Möglichkeit bestand, wirksam durch offene Stellungnahme für die Juden einzutreten. 11 In dem soeben erschienenen Buch, Der Schrei der Gottverlassenheit (Zürich 1994) sieht THEODOR GUT in dem Schmerzensschrei J esu am Kreuz den Ausdruck der Gottverlas. 11
Gottesvorstellung und Gebet
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mag schon hier auf die heute so oft gestellte und menschlich verständliche bange Frage: .,Wie können wir nach Auschwitz noch beten?« eine allerdings nur vorläufige und nicht genügende Antwort finden. Wir werden darauf zurückkommen 12. In diesem ganzen Abschnitt kam es mir nur darauf an, zu zeigen, daß Not nicht nur beten lehrt, sondern auch im Gegenteil die Überwindung der Verzweiflung, die das Beten verunmöglicht, auf eine harte Probe stellt und deshalb zum Beten größten Mut erfordert. Mut ist nicht nur aufzubringen, um Verzweiflung, sondern auch den damit zusammenhängenden gebetshemmenden Zweifel zu bekämpfen. In den Synoptikern haben wir im Munde Jesu und auch im Jakobusbrief die Notwendigkeit des Nichtzweifelns als Voraussetzung des zum Beten erforderlichen Glaubens gefunden. Aber wie können wir angesichts der vielen nicht erhörten Gebete solchen Glaubensrnut aufbringen, der allen Zweifel erstickt? Damit kommen wir zum Hauptabschnitt dieses Schlußteils, zu der Gebetslehre des Neuen Testaments, in der wir eine Antwort auf die prinzipiellen Einwände gegen das Beten suchen werden.
3. Kapitel,
Gottesvorstellung und Gebet Die Gottesfrage bestimmt die Einstellung zum Gebet, und zwar nicht nur die negative, ablehnende, sondern auch die positive: Wie'stellt sich der Betende Gott vor 13 ? Der Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der senheit und des Protestes gegen Gott. Es bleibt aber zu beachten, daß die Frage nach dem Warum mit dem Psalm als Gebet an Gott gerichtet ist. 12 Siehe unten S: 175. -. 13 Da wir ihn mit unseren gewöhnlichen menschlichen Organen weder sehen noch hören, ist er in der Tat keine .,Selbstverständlichkeit«, wie D. SÖLLE, Gott denken, 1989 (1990 3. Aufl.), S. 23 Anm. 25 mit Recht sagt, aber dem ist nicht erst heute so, wie sie nahelegt, und auch nicht wegen der Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft und modernen Erfahrung. (Siehe dazu auch M. GOLLWITZER op. cit. S. 19 und S. 142.) Auch der von ihr bekämpfte .,Theismus« sieht Gott nicht als ..Selbstverständlichkeit« an. Als Zeugen der Ablehnung des ..theistisch" aufgefaßt-en Gottes zitiert sie (in Die Wahrheit ist konkret S. 106) dafür Paulus, der nach Röm. 8,26 mit diesem Gott nicht mehr in Verbindung treten könne, wenn er schreibt: .,Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie es sich gebührt,« Aber im Kontext kommt es dem Apostel mit dieser negativen Aussage doch nur auf die positive Tatsache an: den notwendigen Beistand des Heiligen Geistes. (Siehe oben S.101 f.)
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Synthese
Gottesauffassungen entspricht die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Gebetsformen. Allerdings wäre es ein Irrtum zu meinen, dem Beten müsse ein Nachdenken über die Gottesfrage vorausgehen. Denn wie wir (oben S. 13) gesehen haben, ergibt sich ja umgekehrt - worauf auch Luther hinweist - Gotteserkenntnis gerade aus der Gebetserfahrung. Sie ist implizit im Beten enthalten. Daher ist die Frage berechtigt: Zu welchem Gott wird im Neuen Testament gebetet? Diese Untersuchung'istum so nötiger, als sie uns erlaubt, zu beurteilen, für welche Gebetsformen die Berufung aufs Neue Testament zu Recht oder zu Unrecht erfolgt. Hier bedarf es einer Vorbemerkung, die nicht nur-für die Behandlung unseres Themas, sondern überhaupt für die Heranziehung des Neuen Testaments zur Lösung heutiger Probleme gilt. Um zu zeigen, daß die Bibelstellen, auf die sich die Antwort des Neuen Testaments stützt, nicht auf Grund bereits anderswärtig feststehender Ansichten ausgewählt und unter Nichtbeachtung anderer Stellen isoliert werden dürfen, gehe ich von der Versuchungsgeschichte aus, wie sie von Matthäus 4,lff. und Luk. 4,lff. (in etwas verschiedener Anordnung) gemeinsam erzählt wird. Im Dialog zwischen dem Teufel und Jesus schlägt der Versucher Jesus vor, sich im Bewußtsein seiner Gottessohnschaft von der Zinne des Tempels zu stürzen. Um zu beweisen, daß Gottes Engel ihn als Gottessohn beschützen müßten, zieht er die Bibel heran und zwar Psalm 91,11: »Gott wird seinen Engeln befehlen, dich zu bewahren, dich auf den Händen zu tragen ... « Der Teufel zitiert also die Bibel! Aber Jesus antwortet mit einer anderen Stelle, 4.Mos. 6,16: »Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen.« Das Synonymon für Ketzerei »Häresie« kommt vom griechischen Verbumhairesthai, das »wählen« bedeutet. In unserem Fall handelt es sich um das Wählen von Bibelstellen. Wir können zwar für gewisse unserer von anderswoher stammenden Lieblingsgedanken Texte im Neuen Testament finden: Wenn wir aber nur diese auswählen und sie isoliert zitieren, so darf die zustande kommende Lehrmeinung nicht als neutestamentlich ausgegeben werden. Denn Isolierung einer Aussage bedeutet Entstellung und ist in der erwähnten Geschichte Mittel der Versuchung. Dieser Versuchung gilt es zu widerstehen, vor allem, wenn wir die Gottesauffassung, auf die sie sich stützt, ins Auge fassen 13a • 13. Die Eliminierung nicht »ausgewählter« Stellen könnte nur dann gerechtfertigt werden, wenn es sich wirklich um Auffassungen handelt, die nur flir einen bestimmten historischen Rahmen gelten, also, wie man früher sagte, »zeitgeschichtlich bedingt« und
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In der Bibel, dem Alten wie dem N euen Testament, begegnen wir einem Nebeneinander von Gottesbildern, demjenigen des nahen und demjenigen des fernen Gottes, demjenigen eines immanenten und demjenigen eines transzendenten Gottes, demjenigen eines liebenden, sich erbarmenden Vaters und demjenigen eines Richters. Diesem Nebeneinander biblischer Texte gegenüber sollten wir das vorhin Gesagte beherzigen, also nicht vereinfachend nur die einen als Belege für die Auffassung der Bibel anführen. So geht es nicht an, mit Marcion (2. Jahrhundert) das Neue Testament gegen das von ihm radikal abgelehnte Alte auszuspielen, den »lieben« Gott gegen den »gerechten«. Aber auch wenn gegen Marcion und mit der alten Kirche das Alte Testament mit dem Neuen verbunden wird, müssen wir innerhalb eines jeden der beiden Testamente die beiden Seiten stehen lassen, dürfen also im Neuen Testament nicht nur den nahen, in der Welt gegenwärtigen und handelnden Gott sehen, dürfen also nicht den in ihm ebenfalls bezeugten fernen, verborgenen, den ewig »Seienden« unberüksichtigt lassen. Nach menschlicher Logik unvereinbare Gegensätzlichkeit darf nicht auf Gott übertragen werden. Wenn ich mich im folgenden zu zeigen bemühe, daß mit dem Gott der Liebe und des Erbarmens der transzendente nicht abgetan ist, so will ich damit nicht das »Sein« Gottes gegen sein Heilshandeln ausspielen. Dies stünde im Widerspruch zu meiner heilsgeschichtlichen Konzeption der Theologie des Neuen Testaments. Gottes Handeln, seine immerwährende, zuerst in der Schöpfung vollzogene Selbstmitteilung seines innersten Wesens als Liebe erfährt ihren Höhepunkt in der Sendung Christi in die Welt, in der Menschwerdung und seinem Erlösungswerk, »als die Zeit erfüllt war«. In diesem Sinne mag es heißen, daß »Gott wird«, »geschieht«. Aber es ist der transzendente Gott, der in diesem Geschehen in seiner Selbstmitteilung an die Welt handelt. Christus hat sich zwar seiner Hoheit »entäußert«, wie der Christushymnus im Philipperbrief (2,7) bekennt 14 . Gottes Logos ist nach dem Johannesdeshalb aufgebbar sind, nicht aber wenn es siCh um solche handelt, die wie die biblische Gottesauffassung offenkundig zum Zentrum gehören. 14 Es ist die Stelle, in der D. SOLLE die neutestamentliche Begründung ihrer Bekämpfung der als .. theistisch« bezeichneten Gottesauffassung sieht. H. GOLLWITZER untersucht in seinem wichtigen Buch, Von der Stellvertretung Gottes (siehe oben) ihre diesbezüglichen christologischen Ausführungen von dem Begriff der Stellvertretung aus und kommt auf Seite 112 zum Schluß: .. Es ist auffallend, mit welcher Schärfe D. SOLLE gegen die christliche Zentralauffassung zu Felde zieht und ebenso auffallend, daß sie sich offenbar nicht bewußt ist, dem Zentrum des Neuen Testaments zu widersprechen und dieses gegen sich zu haben.«
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prolog »Fleisch geworden«. Aber es ist »Gott, der im Himmel ist«, der in der »Erniedrigung Christi«, »bis zum Kreuz« sein ewiges Wesen, seine Liebe, offenbart. Die Bewegung vollzieht sich von »oben« nach »unten«, nicht umgekehrt 15. Es ist richtig, den Gott der Bibel nicht als Gott der philosophischen Ontologie, sondern der erlebten Beziehung zu verstehen 16. Pascal schreibt in völliger· Übereinstimmung mit der Bibel: »nicht Gott der Philosophen,sondern Abrahams, Isaaks und Jakobs«. Die ganze Bibel hat in der Tat das Handeln des transzendenten Gottes in der Welt zum Gegenstand. Das ist auch im Neuen Testament der Fall. Aber an zwei wichtigen Stellen ist von Gottes Sein die Rede: an der einen von seinem Sein im Anfang als dem (allderdings aufs Handeln hinweisenden) »Wort«. (Joh. 1,1 und 2), an der anderen von seinem Sein am Ende (1.Kor. 15,28). Die neutestamentliche Omlnbarung i~t eingerahmt von diesen beiden kurzen Stellen. Der Johannesprolog beginnt mit dem Imperfektum 17: (>,am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort«), um dann in das griechische historische Tempus, den Aorist überzugehen 18; und der ganze lange' Hauptteil der johanneischen (wie auch der synoptischen) Erzählung bleibt auf der geschichtlichen Ebene des göttlichen Wirkens in der Welt. Aber in 1. Kor. 15,28 schreibt Paulus, daß am Ende des ganzen Geschehens, wenn alles dem Sohn unterwerfen sein wird, er selbst sich Gott, der ihm alles unterworfen hat, unterwerfen wird, »damit Gott alles in allem sei«. Ohne daß damit die Spannung zwischen dem Handeln und dem Sein Gottes aufgehoben ist, dürfen die beiden nicht als sich widersprecnende Gegensätze einander gegenübergestellt werden. Gewiß darf in Anspielung auf die Erzählung vom barmherzigen Samariter gesagt werden, Auf Grund ihres sozialgeschichtlichen Auslegungsprinzips, mit dem sie in .. Gott denken« (8.49) den historisch-kritischen Gebrauch der Bibel »weiterzuführen« verlangt, interpretiert sie (ib. S.159ff.) Kreuz undAuferstehung Christi. Ich komme auch hier nicht umhin, auf diese Ausführungen, in denen sie dem Neuen Testament treu zu sein sucht, das vorhin genannte Urteil H. GOLLWITZERS anzuwenden, obwohl sie auf S. 139 ff. GOLLWITZERS Antwort auf eine Umfrage .. Wer ist Jesus von Nazareth für mich?« zustimmend zitiert, wn damit der .. orthodoxen Tradition«, in der sie GOLLWITZER .. tief verwurzelt« sieht (S.141), doch gerecht zu werden. 15 Über das Verhältnis von Allmacht und Liebe Gottes siehe unten S. 174 Cf. 16 D. SÖLLE, Gott denken, übernimmt diese richtige Formulierung von M. BUBER, Beziehung und Transzendenz sind nicht Gegensätze. 17 ~V.
