Nr. 315
Diener der Vollkommenheit Das Ende der Menschheit wird vorbereitet von Marianne Sydow
Sicherheitsvorkehrungen...
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Nr. 315
Diener der Vollkommenheit Das Ende der Menschheit wird vorbereitet von Marianne Sydow
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt und nicht bereinigt worden. Der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötz lich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents At lantis. Atlan, Lordadmiral der USO, und Razamon, der Berserker – er wurde beim letzten Auftauchen von Atlantis oder Pthor auf die Erde verbannt und durch einen »Zeitklumpen« relativ unsterblich gemacht – sind die einzigen, die den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Leiter der Inva sion ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Und so landen Atlan und Razamon an der Küste von Pthor, einer Welt der Wunder und der Schrecken. Das Ziel der beiden Männer, zu denen sich inzwischen der Fen riswolf gesellt hat, ist, die Herren der FESTUNG, die Beherrscher von Pthor, aufzu spüren und schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah men, haben Atlan und Razamon zusammen mit ihrem neuen Weggefährten, dem Fenriswolf, den Ort in der Wüste Fylln erreicht, an dem mittels des Kartaperators der Energieschirm, der Terra vor den Invasoren schützt, durchbrochen werden soll. Um den Angriffsplan zu durchkreuzen, benötigen Atlan und Razamon Hilfe – und diese Hilfe bietet ihnen der DIENER DER VOLLKOMMENHEIT …
Diener der Vollkommenheit
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Razamon - Die beiden widmen sich einer gefährlichen Waffe.
Fenrir - Atlans und Razamons vierbeiniger Kampfgefährte.
Artol Forpan - Bauleiter der Kartaperators.
Teerträger - Ein Techno aus Zbahn.
Manziel - Würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer.
1. Manziel war ein würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer. Als er den Befehl bekam, als Verbindungsglied zwischen dem »Werkzeugschöpfer« und der Baustelle in der Wüste Fylln zu fungieren, wäre er vor Stolz beinahe geplatzt. Er gehörte zu den Auserwählten. Nur die wichtigsten Robot bürger waren aufgefordert worden, die Technos beim Bau des Kartaperators zu un terstützen. Diese wichtigsten Robotbürger hatten selbstverständlich auch nur ihre zu verlässigsten Arbeiter ausgeschickt. So war also Manziel mit anderen Arbei tern anderer Herren in die Wüste Fylln ge reist, und er hatte nicht im geringsten daran gezweifelt, daß seine Zukunft mit Erfolgen und angenehmen Dingen aller Art angefüllt sein würde. Diese Überzeugung war ins Wanken gera ten und schließlich ganz zerbrochen. Von Stolz und Glück gab es keine Spur mehr, und die Zukunft bot sich als eine Versamm lung düsterer Schatten dar. Manziel war das personifizierte schlechte Gewissen. Das durfte natürlich niemand merken. Für einen Roboter war ein Doppelspiel dieser Art ein aufreibendes Geschäft. Nach seiner Ankunft in der Wüste Fylln hatte Manziel entsetzt bemerkt, daß beim Bau des Kartaperators die Vorschriften der Vollkommenheit restlos außer acht gelassen wurden. Das Durcheinander auf der Baustel le war eine Zumutung für die Linsensysteme eines jeden anständigen Roboters. Und beim Kartaperator selbst sah es noch schlimmer aus. Manziel litt so sehr unter den entstehen den Disharmonien, daß er fürchtete, seiner Aufgabe nicht gerecht werden zu können.
Gegen die störenden Einflüsse konnte Manziel sich nur auf eine Art und Weise wehren. Der würdige Arbeiter des Herrn Vortimer wurde zum Dieb. Selbstverständlich wußte Manziel, daß seine Aktivitäten nicht dazu beitrugen, den Auftrag, den die Herren der FESTUNG ihm und allen anderen Arbeitern erteilt hatten, schnell und konsequent zu erfüllen. Er wuß te auch, daß man ihn einfangen und zurück schicken würde, sobald man dahinter kam, wer an den unmöglichsten Stellen wertvolle Bauteile heimlich entfernte. An das, was Manziel sich vom Herrn Vortimer höchst persönlich würde anhören müssen, dachte er lieber erst gar nicht. Zum Glück war Manziel ein vielseitig be gabter Roboter. Man durfte einen würdigen Arbeiter aus Wolterhaven nicht mit einem normalen Roboter terranischer Bauart ver wechseln. Manziel war zu einer ganzen Rei he von Gefühlen befähigt. Er konnte sogar nervös werden oder Angst bekommen. Letzterer Zustand war alles andere als an genehm. Manziel wurde jedesmal von dieser Angst befallen, wenn er zu einem neuen Beutezug aufbrach. Er schwebte zwischen den Kuppelbauten der Unterkunftszone hindurch und fühlte sich miserabel. Es war so, als könnte er ein paar Dutzend gelockerte Kontakte in sich fühlen, die in jedem Augenblick zu verhee renden Kurzschlüssen führen mochten. Er wich den Technos aus, die jetzt, am frühen Morgen, in Scharen an ihre Arbeit eilten. Manchmal hatte Manziel Mühe, schnell ge nug zu reagieren, weil die Angst ihn zu sehr in Anspruch nahm. Die Technos hatten sich schnell daran gewöhnt, daß die Arbeiter aus Wolterhaven dank ihrer ungeheuer schnellen
4 Reaktionen keine Störfaktoren bildeten und man sie eigentlich nicht zu beachten brauch te – es sei denn, man wollte ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Die Technos achteten nicht darauf, ob ihnen eine Maschine im Weg stand oder nicht. Es war undenkbar, daß es zu Zusammenstößen kam, denn die Roboter wichen immer schnell genug aus. Diese Sorglosigkeit der Technos war für Manziel ein großes Problem. Er war sehr erleichtert, als er die engen Straßen der Wohnzone hinter sich gelassen hatte. Auch diesmal war es ihm gelungen, sich durch das Gewimmel der Technos zu bewegen, ohne Aufsehen zu erregen. Ein paarmal allerdings war er nur sehr knapp an einem verräterischen Zusammenprall vor beigekommen. Er hoffte, daß die Betroffe nen nichts gemerkt hatten. In einem robotischen Äquivalent zu tiefer Erschöpfung blieb Manziel sekundenlang stehen, um erst einmal die Lage zu sondie ren, ehe er sich weiter vorwagte. In seiner Erleichterung darüber, daß er ungeschoren aus dem Wohnbezirk gekommen war, ver gaß er jedoch, daß ihm auch hier, in unmit telbarer Nähe des Kartaperators, Gefahr drohte. Im buchstäblich letzten Augenblick bemerkte er eine Gruppe von Technos, die – in ein Gespräch vertieft – direkt auf ihn zu kam. Manziel katapultierte sich mit Hilfe seiner Flugdüsen nach oben. Die Vibration der Angst wurde so heftig, daß Manziel zu spüren glaubte, wie sich etliche Schrauben in seinem Körper lösten. Er zwang sich zur Ruhe und justierte sei ne optischen Systeme neu ein. Beinahe trot zig entschloß er sich, der Gefahr ins Auge zu sehen. Als er dann erkannte, daß Artol Forpan persönlich unter ihm im Sand stand, hätte er fast vor Schrecken die Kontrolle über die Flügeldüsen verloren. Artol Forpan war der Leiter dieser Bau stelle. Er stand mit den Herren der FE STUNG in ständiger Verbindung, und es hieß, daß er – wie auch andere Mitglieder der mächtigen Familie Gordy – sogar schon den Herren persönlich begegnet war. Das
Marianne Sydow klang sehr unwahrscheinlich, weil die Her ren der FESTUNG sich nur dann mit ihren Untertanen beschäftigten, wenn sie etwas von diesen verlangten. Und in diesen Fällen genügte es, wenn sie ihre Anordnungen über das Kommunikationssystem erteilten oder in einer jener Formen, die für Pthor charakteri stisch waren. Manziel hatte noch niemals davon gehört, daß die Herrscher von Pthor die FESTUNG verließen oder jemanden dorthin einluden. Man konnte über die Gerüchte, die die Fa milie Gordy betrafen, denken, wie man wollte, Artol Forpan jedenfalls war ein sehr mächtiger Techno. Er war ungefähr dreißig Jahre alt. Er hatte große, blaue Augen, aber sein Gesicht wirkte hart und kalt. Es gab keinen einzigen Techno auf der Baustelle, der nicht zu zittern begann, wenn Forpan sich mit ihm befaßte. Manziel konnte aus verschiedenen Grün den nicht zittern. Er konnte auch nicht sch licht und einfach in Ohnmacht fallen. Zum erstenmal war er sich der Tatsache bewußt, daß auch der perfekteste Roboter organi schen Wesen gegenüber in bestimmten Be reichen benachteiligt war. »Was tust du hier?« fragte Artol Forpan und starrte den fliegenden Roboter durch dringend an. »Ich rechne«, behauptete Manziel. Forpan lächelte kalt und deutete auf die Wohnkup peln. »Bist du wegen ihrer Stabilität besorgt?« fragte er spöttisch. »Als wir kamen, waren deine Linsen auf die Kuppeln gerichtet.« Forpan wußte zwar recht gut über die Ar beiter aus Wolterhaven Bescheid, aber eini ge Kleinigkeiten waren ihm noch unbekannt. »Ich stand mit Herrn Vortimer in Verbin dung«, antwortete Manziel würdevoll. »Er wünschte für seine Berechnungen ein spezi ell gefiltertes Bild des Kartaperators im au genblicklichen Zustand. Dieses Bild konnte ich nur liefern, indem ich ein optisches Sy stem einsetzte, das bedauerlicherweise als Einzelteil in meinem Körper integriert wur de. Dieses System …«
Diener der Vollkommenheit Artol Forpan winkte hastig ab. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß die Robotdiener außerordentlich gerne über ihre Fähigkeiten und die Teile ihres Körpers sprachen. Manchmal war es nahezu unmöglich, eine solche Maschine zum Schweigen zu brin gen, wenn sie sich erst einmal in Schwung geredet hatte. »Was haben die Berechnungen ergeben?« wollte Forpan wissen. »Der Kartaperator wird genauso arbeiten, wie die Herren der FESTUNG es wün schen«, behauptete Manziel und hoffte, daß der Herr Vortimer sich an die Spielregeln hielt und nicht heimlich eine Subverbindung zu seinem würdigen Arbeiter hergestellt hat te. In diesem Fall nämlich wußte der Herr Vortimer schon jetzt, daß sein Diener Dinge tat, die ein Roboter gefälligst zu unterlassen hatte. Manziel war bereit, das Blaue vom Himmel herunterzuschwindeln, wenn er Forpan damit loswerden konnte. »Das will ich hoffen«, sagte der Techno nüchtern. »Da du diesen Auftrag erfüllt hast, ist es dir sicher möglich, mich zu begleiten.« Manziel schwieg vorsichtshalber. Viel leicht konnte er Forpan zu dem Trugschluß verleiten, daß gerade eine neue Verbindung zu dem Herrn Vortimer bestand. Entweder dachte Forpan gar nicht an eine solche Möglichkeit, oder er hatte Manziel durchschaut. »Komm jetzt!« befahl er, und Manziel schwebte betrübt neben den Technos auf den Kartaperator zu. Unter normalen Umständen hätte er Forpans Befehl ignorieren können, denn er schuldete nur dem Herrn Vortimer Gehorsam. Aber dieser hatte seinen Diener für die Dauer des Einsatzes ausdrücklich dem Techno Artol Forpan unterstellt. Sie erreichten das gewaltige Gebilde, mit dessen Hilfe endlich der freie Zugang zur Außenwelt geschaffen werden sollte. Etliche hundert Technos und ein Dutzend Robotdie ner – die auch Bürgern von Wolterhaven un terstanden – waren emsig damit beschäftigt, die drei Projektionsstrahler zu montieren. Das war eine heikle Angelegenheit. Die
5 Projektoren waren zwar beweglich und lie ßen sich auch nach der Montage noch justie ren, aber beim Kartaperator konnte man nie wissen, was bei solchen nachträglichen Ma nipulationen herauskam. Darum bemühte man sich, die Projektoren so genau wie nur irgend möglich auf die Zielrichtung einzu stellen. Manziel hielt sich im Hintergrund. Er fühlte sich gräßlich schlecht. Der Anblick des halbfertigen Kartaperators schmerzte ihn geradezu. »Wo ist es?« fragte Forpan einen seiner Begleiter. »Dort, in der Schaltkuppel für die Projek torsteuerung«, sagte der andere Techno un terwürfig. Manziel wäre vor Schreck fast schon wie der in die Luft geschossen, denn die genann te Schaltkuppel hatte er in der letzten Nacht heimgesucht. Es gab dort eine Tafel mit zahlreichen Hebeln, die wohltuend regelmäßig angeord net waren. Und dann hatte man diesen or dentlichen Eindruck brutal durchbrochen, indem man die Hebel mit farbigen Knöpfen versah! Die Knöpfe hätten Manziel noch nicht einmal gestört. Die willkürliche Ver teilung von Farben, die weder zueinander noch zu ihrer Umgebung paßten, stellte je doch einen kaum erträglichen Verstoß gegen die Vorschrift der Vollkommenheit dar. Manziel hatte lange über dieses Problem nachgedacht – mindestens drei Sekunden hatte er gebraucht, um zu einer Entschei dung zu gelangen. Er hätte die Knöpfe ver tauschen können, damit wenigstens eine scheinbare Harmonie der Farben gewahrt wurde. Aber diese Lösung war unvollkom men. Darum hatte Manziel in der Nacht zuvor sämtliche Knöpfe abgebaut und sie – mit ei nigen anderen störenden Kleinigkeiten – in sein Versteck gebracht. Voller Angst folgte er Forpan und den an deren. Die Technos kletterten über metallene Leitern bis zur Kuppel hinauf. Manziel schwebte unglücklich neben ihnen her. Er
6 wünschte, Forpan würde ihn von seinem Be fehl entbinden. Aber wie alle Technos hatte Forpan wenig Erfahrung im Umgang mit den Robotdienern. Wahrscheinlich wußte er nicht einmal, daß es Manziel unmöglich war, sich zu entfernen, ehe Forpan es ihm ausdrücklich erlaubte. Unterwegs bemerkte Manziel einen neuen Verstoß gegen die Vorschrift der Vollkom menheit. Forpan trug einen merkwürdig aus sehenden Kasten am Gürtel. Das Ding hatte geradezu eine beleidigende Form und eine ganz und gar unmögliche Farbe. Manziel überlegte, was er gegen diesen störenden Anblick unternehmen konnte. Dadurch wur de er von seiner Angst ein wenig abgelenkt. Die Tür zur Kuppel gelangte in den Erfas sungsbereich seiner Linsensysteme. Manziel erschrak erneut. Auch die Tür hatte einige unerträgliche Fehler enthalten, die er selbst verständlich beseitigt hatte. Er kämpfte mit sich selbst. Ein Teil von ihm bestand darauf, daß Forpan gewarnt werden müßte. Der andere Teil wehrte ent setzt ab, denn in diesem Fall würde Forpan wissen, daß Manziel nicht so funktionierte, wie er es wünschte. Und das bedeutete das Ende für Manziel. Wenn man ihn jedoch nach Wolterhaven zurückschickte, gab es niemanden mehr, der hier dafür sorgte, daß die Vorschriften der Vollkommenheit einge halten wurden. Ehe Manziel mit seinem inneren Zwie spalt fertig wurde, hatten die Technos die kleine Plattform erreicht. Einer von Forpans Begleitern drehte an dem Knopf, mit dessen Hilfe sich die schwere Metalltür öffnen ließ. Der Knopf funktionierte einwandfrei. Der Riegel schnappte zurück – und die Tür kipp te mit Getöse um. Die klobigen Scharniere hatten wirklich nicht den Vorschriften der Vollkommenheit entsprochen! Für einen Moment empfand Manziel tiefe Befriedigung über die glatte, makellose Öff nung, die in der Kuppelwand klaffte. Forpan war anderer Meinung. »Was soll diese Schlamperei!« fuhr er den
Marianne Sydow erschrockenen Techno an. Der Mann zitterte wie Espenlaub. Ihm fiel erst nachträglich ein, daß die Tür auch zur anderen Seite hätte fallen können. Dann wäre von dem Techno Hoster aus Zbahn nur wenig übriggeblieben. »Ich verstehe das nicht«, stotterte er. »Gestern war die Tür noch in Ordnung!« »Gestern?« fragte Forpan schneidend scharf. »Du hast bei deiner heutigen Kon trolle den Diebstahl bemerkt. Dabei hätte dir dieser Fehler ebenfalls auffallen müssen.« »Mein Kontrollgang führt mich fast über den ganzen Kartaperator«, verteidigte der Techno sich. »Diese Kuppel habe ich von der Montagefläche her betreten.« Forpan sah Hoster mißtrauisch an und stieg dann vorsichtig über die Tür hinweg ins Innere der Kuppel. Manziel folgte ihm notgedrungen. Artol Forpan achtete gar nicht mehr auf den Roboter. Er ließ Manziel ganz dicht an sich heran – zu dicht! Der Kasten an Forpans Gürtel hing an ei ner einfachen Schnalle, die weder technisch noch durch magische Einflüsse gesichert war. Ein Mitglied der Familie Gordy hatte es nicht nötig, sich vor Diebstahl zu schützen. Niemand wagte es, einen Angehörigen die ser hohen Kaste zu bestehlen. Besser gesagt: Kein Techno traute sich an ihn heran. Aber Manziel war kein Techno. Und deshalb galt das Tabu für ihn nicht. Ihm war es absolut gleichgültig, wen er vor sich hatte. Wer im mer auch die Vorschrift der Vollkommen heit mißachtete, mußte die Folgen in Kauf nehmen. Artol Forpan wußte nichts von diesen Vorschriften. Er hätte Manziels Motive nie mals verstanden. Darum zog der Roboter es vor, den Kasten ganz unauffällig zu beseiti gen. »Seltsam«, murmelte Forpan gerade. »Wer kann das getan haben? Mit diesen Knöpfen läßt sich doch gar nichts anfan gen!« »Der Diebstahl ist so sinnlos wie alle an deren vorher«, bemerkte Hoster vorsichtig. Die anderen Technos nickten beifällig. Man ziel stellte fest, daß alle die Schalttafel an
Diener der Vollkommenheit starrten und streckte vorsichtig einen dünnen Metalltentakel aus. Forpan merkte nichts, als die Schnalle sich öffnete. »Der Dieb nimmt einfach wahllos alles mit, was ihm gerade gefällt«, behauptete ein Techno aus Forpans Gruppe. Manziel verstaute den störenden Kasten in einem Frachtfach seines Metallkörpers. »Vielleicht hat einer der Parias sich ins Lager geschlichen«, überlegte Hoster. »Wir wissen, daß diese Kerle sich draußen in der Wüste herumtreiben.« »Wir hätten einen Fremden längst bemer ken müssen«, sagte Forpan ärgerlich. »Es gibt genug Kontrollen. Außerdem paßt es nicht zusammen. Die Parias brauchen Was ser und Proviant, Kleidung, Schuhe, Waffen – aber nicht ein paar bunte Schaltknöpfe, die bestenfalls ein Spielzeug darstellen.« »Viele Parias sollen nach kurzer Zeit in der Wüste den Verstand verlieren«, erklärte Hoster. »Nur ein Wahnsinniger könnte diese Diebstähle ausführen.« Manziel hörte zu und hielt gleichzeitig nach anderen Dingen Ausschau, die er ver schwinden lassen konnte. Zum dritten be schäftigte er sich mit der sehr unerfreulichen Aussicht, daß Forpan ihm wider Erwarten doch noch auf die Schliche kam. Die Gefahr war geringer geworden. Bis jetzt verfolgte der Techno eine völlig falsche Spur. »Mir ist es gleichgültig«, sagte Forpan, »ob der Dieb wahnsinnig ist oder nicht. Ich will den Kerl haben, und zwar schnell. Wenn er so weitermacht, verzögert sich die Fertigstellung des Kartaperators. Die Herren der FESTUNG werden ungeduldig.« »Bis jetzt handelt es sich nur um Kleinig keiten«, murmelte Hoster bedrückt, denn er ahnte, daß Forpan ihm die Schuld in die Schuhe schieben würde, wenn es nicht ge lang, den Dieb dingfest zu machen. »Die Knöpfe lassen sich leicht wieder anbringen, und die Scharniere für die Tür …« »Wir verlieren Zeit mit solchen Basteleien!« schrie Forpan wütend. »Jede Sekunde zählt.« »Wir haben Wachen aufgestellt«, sagte je
7 mand. »Es hat nichts genützt. Die Lage ist unübersichtlich. Es wird Tag und Nacht ge arbeitet. Wir können nicht jeden überprüfen, der hier herumläuft.« »Dann stellt dem Dieb eine Falle«, emp fahl Forpan eisig. »Er hat es auf Kleinigkei ten abgesehen, und die entwendeten Gegen stände waren meistens bunt gefärbt. Baut et was auf, was der kindlichen Mentalität die ses Kerls entspricht.« Die Technos schwiegen betreten. Sie hiel ten nicht viel von Forpans Vorschlag, denn der Dieb schien überall und nirgends zu gleicher Zeit zu sein – überall auf der Bau stelle, die eine Fläche von rund zehn Qua dratkilometern bedeckte, verschwanden Ge genstände aller Art. Wie sollte man da eine Falle errichten? Und vor allen Dingen: Wo sollte das Ganze stattfinden? Manziels Überlegungen galten anderen Fragen. Erstens ärgerte er sich darüber, daß Forpan von kindlicher Mentalität sprach. Zweitens fragte er sich ernsthaft, ob er nicht Artol Forpan selbst beseitigen sollte. Der Bauleiter störte zweifellos die Vorschriften der Vollkommenheit noch stärker als alle Apparaturen zusammen. In diesem Augenblick begann der Boden unter ihren Füßen zu vibrieren. »Was ist das?« fragte Forpan erschrocken. Niemand antwortete, aber von draußen drang Geschrei herein. Der Bauleiter faßte nach dem Kasten, der an seinem Gürtel ge hangen hatte. Manziel sah es und drehte ha stig die Geräuschempfindlichkeit seiner aku stischen Systeme auf einen niedrigeren Wert. Forpan öffnete den Mund zu einem wütenden Schrei, aber ein starker Stoß, der den ganzen Kartaperator erschütterte, ließ ihn verstummen. Wie von Furien gehetzt, rannte er auf die Plattform hinaus. »Was ist passiert?« brüllte er zu dem nächstbesten Techno hinauf, der über ihm im Anschlußsystem für den dritten Projektor hing und fassungslos auf etwas starrte, was Forpan von der Plattform aus nicht sehen konnte.
8 »Ein Ungeheuer!« schrie der Techno zu rück. »Es kommt aus dem Sand, auf der an deren Seite!« Forpan winkte seinen Begleitern. Man ziel, immer noch nicht von dem Befehl ent bunden, dem Techno zu folgen, schwebte är gerlich hinterher. Ein plötzlich auftauchendes Ungeheuer stellte eine Störung dar, ge gen die er nahezu machtlos war. Die Technos hatten Mühe, sich auf den stählernen Leitern zu halten. Neue, stärkere Erschütterungen durchliefen den Kartapera tor. Manziel dachte darüber nach, ob Forpan wirklich so furchtlos war, oder ob er sich nur besonders gut beherrschte. Der Bauleiter schien lediglich wütend über den Zwischen fall zu sein, der den Bau des Kartaperators nicht gerade beschleunigte. Aber er mußte sich auch der Gefahr bewußt sein, in der alle hier auf der Baustelle schwebten. Diese Ge fahr ging nicht so sehr von dem Ungeheuer aus – mit dem konnte man kämpfen, und selbst die Bestien aus der Ebene Kalmlech waren nicht unverwundbar –, sondern der Kartaperator selbst war unter diesen Um ständen ein sehr bedrohliches Instrument. In seinem unförmigen Innern waren gewaltige Energien gefangen. Die Konstruktion war nicht ausgereift – Manziel konnte ein Lied davon singen. Die Erschütterungen konnten ohne weiteres zu einer verheerenden Explo sion führen. Forpan und seine Leute klebten an den Leitern, während der Kartaperator sich schüttelte wie ein von Stechfliegen verfolg tes Yassel. Manziel schwebte ungerührt in der Luft. Sekunden vergingen, dann fiel Ho ster wie eine reife Nuß von der Leiter. Er wirbelte schreiend durch die Luft und schlug dreißig Meter tief im Sand auf. Ein terranischer Roboter hätte eingreifen und den Technos helfen müssen. Manziel kannte solche Komplexe nicht. Die Technos gingen ihn nichts an. Sie durften ihm techni sche Anweisungen geben, aber auf ihre Ge sundheit mochten sie gefälligst selbst ach ten. »Verdammtes Blechei!« schrie Forpan
Marianne Sydow und krallte sich noch fester an die wackelnden Sprossen. »Bring mich nach unten!« Das war ein handfester Befehl. Manziel schwebte näher, streckte einen Tentakel aus und packte Forpan am Kragen. Der Techno schrie und zappelte, als er von dem Roboter durch die Luft geschwenkt wurde, aber Manziel ließ sich dadurch nicht beirren. Er wußte schließlich nicht, daß die se Transportmethode nicht viel angenehmer als der Aufenthalt auf der wackeligen Leiter war. Forpan wurde vom Kragen seiner eige nen Kombination fast erdrosselt. Blaurot im Gesicht kam er unten an. Manziel verharrte schwebend und wartete auf neue Befehle – folgen konnte er dem Techno vorerst nicht, denn dieser war zur Fortbewegung noch nicht wieder fähig. Bis Forpan wieder zu Atem kam, plump sten die restlichen Technos aus seiner Grup pe herab. Forpan richtete sich keuchend auf, warf Manziel einen vernichtenden Blick zu und eilte zu seinen Leuten. Dabei bockte der Boden unter seinen Füßen fünfmal so heftig, daß Forpan sehr würdelos auf die Nase fiel. Erleichtert stellte er fest, daß es nur einen Toten zu beklagen gab. Technos waren im allgemeinen sehr robust, und der Sand war weich genug, um den Aufprall etwas von seiner Wucht zu nehmen. Manziel folgte befehlsgemäß. Forpan hat te damit nicht gerechnet. Nachdem er die Bewußtlosen, die sich für einige Zeit mit etlichen Knochenbrüchen im Krankenrevier würden aufhalten müssen, untersucht hatte, drehte er sich hastig herum. Er wußte immer noch nicht, was es mit dem Ungeheuer auf sich hatte. Leider ging er zu hastig vor und knallte infolgedessen mit dem Schädel ge gen Manziels Transportfach. Forpan fiel auf der Stelle um, und Manziel packte er schrocken den komischen Kasten wieder ein. Er hoffte, daß Forpan nichts bemerkt hatte. Aber allmählich fragte er sich allen Ernstes, wie er von diesem verflixten Tech no loskommen sollte. Forpan rappelte sich allmählich wieder auf. Auf seiner Stirn entwickelte sich eine
Diener der Vollkommenheit kapitale Beule. Forpan spuckte fluchend den Sand aus, den er unfreiwillig in den Mund bekommen hatte. Drohend musterte er Man ziel, der regungslos vor ihm in der Luft schwebte. »Du hast für heute genug Unheil ange richtet«, stieß er hervor. »Hast du nichts an deres zu tun, als dauernd im Weg zu ste hen?« »Du gabst mir den Befehl, dir zu folgen«, antwortete Manziel ungerührt. »Dann gebe ich dir hiermit den Befehl, aus meiner Nähe zu verschwinden«, brüllte Forpan. Manziel tat nichts lieber als das. Er schwirrte davon. »Laß dich ja nicht noch einmal blicken!« schrie Forpan hinter ihm her. Manziel bog bereits um die Ecke. Und dann sah er das Ungeheuer.
