Atlan ‐ Die Abenteuer der Sol Nr. 552 All‐Mohandot
Diener der Macht von Arndt Ellmer
Die Jagd durch Flatterf...
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Atlan ‐ Die Abenteuer der Sol Nr. 552 All‐Mohandot
Diener der Macht von Arndt Ellmer
Die Jagd durch Flatterfeld
Seit Dezember des Jahres 3586, als die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationenschiffs gehört. Schließlich ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den März des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inmitten der Galaxis Flatterfeld, die ihre Bewohner All‐Mohandot nennen, kommen auf die Solaner nun erneut bedeutsame und schwerwiegende Entscheidungen – und harte Auseinandersetzungen zu. Die Besatzung der abgekoppelten SZ‐2 bekommt dies zuerst zu spüren, denn Order‐7, der überlebende Deccon‐Doppelgänger, geht mit allen Mitteln gegen sie vor. Order‐7 fühlt sich dazu berechtigt – er sieht sich als DIENER DER MACHT …
Die Hauptpersonen des Romans: Order‐7 ‐ Der Diener gewinnt an Macht. Breckcrown Hayes ‐ Der neue High Sideryt auf der SZ‐2: Atlan ‐ Der Arkonide wird verschleppt. Romeo ‐ Der Roboter dringt in die SZ‐2 ein. Bumela Hallerden ‐ Eine junge Solanerin.
1. Die massige, Gestalt ruhte in dem thronähnlichen Sessel und drohte ihn zu sprengen. Unter der aus kleinen Metallschuppen zusammengesetzten, blau schimmernden Kleidung traten die von gewaltigen Fleischwülsten bedeckten Muskeln hervor. Das Gesicht war aufgedunsen, und sein Mienenspiel blieb meist verschwommen. Wenn die Gestalt aufstand und sich bewegte, geschah es meist behäbig. Der 1,94 Meter hohe Mann bewegte sich dann schwerfällig durch den Raum, als seien seine Gelenke verrostet. Zwischendurch aber fuhr er plötzlich herum und trat mit erschreckender Schnelligkeit an die Kontrollpulte, mit deren Hilfe er die Ereignisse innerhalb des Schiffes beobachten und lenken konnte. Er berührte mehrere Sensoren und ließ sich Informationen auf den Bildschirm projizieren, die er mit glühenden Augen betrachtete. Schwankend kehrte er dann zu seinem Thron zurück und verharrte dort reglos und nachdenklich. Dieser Mann verbreitete Düsternis, und sie paßte gut zu der dunklen Einrichtung seiner Klause, deren übriges Mobiliar aus klobigem, schwarzem Holz bestand, das alles Licht gierig zu verschlucken schien. Die Teppiche am Boden und an den Wänden schluckten alle Geräusche. Der Raum war so wie der Mann selbst, oder wie er früher gewesen war. Unbemerkt hatte sich einiges verändert.
Er nannte sich Chart Deccon, doch er war es nicht. Er saß an den Hebeln der Macht, um den Kurs zu ändern, den Kurs dieses Schiffes, über das er herrschte. Chart Deccon wußte inzwischen, was mit dem echten Deccon geschehen war, seit dieser seinen Robotern entkommen war, die ihn endgültig hatten ausschalten sollen. Er dachte nach und stellte fest, daß der Plan unabänderlich war. Wie weitblickend doch der Planer war, die Macht, die hinter allem stand! Order‐7 lächelte sein zuversichtliches Deccon‐Lächeln, das das dicke Gesicht zu einer Maske aus Wissen und Entschlossenheit werden ließ. Und dazu kam ein Ausdruck, der ihm nur dann eigen war, wenn der Order sich unbeobachtet wußte. Es zeigte dann Rücksichtslosigkeit und Kompromißlosigkeit, und die Magniden wären erschrocken, hätten sie es so gesehen. Längst nannte er sich nicht mehr Order‐7‐B. Diese Bezeichnung hatte er nur so lange getragen, wie es unbedingt nötig gewesen war, sich von den übrigen Ordern zu unterscheiden. Jetzt war er der einzige, weil nur ein einziger das Ziel erreichen konnte. Darüber waren sich alle Order von Anfang an klar gewesen. Order‐7 erhob sich abrupt. Der Drang in ihm, endlich zu handeln und seinen Auftrag weiterzuführen, machte ihn unruhig. Er hatte den Solanern bisher viel zu viel Zeit gelassen. Das erste Ultimatum an Atlan und die SZ‐2 war ungenutzt verstrichen. Die SOL‐Zelle hing fast unbewegt im All und näherte sich der Rest‐SOL nur zögernd. Erst wenn sie wieder angekoppelt hatte, konnte er seine Macht auf die gesamte SOL ausdehnen. Die SOL wegzuführen aus All‐Mohandot, das war das nächste Ziel, das erreicht werden mußte. Er hatte es zu feststehenden Koordinaten zu führen, wo sich das Schiff und die Solaner in einem endgültigen Kampf bewähren sollten, in einer Prüfung, in der die Macht sie auf ihre Tauglichkeit hin prüfen würde, um sie für sich einsetzen zu können oder für alle Zeiten unbrauchbar zu machen. Die Macht! Order‐7 war nur der Diener des Dieners. Jene Macht,
der er diente, war wiederum der Diener einer weitaus höheren Intelligenz, die zu erfassen über sein Vorstellungsvermögen ging. Er kannte nicht die Hintergründe dessen, warum alles geschah und warum er etwas tat. Gleichwohl hatte er aber begriffen, daß er existierte, um das zu tun, was ihm aufgetragen war. Dazu war er geschickt worden. Order‐7 war Chart Deccon. Alle akzeptierten ihn als den High Sideryt, und es war ihm nicht schwergefallen, die Solaner im Mittelteil und der SZ‐1 davon zu überzeugen, daß Atlan die Rest‐ SOL und ihre Führung zu täuschen versuchte, als er vom Tode Deccons berichtete. Der Arkonide spielte ein heimtückisches Spiel, von ihm und der SZ‐2 ging Gefahr aus. Order‐7 wußte von dem Roboter, den er mit den Todeswürmern in die SZ‐2 eingeschleust hatte, daß Deccon tatsächlich tot war. Der High Sideryt war unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen, und Breckcrown Hayes sollte sein Nachfolger sein. Das alles verschwieg Order‐7 den Solanern, denn es hätte ihn verraten. Inzwischen war auch Hayes tot, denn es stand fest, daß die Todeswürmer, die OsalʹOths, den Mann getötet hatten. Atlan hatte bei seiner Anfrage keine Antwort darauf gegeben, was ein sicheres Zeichen war. Der Roboter hatte die Würmer auf Hayes programmiert. Niemand konnte den kaum einen Millimeter langen, fast durchsichtigen Würmern entkommen, die ein säureähnliches Gift in den befallenen Körper sprühten, das zunächst die Haut zerfraß und dann über die Blutbahnen tödlich wirkte. Es gab keinen Zweifel über den Ausgang seiner Anordnung an den Roboter. Damit besaß er nur noch einen ernst zu nehmenden Gegner, Atlan! Und mit ihm würde er innerhalb kürzester Zeit fertig werden. Order‐7 spürte die Kraft in sich wachsen. Er wußte, daß er Fähigkeiten erlangen würde, die ihn allen anderen überlegen machten. Es war eine letzte Absicherung, mit der ihn sein Auftraggeber ausgestattet hatte.
Der Gedanke daran ließ ihn die letzte Geduld vergessen. Er hatte längst begriffen, daß es sich nur noch um Stunden oder Tage handeln konnte, bis er endgültig die Macht über alle Solaner besaß. Doch auch dieser Zeitraum erschien ihm mit einemmal zu lang. Die Instrumente der Beobachtungsanlagen, die einen Teil seiner Klause ausfüllten, zeigten ihm, daß die SZ‐2 fast unmerklich verzögert hatte. Im Schneckentempo näherte sie sich, obwohl Atlan zugesagt hatte, er würde ankoppeln. Wenn die SZ‐2 erst einmal angelegt hatte, würde der Order die Positronik sofort anweisen, die Magnetfessel‐Gravitationsfeldgeneratoren zur Blitzkopplung anzufahren. Dann war Atlan gefangen – und verloren. Die Kopplung mußte erfolgen! Order‐7 hielt es nicht mehr in seiner Klause. Er hastete hinüber in die Hauptzentrale und rief nach den Magniden. Die Entscheidung mußte herbeigeführt werden. * Bumela Hallerden saß vor der Tür des Gemeinschaftsraums und summte ein Lied vor sich hin. Es war eine uralte Weise, und sie hatte mit der SOL zu tun, mit der Heimat, die durch das All flog. Bumela war groß und schlank. Mit ihren sechzehn Jahren war sie das Sinnbild einer jungen Solanerin. Ihre gut proportionierte Figur wirkte zierlich, fast grazil, und ihre Körpergröße kam der Durchschnittsgröße der Buhrlos gleich. Vermutlich wunde sie noch ein wenig größer werden, denn ihre Mutter war fast zwanzig Zentimeter größer gewesen. Es war nur schade, daß sie nicht wußte, wie ihr Vater aussah. Tamjana Hallerden hatte bei Fragen danach immer beharrlich geschwiegen. Die junge Solanerin machte sich nichts daraus, bis plötzlich ihre Mutter starb. Tamjana verunglückte in einer Robotfabrik, und ihre Leiche wurde dem Weltall übergeben, noch ehe das junge Mädchen sie noch einmal zu Gesicht bekommen hatte. Niemand hatte
gewußt, daß die Frau Angehörige besessen hatte. Von dieser Zeit an war die Einsamkeit in dem Mädchen immer größer geworden, und sie sehnte sich nach ihrem Vater oder jemandem anders, an den sie sich wenden konnte. Bumela summte die eintönige, melancholische Weise, und manchmal blieben vorübergehende Solaner stehen und beobachteten sie verwundert. Sie lächelte ihnen scheu und zurückhaltend zu, bis sie weitergingen. Nur einmal sagte eine ihr bekannt klingende Stimme: »Komm, Bumela, du mußt etwas essen. Den ganzen Tag sitzt du nun schon herum!« Sie blickte überrascht auf und sah einen schlanken, sportlich wirkenden Solaner vor sich. Er war etwas größer als sie, und tief schwarze, gelockte Haare umrahmten sein samtbraunes Gesicht. Sie wartete darauf, daß er weitersprechen würde, aber er schwieg und schüttelte nur den Kopf. Langsam und scheinbar in Gedanken versunken schritt er weiter. Bumela sprang auf und eilte ihm nach. »Ich begleite dich in die Messe«, sagte sie zu ihm. »Aber warum sorgst du dich um mich?« In ihren Augen glomm ein vager Verdacht, aber der Mann zerstreute ihn mit einer energischen Handbewegung. Sein Gesicht hellte sich für einen kurzen Moment auf, dann blickte der Mann wieder ernst drein und setzte schweigend seinen Weg fort. »Ich habe von dir und deinem Schicksal gehört«, sagte der Mann jetzt. »Es tut mir leid für dich. Wer sind deine Angehörigen, ich meine, du bist doch nicht etwa allein?« Schon oft war er an dem singenden Mädchen vorbeigegangen, und immer hatte er es gegrüßt, weil ihm die Melodie gefiel. »Ich habe niemanden mehr«, sagte Bumela einfach, und der Mann blieb abrupt stehen. »Kümmert sich niemand um dich?« fragte er hastig. »Die Lehrer, sonst niemand. Ich wohne in der Kabinenflucht, die
ich mit meiner Mutter geteilt habe. Eine alte Frau ist nun eingezogen, aber sie kommt immer nur zur Nachtphase heim und will nichts von mir wissen.« In dem verschlossenen Gesicht des Mannes zeichnete sich so etwas wie Traurigkeit ab, zumindest empfand Bumela es so. Sie überwand ihre Zurückhaltung und fragte: »Wie heißt du eigentlich?« »Nenne mich Joscan«, lächelte der Mann, den sie auf fünfundsechzig bis siebzig Jahre schätzte. »Joscan Hellmut heiße ich.« Bumela überlegte lange. In der Zwischenzeit erreichten sie ihr gemeinsames Ziel. Die Kantine glänzte in ihrer neuen Einrichtung und war vollbesetzt. An den Ausgabefächern für die Mahlzeiten hatten sich Schlangen wartender Menschen gebildet. Hellmut und das Mädchen blieben in Türnähe, bis zwei Plätze frei wurden. Sie wählten sich ihre Mahlzeit aus und setzten sich. »Du bist einer derer, die einmal die Schläfer genannt wurden«, stellte das Mädchen plötzlich fest. »Warum hast du geschlafen?« Hellmut schien ein wenig gesprächiger zu werden. Er berichtete von den Dingen, die damals vorgegangen waren, und freute sich, daß das Mädchen wißbegierig alles in sich aufnahm. Immer wieder stellte es Fragen, die er beantwortete, so gut es ging. Nur manchmal schien er zu stocken, wenn er Dinge erwähnte, die ihn unangenehm berührten. Dann merkte sie deutlich, daß er nicht alles sagte, was er wußte. Wie hätte das junge Mädchen auch ahnen sollen, daß Hellmut seit geraumer Zeit ein furchtbares Geheimnis in sich trug, dessen Offenbarung er sorgfältig vermied, weil er die Folgen ahnte, die daraus entstehen konnten. Er mußte schweigen über das, was er von Soeklunds Bericht und SENECAs Zustand wußte. Er durfte niemandem verraten, in welcher Gefahr sich die SOL befand, sobald sie sich wieder mit der SZ‐2 vereint hatte. Atlan! dachte Hellmut unwillkürlich. Kannst du nicht ein wenig warten, bis ich eine Lösung gefunden habe? Er wußte, daß er sich
etwas einzureden versuchte, was nicht zu verwirklichen war. Bisher hatte er keine Möglichkeit gefunden, die drohende Gefahr abzuwenden. Mit gemischten Gefühlen beobachtete er die Anstrengungen des High Sideryt, die Wiedervereinigung herbeizuführen. Vielleicht war es unklug von ihm gewesen, Chart Deccon nicht ins Vertrauen zu ziehen über das, was er dem Logbuch entnommen hatte. Vielleicht hätte Deccon ihm dann sein heimliches Eindringen in seine Klause und den vorübergehenden Diebstahl des Logbuchs verziehen. Jetzt war es zu spät dazu. »Was ist mit den Jungen und Mädchen deiner Altersklasse?« fragte Hellmut unvermittelt. »Verbringst du deine Freizeit nicht bei ihnen?« »Sie haben kein Interesse daran, mit einer zu verkehren, die zwei Etagen unter ihnen wohnt und eigentlich einer anderen Unterrichtsgruppe angehören müßte«, sagte Bumela leise. »Und die Kinder aus meiner Etage meiden mich, weil ich eben nicht zu ihnen gehöre, wenn sie lernen. Meine Mutter hat mich damals unbedingt zu Chlotwick schicken wollen, dem Ahlnaten mit den vielen Ringen an den Fingern. Ringe bedeuten Weisheit, hat sie zu mir gesagt.« Hellmut schüttelte energisch den Kopf. »Du kannst nicht weiter so leben, sonst wirst du dein ganzes Leben einsam sein. Ich werde versuchen, dir zu helfen, und wenn ich bis zum High Sideryt vordringen muß.« »Das willst du für mich tun?« fragte Bumela kleinlaut. »Ich habe mich nie getraut …« »Still!« unterbrach der Kybernetiker sie überraschend. »Ich weiß jetzt, was für ein Lied das ist. Soeben ist es mir eingefallen!« Er ließ sein Essen stehen und zog das Mädchen auf den Korridor hinaus. »Es ist das alte Lied der SOL. Es wurde schon gesungen, als das Schiff noch nicht den Solanern gehörte, und es hatte einen anderen Text. Im Lauf der Zeit kamen immer neue Strophen dazu, alte fielen weg. Heute hat es nichts mehr von dem an sich, was es einmal war.«
»Wie lautete es?« Bumela sah ihn bittend an. Hellmut verstand. Die Erde ist ein ferner Stern, unser Opa hat sie gern. Dort sollen tausend Bäume blühʹn SENECA, bringʹ uns einmal hin! Lauter Sterne überall, fliegt die SOL jetzt durch das All, durchstreift ewige Weiten. Das Schicksal wird sie leiten. »Was ist die Erde für ein Stern?« wollte Bumela wissen. »Sie ist kein Stern, sie ist ein Planet. Die Urheimat aller Menschen, auch von uns Solanern. Der Stern, um den sie kreist, heißt Sol. Von ihm hat unser Schiff seinen Namen.« Hellmut hob die Hände und wandte sich wieder zur Kantine. »Ich muß weiter«, erklärte er. »Laß uns zu Ende essen.« »Und du willst wirklich für mich … Warum?« »Wir leben alle in unserer Heimat und sollten einander helfen, so gut es geht, oder nicht?« sagte er. »Du wirst von mir hören.« Später, als er den Teil des Schiffes weit hinter sich gelassen hatte, in dem das Mädchen wohnte, dachte er an die alten Zeiten und den Aufbruch zurück. Wieder verglich er, und wieder wußte er nicht zu sagen, welche Zeit in diesem Schiff ihm bisher am besten gefallen hatte. Die Anfangszeit? Oder jetzt? Vielleicht hatte er sie auch verschlafen, die goldene Zeit dieses Schiffes. Gezwungenermaßen verschlafen. Zu gern hätte er darauf eine Antwort gewußt, aber SENECA, der ihm diese Antwort hätte geben können, hüllte sich in Schweigen. Es war, als fehlte dem Schiff ein wichtiges Stück. * »Was hat Atlan zu verbergen? Warum läßt er Palo und Brooklyn nicht an die Mikrofone?« Die Frage Arjana Joesters schreckte die Magniden in der Hauptzentrale auf. Sicher, sie hatten von Anfang an gemerkt, daß etwas nicht in Ordnung war an Bord der SZ‐2, aber sie wußten
nicht, was es war. Noch immer betrug der Abstand zwischen der Rest‐SOL und der SOL‐Zelle‐2 einen dreiviertel Lichtmonat, und das Schiff machte auch nicht den Eindruck, als hätte es große Eile, die Wiedervereinigung durchzuführen. Chart Deccon hatte absolute Funkstille befohlen. Dringende Anrufe aus der SZ‐2 wurden nicht beantwortet. Atlan hatte seine Zustimmung gegeben, und dabei wollte Deccon es belassen. Dennoch hatten die Magniden das untrügliche Gefühl, daß etwas im Gang war. Was wußte der High Sideryt, daß er mit solcher Eile zu einer Besprechung rief und fast übertrieben hastig die Abschirmungen des Zentralbereichs überprüfte? Wo hielt er sich in diesem Augenblick auf? Die Klause, die Zentrale und der angrenzende Bereich waren seit geraumer Zeit in Sperrfelder gehüllt, ein dichtes Netz aus mehreren Schutzschirmen, die auch für parapsychisch begabte Wesen ein undurchdringliches Hindernis bildeten. Seit Deccon diese Maßnahme durchgeführt hatte, fühlten sich die Magniden wieder völlig sicher. Es gab ihnen ein neues Gefühl der Stärke in den Zeiten der dauernden Veränderungen. Auch der High Sideryt war seit dem Erlebnis mit Alpha und den Ebenbildern wie ausgewechselt. Er machte einen entschlossenen Eindruck, und jede seiner Entscheidungen besaß Hand und Fuß. »Es erinnert mich an die Zeit seines Amtsantritts«, hatte Nurmer die Entwicklung kommentiert. »Damals war er genau so wie jetzt. Es ist ein gutes Zeichen!« Auch jetzt war es wieder Nurmer, der sie alle zu sich an die Bildschirme winkte, mit der Hand auf die lichtverstärkte Abbildung der SZ‐2 deutete und sagte: »Ich gäbe vieles darum, jetzt dort drüben an Bord zu sein und zu wissen, was los ist. Handelt Atlan unter Zwang?« Er wiederholte nur, was sie alle dachten und beobachtet hatten. Sie hatten Lyta Kunduran, Palo Bow und Brooklyn in gewöhnlichen grünen Kombinationen gesehen, ohne die Abzeichen ihres Status,
den sie als Magniden innehatten. Das konnte nur bedeuten, daß sie abgesetzt worden waren. Von Atlan abgesetzt! Wie Lyta auf die SZ‐ 2 gelangt war, war den Magniden noch ein Rätsel. »Ich glaube nicht daran, daß Atlan aus Zwang handelt und von irgendwelchen Wesen aus Flatterfeld beeinflußt wird«, erklärte Wajsto Kölsch energisch. »Er handelt aus freien Stücken. Er hat uns in all den langen Monaten, die er an Bord war, Theater vorgespielt. Jetzt hält er die Zeit für gekommen, zuzuschlagen und uns zu vernichten.« »Chart hatte recht mit seinem Mißtrauen, das er von Anfang an gegen diesen Mann hegte«, fügte Ursula Grown hinzu. »Wir müssen uns vorsehen.« Sie spürten die Gefahr fast körperlich, und die Augen klammerten sich an dem Bildschirm fest, als könnten sie dadurch die SOL‐Zelle von sich fernhalten. In diesem Augenblick stürmte der High Sideryt in die Zentrale. Er hielt den Codegeber für SENECA in der Hand, den er meist mit sich trug. Sein Gesicht war gerötet wie von einem anstrengenden Lauf, und er keuchte wie unter hohem Andruck. »Ich kann nicht länger warten!« stieß er hervor und schob sich neben Nurmer an den Bildschirm. »Ich bin mir sicher, daß ich mit meinen Befürchtungen recht habe!« Nurmer nickte. »Wir sind deiner Meinung«, sagte er. Chart Deccon fuchtelte mit dem Codegeber herum. »Was ist denn damit?« knurrte er. »Solange es mir nicht gelingt, mit SENECA in Verbindung zu treten, schaffen es andere auch nicht. Nein, wir müssen uns selbst helfen. Atlan hat die SZ‐2 abtrünnig gemacht und will sie gegen die Rest‐SOL führen, um diese zu unterwerfen. Endlich zeigt er sein wahres Gesicht. Schon lange warte ich darauf!« Die Magniden nickten zustimmend. Gleichzeitig aber trafen verwunderte Blicke den High Sideryt. Sie alle empfanden die
Diskrepanz zwischen seinen Worten und der Stimme, mit der er es sagte. Die Worte hatten hart geklungen, voller Haß. »Was willst du als nächstes tun?« erkundigte Nurmer sich. Chart Deccon rieb sich das fleischige Kinn, wie er es immer tat, wenn Entscheidungen von großer Wichtigkeit anstanden. Er starrte auf den Bildschirm. »Ich werde Atlan ein neues Ultimatum stellen!« verkündete der High Sideryt. Er trat einen Schritt vor und aktivierte die Funkanlage. Er wartete, bis das Grünzeichen des Hyperfunks aufleuchtete und die Verbindung zustande kam. Ungeduldig trommelten seine Finger auf die verchromte Konsole, und die Magniden erkannten endgültig, daß er nicht mehr bereit war, auch nur eine Sekunde zu verschenken. Und sie fragten sich irritiert, ob seine Forderung, die SZ‐2 möge umgehend ankoppeln, der beste Weg war, den Gefahren zu entgehen, die ihnen von der SZ‐2 drohten. Ein nach rückwärts gerichteter Blick des High Sideryt traf sie. Dieser Blick war so leuchtend, so durchdringend, daß sie unwillkürlich die Augen senkten. In früher nie gekannter Stärke begannen sie Chart Deccon zu bewundern. Ohne sich anzusehen, spürten sie alle, daß sie geschlossen hinter ihm stehen würden, egal wie seine Entscheidung auch ausfallen würde. Der Panoramabildschirm erhellte sich in seinem unteren, linken Abschnitt. Er zeigte die Zentrale der SZ‐2. Sie sahen die Magniden und ein paar Solaner. Und sie erblickten Atlan, der im Bild erschien und seine Augen erwartungsvoll auf sie richtete. 2. »Hört ihr dieses Klopfen?« Atlan ruckte mit dem Kopf herum und musterte die Fragerin. Lyta Kunduran erwiderte seinen Blick ernst. Die Stabsspezialistin, die mit Hage Nockemann und Chart Deccon von der Rest‐SOL geflohen
war und Zuflucht auf der SZ‐2 gefunden hatte, hatte Atlan alles berichtet, was geschehen war, seit die SZ‐2 abgekoppelt hatte und nach Flatterfeld eingedrungen war. »Bit«, wie sie wegen ihres fast paranormalen Verständnisses für Positroniken genannt wurde, war mit ihren dreißig Jahren das jüngste Mitglied der Magnidenkaste gewesen. Erst vor zwei Jahren war sie berufen worden. Sie galt als sehr ehrgeizig. Die großen, grauen Augen beherrschten das ganze Gesicht, das im übrigen leicht abweisend und gefühlskalt wirkte. Bit deutete in die Richtung, aus der sie das Geräusch zu hören glaubte. Die Zentrale leuchtete in hellem Grün. Alle Solaner trugen die lindgrünen Bordkombinationen, die sie mit den Uniformen der SOLAG vertauscht hatten. Auch die beiden ehemaligen Magnidinnen und der Magnide hatten sich der Anordnung des neuen High Sideryt widerspruchslos gefügt. Breckcrown Hayes war der neue Mann an der Spitze, und er benahm sich, als sei es nie anders gewesen. Klar und ohne Zögern gab er seine Anweisungen. Nicht einmal Atlan mischte sich ein. Er beobachtete nur. »Ja, jetzt ist es deutlich zu hören«, erwiderte Palo Bow und kratzte sich an seinem kantigen Negerschädel. »Wo mag es herkommen?« Minutenlang hörten sie dem Geräusch zu, das volltönig irgendwo aus dem Schiff heraus bis in die Zentrale drang. Es blieb und änderte sich nicht. Es klopfte einen Rhythmus, der den Solanern irgendwie heimisch und vertraut vorkam, obwohl sie ihn mit Sicherheit noch nie gehört hatten. Ihre Augen richteten sich auf Atlan und Hayes. Der Arkonide hielt den Kopf leicht geneigt, als lausche er nach innen, um eine Resonanz festzustellen. Hayes richtete sich ein wenig auf. »Palo, Brooklyn, nehmt euch ein paar Männer und Frauen und sucht nach der Ursache. Wir dürfen kein Risiko eingehen!« ordnete er an. Sie nickten und machten sich an die Arbeit. Nur zu gut waren ihnen die Geschehnisse um den High Sideryt noch im Gedächtnis,
