Die Krieger von Ultramar Graham McNeill PHASE I Entdeckung PROLOG Tief hängende Wolken zogen über den blauen Himmel von...
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Die Krieger von Ultramar Graham McNeill PHASE I Entdeckung PROLOG Tief hängende Wolken zogen über den blauen Himmel von Tarsis Ultra, getrieben von der leichten Brise, die die dicken Stängel des Getreides beugte. Es war warm und roch durchdringend nach erntereifem Mais, der sich in alle Richtungen ausdehnte, so weit das Auge reichte. Ein großes Vehikel mit hohen Seiten holperte auf einem Weg aus gestampfter Erde durch das sanft schwankende Feld. Blitzende Klingen an ausgefahrenen, geneigten Armen sensten den Mais auf beiden Seiten ab und beförderten ihn in einen Schüttgutbehälter auf seinem Rücken. Die Sonne hatte noch nicht ihren Zenit erreicht, aber der Behälter war beinahe voll, da sich die Erntemaschine des Landwirtschaftskollektivs Prandium bereits vor Tagesanbruch an die Arbeit gemacht hatte. Rauch aus dem Motor der Erntemaschine durchlief eine Reihe von Filtern und wurde schließlich in einer giftfreien Wolke über dem kleinen Führerhaus ganz vorne in die Luft abgelassen. Die Maschine ruckte zur Seite, bevor einer der beiden Insassen dem waghalsigeren Fahrer die Kontrollhebel entriss. »Corin, ich schwöre, du fährst dieses Ding wie ein Blinder«, schnauzte Joachim. »Wie soll ich denn besser werden, wenn du mich nie fahren lässt?«, fragte Corin, während er empört die Hände in die Luft reckte. Er fuhr sich mit behandschuhter Hand durch den widerspenstigen Haarschopf und starrte seinen Begleiter verärgert an. Joachim spürte den funkelnden Blick seines Freundes und sag-
te: »Du hättest uns fast in den Bewässerungsgraben gefahren.« »Vielleicht«, räumte Corin ein. »Aber ich hab's nicht getan, oder?« »Nur deshalb nicht, weil ich übernommen habe.« Corin zuckte die Achseln, da er nicht gewillt war, in diesem Punkt zuzustimmen, und ließ Joachim weiterfahren. Er zog seine dünnen Handschuhe aus und streckte die Finger, um die Steifheit aus den Gelenken zu vertreiben. Die ruckelnden Kontrollhebel einer Erntemaschine festzuhalten und sie damit über die großen Felder zu steuern, war anstrengend. »Diese Handschuhe sind nutzlos«, beklagte er sich. »Sie helfen überhaupt nicht.« Joachim grinste und sagte: »Also hast du sie noch nicht ausgepolstert?« »Nein«, erwiderte Corin. »Ich hatte gehofft, deine Elleiza würde das für mich tun.« »Ich würde nicht darauf warten, sie kümmert sich ohnehin schon um dich, als wäre sie deine Frau.« »Aye!«, lachte Corin. »Sie ist ein gutes Mädchen. Sie passt gut auf mich auf, ja, das tut sie.« »Zu gut«, stellte Joachim fest. »Es wird Zeit, dass du dir eine eigene Frau anschaffst, die sich um dich kümmert. Was ist mit Bronagh, der Medika in Espandor? Ich habe gehört, sie steht auf dich.« »Bronagh. Ah, ja, das ist ein Mädchen mit einem wirklich guten Geschmack«, sagte Corin lachend. Joachim zog eine Augenbraue hoch und wollte gerade antworten, als die Welt rings um sie explodierte. Ein krachender Einschlag traf die Seite der Erntemaschine, und beide Männer wurden in der Fahrerkabine herumgeschleudert, als das riesige Fahrzeug zur Seite ruckte. Joachim spürte Blut auf der Kopfhaut und griff nach den Kontrollen, da sich die Erntemaschine auf die Seite legte. Er riss daran, doch es war bereits zu spät. Die linke Kette glitt von der Straße in den Graben und das ganze Fahrzeug kippte. »Halt dich fest«, rief Joachim, als die Erntemaschine mit dem Kreischen von sich verbiegendem Metall auf die Seite fiel. Glasscherben überschütteten sie, und Joachim spürte, wie eine scharfe Kante in seine Schläfe schnitt. Die Maschine krachte auf die trockene Erde des Feldes und wirbelte riesige Wolken aus Mais
und Staub auf. Ihre gewaltigen Ketten bewegten sich weiter und zerwühlten die Luft, während der Motor weiterlief. Fast eine Minute verstrich, bis sich die Seitentür des Führerhauses öffnete und ein Paar bestiefelte Füße auftauchte. Vorsichtig ließ Joachim sich aus dem Führerhaus gleiten und klatschte schließlich ins knietiefe Wasser des Bewässerungsgrabens, der zwischen Straße und Feld verlief. Er landete unbeholfen und fluchte, während er sich den verschrammten, ramponierten Kopf hielt. Corin folgte ihm benommen in den Graben und hielt dabei einen Arm dicht vor der Brust. Wortlos begutachteten die beiden Männer den Schaden an der Erntemaschine. Der Schüttgutbehälter war nur noch eine verbogene Masse aus verbeultem Metall. Rauchende Trümmer und der stinkende Rest von verbranntem Mais waren alles, was von seinem Mittelteil noch übrig war, wo ihn anscheinend etwas extrem Starkes getroffen hatte. »Bei Guillaumes Fluch, was ist passiert?«, fragte Corin atemlos. »Hat jemand auf uns geschossen?« »Das glaube ich nicht«, erwiderte Joachim, indem er auf eine Säule aus weißem Rauch zeigte, die sich gut hundert Meter entfernt im Feld himmelwärts erhob. »Aber was es auch war, ich wette, es hat etwas damit zu tun.« Corins Blick folgte Joachims ausgestreckter Hand. »Was ist das?« »Ich weiß es nicht, aber wenn es ein Feuer ist, müssen wir es löschen, bevor die ganze Ernte verbrennt.« Corin nickte und kletterte unter Schmerzen ins Führerhaus der Erntemaschine zurück, wo er zwei Feuerlöscher von der Rückwand löste und sie nach unten zu Joachim warf. Mit einigen Schwierigkeiten erklommen sie die steile Betonwand des Grabens, und Joachim drehte sich um und zog Corin hoch, nachdem er oben angekommen war. Sie eilten durch den Mais, wobei ihnen der Weg durch die lange, dunkle Narbe im Boden erleichtert wurde, die zu der Rauchsäule führte. »Bei Macragge, so etwas habe ich noch nie gesehen«, japste Corin. »Ist das ein Meteor?« Joachim nickte und wünschte sich dann, er hätte es nicht getan, da ihm ein heißer Schmerz durch den Kopf zuckte. »Ich glaube
ja.« Sie erreichten den Rand des Kraters und blieben erstaunt über den Anblick stehen. Wenn es ein Meteor war, sah er nicht im Entferntesten so aus, wie die beiden Männer ihn sich vorgestellt hatten. Annähernd kugelförmig und aus einem leprösen braunen Material bestehend, ähnelte er einem riesigen Edelstein, der in ein Hitzeflimmern gehüllt war. Die Oberfläche sah glatt und glasig aus, wahrscheinlich infolge der Reise durch die Atmosphäre. Nun, da sie das Objekt vor sich sahen, konnten die beiden Männer erkennen, dass nicht etwa Qualm in stinkenden Wellen von ihm aufstieg, sondern Dampf. Geysire des übel riechenden Dampfes entwichen aus Spalten in seiner Oberfläche wie durch Überdruckventile. Sogar vom Kraterrand konnten sie die intensive Hitze spüren, die das Objekt ausstrahlte. »Tja, das Ding brennt nicht, ist aber noch verdammt heiß«, sagte Joachim. »Wir müssen es abkühlen, sonst könnte es immer noch das Feld in Brand setzen.« Corin schüttelte den Kopf und beschrieb das Zeichen des Adlers über dem Herzen. »Auf keinen Fall. Ich geh da nicht runter.« »Was? Warum nicht?« »Das Ding gefällt mir nicht, Joachim. Das ist was Schlimmes, das spüre ich.« »Sei kein Idiot, Corin. Das ist nur ein großer Stein, und jetzt komm.« Corin schüttelte vehement den Kopf und hielt Joachim den Feuerlöscher hin, den er in der Hand hielt. »Hier. Wenn du da runtergehen willst, dann geh, aber ich gehe zur Erntemaschine zurück. Ich rufe Prandium und lasse jemanden herkommen, der uns abholt.« Joachim sah, dass Corin nicht mit sich reden ließ, und nickte. »Ich sehe mir das Ding mal genauer an«, sagte er. »Ich komme gleich nach.« Er hing sich einen Löscher über jede Schulter und kletterte vorsichtig in den Krater. Corin beobachtete ihn, bis er unten angelangt war, und machte sich dann auf den Rückweg zur Erntemaschine. Er berührte seinen verletzten Arm und zuckte zusammen, als direkt über dem Ellbogen Schmerzen aufloderten er fühlte sich gebrochen an. Er warf einen Blick zurück, als er ein lautes Zischen hörte, als werde
Wasser auf eine heiße Ofenplatte gegossen, ging aber weiter. Das Zischen hielt an. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Dann setzten die Schreie ein. Corin erschrak und fuhr herum, als er Joachim vor Schmerzen brüllen hörte. Der Schrei seines Freundes verstummte abrupt und ein heulendes Kreischen ertönte, absolut fremdartig und absolut Grauen erregend. Corin fuhr herum und rannte zur Erntemaschine, wobei ihm die Furcht Flügel verlieh. Im Führerhaus war ein Gewehr, und jetzt wünschte er sich verzweifelt, er hätte es mitgenommen. Er lief durch die in die Erde gerissene Furche, stolperte über eine Wurzel im Boden und fiel auf die Knie. Hinter ihm ertönten schwere Schritte. Etwas Großes und unmenschlich Schnelles raste durch den Mais. Er hörte Stängel brechen, als es immer näher kam. Corin hatte keinen Zweifel, dass es ihn jagte. Er ächzte vor Furcht, rappelte sich auf und lief weiter. Er riskierte einen Schulterblick und sah eine verschwommene Gestalt wie einen Geist aus seinem Blickfeld in den Mais verschwinden. Die Schritte von etwas Großem schienen von überallher auf ihn einzudringen. »Was bist du?«, schrie er im Laufen. Er rannte blindlings weiter, erreichte die Grenze des Maisfelds und stürzte kopfüber in den Bewässerungsgraben. Er landete schmerzhaft, da er sich den verletzten Ellbogen am Beton stieß, und schluckte brackiges Wasser, als er vor Schmerzen aufschrie. Er kroch Wasser speiend rückwärts und schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen. Er schaute hoch, als eine dunkle Gestalt den Himmel über ihm verdeckte. Corin blinzelte das Wasser in seinen Augen weg und sah seinen Verfolger deutlich. Er holte Luft, um zu schreien. Doch er war schon bei ihm und ließ einen Hagel sensender Schläge auf ihn niedergehen, die ihn auseinanderrissen, bevor er den Schrei ausstoßen konnte. Ein See aus Blut breitete sich von seinem verstümmelten Leichnam aus. Corins Mörder hielt nur einen Moment inne, als wittere er. Er kletterte mühelos aus dem Graben und schlug die Richtung nach Prandium ein.
PHASE II Annäherung EINS Die Basilica Mortis war die Heimat der Mortifactors. Das uralte Heim des Mortifactor-Ordens der Space Marines mit seinen zerklüfteten und gebirgsartigen Oberflächen drehte sich langsam im blassen Licht Posuls und seiner weit entfernten Sonne. Fast zehntausend Jahre, seitdem der Gründer des Ordens, Sasebo Tezuka, vom Tarot des Imperators hergeführt worden war, standen die Mortifactors bereits Wache über die Nachtwelt Posul, und in dieser Zeit hatten diese heiligen Ritter des Imperiums immer Mitglieder ihres Kriegerordens innerhalb der Wälle ihres den Planeten umkreisenden Festungsklosters ausgebildet. Rein optisch ähnelte es einem riesigen Gebirge, das sich in die Weiten des Alls verirrt hatte. Die besten Techpriester und Adepten hatten sich vereint, um diese Festung in der Umlaufbahn zu erschaffen. Die Basilica war ein Wunder arkanen Konstruktionswissens, dessen Geheimnisse längst in Vergessenheit geraten waren. Seit Millennien sandten die Mortifactors Krieger aus der Basilica Mortis aus, um neben den Armeen des Imperiums in Diensten des göttlichen Imperators der Menschheit zu kämpfen. Kompanien, Trupps, Kreuzritter waren in den Krieg berufen worden und dreimal sogar der gesamte Orden, das letzte Mal erst kürzlich, um in den elenden Wüsten Armageddons gegen die Orks zu kämpfen. Die vom Orden errungenen Auszeichnungen konnten sich sogar mit denen solch legendärer Orden wie den Space Wolves, Imperial Fists und Blood Angels messen. In voller Besetzung beherbergte das Kloster die tausend Schlachtbrüder des Ordens und deren Offiziere sowie einen Hilfsstab aus Servitoren, Schreibern, Technomaten und Funktionären, der insgesamt siebeneinhalbtausend Köpfe zählte. Ausgedehnte Docks mit schlanken silbernen Andock-Ringen rag-
ten aus dem Bug des Adamantiumberges ins All. Zwei schwer bewaffnete Angriffskreuzer der Space Marines hatten an den Docks festgemacht, während kleinere Fregatten der GladiusKlasse und Zerstörer der Jäger-Klasse entweder vom Patrouillendienst in der Domäne der Mortifactors zurückkehrten oder zu ihm aufbrachen. Schlachtbarken, verheerende Kriegsschiffe von phänomenaler Macht, waren in gepanzerten Hangarbuchten tief in den Eingeweiden des Klosters untergebracht, deren stumme Rümpfe schreckliche Waffen von planetarer Zerstörungskraft bargen. Ein Leuchtfeuer, das in der Dunkelheit der am weitesten von den Docks entfernten Ausleger aufflammte, reflektierte das Licht vom Rumpf eines sich nähernden Angriffskreuzers. Von sechs schnellen Angriffsschiffen der Mortifactors eskortiert, glitt der Kreuzer elegant dem abgedunkelten Festungskloster entgegen. Uralte Codes und gewundene Begrüßungen auf Hochgothisch waren zwischen dem Schiffskapitän und dem Ordensmeister gewechselt worden, aber die Mortifactors gingen in Fragen der Sicherheit kein Risiko ein. Das Schiff, die Vae Victus, trieb langsam durch den Raum, nur durch Korrekturdüsen angetrieben, die ihre Fahrt zu den Docks kontrollierten. Die Vae Victus war ein Angriffskreuzer der Ultramarines, der Stolz und die Freude des Flottenkommandeurs des Ordens, und normalerweise mit einer kompletten Riege von Begleitschiffen unterwegs. Aber die Schiffe des Geschwaders Arx Praetora lagen in der Nähe des Sprungpunkts des Systems vor Anker, da ihnen die Annäherung an das alte Sepulchrum der Mortifactors nicht gestattet war. Die Schiffsaufbauten waren lang und trugen die Narben von vielen Tausend Jahren Krieg gegen die Feinde der Menschheit. Im Heck ragte eine von verzierten Strebebögen getragene kathedralenartige Zinne in die Höhe, und als Verbeugung vor den Mortifactors waren Geschützmündungen und Hangarschleusen hinter ihren Schutzschilden verborgen. Die Backbordseite des Schiffs glänzte, wo die Schiffszimmerleute von Calth den horrenden Schaden repariert hatten, den ihm ein Schiff der Eldar zugefügt hatte, und die Insignien der Ultramarines leuchteten mit neuerlichem Stolz auf der Bugpanzerung. Als sich die Vae Victus der Basilica näherte, schwang ihr Bug langsam herum, bis sie mit der Steuerbordseite längsseits des
Festungsklosters lag. Dort blieb sie stumm im All hängen, bis eine Vielzahl kleiner Schlepper aus der Basilica Mortis kamen und rasch Stellung auf der Backbordseite bezogen. Andere Schiffe mit gigantischen Andocktrossen, jedes davon dicker als ein Orbitaltorpedo, flogen der Vae Victus entgegen und brachten die Trossen an sicheren Verankerungspunkten an, während sich die Schlepper dem Kreuzer der Ultramarines langsam von der Backbordseite näherten. Wenig mehr als kraftvolle Antriebsmaschinen mit einem winzigen Servitor-Abteil obenauf, wurden die Schlepper benutzt, um größere Schiffe in eine Position zu manövrieren, wo sie andocken konnten. Ein Dutzend von ihnen manövrierte ganz langsam an die Vae Victus heran, wie winzige parasitäre Fische auf einem riesigen Seeungeheuer, um dann kontrollierte Schubstöße abzugeben. Schließlich überwand ihre vereinte Kraft die Trägheit des größeren Schiffs, und die Vae Victus kroch langsam der Basilica Mortis entgegen, wobei die dicken Kabeltrossen sie einholten und zu den gigantischen klauenartigen Andockklammern leiteten, die sie sicher mit dem Festungskloster verbinden würden. Tief im Innern des Raumschiffs waren gepanzerte Schritte und die entfernten Geräusche der Schlepper auf dem Rumpf das Einzige, was die ruhige, meditative Stille der Korridore störte. Durch unzählige Elektrokerzen hell erleuchtet, schienen die marmorweißen Wände alle Geräusche zu verschlucken, bevor sie Gelegenheit hatten, ein Echo zu erzeugen. Die sanft gewölbten Wände waren glatt und nur spartanisch verziert. Hier und da gab es winzige Nischen, die von zartem, diffusem Licht erleuchtet waren. Sie enthielten stasenversiegelte Behältnisse mit einigen der heiligen Reliquien des Ordens: den Oberschenkelknochen des Uralten Galatan, den Schädel eines Fremdwesens, der auf den Schlachtfeldern von Ichar IV erbeutet worden war, ein Buntglassplitter von einem vor langer Zeit zerstörten Schrein oder eine Alabasterstatue des Imperators persönlich. Vier Space Marines marschierten zu den Andockbuchten auf der Steuerbordseite, wo sie endlich in der Lage sein würden, die Basilica Mortis zu betreten. Der Anführer der Abordnung war ein kahlköpfiger Riese mit einer dunklen Haut zäh wie Leder und einem Netz von Narben kreuz und quer auf der linken Gesichtshälfte. Seine Züge hatten sich zu einer Miene des Missvergnügens ver-
zogen, und seine Blicke huschten bei jedem Ächzen von Metall, das der Schiffsrumpf von sich gab, zur Decke des Korridors, da sie sich den Schaden ausmalten, den die Schlepper an der Außenhülle des Kreuzers anrichteten. Lordadmiral Lazio Tiberius trug seinen zeremoniellen Amtsumhang. Die steife Halskrause aus Fuchsfledermausfell scheuerte im Nacken, und die silberne Spange, die den Umhang mit der blauen Rüstung verband, kratzte an der Kehle. Er trug einen Lorbeerkranz um die Stirn, und auf seiner Brust funkelten die vielen Auszeichnungen, die er errungen hatte, wobei der Goldorden eines Helden von Macragge leuchtete wie eine Miniatursonne. »Verdammte Schlepper«, murmelte Tiberius. »Sie hat die Werften von Calth gerade erst verlassen, und jetzt werden sie Imperator weiß wie viele Paneele und Bögen verbeulen.« »Ich bin sicher, es wird nicht so schlimm, wie Sie denken. Lordadmiral. Und sie wird Schlimmeres erleben, bis wir mit Tarsis Ultra fertig sind«, sagte der Krieger direkt hinter Tiberius, der Hauptmann der Vierten Kompanie, Uriel Ventris, dessen smaragdgrüner Gala-Umhang hinter ihm herwallte. Tiberius grunzte. »Sobald wir zurück nach Tarsis Ultra kommen, will ich nach Chordelis ins Dock und alles überprüfen. Ich führe sie nicht in die Schlacht, ohne mich vorher zu vergewissern, dass sie in bester Verfassung ist.« Als Hauptmann der Vierten Kompanie lautete einer von Uriels Titeln Flottenmeister, aber in Anerkennung von Tiberius' größerem Wissen in puncto Raumkampf hatte er ihn an den Lordadmiral abgetreten, der diese Rolle mit viel Enthusiasmus übernommen hatte. Darin lag keine Unehre, da die Krieger der Ultramarines den Lehren des heiligen Buchs ihres Primarchen folgten, dem Codex Astartes, der betonte, wie wichtig es war, dass jede Position von dem für sie am besten geeigneten Mann unabhängig von dessen Rang eingenommen wurde. Tiberius und die Vae Victus kämpften seit beinahe drei Jahrhunderten gemeinsam, und Uriel wusste, dass der ehrwürdige Lordadmiral ein besserer Flottenmeister sein würde als er. In den Monaten seit der Zerstörung des Space Hulk Tod der Tugend hatten die Rüstmeister auf dem Schiff ihr Bestes getan, um den Schaden zu reparieren, den Uriels Rüstung dabei erlitten hatte, und einen Schulterschutz ersetzt sowie die tiefen Furchen gefüllt und neu lackiert, die die Krallen des Fremdwesens hinterlas-
sen hatten. Doch ohne die Schmieden von Macragge war es unmöglich, den Schaden völlig zu reparieren. An seinen grünen Umhang war eine kleine Brosche in Form einer gehämmerten weißen Rose geheftet, die Uriel als Held von Pavonis auswies, und darunter war eine ganze Reihe Bronzesterne an seinem Brustharnisch befestigt. Sein Gesicht war eckig, die Züge von klassischem Schnitt, aber ernst und hager. Die Gewitterwolken-Augen waren schmal und hatten schwere Lider, und die beiden goldenen Langdienst-Knöpfe an der linken Schläfe funkelten hell unter der Dunkelheit seiner stoppelkurzen Haare. Uriels oberste Sergeanten marschierten im Gleichschritt hinter ihm, Pasanius links und Learchus rechts. Pasanius überragte die anderen mühelos, und die Rüstung konnte seine Körperfülle kaum halten und das trotz der Tatsache, dass ein Großteil davon von einer uralten, irreparabel beschädigten Terminator-Rüstung stammte. Sowohl er als auch Learchus trugen den grünen Umhang der Vierten Kompanie und wie ihr Hauptmann Broschen in Form der weißen Rose von Pavonis. Pasanius' blondes Haar lag eng am Kopf an, und obwohl er eine ernste Miene aufgesetzt hatte, konnte sein Gesicht auch Wärme und Humor ausstrahlen. Sein rechter Arm funkelte silbern unter dem Ellbogen, wo die Techpriester von Pavonis ihn nach der Auseinandersetzung mit dem uralten Sternengott namens Nachtbringer in den Tiefen jener Welt ersetzt hatten. Seine monströse Sense hatte Rüstung und Knochen durchschnitten, und trotz aller Bemühungen von Apothekarius Selenus war das von der Grabeskälte der Sense berührte Gewebe nicht mehr zu retten gewesen. Learchus war ein wahrer Ultramarine. Seine Abstammung war makellos, und jeder Schritt verriet den geborenen Krieger. In der Ausbildung waren er und Uriel erbitterte Konkurrenten gewesen, aber im Zuge ihres gemeinsamen Dienstes an Orden und Imperator hatten sie jeglichen diesbezüglichen Groll längst hinter sich gelassen. Lordadmiral Tiberius zog an der Pelzkrause um seinen Hals und richtete den Lorbeerkranz an den Schläfen, während sie einer Biegung im Korridor folgten und sich dem Andockhangar näherten. Ein hallendes Krachen, welches das ganze Schiff durchlief, verriet Tiberius, dass sich die Andockklammern der Basilica geschlossen hatten.
Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich bin nur froh, wenn das hier vorbei ist.« Uriel konnte sich nicht dazu überwinden, Tiberius zuzustimmen. Er war erpicht darauf, diese Blutsbrüder kennenzulernen, und die Gefahr, der sie sich in Kürze auf Tarsis Ultra stellen mussten, machte ihn doppelt froh, dass die Vae Victus hierhergekommen war. Die Mortifactors hatten sich in der Zweiten Gründung vor beinahe zehntausend Jahren von den Ultramarines abgespalten, stammten aber von denselben Helden ab wie Uriel. Alte Geschichten berichteten, wie Roboute Guillaume, der Primarch der Ultramarines, das Reich des Imperators nach seiner Beinahe-Zerstörung seitens des verräterischen Kriegsmeisters Horus zusammengehalten und sein Buch, der Codex Astartes, das Fundament für das noch junge Imperium gelegt hatte. Von zentraler Bedeutung für dieses Fundament war das Dekret, die mehrere zehntausend Mann starken Legionen der Space Marines in kleinere Kampfeinheiten aufzuteilen, die bis zum heutigen Tag Orden genannt wurden, so dass nie wieder ein Mann in der Lage sein würde, über die furchterregende Macht einer ganzen Legion von Space Marines zu gebieten. Jede der ursprünglichen Legionen behielt ihre Farben und Titel, während die neu gegründeten Orden einen anderen Namen annahmen und sich daran machten, die Feinde des Imperators in der ganzen Galaxis zu bekämpfen. Ein Hauptmann der Ultramarines namens Sasebo Tezuka hatte das Kommando über die neu gegründeten Mortifactors erhalten und sie zur Welt Posul geführt, wo er sein Festungskloster errichtet und bis zu seinem Tod viel Ehre im Namen des Imperators errungen hatte. Trotz ihrer gemeinsamen Abstammung von Guillaumes Blut hatte es über viele Tausend Jahre keinen Kontakt zwischen den Ultramarines und den Mortifactors gegeben, und Uriel freute sich darauf, diesen Kriegern zu begegnen, zu sehen, was aus ihnen geworden war und welche Schlachten sie ausgetragen hatten, und ihre Heldengeschichten zu hören. Eine Ehrengarde aus Ultramarines säumte den Zugang zu den Andockschleusen auf der Steuerbordseite, und die vier Krieger passierten das Spalier. Eine dicke goldene Tür mit einem Handrad und dem Motiv des Imperiumsadlers unter einem kunstvoll gestalteten Giebel wartete am Ende der Ehrengarde. Ein messing-
umrandetes Licht über der Tür leuchtete grün, um anzuzeigen, dass der Durchgang ungefährlich war, und als sich die Ultramarines näherten, rollte ein kybernetisch veränderter Servitor auf Ketten vorwärts, um das Rad zu drehen. Es funktionierte problemlos, und Dampf zischte aus den vakuumversiegelten Rändern. Die Schleuse öffnete sich mit einem Zischen der Dekompression und glitt auf geölten Rollen zur Seite, um einen langen dunklen Tunnel aus schwarzem Eisen zu enthüllen, der zu einem von schwarzen Schädeln umringten, tropfenden Portal führte. Eiszapfen-Fänge hingen an den Kiefern der Schädel, und auf dem mit Steinplatten gekachelten Boden des Andocknabels sammelte sich Feuchtigkeit. Tiberius wechselte einen unbehaglichen Blick mit Uriel, der neben den Lordadmiral trat. »Sieht nicht sonderlich einladend aus, nicht wahr?«, stellte Tiberius fest. »Nicht sonderlich«, gab Uriel ihm recht. »Na, dann bringen wir es hinter uns. Je eher wir wieder auf dem Weg nach Tarsis Ultra sind, desto glücklicher werde ich sein.« Uriel nickte und trat als Erster in den Andocktunnel. Er erreichte die Tür an seinem Ende, die aus demselben dunklen Eisen bestand wie der Rest des Tunnels. Hinter ihnen schloss sich die Druckschleuse und wurde mit hallendem Scheppern versiegelt. Ein Regen aus schmelzendem Eis tropfte von Uriels Schulterschützern, lief in dünnen Rinnsalen die Riefen in seinem Brustharnisch herunter und durchnässte den oberen Teil seines Umhangs. Er hob die Faust und hämmerte zweimal an die Tür. Dumpfe Echos der Schläge hallten hohl von den Wänden wider. Es kam keine Antwort, und er hob die Faust, um noch einmal vor die Tür zu schlagen, als sie mit dem Kreischen gequälten Metalls nach innen schwang. Trockene, tote Luft wie der letzte Atemzug eines Leichnams wehte aus der Basilica Mortis, und Uriel nahm den muffigen Geruch von Knochen und Leichentüchern wahr. Drinnen herrschte Dunkelheit, die nur von flackernden Kerzen gemildert wurde, und es war genauso kühl wie im Andocktunnel. Uriel trat durch das mit Schädeln geschmückte Portal und setzte seinen Fuß in das Heiligtum der Mortifactors. Tiberius, Learchus und Pasanius folgten ihm und schauten sich wachsam um. Sie standen in einer langen Kammer, die von sitzenden Statuen gesäumt wurde und deren Decke in Dunkelheit getaucht war.
Verblichene, schimmlige Banner hingen an den Wänden. Wasser sammelte sich hinter ihnen, da es aus dem Andocktunnel hereinlief. Vor ihnen befand sich ein weich erleuchteter Durchgang in einem blattförmigen Türbogen, der einzige andere sichtbare Ausgang der Kammer. »Wo sind die Mortifactors?«, zischte Pasanius. »Ich weiß es nicht«, sagte Uriel, während sich seine Hand um den Knauf des Schwerts schloss und er die Statuen beiderseits von sich anstarrte. Er ging zur nächsten, beugte sich vor und wischte ihr Staub und Spinnweben vom Gesicht. »Guillaumes Fluch!«, entfuhr es ihm, während er angewidert zurückzuckte, als ihm aufging, dass es sich nicht um Statuen handelte, sondern um konservierte menschliche Leichname. »Schlachtbruder Olfric, möge man seines Namens und seiner Kraft gedenken«, sagte eine tiefe Stimme hinter Uriel. »Er ist im Kampf mit den Hrud in der Schlacht von Ortecha IX gefallen. Das war vor siebenhundertdreißig Jahren. Aber er wurde gerächt, und seine Schlachtbrüder haben die Herzen seiner Mörder gegessen. Daher konnte seine Seele zur Festtafel des Ultimativen Kriegers emporfahren.« Uriel fuhr herum und sah eine berobte, Kapuze tragende Gestalt in der Tür stehen, deren Hände in den Ärmeln der Robe versteckt waren. Seine Körperfülle ließ keinen Zweifel daran, dass der Sprecher ebenfalls ein Space Marine war. Zwei messingverkleidete Servoschädel schwebten über dem Mann, die durch einen dünnen Kupferdraht miteinander verbunden waren. Baumelnde Metalltaster zuckten, als sie in die Kammer schwebten. Einer trug eine lange Pergamentrolle, und eine Feder huschte über ihre Oberfläche, während der andere zu den Ultramarines schwebte. Ein rotes Licht glühte an einer zylindrischen Vorrichtung unter seinem beständig grinsenden Kiefer. Er verhielt vor Uriel, und das rote Licht beleuchtete seinen Kopf. Er musste gegen den aus Aberglauben geborenen Drang ankämpfen, den Schädel aus der Luft zu schmettern. Der Schädel bewegte sich weiter von Uriel zu Pasanius und dann zu Learchus und hüllte dabei auch ihre Köpfe in das unheimliche rote Licht. Als er Tiberius erreichte, griff der Lordadmiral wütend nach oben und scheuchte ihn weg. »Verfluchtes Ding«, schnauzte Tiberius. »Was soll das bedeuten?«
Der Schädel jaulte und zuckte zurück, dann stieg er höher und verhielt gerade außerhalb von Tiberius' Reichweite. Sein Zwilling folgte ihm, durch das Kupferkabel gezogen, das die beiden verband. »Seien Sie nicht beunruhigt, Lordadmiral«, sagte die Gestalt in der Tür. »Die Vorrichtungen vermessen lediglich Ihren Schädel und zeichnen ein dreidimensionales Bild von ihm auf.« Als er Tiberius' Verwirrung sah, sagte der berobte Space Marine: »Damit er nach Ihrem Tod in eine Stellung gebracht werden kann, die für seine Abmessungen am vorteilhaftesten ist.« Tiberius starrte den Mann mit offenem Mund an, der seine Kapuze zurückschlug und vorwärts ins Licht trat. Seine Haut hatte die Farbe von Ebenholz, das dunkle Haar fiel in langen Zöpfen nach hinten und war mit bunten Kristallen durchwirkt. Vier goldene Knöpfe funkelten über der Braue, und seine vollen Züge und dunklen Augen waren ernst, als er sich an die verblüfften Ultramarines wandte. »Ich bin Ordenspriester Astador von den Mortifactors, und ich heiße euch willkommen, Brüder.« So hatte sich Uriel die Mortifactors nicht ausgemalt. Nach seiner Vorstellung hatte Astador kehrt gemacht und war ohne ein weiteres Wort aus der Kammer der Leichen marschiert, so dass den verblüfften Ultramarines nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen. Die beiden Servoschädel schwebten neben ihrem Herrn und Meister und dicht über dessen Kopf her, und Uriel fragte sich, welche anderen technologischen Artefakte die Mortificators wohl nutzten. Die Ultramarines mieden die Benutzung von Servoschädeln, da sie es vorzogen, die sterblichen Überreste gefallener Diener des Imperiums in ihrer Gänze zu beerdigen, auf dass sie vollständig zur Rechten des Imperators sitzen mochten. Die Hallen der Mortificators waren düster und still wie ein Grab. Jedes Portal und jede Kammer, die sie passierten, wies mehr Schädel auf, und erst jetzt, da er genauer hinschaute, erkannte Uriel, dass kein einziger davon geschnitzt oder künstlich gefertigt war. Alle waren echt, gebleicht und staubig vom Alter. Zwar sahen sie auf ihrem langen Marsch keine Bewohner des Festungsklosters, aber die Stille wurde durch gelegentliche Klänge hymnischer Gesänge und ernster Gedenk-Choräle gestört. Uriels Gefühl der Verwunderung wuchs, je tiefer sie in dieses
düstere Sepulchrum eindrangen. Wie konnten Krieger von seinem Blut an so einem morbiden Ort wohnen? Wie hatten sich diese Söhne Guillaumes so weit von den Lehren des Primarchen entfernen können? Er beschleunigte, bis er auf gleicher Höhe mit Astador marschierte. »Bruder Astador«, begann er. »Ich möchte keinen Anstoß erregen, aber hat Ihr Orden in seiner jüngsten Vergangenheit einen größeren Verlust erlitten?« Astador schüttelte verblüfft den Kopf. »Nein. Wir sind mit viel Ehr' und den Gebeinen unserer Gefallenen von Armageddon zurückgekehrt. Warum fragen Sie?« Uriel suchte nach den richtigen Formulierungen. Sie brauchten die Hilfe der Mortificators, und die falschen Worte konnten alle Hoffnung auf Hilfe rasch zerschlagen. »Die Hallen Ihres Klosters lassen vermuten, dass Sie in Trauer sind.« »Ist es nicht so auf Macragge?« »Nein. Die Festung Hera ist ein Ort der Feierlichkeiten, der Freude im Dienst des Imperators. Sie hallt von Geschichten über Tapferkeit und Ehre wider.« Astador schwieg einen Moment, bevor er antwortete. »Sie sind auf Macragge geboren?« »Nein, ich stamme von Calth, obwohl ich meine Ausbildung in der Agiselus-Kaserne auf Macragge im Alter von sechs Jahren begonnen habe.« »Und würden Sie sagen, dass Ihre Heimatwelt Sie geformt hat?« Uriel dachte kurz über Astadors Frage nach. »Ja, das würde ich. Ich habe auf einem unterirdischen Bauernhof gearbeitet, seit ich laufen konnte. Auf Calth ist das Leben hart, und entweder man arbeitete schwer oder man spürte die Rute auf dem Rücken.« »Hat Ihnen das Leben dort gefallen?«, fragte Astador. »Das nehme ich an, obwohl ich mich mittlerweile kaum noch daran erinnern kann. Es war harte Arbeit, aber ich stammte aus einer Familie, die mich geliebt und sich um mich gekümmert hat. Ich weiß noch, dass ich dort glücklich war.« »Und doch haben Sie das alles aufgegeben, um ein Ultramarine zu werden.« »Ja, in Ultramar arbeiten alle nur daraufhin, Soldat zu werden. Ich fand heraus, dass ich eine natürliche Begabung für den Krieg hatte, und schwor, der beste Krieger zu werden, den Macragge je
gesehen hat.« Astador nickte. »Sie sind, was Sie sind, wegen Ihrer Herkunft, Hauptmann Ventris, also maßen Sie sich nicht an, mich nach Ihren Maßstäben zu beurteilen. Die Welt unter uns war meine Heimat, und bis ich auserwählt wurde, ein Krieger des Imperators zu werden, habe ich weder Sonnenlicht noch Freude gekannt. Diese Dinge gibt es auf Posul nicht, nur ein brutales Leben der Finsternis und des Blutvergießens. Ich habe dreihundert Schädel im Kampf genommen, bevor ich auserwählt wurde, ein Space Marine zu werden, und seit diesem Tag töte ich die Feinde, des Imperators. Seitdem habe ich die Sonne gesehen, kenne aber immer noch keine Freude.« »Ein Space Marine braucht weder Freude noch Ruhm«, sagte Learchus. »Der Dienst am Imperator soll sein Wein und sein Brot sein, und seine Seele wird zufrieden sein.« Astador blieb stehen und drehte sich zu dem VeteranenSergeant um. »Sie zitieren aus dem Codex Astartes, Sergeant. Wir sind der Notwendigkeit solcher Dogmen entwachsen und pflastern uns einen eigenen Weg aus den Worten unserer Ordenspriester. Sich von Worten binden zu lassen, die vor einer Ewigkeit niedergeschrieben wurden, ist nicht unsere Art.« Die Ultramarines blieben wie angewurzelt stehen, entsetzt über Astadors beiläufige Blasphemie. Ein so leichtfertiges Abtun der heiligen Schriften Roboute Guillaumes hätten sie niemals von einem anderen Space Marine erwartet. Tiberius war der Erste, der sich fing, und sagte: »Vergeben Sie uns, Ordenspriester. Aber es hat uns überrascht, jemanden, dessen Abstammung auf den gesegneten Primarchen zurückgeht, auf solche Weise über den Codex Astartes reden zu hören.« Astador verbeugte sich respektvoll. »Ich entschuldige mich, wenn meine Worte Anstoß erregt haben, Lordadmiral. Wir verehren den Primarchen so wie Sie. Er ist der Vater unseres Ordens, und alle unsere Treueide werden auf ihn und den Imperator geschworen.« »Und doch schmähen Sie sein bedeutendstes Werk?«, schnauzte Learchus, während er die Fäuste ballte. »Nein, Bruder, ganz und gar nicht«, sagte Astador, indem er sich vor Learchus stellte. »Wir betrachten seine Worte als Grundlage unserer Lebensart, aber seinen Lehren zu folgen, ohne zu berücksichtigen, was wir selbst gelernt haben und was wir rings
um uns sehen, ist nicht Weisheit, sondern lediglich Wiederholung. Wiederholung führt zur Stagnation. Und Stagnation führt in den Untergang.« Uriel legte Astador eine Hand auf die Schulter und sagte: »Bruder Astador, vielleicht sollten wir weitergehen? Wir sind gekommen, um mit Ihrem Ordensmeister zu sprechen, und haben keine Zeit für theologische Debatten. Die Welt Tarsis Ultra wird vom tödlichsten Feind überhaupt bedroht, und wir möchten Ihren Meister in dem bevorstehenden Konflikt um seine Hilfe bitten.« Astador nickte, ohne sich umzudrehen, dann machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte weiter in die Dunkelheit. Uriel ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, und lockerte Kiefermuskeln. »Verdammt, Learchus«, flüsterte er. »Wir sind hier, um sie um Hilfe zu bitten, und nicht, um sie vor den Kopf zu stoßen.« »Aber Sie haben gehört, was er über den Kodex gesagt hat!«, protestierte Learchus. »Uriel hat recht, Learchus«, sagte Tiberius. »Wir sind alle Krieger des Imperators, und das ist das Wichtigste. Sie wissen, dass es andere Orden gibt, die den Worten des Primarchen auch nicht so unbedingt folgen wie wir. Die Söhne von Russ folgen ihrem eigenen Weg, und wir betrachten sie als Verbündete, oder etwa nicht?« Learchus nickte, obwohl Uriel sah, dass er nicht überzeugt war. Uriels Blick folgte Astador, der weiter durch die Dunkelheit seines Festungsklosters ging. Die Schädel der gefallenen Mortifactors starrten ihn von den Wänden an. Uriel seufzte. Gewiss konnten Zeit und Raum einen Orden sehr stark verändern, wie ähnlich ihre Abstammung auch sein mochte. Astador drehte sich um und winkte sie vorwärts. »Kommt. Lord Magyar wartet.« Die Galerie der Knochen war treffend benannt, überlegte Uriel, während er dastand und auf die Audienz bei Lord Magyar wartete, dem Ordensmeister der Mortifactors. Ein aus Knochen geschnitzter Kreuzgang umgab einen steingefliesten Boden, der mit vielen Hundert Grabsteinen gepflastert war. Nischen zwischen den Säulen des Kreuzgangs enthielten Skelettkrieger mit Schwertern in den Klauenhänden, und die gesamte Kuppeldecke bestand aus ineinandergeschachtelten Schä-
deln, deren augenlose Höhlen auf jene herabstarrten, die sich in ihrer Domäne befanden. Die vier Ultramarines standen im Zentrum der ausgedehnten Fläche, die von dem Kreuzgang eingefasst wurde, Uriel und Tiberius vorne, Learchus und Pasanius wie bei der Parade nach einem »Rührt-Euch«-Befehl hinter ihnen. Leichenhausstatuen von Engeln flankierten einen riesigen Thron aus den Knochen längst verstorbener Space Marines. Uriel konnte einzelne Oberschenkelknochen, Wirbelsäulen und andere Gebeine wie auch grinsende Schädel in den Armlehnen und oben in der sich verjüngenden Lehne des Throns erkennen. Ein knochenbeiniger Tisch mit einer flachen, dunkel emaillierten Schale darauf stand neben dem Thron. Wohin Uriel auch sah, der Tod wurde mehr als alles andere verehrt und erhöht. Ein tiefer Gong ertönte, und hinter dem Thron schwangen lautlos verborgene Türen auf. Eine lange Prozession betrat die Galerie der Knochen. Dutzende Kapuzen tragende Gestalten marschierten in die Kammer, von denen einige Räucherfässchen schwangen und andere leise Klagelieder sangen, aber alle hatten den Kopf gesenkt. Einer nach dem anderen bezogen sie Stellung in der Kammer, bis vor jeder Nische mit einem Skelett ein lebender Zwilling stand. Zwei Terminatoren in dunkler, mit Knochensäumen verzierter Rüstung marschierten in die Kammer, jeder mit einer langen Sense mit breiter Klinge in den Händen. Die Helme waren so gestaltet, dass sie schreienden Schädeln ähnelten, und Uriel konnte sich sehr wohl das Grauen vorstellen, das diese Krieger in ihren Feinden wecken konnten. Die Terminatoren bezogen beiderseits des Throns Stellung, während ein geflügeltes Skelett, nicht größer als ein Kind, auf zerbrechlich wirkenden Schwingen mit dünnen, membranartigen Überresten zerfledderter Gewandung zwischen den Flügelknochen in die Galerie flatterte. Es ließ sich auf der Thronlehne nieder, blieb dort hocken und betrachtete stumm die schockierten Ultramarines. Messingdrähte glitzerten an den Gelenken, und Uriel konnte einen winzigen SuspensorGenerator erkennen, der zwischen den Flügeln an der Wirbelsäule befestigt war. Uriels Lippe kräuselte sich voller Abscheu beim Anblick des geflügelten Vertrauten, als ein hochgewachsener Mann in einer Knochenrüstung die Galerie betrat. Seine Bewegungen waren langsam und gemächlich, jeder Schritt mit Bedacht gesetzt und ernst. Sein Brustharnisch bestand aus langen Rippen, die zurechtgebo-
gen worden waren. Der Imperiumsadler in der Mitte war ebenso skelettartig wie der geflügelte Vertraute, der die Vorgänge beobachtete. Jedes Einzelteil der Rüstung dieses Kriegers, von den Beinschienen bis zum Nacken- und Armschutz, bestand aus Knochen. Er trug eine gigantische Sense, deren Klinge scharf und versilbert und deren Heft aus glänzendem Ebenholz war. Lord Magyar, denn es konnte niemand anders sein, blieb vor seinem Thron stehen und verbeugte sich vor den Ultramarines. Das lange, silberne Haar war zu unzähligen, mit Kristallen geschmückten Zöpfen geflochten, die ihm bis zu den Hüften fielen, und seine kohlen dunkle Haut erinnerte mit den Kratern und Erhebungen ihrer unzähligen Runzeln an eine Mondlandschaft. Ein langer, gegabelter weißer Bart, zu scharfen Spitzen gewachst, reichte ihm ebenfalls bis zur Hüfte. Seine Augen waren dunkle Löcher, und obwohl sich das Alter des Ordensmeisters nicht schätzen ließ, war Uriel sicher, dass er mindestens siebenhundert Jahre alt sein musste. Lord Magyar setzte sich auf seinen Thron und sagte: »Ihr seid willkommen, Brüder des Blutes.« Uriel war schockiert über die Kraft und starke Autorität im Tonfall des alten Kriegers, verbarg jedoch seine Überraschung, als er vortrat und sich verbeugte. »Lord Magyar, wir danken Ihnen für das Willkommen und bringen Grüße von Ihren Brüdern von Ultramar. Lord Calgar persönlich hat mich gebeten, Sie von ihm zu grüßen.« Lord Magyar akzeptierte Uriels Begrüßung mit einem langsamen Nicken. »Sie kommen mit finsteren Neuigkeiten, Hauptmann Ventris. Unsere Ordenspriester haben schwerwiegende Vorzeichen gesehen, und sie haben Sie gesehen.« »Sie haben mich gesehen?«, fragte Uriel. »Sie, und zwar voller Blut. Als Sieger. Und als Leichnam«, verkündete Magyar. »Das verstehe ich nicht, Lord.« »Wir wissen schon lange, dass Sie zu uns kommen würden, Uriel Ventris«, nickte Magyar, »aber nicht, warum. Erzählen Sie mir, warum Sie in mein Kloster gekommen sind, Bruder des Blutes?« Erleichtert darüber, wieder bei einem Thema zu sein, das er verstand, verbeugte sich Uriel noch einmal vor Lord Magyar. »Wir treten vor Sie in der Hoffnung, dass Sie die Kriegerschuld
ehren und uns im Kampf gegen einen schrecklichen Feind zur Seite stehen werden.« »Sie sprechen von dem Eid, den Guillaume beim Großen Kreuzzug auf Tarsis Ultra geschworen hat.« »Das tue ich, Lord Magyar.« »Ihr Orden ist immer noch durch einen solchen Eid gebunden?«, fragte Magyar. »Ja, Lord. Wie es unsere Art ist, sind wir verschworen, die Bewohner von Tarsis Ultra zu verteidigen, sollte ihre Welt jemals bedroht werden, seitdem unser gesegneter Patriarch dem Soldaten, der ihm das Leben rettete, seinen Eid der Bruderschaft geleistet hat«, sagte Uriel. »Und ist ihre Welt bedroht?«, fragte Magyar formell. »Das ist sie, Lord.« »Sind Sie sicher?« »Ja, Lord. Ein Ableger des Großen Verschlingers bewegt sich darauf zu und wird sie bald angreifen. Meine Krieger und ich haben erst kürzlich ein Tod der Tugend benanntes Space Hulk geentert und zerstört, das nach Tarsis Ultra unterwegs war. Der verfluchte Koloss war voller Symbionten, und wir haben sie tapfer bekämpft. Nach der Rückkehr auf unser Schiff haben unsere Astropathen die psychischen Störungen entdeckt, die Schatten im Warp genannt werden. Sie bewegen sich auf uns zu. Die Tyraniden kommen, Lord. Das ist gewiss.« »Und was wünschen Sie von mir?« »Mein Orden ist verpflichtet, diese Gebiete zu verteidigen, und ich appelliere an das Blut, das zwischen uns fließt, und bitte um Ihre Hilfe. Die Tyraniden sind ein monströser Feind, und wir werden alle Mühe haben, sie zu besiegen. Mit Ihren tapferen Kriegern an unserer Seite hätten wir sehr viel größere Siegesaussichten.« Lord Magyar grinste und zeigte dabei strahlend weiße Zähne. »Versuchen Sie gar nicht erst, an meine Eitelkeit als Krieger zu appellieren, Hauptmann Ventris. Ich weiß sehr wohl von dieser Schuld und dem Band, das zwischen uns existiert.« »Dann werden Ihre Krieger neben uns kämpfen?« »Das bleibt abzuwarten«, sagte Magyar, indem er Astador einen Wink gab. Astador trat neben seinen Lord und Meister und erwartete dessen Befehl. »Sie werden sich auf die Suche nach einer Vision begeben, Or-
denspriester Astador?« »Ja, Lord. Wie Sie befehlen«, sagte Astador, indem er sein Gewand öffnete, so dass es auf den Grabsteinboden fiel. Seine Rüstung hatte die Farbe von vergossenem Blut, dunkel und bedrohlich, und goldene Einfassungen. Jeder Schulterschützer war mit einem Obsidianschädel geschmückt. Er trug ein Crozius Arcanum mit goldenen Flügeln, seine Waffe und ein Ordenssymbol der Autorität. Er bückte sich und zog Lord Magyar einen Panzerhandschuh aus, den er neben die Schale auf den Tisch legte. Dann hob er sein Crozius und zog seinem Meister die scharfe Schneide über die Handfläche, so dass das Blut in die Schale lief. Lord Magyar ballte und entspannte wiederholt die Faust, um zu verhindern, dass das Blut gerann, bis die Schale voll war. Astador hob die Schale und reichte sie Lord Magyar, der sie mit einem respektvollen Nicken entgegennahm. Der Ordensmeister nippte von seinem Blut und reichte die Schale dann wieder Astador. Der Ordenspriester hob sie an die Lippen und goss sich das Blut in einem roten Regen über das Gesicht. Er trank ausgiebig vom Blut seines Meisters, und Uriel verzog vor Abscheu das Gesicht. Was für ein barbarisches Ritual war dies, dass es das Blut eines Bruders bedurfte, um es vollziehen zu können? Waren die Morifactors so entartet, dass sie sich Ritualen verschrieben hatten, wie man sie gemeinhin mit den Mächten des Verderbens verband? Er warf einen Blick auf Tiberius. Die Miene des Lordadmirals war unergründlich, doch Uriel konnte die Anspannung in seinen Kiefermuskeln sehen, und er nahm sich ein Beispiel daran. Astador ächzte und streckte eine Hand aus, um sich abzustützen. Der knochige Vertraute auf der Rückenlehne des Throns erhob sich in die Luft, flatterte geräuschvoll zu dem schwankenden Ordenspriester und fing die Schale auf, als sie seinen schlaffen Fingern entglitt. Uriel konnte sich nicht mehr beherrschen und rief: »Was macht er denn? Das stinkt nach unreiner Zauberei!« »Schweigen Sie!«, tönte Magyar. »Er sucht Rat bei unseren verehrten Vorfahren. Ihre Weisheit kommt von jenseits des Todesschleiers und stört sich nicht an den Bedenken der Lebenden. Er sucht ihren Rat, ob wir uns Ihnen in diesem Kampf anschließen sollten.«
Uriel wollte gerade antworten, als er einen eisernen Griff um seinen Arm spürte. Lordadmiral Tiberius schüttelte bedächtig den Kopf. »Der Verschlinger kommt von außerhalb der Galaxis und schon durch seine Bezeichnung verraten Menschen ihre Unwissenheit«, ächzte Astador. »Das unsterbliche Schwarmbewusstsein beherrscht jeden seiner Gedanken. So viele Wesen... Milliarden mal Milliarden Ungeheuer bilden den Schwarmverstand, und es gibt niemanden hier, der sein Ausmaß begreifen kann. Es kommt hierher und will sich nur nähren. Man kann nicht mit ihm verhandeln, man kann nicht mit ihm argumentieren, man kann es nur bekämpfen. Es muss bekämpft werden.« Astador sank auf die Knie und erbrach einen Strahl gleißenden Blutes, aber der geflügelte Vertraute war da und fing die Lebensflüssigkeit in der Schale auf. Er flatterte zu Magyar und reichte ihm die mit Blut gefüllte Schale, bevor er seinen Platz über dem Ordensmeister wieder einnahm. Lord Magyar sah Uriel in die Augen und lächelte, bevor er einen Teil seines Blutes trank. Uriel hörte Learchus hinter sich würgen, zwang sich aber, seinen Ekel zu verbergen. Der Ordensmeister der Mortifactors wischte sich ein Rinnsal Blut vom Bart und sagte: »Die Omen sind nicht gut, Uriel Ventris von den Ultramarines.« Uriels Mut sank, aber Lord Magyar war noch nicht fertig. Er erhob sich von seinem Thron und schritt über den Boden der Toten, um vor Uriel stehen zu bleiben. Der Ordensmeister der Mortifactors beugte sich vor und bot ihm die Schale an. Speichelschaumiges Blut bildete einen Bodensatz. »Werden Sie den Pakt unserer Verbrüderung besiegeln, Hauptmann Ventris?« Uriel starrte in die Schale. Das Blut war leuchtend scharlachfarben. Er spürte, wie ihm die Galle hochkam, nahm die ihm von Lord Magyar dargereichte Schale jedoch an. Er hob sie an die Lippen. Blutgestank drang ihm in die Nase. Belustigung funkelte in Lord Magyars Augen, und Uriel spürte Zorn in sich auflodern. Er neigte die Schale, spürte, wie das heiße Blut in seinen Mund rann, und schluckte. Es glitt seine Kehle hinunter, und Uriel konnte spüren, wie ihn
ein gewisses Maß von Lord Magyars Vitalität und Kraft erfüllte. Das Blut trug die Last des Alters in seinem heißen, metallischen Geschmack, und Uriel würgte, als seine Sinne plötzlich von einer kraftvollen Vision eines Gemetzels überflutet wurden, die an eine Ewigkeit des Todes gemahnte. Er sah zwei fremdartige gelbe Augen, und wieder spürte er die Berührung des Nachtbringers in seinem Bewusstsein. Lord Magyar entnahm Uriels empfindungslosen Fingern die Schale und wandte sich Astador zu, der nickte. »Wir werden die Kriegerschuld ehren, Hauptmann Ventris. Ich werde Ihnen eine Kompanie meiner Krieger mitgeben und Ordenspriester Astador, um sie anzuführen. Sie werden nebeneinander als Gleichgestellte kämpften. Das Blut hat gesprochen, und Sie haben unser Band der Bruderschaft erneuert.« Uriel hörte ihn kaum, nickte aber dennoch, obwohl er eine tiefe Übelkeit verspürte. Doch ob sie die Folge des Blutes oder der Erinnerung an den Nachtbringer war, konnte er nicht sagen.
ZWEI Die riesige Stadt Erebus leuchtete wie ein grelles Juwel an den Flanken des Cullingebirges. Sie war in einer großen Wunde im Fels errichtet, als habe ein Riese eine Spitzhacke genommen und eine gigantische ovale Aussparung in die Südwestflanke des höchsten Gipfels gehauen. In einem felsigen Tal mit steilen Wänden gelegen, das an seiner Öffnung volle neun Kilometer breit war, reichte die Stadt fast vierzig Kilometer tief in das Gebirge hinein. Durch den Fluss Nevas geteilt und mit einer Bevölkerung von über zehn Millionen Menschen, war Erebus ein krabbelnder Ameisenhügel und die bevölkerungsreichste Stadt von Tarsis Ultra. Hab-Einheiten, Fabriken, hydroponische Kuppeln, Vergnügungsboulevards und andere Bauwerke wetteiferten um Platz an den steilen Talhängen. Riesige Metallgebäude aus Glas und Stahl erhoben sich wie Metallblumen von der Talseite, und beinahe jeder Quadratmeter Felsen war verbaut. Vom Talboden bis zur gebirgigen Majestät der Luxus-Habs und exotischen Würze der Fleischbars war jeder verfügbare Felssplitter mit Trägern, Pfeilern und
unwahrscheinlich dünnen Säulen geschmückt, die eine architektonisch vielseitige Stilmischung stützten, welche in krassem Gegensatz zur schlichten marmornen Eleganz der uralten, vor zehn Millennien von den Ultramarines errichteten Bauwerke stand. Als Erebus ursprünglich errichtet wurde, war es das Musterbeispiel einer perfekten Stadt gewesen, aber seit diesen Zeiten hatte sich eine Menge verändert. Wo die Stadt früher ein Beispiel für alles Gute in der menschlichen Gesellschaft gewesen war, hatten zehntausend Jahre beständiger Expansion ihren Tribut von ihren utopischen Idealen eingefordert und sie an die grimmige Realität der Makropolen auf Welten wie Armageddon oder Necromunda angenähert. Skulpturen aus Stahl erhoben sich steil über den Berghängen, jede in Hab-Einheiten gehüllt. Je höher ein Bauwerk angebracht war, desto alltäglicher wurden Unfälle. Stahlgitter gaben unter den horrenden Lasten nach, die ihnen auferlegt wurden, rissen sich von den Hängen los und glitten dann majestätisch die Felswände hinunter, wobei sie Gehwege, Brücken und Menschen mitrissen, bis sie in einem Gewirr aus verbogenem Metall, Betontrümmern und Leichen spektakulär auf den Talboden krachten. Doch selbst hier auf dem Boden, in diesem beständigen Chaos und Aufruhr aus herabstürzenden Trümmern, gediehen Menschen. Der brütende Unterbauch der Stadt das Wehr enthielt gewundene barocke Korridore und Kammern von anarchistischer Pracht, die den Bodensatz-Banden den Gesetzlosen und Ausgestoßenen Zuflucht boten. Die Adeptus Arbites, im Wehr auch die Bronzen genannt, hatten einige der wilderen Gegenden des Wehrs zu verbotenen Zonen erklärt, und selbst die zähesten Mitglieder der Vollstreckertrupps der Arbites wurden dort nur in Gruppen tätig, und ihre Schrotflinten waren dort grundsätzlich geladen und entsichert. Wilde Banden hausten in den Tiefen des Wehrs, plünderten aus den Ruinen und eingestürzten Habs und Produktionstürmen sowie voneinander, was sie konnten. Gewalttätige Scharmützel waren an der Tagesordnung, da rivalisierende Banden um die Kontrolle frisch eingestürzter Bauten und um das Vorrecht kämpften, sie auszuplündern. Und manchmal kämpften sie einfach auch nur so zum Spaß.
Schneehund flankte über den Tresen der Fleischbar. Kugeln fegten ihm entgegen und zersplitterten die Holzfront, während er darüberrollte. Er lud seine Schrotflinte durch und ließ sich hinter die Bar fallen. Flaschen und der Spiegel hinter ihm explodierten zu spiegelnden Dolchen. Der Barmann schrie auf und brach neben ihm zusammen, um sich eine blutende Schulterwunde zu halten. Glassplitter hatten ihm das Gesicht aufgeschnitten, und seine Züge waren mit roten Linien übersät. Schneehund zwinkerte dem weinenden Mann zu. »Ich schätze, das ist wirklich nicht dein Glückstag.« Die stampfende Musik übertönte beinahe das Knattern der Schusswaffen. Sechs Wyldern mit schwerer Bewaffnung waren gerade in die Bar marschiert, legten sie mit Salven in Trümmer und töteten dabei wahllos Gäste. Wer hätte das kommen sehen? Schneehund holte tief Luft und kroch ans Ende der Bar. Er schulterte seine Schrotflinte. Ihre blau-stählerne Oberfläche glänzte wie neu, und er war jetzt froher denn je, dass er ihren ersten Vorbesitzer, einen Bronzen, getötet hatte. Geschrei und panisches Gebrüll erfüllte die Bar, während die Leute zu flüchten versuchten, um auf keinen Fall in einen der Bandenkriege verwickelt zu werden, die in der Makropole von Erebus mittlerweile allzu alltäglich waren. Massive Salven hallten durch die Bar, und mehr Schreie ertönten. Die Musik verstummte, als die Lautsprecher in einer Funkenexplosion den Dienst einstellten. Leute fielen zu Boden, mit tiefen Kratern in der Brust oder von großkalibrigen Geschossen förmlich entzweigerissen. Schneehund riskierte einen Blick um die Seite des Tresens. Tigerlily war hinter einem umgestürzten Tisch festgenagelt, ein Wurfmesser in jeder Hand, und Silber hatte Schutz hinter einem dicken Stahlpfeiler gefunden. Er konnte weder Jonny Stampfer noch Lex sehen, dachte sich aber, dass der eine zu schlau war und der andere zu viel Glück hatte, um von den ersten Salven erwischt worden zu sein. Verdammte Wyldern! Das Leben war für einen gerade flügge gewordenen Bandenführer schon schwer genug, auch ohne dass diese Verrückten es einem zur Hölle machten. Es war schon schrecklich genug, dass die Bronzen aus ihrem grimmigen, imposanten Festungsrevier am Rande des Wehrs, der schlimmsten aller schlimmen Zonen der Stadt, wie ein Eisenhammer über alle
kamen, die das Gesetz brachen was in diesem Teil der Makropole praktisch alle taten. Nicht einmal die Bronzen kamen ohne massive Bewaffnung hierher. Aber die Wyldern... Er wurde nicht schlau aus ihnen. Er stahl und tötete für Geld und um das Sagen im Wehr zu haben, aber diese Irren töteten einfach nur. Niemand konnte sagen, wann oder wo sie zuschlugen, und wenn sie es taten, platzten sie mit überlegenen Waffen herein und feuerten so lange, bis alle tot waren. Töten um des Profits willen konnte er verstehen, aber für diese Massaker sah er keinen Grund, und das störte Schneehund ganz gewaltig. »Kommt raus, kommt raus, wo ihr auch seid«, rief ein Wyldern mit Singsang-Stimme. Schneehund hörte das Schnappen, als frische Munition in die automatischen Waffen gerammt wurde, und nickte Tigerlily zu. Der junge Rotschopf schnellte wie eine Feder in die Höhe und schleuderte ein Wurfmesser mit unfehlbarer Genauigkeit. Die dünne Klinge bohrte sich in das Auge des nächsten Wyldern, der wortlos zusammenbrach. Tigerlily duckte sich wieder, und Schüsse schlugen Funken an dem Metalltisch, hinter dem sie in Deckung kauerte. Ihr schwarzer einteiliger Trikotanzug war von einem Metallsplitter des Tisches eingerissen worden, und Schneehund sah, dass sie jetzt wirklich wütend war. Kaum waren die Wyldern abgelenkt, erhob sich Schneehund hinter der Theke und brüllte: »Ihr habt euch die falsche Bar für eure Späße ausgesucht, Jungs!« Er erledigte einen weiteren Wyldern mit seinem ersten Schuss und streifte noch einen mit dem zweiten, bevor sie reagierten und die Bar mit Kugeln eindeckten. Schneehund hechtete beiseite und wälzte sich weiter, während Hunderte Kugeln die Bar in Feuerholz verwandelten. Silber kam aus ihrer Deckung, eine Pistole in jeder Hand. Das lange weiße Haar war zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihre eisblauen Augen waren kalt und erbarmungslos. Sie legte gelassen zwei weitere Wyldern um, bevor sie sich wieder hinter den Pfeiler zurückdrehte, so dass ihr langer schwarzer Mantel sie umwallte. »Und da waren es nur noch zwei«, murmelte er, als er die jähe Furcht und Verwirrung der beiden verbliebenen Wyldern sah. Er erhob sich, trat hinter der Bar hervor und schlenderte in die Mitte des blutgetränkten Schlachtfelds. Überall lagen Leichen, und es
stank nach Pulverdampf. »So einen Empfang habt ihr nicht erwartet, was?«, fragte Schneehund. »Wir sind die Nachtschleicher, und ihr seid uns hier ziemlich in die Quere gekommen.« »Wir legen euch alle um!«, kreischte einer der Wyldern, aber seiner Stimme fehlte die Überzeugung. »Das glaube ich kaum, Mann«, sagte Schneehund, während er Jonny Stampfer und Lex auf dem oberen Balkon der Fleischbar erblickte, während sie Stellung hinter den Wyldern bezogen. Er schüttelte den Kopf. Wo hätten Jonny und Lex auch anders sein können als bei den Mädchen und Sexdrogen, um die Ware zu probieren, bevor die Arbeit erledigt wurde? »Was haltet ihr davon, wenn ihr beiden die Kanonen weglegt und uns einfach weitermachen lasst, hm?«, sagte Schneehund. Er sah ihr Zögern und wusste, dass er an ihren Selbsterhaltungstrieb appellieren musste, bevor ihre Dummheit und Tollkühnheit wieder die Oberhand gewannen. Er sagte: »Hört mal, hier muss heute keiner mehr sterben, in Ordnung?« Seine Stimme war besänftigend, und er senkte langsam die Schrotflinte, während er ihre teure Kleidung und gefärbten Haare taxierte. Ihre Gesichter waren mit Metalldornen gepierct, und ihre vollen Züge kündeten von gesundem Essen. Teuer aussehende Elektro-Tätowierungen wanden sich die Arme empor und um den Hals und pulsierten im Einklang mit ihrem rasenden Puls. Das waren Kinder reicher Eltern im Rausch irgendeiner narkotisierenden Droge. Er sah es in ihren Augen. Und plötzlich war alles ganz klar. Sie töteten wegen des Kitzels. Reiche Bengel, die töteten, weil sie gelangweilt waren und weil sie es konnten. Doch nun, da sich das Blatt gewendet hatte, war die Mordlust aus ihnen gewichen. Er ging weiter langsam zu den Wyldern und legte seine Schrotflinte auf den Tresen. »Ihr wollt doch nur noch in einem Stück hier rauskommen.« Die Wyldern nickten, und Schneehund breitete die Arme aus. »Das kann ich verstehen«, sagte er, »aber daraus wird nichts.« Sein Blick huschte zum Balkon. »Jetzt, Jonny«, sagte er gelassen. Auf den Mienen der Wyldern zeichnete sich für einen Sekundenbruchteil Verwirrung ab, bevor Jonny Stampfers hundert Kilo auf ihnen landeten und sie zu Boden rissen. Jonny war rasch wieder auf den Beinen, zerrte den ersten Wyldern vom Boden hoch,
brach ihm mit trockenem Knacken das Genick, um sich dann dem anderen zuzuwenden, der wegzukriechen versuchte. »Nein, bitte!«, flehte er. »Meine Familie ist reich, die gibt euch alles...« »Kein Interesse«, sagte Jonny und schmetterte dem jungen Wyldern die Faust ins Gesicht. Blut und Zähne flogen, als Jonny den jungen Mann mit bloßen Händen totschlug. Schneehund drehte sich um, nahm die Schrotflinte vom Tresen und legte den Lauf auf die Schulter. Er holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durch das gebleichte stachelige Haar, während er sich auf den zersplitterten Tresen stützte. Flackerndes Neonlicht tauchte seine robusten Züge in einen ungesunden Schein, und Glas klirrte, als es aus zerschmetterten Rahmen fiel. Er klopfte auf den Tresen. Der benommene Barmann erhob sich, die Hände über den blutigen Kopf verschränkt. »Also gut, Mann. Wo waren wir vor diesen Unannehmlichkeiten stehen geblieben?«, sagte Schneehund. Er grinste wölfisch. »Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Das ist ein Überfall. Raus mit dem Geld.« »Gute Einnahme?«, fragte Lex mit Blick auf den Haufen Bargeld auf der umgedrehten Kiste. Schneehund beäugte Lex argwöhnisch. »Es reicht, Lex.« Er verstaute das Geld wieder in dem kleinen Rucksack und erhob sich, wobei er eine Schachtel Lho-Stäbchen öffnete und eins herausnahm. Er holte ein Messingfeuerzeug aus der Tasche, zündete das aromatische Stäbchen an und nahm einen tiefen Zug. Er hob den Rucksack an den Trägern auf und legte ihn auf sein eisernes Bettgestell. Schneehund setzte sich auf das Bett und sah zu, wie Lex die Achseln zuckte und ins vordere Zimmer ihres augenblicklichen Unterschlupfs zu Jonny Stampfer ging. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen, und die funkelnden Lichter der Talhänge schienen durch das löchrige Dach und die glaslosen Fensteröffnungen. Es herrschte eine durchdringende Kälte, und Schneehund spürte in der Luft einen rauen Winter nahen. Lex war ein Problem. Schneehund wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Lex sich ins Grab bringen würde. Normaler-
weise hätte Schneehund ihn machen lassen und die Achseln gezuckt, aber niemand kannte sich besser mit Sprengstoff aus als Lex. Was er aus Gegenständen des alltäglichen Lebens zusammenbraute, war unglaublich, und viele Bronzen hatten schon Grund gehabt, eine übereifrige Verfolgung der Nachtschleicher zu bereuen, wenn sie in eine von Lex' Sprengfallen gelaufen waren. Lex erzählte nicht viel über seine Herkunft, aber Schneehund hatte eine Zahnrad-Tätowierung auf seinem Oberarm gesehen und nahm an, dass er früher einmal Lehrling bei einer der TechGilden gewesen war, die in den Fabrikhangars und HochöfenTempeln tiefer im Tal arbeiteten. Er war vor sechs Monaten zu ihnen gestoßen, und man musste kein Genie sein, um sich zusammenreimen zu können, warum er aus der Gilde geflogen war. Lex war ein Süchtiger, wahrscheinlich schon seit Jahren, permanent auf Kalma oder Sporn und zu dämlich, um zu begreifen, dass sie dadurch auf routinemäßige Chemo-Raster ansprechen würden. Er verbannte Lex aus seinen Gedanken und legte eine Hand auf die Beute aus der Bar. Es war genug, um sich ein paar richtig fette Kanonen zu kaufen, und dann würden sie sich ein richtiges Revier erkämpfen. Und er wusste auch genau, von wem er die Waffen bekommen würde. Ja, es war ein guter Fischzug gewesen, aber die Wyldern hatten ihnen die Schau gestohlen, und das wurmte ihn. Wie sollte er die Nachtschleicher zur gefürchtetsten und angesehensten Bande im Wehr aufbauen, wenn praktisch niemand mehr am Leben war, der die Geschichte herumerzählen konnte? Vielleicht hätten sie den letzten Wyldern am Leben lassen sollen, aber Schneehund tat den Gedanken rasch ab. Jonny Stampfer daran zu hindern, jemanden zu töten, wenn sein Blut in Wallung war, das war keine gesunde Option, wenn man selbst am Leben bleiben wollte. Der große Kerl war ein eiskalter Mörder, schlicht und ergreifend, aber er war nützlich und vertraute Schneehund vollkommen. Was nur bewies, dass Jonny nicht die hellste Birne in der Fassung war, aber Schneehund nahm alle Muskeln, die er kriegen konnte. Er nahm noch einen letzten Zug von seinem LhoStäbchen, ließ es dann auf den Boden fallen und trat es mit dem Absatz aus. Er legte sich aufs Bett und streckte sich aus. Er war durchschnittlich groß, aber mit einer drahtigen Muskulatur gesegnet, die seinen peitschenschnurdünnen Körper Lügen
strafte. Er trug tigerstreifigen Kampfdrillich, dessen Beinenden in einem schweren Paar Stiefel steckten, die er einem toten Bronzen abgenommen hatte, und ein weißes T-Shirt mit einem verblichenen Holobild einer Pilzwolke, die sich ausdehnte und zusammenzog, wenn er sich bewegte. Die Beute aus der Fleischbar würde die Wölfe in Schach halten, aber er musste sich schnell den nächsten Fischzug überlegen, wenn er seine Truppe zusammenhalten wollte. Sie würden ihm so lange folgen, wie sie bei ihm Beute witterten. Aber er brauchte irgendwas, das ihm mit einem Minimum an Aufwand ein regelmäßiges Einkommen bescheren würde. Er schaute auf, als er ein Klopfen am Türrahmen hörte, und lächelte, als Silber zur Bettkante geschlendert kam und sich neben ihn setzte. »Das war 'n Tag, was?«, sagte sie. »Ja, das war es«, gab Schneehund ihr recht. »Wo ist Tigerlily?« »Sie ist mit Trask in einen Hammerclub gegangen«, antwortete Silber schläfrig. »Kominsky's, glaube ich.« »Vielleicht werde ich alt, aber diese Hammermusik ist etwas, das ich nicht verstehe. Laute Musik verstehe ich, aber die ist wie ein Überschallangriff auf die Sinne.« »Ein Haufen Leute stehen drauf«, stellte Silber fest. »Sogar ich hab nichts dagegen.« »Warum bist du dann nicht mitgegangen?« »Ich hatte keine Lust auf Trask. Du weißt ja, wie er auf Stimms ist.« »Tigerlily macht das offensichtlich nichts aus.« »Das liegt daran, dass sie zu jung und dumm ist, um zu erkennen, was für ein Verlierer er ist.« »Du bist ziemlich zynisch heute.« Silber lächelte, und Schneehund spürte, wie er lockerer wurde, als sie sich zu ihm herunterbeugte und ihn küsste. »Ich bin müde«, sagte sie. »Und außerdem, was kann Trask schon für mich tun, das ich nicht von dir besser bekomme?« Schneehund kicherte, da er sich an das letzte Mal erinnerte, als Trask Silber nach einer langen Nacht auf Stimms übermäßig verliebt gekommen war. Das arme Schwein hatte danach eine Woche nicht gerade gehen können. Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Wie geht's dem Rest der Truppe?« Silber zuckte die Achseln. »Ganz gut, nehme ich an. Lex wird
langsam unruhig, und Jonny will raus, um noch ein paar Schädel einzuschlagen. Er redet ständig davon, es mit den Banden in der Hochmakropole aufzunehmen.« Schneehund lachte kurz. »Jonny wird mit dem Gesicht nach unten in der Senkgrube landen, wenn er glaubt, dass er es mit den Banden der Hochmakropole aufnehmen kann. Sag ihm, er soll besser dabei bleiben, die Feiern der kleinen Banden zu sprengen, wenn er weiß, was gut für ihn ist. Für diese Spielchen sind wir noch nicht reif.« Silber gähnte, zog den langen Mantel aus und löste das albinoweißen Haar aus dem Pferdeschwanz. Sie stieg über Schneehund hinweg und legte sich mit dem Rücken zur Wand. Ein Arm lag auf Schneehunds Hüfte, während der Kopf auf seiner Brust ruhte. Er küsste sie auf die Stirn und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ist dir aufgefallen, dass nicht viele Einheiten der Bürgerwehr rings um die Fleischbar unterwegs waren?«, fragte Silber, während ihre Hand unter sein T-Shirt glitt und ihre Finger mit den Haaren auf seinem Bauch spielten. »Ja. Das war ziemlich komisch, oder?« »Ich frage mich, wo die waren? Normalerweise kann man im Hochtal keinen Schritt machen, ohne wenigstens ein paar von ihnen zu sehen.« Schneehund nickte zögernd. »Ich weiß nicht, aber jetzt, wo du es erwähnst, muss ich sagen, dass mir die ganze Stadt in letzter Zeit ziemlich komisch vorkommt, gereizt und nervös. Ich habe viele Bronzen gesehen, aber was Soldaten angeht, war es ziemlich ruhig. Ich frage mich warum? Und diese Wyldern. Normalerweise würden sie es nie wagen, eine Bar anzugreifen, die so nah bei der Hochmakropole liegt.« »Was ist da wohl los, was meinst du?« »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, aber wenn es uns die Bürgerwehr und die Bronzen vom Hals hält, kann es mir nur recht sein.« Schneehund hätte sich nicht mehr irren können.
DREI Uriel sah die Landschaft an dem Thunderhawk vorbeirasen, der schneebedeckte Berge von majestätischer Erhabenheit umkreiste.
Ein harter Winter stand diesem Teil der Welt bevor, und die Schönheit unter ihm war atemberaubend. Gefrorene Bergseen funkelten in dem blassen Licht, und die wilde Pracht erinnerte ihn mit Wehmut an die Landschaft rings um die Festung Hera. Das Thunderhawk legte sich in eine Kurve, als es der Linie der Berge folgte, und Uriel erhaschte einen Blick auf die schwarzen Kampfhubschrauber der Mortifactors, die ebenso in Formation flogen wie die Ultramarines. Seine Miene wurde verdrossen, als er von einer starken und lebhaften Erinnerung an den Geschmack von Lord Magyars Blut überflutet wurden. Der Ordensmeister der Mortifactors hatte gelacht, ihn Bruder genannt und mit den Handflächen auf Uriels Schulterschützer geklatscht, so dass blutige Handabdrücke zurückgeblieben waren. Wie ein Orden in der Nachfolge des gesegneten Roboute Guillaume so weit von seiner Vision einer heiligen Kriegertruppe abgefallen sein konnte, wollte ihm nicht in den Kopf. Er hatte außerdem das Gefühl, dass Uriels Trinken des Blutes den Ordensmeister dazu bewogen hatte, seine Krieger zu entsenden, und nicht etwa irgendein Band gemeinsamer Bruderschaft. Wie konnte solch ein Orden funktionieren, geschweige denn gedeihen, ohne sich auf den Codex Astartes zu stützen? Nach seiner Rückkehr auf die Vae Victus hatte sich Uriel in Gebete und Reinigungsrituale vertieft, aber die in seinem Bewusstsein herumspukende Vision ließ sich dadurch nicht austreiben. Er konnte das Gefühl der Macht nicht abstreiten, das er beim Trinken des Bluts erlebt hatte, und er wusste, dass ein Teil von ihm, der Imperator mochte ihm verzeihen, sich wieder nach dieser Macht sehnte. In dem Monat, den sie gebraucht hatten, um ins System von Tarsis Ultra zurückzukehren, hatte es nur spärlichen Kontakt mit den Mortifactors gegeben, eine Situation, mit der die Ultramarines mehr als zufrieden waren. Es war ein Schock für alle gewesen, dass sich ein aus ihrer ehrenwerten Hinterlassenschaft hervorgegangener Orden so sehr verändert hatte. Sie würden mit den Mortifactors kämpfen, aber Uriel war klar, dass die Bruderschaft zwischen den Orden und die gegenseitigen Treueeide nicht erneuert würden. Sie würden gegen den gemeinsamen Feind kämpfen, mehr nicht. Ihm ging auf, dass er die Fäuste geballt hatte, und ließ langsam
seinen angehaltenen Atem entweichen. Die Thunderhawks gingen tiefer, da sie die Berge hinter sich hatten, und Uriel versuchte, seine wütenden Gedanken abzuschütteln und den Blick wieder auf die Welt unten zu richten. Sie flogen über ordentliche Landwirtschafts-Kollektive, deren riesige Felder satte grüne Flächen inmitten der weißen Reifflecken des nahenden Winters bildeten. Funkelnde Eisenbahnschienen und Wasserstraßen schlängelten sich durch die Landschaft und verbanden die verstreuten Gemeinden, und ab und zu erhaschte Uriel einen Blick auf einen dazwischen verkehrenden silbrigen Zug. Der Blick erinnerte auf unheimliche Weise an die Oberfläche von lax, manchmal auch Garten von Ultramar genannt, eine der produktivsten Welten des Imperiums. Uriel fragte sich kurz, ob die Bewohner wohl auch ihre eigene Version von lax' Festungsstadt »Erstlandung« gebaut hatten. Soweit er das aus der Luft sagen konnte, sah Tarsis Ultra wie eine Modellwelt aus, die auch in Ultramar nicht fehl am Platz gewesen wäre. Aber Uriel wusste, dass es nicht immer so gewesen war. Vor zehntausend Jahren war die Welt jahrzehntelang durch die Lügen der Ketzer versklavt gewesen, bis sie von Roboute Guillaume und den Ultramarines im Großen Kreuzzug befreit worden war. Die dankbare Bevölkerung hatte den Namen ihrer Befreier in den Namen ihrer Welt eingearbeitet, auf dass sie sich immer an sie erinnern und sie ehren möge. Als die Legion der Ultramarines zu neuen Feldzügen aufgebrochen war, hatte Roboute Guillaume das Fundament einer geordneten Welt hinterlassen, die auf den Idealen von Gerechtigkeit, Ehre und Disziplin fußte anstatt auf den verheerten Wüsten, die viele andere Primarchen nach ihren Siegen hinterließen. Guillaume hatte Lehrer, Handwerker, Konstrukteure und Architekten zurückgelassen, um beim Wiederaufbau von Tarsis Ultra zu helfen. Seine Zivilisation wurde nach dem Ebenbild Ultramars neu erschaffen, die Gesellschaft geordnet und gerecht, die Bevölkerung zufrieden und produktiv. Tarsis Ultra wurde wieder eine funktionierende Welt des Imperators. Ihr Ausstoß war erstaunlich, aber anders als viele industrielle Welten, auf denen die gedankenlose Ausplünderung ihrer natürlichen Rohstoffe dazu führte, dass sie zu verschmutzten Giftwüsten wurden, sorgte umweltbewusstes
Haushalten mit den Rohstoffen dafür, dass Tarsis Ultra eine blühende, angenehme Welt blieb. Nach den grimmigen Enthüllungen hinsichtlich der Mortifactors freute sich Uriel schon darauf, den Fuß auf eine Welt zu setzen, die auch der Primarch besucht hatte. Seine Erlebnisse in der Basilica Mortis hatten ihn bis ins Mark erschüttert, und es würde ihm gut tun, eine greifbare Erinnerung an Roboute Guillimans Hinterlassenschaft zu sehen. Und er war beeindruckt von dem, was er bisher von Tarsis Ultra und seinen Verteidigungsanlagen gesehen hatte. Ungeschlachte Sternenfestungen hingen in geo-stationärer Umlaufbahn über der primären Kontinentalmasse, und in den Monaten seit ihrer Warnung hinsichtlich der sich nähernden Tyraniden hatte sich bereits eine beachtliche Flotte versammelt. Die Argus, ein Schlachtschiff der Victor-Klasse und Veteran des Ersten Tyrannenkrieges, war das Flaggschiff einer Abteilung stolzer Kriegsschiffe, darunter auch die Schwert der Vergeltung, ein Schlachtkreuzer der Herrscher-Klasse, drei Kreuzer und eine Reihe von Begleitschiffen. Ganze Flotten von Landungsbooten, mit Männern und Frauen der Imperialen Garde beladen, pendelten beständig zwischen der Planetenoberfläche und vier großen Truppentransportern in der Umlaufbahn. In wenigen Tagen würden zwei volle Regimenter, das 10. Logres und das 933. Todeskorps von Krieg, auf Tarsis Ultra stationiert sein. Weitere Schiffe wurden durch das Segmentum-Kommando in Bakka ins System beordert, und in nahen Systemen und SubSektoren wurden frische Regimenter ausgehoben, aber deren Eintreffen würde noch mehrere Monate auf sich warten lassen. Einstweilen waren sie auf sich allein gestellt. Lordadmiral Tiberius plante bereits die Strategie für die vereinten Flotten mit Kapitän Gaiseric vom Angriffskreuzer Mortis Probati und dem Kommandeur der Flotte, Admiral de Corte, einem Schüler von Lordadmiral Zaccarius Rath persönlich. »Zwei Minuten«, kam die Stimme des Piloten über Lautsprecher. Uriel riss sich aus seinen Grübeleien und beobachtete, wie Learchus durch das Thunderhawk ging. Seine normalerweise stoischen Züge verrieten Vorfreude. Es schien, als sei Learchus versessener darauf als alle anderen, Tarsis Ultra zu betreten. Pasanius saß Uriel gegenüber und sah entspannt aus. Es schien
ihn nicht weiter zu berühren, dass sie bald eine Welt betreten würden, auf der ihr Primarch einst gewandelt war. Sein schwerer Flammenwerfer war über ihm verstaut, und er nickte Uriel zu, als das Thunderhawk zum Landeanflug ansetzte. »Das dürfte interessant werden«, sagte er. »Interessant?«, lachte Learchus. »Es wird wunderbar. Das Werk des gesegneten Guillaume auf halbem Weg durch die Galaxis zu sehen, ist ein Beweis dafür, dass unsere Lebensart der Weg ist, der die Menschheit voranbringt.« »Ist es das?«, fragte Pasanius. »Natürlich«, sagte Learchus, offenbar überrascht, dass Pasanius seine Feststellung überhaupt aufgriff. »Wenn die Lebensart, der wir seit Millennien folgen, hier Blüte treibt, kann sie das überall.« »Treibt sie hier Blüte?« »Offensichtlich.« »Woher weißt du das? Du hast sie noch nicht gesehen.« »Ich brauche sie nicht zu sehen, ich habe Vertrauen in den Primarchen.« Uriel ließ seine Sergeanten über die Feinheiten von Guillaumes Vision diskutieren, als er seinen ersten Blick auf Erebus warf, einer dunklen Narbe in der schneebedeckten Flanke eines riesigen Gebirges, die mit silbernen Türmen gefüllt war. Ein großes Staubecken glitzerte auf dem angrenzenden Plateau hoch über der kilometerbreiten Talmündung. Die felsigen Hänge waren mit weißen Marmorgebäuden und eleganten Säulenbauwerken gekrönt. Eine breite, von Statuen gesäumte Straße führte durch die Mitte des Tals zum ersten Verteidigungswall der Stadt, auf allen Seiten von zahllosen Gebäuden bedrängt. Das Innere der Stadt war ein funkelndes Spinnennetz aus Silber und Weiß. Mit Ausnahme der Gebäude am Rande des Tals konnte Uriel kein Schema in der Anlage der Stadt erkennen. Hier und da fielen ihm Beispiele macraggescher Architektur auf, aber wo Raum und Licht hätten sein sollen, sah er stattdessen neuere, aufdringlichere Konstruktionen, hoch aufragende Karbunkel, welche die Eleganz der ältesten Gebäude überschatteten. Das Thunderhawk gewann wieder an Höhe und änderte den Kurs, so dass es parallel zum Tal flog. Uriel konnte erkennen, dass der Talboden anstieg, je weiter er ins Gebirge vordrang, bis er einen langen Abwehrwall mit einem schäumenden Wasserfall in der Mitte erreichte, der sich wiederum zu einem kleineren Wall
erhob, da sich das Tal verengte. Diese Stufenstruktur der Verteidigungsanlagen der Stadt setzte sich bis zum Talende fort, und nun, da er auf die Stadt hinunterschauen konnte, sah er auch baufällige Gegenden, eingestürzte Bauwerke, die aussahen, als seien sie mit Granaten beschossen worden. In den kalten Schatten der hohen Wolkenkratzer des tiefen Tals kauerten Hunderte Häuserruinen, und dünne weiße Rauchfahnen stiegen von unzähligen Kochfeuern auf. Die Enttäuschung darüber, was aus Guillaumes Vermächtnis geworden war, war wie ein Schmerz in Uriels Brust. Er lehnte sich zurück und spürte, wie sich seine Fäuste wieder ballten. Er ruckte herum, als er das schockierte scharfe Atemholen von Learchus hörte. »Was ist das?«, hauchte er. »Kommen wir zu spät? Hat der Krieg bereits begonnen?« »Nein«, sagte Uriel traurig. »Das hat er nicht.« Die Flugmaschinen der Space Marines setzten auf den oberen Landeplattformen von Erebus auf, und das Heulen ihrer Triebwerke übertönte den Pomp und die Feierlichkeit der hundert Mann starken Kapelle, die erhebende Willkommensmelodien spielte. Uriel marschierte die Rampe hinunter und spürte den stechenden Biss der kalten Luft, als er sich von der Hitze der Triebwerke entfernte. »Also das ist mal ein Empfang«, sagte Pasanius mit erhobener Stimme, um sich verständlich zu machen. Uriel nickte zustimmend. Auf den Plattformen wimmelte es von Menschen. Viele Tausend Soldaten waren in geordneten Reihen vor den Flugmaschinen der Space Marines angetreten. Von einem Dutzend Männern mit Suspensoren und Haltetauen getragen, flatterten riesige Banner an dreißig Meter hohen Fahnenmasten. Goldlitzen wehten, und das Blau und Weiß des Symbols des Ordens der Ultramarines kräuselte sich auf den Stoffbahnen. Die Kompaniestandarten aller zehn Kompanien der Ultramarines waren ebenso anwesend wie jene von einzelnen Helden aus der Legende des Ordens. In der Reihe der Standarten sah Uriel in vorderster Front das Wappen von Hauptmann Invictus und daneben das Banner der vierten Kompanie. Er musste zweimal hinsehen, als er entdeckte, dass dem Wappen eine Auszeichnung in Form der weißen Rose von Pavonis hinzugefügt worden war. Ordenspriester Astador gesellte sich über die Rampe seines eigenen Thunderhawk zu ihm. »Anscheinend eilt Ihnen Ihr Ruhm
voraus, Hauptmann Ventris«, sagte er. Uriel nickte, während er auf diesen extrem förmlichen Empfang starrte. Er hatte mit einem Empfangskomitee gerechnet, aber dies war Wahnsinn. Wie viel Zeit und Mühen hatte man in diesen Empfang gesteckt, die besser für die Stärkung der Verteidigungsanlagen der Stadt oder die Gefechtsausbildung aufgewendet worden wären? War diesen Leuten denn nicht klar, dass sie sich bald im Krieg befinden würden? Eine Ehrengarde aus vielleicht zweihundert gerüsteten Kriegern formierte sich in geordneten Reihen beiderseits der Thunderhawks. Die Rüstungen waren blau und lächerlich unpraktisch. Mit Absicht den Servorüstungen nachempfunden, sahen die Soldaten neben der wuchtigen Fülle der Ultramarines absurd aus. Ein kalter Wind peitschte über die Landeplattformen, als eine weitere Kolonne von Männern durch das Spalier der Ehrengarde zu ihnen schritt. Die Soldaten marschierten in perfektem Einklang, und ihre Uniformen waren makellos. Vor ihnen war eine andere Gruppe, die von drei Männern angeführt wurde, welche der Ausschmückung der Kleidung des Anführers nach das Kommando über diese Veranstaltung hatten. Der führende Offizier trug dieselbe zeremonielle blaue Rüstung wie die Ehrengarde, aber mit silbernem Besatz und goldenen Litzen an Schultern und Hosennähten, dazu einen blitzenden silbernen Helm mit einem langen Busch aus Pferdehaar, das bis zur Hüfte fiel, und ein goldenes Schwert mit Säbelkorb, das er vor dem Gesicht hielt. Die Brust war übersät mit goldenen und silbernen Abzeichen, und seine Stiefel bestanden aus makellos poliertem, schwarzem Leder. Seine Begleiter scheuten offenbar vor derart frivolem Schmuck zurück und zogen die schlichte GalaUniform ihrer Regimenter der Imperialen Garde vor. Uriel erkannte den schweren Mantel und den pelzbesetzten Kolpak des Krieg-Regiments und schloss aus dem silbernen Lorbeerkranz und den Sternen am Kragen, dass dies der Oberst des Regiments war. Das letzte Mitglied der Gruppe war ein älterer, um die Hüften fülliger Man mit ordentlich gestutztem Bart, der einfachen gut gebügelten Drillich und eine dick gefütterte Jacke mit Pelzkragen trug. Wie beim Oberst des Krieg-Regiments saß auch auf seinem Kopf ein pelzbesetzter Kolpak, und ihm schien dieser üppige Empfang Unbehagen zu bereiten.
»Hauptmann«, sagte Pasanius und zeigte auf die Randzonen des Landefelds. Tiefer im Tal hatten sich jenseits der hohen Zäune, welche die Landeplattformen umgaben, riesige Menschenmengen versammelt. Mienen der Ehrfurcht und der Verehrung starrten den Ultramarines entgegen, und Uriel sah, dass viele Menschen beteten und Freudentränen vergossen. Die Delegation der Offiziere blieb vor ihnen stehen, und ihr übermäßig prunkvoll gekleideter Anführer ließ in einer verschnörkelten Salut-Bewegung das Schwert durch die Luft sausen. Er schob es in die Scheide, trat vor, verneigte sich und sank vor Uriel auf ein Knie. »Verehrte Herren, ich bin Euer bescheidener Diener, Sebastien Montante, Fabrikator-Marschall der Welt Tarsis Ultra, und im Namen des Göttlichen Herrschers der Menschheit heiße ich Euch willkommen«, sagte der Mann in angestrengtem Hochgothisch. »Möge Eure Wohltätigkeit über unserer Welt erstrahlen angesichts der Herrlichkeit Eurer Wiederkehr. Tausend mal tausend Dankgebete sollen zum Lob Eurer Namen gesprochen werden. Zahlreich sind die...« »Ich danke Ihnen für den Empfang, Fabrikator«, unterbrach Uriel ihn brüsk. »Ich bin Uriel Ventris, Hauptmann der Vierten Kompanie.« Montante sah hoch, verblüfft und bestürzt darüber, in seiner Rede unterbrochen worden zu sein. Uriel sah, dass er Anstalten machte fortzufahren, und sagte eiligst: »Das sind meine obersten Sergeanten, Pasanius und Learchus. Und das ist Ordenspriester Astador von den Mortifactors.« Montante wurde klar, dass er seine Rede nicht würde beenden können. Er erhob sich, strich sich die Falten aus der Hose, verbeugte sich nervös vor Astador und sagte: »Ordenspriester Astador, wir haben von Ihrem illustren Orden gehört und heißen Sie ebenfalls willkommen.« Astador nickte und erwiderte die Verbeugung. »Ihr Empfang ist überwältigend, Fabrikator Montante, und wir danken Ihnen dafür.« Montante lächelte schief und nickte, dann wandte er sich den beiden Obersten zu, die ihn begleiteten. »Gestatten Sie mir, Ihnen die kommandierenden Offiziere unserer tapferen Verteidiger vorzustellen«, sagte Montante, der sich
rasch wieder gefasst hatte. Der Anführer des Krieg-Regiments trat vor, salutierte zackig vor den Space Marines und sagte: »Oberst Trymon Stagler, Regimentsführer des 933. Todeskorps von Krieg und Bereichskommandant. Ich entschuldige mich für diese Zeitverschwendung, aber Fabrikator Montante hat uns erst vor einer Stunde davon in Kenntnis gesetzt.« Stagler ignorierte Montantes indigniertes Stirnrunzeln, während der zweite Mann vortrat und Uriel die Hand anbot. »Oberst Octavius Rabelaq, Kommandierender des Zehnten Logres. Freut mich, Sie kennenzulernen, Uriel. Ich habe von Sebastien eine Menge von Ihnen gehört. Ich freue mich schon darauf, mit Ihnen zu kämpfen. Nun ja, nicht mit Ihnen, aber Sie verstehen schon, hm?« Uriel nahm die angebotene Hand, und Rabelaq schüttelte sie enthusiastisch und umklammerte dabei mit der anderen Hand auch noch zusätzlich Uriels Ellbogen. Schließlich ließ er Uriel wieder los und trat mit einem zackigen Salut zurück, während Montante mit dem Kopf in Richtung der Ehrengarde nickte. »Ja ja, gut, jetzt, wo wir einander kennen, sollten wir mit der förmlichen Abnahme der Parade weitermachen, nicht? Und dann weiter zum Willkommensfest, wie? Wir wollen doch die köstlichen Speisen und den Amasec nicht verkommen lassen«, lächelte Montante, indem er den Space Marines wiederum bedeutete, ihm zur Ehrengarde zu folgen. »Fabrikator Montante«, sagte Uriel. »Wir haben keine Zeit, hier herumzutrödeln, und sollten umgehend mit den Vorbereitungen auf die bevorstehende Schlacht beginnen. Die Tyranidenflotte ist wahrscheinlich keinen Monat mehr von Ihrem System entfernt, und Sie wollen, dass wir uns in Lustbarkeiten ergehen?« Montantes Mund öffnete und schloss sich, während er diesen Bruch der offiziellen Empfangsetikette überdachte und sich Hilfe suchend an die Obersten der Garde wandte. »Hauptmann Ventris hat recht«, sagte Oberst Stagler. »Wir müssen mit der Planung anfangen. Der Feind steht vor den Toren.« Uriel glaubte, einen Anflug von Vorfreude in der Stimme des Obersten ausmachen zu können. »Das tut er in der Tat«, sagte eine Gestalt, die aus der Ehrengarde hinter Montante vortrat.
Uriel sah einen berobten, Kapuze tragenden Adepten, der sich auf einen silbernen Gehstock stützte, mit einem Gefolge aus Schreibern, Lexmechanikern und grün gewandeten Astropathen zu ihnen hinken. »Der Feind steht in der Tat vor den Toren«, wiederholte der Adept mit der Kapuze. »Meine Astropathen sagen mir, dass die ersten Drohnenschiffe bereits in die äußersten Bereiche des Systems einfliegen. Der Rest der Schwarmflotte kann nicht weit dahinter sein.« »Und wer sind Sie, mein Herr?«, fragte Uriel. Der Mann schob die Kapuze zurück und enthüllte ein altes, verwittertes Gesicht mit einer Tonsurkrone silberner Haare. Seine Züge hatten die fahle, wächserne Struktur regelmäßiger JuvenalBehandlungen, aber seine Augen hatten nichts von dem Feuer verloren, das Uriel auf den zahlreichen Bildern von ihm in der Kapelle der Helden auf Macragge wahrgenommen hatte. »Ich bin Lord Inquisitor Kryptman vom Ordo Xenos, und wir haben nicht viel Zeit.« Sechzigtausend Pfund Schub röhrten aus den Zwillingstriebwerken jeder Kampfmaschine vom Typ Furie, als sie über das Flugdeck der Kharloss Vincennes glitten, einem Trägerschiff der Diktator-Klasse, um dann wie Kugeln aus einem Gewehrlauf aus den Starthangars in der Flanke des Trägers zu schießen. Zwei Staffeln, jede aus drei Maschinen bestehend, hoben ab und wendeten, um ihr Abfangmanöver zu beginnen. Ein anomaler Kontakt war mit den leistungsfähigen Überwachungsgeräten der Horchstation Trajen registriert worden, einer leicht bemannten Station in einer festen Umlaufbahn am Rande des Tarsis-UltraSystems. Ihre Aufgabe würde darin bestehen, dem Kontakt auf den Grund zu gehen und ihn, wenn die Umstände günstig waren, möglichst zu zerstören. Sollte das nicht machbar sein, würden sie genaue Positionsdaten liefern und es damit den schwereren Geschützen der Kharloss Vincennes gestatten, ihn auszulöschen. Die Furien waren aerodynamische Kampfmaschinen mit Tragflächen und doppelten Heckflügeln sowie einer Lage Sprengraketen unter jeder Tragfläche. Dazu konzipiert, anfliegende Torpedos abzuschießen, angreifende Bomber abzufangen und feindliche Jäger zu vernichten, waren die Furien die Arbeitspferde der Imperialen Flotte.