2. Auf seinen Reisen durch Raum und Zeit berührte Pthor viele Welten, und oft blieb et was von denen in dem seltsamen Land hän gen. Vielleicht waren auch die Robotbürger von Wolterhaven nichts als das Strandgut ei ner inzwischen zerstörten Zivilisation. Man ziel wußte es nicht, denn es gab darüber kei ne Überlieferungen. Wenn es aber so war, dann hatten die Herren der FESTUNG mit den Robotbürgern einen guten Griff getan. Von den Dorgonen konnte man das nicht sagen. Manziel fragte sich wirklich, was die Her ren der FESTUNG dazu bewogen haben mochte, diese Monstren nach Pthor zu ho len. Er erinnerte sich nicht daran, daß die Dorgonen jemals eine nützliche Funktion er füllt hatten. Seiner Meinung nach stellten die Riesenwürmer alle miteinander einen einzigen Störfaktor dar, den man schnell und gründlich hätte beseitigen sollen. Nun hieß es, daß die Dorgonen schon vor langer Zeit ausgestorben waren. Offensicht lich beruhte dieses Gerücht auf einem be dauerlichen Irrtum. Das Exemplar, das ne
9 ben dem Kartaperator aus dem Boden kroch, wirkte jedenfalls recht lebendig. Es war noch nicht in seiner vollen Größe sichtbar. Schon jetzt ließ sich aber sagen, daß sein runder Leib sieben Meter hoch war. Der bis jetzt sichtbare Teil des Körpers war vierzig Meter lang. Und die Schneidezan gen, die den Mund des Monstrums flankier ten, maßen bestimmt je vier Meter und glänzten wie polierter Stahl. Manziel, der nicht ahnen konnte, wie nahe am Kartaperator sich diese Kreatur aus dem Boden schob, prallte erschrocken zurück. Der Dorgone starrte mit seinen großen Au gen die Technos an, die entsetzt zurückwi chen, und ließ seinen Kopf dabei drohend hin und her pendeln. Dabei hätte er Manziel beinahe erwischt. Der würdige Arbeiter des Herrn Vortimer flog ein Ausweichmanöver und stieg dann rasch höher, um sich einen Überblick zu ver schaffen. Die Technos, die am Kartaperator arbeite ten, trugen keine Waffen bei sich. Am Rand des Lagers gab es ein paar Wächter, die aber eigentlich nur ein Zugeständnis an das Si cherheitsbedürfnis organischer Kreaturen waren. Sie befanden sich auf jeden Fall zu weit weg vom Ort des Geschehens, als daß sie sofort etwas unternehmen konnten. Die Arbeiter – viele waren verletzt oder hingen immer noch an dem wackelnden Kartapera tor – hatten dem Gegner nur ein paar Schraubenschlüssel und Ähnliches entge genzusetzen. Der Dorgone war davon nicht beeindruckt. Manziel bemerkte, daß der Riesenwurm jetzt schneller vorankam. Der vordere Teil seines Körpers hatte eine Fahrspur erreicht, und die kleinen, zahllosen Beine fanden dort besseren Halt. Die Technos wandten sich schreiend ab, sofern sie nicht vor Schreck gelähmt waren. Der Dorgone schnaubte und klapperte mit seinen Schneidezangen, wäh rend er den Rest seines Leibes – es handelte sich um lächerliche zwanzig Meter – aus dem Sand zog und dann zur Verfolgung an setzte.
10 Der Dorgone hatte sich gerade in Marsch gesetzt, als Forpan endlich die Ecke erreich te, die Manziel umflogen hatte. Der Techno starrte das, was für ihn wie eine Panzerwand mit Stummelfüßen aussah, schweigend und erschrocken an. Manziel tat nichts, um For pan zu warnen oder in Sicherheit zu bringen. Daran war der Techno selbst schuld. Sein letzter Befehl veranlaßte Manziel dazu, sich noch weiter zurückzuziehen, damit er nicht in Sichtweite des Bauleiters geriet. Der Dorgone walzte an Forpan vorbei und streifte ihn nur versehentlich mit einem Beinchen. Forpan flog in einem doppelten Salto durch die Luft und landete schon wie der im Sand. Manziel überlegte fieberhaft, wie sich das Monstrum aufhalten ließ. Der Dorgone bewegte sich nämlich genau auf ein Gebäude zu, dem Manziel eine beson ders intensive Behandlung hatte angedeihen lassen. Eine volle Nacht hatte er gebraucht, um die Außenwände der Werkstatt radikal zu verändern. Jetzt endlich entsprach dieses Gebäude – wenigstens von außen – den Vor schriften der Vollkommenheit. Und dieses dumme Monstrum krabbelte genau darauf zu! Manziel konnte es nicht länger mitanse hen. Er schoß im Sturzflug auf den Dorgo nen zu und schlug dem Ungeheuer seine stählernen Tentakel um die Ohren – sofern der Dorgone Ohren besaß, zu sehen waren sie jedenfalls nicht. Der Riesenwurm unterbrach seinen Vor marsch für einen Augenblick, verdrehte ein Auge und starrte Manziel vorwurfsvoll an. Der Roboter stieg hastig ein Stück höher. »Geh weg, du Biest!« brüllte er den Dor gonen an. »Du hast hier nichts zu suchen!« Der Dorgone wackelte abfällig mit den Schneidezangen und marschierte weiter. Manziel folgte ihm fliegend, hielt sich dabei aber aus der Reichweite der Zangen heraus. »Wenn du schon etwas kaputt machen mußt«, schrie er, »dann nimm eine andere Kuppel! Die hier jedenfalls bekommst du nicht, und wenn ich mich in Stücke reißen lasse!«
Marianne Sydow Der Dorgone verdrehte abermals ein Au ge, um Manziel sehen zu können. Er zeigte mit der Schneidezange auf die Werkstatt kuppel, dann auf das Nebengebäude. »Ganz recht«, rief Manziel. »Weg damit, es stört den Gesamteindruck! Du darfst es umwalzen, verstanden? Aber das andere ge hört mir!« Manziel war nicht weiter erstaunt darüber, daß der Dorgone ihn tatsächlich zu verste hen schien. Es gab kaum einen Bewohner von Pthor, der nicht Pthora reden konnte. Der Dorgone wechselte seinen Kurs, und Manziel folgte ihm – jetzt nicht mehr ängst lich oder wütend, sondern mit ehrlicher Be geisterung. Er sah eine Chance, etliche Stör faktoren schneller und gründlicher zu besei tigen, als es ihm sonst jemals möglich gewe sen wäre. Er vergaß vor lauter Begeisterung jene Technos, die sich noch auf dem Kartaperator gehalten hatten oder von anderen sicheren Orten aus die Vorgänge auf der Baustelle genau beobachten konnten.
* Artol Forpan hatte für kurze Zeit das Be wußtsein verloren. Sein armer Schädel war an diesem Tag arg strapaziert worden, und so war es kein Wunder, daß der Techno eini ge Zeit brauchte, um sich die Situation ins Gedächtnis zurückzurufen. Er setzte sich stöhnend auf und sah sich um. Glücklicherweise war niemand in der Nä he. Forpan hatte bei den letzten Ereignissen keine gute Figur gemacht. Er war sehr be sorgt um den guten Ruf der Familie Gordy, und natürlich um die Autorität, die er sehr schnell verlieren konnte, wenn er Fehler be ging. Es war ein Fehler, sich von diesem daher gelaufenen Robotdiener in diesem Maße blamieren zu lassen. Forpan schwor sich, bittere Rache an Manziel zu verüben. In seinem Gedächtnis war eine verschwommene Erinnerung an et was, das mit Manziel zusammenhing und
Diener der Vollkommenheit von großer Bedeutung war. Leider war diese Erinnerung nicht gewillt, sich aus der Nähe betrachten zu lassen. Immer, wenn Forpan dachte, jetzt hätte er das richtige Bild erwi scht, entglitt ihm die Kontrolle über sein Ge dächtnis, und er sah irgend etwas anderes, völlig Unbedeutendes. An den Dorgonen erinnerte er sich erst, als er einen ohrenbetäubenden Krach hörte. Er stand zu heftig auf und fand sich auf dem Boden wieder. In seinem Kopf summte und brummte es wie von tausend zornigen Insek ten. Ächzend wälzte er sich herum. Der Dorgone hatte eine Montagekuppel erreicht und zertrümmerte sie systematisch. Dazu benutzte er nicht nur seine Schneide zangen. Der Riesenwurm bäumte sich auf und ließ sich einfach auf die Kuppel plump sen. Das Gebäude zerplatzte wie eine reife Melone. Werkzeuge, Ersatzteile und Ma schinenbänke flogen durch die Luft. Der Dorgone marschierte weiter und zerstörte mit seinen zahllosen Beinen ganz nebenbei das, was von der Kuppel noch übriggeblie ben war. Forpan kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als er über dem Dor gonen einen grellen Lichtreflex sah. Wieder griff er nach seiner Gürteltasche – er konnte noch immer nicht begreifen, wo und auf welche Weise sie ihm abhanden gekommen sein mochte. Einen Augenblick später waren die Licht verhältnisse günstiger. Forpan erkannte mit dem bloßen Auge, daß ein Robotdiener über dem Kopf des Riesenwurmes schwebte. Er ballte die Hände zu Fäusten und murmelte einen Fluch. Wenn das nicht dieses unge schickte Blechei von vorhin war … Durch das Bersten metallener Wände und das Klirren zersplitternder Glasscheiben glaubte er undeutlich die Stimme des Robo ters zu hören. Der Dorgone änderte seine Marschrichtung. Forpan schlug die Hände vor die Augen, als der Riesenwurm sich vor einer zweiten Kuppel aufbäumte. Als er wie der hinsah, existierte das Konstruktionszen trum nur noch in der Form umherfliegender
11 Fetzen. Tausende von Papierblättern wirbel ten wie Schnee über dem gepanzerten Rücken des Dorgonen. »Tut doch endlich etwas«, schrie Forpan, ohne daran zu denken, daß ihn bei diesem Krach sowieso niemand hören konnte. Er raffte seine Kräfte zusammen und kam tau melnd auf die Beine. Er brauchte eine Waf fe, und er wußte auch, woher er sie zu holen hatte. Während der Dorgone munter weitermar schierte und sich die nächste Kuppel aus suchte, stolperte Forpan vom Kartaperator weg in die Richtung, in der es ein Material lager gab. In der Nähe des langgestreckten Schuppens traf er zum erstenmal wieder auf andere Technos. Sie rannten sinnlos umher oder starrten mit schreckgeweiteten Augen das Ungeheuer an. »Mitkommen!« brüllte Forpan. Die Technos zuckten zusammen und war fen sich unsichere Blicke zu. Dann siegte die Disziplin über die Furcht vor dem Dorgo nen. Forpan stürmte an der Spitze seiner kleinen Truppe in das Lager. Der Mann, der hier für Ordnung sorgen sollte, hatte sich angesichts des drohenden Unheils unter seinem Arbeitstisch verkro chen. Forpan zerrte ihn eigenhändig aus sei nem Versteck. Der alte Mann zitterte am ganzen Körper. »Wir brauchen Waffen!« fauchte Forpan ihn an. »Du mußt uns zeigen, wo sie lie gen.« Der Alte stammelte ein paar sinnlose Sil ben, verdrehte die Augen und wurde ohn mächtig. Forpan ließ ihn verächtlich los. Er sah sich um – es gab unzählige Reihen von Regalen. Viele waren schon leer. Der Karta perator hatte kurz vor seiner Vollendung ge standen, als der Dorgone sich ausgerechnet den Bauplatz dazu aussuchte, die Existenz seiner Rasse zu demonstrieren. Forpan schickte seine Leute aus. Er selbst bezog an der Tür Stellung. Der Dorgone war immer noch auf der anderen Seite des La gers beschäftigt. Forpan ärgerte sich dar über, daß offensichtlich niemand daran
12 dachte, das Monstrum zurückzutreiben. Im Lager herrschte – bis auf die Geräusche der Zerstörung – eine geradezu unnatürliche Ru he. Alle Technos und Robotdiener schienen sich in aller Stille in den Dünen verkrochen zu haben. Endlich kehrten ein paar Technos von ih rer Suche zurück. Sie schleppten Kisten mit Waffen und Energiezellen heran. Ein paar Minuten später machten sich Forpan und seine Getreuen auf den Weg. So mancher Techno hätte es vorgezogen, schleunigst die Flucht zu ergreifen. Zwei schwerwiegende Gründe zwangen selbst die Feiglinge der Gruppe zum Handeln: Ersten würden die Herren der FESTUNG sehr großzügig im Verteilen von Strafen sein, wenn das Unge heuer nicht endlich ausgeschaltet würde. Zweitens verloren die Technos, die alle aus Zbahn und Zbohr kamen, normalerweise so fort das Bewußtsein, wenn sie sich aus den ihnen zugewiesenen Bereichen entfernten. Die Wüste Fylln war verbotenes Terrain. Nur eine echte Zwangslage hatte die Herren der FESTUNG veranlaßt, das Tabu kurzfri stig aufzuheben. Die Herren von Pthor pflegten sich gegen allerlei Zufälle gründ lich abzusichern. Niemand wußte, welche Teufeleien sie sich für die Technos ausge dacht hatten, die sich gegen jeden Befehl von der Baustelle entfernten. Für Forpan galten andere Bedingungen, denn er kam aus Donkmoon. Die Gruppe blieb nicht unbeobachtet. Ein paar Leute, die bis jetzt angsterfüllt auf dem Kartaperator gehockt hatten, schlossen sich Forpan an. Sie folgten der breiten Spur der Zerstörung. Unter den Trümmern der Kup peln krochen weitere Technos hervor, die wegen des gerade überstandenen Schreckens geradezu darauf brannten, dem Dorgonen das Lebenslicht auszupusten. Und schließ lich erreichten sie eine breite Transport schneise, von der aus sie den Gegner in sei ner ganzen Größe bewundern konnten. Das war der Moment, in dem neun Zehn tel der tapferen Großwildjäger sich wünsch ten, eine der legendären Tarnkappen in der
Marianne Sydow Tasche zu haben.
* Manziel hatte den Dorgonen mit immer neuen Hinweisen an die Stellen gelockt, die sich am wenigsten mit der Vorschrift der Vollkommenheit in Einklang bringen ließen. Ein wahrer Rausch hatte den Roboter erfaßt, als er sah, wie ein Störfaktor nach dem an deren in sich zusammenfiel. Dann stellte er mit Ernüchterung fest, daß höchst unerwünschte Nebenwirkungen auf traten. Trümmerstücke wirbelten davon und be schädigten andere Kuppeln. Seltsamerweise wurden fast ausnahmslos Gebäude getrof fen, an denen Manziel bis dahin nichts aus zusetzen hatte. Waren sie erst beschädigt, änderte sich das Bild, die vorher beruhigend ordentlichen Kuppeln wurden zu neuen Störfaktoren, vergingen in einem Hagel von neuen Trümmern, die ihrerseits Kuppeln be schädigten. Dem würdigen Arbeiter des Herrn Vorti mer wurde sehr bald klar, wohin das führen mußte. Bald würde kein Gebäude mehr üb rig sein, das irgendwelchen Vorschriften entsprach. Abgesehen von der angestrebten Vollkommenheit bedeutete das, daß Manziel sich von seinem ursprünglichen Auftrag to tal abgewandt hatte, um seinen egoistischen Zielen zu frönen. So weit durfte es nicht kommen! Manziel dachte an das geheime Versteck und die Schätze, die dort lagerten. Nachdem sie der Ordnung halber abmontiert waren, betrachtete Manziel sie automatisch als pri vates Eigentum des Herrn Vortimer, dem er sie überbringen mußte, um seinen Lohn zu erhalten. Der Dorgone walzte ungerührt durch das Lager. Es war nur eine Frage der Zeit, dann war auch Manziels Versteck an der Reihe. Von den Technos war immer noch so gut wie nichts zu sehen. Schon beim ersten Auf tauchen des Riesenwurms waren sie in hel len Scharen geflohen. Manziel überlegte
Diener der Vollkommenheit verzweifelt, wie er den Dorgonen aufhalten könnte. Dabei vernachlässigte er den Kon takt zu dem Riesenwurm. Ehe er es recht be merkte, war der Dorgone Manziels Kontrol le entglitten. Der Roboter schwebte hilflos in der Luft und beobachtete das Ungeheuer. Plötzlich kam ihm die rettende Idee. Der Dorgone selbst stellte einen Störfak tor dar! Manziel wunderte sich darüber, daß er nicht eher daran gedacht hatte. Wahrschein lich lag es daran, daß er ständig mit den Technos in Berührung kam. In Wolterhaven verstießen normalerweise alle organischen Wesen gegen die Vorschrift der Vollkom menheit. Ausnahmen wurden nur gemacht, wenn die Robotbürger es selbst beschlossen. Er analysierte in aller Eile den Riesen wurm. Das Biest war durch und durch orga nisch. Der Gedanke, daß zur Erstellung der Vollkommenheit logischerweise auch die Vernichtung der Technos gehörte, wurde von Manziel hastig gelöscht. Er war über sich selbst entsetzt. Wäre er in Wolterhaven gewesen, hätte er seinen Herrn um sofortige Generalkontrolle gebeten. Manziel verfügte über keine Waffe im eigentlichen Sinn. Aber da er für den »Werkzeugschöpfer« arbeitete, enthielt sein eiförmiger Körper einige Geräte, die für einen Organischen recht gefährlich werden konnten. Und Not macht selbst einen Robo ter erfinderisch – und vor allem dann, wenn es sich um eine Maschine aus Wolterhaven handelt. Manziel beschloß, den Glutatmer und den Lochschießer zum Einsatz zu brin gen. Der Glutatmer erzeugte Hitze, mit de ren Hilfe sich Metallteile verbinden oder trennen ließen. Der Lochschießer zauberte mit atemberaubender Geschwindigkeit Lö cher in meterdicke Metallplatten. Einziger Nachteil war, daß Manziel sich seinem Op fer auf weniger als einen Meter nähern muß te. Der Dorgone würde sich das nicht ohne weiteres gefallen lassen. Aber der Roboter war klug genug, nicht blind auf seinen Gegner loszugehen. Er war tete, bis der Riesenwurm sich aufbäumte,
13 um die nächste Kuppel unter sich zu begra ben. Während der Dorgone sich auf sein Ziel konzentrierte, ließ Manziel sich blitzschnell fallen, setzte direkt hinter den Augen gleich zeitig den Glutatmer und den Lochschießer ein, ließ beides eine halbe Sekunde lang wir ken und schoß dann mit höchster Beschleu nigung nach oben. Der Dorgone schnappte wütend mit sei nen Zangen nach dem Roboter, verfehlte ihn jedoch. Manziel wartete ab und hoffte auf die nächste Chance. Mit Hilfe seiner opti schen Systeme konnte er die beiden Wunden deutlich erkennen. Sie sahen schrecklich aus, schienen aber den Wurm nicht sehr zu beeindrucken. Der Dorgone stand immer noch aufgebäumt über der Kuppel, aber sei ne beiden riesigen Augen waren jetzt auf den Roboter gerichtet, und seine Schneide zangen vibrierten wütend. Wahrscheinlich war er restlos verwirrt durch die Tatsache, daß sein Verbündeter ihn angegriffen hatte. Manziel zuckte in der Luft unruhig hin und her. Sein Selbsterhaltungstrieb verbot es ihm, auf den Riesenwurm hinabzustoßen, solange der Dorgone die Zangen nicht senk te. In diesem Augenblick erschien Forpan mit seiner Kampfgruppe. Während die mei sten Technos vor dem aufgebäumten Unge heuer zurückschraken, begriff Forpan sofort, daß etwas nicht stimmte. Der Dorgone ver hielt regungslos, anstatt die Kuppel unter sich zu begraben. Forpan sah auch den Ro boter, der knapp über den erhobenen Zangen schwebte. Artol Forpan hatte die Lage schon durchschaut, als seine Begleiter noch dabei waren, den schrecklichen Anblick zu ver dauen. Er hob den Strahler und versengte das Hinterteil des Riesenwurms. Der Dorgone explodierte förmlich. Der Roboter war vergessen. Der gewaltige Ku gelkopf schwenkte herum, der ganze, sech zig Meter lange Körper krümmte sich und zertrümmerte dabei die Außenwände von mehreren kleinen Kuppeln. Forpan drückte auf den Auslöser der Waffe und ließ nicht mehr los, denn er ahnte, daß es mit ihm aus
14 war, wenn der Wurm den Kopf weit genug herumgebracht hatte. Die Gefahr zwang auch die anderen Technos zum Handeln. Dutzende von zerstörerischen Energiestrah len schlugen dem Wurm entgegen. Zu For pans Entsetzen vermochten sie jedoch die gepanzerte Haut des Ungetüms nicht zu durchdringen. Während die Technos in ihrer Todesangst ziel und planlos den Riesenwurm unter Feu er nahmen, handelte Manziel eiskalt und be rechnend. Die Technos konnten den Dorgonen nicht töten – jedenfalls nicht in so kurzer Zeit, daß die kleine Gruppe dabei mit dem Leben da vonkam. Aber sie lenkten den Wurm ab. Die heißen Strahlen waren dem Dorgonen also doch nicht ganz gleichgültig. Und inzwi schen glaubte Manziel die Achillesferse des Dorgonen gefunden zu haben. Der erste Angriff galt der Stelle, an der zwischen Kopf und Rumpf ein dünner Spalt zwischen den beiden Panzerteilen erkennbar war. Der Glutatmer versengte das Fleisch, und der Lochschießer legte eine Art Kno chen frei. Für einen Augenblick vergaß der Dorgone die Technos und bäumte sich vor Schmerzen auf. Manziel brachte sich hastig in Sicher heit. Forpan und seine Leute glaubten ihre letzte Stunde gekommen und feuerten auf Bauch und Beine des Riesenwurms. Das zwang den Dorgonen auf den Boden zurück. Beim zweiten Durchstoß durchtrennte Man ziel den Knochen, und fortan bewegte sich nur noch der Kopf mit den Schneidezangen und dem unteren Teil des ersten Panzer glieds. Der würdige Arbeiter des Herrn Vortimer stellte zufrieden fast, daß der Störfaktor da mit nahezu hilflos war. Ungehindert flog er eine weitere Attacke und raubte dem Dorgo nen die rechte Schneidezange. Als er auch die Linke abgetrennt hatte, wagten sich die Technos aus ihren Verstecken. Sie standen stumm, noch ganz im Einfluß der gerade überstandenen Gefahr, vor einer Kuppel und betrachteten die verstümmelten Dorgonen.
Marianne Sydow Nicht einmal Forpan merkte, daß in dem rie sigen Leib immer noch ein Rest von Leben steckte. Manziel wuchs über sich selbst und seine Programmierung hinaus, als er plötzlich vor wärtsschoß und Forpan sowie drei andere Technos am Kragen packte und mit ihnen hastig aufstieg. Er hätte noch mehr Leute mitgenommen, aber er besaß nur vier Tenta kel, die sich für diese Arbeit eigneten. Forpan kannte diese Transportweise und setzte zum Fluchen an. Die Schimpfworte blieben ihm im Halse stecken, als unter ihm der Körper des Dorgonen im Todeskampf zuckte und sich zu einem Ring zusammen zog. Keiner aus Forpans Gruppe – außer de nen, die Manziel gerettet hatte – überlebte diesen Vorgang. »Danke«, keuchte Forpan, als er nach der Landung wieder halbwegs atmen konnte. »Du hast mich zwar halb umgebracht, aber trotzdem verdanke ich dir mein Leben.« Er rieb sich den schmerzenden Hals. »Es war notwendig«, antwortete Manziel würdevoll. Im nächsten Moment traf ihn der Schock, und er hatte Mühe, überhaupt noch zu reagieren. Während des Kampfes war das Luk zum Transportfach beschädigt worden. Wenn Forpan den Blick senkte, würde er den häßlichen Kasten sehen … »Mein Herr wünscht eine Verbindung mit dir«, brachte er mit letzter Kraft über die Lautsprecher, dann kippte er unauffällig sei nen Körper seitwärts und ließ den Kasten einen Meter neben Forpan in den Sand fal len. Der Techno sah dem eilig davonschwe benden Roboter verwundert nach.