die erst wenige Stunden zurücklagen. Immer wieder ruhten die Blicke der Solaner mit einem Gemisch aus Ekel und Mitleid auf dem von den hellrot leuchtenden, frischen Narben der SOL‐Würmer entstellten Gesicht des Mannes, der nur durch ein Wunder dem sicheren Tod entgangen war. Sie alle hatten das glitzernde Kristallei gesehen, das in sanften Farben schimmerte und bei dessen Erscheinen sie geglaubt hatten, ein kaum vernehmbares Geflüster zu hören, das wie Chybrain, Chybrain klang. Das Kristallei hatte Hayesʹ Kopf durchdrungen, als sei er nicht vorhanden. Die SOL‐Würmer waren danach zu Staub zerfallen, aber die häßlichen Narben würden für alle Zukunft das Gesicht des Mannes verunstalten. »Ich glaube, ich …«, begann Atlan, schwieg aber dann. Hayes trat zu ihm heran. »Hast du einen Verdacht?« fragte er und fuhr mit den Händen zu seinem Gesicht. Atlan schüttelte den Kopf, während Hayes die Hände ärgerlich zurückzog. Die frischen Narben bissen, und der High Sideryt preßte den Mund zusammen, um nicht schreien zu müssen. Er wußte, daß er nicht kratzen durfte, wollte er den Heilungsprozeß nicht gefährden. Hayes hatte sich sofort nach dem Zwischenfall von Bordmedizinern, Medorobotern und Heilern untersuchen lassen. Sie hatten nur hilflos mit den Schultern gezuckt. Sie konnten die Nachwirkungen der Säure ein wenig eindämmen, mehr nicht. Sie hatten ihm nahegelegt, in Zukunft eine Gesichtsplastik zu tragen, die nicht von einer normalen Haut zu unterscheiden war. Er hatte vorerst abgelehnt. Er wollte sein Gesicht behalten. Atlan fand, daß der Solaner sich erstaunlich schnell mit seinem Schcksal abfand. Hayes unterdrückte die Schmerzen bewußt und konzentrierte sich intensiv auf die bevorstehende Entwicklung, die darin bestand, daß sich die SZ‐2 mit der Rest‐SOL vereinigen würde. Ein Stoßtrupp würde in den Mittelteil eindringen und den falschen Deccon gefangennehmen, während Hayes sich von SENECA in seinem Amt bestätigen lassen würde. Der Plan besaß
eine einzige Unbekannte, für Mathematiker kein Problem. Atlan jedoch bereitete sie Sorge, denn sie war der Order, der dort spukte und offensichtlich die Macht voll in Händen hielt. Sie würden den Solanern im Mittelteil und der SZ‐1 beweisen müssen, daß Deccon wirklich tot war, daß er im Innern des Ysterioons sein Leben geopfert hatte und der Inhalt des Kästchens bewies, wer der Nachfolger war. Atlan schien noch immer zu lauschen, während er Breckcrown Hayes unverwandt musterte. Der High Sideryt ahnte etwas, er hielt dem Blick stand und wartete, daß Atlan zu sprechen begann. Plötzlich richtete der Arkonide sich auf. Das Klopfen war verstummt, und an der Konsole des Interkoms blinkte ein Licht. »Was gibt es?« fragte Bit. »Brooklyn hier«, meldete sich die Stabsspezialistin. »Es ist alles in Ordnung. Es besteht keine Gefahr, aber ihr solltet es euch dennoch ansehen.« Sie nannte die Koordinaten des Raumes, in dem sie sich aufhielt. Atlan winkte Hayes, in der Zentrale zu bleiben. Zusammen mit Bit und ein paar Technikern machte er sich auf den Weg. Im Antigrav schwebten sie fünf Etagen empor. Sie eilten einen Korridor entlang, nahmen zweimal eine Abzweigung und standen schließlich in einem leeren, großen Saal vor den Mitgliedern der Suchgruppe und einer wunderlichen Ansammlung verschiedenster Roboter, die blinkende Gegenstände in den Händen hielten. Zwischen den Maschinen hockte eine hagere Gestalt am Boden und hielt etwas in der Hand, was wie eine exotische Waffe aussah. Die Solaner hielten es wohl auch dafür. Mehrere von ihnen hatten ihre Strahler gezogen. Atlan überflog die Szene und begann schallend zu lachen. »Steckt die Dinger weg!« wies er die Solaner an. »Wir haben im Augenblick keine kriegerische Auseinandersetzung im Innern des Schiffes zu bestreiten.« Die Solaner trauten nicht recht, aber sie machten ihm Platz, damit
er vortreten konnte. »Wer bist du?« fragte Atlan die Gestalt und musterte den Gegenstand, der eindeutig eine Gitarre war. Eine altmodische Handgitarre, wie er sie schon einmal auf der SOL gesehen hatte. Vor langer Zeit, vor ungefähr zweihundert Jahren. »Elwin der Große!« knurrte der Musiker. »Ihr stört mich bei meiner Probe!« Mit einem kurzen Kopfschütteln tat Atlan den Spleen des Mannes ab und erkundigte sich, wie er die Roboter denn unbemerkt für seine Zwecke hatte programmieren können. Es stellte sich heraus, daß Fram Gumbad Programmierer war und in einer Reparaturwerkstatt für Automaten und Reinigungsroboter beschäftigt war. »Es sind alles ausgemusterte Exemplare, die einen Teil ihrer Bewegungsfähigkeit eingebüßt haben«, versuchte der Hobbymusiker sich zu rechtfertigen. »Ich habe sie nach den Instrumenten benannt, die sie spielen.« Atlan deutete auf den Synthesizer und das Verstärkerterminal, das die Ausmaße einer mittleren Kontrolltafel für Space‐Jets besaß. »Mir scheint, die Bewohner dieses Stockwerks haben schon Reißaus genommen«, lächelte er, »weil deine Musik viel zu laut ist. Du solltest auf deine eigenen Ohren Rücksicht nehmen!« Lächelnd zeigte Elwin den riesigen Ohrenschützer, an den zusätzlich ein Anschluß für die Energieversorgung und ein Schirmfeldprojektor montiert waren. Endlich begriffen alle anwesenden Solaner, was sie von dem Mann zu halten hatten, und Atlan fuhr fort: »Der Rhythmus, den wir in der Zentrale gehört haben, erinnert mich an etwas, ich komme nur nicht darauf«, erklärte er. »Würdest du das Stück nochmals spielen?« Fram Gumbad nickte und legte die Gitarre weg. Er erhob sich und trat zum Synthesizer. »Auf gehtʹs!« sagte er zu den Robotern und drückte einen Knopf.
Ein Orkan brach los. Ohrenbetäubendes Krachen begann, während Elwin grinsend und glücklich zugleich seinen Hörer aufsetzte. Der Rhythmus war eindeutig Blues, und dann neigte der Solaner seinen Kopf zu einem unsichtbaren Mikrofon hinab und begann zu summen. Das Lied besaß keinen Text, aber es rief alte Erinnerungen in Atlan wach. Die Zusammensetzung der elektronischen Instrumente, die von den Robotern bedient wurden oder ihnen von dem Mann eingebaut worden waren, berührten Atlan eigenartig. War es wirklich nur die Erinnerung an jene Jahre, die die entscheidensten in seinem Leben gewesen waren? Damals hatte er sich irgendwann entschlossen, seine Kraft in die Hände des Menschenvolks zu legen. Damals war er jenem Mann begegnet, der ihm der beste Freund gewesen war, und von dem er nur hoffen konnte, daß er noch am Leben war. »Perry!« flüsterte er, aber niemand hörte es. Sie alle ergriffen vor dem Lärm die Flucht und verschwanden draußen auf dem Korridor. Der Arkonide glaubte etwas aus den Interkomlautsprechern zu hören und winkte Gumbad, seine Vorführung abzubrechen. »Du kannst den Solanern ein Konzert geben, wenn es nicht so laut ist«, sagte er. »Woher hast du die Melodie?« »Aus alten Speichern. Es war Zufall, daß ich so etwas entdeckte.« »Ein altes, terranisches Lied«, erklärte Atlan, doch der Musiker zuckte nur mit den Schultern. In diesem Augenblick klang der Interkom erneut auf. Atlan hatte sich also nicht getäuscht. »Atlan in die Zentrale«, hörte er die Stimme Lyta Kundurans. »Ein Anruf von der SOL!« »Ich komme!« rief der Arkonide laut. Er deutete auf die Gitarre, die am Boden lag. »Du wirst sie hergeben müssen. Sie gehört Gavro Yaal!« Er stürmte hinaus und wunderte sich noch, wo die Gitarre so lange gewesen war, ohne zerstört zu werden. »Es freut uns, daß die SOL sich endlich meldet«, hörte Atlan sich
sagen. Mit einem raschen Blick hatte er sich vergewissert, daß Breckcrown Hayes sich außerhalb des Erfassungsbereichs der Kameras befand. Er wollte seinen größten Trumpf im Kampf gegen den Order nicht vorzeitig erspielen. Der falsche Deccon mußte davon ausgehen, daß Hayes durch die SOL‐Würmer ums Leben gekommen war. Vom Bildschirm drohte ihnen das steinerne Gesicht des Orders entgegen, das nicht von dem des toten Deccon zu unterscheiden war. Der Order schnaufte hart. »Meine Geduld ist zu Ende, Atlan«, erklärte er grimmig und heftete die blitzenden Augen auf den Schirm. »Du versuchst mich hinzuhalten, obwohl es keinen Grund gibt, die Abmachungen zu brechen.« »Welche Abmachungen?« erkundigte sich der Arkonide zurückhaltend. Selbstverständlich wußte er, was er Stunden zuvor gesagt hatte. Es war sein eigenes Ziel, anzukoppeln und die Gefahr zu beseitigen, die durch Deccon gebildet wurde. »Es ist genug!« schrillte der Order unbeherrscht, und seine Gestalt wuchs riesengroß auf dem Bildschirm auf. Er mußte direkt vor der Optik stehen. Atlan versuchte in dem feisten Gesicht zu lesen, aber es war ihm unmöglich. Deccon trat zurück, und die Magniden wurden für Atlan sichtbar. In ihren weißen, wallenden Gewändern bildeten sie einen Kontrast zu Palo Bow und Brooklyn, die sie ebenso sehen konnten wie umgekehrt die beiden Stabsspezialisten ihre ehemaligen Amtskollegen. »Ich stelle dir ein letztes Ultimatum«, flüsterte der Order gefährlich. »Innerhalb von zwei Stunden hast du angekoppelt, sonst werden wir mit Waffengewalt gegen dich vorgehen!« Atlan wußte, daß der Order seine Drohung wahrmachen würde. Er nickte zustimmend. »Ich habe es nicht anders erwartet. Ich werde dir einen Beweis erbringen, daß ich es ernst meine!«
Er verschwand vom Bildschirm. Kurz darauf nahm die SZ‐2 Fahrt auf. Sie beschleunigte mit Maximalwerten und verschwand im Linearraum. Fast gleichzeitig erschien sie wieder auf den Bildschirmen des Mittelteils und der SZ‐1. Ihr Abstand betrug nur noch etwas mehr als fünf Lichtminuten. Sie verzögerte auf ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit und eilte der Rest‐SOL entgegen. Dann jedoch bremste sie weiter ab und kam drei Lichtminuten von der geteilten Hantel zum Stillstand. In dieser Zeit hatten sie ohne Unterbrechung das Gesicht des Orders auf dem Bildschirm gesehen, während der Order es mit Palo Bow und Brooklyn zu tun hatte, die er schweigend und verbissen musterte. Er sprach nicht mit ihnen, aber seine Augen schienen ihre Kombinationen nach Abzeichen abzusuchen. Sie trugen keine. Atlan erschien wieder im Bild. »Bist du zufrieden?« fragte der Arkonide. Der Order schaltete wortlos ab, die Hyperfunkbrücke erlosch. Palo Bow trat zu Atlan. Der Neger war sonst ein mürrischer, in sich gekehrter Mensch. Jetzt aber machte er einen entschlossenen Eindruck. »Wir werden kämpfen müssen«, eröffnete er Atlan. »Du wirst es sehen.« Der Arkonide ließ die Schultern sinken. Kampf machte ihm nichts aus, in diesem Fall nur war es etwas anderes. Ein Kampf SOL gegen SOL konnte einen nie wieder gutzumachenden Schaden unter den Solanern anrichten. Für viele war es schon über ihr Verständnis gegangen, daß die einzelnen Schiffsteile überhaupt in der Lage waren, sich zu trennen. Es hatte Probleme gegeben, während die SZ‐ 2 in Flatterfeld festgesessen war. Auch jetzt drängten die Solaner nach der Vereinigung, dennoch mußte Atlan zögern. Er durfte sich auf keinen Fall überrumpeln lassen, denn er wußte, daß der Order auch seine Vorbereitungen treffen würde. »Ich weiß es«, antwortete er Bow. »Es wird von Sekunden abhängen, wer siegen wird. Wir dürfen nicht in eine Falle laufen, die
der Order uns aufgebaut hat.« »Deshalb zögerst du noch?« »Er weiß, was er von mir zu halten hat. Ich weiß, daß er nicht Deccon ist und die Beweise habe, die ihm das Genick brechen. Für ihn geht es um alles. Er ist der Vertreter einer fremden Macht, die sich ausdehnen will.« Er wandte sich um und sah Bow direkt an. »Es ist noch etwas«, fuhr er fort. »Es ist ein Gefühl, das ich habe. Ich glaube, daß es noch nicht soweit ist.« »Du willst dich nicht an deine Zusage halten?« Breckcrown Hayes kam heran und sah ihn verwundert an. »Warum?« »Ich kann es dir nicht sagen, Breck, weil ich es selbst nicht genau fassen kann. Vielleicht ist es auch nur der Wunsch, den Order zum Äußersten zu treiben. Wenn er auf die SZ‐2 schießt, wird er unglaubwürdig. Der echte Chart Deccon würde das niemals tun.« Atlan war sich absolut sicher, daß letztendlich er und die SZ‐2 am längeren Hebel saßen. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Macht des Orders in der Rest‐SOL ständig zunahm. Dem Wissen nach, das er von Bit und Nockemann übernommen hatte, einschließlich der Dinge, die er von Deccon wußte, konnte er es nicht ahnen. Er beschloß, abzuwarten. Und Breckcrown Hayes, obwohl er nicht derselben Meinung war, überließ Atlan die Entscheidung, weil er auf seine Erfahrung vertraute. Bisher hatte der Arkonide nie einen regelrechten Rückschlag hinnehmen müssen. Immer waren die Probleme gelöst worden, waren Ereignisse zu seinen Gunsten ausgefallen. Es gab allerdings etwas, was Hayes Kopfschmerzen bereitete und ihn in tiefe Nachdenklichkeit versinken ließ. So zufriedenstellend das Problem der Pluuh und der Ysteronen gelöst worden war, war es doch von dem Tod Chart Deccons überschattet und Hayes fragte sich, ob das Opfer notwendig gewesen war. Natürlich kannten sie Atlans Bericht über die Vorgänge, der lückenlos und überzeugend war. Ein Fünkchen menschlichen Bewußtseins blieb dennoch, daß
alles anders hätte ausgehen können. * Order‐7 befand sich in einem unbeschreiblichen Zustand der Euphorie. Er umrundete fortwährend die sieben Podeste seiner Klause, auf deren einem sein Thronsessel stand. Er setzte sich nicht hinein, denn er war zu ungeduldig. Er zählte die Minuten und Sekunden, verfolgte auf der am Bildschirm eingeblendeten Uhr die Zehntelsekunden. Seine Augen machten den Wechsel der Zahlen mit, und bei jeder Ziffer, die die Uhr abnahm, begannen sie ein wenig tiefer zu leuchten. Order‐7 wandte sich zur Tür, die hinaus auf den Korridor führte, wo gleich nebenan der Eingang zur Zentrale lag. Der Sekundenzeiger sprang auf Null, da hatte er den Öffner bereits betätigt und eilte hinaus und hinüber. Eine Kraft durchströmte ihn, die er nie gekannt hatte. Er wußte, daß er sie erhalten würde und noch ein paar andere Fähigkeiten dazu. Er badete in dem Wohlbefinden, bald das mächtigste Wesen in dem großen Schiff zu sein. Mächtiger als dieser Katzer und die anderen, die zu den Basiskämpfern gehört hatten. Sternfeuer, die Telepathin, ihr Bruder Federspiel … Noch ehe er die Zentrale betrat, richtete er eine eindringliche Botschaft an die Magniden. Er dachte intensiv und in ihre Richtung, was er tun würde, was sie zu tun hatten. Er wußte nicht, ob er bereits die Kraft hatte, sie unter seinen Bann zu zwingen, aber ein wenig würde in ihnen hängenbleiben und sie ihm gefügig machen, ohne daß sie es merkten. Er schritt durch die Tür. »Das Ultimatum ist abgelaufen!« sagte er mit weit hallender Stimme. Die Magniden kamen auf ihn zu. »Atlan hat sich nicht mehr gemeldet«, teilte Nurmer mit, doch er sagte nichts, was Deccon nicht schon gewußt hatte. »Die SZ‐2 hat
sich nicht von der Stelle bewegt.« Sie folgten ihm dicht auf den Fersen, während er an seinen Platz vor den Kontrollen trat und die Werte der Ortung musterte. Plötzlich aber wandte er sich um. »Ihr wißt alle, was es bedeutet«, rief er. »Worüber wir uns längst klar geworden sind, liegt nun offen auf der Hand. Die SZ‐2 ist zum Gegner geworden, zu unserem Feind. Die Geschichten, die der Arkonide uns erzählt hat, es sind Märchen und Lügen. Er will uns darüber hinwegtäuschen, was seine wahren Ziele sind. Er will die SOL erobern. Und es gibt nur eine Erklärung, warum er sich anschleicht wie ein Verbrecher. Er will uns überlisten, uns in Sicherheit wiegen und uns dann überfallen, solange wir ungeschützt sind!« Während er sprach, strahlte er seine Gedankenbotschaft ab, und seine Augen versuchten sie alle zusammen in seinen Bann zu ziehen. Dabei spürte er erneut, wie die Kraft in ihm anstieg. Bald würde sie so stark sein, daß er sich ablenkende Worte ersparen konnte. Er konnte ihnen dann Gedanken eingeben, ohne daß sie sich bewußt wurden, daß es nicht ihre eigenen waren. Nurmer war an die Kontrollen getreten. Er fuhr mit den Händen hin und her, dann nickte er befriedigt. Er deutete auf den Bildschirm, der das leichte Flimmern übertrug. Mittelteil und SZ‐1 hatten sich in ihre Schutzschirme gehüllt. Es war das Zeichen zum Beginn. Für einen kurzen Moment huschte ein lauernder Ausdruck über das Gesicht des Orders, dann lächelte er zufrieden und nahm wieder den empörten Ausdruck an, den er gewöhnlich zur Schau trug. Order‐7 spielte seine Rolle mit einer Perfektion, die unübertrefflich war. »Er erhält keine Gelegenheit mehr, weiter Zeit zu gewinnen, um seinen verderblichen Plan auszuführen«, flüsterte er. Und laut rief er: »Atlan kämpft gegen die Solaner! Alle sollen es erfahren!« Seine Augen wanderten unmerklich zu Nurmer hinüber, der
Magnide war sich noch unschlüssig. Order‐7 verstärkte seinen Gedankenstrom. Der alte Magnide straffte sich. »Wir eröffnen das Feuer«, sagte er mit fester Stimme. Unmerklich senkte Order‐7 den Kopf. Es klappte. Er hatte Macht über sie. Bald würden sie ihm ergeben sein. Meine Vasallen, dachte er zufrieden, meine Diener. Eine Salve aus den Impulsgeschützen und den Desintegratoren verließ den Leib des Mittelteils, eine weitere aus der SZ‐1 folgte. Sie strebten der SZ‐2 entgegen, doch die SOL‐Zelle hüllte sich rechtzeitig in ihre eigenen Schirme und wich den Strahlenbahnen aus, die ihre vernichtende Spur durch das All zogen. Erneut gab Nurmer Feuerbefehl, und das Dröhnen der Transformkanonen durcheilte das ganze Schiff. Die SZ‐2 beschleunigte mit Maximalwerten. Sie jagte seitlich davon und verschwand nach einer verschwindend geringen Zeit im Linearraum. »Nachsetzen!« brüllte Chart Deccon. SZ‐1 und Mittelteil nahmen ebenfalls Fahrt auf und verschwanden in der Richtung, die die SZ‐2 genommen hatte. Die Magniden sahen sich begeistert an. Der Nervenkitzel schien ihnen Spaß zu machen. Am meisten aber freute sich Chart Deccon, der High Sideryt. Er wußte, daß die Magniden jetzt alle Hemmungen abgelegt hatten, gegen Atlan vorzugehen. Notfalls würden sie auch die SOL‐Zelle zu Schrott schießen. Order‐7 ließ Nurmer das Kommando. Der alte Magnide wurde ihm immer nützlicher. Er zog sich in seine Klause zurück und wartete darauf, daß Nurmer die SZ‐2 aufstöberte und einen erneuten Überraschungsangriff führte. »Nur noch Tage oder gar Stunden!« rief er sich sein Ziel in Erinnerung. »Mein Herr kann zufrieden mit mir sein.« *
Breckcrown Hayes war sichtlich erregt. »Sie schießen tatsächlich!« knurrte er grimmig. »Dieser Order wagt es!« »Palo, Ausweichmanöver!« klang Atlans Stimme auf. »Wir setzten uns ab. Eine direkte Konfrontation muß im Sinne aller Solaner vermieden werden!« Die SZ‐2 raste mit aufheulenden Triebwerken davon, während die Stabsspezialisten sich nach einem Ziel für den Linearflug umsahen. Sie suchten sich eine rote Riesensonne im sternenarmen Zentrum der irregulären Kleingalaxis aus. Sie orteten immer wieder Schiffe der Pluuh und anderer Völker, die jedoch in sicherem Abstand blieben und beobachteten. Offenbar konnten sie sich das Verhalten der Solaner nicht erklären. Sie griffen nicht in die Auseinandersetzung ein, blieben neutral. Lediglich der rege Funkverkehr zeigte, daß sie sich nach der Bedeutung der SOL und ihrer Zellen fragten. Die SZ‐2 ging in den Linearraum und kam knapp über der roten Riesensonne in den Normalraum zurück. Hayes hatte das Kommando übernommen und lenkte das Schiff in eine enge Kreisbahn um die planetenlose Sonne. Es tauchte in die äußeren Bereiche der Korona ein und entzog sich damit jeglicher Ortungsmöglichkeit. Hayes untersagte es dennoch, die Aktivortung in Betrieb zu lassen. Nur die Passivortung lief und zeigte all das auf, was an Impulsen ankam. Die Störfaktoren der Sonne waren immens hoch, und selbst nach Zuschalten sämtlicher Filter kam ein stetiges Pfeifen und Knistern aus den Lautsprechern. Und dann kamen die ersten, blind gerichteten Funksprüche von der Rest‐SOL an. Der Order drohte mit der völligen Vernichtung der SZ‐2. Offenbar hatten die Magniden den Fluchtweg nur ungenau verfolgen können. Die Verfolger kannten die Gegend, aber nicht das Versteck selbst. Die SOL kam aber bis auf wenige Lichtjahre heran. Suchschiffe verließen sie und streiften durch das Zentrum, suchten die Sterne
und den Leerraum ab. Nach ein paar Stunden zogen sie sich ergebnislos zurück, und auch die ständigen Durchsagen des Orders verstummten schließlich. In der SZ‐2 kehrte Ruhe ein. »Was tun wir?« Die Frage Brooklyns stand lange unbeantwortet im Raum. Schließlich antwortete Breckcrown Hayes: »Vorläufig können wir gar nichts tun. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Vereinigung mit dem Restschiff völlig undenkbar. Wir sollten abwarten, was der falsche Deccon weiter unternimmt.« Atlan stimmte zu, und auch Palo Bow und Lyta Kunduran einigten sich auf diese Ansicht. Ihr Plan, den Order in einem Handstreich zu überwältigen, war fehlgeschlagen. Im Gegenteil, Atlans dumpfes Gefühl, es könnte etwas dazwischenkommen, hatte sich bewahrheitet. Der Arkonide spürte, daß Hayes ihn deswegen ansprechen sollte. Er zuckte nur mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte er und beobachtete, wie der letzte Ortungsimpuls erlosch, der ihnen, den Standort der Rest‐SOL gezeigt hatte. Hayes aber fuhr fort: »Wenn wir nur warten, daß sich auf der SOL etwas ändert, dann können wir lange warten. Irgendwann muß etwas geschehen. Wir dürfen nicht nachgeben!« Er sagte es mit Nachdruck, aber es war leichter gesagt als getan. Vorläufig mußten sie abwarten und sich um die Solaner im eigenen Schiff kümmern. »Vielleicht meldet sich der falsche Deccon wieder, wenn er eine neue Hinterlist ersonnen hat«, sagte Bit schließlich. »Er muß es tun. Es ist ebenso sein Ziel, die SOL zu vereinigen, wie unseres.« Alle hofften, daß die Stabsspezialistin recht behalten würde und die Drohungen des Orders nur taktische Drohungen waren. Sonst gab es für sie keine Möglichkeit, jemals an den Mittelteil und die SZ‐ 1 heranzukommen. »Oder wir drehen den Spieß um und stellen dem Order eine Falle.
