Everett Jones
Die Ratten von Savannah Ronco Band Nr. 260/33
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Ja...
40 downloads
810 Views
817KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Everett Jones
Die Ratten von Savannah Ronco Band Nr. 260/33
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Muß in wenigen Tagen zweimal hintereinander Kopf und Kragen riskieren und ist dabei, als ein Schiff geentert wird. Usherstood, Grimes, DeVellers – Drei einflußreiche, geschätzte Gentlemen, die einen lichtscheuen Coup durchführen und dabei über Leichen gehen. Kapitän Patrick McNapp – Der Ire segelt das schnellste Schiff an der Ostküste und scheint für die lichtscheuen Geschäfte genau der richtige Mann zu sein. Jack Hennessy – Muß sterben, weil seine Uniform gebraucht wird.
Die Ratten von Savannah 15. Dezember 1880 Dieser Winter ist so hart, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Mannshohe Schneewehen versperren Lobo und mir den Weg. Wir reiten von Osten nach Westen durch New Mexico. Wenn ich schreibe, daß dieser Staat die Hölle ist, dann liegt das vermutlich nicht nur daran, daß hier die Sommer mörderisch und die Winter furchtbar sind, sondern auch daran, daß ich nicht gerade gute Erinnerungen an dieses Land habe und es am liebsten nie mehr betreten hätte. Wir befinden uns auf dem Weg nach Cow Spring, im äußersten Südwesten New Mexicos. Dort lebt der Senator des Staates, Vaud F. Wilson, einer meiner wenigen echten Freunde, der Mann, dem ich verdanke, daß ich nicht mehr gejagt und unschuldig angeklagt werde. Er hat mich, der Himmel mag wissen, wie, in Texas aufgespürt und mich telegraphisch aufgefordert, zu ihm zu kommen. Ich weiß nicht, was er will, ich weiß nur, daß ich jederzeit seinem Ruf Folge leisten würde, egal wohin, wenn es sein müßte, bis ans Ende der Welt. Ich weiß, was ich ihm verdanke, und ich werde das nie vergessen. Das war der Grund, weshalb ich meinen Schwur, New Mexico nicht mehr zu betreten, gebrochen habe. Ich werde bald bei ihm sein, und ich spüre schon jetzt, daß das, was er von mir will, positiv für mich sein wird. Wilson hat mir immer geholfen, selbst dann, wenn ich es nicht erwartet habe. Er hat mich nicht vergessen. Er ist ein guter Mann, dem das Wort Freundschaft nicht so leicht über die Lippen geht. Freunde habe ich weiß Gott wenig in meinem Leben gehabt, außer Lobo, der wie Wilson ein echter Freund ist. Fast meine ganze Jugend habe ich ohne einen richtigen Freund verbringen müssen. Das war manchmal hart. Besonders, wenn ich jemanden brauchte, mit dem ich hätte reden können. Ich hatte nur Shita, meinen Hund. Mit ihm konnte ich über alles reden. Aber er konnte mir nicht antworten, und so war ich eben doch sehr allein.
Auch während der Zeit des Bürgerkrieges, als ich als Kurier zu den Truppen General Shermans gehörte, den ganzen legendären Marsch durch Georgia erlebte und dabei unendlich viel Leid sah, so daß ich den Krieg in jeder Form hassen lernte. Er neigte sich, für jeden sichtbar, dem Ende zu, als wir in Fort McAllister am Atlantischen Ozean einmarschierten. Wir hatten nur noch ein Problem vor uns: die Hafenstadt Savannah. Ich ahnte nicht, daß ich dabei eine besondere Rolle würde spielen müssen … * Es war der 11. Dezember 1864, ein eiskalter Tag, an dem es nicht einmal am Mittag richtig hell geworden war. Schneewolken trieben in rascher Folge von der See landwärts. Aus der Ferne hallte manchmal Geschützdonner über das Land. Das Brausen der Meeresbrandung war weithin zu hören, obwohl der Ostwind nachgelassen hatte. Wir waren fünf und kauerten in einer Rinne, von der aus wir die Gegend vor uns beobachten konnten. Lichtflecken in der Ferne zeigten uns, daß dort Savannah lag, die Stadt, die noch in diesem Jahr genommen werden sollte. Deshalb waren wir unterwegs. Ich hatte einen Plan von General Sherman unter der Jacke, der zur »Fireball« gebracht werden sollte. Der Plan enthielt alle Einzelheiten des Eingreifens der Seestreitkräfte in den Sturm auf die Hafenstadt. Wir sollten diesen Plan in einem irgendwo am Strand bereitliegenden Ruderboot hinaus auf das Meer bringen. Shita, meinen treuen Bastard-Hund, hatte ich im Lager des Generals zurückgelassen. Seewasser und ein schwankender Kahn, das war nichts für ihn. Er konnte uns eher hinderlich sein. »Sieht einer was?« fragte der Bootsmann, der uns führte. »Irgendwo müssen doch Wachen der Konföderierten herumlungern, zum Teufel!« Ich strengte meine Augen zwar an, konnte in der Nacht außer den fernen Lichtern aber nichts erkennen. »Nein, ich sehe nichts«, erwiderte einer der Männer.
»He, du junger Schnösel, was ist mit dir?« schnauzte der Bootsmann mich an. »Du hast noch die besten Augen. Siehst du nichts da vor uns? Streng dich gefälligst mal an!« »Nein, ich sehe auch nichts«, erwiderte ich. »Nur die Lichter.« »Die Lichter von den Kneipen, was?« Der bärenhafte Bootsmann grinste mich jovial an. »Die sehe ich auch. Und ich sehe sogar den Rum in den Regalen. Siehst du auch den Rum, mein Junge?« Die Männer lachten leise. Einer sagte: »Eine Schande ist es, einen so jungen Burschen schon zu verheizen.« »Ich habe mich freiwillig als Zivilscout gemeldet«, erwiderte ich sofort. »Du solltest den verdammten Krieg hassen«, sagte der Bootsmann. »Früher, zur Hölle, sind wir um das Kap geschippert, nach Ceylon und nach Burma. Heute dümpeln wir eine Spuckweite vor der Mole herum und spielen für die Blockadebrecher den Klabautermann. Der Teufel soll mich holen, wenn das schön ist. He, seht ihr jetzt etwas?« »Verflucht, wir sehen nichts«, maulte einer der Männer. »Dann weiter, Leute. Und immer schön im Gänsemarsch hinter mir her, sonst setzt es was!« »Ich hasse den Krieg auch«, sagte ich. Der Bootsmann hatte sich schon abgewandt, blickte aber über die Schulter zurück. »Was redest du, du haßt den Krieg?« »Jeder haßt ihn.« »Und doch bist du hier?« »Wer weiß schon, was einen erwartet«, erwiderte ich. »Genau, die malen alles in rosa, wenn sie einen aufstöbern, den sie haben wollen. Kielholen sollte man diese Werberbande. Jeden Tag einmal kielholen, bis sie ein Hai vom Tau frißt. Aber die sind ja so zäh, daß die Haie halbverhungert sein müssen, wenn sie da 'rangehen. Nun gehen wir aber, mein Junge.« »Krieg ist Mist«, erklärte ich. »Du sagst es. Los, los, vorwärts!« bedrängte der bullige Bootsmann die anderen vor sich. Die Marinesoldaten schienen Angst zu haben, denn sie hielten sich weiterhin an die flache Rinne, die kaum noch Deckung zu bieten hatte.
Wir schlichen an ein paar blattlosen Hecken vorbei. Mancher Busch sah eher wie ein Gerippe aus. Hinter uns war in der Ferne noch das anhaltende Geschützfeuer zu hören, während vor uns das Brausen des Meeres deutlicher wurde. Plötzlich blieb der erste Soldat stehen und schlug sein Gewehr an. Die anderen prallten gegeneinander und fluchten leise. »Was ist los, Cranach?« fragte der Bootsmann. Ich zog mir die Jacke dichter um den Körper. Der Wind war stärker zu spüren als noch vor wenigen Minuten und pfiff mir durch Mark und Knochen. »Verdammt, was ist los?« fragte unser Anführer unterdrückt. »Bleiben wir nur zum Spaß stehen?« Cranach stieß ein Zischen aus. Wir krümmten uns automatisch zusammen und versuchten, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Aber da waren nur die nackten Büsche und die fernen Lichter der Stadt. Doch auf einmal sah ich etwas. Schemenhaft huschten Gestalten von einer Hecke zu einer anderen. »Da!« flüsterte ich. »Na also«, sagte der Seemann. »Ich wußte doch, daß mein Verstandskasten noch in Ordnung ist. Ein Spähtrupp, Bootsmann! Die haben uns schon bemerkt und wollen uns den Weg abschneiden.« Die schemenhaften Gestalten waren im Schutz einer Hecke verschwunden. »Wie viele waren es, Ronco?« Jolan Brash, der borstenhaarige Bootsmann, ließ sein Gewehr sinken. »Vier meine ich gesehen zu haben«, erwiderte ich. »Und du, Cranach?« »Denkst du, ich hätte die auch noch gezählt?« sagte der Seemann an der Spitze unseres kleinen Zuges. »Ich war heilfroh, überhaupt etwas zu erkennen.« »Er sagt, es wären vier, Cranach.« »Kann schon sein. Vielleicht hat er Augen wie ein Nachtfalke. Er ist auch nur halb so alt wie ich.« »Die kaufen wir uns«, erklärte der Bootsmann. »Behaltet den
Busch im Auge. Wenn sie auftauchen, dann nichts als draufhalten. Ist das klar, mein Junge?« »Klar, Bootsmann«, entgegnete ich. Der bullige Mann schaute mich an und grinste. »So ein Krieg ist 'ne scheußliche Sache, muß man wirklich sagen. Aber wer zuerst schießt, lebt am längsten. Deshalb niemals lange Fragen stellen. Draufhalten und abdrücken.« »Jetzt!« stieß Cranach hervor. Wir schossen alle gleichzeitig, repetierten die Gewehre und schossen wieder. Die Rebellen schafften es nicht mehr, den Busch zu verlassen oder erneut hinter ihm Deckung zu suchen. Nachdem wir jeder dreimal aus den Henrygewehren gefeuert hatten, wälzten sich die Soldaten in ihrem Blut und hauchten einer wie der andere ihr Leben aus. Wir standen in einer beißenden Rauchwolke, die uns in den Augen und Nasen brannte. Das Krachen war verhallt. In die Stille klangen der ferne Geschützdonner und das Rauschen des Meeres. »Na bitte, wer sagt es denn.« Brash spuckte auf den Boden. »Jetzt aber nichts wie weg, Leute!« Wir liefen weiter, verließen die Rinne endgültig, überquerten einen Deich und sahen das schimmernde Wasser vor uns. Feuchtigkeit erfüllte die Luft, als wären wir in eine Nebelwand geraten. Salziger Geschmack war plötzlich auf meinen Lippen. Ein Damm führte steil zum Ufer hinunter – einem langen, hellen Strand. Dicht neben dem Damm befand sich Buschwerk, ein Geflecht aus Weiden schützte es, aber das Wasser war so weit zurückgegangen, daß keine Welle mehr bis hierher lief. »Es ist schon Ebbe«, sagte Cranach. »Scheiße, jetzt müssen wir den Kahn weit schieben.« Wir liefen auf das dichte Buschwerk zu, und ich sah das Heck eines Rettungsbootes aus dem Dickicht ragen. Aber wir hatten die Büsche und das Weidengeflecht noch nicht erreicht, als es dort raschelte und das Geäst sich bewegte. »Bootsmann! Hier ist noch ein Haufen!« brüllte einer. »Die müssen uns gesehen haben, als wir landeten!« Schüsse fielen.
Der erste Seemann schrie auf, ließ sein Gewehr fallen und kippte in den Sand. »Verteilen!« befahl Bootsmann Brash. Ich hetzte zur linken Seite, um an den Flügel zu gelangen. Mein Gewehr entlud sich während des Laufes, und ein Konföderierter, der mit gezogenem Säbel auf mich zustürzte, fiel ins Gestrüpp und rührte sich nicht mehr. Die Konföderierten feuerten aus den Büschen. »Durchlöchert mir das Boot nicht!« rief Brash. Ich lief schießend weiter, brachte den vor dem Gestrüpp liegenden Säbel an mich und schlug damit nach dem nächsten Kerl, der mich anfiel. Es ging mir durch und durch, als sich die blitzende Schneide in den Leib des Soldaten bohrte. Doch ich hatte keine Wahl: er oder ich. Da es mir nicht gelang, den Säbel zurückzuziehen, weil der Mann stürzte, ließ ich den Säbel los und das Gewehr fallen und zog einen der Riemen aus dem Gestrüpp. Er hatte einen langen Holzschaft mit einem breiten Blatt. Ich schwang ihn in die Höhe und schmetterte ihn dem nächsten auf den Kopf. Der Soldat prallte auf die Bordwand des Rettungsbootes und fiel stöhnend auf den Rücken. Ich teilte mit dem Riemen noch einen Rundschlag aus, der Köpfe und Buschwerk traf, dann ließ ich ihn fallen und zog den Revolver. Wir waren alle darauf eingespielt, gnadenlos zu töten und so das eigene Leben vielleicht bis zum Ende des Krieges auszudehnen. Mein Revolver entlud sich, und abermals stürzte ein Rebell rücklings ins Geäst, aus dem er nie mehr aus eigener Kraft aufstehen würde. Auch die anderen um mich hatten bereits die Revolver gezogen und die leergeschossenen Gewehre hinter sich liegenlassen. Vor mir war keiner mehr, so daß ich schon glaubte, es wäre mal wieder ausgestanden. Aber da teilten sich neben mir die Büsche und eine Gestalt fiel mich an. Instinktiv sprang ich zurück. Vor mir zuckte ein Messer vorbei. Der Rebell wurde mitgerissen, und ich konnte ihm den Revolver in den Nacken schmettern. Der Konföderierte krachte auf das Rettungsboot, sprang fluchend wieder auf und mich an. Er hatte das Messer noch in der Hand und stieß es mir entgegen. Ich rettete mich durch einen Sprung seitwärts,
packte das vorschnellende Handgelenk und drehte es herum. Der Mann brüllte. Seine Finger öffneten sich. Zwischen uns fiel das Messer ins zusammengetretene Gestrüpp. Ich wandte mich um, krümmte mich zusammen und riß den Arm des anderen auf meine Schulter. Mit einer kraftvollen Bewegung schleuderte ich ihn über mich weg. Er brüllte furchtbar, als er durch die Luft flog und auf den Rücken knallte. Brash knallte ihn einfach ab wie einen tollen Hund. »Sie Schwein«, sagte ich. »Nur keine Gefühlsduseleien«, erwiderte der Bootsmann, der gar nicht beleidigt schien. »Das können wir uns nicht leisten, mein Junge.« Mir war speiübel, aber ich durfte es mir unter diesen hartgesottenen Seeleuten nicht anmerken lassen. Unsere Gegner waren tot. Lemmon hatte es auch erwischt. Er war Segelmacher auf der »Fireball« gewesen und würde vielleicht schmerzlicher und länger vermißt werden als mancher andere. Die Leichen wurden von dem versteckten Rettungsboot weggeschoben, wir sammelten unsere Waffen ein und stemmten uns gegen den Holzkahn, um ihn über den Strand zu schieben. Der Kiel des Bootes hinterließ eine Rinne im nassen Sand. Der Ebbstrom hatte das Wasser um bereits mehr als zwei Yards fallen lassen, und so mußten wir weit über den Sand hinaus, den schimmernden Wellen entgegen. In Ufernähe überschlugen sich die Dünungswellen. Jedesmal, wenn eine Woge brach, bildete sich ein weißer Wellenkamm, der einem Phosphorstreifen glich. Das Wasser lief uns entgegen, färbte den Uferstreifen dunkel und verschwand wieder in der See, die im Flachwasser zu kochen schien. Endlich hatten wir das Beiboot der »Fireball« im Wasser. »Schieben, mein Junge, schieben«, befahl der Bootsmann. Die ersten beiden Seeleute waren bereits an Bord gesprungen. Brash und ich schoben das Rettungsboot in die Wogen, die es aushoben und zurückwerfen wollten. Die beiden Seeleute hatten zwei Riemen in die breiten Duchten geschoben und tauchten die Blätter ein. Brash und ich stemmten uns gegen das Bootsheck. Die Welle lief unter dem Kiel durch und durchnäßte mich bis über die Knie. Das Wasser war wie Eis, aber mir fehlte die Zeit, mich darum zu
kümmern. Das Boot neigte sich mit dem Bug ins Wellental und rauschte mit dem ablaufenden Wasser davon. »Springen!« rief Brash. Ich hielt mich am Bord des Achterstevens fest und warf mich über die Bordwand. Kopfüber landete ich in dem Boot, das eben wieder ausgehoben wurde. Um uns rauschte und tobte das Meer. Brash stand breitbeinig vor den pullenden Seeleuten und herrschte sie an, weil sie nicht schnell genug ruderten. Ich hangelte mich herum, setzte mich auf die Ruderbank und griff nach der Pinne. Die beiden Seeleute pullten nach den Kommandos, die der Bootsmann gab. Tatsächlich entfernten wir uns allmählich vom flachen Strand. Je tiefer die See unter uns wurde, desto mehr beruhigten sich die Wellen. Nachdem wir uns fünfzig Yards entfernt hatten, lagen die Schaumkämme der brechenden Wogen hinter uns. Das Meer ging in langer Dünung auf und nieder und hatte krumme Buckel auf den Höhen. Ich hielt die Pinne und steuerte so, daß wir die Wellen schräg angingen und ohne Wasser überzunehmen weiter hinaus schwammen. Als ich hinter unser Boot schaute, war der Uferstreifen mit dem Deich dahinter schon nicht mehr zu erkennen. Da ich alles andere als ein Seemann war, hatte ich ein eigenartiges Gefühl. Ein wenig kam ich mir wie schwebend vor. Und natürlich fürchtete ich diese unendlichen Wassermassen, dieses große Unheimliche, das mit zerstörerischer Wucht auf die Küsten prallt und in einer Nacht vernichten kann, was Menschenhand in Jahrzehnten schaffte. Brash duckte sich, während ich nach dem Schiff Ausschau hielt, zu dem wir zu gelangen hofften. »Halt!« befahl der Bootsmann leise. Da sah ich es ebenfalls. * Wie aus dem Nichts schob sich ein schemenhaftes Gebilde von
Norden auftauchend vor uns heran. Es war ein Wachboot der Konföderierten, das in Ufernähe patrouillierte. »Verdammter Mist«, murmelte Cranach, der eine Seemann. Sie pullten nicht mehr. Wir hatten alle vier die Köpfe eingezogen und hofften, von dem Wachboot aus nicht bemerkt zu werden. Es war unsere einzige Chance, da wir gegen dieses Dampfboot im Kampf nichts ausrichten konnten. »Wenn die uns entdecken, landen wir totsicher bei den Fischen«, raunte der Bootsmann mir zu. »Da gibt es keinen Pardon, mein Junge. Bete für uns!« Das Dampfboot war ein Eisenschiff neuester Konstruktion und mit Geschützen armiert. Der eigentliche Rumpf ragte nur zwei Fuß hoch aus dem Wasser, wurde von einem yardbreiten Waschbord mit kleiner Reling abgelöst und ging dann in einen schräg zur Mitte verlaufenden Aufbau über, der zwei Yards oberhalb des Waschbords eine Spitze über dem Wachboot bildete. Auf diesen mit Panzerplatten gesicherten Aufbau aufschlagende Granaten wurden mit Sicherheit wie Querschläger abgelenkt. Das Boot hatte in der Mitte einen kurzen Schornstein, geschlossene Luken und Niedergänge. Niemand war an Deck zu sehen. Unter einer schwarzen Rauchwolke dampfte der Bewacher langsam näher zur Küste, bis er schließlich genau vor uns, scheinbar zum Greifen nahe, vorbeischwamm. Ich erkannte ein paar Sehschlitze in der schrägen Bordwand und am achterlichen Mast die Flagge der Konföderierten. Es war ein überaus häßliches Schiff. Unser Boot wurde von der Dünung wieder seewärts getrieben, so daß wir uns von dem Wachboot allmählich entfernten. Der Rauch des Schornsteins trieb uns entgegen, wurde aber vom Ostwind zerrissen. Unsere Blicke folgten dem Schiff, das nun schon hin und wieder bis auf den Schornstein in einem Wellental untertauchte. Endlich richtete sich der Bootsmann wieder zu seiner imposanten Größe auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »War verdammt knapp, was?« fragte Cranach, dessen Stimme noch kratzig war. »Knapp?« fragte Brash verächtlich. »Die müssen Tomaten auf den
Augen haben, daß sie uns nicht sahen!« Die Nacht verschluckte das Dampfschiff südlich von uns. Die Männer tauchten die Riemen ein und pullten weiter. Bald lag die im Wasser unsichtbare Route hinter uns, auf der die Küstenwachtboote patrouillierten. Die Dünung ging höher, war aber weiter auseinandergezogen. Es war eine sich ständig wiederholende Berg- und Talfahrt. Auch der Wind war weiter weg vom Ufer stärker und kälter. Von den Kämmen aus sah ich die Meereshügellandschaft um uns. Irgendwo voraus mußten wir bald auf die »Fireball« stoßen. Die Blockadeschiffe hatten die Aufgabe, kein fremdes Schiff nach Savannah einlaufen und von dort keins auslauten zu lassen. Nur so konnte verhindert werden, daß neuer Nachschub an Proviant und Waffen in die eingeschlossene Stadt gelangte und den Kampf um diesen Küstenstreifen Georgias verlängerte. Hilfsgüter für die Konföderierten konnten von überall herangetragen werden, denn die Rebellen hatten noch Goldschätze. Und für Gold gab es Waren in den Fabriken Europas – mitunter in denselben Fabriken, die auch der Union manches lieferten, was diese nicht mehr in genügender Menge selbst herzustellen vermochte. Weil Gold und Geld nicht stinken, deshalb war das so. Und weil man das im Generalstab der Union genausogut wie anderswo wußte, deshalb lauerten unsere Schiffe da draußen in der Nacht auf die Segler, die mit der Ostbrise vielleicht versuchen würden, noch vor dem Tagesanbruch den Hafen zu erreichen. Das Leuchtfeuer von Savannah war inzwischen in unser Blickfeld geraten. Zuckende Lichtblitze wurden weit über das Meer geschleudert, um den sicheren Weg zu weisen. »Hier müßte die ›Fireball‹ stehen«, murmelte der Bootsmann und schaute sich um. Die Seeleute hörten mit dem Pullen auf. Ich richtete mich auf und schaute nach Süden, weil ich dort etwas zu erkennen meinte. Von einer Wellenhöhe aus sah ich dann auch ein weißes Schimmern und deutete darauf, »Dort!« Ein paar Sekunden strengten die anderen sich an. »Hol's der Teufel«, sagte Brash dann und blickte mich anerkennend an. »Du hast wirklich Augen wie ein Luchs, mein
Junge. Ja, das ist sie!« Die beiden Männer pullten wieder. Ich legte Ruder, und wir steuerten quer zu den auflandigen Wellen dem hellen Schimmern entgegen. Es dauerte nur drei Minuten, dann konnten wir die Dreimastbark deutlich erkennen. Sie lag beigedreht und hatte außer den beiden Vorsegeln nur das Besansegel gesetzt. »Boot an Backbord!« meldete sich die Stimme des Ausgucks. Gesichter tauchten am Schanzkleid der Backbordseite auf. »Boot, Parole!« rief eine Donnerstimme durch ein Megaphon. Brash, der Bootsmann, formte die Hände am Mund zu einem Trichter und brüllte: »Shermanscout!« »Aye, aye, Bootsmann, könnt anlegen!« schallte es zurück. Von Bord der »Fireball« wurde eine Jacobsleiter hinuntergelassen, auf die wir zuhielten. Ich war völlig unkundig im Anlegen, aber Brash dachte offenbar nicht im Traum daran, mir zu helfen. So steuerte ich nach reinem Gefühl im spitzen Winkel mit dem Bug auf die Bordwand der »Fireball« zu, die Riemen wurden eingenommen, und erst dann legte ich Hartruder. Zu meiner eigenen Überraschung schwoiten wir an die Backbordseite der Dreimastbark heran. Brash hatte schon nach der Jacobsleiter gegriffen und kletterte hoch. »Mir nach, mein Junge!« rief er zu mir herunter, ohne innezuhalten. »Übrigens, als Rudergänger bist du gar nicht so schlecht!« Ich war mit Treppen und Stiegen vertraut, auch wenn sie noch so wurmstichig sein sollten. Aber die schwankende Jacobsleiter, also eine Strickleiter, stellte mich vor eine völlig neue Aufgabe. Da jedoch mehr als ein Dutzend Augen hinunterglotzten, griff ich beherzt zu und kletterte hinter dem Bootsmann her. Das Beiboot unter uns wurde klargemacht, um es an Deck zu hieven. Rechts über mir sah ich, wie die Bootsdavits ausgeschwenkt wurden – Kräne, mit denen auf solchen Schiffen Beiboote ausgesetzt und wieder an Deck geholt werden können. »Wo ist Kapitän Peterson?« fragte der Bootsmann, dem ich auf den Fersen blieb. Ein Seemann winkte Brash und lief vor uns her. Für mich gab es