Jede Furie trug einen zusätzlichen Treibstofftank unter dem Rumpf, der es ihnen ermöglichte, längere Zeitperioden auf Patrouille zu bleiben, ohne zu ihrem Mutterschiff zurückkehren zu müssen. Die Furie konnte bis zu vier Besatzungsmitglieder aufnehmen, aber für Erkundungsunternehmen waren nur ein Pilot und ein Bordschütze erforderlich. »Engel-Staffel, bitte melden«, ertönte die Stimme des Versorgungsoffiziers von der Kharloss Vincennes. »Engel-Staffel, neun-null-eins, klar«, bestätigte Hauptmann Owen Morten, Kommandeur der Jägerstaffeln des Trägers, indem er den Sendeknopf an seinem Kontrollknüppel drückte und sich nach links und rechts zu seinen beiden Flügelmännern umsah. Er wartete darauf, dass sich Leutnant Erin Harlen, Führer der zweiten Staffel Furien meldete, während Kiell Pelaur, sein Bordschütze, die Sensor-Verbindung zur Kharloss Vincennes öffnete. »Dito. Engel-Staffel, neun-null-zwo. Wir sind klar, und das ist offiziell«, ertönte die schleppende Stimme von Erin Harlen über das Netz. »Kein Gequatsche, neun-null-zwo. Wir haben Gefechtsbereitschaft. Wissen Sie überhaupt, was das heißt, Leutnant Harlen?«, erwiderte der Versorgungsoffizier in einem Tonfall, der nahe legte, dass er diese Routine schon oft durchgegangen war. »Ja, Chef! Der Befehl wurde verstanden, Chef!«, tönte Harlen. »Harlen, halten Sie mal kurz den Rand, ja?«, sagte Pelaur über das interne Kom-Netz. »Finden wir erst mal heraus, wo wir überhaupt Patrouille fliegen sollen, bevor Sie anfangen, uns in den Wahnsinn zu treiben, ja?« »Verstanden, Leutnant. Das haben wir uns auch schon gefragt«, erwiderte Harlens Bordschütze, Caleb Martoq. Die Furien umkreisten die Kharloss Vincennes, da sie darauf warteten, dass Navigationsdaten in ihre Angriffs-Cogitatoren übertragen wurden. Die Stimme des Versorgungsoffiziers ertönte wieder. »EngelStaffeln, Patrouillenschleife bestätigen.« Kiell Pelaur prüfte die Bildtafel vor sich, als ihr Kurs darauf erschien, und antwortete: »Bestätigt. Schleife wurde eingelesen.« »Bestätigt. Engel-Staffeln eins und zwo haben Waffenfreigabe und Kampferlaubnis. Gute Jagd.« »Darauf können Sie wetten, dass wir eine gute Jagd haben wer-
den. Wir machen keine Gefangenen«, sagte Harlen. Er warf einen Blick durch die Kanzel auf den Rest seiner Staffel und seinen Staffelführer, die mit ihm in Warteposition waren. »Fertig, Hauptmann Morten?«, sagte er, und die Vorfreude in seiner Stimme war selbst über Kom nicht zu überhören. Morten lächelte unter seinem Helm und sagte: »Engel-Staffel, neun-nulleins übernimmt die Führung. Harlen, übernehmen Sie den unteren Quadranten und bleiben Sie nah dran.« »Verstanden, Hauptmann. Neun-null-eins hat die Führung.« Hauptmann Morten drehte seinen Steuerknüppel in die geforderte Richtung, holte tief Luft und gab Vollschub. Es fühlte sich an, als habe ihn jemand in den Hintern getreten, als die massiven Triebwerke feuerten und die Maschine vorwärtsjagten. Der mit Suspensoren ausgestattete Druckanzug dehnte sich aus, um ein Sammeln seines Blutes zu vermeiden, und wirkte den horrenden Fliehkräften entgegen, die bei derart rapider Beschleunigung auf seinen Körper wirkten. Extrem sauerstoffhaltiges Blut wurde über Rückenmarksverbindungen direkt in seinen Körper gepumpt, und die Konturhelme, die sowohl er als auch sein Bordschütze trugen, übten Druck nach außen auf die umgebende Luft aus, um zu verhindern, dass sie bewusstlos wurden. Genau darum ging es, dachte er mit einem breiten, jungenhaften Grinsen. Die langen Jahre der Ausbildung, die unglaublichen körperlichen Anforderungen und die Risiken wurden mehr als wettgemacht durch solche Momente. Am Steuerknüppel eines der heiligsten Stücke militärischer Ausrüstung, die je gebaut worden waren, durch das All zu rasen und dabei die Macht zu haben, den Feinden des Imperators den gerechten Tod zu bringen, war so nah an der Perfektion, wie man das im Leben nur sein konnte. Seine beiden Flügelmänner blieben rechts und links hinter ihm, so dass sie die übliche V-Formation bildeten. Zufrieden legte er seinen Jäger in eine Rolle, um sich zu überzeugen, dass Harlen unter ihm in Stellung war. Morten wusste, dass Erin Harlen trotz seiner oft rücksichtslos wirkenden Art einer der besten Piloten im Geschwader war, wenn nicht sogar in der gesamten Schlachtflotte Tempestus. Aus diesem und nur aus diesem Grund ließ man ihm ein wenig mehr Freiraum, als dies an einem so streng reglementierten Ort wie einem Kampfschiff der Imperiumsflotte normalerweise üblich war.
Als Harlens Staffelführer hatte er die oftmals beschwerliche Aufgabe, ihn bei der Stange zu halten und ihm nicht zu gestatten, seine ohnehin schon großzügiger gezogenen Grenzen der Disziplin zu überschreiten. Natürlich war Harlens Staffel Furien genau da, wo sie auch sein sollte, etwas unter und hinter ihm und leicht nach steuerbord versetzt. Er vollendete die Rolle und setzte den Flug wie geplant fort. Dieses Unternehmen sollte weniger als eine Stunde dauern, und bis dahin war wenig zu tun außer sich zurückzulehnen und ein Auge auf die Anzeigen zu werfen, um ganz sicherzugehen, dass sie sich innerhalb der Toleranzen der Maschine bewegten. Auch durch das Kanzeldach gab es nichts zu sehen, und ohne festen Bezugspunkt war es unmöglich, ihre Bewegung wahrzunehmen. Dreißig Minuten ihrer Patrouillenschleife waren verstrichen, als Leutnant Pelaur ihr Ziel ortete. »Ziel erfasst. Hauptmann. Empfangene Bio-Daten entsprechen tyranidischen Lebensformen. Richtung null-drei-sechs steuerbord, Abstand eintausend Kilometer«, sagte er von seiner etwas erhöhten Position in der Pilotenkanzel hinter Morten. »Empfehle Annäherungsvektor Markierung vier-sechs.« »Bestätigt, Leutnant«, sagte Morten, indem er seinen Kurs entsprechend veränderte, um im optimalen Angriffswinkel hereinzukommen, also hinter und über dem Ziel. Pelaurs Kurs hatte außerdem den Vorteil, dass sie die Sonne im Rücken haben würden, was hoffentlich dazu führte, ihre Anwesenheit noch ein paar Augenblicke länger verbergen zu können. Im Raumkampf, wo der Tod die Entfernung zwischen den Kämpfenden in Sekunden, sogar Bruchteilen von Sekunden überbrückte, hing der Unterschied zwischen Leben und Tod oft an eben diesen Bruchteilen. »Leutnant Harlen, kommen.« »Hauptmann Morten! Mein Bordschütze hat Kontakt!« »So wie meiner, Leutnant Harlen. Annäherungsvektor Markierung vier-sechs.« »Bestätigt«, sagte Caleb Martoq. »Angriff in dreißig Sekunden«, sagte Pelaur. Sie näherten sich rasch dem Punkt der letzten Kursänderung vor Beginn des Angriffsanflugs. Von dieser Stelle an befanden sie sich im Krieg. »Bestätigt«, sagte Morten, indem er den Countdown für die
Kursänderung begann und Schub wegnahm, um auf Kampfgeschwindigkeit abzubremsen. »Zwanzig Sekunden«, zählte Pelaur herunter. Die Piloten nahmen rasch Geschwindigkeit weg, so dass sie angreifen können würden, ohne an ihrem Ziel vorbeizurasen. »Leutnant Harlen. Zehn Sekunden, fertig machen«, sagte Morten, der die Finger um den Steuerknüppel spannte. »Aye, Hauptmann. In zehn.« »Umschwenken auf mein Zeichen«, sagte Pelaur, den Blick starr auf die Bildtafel vor sich gerichtet. »Schwenk!« Morten legte die Furie in eine scharfe Abwärtskurve nach rechts und folgte damit dem vorgegebenen Kurs auf seinem AngriffsCogitator. Die anderen Furien folgten ihm wie eine Schar Jagdfalken. »Was haben Sie, Leutnant?«, fragte er. Das Symbol auf Pelaurs Schirm blitzte auf und leuchtete in einem stetigen Rot. »Ich habe Feindkontakt, Hauptmann.« »Bestätigt«, sagte Martoq. »Angriffsschema Delta-vier«, befahl Morten. »Ich will eine Salve von Ihrer Staffel, Leutnant Harlen.« »Angriffsschema Delta-vier bestätigt«, sagte Harlen. »Schwenken nach steuerbord ab.« Die drei Furien in Harlens Staffel setzten sich etwas nach rechts ab und erhöhten die Geschwindigkeit, während sie sich dem Ziel näherten. »Raketen bereit«, sagte Martoq. »Feuer frei«, erwiderte Morten. Morten sah die Furien von Harlens Staffel erbeben, als sich eine Rakete von jedem ihrer Flügel löste. Seine Kanzel war plötzlich strahlend hell erleuchtet, als die Raketenantriebe zündeten und die sechs Geschosse in die Dunkelheit rasten. »Raketen abgefeuert!«, rief Harlen. »Engel-Staffel neun-null-eins, folgen. Es geht los«, befahl Morten. Er gab wieder mehr Schub und raste den Raketen hinterher, während er seine eigenen scharf machte und Energie auf die Laserkanone gab. Falls irgendetwas vom Ziel ausgesandt wurde, um die Raketen abzufangen, würden er und seine Furien es in Empfang nehmen. Er hauchte ein schnelles Gebet an den Imperator
und kontrollierte die Anzeige. Die Bildtafel zeigte das rote Symbol des Ziels mit zwei grünen Pfeilspitzen, die sich ihm rasch näherten. Seine eigene Staffel folgte den Raketen, überholte dabei Leutnant Harlens Staffel und überließ es ihm und seinen Furien, sie zu decken. Jede Überraschung war in dem Augenblick verloren gegangen, als sie die Raketen abgefeuert hatten, aber sie waren lange genug unbemerkt geblieben. »Zwei Sekunden bis zum Einschlag«, sagte sein Bord-schütze. Morten richtete den Blick nach vorn und sah in der Ferne eine Blüte aus weißem Feuer aufgehen. »Raketen sind eingeschlagen, wiederhole, Raketen sind eingeschlagen«, rief Martoq über Kom. »Wir haben ihn erwischt!« »Gut geschossen, Engel neun-null-zwo!«, sagte Morten, obwohl er wusste, dass Martoqs Einschätzung, da Ziel sei vernichtet worden, verfrüht war. Das wussten sie noch nicht mit Sicherheit. »Haben sie ihn erwischt, Kiell?«, fragte Morten. »Sieht so aus, Hauptmann. Ich bekomme keine Bio-Signale mehr. Ich glaube, das war's.« »Darauf können Sie wetten, dass wir sie erwischt haben! Wir haben sie in den Warpraum zurückgepustet! «, krähte Harlen. »Also gut, wir gehen näher ran und werfen einen Blick darauf. Geschwindigkeit verringern und folgen. Harlen, Sie geben uns Deckung.« »Kein Problem, Hauptmann«, bestätigte Harlen. »Laserkanonen scharf und schussbereit. Alles, was auch nur zuckt, lutscht bald Vakuum.« »In Ordnung, gehen wir's vorsichtig an«, warnte Morten. »Kiell, halten Sie Augen und Ohren offen. Wenn wir hier schnell verschwinden müssen, will ich es möglichst sofort wissen.« »Bestätigt«, erwiderte Pelaur, der sich sofort auf die Gefahrenanzeigen konzentrierte. Morten steuerte direkt den Explosionsort an. Als seine Furie näher kam, sah er ein großes, röhrenförmiges Objekt mit riesigen Kratern in der Seite, das sich im Raum drehte. Er nahm eine Menge Geschwindigkeit weg und flog näher heran, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. Das Objekt war vielleicht vierzig oder fünfzig Meter lang, die Oberfläche grünscheckig und mit wellenförmigen, schließmuskelartigen Öffnungen übersät. Ein zerfledderter, fleischiger Rüschenbesatz zog sich der Länge nach
über das Objekt, und lange, tentakelartige Kabel trieben hinter ihm. Die Vorderseite ähnelte einem riesigen gezähnten Schnabel, und Seim schäumte wie Blut in einer sich langsam ausdehnenden lila Wolke aus den Wunden in der Flanke. Wenn dieses Ding früher einmal lebendig gewesen war, sah es jetzt sehr tot aus. »Bekommen Sie Bio-Signale?«, fragte er. »Nein, Hauptmann. Alle Sensoren sagen, das Ding ist tot.« »Gut«, sagte Morten. »Geben Sie...« »Aufpassen!«, schrie Leutnant Harlen plötzlich. »Drei Uhr, hoch!« Morten riss instinktiv den Steuerknüppel nach rechts und gab Vollschub. Er erhaschte einen Blick auf ein fleischiges, zahnbewehrtes, torpedoartiges Objekt, das durch eine der gewellten Öffnungen in der Seite des angeblich leblosen Organismus in den Raum geschossen war. Er rollte hart nach links und schüttelte sie ordentlich durch, während es über ihren Köpfen aufblitzte. Wie in Zeitlupe sah er den Organismus an seiner Kanzel vorbeisegeln. Er setzte seine Linksrolle fort, richtete die Maschine wieder aus und flog eine Kurve. Beim Imperator, das war knapp gewesen! Sie hätten beinahe... »Er hängt immer noch an Ihnen dran, Hauptmann!«, schrie Harlen. »Er ist direkt hinter Ihnen!« »Beim Blut des Imperators, das Ding ist hartnäckig!« Er rollte nach rechts und ließ sich durchsacken, so dass sich seine Furie in gewundener Spirale abwärtsschraubte. »Abstand hundertfünfzig Meter!«, rief Pelaur. »Zu nah! Bringen Sie uns weg!« »Was glauben Sie, was ich hier mache?«, schnauzte Morten, indem er die Maschine wieder hochriss und Vollschub gab. Wenn das Verdammte Ding jetzt immer noch an ihm hing, war es nur eine Frage der Zeit, bis es ihn erwischte. »Abstand hundert Meter und abnehmend!« Es war zu nah, um von seinen Flügelmännern aufs Korn genommen zu werden, und Morten konnte nur hoffen, dass dieses Ding, was immer es war, auftreffen musste, um zu explodieren, falls es denn explodierte. »Hauptmann!«, rief Harlen. »Schwenken Sie nach steuerbord, Markierung neun-drei. Jetzt!«
Ohne zu überlegen, gehorchte Morten, schwenkte nach rechts und raste mit Vollschub abwärts. Er sah gerade noch Harlens Furie mit feuernder Laserkanone an seiner Kanzel vorbeirasen. Er konnte zwar nichts hören, spürte aber die enorme Druckwelle der explosiven Todeszuckungen der Tyranidenwaffe, als sie von den Laserstrahlen erfasst und zerfetzt wurde. Doch sie war zu nah gewesen, um ihrem Vernichtungspotenzial völlig zu entgehen. Das Heck der Furie ruckte trunken zur Seite, als der Jäger von vielen Hundert Chitinfragmenten getroffen wurde. Morten kämpfte um die Herrschaft über seinen bebenden, kreiselnden Jäger. Sein Helm schlug seitlich gegen die Kanzel, und sein Blickfeld verschwamm, während vor ihm auf der Instrumententafel überall Warnlichter aufleuchteten. Sein Anzug dehnte sich aus, und trotz des Druckhelms spürte er, dass er kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Wenn das geschah, war alles vorbei. Die Zentrifugalkräfte würden seine Maschine auseinanderreißen, und ihre Leichen würden im Raum gefrieren. Funken und Rauch verdeckten ihm die Sicht, und er konnte den Steuerknüppel nicht richtig sehen. Morten bemühte sich, ihn trotz der steigenden Fliehkräfte in der Kanzel zu erreichen. Er konnte das Kreischen reißenden Metalls hören und wusste, dass sich seine Furie langsam in ihre Bestandteile auflöste. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung warf er sich vorwärts, packte den Steuerknüppel und nahm den Schub weg. Praktisch sofort hörte das heftige Beben seiner angeschlagenen Maschine auf und wich dem leisen Knistern von verbogenem Metall, Pelaurs raschem Atmen und dem protestierenden Jaulen der herunterfahrenden Triebwerke. Die Furie trieb eine Weile mit Seitwärts-Spin antriebslos im Raum, bevor Morten neuen Druck in der Kanzel aufbaute, Rauch und Dämpfe absaugte und vorsichtig wieder Schub auf die Triebwerke gab. »Alles in Ordnung da hinten?«, fragte er, während er den Hals reckte, um zu sehen, wie es seinem Bordschützen ging. »Es ist mir schon besser gegangen, Hauptmann. Aber ich bin noch da. Gute Arbeit«, keuchte Pelaur, dem es offensichtlich an die Nieren gegangen war, wie knapp sie dem Tod entgangen waren. »Ja, wirklich gute Arbeit. Ich hätte wissen müssen, dass aktive
Biowaffen auf uns warten könnten.« »Wir leben noch«, stellte Pelaur fest. »Ja, dafür sollten wir wohl dankbar sein«, sagte Morten, indem er das Zeichen des Adlers beschrieb und seinen Handschuh auf den kleinen Schrein neben sich presste. Er konnte Harlens Staffel auf Parallelkurs sehen. Den an seiner Kanzel vorbeitreibenden Fleischklumpen konnte er entnehmen, dass Harlen nicht nur die Biowaffe zerstört, sondern seine Staffel auch das ursprüngliche Ziel in seine Einzelteile zerlegt hatte. Er schaltete sein Kom ein und sagte: »Neun-null-zwo, wir haben's überlebt. Wir sind etwas durchgeschüttelt, aber sonst geht's uns gut. Danke, übrigens. Das war gut geschossen.« »Nicht der Rede wert, Hauptmann«, sagte Harlen leichthin. »Jetzt halten Sie still. Ich mache eine Bestandsaufnahme Ihrer Schäden.« »In Ordnung. Halte still«, erwiderte Morten, was leichter gesagt als getan war, da sich die Furie gegen alle seine Versuche wehrte, in gerader Linie zu fliegen. Harlens Maschine schob sich unter und dann um den angeschlagenen Jäger herum und endete neben Mortens Backbordtragfläche. »Wie schlimm ist es?«, fragte er und fürchtete sich beinahe vor der Antwort. »Nicht gut, das steht fest. Sie haben reichlich Treffer im Triebswerksbereich abbekommen, also wird sie schwer zu lenken sein. Und es sieht so aus, als würden Sie Treibstoff verlieren. Nicht viel, aber wir bringen Sie besser nach Hause zur Vincennes, bevor Ihnen der Sprit ausgeht.« Morten ging plötzlich auf, wie nah sie dem Tod gewesen waren. Wenn auch nur ein einziger Chitinsplitter der Biowaffe den Zusatztank getroffen hätte, wären sie in einem tobenden Feuerball eingeäschert worden. »Danke. Bringen Sie Ihre Staffel nach Hause zur Vincennes, wir kommen nach, so schnell wir können. Wenn wir Hilfe brauchen, geben wir Ihnen Bescheid«, sagte Morten. »Und unterrichten Sie die Taktik-Offiziere über diese Dinger. Ich habe das Gefühl, wir werden noch mehr davon zu sehen bekommen.« »Ja, Hauptmann. Sind Sie sicher, dass Sie zurechtkommen?« »Wir werden uns verspäten, aber wir schaffen es. Und jetzt verschwinden Sie von hier, bevor ich Sie herumkommandieren
muss.« »Jawohl, Herr Hauptmann«, bestätigte Harlen, während seine drei Furien auf Kampfgeschwindigkeit beschleunigten und kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden waren. »Sind Sie bereit, nach Hause zu fliegen, Kiell?«, fragte Hauptmann Morten. »Mehr denn je.« Hauptmann Owen Morten brachte die waidwunde Furie vorsichtig auf Heimatkurs und erhöhte ganz allmählich den Schub, um gleich darauf das Gesicht zu verziehen, als sich die Vibrationen des verbogenen Rumpfs verstärkten. Ihnen stand ein langer Heimflug bevor.
VIER Der unbekannte Künstler hatte die gesamte Kammer als Leinwand benutzt. Ein Mosaik von enormen Ausmaßen bedeckte Wände, Decke und sogar Fußboden. Die Ausführung der Arbeit war exquisit: Keiner der Buntglassplitter, aus denen das Mosaik bestand, war größer als ein Daumennagel. Größer als die Kapelle der Helden auf Macragge, war das Ausmaß der Arbeit atemberaubend. Die Kammer war über zweihundert Meter lang, und die gewölbte Decke befand sich mehr als dreißig Meter über ihnen. Uriel und die Ultramarines wanderten verzückt am Rand des langen Raums entlang, sprachlos vor Staunen ob dieses wunderbaren Anblicks, und alle enttäuschten Erwartungen in Tarsis Ultra waren von dem spektakulären Mosaik hinweggefegt worden. Pastorale Bilder eines zerklüfteten Landes von urzeitlicher Schönheit erstreckten sich vor ihnen, die Farben wunderbar hell und lebendig. Der Künstler hatte die wilde Erhabenheit seines Themas perfekt erfasst. Glasberge thronten über Glasmeeren aus funkelndem Azur, auf leuchtend smaragd-farbenen Feldern wimmelte es von stolzen Tieren. Uriel streckte eine Hand aus und berührte die Wand, wobei er fast erwartete, in das Mosaik zu greifen und zu spüren, wie die Meeresbrise über die schäumenden Wellen wehte, die sich an blendend weißen Klippen brachen. Auf den Bergen erkannte er eine majestätische Marmorfestung mit Säulen und goldenen Kuppeln, bei deren Anblick ihn eine schmerzliche Sehnsucht erfasste.
Die Festung Hera, in solch liebevollem Detail dargestellt, dass er das Salz von Macragges Meeren beinahe schmecken und den süßen Saft seiner Hochlandfichten riechen konnte. Er sah, dass das Mosaik auf Pasanius und Learchus dieselbe Wirkung hatte, denn ihre Gesichter strahlten vor Freude. Uriel reckte den Hals und sah ein Heer gläserner Krieger auf der Jagd, zu Pferd und mit blauen Chiton angetan, jenem lockeren, knielangen Wollkleid, das die Männer und Frauen auf Macragge in uralten Zeiten getragen hatten. Die Jagd wurde angeführt von einem Riesen von Mann mit goldenen Locken und Alabasterhaut, dessen Miene Liebe und Stärke widerspiegelte und der einen langen Speer und einen ovalen Schild trug. Uriel erstarrte vor diesem Bild, von Gefühlen überwältigt, denn er erkannte Roboute Guillaume. Oft hatte er im Tempel der Besserung auf Macragge, wo Guillaumes lebloser Körper in einem Stasengrab ruhte, auf das blasse, tote Gesicht seines Primarchen gestarrt, aber ihn so dargestellt zu sehen, mit so viel Leben und Lebhaftigkeit, erfüllte Uriel mit einem schrecklichen Kummer über seinen Tod. Bis zu diesem Augenblick hatte Uriel nie viel auf die Geschichten gegeben, in denen es hieß, die Wunden des Primarchen würden langsam heilen und eines Tages werde er aus seinem Todesschlummer erwachen, aber bei diesem Anblick konnte er verstehen, warum die Leute glauben mussten, dass solch ein mächtiger Krieger aus der Leere zurückkehren konnte. Etwas weiter entfernt waren Schlachtszenen dargestellt, Bilder des Kriegs aus einem längst vergangenen Zeitalter, als die Helden so groß wie Berge waren und solche mit ihrer Kraft zum Einsturz bringen konnten. Hier bekämpfte Roboute Guillaume die Armeen des Bösen, wunderbar und edel. Hinter ihm und von ihm unbemerkt glitt ein Kämpe des Bösen aus dem Schatten und machte Anstalten, ihm einen heimtückischen Todesstoß zu versetzen. Als Uriels Blick dem Fresko weiterfolgte, sah er, wie ein Krieger Guillaume das Leben rettete, meisterhaft dargestellt in Splittern aus Glas und Saphiren, da er dem Feind das Bajonett auf seinem Gewehr tief in den Bauch rammte. Rubine und Granate spritzten funkelnd aus der Wunde. Ein anderer Teil dieses Abschnitts der Decke zeigte Roboute Guillaume auf einem gebeugten Knie, während er dem Kriegervolk von Tarsis Ultra seinen Bruderschaftseid leistete. Solch eine
Darstellung der Demut bei einem so mächtigen Krieger wie ihrem Primarchen zu sehen, erinnerte Uriel nachdrücklich an alles, um dessen Schutz die Ultramarines kämpften. Überall in der Kammer gab es neue Wunder und frische Visionen von unglaublicher Schönheit zu bestaunen, doch Uriel zwang sich, den Blick von dem fantastischen Mosaik loszureißen. Pasanius und Learchus standen an seiner Seite, gleichermaßen überwältigt von diesem genialen Werk. »Es ist...«, begann Learchus, der nach den richtigen Worten suchte, um dem Meisterwerk gerecht zu werden. Uriel nickte. »Ich weiß. Ich habe vom Tarsis-Fresko gelesen, aber ich hätte nie gedacht, dass es so großartig ist.« Schritte hallten durch die Kammer, und der Bann war gebrochen. Das Mosaik war nur noch eine Wand, und die Bilder darin waren nicht mehr als Glassplitter. Uriel drehte sich um und sah Fabrikator Montante, jetzt in praktischeren schlichten grauen Gewändern, der den Kriegsrat in den Raum führte. Die kommandierenden Regimentsoffiziere, jeder in Begleitung von Schreibern, Lakaien und Adjutanten, die hinter ihnen einen Respektsabstand wahrten, folgten Montante in die Mitte der Kammer. Dieser Teil des Raums war in den Boden eingelassen. Eine Reihe von Marmorbänken und ein langer, niedriger Tisch waren vorbereitet worden. Auf dem Tisch standen Tonkrüge mit Glühwein und Holzschalen mit frischem Obst. Uriel betrat diese Senke, nahm Platz und betrachtete die anderen Kommandeure, als sie eintrafen. Montante war dünn und schien auf eine jämmerliche Weise darauf bedacht zu sein zu gefallen. Seine Züge waren zierlich und asketisch, wenngleich eindringlich. Er sah nicht wie ein Krieger aus, und Uriel fragte sich, wie er hier auf seinen Autoritätsposten gelangt war. Wie war die Herrschaftsform hier auf Tarsis Ultra? Wurde sie vererbt, war sie demokratisch oder folgte sie noch den leistungsorientierten Idealen des Primarchen? War Montante fähig, sein Volk in Zeiten des Krieges zu führen, oder musste er ersetzt werden? Stand ihm diese Entscheidung überhaupt zu? Montante beschäftigte sich damit, jedem Wein einzuschenken, und Uriel schüttelte höflich den Kopf, als ihm ein Pokal angeboten wurde. Stagler sah wie ein Krieger aus. Uriel hatte Geschichten über das Krieg-Todeskorps gehört und dass ihre Obersten für ihre Re-
gimenter grundsätzlich um Einsätze in den gefährlichsten Gefechtszonen und gegen die tödlichsten Feinde baten. Wenn Stagler in diese Kategorie fiel, hatte er für seine Soldaten ein erstklassiges Kommando errungen. Er saß so gerade da, als habe er einen Ladestock verschluckt, und schien äußerst verärgert über Montante zu sein. Er lehnte den Wein ebenfalls ab. Rabelaq sah aus wie ein Mann, für den das Soldatentum eine Lebensart war, obwohl sein beachtlicher Bauch Uriel verriet, dass die Härten des Schlachtfelds für den Obersten des LogresRegiments nur eine entfernte Erinnerung waren. Er akzeptierte mit Freuden einen Pokal von dem süßen Wein und nippte anerkennend. Ordenspriester Astador akzeptierte ebenfalls einen Pokal und hob ihn zu einem Trinkspruch. »Möge diese Bruderschaft in der Sache vereint sein«, sagte er. »Hört, hört«, stimmte Rabelaq zu, leerte seinen Pokal und schenkte sich noch einen ein, doch Astador war noch nicht fertig. »Und sollte einer von Ihnen fallen, werde ich dafür sorgen, dass Ihre Schädel einen Ehrenplatz in unserer Galerie der Knochen erhalten.« Ein unbehagliches Schweigen trat ein, bis Montante sagte: »Vielen Dank, Ordenspriester Astador. Das ist äußerst befriedigend zu wissen.« Uriel wechselte einen Blick mit seinen Sergeanten, während die letzten Mitglieder der Begleitung die Kammer betraten. Lord Inquisitor Kryptman humpelte zu der Versammlung, gefolgt von einem weiß berobten Akoluthen, der ein Zahnrad-Medaillon aus Bronze um den Hals trug. Seine haarlosen Züge waren organisch bis auf eine bionische Vorrichtung, die das rechte Auge bedeckte, was für ein Mitglied der Adeptus Mechanicus ungewöhnlich war. Eine Reihe von Linsen verschiedener Größe waren seitlich an seinem Schädel angebracht, die alle nach vorn gleiten und sich vor das leuchtend rote bionische Auge schieben konnten. Kryptman ging unter einigen Schwierigkeiten nach unten zu den Bänken, und als sein Begleiter von den Adeptus Mechanicus ihm folgte, sah Uriel erschrocken, dass er sich auf metallischen Beinen wie die Schenkel von Zirkeln bewegte, die unten aus seinem Gewand ragten. Als der Akoluth die Treppe hinunterging, um seinen Platz hinter Kryptman einzunehmen, teilte sich sein Gewand, und anstatt auf Beine und Rumpf erhaschte Uriel einen flüchtigen
Blick auf ein dickes Messingrohr, das seine Brust mit den künstlichen Beinen verband. Der Lord Inquisitor ließ sich auf eine Bank nieder und schüttelte gereizt den Kopf, als Montante ihm etwas Wein anbot. Der Blick seiner grünen Augen wanderte über die Versammlung, und er grunzte etwas vor sich hin, obwohl Uriel nicht sagen konnte, ob es Ausdruck von Zufriedenheit oder Resignation war. »Dies ist ein großes Abenteuer«, sagte Montante, nachdem er endlich Platz genommen hatte. »Die meiste Zeit beschäftige ich mich mit Büchern, Konten und allen möglichen langweiligen logistischen Arbeiten für die Fabriken. Ich glaube nicht, dass ich jemals eine derart angesehene Gesellschaft im Palast bewirtet habe.« Kryptman bedachte Montante mit einem vernichtenden Blick. »Fabrikator-Marschall, das hier ist kein Abenteuer. Es ist eine Angelegenheit von absoluter Dringlichkeit und beängstigendster Natur. Ein Ausläufer der Schwarmflotte Leviathan nähert sich Ihrer Welt, und Sie glauben, es wird ein Abenteuer?« »Nun, nein, kein Abenteuer im traditionellen Sinn, wenn Sie verstehen«, sagte Montante eiligst, »aber es ist doch aufregend, oder nicht? Ich meine, schließlich tragen wir nicht jeden Tag einen Krieg aus, und ich freue mich jedenfalls sehr darauf, diesen Bestien eine blutige Nase zu verpassen.« »Dann sind Sie ein Dummkopf, mein Herr, und wären wohl beraten, die Verteidigung Ihrer Welt jenen zu überlassen, denen die extremen Gefahren einer Schwarmflotte der Tyraniden sehr wohl bewusst sind.« »Ich muss mich gegen Ihren Ton verwahren, Lord Inquisitor«, protestierte Montante. »Schließlich bin ich Gouverneur dieses Planeten.« »Einstweilen«, drohte Kryptman. »Wenn wir jetzt fortfahren könnten? Stellen wir eines von Anfang an klar: Ich weiß aus erster Hand, was es bedeutet, gegen diese Wesen zu kämpfen, und es wird kein Abenteuer, und in ihrer Vernichtung wird kein Ruhm und nur wenig Ehre liegen. Ich habe ihre Spezies bereits vor zweihundertfünfzig Jahren zur Xenos Horrificus erklärt und sie seit diesem Tag studiert, gejagt und getötet, kenne aber trotzdem nur einen winzigen Bruchteil ihrer Xenologie.« Der Inquisitor deutete auf den Mechanicus-Adepten hinter sich.
»Um gegen die Tyraniden kämpfen zu können, muss man sie zuerst kennen«, sagte er. »Dies ist Genetor Vianco Locard von den Magos Biologis, und er weiß mehr über diese Xeno-Monstrositäten als jeder andere lebende Mensch. Er wird uns eine große Hilfe sein. Magos, wenn Sie so nett wären?« Locard trat vor sie, und ein messingumrandetes Monokel surrte vor sein rotes Auge. Als er die Hände in einer akademischen Geste verschränkte, sah Uriel, dass sie aus glattem schwarzem Metall bestanden. Ohne Vorrede begann er seinen Diskurs. »Die Tyraniden sind eine bio-eugenische Rasse xenomorpher Wesen jenseits des Lichts des Imperators. Sie wurden erstmals entdeckt im 745. Jahr dieses Milleniums, und zwar von Magos Varnak auf dem Außenposten von Tyran Primus im Segmentum Ultima, gut sechzigtausend Lichtjahre vom heiligen Mars entfernt.« »Bio-eugenisch? Was bedeutet das?«, unterbrach Oberst Stagler. »Es bedeutet, dass die Tyraniden in der Lage sind, ganze Welten und Rassen zu assimilieren, indem sie sie in ihre genetischen Bestandteile zerlegen und diese dann in ihre eigene Physiologie integrieren«, erklärte Locard. Als Kryptman die Verwirrung Staglers und vieler anderer Anwesender sah, sagte er: »Vielen Dank, Magos Locard, aber vielleicht sollte ich das erklären und die Dinge hier auf einem Niveau halten, das jeder versteht.« Uriel fuhr angesichts einer so beiläufigen Beleidigung seiner Intelligenz innerlich auf, und er sah, dass auch andere finster dreinschauten, doch dem Inquisitor eilte diesbezüglich ein wenig schmeichelhafter Ruf voraus, und es gab keine Einwände, als er fortfuhr. »Die Tyraniden sind eine monströse nomadische Rasse aus Raubwesen aus einer fernen Galaxis und durcheilen die Weiten des Alls in riesigen Schwarmflotten. Wie Heuschrecken verzehren sie alles auf ihrem Weg, und wenn sie einen Gegner besiegen, wird er assimiliert, so dass jede zukünftige Generation von Tyraniden besser an die Jagd auf diese Beute angepasst ist. Wenn sie angreifen, tun sie das mit Millionenheeren und fallen wie eine Pest und ebenso zerstörerisch über eine Welt her. Alles, jeder Grashalm, jede eingeborene Kreatur, wird von den wimmelnden Horden verschlungen. Millionen Jahre der Evolution werden vernichtet, und ungezählte Millennien hart erarbeiteter Ent-
wicklung werden durch den unstillbaren Hunger der Tyraniden ausgelöscht. Die Ozeane werden ausgetrunken und der Himmel wird zersetzt und verdaut, bis nur noch nackter Fels übrig ist, dem jegliches Leben geraubt wurde.« »Aber kann man sie besiegen?«, fragte Stagler schlicht. Kryptman lachte humorlos. »O ja, Oberst Stagler, man kann sie besiegen, aber nur für einen schrecklichen Preis.« »Der Preis ist irrelevant«, sagte Stagler brüsk. »Wichtig ist nur, dass wir sie besiegen können, oder nicht?« Inquisitor Kryptman hob eine Augenbraue, bevor er den Kopf in Uriels Richtung neigte und sagte: »Oberst Stagler hat nicht ganz unrecht. Vielleicht kann Hauptmann Ventris uns den Gefallen tun und die Geschichte der Schwarmflotte Behemoth und der Schlacht um Macragge erzählen?« »Es wird mir ein Vergnügen sein, Lord Inquisitor«, sagte Uriel stolz, indem er sich erhob und die Hände auf dem Rücken verschränkte. »Die Schwarmflotte Behemoth kam von jenseits der Halosterne am Ostrand mit einer zu großen Anzahl Schiffe, um sie zählen zu können. Diese Schiffe flogen Macragge an, aber der edle Lord Calgar, der von Lord Kryptman rechtzeitig gewarnt worden war, hatte eine mächtige Flotte versammelt, um den heiligen Boden unserer Heimatwelt zu verteidigen. Eine furchtbare Schlacht tobte im Raum, bis Lord Calgar sich zurückzog und die Schwarmflotte in den Bereich der Geschütze von Macragge zog. Während die Tyraniden breit gefächert und daher verwundbar waren, kehrte er zurück und schlug zu. Seinen Schiffen gelang es, eines ihrer verfluchten Schwarmschiffe schwer zu beschädigen und damit ihre gesamte Flotte auf fatale Weise in Unordnung zu bringen.« »Das verstehe ich nicht, Hauptmann Ventris«, sagte Oberst Rabelaq. »Wie kann der Verlust eines Schiffes ihrer Flotte so großen Schaden zufügen?« »Das beantworte ich«, warf Magos Locard ein. »Um die motivationalen Imperative der Tyraniden zu verstehen, muss man zuerst die Natur ihres Bewusstseins begreifen. Eine Schwarmflotte besteht aus Milliarden und Abermilliarden lebender Organismen, die in den Reproduktionskammern des Schwarms von der Nornenkönigin produziert werden. Im Wesentlichen ist jedes Schiff ein Lebewesen, und alle Organismen, aus denen das Schiff besteht, existieren nur, um dem Schiff zu dienen. Jedes Schiff wiederum
funktioniert nur als Teil der Flotte. Ein Gestaltbewusstsein verbindet alle Kreaturen in der Flotte, von der gewaltigsten Kriegerbestie bis zu den winzigsten Bakterien der Verdauungsbottiche, was ein gigantisches Überbewusstsein schafft, das wir Schwarmverstand nennen. Dieser Schwarmverstand ist in der Lage, von einer gewaltigen Willenskraft und einer äußerst fremdartigen Intelligenz Gebrauch zu machen. Natürlich verfügen diese Kreaturen über keinerlei Individualität und existieren nur, um dem Schwarmverstand zu dienen. Wenn man die psychische Verbindung zwischen ihnen stören kann, verwirrt das die primitiveren Kreaturen, die dann meist zu ihrer primitiven, animalischen Natur zurückkehren. Das ist der Schlüssel, um die Tyraniden zu besiegen.« »Ja«, fuhr Uriel fort, »nachdem Lord Calgars Flotte das größte Schwarmschiff zerstört hatte, konnten sie weit mehr Bioschiffe abschießen, da die Angriffe der Tyraniden zunehmend unkoordiniert und wahllos wurden. Ihre Flotte wurde von Macragge vertrieben, und obwohl viele Tausend Sporen, jede mit einem Organismus der Tyraniden, über der polaren Abwehrfestung abgesetzt worden waren, verfolgte Lord Calgar den fliehenden Feind.« »Er hat seine Welt unverteidigt zurückgelassen?«, fragte Stagler missbilligend. »Nein, Oberst, weit davon entfernt«, sagte Uriel. »Die polaren Abwehrfestungen wurden von Terminatoren der Ersten Kompanie sowie tapferen Kriegern der Hilfstruppen und Titanen der Legio Praetor gehalten. Lord Calgar war zuversichtlich, dass sie sich behaupten würden, und verfolgte die Tyranidenflotte zum Ringplaneten Circe. Gemeinsam mit neu eingetroffenen Schiffen der Schlachtflotte Tempestus zerstörte er die Tyranidenflotte in einer großen Schlacht. Wir hatten die Tyraniden besiegt, aber der Preis war furchtbar. Hunderttausende starben, das Flaggschiff der Tempestus-Flotte, die Dominus Astra, ging verloren, und unsere gesamte Erste Kompanie wurde getötet, darunter auch mein eigener Vorfahr Lucian Ventris. Sie hat bis heute ihre volle Stärke noch nicht wieder erreicht.« Uriel setzte sich wieder auf die Bank, während Kryptman weitererzählte. »Die Schwarmflotte Behemoth existierte nicht mehr, aber die Tyraniden hatten aus ihrer Niederlage gelernt, und als sie vor weniger als einer Dekade mit einer neuen Schwarmflotte zurückkehrten die wir Krake nannten -, geschah dies in sehr viel größe-
rem Maßstab. Am Ostrand sind ganze Sektoren von den psychischen Interferenzen des Warpschattens der Tyraniden verschluckt worden, aber es kommt noch schlimmer. Ich habe ein Muster in einer scheinbar willkürlichen Reihe von Angriffen im gesamten Segmentum Tempestus, Segmentum Ultima und sogar Segmentum Solar entdeckt, das Grund zu der Annahme gibt, dass eine weitere Schwarmflotte angreift, diesmal von unterhalb der galaktischen Ebene. Ich habe sie Leviathan genannt, und es hat den Anschein, dass eine Absplitterung Leviathans diese Welt bedroht. Wir müssen die Tyraniden aufhalten, meine Herren. Hier und jetzt. Denn wenn dem Schatten im Warp gestattet wird, das göttliche Licht des Astronomikaners zu verdunkeln, dann wird die Menschheit wahrhaftig sterben. Schiffe werden nicht mehr in der Lage sein, im Warp zu navigieren, die Kommunikation in der Galaxis wird enden und das Imperium zusammenbrechen. Geben Sie sich keinen Illusionen hin: Wir kämpfen hier um die Zukunft unserer Rasse, und ich bin bereit, jedes Opfer zu bringen, um ihr Überleben zu sichern.« Die versammelten Kommandeure blieben stumm, da sie sich das Ausmaß des bevorstehenden Konflikts vor Augen führten, was auf dem Spiel stand und welche Rolle sie darin spielen würden. Sogar Montante schien jetzt den Ernst der Lage zu begreifen und kaute nervös auf der Unterlippe. »Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um dieses System auf den Angriff der Tyraniden vorzubereiten?«, fragte Astador. »Lordadmiral Tiberius arbeitet mit Admiral de Corte zusammen, um eine Strategie zu entwickeln, die es uns ermöglichen soll, die Tyranidenflotte aufzuhalten, bevor sie diese Welt erreicht«, antwortete Uriel, »aber es ist nicht zu übersehen, dass die Abwehrvorrichtungen dieser Stadt an vielen Stellen überholungsbedürftig sind und wir Zeit brauchen, um sie auf den bevorstehenden Angriff vorzubereiten.« »Hauptmann Ventris hat recht«, nickte Kryptman. »Ich habe die Mobilisierung von Kriegern der Deathwatch erbeten, dem militärischen Arm meines Ordos, und in Kürze werden wir sie zu unseren Truppen zählen können. Aber wir müssen den Vorstoß der Tyraniden aufhalten, können die Flotte jedoch erst in Stellung bringen, bis wir genau wissen, woher der Angriff erfolgen wird. Astropathen melden Wirbel und Strömungen im Warp, die denjenigen entsprechen, die der Ankunft einer Flotte vorausgehen, aber die
durch den Schatten im Warp hervorgerufenen Verzerrungen machen genauere Aussagen unmöglich. Wenn wir uns darauf verließen, könnte es damit enden, dass wir uns auf eine Geisterjagd begeben.« »Das Krieg-Regiment wird seine Infanterie und die gepanzerten Einheiten in den nächsten drei Tagen am Boden haben«, sagte Stagler. »Wir werden mit der Stärkung der Abwehranlagen der Stadt beginnen, und ich habe ein Übungsschema ersonnen, das unsere Bereitschaft garantiert, wenn diese Xenos eintreffen. Sie werden das Todeskorps nicht so schnell vergessen.« Uriel sagte: »Ich überstelle Ihnen Sergeant Learchus und einen Trupp Ultramarines, um Ihnen bei Ihrem Übungsprogramm zu helfen. Er ist der beste Ausbildungssergeant, den Agiselus je hervorgebracht hat, und ich bin sicher, er wird Ihnen eine große Hilfe sein.« »Vielen Dank, Hauptmann Ventris«, bestätigte Stagler. »Ich begrüße Ihre Hilfe.« Rabelaq meldete sich zu Wort. »Meine Soldaten werden am Ende dieses Tages in Stellung sein. Wir haben weit weniger Panzertruppen zu landen als Oberst Staglers Regiment, und bis morgen Früh werden Truppen über den ganzen Kontinent verteilt sein, um den Menschen hier Geleitschutz zurück in die Sicherheit ihrer Städte zu geben. Da die Soldaten des Logres-Regiments von einer Eiswelt stammen, bereitet ihnen das hiesige Klima keine Schwierigkeiten, und wir können Ihnen vielleicht sogar das eine oder andere über Erfrierungen und ihre Behandlung und Vorbeugung beibringen. Um ehrlich zu sein, haben unsere Pflichten bis heute darin bestanden, Krillzüchter vor plündernden tarellischen Stammeskriegern zu schützen. Es wird den Männern gut tun, einen Eindruck davon zu bekommen, was richtiges Soldatentum bedeutet.« Fabrikator Montante sagte: »Meine Regimenter der Planetaren Streitkräfte werden gedrillt, seit wir die Warnung vor den Tyraniden erhalten haben. Als Oberbefehlshaber der Planetaren Streitkräfte habe ich in den letzten beiden Monaten verstärkte Ausbildung angeordnet und die Einheiten der Bürgerwehr aufgerufen, ebenfalls daran teilzunehmen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen war kürzlich an Manövern beteiligt und sieht gut aus, wenn ich das so sagen darf. Wir haben außerdem begonnen, Vorräte von medizinischen Hilfsgütern, Munition, Treibstoff und Nah-
rungsmitteln in den Kavernen unterhalb der Stadt anzulegen.« Kryptman schaute ein wenig überrascht drein ob dieser neuen Seite an Fabrikator Montante und nickte. »Ausgezeichnet. Das war eigentlich mein nächster Punkt.« »Oh, machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Inquisitor Kryptman. Wenn es etwas gibt, womit ich mich auskenne, dann ist es organisatorische Logistik. Ich bin vielleicht kein Soldat, aber ich kann Ihren Nachschub besser organisieren als sonst jemand und dafür sorgen, dass jeder Soldat genügend Munition hat und drei warme Mahlzeiten am Tag bekommt.« Kryptman gluckste. »Das ist der halbe Krieg.« »In der Tat«, strahlte Montante, der sich freute, etwas beisteuern zu können. Die nächsten zwei Stunden wurden mit der minutiösen Planung der bevorstehenden Kampagne verbracht. Alles, von den Flottenoperationen bis zur genauen Aufstellung von Menschen und Maschinen in der Stadt, wurde beraten und entschieden. Die Lage war ernst, aber am Ende des Kriegsrats war das vorherrschende Gefühl vorsichtiger Optimismus. Der Lord Inquisitor beschwor diesen Optimismus, als er sagte: »Tyraniden sind Kreaturen aus unseren finstersten Albträumen. Aber vergessen Sie eines nicht: Sie können bluten, und sie können sterben...« Uriel schenkte sich einen Pokal Wein ein, als sich die Tür am anderen Ende der Kammer öffnete und ein Kom-Offizier der Planetaren Streitkräfte eintrat. Er eilte zu Montante und reichte dem Fabrikator-Marschall eine Datentafel, bevor er sich wieder zurückzog. Montante überflog rasch den Inhalt der Tafel, und sein Lächeln wurde ausgeprägter, je mehr er las. Er reichte Kryptman die Tafel und sagte: »Ich glaube, wir haben sie.« Kryptman las die Tafel, während Montante fortfuhr. »Die Sensoren auf dem Horchposten Trajen am Rande des Systems haben ein unbekanntes Signal im Barbarus-Haufen aufgeschnappt und eine Staffel Jäger von der Kharloss Vincennes hingeschickt, um nachzusehen. Anscheinend hat die Staffel einen Kundschafter der Tyraniden gestellt und vernichtet. Die Astropathen melden außerdem eine sich nähernde Störung im Immaterium. Meine Herren, ich glaube, wir wissen jetzt, woher der Feind kommen wird.«
Tyren Mallick schob den Sicherungshebel seines Autogewehrs nach vorn und öffnete den Verschluss. Er nahm ein Magazin mit Kugeln aus der Tasche seiner Bomberjacke, vergewisserte sich, dass die Kugeln sauber waren, und schob es in die Munitionszuführung. Er drückte das Magazin herunter, schloss den Verschluss und zog den Sicherungshebel wieder zurück. Dann hob er das Gewehr an die Schulter und zielte über den Lauf auf die drei Steine, die er am Berghang aufgestellt hatte. Er atmete tief ein, ließ den Atem langsam entweichen und drückte ab. Der Schuss fegte einen Stein von seinem Platz. Er senkte das Gewehr und sah zu, wie sein Sohn Kyle seine Bewegungen ganz genau kopierte. Der Knall seines Schusses hallte von den dunklen Bergen wider, und der nächste Stein fiel von seinem Platz. Er sah, wie mehrere Leute in der tiefer gelegenen Ortschaft bei dem Geräusch zusammenfuhren, bevor sie sich wieder daran machten, die Barrikaden am Eingang der Ortschaft zu errichten. »In Ordnung, mein Sohn, gute Arbeit«, sagte er. »Und jetzt mach es noch mal. Wenn diese fremden Bestien kommen, musst du in der Lage sein, ganz schnell zu schießen. Wenn du das Gewehr mit geschlossenen Augen laden kannst, gehen wir essen.« Kyle strahlte über das Lob seines Vaters, entlud das Gewehr und fing noch einmal an. Tyren beobachtete seinen Sohn dabei, wie er die Waffe rasch neu lud und die Handgriffe wiederholte, die sie in den letzten beiden Tagen geübt hatten. Kyle war zwar erst elf Jahre alt, aber ein Naturtalent und konnte die Waffe in weniger als sechs Sekunden laden und schussbereit machen. Der letzte Stein verschwand in einer Rauchwolke, als Kyle ihn genau in der Mitte traf. Vater und Sohn übten noch eine halbe Stunde, bevor es heftig zu regnen anfing und sie rasch den mit Pfützen übersäten Weg zu der kleinen Bergbaugemeinde namens Hadleys Hoffnung entlangeilten. Sie kletterten über die schlüpfrigen Erzfässer, die vor der Hauptstraße durch die Stadt aufgestellt waren, und gingen dann weiter nach Hause, wobei sie unter den breiten Regenrinnen der Häuser Schutz suchten, welche die Straße säumten. Tyren sah, dass das andere Ende der Straße ebenfalls verbarrikadiert war. Mit Stacheldraht umwickelte Sägeböcke stapelten sich neben mit Sand und Steinen gefüllten Erztonnen. Es war nicht viel, aber alles, was sie tun konnten.
Neben der Schule, dem größten Gebäude der Gemeinde, stand Tyren Mallicks Heim, ein robust konstruiertes Haus aus Lehmziegeln, das er mit eigenen Händen errichtet hatte. Er hatte fünfundzwanzig schöne Jahre in diesem Haus verbracht, drei Kinder aufgezogen und schwer in den Bergwerken geschuftet, die Barbarus Primus wert machten, bewohnt zu werden. Er war ein so treuer Diener des Imperiums, wie man es sich nur wünschen konnte, und hörte sich jede Woche in Pelotas Pfarrer Cascus Predigt an. Außerdem verbrachte er jedes Jahr einen Monat damit, all jenen zu helfen, die nicht so viel Glück gehabt hatten wie er. Fünfundzwanzig gute Jahre, und er wollte verdammt sein, wenn er sich von einem gesichtslosen Adepten auf Tarsis Ultra vorschreiben ließ, sein Heim zu verlassen, weil irgendwelche nichtmenschlichen Piraten im Anflug waren. Die Bewohner von Hadleys Hoffnung hatten sich auch schon früher in Notzeiten zusammengeschlossen, und diesmal würde es nicht anders sein. Der Eingang zum Bergwerk war bereits versiegelt, die Stadt verbarrikadiert und die Bevölkerung bereit, ihre Herde und Heime zu verteidigen. Schwere graue Wolken sammelten sich am Himmel, und weiter die ins Tal führende Straße entlang sah Tyren die starken Turmlichter mehrerer anderer Gemeinden aufflackern, da die Nacht nahte. Sogar von hier aus konnte er erkennen, dass auch die anderen Gemeinden Vorbereitungen zur Abwehr ganz ähnlich denjenigen von Hadleys Hoffnung getroffen hatten. Das allgemeine Gefühl der Solidarität im Angesicht der Not gab Anlass zur Demut, und Tyren dankte wieder dem Imperator, dass er mit so guten Freunden und Nachbarn gesegnet war. Er und Kyle erreichten die massive Holztür zum Haus und zogen ihre schlammverschmierten Stiefel aus, bevor sie eintraten. Merria hielt das Haus sauber, und beide waren nicht so dumm, vor dem Mittagessen Schmutz ins Haus zu tragen. Die Wärme und der Geruch nach einer anständigen, daheim gekochten Mahlzeit hüllten ihn ein, als er Kyle hineinführte. Seine Frau und die beiden Töchter beschäftigten sich mit dampfenden Schüsseln und Tellern und deckten den Tisch für das Mittagessen, während er die Gewehre neben die Tür hängte, wobei er sich zunächst vergewisserte, dass beide entladen waren. »Habt ihr da draußen Spaß gehabt?«, fragte Merria, ohne sich von ihrem heißen Herd abzuwenden.
»Auf jeden Fall«, sagte Tyren, während er seinem Sohn die Haare zerzauste. »Kyle ist ein Naturtalent. Er hat nicht einmal danebengeschossen, nicht wahr, mein Sohn?« »Nein, nicht einmal«, bestätigte Kyle. Seine Mutter runzelte die Stirn, als sie sich umdrehte und sah, wie durchnässt ihr Sohn und ihr Mann waren. Sie trocknete sich die Hände an der Schürze ab und scheuchte sie in Richtung Schlafzimmer. »Ihr zieht jetzt beide eure nassen Sachen aus, bevor ihr euch den Tod holt. Ich dulde nicht, dass ihr mir hier den Boden nass tropft. Nun macht schon, beeilt euch. In fünf Minuten steht das Essen auf dem Tisch.« Vater und Sohn wussten beide, dass zu streiten sinnlos war und drängten ihren Hunger zurück, während sie sich abtrockneten und frische Kleidung anzogen. Sie kamen zum Tisch zurück, als Merria gerade das Essen au den Tisch stellte. Tyren nahm seinen üblichen Platz am Kopfende des Tisches ein. Als jeder einen vollen Teller vor sich hatte, faltet Tyren die Hände, schloss die Augen und neigte den Kopf, als er ein Dankesgebet an den Imperator sprach. »Heiliger Vater, der über und alle wacht, wir danken dir für dieses Mahl vor uns. Gib uns die Weisheit deiner Diener und die Kraft, uns gegen das Böse der Sünder und Nichtmenschen zu behaupten. Darum bitten wir in deinem Namen.« Seine Familie schloss mit einem gemeinschaftlichen Amen, und dann machten sich alle über das Essen her. Zischende Gaslaternen hingen an den Dachbalken und spendeten warmes Licht, als die Familie aß, während das grelle Licht der Bogenlampen draußen von den Blechen abgehalten wurde, mit denen Tyren die Fenster vernagelt hatte. Er lächelte seine Frau an und nahm einen Happen von seinem Essen. Sollten diese Piraten ruhig kommen, wer sie auch waren. Sie würden feststellen, dass Tyren Mallick und die Leute von Hadleys Hoffnung auf sie vorbereitet waren. Schweiß sammelte sich auf der Stirn des Dritten Technikers Osric Neru, und er wünschte, die Astropathin würde endlich den Mund halten und ihnen allen etwas Ruhe gönnen. Ihr Ächzen war zuerst ziemlich beunruhigend gewesen, aber jetzt war es nur noch lästig und erfüllte Horchposten Trajens beengte Zentrale mit
ihrem nicht enden wollenden Gejammer. Osrics Finger klopften einen nervösen Takt auf der Konsole vor sich, da er frustriert auf die Anzeige starrte. Die Werte konnten nicht stimmen, das konnten sie einfach nicht. Er rieb sich das unrasierte Kinn und prüfte die Zahlen noch einmal, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. Die Zahlen huschten wieder über den Bildschirm, dieselben wie zuvor. Er wischte sich den Schweiß von seinem tonsurierten Schädel und brachte die Pergament-Liste neben sich auf den neusten Stand, wie ihm seine Vorgesetzten auf Tarsis Ultra befohlen hatten. Osric fühlte sich sehr allein und verängstigt und wünschte sich nichts mehr, als wieder auf Chordelis zu sein und in einem der vielen Hochöfen dieser Welt Dienst zu tun. Wenn diese Zahlen stimmten, näherte sich eine Feindflotte von unerhörter Größe diesem System. Schiffe der Imperiumsflotte waren von Tarsis Ultra unterwegs, aber Osric wusste, dass sie Trajen nicht vor dieser neuen Flotte auf seiner Konsole erreichen würden, und der Gedanke entsetzte ihn. Sein Blick traf sich mit dem des Adepten an der nächsten Konsole, und er versuchte beruhigend zu lächeln, konnte ihn aber nicht überzeugen. Er warf einen Blick über die Schulter auf den ranghöchsten Magos, und trotz der vielen augmetischen Veränderungen bei seinem Vorgesetzten konnte Osric doch erkennen, dass er ebenfalls extrem besorgt über das war, was sich da näherte. Wiederholte, an Admiral des Corte gerichtete Bitten um Erlaubnis, ihren Horchposten verlassen zu können, waren abschlägig beschieden worden, und sie konnten nur warten und hoffen, dass die nahende Flotte sie passieren würde. Die Astropathin lag auf einer Ruheliege neben dem Magos, die Zähne zusammengebissen, die Haut angespannt und blass. Sie zuckte und murmelte, und ihr Gesicht bewegte sich unter nervösen Zuckungen und Flatteranfällen. Ihr Ächzen hallte durch den Kontrollraum und entnervte den sechs Personen zählenden Stab des Horchpostens noch mehr. Plötzlich schoss sie kerzengerade in die Höhe und schrie aus vollem Hals. Alle schraken zusammen, als die junge Frau von der Liege sprang, an ihren grünen Gewändern riss und sich mit den Fingernägeln das Gesicht zerkratzte. Sie fiel jämmerlich kreischend auf
die Knie, während sich ihre Fingernägel immer tiefer in ihre Haut gruben. Blut lief ihr über das Gesicht, als sie sich die Nähte über ihren leeren Augenhöhlen aufriss und die Finger hineinbohrte, als wolle sie sich das Hirn aus dem Schädel pflücken. »Sie kommen!«, heulte sie. »Sie zerkratzen mir den Verstand, kratzen, schreien, brüllen so viele Stimmen. Sie wollen uns holen mit Haut und Haaren, Leib und Seele!« Osric hielt sich die Ohren zu, um ihr Geschrei nicht mit anhören zu müssen, da sie sich schwankend erhob, mit blutigen Fingern nach ihm griff und ihn anflehte, ihren Qualen ein Ende zu bereiten. Aber er konnte nichts für sie tun. Schließlich kippte sie nach vorn und fiel zu Boden. Blut sammelte sich in einer Lache um ihren Kopf, und ihre Schreie verstummten. Uriel gesellte sich zu Lordadmiral Tiberius und Philotas, dessen Deckoffizier, als diese die Systemkarte begutachteten, die auf dem steinumrahmten Planungstisch im Querschiff auf der Kommandobrücke der Vae Victus dargestellt wurde. Eine verblüffende Menge von Informationen war auf der eingebetteten Tafel sichtbar, die eine topographische Darstellung des Systems Tarsis Ultra zeigte. Gewundene Linien von Patrouillenschleifen der Verteidigungsschiffe, Planetenumlaufbahnen und lokale himmlische Phänomene waren ebenso eingezeichnet wie die größeren Schifffahrtsrouten. Sprungpunkte am Systemrand waren gelb markiert, und jeder Planet erstrahlte in einem weichen grünen Licht. Zahlen huschten über eine Seite der Tafel, obwohl Uriel keine Ahnung hatte, was sie darstellten. »Zeigen Sie es mir«, befahl Tiberius. Philotas stellte etwas an den Runen auf dem Planungstisch ein, und die Hintergrundinformationen verschwanden von der Anzeige, so dass nur noch die planetaren Einzelheiten erleuchtet waren. »Am äußersten Rand des Systems Tarsis Ultra liegt Barbarus Primus«, sagte Philotas, als gewundene hoch-gothische Schrift in einem golden umrandeten Kasten neben dem Planeten aufleuchtete. »Eine Förderwelt«, stellte Uriel fest. »Kostbare Metalle und Edelsteinminen in der Hauptsache, obwohl es auch ein paar wert-
volle Mineralien gibt, die für die Produktion der Metalle für Raumschiffshüllen benötigt werden.« »Bevölkerung?«, fragte Tiberius. Philotas warf einen Blick auf den Informationskasten und sagte: »Ziemlich wenig. Nach der letzten Zählung sind es etwas mehr als neuntausend Seelen, von denen die meisten im Hochland der Gebirge des Ostkontinents leben.« »Was wird unternommen, um die Leute von dort zu evakuieren?«, fragte der Lordadmiral. »Der dortige Adept hat eine Warnung erhalten, und von Chordelis ist ein Frachter dorthin unterwegs, obwohl es fraglich ist, ob er Barbarus Primus noch vor den ersten Organismen der Tyraniden erreichen kann.« »Verdammt«, fluchte Tiberius. »Je mehr Welten den Tyraniden zum Opfer fallen, desto stärker und zahlreicher werden sie.« »Danach folgen zwei unbewohnte Planeten. Der erste, Parosa, hat eine Atmosphäre, die im Wesentlichen aus einer BenzolWasserstoff-Mischung besteht. Hochgradig toxisch, und obschon die Adeptus Mechanicus mehrfach versucht haben, die Atmosphäre umzuwandeln, waren ihre Versuche bisher nicht von Erfolg gekrönt. Der zweite wird Yulan genannt. Er ist ein geologisch instabiler Gesteinsbrocken, der von vulkanischen Stürmen heimgesucht wird, obwohl es auf ihm mehrere riesige Wasserstoffplasma-Abbaustationen in permanenter geo-stationärer Umlaufbahn gibt.« Philotas zoomte näher heran, da sie sich den inneren Welten näherten. »Dann kommt Chordelis, eine kleine, aber bevölkerungsreiche Welt industrieller Manufakturen. Um die sechzehn Millionen Bewohner mit fünfzigtausend Mann Planetaren Streitkräften. Die Evakuierungsprotokolle sind in Kraft, obwohl ich dazu raten würde, einen weiten Bogen um Chordelis zu machen. Es herrscht reger Schiffsverkehr, und es hat bereits mehrere Unfälle gegeben. Nach Chordelis haben wir zwei Agrarwelten, Calumet und Calydon, beide mit einer Bevölkerung, deren Hauptaufgabe die Verwaltung ist. Diese Welten werden gerade evakuiert. Und schließlich haben wir Tarsis Ultra selbst mit einer Bevölkerung von über sechzig Millionen.« »Wie lange noch, bis wir in der Lage sind, die Schwarm-flotte abzufangen?«, fragte Uriel.
Philotas verstellte erneut die Runen an der Seite des Planungstisches, und eine Reihe von Linien schlängelte sich über die Oberfläche der Tafel. Sie begannen bei der Symbolgruppe, welche die Vae Victus und die Schiffe der Imperiumsflotte darstellte, und führten durch das System zu Barbarus Primus. Mehr Zahlen huschten über die Tafel. Philotas benutzte ein stählernes Lineal und einen Zirkel, um Zeit und Entfernung auf der Systemkarte abzumessen. »Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit wird es sieben Tage dauern, bis wir die Umlaufbahn von Barbarus Primus erreichen«, sagte Philotas. »Die Tyraniden werden vor uns dort sein.« Osric Neru beobachtete die sich nähernde Wolke von Objekten in der Aussichtsbucht mit echtem Grauen, während er Schutzgebete murmelte, die ihm seit der Kindheit nicht mehr über die Lippen gekommen waren. Er hielt sich an seiner Konsole fest, als die Wolke der Fremdwesen sie einhüllte und ein weiterer explosiver Einschlag den Horchposten erbeben ließ. In den letzten zwanzig Minuten waren sporenartige Objekte aus der vorrückenden Flotte scheinbar ziellos durch den Raum getrieben, bis sie sich dem Horchposten genähert hatten, woraufhin sie rhythmisch zu pulsieren anfingen und zielstrebig auf ihre Position zuhielten. Einige explodierten wie Minen, andere platzten wie nasse Säcke voll Flüssigkeit und verspritzten zersetzende Säuren über die Station. Es gab bereits überall Lecks in der Station, wo sich Säuren und Viren durch die Hülle gefressen hatten. Die nahende Flotte war ganz einfach zu groß, um sie verstandesmäßig erfassen zu können. Tausende im Raum treibende Gegenstände umgaben die fremden Raumschiffe, tote Klumpen, die die jämmerlich unzureichenden Geschütztürme der Station gesprengt hatten, bevor ihnen die Munition ausgegangen war. Osric warf einen Blick auf die Feuerprotokolle der verschiedenen Geschütztürme, um zu überschlagen, wie viele Schüsse abgegeben worden waren. Über zwanzigtausend Granaten waren in die sich nähernde Wolke abgefeuert worden, obwohl die von ihnen angerichteten Verluste verglichen mit einer Streitmacht von solchem Ausmaß unbedeutend waren. Sie waren jetzt praktisch wehrlos. Osric fiel auf die Knie und betete, da sich noch mehr von den Sporen der Tyraniden näherten.
»Neru!«, blaffte der oberste Magos. »Zurück auf Ihren Posten.« Osric erhob sich, während die Station unter weiteren Einschlägen erbebte und eine neue Reihe von Warnlampen auf der Konsole zu blinken anfingen. »Wir werden sterben!«, rief Osric. »Was spielt es da für eine Rolle, ob ich auf meinem Posten bin?« »Es spielt eine Rolle, weil wir deswegen hier sind«, sagte der Magos mit einer Ruhe, die er nicht empfand. »Ja, wir werden sterben, aber wir werden sterben, indem wir unsere Pflicht gegenüber dem Imperator erfüllen. Kein Mensch kann mehr verlangen.« Osric nickte, neigte den Kopf und kehrte auf seinen Platz zurück, während von draußen das Ächzen sich verbiegenden Metalls in die Zentrale hallte. Wieder heulte eine Alarmsirene, die ein Leck in der Außenhülle verkündete, und die verängstigte Besatzung des Horchpostens hörte das Knirschen, als Druckschleusen langsam den betroffenen Bereich abriegelten. Dann hörten sie das Kratzen von nichtmenschlichen Krallen an der Tür zur Zentrale. Tyren Mallick verdrängte die Schmerzen in seiner aufgerissenen Schulter und lud mühsam das Gewehr nach, wobei das Zittern seiner Finger die Aufgabe zusätzlich erschwerte. Ein blutgetränkter Verband war um Schulter und Brust gewickelt, wo Fragmente der explodierenden Spore in sein Fleisch eingedrungen waren. Merria hatte die zischenden Knochensplitter aus seiner Schulter geholt, aber die Wunde wollte nicht heilen, sondern sonderte beständig infiziertes Blut ab. »Warum hat der Himmel so eine komische Farbe, Pa?«, fragte Kyle mit vor Furcht zitternder Stimme, da er durch die geschmolzenen Reste der Bleche vor den Fenstern starrte. Der normalerweise schiefergraue Himmel brodelte in einem widerlichen Bluterguss-Violett, und unnatürliche Blitze zuckten und tauchten die Berge in ein grelles unvertrautes Licht. Ein Hagel aus dunklen Objekten ging inmitten des brennenden Regens auf die Ebene nieder, der die Metalldächer von Hadleys Hoffnung wegätzte und die Leute gezwungen hatte, die Barrikaden zu verlassen und Zuflucht in der Schule zu suchen, dem einzigen Gebäude, das groß genug war, alle aufzunehmen. Die Männer von Hadleys Hoffnung waren mit einer Vielzahl verschiedener Waffen ausgerüstet, von
alten Gewehren, bei denen man schon von Glück sagen konnte, wenn die Patrone nicht im Lauf explodierte und dem Schützen die Hand abriss, bis hin zu frisch geölten Lasergewehren, die im Dienst bei den hiesigen Planetaren Streitkräften erworben worden waren. Dreiundzwanzig weinende Kinder kauerten in der Mitte der Schule, und ihre Mütter und Lehrer taten ihr Möglichstes, um sie mit Liedern und Gebeten zu beruhigen. »Ich weiß nicht, warum, mein Sohn«, gestand Tyren, als es ihm endlich gelang, „die Patronen in sein Gewehr zu drücken. Er erhob sich vom Tisch und gesellte sich zu seinem Sohn am Fenster. Sporen wie grotesk angeschwollene und geäderte Ballons fielen seit Tagesanbruch vom Himmel, und obwohl die meisten von Aufwinden aus der Ebene ins Hochgebirge geweht worden waren, trieben viele wieder zurück nach unten, als die Nacht anbrach und die Luft abkühlte. Zuerst hatten die Einwohner von Hadleys Hoffnung sie mit ängstlicher Neugier beobachtet, bis eine pulsierende Spore mit einem Ring aus trompetenartigen Kegeln und nachgezogenen Wedeln in die Siedlung getrieben war. Pastor Upden war zuversichtlich auf das mysteriöse Objekt zugegangen und hatte aus nächster Nähe in der Erwartung darauf geschossen, es werde einfach in sich zusammenfallen. Tyren hatte voller Grauen mit ansehen müssen, wie der widerliche Tropfen explodiert war und den Pastor mit einer dicklichen, zähen Flüssigkeit bespritzt hatte, und seine Schreie waren auch in den entferntesten Winkel der Siedlung gedrungen. Tyren war losgelaufen, um Upden zu helfen, aber es war zu spät seine Haut warf bereits Blasen und löste sich von den Knochen, da die unbekannten Säuren sein Gewebe zersetzten. Er schrie erbärmlich, bis seine Kehle schmolz und sich sein lebloser Körper in stinkenden Schleim auflöste. Seitdem hatten sie sehr darauf geachtet, die Sporen abzuschießen, bevor sie die Siedlung erreichten. »Bleib wachsam, Kyle, und ruf mich, wenn du irgendwas siehst«, sagte Tyren, während er durch die tropfenden, korrodierten Löcher im Metall starrte. Die Lichter in den tiefer gelegenen Ortschaften waren erloschen, und in Pelotas war schon seit mehreren Stunden niemand mehr zu erreichen. Die Lichter hier erloschen auch langsam, da der Säureregen die Kabel zersetzte, die nicht unterirdisch verliefen, und Tyren wusste, dass schon bald die ganze Gemeinde im Dunkeln liegen wür-
de. Er versuchte das Schluchzen der Kinder und die zitternden Stimmen der Frauen zu ignorieren, als er Bewegung auf der Straße sah. Der Boden wogte, als sei er lebendig, und der Regen glänzte auf den Panzern von vielen Tausend... Dingern, die zu der kleinen Siedlung liefen. Er kniete nieder, angelte ein ramponiertes, aber funktionierendes Fernglas aus dem Rucksack und richtete es auf die Straße. Die unnatürliche Dunkelheit machte es schwierig, etwas zu erkennen, aber ihm stockte der Atem, als er ein Meer von Kreaturen sah, die bergauf strömten und nur aus Klauen und Zähnen zu bestehen schienen. »Der Imperator helfe uns«, flüsterte er und ließ das Fernglas sinken. »Jeder mit einem Gewehr sucht sich einen Platz, von wo er schießen kann«, rief er. Er griff sich einen blassen Mann neben sich und sagte: »Radek, geh mit zehn Männern nach oben und schießt vom Balkon. Das Vordach wird euch vor dem Regen schützen.« Radek nickte und lief los, um Tyrens Befehl auszuführen. Tyren schaute zu seiner Frau und seinen Töchtern und warf ihnen einen beruhigenden Blick zu, bevor er sich ein Loch in der Wand suchte, durch das er schießen konnte. Kyle schulterte sein Gewehr und stellte sich neben seinen Vater, ein nervöses Lächeln auf den Lippen. »Ich bin stolz auf dich, mein Sohn«, sagte Tyren, und Kyle nickte. Tyren lugte in die Dunkelheit und sah den Schwarm der Kreaturen über die Barrikaden am Ende der Straße hinwegstürmen. »Sie kommen!«, brüllte er. »Eröffnet das Feuer!« Kinder schrien, als die Schule plötzlich von krachendem Lärm erfüllt war. Pulverdampf verräucherte die Luft, und das Knallen der Waffen in so einem beengten Raum war ohrenbetäubend. Tyren sah mehrere Kreaturen fallen und hörte mehr Schüsse von oben. Über den Waffenlärm hörte er ein pfeifendes Kreischen wie von einer heranfliegenden Artilleriegranate und zuckte zusammen, als etwas Schweres ins Dach der Schule einschlug. Er hörte Holz splittern und Schreie von oben, wusste aber, dass er nichts tun konnte, um den oben postierten Männern zu helfen. Der Boden bebte, als weitere Objekte vom Himmel fielen und mit unglaublicher Wucht einschlugen.
Er schoss wieder und wieder in die Masse der Bestien, deren geschwollene Schädel und Körperpanzer alles ablenkten bis auf die genausten Treffer. Sie drangen in die Stadt ein, schwärmten aus und umzingelten die Schule. Ein donnernder Einschlag draußen schleuderte Tyren zu Boden und sprengte die Fensterscheiben zur Straße. Ein Teil der Wand stürzte ein, und das Blech wurde von den Wänden gerissen. Heiße, stinkende Luft wehte herein. Durch das Loch konnte Tyren sehen, dass der Generatorschuppen brannte und ein großer Gegenstand wie ein Felsblock in dem Krater schaukelte, den sein Einschlag verursacht hatte. Kleinere Kreaturen kamen auf das Loch in der Wand zugelaufen, und Tyren rappelte sich auf und schoss wütend durch die Bresche. Flammen von der anderen Straßenseite beleuchteten die Kreaturen, und im Verein mit drei anderen Männern gelang es ihm, die Ungeheuer zu töten, die durch die Bresche eindringen wollten. Das Dach des Generatorschuppens stürzte ein und ließ Funken durch die Dunkelheit stieben. Unter den Trümmern ertönte ein Kreischen von etwas, das Schmerzen zu leiden schien. »Holt irgendwas, um das Loch hier zu stopfen!«, brüllte er, während er auf die Kreaturen schoss, bis seine Munition verbraucht war. Er tastete nach einem neuen Magazin, während drei Frauen einen schweren Tisch und ein paar Pulte anschleppten und vor der Bresche in der Hauswand umstürzten. Schüsse und das Geschrei der Kinder nahmen seine Sinne in Beschlag, als Tyren das Gewehr neu lud. Er hörte etwas gegen die wenigen noch verbliebenen Fenster mit einem Blechschutz prallen und sah noch eins nachgeben, als sich eine grauenhafte Kreatur hindurchzwängte. Sie sprang in den Raum. Regen dampfte auf ihrem glänzenden Panzer. Vornübergebeugt und sechsgliedrig zischte ihr bestialisches Gesicht in unmenschlichem Hunger. Tyren schoss darauf, traf aber nicht, sondern sprengte nur Gips aus der Wand daneben. Die Bestie beachtete ihn nicht und ging auf die Verteidiger der Nordwand los. Er schrie auf, als er sah, wie Kyle sich zu dem Ungeheuer umdrehte und das Gewehr hob. Doch die Bestie war unmenschlich schnell, und ihre sensenden Krallen schlugen zu und schlitzten seinen Sohn auf, bevor dieser einen Schuss abgeben konnte. »Nein! Nein! Nein!«, schrie Tyren und schoss erneut. Seine Ku-
gel traf das Ungeheuer am Halsansatz und ließ den Kopf in einem Regen aus dunklem Seim explodieren. Er ließ sein Gewehr fallen und rannte zu seinem Sohn, doch es war zu spät, sein Junge war bereits tot. Er schrie gequält und hob den Leichnam seines Sohns auf. Durch ein Tränenmeer sah er, wie sich die Ruinen des Generatorschuppens in die Höhe schraubten, als sich etwas Großes aus den Trümmern erhob. Er tastete nach seinem Gewehr, da das Schulgebäude von immer mehr Geschrei erfüllt war. Eine massige Gestalt stapfte über die Straße, warf sich gegen eine Mauer der Schule, brachte sie zum Einsturz und riss gleich noch einen Teil der Decke mit. Der Körper des Ungeheuers stand in Flammen, und es kreischte vor Wut und Schmerzen, während es sich in die Schule kämpfte. Tyren spürte, wie seine Knie nachgaben, als ein Ungeheuer wie aus seinen schlimmsten Albträumen einen donnernden Schritt in die Schule tat. Größer als eine Planierraupe ragte es auf starken behuften Beinen vor ihm auf, zwei dicke, in langen Krallen wie Rasiermesser endende Armpaare über den Kopf erhoben. Sein spitz zulaufendes Maul war mit vielen Hundert geifernden Reißzähnen gefüllt, und die dunklen Augen reflektierten das Feuer, das es verzehrte. Die Grauen erregende Kreatur kreischte ohrenbetäubend, schlug dabei mit den Krallen zu und hackte mit jedem Hieb Männer entzwei. Sie drang tiefer in die Schule ein, und ihr Gewicht ließ die Bodendielen bersten, während ihre tödlichen Krallen alles in Reichweite töteten. Tyren schrie immer noch und schoss mit seinem Gewehr auf das Ungeheuer, dessen Chitinpanzer jedoch jeden Schuss abwehrte. Noch eine der kleineren Bestien kam durch das Fenster neben Tyren. Er schoss ihr in den Kopf und rammte ein neues Magazin in seine Waffe. Das Riesenungeheuer schrie weiter, während es die Schule demolierte. Dachbalken fielen krachend nach unten, als sein gepanzerter Schädel die Decke durchstieß. Das obere Stockwerk stürzte ein und Männer fielen zu Boden, nur um von den Füßen der Bestie totgetrampelt zu werden. Kinder weinten vor Angst. Das durchdringende Kreischen der Bestie wurde noch lauter, bis eine brodelnde Kugel aus grünlichem Licht aus ihrem Maul hervorschoss und die schreienden Frauen und Kinder tötete.
Tyren brüllte vor Entsetzen und ging auf die Kreatur los. Er wusste, dass sie ihn töten würde, wollte aber nicht mehr weiterleben, da seine Familie tot war. Er schoss auf das Ungeheuer, bis das Magazin leer war, dann benutzte er das Gewehr als Keule und schlug es an den gepanzerten Beinen des Ungeheuers in Stücke. Das Ungeheuer traf Tyren mit seinen starken Armen, riss ihm einen Arm ab und schleuderte ihn durch die Wand. Er landete draußen vor der Schule, vor Schmerz und Verlustgefühl wie betäubt. Der Säureregen verbrannte seine Haut, und er spürte nichts mehr unterhalb des Halses. Zischende Ungeheuer versammelten sich um ihn und stachen immer wieder mit langen Krallen wie mit Schwertern auf ihn ein. Tyren spürte nichts. Sein Leben endete in einem verschwommenen Nebel aus Krallen und Reißzähnen.
FÜNF Eine sterbende Welt füllte die Observationsbucht. Wie monströse, saugende Parasiten versammelten sich die Kreaturen der Schwarmflotte um Barbarus Primus und bildeten einen verschwommenen, undeutlichen Halo. Flackernde Blitze zuckten durch die Atmosphäre, und obwohl der Eindruck aus dem Weltraum umwerfend und beinahe schön anzusehen war, wusste Uriel doch, dass sie das sichtbare Anzeichen der Todeszuckungen für diesen Planeten waren, der jetzt von gigantischen Stürmen heimgesucht wurde, die stark genug waren, Berge einstürzen und Kontinente versinken zu lassen. Die Oberfläche von Barbarus Primus hob sich, als die Kruste barst, da sie von gigantischen Fütterungs-Tentakeln aufgebrochen wurde, die sich tief in sie hineinbohrten und alles verschlangen, was in seine organischen Bestandteile zerlegt werden konnte. Auf Barbarus Primus konnte es kein Leben mehr geben. Die Tyraniden würden sehr bald das gesamte genetische Material dieser Welt absorbiert haben und es als Brennstoff für die immer hungrigen Reproduktionskammern der Schwarmschiffe benutzen. Mittlerweile würde die biologische Materie der Bevölkerung des Planeten bereits im Bauch dieser Bestien brodeln. Bei dieser Vorstel-
lung wurde Uriel übel, und der Hass, den er auf den Schlachtfeldern von Ichar IV empfunden hatte, kehrte zurück, grell und heiß. »Der Imperator wache über euch«, flüsterte Uriel und schwor sich, die Seelen dieser Welt zu rächen. Er stand mit Lordadmiral Tiberius auf der Brücke der Vae Victus, ohne jede Möglichkeit, der Welt unter ihnen zu helfen, aber bereit, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, dass noch mehr Diener des Imperiums ihr Leben an den Großen Verschlinger verloren. Tiberius schritt zu seiner Kommandokanzel und erklomm die Treppe zu seiner erhöhten Kommandoposition. Unbewusst kratzte er sich das Spinnennetz aus Narben auf einer Gesichtsseite, Narben, die er im Kampf gegen die Tyraniden in der Schlacht um Macragge vor über zweihundertfünfzig Jahren als einer von vielen Deckoffizieren davongetragen hatte, die auf diesem stolzen Schiff Dienst taten, bevor er schließlich Kapitän geworden war. Er presste den Daumen auf die Bildtafel des Pults aus poliertem Mahagoni vor sich, und die taktische Karte baute sich vor ihm auf und zeigte die zum Untergang verurteilte Welt und die Imperiumsflotte, die gekommen war, um gegen ihre Zerstörer zu kämpfen. Neben der Vae Victus war die Mortis Probati, das Schiff der Mortifactors, und beiderseits von diesen war die Macht der imperialen Schlachtflotte versammelt. Sie konnten die Bevölkerung von Barbarus Primus nicht mehr retten, aber die Schlacht, um sie zu rächen, würden sie im Schatten ihrer sterbenden Welt austragen. »Sie werden bald kommen«, sagte er. »Woran sehen Sie das?«, fragte Uriel. »Sehen Sie da«, sagte Tiberius, indem er auf eine Stelle zeigte, wo sich eine gigantische Kreatur schwerfällig von der Planetenbeute unter sich löste. »Sie reagieren auf unsere Anwesenheit.« Länger als das größte Schlachtschiff, war die Haut des Ungeheuers knorrig und uralt, von den Kratern der Asteroideneinschläge übersät und durch Millennien der Reise durch die Leere gehärtet. Die Unterseite kräuselte sich vor winkenden, wedelartigen Tentakeln, und aus großen Saugöffnungen tropfte eine dicke, zähe Flüssigkeit, als es sich erhob, um sich ihnen zu stellen. Am, wie Uriel vermutete, hinteren Ende hingen lange Tentakel, die in stachelbewehrten Krallen endeten und in einer grotesken Bewegung pulsierten. Nichts derart Großes dürfte zur Animation befä-
higt sein, dachte Uriel, oder die Möglichkeit haben, ein so grauenhaftes Zerrbild des Lebens auszubilden. Eine ganze Flotte aus Vorhut-Organismen schwebten vor das Ungeheuer: riesige, stachelrochenartige Kreaturen mit höhlenartigen Mäulern voller Zähne, die so groß wie ein Thunderhawk waren, und messerscharfen Flügeln; sich drehende Kreaturen, die sich jeglicher Klassifizierung von Form widersetzten und nur aus gekräuselten Panzerplatten, Klingen, Krallen und nachhängenden Tentakeln zu bestehen schienen. Dutzende dieser Bestien umschwärmten das größere Schiff wie treue Diener, die eine Königin beschützten. Als sie sich auf die Imperiumsschiffe zubewegten, fühlte sich Uriel an Aasfresser erinnert, die in Rudeln jagten und sich die schwächsten Mitglieder der Herde herauspickten, um sie, einmal zur Strecke gebracht, mit sturer Wildheit zu bewachen, während sich die Rudelführer über den Kadaver hermachten. »Wie sieht ihre Taktik aus? Wie werden sie angreifen?« »Das weiß ich nicht, Uriel. Sie werden uns zuerst testen, auf Schwächen sondieren und lernen, was sie können, bevor sie die Hauptstreitmacht in die Schlacht werfen. Wir haben Glück, dass wir sie beim Fressen erwischen. So haben wir es nicht mit ihrer vollen Stärke zu tun.« Uriel beobachtete, wie sich die Vielzahl der Organismen der Vae Victus näherte, und dankte dem Imperator für diese kleine Gnade. Denn wenn dies nur ein Bruchteil des Tyranidenschwarms war, dann gab ihre volle Macht tatsächlich Anlass zu allergrößter Sorge. Lord Inquisitor Kryptman beobachtete dieselbe Szene auf der Brücke der Argus, dem Flaggschiff von Admiral Bregant de Corte und dieser Schlachtflotte. Er beobachtete, wie die gewaltige Kreatur den Fressvorgang beendete und sich erhob, um sie herauszufordern. Er hatte fast sein ganzes Leben gegen die Tyraniden gekämpft und konnte sich an kein anderes Gefühl als Hass ihnen gegenüber erinnern. Während er den Planeten unter sich sterben sah, nahm er dankbar zur Kenntnis, dass dieser Hass nun nicht weniger stark in ihm brannte. Das sich nähernde Schwarmschiff war nicht das größte, das er je gesehen hatte, diese Ehre gebührte der Bestie an der Spitze der Schwarmflotte, die den Planeten Graia verschlungen hatte, aber es war dennoch ein Gigant, vielleicht drei Kilometer lang. »Widerliche Dinger«, stellte Admiral de Corte fest.
»Aye«, gab Kryptman ihm recht, »aber tödlich. Sie sind mit furchterregenden Symbionten bewaffnet, Säurestrahlern, Bioplasma und Horden von Kriegerorganismen, die aus den Öffnungen in der steinigen Haut ejakuliert werden können.« »Unsere Waffen sind vom Imperator gesegnet und werden sich durchsetzen«, versicherte ihm de Corte. Kryptman nickte und zeigte auf den Sporennebel, der die Bestie umgab. »Sehen Sie dort, Admiral. Dieser Sporenschleier ist so dick, dass er die Kreatur vor allem außer den entschlossensten Angreifern beschützt.« »Lord Inquisitor«, sagte Admiral de Corte, und seine Stimme verriet die Anspannung, unter der die gesamte Brückenmannschaft stand. »Ich bitte um Ihre Erlaubnis, mit dem Angriff zu beginnen.« »Ja«, nickte Kryptman, der in makabrer Faszination auf den großen Taktiktisch starrte, auf dem die sich annähernden Flotten dargestellt waren. »Beginnen Sie mit dem Angriff.« Logistiker mit ausdruckslosem Gesicht, die direkt mit den Sensorsystemen des Schiffs gekoppelt waren, umringten den breiten Tisch der mit einem Gitter aus räumlichen Koordinaten überzogen war und benutzten lange Stangen mit flachen Enden, um maßstabsgetreue Nachbildungen der verschiedenen Schiffe innerhalb der Flotte zu bewegen. Der Admiral nickte kurz, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zu seinem Kommandopult. Bregant de Corte war ein hochgewachsener, drahtiger Mann mit hageren, spitzen Zügen und einem bleistiftdünnen Schnurrbart. Seine Admiralsuniform hing förmlich an seiner ausgemergelten Gestalt, und viele, die ihm zum ersten Mal begegneten, konnten kaum glauben, dass dies der Mann war, der die Ork-Piraten von Charadax vernichtet, der Piraterie von Khaarx Blutaxt Einhalt geboten hatte und dessen meisterhafte Strategie die K'Nib von einer Invasion der Sulacus-Randzone abgehalten hatte. Er stand hinter dem Pult, schenkte sich ein Glas Amasec aus einer Kristallkaraffe ein, die immer dort stand, und holte tief Luft. Er nahm sich einen Moment Zeit, sich auf seiner Brücke umzusehen, und ließ ganz bewusst ein paar Sekunden verstreichen, bevor er seine Befehle gab. Es war wichtig, dass er nicht durch die sich nähernde Feindflotte eingeschüchtert wirkte, und sein ruhiges Gebaren würde dem Rest der Mannschaft ein Beispiel geben.
Er trank das Glas Amasec und sagte: »Ich grüße Sie alle und wünsche Ihnen Ehre in dieser ruhmreichen Schlacht.« Jaemar, der Schiffskommissar, nickte bei diesen Worten beifällig. Ein Flottenmatrose, traditionell der jüngste Mann auf dem Schiff, näherte sich dem Admiral. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, als er fragte: »Wird das Signal gegeben, Herr Admiral?« Admiral de Corte stellte das Glas auf das Pult und sagte: »Das Signal wird gegeben. Erteilen Sie allen Schiffen den Befehl zum Angriff. Gloriam Imperator.« Die beiden Flotten kamen sich näher, obwohl der Abstand zwischen ihnen immer noch viele Zehntausend Kilometer betrug. Die Schiffe der Imperiumsflotte schwärmten aus, als die Kapitäne den Angriffsbefehl erhielten und sich der Schlachtplan des Admirals entfaltete. Der Vorgehensweise der Tyraniden schien keine Strategie zugrunde zu liegen: Die Bio-Kreaturen stiegen vom Planeten auf, um dem Feind als homogene Masse zu begegnen. Die Angriffskreuzer der Space Marines und des Geschwaders der Arx Praetora rückten vor die gepanzerten Ungetüme des Schlachtschiffs Argus und des Schlachtkreuzers Schwert der Vergeltung. Drei Fregatten der Schwert-Klasse sowie zwei leichte Kreuzer der Furchtlos-Klasse, die Yertnetov und die Luxor, bildeten eine Art Spalier vor der Flotte. Ihre furchterregenden Lanzen würden in der kommenden Schlacht gewiss entscheidend sein, und de Corte wollte hinsichtlich ihrer Sicherheit kein Risiko eingehen. An den Flanken der Flotte eilten zwei Geschwader KobraZerstörer, Cypria und Hydra, der Hauptflotte voraus. Ihre höhlenartigen Torpedohangars waren mit gesegneten Torpedos gefüllt, und ihre Piloten waren erpicht darauf, sie auf den Feind loszulassen. Das gewaltige Schwarmschiff im Zentrum der Tyrani-denflotte schauderte wie unter einem heftigen Schüttelanfall und setzte Millionen Sporen aus, die gleißende Geburtsfäden hinter sich herzogen, während sie sich von seiner zähen Hülle entfernten. Die majestätisch dahingleitenden Manta-Kreaturen bewegten sich, als schwämmen sie in einem tiefen Ozean, und ihre breiten Chitinschwingen kräuselten sich im Sonnenwind. Die Klingenwesen, die sich um die Königin geschart hatten, schwärmten in einer
Welle brodelnder Klauen vorwärts, von dem instinktiven Drang überwältigt, jene zu vernichten, die ihren Schwarm bedrohten. Die Schlacht von Barbarus hatte begonnen. »Befehlen Sie den Fregatten vorzustoßen«, sagte Admiral de Corte. »Diese Bestien an der Spitze der Flotte nehmen Fahrt auf. Ich will sie nicht in meiner Schlachtreihe haben.« »Aye, Herr Admiral«, erwiderte Jex Viert, sein ranghöchster Flaggleutnant, der den Befehl an den Signal -offizier weitergab. De Corte studierte die Observationsbucht und ver suchte zu erraten, wie die Tyraniden auf ihre Manöver reagieren würden. Bisher konnte er den taktischen Sachverstand des Feindes noch nicht einschätzen, falls so etwas in der Tyranidenflotte existierte, und er gestattete sich ein dünnes Lächeln. Er sah zu, wie die Logistiker die Fregatten mit ihren Stangen vorwärtsschoben. »Diese Schiffe, die sich uns nähern, Lord Kryptman, was können Sie mir darüber sagen?« Der Inquisitor marschierte steif durch das Hauptschiff der Kommandobrücke und blieb vor der Apsis der Observationsbucht stehen. Er beugte sich ein wenig vor, als wolle er die Kreaturen eingehender studieren, und schüttelte dann langsam den Kopf. »Das sind Drohnenkreaturen, mehr nicht, obwohl sie extrem Widerstands fähig sind. Ich nenne sie Kraken, und der Wille des Schwarmverstandes kontrolliert sie. Lassen Sie sie nicht zu nah kommen, denn sie sind mit allen möglichen tödlichen Kriegerkreaturen gefüllt.« »Ich verstehe. Viert, geben Sie Befehl, dass die Kapitäne keinen dieser Organismen näher als fünftausend Kilometer an sich herankommen lassen dürfen.« »Fünftausend Kilometer. Aye, Herr Admiral.« Überzeugt davon, dass man seinen Befehl mit größter Bereitwilligkeit ausführen würde, richtete de Corte den Blick wieder auf die Observationsbucht. Eine der größeren Kreaturen löste sich von der Hauptflotte der Tyraniden und beförderte sich mit kurzen Schlägen seiner breiten Flügel in sporadischen Schüben vorwärts. »Das Hydra-Geschwader soll auf der rechten Flanke in Abfangposition gehen. Befehlen Sie der Schwert der Vergeltung, den Fregatten zu folgen. Die Yermetov und die Luxor fliegen Begleitschutz.« »Aye, Herr Admiral«, sagte Viert und tippte die Befehle des
Admirals ein. »Dürfte ich außerdem vorschlagen, dass die Angriffskreuzer der Space Marines mit den Kobras des CypriaGeschwaders vorrücken? Wenn diese Schiffe tatsächlich so widerstandsfähig sind, wie Lord Kryptman angibt, werden ihre schweren Kanonen von großem Nutzen sein.« »Ihr Vorschlag hat etwas für sich, Viert. Geben Sie den entsprechenden Befehl, und holen Sie die Bereitschaftsmeldungen der Lanzen-Decks und Geschützmannschaften ein.« Der Admiral beobachtete den Tanz der Schiffe auf dem Planungstisch und sah, wie sich der Schlachtplan entfaltete, als die Schiffskapitäne seinen Befehlen nachkamen. »Alle Waffendecks melden Bereitschaft, Herr Admiral. Hauptkanonier Mabon meldet, dass Zielerfassung für die Novakanone läuft.« »Verstanden, informieren Sie ihn, dass er Feuererlaubnis hat, wenn er so weit ist«, sagte de Corte. Er sah, dass die Kobras des Hydra-Geschwaders bald in Schussposition sein würden, und die Fregatten näherten sich rasch der ersten Welle jener Schiffe, die Kryptman Kraken nannte. Die Entfernung zwischen den beiden Flotten verringerte sich rasch, und er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die ersten Tyraniden starben. Tief in den Eingeweiden der Argus schloss sich ächzend die fünfzig Meter breite Tür des Verschlusses der Novakanone, da viele Hundert schwitzende Matrosen die gewaltigen Rückschlagkompensatoren der Waffe in Stellung hievten. Heißer Dampf und Lärm erfüllten die längliche Kammer, deren höhlenartige Struktur von der Glutofenhitze der Hebemechanismen erfüllt war, welche die enormen Projektile aus den gepanzerten Magazinen weiter unten heraufholten. Die Kammer zog sich beinahe durch die gesamte Länge des Schiffs und stank nach Fett, Schweiß und Blut. Eine lärmende Hymne hallte aus den alten Messinglautsprechern in vergitterten Nischen in der Wand, die von den vielen Hundert Männern aus vollem Halse mitgesungen wurde. Hauptkanonier Mabon schaute von seiner Dienstbrücke über der Geschützkammer zu, während Glocken läuteten und auf dem ramponierten Eisenpaneel vor ihm Lämpchen aufleuchteten. Er konnte die Glocken nicht hören, da ihn sein langer Dienst als Ka-
nonier in der Imperialen Flotte schon vor Jahrzehnten hatte taub werden lassen. Die Granate wurde geladen, und er murmelte dem Sprengkopf das Kanoniergebet zu, während er durch einen Linsenaufsatz aus Bronze starrte, der sich auf ächzenden Angeln von dem Paneel hob. Er klemmte sein augmetisches Monokel an der Linse fest und richtete das dünne Fadenkreuz auf das rote Dreieck aus, das sein Ziel darstellte. Das Ziel bewegte sich auf sie zu, also brauchte er keine Korrekturen für Seitwärtsbewegung vorzunehmen. Es war ein leichter Schuss, den er auch schon in seiner Anfangszeit in der Flotte hätte abgeben können, gleich nachdem ihn die Press-Patrouillen auf Carpathia zwangsverpflichtet hatten. Überzeugt davon, dass die Granate ihr Ziel treffen würde, hob er den Kopf, sah sich in der Kammer um und vergewisserte sich, dass seine Geschützmannschaften Abstand zu den eingefetteten Geländern hatten, die sich der Länge nach durch die Kammer zogen, und dass jede ihre grüne Flagge gehoben hatte, um anzuzeigen, dass die Explosionsdämpfer geschlossen worden waren. Er griff nach oben und packte die Abzugskette, die über seiner Station hing. Er grunzte zufrieden, zog kräftig an der Kette und schrie: »Geister des Kriegs und des Feuers, ich erfülle euch mit dem Zorn des Maschinengottes. Fliegt los und reinigt!« Dampf zischte aus bebenden Rohren, und ein hohes Kreischen erfüllte die Waffenkammer, als die gravimetrischen Antriebspumpen Energie im Verschluss aufbauten. Mabon eilte ans Ende seiner Brücke und hielt sich am Eisengeländer fest. Das Abfeuern einer Waffe von solcher Kraft war ein Symbol der Macht der Imperiumsflotte, und er wurde seines Anblicks nie überdrüssig. Das Kreischen steigerte sich zu einer unglaublichen Lautstärke, obwohl Mabon nichts davon mitbekam, bis die Novakanone feuerte und die enorme Druckwelle durch die Kammer fegte. Das Abfeuern der Waffe ließ den dreihundert Meter langen Lauf im Rückschlag mit urtümlicher Gewalt zurückschnellen. Funken und brennender Dampf lagen in der Luft, als der Fettüberzug der Geländer in der Hitze des Rückschlags verdampfte, und der Gestank nach versengtem Metall und Treibgasen erfüllte die Kammer mit erstickenden Dämpfen. Mabon brüllte triumphierend, während ihn die stinkenden Gas-
wolken, die rings um ihn wallten, würgen ließen. Bebende Vibrationen versuchten ihn von seiner Brücke zu schleudern, aber er hatte sich schon vor langer Zeit an sie gewöhnt und hielt mühelos das Gleichgewicht. Der Rauch verzog sich langsam, und seine Mannschaftsführer peitschten ihre Männer dazu auf, die gewaltige Waffe wieder in Feuerstellung zu bringen. Die gepanzerten Buchten im Boden öffneten sich wieder ächzend, und die Ketten wurden herabgelassen, um an einer neuen Granate befestigt zu werden. Mabon hatte seine Geschützmannschaften ohne Gnade gedrillt und war stolz darauf, dass er die Novakanone binnen dreißig Minuten wieder feuerbereit machen konnte. Dieses Mal würde es nicht anders sein. Die Granate aus der Argus raste wie ein Lichtschemen durch das All und explodierte wie eine Miniatursonne im Herzen der Tyranidenschiffe. Mächtiger als ein Dutzend Plasmabomben, detonierte die Granate nur ein paar Kilometer von einem der Rochenschiffe, das sofort in einer lodernden Feuerwolke verglühte, die auch eine Flotte kleinerer Kreaturen in der Nähe versprengte. Eine löste sich von ihrem Rudel, und klebrige Flüssigkeiten leckten aus ihrem geborstenen Bauch. Sie bebte und zuckte, doch schließlich hatte der Blutsturz tödliche Konsequenzen, und sie erstarrte. Der Schwarm strebte von der Explosionsstelle weg, obwohl eine Flut kleinerer Organismen, keines größer als eine Landekapsel, auf die schrumpfende Wolke organischer Trümmer zuhielt, um dann mit furchtbarer Heftigkeit zu explodieren, als sie sich dem Zentrum der Explosion näherten. Eine Gruppe von Kreaturen schoss vorwärts, als habe sie die Explosion zu größerer Aktivität angestachelt, und näherte sich den anfliegenden Fregatten. Hinter den Fregatten kamen die Schwert der Vergeltung, die Kobras des Cypria-Geschwaders und die Angriffskreuzer der Ultramarines und der Mortifactors. Die Imperiumsflotte hatte den ersten Treffer erzielt, aber die Schlacht hatte gerade erst begonnen. Uriel umklammerte das Heft seines Energieschwerts und lauschte den Geräuschen der Vae Victus, deren Rumpf ächzte und knarrte, während sie in der Schlachtreihe manövrierte. Die Lichter im Korridor waren abgedunkelt, da er und sein Trupp an einem
der Reaktionspunkte des Angriffskreuzers warteten. Wenn sie in die Schlacht zogen, waren die Space Marines an Bord eines Kriegsschiffs überall in den Gängen des Schiffs stationiert, und zwar dort, wo feindliche Streitkräfte am ehesten versuchen würden, sie zu entern. Sein Helmkom war auf die Frequenz der Schiffsbrücke eingestellt, und er konnte den aufgeregten Wortwechsel der Schiffskapitäne verfolgen. Er hörte den Jubel, als offensichtlich wurde, dass das Flottenflaggschiff soeben mit dem ersten Schuss ein Feindschiff direkt getroffen und vernichtet hatte. Der verheißungsvolle Beginn war ein gutes Omen für die bevorstehende Schlacht, obwohl Uriel seine Beklommenheitsgefühle nicht abschütteln konnte. Er mochte die willkürliche Natur des Raumkampfs nicht, wo das Schicksal eines Kriegers in den Händen anderer lag, wie geschickt und fähig sie auch sein mochten. Vor die Wahl gestellt, würde Uriel lieber tausend Feinden auf dem Schlachtfeld entgegentreten, als in der schweißtreibenden Dunkelheit eines Raumschiffs zu warten und nicht zu wissen, ob der Tod gerade seine langen, mit Grabeserde verkrusteten Finger ausstreckte und seine furchtbare Sense kreisen ließ, um sich seine Seele zu holen. Ihn schauderte bei dem Gedanken. Pasanius sah es und sagte: »Hauptmann?« Uriel schüttelte den Kopf. »Es ist nichts. Ich hatte nur gerade ein seltsames Déjà-vu-Empfinden.« »Schon wieder so ein >komisches Gefühl«, fragte Pasanius. »Nein, keine Sorge, alter Freund. Mir gefällt nur die Vorstellung nicht, hier auf einen Feind zu warten, der vielleicht gar nicht kommt. Ein Teil von mir wünscht, er wäre bei Learchus auf Tarsis Ultra geblieben.« »Jetzt weiß ich, dass Sie verrückt geworden sind«, scherzte Pasanius. Die Rivalität, die zwischen Uriel und Learchus während ihrer Ausbildung auf Macragge geherrscht hatte, war zwar schon lange vergessen, aber sie würden nie wahre Freunde werden. Wo Uriel von seinem Mentor, Hauptmann Idaeus, die Vorzüge persönlicher Initiative gelernt hatte, schien Learchus unfähig zu sein, diesen Sprung zu machen. Er war ein Ultramarine, und daher konnte man das erwarten, aber Uriel wusste, dass es auch Zeiten gab, in denen solche starren Strukturen nicht immer die Antwort waren.