3. Die Düne aus goldgelbem Sand war fast dreihundert Meter hoch, und ihr Fuß reichte bis an den Rand der kleinen Kuppelstadt, die rings um den Kartaperator entstanden war. Zwei Männer und ein riesiger grauer Wolf lagen dicht unter dem Kamm der Düne und zerbrachen sich den Kopf darüber, wie sie
Diener der Vollkommenheit an die gewaltige Waffe herankamen, mit de ren Hilfe die Herren der FESTUNG Tod und Verderben über die Erde zu bringen gedach ten. Das heißt – die beiden Männer überleg ten sich das. Was der graue Wolf tat, konnte niemand so genau sagen. Aber Fenrir war ein seltsames Tier, man durfte ihm durchaus zutrauen, daß auch er die Lage halbwegs be griff. »Da unten leben meiner Schätzung nach rund eineinhalbtausend Technos«, sagte At lan nachdenklich. »Nach dem Auftauchen des Riesenwurms dürften sie bedeutend wachsamer geworden sein. Ohne das Biest hätten wir vielleicht eine Chance gehabt. Aber jetzt …« Razamon war ziemlich schweigsam, seit dem Stormock ihn verlassen hatte. Atlan hatte es aufgegeben, mit dem Pthorer über den weißen Geier sprechen zu wollen. Der Arkonide schwankte zwischen Ärger und Verständnis, wenn er an den Vogel dachte. Ärger, weil es schließlich ausgesprochen un dankbar von Stormock war, den Pthorer zu verlassen, der ihn so aufopfernd gepflegt hatte. Verständnis, weil diese goldgelbe Wü ste sicher nicht der richtige Lebensraum für Stormock war. Vermutlich kehrte der Geier zu seinen Artgenossen am Taamberg zurück. Atlan wartete vergebens darauf, daß Raz amon einen Kommentar abgab. Der Pthorer starrte über den Sand hinweg mit düster glü henden Augen den Kartaperator an. Die »Geheimwaffe« aus der FESTUNG erinnerte entfernt an einen gewaltigen, plumpen Raupenschlepper. Von hier oben konnte man den Kartaperator und das Lager recht gut überblicken. Atlan schätzte, daß der Kartaperator etwas über hundert Meter lang, rund sechzig Meter breit und vierzig Meter hoch war. Bevor der Riesenwurm sich aus dem Boden schob, war man damit be schäftigt gewesen, drei röhrenförmige Ge bilde am hinteren Ende des Kartaperators zu montieren – Projektionsstrahler vermutlich. Eines von diesen Dingen befand sich inzwi schen an seinem Platz. Er ragte schräg in den Himmel und wies in die Richtung, in
15 der die TechnoStädte Zbahn und Zbohr la gen. Während der Wurm durch das Lager tob te, waren die Arbeiten unterbrochen worden. Aber es dauerte erstaunlich kurze Zeit, dann herrschte rund um den Kartaperator wieder Ordnung. Während ein paar hundert Tech nos sich mit der toten Bestie beschäftigten, nahmen die anderen ihre Arbeit am Kartape rator wieder auf. Mit beängstigender Ge schwindigkeit veränderte sich die riesige Waffe. »Wenn die Burschen so weitermachen«, murmelte Atlan, »sind sie noch vor Ein bruch der Dunkelheit fertig. Dann ist die letzte Chance für Terra vertan.« »Noch ist nichts verloren«, wehrte Raza mon ab. »Das da betrifft eine Art Technik, mit der man sich in Pthor schwertut. Mit der Montage allein ist es nicht getan.« Atlan holte die Siarta hervor und betrach tete die scherenähnliche Waffe nachdenk lich. »Entweder hatte die Schattenkullja keine Ahnung, was ein Kartaperator wirklich ist«, sagte er, »oder das Ding kann mehr, als ich angenommen habe.« Die Siarta stammte von einer der Welten, die Pthor auf seiner Wanderung berührt hat te. Die Waffe bestand aus rotem Metall und hatte zwei Griffe und zwei Läufe. Wenn man den Abzug betätigte, wurden Energien aus verschiedenen Dimensionen auf das an visierte Objekt geschleudert. Der Effekt be stand darin, daß alles, was in diese energeti sche Hölle geriet, total verformt wurde. Aber der Haken war, daß man die Siarta nur einmal auf ein und denselben Gegenstand richten durfte. Das hatte die Schattenkullja gesagt, die ihnen die Waffe extra für die Vernichtung des Kartaperators zur Verfü gung gestellt hatte. Atlan fragte sich, wie man das riesige Gerät im Tal mit nur einem Schuß vernichten sollte. Es reichte nicht, ir gendeinen Schaden anzurichten und sich dann zurückzuziehen. Damit gewann man ein wenig Zeit – und das war nicht der Sinn der Sache.
16 In der Ebene Kalmlech warteten die Hor den der Nacht. Sie wurden von Tag zu Tag unruhiger. Das Wasser aus dem Dämmersee steigerte ihre Zerstörungswut. Wenn durch den Kartaperator der Schutzschirm vor der Bucht der Zwillinge zusammenbrach, wür den die alptraumhaften Bestien wie ein Or kan über die ahnungslosen Menschen herfal len. »Wir werden Pthor von der Erde entfer nen müssen«, sagte Atlan aus diesem Ge danken heraus. »Alles andere ist nur eine Notlösung.« Razamon lächelte düster. »Eine großartige Idee, Arkonide. Weißt du was? Wir rufen uns einen Gleiter, segeln mal kurz zur FESTUNG hinüber und klauen den Herrschern von Pthor den Startschlüssel zu diesem komischen Gefährt. Und dann geht die Post ab, gleich über den Regenbo gen nach Wolkenkuckucksheim!« »Verulken kann ich mich alleine«, knurrte Atlan ärgerlich. »Trotzdem meine ich es ernst. Solange dieses verdammte Land auf Terra Station macht, bleibt die Gefahr für die Menschheit bestehen.« »Schon gut«, lenkte Razamon ein. »Aber bevor wir die Herren der FESTUNG mit un serem Besuch beehren, müssen wir dieses kleine Problem aus der Welt schaffen.« Er deutete auf den Kartaperator, dessen zweiter Projektionsstrahler eben befestigt wurde. Atlan wünschte sich ein gutes Fern glas, denn die winzig kleinen Gestalten der Technos ließen sich kaum ausmachen. Irrte er sich, oder verschwanden einige von ihnen unterhalb der Projektors im Innern des Kar taperators? Wenn ja, dann blieb ihnen noch eine Galgenfrist. Atlan hoffte, daß es mög lichst viele und komplizierte Verbindungen gab, die nach der Montage noch hergestellt werden mußten. »Sie haben Wachen aufgestellt«, überleg te er. »Und sie haben die Möglichkeit, das ganze Lager samt dem Kartaperator gegen jede Bedrohung von außen zu schützen, in dem sie die Feldprojektoren da unten akti vieren. Die Dinger sind wahrscheinlich nur
Marianne Sydow für den Fall gedacht, daß ein Sturm los bricht, aber wenn die Technos annehmen müssen, daß jemand Sabotagepläne wälzt, werden sie schnell auf die richtige Idee kommen.« »Mit anderen Worten: Wir müssen sie überraschen.« »Ja, ohne von jemanden bemerkt zu wer den. Sonst ergeht es uns nicht besser als die sem Riesenwurm.« Der Dorgone wurde jetzt von den Tech nos zerstückelt. Plumpe Transportfahrzeuge rumpelten mit den Einzelteilen des Wurmes aus dem Bereich der Wohnkuppeln. Die Überreste des Dorgonen wurden zwischen den Dünen abgeladen und mit Sand bedeckt. Es war sehr heiß, und die Technos hatten es eilig, diese unappetitliche Arbeit hinter sich zu bringen. Das war auch notwendig, denn sonst hätte man es schon am Abend vor Ver wesungsgestank kaum noch ausgehalten. »Soweit, so gut«, murmelte Razamon. »Wir wissen, daß nachts weitergearbeitet wird, und daß dann überall Scheinwerfer brennen. Trotzdem sind die Technos nicht so wachsam, daß sie jeden Eindringling so fort erwischen müßten. Was mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet, ist die Siarta. Wir haben nur den einen Schuß – wir müssen den Kartaperator an der Stelle treffen, die diese Waffe unweigerlich aus dem Verkehr zieht. Ich glaube nicht, daß die Herren der FESTUNG solche Riesendinger am laufen den Band produzieren.« »Nach den Äußerungen der Schattenkullja zu schließen, handelt es sich um eine Art Prototyp.« »Das denke ich auch«, nickte Razamon. »Darum bin ich auch überzeugt davon, daß der Kartaperator eine schwache Stelle hat. Man müßte nur wissen, wo sie liegt.« »Also werden wir uns einen Techno ein fangen.« »Logisch. Hoffentlich erwischen wir nicht ausgerechnet einen Hilfsarbeiter.« »Schade, daß die Burschen das Tal nicht verlassen. Das vergrößert die Gefahr.« »Die Technos sind bei weitem nicht so ar
Diener der Vollkommenheit beitswütig, wie sie sich präsentieren«, sagte Razamon nachdenklich. »Sie haben sogar al lerhand für bestimmte Vergnügungen übrig. Für die Jagd, zum Beispiel. Ich glaube nicht, daß es hier Scharen von Wölfen gibt – und Fenrir ist ein außergewöhnliches Exemplar.« Fenrir sah Razamon aufmerksam an. »Das ist zu riskant«, murmelte der Arko nide. »Wir brauchen einen einzelnen Tech no, nicht gleich eine ganze Jagdgesell schaft!« »Fenrir wird es schon so einrichten, daß nur ein Mann ihn sieht, oder nicht?« Der Wolf schien zu lachen. »Die Herren der FESTUNG lieben es nicht, wenn jemand ihre Befehle mißachtet«, fuhr Razamon fort. »Aber sie können auch nicht jeden einzelnen Techno ständig unter Kontrolle halten. Wäre das der Fall, dann hätten sie uns schon kurz nach der Landung auf Pthor erwischt.« »Landung?« murmelte Atlan spöttisch, aber Razamon ging nicht darauf ein. »Ein kleiner, nächtlicher Jagdausflug«, überlegte er weiter. »Ganz exklusiv, für eine Person. Fenrir braucht ihn nur hinter die nächste Düne locken. Da fangen wir ihn ab.« »Das kommt nicht in Frage«, sagte der Arkonide energisch. »Fenrir müßte an den Wachen vorbei ins Lager, den richtigen Techno suchen, und wieder an den Wachen vorbei nach draußen kommen. Die Wachen tragen Waggus. Ein Schuß genügt, und nie mand braucht eine anstrengende Jagd zu veranstalten, um dem Grauen ans Fell zu ge hen. Das Risiko ist zu hoch. Ich gehe selbst.« »Und wenn man auf dich mit der Waggu schießt?« Atlan drehte sich demonstrativ um und starrte wieder ins Tal hinunter. Seine Ent scheidung war gefallen. Vielleicht handelte er unvernünftig, aber es war nicht unver nünftiger als die Sturheit, mit der Razamon den weißen Geier gesucht hatte. Außerdem gab es auch ganz vernünftige Argumente für seine Entscheidung. Fenrir
17 mochte noch so klug sein, aber er war eben ein Tier. Es war höchst unwahrscheinlich, daß es ihm gelang, wirklich den richtigen Techno herbeizuschaffen. Ungeduldig verfolgte er die wandernden Schatten, die allmählich immer länger wur den und die Täler zwischen den Dünen in dunkelviolette Schluchten verwandelten.
* Sobald es dunkel war, machte Atlan sich auf den Weg. Razamon hatte noch einmal versucht, ihn von seinem Entschluß abzu bringen, aber der Arkonide blieb stur. Er lehnte es auch ab, sich von dem Pthorer oder von Fenrir begleiten zu lassen, worüber der Wolf sehr bekümmert war. Auf der Baustelle war es fast taghell. Rie sige Scheinwerfer brannten überall. An Energie schien es den Herren der FESTUNG jedenfalls nicht zu fehlen. Die Scheinwerfer hatten aber auch ihren Vorteil. Ihr Licht er zeugte tiefschwarze Schattenzonen zwischen den Kuppeln. Atlan lief an der dem Lager abgewandten Seite den Hang der Düne hinunter und ging dann zwischen den sandigen Wällen parallel zur Baustelle weiter, bis ihm der Abstand groß genug zu sein schien. Wenn man ihn erwischte, sollten seine Spuren wenigstens nicht direkt zu Razamon und Fenrir führen. Im Schutz einer Sandverwehung direkt neben einem Feldprojektor blieb der Arkoni de liegen und beobachtete den Techno, der fünfzig Meter weiter Wache hielt. Der Mann lehnte bequem an einem Gittermast, der mindestens achtzig Meter hoch war und mehrere, in verschiedenen Höhen ange brachte Scheinwerfer trug. Der Arkonide wunderte sich darüber, daß der Wächter sich so sorglos an den Platz stellte, an dem man ihn auf den ersten Blick sehen mußte. War das eine Falle? Hatte man gemerkt, daß sich Fremde an der Baustelle herumtrie ben? Nein, dachte Atlan. Wir waren vorsichtig. Und keiner der Technos hat das Lager ver
18 lassen. Also haben sie auch unsere Spuren nicht gefunden. Sie haben einfach keine Er fahrung in solchen Dingen. Die Händler von Orxeya würden es geschickter machen. Er tastete nach der Waggu. Die Siarta trug er ebenfalls bei sich. Razamon sollte ge meinsam mit Fenrir sofort und mit all den bescheidenen Mitteln, die ihnen zur Verfü gung standen, einen Angriff auf das Lager starten, wenn er merkte, daß man den Arko niden gefangen hatte. Atlan würde das hof fentlich entstehende Durcheinander ausnut zen und versuchen, an den Kartaperator her anzukommen. Aber das war nur ein verzweifelter Plan für einen Notfall, der hoffentlich nicht ein treffen würde. Der Wachtposten bewegte sich kaum. At lan kroch auf dem Bauch ein Stück zur Sei te. Der nächste Posten stand ebenfalls an ei nem Gittermast. Zwischen den Lichtkreisen, die zwei Scheinwerfer erzeugten, gab es einen schmalen Streifen Dunkelheit. Der mißtrauische Arkonide konnte sich nicht vorstellen, daß man an einer solchen Stelle nicht auch einen Wächter aufgestellt hatte. Aber als er nahe genug heran war, erwies sich gerade das Unwahrscheinliche als Tat sache. Ein paar Minuten später hatte er die erste Kuppel erreicht. Er drückte sich gegen die Wand und lauschte gespannt. Drinnen unter hielten sich ein paar Technos. Atlan nickte zufrieden. Die Männer sprachen über den Kartaperator – und sie schienen eine Menge von dieser Waffe zu verstehen. »Die Robotrechner sagen, daß es funktio nieren wird«, behauptete ein Techno. »Die Barriere wird fallen.« »Für die Herren der FESTUNG mag das ausreichen«, knurrte ein anderer. »Aber was wird aus uns? Ihr wißt genau, daß die Strah len auf einer großen Fläche einschlagen wer den.« »Die Projektoren wurden auf Intensivbe schuß justiert«, fuhr ein anderer dazwischen. »Die Strahlen werden unsere Städte nicht berühren.«
Marianne Sydow »Wie du meinst. Und was ist mit der Bar riere? Von den Robotdienern wissen wir, daß das Ding tödlich wirkt, wenn man ihm zu nahe kommt. Ich war dabei, als Forpan sich mit so einem Blechding unterhielt. Der Roboter benutzte einen interessanten Ver gleich. Er meinte, die Barriere müßte man sich als ein kuppelförmiges Zelt vorstellen, das in sich selbst stabil bleibt, solange es nicht beschädigt wird. Wenn man auch nur ein kleines Loch hineinschneidet, fällt die ganze Geschichte in sich zusammen.« »Das ist doch kompletter Unsinn!« regte ein Techno sich auf. »In diesem Fall würden die Herren der FESTUNG die Zerstörung von ganz Pthor riskieren.« »Vielleicht wissen sie, daß der Vergleich nur zum Teil stimmt. Aber an der Stelle, an der die Barriere durchbrochen wird, gibt es bestimmt Ärger. Außerdem sehe ich nicht ein, warum man ausgerechnet diese Stelle ausgesucht hat. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß die Horden der Nacht zwi schen Zbahn und Zbohr hindurchtrampeln. Gab es denn wirklich keinen anderen Weg?« Atlan stellte mit Verwunderung fest, daß die Technos höchst ketzerische Bedenken entwickelten. Sie hatten Angst um ihre Städ te – waren sie am Ende sogar bereit, um ih rer eigenen Sicherheit willen das Projekt zu sabotieren? »Teerträger muß jeden Augenblick ein treffen«, hörte er von drinnen. »Er kennt sich von unserer Gruppe mit der ganzen Sa che am besten aus. Rede mit ihm. Ich bin si cher, daß du dir unnötige Sorgen machst. Wir haben den Herren immer treu gedient, und sie werden uns auch in Zukunft brau chen. Das allein ist Grund genug, unsere Städte nicht mutwillig der Zerstörung preis zugeben.« Teerträger! Das war ein merkwürdiger Name, aber in dieser Beziehung war Atlan von den Technos allerhand gewöhnt. Auf jeden Fall mußte er diesen Mann kriegen. Von ihm würde man alles erfahren, was zur Zer störung des Kartaperators nötig war – hof fentlich.
Diener der Vollkommenheit Atlan kroch an der Wand weiter und be hielt die Umgebung im Auge. Wenn er we nigstens gewußt hätte, aus welcher Richtung sein Opfer zu erwarten war! Er stellte fest, daß die Kuppel nur eine Tür besaß, und die lag auf der dem Kartape rator abgelegenen Seite. Das war gut, denn dort war es ziemlich dunkel. Und da Teerträ ger wohl zu den technischen Spezialisten auf dieser Baustelle gehörte, würde er auf kei nen Fall aus der Richtung kommen, in der die schlafmützigen Wachen vor sich hin dösten. Atlan legte sich auf die Lauer. Die Waggu hatte er am Lauf gepackt. Hier im Lager konnte er keinen Schuß riskieren. Nach etwa zehn Minuten näherte sich ein einzelner Techno der Kuppel. Atlan hielt den Atem an und duckte sich noch tiefer auf den sandigen Boden. Teerträger – wenig stens hoffte der Arkonide, daß er es war – pfiff leise vor sich hin. Er machte ganz den Eindruck eines Mannes, der mit sich und der Welt zufrieden war und sich nach einem Tag voller Arbeit auf einen gemütlichen Abend freute. Atlan erinnerte sich bei diesem Ge danken daran, daß er und Razamon bisher nur männliche Technos gesehen hatten, und daß dieses rätselhafte Volk anscheinend nur aus Erwachsenen bestand. Er schob diese Überlegungen beiseite und konzentrierte sich auf den Techno. Der Mann war völlig arglos, er achtete überhaupt nicht darauf, was um ihn herum vorging. Atlan ließ den Techno an sich vorbei, kam lautlos hoch und schlug seinem Opfer die Waggu über den Kopf. Teerträger brach zusammen. Atlan vergewisserte sich, daß der Vorfall unbeobachtet geblieben war, zog Teerträger an eine finstere Stelle und durchsuchte ihn schnell und gründlich. Er förderte eine Wag gu zutage, dazu ein paar kleine Werkzeuge, ein Messer und allerlei wertlosen Kram. Er fesselte den Techno mit dessen eigenem Gürtel, lud ihn sich auf die Schultern und trug ihn bis an den Rand der beleuchteten Zone, in der die Wächter herumstanden. Hier begannen die Schwierigkeiten. Wenn er aufrecht, mit dem Techno auf
19 den Schultern, den Ring durchbrach, mußten die Wachen ihn bemerken, es sei denn, sie wären im Stehen eingeschlafen. Atlan dach te daran, die Wächter mit einem Trick abzu lenken, kam aber zu dem Entschluß, daß er sich damit selbst einen schlechten Gefallen erweisen würde. Nichts durfte darauf hin deuten, daß jemand ins Lager eingedrungen war oder es wenigstens versucht hatte. Sonst hatten sie es beim nächstenmal mit Gegnern zu tun, die gewarnt waren. Eben entschloß er sich dazu, den Techno hinter sich herzuziehen und den dadurch ent stehenden Zeitverlust in Kauf zu nehmen, da gab es rechts von ihm etwas, das die Tech nos aus ihrem Halbschlaf riß. Es schepperte und krachte, als würden mehrere Wohnkup peln gleichzeitig zusammenbrechen. Atlan duckte sich gerade noch rechtzeitig. Einer der Wächter rannte kaum zwei Meter an ihm vorbei. Auch die anderen verließen ihre Posten unter den Gittermasten. Atlan dachte nicht lange darüber nach, was nun schon wieder auf der Baustelle schiefgegan gen sein mochte. Er packte die günstige Ge legenheit beim Schopf, lud sich den Techno wieder auf und rannte, so schnell er konnte, davon. Erst als er die nächste Düne erreicht hatte, fiel ihm Razamon ein. Hoffentlich kam der Pthorer nicht zu dem Schluß, daß das Spektakel im Lager etwas mit Atlan zu tun hatte! Der Arkonide schleppte Teerträger an einen Ort, den man vom Lager aus nicht se hen konnte. Da es auf der Baustelle immer noch sehr geräuschvoll zuging, wagte er es, die Waggu zu benutzen. Er tat es nicht ger ne, denn nun konnten sie Teerträger erst aus fragen, wenn die Lähmung abklang. Ande rerseits verlor er Zeit, wenn er sich mit dem schweren Kerl abschleppte, und einfach lie gen lassen konnte er ihn auch nicht, sonst schrie der Techno bei der erstbesten Gele genheit seine Artgenossen zusammen. Nachdem er sicher sein konnte, daß Teer träger für einige Stunden gezwungenerweise den Mund halten würde, rannte er los. Der lockere Sand war für diese Art der Fortbe
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wegung nicht besonders gut geeignet, und der Arkonide fiel etliche Male hin, ehe er in die Nähe des Beobachtungsplatzes gelangte. Dort stellte sich heraus, daß er sich umsonst abgeplagt hatte, denn Razamon und Fenrir hatten den Ort gar nicht verlassen. Der Wolf kam Atlan entgegen, und der Arkonide setz te sich keuchend hin. »Die Technos scheinen Ärger mit einem Roboter zu haben«, sagte Razamon. »Da un ten ist der Teufel los. Ich habe gesehen, wie so eine Maschine um einen Gittermast her umschnüffelte. Kurz darauf fiel der Mast um. Drei oder vier Kuppeln wurden teilwei se zertrümmert. Der Roboter ist inzwischen verschwunden, und die Technos suchen ihn überall.« »Um so besser«, kommentierte Atlan er schöpft. »Jede Störung, die es auf der Bau stelle gibt, ist für uns ein Pluspunkt. Hof fentlich führt der Roboter die Technos noch lange an der Nase herum. Übrigens habe ich jemanden gefunden, der uns eine Menge über den Kartaperator erzählen kann.« »Ich hole ihn«, bot Razamon an. Der Arkonide beschrieb ihm, wo er Teer träger finden konnte. Als Razamon davon stapfte, ließ Atlan sich neben dem Wolf am gewohnten Platz unter dem Dünenkamm nieder. In ein paar Stunden, so hoffte er, würden sie mehr wissen. »Warte nur«, sagte er in Richtung Karta perator. »Du bist zwar ein Stück größer als wir und sicher eine ganz teuflische Maschi ne. Aber wir werden dich kleinkriegen, das verspreche ich dir.« Fenrir sah den Arkoniden verwundert an.