eine ganze Menge Neues zu sehen, so daß ich bis zum Achterschiff hinter dem Bootsmann zurückblieb. Am Schanzkleid lotete ein Mann mit mehrfarbig markierter Leine ständig die Tiefe und meldete sie nach achtern. Zwei Offiziere spähten durch Teleskopfernrohre auf See hinaus. Am festgezurrten Ruder stand ein Rudergänger. Auch in den Rahen konnte ich schemenhafte Gestalten bei den aufgegeiten Segeln sehen. Das Schiff schien in Alarmbereitschaft zu liegen, wartend wie ein Luchs in der Nacht an der Fährte des Wildes, das er zu erledigen trachtete. »Deck!« rief der Ausguck oben im Großmars. Brash war herumgefahren. Alles starrte zu dem Ausguck hoch. »Segel an Backbord, zwei Strich achterlicher als dwars!« meldete der Ausguck. Die Männer mit den Teleskopfernrohren suchten das Meer in der angegebenen Richtung ab. Auf dem Achterdeck erschien eine hünenhafte, hellblonde Gestalt mit einem gewaltigen, ebenfalls blonden Bart. Es mußte der Kapitän sein, wie ich an der goldbetreßten Uniform erkannte. Der Mann trug einen Degen und einen Revolver hinter dem Gürtel. Darüber hatte er einen offenstehenden, doppelreihigen Mantel mit goldenen Streifen und Sternen an den Ärmeln. »Jetzt sehe ich es auch«, sagte der eine Offizier mit dem Rohr. »Sir, der Scout von General Sherman!« meldete der Bootsmann, der sich erneut umgewandt hatte und Haltung annahm. »Später!« »Aye, aye, Sir!« Ich war ans Schanzkleid des Schiffes getreten und spähte über die See. Doch es gelang mir nicht, etwas zu erkennen. Noch lag die »Fireball« beigedreht im Wind, ein scheinbar ruhiges, sich träge in der Dünung bewegendes Segelschiff. »Viermast-Vollschiff, Sir!« meldete der Ausguck, »Kurs Südsüdwest!« »Nationalität?« fragte der Kapitän, der nach Namen und Aussehen ein gebürtiger Schwede zu sein schien und dem man das Kommando über das gesamte Geschwader der Blockadeschiffe anvertraut hatte. Allerdings befand sich zur Zeit kein einziges Schwesterschiff der
»Fireball« in der Nähe. »Franzose, Sir!« meldete der Ausguck. »Klar zum Setzen aller Segel!« schallte die Stimme des Kapitäns über das Schiff. »Alle Mann an Deck! Schiff gefechtsklar machen!« Plötzlich entstand emsiges Leben um mich herum. An den drei Masten der Bark wurden die Segel gesetzt. Von den Rahen enterten die Seeleute wieselflink herunter. Geschütze schoben ihre Rohre über die Bordwände. »Holt dicht die Segel auf halben Wind!« befahl die tiefe Stimme des Kapitäns. »Ruder drei Strich Steuerbord!« Der Rudergänger wirbelte das große Doppelrad herum, und die Schoten der gesetzten Segel wurden dichtgeholt. Quer zum Wind rollte die »Fireball« über die Dünung, am Achterstag des Besanmastes wurde die Flagge der Union aufgezogen. Der Bootsmann tauchte neben mir auf und rief: »Los, mein Junge, gleich gibt es Zunder! Unsere Gewehre müssen noch im Beiboot liegen!« Ich lief dem bulligen Bootsmann nach und holte mein Gewehr aus dem Beiboot, das jetzt festgezurrt in den Bootsklampen ruhte. »Ein Strich Steuerbord!« rief der Kapitän über das Schiff. Granaten wurden aus einem Niedergang gemannt und zu den Geschützen auf der Decksebene gebracht. Ich lief zum Schanzkleid zurück und sah das Vollschiff jetzt in seiner ganzen Pracht vor dem Horizont, der etwas heller war. Irgendwie erinnerte mich das Meer an die Wüsten im Westen, von denen die Traumbilder meiner Kindheit geprägt waren. Es wurde auch hier in der Weite nie richtig dunkel. Immer schien ein helles Schimmern zu bleiben, selbst an einem so trostlosen, verhangenen Dezembertag wie diesem. Der Franzose hatte an allen Masten Vollzeug gesetzt und lief mit äußerster Fahrt dem drei Seemeilen entfernten Leuchtfeuer von Savannah entgegen. An einem Punkt eine Meile nördlich unserer Position mußten wir theoretisch mit ihm zusammenstoßen. Es war klar, daß er uns indessen auch gesehen haben mußte. Aber vielleicht glaubten die Männer da drüben, uns entweder in Grund und Boden rammen oder durch eine Kurskorrektur davonsegeln zu
können. »Hier ist ein Enterhaken«, sagte Cranach, der auf einmal neben mir stand. Ich schaute auf das langstielige Gebilde von einem Haken, der eine um einhundertachtzig Grad gekrümmte Spitze hatte, über der sich eine zweite Spitze wie ein Dolch befand. »Was soll ich denn damit?« »Den Franzmann heranzerren, wenn er neben uns liegt, mein Junge«, erklärte Cranach. »Und einem Gegner den Schädel einschlagen oder aufspießen, wenn er dir zu nahe tritt. Je nachdem.« Cranach grinste freundlich. »Wird das Schiff geentert?« fragte ich. »Was dachtest du denn?« »Ich kenn mich hier nicht aus«, sagte ich unbehaglich. »Bist in einen ziemlichen Hexenkessel geraten.« Cranach spuckte über das Schanzkleid. »Aber das geht vorüber. Du weißt ja: Drauf halten ist das halbe Leben!« Das Loten war auf der »Fireball« eingestellt worden. Statt dessen wurde mit einem außenbords geworfenen Log unsere Geschwindigkeit gemessen und in Knoten dem Kapitän zugerufen. An dem anderen Schiff wurde der Name durch das Fernrohr von der Bordwand abgelesen und dem Kapitän gemeldet. »Lausanne« hieß das Vollschiff aus Frankreich. Es lief immer noch mit voller Fahrt dem Punkt entgegen, an dem der Zusammenstoß stattfinden mußte. Eine Meile trennte uns. Da, ein fernes Krachen und eine Pulverrauchwolke, die zu den Rahsegeln des Franzosen aufstieg. Die Granate schlug zwei Kabellängen vor der »Fireball« ins Wasser. Wir liefen über einen Wellenberg. Die »Fireball« holte stark über, als wir vom Kamm abwärts rauschten und der Klipperbug sich tief in die See bohrte. Grünes Wasser schwappte über den Steven und lief auf den Decksplanken entlang. Doch die »Fireball« hob sich wieder empor, glitt quer aus dem Wellental und hatte den Franzosen an Backbord voraus im Visier der Geschütze. Kapitän Peterson gab den Befehl, eine Salve abzufeuern, was mit erheblichem Krach und einem Zittern vor sich ging, bei dem ich
meinte, unser Schiff würde sich in seine Bestandteile auflösen. Eine Granate schlug vor dem Vollschiff ein und warf eine Wasserfontäne in die Luft. Eine andere traf den Großmast über dem Großsegel und knickte ihn ab. Die Wanten fielen zusammen und folgten dem Mast, der mit fünf Rahsegeln ins Meer stürzte, von den Wanten und Schoten festgehalten wurde und die Fahrt der »Lausanne« erheblich abbremste. Es sah auch aus, als liefe sie aus dem Ruder, denn sie schwoite auf einem Wellenkamm mit dem Bug nach Norden und zeigte uns die volle Breitseite. »Feuer!« rief der Kapitän. Wieder donnerten die Geschütze, und die langen Rohre zuckten über die geschmierten Lafetten. In Feuer und Rauch gehüllt erzitterte unsere Bark und tauchte in die anrollende See. Rund um den Franzosen schlugen die Granaten ein. Feuer stach auf seinem Vorschiff in die Höhe und erhellte gespenstisch die nächtliche Szene des Seegefechts. Der im Wasser hängende Großmast behinderte die »Lausanne« so sehr, daß sie praktisch steuerlos war und mit dem Bug immer mehr in unsere Richtung drehte. Seeleute waren damit beschäftigt, die Wanten des Großmastes zu kappen, um den hinderlichen Ballast loszuwerden. Die Kanonen des Franzosen spien Tod und Verderben aus. Ich hörte das Pfeifen und Orgeln und ging mit Cranach und den anderen Männern hinter dem Schanzkleid in Deckung. »Das wird eine heiße Nacht bei der Kälte!« rief Cranach mir zu. »Abfallen!« kommandierte unser Kapitän. »Ein Strich abfallen!« Der Rudergänger griff in die Speichen des Doppelrades. Die »Fireball« ging etwas weiter auf Westkurs und lief unter rauem Wind. Dabei näherten wir uns dem Franzosen immer noch, nun aber wieder in einem spitzeren Winkel, der so schnell nicht kleiner wurde. Mehr als eine halbe Meile trennte uns noch von dem Vollschiff, als für uns das Kommando zum Feuern kam. Ich wollte schießen, merkte aber, daß ich mein Gewehr noch nicht geladen hatte. Cranach fluchte neben mir, weil ihm das gleiche Malheur unterlaufen war. Hastig luden wir die Waffen. Rechts und links von uns schossen die Seeleute auf das feindliche Schiff.
Unsere »Fireball« war noch weiter abgefallen, und die beiden Schiffe segelten auf gleichem Kurs, wir allerdings zwei Kabellängen vor dem Franzosen. »Anluven!« befahl Peterson, unser Kapitän, nach einigen Minuten heftigen Schießens. »Drei Strich Steuerbord! Schneidet ihm den Weg ab!« Heiseres Gebrüll erfüllte das Schiff. Wir schossen, was das Zeug hielt. Cranach hatte schon den Revolver gezogen und ballerte wild damit herum. Seine Kugeln konnten die »Lausanne« nicht erreichen. So nahe waren wir noch nicht heran. Auf meiner anderen Seite fluchte ein Seemann und prallte gegen das Schanzkleid. Er ließ sein über die Bordwand hängendes Gewehr ins Wasser fallen und brach zusammen. Ein anderer Mann wurde aus den Wanten geschossen und stürzte schreiend ins Meer. Eine Welle prallte gegen unsere Bordwand. Gischt spritzte zischend in die Höhe. Eine Granate heulte orgelnd über uns weg, zerfetzte das Besansegel und flog mit dem Tuch ins Wasser. Ich lud das Henrygewehr nach und schoß wieder zu dem Franzosen hinüber. »Fertigmachen zum Entern!« tönte Petersons Kommando. Cranach stellte das Gewehr ab und spuckte in die Hände, bevor er zum Enterhaken griff. »Faß mal mit an, der liegt uns im Weg, Kamerad!« rief mir auf der anderen Seite jemand zu. Ich wandte mich um und sah einen Seemann, der sich über den Toten beugte und ihn herumzog, so daß die Beine auf mich zeigten. Ich stellte die Waffe ab, packte die steifen Beine und hob sie an. »Hau ruck!« befahl der Seemann. Wir warfen den Toten über Bord. Es war die formloseste Beerdigung, die ich bis dahin erlebt hatte. Aber in dem Getümmel, dem Geschrei und jenem anhaltenden Pfeifen und Orgeln der Kugeln und Granaten dachte ich mir dabei absolut nichts. Ein Geschoß aus einem Gewehr streifte mich am Arm und ließ mich zusammenzucken. Der andere Seemann stand schon mit dem Enterhaken bereit.
Die »Fireball« hatte Kurs auf den Franzosen genommen. Die Geschütze entluden sich. Aus nächster Nähe trafen nun die Geschosse den schlecht bestückten Feind, dem vermutlich nur hilfsweise die beiden Kanonen mitgegeben worden waren, mit denen er sich mehr schlecht als recht verteidigte. Es war ein Kauffahrteischiff, das uns in keiner Weise gewachsen schien. Da man die Wanten und Stagen des Großmastes noch nicht hatte kappen können, war es dem Vollschiff nach wie vor nicht gelungen, seinen Kurs zu ändern und uns davonlaufen zu können. Wir waren schon so dicht an den Gegner heran, daß ich die Gesichter der Männer zu erkennen meinte. Aber da die »Lausanne« die Trikolore noch nicht gestrichen hatte und die beiden Kanonen auch noch einmal donnern ließ, konnte sie auch die erhitzten Gemüter auf unserer Seite kaum beruhigen. Die Granaten pfiffen hoch über Deck durch die Takelage und nahmen eine Rah mit. »Ruder hart Backbord!« befahl Kapitän Peterson. »Herunter mit den Segeln!« Die »Fireball« schwoite herum und wurde vom Rest der im Schiff befindlichen Fahrt an den Franzosen getragen. Unsere Steuerbordseite schrammte an seiner Backbordseite entlang. Wir krallten die Enterhaken um seine Relingstützen. Leinen flogen über Poller und Klampen. Das Holz bog sich und krachte. Segeltuch rauschte herunter. Mit Gebrüll und Messern, Äxten und Revolvern in den Händen sprangen unsere Männer schon hinüber, schossen in die zurückweichende Mauer der Gegner und schlugen mit den Äxten wie Dakotas auf dem Kriegspfad zu. Ich ließ den Enterhaken los, stieg auf das Schanzkleid und sprang auf die »Lausanne« hinüber. Eine Sekunde schwebte ich über einem gurgelnden, zwischen den Schiffen tosenden Abgrund, dann trat mein Stiefel auf die Reling des Vollschiffes, und ich gelangte mit einem zweiten Satz auf die Planken. Mein Revolver zuckte im Rückstoß und krachte. Rauch stieg mir ins Gesicht. Ein Franzose krümmte sich vor mir getroffen zusammen und stürzte zu Boden. Hinter uns belegten Seeleute die Leinen an Bord der »Fireball«, um die »Lausanne« sicher an der Seite der Bark zu halten. Die
Bordwände der auf und nieder gehenden Schiffe scheuerten laut aneinander, Farbe platzte ab, die groben Kupfernieten raspelten das Holz aus den Bordwänden. Der bärenhafte Bootsmann tauchte mit lautem Gebrüll neben mir auf und spaltete einem Franzosen den Schädel. Ich selbst schoß mir den Weg bis zur anderen Seite frei, ohne zu wissen, was ich dort wollte. Als wir jedoch dann mehr als ein Dutzend Männer auf dieser Seite waren und mehr als zwanzig Mann der gegnerischen Besatzung ausgelöscht hatten, ergab sich der Rest. Die feindlichen Seeleute wurden wie Vieh in der Mitte des Vollschiffes zusammengetrieben. Sie hatten ihre Waffen weggeworfen und stießen sie mit den Füßen in unsere Richtung, als wollten sie damit augenfälliger als durch die erhobenen Hände Friedfertigkeit demonstrieren. Kapitän Peterson stand mit blutigem Säbel in der Hand unter uns. Den schweren Mantel hatte er abgeworfen. »Wer hat das Kommando an Bord der ›Lausanne‹?« fragte er. Die Männer mit den erhobenen Händen schauten nach achtern. Inzwischen waren ein paar von unseren Leuten in den Wanten aufgeentert und bargen die noch stehenden Segel. Kapitän Peterson schickte seinen ersten Offizier auf die »Fireball« zurück und ließ durch ihn die Stagsegel wieder setzen und Kurs auf das offene Meer nehmen. Wir waren zu nahe an Savannah herangeraten und mußten die Küstenwachschiffe des Feindes fürchten, die mit ihren Dampfmaschinen jede beliebige Richtung einschlagen und so auch gegen Wind und Wellen fahren konnten. Ein wenig wunderte es mich, daß die häßlichen Schiffe mit den schrägen Panzerplatten noch nicht in Sicht waren. Der französische Kapitän hatte sich noch immer nicht blicken lassen. »Also, wer hat das Kommando?« fragte Peterson noch einmal. Auf unserem Schiff wanderten die Stagsegel in die Höhe, und die Bordwand an Bordwand verbundenen Gegner drehten ab und liefen mit der etwas auffrischenden Brise nach Süden. Noch ein paar Minuten, dann würden die Küstenwachschiffe uns nicht mehr finden, zumal auch das Feuer auf dem Vorschiff des Franzosen gelöscht
worden war. »Hat er sich irgendwo versteckt, der Kerl?« fragte Peterson. Er stieß einen Franzosen mit der Spitze seines blutigen Degens an. Der Mann wurde bleich und zitterte. »Er ist … ist in der Messe«, stotterte er. Peterson zog den Degen zurück. »Na also. Warum nicht gleich so. Bootsmann, lassen Sie diesen Hasenfuß holen!« Brash lachte polternd und versetzte mir einen Stoß in den Rücken, daß ich um Haaresbreite bis zu den Franzosen vor uns gestolpert wäre. »Dann mal los. Cranach, du kommst auch mit. Ich wette, da gibt's sogar noch was zu lachen!« * In der Messe der Offiziere verbreiteten zwei brennende Petroleumlampen trübes Licht. Der französische Kapitän war ein dicker, rotbackiger Mann, der unter einem Tisch kauerte. Das Licht verriet ihn jedoch, weil es sich funkelnd auf seiner reichlich goldbetreßten Uniform brach. Brash winkte uns. Cranach und ich ergriffen den Tisch und hoben ihn aus. Der dicke Franzose kauerte sozusagen im Freien, und eine Lampe hing nun direkt über ihm. Es war eine merkwürdige Gestalt mit einer weißblonden Zopfperücke und einem Hemd, dessen Kragen und Ärmel so sehr mit Rüschen benäht waren, daß Hals und Hände fast darunter verschwanden. »Hallo«, sagte Brash freundlich. Da sich der Franzose nicht rührte, trat Cranach ihm gegen die Schulter. Der Mann fiel rückwärts um, seine Beine schwangen in die Luft, und die Perücke fiel ihm vom Kopf. Es sah so komisch aus, daß selbst ich darüber lachen mußte. Ich tat das nicht gern, da ich mir vorstellen konnte, wie der dicke Mann sich fühlte. Mit diesen rauhen Burschen von der »Fireball« würde er noch manches erleben, bevor feststand, was endgültig mit ihm geschehen würde. Die formvollendeten Sitten, mit denen man manchem hochgestellten
Gegner an Land begegnete, gab es hier allem Anschein nach nicht. »Kapitän Peterson, Commodore der Blockadeschiffe der US-Navy bittet Sie an Deck zu steigen, Sir«, sagte Brash mit höhnisch verzogenem Gesicht. »Wir haben nur Lebensmittel, Kleidung und Medikamente aus Frankreich an Bord!« jammerte der Mann, der ohne die weißblonde Zopfperücke älter und weniger Ehrfurcht gebietend aussah. »Also, dann helft ihm mal, wenn er sich nicht allein auf die Beine stellen kann!« befahl der Bootsmann. Wir zogen den Franzosen hoch und schleiften ihn aus der Messe. Er versuchte sich mehrmals halbherzig mit lahmen Bewegungen zu befreien, hatte aber damit keinen Erfolg bei uns. Kapitän Peterson stand mit den Fäusten in die Hüften gestemmt zwischen zwei Seeleuten, die Fackeln in die Höhe hielten. Der Flammenschein beleuchtete das hagere Gesicht des Commodore und warf Schatten über das Deck und die zusammengepferchten Gefangenen, die mit Säbeln, Revolvern und Enterhaken bedroht wurden. »Sir, wir haben nur Lebensmittel, Kleidung, Decken und Medikamente in den Laderäumen!« rief der Franzose, als wir ihn vor Peterson losließen. Der große Schwede Peterson lächelte den Franzosen freundlich an. »Keine Waffen?« »Keine Waffen, Sir!« jammerte der französische Kapitän. »Und kein Pulver?« »Beim Leben meiner Großmutter, kein Pulver. Wir reisen im Auftrag einer internationalen Handelsgesellschaft mit Sitz in Bordeaux. Ich kann die Ladung nicht aussuchen, Sir.« Peterson lächelte immer noch freundlich. »Sie gestatten sicher, daß meine Leute nachsehen, ob Ihre Angaben stimmen?« »Es ist nur Kleidung und …« »Ja, Sie sagten es schon«, unterbrach unser Kapitän den Franzosen etwas schroffer. Er gab Brash durch ein Handzeichen die nötigen Anweisungen, und schon waren wir erneut unterwegs. Cranach und ich holten die beiden brennenden Petroleumlampen aus der Offiziersmesse und folgten Brash über den Niedergang in
den Laderaum. Ich sah, wie sich hinter einem Stapel Säcken, in denen sich Ballastsand befinden mußte, etwas bewegte. Jäh blieb ich stehen und zog den Revolver. »Verdammt, hier hat sich noch niemand umgesehen«, sagte Cranach. »He, steckt da noch wer?« Eine Gestalt sprang hinter den Sandsäcken auf und schleuderte ein Messer in unsere Richtung. Während ich mich instinktiv duckte und das Messer mit blitzender Klinge wirbelnd über mich wegflog, feuerte ich auf den Mann und traf ihn in die Brust. Er taumelte röchelnd zurück, prallte gegen die Bordwand und stürzte zu Boden. »Ist noch jemand hier?« fragte Brash. »Wer jetzt nicht vortritt, wird zweimal erschossen!« Zwei, drei, vier abenteuerlich aussehende Gestalten tauchten hinter Kisten und Fässern auf, warfen ihre Waffen weg und hoben die Hände. Ich winkte mit dem Revolver zur Treppe, hob die Lampe etwas an und trat zur Seite. »Achtung, Deck, es kommen noch ein paar Nachzügler!« rief Brash. »Sir, ich könnte noch ein paar Mann gebrauchen, falls hier unten noch mehr Ratten in ihren Löchern stecken!« Kaum waren die vier Franzosen den Niedergang hinauf, erschienen weitere Männer der »Fireball« bei uns. Wir durchsuchten den Laderaum und fanden zunächst wirklich nur Decken, Mäntel, Hosen und Hemden und im Bugraum Mehlfässer, Fettblöcke und anderes. Brash schüttelte den Kopf und blickte durch den langen Raum, den unsere Lampen nicht ausleuchten konnten. »Da stimmt doch was nicht«, maulte der Bootsmann unzufrieden. »Ich zieh die Hosen doch nicht mit der Zange an. Cranach, gibt es das, daß einer wegen dem Kram über den Ozean fährt?« »Nur schwer vorstellbar«, erwiderte der Mann mit der zweiten Petroleumlampe, der noch hinter großen Bündeln herumsuchte. Am anderen Ende des Laderaumes zogen zwei Seeleute einen Mann aus einer Ecke und beförderten ihn mit Schlägen und Tritten
zum Niedergang. »Ich las mal, daß so ein Vollschiff mehr als sieben Yards Tiefgang hätte?« sagte ich freundlich. Brash wandte sich langsam um und starrte mich an. Cranach schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Das muß uns das Jüngelchen erst sagen!« platzte Brash heraus. »Natürlich, der Kasten hat noch einen Laderaum darunter. Los, Leute, die Luke suchen! Irgendwo ist eine Luke!« Wir suchten den Boden ab, fanden aber nichts. Erst nachdem wir die dicken Kleiderballen bis an die Wand gerückt hatten, wurde eine gut eingepaßte Falltür sichtbar. Ich griff nach dem Eisenring, der ins Holz eingelassen war, zog daran, und die Klappe öffnete sich. Unter uns klaffte ein finsterer Raum. Das Lampenlicht irrte auf eine Stiege, die hinunter in die Dunkelheit führte. »Na, dann laßt uns mal weitersuchen«, sagte Brash zufrieden. »Gut nachgedacht, mein Junge. Hätte der alte Brash eigentlich wissen müssen, dieser Esel!« Ich kletterte hinunter in den unteren Raum und sah neue Bündel, Kisten und Fässer. Cranach stellte die Lampe ab und schnitt die Ballen mit dem Messer auf. Gewehre fielen scheppernd auf den Boden. Ein Pulverfaß kollerte vor meine Füße. »Achtung, Lampe weg!« befahl Brash. »Sonst fliegt uns der ganze Kram um die Ohren!« Als wir wieder an Deck kamen und der Bootsmann eins der gefundenen Gewehre dem französischen Kapitän vor die Füße warf, wurde der weiß im Gesicht und kriegte wäßrige Augen. Ich bemerkte das Leuchtfeuer von Savannah ein ganzes Stück im Nordwesten von uns. Wir entfernten uns mit langsamer Fahrt weiter, und die Gefahr, von den Küstenwachbooten noch gefunden zu werden, wurde immer geringer. »Was machen wir mit dem Kerl?« fragte Peterson. »Aufhängen!« rief ein Seemann der »Fireball«. Der Franzose zog den Kopf ein. Ein Tampen wurde über eine Rah geworfen, und die Schlinge pendelte dem zitternden Mann vor der Nase.