18 EyeVET:O. - Über die Beziehung zum Perfekt yeyovFv in V. 4 siehe die instruktive Arbeit
von Eo. L. MILLER Salvation History in the Prologue of John. Brill1989.
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daß Gott »auf der Straße von Jerusalem nach Jericho« zu finden sei l9 . Aber es darf dabei nicht vergessen werden, daß er auch im Verborgenen, im »Kämmerlein« gegenwärtig. ist, wo er, der selbst "im Verborgenen ist« (so Mt. 6,6 nach den besten Textzeugen), den im Verborgenen Betenden sieht. Der inneren Beziehung zwischen dem verborgenen und dem in der Welt offenbaren Gott entspricht es, daß menschliches Beten im »Kämmerlein« zum Handeln »auf der Straße« führt. Transzenden und Immanenz stehen nebeneinander, aber nicht als Gegensätze 2o • Mit göttlicher Transzendenz ist nicht das von Menschen als Verlassensein empfundene Fernsein Gottes im Sinne seiner von Menschen schmerzlich festgestellten Abwesenheit in großen Notlagen und in furchtbaren Katastrophen gemeint, die für viele seine Güte, seine Macht oder seine Existenz in Frage stellen 21. Mit diesem schwieri· gen Problem werden wir uns im letzten Abschnitt dieses Buches ausein· andersetzen 22 • Hier verstehe ich unter Transzendenz Gottes nur sein außerirdisches Sein. Dieses ist als solches nicht mit AbwesenheitGottes gleichzusetzen. Im Gegenteil ist es die positive Grundlage der Immanenz Gottes. Weil er der allmächtige Gott ist, weckt er in uns das Vertrauen: das Vertrauen, das durch dasjenige des Kindes zu seinen Eltern verdeutlicht werden kann, das auf dem Bewußtsein der eigenen Schwachheit gegenüber der liebenden Überlegenheit der Eltern beruht. Dieses kindliche Vertrauen hat Jesus im Auge in seinen Aussprüchen über die ihrer Abhängigkeit bewußten Kinder: wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen« (Mt. 18,3; siehe auch Mk. 10,15, par.: »wer das Reich Gottes nicht D. SOLLE, Atheistisch an Gott glauben, S. 112. In Ergänzung zu ihren früheren Veröffentlichungen bemüht sich D. SOLLE jetzt (siehe Gott denken), die Transzendenz Gottes zu berücksichtigen. Aber mit der ihr auch weiterhin wichtigen Bekämpfung der karikiert dargestellten "theistischen« Gottesauffassung, der "verdinglichten« Transzendenz (Gott denken, S. 245f.), auch mit ihrer Formel »Transzendenz ist radikale Immanenz« (Gott denken, S. 247), scheint sie mir letzten Endes doch auf der gleichen Linie zu bleiben und dem biblischen Hervorgehen der Immanenz aus der Transzendenz nicht gerecht zu werden. Der »theistische« Gott, den sie so leidenschaftlich bekämpft, ist derjenige des Neuen Testaments. Ich zitiere hier D. SOLLE häufig, weil ihre Veröffentlichungen - allerdings fast nur im deutschspra'chigen Raum und in Nordamerika - eine sehr große Verbreitung finden, und gegenwärtigen Tendenzen entgegenkommen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit haben wir nur zu fragen, ob sie die Auffassungen des Neuen Testaments wiedergeben. Meine Kritik betrifft nur diese Frage. 21 In seinem sehr lesenswerten Buch "Gelähmte Ökumene« 1991 behandelt der Luzerner katholische Theologe KURT KOCH diese Seite des Problems 147 ff. 22 Siehe unten S. 174 ff. 19
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annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen«) Nicht die Unreife des Kindes, die Jesus nicht zur Nachahmung empfiehlt (Mt. 11,16, Luk. 7,32), sondern dieses kindliche Vertrauen soll uns Vorbild sein 23 , Vorbild für den Glauben auch der »Mündigen« an einen Gott, der unendlich erhaben über uns ist und nur deshalb helfen kann, Weil er der transzendente Gott ist, kann er uns helfen, und weil sein transzendentes Wesen Liebe ist, will er uns helfen. Denn »Gott ist die Liebe«, sagt der l.Johannesbrief. Liebe kann nicht allein sein, sie muß sich mitteilen. Aber sie muß einen Urheber haben, der diese Mitteilung bewerkstelligt. Das Wesen Gottes zeigt sich in der Verbindung von Transzendenz und Immanenz. Einerseits muß sich seine Liebe mitteilen, anderseits muß sie mit der göttlichen Macht verbunden sein, um sich mitteilen zu kännen._Beides ist der Fall in der Selbstmitteilung Gottes in der Weltschöpfung, auch in der Menschwerdung des Logos. Die göttliche Liebe erzeugt einen Strom der Liebe, wie das johanneische hohepriesterliche'Gebet ihn beschreibt. Gott hat sein »Wort«, Christus, geliebt, »ich in dir, du in mir«, und erst aus dieser im Mysterium der Trinität verankerten Liebe geht die Liebe der Menschen, die in der Welt leben, hervor: »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm«. Der Liebesstrom wird ständig, also nicht nur in dem einmaligen Akt der Selbstmitteilung, aus der transzendenten Quelle der göttlichen Liebe genährt, aus der die Menschen auf Erden ihre Liebeskraft beziehen. So kann die Liebe Gottes in uns sein. Sie ist immer außer uns und in uns. Die Nähe des zugleich himmlischen Gottes findet ihren Ausdruck in der oft begegnenden Wortverbindung: »Gott in uns; Christus in uns«. Wenn es heißt, »wir in Gott« oder »wir in Christus«, so ist dies immer gleichbedeutend mit »Gott in uns«, »Christus in uns«. Dieser enge Zusammenhang (»der bleibet in Gott, und Gott in ihm«, I.Joh. 4,16) weist wiederum darauf, daß Immanenz aus der Transzendenz stammt. Daß Gott in uns ist, hören wir nicht nur in den Johannesschriften, sondern auch im Römerbrief, wo er durch den Geist in uns in unserem Gebet spricht (Kap. 8,15). »Der Geist Gottes wohnt in uns« (Röm. 8,11). Häufiger heißt es »Christus in uns«, mit besonderem Nachdruck in Gal. 2,20:»ich lebe, aber nicht mehr ich, Christus lebt in mir.« So richten sich alle unsere Gebete an Gott, der in uns ist und der außer uns ist. Wenn wir mitdem Matthäustext das Vaterunser beten: »der du 23 Berechtigte Ablehnung des Gebets zu einem anthropomorph vorgestellten Gott sollte nicht zu billiger Polemik gegen den "Kinderglauben« an Gottes Allmacht führen.