Irgendwo auf einem Planeten«, fügte Bit hinzu. Dann war sie zur Tür hinaus. 3. Fast geräuschlos schloß sich das schwere Außenschott, und die Buhrlos warteten reglos darauf, daß sich die Schleuse mit Luft füllte und sich das Innenschott öffnete. Noch waren ihre Körperöffnungen verschlossen, was sie vor dem Dekompressionstod bewahrte. Dennoch war ihnen anzusehen, daß sie es kaum erwarten konnten, sich akustisch zu verständigen. Sie machten Zeichen der Eile und traten von einem Bein auf das andere. Endlich strömte die Luft in das Vakuum, begleitet von einem stetigen Anschwellen der Alarmsirenen. Zuerst hörte es sich wie tiefes Gegurgel an, steigerte sich dann immer mehr, und jetzt wußten sie daß etwas nicht stimmte. Ein Impuls hatte sie von draußen hereingeholt, ein Impuls, der von ihren Kameraden im Schiff kam. Die Sirenen übertönten alles, und endlich öffneten sie ihren Mund. »Die Schutzschirme sind aufgebaut, ich habe es gesehen, da ich als letzter hereinkam«, teilte Brendan Cuer mit. »Etwas Unvorhergesehenes ist geschehen.« Die Augen aller vierzig Buhrlos richteten sich auf die Frau, die die Schleuse verließ und in den Korridor trat. Sie war extrem schlank, und ihr Körper schimmerte braun bis schwarz. Dadurch unterschied sie sich von den übrigen Buhrlos, die in ihrem rötlichen Panzer alle plump und unbeholfen wirkten. »Kommt!« sagte Bora St. Felix düster und schritt ihnen voran in die SZ‐1 hinein. Die Buhrlos beeilten sich, der Aufforderung ihrer Anführerin nachzukommen. Eine Weile liefen sie schweigend hinter ihr her, bis Bora plötzlich stehenblieb. Die fünfzigjährige Frau hob die rechte Hand und streckte zwei Finger aus. Es bedeutete Gefahr!
»Spürt ihr etwas?« fragte sie. »Die SZ‐1 feuert ihre Waffen ab. Das Dröhnen ist nicht fehlzudeuten.« »Ich habe es gewußt«, murmelte ein alter Buhrlo. »Ich spüre es seit Tagen, daß es nicht gutgehen wird.« »Wovon redest du?« Bora zuckte unter einer Ahnung zusammen. »Es sind keine Fremden in der Nähe«, fuhr der Buhrlo fort. »Es kann nur eines bedeuten.« »Bei der SOL, nein!« schrien die Buhrlos. »Nur das nicht. Es darf nicht sein. Wir müssen zum High Sideryt!« »Halt!« Ihr Ausruf hielt sie zurück. Sie breitete beide Arme aus und hob den linken Zeigefinger: Aufpassen, ich will etwas mitteilen. »Tadder hat recht«, versuchte Bora ihnen beizubringen. »Sie schießen auf die SZ‐2. Es gibt keinen anderen Grund.« »Aber der High Sideryt! Chart Deccon! Ist er machtlos dagegen? Haben Aufrührer die Zentrale besetzt?« Bora schüttelte energisch den Kopf. Ihr Gesicht verzog sich unter dem inneren Kampf, ihnen sagen zu müssen, was sie ihnen bisher vorenthalten hatte, weil sie sie nicht mit dem Wissen gefährden wollte. »Der High Sideryt ist nicht Chart Deccon. Es ist einer der Doppelgänger. Chart Deccon hält sich nicht auf der Rest‐SOLauf!« Die Buhrlofrau fuhr sich über die kurzen schwarzen Haare und lächelte schmerzlich. »Nun wißt ihr es. Aber es bringt euch nur in Gefahr. Der Order könnte auf den Gedanken kommen, die Buhrlos zu töten!« Die Gruppe schwieg betroffen. Tadder sank aufstöhnend zu Boden, er zitterte am ganzen Körper. »Geht!« sagte Bora eindringlich. »Vergeßt, was ich euch erzählt habe. Kehrt in eure Wohnungen zurück und laßt mich allein. Ich muß mich vergewissern, was geschehen ist. Ich werde euch Bescheid geben, sobald ich kann!« Sie trat zur Seite und machte ihren Artgenossen Platz, die langsam und mit gesenkten Köpfen davonschlichen. Tadder erhob sich und
schloß sich ihnen an. Er weinte, und die Tränen glänzten auf seiner Hornhaut wie Edelsteine. »Unsere Freunde in der SZ‐2«, schluchzte er. »Was wird aus ihnen?« »Ich vertraue auf Atlan, er wird den richtigen Weg finden«, lächelte Bora St. Felix matt. Sie blickte dem Alten noch eine Weile nach, dann verschwand sie in einem Seitengang, der sie in den Maschinensektor der Hangars brachte, ganz in der Nähe der Außenhaut. Dort kannte sie eine kleine Positronik, die unmittelbar mit der Hauptpositronik in der Zentrale der SZ‐1 in Verbindung stand. Von dort hatte sie schon mehrmals unbemerkt Informationen abgezapft. Auch jetzt schlich sie auf Umwegen dorthin. Sie betrat die betreffende Halle durch einen kleinen Noteingang, der sie mit einer Maschinenstation verband. Hier war das Dröhnen der Schiffsgeschütze noch viel besser zu hören als weiter drüben an der Schleuse. Ein Ruck ging durch das Schiff und hätte sie fast stürzen lassen. Da aber sprangen die Abdruckabsorber ein und halfen ihr. Bora schloß den Noteingang leise und sicherte nach allen Seiten. Dann ging sie an der Wand entlang bis zu der Kontaktstelle, von der aus sie die Minipositronik bedienen konnte. Hastig begann sie zu schalten. Sie war so darin vertieft, keinen Fehler zu machen, daß sie die Gestalt nicht bemerkte, die sich näherte und ihr eine Weile zusah. »Erschrick nicht!« sagte der Mann. »Ich kann dir sicher helfen!« Bora fuhr herum, dann atmete sie erleichtert auf. »Joscan Hellmut«, entfuhr es ihr. »Fast hättest du erreicht, daß ich in Vakuumbereitschaft verfalle!« »Auch ich war zu dieser Positronik hier unterwegs, weil ich unbedingt wissen wollte, was vor sich geht«, erklärte Hellmut zurückhaltend. »Wie ich sehe, hatten wir denselben Gedanken, Bora.« »Sie schießen auf die SZ‐2!« schrillte die Buhrlofrau. Hellmut
bejahte. »Ich weiß es, aber warum geschieht es? Wer kommt auf einen solchen Gedanken? Ich glaubte, daß das Mißtrauen zwischen Chart Deccon und Atlan endgültig beseitigt sei.« »Deccon ist nicht Deccon!« platzte Bora heraus. »Es ist einer der Order!« »Die zehn Order sind doch beseitigt!« »Es waren elf!« Stockend manchmal, dann wieder mit sich überschlagender Stimme berichtete sie von dem, was sie von Lyta Kunduran und Hage Nockemann aber auch von Chart Deccon persönlich erfahren hatte. »Deccon ist mit den beiden geflohen. Sie haben die SOL verlassen. Vermutlich sind sie jetzt bei Atlan in der SZ‐2.« Hellmut erwiderte nichts. Nur manchmal übermannte es ihn. Dann sagte er: »Mein Gott! Mein Gott!« Er schüttelte den Kopf. »Das Schiff zerfleischt sich im Bruderkrieg!« prophezeite er düster. »Ich sehe es deutlich. SOL kämpft gegen SOL. Es ist furchtbar. Was wir jetzt hören, ist nur ein kleines, belangloses Geplänkel. Wir haben Fahrt aufgenommen und folgen der SZ‐2 vermutlich.« Und wieder schüttelte er den Kopf. »Wo soll alles enden?« »Wir müssen etwas tun!« drängte Bora ihn, doch Hellmut lehnte ab. »Was können wir denn tun?« fragte er traurig. »Mittelteil und SZ‐1 sind in den Händen eines mächtigen Gegners. Nicht einmal SENECA steht uns zur Verfügung. Ja, richtig gesehen ist auch er unser Feind.« Zum erstenmal sprach Joscan Hellmut mit jemandem über das, was er von Esterhan Soeklund aus dem Logbuch und aus eigenem Erleben wußte. Immer wieder redete er von der Aussichtslosigkeit, die ein Einschreiten haben mußte. »Du hast tatsächlich resigniert«, stellte Bora fest, während sie ihn beobachtete, wie er der Positronik Informationen abzapfte.
»Es stimmt, was ich schon wußte. Wir verfolgen die SZ‐2. Der falsche Deccon hat damit gedroht, sie zu vernichten«, würgte er hervor. »Das ist der Untergang der Heimat!« schrie Bora aufgeregt. »Laß uns etwas dagegen tun! Wir müssen in die Hauptzentrale in den Mittelteil!« »Es hat keinen Sinn. Bis wir uns Waffen besorgt haben, ist vielleicht alles aus. Aber komm!« Sie verließen die Halle und machten sich auf den Weg in den Mittelteil. Hellmut mochte vielleicht doch eine Idee haben. Oder er wollte nur am Ort des Geschehens sein. »Wir könnten die ehemaligen Basiskämpfer benachrichtigen«, schlug Bora vor. »Sie können auch nicht in so kurzer Zeit mobilisiert werden, wie wir es brauchten«, antwortete Hellmut zerknirscht. »Und wir müßten sie einweihen. Wenn die Solaner erfahren, daß sie durch Romeo und Julia auf einer fliegenden Bombe leben, bricht das Chaos aus! Nein, wir müssen etwas anderes tun.« Sobald sie den Standort der SZ‐2 kannten, mußten sie fliehen. Mit einer Space‐Jet konnten sie die Rest‐SOL verlassen und sich in Sicherheit bringen. Hellmut besaß genug Kenntnisse und Erfahrung, um die Jet schnell in den Linearraum zu bringen und rechtzeitig eine Lücke in den Schutzschirmen zu schaffen. Während sie sich im Antigrav in den Mittelteil tragen ließen, setzte er es Bora auseinander. Aber die Buhrlofrau lehnte ab. »Für mich gibt es keine Flucht!« stellte sie fest. »Ich bleibe bei meinen Leuten. Sie vertrauen mir!« Sie verließen den Antigrav und näherten sich dem Bereich um die Hauptzentrale. Sie ahnten nicht, daß jemand ihren Weg verfolgte. Bora dachte auch nicht einmal daran, daß der Zentralbereich abgeschirmt war, und Hellmut wußte es noch nicht. Er näherte sich seit längerem zum erstenmal wieder dem Zentrum. Bora stieß einen unterdrückten Ruf aus, als sie aus mehreren
Seitengängen die Roboter auftauchen sah. Kommentarlos kreisten die Maschinen die beiden Solaner ein und führten sie weg. * Sie drangen auf ihn ein, und er hatte Mühe, sich gegen sie zu wehren. Aber langsam lernte er, sie abzublocken und verstummen zu lassen. Er öffnete seinen Geist erneut und nahm die ganze Fülle dessen in sich auf, was auf ihn einströmte. Und er begann sie zu sortieren und einzuordnen. Die Kraft in ihm wurde von Stunde zu Stunde stärker. Ja, fast in jeder Minute konnte er eine geringfügige Zunahme verzeichnen. Er übte und spielte ein wenig mit ihnen, beobachtete auf dem Bildschirm der Klause, wie Wajsto Kölsch plötzlich unmotiviert mit der Handkante auf eine Metallplatte schlug und sich dann schreiend die Hand rieb. Vorsicht! schärfte er sich ein. Das ist etwas, womit du dich verraten kannst. Am besten, niemand merkt etwas von deinen Fähigkeiten. Wenn du einmal Verdacht erregst, dann ist das der Anfang von Mißtrauen. Order‐7 begriff, daß er seine telepathischen Kräfte auf jeden einzeln und auf alle gleichzeitig anwenden konnte. Er empfing ihre Gedanken und konnte ihnen gleichzeitig auf hypnosuggestiver Basis seine Gedanken eingeben. Er brauchte sich nicht mehr anzustrengen dabei. Er machte eine Entdeckung, die er zwar erwartet hatte, die ihn aber in ihrer Deutlichkeit überraschte. Ohne Ausnahme glaubten die Magniden fest an ihn. Ja, sie schienen sich unter seiner neuen Linie wesentlich wohler zu fühlen als die letzte Zeit unter dem echten Deccon. Er gab ihnen Einigkeit, und sie belohnten ihn dafür. Order‐7 lächelte geringschätzig. Was waren sie doch für armselige Wesen! Und so etwas sollte er in den ewigen Kampf der Bewährung
geleiten? Das befohlene Werk muß erfüllt werden! redete er sich ein und widmete sich wieder den Gedanken, die auf ihn eindrangen. Er sortierte sie. Dann stutzte er. Deutlich empfing er die Gedanken zweier Solaner, die sich mit ihm und seinem Handeln beschäftigten. Und diese Gedanken nahmen an Intensität immer mehr zu, das heißt, die Solaner näherten sich der Hauptzentrale oder seiner Klause, waren vielleicht schon ganz in der Nähe. Joscan Hellmut und Bora St. Felix! Order‐7 kannte die beiden Identitäten. Hastig nahm er ihre Gedankeninhalte auf. Erschrocken durcheilte er die Klause. Er erkannte, daß die beiden alles wußten, was mit ihm und seinem Geheimnis zu tun hatte. Nur über seine Parafähigkeiten wußten sie nicht Bescheid. Wenn sie mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit traten und sich durchsetzten, war der Plan gefährdet. Order‐7 schickte drei Roboter hinaus, um die beiden gefährlichen Menschen festzunehmen. Gleichzeitig überlegte er, wo er sie am besten unterbringen konnte. Später einmal konnten sie ihm nützlich sein, wenn er sie als Kämpfer für die SOL einsetzen konnte. Er entdeckte die Hemmschwelle in den Gedanken von Hellmut, sein Wissen zu offenbaren. Und er entnahm ihnen das gesamte Wissen über Romeo und Julia, das ihm schon bekannt war. Dieser Mann muß wahnsinnig sein, überlegte er. Er trägt das Wissen in sich, das ihn als einzigen befähigen würde, die Gefahr für das Schiff und seine Bewohner zu beseitigen. Aber er macht keinen Gebrauch davon. Die Einschätzung der Solaner ist widersprüchlich. Er warf einen raschen Blick auf den Bildschirm, auf dem er die Magniden beobachtete. Er schaltete um und sah zu, wie die Roboter den Mann und die Buhrlofrau festnahmen und an einen Ort brachten, den er ihnen über Funk nannte. Dort sperrten sie die beiden in zwei getrennten Kabinen ein. Sie besaßen nun keine Möglichkeit mehr, sich zu äußern oder etwas zu tun, was gegen ihn gerichtet war. Er schaltete wieder um auf die Zentrale.
Nurmer, suggerierte er dem Magniden, du wirst jetzt einen nicht gezielten Warnschuß von großer Reichweite abgeben. Atlan soll wissen, daß wir noch in der Nähe sind. In der Hauptzentrale rührte der alte Magnide sich. »Ich werde einen Warnschuß abgeben!« eröffnete er und setzte den Magniden auseinander, warum er es tat. »Chart soll sehen, daß wir ihn unterstützen!« Ich werde den Arkoniden in die Knie zwingen, dachte Order‐7. Ich werde ihn weich machen. Er soll vor mir im Staub liegen, bevor ich ihn töte. Er ist der Gegenspieler meines Auftraggebers und muß beseitigt werden. Order‐7 beobachtete die Roboter, wie sie zurückkamen und an ihren Plätzen Aufstellung nahmen. »Ich habe noch einen Auftrag für euch«, sagte er übergangslos. »Schafft mir Romeo herbei, so schnell es geht!« Diesmal rückten fünf der Roboter ab, zwei blieben zu seinem persönlichen Schutz zurück. Order‐7 entwickelte einen Plan. Romeo und Julia sollten endlich das Ziel ihrer Existenz erreichen, wie der Planer es vorgesehen hatte. Sie würden das tun, womit auch Atlan nicht rechnete. Und wenn er den Trick erkannte, würde es zu spät sein. Der Arkonide war vollständig in seine Hände gegeben. »Das Schiff ist auch ohne die SZ‐2 voll funktionsfähig!« sagte Order‐7 laut. »Ich werde die zweite Kugelzelle vernichten. Dann sind die Solaner gezwungen, in die Beiboote zu flüchten und bei mir um Aufnahme zu bitten. Ohne das Mutterschiff kommen sie nicht weit!« Chart Deccon hätte angesichts einer solch begeisternden Idee fest in die Hände geklatscht. Order‐7 tat es nicht. Er war plötzlich ganz ruhig und setzte sich in seinen Thronsessel. Er senkte den Kopf und schloß die Augen, als wolle er schlafen. Längst hatte Nurmer den Schuß abgefeuert und überlegte jetzt, was er noch tun konnte. Ein wenig empfand der falsche Deccon Zufriedenheit mit dem Alten, er
würde in der Zukunft einer seiner besten Diener sein. Er mußte es ihm nur deutlich genug zeigen, wieviel er von ihm hielt. Order‐7 hob ruckartig den Kopf. Ein wenig erinnerte ihn die Geschäftigkeit Nurmers an die allgemeine Aktivität, die in diesem Schiff herrschte. Und er versuchte sich auszumalen, was es war, das dieses Volk groß gemacht hatte. Nicht groß genug! dachte er selbstgefällig. * Bumela hatte gehofft, Joscan Hellmut wiederzusehen. Aber ihre Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Er war nicht mehr vorbeigekommen. In welchem Winkel des Mittelteils oder der SZ‐1 mochte er stecken? Das Mädchen hatte Zutrauen zu dem ernsten, verschlossenen Mann gefaßt. Für sie verkörperte er das Bild, das sie sich von sich selbst machte, wenn sie einmal erwachsen sein würde. Bumela saß wieder vor der Tür des Gemeinschaftsraums und beobachtete die Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, die ein und aus gingen, ohne sie zu beachten. Sie waren es gewohnt, daß sie hier saß und dachten sich wahrscheinlich nichts dabei. Bumela merkte sich die Gesichter. Sie wußte genau, wann einer kam, wie oft und warum. Jene, die mit motorischer Regelmäßigkeit erschienen, taten es, weil sie essen oder trinken wollten. Und nicht selten waren es alkoholische Getränke, die sie in Unmengen konsumierten. Bumela sah sie aufrecht kommen und schwankend wieder gehen. Einmal hatte sie einem geholfen, der zur Tür hinausfiel und stürzte. Er kam am nächsten Tag wieder. Er erinnerte sich an sie, aber er warf ihr einen so furchtbaren Blick zu, daß sie sich schnell abwandte. Vermutlich konnte er nicht überwinden, daß er sich von einer Frau hatte helfen lassen müssen. Von einem jungen Mädchen! Der Mann hatte große, rauhe Hände, ein Mechaniker vermutlich.
Lebte er mit einer Gefährtin zusammen? Schlug er sie manchmal, wenn er betrunken war? Solche und ähnliche Fragen gingen Bumela durch den Kopf, und ab und zu legten sie verschüttete Erinnerungen an die Kindheit frei. Und dann fragte sie sich, ob ihre Mutter nur deshalb nicht über ihren Vater gesprochen hatte, weil sie sich schämte. Weil er vielleicht wie dieser Mann war. Ein Alkoholiker. Im Schiff gab es die Möglichkeiten, so etwas zu heilen, kurz und schmerzlos. Es gab verschiedene Methoden, von Tabletten bis zu Akupunktur und Elektroschocks. Die Heiler besaßen Erfahrung darin. Das Mädchen hörte metallische Schritte und erhob sich hastig. Sie erkannte, daß ein Roboter den Gang entlang kam. Sie konnte ihn nur wegen der Krümmung des Ganges noch nicht sehen. Sie faßte nach der Kontaktplatte der Tür, um sich gegebenenfalls in Sicherheit bringen zu können, wenn es sich um einen Reinigungsroboter handelt. Die Maschine geriet in ihr Gesichtsfeld. Bumela schrie leise auf, der Anblick brachte sie aus der Fassung. Was da auf sie zukam, war ein aufrecht gebauter Roboter, der entfernte Ähnlichkeit mit einem Solaner hatte. Sie hatte im Unterricht oft Bilder oder Holos von Kampfrobotern gesehen, und während der Zeit im Zugstrahl von Mausefalle war sie öfters ein paar begegnet. Der hier aber war anders. Er besaß keine Waffenarme, überhaupt keine Arme. Die Achselhöhlen, sofern man die Löcher am oberen Rumpf ende als solche bezeichnen konnte, waren leer. Die Beine der Maschine knirschten beim Laufen, und der Kopf drehte sich unablässig um dreihundertsechzig Grad. Bedeckt war der Körper von einer dicken Schicht Rost, die bei jedem Schritt ein wenig mehr abblätterte. Als der Roboter das Mädchen entdeckte, blieb er stehen und wandte ihr seine Vorderseite zu. Der Kopf drehte sich weiter auf seinem Gelenk. »Solaner, hast du mich aktiviert?« fragte er mit knarrender Stimme.