Kapitän Peterson trat zurück. Seine Leute schnappten den Franzosen, der zu schreien begann und sich wehren wollte. Eine leere, große Kiste wurde unter die pendelnde Schlinge geschoben und der schreiende, zappelnde Mann daraufgestellt. Zwei Seeleute stiegen zu ihm, banden ihm die Hände auf den Rücken, legten ihm die Schlinge über den Kopf und zogen sie zusammen. Sie sprangen hinunter und stießen die Kiste unter dem Gebrüll der anderen um. Der Strangulierte ächzte und strampelte noch, bis eine Kugel in den Nacken seine Qualen beendete. Mir war speiübel. Ich schleppte mich zur Reling und übergab mich ins Wasser. »Hier herrschen rauhe Sitten«, sagte Cranach, der mit der Lampe bei mir auftauchte. »Aber daran gewöhnt man sich mit der Zeit.« »Was wird mit den anderen Gefangenen?« »Die werden wir in den unteren Laderaum sperren, sobald der geräumt ist.« * Eine halbe Stunde später waren wir wieder an Bord der »Fireball«. Die »Lausanne« wurde nach wie vor an der Seite geschleppt. Das Leuchtfeuer von Savannah war zu einem weit entfernten Lichtpunkt geworden, der auf dem Meer zu liegen schien. Die langen Lichtstrahlen zuckten nur noch schwach zu uns heraus. Die Männer des Franzosenschiffes hatten den unteren Laderaum ausräumen müssen und waren dort eingesperrt worden. Kapitän Peterson wollte bei Tagesanbruch weit draußen sein und hoffte, auf eins seiner anderen Schiffe zu stoßen, dem er die wertvolle Schleppfracht übergeben konnte. Noch bevor ich meine Kuriernachricht loswerden konnte, sahen wir im Nordosten Geschützfeuer und hörten das Donnern über das Meer schallen. Gespenstisches Licht flammte auf und erhellte Segel. Zwei Schiffe waren dort aneinandergeraten und beschossen sich. Als Feuer ausbrach, erkannten wir trotz der Entfernung von rund vier Seemeilen, daß offenbar ein Schiff versucht hatte, den Blockadering der Union zu durchbrechen.
Auf einmal tönte eine furchtbare Explosion, und auf dem einen Schiff barst etwas in einer Feuerlohe auseinander. Ich erkannte, daß es sich um einen Segler handelte, dem zusätzlich eine Dampfmaschine eingebaut worden war, so daß er gegen den Wind fahrend in dieser Nacht direkt nach Osten zu steuern vermochte. Ein Geschoß unseres Blockadeschiffes hatte den Dampfkessel zerfetzt. Im Feuerschein war eine Dampfwolke wie eine Nebelwand zu erkennen, in der das Schiff für eine Weile völlig verschwand. Der Angreifer lag unter gerefften Segeln an der Grenze zwischen Feuerschein und Dunkelheit und beschoß den bereits mit Schlagseite treibenden Maschinensegler, von dem Menschen ins Wasser sprangen. Obwohl die »Fireball« bereits mit Eifer erneut gefechtsklar gemacht wurde und alle Segel gesetzt wurden, hatten wir kaum eine Chance, noch eingreifen zu können. Der Wind stand zu sehr gegen uns, als daß die »Fireball« hoch genug hätte herangehen können. Wir vermochten den Schauplatz des Kampfes also nicht direkt anzulaufen. Außerdem sank das Schiff bereits und leistete in seiner hoffnungslosen Lage keinen Widerstand mehr. Im Feuerschein war zu erkennen, wie sich der Bug mehr und mehr in den Himmel stellte und das Achterschiff tiefer in die Wellenberge sank, bis es ganz verschwand und das Feuer im Eintauchen zischend verglühte. »Es war die ›Spirit of Texas‹, Sir«, meldete ein Ausguck. »Das ist ein schwarzer Tag für die Konföderierten.« »Eine schwarze Nacht«, verbesserte unser Kapitän und grinste. Er wandte sich am Schanzkleid stehend mir zu, und ich gab ihm den zusammengerollten und versiegelten Plan. Nachdem Peterson ihn angesehen hatte, schaute er mich an. »Es ist der Angriffsplan auf Savannah, der nach Meinung General Shermans ohne die Seestreitkräfte nicht siegreich beendet werden kann«, erklärte ich. Kapitän Peterson nickte. »Wann?« »Noch vor Weihnachten, Sir. Den genauen Zeitpunkt teilt General Sherman Ihnen mit, sobald dieser feststeht.«
»Gut«, erwiderte Peterson und blickte wieder auf den Plan. »Ich werde die verschiedenen Positionen am fraglichen Tage mit meinem Geschwader besetzt haben, und unsere Kanonen werden sich auf die angegebenen, strategischen Punkte richten. Melden Sie General Sherman, daß wir jederzeit einsatzbereit sind und die Seepositionen innerhalb von wenigen Stunden einnehmen können.« »Ja, Sir.« Peterson schaute zu dem Leuchtfeuer in der Ferne. »Sobald wir die ›Lausanne‹ los sind, setzen wir Sie in Landnähe ins Beiboot. Bootsmann Brash bringt Sie wieder hinüber.« »Danke, Sir.« Inzwischen waren wir näher an die Untergangsstelle der »Spirit of Texas« herangekommen. Mit abblendbaren Petroleumscheinwerfern tauschten die beiden US-Schiffe Lichtsignale aus. Auf dem Wasser trieben Fässer, Kisten, Segel und Balken von dem gesunkenen Schiff. Unsere Männer fischten auf, was immer sie ergattern konnten, öffneten, an Deck gehievt, die Fässer und Kästen und durchsuchten alles. Auch Papiere wurden gefunden, die man an Ort und Stelle sichtete. Kapitän Peterson ließ die Segel bergen, als wir die »Rebell Mark I«, das Schwesterschiff der »Fireball«, querab hatten. »Sir, eine wichtige Meldung!« brüllte Bootsmann Brash, der mit einem Brief winkte, der aus einem blechbeschlagenen Kasten genommen worden war. Peterson las das Schreiben, hob mehrmals den Kopf und schaute mich an. Schließlich steckte er das Schreiben in den aufgerissenen Umschlag und reichte ihn mir. Ich blickte ihn verblüfft an. »Das wird General Sherman sehr interessieren, Ronco. Es ist die Kopie eines Schreibens, das von einem Staatssekretär des Kriegsministeriums der Konföderierten stammt.« »An einen gewissen Patrick McNapp«, erläuterte Brash. »Das ist ein irischer Feuerteufel von einem Kapitän, dem ich schon in einer Kneipe begegnet bin. Er befehligt einen Viermast-Schoner. Die ›Big Red Mary‹.« »Wer kennt diesen Blockadebrecher nicht«, sagte Peterson mit flammenden Augen. »Den würden wir zu gern in Grund und Boden
bohren, wenn er uns nur einmal vor die Rohre käme.« »Er soll, nach dem Brief zu urteilen, bei den Bahamas kreuzen«, erklärte Brash weiter. »Und was steht noch in dem Brief?« fragte ich. »Die ›Big Red Mary‹ soll auf schnellstem Wege nach Savannah segeln«, sagte Brash, nachdem Kapitän Peterson ihm zugenickt hatte. »Um eine wertvolle Landung abzuholen, die aber nicht näher erklärt wird. Und ferner wollen drei Männer mit ihr fahren. Dieser Staatssekretär, der Chef der Stadtbank von Savannah und ein Sklavenhändler, den die Behörden der Union fieberhaft suchen und auf dessen Kopf ein Steckbrief erlassen wurde. Und damit diese Fracht die Blockade auch durchbrechen kann, sollen einhundert Kriegsgefangene aus dem Gefängnis in Savannah auf das Schiff gebracht werden und die Reise mitmachen.« Ich blickte zur »Rebell Mark I« hinüber, die ebenfalls die Segel geborgen hatte. Während die Schiffe mit geringem Seitenabstand in den Wellen trieben, verständigten sich die Besatzungen durch laute Rufe. Die »Fireball« mit der auf der anderen Seite geschleppten »Lausanne« näherte sich dabei langsam dem Schwesterschiff. Leinen waren bereits mehrmals geworfen worden, um eine Verbindung herzustellen, jedoch waren die Enden stets ins Wasser gefallen. »Der Brief ist vermutlich in mindestens einem Dutzend Kopien unterwegs, damit er uns mit Sicherheit in die Hände fällt«, erklärte der Kapitän. »Warum?« fragte Brash. »Damit wir wissen, was geschieht, wenn wir die ›Big Red Mary‹ auf dem Wege von Savannah nach Osten angreifen. Wir sollen uns darüber im klaren sein, daß bei einer Versenkung einhundert Unionssoldaten mit Ladung und Rebellen ein kühles Grab finden werden.« »Diese Schweine!« stieß der Bootsmann hervor. »Bringen Sie General Sherman diesen Brief, Ronco! Soll er sich etwas einfallen lassen. Falls wir die ›Big Red Mary‹ auf dem Wege nach Savannah sehen sollten, langt sie vielleicht nie dort an. Aber der Schoner ist verteufelt schnell und kann mit seinen riesigen Gaffelsegeln so hoch an den Wind gehen, daß wir keine Chance
haben, ihm auf solchen Kursen zu folgen. Das ist ein eklatanter Nachteil der guten alten Windjammer. Aber vielleicht erwischt die ›Big Red Mary‹ auf dem Weg nach Savannah keinen Wind, der von vorlicher als querab weht. Dann kriegt sie Zunder!« »Und was ist es für eine wertvolle Ladung?« fragte ich. »Vermutlich der Staatsschatz, auf den die Union Anspruch erhebt.« Brash zuckte mit den Schultern. »Gold. Eine größere Menge Gold, was sonst!« »Aber wenn die Briefe abgefangen werden, wird der Kapitän der ›Big Red Mary‹ den Auftrag nie erhalten.« Ich blickte Peterson fragend an. Der große Schwede mit dem blonden Vollbart lächelte freundlich. »Ich sagte doch, es werden ein Dutzend oder noch mehr Kopien sein, die auf ebenso vielen Schiffen befördert werden. Mindestens einen wird der Satansbraten McNapp schon erhalten. Wir setzen Sie so schnell wir können an Land.« * Ich lag lang ausgestreckt auf einem Feldbett in einem kalten Zelt. Shita, mein Hund, hatte es sich neben mir bequem gemacht, wärmte mich einseitig und leckte über meine Hand. Ich war schon seit ein paar Minuten wach und schaute die schmutzige Plane über mir an. Noch fragte ich mich, ob die Erlebnisse der vergangenen Nacht Wahrheit oder nur ein Traum waren. Doch es hatte sich alles so abgespielt. Im Morgengrauen war ich unbemerkt von den Küstenwachbooten der Konföderierten an Land gesetzt worden und hatte auf Schleichwegen das Hauptquartier General Shermans vor Fort Allister kurz nach Sonnenaufgang erreicht. Der Wind war völlig eingeschlafen, aber es war sehr kalt. Schneewolken waren aufgezogen, verdeckten die Sonne, entluden sich aber noch nicht. Manchmal schossen die Kanonen auf das Fort, das beharrlich Widerstand leistete. Granaten schlugen mitunter nicht weit entfernt ein und explodierten. Vereinzelt hörte ich die Schreie der Getroffenen.
Der abgefangene Brief von der versenkten »Spirit of Texas« hatte bei Sherman wie eine Bombe eingeschlagen und eine hektische Aktivität ausgelöst, so daß ich mich rasch hatte verdrücken können. Doch mehr als zwei Stunden Schlaf hatte ich kaum gefunden, mehrmals unterbrochen von den nahen Granateinschlägen. So lag ich nun mit bleischweren Gliedern auf dem knarrenden Feldbett und hätte sehr gern noch ein paar Stunden geschlafen. Doch noch mehr als die ständige Gefahr der Granateinschläge beschäftigten mich die Erlebnisse der Nacht und hielten mich wach. Plötzlich sprang Shita auf und kläffte. Ich schaute auf die Eingangsplane, die sich bewegte. Der Hund stand mit gespannten Sprunggelenken auf dem Bett. Ein Corporal trat ein, blieb aber stehen, weil der Hund die Zähne zeigte. Ich setzte mich auf. »Zum Adjutanten«, sagte der Corporal. »Bin gleich da.« Der Soldat wandte sich ab und verschwand. Shita leckte sich mit der Zunge über die Zähne und sah aus, als wäre ihm ein saftiger Braten entgangen. »Sei doch nicht so gierig auf die Soldaten«, sagte ich und kraulte ihm das struppige Fell. * Zu dieser Stunde saßen drei feingekleidete Herren im Büro von Ashton Grimes, dem Chef der Stadtbank Savannah. Es waren Grimes, der Bankier selbst, Henry DeVellers, der gesuchte Sklavenhändler, und Staatssekretär Abraham Usherstood aus dem Kriegsministerium der Konföderierten. Usherstood war ein untersetzter, glatzköpfiger Mann von seltener Häßlichkeit. Er war nach Savannah abkommandiert worden, um für den im Anmarsch befindlichen Staatsschatz eine neue Sendung Waffen und Munition zu beschaffen. DeVellers, der Sklavenhändler, wartete mit den beiden anderen auf das Eintreffen seiner Sklavenkolonne, die, von einer Handvoll
Aufsehern begleitet, auf Schleichwegen den Schatz nach Savannah bringen sollte. Grimes schließlich hatte den Schatz in seinem Tresor zu verwahren, bis der Kauf perfekt gemacht werden konnte. Alle drei gedachten allerdings, sich gemeinsam mit dem Gold abzusetzen und außerhalb Amerikas damit ein schönes Leben zu führen. Ihre Frauen hatten die drei feinen Gentlemen selbstverständlich nicht verständigt, da sie deren Schwatzhaftigkeit fürchteten. Mitnehmen wollten sie die Ladys natürlich auch nicht. DeVellers war ein großer, bulliger Kerl, dem der Kopf scheinbar ohne Hals direkt zwischen den massigen Schultern saß. Er rauchte eine dicke Zigarre und sagte: »Die Sklavenkarawane wird in den nächsten Tagen hier eintreffen.« »Ist es denn sicher, daß man durch die Linien von Shermans Truppen noch hindurchgelangt?« fragte Grimes, der Bankier, besorgt. »Die Unionstruppen sind nicht so zahlreich, daß sie überall sein können«, erklärte Staatssekretär Abraham Usherstood. »Man muß ihre Spähtrupps fürchten und sie haben gewisse Abschnitte vor Savannah auch vermint. Aber ich bin sicher, daß Mister DeVellers Leute das schaffen werden.« »Und ob die das schaffen!« Der Sklavenhändler paffte so heftig, daß alle drei Männer, die um den großen Schreibtisch saßen, in der Rauchwolke verschwanden. »Die ›Spirit of Texas‹ wurde letzte Nacht versenkt, das hörten Sie wohl bereits.« Usherstood schaute die beiden anderen an. »Wir hatten auch ihr einen der fraglichen Briefe an Kapitän McNapp mitgegeben. Und zwar in einem schwimmfähigen Kasten, der mit verlötetem Weißblech ausgeschlagen ist. Ich hoffe, General Sherman hat somit bereits erfahren, daß mit uns einhundert seiner gefangenen Soldaten die Reise übers Meer antreten werden.« »Und Sie sind sicher, die Yankees lassen uns auch durch?« fragte der Bankier. »Aber mein lieber Grimes, die Yankees werden doch nicht ihre eigenen Leute zu den Fischen schicken. Das besorgen wir. Wenn wir durch die Blockade durch sind und die Kerle nicht mehr brauchen.«
DeVellers paffte heftig und lachte polternd. Grimes holte Portwein aus einem Schrank, stellte drei Kristallgläser auf den großen Schreibtisch und schenkte den Wein ein. Er verkorkte die Flasche, stellte sie ab und nahm eins der Gläser. Auch die beiden anderen griffen zu. Alle drei grinsten teuflisch. »Auf ein gutes Gelingen«, sagte Usherstood. Klirrend stießen die Gläser zusammen. * Zwei Männer in Zivil standen mit Gewehren in den Händen am Saum eines Waldes. Hinter ihnen scharrten gesattelte Pferde den Boden auf und schnaubten leise. Aus dem Gestrüpp im Westen war ein Reiter aufgetaucht, der sein Pferd zügelte und sich umschaute. Er trug eine Konföderiertenuniform mit Hut und hatte eine Kuriertasche umhängen. »Na endlich«, sagte der eine Mann und repetierte sein Gewehr. »Sie nehmen immer diesen Weg, wenn sie nach Fort Allister oder nach Savannah wollen«, murmelte der andere, der ebenfalls das Gewehr repetierte. Sie duckten sich etwas, um nicht bemerkt zu werden und warteten. Bald trieb der Kurier der Konföderierten sein Pferd wieder an. »Nun beeil dich doch ein bißchen, wenn du weißt, wie langsam du bist«, sagte der eine, hob sein Gewehr und visierte den Reiter über den Lauf hinweg an. »Es gefällt mir nicht, ihn einfach wie einen Hasen abzuknallen«, sagte der andere gereizt. »Was einem gefällt und was nicht, danach wird in einem Krieg nie gefragt, Owen. Los, ziele auf ihn!« Owen legte widerstrebend sein Gewehr an und zielte ebenfalls auf den arglosen Kurier, dessen Pferd nun in Galopp gefallen war und das Opfer rasch näher herantrug. »Wenn ich das Kommando gebe, wird geschossen, Owen. Ist das klar?« »Ist klar, Jack.«
»In Ordnung. Hast du ihn im Visier?« »Ja.« »Dann bei drei. Eins – zwei – drei!« Krachend entluden sich die beiden Gewehre. Der Kurier warf die Arme in die Luft und stürzte vom Pferd. Das Tier schnaubte, galoppierte in einem Bogen nach rechts und blieb bockend stehen. »Na also, wer sagt es denn.« Jack richtete sich auf, ließ das Gewehr sinken und blickte auf die reglose Gestalt. »Hast du daran gedacht, daß seine Uniform kein Loch kriegen soll?« »Ich habe versucht, an gar nichts zu denken, aber ich habe dabei auf seinen Kopf gezielt.« Jack grinste breit und spuckte auf den froststarren Boden. »Mehr hat doch auch kein Mensch von dir verlangt, Owen. Du bist schon richtig, mein Freund. Gehen wir.« Sie zogen die Pferde aus dem Wald und näherten sich dem gestürzten Kurier. Der Mann hatte die Arme ausgebreitet, als wollte er sich noch im Tode ergeben. Zwei häßliche Löcher klafften in seiner Stirn. »Schießen können wir, das ist wirklich eine Pracht«, sagte Jack. »Wir sind doch extra dafür ausgebildet worden, andere maßgerecht zu töten«, erwiderte Owen angewidert von dem, was seine Aufgabe war und er nicht ändern konnte, solange dieser mörderische Bruderkrieg noch anhielt. Jack begann den Toten bereits zu durchsuchen, nahm ihm die Ledertasche ab und öffnete sie. »Eine Meldung für Savannah. Na wunderbar. Wird Shermans Adjutanten freuen.« Jack faltete die Meldung auf und überflog sie. »Ist aber nichts weiter. Die Stadt soll unter allen Umständen gehalten werden, bis Entsatz eintrifft. Und ein Schiff aus Frankreich würde Waffen und Munition bringen, außerdem Lebensmittel, Decken und so weiter. Mann, das ist ja noch der Informationsstand von vorgestern. Der Franzose wird längst von Unionssoldaten entladen. Na ja, macht wohl nichts.« Er faltete die Meldung zusammen und steckte sie in die Tasche. Bei seiner weiteren Suche fand er auch eine Legitimation des Kuriers, die auf den Namen Jack Hennessy lautete. »Auch noch ein Namensvetter von mir.« Jack schüttelte den Kopf.