Diese Gedanken bestürzten Uriel. Ihm war klar, dass es von dort aus nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Weg war, den die Mortifactors eingeschlagen hatten. Hatte so ihr Abstieg begonnen? Mit kleinen Verstößen gegen die Lehren des Codex, die im Laufe der Jahrhunderte immer größer geworden waren, bis nichts mehr vom Werk des gesegneten Primarchen übrig blieb? Astador hatte behauptet, sein Orden verehre den Primarchen, aber konnte man ihn höher als alles andere schätzen und sich dann nicht nach seinem Wort richten? War Idaeus der erste Schritt zum Ende von allem gewesen, was den Ultramarines teuer war? Konnte er sich in seinen Lehren geirrt haben, und hatte Uriel den Weg beschritten, der in die endgültige Verdammnis führte? Er hatte bereits gegen die Lehren verstoßen, die im Codex niedergelegt waren, erst kürzlich auf Pavonis. Im spärlichen Licht der Vae Victus spürte Uriel, wie sich zum ersten Mal in seinem Leben Zweifel in ihm regten. Auf der Brücke der Fregatte Mariatus beobachtete Kapitän Payne mit einer Mischung aus Vorfreude und Furcht, wie sich die Bioschiffe der Tyraniden näherten. Es machte ihn perplex, dass so riesige Kreaturen lebendig sein konnten, obwohl er annahm, dass sie wie die großen Bestien auf seiner Heimatwelt ebenso dumm wie groß waren. Eine Masse schwebender Objekte trieb vor den Klingenschiffen her, und sie verringerten die Entfernung. Der Kapitän verschränkte die Arme und nickte seinem Geschützoffizier am Feuerleitstand zu. »Sie haben das Ziel erfasst?«, fragte er. »Aye, Herr Kapitän, das führende Feindschiff wird in etwas unter einer Minute in Schussweite sein.« »Sehr gut. Befehlen Sie allen Schiffen, sofort zu schießen, sobald die Feindschiffe in Reichweite sind.« Payne kehrte wieder zu seinem Kommandosessel zurück, der sich auf einem erhöhten Podium im Zentrum der Brücke befand. Er verfolgte den Vormarsch der anderen Schiffe in seinem Geschwader, Von Becken und Heldenhafte Tat, auf der Bildtafel vor sich, zufrieden darüber, dass sie die richtige Position wahrten und somit ihrem Anführer den ersten Schuss gestatteten. Der Schauder einer Vorahnung überlief ihn, als er sah, wie die Kreaturen
vor seinem Schiff schwerfällig auf ihn zuschwenkten, und er hatte das Gefühl, die Blicke ihrer toten, ausdruckslosen Augen spüren zu können, wie sie ihm tief in die Seele schauten. Solch eine Vorstellung war natürlich vollkommen lächerlich. Wenn sich diese Bestien nur auf ihr Sehvermögen verlassen würden, wären sie durch die Trümmer im All geblendet. Doch die Vorstellung ließ ihn nicht los, und er ballte die Fäuste, um das plötzliche Zittern zu unterdrücken, das ihn überkommen hatte. »Alle Geschütze feuern jetzt«, meldete der Geschützoffizier gelassen, während das Schiff unter dem Rückschlag seiner gewaltigen Waffen erbebte. Die Vibrationen, die den abgenutzten Teakholzboden durchliefen, waren kein angemessenes Spiegelbild der Heftigkeit des Geschützfeuers. In diesem Augenblick jagten viele Hundert gewaltige Projektile und Laserstrahlen durch das All, um diesen schändlichen Feinden Feuer und Tod zu bringen. Er sah eine Reihe von Explosionen rings um das nächste Bioschiff, die allmählich näher wanderten, während seine Kanoniere sich darauf einschossen. Manche erzielten sogar direkte Treffer, und die Granaten sprengten eines der riesigen Klingenglieder der Kreatur weg. Flüssigkeit strömte aus den Innereien des Bioschiffs, als der Rest seines Geschwaders das Feuer eröffnete und ihm das Blitzen entfernter Explosionen vorübergehend den Blick auf die Tyranidenschiffe versperrte. Als die Observationsbucht wieder freie Sicht bot, sah er, dass eines der Schiffe vollkommen auseinandergeflogen war und ein weiteres leblos im Raum trieb. Er sprang von seinem Platz auf und reckte triumphierend die Fäuste in die Luft. »Verdammt noch mal, das war gut geschossen. Mein Kompliment an das Geschützdeck.« »Aye, Herr Kapitän«, erwiderte der Geschützoffizier stolz. Er beobachtete die Vorgänge weiter durch die Observationsbucht und sah die verbliebenen Feindschiffe erbeben wie von Krämpfen geschüttelt. »Was in Imperators Namen ist das?«, fragte er sich laut. Bevor ihm richtig klar wurde, was er sah, schossen Strahlen einer gallertartigen Flüssigkeit aus dem Bug der Bioschiffe. »Alle Schiffe, hart steuerbord!«, brüllte er, als er plötzlich begriff, was vorging. Die Brücke der Mariatus neigte sich zur Seite, als die Notenergie auf den Antrieb geleitet wurde, aber ein Kriegsschiff reagiert nicht
besonders schnell, auch wenn es sein Kapitän tut. Mit erschreckender Geschwindigkeit rasten die Strahlen den Schiffen in einem eng fokussierten Strahl entgegen. Payne umklammerte die Armlehnen seines Sessels, während sein Schiff gegen die Vorwärtsbewegung ankämpfte, um dem Feindfeuer auszuweichen. Als die Strahlen in der Observationsbucht seitlich abwanderten, sah er, dass es nicht reichen würde. Die Mariatus würde größeren Schäden entgehen, aber ihre Schwesterschiffe konnten unmöglich noch rechtzeitig ausweichen. Heldenhafte Tat wurde im unteren Sektor des Maschinenbereichs von drei zersetzenden Säurestrahlen getroffen. In höchster Panik schalteten die Maschinenwarte der Adeptus Mechanicus die Maschinen ab und belüfteten ihre Verbrennungskammern, als ihnen klar wurde, dass die Säure die Plasmazellen fraß, die den Antrieb mit Energie versorgten. Ihr rasches Handeln rettete zweifellos das Schiff, und zu ihrer immensen Erleichterung gelang es mit Hilfe der Notfallmaßnahmen, dem Schaden Einhalt zu gebieten, bevor die Säure die leicht entzündlichen Treibstofftanks erreichte. Vierhundertsiebenunddreißig Männer verloren bei dem Angriff das Leben, aber ihr Schwesterschiff Von Becken hatte nicht so viel Glück. Die Von Becken wurde mittschiffs von der vollen Wucht der Tyranidenwaffen getroffen. Die schiere Aufprallwucht ließ die Strahlen die ersten Panzerungsschichten durchschlagen, bevor sich die organischen Säuren durch die restlichen fraßen und die Mitteldecks des Schiffs die Wirkung der Tyranidenwaffen zu spüren bekamen. Hunderte starben in den ersten Augenblicken des Einschlags, zu Brei zerquetscht oder ins All gesogen, da die explosive Dekompression abgrenzende Rumpfabschnitte wegsprengte. Die Säuren füllten Sektoren mit brennenden Flüssigkeiten, die Fleisch und Metall in Augenblicken auflösten, und die entstehenden Dämpfe waren so tödlich wie jedes von den Adeptus Mechanicus ersonnene Nervengas. Druckschleusen schlossen sich und riegelten den Einschlagsbereich ab, aber die Säure verflüssigte die Schotts und drang weiter vor, löste Deckböden auf und ergoss sich auf die schreienden Männer in den Decks darunter. Der Rumpf der Von Becken, durch die Säuren geschwächt und aufgrund des harten Ausweichmanövers hohen Belastungen aus-
gesetzt, kreischte protestierend und brach schließlich in zwei Teile auseinander. Von den Kobras des Hydra-Geschwaders abgeschossene Torpedos rasten mit flammenden Heckdüsen durch das All und strebten der nächsten der riesigen Manta-Kreaturen entgegen. Eine Sporenwolke trieb vor dem Schiff, und als die Torpedos näher kamen, wogte ein Schwarm von ihnen vorwärts, um sie abzufangen. Explosionen fegten durch die Sporenwolke, als die Torpedos auf sie trafen, da einige verfrüht explodierten und andere von den Säure freisetzenden Explosionen der Sporen auseinandergerissen wurden. Nicht alle Torpedos konnten aufgehalten werden, und eine Handvoll traf die Manta-Kreatur. Die Sprengköpfe in der Spitze sprengten einen Brocken aus der Außenhaut, bevor der Heckteil explodierte und den Mittelteil der Waffe tief in die Kreatur trieb, um dort zu explodieren. Der Bauch des Ungeheuers erbebte, als die Torpedos einer nach dem anderen explodierten, und es legte sich trunken auf die Seite, da sein Lebensblut aus den klaffenden Wunden entwich. Doch so schwer verwundet es auch war, es war noch nicht erledigt und konnte sich immer noch wehren. Eine interkostale Bewegung pulsierte durch die Oberseite der Kreatur und ein Schwarm gezackter Dornen löste sich aus ihren Flanken, die zu Tausenden ihren Angreifern entgegenrasten wie riesige Speere. Auf diese Entfernung war die Wahrscheinlichkeit, ein so schnell fliegendes Ziel wie einen Zerstörer zu treffen, nicht sonderlich groß, aber wenn man die Anzahl und Dichte der Dornenwolke berücksichtigte, änderte sich diese Wahrscheinlichkeit dramatisch. Zwei Kobras explodierten, als hundert Meter lange Dornen Panzerung und Rumpf mit erschreckender Leichtigkeit durchbohrten. Die Brücke des führenden Zerstörers wurde bei der ersten Begegnung zerstört, vom Bug zum Heck von einem Dutzend Dornen durchbohrt, während der zweite in Flammen aufging, als drei riesige Dornen den Reaktor trafen und zahlreiche Feuer ausbrachen, die rasch außer Kontrolle gerieten. Das letzte Schiff wurde zwar durch ihre Schwesterschiffe vor der unmittelbaren Zerstörung bewahrt, aber dennoch von mehreren Dornen gestreift und erlitt dabei erheblichen Schaden, als mehrere Torpedos, die gerade für den Abschuss vorbereitet wurden, in
den Rohren explodierten. Die Besatzung kämpfte um Schadensbegrenzung, aber der Kapitän war gezwungen, sich aus der Schlacht zurückzuziehen. Die primären Waffensysteme seines Schiffs waren so schwer beschädigt, dass an eine rasche Reparatur nicht zu denken war, und sein Schiff konnte daher keinen Einfluss mehr auf das Kampfgeschehen nehmen. Das Schwarmschiff flog schwerfällig vorwärts, von Explosionen umringt, da es in Reichweite der Geschütze der Imperiumsschiffe kam. Viele Hundert Sporen vergingen in dem Feuersturm, aber aus den brodelnden Reproduktionsbottichen des Schiffs wurden immer neue ins All gepumpt, um die Verluste zu ersetzen. Die Kreuzer Luxor und Yermetov passierten die Überreste der Fregatten Von Becken und Heldenhafte Tat, und ihre Lanzen zuckten dem Schwarmschiff entgegen. Eine Reihe kleinerer Bioschiffe schwenkte einheitlich herum, schoss vorwärts und warf sich in den Weg der brennenden Lanzenstrahlen. Drei explodierten, von den Hochenergiewaffen zerrissen, und ein viertes wurde der Länge nach durchschnitten. Eine Torpedosalve der Kobras des Cypria-Geschwaders raste durch eine sich ausbreitende Wolke aus Feuer und Sporen, traf das Schwarmschiff und explodierte an dessen steinerner Außenhaut. Seim sprudelte aus der Wunde, doch kaum war das Feuer der Torpedoexplosionen erloschen, als der Riss in der Haut der Kreatur auch schon zu heilen anfing und sich frisches Gewebe in der Flanke der Bestie bildete. Plötzlich öffnete sich eine Fleischfalte in der Unterseite des Bioschiffs und viele Dutzend Kreaturen mit Flossen schossen aus dem Bauch, die sehnige Ströme amniotischer Geburtsflüssigkeit hinter sich herzogen. Eine Handvoll wurde von der Schwert der Vergeltung in ihre Atome zerlegt, die weiter auf dem Vormarsch war, während die Argus eine Kurskorrektur vornahm, um sich in eine Position zu bringen, die es ihr gestatten würde, die Breitseite gegen das Schwarmschiff einzusetzen. Doch keines der soeben vom Schwarmschiff gestarteten Bioschiffe war zu den beiden Schlachtschiffen der Flotte unterwegs. Sie stürzten sich vielmehr auf die Angriffskreuzer der Space Marines, die sie begleiteten. Admiral de Corte beobachtete, wie das Schwarmschiff in der Observationsbucht nach links glitt, und zählte dabei die Minuten
herunter, bis die Backbordlanzen feuern konnten. Bisher verlief die Schlacht wie geplant, obwohl ihn die Zähigkeit der Tyranidenschiffe trotz der Warnungen des Inquisitors überrascht hatte. Es hatte Verluste gegeben, aber präzise Zahlen und genaue Informationen waren noch nicht eingetroffen. »Viert, Statusmeldung«, verlangte er ungeduldig. »Die Fregatten sind außer Gefecht, Lordadmiral, und die Von Becken wurde völlig zerstört. Die Maschinen der Heldenhafte Tat wurden abgeschaltet, obwohl die Maschinenwarte gerade versuchen, sie wieder in Gang zu setzen. Das Hydra-Geschwader hat zwei Schiffe verloren, und die ersten Meldungen lassen vermuten, dass keines wieder kämpfen wird, ohne vorher ein paar Jahre im Dock zu verbringen.« De Cortes Miene verhärtete sich, als das Ausmaß ihrer Verluste offensichtlich wurde. »Ich fürchte, wir haben die Kampfkraft dieser Tyraniden unterschätzt«, flüsterte er. »Da sind Sie nicht der Erste, Admiral«, stellte Kryptman fest. »Haben die Tyraniden uns zu diesem Angriff verleitet?«, wollte de Corte wissen. »Vier Schiffe sind bereits außer Gefecht, und wir haben das Schwarmschiff gerade mal angekratzt.« »Wenn man gegen die Tyraniden kämpft, muss man Verluste in Kauf nehmen, Lordadmiral.« »Verluste? Haben Sie eine Ahnung, wie viele Männer bereits gestorben sind?« »Sehr viele, ich weiß. Aber noch viel mehr werden sterben, wenn wir hier versagen. Wir müssen den Angriff fortsetzen und das Schwarmschiff zerstören.« Bevor de Corte antworten konnte, mischte sich Jex Viert ein. »Admiral! Optimale Entfernung für Lanzeneinsatz erreicht!« De Corte bedachte Kryptman mit einem letzten angewiderten Blick, bevor er zum Taktiktisch im Zentrum seiner Brücke eilte. Er sah, dass die Schwert der Vergeltung mit ihren Lanzen und einer gut gesetzten Torpedosalve ein Loch in den vorderen Schirm der Bioschiffe gesprengt hatte. Sie beharkte das Schwarmschiff mit ihrer Breitseite, doch nur ein Bruchteil des Feuers traf die gewaltige Kreatur. Ein Schwarm kleinerer Schiffe raste dem Schlachtkreuzer und den beiden Angriffskreuzern entgegen, aber de Corte war zuversichtlich, dass ihre Nahbereichsgeschütze mit ihnen fertig werden konnten. »Geben Sie den Lanzen Befehl, auf die Schiffe rings um die Lü-
cke in der Tyranidenlinie zu schießen, wir brauchen mehr Platz für einen klaren Schuss auf dieses Ungeheuer!« »Aye, Herr Admiral!«, sagte Viert und tippte die Befehle des Admirals ein. Er legte eine Hand auf den Ohrhörer seines Helmkoms, schaute auf und sagte: »Herr Admiral! Kapitän Payne auf der Mariatus bittet um Erlaubnis, näher an den Feind herangehen zu dürfen. Er behauptet, in einer guten Position für einen direkten Feindanflug zu sein.« De Corte sah, dass die Mariatus einen nicht unterstützten Direktangriff auf das Schwarmschiff nicht überleben würde. Die Argus war jetzt beinahe hinter dem Schwarmschiff, und der Admiral spürte den Deckboden im beständigen Feuer der Schiffsgeschütze vibrieren. »Sagen Sie ihm nein, Viert. Wir brauchen in den nächsten Tagen jedes Schiff, und ich erlaube kein sinnloses Heldengebaren. Befehlen Sie Payne, er soll sich zurückziehen und wenden, um die Yermetov zu unterstützen!« »Aye, Herr Admiral.« Die aus dem Bauch des Schwarmschiffs abgefeuerten kleineren Organismen rasten der Imperiumsflotte wie Kugeln entgegen, passierten die majestätische Gestalt der Schwert der Vergeltung und hielten auf die Angriffskreuzer der Space Marines zu. Die Geschütztürme des Schlachtkreuzers löschten die Mehrzahl der anfliegenden Organismen aus, und die Geschütze der Angriffskreuzer und des Geschwaders Arx Praetora verringerten deren Anzahl weiter. Doch es blieben noch genug übrig. Auf der Brücke der Vae Victus schwitzte Admiral Tiberius, während er den Schwarm der sich nähernden Schiffe beobachtete. Bisher hielten sie ihre Nahbereichsgeschütze in Schach, aber es bedurfte nicht viel, um die Waagschalen zu ihren Ungunsten zu beschweren. »Herr Admiral!«, rief Philotas bestürzt. »Die Mortis Probati bricht den Kampf ab!« Tiberius sah mit wachsendem Entsetzen, dass Philotas recht hatte. Die Triebwerke des Angriffskreuzers der Mortifactors flammten hell auf, da er vorwärts und aufwärts flog, dem Schwarmschiff entgegen. Die Abwehrgeschütze hatten aufgehört zu schießen, und der Kreuzer ließ die Vae Victus in seinem Kielwasser zurück. »Was haben sie vor?«, wollte Tiberius wissen, obwohl er die
Antwort selbst sah. Eine Lücke war in die Verteidigungslinie des gewaltigen Schwarmschiffs gesprengt worden, da das unablässige Feuer der Schwert der Vergeltung und ihrer unterstützenden Kreuzer den Schutzschirm aus Drohnenschiffen stellenweise vernichtet hatte. »Sie greifen das Schwarmschiff an!«, sagte Philotas. »Können sie es schaffen, bevor die Tyraniden den Schutzschirm erneuern?«, fragte Tiberius. Philotas warf einen Blick auf den Planungstisch und notierte sich in aller Eile Entfernungen und Flugbahnen auf einer Tafel neben sich. Seine Lippen bewegten sich, während er lautlose Berechnungen anstellte, und schließlich schüttelte er aufgebracht den Kopf. »Vielleicht, Lordadmiral, aber sie werden abgeschnitten sein, sobald sie den Abwehrschirm der Tyraniden durchbrochen haben.« Tiberius ließ die Faust auf sein Pult krachen, so dass das Glas in der Tafel einen Sprung bekam. »Bei allen neun Höllen, was denken sie sich dabei? Im Codex heißt es ganz klar, dass solche Manöver nur bei einer Feuerüberlegenheit von drei zu eins unternommen werden sollen.« »Ich glaube nicht, dass Kapitän Gaiseric mit diesem Teil des Codex vertraut ist, Herr Admiral. Und wir haben jetzt andere Sorgen!«, sagte Philotas, indem er auf die Observationsbucht zeigte. Ohne das unterstützende Feuer aus den Geschütztürmen der Mortis Probati hatten vielleicht ein halbes Dutzend der vom Schwarmschiff abgefeuerten Fleischkugeln das Abwehrfeuer überstanden, und der Kontakt würde bestenfalls Sekunden auf sich warten lassen. »Imperator helfe uns, nein!«, zischte Tiberius, als er den Aufprall der Tyraniden-Organismen auf sein geliebtes Schiff spürte. Uriel lief zu der Stelle, wo das Objekt mit der steinernen Oberfläche den Rumpf durchschlagen hatte und die Breite des Korridors ausfüllte. Alarmglocken läuteten, und ein höllischer roter Schein tauchte alles in die Farbe von Blut. »Ausschwärmen!«, rief er. »Lasst nichts und niemanden vorbei!« Er dirigierte seine Krieger zu anderen beschädigten Schiffssektoren. Er trat einen rauchenden Klumpen Chitin aus dem Weg und nä-
herte sich dem geborstenen Objekt, das wie ein riesiges zahnbewehrtes Ei in den Trümmern des Korridors hockte. Gelber Schleim tropfte aus den aufgebrochenen Rändern, und heißer Dampf umwallte es. Ein Teil des Objekts fiel auf das Deck und enthüllte dabei eine Innenhaut aus einer durchsichtigen geäderten Membrane. »Pasanius, hierher, ich brauche einen Flammenwerfer!«, rief Uriel, als sich die Membrane kräuselte. Er hob seine Boltpistole und gab ein paar Schüsse auf das Objekt ab, so dass die Membrane zerriss. Aus dem Objekt ertönte ein unmenschliches Schmerzgekreisch. Eine lange Kralle zerriss die Membrane, und eine groteske Kreatur sprang aus dem Objekt. Ihre Haut glänzte feucht, und Flüssigkeit tropfte von ihrem knochigen Exoskelett. Der in Schleim gehüllte Kopf war mit messerscharfen Reißzähnen gefüllt. Zwei Armpaare, die in bösartigen, mit Widerhaken versehenen Krallen endeten, klickten zusammen, als sie leichtfüßig auf dem Gitterdeck landete. Sie zischte Uriel an, während schwarze Augen blinzelten, da sie sich an ihre Umgebung anpassten. Ein Trio identischer Kreaturen folgte der ersten aus dem dampfenden Schmetterling. Uriel konnte noch viele mehr dahinter erkennen und feuerte auf die Massen der Kreaturen, während Pasanius endlich bei ihm eintraf. Zwei der Kreaturen wurden zerfetzt, als die massereaktiven Geschosse in ihren Leibern explodierten, während immer mehr von ihnen aus dem Organismus strömten. Der Korridor wurde in Flammen getaucht, als Pasanius einen Strahl flüssigen Feuers auf den Organismus abschoss und gleichzeitig das alte Schiff dafür um Vergebung bat. Eine brennende Kreatur sprang aus den tosenden Flammen, die Zähne im Todeskampf gefletscht. Uriel stieß ihr sein Schwert in den Leib, als sie sprang, und sprengte ihr gleichzeitig mit einem Schuss aus seiner Pistole den Kopf von den Schultern. Von ringsumher konnte er Schüsse und das Gekreisch der Tyranidenwesen hören, da seine Männer gegen die grausigen Eindringlinge kämpften. Als die Flammen erloschen, drängten neue Kreaturen aus dem Objekt, und Uriel fragte sich, wie dicht es mit Kreaturen vollgepackt gewesen sein musste. Er hieb mit dem Schwert zu und fällte zwei mit einem Schlag, um einer dritten auszuweichen, die
nach seinem Kopf sprang und dabei versuchte, ihn mit den Krallen an den Hinterbeinen zu zerkratzen. Die Kreatur traf einen Pfeiler und landete schlecht, und Uriel trat ihr auf den Hals, während er mit geübt sparsamen Bewegungen nach einem neuen Magazin für seine Boltpistole griff. Pasanius rang mit zwei Krallenbestien, die mit hektischen Hieben auf seine Rüstung einhackten. Doch Terminator-Rüstungen waren genau für diese Art von Nahkampf konzipiert worden, und sie konnten sie nicht durchdringen. Pasanius schmetterte ihre Köpfe zusammen, was ihre Schädel mit einem widerlichen feuchten Knacken aufplatzen ließ. Er ließ die zuckenden Kadaver fallen. Sein Flammenwerfer lag nutzlos neben ihm, da der Brennstofftank aufgeplatzt war und entzündliche Dämpfe aus ihm leckten. Doch immer mehr Kreaturen übersprangen die Leiber ihrer gefallenen Geschwister, um den Feind zu erreichen. Uriel und Pasanius kämpfen Rücken an Rücken, da die Tyranidenflut sie zu überwältigen drohte, und waren gezwungen, sich zurückfallen zu lassen. Sie konnten sich nicht halten, es waren ganz einfach zu viele. Hatten sie Unterstützung durch eine andere Enterspore bekommen? Uriel grunzte, als eine messerscharfe Kralle die Rüstung am Oberschenkel durchschlug, den Muskel einschnitt und bis zum Knie durchdrang. Er stolperte rückwärts, und die Kralle löste sich in einem Strahl aus hellrotem Blut aus seinem Fleisch. Uriel trat zu, brach der Kreatur das Genick und fiel rückwärts zu Boden. In dem Korridor stank es durchdringend nach Prometheum, und während Pasanius ihm wieder aufhalf, zog er eine Granate aus dem Gürtel. »Lauf!«, rief er, indem er Pasanius einen Stoß versetzte und die Granate in die Richtung warf, aus der sie gekommen waren. Pasanius packte den Arm seines Hauptmanns und riss ihn mit sich auf den Boden, als die Granate explodierte, einen tödlichen Splitterregen durch den Korridor sandte und die erstickenden Prometheumdämpfe entzündete. Lodernde Flammen explodierten tosend, und einen Moment später raste eine Feuerwand durch den Korridor und äscherte alles in ihrem Weg ein. Uriel spürte, wie die Flammen über ihn hinwegrasten, und sah die Zahlen der Außentemperaturanzeige auf seinem Visier in die Höhe schnellen. Doch weder seine noch Pasanius' Rüstung ließ sie im Stich, und als sich die Feuerwand verbraucht hatte, fanden sie sich in einem
geschwärzten Korridor voller Leichen, verkohlten Tyranidengliedmaßen und brennenden Prometheumlachen wieder. Die beiden Space Marines rappelten sich zum Lärm der weiterhin im Schiff tobenden Schlacht auf. Der Kampf war noch lange nicht vorbei. Admiral de Corte beobachtete mit einer Mischung aus Wut und Bewunderung, wie die Mortis Probati dem Schwarmschiff entgegenraste. Die Mortifactors hatten seine Kampflinie durchbrochen, aber beim Imperator, tapfer waren sie! Das Hauptgeschütz beharkte das Schwarmschiff aus nächster Nähe und riss riesige Krater in seine Flanke. Die langen Fütterungstentakel im Heck des Schwarmschiffs peitschten nach vorn und griffen schwerfällig nach dem Kreuzer, doch dem Kapitän gelang es, sich ihrem Zugriff im letzten Augenblick durch einen Schwenk zu entziehen. Eine Armada von Bioschiffen setzte sich hinter den Angriffskreuzer und versperrte ihm den Fluchtweg, während eine andere Formation heranflog und zum Angriff überging. Organische Säuren und Plasma trafen den Kreuzer, und Flammen loderten aus seinem Rumpf. Inquisitor Kryptman beobachtete den ungleichen Kampf mit grimmigem Stolz, während seine Knöchel am Knauf des Gehstocks weiß wurden. Er fuhr zu de Corte herum. »Wir müssen ihnen helfen. Lassen Sie beidrehen.« »Ich kann nicht«, sagte de Corte. »Wir sind viel zu weit hinter ihnen. Es ist unmöglich, rechtzeitig umzuschwenken. Wir fliegen weiter, um uns wie geplant hinter das Schwarmschiff zu setzen.« »Tun Sie's!«, schnauzte Kryptman, indem er mit dem Gehstock auf den Deckboden stampfte. »Sofort!« Kryptman fuhr zu dem schwarz uniformierten Jaemar herum, dem Schiffskommissar. »Sie! Bringen Sie ihn dazu, dieses vom Imperator verlassene Schiff zu wenden und diese tapferen Krieger zu unterstützen!« Durch Kryptmans Ruf eingeschüchtert, zog Jaemar seine Pistole. »Der Admiral hat recht. Inquisitor, Kommissar«, sagte de Cortes Flaggleutnant Jex Viert, indem er sich zwischen Jaemar und seinem Admiral aufbaute. Er legte die Hand auf den Schwertknauf, um seine Position zu dokumentieren. »Das Bild, das Sie sehen, stammt von unseren Backbordsensoren. Selbst wenn wir jetzt den Befehl gäben, könnten wir nicht schnell genug wenden.
In dieser Beziehung sind die Mortifactors jetzt auf sich allein gestellt.« Doch Jex Viert irrte sich. An Bord der angeschlagenen Mariatus rief Kapitän Payne: »Für den Imperator!«, während er die Armlehnen seines Kommandosessels umklammerte. Das Schwarmschiff ragte riesig in seiner Observationsbucht vor ihm auf, und er wusste, dass er, selbst wenn er diese Schlacht überlebte, vor das Kriegsgericht kommen würde, weil er einen direkten Befehl missachtet hatte. Doch nachdem diese Monstrosität zwei seiner Schiffe außer Gefecht gesetzt hatte, hätte er noch viel mehr riskiert, um deren tapfere Besatzungen zu rächen. Die Mariatus erbebte, als das Schwarmschiff sie mit flammendem Plasma eindeckte, das über den Rumpf leckte. Ihre Geschütze beharkten das Tyranidenungeheuer und rissen Fetzen aus seinem Panzer, die ins All trudelten und eine Spur leckender Wunden in dem Gebirge seines Leibs hinterließen. Voraus sah er die elegante Form des Kreuzers der Mortifactors in inniger Umarmung mit einem tobenden Ungeheuer mit Krallen so groß wie ein Titan, die ihm die Seite aufrissen und ganze Panzerungsschichten abschälten. Mehr Bioschiffe umzingelten den Kreuzer und würden jeden Augenblick zum Angriff auf ihn herabstoßen. Trotzdem feuerte die schwere Hauptkanone im Bug weiter auf das Schwarmschiff, doch obwohl der heldenhafte Mut der Space Marines wahrhaftig bewundernswert war, konnte diese Schlacht nur einen Ausgang nehmen. Aber Payne gedachte, mit seiner Mariatus noch ein Wörtchen mitzureden. Uriel rannte auf die Brücke, während er dem verzweifelten KomVerkehr zwischen den Flottenschiffen lauschte, bestürzt über das Gemetzel, das sich anbahnte. Seine Rüstung war geschwärzt, und sein Bein schmerzte beim Laufen. Die Tyraniden im Schiff waren alle tot, und die beschädigten Sektoren des Schiffs waren endlich gesichert und unter Kontrolle. Er konnte nicht glauben, was die Mortifactors getan hatten. Die Schlachtreihe zu verlassen und einfach vorwärtszustürmen, um sich auf einen Nahkampf mit dem Schwarmschiff einzulassen, war so weit wie nur eben möglich von den Lehren des Primarchen weg.
Er nahm drei Stufen auf einmal, als er die Treppe zur Brücke emporeilte, schob dabei sein blutiges Schwert in die Scheide und rannte schließlich durch den Torbogen zur Kommandobrücke. Lordadmiral Tiberius drehte sich bei seinem Eintreten um. Seine Miene war eine Maske kontrollierter Wut. »Uriel, dem Imperator sei Dank«, sagte der Herr der Vae Victus. »Die Eindringlinge wurden getötet«, meldete Uriel, während er entsetzt auf die Observationsbucht starrte, da das Schiff der Mortifactors langsam vom Schiff der Tyraniden verschlungen wurde. Die Hauptkanone feuerte weiter, obwohl sie allmählich auseinandergenommen wurde. »Was haben sie getan?«, flüsterte er. Tiberius schüttelte den Kopf, da dem alten Admiral die Worte fehlten. Dann schob sich eine ramponierte Fregatte der SchwertKlasse ins Bild, die flammende Plasmawolken und goldene Streifen aus Funken und gefrierendem Sauerstoff hinter sich herzog. »Bei Guillaumes Blut, sehen Sie doch!«, rief Philotas, als der Bug der Mariatus herumschwang und sich direkt ins Herz der Kreatur bohrte, welche die Mortis Probati angriff. Der Rumpf des Imperiumsschiffs bog sich und barst, als er den harten Panzer der Tyranidenkreatur traf, doch gegen die gewaltige kinetische Energie des Aufpralls gab es keine Gegenwehr, und das Schiff bohrte sich durch die Bestie, so dass ihre Körperflüssigkeiten über den Rumpf des Kreuzers der Space Marines verspritzt wurden. Sie wand sich in Todeszuckungen, ließ den Kreuzer los und trieb mit der tief in ihrem Leib vergrabenen Mariatus davon. So tapfer das Opfer der Mariatus auch war, es gab reichlich Tyranidenschiffe, um der Mortis Probati den Gnadenschuss zu versetzen, doch bevor eines auf deren unerwartete Rettung reagieren konnte, gab sie einen letzten Schuss mit der Hauptkanone ab, der ein knotenförmiges Gewächs tief im Heck des Schwarmschiffs traf. Helle Flüssigkeit spritzte wie ein Geyser aus der gewaltigen Wunde, und ein sichtbarer Schauder durchlief das gesamte Schwarmschiff, da die Hauptsynapsenverbindung zu den anderen Bioschiffen zerstört worden war. Kryptman sah das Lebensblut des Schwarmschiffs aus der großen Wunde ins All spritzen und das teilnahmslose Dahintreiben der es umgebenden Drohnenschiffe. Seine Blicke huschten von
Bioschiff zu Bioschiff, als er sie in ihren unablässigen Angriffen innehalten sah. »Ihre Verbindung zum Schwarmbewusstsein ist unterbrochen!«, rief Kryptman, indem er so schnell zu de Corte herumfuhr, dass er beinahe stürzte. »Wir müssen angreifen, bevor sie wieder hergestellt wird! Sofort!« Admiral Bregant de Corte nickte Leutnant Viert zu, der immer noch zwischen ihm und Jaemar stand. »Leutnant Viert, befehlen Sie allen Schiffen den Vormarsch. Gehen wir näher heran und erledigen die Bestie.« Während die Tyranidenschiffe verwirrt im All trieben, schlossen die Kapitäne der Schwert der Vergeltung, der Luxor, der Yermetov und der Argus die Entfernung so schnell wie möglich, während ihre Geschützdecks so schnell luden und feuerten, wie die Kanoniere ihre Mannschaften zur Arbeit antreiben konnten. Die Vae Victus und das Geschwader Arx Praetora rauschten heran und rissen dem Tyranidenschiff mit einer Serie gut gezielten Feuers die Unterseite auf. Salve auf Salve von Sprenggranaten und Laserstrahlen hämmerte auf das Tyranidenschiff ein, pulverisierte ganze Abschnitte seines Panzers und versprühte dicke Strahlen von Flüssigkeit in alle Richtungen. Fütterungstentakel versuchten vergeblich, die angreifenden Schiffe abzuwehren. Ihre Bewegungen wirkten trunken und unkoordiniert. Die kleineren Organismen, die das Schwarmschiff schützen sollten, schüttelten die Lethargie ab und kehrten zu ihren grundlegenden instinktgeleiteten Begierden zurück, doch da war es bereits zu spät. Die Imperiumsschiffe waren in einer Stellung wie aus dem Lehrbuch, um praktisch allen Drohnenschiffen den Todesstoß zu versetzen. Wie bei einer Zielübung auf Bakka, schoss die Schwert der Vergeltung mit ihren gewaltigen Breitseiten ein Tyranidenschiff nach dem anderen ab. Die angeschlagene Mortis Probati schleppte sich zum krängenden Schwarmschiff, und aus Hochachtung vor dem tollkühnen Heldenmut ihrer Besatzung blieben alle anderen Schiffe zurück und überließen Kapitän Gaiseric den Fangschuss. Flüssigkeit und fleischige Gedärme trieben aus der tödlich verwundeten Bestie. Ihr fremdartiges Lebensblut spritzte aus geplatzten Arterien und zerstörten Organen ins All. Diejenigen Tentakel, welche nicht weggeschossen worden waren, zuckten
krampfartig, und durch einen großen Riss im oberen Panzer war ein riesiges pulsierendes Organ zu sehen, das sich alle Mühe gab, die Bestie am Leben zu erhalten. Eine einzige Granate aus der Hauptkanone des Angriffskreuzers durchschlug die zähe, fleischige äußere Schicht um das Herz des Schwarmschiffs und explodierte in den gewaltigen Kammern. Die Explosion zerfetzte das Organ, und das Schwarmschiff starb mit einem letzten krampfartigen Schaudern. Admiral de Corte stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, und seine Brückenmannschaft jubelte, während sie den Tod des Schwarmschiffs beobachtete, dessen gewaltiges Herz von den Mortifactors zerstört worden war. De Corte wusste, dass er eigentlich wütend auf Kapitän Gaiseric sein sollte, weil dieser die Schlachtreihe verlassen hatte, aber er konnte sich auch nicht der Tatsache verschließen, dass diese Aktion der Schlüssel zum Sieg über die Tyraniden gewesen war. Sie verstieß gegen alles, was einem auf den Flottenakademien beigebracht wurde, aber de Corte war klar, dass die wahrhaft großen Schiffskapitäne diejenigen waren, die manchmal allen Lehren zuwiderhandeln und dennoch siegreich bleiben konnten. Er wusste noch nicht, ob Kapitän Gaiseric in diese Kategorie fiel oder einfach nur gewaltiges Glück gehabt hatte. Öffentlich würde er Ersteres vertreten, aber privat argwöhnte er Letzteres. Ohne Kapitän Paynes heldenmutiges, aber letzten Endes verschwenderisches Opfer würden die Leichen der Mortifactors in diesem Augenblick dem krängenden Leichnam des Schwarmschiffs Gesellschaft leisten. Während er das gewaltige Schiff in der Dunkelheit des Alls ausbluten sah, formulierte er ein kurzes Gebet an die Geister der Schlacht, die seinem Schiff innewohnten, und dankte ihnen für ihre treuen Dienste in diesem Kampf. »Machen Sie einen Vermerk, Leutnant Viert«, sagte de Corte. »Lassen Sie ein neues Siegeszeichen erstellen, das dem Ehrenbanner unseres ruhmreichen Schiffs hinzugefügt werden soll.« »Aye, Herr Admiral, und vielleicht eine Dankesmesse?« »Ja. Eine Dankesmesse soll am Abend in der Schiffskapelle für die gesamte Besatzung gelesen werden. Vielen Dank, Leutnant Viert.« Der Admiral verschränkte die Hände auf dem Rücken und kehrte zu seinem Kommandopult zurück, während Inquisitor Krypt-
man durch das Mittelschiff zu ihm humpelte, um ihm Gesellschaft zu leisten. »Ein großer Sieg«, sagte der Admiral so laut, dass ihn die gesamte Brückenmannschaft hören konnte. Kryptman nickte. »Ein Sieg, ja. Ob es ein großer ist, bleibt abzuwarten.« Der Admiral beugte sich zu Kryptman vor und flüsterte: »Sie und ich, wir wissen beide, dass uns diese Schlacht teuer zu stehen gekommen ist, aber alles war umsonst, wenn wir unsere Besatzungen wissen lassen, wie teuer. Ich würde Ihre Unterstützung in dieser Angelegenheit sehr begrüßen.« Kryptmann sah aus, als wolle er zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, nickte dann jedoch nur knapp. »Sie haben recht, Admiral de Corte. An dieser Stelle ist die Moral ausschlaggebend.« De Corte ließ es dabei bewenden und gab die nötigen Befehle, um sich mit der Flotte von Barbarus Primus abzusetzen und sich zu den Docks in der Umlaufbahn von Chordelis zurückfallen zu lassen. Denn die Observatoriumsbucht war mit einer Vielzahl von Tyranidenkreaturen ausgefüllt, die ihren Fressvorgang beendet hatten, eine Ansammlung von Schwarmschiffen und Drohnen, neben der die soeben von ihnen vernichtete Gruppe winzig wirkte. Die Schlacht von Barbarus hatten sie gewonnen, aber im Angesicht solch einer gewaltigen Flotte wäre es Torheit gewesen, den Kampf fortzusetzen, ohne sich zuvor neu zu formieren und die Munition aufzufrischen. Sie hatten tatsächlich einen großen Sieg errungen, aber es war nur die Spitze des Eisbergs. Die eigentliche Schlacht stand ihnen noch bevor.
SECHS Learchus starrte den schrägen Wall empor, der sich beiderseits von ihm beinahe fünf Kilometer zu den Flanken des Tals erstreckte. Trotz seiner Enttäuschung über die Art, wie diese Welt den Idealen von Ultramar folgte, war er doch zufrieden über die Stärke der Konstruktion. Sie hätte auch Macragge keine Schande gemacht, befand er. Zehn Meter hoch und in glattes Gestein gehüllt, glitzerte der Wall wie weißer Marmor in der tief stehenden Sonne.
Eine kleine Futtermauer schützte das goldene Tor, und ein eisiger Graben zog sich unterhalb des Straßenniveaus bis zu einem trägen Fluss, der sich in die Ebene unter ihnen schlängelte. Ein schäumender Wasserfall fiel aus der Mitte des Walls und toste einen in die Mitte eingelassenen Kupferkanal hinunter, speiste den Graben und erfüllte die umgebende Luft mit einem kühlen Nebel eisigen Wassers. Der Morgen war schneidend kühl, und sein Atem bildete Wolken, obwohl ihn die Servorüstung vor der gröbsten Kälte schützte. Neben ihm stand ein zitternder Offizier der Legion der Bürgerwehr von Tarsis Ultra, dessen blauer Pelzkragenmantel und weiße Schirmmütze makellos sauber waren. Abgesehen von seiner Gala-Uniform trug er noch einen grauen Schal um den Hals und dicke Wollhandschuhe an den Händen, die tief in den weiten Taschen des Mantels steckten. Er hieß Major Aries Satria und kommandierte die bewaffneten Streitkräfte dieser Stadt im Namen des Fabrikator-Marschalls. Sein eiserner Brustharnisch war zu silbernem Glanz poliert, und das Paradeschwert an seinem glänzenden Ledergürtel leuchtete wie Gold. »Wenn der Winter kommt, friert der Graben dann zu?«, fragte Learchus. »So weit draußen ja«, nickte Major Satria, »aber je weiter man in die Stadt kommt, desto mehr Wärme wird im Talkessel eingeschlossen, was die Eisbildung verhindert.« »Wie weit frieren sie zu?«, hakte Learchus nach. »Die Gräben vor dem ersten und zweiten Wall frieren immer zu und manchmal auch der dritte, aber letzten Endes hängt es von der Strenge des Winters ab.« Learchus nickte und setzte sich zum Tor im Wall in Bewegung. »Wie sieht die Vorhersage für den kommenden Winter aus?« »Die Meteorologen sagen, dass es ein harter Winter wird«, sagte Satria, der sich beeilen musste, um mit Learchus Schritt zu halten, »aber das sagen sie eigentlich immer.« Die Winter auf Macragge hatten Learchus gelehrt, wie hart ein Winter für Soldaten sein konnte, und er wusste, dass der Krieg für diese Welt kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen konnte. Das kalte Wetter bereitete ihnen schon Probleme, da Männer über Erfrierungen und andere kältebedingte Beschwerden klagten. Angehörige des Logres-Regiments gaben den Männern des Krieg-Regiments und der Planetaren Streitkräfte Unterricht,
wie man sich unter so strengen Verhältnissen zu verhalten hatte, aber es würde seine Zeit dauern, bis sich die Männer die entsprechenden Praktiken angeeignet haben würden. Die beiden Männer überquerten den Graben auf einer bevölkerten Stahlbrücke. Die Pfeiler waren mit Raureif überzogen, und in dem fließenden Wasser bildeten sich bereits Eisschollen. Learchus hatte befohlen, die Brücke zu verminen, so dass sie beim ersten Angriff zerstört werden konnte, obwohl er sehen konnte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Graben von einer soliden Eisschicht bedeckt war, die man dann so leicht würde überqueren können wie eine Brücke. Nichtsdestoweniger gehörte es zur normalen Vorgehensweise, alle Annäherungsmöglichkeiten zu zerstören, die der Feind benutzen konnte, also hatte er sie für die Zerstörung vorbereiten lassen. Doch solange die Brücke noch stand, machten die Einwohner von Erebus sie sich auch zunutze. Ihr Metallboden vibrierte infolge der Passage ungezählter Vehikel, die in Richtung Hauptraumhafen unterhalb der Stadt an Learchus und Satria vorbeirumpelten. Alle möglichen Vehikel, von der glänzenden Limousine bis zum ramponierten landwirtschaftlichen Nutzfahrzeug, strömten durch das Haupttor im Wall, und jedes war mit Leuten vollgestopft, die so viele ihrer Habseligkeiten mitnahmen, wie sie hineinstopfen konnten. Sie verließen die Brücke und folgten einer verschlammten Straße, die zu einem der wenigen Nebentore im Wall führte. Lastwagen voller verängstigter Leute passierten sie, und das jähe Tosen eines Raumschiffantriebs in der Nähe machte jede weitere Unterhaltung in den nächsten Sekunden unmöglich. Sowohl Learchus als auch Satria drehten sich um und sahen zu, wie sich ein Frachter vom Raumhafen erhob und auf einer Rauchsäule in den fahlen Himmel stieg. Er war das achte Schiff, das Tarsis Ultra an diesem Morgen verließ, und den Menschenmassen nach zu urteilen, die sich um die Wälle des Raumhafens herumdrückten, würden ihm noch viele folgen. »Es ist unziemlich, dass Ihr Volk nicht bleibt und kämpft«, sagte Learchus, indem er sich wieder umdrehte, um die unter ihm arbeitenden Männer zu beobachten. »Wo ist ihr Kampfgeist? Ihre Welt wird bedroht, und sie fliehen vor dem Feind.« Er schüttelte den Kopf vor Enttäuschung. »Kein Bewohner Ultramars würde seine Heimatwelt im Stich lassen. Ich habe gedacht, die Nachricht
vom großen Sieg über Barbarus Primus hätte den Leuten das Rückgrat gestärkt, aber sie scheint sie eher geschwächt zu haben.« »Die Leute haben Angst«, sagte Satria achselzuckend. »Und ich kann es ihnen nicht verdenken. Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich über diese Tyraniden gehört habe, kann ich ihren Drang verstehen, sich abzusetzen.« »Wenn Sie die Möglichkeit hätten, würden Sie fliehen?«, fragte Learchus. »Nein«, räumte Satria lächelnd ein, »aber ich habe einen Eid geschworen, diese Welt zu verteidigen, und ich breche ihn nicht.« »Das ist gut zu wissen, Major Satria. Der Kriegergeist von Ultramar steckt in Ihnen.« Satria strahlte vor Stolz über das Kompliment, während sie einen Versorgungslaster passierten, dessen Motor laut aufheulte. Mit zwei Dutzend verängstigten Einwohnern von Erebus beladen, waren die Hinterräder im zerwühlten Schlamm versunken und drehten durch. Hinter ihm wurde wütend gehupt, als glaubten die Fahrer, schiere Lautstärke könne den festsitzenden Laster aus seiner Klemme befreien. Die durchdrehenden Hinterräder wirbelten Schlammfontänen und Kies auf, welche die Limousine hinter dem Laster bespritzten und Kratzer in der Windschutzscheibe und im Lack der zuvor makellosen Karosserie hinterließen. Der Lastwagenfahrer gab weiterhin Gas, ohne den Schaden zur Kenntnis zu nehmen. In den Wolken aus schmutzigblauem Ölqualm, der aus dem Auspuffrohr geblasen wurde, bildeten sich Benzin-Regenbögen. Der Passagier der Limousine, ein hochgewachsener Mann mit Geheimratsecken und Hakennase, stieg hinten aus und schrie den Lastwagenfahrer an, indem er ihm ausgewählte Beleidigungen hinsichtlich der Promiskuität seiner Eltern und Körperhygiene an den Kopf warf. Learchus trat vor, um den Mann für sein unhöfliches Benehmen und die unflätige Sprache zu schelten, doch Major Satria schüttelte rasch den Kopf und sagte: »Lassen Sie mich das besser regeln, Sergeant Learchus, ich kenne diesen Mann. Ich glaube, da ist eine sanfte Hand erforderlich.« »Nun gut«, sagte Learchus widerstrebend. Major Satria hämmerte an die Fahrerkabine des Lasters und fuhr sich in einer an den Fahrer gerichteten Geste mit der Hand über die Kehle. Sofort ging der Fahrer vom Gas, und der Lärm
des protestierenden Motors nahm ab, bis nur noch ein kehliges Tuckern zu hören war, während Satria bereits zur Limousine ging. »Kommen Sie, Herr van Gelder«, sagte Satria, der gewandt über den Schlamm auf der Straße sprang, um sich an den Passagier der Limousine zu wenden. »Es besteht kein Grund, solche Ausdrücke in den Mund zu nehmen.« Der hochgewachsene Mann richtete sich zu voller Größe auf und klemmte die Daumen in die Taschen seines langen Gehrocks. Ein sarkastisches Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus, als Satria sich näherte. »Haben Sie gesehen, was dieser Schwachsinnige getan hat?«, schnauzte er. »Das habe ich, Herr van Gelder, und wenn Sie einfach ein wenig Geduld mit uns haben, werden wir dafür sorgen, dass Sie weiterfahren können, sobald wir ein paar Bretter gefunden haben, die wir unter die Hinterräder dieses Lastwagens legen können.« »Ich will den Namen dieses jämmerlichen Fahrers wissen, damit ich bei meiner Rückkehr nach Tarsis Ultra angemessen entschädigt werden kann.« »Ich versichere Ihnen, dass ich mich um die Angelegenheit kümmern werde, mein Herr«, beschwichtigte Satria. »Wenn Sie jetzt einfach wieder in ihre angenehm warme Limousine steigen würden, werden wir Sie bald aus der Stadt haben.« Bevor van Gelder antworten konnte, war hinter dem Major ein Ächzen von Metall zu hören. Als Satria sich umdrehte, sah er, wie Sergeant Learchus mühelos das hintere Ende des voll beladenen Lastwagens aus dem Schlamm hob und das Vehikel ein Stück weiter auf festeren Boden schob. Der Sergeant ließ den Lastwagen wieder herunter, der praktisch sofort weiter zum Raumhafen fuhr. Satria hatte schon von der großen Kraft der Space Marines gehört, die Schilderungen aber für Übertreibungen gehalten. Jetzt wusste er es besser. Das Gesicht des Sergeanten war finster, als er in Richtung van Gelder marschierte. Er zeigte auf die Menge, die sich versammelt hatte, und auf die Schlange der Fahrzeuge, die bis zum Tor reichte, und schrie: »Es reicht! Das hört jetzt auf. Es gehen keine Flüge mehr von Tarsis Ultra. Steigen Sie wieder in Ihre Fahrzeuge, wenden Sie und kehren Sie in die Stadt zurück, wo Sie hingehören!« Satria verzog das Gesicht über Learchus' Mangel an Taktgefühl,
und selbst van Gelder war vorübergehend perplex. Aber er war kein Mann, der sich leicht einschüchtern ließ. »Wissen Sie, wer ich bin?«, plusterte er sich auf. »Nein«, sagte Learchus verächtlich. »Und es interessiert mich auch nicht. Jetzt wenden Sie diesen Wagen, bevor ich es selbst tue.« Nachdem der Space Marine soeben seine Kraft an dem Lastwagen demonstriert hatte, machte sich van Gelder keine Illusionen hinsichtlich Learchus' Fähigkeit, seine Ankündigung wahr zu machen, und stieg widerstrebend hinten in seine Limousine. »Davon wird der Fabrikator-Marschall erfahren«, verschoss Gelder noch einen Pfeil zum Abschied. »Dafür werde ich persönlich sorgen«, versprach Satria. Van Gelders Augen verengten sich, da er nicht wusste, ob der Major ihn verspottete. Er schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Das Getriebe der Limousine knirschte, als sich der Fahrer an das auf der schmalen Straße mühsame Wenden des Wagens machte. »Ich glaube, wir haben ihn in Wut gebracht«, lächelte Satria. »Gut«, erwiderte Learchus. Geschmolzener Schnee lief in langen zitternden und unregelmäßigen Linien das beschlagene Fenster des Eisenbahnwagens hinunter. Leutnant Quinn fragte sich kurz, wie schnell sie wohl fuhren. Das war schwer zu sagen, wenn draußen nur einförmiges Weiß zu sehen war. Er hielt sich am Haltegriff fest, als der Zug einer Kurve in den Gleisen folgte, und beugte sich vor, um mit behandschuhter Hand über das Glas zu wischen, während er die junge Familie anlächelte, die ihm gegenübersaß. »Kein Grund zur Sorge«, sagte er. »Es dauert nicht mehr lange, bis wir in Erebus sind. Nur noch ein Halt in Prandium.« Der Mann nickte, und seine Frau warf einen ängstlichen Blick auf den Stahl des Lasergewehrs über Quinns Knien. Es war ein Blick, den er auf seiner Reise schon oft gesehen hatte, das Entsetzen darüber, dass ihrer friedlichen Welt eine bewaffnete Auseinandersetzung drohte, aber er konnte sich nicht dazu bringen, dass sie ihm leidtaten. Denn war es nicht die Pflicht jeden Bürgers des Imperiums, sich gegen die Feinde der Menschheit zu wehren? Er und sein Zug hatten sechs landwirtschaftliche Kollektive evakuiert und die Leute in diesen langen Überlandzug gepackt, um sie in die Sicherheit von Erebus zu bringen. Dutzende andere Zü-
ge taten auf dem gesamten Kontinent dasselbe, und mit etwas Glück würden sie ihren Auftrag ohne Zwischenfall erfüllen können. Über sechzig Waggons hingen an der sich mühenden Lokomotive, und sie näherten sich bereits der maximalen Auslastung, denn jeder Waggon war mit ängstlichen Leuten vollgestopft. Leutnant Quinn konnte sich bereits die Szenen der Empörung vorstellen, wenn er diesen Leuten befehlen musste, ihre Habseligkeiten zurückzulassen, um Platz für die Einwohner von Prandium zu machen. Sergeant Klein, sein Adjutant, quetschte sich unter Schwierigkeiten durch die protestierenden Leute, da er mit der dicken Jacke und dem Kampfkoppel praktisch überall hängen blieb. Klein hielt sein Gewehr hoch erhoben, die Schlinge um die Schulter gelegt, und sagte: »Herr Leutnant, wir fahren jeden Moment in Prandium ein.« »Ausgezeichnet. Dann haben wir es fast geschafft, nicht wahr, Sergeant?« »Ja, Herr Leutnant.« »Die Männer sollen sich bereithalten. Ich übernehme den Ersten Trupp, Sie den Zweiten.« Klein nickte und ging zurück durch den Waggon, während Quinn spürte, wie der Zug bremste. Er erhob sich von seinem Platz und schob sich durch die Menge zur Haupttür, wo eine Gruppe seiner Soldaten aus dem Logres-Regiment darauf wartete, aussteigen zu können. Er deutete einen raschen Gruß an und wischte mit der Hand über das Fenster in der Tür, als er den silbernen Stahl des Bahnsteigs näher kommen sah. Etwas kam ihm merkwürdig vor, aber es dauerte einen Moment, bis ihm aufging, was es war. Der Bahnsteig war leer. Zwar hatten einige Gemeinden ihre Häuser nur widerstrebend verlassen, aber die meisten waren mehr als erpicht darauf gewesen, in die Sicherheit von Erebus gebracht zu werden, und die Bahnhöfe waren voller ängstlicher Menschen gewesen, die bereits auf den Zug warteten. Aber nicht hier. Quinn seufzte, als ihm aufging, dass sie wahrscheinlich noch mehr sture Bauern überzeugen mussten, ihr Land zu verlassen und mit ihnen zu kommen. Mittlerweile sollte er sich wohl daran gewöhnt haben. Jedes Mal, wenn die Tarellier eine der Meeresfarmen auf Oceanus angriffen, hatten sie die starrköpfigen Krill-
bauern evakuieren müssen, die verdammt sein wollten, wenn sie den Besitz verließen, den ihre Familie schon seit Generationen bewirtschaftete. Quinns Erfahrung nach endeten solche Leute eher früher als später tot. Der Zug hielt an, und die Türen öffneten sich. Eiskalte Luft sog die Wärme aus dem Waggon, was von seinen Insassen mit Ächzen und Beschwerden kommentiert wurde. Quinn stieg aus dem Zug auf den mit Reif überzogenen Bahnsteig und spürte, wie unter seinen Stiefeln Eis knirschte. Das war ungewöhnlich. Die Bahnhofs-Servitoren hätten eigentlich für einen eisfreien Bahnsteig sorgen müssen. Die Fenster des Bahnhofsgebäudes waren mit Reif bedeckt und undurchsichtig, und von den Traufen hingen lange Eiszapfen herunter. Das an Ketten hängende Schild, das in dem leichten Wind leise quietschte, verkündete; dass dies Prandium sei. Er sah Sergeant Kleins Trupp ein Stück weiter entfernt auf dem Bahnsteig und winkte seinen Adjutanten zu sich. »Das ist eigenartig«, sagte er. »Das finde ich auch«, sagte Klein. »Hier ist schon seit längerem niemand mehr gewesen.« »Hier ist noch kein anderen Zug vor uns durchgekommen, oder?« Klein zückte die kleine Datentafel mit ihren Befehlen, die er in der Brusttasche seiner dicken Winterjacke aufbewahrte, und schüttelte den Kopf. »Meinen Information nach nicht, Herr Leutnant.« »Das gefällt mir nicht«, verkündete Quinn. »Was sollen wir tun?« »Gehen Sie in die Stadt«, sagte Quinn. »Aber seien Sie auf der Hut. Hier stimmt irgendwas nicht.« Klein salutierte und ging vorsichtig über den Bahnsteig zu seinem Trupp zurück. »Also gut«, sagte Quinn. »Wir rücken aus.« Mit kleinen, bedächtigen Schritten ging er über den glatten Bahnsteig und entsicherte sein Lasergewehr, als er das Ende einer Treppe unter einem Schild erreichte, das zum Ausgang wies. Die Steinstufen waren rutschig vom Eis, und an der Unterseite des Geländers hingen mehr Eiszapfen. Langsam und mit großer Vorsicht gingen Quinn und seine Männer die Treppe hinunter und betraten das landwirtschaftliche Kollektiv von Prandium.
In den verschneiten Straßen war es unheimlich still, nur das leise Heulen des Windes und die knirschenden Schritte seines Trupps störten die Stille. Nicht einmal der einsame Ruf eines Vogels war zu vernehmen. Die Häuser waren robust aussehende Fertigbauwerke und sahen aus wie diejenigen auf tausend anderen Welten auch, bestanden aber aus einheimischen Materialien und waren mit dem Schweiß und der Arbeitskraft ihrer Bewohner errichtet worden. Ein Generatorschuppen stand verlassen daneben, und drei große Getreidesilos erhoben sich am anderen Ende der Straße hoch über die Gemeinde. In der Luft lag eine Spannung, die sogar Quinn spüren konnte. Prandium wirkte verlassen. Hier war schon lange niemand mehr gewesen, und die Vernachlässigung war schmerzhaft offenkundig. »Gehen wir«, sagte er und führte seinen Trupp durch den knietiefen Schnee in die Siedlung. Die Straßen vermittelten ein Gefühl von Beengtheit und Bedrohung. Durch eine Lücke zwischen zwei Häusern sah er Kleins Trupp auf parallelem Kurs vorrücken. Eine Tür knallte im Wind zu, und alle fuhren zusammen. Lasergewehre schwangen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Aus Quinns Verdacht, dass hier irgendwas nicht stimmte, wurde Gewissheit. Selbst wenn diese Leute einen früheren Zug genommen hätten, von dem er nichts wusste, hätte jeder Bauer sich die Zeit genommen, dafür zu sorgen, dass sein Besitz winterfest verriegelt war. Zwei große Erntemaschinen standen verrostet am Ende der Straße im Schatten der großen Getreidesilos, und Quinn bedeutete seinem Trupp, ihm zu folgen. Obwohl die eiskalte Luft alle Gerüche dämpfte, konnte er dennoch den Gestank von verdorbenem Getreide wahrnehmen. Als sie die Erntemaschinen umrundeten, sah er etwas, das ihn innehalten und eine Faust heben ließ. Am Fuß des nächsten Getreidesilos war ein drei Meter langer Riss in der Außenwand des Silos. Das Metall war weggebogen worden. Aus dem Riss war Getreide gerieselt, das einen gefrorenen Haufen draußen auf dem Boden bildete. Er näherte sich vorsichtig dem Loch im Silo, und jähe Kälte hüllte ihn ein, als er in den langen Schatten des Gebäudes trat. Quinn zog das Kettenschwert, und sein Daumen schwebte über der Einschaltrune. Er trat auf das kiesige Getreide, schaltete die Taschenlampe ein, die unter dem Lauf seines Gewehrs befestigt war, und holte tief Luft, während er in die Dunkelheit des Silos
starrte. Ein durchdringender Gestank, durch die Kälte gedämpft, drang ihm in die Nase, als er vorsichtig das Silo betrat und den Strahl seiner Taschenlampe durch das Innere wandern ließ. Das Licht konnte nur Ausschnitte von dem zeigen, was sich darin befand, aber selbst das war noch zu viel. Er winkte benommen seinen Kom-Soldaten zu sich. »Rufen Sie Sergeant Klein hierher«, flüsterte er mit zitternder Stimme, »und sagen Sie ihm, er soll sich beeilen...« Sergeant Learchus, Major Satria und Oberst Stagler vom KriegRegiment standen auf der vereisten Brustwehr des ersten Walls von Erebus und beobachteten die Soldaten der Bürgerwehr bei ihren Übungen auf der Esplanade zwischen diesem Wall und dem zweiten. Männer schwitzten und grunzten unter ihnen, aber die Geräusche ihrer Bemühungen gingen im Klirren von Hämmern und Schaufeln auf dem gefrorenen Boden unter, da andere Soldatentrupps Grabenlinien vor den Wällen aushoben. Learchus beobachtete die Männer unter sich mit einer Mischung aus Enttäuschung und Resignation. »Sie sind nicht beeindruckt, nehme ich an«, sagte Satria. Learchus schüttelte den Kopf. »Nein, die meisten dieser Männer würden keine Woche in Agiselus überleben.« »Das ist eine der Ausbildungskasernen auf Macragge, nicht wahr?«, fragte Stagler. »Ja. Sie liegt am Fuß der Berge von Hera, wo Roboute Guillaume persönlich ausgebildet wurde. Dort haben auch Hauptmann Ventris und ich unsere Ausbildung absolviert.« Soldaten arbeiteten in kleinen Gruppen und übten den Kampf mit dem Bajonett und Nahkampftechniken, ließen dabei aber kaum einmal die Fähigkeiten erkennen, die sie brauchen würden, um die bevorstehenden Schlachten zu überleben. Bei seiner ersten Truppeninspektion hatte Learchus jeden Zug dabei beobachtet, wie er akkurate, disziplinierte Salven von Laserstrahlen abfeuerte und nah beieinanderliegende Löcher in die Zielscheiben bohrte. Er war zum ersten Zug gegangen und hatte sich von einem nervösen Soldaten ein Lasergewehr geholt, bevor er wieder zu dem überrascht aussehenden Major Satria zurückkehrte. »Sie bringen ihnen das Schießen bei?« »Na ja, ich dachte, das könnte ganz wichtig bei einem Soldaten
sein«, hatte Satria erwidert. »Aber nicht gegen Tyraniden«, sagte Learchus. »Haben Sie jemals einen Tyranidenschwarm gesehen?« »Sie wissen, dass das nicht der Fall ist.« »Ich schon, und sie greifen in Massen an, die so dicht sind, dass ein Blinder bei zehn Versuchen zehnmal treffen würde. Jeder, der ein Gewehr halten kann, ist in der Lage, einen Tyraniden zu treffen. Aber wie viele man auch erschießt, es gibt immer noch mehr, und unsere Aufgabe besteht darin, diesen Männern beizubringen, wie man gegen die Tyraniden kämpft, die unsere Linien erreichen.« Seitdem fiel die Organisation eines kohärenten Ausbildungsprogramms Learchus zu, und seit er vor einer Woche die Schließung der Tore von Erebus befohlen hatte, kämpfte er nun gegen bürokratische Unnachgiebigkeit und Jahre tief verwurzelter Dogmen an, um ein praktikables System einzurichten. Im Morgengrauen standen die Männer auf, übten das Auseinandernehmen und Zusammensetzen ihrer Waffen und vollführten Übungen, um ihre Kondition und körperliche Verfassung zu verbessern. Angehörige des Logres-Regiments zeigten den Soldaten gute Übungen bei kaltem Wetter, da alle Aktivitäten sorgfältig kontrolliert werden mussten, damit die Soldaten keine Schweißschicht unter ihrer Winterkleidung aufbauten, die später kondensieren und damit ihre Isolationseigenschaften drastisch beeinträchtigen konnte. »Diese Männer müssen schneller lernen«, sagte Learchus. »Wenn sie so weitermachen, werden sie alle beim ersten Angriff sterben.« »Sie erwarten Unmögliches von ihnen, Sergeant«, sagte Satria. »Wenn wir sie zwingen, so weiterzumachen, werden sie uns bald mehr hassen als die Tyraniden.« »Gut. Wir müssen ihnen zunächst jegliches Ich-Gefühl nehmen. Wir müssen ihnen jede Vorstellung von dem nehmen, wofür sie sich halten, und sie dann neu zu den Soldaten aufbauen, die sie sein müssen, um zu überleben. Mich interessiert nicht, ob sie mich hassen, nur dass sie lernen. Und zwar schnell.« »Das wird nicht leicht sein«, sagte Satria. »Das ist unwesentlich«, sagte Stagler. »Die schwächsten Männer fallen ohnehin zuerst. Wenn sich die Spreu vom Weizen getrennt hat, bleiben nur noch die wahren Krieger übrig.«
»Spreu?«, sagte Satria. »Das sind meine Soldaten, und ich lasse nicht zu, dass man so über sie spricht.« »Ihre Soldaten lassen eine Menge zu wünschen übrig, Major Satria«, stellte Stagler fest, der die Hände auf dem Rücken verschränkt hatte. Seine patrizischen Züge wirkten infolge der Kälte spitz, und sein strenger Blick wanderte missbilligend über das Übungsgelände. Learchus gab Stagler recht, und obwohl er wusste, dass Satrias Männer sich Mühe gaben, musste diese Mühe auch zu Ergebnissen führen, wenn sie irgendetwas nützen sollte. Er sah einer Gruppe Soldaten zu, die das Zustoßen und Parieren mit dem Bajonett übten und dabei in ihrer Bewegungsfreiheit von der dicken Winterkleidung behindert wurden. Ursprünglich hatten die Soldaten ohne Koppel und Winterkleidung geübt, aber dem hatte Learchus rasch ein Ende bereitet. Was hatte es für einen Sinn, unter idealen Bedingungen zu trainieren, wenn die Kämpfe so niemals ausgetragen würden? Learchus glaubte ganz fest an die Philosophie von Agiselus' schwere Ausbildung, leichter Kampf. Jede Übung der Kadetten dort verlangte von den Männern Unerreichbares, so dass der tatsächliche Kampf, wenn er denn kam, niemals so schwer war. Auch nach einer Woche der Ausbildung waren die Soldaten noch zu langsam. Tyraniden-Kreaturen waren unerhört flink, und ihre messerscharfen Glieder schlugen blitzschnell zu. Learchus wusste, dass die Verluste unter diesen Soldaten in der Tat sehr hoch sein würden. Ohne ein Wort der Erklärung machte er auf dem Absatz kehrt und ging die Treppe von der Brustwehr zur Esplanade herunter. Satria und Stagler folgten ihm eiligst die glatten Pflastersteine hinab. Er schritt in die Mitte des Übungsgeländes und blieb dort mit in die Hüften gestemmten Händen stehen. Die Aktivitäten rings um ihn kamen allmählich zum Erliegen, bis sich die Soldaten langsam um den Space Marine in ihrer Mitte versammelten. »Ihr seid von den Idealen Ultramars abgewichen, die euch der gesegnete Primarch als sein Vermächtnis hinterlassen hat«, begann Learchus. »Ihr seid vom Firlefanz und von der Behaglichkeit verführt worden, die ein Leben in Luxus und Frieden mit sich bringt. Ich bin hier, um euch zu sagen, dass diese Zeiten vorbei sind. Behaglichkeit ist eine Illusion, eine Chimäre, die aus vertrauten Dingen und Angewohnheiten geboren wird.«
Learchus marschierte in dem Kreis der Soldaten umher und unterstrich seine Worte, indem er sich mit einer Faust rhythmisch auf die Handfläche schlug. »Behaglichkeit schränkt den Geist ein, schwächt das Fleisch und raubt euch den Kriegergeist, das Feuer und die Entschlossenheit. Damit ist jetzt Schluss.« Er marschierte zurück in die Mitte des Kreises und sagte: »Behaglichkeit ist hier nicht mehr willkommen und wird auch nicht mehr geduldet. Gewöhnt euch daran.« Die Haut am Fuß des Soldaten sah wächsern aus und hatte eine grau-gelbliche Farbe. Aus mehreren aufgeplatzten Blasen sickerte eine klare Flüssigkeit auf die makellosen weißen Laken des Bettes. Joaniel Ledoyen schüttelte den Kopf über die Dummheit dieses Soldaten, während sie ihm eine Nadel in das Fleisch seiner Fußsohle stach. Der Mann reagierte nicht, obwohl sie nicht sagen konnte, ob dies eine Folge der Erfrierung war oder der halben Flasche Amasec, die er geleert hatte, um die Schmerzen zu betäuben. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem, dachte sie, während sie die Nadel weglegte und etwas auf das Krankenblatt des Mannes kritzelte, das am Fußende seines Betts hing. »Ist es schlimm?«, fragte der Soldat mit undeutlicher Stimme. »Es ist nicht gut«, sagte Joaniel unverblümt. »Aber wenn Sie Glück haben, können wir Ihren Fuß vielleicht retten. Sind Sie nicht unterwiesen worden, wie man Erfrierungen vermeidet?« »Aye, aber ich kann nicht so gut lesen, Schwester. Hab ich nie gelernt auf Krieg.« »Nicht?« »Nein, wenn man alt genug ist, wird man sofort zum Regiment geschickt. Oberst Stagler hält nichts von gebildeten Männern, er sagt, dass es gebildete Männer waren, die überhaupt erst dafür gesorgt haben, dass Krieg zerbombt wurde. Der Oberst sagt, ein Mann braucht nur zu kämpfen und zu sterben. So läuft das auf Krieg.« »Mit etwas Glück sind Sie bald wieder auf den Beinen, aber ich hoffe, dass Sie den Teil mit dem Sterben vermeiden können«, sagte Joaniel. Der Soldat zuckte die Achseln. »Wie der Imperator will.«
»Ja«, nickte Joaniel traurig, während sie sich entfernte. »Wie der Imperator will.« Bisher hatte sie an diesem Tag vielleicht fünfzig Fälle leichter Unterkühlung und ein Dutzend Erfrierungen behandelt, die von leichter Blässe der Haut bis hin zu diesem Bedauernswerten reichten, der trotz ihrer optimistischen Worte seinen Fuß sehr wahrscheinlich verlieren würde. Joaniel zog die Gummihandschuhe aus und warf sie in den Abfall, wobei sie wieder zum Schwesternzimmer am Ende der langen Bettreihe ging. Sie schonte das rechte Bein und drückte die Handfläche gegen ihre Hüfte, während sie den Männern des Logres-Regiments zusah, die sich in dem langen, gewölbeartigen Raum zu schaffen machten. Sie benutzten Thermalverbände, um allmählich und auf kontrollierte Weise wieder Wärme in die erfrorenen Glieder der Verwundeten zu bekommen. Zum Glück waren die Betten des Krankenhauses im Bezirk Quintus immer noch größtenteils leer das Gebäude konnte über tausend Patienten aufnehmen -, obwohl sie wusste, dass sich das stetig zunehmende Rinnsal der in ihre Station eingelieferten Soldaten in einen reißenden Strom verwandeln würde, sobald der Krieg einmal begonnen hatte. Remian IV hatte sie das gelehrt. Sie rieb sich die Schläfen und gähnte, während sie das Band löste, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt, dann fuhr sie sich mit der Hand durchs Haar. Hochgewachsen und statuenhaft, war Joaniel Ledoyen eine gut aussehende Frau von vierzig Standardjahren mit rauchblauen Augen und vollen Zügen, die von großer Würde und Mitgefühl kündeten. Sie trug ein langes fließendes weißes Gewand mit dem Wappen des Ordens der Ewigen Kerze, einem der Heilerorden des Convent Sanctorum der Adepta Sororitas, das in der Taille von einer roten Schärpe gehalten wurde. Anders als die kämpfenden Schwestern der militärischen Orden, leisteten die Schwestern der Heilerorden den kämpfenden Männern und Frauen der Imperialen Garde medizinische Hilfe und errichteten Missionen für die Bedürftigen und Verarmten des Imperiums. Viele verwundete Soldaten verdankten den Schwestern der Heilerorden das Leben, und es war tröstlich für jene an der Front zu wissen, dass sie diese Hilfe erwartete, sollten sie verwundet werden. Eine ihrer jüngeren Schwestern, Ardelia Ferria, sah auf und lä-
chelte, als sie Joaniel kommen sah. Ardelia war jung und hübsch und hatte gerade erst ihre Ausbildung zur Novizin beendet und ihre Gelöbnisse auf Ophelia VII geleistet. Sie mochte sie, und obwohl die junge Frau die Gräuel des Krieges noch nicht erlebt hatte, war Joaniel doch recht sicher, dass Ardelia eine gute Schwester abgeben würde. »Alles erledigt für die Nacht?«, fragte Ardelia. »Ja, dem Imperator sei Dank. Die meisten dieser Männer werden es überleben.« »Sie haben Glück, dass Sie sich um sie kümmern, Schwester Ledoyen.« »Wir tragen alle unseren Teil dazu bei, Schwester Ferria«, sagte Joaniel bescheiden. »Sind die neuen Hilfsgüter für das obere Tal schon eingetroffen?« »Nein, noch nicht, obwohl mir das Stadtkommissariat versichert hat, dass sie bald kommen sollen«, sagte Ardelia mit mehr als nur einer Spur Skepsis. Joaniel nickte, da sie Ardelias Zweifel teilte und an die Launen des Kommissariats der Stadt gewöhnt war, wusste aber, dass die Hilfsgüter in den kommenden Tagen dringend gebraucht wurden. Sie musste sich am nächsten Morgen an das Kommissariat wenden und Aufklärung verlangen, was aus ihnen geworden war. »Ich kann mich den Rest der Nacht um die Stationen kümmern«, sagte Ardelia. »Sie sollten für heute Schluss machen, Schwester Ledoyen. Sie sehen müde aus.« Joaniel versuchte sich nicht gekränkt zu fühlen, tat es aber wohl doch. Die Last der Verantwortung und zu viele unschöne Erinnerungen hatten sie vorzeitig altern lassen, und obwohl sie immer noch den körperlichen Anforderungen entsprach, die ihr Orden an seine Mitglieder stellte, und auch ein Boltgewehr in unter vierzig Sekunden auseinandernehmen und wieder zusammensetzen konnte, wusste sie, dass dieses Ziehen von einem Krieg zum anderen ihre Züge melancholisch gemacht hatte. Der Krieg auf Remian IV war der schlimmste, den sie je erlebt hatte: schreiende Männer, die um einen barmherzigen Tod gefleht hatten, anstatt solche Qualen erleiden zu müssen. Der Gestank nach Blut, entleerten Gedärmen und antiseptischen Flüssigkeiten sowie allgemein nach Krieg war noch lange bei ihr geblieben, nachdem er schon gewonnen war. Sie erinnerte sich an die Monate der Ratschläge, die sie den
Soldaten nach der Schlacht gegeben hatte und mit denen sie viele aus dem Grauen ihrer Erfahrungen auf Remian zurückgeholt hatte. Wegen ihrer beschwichtigenden Worte und ihrer sanften Art hatten die Soldaten sie Engel von Remian getauft, und seitdem folgte ihr dieser Name. Sie hatte auf Remian Hunderte vor dem Tod gerettet, wenn nicht Tausende, aber am Ende war niemand da gewesen, um das Grauen in ihrem eigenen Kopf zu lindern. In ihren Träumen kehrte sie immer wieder dorthin zurück und weinte, wenn sie eine sprudelnde Arterie abklemmte und um das Leben eines gesichtslosen Soldaten kämpfte, während dieser schrie und mit gebrochenen Fingern nach ihr krallte. Abgetrennte Gliedmaßen und der erstickende Geruch nach verbranntem menschlichem Fleisch erfüllten immer noch ihre Sinne, und jede Nacht erwachte sie mit einem flehentlichen Schrei auf der Zunge. Joaniel erwog kurz, in ihre kahle Zelle über den Stationen zurückzukehren, aber die Aussicht auf die Leere dort war vorübergehend zu viel für sie. »Ich werde noch ein Gebet an den Imperator richten, bevor ich mich zurückziehe. Rufen Sie mich, wenn Sie etwas brauchen«, sagte sie zu Ardelia, bevor sie sich verbeugte und durch die dicken Holztüren ging, die von der Hauptstation in das steingeflieste Vestibül führte. Sie ging steif zu einem niedrigen Torbogen und betrat einen kurzen, von Kerzen erleuchteten Gang mit einer schwarzen Tür an seinem Ende. Die Schnitzerei einer Kapuze tragenden Gestalt mit goldenen Flügeln füllte die Tür aus, und Joaniel stieß sie auf und betrat die Krankenhauskapelle. Die Kapelle war eine schlichte Angelegenheit, kaum groß genug für zwei Dutzend Gläubige. Drei Reihen aus harten Holzbänken verliefen ordentlich von der Alabasterstatue am Ende des Kirchenschiffs, und viele brennende Kerzen erfüllten die Kapelle mit einem warmen, rauchigen Schein. Über der Statue warf ein halbkreisförmiges Buntglasfenster eine Insel aus farbigem Licht auf den gebohnerten Holzboden. Joaniel verbeugte sich, ging zu den beiden Steinbänken neben der Statue und kniete davor nieder. Sie neigte den Kopf und faltete die Hände zum Gebet. Lautlos flüsterte sie die Worte der Verehrung und des Gehorsams und ignorierte den dumpfen Schmerz, der in ihren Knien zunahm, während die Kälte des nackten Bodens in ihre Knochen sickerte. Tränen traten ihr beim
Beten in die Augen, da ihr die Bilder und Laute von Remian so lebhaft gegenwärtig waren, dass sie den Rauch schmecken und das Blut riechen konnte. Sie beendete ihr Gebet und richtete sich unter Schmerzen wieder auf. Die Metallstifte in ihrem rechten Oberschenkel schmerzten in der Kälte. Das Feldlazarett auf Remian hatte einen direkten Treffer von einer feindlichen Artilleriegranate abbekommen, und sie allein war aus den Trümmern geborgen worden. Die Knochen in ihrem Bein waren völlig zerschmettert worden. Die Soldaten, die ihr das Leben verdankten, hatten die besten Chirurgen zusammengetrommelt, und ihre Operation war im flackernden Licht dauernden Artilleriebeschusses ausgeführt worden. Sie hatte überlebt, aber ihre vielen Tausend Patienten in dem Lazarett nicht, und das mit ihrem Überleben verknüpfte Schuldgefühl fraß an ihrer Seele wie ein Krebsgeschwür. Sie rieb sich wieder Gefühl in die Beine und verbeugte sich noch einmal vor der Statue des Imperators, bevor sie sich auf den Weg in ihre kalte Zelle machte. »Wie der Imperator will«, sagte sie. Die vulkanische Welt Yulan sah aus dem Raum wunderschön aus. Ihre flackernde Atmosphäre war von scharlachroten Blitzen erfüllt, und die Wirbel rubinroter Wolken zeichneten Bänder aus leuchtenden Farben über die nördliche Hemisphäre. Eine Gruppe von Schiffen hing in der Umlaufbahn, die durch die seismischen Entladungen und das Aufflackern der aus der geborstenen Erdkruste dringenden und verbrennenden Gase herumgestoßen wurden. Ihre Kapitäne kämpften darum, die Schiffe ruhig zu halten, deren Schutzschirme auf volle Leistung hochgefahren worden waren, um sie vor der Vielfalt gefährlicher Materialien zu schützen, die von der Welt unter ihnen ausgespien wurde. Wenngleich selbst das kleinste Schiff fast einen Kilometer lang war, waren sie doch alle winzig im Vergleich zu den drei Ungetümen, die in geostationärer Umlaufbahn über Yulan hingen. Viele Hundert Schlepper aus den Docks über dem nahen Planeten Chordelis kämpften gegen das Miasma der Turbulenzen in den unteren Atmosphärenschichten des Planeten an, um sich vor den riesigen Andocklaschen an der Vorderseite dieser gewaltigen Schöpfungen in Position zu bringen. Jedes Ungetüm war eine Wasserstoffplasma-Abbaustation, die
ihre Fühler tief in die ungestüme Atmosphäre des Planeten ausstreckte und ihre Bestandteile zu wertvollen Treibstoffen raffinierte, die von den Panzern der Imperialen Garde, den Schiffen der Flotte und buchstäblich jeder Maschine verbrannt wurden, die von den Adeptus Mechanicus gewartet wurden. Sie waren weitestgehend automatisiert, da der Umgang mit derart leicht entzündlichen Brennstoffen, gelinde ausgedrückt, hochgradig gefährlich war. Mehrere Stunden lang und auf Kosten zahlreicher ServitorDrohnen wurde das erste der riesigen Raffinerie-Schiffe langsam aus der Umlaufbahn geschleppt, da seine gewaltige Masse nur im Schneckentempo befördert werden konnte. Trotz der Gefahr, die das Arbeiten in so einer unwirtlichen Umgebung darstellte, dauerte es nur wenig länger als drei Stunden, die Schlepper an die zweite Raffinerie anzukoppeln, die sich dann ebenso wie die erste auf die Fahrt nach Chordelis machte. Der Magos der Adeptus Mechanicus, der das Unternehmen leitete, war zufrieden mit dem Tempo, in dem es voranschritt, wusste aber auch, dass die Zeit für die Bergung der dritten Raffinerie knapp wurde. Die Tyranidenflotte hatte bereits Parosa erreicht und war in diese Richtung unterwegs. Zeit war von entscheidender Bedeutung, und weitere sechs frustrierende Stunden verstrichen, in denen die Besatzungen der Schlepper immer wieder versuchten, in den turbulenten tieferen Schichten der Atmosphäre an die letzte Raffinerie anzudocken. Die Schlepperkapitäne versuchten es noch einmal, und die Befehle, mit Eile zu Werke zu gehen, machten sie vielleicht waghalsiger, als gut für sie war. Doch Eile und eine Milliarden Tonnen schwere Raffinerie voller leicht entzündlicher Brennstoffe sind zwei Dinge, die nicht gut zusammenpassen. Der Kapitän des Schleppers Truda brachte sein Schiff behutsam an der vorderen Andockklammer der letzten Raffinerie in Position, ohne sich dabei an die normalen Sicherheitsverfahren hinsichtlich der Annäherung zu halten. Als die Truda in ihre endgültige Position flog, war ihr Kapitän so auf die Andocklaschen vor sich fixiert, dass er die Cylla übersah, die um einen Ansaugturm für die Atmosphärengase flog. Im letzten Augenblick erkannten beide Kapitäne die Gefahr und
versuchten die unausweichliche Kollision zu vermeiden, und die Truda schwenkte nach steuerbord und prallte gegen den Ansaugturm. Der Aufprall zerstörte die Truda und verbog das heiße Metall des Turms, und der Schlepper selbst durchschlug die dünnen Platten, bevor er explodierte, als seine Treibstoffzellen barsten. Die Truda hätte die Raffinerie an keiner schlechteren Stelle treffen können. Der Ansaugturm, dessen Aufgabe darin bestand, die heißen Gase vom Planeten unter ihr aufzufangen, saugte einen Großteil der Schlepperexplosion und mit ihr das brennende Plasma der Triebwerke direkt ins Herz der Verbrennungskammern der Raffinerie, wo es eine unkontrollierte Kettenreaktion auslöste. Notfallprozeduren wurden gestartet, doch Brandschutzschotts schlossen sich nicht, weil seit dem Bau der Raffinerie viele Tausend Jahre vergangen waren und die alten Schaltkreise längst nicht mehr funktionierten. Nur Minuten nach dem Unfall explodierten die Kammern der Raffinerie der Reihe nach, und jede Explosion sprengte mehr Speicherkammern, so dass sich ihre Gewalt exponentiell steigerte. Aus der Umlaufbahn sah es so aus, als zucke die riesige Raffinerie krampfhaft, und noch bevor die anderen Schlepper in der Nähe gewarnt werden konnten, explodierte sie in einem flammenden Glutball, der die Helligkeit der Sonne in den Schatten stellte. Alles im Umkreis von tausend Kilometern um den Explosionsherd wurde augenblicklich verdampft, und die Druckwelle ließ die Planetenoberfläche aufbrechen, so dass Wolken aus feurigen Gasen in den Raum schossen. Die Druckwelle verlief sich und ließ nichts von der Raffinerie und den vielen Hundert Angehörigen der Adeptus Mechanicus zurück, die mit der Aufgabe ihrer Bergung betraut waren, bis auf eine expandierende Wolke brennenden Plasmagases. Die Flotte der Schlepper im Raum blieb von der Katastrophe in ihrem Kielwasser unbeeindruckt und setzte ihre Fahrt mit den beiden Überlebenden der aus der geo-stationären Umlaufbahn um Yulan geborgenen Raffinerien im Schlepptau nach Chordelis fort. Warum der Admiral der Ultramarines sie mit dieser gefährlichen Aufgabe betraut hatte, wussten sie nicht, aber ihnen stand auch nicht an, danach zu fragen, sondern nur zu gehorchen. Die sechs Lastwagen standen im spärlich erleuchteten Fahrzeughangar. Das durch die hohen Fenster einfallende Mondlicht
lieferte die einzige Beleuchtung. Ein Dutzend Soldaten grunzte, während sie die Laster mit Kisten beluden, eine Arbeit, die von einem Magazin-Sergeanten des Kommissariats von Erebus beaufsichtigt wurde, der trotz der herrschenden Temperatur von unter null Grad unter der pelzgefütterten Kapuze seiner Winterjacke schwitzte. Er rauchte ein Lho-Stäbchen und stampfte mit den Füßen, um sich der Kälte zu erwehren, während die letzte Kiste auf einen der Laster verladen wurde. Alle trugen ein Brandzeichen da, wo das Departmento Munitorum Lieferungsnummer und Regimentswappen auf gestempelt hatte. Die Heckklappen der Laster wurden geschlossen und mit an Ketten befestigten Eisenstiften gesichert, und als seine Soldaten an ihm vorbeimarschierten, drückte er jedem ein Bündel Solawechsel in die Hand. »Macht keine Dummheiten damit«, warnte er. Nachdem der letzte Soldat den Hangar verlassen hatte, drückte er sein Lho-Stäbchen aus und drehte eine Runde um die Lastwagen, um sich zu vergewissern, dass alle Heckklappen gesichert waren. Als er an der letzten rüttelte, löste sich eine Gruppe Gestalten aus dem Schatten am anderen Ende des Hangars. »Alles fertig?«, fragte die vorderste Gestalt. Der Magazin-Sergeant schrak zusammen, und seine Hand tastete nach der Pistole unter seiner Jacke. »Das würde ich an deiner Stelle lassen«, knurrte eine ungeschlachte Gestalt hinter der ersten, und der Sergeant hob abwehrend die Hände. »Schneehund«, hauchte er erleichtert, während er die Hände senkte, da die Gruppe ins Licht trat. Er schob sich noch ein LhoStäbchen zwischen die Lippen. »Hast du jemand anders erwartet, Tudeca?«, fragte Schneehund, die Schrotflinte lässig auf die Schulter gelegt. Der Anführer der Nachtschleicher trug einen dicken Wollmantel zum Schutz vor der winterlichen Kälte, und das gebleichte Haar glänzte ebenso silbern wie die des Mädchens neben ihm. Hinter Schneehund standen der psychotische Schläger, den er Jonny Stampfer nannte, sowie ein Trio schmerzhaft magerer Jugendlicher mit bunten, wenn auch schlecht gezeichneten Tätowierungen im Gesicht. Auf eine Geste von Schneehund trabten sie zu drei der Lastwagen. Ein rothaariges Mädchen in einem engen Trikotanzug stieg in den nächsten.
»Nein«, sagte Sergeant Tudeca. »Ihr habt mich nur erschreckt. Ich hatte euch nicht so früh erwartet.« »Was soll ich sagen? Ich überrasche Leute gern«, sagte Schneehund mit einem Nicken, das Jonny Stampfer galt. Der viehische Riese kletterte auf die Ladefläche jedes Lasters und zählte die Kisten. Sergeant Tudeca trat nervös von einem Fuß auf den anderen, überrascht, dass Jonny Stampfer weiter zählen konnte, als er Finger hatte, während Schneehund und Silber ihn aufmerksam beobachteten. »Ist alles da?«, fragte Schneehund. »Ja, es ist alles da. Medizinische Hilfsgüter und Verpflegung, wie ihr wolltet. Habe ich nicht gesagt, ich könnte alles besorgen?« »Ja, du hast dich wirklich für uns ins Zeug gelegt«, gab Schneehund ihm recht, indem er Tudeca einen Arm um die Schultern legte und ihm das Päckchen Lho-Stäbchen aus der Brusttasche klaubte. Schneehund wartete eine Sekunde, dann hob er eine Augenbraue, bis Tudeca den Wink verstand und ihm Feuer gab. Die Flamme wackelte in seinen zitternden Händen, und Schneehund griff zu und hielt die Hand des Sergeanten ruhig. »Alles in Ordnung, Tudeca?«, fragte Schneehund mit geheuchelter Besorgnis. »Du siehst so zittrig aus, Mann. Hast du irgendwas auf dem Herzen?« »Es kostet mehr«, platzte es aus Tudeca heraus. »Ich musste meinen Jungs das Doppelte von dem geben, was sie sonst dafür kriegen. Die Kommissare greifen hart gegen alle durch, die sie beim Stehlen erwischen, und wenn sie mich schnappen, ist mir eine Kugel sicher.« »Tudeca, Tudeca«, beschwichtigte Schneehund. »Du darfst das nicht als Stehlen betrachten. Betrachte es als Umverteilung an die Leute, die es wirklich brauchen. Dieses ganze Zeug sollte doch zu den Krankenhäusern für die Fremdwelt-Regimenter gehen. Ich sorge dafür, dass es der Bevölkerung von Erebus zugute kommt... gegen eine Schutzgebühr.« Tudeca lachte heiser und sagte: »Schutzgebühr! Ihr verkauft das Zeug für das Vierfache von dem, was es wert ist.« »He, Mann, da draußen regelt die Nachfrage den Preis. Wenn ich mit diesem Krieg etwas Geld verdienen kann, wer will behaupten, dass daran was Schlechtes ist?« »Vergiss nicht, dass du auch bis zum Hals mit drinsteckst«,
stellte Silber fest, deren langes Haar im Mondlicht glänzte. »Ja, ich weiß«, sagte Tudeca mürrisch, während Jonny Stampfer von der Ladefläche des letzten Lastwagens sprang. »Es ist alles da, soweit ich das sagen kann«, sagte er. »Was soll das denn heißen?«, sagte Schneehund. »Entweder ist alles da oder nicht.« »Ich meine, für mich sieht es richtig aus«, knurrte Jonny. »Das reicht mir«, sagte Schneehund achselzuckend, während Silber und Jonny Stampfer sich jeweils hinter das Steuer eines der Lastwagen klemmten. Er stieg ins Führerhaus des Lastwagens neben sich und knallte die Tür hinter sich zu. Er kurbelte das Seitenfenster herunter, lehnte sich nach draußen und schaute über die Schulter zu Sergeant Tudeca, während die Motoren der Laster stotternd zum Leben erwachten. Er zückte ein Bündel Geldscheine, ein Großteil der Beute aus der Fleischbar abzüglich des Betrags, den er einem anderen unehrlichen Magazin-Sergeanten in der Nacht zuvor für eine gestohlene Waffenladung bezahlt hatte , und warf es Tudeca zu. Der Sergeant fing es mit einem schiefen Grinsen der Habgier auf. »In einer Weile kann ich noch mehr von dem Zeug besorgen«, rief er, da die Gier seine natürliche Feigheit überwand. »Ich muss nur warten, bis etwas Gras über die Sache hier gewachsen ist.« Scheinwerferstrahlen stachen von ihren Halterungen ins Dunkel, und der erste Laster fuhr in die Nacht. »Hört sich gut an«, sagte Schneehund und gab Gas. »Geschäft«, sagte Tudeca, »ist schließlich Geschäft.« »Ja«, stimmte Schneehund ihm zu. »Wie gehabt.«
SIEBEN Die Docks in der Umlaufbahn um Chordelis stellten eine Szenerie aus kontrollierter Anarchie dar, denn jeder Techniker, Schiffszimmermann und körperlich gesunde verfügbare Mann war zum Dienst verpflichtet worden, die an den Schiffen der Imperiumsflotte von den Tyraniden in der Schlacht von Barbarus angerichteten furchtbaren Schäden zu reparieren. Ein Ring aus Kanonenbooten bildete eine Postenkette um die Schiffe, um sie von dem Schwarm der Schiffe abzuriegeln, der sich in unkontrollierter Flut
von Chordelis' Oberfläche erhob. Unter Aufsicht der Techmarines der Mortifactors wurden dicke Stahlschichten auf die beschädigten Abschnitte der Mortis Probati geschweißt und frische Granaten in ihre Magazine verladen. Die Mannschaften der Heldenhafte Tat und des einzigen überlebenden Schiffs des Hydra-Geschwaders umschwärmten ihre Schiffe und nahmen provisorische Reparaturen vor, die es ihnen ermöglichen würden, wieder in die Schlacht zu fliegen. Niemand gab sich Illusionen darüber hin, dass diese Reparaturen anderer als zeitweiliger Natur waren jedes Schiff würde viele Monate in einem Dock zubringen müssen, bis es wieder voll diensttauglich war. Die Vae Victus hatte die Schlacht vergleichsweise unbeschadet überstanden. Ihr Rumpf war an vier Stellen durchbrochen worden, aber keiner der eingedrungenen Organismen der Tyraniden war weiter gekommen als bis zu den Außendecks, und die Instandsetzung war eine relativ einfache Angelegenheit. Nicht, dass dies ein Trost für Admiral Tiberius gewesen wäre, der geschworen hatte, die Beleidigung nicht zu vergessen, die seinem Schiff durch das Ungestüm der Mortifactors zuteil geworden war. Ein Großteil der Arbeiten an ihrem Rumpf war bereits abgeschlossen, und jenseits der Postenkette der Kanonenboote warteten bereits das Geschwader Arx Praetora und die beiden Kreuzer Yermetov und Luxor, um sie auf eine weitere Mission zu begleiten. Seit die Warnung vor der unmittelbar bevorstehenden Ankunft der Tyraniden Chordelis erreicht hatte, leerte sich der Planet beständig, und viele Hundert Schiffe verstopften die Schifffahrtsrouten rings um die Welt. Wohlhabende Bürger mit eigenen Schiffen verließen sie zuerst, dann jene, die in der Lage waren, eine Passage auf einem Schiff zu buchen. Alle mit genug Geld flohen weiter zum galaktischen Zentrum, während jene, die eine solche Reise nicht bezahlen konnten, auf kommerziellen, mit Flüchtlingen vollgestopften Schiffen flogen, die zwischen Chordelis und Tarsis Ultra pendelten. Gierige Kapitäne, die hohe Gewinnmöglichkeiten witterten, hoben ihre Preise entsprechend an, bis auch die Wohlhabenden als Habenichtse flohen. Zwar entkamen Millionen, aber Millionen mehr blieben auch zurück. Auf jedem größeren Raumhafen bildeten sich panikerfüllte Mengen, die sich in Sicherheit zu bringen versuchten. Verzweifelt darauf bedacht zu fliehen, boten Männer ewigen Dienst und Frauen sich selbst an. Manche hatten Erfolg, andere nicht, und unter
den Bewohnern von Chordelis breitete sich Furcht aus wie eine Epidemie. In Berliaas demonstrierten verzweifelte Menschen vor dem Palast des Gouverneurs und verlangten, für die Evakuierung der Bevölkerung zu sorgen. Die allgemeine Erregung stieg, und schließlich stürmten viele Tausend erboste Einwohner den Palast, um feststellen zu müssen, dass der Gouverneur bereits von Chordelis geflohen war und seine Appelle, die Ruhe zu bewahren, aus dem Raum gesendet worden waren. In Dremander eröffnete die Besatzung eines Freihändlerschiffs das Feuer auf Leute, die ihr Schiff an sich zu bringen versuchten, und töteten über siebzig, bevor sie überrannt und von der wütenden Menge in Stücke gerissen wurden. Zwei Tage nach diesem Zwischenfall starben in Jaretaq, dem größten Raumhafen des Planeten, mehr als elftausend Personen, als verängstigte Massen die Absperrungen der den Eingang bewachenden Arbites durchbrachen, auf die Landeplattformen strömten und Plätze auf der Flotte der im Abflug begriffenen Schiffe verlangten. Als der Luxuskreuzer Cherrona startete, hinderte die wütende Menge das Bodenpersonal daran, die Haltetaue zu lösen. Der Steuerbordantrieb wurde aus der Halterung gerissen, als der Kapitän das Schiff in die Abflugposition drehte. Das Triebwerk fiel und explodierte wie eine Bombe zwischen den wogenden Menschen, während das Schiff schwerfällig absackte, da die Schwerkraft zu stark für das eine verbliebene Triebwerk war. Voll beladen mit Flüchtlingen und vielen Tausend Tonnen Treibstoff, schwankte die Cherrona trunken in der Luft und rammte den nicht weit entfernten Kontrollturm, bevor sie wieder auf die Landeplattformen des Raumhafens abstürzte. Die Cherrona explodierte mit der Wucht eines OrbitalBombardements und schleuderte brennende Flammenwände und tödliche Bruchstücke in alle Richtungen, die Tausende töteten und weitere Explosionen verursachten. Die Verheerungen erfassten den gesamten Raumhafen, bis praktisch nichts mehr übrig war. Die tobenden Brände dieser schrecklichen Katastrophe waren sogar noch in der planetaren Hauptstadt Kaimes zu sehen. In ganz Chordelis spielten sich dieselben Szenen ab, während die verängstigte Bevölkerung darum kämpfte, ihre zum Untergang verurteilte Welt zu verlassen.