4. Nachdem Manziel die Flucht ergriffen hatte, versteckte er sich oben auf einer ho hen Kuppel, um Artol Forpan zu beobach ten. Der Techno erholte sich erstaunlich schnell von seinem Schock und erteilte so fort verschiedene Befehle. Seine drei Beglei ter brauchten mehr Zeit, um sich zu erholen. Manziel schloß aus den Gesten des Technos,
daß Forpan sie mehrmals anschrie. Endlich begriffen sie, was ihr Bauleiter von ihnen verlangte. Sie trabten in verschiedenen Rich tungen davon. Forpan musterte noch einmal den toten Dorgonen, dann sah er sich um. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er den häßlichen Ka sten, den Manziel seiner Sicherheit wegen hatte opfern müssen. Der Techno wunderte sich darüber, daß das Ding ausgerechnet an dieser Stelle wie der auftauchte. Er sah sich nach allen Seiten um, aber kein lebender Techno war in der Nähe. Forpans Leute glaubten offensichtlich noch nicht daran, daß die Gefahr gebannt war. Keiner von ihnen steckte auch nur die Nase aus seinem Versteck. Forpan hob den Kasten auf, untersuchte ihn flüchtig, dann sah er nachdenklich in die Richtung, in die der Roboter geflohen war. Manziel versuchte, sich in seinem Versteck ganz klein zu machen. Hatte der Techno das Spiel durchschaut? Plötzlich hob Forpan den Kasten hoch, und gleich darauf dröhnte direkt neben Man ziel ein Lautsprecher los. Der Roboter hatte sein akustisches System auf eine hohe Emp findlichkeit eingestellt, weil er hoffte, trotz der großen Entfernung etwas von dem auf zuschnappen, was Forpan sagte. Die Quit tung für dieses leichtsinnige Verhalten er hielt er jetzt – um ein Haar hätte es ihm die Mikrophone zerschmettert. Manziels Reakti on kam für ihn selbst überraschend: Er setz te den Glutatmer ein. Der Lautsprecher auf dem Kuppeldach zerschmolz sofort. Er schrocken wich Manziel zurück und sah sich um, aber niemand hatte sein Mißgeschick bemerkt. Außerdem gab es so viele Laut sprecher, daß die Zerstörung eines einzelnen kaum eine Rolle spielte. »Der Dorgone ist tot«, verkündete Forpan seinen Leuten. Manziel begriff, warum der Techno den häßlichen Kasten ständig mit sich herumschleppte. Damit konnte er jeder zeit Verbindung zu seiner Zentralstelle auf nehmen. Manziel verachtete solche Metho den, die nur für die Organischen taugten, die
Diener der Vollkommenheit nun einmal mit mancherlei Fehlern behaftet waren. »Die Arbeiten am Kartaperator werden sofort wieder aufgenommen«, fuhr Forpan fort. »Wir haben durch den Zwischenfall viel Zeit verloren. Ich erwarte von jedem einzelnen den vollen Einsatz aller Kräfte, um unseren Auftrag dennoch termingerecht zu erfüllen! Alle, die jetzt eine Freischicht haben, werden sich um den Dorgonen küm mern. Er muß zerstückelt und im Sand be graben werden, ehe das Fleisch zu stinken beginnt. Das war alles. Ende!« Manziel sah von oben, daß bereits die er sten Gruppen von Technos anrückten. Vom Kartaperator drangen wieder die typischen Arbeitsgeräusche herüber. Die Organischen mochten noch so viele Fehler haben, sie wa ren jedenfalls sehr folgsam, wenn Forpan ih nen Befehle erteilte. Vorsichtig glitt Manziel dicht an der Kup pelwand nach unten. Er mußte unbedingt herausfinden, ob Forpan Verdacht geschöpft hatte. Über das, was danach kam, machte Manziel sich vorerst keine Gedanken. Er traute es sich durchaus zu, Forpan zu überli sten und auch gegen dessen Willen weiter hin dafür zu sorgen, daß den Vorschriften der Vollkommenheit wenigstens in beschei denem Rahmen Rechnung getragen wurde. Ab und zu lauschte er in sich hinein. Der Herr Vortimer konnte zu seinem Diener Kontakt aufnehmen, ohne daß dieser es so fort bemerkte. Vor einem solchen Kontakt hatte Manziel Angst. Der Herr Vortimer war der einzige, der den würdigen Arbeiter von seinem Vorhaben abhalten konnte. Aber es schien, als hätte auch der Her Vortimer noch nicht gemerkt, auf welch ge fährlichen Wegen Manziel zu wandeln be liebte. Als er unten ankam, strömten die Technos bereits von allen Seiten zusammen. Auch ein paar Robotdiener schwirrten herum, um zu helfen, wo immer man sie brauchte. Man ziel verlor sich in diesem Gewimmel völlig. Falls Forpan ihn suchen ließ, würde es schwer sein, die Spur des Roboters wieder
21 zufinden. Manziel segelte unbekümmert da hin und zerbrach sich den nicht vorhandenen Kopf darüber, wie er an Forpan herankam, ohne sich in Gefahr zu begeben. Er fand die Lösung völlig überraschend, als er sicherheitshalber die Verbindung zu den anderen Robotdienern für einen Augen blick öffnete, um über allgemeine Pläne in formiert zu sein, damit er nicht durch einen dummen Zufall Aufsehen erregte. Forpan benutzte seinen häßlichen Kasten immer noch, obwohl die Lautsprecher schwiegen. Und der Kasten funktionierte auf dieselbe Weise wie die Verständigungssy steme der Robotdiener. Der einzige Unter schied bestand darin, daß die Roboter sich mit sehr kurzen Signalen begnügten, wäh rend Forpan darauf angewiesen war, alles in seiner umständlichen Sprache zu formulie ren. »Wir stellen die Suche nach dem Dieb vorerst ein«, sagte er gerade. »Ich weiß jetzt, wer der Täter ist, und damit ist die Gefahr im wesentlichen gebannt. Die Aufräumungs arbeiten und die Fertigstellung des Kartape rators haben Vorrang. Mit dem Dieb be schäftigen wir uns, wenn wir Zeit dazu ha ben.« »Wie hast du den Mann gefunden?« frag te eine andere Stimme neugierig. »Es ist kein Mann«, antwortete Forpan gleichgültig. »Bei dem Dieb handelt es sich um den Robotdiener, der mich vor dem Auf tauchen des Dorgonen in die Schaltkuppel begleitete.« »Aber es hieß, auf die Robotbürger wäre Verlaß!« »Ich weiß. Aber erstens haben wir es nicht mit einem Bürger zu tun, sondern mit einer untergeordneten Maschine. Zweitens nehme ich an, daß das Blechding einen De fekt hat. Wir werden die Angelegenheit klä ren, sobald die Arbeiten hier abgeschlossen sind. Ich komme jetzt in die Einsatzzentrale. Paßt inzwischen auf, daß nirgends getrödelt wird!« Die Verbindung brach ab. Manziel war zutiefst empört über das, was
22 Forpan gesagt hatte. Erstens war er keine untergeordnete Maschine, sondern ein wür diger Arbeiter – und das bedeutete eine gan ze Menge. Zweitens war es eine Unver schämtheit, ihn als Blechding zu bezeich nen, und drittens hatte er keinen Defekt! Am liebsten hätte er Forpan sofort aufge sucht, um ihm zu zeigen, wie klar und lo gisch er zu denken vermochte – da kam der Techno noch lange nicht mit. Und wenn man hier die einzelnen Regeln der Vollkom menheit außer acht ließ, so war das höch stens ein Defekt, der die Technos betraf. Diese Organischen hatten einfach keine Ah nung von den wahren Werten der Existenz. Es mußte wohl in ihrer Natur liegen. Sonst würden sie schließlich auch nicht so unor dentlich vor sich hinwachsen, sondern dafür sorgen, daß sie eine vernünftige, zweckmä ßige Gestalt annahmen! Vor lauter Ärger achtete Manziel kaum darauf, wohin er flog, und plötzlich fand er sich dicht neben dem Kartaperator wieder. Ein widerlicher Apparat war das. Seinen Formen fehlte die Harmonie. Die Anord nung der Kuppeln und Projektorstrahler war geradezu chaotisch. Flüchtig dachte Manziel daran, daß es am besten wäre, diese Maschine zu zerstören. Dann würde sich sowieso einiges ändern. Vielleicht konnte er sogar nach Wolterhaven zurückkehren, wo alles so ungemein ordent lich war. Der Glutatmer und der Lochschießer hat ten zwar den Dorgonen unschädlich ge macht, gegen den riesigen Kartaperator da gegen konnten sie leider gar nichts ausrich ten. In diesem ganzen riesigen Lager gab es keine Waffe, die das verflixte Ding vernich ten konnte. Es sei denn, man verwendete die Kräfte des Kartaperators selbst. Die Verbindungen zwischen Energiespei chern und Projektorstrahlern waren die schwächsten Punkte an diesem Gebilde. Da genügte ein falscher Handgriff, um den gan zen Apparat in die Luft zu jagen. Manziel kannte den Kartaperator in und auswendig. Es wäre ihm leicht gefallen, die entspre-
Marianne Sydow chende Schaltung vorzunehmen. Aber Manziel war auch kein Selbstmör der. Er nahm die Vorschrift der Vollkom menheit sehr ernst, aber sie war ihm auch wieder nicht so wichtig, daß er ihretwegen seine elektronische Existenz aufgegeben hät te. Er schwebte weiter und stieß fast mit ei nem Techno zusammen. »He!« schrie der Mann prompt. »Du bist doch das Ei, das mit Forpan die Schaltkup pel besucht hat. Komm …« Mehr hörte Manziel nicht, denn er hatte auf Höchstgeschwindigkeit umgeschaltet, ehe der Techno ihm verhängnisvolle Anwei sungen geben konnte. Wie ein silbriges Ge schoß raste er schräg in den Himmel, schlug einen verzweifelten Haken, um den plötzlich vor ihm auftauchenden Projektor nicht zu rammen, und flog hastig in die Kuppelzone zurück. Dort fand er ein gutes Versteck zwi schen den geparkten Lastfahrzeugen. Entnervte Roboter kommen sicher selten vor. Manziel stellte eine solche Rarität dar. Ihm wurde allmählich klar, daß sich doch einiges geändert hatte. Es gab viele Robotdiener, die ebenfalls ei förmig gestaltet waren. Aber nur drei davon befanden sich – außer Manziel – in der Wü ste Fylln. Noch wurde er nicht eigentlich ge jagt. Es war Zufall, daß der Techno über den Dieb Bescheid wußte. Aber die Sache würde sich herumsprechen, und dann war Manziel nirgends mehr sicher. Die Technos wußten, daß die Robotdiener ihnen zu gehorchen hat ten. Ein einfacher Befehl konnte Manziel lahmlegen. Er durfte sich draußen nicht mehr blicken lassen, oder es war vorbei mit der Vorschrift der Vollkommenheit – wenigstens hier auf der Baustelle. Seltsamerweise fiel es dem würdigen Ar beiter des Herrn Vortimer gar nicht auf, daß alle anderen Robotdiener an den Verhältnis sen rund um den Kartaperator nichts auszu setzen hatten. Offensichtlich war Manziel der einzige, der sich an der Unordnung stieß. Er verließ unter Wahrung aller Vorsichts
Diener der Vollkommenheit maßnahmen sein Versteck und schwebte durch eine leere Kuppel, in der vorher Teile des Kartaperators gestanden hatten. Nach ei ner Weile entdeckte er eine Aussparung ganz oben in der Kuppel, die gerade groß genug war, um ihn aufzunehmen. Er flog hinauf, klammerte sich mit zwei Tentakeln an den seitlichen Streben fest und wartete ungeduldig auf den Abend.
* Bei Einbruch der Dunkelheit verließ er die Kuppel. Die Zeit des Wartens war ihm unerträglich lang vorgekommen. Desto grö ßer war sein Tatendrang. Ein unbefangener Beobachter hätte fest gestellt, daß Manziel immer weniger dem entsprach, was ein Robotdiener aus Wolter haven darstellen sollte. Seine robotische Moral war einer Art Schwindsucht verfallen. Bis vor kurzem hatte Manziel immerhin noch seine eigentliche Funktion erfüllt und seine »Korrekturen« nebenbei erledigt. In zwischen interessierte ihn die Arbeit über haupt nicht mehr, und nur seine Sucht nach einer höchst zweifelhaften Ordnung trieb ihn vorwärts. An seinen Herrn Vortimer dachte er kaum noch – und wenn, dann machte er sich höchstens Sorgen darüber, daß er ihm auf die Schliche kommen könnte. Auch die Herren der FESTUNG und deren Auftrag tauchten in Manziels Überlegungen nicht mehr auf. Kaum war er draußen, da entdeckte Man ziel etwas, das er entfernen konnte. Es han delte sich um einen von Gittern umgebenen Steg, der seine Kuppel mit der nächsten ver band. Das Gebilde sah so häßlich aus, daß Manziel sich sofort ans Werk machte. Er brauchte nur ein paar Verbindungen zu lö sen, dann würde der Steg nach unten fallen. Manziel hielt sich nicht mit den klobigen Schrauben auf. Er setzte den Glutatmer ein und hatte schon nach wenigen Minuten den ersten Erfolg dieses sonst so trüben Tages zu verbuchen. Der Steg rutschte an den Kuppelwandun
23 gen herab und landete als verbogenes Etwas auf dem Boden. Manziel tanzte zufrieden in der Luft auf und ab. Er überlegte, ob er den Steg wegräumen sollte, entschied dann aber, daß er diesen Teil der Arbeit getrost den Technos überlassen könne – ein paar davon waren sowieso im Anmarsch. Sie hatten den Lärm gehört. Ehe sie ihn mit lästigen Fragen bombar dieren konnten, huschte Manziel seinem nächsten Ziel entgegen. Er fand ein verlassenes Fahrzeug, auf des sen Ladefläche sich allerhand Dinge stapel ten. Manziel beschloß, ein wenig aufzuräu men. Er stöberte eine Anzahl von kleinen Maschinen auf, die sicher keinen Zweck zu erfüllen vermochten, weil sie total falsch konstruiert waren. Manziel trug das wertlose Zeug kurz entschlossen zu einem Haufen zu sammen, schaltete den Glutatmer ein und schmolz alles zusammen. In dieser Kiste la gen hübsche graue Kugeln. Das war eine bessere Beute. Manziel wurde sie in Wolter haven im Rahmen der Vorschrift sehr gut verwenden können. Er flog dreimal zu sei nem Versteck und wieder zurück, dann war die Kiste leer. Der Behälter ging denselben Weg wie ein paar verschnürte Ballen, in de nen sich ein krümeliges, stinkendes Zeug befand – der Glutatmer wurde leicht damit fertig. Dann war die Ladefläche leer, und Man ziel entdeckte, daß das Fahrzeug selbst auch ein paar Fehler aufwies. Am vorderen Ende der Ladefläche befanden sich vier Löcher – hinten gab es kein einziges. Manziel justier te den Lochschießer auf die richtige Größe. Leider hatte er die Widerstandskraft des Ma terials, aus dem die Ladefläche bestand, zu hoch eingeschätzt. Die Löcher, die er bohrte, wurden zu groß. Aber das ließ sich leicht ausgleichen. Beim dritten Anpassungsmanöver hatte Manziel Pech. Direkt unter dem Loch be fand sich die Energiezelle des Transporters. Als würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer hatte Manziel genug technische Erfahrun gen, um die verräterischen Streustrahlungen
24 rechtzeitig richtig einzustufen. Manziel schaltete auf Vollschub. Trotzdem wirbelten ein paar Fetzen des explodierenden Trans porters sehr dicht an ihm vorbei. Manziel war über diesen Erfolg nicht be sonders glücklich. Die Anpassung war miß lungen. Außerdem rasten von allen Seiten Technos herbei. Die Explosion hatte wie ein Alarmsignal gewirkt. Notgedrungen zog er sich auf die andere Seite des Lagers zurück. Aber auch dort waren Scharen von Tech nos unterwegs. Forpan hatte die Geduld ver loren. Sämtliche Freischichten waren gestri chen worden. Die Technos, die von der Ar beit erschöpft waren, verfluchten Forpans Befehle, wagten es aber nicht, sich offen da gegen aufzulehnen. Im Grunde war diese Suche sinnlos. Das wußte auch Forpan. Dem Robotdiener stan den zu viele Mittel zur Verfügung. Theore tisch konnte er sich tagelang verborgen hal ten. Forpans Hoffnung, dieser Episode ein schnelles Ende zu bereiten, beruhte nur auf dem Verdacht, daß Manziel den Verstand verloren hatte – oder das, was man bei ei nem Roboter so bezeichnen konnte. Manziel verlegte seine Aktivitäten in den Luftraum, schwirrte um die Pole der Kup peln herum und demolierte dort ungestört ein paar Lautsprecher und Scheinwerfer, die gerade nicht in Betrieb waren. Die Technos wurden der Sache überdrüssig. Gegen Mit ternacht blies Forpan die Aktion ab. Er hoff te, den Roboter soweit eingeschüchtert zu haben, daß wenigstens für den Rest der Nacht Ruhe herrschte. Damit gab er Manziel ungewollt eine großartige Chance. Überall auf der Baustelle gab es Gitterma sten mit Scheinwerfern. Bisher hatte Man ziel sich an diese häßlichen Gestelle nicht herangewagt. Aber mit dem Ende der Such aktion wurden auch etliche Scheinwerfer ausgeschaltet. Nur in der Nähe des Kartape rators und am Rand des Lagers, wo die Wa chen standen, war es immer noch hell. Und die Wachen hatten einen Fehler: Sie warte ten auf etwas oder jemanden, der aus der
Marianne Sydow Wüste kam. Die Vorgänge im Lager gingen sie nichts an – jedenfalls dachten sie das. Manziel suchte sich einen Mast aus, der am äußeren Rand der Unterkunftszone lag, gerade weit genug vom nächsten Posten ent fernt, um dem Roboter ein ungestörtes Ver gnügen zu garantieren. Zuerst entfernte er alles, was sich im Sinne der Vorschriften verwenden ließ. Mei stens handelte es sich um kugel oder eiför mige Gegenstände, denn die sagten dem Ro boter besonders zu. Die Bedeutung oder der Verwendungszweck dieser Gegenstände in teressierten Manziel nicht. Er schaffte sie in sein Versteck und war entzückt über die Vielfalt der Schätze, die er jetzt schon ge sammelt hatte. Dann kam der Mast an die Reihe. Manziel fand eine Anzahl von straff ge spannten Drähten. Er streckte einen Tentakel aus und zupfte an einem Draht. Ein tiefer Ton erklang, der in dem Robotdiener eine Art Echo wachrief. Der Ton erinnerte ihn an Wolterhaven, an den Herrn Vortimer und an die stets vorhandenen Grundschwingungen der Kommunikationssysteme. Die Wirkung dieser Erinnerung war zwie spältig. Manziel empfand so etwas wie Heimweh. Gleichzeitig entstand in ihm die Angst, erkannt zu werden. Plötzlich wurde ihm klar, daß der Herr Vortimer es nicht mit ein paar strengen Anweisungen an seinen würdigen Arbeiter bewenden lassen konnte. Manziel begriff, daß seine Existenz ge fährdet war. Diese Erkenntnis war bitter und versetzte ihm einen Schock. Der Wunsch entstand, diese Dinger, die ihn an Wolterhaven erin nert hatten, zu vernichten. Manziel machte den Glutatmer betriebsbereit. Die Drahtseile rissen mit lautem Knall. Natürlich wäre der Gittermast auch ohne diese Verspannungen noch eine Weile ste hengeblieben, wenn nicht vorher der Dorgo ne für schwere Erschütterungen gesorgt hät te. Der Mast neigte sich und krachte zu Bo den. Dabei berührte er ein paar Wohnkup peln.
Diener der Vollkommenheit Manziel stob erschrocken davon. Er hatte nicht damit gerechnet, daß er eine so auffäl lige Wirkung erzielen würde. Von allen Sei ten kamen Technos angelaufen, der Alarm zustand wurde wieder hergestellt. Manziel schlug, um möglichst schnell den Ort des Geschehens zu verlassen, die Richtung zur anderen Seite des Lagers ein und fand sich unversehens wieder vor der Kuppel, in der er den Tag verbracht hatte. Er beschloß, sich hier zu verbergen. Es war kein gutes Versteck, aber das spielte kaum noch eine Rolle. Solange Forpan nach ihm suchen ließ, war er nirgends sicher.
* Artol Forpan war sehr ungehalten. Der Dorgone hatte beträchtlichen Schaden angerichtet. Verzögerungen in der Fertig stellung des Kartaperators waren kaum noch zu umgehen. Und nun kam dieser verrückte Roboter dazwischen. Erst gegen Morgen fiel ihm ein, daß er sich die mühsame Suche sparen konnte. Schließlich war Manziel nur ein Werkzeug. Forpan war besser als die meisten anderen Technos über die Verhältnisse von Wolter haven informiert. Einige Dinge jedoch ver stand er immer noch nicht, was er aber nicht bemerkte, weil die komplizierte Ordnung in der Roboterstadt für ihn einfach nicht faßbar war. So unterlag er nach wie vor dem Trug schluß, daß alle auf der Baustelle anwesen den Robotdiener nichts anderes als bewegli che Ableger ihrer Herren darstellten. Er wä re nicht im Traum darauf gekommen, daß diese Maschinen eigene Entschlüsse zu fas sen vermochten, daß sie Gefühle hatten und sogar an ihrer Existenz hingen. Für ihn war der Fall klar. Nicht Manziel war der eigentlich Schuldi ge, sondern der Robotbürger, der sich als Herr Vortimer bezeichnete. Manziel konnte nicht stehlen und die Arbeiten sabotieren, ohne aus Wolterhaven den Befehl dazu er halten zu haben. Wenn Forpan endlich Ruhe auf der Baustelle haben wollte, mußte er das
25 Übel an der Wurzel packen. Und das hieß nichts anderes, als daß er den Robotbürgern klarzumachen hatte, was sie sich mit dem Herrn Vortimer in ihre Ge meinschaft geholt hatten. Forpan rief Instrumentedenker, einen sei ner besten Leute, nachdem die bis dahin treuesten Anhänger des Bauleiters infolge ihrer schweren Verletzungen im Krankenre vier gelandet waren. Instrumentedenker war wesentlich älter als Forpan, und sein rot braunes Gesicht war von tiefen Falten durchzogen. Instrumentedenker erledigte rein gedankliche Arbeit. Darum hatte er sich auch keine der zweckmäßigen Kombinatio nen aushändigen lassen, die die anderen Technos während der Bauarbeiten trugen. Mit seiner zweiteiligen Lederrüstung, den Stiefeln und dem Waffengurt wirkte Instru mentedenker in dieser Umgebung wie ein Anachronismus. »Ich brauche eine Verbindung zu den Ro botbürgern von Wolterhaven«, erklärte For pan. »Welche gibt es?« »Die Verbindung läßt sich am einfachsten über die Herren der FESTUNG herstellen«, antwortete Instrumentedenker prompt und schielte nach dem verschrobenen Gerät, von dem Forpan täglich seine Anweisungen empfing. Forpan biß die Zähne zusammen. Instru mentedenker gehörte nicht zum Clan der Fa milie Gordy. Natürlich war er neidisch auf die bevorzugte Stellung, die Forpan ein nahm. »Ich möchte die Herren der FESTUNG nicht mit einer so unwichtigen Angelegen heit behelligen«, sagte er hochmütig. »Dann empfiehlt es sich, einen der Robot diener zu rufen. Er kann über den Umweg zu seinem eigenen Herrn alle anderen Ro botbürger erreichen.« Forpan atmete auf. Er hatte nicht die ge ringste Lust, die Herren der FESTUNG über seine Schwierigkeiten aufzuklären. Sie hät ten zu dem Schluß kommen können, daß Ar tol Forpan mit dieser Aufgabe nicht fertig wurde. Es hatte meistens üble Folgen, wenn
26 die Herren einen Techno als ungeeignet ein stuften. »Ein würdiger Arbeiter des Herrn Moon kay befindet sich bei den Montagegruppen«, sagte Instrumentedenker. »Der Herr Moon kay gilt als der Rangoberste aller Robotbür ger. Sein Diener ist für eine Kontaktaufnah me daher besonders gut geeignet.« Forpan nickte gnädig und rief einen Tech no niederen Ranges. Er hätte den würdigen Arbeiter über das Kommunikationsnetz zu sich beordern können, aber er fürchtete, Manziel – und damit Herrn Vortimer – zu warnen. Er durfte sich weitere Fehler ein fach nicht mehr leisten. Während sie auf das Erscheinen des Ro botdieners warteten, bot Forpan Instrumen tedenker ein paar Früchte an. Frisches Obst war hier, mitten in der Wüste, eine Delika tesse. Aber Forpan hatte gute Gründe, diese Kostbarkeiten an einen Gast zu verschwen den. Er hatte das dumpfe Gefühl, daß er in der nächsten Zeit viel Freunde gebrauchen konnte. Instrumentedenker ließ sich nicht anmerken, ob er den Schachzug des Baulei ters durchschaute. Nur einmal machte er ei ne Bemerkung, die Forpan zusammen zucken ließ. »Ich habe den Zustand des Kartaperators mit den Plänen verglichen, die wir aus der FESTUNG erhalten haben. Wir verlieren einen vollen Tag. Davon gehen vier Fünftel auf das Konto des Dorgonen. Den Rest ha ben wir dem Roboter zu verdanken.« Forpan dachte an den Funkspruch, den er nach dem Tod des Ungeheuers abgesetzt hatte. Darin hatte er betont, daß die Suche nach Manziel zweitrangig war. Es gab Zeu gen, vielleicht sogar Aufzeichnungen. Spiel te Instrumentedenker darauf an? Und wenn – was bezweckte er mit dieser Bemerkung? War es eine freundschaftliche Warnung, oder erhoffte der andere sich Vorteile, wenn Forpan tatsächlich scheiterte? Instrumentedenker schwieg, und sein Ge sicht blieb ausdruckslos. Endlich traf der Robotdiener ein. Im Ge gensatz zu Manziel war er unregelmäßig ge-
Marianne Sydow formt. Bis auf die klobigen Linsensysteme hatten die beiden Maschinen kaum etwas ge meinsam. »Du bist ein würdiger Arbeiter des Herrn Moonkay?« fragte Forpan. »Ja«, antwortete die Maschine. »Mein Ei genname ist Harjanan. Du mußt schwerwie gende Gründe haben, mich von der Arbeit abzuhalten. Wir sind bei der Montage des Kartaperators in einem sehr kritischen Stadi um angelangt.« Forpan biß die Zähne zusammen und zählte in Gedanken bis zehn. Dann hatte er den Wunsch, dem vorlauten Blechding die gebührende Antwort zu erteilen, erfolgreich verdrängt. »Es geht um einen deiner Kollegen«, sag te er so ruhig, wie es ihm gerade möglich war. »Er heißt Manziel und bezeichnet sich als würdigen Arbeiter des Herrn Vortimer. Kennst du ihn?« »Ich habe seit geraumer Zeit die Verbin dung zu ihm verloren«, antwortete Harjanan ungerührt. »Manziel hat sich schwerer Vergehen schuldig gemacht«, eröffnete Forpan. »Er hat gestohlen und die Arbeit am Kartapera tor sabotiert. Ich habe den Grund zur Annah me, daß diese unerfreulichen Aktivitäten vom Herrn Vortimer ausgingen. Ich bitte dich, mit deinem Herrn Verbindung aufzu nehmen. Vielleicht ist in Wolterhaven schon etwas über Manziel und den Herrn Vortimer bekannt.« Eine Maschine kann nicht überrascht aus sehen, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie aus einem abstrakt wirkenden Sammelsuri um von Bauteilen besteht. Instrumenteden ker, der sich besonders intensiv mit den Ro botdienern befaßt hatte, stellte dennoch eine Reaktion fest, die auf Unglauben schließen ließ. »Die Beweise sind eindeutig«, sagte er darum. »Manziel wurde von Forpan selbst entlarvt.« »Wurde er auch identifiziert?« »Wir haben alle eiförmig geformten Ro botdiener befragt«, antwortete Forpan ärger
Diener der Vollkommenheit lich. »Sie funktionieren einwandfrei. Einer von ihnen ist allerdings unauffindbar – und dieser eine heißt Manziel.« »Ich werde den Herrn Moonkay zu dem Problem befragen«, entschied Harjanan. Forpan nickte verbissen. Seiner Meinung nach wurde mit diesem Geplänkel nur Zeit verschwendet. Das Blechding hatte zu ge horchen. Das Denken sollte es getrost Leu ten überlassen, die etwas davon verstanden. »Dem Herrn Moonkay ist bekannt«, mel dete sich der Robotdiener einen Augenblick später, »daß der würdige Arbeiter Manziel der Kontrolle des Herrn Vortimer entglitten ist. Der Herr Vortimer kam aufgrund der vorliegenden Fakten zu dem Schluß, daß die Existenz Manziels durch äußere Einwirkun gen beendet wurde. Da die Verbindung im selben Augenblick abbrach, in dem der Dor gone getötet wurde, nahm der Herr Vortimer an, daß Manziel im Kampf mit dem Unge heuer zerstört wurde. Manziel war kurz vor diesem Ereignis einer einseitigen Kontrolle durch den Herrn Vortimer unterzogen wor den. Dabei stellte sich heraus, daß Manziel in einem gewagten Einsatz versuchte, den Dorgonen aufzuhalten. Um den würdigen Arbeiter nicht abzulenken, verzichtete Herr Vortimer auf einen offenen Dialog mit Man ziel. Ein Einsatz für den würdigen Arbeiter wird in wenigen Stunden einsatzbereit sein.« »Was um alles in der Welt heißt das im Klartext?« fragte Forpan wütend. »Kannst du dich nicht verständlicher ausdrücken?« »Es ist doch ganz einfach«, mischte In strumentedenker sich ein. »Manziel hat sich selbständig gemacht, und sein Herr kann ihn nicht mehr beeinflussen. Offensichtlich ist so etwas noch nie passiert, und darum hält man Manziel für tot.« »Wir haben es mit einer Maschine zu tun.« »Das sind Spitzfindigkeiten«, wehrte In strumentedenker ab. »Immerhin – wir wis sen, daß der Robotdiener gegen den Dorgo nen gekämpft hat. Ohne Manziel wären wir nicht so glimpflich davongekommen. Dir, Forpan, hat er sogar das Leben gerettet.«
27 »Hier geht es lediglich um die Diebstähle und die Sabotageakte«, knurrte Forpan. Was bildete Instrumentedenker sich ei gentlich ein? Sollte er, Forpan, als Mitglied der Familie Gordy etwa auch noch Dankbar keit für diesen Blechkasten empfinden? For pan ärgerte sich bereits darüber, daß er den anderen hinzugezogen hatte. Mit etwas Nachdenken wäre er auch alleine darauf ge kommen, einen Robotdiener als Vermittler zu benutzen. »Der Zusammenstoß mit dem Dorgonen hatte offenbar schwere Folgen für Manziel«, sagte Instrumentedenker gedehnt. »Ich halte es für möglich, daß dabei auch die Motivie rung des Robotdieners verändert wurde.« »Er hat schon vorher gestohlen«, sagte Forpan. »Aber nur Kleinigkeiten«, gab Instrumen tedenker zu bedenken. »Und er hat trotz al lem seine Pflichten erfüllt.« »Ein würdiger Arbeiter ist außerstande, die Dinge zu tun, von denen du gesprochen hast«, sagte Harjanan zu Forpan. »Der Herr Moonkay ist entsetzt über die Vorwürfe, die gegen Manziel erhoben werden. Er ist davon überzeugt, daß du einem Irrtum zum Opfer gefallen bist. Das ist typisch für organische Wesen.« Forpan sprang wutentbrannt auf. »Ich verlange, daß Manziel und sein ko mischer Herr Vortimer sofort lahmgelegt werden!« schrie er. »Und wenn du und dein Herr versuchen, diese Verbrecher auch noch zu decken, sehe ich mich gezwungen, die Herren der FESTUNG von den Vorfällen zu verständigen!« »Der Herr Moonkay zieht die Möglichkeit in Erwägung«, konterte Harjanan ungerührt, »selbst die Herren zu befragen. Es ist schlimm genug, wenn man Manziel ver dächtigt, sich als Dieb zu betätigen. Der Herr Vortimer jedoch steht weit über seinem würdigen Arbeiter. Er hat bestätigt, daß alle seine Systeme fehlerfrei arbeiten. Deine Vorwürfe sind ungerechtfertigt.« Forpan schnappte nach Luft. Harjanan kümmerte sich nicht darum und schwebte
28 zum Ausgang. »Halt«, sagte Instrumentedenker hastig. Harjanan blieb stehen. »Wir sind durch die Vorfälle dieses Tages alle etwas durcheinander«, fuhr der ältere der beiden Technos fort. »Es hat keinen Sinn, sich in überflüssige Beschuldigungen zu stürzen. Ich nehme an, die Robotbürger können eher darüber entscheiden, ob einer von ihnen Fehler begeht oder nicht. Lassen wir daher Herrn Vortimer aus dem Spiel. Aber dann bleibt immer noch Manziel übrig. Harjanan, ob du und die anderen es nun glauben wollen oder nicht, Manziel existiert. Und er richtet eine Menge Schaden an. Ist es nicht möglich, daß – zum Beispiel beim Kampf mit dem Dorgonen – etwas in ihm durcheinandergeriet?« »Es ist möglich«, gab Harjanan zögernd zu. »Wenn wir das annehmen und unser Wis sen dazutun, dann ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, Manziel zu suchen und ihm – falls das möglich ist – zu helfen.« »Helfen?« fuhr Forpan auf, aber Instru mentedenker brachte ihn mit einem mörderi schen Blick zum Schweigen. »Es wäre eine denkbare Lösung des Pro blems«, antwortete Harjanan, der nun nicht mehr so sicher wirkte. Instrumentedenker stellte sich vor, wie jetzt in Wolterhaven fie berhaft nach einem Ausweg gesucht wurde. Zweifellos lag den Robotbürgern nichts dar an, ihren defekten Diener zu finden, denn Manziel hätte den Beweis dafür geliefert, daß das System eben doch nicht fehlerfrei arbeitete. Dabei konnte Instrumentedenker nicht wissen, daß die Selbstsicherheit der Robotbürger bereits kurze Zeit vorher bis in ihre Grundfesten erschüttert worden war – damals, als Atlan und Razamon die Illusi onssteine der Händler in die Stadt brachten und damit ungewollt ganz Wolterhaven in ein Narrenhaus verwandelten. »Ihr werdet uns also bei der Suche nach Manziel helfen?« fragte Instrumentedenker gespannt. »Ja.«
Marianne Sydow »Kann der Herr Vortimer seinen Diener nicht auf anderen, normalerweise nicht be nutzten Weg erreichen?« »Der Herr Vortimer hat alle Möglichkei ten ausgeschöpft«, erwiderte Harjanan gleichmütig. »Manziel ist seinem Zugriff entglitten.« »Dann müßt ihr Robotdiener euch bemü hen, Manziel zur Vernunft zu bringen«, for derte Instrumentedenker. Harjanan schwieg eine Weile. »Ich habe die anderen Arbeiter verstän digt«, teilte er mit. »Wir haben einen Ver bund gebildet und nach Manziel gesucht. Leider hatten wir keinen Erfolg.« Instrumentedenker nickte resignierend. Harjanan schwebte hoheitsvoll von dannen. Forpan sprang wütend auf. »Was soll das Ganze?« fragte er. »Wir müssen Manziel selbst suchen«, er widerte Instrumentedenker gelassen. »Die Robotdiener haben alles getan, was in ihrer Macht steht.« »Der Kerl hat diesen Raum nicht einmal verlassen«, schnaubte Forpan. »Wie kann er da behaupten, überhaupt gesucht zu haben?« »Mir scheint, du hast gar nicht zugehört. Harjanan und alle anderen Robotdiener hier im Lager haben eine totale Kommunikation untereinander aufgestellt. Sie haben ganz an dere Mittel als wir, einen der Ihren zu ent decken, und wenn sie Manziel trotzdem nicht gefunden haben, kann das nur eines bedeuten: Manziel hat sich total verändert. Er ist weder für den Herrn Vortimer, noch für seine Kollegen greifbar.« Forpan stützte den Kopf in die Hände. Ihm wurde schwindelig vor diesen merk würdigen Herren und ihren seltsamen Die nern. Warum mußten die Maschinen über haupt beim Bau des Kartaperators beteiligt werden? Man hatte doch nichts als Ärger mit ihnen. Forpan wünschte sich, er hätte den Mut, den Herren der FESTUNG das zu sagen.