»Was man heutzutage alles erlebt.« Owen hatte inzwischen das Pferd des Toten geholt. Sie warfen die Leiche quer über den Sattel und gingen mit ihren Tieren am Zügel zum Wald zurück. Zwischen den Bäumen hob Owen ein Grab aus, während Jack die Leiche entkleidete. Jack hielt die Jacke des Toten hoch und sagte: »Der Anzug müßte Ronco wie maßgeschneidert passen, wie?« »Kann sein«, erwiderte Owen einsilbig. Er kniete auf dem kalten Boden und mühte sich mit der harten Erde ab. »Wenn es noch ein paar Grad kälter wäre, kriegte man kein Loch hinein, weißt du das?« »Dann hätten wir die Leiche verbrennen müssen. Weg muß sie, damit es keine Panne gibt.« Jack half dem anderen mit seinem Messer. Als das Loch tief genug war, legten sie den toten Kurier hinein und schoben Erde darüber. Owen klopfte die Erde mit der Rückseite des Spatens fest, als es die Höhe des umliegenden Bodens erreicht hatte. Dann schoben sie Erde nach und traten darauf herum. Jack knickte Äste von Büschen und warf sie auf das Grab, bis sie einigermaßen sicher sein konnten, daß niemand das Grab entdecken würde. »Bleibt nur noch zu hoffen, daß die Leute vom Stab in Savannah keine Ahnung haben, wer Jack Hennessy ist«, sagte Jack. Sie stiegen auf ihre Pferde, nahmen das Tier des Toten mit und ritten am Saum des Waldes entlang. Jack durchsuchte noch einmal die Tasche und sagte, als er sie verschloß: »Der sollte auch nach Fort Allister. Paßt ja großartig. Dann kann Ronco so tun, als wäre es ihm wirklich gelungen, ins Fort hinein und wieder heraus zu gelangen.« * Ich lag wieder auf der Pritsche und schaute zur Decke des Zeltes. Shita lief herum, stieß mich mitunter mit der Schnauze an, ging zum Ausgang und schaute zurück. Er schien des Faulenzens überdrüssig zu sein und wollte mich animieren, etwas zu unternehmen. Aber ich war immer noch müde. Das ungewohnte Schaukeln des Schiffes schien noch anzuhalten. Zudem hatte mir der Adjutant von
General Sherman eröffnet, welche Aufgabe auf mich wartete. Ich sollte versuchen, nach Savannah zu gelangen. Man wollte mich als Kurier der Konföderierten tarnen. Daß man inzwischen für diesen Zweck bereits einen Kurier getötet hatte, wußte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber daß es so laufen sollte, konnte ich mir denken. Shita sprang auf mein Lager. »Nun gib doch Ruhe!« Ich zwang ihn, sich zu legen und kraulte ihm das struppige Fell, was er mit einem Gähnen quittierte. In Savannah sollte ich mich möglichst unauffällig umschauen und Einzelheiten über den Plan jener Männer in Erfahrung bringen, die sich und das Gold der Staatsreserve mit der »Big Red Mary« in Sicherheit bringen wollten und zu ihrem Schutz einhundert Kriegsgefangene mitzunehmen gedachten. Ein Mittelsmann sollte mir folgen, Kontakt mit mir aufnehmen und hier bei General Sherman Meldung erstatten. Ferner Geschützdonner hallte in das Zelt. Shita sprang auf, ließ ein paar Sekunden die Ohren spielen und gähnte dann erneut, bevor er sich wieder niederlegte. * Im Dickicht hinter einer Bodenfalte lagerten zu dieser Zeit noch weit von Savannah entfernt dreißig Negersklaven, die von drei weißen Aufsehern in Lederkleidung bewacht wurden. Die Wächter trugen Revolver in tiefgeschnallten Halftern und hatten Peitschen an Schlingen an den Handgelenken hängen. Im Gegensatz zu den Sklaven verfügten die Wachen auch über Pferde und Gewehre. Zwei weitere Weiße standen auf dem Hügel und spähten nach Osten. Das Land vor ihnen war wegen der vielen Bodenwellen und Büsche ziemlich unübersichtlich. »Sieht nicht so aus, als wären die Yankees überall«, sagte der junge Kid Strong, dessen brutales Aussehen von der Kälte in seinen Augen ganz besonders unterstrichen wurde. Rip Carr, der untersetzte Anführer der Truppe, nickte. »So ein großes Gebiet kann man nicht ständig kontrollieren. Das können
auch nicht die zahlenmäßig starken Yankees. Aber man hat mir gesagt, wir sollten aufpassen, nicht auf Landminen zu treten. Sie werden eingegraben, Kid. Und sie haben einen Tretzünder, den du praktisch nicht siehst. Er kann noch unter der Erdschicht sein. Wenn du auf den drauftrittst, fliegst du in die Luft.« Kids Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen zusammengezogen, während er weiterhin das Gelände im Osten beobachtete. »Und du meinst, solche Minen könnten hier vor uns liegen?« »Ja, das meine ich.« Rip Carr nickte und schaute hinter sich. Außer Wynn Ross, den sie auch Dandy nannten, trugen alle Aufseher wie Rip Lederkleidung. Wynn Ross hingegen hatte einen langen, schwarzen Mantel angezogen und einen Zylinder auf dem Kopf. Obwohl sie ihn Dandy nannten, sah er eher wie eine Vogelscheuche aus. »Und was tun wir dagegen?« fragte Kid Strong. »Wir können doch nicht einfach auf Verdacht weitermarschieren. Noch nicht mal ein Pferd wird man dazu bringen können, vor uns herzulaufen. Es würde stehenbleiben, ausbrechen – was weiß ich, was so einem Gaul alles einfällt.« »Wer redet von einem Pferd?« Rip grinste tückisch und schaute wieder über die Schulter. Auch Kid blickte sich um. Die Negersklaven hockten auf den Kisten, die sie tragen mußten. In ihnen befand sich das Gold, wovon sie allerdings keine Ahnung hatten. Niemand war so verrückt gewesen, ihnen zu sagen, was sie tragen sollten. Es waren fünf Kisten weniger als Neger, so daß immer ein paar Träger abgelöst werden konnten. »Du meinst …« Kid brach ab und schaute Rip Carr fragend an. »Natürlich. Wir haben dreißig, benötigen aber genau genommen nur fünfundzwanzig. Fünf können also hops gehen, ohne daß auch nur einer fehlen würde.« »Und was sagt unser Boß, DeVellers, wenn fünf verkäufliche Objekte bei der Ankunft in Savannah fehlen?« »Der Inhalt in den Kisten dürfte ihn über den kleinen Verlust hinwegtrösten. Gehen wir!« Sie liefen den Hügel hinunter. Die anderen Aufseher gesellten sich
zu ihnen. »Und, wie sieht es aus?« fragte Wynn Ross. Er rückte nervös an seinem speckigen Zylinder. »Keine Sau zu sehen«, erwiderte Kid Strong. Rip Carr erklärte mit leiser Stimme, was er hinsichtlich der Landminen vermutete. »Im Osten ist Wald zu sehen«, setzte Kid hinzu. »Ein Sumpfgebiet. Ich kenne es. Wenn dort Minen liegen, könntest du den Boden wahrscheinlich Handbreit um Handbreit absuchen, ohne sie zu entdecken.« »Wir sortieren fünf aus, die nebeneinander vor uns hergehen«, sagte Rip Carr. »Ohne Kisten! Dandy, los, sortiere fünf aus.« Wynn Ross ging zu den Negern, die in ihrer viel zu dünnen Kleidung erbärmlich frieren mußten. Es war noch immer kalt. Schneewolken verdeckten die Sonne, die bereits westlich der Kolonne stehen mußte. Ross nannte fünf Namen und zeigte auf fünf Sklaven, die sich auch aus dem Kreis erhoben. Er erklärte, daß sie vorausgehen sollten, ohne dafür einen Grund zu nennen. Als ihn einer wissen wollte, näherte sich Rip Carr den Negern. »Hast du nicht gehört, daß ihr vorausgehen sollt?« fragte Carr scharf. Er packte die Peitsche und hob sie ein wenig an, um seine Drohung zu unterstreichen. »Wir debattieren nicht, verstanden? Und damit ihr es gleich wißt: Ich habe euch die Freiheit versprochen, wenn wir am Ziel angelangt sind. Das gilt nur, wenn ihr euch strikt an alle Anweisungen haltet. Also los, wir müssen weiter.« Die Aufseher schwangen sich auf ihre Pferde. Die Neger erhoben sich und wuchteten sich die Kisten auf die Schultern. Die fünf genannten Sklaven gingen ohne Lasten vor den anderen her und erklommen die Hügelkuppe. Rechts und links der Karawane ritten die Aufseher, bis sie jenseits des Hügels waren und das gefährliche Gebiet für erreicht hielten. Rip Carr und der junge Kid Strong folgten jetzt den fünf Vorausläufern vor den Trägern, die anderen drei Aufseher schlossen sich am Schluß dem Zug an. Hin und wieder ließ einer die Peitsche knallen und schimpfte auf die Schwarzen, die ein faules, nichtsnutziges Pack wären, so daß sie die Freiheit eigentlich nicht
verdienten, die man ihnen versprochen hätte. Dabei fiel kein Wort davon, daß weder die Aufseher noch ihr Boß in Savannah auch nur im Traum daran dachten, einen Sklaven freizulassen. Hinter ihnen blieb der Hügel zurück. Im Osten, hinter den Bodenwellen, sahen sie den Wald allmählich näherrücken. Aber noch bevor sie die nächste Bodenwelle erreichten, zuckte eine Stichflamme unter dem Fuß eines Negers auf und schoß wie ein Fanal in die Höhe. In das Krachen der Explosion schrie der Sklave. Die Mine zerfetzte ihm die Beine und jagte Splitter in seinen Körper. Er lag auf dem Boden und wand sich sekundenlang von wahnsinnigen Schmerzen gepeinigt, bevor ihn der Tod ereilte. Die Kolonne war ins Stocken geraten. Rip Carr saß vorgebeugt auf seinem Pferd. Kid Strong hatte instinktiv den Revolver aus der Halfter gezerrt und den Hammer gespannt. Die vier Neger vor den beiden Reitern blickten zurück. Eine Rauchwolke, die mit Staub vermischt war, hüllte sie alle ein. »Was ist denn?« schrie Kid und feuerte über die Köpfe der Sklaven weg. »Los, weiter!« Rip Carr knallte mit der Peitsche, wagte sich aber nicht zu dicht an die Sklaven heran, um nicht mit dem Pferd auf einer anderen Mine zu landen. »Die Freiheit kostet was!« schrie Kid. »Das ist der Teufel in der Erde, der die schlechtesten von euch aussortiert!« Die Angst vor den gnadenlosen Antreibern war bei den Schwarzen größer als die vor dem Tod, den sie noch nicht begriffen, weil sie mit so etwas nie konfrontiert worden waren. Rip Carr und der junge Kid Strong ritten noch vorsichtiger als vorher hinter ihren Opfern her. »Weiter, ihr müden Bastarde!« schimpfte Wynn Ross und ließ seine Peitsche knallen. Die geschockten Neger zitterten wegen des zerfetzten Leidensgenossen. Einer verlor dabei seine Kiste von der Schulter. Sie stürzte mit einer Ecke auf den Boden, und der Deckel platzte auf. Funkelnde Goldbarren rutschten heraus. Alle standen stumm da und starrten auf das Gold. Die Sklaven vergaßen, die Münder zu schließen, so sehr wurden sie von dieser
neuen Überraschung getroffen. Aber auch die Aufseher wußten zuerst nicht, wie sie jetzt reagieren sollten. Rip Carr fing sich als erster. Er riß fluchend das Pferd herum und jagte mit der Peitsche wild um sich schlagend in den Pulk der Träger. Als er den erreichte, der seine Kiste hatte fallen lassen, schlug er auf ihn ein, bis er auf der Kiste lag, seine Jacke auf dem Rücken zerfetzt war und Striemen auf der Haut sichtbar wurden. »Los, zum Teufel, lies den Kram zusammen!« schrie Carr. »Es ist Gold«, murmelte ein anderer, der seine Kiste vorsichtig absetzte. Carr riß das Pferd herum und schlug dem anderen Neger mit der Peitsche quer über das Gesicht. Der Schwarze schrie und ließ sich zu Boden fallen. »Was habt ihr denn gedacht, was es ist?« brüllte Carr. »Steine vielleicht? Davon gibt es in Savannah genug, die müßten wir nicht extra hintragen. Das Gold wird gebraucht, um Waffen und Munition im Ausland kaufen zu können. Damit wir diese unchristlichen Yankees besiegen können. Jawohl, unchristlich sind sie! Oder glaubt einer von euch, Gott habe nicht mit voller Absicht die Menschen in solche mit heller und andere mit dunkler Haut eingeteilt? He, glaubt das vielleicht einer von euch Galgenstricken? Wenn wir euch die Freiheit geben, dann widerfährt euch eine große Gnade. Und ich sehe schon, ihr wollt euch so einer großen Gnade gar nicht würdig erweisen!« Das zog. Die Schwarzen setzten die Kisten vorsichtig ab und halfen, das Gold einzusammeln und die aufgeplatzte Kiste wieder zu vernageln. Nicht viel später war der Zug erneut nach Osten unterwegs. Die vier vorauslaufenden Neger setzten die Füße so vorsichtig auf, als müßten sie über rohe Eier laufen. Und die Aufseher hielten immer wieder den Atem an. »Verdammt, mir ist heiß geworden«, gestand der junge Kid Strong. »Nur keine Angst, mein Junge, Unkraut vergeht nicht«, entgegnete Rip Carr mit kratziger Stimme.
* Es war am Morgen des folgenden Tages, als ich die Uniform des erschossenen Kuriers in meinem Zelt anzog. Die beiden Männer, die den Kurier getötet hatten, standen dabei. Sie trugen inzwischen wieder blaue Uniformen und grinsten erfreut über die Tatsache, daß mir die fremden Kleider wie angegossen paßten. »Wie für ihn geschneidert, Owen«, sagte Jack und rieb sich zufrieden die Hände. »Und denke daran, du heißt jetzt Jack Hennessy, Ronco.« Ich fühlte mich in meiner Haut überhaupt nicht mehr wohl und wünschte in dieser Stunde, daß ich auf der »Fireball« hätte bleiben können. Der Krieg fand auf See offener statt. Man sah den Gegner schon lange, bevor die Kanonen lospulverten, und man zeigte seine Flagge. Hier aber wurde mit Tricks, Hinterhältigkeiten und nacktem Mord Krieg geführt. Und ich wurde gerade dafür präpariert, eine solche Hinterhältigkeit in Szene zu setzen. Tröstlich dabei war lediglich, daß meine Gegner in Savannah solche teuflischen Halunken waren, daß einem praktisch jedes Mittel recht sein konnte, das gegen sie zu einem Erfolg zu führen versprach. »Gehen wir.« Jack ergriff mich am Arm und wollte mich aus dem Zelt schieben. Doch Shita, der bis dahin mit schiefgeneigtem Kopf der Zeremonie eher skeptisch als feindselig gefolgt war, sprang den Mann mit einem solchen Satz an, daß Jack den Halt verlor und gegen die Zeltbahn geworfen wurde. »Shita, zurück!« befahl ich rasch, als der Hund sich duckte, um den Angriff zu wiederholen und Jack noch einmal an die Kehle zu fahren. Knurrend gehorchte das Tier. Jack griff sich ächzend an den Hals und riß den Kragen auf, weil er ihm zu eng geworden war. »Den könnte ich abknallen!« »Ein Hund ist eine wunderbare Tarnung«, erwiderte Owen, der belustigt grinste. »Tarnung?« fragte Jack. »Klar. Von den Scouts der Konföderierten streifen die meisten mit einem Hund herum. War doch direkt ein Wunder, daß Hennessy
keinen hatte. Sieht viel echter aus, wenn er mit einem Köter aufkreuzt. Also, gehen wir!« Die beiden verließen nun vor mir das Zelt, und ich folgte mit dem Hund an meiner Seite. Da die Einheiten bereits im Süden von Savannah zusammengezogen wurden, war im Lager nur wenig Betrieb. Die Soldaten, die uns sahen, blieben stehen und starrten uns nach. Der Adjutant des Generals lächelte erfreut, als er sah, wie gut mir die fremde, ungewohnte Uniform paßte. »Sie schärfen sich ein, auf dem Wege von Fort Allister nach Savannah zu sein«, sagte der Adjutant. »In Allister sind Sie mit knapper Not herausgelangt. Am besten, Sie wälzen sich noch mal ordentlich durch den Dreck. Das wirkt echter als tausend beteuernde Worte.« »Und wenn Jack Hennessy beim Stab in Savannah bekannt ist?« fragte ich. Der Adjutant räusperte sich, als müsse er Zeit gewinnen. Er blickte auf die beiden Männer, die mich zu ihm gebracht und die Uniform beschafft hatten. »Dann hast du auf der ganzen Linie Pech, mein Junge«, sagte Jack anstelle des Adjutanten. »Viel mehr Pech, als wir uns vorstellen können.« »Und wir werden beten, daß du Glück hast und sie ihn nicht kennen«, setzte Owen hinzu. »Wie nett ihr seid«, sagte ich. Der Adjutant schnitt eine weitere Debatte durch eine herrische Handbewegung ab. »Wir müssen alle wichtigen Einzelheiten erfahren«, schärfte er mir ein. »Von See her schicken wir, wenn möglich, dann einen Stoßtrupp in die Stadt, um die Aktion dieser sauberen Herren zu zerschlagen. Es kommt auf präzise Angaben an, damit unser Schlag eine Überraschung wird und gelingt. In erster Linie ist es wichtig, das Leben unserer gefangenen Soldaten zu retten. In zweiter Linie betrachtet die US-Armee das fragliche Vermögen als Eigentum der USA, das ohne Zweifel widerrechtlich außer Landes gebracht werden soll. Ich nehme an, daß diese Aufgabe Sie vor keine Probleme stellt, Ronco. Es ist genau genommen für
einen erfahrenen Scout ein Kinderspiel.« Ich blickte auf meine feldgraue Uniform und lächelte müde. »Der Uniform müssen Sie sich natürlich schleunigst entledigen, wenn unsere Leute auftauchen«, erklärte der Adjutant. »Ich werde mir Mühe geben, nicht von den eigenen Leuten umgebracht zu werden«, entgegnete ich. »Und was ist es für eine Nachricht, die ich zu überbringen habe?« »Sie nehmen die Originalnachricht, die uns mit der Uniform in die Hände fiel. Sie enthält Weisheiten, die absolut nichts Geheimes mehr für uns haben. Über die Stärke unserer Einheiten, unsere Bewaffnung und Ähnliches, was auch jeder wissen darf. Wir sind so stark, daß Savannah keine Chance gegen uns hat, und das sollen die Generalstäbler in der Stadt auch ruhig wissen.« Ich war froh, als ich wieder in der Lagergasse stand. Ein paar Schneeflocken tanzten vom Himmel. Um ein paar abgestellte Planwagen herum tauchte auf einmal General Kilpatrick auf. Der Chef der Kavallerie in unserem Frontabschnitt war ein bärtiger, hagerer Kerl, den ich gründlich hassen gelernt hatte. Seine Schandtaten an konföderierten Soldaten und Zivilisten waren auf dem Wege durch Georgia von unübertrefflichem Sadismus gezeichnet gewesen. Männer wie er hatten den Krieg so dreckig werden lassen, wie er jetzt war. Ich wunderte mich, daß ich nicht früher an ihn gedacht hatte. Dabei trug die Art und Weise, wie man mir die Uniform beschafft hatte, Kilpatricks Handschrift. Jack und Owen, die beiden Soldaten, nahmen Haltung an und grüßten. »Befehl ausgeführt, Sir!« meldete Jack im polternden Kommandoton. Der bärtige Kilpatrick grinste mich an. »Steht Ihnen ausgezeichnet, mein Lieber! Freuen Sie sich darüber, daß ich weiß, keinen Feind vor mir zu haben.« »Das gilt umgekehrt genauso«, erwiderte ich scharf. Kilpatrick kniff die Lippen zusammen und wandte sich ab. Shita knurrte gereizt hinter ihm her. »Los, Ronco, es ist noch etwas zu erledigen«, sagte Jack. »Was?«
»Na ja, du mußt echt aussehen.« Owen grinste mich an. »Wir drehen dich mal so richtig durch die Mangel und wälzen dich in einem aufgewühlten Korral durch den Dreck. Aber der Hund muß natürlich vorher verschwinden, damit er uns nicht zerfetzt.« »Ach so.« Ich lächelte die beiden freundlich an. »Ja, das könnt ihr haben.« »Ich wußte, daß du kein Spielverderber bist.« Owen rieb die Hände erfreut aneinander. »Schaff ihn in den Stall und schließ die Tür, damit er auch drinbleibt.« »Wird sofort erledigt«, stimmte ich zu. »Dann wollen wir mal gehen, Freunde!« Ich brachte Shita in den Stall, was dem Hund gar nicht gefiel. Er schien zu spüren, um was es sich handelte, und er hätte sich wohl auch gern mit den beiden beschäftigt. Aber sein Winseln half ihm nichts. Ich sperrte ihn in den verlassenen Stall und sprang dann draußen über den Zaun. Der Korral war verlassen wie der Stall und die Zelte in der Umgebung. Die Einheit war bereits vor zwei Tagen an die unmittelbare Front vor Savannah geschickt worden. »Hier sind wir wunderbar allein.« Jack legte den Patronengurt ab und winkte Owen, das gleiche zu tun. Der Boden war zerwühlt und locker. Es schneite nicht mehr. Die beiden lachten, spuckten in die Hände und rückten auf mich zu. Ich trat einen Schritt zurück und fragte: »Müßt ihr beide gleichzeitig zuschlagen?« »Die Wirkung ist dann größer«, erwiderte Jack. »Und schneller geht es auch.« »Na schön, wie ihr meint.« Ich täuschte einen Angriff vor und duckte mich, und die beiden schlugen natürlich prompt zu, aber über mich weg. Ich tauchte zwischen ihnen durch, richtete mich auf und fuhr herum. Die beiden drehten sich, ich packte ihre Köpfe und knallte sie mit solcher Wucht zusammen, daß es krachte und die beiden laut schrien. Jack konnte ich noch einen Kinnhaken verpassen, bevor er Schmerz und Benommenheit abschüttelte. Er flog mit rudernden Armen zurück und stürzte als erster in den Schmutz, in dem sich zu
allem Überfluß ein paar mit dünnem Eis überzogene Pfützen befanden. Das Eis barst sofort, und das Wasser spritzte Jack ins Gesicht, an den Hals, über Jacke, Hose und Stiefel. Ich wollte mich herumwerfen, aber solange hatte Owen nicht gebraucht, um die Schmerzen im Kopf zu verdauen. So hinterhältig wie er Jack geholfen hatte, den Kurier des Gegners zu töten, so fiel er mich nun an. Ich stand noch quer zu ihm, als seine Faust meine Schläfe traf. Der Schmerz stach mir durch den Körper, und ich taumelte, trat in ein Loch und stürzte in den aufspritzenden Dreck. Owen war so wütend, daß er sich auf mich stürzen wollte. Ich reagierte rechtzeitig und wälzte mich durch den Schlamm zur Seite. Owen schlug platt in den Matsch, und abermals spritzten Wasser und Schmutz auf. Ich wollte aufstehen, aber Jack war bereits zur Stelle und trat mir ins Gesicht. Ich flog auf den Rücken und konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Wie Feuer brannte der Schmerz in mir, und meine Wut auf diese beiden Kerle verwandelte sich in nackten Haß. Die Kraft mußte von daher in mich strömen. Sie war auf einmal da und befähigte mich, auf die Beine zu gelangen und Owen einen solchen Hieb zu versetzen, daß er schreiend in die Knie brach. Ich drosch Jack die Handkante gegen den Hals, daß er ächzend nach Atem rang, packte Owen an den Haaren, hielt seinen Kopf fest und rammte ihm das Knie ins Gesicht; ein Kinnhaken warf ihn vollends auf den Rücken. Jack warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen mich, so daß ich abermals zu Boden geschleudert wurde. Ich wälzte mich durch den Schmutz und sah den grinsenden Kerl wie einen verschmierten Riesen über mir. Owen lag stöhnend im Morast. Er schien genug zu haben. Jack brüllte wie ein Stier und sprang in die Luft. Ich erkannte, daß er mit beiden Beinen auf mir landen wollte, krümmte mich zusammen und trat ihm gegen die Beine. Er wurde zur Seite geschleudert und stürzte. Es gelang mir, so schnell wie Jack aufzustehen. Er war so sauer, daß er sofort angriff. Ich duckte mich, ließ ihn auflaufen und stieß ihm die Schulter in den Leib. Noch im Aufrichten drosch ich ihm die Faust auf die Nase. Er heulte und
sprang in die Luft. An der Nase schien er äußerst empfindlich zu sein. Ich nutzte das und versetzte ihm noch einen Hieb auf dieselbe Stelle. Blut schoß ihm aus der Nase und Tränen aus den Augen. So fand ich Gelegenheit, ihn regelrecht zusammenzuschlagen, bis er neben Owen im Dreck lag und heulend die Hände vor das Gesicht hielt. Owen ließ auch den Kopf unten, wahrscheinlich aber nur, um nicht weitere Prügel zu beziehen. Und damit das echt erscheinen sollte, befleißigte er sich, ebenfalls zu jammern. »Ihr seid mir vielleicht zwei Herzchen«, sagte ich. »Zu zweit aus dem Hinterhalt auf einen Gegner schießen, das könnt ihr. Aber das dürfte wohl auch alles sein.« Ich wandte mich ab, ging zum Stall und ließ Shita heraus. Der Hund war schon drinnen gegen die Tür gesprungen, hatte den Riegel aber nicht sprengen können. Der Hund wollte über den Zaun setzen, um sich ebenfalls mit den beiden zu beschäftigen. Doch ich rief ihn zurück und ging mit ihm zum Zelt. Jetzt sah ich wirklich so aus, als wäre ich meilenweit durch Wasser und Schmutz gekrochen und hätte die Hölle hinter mir. * Mit einem Krachen explodierte eine Mine und schleuderte einen der vorausgehenden Neger zu Boden. Rip Carrs Pferd erschrak so sehr, daß es mit wirbelnden Hufen auf die Hinterhand stieg und seinen Reiter abzuwerfen versuchte. Aber Carr schlug dem Tier mit der Faust zwischen die Ohren und zwang ihm seinen Willen auf. Wynn Ross, der neben Carr hinter den vier vorausgehenden Sklaven geritten war, sah bleich wie eine neue Wand aus Adobelehm aus. Sie waren einen ganzen Tag lang ohne Zwischenfall vorangekommen und dadurch ein wenig leichtfertiger geworden. Der Verletzte krümmte sich schreiend auf dem Boden. Die Schwarzen hatten die Kisten abgesetzt und meuterten. »Nur keine Panik auftreten lassen!« rief Carr und feuerte aus dem Colt über den Haufen weg, bei dem sich der Mut zur Revolte
anzubahnen schien. »Haut sie zusammen!« sagte Carr fluchend. Da faßten sich die Aufseher und trieben die Sklaven mit brutalen Peitschenhieben wie Vieh zusammen. Wynn Ross bedrohte die drei vor sich mit dem Gewehr, das er durchgeladen hatte. »Wagt ja nicht, abhauen zu wollen!« mahnte er. »Meine Kugeln sind schneller als eure Füße.« »Vorwärts, die Kisten aufheben und weiter«, befahl Carr. »Und ihr da vorn, ihr werft Steine in die Geographie. Es liegen zum Glück genug herum.« Die Neger wurden geprügelt, bis sie die Kisten mit dem Gold wieder auf den Schultern hatten und der Marsch nach Savannah weitergehen konnte. Es war noch sehr weit dahin. »Also?« fragte Carr, als die drei Neger im Vorfeld stur stehenblieben. Der Verletzte schrie immer noch. Ross feuerte aus seinem Gewehr mit solcher Genauigkeit, daß einem Schwarzen der Jackenärmel aufgerissen wurde. »Die nächste geht in den Kopf, Nigger! Überlege dir gut, ob du in dieser Minute schon in die Hölle fahren willst. Die anderen schaffen es vielleicht bis Savannah und sind frei. Sie können dann im Osten in die Knochenmühlen der Yankees gehen, in die es euch mit solcher Gewalt zieht, daß ihr einen Bruderkrieg anzetteln konntet!« Die Neger liefen weiter, hoben Steine auf und warfen sie vor sich her. Carr ritt ihnen nach, zügelte das Pferd neben dem stöhnenden Verletzten und schaute zu ihm hinunter. Splitter der Landmine hatten dem Neger die Hüfte aufgerissen. Er blutete stark. »Nehmt ihn mit«, befahl Carr und ritt weiter. »Wenn es geht, dann verbindet ihn ein bißchen.« Die Neger warfen große Mengen Steine vor sich, so daß sie nur noch sehr langsam vorankamen. Die weißen Aufseher waren aber auch derart geschockt, daß sie es vermieden, die Schwarzen anzutreiben. Denn wenn es weitere Verluste gab, konnte eine
Situation eintreten, in der die Sklaven vor den Gewehren, Revolvern und Peitschen keine Angst mehr hatten. Dann war die Macht der Aufseher gebrochen, und sie konnten höchstens noch hoffen, die Haut zu retten. Danach würde De-Vellers, ihr Boß, sie wie Verräter suchen lassen, und das wäre wohl ihr sicheres Ende. Denn die fünf Aufseher wußten nicht, was DeVellers, Usherstood und Grimes indessen für einen Plan ausgeheckt hatten, wie sie sich mit der riesigen Beute abzusetzen gedachten. Sie glaubten noch, es ginge darum, Lieferungen aus Übersee zu bezahlen, was natürlich alle dachten, die mit dem Transport zu tun hatten. Weit vor ihnen traf ein Stein eine Mine und brachte sie zur Explosion. Die Neger im Vorfeld zogen die Köpfe ein. Die Pferde wollten ausbrechen. »Da seht ihr, wie einfach es ist, sie aufzuspüren!« rief Carr. »Es wird nichts passieren. Geht weiter!« * Während der Nacht wäre ich einem Stoßtrupp der US-Kavallerie beinahe genau in die Arme geritten. Shita hatte die Reiter in der Dunkelheit rechtzeitig bemerkt und mich durch sein Knurren gewarnt. So hatten wir in einem Gestrüpp in Deckung gehen können und waren der Gefahr entronnen, von den eigenen Leuten umgebracht zu werden. Der neue Tag dämmerte schon. Ich fror in der dünnen Uniform. Der trocken gewordene Schmutz platzte von der Jacke und meinem Gesicht. Je heller es wurde, desto besser konnte ich die Stadt erkennen. Sie lag in dem Flachland vor dem Atlantik wie auf einem Teller vor mir, noch ungefähr zwei Meilen entfernt. Dazwischen befand sich eine Senke mit Bäumen und ein paar Hütten, die verlassen aussahen. Ich ritt im Trab in die Senke hinunter. So nahe, wie ich jetzt war, würden die Stoßtrupps der US-Armee zumindest bei Tageslicht kaum herankommen. Also konnte ich unbesorgt sein. Kaum war ich jedoch an die Bäume herangelangt, schienen diese lebendig zu werden. Unter den tiefhängenden Ästen bewegte sich
etwas. Gewehre schoben sich mir entgegen. Es waren Konföderierte, die aus der Deckung traten und die Gewehre auf mich richteten. Shita zeigte die Zähne und blickte zu mir hoch, als sollte ich ihm sagen, was zu tun sei. Ich hatte das Pferd gezügelt, verschluckte den Schrecken und lächelte. Hier war nur mit Frechheit etwas zu gewinnen. Davon abgesehen hatte ich früher oder später auf die Konföderierten stoßen müssen. »Macht keine Scherze, Leute!« rief ich. »Und gebt den Weg frei, wir haben es ziemlich eilig.« . »Woher?« fragte ein junger Lieutenant und schob sich in den Vordergrund. »Fort Allister.« »Allister ist eingeschlossen.« »Na und?« fragte ich und grinste den Offizier an. »Denken Sie, ich kann mir das aussuchen?« Mißtrauisch schaute der junge Offizier auf Shita und den Braunen. »Sie wollen mit den Tieren …« »Wer redet denn von Tieren?« unterbrach ich den Lieutenant. Inzwischen hatte ich gezählt, daß sie zwanzig Mann gegen mich waren. »Ich bin durch den Dreck gekrochen. Durch die Linien der Yankees. Erst nach Allister hinein, dann wieder heraus. Ich kann mir das wirklich nicht aussuchen.« »Name?« »Jack Hennessy.« Nun wurde es mir doch ziemlich mulmig. Denn ausgeschlossen war es nicht, daß jemand den Kurier kannte, den Owen und Jack, diese Galgenvögel, in einem Wald weit im Südwesten verscharrt hatten. »Einheit?« fragte der Offizier barsch. »Elftes Regiment der Georgia Volunteers, B-Company. Genügt das?« »Legitimation!« Ich seufzte vernehmlich, griff in die Tasche und zeigte die Legitimation des Toten, auf der nicht viel mehr stand, als ich eben gesagt hatte. Der Offizier nahm mir den Ausweis aus der Hand und studierte ihn. Mehrmals schaute er noch prüfend zu mir hoch.