Gottesvorstellung und Gebet
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bist in dem Himmel« (Transzendenz), dürfen (und müssen) wir hinzudenken: »und der du in uns bist« (Immanenz: »Vater«). Diese Gleichzeitigkeit von "Gott in uns« und »Gott außer uns« verdeutlicht die göttliche Allgegenwart, die in der Theologie mit dem lateinischen Fachausdruck als »Ubiquität« bezeichnet wird. So kann Gott zugleich unsere Gebete hören und die ihnen vielleicht entgegengesetzten anderer. ' Von der hier dargelegten neutestamentlichen Gottesauffassung aus werden wir nun die in ihr implizierte Antwort auf die Einzelfragen des Gebets behandeln, zu der wir im Rahmen der Zusammenfassung der Ergebnisse aus den vorstehenden Kapiteln übergehen. Dabei werden wir bestätigt finden, daß die dem Neuen Testament zu entnehmenden Antworten auf die verschiedenen Probleme den Glauben an den himmlischen und zugleich nahen fürsorgenden Gott voraussetzen. Es ist der heute vielfach verpönte »theistische« Gott, derjenige, der, wie es im Liede heißt, »Wolken Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn« und uns in aller Not hilft 23a , aber deshalb nichts von einem »Magier« hat; es ist derjenige, ohne den anderseits, »kein Sperling vom Dache fällt« (Mt. 10,29), bei dem alle Haare gezählt sind, wie Jesus in gewollt überspitzten Bildern den Jüngern die Gewißheit der Vorsehung einprägt. Das ist der Gott der Bibel. Der gleiche Gott, der in der Wolkensäule in seiner majestätischen Herrlichkeit am Eingang des Zeltes erscheint, redet mit Moses »von Angesicht zu Angesicht«, »wie jemand mit seinem Freunde redet« (2.Mose 33,11). Der Gott des Alten Testaments ist auch derjenige des Neuen und umgekehrt. Der allmächtige Gott und der liebende Gott gehören beide zum unaufgebbaren biblischen Kern, und es geht nicht an, den einen als »zeitgeschichtlich bedingt« an den Rand zu verweisen oder fallen zu lassen. 23 Siehe die treffenden Bemerkungen H. GOLLWITZERS op. cit. S.142 zu der betonten Ablehnung dieser Worte des Liedes durch D. SÖLLE. Er zitiert zunächst den Beginn ihrer Rede am Kirchentag Köln 1965: "Wie man nach Ausschwitz den Gott loben soll, der alles so herrlich regiert, das weiß ich auch nicht .. und .. es führt kein Weg zurück zum IGndervater, der Wolken Luft und Winden Wege, Lauf und Bahn gibt ... Dazu GoLLWITZIlR: "Sind diese Worte durch falschen Gebrauch unwahr geworden? Wieso führt kein Weg zurück zu ihnen? Sind sie heute unwahr, dann waren sie auch früher unwahr, auch während der Greuel des dreißigjährigen Krieges, die dem, was diese Lieder sagen, nicht weniger widersprechen als die Greuel von Ausschwitz. [. ..1War die Zumutung, inmitten der Greuel der Verheißung dem "ich werde da sein« zu trauen, denn damals geringer als heute? [. ..1 Als ob solche Lieder früherer Jahrhunderte, als ob die Rede von Gottesflihrung, Regierung und Vaterschaft [, .. 1naivem Optimismus ihre Entstehung verdankten? Sie sind gebetet in extremis, in härtesten Anfechtungen, sie kennen die Hiobsituation, sie sprechen im Angesicht der Gottverlassenheit von Golgotha ...
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Synthese
4. Kapitel
Gottes Vorherwissen und sein Wille, daß wir trotzdem zu ihm beten Neben der Allgegenwart gehört zur Transzendenz die Allwissenheit. Im Neuen Testament nimmt diese die Form eines Vorherwissens unserer Bedürfnisse an: »Euer Vater weiß, was ihr braucht, eher ihr ihn bittet.« In der Bergpredigt gibt Jesus zwei Mal diese Erklärung ab, in Matthäus 6,8 gerade im Zusammenhang mit dem Beten. Sie ist ihm besonders wichtig. Das Dank- und Lobgebet ist vereinbar mit diesem göttlichen Vorherwissen und wirft kein Problem auf. Anders das Bittgebet, das in diesem Lichte überflüssig und sogar absurd scheinen könnte, und in der Tat ist dieser Einwand erhoben worden. Wenn Gott alles im voraus weiß, was wir von ihm zu erbitten haben, warum dann beten, zumalja das göttliche Wissen auch seine Entscheidung mit einschließt? Und doch steht im Neuen Testament neben der eindeutigen und wiederholten Verkündigung des göttlichen Vorherwissens als gottgewoIIt die ebenso nachdrückliche Aufforderung an die Jünger, zu beten. Wiederum ist es zu einfach, mit diesem Nebeneinander so fertig zu werden"daß man nur die eine Seite festhält und die andere fallen läßt. Was in der Anwendung aufinnermenschliche Beziehung Widerspruch, Paradoxie ist, nimmt für die Beziehung zwischen Gott und den Menschen einen anderen Charakter an. Wie ist dann die aus dem neutestamentlichen Befund sich ergebende Folgerung zu erklären: Gott braucht unsere Gebete nicht, aber er will sie 24. Innerhalb der biblischen Botschaft muß diese Formel, die unter Menschen als Paradoxon erscheint, ins Licht ihrer Gottes~uffassung gerückt werden. Wir haben gesehen, daß die Immanenz Gottes aus seiner Transzendenz hervorgeht, Ausfluß seiner Transzendenz ist, nämlich in der im göttlichen Sein verwurzelten Selbstmitteilung, von der wir gesprochen haben, und in welcher Allmacht und Liebe verbunden sind. Von dieser Selbstmitteilung Gottes aus gesehen, sind sein Vorherwis24 MARTIN BUBER, Ich und Du, in: Ges. Werke I, S. 233, den D. SOLLE in: .. Gott denken« S. 239 zitiert, formuliert zugespitzt: ..Wir brauchen Gott, Gott braucht uns«. Dieser Formulierung könnte zugestimmt werden, wenn mit EMIL BRuNNER (Siehe Dogmatik III, 373; vgl. auch I, 272ff.) vorausgesetzt ist, daß .. Gott sich aus freien Stücken von dem abhängig macht, was sein Ki!1d ihm sagt« (siehe das oben zur Selbstmitteilung Gottes Ausgeführte). In der Anwendung aufs Gebet sage ich daher im Gegenteil: Gott braucht unser Beten nicht, aber er ~ill es.
Gottes Vorherwissen
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sen und sein Wille, daß zu ihm gebetet werde, keine Gegensätze, sondern sie bedingen sich. Aus Liebe hat Gott freie Menschen erschaffen, damit sie in seine Liebe eintreten, teilhaben am Ausströmen seiner Liebe. Mitmenschen gegenüber drückt sich die~es Teilhaben im menschlichen Liebeshandeln aus, in dem Handeln des •• barmherzigen Samariters«: »was ihr an einem dieser Kleinsten getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt. 25,40); Gott gegenüber erzeigen wir aber unsere Liebe außerdem im Gebet. Dieses ist die n;"türliche direkte Antwort auf die Liebe Gottes, aus der er uI?-s erschaffen hat. In seiner Liebe zu seinen Geschöpfen hat er ihnen die Möglichkeit des Retens geschenkt, die große Gabe, die uns erlaubt, an seiner Liebe teilzubekommen. Beten ist die liebevolle Hinneigung zu Gott, indem wir unsere Nöte vor ihn bringen, wie das Kind sie vor seine Eltern bringt25, Dabei gehört es zur kindlichen Liebe, daß wir auch um Erfüllung solcher Gebetswünsche bitten, von denen wir n_icht sicher sind, daß Gott sie erhören wird 26 . Das Gethsemanegebet Jesu, das, wie wir gesehen haben, in so vieler Beziehung klärend ist, soll uns auch hier ein Vorbild sein. »Wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorbeigehen«, wagt J esus zu beten, obwohl er von der Erlösungsabsicht Gottes weiß. Die Worte »wenn es möglich ist«, sind nicht Kleinglaube; sie schließen keinen prinzipiellen Zweifel ein, vielmehr sind sie Zeichen seiner Gewißheit: •• alles ist dir möglich« (Mk. 14,36). Auf diese »Möglichkeit« kommen wir im folgenden Abschnitt im Zusammenhang mit dem göttlichen Plan zu sprechen. Jesus rechnet damit, daß Gott auch den so menschlichen Wunsch, von dem »Kelch« verschont zu bleiben, vielleicht in seinen Plan aufnehmen könnte. Auch das nicht erhörte Gethsemanegebet ist gottgewollt. Kein von der aufrichtigen Absicht der Vereinigung mit Gott beseeltes Gebet ist von dem Willen Gottes, daß wir zu ihm beten, ausgeschlossen, nicht nur das Dank- und Lobgebet, sondern auch das Bittgebet, wenn es den Weisungen Jesu nicht widerspricht 27 • 25 Ähnlich schreibt KAHL BARTH KD Ir, 1,574, daß »Gott vom Menschen geradezu in dieser Weise angerufen sein will, um daraufhin sein Gott und Helfer zu sein.« 26 Nur mutatis mutandis mag wiederum als unvollkommenes Beispiel der Verdeutlichung die Beziehung zwischen Kindern und den Eltern dienen, die verhüten sollen, daß jene ihnen gegenüber Hemmungen haben, sie auch um solche Dinge zu bitten, von denen sie annehmen, daß die Eltern die Möglichkeit hätten, sie ihnen zu geben, aber ohne dessen sicher zu sein. 27 KAHL BAHTH betont eindrücklich, daß die Mitte des Gebets die Bitte ist. »Daß (der
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Das gilt besonders für das Fürbittegebet, für das uns das Neue Testament so viele Beispiele liefert. Wenn wir für unsere Mitmenschen beten, kommen wir dem Eintreten in Gottes Liebeswillen aufbesonders deutliche Weise nahe. Denn Gott liebt diejenigen, für die wir beten, ebenfalls, und zwar viel mehr als wir dazu fähig sind. Er will, daß durch unsere (uns durch ihn ermöglichte) Fürbitte unsere Liebe sich mit der seinen vereine, und wir so zur Verstärkung des Walls der Liebe, den Gott um unsere Mitmenschen legt, beitragen 28 • Bei Gott ist also sein Vorherwissen unserer Bedürfnisse mit seiner Liebe zu seinen Geschöpfen verbunden, und deshalb sind sein Vorherwissen und sein Wunsch, daß wir zu ihm beten, keine Gegensätze. Sie sind es auch insofern nicht, als das Vorherwissen Gottes an und für sich im Neuen Testament als liebevolle Zuneigung des fürsorgenden Vaters zu verstehen ist, daß also »Vorherwissen« zur »Vorsehung« wird: »eure Haare auf dem Kopf sind gezählt«. Das von Gott gewollte Gebet, sowohl das Dank- und Lobgebet als auch das Bittgebet, soll unsere Antwort sein als Teilnahme an seiner Liehe. Inhaltlich ist aber das Bittgebet eine Bitte um Erhörung unserer Wünsche. Die Frage stellt sich und ist gestellt worden, wie ein solches von ihm verlangtes Gebet mit seinem ewigen Plan vereinbar ist. Im folgenden soll versucht werden, ob und wie vom neutestamtlichen Gesamtzeugnis aus eine Antwort erteilt werden kann.