»Nein, nein«, stammelte Bumela. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte. »Ich suche meinen Herrn, auf den ich programmiert bin. Er muß mich aktiviert haben«, quakte der Roboter, ohne seinen Kopf zum Stillstand zu bringen. Die Tür des Gemeinschaftsraums öffnete sich, und ein paar Solaner traten heraus. Sie bekamen das Gespräch mit und begannen zu lachen. »Wer hat diesen Schrotthaufen aktiviert?« riefen sie. »Der nächste Konverter ist eine Etage tiefer!« Sie gingen weiter, noch ehe Bumela oder der Roboter etwas erwidern konnten. Da sagte der Roboter: »Ich lebe!« Bumela überlegte krampfhaft. Sollte sie …? Sie wußte, daß Hellmut mit solchen Maschinen zu tun hatte. »Suchst du vielleicht Joscan Helmut?« fragte sie. »Ich habe mit ihm gesprochen.« Der Roboter verneinte. Er machte einen schwankenden Schritt auf das Mädchen zu, das sich nicht wohl fühlte in seiner Haut. »Ich suche meinen Herrn«, wiederholte der Roboter. »Wo kann ich ihn finden?« »Wie heißt er denn?« »Qaqoque.« »Nie gehört«, sagte Bumela hastig. »Ist es ein Solaner?« »Es ist«, antwortete der Roboter. »Warte, ich werde doch versuchen, Joscan Hellmut zu erreichen. Er kann dir bestimmt helfen!« »Nein, er sitzt fest.« »Was?« »Jemand hat mich aktiviert«, stellte der Schrotthaufen fest. »Seither weiß ich, daß Joscan Hellmut eingesperrt ist.« »Wo? Wo ist er?« rief Bumela. »Ich weiß nicht.«
Die Gedanken des Mädchens begannen sich zu überschlagen. Sie begriff, daß dem Solaner etwas zugestoßen sein mußte. Wie konnte sie ihm nur helfen? »Wir müssen Hellmut finden«, erklärte sie dem Roboter, dessen Kopf unentwegt kreiste. »Wir müssen dem High Sideryt Bescheid sagen!« Sie wandte sich zum Gehen. »Begleite mich!« sagte sie, froh einen Beschützer zu haben. Wenn es auch kein richtiger war. Aber wer wußte denn, wozu der Roboter noch alles gut sein könnte. »Warum?« fragte die Rostschachtel. »Hellmut ist Kybernetiker, soviel ich weiß. Er kann dir helfen.« »Ja, kann er«, sagte der Roboter. »Kennst du den Weg zur Zentrale? Führe mich hin, so schnell es geht!« Gehorsam setzte sich der Schrotthaufen in Bewegung. Bumela folgte ihm mit zwiespältigen Gefühlen. Es war eine neue, ihr unbekannte Welt, in die sie gelangen würde, und sie hoffte, daß sie Hellmut bald finden würde. »Wie heißt du eigentlich?« fragte sie den Roboter. »Qaqoque.« »So heißt dein Herr!« »Ich bin mein eigener Herr!« klang es aus dem rotierenden Kopf. Bumela schloß kurz die Augen. Es war wirklich höchste Zeit, daß diese Maschine in die richtigen Hände kam. Aus dem Unterricht hatte sie sich genug gemerkt, um zu erkennen, daß die Positronik des rostroten Kastens nicht in Ordnung war. Typischer Fall für die Ferraten, dachte das Mädchen. Wozu heißen sie sonst Rostjäger! »Ich lebe«, murmelte der Roboter. *
Es geschah ohne Wissen der Magniden. Die fünf Roboter brachten Romeo auf einer Antigravbahre, gefolgt von einem Reinigungsrobot, der die entstehenden Dämpfe absaugen würde. Zusätzlich würde die Klimaanlage der Klause dafür sorgen, daß Deccon nicht unter der Geruchsentwicklung zu leiden hatte. Der High Sideryt schloß die Tür der Klause und verriegelte sie. »Fangt an!« befahl er. Die Roboter hoben ihre Waffenarme, und die Desintegratoren zogen feine Schnitte durch den glasartigen Quarzblock, in dem Romeo festgehalten war. Kubikzentimeter um Kubikzentimeter verdampfte und wurde von den Absauganlagen eingefangen. Auf Anweisung des High Sideryt befreiten sie den Ableger SENECAs nur so weit, daß sein Kopf, die Schultern und Oberarme frei waren, der Roboter also keine Bewegungsfreiheit besaß. Nachdem sie auch die Augenlinsen sorgfältig von Restrückständen gesäubert hatten, schickte Deccon die Reinigungsmaschine hinaus und verriegelte hinter ihr wiederum die Tür. Er wollte keine Zeugen bei seiner Arbeit. Die Roboter seiner Leibwache nahmen ihre Plätze wieder ein und erstarrten zur Bewegungslosigkeit, während Deccon langsam um den Ableger herumging. »Ich habe einen Auftrag für dich!« begann Order‐7. Romeo antwortete nicht. Lediglich das Leuchten seiner Augen wies darauf hin, daß er aktiviert war und alles mitbekam, was sich um ihn herum abspielte. Er mußte auch die Worte des Orders verstanden haben. Order‐7 wartete ein paar Sekunden, dann wiederholte er seine Worte. Jetzt reagierte Romeo. Langsam wandte er den kastenförmigen Kopf und blickte Deccon an. »Ich bin nicht dazu da, Aufträge auszuführen«, erwiderte er mit knarrender Stimme, wobei seine Augen heller zu leuchten begannen. »Du mußt dir also einen anderen suchen. Zunächst aber
befreie mich aus meinem Gefängnis. Der AUFTRAG muß ausgeführt werden.« Order‐7 schritt zu seinem Thron und setzte sich hinein. Romeo beobachtete ihn, wie er den Kopf in die Hände stützte und nachdachte. »Du wirst tun, was ich sage«, fügte der Roboter hinzu. Order‐7 schüttelte tadelnd den Kopf. Er fixierte Romeo, als wolle er ihn hypnotisieren. Nach einer Weile aber senkte er den Blick. Der Roboter hatte die längere Ausdauer, und das Schauen in die starren Augen strengte den Order an. Er wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Sie waren eiskalt auf seiner Hand, und er zuckte leicht zusammen. In der Tat hatte er für einen kurzen Augenblick versuchen wollen, Romeo in seinen hypnotischen Bann zu zwingen. Aber der Ableger SENECAs war immun dagegen. Order‐7 öffnete den Mund. Er wollte den Roboter zur SZ‐2 schicken, damit dieser dort als Unterhändler auftrat. Er war sich bewußt, was das für eine Konsequenz haben würde. Der Vereinigungsdrang der beiden Ableger war so groß, daß Romeo alles daransetzen würde, die Vereinigung zu verwirklichen. Nichts konnte ihn dabei aufhalten. Der Order würde ihm nicht sagen, daß er gerade darauf spekulierte. Die Vereinigung würde in der SZ‐2 stattfinden, das Schiff würde durch den ablaufenden Antimaterieprozeß innerhalb kürzester Zeit vernichtet. Romeo war der ideale Unterhändler. »Von welchem Auftrag sprichst du?« erkundigte sich Order‐7 kalt. »Darüber kann ich nicht sprechen, es ist meine persönliche Angelegenheit!« So einfach ist das nicht, Bürschchen, dachte der Order. Er beschloß, zunächst Ausflüchte zu gebrauchen. »Atlan und die SZ‐2 sind abtrünnig geworden«, machte er dem Ableger begreiflich. »Deshalb wirst du als Unterhändler hinübergehen, um mit Atlan zu sprechen und ihn zur Aufgabe zu bewegen.«
»Atlan ist niemand. Niemand ist Atlan. Ich kenne keinen Atlan.« »Das spielt keine Rolle. Du sollst mit ihm verhandeln.« »Nein!« erklärte Romeo schrill. »Die Lage der SOL interessiert mich nicht.« »Du hast Gelegenheit, Julia zu treffen. Sie befindet sich in der SZ‐ 2!« hielt Order‐7 ihm entgegen. Die Haltung Romeos veränderte sich ein wenig. Es war optisch nur am hellen Aufleuchten seiner Augenlinsen zu erkennen, aber Order‐7 hatte das Gefühl, als würde sich die ganze, noch eingegossene Gestalt straffen und dehnen. So als wolle sie ihr Gefängnis sprengen. »Nun, was ist?« fragte Deccon schnell. »Ich werde es mir überlegen«, knarrte Romeo, doch Deccon fiel ihm ins Wort. »Ich habe keine Zeit mehr!« »Also gut«, erwiderte der Ableger sofort. »Ich bin bereit, den Unterhändler zu spielen.« Order‐7 lächelte wieder, aber es war ein kaltes Lächeln. Er hatte gewußt, daß Romeo nicht anders konnte. Laut würde es der Roboter nicht erzählen, aber es ging ihm einzig und allein um die Vereinigung der beiden Quasi‐Antimaterieteile der Zeitbombe. Der Order dachte wieder an Joscan Hellmut, der gefangen war und das Wissen besessen hatte, die Gefahr zu beseitigen. »Gut«, brummte der falsche Deccon zufrieden. Er erzählte dem Roboter über die Situation an Bord und die Trennung der SZ‐2. Er erläuterte, was zu berücksichtigen war, damit Romeo unter allen Umständen an Bord der SZ‐2 gelangen würde, aber SENECAs Ableger wies ihn zurecht. »Das weiß ich besser als du. Was soll ich Atlan sagen?« »Er hat etwa eine Viertelstunde Zeit. Sage ihm das. Sage ihm aber nicht, wozu.« »Ich werde es ausrichten.« Order‐7 wandte sich ab und trat an die Kontrollgeräte. Er befahl
zwei gewöhnliche Roboter aus einem Depot zu sich. Er hätte sie schneller aus der Hauptzentrale haben können, aber noch immer durften die Magniden nichts von seinem Plan wissen. Noch waren sie nicht soweit, er mußte sie vorher gründlicher beeinflussen. Bald hatten seine Kräfte ihre Höchstleistung erreicht, dann würde er unüberwindlich sein. Order‐7 holte die beiden Roboter zu sich. Er gab ihnen Anweisung, Romeo in seinem Zustand auf eine Space‐Jet zu schaffen, die dafür vorbereitet wurde. Er trug ihnen auf, Romeo endgültig zu befreien, sobald die Space‐Jet den Hangar des Mittelteils verlassen hatte. Längst waren die Schutzschirme erloschen, und die Buhrlos tummelten sich, ihrem inneren Zwang folgend, um das Schiff. Order‐7 verschwendete seine Gedanken nicht weiter an diesen seltenen Seitenzweig der Solaner. Er wußte mit ihnen nichts anzufangen. Sie würden auch der Macht nichts nützen, der er diente. Sie waren Ballast. Der falsche High Sideryt sondierte den Weg, den die beiden Maschinen mit ihrer Last zu nehmen hatten. Da an Bord gerade Nachtphase herrschte, bereitete es ihnen keine Schwierigkeiten, Romeo ungesehen in das Beiboot zu bringen. Nach einem Bestätigungszeichen an die Klause öffneten sie das große Hangartor und steuerten das Boot langsam hinaus. Sie entfernten sich bis auf eine Distanz von zwei Lichtminuten, dann warteten sie ab. Deccon würde ihnen ein Zeichen geben, wenn es soweit war. Order‐7 zauderte keinen Augenblick. Er stellte eine direkte Verbindung mit der Hyperfunkanlage der Hauptzentrale her und ließ einen Ruf in die ungefähre Richtung los, in der er die SZ‐2 vermutete. Die Anlage war noch von seinem ersten Versuch programmiert und variierte den Sendewinkel um ein oder zwei Bogensekunden, damit die beabsichtigte Streuung erreicht wurde. Order‐7 bot Atlan Verhandlungen an, mit dem Ziel, daß der Arkonide endlich zurückkehrte und ankoppelte. Er vertraute fest
darauf, daß die Solaner in der SZ‐2 sein Angebot nicht als bloßen Vorwand betrachteten. Und damit hatte er vollkommen recht. 4. Sie nannten die rote Riesensonne Hoffnung‐1. Irgendwie fühlten sie sich in ihrem Schutz sicher und waren fast ein wenig dankbar, daß sie sie gefunden hatten. Im Zentrum von Flatterfeld war das nicht gerade einfach. Flatterfeld war eine irreguläre Kleingalaxis ohne Spiral‐ oder Balkenform und ohne einen ausgeprägten Kern. Im Gegenteil, im Zentrum gab es weniger Sterne als in der Umgebung. Flatterfelds äußere Form war unregelmäßig, zerstreute sich in verschiedenen Ausläufern, die aus verschiedenen Blickwinkeln wie mahnend ausgestreckte Arme wirkten. Als die SOL damals die Kleingalaxis erreicht hatte, hatte Deccon ihr den Namen gegeben. Sie hatte ihn und die Magniden an ein verwüstetes Feld und an die zerzausten, auf‐ und abschlagenden Schwingen eines Vogels erinnert, eines Vogels, der gerade den Fängen eines Feindes entkommen war und sich nun hoch hinaus in den Himmel rettete. Flatterfeld stand allein mitten im Leerraum. Erst auf die intergalaktischen Entfernungen bezogen, gab es andere Milchstraßen in ihrer Nähe. Zahlreiche Sternenballungen waren ihr vorgelagert, die Solaner hatten die aus etwa hundert Sternen bestehende Formation Bumerang bereits kennengelernt. Sie hatten ihnen Rätsel aufgegeben, und ihre ersten Erkundungsflüge hatten sie bereits mitten in das Geschehen um und in Flatterfeld hineingezogen, die von den vielen in ihr lebenden Intelligenzen All‐ Mohandot genannt wurde. Noch immer hatte die Passivortung der SZ‐2 keinen neuen Anhaltspunkt auf den Standort der Rest‐SOL. Atlan war auf einen Energieausbruch drüben angewiesen, um sich zu vergewissern, daß der falsche Deccon sich noch in sicherem Abstand befand. Hoffnung‐
1 bildete in dieser Beziehung ein starkes Handikap, denn die Strahlungen der Sonnenkorona veränderten die Meßergebnisse erheblich, machten sie teilweise unbrauchbar. Es galt, vorsichtig zu sein. Hayes hatte angeordnet, daß das Schiff in ständiger Alarmbereitschaft blieb. Die Zentrale war laufend voll besetzt, und der Interkom gab sich regelmäßig wiederholende Informationen an die Solaner weiter. »Schade, die Sonne stört alles«, seufzte Bjo BreiskoU. Der Katzer hatte sich mit Sanny und Oserf an in einen Winkel der Zentrale zurückgezogen, während Argan U durch das Schiff streifte. Er war dabei, sich einen Raumanzug nach seinen Bedürfnissen anfertigen zu lassen. Mit einem eingebauten Destilliergerät und ein paar kleinen Extras. Was er vorhatte, konnte niemand sagen. Sanny, die kleine Molaatin, sah Bjo aufmerksam an. Sie maß nur 47 Zentimeter und mußte an dem Katzer hinaufblicken, wenn sie mit ihm redete. Ihr humanoider Körper war von einem dichten, kurzhaarigen Pelz bedeckt, der lindgrün schimmerte wie die Kombinationen der Solaner. Nur der kugelförmige Kopf war völlig haarlos. Seine Haut leuchtete in einem dunklen Bronzeton. »Du willst nach draußen lauschen?« fragte Sanny. Breiskoll nickte. »Manchmal ist es schön, den Stimmen des Weltalls zu lauschen«, entgegnete er. »Dann glaube ich, irgendwo versucht jemand mit mir zu sprechen, und dabei ist es doch nur die Stimme, die allgegenwärtig ist.« Bjo war passiver Telepath. Er konnte die Gedanken anderer Wesen empfangen, selbst jedoch keine Gedanken aussenden. Dazu bedurfte er der Unterstützung eines Empfängers, wie Sternfeuer ihn darstellte. »Was sagt diese Stimme?« »Ich kann es nicht in Worte fassen. Es ist einfach schön. Ich fühle mich dann glücklich«, lächelte Bjo der Paramathematikerin zu. »Es ist wie der Herzschlag des Universums. Das All lebt auch auf
übergeordneter Ebene. Wer weiß, vielleicht sind wir eines Tages in der Lage, uns auf eine solche Ebene zu schwingen wie ein Vogel. Vielleicht begreifen wir dann das, was ich empfange.« »Vielleicht kann ich es berechnen«, hoffte Sanny, aber Bjo lächelte verständnisvoll. »Glaubst du, daß jedem Wesen Grenzen gesetzt sind?« fragte er und entfernte sich. Seine scharfen Augen hatten die Veränderung an den Kontrolltafeln als erster bemerkt. »Funkanruf, Breckcrown!« rief er durch die Zentrale. Der High Sideryt wandte sich von Atlan ab, mit dem er im Gespräch vertieft gewesen war. Er schaltete auf akustische Wiedergabe. Die bekannte Stimme Chart Deccons klang auf, aber sie wußten, daß es die des Orders war. »Deccon an Atlan«, meldete er sich, ohne eine Bildübertragung einzugehen. »Ich weiß, daß du irgendwo in der Nähe bist. Ich werde stillhalten und die SZ‐2 nicht angreifen. Dafür biete ich dir an, über einen Unterhändler mit mir in Kontakt zu treten. Du weißt, daß es mein Ziel ist, die SOL zu vereinigen!« Es trat eine Kunstpause ein, dann fuhr der Order fort: »An Bord einer Space‐Jet ist der Unterhändler unterwegs zu einem blauen Stern, den ich Point Qua nenne. Du erkennst ihn daran, daß es der einzige pulsierende Stern im Zentrum von All‐Mohandot ist. Das Treffen soll in einem Orbit eine Lichtminute von der Oberfläche dieses Sterns stattfinden. Wenn du damit einverstanden bist, sende mir einen kurzen Bestätigungsimpuls. Mein Unterhändler wird dann Fahrt aufnehmen und Point Qua ansteuern. Ende!« Atlans Gesichtsausdruck verhärtete sich. Er wartete auf die Entscheidung des High Sideryt. »Falls er glaubt, daß wir uns mit einem übereilten Funkanruf verraten, hat er sich getäuscht«, sagte Hayes. »Wir senden eine Lightning‐Jet aus, die sich zehn Lichtjahre entfernt und von da die Antwort gibt.« »Und wie wird diese Antwort aussehen?« fragte Palo Bow
dröhnend. »Wir werden darauf eingehen«, entschied Hayes. »Ich selbst werde mich einschalten.« Die Ortung meldete sich. »Abstand der Rest‐SOL von Hoffnung‐1 und Point Qua jeweils fünf Lichtjahre. Entfernung zwischen Hoffnung‐1 und Point‐Qua 4,5 Lichtjahre.« Brooklyn war ein wenig bleich geworden und trat an die Ortung, um sich mit eigenen Augen von der Richtigkeit der genannten Werte zu überzeugen. »Dann war uns der Order die ganze Zeit näher als wir dachten«, sagte sie. »Gefährlich nahe sogar.« Es steckt mit Sicherheit etwas dahinter, meldete sich Atlans Extrasinn. Du kennst die Hinterhältigkeit des Orders inzwischen. »Was planst du?« fragte der Arkonide den High Sideryt. Hayes setzte es ihm auseinander. »Wir brauchen eine Sicherheit, ein Einsatzkommando, das nötigenfalls eingreifen kann. Bestimmt rechnet der falsche Deccon damit, daß du selbst an dem Treffen teilnimmst«, vermutete der High Sideryt. »Mit Sicherheit geht er davon aus, wenn es sich um eine Falle handelt. Wir werden es sehen«, stimmte Lyta Kunduran zu, und auch der Katzer war derselben Meinung. Atlan warf einen kurzen Blick auf die Daten des Systems Point Qua. »Vier Planeten«, stellte er fest. »Der erste ist eine Glutwelt, der zweite bis vierte sind Eiswelten. Der zweite Planet würde sich für ein Sicherheitsunternehmen anbieten.« Breckcrown Hayes handelte bereits. Er schickte einen Piloten hinaus, der sich mit einer Lightning‐Jet unauffällig entfernte und ohne Aufsehen in den Linearraum ging. Atlan half dem High Sideryt dabei, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Hayes und Breiskoll würden zusammen mit der Besatzung
einer Korvette auf der zweiten Welt von Point Qua landen. Den Rest würde Atlan besorgen. Wen er als offiziellen Unterhändler losschickte, war völlig gleichgültig, Hayes machte ihm da keine Vorschriften. Nur er selbst durfte es nicht sein, es war zu gefährlich. Daß sie beide von völlig falschen Voraussetzungen ausgingen, damit konnte an Bord der SZ‐2 keiner rechnen. Die Meldung kam: »Funkspruch abgesetzt, Lightning‐Jet kehrt auf einem Umweg zurück.« »Wir dürfen keine Zeit verlieren!« rief Breckcrown Hayes rasch. »Bjo, wir brechen auf. Sternfeuer, achte darauf, daß du Kontakt zu dem Katzer hältst.« Dann eilte der High Sideryt aus der Zentrale hinaus. * Breckcrown Hayes war der High Sideryt. Er legte keinen Wert darauf, daß die Solaner ihn übertrieben respektvoll oder gar unterwürfig behandelten. Er fühlte sich nicht als Halbgott, geschweige denn als oberster Herr über das große Schiff, das die Heimat war. Hayes hatte in seiner Eigenschaft als Pilot und Techniker das Auftreten seines Vorgängers miterlebt und festgestellt, was Deccon in seinen Augen alles falsch gemacht hatte. Dabei war es nicht nur um unterschiedliche Anschauungen in einzelnen Bereichen gegangen. Hayes wußte, daß zwischen ihm und Deccon Welten lagen, immer Welten gelegen hatten. Er bedauerte es nicht, daß er ihn erst so spät kennengelernt hatte. Damals, ja da hatte er sich danach gesehnt, dem High Sideryt einmal zu begegnen. Und dann war die erste Begegnung so völlig anders verlaufen als erwartet. Hayes war mit Atlan gekommen und hatte für ihn Partei ergriffen. Er hatte die Reaktion Deccons erlebt und sich gefragt, was sie bedeutete. Damals hatte Breckcrown gedacht, daß mit dem obersten Mann an
der Spitze der SOL etwas nicht in Ordnung war. Im nachhinein hatte er begriffen, daß Deccons Persönlichkeit innerlich zerrissen war, daß dieser Mann ständig schwankte zwischen Wollen und Müssen. Daß er oft Dinge getan hatte, die gegen seine innere Überzeugung waren, nur weil sie getan werden mußten oder keine bessere Lösung in Aussicht war. Und jetzt das. Chart Deccon hatte sich geopfert, um Hidden‐X zu beseitigen. Ohne sein Eingreifen hätte Atlan die Probleme im Ysterioon nicht lösen können. Es schien Hayes, als habe sein Vorgänger damit etwas gutmachen wollen, als habe er eingesehen, daß er falsch gehandelt hatte. Wie war dieser Wandel zustande gekommen? Der neue High Sideryt fuhr sich über sein kurzgeschnittenes, graues Haar. Er war erst 42 Jahre alt, wirkte aber viel älter. Er sah fast wie hundert aus und wußte, daß er unter einer unheimlichen, nicht erkennbaren Krankheit litt, die ihn rasch altern ließ und den Zeitpunkt seines Todes unbestimmbar machte. Er konnte schon jetzt sterben aber auch erst in zehn Jahren, genug Zeit, die SOL in eine glückliche Zukunft zu führen. Jetzt war dieses alte, Wissen ausstrahlende Gesicht entstellt, von den roten Narben der SOL‐Würmer zerfressen, die ihm immer bleiben würden, als Zeichen der Feindschaft zu jenem Wesen, das über den Mittelteil und die SZ‐1 regierte. Der Order war ein Feind, darüber gab es keinen Zweifel, und er brachte mit jeder Stunde, die er mehr die Macht in Händen hielt, die SOL in größere Gefahr. Kein Wunder, daß Hayes sofort die Gelegenheit wahrgenommen hatte, etwas zu tun. Nach der Flucht der SZ‐2 in den Schutz der roten Riesensonne Hoffnung‐1 war er zu quälender Untätigkeit verurteilt gewesen, für Hayes ein unausstehlicher Zustand. Warum mußte Deccon so enden? fragte der High Sideryt sich, während er beobachtete, wie die Korvette in unmittelbarer Nähe der SZ‐2 in den Linearraum wechselte und kurz darauf mitten zwischen den Planeten von Point Qua erschien, wo sie sich unauffällig an den zweiten Planeten heranpirschte.