»Ich werde beim Stadtkommandanten melden, daß Sie mich über Gebühr aufgehalten haben, Sir«, erklärte ich scharf. »Nicht genug, daß man bei diesem Sauwetter durch den Dreck kriechen muß, wird man auch noch mit Mißtrauen überhäuft.« Der Offizier gab den Ausweis zurück. Ich steckte ihn in die Tasche. »Fertig, Sir?« »Sie können passieren. Sergeant Rooder, begleiten Sie den Kurier aus Fort Allister zum Stadtkommandanten.« »Jawohl, Sir!« rief der junge Sergeant in der Mitte des Haufens schneidig. Er hastete unter die Bäume und holte ein Pferd, auf das er sich schwang. »Danke, Sir.« Ich grüßte lässig und ritt mit dem Sergeanten in Richtung Stadt weiter. Wir folgten einer Wagenstraße. Shita lief neben meinem Braunen her. Bald schon tauchten weitere Einheiten auf. Gräben wurden rechts und links ausgehoben, und die Straße war aufgerissen, damit sie von Wagen und Geschützen nicht mehr passiert werden konnte. Die ersten Häuser der schnell erreichten Stadt waren verlassen. In der Straße stapelten sich Kisten und zertrampelte Kartons. Unrat aller Art verbreitete bestialischen Gestank. Ich sah abgemagerte Gestalten mit hohlen Wangen und der nackten Angst in den flackernden Augen. Auch in den Straßen patrouillierten Soldaten. Hier fiel mir mit einer Deutlichkeit wie niemals zuvor auf, daß der Krieg dem Ende nahe war. Die Konföderierten waren fertig. Der Hunger, die Verluste an Menschen und Land hatten sie demoralisiert. Es war nur noch ein Aufbäumen gegen den Untergang, der sie befähigte, den Kampf fortzusetzen. Gewinnen konnten sie ihn nicht mehr. »Da sind wir schon«, erklärte der Sergeant. Wir hielten vor einem dreistöckigen Backsteinbau, der rot wie der gebrannte Lehm aussah. Rundum standen überall Häuser, eins neben dem anderen. Es gab keinen Strauch, keinen Grashalm und keinen Baum in der Stadtmitte. Eine alte Frau war aus einem Haus getreten und sammelte Brennholz in einem Müllhaufen. Der Sergeant war abgestiegen und sprach mit der Wache im
Schilderhäuschen vor dem Backsteinbau, während ich mir das Elend noch anschaute. Vielleicht wären die Unionstruppen längst zum Angriff übergegangen, wenn sie wüßten, wie gering das damit verbundene Risiko bereits zu sein schien. »In Ordnung, Hennessy, Major-General Ernest Liston ist da! Gehen wir!« Ich stieg ab, band den Zügel an eine dafür vorgesehene Stange vor dem Haus und schärfte Shita ein, das Pferd nicht zu verlassen. Dann folgte ich dem Sergeanten am Wachtposten vorbei und durch einen langen Flur, der einem endlosen Schlauch glich. Das Dienstzimmer des Major-Generals lag am Ende des Flures. Der hohe Offizier vom Stabe des Generals Hood stand hinter einem riesenhaft wirkenden Schreibtisch. Er war von großer, sehniger Gestalt und hatte graue Augen, die mir Vertrauen einflößten. Zugleich war mir klar, daß er mich sicher gnadenlos an die Wand stellen lassen würde, konnte er irgendwie herausfinden, wer und was ich wirklich war und in dieser Stadt wollte. Ich meldete und übergab die abgefangene Nachricht. Der Offizier las sie und runzelte wegen des Datums die Stirn. Er schaute auf. »Sie waren lange unterwegs, Hennessy!« »Tut mir leid, Sir. Ich mußte zuerst nach Allister und konnte dort nur bei Nacht hinein und wieder hinaus. Dadurch habe ich fast zwei Tage verloren.« »Sie waren in Fort Allister?« »Ja, Sir.« »Wie sieht es dort aus?« »Um ehrlich zu sein, schlimm, Sir. Die Yankees beschießen das Fort heftiger als diese Stadt und werden es sicher bald nehmen.« »Wir werden Savannah unter allen Umständen halten!« Ernest Liston schlug mit der Faust auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Selbstverständlich!« beeilte ich mich, zuzustimmen. Der Major-General las in der Meldung weiter. Seine Stirn umwölkte sich. Obwohl die Zahlen in der Tat kein großes Geheimnis darstellten, schien Ernest Liston sie nicht gekannt zu haben.
»Himmel, sind die Yankees ausgerüstet!« rief er. »Stimmt das auch wirklich?« Ich seufzte. »Leider, Sir.« »Dennoch werden wir sie besiegen. Wir kämpfen für eine gerechte Sache. Uns muß der Sieg gehören, wenn es noch eine Gerechtigkeit gibt!« Ich mußte mich zwingen, abermals zu nicken, als wäre dies auch meine Meinung. Überheblich waren sie alle, selbst dieser MajorGeneral mit den vertrauenerweckenden Augen und der imposanten Gestalt. »Es ist gut.« Liston ließ das Schreiben sinken. »Sie werden sicher mal richtig ausschlafen wollen. Sergeant, beschaffen Sie für den Kurier eine Unterkunft, damit er sich ausruhen kann. Und besorgen Sie ihm ein paar ordentliche Portionen Frühstück. Sie müssen ja Hunger haben wie ein Steppenwolf im Winter, Hennessy.« Ich strahlte den Offizier an. »Habe ich auch, Sir. Danke!« Ich knallte die Hacken zusammen und verließ das Dienstzimmer. Der Sergeant folgte mir und schloß die Tür. Wir verließen das Haus. Ich blieb draußen stehen und schaute mich um. Ein hoher Bau mit dicken Quadermauern und vergitterten Fenstern stand hinter einer flacheren Häuserzelle linker Hand. »Ist dort das Gefängnis?« fragte ich so harmlos und nebenbei wie möglich. »Ist es«, sagte der Sergeant, band sein Pferd los und schwang sich in den Sattel. Shita war aufgesprungen. Ich folgte dem Beispiel des Soldaten und ritt mit ihm weiter durch die Stadt. Wir hielten vor einem großen Haus, an dem auf einem Schild stand, daß es die Schule war. In der Aula im Untergeschoß hatte man einen Stall eingerichtet, und im Hof dampfte eine Gulaschkanone. Ich hatte wirklich Hunger und wies mit ein paar Gesten und einem schiefen Lächeln darauf hin. »Ich bringe Ihnen das Frühstück in den ersten Stock. Dort finden Sie ein Bett.« Im Obergeschoß waren die Türen der Zimmer ausgehängt und verfeuert worden. Dadurch war es zwar überall warm, aber es zog erheblich. Ich vermochte auch kein kleineres Zimmer zu finden. Sie
waren alle gleichgroß und vollgestopft mit Betten. Auf den Tischen lagen Brotreste und Wurstschalen herum. Papier bedeckte zusammengeknüllt den Boden, in einer Ecke war Dreck zusammengekehrt. So sah es überall aus. Dazu waren die Zimmer leer. Die Soldaten schaufelten irgendwo an den Stadtgrenzen Gräben, bauten Sperren und andere Hindernisse, bewachten den Hafen, wichtige Straßenknotenpunkte und sicher auch das Gefängnis, in dem die Unionssoldaten saßen, die drei ausgekochte Halunken zum Schutz ihrer Flucht auf die »Big Red Mary« zu schaffen gedachten. Ich schaute im zweiten Obergeschoß aus dem Fenster, sah den Hafen und das Meer mit einem weit entfernten Segel auf der Bogenhöhe der blaugrauen Wasserfläche. Vielleicht war es die »Fireball«, die da draußen schwamm. Im Hafen lagen ein paar der gepanzerten, seltsam aussehenden Kanonenboote des Küstenschutzes. Von der »Big Red Mary«, dem großen Viermastschoner, war nichts zu sehen. Ich wandte mich um und blickte auf die Reste auf dem Tisch. Für die Soldaten schien noch ausreichend Verpflegung vorrätig zu sein. Anders als für die Zivilisten mit den spitzen, hohlwangigen Gesichtern und den schwarzgeränderten Augen. Die konnten auch nicht einfach die Türen verfeuern. Der Sergeant tauchte grinsend mit einem ganzen Brot und Marmelade auf, räumte den Tisch mit dem Arm ab und stellte darauf, was er für mich organisiert hatte. »Wann tauchen die Soldaten auf, die hier schlafen?« fragte ich. »Vermutlich am Abend. Unsere Kolonne pennt auch hier. Du kannst den ganzen Tag ungestört schlafen.« »Sehr gut.« Ich war an den Tisch getreten, griff nach dem Brot und riß es in der Mitte durch. In die eine Hälfte biß ich herzhaft hinein, die andere legte ich zurück. »Ich muß wieder verschwinden. Vielleicht sehen wir uns heute abend noch mal.« »Ja, vielleicht«, sagte ich kauend und nickte dem Sergeanten freundlich zu. Der Mann verließ das türlose Zimmer.
Ich tauchte das abgerissene Brot in die Marmelade, aß und ging zum Fenster zurück, um die Stadt zu beobachten. Die Schule stand sehr zentral, wie ich sofort erkannt hatte. Aber besser war es vielleicht, noch ein Stockwerk höher zu gehen. Als ich das später tat, fand ich zu meiner Verwunderung leere Zimmer. Ein paar hatten sogar noch Türen, aber es war kalt. Hier oben schien nicht alles gebraucht zu werden. Ich schleifte ein Feldbett in einen leeren Raum, holte eine Tür, zersägte sie und trat mit den Füßen auseinander, was dazu klein genug war. Dann entfachte ich in dem großen Kanonenofen Feuer und blieb in dessen Nähe, bis sich der Klassenraum soweit erwärmt hatte, mir überall Gemütlichkeit zu garantieren. Ich legte mich auf das Feldbett, schloß die Augen und schlief ein. * Am anderen Tag hatte ich früh morgens Trompetensignale und herrische Kommandos gehört, und zahllose Stiefel waren über die Treppe und draußen über die Straße getrampelt. Niemand hatte mich geweckt. So war ich zuerst einmal liegengeblieben. Die Soldaten waren zu ihren Schanzarbeiten abgezogen. Manchmal war Geschützdonner zu vernehmen. Ich stand auf, suchte den kalten Waschraum und handelte meine Körperpflege so kurz wie nur möglich ab. Danach suchte ich die Küche und wurde reichlich mit Essen eingedeckt. Niemanden schien es zu wundern, daß ich untätig herumlungerte, was ich nur auf die scheinbaren Strapazen zurückführen konnte, mit deren äußeren Zeichen ich Savannah erreicht hatte. Essend schlenderte ich herum, stopfte Papier und Holz in den Kanonenofen und entzündete das Feuer erneut. Immer wieder schaute ich aus dem Fenster, bis mir auffiel, daß sich am Nordrand des Platzes eine größere Menschenmenge ansammelte. Aus einer Straße tauchten zwei Reiter auf. Der eine hatte einen speckigen Zylinder auf und einen langen, schwarzen Mantel am Körper, während der andere in Leder gekleidet war. Sie trugen Peitschen an den Handgelenken und hielten Gewehre mit den
Kolbenplatten auf die Oberschenkel gestemmt. Während die beiden noch ihre Pferde nach den Rändern der Straße dirigierten, tauchten Negersklaven auf. Müde und ausgebrannt schleppten sie sich und die Kisten auf den Schultern in mein Blickfeld. Weitere Aufseher zu Pferde folgten. Mir war augenblicklich klar, daß es sich nur um den fraglichen Schatz handeln konnte, der mit der »Big Red Mary« außer Landes gebracht werden sollte. Ich zog die Jacke über und sprang die Treppen hinunter. Als ich auf die Straße trat und die Kälte spürte, war der traurige Zug mit der kostbaren Last bereits vorbei. Die Menge verlief sich. Vermutungen über den Inhalt »der Kisten wurden ausgetauscht, waren aber weit von dem entfernt, um was es sich handeln mußte. Ich folgte der Kolonne mit einigem Abstand, bis diese die Bank von Savannah erreichte und die Aufseher von den Pferden sprangen. Eine Mauer schloß sich an das klotzige Bankgebäude an. In ihr öffnete sich ein Tor, durch das die Sklaven mit laut knallenden Peitschen samt den Lasten wie Vieh getrieben wurden. Ich war in einen Hauseingang getreten, um nicht gesehen zu werden. Kaum war der letzte Aufseher im Hof der Bank verschwunden, wurde das Tor geschlossen. Ein paar ältere Menschen waren wie ich dem Zug gefolgt und standen noch in der Gasse an den Hauswänden. Auch sie schienen wissen zu wollen, ob dies bereits alles war, was es hier zu sehen gab. Da eilte ein untersetzter Mann im langen Mantel mit hochgestelltem Kragen und tief in die Stirn gezogenem Hut vorbei und verschwand in der Bank. »Staatssekretär Usherstood war das«, sagte ein alter, gebeugter Mann in meiner Nähe. Ein anderer, der kaum jünger war und auf einen Stock gestützt stand, nickte. »Diese Kerle leben wie die Maden im Speck. Und wir, was haben wir?« »Nichts.« Der andere spuckte auf das Kopfsteinpflaster, das der Frost glitzern ließ. Schon tauchte erneut eine eilige Gestalt auf. Sie war größer und bulliger als der untersetzte Staatssekretär, jedoch ebenfalls bemüht, möglichst nicht aufzufallen. Deshalb hatte auch dieser Mann den Kragen aufgestellt und hielt das Gesicht der Wand zugekehrt.
»DeVellers, der Sklavenhändler«, sagte der auf den Stock gestützte alte Mann. »Auch so ein Scheißer!« Als DeVellers in der Bank verschwunden war, schüttelten die beiden alten Männer die Köpfe. »Komisch, komisch«, murmelte der mit dem Stock. »Das hat doch etwas zu bedeuten.« »Besser, man kümmert sich nicht darum. Man lebt dann vielleicht noch etwas länger.« »Als die vielleicht?« »Die werden alle nichts zu lachen haben, wenn die Yankees Savannah stürmen. Und die Yankees werden Savannah stürmen.« »Wer weiß, ob die dann nicht längst verschwunden sind und ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben.« Ich verließ den Hauseingang und verdrückte mich an der Wand entlang, um nicht noch nachträglich aufzufallen. Das waren also die sauberen Gentlemen. DeVellers, der die Sklavenkolonnen besaß und solche Transporte wie den des Goldes hierher durchführte. Usherstood, der Staatssekretär, der die Möglichkeit hatte, ein Schiff anzufordern und Gefangene aus dem Gefängnis holen zu lassen. Und dann Grimes, der Bankier. Über sein Haus lief alles, was in Savannah mit Geld oder Geldeswert zusammenhing. Als ich noch einmal zurückschaute, war vor dem Hoftor der Bank ein Doppelposten der Konföderierten aufgezogen. * Usherstood stand am Fenster und schaute in den Hof. Die Kisten mit dem Gold waren hinunter in den Tresorraum getragen worden. Die Sklaven erhielten von den Aufsehern Decken und krochen in einer Ecke unter einem Schuppendach zusammen. Zwei Verletzte, die sie mitgebracht hatten, lagen stöhnend an der Wand und wurden notdürftig versorgt. Ashton Grimes, der unscheinbar wirkende Bankier von Savannah, ging nervös in seinem Office auf und ab und beachtete die beiden
anderen Männer kaum. »Die ›Big Red Mary‹ dürfte nun langsam antanzen«, sagte Usherstood. Grimes blieb stehen und rieb die Hände aneinander. »Was ist denn los?« fragte der bullige Sklavenhändler, der hinter dem feinen Schreibtisch Platz genommen hatte. »Bis jetzt läuft doch alles wie geschmiert.« »Das Schiff müßte schon da sein, dann könnte alles wie geschmiert laufen«, erwiderte Grimes heftig. »Es wird schon kommen.« »Ja, natürlich. Ich nehme das auch an. Aber wann wird das sein?« »Bestimmt bald.« »Bald kann zu spät sein«, sagte Grimes. Usherstood nickte beipflichtend. »Ich verstehe nicht, was Sie beunruhigt.« DeVellers schüttelte den Kopf. »Wir haben das Gold im Keller und die Gefangenen in einem sicheren Bau. Sobald das Schiff den Hafen anläuft, verschwinden wir.« »Verstehen Sie denn wirklich nicht?« fragte Grimes wütend. »Ich kann das Gold nicht beliebig lange im Tresorraum liegen lassen.« »Aber warum denn nicht?« »Weil das hier eine große Bank mit vielen Angestellten ist! Jeder in diesem Hause weiß, daß das viele Gold für dringende Rüstungskäufe auf gefährlichen Schleichwegen von den Sklaven hierher transportiert wurde. Wenn das Gold jetzt im Tresorraum liegenbleibt, ich also nicht die gebotene Eile zeige, dann muß etwas faul sein.« »Es ist eben kein Schiff da, das den Auftrag, Waffen und Munition zu beschaffen, übernehmen könnte.« DeVellers zuckte mit den Schultern. »Wer kann etwas dafür?« »Es kreuzen Schiffe auf hoher See, die nur auf einen solchen Auftrag warten«, erwiderte Usherstood anstelle des Bankiers. »Richtig, so ist es!« rief Grimes. »Die Fabriken in England und Frankreich warten auf unsere Aufträge und unser Geld, und sie beten, daß der Krieg noch recht lange dauern und ihnen die Arbeit erhalten möge, diese lukrative Beschäftigung, die uns die Menschen
kostet.« »Kein Pathos, das paßt nicht zu uns«, sagte Usherstood sofort. »Es geht im Wesentlichen darum, daß unsere Küstenschutzboote das Gold in jeder beliebigen Nacht zu den Schiffen auf die hohe See hinausschaffen können. Wenn das Gold also nicht schleunigst auf ein Schiff gebracht wird, müssen die Angestellten der Bank, der Stadtkommandant und andere Leute zwangsläufig Verdacht schöpfen. Deshalb ist es so wichtig, daß die ›Big Red Mary‹ bald auftaucht, möglichst schon in der nächsten Nacht.« »Vielleicht haben wir Glück und sie taucht wirklich nach dem Dunkelwerden auf«, murmelte DeVellers. »Wäre ja ein starkes Stück, wenn alles umsonst gewesen wäre.« »Was ist mit den Treibern?« fragte Usherstood. »Mit Ihren Aufsehern, DeVellers?« »Was soll mit denen sein?« »Ahnen die etwas?« »Unsinn!« DeVellers grinste verächtlich. »Die sind mutig und schlagen die Schwarzen tot, wenn die nicht kuschen und bis zum Umfallen arbeiten. Aber denken und rechnen können die nicht. Nein, die ahnen nichts. Aber wie kriegen Sie die Kriegsgefangenen aus dem Gefängnis heraus?« »Kein Problem«, erklärte Staatssekretär Usherstood. »Das habe ich längst vorbereitet. Sie werden unter dem Vorwand, in ein anderes Gefängnis verlegt zu werden, aufs Schiff gebracht. Savannah ist als Gefangenenlager nicht mehr sicher genug. Das leuchtet doch jedem ein!« »Allerdings.« DeVellers grinste breit. »Das muß dem Dümmsten in den Kopf gehen.« »Na also.« Usherstood nickte. »Aber wenn die ›Big Red Mary‹ nicht bald im Hafen liegt, sind wir geschmissen!« knurrte Grimes. Usherstood schaute in den Hof. Die fünf Aufseher hatten sich in der Mitte zwischen den Mauern versammelt und blickten herauf. DeVellers erhob sich und trat neben Usherstood. Er öffnete das Fenster und rief: »Fertig, Carr?«
»Alles erledigt, Boß. Was nun weiter?« »Wartet auf mich.« »In Ordnung.« DeVellers schloß das Fenster, durch das es kalt ins Office gedrungen war. »Es sollen alle Leute hierbleiben«, sagte Usherstood. »Im Hof?« »Ja.« Usherstood schaute den Sklavenhändler an. »Aus Sicherheitsgründen.« »Aber meine Leute waren lange unterwegs. Sie hatten Tote und brachten Verletzte mit. Die sind durchgefroren und wollen mal einen heben.« Usherstood schüttelte den Kopf. »Sagen Sie den Aufsehern, daß sie zu ihrer eigenen Sicherheit im Hof zu bleiben haben. Man kann ein Feuer anzünden. Und Whisky werde ich aus den Armeebeständen beschaffen. Den gibt es in der Stadt ohnehin nicht.« »Die wollen auch Mädchen haben!« »Das geht eben nicht«, sagte Usherstood scharf. »Im übrigen würden die herumstreifenden Milizen die jungen Aufseher sofort kassieren, wenn die nicht nachweisen können, warum sie herumlungern, statt etwas für die Verteidigung der Stadt zu tun.« »Wir dürfen unter gar keinen Umständen auffallen«, sagte Grimes im vermittelnden Ton. »Stellen Sie sich nur vor, einer Ihrer Männer würde besoffen in der Stadt herumtorkeln und verlauten lassen, daß Gold in den Kisten sei!« »Das weiß doch jeder.« »Es wissen nur sehr wenige«, sagte Usherstood. »Leute, auf die es ankommt, wissen es«, beharrte DeVellers. »Ja, natürlich«, gab Grimes zu. »Aber in der Stadt weiß es keiner der gewöhnlichen Bewohner. Und die könnten davon erfahren. Und wer weiß, was noch alles ausgeplaudert wird, wovon wir jetzt noch nichts wissen und uns nichts träumen lassen.« »Ich werde heranschaffen, was Ihre Leute nur immer brauchen«, versprach Usherstood. »Nur keine Mädchen.« DeVellers seufzte. »Ich werde versuchen, es meinen Männern beizubringen. Verstehen werden sie es kaum.«
»Uns genügt es, wenn sie gehorchen«, sagte Grimes. »Denken Sie an unseren Plan und das schöne Leben, das uns erwartet. Nichts darf geschehen, was das gefährden könnte.« DeVellers ging zur Tür, blieb aber dort noch einmal stehen. »Ist noch was?« fragte Grimes. »Ich wollte Ihnen beiden nur sagen, daß mir jetzt nach Ihren Eröffnungen das alles nicht mehr ganz geheuer ist.« Grimes hustete. »Ich fühle mich auch nicht mehr ganz wohl in meiner Haut«, räumte Usherstood ein. »Das muß durchgestanden werden.« Plötzlich ertönte ein Heulen und Pfeifen in der Luft. Die drei sauberen Gentlemen zogen die Köpfe ein. »Eine Granate!« rief Usherstood. Das Pfeifen entfernte sich und wurde von einem lauten Krachen abgelöst. Nicht sehr weit entfernt barst ein Haus auseinander. Steine und Staub und abgebrochene Balken flogen durch die Luft. Die Druckwelle rüttelte am Haus und ließ verschiedene Scheiben bersten. Im Hof stürzte ein Stück der brüchigen Mauer zusammen. Usherstood hatte sich zu Boden geworfen, Grimes kauerte hinter dem Schreibtisch und DeVellers stand grinsend an der Tür. Die beiden anderen erhoben sich mit bleichen Gesichtern, auf denen Schweiß perlte. »Das geht an die Nerven«, sagte Grimes heiser. »Wie nahe die Yankees schon sein müssen, daß sie solche Brocken bis in die Stadt schießen können!« »War sicher nicht beabsichtigt«, erwiderte DeVellers. »Zu starke Ladung, wie ich vermute.« Grimes ging zum Fenster, das heil geblieben war und schaute in den Hof. Die Neger waren vor dem Schuppendach aufgetaucht und blickten auf die Lücke, die in die brüchige Mauer gerissen worden war. »Zurück da!« befahl ein Aufseher und ließ seine Peitsche knallen. »Laßt euch nicht einfallen, zu verschwinden. In der Stadt fangen sie euch sofort ab!« »Ihr habt uns die Freiheit versprochen!« rief ein großer, stämmiger Neger.