Auf der Kommandobrücke der Vae Victus war die Stimmung angespannt und gedämpft, da Admiral Tiberius mit seinem Schiff einen Respektsabstand von dem gewaltigen Objekt einhielt, das vor ihnen durch das All glitt und die Observationsbucht ausfüllte. Sie hatten alle von der Katastrophe auf Yulan und dem Verlust der dritten Raffinerie gehört, und Tiberius war entschlossen, diese vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. »Wie nah sind wir, Philotas?«, flüsterte Tiberius, als könne die Lautstärke seiner Stimme die Tyraniden auf ihre Anwesenheit aufmerksam machen, obwohl sie mittlerweile längst darüber Bescheid wissen mussten. Verstümmelte Berichte des Geschwaders Arx Praetora und der beiden Kreuzer, die gut dreißigtausend Kilometer vor ihnen flogen, meldeten, die Tyranidenflotte fliege in einer soliden Masse Kreaturen, die von mehreren Schwarmschiffen durchsetzt sei. Sie waren wahrscheinlich zu weit auseinander, um mehr als ein oder zwei von ihnen zu erwischen, aber selbst eins war ein Sieg. »Schwer zu sagen, Admiral«, erwiderte Philotas. »Die Sensoren werden durch das Raffinerie-Schiff gestört, aber ich würde sagen, nicht weiter als fünfzigtausend Kilometer.« »Das ist sehr knapp bemessen«, stellte Uriel fest, während er auf den Planungstisch starrte. »Als es über Barbaras zu den ersten Schusswechseln kam, war die Entfernung nicht viel geringer.« »Ich weiß, Uriel, ich weiß. Aber wir haben nur einen Versuch. Das Schicksal von Chordelis hängt von uns ab. Wir dürfen nicht scheitern.« Uriel nickte, da er entschlossen war, Chordelis nicht das grässliche Schicksal von Barbarus Primus erleiden zu lassen. Mittlerweile war von dieser Welt nicht mehr übrig als ein toter Gesteinsbrocken. Seine Bevölkerung, Fauna und Flora sowie das gesamte Öko-System waren von den monströsen Tyraniden verschlungen worden. Chordelis drohte ebenfalls die Vernichtung, aber in diesem Fall ging die Bedrohung nicht von den Tyraniden aus, sondern von den Leuten, die den Planeten eigentlich verteidigen sollten. Bei dem Gedanken an Kryptmans kalte, stählerne Logik überlief es Uriel kalt, und er wurde an das letzte Mal erinnert, als er sich dem Willen eines Inquisitors widersetzt hatte. Auf eben diesem Schiff hatte Inquisitor Ario Barzano die Vernichtung von Pavonis vorgeschlagen, um einen Wahnsinnigen daran zu hindern, sich in
den Besitz einer Waffe zu bringen, die sogar Sonnen auszulöschen vermochte. Uriel hatte Barzano überzeugen können, ihnen eine letzte Gelegenheit, zum Handeln zu geben und durch die Gnade des Imperators hatten sie Erfolg gehabt und Pavonis war das Grauen der ultimativen Vernichtung durch ein VirusBombardement erspart geblieben. Wieder war er gezwungen gewesen, jenen zu widersprechen, die er eigentlich zu seinen Verbündeten bei der Verteidigung der gewöhnlichen Männer und Frauen des Imperiums zählte. Es verwunderte ihn, dass Kryptman so gefühllos in Bezug auf das Leben von Millionen Leuten war und einen ganzen Planeten zum Tode verurteilen wollte, nur um den Feind an seiner Einnahme zu hindern. Erst vor zwei Tagen hatte Kryptman ihnen im Quartier des Kapitäns auf dem Kommandodeck der Argus seine Entscheidung verkündet, Chordelis sterben zu lassen. »Wir haben keine andere Wahl«, hatte der Inquisitor gesagt. »Jäger der Kharloss Vincennes haben die Vorhut der Tyranidenflotte von Barbarus und an Parosa und Yulan vorbei verfolgt. Die Tyraniden werden in drei, spätestens vier Tagen hier sein. Wir haben ganz einfach keine Zeit, noch mehr Leute von Chordelis zu evakuieren. Wenn wir noch länger bleiben, gefährden wir dadurch die wenigen Aktivposten auf unserer Seite, aber wofür? Wir könnten kämpfen und den Verteidigern auf Tarsis Ultra damit vielleicht einen Tag Aufschub erkaufen. Und wenn wir erst einmal besiegt sind, werden die Tyraniden Chordelis ebenso verschlingen wie Barbarus Primus und ihre Zahl mit der Biosphäre eines ganzen Planeten neuerlich erhöhen.« Kryptman schüttelte den Kopf. »Nein, es ist viel besser, wenn Chordelis durch unsere eigene Hand stirbt als durch den Großen Verschlinger. Glauben Sie mir, Exterminatus ist ein besserer, schnellerer Tod, als ihn die Tyraniden anzubieten haben.« Kryptmans Ankündigung war mit benommenem Schweigen aufgenommen worden. Admiral Bregant de Corte erbleichte und trank einen Schluck Amasec, bevor er tief Luft holte und seinen steinernen Blick rings um den Tisch wandern ließ. Seine versammelten Kapitäne sahen schockiert aus, nahmen sich aber an ihrem Admiral ein Beispiel und sagten nichts. Kapitän Gaiseric und Astador nickten zögernd. Admiral Tiberius räusperte sich, beugte sich vor, stützte die Ell-
bogen auf den glatten Tisch und legte die Hände vor sich zusammen, so dass die Fingerspitzen nach oben zeigten. »Es muss einen anderen Weg geben«, sagte er zögernd, und Uriel überkam wieder ein Gefühl des Déjà-vu, als er sich daran erinnerte, als Inquisitor Barzano zu einer ähnlichen Entscheidung gelangt war. »Admiral Tiberius hat recht«, sagte er. »Was hat es für einen Sinn, dass man uns in dieses System ruft, um es zu verteidigen, wenn unsere erste Reaktion auf den Vorstoß des Feindes darin besteht, alles in seinem Weg zu vernichten? Sollen wir in einem toten System um den Sieg kämpfen?« »Sie sehen das größere Ganze nicht, Hauptmann Ventris«, sagte Kryptman, indem er die Bedeutungslosigkeit von Uriels Rang neben seinem betonte. »Wir stehen im Krieg mit Mächten, die zu schrecklich sind, um sie zu verstehen, und manchmal muss man die kleineren Schlachten opfern, um den Krieg zu gewinnen.« »Sie sollten sich selbst hören«, schnauzte Uriel. »Sie reden davon, kleinere Schlachten zu opfern. Ist Ihnen klar, dass wir hier über eine Welt des Imperators reden, die immer noch mit Millionen Seiner Untertanen bevölkert ist, Seiner Soldaten? Ich glaube, dass Sie es sind, der den >Krieg< vergisst.« »Nein, Hauptmann Ventris«, sagte Kryptman mit Endgültigkeit. »Das tue ich nicht.« Uriel stand auf und ließ die Faust auf den Tisch krachen, so dass das Holz splitterte. »Jedes Mal, wenn diese Tyraniden in das Reich des Imperators eindringen, lassen wir uns zurückfallen. Leute wie Sie behaupten, wir können nicht gegen sie kämpfen, und das hören wir so oft, dass wir anfangen, es zu glauben. Damit ist jetzt Schluss. Ich sage, wir ziehen hier einen Schlussstrich und reden nicht mehr davon. Ich sage, diesmal bleiben wir und kämpfen.« »Hauptmann Ventris, Sie vergessen sich und Ihren Rang«, sagte Ordenspriester Astador. »Wir sind hier, um gegen die Tyraniden zu kämpfen, und wenn der gelehrte Inquisitor glaubt, dass dies der beste Weg ist, wer sind Sie, ihm zu widersprechen?« »Ich bin ein treuer Diener des Imperators und ein stolzer Sohn von Roboute Guillaume. Was ich auch einmal von Ihnen gedacht habe, und die Tatsache, dass Sie mir diese Frage überhaupt stellen, zeigt mir, wie sehr ich mich geirrt habe.« Astadors Gesicht verfinsterte sich, und seine Kiefermuskeln spannten sich vor Wut über Uriels Beleidigung. »Solange wir für eine gemeinsame Sache kämpfen, werde ich Sie Bruder nennen,
aber wenn dieser Feind besiegt ist, wird es eine Abrechnung zwischen uns geben«, versprach er. »Das begrüße ich«, sagte Uriel, während er zu seinem Platz zurückkehrte. »Sie widern mich an.« »Meine Herren«, sagte Admiral de Corte. »Dies ist kaum der rechte Zeitpunkt für derartige Diskussionen. Das Schicksal einer Imperiumswelt liegt vor uns, und es gehört sich nicht, dass wir untereinander streiten wie Orks.« »Vielen Dank, Admiral de Corte«, sagte Kryptman. »Wir vergeuden wertvolle Zeit mit diesen Diskussionen. Die Entscheidung wurde bereits getroffen.« »Lord Inquisitor«, sagte Tiberius. »Ich habe vielleicht eine andere Lösung, die Sie in Erwägung ziehen sollten. Als wir die Orbital-Raffinerien von Yulan passiert haben, habe ich mich an meinen Ravensburg erinnert.« Kryptmans Augen verengten sich, da Tiberius' Erwähnung des Retters des Gothischen Sektors, Lordadmiral Cornelius Ravensburg, seine Neugier geweckt hatte. »Fahren Sie fort...« Und Tiberius war fortgefahren und hatte die Geschichte der Vernichtung der Unverzeihlich und der Aktionen von Commodore Kurtz während der Verteidigung von Delos IV erzählt. Aufgeregtes Stimmengewirr erfüllte den Raum, als Tiberius erklärte, welche Aktionen er nach dem Passieren Yulans eingeleitet und welches Potenzial das hatte. Selbst jetzt noch, Tage später, konnte Uriel nicht glauben, mit welcher Leichtigkeit Kryptman über das Schicksal von Millionen entschieden hatte. Für den Inquisitor waren es nur Zahlen, aber für Uriel waren es lebende, atmende Menschen Untertanen des Gott-Imperators, die Schutz verdienten. Er riss sich aus seinen Überlegungen und konzentrierte sich auf die Gegenwart, als eine Sakristeiglocke zu läuten anfing und Tiberius aus seiner Kommandokanzel herabstieg, um sich an den Planungstisch zu stellen. »Alle Maschinen stopp«, befahl er. »Neue Flugrichtung nullsechs-fünf.« »Alle Maschinen stopp, aye«, bestätigte Philotas. »Ändern jetzt die Richtung.« Uriel und Tiberius schauten beide nervös, als das Bild vor ihnen nach backbord glitt. Nach der Drosselung der Energiezufuhr für die Triebwerke beschleunigten sie nicht mehr, sondern glitten nur
noch mit konstanter Geschwindigkeit durch das All. Langsam, aber sicher schrumpfte die riesige Wasserstoffplasma-Raffinerie in der Observationsbucht, und ein spürbares Gefühl der Erleichterung breitete sich auf der gesamten Brücke aus, da die Entfernung zwischen der Vae Victus und dem gefährlichen Koloss zunahm. Je kleiner die Raffinerie wurde, desto größer wurden die nebelhaften Umrisse eines vagen Halos rings um ihre Silhouette. Zuerst glaubte Uriel, es sei die Korona entfernter Sonnen, doch nachdem sie sich noch etwas weiter entfernt hatte, sah er, dass es sich tatsächlich um den äußeren Rand der Vorhut der Tyranidenflotte handelte. »Guillaumes Fluch«, hauchte Uriel, als die Größenordnung der Tyranidenflotte offensichtlich wurde. Über Barbarus Primus hatten sie tatsächlich nur gegen einen Bruchteil gekämpft. Die Observationsbucht war erfüllt von Stäubchen reflektierten Lichts, bei denen es sich nur um Organismen der Tyraniden handeln konnte, und ihre Anzahl widersetzte sich allen Versuchen, sie zu zählen. Der Schwarm schien kein Ende zu nehmen, und angesichts seiner Größe verspürte Uriel so etwas wie ein Rühren unvernünftiger Furcht in den Eingeweiden. Nicht einmal die Massen, die über Ichar IV gekämpft hatten, konnten sich mit dieser Flotte messen, und für einen kurzen Moment fragte er sich, ob Kryptman nicht vielleicht doch recht hatte. Konnten sie gegen eine derart gewaltige Horde überhaupt gewinnen? »Courage und Ehre«, sagte Tiberius, als er sah, welche Wirkung die Größe der Tyranidenflotte auf seine Mannschaft hatte. »Sie sind zahlreich, aber wir haben gesehen, dass sie sterben können, und wir wissen, dass man sie besiegen kann. Und mehr noch als das haben wir Vertrauen in den Imperator. Vertrauen Sie auf ihn und den Primarchen, und wir werden siegen.« »Das Geschwader Arx Praetora kommt in Sicht«, sagte Philotas. »Leichte Schäden an allen Schiffen, aber nichts Ernstes.« »Gut. Und die Kreuzer?« »Die Yermetov hält ihre Position auf unserer Backbordseite, und die Luxor fliegt nach vorne, um unsere schnellen Angriffskreuzer zu decken.« »Und die Tyraniden?« »Sind dicht hinter ihnen.«
Die Kreaturen, die Inquisitor Kryptman als Kraken bezeichnet hatten, trieben hinter einem Schutzschirm aus Sporen zu der gigantischen Wasserstoffplasma-Raffinerie. Als die Sporen nah genug waren, schossen sie unter Benutzung heißer Gasstrahlen vorwärts und der Raffinerie entgegen, explodierten und deckten sie mit Chitinsplittern ein. Doch sie war zu groß, und derartige Nadelstiche konnten sie kaum ankratzen. Nachdem sie entdeckt hatten, dass die Sporen wirkungslos waren, raste eine Anzahl von Kraken vorwärts, sprühte das kolossale Gefährt mit schäumendem Bioplasma ein und peitschte die oberen Pylonen mit messerscharfen Tentakeln. Sie rissen riesige Brocken Stahl und Panzerung aus den Wandungen, doch so heftig die Angriffe auch waren, sie konnten dem Gebilde kaum Schaden zufügen. Mehr Kraken überholten die Raffinerie und eilten den Begleitschiffen entgegen, insbesondere den kleineren Pfeilen des Geschwaders Ars Praetora. Unerträglich helle Lanzen aus mächtigen Energiewaffen zuckten aus den Buggeschützen der Luxor und durchbohrten zwei Kraken. Die anderen sprengten auseinander und gaben die Verfolgung der schnellen Kreuzer zu Gunsten dieser neuen, sehr viel größeren Beute auf. Die Luxor schwenkte zur Seite, als ihre Triebwerke sich mühten, das Schiff auf einen neuen Kurs zu bringen, und ihr Bug kam geschmeidig herum. Weitere Lanzen zuckten aus der Yer-metov und setzten den Tyranidenorganismen zu, während die Luxor ihre Kursänderung vollendete, bis kein Tyranidenschiff mehr nah genug war, um ihr gefährlich werden zu können. Die Kreuzer entfernten sich von den Kreaturen, die das Raffinerieschiff angriffen, dem Schwärme von Tyraniden entgegenstrebten. Sie machten daran fest, wo sie konnten, und bissen zu, lösten sich auf oder explodierten, wie ihr genetischer Zweck es ihnen vorschrieb. Binnen Minuten war das gesamte Schiff unter einer wimmelnden Masse von Kreaturen verschwunden, die alle verzweifelt darauf bedacht waren, diese Bedrohung für ihren Schwarm zu zerstören. Doch die Konstruktion der Raffinerie war derart solide, dass keine der Kreaturen den Rumpf durchdringen konnte, und kurz darauf befand sie sich tief in der Masse des Schwarms. Ein einzelnes Schwarmschiff, seinerseits größer als die Raffinerie, änderte seinen Kurs, um sie anzugreifen. Dicke Säurestrahlen trafen die Sei-
te der Raffinerie, und organische Materie verteilte sich auf anorganischer und schmolz sie, während das Schwarmschiff die Raffinerie peitschte. Riesige Fütterungstentakel schlängelten sich aus dem knorrigen Panzer des Schwarmschiffs, packten das massive Raffinerieschiff und zogen es mühelos zu einer höhlenartigen Öffnung in seinem Leib, die von vielen Tausend Mahlzähnen gesäumt wurde. Uriel und Tiberius marschierten zum Ende des Kommandoschiffs und beobachteten, wie sich das riesige Schwarmschiff daran machte, die Raffinerie zu verschlingen, von der jetzt unter der wimmelnden Masse der Tyranidenorganismen kaum noch etwas zu sehen war. Tiberius hielt vor seiner nächsten Aktion kurz inne, um den Augenblick zu genießen. Uriel sah zu, wie die Tyraniden die Raffinerie angriffen, und spürte, wie sich seine Lippen zu einem verächtlichen Grinsen verzogen. Tyraniden würden sterben, und der Gedanke bereitete ihm Freude. Vor seinem geistigen Auge sah er das schwarze Gespenst des Todes über der Tyranidenflotte schweben und verspürte eine Woge berauschender Vorfreude beim Gedanken an das riesige Ausmaß der Zerstörung, die sie jeden Augenblick entfesseln würden. Er verspürte die Macht, die aus dem Wissen erwächst, dass andere Wesen nur deswegen noch lebten, weil man sie noch nicht getötet hatte, und die Empfindung kreiste wie eine elektrische Ladung durch seinen Körper. Er ballte die Fäuste. Er spürte, wie ihn heiße Wut überkam und das Verlangen, diese Fremdwesen zu töten. Sein Kopf füllte sich mit Visionen von blutigen Schlachtfeldern, die mit den Leichen der Tyranidenbestien übersät waren. Uriel schmeckte Blut und erkannte, dass er sich auf die Zunge gebissen hatte. Der metallische Geschmack holte ihn ruckartig wieder in die Gegenwart zurück. Uriels Herzen klopften unter seinen Rippen, und auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Er holte tief Luft und spürte, wie die Reinheit der mit Weihrauch angereicherten Luft ihn wie eine reinigende Welle durchlief. »Alles in Ordnung, Uriel?«, fragte Tiberius, dem das Unbehagen des Hauptmanns auffiel. »Ja«, brachte Uriel heraus. »Alles bestens.« Tiberius nickte und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf
die Observationsbucht. »Sie haben das Ziel erfasst?«, fragte er, ohne sich umzudrehen. »Ja, Lordadmiral«, sagte Philotas, dessen Stimme Aufregung verriet. Respektvolles Schweigen senkte sich über die Brücke, als Tiberius sich umdrehte und zu seiner Kommandokanzel zurückkehrte, so dass Uriel allein vor der Observationsbucht zurückblieb. Er erklomm die Treppe und nahm seinen Platz am Kopfende der Brücke ein. Er legte die Hände beiderseits des Pults und sagte nur: »Feuer.« Die Vae Victus erbebte, als ihre Bugkanone ein hausgroßes Projektil aus ihrem blitzgeschützten Lauf abfeuerte. Das mit phänomenaler Geschwindigkeit fliegende Geschoss legte die Entfernung zwischen der Vae Victus und ihrem Ziel in weniger als einer Minute zurück. Der Zielpunkt war sehr sorgfältig ausgewählt worden: die schwächste Stelle in der Panzerung der Raffinerie, wo eine Explosion den größten Schaden in den Plasmatanks anrichten würde. Mit vielen Millionen Tonnen hochgradig explosivem Wasserstoffplasma gefüllt, war das Raffinerieschiff jetzt eine gigantische fliegende Bombe. Die Granate aus der Kanone traf mittschiffs und bohrte sich durch meterdicke Stahlwände, da ein Verzögerungszünder dafür sorgte, dass sie erst tief im Herzen des Ziels explodieren würde. Die Granate explodierte im größten aller Plasmatanks, entzündete die instabile Verbindung sofort und setzte eine Kettenreaktion wie diejenige in Gang, die bereits die dritte Raffinerie in der Umlaufbahn um Yulan zerstört hatte. Als spüre es die Gefahr, löste das Schwarmschiff seinen Griff um die Raffinerie, aber mittlerweile war es zu spät. Millionen Tonnen brennbarer Chemikalien entzündeten sich und explodierten, als wollten sie einen neuen Stern gebären. Alle Kreaturen, welche die Raffinerie angegriffen hatten, wurden eingeäschert. Der Feuerball dehnte sich in einer tödlichen Wellenfront aus und hüllte unzählige Schwarmkreaturen ein. Kraken, Drohnen und Sporen wurden in dem anfänglichen Feuerball verbrannt, und viele Tausend mehr erlitten tödliche Verwundungen durch die Erschütterungswelle, die der Explosion folgte. Das Schwarmschiff hatte Millennien damit zugebracht, die Leere
zwischen den Galaxien zu durchqueren, und seine Haut war so dick wie die Panzerung eines Raumschiffs, aber es war hilflos im Angesicht der Entfesslung von so viel Energie. Sein gesamter Rumpf verschwand im Feuerball, und seine Überreste wurden von der auf die Explosion folgenden Erschütterungswelle in seine Atome zerlegt. Im Bruchteil einer Sekunde war eine Kreatur, deren Wachstum und Entwicklung zu ihrer jetzigen Gestalt viele hundert Jahre gedauert hatte, ausgelöscht und aus der Galaxis gefegt worden, als habe sie niemals existiert. Auch am neunten Tag hintereinander brachen die Verteidiger von Tarsis Ultra in erschöpfter Resignation zusammen. Learchus beobachtete sie, und ein heftiger Stolz brannte in seiner Brust, als er sah, wie der letzte Mann in die Hocke ging und seinen Rucksack abstreifte. Er selbst war nicht einmal ins Schwitzen geraten, aber er hätte auch tagelang laufen können, ohne sich ausruhen zu müssen. Er lächelte, während er durch die Reihen der erschöpften Soldaten schritt, und war sich dabei durchaus ihrer wütenden Blicke und gemurmelten Flüche bewusst. Alle Regimenter schlugen sich gut, und ein gemeinschaftliches Gefühl der Kameradschaft hatte sich bei allen entwickelt. Dass es auf ihrem gemeinsamen Hass auf ihn beruhte, störte ihn nicht denn er wusste, dass dies eine vorübergehende Empfindung war. Solange der Feind noch weit weg war, brauchten Soldaten eine gemeinsame Zielscheibe für ihren Hass und ihre Aggression. Learchus konnte sich noch lebhaft an Ordenspriester Clausel in Agiselus erinnern und auch daran, wie sehr er ihn während der Ausbildung gehasst hatte. Clausel war jetzt ein geschätzter Freund und Mentor und hatte den Männern der Vierten Kompanie in den finsteren Zeiten ihrer langen und stolzen Geschichte großen spirituellen Trost gespendet. Major Satria ging schwankend zu Learchus. Sein Gesicht war gerötet und schweißüberströmt. »Verdammt, aber Sie bearbeiten uns hart«, keuchte er. »Die Tyraniden werden Sie noch härter bearbeiten«, sagte Learchus. »Das ist wahr«, nickte Satria, indem er sich vorbeugte, die Hände auf die Knie stützte und in tiefen Zügen kühle Luft einsog. Der Major hatte Gewicht verloren und sich seit Beginn der Ausbil-
dung von seinem silbernen Brustharnisch und der Schirmmütze getrennt, die zu tragen ihm sein Rang gestattete. Das schulterlange schwarze Haar war schweißnass, und in seinem Gang lag jetzt ein Anflug von Stolzieren. Hilfskräfte und Freiwillige aus der Bevölkerung von Erebus gingen durch die Reihen der keuchenden Soldaten und verteilten warmes Essen und Trinkwasser aus schwappenden Fässern. Die Austrocknung war unter den Soldaten zu einem ernsten Problem geworden, da viele ganz einfach ungeschmolzenen Schnee aßen, der Krankheitskeime enthalten und die Körpertemperatur gefährlich absenken konnte. Learchus hatte außerdem den Genuss von Amasec, Kaffein und Lho-Stäbchen untersagt und die entsprechenden Zuteilungen an die Soldaten gestrichen. All diese Laster machten Soldaten empfänglicher für Austrocknung, und obwohl die Maßnahme bei ihrer Ankündigung beinahe eine Meuterei ausgelöst hätte, wusste Learchus, dass sich seine Entscheidung langsam auszahlte, da die Anzahl der gemeldeten Fälle von Austrocknung erheblich gesunken war. Fälle von Fußfäule waren bei den Soldaten zu Beginn der Ausbildung mit ihren dicken Gummistiefeln an der Tagesordnung gewesen, da diese die Nässe ihres Schweißes konservierten und das Wachstum von Pilzen förderten. Mit Zustimmung des LogresRegiments waren die Fabriken von Erebus dazu übergegangen, Kopien ihrer Stiefel herzustellen, und nach wenigen Tagen bekam jede Kompanie einige Dutzend Paar Socken, ein Pulver gegen Fußpilz und brandneue Stiefel, die den Füßen das Atmen gestatteten. Learchus hatte die Tüchtigkeit von Sebastien Montante bewundert, des Fabrikator-Marschalls von Erebus. Nach ihrer ersten Begegnung hatte er ihn für einen hohlen Schwachkopf gehalten. Er war zwar kein Soldat, aber sein Organisationstalent suchte seinesgleichen, und praktisch jedem von Learchus' Ersuchen um Ausrüstung oder Vorräte war binnen Stunden nachgekommen worden. Montante erwies sich als wertvoller Verbündeter, doch das konnte man nicht von allen Mitgliedern des Industrierats behaupten, die bei der Verwaltung von Erebus halfen. Erst vor drei Tagen hatte sich Learchus mit den neun Mitgliedern des Rats im Mosaiksaal getroffen und seine Pläne für die Verteidigung der in-
neren Bereiche des Tals skizziert. Er erinnerte sich wieder an die Schande, angesichts ihrer Dummheit die Beherrschung verloren zu haben. Der Dummheit vor allem eines Mitglieds. Simon van Gelder. Der Mann, den Learchus daran gehindert hatte, die Stadt zu verlassen, trug die Last seiner Demütigung um den Hals und war entschlossen, es Learchus mit gleicher Münze heimzuzahlen. »Wir können einfach nicht zulassen, dass Sergeant Learchus die Gebäude zwischen den Wällen demoliert«, sagte van Gelder und trank einen Schluck Wein. »Du meine Güte, wenn diese Bestien erst einmal zurückgeschlagen sind, werden wir alle arme Schlucker sein, die Herren über eine Ruinenstadt, und können nur Trümmer und Schutt unser Eigen nennen.« »Wenn Sie sie nicht zerstören, werden Sie überhaupt keine Stadt mehr haben«, erklärte Learchus. »Die vielen Jahre des Friedens, die wir genießen durften, haben uns selbstzufrieden gemacht«, warf Montante mit einer Geste auf die Wände ringsumher ein. »Sehen Sie sich das Mosaik hier an. Daraus geht eindeutig hervor, dass wir bei unseren Bauprogrammen zu unbesonnen vorgegangen sind. Die ursprünglichen Stadtpläne, die von Roboute Guillaume persönlich entworfen wurden, zeigen uns, dass in diesem Gebiet gar keine Gebäude stehen dürften.« »Pah«, schnauzte van Gelder mit einer verächtlichen Handbewegung. »Ein verblichenes, viele Tausend Jahre altes Mosaik ist keine Basis, um uns in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben, Sebastien. Was machen wir, wenn unsere tapferen Verteidiger die Tyraniden besiegen? Wie sollen wir ohne Manufakturen Waren herstellen?« »Simon, wir können sie wiederaufbauen«, sagte Montante. »Aber dazu müssen wir am Leben sein. Bitte hören Sie auf Sergeant Learchus.« »Viele der Gebäude, die Ihnen gehören, stehen zu nah an den Wällen, Herr van Gelder. Wenn wir gezwungen sind, uns von einem Wall zurückzuziehen, oder wenn die Tyraniden einen erobern, geben wir ihnen damit wertvolle Deckung, in deren Schutz sie sich anschleichen können.« »Sie meinen die Gegend rings um den Bezirk Quintus? Die ist über dreißig Kilometer von der Taleinmündung entfernt. Wollen Sie mir etwa erzählen, Sie rechnen damit, dass diese verdam-
menswerten Bestien so weit in unsere schöne Stadt eindringen könnten? Verzeihen Sie mir, aber ich hatte die Ultramarines für Krieger von großer Kraft und Mut gehalten, doch anscheinend hat man mich falsch informiert.« Learchus sprang auf, packte van Gelder an seinen Gewändern, zog ihn über den Tisch und fauchte ihm die nächsten Worte ins Gesicht. Wein spritzte über den Tisch, und ein Weinkelch zersplitterte auf dem Steinboden. »Sie wagen es, unsere Ehre zu beleidigen? Sie sollten sich Ihre nächsten Worte besser gut überlegen, van Gelder, denn sollten Sie noch einmal so eine Beleidigung aussprechen, töte ich Sie.« Der Rat saß benommen da, während Learchus darum kämpfte, seine Wut zu bezähmen. Niemand wollte zu Gunsten ihres Kollegen intervenieren aus Angst, die Wut des Space Marines dadurch auf sich zu lenken. Die einzigen Geräusche waren van Gelders panikerfülltes Atmen und das Tropfen des vom Tisch auf den Boden rieselnden Weins. Sebastien Montante erhob sich langsam und legte Learchus eine Hand auf den Unterarm. »Sergeant Learchus«, sagte er leise. »Ich bin sicher, Herr van Gelder wollte Ihnen nicht zu nahe treten, nicht wahr, Simon?« Van Gelder schüttelte eiligst den Kopf. »Sehen Sie?«, fuhr Montante fort. »Er hat unbedacht gesprochen, im Eifer des Gefechts. Bitte, Learchus, wenn Sie so nett wären, Herrn van Gelder wieder abzusetzen?« Learchus ließ zischend die Luft entweichen und van Gelder dann los, der mit einem kläglichen Ächzen zurück auf seine Bank sank. Sein Gesicht war aschfahl, obwohl es nur Sekunden dauerte, bis sein Ärger wieder an die Oberfläche drängte. Montante sah es kommen und kam ihm zuvor. »Simon, bevor Sie etwas sagen, ich bin der Meinung, dass wir für heute am Ende angelangt sind und uns auf morgen Früh vertagen sollten. Einverstanden?« Ein eiliges Nicken aller Anwesenden signalisierte die Zustimmung des Rats, und nach einer angespannten Pause hatte van Gelder ebenfalls genickt und den Mosaiksaal ohne ein weiteres Wort verlassen. In der Sitzung des folgenden Tages hatte van Gelder durch Abwesenheit geglänzt, und ein per Eilboten zu seinem Haus im oberen Tal gesandtes Schreiben, das ihn neuerlich zu dieser Bespre-
chung einlud, kam ungeöffnet zurück. Eine Abstimmung über die Frage des Abrisses seiner Besitzungen folgte, und der Rat unterstützte einstimmig Learchus' Plan. Die Erinnerung an den Verlust seiner Beherrschung beschämte Learchus, und er hatte seitdem jede Nacht in bußfertigem Gebet verbracht. »Wie geht die Arbeit im unteren Tal voran?«, fragte Learchus, als Satria dankbar einen Becher Wasser von einem berobten Helfer entgegennahm und es trank wie süßen Wein. »Mit dem Gebiet zwischen den ersten beiden Wällen sind wir fast fertig, aber es geht langsam voran. Der Boden ist hart gefroren, und es dauert eine Ewigkeit, ihn aufzubrechen, selbst mit Hilfe von Baumaschinen.« »Die Gräben müssen in den nächsten beiden Wochen fertig werden. Bis dahin werden die Tyraniden den Planeten erreicht haben.« »Das werden sie auch, keine Sorge. Die Männer geben wirklich alles, das kann ich Ihnen versichern.« »Gut. Sie gereichen Ihnen zur Ehre, Major Satria.« »Vielen Dank, obwohl Sie das ihnen sagen sollten.« »Das liegt durchaus in meiner Absicht., wenn sie mich mehr hassen als ihren schlimmsten Albtraum.« »Glauben Sie mir, meiner Ansicht nach hassen sie Sie bereits mehr als das«, sagte Satria. »Die Tatsache, dass Sie ihnen bei diesen Übungen so überlegen sind, bringt sie ziemlich in Wut. Ich glaube, sie haben das Gefühl, dass Sie angeben.« »Sie täuschen sich nicht. Ich gebe an, wenn ich mich an den Übungen beteilige«, sagte Learchus. »Sie sollen wissen, dass ich ihnen überlegen bin, denn wenn die Zeit kommt, sie aufzubauen, müssen sie das Gefühl haben, dass mein Lob wirklich etwas bedeutet. Ich werde ihnen das Gefühl geben, dass sie Helden sind, und in ihnen den Glauben wecken, dass sie die besten Krieger in der ganzen Galaxis sind.« »Sie sind ein ganz Hinterhältiger, was?«, sagte Satria schließlich. »Ich habe meine Sternstunden«, lächelte Learchus. Die kleine Flotte von Imperiumsschiffen kehrte mit Höchstgeschwindigkeit nach Chordelis zurück, wobei die schnellen Angriffskreuzer des Geschwaders Arx Praetora die Spitze bildeten
und die Vae Victus, die Yermetov und die Luxor dicht dahinter folgten. Die Stimmung an Bord der Schiffe war vorsichtig optimistisch. Wenn noch ein weiteres Schwarmschiff auf ähnliche Weise zerstört werden konnte, würden sie dann nicht mit den orbitalen Geschützplattformen im Verein mit der Flotte die Tyranidenflotte in Schach halten und die Bestien vielleicht sogar daran hindern können, überhaupt eine Klaue auf den Boden von Tarsis Ultra zu setzen? Auf der Brücke der Vae Victus trank Admiral Tiberius einen Schluck Wasser und diskutierte die vor ihnen liegenden taktischen Möglichkeiten mit Uriel. »Wir können diese verdammten Tyraniden vielleicht so weit bringen, dass sie noch bedauern, diesen Weg genommen zu haben, Uriel«, sagte er. »Vielleicht«, gab ihm der Hauptmann der Vierten Kompanie recht. »Tarsis Ultra ist gut verteidigt, und die letzte Raffinerie dürfte in diesem Augenblick mit tödlichem Sprengstoff vermint werden.« »Wenn wir noch ein Schwarmschiff vernichten können, beschließt das Schwarmbewusstsein vielleicht, einen Bogen um Chordelis zu machen.« »Und das wäre ein Sieg in mehr als einer Hinsicht«, sagte Uriel düster. »Seien Sie vorsichtig, Uriel«, warnte Tiberius. »Kryptman sollte man sich nicht zum Feind machen, er gebietet über die Macht der Inquisition. Ohne ihn wäre Macragge vielleicht der Schwarmflotte Behemoth zum Opfer gefallen.« »Sind Sie ihm während des Kriegs je begegnet?« »Aye«, nickte Tiberius. »Damals war er noch jung und vom Feuer eines Inquisitors erfüllt, der seine wahre Berufung gefunden hat.« »Hat er sich je für die Zerstörung von Macragge ausgesprochen?« Tiberius lachte. »Nein, Uriel, das hat er nicht. Ich glaube, nicht einmal ein Inquisitor Kryptman in seiner damaligen Verfassung hätte es gewagt, so einen Gedanken laut auszusprechen. Lord Calgar hätte das niemals zugelassen.« »Glauben Sie, Lord Calgar würde die Zerstörung von Chordelis zugelassen haben?« Tiberius rieb sich mit der Hand über den Schädel und dachte nach, bevor er antwortete. »Das weiß ich nicht, Uriel. Unser Or-
densmeister ist ein Mann von großer Weisheit und tiefem Mitgefühl, aber er ist auch ein Stratege, und ich glaube, dass Sie und ich vielleicht zu sehr der Vorstellung anhängen, so vielen zu dienen, wie wir können. Der Lord Inquisitor hatte außerdem recht, als er sagte, dass man manchmal eine Schlacht verlieren muss, um den Krieg zu gewinnen.« »Damit kann ich mich nicht abfinden«, sagte Uriel. »Die Vernichtung der treuen Anhänger des Imperators kann nicht richtig sein.« »Wir können nicht immer tun, was richtig ist, Uriel. Oft gibt es eine tiefe Kluft dazwischen, wie etwas ist, und wie es unserer Meinung nach sein sollte. Manchmal müssen wir lernen, uns mit den Dingen abzufinden, die wir nicht ändern können.« »Nein, Lordadmiral, ich glaube, wir müssen uns bemühen, die Dinge zu ändern, mit denen wir uns nicht abfinden können. Ein großer Krieger zeichnet sich dadurch aus, dass er sich gegen das wendet, was er für falsch hält. Der Primarch hat selbst gesagt, wenn ein Krieger Frieden mit seiner Angst schließt und sich ihr entgegenstemmt, wird er ein wahrer Held. Denn wenn man sich vor nichts fürchtet, worin liegt dann die Courage, sich ihm entgegenzustemmen?« »Sie sind ein Idealist, Uriel, und die Galaxis kann ein grausamer Ort für Leute wie Sie sein«, sagte Tiberius. »Aber ich wünschte dennoch, es würden mehr so denken wie Sie. Sie sind ein großer Krieger, der seinen Feinden einen raschen Tod bringen kann, aber Sie haben nie aus den Augen verloren, warum Sie kämpfen: das Überleben der menschlichen Rasse.« Uriel neigte den Kopf vor dem ehrwürdigen Admiral und freute sich über das Kompliment. Seine Hand schloss sich um seinen Schwertknauf, als Philotas sich mit einer Datentafel in der Hand näherte. Seine eckigen Züge blickten ernst. Tiberius nahm die Tafel und überflog sie rasch. Ihm fiel die Kinnlade runter vor Grauen und Ungläubigkeit. »Öffnen Sie die Observationsbucht, sofort!«, schnauzte er. »Maximale Vergrößerung.« Die Messingjalousien vor der Bucht im vorderen Teil der Brücke falteten sich rasch zusammen, während Tiberius zum Planungstisch hinunterging und die taktischen Karten der Umgebung auflief. Er murmelte vor sich hin, und seiner pulsierenden Schläfenader entnahm er, dass er sich einem Zustand der Weißglut näher-
te. Er hatte Tiberius noch nie zuvor so ergrimmt erlebt. »Admiral, was ist denn?«, fragte er. Tiberius reichte Uriel die Datentafel, als die Jalousien vor der Observationsbucht endlich hochgefahren waren. Er las die Worte, während das, was sie besagten, in der Observationsbucht dargestellt wurde. Selbst bei maximaler Vergrößerung füllte der Planet vor ihnen kaum die Observationsbucht aus. Reflektiertes Licht von der fernen Sonne fiel auf eine bebende, feurige Oberfläche. Feuerstürme tobten über dem toten Planeten, da ihn entzündliche Gase der in den Meeren verwesenden organischen Materie einhüllten, und verbrannten die Oberfläche zu nacktem, leblosem Fels. Die Tyraniden selbst hätten ihre Sache nicht besser machen können. »Imperator, nein...«, hauchte Uriel, während die Datentafel seinen Händen entglitt. »Wie?« »Die Mortifactors«, sagte Tiberius traurig. »Kryptman hat uns belogen. Er hatte nie die Absicht, sich hier zum Kampf zu stellen.« Uriel schwieg, während der Planet Chordelis verbrannte.
PHASE III Angriff ACHT Das Quartier von Hauptmann Uriel Ventris war spartanisch und sauber, wie es sich für den Anführer der Vierten Kompanie der Ultramarines gehörte. Eine schlichtes Feldbett mit einem einzigen Leinenlaken stand in einer Ecke der Zelle unter dem Familienwappen der Ventris. Daneben stand ein dünnbeiniger Tisch mit einem mit Wein gefüllten Tonkrug und zwei Silberpokalen darauf. Verschiedene Speicherkristalle lagen in ordentlichen Haufen neben dem Krug, und am Fußende des Bettes lag eine waffenmetallgraue Truhe mit einfachen blauen Gewändern und Übungskleidung. Uriel goss sich eine großzügig bemessene Menge Wein aus dem
Krug ein und setzte sich auf die Bettkante, während er die rote Flüssigkeit in dem Pokal schwenkte. Er legte den Kopf in den Nacken und trank den Wein in einem einzigen langen Schluck. Der starke Geschmack ließ ihn das Gesicht verziehen, da er den Anblick der brennenden Welt in der Observationsbucht wieder vor Augen hatte. Er fragte sich, wie viele Leute sich wohl noch auf Chordelis befunden hatten, als die Virusbomben gefallen waren. Wie viele Hunderttausende hatte Kryptman im Namen des Krieges und für das größere Ganze geopfert? Der Gedanke erfüllte ihn mit Trauer, und er goss sich noch einen Pokal ein und hob ihn in stillem Gedenken an die Toten von Chordelis. Er stürzte den Wein hinunter und schenkte nach, da es ihn plötzlich nach dem Vergessen gelüstete, das Alkohol bringen konnte. Es war ihm gelungen, Inquisitor Barzano daran zu hindern, Pavonis zu vernichten, aber Chordelis hatte er nicht gerettet, und die Last dieses Scheiterns war jetzt ein dunkler Fleck auf seiner Seele. Hatten die Leute überhaupt gewusst, was vorging, als die ersten Bomben in der Atmosphäre explodiert waren? Der Lebensesser-Virus wirkte rasch und war absolut tödlich. Vielleicht hatten einige noch eine Ahnung gehabt, was ihrer Welt angetan wurde, aber die meisten waren vermutlich gestorben, ohne zu erkennen, welcher Verrat an ihnen geübt worden war. Die Atmosphäre würde mit erbgutschädigenden Giften durchsetzt sein, die den biologischen Klebstoff angriffen, der organische Materie zusammenhielt, und diese mit erschreckender Schnelligkeit zersetzen. Binnen Stunden war nichts mehr am Leben, und der Virus würde gezwungen sein, sich in einem gedankenlosen Akt des viralen Eigenkannibalismus gegen sich selbst zu wenden. Die Planetenoberfläche würde von einer dicken Schicht verwestem Schlamm bedeckt und in riesige Wolken von Giftmüll gehüllt sein. Es bedurfte nur eines einzigen Schusses aus der Umlaufbahn, um die Dämpfe zu entzünden, und Feuerstürme von apokalyptischem Ausmaß würden die gesamte Planetenoberfläche kahl fegen. Uriel hatte das Grauen von Exterminatus erlebt und sogar schon einmal an einer Expedition teilgenommen mit dem Ziel, diese ultimative Strafe zu verhängen, und zwar gegen einen dem Chaos anheimgefallenen Planeten, dessen Bevölkerung entartet war und ihren finsteren Göttern Menschenopfer darbrachte. Unter gewissen Umständen waren solche Zerstörungen angemessen, sogar
notwendig, aber dieser Akt des Mordens stieß Uriel bitter auf, und er brachte es einfach nicht über sich zu verzeihen, was Kryptman und die Mortifactors getan hatten. Seine Gedanken waren von Widersprüchen und Zweifeln erfüllt, während er über die Konsequenzen der Geschehnisse auf Chordelis nachdachte. Mit der Ausführung von Admiral Tiberius' Plan hatten sie Initiative an den Tag gelegt und mit einer originellen Idee auf die Entwicklung reagiert. Sie hatten sich nicht auf den Codex Astartes berufen, und so sehr es ihn auch schmerzte, es zuzugeben, die Mortifactors waren der korrekten Verfahrensweise näher, wie sie im heiligen Buch dargelegt war. Was sagte ihm das sonst noch? Es klopfte an die Tür, und Uriel sagte: »Herein.« Die Tür öffnete sich, und Pasanius stand im Eingang und füllte ihn mit seiner Körpermasse vollständig aus. Er trug seine Andachtsgewänder. Seine Rüstung wurde - wie Uriels in der Kompanieschmiede drei Decks tiefer repariert. Das Silber seines künstlichen Arms reflektierte das flackernde Kerzenlicht im Korridor draußen. »Ich habe ein Problem, Hauptmann«, begann Pasanius. »Ich habe einen Krug Wein, und wenn ich eines weiß, dann, dass es nicht gut ist, allein zu trinken. Können Sie mir dabei helfen, ihn zu leeren?« Uriel gelang ein schwaches Lächeln. Er bedeutete Pasanius einzutreten. Es gab keine Sitzgelegenheit, also hockte Pasanius sich auf den Boden und lehnte den Rücken an die Wand. Uriel reichte ihm zwei Pokale, und er füllte sie mit Wein. Pasanius gab Uriel einen zurück und hob den anderen an die Nase. Er schloss die Augen und roch das schwere Bukett wilder Beeren und schwarzer Johannisbeeren mit einer feinen Note von alter Eiche. »Das ist der gute Wein«, sagte Pasanius. »Auf Tarentus abgefüllt im Jahre siebenhundertdreiundachtzig, das, wie ich zuverlässig informiert wurde, ein gutes Jahr für die Weinreben auf den Südhängen des Hügels der Roten Blüten war.« Uriel kostete den Wein und nickte anerkennend, und die beiden versanken in ein geselliges Schweigen, da jeder in eigene Gedanken versunken war. Schließlich sagte Pasanius: »Willst du mir jetzt erzählen, was dich bedrückt, oder muss ich warten, bis du betrunken bist?« »Ich war seit Agiselus nicht mehr betrunken, weißt du noch?«,
sagte Uriel. Pasanius lachte. »Aye, Ordenspriester Clausel hat uns in den Bergen ausgesetzt und uns drei Tage dort gelassen.« »Der Imperator möge mir verzeihen, aber damals war er ein ganz harter Hund.« »Das ist er immer noch, nur ist er jetzt auf unserer Seite.« »Clausel würde dir einen Fastenmonat aufbrummen, wenn er das gehört hätte.« »Vielleicht, aber ich weiß, dass du es ihm nicht sagen wirst.« »Das stimmt wohl«, sagte Uriel und trank noch einen Schluck. Der Wein würde keinen von ihnen beiden auch nur annähernd betrunken machen, was am Preomnor lag, einem implantierten Magen zur Vorverdauung, der praktisch alle Gifte analysierte und neutralisierte, darunter auch Alkohol. Nichtsdestoweniger genossen die beiden Freunde den Geschmack eines guten Weines. »Ich hatte Zweifel, Pasanius«, sagte Uriel schließlich. »In welcher Hinsicht?« »In vielerlei Hinsicht«, sagte Uriel. »Ich habe über Hauptmann Idaeus nachgedacht und darüber, was er mich über das Nachdenken über die Grenzen des Codex hinaus gelehrt hat. Damals konnte ich den Sprung zu mehr Initiative nicht machen, der nötig gewesen wäre, um zu glauben, was er sagte, aber je mehr wir zusammen gekämpft haben, desto mehr sah ich seine Worte in die Praxis umgesetzt.« »Aye, Idaeus war ein ganz Wilder«, stimmte Pasanius zu. »Aber auch clever. Er wusste, wann er die Regeln beugen musste und wann nicht.« »Das ist das Problem, Pasanius. Ich weiß nicht, ob ich kann, was er konnte... ob ich verstehen kann, wann ich dem Codex folgen und wann ich querdenken muss.« »Du machst deine Sache gut. Die Männer der Kompanie vertrauen dir und würden dir ins Feuer der Hölle folgen. Reicht das nicht?« »Nein, Pasanius, nicht einmal ansatzweise. Ich dachte, Hauptmann Idaeus hätte recht, aber jetzt sehe ich die Mortifactors und frage mich, wohin seine Art zu denken führt. Wenn wir seinen Überzeugungen zu ihren logischen Konsequenzen folgen, enden wir dann wie sie?« »Nein, natürlich nicht. Ordenspriester Astador hat es selbst gesagt: Er und sein Orden sind das Produkt ihrer Heimatwelt. Er hat
mir alles über Posul erzählt, und wenn du mich fragst, hört es sich an wie eine Vision der Hölle. Ständig in Dunkelheit gehüllt, und die Stämme bekämpfen sich, um einander auszulöschen, damit sie beweisen können, dass sie die brutalsten sind und dazu auserwählt werden, Space Marines und Mortifactors zu werden. So eine Kultur entwickelt zwangsläufig eine Verachtung für das Leben, und das hätten wir in dem Augenblick erkennen müssen, als sie sich auf Kryptmans Seite gestellt haben.« »Aber das haben wir nicht.« »Nein«, sagte Pasanius achselzuckend. »Hinterher ist man immer sehr viel schlauer.« »Ich weiß, aber sieh dir an, was mit Chordelis passiert ist. Wir haben gegen den Codex Astartes verstoßen, um diese Raffinerie in den Schwarm zu schicken, die Mortifactors haben die Anweisung des Inquisitors befolgt, und eine Imperiumswelt ist gestorben. Aber ich weiß, dass wir moralisch gesehen das Richtige getan und versucht haben, Chordelis zu retten, trotz der Logik von Kryptmans Argumenten.« Uriel knallte seinen Pokal auf den Tisch, so dass Wein über seine Speicherkristalle und Bettlaken spritzte. »Ich komme mir vor wie ein Blinder, der den Weg vor sich nicht einmal ertasten kann.« »Tja, niemand hat je behauptet, der Dienst am Imperator sei leicht«, sagte Pasanius, indem er Wein nachschenkte. Lord Inquisitor Kryptman sah durch die Hauptobservationsbucht der zentralen Basilica zu, wie die Vae Victus am Nordpier der Sternenfestung festmachte, und verspürte eine Woge unvertrauter Erregung durch seine Adern schießen. Er trug die offiziellen Gewänder eines Inquisitors des Ordo Xenos und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Hauptmann Ventris würde mittlerweile wissen, dass er ihn in Bezug auf seine Bereitschaft, Chordelis überleben zu lassen, belogen hatte, aber Zurechtweisungen und Vorwürfe hatten jetzt keinen Sinn mehr. Die Tyraniden mussten mit allen erforderlichen Mitteln besiegt werden. Admiral Tiberius würde das verstehen, aber Ventris war ein Protege von Hauptmann Idaeus, einem Hauptmann, den er nach dem Sieg über die Schwarmflotte Behemoth kennengelernt hatte. Er würde sich vor Ventris' puritanischem Zorn hüten müssen. Zum Glück hatte er genügend Macht, um zu gewährleisten, dass
Ventris nicht aus der Reihe tanzen würde. Die blau-weiße Wölbung von Tarsis Ultra leuchtete im unteren Teil der Observationsbucht. Dutzende System-und Panzerschiffe hingen im Orbit um den Planeten. Eine beachtliche Streitmacht war hier aufgeboten, und die Demonstration der Ultramarines, was für wirkungsvolle Waffen die Raffinerien als fliegende Bomben sein konnten, war nicht unbemerkt geblieben. Die letzte Raffinerie hing in einer hohen Umlaufbahn, und eine Flotte mit Servitoren bemannter Schlepper war bereit, sie ins Herz der Tyranidenflotte zu manövrieren und feurige Zerstörung zu entfesseln. Der Inquisitor humpelte zu seinem wuchtigen Schreibtisch aus Nalholz und setzte sich dahinter. Das Möbel war vor vielen Hundert Jahren für seinen Mentor in Auftrag gegeben worden, auf einer Welt, an deren Namen er sich gerade nicht erinnern konnte, und zeugte von beeindruckender Handwerkskunst. Es wirkte immer einschüchternd auf jene, die vor ihn traten nicht dass er glaubte, ein Space Marine ließe sich durch einen Schreibtisch einschüchtern -, aber es gab ihm ein Gefühl für die ihm gebührende Stellung, wenn er dahinter saß. Er wusste, dass die Ultramarines jetzt bereits auf den Weg in seine Gemächer sein würden. Kryptman schaltete das Mikrofon in seinem Kragen ein und sagte: »Hauptmann Bannon, könnten Sie und Ordenspriester Astador zu mir hereinkommen?« Uriel marschierte an verängstigt aussehenden Matrosen und Techs vorbei, da er mit Tiberius und Pasanius unterwegs zur Basilica der Sternenfestung war. Die Raumstation im Orbit von Tarsis Ultra war eine gewaltige Konstruktion, unglaublich alt und zusammen mit den anderen in der Kette stark genug, ein Schlachtschiff samt Eskorte zu besiegen, und trotz seines Zorn konnte Uriel erkennen, dass sie mächtige Waffen im Kampf gegen die Tyraniden darstellten. Als sie sich der Sternenfestung näherten, hatte er die riesige Struktur der letzten Raffinerie viele Tausend Kilometer vom nächsten Schiff entfernt vor Anker gesehen, wie sie von ferngesteuerten Schiffen mit noch mehr Sprengstoff vollgeladen wurde. Ein weiterer Beweis dafür, dass Kryptman niemals die Absicht gehabt hatte, Chordelis zu retten. Das Trio marschierte durch den nördlichen Quadranten der
Sternenfestung und betrat die zentrale Basilica, wo Inquisitor Kryptman wartete. Ein schwarz uniformierter Posten führte sie zu den Gemächern, die der Inquisitor requiriert hatte, und als sie sich der Tür näherten, hielt Admiral Tiberius Uriel am Arm fest und sagte: »Denken Sie daran, Uriel. Kryptman ist kein Mann, mit dem man sich anlegen sollte, also achten Sie auf Ihre Worte.« »Das werde ich«, versprach Uriel, dann klopfte er mit seinem Panzerhandschuh an die Tür und öffnete sie dann, ohne eine Antwort abzuwarten. Tiberius nickte Pasanius zu, der seinem Hauptmann eiligst folgte. Uriel blieb stehen, als er Kryptman hinter einem hässlichen Schreibtisch aus einem dunklen Holz sitzen sah. Zwei Space Marines flankierten ihn. Er erkannte Astador und hielt den anderen zunächst für einen Mortifactor, bis er das silberne Inquisitionssymbol auf dem linken Schulterschützer sah. Das Gelb des Ordens der Imperial Fists auf seiner anderen Schulter stand in krassem Gegensatz zum Mitternachtsschwarz der Rüstung. Seine Haut war stark gebräunt und das Haar kurz und blond. »Ah, Hauptmann Ventris«, sagte Kryptman. »Gestatten Sie mir, Ihnen Hauptmann Bannon von der Deathwatch vorzustellen.« »Deathwatch...«, hauchte Uriel. Der militärische Arm des Ordo Xenos, die Elitekämpfer gegen Nichtmenschen, wo er selbst ein Jahrzehnt gedient hatte. Kryptman hatte gesagt, er habe einen Exterminatortrupp angefordert, doch Uriel hatte nicht damit gerechnet, dass sie noch rechtzeitig für den bevorstehenden Konflikt eintreffen würden. Die Mitglieder der Deathwatch wurden aus den besten Kriegern eines Ordens ausgewählt, um eine gewisse Zeit beim Ordo Xenos Dienst zu tun und in der gesamten Galaxis gegen die Bedrohung durch Fremdwesen zu kämpfen. Niemand war für den bevorstehenden Kampf besser qualifiziert als die Deathwatch, und der Anblick des stilisierten Schädel-Symbols auf Bannons Schulterschützer erfüllte Uriel sofort mit neuer Hoffnung. Er marschierte zu dem geschmacklosen Schreibtisch, beugte sich vor, stützte die Hände auf die Schreibtischplatte und sagte: »Sie haben uns angelogen.« »Sie haben sich anlügen lassen, Uriel«, sagte Kryptman. »Haben Sie mich wirklich für jemanden gehalten, der aus einer Laune heraus seine Pläne ändert?«
»Nein, aber ich hatte Sie für einen Mann gehalten, der zu seinem Wort steht. Was ich über Sie erfahren hatte, gab mir Grund zu der Annahme, Sie seien ein Mann von Ehre.« »Dann sind Sie in der Tat naiv«, sagte Kryptman. »Ich bin ein Mann, der dafür sorgt, dass eine Aufgabe erledigt wird.« »Auch wenn das die Ermordung Unschuldiger einschließt?« »Wenn es sich als nötig erweist, dann ja.« »Ich weiß nicht, wen ich im Moment mehr hasse. Die Tyraniden ermorden einander nicht für den Sieg.« »Noch nicht«, antwortete Kryptman mit einem listigen Lächeln. »Sie täten gut daran, auf Ihren Ton zu achten, Hauptmann Ventris«, sagte Astador, indem er hinter dem Schreibtisch hervortrat und sich vor Uriel aufbaute. »Ihr Orden verdankt diesem Mann seine Existenz.« »Gehen Sie weg von mir, Astador«, warnte Uriel. »Sie werden Ihre Stellung berücksichtigen, Hauptmann Ventris«, sagte Astador. »Wir alle haben in diesem Krieg eine Rolle zu spielen. Sie müssen sich mit Ihrer ebenso abfinden wie ich mich mit meiner.« Uriel spürte, wie seine Wut Astador gegenüber aufflackerte, und bevor er wusste, was er eigentlich tat, hämmerte er dem Ordenspriester eine krachende Rechte ans Kinn. Astador taumelte rückwärts und prallte gegen die Wand, doch bevor Uriel das Überraschungsmoment seines Angriffs ausnutzen konnte, spürte er einen starken Griff um den Hals und das Kribbeln sengender Hitze auf der Haut unter dem Kinn. »Wenn Sie auch nur eine Bewegung machen, ramme ich ihnen dieses Energiemesser durch den Rachen und ins Gehirn«, sagte Hauptmann Bannon. Astador sprang mit einem Todesfunkeln in den Augen auf, und in ihnen konnte er den wilden Stammeskrieger wiedererkennen, der er auf Posul gewesen war. Doch bevor er sich bewegen konnte, war Pasanius da und legte dem Mortifactor eine starke Hand um den Hals. Er hielt den sich wehrenden Ordenspriester der Mortifactors in eisernem Griff. »Nicht«, sagte er. »Hören Sie jetzt alle sofort mit diesem Wahnsinn auf!«, bellte Tiberius und trat in die Raummitte. Er starrte Bannon an und sagte: »Nehmen Sie das Messer von der Kehle meines Hauptmanns«, bevor er sich an Pasanius wandte. »Sergeant, lassen Sie Ordenspriester Astador los und entfernen
Sie sich von ihm.« Pasanius warf einen Blick auf Uriel, der wegen der leuchtenden bernsteinfarbenen Klinge an seinem Hals mit unmerklicher Kopfbewegung nickte, und ließ den Mortifactor los. Astadors Augen versprühten Wut, doch er wurde nicht aggressiv, und Pasanius wich zurück, wobei er die Verheißung neuer Gewalt ausstrahlte, sollte der Ordenspriester irgendetwas versuchen. Bannon nahm das Messer von Uriels Hals und sagte: »Ich habe von Ihnen gehört, Hauptmann Ventris, und großen Respekt vor Ihren Leistungen in der Vergangenheit, aber wir müssen in dieser gemeinsamen Sache einig sein. Es ziemt sich nicht für uns, untereinander zu streiten, wo wir es mit einem schrecklichen Feind zu tun haben, der uns alle vernichten will.« Uriel nickte und rieb sich unbewusst den Hals, wo die brennende Klinge von Bannons Energiemesser seine Haut versengt hatte. »Hauptmann Bannon hat recht«, sagte Tiberius. »Wir sind alle Diener des göttlichen Imperators und müssen uns entsprechend verhalten. Wir sind keine Tiere oder Gotteslästerer, die sich aller Codizes moralischen Verhaltens entledigt haben. Zwischen uns darf es keine Gewalt mehr geben.« Die Spannung in dem Raum ebbte langsam ab, und Bannon bot Uriel die Hand an. Uriel holte einmal tief Luft, um sich zu beruhigen, bevor er Bannons Hand ergriff, während er spürte, wie ihn die Mordlust verließ und verletzlich und beschämt zurückließ. Tief in sich spürte er die Berührung eines uralten Wesens und hörte dessen diabolisches Gelächter in seiner Seele widerhallen. »Kommen Sie«, sagte Kryptman, als er spürte, dass seine Besucher sich beruhigt hatten. »Es gibt viel zu besprechen. Während wir gegen die Tyranidenflotte gekämpft haben, war Magos Locard in den biologischen Forschungslabors auf Tarsis Ultra tätig, und seine Funde sind äußerst erhellend...« Blendende Wolken aus heißem Dampf erfüllten den Bahnsteig, als der nächste Zug in den ihm zugewiesenen Haltebereich fuhr, und Pren Fallows, der Aufseher über diesen Bahnsteig, fluchte, als seine Schneebrille beschlug. Er setzte die Brille ab und wischte die Gläser mit dem Ärmel seines Overalls sauber. Es gab hier ohnehin sehr wenig Schnee, da die von den Zügen erzeugte Hitze und die wimmelnden Menschen Schnee und Eis schnell in einen
tiefen Matsch verwandelten. Seit einem Monat trafen täglich Züge ein. Alle waren mit verängstigten bäuerlichen Gemeinden aus den umliegenden Regionen gefüllt, und als größte Stadt auf Tarsis Ultra musste Erebus die Mehrzahl dieser Flüchtlinge aufnehmen. Als wäre die Stadt nicht auch so schon überfüllt. Pren zuckte die Achseln, während er sich einen Weg durch die Massen zur Kontrollstation auf dem Bahnsteig bahnte. Siebzehn Halteplätze und fünfzig Gleise gingen von den Andockstationen aus. Er und sein Stab von siebzig Männern fuhren seit zwei Monaten Doppelschichten, um dafür zu sorgen, dass jeder Zug seine menschliche Fracht auslud und dann wieder pünktlich abfuhr, um neue zu holen. Es war eine undankbare, schmutzige Arbeit, die kaum belohnt wurde, aber es war das Leben, das der Imperator für ihn ausgewählt hatte, und obwohl er wusste, dass es ihm nichts nützen würde, sich darüber zu beklagen, war Pren Fallows nicht der Mann, der sich dadurch abhalten ließ. Helle Bogenlampen auf Stahltürmen tauchten die Bahnsteige in ein geisterhaft weißes Licht, und trotz der Hitze bildete sein Atem Nebelwölkchen. Gelb bemäntelte Kommissariatsbeamte nahmen die Leute in Empfang, trugen die Namen der Angekommenen auf Listen in Klemmbrettern ein und dirigierten sie zu den Lagern des Ministorums tiefer im Tal. Es war eine Szenerie des organisierten Chaos, aber dieser Zug war der letzte des Tages, und der nächste würde erst morgen gegen Mittag eintreffen, so dass Pren und seiner Mannschaft eine wohlverdiente Ruhepause vergönnt sein würde. Als die Kommissariatsbeamten die letzten Flüchtlinge aus dem Bahnhof geführt hatten, trat eine gesegnete Stille ein. Pren blieb stehen und lächelte, während er die Ruhe eines Winterabends und eines leeren Bahnhofs genoss. Er erklomm die verrostete Eisenleiter zum Kontrollhäuschen und stampfte sich den Schneematsch von den Stiefeln, bevor er die Tür aufstieß. »Mach bloß die Tür zu!«, rief Halan Urquart, sein Stellvertreter, der vor einer Kontrolltafel saß, die Füße auf den Tisch gelegt hatte und eine Tasse heißen Kaffein trank. »Du lässt die ganze verdammte Wärme raus.« »Manchmal frage ich mich, ob dir klar ist, wer hier das Kommando hat, Halan«, erwiderte Pren, indem er den eingewachsten
Reißverschluss seiner Winterjacke öffnete und sie an einem der Kleiderhaken an der Tür aufhängte. »Ja, das frage ich mich manchmal auch.« »Gibt es irgendwas zu melden?«, fragte Pren, während er sich das Eis aus dem Bart strich. »Nö, war ziemlich ruhig. Die Kerle vom Kommissariat scheinen endlich begriffen zu haben, wie sie die Leute hier wegschaffen können, ohne uns zu belästigen.« »Das wurde auch Zeit«, bemerkte Pren und schenkte sich eine Tasse Kaffein ein. Er war lauwarm, aber Bettler konnten es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Er setzte sich neben das Fenster und beobachtete, wie wieder heftiger Schneefall einsetzte und den Bahnsteig mit einer frischen Decke aus makellosem Weiß überzog. Pren nahm das Protokollbuch des Bahnsteigs aus dem Korb neben Halan und warf einen Blick auf die krakeligen Einträge seines Stellvertreters. Er trank einen Schluck Kaffein und stellte fest, dass die Umschlagzeiten für die Züge genauso schnell waren wie vor dem Krieg. Er musste daran denken, seinem Stab morgen Früh ein paar aufmunternde Komplimente zu machen. Er blätterte um und schaute jäh auf, als ihn plötzlich ein Schauder überlief. Er stellte seine Tasse ab und starrte aus dem halb beschlagenen Fenster auf die beiden Lichtpunkte, die sich dem Bahnhof näherten. »Was soll das denn...«, murmelte er. »Was ist denn?«, sagte Halan. »Sieh mal da«, sagte Pren und zeigte in die Richtung der mysteriösen Lichter. »Was soll das denn...«, sagte Halan. »Ich weiß«, sagte Pren. »Ich dachte, wir wären fertig für heute.« »Sind wir auch, ich habe keine Ahnung, was das ist.« Die Männer sahen zu, wie die beiden Lichtpunkte in der Dunkelheit der Nacht immer näher kamen, und ihr Gefühl der Beklommenheit wuchs mit deren Helligkeit. Als die Lichter in den Lichtkreis der Bogenlampen einfuhren, stießen Halan und Pren einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie einen ganz normalen, dick mit Eis überzogenen Zug in den Bahnhof einfahren sahen. Der Zug wurde langsamer und hielt am Ende des am weitesten entfernten Bahnsteigs. Die Türen öffneten sich ruckartig. Pren und Halan warteten auf die unvermeidlichen Mengen, die jeden
Moment daraus hervorquellen würden, doch niemand stieg aus. Der Zug stand nur still am entferntesten Ende des Bahnhofs da und blies Dampf aus den Gittern rund um den Motor auf die Gleise. Die beiden Männer wechselten einen unbehaglichen Blick. »Ich schätze, wir sollten mal hingehen und ein Auge drauf werfen«, schlug Pren vor. »Ich wusste, dass du das sagen würdest«, sagte Halan, während er Winterjacke und Handschuhe anzog. Pren schnappte sich eine Lampe und hüllte sich ebenfalls in seine Winterkleidung, um seinem Stellvertreter dann nach draußen in die schneidende Kälte zu folgen. Er stieg die vereiste Leiter hinunter und stapfte neben Halan durch den frischen Schnee zu dem dastehenden Zug. Als sie näher kamen, konnten sie erkennen, dass die Fenster des Zugs dunkel und wegen der Vereisung undurchsichtig waren, sogar die des Führerhauses, und ihr Unbehagen wurde stärker. Die Dunkelheit und Stille der Andockstationen, normalerweise eine Erleichterung nach der hektischen Geschäftigkeit des Tages, legte sich jetzt erstickend um sie, und Pren wünschte, es wären noch ein paar Kommissariatsbeamte im Bahnhof. Die waren wenigstens bewaffnet. Er hielt Halan am Arm fest, der sich daraufhin zu Tode erschreckte. »Guillaumes Fluch!«, tobte Halan. »Mach so was nicht!« »Sieh mal, man kann die Zugnummer an der Lokomotive sehen.« »Und?« »Na, jetzt können wir nachsehen, was das für ein Zug ist und warum er jetzt hier ist, du Idiot.« »Ja, richtig«, sagte Halan. Er zog eine Datentafel aus der Jacke und ging eine Liste von Zahlen durch, bis er die Nummer schließlich fand. »Da ist er. War für letzte Woche vorgesehen.« »Letzte Woche? Und niemand hat bemerkt, dass er fehlt?« »Wohl nicht. Wir waren hier ziemlich beschäftigt, weißt du noch?« »Das stimmt schon«, sagte Pren. »Schön, woher kommt er?« »Dem Plan nach steht er unter Aufsicht von Leutnant Quinn und dem Logres-Regiment. Sie sollten Flüchtlinge aus den Bezirken im Nordosten abholen. Der letzte Halt war in Prandium, und sie hät-
ten vor sechs Tagen hier ankommen müssen. Ich nehme an, der Zug ist auf Automatik eingelaufen.« Halan verstaute die Datentafel wieder, und die beiden gingen vorsichtig und mit klopfendem Herzen weiter zum Zug. Die Türen standen offen, doch es war immer noch niemand ausgestiegen. Ein Licht flackerte drinnen und beleuchtete kurz das Innere, dann ließ ein Klirren von zerbrochenem Glas beide Männer zusammenfahren. Dampf wallte aus dem Motor und schmolz den Eisüberzug, und kaltes Wasser tropfte rings um die geöffneten Türen herunter. Pren und Halan erreichten sie und traten wachsam in die Dunkelheit des Zuges. Pren schaltete die Lampe ein und ließ den Strahl durch das Innere des Waggons wandern. Er hörte Halan aufschreien und sank auf die Knie, während sein Verstand mit dem Gemetzel zurechtzukommen versuchte, dass er rings um sich sah. Leichen. Hunderte von aufgeschlitzten, enthäuteten, entleibten und halb verschlungenen Leichen lagen in dem Waggon wie Fleischbrocken in einem Kühlhaus. Sie hingen an klebrigen Streifen glänzenden Schleims an den Wänden, das tote Fleisch hart und unnachgiebig, während ihre toten Augen die Bahnhofsvorsteher in stummer Anklage anstarrten. Stalaktiten aus gefrorenem Blut reichten bis auf den unebenen Boden herunter, und Pren spürte, wie sich eine erstickende Furcht in seiner Brust ausbreitete. Er ließ die Lampe fallen, die über den Waggonboden rollte und irrwitzige Schatten über das Innere des erstarrten Schlachthauses wandern ließ, während der sich bewegende Strahl den erstarrten Zügen der Leichen eine grauenhafte Lebendigkeit verlieh. »Heiliger Imperator...«, jammerte Pren. »Was ist hier passiert?« Doch die Toten konnten ihm keine Antwort geben, sondern lediglich erstarrte Augen, geleerte Bäuche, abgetrennte Gliedmaßen und angenagtes Fleisch. Und weiter hinten im Zug löste sich eine Kreatur, die bereits vor vielen Monaten nach Tarsis Ultra gekommen war, aus ihrem Versteck und tauchte im warmen Labyrinth von Erebus unter. Die vereinte Flottenmacht der imperialen Verteidiger des Sys-
tems Tarsis Ultra hing im Orbit um die Welt, von der das System seinen Namen hatte. Eine Kette verbundener Raumstationen umringten den Äquatorialgürtel des Planeten, von Scharen von Schleppern in Stellung gebracht, um den sich nähernden Tyraniden zu trotzen. Viele Dutzend Panzerschiffe trieben ebenfalls zu ihren Positionen in der Schlachtreihe neben Admiral de Cortes Flaggschiff Argus, dem Schlachtkreuzer Schwert der Vergeltung und den Kreuzern Yermetov und Luxor. Um die massige Form des Trägers Kharloss Vincennes hatten sich die Kobras des Cypria-Geschwaders gemeinsam mit dem einen überlebenden Schiff des Hydra-Geschwaders versammelt. Die beiden Angriffskreuzer der Space Marines ankerten im Schatten der Argus. Lord Inquisitor Kryptman und die Space Marines waren bereits auf Tarsis Ultra stationiert, da ihre Anwesenheit dort wichtiger war als an Bord der Kriegsschiffe. Infolgedessen würden sich die Mortis Probati und die Vae Victus aus der Hauptschlacht heraushalten und ihre gewaltigen Bugkanonen einsetzen, anstatt sich ins dickste Kampfgetümmel zu stürzen. Mit nur einer begrenzten Anzahl von Leibeigenen und Servitoren zu ihrer Verteidigung hatten sie keine Möglichkeit, Enterkommandos des Feindes abzuwehren, und diese alten Schiffe waren zu wertvoll, um das Risiko einzugehen, sie auf diese Weise zu verlieren. Die Tyranidenflotte tauchte zunächst als Lichtschimmer vor dem samtigen Gefunkel der Sterne auf, und ihr Ausmaß war großartig und furchtbar zugleich. Reflektiertes Sternenlicht funkelte auf riesigen Panzerplatten aus Chitin und glänzte auf nachhängenden Tentakeln, die mit einem zähen, klebrigen Schleim behaftet waren. Schwärme kleinerer Wesen, an deren Vorderseiten Entladungsbögen knisterten, umgaben die Schwarmschiffe und flogen der Hauptflotte mit einer bis dahin unter den Organismen dieser Flotte noch nicht erlebten Geschwindigkeit voraus. Von der Kraft vieler Dutzender von Servitoren geflogenen Schlepper gezogen, trieb die Wasserstoffplasma-Raffinerie der Tyranidenflotte entgegen. Die Raffinerie war mit noch mehr Sprengstoff und Plasmazellen beladen, und die daraus resultierende Explosion würde die zwei vorangegangenen mit Sicherheit in den Schatten stellen. Admiral de Corte beobachtete mit einem wölfischen Lächeln, wie sich die Tyraniden der Raffinerie näherten. Obwohl viele Zehntau-
send Kilometer entfernt, wirkte alles winzig neben ihr, und de Corte wusste, dass die Explosion gewiss Hunderte, wenn nicht Tausende der Organismen töten würde. Wenn sie Glück hatten, würde sich vielleicht wieder ein Schwarmschiff zu einem Angriff auf die Raffinerie verleiten lassen, und dann würden sie noch einen der Herren dieser Flotte zerstören können. Schwärme von Tyranidenschiffen umringten die Raffinerie. Viele flogen in ihre Nähe, aber noch griff keines an. De Corte widerstand der Versuchung, den Feuerbefehl für die Novakanone der Argus zu geben, solange kein größeres Schiff zum Angriff überging. Sein geübtes Auge beobachtete, wie sich die Vorhut der Kreaturen geschmeidig teilte und an der Raffinerie vorbeiflog, wobei ihre Manöver so präzise ausgeführt wurden, als sei ein erstklassiges Flottengeschwader am Werk. »Sie greifen die Raffinerie nicht an«, sagte Jex Viert. De Corte kaute auf seiner Unterlippe herum und grübelte, ob er der Novakanone den Feuerbefehl geben sollte. Solange die Raffinerie vor seiner Flotte trieb, wollte er keinen allgemeinen Angriffsbefehl geben, und die verdammten Tyraniden schnappten nicht nach dem Köder. Irgendwas war faul. Die Tyraniden hatten den Berichten zufolge die ihnen von den Ultramarines vor Chordelis entgegengesandte Raffinerie mit allem angegriffen, was sie hatten warum verhielten sie sich also jetzt nicht genauso? Vier enorme Kreaturen näherten sich der gewaltigen Konstruktion. Die gekräuselten Öffnungen in ihrem länglichen Bug waren mit rotierenden klingenartigen Fangzähnen gefüllt. Sie flogen an der Raffinerie vorbei, und die langen, nachhängenden Tentakel verhakten sich in ihren Aufbauten. De Corte wusste nicht, ob dies ein zufälliger oder ein gewollter Vorgang war, aber ihm gefiel nicht, wie synchron sie ihre Positionen eingenommen hatten. Horden von Kreaturen mit Stachelkämmen, die wie bizarre, reflektierende organische Segel aus ihren Leibern ragten, tauchten aus dem Schwarm auf und bezogen mit grotesken, peristaltischen Bewegungen Stellung vor der Raffinerie. »Was tun sie da, im Namen des Warps?«, fragte sich de Corte laut, als noch eine Gruppe von Tyranidenkreaturen, vor denen sich Bögen elektrischer Energie spannten, heranflog und die Leviathane mit den Tentakeln umringte. »Herr Admiral«, meldete Jex Viert, »die Kraken in der Vorhut
der Tyranidenflotte nähern sich Geschützreichweite.« De Cortes Blick zuckte zum Planungstisch und den automatenhaften Logistikern, welche die Markierungssteine für die Tyranidenflotte seiner Schlachtreihe entgegenschoben. Die Raffinerie würde warten müssen. »Leutnant Viert, befehlen Sie die Panzerschiffe nach vorn und geben Sie allen Schiffen die Freigabe zum Kampf. Richten sie allen Kapitänen meine besten Empfehlungen aus und wünschen sie ihnen eine gute Jagd.« »Aye, Herr Admiral«, nickte sein Flaggenleutnant. Lordadmiral Tiberius beobachtete dieselbe Szene auf der Brücke der Vae Victus, und seine Verwirrung entsprach derjenigen de Cortes. »Das ist verdammt merkwürdig«, sagte er, indem er sich mit der Hand das Kinn rieb. »Warum schießt de Corte nicht?« »Ich glaube, er wartet darauf, dass eines der Schwarmschiffe die Raffinerie angreift«, sagte Philotas. »Dann unterschätzt er die Fähigkeit dieser Kreaturen, sich auf neue Kampfsituationen einzustellen.« Tiberius wusste gar nicht, wie recht er hatte. Die tentakelbehafteten Leviathane, deren nachhängende Anhängsel sich in die Raffinerie eingehakt hatten, rangen mit ihrer gewaltigen Masse. Ihre Leiber waren wenig mehr als eine endlose Reihe starker, miteinander verbundener Muskeln. Obwohl in ihnen viele Fasern rissen und jede Kreatur so viel Energie damit verbrauchte, die Vorwärtsbewegung der Raffinerie zu stoppen, dass der Vorgang sie zerstören würde, zogen sie doch weiter an der gigantischen Struktur. Der riesige Schwarmverstand machte sich nichts aus den individuellen Kreaturen, aus denen sich der größte Teil seiner Masse zusammensetzte, und richtete seinen monströsen Willen auf die Muskelbestien, die nicht einmal im Tod vergeudet wurden. Die Schwarmflotte würde ihre organische Masse absorbieren und dazu benutzen, neue Kriegerkreaturen zu produzieren. Die Schwarmschiffe lauerten im Zentrum des Schwarms und wahrten einen Sicherheitsabstand von dem gefährlichen Eindringling in der Mitte ihrer Flotte. Langsam zunächst, doch schließlich immer schneller, nachdem sie die Trägheit der Raffinerie überwunden hatten, zogen die
sterbenden Muskelbestien die Raffinerie hinter sich her. Flüssigkeiten und Muskelfasern wurden abgestoßen, da die zielstrebige Entschlossenheit des Schwarmbewusstseins fortfuhr, sie zu zerstören. Und die Raffinerie folgte ihnen und nahm immer mehr Geschwindigkeit auf, da sie zur imperialen Schlachtreihe zurückflog. Admiral Tiberius erkannte plötzlich, was vorging, und rief: »Philotas, stellen Sie sofort eine Verbindung zu Admiral de Corte her!« »Herr Admiral?« »Beeilung, Philotas!«, rief Tiberius, der bereits seine Kommandokanzel verlassen hatte und zur Kom-Station lief, während Philotas ihm den Kopfhörer aus Messing und das Sprechgerät hinhielt. Der Kom-Offizier nickte, und die abgehackte Stimme Admiral de Cortes knisterte von statischem Rauschen begleitet aus den goldumrandeten Lautsprechern in der Station. »Admiral Tiberius, fassen Sie sich bitte kurz, ich habe gerade dringliche Probleme.« »Zerstören Sie die Raffinerie. Sofort. Die Tyraniden schleppen sie zu uns zurück.« »Was? Sind Sie sicher?« »Ich bin ganz sicher, Admiral. Prüfen Sie die Sensorwerte, wenn Sie müssen, aber beeilen Sie sich.« »Sie müssen sich irren, Tiberius. Wie könnten die Tyraniden die Auffassungsgabe haben, unsere Absichten zu durchschauen?« »Sie lernen, Admiral. Ich hätte wissen müssen, dass wir diesen Bestien nicht zweimal denselben Streich spielen können. Bitte, Admiral, wir haben keine Zeit für eine Debatte. Vernichten Sie die Raffinerie umgehend!« »Ich werde mir von meinen Sensor-Offizieren bestätigen lassen, was Sie sagen, aber ich bin nicht bereit, eine so mächtige Waffe aus einer Eingebung heraus zu zerstören. De Corte Ende.« Tiberius gab dem Space Marine an der Kom-Station den Kopfhörer zurück und marschierte zum Planungstisch zurück. Rasch nahm er die Stellung der imperialen Flotte in Augenschein und spürte, wie ihn eine Gänsehaut überlief, als ihm das Ausmaß der Katastrophe klar wurde, dass bald über die Flotte hereinbrechen mochte, wenn sie nicht schnell handelten. Philotas gesellte sich
zum Admiral und tippte hektisch Zahlen in seine Navigationstafel ein. »Wenn wir jetzt aktiv werden, können wir die Raffinerie noch abfangen, Lordadmiral«, sagte er. »Dann tun Sie's. Volle Kraft voraus, alle verfügbare Energie auf die Autolader für die Bugkanone. Ich will diese Raffinerie mit allem treffen, was wir haben. Und nehmen Sie Verbindung mit Kapitän Gaiseric auf der Mortis Probati auf und bringen Sie ihn dazu, uns zu folgen. Sein Schiff werden wir auch brauchen.« »Aye, Herr Admiral. Volle Kraft voraus«, gab Philotas den Befehl des Lordadmirals weiter. Tiberius spürte, wie das Deck erbebte, und betete, dass sie noch rechtzeitig kämen. »Und?«, fragte Admiral de Corte ungeduldig. »Allem Anschein nach hat Admiral Tiberius recht«, erwiderte Jex Viert, dessen Stimme seine Beunruhigung verriet. »Die Raffinerie scheint sich uns jetzt zu nähern.« Heiße Furcht überfiel de Corte, als ihm die Konsequenzen dieser neuen Informationen aufgingen. Er nickte seinem Flaggenleutnant zu. »Geben Sie der Novakanone Feuerbefehl!«, rief Jex Viert. »Geben Sie allen Schiffen Signal, das Feuer zu eröffnen. Sofort, um des Imperators willen!« Nein, dachte Admiral de Corte, nicht um des Imperators willen, um unseretwillen. Kolossale Energien schleuderten die Sprenggranate aus dem Lauf der Novakanone im Bug der Argus und schickten sie auf einer flammenden Wolke der Tyranidenflotte entgegen. Mit einer Geschwindigkeit von annähernd fünftausend Kilometern pro Sekunde legte die Granate die Entfernung zum Feind in etwas unter fünfundzwanzig Sekunden zurück. Als sie bis auf fünfzehntausend Kilometer herangekommen war, zuckten strahlende blaue Blitze von den Kreaturen heran, welche die Muskelbestien umringten, und hüllten die Granate ein, die sofort in einer sich rasch ausdehnenden Wolke aus brennendem Plasma explodierte und deren zersplitterte Überreste ins All davonschossen. Die Blitzespeier und die Bestien mit den segelartigen Rückenkämmen bezogen Stellung vor der Raffinerie, der jetzt ein Gewit-
ter aus Granaten und Energiestrahlen entgegenschoss. Ein dicker Morast aus Sporen und Tyranidenkreaturen schwärmte aus. Die Bestien explodierten und opferten ihr Leben, da sie den der Raffinerie geltenden Beschuss absorbierten. Lanzenstrahlen durchschnitten Sporen und verbrannten Tyranidenfleisch, bevor sie schließlich die abweisenden Segel der geflügelten Bestien trafen, welche die Blitzespeier eskortierten. Die Honigwabenstruktur der Segel zerstreute einen Großteil der Energie der Lanzenstrahlen, so dass diese harmlos wurden und keinen Schaden mehr anrichteten, als sie die Raffinerie trafen, da sie ihre Panzerung nicht mehr durchschlagen konnten. Abfangjäger vom Typ Furie und Sternfalke-Bomber schossen aus den Hangars der Kharloss Vincennes und versuchten ein Loch in den Schutzschirm aus Tyraniden zu sprengen, doch jede Lücke, die sie aufrissen, wurde gleich wieder durch neue Bestien gefüllt. Schließlich zog der Kommandeur der Furien, Hauptmann Owen Morten, seine überlebenden Jäger wieder zum Trägerschiff zurück, um sie aufzutanken und neu zu bewaffnen. Dass sich eine Aufgabe nicht ausführen ließ, war noch lange kein Grund aufzugeben. Wie hart die Imperiumsflotte auch zuschlug, sie konnte den lebenden Schutzschirm aus Tyranidenkreaturen nicht durchdringen, der die Raffinerie schützte, und da es keinen Reibungswiderstand gab, nahm deren Geschwindigkeit immer mehr zu, bis sie der imperialen Schlachtreihe entgegenraste. »Wir kommen nicht durch!«, rief Philotas. »Weiterschießen«, befahl Tiberius mit gepresster Stimme. »Aye, Herr Admiral.« Tiberius' Kiefermuskeln verkrampften sich vor Anspannung, während er die Explosionen beobachtete, die sich vor der Vae Victus entfalteten. Ihre Feuerkraft, die normalerweise so vernichtend in der Schlacht war, richtete überhaupt nichts aus, da jede Granate aus ihrer Bugkanone von einer Tyranidenkreatur auf Befehl des Schwarmverstandes und unter völliger Selbstaufopferung abgefangen wurde. Viele Hundert Bestien starben, aber sie schafften, was der Schwarmverstand sich vorgenommen hatte. Nichts drang bis zur Raffinerie durch.
Admiral de Corte umklammerte die Armlehnen seines Kommandosessels, während sich die Argus nach steuerbord neigte. Das gewaltige Schiff wich der nahenden Raffinerie träge aus, doch er musste niemanden fragen, um zu wissen, dass sie es nicht schaffen würden. Die Flotte sprengte so rasch auseinander, wie sie konnte, aber selbst mit Manövergeschwindigkeit brauchte ein so großes Schiff wie ein Schlachtschiff der Victor-Klasse Zeit für ein Abdrehen, und sehr viel mehr aus der Ankerposition. Vernichtende Salven massierter Geschütze von den Panzerschiffen hatten die sich nähernden Kraken daran gehindert, ihre Schlachtreihe zu durchbrechen, aber dem unausweichlichen Nahen der Raffinerie hatten sie nichts entgegenzusetzen. »Wie lange noch bis zur tödlichen Nähe, Leutnant Viert?« »Vierzig Sekunden, Herr Admiral.« »Bringen Sie uns weg, Philotas«, befahl Tiberius. Die Annäherungsgeschwindigkeiten der Raffinerie und der Vae Victus waren so, dass die Raffinerie längst an ihnen vorbeigerast sein würde, ehe sie die nächste Granate laden und abschießen konnten. Tiberius lehnte sich der Neigung seines Schiffs entgegen, als sich der Bug des Angriffskreuzers hob und die Raffinerie rasch aus der Observations-bucht verschwand. Der Admiral spürte das Deck unter sich beben, da der ächzende Rumpf unter dem Druck des harten Manövers und des Rückschlag der Breitseiten und kleineren Geschütze, die immer noch auf die kleineren Organismen des Schutzschirms rings um die Raffinerie feuerten, nachzugeben drohte. Ohne ihre Space Marines als Verteidiger an Bord wäre es Selbstmord gewesen, den Tyraniden eine Möglichkeit zu bieten, die Vae Victus zu entern. »Wie lange noch bis zur tödlichen Nähe, Philotas?« »Zwanzig Sekunden, Lordadmiral.« Torpedosalven explodierten zwischen der Vorhut des schützenden Schwarms und töteten die Tyranidenkreaturen in ihren Feuerstürmen, aber nichts konnte die dicke Wand der Kreaturen durchschlagen, die zur Aufgabe ihrer Existenz im Dienste des Schwarmverstands gezwungen wurden. Weniger als sechzigtausend Kilometer trennten die Flotte jetzt noch von der Raffinerie. Und bei ihrer gegenwärtigen Geschwindigkeit waren das zehn Sekunden.
»Alle Mann Schiff verlassen!«, brüllte Admiral de Corte, als die Näherungssirenen der Argus zu heulen anfingen. Die Glocke der Sakristei läutete und läutete und warnte - als sei noch eine Warnung nötig vor der unmittelbar bevorstehenden Kollision mit der Raffinerie. Er wusste, es war vergeudeter Atem, denn keines der Rettungsboote des Schlachtschiffs würde es noch aus dem Detonationsbereich schaffen, aber er musste es wenigstens versuchen. Ihr Verhängnis füllte die gesamte Observationsbucht aus und näherte sich ihnen mit entsetzlicher Endgültigkeit. In den wenigen Sekunden, die ihm noch blieben, erhob er sich und ging zur Mitte des Kommandoschiffs. Er salutierte vor seiner Brückenmannschaft und sagte: »Es war mir eine Ehre, mit Ihnen allen gedient zu haben. Der Imperator beschützt.« Als sich die Raffinerie der Imperialen Flotte weit genug genähert hatte, wendeten die Blitzespeier, die zuvor noch die Muskelbestien geschützt hatten, flink wie eine Peitschenschnur und deckten die Raffinerie mit züngelnden blauen Blitzen ein. Metall verflüssigte sich unter dem Beschuss, und die Blitzespeier bohrten sich wie fette Zecken durch die aufgeweichten Panzerplatten des Gebildes. Einmal im Innern, schob jede Kreatur ihre ultraheißen Entladungsblitze wie einen Bohrer vor sich her und schnitt so durch eine Metallschicht nach der anderen, bis sie die Speicherkammern tief im Innern erreichten. Die Hitze der Lichtbögen schmolz ihre eigenen Chitinpanzer und brannte ihnen das Fleisch von den Knochen, aber vom unnachgiebigen Willen des Schwarmbewusstseins getrieben, machte jede Bestie weiter, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Als der erste Blitzespeier einen der gepanzerten Tanks durchbohrt hatte, zuckten die elektrischen Lichtbögen durch die Brennstoffkammer und entzündeten augenblicklich die empfindliche Wasserstoff-Plasma-Mischung. Überall in der Raffinerie geschah dasselbe, und einen Moment später wurde die kolossale Bombe der Raffinerie in einer gigantischen Explosion auseinandergesprengt. Hunderte wurden von der strahlenden Helligkeit der Explosion geblendet, die am Himmel über Tarsis Ultra erblühte. Die Argus
verschwand in der Korona der Explosion, vor der sie ihre Schutzschirme nicht bewahren konnten. Meterdicke Adamantiumwandungen verdampften im Zeitraum eines Augenblicks, als das uralte Schiff vom Plasmafeuer eingehüllt wurde. Ganze Abteilungen wurden in den Raum gesprengt. Der Sauerstoff entzündete sich, als die Hitze durch das Schiff fegte, und das riesige Schiff sank förmlich in sich zusammen, da ihr Kiel in der weißglühenden Hitze schmolz. Tausende starben sofort, da ihnen in dem Zeitraum, den sie benötigten, um Luft für einen Schrei zu holen, das Blut verdampfte und Haut und Fleisch von den Knochen gebrannt wurden. Das Feuer der Explosion weitete sich rapide aus, verschlang rasch die zum Untergang verurteilte Argus und fuhr zwischen die anderen Schiffe der Imperiumsflotte. Sechs Panzerschiffe und ebenso viele Systemschiffe verdampften, als ihre Magazine und Treibstofftanks explodierten. Die Kobras des Cypria-Geschwaders brachen auseinander, als ihr Torpedovorrat hochging, wenngleich die eine überlebende Kobra des Hydra-Geschwaders auch diese Katastrophe wunderbarerweise überstand. Die Starthangars der Kharloss Vincennes flammten auf, als Treibstoffsilos Feuer fingen. Die Brandschutzschleusen schmolzen zu, so dass der Träger nicht mehr in der Lage war, zuvor ausgesandte Geschwader und Staffeln von Jägern und Bombern aufzunehmen. Gut eingeübte Feuerlösch-Routinen retteten das Schiff, und das rasche Manövrieren des Kapitäns ließ sie die Explosion mit dem Bug voraus nehmen, was die Auswirkungen der Schockwelle stark abmilderte. Die Schwert der Vergeltung, die Yermetov und die Luxor waren vor den schlimmsten Auswirkungen der Explosion abgeschirmt, so dass ihnen größere Schäden erspart blieben, obwohl auch durch die Gänge dieser Schiffe das Jaulen der Feuer- und LeckWarnsirenen sowie das Gebrüll der Reparaturmannschaften gellte. Die Kontrollbrücke der Vae Victus war in blutrotes Licht getaucht, während die Sakristei-Glocke läutete, als schreie das Schiff selbst. Funken und Hydraulikflüssigkeit sprühten aus geborstenen Kontrollarmaturen, doch Tiberius wusste, dass sie von Glück sagen konnten, noch in einem Stück durch das All zu schweben.
Die Vae Victus war der Explosion mit dem Heck begegnet, und ihre Gewalt hatte sie wie ein Blatt im Sturm umhergewirbelt, doch Admiral Tiberius' schnelle Reaktion hatte sie aus dem Hauptwirkungsbereich der Hölle gebracht, die über die Mehrheit der Imperiumsflotte hereingebrochen war. »Schadensmeldungen!«, bellte Tiberius. »Wir haben Lecks auf den Decks sechs, sieben und neun«, meldete Philotas. »Die Maschinen arbeiten nur mit fünfzig Prozent Leistung, und wir haben die meisten Heckgeschütze verloren.« »Was ist mit dem Rest der Flotte?«, fragte Tiberius, der sich vor der Antwort fürchtete. »Das weiß ich nicht, Herr Admiral. Die Sensoren haben Mühe, die bei der Explosion freigesetzte elektromagnetische Strahlung zu durchdringen.« »Verbinden Sie mich mit Admiral de Corte, wir müssen schnellstens die Lage unter Kontrolle bringen.« »Aye, Herr Admiral.« Tiberius stolperte über das schiefe Deck, blieb vor dem Planungstisch stehen und versuchte schlau aus dem Wirrwarr der dort sichtbaren Bilder zu werden. Ein roter Nebel füllte den Boden der schematischen Darstellung aus, da die Tafel nicht in der Lage war, genügend Symbole darzustellen, um die volle Zahl der Tyranidenflotte anzuzeigen. Versprengte blaue Symbole wechselten zwischen scharf und verschwommen, da die Sensoren sich mühten, die Positionen der Imperiumsschiffe auszumachen. »Der Imperator beschütze uns«, flüsterte Tiberius, als neben den blauen Symbolen Raumschiffsnamen aufflackerten. Sehr wenige, wie er sah. Er runzelte die Stirn und suchte den Tisch nach dem Symbol für die Argus ab. Tiberius blickte auf, als Philotas sagte: »Die Argus existiert nicht mehr, Herr Admiral.« »Existiert nicht mehr...«, wiederholte Tiberius. »Sie hat die volle Wucht der Explosion abbekommen, Herr Admiral. Von ihr ist nichts mehr übrig.« Der Lordadmiral wehrte sich innerlich gegen den Schock angesichts der Zerstörung eines so mächtigen Schiffs und des Todes ihrer gesamten Besatzung. »Und der Rest der Flotte?«, fragte er leise. »Es sieht so aus, als hätten die hiesigen Schiffe am stärksten unter der Explosion zu leiden gehabt, aber wir haben die Kobras und die Argus verloren. Die Schwert der Vergeltung ist beschä-
digt, aber unter Energie, und auch die Kharloss Vincennes ist noch bei uns, obwohl ihre Starthangars unbrauchbar sind.« Tiberius nickte kurz, während er das Ausmaß der Katastrophe abschätzte, und wusste nur einen Augenblick später, dass der Krieg im Weltraum vorbei war. »Rundspruch an alle Schiffe. Ich übernehme das Kommando über die Flotte. Befehlen Sie allen Schiffen den Rückzug. Wir räumen Tarsis Ultra und sammeln uns bei Calydon.« »Herr Admiral?« »Nun machen Sie schon!«, schnauzte Tiberius. »Eine nicht zu gewinnende Schlacht auszufechten, hat keinen Wert, wenn wir dadurch den Krieg verlieren. Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe.« Philotas nickte und gab die Befehle des Admirals weiter, während Tiberius die Hände um die Kanten des Planungstisches gekrampft hatte. Durch eine Raumschlacht war gegen die vorrückenden Tyraniden nichts mehr zu gewinnen, und er wollte nicht die Verantwortung dafür übernehmen, jeden Mann der Imperiumsflotte in diesem System zum Tode zu verurteilen. Was immer jetzt kam, die Verteidiger auf Tarsis Ultra mussten allein damit fertig werden.