Betende) mit seiner Bitte zu Gott kommt, das macht ihn zum Beter.« (KD 111, 3, 303). Dies steht nicht im Widerspruch zu seiner hohen Wertung des Dank- und Lobgebets. Siehe oben S. 92 Anm. 214. 28 Nicht gelöst ist die Frage, ob unsere Fürbitte auch auf die Toten ausgedehnt werden darf, also ob wir (nicht etwa zu ihnen, wohl aber) für sie beten sollen. Die Reformatoren haben sie verneint, und wir müssen ihre Argumente ernsthaft erwägen. Richtig ist, daß im Neuen Testament das Gebet für die Toten nirgends bezeugt ist - die rätselhafte und vielleicht nicht befriedigend erklärbare Stelle über "die Taufe für die Toten« (1.Kor. 15,29) kann nur schwer als eigentliche Belegstelle gelten. Anderseits gibt es allerdings keinen neutestamentlichen Text, der die Fürbitte ftir die Toten direkt ablehnt. Das Argument, daß die Toten in Gottes Hand stehen und deshalb unserer Fürbitte nicht bedürfen, ist insofern nicht unbedingt überzeugend, als auch die Lebenden, für die wir beten, in Gottes Hand stehen. Richtig ist aber an diesem Argument, daß nach dem neutestamentlichen Gesamtzeugnis die Verstorbenen sich ingräßerer Gottesnähe befinden (siehe meine Arbeit ,.Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten?«, neuaufgelegt 1986) und daß dadurch doch eine grundlegend andere Beziehung zwischen Lebenden, Toten und Gott geschaffen ist. Von daher ist die Frage zu behandeln.
Göttliche Freiheit, Gebete zu erhören
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5, Kapitel
Unveränderlichkeit des göttlichen Plans und göttliche Freiheit, Gebete zu erhören Alles Beten setzt voraus, daß Gott menschliche Gebete erhören kann. Ist eine solche Erwartung mit Gottes ewigem Plan vereinbar, wo es doch nach dem Jakobusbrief (Kap. 1,17) bei Gott »keine Veränderung gibt«? Ist von hier aus Beten nicht sinnlos oder jedimfalls Mangel an Ehrfurcht vor seiner Souveränität? Wir haben gesehen, daß große Theologen des 19. Jahrhunderts deshalb nur das Dank- und Lobgebet als berechtigt anerkennen 29 , was unbestreitbar nicht vereinbar ist mit dem Neuen Testament, das ohne Hemmung zum Bittgebet auffordert. Die Unveränderlichkeit Gottes und damit seines ewigen Plans ist mit anderen biblischen Anschauungen zu verbinden, die mit ihr in Widerspruch zu stehen scheinen, etwa der Möglichkeit, daß er menschliche Gebete erhört: wiederum ein Nebeneinander. Hier ist zunächst daran zu erinnern, daß die ganze Bibel ein nicht immer geradliniges Fortschreiten der Heilsgeschichte innerhalb des göttlichen Heilsplans bezeugt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf mein Buch »Heil als Geschichte«, vor allem auf das Kapitel »Konstante und Kontingenz«3o. Die Heilsgeschichte wird ständig von der durch die menschliche Sünde hervorgerufene Unheilsgeschichte durchkreuzt. Dies bedingt immer wieder ein neues Geschehen, das sich trotzdem in der Richtung auf das gleichbleibende Ziel abwickelt. 'Ich habe in Anlehnung an ein öfter zitiertes portugiesisches Wort (Gott schreibt geradeaus, aber in Wellenlinien)31 den Ausdruck »Wellenlinie« gebraucht, um dieBewegung der Heilsgeschichte zu charakterisieren. Es mag hier genügen, die heilsgeschichtliche Entwicklung vom Alten zum N euen Testament mit dem die Sünde sühnenden Werk Christi anzuführen: Entfaltung eines auf das gleiche Ziel hinstrebenden göttlichen Plans. Innerhalb des Alten Testaments äußert sich die in diesen Plan integrierte Freiheit Gottes in dem dort vorkommenden Begriff der »Reue Gottes«, der auch eine nicht geradlinige Entfaltung des göttlichen Willens impliziert. Siehe oben S. 19f. Op. cit. S. 104ff. 31 Von PAUL CLAUDEL als Motto seines Theaterstücks .. Le soulier de satin« gewählt: .. Dieu ecrit droit, mais en lignes courbes.« 29
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Aus dem biblischen Nebeneinander von göttlichem unveränderli_ chem Plan und göttlicher Freiheit ergibt sich, daß Gottes Plan selbst die Aufnahme menschlicher Bitten vorsieht. Wir finden zwar im Neuen Testament keine Theorie hierüber. Aber Jesu Gebet in Gethsemane bezeugt den Glauben an die Möglichkeit Gottes, eine menschliche Bitte, die er erhört oder nicht erhört, in seinen Plan zu integrieren: »Wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorübergehen«. »Alles ist dir möglich.« Es ist wichtig, daß das Neue Testament diese Bitte mitteilt. Es ist ein nicht erhörtes Gebet. Gott hat die in dem Bedingungssatz »wenn es möglich ist« enthaltene Frage verneint. Aber worauf es hier ankommt, ist die vorausgesetzte Möglichkeit, daß Gott die Erfüllung des menschlichen Wunsches mit seinem Plan hätte vereinen können. Sonst hätte ja die Bitte J esu keinen Sinn, und dies wird dadurch bestätigt, daß unmittelbar auf den Bedingungssatz das Bekenntnis folgt: Alles ist dir möglich. Ohne diese Gewißheit verliert alles Beten seinen Sinn 32 • Damit sind wir bei der Frage angelangt, welche Forderungen sich für unser Beten aus der dem Neuen Testament entnommenen Feststellung, der bei Gott möglichen Einbeziehung der Gebetserhöhung in seinen Plan ergeben. Wir haben im vorstehenden Kapitel gesehen, daß auch nicht erhörte Gebete als Antwort auf seine Liebe von ihm gewollt sind. Im Lichte des göttlichen Plans werden sie bei unserem Beten zum Anlaß der Unterwerfung unter Gottes Willen. Diese kann dann sogar zur Bedingung einer Erhörung werden, wenn wir als letztes Ziel des Gebets die Verbindung mit Gott ansehen. Sie kann auch im Falle der Nichtgewährung der besonderen konkreten Bitte die Erreichung dieses Ziels gewährleisten. Zur Vereinigung mit Gottes Liebe muß im Gebet die Vereinigung mit seinem Willen kommen, die von der Ehrfurcht vor Gottes Allmacht verlangt wird. Jesus macht in seinen Gebetsweisungen die Verheißung der Erhörung von der Notwendigkeit des Glaubens abhängig. Seine eigenen Gebete veranlassen uns zur Präzisierung, daß dieser Glaube die Unterwerfung unter Gottes Willen im Gebet einschließen muß. Schon im ersten Teil des Vaterunsers hat Jesus die Jünger beten gelehrt: »Dein Wille geschehe wie im Himmel auch auf Erden«, und in Gethsemane hat er - in dieser Form nur nach dem Matthäusevangelium - die Bitte 32 Unter den nachgelassenen nicht veröffentlichten Arbeiten J. C. LAVATERS durfte ich dank dem Basler Germanisten K. PESTALOZZI ein in seinem Besitz befindliches Manuskript einsehen, in dem der Verfasser unter dem Titel »Erhörte Gebete« solche Bittgebete mitteilt, deren Erhörung er nicht aufnatürliche Weise erklären konnte.
Göttliche Freiheit, Gebete zu erhören
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»wenn es möglich ist« und das Bekenntnis »alles ist dir möglich« ergänzt durch die demütige Bereitschaftserklärung seiner Fügung in Gottes Willen: »Wenn es nicht möglich ist, so geschehe dein Wille.« Freilich bedarf es eines großen Muts, um Jesu Beispiel zu folgen und den Satz: »Dein Wille geschehe« zu unseren die Erfüllung unserer Gebetswünsche sehnlichst erflehten Bitten hinzuzufügen. Die Notwen" digkeit einer solchen Gebetshaltung könnte den Einwand hervorrufen: »Warum dann überhaupt beten, wenn Erhörung und Nichterhörung beide Gegenstand unserer Bitte sind? Geben wir damit nicht zu, daß es völlig gleich ist, ob wir beten oder nicht beten?« Hier ist zunächst zu wiederholen, daß Gott auf jeden Fall unser Gebet als Eintreten in seine Liebe will. Besonders aber ist an den Sinn allen Betens zu erinnern: mit Gotfin Verbindung zu treten. Das geschieht neben der Vereinigung mit seiner Liebe geradezu auch durch die Vereinigung mit seinem Willen, der ja ein Liebeswille ist. Diese Verbindung mit Gott wird auch im Falle nicht erfüllter Wünsche nicht abgebrochen, wenn es uns gelingt, uns zu dem Zusatz durchzuringen: »Dein Wille geschehe.« Wir hören von einem nichterhörten Gebet in 2.Kor. 12,8f., wo Paulus drei Mal den Herrn angerufen hat, der »Satansengel« (wahrscheinlich als Urheber einer Krankheit) möge von ihm ablassen. Die Heilung wird ihm offenbar nicht zuteil, wohl aber hört er Gottes Antwort: »meine Gnade genügt dir; die Wunderkraft (dynamis) kommt in der (verbleibenden) Krankheit 33 zur Vollendung.« In der Unterwerfung unter diese »Begnügung« erfährt der Apostel Erhörung in der Nichterhörung. - In diesem Zusammenhang kommen wir nochmals auf das Gethsemanegebet zurück: ein nicht erhörtes Gebet Jesu selbst. Es zerstört nicht die Vereinigung mit dem Vater, die Jesus sein ganzes Leben hindurch begleitet hat. Sogar das am Kreuz gesprochene Psalmwort, der Schmerzensschrei: »Warum hast du mich verlassen?« ist eine Frage an Gott. Das Gespräch mit ihm ist nicht abgebrochen. Die menschliche Fügung in Gottes Willen ist nur möglich, wenn der Glaube, wie Jesus ihn verlangt, unerschütterlich ist, daß Gottes Güte so unendlich viel größer ist als die der Menschen: wenn schon der Mensch keinem,. »der um Brot bittet, einen Stein gibt«, wird erst recht Gott nur »gute Gaben« verleihen. Nur dann können wir uns zu dem Gebet durchringen, das Hiob nach den schwersten Schicksalschlägen spricht: 33
clm'Ji\'Eta heißt zugleich .. Schwachheit« und .. Krankheit",
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»Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt« (Hiob 1.21) Setzt sich dieser göttliche Wille zum Guten auch den Angriffen des Bösen gegenüber durch? Dies führt uns zur letzten und zugleich schwierigsten Frage, die auch dem Haupteinwand gegen das Beten zu Grunde liegt.