»Die werdet ihr schon kriegen, wenn die Kisten verladen sind«, erklärte Rip Carr. »Hoffentlich könnt ihr es solange noch aushalten.« »Nun gehen Sie schon, DeVellers, bevor die Sklaven durchdrehen«, sagte der Bankier nervös. Draußen näherten sich Schritte. DeVellers trat von der Tür zur Seite. Eine Faust schlug gegen das Holz, und die Tür wurde aufgerissen. Grimes' Buchhalter, ein hagerer Typ mit sehr heller Haut, stand auf der Schwelle und rief: »Haben Sie gesehen, was passiert ist, Sir?« »Ich bin nicht blind!« rief Grimes barsch. »Und niemand hat gesagt, daß Sie einfach eintreten sollen!« »Die Mauer im Hof hat ein Loch, Sir!« »Ich sagte doch, daß ich es gesehen habe. Kann ich etwas dafür, wenn die Yankees auf uns schießen?« »Es müßten Handwerker …« Grimes' Handbewegung schnitt dem Mann das Wort ab. »Woher sollen wir Handwerker nehmen? Wir schaffen es auch so, die Yankees zu besiegen. Beten Sie für unseren Sieg.« »Jawohl, Sir.« Der Buchhalter verneigte sich und ging. Grimes zog ein großes Tuch aus der Tasche und wischte sein Gesicht ab. »Es ist verdammt gefährlich geworden, Gentlemen. Und was noch schlimmer ist: selbst wenn die ›Big Red Mary‹ nächste Nacht käme, wird es ein oder zwei Tage dauern, bis wir alles verladen und geregelt haben und unauffällig auslaufen können. Übrigens, es ist doch wohl klar, daß unsere Frauen in Savannah zurückbleiben und kein Wort von unseren Plänen erfahren?« »Kein Sterbenswörtchen«, versicherte Usherstood feierlich. DeVellers grinste bereits wieder. »Wenn wir um das Kap Horn und in den Nordpazifik segeln, wartet das Paradies auf uns. Und die schönsten Frauen der Welt! Hawaii!« »Wenn wir die Blockade durchbrochen haben, segeln wir, wohin wir wollen«, verkündete Usherstood. »Und warum sollte das nicht in der Tat Hawaii sein!« *
Ich hatte Shita wie am Morgen in der Schule zurückgelassen und näherte mich dem Bankgebäude von der Rückseite. Daß in die Hofmauer ein Loch von dem nahen Granateinschlag gerissen worden war, hatte ich vernommen. Jetzt bestand meine Hoffnung darin, durch das Loch in den Hof zu gelangen und etwas von den weiteren Plänen zu erfahren. Wie das geschehen sollte, war mir völlig unklar. Auf der Rückseite war niemand zu sehen. Ich folgte der Wand, gelangte an die Hofmauer und fand das Loch. Die Wachen waren offenbar abgezogen worden, weil sie doch nichts weiter vermochten, als Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Durch das Loch war Feuerschein zu sehen. Gestalten wärmten sich an den Flammen. Ich vermochte mein Glück kaum zu begreifen. Einen Schritt hatte ich von der Straße aus nur zu tun, dann stand ich im Hof und konnte mich an die Wand ducken. Ich schlich nach links, um aus dem Widerschein des Feuers zu gelangen und sah vor mir zwei Neger, die auf dem nackten Boden in dünne, dürftige Decken gehüllt lagen. »Ich habe nicht gesehen, was in den Kisten ist«, flüsterte der eine gerade so laut, daß ich es hören konnte. »Gold!« zischte der andere. »Wieso hast du nichts gesehen?« »Ich war vor Carr und bin froh, daß mich keine Mine zerrissen hat, Cäsar!« »Es ist Gold«, erwiderte der andere abermals. »Ich stand direkt daneben, als die Kiste auf den Boden fiel und der Deckel aufsprang. Goldbarren! Gegossen!« »Mir ist es egal. Wenn das Gold auf dem Schiff ist, werden wir freigelassen.« »Das glaubst du?« »Ich hoffe es.« »Ich glaube denen nicht. Sie lügen! Aber die Yankees sind ganz in der Nähe und werden uns befreien.« Mir genügte schon, was ich gehört hatte. Hastig zog ich mich zurück und kroch durch das Loch in der Mauer nach draußen. An der Wand entlang lief ich davon.
Mein nächstes Ziel war die Nähe des Gefängnisses. Ganz konnte ich an den aus gewaltigen Quadern errichteten Komplex nicht herangelangen, da zahlreiche Wachen um den Bau patrouillierten. Befreien konnte ich die Kameraden von der US-Armee nicht. So schlug ich den Weg zum Hafen ein. Mehrmals mußte ich in Deckung gehen, wenn Streifen auftauchten. Zwar war es sicher nicht sehr gefährlich, erwischt zu werden. Aber es konnte mit unangenehmen Fragen und Mißtrauen enden. Beides konnte ich absolut nicht gebrauchen. Als ich im Hafen angelangt war und mir den Weg zu ihm eingeprägt hatte, lief ich zur Schule zurück. In meinem Zimmer empfing mich Shita mit einem Satz, der bis über meinen Kopf reichte. Außer ihm war niemandem meine Abwesenheit aufgefallen. Ich legte mich ins Bett und schlief, bis Shita am Morgen kläffend in die Höhe fuhr und zur Tür hin eine drohende Haltung einnahm, die Lippen von den Reißzähnen zurückgezogen. »Zurück, Shita!« befahl ich. Der Hund gehorchte. Im Gang waren Schritte zu hören, die Tür öffnete sich, und ein junger Lieutenant schaute herein. »Hennessy?« fragte der Mann. »Ja.« »Sie sind abkommandiert.« Ich stand auf und stopfte das Hemd in die Hose. »So? Wohin denn?« »Dem Kommandanten erscheint es zu gefährlich, einen Kurier aus der Stadt zu schicken, und er hat auch an General Hood nichts auszurichten. Wir hingegen benötigen jeden Mann.« »Und was soll ich tun?« »Mit ein paar anderen Vorbereitungen für die Verteidigung der Stadt treffen. In zehn Minuten im Hof!« »Jawohl, Sir.« Der blutjunge Lieutenant verschwand. Er mochte drei oder vier Jahre älter als ich gewesen sein, ohne älter als ich auszusehen. Eisiger Wind fegte durch Savannah, als ich nach zehn Minuten in
den Hof trat. Ein paar frierende Gestalten lungerten bereits herum. Sie kauten noch an der Morgenration, die bereits spärlicher als zu meiner Ankunft ausgefallen war. Die Vorräte schienen drastisch abzunehmen. Shita stand neben mir und lehnte sich an mein Bein. Ihm ging die Kälte auch durch den Pelz. Der junge Lieutenant ließ uns nicht lange warten. Wir mußten in Doppelreihe antreten und marschierten durch das Tor nach draußen. Die Männer um mich herum waren zum Teil verwundet worden, aber so weit wiederhergestellt, daß sie die erforderlichen Arbeiten verrichten konnten. Es waren offenbar auch ältere Reservisten dabei und ein paar Polizisten, denen die Sorge für die Ordnung in der Stadt längst vom Militär abgenommen worden war. Wir marschierten zu einem Schuppen, in dem wir Spaten, Hacken, Schaufeln und kurze Eisenträger auf ein paar Karren luden. Diese zogen und schoben wir durch die Stadt. Hinter den letzten Hütten begannen wir die Straße aufzureißen und aus den Trägern Sperren zu errichten. Es war gegen Mittag, als wir zur Schule zurückmarschierten, um das Essen zu empfangen. Noch unterwegs liefen Menschen an uns vorbei und dem östlich gelegenen Hafen entgegen. »Die ›Big Red Mary‹ läuft ein!« rief jemand. Unser junger Lieutenant nahm davon keine Notiz und führte uns weiter. Ich hatte Mühe, meine innere Erregung zu verbergen. In der Schule stürzte ich ins obere Stockwerk hinauf, um einen Blick auf den Hafen zu werfen. Die »Big Red Mary« hatte Savannah noch nicht ganz erreicht, war jedoch bereits so nahe, daß ich auch Kleinigkeiten erkannte. Die Bordwände des Schiffes waren mit Panzerplatten gesichert worden. Straff gebläht standen die vier großen Gaffelsegel und die übrigen Segel bei halbem Wind, der diesen schönen, stolzen Schoner mit erheblicher Schräglage entlang der Küste schob. Weit abgeschlagen waren ein paar Rahsegler zu erkennen, die die Verfolgung des Viermast-Schoners aufgegeben hatten, da der Wind sie hoffnungslos auf die Felsen südlich von Savannah geworfen hätte.
Erst in unmittelbarer Hafennähe fuhr die »Big Red Mary« ein Manöver in den Wind und barg die Gaffelsegel der drei großen Masten, die vier Toppsegel über den Gaffelsegeln sowie alle Vorsegel bis auf den Außenklüver. Das Schiff drehte zurück und segelte mit dem achteren Besansegel und dem Klüver platt vor dem Wind am Leuchtfeuer vorbei langsam in den Hafen. Ein Anker wurde über Bord geworfen und brachte durch seine am Heck belegte Trosse den Schoner noch mitten im Hafenbecken zum Stehen. Der Bug schwoite herum. An Wurfleinen wurden die Festmacher zur Pier gezogen, wo die »Big Red Mary« vertäut wurde. Der Kapitän Patrick McNapp, an den jenes Schreiben gerichtet worden war, das wir in der auf See treibenden Kiste aufgefischt hatten, begegnete mir Stunden später, als ich meine Truppe unter einem Vorwand verlassen hatte und in der Nähe der Bank herumschlich. Der Mann stellte in seiner Person die vom Bootsmann damals abgegebene Beschreibung bei weitem in den Schatten. Jolan Brash hatte gewaltig untertrieben, was ihm aber gar nicht ähnlich sah. Vielleicht hatte er den Iren McNapp nicht so gut gekannt, wie er vorgegeben hatte. McNapp war ein gewaltiger Mann, der unter Tausenden von Menschen auffallen mußte. Er trug unter dem offenstehenden Fellmantel ein rot und weiß geringeltes Hemd, schwarze Keilhosen, einen Gürtel mit zwei Revolvern und einem Säbel. Sein Kopf war groß wie ein Kürbis, hatte funkelnde, große Augen und brandrotes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel und mit dem gewaltigen Bart eins war. McNapp fehlte das linke Auge, das von einer schwarzen Klappe mit schrägem Halteband verdeckt wurde. So wie ihn hatte ich mir als Junge einen Piraten vorgestellt, und deren unmittelbarer Nachfahre schien Patrick McNapp, der irische Kapitän der »Big Red Mary«, auch zu sein. Dieser Krieg war das, was seinem Geschmack entsprach – sicher viel weniger aus Habgier wie bei jenen überseeischen Waffenlieferanten als aus reinem Tatendrang. Was seiner Vorstellung entsprach, hatte in der Welt von Kommerz und Ordnung keinen Raum mehr. Hier aber, zwischen mörderischem Kampf, Intrige, Feigheit und Mut, hier hatte er noch
einmal den Platz gefunden, an den er paßte. Ich schaute dem Berg von einem Mann nach, wie er in der Bank verschwand. Mir war indessen jede Kleinigkeit des Geschäfts klar geworden, um das es hier ging. Wie man es verhindern sollte, war mir noch schleierhaft. Dieser schnelle Schoner war nicht wie der schwerfällige und unterbewaffnete Franzose »Lausanne« abzufangen und leicht und mühelos nach kurzem Gefecht zu kapern. Im Gegenteil! McNapp würde die seglerischen Vorteile gegenüber den Rahschiffen unter Garantie ausnutzen. Gerade darin bestand seine Chance, abgesehen davon, daß sein Schiff äußerst schnell war. Er würde versuchen, hoch am Wind die freie See zu gewinnen, und mit einiger Sicherheit konnte ihm das auch gelingen. Ich lief zu meiner Kolonne zurück und sagte, daß der Stadtkommandant mich noch nicht als Kurier brauche. Der junge Lieutenant grinste mich an. »Wußte ich.« »Ich soll aber noch mal zurückkommen«, log ich. Der Offizier wurde ernst. »Wozu denn das?« »Zur besonderen Verwendung.« Der Lieutenant fluchte. »Also von mir aus, hauen Sie schon ab!« Ich zog mit Shita ab und hoffte, daß meine Lüge nicht wie eine Seifenblase platzte. Ich wollte McNapp weiter beobachten, wenn er aus der Bank kam und sehen, wohin er dann ging und was sich noch in Erfahrung bringen ließ. Vor der Schule hatten sich Menschen angesammelt. Matrosen, die nur wenig anders als McNapp aussahen und ebenfalls eher Piraten glichen als einer Frachtschiffbesatzung, schleppten hochbeladene Karren vom Hafen heraufziehend durch die Stadt. »Sie bringen Schießpulver, Gewehre und tonnenweise Blei«, sagte ein alter Mann zu mir. »So?« »Ja. Da, sehen Sie doch, mein Junge!« Der Mann zeigte auf die hochbeladenen Karren. »Alles aus der ›Big Red Mary‹ ausgeladen worden.« »Dann wird der Krieg um Savannah wohl noch lange dauern«, erwiderte ich und verdrückte mich schnell.
Shita lief neben mir her. Wir gerieten bald wieder in die Nähe der Bank und mußten eine ganze Zeit warten, bis der gewaltige Kapitän mit der roten Mähne auftauchte. Shita und ich folgten ihm mit beachtlichem Abstand. Er lief ein paar Straßenzüge weiter und verschwand in einem hohen Gebäude mit Wachen vor der breiten Tür. Eine Fahne der Konföderierten hing über der Tür. Ich hielt einen Mann an, deutete auf das Gebäude und fragte: »Was ist dort untergebracht?« »Eine Residenz des Kriegsministeriums«, erwiderte der Mann. »Staatssekretär Usherstood?« »Ja. Warum fragen Sie, wenn Sie doch alles wissen?« Die Augen des Mannes funkelten mich zornig an. Dann lief er weiter. Ich schaute mich um und sah einen vornehm gekleideten Herrn, bei dem mir der ins Gesicht gezogene Hut und der hochgestellte Mantelkragen sofort auffielen. Er erinnerte mich an Usherstood und DeVellers, die ich auf dem Weg zur Bank beobachtet hatte. Rasch verdrückte ich mich wieder, um nicht gesehen zu werden. Der Mann hastete vorbei und verschwand ebenfalls in dem Gebäude mit den Wachen unter der Fahne. Aufgehalten wurde er von den Posten nicht. Diesmal konnte ich eine Frau aufhalten, die den eiligen Mann ebenfalls hatte sehen müssen. So erfuhr ich, daß es Ashton Grimes, der Bankier, war. * Patrick McNapp stampfte wie ein Bär im Dienstzimmer des Staatssekretärs hin und her. Usherstood saß zusammengesunken hinter seinem Schreibtisch, auf dem in einem Marmorhalter eine Konföderiertenfahne im Miniformat stand, die einer Standarte ähnelte. Das Zimmer war kostbar mit schweren Sesseln und zwei Sofas ausgestattet, alles mit Plüsch weinrot bezogen. Teppiche bedeckten teilweise übereinander liegend den Boden. An den beiden Bogenfenstern hingen schwere, dunkle Gardinen, die an den Simsen mit Samtbändern zusammengefaßt waren. Von der Decke herunter verbreitete eine
sechsarmige Lampe mit kostbaren Leuchtern gedämpftes Licht, das den kalten Dezembertag aus dem warmen Zimmer verbannte. Der Bankier saß verloren in einem Sessel. Er hatte vergessen, den Mantelkragen umzulegen und den Hut aus der Stirn zu schieben, so daß er den irischen Kapitän an einen Detektiv erinnerte, der vom Schnupfen geplagt in einer kalten Mauernische, wartete, um einen Ehebrecher zu beschatten. »Ihr wollt also mit der ganzen Beute verschwinden«, stellte McNapp fest und blieb stehen. Sein Grinsen wirkte auf die beiden anderen wie der nackte Hohn. Grimes schob den Hut nun doch aus dem Gesicht. Usherstood vergaß, den Mund zu schließen. »Was wollen wir?« fragte der Bankier. »Verschwinden. Abhauen!« Der ferne Geschützdonner folgte den Worten des gewaltigen Kapitäns, die im Zimmer nachzuhallen schienen. Usherstood blickte auf die Tür. »Rede ich zu laut?« fragte McNapp. »Kann uns jemand hören, den das nichts angeht?« Usherstood hustete. »Sie haben uns völlig mißverstanden, Kapitän. Wir wollen das Gold um das Kap Horn nach San Franzisko bringen.« »Bis dorthin brauchen wir unter den günstigsten Umständen drei Monate um diese Jahreszeit. Wenn wir Pech haben, segeln wir am Kap zwei Monate kreuz und quer, ohne um die Südwestecke zu gelangen. Bis dahin, Gentlemen, ist der Krieg längst entschieden. Zugunsten der Nordstaaten, versteht sich. Und das wißt ihr beiden so gut wie ich. Also wenn wir das Geschäft überhaupt zusammen zustande bringen wollen, dann ohne gezinkte Karten. Übrigens würde auf See sowieso kein anderer Kurs abgesetzt, als ich angebe. Wenn also der Krieg zu Ende wäre und ihr dann nach Bali, den Seychellen oder was weiß ich wohin segeln wolltet, müßte ich den Befehl dazu geben.« »Er hat uns in der Hand«, bekannte Grimes kleinlaut und in der richtigen Einschätzung der Lage, in der sie sich befanden. Usherstood nickte und zeigte sich noch zerknirschter als die Tage zuvor.
»Es interessiert mich auch nicht, ob Sie gute Patrioten sind oder das Gegenteil«, fuhr der irische Kapitän fort. »Auch würde nur ein Dummkopf immer neues Gold in diesen Krieg investieren, der für den Süden längst verloren ist. Also, an welches Ziel haben Sie gedacht?« »Hawaii«, sagte Grimes mit gesenktem Kopf. »Hawaii, hätte ich mir eigentlich denken können.« McNapp grinste die beiden wieder an. »Und wie viele Prozente für mich?« »Prozente?« Grimes stand auf und klappte den Mantelkragen nun doch herunter. »Prozente von dem Gold«, erklärte McNapp mit seiner überlegenen Freundlichkeit. »Wir wollten Sie und Ihr Schiff chartern, Kapitän«, sagte Usherstood. »Zu einem Festpreis.« »Ja, ich denke auch an einen Festpreis.« McNapp nickte. »Aber er hängt davon ab, wieviel Gold es ist.« »Geht denn das andere klar?« fragte Grimes. »Ich meine, die Verladung und die Unterbringung der einhundert Geiseln?« »Das ist kein Problem und im übrigen eine sehr gute Idee. Allerdings können wir nicht in der nächsten Nacht verschwinden. Am Schiff sind ein paar dringende Reparaturen an den Bordwänden und den Platten durchzuführen. Wir haben allerhand Federn gelassen und würden in einem Sturm mehr Wasser übernehmen, als wir aus dem Schiff pumpen können. Ich denke, ein bis zwei Tage Geduld müssen Sie aufbringen. So lange wird Savannah sicher noch gehalten werden.« »Ein bis zwei Tage?« fragte Grimes und verlor den letzten Rest Farbe aus dem Gesicht. McNapp hob die Schultern. »So schnell wird Savannah doch nun auch wieder nicht von den Yankees eingenommen werden.« »Nein, das sicher nicht«, gab Usherstood schleppenden Tones zu. »Nur, das Gold darf nicht beliebig lange im Tresorraum der Bank liegen. Es würde auffallen, wenn nicht schleunigst versucht wird, es in Waffen und Pulver umzusetzen.« »Tut mir wirklich leid. Aber die Reparaturen am Schiff müssen durchgeführt werden. Inzwischen kann das Gold ja verladen
werden.« »Wir wollen nicht mehr Aufsehen als unbedingt erforderlich«, sagte der Bankier. »Die Verladung findet in jedem Fall in der Nacht statt. Auch die Geiseln müssen nachts an Bord gehen. Nur kein Aufsehen, das vermieden werden kann.« »Mir egal.« McNapp wanderte zum Fenster, zur Tür und abermals zum Fenster. Auf den Zehen wippend schaute er hinaus, vermochte jedoch den Hafen von diesem Standort aus nicht zu sehen. »Bliebe noch die Frage, wieviel es ist.« »Wir bieten Ihnen eine Million Dollar in Gold«, erklärte der Bankier. Kapitän McNapp wandte sich um. Er schaute erst Grimes, dann den Staatssekretär an. »Eine Million?« Grimes nickte. »In purem Gold!« »Donnerwetter. Das ist wesentlich mehr, als ich dachte.« McNapp kratzte sich im roten Bart. »Dann sind Sie einverstanden?« Grimes trat einen Schritt auf ihn zu und streckte die Hand aus, als wollte er damit das Geschäft besiegeln. »Davon habe ich nichts gesagt, Mister.« Die Hand des Bankiers senkte sich, und die eben aufgetauchte zarte Röte verschwand erneut von seinen Wangen. »Fünfundzwanzig Prozent«, sagte Kapitän McNapp eisig. »Kein Prozent mehr und kein Prozent weniger.« »Eine Million Dollar ist eine ungeheure Summe«, sagte der Staatssekretär wütend. »Gewiß, Mister Usherstood. Aber wenn man sich einen solchen Staatsschatz unter den Nagel reißen kann, dann ist eine Million davon doch nur eine Bagatelle. Also?« Usherstood und Grimes schauten sich wieder an. Habgier und Mißgunst ließen sie nach immer neuen Auswegen suchen. »Ich kann auch morgen noch mal vorbeischauen«, sagte McNapp kühl. »Oder noch besser, Sie kommen zu mir an Bord, wenn Sie es sich überlegt haben. Und denken Sie daran, ich werde nicht um den Preis feilschen. Sie können mich auch nicht aufs Kreuz legen, Gentlemen. Wenn das Gold auf der ›Big Red Mary‹ ist, habe ich es
in der Hand, alles in Augenschein zu nehmen. Ich kann den Wert schätzen, zumal wenn es ausgeschmolzenes Gold in Barren ist.« Kapitän McNapp ging hinter Grimes vorbei zur Tür. »Warten Sie, Kapitän!« rief der Staatssekretär. McNapp wandte sich um. Er sah freundlich aus, aber in seinen Augen funkelte die Überlegenheit. Sein schneller Schoner, die Tatsache, daß er damit beweglich war und jedes x-beliebige Ziel auf der weiten Welt anlaufen konnte, gestattete ihm das. »Also gut, fünfundzwanzig Prozent!« Usherstood wischte sich den Schweiß von der Stirn und lehnte sich im Sessel hinter dem langen, polierten Tisch zurück, als hätte er soeben eine schwere Arbeit verrichten müssen. »Einverstanden«, sagte Grimes mürrisch. Auch er setzte sich wie nach getaner Arbeit. »Und wieviel ist es wert?« »Zwanzig Millionen US-Dollar«, erklärte der Staatssekretär. Er schaute auf den Fußboden. »Zwanzig Millionen Dollar«, sagte McNapp bedächtig. »Verdammt und zugenäht, das ist wirklich ein stattliches Vermögen.« »Also fünf Millionen für Sie, Kapitän, wenn es Ihnen gelingt, das offene Meer mit uns und dem Gold zu erreichen.« »Ich werde mir die denkbar größte Mühe geben, Gentlemen. Lassen Sie das Gold heute nacht an Bord schaffen. Meine Leute stehen bereit, es zu verstauen.« McNapp grinste nun von einem Ohr bis zum anderen. »Morgen übernehmen wir Wasser und Proviant, um ohne Zwischenlandung bis Hawaii segeln zu können. Gentlemen«, der Kapitän deutete eine Verbeugung an, »es war mir eine Ehre.« Als der irische Kapitän den Raum verlassen hatte, atmete Grimes laut aus und wischte sich über die feucht gewordenen Augen. »Es war nicht anders mit ihm zu reden«, sagte Usherstood. »Es ist schon alles richtig. So ein Kerl wie dieser Ire sieht sich das Gold nur an und weiß, was es wert ist.« »Ich habe vor allem Angst, er könnte später versuchen, uns auszubooten. Wenn wir auf See sind, liegt alles in seiner Hand. Wir haben übrigens noch nicht darüber gesprochen, was mit den
Kriegsgefangenen geschehen soll, wenn wir die Blockade durchbrochen haben. Wir können nicht einhundert Gefangene bis Hawaii ernähren und mit Wasser versorgen. Sollte man versuchen, sie in Venezuela an Land zu setzen?« »Wozu diese Umstände?« Usherstood lächelte kalt. »Was dann?« »Die Haie freuen sich über soviel Futter. Sie werden denken, es ist ein Feiertag, Grimes. Sobald wir außer Gefahr sind, gehen die Gefangenen über Bord.« »Das ist vielleicht die beste Lösung«, sagte der Bankier. »Ob die beste oder nicht, es ist die einfachste und dazu die einzig praktikable.« »In der Tat, so ist es, Mister Usherstood. Dann werde ich jetzt dafür sorgen, daß es während der Nacht einen reibungslosen Transport des Goldes auf die ›Big Red Mary‹ gibt.« »Tun Sie das.« Usherstood erhob sich und geleitete seinen Gast und Kumpan auf den Flur hinaus. Ein Beamter ging höflich grüßend vorbei. Usherstood registrierte, daß von seinen Plänen noch nichts durchgesickert sein konnte. Solange sich die Leute so verhielten und keine verstohlenen Blicke um sich warfen, durfte er sicher sein. Der Staatssekretär ging zurück und schloß die Tür. »Es wird gelingen, es muß gelingen«, sagte er. * Nach den Beobachtungen des Tages hatte ich keine Ruhe mehr finden können. Das Gold in der Bank und das Schiff im Hafen, dazu der immer näher heranrückende Gefechtslärm der vorgeschobenen Stellungen sagten mir, daß keine Zeit zu verlieren sei. So war ich durch die Schule geschlichen und mit Shita tatsächlich unbemerkt hinausgelangt. Durch Nebengassen gelangten wir in den Hafen und sahen das aufs Meer zuckende Leuchtfeuer, dessen Lichtkegel gespenstisch anmuteten. Shita war immer dicht neben mir. Drüben, bei der »Big Red Mary«, brannten Petroleumlampen, die
weniger intensives Licht als der Leuchtturm verbreiteten. Ich schlich mit dem Hund an der Hafenmauer entlang, kletterte über Wellenbrecher und gelangte so unbemerkt in die Nähe des Schiffes. Dabei ging ich davon aus, daß etwas geschehen würde, was zu sehen lohnend genug war, sich um den Schlaf zu betrügen. Mich beunruhigte dabei auch, daß noch immer kein Kontaktmann eingetroffen war, der zu General Shermans Stab melden konnte, was ich bereits in Erfahrung gebracht hatte. Sehr viel war es ja nicht. Aber sicher erschien mir doch schon, daß die »Big Red Mary« mit den vielen Kisten auslaufen würde, die in die Stadt geschleppt worden waren. Von Gold hatten die Neger im Hof der Bank gesprochen. Es mußte ein riesiges Vermögen sein, viele Millionen US-Dollar wert. Plötzlich tauchten schemenhaft Gestalten auf. Ich duckte mich zwischen die Wellenbrecher und stieß ein Zischen aus, um den Hund zu warnen. Shitas Ohren standen steil nach oben, aber er gab keinen Laut von sich. Als die erste Gestalt in den trüben Lichtschein der Lampen vor dem Schoner geriet, erkannte ich, daß es ein Neger war. Er trug wieder eine jener Kisten auf der Schulter. Aufseher gerieten ins Licht. »Los, vorwärts, da hinauf!« befahl eine verhaltene Stimme. An Bord des Schoners zeigten sich ebenfalls Gestalten. Der erste Neger betrat die schwankende Gangway. Der ungewohnte Boden ließ den Sklaven unsicher stehenbleiben und balancieren. »Fall nicht ins Wasser, verdammter Idiot!« schimpfte der Aufseher auf der Pier. »Los, weiter, Nigger!« Der Sklave lief weiter. Andere kamen und folgten ihm. Ich sah, wie die Neger mit den Goldkisten auf dem Schiff verschwanden. Die Aufseher mit ihren Peitschen an den Handgelenken gingen mit an Bord. Alles verschwand, auch die Seeleute. Bald tauchte der erste Aufseher jedoch wieder auf und verließ das Schiff. Ein Neger folgte dem Aufseher und hatte die Kiste wieder auf der Schulter. Er trug sie jedoch mit einer Leichtigkeit, die mir sagte, daß sie leer sein mußte.