NEUN Ein kalter Wind blies über die Bergspitzen des Cullingebirges, heulte über den felsigen Boden darunter und raubte dem strahlenden Morgen jeden Rest verbliebener Wärme. Die Luft war frisch, aber die Sonne schien grell und verhinderte das Gefrieren des schäumenden Quellwassers, das aus den Bergen herabfloss. Die niedrigeren Hänge der Berge waren mit smaragdgrünen Wäldern gesprenkelt, und hier und da kehrten Herden zottiger Yrenbacks von ihren Wasserstellen in den Bergen zu den wärmeren Ebenen zurück. Plötzlich verharrten die Tiere und reckten die langen, pelzigen Hälse in die Luft, als witterten sie ein Raubtier. Die Herden wogten verwirrt umher und rückten enger zusammen, in heller Aufregung über ihre Unfähigkeit, die Ursache der Bedrohung zu identifizieren. Sie blökten verwirrt und legten die Ohren an. Dahingestreute dunkle Flecken huschten über die Bergflanken,
als eine Schar von Formen über den Himmel raste. Überall auf den Hängen wurden infolge der gewaltigen Einschläge herabfallender Objekte Wolken aus Schnee und Felsen in die Höhe geschleudert. Die Herden sprengten auseinander, als immer mehr Objekte vom Himmel fielen und durch ihre schiere Zahl die Oberfläche der Berghänge aufwühlten. In den Wolken über ihnen blitzte es violett, als Sporen in ihnen platzten und eine Vielzahl von Schadstoffen und Viren freisetzten, die augenblicklich damit begannen, das klimatologische Gleichgewicht der Planetenatmosphäre zu verändern. Hitze baute sich rasend schnell auf, was den Luftdruck zunehmen und aktinische Blitze von Wolke zu Wolke springen ließ, die dafür sorgten, dass die Wolken als toxischer Regen niedergingen. Minuten später war die gerade aufgegangene Sonne hinter der schieren Masse der aus dem Himmel fallenden Sporen verschwunden. Verängstigte Yrenbacks rannten vorwärts und rückwärts über die Berghänge und sprangen in blinder Panik durch den Schnee. In die dampfenden Sporen, die in ihrer Mitte gelandet waren, kam Bewegung, und fremdartige Schreie ertönten, da die Kreaturen darin herauskamen und etwas suchten, das sie töten konnten. Durch den Schwarmverstand und Superadrenaline von einer rasenden Mordlust erfüllt, hackte die erste Welle der gelandeten Tyraniden ganze Herden der grasenden Tiere in blutige Stücke, bevor sie zusammenbrachen und starben, nachdem sie ihre Wut verbraucht hatten und in diesen eisigen Temperaturen nicht überleben konnten. Tausende Tyranidenorganismen der ersten Welle starben, da die eisige Kälte von Tarsis Ultra sie Minuten nach ihrer Ankunft erfrieren ließ. Nachdem sie ihre gesamten Energien im Zuge der ersten Welle ihrer Gewalttaten buchstäblich verbrannt hatten und über keine Fettreserven verfügten, konnten sie nicht länger als ein paar Minuten überleben. Doch nichts davon spielte eine Rolle, denn je mehr Kreaturen starben, desto mehr erfuhr der Schwarmverstand über die örtlichen Verhältnisse auf dem Beuteplaneten und veränderte die biologische Physiologie seiner Kriegerorganismen, indem er sie in die Lage versetzte, mehr isolierendes Gewebe und Energiereserven zu produzieren, die ihnen das Überleben über einen längeren Zeitraum ermöglichen würden.
In den tiefer gelegenen Wäldern fiel der biologisch verseuchte Regen auf den mulchigen Boden und durchsetzte die Erde mit seinen bakterienüberladenen Substanzen, Mikroben mit dem genetischen Bauplan der Tyranidenfauna breiteten sich rasch im Boden aus und analysierten und verdauten den chemischen Inhalt der Erde, bevor sie diese Energie in beängstigend schnelle Wachstumsschübe umsetzten. Bunte Wedel fetzten sich einen Weg durch die silberne Rinde der Bäume, und gewundene Ranken und Schlingpflanzen schossen aus dem feuchten Boden. Wiederum verkürzte die Kälte auf Tarsis Ultra die Lebensspanne der Pflanzen erheblich, doch im Tod erbrach jedes Blatt und jede Schlingpflanze neue Sporen in die Atmosphäre, und der Kreislauf begann von neuem. Bei jeder Generation von Pflanzen, die ihren kurzen Lebenszyklus durchlief, hoben die chemischen Reaktionen, welche den Boden fermentierten, die Temperatur der umliegenden Luft. Warme Luftströmungen stiegen vom Boden auf und wärmten das blühende Pflanzenleben, bis die Wachstumsrate exponentiell anstieg. Gezackte Sporenschlote aus dicker Pflanzenmaterie brachen durch den heißen Boden und schraubten sich himmelwärts, während sich ihre Wurzelstrukturen durch den Dauerfrost in den nährstoffreichen Boden darunter bohrten. Heißer Dampf und Reaktionsgase der biologischen Prozesse wurden durch die Schlote ausgestoßen, wodurch neue Sporen hoch in die Atmosphäre geschleudert und durch die Winde verteilt wurden. Als sich die Atmosphäre dadurch noch mehr aufheizte, entstanden starke Aufwinde, die auf die von den Bergspitzen herabsinkende Kaltluft trafen und außergewöhnliche Wetterverhältnisse schufen, welche die Tyranidenorganismen noch weiter verbreiteten. Die Invasion von Tarsis Ultra hatte begonnen. Trotz der Unfähigkeit der Imperiumsflotte, die tyranidischen Angreifer zurückzuhalten, war Tarsis Ultra an sich nicht ohne eigene Verteidigung. Auf dem Boden stationierte Batterien von Abwehrlasern schossen in den Himmel, und viele Hundert Orbitaltorpedos rasten auf flammenden Kondensstreifen in die oberen Schichten der Atmosphäre. Die Abwehrlaser zuckten durch den Himmel, aber der rasch mutierende Gehalt der Luft hielt eine weitere adaptive Überraschung für die Verteidiger von Tarsis Ultra bereit. Eines der größten Probleme für landgestützte Laserwaffen ist
der Energieverlust über große Entfernungen. Wenn sich ein Laserstrahl durch Luft bewegt, werden kleine Mengen seiner Energie als Wärme an die umgebende Atmosphäre abgegeben, was zu Verwirbelungen der Luft führt und zu Störungen in der Flugbahn des Strahls. Dies beeinträchtigt nicht nur die Zielgenauigkeit, sondern sorgt auch für eine breitere Streuung des Strahls, was die ans Ziel abgegebene Energie weiter mindert. Bei den von den Abwehrlasern erzeugten kolossalen Energien war dies normalerweise kein Problem, aber jeder Strahl passierte auf seinem Weg viele Dutzend Luftschichten mit stark unterschiedlichen Temperaturen, was zu einem starken Energieverlust führte. Viele der kleineren Organismen litten unter den Abwehrlasern, aber die Mehrheit der Tyraniden hatte von ihnen nicht viel zu befürchten. Doch Torpedos haben keine derartigen Leistungsschwankungen, und diese Waffen verlangten den sich sammelnden Räubern einen hohen Tribut ab. Viele Hundert Torpedos explodierten zwischen den aufgeblähten Sporenschiffen der Tyranidenflotte, zerstörten einige und verwundeten andere tödlich. Ungezählte Tyranidenkreaturen starben und fielen als grelle, ausblutende Fleischmeteore durch die Atmosphäre, wobei sie das aus ihnen spritzende Blut wie einen Kometenschweif hinter sich herzogen. Der Himmel über Tarsis Ultra war, was die Strategen des Imperiums als »zielgesättigt« bezeichneten, und jeder Torpedo fand ein Ziel. Binnen zwei Stunden meldeten die Kommandeure der Abwehrbatterien über fünfhundert bestätigte Abschüsse und forderten gleichzeitig verzweifelt mehr Munition an. Angesichts so vieler Ziele verbrauchte jede Batterie ihren Munitionsvorrat nach etwa einer Stunde ununterbrochenen Feuerns. Gegen einen konventionellen Angreifer hätten die Abwehrgeschütze von Tarsis Ultra verheerenden Schaden angerichtet und jeden Invasionsversuch unmöglich gemacht. Aber die Tyraniden waren weit davon entfernt, konventionelle Angreifer zu sein. Aus der Luft ähnelte das Hydro-Skiff einer dahinrasenden silbernen Kugel, wie es über die gefrorene Oberfläche der Wasserstraße raste. Die Passagierabteile waren mit Soldaten des LogresRegiments gefüllt, die nach Erebus zurückkehrten, und ihre Geschwindigkeit näherte sich der Zweihundertkilometermarke, da es
von den riesigen, propellergetriebenen Motoren über den gefrorenen Kanal befördert wurde. Ein Nebel aus Eiskristallen wirbelte in seinem Kielwasser, als sich die Hydro-Skier neigten, um das Skiff um eine Kurve im Kanal zu tragen, die um eine Reihe niedriger Hügel führte, auf denen immergrüne Fichten wuchsen. Funken flogen, als der äußere Ski die Magnet-Leitplanke an der Seite des Kanals ankratzte, da der Pilot die Kurve ein wenig zu schnell angefahren hatte. Doch alle Sicherheitsüberlegungen mussten sich der Tatsache unterordnen, dass Eile Not tat. Sie hatten das Netz der Laserstrahlen am Himmel gesehen, und im Westen war das blasse Blau mit den nebligen Kondenssäulen der feuernden Torpedosilos überzogen. Niemand brauchte den Männern des Logres-Regiments zu sagen, was los war und dass es an der Zeit war, in die Sicherheit von Erebus zurückzukehren. Unnatürliches Zwielicht breitete sich aus, da der Himmel voller Sporen der Tyraniden war und die zirpenden schwarzen Wolken, die umherwirbelten und wogten wie fliegende Ölflecken, lange Schatten warfen. Soldaten spähten nervös durch die beschlagenen Fenster in die zunehmende Dunkelheit und beschworen den Fahrer des Skiffs in Gedanken, noch mehr Geschwindigkeit aus dem Gefährt herauszuholen. Zwei schwarze Wolken fielen herab, fingen den Sturzflug dicht über dem Boden ab und flogen dann parallel zum Skiff, während eine dritte in träger Spirale vor ihnen niederging. Offiziere, die die Vorgänge durch Periskope im Dach beobachteten, riefen ihren Männern zu, sich an den Fenstern zu postieren, und gaben ihnen allgemeine Feuererlaubnis. Eisige Luft wehte durch das Skiff, als Fenster geöffnet und Läufe von Lasergewehren nach draußen gehalten wurden. Laserstrahlen zuckten in die Höhe und fuhren zwischen die schwarzen Scharen, die das Skiff verfolgten. Ab und zu fiel eine verdrehte Gestalt in den Schnee, aber derartige Siege gab es nur wenige, und die Scharen kamen trotz der atemberaubenden Geschwindigkeit des Skiffs immer näher. Angstschreie hallten durch die Passagierabteile, als die Scharen das Skiff überholten und die Soldaten den Feind zum ersten Mal zu Gesicht bekamen. Groteske Kreaturen mit Membranflügeln, grinsenden, zahnbewehrten Mäulern und Krallengliedern umringten sie. Laserstrahlen fuhren zwischen die Tyranidenwesen, aber
auf jedes getötete kamen hundert, die am Leben blieben. Sie umschwirrten das Skiff und spien schwarze Strahlen aus den Waffenmündungen, mit denen ihre metallene Haut übersät war, wie Hände voll geworfener Steine. Glas splitterte und Männer schrien auf, als sie vom Beschuss der Angreifer getroffen wurden und sich ihre Rüstung unter den Einschlägen auflöste. Sanitäter eilten zu den Verwundeten, zogen ihnen blutige Flakwesten aus und übten Druck auf die Löcher in den Leibern der Soldaten aus, um dann voller Grauen zurückzuschrecken, wenn sie Schwärme sich windender, käferartiger Kreaturen sahen, die sich tief in das Fleisch der Männer bohrten. Klickende Krallen rissen am Dach des Skiffs und kratzten lange Schrammen in das dünne Metall. Das Skiff schwankte hin und her und sprühte mehr Funken, während der Pilot darum kämpfte, das zusätzliche Gewicht der Angreifer und die hinzukommende Trägheit auszugleichen. Soldaten schossen durch das Dach und töteten die fliegenden Bestien zu Dutzenden, konnten aber nicht alle vertreiben. Muskulöse Krallenarme griffen hinein und zerrten einen schreienden Soldaten durch ein Loch im Dach, dessen Schreie abbrachen, als ihm der heulende Fahrtwind den Atem raubte. Seine Kameraden mühten sich, ihn wieder hineinzuziehen, aber eine Salve der fleischfressenden Kreaturen tötete die MöchtegernRetter in einem Geschosshagel. Das Skiff jagte um die nächste Biegung im Eiskanal, nur um die nächste Schar geflügelter Ungeheuer vor sich zu sehen, die eine undurchdringliche Wolke bildete und dem Skiff den Weg mit ihren Leibern versperrte. Der Pilot reagierte instinktiv, trat auf die Bremse und riss das Skiff zu einer Seite herum. Bremsdornen bohrten sich ins Eis und ließen das Skiff unkontrolliert herumrutschen. Das Heck geriet ins Schleudern, und das Passagierabteil drehte sich langsam, bis es seitwärts über das Eis glitt. Da es breiter als der Kanal war, verfing sich das hintere Ende an der MagnetLeitplanke, wodurch das Abteil auf die Seite geworfen wurde. Durch die hohe Geschwindigkeit wurde das Abteil aufgerissen und die Kupplung mit der Zugmaschine zerstört. Das Abteil flog sich überschlagend durch die Luft, um hundert Meter weiter im Eiskanal zu landen, wo es in einem sengenden orangen Feuerball explodierte.
Flammen wallten himmelwärts, während das Wrack noch weitere sechshundert Meter durch den Kanal rutschte und die Hitze der Flammen das Eis unter dem Wrack schmolz. Als das Wrack zum Stehen gekommen war, krochen ein paar jämmerliche Überlebende aus dem Wrack, ramponiert, blutig und benommen. Noch bevor sie Gelegenheit bekamen, sich zu Tode zu frieren, waren die geflügelten Gargyle bei ihnen und fielen mit Krallen und Zähnen über ihre hilflose Beute her, bis niemand mehr am Leben war. Der Landkrieg auf Tarsis Ultra hatte seine ersten Opfer gefordert. Von ihrem Platz hoch oben auf dem Dach ihres Lagerhausverstecks beobachteten Schneehund und Silber die entfernten Kondensstreifen der Torpedos, die durch den violetten Himmel in die oberen Schichten der Atmosphäre flogen. Die Devotionalien-Holos, die normalerweise nur namenlose Prediger zeigten, die einen aufforderten, zum Imperator zu beten, hatten ununterbrochene Warnungen vor den Gefahren eines Kontakts mit der fremden Rasse gesendet. Schneehund wusste nicht, wie es um den Krieg stand, war aber ziemlich sicher, dass irgendwo etwas gewaltig schiefgelaufen sein musste, weil man nicht einfach anfing, bodengestützte Waffen abzufeuern, außer um eine unmittelbar bevorstehende Invasion abzuwehren. »Das sieht nicht gut aus«, sagte Schneehund. »Nein«, gab Silber ihm recht. »Ganz sicher nicht.« Lord Inquisitor Kryptman stand in der gepanzerten Observationsbucht auf dem Gouverneurspalast und beobachtete dieselbe Szenerie mit ähnlichen Gefühlen. Nach der Nachricht, dass die Flotte zum Rückzug gezwungen worden war, hatten sich seine Hoffnungen zerschlagen, diese Invasion aufzuhalten, bevor sie die Oberfläche des Planeten erreichte. Er ließ den Blick ein letztes Mal über die Landschaft wandern, wissend, dass sich diese Welt selbst dann unwiderruflich verändern würde, wenn sie die Tyraniden besiegen konnten. Alle Offiziere hatten Befehle hinsichtlich der taktischen Doktrin und der richtigen Vorgehensweise im Kampf gegen die Tyraniden bekommen. Mit unzähligen Leben erkaufte Erfahrung machte die
Runde durch die Soldaten von Tarsis Ultra, und Kryptman hoffte, das Opfer derjenigen, die gestorben waren, um diese Informationen zusammenzutragen, würde nicht umsonst gewesen sein. Während er den Beginn der Invasion der Tyraniden betrachtete, gesellte sich Magos Locard zu ihm in die Bucht, die Hände vor dem Bauch verschränkt, während über seinem Kopf Mechadendriten sanft hin und her schwankten. »Also beginnt es wieder«, sann der Inquisitor, während er den wogenden bunten Himmel beobachtete. »In der Tat«, sagte Locard. »Wäre es nicht so monströs, könnte man es sogar als ästhetisch erfreulich betrachten. Die Natur wird zu Paroxysmen der Schöpfung getrieben.« »Schöpfung, ja, aber daran ist nichts Natürliches. Es ist Schöpfung mit dem Ziel, zu zerstören und zu verzehren.« »Eine interessante Dichotomie, nicht?«, stellte Locard fest. »Ja, aber vielleicht eine für eine andere Zeit. Was machen Ihre Forschungen?« »Sie schreiten voran. Die Anlagen hier lassen in mancherlei Hinsicht zu wünschen übrig, sind aber für meine Bedürfnisse ausreichend. Die den auf der Vae Victus geborgenen Xeno-Kreaturen entnommenen Proben haben ungemein geholfen, aber ihre genetische Struktur weist Anzeichen der Mutation auf. Anscheinend sind die Tyraniden seit der Verzehrung von Barbarus Primus in eine neue Evolutionsphase eingetreten.« Kryptman drehte sich zu dem Magos um und nickte. »Das hatte ich mir schon gedacht.« »Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir irgendwie an eine Genprobe gelangen, die so nah an der ursprünglichen Struktur des Schwarms wie eben möglich ist und noch keiner Mutation auf Geheiß des Schwarmverstandes unterworfen wurde.« »Und wie wollen Sie sich so eine Probe beschaffen?« »Tja, das weiß ich noch nicht«, gestand Locard. »Finden Sie einen Weg«, befahl Kryptman. Uriel sah, wie Learchus und Pasanius die Front der Stadtverteidigung abmarschierten, und unterdrückte den Drang, sich ihnen anzuschließen. Vor nicht allzu langer Zeit war er ebenfalls noch Sergeant gewesen, und das alte Verlangen, nach den Männern unter seinem Kommando zu sehen, kam am Vorabend jeder Schlacht immer noch zum Vorschein. Er hatte jetzt andere Sor-
gen, machte er sich klar, während er die Datentafel durchging, um sich zu vergewissern, dass in seinem Verantwortlichkeitsbereich alles so war, wie es sein sollte. Von oben betrachtet, ähnelte die Ebene vor der Stadtmauer mit den gewundenen Gräben, welche die beiden Seiten des Tals miteinander verbanden, einer Rennstrecke. Drei Gräben durchquerten sie, die beständig schmaler wurden, da sie sich der Stadtmauer näherten, aber Uriel wusste, dass dies nur zeitweilige Verteidigungseinrichtungen waren. Die erste Welle der Tyraniden würde sie aus der Luft angreifen und festnageln, während die Hauptstreitmacht zu Fuß kommen würde. Sebastien Montante hatte ihm versichert, dass die Seiten des Tals mit ausreichend Geschützen verteidigt wurden, um jeden Angriff aus der Luft zu vereiteln. Uriel hatte seine Zweifel, da er wusste, dass Ausmaß und Umfang der Tyraniden-Invasion das Begriffsvermögen der meisten Leute überstieg, die noch keine erlebt hatten. Siebentausend Männer hielten den ersten Graben besetzt, sechstausend den zweiten und weitere zweitausend den dritten. Die restlichen Soldaten warteten innerhalb der Mauern von Erebus und wurden in Reserve gehalten, bis sie gebraucht würden. Vor dem Wall tuckerte das Capitol Imperialis von Oberst Octavius Rabelaq, dessen gepanzerte Flanken von Geschützen starrten und auf dessen krennelierter Brustwehr es von Soldaten wimmelte. Mit dem Wappen des Logres-Regiments verziert, erhob sich das gewaltige, rhomboidförmige Kommandofahrzeug fast fünfzig Meter über den Boden. Von hier aus konnte Rabelaq seine Soldaten dirigieren und den Überblick über die Schlacht behalten. Seine Ketten waren breiter als eine Straße, und im Lauf seines Hauptgeschützes war Platz für vier Kampfpanzer vom Typ Leman Russ. Es war eine furchterregende Erinnerung an die Macht des Imperiums, und diese Macht war für alle sichtbar. Kleinere Panzer umgaben das Capitol Imperialis wie Ameisen einen Elefanten und fuhren durch Tore im Wall zur Front. Jene Panzer, die bereits Stellung bezogen hatten, standen in gut angelegten Böschungsansätzen und hatten Rollbahnen aus plattgewalztem Schnee hinter sich, über die sie zur nächsten Linie zurücksetzen konnten. Soldaten in schmutzigen weißen Mänteln kauerten in ihren Unterständen um Plasmawellen-Generatoren und erhitzten Essen. Die Männer genossen, was durchaus für längere Zeit ihre letzte
warme Mahlzeit sein mochte, und Uriel wusste, dass kaum etwas besser für die Moral war als heißes Essen und Getränke. Hier hatte sich Montante selbst übertroffen, denn er handhabte den logistischen Albtraum, Zehntausende Soldaten versorgen und ausrüsten zu müssen, mit dem Geschick eines erfahrenen Zeugmeisters. Er hatte riesige Feldküchen organisiert, die die Soldaten regelmäßig mit warmem Essen versorgten, und dafür gesorgt, dass die Kommandeure einen zuverlässigen Nachschubtross hatten. Alles war mit bewundernswerter Tüchtigkeit organisiert worden, und er konnte die Lehren des Codex Astartes in der präzisen Struktur der Verteidigung wiedererkennen. Uriel fühlte sich an die schematische Darstellung der nordpolaren Abwehrfestung auf Macragge im ersten Tyrannischen Krieg erinnert, obwohl er hoffte, den Ausgang jener Schlacht vermeiden zu können. Zufrieden, dass alles so war, wie es sein sollte, marschierte er über die mit Schneematsch bedeckten Laufbretter des Grabens zur Front. Eine dicke, zwei Meter hohe Schneewehe war vor dem Graben errichtet worden, um das Feuer der Angreifer abzuwehren, da der Schnee nicht wie Sand unter dem Einschlag von Projektilen davonspritzte, sondern sich lediglich verdichtete und somit zu einer stärkeren und wirkungsvolleren Barriere wurde. Eimer mit Wasser waren wiederholt über die Böschung der Schneebarriere vor dem Graben gekippt worden, um eine spiegelglatte Oberfläche zu erzeugen, die sich für die Tyraniden hoffentlich als sehr schwer zu erklimmen erweisen würde. »Schon irgendwelche Nachrichten, wann wir mit ihnen rechnen können?«, fragte Pasanius, der sich zu Uriel gesellte. »Bald«, antwortete Uriel, während Learchus ebenfalls zu ihnen kam. »Hervorragende Arbeit, Learchus«, sagte Uriel, indem er seinem Sergeant zur Begrüßung die Hand schüttelte. Learchus nickte. »Die Soldaten hier sind gute Männer, BruderHauptmann, sie mussten nur an die Lehren des Codex Astartes erinnert werden.« »Ich bin sicher, Ihre Erinnerung ist sehr nachdrücklich ausgefallen, Sergeant«, stellte Uriel fest. »Wo es nötig war«, räumte Learchus ein. »Ich war nicht rauer als ein Ausbildungs-Sergeant in Agiselus.« Sowohl Pasanius als auch Uriel zuckten zusammen, als sie sich an die Strenge ihrer Ausbildung auf Macragge erinnerten. Sie be-
zweifelten nicht, dass Learchus die Soldaten hier durch die Hölle geschickt hatte, um sie auf den bevorstehenden Krieg vorzubereiten. Aber wenn sie das zu besseren Soldaten machte, dann war es ein Preis, den zu zahlen sie dankbar sein mussten. »Wo werden die Mortifactors und die Deathwatch stationiert?«, fragte Learchus. Uriel zeigte auf den südlichen Bereich der Gräben, und seine Stirn furchte sich bei der Erinnerung an die Konfrontation mit Astador und Kryptman in der Raumstation. Er hatte die Beherrschung verloren, und die Scham über diesen Lapsus brannte immer noch in ihm. Er war ein Space Marine im Dienst des Imperators und stand über kleinlichen Dingen wie Temperamentsausbrüchen. Aber der Tod so vieler Unschuldiger auf Chordelis und der vom Nachtbringer auf seiner Seele hinterlassene Fleck hatten seinen normalerweise unverbrüchlichen Ehrenkodex überwunden. Die Vorstellung, die Beherrschung zu verlieren und plötzlich kaum mehr zu sein als ein Mörder ohne Gewissen, ängstigte ihn sehr. Er erwog kurz, die wachsende Finsternis in sich zu beichten, verkniff sich die Worte aber, da er nicht wusste, wie er seine Gefühle artikulieren sollte. Derartige Schwächen waren einem Space Marine fremd, und ihm fehlte die Menschlichkeit, um sie einfach auszudrücken. Die drei Space Marines beobachteten den wallenden Himmel in der Ferne mit Beklommenheit. Niemand würde je das Grauen vergessen, das sie auf Ichar IV erlebt hatten, und die Vorstellung, wieder so einem Feind gegenüberzutreten, brachte nur Besorgnis mit sich. Sie wussten zwar, dass sie jeden Feind besiegen konnten, aber sie waren nur hundert Krieger, und gegen so eine riesige Horde waren auch ihren Fähigkeiten Grenzen gesetzt. Die Soldaten ringsumher waren zahlreich, aber nicht annähernd so zahlreich wie die Tyraniden. Doch der Vorteil der Verteidiger von Tarsis Ultra lag in ihrer grundlegenden Menschlichkeit und der Courage, die aus der Tatsache erwuchs, dass sie Heim und Herd verteidigten. Genau darin also, was Uriel und seinen Sergeanten fehlte. Die Berge im Westen schienen sich zu winden, so viel Bewegung herrschte dort. Tausende und Abertausende von Sporen hämmerten auf den Boden, und jede spie eine schleimbedeckte Kreatur
aus, die in animalischem Hunger zischte und kreischte. Schwärme von Bestien versammelten sich im Schatten der verwandelten, in Rauch gehüllten Wälder, deren natürliche ökologische Schönheit zu einer monströsen, fremdartigen Flora pervertiert worden war, welche die Nährstoffe im Boden aufzehrte und die Landschaft mit einen dunklen Fleck nekrotischen Wachstums überzog. Blubbernde Seen aus Säuren und Enzymen bildeten sich in Senken, und kleine Verschlinger-Organismen tauchten in das Säurebad ein, um die gesammelte Energie abzugeben und den unstillbaren Hunger der Tyranidenflotte zu befriedigen. Als sich genügend Kreaturen zu einer schnappenden, beißenden Horde versammelt hatten, machten sie sich auf ein unsichtbares Signal hin auf den Weg, und kräftige Hinterbeine beförderten den springenden Schwarm durch den tiefen Schnee der Berge zur Ebene darunter. Größere Kreaturen stapften durch den Schnee, deren bestialische Kiefer beständig schnappten und deren Krallenhände die kleineren Organismen beiseite fegten, während sie sich durch den Schwarm bewegten. Zehntausende Tyraniden stürmten die Berghänge hinunter, durch unsichtbare Bande des Hungers mit den fliegenden Gargylen verbunden, die sie zu ihrer Beute lenkten, da sie dem Schwarm vorausflogen. Auf ganz Tarsis Ultra näherten sich die Bestien der TyranidenInvasion ihren Zielen. Gardist Pavel Leforto von der Wehrlegion Erebus leckte sich nervös die Lippen und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan, da er spürte, wie die Kälte die Feuchtigkeit binnen Sekunden gefror. Er musste dringend seine volle Blase entleeren, aber die Latrinengräben lagen dreihundert Meter hinter dem Grabenabschnitt seines Zugs. Er verfluchte die Notwendigkeit, so viel zu trinken. In seinem Alter war seine Blase nicht mehr die stärkste, und der Zwang, jeden Tag fünf Kanister Wasser zu trinken, um der Dehydrierung vorzubeugen in dieser Kälte eine sehr reale Gefahr -, war eine beständige Last. Aber die Gardisten des Logres-Regiments waren allesamt humorlose Schweinehunde, wenn es um Erfrierungen ging, und mittlerweile war es ein strafbares Vergehen, sich eine Dehydrierung, Erfrierung oder Unterkühlung zuzuziehen. Im Graben war es nicht so kalt wie in den Wochen zuvor, obwohl hoch oben auf der Periskop-Plattform ein eisiger Wind weh-
te, der ihn trotz der vielen Schichten Thermo-Schutzkleidung bis ins Mark frösteln ließ. Die Anwesenheit so vieler Soldaten steigerte die Temperatur um mehrere Grad, und die Panzer waren zu einem Magneten für frierende Soldaten geworden, die sich in der Hitzeabstrahlung ihrer Motoren aalten. Allein in diesem Grabenabschnitt hielten sich über dreihundert Soldaten auf, eine Mischung aus Trupps der Logres- und Krieg-Regimenter. Keiner der Fremdweltsoldaten war sonderlich freundlich, und sie behandelten die Soldaten der Wehrlegion wie Wochenendkrieger, wie Amateure, die in den Arenen der großen Jungs spielten. Das in Verbindung mit der allgemein schlechten Laune hatte die Beziehungen zwischen den Verteidigern von Tarsis Ultra gelinde gesagt strapaziert. Die anfängliche Erregung darüber, seinen regulären Posten in den Gießereien von Erebus verlassen zu können, hatte sich längst verflüchtigt, und er vermisste die vorhersehbare Monotonie seiner normalen Arbeit. Doch noch mehr als das vermisste er sein Heim, seine Frau und seine Kinder, besonders abends, und die beengte, aber heimelige Hab-Einheit hoch an der Nordwand von Bezirk Secundus, die sie sich mit drei anderen Familien teilten. Sonya würde mittlerweile das Abendessen fertig haben, und seine beiden Kinder, Hollia und der kleine Solan, würden auf dem Rückweg aus der Schola sein. Ihre Abwesenheit schmerzte, und Pavel freute sich schon auf das Ende dieses Krieges, wenn er wieder mit ihnen vereint sein würde. Er verbannte alle Gedanken an Heim und Familie und drückte das Gesicht auf die mit Gummi überzogenen Augenöffnungen der Periskoplinsen und dann auf den Knopf, der die polarisierten Außenabdeckungen öffnete. Er verrückte die Sturmhaube unter seinem Helm, um richtig hindurchschauen zu können. Die Wärme seiner Haut ließ das Glas kurz beschlagen, bevor sich ein klares Bild vor seinen Augen aufbaute. Das trostlose, ununterbrochene Weiß der Landschaft lag leer vor ihnen, so weit sein Auge reichte, obwohl er wusste, dass die niedrigen Temperaturen seine Tiefenwahrnehmung und Sehschärfe beeinträchtigten. Andererseits war er auch nicht der einzige Beobachter in diesem Sektor, also störte es ihn nicht sonderlich, dass er nicht viel sehen konnte. Nichts zu sehen war ohnehin ein gutes Zeichen, oder nicht? »Irgendwas zu sehen?«, fragte sein Truppkamerad Vadim Ko-
tash, während er Pavel eine dampfende Blechtasse mit Kaffein hinhielt. Mit seinen fünfundvierzig Jahren war Vadim ein Jahr jünger als Pavel, und beide waren vermutlich die ältesten Männer im ganzen Zug. Das Gesicht seines Freundes war unter der Sturmhaube mit der Schneebrille sowie einem Schal verborgen, den er sich um den Mund gewickelt hatte und der seine Stimme dämpfte. »Nein«, sagte Pavel, indem er die Abdeckungen wieder über die Linsen gleiten ließ. Er nahm die Tasse, zog sich den Schal vor dem Mund hinunter und trank einen Schluck des heißen Getränks. »Bei diesem Wetter kann ich kaum etwas erkennen.« »Aye, das ist mir klar. Con hat erzählt, dass Kellis gestern ins Lazarett eingeliefert wurde. Er ist schneeblind geworden. Der Idiot hat seine Brille nicht aufgesetzt.« »Dafür werden ihn die Kommissare über glühende Kohlen zerren.« »Würde mir gar nichts ausmachen, über glühende Kohlen gezerrt zu werden, die könnten meine alten Knochen aufwärmen«, gluckste Vadim. »Dafür wäre jetzt schon der Hochofen in der Gießerei nötig«, sagte Pavel. Vadim nickte, während ein Offizier im langen, schlammfleckigen Mantel des Krieg-Regiments und einem dicken, pelzbesetzten Kolpak mit den Rangabzeichen eines Leutnants auf dem Kopf durch den Graben kam. Er trug ein Lasergewehr über der Schulter, und seine Miene drückte finstere Verdrossenheit aus. »Oje, das ist Konarski«, zischte Vadim und tippte Pavel auf die Schulter, aber es war schon zu spät. »Sie!«, schnauzte Konarski. »Warum halten Sie nicht nach dem Feind Ausschau?« Pavel erschrak ob des scharfen Tonfalls und schüttete sich Kaffein über den Mantel. »Äh, Verzeihung, Herr Leutnant. Ich wollte gerade...« »Mir ist völlig egal, was Sie gerade wollten, Sie sollen nach dem Feind Ausschau halten. Mit Ihrer Achtlosigkeit könnten Sie uns alle ganz allein zum Tode verurteilen. Dafür melde ich Sie, verlassen Sie sich darauf.« Pavel ächzte frustriert, als Konarski ein ramponiertes und offenbar ausgiebig benutztes Notizbuch für disziplinarische Vergehen und einen winzigen Bleistiftstummel zückte.
»Also gut, Soldat, Name, Rang und Dienstnummer...« Konarski bekam keine Gelegenheit mehr, seine Frage zu beenden, da entlang der gesamten Front die Alarmsirenen zum Leben erwachten und den Soldaten ihre Warnung entgegenheulten. In den Gräben brach panische Hektik aus, da Soldaten nach ihren Waffen tasteten, und auf dem Feuersteg ließ Pavel seine Tasse fallen und presste das Gesicht gegen das Periskop. Seine Auseinandersetzung mit Konarski war vergessen. Er ließ die Abdeckungen von den Linsen gleiten und keuchte, als er die Schwärme schwarzer Gestalten sah, die sich den Gräben aus der Luft näherten. Die gesamte obere Hälfte seines Blickfelds war mit diesen Kreaturen ausgefüllt, und er hörte das tosende Rauschen vieler Tausend schlagender Flügel, als sie näher kamen. Als ihm klar wurde, dass er das Periskop nicht mehr brauchte, sprang Pavel auf den Feuersteg und hob sein Gewehr an die Schulter. Motoren spien Qualm, als Hydra-Flakpanzer nach vorn fuhren und dabei gefrorenen Matsch und Schnee aufwirbelten und in die Luft schleuderten, da ihre Ketten den Boden aufwühlten. Munitionslaster folgten den Panzern. Jeder war mit dreitausend Granaten in leicht zu ladenden Munitionstaschen beladen, da die Hydras bis zu tausend Schuss pro Minute abfeuern konnten. Pavel beobachtete die sich nähernde Wolke fliegender Angreifer mit einer Mischung aus Entsetzen und Vorfreude. Er hatte die Mauern von Erebus noch nie weit hinter sich gelassen und war aufgeregt angesichts der Möglichkeit, echte Fremdwesen aus der Nähe zu sehen. Aber wenn auch nur die Hälfte der Informationen über sie stimmte, die ihnen in den Einsatzbesprechungen zugänglich gemacht worden waren, würde er aller Wahrscheinlichkeit nach eine allzu nahe Begegnung mit den Tyraniden-Organismen nicht sonderlich erfreulich finden. Die Sirenen verstummten, und das furchtbare Geräusch der flatternden Schwingen hallte von den Talwänden zusammen mit dem spröden, schrillen Lärm von Millionen klickender Krallen wider. »Wartet mit dem Schießen, bis sie näher herankommen«, befahl ein Hauptmann des Logres-Regiments, der hinter ihnen gelassen auf und ab ging, das Schwert gezogen und die Klinge auf die Schulter gelegt. »Vergeudet keine Schüsse, ihr werdet jeden einzelnen brauchen.«
Pavels und Vadims Blicke begegneten sich, und Pavel sah die Furcht hinter dem nervösen Lächeln seines Freundes. »Keine Sorge, Vadim«, sagte Pavel. »Halte nur immer ein frisches Magazin griffbereit, dann wird alles gut.« Vadim nickte unsicher, während die Hydras das Feuer eröffneten und der Lärm ohrenbetäubend wurde, da die vierläufigen Waffen die ersten Granaten in den nahenden Schwarm abschossen. Hunderte von Explosionen erfolgten zwischen den fliegenden Kreaturen und zeichneten Schmutzflecken in den Himmel, und die entfernten Schreie sterbender Kreaturen hallten durch die eisige Luft. Dampf quoll aus den luftgekühlten Läufen, und berobte Techpriester umkreisten jeden Panzer und besprenkelten ihn mit gesegnetem Wasser aus ihrem Aspergill, während die Kanonen ihre Sprenggranaten verschossen. Pavel sah den Schwarm in der Luft zucken, als er vom Abwehrfeuer der Hydras erfasst wurde und jede Sekunde viele Hundert Kreaturen zerfetzt wurden. Das unter ihnen angerichtete Gemetzel war furchtbar, und ein Regen schwarzer Objekte fiel aus dem Schwarm zu Boden. Er fragte sich, wie sie solche Verluste erleiden und trotzdem weiterfliegen konnten. In perfektem Gleichklang tauchte ein Teil des Schwarms ab, während der Rest an Höhe gewann und den höchsten Gipfeln der Stadt entgegenstrebte. Der tiefer fliegende Schwarm kam schnell tiefer und flog dicht über dem vereisten Boden wie ein dunkler Geschossregen den Gräben entgegen. Die Hydras feuerten weiter, da ihre Läufe sich senkten und dem Schwarm folgten, der es offenbar auf die Gräben abgesehen hatten. Die Entfernung verringerte sich rapide, und das kreischende Geschrei der Tyranidenkreaturen zerrte an den Nerven der vielen Tausend Männer, die ihnen gegenüberstanden. Pavel beobachtete sie durch das Zielrohr seines Lasergewehrs, und das blinkende rote Fadenkreuz wurde grün, als die Kreaturen in die effektive Reichweite der Waffe flogen. »Feuer! Feuer frei!«, brüllte ein Offizier, und viele Tausend Lasergewehre schossen gleichzeitig. Der schwarze Schwarm schien kollektiv zusammenzuzucken. Hunderte und Aberhunderte der Bestien fielen sich überschlagend auf das Eis. Disziplinierte Salven trafen den Schwarm. Pavel schoss, ohne zu zielen. Es war einfach unnötig, wenn der Feind in solcher Zahl angriff.
Das Gekreisch steigerte sich zu einem stürmischen Heulen, und plötzlich waren sie über ihnen. Vadim duckte sich, als ein fliegendes Ungeheuer gegen den Grabenrand prallte und verkümmerte Hinterbeine auf dem Eis Halt suchten. Membranartige Schwingen flatterten, als die Rippenarme auf ihn zeigten und eine schleimtropfende symbiotische Waffe auf sein Herz zielte. Pavel schoss der Bestie in den Kopf, und ihr zuckender Kadaver fiel in den Graben. Zwei zischende Ungeheuer glitten im Tiefflug heran, und Klumpen aus schwarzem Schleim bespritzten die Grabenwände, da Pavel Vadim in den Matsch am Boden des Grabens stieß. Er fuhr herum, als die Bestien auf ihn losgingen, ohne das allgegenwärtige Geschrei und den Kampflärm überhaupt noch wahrzunehmen. Er gab Dauerfeuer, so dass grelle Laserstrahlen durch den Graben zuckten, und schnitt die Bestien entzwei. Vadim erschoss eine andere Bestie, die sich über die Schneewehe zu krallen versuchte. Pavel zerrte Vadim auf die Beine. In der Luft wimmelte es von Gargylen, die im Sturzflug auf die Gräben niedergingen und krallten, bissen und mit ihren widerlichen Biowaffen schossen. Schreie waren über das beständige Zischen der Ungeheuer zu hören, und es stank nach Blut und Angst. Ein Trupp der kreischenden Bestien stieß aus dem dünner werdenden Schwarm herab, und grelle Strahlen aus Bioplasma schmolzen Schnee und Fleisch mit gleicher Leichtigkeit. Vadim schrie, als er von einem Gargyl in die Luft gehoben wurde. Er strampelte mit den Beinen und heulte jämmerlich, als er aus dem Graben getragen wurde. Pavel sprang hoch und erwischte Vadims Beine, aber seine dicken Fäustlinge fanden keinen Halt, und sein Freund wurde in den Himmel entführt. Pavel fiel wieder in den Graben zurück, während sich ein anderer Gargyl auf ihn stürzte. Er hechtete zur Seite und riss verzweifelt sein Lasergewehr hoch, um die herabstoßenden Krallen zu parieren. Funken stoben, als die Krallen der Bestie durch den Lauf hackten und seine Winterjacke zerfetzten, sich aber wieder losrissen, bevor sie in seine Brust eindringen konnten. Er stolperte und fiel auf dem Feuersteg auf die Kehrseite. Er warf seine nutzlose Waffe weg und zückte das Kampfmesser, während sich die Bestie in der Luft herumwarf und zu einem neuerlichen Anflug ansetzte. Nichtmenschliches Blut bespritzte ihn, als der Gargyl in der Luft explodierte, von innen zerfetzt von einem Boltgeschoss aus dem
Gewehr eines Space Marines. Er wischte sich das Blut von der Brille und sah gerade noch, wie sich ein Hauptmann der Ultramarines und ein Sergeant der Länge nach durch den Graben kämpften, Gargyle töteten und deren Angriffe abschüttelten, als seien sie auf dem Exerzierplatz. »Danke«, stotterte Pavel, aber die Krieger waren bereits weitergezogen. Er sank auf die Knie und übergab sich, als ihn die Wirklichkeit seines Beinahe-Todes übermannte und der Schock einsickerte. Übelkeit erregende Angst erfüllte ihn, und die heiße Furcht überflutete ihn förmlich, als ihm aufging, wie dicht er davor gewesen war, Sonya zur Witwe zu machen. Er spürte, wie seine Glieder zitterten, und suchte unter den Toten auf dem Grabenboden nach einer Waffe, nachdem ihm aufgegangen war, dass er nur hoffen konnte, die bereits in Ansätzen lähmende Furcht abzuschütteln, wenn er handelte. Pavel lud eiligst das Lasergewehr und sprang auf. Er stieg wieder auf den Feuersteg und schoss in die Masse der Kreaturen am Himmel über sich. Er schoss und lud nach und wusste irgendwann nicht mehr, wie viele Reservemagazine er schon in die Waffe gerammt hatte, da er sich aus den Beuteln der Gefallenen bediente, nachdem seiner leer war. Doch selbst er sah, dass die Zahl der Kreaturen geringer wurde. Da sie nicht landen und kämpfen konnten, würden die Gargyle die Gräben niemals erobern, und Pavel fragte sich, worin eigentlich der Sinn dieses Angriffs lag. Die Antwort war entsetzlich klar. Die Tyraniden sondierten sie... lernten. Dieser Angriff war nicht mehr als ein Erforschen der Fähigkeiten ihrer Beute, nur ein Hinweis auf das, was noch kommen würde. Diese Vorhut war nur eine Ablenkung, und die Bestien, die hier zu Tausenden starben, waren entbehrlich, Kanonenfutter, um Informationen zu erhalten, wie sich die Kreaturen, die diese Welt verteidigten, am besten besiegen ließen. Der Gedanke an so eine kalte, gefühllose Logik ließ ihn im tiefsten Innern seiner Seele frösteln. Wenn Tausende geopfert wurden, um ein paar Informationen zu bekommen, welches Grauen mochten die Führer der Tyraniden dann noch entfesseln? Die Kampfgeräusche wurden leiser, und hier und da konnte Pavel die gerüsteten Gestalten der Ultramarines und der Mortifactors sehen, wie sie die letzten Exemplare des Schwarms erledig-
ten und sich dabei ihrer klobigen Waffen mit einer Tüchtigkeit bedienten, die auf Jahrzehnte beständiger Übung zurückzuführen war. Er stützte sich an der Grabenwand ab, da ihn eine Flut von Empfindungen überschwemmte. Erleichterung über sein Überleben, Sehnsucht nach seiner Familie, Trauer um Vadim obwohl er keine Ahnung hatte, ob sein Freund noch lebte oder gefallen war. Er sank auf dem Feuersteg zusammen, als sich Erschöpfung wie kaltes Blei in seinen Gliedern ausbreitete und seine Hände zu zittern anfingen. Pavel weinte um seinen verschollenen Freund, und die Tränen gefroren auf seinen Wangen zu Eis. Schneehund gab einen Feuerstoß mit seinem schweren Karabiner ab, und die Geschosse zerfetzten einen zischenden Gargyl und fegten ihn aus dem verrammelten Fenster, durch das er einzudringen versucht hatte. Silber erledigte gelassen einen anderen, der ein Loch in die Decke hackte, und Tigerlily wirbelte umher und durch die Bestien und zerfetzte Flügel mit ihren Dolchen und stach Augen aus. Jonny Stampfer und Trask kämpften Rücken an Rücken und feuerten, was das Zeug hielt, auf die bizarr aussehenden Kreaturen, die in ihr Lagerhaus-Versteck einzudringen versuchten. Das Krachen der Waffen war ohrenbetäubend, und in den kurzen Feuerpausen brannten sich die Schreie der Panik und Furcht von denjenigen Zivilisten ins Bewusstsein, die das Glück gehabt hatten, die Sicherheit des Lagerhauses zu erreichen. Die Tür splitterte schließlich, und ein halbes Dutzend kreischende Ungeheuer kämpfte darum, sich durch die Öffnung zu zwängen. Schneehund wirbelte herum und wappnete sich, indem er die Beine zu einem sicheren Stand spreizte, während er auf den Feuerknopf des Karabiners drückte. Eine meterlange Flammenzunge schoss aus dem perforierten Lauf und löste die Bestien in einer Wolke aus Blut und Rauch auf. Trotz seiner Vorkehrungen brachte der Rückschlag Schneehund aus dem Gleichgewicht, und der Strom der Geschosse wanderte nach oben und fegte Gipsbrocken aus der Decke. Er schwang die Waffe wieder nach unten und suchte nach neuen Zielen, fand für den Moment aber keine. Das panische Winseln und gedämpfte Schluchzen der zwei Dutzend Zivilisten im hinte-
ren Teil des Lagerhauses irritierte ihn bereits, und er atmete tief ein und langsam wieder aus, um sich zu beruhigen, und lief dann zum Rand des zerschmetterten Fensterrahmens, um einen Blick nach draußen zu riskieren. Seit dem frühen Abend hallte das Krachen der Abwehrkanonen von den Talwänden wider, und er sah die Kanonen hoch oben in den Felswänden schießen. Zuerst hatte er nicht sehen können, worauf sie schossen, aber schon bald war eine wogende Wolke aus Kreaturen in Sicht geflogen. Im Kielwasser der Ungeheuer ging ein schwarzer Regen nieder, Tausende von Sporen, die in beängstigender Zahl auf die Stadt niedergingen. Explosionen pflasterten den Himmel, Granaten zerplatzten zwischen den herabstürzenden Organismen und töteten die Ungeheuer. Schneehund hatte noch nie zuvor eine so wunderbare Zurschaustellung der Abwehrgeschütze der Stadt gesehen, und die Feuerkraft, die sie gegen die Sporen zum Tragen brachten, war unglaublich. Der Maßstab der Tyraniden-Invasion war von einer Größenordnung, die alles überstieg, was sich die Erbauer der Stadt je hätten träumen lassen, und vereinzelte Teile des Luftbombardements konnten den Schutzschirm der Flak durchdringen, hauptsächlich in den tiefer gelegenen Bereichen der Stadt und weit entfernt von den Stellen, wo die zusätzlichen Geschütze in den Mauern des Imperiumspalasts von Sebastien Montante gegen die erste Welle kämpften. Neugierige Zuschauer umringten die Sporen, denen die Landung gelang, um diese Bedrohung ihrer Welt mit eigenen Augen zu sehen, und die meisten davon bezahlten ihre Neugier mit dem Leben, wenn die nichtmenschlichen Mörder aus den Sporen platzten: hackende Bestien und sichelarmige Ungeheuer mit gnadenlosen Augen und gefräßigem Appetit. Schneehund hatte zugesehen, wie eine Handvoll Sporen die dünnen Wellblechdächer einiger Gebäude in der Nähe durchschlagen hatten und war bei ihrem Aufschlag in dem Wissen zusammengezuckt, dass ihre Bewohner bereits tot waren. Menschen sprengten auseinander, durch die Explosion der Gewalttaten ringsherum aufgeschreckt. Beinahe hundert der springenden, zischenden Bestien drängten sich durch die Straßen vor dem Lagerhausgebäude, das ihnen als Basis diente. Schreiende Menschen mit Kindern und jämmerlichen
Bündeln mit persönlichen Besitztümern auf den Armen waren vor den Bestien geflohen, und in einem Augenblick der Schwäche, von dem er wusste, dass er ihn noch bereuen würde, hatte Schneehund ihnen Zuflucht in ihrem Lagerhaus gewährt. Seitdem kämpfte er mit seiner Bande um ihr Leben, da die Ungeheuer mit Klauen und Zähnen rangen, um hineinzugelangen. Jonny hatte sie so lange in Schach gehalten, bis Schneehund die Waffen auspackte, die er einem der vielen unehrlichen MagazinSergeanten in den geschäftigen Häfen abgekauft hatte, und nun, da alle starke Waffen trugen, schickten sie die Bestien mit eingezogenem Schwanz nach Hause. Es schmerzte Schneehund, diese Waffen benutzen zu müssen, weil sich ihr Widerverkaufswert stark verringert hatte, nachdem sie nun abgefeuert worden waren. Immerhin, überlegte er, hatte er noch reichlich Kisten mit Verpflegung und medizinischen Hilfsgütern auf Lager und war bereit, Sonne und Mond zu verwetten, dass in den bevorstehenden Tagen eine höllische Nachfrage danach bestehen würde. Er hustete, als sich jähe Stille auf die Hab-Einheit senkte, da seine Lunge mit dem beißenden Rauch aus der großkalibrigen Waffe gefüllt war. Trask und Jonny Stampfer klatschten sich ab. »Habt ihr den gesehen, den ich zwischen die Augen getroffen habe?«, knurrte Trask. »Dem hab ich sauber den imperatorverfluchten Schädel weggeblasen!« »Aye. Aber was ist mit dem, den ich mit dem Granatwerfer erwischt habe? Das war super«, sagte Jonny, indem er wieder und wieder so tat, als schieße er. Schneehund ließ sie prahlen, schulterte den rauchenden Karabiner und lächelte Silber an, die zurücknickte und ihre Pistolen nachlud. Lex und Tigerlily sanken zu Boden und zündeten sich Obscurastäbchen an, und Schneehund ließ sie, da er glaubte, die Gefahr sei einstweilen vorüber. Silber schmiegte sich an ihn, rieb seinen Nacken und reckte sich zu ihm in die Höhe, um ihn auf die Wange zu küssen. Sie lächelte und deutete mit einem Kopfnicken auf die Menge verängstigter Leute hinten im Lagerhaus, wobei ihr normalerweise eisiges Gehabe weicher wurde. »Das hast du gut gemacht, dass du die Leute reingelassen hast«, sagte sie. »Ja, bin ich nicht ein Held?«, sagte Schneehund schnippisch. »Nein«, erwiderte Silber, »aber ich glaube, du bist ein Gefühls-
mensch.« »Ich? Lass es nicht darauf ankommen, mein Schatz. Ich weiß nicht mal, warum ich's getan habe. Hätte ich Zeit gehabt, darüber nachzudenken, hätte ich ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen.« »Echt?« »Echt.« Silber suchte in seinen Augen nach einem Anzeichen dafür, dass er scherzte, dann nahm sie die Hand von seinem Nacken, als sie keines fand. Er sah, wie sich ihre gewohnte Distanziertheit wieder einstellte, als ihr Blick seinen scheinbaren Altruismus durchschaute und bis ins weiße Herz seines Eigennutzes vordrang. Sie wandte sich ab und sagte: »Ja, ich wette, das hättest du getan.« Schneehund richtete den Blick wieder durch das Fenster auf die schneebedeckte Stadt. Er konnte es Silber nicht verdenken, das Beste von ihm gedacht zu haben: Er konnte charmant sein, wenn er wollte, aber er wusste, dass sein Egoismus zu tief verwurzelt war, um sich in dieser Beziehung noch ändern zu können. Er kannte seine Fehler, und sie waren nicht seine wesentlichen Charakterzüge, sie waren nur Nebenprodukte Denkmäler seines Bestrebens, sich in erster Linie um sich zu kümmern. Er fluchte leise, als er sich Silbers Blick wieder vor Augen führte, als sie noch geglaubt hatte, er hätte die Leute aus uneigennützigen Motiven ins Lagerhaus fliehen lassen. In diesem Blick hatte keine Arglist gelegen, und seine nackte Aufrichtigkeit ängstigte ihn mit dem Gefühl, das sie in ihm auslöste. Schneehund lehnte den Karabiner an die Wand, zog ein Päckchen Lho-Stäbchen aus der Hosentasche und zündete sich eines an, während er darüber nachdachte, wie es weitergehen würde. Er würde diese Leute ernähren und für ihre Sicherheit sorgen müssen, eine Verpflichtung, die allen Instinkten in ihm zuwiderlief. Er achtete nur auf sein Liebstes und Teuerstes, und das beinhaltete mit Sicherheit keine Zivilisten. Verdammt. Er warf einen Blick auf Silber, spürte die Kälte ihres Blicks und fluchte wieder. Er fuhr sich mit der Hand durch das gebleichte Haar und hörte Schreie und Schüsse, da noch mehr Ungeheuer in anderen Stadtteilen auf Widerstand trafen. Er warf einen Blick auf die ängstlich zusammengekauerten Leute und schüttelte den Kopf. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Was dachte er sich jetzt
dabei? Kisten stapelten sich bis tief in die Dunkelheit ganz weit hinten im Lagerhaus. Es war eine Schatzkammer aus Waffen, medizinischen Hilfsgütern, Nahrung, Kleidung, Decken all die Dinge, die eine Stadt im tiefsten Winter während einer Invasion dringend brauchte. Sein Blick wanderte von den Kisten zu den Leuten, und als er die verzweifelte Sehnsucht in ihren Augen sah, stellte er sich den Inhalt der Kisten vor. Schneehund lächelte, als er plötzlich witterte, wie sich seine Möglichkeiten vervielfachten.
ZEHN Uriel und Learchus begutachteten die Zerstörungen der Grabenlinien mit geübtem Blick und kamen zu dem Schluss, dass sie einem weiteren Luftangriff wahrscheinlich standhalten würden, einem kombinierten Angriff aus der Luft und zu Lande aber wohl nicht. Nachdem die Kharloss Vincennes ihre Furien nicht mehr aufnehmen konnte, waren diese auf Tarsis Ultra gestrandet, und die von ihnen geflogenen Aufklärungsmissionen hatten ergeben, dass sich kaum sechzig Kilometer weiter westlich eine Chitinflut von unvorstellbaren Ausmaßen gebildet hatte. Nach einer konservativen Schätzung der Geschwindigkeit ihres Vormarschs war die Tyranidenhorde damit kaum noch eine Stunde entfernt. Drei Maschinen waren bei der Beschaffung dieser Information von umherstreifenden Gargylrudern zum Absturz gebracht worden, die in den bunten Wolken lauerten, welche von den mutierten, durch die Tyranidensporen eingeschleppten Gewächsen aufstiegen. »Wir werden diese Linie nicht halten, Bruder-Hauptmann«, sagte Learchus. »Ich weiß, aber es wird ein schwerer Schlag für die Moral sein, wenn wir uns so rasch nach dem ersten Angriff zurückziehen müssen.« Bahrenträger und Sanitäter waren in den Gräben unterwegs, leisteten erste Hilfe, wo sie konnten, und markierten jene, die sofort in ein Lazarett geschafft werden mussten, mit Holzkohlestiften. Die Soldaten aller Regimenter hatten Heldenhaftes geleis-
tet, aber Uriel wusste, dass Heldentum allein nicht genug war, um diesen Krieg zu gewinnen. Weiter weg in den Gräben sah Uriel Ordenspriester Astador von den Mortifactors, der mit den Space Marines seines Ordens im Kreis zum Gebet niederkniete. Aus einem Kohlepfännchen vor Astador trieb Rauch himmelwärts, und sogar über den Gestank der heutigen Schlacht hinweg konnten Uriels verschärfte Sinne den Geruch von siedendem Blut ausmachen. Learchus folgte dem Blick seines Hauptmanns, und seine Lippen verzogen sich angewidert, als er ebenfalls den Blutgeruch in dem dunklen Rauch witterte. »Was für eine Teufelei veranstalten sie jetzt?«, fragte er. »Das weiß ich nicht, Sergeant, aber ich wette, dass Sie dergleichen nicht auf den Seiten des Codex Astartes finden.« Learchus grunzte zustimmend, während Major Satria von der Wehrlegion Erebus und Hauptmann Bannon von der Deathwatch zu den beiden Space Marines kamen. Bannon bewegte sich mit den lässigen Schritten des geborenen Kriegers. Seine Rüstung war blutbefleckt, das gelb-schwarze Symbol der Imperial Fists mit dunkelrotem Seim verklebt. Satrias Züge waren blutig und erschöpft. Sein linker Arm steckte in einem rotfleckigen Verband, und sein Helm wies tiefe Furchen und Kratzer von Tyranidenkrallen auf. »Sergeant Learchus«, sagte er. »Major Satria. Ihre Männer haben tapfer gekämpft«, sagte Learchus. »Vielen Dank«, erwiderte Satria. »In diesen Jungs steckt Stahl. Wir werden Sie nicht im Stich lassen.« »Ihr Kampfgeist ist lobenswert, Major Satria, aber ich fürchte, dass dies nur ein Vorgeschmack auf das war, was uns noch bevorsteht«, sagte Uriel. »Sie könnten recht haben, Hauptmann Ventris. Ich habe Meldungen hereinbekommen, dass bereits sieben andere Städte angegriffen wurden. Und viele der kleineren Siedlungen können wir nicht mehr erreichen.« »Die sind bereits tot«, sagte Bannon. »Das können Sie nicht wissen«, protestierte Satria. »Doch, das kann ich, Major Satria«, antwortete Bannon. »Ich habe schon zuvor gegen die Tyraniden gekämpft, und wir können sehr bald mit weiteren Angriffen rechnen, die mit noch mehr
Wildheit und Schläue durchgeführt werden.« »Was sollen wir also tun?« »Wir werden kämpfen«, verkündete Bannon in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Das hier ist die größte Stadt auf Tarsis Ultra, und die Tyraniden werden darin das wichtigste Organ ihrer Beute sehen. Natürlich werden sie auf ganz Tarsis Ultra angreifen, aber ein Großteil ihrer Bemühungen wird sich gegen uns richten.« Uriel nickte, während sein Blut durch die Sicherheit und Leidenschaft in Bannons Tonfall in Wallung geriet und er spürte, wie die Mordlust und der Hass auf die Tyraniden durch seine Adern gespült wurden. »Wo sind Ihre Leute?«, fragte Learchus. »Ich habe sie an Schlüsselstellen in der Verteidigungslinie postiert«, erwiderte Bannon. »Jeder hat die Litanei des Hasses auf die Xenos in seinen Brustharnisch geritzt und wird sie im Kampf für die Soldaten ringsumher rezitieren. Der heilige Zorn des Imperators wird jeden Mann durchdringen und ihm den Mut geben, seine Pflicht zu tun.« »Die werden sie auch so tun«, versprach Satria. Uriel ließ die Worte seiner Begleiter an sich vorüberziehen, als der Blutgeruch in seiner Nase plötzlich ausgeprägter wurde und seine Sinne immer mehr ausfüllte, bis er nur noch das Verlangen sehen und spüren konnte, Blut zu vergießen. Er merkte, wie sich sein Puls beschleunigte, bis ihm aufging, dass er Gefahr lief zu hyperventilieren. »Hauptmann Ventris?«. fragte Bannon. »Ist alles in Ordnung?« Unter Willensanstrengung kehrte Uriel in die Gegenwart zurück, und der überwältigende Blutgeruch verflüchtigte sich wie ein vergessener Traum. Er entkrampfte seine geballten Fäuste und nickte. »Ja, alles bestens«, sagte er zögernd. »Ich bin nur erpicht darauf, mehr Tyranidenblut zu vergießen.« Uriel hätte schwören können, die Belustigung eines gleich hinter seinen Augen lauernden finsteren Geistes zu spüren. In einem anderen Grabenabschnitt wischte sich Pasanius schwarze Streifen Tyranidenblut von seinem versilberten bionischen Arm. Ein konsterniertes Stirnrunzeln verfinsterte seine Züge. Er hob eine Handvoll Schnee auf, schmierte damit über das glänzende Metall, sah ihn schmelzen und wusch mehr Blut vom
Arm. Schließlich bückte er sich, hob ein auf dem Boden liegendes Halstuch auf und wischte die Oberfläche sauber. Das Metall darunter glänzte wie neu, seine Oberfläche war glatt und makellos und wies nicht einen Kratzer auf. Pasanius hielt den Atem an und schloss die Augen. Er hielt den Arm dicht am Körper und betete. Wieder heulten die Warnsirenen, und Soldaten beeilten sich, die Gräben zu bemannen. In der Ferne ballten sich Schwärme von Gargylen in der Luft zusammen, während ein Geräusch wie ein Rascheln von einem Wispern zu einem Tosen anschwoll. Uriel erkannte darin den Lärm vieler Millionen Kreaturen, die beständig aneinandergerieten, während sie als unaufhaltsame Masse vorwärtseilten, da sie von dem unerbittlichen Willen des Schwarmverstands zum Kämpfen und Töten getrieben wurden. Eine wabernde schwarze Linie erschien am Horizont, eine wogende Flut aus Krallen, Panzern und springenden Ungeheuern. Er spannte die Finger um seinen Schwertgriff, und sein Daumen schwebte über der Einschaltrune, während er die Tyraniden in Gedanken aufforderte, sich zu beeilen, damit er seinen Blutdurst an ihren zerfetzten Eingeweiden stillen konnte. Der Horizont brodelte vor Aktivität, als sich die gesamte Breite des Tals mit mordlüsternen Ungeheuern füllte. Imperiale Artilleriegeschütze, die näher bei den Wällen standen, eröffneten das Feuer, und auf der vereisten Ebene erblühten schwarze Rauchwolken und Eisfontänen. Abwehrgeschütze in hastig angelegten Bunkern schossen ebenfalls und ließen ohrenbetäubenden Lärm und tödliche Geschosse los. Heulende Kampfflugzeuge rasten über die Gräben hinweg und feuerten auf die vordersten Elemente des Tyranidenschwarms oder ließen Bomben auf sie fallen, die Krater ins Eis sprengten und Tyranidenkreaturen zu Hunderten einäscherten. Panzer der Imperialen Garde feuerten Granaten auf den Feind ab, ohne zu zielen, da ihre Kommandeure wussten, dass sie auch so treffen würden. Die gewaltige Kanone in der Vorderseite von Oberst Rabelaqs Capitol Imperialis schoss ebenfalls, und es klang wie das Donnern des Weltuntergangs. Lawinen aus Eis und Schnee lösten sich von den Berghängen, als die verschanzten Geschütze ihre volle Feuerkraft gegen den Feind zum Einsatz brachten. Tausende wurden getötet, ihre Kadaver von den überlebenden
Kreaturen in ihrem Sturmlauf zur Beute zertrampelt, aber Uriel sah sehr wohl, dass der tatsächlich angerichtete Schaden vernachlässigbar war. Viele Tausend starben, aber hundertmal mehr lebten noch. In dem Schwarm sah er auch größere, gefährlicher aussehende Bestien, deren Gestalt auf riesenhafte lebende Rammböcke schließen ließ. Kreaturen, die keinen Schmerz empfanden und deren Nervensystem so rudimentär war, dass sie Minuten brauchten, um zu erkennen, dass sie eigentlich schon tot waren. Knisternde Bögen aus blauer Energie flackerten in dem Schwarm auf, und das kreischende Geheul der Tyraniden hallte von den Talwänden wider und zerrte an den Nerven der Soldaten. Er schaute in die nervösen Gesichter rings um sich und sah die Regimentsabzeichen von Einheiten des Krieg, des Logres und der Wehrlegion. Jedes Gesicht war unter Schneebrille, Schal und Helm verborgen, aber er spürte die Furcht in allen. »Vertraut auf den Imperator«, rief Uriel. »Er ist euer Schild und eure Waffe. Vertraut auf seine Weisheit, dass alles einen Sinn hat, und ihr werdet siegen. Tötet die Feinde mit Seinem Namen auf den Lippen und kämpft mit der Kraft, die Er euch gegeben hat. Und wenn es euer Schicksal ist, euer Leben in Seinem Namen hinzugeben, freut euch darüber, dass ihr Seinem Willen gedient habt.« Uriel aktivierte sein Energieschwert, und ein Energiefeld bildete eine tödliche Hülle um die Klinge. »Sollen die Tyraniden nur kommen«, knurrte er. »Wir werden ihnen zeigen, was es heißt, gegen die Soldaten des Imperators zu kämpfen.« Ordenspriester Astador spürte den Puls der Welt durch die Keramitplatten seiner Rüstung und den Schmerz des Planeten über diese Invasion in jedem Fünkchen Leben, das Nahrung aus seinem Geist bezog. Der Geruch seines eigenen verbrannten Blutes erfüllte seine Sinne und gestattete seinem Geist-Ich, mit jenen zu kommunizieren, die vor ihm existiert hatten, die seine heilige Rüstung in vergangenen Zeitaltern getragen hatten und deren Wahrnehmung des Universums nicht durch die Fesseln sterblichen Fleisches beeinträchtigt war. Er konnte die flammenden Energien der Soldaten ringsumher spüren, die strahlende Furcht, heiß und drängend, aber auch Mut
und Entschlossenheit. Es war eine starke Kombination, aber Astador konnte noch nicht sagen, ob sie ausreichen würde, um vor diesen Kreaturen zu bestehen, die an ihre Geister der Toten mit all ihrem Wissen weder Gedanken noch Ehrenbezeugungen verschwendeten. Er spürte zwar individuelle Intelligenzen im Schwarm lauern, nahm aber auch eine einzelne durchdringende Stimme wahr, die den Schwarm durchdrang, einen einzigen bestimmenden Willen, der ihnen große Entschlossenheit, aber keinen Eigenwillen gab. Er fühlte sich an wie kalter Stahl, wie ein Eisdorn, der durch sein Geist-Ich getrieben wurde. Das schiere Grauen vor diesem absolut fremdartigen Bewusstsein drohte Astador zu überwältigen, und das ungeheuerliche Ausmaß einer solchen Herrschaft über das Ich war fast nicht zu glauben. In diesem Willen lag kein Hunger, kein Zorn, kein Mut und kein Ehrgeiz, nur ein stures Verlangen zu verschlingen. Darin lag gewiss gewaltige Stärke, aber auch große Schwäche. Aber wenn dieser Willen aus kaltem Stahl durchbrochen werden konnte, was würden diese Sklavenkreaturen ohne Eigenwillen noch erreichen können? Er drang mit seinem Geist-Ich tiefer in die Eiseskälte der grässlichen Tyranidenpsyche ein, denn Astador suchte nach Mitteln und Wegen, genau das zu bewerkstelligen. Hauptmann Owen Morten riss heftig am Steuerknüppel seiner Furie und ging in einen steilen Sturzflug über. Weiße Flächen rasten an seiner Kanzel vorbei, und er fing die Maschine vierzig Meter über dem Eis ab. Er nahm Schub weg, legte sich in eine Kurve und schaute rückwärts über die rechte Schulter. Ein Schweif aus grellen Explosionen blühte in seinem Kielwasser auf, Tyranidenkadaver wurden durch die Luft geschleudert, und Mortens eisige Miene verhärtete sich noch mehr. Nach ihrer Landung auf Tarsis Ultra in aller Eile auf Luft-BodenMunition umgerüstet, trug Hauptmann Mortens Staffel Furien den Kampf zu den Tyraniden. Bei seinem letzten Blick auf die Kharloss Vincennes hatten die Hangarbuchten in Flammen gestanden, bevor ihre Todeszuckungen vor der Gewalt der Raffinerie-Explosion verblasst waren. Ein Blutzoll musste für alle seine Schiffskameraden erhoben werden, und die Engel-Staffel holte das Blut dieser verdammten Tyraniden ein.
Erin Harlens Furie kreiste über ihm, und die Bomben unter seiner Maschine lösten sich eine nach der anderen, um in einer Kette von Explosionen, die zu einem beständigen Tosen verschmolzen, zwischen den Tyraniden einzuschlagen. Morten flog eine Rolle, jagte wieder über die Gräben zurück und vergewisserte sich, dass seine beiden Flügelmänner noch bei ihm waren. Hoch über ihnen waren Abfangjäger mit irrsinniger Luftakrobatik beschäftigt, da sie Gargyl-Rudel beschäftigten, während sie die Bomben ins Ziel brachten. Schon ein flüchtiger Blick verriet ihm, dass die Abfangjäger ihnen die Scharen der Lufträuber nicht mehr lange würden vom Hals halten können. Er schaltete das Kom an seiner Kontrollkonsole ein. »Wir machen noch einen Anflug«, sagte er. »Dicht über dem Boden. Folgen Sie mir.« »Hauptmann«, warnte Kiell Pelaur, sein Bordschütze, »wir haben keine Raketen mehr. Wir können nichts mehr abwerfen.« »Ich weiß, Leutnant. Wir wechseln auf die Geschütze.« Morten ließ die Nase der Furie zum Boden kippen, und der Schwarm rauschte ihm durch die Kanzel entgegen. Das Beben des Rumpfes nahm zu, und eine rote Lampe leuchtete vor ihm zwischen den Armaturen auf, da die Näherungsalarme jaulten, als die Höhe der Furie auf dreißig Meter sank. Derartige Tiefflüge erforderten eine ruhige Hand am Knüppel, da die Furie beim geringsten Abweichen aufs Eis krachen würde. Doch der Kommandeur der Engel-Staffeln gehörte zu den besten Piloten von allen, welche die Kampfgruppe Kharloss Vincennes in die Luft bringen konnte, und in puncto Kontrolle musste er sich nur Erin Harlen beugen. Die Tyraniden rauschten ihnen entgegen, und Wolken aus Eiskristallen bildeten sich im Kielwasser der heranheulenden Furien. Hauptmann Morten drückte auf den Auslöser der Laserkanone im Bug der Furie und sandte Laserstrahlen in die Horde. Explosionen aus Blut und Eis fegten durch ihre Reihen, als die starke Waffe immer wieder feuerte. Morten schrie beim Schießen, da er das brennende Verlangen in sich verspürte, jede einzelne dieser Abscheulichkeiten in einem einzigen Anflug zu töten. Er stellte sich einen aufblühenden roten Feuerball vor und die Zerstörung, die er einfach dadurch anrichten konnte, dass er die Furie abstürzen ließ und ihr einen endgültigen ruhmreichen Tod in der Hitze der Schlacht gestattete.
Noch ein rotes Lämpchen fing an zu blinken, als die letzte Energiezelle für die Laserkanone auf der Unterseite der Furie abgeworfen wurde, und die Frequenz des Annäherungsalarms steigerte sich zu schriller neuer Höhe. »Hauptmann!«, schrie Pelaur. »Ziehen Sie hoch! Um Imperators willen, ziehen Sie hoch!« Pelaurs Aufschrei riss Morten aus seinen Todesvisionen, und er holte tief Luft und zog die Furie hoch, die daraufhin in einen rasanten Steigflug überging. »Imperator, Hauptmann! Das war haarscharf geflogen«, hauchte Pelaur. »Das ist die Art Fliegerei, wie ich sie von Harlen erwarten würde.« Hauptmann Owen Morten antwortete nicht, sondern stellte sich vielmehr eine riesige Abschiedsexplosion vor. Pavel Leforto schoss in die Masse der Tyraniden, vollkommen entsetzt über das Ausmaß dessen, was er sah. Riesige Ungeheuer stapften durch die anstürmende Horde Bestien, deren schnappende Krallen größer waren als die Greifklammern der Kräne in der Gießerei, die Stahlträger hievten. Der Vorstoß der Tyraniden war zehn Meter vor den Gräben zum Stehen gekommen, da sich das glatte Eis auf der Böschung des Schneewalls ihren Versuchen widersetzt hatte, das letzte Stück zu überwinden. Doch die kleineren Bestien hackten bereits auf das Eis ein, um sich näher zu ziehen. Sie starben in Scharen, aber die nachfolgenden Kreaturen benutzten die Leichen, um sich noch weiter zu ziehen. Der Vormarsch war gestoppt worden, aber für die imperialen Streitkräfte bedeutete das nicht mehr als eine kleine Atempause. Der Kampflärm war gewaltig: krachende Geschütze, Explosionen, Geschrei und das unmenschliche Krächzen der Tyraniden. In der Mitte des Schwarms erhob sich eine riesige Pilzwolke, als das Capitol Imperialis wieder schoss und Eis und Tyranidenkadaver Hunderte Meter hoch in die Luft geschleudert wurden. In den Einsatzbesprechungen hatte man ihnen aufgetragen, auf die größeren Kreaturen zu schießen, denn die Sergeanten hatten behauptet, dies würde die kleineren Ungeheuer verwirren. Wie das vor sich gehen sollte, war ihm ein Rätsel, aber er hatte sein gesamtes Erwachsenenleben damit verbracht, Befehlen zu gehorchen, und würde jetzt nicht damit aufhören.
Er warf ein verbrauchtes Magazin aus und rammte mit zitternden Händen ein neues in die Waffe. Er hob das Gewehr an die Schulter und zielte auf ein hoch aufragendes Ungeheuer mit einem Knochenkamm auf dem Hinterkopf. Starke, krallenbewehrte Arme hielten ein langes, knorpeliges Rohr, aus dem Schleim tropfte, und rings um dieses Ungeheuer scharten sich Kreaturen mit kuppelförmigen Schädeln, aus deren obere Gliedmaßen knochige Höcker ragten. Er gab einen Schuss auf den Schädel der großen Kreatur ab, aber der Laserstrahl wurde von dem dicken Knochenkamm abgelenkt. Eine Rakete raste von hinten auf das Riesenungeheuer zu und explodierte an den knöchernen Auswüchsen seiner chitingepanzerten Beschützer. Ihm wurde klar, dass er nichts gegen dieses Ungeheuer ausrichten konnte, und wechselte das Ziel, da eine zischende Bestie schließlich über den Teppich der Toten geklettert war und auf dem Schneewall auftauchte. Er schoss ihr mitten ins Gesicht und riss ihr den Kopf ab, der Leib blieb, wo er war, da sich die langen Krallen bereits in den Wall verhakt hatten. Soldaten ringsherum schossen hektisch in die Masse der Ungeheuer, da sie wussten, dass sie sie daran hindern mussten, ihre Linien zu erreichen, wenn sie überleben wollten. Doch Pavel dämmerte langsam, dass sie es nicht schaffen würden. Uriel zerhackte einen Hormaganten mit dem Schwert und trat einem anderen den Kopf von den Schultern, der sich über den Schneewall ziehen wollte. Neben ihm verbrannte Pasanius mit seinem Flammenwerfer eine ganze Gruppe Tyraniden, die den Wall über ihre Toten erklimmen wollten. Schnee und Eis dampften in der Hitze, und Prometheumtropfen schmolzen kleine Löcher ins Eis. Uriel sah eine Gruppe der Ungeheuer ein Stück weiter in den Graben springen und rief Pasanius zu: »Mit mir, Sergeant!« Er sprang vom Feuersteg, lief zu der Bresche in der Linie und gab unterwegs Schüsse mit seiner Boltpistole ab. Die Explosivgeschosse zerfetzten eine Handvoll der Kreaturen, und er fuhr wie ein Blitz unter den Rest und teilte mit seinem Energieschwert wütende Hiebe nach rechts und links aus. Tyraniden starben zu Dutzenden, als sich die Space Marines durch ihre zischenden Leiber kämpften.
Krallen kratzten blitzschnell über ihre Rüstung, aber diese Krieger waren die besten Soldaten des Imperators, und keiner der Hiebe der Feinde konnte sie aufhalten. Uriel verspürte einen monumentalen Hass auf diese Bestien in seinen Adern pochen, während er zuschlug und angriff, immer weiter angriff, ohne auch nur einen Gedanken an Verteidigung zu verschwenden. Ein Rudel Hormaganten landete auf ihm und ließ ihn in die Knie gehen. Chitinkrallen hämmerten auf seine Rüstung ein, und eine drang durch das Gelenk zwischen Brustharnisch und Hüfte. Blut spritzte aus der Wunde und gerann sofort, da sein genetisch veränderter Blutkreislauf augenblicklich eine schützende Schicht über der Fleischwunde bildete. Er wälzte sich herum, zerquetschte dabei mehrere Bestien unter sich und schlug wie ein Wahnsinniger um sich, um die anderen abzuschütteln. Er stieß den Ellbogen nach unten, spürte Knochen brechen und schwang den Arm dann in weitem Bogen, so dass seine Klinge Gliedmaßen abtrennte und Bäuche aufschlitzte. Er sprang auf und wirbelte mit erhobenem Schwert herum, als er einen starken Griff um den Arm spürte. Er brüllte vor Hass und lenkte seinen Hieb im letzten Moment zur Seite, als er Pasanius vor sich sah, so dass sein Schwert in den gestampften Schnee des Grabenwalls fuhr. Pasanius duckte sich an Uriel vorbei und sandte einen Flammenspeer aus seinem Werfer durch den Graben. Laufbretter fingen Feuer, und Tyraniden kreischten, als das Feuer sie verzehrte. Mehr kamen über den Wall und sprangen in den Graben. Die Space Marines drehten sich um und kämpften mit all der Wildheit und dem Können, wofür die Adeptus Astartes berühmt waren. Sie schüttelten Hiebe ab, die einen normalen Menschen zweimal getötet hätten, und kämpften jenseits der Grenzen des Muts und der Ausdauer. Dann teilte sich die Flut der kleineren Bestien, und ein Riesenungeheuer mit gewaltigen Krallenarmen stapfte über die Masse der toten Tyraniden auf sie zu. Der drei Meter große KriegerOrganismus bestand praktisch nur aus krausen Panzerplatten und glänzenden Organen unter einem knochigen Exoskelett, das mit einer verkrusteten Schicht aus Fettgewebe überzogen war. Sein Maul öffnete sich, und ein grauenhaftes Kreischen ertönte, während sich die sensenartigen Krallenarme zum Schlag erhoben. Eine sabbernde Biowaffe spie einen Schleimbrocken.
Uriel warf sich zur Seite, und der funkelnde Schleim sprengte einen großen Brocken Eis aus dem Wall hinter ihm. Er sprang wieder auf, während sich das Ungeheuer mit gewaltigen Schlägen einen Weg durch den Schneewall zum Graben bahnte. Uriel feuerte seine letzten Boltgeschosse auf die riesige Kreatur ab und sprengte Stücke des Chitinpanzers ab, konnte ihren Vormarsch dadurch aber nicht aufhalten. Pasanius tauchte die Kreatur in flüssiges Feuer, und die isolierende Fettschicht auf den Knochen knisterte und erfüllte den Graben mit einem widerlichen Gestank. Dutzende Hormaganten folgten in seinem Kielwasser. Uriel sprang auf, um dem Ungeheuer zu begegnen, und hieb mit seinem Energieschwert nach seiner Brust. Ein Krallenglied schoss herab und parierte den Hieb, während das andere gegen seinen Brustharnisch prallte, das Keramit spaltete und ihn von den Beinen holte. Er rollte sich mit dem Schlag ab, tauchte um die Bestie herum und hieb seine Klinge über den riesigen Hufen durch die Beine. Sie heulte vor Schmerzen, fiel auf die Knie und kippte vorwärts in den Graben, wo sie ohnmächtig mit den Armen um sich schlagend liegen blieb. Pasanius drängte die Hormaganten mit dem Flammenwerfer zurück, da noch mehr durch die Bresche kamen, die das große Ungeheuer geschlagen hatte. »Hauptmann!«, rief er. »Ich weiß!«, antwortete Uriel, indem er auf den Rücken des bockenden Ungeheuers sprang. Die riesige Tyranidenbestie gab sich alle Mühe, sich aufzurichten, doch Uriel änderte seinen Griff um das Schwertheft und stieß die Klinge nach unten und durch ihren Schädel. Sofort hörten alle Bewegungen auf, und Uriel brüllte, während er seine Klinge in einem Bogen spritzenden schwarzen Bluts wieder herauszog. Er sprang vom Rücken des Ungeheuers, während Pasanius sich einen Weg durch die plötzlich benommen wirkenden Hormaganten hackte. Uriel und sein Sergeant gaben den desorientierten Kreaturen keine Zeit, sich zu fassen, sondern machten sie ohne Gnade nieder. Uriel tötete sie ohne Mitleid, weil er sie dafür hasste, dass sie ihn zu dieser Raserei, zu einem solchen Gemetzel trieben. Seine Klinge hob und senkte sich, ihre Oberfläche war blutverschmiert, und er watete durch Ströme von Tyranidenblut. Die Schlacht rings um ihn trat in den Hintergrund, bis er nichts anderes mehr sehen konnte als den Tod, der ihn umgab, das Blut und die jähe
Furcht von Kreaturen, die keinen eigenen Willen hatten und denen die schützende Decke der Verbindung zu einem größeren Willen weggezogen wurde. Donnernde Schritte rissen ihn aus seiner blutigen Versunkenheit. Er sah, wie Pasanius durch die Luft geschleudert wurde und der Schatten eines anderen riesenhaften Ungeheuers in dem Nebel aus Eis und Blut aufragte. Größer als ein Gargbot der Orks, kreischte der Carnifex mit einem Raspeln von Platten tief in seinem haiähnlichen Maul. Sein Panzer war ramponiert und geborsten, und Tyranidenblut lief aus zahlreichen Wunden in seinem Leib. Als er sich aufbäumte, verdeckte er die Sonne, und vier Arme mit gewaltigen Krallen streckten sich nach Uriel aus. Dann öffnete sich sein Maul noch weiter, und ein smaragdgrüner Strom aus bioplasmischem Feuer erbrach sich daraus. Uriel riss die Arme hoch, um das energetisierte Plasma abzuwehren, aber die Wucht der Entladung schleuderte ihn zu Boden. Er mühte sich wiederaufzustehen, während der zischende grüne Schleim sein Visier überzog und ihn blendete. Er schlug blind mit dem Schwert zu und spürte, wie es Fleisch durchbohrte. Der Boden erbebte, als der Carnifex vor ihm aufragte und Uriel die Hitze seines Atems im Gesicht spürte. Astador spürte, wie ihm die Kontrolle über sein Geist-Ich entglitt, als er sich dem kalten Feuer im Zentrum des Schwarmverstandes näherte. Eine gigantische Präsenz wie die Kälte im Herzen eines Gletschers tauchte seine Seele in Eiswasser, und er konnte spüren, wie ihre Ausstrahlung von den Seiten des Tals zurückgeworfen wurde wie ein höhlentiefer Fluss. Dies war sie, dies war die Kontrolle, dies war das Herz des kalten Verstandes. Er konnte das Bewusstsein nur als Bruchstück von etwas unvorstellbar viel Größerem spüren, und er wusste, dass es ganz weit am Rande seiner Wahrnehmung auch ihn spürte. Kalte Wellen des Grauens griffen nach ihm, doch sein Geist-Ich kehrte bereits in seinen Körper zurück. Astador öffnete die Augen und erhob sich geschmeidig. Die Krieger, die ihm ihre Kraft geliehen hatten, taten es ihm nach, und er blinzelte, als sich seine normale Sicht wieder einstellte. Ringsumher tobte die Schlacht, aber er fühlte sich losgelöst von ihr, da sein Geist sich gegen die Beschränkungen des
Fleisches wehrte. Mortifactors und Angehörige der Deathwatch kämpften überall gegen die Tyraniden und gaben alles, um die nichtmenschlichen Kreaturen daran zu hindern, seine Trance zu unterbrechen. Hauptmann Bannon marschierte zu ihm. Seine Rüstung war blutverschmiert. »Und?«, fragte er. »Wissen Sie es jetzt?« »Ich weiß es«, sagte Astador. Pavel warf die letzte Granate in die Masse und duckte sich, als die Sprengkraft der Explosion einen Abschnitt des Grabens zerstörte. Er war mittlerweile über den Zustand der Angst hinaus, und seine Handlungen waren ein automatisches Zusammenwirken von Adrenalin und Ausbildung. So viele Dinge waren ihm widerfahren, und er würde nicht mehr kämpfen können, falls sich die Furcht festsetzte. Sein Selbsterhaltungstrieb dämpfte die Angst und trieb ihn immer weiter. Er schoss, stach und hackte sich durch die Tyranidenwesen und machte sich alle Munition und Waffen zunutze, die er finden konnte, als seine eigene verbraucht war. Er stolperte über zwei sich auflösende Soldaten in den Jacken des Krieg-Regiments und prallte mit dem Gesicht gegen den kalten Stahl ihrer auf dem Boden liegenden Waffen. Zischender Schleim zersetzte ihr Fleisch, und Pavel zuckte zurück und spie Blut, während er sich wieder aufrappelte. Grünes Licht erleuchtete den Graben, und er sah eine ungeschlachte Bestie mit einem lebhaft gemusterten Panzer, die sich durch die Barrikaden hieb und dabei; grünes Feuer durch ihre zahnbewehrten Beißzangen spie. Dutzende zischender Bestien sammelten sich hinter der riesigen Kreatur, um hinter ihr in den Graben zu fluten. Ein Sergeant der Ultramarines lag bewusstlos im Schnee, und derselbe Hauptmann, der ihn vor den Gargylen gerettet hatte, lag in einer dampfenden Pfütze des grünen Schleims der Kreatur. Pavel handelte, ohne nachzudenken, und hievte sich die Waffe der beiden Krieg-Soldaten auf die Schulter, während er betete, dass sie den Raketenwerfer vor ihrem Tod auch geladen hatten. Uriel krabbelte rückwärts, während er sich verzweifelt Bioplasma vom Visier wischte.
Er schaute auf und sah den Tod in den schwarzen Augen des Carnifex. Sie waren schwarz, lidlos und bar jeden Lebens, wie die einer Puppe. Er spürte die Mauer des Grabens im Rücken und wusste, dass er nicht mehr weiter konnte. Sein Schwertarm kam hoch, doch er wusste, dass es zu spät war. Dann raste ein flammender Streifen durch sein Blickfeld und traf den Carnifex am Kopf. Eine starke Druckwelle fegte über Uriel hinweg, und Knochensplitter prasselten gegen seine Rüstung. Als die Echos der Explosion verklungen waren, betrachtete er den riesigen Organismus durch eine Rauchwolke und sah, dass sein Kopf verschwunden war und nur noch eine verkohlte, mit Blut gefüllte Öffnung, Hirnmasse und Schädelfragmente übrig waren. Der Carnifex schwankte einen Augenblick, bis sein Körper registrierte, dass er tot war, und seine Knie nachgaben. Die gewaltige Kreatur brach zusammen, und Uriel wälzte sich zur Seite. Der Aufprall schleuderte blutbespritztes Bioplasma und Eis in die Höhe. Ein Stück weiter den Graben entlang sah er einen Soldaten mit den Insignien der Verteidigungslegion auf dem Helm, der einen rauchenden Raketenwerfer auf der Schulter hatte. Er rappelte sich auf, da eine Flut von Hormaganten durch die von Carnifex geschlagene Bresche in den Graben drängte. Dann hob er sein Schwert und sprang ihnen entgegen. Pavel warf den rauchenden Raketenwerfer weg und wälzte sich rasch über einen der Krieg-Soldaten, um nach mehr Waffen zu suchen. Er zog dem Mann die Laserpistole aus dem Halfter und das Schwert aus einer breiten Scheide. Die Klinge hatte Zähne und war schwer, und Pavel erkannte darin ein Kettenschwert, obwohl er so eine Waffe noch nie zuvor benutzt hatte. Er suchte einen Einschaltknopf, fand ihn am Ansatz des Knaufs, und das Schwert erwachte röhrend zum Leben. Die gezähnte Klinge drehte sich wie eine Kettensäge. Er sprang auf und rannte zu der Stelle, wo der Hauptmann der Ultramarines verzweifelt gegen eine Horde Bestien kämpfte, die in die Gräben strömten. Er schwang das schwere Kettenschwert und spürte die Klinge beben, als sie durch Tyranidenknochen fegte und ihn mit nichtmenschlichen Flüssigkeiten bespritzte. Er schoss in die Masse der Kreaturen, tötete eine weitere und riss im gleichen Augenblick
sein Schwert heraus. Pavel kämpfte ohne das Geschick des Hauptmanns der Ultramarines, aber seine Furcht und das Verlangen, sein Heim zu beschützen, erfüllten ihn mit Zorn und Mut. Gemeinsam kämpften er und der Hauptmann der Space Marines wie Helden aus der Legende gegen die Tyraniden. Sein Arm schmerzte vom Schwingen des Schwerts, und als das Magazin der Laserpistole leer war, wechselte er auf einen beidhändigen Griff. Er hackte eine kreischende Bestie in Stücke, als sich noch eine riesige Gestalt in blauer Rüstung zu ihnen gesellte, ein Sergeant mit einem silbern glänzenden Arm. Er grinste, als er den nächsten Tyraniden tötete und sich die Geschichten ausmalte, die er Hollia und Solan erzählen konnte, wenn das alles vorbei war. Er versuchte das Kettenschwert aus der Brust der Kreatur zu reißen, aber die gezähnte Klinge steckte in dem knöchernen Exoskelett fest. Verzweifelt riss und zerrte er daran, als das nächste Ungeheuer über die Barrikade sprang. Seine Krallen hieben nach Pavels Kopf, und er zuckte instinktiv zur Seite. Aber nicht schnell genug, denn eine Kralle traf seinen Helm und riss ihn Pavel vom Kopf. Ein tiefer sitzendes Paar Krallenglieder stach nach ihm und fetzte durch seine Kleidung, und ein heißer Schmerz jagte durch seine Nervenenden. Blut spritzte aus der Wunde, und er brach zusammen und spürte, wie ihm blutbespritzter Schnee ins Gesicht klatschte. Pavel wälzte sich herum, zog sein Kampfmesser und hob es durch einen Nebel aus rotem Wasser und Schmerztränen gerade noch rechtzeitig, um der Bestie die Kehle durchzuschneiden, als sie ihn ansprang. Ihre Krallen tasteten nach ihm, als sie starb. Pavel stieß das Messer aufwärts und spießte den Schädel auf seiner Klinge auf. Er ließ das Messer los und stieß sich schwach vom Boden ab, wobei er sich am Grabenrand abstützte. Sein Blickfeld verschwamm, und er spürte, wie seine Beine zu Wasser wurden, während ihn ein widerliches Schwindelgefühl überkam. Er schälte sich benommen den durchnässten Stoff seiner zerrissenen Jacke von der Schulter. Klebriges Blut sickerte feucht aus einem tiefen Riss, und eine glänzende schwarze Kralle war darin abgebrochen. Komisch, dachte er verträumt. Seine Wunde schien gar nicht mehr wehzutun. Er spürte keinen
Schmerz. Er fragte sich, warum, wurde aber einer Antwort enthoben, als er zusammenbrach und mit dem Gesicht voran in den blutigen Schnee fiel. Er war bewusstlos, ehe er am Boden aufschlug. Uriel rannte durch die gewundenen Abschnitte des Grabens dorthin, wo eine Gruppe schwarz gerüstete Krieger in fünf RhinoTruppentransporter stieg. Oberst Rabelaq schaffte Reserven aus dem zweiten Graben heran, um die Front zu stabilisieren, und aus dem dritten Graben kamen noch mehr Truppen. Die Verteidigungslinien hielten, aber nur so eben. Wenn die Tyraniden weiterhin in diesen Massen angreifen konnten, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie die Front durchbrechen würden. Er übersprang Leichenberge und eilte an verzweifelt kämpfenden Soldaten vorbei, um den Südabschnitt zu erreichen, wo die Fahrer der Rhinos bereits die Motoren anließen. Er sah Hauptmann Bannon von der Deathwatch und die knochengesäumte Rüstung von Astador, der durch die Reihen der knienden Männer ging und jedem den Segen der Mortis Astartes gab. Hauptmann Bannon erhob sich, als er den heranstürmenden Uriel sah, und trat ihm entgegen. »Was haben Sie vor?«, wollte Uriel wissen. »Wir werden tun, was getan werden muss, um die Linie zu halten«, antwortete Bannon, der Uriel den Weg versperrte. »Sie wollen den Kampf in die Reihen der Tyraniden tragen, nicht wahr?« »Ja. Ordenspriester Astador hat die Bestie ausgemacht, die seiner Ansicht nach dieses Element des Tyranidenschwarms kontrolliert.« »Was? Wie?« »Die Geister seiner Vorfahren haben ihn hingeführt.« »Meinen Sie das ernst?« »Todernst«, stellte Bannon klar. »Ich vertraue seinem Urteilsvermögen in dieser Hinsicht blind.« Uriel war wie benommen. Zu hören, dass ein anderer Space Marine so viel Vertrauen in Rituale und Aberglauben legte, war unglaublich, und doch geschah es genau hier, direkt vor ihm. Er fragte sich, was Idaeus in dieser Situation getan hätte. Uriel nickte, und seine Miene verhärtete sich. »Also gut. Ich
komme mit.« Bannons Augenbrauen schossen in die Höhe. »Tatsächlich?« »Aye. Wenn wir das jetzt beenden können, werden Sie alle Hilfe brauchen, die Sie kriegen können.« Bannon suchte in Uriels Gesicht nach Anzeichen für ein verborgenes Motiv. Als er keines fand, schlug er Uriel mit der Hand auf den Schulterschutz und sagte: »So sei es. Suchen Sie sich einen Platz auf einem der Transporter. Wir sind startklar.« Uriel trabte zu den Rhinos, und als ihm klar wurde, dass in den Fahrzeugen kein Platz mehr für ihn war, kletterte er auf das Dach des nächsten. Alles war schwarz lackiert und mit Nieten befestigt, auf die winzige Messingschädel gestanzt waren, und jedes Auspuffrohr endete in einem grinsenden Totenschädel, deren klaffende Kiefer blaue Abgase spien. Die Motoren heulten, und Uriel hielt sich am Rand des Daches fest, während der Rest der Mortifactors und sieben Mitglieder der Deathwatch auf die Transporter kletterten. Der Rhino schleuderte herum, da die Ketten in dem Schneematsch um Traktion kämpften, bevor er schließlich nach vorn ruckte, als sie griffen. Dicke Holzbohlen waren über den Graben gelegt worden, und der Rhino bäumte sich auf, als er den Rand den Schneewalls erreichte, um dann auf der anderen Seite hart aufs Eis zu krachen. Uriels Rhino übernahm die Führung an der Spitze eines Keils aus Transportern und überfuhr die Tyraniden, die nicht schnell genug aus dem Weg sprangen. Das Geschrei der Bestien schraubte sich in neue Höhen, als sie auf die Eindringlinge in ihren Reihen reagierten, und ein Teil des Schwarms änderte sofort seine Angriffsrichtung, um die Rhinos abzufangen. Dutzende Krallenbestien kamen angesprungen, und Uriel zog sich über das Dach ein Stück nach hinten, als die Frontluke aufging und sich ein Krieger der Mortifactors hindurchschob, um die schwenkbare Boltkanone in Betrieb zu nehmen. Er vergewisserte sich, dass ein Magazin eingelegt war, lud durch und eröffnete das Feuer, wobei er die bockende Waffe von rechts nach links und wieder zurück wandern ließ und so den Rhinos den Weg freischoss. Uriel hielt sich mit einer Hand nach Kräften fest, da der Rhino wild schwankend durch die Reihen der Tyraniden holperte, das Schwert in der anderen Hand. Der Rhino steuerte auf eine monströse, bucklige Kreatur im Zentrum des Schwarms zu. Ihr glän-
zender segmentierter Leib kräuselte sich, und sogar aus der Ferne spürte Uriel, wie ihn ein Übelkeit erregendes Furchtgefühl packte, als sie dem Ungeheuer näher kamen. Ein Aufblitzen von Krallen holte ihn abrupt wieder in die Gegenwart zurück, als ihn ein Hormagant aus dem Schwarm ansprang. Er riss das Schwert hoch und hieb die Kreatur mit einem Schlag entzwei. Der Rhino wurde langsamer. Dutzende Bestien klammerten sich an die Karosserie des Fahrzeugs und ermöglichten anderen, über sie hinweg auf das Dach zu klettern und die Beute dort zu erreichen. Uriel stieß und schlug mit dem Schwert zu und hielt die Bestien davon ab, zu dem Schützen vorzudringen, der die Masse der Kreaturen vor ihnen weiterhin mit Boltgeschossen eindeckte. Wind peitschte an ihm vorbei, während der Rhino weiter vorwärtspflügte. Eine Explosion hinter ihnen erschütterte den Transporter. Er riskierte einen Schulterblick und sah grelle Flammen aus dem geborstenen Rumpf des zweiten Rhino lecken. Brennende Space Marines stolperten aus dem Wrack und kämpften, obwohl sie in Flammen standen. Zischende Kreaturen umringten sie, und kurz darauf war von den Kriegern nichts mehr zu sehen, da sie unter den Leibern vieler Hundert krallender und beißender Tyraniden begraben waren. Uriel sah sich rasch um, woher der Schuss gekommen war, und entdeckte ein groteskes Ungeheuer, das über dem Eis schwebte und dessen langer, schlangenartiger Schwanz unter dem knollenförmigen Kopf peitschte. Verkümmerte Gliedmaßen hingen nutzlos unter dem zischenden Maul, und ein knisternder Nebel umgab eine Halskrause aus Hautfalten direkt unter dem gepanzerten Schädel. Als spüre das Ungeheuer, dass es beobachtet wurde, zischte es und richtete seinen unnatürlichen Blick langsam auf den dahinrasenden Rhino. Uriel beugte sich vor und schlug dem Kanonier mit der Faust auf den Schulterschutz. »Ein Uhr!«, brüllte er und zeigte zusätzlich mit dem Schwert auf die schwebende Bestie. Der Kanonier nickte, und die Boltkanone spie dem Ungeheuer einen Wirbelsturm aus massereaktiven Geschossen entgegen. Uriel sah einen violetten Lichtschein rings um die Kreatur auf-
leuchten und fluchte, als er bemerkte, dass die Salve keinen Schaden angerichtet hatte. Fast sofort baute sich eine flammende Korona aus psionischer Energie um den Kopf der Kreatur auf, und Uriel hielt sich krampfhaft am Dach des Rhinos fest, da er wusste, was jetzt kam. Ein Strahl aus reinem weißem Licht zuckte aus dem übergroßen Kopf der Kreatur und traf den Bug des Rhino. Uriel wurde durch den Anprall vom Dach geschleudert. Er segelte durch die Luft und konnte sich gerade noch an der Dachkante festhalten, während seine Füße nach Halt auf den Trittbrettern tasteten. Der Rhino schleuderte seitwärts, doch die gerade erst gesegnete Panzerung hielt dem Angriff des Ungeheuers stand. Schleimiges Eis raste unter Uriels Füßen dahin, der immer noch um einen Halt kämpfte. Eine kreischende Kreatur sprang ihn an, und er trat aus, während sich mehr Hormaganten näherten. Er trat mit den Füßen und hieb mit dem Schwert um sich, so dass Knochen brachen und Schädel gespalten wurden. Schließlich fand er einen Halt und schwang sich auf das Dach zurück, während er spürte, wie der Rhino zur Seite schlingerte. Uriel wusste, dass sie einen zweiten Treffer der Warpkreatur nicht überleben würden, und als er aufsah, ging ihm auf, dass der Fahrer des Rhino dieselbe Schlussfolgerung gezogen hatte. Die schwebende Bestie war direkt vor ihnen und schwebte langsam rückwärts, um sich von ihnen abzusetzen, doch es gab kein Entkommen, und der stachelbewehrte Kuhfänger des Rhino traf den verrunzelten Leib und zerrte ihn unter die Ketten des Transporters. Uriel hörte ein zufriedenstellendes Knacken, als das Ungeheuer unter dem Fahrzeug zermalmt wurde, und sah den riesigen Fleck seines zerquetschten Kadavers auf dem Eis, als der Rhino weiterfuhr. Ihr Sturmangriff war ins Stocken geraten, aber die vier überlebenden Rhinos waren jetzt in Schlagdistanz ihrer Beute. Von seinem Platz auf dem Dach des Rhinos konnte Uriel eine wirbelnde Bewegung inmitten des Schwarms ausmachen, da sein Anführer die Tyranidenkreaturen auf die Gefahr hinwies. Mit einer Präzision, wie man sie sonst nur auf dem Exerzierplatz zu sehen bekam, änderten ganze Abteilungen der Bestien ihre Marschrichtung und brachen ihren Angriff auf die Gräben ab, um ihrem Herrn und Meister zu Hilfe zu kommen.