5.
Diener der Vollkommenheit Atlan und Razamon schliefen abwech selnd. Sie hätten es getrost dem Wolf über lassen können, über ihre Gesundheit zu wa chen. Aber sie wollten sich nichts von dem entgehen lassen, was unten im Tal geschah. Jede Kleinigkeit konnte sich später als wich tig erweisen. Bei Tagesanbruch, als im Osten der Him mel über den Dünen heller wurde und die Sterne verblaßten, erwachte der Techno aus seiner Lähmung. Razamon weckte den Ar koniden, denn es war besser, wenn sie beide hörten, was Teerträger ihnen sagen konnte. »Wer seid ihr?« fragte der Techno, sobald er sprechen konnte. »Was habt ihr hier zu suchen?« »Unsere Namen sind für dich unwichtig«, antwortete Razamon. »Was uns an diesen Ort führt, wirst du schnell genug erraten. Wir hörten, daß du viel von der Waffe ver stehst, die ihr Kartaperator nennt. Erzähl uns etwas darüber.« Teerträger starrte Razamon wie hypnoti siert an. »Ich habe Bilder gesehen«, stotterte er. »Bilder von Leuten, vor denen Welten zit terten.« »Mein Freund entstammt der Familie Knyr, die am Taamberg lebte«, sagte Atlan, um die zwangsläufig entstehende Diskussion abzukürzen. »Du brauchst keine Angst zu haben. Er wird dich freundlich behandeln. Es sei denn, du versuchst, ein falsches Spiel mit uns zu treiben.« Teerträger war herumgefahren, soweit ihm das möglich war, denn er war immer noch an Händen und Füßen gefesselt. »Ein Berserker und ein Sohn der Götter«, stieß er hervor. »Was hat das zu bedeuten?« »Zerbrich dir nicht den Kopf darüber«, empfahl Razamon düster. »Was ist mit dem Kartaperator? Wo muß man ansetzen, wenn man ihn zerstören will?« »Zerstören?« ächzte Teerträger und zerrte an seinen Fesseln. »Habt ihr den Verstand verloren?« »Vielleicht«, murmelte Atlan trocken. »Aber du hast die Frage nicht beantwortet.«
29 »Den Kartaperator kann man nicht zerstö ren«, sagte Teerträger nach einer kurzen Pause. »Er wurde zusammengebaut«, meinte At lan freundlich. »Hier, mitten in der Wüste. Was zusammengebaut ist, kann man auch wieder auseinandernehmen – notfalls mit Gewalt.« »Du hast recht. Aber der Kartaperator ist etwas Besonderes. Jede Veränderung bringt Gefahr mit sich. Die Zerstörung würde sich nicht auf eine Waffe beschränken, sondern das ganze Tal betreffen.« »Das hört sich nach einer Selbstvernich tungsanlage an«, murmelte Razamon. »Ich weiß nicht, was dieses Wort bedeu tet«, sagte Teerträger hastig, »aber es hört sich so an, als würde es zu dem Kartaperator passen. Wenn jemand daran herumhantiert, fliegt alles in die Luft.« Fenrir hatte sich neben Teerträger gesetzt. Dem Techno war es gar nicht recht, daß er sich den grauen Wolf aus dieser Nähe anse hen durfte. Fenrir blickte zwischen Atlan und Teerträger hin und her. Der Arkonide gab dem Wolf mit einer unauffälligen Geste zu verstehen, daß er begriffen hatte. Fenrir witterte die Angst, die den Techno be herrschte. Atlan glaubte nicht daran, daß Teerträger sich nur wegen der ungewohnten Situation fürchtete. »Das ist eine Lüge«, sagte er bedächtig. Teerträger starrte ihn entsetzt an. »Wenn der Kartaperator so gefährlich wäre, wie du ihn uns schilderst«, erklärte der Arkonide, »könnt ihr gar nichts mit ihm anfangen. Die Herren der FESTUNG mögen skrupellos sein, aber sie sind nicht dumm. Sie setzen nicht eineinhalbtausend Fachleute, eine An zahl von Robotdienern und eine Menge technischer Geräte einer so sinnlosen Gefahr aus. Sie wissen, daß der Kartaperator mon tiert und bedient werden kann, wenn nie mand einen ganz großen Fehler macht. Man kann also an der Waffe herumbauen, ohne gleich in die Luft gesprengt zu werden.« »Es gibt Sicherheitsschaltungen«, behaup tete Teerträger bockig. »Sie erkennen, ob ein
30 erlaubter Eingriff erfolgt, oder ob jemand den Kartaperator berührt, der gar nichts dar an zu suchen hat.« »Jetzt kommen wir der Sache schon nä her«, lächelte Atlan zufrieden. »Angenommen, jemand aus dem Kreis der Eingeweihten beschließt, allen Befehlen zum Trotz dieses Monstrums von einer Waf fe aus dem Verkehr zu ziehen – wo wird er damit anfangen?« »Eine solche Person gibt es nicht!« »Was macht das schon? Betrachte das Ganze als ein Gedankenspiel. Sicher hat ei ne so große Maschine einen wunden Punkt. Eine zentrale Schaltstelle, zum Beispiel, die sich kaum ersetzen ließe. Also, wo geht es los?« Teerträger schloß verzweifelt die Augen. Noch am Abend zuvor hatte er selbst mit dem Gedanken gespielt, absichtlich einen Fehler zu machen – er wußte, daß es bei dem Gedanken geblieben wäre. Nach wie vor hatte er Angst vor dem, was beim Ein satz des Kartaperators geschehen konnte. Die beiden Städte Zbahn und Zbohr waren auf jeden Fall in Gefahr. Aber seine Angst vor den Herren der FESTUNG war größer als die Treue zu seinen Artgenossen. Abge sehen davon hätten wahrscheinlich alle Technos in irgendeiner Form dafür büßen müssen, wenn Teerträger sich gegen die Herren auflehnte. »Ich kann es euch nicht sagen«, flüsterte er erschöpft. »Tötet mich, wenn ihr wollt, aber fragt mich nicht mehr.« Atlan und Razamon sahen sich schwei gend an. Fenrir entblößte kurz die Zähne und legte sich neben Teerträger in den Sand. Selbst der Wolf hatte begriffen, daß hier mit Drohungen nichts mehr auszurichten war. Keiner hatte auf die plötzlich zunehmende Helligkeit geachtet. Nur Teerträger wurde unruhig und starrte in den Himmel hinauf. Als Fenrir plötzlich leise knurrte, wurden auch Atlan und Razamon aufmerksam. »Die Sonne ist es nicht«, murmelte der Pthorer. Direkt über ihnen war etwas wie eine
Marianne Sydow kleine, leuchtende Wolke. Innerhalb weniger Sekunden dehnte das Gebilde sich aus und wurde dabei immer heller, bis es schließlich unmöglich war, es mit ungeschützten Augen anzusehen. Gegen ihren Willen sanken Raz amon und Atlan zu Boden. Es war, als wür de die Lichtflut sie in den Sand pressen. »Die Herren der FESTUNG«, keuchte Razamon mühsam. »Sie kontrollieren die Baustelle!« Atlan war nicht dazu fähig, dem Pthorer zu antworten. Er konnte kaum atmen. Un willkürlich dachte er an technische Einrich tungen, die einen so unerträglichen Druck auf ihn ausübten, Schwerkraftprojektoren oder etwas Ähnliches. Aber dann hätte sich der Kamm der Düne verformen müssen, von den verheerenden Folgen, die ein Schwere feld auf der Baustelle anrichten mußte, ganz zu schweigen. Er kam zu dem Schluß, daß es sich um einen psychischen Druck handel te, den er sich – auf Befehl dessen, was in der leuchtenden Wolke war – einzubilden hatte. Die Erkenntnis war alles andere als beru higend. Der Arkonide versuchte sich zu wehren, aber das half nicht. Verzweifelt dachte er daran, daß sie – um das Problem »Pthor« zu lösen – früher oder später in die FESTUNG eindringen mußten. Wenn sie nicht einmal mit dem Druck, der von der Wolke ausging, fertig wurden, wie sollten sie dann jemals gegen die Herren der FE STUNG bestehen? Neben ihm winselte Fenrir. Auch er war an den Boden gefesselt. Wirkte die geheimnisvolle Kraft auf alle Lebewesen, oder reagierte Fenrir, weil er eben doch mehr als nur ein Tier war? Es dauerte mehrere Minuten, bis das Licht schwächer wurde. Der Druck wich von den Männern, und als Atlan in die Richtung der Erscheinung zu blicken wagte, sah er nur noch einen rasch verblassenden Fleck im Morgenhimmel. Augenblicke später schob sich die Sonne über den Horizont und über goß die Wüste mit rötlichem Licht. Razamon richtete sich auf und rieb sich
Diener der Vollkommenheit den Nacken. Auch Atlan fühlte einen leich ten, ziehenden Schmerz im Hinterkopf. Fenrir schüttelte sich, als wäre er gerade aus dem Wasser gestiegen. Nur Teerträger lag ganz still da. »Was hatte das Licht zu bedeuten?« fragte Atlan, der immer noch hoffte, etwas aus dem Techno herauszuholen. »Jemand aus der FESTUNG war da«, sagte Teerträger gleichmütig. »Nach den Vorfällen von gestern war es logisch, daß ei ne Kontrolle stattfand.« Razamon nickte, aber Atlan war nicht recht zufrieden. »Was wird nun geschehen?« fragte er. »Der Kartaperator ist fast fertig. Die Her ren werden nicht viel an ihm auszusetzen haben. Vielleicht geben sie Artol Forpan noch ein paar Anweisungen.« »Wer ist Artol Forpan?« »Ein Mitglied der Familie Gordy aus Donkmoon. Er leitet die Arbeiten.« Atlan spielte mit dem Gedanken, Teerträ ger zu weiteren Informationen über Forpan zu verleiten. Wenn es gelang, diesen Techno zu entführen – aber das war hoffnungslos. Selbst wenn sie an Forpan herankamen, hat ten sie kaum etwas gewonnen. Die Herren der FESTUNG würden auf das Leben eines einzelnen Technos keine Rücksicht nehmen. Immerhin wußten sie jetzt, daß sie sich beeilen mußten. »Wann wird der Kartaperator einsatzfähig sein?« wollte Razamon wissen. »Noch in der nächsten Nacht«, sagte Teerträger gelassen, »wird die Barriere von Pthor zerbrechen. Dann haben die Horden der Nacht endlich freie Bahn.« »Sie werden sich trotzdem etwas gedul den müssen«, murmelte Atlan. »Pthor ist mitten im Meer aufgetaucht.« Teerträger lächelte höhnisch. »Die Horden der Nacht werden mit jedem Hindernis fertig«, versicherte er. »Das Was ser kann sie nicht aufhalten.« Atlan dachte an seine Begegnung zurück, bei der sie ein Mitglied der Horden der Nacht kennengelernt hatten. Genaugenom
31 men waren es zwei dieser Fabelwesen gewe sen, aber der eine war der treue Diener Tha lias, die als Göttersohn Honir ihren Ab schnitt der Straße der Mächtigen bewachte. Vor Honirs Schloß hatten sie gegen ein dra chenähnliches Wesen gekämpft. Es war nicht leicht gewesen, die Bestie zu besiegen. Aber sie hatten ja auch keine modernen Waffen gehabt. Zum erstenmal dachte er darüber nach, ob die Horden der Nacht wirklich so furchtbare Verwüstungen anzurichten vermochten. Wenn man ihnen mit Impulsstrahlern und ähnlichen Mitteln zu Leibe rückte, waren sie kaum eine große Gefahr. Er fragte Teerträ ger danach. »Ich kenne die Waffen nicht, die du mir nennst«, antwortete der Techno. »Aber ich weiß, daß die Horden der Nacht unüber windlich sind. Ihr stammt von der Welt jen seits des Wölbmantels, wie ich deinen Fra gen entnehme. Seltsam, ich hielt dich wirk lich für einen Göttersohn. Jetzt verstehe ich, warum ihr den Kartaperator zerstören wollt. Es wird euch nicht gelingen. Selbst wenn ihr es schaffen könntet, würdet ihr eurer Welt nur eine Galgenfrist verschaffen. Die Herren der FESTUNG haben ihr Ziel immer er reicht!« Atlan warf einen Blick auf die Siarta. Auch das Volk, das diese furchtbare Waffe erfunden hatte, war bei einem Besuch dieses reisenden Landes untergegangen. Wir konnten die Horden der Nacht einem so vernichtenden Mordwerkzeug entgehen? Atlan kam im Augenblick nur auf eine denkbare Lösung. Sie hielten sich schon seit Wochen auf Pthor auf. Es war undenkbar, daß Perry Rhodan und all die anderen Menschen auf der Erde Pthor so lange duldeten, ohne we nigstens einen Versuch zu unternehmen, die Gefahr zu beseitigen. Atlan wußte, wie schwer es war, diesem eigenartigen Land beizukommen. Wer sich ihm näherte, verlor das Bewußtsein. Atlan und Razamon hatten ihr Boot und die gesamte Ausrüstung, sogar ihre Kleidung verloren, nachdem sie die Be
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wußtseinssperre durchbrochen hatten. Alles hatte sich aufgelöst – nur Atlans Zellaktiva tor nicht. Man konnte also nicht einmal Ro boter oder Sonden nach Pthor schicken. Trotzdem hätte Rhodan es wenigstens versucht. Und diese Versuche hätte man auch innerhalb des Wölbmantels bemerken müssen. Atlan und Razamon nahmen daher an, daß auf Pthor die Zeit langsamer verging, als auf der Erde. Daß nicht Wochen, sondern vielleicht nur Stunden vergangen waren, seit sie zu ihrer abenteuerlichen Reise aufgebro chen waren. Wenn das stimmte, waren die Horden der Nacht allerdings viel gefährlicher, als Atlan bisher angenommen hatte. Dann waren sie fähig, sich so schnell zu bewegen, daß die Menschen die Bedrohung viel zu spät wahr nahmen, um sich noch retten zu können. Andererseits ergaben sich sofort neue, schier unlösbare Fragen. Zum Beispiel un terschieden sich die scheinbaren Bewegun gen von Sonne, Mond und Sternen auf Pthor nicht von dem, was Atlan von der Erde ge wöhnt war. Wie ertrug sich das mit der Theorie vom anderen Zeitablauf? »Was werdet ihr mit mir tun?« fragte Teerträger. Atlan zuckte zusammen. Er hatte den Techno schon beinahe vergessen. Er warf Razamon einen fragenden Blick zu. »Du bleibst noch bei uns«, sagte der Ptho rer. »Vielleicht fällt dir im Lauf des Tages noch etwas ein, was du uns mitteilen willst.«
6. Der Feuerball am Himmel verdammte auch die Technos im Tal zur Reglosigkeit. Artol Forpan erlebte diese Art von Inspekti on nicht zum erstenmal, dennoch hatte er Angst. Er stand mit der FESTUNG in ständiger Verbindung. Die Herren waren genau dar über informiert, welche Fortschritte und Rückschläge es gegeben hatte. Warum woll ten sie sich selbst vom Stand der Dinge
überzeugen? Trauten sie Forpan etwa nicht mehr? Für den Techno hätte das der Tod be deutet. Als die Leuchterscheinung verblaßte, dau erte es eine Weile, bis sich alle erholt hatten. Forpan registrierte mit einigem Groll den Tod von fünf Technos, die während der In spektion vom Kartaperator und einigen Montagegeräten abgestürzt waren. Sie hat ten sich nicht mehr in Sicherheit bringen können. Er nahm sich vor, den Herren der FESTUNG seine Meinung zu ihrem überra schenden Besuch zu sagen, falls jemand et was an seiner Arbeit auszusetzen hatte. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die Herren sich meldeten. Forpan zuckte zusammen, als er das laute Summen des Funkgeräts hörte. Er hatte den Apparat samt Bedienungsanweisung erst vor kurzer Zeit bekommen. Er hätte es niemals zugegeben, aber insgeheim hatte er höllische Angst vor diesem Gerät. Und er hatte jetzt auch Angst vor den Herren der FESTUNG. Die Stimme, die aus dem kleinen Laut sprecher drang, klang düster und monoton. »Der Kartaperator ist noch nicht fertigge stellt. Du hast von den Ursachen für diese Verzögerung berichtet. Es darf zu keinen weiteren Zwischenfällen kommen.« »Das Erscheinen des Dorgonen konnte ich nicht vorhersehen«, erwiderte Forpan beinahe trotzig. »Gegen diese Schwierigkei ten gibt es keine Absicherung.« »Das ist richtig. Aber es ist nicht anzu nehmen, daß derart seltene Ereignisse sich kurz hintereinander wiederholen.« »Ich habe die Leute an die Arbeit zurück geschickt.« »Das ist nicht genug. Sie arbeiten zu lang sam.« Forpan begann zu schwitzen. Er verstand das nicht. Sie waren schon so lange auf die ser Welt, daß es auf einen Tag mehr oder weniger kaum noch ankam. Gingen sie da gegen überhastet vor, dann riskierten sie Fehler, die den Kartaperator zerstörten. Das war sicher nicht im Sinn der Herren. »Sie geben ihr Bestes«, versuchte er es
Diener der Vollkommenheit noch einmal. »Wir müssen vorsichtig sein. So lauten jedenfalls die Befehle.« »Wir wollen nichts daran ändern. Trotz dem muß der Kartaperator noch am Abend dieses Tages fertiggestellt werden.« »Das ist unmöglich!« stieß Forpan hervor. Einen Augenblick später wurde er bleich. Er hatte das, was ihm aus der FESTUNG mitgeteilt wurde, in Frage gestellt. Er hatte – wenn auch indirekt – die Herren kritisiert und den Verdacht geäußert, sie könnten einen Fehler gemacht haben. Ein solches Vergehen war nicht gerade förderlich für einen ehrgeizigen Techno! Zum Glück schien man es in der FE STUNG diesmal nicht so genau zu nehmen. »Unsere Berechnungen zeigen, daß es möglich ist«, leierte die düstere Stimme. »Du wirst alle Kräfte auf den Kartaperator konzentrieren. Die Jagd nach dem Robotbür ger hat zu unterbleiben. Er kann jetzt höch stens noch Zerstörungen im Wohn und La gerbereich anrichten, und das ist unwichtig.« »Ich werde dafür sorgen …« »Du wirst sofort die entsprechenden Be fehle geben«, wurde er unterbrochen. »Wir erwarten von dir, daß du deinen Auftrag voll und ganz erfüllst. Am Abend wirst du uns die Erfolgsmeldung erteilen.« »Ja, aber wenn …« »Schluß.« Forpan hörte das Knacken, mit dem die Verbindung unterbrochen wurde. Er stützte den Kopf in die Hände und dachte verzwei felt darüber nach, wie er im Lauf eines ein zelnen Tages ein mittleres Wunder vollbrin gen sollte. Dann setzte er sich mit der Zentrale in Verbindung. Wenige Minuten später herrschte wilde Hektik auf der Baustelle. Die Wohnkuppeln waren leer. Die Technos, die in der vorigen Nacht gearbeitet hatten, erhielten aufmun ternde Medikamente und wurden anschlie ßend an die Arbeit gehetzt, obwohl manche sich kaum auf den Beinen halten konnten. Im Kartaperator, auf ihm und um ihn herum herrschte ein solches Gedränge, daß die
33 Technos sich gegenseitig auf die Füße tra ten. Aber sie arbeiteten tatsächlich wie wild gewordene Ameisen.
* Manziel hatte gemerkt, daß jemand aus der FESTUNG gekommen war. Es hatte ihm nicht viel ausgemacht. Anders war es mit der anschließend ausbrechenden Hektik. Zu erst hegte er den Verdacht, daß die Jagd auf ihn nun erst richtig losging. Aber die Tech nos rannten so schnell sie konnten zum Kar taperator, und niemand kam in die leere Hal le. Zögernd wagte Manziel sich ins Freie. Kein Techno war in der Nähe. Auch kein anderer Robotdiener. Die wenigen Fahrzeu ge, die Manziel entdeckte, waren verlassen. Nur am Kartaperator war allerhand los. Manziel schloß daraus, daß der Besuch aus der FESTUNG nicht ihm gegolten hatte, wie er zuerst befürchtete, sondern der riesi gen Waffe. Die Herren hatten es eilig. Um so besser, denn jetzt war Manziel ungestört. Zwar mußte er weiterhin vorsichtig sein, aber er brauchte wenigstens nicht den gan zen Tag in dem Versteck verbringen. Auch Roboter können sich langweilen. Als er losschwebte, dachte er kurz an den Herrn Vortimer. Ihm war klar, daß etwas nicht stimmte. Der Herr Vortimer mußte in zwischen längst gemerkt haben, daß Manziel Dinge tat, die er einfach nicht tun dürfte. Der Herr Vortimer hatte die Möglichkeit, seinen würdigen Arbeiter zu tadeln, ebenso gut aber konnte er ihn notfalls desaktivieren. Da nichts dergleichen geschah, kam Man ziel zu der Auffassung, daß der Herr Vorti mer mit dem Vorgehen seines würdigen Ar beiters zufrieden war. Warum auch nicht, denn der Herr Vortimer gehorchte ebenfalls den Vorschriften der Vollkommenheit. Man ziel nahm sich vor, das Vertrauen seines Herrn nicht zu enttäuschen. Von nun an wollte er sich noch intensiver seiner Aufga be widmen.