Am Kai stellte der Neger die Kiste ab und wollte weggehen. »He, spinnst du?« rief der Aufseher. »Wo willst du denn hin?« »Wir sind frei.« »Was seid ihr?« »Wenn das Gold auf dem Schiff ist, sind wir frei«, sagte der Sklave. »Das wurde uns versprochen.« Der Neger machte abermals Miene, weiterzugehen. »Du gehst mit uns in die Bank zurück, oder du fährst in die Hölle, Nigger! Überlege schnell, was dir lieber ist.« »Ihr habt es versprochen«, sagte der Sklave schroff. Weitere Neger verließen mit leeren Kisten auf den Schultern das Schiff. Die Aufseher folgten ihnen. Auf dem Schoner waren die Männer wieder an der Reling zu sehen. »Wir sind frei!« rief der Sklave, der die »Big Red Mary« als erster verlassen hatte. »Jetzt reicht es mir aber!« Der Aufseher steckte den Revolver weg und knüppelte mit seiner Peitsche auf den Neger ein, bis der auf der Pier zu Boden stürzte. »Wir gehen zur Bank zurück!« befahl Carr, der Anführer der Wächter. »Ihr kriegt, was euch versprochen wurde. Aber ihr werdet hoffentlich die Zeit abwarten können. Den Zeitpunkt bestimmt Mister DeVellers. Los, helft dem Narren auf die Füße. Und dann nichts wie weg hier!« Der Zusammengeschlagene wurde aufgehoben, und die Kolonne verließ den Hafen. Ich blieb in der Deckung der Wellenbrecher, bis auf der »Big Red Mary« die Lampen gelöscht und die Seeleute verschwunden waren. Niemand sonst schien die Verladung des Goldes beobachtet zu haben. Plötzlich knurrte Shita, sprang herum und flog mit einem Satz auf eine Gestalt zu, die über uns zwischen den Wellenbrechern aufgetaucht war. Ich sah ein Blitzen in der Luft und duckte mich. Ein Messer zischte über meinen Kopf weg und traf den Klotz, bevor es zu Boden fiel. Der Kerl schien allein zu sein und mich seit längerem beobachtet
zu haben. Er sah wie einer der Seeleute vom Schoner aus. Shita setzte über den höher gelegenen Wellenbrecher und sprang dem Mann gegen die Brust. Der Kerl stieß einen erschrockenen Schrei aus. Er schien den Hund im Dunkeln nicht bemerkt zu haben. Shitas Ansturm warf ihn um und so unglücklich mit der Schläfe auf die Kante des Brechers, daß er tot liegenblieb. Ich war um den Klotz herumgehuscht, beugte mich nieder, schob Shita zur Seite und sah den gebrochenen Blick des Matrosen. Auf der »Big Red Mary« wurde etwas gerufen. Mich umwendend sah ich Gestalten hinter der Reling in der Nähe der Gangway. Wenn sie von Bord stürmten und einer mich genau sah, geriet ich in die Hölle. »Los, weg, Shita!« rief ich dem Hund zu und hastete geduckt im Schutz der Wellenbrecher in Richtung Stadt davon. »Da rennt einer!« brüllte eine Stimme. Mit dem Hund lief ich weiter und verschwand in einer dunklen Gasse. Am Hafen fielen ein paar Schüsse. Doch ich war längst zu weit weg, als daß die Kugeln mir noch hätten gefährlich werden können. Aber vor mir trat eine Gestalt aus einem Torbogen und rief mich an. Keuchend blieb ich stehen. Auch Shita hielt an. »Schnell!« rief ich dem Mann zu, den ich als Soldaten erkannte. »Da unten am Hafen scheint ein Spion zu sein. Ich hole weitere Hilfe! Nun stehen Sie nicht herum!« Der Soldat schien meine Uniform zu erkennen. »In Ordnung«, sagte er hastig und lief an mir vorbei. Ich schaute ihm ein paar Herzschläge lang nach, dann stürmte ich mit dem Hund weiter. Bei der Bank sah ich gerade noch die letzten Sklaven und Aufseher verschwinden und das große Hoftor zufallen. Posten waren keine mehr in der Nähe. Aber die hatten jene sauberen Gentlemen auch nicht gebrauchen können bei der nächtlichen Aktion. Am Hafen wurde wieder aus Revolvern geschossen. Man schien jetzt irgendwo eine nicht vorhandene Gestalt zu jagen. Das Hoftor öffnete sich noch einmal, und ein bulliger Mann trat heraus. Er lief zum Eingang der Bank und stieß dort mit einem
anderen zusammen. »Sind alle zurück?« fragte der eine. »Alles klar, Mister Grimes. Das Gold ist verladen, und die Sklaven stecken im Hof.« »Dort können sie natürlich nicht ewig bleiben, DeVellers«, erwiderte der Bankier. »Sie müssen irgendwo hausen, und niemand wird etwas dabei finden, wenn das im Hof ist. Jetzt, in den Kriegswirren, kümmert sich niemand darum, Mister Grimes.« Ich sah einen dritten Mann heranhasten und erkannte den Staatssekretär. Da ich nun auch den Sklavenhändler DeVellers undeutlich in dem Lichtschein sah, der aus dem Hause fiel, vermochte ich die Halunken auseinanderzuhalten. »Es ist alles verladen«, sagte Grimes zu Usherstood. »Gehen wir ins Haus, Gentlemen! Hier können die Wände mitunter Ohren haben!« Die drei Männer verschwanden im Haus. Ich ging mit Shita weiter. Es wurde wohl Zeit, daß ich mich wieder in die Schule schlich. Wenige Minuten später hatte ich den Platz erreicht und sah im Licht einer Straßenlampe den Posten vor der Schule. Der frierende Soldat schlug die Hände gegeneinander und stampfte abwechselnd mit den Füßen auf den Boden. An ihm würde ich nicht unbemerkt vorbeigelangen. Das störte mich, weil ich nun wieder hinten hinein und über eine Mauer mußte, die für Shita beinahe zu hoch war. Eine Weile suchte ich nach einem anderen Ausweg, dann zog ich mich mit dem Hund zurück, umging das ganze Viertel und stieg im Dunkel hinter der Schule auf die Mauer, die den Hof abgrenzte. »Los, Shita!« rief ich dem Hund auf der Mauerkrone sitzend zu. »Nun mach schon, spring!« Shita jaulte, als hätte er Angst. Seine Sprunggelenke spannten sich, und er setzte über die Mauer weg. »Na also.« Ich sprang in den Hof und hastete mit dem Tier auf den rückwärtigen Eingang zu. An der Tür und im dunklen Flur war niemand. Der Posten an der Vordertür kehrte mir den Rücken zu und bemerkte uns nicht.
* Den ganzen Tag über hatte sich mir kein Mensch genähert, der Kontakt aufnehmen wollte. Ich war zu einem nach Südwesten geschickten Trupp eingeteilt worden. Wir schaufelten wieder Gräben, in denen die Wagen der Unionsarmee liegenbleiben sollten, und errichteten Eisensperren. Der Wind war völlig eingeschlafen, so daß der Ozean sicher bald zur Ruhe gelangen würde. Ein Gefühl sagte mir, daß eine unbemerkte Annäherung an die Stadt am ehesten über See möglich war. Wie nahe man im Ruderboot unbemerkt an die Wachboote herangelangen konnte, hatte ich ja mit Bootsmann Brash und seinen Männern erlebt. Das Risiko war also viel geringer, als über Land in die Stadt zu schleichen. Allerdings nur nachts. Also mußte ich am Abend wieder in der Nähe des Hafens sein. Mir war am Morgen aufgefallen, daß auch in dieser Richtung Trupps geschickt worden waren. Sorgsam hatte ich mich gehütet, zu ihnen eingeteilt zu werden. Der Posten in der Straße konnte mich gut genug gesehen haben, um mich und den Hund, der nicht von meiner Seite wich, zu erkennen. Denn spätestens am Hafen mußte ihm aufgefallen sein, daß ich ihn zum Narren gehalten hatte. Wir waren zehn Männer und der junge Lieutenant, der aber weitere Trupps zu beaufsichtigen hatte und oft nicht da war. So wurden öfter Pausen eingelegt und diese immer länger ausgedehnt. »Sag mal, bist du wirklich der Scout, dem es gelungen ist, aus Fort Allister und durch den Ring der Unionstruppen zu gelangen?« fragte mich einer. Alle hielten im Schaufeln inne und schauten mich an. »Hinein und heraus«, erwiderte ich. Ihre Blicke waren bewundernd, die eines jungen Burschen sogar deutlich von Neid erfüllt. »Es war nichts Besonderes«, schwächte ich ab und schaufelte weiter, weil ich über diese erfundene Geschichte nicht sprechen wollte. Zum Glück kehrte auch der Lieutenant zurück, und jeder gab sich
den Anschein, mit Eifer bei der Sache zu sein. Kaum aber wandte der Offizier sich ab, hielten sie wieder inne. Diesmal diskutierten sie über Sinn oder Unsinn unserer Plagerei und mutmaßten, daß die Yankees die Sperren in einer einzigen Nacht überrennen würden, wenn sie erst einmal zum Sturm ansetzten. Obwohl sie mich anschauten, beteiligte ich mich nicht an der Diskussion und gab mir statt dessen den Anschein, der ideale Soldat zu sein, ein nicht denkender Befehlsausführer, gleichgültig wie der Befehl lautete. Vereinzelt schlugen Granaten bereits in unserer Nähe ein und rissen kleine Krater. Shita duckte sich dabei im Graben und jaulte jedesmal. »Krach haben die Hunde gar nicht gern«, erläuterte ein älterer Mann. »Dafür ist ihr Gehör zu empfindlich.« Niemand antwortete. Ich tat, als hätte ich die Worte überhört. Wir marschierten erst am späten Nachmittag in einem losen Haufen zur Schule zurück und empfingen unser Essen an der Gulaschkanone. Shita erhielt vom Küchenbullen ein großes Stück rohes Fleisch, das er heißhungrig vertilgte. Der Geschützdonner hielt noch immer an und hatte sich verstärkt. Der Angriff auf Savannah wurde unüberhörbar mit Eifer vorangetrieben. In der Aula saß ich an der Wand im Stroh bei den Pferden und aß die dünne Suppe aus dem Blechnapf, der zu meiner Ausrüstung gehörte. Um mich herum saßen andere Männer, teils Zivilisten, teils verletzte Soldaten von verschiedenen Kommandos in der Stadt. »Die ›Big Red Mary‹ soll morgen nacht auslaufen«, erklärte einer. Ich spitzte die Ohren, ohne den Kopf zu heben. »Sie soll wieder Waffen und Pulver heranschaffen«, fuhr der Mann fort. »Woher denn?« fragte ein anderer. »Von England etwa? Bis sie wieder hier sein kann, ist doch alles vorbei.« »Nein«, erwiderte der andere. »Von einem Schiff, das draußen auf dem Meer kreuzt und sich nicht durch die Blockade der Yankees wagt. Dieser irische Feuerteufel hat vor den Blockadeschiffen keine Angst. Der holt die Ladung herein, ihr werdet es sehen.« Sobald ich meine Suppe gelöffelt hatte, verließ ich die Aula. Auch
im Flur hielten sich viele Männer auf. Offiziere stiegen die Treppe herunter. Ein weißhaariger Major, mindestens siebzig Jahre alt, rief: »Die Befestigungsarbeiten gehen die ganze Nacht weiter, Männer! Wir können es uns nicht mehr leisten, die kostbare Zeit mit Schlafen zu vertun. In einer halben Stunde treten alle wieder draußen an. Zur Neueinteilung!« Ich war nach einer knappen halben Stunde rechtzeitig zur Stelle und schob mich in die Nähe des alten Sergeanten, der am Morgen das Kommando am Hafen geleitet hatte. Er erhielt es wieder, und weil ich in der Nähe stand, wurde ich automatisch zu ihm eingeteilt. Es dämmerte bereits, als wir hinunter zum Kai marschierten. Da der Wind nicht stärker geworden war, hatte sich das Wasser beruhigt, und der weite Ozean dehnte sich still und friedlich wie eine schimmernde Platte nach Osten aus. Es war bereits zu dunkel, als daß man Schiffe hätte sehen können, die vielleicht da draußen lagen. »Wir werfen vorn an der Mole Steine ins Wasser«, erklärte der Sergeant. »Wozu denn der Unsinn?« fragte ein Mann. »Ist doch einfach«, erwiderte der Sergeant. »Wir reduzieren damit die Wassertiefe und machen es einem Schiff unmöglich, anzulegen.« »Denkt man denn, die Yankees könnten von See aus versuchen, Soldaten hier zu landen?« wollte ein anderer wissen. »Stell dir vor, das denkt man«, sagte der Sergeant. »Und nun keine weitere Debatte. An die Arbeit, Leute!« Shita blieb neben mir, als wir Steine, die hinter den Wellenbrechern lagen, heranschleppten und am Kai ins Wasser warfen. »So weit hinaus, wie ihr könnt!« befahl der Sergeant und schleuderte seinen Stein weit ins Hafenbecken. Wir liefen zurück und holten weitere Steine. Bald ließ ich Shita etwas abseits zurück. Ich wollte mich absetzen, durfte aber dabei nicht auffallen. War der Hund immer in der Nähe, wurden wir sicher vermißt. Noch eine halbe Stunde trug ich Steine, dann schob ich mich immer weiter an den seeseitigen Rand der Kolonne und konnte sie schließlich ungesehen verlassen. Lange würde ich aber nicht bleiben können. Ich stieß einen Pfiff aus. Gleich darauf sprang Shita
mit langen Sätzen auf mich zu. Ich kraulte dem Hund das Fell und sagte: »So, die sind wir fürs erste los.« Wir gingen am Kai entlang bis zum Ende der Mole. Ins Meer geworfenes Geröll sollte bei Seegang das Ufer am Hafen schützen. Shita gab einen jaulenden Laut von sich und blickte an mir vorbei. Ich vermochte in dieser Richtung nichts als Nachtschwärze zu erkennen. Der Leuchtturm war auch noch nicht in Betrieb gesetzt worden. Vielleicht waren keine Küstenwachboote in der Nähe, und man wollte dem Feind nicht zeigen, wo der Hafen lag. Aber sobald wieder Schiffe der Konföderierten in der Nähe operieren würden, mußte auch das Leuchtfeuer in Betrieb sein, damit keins der Boote auf die ufernahen Untiefen lief. Da bewegte sich vor mir etwas. Ich griff zum Revolver und griff Shita ins struppige Fell, um ihn zurückzuhalten. »Hennessy?« fragte eine unterdrückte Stimme. »Ja.« Eine Gestalt richtete sich auf und trat näher heran. Es war ein Mann in Zivil – Owen, einer der beiden, die mir die Uniform des Kuriers beschafft hatten. »Du?« fragte ich. Der Mann grinste und zuckte mit den Schultern. »Ich scheine für alles gut genug zu sein, was andere nicht tun wollen.« »Dann haben wir offenbar doch etwas gemeinsam«, erwiderte ich und ließ den Hund los. »Wieso hast du gewußt, daß ich es sein würde?« »Wegen des Hundes nahm ich es an. Was hast du in Erfahrung bringen können?« Ich schaute zurück, um mich zu vergewissern, daß wir allein waren. Dann erklärte ich: »Der Schoner da drüben ist die ›Big Red Mary‹. Sie reparieren noch Planken knapp über der Wasserlinie. Aber in der nächsten Nacht soll der Schoner auslaufen. Dann werden Staatssekretär Usherstood, Bankier Grimes und Sklavenhändler DeVellers an Bord sein. Und mit ihnen eine unvorstellbare Menge Gold, die von zwanzig bis fünfundzwanzig Negersklaven nach Savannah transportiert wurde – an den Linien der US-Armee vorbei
und streckenweise anscheinend durch sie hindurch.« »Nicht möglich.« »Doch.« »Zwanzig Sklaven, sagst du?« »Ja. Zwanzig bis fünfundzwanzig. Und jeder mit einer schweren Kiste auf der Schulter. Die schwankten ganz schön, als sie anlangten.« »Und die Kriegsgefangenen?« wollte Owen wissen. »Die sind noch im Gefängnis oben in der Stadt. Man wird sie vermutlich erst kurz vor dem Auslaufen an Bord bringen. Der Weg vom Gefängnis zum Hafen ist eine halbe Meile lang. Ich nehme an, daß DeVellers Sklavenbewacher helfen werden, unsere Leute auf die ›Big Red Mary‹ zu verfrachten. Es müßte rechtzeitig ein Stoßtrupp hier in der Nähe bereitstehen.« »Ziemlich wenig Zeit, Ronco«, flüsterte Owen mir zu. »Aber ich hoffe, daß doch alles klappt. Hilfst du mir, mein Boot ins Wasser zu schieben?« Ich ging mit Owen weiter, kletterte über das Geröll und sah das Boot, das halb im Wasser hing. Shita sprang an uns vorbei und schnupperte an dem Boot. Wir schoben es völlig ins Wasser, und ich winkte dem Soldaten in Zivil, daß er einsteigen sollte. Owen tat dies. Ich stieß ihn ab und richtete mich auf. Lautlos tauchten die Riemen ins Wasser, und das Boot verschwand in der Dunkelheit. Noch ein paar Sekunden schaute ich in die Finsternis, aus der keine Geräusche drangen. Dann wandte ich mich ab und lief mit dem Hund zu den anderen zurück. Sie schienen mich nicht vermißt zu haben, denn niemand sagte etwas zu mir. So trug ich wieder Steine mit den anderen an die Kaimauer und warf sie ins Wasser. Bald darauf wurde die Spiegellampe im Leuchtturm entzündet, und die langen Strahlenbündel flammten auf das Meer hinaus. Eine Gruppe von sechs Blitzen waren die Kennung von Savannah. Sie wiederholte sich ständig nach längerer Pause. Erst gegen Mitternacht wurden die Arbeiten endlich eingestellt, und wir marschierten zerschlagen und müde mit unserem Sergeanten zur Schule zurück.