6. Kapitel Das Gebet und die Frage nach Gottes Allmacht über das Böse Nach dem Neuen wie nach dem Alten Testament ist Gott über das Böse, das in dem »Teufel«, »Satan«, den »Dämonen«,den »Mächten«, personifiziert ist, erhaben. Dies zeigt sich besonders in den Fällen, wo er die Versuchung durch den Teufel als Prüfung einzelner Menschen in seine eigene Hand nimmt (Beispiele aus dem Alten Testament: Abraham, Hiob; aus dem Neuen: Jesus). Wenn die vom Teufel aus seiner Initiative ausgeführten Angriffe, die alle Menschen bedrohen, von Gott geduldet sind, können auch diese letzten Endes der Prüfung durch ihn zugewiesen werden 34 • In diesem zweiten Fall kann der Ansturm des Teufels so schrecklich sein, daß seine Duldung durch Gott mit seiner unbestrittenen Güte schwer vereinbar erscheint. Da kommt dann die Frage auf: kann der Gott der Liebe sich so grausamer Werkzeuge bedienen, auch wenn sie nicht von ihm, sondern vom Teufel stammen? Paulus hat wahrscheinIch einen solchen oder ähnlichen Einwand gekannt, wenn er in 1.Kor.lD,13 darauf antwortet: »Gott ist getreu, der nicht zulassen wird, daß ihr über euer Vermögen versucht werdet, der vielmehr mit der Versuchung auch die Möglichkeit schafft, sie zu überwinden und zu ertragen.« Gottes Güte steht für den Apostel trotz des Vorhandenseins des Bösen fest, so auch in Röm. 3,5ff., wo er ausführt, wie Gott aus dem Bösen das Gute kann hervorgehen lassen, ohne daß dies eine Entschuldigung oder Ermunterung zur menschlichen Sünde wäre. Die Allmacht Gottes bleibt von Paulus unbestritten, wie sich auch das Böse auswirken mag. Gibt es entsetzlichere Qualen als die des vom 34 Siehe das oben S. 80 in der Erklärung der 6. Vaterunserbitte zu den beiden Arten von Versuchung Gesagte.
Das Gebet und die Frage nach Gottes Allmacht
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Bösen verursachten Leidens und des Kreuzes J esu, aus denen nach dem Neuen Testament die Erlösung hervorgeht?35 Dagegen wird heute die Allmacht Gottes wegen der Schrecklichkeit des durch das Böse hervorgerufenen Geschehens in Zweifel gezogen, etwa in der oft gehörten Frage, ob noch gebetet werden könne nach Auschwitz, die nur eines der vielen Beispiele dafür nennt, daß das Böse sich oft mit so grenzenloser Gewalt trotz aller Gebete durchsetzt, also siegt, daß sich die Frage aufdrängt, ob Gott in solchen Fällen die Bitte der vom Bösen betroffenen Opfer und die Fürbitte ihrer Mitmenschen überhaupt erhören kann. Ist seine Macht nicht doch begrenzt? Nicht nur die Allmacht, sondern die Existenz Gottes wird dann in Frage gestellt, und in beiden Fällen erscheint das Beten als sinnlos. Wir haben gesehen, daß auch nicht erhörte Gebete nach dem Neuen Testament gottgewollt sind, wenn sie die Bereitschaft, sich mit seinem Willen zu vereinen, miteinbeziehen. Wenn jedoch durch die Feststellung des Sieges des Bösen der Glauben erschüttert ist, daß in der Nichterhörung ein, wenn auch für uns unerforschlicher Wille des gütigen Gottes (siehe o~en S. 47 ff.) am Werke ist, so ist auch der Zusatz »Dein Wille geschehe« zum Gebet nicht mehr möglich. Obwohl dieser Einwand außerhalb des neutestamentlichen Bereichs liegt, also auch an keiner Stelle direkt beantwortet wird, werde ich im folgenden untersuchen, ob aus der Ganzheit der neutestamentlic4en Theologie eine Lösung erschlossen werden kann. Ich glaube, diese Möglichkeit nur vom erneuten Hinweis auf die Spannung zwischen "Schon« und "Noch nicht« aus bejahen zu können, die sich mir in allen Arbeiten als Schlüssel zum Verständnis der christlichen Situation aufdrängt. Die Entscheidung ist schon gefallen, und doch wird sie erst am Ende der Zeiten wirksam werden. Ich erinnere erneut an das Bild der Entscheidungsschlacht, die in einem Kriege schon zu einem Zeitpunkt stattgefunden haben kann, der lange vor dem Waffenstillstand liegt, so daß die Kämpfe bis dahin in einer Zwischenzeit von unbestimmter Dauer noch weitergehen. Dieses von mir gebrauchte Bild soll hier auf unser Problem der Allmacht Gottes angewendet werden, zumal es sich auch um einen Kampf, nämlich den Kampf gegen das Böse handelt. Die Frage, ob Gott unsere Gebete für die Abwehr des Bösen erhören kann, muß ja mit derjenigen nach de"!" göttlichen Allmacht behandelt werden. 35 Die Theologen haben zur Erläuterung des Zusammenhangs dieses Kreuzesgeschehens den Begriff der »felix culpa« geschaffen.
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Zum besseren Verständnis nehme ich das Ergebnis der nachfolgenden Untersuchung vorweg: die aufs Ende zielende Heilsgeschichte erweist Gottes Allmacht über das Böse, und zwar im »schon« durch Christus errungenen Sieg über das Böse und in dessen Vernichtung am Ende. Diese heilsgeschichtlich eschatologische Sicht des Neuen Testaments läßt keine dualistisch-manichäische Lösung des Problems aufkommen. Dagegen ist in der Zwischenzeit zwischen Christi Sieg und dem Ende, in der wir mit dem Neuen Testament leben, die Allmacht Gottes insofern (nach seinem eigenen Plan?) eingeschränkt, als das Böse, wenn auch besiegt, »gebunden«, sich zeitweilig frei machen kann, zeitweilig siegen kann und von Gott bekämpft werden muß: eine Paradoxie, die jedoch im Lichte des schon errungenen und noch ausstehenden, aber sicheren Sieges zu sehen ist. - Dies soll nun nachgewiesen werden, indem die Spannung zwischen »Schon« und »Noch nicht« auf das Geschehen des Bösen in den verschiedenen heilgeschichtlichen Etappen, und besonders auf die Machtausübung des Bösen in der Zwischenzeit bezogen wird. Die folgenden Stellen zeigen, daß im N euen Testament - z. T. mit den gleichen Worten - gesagt ist einerseits, daß die Unterwerfung der Mächte schon erfolgt ist, anderseits, daß sie am Ende erfolgen wird: Schon: Nach dem Wort Luk. 10,18, dessen Echtheit selten bestritten wird, hat Jesus "Satan vom Himmel fallen sehen wie einen Blitz«, und doch kämpft er weiter gegen ihn und sein Heer, die Dämonen. Im ganzen Neuen Testament ist von den Gehilfen des Teufels die Rede: den »Mächten« des Bösen, die aufverschiedene Weise bezeichnet werden als »Gewalten«, »Herrschaften«, »Throne«, »Mächte«, »Kräfte«36. Im urchristlichen Bereich sind sie mit den »Feinden« identifiziert, die im Königspsalm 110,1 genannt sind. In diesem später auf den Messias bezogenen Psalm erhält der König die ehrenvolle Berufung: »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße gemacht habe.« Diese Psalmstelle ist derjenige alttestamentliche Text, der im Neuen Testament und den »apostolischen Vätern« am meisten zitiert wird, um die Besiegung der unsichtbaren' Mächte des Bösen durch Christus zu verkünden 37. Für unser Problem ist wichtig, daß auch dieses Heer der bösen Mächte, die 36 a(Jxa{, Xl1(J!OTT/TE;, {J110I'OI, ~;oua{at, Öl1l'a/IEI;. Noch immer fehlt eine ausführliche Untersuchung über die Rolle, die diese unsichtbaren Mächte in der Umwelt, besonders im Spätjudentum spielen, Eine solche Arbeit würde uns vielleicht erlauben, eine Unterscheidung ihrer Funktionen vorzunehmen. Denn mit der Kenntnis einer solchen ist mit großer Wahrscheinlichkeit bei den Verfassern der neutestamentlichen Schriften zu rechnen, 37 Siehe O. CULLMANN, Der Staat im Neuen Testament, 3. Aufl. 1961. Exkurs I: Zur neuesten Diskussion über die exousiai in Röm. 13,lff. S. 68ff. und Exkurs II, S. 82ff.