Breckcrown hatte deutlich die Szene vor Augen, als Atlan das Kästchen des Toten geöffnet hatte mit dem Bild darin, das ihn und seine Mutter gezeigt hatte. Damit war alles eindeutig gewesen. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit. Die Bestätigung durch SENECA stand noch aus, aber sie würde irgendwann erfolgen. Breckcrown hatte geglaubt, daß Deccon Atlan zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, nachdem die beiden sich geeinigt hatten. Atlan hatte nie erwähnt, ob sie auch darüber gesprochen hatten, aber es war möglich. Warum nicht Atlan? . Hayes beschloß, den Arkoniden eines Tages danach zu fragen, falls es dann noch nötig war. Zunächst gab es das Problem mit dem Unterhändler, das sie beschäftigte. Konnten sie Nutzen daraus ziehen, war es gut. Wenn nicht, mußte etwas anderes überlegt werden. »Der Order muß verschwinden«, preßte Hayes leise hervor. »Er darf nicht Chart Deccon bleiben.« Bjo Breiskoll erschien neben ihm. »Du wolltest die Landung selbst durchführen«, erinnerte der Katzer. Hayes schrak auf und nickte verwirrt. »Es ist gut«, sagte er und trat neben den Piloten der 60 Meter durchmessenden Korvette, die den Eigennamen JOST KULMAN trug und zwanzig Mann reguläre Besatzung führte. Er übernahm und lenkte die JOST KULMAN in flachem Winkel auf die zweite Welt des blauen Sterns zu und in seine Atmosphäre hinein. Er wußte, daß sie keine Minute zu früh daran waren, aber die Orter hatten noch keine Bewegungen in, der Nähe von Point Qua übermittelt. Langsam senkte sich der Rumpf der Korvette der Eiswüste entgegen, der sie noch keinen Namen gegeben hatten. Cool, ja das war vielleicht der richtige Ausdruck. Er war neutral für diese Eiswelt, die sie höchstens für wenige Stunden beherbergen würde. Hayes fixierte die Anzeigen des Höhenmessers und lenkte die Kugel einem fernen Eisgebirge entgegen, das drohend in den
Himmel ragte. Sie flogen über eine weite Ebene hinweg, unter ihnen glitzerte die Landschaft im stechenden Licht ihres Sterns. »Kein Planet befindet sich in der Ökosphäre«, hörte Hayes Bjo Breiskoll sagen. »Der erste ist zu heiß, die anderen zu kalt.« »Es liegt an Point Qua selbst«, erwiderte einer der Solaner, der sich in Astrophysik auskannte. »Sie strahlt relativ heiß, aber ihre Hitze verliert sich schnell. Bereits kurz hinter dem ersten Planeten befindet sich eine relativ gemäßigte Zone, die aber nicht stabil ist. Das hängt mit der Unruhe von Point Qua zusammen. Der Stern pulsiert.« Die Geräte in der SZ‐2 hatten bereits die nötigen Daten geliefert. Point Qua war ein auffälliger Stern im sternenarmen Zentrum von Flatterfeld, eigentlich der Stern. Wahrscheinlich diente er den Völkern von All‐Mohandot sogar bei der Navigation im Raum. Hayes senkte die Korvette hinab. Tief unter sich hatte er einen talähnlichen Einschnitt im Eis ausgemacht. Auf diesen hielt er zu. In gefährlicher Nähe strich die JOST KULMAN über die zackigen Spitzen der Eisberge und fiel in das Tal hinein, das sich nach der einen Seite zu einer Schlucht verjüngte. »Ortung negativ«, sagte jemand. »Es befindet sich niemand in der Nähe. Wir sind die ersten.« »Nicht lange«, vermutete Breiskoll. »Der Order wird schnell handeln. Er gibt uns keine Zeit zu langen Überlegungen.« Er verfiel in Schweigen und schloß die Augen. Er sandte eine Gedankenbotschaft an Sternfeuer ab, die auf der SZ‐2 wartete und den Kontakt halten würde. Atlan würde sofort über alles informiert sein, was geschah. Er konnte sein Handeln danach einrichten. »Space‐Jet geortet«, rief der Solaner an den Ortungsgeräten. »Sie kommt in unmittelbarer Nähe des ersten Planeten aus dem Linearraum. Herkunft nicht zu ermitteln.« »Ist unwichtig«, erwiderte Breckcrown Hayes rasch. »Wir wissen, wer es nur sein kann.« Er richtete seine Augen erwartungsvoll auf Bjo Breiskoll. Der
Katzer konnte zwar nicht in den Gedanken anderer lesen, aber er konnte die Anwesenheit fremder Lebewesen spüren. Sein Körper erstarrte, als er seinen Geist hinausschickte in den Bereich um Point Qua, in dem sich das geortete Schiff befand. Es war eindeutig ein Beiboot der SOL. Über eine Minute vergingen der eisernes Schweigen in der Zentrale der Korvette herrschte. Dann rührte Bjo sich endlich. »Was ist?« fragte Hayes rasch. Der Katzer schüttelte den Kopf. »Nichts«, flüsterte er verwundert. »Ich kann nichts empfangen. Das bedeutet nichts Gutes.« »Die Space‐Jet ist unbemannt? Dann ist es eine Falle!« rief Hayes. »Ich weiß es nicht«, gestand Bjo. »Es bedeutet, daß sich kein lebendes Wesen an Bord befindet.« Breckcrown Hayes spürte plötzlich Hitze in seinem Körper. Er begriff, daß der Order ein Spiel trieb, das sie nicht durchschauten. Er war gerissener als alle Solaner zusammen, und sie mußten sich vorsehen, wenn sie nicht ihr Leben aufs Spiel setzen wollten. »Wir sollten es mit Aktivortung versuchen«, schlug einer der Solaner vor. »Ganz kurz nur. Es läßt sich dann vieles aussagen.« »Nein«, entschied Hayes. »Die sind bestimmt nicht auf den Kopf gefallen. Und wenn das Schiff eine Robotbesatzung hat, ist es ausgeschlossen, daß sie uns nicht entdecken. Wir bleiben, wie wir sind. Darauf beruht unser Vorteil.« Er wandte sich an Bjo und gab ihm ein Zeichen. Der Katzer verstand. Er konzentrierte sich, um eine Botschaft an Sternfeuer abzusenden, die sich in der Zentrale der SOL‐Zelle in Atlans Nähe aufhielt. Aber es trat etwas ein, womit keiner gerechnet hatte. Point Qua begann verstärkt zu strahlen. Der pulsierende, blaue Stern sandte in starkem Maße Hyperwellen aus, die sich wie ein absorbierender Schleier schnell nach allen Seiten ausbreiteten und einen Telepathiekontakt in klarer Form verhinderten. Die Hyperstrahlung ließ die Meßgeräte der JOST KULMAN gefährlich nahe an die roten Bereiche der Skalen wandern, und es hätte nicht
viel gefehlt, dann hätte Hayes den Befehl geben müssen, die Schutzschirme einzuschalten. Bjo Breiskoll zitterte, und das Zittern nahm immer mehr zu, bis Breckcrown die Geduld verlor und ihn am Arm packte. Der Katzer schrak auf und beruhigte sich. Stumm schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich Erfolg gehabt habe«, sagte er dann. »Ich habe versucht, Sternfeuer zu erreichen. Sie wollte mir auch antworten. Aber ich habe nicht verstanden, was sie mir mitgeteilt hat. Danach brach der Kontakt ab.« »Das hat uns noch gefehlt«, stöhnte der High Sideryt. »Wenn alles gut geht, macht einem die Natur einen Strich durch die Rechnung.« Er begann unruhig auf und ab zu schreiten. Immer wieder studierte er die Meßwerte von Point Qua. »Sobald es irgendwie möglich ist, versuchst du es nochmal«, wies er Bjo Breiskoll an. »Sonst war unsere Mission umsonst.« In düsteren Farben malte er sich aus, was dann geschehen konnte, wenn Atlan ohne Informationen handeln mußte. Es war der günstigste Zeitpunkt zum Handeln. Atlan winkte Brooklyn, daß sie sich auf den Weg zum Hangar machen sollte. Die ehemalige Magnidin hatte ihr Vorgehen mit ihm abgesprochen und verließ die Zentrale. Sie suchte die Space‐Jet auf, die bereits startklar war. Außer der Stabsspezialistin befanden sich vier Mann Besatzung an Bord. Brooklyn setzte sich in den Sessel des Kommandanten und stellte eine Bildverbindung zu Atlan her. »Wir sind bereit«, teilte sie ihm mit. Der Arkonide blickte sie aufmunternd an. »Ich bin gespannt, welchen Magniden er als Unterhändler sendet«, sagte er. »Der Order kommt nicht selbst.« Ohne Zweifel besaß auch der Order ein großes Maß an Sicherheitsbedürfnis, und wahrscheinlich rechnete er auch damit, daß Atlan im Hintergrund bleiben würde. Dafür war der Arkonide bereit, den ersten Trumpf auszuspielen, um die Partie zu gewinnen. Zunächst versah Breckcrown Hayes auf dem zweiten Planeten nur
Beobachtungsaufgaben, aber der High Sideryt rüstete sich zur endgültigen Gegenüberstellung, und wenn sich High Sideryt und High Sideryt Auge in Auge begegneten, konnte nur einer übrigbleiben. Es sei denn, die SZ‐2 würde für alle Zeiten von der Rest‐SOL getrennt bleiben. Die Ortung meldete, daß die Space‐Jet des Unterhändlers angekommen war. Sternfeuer kauerte neben Atlan in einem Pneumosessel und lauschte konzentriert auf eine Botschaft. Manchmal zuckten ihre Augenlider, als hätte sie etwas entdeckt. Und dann begann Point Qua zu strahlen. Atlan wußte sofort, was es bedeutete, er knirschte hörbar mit den Zähnen. Aufgepaßt! signalisierte er der jungen Frau. Sternfeuer sprang auf und stand leicht gebeugt da. »Es kommt etwas an!« rief sie. »Es ist undeutlich, aber ich kann es erkennen. Die Jet ist leer, ohne Menschen. Breiskoll fühlt eine unbestimmte Gefahr von ihr ausgehen. Er kann es nicht in Worte fassen, die Botschaft erlischt langsam …« Sie richtete sich auf und sah Atlan verwirrt an. »Der Kontakt ist weg. Ich kann ihn nicht wieder herstellen«, sagte sie bedauernd. »Diese Sonne verschluckt alles.« Atlan überlegte, was es bedeutete. Er kam zu keinem Ergebnis. Und sein Extrasinn sagte nur: Es ist klar, daß die Space‐Jet von Maschinen gelenkt wird. Sie ist nicht ferngesteuert, das würdest du bei der vorhandenen Sonnenaktivität an Kursfehlern feststellen können. Der Arkonide informierte Brooklyn, während Sternfeuer weiter lauschte. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, es kam kein Kontakt mehr zustande, und die Solaner in der Zentrale der SZ‐2 blieben im ungewissen, ob Breiskoll und Hayes noch andere, wichtige Dinge herausgefunden hatten. »Wenn wir erst einmal starten, wird es nichts schaden«, sagte Brooklyn vom Bildschirm. »Wir brechen auf.« Atlan sah, wie sie der Besatzung leise Anweisungen gab, dann
schaltete sie den Bildschirm aus. Die Space‐Jet verließ das Schiff und flog zunächst im Ortungsschutz von Hoffnung‐1 weiter, bis sie genüg Geschwindigkeit hatte, um in den Linearraum zu gehen. Zwischen der Bahn des ersten Planeten und Point Qua tauchte sie in den Normalraum ein und flog den ausgemachten Treffpunkt an. Die Space‐Jet des geheimnisvollen Unterhändlers befand sich bereits in einer Kreisbahn, eine Lichtminute über der Oberfläche der Sonne. Ihre Schutzschirme liefen auf Hochtouren, der Antrieb gab ab und zu Korrekturschübe ab, was deutlich auf die energetischen Turbulenzen hinwies, die sich in der Nähe dieses Sterns abspielten. Mit Sicherheit beeinflußten sie die Steuerung der teilweise auch hyperschnell ablaufenden Positronikprozesse, und es war möglich, daß der Order auch das einkalkuliert hatte. »Wir treten erst in Funkverbindung, wenn wir uns der Geschwindigkeit des anderen Schiffes angepaßt haben und mit ihm auf einer Flugbahn sind«, wies Brooklyn die vier Solaner an. Es waren ehemalige Mitglieder der SOLAG, Pyrriden, rauhe Gestalten. Die beiden Space‐Jets näherten sich einander auf derselben Umlaufbahn bis auf fünf Kilometer. Dann traf die weniger den Störungen der Sonne unterworfene Meldung auf Normalfunk ein. »Ankopplungsmanöver wird durchgeführt. Behaltet eure derzeitige Bahn und Geschwindigkeit bei!« Brooklyn schaltete um auf Automatik. Der Autopilot erhöhte sofort die Energiezufuhr für den HÜ‐Schutzschirm und stellte sich auf die Kopplung ein. »Was immer uns erwartet, haltet eine Funkbrücke aufrecht, daß wir notfalls eine Warnung abstrahlen können«, sagte sie. »Ich werde zur Schleuse gehen und mir ansehen, wer uns da besucht!« »Eine Funkbrücke ist in dieser Sonnennähe nicht möglich«, belehrte der Solaner an der Ortung sie. »Wir hätten das vorher berücksichtigen sollen.« »Autopilot programmieren für einen Notstart!« ordnete sie an. Die Stabsspezialistin verließ die Zentrale. Mit dem zentralen
Antigrav glitt sie hinab bis zur Bodenschleuse, wo die beiden Space‐ Jets Boden an Boden aneinanderkoppeln würden. Sie wußte um die technischen Probleme eines solchen Vorhabens. Exakt zwischen den beiden Außenschotten, wo ein Schutzschirm das Vakuum fernhielt, würde eine Zone entstehen, in der sich die beiden nach unten gerichteten Schwerkraftpotentiale gegeneinander aufhoben. Wenn sie diesen Moment gut ausnutzte, konnte sie den Besucher von drüben mit ihrem Lähmstrahler außer Gefecht setzen, bevor er richtig auf den Beinen stand. »Ich glaube nicht, daß wir es mit einem Roboter zu tun haben werden«, sagte sie über Funk. »Viel eher vermute ich, daß der Order die Besatzung mit einem Mentalschutzschirm ausgerüstet hat.« »Wir werden sehen«, kam die Antwort. Vorsichtshalber aber stellte Brooklyn ihren Strahler doch auf tödliche Energien um. Etwa zehn Minuten schätzte sie, würde es noch dauern, bis das Andockmanöver durchgeführt war. Es war noch ein günstiger Wert, der sich durch die äußeren Umstände, die Schwierigkeiten mit der Navigation, die Point Qua mit sich brachte, verändern würde. Deshalb war Brooklyn überrascht, als die Zentrale meldete: »Kopplung läuft. Energieschirme berühren sich, werden in den übergreifenden Teilen neutralisiert. Jetzt Schleusenkontakt!« Fast gleichzeitig dröhnte ein leichter Schlag durch das Schiff. Die beiden Jets hatten sich etwas unsanft berührt. Brooklyn fixierte die Leuchtanzeigen der beiden Schleusenschotte, die auf grün sprangen. Sie betätigte den Öffnungskontakt der Innenschleuse. Mit nach unten gerichteter Waffe trat sie ein, um auch die Außenschleuse aufzufahren. In diesem Augenblick wurde ihr die Waffe aus der Hand geschlagen. Sie sah einen dunklen, mächtigen Schatten über sich, der sie aus zwei leuchtend roten Augen anfunkelte. »Romeo!« wollte sie ausrufen, aber es wurde nicht mehr als ein unverständliches Gestammel daraus. Bevor sie reagieren konnte, packte der Roboter sie mit seinen stählernen Fäusten. Er warf sie
sich über die Schulter und nahm auch die Waffe auf. Mit langen, krachenden Schritten eilte er in die Space‐Jet hinein. Der Antigrav spuckte ihn in der Zentrale aus, wo er wie der Teufel persönlich erschien. Seit dem Verlassen der Schleuse waren kaum fünfundzwanzig Sekunden vergangen. Die vier Männer sprangen auf und griffen zu den Hüften, wie sie es früher so oft getan hatten. Aber sie trugen keine Waffen, und Brooklyns Strahler befand sich in den Händen des Roboters. »Es ist Romeo!« ächzte die Stabsspezialistin und wand sich vergebens im eisernen Griff des Roboters. »Ihr müßt Atlan warnen!« Einer der Männer stürzte zum Funkgerät, aber Romeo war schneller. Er ließ Brooklyn und die Waffe einfach fallen. Der Paralysator in seiner Brust trat in Aktion und lähmte die Männer. Bewußtlos sanken sie zu Boden. Brooklyn hatte sich mühsam aufgerafft. Aus angstgeweiteten Augen sah sie dem Treiben der Maschine zu. Romeo stampfte auf sie zu, wobei er mit beiden Armen wie anklagend auf sie deutete. »Wir fliegen sofort zu Atlan!« verlangte er. »Ich dulde keinen Widerstand!« »Was … was wird aus … deinem Schiff?« würgte Brooklyn hervor. »Es bleibt in der Obhut der beiden Roboter zurück, die mich begleiteten«, knarrte Romeo. »Sie haben noch eine Aufgabe zu erledigen.« Langsam wich Brooklyn bis in die Nähe des Antigravs zurück, doch Romeo folgte ihr und hielt sie zurück. »Du wirst mich ohne Verzögerung zu Atlan bringen!« rief er. Brooklyn war dem Roboter hoffnungslos unterlegen. Sie setzte sich niedergeschlagen in den Pilotensessel und prüfte die Kontrollanzeigen. Die zweite Space‐Jet hatte sich bereits entfernt und befand sich auf einer weiter entfernten Umlaufbahn um Point Qua. Die ehemalige Magnidin erkannte, daß die Aktion von Romeo und dem Order bis in die letzte Einzelheit vorgeplant gewesen war. Der
Überraschungseffekt hatte voll gewirkt. Wir hätten die Warnung Bjos ernster nehmen sollen, dachte Brooklyn. Jetzt war es zu spät dazu, und sie zermarterte sich vergeblich das Gehirn, wie sie Atlan oder jemanden anders warnen konnte. Und ein weiterer Gedanke durchzuckte sie, ließ sie aus ihrem Sessel aufspringen und Romeo aufmerksam werden. Von Atlan wußte sie, daß mit Romeo und Julia nicht alles in Ordnung war. Deshalb hatte SENECA sie in zwei Quarzblöcken eingeschmolzen in den beiden SOL‐Zellen abgestellt. Atlan hatte von einer Warnung SENECAs erzählt, die beiden Roboter zusammenzubringen. Romeo war jetzt auf dem Weg zu Julia, und wer wußte, was er nicht alles anrichten konnte, wenn er erst einmal an Bord der SZ‐2 war. »Nein!« Aufstöhnend sank Brooklyn in den Sessel zurück und betätigte die Steuerung. Die Space‐Jet verließ den Orbit um Point Qua und strebte einem Punkt außerhalb dieses Sonnensystems zu, an dem sie in den Linearraum gehen würde. Brooklyn machte sich keine falschen Hoffnungen. Romeo würde die Flugbahn rekonstruieren können. Außerdem besaß er jederzeit Zugriff zu der kleinen Positronik des Schiffes. Er würde sofort wissen, wo die SZ‐2 zu suchen war. Bjo! dachte Brooklyn in ihrer Verzweiflung. Bjo, kannst du mich hören? Romeo ist es. Er hat uns in der Gewalt! Bjo! Sie seufzte leise. Es hatte doch keinen Wert. Sie war keine Telepathin, so intensiv sie auch zu denken versuchte. Der Katzer würde sie nicht hören, und niemand konnte etwas gegen Romeo unternehmen. Sie waren dem Order in die Falle gegangen, ohne sich ernsthaft darum bemüht zu haben, diese vorher zu erkennen. Brooklyn dachte an Atlan, und düster malte sie sich aus, was auf den Arkoniden und die SZ‐2 zukommen würde. Sie hatten von Anfang an ein ungutes Gefühl, als sie die Annäherung der beiden Space‐Jets beobachteten und feststellten, daß sich die beiden Schiffe nach weniger als zwei Minuten wieder
voneinander trennten. Breckcrown Hayes starrte unverwandt auf die Schirme, als könne er am Verhalten der Beiboote Einzelheiten ablesen. Breiskoll hatte sich in einer Ecke der Zentrale zusammengekauert, er schien zu schlafen. Alle, die ihn kannten, wußten, daß er in tiefer Konzentration versunken war. Er hatte die Bemerkungen der Solaner und des High Sideryt vernommen und verarbeitet, aber er hatte sie nicht bewußt verstanden und sich eingeprägt. Er lauschte hinaus in das Weltall, in die Wirrnis all der Eindrücke, die es in der Nähe des pulsierenden Sterns Point Qua gab. Er bereitete sich darauf vor, beim geringsten Anzeichen eines Nachlassens der Hyperwellenfront sofort mit seiner telepathischen Sendung zu beginnen. Die Hyperwellenfront klang in seinem Gehirn als leises, telepsimatisches Rauschen, eine Fülle, die er bei früheren Versuchen noch nie so empfunden hatte. Es war völlig anders, und er unterschied auch nicht die einzelnen Botschaften, von denen jede einzelne die Sprache eines fernen Sterns war. Er empfand nur die Stimme dieses einzigen Sterns, der dicht über ihm im All hing, und versuchte, in dieser Stimme die Botschaft zu erkennen. Lange lauschte er, immer darauf achtend, wann die Stimme leiser werden würde und er mit Sternfeuer in Verbindung treten konnte. Von irgendwoher drangen menschliche Laute an seine Ohren, und sie befaßten sich mit dem, was am Himmel stattfand, am Himmel von Point Qua. Bjo Breiskoll machte eine erstaunliche Entdeckung. Er stellte fest, daß dieser blaue Stern keine Stimme besaß, sondern eine Vielzahl von Stimmen aus ihm sprachen, die alle unterschiedliche Botschaften verkündeten. War es ihrer Jugend zuzuschreiben oder ihrer Kraft, mit der sie sich zu diesem Stern zusammenballten? Bjo lauschte auf ihren gemeinsamen Herzschlag und erkannte, daß es ihn nicht gab. Es war anders, ganz anders. Der Stern war krank. Er besaß Rhythmusstörungen, die sich auf sein Ganzes auswirkten und eines Tages dazu führen würden, daß dieser Stern trotz seiner
relativen Jugend einen frühen Tod sterben würde. Bjo begriff, daß es weise geregelt war, daß unter einer solchen Sonne kein Leben entstehen konnte, und richtete seine Sinne wieder hinaus auf die Hyperwellen, gegen die er zu kämpfen hatte. Und dann durchzog ein ungewisses Raunen dieses All, das er durchforschte. Es waren die Reste einer Mitteilung, eine verwehte Botschaft. Sie kam ganz aus der Nähe und streifte ihn. Es waren Bruchstücke, aber er setzte sie zu ein paar verständlichen Gedanken zusammen. Er verstand ihren Sinn immer mehr und wußte mit einemmal, daß sie an ihn gerichtet waren. Romeo auf dem Weg zur SZ‐2! Der Katzer schüttelte mit einem Ruck die Trance von sich ab und sprang auf. Mit geschmeidigen Bewegungen eilte er durch die Zentrale auf Breckcrown Hayes zu, der mit den Solanern an der Ortung flüsterte. Bjo wußte nicht, wen Atlan als Unterhändler geschickt hatte, die Gedanken hatten es ihm nicht offenbart. Aber er hatte erkannt, daß es wichtig war, sofort zu handeln. »Romeo!« stieß er hervor. »Der Roboter ist in der Space‐Jet auf dem Weg zu Atlan!« Hayes fuhr herum zu den Steueranlagen. »Wir starten sofort. Das Schiff des Unterhändlers ist noch im Orbit um Point Qua. Sobald wir die SZ‐2 verständigt haben, kümmern wir uns um dieses Schiff.« Erst jetzt begriff er in letzter Konsequenz, was er da gesagt hatte, daß Romeo der Unterhändler war, den der Order mit der Gestalt des toten Deccon geschickt hatte. Die JOST KULMAN faste mit aufheulenden Triebwerken in den Himmel des Planeten Cool hinein. Sie durchstieß die dünne Wolkendecke und jagte dem zurückgelassenen Boot des Roboters entgegen. »Jetzt ist mir alles klar«, sagte Bjo Breiskoll. »Es halten sich nur Roboter in der Space‐Jet auf. Deshalb konnte ich keine Impulse von Lebewesen spüren.« »Jet verläßt den Orbit und beschleunigt. Das Schiff kommt uns
entgegen«, sagte der Solaner an der Ortung und nahm nicht den Blick von den Instrumenten. »Jetzt ist sie verschwunden!« »Wir kommen zu spät«, knirschte Breckcrown Hayes, aber noch im selben Moment schaltete er um. Seine Reaktion kam allerdings mehrere Zehntelsekunden zu spät. In schneller Abfolge hintereinander erschütterten drei Schläge die Korvette. Sirenen begannen zu heulen, an den Armaturentafeln leuchtete eine Lichterbatterie rot auf. Hayes hatte gehandelt. Die Schutzschirme hüllten das Schiff ein. Bisher hatten sie sie nicht benutzt, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Der High Sideryt überflog mit einem Blick die automatischen Schadensmeldungen. Im Triebwerksbereich hatte es einen nicht genauer definierten Schaden gegeben, und die Hyperfunkantennen waren ausgefallen. Ein anderer Schuß hatte das Schiff gestreift und ein Leck gerissen. Die betreffenden Räume waren von den Sicherheitsautomaten bereits abgeschaltet worden. »Achtung, Feuerbereitschaft!« rief Hayes laut. »Wir schießen zurück.« Abgesehen von der stärkeren Beschleunigungsmöglichkeit der Korvette war sie der kleinen Space‐Jet auch waffentechnisch überlegen. Die Jet besaß lediglich Impulsgeschütze und eine in Flugrichtung starr eingebaute Transformkanone, während die Korvette über zwei in den Polkappen untergebrachte, rundum schwenkbare Transformkanonen höheren Kalibers verfügte, sowie zusätzlich weitere Transformkanonen in halber Höhe zwischen Ringwulst und den Polen. Die Korvette verfügte auch über die Paratron‐Schutzschirmanlagen, während die Space‐Jet sich lediglich in den energetisch schwächeren HÜ‐Schirm hüllen konnte. Das gab den Ausschlag in der Auseinandersetzung. Die beiden Schiffe näherten sich immer weiter einem gemeinsamen, unsichtbaren Punkt zwischen den Bahnen des ersten und zweiten Planeten. Mehrmals änderte die Korvette den Kurs, die
Jet folgte. »Gegner fliegt auf Kollisionskurs«, erkannte einer der Piloten, die Breckcrown Hayes halfen. »Abschuß!« knurrte der High Sideryt und wies auf die leuchtende Aura des Schutzschirms, die die Space‐Jet umgab. Hayes warf dem Katzer einen fragenden Blick zu. »Bist du ganz sicher, daß sich da drüben keine Menschen aufhalten?« fragte er. Breiskoll nickte. »Absolut sicher. Das ist ein reines Robotkommando!« Hayes übernahm die Steuerung der Transformkanonen und begann mit dem konzentrierten Beschuß, während die beiden Beiboote weiter aufeinander zujagten. Noch Sekunden blieben, um ein Ausweichmanöver einzuleiten. »Es muß doch klappen«, preßte der High Sideryt zwischen den Lippen hervor. »Da!« Die Solaner deuteten auf den Schirm. Ein kurzer Blitz zeugte davon, daß der Schutzschirm der Space‐Jet zusammengebrochen war. Dann zerbarst das Schiff unter der Wucht der auftreffenden Energien in unzählige Einzelteile, die nach allen Richtungen auseinanderregneten. Die Besatzung der Korvette atmete auf. »Das war knapp«, stellte Breckcrown Hayes mit ruhiger Stimme fest. »Wir müssen sofort zurück.« Während er den Kurs änderte, stellten sie fest, daß die Hyperfunkantennen nicht repariert werden konnten. Man benötigte dazu die Kapazitäten der SZ‐2. Breckcrown Hayes mußte nicht lange nachdenken, um sich zusammenreimen zu können, wie alles zu erklären war. Romeo hatte damit gerechnet, daß irgendwo versteckte Helfer warten würden, um die Durchführung seines Vorhabens zu verhindern, wenn auch niemand wissen konnte, was dieses Vorhaben sein sollte. Damit und mit dem Angriff der Space‐Jet schwanden auch die letzten Zweifel, daß dem Order nicht an einer Verhandlung gelegen
war. Das war die eigentliche Falle gewesen. Der falsche Deccon hatte an einer Unterredung kein Interesse, er wollte vernichten. Und er hatte sein Ziel fast erreicht. Er hatte Romeo als Vernichtungsmaschine geschickt, und niemand wußte, welche Waffe der Roboter mit sich schleppte. »Fertigmachen zum Linearsprung«, klang Hayesʹ Stimme auf. Er sah wohl die roten Lichter, die noch immer eindringlich leuchteten. Er konnte keine Rücksicht darauf nehmen. Sie mußten direkt zur SZ‐2 springen und auf Normalfunk eine Warnung absetzen, ehe es zu spät war. Die JOST KULMAN verschwand aus dem Normalraum und kehrte im selben Augenblick mehrere Lichtjahre entfernt zurück. Hayes aktivierte den Funk, aber der Solaner neben ihm sagte: »Wir sind verkehrt. Die Koordinaten stimmen nicht.« Und die Ortung teilte mit: »Abstand zu einem kleinen Weißen Zwerg in Flugrichtung zwei Lichtwochen. Ein halbes Lichtjahr entfernt nach rechts steht ein weißgelber Normalstern. In seiner Nähe steht die Rest‐SOL und wartet.« Hayes griff nach vorn zu den Hauptschaltern und legte mit drei Griffen die gesamte Energieversorgung des Schiffes lahm. Dann wanderten seine Augen zu den roten Lämpchen, die eindringlich leuchteten. »Der Antrieb ist beschädigt«, sagte er matt. »Die Entfernung stimmt zwar, aber die Sprungrichtung nicht. Es ist aus.« Die Solaner senkten die Köpfe. Sie konnten nichts mehr ausrichten. Sie kamen zu spät. Bis sie die SZ‐2 erreichten, hatte Romeo sich längst Zugang zum Schiff verschafft und richtete womöglich den größten Schaden an. »Jetzt können wir nur hoffen, daß Atlan die Gefahr rechtzeitig erkennt und irgendwie abwendet«, flüsterte Bjo Breiskoll. Er setzte sich in einen freien Sessel und schlug die Hände vors Gesicht. Sternfeuer! dachte er, aber die Solanerin meldete sich nicht.