In meinem Zimmer waren zurückgezogene Soldaten der Kampftruppen untergebracht. Sie lagen auf dünnen Decken auf dem Boden und hatten auch mein Bett beschlagnahmt. Shita wollte den Schläfer aus meinem Bett zerren, aber ich hielt ihn davon ab, legte mich an der Wand nieder und schlief bald ein. * »Ist nun alles klar?« Usherstood wandte sich im Office der Bank Grimes zu. »Mir wäre wohler, die Blockadeschiffe der Yankees würden bereits hinter uns liegen.« »Wem soll das nicht an die Nerven gehen«, sagte DeVellers, der neben der Tür stand und auf den Mann hinter dem Schreibtisch blickte. Grimes kam ihm immer unscheinbarer vor, je länger er ihn kannte, und er fragte sich, wie dieser verschlagene, feige Kerl bis zum Bankier von Savannah hatte aufsteigen können. Als Spitzel oder Advokat hätte er sich den Mann eher vorstellen können. Usherstood schaute zum Fenster hinaus. Die Windfahne auf dem nächsten Haus bewegte sich etwas. Sie hatten wieder ein wenig Wind, bestimmt genug, um den Schoner in Fahrt zu bringen und auslaufen zu können. Letzte Nacht wären sie wegen der Windstille nicht aus dem Hafen hinausgelangt. Die Sonne war für eine Weile zwischen der aufgerissenen Wolkendecke zu sehen gewesen, nun aber wieder verschwunden. Es war bereits Nachmittag. Noch einige Stunden, dann sank die Dämmerung über das Land, und die Nacht brach an. Dann war es soweit. Das hoffte Usherstood jedenfalls. »Und mit den Gefangenen, klappt das?« fragte der Bankier. »Warum sollte es nicht klappen?« »Ich werde das Gefühl nicht los, daß noch etwas schiefläuft«, gestand der Bankier zerknirscht. »Hat Ihre Frau etwas bemerkt?« »Nein, nein!« wehrte Grimes hastig ab. »Und Ihr Buchhalter?« »Um ehrlich zu sein, er ist ungeheuer ehrgeizig und schnüffelt seit
gestern durch das ganze Haus. Er ist mir unheimlich. Doch gesagt hat er nichts.« »Er wird seine Neugierde noch früh genug befriedigen können, der Buchhalter.« DeVellers grinste tückisch. »Ich finde den Weg schon selbst!« rief eine polternde Stimme draußen. Gleich darauf waren harte Schritte zu hören. DeVellers öffnete die Tür. »Der Ire! Wußte ich es doch, als ich die Stimme hörte.« Der exotische Kapitän, der über das ganze Gesicht so sehr grinste, daß selbst die schwarze Augenklappe zu glänzen schien, walzte breitspurig herein. DeVellers schloß die Tür. »Ist das Schiff klar zum Auslaufen, Kapitän?« erkundigte sich der Bankier, der aufgestanden war. Alle starrten den bärenhaften Iren mit den feuerroten Haaren und dem gewaltigen Bart an. »Wir sind mit allem fertig und warten nur noch auf die Geiseln und Sie, Gentlemen!« »Gott im Himmel sei es gedankt!« Grimes schlug die Hände zusammen und schaute dankbar zur Zimmerdecke hoch. »Wir sollten den lieben Gott aus dem Spiel lassen«, sagte der irische Kapitän. »Ich bin zwar nicht fromm, aber verdammt abergläubisch, Mister. Und deshalb darf ich solche Ironie nicht dulden.« Grimes hatte sich bereits wieder hinter den Schreibtisch gesetzt. »Bereiten Sie alles vor, daß wir unverzüglich auslaufen können, wenn die Geiseln an Bord sind, Kapitän«, erklärte der Staatssekretär. »Wir haben alles vorbereitet, das sagte ich doch, Mister Usherstood. Sorgen Sie dafür, daß niemand zu spät antanzt und nichts vergessen wird. Umkehren können wir nicht. Also!« McNapp ging zur Tür und verließ das Office. * Ich stand in der herabsinkenden Nacht in der Nähe der Bank und
lauschte auf den Kanonendonner, der noch anhielt. An diesem Abend schien der Krieg keine Pause einlegen zu wollen. Da öffnete sich die Tür der Bank, und Usherstood trat heraus. Er rief etwas, wovon ich keine Silbe verstand. Gleich darauf tauchten die Aufseher der Sklaven im Lichtschein vor der Bank auf. Die sechs Männer setzten sich in Bewegung und gingen auf mich und den Hund zu. »Zurück, Shita! Und keinen Laut!« Wir drückten uns ins Dunkel der Toreinfahrt und ließen die Männer vorbei. Dann folgten wir lautlos und gelangten zum Gefängnis. Usherstood schlug, seinen Namen rufend, gegen das Tor, das geöffnet wurde. Nur gedämpft fiel Licht ins Freie. Eine Reihe bewaffneter Soldaten war undeutlich zu erkennen. »Mister Usherstood vom Kriegsministerium!« rief einer der Aufseher barsch. »Im Auftrag des kommandierenden Generals«, sagte der Staatssekretär selbst. »Lassen Sie sofort die Kriegsgefangenen aus den Zellen holen und im Hof antreten. Sie werden auf die ›Big Red Mary‹ gebracht.« Die Männer liefen in den Hof. Das Tor wurde geschlossen. Für mich gab es hier nichts mehr zu erfahren. Man würde die Gefangenen unter starker Bewachung auf das Schiff bringen. Dabei ging Usherstood bestimmt ganz offen vor und sagte den Wächtern im Gefängnis, daß die Unionssoldaten als Geiseln herhalten mußten, um die »Big Red Mary« durch die Blockade zu schleusen. Eventuellen Angreifern, die vielleicht nicht wissen sollten, was man gründlich genug versucht hatte, bekannt werden zu lassen, konnte durch Megaphone zugerufen werden, was mit ihren Leuten geschehen würde, wenn sie feuerten. Und das alles mußte den Wachen im Gefängnis als gute Kriegslist erscheinen, zumal sie dem Staatssekretär aus dem Kriegsministerium sowieso nicht zu widersprechen wagten. Noch bevor ich zum Hafen laufen konnte, sah ich einen Mann mit einem schweren Gegenstand in der rechten Hand über die Straße gehen. Das Gefängnistor öffnete sich einen Spalt, und der Staatssekretär
trat heraus. Hinter ihm schloß sich das Tor. Usherstood blieb verblüfft stehen und schaute auf den bulligen Mann, der einen Koffer trug und ihn mitten auf der Straße absetzte. Ich schob mich an der Mauer weiter zurück und zog Shita leicht am Schwanz. Er reagierte tatsächlich darauf und folgte mir. »DeVellers?« fragte Usherstood. »Ja. Was haben Sie denn?« »Sie schleppen solch einen Koffer mit sich?« »Ja, das sehen Sie doch.« »Sind Sie des Teufels?« »Wieso denn?« »Verdammt, solch einen Koffer schleppt man, wenn man vorhat, eine weite Reise zu unternehmen, Sie Idiot!« »Aber ich will doch auch …« Usherstood schnitt dem Sklavenhändler das Wort durch eine schroffe Handbewegung ab. »Natürlich wollen Sie, DeVellers. Aber wissen soll davon niemand etwas. Werfen Sie den Koffer in die nächste Ruine und laufen Sie schleunigst hierher zurück. Ihre Leute sind schon drinnen im Gefängnis. In zehn Minuten marschieren wir zum Hafen. Mit den Gefangenen!« DeVellers nahm den abgesetzten Koffer auf, wandte sich um und lief in die Gasse zurück. »Esel«, sagte Usherstood hinter ihm her. Ich zog mich mit dem Hund weiter zurück. Vielleicht waren unsere Leute bereits im Hafen und warteten auf mich. Zwei Straßenzüge weiter mußte ich einer Bautruppe unter Führung des jungen Lieutenants aus dem Wege gehen. Sie rissen schon mitten in der Stadt die Straßen auf. Die Kanonen donnerten immer noch. Manchmal detonierten Granaten in der Nähe, und die gellenden Schreie der Getroffenen waren zu hören. Der Krieg hatte angefangen, zur ersten Materialschlacht der Geschichte auszuarten und nahm nun von seinem neuen Wesen her auf nichts mehr Rücksicht, auch nicht auf Greise, Frauen, Kinder, Kranke und Verletzte. *
Ashton Grimes räumte in seinem Office noch im Schreibtisch auf. Er durfte nichts Verdächtiges zurücklassen. Man sollte später nach Möglichkeit annehmen, die »Big Red Mary« wäre gesunken und alle an Bord befindlichen Personen hätten den Tod gefunden. Deshalb durfte nichts zurückbleiben, woraus etwas anderes hervorging, was vielleicht eine große Suche einleiten würde. Er wühlte alle Fächer durch und sah jeden Zettel an, bis plötzlich die Tür wie von Geisterhand bewegt geöffnet wurde und der hagere, hellhäutige Buchhalter auf die Schwelle trat. Grimes hielt inne und starrte den Mann an. »Sie? Wieso sind Sie noch hier? Die Bank ist doch längst geschlossen!« Der hagere Mann trat ins Office und schloß die Tür. »Oder ist noch jemand in der Bank, Dufour?« »Nein, Sir. Nur wir zwei.« Grimes' Augen schlossen sich zu schmalen Spalten. Schärfer musterte er den unscheinbaren Mann, der jahrelang schweigend und duldsam seinen Dienst versehen hatte, der nie klagte, nie krank wurde, keinen Urlaub forderte und nicht mit Neuerungen erschien. Alles, was Ashton Grimes lästig war, hatte der Buchhalter Dufour nicht an sich gehabt. Der Mann trat an den Schreibtisch, hinter den sich der Bankier wieder gesetzt hatte. Grimes spielte nervös mit dem schweren Briefbeschwerer und fragte sich, wie er Dufour loswerden konnte. Offenbar wollte er diesmal doch etwas Wichtiges. »Los, heraus damit, ich habe nicht viel Zeit!« »Ich weiß.« »Sie wissen?« Grimes erhob sich und behielt den Briefbeschwerer in der Hand. »Ja.« »Was wissen Sie.« »Ich war im Tresorraum, Sir.« »So.« Dufour nickte. Es sah nicht mehr ganz so ergeben aus, wie Grimes alle seine Gesten in Erinnerung hatte. »Und weiter?«
»Die Goldkisten sind leer.« »Ja, natürlich. Das Gold ist auf die ›Big Red Mary‹ geschafft worden!« erklärte der Bankier. Er hatte beschlossen, die Flucht nach vorn anzutreten und die Version von dem geplanten Kauf neuer Waffen auch Dufour aufzubinden. Doch zu seiner Verwunderung schüttelte der Buchhalter den Kopf. »Was denn?« fragte Grimes. »Zu diesem Zweck ist doch das Gold hierher transportiert worden.« »Zu diesem Zweck hat Mister Usherstood es angeblich angefordert«, verbesserte der penibel genaue Buchhalter. »Und es wundert mich, Sir, daß man im Kriegsministerium nicht längst bemerkt hat, wie unsinnig das ist. Savannah ist seit Wochen derart abgeriegelt, daß nur ganz selten ein Schiff durchbrechen kann. Hingegen ist es einfach, in Galvestone in Texas den Hafen zu erreichen.« »Sie sind ein Träumer, Dufour«, sagte der Bankier kalt. »Von Galvestone bis zu den Kriegsschauplätzen wären die Transporte viel zu lange unterwegs und müßten damit rechnen, von Comanchen überfallen zu werden.« »Das ist nicht wahr, Sir. Die Comanchen sind weit westlich von Galvestone und stellen keine Gefahr dar. Der Landtransport zum Mississippi ist nicht weit. Dort könnten die Waffen und die Munition von den Flußdampfern übernommen werden. So kämen sie bis mitten in die Kampfgebiete und wären nicht langsamer als von hier aus. Nein. Mister Usherstood hat es ganz einfach verstanden, auch über Savannah Transporte und Gelder laufen zu lassen. Und das selbst dann noch, als das Durchkommen der Sklavenkolonnen reine Glückssache geworden war. Sie, Sir, Mister Usherstood und dieser Mann, der mit Menschen handelt, wollen mit dem Gold verschwinden. Mit dem Schoner ›Big Red Mary‹. Ich habe mir im übrigen die Freiheit genommen, ein paar Gespräche zu belauschen. Die Wände in diesem Hause sind nicht allzu dicht.« Grimes trat mit dem Briefbeschwerer um den Schreibtisch herum. »So, Sie haben gelauscht?« »Ja, Sir.« »Und was verlangen Sie?«
»Zwanzig Prozent, Sir.« »Zwanzig Prozent.« Grimes nickte, als würde er überlegen. Er ging um seinen Buchhalter herum. Natürlich kam die Beteiligung eines weiteren Mannes nicht in Frage. Auch die anderen würden da nicht mitspielen. Auf einmal war er hinter seinem Buchhalter, fuhr herum und schlug mit dem Briefbeschwerer zu. Der schwere, scharfkantige Gegenstand zertrümmerte dem Buchhalter den Hinterkopf. Blut spritzte bis auf den Schreibtisch. Dufour taumelte, konnte sich am Tisch halten und wandte sich um. Die Augen quollen ihm beinahe aus den Höhlen. Das Blut lief über seine Stirn und das Gesicht. Er sah furchtbar aus, röchelte und konnte die Worte nicht formen, die aus seinem Munde drängen wollten. »Sie sind ein hirnloser Narr, Dufour! Wußten Sie nicht, daß es besser ist, nichts zu sehen, nichts zu hören und nichts zu sagen?« Dufour taumelte und stürzte in die Knie. Noch immer war er bemüht, zu sprechen. Doch es gelang ihm nicht. Er fiel auf das Gesicht und verblutete. Grimes ließ den Briefbeschwerer aus der Hand fallen. Jetzt war für ihn keine Minute mehr zu verlieren. Das Durchsehen der Zettel war unwichtig geworden. Eine Leiche lag in seinem Zimmer. Er löschte das Licht, hastete aus dem Office, die Treppe hinunter und durch den Flur zur Hintertür. Im Hof sah er die Neger, die noch nicht versucht hatten, zu verschwinden. Sicher glaubten sie, die Aufseher kehrten bald zurück und würden sie suchen. Noch war alles offen und bestand Hoffnung, den Plan zu einem glücklichen Ende zu bringen. * Die Arbeiten im Hafen waren in dieser Nacht nicht mehr fortgesetzt worden. In der Ferne verklang zudem das Donnern der Geschütze. Ich lag hinter den Wellenbrechern in Deckung und beobachtete die schimmernde Wasserfläche und die »Big Red Mary«, auf der reges Treiben herrschte. Der Ebbstrom lief bereits auf See hinaus, und es war zu erkennen,
wie das Wasser im Hafen zu fallen begann. Der Schoner mußte mit der Tide auslaufen, wenn er nicht in Gefahr geraten wollte, auf der Stelle zu verharren, sobald er in den Windschatten der rechtsseitigen Huk vor dem Hafen geriet. Die Laufplanke war ausgelegt. Oben standen Seeleute mit Gewehren in den Händen. Ich schaute wieder auf das Wasser. Der Stoßtrupp der US-Armee konnte nur von da auftauchen. Shita neben mir schien zu spüren, um was es ging, denn er fieberte gleich mir etwas noch weitgehend Unbekanntem entgegen. Plötzlich schallte von Süden und Westen knatterndes Gewehrfeuer in die Stille, die dem Kanonenbeschuß gefolgt war. Auf dem Schoner tauchten immer mehr Gesichter auf. »Sherman greift die Stadt an!« brüllte jemand. »Mitten in der Nacht schlagen die Yankees los!« Auf der anderen Hafenseite waren Menschen zu sehen, die zur Stadt hinauf hasteten. Nur die Besatzung des Schoners blieb an Bord. Alles andere lief in die entgegengesetzte Richtung. Jetzt wäre der Zeitpunkt für eine Landung des Stoßtrupps ungemein günstig gewesen. Wieder schaute ich auf das schimmernde Wasser vor dem Hafen. Das Leuchtfeuer brannte an diesem Abend nicht. Die Männer des Unions-Stoßtrupps mußten den Zeitpunkt des Angriffs genau gekannt haben, da dieser ein Teil der Gesamtaktion sein mußte. Und sicher hatten sie sich auch ausgerechnet, daß alles dorthin lief, wo die Schlacht entschieden würde – auf die Landseite, die für die meisten Menschen ohnehin weniger bedrohlich als das weite Meer erschien. Kaum waren die Menschen verschwunden, wurde es in einer Nebengasse lebendig. »Na endlich!« rief Kapitän McNapp auf dem Schoner. »Alles auf Manöverstation, Männer. Und keine Gnade, wenn jemand muckt. Wir müssen in einer Stunde auf See sein. Sonst haben die Yankees die Stadt überrannt und schnappen uns noch mit dem vielen Gold!« Grimes hastete aus einer anderen Straße und erreichte den Hafen noch vor dem geschlossenen Trupp der Kriegsgefangenen, die Konföderierte und Aufseher des Sklavenhändlers mit gezogenen Revolvern und Gewehren in Schach hielten.
»Da hinüber!« befahl eine eisig klingende Stimme. Grimes langte keuchend an. Er hatte keinen Mantel übergezogen, seine Samtkrawatte flatterte aufgelöst, seine lichten Haare standen in die Luft. Er blieb an der Gangway stehen, schaute zurück, lief aber dann rasch über die schwankende Planke. Ich sah noch immer keine Landungsboote auftauchen. Heiß und kalt rann es mir über den Rücken. Ich und der Hund, wir konnten allein gar nichts tun, wir waren zum Warten verurteilt. Die Gefangenen wurden um das Hafenbecken herumgeführt und sahen das Schiff und die Laufplanke. Fünfzig Yards vor dem Schoner stockte der Zug. »Weiter, weiter!« rief Carr, der Aufseher. Usherstood und DeVellers waren vor den Kriegsgefangenen und schauten zurück. Das knatternde Gewehrfeuer im Süden und Westen war lauter geworden. »Kameraden, die wollen uns verschleppen!« rief ein Gefangener in dem Pulk an der Mauer. »Savannah ist im Morgengrauen von unseren Leuten eingenommen!« Tumult entstand. Die Wächter sprangen zurück und feuerten über die Köpfe der Geiseln. Ein Gefangener wollte DeVellers anspringen, aber der schoß ihn mit seinem Colt nieder. Da sah ich die Boote aus der Dunkelheit auftauchen, sprang auf und lief um die Wellenbrecher. Kaum hatte ich das Ufer hinter der Mole erreicht, schrammten die vier Boote schon auf den Sandstreifen unter dem Geröll, und ungefähr dreißig US-Soldaten einer Eliteeinheit sprangen mit ihren Waffen aus den Booten. »Schnell, es kommt auf jede Sekunde an!« rief ich den Männern zu. Shita kläffte aufgeregt. »Achtung, Unionssoldaten!« brüllte jemand im Hafen. Da entluden sich schon die Gewehre. Die Kriegsgefangenen sahen neue Hoffnung und sprengten den Ring ihrer Bewacher. Seeleute schossen von der »Big Red Mary« herunter. Ich mischte wacker mit und erschoß den Bootsmann, der auf der Reling stehend sein Gewehr abfeuerte.
Schreiend stürzte der Mann zwischen Schiff und Kaimauer ins Wasser. Die Kriegsgefangenen wurden von ihren Kameraden von der Eliteeinheit mit Waffen versorgt. Beinahe in Minutenschnelle hatte sich das Blatt gewendet. Die Aufseher und Südstaaten-Soldaten waren derart in der Minderheit, daß ihnen nichts weiter als der Rückzug blieb. Doch bevor sie den Hafen verlassen hatten, waren ihre Reihen stark gelichtet. Die Reste flohen. Ich stürmte aus dem Revolver schießend die Laufplanke hinauf und feuerte auf die Seeleute, die die Leinen kappen wollten. Usherstood, Grimes und DeVellers hatten sich in einer Ecke verkrochen und hofften auf den irischen Kapitän und dessen Mannen, daß sie es noch einmal schaffen würden. Shita sprang einem Seemann an die Kehle, der von hinten auf mich losgehen wollte. Dem Mann wurde die Gurgel durchgebissen, so daß sein Schrei abrupt abbrach. Mein Revolver war leergeschossen. Ich warf ihn einem Seemann ins Gesicht, setzte nach und schlug zu. Shita stürzte sich auf den nächsten. Die Soldaten und befreiten Gefangenen stürmten das Schiff mit Geschrei und schlugen nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Ich fand rechts vor mir an Deck einen anderen Revolver mit voller Trommel und folgte den zum Achterdeck zurückweichenden Seeleuten. Rechts und links von mir tauchten die Soldaten auf. Wir schossen ohne Gnade und wurden von den Kerlen beschossen. Neben mir sank ein Mann lautlos zusammen. Da hatte ich den gewaltigen Kapitän vor mir, sah das Aufblitzen seiner Waffe und spürte die Kugel, die mich streifte. Ich feuerte zurück, die Waffe zuckte im Rückstoß, und der rothaarige Ire mit dem gewaltigen Bart krümmte sich stöhnend zusammen. Er richtete sich noch einmal auf, schwankte zur Seite und kippte über die Reling. »Wer weiterleben will, hebt die Hände!« brüllte ein Lieutenant von unseren Leuten. »Euren Kapitän gibt es nicht mehr!« Da gaben die Seeleute auf, warfen die Waffen weg und hoben die Hände. Ich ging mit Shita zurück und sah Usherstood, Grimes und
DeVellers. Ausgerechnet diese drei Halunken lebten noch. Grimes schien verletzt zu sein. Aber sie hatten die Hände gehoben und sahen aus, als wären ihnen alle Felle weggeschwommen. Die Gefangenen wurden zusammengetrieben und in den Laderaum gepfercht, in dem es dunkel war. Kaum waren die Luken geschlossen, schallte Lärm aus der vom Kampfgetümmel erfüllten Stadt herüber. »Konföderierte!« rief der Lieutenant, der die Elitetruppe führte. »Sir, übernehmen Sie das Kommando!« Ein anderer, ebenfalls jüngerer Mann entpuppte sich als Seeoffizier und übernahm den Befehl über das Schiff, das nun samt seiner kostbaren Ladung uns gehörte. Befehle wurden erteilt, die Leinen gekappt und die bereits an den Masten und Bäumen angeschlagenen Segel gesetzt. Als die Südstaatler schießend aus den Gassen drängten, schwamm die »Big Red Mary« bereits der Hafenmitte entgegen, die Segel blähten sich, das Schiff nahm Fahrt auf. Wir schossen zurück. Ich hatte ein Gewehr von einem Soldaten erhalten und kniete zwischen den anderen an der Reling. Der konzentrierte Beschuß trieb die Konföderierten in die Gassen zurück, aus denen sie lärmend hervorgestoßen waren. Unser Schoner passierte die Mole, der Wind war hier stärker als im Hafen, strich von Süden die Küste herauf und neigte unser stolzes Schiff mit den dichtgeholten Segeln auf die Backbordseite. Das Wasser am Bug begann laut zu rauschen, und wir entfernten uns von Savannah, das nach Minuten nur noch einem Saum in der Nacht glich. Dahinter war Feuerschein am Himmel zu sehen, der Lärm der tobenden, voll entbrannten Schlacht um dieses Bollwerk an der Küste schallte weit auf den Ozean hinaus. Im Osten lagen die Schiffe der Union, zwischen die wir wie in ein Loch in einer Wand glitten. Kaum waren wir vorbei, entluden sich die Kanonen der Rahsegler und nahmen den Hafen und die unteren Anlagen der Stadt unter Beschuß. Die »Big Red Mary« verkürzte die Segel und kehrte, nachdem sie gewendet hatte, in die Reihe der Schiffe zurück, zu denen sie fortan gehören würde. Die Kanonen wurden auf die Stadt gerichtet und
entluden sich. Shita vollführte Luftsprünge bei dem infernalischen Krachen. Ich mußte ihn in die Kapitänskammer bringen, wo er unter die Koje kroch und laut winselte. * Als der 22. Dezember heraufdämmerte, standen schwarze Rauchwolken über Savannah, und Shermans Truppen und Schiffe trugen den Angriff von allen Seiten in die Stadt hinein. Noch bevor sich der Tag seinem Ende zuneigte, waren auch die letzten Widerstandsnester der Konföderierten überrannt. Weiße Fahnen waren überall gehißt worden. Die Gefangenen wurden von den USEinheiten auf Plätzen zusammengetrieben, und die Schiffe liefen in den Hafen ein, wurden an der Pier vertäut oder gingen in dem großen Becken vor Anker. General Sherman schickte US-Präsident Abraham Lincoln ein Telegramm und machte ihm Savannah als eine befreite Stadt zum Weihnachtsgeschenk. Ich war tagelang auf der »Big Red Mary« geblieben. Shita hatte sich mit dem lärmenden Schoner auch bald ausgesöhnt. Usherstood, Grimes und DeVellers hatte man in die Stadt hinauf ins Gefängnis gebracht. Die Neger im Hof der Bank waren frei, wie ich gehört hatte. Am Weihnachtsabend stand auf der »Big Red Mary« ein gewaltiger Christbaum, dessen Lichter Glanz über den Hafen warfen. Wir fühlten in dieser kalten Dezembernacht, daß das Ende dieses schrecklichsten aller je geführten Kriege nicht mehr fern sein konnte. Ich war froh darüber. Denn mit jedem Tag, der im Bannkreis von Blut, Leid und Tränen verging, war ich es mehr leid, so zu leben und die niedergebrannten, zerschossenen Städte zu sehen, die Krüppel und die Leichen, die unseren Weg durch Georgia gesäumt hatten … Gab es da schon Weihnachtsbäume???
ENDE
Vorschau Pedro Amarillo lachte wieder, aber er lachte nur allein über seinen eigenen Witz. Sein Kumpan Call Webster verzog keine Miene. Und Lobo spürte, daß der Witz nicht nur faul war, sondern die ganze Sache stank. Ronco stand abseits und wartete ab. Auch sein Instinkt sagte ihm, daß hier etwas nicht stimmte. Dann passierte es. Pedro Amarillo, noch lauthals lachend, wirbelte herum und schwang den schweren Revolver hoch. Der Schuß krachte. Eine spitze Mündungsflamme stach in die Dunkelheit. Doch Lobo war schon zur Seite gehechtet. Die Kugel klatschte gegen die Wand des Pueblos. Cal Webster zog seinen rechten Colt. Obwohl er zwei Eisen trug, war er kein Beidhandschütze. Den zweiten Colt schleppte er aus Angeberei mit sich herum. Da feuerte Ronco. Cal Webster spürte einen harten Schlag gegen den rechten Arm. Sein Colt wirbelte davon. Cal Webster griff zu seinem linken Eisen, während Amarillo wieder feuerte und hinter seinem Pferd in Deckung ging … Die Jagd auf Ronco geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 261 dieser großen deutschen Western-Serie:
Fluch der Götter