Geschützfeuer der Rhinos beharkte die widerliche Bestie, die ihren mit einem Geweih versehenen Kopf in den Panzer ihres Körpers zurückzog, als überall in ihrer Nähe Boltgeschosse explodierten. Knisternde Energien flackerten um ihren Schädel, und das Furchtgefühl, das Uriel zuvor empfunden hatte, verstärkte sich. Sein Grauen vor dieser Kreatur mit ihrer fremdartigen Andersartigkeit drohte ihn zu überwältigen, bis ihm ungebeten die Erinnerung an den Nachtbringer zu Bewusstsein kam, und angesichts der ungeheuren Bösartigkeit seiner Existenz konnte er über die vergleichsweise Bedeutungslosigkeit dieser Kreatur nur lachen. Kriegerorganismen beeilten sich, das Ungeheuer zu beschützen, während die Rhinos neben der ungeschlachten Bestie anhielten und die Space Marines schnell und mit Präzision ausstiegen. Uriel sprang mit den Füßen voran vom Dach des Transporters und landete auf dem Kopf des nächsten Tyranidenwesens. Er spürte Zähne unter seinen Stiefeln brechen und rappelte sich auf. Er stach sein leuchtendes Schwert durch einen blutigen Kopf und stürmte durch den Schnee zur nächsten Bestie. Riesige Krallen sensten ihm entgegen, und er tauchte unter ihnen weg und landete einen Schwerthieb, der dem Organismus den Bauch aufschlitzte. Schwarzes Blut spritzte, und das unmenschliche Gekreisch endete abrupt, als Uriel ihm die Klinge durch den Hals rammte. Mehr Kreaturen stürmten auf ihn ein, während er sich zum riesigen Herrn der Horde vorarbeitete. Krallen und messerscharfe Hufen bearbeiteten ihn, aber die Schmerzen kümmerten ihn nicht, als sich ein dunkler Nebel über sein Blickfeld legte und er in seinem rasenden Sturmlauf wahllos Glieder abtrennte und Bäuche aufschlitzte. Er hörte ein Brüllen animalischen Hasses und fuhr auf der Suche nach dem Ursprung dieses atavistischen Geheuls herum, bis ihm aufging, dass es sein eigenes war. Schockiert über diesen Verlust seiner Selbstbeherrschung, wechselte das Schlachtgeschehen in eine Art zeitlupenhaftes Ballett von äußerster Klarheit. Er sah, wie die Mortifactors einen Schutzwall um die sieben Mitglieder der Deathwatch bildeten, die Melter-Ladungen in den sich windenden segmentierten Leib des Schwarmführers rammten. Und er konnte die seelenlosen schwarzen Augen des Ungeheuers sehen, als ihm aufging, dass sein Ende nah war. Während er es anstarrte, glitt der gehörnte Käferkopf aus dem Panzer, ramm-
te Uriels Brust, schnappte zu und hob ihn hoch in die Luft. Eine riesige zahnbewehrte Öffnung bildete sich unter den Hörnern, und Uriel konnte nicht verhindern, dass er in das Maul glitt. Er hielt sich mit einer Hand an den knochigen Hörnern fest und versuchte verzweifelt, sich herauszuziehen. Das Ungeheuer verdrehte die Augen, eine Nickhautmembran blinzelte, und die Öffnung schloss sich um seinen Körper. Er spürte, wie sich die Fänge in seine Rüstung bohrten, und wusste, dass die unglaubliche Kraft der Bestie die gehärteten Panzerplatten schon bald aufbrechen würden. Uriel drehte sein Schwert und hielt die Klinge nach unten. Er spürte, wie Zähne in seinen Körper eindrangen. Blut floss. Er stach der Bestie die Klinge in den chitingepanzerten Schädel und brüllte, als er sie ihr ins Gehirn trieb, während die Welt plötzlich von einer strahlenden Helligkeit erfüllt war. Jähe, intensive Hitze flammte auf, als die Melterbomben der Deathwatch explodierten, und er spürte, wie sich die Stahlklammer der Kiefer rings um ihn entspannte. Der schneebedeckte Boden schoss ihm entgegen, und er grunzte, als er aufs Eis krachte. Todesstille legte sich auf das Tal, und sogar Uriel spürte, wie sich ein Gefühl schmerzlichen Verlusts innerhalb des Tyranidenschwarms ausbreitete. Er schnitt sich rasch aus dem Maul der riesigen Tyranidenbestie frei und zog die Beine aus der klebrigen Saugöffnung. Er spürte eine Hand auf der Schulter, und als er aufschaute, sah er die Space Marines von dem verkohlten Kadaver des Ungeheuers wieder zu den Rhinos eilen. Nur Bannon war noch bei ihm. »Kommen Sie schon«, schnauzte Bannon in wütendem Tonfall. »Es ist tot. Wir müssen verschwinden.« »Aye«, keuchte Uriel, um dann dem Hauptmann der Deathwatch hinterherzuschwanken. Als er an Bord des versengten und blutverschmierten Rhino kletterte, empfand er nichts als Scham, während er sich sein rasendes, unbeherrschtes Wüten vorstellte. Die Dunkelheit war schon seit mehreren Stunden hereingebrochen, als die Sirenen endlich Entwarnung gaben. Nach dem Tod des Schwarmführers war der Angriff der Tyraniden ins Stocken geraten, die in panischer Verwirrung ziellos herumirrten, nachdem die Mehrheit von ihnen des beherrschenden Willens beraubt
worden war. Heftige Gegenangriffe seitens der Space Marines und disziplinierte Feuerprozeduren erledigten rasch alle verbliebenen Kreaturen, die noch zu eigenständigen Handlungen fähig zu sein schienen, und als die Temperaturen nach Sonnenuntergang auf unter zwanzig Grad minus sanken, erfroren die meisten Tyraniden, wo sie gerade standen. Einige überlebten, indem sie sich tief in den Schnee wühlten, wo ihnen ihre größeren Fettreserven gestatteten, in eine Art kurzen Winterschlaf zu fallen, doch das waren nur wenige. Den Verteidigern fehlten jedoch die Mittel, diese Tyraniden aufzuspüren, da die Minustemperaturen nur die allernotwendigsten Bewegungen zuließen. Ein derartiges Manöver wurde dann auch ausgeführt, als sich die imperialen Streitkräfte zur zweiten Graben-linie zurückzogen. Nachdem sie erkannt hatten, dass die erste Linie keinem weiteren Angriff mehr standhalten würde, hatten die Obersten Stagler und Rabelaq beschlossen, den Rückzug direkt im Anschluss an das Ende der ersten Schlacht auszuführen, die offiziell als großer Sieg gefeiert wurde. Doch nachdem die Luftaufklärung weitere ankommende Schwärme von mindestens der dreifachen Größe dieser Vorhut meldete, darunter auch Ungeheuer von der Größe eines Kampftitan, gab man sich im Oberkommando keinen Illusionen darüber hin, dass dieser Sieg etwas anderes war als ein Vollstreckungsaufschub ihrer bevorstehenden Hinrichtung.
ELF Ein blauer Schein erfüllte die Kommandobrücke des Capitol Imperialis und ließ die Gesichtszüge der Mitglieder des Kommandostabs reliefartig hervortreten. Kapuzen tragende Servitoren saßen starr vor ihren Konsolen, während sich isolierte Kabelbündel aus dem Rücken ihrer Gewänder zu Steckdosen im Gitterboden schlängelten. Der melodische Singsang der an den Maschinengott gerichteten Anrufungen drang aus den Bronzelautsprechern in der Decke. Stotternde Luftreinigungseinheiten versuchten eine kühle Atmosphäre zu erzeugen, aber auf der Kommandobrücke war es immer noch drückend heiß. Uriel gefiel es nicht, in diesem gepanzerten Leviathan zu sitzen.
Es passte nicht zur Kriegsphilosophie der Space Marines, so unbeweglich zu sein, und der Codex Astartes zeigte an verschiedenen Stellen die Notwendigkeit für Mobilität auf dem Schlachtfeld auf. Doch seit Kurzem war seine Treue gegenüber den im heiligen Buch seines Primarchen festgehaltenen Lehren nur wenig mehr als ein Lippenbekenntnis. Learchus hatte kein Geheimnis aus seiner Missbilligung für Uriels überstürztes Abenteuer auf dem Dach eines Rhinos der Mortifactors gemacht und behauptet, es sei ein albernes Schaustück gewesen, wie es mehr zu den Söhnen von Russ passte als zu einem stolzen Ultramarine. Uriel war geneigt, ihm recht zu geben. Mit einem Kopfschütteln schob er die Erinnerungen beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart. Die Lage war nicht gut. Eine Holokarte mit einer grünen Darstellung der Landschaft rings um Erebus füllte das Zentrum der Säulenkammer aus. Alle paar Sekunden wich das Bild körnigem Schnee. Informationen aus verschiedenen Quellen wurden der Anzeige zugeführt, und imperiale Einheiten waren ebenso dargestellt wie die Positionen ankommender Schwärme. Oberst Rabelaq stand flankiert von seinen Adjutanten an einem Ende der Karte, während Uriel und Oberst Stagler auf einer Seite standen und Ordenspriester Astador sowie Hauptmann Bannon auf der anderen. »Es sieht so aus, als seien Herastor und Parmenis beide gefallen«, begann Rabelaq. »Wir konnten in beiden Städten keine Imperiumstruppen mehr erreichen, und die Jägerstaffel, die wir ausgesandt haben, um visuelle Berichte über Konoris und Inyiriam einzuholen, sind nicht zurückgekehrt. Wir müssen annehmen, dass die Tyranidenschwärme, die sie vernichtet haben, jetzt zu uns weitergeschickt werden.« »Und was ist mit den Tyranidenschwärmen, die bereits zu uns unterwegs sind?«, fragte Stagler, der trotz der Hitze immer noch seinen Mantel und den Kolpak des Krieg-Regiments trug. Rabelaq antwortete nicht sofort, und er wirkte etwas konsterniert. »Nun ja, das wissen wir nicht genau. Es hat den Anschein, als seien sehr viele von ihnen versprengt worden oder untergetaucht. Wir gehen davon aus, dass sie sich in den Schnee gewühlt haben, um sich vor der Kälte zu schützen, wie Tiere es im Winter tun würden, um auf die Ankunft der anderen Schwärme zu warten. Wir haben viele unserer Aufklärungseinheiten verloren, und
ich hielt es für unklug, noch mehr aufs Spiel zu setzen, um Informationen zu beschaffen, über die wir aller Wahrscheinlichkeit nach bereits verfügen.« Benommene Stille beantwortete diese Feststellung, bevor sich Bannon über die Karte beugte und sagte: »Oberst Rabelaq, es ist ein Fehler, davon auszugehen, dass sich die Tyraniden wie Tiere verhalten, und wenn es etwas gibt, dass ich über sie gelernt habe, dann, sie nicht aus den Augen zu lassen nicht einmal für einen Moment.« »Ja, das mag alles durchaus sein, Hauptmann Bannon; aber wenn Sie sich die Karte anschauen, werden Sie feststellen, dass wir es mit drei verschiedenen Schwärmen zu tun haben, die unserer Position entgegenstreben. Ursprünglich hätte uns der südlichste Schwarm zuerst erreicht, aber allem Anschein nach hat er sein Marschtempo gedrosselt, so dass alle drei Schwärme gleichzeitig eintreffen werden.« »Schlau«, sann Astador. »Sehr schlau. Sie haben gelernt, dass wir einen Schwarm besiegen können, und sammeln sich jetzt, um uns in einem einzigen massiven Angriff zu überrennen.« Uriel beobachtete, wie die Symbole auf der Holokarte unmerklich langsam über die flackernde Darstellung der Oberfläche von Tarsis Ultra krochen. Etwas bohrte in seinem Hinterkopf, aber er konnte nicht den Finger darauf legen. Er wusste lediglich, dass es etwas ganz Einfaches, aber sehr Bedeutsames war. »Und was passiert im Raum?«, fragte Hauptmann Bannon. »Ist es uns gelungen, Kontakt mit der Flotte herzustellen?« Uriel meldete sich zu Wort. »Der Warpschatten verhindert die astropathische Kommunikation immer noch, aber wir hatten kurzen Kontakt zu Lordadmiral Tiberius über Langstreckenkom. Wegen der von der Schwarmflotte erzeugten elektromagnetischen Interferenzen hatten wir Schwierigkeiten, die Verbindung störungsfrei und über einen längeren Zeitraum offenzuhalten.« »Und wie ist die Lage dort?«, fragte Astador. »Der Admiral ist mit dem Rest der Flotte im Orbit der Agrarwelt Calydon vor Anker gegangen, obwohl er gemeldet hat, dass viele Schiffe schwer beschädigt sind.« »Haben die Tyraniden nicht versucht, ihn in ein Gefecht zu verwickeln?«, fragte Bannon. »Nicht in Massen, nein. Anscheinend sind nur noch zwei Schwarmschiffe in der Umlaufbahn, also verfügen die Tyraniden
nicht mehr über die Fähigkeit, ihre Einheiten hier wirkungsvoll zu kontrollieren und gleichzeitig eine Expeditionsflotte auszusenden, um unsere Schiffe zu vernichten.« »Wäre die Flotte dann in der Lage, uns zu unterstützen?«, fragte Bannon. »Potenziell schon«, sagte Uriel. »Admiral Tiberius hat bereits einen Angriffsplan vorgeschlagen, aber ich muss mich mit dem Fabrikator-Marschall beraten, bevor ich weitere diesbezügliche Ausführungen machen kann. Einstweilen ist die Lage dergestalt, dass wir auf uns allein gestellt sind.« Köpfe nickten rings um den Kartentisch, da jeder Kommandant Uriels Informationen verdaute. »Um es auf einen Nenner zu bringen, meine Herren: Uns bleibt keine andere Wahl, als uns hinter die Stadtmauern zurückzuziehen«, sagte Rabelaq. »In den Gräben können wir uns gegen diese Massen nicht halten. Die Wälle werden die kleineren Schwarmorganismen am Angriff hindern, und dort verfügen wir auch über genügend Geschützstellungen, um die größeren Bestien zu erledigen.« »Ich bin Oberst Rabelaqs Ansicht«, sagte Astador. »Wir müssen uns damit abfinden, dass die Stadt unter dem Angriff leiden wird. Es ist besser, wenn wir zu unseren Bedingungen kämpfen als zu ihren.« Oberst Stagler nickte widerstrebend, obwohl Uriel sah, dass ihm der Rückzug gegen den Strich ging, auch wenn es Selbstmord sein würde, sich an den Grabenlinien zum Kampf zu stellen. »Das Krieg-Regiment wird bei dem Rückzug die Nachhut bilden«, sagte er und spie die Worte förmlich aus. Uriel schaute wieder auf die Karte, und plötzlich trat die im Hinterkopf bohrende Besorgnis in den Vordergrund. »Haben sich uns nicht ursprünglich vier Schwärme genähert?«, fragte er. »Ja, Hauptmann Ventris«, nickte Rabelaq, »aber wir glauben, dass sich der kleinere Schwarm im Norden einfach mit demjenigen vereint hat, der sich von Parmenis her nähert. Schließlich waren sie nicht weiter als dreißig Kilometer auseinander.« »Sind Sie sicher?«, fragte Uriel. »Nein, aber wo könnte er sonst sein? Die Berge im Norden sind undurchdringlich, das hat mir Fabrikator Montante versichert.« »Bei allem Fabrikator Montante gebührenden Respekt, er ist
kein Soldat. Können wir unsere Sicherheit den Schlussfolgerungen eines Logistikers anvertrauen?« »Er verfügt über die besten Ortskenntnisse, Hauptmann Ventris. Major Satria ist derselben Ansicht, und nachdem ich eine hololithische Topografie der Region gesehen habe, stimme ich mit ihnen überein.« Uriel sah, dass die anderen Männer am Tisch mehr als beunruhigt waren, wenn sie an einen potenziell verschwundenen Schwarm dachten, aber da es keinen Beweis gab, wusste auch niemand, was sie deswegen unternehmen konnten. »Wie lange haben wir noch, bis sie uns erreichen?«, fragte Bannon. »Fünf, höchstens sechs Stunden«, sagte Rabelaq. »Dann sollten wir uns besser an die Arbeit machen«, sagte Stagler. Ein Schneesturm trübte die Sicht rings um die baufälligen HabEinheiten von Bezirk Secundus. Der Schnee sammelte sich in Wehen und dämpfte den Lärm der Flüchtlingskolonne, die durch den knietiefen weißen Teppich stapfte, der Erebus einhüllte. Vom Regen organischer Bomben und jenen Kreaturen vertrieben, deren Kokonsporen es gelungen war, den Schirm der Flak zu durchdringen, der die Stadt schützte, trotteten fast sechshundert Personen durch den Schneesturm zu einer unauffälligen Gebäudeansammlung an den felsigen Südhängen. Bewaffnete Männer standen vor den gesplitterten Brettern Wache, mit denen der Eingang vernagelt war, und hinter ihnen flatterte eine ramponierte Plane. Seit dem ersten Tyranidenangriff hatte sich die Nachricht über den Held Schneehund wie ein Lauffeuer verbreitet, der die Leute aus den Baracken von Secundus vor der Flut der bestialischen Ungeheuer gerettet hatte, die vom Himmel gefallen waren. Dass er außerdem als Mörder und Dieb bekannt war, spielte nur eine untergeordnete Rolle angesichts der Tatsache, dass die Leute behaupteten, er habe Nahrung und medizinische Hilfsgüter. Der Winter auf Tarsis Ultra war hart, und jene ohne Vermögen und ein Dach über dem Kopf würden ohne Schutz sehr bald sterben. Und irgendwo in Erebus war außerdem ein brutaler Mörder auf freiem Fuß.
Auch im Chaos einer Invasion aus dem All blieben seine Verwüstungen nicht unbemerkt: kleine isolierte Gruppen von Einwohnern fand man abgeschlachtet wie Vieh, in Stücke gehackt und halb verzehrt. Furcht breitete sich in den ärmsten Vierteln der Stadt aus, und jene, die sich nicht ins Hochtal absetzen konnten, wo die Soldaten des Fabrikator-Marschalls auf den Straßen patrouillierten und die vermögenden Einwohner von Erebus wohnten, waren gezwungen, sich zusammenzutun, um einander zu beschützen. Je größer die Angst vor diesem mysteriösen Schlächter wurde, desto brutaler wurden auch seine Gewalttaten, als stachle ihn das von ihm selbst verbreitete Entsetzen zu immer heftigeren Metzelorgien an. Ganze Gemeinden wurden in ihren Heimen abgeschlachtet, und nur das ständig bewachte Gebiet rings um das Revier der Nachtschleicher schien der Aufmerksamkeit des Mörders zu entgehen. Für Leute ohne Hoffnung war Schneehund der einzige Strohhalm. Papa Gallo, der inoffizielle, aber anerkannte Anführer der Gruppe, schlug seine Kapuze zurück und näherte sich den beiden Männern, die die Tür bewachten. Der kleinere lud seine Schrotflinte durch und hielt sie ihm vors Gesicht. »Wir sind gekommen, weil wir Schutz vor den Ungeheuern suchen«, erklärte Papa Gallo. »Schutz ist nicht billig«, lautete die gedämpfte Antwort. Papa Gallo lachte und drehte sich zu den Elendsgestalten hinter sich um. »Seht uns doch an. Was glaubt ihr wohl, was wir euch anbieten können? Wir haben nichts mehr.« »Ach, ich weiß nicht«, lachte der ältere Mann, indem er die jüngeren Frauen beäugte. »Was meinst du, Lomax? Ich wette, wir können uns mit diesen guten Leuten hier einigen.« »Halt die Klappe, Trask«, sagte der Mann, der zuerst gesprochen hatte. »Das ist Schneehunds Entscheidung.« Papa Gallo seufzte. Vielleicht überlebten sie diesen Winter, aber wenn ja, würden sie danach noch verzweifelter sein als zuvor. Tief im Schatten der Hab-Ruinen, unter einer gewölbten Lage Wellblech, beobachtete eine Kreatur die Kolonne der Flüchtlinge mit ihren Facettenaugen und witterte ihre Furcht und Verzweiflung als farbige Wogen mit ihren verschiedenen Sinnen. Die Haut
kräuselte sich zu einem silbrigen Grau, da die Schuppen mit den Chamäleon-Eigenschaften die Oberflächen ringsumher widerspiegelten, und als sie unter ihrem Schutz hervorglitt, geschah dies mit einer für eine derart große Kreatur überraschenden Verstohlenheit. Ihre Fettreserven waren fast verbraucht, und sie würde wieder töten müssen, um sie aufzufüllen, da die eisigen Temperaturen auf Tarsis Ultra sogar für ihre extremen adaptiven Fähigkeiten beinahe zu viel waren. In Prandium war sie, nachdem sie alle Einwohner getötet hatte, in einen Winterschlaf gefallen. Die Bestie, eine Spezies, die bei den Truppen des Imperiums als Spuk oder Mantisschleicher, aber korrekter als Liktor bekannt war, sprang geschmeidig durch den Schnee, um die schlurfenden Leute zu beschatten. Sie sprang auf die Mauer eines verfallenen Ziegelgebäudes, indem starke interkostale Muskeln fleischige Dornen auf die Mauer peitschten, die dann eingefahren wurden, so dass die Bestie rasch die steile Fläche emporgehievt wurde. Lange sensenartige Krallen fuhren aus Chitinscheiden in den Oberarmen aus und gruben sich in die Mauer, als die Bestie ihren muskulösen Körper geschmeidig aufs Dach schwang. Wurmartige Ranken rings um den Kiefer sondierten die Luft, und die Bestie schlich weiter und folgte der Kolonne der Flüchtlinge in der Höhe. Pheromonsäcke entlang des gepanzerten Rückgrats atomisierten starke Lockstoffe, die weitere Tyranidenkreaturen zu diesem Ort locken würden. Bisher hatte der Liktor die Stadt unbehelligt durchstreift und darauf geachtet, den zahlreichen Gefahren auszuweichen, die an stark bevölkerten Orten drohten. Doch nun war auch der Schwarmverstand hier, für den er vorausgereist war, und er konnte es sich leisten, seinen Mantel der Verstohlenheit abzulegen und mit der Wildheit zu töten, für die er geschaffen worden war. Der Liktor schlich zum Ende des Dachs und kauerte sich nieder, während er beobachtete, wie sich eine Gestalt aus der Kolonne löste und sich einem Gebäude näherte, das nach Beute stank. Trask überließ Lomax das Reden, während er die Frauen begutachtete, obwohl es wegen der Winterkleidung, die alle trugen, schwierig war, die Hingucker auszumachen. Er legte seine Schrotflinte auf die Schulter und fragte sich wieder, wie Schneehund es
geschafft hatte, all diesen Leuten etwas vorzumachen. Ein Augenblick alberner Menschenliebe, und schon hatte sich die Nachricht in der ganzen Stadt verbreitet, dass er eine Art Zuflucht vor der Kälte und den Ungeheuern biete. Trask hätte sich totlachen können bei dem Gedanken, wie sehr sich die Leute doch irren konnten. Jene, die bleiben durften, bezahlten sich dumm und dämlich für alles, was sie brauchten: Unterschlupf, Essen und einfache medizinische Hilfsgüter. Manche wollten auch Rauschmittel, eine Flucht vor dem Schrecken, und auch das gab es. Ebenfalls gegen Bezahlung. Und wenn jemand nicht in harter Währung oder mit Wertsachen bezahlen konnte, gab es immer andere Möglichkeiten. Ein Mann mit einer hübschen Frau oder Tochter konnte sich mehr Dinge erkaufen als ein lediger Mann, und in Schneehunds Bande gab es genug Mitglieder, die bereit waren, diese Währung zu akzeptieren. Schneehund hatte dem ein Ende bereitet, weil es keinen Gewinn erwirtschaftete, was Trask natürlich nicht davon abgehalten hatte, es dennoch zu tun, er musste nur vorsichtiger sein. Mit einer Gruppe dieser Größe ließen sich ganz sicher ein paar Kröten machen und ein paar Blüten pflücken. Während er die Aussicht auf frische Eroberungen genoss, fiel ihm eine verschwommene Bewegung auf dem Dach der Ruine einer alten Munitionsfabrik ins Auge. Er hob eine Hand und blinzelte durch das Schneegestöber. Was war das? Er konnte jetzt nichts mehr sehen, war aber sicher, dass seine Augen ihm keinen Streich gespielt hatten. Da! Da war es wieder! Etwas fiel vom Dach des Gebäudes und landete mit einem durchdringenden Kreischen in einer Schneewehe. Was es auch war, es bewegte sich wie Quecksilber und stürmte in die Masse der Flüchtlinge, bevor er eine Warnung rufen konnte. Er nahm die Schrotflinte herunter und lud durch, als das Schreien begann. Grellrotes Blut spritzte in den Schnee, und Trasks Blick fiel auf einen sauber abgetrennten Kopf, der über die Straße flog. Entsetzensschreie hallten von der Talwand wieder, während die Leute vor dem Mörder mitten unter ihnen davonliefen. Trask sah, wie sich der Platz rings um eine Sammlung blutiger Fetzen leerte, die nur noch oberflächliche Ähnlichkeit mit menschlichen Überresten hatten. Eine verschwommene Kreatur sprang aus dem Blutbad
auf den Rücken eines Mannes, der einen in Windeln gewickelten Säugling auf den Armen trug. Der Mann ging in einem Gewirr von Gliedmaßen zu Boden, als ihn riesige knochige Krallen nach unten stießen und förmlich auf die Straße spießten. Sein Todesschrei ließ Trask vor Entsetzen zusammenzucken. Das Ding bewegte sich schnell, huschte durch das Festmahl seiner Opfer und massakrierte jeden in Reichweite seiner Krallen. Papa Gallo zog an Trasks langem Mantel und schrie: »Du hast ein Gewehr, also benutz es auch, verdammt!« Die Hände des alten Mannes schüttelten ihn aus seiner Lähmung. Trask stieß den alten Mann beiseite und trat auf die Straße. Er legte die Schrotflinte an. Schreiende Menschen liefen an ihm vorbei, zu viele, um sie aufzuhalten, und er ließ sie laufen, da er sich dachte, dass Schneehund später noch Ordnung in dieses Chaos bringen konnte. Lomax war plötzlich neben ihm. »Was ist das?«, brüllte er. »Keine Ahnung«, erwiderte Trask, der von immer mehr Leuten angerempelt wurde. Eine Traube von Leuten, die sich in eine Seitenstraße flüchten wollte, wurde von dem mörderischen Angreifer brutal niedergemetzelt, und Trask zielte mit der Schrotflinte, als er den Mörder zum ersten Mal deutlich sah. Seine Haut war mit Blut verschmiert, und welche Chamäleon-Eigenschaften sie auch gehabt haben mochte, nun kamen sie nicht mehr zum Tragen. Das Ungeheuer stand auf zwei Beinen und war fast drei Meter groß. Der Leib war muskulös und von knochigen Panzerplatten bedeckt. Es war größer als alle Bestien, die Trask bisher gesehen hatte, und die Krallen an den oberen Gliedmaßen waren riesige Sicheln, die einen Menschen mit einem Schwung durchschneiden konnten. Unter diesen monströsen Krallen hoben muskulöse, in Klauenfäusten endende Arme kreischende Opfer hoch zu dem mit Reißzähnen gefüllten Maul. Das Ungeheuer fuhr rasch herum, nachdem sein Vorrat an Opfern erschöpft war, und rannte über den vereisten Boden auf ihn und Lomax zu. Plötzlich ging ihm die Absurdität seines Tuns auf. Warum riskierte er seinen Hals für diese dämlichen Leute? Er machte kehrt und sprintete zum Lagerhaus, während die Bestie angriff. Lomax fuhr herum und rief: »Wo willst du...«, während Trask
floh, wurde aber unterbrochen, als etwas zwischen den Knochenplatten auf der Brust des Ungeheuers hervorschoss und seinen Körper durchbohrte. Lomax ließ seine Waffe fallen und starrte schockiert und ungläubig auf die aus seiner Brust ragenden Dornen, bevor er von den Füßen gerissen und von den Krallen des Ungeheuers erstochen wurde. Trask rannte wie noch nie zuvor in seinem Leben und warf sein Gewehr unterwegs weg, um noch schneller laufen zu können. Er stürmte die Treppe zum Lagerhaus empor, rutschte auf der obersten Stufe aus und fiel mit dem Gesicht voran auf den Beton. Das rettete ihm das Leben. Riesige Sichelklauen durchschlugen die Wand des Lagerhauses, wo sich sonst sein Kopf befunden hätte. Er winselte vor Furcht und wälzte sich zur Seite, als die Krallen wieder nach ihm stachen und Funken auf dem Boden schlugen, während er verzweifelt auswich. Er drückte fest die Augen zu und spürte, wie sich zu seinem nackten Entsetzen seine Blase entleerte. Eine Schrotflinte feuerte, ohrenbetäubend nah, und er schrie. Mehr Schüsse ertönten. Ein heulendes Schmerzkreischen antwortete. Etwas peitschte an seinem Gesicht vorbei, und warme Flüssigkeit tropfte ihm auf Gesicht und Hals. Er rollte sich zusammen und wartete auf den Tod. Nach langen Sekunden brachte er den Mut auf, die Augen zu öffnen. Das Ungeheuer war verschwunden, und Erleichterung überkam ihn. Er wischte sich stinkenden Schleim vom Gesicht, und als er aufblickte, sah er Schneehund und Silber, die ihn anstarrten. Der Abscheu in ihrem Blick war nicht zu übersehen. Rauch kräuselte sich aus dem Lauf von Schneehunds Schrotflinte, und Silber hatte ihre beiden Pistolen gezückt. »Mann, ich weiß nicht, warum ich dich überhaupt bei mir behalte«, schnauzte Schneehund, indem er ihm eine Hand anbot, um ihn hochzuziehen. Er lächelte Silber matt an, die ihn keines Blickes würdigte, sondern zu beschäftigt damit war, das Grauen des Massakers vor ihnen aufzunehmen. »Wo ist Lomax?«, fragte Schneehund. Trask versuchte zu antworten, aber die Worte wollten ihm einfach nicht über die Lippen kommen. »Ich hab dich was gefragt, Mann«, sagte Schneehund. »Er ist... er ist tot«, brachte Trask heraus. »Das Vieh hat ihn erwischt.«
»Nicht, dass du nicht alles getan hättest, um es daran zu hindern, möchte ich wetten«, höhnte Silber. Er versuchte ihr einen giftigen Blick zuzuwerfen, aber es wurde lediglich ein mürrischer. »Hast du gesehen, was es war?«, fragte der albinohaarige Bandenführer. »Nein«, sagte Trask kopfschüttelnd. »Hab ich nicht, aber das Vieh war groß, Mann, echt groß. Größer als alles, was wir bis jetzt gesehen haben. Und es war schnell, wie auf Sporn oder so, weißt du?« »Schnell war es, das stimmt«, konterte Silber, »aber nicht schnell genug, um dich zu erwischen, Trask, was?« »Ach, leck mich doch, Silber«, sagte Trask, der etwas von seiner Selbstsicherheit zurückgewonnen hatte, nun, da das Ungeheuer verschwunden war. »Nicht in diesem Leben«, sagte sie, indem sie auf dem Absatz kehrt machte und wieder ins Lagerhaus ging. »Mach dich sauber, Trask«, schnauzte Schneehund. »Wir haben Arbeit. Diese Leute werden sich nicht selbst ausnehmen, oder?« Schneehund drehte sich um und ließ ihn auf der vereisten Treppe stehen. Die Nässe in Trasks Schritt gefror langsam. Trask spürte, wie sich seine Furcht in Wut und Groll verwandelte, als er Schneehund ins Lagerhaus folgte und sich eine juckende Hautstelle im Nacken und im Gesicht rieb. Der Caduceus prangte auf den Türen, ein Stab mit zwei geflügelten Schlangen, die sich um ihn wanden, und noch bevor Uriel sie aufstieß, hörte er schon Geschrei und roch den Gestank von Tod und Blut. Durch die Klinik des Bezirks Quintus hallten die gequälten Schreie von über tausend Verwundeten, und der Gestank der antiseptischen Sprays und mit Kampfer versetzten Öle konnte den bitteren Geruch nach entzündetem Fleisch und nässenden Wunden nicht überdecken. Sein Atem gefror zu Wölkchen, da die Temperatur in dem Raum dem Gefrierpunkt nah war. Schwestern eines Heilerordens eilten durch die lange, gewölbeartige Kammer, und ihre fließenden weißen Gewänder waren steif von getrocknetem Blut. Die Verzweiflung und Furcht waren greifbar, und der Anblick so vieler tapferer Männer, die von den Tyraniden so zugerichtet worden waren, brach Uriel fast das Herz. Das Gekreisch Verwundeter und das Schluchzen jener, die unter
die Knochensäge mussten, hallten durch das Gebäude. Drei Pfleger hielten einen schreienden Soldaten des Krieg-Regiments fest, dessen Beine nur noch zuckende Stümpfe waren, während sie versuchten, die Oberschenkelarterien zu klammern, aus denen das Blut spritzte. Bahrenträger liefen mit einer Frau an Uriel vorbei, deren Arm über dem Ellbogen abgetrennt worden war, und Uriel sah, dass die Wunde vereitert war, zweifellos infolge einer Erfrierung, die sie sich zugezogen hatte, während sie auf Rettung wartete. Aus dem Stumpf sickerte Eiter auf die raue Decke, mit der sie zugedeckt war. Priester skandierten das Finis Rerum von hohen Kanzeln, aber ihre Worte gingen in dem Geschrei unter. Es schien, als würde das Schreien nie aufhören. Er sah, wie eine der Schwestern ein Laken über das Gesicht eines Toten zog und den Pflegern zunickte. Uriel war der Tod nicht fremd, aber diese schlichte Darstellung menschlichen Leidens berührte ihn auf eine Weise, die er nicht erklären konnte. Die Frau blickte von dem Leichnam auf und sah ihn. Sie fuhr sich mit schmutzigem Ärmel über die Augen und hinkte um das Bett zu ihm. Ihr blondes Haar war zu einem fettigen Pferdeschwanz zusammengebunden, und Uriel sah, dass sie seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen haben konnte. Ihre rauchblauen Augen waren matt und blutunterlaufen, aber sie hatte eine Menge Kraft, so viel war offensichtlich. »Bruder-Hauptmann«, sagte sie. »Schwester Joaniel Ledoyen, ranghöchster Schwesternoffizier, zu Ihren Diensten, aber wir stehen ziemlich unter Druck, also was Sie auch wünschen, beeilen Sie sich bitte.« »Warum ist es hier so kalt?«, fragte Uriel. »Weil eins dieser verdammten... Ungeheuer schon vor dem ersten Angriff unseren Generator getroffen hat und die verwünschten Techpriester nicht in der Lage waren, uns einen neuen zu beschaffen«, sagte Joaniel schnippisch. »Haben Sie noch mehr dumme Fragen oder kann ich jetzt weiter versuchen, ein paar Leben zu retten?« »Es tut mir leid, Schwester, ich bin müde von der Schlacht und vergesse meine Manieren. Ich bin Bruder-Hauptmann Uriel Ventris und muss einen Soldaten finden, den ich hergebracht habe. Er heißt Pavel Leforto und gehört zur Wehrlegion Erebus. Er hat mir das Leben gerettet, und dafür möchte ich mich bedanken.«
Joaniels Miene wurde weicher, und sie zeigte auf das Schwesternzimmer in der Mitte der Station. »Da. Meine Stellvertreterin Ardelia wird versuchen, ihn für Sie zu finden, obwohl Sie damit rechnen müssen, dass er tot ist.« »Wie der Imperator will«, sagte Uriel. Der Mundwinkel der Frau zuckte, als sie die vertraute Redewendung hörte, und sie nickte. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich habe zu tun«, sagte sie und wandte sich ab. Uriel sah Schwester Joaniel Ledoyen nach, wie sie zum nächsten Bett und zum nächsten blutverschmierten Soldaten hinkte, dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging zum Schwesternzimmer. Es dauerte eine Stunde, Pavel Leforto zu finden. In dem Bett, zu dem Ardelia ihn zuerst führte, lag nur ein armer Teufel, dessen verbranntes Gesicht in Verbände gehüllt war und bei dem es sich offensichtlich nicht um Pavel handelte, da seine Schulter unversehrt war. Schließlich fand Uriel ihn im ersten Stock des Gebäudes. Schulter und Hals waren in Kunsthautverbände gehüllt. Der Beutel eines Tropfs war unter seinen Arm geklemmt wahrscheinlich, um ein Gefrieren der Flüssigkeit zu verhindern -, der wiederum außerhalb der Laken lag, damit die Flüssigkeit in dem Beutel fließen konnte. Seine Augen waren geschlossen, aber er atmete tief und regelmäßig. Uriels geringes Wissen über menschliche Physiologie reichte aus, um ihm zu verraten, dass Pavel Leforto leben würde, obwohl ihn stets eine wulstige Narbe an seinen Kampf gegen die Tyraniden gemahnen würde. Uriel erinnerte sich an seinen letzten Eindruck von Pavels Gesicht, schreiend und schmerzverzerrt, während Pasanius ihn ins Lazarett trug. Seine Züge waren jetzt friedlich, und er bekam nichts von dem Geschrei mit, das aus dem Erdgeschoss heraufhallte, und auch nichts vom Miasma des Todes, der dieses Gebäude erfüllte. Die Hand des schlafenden Mannes hielt eine holo-lithische Datentafel, und als Uriel sich vorbeugte und die Tafel hochhob, sah er das Bild einer schlichten, aber attraktiven Frau mit zwei strahlenden Kindern, die sie eng an sich gedrückt hatte. Uriel starrte mehrere Minuten auf das körnige Bild, in denen er die Liebe sah, die diese Leute für den Mann vor ihm empfanden. Pavel Leforto hatte eine Familie, an der er sich festhalten konnte, ein Heim zu verteidigen und eine Zukunft zu beschützen...
Dinge, die er nie haben konnte. Uriel legte das Bild wieder zurück, entfernte ein Reinheitssiegel von seiner Rüstung und legt es Pavel auf die Brust, bevor er sich vom Bett zurückzog, da er nicht gewillt war, die Ruhe des verwundeten Soldaten zu stören. Er verließ die obere Etage und ging nach unten ins Vestibül der Klinik. Hinter einem niedrigen Torbogen auf der linken Seite sah er einen kleinen Gang, der zu einer geöffneten Tür führte, durch die ein warmer, weicher Schein fiel. Er nahm den beruhigenden Duft von Weihrauch neben dem Gestank von Blut wahr und trat durch den Bogen und in die kleine Kapelle der Klinik. Die schlichte, aber elegante Kapelle war spartanisch eingerichtet. Das einzige Zugeständnis an Gepränge war ein halbkreisförmiges Buntglasfenster, das die Schwestern eines Heilerordens darstellte, wie sie sich um die Kranken kümmerten und Almosen an die Bedürftigen verteilten. Uriel verspürte so viel Frieden und Gelassenheit wie schon seit vielen Monaten nicht mehr, als könne ein dunkler Schatten, der seine guten Wesenszüge erstickte, seine finstere Kraft an diesem heiligen Ort nicht entfalten. Er schloss die Tür und ging zum Ende des Schiffs, verbeugte sich vor dem Abbild des Imperators und kniete unter seinem majestätischen Blick nieder. »Imperator der Menschheit, in dieser Zeit des Krieges suche ich den Trost, den nur du geben kannst. Zu oft spüre ich, wie Hass meine Träume vergiftet. Finsternis sammelt sich in mir, und ich fürchte um meine Seele in den kommenden Tagen. Hilf mir, diesen Makel zu überwinden, der in mir gesät wurde, und rette mich davor, zu dem zu werden, was ich mein Leben lang in deinem Namen bekämpft habe.« Uriel holte tief und schaudernd Atem und sagte: »Ich fürchte, ich könnte bald aus den Augen verlieren, wie es ist, dir zu dienen, und deiner Liebe nicht mehr würdig sein.« »Nein, Hauptmann Ventris«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Alle Diener des Imperators sind seiner Liebe würdig.« Uriel fuhr herum und erhob sich. Schwester Joaniel stand da, in das Licht gehüllt, das durch das Buntglasfenster fiel, und die warmen Farben verliehen ihrer Haut einen rötlichen, gesunden Glanz. »Schwester«, sagte Uriel. »Ich habe Sie gar nicht bemerkt.« »Ich weiß. Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Soll ich lie-
ber gehen?« »Nein, nein, natürlich nicht.« »Dürfte ich mich dann zu Ihnen gesellen?« »Ja, bitte, tun Sie das.« Schwester Joaniel nickte und hinkte zum Ende des Schiffs, knickste vor der Statue des Imperators und zuckte zusammen, als ihr Hüftgelenk laut knackte. Sie setzte sich auf die vorderste Bank und sagte: »Ich komme oft hierher, wenn ich Zeit habe. Es ist sehr friedlich.« »Das ist es«, stimmte Uriel zu, indem er sich ihr auf der Bank anschloss. Neben seiner Körperfülle wirkte die Schwester der Adepta Sororitas winzig. Das Holz ächzte unter seiner Last. »Ich hatte hier ein Gefühl, als würde mir eine große Last von den Schultern genommen.« »Sie tragen eine Last?«, fragte Joaniel. Uriel antwortete nicht. Er hielt den Blick auf den polierten Holzboden gerichtet, aber schließlich sagte er: »Sie haben gehört, was ich gesagt habe, als Sie hereingekommen sind.« »Das ist wahr, aber ich weiß nicht, worauf Sie sich bezogen haben. Möchten Sie darüber reden? Ich habe schon vielen Kriegern mit meinem Rat zur Seite gestanden, die nicht nur körperliche, sondern auch seelische Wunden davongetragen hatten. Vertrauen Sie mir, es kann sehr befreiend sein, Gedanken laut auszusprechen, die einen beunruhigen.« »Ich weiß nicht, Schwester... Ich bin... nicht gut darin, solche Dinge auszudrücken.« »Hat es etwas mit dem Soldaten zu tun, den Sie besucht haben?« »Nein, mehr mit einem monströsen Wesen, das ich auf einer weit entfernten Welt bekämpft habe.« »Was für ein Wesen, einen Tyraniden?« Uriel schüttelte den Kopf. »Nein. Ich weiß bis heute nicht genau, was es war. Ich weiß nur, dass es eine uralte Kreatur war, schon alt, als die Galaxis noch jung war, die für Gemetzel lebte und im Morden schwelgte. Ein Inquisitor, den ich kannte, hat es Nachtbringer genannt, und dieser Name war sehr zutreffend, denn es konnte in die Gedanken eines Menschen eindringen und dessen niedrigste Instinkte zum Vorschein bringen.« Uriels Hände fingen an zu zittern, als er die Schlacht unter der Welt Pavonis nacherlebte. »Ich habe gesehen, wie sich Menschen
in einer Orgie des Blutvergießens selbst in Stücke gerissen und zerfetzt haben, und ich habe gespürt, wie mein eigener Drang zu töten neue Höhen erreicht hat, die mir bis zum heutigen Tag Übelkeit bereiten. Diese Kreatur war von Visionen des Wahnsinns und Todes umgeben, und als sein Bewusstsein kurz meines berührte, habe ich alles gesehen, all das Gemetzel im Universum, und das war so, als hätte es meine Seele mit Blut getauft.« »Aber Sie haben die Kreatur besiegt?« »In gewisser Weise. Wir haben sie vertrieben und überlebt, obwohl ich nicht weiß, was aus ihr geworden ist.« »Was Ihnen dieses Wesen gezeigt hat, verfolgt Sie und lässt Ihnen keine Ruhe«, stellte Joaniel fest. »Aye«, nickte Uriel, indem er den Kopf auf die Hände stützte. »Ich schließe die Augen und sehe nur Blut, Tod und Verstümmelung. Wenn ich kämpfe, kann ich kaum die mörderische Raserei unterdrücken, die vom Makel des Nachtbringers stammt.« »Ich will nicht so tun, als würde ich die Natur dieses ungeheuerlichen Wesens verstehen, aber ich habe das Gefühl, dass Sie sich grundlos quälen, Uriel. Dass Ihr Bewusstsein Kontakt mit einem Wesen von solcher Macht hatte, muss Narben zurücklassen. Etwas anderes zu glauben, wäre töricht.« Joaniel nahm Uriels Hand. »Jede Verletzung, ob körperlich oder seelisch, hinterlässt Narben, und manchmal treten sie hervor, als sprängen Dämonen aus einem Sack. Narben heilen, Uriel, aber nur, wenn man sie lässt.« »Sie glauben nicht, dass ich mit dem Makel behaftet bin?« Joaniel lächelte. »Nein, das tue ich nicht, Uriel. Die Macht dieses Nachtbringers muss ungeheuerlich gewesen sein, aber Sie haben ihn besiegt. Ja, er hat Ihnen gezeigt, wie tief sich ein Mensch in Blut und Tod suhlen kann, aber diese Grausamkeit steckt in uns allen. Sie müssen sich mit diesem Aspekt Ihrer selbst abfinden und begreifen, dass ein Teil des Nachtbringers immer bei Ihnen sein wird. Mit dem Sichabfinden wird die Erleichterung kommen. Dass Sie solchen Schmerz empfinden, zeigt mir, dass Sie nicht mit dem Makel behaftet sind.« Uriel nickte, da er bereits spürte, dass der Schatten in ihm bei Joaniels Worten zurückwich. Die beiden saßen viele Minuten in einträchtigem Schweigen da, bis es in Uriels Helmkom knisterte und Learchus sagte: »Bruder-Hauptmann, Ihre Anwesenheit ist an der Hauptmauer erforderlich.«
Er bestätigte den Empfang der Nachricht, erhob sich und verbeugte sich vor der sitzenden Frau. »Meinen Dank für Ihr Verständnis, Schwester Joaniel«, sagte Uriel. »Aber ich muss jetzt gehen.« Joaniel erhob sich ebenfalls und bot ihm die Hand an. Uriel schüttelte sie, wobei ihre zierliche Hand völlig in seinem Panzerhandschuh verschwand. »Ich bin immer hier, Uriel, sollten Sie später noch einmal den Drang verspüren, sich wieder zu unterhalten.« »Vielen Dank, das würde mir gefallen«, sagte Uriel mit einer weiteren Verbeugung und marschierte dann rasch aus der Kapelle. Die Verlegung vieler Tausend Männer und Maschinen mit ihren Munitionsvorräten und Fahrzeugen war potenziell ein Albtraum, aber mit den gut gedrillten Kommissaren von Erebus, welche die Soldaten der Imperialen Garde dirigierten, gab es kaum Stau auf den Straßen, die in die Stadt zurückführten. Tausend Mann des Krieg-Regiments bemannten die zweite Grabenlinie, während sich das Logres-Regiment und die Wehrlegion Erebus zurückzogen. Alle Vorräte und Hilfsmittel, deren Rücktransport in die Stadt unmöglich war, wurden verbrannt, und so loderten grelle Scheiterhaufen in der Spätnachmittagssonne. Nachschublaster brachten Truppen mit bewundernswerter Schnelligkeit zu den Kasernen in Erebus zurück, und hoch oben in seinem Capitol Imperialis war Oberst Rabelaq zufrieden darüber, dass die Evakuierung der Gräben so gut voranschritt, wie man unter den gegebenen Umständen erwarten konnte. Doch Zufall und Pech hatten schon immer eine Rolle bei militärischen Unternehmungen gespielt, und zwei Dinge sollten den imperialen Verteidigern teuer zu stehen kommen. Auf der Straße zum Nordtor holperten die mit Panzermunition beladenen Lastwagen über eine Fahrbahndecke, die aufgrund der starken kürzlichen Beanspruchung mittlerweile tiefe Furchen aufwies, und ein Nachschublaster mit so einer hochexplosiven Ladung krachte in eines der tieferen Schlaglöcher und mit einem markerschütternden Ruck wieder heraus. Ob eine der Granaten einen fehlerhaften Zündmechanismus oder ein achtloser Soldat zufällig eine der Zündnadeln abgezogen hatte, würde für immer ungeklärt bleiben, aber als die Granaten durch das Schlagloch heftig durchgeschüttelt wurden, explodierte der Laster plötzlich in
einem verheerenden Feuerball. Folgeexplosionen zerfetzten die kümmerlichen Reste des Lasters, als die Hitze auch den Rest der Granaten hochgehen ließ, die in einer Serie er schütternder Schläge detonierten, welche die Straße aus löschten und dazu alles andere im Umkreis von hundertfünfzig Metern. Jene Fahrzeuge, denen das Grauen der Vernichtung erspart geblieben war, hielten mit einer halben Kilometer langen Schlange im Rücken auf einer schmalen Straße an, die wenig Raum bot, um zu wenden und zu einem anderen Tor zu fahren. Während die Kommissare versuchten, den Fahrzeugstau aufzulösen, tauchte am Horizont weit im Osten eine wirbelnde schwarze Wolke auf, die einen vollen Kilometer breit war und mit viel Gekreisch über die Gipfel der Hochebene hinwegflog. Warnsirenen fingen an zu heulen, und die Geschütze der Stadt eröffneten das Feuer. Viele imperiale Einheiten, die befürchteten, jeden Augenblick angegriffen zu werden, gingen sofort in Abwehrstellung, schlossen die Luken ihrer Panzer und machten ihre Waffen schussbereit. In vielen Fällen rettete ihnen das unzweifelhaft das Leben. Aus den Bergen im Norden strömten viele Hundert Tyranidenkreaturen die rutschigen, felsigen Hänge hinunter und fielen über die erschöpften imperialen Truppen her. Kurze Zeit später tobten heftige Schlachten vor den Stadtmauern, da die arglosen Gardisten von einer Flut mordlüsterner Tyraniden angefallen wurden, die über die angeblich unpassierbaren Berge gekommen war. Nichtmenschliches und menschliches Blut floss in Strömen, als die beiden Armeen aufeinanderprallten. Aber es sollte noch schlimmer kommen. »Ach du lieber Imperator, nein...«, ächzte Oberst Rabelaq, als sich die Bilder auf der Holokarte plötzlich drastisch veränderten. Neue Symbole für Feindeinheiten tauchten in den Bergen im Norden auf, und ihm ging auf, dass Hauptmann Ventris zu recht an Fabrikator Montantes Zusicherung gezweifelt hatte, sie seien unpassierbar. Furcht breitete sich in seinen Eingeweiden aus, und das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Die Tyraniden hatten sie alle an der Nase herumgeführt. Die Cogitatoren des Capitol Imperialis hatten die Geschwindigkeit der vorrückenden Schwärme hochgerechnet und angenommen, sie würden sich mit Höchstgeschwin-
digkeit bewegen. Naiverweise hatte er diese Annahme einfach übernommen, doch als er die Symbole der drei Schwärme beobachtete und sah, wie rasch sie sich nun Erebus näherten, ging ihm auf, dass er die Schläue der Tyraniden auf fatale Weise unterschätzt hatte. Er eilte zur Kom-Station und nahm das Sprechgerät aus Nalholz von der Konsole. »An alle Krieg-Einheiten: Die Tyraniden sind unmittelbar vor Ihnen! Ich wiederhole: Die Tyraniden werden Ihre Stellungen binnen Minuten angreifen! Ziehen Sie sich umgehend von dort zurück! »Wovon reden Sie?«, schnauzte Leutnant Konarski, als er dem Kom-Soldaten den Kopfhörer abnahm und sich über den Kopf streifte. Seine Augen weiteten sich, als er Oberst Rabelaqs panische Stimme hörte, die ihnen befahl, die Gräben zu evakuieren. Er riss sich den Kopfhörer ab, warf ihn dem Kom-Soldaten zu, lief zum Graben-Periskop und schaute hindurch. Er verbiss sich einen Fluch, während er das Periskop von links nach rechts wandern ließ, und spürte, wie sich ein eisiges Band aus Eisen um seine Brust schloss, als er eine Flut von Ungeheuern auf ihre Stellungen zustürmen sah. »Scheiße«, sagte Konarski und ließ sein Lasergewehr von der Schulter gleiten. Er rannte den Graben entlang und rief seinen Männern zu standzuhalten. »Herr Leutnant!«, rief der Kom-Soldat. »Heißt das, wir evakuieren nicht?« Konarskis Blick wanderte durch den Graben, und als er sah, dass andere Krieg-Offiziere ihre Männer auf den Feuersteg scheuchten, "sagte er: »Nein, Sohn, tun wir nicht.« »Aber Oberst Rabelaqs Befehle...« »Zur Hölle mit Rabelaq!«, schnauzte Konarski. »Wir sind das Todeskorps von Krieg, Sohn. Haben Sie geglaubt, das ist nur ein hübscher Name? Wir ziehen uns nie zurück. Wir kämpfen und wir sterben, so machen's die Krieg.« So furchtbar die ersten Angriffe auf die Gräben auch gewesen waren, sie waren nur ein Schatten von diesem. Eine gewaltige, vielgliedrige Bestie stapfte vorwärts und schlug dabei riesige Krater ins Eis. Dampfende Säurestrahlen spritzten aus grotesken
organischen Rohren unter dem riesigen Kiefer und lösten Schnee, Eis und Fleisch in Rauch auf. Hunderte Dornen schossen mittels monströser Muskelkontraktionen daraus hervor, hämmerten auf die Gräben ein und durchbohrten meterdicken Schnee, um Menschen und Panzer aufzuspießen. Eine brodelnde Flut von Kreaturen umschwärmte die Beine der riesenhaften Kreatur. In Chitin gehüllte Organismen mit knochiger Vorderseite und verkrümmten Vordergliedern schleuderten Fleischkapseln, die explodierten und dabei tödliche Mischungen aus messerscharfen Knochensplittern und organischen Säuren verspritzten. Die Kreaturen glitten langsam über das Eis und schieden dabei immer neue organische Granaten aus. Ähnlich klobige Wesen mit verschmolzenen, knochigen Vordergliedern, die langen, organischen Kanonen ähnelten, spien knisternde Chitingranaten, welche die zurückweichenden Panzer mit Ladungen von zersetzenden Viren und Säuren beschossen. Knisternde elektrische Energie sprang von den riesigen Krallen dicker, schlangenartiger Kreaturen über, die über das Eis glitten. Ihre gepanzerte Haut rutschte daher und wirbelte dabei Wolken von Eiskristallen hinter ihnen auf. Doch der Angriff wurde von einem Haufen riesiger Kreaturen angeführt, die sich auf gigantischen Krallen fortbewegten und ihre aufgeblähten Leiber mit furchterregendem Tempo über das Eis zogen. Brutnester pulsierten mit grotesken, peristaltischen Bewegungen zwischen den Knochenplatten ihrer Haut, und messerscharfe Dornen wurden durch Muskelkontraktionen in die Gräben geschleudert. Eine dunkle Wolke von Gargylen formierte sich über den angreifenden Ungeheuern, darunter auch eine gewaltige schwarze Brutmutter, deren monströse Flügel schwerfällig schlugen, als sie sich auf die Männer des Krieg-Regiments stürzte. Leutnant Konarski übergab sich, während er die sich auflösenden Überreste des Kom-Soldaten von seinen Beinen wischte, so dass sie in eine Pfütze aus rauchender Säure fielen, die sich durch die Laufbretter des Grabens fraß. Er versuchte aufzustehen, aber der stechende Gestank nach verbranntem Fleisch bewirkte, dass er sich in einem Hustenanfall krümmte. Blut und Rauch erfüllte den Graben, da die Geschosse der Tyraniden überall explodierten, nachdem ihre Schanzen praktisch zerstört waren. Hier und da
wurden Schüsse erwidert, aber verglichen mit dem Feuer, das auf sie einschlug, waren sie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Nachdem er seine Übelkeit endlich überwunden hatte, rief er: »Für Krieg!«, und schoss über den Grabenrand auf den Feind. Ein dunkler Schatten sperrte das Sonnenlicht aus, und als Konarski aufblickte, sah er eine gigantische Monstrosität mit zehn Meter langen Flügeln im Sturzflug auf die Gräben herabschießen. Viele Dutzend kleinerer Ungeheuer klammerten sich am Bauch fest, und im Maul bildete sich wirbelndes Feuer. Er riskierte einen Schulterblick, um festzustellen, warum niemand auf die Bestie schoss. Als sein Blick auf den nächsten Hydra-Flakpanzer fiel, verstand er es. Der vordere Teil war eine geschmolzene verbogene Masse, da dicke Panzerplatten von zersetzenden Viren und Säuren verflüssigt worden waren. Blutiger Schleim rann aus dem Fahrzeuginneren, die sich auflösenden Leiber der Besatzung, und dampfte in der Kälte. Doch Konarski sah auch, dass die Geschütze des Panzers noch intakt waren. Er ließ sein Gewehr fallen und sprintete zu dem vierläufigen Geschütz. Er musste es wieder in Betrieb nehmen. Riesige kreischende Kreaturen mit sensenden Armen und grässlichen organischen Waffen strömten in die Gräben und rissen seine Männer in Stücke. Schwärme kleinerer Kreaturen umsprangen sie und töteten ebenfalls alles um sie herum. Verzweifelte Handgemenge waren im Gange, da Soldaten vergeblich versuchten, sich gegen die Tyranidenflut zu stemmen. Riesige Fleischmonstrositäten spien Horden von Krallenbestien aus, in denen er Symbionten erkannte. Sie wurden überall überrannt. Konarski duckte sich und hielt sich die Hand vor Mund und Nase, als ihm der Gestank der geschmolzenen menschlichen Leiber zusetzte. Er kletterte über die stinkenden Reste der Besatzung hinweg und glitt auf den Platz des Kanoniers. »Ja!«, schrie er, als er sah, dass die Geschütze noch einsatzbereit und vollgeladen waren. Seine Hände schlossen sich um die Griffe, und er schwenkte den vierläufigen Turm herum und dem riesigen Flugungeheuer entgegen. Konarski drückte auf die Feuerknöpfe, und eine vier Meter lange Flammenzunge stach aus der Mündung, während am Himmel feurige Explosionen erblühten. Das Geschütz erbebte unter dem gewaltigen Rückschlag, da es in
wenigen Sekunden hundert Granaten in die Luft spie. Konarski schrie, während er schoss, da das Grauen der letzten Tage in einer Adrenalinflut aus seinem Körper gespült wurde. Zwischen seinen Wahrnehmungsaussetzern sah er, wie die fliegende Bestie zerfetzt wurde, da die aus nächster Nähe abgefeuerten Granaten ihren Knochenpanzer durchschlugen und in den lebenswichtigen Organen explodierten. Das Ungeheuer fiel kreischend vom Himmel und schlug in einer Fontäne aus Schnee und fremdartigem Blut auf, wobei die Brut, die es im Leib trug, zerquetscht wurde. Explosionen in seinem Bauch förderten bunte Dämpfe zu Tage, und Giftwolken wallten über den Boden, von denen grüne Fäden in die Gräben trieben. Er schwenkte das Geschütz nach links und rechts und zerfetzte jeden Tyraniden, der ihm vor die Läufe kam. Er hielt die Feuerknöpfe noch lange gedrückt, nachdem die Munition längst versiegt war. Oberst Rabelaq beobachtete die Vorgänge durch die Observationsbucht des Capitol Imperialis und erkannte sofort, dass die Tyraniden die Nachhut der Krieg ohne Verstärkungen auslöschen würden. Die Kom-Frequenzen waren ein Chaos aus Hilferufen und verzweifelten Bitten um Artillerieunterstützung. Das Ausmaß dieser Katastrophe erschütterte ihn. Die auf der Straße zur Stadt angegriffenen Abteilungen hielten sich und drängten die Tyraniden an vielen Stellen zurück. Wenn sie etwas Zeit bekamen, konnten sie sich vielleicht bis hinter die Stadtmauern durchkämpfen. Aber Zeit war genau das, was sie nicht mehr hatten. Die Soldaten des Krieg-Regiments konnten nicht hoffen, den Vorstoß der Tyraniden lange genug aufzuhalten. Ihm blieb nur eine Möglichkeit. Er marschierte zur Mitte seiner Kommandobrücke, knöpfte die Uniformjacke zu, zog den Kragen gerade und fegte sich ein Stäubchen von den Epauletten. »Alles vorrücken, Geschütze feuerbereit machen«, befahl er. »Herr Oberst?«, fragte sein Adjutant. »Sie haben mich beim ersten Mal verstanden! Alles vorrücken, ich lasse diese tapferen Jungs nicht einsam verrecken. Das ist nicht die Art der Logres. Und jetzt befolgen Sie meinen Befehl!« »Aye, aye, Herr Oberst«, nickte der Mann und beeilte sich zu
gehorchen. Oberst Octavius Rabelaq nahm Haltung an, als er die grollenden Vibrationen der riesigen Ketten spürte und das Capitol Imperialis seinen schwerfälligen Vormarsch begann. Der Boden erbebte, und durch den Ansturm vieler Hundert Tyranidenungeheuer wurden Schnee, Eis und Holz aus den Mauern der Gräben gerissen. Konarski scharte alle Männer um sich, die er in den stinkenden Wolken der Tyranidendämpfe finden konnte, und zog sich mit ihnen kämpfend in Richtung Stadtmauer zurück. Sie hatten getan, was sie konnten, und es wurde Zeit, seine Männer in Sicherheit zu bringen. Gewaltige Vibrationen ließen den Boden erbeben, und er fragte sich kurz, ob es ein Erdbeben gab. Ein kreischendes Brüllen hinter ihm kündete vom unersättlichen Hunger unmenschlicher Ungeheuer, und er drehte sich um und hob sein Lasergewehr in einer letzten Trotzreaktion. Plötzlich erzitterte die Erde, und eine Kette donnernder Explosionen erfüllte die Welt mit ihrem Lärm. Grelles Licht flammte hinter ihm auf, und das Knistern verdrängter Luft drohte ihn taub zu machen. Er spürte, wie er durch die Luft flog, als sich der Boden vor ihm infolge des Bebens spaltete. Er schlug schwer auf, rollte sich ab und schluckte Schnee, während vor seinen Augen Sterne explodierten. Flammen loderten vor ihm, und er erhob sich wacklig auf die Knie. Was war gerade passiert? Dann teilte sich der Rauch, und ein Berg aus Stahl tauchte vor ihm auf. Auf seinen knirschenden Ketten zermalmte er den Boden und spaltete den Fels mit seiner Masse, während er panzergroße Brocken aus Eis und Gestein aufwirbelte. Das gesegnete Adlerwappen prangte auf dem Leviathan, nicht weit unter dem riesigen, rauchenden Lauf der Behemoth-Kanone des Capitol Imperialis. Konarski lachte, als die gigantische Kriegsmaschine an ihm vorbeirumpelte, und sein Freudenausbruch verlor sich im donnernden Krachen, als die Kanone erneut feuerte und die Druckwelle ihn wieder durch die Luft schleuderte. Die Landung raubte ihm den Atem, setzte jedoch noch mehr Adrenalin frei, und er rappelte sich rasch wieder auf und schwankte weiter in Richtung Stadt.
Oberst Rabelaq hatte ihnen Zeit verschafft, und er hatte nicht die Absicht, diese Zeit zu vergeuden. Oberst Stagler drückte sich die Kompresse fest gegen den Bauch. Ihm war ein wenig schwindlig vom Blutverlust, aber er war nicht bereit, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, bevor er das Schicksal seiner Männer kannte. Von seinem Platz auf dem schneebedeckten Geschützturm im Hauptwall der Stadtmauer sah er kaum mehr als wallende Wolken aus Rauch und Dämpfen, die ihm die Sicht auf die Gräben versperrten. Dem Kom war auch nichts zu entnehmen außer Geschrei und Tyranidengeheul. Seine Männer waren wahrscheinlich verloren, aber wenigstens waren sie nach Art der Krieg gestorben: in zähem, hartnäckigem Kampf. Der Schwachkopf Rabelaq hatte ihn überrascht und war mit seinem kostbaren mobilen Kommandostand mitten in die Feindmassen vorgestoßen. Er hatte damit den Männern, die sich gegen den Überraschungsangriff der Tyraniden verteidigten, genug Zeit erkauft, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und sich in die vorübergehende Sicherheit der Stadtmauern zu flüchten. Ganze Scharen der Tyraniden hatten die Mauern umgangen und sich von den hohen Klippen in die Tiefen der Stadt gestürzt, aber darum konnte er sich jetzt keine Gedanken machen. Das Capitol Imperialis schoss wiederum, und mehr Schnee fiel von den höchsten Berggipfeln. Hunderte Tyraniden kletterten an den Flanken des gewaltigen Fahrzeugs empor, und viele mehr warfen sich in die Ketten. Elektrizität entlud sich rings um den Rumpf, und grelle Explosionen hüllten ihn ein. Die Nahkampfgeschütze zerfetzten ganze Scharen angreifender Tyraniden, konnten mit der ständig wachsenden Anzahl aber nicht Schritt halten. Stagler machte seinen Kom-Offizier mit einem Fingerschnippen auf sich aufmerksam. »Verbinden Sie mich mit Oberst Rabelaq«, befahl er, während er mit einem Anblick konfrontiert wurde, den er bis zu seinem Todestag nicht vergessen sollte. »Warum werden wir langsamer, verdammt?«, wollte Oberst Rabelaq wissen. »Herr Oberst, die Ketten sind verklemmt. Wir sind bewegungsunfähig«, kam die Antwort. Der Oberbefehlshaber des Logres-Regiments eilte zur SensorStation, wo Dutzende kleiner Datentafeln Bilder der Außen-
Aufzeichner zeigten. Jede stellte flackernde Szenen des Gemetzels dar, buchstäblich Tausende aus der Tyranidenbrut, die das Capitol Imperialis umschwärmten. Viele Hundert Boltkanonen spien einen beständigen Strom von Geschossen in die Tyranidenhorde, konnten aber nicht alle aufhalten. Er spürte die Vibrationen des gedämpften Rückschlags der Behemoth-Kanone und hörte das Kreischen der tödlichen Ungeheuer sogar durch den dicken Rumpf seines Kommandofahrzeugs, da sie darum kämpften, zu den Menschen in diesem gepanzerten Ungetüm vorzudringen. Hunderte, vielleicht Tausende Bestien hatten sich in die gewaltigen Ketten des Capitol Imperialis geworfen, um es an der Flucht zu hindern, und das Ausmaß dieser bedenkenlosen Hingabe ängstigte Rabelaq bis in die Sohlen seiner Stiefel. Nicht einmal der rücksichtslose Macharius oder der charismatische Slaydo hatten diese Art von Gehorsam in ihren Männern wecken können. Ein entsetztes Atemholen riss ihn aus seinen Überlegungen, und als er aufschaute, sah er die riesige Bestie aus den wallenden Wolken aus Eiskristallen und giftigen Dämpfen auftauchen und alles vor sich zermalmen. Mehrere Beißzangen sabberten rings um ein höhlengroßes, schließmuskelartiges Maul mit wahrscheinlich Tausenden dicken Reißzähnen. Seim tropfte in dicken Schlieren ätzenden Geifers aus der Öffnung. Chitinbeine mit andersherum angelegten Gelenken wie bei einer Spinne schleppten den aufgeblähten Leib über das Eis, und Hunderte wuselnder Organismen krabbelten über die dicken Knochenplatten des oberen Panzers. »Bei allen Heiligen!«, flüsterte Rabelaq. »Alle Kraft auf die Autolader! Hauptgeschütz abfeuern, um des Imperators willen. Sofort!« »Herr Oberst! Oberst Stagler ist am Kom!« »Ich habe jetzt keine Zeit für diesen Fanatiker!«, schnauzte er. »Hauptgeschütz abfeuern!« Noch durch die vielen Meter Adamantiumdeck und trotz der Dämpfer spürte er den donnernden Rückschlag der BehemothKanone. Das Ungeheuer erbebte unter dem Einschlag, und gewaltiger Jubel erfüllte die Kommandobrücke. Massive Brocken abgesprengter Materie segelten durch die Luft, und gewaltige Blutfontänen schossen aus einem riesigen Krater in der Flanke der Bestie.
Das Ungeheuer sackte auf eine Seite, da ein Vorderbein nur noch an blutigen Strängen zerfetzter Muskeln hing. Dunkles Blut schoss aus der Wunde, überflutete den Graben und schmolz das Eis mit seiner Hitze. Ein Spalt öffnete sich in dem Sack an seinem Bauch und riss immer weiter auf, während sich das kreischende Ungeheuer weiter dem Capitol Imperialis entgegenschleppte. Tausende springender, schnappender Kreaturen und aufgeblähter Eier glitten aus der Wunde, nur um unter der Körpermasse der gewaltigen Bestie zerquetscht zu werden. »Mach schon, mach schon«, zischte Rabelaq, während er auf die Kontrolllämpchen auf der Hauptschalttafel starrte, die den Fortschritt des Nachladevorgangs tief unter ihnen auf dem Geschützdeck anzeigten. Er zwang sich, den Blick von der Tafel abzuwenden, und sah dann voller Entsetzen, wie sich das Tyranidenungeheuer aufbäumte und die Wunde an der Trefferstelle bereits wieder verheilte. Aus dem Bauch sprudelte kein Blut mehr, und neue Muskelstränge und Gewebe glitten bereits das verwundete Bein hinunter und reparierten durchtrennte Sehnen und Knochen. »Herr Oberst, Durchbrüche auf den Decks, zwo, drei und fünf!« »Herr Oberst, Maschinenraum meldet Eindringlinge!« »Herr Oberst, Nahkampfwaffen haben keine Munition mehr!« Rabelaq lauschte weiteren Meldungen, von denen eine schlimmer als die andere war, und wusste, dass sich seine Laufbahn als Soldat in der Armee des Imperators dem Ende zuneigte. Aus dieser Schlacht würde er nicht lebend hervorgehen, um in den nächsten Jahren in den Offiziersmessen immer wieder einen Toast auf sie auszubringen. Seltsamerweise beunruhigte ihn der Gedanke nicht so sehr, wie er immer angenommen hatte. Die Kommandobrücke erbebte unter einem gewaltigen Anprall, als die gigantische Tyranidenkreatur gegen die Seite des Capitol Imperialis krachte. Er hielt sich an dem Messinggeländer fest, das den Holokartentisch umgab, als ein Ruck durch das Deck fuhr. Senatoren glitten von ihren Stühlen und baumelten an den Kabeln, die sie mit dem Deck befestigten, und die anderen Offiziere schrien, als der mächtige Leviathan kippte und sie gegen die Wand geschleudert wurden. Er konnte nichts mehr durch die Observationsbucht sehen, nur noch eine bebende Masse eitrigen Fleisches. Warnglocken läuteten, und Flammen zuckten aus zer-
schmetterten Konsolen. Glassplitter flogen, als verbogenes Metall auf den Kartentisch fiel und Dampf aus geborstenen Rohren schoss. Das Deck neigte sich weiter, und Rabelaq schnappte sich das Sprechgerät des Korns von der Seite des Funken sprühenden Kartentisches. »Hier spricht Oberst Octavius Rabelaq«, sagte er gelassen. »Oberst Stagler, wenn Sie das hören können, dann wissen Sie, was Sie zu tun haben. Rabelaq Ende.« Der Oberst ließ das Sprechgerät fallen und verlor den Halt am Geländer des Kartentisches, als das Capitol Imperialis schließlich Übergewicht bekam und auf das Eis krachte. Er segelte durch den Kontrollraum und prallte gegen die Ecke einer verbogenen Konsole. Er blieb reglos auf der explodierenden Kontrollbrücke liegen, während Blut und Hirnmasse aus seinem geplatzten Schädel sickerten. Als er in Bewusstlosigkeit versank, tröstete ihn lediglich die Vorstellung, dass man in den Regimentsmessen noch Jahre später über seinen Tod reden würde. Uriel beobachtete den Angriff des gewaltigen Bio-Titanen auf das gekippte Capitol Imperialis mit einer Mischung aus Grauen und Kummer. Oberst Rabelaq war ein guter Mann gewesen, und die Soldaten des Logres-Regiments würden seinen Verlust nur schwer verkraften. Sie alle hatten Oberst Rabelaqs letzten Befehl gehört und gesehen, wie Oberst Stagler den Geschütztürmen den Feuerbefehl gab. Das Gekreisch der Tyraniden hallte von den Talwänden wider, als der Bio-Titan das umgestürzte Capitol Imperialis mit seinen riesigen Krallen aufriss und die dicke Panzerung dabei so leicht einriss, wie ein Kind ein Geschenk auspacken würde. Dann verwandelte sich die Dämmerung in grelles Tageslicht, als jedes schwere Artilleriegeschütz in der Stadtmauer das Feuer auf das umgestürzte Vehikel eröffnete. Das zerfetzte Wrack war von feurigen Explosionen erfüllt, die viele Hundert der kleineren Kreaturen einäscherten, welche sich gerade einen Weg in das Vehikel bahnten. Uriel war klar, dass es vielleicht noch Überlebende in dem Wrack gab, aber er wusste auch, dass dies ein gnädigerer Tod war als alles, was die Tyraniden anzubieten hatten. Eine riesige Pilzwolke schraubte sich in den Himmel, als der an-
haltende Beschuss schließlich den Maschinenraum erreichte und den Plasmareaktor darin zur Explosion brachte. Unerträglich grelle Lichtblitze stachen aus dem Wrack, als die Plasmakammern hochgingen und alles im Umkreis von einem halben Kilometer verdampften. Als das Licht erlosch, sah Uriel einen tiefen Krater, der mit zischender, geschmolzener Biomasse gefüllt war. Der tödliche verwundete Bio-Titan trieb in einer magmaheißen Plasmasuppe, während das zu ultraheißem Dampf erhitzte Eis das Fleisch kochte und von den Knochen abfallen ließ. Nicht einmal die furchterregenden regenerativen Kräfte des Ungeheuers konnten es noch retten, und es kreischte und strampelte in seinen Todeszuckungen. Schmelzwasser floss in den Krater und bildete einen rasch erkaltenden See. Zischende Wolken wogten, da das Plasma den größten Teil des Wassers verdampfte, doch bereits Minuten später kündete nur noch ein erstarrter, mit Eis gefüllter Krater von der dort stattgefundenen titanischen Auseinandersetzung, der für viele Tausend Tyraniden und auch für die sterblichen Überreste von Oberst Octavius Rabelaq zur letzten Ruhestätte geworden war. »In Mortis est Gloriam«, flüsterte Uriel.
ZWÖLF In den nächsten vier Tagen warfen sich die Tyraniden gegen die Stadtmauern und verloren dabei jedes Mal viele Tausend ihrer Organismen, aber der nächste Angriff erfolgte immer mit derselben Heftigkeit, und die Zahl der Angreifer schien ebenfalls nicht abzunehmen. Die Berge toter Tyraniden türmten sich vor der Mauer so hoch auf, dass ihre Masse das Eis auf dem Wassergraben bersten ließ. Flammenwerfer verbrannten die Überreste, so gut es ging, aber die schiere Masse der Leichen konnte vor der nächsten Angriffswelle niemals ganz beseitigt werden. Jeder Angriff begann mit einer Kanonade von Bio-Granaten, die von aufgeblähten Kreaturen mit pumpenden Halskrausen aus Knochen ausgeführt wurden, deren verschmolzene Vorderglieder sich zu Kanonen entwickelt hatten. Riesige Breschen waren bereits in die Mauer gesprengt worden, aber da sie als Stufenkonstruktion in den abfallenden Boden eingelassen war, sprengten sie wenig mehr als das Felsgestein des Bergs. Danach feuerten
ungeschlachte Bestien mit langen knochigen Gliedmaßen einen Regen fleischiger Kapseln auf die Verteidiger hinter der Mauer ab. Jedes dieser Geschosse explodierte in der Luft und verströmte Giftgaswolken, welche die Frontlinie einhüllten und viele Soldaten töteten und noch mehr verwundeten. Nachdem sich die Lazarette mit Soldaten füllten, die durch ätzende Dämpfe geblendet worden waren oder sich die Lunge aus dem Leib husteten, wurde es nötig, dass die Krieger der Adeptus Astartes den ersten Angriffen begegneten. Sie allein konnten hoffen, den tödlichen Giften zu widerstehen, die vor Beginn jedes Angriffs gegen die Verteidiger zum Einsatz kamen. Nach dem Bombardement füllte sich die Ebene vor der Stadt rasch mit zischenden Tyranidenbestien, die aus ihren von blinden Grabkreaturen geschaffenen Schneehöhlen krochen. Nur wenige Tyranidenspezies konnten eine Nacht ohne Schutz überleben, wenn die Temperatur auf vierzig Grad unter null sank, und die Dunkelheit war für die Verteidiger von Erebus die einzige Atempause von dem Grauen. Elektrische Feuer und giftige Flammenzungen, zwitschernde Verschlingerkreaturen und Knochensplittergranaten hämmerten erbarmungslos gegen die Mauer, und als die Verluste anstiegen, fiel die Entscheidung, die erste Mauer aufzugeben. Von der Brustwehr war kaum noch etwas übrig, und die kleineren Kreaturen durchliefen einen neuen Evolu-tionsprozess und bildeten fleischige, in kräftigen Haken endende Ranken aus, die sie in die Lage versetzten, die steilen Mauern zu erklimmen. Die vielen in den Talwänden stationierten Geschütze hielten die Mehrheit der fliegenden Kreaturen in Schach, und nach dem Hinterhalt an der Stadtmauer ließ niemand mehr die Möglichkeit außer Acht, dass die Tyraniden Mittel und Wege für Angriffe aus Richtungen finden mochten, die bisher als unmöglich erachtet worden waren. Einige Tyraniden waren durch die Kanalisation, vergessene Höhlen und sogar über die höchsten Berggipfel in die Stadt eingedrungen, und obwohl diese die Zivilbevölkerung massakrierten, konnten sie keinen einzigen Mann von der Front erübrigen, um diese Bestien aufzuspüren und zu töten. Einstweilen mussten sich die Einwohner von Erebus selbst verteidigen. Uriel erlebte die Kälte auf der Haut wie ein Brennen, begrüßte
den Schmerz aber als Zeichen dafür, dass er noch lebte. Seine Rüstung war an unzähligen Stellen verbeult, eingerissen und verschrammt und dazu mit so viel Tyranidenblut besudelt, dass von ihrer ursprünglichen Farbe kaum noch etwas zu sehen war. Die Servomotoren in seinem linken Schulterschutz keuchten und pfiffen beim Gehen, das Ergebnis einer nicht allzu sanften Behandlung seitens eines riesigen Tyranidenkriegers. Techmarine Harkus hatte getan, was er konnte, um die Bewegungsfreiheit des autoreaktiven Schulterschutzes zu erhalten, doch ohne die richtigen gesegneten Werkzeuge war er gezwungen gewesen die Rüstung um Verzeihung zu bitten und nur eine provisorische Reparatur auszuführen. Seit der Zerstörung von Oberst Rabelaqs Capitol Imperialis hatte er nicht mehr geschlafen, und obwohl ihm sein Cataleptischer Knoten gestattete, weiter zu funktionieren, indem er den Tagesrhythmus seines Gehirns und dessen Reaktion auf Schlafentzug beeinflusste, spürte er doch eine bis ins Mark reichende Müdigkeit im ganzen Körper. Als er die vielen Tausend Männer betrachtete, die sich um die heißen Brenner versammelt hatten, spürte er, wie seine Hochachtung vor ihnen stieg. Wenn er schon so müde war, wie mussten sich dann erst die menschlichen Soldaten fühlen? Learchus, dessen Rüstung gleichermaßen ramponiert aussah, wirkte ausgeruht, seine Augen strahlten und der Gang war fest, als er neben seinen Hauptmann trat. »Guillaumes Fluch, aber diese Männer sind erschöpft«, sagte Uriel. »Aye«, gab Learchus ihm recht. »Das sind sie, aber sie werden es aushalten. Ich weiß es.« »Sie haben die Männer gut ausgebildet, Bruder-Sergeant.« »So gut, wie der Codex es verlangt«, sagte Learchus mit einem Anflug von Tadel im Tonfall. Uriel ignorierte den sanften Verweis seines Sergeants, während sie die Gebäude des Bezirks Quatros verließen und auf die verwüstete Ebene vor der zweiten Mauer traten. Wo es früher von Fabriken, Produktionshallen und Häusern gewimmelt hatte, gab es jetzt nur noch vereiste Beton-Rechtecke, die anzeigten, wo sie früher einmal gestanden hatten. Reihen mit Ölfässern, die man mit allen gerade vorhandenen brennbaren Materialien gefüllt hatte, brannten und sorgten für eine Lufttem-
peratur gerade über dem Gefrierpunkt. Viele Soldaten waren in den kalten Nächten bereits erfroren, wo sie lagen, so dass ihre Kameraden bei Tagesanbruch die festgefrorenen Leichen hatten losbrechen müssen. Der Rat von Erebus, der ursprünglich Learchus' Entscheidung unterstützt hatte, die Gebäude einzureißen, um den Tyraniden jegliche Deckung zwischen den Mauern zu nehmen, hatte sich quergestellt, als ihnen schließlich die volle Tragweite der Entscheidung aufgegangen war. Simon van Gelder war Wortführer der lautesten oppositionellen Gruppe, und in einer überraschend kühnen Maßnahme hatte Sebastien Montante den Rat von Erebus aufgelöst und Oberst Stagler bis zur Vernichtung der Tyraniden den Oberbefehl über die Stadt übertragen. Es verblüffte Uriel, dass Menschen am Rande der Auslöschung noch über solch unbedeutende Dinge wie Eigentum und Wohlstand streiten konnten. Diese Welt mochte den Namen der Ultramarines tragen, aber ihre Führer hatten den Lehren des Primarchen schon lange abgeschworen. Doch als er und Learchus zur Stadtmauer gingen, war er von Liebe für die Soldaten erfüllt, die der Flut der tyranidischen Invasoren trotzig widerstanden. Hier war der Geist von Ultramar am besten verdeutlicht. Im gemeinen Soldaten, der sich gegen das Grauen des Alls zur Wehr setzte und bereit war, für den Schutz dessen, woran er glaubte, zu sterben. Die beiden Space Marines blieben an einem der strahlenden Feuer am Rande der Mauer stehen und nickten den Soldaten zu, die sich um diese vergängliche Wärme geschart hatten. Uriel ließ den Blick über den verwüsteten Boden zwischen den beiden Mauern zu den Massen der vor ihm versammelten Tyraniden wandern. Der kollektive Atem von Millionen Kreaturen erfüllte das Tal und klang wie das Schlafgeräusch einer einzigen riesigen Bestie. Wahrscheinlich würde es nicht so einfach sein, aber wenn Lordadmiral Tiberius' Plan gelang, dann vielleicht doch. Er hatte sich nach der Ratsauflösung mit Sebastien Montante beraten, als er ihn dabei angetroffen hatte, wie er unbeholfen in einen Thermalanzug gestiegen war und sich einen Munitionsgurt umgelegt hatte. »Was haben Sie vor, Fabrikator Montante?«, hatte Uriel gefragt. »Jetzt, wo der Rat aufgelöst wurde, ist es wohl an der Zeit, dass ich ein Gewehr in die Hand nehme und kämpfe, meinen Sie nicht auch?«
Uriel verschränkte die Arme und sagte: »Wann haben Sie das letzte Mal mit einer Waffe geschossen, Fabrikator?« »Äh, lassen Sie mich nachdenken... wahrscheinlich in der Grundausbildung, als ich meinen Wehrdienst bei den Planetaren Streitkräften abgeleistet habe.« »Und wie lange ist das her?«, setzte Uriel nach. Montante hatte den Anstand, verlegen auszusehen, als er sagte: »Ungefähr dreißig Jahre, aber ich muss kämpfen, verstehen Sie das denn nicht?« »Doch, ich verstehe es, Sebastien, keine Sorge. Sie sind einer der besten Logistiker, die mir je begegnet sind, und Ihr Platz ist hier. Sie haben dafür gesorgt, dass die Soldaten Essen und Munition bekommen, und Zeit, Mühe und Geld investiert, um zu gewährleisten, dass alle Bedürfnisse unseres Militärs befriedigt werden. Aber Sie sind kein Soldat, Sebastien, und Sie würden in den ersten Minuten eines Angriffs sterben.« »Aber...« »Nein«, sagte Uriel entschieden, aber nicht unfreundlich. »Sie können Ihrer Stadt in anderer Hinsicht besser dienen.« »Wie zum Beispiel?« »Sie könnten mir zum Beispiel alles über die orbitalen Verteidigungseinrichtungen von Erebus erzählen: wo sie sind, wie ihr Status ist und wie wir sie wieder dazu bringen können zu schießen.« Montante schaute verwirrt drein. »Aber davon ist nichts mehr übrig, Uriel. Die Torpedosilos haben ihre Munition verbraucht, und die Abwehrlaser haben geschossen, bis ihre Energiekondensatoren leer waren.« »Tun Sie mir den Gefallen«, sagte Uriel. Und das hatte er. Uriel und Montante hatten die nächsten zwei Stunden über Karten verbracht, Berechnungen zu Reichweiten und Verhältnissen von Treibstoff zu Gewicht angestellt und alle möglichen Variablen berücksichtigt, bis sie sich auf eine optimale Handlungsweise verständigt hatten. Nachdem er sich praktisch vergewissert hatte, dass der Plan des Admirals in der Tat ausführbar war, ließ Uriel Montante noch einen Eid schwören, dass er nicht versuchen würde, sich den kämpfenden Männern auf der Mauer anzuschließen, bis das Ende kam. Dann hatte er seine Idee den anderen Kommandeuren vorgetragen. Anfänglich skeptisch, hatte die kommandierenden Offizie-
re eine vorsichtige Erregung erfasst, als er die Resultate seiner und Montantes Arbeit skizzierte, denen daraufhin die ganze Tragweite des Plans aufgegangen war. Vorbereitungen waren bereits im Gange, und sie konnten nur ausharren, bis die Überreste in einer Position waren, aus der sie zuschlagen konnten. Das Unternehmen war für übermorgen angesetzt, und Uriel wollte unbedingt anfangen. Sie hatten sich schon viel zu lange vor den Tyraniden zurückgezogen. Jetzt hatten sie die Möglichkeit, sich zu wehren. Kryptmans bevorzugter Mechanicus hatte ihnen eine Waffe versprochen, die sie gegen die Tyraniden würden einsetzen können, aber noch nichts geliefert. Die Zeit wurde knapp für Locard, und Uriel wusste, dass der Plan des Admirals ihnen die besten Aussichten bot, diesen Krieg zu beenden. Sie waren nicht rosig, aber ein Blick auf die Masse des Tyranidenschwarms reichte für die Gewissheit, dass sie keine anderen hatten. Als er sich von der Mauer abwandte, sah er Learchus neben dem Brenner stehen, die Hände zu den Flammen ausgestreckt. Uriels Stirn runzelte sich vor Verwirrung, denn er wusste, dass Learchus in seiner Servorüstung sowohl vor Hitze als auch Kälte perfekt geschützt war, bevor ihm aufging, dass sein Sergeant ganz unbewusst die Männer ringsumher nachahmte. Er lächelte und hörte sich an, was Learchus sagte, als er Ordenspriester Astador und Major Satria kommen sah. Von anderen Feuern kamen Männer zu ihnen herüber, während Learchus lauter redete, um von mehr Soldaten gehört zu werden. »Ihr habt mit Mut und Ehre gekämpft«, sagte Learchus, »und alles für den Kampf gegeben. Niemand kann mehr tun. Böse Nichtmenschen greifen uns von allen Seiten an, doch obwohl ihr von Tod und Gemetzel umringt seid, ist keiner von euch bereit, auch nur einen Schritt zurückzuweichen. Ich bin stolz auf euch alle.« »Sie haben uns gut ausgebildet, Sergeant Learchus«, rief Major Satria. »Nein, die Größe war längst in euch allen, ich wusste nur, wo ich sie suchen musste. Eure Einheit heißt Wehrlegion Erebus, also seid ihr die Beschützer eures Volkes. Aber ihr seid mehr als das. Der Bruderschaftseid, der zu Anbeginn des Imperiums zwischen eurer und meiner Welt geleistet wurde, bindet uns fester zusammen als die stärksten Adamantiumketten.«
Learchus reckte eine Faust in den Himmel und rief: »Ihr seid Krieger von Ultramar, und ich bin stolz darauf, euch Brüder nennen zu können.« Gewaltiger Jubel hallte von den Talwänden wider. Schneehund holte die letzten beiden Gewehre aus der Kiste und zerstampfte sie zu Kleinholz. Tigerlily und Lex sammelten das Holz in großen Plastikbeuteln, um es den vielen Tausend Leuten, die sich jetzt im Lagerhaus und den angrenzenden Gebäuden aufhielten, als Feuerholz verkaufen zu können. Er reichte Jonny Stampfer ein fabrikneues Lasergewehr mit zwei mit Klebeband am Schaft befestigten Magazinen. Die Waffe sah in Jonnys schaufelartigen Händen absurd klein aus, und Schneehund grinste. »Ich sehe zu, dass ich was Besseres für dich finde, Großer«, versprach er. »Gut«, grunzte Jonny. »Diese Winzgewehre bringen's einfach nicht, Schneehund.« »Hey, mehr haben wir nicht.« Die Munition für Jonnys Granatwerfer war längst verbraucht, und er war unzufrieden mit allem, was weniger Zerstörungskraft hatte. Und sie hätten ganz sicher etwas Stärkeres brauchen können. Zahl und Heftigkeit der Angriffe auf das Lagerhaus hatten in den letzten Tagen zugenommen, als wüssten die Ungeheuer, dass hier ein nettes Festmahl auf sie wartete. Bis jetzt erledigten die Waffen, die sie aus den Beständen der Garde abgezweigt hatten, ihre Aufgabe zufriedenstellend, und Lex' Bomben erwiesen sich gegen die Ungeheuer als ebenso wirksam wie früher gegen die Arbites. Aber Schneehund wusste, dass sie bald mehr brauchen würden. Er sagte: »He, Trask, fang auf«, und warf ihm ein funkelndes Autogewehr mit einer Schachtel Magazine zu. Die Waffe polterte auf den Boden, weil Trask zu sehr damit beschäftigt war, einen hässlichen roten Hautausschlag zu kratzen, den er auf einer Seite seines Gesichts und am Hals bekommen hatte. Der Ausschlag machte seine hundeartigen Züge noch unansehnlicher, und er kratzte ständig an der abblätternden, scheckigen Haut. »Verdammt, Trask, du musst besser aufpassen«, sagte Schneehund. Trask antwortete mit einer obszönen Geste, wandte sich ab und
ging in das von Lärm erfüllte Lagerhaus zurück. Schneehund schlug sich alle Gedanken an Trask aus dem Kopf und ging dorthin, wo jene Männer, die er als relativ vertrauenswürdig eingestuft hatte, den Rest seiner Vorräte bewachten. Es war immer noch eine Menge übrig, aber jeden Tag kamen auch mehr Leute hinzu. Sein Vermögen wuchs ständig, da ihm verzweifelte Leute für das, was sie brauchten, alles gaben, was sie besaßen. Antiseptisches Spray? Kostet 'ne Kleinigkeit. Proviant für die Kinder? Kostet 'ne Kleinigkeit. Im Grunde war es ganz schlichte Ökonomie: Angebot und Nachfrage. Sie wollten seine Vorräte, und er verlangte dafür ihr Geld. Wenn das hier vorbei war, würde er reich sein, und dann konnte er alles machen. Mit den Nachtschleichern ehrbar werden oder sie sich selbst überlassen und weiterziehen er wusste noch nicht, wie er sich entscheiden würde, aber mit so viel Geld in der Tasche waren seine Möglichkeiten grenzenlos. Vielleicht würde er diesen Planeten sogar verlassen und sich auf einer jungfräulichen Welt niederlassen, die nur auf einen Mann mit seinen Talenten wartete, um sie zu erschließen. Zufrieden, dass alles so war, wie es sein sollte, schulterte er seine Schrotflinte und ging zurück ins Lagerhaus. Beinahe dreitausend Menschen hockten hier eng aufeinander und bedeckten buchstäblich jeden Quadratmeter Bodenfläche. Schwelende Brenner hielten die schlimmste nächtliche Kälte fern, und der gestohlene kalorienreiche Proviant, der speziell für WinterUnternehmungen konzipiert war, wurde rationiert und geteilt und ernährte ganze Familien. Zerfledderte Planen boten ein wenig Privatsphäre für jene, die etwas damit anfangen konnten. Nur die Kälte hinderte den Geruch so vieler ungewaschener Leiber daran, alles einzustänkern. Tigerlily ging durch das überfüllte Lagerhaus, und obwohl er wusste, dass sie Feuerholz einfach verschenkte, ließ er es ihr durchgehen, weil er sich dachte, dass es gut war, sie bei Laune zu halten. Niemand konnte besser mit einem Messer umgehen, und er hatte sie oft genug in Aktion erlebt und wusste, dass es keine gute Idee war, sie wütend zu machen. Das Lagerhaus war von leisem Schluchzen und Stimmengemurmel erfüllt. Feindselige Blicke folgten ihm überall hin, aber das störte ihn nicht. Sie mochten ihn hassen, aber sie brauchten ihn auch. Ohne ihn
waren sie alle so gut wie tot. So einfach war das, und wenn er dabei ein Vermögen verdiente, war das nur umso besser. Auf dem Weg zur Vorderseite des Lagerhauses hörte er einen unterdrückten Schrei hinter einer hochgezogenen Plane. Das war hier drin ein weit verbreitetes Geräusch, und Schneehund beachtete es nicht weiter, bis er eine vertraute Stimme zischen hörte: »Halt die Klappe, Mädchen. Dein Mann war einverstanden, also halt dein verdammtes Maul und lieg still.« Sofort machte Schneehund auf dem Absatz kehrt und lud die Schrotflinte durch. Er riss die Plane beiseite und fauchte vor Wut, als er sah, dass Trask ein weinendes Mädchen auf den Boden gedrückt hatte, deren Kleid über die Hüften hochgeschoben war. »Trask, du Arschloch! Ich hab doch gesagt, das läuft hier nicht mehr!« »Leck mich, Schneehund«, schnauzte Trask, indem er sich erhob. »Sie hatten kein Geld!« »Ich habe nein gesagt«, wiederholte Schneehund. Er trat vor und rammte Trask die Schrotflinte ins Gesicht. Der massive Holzschaft brach ihm mit scharfem Knacken die Nase. Er ließ einen Tritt zwischen die Beine folgen. Trask fiel auf die Knie, die Hände in den Schritt gepresst, während ihm das Blut aus der Nase spritzte. Schneehund wirbelte die Schrotflinte herum und rammte Trask den blau schimmernden, stählernen Lauf zwischen die Beine. »Das nächste Mal drücke ich ab, schon wenn ich bloß den Verdacht habe, dass du das noch mal versuchst. Hast du begriffen?« Trask hustete Blut und Schleim. »Ich hab dich gefragt, ob du begriffen hast?«, bellte Schneehund. »Ja, ja«, hustete Trask. »Ich hab's begriffen, du Schwein.« »Geh mir aus den Augen, Trask«, schnauzte Schneehund. Sein Gesicht war eine blutige Fratze, als Trask sich unter Schmerzen aufrappelte und davontaumelte, während er kichernden Leuten zurief, sie sollten das Maul halten. Schneehund holte tief Luft und hielt dem weinenden Mädchen die Hand hin. Sie schüttelte den Kopf, während die Tränen saubere Streifen durch den Schmutz auf ihrem Gesicht zogen. »Dann nicht«, sagte Schneehund achselzuckend, indem er ein paar zerknitterte Geldscheine aus der Hosentasche zog. Er warf sie ihr zu und sagte: »Ich bin vieles, aber so tief werde ich nie
sinken. Hast du mich verstanden?« Das Mädchen nickte eifrig, stopfte das Geld in ihr Kleid und eilte davon. Schneehund sah ihr nach, während Silber hinter ihm auftauchte und ihm die Arme um die Hüften legte. »Er wird dich töten, wenn du ihm nicht zuvorkommst«, sagte sie. »Nicht Trask«, sagte Schneehund. »Der hat nicht den Mumm, mir von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.« »Ich weiß. Deshalb solltest du immer darauf achten, was hinter deinem Rücken vorgeht.« »Das werde ich«, versprach Schneehund. Lord Inquisitor Kryptman zitterte trotz seiner dicken Gewänder und des Thermogenerators, der neben ihm hell brannte. Sein Atem bildete Wolken in der Luft, und der Gestank des auf Befehl von Magos Locard auf der Esplanade hinter der Mauer zusammengetragenen Leichenbergs verursachte ihm eine immer stärkere Übelkeit. Seit über zwei Jahrhunderten studierte, sezierte und tötete er Tyraniden, aber er hatte sich nie an ihren widerlichen fremdartigen Geruch gewöhnen können. Je eher diese Rasse ausgelöscht werden konnte, desto besser. Sein persönliches, von Hauptmann Bannon angeführtes Gefolge aus Sturmtruppen sowie zwei Mitgliedern der Deathwatch umringte sie, und Boltgewehre und Plasmawaffen zeigten nach draußen in die Nacht. »Irgendwas?«, rief er Locard zu, der bis zur Taille in Eingeweiden der Tyraniden steckte. Seine Gewänder waren besudelt, seine Mechadendriten durchsuchten den organischen Abfall, und eine Gensonde summte leise in seinen Händen. »Nein, Lord. Alle von mir bisher untersuchten Kreaturen sind Mutationen mindestens der sechsten Generation und daher ungeeignet.« »Verdammt«, fluchte Kryptman. »Also gut, verbrennt sie. Verbrennt sie alle.« In die Dunkelheit gehüllt, glitt der Liktor durch die Stadt und dorthin, wo die Pheromonspur seiner Artgenossen am stärksten war. Sie zog ihn zur Taleinmündung, und der Liktor bewegte sich
verstohlen und rasch wie ein huschender Schatten, der von einer Deckung zur anderen glitt, lautlos und unsichtbar, sogar für jene, die er tötete. Gelegentlich begegnete er Beute, die er umbrachte, um seine Energiereserven aufzufrischen, bevor er weiterschlich. Der Liktor bog um die Ecke einer Gebäuderuine und spürte, wie die vor ihm liegende Szenerie binnen eines Herzschlags von seinen Sinnesrezeptoren erfasst wurde. Er spürte Wärme, tote Artgenossen und eine Pheromonsignatur, die ganz sicher auf die Anwesenheit eines Anführers der Beutewesen hindeutete. Hauptmann Bannons Blicke huschten von einer Seite zur anderen, während Inquisitor Kryptman und Locard ihre widerlichen Autopsien an den Tyranidenleichen vornahmen, die sie befehlsgemäß gesammelt hatten. Zu welchem Zweck, das wusste Bannon nicht, und es war ihm auch egal, solange es den Verteidigern half, diese Xenos auszulöschen. Er und seine Männer hatten sich alle Mühe gegeben, jedem Trupp Soldaten die besten Kampfmethoden gegen die Tyraniden beizubringen, ihnen jede Schwachstelle in ihrer natürlichen Rüstung zu zeigen und sie auf verwundbare Organe und die korrekten Lieder hinzuweisen, die sie vor und nach dem Kampf zu singen hatten. Es war eine mühselige Arbeit, doch sie zahlte sich aus, da die täglichen Verlustzahlen zwar immer noch entsetzlich waren, aber nicht mehr so hoch wie zu Beginn. Bannon war klar, dass dies zum Teil auch darauf zurückzuführen war, dass die schwächeren Männer bereits gefallen und nur noch die stärkeren übrig waren, aber die Männer von Erebus hatten schnell gelernt, und er wusste, dass die Verluste auf Seiten der Tyraniden erheblich höher waren. Die Ultramarines und die Mortifactors hatten ihn im Kampf beeindruckt, obwohl er kaum glauben konnte, dass sie tatsächlich denselben genetischen Ursprung hatten. Er selbst und seinesgleichen stammte vom gesegneten Rogal Dorn ab, und er fragte sich kurz, wie viele Nachfolgeorden der Imperial Fists wohl von den ursprünglichen Lehren abgewichen waren. Nicht viele, nahm er an, wenn die Black Templar ein Maßstab waren, an dem man sich orientieren konnte. »Hauptmann Bannon«, sagte Inquisitor Kryptman. »Lord Inquisitor?« »Hier gibt es nichts von Wert. Verbrennen Sie alles.«
Bannon bestätigte und nickte Bruder Elwaine zu, ursprünglich ein Mitglied des Ordens der Salamander, der seinen Flammenwerfer hob und den Leichenberg in eine Wand aus brennendem Prometheum hüllte. Sein Mund zuckte in einem zufriedenen Lächeln, als er beobachtete, wie die Kadaver verbrannten. »Bruder-Hauptmann«, knurrte Henghast von den Wolfskriegern. »Feind in der Nähe!« Bannon hatte keinen Grund, an den Sinneswahrnehmungen des Wolfskriegers zu zweifeln, aber bevor er mehr tun konnte, als sich nach außen zu orientieren, war der Feind bereits bei ihnen. Ein Mitglied der Sturmtruppen des Inquisitors wurde vom Boden gehoben, als eine Vielzahl von Dornen in einer Wolke aus Blut und Knochen aus seinem Rücken austraten. Waffen feuerten blind in die Dunkelheit, da die Soldaten ins Feuer geschaut und ihre Nachtsicht vorübergehend verloren hatten. Noch ein Soldat fiel, als ihm der Sensenhieb massiver Chitinkrallen die Beine unter dem Körper wegrasierte. Er sah das Wesen im flackernden Flammenschein. Ein Liktor, die oberen Krallen entblößt und blutverschmiert. Er hob sein Boltgewehr, zielte auf die Schnittstelle zwischen Thorax und Beinen und feuerte eine krachende Salve ab. Der Liktor wirbelte vor seinen Schüssen davon und verschwand hinter dem Scheiterhaufen aus brennenden Tyraniden. Bannon folgte ihm und rief: »Henghast, nach links! Elwaine, Feuerschutz!« Elwaine baute sich breitbeinig auf und hielt seinen Flammenwerfer bereit, während sich Henghast dem Scheiterhaufen von der anderen Seite näherte. Kryptman hatte seine Pistole gezogen, und Locard wandte den Kopf nach links und rechts und redete aufgeregt auf den Inquisitor ein. Er konzentrierte sich auf die Umgebung und darauf, das Geschrei der durch den Liktor Verwundeten zu ignorieren. Die Bestie war verdammt schnell. Woher war sie gekommen? Bannon hörte sie einen Augenblick, bevor sie angriff. Starke Muskeln ließen den Liktor den Scheiterhaufen überspringen, und seine Krallen zielten direkt auf Bannons Herz. Er hechtete zur Seite, rollte sich ab und schoss in einer einzigen fließenden Bewegung. Die Krallen des Liktors kratzten durch Beton, durchschnitten seinen Schulterschutz und verwundeten ihn. Seine Schüsse verfehlten ihn, da der Liktor in eine Flammenzunge ge-
hüllt wurde. Aber er war schon nicht mehr da, sondern hatte sich bereits aus Elwaines Schusslinie gebracht und den Space Marine von den Beinen geholt. Krallenhände entrissen ihm den Flammenwerfer, und die Arme ruckten in einer roten Flut aus den Schultergelenken. Elwaine ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden und trat noch einmal nach der Bestie, als diese ihm den Bauch aufschlitzte. Bannon schoss erneut, und diesmal entlockte er dem Liktor einen Schmerzensschrei, da seine Boltgeschosses den Chitinpanzer durchschlugen. Die Bestie fuhr blitzschnell herum, und Dornenranken peitschten heran und durchbohrten sein Boltgewehr. Die Waffe explodierte, als sich die Treibladungen in den angebohrten Patronen entzündeten, und die Hitze schmolz Bannons Panzerhandschuh, während der Space Marine auf den Rücken. Der Liktor wurde von einem Plasmagewehr getroffen, und über dessen Gekreisch hinweg hörte Bannon Kryptmans Stimme. »Nicht töten! Um des Imperators willen, nicht töten!« Er raffte sich auf, als der Liktor auf ihn losging, zog sein Kampfmesser und sprang ihm entgegen. Im Sprung ging ihm auf, dass der Liktor gar nicht auf ihn losging. Sein Ziel war Inquisitor Kryptman. Der Inquisitor schoss aus nächster Nähe und zerstrahlte einen Teil des Oberschenkels der Bestie. Sie stolperte, aber die scherenartigen oberen Krallen zuckten herab, um den Inquisitor aufzuschlitzen. Dann war Henghast da, und sein Energieschwert zuckte herab und wehrte den Schlag ab. Der ehemalige Wolfskrieger wirbelte geduckt heran und durchschlug mit seinem Schwert die oberen Krallen des Liktors, aus denen schwarzes Blut schoss. Der Liktor brüllte vor Wut, und wieder schlugen seine Dornenranken zu und wickelten sich um den Schwertarm des Space Marines. Das untere Armpaar stieß vor, durchbohrte Henghasts Rüstung und schleuderte ihn durch die Luft. Blut spritzte immer noch aus den abgetrennten Klauen, während sich Bannon mühte, mit den versengten Händen sein Schwert zu ziehen. Seine Servorüstung pumpte schmerzstillende Drogen in seinen Blutkreislauf. Der Liktor entfernte sich vom Feuer, da seine Wunden ihn in die Flucht schlugen, bevor er ihn erreichen konnte. Er stolperte zum
Inquisitor und zu Locard. Beide lebten noch. Sie waren erschüttert, aber am Leben. »Fangen Sie ihn, Bannon!«, zischte Kryptman, »aber um der Liebe des Imperators willen, töten Sie ihn nicht. Wir brauchen ihn lebend!« Er stolperte hinter dem Ungeheuer her, das zur Stadtmauer lief, und rief dabei in seinen Kom: »Uriel, Astador, an alle, die mich hören! Ich brauche Hilfe. Ich verfolge einen Liktor, der in nordwestlicher Richtung zur Mauer flieht. Nähern Sie sich meiner Position und wenn Sie ihn sehen, nehmen Sie ihn gefangen. Ich wiederhole: Nehmen Sie ihn gefangen, aber töten Sie ihn auf keinen Fall!« Uriel, Pasanius und zehn Krieger der Vierten Kompanie eilten von der Mauer Bannon entgegen. Er hatte gerade mit seinen Männern gebetet und staunte über den letzten Teil der Botschaft. Ein Liktor war los, und sie sollten ihn nicht töten? »Ausschwärmen«, befahl Uriel. »Warum im Namen von allem, was heilig ist, können wir die verdammte Bestie nicht umbringen?«, sagte Pasanius. »Das weiß ich nicht, aber Bannon muss einen guten Grund haben.« »Wie sollen wir den Liktor sehen? Ich dachte, diese Dinger hätten Chamäleon-Eigenschaften?« »Folgt einfach dem Geschrei«, sagte Uriel, der jetzt Schmerzensschreie etwa hundert Meter weiter links hörte. Die automatischen Sensoren seiner Rüstung durchdrangen die Dunkelheit mühelos, und er sah die schimmernden Umrisse der Kreatur, wie sie sich durch die Postenkette der Trupps metzelte. »Sofort zu mir!«, rief Uriel und eilte zum Liktor. Er nahm Verbindung zu Bannon auf. »Ich sehe den Liktor, er ist im Nordsektor Delta!« Ob das Ungeheuer töten musste oder einfach nur Freude dabei empfand, wusste Uriel nicht, aber es hatte aufgehört, die dort stationierten Männer niederzumetzeln. Uriel hob die Waffe, und sein Finger krümmte sich um den Abzug, bis ihm wieder einfiel, dass er das Wesen nicht töten durfte. Es lief vor ihm weg und sprang zur Felswand. Seine Dornenranken bohrten sich in den Fels, und es hangelte sich rasch daran empor. »Er entkommt!«, rief Pasanius.