Das Gebet und die Frage nach Gottes Allmacht
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nach Eph. 6,12 auf Erden in allem Unheil am Werke sind 38 , durch Christus schon unterworfen ist und trotzdem sein böses Tun fortsetzt, bis es am Ende vernichtet wird. Daß der Sieg über die dämonischen Mächte schon errungen ist, tritt in l.Petr. 3,22 deutlich zu Tage: "Jesus Christus, der zur Rechten Gottes sitzt, zum Himmel gefahren, nachdem die (bösen) Engel, Mächte und Krlifte ihm unterworfen worden sind.« Auch in Eph. 1,20-22 ist im Zusammenhang mit dem Sitzen zur Rechten seine Herrschaft über die Mächte erwähnt, und zwar wiederum mit dem Hinweis auf Psalm 110: »alles hat er unter seine Füße getan«. Dieser schon errungene Sieg ist für das alte Christentum so wichtig, daß der Anfang des Psalms 110 »Setze dich zu meiner Rechten« in das Credo eingegangen ist. Schon nach den Vorstufen zum späteren Bekenntnis 39, so in dem von Paulus in PhiI. 2,10 vielleicht zitierten älteren Christushymnus, »beugen alle Wesen im Himmel, auf Erden und unter der Erde die Knieevor ihm« und »bekennen: »Herr (Kyrios) ist Jesus Christus«, mit dieser kurzen Bekenntnisformel, die in dem Hymnus weiter ausgeführt ist. In KoI. 2,10 heißt Christus »das Haupt aller Gewalt und Macht«4o, und einige Verse weiter (2,14f.) lesen wir sogar, daß der »Anklagebrief« durch den Tod Christi vernichtet, »ans Kreuz genagelt worden ist« und daß »die Mächte entwaffnet und im Triumphzug herumgeführt worden sind«. Der schon errungene Sieg über die Mächte konnte nicht plastischer vorgestellt werden. Noch nicht: Aber ebenso klar ist ihre Niederlage erst. für das Ende vorhergesagt, auch unter Zitierung von Psalm 110, so in l.Kor. 15,24', und in Hebr. 10,13. In letzterer Stelle ist sogar betont, daß Christus seit dem Sitzen zur Rechten Gottes »noch weiterhin wartet, daß seine Feinde zum Schemel seiner Füße gemacht werden«. Interessant ist, daß in l.Kor. 15,26 für die endzeitliche Vernichtung des »letzten Feindes«, nämlich des Todes, das "gleiche griechische Verbum »katargein« verwendet ist wie in 2.Tim. 1,10, wo von der unzweideutig schon vollzogenen Unterwerfung des Todes die Rede ist. Um den Unterschied des Sinns zu markieren, hat Luther 2.Tim. 1,10 übersetzt: "er hat dem Tod die Macht genommen«. Aber das griechische Verbum, das in l.Kor. 15,26 bedeutet: (der Tod) "wird vernichtet«, ist das gleiche 41 . In dieser philologischen Beobachtung42 kommt der theologische Sachverhalt des »Schon« und "Noch nicht« klar zum Ausdruck.
Auf diese Weise nimmt das Neue Testament eine Zwischenzeit an, welches auch ihre Dauer sei 43, während deren das Böse, obwohl besiegt, 38 »Unser Kampf geht nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Gewalten und Mächte, die Weltbeherrscher dieser Finsternis, die Geister des Bösen.« 39 Siehe O. CULLMANN,Die ersten christlichen Glaubensbekenntnisse, 2. Aufl. 1949. 40 Pluralistischer Singular.. 41 In 2.Thess.2,B wird mit dem gleichen VerbiIm xawQYEfv die zukünftige endgültige Vernichtung des Teufels bezeichnet. 42 Für die auch weitere Beispiele gefunden werden können. 43 Zur Frage der Dauer siehe meine Diskussion mit FRITZ BURI, in: O. CULLMANN, Vorträge und Aufsätze, htsg. von K. FRÖHLICH, 1962, S. 414 ff.
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Synthese
weiter am Werke ist. Die so brennende Frage nach dem Grund, weshalb es diese Zwischenzeit noch gibt, in der das Böse weiter bekämpft werden muß, wird im Neuen Testament nicht aufgeworfen und daher nicht beantwortet. Den Zeitpunkt des Endes kennt nach Mk. 13,32 »niemand, nicht die Engel im Himmel, auch nicht der Sohn, nur der Vater allein«. So gehört auch der zeitliche Ablauf des Heilsgeschehens in Gottes unerforschlichen Ratschluß. Wohl aber enthält das Neue Testament einen Fingerzeig, dem wir entnehmen können, welche Rolle es in dieser Zwischenzeit dem noch existierenden Bösen zuschreibt und wie Gott ihm begegnet. Wie kann der doch schon besiegte Teufel in der Zwischenzeit so freies Spiel haben, ohne daß Gottes im N euen Testament angenommene Allmacht in Frage gestellt ist? Man könnte auf das hinweisen, was wir zur Erklärung der sechsten Vaterunserbitte »laß uns nicht in die Versuchung geführt werden« gesagt haben: der ausführende Urheber des Bösen ist, auch wenn von Gott geduldet, nicht Gott, sondern der Teufel. Aber damit ist im Hinblick auf die Allmacht Gottes der Anstoß nicht beseitigt, daß es den Teufel noch gibt. Daher ist mir viel wichtiger ein in der Johannesoffenbarung verwendetes Bild: nach Kap. 20,2 ist Satan zeitweilig (während tausend Jahren) »gebunden« und wird dann zeitweilig zur endgültigen Vernichtung befreit (20,7). Dieses Bild entspricht dem in den oben behandelten Stellen gebrauchten von der Unterwerfung der feindlichen Mächte und ihrer doch erst am Ende eintretenden Vernichtung. Wenn wir die Bindung Satans, die in der Johannesoffenbarung für die Dauer des tausendjährigen Reiches stattfindet, auf die ganze Zwischenzeit zwischen Christi Werk und dem Ende anwenden, kann mit diesem Bild eine Antwort auf unsere Frage nach Gottes Allmacht gegenüber dem Bösen in den Blick kommen. Da die Bindung Satans nur während einer begrenzten Zeit dauert und - zwar nach ihr, aber doch auch noch vor dem Ende - seine Freilassung erfolgt, habe ich mir in früheren Arbeiten erlaubt, das Bild von der Bindung weiter ausführend und von der' Einschließung in V. 3 absehend, zu ergänzen: Der Teufel ist gebunden an eine Leine, die verlängert werden kann, und sogar so weit verlängert, daß Satan sich zeitweilig unabhängig machen kann und von Gott bekämpft werden muß. Leicht über die Johannesoffenbarung hinausgehend, bedeutet dies, daß alles Furchtbare dem zeitweilig sich aus der Bindung lösenden Bösen zuzuschreiben ist, Wenn dieses Geschehen sich dem göttlichen
Das Gebet und die Frage nach Gottes Allmacht
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Plan gemäß abspielt, so hat Gott selber für diese Zwischenzeit seine Allmacht eingeschränkt, ohne sie, aufs Ende gesehen, aufzugeben. Damit sind wir an der Grenze der möglichen Folgerungen angelangt. Auf weitere muß verzichtet werden. Denn sie würden zu Spekulationen führen, die uns vom Neuen Testament zu sehr entfernen würden, was dem Thema des Buches gemäß zu vermeiden ich mich bemüht habe. So viel können wir aber zusammenfassend sagen: es bestätigt sich, daß im Neuen Testament die Allmacht Gottes zwar nicht in Frage gestellt ist, daß aber doch aus unerforschlichen Gründen in der Zwischenzeit vor dem Ende neben ihr die Macht des Bösen noch am Werke ist und von Gott bekämpft werden muß. Welcher Schluß ist für unser Beten aus den vorstehenden Ausführungen zu ziehen, mit denen ja eine Antwort auf diese Frage versucht werden soll? Wir haben gesehen, es ist Gottes Wille, daß wir immer beten. Das heißt aber: dem ist so auch dann, wenn wir in so schrecklichen Ereignissen, wie wir sie etwa in der Hitlerzeit erlebten, den zeitweiligen Sieg des Bösen und die zeitweilige Abwesenheit Gottes feststellen und Mut zum Beten aufbringen müssen. Was wir von D. Bonhoeffers Beten in den letzten Augenblicken vor der Hinrichtung wissen, mag uns als Vorbild dienen. Gerade auch dann muß gebetet werden. Denn hier kommt dem Gebet eine ganz besondere, alle bisher beleuchteten Funktionen noch übersteigende Wirkung zu. Wir haben gesagt, daß wir als Geschöpfe Gottes, der die Liebe ist, uns durch unser Beten mit seinem Liebeswillen im Gebet vereinen. Aber wir gehen fast über das Menschenmögliche hinaus, wenn wir auch in sein Handeln in seinem Kampf gegen das Böse eintreten. Dies geschieht, wenn wir - neben dem uns möglichen eigenen Handeln - für die Besiegung des Bösen beten. Unter der Voraussetzung der durch Gottes Souveränität gebotenen Vorbehalte dürfen wir die Aussage wagen, daß wir durch unsere Gebete zu Gottes Helfern im Kampf gegen das Böse in der Welt werden. Alle individuellen und kollektiven Gebete für den Frieden gehören hierher. Dies ist der höchste Adel dieser menschlichen Betätigung, mit der wir mit Hilfe des Heiligen Geistes über alles andere menschliche Sprechen hinausgehen.
Schluß
Am Ende dieser Arbeit angelangt, formuliere ich kurz einige Hauptthesen, die sich aus ihr ergeben, womit ich aber die hier nicht genannten Nebenthesen, die auch aus dem exegetischen, grundlegenden Teil folgen, nicht etwa als unwichtig hinstellen möchte. Noch einmal bitte ich die Leser, die Synthese nur im Lichte der genauen Prüfung des analytischen Hauptteils zu überdenken. 1. In seiner Allwissenheit und Allgegenwart braucht Gott unser Gebet nicht, aber er will es, Dankgebet und Bittgebet, als Eintreten seiner Geschöpfe in seinen Liebeswillen, aus dem heraus er in seiner Selbstmitteilung die Menschen geschaffen hat. 2. Letztes Ziel des Gebets ist also die Begegnung mit Gott, das Eintreten in seine Liebe. Das Fürbittegebet zeigt dies besonders deutlich, denn Gott liebt die, für die wir beten, und zwar unendlich viel mehr als wir. 3. Wir beten zu Gott, der in uns ist und der außer uns ist. (Daher seine Allgegenwart: »Ubiquität«). 4. Wir bedürfen göttlicher Hilfe, um beten, d.h. als ohnmächtige Menschen mit Gott reden zu können: des Heiligen Geistes. Das Gebet gehört zu den großen Liebesgaben Gottes für die Menschen. 5. Die Erhörungunserer Gebete verlangt unseren Glauben zugleich an Gottes Güte und an seine Allmacht, aber auch unsere Bereitschaft zur Unterwerfung unter seinen Willen in der Ehrfurcht vor seiner Majestät. Die Möglichkeit der Nichterhörung konkreter Wünsche muß also, so schwer es uns fallt, in das Gebet einbezogen werden, damit es auch in diesem Falle zu einer Erhörung auf höhere Ebene komme. 6. Die Möglichkeit der Erhörung unserer Gebete durch Gott widerspricht nicht der Unveränderlichkeit seines feststehenden Plans. Seine Freiheit, Gebete zu erhören, ist in seinen Plan eingebaut. 7. In allen Lebenslagen sollen wir beten, um ständig in der Verbindung mit Gott zu bleiben ("Verharren« im Gebet). Auch nicht erhörte Gebete sind gottgewollt.