5. Fram Gumbad lud zu seinem Konzert ein, und die Musik verwandelte die SZ‐2 in einen Hexenkessel. Der Solaner hatte sich die Erlaubnis geholt, seine Vorstellung über die Bordanlagen in alle Schiffsteile übertragen zu dürfen. Nur widerwillig hatte Atlan zugestimmt, denn er brauchte die Unterstützung der gesamten Besatzung, wenn sich die Situation zuspitzte. Und es war bereits soweit. Die Passivortung stellte eindeutig fest, daß eine der beiden Space‐Jets den Orbit um Point Qua verließ und in den Linearraum ging. Welche? »Bjo muß sich irren. Es ist unmöglich, daß sich niemand an Bord des Schiffes befindet, das der Order uns geschickt hat«, stellte Atlan fest. Er stand wie auf glühenden Kohlen. Instinktiv spürte er die Gefahr, die auf ihn zukam, wenn jetzt die Space‐Jet in der Nähe der SOL auftauchte. Narr! meldete sich wieder sein Extrasinn. Die Space‐Jet kann genau so gut mit Robotern bemannt sein! Es ergab keinen Sinn. Der falsche Deccon würde nichts erreichen, wenn er Roboter als Unterhändler schickte. »Irgendwo haben wir etwas übersehen, eine Kleinigkeit, an der alles hängt«, murmelte der Arkonide unwillig. »Wenn ich nur wüßte, was es ist!« Er blickte in die Runde, von Palo Bow zu Lyta Kunduran, dann weiter zu Sanny und Sternfeuer. Auch Federspiel war anwesend. »Space‐Jet im Anflug auf die SZ‐2!« meldete die Ortung. Atlan atmete tief durch. »Welche?« fragte er. »Unser eigenes Beiboot«, erhielt er zur Antwort. »Wir werden angefunkt!« Der Arkonide stellte die Verbindung her. Sie war nicht einwandfrei, der Sender schien gestört. Der metallische Oberleib
eines Roboters tauchte auf dem Bildschirm auf. »Romeo!« stieß Atlan hervor. »Ja, Romeo!« erwiderte der Ableger SENECAs rumpelnd. »Romeo kommt!« Die Solaner schwiegen verwirrt. »Ich habe die Magnidin Brooklyn und die Besatzung der Space‐Jet in meiner Gewalt«, fuhr der Roboter fort. »Sie bleiben so lange meine Geiseln, bis ich freien Zutritt zur SZ‐2 erhalten habe.« »Du bist der Unterhändler, den der Order uns schickt!« fuhr Atlan auf. »Was hat das zu bedeuten?« »Ich weiß nicht, was ein Order ist. Ich bin von Chart Deccon gesandt, dem High Sideryt. Er verlangt deine sofortige Kapitulation, Atlan. Du hast eine Viertelstunde Zeit!« »Ich bin im Recht, dein Deccon aber ist ein Betrüger, ein Doppelgänger. Er muß beseitigt werden, bevor er die SOL in das Chaos stürzt.« Romeo reagierte nicht auf die Beschuldigung. Unbewegt stand er an seinem Platz vor der Aufnahmeoptik und starrte den Arkoniden an. »Ich bin nicht länger bereit, mich mit dir zu unterhalten«, erklärte er Atlan. »Die einzige Gesprächspartnerin, die ich akzeptieren kann, ist Julia.« Atlan stutzte. Er wußte, daß mit Romeo und Julia etwas nicht in Ordnung war, daß sie sich anders verhielten, als er es von ihnen erwarten konnte. In den ersten Tagen seines Aufenthaltes auf der SOL hatte Atlan erlebt, daß Romeo zu einem amoklaufenden Ungeheuer geworden war, kaum daß man ihn aus seinem Quarzblock befreit hatte. Er hatte ohne Rücksicht sein Ziel verfolgt und es laut hinausgeschrien. Er hatte unbedingt zu Julia gewollt. Damals war es den Robotern SENECAs zu verdanken gewesen, daß es nicht zum äußersten gekommen war. Sie hatten Romeo wieder in einen Block eingegossen. Das zweite Erlebnis mit dem Roboterpärchen war der Versuch Joscan Hellmuts gewesen, Julia
zur Vernunft zu bringen. Auch dieser Ableger SENECAs war bösartig geworden und hatte die Menschen angegriffen. Er wollte zu Romeo gebracht werden. Auch hier hatten die Roboter der Biopositronik im letzten Augenblick eingegriffen und Julia wieder bewegungsunfähig gemacht. Die Roboter hatten eine Botschaft von SENECA ausgerichtet. An diese Botschaft mußte Atlan jetzt denken. »Von weiteren Versuchen dieser Art wird abgeraten«, hatte SENECA erklären lassen. »Die Vereinigung der Einheiten Romeo und Julia hätte das Ende der SOL zur Folge.« Damals wie heute zweifelte Atlan nicht daran, daß SENECA die Wahrheit sagte. Dennoch konnte sich der Arkonide nicht recht vorstellen, was eigentlich damit gemeint war. Wieso sollte das Zusammentreffen der beiden Ableger gefährlich sein? Atlan schüttelte wie unter einer schweren Anstrengung den Kopf. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Er mußte Romeo fernhalten, bis er Gewißheit hatte. »Du bleibst mit der Space‐Jet in einer Warteposition vor der SZ‐2«, wies er den Roboter an. »Der falsche Deccon hat uns Verhandlungen angeboten, damit meinte er Gespräche mit der Schiffsführung, und nicht mit der eingegossenen Julia!« »Ich werde an Bord kommen. Ihr könnt mich nicht halten!« drohte der Roboter. Er steuerte die Jet noch näher an das Schiff heran, bis sie sich innerhalb der Sicherheitszone der Schutzschirme befand. »Öffne mir eine Schleuse!« verlangte Romeo. »Nein!« rief Atlan. Nach den Ereignissen im Ysterioon und dem Opfer Deccons, mit dem er Hidden‐X, die geheimnisvolle Statue, beseitigt hatte, war dem Arkoniden klar geworden, daß es sich bei den Vorgängen im Kugeloktogonund in ganz Flatterfeld einschließlich der Sternenballung Bumerang um Einwirkungen der Superintelligenz Seth‐Apophis handelte, die ihren Herrschaftsbereich ausdehnen wollte. Atlan begriff, daß es wiederum kein Zufall war, daß er mit
der SOL ausgerechnet in Flatterfeld gelandet war oder All‐Mohandot, wie die eingeborenen Völker es nannten. Hier hatten sich wesentliche Ereignisse angebahnt und abgespielt, die zehn Alphas waren an Bord der SOL gekommen, das Verhängnis hatte seinen Lauf genommen. Atlan war sicher, daß der Order ein Geschöpf der Supermacht war, oder zumindest ein Geschöpf von Hidden‐X. Er schickte Romeo als Unterhändler, aber Romeo war die größte Gefahr für die SOL, die es im Augenblick gab. Diese Gefahr konzentrierte sich nur auf die SZ‐2, und der Arkonide verstand, daß der Order Romeo als Waffe einsetzte, daß er um das Geheimnis des Roboters und seiner Partnerin wußte. Außerdem meldeten sich Hayes und Breiskoll nicht mehr. Die Geräte des Schiffes orteten eine größere Energieentfaltung in der Nähe der Sonne Point Qua, die zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß gab. War die Korvette mit Hayes und dem Katzer vernichtet worden? Romeo hatte die Space‐Jet ungehindert bis an die Außenwandung der SZ‐2 gebracht, wo er sie mit starken Magnetklammern verankerte. Er reagierte nicht mehr auf Anrufe aus dem Schiff, ließ jedoch die Bildübertragung bestehen. Sie konnten von der Zentrale aus beobachten, wie er auch Brooklyn paralysierte, und sich sodann auf den Weg machte. Jede seiner Bewegungen zeugte von Kraft und Entschlossenheit. Sie wußten, daß sie ihn nicht zurückhalten konnten. »Wir sollten es nicht zum äußersten kommen lassen«, flüsterte Sternfeuer matt. »Wie können wir ihn zerstören? Arkonbomben?« Die sensible junge Frau war alles andere als eine Vertreterin der Gewalt. Dennoch sah auch sie im Augenblick keine andere Möglichkeit, die drohende Gefahr abzuwenden. »Nein, keine Bomben«, flüsterte Atlan rauh. »Das Schiff ist in Gefahr, wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.« Vergeblich strengte er sich an, sein Extrasinn schwieg. Noch
einmal blickte er zu Sternfeuer. Die Solanerin stieß einen leisen Überraschungsruf aus. »Bjo!« sagte sie. »Der Katzer hat einen schwachen Gedankenimpuls ausgesendet. Höchste Gefahr für das Schiff!« Atlan hastete zum Ausgang. Ohne sich umzusehen, rief er aus: »Palo, komm mit! Julia muß aus dem Schiff. Wir müssen sie verschwinden lassen!« Vor Erregung traten ihm Tränen in die Augen. Er dachte an diesem Augenblick nicht an die Gefahr, in die er sich selbst begab. Das Schiff mußte gerettet werden, egal um welchen Preis. »Lyta«, keuchte er hastig, »halte Romeo auf. Sagʹ ihm, er soll in einer Schleuse warten. Wir bringen Julia zu ihm!« * Für Bumela Hallerden erschloß sich eine neue Welt. Qaqoque mit seinem rotierenden Kopf führte sie durch Gänge, die mal gerade, mal gekrümmt waren. Er zeigte ihr den Weg durch mehrere Antigravschächte, einmal hinaus, dann hinunter. Längst hatte das Mädchen die Orientierung verloren, aber sie vertraute ihrem Führer, obwohl sie erkannt hatte, daß der Roboter gestört war. Sie kamen an einer Abzweigung vorbei, an der sich mehrere Solaner im Gespräch miteinander befanden. Als sie den Roboter und das Mädchen kommen sahen, verstummten sie. Der verrostete Roboter war in ihren Augen ein Unding. Aus großen Augen musterten sie den Blechhaufen. »Wenn dem nicht schwindlig wird …«, hörte Bumela einen älteren Mann sagen. Qaqoque aber trat zu ihm und hob das rechte Bein, als wolle er den Mann treten. In den Höhlen des Rumpfes in Schulterhöhe, wo früher einmal die Arme befestigt gewesen waren, knackste es verdächtig. Der Roboter begann zu schwanken und stellte sich rasch wieder
auf sein zweites Bein. »Ich bin der Gesandte«, ächzte er. »Bringt mich zu Atlan!« Die Solaner starrten ihn entgeistert an, dann nahmen sie Reißaus. Schweigend rannten sie davon, und Bumela war wieder mit Qaqoque allein. Es war Zeit, daß der Roboter in die Hände eines Fachmanns kam, dachte sie. Die Zeit, die er unbenutzt und ungewartet irgendwo in einem toten Winkel des Schiffes geruht hatte, zählte bestimmt nicht nur nach wenigen Jahren. Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte konnte die Maschine alt sein. Bumela beschloß, eine diesbezügliche Frage zu stellen, aber der Roboter begann zu sprechen. »Mein Herr hat immer zu mir gesagt, ich solle mich nicht einschüchtern lassen«, knurrte der Roboter kreischend und rotierend. »Wer war dein Herr?« »Qaqoque, ich erwähnte es schon.« »Dann trägst du denselben Namen wie dein Herr, oder hast ihn dir zu eigen gemacht«, stellte Bumela fest. »Hast du eine Seriennummer?« »Qaqoque 1!« erwiderte der Roboter stolz, wobei sein Kopf schneller zu rotieren begann. »Hast du ein Tuch?« »Ein Taschentuch«, sagte Bumela verwundert. »Was …« »Du mußt meine Linsen säubern«, forderte Qaqoque sie auf. Bumela zog ein Zellstofftuch hervor und näherte sich dem Roboter. »Kannst du den Kopf nicht stillhalten?« rief sie. Der Roboter begann verneinend zu wackeln. »Kann nicht«, stellte er blechern fest. »Ich lebe.« »Ich sehe es«, lachte Bumela zurückhaltend. Sie versuchte, die Linsen abzuwischen, so gut es bei der Drehung ging. Nach drei Minuten ließ sie von ihren Bemühungen ab, und Qaqoque sagte: »Ich sehe wieder besser. Du bist ein fleißiger Solaner.«
»Solanerin!« verbesserte Bumela, doch Qaqoque meinte: »Ich bin der Gesandte, deshalb sehe ich klar.« Das Mädchen zuckte hilflos mit den Schultern und schloß sich seinem Führer wortlos an. Manchmal hatte sie den Verdacht, daß Qaqoque kein gewöhnlicher Roboter war. Seine Bemerkungen klangen nicht nach Spaß, wenn sie sich auch lustig anhörten. Ein wenig steckte philosophisches Gedankengut darin, und das Mädchen rätselte, wie ein seelenloser Roboter zu solchem Wissen und solchen Möglichkeiten der Äußerung kam. Qaqoque redete: »Meine Positronik lebt, es ist wichtig. Jemand hat mich geweckt. Wo ist mein Herr?« »Wir werden ihn suchen. Und Joscan Hellmut wird uns dabei helfen!« schärfte Bumela ihm ein. »Führe mich zu ihm.« »Ich kenne seinen Aufenthaltsort nicht. Wir wollten außerdem in die Hauptzentrale des Mittelteils. Das war dein Wunsch.« »Du redest sehr menschlich«, sagte Bumela. »Woher hast du das? Bist du gar kein Roboter?« »Ich bin Qaqoque, weil mein Herr Qaqoque war.« »Langsam gehst du mir auf die Nerven!« rief das Mädchen erbost. »Kannst du nicht über etwas anderes sprechen?« »Ich bin geweckt worden. Ich bin der Gesandte, der Unterhändler. Niemand kan mich aufhalten.« »Wobei aufhalten?« »Ich werde Atlan töten!« verkündete der Schrotthaufen klappernd. Irgendwo in seinem Innern krachte etwas. Ein Metallteil schlug gegen die Innenwand seines Kastens. »Wir sind gleich da!« Bumela verstand nun überhaupt nichts mehr. Anfangs hatte sie geglaubt, der Roboter wisse wirklich nicht, was mit ihm los sei. Jetzt aber überkam sie das Gefühl, daß der Roboter einem beabsichtigten Programm folgte, daß sein Gerede nur als Tarnung diente. Ich muß die Schiffsführung warnen, redete sie sich ein, daß hier ein potentieller Mörder herumläuft, eine Gefahr für das Schiff. Er will Atlan umbringen. Dann aber fiel ihr ein, daß sie gehört hatte,
daß der Arkonide sich auf der SZ‐2 irgendwo im Weltall befand. Erleichtert atmete sie auf. Dennoch, sie würde dem High Sideryt Meldung machen. »Wir sind da«, verkündete Qaqoque und trat zur Seite. »Vor uns befindet sich der Energieschirm, der den Zentralbereich vom übrigen Schiff abriegelt, eine Sicherheitsmaßnahme.« Bumela entdeckte das Flimmern der Luft vor ihr. Es waren die vom Schirm bewegten Partikel, die eine gewisse Unscharfe hervorriefen. Zusätzlich waren an den Seitenwänden Warnungen angebracht. »Was nun?« fragte Bumela. »Wie kommen wir zum High Sideryt?« »Wir warten, bis er sich meldet.« »Ich danke dir, daß du mich hergeführt und mich gewarnt hast«, lächelte Bumela und verfolgte die rotierenden Linsen. »Jetzt wissen wir bald, wo Joscan Hellmut steckt.« »Keine Ursache«, entgegnete Qaqoque kavaliersmäßig. »Ich habe dich vor dem Schirm gewarnt, weil es meine Pflicht ist, Leben zu beschützen!« Es klang nüchtern. Und es kam aus dem Mund eines potentiellen Mörders. »Ich lebe und beschütze Leben, und ich …« Der Roboter trat ganz nah an den Energievorhang und neigte den Kopf ein wenig nach vorn. Der Rost der Oberfläche sprühte auf und davon, kleine Blitze entstanden. Übergangslos hielt der rotierende Kopf des Roboters an, zeigte jetzt unverwandt nach vorn. Dann wandte er sich um und sah Bumela aus ruhigen Augen an. Er murmelte undeutlich etwas, es klang wie »Zwei Fliegen mit einer Klappe«. Es konnte aber auch etwas anderes sein, denn woher hätte Qaqoque Fliegen kennen können, außer von seinem Herrn. »Ich höre etwas«, verkündete er und neigte den Kopf lauschend zur Seite. Aber außer dem Rattern und Surren in seinem Innern war nichts zu vernehmen.