34 Manziel ahnte nicht, daß er längst nicht mehr als würdiger Arbeiter galt, und daß der Herr Vortimer sich seinetwegen eine ganze Menge Gedanken machte. Er ahnte auch nicht, daß ganz Wolterhaven fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, Manziel schnell und gründlich aus dem Verkehr zu ziehen. Leider war Manziel durch seinen Defekt un angreifbar geworden. Der Roboter vergnügte sich zunächst da mit, aus den Behausungen der Technos alles zusammenzutragen, was sich im Sinn der Vorschriften nutzbringend verwenden ließ. Damit hatte er mehrere Stunden zu tun, und auch dann gab es noch viel Kuppeln, die er noch nicht heimgesucht hatte. Aber allmäh lich wurde ihm die Sammelei zu eintönig. Er sah sich nach einer besseren Beschäftigung um und fand auch schnell etwas. Während am Kartaperator mit Hochdruck gearbeitet wurde, demolierte Manziel mit wachsender Begeisterung verschiedene Ar ten von Fahrzeugen. Da gab es ein paar Zu gors – für die Technos waren sie besonders wichtig, denn sie garantierten im Notfall die schnelle Verbindung mit ihren Städten. Nor malerweise hatten Zugors in der Wüste Fylln ebenso wenig zu suchen, wie die Technos selbst. Aber die Herren der FE STUNG hatten vorübergehend eine zusätzli che Flugschneise geschaffen. Es lag ihnen viel daran, daß die Technos sich auf der Baustelle wohl fühlten, denn das hob die Ar beitsmoral. Nachdem Manziel mit den Zugors fertig war, würden sie sich um keinen Millimeter mehr vom Boden erheben. Dann kam ein Lastfahrzeug mit Rollket ten an die Reihe. Manziel fand in seinem In nern viele wunderschöne Schrauben und bunte Drähte, die er umgehend in sein Ver steck brachte. Leider tauchte wenig später ein Techno in der Nähe der Fahrzeuge auf. Manziel ver steckte sich auf einer Kuppel und wartete, in der Hoffnung, der Störenfried möge bald verschwinden. Aber der Techno blieb. Er durchsuchte mehrere Fahrzeuge, entdeckte
Marianne Sydow dann ein paar von den netten grauen Kugeln, die Manziel bereits kannte, setzte sich zu frieden hin und begann zu essen. Manziel verließ enttäuscht sein Versteck und schwebte lautlos davon, ohne daß der Tech no ihn bemerkte. Er mußte feststellen, daß der größte Teil des Vergnügens schon wieder vorbei war. Die Sonne stand bereits tief, und immer mehr Technos kamen vom Kartaperator zu rück. Manziel zog daraus den Schluß, daß die häßliche Maschine bald ihre Arbeit aufneh men würde. Das war bedauerlich, denn so bald die Barriere durchbrochen war, würden die Technos dieses Lager verlassen. Der Robotdiener blieb vor Schrecken in der Luft stehen, als er die Konsequenzen er kannte. Seine Schätze! Jetzt, da es – nach seiner Meinung – si cher war, daß der Herr Vortimer an Man ziels Sammelobjekten interessiert war, hielt Manziel es für seine Pflicht, das ganze Zeug nach Wolterhaven zu bringen und bei sei nem Herrn abzuliefern. Aber wie sollte er das anstellen? In seinem Transportfach fand nicht einmal ein Hundertstel der Beute Platz. Auch wenn es Manziel gelungen wäre, einen Behälter zu finden, in den er seine Schätze stecken konnte, hätte er ihn nicht transpor tieren können. Die würdigen Arbeiter von Wolterhaven waren nicht für grobe Arbeiten geschaffen. Dazu benutzte man die Handlan ger. Manziel fürchtete außerdem, daß andere Robotbürger seine Ansichten – und die Her ren des Herrn Vortimer – nicht teilen könn ten. Mit seiner Beute mußte er den Dienern auffallen, mit denen er nach Wolterhaven zurückkehrte. Zutiefst beunruhigt flog Manziel zu sei nem Versteck. Er hatte seine Beute im Fun dament eines Gittermastes untergebracht. Der Hohlraum, den es dort gab, war so mit Beutestücken vollgestopft, daß Manziel sich kaum noch darin bewegen konnte. Traurig betrachtete er seine Sammlung.
Diener der Vollkommenheit Er hatte keine Ahnung, was die Technos nach dem Einsatz des Kartaperators mit dem Lager anstellen würden. Vielleicht gingen sie einfach weg und überließen die Baustelle dem Sand. Dann brauchte Manziel nur abzu warten. Dem Herrn Vortimer würde schon etwas einfallen. Er konnte ein paar Handlan ger unter Manziels Leitung beauftragen, die Schätze abzuholen. Wurden die Kuppeln und Masten jedoch abgebaut, dann mußte man Manziels Beute finden. Der Robotdiener war ratlos. Er sah keinen Weg, seine Schätze weiterhin sicher aufzu bewahren. Er dachte daran, alles in die Wü ste hinauszuschaffen. Aber dabei konnte er zu leicht entdeckt werden, und wenn ein Sturm ausbrach, war die Beute erst recht verloren. Er verschloß das Versteck von außen und schwebte lautlos kreuz und quer durch das Lager, immer in der Hoffnung, irgendeine Lösung zu finden. Plötzlich hatte er Erfolg.
* Teerträger hatte den ganzen Tag über ei sern geschwiegen. Selbst als Atlan und Raz amon ihrem Gefangenen etwas von dem kostbaren Wasser und dem Proviant abga ben, hielt er es nicht für nötig, auch nur ein Wort zu sagen. Erst als Atlan ihm befahl, die Oberkleidung abzulegen, wurde Teerträger nervös. Er trug längst keine Fesseln mehr – Fenrir bewachte ihn mit großer Aufmerk samkeit. »Warum?« fragte Teerträger mißtrauisch. »Das geht dich nichts an«, wehrte Atlan ab. Teerträger zog die Kombination aus, die er aus Gründen der Vernunft während der Arbeit getragen hatte – es war glatter Wahn sinn, in den üblichen Lederrüstungen am Kartaperator herumzuklettern. Erstens war man nicht beweglich genug, und zweitens würde man bei dieser Hitze regelrecht ge kocht in den schweren Rüstungen. Atlan nahm das Kleiderbündel an sich
35 und zog sich um. »Man wird dich trotzdem als einen Frem den erkennen«, meinte Teerträger skeptisch. »Damit wirst du nicht durchkommen.« »Laß das meine Sorge sein«, empfahl ihm der Arkonide. »Du solltest besser darüber nachdenken, was du mit deiner Zukunft an stellen willst. Wir können dich unmöglich zu deinen Leuten zurückkehren lassen, denn du weißt zu viel.« »Ich käme nicht dazu, auch nur ein Wort zu verraten«, antwortete Teerträger be drückt. »Sie werden mich töten, sobald sie mich sehen.« »Warum denn das?« fragte Atlan verwun dert. »Weil ich mich habe fangen lassen.« »Was ist daran so schlimm?« »Ich war nicht wachsam genug. Ich habe versagt.« »Du lieber Himmel«, stöhnte Atlan. »Wenn das ein todeswürdiges Verbrechen ist, dann habe ich schon ganze Völkerscha ren auf dem Gewissen.« »Du kennst unsere Bräuche nicht«, mur melte Teerträger deprimiert. »Auf die Bau stelle darf ich mich nicht mehr wagen, auch nicht nach Zbahn oder an einen anderen Ort, an dem Technos leben.« Atlan schwieg. Er fragte sich, ob Teerträ ger die Wahrheit sagte, oder ob er nur einen Trick ausprobierte. Vielleicht legte er es dar auf an, daß man ihn laufen ließ – und dann warnte er die Leute auf der Baustelle doch. »In dieser Wüste gibt es auch Technos«, sagte Razamon plötzlich. »Das weiß ich. Es sind Parias, ein unnüt zes Gesindel.« »Einmal waren sie genauso nützlich wie du«, korrigierte Razamon trocken. »Fleißige Technos, die hübsch brav nach der Pfeife ih rer Herren tanzten. Bis sie einen Fehler machten. Du glaubst es mir jetzt sicher nicht, aber ich bin der Meinung, daß sie einen guten Tausch gemacht haben. In der Wüste lebt es sich bequemer als in euren Städten. Dafür sind die Parias frei. Mit den Herren der FESTUNG haben sie nichts mehr
36 zu tun.« Teerträger dachte darüber nach. »Das stimmt«, sagte er schließlich. »Und ich habe nichts mehr zu verlieren. Alleine kann man in dieser Umgebung nicht überle ben. Ich werde versuchen, die Parias zu fin den. Sie sind meine einzige Chance.« Atlan steckte längst in der Kombination des Technos. »Wenn du es ernst meinst, mache ich dir ein Angebot«, murmelte er nachdenklich. »Du verhältst dich still, bis wir unser Vorha ben erledigt haben. Dann gebe ich dir das Zeug hier zurück, und du bist frei. Wenn du willst, kannst du mit uns weitergehen.« »Ich werde es mir überlegen«, versprach Teerträger. »Wir müssen diesen Platz für kurze Zeit verlassen«, sagte Razamon. »Der Wolf geht mit mir. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn wir dich fesseln. Dann können wir ganz sicher sein, daß du nicht doch ins La ger läufst.« »Ich bin nicht lebensmüde«, versicherte Teerträger. »Wenn es euch beruhigt, dann legt mir die Fesseln an.« Atlan beobachtete Fenrir, der den Gefan genen immer noch bewachte. Der Wolf be merkte den Blick und bewegte die Schwanz spitze. Der Arkonide verließ sich auf den In stinkt des Tieres. »Ich denke, wir können es wagen«, sagte er. »Teerträger wird bleiben und auf uns warten.« Der Techno nahm die Entscheidung ge lassen hin. »Ich werde warten«, bestätigte er. »Aber ich fürchte, wir werden uns trotzdem nicht wiedersehen. Man wird euch töten, sobald ihr im Tal auftaucht.« »Dazu muß man uns erst einmal bemer ken«, gab Atlan zu bedenken. Sie verzichte ten wirklich darauf, den Techno zu fesseln, und als sie durch den Sand davonstapften, blieb Teerträger regungslos sitzen und sah ihnen nach. Etwas später trennten sie sich. Razamon und Fenrir sollten die Technos ablenken, so-
Marianne Sydow bald Atlan die Kuppeln erreichte. Der Arkonide lief im Schutz der Dünen ein gehöriges Stück um das Lager herum. Dann robbte er vorsichtig durch den Sand und beobachtete die Posten. Sie waren ge nauso verschlafen, wie er sie am vorigen Abend in Erinnerung hatte. Es schien beina he, als hätten sie ihre Posten gar nicht ver lassen. Der Arkonide suchte sich eine gün stige Stelle und gelangte unbehelligt durch den Kreis der höchst überflüssigen Wächter hindurch. Geduckt lief er in den Schatten ei ner Wohnkuppel, suchte den Boden ab und fand eine Pfütze. Das Zeug, mit dem er seine Haare einschmierte, stank erbärmlich, aber es war dunkel, und nur darauf kam es an. Mit seinen weißen Haaren mußte Atlan auf jeden wachsamen Techno wie ein Leucht turm wirken. Die Kerle konnten ja nicht alle so verschlafen sein wie die Wächter bei den Gittermasten. Als es weiterging, fühlte er sich bereits et was sicherer. Zwischen den Kuppeln war es ziemlich still. Die Technos hatten sich bei der Arbeit völlig verausgabt. Wer nichts mehr zu tun hatte, lag wahrscheinlich längst im Bett und schlief. Am Kartaperator gab es immer noch etwas zu tun, aber wahrschein lich handelte es sich um Dinge, die nur von einigen Spezialisten bewältigt werden konn ten. Atlan lächelte böse bei diesem Gedanken. Er hatte einen günstigen Zeitpunkt erwi scht. Eine Minute später geriet er dennoch in Gefahr. Er ging um eine Kuppel herum und sah plötzlich eine Gruppe von Technos. Die Männer kamen direkt auf ihn zu. Es war zu spät, um Hals über Kopf in das erstbeste Versteck zu springen. Er hatte die Technos nicht früher bemerken können, weil sie sich im tiefen Schweigen bewegten. Atlan biß die Zähne zusammen und ging hochaufgerichtet weiter. In jedem Augen blick erwartete er, daß einer der Technos ihn ansprach. Jede noch so harmlose Bemerkung konnte ihn verraten. Aber die Gruppe trottete an ihm vorbei,
Diener der Vollkommenheit ohne ihn überhaupt zu beachten. Die Män ner waren so übermüdet, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Erleichtert sah Atlan die Technos in einer Kuppel verschwinden. Er nahm sich vor, in Zukunft besser auf den Weg zu achten. Um so entsetzter war er, als kaum eine Minute später ein metallenes Ei vor ihm auftauchte und ihm den Weg versperrte. »Wohin führt dich dein Weg, Fremder?« fragte das Ei.
* Zuerst war Atlan entsetzt, aber dann sagte er sich, daß der Robotdiener vorerst halb wegs friedlich gestimmt sein mußte. Sonst hätte dieses Ei gar keine Fragen gestellt, sondern den Eindringling auf der Stelle um gebracht. Er wußte, daß die Maschinen aus Wolterhaven ohne jeden Skrupel Menschen töten konnten. Darin unterschieden sie sich von ihren terranischen Kollegen. »Woher weißt du, daß ich ein Fremder bin?« fragte Atlan mißtrauisch. »Ich habe dich schon einmal gesehen«, antwortete das Ei. »In Wolterhaven. Ich bin Manziel, ein würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer. Du hast uns schon einmal gehol fen. Ich hoffe, daß du auch diesmal zur Zu sammenarbeit bereit bist.« »Was soll ich für dich tun?« fragte Atlan verblüfft. »Ich werde es dir erklären«, versprach Manziel. »Aber nicht hier. Wir brauchen ein Versteck, sonst finden die Technos uns doch noch.« Atlan begriff sofort, daß Manziel in Schwierigkeiten steckte. Aus irgendeinem Grund war der Roboter in Gefahr. Er brauchte Hilfe. Vielleicht ließ sich daraus ein Geschäft machen. Er lief hinter Manziel her, der mit be trächtlicher Geschwindigkeit zwischen den Kuppeln hindurchschwebte und darauf ach tete, keinem Techno zu nahe zu kommen. Als Manziel an der Wand einer ziemlich großen Kuppel hinaufzuschweben begann,
37 sah Atlan ihm ratlos nach. Die Wand war glatt, und es gab weder eine Leiter noch sonst etwas, mit dessen Hilfe er dem Robo ter folgen konnte. »Warum bleibst du stehen?« fragte Man ziel verwundert. »Ich kann nicht fliegen«, antwortete Atlan trocken. Der Roboter schwebte wieder nach unten und streckte einen metallenen Tentakel aus. Er wollte Atlan am Kragen packen, wie er es vorher schon mit Forpan getan hatte. Der Arkonide erkannte rechtzeitig, was da auf ihn zukam und sprang zurück. »Nicht so!« sagte er scharf. »Du mußt zwei Arme benutzen und eine Schlinge dar aus bilden.« Es dauerte mehrere Sekunden, bis der Ro boter einen Sitz improvisiert hatte, den At lan akzeptierte. Dann ging es zur Kuppel hinauf, wo Manziel den Arkoniden an einer sicheren Stelle absetzte. Atlan sah sich miß trauisch um. Wenn Manziel aus irgendeinem Grund das Interesse an ihm verlor, wollte er nicht ausgerechnet auf dieser Kuppel festsit zen. Erleichtert sah er eine Leiter, die auf der entgegengesetzten Seite bis auf den Bo den hinabführte. »Du hast in Wolterhaven erfahren, daß wir den Vorschriften der Vollkommenheit gehorchen«, begann der Roboter ohne lange Vorrede. »Diese Vorschriften werden hier regelmäßig durchbrochen. Das durfte ich nicht zulassen. Darum habe ich mich be müht, möglichst viele Störfaktoren auszu schalten.« Atlan erinnerte sich daran, daß zum Bei spiel ungeladene Gäste in Wolterhaven zu den Störfaktoren gerechnet wurden. Entsetzt fragte er sich, ob Manziel sich als modernes Ungeheuer betätigt hatte. Aber der Roboter sprach weiter, und da wurde schnell klar, in welcher Weise Manziel zur Vollkommnung dieser Baustelle beigetragen hatte. Atlan war mehrmals nahe daran, in scha denfrohes Gelächter auszubrechen. Da hat ten die Herren der FESTUNG sich eine schöne Laus in den Pelz gesetzt!
38 Was Manziel sich geleistet hatte, war nichts anderes als Sabotage – allerdings eine von sehr feinsinniger Art. Es war kein Wun der, daß die Technos so lange gebraucht hat ten, um ihm auf die Schliche zu kommen. Die einzelnen Diebstähle mußten ihnen völ lig sinnlos erscheinen. »Du mußt einsehen«, sagte Manziel, »daß ich meine Schätze nicht einfach zurücklas sen kann. Der Herr Vortimer gibt mir durch sein Schweigen zu verstehen, wie sehr er mit meiner Arbeit zufrieden ist.« Atlan zählte zwei und zwei zusammen und kam zu dem Schluß, daß der Herr Vorti mer seinen würdigen Arbeiter höchstpersön lich bis zur letzten Niete auseinandergenom men hätte, wäre es ihm nur möglich gewe sen. Manziel hatte einen schweren Defekt, von dem er logischerweise nichts ahnte. Aber das konnte dem Arkoniden nur recht sein. Er hatte sogar schon eine Idee, wie er den Vollkommenheitsfimmel dieses Robo ters für seine Zwecke ausnutzen konnte. Und er hütete sich, dem würdigen Arbeiter die Wahrheit über den Herrn Vortimer auch nur andeutungsweise zu erklären. »Es gibt viele Fahrzeuge hier«, fuhr Man ziel fort. »Leider kann ich nicht mit ihnen umgehen. Ich weiß aber, daß du und dein Begleiter in Wolterhaven großes Geschick in solchen Dingen bewiesen haben.« »Mit anderen Worten: Ich soll deine Beu te auf einen gestohlenen Wagen verfrachten und nach Wolterhaven fahren.« »Du hast es schnell begriffen«, sagte Manziel erleichtert. »Es ist ein sehr weiter Weg«, gab Atlan zu bedenken. »Und unterwegs gibt es viele Gefahren. Abgesehen davon brauche ich Wasser, Proviant, wahrscheinlich auch Treibstoff, das kommt darauf an, was für ein Fahrzeug ich erwische. Und dann wird man mich nicht einfach losfahren lassen.« »Ich werde für alles sorgen«, versprach Manziel. »Du brauchst es nur zu sagen. Die Wagen fahren schnell genug, um uns in we nigen Tagen nach Wolterhaven zu bringen. Wasser und Proviant gibt es hier genug. Von
Marianne Sydow dem, was du Treibstoff nennst, verstehe ich nichts, aber wenn die Technos es brauchen, ist es auch bei den Vorräten zu finden. Vor den Gefahren brauchst du dich nicht zu fürchten, denn ich werde dich begleiten.« »Bleibt der Punkt übrig«, sagte Atlan ru hig. »Wie komme ich mit einem schwerbe ladenen Fahrzeug aus dem Lager heraus?« »Wir könnten die Technos ablenken«, meinte Manziel hoffnungsvoll. »Die denken nur an ihren Kartaperator«, murmelte Atlan. »Dieses häßliche Ding!« »Es stört mich ebenfalls«, stimmte Man ziel sofort zu. »Er stellt schon in seiner Ge samtheit einen so schweren Verstoß gegen die Vorschriften der Vollkommenheit dar, daß ich ihn kaum anzusehen wage.« »Warum vernichtest du ihn nicht ein fach?« fragte Atlan harmlos. »Ich habe daran gedacht«, gestand Man ziel ein. »Leider ist es mir nicht möglich, es sei denn, ich wäre bereit, meine Existenz aufzugeben.« »Ich wüßte eine Möglichkeit«, sagte At lan gedehnt. Er wußte, daß er sich auf einem gefährli chen Gebiet bewegte. Manziel mochte ver rückt sein, aber er hatte sich noch nicht ver gessen, in wessen Auftrag der Kartaperator gebaut wurde. Der defekte Roboter war un berechenbar. Ein falsches Wort konnte aus reichen, um ihm seine eigene Aufgabe ins Gedächtnis zu rufen. Und dann war Atlans Leben keinen Pfennig mehr wert. »Es gibt keine Möglichkeit, den Kartape rator zu vernichten«, sagte Manziel traurig. »Vielleicht doch«, meinte der Arkonide vorsichtig und löste die Siarta aus dem Gür tel. »Kennst du diese Waffe?« »Ich habe sie noch nie gesehen. Auch nichts, was ihr ähnlich wäre.« »Eine rätselhafte Frau gab sie mir«, er klärte Atlan. »Sie lebte in einer Oase südlich von dieser Baustelle. Sie befürchtete, daß Teimabor zerstört würde, wenn der Kartape rator zu arbeiten beginnt. Darum gab sie mir den Auftrag, die riesige Waffe mit der Siarta zu vernichten. Die Siarta sieht klein und
Diener der Vollkommenheit harmlos aus, aber ihre Wirkung ist schreck lich. Sie läßt Energien aus fremden Dimen sionen auf den Gegenstand prallen, den man unter Feuer nimmt. Nicht einmal der Karta perator ist imstande, das zu verkraften.« Manziel hockte regungslos da. Atlan war tete unruhig darauf, daß der Roboter seinen Kommentar abgab. Er fand es schwierig, mit diesen Maschinen aus Wolterhaven umzuge hen. Sie waren anders als alle Roboter, die er kannte. Die Posbis hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit den Arbeitern aus der Ro botstadt. Aber selbst sie waren leichter zu durchschauen. »Du willst den Kartaperator vernichten«, stellte Manziel endlich fest. »Da du dich wohl kaum nach den Vorschriften der Voll kommenheit richtest, hast du andere Gründe. Willst du sie mir nennen?« Atlan zögerte. Er wollte natürlich nicht, denn wenn er dieser durchgedrehten Ma schine erklärte, worum es ihm ging, erinner te er sich vielleicht doch wieder an ihren Auftrag. »Ich handle nur im Auftrag der Schatten kullja«, behauptete er. »Sie hat magische Kräfte. Sie würde mich bestrafen, wenn ich ihre Befehle nicht ausführe.« Das war etwas, was Manziel verstehen konnte. Er fand sogar ganz von selbst den logischen Ausweg aus dem ganzen Dilem ma. »Damit haben wir die Möglichkeit, die Technos abzulenken«, stellte er fest. »Und außerdem verschwindet dieser Schandfleck aus der Wüste. Ich werde die Vernichtung des Kartaperators übernehmen. Während die Technos sich um ihre Waffe kümmern, wirst du mit dem Fahrzeug die Kette der Wächter durchbrechen.« Atlan gab sich Mühe, ganz ruhig zu blei ben. Manziel sollte nicht auf die Idee kom men, daß der Arkonide genau dieses Ziel an gesteuert hatte. »Gut«, sagte er. »Dann sollst du mir jetzt den Ort zeigen, an dem du deine Schätze versteckt hast.« Manziel ließ Atlan in die aus Tentakeln
39 gebildete Schlinge steigen und flog mit ihm los.
7. Artol Forpan war zufrieden. Seine Tech nos hatten buchstäblich bis zum Umfallen gearbeitet. Jetzt war der Kartaperator fast fertig. Ein Bote kam und teilte mit, daß nur noch einige Verbindungselemente durchge prüft werden mußten. In spätestens einer Stunde konnte man damit beginnen, die Schutzschirm vor der Bucht der Zwillinge zu knacken. Forpan hatte den verständlichen Wunsch, diese erfreuliche Nachricht sofort weiterzu leiten. Insgeheim hoffte er auf ein Lob aus der FESTUNG. Sein leicht angeschlagenes Selbstbewußtsein hatte es wirklich nötig. Er drückte den entsprechenden Knopf an dem Funkgerät und wartete geduldig. Nach einer halben Minute meldete sich die typi sche, monotone Stimme. »Warum rufst du uns?« fragte sie düster. Forpan war überzeugt davon, daß die Her ren der FESTUNG längst wußten, was er ih nen zu sagen hatte. Aber sie trieben ihr eige nes Spiel, und Forpan mußte sich anpassen, ob es ihm gefiel oder nicht. »Wir haben unseren Auftrag erfüllt«, sag te er. »Der Kartaperator ist einsatzbereit.« Einen Augenblick lang blieb es still. »Diese Meldung ist nicht korrekt«, leierte die düstere Stimme dann. Forpan erschrak. Hatte er etwas überse hen? »Die Barriere existiert immer noch«, fuhr die Geisterstimme fort. »Erst wenn sie auf gebrochen ist, habt ihr unseren Befehl aus geführt.« »Es sind noch ein paar technische Kon trollen nötig«, murmelte Forpan hastig. Er ahnte, daß es ein Fehler gewesen war, die Herren so voreilig zu benachrichtigen. »In einer Stunde geht es los. Ich habe keinen Zweifel daran, daß wir den Horden der Nacht den Weg ebnen können.« »Melde dich wieder, wenn der Einsatz be
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endet ist!« befahl der Sprecher der FE STUNG. Es knackte, und die Verbindung war weg. Forpan starrte das Funkgerät ärgerlich an. Er fand es ungerecht, daß man ihn so kühl ab gefertigt hatte. Die Herren der FESTUNG machten es sich wieder einmal leicht. Sie gaben die Befehle – die Technos mußten zu sehen, wie sie mit den daraus entstehenden Schwierigkeiten fertig wurden. Forpan verbannte den ketzerischen Ge danken und widmete sich der Gegenwart. Er konnte jetzt nicht mehr viel tun. Das, was am Kartaperator noch zu erledigen war, fiel in den Zuständigkeitsbereich einiger Spezia listen. Er trat vor die Kuppel, von der aus er die Arbeiten geleitet hatte. Es wurde Abend, und beim Kartaperator flammten die ersten Scheinwerfer auf. Sonst war es sehr ruhig. Die Arbeiter hatten sich erschöpft in ihre Quartiere zurückgezogen. Nur die Technos, die dem Oberkommando angehörten, hielten sich noch mit Mühe auf den Beinen. Forpan sah einige von ihnen auf dem frei en Platz zwischen dem Kartaperator und den Kuppeln herumlaufen. Der Anblick der rie sigen Waffe, die jetzt mit allen drei Projek torstrahlern in den schnell dunkel werdenden Himmel zielte, hätte Forpan begeistern können. Leider gab es rundherum eine Reihe von Schönheitsfehlern: Die zertrümmerten Kuppeln, die dem Dorgonen zum Opfer ge fallen waren. Man hatte noch keine Zeit ge funden, die Trümmer wegzuräumen. Forpan wandte sich ab, um in die Kuppel zurückzukehren. Seine Gedanken beschäf tigten sich mit der Zukunft, die mit Sicher heit weitere Erfolge für ihn bereithielt. Forpan warf einen letzten Blick auf den Kartaperator, dann schloß er die Tür und überlegte, wie er den feierlichen Moment gestalten sollte.
* Razamon hatte sich mit Fenrir dicht an der Grenze hinter einer Sandverwehung ver borgen gehalten. Niemand hatte sie kommen
sehen. Geduldig wartete Razamon, bis die Sonne unterging. Die beginnende Dunkel heit war das verabredete Zeichen. Bis dahin wollte Atlan auf der Baustelle angekommen sein. Gelang es ihm früher, die Postenkette zu durchbrechen, würde er sich entweder verstecken, oder die Zeit nutzen, um sich so dicht wie möglich an den Kartaperator her anzuarbeiten. Razamon ging kein Risiko ein. Er hob die Waggu und lähmte mit wohldosierten Schüssen zuerst die nächsten Wächter. Fenr ir blieb ruhig neben ihm liegen. »Komm, Alter«, flüsterte Razamon. »Wir müssen näher heran.« Der Wolf brauchte keine weiteren Anwei sungen. Genau wie Razamon robbte er auf dem Bauch durch den Sand, bis sie die be leuchtete Zone erreicht hatten. Razamon be trachtete den Gittermast. Irgendwo mußte es etwas geben, womit man die Scheinwerfer ausschalten konnte. Er entdeckte da, wo der Wächter gestanden hatte, einige Hebel und nickte zufrieden. »Paß auf mich auf!« befahl er dem Wolf, dann raste er mit langen Schritten davon. Er erreichte den Mast und schlug mit der Faust wahllos gegen die Schalter. Die Scheinwer fer über ihm erloschen. Gleichzeitig hörte Razamon schräg vor sich einen Ruf und das Klirren von aufeinanderschlagenden Metall teilen. Er warf sich nach hinten, rollte ein Stück über den Boden und entging einem lähmenden Strahl. Neben ihm huschte etwas Graues vorbei, dann stieß jemand einen gur gelnden Laut aus, und ein dumpfer Aufprall folgte. »Gut gemacht«, lobte Razamon, als Fenrir zurückkehrte. Sie verließen den dunklen Abschnitt der Grenze hastig. Die Technos würden zuerst hier nach ihnen suchen. Im Schutz der Düne rannten sie weiter, stießen wieder vor und schalteten abermals ein paar Wächter aus. Auch diesmal gelang es Razamon, die Scheinwerfer zu löschen. Von der Stelle, an der sie zuerst zugeschla gen hatten, hörten sie aufgeregtes Rufen.