Schluß
181
8. In der Zwischenzeit zwischen der Besiegung des Bösen durch Christus und der Vernichtung des Bösen am Ende ist dieses noch am Werk und muß von Gott bekämpft werden. Daraus ergibt sich für unser Beten gegen das Böse ein besonderer Aspekt: 9. Auch wenn das Böse in dieser ZWischenzeit siegt, müssen wir beten, um dadurch Gottes Helfer in seinem Kampf gegen das Böse zu werden. ~O. Fast alle neutestamentlichen Gebete sind an Gott gerichtet, nur ganz ausnahmsweise an Christus. Aber die Berufung auf Christi Werk (Paulus), seinen »Namen« (Johannes), prägt das Gebet im Neuen Testament, indem sie die für alles menschliche Beten grundlegende Nähe des fernen und doch uns liebenden Gottes betont. Das Vaterunser und Jesu eigen~ Gebete, vor allem das in Gethsemane und das in der Verlassenheit des Kreuzes an Gott gerichtete, sowie das große johanneische Fürbittegebet (Joh. 17) schließen in sich alle Wesenszüge christlichen Betens.
~utorenregister
Allison, D. C. 53 Ansaldi, J. 63 Aquin, Th. von 6, 47, 84 Arnold, M. 94 Augustin 77, 84, 86, 89 Balthasar, H. U. v. 2 Barr,J.55 Barth, K. 5, 13, 55, 59, 92, 103, 105, 169 Berger, K. 4, 99 Bernet, W.ß, 13-16 Bieder, W. 96, 101 Black, M. 88,90 Bohren,R.102f. Bonhoeffer, D.11, 13, 160, 179 Bonnard,~.69,71,89,124,126,136
Brändle, R. 73 Brecht, B. 12,23,33,159 Broad Ribb, D. 118 ,Brockelmann, C. 74 Brown,R.E.69, 71f.,89, 137f. Brunner, E. 5, 168 Buber, M.164, 168 , Bucer, M. 69, 84, 87, 89 Bultmann, R. 96, 122-126,136,138 Buri,F.177 Calvin, J. 69, 81, 84, 89 Caquot,A.120 Camignac, J. 4, 51-53, 59, 64, 72, 77-80, 83f., 87, 89 Carrez,M.112 Chase, F. H. 90 Chytraeus, D.137 Claudel, P.l71 Corsani, B. 62 Cranach-Sichard, Eb. 31 Cullmann, O. 25, 34, 66, 93, 117 f., 124, 129, 133,136,139, 148f., 171, 176f. Cyrill84 Cyprian51
Dahl,A.117 Dalman, G. 53 Dausch, P. 84 Davis, W. D. 53 Debrunner,A.70 Dexinger, F. 118,121 Dibelius, M. 64, 125 Dietztel, A. 97 Dodd, C. H. 61, 98, 135 Drewermann, E. 45 Ebeling, G. 2, 5,13,27 Eibach, U. 13 Elbogen,J.58,89 Feuerbach,L.16,26 Fiebig, P. 58, 84 Fitzmyer,J.A.55 Förster, E. 105 Förster, W. 71 Fröhlich, K. 25, 129, 133, 177 Fuchs, E. 113 Gäbler, U. 69f. 'Gärtner, B.120 Gaston,M.118,120 Gebauer, R. 4, 92, 94, 97f., lOlf., 104, 112-114 Gerhardsson,B.50,65 ' Gerhardt, P. 31, 72 Goguel, M. 34, 69, 153 Gollwitzer, H. 21, 163f., 167 Goltz,E. von der 92 Grelot, P. 52f., 55, 59, 72f., 84, 88 Greeven, H. 100 Grundmann, 98 Guardini,R. 6, 10, 12, 16 Gut,Th.160 Hallesby, 0.5 Hamman,A. 4, 26, 69, 92f., 143f.
184
Autorenregister
Harder, G. 4,92,104 Hausammann, S. 21 f.,159 Heiler,F.3 Heitmüller, W. 128 Heller,J.78f. Hempel,J.24 Hengel, M. 53 Hennecke-Schneemelcher 71 Heringer,H.-J.78 Herrmann, W. 20 Hieronymus 71, 84 Irenäus89 Jenni,E.78f. Jeremias, Joachim 60-57,63f., 69, 71, 74, 89f. Jeremias, Jürg 46 JoÜon,P. 70, 73f. JÜlicher,A.I05 Jüngel, E.15 Junghans, H. 4 Kähler,M.20 Kant,E.6,15-17,23 Käsemann, E. 96-98,101,104 Klauser, Th. 149 Klinzing, G. 120 Koch,K.165 Kümmel, W. G. 61 Kuss,O.96 Lavater,J. C.103,172 Leenhardt, F. 96, 104 Leuenberger, R. 5,10f., 16-18, 32 Lienhard, M. 61, 75, 77, 84 Lietzmann, H. 93, 98 Lieu, J. M. 94 Lightfoot, J. 53 Lochman,J. M. 4, 32, 49, 51, 56, 60, 70f., 74, 77,79,88,91,128 Löhr,R. 78 Lohfink, G. 64-67 Lohmeyer,E.4,51f., 56,59,69, 71,89,148 Löwith, K. 63 Luther,M.1,2,ll,13,69,84,89,156 Luz, U. 51, 54, 56f., 69f., 80, 82, 89 McDonald 118 Marcion 77,163 Menegoz,F.5,16,92 Menoud, Ph. 112
Meyer,L.A.118 Meyer,R. 74 Michel, O. 101,104 Miller, Ed. L. 164 Mottu, H. 5,13, 150 Müller, G. 2, 5, 7,13, 60 Niederwimmer, W.101 Nietzsehe, Fr. 13, 15, 17 Ökolampad, J. 69 f. Origenes, 1, 4, 52, 58, 67, 70, 84 Ott,H.2,60 Overbeck,Fr.10,17 Pannenberg, W. 5 Pascal, B. 99f., 164 Pestalozzi, K. 172 PfEmdsack, W. 81 Philonenko, M. 25, 64, 65, 68 Philonenko-Sayar, B. 65 Plummer,R.118,121 Potterie, I. de la 124 Preisigke,70 Prlgent, P. 60 Quervain, A. de 5 Ratzinger,J.16 Riesner,R.50,58 Ritschl, A. 20,45 Rittelmeyer, F. 84 Robinson, J. A. T. 13 Robinson, J. M. 52,94 Roller,O.94 Rousseau, J.-J.15,19 Saccchi, P. 118 Sauter, G.13 Sayce,A.H:70 SchaUer, H. 2, 6, 18, 47, 159 Schelbert, G. 55 Seheler,M.1,16 Schlatter,A. 69, 71, 90, 96,104 Schlaudraff, K. H. 62 Schleiermacher, F.15, 19f., 35, 45 Schmidt, H. 7 Sehmidt, M. A. 57 Sehnaekenburg,R. 65,120,124,130, 137f. Schröder, H. W. 5, 32, 60, 84 Schubert, P. 94 Schulier, E. M. 56
Autorenregister Schürmann, H. 84 Schweitzer, A. 57, 61 Schweizer, E. 34, 96 Scobie, C. H. H. 118 Seesemann, 80, 85 Senft, Ch. 4,11,30,32,93,101,104 Seybold, K. 90 Sölle,D.6, 12-14, 17,21-23, 32f., 159-161,163-165, 167i Starcky,J.53,72 Stärk, W. 58, 60 Stauffacher, M. 10 Stoebe,H.J.79 Strack-Billerbeck 27, 56 Strecker, G. 71
Tillich, P. 5, 97 f.,104, 113 Trocme, E. 109 Tyr, M. von 24
Tertullian 77, 112 Thurneysen, E. 5
Zahn, Th. 98, 104 f.
Vajta,V.4 Vielhauer, P. 71 Vischer, E.10 Vischer, L. 36 Wettstein, J. J. 53, 90 Wilckens, U. 97 Willebrands,J.141 Willi-Plein, I. 80 Yadin, Y.120
185
Bibelstellenregister Altes Testament 1. Mose 3,17 18,23ff. 22,lff.. 28,12 32,23ff.
105 115 80 121 115
62 58 112 48 27f.,119 62 29 120
Jeremia
2.Mose 3,13f. 11,44 16,4ff. 19,2 20,20 20,26 32,llff. 33,11
355ff. 43,1 49,8 53 56,7 61,1 65,24 66,1
59 60 72 60 80 60 115 22,167
7,11 7,14 13,8 26,18
119 120 46 120
Ezechiel 36,20ff. 36,22 40-44
59 59 119
3. Mose 22,32
59
Amos 5,21ff.
123
4.Mose 6,16
162
Micha 3,12
120
5. Mose 8,3 18,19
68 129
1 Königbuch 8,29 19,11
128 27
1. Chronikbuch 29,10f.
90
Jesaja 1,11 6,3 14,22 35,5
123 60,148 74 62
lob 1 1-2 1,21 2 13 42,7ff. 42,7-17
38 80 174 38 38 38 80
Psalmen 22 22,1 22,2 33,3 37,5
34,160 44 49,54 149 31
188 91,11 110 110,1 139,2 148,3fT.
Bibelstellenregister 162 177 176 14 19
Danie} 4,32 7,13
68 62
Tobit 13,15f.
119
Neues Testament Matthäus 4,1 4,lfT. 4,2 4,4 4,17 5,23 5,23fT. 5,25 5,44 5,48 6,4 6,5 6,5f. 6,6 6,7 6,7f. 6,7fT. 6,8 6,9 6,9fT. 6,11 6,12 6,13 6,14f. 6,14fT. 6,16f. 6,26fT. 6,3lf. 6,33 6,34 7,7 7,8 7,9f. 7,9fT. 7,11 par.