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, fauchte Uriel und schaltete sein Boltgewehr auf Einzelfeuer. Der Liktor erklomm die Felswand in sprunghaften Sätzen, da mehrere seiner organischen Kletterhaken nutzlos an ihm herabhingen. Uriel sagte: »Bolt-Verbindung«, und zielte sorgfältig über den Lauf seiner Waffe. Entfernungsvektoren und ein Fadenkreuz erschienen auf seinem Visier und zeigten die Stelle an, wo das Geschoss treffen würde. Er wartete, bis der Punkt rot blinkte, und drückte ab. Die Waffe bockte in seiner Hand, und ein Teil der Felswand explodierte, als das Geschoss sie sprengte. Der Liktor kreischte frustriert, als seine Fleischhaken aus dem Gestein gesprengt wurden und er hundert Meter tief den Hang hinunterfiel und mit einem widerlichen Klatschen am Boden aufschlug. Der Liktor richtete sich benommen auf, als Uriel und Pasanius sich auf ihn warfen und mit ihrem Gewicht auf dem Boden festnagelten. Er wehrte sich schwach und riss an ihrer Rüstung, aber als mehr Ultramarines eintrafen, konnten sie die strampelnde Kreatur schließlich zähmen. Bannon näherte sich mit weiteren Mitgliedern der Deathwatch im Schlepptau. Drei seiner Männer hatten ein extrem dehnbares Kabel bei sich, das einen Leman Russ tragen konnte. »Fesselt ihn«, befahl er.
DREIZEHN In einem höhlenartigen Hangar im Fels auf dem Familienbesitz der van Gelders in den Bergen belud eine beachtliche Armee aus Stapler-Servitoren und Arbeits-verpflichteten ein längliches silbergraues Raumschiff namens Herrlichkeit mit ungezählten versiegelten Kisten. Die Schiffswandung war mit den Wappen hervorragender van Gelders aus der Geschichte geschmückt, und der Wert des Schiffs überstieg jede Vorstellung. Nicht bereit, das Verladen seines gesamten Besitzes einfachen Arbeitern zu überlassen, beobachtete Simon van Gelder, ehemaliges Mitglied des Rats von Erebus, ungeduldig von einer hohen Gerüstbrücke, wie seine gestressten Aufseher jede Kiste abhakten, wenn sie die Rampe zum geräumigen Laderaum der Herrlichkeit hinauf gekarrt wurde. Das Beladen des Schiffs zog sich
nun schon über mehrere Stunden hin, und Simon wusste, dass er wegen des Umfangs seiner Besitzungen noch einige Zeit hier sein würde. Nun, das spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass der Ladevorgang beendet war, bevor diese Invasion noch weiter voranschritt. Er wollte verdammt sein, wenn er blieb und mit diesen Narren aufgrund eines überholten Ehrbegriffs starb. Ein Eid, den man einer lange toten - und wahrscheinlich mythischen Gestalt geschworen hatte, war überhaupt kein Eid und konnte ihn ganz gewiss nicht binden. Nein, er würde diesen Krieg überleben, und wenn es diesen Narren tatsächlich durch irgendeinen Zufall gelingen sollte, diese Tyraniden von Tarsis Ultra zu vertreiben, würde er mit seinem gesamten Vermögen zurückkehren, das dann nicht im Namen einer Militärstrategie dem Erdboden gleichgemacht worden sein würde. Diese sanften Schafe, die Montantes Scharwenzeln um diese Space Marines folgten, würden durch diesen Krieg ganz sicher bankrott gehen, und selbst wenn sie überlebten, würden sie sich nur an ihn wenden können, wenn sie ihr Wirtschaftsleben fortsetzen wollten. Der Gedanke an Montante, wie er ihn anflehte, in den Rat zurückzukehren und seine unfähige Regentschaft mit van Gelders Finanzen zu stützen, erfreute ihn gewaltig, und er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er eine Stellung erreicht hatte, die ihm gestatten würde, Montante aus dem Amt zu drängen. Nicht lange, da war er ziemlich sicher. Die industriellen Bündnisblöcke waren für ihre Unbeständigkeit berüchtigt, und wenn die entscheidenden Leute geschmiert und die richtigen Taschen gefüllt wurden, würde es ein Kinderspiel sein, dafür zu sorgen, dass seiner Nominierung auch Erfolg beschieden sein würde. Simon zog eine dicke Zigarre aus dem langen Gehrock, zündete sie mit einem kleinem goldenen Feuerzeug art und blies eine ausgedehnte Reihe von Rauchringen. Ein Sicherheits-Servitor nahm den Rauch wahr und marschierte steif auf ihn zu. Ein rotes Licht blinkte auf seiner Brust, als er sagte: »Dies ist eine geschützte Zone, und das Entzünden brennbarer Materialien ist verboten. Löschen Sie alle offenen Flammen und bereiten Sie sich auf einen Tadel vor.« Simon winkte den Servitor weg und schnauzte: »Verschwinde.
Autorisierungscode Gelder neun-alpha-primus.« Der Servitor machte kehrt und marschierte davon, während Simon den Kopf schüttelte und über die Brücke zu einer gepanzerten Brandschutzschleuse schlenderte, die auf einen Balkon mit Blick auf die Stadt führte. Ein anderer Servitor öffnete die in den Fels eingelassene Tür, da seine Arme mit Kolben verstärkt waren, welche das schwere Handrad mit Leichtigkeit drehten. Die Tür öffnete sich knirschend, und kalte Luft zischte herein. Simon raffte seinen isolierten Gehrock zusammen und trat hinaus in das verblassende Licht des Abends. So hoch im Berg peitschte der Wind wie ein Skalpell und schnitt ihm mit eisiger Klinge bis ins Mark. Weit im Westen hörte er das metallische Klirren der Schlacht, und die Schreie der Kämpfenden wurden mit dem durch Erebus heulenden Wind nach Osten getragen. Seine Verachtung für alles, wohin diese Männer des Krieges sie geführt hatten, kannte keine Grenzen, und das Verlangen, all das zu überleben, erfüllte ihn wieder. Knatterndes Geschützfeuer ertönte aus dem Tal von einer Stelle in der Nähe von Montantes Palast. Simon sah, wie eine Schar fliegender Tyraniden über der Gegend, wo der Nevas entsprang, durch die Luft jagte. Die mit Servitoren bemannten Geschütze in den Talhängen folgten ihren Bewegungen und spickten die Luft mit Sprenggranaten, die in tödlichen Splitterwolken explodierten und viele Dutzend Bestien zerfetzten, bevor diese sich zurückzogen. Diese Tyraniden waren schlau, sah Simon. Sie testeten jede Zone des Tals auf Schwachstellen, um einen Weg hineinzufinden. Aber Simon wusste, dass es keine Schwachstellen gab. Sein Konsortium hatte in Zusammenarbeit mit den Adeptus Mechanicus die Waffen gebaut und ebenso die Servitoren zur Verfügung gestellt, welche die Geschütze bedienten, und er wusste, dass ihr Sperrfeuer praktisch undurchdringlich war. Alles, was oberhalb einer bestimmten Höhe flog, wurde von den Maschinengeistern zur Identifikation aufgefordert, und wenn keine Reaktion auf diese Aufforderung erfolgte, eröffneten die Geschütze das Feuer. Ohne Freigabe wurden Flugobjekte gnadenlos beschossen und in dem Moment zerstört, in dem sie ins Schussfeld der Geschütze eindrangen. Simon lächelte, während seine Finger mit einem schlichten Metallkasten in der Tasche seines Gehrocks spielten. Es sei denn, man wusste, wie man sie abschaltete.
Techs umschwärmten das Thunderhawk der Ultramarines und entfernten unter den wachsamen Blicken von Techmarine Harkus Panzerung und Munitionsbehälter vom Rumpf. Er schaute besorgt drein, und Uriel hörte gelegentliche Zornestiraden, die Harkus und die Techs der Adeptus Mechanicus wechselten. Funken flogen, als mit schwerem Schweißgerät noch mehr dicke Panzerplatten und Waffen entfernt wurden, um das Gesamtgewicht der Maschine von sechsundsiebzig Tonnen auf vierzig zu verringern. Ein Riesenkran ächzte, als er das Hauptgeschütz entfernte, während Stapler-Servitoren auf Ketten die dazugehörigen Granaten über die Frontrampe abtransportierten. Techpriester der Adeptus Mechanicus arbeiteten auf Gerüsten rings um die Kanzel, um die vorderen schweren Boltkanonen zu entfernen, während unter ihnen eine Prozession von Techs alle unnötigen Beschläge und Füllungen entfernten. Schweißmannschaften umringten die Maschine, und blaue Funken stoben, als sie die schwersten Panzerplatten durch dünne Bleche aus Leichtmetall ersetzten. Die Bleche bogen sich durch, während verstärkte Servitoren sie an Ort und Stelle hievten, wo sie festgeschweißt wurden, und Uriel war klar, dass sie auch bei den geringfügigsten Zusammenstößen nur spärlichen Schutz bieten würden. »Es bricht mir das Herz, dass so eine edle Flugmaschine so grausam behandelt wird«, sagte Uriel. »Wir müssen uns vor ihrem Kriegsgeist verneigen, damit er weiß, dass wir dies nur aus der größten Not heraus tun.« Neben ihm nickte Hauptmann Bannon. »Aye, aber Ihr Techmarine wird dafür sorgen, dass die korrekten Bittgesuche gestellt werden, und uns die entsprechenden Gebete nennen, die wir sprechen können.« Harkus hockte bei den Maschinenabdeckungen und schaute bestürzt auf die drastischen Maßnahmen, die ergriffen wurden, um seinen Schützling leichter zu machen. »Ich frage mich, vor wem er im Moment mehr Angst hat?«, sagte Bannon. »Vor dem Kriegsgeist des Thunderhawk oder seinem Meister der Essen?« »Ein wenig vor beiden, würde ich sagen«, grinste Uriel, der an den jähzornigen Fennias Maxim auf Macragge denken musste, der vor der Vorstellung zurückgescheut war, dass er sich seine eigene
Klinge schmiedete, wo es doch Dutzende von erstklassigen Schmieden gab, die es besser konnten. Harkus erhob sich von den Maschinen und lief mit offensichtlicher Bestürzung in seiner waidwunden Flugmaschine umher. Er beschrieb eine weit ausholende Geste. »Diese... diese Metzger zerstören meine Maschine. Neunhundert Jahre alt, über zweitausend Feldzüge erlebt und so behandeln wir sie. Darüber wird noch zu reden sein, wenn das alles vorbei ist. Sie kann diese Art von Behandlung nicht verkraften.« »Wie schwer ist sie?«, fragte Uriel. »Zu schwer«, schnauzte Harkus. »Sie wiegt immer noch über fünfzig Tonnen.« »Wir müssen sie auf vierzig herunterbekommen, Bruder Harkus«, erinnerte Bannon ihn. »Glauben Sie, ich wüsste das nicht?«, sagte Harkus aufgebracht. »Aber ich bin nur ein Techmarine und kann keine Wunder vollbringen. Ich kann die Gesetze der Aerodynamik nicht ändern. Wenn wir zu viel entfernen, wird sie fluguntüchtig.« »Finden Sie einen Weg, Bruder«, sagte Uriel freundlich. »Entfernen sie alles bis auf das nackte Gerüst, wenn es sein muss. Alles hängt davon ab, dass Sie das Gewicht dieser ehrenwerten Maschine auf vierzig Tonnen drücken und sie dabei flugtüchtig bleibt.« Harkus schüttelte den Kopf. »Ich versuch's ja, aber ich kann nichts garantieren. Ich kann den Zorn ihres Kriegsgeistes spüren, und der wird nicht leicht zu besänftigen sein.« »Ich weiß, dass Sie Ihr Bestes tun werden, Bruder Harkus«, sagte Uriel, während sich der wütende Techmarine wieder daran machte, die Schweißmannschaften anzubrüllen und eine weitere Panzerplatte auf die Landeplattform krachte. »Kann er es schaffen?«, fragte Bannon. »Davon hängt viel ab.« »Er war ein Lehrling von Sevano Tomasin, einem unserer Besten, der auf Thracia gestorben ist. Wenn jemand das Unmögliche schaffen kann, dann Harkus.« Bannon nickte. »Selbst wenn es uns gelingt, kommen wir vielleicht nicht zurück. Sie wissen das.« »Ich weiß es«, sagte Uriel zögernd. »Aber wenn wir die Sache dadurch beenden könnten, wäre es das wert.« Bannon nickte, dann gab es eine kleine Pause, bevor er sagte: »Sie müssen uns nicht auf dieser Mission begleiten, Uriel. Wir
sind die Deathwatch, und dafür sind wir ausgebildet.« »Ich habe auch in der Deathwatch gedient, und wenn Sie gehen, gehe ich auch. Außerdem wird Harkus noch einen Ultramarine dabeihaben wollen, um die Gewähr zu haben, dass die Deathwatch seine Maschine auch mit dem gebührenden Respekt behandelt.« Schneehund wechselte das Magazin seines Lasergewehrs so schnell, dass er viele Gardisten beschämt hätte. Er schoss über die Barrikade, die sie um den Eingang des Lagerhauses errichtet hatten und ließ den nächsten Klingenmörder rückwärts in den blutigen Schnee fallen. Jonny Stampfer gab Dauerfeuer, und Silber heizte den Bestien mit wohlgezielten Schüssen aus ihren beiden Pistolen ein. Er hatte vielleicht hundert der gesündesten Flüchtlinge verpflichtet und ihnen eine Waffe in die Hand gedrückt, bevor er sie nach draußen zum Kampf hinter die Barrikaden gescheucht hatte. Einige hatten sich darüber beklagt und gesagt, weil sie ihn für seinen Schutz bezahlt hätten, brauchten sie eigentlich nicht zu kämpfen. Schneehund hatte ihnen mit vorgehaltenem Gewehr erklärt, dass sie keine andere Wahl hätten. Ungeheuer strömten aus jeder Straße auf den freien Platz vor dem Lagerhaus und stürmten furchtlos und ohne Angst um das eigene Leben durch den Feuersturm, der ihnen dort entgegenschlug. Bevor diese Angelegenheit so eskaliert war, hatte er auf einigen der Bild-/Tontafeln gehört, dass es größere Kreaturen geben sollte, welche die kleineren kontrollierten, aber zum Glück hatten sie davon noch keine zu Gesicht bekommen. Vielleicht waren sie alle an der Front, die dem aus dem Westen kommenden Lärm nach zu urteilen jeden Tag näher rückte. Er fragte sich, warum ihnen keine Soldaten zu Hilfe kamen, dachte sich aber, dass ihnen klar war, dass dies ein Armenviertel im Wehr war und die Stadt besser dran sein würde, wenn die Tyraniden praktischerweise ein paar Tausend Wehr-Bewohner auslöschten. Also sah es so aus, als müssten sie allein damit fertig werden. Bis jetzt waren alle Angriffe von Schneehund und seiner Bande zurückgeschlagen worden, so dass immer mehr tote Ungeheuer auf dem Platz lagen. Er begriff jedoch nicht, warum sie das Lagerhaus so entschlossen angriffen.
Trask schoss mit seiner Schrotflinte mitten in die anstürmenden Ungeheuer, und obwohl ein Auge infolge des Ausschlags, der sein halbes Gesicht bedeckte, zugeschwollen war, konnte er gar nicht anders, als etwas zu treffen. Eine Schar Ungeheuer griff diesen Abschnitt der Barrikade an, und Schneehund wechselte auf Dauerfeuer, schnitt zwei in Stücke und schoss einem dritten die Beine weg. Tigerlily, Rentzo und ein Dutzend anderer Mitglieder der Nachtschleicher warteten als Reserve an den Lagerhaustüren. Die Furcht war in jedes Gesicht gestanzt. Die nächste Welle kreischender Bestien stürmte auf den Platz, und jetzt wusste Schneehund, dass er sich nichts einbildete. Die Angriffe auf das Lagerhaus nahmen tatsächlich an Häufigkeit und Heftigkeit zu. Es hatte den Anschein, als wolle ihm jedes Ungeheuer in der Stadt an den Kragen. Was war nur los mit ihnen? Hatten sie etwas dagegen, dass er im Zuge ihrer Invasion etwas Geld verdiente, oder was? Silber kauerte nieder, um ihre Pistolen nachzuladen, und hob die Augenbrauen. »Das ist ein Tag, was?«, sagte sie. »Ja, das ist ein Tag«, gab er ihr recht. Das Thunderhawk war ein Schatten vor der Dunkelheit der Nacht und das Blau seines gepanzerten Rumpfs nur an den Kanten der Tragflächen und Schwanzflossen zu sehen, da der Rest entfernt worden war, um das Gewicht zu reduzieren. Uriel und die Mitglieder der Deathwatch standen in lockerem Kreis da, die Hände zum Gebet gefaltet. Jeder hatte seinen Frieden mit dem Imperator gemacht und war auf die Mission vorbereitet. Uriel hatte seine Rüstung so gut gesäubert und repariert, wie ihm dies möglich war, aber sie war immer noch ramponiert und brauchte Monate in einer Waffenschmiede. Mannschaften sich mühender Stapler-Servitoren brachten die Last der Fracht des Thunderhawk an Bord, während die Landekufen unter der Belastung ächzten. Als sie mit dem Beladen der Maschine fertig waren, kam Harkus heraus und nickte Uriel zu. Alles war verladen und gesichert. Dem Thunderhawk standen einige harte Flugmanöver bevor, und lose Fracht, die durch den Laderaum flog, konnten sie dabei überhaupt nicht gebrauchen. Nach einem Blick auf die dünnen Seitenbleche der Maschine wusste Uriel, dass die Fracht in diesem Fall glatt
hindurchfliegen würde. »Wir sind fertig«, sagte Bannon, indem er sich den Schulterriemen seiner Waffe umlegte. »Aye«, stimmte Uriel zu, während er noch einmal seine eigene Waffe überprüfte und sich vergewisserte, dass das Schwert in der Scheide an seiner Hüfte gesichert war. Die restlichen Mitglieder der Deathwatch sahen ebenfalls noch einmal und mit der Stille der Elitesoldaten, die sie waren, gegenseitig ihre Waffen durch. Zufriedengestellt rezitierte jeder Mann die ersten fünf Strophen des Katechismus des Xeno, bevor er sich abwandte und an Bord des Thunderhwak ging. Uriel holte tief Luft und betrachtete die hohen Berggipfel ringsumher. Entfernte Stäubchen wirbelten am Sternenhimmel weit im Westen. Er schüttelte den Kopf, als ihn eine jähe Vorahnung nahenden Unheils überkam, und folgte der Deathwatch in das Mannschaftsabteil des Thunderhawk. Drinnen hatten die Space Marines kaum Platz, sich zu bewegen, da überall Kisten bis unter das Dach gestapelt waren und die anderen Passagiere der Maschine eine Menge Platz einnahmen. Es gab keine gepanzerten Bänke, auf die sie sich hätten setzen können, da ihr Gewicht für unnötig befunden worden war, also setzte er sich auf den Boden und lehnte sich an die vibrierende Wand des Rumpfs. Die Rampe schloss sich surrend und sperrte das Sternenlicht aus, und Uriels Autosinne übernahmen. Ein kreischendes Jaulen baute sich auf, als die Trieb- werke die nötige Energie für den Senkrechtstart aufbauten, und Uriel sandte ein Stoßgebet zum Imperator, dass Harkus sie nicht im Stich gelassen hatte und Lordadmiral Tiberius in der Nähe war. Er spürte das Rucken des Thunderhawk, als dieses leicht abhob und sich dann drehte, da Harkus ihren Kurs festlegte. Die Leichtigkeit des Starts hatte ihn überrascht, bis ihm wieder einfiel, dass das Problem jetzt nicht mehr das Gewicht, sondern die Reichweite war. Alles lief auf die Frage hinaus, ob sie ihr Ziel erreichen und ihre Mission erfüllen konnten und dann noch genug Treibstoff haben würden, um wieder nach Hause zu fliegen. Uriel spürte die Beschleunigung der Maschine, als die Triebwerke Vollschub gaben und sie ostwärts über die Bergspitzen beförderten. Etwas höher gab es eine Wolkendecke, und während der Tiefflug sie vielleicht vor der Entdeckung schützen mochte, war er
auch extrem unwirtschaftlich und verbrauchte zu große Mengen Treibstoff. Während die Maschine nach Osten raste, tippte ihm Magos Gossin, der ranghöchste der Adeptus Mechanicus an Bord, auf die Schulter und zeigte durch ein Bullauge. »Selbst wenn wir Erfolg haben, wird diese Welt je wieder wirklich uns gehören?« Uriel wandte den Kopf und schaute nach draußen. Violette Wolken wogten in der Ferne, und bunte Nebelstreifen am Horizont reichten bis in die oberen Schichten der Atmosphäre wie ein verschmiertes Gemälde. Uriel wollte lügen, fürchtete aber, an den Worten zu ersticken. »Nein«, sagte er. »Nein, das wird sie nicht.« Das Thunderhawk raste über den Nachthimmel. Die Vae Victus war längst nicht mehr das glänzende Gefährt, das vor so vielen Monaten von Macragge aufgebrochen war. Ihr Mittelschiff war krumm und geborsten, die polierten Holzpfeiler geschwärzt und versengt. Viele der zuvor bemannten Konsolen waren verlassen, da ihre Systeme beschädigt waren und nur in einem Dock repariert werden konnten. Dampfschwaden zischten aus hastig abgedichteten Rohren, und viele Waffen waren nicht einsatzbereit. Ihre Sensoren funktionierten mit minimaler Leistung, da die meisten externen Systeme durch die Explosion der Raffinerie zerstört worden waren. Die Hitze hatte einen Teil des Rumpfs geschmolzen, und der Antrieb gestattete nur noch die einfachsten Manöver. Und Tiberius wusste, dass sie relativ dezimiert entkommen waren. Sie hatten die Argus verloren sowie den Großteil der hiesigen Flotte, und von der Kharloss Vincennes würden nie wieder Jäger starten. Er war gezwungen gewesen, den Befehl zur Aufgabe der Yermetov zu geben, als offensichtlich geworden war, dass der Warpantrieb bei der Explosion Beschädigungen davongetragen hatte und bald implodieren würde. Die Mannschaft hatte sich auf die Schwert der Vergeltung abgesetzt und den Kreuzer auf seine letzte Reise in den Warp geschickt. Die beiden verbliebenen Schiffe des Geschwaders Arx Praetora und die Mortis Probati der Mortifactors schleppten sich neben der
Vae Victus dahin. Kapitän Gaiseric und seine Mannschaft waren erpicht darauf, sich an den Tyraniden zu rächen. Ein Schlachtkreuzer, zwei angeschlagene Angriffskreuzer der Space Marines und ein Träger, von dem keine Jäger mehr starten konnten, waren keine Flotte mehr, die es mit der Macht einer kompletten Schwarmflotte aufnehmen konnte, aber mehr hatten sie nicht. Tiberius fuhr sich mit der Hand über den vernarbten, haarlosen Schädel und kaute an seiner Unterlippe. »Irgendeine Nachricht von Uriel?«, fragte er. Philotas sah von dem gesprungenen Planungstisch auf. Seine Tafel war dunkel, und sein Deckoffizier hatte darauf Sternkarten entrollt. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Lordadmiral. Die letzte Nachricht von ihnen haben wir vor eineinhalb Stunden empfangen, nach der sie im Plan waren.« »Das gefällt mir nicht, verdammt. Wir könnten in eine Falle fliegen!« »Das könnten wir in der Tat.« »Sind Sie sicher, dass wir von Uriel nichts gehört haben?« »So sicher, wie ich sein kann. Die meisten unserer Kom-Geräte sind bei der Explosion zerstört oder durch den elektromagnetischen Impuls unbrauchbar geworden. Wir hatten Glück, dass wir überhaupt Verbindung aufnehmen konnten.« »Dann müssen wir es auf die altmodische Art machen«, sagte Tiberius. Philotas nickte und widmete sich wieder seinen Karten, während Tiberius erwartungsvoll auf die Observationsbucht starrte. Tarsis Ultra drehte sich langsam vor ihm, besudelt von mehreren bunten Schandflecken, die sich über die Oberfläche des Planeten ausbreiteten. Er konnte entfernte Stäubchen von Tyranidenorganismen ausmachen und spürte, wie sein Hass stärker wurde. Wie Parasiten saugten sie an dieser Welt und beraubten sie allen Lebens, ohne an die Milliarden Kreaturen zu denken, für die sie ein Heim war. Noch während er sie beobachtete, änderten mehrere der Kreaturen die Richtung, um sich der anfliegenden Imperiumsflotte entgegenzustellen. »An alle Schiffe, hier spricht Tiberius. Auf Kampfstation. Sie kommen.« Er schloss die Augen und murmelte ein Gebet, dass Uriel gegenwärtig sein Ziel anflog.
Ob es nun so war oder nicht, Tiberius konnte diesbezüglich nichts unternehmen. Er konnte nur noch seine Schiffe in die Schlacht führen und kämpfen. Schlammklumpen und Wasser wurden in die Höhe geschleudert, als das Thunderhawk mit heulenden Triebwerken auf den obersten Hängen des Gebirges im Osten aufsetzte. Die Kufen rutschten kurz über den glatten Boden, bevor sie schließlich sicheren Halt fanden. Die vordere Rampe krachte in den Schlamm, und fünf Mitglieder der Deathwatch und Uriel sprangen nach draußen. Uriel trabte zu einer geschützten Stelle und kauerte sich tief hinter einen zerklüfteten schwarzen Felsen, auf den er den Lauf seines Boltgewehrs legte, während er auf den tiefer gelegenen Hängen nach Gefahren Ausschau hielt. Ein dickflüssiger, klebriger Regen fiel, und Uriel blieb nicht verborgen, dass die Temperaturen hier sehr viel höher waren als in Erebus. Die Viren der Tyraniden veränderten bereits das Erbgut der Fauna und Flora, um die Temperatur von Tarsis Ultra zwecks leichterem Verzehr anzuheben. Der Regen schränkte die Sicht dramatisch ein, und die Sichtweite betrug kaum mehr als dreihundert Meter. Donner grollte, und kurz darauf zuckten Blitze über den Himmel, die ein unstetes Licht auf die tiefer gelegenen Ebenen warfen. Er fluchte, als ihm aufging, dass es im Falle eines Angriffs kaum eine Vorwarnung geben würde. Er gab einem Mitglied der Deathwatch ein Zeichen, seinen Platz zu übernehmen, und erklomm den vom Schlamm glitschigen Hang zu der Stelle, wo Bannon das Ausladen der Fracht des Thunderhawk koordinierte. Der nächste Blitz zuckte über den Himmel, und Uriel sah das, weswegen sie gekommen waren, durch die grelle atmosphärische Entladung in Schatten gehüllt. Von außen war es nichts Bemerkenswertes, lediglich ein übergroßer, gut dreißig Meter im Quadrat messender Betonbunker mit einer gepanzerten Brandschutzschleuse, die hineinführte. Eine halbkugelförmige Kuppel mit acht langen Geschützläufen bildete das Dach, dessen Bronzebeschichtung grün oxidiert war. Vier Stapler-Servitoren rangen mit der Last der Paletten, während Magos Gossin und seine drei durchnässten Techpriester von den Adeptus Mechanicus ihre Gewänder zusammenrafften und eiligst zum Bunker liefen. Hinter ihnen transportierten die Servi-
toren die kostbare Fracht, voll aufgeladene Kondensatoren, um die Abwehrlaser mit Energie zu versorgen, mit äußerster Vorsicht in den Bunker. Bannon, dessen schwarze Rüstung vor Nässe glänzte, kam Uriel entgegen. »Irgendwas?« »Nein, aber sie könnten jeden Moment angreifen, und wir würden es nicht wissen«, erwiderte Uriel, der schreien musste, um sich in dem Regen und vor dem Triebswerksgeheul des Thunderhawk verständlich zu machen. Noch eine halbe Stunde verstrich voller Anspannung, bis schließlich die letzten aufgeladenden Kondensatoren aus dem Thunderhawk ausgeladen und in den Bunker geschafft worden waren. Mittlerweile waren die Adeptus Mechanicus längst damit beschäftigt, sie ans Hauptstromnetz anzuschließen. Uriel betete stumm, dass sie schnell arbeiten würden. Er glitt bergab durch den dicken Matsch zu seinem ersten Beobachtungsposten und blinzelte in die Düsternis. Etwas bewegte sich unter ihm, aber waren es angreifende Tyraniden oder ein Streich, den Licht und Regen seinen Sinnen spielten. Dann blitzte und donnerte es heftig, und die Nacht war plötzlich taghell erleuchtet. Auf den glitschigen Berghängen wimmelte es von Tyranidenkreaturen, die zu Tausenden den Berg emporeilten. Springende Hormaganten führten den Angriff an, aber er sah auch drei ungeschlachte Carnifexe mit ihren Krebsscheren und eine große geflügelte Bestie mit einem langen stacheligen Schwanz und einem massigen knöchernen Kamm, der sich hoch über ihr brüllendes Maul erhob. Riesige Klingen an den oberen Gliedmaßen durchschnitten den Regen, und im Rumpf quoll Dampf aus einer tropfenden Biowaffe. Er kletterte wieder bergauf und kämpfte sich durch den zähen Matsch. Über Kom nahm er Verbindung mit dem Hauptmann der Deathwatch und Techmarine Harkus auf. »Bannon, halten Sie Ihre Männer in Bereitschaft! Harkus, bringen Sie das Thunderhawk in die Luft«, brüllte er. Sekunden später heulten die Triebwerke auf, als das Thunderhawk abhob und in der Luft Wartestellung bezog, bis die Space Marines abgeholt werden konnten. Uriel warf einen Blick zurück auf den Hang. »Und sagen Sie
Gossin, er soll sich beeilen«, sagte er. »Sie kommen...« »Bombardementkanone abfeuern!«, rief Tiberius, als die beiden Kraken langsam an der Observationsbucht vorbeiglitten. Da ihnen ein Großteil der für die Zielerfassung nötigen Sensoren fehlte, war das Feuern der Waffen keine exakte Wissenschaft mehr, und nur seine und Philotas' Erfahrung gaben ihnen überhaupt noch die Möglichkeit, Treffer zu erzielen. Die Brücke erbebte, als das Hauptgeschütz feuerte, und Tiberius zuckte zusammen, als wieder zahlreiche rote Lampen auf den Schadenskontrollleisten zu blinken anfingen. »Außenleck auf Deck sechs neuerlich geöffnet!« »Kursänderung auf null-fünf-sieben«, befahl Tiberius. »Volle Kraft voraus. Wir müssen an ihrem Sperrriegel vorbei.« Die gesamte Brücke ächzte, als das ramponierte Schiff die Kursänderung vollzog und ihr krummer Kiel protestierend kreischte. »Komm schon, halte durch«, flüsterte Tiberius dem Geist der Vae Victus zu. Tyranidenblut spritzte vor ihm ins All, als die Granaten der Bombardementkanone den Kraken trafen und in einer gigantischen Fontäne aus Fleisch und Blut zur Explosion brachten. Ein eckiger Bug glitt in Sicht, als die Mortis Probati vor dem Bug der Vae Victus kreuzte. Ihre Steuerbordgeschütze beharkten die Überreste des Kraken und zerlegten ihn in eine expandierende Wolke aus verbrannten Fleischklumpen. Der zweite Krake näherte sich schwerfällig dem Schiff der Mortifactors, und seine klingenförmigen Schwingen kräuselten sich, als er den Kurs änderte. Hinter ihm konnte Tiberius den Umriss eines der gewaltigen Schwarmschiffe im Schein der Planetenatmosphäre erkennen. »Volle Kraft voraus«, rief Tiberius. »Zwanzig Grad abwärts. Bringen Sie uns durch die Lücke!« Tiberius hielt sich am gesplitterten Holz seiner Kommandokanzel fest, als die Vae Victus heftig erbebte und durch die Lücke beschleunigte, die sich die beiden Angriffskreuzer geschossen hatten. Kleinere Schiffskreaturen ließen von ihrem Angriff auf die Schwert der Vergeltung ab und drehten bei, um Tiberius' Schiff anzugreifen.
»Lordadmiral!« »Ich sehe sie, Philotas. Backbordbatterien einsetzen.« »Ohne die Zielerfassungssensoren werden sie nicht viel treffen.« »Schießen sie trotzdem.« »Wenn sie uns entern, können wir sie nicht zurückschlagen.« »Zur Hölle mit ihnen! Unsere einzige Priorität sind die Schwarmschiffe. Bleiben Sie auf Zielkurs!« Die Schwert der Vergeltung stieß tiefer in den Schwarm der Tyranidenkreaturen vor und feuerte verheerende Breitseiten aus den Hauptgeschützdecks ab, so dass der Raum rings um sie von Explosionen erfüllt war. Der Schlachtkreuzer hatte den geringsten Schaden von allen Imperiumsschiffen erlitten, und sein Kapitän hatte sich freiwillig erboten, die Führung in dem Angriff zu übernehmen. Tödliche Angriffe der Lanzen bohrten ein Loch in die Tyranidenflotte, durch das die kleineren Schiffe der Flotte flogen. Tyranidenschiffe beeilten sich, die Lücke zu schließen, aber die Kreuzer der Space Marines waren zu schnell und glitten mit Kurs auf die Schwarmschiffe an den Organismen vorbei. Die Kharloss Vincennes blieb hinter der Schwert der Vergeltung zurück, da ihr geborstener Rumpf und der beschädigte Antrieb sie hinter die beschleunigenden Schiffe der Space Marines zurückfallen ließen. Als die Tyranidenschiffe die Lücke in ihrem Kordon schlossen, drangen sie damit auch unweigerlich auf den angeschlagenen Träger ein. Nicht in der Lage, Jäger zu starten, um sich zu schützen, war er leichte Beute. Breitseiten der Nahkampfgeschütze hielten die Tyraniden eine Zeit lang in Schach, doch als sich immer mehr auf den Träger stürzten, konnte es keinen Zweifel mehr am Ausgang der Schlacht geben. Lange Tentakel von einem Dutzend kegelförmiger Drohnen schlängelten sich vorwärts und blieben wie Kletten am Rumpf des kämpfenden Trägers haften. Ätzende Sekretabsonderungen verbanden die Kreaturen mit dem Schiff, und ihre Mäuler öffneten sich und enthüllten riesige Höhlen voller gigantischer Zähne, die sich rasend schnell in ihre Beute bohrten. Größere Schiffe näherten sich und änderten dann plötzlich den Kurs, um wieder zum Planeten zu fliegen, nachdem der Schwarmverstand sie daran erinnert hatte, die Angreifer in eine
Falle fliegen zu lassen. Während die Kharloss Vincennes einen aussichtslosen Kampf um ihr Leben führte, drang der Rest der Flotte tiefer in den Schwarm vor. Das erste Schwarmschiff lag vor der Vae Victus, und seine gigantische Form füllte die gesamte Observationsbucht aus. Wachschiffe bildeten einen undurchdringlichen Schutzschirm zwischen ihm und seinen Begleitschiffen. »An alle Schiffe, Feuer frei!«, rief Tiberius. »Wir müssen durchbrechen.« Gewaltige Projektile flogen durch das All und explodierten in grellen Feuerblüten, aber keines erreichte das Ziel. Kraken und Drohnen bewegten sich in einem komplizierten Ballett, wie es für die Imperiumsflotte undurchführbar gewesen wäre, und schirmten das Schwarmschiff vor dem Beschuss ab. Tiberius sah, dass seine Handvoll Schüsse den lebendigen Schutzschild durchschlugen, aber nur sehr wenige verursachten wirklichen Schaden. Tiberius nahm Kom-Verbindung zum Kapitän der Schwert der Vergeltung auf. »Kapitän, Sie müssen uns den Weg freischießen! Setzen Sie alle erforderlichen Mittel ein!« Er unterbrach die Verbindung, ohne eine Antwort abzuwarten, und sagte: »Philotas, versuchen Sie, Uriel zu erreichen. Sagen Sie ihm, was er auch tut, er muss sich beeilen, weil wir uns hier nicht mehr viel länger halten können.« Regen prasselte auf den Berghang, und Blitze sorgten für eine stroboskopartige Beleuchtung der felsigen Umgebung, als die Tausende zählende Horde auf den Bunker losstürmte. Ströme schäumenden Wassers fluteten bergab und rissen große Scharen der Tyraniden mit sich in die Tiefe. Zur Abwechslung wirkte sich die von ihnen selbst eingeleitete Verwandlung des Planeten einmal zu ihrem Nachteil aus, sah Uriel. Der zähe Matsch war für sie ebenso ein Hindernis wie für die Space Marines. Boltgeschosse fegten den Hang hinunter und sprengten Hormaganten und andere namenlose Ungeheuer in Stücke. Uriel warf zwei Granaten und duckte sich hinter einen Felsen, als sie explodierten und Schlamm und nichtmenschliche Körperteile in die Luft schleuderten.
Kreischende Carnifexe mühten sich durch den Schlamm, in dem sie wegen ihrer Körperfülle knietief einsanken. Das geflügelte Ungeheuer schwebte über der Horde, da Sturmböen es einstweilen am weiteren Vordringen hinderten. Die Deathwatch tötete Tyraniden mit gezielten Einzelschüssen in ihre anfälligen Organe, darauf bedacht, Munition zu sparen. Bannon eilte zu Uriel. Seine Rüstung war schlammverschmiert, das Symbol der Imperial Fists kaum noch erkennbar. »Sie umgehen unsere Stellung, um uns in den Rücken zu fallen. Wir müssen in den Bunker!« Uriel schaute in den schmutzigen Regen und sah undeutliche Gestalten über ihnen im Fels, die sich dem Bunker näherten. Bannon hatte recht: In ein paar Minuten würden die Tyraniden sie umzingelt haben. »Dann los«, sagte er, indem er sich hinter dem Felsen erhob. Uriel spürte, wie sich der Boden unter seinen Füßen bewegte, und sprang zurück, als sich ein großer Teil des Schlamms plötzlich vom Hang löste und vom Wasserstrom als Lawine mit in die Tiefe gerissen wurde. Er landete auf dem Rücken, wälzte sich herum und griff nach dem Felsen, als er spürte, wie er selbst ins Rutschen geriet. Sein Boltgewehr fiel scheppernd hinter den Felsen. Er hörte Bannon aufschreien und sah, wie der Hauptmann der Deathwatch verzweifelt und vergebens um seine Standfestigkeit rang, um nicht in die Masse der Tyraniden unter ihnen zu rutschen. Uriel stemmte sich gegen den Felsen und streckte eine Hand zu Bannon aus. Die beiden Krieger hielten sich gegenseitig am Handgelenk fest, und Uriel fing an zu ziehen. »Uriel!«, rief Bannon plötzlich. Er blickte auf und sah eine monströse Bestie mit einem Maul voller Reißzähne den Hang emporklettern. Ihre lange Krallenfaust schloss sich um Bannons Knöchel und drückte zu. Das Keramit barst unter dem gewaltigen Druck, und der Blick ihrer schwarzen Augen begegnete Uriels. Boltgeschosse explodierten ringsherum, da die Deathwatch Uriel die Zeit verschaffen wollte, ihren Hauptmann zu retten. Uriel brüllte, da er nun gegen die Kraft des Tyranidenungeheuers kämpfte und wusste, dass er es nicht besiegen konnte. Er stemmte die Stiefel gegen den Felsen, zog mit einem gewaltigen Ruck und streckte sich zu seinem Boltgewehr, das er mit der
freien Hand aufhob. Als er spürte, dass die Sehnen in seinen Armen kurz vor dem Reißen standen, streckte er die Beine wieder und ließ sich von dem Tyranidenungeheuer in eine aufrechte Stellung ziehen. Das Boltgewehr in einer Hand, zielte er auf den Kopf der Kreatur. »Lass los«, sagte er nur und leerte das Magazin in ihr Gesicht, so dass die Hirnmasse hinten aus dem Schädel quoll, als die Geschosse darin explodierten. Der Griff des Ungeheurs erschlaffte, und Uriel zog Bannon auf den Felsen und auf die Beine, während ein weiterer Blitz über den Himmel zuckte und für Helligkeit sorgte. Die beiden Space Marines rutschten und stolperten durch die Sturzbäche aus Wasser und Schlamm zum Bunker. Zweimal waren Tyranidenungeheuer kurz davor, sie zu überholen, aber in beiden Fällen wurden die Bestien vom präzisen Beschuss der Deathwatch in Schach gehalten. Uriel hörte von statischem Knistern begleitete Worte im Helmkom, konnte sie aber kaum verstehen. Er erkannte Philotas' Stimme, aber was er sagte, blieb ihm verborgen. Schließlich erreichten sie die Betonschürze rings um den Bunker und rannten in dessen beruhigend soliden Schutz. Im Licht weiterer Blitze glitten Tyranidenkreaturen von den Hängen über ihnen bergab und durch den Schlamm und mühten sich, einen festen Stand zu finden. Uriel sah auch, wie ein Carnifex und die riesige geflügelte Bestie schließlich das Plateau erreichten und sich dem Bunker näherten. »Alles in den Bunker!«, rief Bannon, während er rückwärts humpelnd den Carnifex unter Beschuss nahm. Neben ihm rammte Uriel ein neues Magazin in sein Boltgewehr und verschoss es, ohne viel Wirkung zu erzielen. Das kreischende Gebrüll des Ungeheuers hallte von den Bergen wider, als es durch den Regen stürmte. Uriel duckte sich in den Bunker, packte das große Handrad und rief: »Bannon! Sofort rein mit Ihnen!« Der Hauptmann der Deathwatch schoss weiter, und Uriel wollte den Befehl bereits wiederholen, als Bannon sich umdrehte und hineinlief, sein Boltgewehr fallen ließ und Uriel bei der Schleuse half. Mit einer doppelten Schutzschicht aus Adamantium gepanzert, wog die Schleusentür über vier Tonnen und wurde normalerweise hydraulisch geschlossen, aber Uriel und Bannon schlossen sie gemeinsam in wenigen Sekunden, da die Verzweiflung
ihnen zusätzliche Kräfte verlieh. Die Tür krachte zu, und Uriel drehte am Handrad. »Das war zu knapp«, keuchte er. »Aye«, stimmte Bannon zu, während er seine Waffe aufhob. Der Stahl der Tür wölbte sich mit einem hallenden Krachen nach innen. Donnernde Schläge erschütterten sie, und Staub fiel von der Decke. Die Lichtkugeln in der Decke flackerten bei jedem Anprall. »Kommen Sie«, sagte Bannon. »Diese Tür wird sie nicht lange aufhalten.« Er folgte dem nackten Betonkorridor, und Uriel schloss sich mit wachsamen Blicken in Richtung der krachenden Schleuse an. Schließlich trafen sie in der feuchten Feuerleitzentrale ein. Uralte Technologie säumte die Wände des achteckigen Raums, und eine Eisenleiter führte zu der messingumrandeten Luke in der Decke. Magos Gossin saß mit zum Gebet geneigtem Kopf vor einer Vorrichtung, bei der es sich vermutlich um die Hauptkontrolltafel handelte, während seine Techpriester hinter ihm knieten und den Gegenpart zu den Worten ihres Meisters skandierten. Schlammbespritzte Space Marines der Deathwatch standen stramm, während das monotone Mantra andauerte, ohne dass etwas auf ein baldiges Ende hinwies. »Magos Gossin«, schnauzte Bannon. »Wann können Sie mit diesen Waffen schießen?« Gossin drehte sich auf seinem Platz, und sein Missvergnügen ob der Unterbrechung war nicht zu übersehen. »Die Kondensatoren sind an das Hauptnetz angeschlossen, aber die Gebete zur Einleitung des eigentlichen Schießvorgangs sind lang und kompliziert. Es wäre von Vorteil, wenn Sie mich dabei nicht unterbrechen würden.« Bannon marschierte zu Gossin, während von der Hauptschleuse ein weiteres Krachen hereinhallte. »Hören Sie das?«, wollte er wissen. »Uns bleiben nur noch wenige Minuten, bis die Tyraniden über uns herfallen. Sorgen Sie schnell dafür, dass diese Geschütze feuern, sonst feuern sie überhaupt nicht mehr. Haben Sie mich verstanden?« Ein gequältes metallisches Kreischen hallte durch den Bunker. Gossin starrte ängstlich in den Korridor und nickte. »Deathwatch zu mir!«, rief Bannon und machte sich wieder auf den Rückweg zur Schleuse.
Die Observationsbucht der Vae Victus erhellte sich infolge der Zerstörung der Kharloss Vincennes, da das Licht ihrer Explosion von den glänzenden Panzern der tyranidischen Bioschiffe reflektiert wurde. »Möge der Imperator über euch wachen«, flüsterte Tiberius, während sein Schiff von einem weiteren Einschlag erschüttert wurde. Die Kommandobrücke war in den tödlichen roten Schein der Warnlampen getaucht, während immer mehr Tyranidenschiffe Treffer erzielten. Ihre Abwehrmöglichkeiten waren durch viele Hundert treibende Sporen erheblich beeinträchtigt worden, und dagegen konnte er nichts unternehmen. Die Schwert der Vergeltung kämpfte immer noch, und ihr Kapitän lieferte eine brillante Vorstellung, wie er selbst den Tyranidenkreaturen auswich und gleichzeitig die Eskorte des Schwarmschiffs unter Beschuss nahm. »Er versucht das zweite Schwarmschiff zu erreichen«, sagte Philotas plötzlich. Aber Tiberius sah, dass er es nicht schaffen würde. Organismen umschwärmten bereits ihren Rumpf und erstickten ihre Feuerkraft. Sie waren so dicht davor! Das erste Schwarmschiff lag direkt vor ihnen. Die Vae Victus und die Mortis Probati hatten es eines Großteils seines Schutzschirms beraubt, so dass viele der Organismen, die es vor einem Angriff von der Planetenoberfläche schützten, abgezogen worden waren. Aber es kam kein Angriff vom Planeten, und Tiberius spürte, wie sein Mut mit der Erkenntnis sank, dass ihr Vorhaben gescheitert war. »An alle Schiffe, bereitmachen zum Rückzug«, sagte er. Die Schleuse flog nach innen, von einem gewaltigen Klauenpaar entzweigerissen. Regen und Wind heulten in den Bunker, während ein Dutzend Hormaganten darum kämpfte, sich an dem schreienden Carnifex vorbeizuzwängen. Er rammte die Krallen in den Beton rings um die Schleuse und versuchte, seinen massigen Leib hindurchzuquetschen. Disziplinierte Salven der Boltgewehre erledigten die ersten beiden Wellen. Ein riesiger Riss spaltete die Decke, während sich der Carnifex
weiter vorwärtsarbeitete. Kreischendes Geheul und das ohrenbetäubende Krachen von Gewehrsalven erfüllten den schmalen Korridor. Uriel zielte auf den Kopf des Carnifex, dessen stumpfe Züge ausdruckslos blieben, während er sich in den Bunker vorarbeitete. Sein Schuss zerfetzte ein Auge und sprengte ein Stück Schädel weg. Die Bestie zuckte zusammen, senkte aber lediglich den knochigen Kopf und hämmerte nur noch stärker auf den Bunker ein. Der Korridor war von springenden Hormaganten erfüllt, die in unmenschlicher Wut kreischten, während sich die Space Marines langsam vor ihnen zurückzogen. Lichtkugeln zersprangen, und die Decke spaltete sich mit donnerndem Krachen. Große Steinbrocken fielen in den Korridor. Uriel warf sich zur Seite, als Tonnen von Felsgestein nachgaben und einstürzten und Staubwolken wallten. Er kam wieder hoch und tastete nach seinem Boltgewehr, als ein schlammbedeckter Kriegerorganismus auf die Trümmer sprang. Das Maul öffnete sich weit, und ein zweites Paar Kiefer schoss aus dem Maul und biss tief in Uriels Helm. Sein Visier splitterte, und er spürte Blut im Gesicht, als sich das Kieferpaar zurückzog. Er sank auf die Knie, löste die Vakuumverschlüsse an der Halsberge und riss den Helm los. Der Tyranidenkrieger sprang, und ein halbes Dutzend Boltgeschosse trafen seinen Oberkörper, sprengten ihn in Stücke und bespritzten Uriel mit seinem Blut. Bannon zog ihn auf die Beine, während die Tyraniden über die Trümmer kletterten und die Deathwatch sie mit mehr Schüssen eindeckte. Ohne den Schutz der Autosinne seines Helms war der Lärm wahrhaft ohrenbetäubend. Gewehrfeuer und Donner vereinten sich mit den Blitzen zu einer Hintergrundkakophonie. Uriel hörte vage, wie Bannon das Thunderhawk rief, während sie sich zur Zentrale zurückfallen ließen. Als sich die Space Marines zurückzogen, wurde Uriel sich plötzlich eines bitteren, metallischen Geruchs in der Luft bewusst, als sich eine starke elektrische Ladung aufbaute. Seine Kopfhaut kribbelte, und trotz des Kampflärms konnte er hören, wie sich unter ihm ein tiefes Bassbrummen aufbaute. Als er zur geborstenen Decke hochschaute, sah er gerade noch einen gleißend hellen Lichtspeer himmelwärts rasen, der wie der materialisierte Zorn des Imperators aussah.
Wieder erhellte sich die Observationsbucht, und es dauerte einen Moment, bis Tiberius klar wurde, warum. Noch ein Lichtstrahl zuckte an der Vae Victus vorbei und durchbohrte sauber das Schwarmschiff. Ein weiterer Schuss folgte, dann noch einer, und er lief aus seiner Kommandokanzel und reckte die Faust in die Luft. »Verdammt, Uriel. Ich wusste, du kannst es schaffen!«, überschrie er das Heulen der Alarmsirenen. Da die atmosphärischen Verhältnisse in der von Uriel und Sebastien Montante ausgewählten Region mehr oder weniger stabil waren, litten die Energiestrahlen des Abwehrlasers nicht unter dem Energieverlust, welcher der Verteidigung im Anfangsstadium so sehr geschadet hatte. Das Schwarmschiff befand sich in einer niedrigen Umlaufbahn, und da die planetenwärtigen Begleitschiffe abgezogen worden waren, um es vor der Imperiumsflotte zu schützen, war das Schwarmschiff extrem verwundbar und hatte jetzt darunter zu leiden. Fleischexplosionen überzogen den gesamten Leib des Schwarmschiffs, als es von den Abwehrlasern zerstört wurde. »An alle Schiffe: Mein letzter Befehl wird widerrufen!«, rief er. »Feuern Sie mit allem, was Sie haben, auf das Schwarmschiff! Wir haben es erwischt, beim Imperator, wir haben es erwischt!« Uriel erklomm die Leiter in der Mitte der Zentrale, zerrte an dem verrosteten Öffnungshebel und stieß die Luke beiseite. Das statische Summen war hier noch viel stärker, und ein weicher blauer Schein erleuchtete die Kuppel über der Zentrale. Dann flammte ein blendendes Licht auf, und Uriel blinzelte glühende Nachbilder weg, als der Blitz des schießenden Abwehrlasers das Innere der Kuppel ausfüllte. Die Geschütze feuerten jetzt automatisch und würden es weiterhin tun, bis die mitgebrachten Kondensatoren erschöpft waren. »Alles frei!«, rief er. Die Boltgewehre krachten häufiger, als die Tyraniden, die vielleicht spürten, dass ihre Beute entkam, ihre Angriffsbemühungen verstärkten. Uriel zog sich auf die Kuppel, griff nach unten und zog die Techpriester hoch, als sie die Leiter erklommen. Von oben drang das Heulen der Triebwerke des Thunderhawk herunter, das über
ihnen schwebte. Einer nach dem anderen erschienen auch die Mitglieder der Deathwatch auf der Kuppel, bis nur noch Bannon fehlte. Er gab noch eine letzte Salve aus dem Boltgewehr ab, bevor er es fallen ließ und auf die Leiter sprang. Er erklomm sie in Windeseile, während die Tyraniden in die Zentrale fluteten. Uriel und ein anderer Space Marine zogen Bannon durch die Luke und schlugen sie zu. »Zeit, von hier zu verschwinden, finden Sie nicht auch?«, sagte Bannon außer Atem. »Längst über die Zeit«, stimmte Uriel zu, während der Laser den nächsten Schuss abgab. Mit Uriel an der Spitze kletterte die erschöpfte Gruppe auf das Dach des Bunkers. Wind und Regen hatten nachgelassen, und die Größe des Schwarms, der den Bunker umzingelt hatte, wurde jetzt offensichtlich. Die von den Triebwerken des Thunderhawk erzeugten Luftverwirbelungen drohten sie vom Dach zu fegen. Hormaganten versuchten hektisch auf das Bunkerdach zu klettern, während die Carnifexe auf die Bunkerwände einschlugen. Ihnen blieben nur noch Sekunden. Dicke Stahlseile hingen aus der Besatzungsrampe der Maschine, und Uriel packte sie schnell und verteilte sie an die Mitglieder der Deathwatch, als er plötzlich Schwärme von Gargylen sah, die auf das Thunderhawk zuflogen. »Sehen Sie da«, sagte er. »Schon bemerkt«, sagte Bannon, indem er sich ein der Trossen griff. Die Deathwatch sammelte die Techpriester und Magos Gossin ein, während Harkus die Winde einschaltete, um sie nach oben zu ziehen. Uriel fragte sich, wie es der Flotte ergangen war, als er durch die Luft gezogen wurde und die Rampe über ihnen näher kam. Die Gargyl Horden stießen auf sie herab, und er drängte die Winde bei sich, sie schneller an Bord zu ziehen. Harkus kam zu dem Schluss, dass er nicht länger warten konnte, und gab Schub auf die Triebwerke, um an Höhe zu gewinnen. Uriel konnte es ihm nicht verdenken. Der Boden glitt unter ihm vorbei, und Tausend Tyraniden zischten in ihrer Boshaftigkeit den Himmel an, da ihnen ihre Beute entkam. Dann kehrte sich die Welt um. Etwas Gewaltiges prallte gegen seinen Rücken und wirbelte ihn wild umher.
Er hörte ein wütendes Kreischen und einen Schmerzensschrei. Schlagende Flügel wirbelten ihn herum. Sein Blickfeld verschwamm, aber er konnte das riesige Flugungeheuer sehen, das in den Trossen unter der offenen Mannschaftsrampe des Thunderhawk hing. Aus den Schwingen spritzte Blut, als sie von den Stahlseilen zerfetzt wurden, während die Bestie auf eine schwarz gerüstete Gestalt eindrosch, die sich mit ebenbürtiger Wildheit wehrte. Dabei drehten sich die beiden Kämpfenden in den Trossen, und Uriel sah das gelbe Symbol der Imperial Fists aufblitzen. Hauptmann Bannon stach mit seinem Energiemesser mit die Kreatur ein und rammte es immer wieder in den harten Knochenpanzer, während die Krallen des Ungeheuers über die Rüstung kratzten, Keramitplatten abrissen und ihm blutige Fetzen aus dem Leib hackten. Schwärme von Gargylen stießen herab und gingen zum Angriff über. Das Thunderhawk hing schwankend in der Luft und konnte sich nicht absetzen. Hände griffen nach unten, packten Uriels Rüstung und zogen ihn an Bord. Er brach erschöpft auf dem Boden zusammen und atmete in keuchenden Stößen, während er sich zum Rand der Rampe wälzte. Unter ihm trugen Mensch und Ungeheuer einen Kampf aus, wie Uriel noch keinen gesehen hatte. Das Thunderhawk änderte den Kurs und versuchte so viel Entfernung wie möglich zwischen sich und den anfliegenden Schwarm der Gargyle zu bringen. Doch mit offener Mannschaftsrampe konnte es nicht schnell genug beschleunigen. Uriel sah, dass auch der Hauptmann der Deathwatch zu dieser Erkenntnis gelangte. Er sah, was Bannon vorhatte, und rief: »Nicht!« Doch es war zu spät. Bannon reckte den Arm in die Höhe und durchtrennte seine Leine mit dem Energiemesser. Er und sein monströser Gegner fielen auf den Berghang und landeten inmitten der wimmelnden Tyraniden. Uriel verfluchte die Tyraniden von ganzem Herzen, als er sich an der Wandung des Thunderhawk hochzog und auf den Schließmechanismus der Rampe drückte. Nun in der Lage, auf Fluchtgeschwindigkeit zu beschleunigen, drehte Harkus die Maschine ein-
mal um die eigene Achse, gab Vollschub und schaltete die Nachbrenner ein. Scharen von Gargylen schienen nach den Tragflächen des Thunderhawk zu schnappen, aber sie kamen zu spät, denn die Maschine legte sich in eine Kurve und raste mit Hunderten fliegenden Ungeheuern im Kielwasser zurück in Richtung Erebus. Uriel starrte durch das Bullauge nach draußen. Unter ihnen trug Hauptmann Bannon seinen letzten Kampf gegen Tausende von kreischenden Mördern aus.
PHASE IV Unterwerfung VIERZEHN Das Thunderhawk schoss durch den heller werdenden Himmel und zog einen langen Kondensstreifen hinter sich her. Auf der Flucht vor den Gargylen hatten sie viel von ihrem kostbaren Treibstoff verbraucht, und Harku war gezwungen, in größere Höhen zu steigen, wo die Luft dünner war und sich mehr Kilometer aus dem wenigen Treibstoff in ihren Tanks quetschen ließen. Sollte sich der Treibstoff als zu knapp erweisen und sie Erebus nicht erreichen, waren ihre Überlebensaussichten gleich null. Die Maschine war auf unheimliche Weise leer, da sich nur noch die fünf Mitglieder der Deathwatch, die Techpriester und Uriel in dem nun äußerst geräumigen Laderaum befanden. Ohne die schweren Kondensatoren konnte das Thunderhawk viel schneller fliegen und hatte die verfolgenden Gargyle rasch abgehängt, um sich anschließend in der Wolkendecke zu verstecken. Das Heulen des Windes war ohrenbetäubend, doch trotz des gewaltigen Lärms konnte Uriel die Abschiedsgebete der Deathwatch hören, aber obwohl auch ihm der Verlust von Hauptmann Bannon sehr nahe ging, respektierte er ihren Wunsch, für sich zu bleiben, während sie ihm Lebwohl sagten. Uriel schloss die Augen und sprach bei sich ein kurzem Gebet für den von ihnen gegangenen Hauptmann der Deathwatch. Es war das Mindeste, um sein Andenken zu ehren.
Schwere Brandschutzschleusen glitten geschmeidig beiseite, und die eisige Kälte eines frühen Morgens in Erebus erfüllte den weiten Hangar, als sich die Herrlichkeit in einem Nebel heulender Düsen aus ihren Verankerungen hob, während leistungsstarke Deflektoren ihre Abgase in die kalte Luft ableiteten. Das Schiff kroch schwerfällig aus dem Hangar, da sein Pilot besondere Vorsicht walten ließ, denn der Besitzer des Schiffs saß direkt hinter ihm, und nachdem der Laderaum mit so vielen wertvollen Dingen gefüllt war, reagierte es schwerfälliger als sonst. An die Kontrollen des Schiffs angeschlossen, war er sich jedes Aspekts der Herrlichkeit bewusst, aber bei einem so leicht erregbaren Herrn wie Simon van Gelder zahlte es sich nie aus, ein Risiko einzugehen. Simon beobachtete, wie das felsige Innere des Hangars an der Observationsbucht vorbeiglitt, um dann dem makellosen Weiß des Himmels zu weichen. Er lächelte, als er sein Anwesen unter dem Schiff sah, das immer noch von seiner privat finanzierten Armee bewacht wurde. Zwar rechnete er damit, dass Erebus jeden Tag fallen würde, aber es gab keinen Grund, seinen Besitz ungeschützt zurückzulassen. Wenn er tatsächlich noch einmal zurückkehrte, würde er wieder in seinem repräsentativen Anwesen residieren wollen. Der Boden kippte langsam unter ihm weg, als der Pilot an Höhe gewann. Simon sah winzige Gestalten tiefer im Tal mit den Fingern auf sein Schiff zeigen und empfand blasierte Selbstzufriedenheit, als er sich ihre Bestürzung angesichts seiner Flucht vorstellte. Ein warnender Summton kam aus den Lautsprechern und lenkte seine Aufmerksamkeit von den rasch kleiner werdenden Wahrzeichen von Erebus ab. »Die Abwehrgeschütze des Tals fordern uns auf, uns zu identifizieren«, sagte der Pilot mit einem nervösen Unterton. Simon nickte und schaute durch die Observationsbucht auf die massiven Abwehrgeschütze, deren Läufe sich drehten und seinem Schiff folgten. Er lächelte und zog einen schlichten Metallkasten aus seinem langen Gehrock, rollte ein isoliertes Kabel an einem Ende aus und stöpselte es in die Konsole des Piloten. Er drückte auf einen schwarzen Knopf an der Seite und sagte: »Senden Sie dieses Signal auf allen Frequenzen. Es wird die Steuerprotokolle
der Geschütze außer Kraft setzen. »Wir sind vollkommen sicher«, sagte er noch und beschloss, sich in sein Quartier auf den oberen Decks des Schiffes zurückzuziehen. »Festhalten!«, rief Harkus ihnen zu, als sich das Thunderhawk in eine enge Kurve um den höchsten Gipfel östlich von Erebus legte. »Wir kriegen Gesellschaft!« Uriel ging durch das Passagierabteil in die Pilotenkanzel. Voraus sah er die Kerbe im Gebirge, wo Erebus lag. Aus den Bergen stiegen schwarze Scharen von Gargylen und anderen, tödlicheren Flugbestien auf und sammelten sich um die Berggipfel. Die Scharen rasten dem Thunderhawk entgegen, und Uriel sah, dass sich eine sehr knappe Entscheidung anbahnte, ob sie den Feuerschutz der Talgeschütze erreichen würden, bevor die Ungeheuer sie erwischten. »Wie ist die Treibstoffsituation?«, fragte er. »Die Reservetanks sind praktisch leer. Wir fliegen mit Dämpfen und Gebeten«, antwortete Harkus reizbar. »Nicht mehr genug für den Einsatz der Nachbrenner?« »Kaum genug für eine sichere Landung.« Uriel nickte und beobachtete, wie das Tal vor ihm immer größer wurde. Das galt auch für die Schar fliegender Ungeheuer, die sich alle Mühe gab, sie noch abzufangen. Die Geschwindigkeit des Thunderhawk nahm zu, als Harkus die Nase abwärtsdrückte und ihnen der Berghang entgegenraste. Schneebedeckte Felsen blitzten unter ihnen auf. Was hätte er im Augenblick für einige der Waffensysteme der Maschine gegeben. Plötzlich kippte der Boden weg, als Harkus bremste und die Maschine in eine scharfe Kurve legte. Tageslicht fiel hinein, als der Beschuss aus Biowaffen die dünne Leichtmetallwandung der Maschine durchschlug. Uriel hörte einen von Gossins Techpriestern aufschreien, als er von Tyranidenorganismen aufgelöst wurde. Er hielt sich am leeren Kopilotensitz fest, während die Maschine heftig in der Luft schwankte und ein Warnlicht auf der Armaturentafel aufleuchtete. »Wir sind im Bereich der Geschütze, aber sie feuern nicht!«, brüllte Harkus. Uriel ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, und musste mit ansehen, wie die fliegenden Ungeheuer immer näher
kamen. Weitere Einschläge perforierten die dünne Wandung der Maschine, und neues Geschrei ertönte. »Beim Blut des Imperators!«, schrie der Techmarine plötzlich, und Uriel sah ein silbernes Ungetüm von einem Schiff direkt vor ihnen aufsteigen, auf dessen gesamtem Rumpf Wappen prangten. Simon hörte seinen Piloten alarmiert aufschreien und machte kehrt, um ihn zurechtzuweisen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er das Thunderhawk auf sie zurasen sah und dazu die vielen Tausend schwarzen geflügelten Ungeheuer, die es verfolgten. Seine Beine versagten den Dienst, und er sank auf die Knie. »Nein«, ächzte er, »nicht so...« Das Thunderhawk schwenkte nach links und ging in den Sturzflug, wobei Harkus den geschwächten Rumpf stärker belastete, als gut für ihn war. Der Druck riss die dünnen Verkleidungsbleche ab, und die orkanartigen Winde wehten durch das Innere. Uriel sah den spiegelnden Rumpf des Schiffs vor ihnen so nah vorbeirasen, dass er die Hand hätte ausstrecken und ihn berühren können. Den Mitgliedern der Deathwatch gelang es, sich an Verstrebungen festzuhalten, aber die Techpriester wurden schreiend aus der Maschine und in den Tod gerissen. Uriel prallte gegen eine dicke Strebe und hielt sich daran fest, während er über das heftig bebende Deck rutschte. Über das Heulen des Windes hinweg hörte er Harkus im Wechsel laut fluchen und den Maschinengott anrufen. Das Deck ruckte wieder, und Uriel sah den Boden erschreckend nah durch die riesigen Löcher in den Flanken des Thunderhawk. Er raste an ihnen vorbei und verschwand dann wieder aus dem Blickfeld, als Harkus die Maschine ausrichtete. Uriel zog sich hoch, ohne dabei seinen Klammergriff um die Strebe zu lösen. Der Lärm der hereinrauschenden Luft verminderte sich, da Harkus Schub wegnahm. »Imperator, das war knapp!«, hauchte Uriel. »Achtung!«, rief Harkus. »Die Landung steht bevor, und sie wird ziemlich rau!« Tausende von Gargylen umschwärmten die Herrlichkeit, verstopften Lufteinlasse und zerstörten Außensensoren. Größere
Kreaturen schlitterten über den Rumpf und kratzten und bissen mit ihrem ätzenden Speichel und den diamantharten Zähnen durch das Metall. Unzählige Kreaturen klammerten sich an die Unterseite, krallten und bissen sich durch Zugangsluken und Wartungsschächte und arbeiteten sich ins Schiff. Binnen Sekunden stieg das Gewicht des ohnehin überlasteten Schiffes um viele Tonnen, und es krängte trunken nach steuerbord. Simons Pilot gab Vollschub, um die Kreaturen abzuschütteln, aber infolge der Schieflage und der zusätzlichen Belastung durch die vielen Tyraniden, die sich an das Schiff klammerten, brannte ein Triebwerk einfach aus, so dass das Schiff ins Trudeln geriet. Der Frontsichtschirm explodierte. Kreischende Bestien flogen in die Kommandozentrale, und Simon schrie, als sie ihm das Fleisch von den Knochen rissen. Eine silberne Tragfläche rasierte eine Felswand und wurde vom Rumpf abgerissen. Die Herrlichkeit fiel vom Himmel, immer schneller, bis sie in einem spektakulären Feuerball zwischen den Häusern des Bezirks Secundus aufschlug. Schwarze Gestalten kreisten über Schneehund am Himmel, als er sich einen Weg durch die Ruinen des zerstörten Lagerhauses bahnte. Rauchende Trümmer fielen von den Mauerruinen, und der unheilvolle orange Schein der verbogenen Haufen brennender Wrackteile hatte mehr als nur eine oberflächliche Ähnlichkeit mit seiner Vorstellung von der Hölle. Weinende Familien drückten die zerschmetterten Leiber geliebter Angehöriger an sich, und benommene Überlebende wanderten ziellos durch die Ruinen, geblendet und durch den Absturz des Raumschiffs verbrannt. Eine silberne Tragfläche ragte in den Himmel, und ein brennender Teil des Rumpfs hatte sich vor dem Lagerhaus in den Boden gebohrt. Zerbrochene Kisten aus dem Laderaum des Schiffs lagen überall und hatten zertrümmertes Porzellan und kostbare Kleidung mit Goldsäumen überall im Schnee verstreut. Ein gerahmtes Porträt eines uralten Adligen lag geborsten in den Ruinen, zusammengerollte Läufer und Wandteppiche brannten in einer großen Pfütze Treibstoff und Blätter aus einer ganzen Bibliothek flatterten in der heißen Luft. Sagenhaft teure Kleidung sog sich im schmelzenden
Schnee voll Wasser, irreparabel ruiniert, und Wertgegenstände aller Art lagen überall in der feurigen Hölle von Bezirk Secundus. Ein kleines Vermögen lag einfach auf dem Boden, und Schneehund bediente sich und stopfte so viel in seinen Rucksack, wie hineinpasste, ein Auge ständig auf die kreisenden Gestalten über sich gerichtet, während er den verdammten Piloten verfluchte, der das Schiff direkt auf sie hatte abstürzen lassen. Das hintere Ende des Lagerhauses gab es nicht mehr, ausgelöscht durch den Einschlag des abstürzendes Raumschiffs. Jede Kiste mit Proviant und anderen Gütern, die er gestohlen oder von MagazinSergeanten gekauft und für die er sogar getötet hatte, war zerstört, im Zuge der Explosion zu Asche verbrannt. Tigerlily stand ob des Ausmaßes der durch den Absturz angerichteten Zerstörung benommen einfach nur da, während Lex und Trask Hände voll Edelsteine aufsammelten und sich in die Taschen stopften. Jonny nahm sich eine große Jagdbüchse, die aus einer geborstenen Kiste ragte, und die Größe der Patronen in den zwei Gurten, die er sich kreuzweise über die Brust streifte, war einfach verblüffend. »Damit könntest du ein wütendes Grox aufhalten, Jonny!«, rief Schneehund. Jonny lachte, hob das Gewehr und ahmte den gewaltigen Rückschlag der Büchse nach. Das Grinsen verschwand von Schneehunds Gesicht, als er Silber unter einem Haufen Gesteinstrümmer liegen sah, das Gesicht blutig und die Arme ausgestreckt. Er lief zu ihr und fühlte ihren Puls. Er war dünn, aber stetig. Sie ächzte, und Schneehund sah, dass ihr ein Stück Strebe in der Seite steckte. Blut leckte aus der Wunde, und er hob sie sanft von der Strebe herunter und verzog das Gesicht, als er bemerkte, dass die Strebe volle fünfzehn Zentimeter tief eingedrungen war. Er nahm sein Halstuch ab, stopfte es in das Loch in ihrer Seite und verknotete es dann um ihren Leib. Es war nicht viel, aber mehr konnte er im Moment nicht für sie tun. Eine Hand schloss sich um seinen Oberarm und drehte ihn um. Er griff nach seiner Pistole, entspannte sich aber, als er sah, dass er einen wettergegerbten alten Mann vor sich hatte. »Was willst du, Großvater? Siehst du denn nicht, dass ich beschäftigt bin?« Papa Gallo blickte Schneehund fest ins Gesicht. »Du bist diesen
Leuten hier was schuldig, Wehr-Bewohner. Du hast ihr Geld und ihre Habe genommen im Tausch gegen Sicherheit.« »Was?«, schnauzte Schneehund zurück, indem er sich aus dem Griff des alten Mannes losriss. Er zeigte in den Himmel und sagte: »Ich habe ihnen ein warmes Plätzchen gegeben und diese verdammten Ungeheuer daran gehindert, sie umzubringen. Ich glaube, ich habe meinen Teil erfüllt. Jetzt habe ich selbst genug Probleme.« Tigerlily kam zu ihm, blieb hinter ihm stehen und stieß ihn in die Rippen, aber Schneehund beachtete sie nicht, da seine Aufmerksamkeit ganz von der Konfrontation mit dem alten Mann und der verwundeten Silber in Anspruch genommen wurde. »Das sehe ich anders«, sagte Papa Gallo und verschränkte die Arme vor der Brust. »Pech«, erwiderte Schneehund. »Und das Zeug, das sie mir gegeben haben, hat sich sowieso in Rauch aufgelöst.« »Nicht unser Problem. Du schuldest uns was.« Tigerlily stieß ihn noch einmal an, und diesmal warf er ihr einen irritierten Blick zu. Sie nickte in Richtung des brennenden Lagerhauses. Er folgte ihrem Blick und spürte, wie heiße Furcht durch seinen Körper schoss. Hunderte rußverschmierte Zivilisten hatten sich versammelt, viele davon bewaffnet. Mit den Waffen, die Schneehund ihnen selbst gegeben hatte. Sie waren nervös und gereizt und sahen aus, als seien sie bereit, sie zu benutzen. Schneehund schaute Papa Gallo in die Augen und sah dort grimmige Entschlossenheit. Er sah, wie Jonny eine Patrone aus dem Gurt in die Büchse schob, und schüttelte den Kopf. »Gut, Mann, du gewinnst«, sagte Schneehund, während er sich neben die bewusstlose Silber kniete. »Was willst du? Aber beeil dich.« »Wir haben viele Verwundete, und du hast nicht mehr die Mittel, um sich um sie zu kümmern.« »Und?« »Und wir müssen diesen Leuten helfen. Ich will, dass du sie zur nächsten Klinik führst«, sagte Papa Gallo. »Scheiße, Mann, die nächste Klinik, die noch steht, ist in Bezirk Quintus«, protestierte Schneehund. »Nicht mein Problem«, wiederholte Papa Gallo, und als Schnee-
hund einen Blick auf das blutende Mädchen neben sich und die vielen Waffen vor sich warf, ging ihm auf, dass er keine Wahl hatte. »Von mir aus«, sagte er achselzuckend, indem er sich den Rucksack auf den Rücken schwang, Silber aufhob und auf die Arme nahm. »Brechen wir auf. Wir wollen uns nicht groß aufhalten, solange diese Viecher über uns kreisen.« Der Liktor wehrte sich gegen seine Fesseln, und Fleischdornen zuckten gegen das Panzerglas, das ihn von denjenigen trennte, die ihn beobachteten. An drei zusammengeschobene Seziertische gebunden, spannten sich seine starken Muskeln in dem Versuch, sich zu befreien, aber die Fesseln ließen ihm keinen Bewegungsspielraum. Dennoch hatte er zwei Magos Biologis getötet, die die Sicherheitsvorschriften für den Umgang mit Xenos unklugerweise nicht eingehalten hatten, und einen dritten verwundet, der für seinen Lapsus anschließend hingerichtet worden war. Nach der Gefangennahme des Liktors hatte Magos Locard seine Arbeit mit neuem Schwung und vermehrter Eile fortgesetzt, da der Versuch, beide Schwarmschiffe im Kreuzfeuer der Flotte und der planetaren Abwehrlaser zu zerstören, gescheitert war. Die Lage hatte sich noch einmal verschlechtert, als der feige Simon van Gelder von Tarsis Ultra hatte flüchten wollen und dabei in einem Akt äußersten Hochverrats die Abwehrvorrichtungen des Tals außer Kraft gesetzt hatte. Die Kampfbereitschaft der Abwehrgeschütze war schließlich wiederhergestellt worden, aber erst, nachdem Hunderte von Gargylen und ihre monströsen Brutmütter tief in das Tal von Erebus eingedrungen waren. Anscheinend fehlte ihnen der beherrschende Einfluss des Schwarmverstandes, da die Mehrheit der Kreaturen zu ihren grundlegenden animalischen Trieben und Instinkten zurückgekehrt war, in Höhlen in den Felswänden nistete und kleine Gruppen von Zivilisten angriffen. Andere waren in die dicht bevölkerten Viertel der Stadt eingedrungen und hatten dort zwei Tage lang ein Massaker unter den Zivilisten angerichtet, bevor sie von Freiwilligen der Verteidigungslegion Erebus systematisch aufgespürt und getötet worden waren. Die Kämpfe vor der Mauer zum Bezirk Quintus tobten mit unverminderter Heftigkeit, und der Tyranidenschwarm war mittlerweile fast doppelt so groß wie zu Beginn, da das eine noch ver-
bliebene Schwarmschiff weitere Kreaturen zur Oberfläche gesandt hatte. Die Zeit der Verteidiger von Tarsis Ultra lief ab, und Magos Locard war ihre letzte Hoffnung. Tief in einem der Vivisektorien der Adeptus Mechanicus hielt Magos Locard einem ausgesuchten Publikum bestehend aus Oberst Stagler, Major Satria, Lord Inquisitor Kryptman, Ordenspriester Astador und Uriel einen Vortrag. Ein ausdrucksloser Servitor mit verstärkter Bionik an Kopf und Oberkörper stand neben dem Magos in Bereitschaft und trug einen silbernen Waffenkoffer. Mit Abscheu beobachteten sie durch das Panzerglas den Liktor, dessen Physiologie widerwärtig war und dessen geistige Prozesse ihr Verständnis überstiegen. »Wie Sie selbst sehen«, begann Locard, »hat der LiktorOrganismus selbst in dieser Umgebung mit dem XenoSchutzfaktor drei bedauerlicherweise der höchste in dieser Anlage verfügbare Faktor noch eine Lethalität von 45,43 Prozent.« »Warum lassen Sie die verdammte Bestie dann noch am Leben?«, wollte Stagler wissen. »Warum töten Sie das Vieh nicht einfach?« »Um die Tyraniden zu besiegen, müssen wir sie zuerst verstehen«, erläuterte Kryptman. »Wenn wir gegen Orks, Hrud, Galthiten und Lacrymolen kämpfen, dann sind wir mit dem Wissen bewaffnet, wie wir sie schlagen können. Gegen einen Tyraniden zu kämpfen, heißt nicht automatisch, den nächsten zu verstehen, Ihre Anpassungsfähigkeit macht sie zu überragenden Raubwesen. Sie ist ihr größtes Plus und in diesem Fall potenziell die einzige Schwäche, die wir ausnutzen können.« »Auf welche Weise?«, fragte Uriel. »Sagen Sie, Hauptmann Ventris, haben Sie schon einmal die Redewendung gehört, >die Stärke eines Feindes gegen ihn wenden« »Natürlich.« »Genau das beabsichtigen wir«, sagte Kryptman mit einem verschmitzten Lächeln. »Magos Locard, wenn Sie so nett wären.« Locard nickte und wandte sich dem Servitor zu. Seine Mechandriten öffneten den Waffenkoffer mit präzisen Drehungen der gezähnten Schlüssel, die aus den Fingerwerkzeugen glitten. Er entnahm dem silbernen Koffer mit seiner Schaumstoffeinlage eine wunderbar gefertigte silberne Pistole und eine großkalibrige Kugel mit einem Glaseinsatz. Mit übertriebener Vorsicht lud er die Pisto-
le mit der Kugel und reichte die Waffe dem Servitor. Auf ein Nicken Kryptmans öffnete er das Handrad der Schleuse zur Zelle des Liktors und sagte: »Führe Anweisung eins aus.« Der Servitor machte kehrt, stieß die massive Tür auf, marschierte in die Zelle und blieb neben den Seziertischen stehen. Locard versperrte die Schleuse wieder, während der Liktor seine Versuche verstärkte, sich zu befreien. Der Servitor näherte sich, hob die Pistole und drückte sie auf den fleischigen Rumpfbereich des Liktors. »Was im Namen des Imperators macht er da?«, fragte Uriel. »Sehen Sie selbst«, sagte Locard mit mehr als nur einem Anflug von Stolz. Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage und sagte: »Führe Anweisung zwei aus.« Der Servitor drückte ab und feuerte die gläserne Patrone in den Liktor. Blut spritzte aus der Wunde und fiel zischend auf den Boden des Vivisektoriums. Ohne jedes Zögern legte der Servitor die Pistole behutsam auf den Boden, während Locard die Fesseln löste, die den Liktor auf den Seziertischen hielten. Der Liktor griff so schnell an, dass seine Bewegungen verschwammen. Die Stümpfe seiner oberen Gliedmaßen stießen den Servitor durch den Raum. Dessen extrem verstärkter Körper prallte gegen das Panzerglas, auf dem sich ein paar Sprünge bildeten, was den Beobachtern beunruhigte Rufe entlockte. Uriel und Astador zogen beide ihre Boltpistole und richteten sie auf das Glas. »Warten Sie!«, rief Kryptman. Der Liktor sprang den Servitor an, und seine unteren Arme zerfetzten in einer Raserei der Gewalt dessen graues Fleisch. Blut spritzte an die Wände, da die Bestie ihr Opfer in Stücke riss und den Leichnam massakrierte und verstümmelte, bis nichts mehr übrig war, was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte Die Bestie richtete sich auf und hämmerte auf das Glas. Neue Sprünge dehnten sich in Windeseile spinnwebartig aus. »Schießen Sie! Schießen Sie doch!«, rief Oberst Stagler. Bevor Uriel und Astador jedoch abdrücken konnten, krümmte der Liktor sich plötzlich zusammen und fiel auf den Boden seiner Zelle. Die Bestie stieß ein unheimliches Geheul aus, und ihr gesamter Körper zuckte, während er sich unter der Haut zu kräuseln schien.
»Ah, ja, jetzt beginnt es«, stellte Locard fest. »Widerstandsfähig, aber damit habe ich angesichts der relativen Stabilität der genetischen Struktur auch gerechnet.« »Was passiert mit dem Liktor?«, sagte Uriel, während er angewidert auf das zuckende Ungeheuer starrte. Der Liktor fiel auf den Rücken, von gewaltigen Krämpfen geschüttelt, und sein Leib bog sich zu einem umgedrehten U durch. Trotz der Panzerglasscheibe hörte Uriel das Knacken, als das Rückgrat brach. Der Körper des Liktors teilte sich, und monströse Wucherungen brachen daraus hervor, während sich das Gewebe in unkontrollierter Evolution wand. Halb geformte Glieder schlängelten sich aus den Eingeweiden, und andere unkenntliche Organe ohne Namen quollen aus dem mutierenden Körper. Das Ungeheuer stieß einen letzten gepeinigten Schrei aus, als schwarzes Blut aus jeder Körperöffnung spritzte. Schließlich lag es still. Uriel fühlte sich über alle Maßen abgestoßen. Der Liktor war unzweifelhaft tot, aber was hatte ihn getötet? Ein einfaches Gift? Jähe Hoffnung flackerte in ihm auf, als ihm klar wurde, dass sie damit vielleicht eine Waffe gefunden hatten, mit der sie die gesamte Tyranidenrasse besiegen konnten. »Hervorragende Arbeit, Magos«, sagte Kryptman, während das Blut des Servitors von der gesprungenen Panzerglasscheibe tropfte. »Vielen Dank, Lord.« »Was haben Sie mit ihm gemacht?«, fragte Astador. Locard lächelte. »Mit Hilfe des genetischen Codes dieses Liktors ist es mir gelungen, die grundlegenden Stränge der ursprünglichen Mutation dieser Splitterflotte zu isolieren. Mit diesem >Schlüssel<, wenn Sie so wollen, konnte ich eine massive Überstimulierung des Anpassungsvorgangs hervorrufen. Im Prinzip habe ich eine extrem beschleunigte Hyper-Evolution in Gang gesetzt, die auch ein Tyranidenorganismus nicht überleben kann. Die genetische Struktur eines Liktors ist normalerweise sehr viel stabiler, daher hat es etwas länger gedauert, bis die Infektion die erwartete Wirkung zeigte, aber ich glaube, Sie werden mir beipflichten, dass die Ergebnisse für sich selbst sprechen.« »Das ist unglaublich«, hauchte Uriel. »Das ist es in der Tat, Hauptmann Ventris«, stimmte Locard ohne jede falsche Bescheidenheit zu.
»Mit dieser Waffe können wir endlich die gesamte Tyranidenrasse besiegen!« »Bedauerlicherweise ist das nicht der Fall«, erklärte Locard. »Jede Schwarmflotte hat ihre ganz eigene genetische Struktur, und wir konnten die grundlegenden genetischen Stränge überhaupt nur aufgrund der Gefangennahme einer so frühen Generation von Kreatur isolieren.« »Also können wir diese Waffe nur gegen diese Flotte einsetzen?«, fragte Stagler. »Bedauerlicherweise, ja, und sie könnte sich auch gegen die Kreaturen dieses Schwarms als nicht sonderlich wirkungsvoll erweisen. Viele der Kreaturen hier auf Tarsis Ultra befinden sich bereits in der sechsten oder siebten Mutation und könnten sich inzwischen zu weit vom Ursprung entfernt haben, um noch beeinflusst zu werden.« »Also könnte es nicht gegen alle funktionieren?«, fragte Uriel. »Ich glaube, es wird gegen alle funktionieren, obwohl ich natürlich nicht ganz sicher sein kann«, antwortete Locard. »Wir sollten diese Munition so schnell wie möglich verteilen«, sagte Major Satria aufgeregt. Uriel sah, wie Kryptman und Locard einen Blick wechselten, und plötzlich wurde ihm die Absicht dieser Demonstration klar. »So einfach ist es nicht, Major Satria«, sagte er. »Nicht?« »Nein. Habe ich recht, Lord Inquisitor?« Kryptman sah Uriel ein paar Sekunden an, bevor er ernst nickte. »Hauptmann Ventris hat recht. Es wäre in diesem Stadium des Kampfes sinnlos, Munition mit diesem Gengift herzustellen. Nein, dies muss ins Herz des Feindes gebracht werden, wo es den größten Schaden anrichten wird.« »Und was bedeutet das?«, fragte Satria. »Es bedeutet«, sagte Uriel, »dass wir uns in das Schwarmschiff kämpfen müssen. Es bedeutet, dass wir die Schwarmkönigin infizieren müssen.« In Deiner Immerwährenden Herrlichkeit war schon immer eines von Schwester Joaniels Lieblingsgebeten gewesen, wie es von der Freude und der Verpflichtung des Dienstes am Imperator kündete. Sie hatte ihr Leben in den Dienst der Erhaltung des Lebens und der Heilung jener gestellt, deren zerbrechliche Leiber und
Seelen das Grauen des Krieges nicht unversehrt überstanden hatten. Auf Remian hatte sie überlebt, als jene in ihrer Obhut gestorben waren, und sie weinte beim Beten, da immer noch dasselbe Schuldgefühl beim Gedanken an diese armen Unglücklichen in ihr brannte, die blutend und sterbend in der Klinik lagen. Wie sie geahnt hatte, war die Flut der Opfer zu einem reißenden Strom angewachsen, und jeden Tag wurden Hunderte eingeliefert. Wie ausgiebig sie ihre Hände auch schrubbte, sie wurde den Gestank und den Makel des Blutes nicht los. Wie viele Soldaten sie auch zusammenflickte, die Bahrenträger brachten immer neue. Und da die Front dem Bezirk Quintus immer näher rückte, mussten sie und ihr Stab begleitet vom Lärm der Artillerie und der Gewehre arbeiten. Der Lärm des Krieges, Schreie, Explosionen und Schluchzen, begleitete sie immer, und der Anblick so vieler Verwundeter verfolgte sie bis in ihre Träume. Ihre Gesichter verschwammen zu einem einzigen, so dass sie nicht mehr sagen konnte, wer lebte und wer starb. So oft hatte sie daran gedacht, einfach aufzugeben, da ihr ob der Unmöglichkeit ihrer Aufgabe die Tränen kamen. Doch dann rezitierte sie jedes Mal ihr Lieblingsgebet, und Zweifel und Schuldgefühl waren für eine Weile verdrängt. Sie begann das Gebet zum vierten Mal und war mitten im zweiten Vers, als sie Türen schlagen und Lärm aus dem Vestibül hörte. Sie erhob sich unter Schmerzen und hinkte aus der Kapelle, um nachzusehen, was dieser Tumult zu bedeuten hatte. Als sie die Treppe zum Vestibül erklomm, sah Joaniel einen Haufen Verwundete, die sich vor den Stationstüren versammelt hatten. Uniformierte Helfer versperrten ihnen den Weg und stritten sich mit einem jungen Mann mit gebleichten Haaren, der ein silberhaariges Mädchen mit blutverschmiertem Bauch trug. »Im Namen von allem, was heilig ist, was geht hier vor?«, sagte sie, und ihre Stimme drang mühelos durch das Stimmengewirr im Vestibül. Der Mann mit dem Mädchen auf den Armen drehte sich um und betrachtete sie von oben bis unten. Eine Frau, deren feuerrote Haare zu Streifen rasiert waren flankierte ihn. Falten der Erschöpfung hatten sich in ihr Gesicht gegraben. »Ich habe hier Verwundete und dachte, Sie könnten sich hier um sie kümmern«, sagte der Mann.