* Die JOST KULM AN trieb mit neunzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf den Weißen Zwerg zu, der im Abstand von zwei Lichtwochen voraus stand. Das Schiff war energetisch tot bis auf wenige Notstromaggregate, die eine Ortung ermöglichten. Noch reagierte die Rest‐SOL nicht, obwohl Breckcrown Hayes fest damit rechnete, daß ihr Erscheinen entdeckt worden war. Wahrscheinlich war man sich unter den Magniden noch nicht im klaren, welches Schiff aufgetaucht war. Der High Sideryt konnte sich allerdings denken, daß der Order und seine Automaten die Ereignisse im Orbit um Point Qua mitverfolgt hatten. Wenn die Korvette nicht entdeckt worden war, dann war es nur seinem schnellen Reagieren zu verdanken. Breckcrown entfernte sich leise von dem Sessel, in dem der Katzer kauerte. Flüsternd unterwies er die Solaner, die die Zentrale verließen, um in schwere Schutzanzüge gehüllt in den Triebwerksbereich vorzudringen und nach dem Schaden zu suchen. Er war noch immer nicht genau lokalisierbar. Der High Sideryt setzte sich in einen freien Sessel vor der Ortung und verharrte mit leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper. Seine Augen brannten ein wenig von dem düsteren Licht der Notbeleuchtung, und seine Lippen bewegten sich ununterbrochen. Er flüsterte lautlos mit sich selbst, als wolle er das Schicksal heraufbeschwören. Kein Wort war zu hören in der Schiffszentrale, nur das monotone Summen einiger Geräte wies auf das Leben in dem Kugelrumpf hin. Fünf Minuten vergingen, und von dem Reparaturkommando ging ein kurzes Bestätigungszeichen ein, daß man den strahlengefährdeten Bereich betreten hatte. »Sternfeuer«, sagte Bjo plötzlich. Er sprach den Namen monoton
aus, war nicht wirklich mit seinem Bewußtsein anwesend. »Sternfeuer hat meine Botschaft empfangen. Sie ist aufgeregt. Der Kontakt ist wieder abgebrochen.« »Wie sieht es an Bord der SZ‐2 aus?« fragte Hayes leise. »Ist Romeo schon dort?« »Ich weiß es nicht«, sagte Bjo. »Ich erhalte keine Antwort mehr. Sternfeuer kann sich nicht konzentrieren.« »Gut. Dann versuche es später nochmals, wenn wir flugfähig sind und zurückkehren können. Was weißt du über die Rest‐SOL?« Der Katzer richtete seine Stimme auf jenes Gebiet um die weißgelbe Sonne, wo die SOL ohne Fahrt im Raum hing. Ungehindert konnte er die Gedanken der Solaner erfassen. Und wenn er sich anstrengte, konnte er in diesem Rauschen der Gedanken so vieler nicht telepathisch begabter Menschen deutliche Akzente vernehmen. Dann entspannte sich der Katzer für eine Weile, bevor er erneut alle Kraft hineinlegte. Die Tatsache, daß er passiver Telepath war, spielte im Augenblick keine Rolle. Er brauchte niemandem eine Botschaft zu schicken, mußte nur von Sternfeuer gehört werden. Die Rest‐SOL aber, mit wem konnte er sich dort identifizieren, wessen Gedanken sollte er aus der Unzahl der Bewußtseine zu filtern versuchen? »Versuche es mit dem Order«, schlug Hayes ihm vor, ohne zu ihm herüberzublicken. »Was denkt er, was hat er vor?« Bjo lauschte intensiv, aber so sehr er sich bemühte, er konnte die Gedanken des Orders nicht finden, obwohl sie zu den intensivsten gehören mußten. »Der Order ist telepathisch nicht erspürbar«, hauchte der Katzer gedankenverloren. »Oder er ist nicht in der …« Er wurde von einer raschen Bewegung des High Sideryt unterbrochen. Breckcrown Hayes fuhr aus dem Sessel empor und wandte sich dem Interkom zu. »An alle«, gab er durch. »Sie schleusen Beiboote aus. Space‐Jets und Korvetten, etwa zwanzig Stück. Die Boote nehmen Fahrt auf in
unsere Richtung. Wir sind entdeckt. Verlaßt sofort die Maschinenräume, wir müssen verschwinden.« Das Bestätigungszeichen des Kommandos kam, und Hayes fuhr die Energiestationen hoch und ließ die Triebwerke anspringen. »Warte noch!« rief Breiskoll. »Ich habe soeben einen …« Er kniff die Augen zusammen, um sich von den Umweltgeräuschen abzuschirmen. »Joscan!« sagte er. Durch Zufall hatte er die Gedanken von Joscan Hellmut erkannt. Über eine kurze Zeitspanne konnte er verfolgen, was der Kybernetiker dachte. Es waren wichtige Dinge, die eng mit dem Schicksal der SOL verknüpft waren. Sie jagten dem Katzer Angst und Schrecken ein. Hellmut dachte an ein schreckliches Geheimnis, das er für sich behalten hatte. Es drehte sich um Romeo und Julia, um zwei Potentiale Antimaterie, versehen mit einer zeitimmanenten Reizschwelle. Die Gefahr wuchs mit jedem Tag. Romeo und Julia waren eine Superbombe, die jeden Augenblick losgehen konnte. »Wir müssen uns absetzen, die Boote haben gleich die Mindestgeschwindigkeit für einen Linearflug erreicht«, hörte Bjo Breckcrowns Stimme. »Nein, warte noch«, sagte er schnell. »Hellmut …« Obwohl die Korvette genug Fahrt hatte, um verschwinden zu können, gab Hayes der Bitte des Katzers nach. Sicher war es gut, wen sie so viel wie möglich über die Zustände an Bord der Rest‐SOL erfuhren. Angespannt verharrte er, seine Hand schwebte bereits über dem Hebel, der das Linearmanöver einleiten würde. Es würde ein Blindsprung werden. Mit der defekten Triebwerkseinheit würden sie überall herauskommen, nur nicht an ihrem eigentlichen Ziel. Bjo spürte Joscans Gedanken schwächer werden, und er verstärkte sein Aufnahmepotential ein wenig. Hellmut dachte an Order‐7 und an Bora St. Felix, die ebenfalls gefangen war. Er war verzweifelt, denn er konnte sich nicht befreien. Er hatte Gewissensbisse, weil er
bisher über die Wahrheit geschwiegen hatte. Bjo hätte ihm gern ein paar beruhigende Impulse zugesandt, aber er war ja nicht dazu in der Lage. Und er hatte keine Ahnung, wie es im Augenblick in der SZ‐2 aussah. Vielleicht existierte sie gar nicht mehr. Sekundenlang schwankte der Katzer, ob er Hayes einweihen oder lieber ebenfalls schweigen sollte. Dann aber gab er sich einen Ruck. Er nahm einen letzten Gedanken des Kybernetikers wahr, einen Namen. Einen Frauennamen. Bumela. Dann brach der Kontakt mit ihm abrupt ab. Die JOST KULMAN war in den Linearraum gegangen. Der Katzer öffnete die Augen. Die Zentrale war in gleißendes Licht gebadet. Auf dem Bildschirm erschienen Sterne. Wie erwartet, war es nicht die Umgebung des Standorts der SZ‐2. Bjo sah, daß Hayes ihn bittend ansah, nochmals einen Kontakt mit Sternfeuer zu versuchen. Der Katzer schüttelte trotzig den Kopf. Ohne Umschweife begann er zu berichten, was er von Joscan Hellmut »erlauscht« hatte. Er sah, wie die Augen des High Sideryt sich immer mehr weiteten. Breckcrown Hayes ließ ihn gar nicht ausreden. Stumm programmierte er das nächste Linearmanöver, und Bjo wußte, daß er so oft springen würde, bis sie endlich am Ziel waren. War die SZ‐2 vernichtet? Der Katzer beobachtete seine Hände und stellte fest, daß sie zitterten. Er war nicht in der Lage zu sagen, ob es von der Anstrengung oder der Erregung war. Er beobachtete Hayes bei der Arbeit, wie er das Schiff von einer Linearetappe in die andere jagte, und immer wieder vergeblich. Laß es nicht wahr sein, flehte der Katzer innerlich. * Die Energiewaffen der Solaner arbeiteten ununterbrochen. Das von
Atlan in aller Eile zusammengestellte Kommando hatte den Korridor in einen See aus schmelzendem Metall und Plastik verwandelt. Zum Teil lag es daran, daß etliche Solaner nicht gut genug mit den Waffen umgehen konnten, zum Teil aber hatten ehemalige Ferraten und Vystiden den Belag absichtlich zum Kochen gebracht. Sie wollten, daß Romeo sich darin verfing, daß er steckenblieb. Der Roboter, der als Unterhändler gekommen war und nun mit Gewalt in das Schiff eindrang, hatte ein Leck in die Außenhülle des Schiffes gebrannt und sich dann ungeniert fortbewegt. Es störte ihn wenig, daß er aus mehreren Hallen und Korridoren die Luft entweichen ließ, bis er eines der Sicherheitsschotte erreicht hatte, das das Vakuum dicht hinter ihm abriegelte. Unbekümmert stampfte die klobige Maschine weiter, ihrem Ziel entgegen, das Julia hieß. Ein paar Solaner hörten ihn immer schreien. »Julia!« trompetete er durch die SZ‐2. »Julia, ich komme!« Die Solaner sahen ihn nahen. Irgendwie schien ihnen die Vorgehensweise der Maschine widersprüchlich, und sie verständigten Atlan, der von einer Gruppe zur anderen hetzte und nicht zum Verschnaufen kam. »Sieh ihn dir an!« sagte ein Solaner und deutete auf die hohe Gestalt, die den Korridor entlangkam, im Eilschritt, aber mit Verzögerungen. Immer wieder blieb Romeo stehen, als müsse er sich orientieren. Einmal geschah es sogar, daß er eine Tür öffnete und in den dahinterliegenden Raum blickte. Dann erst setzte er seinen Weg fort. »Merkwürdig«, überlegte Atlan laut. »Etwas ist nicht in Ordnung mit ihm.« Er wies die Männer an, alle Türen zu verriegeln, die am Weg des Roboters lagen. Dann machte er sich auf, weiter in das Schiff hinein, in die Richtung, in der Julia stand. Es gab verschiedene Möglichkeiten, welchen Weg Romeo kommen würde. Atlan rechnete fest damit, daß der Roboter es schaffen würde. Bis dahin
galt es, möglichst viel Zeit herauszuschinden. Palo Bow benötigte sie dringend. Über den Armbandkom stand Atlan ständig mit allen Einsatzgruppen in Verbindung und konnte den Weg Romeos genau verfolgen. Vergeblich versuchte er die ganze Zeit, einen Sinn im Verhalten des Roboters zu finden, aber so sehr er sich auch Mühe gab, kam nichts dabei heraus. Romeo zögerte angesichts des verflüssigten Metalls. Dann aber brach er mit einem Aufschrei durch. Das Metall spritzte, es konnte ihn, der sich in seinen Schutzschirm gehüllt hatte, nicht aufhalten. Mehrere Solaner wurden beiseite geschleudert und erlitten durch die flüssige Glut Verbrennungen. Sie zogen sich sofort zurück, eine andere, weiter im Schiffsinnern wartende Gruppe übernahm ihre Aufgabe. Romeo schrie noch immer nach Julia, und es klang manchmal wie der Verzweiflungsschrei eines waidwunden Tieres, wenn es von den Hunden des Jägers aufgespürt und zu Boden gerissen wurde. Am nächsten Hindernis verfuhr der Roboter weniger zimperlich. Er schmolz ein Loch in die Wand des Korridors und arbeitete sich rücksichtslos durch ein paar menschenleere Räume zu einem anderen Gang durch, der ihn in dieselbe Richtung führte. In der nächsten Verteilerstation blieb er wieder stehen, suchte ungläubig nach einem Hindernis, hastete weiter. Das Dröhnen seiner metallenen Füße kündigte ihn bereits von weitem an. Der Roboter lief in eine Schwerkraftfalle, die ihn mitten im Lauf schwerelos werden ließ. Er drehte sich um seine Querachse und stieß an die Decke, taumelte wieder dem Boden entgegen und entging einem gefährlichen Aufprall nur dadurch, daß er seinen eigenen Schwerkraftgenerator hochfuhr und den Verlust ausglich. Hinterher brach er durch die Stahlwand und zerstörte den dahinter angebrachten Projektor mit einem Strahl aus seinem Desintegrator. Er blickte in ein paar Räume, die an seinem Weg lagen und umging das nächste Hindernis buchstäblich durch Zufall. Atlan wartete inzwischen auf ihn. Ohne Begleitung stand er an
dem Platz, an dem Julia eigentlich stehen mußte. Bow hatte sie mit vier Transportrobotern abgeschleppt. In ihrem Block eingeschmolzen, hatte er sie in einen Kreuzer bringen und dort unweit der Zentrale abstellen lassen. Bow führte selbst das Kommando über dieses Schiff. Er hatte von Atlan Anweisung erhalten, Julia wegzubringen und so lange zu warten, bis er das Signal erhielt, daß er zurückkehren konnte. Noch wußte niemand in der SZ‐2, worin eigentlich das Geheimnis der beiden Roboter bestand, aber Atlans Taktik zielte darauf hin, es herauszufinden. Bow wußte, daß der Arkonide auf Romeo wartete, um ihn zur Rede zu stellen. Er wollte ihn überlisten. Er würde Romeo den Standort Julias nur verraten, wenn dieser ihm das Geheimnis offenbarte. Bow steuerte den Leichten Kreuzer allein. Die normale Besatzungsstärke betrug 60 Mann, aber Atlan hatte äußerste Geheimhaltung angeordnet. Bow durfte auch keinen Funkimpuls an Atlan oder die Zentrale abgeben, denn Romeo war in der Lage, jedes Funksignal zu empfangen. Der Roboter würde seine Schlüsse daraus ziehen. Über Abhörung des Funkverkehrs erfuhr der Stabsspezialist jedoch, daß Romeo erst zwei Drittel der Wegstrecke zurückgelegt hatte, die er zu seinem Ziel brauchte. Brooklyn und ihre vier Begleiter waren inzwischen aus der Space‐Jet geborgen worden und erholten sich in einer Medostation von den Nachwirkungen der Paralyse. Palo Bow hatte mit Atlan verabredet, eine kleine, rote Sonne anzufliegen, die sich 0,7 Lichtjahre von Hoffnung‐1 entfernt befand. Diese Sonne besaß keine Planeten, aber einen dünnen Asteroidenring, der sich in 8 Lichtminuten Entfernung um diese Sonne zog. Er bestand nur aus rund vierhundert Asteroiden mit Durchmessern zwischen fünfzig und zweihundert Kilometern, dazu eine Unzahl von Kleinstkörpern unter einem Meter Durchmesser. Bows Ortung ergab, daß es sich dabei nicht um die Überreste eines Planeten handelte, wie sie es in Bumerang überall erlebt hatten. Die
Dicke des Ringes betrug ungefähr dreihundert Kilometer. Metalle und Gestein waren in den Brocken in unterschiedlichen Verhältnissen vertreten. Palo Bow lenkte den Kreuzer mit Hilfe der Positronik. Nach einer kurzen Linearetappe steuerte er vorsichtig in die Korana des kleinen Sterns, dem Atlan den Namen »Taucher« gegeben hatte, weil Bow mit Julia dort untertauchen sollte. Dann wartete Palo Bow ab. Er wußte, daß der Arkonide ihm das Zeichen zur Rückkehr geben würde. Entweder weil Romeo gefangen und eingegossen war, oder weil der Roboter den Rückzug angetreten hatte. Einen anderen Fall konnte sich Palo nicht vorstellen, und das war gut so. Atlan hatte unterdessen pausenlos Meldungen empfangen. Er wußte aus verschiedenen Andeutungen, daß Bow die SZ‐2 längst verlassen hatte. Jetzt konnte er der kommenden Entwicklung mit Gelassenheit entgegensehen. Dann hörte der Arkonide eine letzte Meldung aus dem Bereich in seiner unmittelbaren Nähe, und kurz darauf vernahm er das Stampfen des Roboters. Mehrmals brach es ab, als bliebe Romeo immer wieder stehen. Dann aber erklang es endgültig vor ihm. Atlan richtete den Blick nach vorn, wo der Unterhändler des Orders um die Krümmung des Korridors gerannt kam. Er hielt nicht inne, als er den Arkoniden sah, stürmte weiter, als wolle er ihn umrennen. Erst kurz vor dem Mann stoppte er ab und baute sich vor ihm auf. Romeo hob die Fäuste wie zum Schlag. Der Arkonide zuckte mit keiner Wimper, wich auch nicht zurück. Unbewaffnet stand er vor dem Roboter mit den drohend erhobenen Armen und wartete ab. Nach einigen Sekunden ließ Romeo die Arme sinken und fuhr seinen Strahler aus dem Brustkorb aus, bis die Mündung Atlan fast berührte. »Wo habt ihr Julia hingebracht?« knarrte der Ableger SENECAs. »Ich muß zu ihr!« »Du wirst zu Julia gelangen«, lenkte Atlan ein. »Aber zuvor wirst du mir ein paar Fragen beantworten.«
»Sprich!« forderte der Roboter auf. »Beeile dich, ich habe keine Zeit!« Atlan war zunächst verwundert über Romeos Bereitschaft. Er hatte damit gerechnet, auf harten Widerstand zu treffen, wenn er ihn aufhalten würde. Die Reaktion Romeos war aber erklärbar, wenn er sich vor Augen hielt, daß der Roboter keinen Hinweis auf den Aufenthaltsort Julias besaß. Atlan fragte. Er wollte wissen, welchen Sinn sein Handeln und Tun hatte, warum er unbedingt zu Julia wollte. Behutsam umschrieb der Arkonide das, was er durch eigene Beobachtungen und die Warnung SENECAs wußte. »Ich muß das befohlene Werk vollenden«, erwiderte der Roboter. »Und jetzt führe mich zu Julia.« »Warum willst du ausgerechnet zu Julia? Was ist das befohlene Werk?« Romeo breitete die Arme auseinander und öffnete seinen kastenförmigen Körper. Die Brustseite klappte auf, und Atlan sah das Innere des hochwertigen Roboters, oder wenigstens einen Teil davon. Sein Blick fiel auf einen köpf großen Block, der in ein blaues Energiefeld gehüllt im unteren Teil des Kastens hing. Der Block bestand aus undefinierbarem Material, das vor sich hin pulsierte. Dem Arkoniden war nicht bekannt, daß ein solcher Gegenstand Bestandteil eines der beiden Roboter war. Er erkannte, daß er sich einem Geheimnis auf der Spur befand. Romeo erklärte, daß Julia über einen identischen Block verfüge und daß beide Teile vereinigt werden mußten. »Das ist das befohlene Werk«, knatterte er. »Das Ziel der beiden Massenhälften ist die absolute Vereinigung. Die Vereinigung ist jederzeit möglich. Wo ist Julia?« Atlan war bleich geworden. Seine roten Augen brannten wie Feuer und sonderten übermäßig Sekret ab. »Wer hat es euch befohlen, und was löst es aus?« rief Atlan schnell. Er machte einen Schritt zurück, weil der Roboter drohend
auf ihn zutrat. Romeo gab keine Antwort. Er streckte die Hände nach Atlan aus, doch der Arkonide wich geschickt zur gegenüberliegenden Wand des Korridors aus. Für ihn war jetzt klar, daß Romeo und Julia die Werkzeuge einer fremden Macht geworden waren und in ihrem Sinn handelten. Welchem Zweck dienten die beiden identischen Massenteile? Vorübergehend dachte Atlan an Hidden‐X, an die Statue. War es möglich, daß mit der Vereinigung der beiden pulsierenden Blöcke Hidden‐X wieder auferstand oder ein noch gefährlicheres und mächtigeres Wesen geschaffen wurde? Es spielt keine Rolle, meldete sich wieder der Extrasinn. Es muß verhindert werden, daß sich die beiden Roboter vereinigen. SENECA hatte also doch im Sinn der Solaner gehandelt, als er die beiden Ableger eingegossen hatte. Seine Warnung war berechtigt gewesen, und sie hätten sie nicht ernst genug nehmen dürfen. Bereits damals hatte Atlan daran gedacht, die beiden im Weltraum auszusetzen und sich selbst zu überlassen. Vieles wäre den Solanern erspart geblieben. »Wir müssen ein paar Minuten warten«, versuchte er Romeo begreiflich zu machen. »Dann kannst du zu Julia gehen.« Wieder kam der Roboter auf Atlan zu, und diesmal hielt er nicht an. Er packte den Arkoniden und drehte ihn mühelos herum. Seine stählernen Arme umklammerten ihn, als wollten sie ihn zerquetschen. Er hob Atlan empor und trug ihn mit sich weg. »Du sagst mir, wo Julia ist«, verlangte er, und hielt an der nächsten Tür an. Er öffnete sie, ohne Atlan loszulassen und warf einen Blick in den dahinterliegenden Raum, nachdem er das Licht angemacht hatte. »Was ist mit dir los?« rief der Arkonide schwerfällig, denn die stählernen Klammern drückten ihm den Brustkasten zusammen. »Ich sehe mich nach Angreifern um«, knarrte Romeo. »Ich habe meine Infrarotsehfähigkeit verloren.«
Atlan schloß die Augen. Das hätten sie eher wissen müssen! Es erklärte das seltsame Verhalten des Roboters auf seinem Weg durch die SZ‐2. »Bring mich zu Julia, sonst vernichte ich dich!« drohte der Ableger. Atlan deutete mühsam den Korridor entlang. Romeo packte ihn noch fester und schleppte ihn davon. * Sternfeuer stand bei Lyta Kunduran und Sanny. Die drei Frauen beratschlagten, was sie tun konnten. Im Augenblick waren ihnen die Hände gebunden, denn Atlan hatte Stillhalten angeordnet. »Palo hat das Schiff längst verlassen«, sagte Bit nach einer Weile schweigenden Wartens. »Er müßte längst in der Korona von Taucher angekommen sein. Was wird er tun?« Atlan hatte den Stabsspezialisten angewiesen, mit dem Leichten Kreuzer zu warten, bis er von der SZ‐2 aus angefunkt wurde. Der Arkonide war sich des Risikos bewußt, das er einging, wenn er den Hyperfunk aktivierte. Aber es bestand ja die Möglichkeit, eine Space‐Jet oder ein kleineres Fahrzeug auszuschleusen und es wie bei der Antwort an die Rest‐SOL zu handhaben. Der Order würde so den Standort der SOL‐Zelle nie finden. Der ganze Plan enthielt allerdings eine Unbekannte, und das wußten die Solaner in der Zentrale genau. Noch gab es keinen neuen Kontakt zu Breckcrown Hayes und Bjo Breiskoll, die mit der Korvette unterwegs waren. Das letzte, was Sternfeuer aufgefangen hatte, war die Warnung vor Romeo gewesen, wo war die Korvette jetzt? Die junge Solanerin malte sich in düsteren Farben aus, daß Hayes womöglich von der Rest‐SOL gefangengenommen worden war. Was mit ihm geschah, wenn der Order ihn erwischte, konnte sie sich
denken. Noch war die Attacke der SQL‐Würmer nicht lange her, sechs Tage genau. Sie hatte deutlich gezeigt, daß der Doppelgänger des verstorbenen High Sideryt vor keinem Mittel zurückschreckte, wenn es um die Erreichung seiner Ziele ging. Und er würde auch kompromißlos gegen die SZ‐2 vorgehen, wenn es ihm gelang, sie in seine Hände zu bekommen. Es war ihm fast schon gelungen. Romeo war als sein Abgesandter erschienen, und mit ihm verband sich möglicherweise eine tödliche Gefahr, wenn die Warnung Bjos berechtigt war. Sternfeuer überlegte. Sie war versucht, Atlan aufzusuchen oder zumindest in seine Nähe zu gelangen, um die Entwicklung des Geschehens beurteilen zu können. Notfalls würde sie selbst eingreifen, denn niemand konnte voraussehen, was der Roboter mit Atlan machte. Wenn nur Bjo endlich … dachte sie, fuhr dann aber überrascht zusammen. Kontakt! Sie hatte Kontakt. Der Katzer meldete sich. Sternfeuer machte Bit ein Zeichen und konzentrierte sich dann auf die Botschaft des Katzers. Die Korvette hatte die Verfolger abgehängt und befand sich ein halbes Lichtjahr entfernt. Hayes würde nochmals springen. Er hatte herausgefunden, daß die Treffgenauigkeit größer wurde, je kleiner die Sprünge waren. Aber das war nicht das Wichtigste. Bjo berichtete eindringlich, was er von Joscan Hellmut erlauscht hatte. Die Vereinigung von Romeo und Julia löste eine Materieimplosion aus, die im Umkreis von mehreren zehn Kilometern alles vernichtete. Sternfeuer brach den Kontakt ohne Erklärung und mit einem hastigen Gedanken ab. Mit einem Satz berichtete sie, was sie erfahren hatte. Dann stürmte sie aus der Zentrale hinaus. Die Solanerin rannte wie von Furien gehetzt durch das Schiff. Sie wußte, daß es jetzt um Sekunden ging. Atlan mußte unbedingt erfahren, welches Geheimnis die beiden Roboter besaßen, und wie sich die von ihnen angestrebte Vereinigung auswirken würde. Sie erreichte den Platz, wo Julia gestanden war und auch Romeo
und Atlan zu finden sein mußten. Er war leer, und Sternfeuer begriff, daß sie zu spät gekommen war. Romeo und Atlan waren weg, verschwunden. Die ehemalige Anführerin der Basiskämpfer rannte zurück. Es gab nur ein Ziel, das sie haben konnten, die Space‐Jet, mit der Romeo gekommen war. Sie war noch immer an der Außenhülle des Schiffes verankert. Sternfeuer fand keine Zeit, die Zentrale zu informieren. Sie durfte nicht zu spät kommen. Sie holte aus ihrem Körper die letzten Kraftreserven heraus und spurtete die Korridore entlang. Der Transport durch die Antigravschächte kam ihr wie eine Ewigkeit vor, aber endlich hatte sie ihr Ziel erreicht. Durch ein offenes Schott stürmte sie in den inzwischen wieder luftdichten Bereich hinein, den Romeo bei seiner Ankunft durch ein Leck gefährdet hatte. Im Licht der Scheinwerfer erkannte sie weit vor sich zwei Gestalten, eng aneinander gepreßt. Romeo, und in seiner Umklammerung der Arkonide. Soeben betraten sie die Space‐Jet, und Romeo schloß das Schott der Bodenschleuse, die auf der Wandung der SOL‐Zelle auflag. Hastig machte die Solanerin kehrt und stürmte aus dem Raum hinaus, wobei sie das Schott fest hinter sich verschloß. Sie hetzte zum nächsten Interkom und rief die Zentrale. »Bit«, sagte sie, »Romeo hat Atlan in seiner Gewalt. Er ist soeben in die Space‐Jet gestiegen. Ihr müßt ihn am Start hindern!« »Zu spät«, erwiderte Lyta Kunduran niedergeschlagen. »Wir haben es erst bemerkt, als sie sich von der Außenhaut lösten. Romeo ist längst über alle Berge.« »Er hat Atlan entführt!« rief Sternfeuer eindringlich und eilte in die Zentrale zurück. Mit ihren Gedanken suchte sie wieder den Kontakt zu Bjo in der Korvette. Konnte Hayes die Verfolgung aufnehmen? Dazu mußten sie zuerst die Spur finden und am richtigen Ziel herauskommen.