83 162 69. 68 61 119,135 76 115 36 36,60 27 26 1 70,159,165 29,51,54,58,72 22 14 29,30,41,168 49,54,58,137 52 71 74 38,80,83,137 76 76 69 106 30,72 35 71 30,41 41 32 41,47 47
7,21 7,22 8,11 9,38 10,9fT. 10,20 10,29 10,30 l1,2fT. 11,16 11,19 11,25 l1,25f. l1,25fT. 11,27 l1,27f. 12,6 12,28 13,19 14,13 14,23 17,1 17,18 17,20 18,3 18,19 18,20 18,23fT. 20,lfT. 20,15 21,21 23,9 23,38 24,2 25,40 26,30 26,39 26,41 26,42a 26,42 26,52 26,59 26,61 27,26fT. 27,46 28,19
61,130 130 61 35 72 99,101 167 14,67 48,62 166 32,69 40,54,56 66 49 57 43 119 48,6lf. 88 28 28 28 42 42 165 29 28,94,131 74,76 76 76 41,145 55 i20 120 169 40,54 28,44 78 44 38,64,66 34 119 120 48 49,54 130
Markus 1,12 1,15 1,35 2,18 par.
83 61 28 69
189
Bibelstellenregister 3,13 4,14 5,41 6,41 6,46 7,34 7,35 8,7par. 8,12 9,2 9,14ff. 9,17ff. 9,18 9,19 9,23 9,25 9,29 9,38f. 10,15 par. 10,18 11,17 11,17par. 11,22 11,22ff. 11,23 11,24 11,25 13 par. 13,2 13,32 14,22f. 14,26 14,35 14,35 par. 14,35ff.par. 14,36 14,36 par. 14,38 14,50 14,57 14,57f. 14,58 14,62 15,19ff. 15,29f. 15,34 15,34 par.
28 88 37 37,40 28 37 37 40 122 28 42 37 42 37 42 37 42,69 130 165 77
119 27,119 41 45 43 28 44,75, 115, 135 48,62 120 178 40 40,54 28,42,44 33,42 86 44-46,54 38,54,85 38,78 39 119 119 119f. 48,62 48 119 49,54 44
Lukas 4,1 4,lff. 4,2
83 162 69
4,4 4,42 . 6,16 6,12 7,18ff. 7,32 8,12 9,18 9,28 10,4ff. 10,17ff. 10,18 10,20 10,21 10,2lf. 10,21ff. 10,22 10,23 10,30ff. 11,1 11,2 11,2ff. 11,3 11,5 11,5ff. _ 11,8 ,11,9 11,9f. 11,10 11,l1ff. 11,20 11,21 12,7 13,35 15,l1ff. 15,20 17,6 17,12ff. 18,1 18,lff. 18,7 18,10 18,lOff. 18,13 21,6 21,36 22,25 22,31 22,32 22,39 22,41 22,42
68 28 28 28,35,144 48,62 166 88 28 28 72 40 48,62,81,176 59,128 40,54,56 65 49 43 57 23 2,49f., 131 54 52
n' 41 30,32,50, 158 31 41 50 41 41,47,50 48,62 61 67 ' 120 55 55 42 40 41,158 30,41,158 41 27 25,35 44 120 31 63 38 38 28 28 44f.,54
190 22,46 22,66fT. 23,24 23,43 23,46 24,20
Bibelstellenregister 78 120 36,49,144 49 49,144 40
Johannes 1,1 1,2 1,4 1,12 1,14 1,17 1,51 2,13fT. 2,19 2,21 2,22 2,23 3,1 ff. 3,16 3,16f. 3,18 4,20-24 4,20fT. 4,21 4,23 4,24 4,34 8,31f. 8,47 10,3 10,27 11,22 11,41 11,42 12,28 13,31-16,33 13,34 13,34f. 14-16 14,6 14,9 14,13 14,13f. 14,14 14,16 14,16f. 14,17 14,17b 14,18
125,164 164 164 129,135 121,126 125 121,123 126 119 121 121 129,135 123 141 138 135 118 141 118,122 118,122f., 126 124 ·.44 126 125 59,128 128 132 ·37,132 132 59,129 127 135,140 127 117f.,123,131,141 125 125, 129,133,142 127, 130,136 131,135 127,132,136 127, i34 133 124,135 133 127
14,26 15,4fT. 15,7 15,11 15,16 15,26 16,12f. 16,13 16,13f. 16,13fT. 16,14 16,20 16,23 16,23f. 16,24 16,26 16,32 17 17,1 17,3 17,5 17,6 17,8 17,9 17,11 17,11b 17,12a 17,12b 17,13 17,14 17,15 17,16 17,17 17,18 17,18f. 17,19 17,20 17,21 17,23 17,24b 17,25 17,26 18,3 18,12 18,37 20,28 21 21,22
·117,133f., 137 135 l35f. 138 127,131,135f.,138 127,134 117 117,124,137 134 127 136 138 137 127,131 131,135 131f. 39 36,118,132,137f., 141,181 37,129 137 132 129,137,139 140 138 139 139 139 139 138 139 51,88,137, 139f. 139 125f., 139 140 139 139 141 138,141 138,140f. 140 140 129,137f.,140f. 34 34 125 133 116 126
191
Bibelstellenregister
Apostelgeschichte 1,24ff. 1,26 2,2ff. 2,38 2,42ff. 2,47 4,12 4,24ff. 4,31 6,lff. 7,2ff. 7,44 7,55 7,55f. 7,59 7,60 8,16 9,3 10,9_ 10,10 10,lOff. 10;19 10,46 10,48 16,6 19,5 19,6 22,14 27,14ff. 27,21ff.
144 144 144 130 144 144 128 144 144 144 120 121 144 144 . 144 144 130 112 145 145 144 145 103 130 109 130 103 65 160 160
Römer 1,8 1,9 1,10 1,21 3,5ff. 7,25 8,11 8,12ff. 8,12-27 8,15 8,15f. 8,16 8,17 8,19 8,19-23 8,19-26 8,20 8,21
110,114 93,107 93,108 108 174 114 96,100,166 96-98,104 92,95,101 28,50,56,93,96, 98f.,101f., 135, 166 99,101 96,102 100 105 102,105 105 105 105
8,22 8,23 8,24ff. 8,26
8,26f. 8,27 8,34 10,1 10,10 10,12 12;12 15,22 15,30 15,30ff.
105 100,106 100 2,50,100-102, 104(.,122,131, 142, 161 98 101 114 111 113 113 107 109 95,115 111
1. Korinther 1,4ff. 1,13 5,4f. 6,19 7,5 10,13 12 12f. 12,3 13 13,12 14 14,14 14,15 14,18 ·14,19 14,23 15,24 15,26 15,28 15,29 16,23
110 130 130 121 115,145 81,174 103,154 155 95,99,101 103 108 103 103 95,103 103 103 102 177 177 164 170 113
2. Korinther 1,20 1,22 3,12 4,15 4,16 5,5 6,1-10 6,4f. 6,4ff. 7,4
114 100 116 94,108 106 100 112 111 112 116
192 l1,23ff. 12,4 12,5ff. 12,6 12,8 12,8f. 12,8ff. 12,9 13,9 13,13
Bibelstellenregister 111 104 111t: 111 112f. 173 113 95,113 110 93
Galater 1,6 2,10 2,20 4,6 4,6f. 4,7 4,13f.
107 107f. 177 177 94t: 114,127,130 107 110 109,115
1,2 l,2f. 2,2 2,18 3,10 5,5 5,17 5,18
107 110 116 109 93 f., 107, 110 110 115 107-109
2. Thessalonicher 65 100 117 116 114 95 94f. 127 177 115 88 95,107,111,115 115 116
Philipper 1,3 1,3-11 1,5 1,8 1,9 1,20 2,6ff. 2,7 2,9ff. 2,10 3,3 4,3 4,6
1,3 1,9 2,10 2,14f. 3,16 3,17 4,2 4,3 4,12
1. Thessalonicher 107 111 96,166 50,56,93,95 f., 98 f., 135 28 100 112
Epheser l,3ff. 1,14 1,20-22 3,12 3,14 3,20 5,19 5,20 6,12 6,12ff. 6,13 6,18 6,18f. 6,19
Kolosser
107 94 115 107 110 116 22,128 163 113 177 93 128 32,72,93,107,109, 111,145f.,158
1,3 1,11 2,8 2,13 2,13f. 2,18 3,1 3,3 3,6
110 107,110 177 107 110 111 109f. 88 130
1. Timotheus 2,1 2,lfT. ,2,8 3,13
92 111 114f. 116
2. Timotheus 1,3 1,10 4,18
93,107 177 51
Philemon 4f: 8
110 116
Hebräer 3,1 4,14 4,16 5,7
148 148 147 34,146
193
Bibelstellenregister 5,8 9,14 10,13 10,19 10,22 10,23 12,28 13,15 13,18
43 147 177 147 147 148 147 147 146
Jakobus 1,5 1,6 1,12 1,13 1,14 1,17 2,19 4,3 4,7 5,13f. 5,15 5,16
145 145f. 83 77,83 83 46,171 83 145 83 146 146 146
l.Petrus 3,7 3,22 4,7 5,7
145 177 145 145
1. Johannes
166
1,6 2,1 2,13 3,12 3,19ff. 3,21 3,21-23 3,22 3,23 4,6 4,16 5,6 5,13 5,13f. 5,14 5,14f. 5,15 5,16 5,18
126 134 88 88 126 135f. 140 135 129,135 124f. 129,140,166 124 129 135 135 136 136 136 88
2. Johannes 124,126
1 3. Johannes
124 126
1 3
Offenbarung 1,5f. 2-3 2,13 3,5 3,20 4,8 4,10f. 5,8 5,12 7,10 11,17f. 14,3 15,3 i9,lff. 20,2 20,3 20,7 21,22 22,17 22,20
148 50,150 129 59,128 150 148 149 149 149. 149 149 149 149 149 178 81 178 120 149f. 93,149
Außerkanonische Schriften neben dem Alten Tes.tament IV. Esra 6,20 7,11
65 105
äthiopisches Henochbuch 90,28ff.
119
Joseph und Asseneth 2,18 7,5
65 65
Jubiläumbuch Masternas, 17, 15ff.
80
Testament der Zwölf Patriarchen Levi 5,3
65
194
Bibelstellenregister Außerkanonische Schriften neben dem Neuen Testament
1. Clemensbrief 22,7 Didache 8,2 8,2ff.
98
1QS 3,15f. 10,3
65 59
4QAmranb
88
4Q280,286
88
11 QMiqd
120
73,89 52
Rabbinisches Schrifttum Qumran 1QM 12,2
59
TargumJes.11,4
88