Diener der Vollkommenheit Waggus zischten, aber sie konnten höch stens den Gegner selbst treffen. »Weiter«, murmelte Razamon. »Wenn die Kerle sich weiterhin so dumm anstellen, wird Atlan es leicht haben.« Er legte es darauf an, die Technos vom Kartaperator weg an die Grenze zu locken. Es war sinnlos, wenn er selbst auf die Bau stelle vordrang. Als sie den dritten Vorstoß hinter sich hatten, dröhnten bei den Kuppeln ein paar Lautsprecher auf. »Wir werden aus der Wüste angegriffen«, sagte jemand. »Es dürfte sich um Parias han deln. Die Feinde besitzen Lähmwaffen. Sie dürften uns zahlenmäßig weit unterlegen sein. Alle Wächter werden aufgefordert, so fort zu schießen, wenn sich jenseits der Lichtzone etwas rührt.« »Gar nicht so dumm überlegt«, murmelte Razamon, zielte sorgfältig und sah zu, wie abermals ein Wächter im Sand landete. »Nur in einem hat er sich verrechnet. Die Parias würden an einem Punkt durchbrechen, um möglichst schnell an die erste Kuppel heran zukommen. Wir dagegen wollen nur die Grenze ein bißchen durchlöchern.« Fenrir knurrte leise. Er starrte auf etwas, was in der halben Dunkelheit nicht deutlich zu erkennen war. Razamon kniff die Augen zusammen. Etwas Großes, Dunkles schob sich zwischen den Kuppeln hervor. Ein Ge schütz? Er wartete nicht erst ab, bis sein Verdacht bestätigt wurde. Das dunkle Ding befand sich gerade noch im Wirkungsbereich seiner Waggu. Sicherheitshalber kroch er ein Stück weiter, ehe er das Feuer eröffnete. Rings um das düstere Etwas fielen Tech nos in den Sand. Dann entstand ein kleiner Lichtpunkt. Das Etwas begann zu rumpeln. Razamon ahnte nichts Gutes und zog sich hastig zurück. Fenrir schnappte nach dem Ärmel des Pthorers und zog ihn nach links. Der Pthorer rannte geduckt neben dem Wolf her, während das Rumpeln immer lauter wurde. Endlich blieb Fenrir stehen. Razamon sah
41 sich um und entdeckte ein panzerähnliches Fahrzeug. Es schien außer Kontrolle geraten zu sein, denn der Kurs, den es jetzt einhielt, gefiel den Technos bestimmt nicht. Das Ding schlingerte nämlich genau auf den nächsten Scheinwerfermast zu. Der Posten dort gehörte zu denen, die noch nicht mit dem lähmenden Strahl aus Razamons Wag gu Bekanntschaft gemacht hatten. Der Tech no wandte sich schreiend zur Flucht. Das Fahrzeug rumpelte unbeirrbar hinter ihm her. Razamon schloß vorsichtshalber die Au gen, als das schwere Gefährt in das Gewirr metallener Streben und Schaltelemente hin einkrachte. Es gab einen Blitz, den er durch die Augenlider hindurch wahrnahm. Dann krachte es unheilverkündend. »Volltreffer«, murmelte Razamon zufrie den. Das Fahrzeug war beim Aufprall explo diert. Der Gittermast war zur Seite gekippt und hatte sich im oberen Teil an ein paar Leitungen verfangen, die zwei große Kup peln miteinander verbanden. Die Scheinwer fer brannten – noch, denn im nächsten Mo ment huschten blaue Flämmchen durch den Mast, es knatterte und knallte wie bei einem Feuerwerk, und dann war es finster. Nicht nur an dieser Stelle, sondern auch gleich bei drei weiteren Masten. Razamon und Fenrir rannten weiter. Die Technos wurden allmählich munter. Noch drängten sie zu den Stellen, die Razamon und der Wolf längst hinter sich gelassen hat ten. Aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie das simple Schema der Angriffe durchschauten. Dann würden sie auch wis sen, daß sie es nicht mit einer ganzen Grup pe von Feinden zu tun hatten. Wieder gab die Waggu zischend ihre läh mende Energie ab. Zwei Wächter brachen zusammen. Aber fast gleichzeitig wurde auf der anderen Seite der Grenze ein Schuß ab gegeben. Razamon zog den Kopf ein und hastete weiter. Er ahnte, daß er von jetzt an nicht mehr viel tun konnte. Und er behielt recht.
42 Forpan hatte endlich bemerkt, was sich draußen abspielte. Er kam zu dem Schluß, es mit nur einem Mann zu tun zu haben. Der Paria mußte verrückt geworden sein, denn seine Angriffe waren völlig sinnlos. Mit sei nen Vorstößen lockte er nur immer mehr Technos an die Grenze. Damit verbaute er sich selbst den Weg ins Lager. Artol Forpan ließ sich die Punkte benen nen, an denen der Fremde bisher aufgetaucht war. Er lächelte verächtlich und schickte ei ne Gruppe bewaffneter Technos an die Stel le, an der mit großer Wahrscheinlichkeit der Paria beim nächstenmal in Aktion treten würde. Die Technos erreichten den Punkt termingerecht, aber der Fremde war gerissen und schnell – er lähmte den Fahrer des Ket tenfahrzeugs, mit dem die Technos den Fremden notfalls bis in die Wüste verfolgen sollten. Das Fahrzeug rammte einen Gitter mast, explodierte und richtete dabei großen Schaden an. Dieses Vorgehen sorgte für Verwirrung. Beim nächsten Vorstoß wurde nur ein schlecht gezielter Schuß auf den Paria abge geben. Beim nächsten Punkt jedoch wartete eine erfahrene Kampfgruppe unter der Lei tung von Feindschläger, dem besten Mann, den Forpan für solche Aufgaben einsetzen konnte. Feindschläger machte seinem Ruf alle Ehre. Als Razamon sich vorsichtig durch den Sand nach oben schob, um die Lage zu son dieren, flammten helle Scheinwerfer auf. Sie hingen nicht oben an den Masten, sondern waren auf kleine, wendige Fahrzeuge mon tiert. Razamon ließ sich nach hinten fallen. Es war keinen Augenblick zu früh. Zum Glück setzten die Technos immer noch nur läh mende Waffen ein – sie wollten den ver rückten Kerl, der ihr Lager angriff, lebendig in die Hände bekommen. Der Sand schirmte Razamon ab. Er kroch auf allen Vieren davon und hielt sich im Schutz einer Verwehung, die sich am Fuß einer riesigen Düne gebildet hatte. Hinter ihm summten die kleinen Motoren
Marianne Sydow der Fahrzeuge auf. »Jetzt wird es gefährlich«, flüsterte Raza mon dem grauen Wolf zu. »Hoffentlich hat Atlan inzwischen den Kartaperator erreicht. Wir können nicht mehr viel für ihn tun.« Fenrir betrachtete den Pthorer aufmerk sam, dann schnappte er plötzlich nach der Waggu. »He!« wisperte Razamon überrascht. »Was soll das?« Der Wolf lief schwanzwedelnd ein Stück voraus. Razamon entdeckte einen tiefen Ein schnitt in der Düne – eine Schneise, wie sie sie schon früher gefunden hatten. Angeblich hatte der Dorgone diese »Straßen« geschaf fen. Die Schneise war noch in Ordnung. Sie führte quer durch die Düne hindurch. Raza mon verstand noch nicht ganz, was der Wolf vorhatte, aber er nickte zufrieden. Der Bo den auf diesen Schneisen war hart. Er hinter ließ auf ihm keine Spuren, denen die Tech nos hätten folgen können. »Das ist eine gute Idee«, flüsterte er. »Aber was willst du mit der Waffe anfan gen?« Fenrir stieß ein kurzes, tiefes Knurren aus und wandte sich in die Richtung, aus der das Summen der Motoren kam. Die Fahrzeuge näherten sich bereits der Verwehung. Es war höchste Zeit, von hier zu verschwinden. »Also gut«, murmelte Razamon. »Ich hof fe, du weißt, was du dir da vorgenommen hast.« Er rannte los, mitten zwischen die hoch aufragenden Wände aus losem Sand, die sich zu beiden Seiten der DorgonenStraße erhoben. Er wußte, daß diese Wände verletz lich waren. Ein Schuß aus der Waggu konn te dazu führen, daß die Sandmassen herab stürzten und ihn unter sich begruben. Auf dem harten Boden hallten seine Schritte viel zu laut. Hinter ihm erzeugten die drehbaren Scheinwerfer ein wirres Netz von grellen Lichtbahnen. Einmal warf er sich gerade noch rechtzeitig zu Boden. Der Lichtkegel rannte über ihn hinweg. Und dann war er auf der anderen Seite. Er wandte sich in die Richtung des provisori
Diener der Vollkommenheit schen Lagers, in dem Teerträger wartete. Er hatte jetzt nicht einmal mehr eine Waffe, nur das Messer steckte noch in seinem Gürtel. Er bedauerte seinen voreiligen Entschluß, dem Wolf die Initiative zu überlassen. Fenrir hatte mehrmals bewiesen, daß er auch ver zwickte Situationen zu meistern vermochte. Aber Razamon fürchtete, der Wolf könnte die Technos unterschätzen. In ausreichender Entfernung vom Aus gang der Schneise stieg er nach oben, um sich nach Fenrir umzusehen. Der Wolf war verschwunden. Die kleinen Wagen befanden sich allerdings auch nicht mehr in Sichtweite.
* Fenrirs Trick – soweit er überhaupt fähig war, sich einen auszudenken – funktionierte wunderbar. Als Razamon in der Schneise verschwunden war, lief der Wolf, mit der Waggu in der Schnauze, den Technos entge gen. Ein Lichtstrahl streifte ihn. Fenrir ver hielt für einen Augenblick, gerade lange ge nug, um die Technos sehen zu lassen, mit wem sie es zu tun hatten. Die Männer auf den Fahrzeugen waren so überrascht, daß sie zu spät zur Waffe grif fen. Fenrir verschwand mit einem gewaltigen Satz in der Dunkelheit. »Ein Wolf!« schrie ein Techno über rascht. »Sogar einer, der eine Waffe durch die Gegend schleppt«, knurrte ein anderer. »Den holen wir uns!« bestimmte Feind schläger und gab damit das Signal für die Verfolgung des Fenrirs. Die Wagen folgten den Spuren des Wolfes. Im schrägen Licht aus den Schein werfern waren sie deutlich zu erkennen. Fenrir war die Düne hinaufgelaufen, und die Wagen krochen ihm nach. Die kleinen Fahr zeuge waren hier, auf dem lockeren Sand, gegenüber dem Wolf im Nachteil. Noch da zu dann, wenn es bergauf ging. Fenrir hatte den Kamm längst hinter sich gelassen, als
43 sich der erste Wagen brummend darüber hinweg schob. Fenrir konnte inzwischen ziemlich genau abschätzen, wie lange Razamon brauchen würde, um sich in Sicherheit zu bringen. Er lenkte die Technos von dem Pthorer ab, in dem er im unteren Teil des Hanges, wo zahl reiche, zum Teil quer zur sonst üblichen Richtung verlaufene Verwehungen einen wahren Irrgarten bildeten, scheinbar ziellos hin und her lief. Die Technos würden einige Zeit brauchen, um sich da hindurch zu fin den. Hätten sie Fluggeräte besessen, so wä ren Fenrirs Chancen rapide gesunken. Aber die Technos hatten keine andere Wahl, als stur den Abdrücken der großen Pfoten zu folgen. Nachdem er seine Gegner auf so erfreuli che Weise beschäftigt wußte, trabte Fenrir dahin zurück, wo die Schneise auf dieser Seite der Düne endete. Er war zwar noch niemals an diesem Ort gewesen, aber seine Instinkte führten ihn haargenau an sein Ziel. Und Fenrir erinnerte sich sogar an das, was vor mehreren Tagen in einer solchen Schnei se geschehen war. Atlan hatte auf die Ent führer des weißen Geiers geschossen, und daraufhin waren die Wände zusammenge brochen. Der Wolf wußte sehr genau, daß er die Technos nicht direkt angreifen konnte. Ihre Waffen wirkten über weite Entfernungen. Er würde niemals nahe genug an die Wagen kommen, um von seinen Zähnen Gebrauch zu machen. Aber er hielt es für seine Pflicht, Atlan und Razamon vor diesen schießwüti gen Gegnern zu schützen. Er mußte sie los werden. Am Eingang zur Schneise hielt er kurz an. Er schnüffelte an mehreren Stellen des Bodens und knurrte leise. Razamon war hier vorbeigelaufen. Er hat te die »Straße« jedoch erst ein Stück weiter verlassen, sonst hätte man seine Spuren im Sand sehen müssen. Fenrir war zufrieden. Alles lief so, wie es richtig war. Seine scharfen Ohren fingen die ganze Zeit über das Summen der Motoren und die
44 aufgeregten Rufe der Technos auf. Er be merkte auch die Veränderung in diesen Ge räuschen, als die Technos endlich den Irr garten verließen. Im schnellen Trab lief er ein kurzes Stück in die Schneise hinein, drückte sich am Rand der »Straße« auf den Boden und wälzte sich im Sand, bis die goldgelben Körner ihn fast bedeckten. Von da an rührte er sich nicht. Er vertraute dar auf, daß die vergleichsweise unerfahrenen Technos die wenigen Spuren Jagdeifer über sehen würden. Sie kamen kurz darauf angefahren. Als sie die Schneise erreichten, hielten sie an. Eini ge Männer sprangen von den Wagen und untersuchten die nähere Umgebung. »Nichts zu finden«, berichtete einer von ihnen schließlich. »Entweder hat das Biest sich in Luft aufgelöst, oder es kann fliegen.« »Unsinn!« widersprach Feindschläger energisch. »Es ist durch die Schneise gelau fen.« »Das wäre sehr dumm von ihm.« »Es ist ein Tier und will seine Beute«, be hauptete Feindschläger ärgerlich. »An einer Stelle wurde ein Wächter aufgefunden. Das muß dieser Wolf gewesen sein.« »Und die Schüsse?« »Es gibt seltsame Dinge in der Wüste Fylln«, knurrte Feindschläger. »Warum also nicht auch ein Wolf, der mit einer Waggu umgehen kann? Vielleicht hat er die Waffe einem Paria abgenommen. Aber es kann auch sein, daß ein Magier ihn ausgeschickt hat. Auf jeden Fall bin ich überzeugt davon, daß er ins Lager zurückkehrt. Natürlich wird man ihn dort schnell erwischen, aber inzwi schen holt er sich ein paar von unseren Leu ten. Also, worauf warten wir noch?« Fenrir lag reglos fast im Sand begraben und wartete mit der Geduld des Raubtiers auf den richtigen Moment. Nur seine Augen und die Nase ragten aus dem Sand hervor. Als die Technos auf die Wagen kletterten und auf die »Straße« rumpelten, wußte er, daß er es fast geschafft hatte. Und damit fing der gefährlichste Teil des Unternehmens an. Die Technos kamen näher, Sie beeilten
Marianne Sydow sich. Fenrir schloß die Augen, damit sie ihn nicht verraten konnten, wenn sie das Licht der Scheinwerfer zurückwarfen. Die Wagen ratterten so dicht an ihm vor bei, daß er die Vibrationen unter seinem Bauch spürte. Sechsmal schwoll das Rum peln an, wurde fast unerträglich laut und verschmolz dann mit den Motorgeräuschen der schon weiter entfernten Wagen. Dann war vor dem Wolf kein Techno mehr. Es wurde höchste Zeit, denn wenn die Wagen sich zu weit entfernten, bemerkten die Tech nos ihn vielleicht gar nicht. Fenrir erhob sich, packte die Waggu fe ster, um sie auf keinen Fall zu verlieren, schüttelte den Sand aus dem Fell und sprang auf die »Straße« hinaus. Er warf den Kopf zurück und stieß ein scharfes, lautes Jaulen aus. Dann stob er davon. Hinter ihm schrien die Technos durchein ander. Die Fahrzeuge hielten an. Fenrir lief im Zickzack. Eine Waggu zischte, aber der Schütze hatte schlecht ge zielt. Die Ohren des Wolfes fingen das cha rakteristische Rauschen von herabfallendem Sand auf. Fenrir verzichtete auf weitere Täu schungsmanöver und setzte all seine Kräfte ein, um so schnell wie möglich aus der Schlucht herauszukommen. Er schaffte es gerade noch. Hinter ihm brach die Schlucht zusammen. Immer schneller floß der lockere Sand nach unten. Die Technos hatten die Gefahr inzwischen erkannt und dachten gar nicht mehr an den geheimnisvollen Wolf, der einen so sinnlo sen Angriff auf die Baustelle verübt haben sollte. Sie überanspruchten die Motoren ih rer Fahrzeuge bei dem Versuch, noch recht zeitig aus der Schlucht zu kommen. Manche sprangen, von der Panik getrieben, aus den Wagen und versuchten es auf eigene Faust. Vielleicht dachten sie, daß sie zu Fuß schneller vorankamen. In den meisten Fällen stellte sich das als Trugschluß mit tödlicher Konsequenz heraus. Als Feindschläger schließlich seine ver wirrten, verängstigten Kämpfer einsammel te, stellte er fest, daß von dreißig Technos
Diener der Vollkommenheit nur vierzehn die Jagd auf den grauen Wolf überlebt hatten. Er benachrichtigte sofort Forpan. Allerdings nahm er sich die Freiheit, seine Schilderung ein bißchen zu frisieren, was seinen Leuten nur recht war. Laut Feindschläger hatte der Wolf unge wöhnliche Fähigkeiten, er hatte – dafür gab es angeblich Augenzeugen – mit der Waggu auf die tapferen Jäger geschossen und sie zum Teil mit den bloßen Blicken seiner tellergroßen Augen gelähmt. Da Forpan den Wolf nicht gesehen hatte, schluckte er die sen Unsinn widerstandslos. Fenrir trabte inzwischen zufrieden den Spuren Razamons nach. Für heute dürften die Technos ihren Jagdeifer gestillt haben. Bis zum nächsten Tag würde der Wind, der sich in dieser Wüste niemals legte, sämtliche Spuren beseitigt haben. Als er Razamon endlich einholte und dem Pthorer die Waggu zurückgab, war er fest davon überzeugt, etwas ganz Großes gelei stet zu haben. Razamon hatte von seinem Aussichtspunkt gesehen, wie die Technos voller Panik zwischen den Dünen hervorra sten, aber er hatte natürlich keine Ahnung, was Fenrir im einzelnen alles angestellt hat te. Er fand jedoch das Ergebnis so zufrieden stellend, daß er den Wolf einfach loben mußte. »Das hast du großartig gemacht«, sagte er zu dem Wolf. Und im nächsten Augenblick fand er sich im Sand wieder. Fenrir mochte noch so klug und be herrscht handeln können, in diesem Augen blick ging sein Temperament mit ihm durch. Er leckte den Pthorer voller Dankbarkeit und Freude so lange ab, bis Razamon halb er stickt um Gnade flehte.
8. Als der überfall begann, waren Atlan und Manziel gerade bei der Schatzkammer des Robotdieners angelangt. Manziel öffnete ei ne Tür im Fundament eines Gittermasts und wies mit fast stolzer Gebärde auf das, was er
45 im Dienst der Vollkommenheit angehäuft hatte. Atlan mußte sich Mühe geben, den ge bührenden Ernst zu bewahren. Manziel hatte wahllos alles gesammelt, was nicht niet und nagelfest war. Dabei bevorzugte der Robot diener runde Gegenstände. So war es ge kommen, daß Manziel auch etliche Früchte, die seinem Schönheitsideal entsprachen, zu seinen Schätzen zählte. Manche davon wa ren infolge ihrer Überreife aus den Fugen geraten und verbreiteten einen wenig ange nehmen Geruch. Dazwischen lagen Schrau ben, Lampen, Drahtrollen, Knöpfe, Schalt elemente und vieles andere. »Wir brauchen ein Fahrzeug«, erinnerte er den Roboter, der ganz in den Anblick dieser Pracht versunken war. »Ich werde eines besorgen«, versprach Manziel. »Warte hier auf mich.« Atlan setzte sich neben die Wand und fragte sich, ob die Idee, Manziel für seine Ziele einzuspannen, wirklich so gut war. Der Roboter schien noch verrückter zu sein, als er bisher geglaubt hatte. Ein paar Minuten später war Manziel zu rück. »Ich habe es gefunden«, teilte er seinem neuen Verbündeten mit. »Komm.« Atlan ließ sich zu einem Transporter füh ren. Manziel wartete gespannt auf das Urteil des Arkoniden, der das Fahrzeug einer schnellen Inspektion unterzog. »Wir haben Glück«, meinte Atlan. »Mit den Kontrollen werde ich keine Schwierig keiten haben. Sie sind sehr einfach. Die Energiezellen sind voll aufgeladen: Ich den ke, es reicht, um damit bis nach Wolterha ven zu kommen.« Dabei überlegte er krampfhaft, wie er dem Roboter später, nach der Vernichtung des Kartaperators, erklären sollte, daß es keinen Sinn hatte, in die Stadt der Robotbür ger zurückzukehren. »Dann wollen wir mit dem Beladen be ginnen«, schlug Manziel begeistert vor. Atlan schwitzte Blut und Wasser, als er das schwere Gefährt im niedrigsten Tempo
46 zwischen den Kuppeln voller schlafender Technos hindurchmanövrierte. Kaum hielt er neben dem Fundament, da entstand an ei ner Stelle der Grenze Lärm. Das mußten Razamon und Fenrir sein. Die Sonne war untergegangen, der Schein angriff begann. »Paß auf«, wandte der Arkonide sich an Manziel. »Was immer an der Grenze auch los sein mag, es lenkt die Technos ab. Eine so gute Gelegenheit kommt nicht wieder. Das hier schaffe ich auch alleine. Geh du jetzt zum Kartaperator.« Manziel zögerte. »Es sind schwere Gegenstände dabei«, wandte er ein. »Du wirst sie kaum bewegen können.« »Unterschätze mich nicht«, warnte Atlan. »Selbstverständlich bin ich nicht so stark wie du, aber mit dem Zeug hier werde ich schon fertig.« »Zeug?« fragte Manziel empört. »Es war nicht so gemeint«, entschuldigte der Arkonide sich hastig. Manziel schwebte ratlos auf der Stelle. Er hatte Zweifel daran, daß dieser Organische den Wert seiner Sammlung richtig ein schätzte. Vielleicht war es doch besser, wenn Manziel den Kartaperator in Ruhe ließ und sich selbst um seine Schätze kümmerte. Wenn der Organische das Fahrzeug zu steu ern vermochte, sollte ein würdiger Arbeiter aus Wolterhaven erst recht damit fertig wer den. Atlan merkte, daß es eine Krise gab. Um seinen guten Willen und seine Kraft zu de monstrieren, lud er sich einen Geräteblock auf und schleppte ihn auf die Ladefläche. Das Zischen der Waggus kam jetzt von mehreren Stellen am Rand der Baufläche. Über Lautsprecher wurde bekanntgegeben, daß eine Gruppe von Parias für den Überfall verantwortlich gemacht wurde. Manziel schwebte kurz nach oben und sah Scharen von Technos, die den gefährdeten Stellen zueilten. Das und die Tatsache, daß der Or ganische mit Feuereifer die Kammer leer räumte, bewogen ihn, nun doch dem ur-
Marianne Sydow sprünglichen Plan zu folgen. »Gib mir die Waffe«, forderte er. »Wirst du den Kartaperator vernichten?« fragte Atlan und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ja«, sagte Manziel nur, nahm die Siarta an sich und schwebte davon. Atlan arbeitete verbissen weiter. Später konnte er sich immer noch den Kopf darüber zerbrechen, wie er diesen übergeschnappten Roboter loswerden sollte. Nach einer Weile wurde es an der Lager grenze ruhiger. Atlan stapelte die letzten Re ste von Manziels Sammlung auf die Ladeflä che, hockte sich neben das Fahrzeug und wartete nervös auf ein Zeichen, das das En de des Kartaperators ankündigte.
* Die große Maschine war fertig, das Werk vollbracht. Forpan war jetzt wirklich stolz auf sich. Zwar hatte er selbst nicht an der eigentlichen Montage des Kartaperators teil genommen, aber er trug die Verantwortung dafür, daß alles seinen richtigen Gang nahm. Trotz zahlreicher Schwierigkeiten hatte er es geschafft. Forpan hätte über das Kommunikations netz den verantwortlichen Leuten den sch lichten Befehl geben können, nunmehr die Projektionsstrahler in Betrieb zu setzen. Das erschien ihm jedoch als würdelos. Mit Sicherheit geschahen so große Dinge nur einmal in seinem Leben. Eine solche Gelegenheit durfte man nicht ungenutzt ver streichen lassen. Forpan legte gerade die traditionelle Klei dung aller Technos an. Damit wollte er de monstrieren, daß die Plackerei mit der riesi gen Maschine ein Ende gefunden hatte. Im selben Augenblick, in dem er seinen Gürtel schloß, erfolgte der erste Angriff auf die Baustelle. Artol Forpan war schockiert. Ausgerech net jetzt, im Augenblick seines größten Tri umphes, mußte es geschehen! Er hörte sich die Meldungen an und traf
Diener der Vollkommenheit dann eine Entscheidung, die sich als schlim mer Fehler herausstellen sollte. Forpan gelangte nämlich zu der Ansicht, daß es würdelos war, den Kartaperator in Betrieb zu nehmen, während ein großer Teil der Technos einem Gegner entgegentrat, den man ohnehin in kürzester Zeit besiegen wür de. Was konnten ein paar Parias, die schlecht ausgerüstet und wahrscheinlich halb verhungert waren, gegen das Lager schon ausrichten? Er übernahm selbst die Leitung der Ab wehrmaßnahmen. Er schickte Feindschläger los und verlor ihn aus den Augen. Die Schießerei hörte auf, aber auch Feindschlä gers Truppe, die dem Gegner auf den Fersen sein sollte, meldete sich nicht. Bis dann end lich die aufgeregte Stimme aus dem Laut sprecher drang. Mit wachsender Verwunde rung hörte Forpan die Geschichte von dem riesigen grauen Wolf. »Es war ein schwerer Kampf«, schloß Feindschläger erschöpft. »Wir haben viele Opfer zu beklagen. Aber es steht ohne jeden Zweifel fest, daß der Wolf seiner eigenen Falle zum Opfer fiel. Er lockte uns in die Schlucht, um uns vollzählig zu vernichten. Dabei kam er selbst ums Leben.« »Bist du sicher?« fragte Forpan beunru higt. »Ganz sicher«, sagte Feindschläger. »Zweifellos war dieses Tier mit magischen Kräften ausgestattet. Sie dürften ihm in die sem Fall jedoch nicht geholfen haben. Kein Lebewesen kann eine so große Strecke rechtzeitig zurückgelegt haben.« Forpan stimmte Feindschläger zu – wobei er nicht wissen konnte, daß dieser, um den guten Ruf seiner Leute besorgt, ein paar Da ten frisiert hatte. Forpan kam auch nicht auf den Gedanken, daß der Wolf etwa in Beglei tung anderer Wesen zur Baustelle gekom men war. Wer sollte es auch wagen, etwas anzugreifen, das den Herren der FESTUNG gehörte? Forpan zerbrach sich nicht einmal den Kopf über die Motive, die den Wolf zu seiner selbstmörderischen Aktion getrieben haben mochten. Er nahm es dankbar zur
47 Kenntnis, daß endlich alle Hindernisse über wunden waren. Der größte Augenblick in Forpans Leben war da. Mit gemessenen Schritten trat er aus der Kuppel und ging auf den Kartaperator zu, um selbst an Ort und Stelle zu erleben, wie die riesige Waffe ihre Arbeit aufnahm.