Niedergeschlagen gestand Sternfeuer sich ein, daß sie verloren hatten, alle zusammen. Wo brachte Romeo den Arkoniden hin? Sie hatten einen Anhaltspunkt. Romeo erpreßte Atlan, damit dieser ihm den Aufenthaltsort von Julia verriet. Dorthin würde er fliehen. Zu der 0,7 Lichtjahre entfernten Sonne mit dem Namen Taucher. 6. Bumela beobachtete die Gestalt des großgewachsenen Mannes, der sich von der anderen Seite des Schutzschirmes näherte. Er trug einen schußbereiten Strahler in der Hand. Das lange, weiße Gewand umwehte ihn wie im Sturm und ließ ihn ein wenig als ein überirdisches Wesen erscheinen. Bumela kannte den Mann. Sie hatte schon Abbildungen und Holos von ihm gesehen. Es war Chart Deccon, der High Sideryt. Er kam persönlich, um sich nach ihrem Wunsch zu erkundigen. In dem Schutzschirm entstand eine Lücke, und Deccon schritt hindurch. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Auslöser des Strahlers, dessen Abstrahlfeld flammte. In zwei Metern Entfernung blieb er stehen. »Was wollt ihr hier?« fragte er stechend. »Ich bin der Gesandte«, erwiderte Qaqoque wie aus der Pistole geschossen. »Ich bin erweckt worden und lebe. Ich sehe klar.« »Wer ist dieser Roboter?« wandte sich Deccon zornig an Bumela. Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, High Sideryt!« erklärte sie. »Er kam zufällig vorbei. Er spricht nur in Rätseln. Einmal sagt er, er sucht seinen Herrn, dann behauptet er wieder, er sei der Gesandte. Und ein andermal will er …« »Genug!« unterbrach Chart Deccon sie barsch. »Ich habe keine Zeit, mir solchen Unsinn anzuhören. Der Roboter soll sich
entfernen.« »Wir suchen Joscan Hellmut, sagte der Solaner!« Qaqoque ratterte und deutete mit dem Körper auf Bumela. »Er meint mich«, erklärte das Mädchen sofort. »Er hat mir erzählt, daß Hellmut irgendwo eingesperrt ist. Da ich Qaqoque zu ihm führen will, damit er repariert wird, sind wir zu dir gekommen, High Sideryt, um um deine Hilfe zu bitten. Wo ist Hellmut?« Das feiste Gesicht Chart Deccons hatte sich verfinstert. »Komm mit mir in meine Klause«, befahl er Bumela. »Dort kann ich dir helfen. Hier nicht.« Und an den Roboter gewandt, rief er: »Entferne dich, Maschine! Du gehörst in den Konverter!« Der Roboter reagierte nicht. »Ich habe den Auftrag, Atlan zu töten. Du bist Atlan, nicht wahr?« Der High Sideryt erstarrte vor Verblüffung. War es möglich? Wer konnte den Verrotteten aktiviert haben, daß er über Dinge wußte, die eigentlich nur ihm persönlich, dem Order, zugänglich waren? Oder höchstens Romeo? Woher wußte das blecherne Monstrum ohne Arme von Joscan Hellmut? Order‐7 dachte nach. Es gab eigentlich nur eine sinnvolle Erklärung. Einer der Roboter, die in seiner Klause standen und seine persönliche Leibwache darstellten, besaß eine fehlerhafte Impulsabschirmung. Irgendwo hatte er ein paar Impulsfolgen an seine Umwelt abgegeben. Vermutlich, als sie Romeo zu ihm gebracht hatten. Die Impulse mußten den verschrotteten Roboter aktiviert haben, und jetzt lief er mit einer verwirrten Positronik durch die Gegend. »Ich bin nicht Atlan, sondern der High Sideryt!« brüllte Deccon. »Nein«, entgegnete Qaqoque. »Du bist Atlan!« Drohend machte er einen Schritt auf Chart Deccon zu, aber dieser kam ihm entgegen. Der Order hob die Faust und schmetterte sie mit Todesverachtung gegen den Kopf des Roboters. Es knirschte vernehmlich, in dem Metall bildeten sich Risse. Dann brach der Kopf ab und schepperte zu Boden. Der Körper schwankte,
kippte dann und legte sich daneben. Ein letzter Rest Öl oder Schmierstoff lief aus. »Folge mir!« sagte der Order und winkte Bumela durch die Lücke. Während der Schirm sich wieder schloß, führte er das Mädchen in seine Klause und ließ es sich setzen. »Bevor du mir deine Bitte vorträgst, höre mir zu!« sagte er kalt und konzentrierte sich. Bumela empfand plötzlich etwas wie Zuneigung zu dem riesenhaften, häßlichen Mann. Sie spürte, daß dieser eine ungeheure Macht besaß und diese auch anwendete. Sie beschloß, ihm zu vertrauen und alles zu tun, was er verlangte. Vielleicht konnte er für sie so etwas wie ein Vater sein, wenn sie auch keine leiblichen Bande zu ihm verspürte. »Was fühlst du?« fragte Order‐7 eindringlich. »Ich spüre Verantwortung und Zielstreben«, sagte sie. »Ich möchte sein wie du!« »Das wirst du niemals erreichen«, zischte der falsche Deccon. Er schloß die Augen. Bumela sah plötzlich feurige Kreisel vor ihren Augen tanzen. Sie wollte sie schließen, aber es ging nicht. Sie sah die Vernichtung vor sich, wähnte sich am Rand eines ungeheuren Abgrundes. Um sie herum war es eisig kalt. Tief drunten drohte die Vernichtung. »Spring!« sagte der Order, und Bumela sprang. Sie fiel in dunkle Ewigkeit, bis sie die Stimme des Orders zu erkennen glaubte. Sie wußte jetzt, daß es nicht Chart Deccon war, sondern ein Ungeheuer in seiner Gestalt. »Ich möchte sein wie du!« wiederholte sie lautlos. Die Stimme des Mächtigen fraß sich in ihr fest, hämmerte in ihrem Gehirn, wurde immer stärker. Sie schaltete ihren letzten eigenen Gedanken aus. »Ich bin eine Maschine!« schrie das Mädchen, weil die Gedanken des Orders es in ihr einbrannten, Order‐7 kapselte seine telepathischen Fähigkeiten vor ihr ab. Er überschwemmte ihr Gehirn mit seinen hypnotischen Wogen, sammelte das Potential zu einem
Berg an. Dann legte er den zündenden Impuls. Das Gehirn des Mädchens explodierte in einer Woge fremder Gedanken und erlosch. Ein kurzes Zucken durchlief den verkrümmt am Boden liegenden Körper, dann war nichts mehr. Order‐7 erfaßte nur die unfaßbare Leere, die ihm entgegentrieb. Er zog sich zurück und setzte sich in seinen Thronsessel. »Die Macht!« flüsterte er. »Ich bin am Gipfel der Macht. Der Diener des Dieners hat seine volle Kraft erreicht. Nichts kann ihn mehr zurückhalten!« »Schafft die Leiche in den nächsten Konverter«, wies er die Roboter seiner Leibwache an, dann eilte er hinüber in die Zentrale. Der Zeitpunkt war gekommen, der große Augenblick. Order‐7 erklärte den Magniden seinen Plan. Seine Augen glitzerten dabei, wenn er sie wiederholt der Reihe nach ansah. Aber seine Stirn blieb kühl. Kein einziger Schweißtropfen erschien darauf. Er setzte ihnen auseinander, welchen Auftrag Romeo hatte. »Du hast richtig gehandelt«, stimmte Nurmer eilfertig zu. »Wenn Atlan nicht nachgibt, dann muß er es büßen. Er hat den Tod verdient.« Die übrigen Magniden waren derselben Meinung. Ohne zu überlegen, hielten sie Deccons Ansicht für die einzig richtige. Deccon lächelte. Es war nicht nötig, sie seine Kraft voll spüren zu lassen. Sie folgten ihm wie treue Tiere und beteten ihm nach, was er ihnen suggerierte. Lediglich Gallatan Herts hatte einen Einwand. »Was wird aus den vielen Solanern?« fragte er. »Wir könnten sie für die Zukunft gut gebrauchen.« Order‐7 erstarb das Lächeln im Gesicht. Er erkannte, daß es sein eigener Einwand war, der auf seinen eigenen Gedanken beruhte, die er in ihren Gehirnen verankert hatte. Er war nur bisher nicht dazu gekommen, ihn auszusprechen. »Du siehst es völlig richtig, Gallatan«, sagte er freundlich. »Wir werden die SZ‐2 anfunken und warnen. Jetzt sogleich!« Und während er die Funkanlage aktivierte, wußte er, daß er sein
Ziel endgültig erreicht hatte. Die vollständige Macht über die SOL und alle Solaner. In wenigen Stunden war er in der Lage, das Schiff der ewigen Prüfung zuzuführen. Dieses Bewußtsein erregte den Order nicht. Er war gefühlskalt. Aber auch Kälte kennt unterschiedliche Zustände. Er hatte seine Aufgabe erfüllt, die ihm als dem Diener zukam. Und das stellte seinen Auftraggeber zufrieden und erfüllte ihn selbst mit einer gewissen Genugtuung. Er spürte einen Hauch jener Empfindungen in sich, die der Planer aussenden würde, wenn er die Ausführung des Auftrags erkannte. Und das war das, wozu er da war. Er, Order‐ 7 oder Chart Deccon. Der Diener. * Die Korvette hatte es geschafft. Hayes, Breiskoll und die Besatzung hielten sich in der Zentrale der SOL‐Zelle auf, und auch Brooklyn war anwesend. Sie hatte die Paralyse überwunden. Breckcrown Hayes war bereits über die Vorgänge in und um die SZ‐2 informiert. Lyta und Sternfeuer hatten ihm alles erzählt, und der High Sideryt traf sofort neue Maßnahmen. Bit hatte versucht, Palo Bow anzufunken und ihn vor Romeo zu warnen, aber seltsamerweise hatte sie den Stabsspezialisten nicht erreicht. Ob die Korona der Sonne Taucher daran schuld war, oder ob Romeo schneller gewesen war als vermutet, konnten sie nicht entscheiden. Sie mußten nachsehen. Breckcrown Hayes übernahm die Steuerung des Schiffes, das sich langsam aus der Korona von Hoffnung‐1 löste. Er hatte seine Entscheidung gefällt. Die beiden Roboter würden sich auf alle Fälle vereinigen, dagegen war nichts mehr zu tun. Die Menschen, die dabei waren, würden es nicht überleben. Es waren nur zwei, Atlan und Palo Bow, aber das war genug. Alle Solaner in der SZ‐2 waren sich darüber im klaren, daß der Tod dieser beiden Männer unter
allen Umständen verhindert werden mußte, selbst wenn dabei die Existenz der gesamten SZ‐2 aufs Spiel gesetzt wurde. Das Schiff raste aus der Korona hinaus und ging in den Linearraum. Hayes hatte noch vor, Romeo zu überholen, dessen Space‐Jet über beschädigte Funkanlagen verfügte, so daß Romeo nicht sofort Kontakt mit Julia oder dem Leichten Kreuzer aufnehmen konnte, auf dem Bow sich aufhielt. Vielleicht war es Atlan auch gelungen, den Roboter zunächst zu einer anderen Sonne zu locken, und dadurch Zeit zu gewinnen in der Hoffnung, die SZ‐2 würde etwas unternehmen. Der Arkonide würde sicher auch andere Dinge nicht unversucht lassen, um den Zeitpunkt der Vereinigung so weit wie möglich hinauszuzögern. Weiter war noch die Chance gegeben, den Arkoniden zu warnen, falls es ihm gelungen war, Romeo zu entkommen. Noch wußte Atlan nicht endgültig über die wirklichen Ausmaße Bescheid, die die Vereinigung der beiden kritischen Massen nach sich ziehen würde. Nur in der SOL‐Zelle herrschte endgültige Klarheit. Das Schiff verließ den Linearraum und ortete. In geringem Abstand voraus stand die Sonne Taucher als kleiner, roter Punkt. »Rest‐SOL ist uns gefolgt!« sagte Lyta Kunduran, die dem High Sideryt assistierte. SZ‐1 und Mittelteil hatten also das Verlassen des Ortungsschutzes um Hoffnung‐1 angemessen und sich sofort an die Verfolgung gemacht. Jetzt standen sie einen Lichtmonat von der SZ‐ 2 entfernt im Raum. Und sie funkten das Kugelschiff an. Der Bildschirm erhellte sich, und das fleischige Gesicht des Orders wurde sichtbar. »High Sideryt an Atlan!« begann er, während sich Hayes schnell aus dem Aufnahmebereich entfernte. Der Order hatte es also nur mit Brooklyn zu tun. »Was willst du, Order?« fragte die Stabsspezialistin grimmig. »Verlaßt sofort mit allen verfügbaren Beibooten das Schiff. Seine unmittelbare Vernichtung steht bevor!« Hayes bewegte sich von seinem Platz weg auf Brooklyn zu. Er
hatte erkannt, daß der Order von falschen Voraussetzungen ausging. Er glaubte, Romeo und Julia befänden sich an Bord, und die Zeit, die Romeo benötigte, um Julia aus ihrem Block zu schmelzen, sei noch nicht abgelaufen. Ein Gedankenblitz durchzuckte Hayes. Das Funkgespräch verzögerte die Rettung Atlans und Palo Bows, aber wenn schon eine Verzögerung eintrat, dann mußte sie genutzt werden. Breckcrown Hayes trat vor und schob Brooklyn zur Seite. Er fixierte das Gesicht Deccons, dessen tiefliegende Augen sich sichtlich weiteten, als sie das von den SOL‐Würmern zerfressene Gesicht erblickten. Mit einem Handgriff schaltete sich Hayes über die bestehende Funkverbindung in das Interkomnetz der Rest‐SOL ein. »Hier spricht Breckcrown Hayes, der neue High Sideryt«, sagte er deutlich. »Der echte Chart Deccon ist tot, gestorben in Aufopferung für die SOL. Ich bin sein Nachfolger, was SENECA euch bestätigen wird, wenn ihr ihn fragt. Der Chart Deccon, der sich bei euch be …« Das Gesicht des Orders verschwand mit dem Bildschirmausschnitt. Er hatte den Kontakt unterbrochen. Fast gleichzeitig ging die Rest‐SOL in den Linearraum und tauchte unmittelbar neben der SZ‐2 auf. »Weg!« keuchte Bit. »Sie wollen uns vernichten!« Breckcrown Hayes preßte die rechte Hand auf einen Hebel, drückte ihn nach unten. In den aufflammenden Schutzschirmen verfingen sich die ersten Schüsse des Orders, dessen Reaktion deutlich erkennen ließ, daß er nicht bereit war, sich an der Nase herumführen zu lassen. Breckcrown verstand, daß der falsche Deccon noch immer erwartete, daß die SZ‐2 explodierte. Er schien plötzlich wieder daran zu denken und vergrößerte den Abstand zwischen den beiden Schiffen ein wenig. Noch immer brandeten die Energien gegen den Schutzschirm der SZ‐2 an, aber Hayes achtete nicht mehr darauf. In einem letzten Sprung führte er die SOL‐Zelle in die Nähe
Tauchers, um nach Atlan und Palo Bow Ausschau zu halten. Der Order folgte ihm auch jetzt, aber sein Abstand war größer. Hayes hielt Ausschau nach dem Leichten Kreuzer mit Palo Bow und Julia und auch nach Romeo und Atlan, die in Kürze hier eintreffen mußten. »Sie müssen hier irgendwo sein«, preßte der High Sideryt krampfhaft hervor. In diesem Augenblick schlugen alle Ortungsgeräte aus. Sie orteten eine gewaltige Energieerscheinung, die optisch als heller Lichtblitz über den Bildschirm zuckte und sich nur langsam verlief. Die Meßwerte zeigten eindeutig, daß hier Antimaterieprozesse abgelaufen waren. Die letzten Zweifel waren damit beseitigt. Romeo und Julia hatten sich gefunden und ihre Bombenteile miteinander vereinigt, ohne daß Atlan oder Palo Bow gewußt hatten, in welcher Gefahr sie schwebten. »Mein Gott«, schluchzte Sternfeuer, »es ist schrecklich.« Zuerst Chart Deccon, jetzt Atlan und Bow. Wo würde das alles noch hinführen? »Hast du nichts empfangen, keine Gedanken?« fragte Breckcrown Sternfeuer. Sie schüttelte stumm den Kopf. »Nichts«, sagte sie. »Die Gewalt der Implosion war zu stark.« Die Solaner senkten schweigend die Köpfe. Sie hatten den Kampf verloren. Der falsche Deccon hatte doch noch über sie triumphiert, wenn es ihm auch nicht gelungen war, die SZ‐2 zu vernichten. Warum hatte er die Solaner gewarnt? Hayes erhielt keine Zeit mehr, seine Gedanken weiterzudenken. Die Rest‐SOL setzte erneut nach und zwang sie wieder zur Flucht. Nicht einmal Nachforschungen nach Überlebenden konnten sie anstellen, solange der Order sich in der Nähe befand. Breckcrown fragte sich, was diese Ausgeburt des Bösen eigentlich mit der SOL beabsichtigte, daß er sich so verhielt. Es graute ihm vor so viel Unmenschlichkeit, und der Wille, dem Order endgültig das Handwerk zu legen, wurde noch stärker in ihm.
Der neue Linearsprung war vorläufig eine endgültige Flucht. Er führte die SZ‐2 über eine Entfernung von 1730 Lichtjahren an den Nordrand von All‐Mohandot. Hayes lenkte das Schiff in den Schutz einer Sonne vom Spektraltyp G, einem gelben Normalstern. Hier hoffte er, vor den Nachstellungen der Rest‐SOL vorläufig sicher zu sein. Sie brauchten Zeit, um die Ereignisse zu verdauen und einen Plan für ihr weiteres Handeln aufzustellen. Der High Sideryt straffte sich. »Nein, Order, wir werden nicht aufgeben«, sagte er. »Der Kampf geht weiter, und wir werden ihn gewinnen. Das verspreche ich dir.« Und er nannte die gelbe Normalsonne Hoffnung‐2. * Die Rest‐SOL erschien nicht in ihrer Nähe, aber das beseitigte die gedrückte Stimmung nicht. Alle spürten, daß sie eine große Niederlage gegen den mächtigen Feind hatten einstecken müssen, daß ihr Kampf, ihre Pläne alle umsonst gewesen waren. Der Order schien unüberwindlich zu sein, und Breckcrown Hayes fragte sich wiederholt, wie es ihm gelingen konnte, die Magniden und alle Solaner so zu beeinflussen, daß sie mit allen seinen Entscheidungen übereinstimmten. Oder war es anders? Hayes dachte an Breiskolls Schilderung, was dieser aus den Gedanken von Joscan Hellmut alles erfahren hatte. Es gab also noch ein paar aufrechte Kämpfer, die die Wahrheit kannten, aber sie waren von Order‐7 gefangengesetzt worden. Hellmut hatte nicht einmal gewußt, wie der Order ihm und Bora überhaupt auf die Spur gekommen war. Ein Geheimnis lag darüber, und der neue High Sideryt schrieb es übernatürlichen Kräften zu, ohne so recht daran zu glauben. Er wußte aus den Schilderungen von Bit und dem Galakto‐Genetiker Hage Nockemann genug, um sich die Zustände zusammenreimen zu können. Er war auch bereit, dem Order ein
paar zusätzliche Fähigkeiten zuzugestehen. Auf den richtigen Verdacht kam er jedoch nicht, und so blieb es in der SZ‐2 vorläufig unklar, was überhaupt noch unternommen werden konnte, um die Rest‐SOL zu befreien und sich vor den Nachstellungen des Orders zu schützen. »Wir schicken möglichst bald eine Space‐Jet aus«, verkündete Hayes. »Wenn feststeht, daß sich die SZ‐1 mit dem Mittelteil aus der unmittelbaren Nähe von Taucher zurückgezogen hat, werden wir versuchen, Atlan und Palo zu finden.« Bjo nickte Sternfeuer zu. Wenn die beiden noch leben, dachten sie. Und dann konnte Sternfeuer sie ausfindig machen, wenn sie ausgeruht und ihre Kräfte frisch waren. Hayes ließ die Ortungsanlagen im Passivbetrieb, es wurden nur eingehende Impulse aufgefangen und ausgewertet. Eigenimpulse zur Abtastung des Raumes wurden keine ausgesandt. Eine gute Stunde verging, danach eine zweite, ohne daß sich etwas rührte. »Wir könnten die Umgebung von Hoffnung‐2 erkunden«, schlug Lyta Kunduran vor. »Vielleicht finden wir etwas, das uns nützlich ist.« Hayes lehnte ab. »Nein«, sagte er, »noch ist die Gefahr nicht gebannt. Vielleicht ist die Rest‐SOL uns doch gefolgt und wartet nur darauf, daß wir uns verraten. Der Order wollte uns zwar vor der Vernichtung warnen, aber er hatte vor, die SZ‐2 zu zerstören. Das dürfen wir nicht vergessen. Er wird diesen Plan auch jetzt noch haben.« Ein leiser Summton ließ den High Sideryt zu den Anzeigen der Ortung schauen. Dort wurde ein Objekt angezeigt, das sich auf die gelbe Sonne zubewegte. »Ja«, fuhr Breckcrown fort, »ich habe es mir gedacht. Seht es euch an.« Zuerst war nur festzustellen, daß ein unbekanntes Objekt das System von Hoffnung‐2 tangierte. Nach etwa fünfzig Sekunden besaßen die Orter genug Refleximpulse, um zu erkennen, daß es ein
Schiff war, das relativ langsam an der gelben Sonne vorüberzog. »Wenn sie da drüben aufmerksam ihre Geräte beobachten, wissen sie, daß hier jemand ist«, sagte Bit schnell. »Wir sollten uns vorsehen.« Hayes entschied: »Die Anlagen bleiben vorerst abgeschaltet.« Kurz darauf hatte sich der Abstand zu dem fremden Flugobjekt so weit verringert, daß es auch auf den Bildschirmen sichtbar wurde. Lichtverstärkende Maßnahmen ließen es rasch deutlich werden. »Es ist tatsächlich die Rest‐SOL!« rief Bjo Breiskoll aus. »Wie hat sie uns nur gefunden?« Zweifellos war es die SOL, die am äußeren Rand des Systems entlangzog. Lyta Kunduran rechnete nach und sagte dann: »Wenn sie ihre Geschwindigkeit schon länger beibehalten hat, müßte sie eigentlich vor uns dagewesen sein. Oder haben wir übersehen, daß sich ein Schiff mit flammenden Triebwerken näherte und stetig verzögerte? Der Order fliegt doch nicht so langsam!« Hayes gab keine Antwort. Er achtete auch nicht auf die kleine Sanny, die sagte: »Mathematisch ist es völlig unmöglich, daß die Rest‐SOL aus dieser Richtung kommt!« Schweigend und betreten schauten sie auf die Ortungsskalen und den Bildschirm, wo das Schiff immer deutlicher wurde. »Es ist die SOL, einwandfrei«, erklärte jetzt der Katzer. »Seht ihr es nicht?« Die Finger des High Sideryt berührten ein paar Sensoren an den Schaltkonsolen. Das Abbild des Schiffes veränderte sich, wurde größer. Hayes hatte die Teleoptik und einen zusätzlichen Lichtverstärker eingeschaltet. Er musterte das Bild und erstarrte. »Nein!« ächzte er. Jetzt sahen sie alle, was er meinte. Ja, es war die SOL, die da an dem System der gelben Sonne vorbeizog und keine Notiz von der SZ‐2 nahm. Das Schiff tat, als gäbe es die SOL‐Zelle nicht. Die Solaner sahen auch den Grund. Jenes Schiff kannte keine
Notwendigkeit, sich nach einer fehlenden Zelle umzusehen. Es war vollständig. Die SOL, die sie auf dem Schirm hatten, bestand aus zwei Kugelzellen und dem Mittelteil. Und die Meßwerte, zeigten eindeutig, daß es die SOL war, kein anderes Schiff mit zufällig ähnlicher Form. Die SOL zog an ihnen vorbei und kümmerte sich nicht um sie, und sie sahen schweigend zu. Nur ab und zu war der Atem der Männer und Frauen zu hören, das plötzliche Ausstoßen von Luft, wenn sie sie unbewußt angehalten hatten. Die SOL zog weiter, und als sie längst aus ihrer Nähe und vom Bildschirm verschwunden war, standen die Solaner in der SZ‐2 noch immer wie gelähmt da und hatten Mühe, das Gesehene zu verarbeiten. Es war unmöglich, und doch hatte es sich ereignet, und die Solaner froren bei dem Gedanken daran, wer dieses Schiff steuerte. ENDE Für Atlan, der sich in der Gewalt des verrückten Roboters Romeo befindet, geht es einmal mehr um alles oder nichts. Er nimmt den Kampf gegen einen vielfach überlegenen Gegner auf – dabei ist seine ÜBERLEBENSCHANCE NULL … ÜBERLEBENSCHANCE NULL – so lautet auch der Titel des nächsten Atlan‐Bandes. Der Roman wurde von Falk‐Ingo Klee geschrieben.