* Inzwischen näherte sich Manziel dem Kartaperator, und er stellte sich dabei sehr geschickt an. Kein einziger Techno bekam ihn zu sehen. Um andere Robotdiener mach te Manziel einen großen Bogen. Er spürte sie immer rechtzeitig auf – daß sie ihn nicht mehr wahrzunehmen vermochten, ahnte er nicht einmal. Am Rand der freien Fläche verharrte Manziel kurze Zeit. Fast andächtig betrach tete der Robotdiener das häßliche Gebilde, das nun bald verschwunden sein sollte. Manziel gedachte der Vollkommenheit, die sich damit automatisch einstellen würde, und Freude durchrieselte seinen metallenen Körper wie die beruhigenden Energieschau er, die jeder Robotdiener in Wolterhaven zwecks Instandhaltung ab und zu über sich ergehen lassen durfte. Ungesehen schwebte Manziel weiter. Ein Teil der Technos hielt sich noch immer in den Grenzbereichen auf, um das Lager vor weiteren Überfällen zu schützen. Im Karta perator befanden sich ein paar Fachleute, die die Waffe bedienen sollten. Alle anderen Technos hatten sich wohlweislich vor dem unberechenbaren Ding zurückgezogen. Atlan hatte dem Robotdiener genaue An weisungen für den Gebrauch der Siarta ge geben. Manziel maß die Warnung, den Aus löser nur einmal zu betätigen, wenig Bedeu tung bei. Die Auswirkungen mochten für die Organischen verheerend sein, aber ihm – so meinte er – würde das bißchen Energie nichts anhaben. Immerhin begab er sich zunächst zu der Stelle, die den wunden Punkt des Kartapera
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tors bildete. Er wollte kein Risiko eingehen. Wenn er die Waffe nicht lahmlegte, weiger te sich am Ende der Organische, die Schätze nach Wolterhaven zu bringen. Manziel verzichtete darauf, in den Schal traum einzudringen. Die wichtigen Elemente lagen dicht unter der metallenen Hülle. Manziel richtete die beiden Läufe der Siarta aus und drückte auf den Knopf zwi schen den Griffen. Vor ihm entstand etwas, das seinen Kör per in angenehme Schwingungen versetzte. Eine Leuchterscheinung, wie er sie nicht einmal im Rausch der Illusionssteine wahr genommen hatte, schlug ihn in ihren Bann. Nur nebenbei bemerkte er, daß sich gleich zeitig die Oberfläche des Kartaperators ver änderte. Bunte Blitze zuckten von allen Sei ten herbei, verwandelten sich zu Mustern von vollkommener Harmonie und verblaß ten dann allmählich. Manziel bemerkte es enttäuscht. Er war nicht gewillt, sich diese Vollkom menheit entgehen zu lassen. Hastig schweb te er weiter, drückte abermals auf den Knopf, dann noch einmal – er konnte gar nicht damit aufhören …
* Artol Forpan begriff im ersten Augen blick gar nichts. Er sah, daß am Kartaperator etwas glühte. Sein erster Gedanke galt den Spezialisten. Sollten diese Tölpel es gewagt haben, die Waffe zu aktivieren, ohne den Befehl For pans äbzuwarten? Das war eine Unverschämtheit! Forpan ging schneller. Er würde diesen Narren schon klarmachen, wer hier das Sa gen hatte. Dann glühte es abermals auf, und diesmal begriff Forpan, daß etwas nicht in Ordnung war. Er blieb stehen. Irgend jemand in der Kuppel richtete einen Scheinwerfer an der Seitenwand des Kartaperators. Forpan sah voller Entsetzen die Veränderung, die das Metall mitmachte. Es wurde zerbeult und
verdreht, krümmte sich wie unter Schmer zen, glühte auf und zerfloß förmlich zu ei nem unförmigen Klumpen. Und die Verän derung betraf nicht nur die Außenhülle. Ein regelrechter Krater entstand, dessen Wände, nachdem das Glühen nachließ, bunt ge scheckt von eingeschmolzenen Kabeln, Schaltelementen und anderen Dingen war. Forpan rannte entsetzt los. Vielleicht war noch etwas zu retten – wenigstens hoffte er das. Wenn der Kartaperator zerstört wurde, konnte die Barriere nicht geknackt werden, und wenn die Barriere nicht geknackt wur de, würden die Herren der FESTUNG sehr ungehalten sein – Forpan wagte es kaum, über die weiteren Konsequenzen nachzuden ken. Als er nahe genug war, entdeckte er den Roboter. Zuerst kam er nicht auf die Idee, daß es sich um das diebische Blechding handelte, das sich als würdigen Arbeiter des Herrn Vortimer zu bezeichnen pflegte. Manziel hatte sich nämlich sehr verändert. Sein Kör per besaß nunmehr eine Form, die sich beim besten Willen nicht beschreiben ließ. Trotz dem funktionierte die Maschine noch – gera de richtete sie eine seltsame, rote Waffe auf den Kartaperator. »Aufhören!« brüllte Forpan entsetzt. »Geh da weg, du Biest! Laß den Kartapera tor in Ruhe! Sofort aufhören, hast du ge hört?« Manziel hatte offenbar nichts vernom men, denn er drückte ungerührt auf den Aus löser. Unter wabernden Lichterscheinungen schmolz ein weiterer Teil des Kartaperators zusammen. Forpan sah rot. Er raste auf den Roboter zu, ohne daran zu denken, daß er die schwe re Maschine unmöglich von dem kostbaren Kartaperator wegzuziehen vermochte. Noch weniger überlegte er sich, in welche Gefahr er sich begab. Unter wilden Flüchen stolperte er genau in dem Augenblick über ein im Sand liegen des Werkzeug, als Manziel sich die Projek torstrahler vornahm.
Diener der Vollkommenheit »Nein«, wimmerte Forpan. »Das darf nicht sein. Kann denn niemand dieses Ding zur Vernunft bringen?« Forpans Mitarbeiter hatten sich voller Entsetzen zurückgezogen. Die Technos, die sich im Kartaperator aufgehalten hatten, wa ren Manziels Anschlägen zum Opfer gefal len. Forpan war alleine auf weiter Flur – nie mand hörte ihn auch nur. Immerhin bewahr te ihn der Sturz in den Sand vor dem Schick sal, ebenfalls verdreht und zerbeult aus dem Wabern aufzutauchen. Das Werkzeug war so hart gewesen, daß Forpan sich ernsthaft verletzt hatte. Er konnte nicht aufstehen. Hilflos hockte er da und sah zu, wie Manziel die riesige Waffe systematisch vernichtete. Schließlich blieb von dem Kartaperator, auf den Forpan so stolz gewesen war, nur noch ein kolossales Gebilde total verzerrter Metallmassen übrig. Manziel, der gar nicht begreifen konnte, daß das wunderschöne Spiel ein Ende haben mußte, drückte noch immer auf den Auslö ser der Siarta. Aber die Leuchterscheinun gen blieben aus. Vielleicht war die Kraft der Waffe erschöpft, oder es war einfach nichts mehr da, was den Einsatz von so viel Ener gie aus fremden Dimensionen rechtfertigte. Betrübt ließ Manziel die Waffe fallen. Langsam schwebte er auf den Boden zurück. Dort angekommen, justierte er sein opti sches System, was ziemlich kompliziert war, da die einzelnen Linsen sich willkürlich über seinen deformierten Körper verteilt hatten. Viele Linsen verdienten außerdem die Be zeichnung nicht mehr. Trotz allem schaffte es Manziel, sich einen Eindruck vom derzei tigen Aussehen des Kartaperators zu vermit teln. Das Ergebnis war niederschmetternd. Manziel hatte noch niemals etwas so wi derwärtiges gesehen, wie diesen verschrobe nen Metallberg. Keine der zahlreichen Spit zen, Krater, Dellen und Auswüchse ließ sich auch nur entfernt mit der Vorschrift der Vollkommenheit in Verbindung bringen. Und das war sein Werk! Manziel schämte sich in Grund und Bo
49 den. Verschwommen tauchte die Erinnerung an den Herrn Vortimer in ihm auf. Er erkannte, daß er die Grenze endgültig überschritten hatte. Auch wenn der Herr Vortimer – wie Manziel immer noch fest glaubte – seine bisherigen Aktivitäten gebil ligt hatte, das würde er ihm niemals verzei hen. Der Robotdiener verharrte regungslos. Er war völlig damit beschäftigt, eine Lösung für das Problem zu suchen, das sich ihm auf drängte. Er merkte nicht, daß endlich ein paar Technos näherkamen. Sie trugen Forpan in eine Kuppel, wo man sich um den Bauleiter kümmern würde, dann wagten sie sich an den Roboter heran. Sie streiften den Karta perator mit ängstlichen Blicken und wagten es kaum, überhaupt in diese Richtung zu se hen. Als sie Manziel erreichten, war dieser zu einem Entschluß gekommen. Die Technos zuckten zurück, als aus dem chaotischen Gewirr von Metall und Linsen eine dumpfe Stimme drang. »Manziel, würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer in Wolterhaven, beendet seine Exi stenz«, erklärte die Maschine. Und von da an sagte sie nie mehr auch nur ein Wort. Ein paar Minuten später kamen zwei an dere Roboter. »Er hat sich ausgeschaltet«, erklärte einer der Technos. »Wir bringen ihn weg.« Sie schwebten mit Manziel davon, und keiner der Technos interessierte sich dafür, wohin sie den demolierten Diener der Voll kommenheit brachten.
* Willenlos ließ Forpan es über sich erge hen, daß man seinen Fuß untersuchte und einen Verband anlegte, ihm ein gallebitteres Medikament einflößte, das die Schmerzen betäubte, und ihn anschließend in sein Bett trug. Dort lag er dann, die Augen in unbekann te Weiten gerichtet, und sein Gehirn war so
50 leer wie eine Stachelgurke nach der Samen explosion. Er fühlte sich unfähig, etwas zu denken, zu sagen oder zu unternehmen. Er hatte nicht einmal gefragt, was mit Manziel geschehen war, und die Technos, denen ihr schweigsamer Bauleiter geradezu unheim lich war, hatten wohlweislich den Mund ge halten. Manziel spielte schließlich auch kei ne Rolle mehr. Es gab nichts mehr, was er hätte vernichten können. Alles, was hier auf der Baustelle existierte, war absolut entbehr lich im Vergleich zum Kartaperator. Neben Forpans Kopf summte es. Der Techno achtete nicht auf das Ge räusch. Er fühlte sich durch nichts und nie manden mehr angesprochen. Sogar die Her ren der FESTUNG waren ihm gleichgültig geworden. Er wußte, daß er versagt hatte. Natürlich war es nicht ausschließlich Forpans Schuld, daß Manziel an den Kartaperator hatte her ankommen können. Schließlich hatte man ihm aus der FESTUNG den Befehl erteilt, nicht länger nach dem Robotdiener zu su chen, sondern sich voll und ganz der Fertig stellung der Riesenwaffe zu widmen. Forpan hätte sich durchaus herausreden können. Nicht nur das: Forpan war und blieb ein sehr wertvoller Arbeiter für die Herren der FESTUNG. Sie würden ihn nicht vernich ten, sondern ihm eine zeitlich begrenzte Strafe auferlegen. Kein Grund zur Verzweif lung also. Aber da war die Familie Gordy. Der Begriff an sich war irreführend, denn selbstverständlich handelte es sich um keine Familie im üblichen Sinn. Die Familie Gordy bestand nur aus Männern unter schiedlichen Alters. Aber die Technos dieses Clans gehörten in jeder Beziehung zur Ober schicht ihres Volkes. Sie galten als die Lieb linge der Herren der FESTUNG. Bei ihnen gab es keine Versager. Artol Forpan hatte seinen Platz in dieser bevorzugten Gemein schaft verspielt. Die Herren der FESTUNG dachten zweckgebunden – das war der Grund, warum Forpan von ihnen nicht viel zu befürchten hatte. Bei der Familie Gordy
Marianne Sydow stand die Ehre der Gemeinschaft an erstem Stelle bei allen Überlegungen. Forpan wußte sehr genau, daß er weder Gnade noch Ver ständnis erhoffen durfte. Man würde ihn mit Schimpf und Schande davonjagen, und das hieß, daß er sein weiteres Leben als Paria fristen mußte. Der Gedanke war unerträglich. Er hatte die Ausgestoßenen immer verachtet. Viel leicht wäre es besser gewesen, einmal daran zu denken, daß auch ein Artol Forpan durch gewisse Umstände zum Versager abgestem pelt werden könnte. Das Summen neben seinem Kopf hörte nicht auf. Forpan sah sich träge um und starrte das Funkgerät verständnislos an. Dann kam ihm die Erleuchtung. Die Herren der FESTUNG! Sie würden noch früh genug erfahren, was mit dem Kartaperator geschehen war. Aber sie sollten die Nachricht nicht aus dem Mund eines Technos hören, der der Familie Gordy angehörte! Artol Forpan zog sein Schwert, betrachte te es einen Augenblick lang mit ausdrucks loser Miene und stieß es sich dann in die Brust. Nicht einmal ein Stöhnen kam über seine Lippen. Er starb schweigend, wie die ungeschriebenen Gesetze seines Clans es verlangten.
* Atlan hatte sich einen Platz gesucht, von dem aus er den Kartaperator einigermaßen gut sehen konnte. Als bei der riesigen Waffe eine wabernde Energiewolke auftauchte, zuckte er zusammen. Einen furchtbaren Au genblick lang dachte er, Manziel war zu spät gekommen und der Angriff auf die Erde hät te bereits begonnen. Dann erkannte er die charakteristischen Begleiterscheinungen, wie sie nur beim Einsatz der Siarta auftraten. Er trat hastig den Rückzug an. Hoffentlich beeilte sich der Robotdiener, damit sie die Verwirrung der Technos für ihre Flucht aus nutzen konnten. Er kam zehn Schritte weit, dann waberte
Diener der Vollkommenheit es hinter ihm schon wieder. Das Problem Manziel ist gelöst, bemerkte der Extrasinn trocken. Atlan dachte eine Verwünschung. Ihm war zwar klar gewesen, daß sie auf keinen Fall mit Manziel nach Wolterhaven fahren konnten, denn sie hatten schon genug Zeit verloren, und die Stadt der Robotbürger lag in der entgegengesetzten Richtung zu ihrem eigenen Ziel. Trotzdem hatte ihm der Robo ter irgendwie leid getan. Manziel konnte nichts dafür, daß die Unordnung auf dieser Baustelle ihn verwirrte. Der Fehler lag bei den Herren der FESTUNG. Sie hätten die Robotdiener in ihrer Stadt lassen sollen, wo sie sich wohl fühlten. Seitdem Atlan den furchtbar zugerichteten Körper der Schattenkullja gesehen hatte, be handelte er die Siarta mit großer Zurückhal tung. Das Schicksal, in die zurückschlagen den Energiefluten zu geraten, hätte er nicht einmal seinem ärgsten Feind gewünscht. Das änderte jedoch nichts an den Tatsa chen. Manziel schoß immer wieder auf den Kartaperator. Schon mit dem zweiten Schuß hatte der Roboter sein Schicksal besiegelt. Atlan hatte keine Veranlassung mehr, sich um den Wagen mit den »Schätzen« des Ro botdieners zu kümmern. Manziel würde sich kaum noch für seine Sammlung interessie ren, geschweige denn nach Wolterhaven zu rückkehren. Wenn die Siarta sein positroni sches Leben nicht auslöschte, würden die Technos es nachholen. Der Arkonide rannte zwischen den Kup peln hindurch auf die Grenze des Lagers zu. Es blieb erstaunlich ruhig auf der Baustelle. Atlan fragte sich, ob die Technos überhaupt schon gemerkt hatten, was mit ihrem Karta perator geschah. Er konnte nicht ahnen, daß die meisten Technos annahmen, der Angriff auf die Barriere hätte begonnen, und sich aus Furcht vor den Nebenwirkungen in den Kuppeln verkrochen. Ungehindert erreichte er die Grenze. Die Wächter waren verschwunden. Die ganze Situation kam dem Arkoniden unwirklich vor. Hinter ihm verging der Kartaperator in
51 wabernder Glut, und man hätte annehmen sollen, daß die Technos bis zum letzten Blutstropfen um die Maschine kämpften, die sie unter so harten Bedingungen zusammen gebaut hatten. Statt dessen herrschte gespen stische Stille. Nur das ewige Singen, mit dem die Sandkörner sich im Wind beweg ten, war zu hören. Er rannte auf den nächsten Einschnitt zwi schen zwei Dünen zu und verlor die Baustel le aus den Augen. Eine halbe Stunde später erreichte er den Platz, an dem sie sich wie der treffen wollten. Teerträger saß immer noch im Sand. Es schien, als hätte er sich während ihrer Abwesenheit nicht vom Fleck gerührt. Razamon und Fenrir lagen knapp unter dem Kamm der Düne und beobachte ten die Baustelle. »Geschafft«, sagte Razamon nüchtern, als Atlan neben ihm auftauchte. »Laß dich an schauen. Du siehst doch noch ganz normal aus?« Atlan erklärte, wie er auf Manziel gesto ßen war. »Ich habe ihn gewarnt«, murmelte er nachdenklich. »Er wußte, daß er nur einmal auf den Knopf drücken durfte.« »Wenn bei ihm sowieso schon ein paar Schrauben locker waren, hat ihm die Siarta wohl den Rest gegeben. Sieh dir das an! Vom Kartaperator ist nichts übriggeblieben, das sich noch verwenden ließe. Er hat min destens zwanzigmal auf die Maschine ge schossen.« Atlan starrte das an, was von der gewalti gen Waffe noch zu sehen war. Inzwischen waren die Technos aus ihren Kuppeln ge kommen. Scharen von ihnen gingen um den Kartaperator herum. Selbst aus dieser Ent fernung konnte man erkennen, daß die Leute im Tal ratlos und betroffen waren. Wahr scheinlich hatten sie Angst vor den Herren der FESTUNG. Ganz bestimmt zerbrachen sie sich den Kopf darüber, wer den Kartape rator zerstört hatte. Ob sie Manziel schon gefunden hatten? Wenn sie die Siarta sahen, mußten sie er kennen, daß jemand sich auf die Baustelle
52 geschlichen hatte. »Wir müssen weg von hier«, sagte Atlan. »Wenn sie den Schock verdaut haben, wer den sie nach uns suchen.« »Sie werden nicht viel finden. Der Wind frischt auf. Hoffentlich gibt es keinen Sturm.« Atlan dachte an die wandernden Dünen zurück und schüttelte sich. Er ging zu Teer träger, zog dessen Kleidung aus und warf sie dem Techno zu. Er war froh, als er wieder in der leichten, bunten Stoffkleidung steckte, die sie auf der DEEHDRA gefunden hatten. »Darf ich?« fragte Teerträger. Atlan nickte. Er sah die Vorräte durch und zog dann die Karte hervor, die sie in Teima bor an sich genommen hatten. »Zwischen diesem Ort und Moondrag lie gen fünf Oasen«, sagte er zu Razamon, der sich neben ihm gesetzt hatte. »Zantorgan ist uns am nächsten, und die Entfernung stimmt ungefähr mit der zu Teimabor überein. Wenn wir mit dem Wasser sparsam umge hen, können wir es schaffen.« »Du willst nicht nach Teimabor zurück?« »Was sollen wir da? Die Schattenkullja ist tot, und von den Parias haben wir nur Schlechtes zu erwarten.« »Wir könnten versuchen, von Teimabor aus die Senke der verlorenen Seelen zu er reichen und sie im Nordosten zu umgehen. Dann kommen wir an den Taamberg, und von dort ist es nicht mehr weit bis zur FE STUNG. Im Norden dagegen geraten wir in die Nähe der Eisküste und der Dunklen Re gion. Wer weiß, was uns da erwartet!« »Nichts Gutes«, stimmte Atlan zu. »In diesem verdammten Land gibt es wohl kei nen Flecken Erde, der keine Gefahren birgt. Aber erstens müssen wir damit rechnen, daß wir mit der Vernichtung des Kartaperators die Herren der FESTUNG mißtrauisch ge macht haben. Sie werden – wenn sie uns mit dem Überfall in Verbindung bringen – damit rechnen, daß wir auf die FESTUNG zumar schieren. Der kürzeste Weg führt am Taam berg vorbei. Sie werden dort zuerst nach uns suchen.«
Marianne Sydow »Und zweitens?« »Moondrag«, sagte Atlan. »Die Stadt liegt am Rand von Pthor. Wir können von dort aus sehen, ob die Schirme immer noch ste hen. Vielleicht gelingt es uns sogar, eine Verbindung zur Außenwelt herzustellen.« »Du gibst es nie auf, wie?« Atlan lächelte bitter. Er wußte selbst, wie gering die Aussicht auf einen Erfolg war. Aber er wollte einfach nicht glauben, daß Rhodan überhaupt nichts unternahm. Selbst wenn man einen veränderten Zeitablauf be rücksichtigte, mußte es doch irgendeine Ver ständigungsmöglichkeit geben! »Also gut«, murmelte Razamon. »Gehen wir nach Moondrag. Hoffentlich sind die Leute dort nicht noch unfreundlicher als in den Städten, die wir schon hinter uns haben. Teerträger, was ist mit dir? Gehst du mit uns? Sicher treffen wir in einer Oase auf Pa rias, denen du dich anschließen kannst.« »Ihr habt von Teimabor gesprochen«, sag te der Techno. »Ist das auch eine Oase?« »Ja«, antwortete Razamon überrascht. »Daran habe ich gar nicht gedacht. Eine Gruppe von Technos hat sie erobert.« »Wie weit ist es bis dort hin?« »Wenn du dich beeilst, kannst du morgen mittag schon da sein.« »Dann gehe ich nach Teimabor«, be schloß Teerträger. »Könnt ihr mir die Rich tung sagen?« »Du mußt genau nach Süden gehen«, er klärte Atlan. »Dann kannst du Teimabor kaum verfehlen – es sei denn, du gerätst in einen Sandsturm.« »In dem Fall bin ich sowieso verloren«, stellte Teerträger fatalistisch fest. »Aber wo ist Süden? Jetzt in den Nacht gibt es doch keinen Anhaltspunkt.« Atlan war zunächst verblüfft, dann erin nerte er sich daran, daß Pthor ja nur vorüber gehend den Planeten Terra besuchte. Die Technos hatten keine Beziehung zu den Sternbildern des ihnen fremden Firmaments. Unwillkürlich fragte sich der Arkonide, ob Pthor auf allen Planeten eine Position ein nahm, die es den Technos erlaubte, sich ex
Diener der Vollkommenheit
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akt nach der jeweiligen Sonne zu orientie ren. Es mußte wohl so sein, sonst hätten die Bewohner von Pthor gar keine Beziehung zu den verschiedenen Himmelsrichtungen ent wickeln können. Er schob diese Überlegungen beiseite und zeigte Teerträger den Polarstern. Er erklärte ihm auch die Sternbilder, mit deren Hilfe der Techno diesen einen Stern immer wieder finden konnte. »Gut«, sagte Teerträger schließlich. »Ich glaube, so werde ich meinen Weg finden. Es ist besser, wenn ich mich gleich auf die Rei se begebe, denn die Kühle der Nacht ist leichter zu ertragen als die Hitze des Tages.« Damit drehte er sich um und marschierte los. »Die Höflichkeit hat der Kerl auch nicht gerade mit Löffeln in sich hineingeschau felt«, murmelte Razamon. »Nicht einmal verabschiedet hat er sich!« »Wir haben ihn immerhin in eine üble La ge gebracht«, murmelte Atlan. Keiner der Männer ahnte, daß Teerträger in den sicheren Tod lief, denn Teimabor exi stierte nicht mehr, und die Parias hatten sich längst von dem unheimlichen Tal zurückge zogen, nachdem alles, was es in der Oase gab, in geisterhaften Leuchterscheinungen vergangen war. »Ich hätte Lust«, sagte Razamon gedehnt, »noch einmal nach unten zu gehen und den Technos zu zeigen, was ein wirklicher Kampf ist. Mich kribbelt's in den Fingerspit zen. Ich könnte eine ganze Kuppel kurz und klein schlagen.«
Atlan hörte den drohenden Unterton und holte hastig eine Phiole aus der Tasche. Der kleine Behälter enthielt ein grünes Gebräu. Die Schattenkullja hatte mit diesem Zeug einen gefangenen Berserker lammfromm ge macht. Schon einmal hatte das Medikament geholfen, als Razamon auf einen seiner un heilvollen Anfälle zutrieb. »Nimm lieber das hier«, empfahl der Ar konide. Der Pthorer sah Atlan düster an. Für einen Augenblick schien es, als würde Razamon einen Anfall dem scheußlich schmeckenden Medikament vorziehen, aber dann besann er sich eines Besseren. Gespannt wartete Atlan darauf, daß die Wirkung einsetzte. Nach we nigen Minuten entspannte Razamon sich. Er wandte sich verlegen ab, nahm sein Bündel auf und nickte Fenrir zu. »Komm, Grauer«, murmelte er. »Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun.« Atlan folgte den beiden zufrieden. Sie umgingen die Baustelle, bis es Zeit war, nach Westen abzubiegen. Von den Technos sahen und hörten sie fast nichts mehr. Die Vernichtung des Kartaperators schien alles Leben auf der Baustelle vor übergehend gelähmt zu haben. Nach wenigen Stunden waren sie wieder allein mit dem Sand und dem Wind.
E N D E
ENDE