»Und wer sind Sie?«, fragte Joaniel. »Ich? Ich bin Schneehund, aber das tut nichts zur Sache. Ich hatte die Aufgabe, diese Leute hierher zu bringen, und das habe ich getan. Dieses Mädchen ist schwer verwundet. Können Sie ihr helfen?« Einer der bewaffneten Pfleger drängte sich durch das überfüllte Vestibül zu ihm, und seine Verärgerung war nicht zu übersehen. Er zeigte auf die Verwundeten, von denen sich draußen vor der Klinik noch mehr versammelt hatten, und sagte: »Diese Leute gehören nicht zum Militär. Wir können sie nicht aufnehmen. Wir sind ohnehin schon überfüllt.« »Mann, Sie müssen ihnen helfen«, sagte Schneehund. »Wohin sollte ich sonst gehen?« »Nicht mein Problem«, schnauzte der Pfleger. »Ich habe von Ihnen gehört«, sagte Joaniel. »Sie sind ein Mörder und handeln mit Waffen und Drogen.« »Und?« »Und warum sollte ich Ihnen helfen, wenn da draußen viele Tausend Männer jeden Tag ihr Leben gegen die Tyraniden aufs Spiel setzen?« »Weil Sie genau das tun. Sie helfen den Leuten«, sagte Schneehund, als sei es das Offensichtlichste auf der Welt. Joaniel lächelte über diese simple Feststellung und wollte ihn schon für seine Naivität zurechtweisen, bevor ihr die Erkenntnis kam, dass er recht hatte. Genau das tat sie. Es war tatsächlich so einfach, und plötzlich ging ihr auf, dass sie diese Leute nicht abweisen konnte. Wenn sie das tat, würde sie alles verraten, wofür ihr Orden stand. Und das konnte sie nicht. Joaniel nickte Schneehund zu und zeigte auf eine breite Treppe, die in die oberen Etagen der Klinik führte. »Die oberste Etage ist noch nicht so voll wie die anderen. Ich schicke Essen und Korpsleute zu Ihnen, die sich um Ihre Verwundeten kümmern. Wir haben zu wenig Personal und noch weniger Hilfsmittel, weil unsere Vorräte gestohlen wurden, aber ich verspreche Ihnen, dass wir tun werden, was wir können.« »Aber diese Leute gehören nicht der Armee an!«, protestierte der Pfleger. Sie wandte sich an den Mann und schnauzte ihn an: »Das ist mir egal. Sie bekommen Schutz und sämtliche Fürsorge, die wir entbehren können. Haben Sie mich verstanden?«
Der Pfleger nickte, nahm Schneehund die verwundete Frau ab und trug sie in die Station. »Danke, Schwester«, sagte Schneehund. »Schweigen Sie«, sagte Joaniel. »Ich tue das nicht für Sie, sondern für die anderen hier. Lassen Sie mich eins klarstellen: Ich verachte Sie und alles, was Sie sind, aber wie Sie gesagt haben, die Leute hier sind verwundet, also holen wir sie aus der Kälte.« Riesige gelbe Planierraupen räumten den gröbsten Schutt von der langen Allee, die zur Front führte, während Pioniertrupps des Departmento Munitorum diese letzte Räumphase der improvisierten Rollbahnen beaufsichtigten. Ein verirrter Felsbrocken oder ein Schlagloch konnte den Tod für jede Flugmaschine bedeuten, die das Pech hatte, darauf zu treffen, und diese Mission war zu wichtig, um auch nur eine auf diese Weise verlieren zu dürfen. Tanklaster und Raketentransporter fuhren kreuz und quer über den Beton und lieferten letzte Ladungen an die Vielzahl der Flugzeuge, deren Triebwerke die Luft mit einem bedrohlichen Grollen erfüllten. Überall wurde der Eindruck von Dringlichkeit erweckt, da Piloten und Bodenpersonal ihre Flugmaschinen für den Kampf vorbereiteten. Hauptmann Owen Morten, Kommandeur der Engel-Staffel von der Kharloss Vincennes, machte einen letzten Rundgang um seine Furie und vergewisserte sich, dass die Techs alle Raketen scharfgemacht hatten und die Kanten seiner Tragflächen eisfrei waren. Die größte Gefahr beim Fliegen in solcher Kälte war nicht das zusätzliche Gewicht des Eises, sondern die Störung des Luftstroms über der Tragfläche und die damit verbundene Verringerung des Auftriebs. Überzeugt, dass seine Maschine startklar war, zog Morten den Reißverschluss seines Fluganzugs bis zum Hals hoch und tätschelte den gepanzerten Rumpf seiner Furie. »Wir machen das für die Vincennes«, flüsterte er. »Haben Sie etwas gesagt?«, fragte Kiell Pelaur aus der Kanzel, wo er gerade die letzten Einstellungen am Angriffs-Cogitator der Furie vornahm. »Nein«, sagte Morten, während er die Techs dabei beobachtete, wie sie ihre Inspektion der Eisrampe fortsetzten, die ihnen hoffentlich gestatten würde, von einer kürzeren Rollbahn zu starten, wie sie es gewohnt waren. Die Plätze und Straßen der Umgebung waren mit einer Armada von Flugmaschinen vollgestopft. Alles,
was irgendwie fliegen konnte, ob Jäger, Bomber oder Aufklärer, wurde in diesem Augenblick für den Start vorbereitet. Owen wusste, dass die meisten von ihnen nie zurückkehren würden. Man war bereit, sie zu opfern, um dafür zu sorgen, dass die Space Marines ihr Ziel erreichten. Der Gedanke beunruhigte ihn nicht. Er hatte sich schon lange mit der Tatsache abgefunden, dass dies sein letzter Flug würde. Am Himmel über ihm war sein Platz, und er hatte schon immer gewusst, dass er dort auch einmal sterben würde. Der Gedanke, dass er bald alle seine toten Schiffskameraden wiedersehen würde, war Owen Morten ein großer Trost, als er die Leiter empor und in seine Pilotenkanzel stieg. Dem schwarzen Thunderhawk fehlten jegliche Insignien und Verzierungen. Oder jedenfalls schien es so vor eingehenderer Begutachtung. Jeder Quadratzentimeter des Rumpfs war mit winziger Schrift bedeckt, die mit akribischer Sorgfalt von Hand eingeritzt worden war. Glaubensbekenntnisse und den Xenos geltende Hassgebete schmückten den Rumpf der Flugmaschine vom Bug bis zum Heck. Skandierende Techpriester umkreisten die Flugmaschine, und gesegnete Rüstmeister kritzelten Worte des Zorns auf die Sucher der unter den Tragflächen montierten Raketen. Jede Granate für die Autokanonen wurde kurz in heiliges Wasser getaucht, bevor man sie mit Gesängen, die ihre Detonation gewährleisten sollte, in die Ladevorrichtungen einpasste. Die fünf überlebenden Mitglieder der Deathwatch knieten im Gebet vor dem Thunderhawk und flehten, es möge sie sicher an ihr Ziel bringen. Henghast sprach vor. Seine Wunden schmerzten noch, aber er hatte sich von seinem Kampf mit dem Liktor wieder so weit erholt, dass er seine Schlachtbrüder begleiten konnte. Bruder Elwaine von den Salamandern hatte ebenfalls überlebt und unterzog sich gerade einer Operation, bei der seine verlorenen Arme durch künstliche Glieder ersetzt würden. Trotz Elwaines Proteste hatte Henghast ihm nicht erlaubt, an diesem Einsatz teilzunehmen. Fünf Männer gegen die Macht des Schwarmschiffs. Aus solchem Stoff waren die Legenden der Deathwatch gestrickt, und der Gedanke an die bevorstehende Schlacht erfüllte Henghasts fenrisische Seele mit Feuer. Sollten sie überleben, würden die Runen-
priester ihre Geschichte an den Festtafeln im Reißzahn erzählen. Henghast verschränkte die Hände vor der Brust und sagte: »Wir betrauern den Verlust von Hauptmann Bannon und verehren sein Andenken. Er war ein hervorragender Anführer und ein würdiger Waffenbruder. Ich wünschte, er wäre hier und könnte uns noch einmal in die Schlacht führen, aber Wünsche sind etwas für Dichter, und wir werden ihm Ehre bereiten, indem wir diese Schlacht in seinem Namen austragen.« Ein langer Schatten fiel auf Henghast, und er bleckte seine Reißzähne, als er sich geschmeidig erhob, um denjenigen zurechtzuweisen, der die Gebete seiner Männer unterbrach. Doch die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er die Gestalt sah, die vor ihm stand. Ein Space Marine in nachtschwarz lackierter Rüstung mit einer einzigen blauen Schulter. »Machen Sie Ihre Krieger bereit, Bruder Henghast«, sagte Hauptmann Uriel Ventris von der Deathwatch. »Wir ziehen in die Schlacht.«
FÜNFZEHN Uriel spürte den Ruck, als das Thunderhawk abhob, und lohnte den behelmten Kopf an die vibrierende Wandung der Flugmaschine. Ein weicher blauer Schein erfüllte das Mannschaftsabteil, und ein seligmachender Engelschor drang leise aus den Wiederaufbereitungseinheiten, die heiligen, den Xenos abträglichen Weihrauch verteilten. Die Space Marines der Deathwatch saßen auf der anderen Seite, den Kopf geneigt, da sie sich innerlich auf den bevorstehenden Kampf vorbereiteten. Bruder Henghast, der Wolfskrieger, betete vor, und Uriel war nicht überrascht, fromme Anrufungen zu hören, die das Kennzeichen des Kriegers waren, der sich auf den Tod in der Schlacht vorbereitete. Er ließ den Blick über die Brüder wandern, mit denen er diesen letzten Kampf austragen würde, und tat dies in dem Wissen, dass ihr Dienst in der Deathwatch bereits bedeutete, dass sie zu den besten und tapfersten Kriegern gehörten, die ihr Orden aufbieten konnte. Bruder Jagatun von den White Sears saß da und schärfte einen langen, krummen Tulwar, an dessen Schädelknauf ein Totem aus
Pferdehaar baumelte. Bruder Damias war ein Apothekarius der Raven Guard, wortkarg und zurückgezogen. In seine Energiefaust waren bizarre Narben geritzt, die Uriel an jene erinnerten, welche sich eifernde Priester selbst zufügten, wenn sie sich in eine selbstverstümmelnde Rage der Hingabe steigerten. Neben ihm saßen Bruder Alvarax von den Howling Griffons und Bruder Pelantar von den White Consuls. Beide luden Höllenfeuerpatronen in ihre schweren Boltgewehre, und jede Patrone enthielt das Mutationsserum, das so tödlich für diesen Schwarmorganismus war. Neben Uriel saß das letzte Mitglied ihrer Einsatzgruppe. Er allein trug noch die ursprünglichen Farben seines Ordens, und seine Anwesenheit beruhigte Uriel ebenso sehr wie die der Deathwatch. Veteranen-Sergeant Pasanius hielt den Lauf seines schweren Flammenwerfers fest in seiner versilberten bionischen Hand und wartete schweigend auf den Beginn der bevorstehenden Schlacht. Uriel hatte versucht, seinen ältesten Freund vom Mitkommen abzubringen, aber Pasanius hatte nichts davon hören wollen, und da Bruder Elwaine und dessen Flammenwerfer nicht kämpfen konnten, war Henghast froh gewesen, dass Pasanius sie begleiten wollte. In der Enge eines Schwarmschiffs der Tyraniden war ein Flammenwerfer mit Sicherheit eine überragende Angriffswaffe. Als Uriel gesehen hatte, dass Pasanius sich nicht würde umstimmen lassen, war ihm klar gewesen, dass er den Sergeant nur mit Gewalt am Mitkommen hätte hindern können, und ihm widerstrebend, aber innerlich dankbar seinen Segen gegeben. Astador und Learchus waren mehr als fähig, die Verteidiger zusammenzuhalten, und Pasanius' Anwesenheit dort würde so oder so keinen Einfluss auf das Schicksal von Erebus haben. Astador hatte ihn umarmt und seinen sterblichen Überresten einen Ehrenplatz in der Galerie der Knochen versprochen. Uriel hatte die Endgültigkeit im Tonfall des Ordenspriesters nicht gefallen, als er ihnen den Segen des Imperators gab. Learchus hatte ihnen keinen Segen mitgegeben. Seiner Ansicht nach ließ Uriel als Hauptmann der Vierten Kompanie seine Männer im Stich, und er hatte aus seiner Wut darüber kein Hehl gemacht. »Ihr Platz ist bei Ihren Männern, nicht bei der Deathwatch!«, hatte er argumentiert. »Nein, Learchus, mein Platz ist dort, wo ich der Sache am meisten nütze«, hatte er erwidert. »Zeigen Sie mir die Stelle im Codex, wo das steht«, schnauzte
Learchus. »Sie wissen, dass ich das nicht kann, Sergeant. Aber das hier muss ich einfach tun.« »Lord Calgar wird davon erfahren.« »Sie müssen tun, was Sie für richtig halten, Learchus, und ich muss das auch«, sagte Uriel, bevor er ging und es seinem erzürnten Sergeant überließ, die Ultramarines auf die letzte Schlacht vorzubereiten. Uriel war traurig über Learchus' Unfähigkeit, über den Buchstaben des Codex' hinauszusehen, und sicher, dass Roboute Guillaume seine Entscheidung gutgeheißen hätte, die Deathwatch in die Schlacht zu führen. Er wusste, dass große Weisheit in den Seiten des Codex Astartes steckte, aber er wusste auch, dass es eine Weisheit war, aus der man lernen musste, und dass ein dogmatisches Sichklammern an den Buchstaben des Textes, wie Astador es formuliert hatte, nicht Weisheit, sondern Wiederholung war. Doch darin lag auch eine Gefahr: dass solche Gedanken unweigerlich auf den Weg führten, den die Mortifactors beschritten hatten. Uriel hatte nicht den Wunsch, diesem Weg zu folgen, wusste jetzt aber, dass es einen goldenen Mittelweg gab, indem man dem Geist des Codex' folgte und nicht seinem Buchstaben. Er lächelte, als er sich den stummen Beifall von Hauptmann Idaeus vorstellte, und beobachtete durch das Bullauge, wie der violette Himmel von Tarsis Ultra in die Schwärze des Alls überging. Er betrachtete seine Kameraden noch einmal einen nach dem anderen. Sieben großartige Krieger, die in die Schlacht zogen. In eine Schlacht, die über das Schicksal einer Welt entscheiden würde. Learchus beobachtete, wie das Thunderhawk in die oberen Schichten der Atmosphäre raste und dabei von vielen Hundert Begleitmaschinen umringt war, die helle Flecken vor der Dunkelheit bildeten. Das Morgengrauen erhellte den Horizont bereits mit einem diffusen gelblichen Licht, und er sah bereits die ersten Bewegungen unter dem Schnee, da die Tyraniden wieder an die Oberfläche kamen. Die geborstenen Überreste der Mauer gaben an vielen Stellen nach, aber das war nicht zu ändern. Arbeitstrupps hatten sich bemüht, die gröbsten Schäden bis zum nächsten Angriff zu besei-
tigen, aber ein Großteil der nächtlichen Arbeit war in die Anlage der Startbahnen für die Flugmaschinen gesteckt worden. Er umschloss den Griff seines Kettenschwerts fester. Sein Zorn auf Uriel und Pasanius war immer noch ungebrochen, obwohl sie längst weg waren. Er und die verbliebenen achtzig Mitglieder der Vierten Kompanie standen bequem hinter dem Nordabschnitt der Mauer des Bezirks Quintus und erwarteten den Angriff der Tyraniden. Astador und die dreiundsechzig Krieger der Mortifactors hielten den Südteil der Mauer, und Learchus machte sich im Geiste einen Vermerk, ein Auge auf diese unbesonnenen Abkömmlinge seines Ordens zu haben. Astador hatte ihm bereits angeboten, an einem ihrer barbarischen Blutrituale vor der Schlacht teilzunehmen, aber er hatte abgelehnt und war angewidert davonmarschiert, bevor er etwas tat, was er hinterher bereuen mochte. »Mut und Ehre!«, brüllte er, als die ersten aufgeblähten Kreaturen träge vortraten und mit sehnigen, knochigen Armen ausholten, um ihre organischen Bomben zu werfen. Mit dem Blutgeschmack im Mund beobachtete Ordenspriester Astador die unnachgiebige Gestalt Learchus', der mit seinen Kriegern stocksteif dastand. Er wusste, dass Learchus ein großer Krieger war, aber auch nie mehr als das sein konnte. Sein Geist-Ich war eben erst in seinen Körper zurückgekehrt, und seine Seele wehrte sich immer noch dagegen, wieder in ihrem Kerker aus Fleisch eingesperrt zu sein. Astador erwog kurz, Learchus mitzuteilen, was die Geister seiner Vorfahren ihm gezeigt hatten, schüttelte dann aber den Kopf und richtete den Blick wieder auf die vorrückenden Tyraniden. Was würde es für einen Sinn haben, es ihm zu sagen? Er würde nicht dankbar für das Wissen sein, dass sein Hauptmann sterben würde. Ein zwei Stunden dauerndes Bombardement mit Sporen ging auf die Mauer des Bezirks Quintus nieder und hüllte die Wehrgänge in wallende Wolken aus giftigen Dämpf en. Die im Tal wehenden Höhenwinde verteilten den größten Teil der giftigen Gase, aber mit den Gassporen wurden auch solche abgefeuert, die bei ihrer Explosion zersetzende Viren freisetzten. Große Teile der Brustwehr lösten sich in Pfützen geschmolzenen Gesteins auf, die an der Mauer herunterliefen wie dicke Rinnsale aus Wachs.
Ein Abschnitt der südlichen Brustwehr löste sich auf, und drei Mortifactors verloren den Halt und fielen von der Mauer. Sie brachen durch das dünne Eis des Grabens und tauchten unter die Wasseroberfläche, um Sekunden später wieder aufzutauchen. Learchus sah, wie die schwarz gerüsteten Space Marines Feuerstellung einnahmen, als die Horden der Tyraniden als homogene Masse vorwärtsdrängten. Er sah sofort, dass dies kein normaler Angriff war, sondern ein konzertierter Hammerschlag, der ihre Verteidigung zerschlagen sollte. Die kleineren springenden Organismen eilten voran, eine zwitschernde schwarze Flut, die dei Boden vollständig bedeckte. Gewehrfeuer dezimierte sie, aber angesichts des Umfangs ihres Angriffs wann diese Verluste bedeutungslos. Das Gewicht so vieler Kreaturen ließ das Eis auf den Graben mit einem allgegenwärtigen Krachen bersten und Tausende der Organismen fielen in das eiskalte Wasser. Sie drängten weiter, da die riesige Zahl gefrorener Leichen im Graben jenen dahinter die Möglichkeil des Überquerens bot. Riesige Krallenbestien mit einer ganzen Brut zischen der Organismen zwischen den Panzerplatten stürmte heran und wirbelten dabei große Eisbrocken auf. Skorpionartige Ungeheuer, die Learchus bisher noch nicht gesehen hatte, huschten vorwärts, und aus knochigen Auswüchsen am Rumpf gebildete Waffen schossen an die Mauer. In Blitze gehüllte Bestien mit riesigen Scherenhänden glitten schlangenartig auf sie zu, während Energieblitze gegen die Mauer prallten und fahrzeuggroße Betonbrocken heraussprengten. Über Kom rief Learchus Major Satria von der Wehrlegion Erebus. »Führen Sie jetzt Ihre Männer nach vorn, Major. Schema alpha-eins.« »Sind Sie sicher, dass Sie bereit dafür sind?«, fragte Major Satria, während er zur Mauer trabte. »Ich bin sicher, Major. Und jetzt hören Sie damit auf antwortete Sebastien Montante, während er atemlos versuchte, mit dem Major und seinen fünftausend Soldaten der Wehrlegion Schritt zu halten. Sein Koppel war zu locker, und er schwitzte gründlich in seiner dicken Jacke. Sein Lasergewehr fühlte sich so schwer an wie ein Geschütz, aber er war froh über das beruhigende Gefühl, das es ihm ver-
mittelte. Er fühlte sich stark, nur weil er es trug, und hoffte nur, er werde sich daran erinnern, wie man damit schoss, wenn die Zeit zum Kampf gekommen war. Tief in den vielen Höhlen der hohen Berge im Osten des Tals steigerte sich ein schrilles Kreischen zu einem ohrenbetäubenden Heulen, das durch die höher gelegenen Teile der Stadt hallte. Viele der Gargyle, die infolge des Vorrats von Simon van Gelder durch die Schutzzone in die Stadt eingedrungen waren, hatte man aufgespürt und getötet, aber eine große Zahl eben auch nicht. Die Mehrheit davon waren simple Kriegerorganismen mit der Fähigkeit zu fliegen, aber neun von ihnen waren sehr viel mehr. Die Brutmütter der Gargyle hatten sich in die tiefsten Höhlen zurückgezogen und dem Befehl des Schwarm-verstandes gehorcht, dort zu nisten und mehr ihrer Art zu produzieren. Zu einer Raserei der Reproduktion getrieben, waren die Brutmütter mittlerweile gestorben, hatten zuvor aber noch Tausende und Abertausende von Nachkommen geboren. Als der Angriff auf die Mauer begann, drang ein unerbittlicher Befehl zu den nistenden Gargylen durch, die sich zu Tausenden in die Luft schwangen, und eine schwarze Flut von Ungeheuern tauchte kreischend aus ihren Verstecken auf und griff an. »Haben Sie sie erwischt, Leutnant?«, fragte Hauptmann Worten, während sich seine Finger auf den Kontrollen der Furie verkrampften. »Ja«, knurrte Kiell Pelaur. »Der Angriffs-Cogitator kann den vielen hereinkommenden Signalen nicht mehr folgen. Die Bioschiffe ändern die Formation, um sich gegen uns zu wehren, aber sie sind langsam. Wir werden bei ihnen sein, bevor sie sich richtig aufgestellt haben.« Morten grinste unter seiner Sauerstoffmaske. Die Zielinformationen auf Pelaurs Tafel fanden sich auch auf seiner Anzeige wieder, und die schiere Anzahl mit der sie es zu tun bekamen, überstieg bei weitem alle in der Geschichte der Staffel. Da war es passend, dass dies sein letztes Gefecht werden sollte. Eine Rune auf Mortens Armierungskonsole blinkte und zeigte an, dass ein Ziel in der optimalen Reichweite der Raketen erfasst
worden war. Per Kom wandte er sich an die Maschinen, die er führte. »An alle Maschinen, Feuer frei!« Er drückte zweimal in rascher Folge auf den Auslöser und rief dabei: »Für die Vincennes!« Hunderte Raketen lösten sich von den Tragflächen ebenso vieler Maschinen und rasten der Tyranidenflotte entgegen. Sie mussten für das Thunderhawk ein Loch in den Schutzschirm schlagen. Alles andere war nebensächlich. Die Lücke zwischen den beiden Formationen schloss sich rapide, und Morten war klar, dass es sehr schnell sehr unangenehm würde. Schon glitten kleinere, schnellere Feindschiffe geschmeidig heran, um sie abzufangen. »Wachsam bleiben«, rief Morten, »der Feind greift uns an.« Die erste Salve hatte eine Schneise in den äußeren Schirm der Tyranidensporen gesprengt, aber es blieben noch viele Hundert, die sich jetzt alle seiner Luftarmada näherten. Ein anderer Mann hätte sich davon vielleicht einschüchtern lassen, aber Owen Morten war ein geborener Furien-Pilot, der für den Kampf lebte. Er ging in einen flachen Steigflug und machte seine letzten Raketen scharf. Kaum hatte er das getan, als er und seine Staffel auch schon in einen irrwitzigen Luftkampf mit Dutzenden fleischiger Sporenkreaturen verwickelt wurden, die bei nahe so schnell und wendig waren wie die Furien. Morten rollte nach backbord, erblickte einen dahinrasenden Organismus und klemmte sich hinter ihn. »Ich bin zu nah für einen Raketenabschuss!«, rief er, in dem er auf die Kanone wechselte, während die Kreatur ihn abzuschütteln versuchte. Jedes Manöver der Kreatur wurde von der Furie kopiert, und sie wirbelten umher wie Insekten in einem bizarren Paarungsritual. Die Bestie flog durch sein Zielfadenkreuz, und er drückte ab. »Erwischt, du Schwein!«, brüllte er, als grelle Laserstrahlen die Tyranidenbestie entzweischnitten. »Hauptmann! Nach steuerbord ausweichen!«, schrie Pelaur, als ein schäumender Lichtstrahl an der Kanzel der Furie vorbeiraste. Er zog herum und atmete tief, verblüfft darüber, wie knapp sie verfehlt worden waren. Er nahm Schub weg und wechselte wieder auf die Raketen. Ein Trillern in seinem Ohr verriet ihm, dass der Kriegslist der Rakete ein Ziel gefunden hatte, und er drückte wieder ab.
»Hauptmann!«, rief Erin Harlen. »Sie haben einen direkt hinter sich!« Morten zog wieder nach steuerbord und nach einem Blick hinter sich flog er einige halsbrecherische Manöver mit seiner Furie. »Ich werde ihn nicht los!«, fluchte Morten, als die Bestie hartnäckig hinter ihm blieb. »Er schießt!«, rief Pelaur. »Ausweichmanöver nach backbord!«, antwortete Morten, indem er hart rollte und den Nachbrenner zündete. Er spürte, wie sich sein Fluganzug ausdehnte und sein Puls raste. Ein Energiestrahl zuckte unter ihm durch, und er legte die Maschine in eine enge Kurve und nahm dann so heftig Schub weg, dass er beinahe das Triebwerk abgewürgt hätte. Die Kreatur versuchte sein Manöver zu kopieren, war aber zu langsam. Morten rollte wieder, setzte sich hinter den pulsierenden Organismus, bekam ihn ins Fadenkreuz und schoss. Laserstrahlen zerfetzten die Kreatur und ließen sie in einer blutigen Wolke explodieren. Er horchte kurz in den Kom-Verkehr und hörte Schreie und Gebete von den übrigen Maschinen. Die Tyraniden schlachteten sie ab, aber daran konnte er jetzt nicht denken. Nicht solange noch eine Schlacht im Gange war. Doch als er den Raum vor sich begutachtete, sah er, dass sie eine Bresche gesprengt hatten. Das Thunderhawk raste hindurch, und der blaue Schein seines Plasmaantriebs leuchtete grell vor der Dunkelheit des gewaltigen Schwarmschiffs und seines steinernen Panzers. Dann sah er eine riesige geflügelte Kreatur mit Beißzangen, zwischen denen elektrische Energie zuckte, hinter dem Thunderhawk der Space Marines herfliegen. Knisternde Lichtbögen folgten der Flugmaschine, und Morten sah sofort, dass sie sich nicht mehr lange behaupten würde. Sein Fluganzug war durchgeschwitzt, und ihm war klar, dass er bereits erschöpft war, aber er gab dennoch Vollschub, um dem Thunderhawk zu folgen. Das Thunderhawk ruckte, und blaue Energiebögen griffen nach der Maschine. Der Pilot flog eine Reihe wilder Flugmanöver, aber Thunderhawks waren keine Jagdmaschinen und nicht für Kämpfe im Raum konzipiert, und Uriel wusste, dass es nur noch eine Fra-
ge der Zeit war, bis ihr Verfolger sie zerstören würde. Aus den Spinden über ihm purzelten Waffen und Magazine. Er löste sein Sicherheitsgeschirr und stand auf, um die Waffe zu holen, die Inquisitor Kryptman ihm gegeben hatte. Sie jetzt zu verlieren, würde das Unternehmen beenden, bevor es überhaupt begonnen hatte. Er taumelte, als das Thunderhawk von etwas getroffen wurde. Flammen loderten aus einer geborstenen Treibstoffleitung, und Warnsirenen jaulten. Noch ein Hammerschlag traf das Heck der Maschine, und eines der Bullaugen explodierte mit einem lauten Krachen der Dekompression. Luft entwich heulend aus dem Thunderhawk, und Uriel spürte, wie sich seine Wut steigerte. Sie durften nicht scheitern. Nicht nachdem sie ihrem Ziel so nah gekommen waren. Doch als das Thunderhawk von weiteren Einschlägen erschüttert wurde, wusste er, dass ihre Zeit ablief. Hauptmann Owen Morten holte alles an Geschwindigkeit aus seiner Furie heraus, was das Triebwerk hergab. Sein Jäger raste an dem Tyranidenorganismus vorbei, der das Thunderhawk verfolgte, und machte seine letzte Rakete scharf. Ein flackernder blauer Schein erleuchtete die Furie, als die Beißzangen der Kreatur Lichtblitze abfeuerten. Die Bestie war sechsmal so groß die die Furie, und Morten wusste, dass sie nur durch einen direkten Treffer an der verwundbarsten Stelle zerstört werden konnte. »Hauptmann!«, rief Pelaur, »nicht so viel Schub, sonst haben wir nicht mehr genug Treibstoff für die Rückkehr zum Planeten.« »Wir kehren nicht zurück«, sagte Morten gelassen, während er die Furie sauber zwischen die Tyranidenbestie und das Thunderhawk brachte. »Was machen Sie denn da?«, schrie Pelaur. »Was nötig ist«, antwortete Morten und drosselte den Schub, während er die Furie um die eigene Achse drehte, bis sie sich um volle einhundertachtzig Grad gedreht hatte. Das knisternde Maul der Tyranidenbestie füllte seine Kanzel aus. Riesige Blitze hüllten die Furie ein. Funken und Flammen loderten rings um ihn auf. Hauptmann Morten drückte ab und schickte sei letzte Rakete direkt ins Maul des Ungeheuers.
Uriel spürte eine gewaltige Explosion hinter dem Thunderhawk und wartete auf dessen unvermeidliche Zerstörung. Doch der tödliche Treffer kam nicht, und der Thunderhawk flog weiter durch den Sporenschwarm, der sich um das riesige Schwarmschiff versammelt hatte. Er ging durch den Mittelgang der Maschine zur Pilotenkanzel. Voraus waren nur noch die zerklüfteten Klippen der Haut des Schwarmschiffs zu sehen. Inquisitor Kryptman hatte ihnen die wahrscheinlichsten Eintrittspunkte gezeigt, und er hielt auf der grauen Mondlandschafft voraus nach einem Ausschau. Die Armada der Flugmaschinen hatte sie ans Ziel gebracht, und jetzt lag es an ihnen, dafür zu sorgen, dass die vielen Opfer nicht umsonst gewesen waren. »Da!«, sagte er, indem er auf eine gekräuselte, fleischige Öffnung in der Seite der riesigen Kreatur zeigte durch die vermittels peristaltischer Muskelkontraktionen organische Abfälle ins All befördert wurden. Ein gerippter Schließmuskel dehnte sich aus, als mehr Abfälle nach draußen befördert wurden, und Uriel wusste, dass sie das Gesuchte gefunden hatten. »Schnell jetzt! Wenn es stimmt, was Inquisitor Kryptman gesagt hat, schließt sich die Öffnung binnen Sekunden.« Der Pilot gab mehr Schub, so dass sie der sich langsam schließenden Öffnung förmlich entgegenschossen. Erst als sie ganz nah heran waren, ging Uriel auf, wie riesig die Öffnung war volle sechzig Meter im Durchmesser. Bevor sie sich völlig schließen konnte, raste das Thunderhawk in den gerippten Fleischtunnel. Jetzt waren sie wahrhaftig im Bauch der Bestie, dachte Uriel, als sich der Muskel hinter ihnen schloss und das schwache Sternenlicht ausgelöscht wurde. Learchus hieb sein Kettenschwert durch den Hals der nächsten Tyranidenkreatur. Seine Klinge war mit Fleisch und Fett verklebt, und da ihm für seine Boltpistole schon lange die Munition ausgegangen war, kämpfte er beidhändig mit seiner Klinge. Geronnenes Blut bedeckte seine Schulter, wo ein kreischendes Ungeheuer von der doppelten Größe eines Menschen seine Rüstung zerfetzt hatte, nachdem es über die Mauer gesprungen war. Die Mauer war ein Schlachthaus voller toter Tyraniden und Men-
schen. Geborstene Pfeiler und Säulen am Rande der Mauer waren mit Blutspritzern und Eingeweiden bedeckt, die auf den steinhart gefrorenen Boden tropften und diesen schlüpfrig machten. Learchus musste bei jedem seiner Schritte um sein Gleichgewicht ringen. Major Satria kämpfte neben ihm. Er stieß mit seinem Bajonett zu und schoss mit dem Lasergewehr, wann immer er die Gelegenheit zum Nachladen fand. Neben ihm kämpfte Fabrikator Montante mit Verzweiflung und Courage, wenn auch ohne großes Geschick. Learchus hatte ihm bereits mehrfach das Leben gerettet, und obwohl es dumm von Montante war, sich hier zum Kampf zu stellen, musste er seine Tapferkeit doch bewundern. »Krieger von Ultramar, haltet stand!«, brüllte Learchus. Herantreibende Sporen explodierten unter den kämpfenden Kriegern, aber sie weigerten sich nachzugeben. Er trat nach einem kreischenden Hormaganten, als dieser über die Mauer kletterte, und sandte seinen zerschmetterten Schädel zu den wogenden Tyranidenmassen unter ihm zurück. Neben dem ohrenbetäubenden Kampflärm an der Mauer hörte Learchus auch das Donnern der Geschütze hinter sich und riskierte einen Schulterblick. Die wenigen noch verbliebenen HydraFlakpanzer schossen ostwärts, und ihm blieben fast die Herzen stehen, als er die undurchdringliche schwarze Wolke der Gargyle sah, die in das Tal herabstieß. »Guillaume rette uns...«, flüsterte Learchus, als ihm die Zahl der Feindkreaturen gewahr wurde, die sich ihnen jetzt von hinten näherten. »Astador!«, rief er über Korn. »Ich sehe sie!«, erwiderte er. Die Hydras stanzten Löcher in den Schwarm, aber Learchus sah, dass sie der Größenordnung dieses Angriffs nichts entgegenzusetzen hatten. Sebastien Montante kämpfte mit weit mehr Gewandtheit und Mut, als er sich zugetraut hatte. Seine Arme schmerzten vom Kampf, aber er war von einer Hochstimmung darüber erfüllt, dass er sich endlich des Mantels der Führerschaft über diese Welt als würdig erwiesen hatte. Er duckte sich hinter einen Pfeiler und tastete nach einem neuen Magazin für sein Lasergewehr. Ein Space Marine fiel neben ihm zu Boden, in dessen Rüstung ein Krater rauchte, wo sich zuvor seine Brust befunden hatte.
Sebastien lud hastig nach, tauchte hinter dem Pfeiler hervor und feuerte auf einen Schwarm huschender Kreaturen mit breiten Schwimmhaut-Händen, die in den Rücken von Learchus und Major Satria zu gelangen versuchten. Er fällte drei mit einem Feuerstoß seiner auf Dauerfeuer eingestellten Waffe und verwundete eine vierte, als ein riesiger Schatten auf ihn fiel. Sebastien fuhr herum und riss das Gewehr in die Höhe. Eine dornenbesetzte Peitsche schlug die Waffe entzwei und riss ihn von den Beinen. Er rappelte sich wieder auf, indem er sich am Pfeiler abstützte, und tastete nach seinem Säbel, während der riesige Kriegerorganismus vor ihm aufragte. Sein Knochenpanzer wies ein grellrotes Streifenmuster auf, und sein zischendes Maul schien ihn höhnisch anzugrinsen, als die sich winkenden Peitschen am Ende seiner oberen Gliedmaßen wieder zuschlugen. Sebastien schrie auf, als die messerscharfe Peitschenschnur in ihn schnitt und ihn an die Säule fesselte, als sie sich festzog. Die Krallen des Ungeheuers tasteten nach ihm... Dann war Learchus da, durchtrennte die organische Peitsche mit dem Schwert und sprang das Ungeheuer an. Dessen Krallen schlossen sich um seine Rüstung, als er die Klinge durch den harten Chitinpanzer stieß. Das Ungeheuer schrie durchdringend und bohrte große Löcher in Learchus' Rüstung. Sebastien kämpfte gegen seine Fesseln, gab aber auf, als sich die Dornen an der Peitschenschnur nur noch tiefer in ihn bohrten. Learchus brüllte, als er der Bestie schließlich das Schwert in den Hals stieß und Major Satria ihnen zu Hilfe eilte. Ein schwarzer Schatten rauschte über ihn hinweg, und Sebastien sah eine Vielzahl Kreaturen auf die Verteidiger auf der Mauer herabstoßen. Das Gemetzel war fürchterlich, da Menschen von diesem neuen Feind in die Höhe gehoben und mit den Krallen zerfetzt wurden. Während der Widerstand auf der Mauer mehr oder weniger zusammenbrach, zückte Major Satria sein Messer. »Ich habe Sie gleich frei, Fabrikator«, sagte er, als er hinter den Pfeiler trat. Sebastien nickte, da er zu starke Schmerzen hatte, um eine Antwort zu geben. Dann sah er, wie zwei gewaltige Krallenhände auf die Brustwehr niedersausten und eine riesige gurgelnde Bestie ihre unglaubliche Körperfülle über die Mauer zog. Eine Schar von Kreaturen, rot-
schwarz und mit denselben Schwimmhaut-Händen wie diejenigen, welche er zuletzt getötet hatte, lösten sich aus Falten in der Haut des Ungeheuers und rasten auf sie los. »Major...«, krächzte er, doch zu leise, um gehört zu werden. Die Ungeheuer blieben stehen und hoben ihre bizarr aussehenden Hände, als wollten sie ihm zuwinken, und die Lächerlichkeit dieses Gedankens hätte ihn beinahe laut lachen lassen. Ihre Fäuste blähten sich auf, als füllten sie sich mit Luft, und plötzlich schossen unzählige spitze Dornen daraus hervor und ihm entgegen. Er schrie auf, als er von ihnen getroffen wurde. Wie viele es waren, wusste er nicht, er empfand nur Schmerzen, und Feuer raste durch seinen ganzen Körper. Er sackte in der Dornenfessel zusammen, die ihn an den Pfeiler band, nachdem er von Dutzenden langer organischer Dornen durchbohrt worden war. Sein Kopf sank auf die Brust, und er sah eine sich rasch ausweitende Blutlache um seine Stiefel. Er hörte jemanden seinen Namen rufen, aber alles wurde vage, und er konnte nicht ausmachen, wer ihn rief. Dann wurde alles schwarz, und er verlor das Bewusstsein. Uriel stieg aus dem ramponierten Thunderhawk und trat auf das weiche, schwammige Fleisch im Innern des Schwarmschiffs. Inquisitor Kryptmans Waffe war in einem Halfter verstaut, das er um die Taille trug. Es passte nicht genau, aber doch so gut, dass es keine Rolle spielte. Ein diffuses grünes Licht erhellte die gerippte Kammer, in der sie sich wiederfanden und deren Weite von stechenden Dämpfen und knietiefen organischen Ausflüssen erfüllt war. Der Gestank war unbeschreiblich, und Uriel stellte die Geruchssinne seiner Rüstung ab, bevor der Ekel ihn überwältigen konnte. Er winkte die übrigen Krieger vorwärts. Pasanius übernahm die Führung, und die blaue Flamme seines Werfers loderte hell in der mit brennbaren Gasen in gereicherten Atmosphäre des Schwarmschiffs. Uriel spürte Bewegung um seine Stiefel und sah groteske käferartige Kreaturen über die gerippten Wände der Kammer huschen und den dort klebenden Unrat verzehren. Sie waren keine Gefahr, und er ignorierte sie, als sie tiefer in die Kammer eindrangen. Ein pulsierendes Grollen wie vom Schlag eines oder mehrerer gigantischen Herzens hallte von den Wänden
wider. Kryptman hatte gesagt, ein Schwarmschiff sei eine riesige Zusammenballung von Kreaturen, die zu einem Wesen verschmolzen sei und den Schwarmverstand bilde. »Dieser Ort ist verflucht«, sagte Bruder Pelantar, der sein schweres Boltgewehr im Anschlag hatte und den Flankenschutz übernahm. Alvarax übernahm dieselbe Position auf der anderen Seite. »Da könnten Sie recht haben«, sagte Uriel, der sich wieder an die Tiefen von Eavonis erinnerte, wo er den Nachtbringer gefunden hatte, und daran, wie böse Echos vergangenen Grauens einen Ort mit ihrer Macht durchdringen konnten. Bruder Damias begab sich in die Mitte der Gruppe und las Werte von einem speziellen Sensor ab, mit denen Kryptman sie versorgt hatte. Dessen blaues Licht wurde von seinem Helmansatz reflektiert, und sein Summen hallte laut durch die warme Kammer. Zischender Dampf strömte aus geschlitzten Öffnungen, und ein Zittern durchlief den Boden der Kammer, als die Wände sich in einer Bewegung kräuselten. Uriel sah, wie die herumhuschenden Käferorganismen in fleischige Höhlen in den Tiefen der Wände rasten und sagte: »Kommt, sehen wir zu, dass wir unser Geschäft erledigen. Ich glaube nicht, dass wir uns noch länger hier aufhalten sollten.« Mit Pasanius an der Spitze machte sich die Deathwatch auf den Weg in die Tiefen des Schwarmschiffs. Schneehund rannte die Steintreppe der Klinik herunter, als das Läuten der Alarmglocken durch das Gebäude hallte. Schwestern des Heilerordens eilten durch die Stationen und befahlen den lauffähigen Verwundeten, sich in die oberen Etagen zurückzuziehen. Anden trugen Bahren und Kisten mit medizinischer Ausrüstung. Er erreichte das Erdgeschoss und fand das Vestibül voller Schwestern vor, die Erblindete durch die Panzertüren am Ende der Treppe führten. Schneehund konnte die in der Luft liegende Panik beinahe schmecken. »Was ist los?«, wollte er wissen. Niemand antwortete ihm, da alle zu verängstigt waren. Er drängte sich durch die Menge zu den Hauptstationen, wo weinende Schwestern noch mehr Verwundeten aufhalfen. Er sah sofort, dass es viel zu viele Verwundete und viel zu wenige Schwestern
gab. Als ihm das aufging, sah er Schwester Joaniel auf ihn zukommen. »Sie!«, brüllte sie. »Kommen Sie her!« Er ging durch die Station, wobei er sich an den Verwundeten vorbeiquetschte, die sich zur Haupttür schleppten. »Was ist los?«, wiederholte er seine Frage. »Wir haben den Evakuierungsbefehl bekommen«, sagte Joaniel verzweifelt. »Wir müssen diese Männer in Sicherheit bringen. Die Front steht kurz vor dem Zusammenbruch.« »Was? Aber sie ist keinen halben Kilometer von hier entfernt!« »Ich weiß, deshalb dürfen wir keine Zeit verschwenden. Ich brauche Ihre Hilfe.« »Meine Hilfe? Was glauben Sie denn, das ich tun kann?« Joaniel packte Schneehund bei den Armen und sagte: »Diese Klinik ist direkt am Südhang des Tals gebaut. In den oberen Etagen gibt es einen Eingang zu den Höhlen, die tiefer ins Tal führen.« »Und?« »Und ich will, dass Sie diese Leute durch die Höhlen in Sicherheit führen«, erklärte Joaniel. »Was? Ich habe sie doch gerade erst hergebracht!« »Das ist mir egal, tun Sie's einfach«, schnauzte Joaniel. »Schon gut, schon gut«, sagte Schneehund. »Was ist mit Ihnen? Was werden Sie tun?« »Ich werde dafür sorgen, dass meine Patienten lebend aus dieser Klinik kommen.« Zäher Schleim tropfte von der Decke und zischte, wenn er auf den Schulterschutz der Deathwatch fiel. Die fleischigen Gänge des Schwarmschiffs waren ein Füllhorn biologischen Grauens. Fleischige Falten aus Muskeln und Fettgewebe säumten jede Wand, und eiternde Pfützen mit Verdauungssäften füllten jeden Fußabdruck, den sie hinterließen. Winzige Sklavenorganismen eilten durch jeden Gang und ignorierten die Space Marines, während sie tiefer in den Leib der Bestie eindrangen. Das allgegenwärtige Rumpeln drang aus jeder Öffnung, und der Lärm der biologischen Prozesse sorgte für einen beständigen Hintergrundlärm. Uriel verspürte eine aufkeimende Klaustrophobie, als sich die
gerippten Wände des Gangs im Einklang mit dem Rumpeln zusammenzogen und wieder ausdehnten, als befänden sie sich in einem riesigen Atmungsorgan. Dampfende Strahlen einer Flüssigkeit bespritzten sie, als sie aus dem Gang in eine ausgedehnte brandige Kammer mit knisterndem Fett und zermalmtem Fleisch traten. Reihen um Reihen geplatzte Eiersäcke und Nischen mit untätig darin hängenden krebsgeschwulstartigen organischen Röhren säumten die Wände der Kammer vom Boden bis zur Decke. »Was ist das hier?«, fragte Henghast. »Hier schlafen sie«, sagte Damias, während er sich mit seinem leise summenden Sensor einmal um die eigene Achse drehte. »Hier haben sie die Jahre verschlafen, während sie von wo auch immer nach Tarsis Ultra geflogen sind.« Uriel sah, dass Damias recht hatte, als er einen tyranidischen Kriegerorganismus in einer der Nischen entdeckte, dessen Fleisch verwittert und tot aussah. Seine vier Arme hingen schlaff herab, und der knochige Kopf lag auf der Schulter. Eine jähe zischende Bewegung durchlief die Wände, und ein grünliches Leuchten baute sich aus dem Rauch auf, der in Knöchelhöhe wallte. Am anderen Ende der Kammer hob sich eine fleischige Knochenfalte, und stinkende Chemikalien ergossen sich in die Kammer, die eine Flut kreischender Tyranidenkreaturen mitbrachten. »Hauptmann!«, brüllte Pasanius, während er sie in Flammen hüllte. Alvarax und Pelantar wappneten sich und deckten die Kreaturen mit Geschossen aus ihren schweren Boltgewehren ein. Uriel schoss in die Masse der Kreaturen, als sich eine ganze Reihe der Herzklappen öffnete und noch mehr Bestien in die Kammer fluteten. Ein riesiges Ungeheuer kam ihnen entgegen, flach und gepanzert wie ein Skorpion. Es sprang Jagatun an, der sich duckte und ihm mit seinem scharfen Tulwar in den weichen Unterbauch hieb. Darmschlingen glitten aus der Wunde. Henghast heulte und schlug sein Energieschwert durch den Leib des Ungeheuers. Dann zog er Jagatun auf die Füße und gab mit der anderen Hand einen Schuss mit dem Boltgewehr ab. Pasanius ließ sich langsam zurückfallen und begleitete jeden seiner Schritte mit einem Feuerstoß auf Scharen kreischender Tyraniden.
Uriel feuerte auf die Kreaturen, die aus den Wänden fluteten und sie angriffen. Er wusste nicht, wie viele Bestien dem Schwarmschiff zur Verfügung standen, aber er wusste sehr wohl, dass sie es sich nicht leisten konnten, es herauszufinden. »Deathwatch, zurückfallen lassen!«, befahl er. Alvarax und Pelantar wichen schießend zu Uriel zurück. »Bruder Damias!«, rief Uriel. »In welche Richtung?« Damias war blutverschmiert, seine Energiefaust mit Tyranidenblut besudelt. Er zog seinen Sensor zu Rate und sagte: »Hier entlang.« Er verschwand durch ein ovales Loch in der Wand, während Uriel rief: »Alle Mann hier hindurch!« Henghast tauchte durch das Loch, gefolgt von Jagatun. Das Feuer der schweren Boltgewehre gab ihnen Deckung, bevor Pelantar durch die Öffnung sprang. Uriel schob Pasanius hindurch und rief: »Alvarax! Los jetzt, wir verschwinden!« Alavarax feuerte auf die angreifenden Bestien und tötete Dutzende Tyranidenwesen mit seinen gesegneten Boltgeschossen. Dann öffnete sich der Boden unter ihm, und er war verschwunden, in die Tiefen des Schiffs gesogen. Uriel rief: »Alvarax!«, und machte Anstalten, seinem Schlachtbruder zu Hilfe zu eilen, doch eine starke Hand packte ihn und zerrte ihn zurück. »Er ist weg«, rief Pasanius. »Weiter!« Uriel nickte und drang tiefer in diesen engen neuen Korridor vor, wobei er sich mehr mit dem Tastsinn orientierte als mit den Augen. Er hörte ein Sauggeräusch hinter sich, als der Gang durch Muskelkontraktionen breiter gemacht wurde, um mehr Tyraniden die Verfolgung zu ermöglichen. Pasanius schob ihn weiter, um sich dann umzudrehen und den Korridor hinter ihnen in Flammen zu tauchen. Kreischendes Geheul folgte ihnen, da Tyraniden verbrannten. Der Fleischgang schauderte im Einklang mit ihren Schmerzen, und Uriel fühlte sich plötzlich an etwas erinnert, das Kryptman ihm vor ihrem Aufbruch von Tarsis Ultra noch gesagt hatte: »Je tiefer sie in das Schiff eindringen, desto komplexer wird das Nervensystem. In der näheren Umgebung des Zentrums kann es Schmerzen empfinden.« Er folgte seinen Kriegern durch den abwärtsführen den Gang. Der feuchte Boden quatschte bei jedem Schritt. Er hörte Schüsse und sah einen Schein voraus, wo der Gang sich zu einer von
Adern durchzogenen Kammer mit einem pulsierenden pilzförmigen Organismus in der Mitte verbreiterte. Eine Schar toter Kreaturen lag vor dem Ding auf dem Boden. »Was ist das?«, fragte Henghast. »Spielt das eine Rolle? Sie haben es bewacht, also muss es wichtig für sie sein«, sagte Jagatun, indem er den Stiel mit seinem Tulwar durchschlug. Schwärme von Sporen schossen aus dem durchtrennten Stängel des Organismus und hüllten Jagatun ein wie eine Wolke aus summenden Insekten. Er schlug nach ihnen, bevor er sich zusammenkrümmte, während seine Rüstung sich vor Uriels Augen zu zersetzen anfing. Er hörte die Schreie der Weißen Narbe über Kom, als die Sporen ihn von innen verschlangen, da seine Filter und Atemmasken keinen Schutz vor so einem tödlichen Angriff boten. Die Männer der Deathwatch wichen vor der Wolke aus tödlichen Sporen zurück, da sie ihrem Schlachtbruder nicht helfen konnten. Pasanius schoss mit seinem Flammenwerfer und verbrannte sie in einem reinigenden Prometheumstrahl. Zwitscherndes Gekreisch drang aus dem Gang, durch den sie gerade gekommen waren, zu ihnen in die Kammer. »Hier entlang«, sagte Uriel, indem er in eine gezähnte Öffnung in der Wand auf der anderen Seite der Kammer lief. Sie führte in einen langen, gewundenen Korridor in dem kniehoch Flüssigkeit stand. Zilien hingen wir Wedel von Decke und Wänden und schwankten wie in einer leichten Brise. Die matschige Flüssigkeit floss nach rechts ab, und Uriel wartete auf Bruder Damias und seinen Sensor. Als sich alle Mitglieder der Deathwatch versammelt hatten, führte Damias sie nach links, gegen den Strom des stinkenden Unrats. Wurmartige Organismen schwammen in der Brühe, klammerten sich an ihre Rüstung und versuchten sie zu essen. Die Space Marines klaubten sie sich angeekelt von den Rüstungen. Die Würmer waren lästig, aber nicht eben gefährlich. Uriel drang tiefer in den kreisrunden Tunnel vor, wobei die Wedel an der Decke beständig über seinen Helm strichen. Er blieb stehen, als er ein seltsames Geräusch vor dem Hintergrund des ständigen Rumpelns im Innern des Sehwarmschiffs hörte. Es klang wie entfernter Donner, als stehe er auf Macragge am Ende des Laponistals und lausche dem Tosen der weit entfernten Herafälle.
Als ihm aufging, was es war, rief er: »Haltet euch an irgendwas fest.« Er schlug mit der Faust ein Loch durch die zähe Wand des geäderten Gangs und packte eine Handvoll der Substanz des Schwarmschiffs, da Hunderte Tonnen organischen Abfalls durch den Gang auf sie zudonnerten. Schneehund scheuchte die Verwundeten die Treppe zu den oberen Etagen der Klinik herauf, während er sich ragte, wie viel Zeit ihnen noch blieb, bis die Tyraniden kamen. Die verdammten Alarmglocken läuteten immer noch, und er hieb mit dem Kolben seines Gewehr gegen eine, bis sie verstummte. Jonny war auf dem Treppenabsatz über ihm, und Lex verminte die Haupttür des Gebäudes mit der Mutter aller Sprengstoffe. Tigerlily hatte ein Auge auf Silber, deren Zustand jetzt stabil, die aber immer noch bewusstlos war. Er hatte keine Ahnung, wo Trask war, aber so oder so war ihm das auch ziemlich egal. Er trug immer noch seinen Rucksack mit den Wertsachen aus dem abgestürzten Raumschiff, also konnte Trask nicht auf und davon sein, um ihm den zu stehlen. Er lief wieder zurück ins Vestibül und zum hageren Lex, der immer noch mit der Tür beschäftigt war. »Lex, was du auch machst, mach es schneller, Mann«, sagte er. »Ich mach so schnell, wie ich kann. Wenn du helfen würdest, wär ich schneller fertig.« »Auf keinen Fall, Mann. Ich und Sprengstoff? Vergiss es.« »Tja, dann danke für das Angebot«, höhnte Lex. »Gern geschehen. Sind alle raus aus dieser Etage?« »Ich glaube schon. Alle außer dieser irren Schwester.« Schneehund eilte in die Hauptstation. Sie war tatsächlich leer bis auf Schwester Joaniel, die mit einem einfachen Holzkasten in den Händen gerade das Schwesternzimmer verließ. Schneehund lief zu ihr und warf sich das Lasergewehr über die Schulter. »He, Schwester, wir haben keine Zeit, hier rumzuhängen. Wir müssen zügig verduften.« »Sind alle in Sicherheit?«, fragte Joaniel, der die Tränen über das Gesicht liefen. »Ja, mehr oder weniger. Sie sind alle auf dem Weg nach oben, falls Sie das meinen.« »Gut«, nickte Joaniel. »Damals konnte ich sie nicht retten.«
»Was? Wen?« »Alle. Auf Remian. Sie haben mich den Engel von Remian genannt, weil ich sie wieder zusammengeflickt habe, nachdem der Krieg sie zerbrochen hatte, aber am Ende konnte ich sie nicht retten. Sie sind alle gestorben.« Joaniel zeigte ihm den Holzkasten und sagte: »Das haben sie mir gegeben für die gute Arbeit, die ich geleistet habe. Das ist ein Medicus Ministorum... Ich habe es nicht verdient.« »Sicher«, sagte Schneehund ein wenig verwirrt. »So schön es auch ist, in Erinnerungen zu schwelgen, Schwester Joaniel, ich glaube, wir müssen uns jetzt beeilen.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, krachte etwas gegen die dicken Holztüren der Klinik. Durch die dicken Mauern konnte Schneehund das Kratzen und Scharren der Tyranidenhorden hören, die das Gebäude umschwärmten. Lex streckte den Kopf durch die Tür zur Hauptstation und rief: »Beeil dich, Mann, nichts wie weg hier.« Schneehund wandte sich an Joaniel. »Sie haben den Mann gehört, also kommen Sie.« Sie nahm den Holzkasten, rührte sich aber nicht von der Stelle. Während er sich innerlich selbst als Schwachkopf schalt, packte er sie am Arm und zerrte sie hinter sich her. »Warum lasse ich mich immer wieder in solche Sachen reinziehen?«, fragte er sich laut. Gemeinsam eilten sie ins Vestibül, dessen Türen bereits unter wiederholten Schlägen von etwas Massivem splitterten. Sie liefen weiter zu der gepanzerten Tür, die zum Treppenhaus führte. Jonny Stampfer stand unten, die massive Jagdbüchse über der Schulter. »Beeilung!«, rief er. Mit einem Krachen berstenden Holzes wurden die Haupttüren aus dem Rahmen gerissen, und Scharen fauchender Kreaturen strömten an einem gewaltigen Rammbock von einem Ungeheuer vorbei ins Gebäude. Seine Krallen waren gewaltig und steckten im gesplitterten Holz, und in seinem kreischenden Maul brannte Feuer. Es machte einen schwerfälligen Schritt in die Klinik, und die Steinfliesen brachen unter seinem Gewicht, als Lex' Bombe hochging. Schneehund legte die Arme um Joaniel und warf sich mit ihr
flach auf den Boden. Trotzdem schleuderte die Druckwelle sie noch vor die Wand. Alles war von Feuer, Staub und Gesteinsbrocken erfüllt, da die Explosion nicht nur die Tyraniden tötete, sondern auch die Stützpfeile des Dachs und die Mauern rings um den Eingang zum Einsturz brachte. Das riesige Ungeheuer taumelte, fiel aber nicht. Sein Panzer war mit den blutigen Überreste seiner kleineren Brüder gesprenkelt, und es schwankte am Rand eines Kraters im Boden, während Steinbrocken aus den Wänden ringsumher fielen. Schneehund wälzte sich auf den Bauch, da sein Körper nur noch aus Schmerzen zu bestehen schien. Seltsamerweise ging es seinem Rücken bestens, aber dann fiel ihm der Rucksack mit den Wertsachen wieder ein, und er dachte sich, er müsse ihn vor dem Schlimmsten beschützt haben. Er versuchte sich aufzurappeln und stielt einen Schmerzensschrei aus, als er spürte, dass er sich mindestens eine Rippe gebrochen hatte. Joaniel stützte sich an der Wand ab, hielt aber immer noch den Medicus Ministorum an sich gepresst. Schneehund ächzte neben ihr, während sich das Riesenungeheuer wieder so weit gefasst hatte, dass es den nächsten Schritt ins Gebäude machte. Jonny Stampfer trat ins Vestibül, die riesige Jagdbüchse fest an die Schulter gepresst. Die gewaltige Bestie hatte ihn fast erreicht, und das Feuer zwischen ihren knirschenden Beißzangen loderte heller. Jonny zielte und drückte ab. Und der Kopf der Bestie verschwand in einer Explosion aus Blut und Knochen. Der Rückschlag schleuderte Jonny durch den Treppenhauseingang, wo er zu Boden ging. Er stieß einen lauten Jubelschrei aus und lud die Waffe mit einer weiteren Patrone. Das Ungeheuer fiel rückwärts in den Krater, den Lex' Bombe gesprengt hatte, während Joaniel Schneehund aufhalf. Er schrie wieder vor Schmerzen, als sie ihn in Jonnys Arme stieß. »Los!«, rief sie. »Nehmen Sie ihn mit und verschwinden Sie!« »Was wollen Sie machen?«, fragte Jonny. »Ich bin direkt hinter Ihnen«, sagte Joaniel, indem sie sich zu dem Medicus Mmistorum bückte und den Deckel öffnete. Jonny sah, dass sich draußen Hunderte der kleineren Hostien versammelten. »Wie Sie meinen«, sagte er achselzuckend und zog Schneehund hinter sich her ins Treppenhaus.
Joaniel entnahm der Holzkiste ein silbern glänzendes Boltgewehr und rammte ein Magazin in die Waffe. Sie warf einen Blick hinter sich, wo Jonny und Schneehund den ersten Treppenabsatz erreicht hatten. Und sie schloss die Tür und hörte das schwere Krachen des Riegels, als sie ihn vorlegte. Zischende Ungeheuer marschierten vorsichtig und auf der Hut vor weiteren Fallen in das Gebäude. Joaniel lud das Gewehr durch und lächelte bei sich. Sie hatte ihre Patienten auf Remian nicht retten können, aber hier und jetzt würde sie alles tun, was man von einer Schwester des Heilerordens der Ewigen Kerze erwarten konnte. »Kommt her!«, rief sie. »Soll ich den ganzen Tag auf euch warten?« Sie lächelte gütig, als sie das Feuer eröffnete und die nächsten Kreaturen mit kontrollierten Feuerstößen in Stücke sprengte. Sie schoss und schoss und tötete Dutzende, bis der Hammer schließlich auf eine leere Kammer fiel. Sie ließ die Waffe fallen und breitete die Arme aus, als die Bestien auf sie zustürzten. Als der Engel von Remian starb, wurde ihr Schuldgefühl mit Blut weggewaschen. Learchus rannte durch die Ruinen von Bezirk Quintus, da sich die letzten Überlebenden der Verteidiger von Erebus ungeordnet neben ihm zurückfallen ließen. Aus der Luft stießen Kreaturen auf sie herab und zerfetzten die fliehenden Soldaten, und sogar die formidable Kraft der Space Marines wurde, einer ernsten Prüfung unterzogen. Die Ultramarines und Mortifactors kämpften Seite an Seite und verschafften den Männern des Krieg, des Logres und der Wehrlegion Zeit, um sich hinter der nächsten Mauer zu sammeln. Learchus sah, dass es hoffnungslos war, aber er hatte eine Kriegerseele und kämpfte weiter. Die Tyraniden hatten jeden Fluchtweg versperrt, als würden sie alle Wege durch die Stadt kennen oder könnten sie jeden Zug der Space Marines vorhersehen. Er schoss mit dem Boltgewehr, das er einem toten Marine abgenommen hatte, und brachte damit eine Schar geflügelter Ungeheuer zur Strecke, die einen Krieg-Soldaten wegtragen wollten, um dann zwei zischende Bestien mit dem Schwert zu zerstückeln,
die den Leichnam eines gefallenen Ultramarines verschlangen. Er griff nach unten, packte die Rüstung seines toten Kameraden und schleifte ihn rückwärts. Astador stolperte neben ihm und packte mit an, während er mit seinem Crozius Arcanum einem Tyraniden den Schädel einschlug. Die Krieger der Vierten Kompanie und den Mortifactors scharten sich um ihre Anführer und bildeten einen Verteidigungsring um sie. Learchus sah, wie jämmerlich wenige von ihnen jetzt noch übrig waren. Weniger als vierzig Space Marines kämpften noch. Doch weniger als diese Zahl hatten schon in ebenso hoffnungslosen Situationen obsiegt, und Learchus wusste, solange noch Blut in seinen Adern floss, würde er nicht aufgeben. Gemeinsam schleppten die Space Marines den Leichnam zurück zu einem großen Platz, von dem zuvor viele Flugzeuge gestartet waren. Ihm kam der Gedanke, ob Hauptmann Ventris seinem Ziel wohl nah war, musste sich aber eingestehen, dass es jetzt wohl kaum noch eine Rolle spielte. »Warten Sie«, sagte Astador. »Was?«, schnauzte Learchus. »Wir müssen weiter.« »Nein«, sagte Astador, indem er auf die nächste Mauer zeigte. »Es ist schon zu spät.« Learchus sah, dass Hunderte Tyranidenbestien sie an den Flanken überflügelten und ihnen den Rückzug abschnitten. Riesige Kreaturen, dreimal so groß wie ein Space Marine, und Horden von Kriegerbestien strömten in das Gebiet zwischen ihnen und der nächsten Mauer. Astador hatte recht. Es war zu spät für eine Flucht.
PHASE V Verzehr SECHZEHN Viele Tausend Liter stinkende Bio-Flüssigkeiten tosten mit der Urgewalt einer Flutwelle an den Space Marines vorbei, prallten gegen ihre Rüstung und rissen sie von den Wänden der Röhre. Uriel spürte Tyranidenfleisch unter seinem Panzerhandschuh rei-
ßen und fluchte, als er mitgerissen wurde. Er wurde wild umhergewirbelt und gegen die Tunnelwände und seine Schlachtbrüder gestoßen und verlor die Orientierung, während er mit der Abfallmaterie fortgerissen wurde. Er konnte nur trübe Flüssigkeiten und ein gelegentliches Durchscheinen der Tunnelwände sehen. Er versuchte sich an den Seiten des Tunnels festzuhalten, aber die wedelnden Zilien hatten sich in die Wände zurückgezogen. Uriel konnte sich einen Moment aufrichten und sah einen ausgestreckten Panzerhandschuh. Er packte danach, dann schloss sich ein eiserner Griff um seinen Unterarm und stoppte seine Schussfahrt. Die tosende Flüssigkeit drohten ihn dem Griff seines Retters zu entreißen, aber er fand einen Halt für seine Füße in einer Fleischfalte und zog sich hoch. Sein Kopf durchbrach die Oberfläche, und er sah, dass die Mitglieder der Deathwatch Halt auf einem Knochensims oberhalb der Unratflut gefunden hatten. Pasanius zog ihn aus dem Tunnel, und er sank erschöpft auf den beruhigend festen Untergrund. »Vielen Dank, mein Freund«, keuchte er. Pasanius nickte, zu erschöpft, um zu antworten. Uriel richtete sich auf die Knie auf und warf einen eingehenderen Blick auf seine Umgebung. Sie befanden sich in einer ovalen Kammer, die offensichtlich von dem mit Flüssigkeit gefüllten Tunnel abzweigte. Damias, Henghast und Pelantar kauerten neben einem Sehnengeflecht, das ihnen den Weitermarsch aus dieser Kammer versperrte, und Uriel spekulierte, dass sie sich vielleicht in einer Art Filterkammer befanden. Giftige Gaswolken wehten von der anderen Seite des Fasergitters herein, und das Pochen der Herzen war viel stärker. »Wie nah sind wir, Bruder Damias?«, fragte Uriel. »Ich weiß es nicht, Bruder-Hauptmann«, erwiderte Damias mit einigem Selbsttadel. »Ich war so achtlos, den Sensor zu verlieren, als ich mitgerissen wurde, und werde nach Beendigung unserer Mission jede Buße verrichten, die Sie für angemessen erachten.« Uriel fluchte leise, tröstete sich aber mit der Überlegung, dass sie nicht viel falsch machen konnten, solange sie in Richtung der Herzschläge des Schwarmschiffs gingen. Kryptman glaubte schon lange, dass sich die Reproduktionskammern der Nornenkönigin, der Brutmutter des Schwarms, in der Nähe der Herzen befanden, wo die Nährstoffe und Nährflüssigkeiten am reinsten waren.
»Keine Sorge, Bruder. Der Imperator wird uns führen«, sagte Uriel, indem er sein Energieschwert zückte und das Geflecht vor dem Ausgang aus der Kammer durchschlug. Nachdem er seinen Flammenwerfer neu gezündet hatte, übernahm Pasanius wieder die Spitze und führte sie durch den glänzenden Korridor. Schleimiger Speichel tropfte von den Wänden, und aus Wänden und Boden tauchten mehr von den wurmartigen Organismen auf. »Beim Imperator, das ist schlimmer als Pavonis, und das fand ich schon ziemlich schlimm«, sagte Pasanius. Uriel nickte zustimmend. Die Dunkelheit unter der Welt war furchtbar gewesen, aber dieses groteske Zerrbild des Geschenks des Lebens spottete jeder Beschreibung, und ihm wollte einfach nicht in den Kopf, wie einer Rasse, die dem Universum nichts gab, die nur lebte, um zu verzehren, überhaupt die Existenz gestattet worden sein konnte. »Was ist Pavonis?«, fragte Henghast. »Eine Welt am Ostrand, aber das ist eine Geschichte für eine andere Gelegenheit«, sagte Uriel. »Ich werde Sie beim Wort nehmen, Bruder-Hauptmann. Ich will eine Geschichte mit zurück in den Reißzahn nehmen, die Ihre Tapferkeit dokumentiert.« Uriel war beeindruckt vom ungebrochenen Optimismus der Deathwatch. Trotz ihrer Verluste und der Größenordnung der vor ihnen liegenden Aufgabe hatte noch niemand auch nur ein Wort von sich gegeben, das auf etwas anderes als den unbedingten Glauben an ihren Sieg hätte schließen lassen. Er klopfte Henghast auf den Schulterschutz und sagte: »Wenn wir nach Tarsis Ultra zurückkehren, werden wir gemeinsam den Siegeswein trinken, und dann erzähle ich alles über Pavonis.« »Wein! Pah, Wein ist etwas für Frauen. Wir werden ein Fass fenrisischen Met trinken, und die Kopfschmerzen nach dem Erwachen werden wie der Zusammenstoß zweier Kontinente sein.« »Ich freue mich schon darauf«, sagte Uriel, als Pasa-nius die Hand hob. Uriel ging zu seinem Sergeanten an der Spitze der Kolonne und lauschte dem Schlag der mehrfachen Herzen und dem Getöse anderer weniger offensichtlicher Organe nicht weit entfernt. In einer niedrigen Kammer mit einem wogenden Schließmuskel in der Mitte wallten ockerfarbene Dämpfe. Donnernde Echos hallten von den fleischigen Wänden wider.
»Ich glaube, wir sind nah, Bruder-Hauptmann. Die Geräusche laufen an dieser Stelle zusammen«, sagte Pasanius. »Ich glaube, du hast recht, mein Freund, aber woher kommen sie?« Bruder Henghast betrat die Kammer, setzte seinen Helm ab und hustete kurz, bevor sein verbessertes Atmungssystem in der Lage war, sich an die giftige Atmosphäre anzupassen. »Was machen Sie denn?«, fuhr Uriel auf. »Setzen Sie den Helm wieder auf!« Henghast neigte den Kopf zur Seite und flüsterte: »Autosinne sind gut und schön, aber meine eigenen sind besser.« Der Wolfskrieger witterte, und in seinem Gesicht zuckle es, als er die Gerüche und Geräusche im Schwarmschiff mit Sinnen filterte, die noch empfindlicher waren als Uriels. Die Sinne der Ultramarines waren durch die Apothekarii seines Ordens verbessert worden, denjenigen eines Wolfskriegers aber hoffnungslos unterlegen. »Der Herzschlag ist am stärksten aus diesem Gang«, sagte Henghast, indem er seinen Helm wieder aufsetzte und beiseite trat, um Pasanius vorbei zu lassen. Uriel sagte: »Gut gemacht, Bruder Henghast.« Auf dem Weg durch diesen neuen Gang erfüllten Rauchschwaden die Luft, und die Geräusche im Gegentakt schlagender Herzen wurden immer lauter. Der Schein von Pasanius' Flammenwerfer ließ die Silhouette seines Sergeanten deutlich hervortreten und warf einen flackernden blauen Schein auf die tropfenden Wände des Gangs. Sie folgten dem gewundenen Gang mehrere Kilometer, bis ein widerlich grüner Schein das Licht des Flammenwerfers überstrahlte. Der Gang schwenkte nach unten und verbreiterte sich allmählich, bis Uriel die donnernden Organe auch sehen konnte, deren Schlag sie gefolgt waren. Größer als superschwere Panzer, pulsierten die beiden pochenden Herzen in intramuskulärer Bewegung und pumpten lebenserhaltende Flüssigkeiten durch das Schwarmschiff. Uriel kämpfte gegen den Drang an, das Feuer zu eröffnen. Kryptman hatte ihn gewarnt, dass diese Organe durch meterdicke, zähe, faserige Haut geschützt waren und es noch andere gab, die deren Funktion übernehmen konnten. Zischende Organismen schlichen durch die Kammer dahinter,
aber ob sie sich ihrer Anwesenheit bewusst waren, konnte er noch nicht sagen. Uriel und die Mitglieder der Deathwatch kauerten sich am Ende des verräucherten Gangs nieder und starrten ins Herz des Schwarmschiffs. Sie hatten die Reproduktionskammern der Nornenkönigin erreicht. Schneehund verzog das Gesicht vor Schmerzen, während Jonny ihn die Treppe nach oben zerrte und er die donnernden Schläge gegen die Panzertür zum Treppenhaus hörte. Er hatte Kopfschmerzen, und seine Rippen fühlten sich an, als habe er zehn Runden gegen einen Space Marine gekämpft. Er warf einen Blick die Treppe hinunter. »Wo ist Schwester Joaniel?«, keuchte er. »Keine Ahnung«, sagte Jonny, ohne seinen Schritt zu unterbrechen. »Ich nehme an, sie ist tot.« »Was?« »Ja«, bestätigte Jonny. »Sie hat die Tür hinter uns zugeschlagen.« »Sie hat die Tür zugeschlagen?« »Ja.« Schneehund zuckte im Geist die Achseln. Es war ein Jammer, dass sie tot war, aber wenn sie so verrückt war, es mit der ganzen Tyranidenrasse aufzunehmen, ging ihn das nichts an. Krachende Schläge an die Treppenhaustür machten ihn froh, dass sie die Tür verschlossen hatte. Er war nicht sicher, ob Jonny es nicht vergessen hätte. Die Tür war gepanzert, aber bei diesen Ungeheuern konnte man nicht davon ausgehen, dass Barrikaden lange standhielten. »Wo sind die anderen?« »Oben, nehm ich an. Warum stellst du so viele Fragen?«, sagte Jonny. »Weil ich so Sachen rausfinde«, sagte Schneehund schnippisch und bereute es sofort, als die Schmerzen in seinen Rippen grell und dringlich aufloderten. Sie erreichten den nächsten Absatz, und Schneehund hätte schwören können, dass es bis vor kurzem noch nicht so viele Treppen gegeben hatte. Seine Sinneswahrnehmungen normalisierten sich langsam wieder, und er hörte ein leises Prasseln wie von einem Windspiel in einer starken Brise und fragte sich, was
das war. Einen Augenblick später kam ihm die Erkenntnis, und er stieß einen beunruhigten Schrei aus. »Jonny! Warte! Bleibe stehen!«, brüllte er. »Dreh dich um!« »Hä?«, machte Jonny, tat es aber. Schneehund ächzte frustriert, als er eine Flut von Gold, Silber und kostbaren Steinen sah, die eine funkelnde Spur auf den Treppenstufen bildeten. Er entwand sich Jonnys Griff und setzte unter Schmerzen seinen Rucksack ab, während das Krachen von unten immer lauter und hektischer wurde. Der Rucksack hatte ihn vor den schlimmsten Auswirkungen von Lex' Bombe bewahrt, aber dafür war er auch in keinem guten Zustand mehr. Alles, was er sich aus dem Wrack geholt hatte, rieselte aus langen Rissen und Brandlöchern in der Leinwand. Es war kaum noch etwas übrig. Er stopfte den Rest in seine Taschen und hörte das Kreischen nachgebenden Metalls von unten. Dann hörte er Schritte auf der Treppe hinter sich, die er aber ignorierte, während er weiter kostbare Steine in seine Hosentaschen stopfte. »He, Trask«, sagte Jonny. Schneehund spürte, wie ihm das Blut gefror, und griff nach seiner Pistole, aber es war zu spät. Er hörte, wie eine Schrotflinte durchgeladen wurde, und wälzte sich mit einem Schmerzensschrei zur Seite, um dann vor Schmerzen zu brüllen, als die Enden seiner gebrochenen Rippe sich aneinanderrieben. Aber der Schuss war nicht auf ihn gezielt. Jonny Stampfer fiel auf die Treppenstufen. Hinter ihm blieb ein blutiger Schmier an der Treppenhauswand zurück. Schneehund blinzelte durch einen Nebel aus Schmerzenstränen und hob seine Pistole. Trask trat ihm ins Gesicht. Er spürte, wie Zähne abbrachen, und spie Blut. »Wir zwei haben noch was zu erledigen, Schneehund«, sagte Trask. Den Anblick der Nornenkönigin würde Uriel nie vergessen, solange er lebte. Die Kreatur war gewaltig, kam leicht auf die Größe eines Kampftitan, und ihre Körpermasse füllte die Kammer mit unzähligen Mitteln zur Produktion ihrer monströsen Nachkommenschaft aus. Ein riesiges schleimbedecktes Rohr hing an der
Wand das in einer widerwärtigen Bewegung pulsierte und aus dem große Mengen von Eiersäcken in einen mit Schleim gefüllten Teich fielen, wo Ammenorganismen sie mit großen Scherengliedmaßen aufhoben und wegbrachten Riesige Teiche voll mit protoplasmischem Schleim blubberten und brachen in Bewegung aus, während schreien de Säuglingsbestien über Knochenrutschen daraus ausgeschieden wurden und praktisch sofort zu wachsen anfingen, wenn sie den Boden erreichten. Viele Tausend Inkubationslarven hingen an klebrigem Schleim an der großen gewölbten Decke, die von großen Rippen aus Knochen gestützt wurden, welche allesamt dicker waren, als die Säulen im Tempel der Besserung auf Macragge. Stinkende Flüssigkeiten bedeckten den Boden, und stinkender Qualm wehte aus Millionen winziger Öffnungen in den Wänden. Schlingen tropfender Eingeweide pumpten zähe Flüssigkeiten in den Bauch der Nornenkönigin, deren riesiger aufgeblähter Kopf mit der gerippten Decke der Kammer verschmolzen war. Sechsbeinige Kreaturen, die dicken Spinnen ähnelten, krochen über ihren Leib und säuberten, fütterten und kümmerten sich um ihre Königin. Speergroße Dornen ragten aus ihrem knöchernen Panzer, und jeder einzelne troff von zischenden Giften. Die Nornenkönigin selbst war ebenso Teil des Bioschiffs wie individuelle Kreatur. Kriegerorganismen patrouillierten in der Kammer und hackten mit ihren glänzenden Krallen nach jeder Sklavenbestie, die ihrer Königin zu nah kam. Größer als der größte Tyranidenkrieger, den Uriel je gesehen hatte, waren diese Kriegerbestien nur zu einem Zweck gezüchtet worden um ihre Königin bis zum Tod zu verteidigen. »Wie machen wir weiter?«, fragte Damias. »Damit«, sagte Uriel, indem er die Waffe zückte, die Kryptman ihm gegeben hatte. Es war die silberne Pistole, mit der der Servitor dem Liktor das Gengift verabreicht hatte, aber mit einer zusätzlichen Verbesserung. Auf dem Lauf saß ein langes Metallrohr, dessen bläulicher Stahl einen subtilen Kristallschimmer aufwies. Am Ende des Rohrs befand sich ein Ring aus neun kleinen Dornen, die über den Lauf von Kryptmans Pistole hinausragten. Es war immer widerlich, Waffen der Xenos zu benutzen, aber Inquisitor Kryptman hatte ihm versichert, dass es sich bei der Waffentechnologie der Hrud nur um eine Verschmelzung von Melter- und Plasma-Technologie handelte. Gewiss ein Produkt übler nicht-
menschlicher Ketzerei, aber eines, das sich in diesem Fall als nützlich erweisen mochte, das Gengift zu verabreichen. »Was ist das?«, fragte Pelantar. Er schob die Waffe wieder in das schlecht sitzende« Halfter und sagte: »Das ist die Waffe, mit der wir alles beenden können. Wir müssen nur zur Schwarmkönigin gelangen.« Uriel erhob sich und sagte: »Aber zuerst müssen wir uns hineinkämpfen, und zwar auf die altmodische Art, mit Fleisch, Blut und Stahl.« Die Deathwatch folgte ihrem Hauptmann, als dieser in die Kammer der Nornenkönigin marschierte, Pasanius neben sich, Henghast zur Linken und Damias zur Rechten, während Pelantar mit seinem schweren Bolter die Nachhut bildete. Praktisch sofort stieß einer der Ammenorganismen ein warnendes Kreischen aus, und die Wächter wandten sich den Eindringlingen zu. Ein misstönendes Heulen hallte durch die Kammer, und die Wände erbebten in einem heftigen Rhythmus, als sich die Tyraniden beeilten, ihre Königin zu verteidigen. Pasanius hüllte die ersten Angreifer in Feuer, und die Wächterkreaturen heulten vor Wut darüber, dass in den Gemächern ihrer Königin solche destruktiven Energien entfesselt wurden. Pelantar schoss einen Hagel von Mutagengeschossen in die Masse der Tyraniden und skandierte dabei die Riten des Schießens. Uriel stürmte voran, und sein Energieschwert hackte sich mühelos durch Fleisch und Knochen der Tyraniden. Die kleineren Bestien fielen wie Weizen unter der Sense, und obwohl er spürte, wie sich die Mordlust in seinem Kopf aufbaute, schloss er seinen Frieden damit und wandelte den Makel des Nachtbringers in eine positive Kraft um. Flammen verstärkten den infernalischen Schein in der Kammer, und knisternde Bögen aus Energie zuckten aus Damias' Energiefaust, als er sich den Weg freikämpfte. Henghast heulte vor Wut, als er auf die Tyranidenkreaturen losstürmte. Pelantars schwerer Bolter schlug eine Schneise durch sie. Uriel wirbelte unter dem sensenden Hieb einer springenden Bestie durch, die mehr reißzahnbewehrtes Maul war als alles andere, um sie dann zu zerhacken, während die Anwesenheit von etwas Großem hinter sich spürte. Er warf sich nach vorn und konnte es gerade noch vermeiden, von den Krallen eines Wächterorganismus zerfetzt zu werden.
Die vor ihm aufragende Bestie war größer als ein Carnifex, aber schlanker und flinker. Ihr Maul war mit tropenden Reißzähnen gefüllt, und ihr oberes Paar Gliedmaßen endete in blitzenden Krallen, die nach seinem Kopf hieben. Uriel wälzte sich zur Seite, als sie in den Hoden fuhren, und hieb mit dem Schwert nach seinen Beinen. Die Kreatur entging seinem Hieb durch einen Sprung und hackte mit den Krallen nach seiner Rüstung. Keramik teilte sich unter dem Schlag, und Blut floss an ihm herunter, bis die Larramanzellen die Blutung stoppten. schmerzstillende Mittel wurden in seinen Blutkreislauf gepumpt, und er schwankte, als die Bestie ihn noch einmal traf. Er flog durch die Luft und landete am Rand des blubbernden Teichs mit dem stinkenden Seim. Peitschende Tentakel zuckten aus der Flüssigkeit und wickelten sich um seine Hüften. Uriel schrie auf und schlug mit dem Schwert nach ihnen, während er dem Teich entgegenrollte. Der Wächterorganismus sprang ihm hinterher, und seine Hufe schleuderten stinkende Flüssigkeit in die Höhe. Uriel wälzte sich verzweifelt herum, stemmte sich auf die Knie und hob das Schwert zur Parade, als ihm die Krallen entgegenzuckten. Funken stoben, und er grunzte, während er der Kraft der Bestie standhielt. Er wälzte sich unter den Krallen durch und stieß sein Schwert aufwärts und der Kreatur zwischen die Beine, die unter lautem Geheul auf ein Knie sank und sich das Schwert dabei noch tiefer in den Leib bohrte. Uriel riss die Waffe wieder heraus und durchschlug den Oberkörper des Ungeheuers. Es strampelte wild, als es starb, und sofort fielen insektenartige Kreaturen über den Leichnam her, um ihn als Futter für ihre Königin zu verschlingen. Als Uriel sich aufraffte und seinem Ziel entgegentaumelte, gesellte Pasanius sich zu ihm. Sein Schwert war blutverschmiert, und der Schutz um seinen versilberten künstlichen Arm war verschwunden. Bruder Damias kämpfte mit Geschick und Verstand, und seine Energiefaust fuhr eine blutige Ernte ein. Henghast tötete mit all der Wildheit, für die er und sein Orden berühmt waren, während Pelantar Patronen verschoss, Eiersäcke platzen ließ und die grausige Röhre perforierte, die sich an den Kammerwänden entlangzog.
Drei Kriegerorganismen versperrten den Weg, jeder so tödlich wie der, den Uriel bereits umgebracht hatte. Damias und Henghast kämpften sich zu den beiden Ultramarines durch. »Auf die altmodische Art«, hauchte Damias. »Also mitten durch, hm? Pasanius, Henghast und ich beschäftigen sie, und Sie kümmern sich um die Königin!« Uriel nickte, und die vier Space Marines liefen den Wächterbestien entgegen. Pelantar sah, was sie vorhatten, und feuerte den Tyraniden eine sorgfältig gezielte Salve entgegen. Zwei schwankten unter dem Beschuss, da ihr Panzer der gesegneten Munition der Deathwatch nicht standhalten konnte. Aber dabei vernachlässigte er seine eigene Verteidigung für einen Sekundenbruchteil. Und mehr brauchte der Feind nicht. Krallen zuckten vor, und der schwere Bolter brach auseinander, während Pelantar von einem gewaltigen Krallenpaar von den Beinen geholt wurde. Er kämpfte unter Einsatz all seiner Kräfte weiter und hieb blutige Löcher in den Panzer der Bestie, doch es war zu spät. Mit lautem Gebrüll riss die Bestie Pelantar in Stücke und warf den Aasbestien die Teile zu, damit sie sie verzehren konnten. Damias und Pasanius griffen an, solange die Bestien, die Pelantar zu verwunden sein Leben geopfert hatte, noch unter dem Eindruck der Boltgeschosse schwankten. Eine ging in Flammen auf, während Damias den Panzer der anderen mit der tödlichen Kraft seiner Energiefaust durchbohrte. Henghast und Pasanius griffen das brennende Ungeheuer an. Uriel lief mit erhobenem Schwert dem aufgeblähten Bauch der Nornenkönigin entgegen, um die letzte Bestie zwischen sich und seinem Ziel niederzuschlagen. Deren Krallen zuckten vor, und Uriel durchschlug sie mit seinem Schwert. Er sprang der Kreatur entgegen und duckte sich ganz nah heran, während die Bestie mit den herabhängenden Krallen nach ihm schlug und sich dabei ins eigene Fleisch schnitt. Uriel zog sich auf den Leib der Bestie, deren knochiges Exoskelett genügend Halt bot. Die Bestie schlug um sich, als sie ihn zu vertreiben suchte, und hackte sich dabei selbst blutig, da sie keine Kontrolle mehr über ihre Krallen hatte. Ein zweites Maul bohr-
te sich durch seinen Brustharnisch, biss ihm ein faustgroßes Stück aus der Brust und riss einen Teil des Brustmuskels frei. Uriel brüllte vor Schmerzen, hielt sich aber weiterhin an den Rippen der Bestie fest. Er zog sich auf die Panzerplatten der Schultern und stieß dem Ungeheuer das Schwert in den Nacken. Schwarzes Blut spritzte, und die Bestie kreischte gequält, bevor sie starb. Ihre Todeszuckungen rissen ihm den Schwertgriff aus der Hand. Bevor das Ungeheuer zusammenbrach, sprang Uriel von seinen Schultern auf die glänzenden Wände der Kammer, und seine Finger schlossen sich um das härtete Fleisch der Haut der Nornenkönigin. Horden der Aasbestien stürzten sich beim Klettern auf ihn und bissen und krallten nach ihm. Sie krochen auf ihn und quetschten sich sogar in seine Rüstung, und er drohte durch ihr bloßes Gewicht den Halt zu verlieren. Trotz der schmerzstillenden Mittel war seine Brust ein Meer der Schmerzen. Er fegte die Aasbestien lange genug beiseite, um Kryptmans Pistole ziehen und sie auf den Bauch der Nornenkönigin pressen zu können. Als er spürte, dass sich sein Griff um das Fleisch der Königin langsam löste, drückte er ab. Er spürte einen Ausbruch von unvorstellbarer Hitze als der Hrud-Mechanismus aktiviert wurde und eine Feuersäule, heißer als das Herz einer Sonne, durch das dicke Fleisch der Nornenkönigin sandte. Einen Sekundenbruchteil später bockte die Pistole in seiner Hand, als das Geschoss mit dem Gengift in ihren Leib abgefeuert wurde. Er ließ die Pistole fallen und spürte, wie er schließlich den Halt verlor und fiel. Im Fallen drehte er sich und klatschte dann auf den schleimigen Kammerboden. Er schrie vor Schmerzen, als die giftigen Flüssigkeiten in seine Brustwunde gespült wurden. Er wälzte sich herum, so dass die Aasbestien unter ihm zerquetscht wurden, und versuchte sich zu erheben. Er sah, wie Damias das Ungeheuer, mit dem er kämpfte, mit wiederholten Schlägen seiner Energiefaust tötete. Pasanius wurde von seinem brennenden Feind von den Beinen geholt und hoch in die Luft gehoben. Henghast hieb auf die Beine der Kreatur ein, die einfach nicht sterben wollte. Die Krallen der Bestie schlossen sich um Pasanius' silbernen Arm, und das Metall verbog sich unter der Einwirkung ihrer un-
glaublichen Kraft. Uriel griff nach seinem Schwert, bis ihm wieder einfiel, dass es noch im Hals der Tyranidenbestie steckte. Er schaute empor zum zischenden Kopf der Nornenkönigin und spürte, wie ihn eine furchtbare Verzweiflung überkam. Das Gengift hatte keine Wirkung auf das Ungeheuer. Sie hatten versagt. Trask hob den Rucksack auf, dessen Inhalt aus den Löchern rieselte wie ein funkelnder, kostbarer Regen. Seine hässlichen verschwollenen Gesichtszüge waren hass- und wutverzerrt. Er trat Schneehund in die Rippen und noch einmal ins Gesicht. »Du dämliches Arschloch«, fauchte er. »Hast du wirklich gedacht, ich lasse mir die ganze Scheiße von dir bieten? Zwei Jahre habe ich dir gegeben, und mehr kriege ich nicht dafür?« Schneehund schaute durch einen Nebel aus Tränen und an seinen eigenen verschwollenen Gesichtszügen vorbei. Über Trasks Lamentieren hinweg hörte er, wie die Tür mehrere Etagen unter ihm sich schließlich ins Unvermeidliche fügte und nachgab. Er stemmte den Rücken gegen die Wand, um irgendwie hochzukommen. Trask trat wieder nach ihm, doch Schneehund warf sich zur Seite, und Trasks Stiefelspitze traf die Steinmauer des Treppenhauses. Trask heulte vor Schmerzen, fing sich aber wieder, bevor Schneehund mehr tun konnte, als auf der Seite zu dem reglos daliegenden Jonny zu kriechen. Der große Jonny lebte noch, sah Schneehund. Er blutete stark, aber er lebte noch. Nicht mehr lange, wenn er nicht mit Trask fertig wurde. Widerliches Kreischen drang von der Treppe unter ihnen, und er konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Ungeheuer übereinander stolperten, während sie zu den oberen Etagen rasten. Er fummelte an Jonnys Körper herum und lächelte bei sich, als er Metall und Holz in der Hand spürte. Er drehte den Kopf zu Trask herum. Und plötzlich ergab alles einen Sinn. Aus der Schwellung auf Trasks Gesicht lief violetter Eiter, und Schneehund wusste, dass die einzelne Kreatur, die das Gemetzel unter den Flüchtlingen angerichtet hatte, Trask mit einem Geruch eingesprüht haben musste, der die Ungeheuer anlockte wie Scheiße die Fliegen. Er lächelte darüber, wie passend der Vergleich war. »Worüber grinst du so, Arschloch?«, sagte Trask, während er
nach frischen Patronen für seine Schrotflinte griff. »Über dich, Mann. Die wollen dich, schon die ganze Zeit.« »Hä?«, machte Trask, während sich Schneehund mit Jonnys Jagdbüchse in den Händen zu ihm herumwälzte. »Ihr wollt ihn haben?«, rief er den Ungeheuern zu. »Gut, hier kommt er!« Schneehund schoss mit der riesigen Büchse und spürte, wie ihm der ungeheure Rückschlag noch eine Rippe brach. Der Schuss schleuderte Trask die Treppe hinunter. Ein großer Teil seines Oberkörpers fehlte, da das Geschoss ihn einfach weggesprengt hatte. Er fiel auf den nächsttieferen Treppenabsatz. Sein Leichnam war nur noch ein verstümmeltes Häuflein Elend. Die ersten Tyranidenbestien tauchten auf, verhielten aber vor Trasks Leichnam und schlugen und hackten ihn in Fetzen. Während der Geruch von was auch immer Trask noch anhaftete und die Ungeheuer beschäftigte, benutzte Schneehund die Büchse als Krücke und richtete sich unter Schmerzen auf. Er erwog kurz, Jonny aufzuheben, verwarf den Gedanken aber rasch wieder als Wahnsinn. Er hörte mehr Schritte über sich und lachte erleichtert, als er Tigerlily und Lex sah. »Was ist denn hier los?«, rief Tigerlily. »Später«, sagte Schneehund, indem er den Schmerz niederrang und die Treppe erklomm. Tigerlily und Lex gelang es, Jonny hochzuhieven, und die vier ramponierten Mitglieder der Nachtschleicher hinkten die letzte Treppe hinauf in die oberste Etage der Klinik. Schneehund war in seinem ganzen Leben noch nie so froh darüber gewesen, irgendwo angekommen zu sein. »Wo ist Silber?«, sagte er. »In Sicherheit«, sagte Tigerlily. »Beeil dich, der Eingang zu den Höhlen ist nicht mehr weit. Nichts wie weg von hier.« »Die beste Idee des ganzen Tages«, sagte Schneehund. Weniger als zwanzig Space Marines waren noch übrig. Heldentum, wie Learchus es bisher nur aus der Geschichte kannte, hatten sie vierzig Minuten überleben lassen, aber das Ende war nah. Entsetzte Männer der Garde beobachteten das letzte Gefecht der Space Marines von der Mauer des Bezirks Sextus, ohne ihnen helfen zu können. Learchus hätte ihre Hilfe ohnehin nicht gewollt.
Dies war eine ruhmreiche Schlacht; eine passende Art für einen Diener des Imperators, sein Leben zu beenden. Er und Astador fochten Rücken an Rücken und töteten die Ungeheuer mit Wildheit und Geschick. Ein Berg Tyranidenleichen umgab die Space Marines, viele Hundert hoch, und der schrumpfende Ring aus kämpfenden Kriegern stand auf dem Berg und kämpfte wie die Helden aus uralten Legenden. Wieder fiel ein Krieger den Krallen der Tyraniden zum Opfer, und Learchus spürte dessen Märtyrerseele mit ihm gehen. Als er die nächste Bestie zerhackte, fing er an zu singen, eine erhebende Hymne aus den Anfängen des Imperiums, ein Kampflied, das die Herzen all jener rührte, die es hörten. Astador fiel ein, und kurz darauf erhoben alle Space Marines die Stimme, um den Imperator zu preisen, während die Tyraniden ihre Bemühungen noch einmal verstärkten, um ihnen den Gnadenstoß zu geben. Pasanius trat der Wächterbestie ins Gesicht, zerschmelterte ihren Schädel und pulverisierte ihr Hirn, wahrem Henghast ihr schließlich das Schwert in den Bauch trieb Die Krallen zuckten und ließen ihn los. Er fiel mit einen Klatschen zu Boden. Uriel sah den goldenen Knauf seines Schwerts aus dem Kadaver des Kriegerorganismus ragen. Er rafft sich auf, um es zu holen, da er sich nichts mehr wünschte, als aufrecht und mit der Waffe in der Hand zu sterben. Er riss es aus dem sich auflösenden Fleisch der Bestie und hinkte zu Pasanius und den blutverschmierten Damias und Henghast. Die vier Space Marines standen mit gezogenen Waffen da, bereit zu kämpfen und wie Space Marines zu sterben. Zischende Kreaturen näherten sich ihnen von allen Seiten, die Zähne gefletscht und die Krallen zum Schlag erhoben. Ein jähes, krampfartiges Zittern ließ die Kammer erbeben, und ein gequältes animalisches Heulen baute sich hinter Uriel auf. Die kleineren Kreaturen sanken voller Entsetzen auf die Hinterbeine, als die seit vielen Hundert Jahren stumme Kehle der Nornenkönigin in unvorstellbaren Schmerzen aufkreischte. Ihr Leib zuckte und riss sich von ihren Eiersäcken los, und die mit verhärtetem Schleim an den Wänden befestigten Gliedmaßen brachen infolge der Heftigkeit der Krämpfe ab. Im Bauch der Kö-
nigin öffneten sich gewaltige Risse, und aus jedem quollen mutierte Gewächse. Das Fleisch der Königin brodelte und kräuselte sich, als ihr Evolutionsgenom in Aufruhr geriet und durch Magos Locards Gengift unkontrollierbar stimuliert wurde. Jede Kreatur in der Kammer nahm das heulende Schmerzgekreisch auf, als das Gestaltbewusstsein evolutionäre Imperative an jede Kreatur weitergab, die mit dem Schwarm verstand verbunden war. Die Kammer erbebte, und sogar die Schiffsstruktur schrie, als jede Kreatur in eine Raserei unkontrollierter Mutation getrieben wurde. Uriel sah, wie Kreaturen so heftige Krämpfe durchlitten, dass sie sich selbst das Rückgrat brachen, da sie mit Schaum vor dem Maul genetische Abweichungen und Wucherungen über sich ergehen lassen mussten. »Es funktioniert!«, rief Uriel, als Teile der Kammer sich in weißglühenden Flüssigkeitsexplosionen auflösten und ätzender Schleim in riesigen Klumpen von der Decke fiel. »Aye, es funktioniert«, sagte Pasanius, der sich den verstümmelten Arm hielt, »aber wir sollten besser von hier verschwinden, solange wir noch können.« Die Space Marines kämpften sich durch die sich rasch auflösende Kammer der Nornenkönigin und die Reihen der krampfhaft zuckenden Tyranidenbestien. Uriel verspürte ein gewaltiges Gefühl der Bestätigung, als sie aus der Kammer flohen, und er wusste, dass seine Wahl, dieses Unternehmen anzuführen, die richtige gewesen war. Den speerartigen Dorn sah er nicht, der aus dem Panzer der Nornenkönigin abgeschossen wurde und durch die kollabierende Kammer flog. Der zwei Meter lange Dorn durchbohrte seinen Rücken und trat in einer Explosion aus Keramit und Fleisch auf dem Bauch wieder aus. Das scharfkantige Geschoss durchbohrte ihn vollständig und blieb im brandigen Boden stecken. Er kippte nach vorn, da die Schmerzen alles überstiegen, was er je zuvor gespürt hatte. »Uriel!«, schrie Pasanius. Er schaute nach unten auf die Wunde. Komisch, dass es kein Blut gab. Ein harter roter Schorf bildete sich um die Austrittswunde, aber es floss kein Blut. Ein Gefühl der Trägheit erfasste ihn,
und ein stechender Schmerz flammte auf der linken Seite auf und breitete sich über seinen ganzen Körper aus. Pasanius hob ihn vom Boden auf. »Damias, Sie sind Apothekarius! Helfen Sie ihm!« Uriel wurde schwarz vor Augen, und seine Glieder wurden immer schwerer. Er verstand das nicht. Er war schon schlimmer verwundet worden und hatte sich nicht so gefühlt. Er sah wie sein in der Ecke seines Visiers angezeigter Puls in Bodenlose fiel. »Bei Corax' Knochen«, fluchte Damias. »Es ist irgendein Zellgift. Es lässt seine Larramanzellen überreagieren, und jetzt gerinnt das Blut in seinem ganzen Körper!« »Dann unternehmen Sie irgendwas dagegen!«, brüllte Pasanius. Ihre Worte wurden leiser, und Uriel versuchte den Mund zu öffnen, aber dann spürte er, wie seine Herzen zu schlagen aufhörten, als sie mit dem geronnenen Blut verstopft wurden. Er schloss die Augen, und die Schmerzen verloren sich. Learchus tötete die nächste Tyranidenkreatur und stimmte die nächste Strophe an, als ihm aufging, dass die Angriffe nicht mehr so heftig kamen wie zuvor. Tatsächlich kamen überhaupt keine mehr. Die Tyranidenbestien wanden sich in Krämpfen, und ihr kreischendes Gebrüll schraubte sich in neue Höhen. Er sah, wie ganze Rudel der Kreaturen aufeinander losgingen und sich gegenseitig in Stücke hackten. Auf dem Platz wimmelte es von sich windenden Ungeheuern, die vor Schmerzen heulten, da der Schwarmverstand starb und ihre Körper nicht in der Lage waren, die psychische Schockwelle seines Todes zu überstehen. Tyranidenorganismen liefen durch die Straßen des Bezirks Quintus, heulten vor Berserkerwut und fielen in einer Orgie sinnlosen Blutvergießens übereinander her. Die Space Marines waren vergessen, während sich die Tyraniden selbst in Stücke hackten. Bevor eine der größeren Kreaturen die Kontrolle wiederherstellen konnte, hatten die sechzehn überlebenden Space Marines die Mauer von Bezirk Sextus erreicht. Nur wenige Kreaturen stellten sich ihnen in den Weg, und jene, die es taten, griffen ohne Plan und Verstand an und wurden gnadenlos niedergemetzelt.
Das mörderische Gemetzel hielt den Rest des Tages an, und die Verteidiger sahen mit Begeisterung zu, wie sich die tyranidische Gefahr, die ihre Welt so lange bedroht hatte, selbst in Stücke riss. Als die Nacht hereinbrach und die Temperaturen sanken, starben die Ungeheuer in Scharen in der Kälte, da sie ohne die Anweisungen des Schwarmverstandes allein keinen Schutz mehr suchen konnten. Einige Kreaturen überlebten, größere, mit einem gewissen Grad von Unabhängigkeit vom Schwarmverstand, und bald hatten sie kleine Rudel verzweifelter Bestien um sich geschart und suchten Zuflucht in den wärmeren Teilen der in Trümmern liegenden Stadt. Die Nacht war längst über Erebus hereingebrochen, als ein Lichtfunke aus dem Himmel herabsank, eine ramponierte Flugmaschine des Thunderhawk, dessen Tragflächen in Trauer geneigt waren.
EPILOG Pasanius saß allein auf den Ruinen der Mauer des Bezirks Quintus und starrte auf die weiße Ebene vor der verwüsteten Stadt. Er hatte die Rüstung abgelegt und trug einen schlichten Chiton aus blauem Stoff. Den silbernen Arm hielt er an die Brust gepresst. Er sah zu, wie ein Transporter am Himmel vorbeiflog. Zweifellos kehrte er mit noch mehr schlechten Nachrichten aus den Ruinen einer anderen Stadt zurück. Sechs Tage waren seit ihrer Rückkehr aus dem sterbenden Schwarmschiff vergangen, und Pasanius hatte einen großen Teil dieser Zeitspanne im Gebet verbracht, um sich für ihren Sieg zu bedanken und seiner Trauer, um die Gefallenen Ausdruck zu verleihen. So viele waren tot, so viele Gebete zu sprechen. In der großen Kammer mit dem Mosaik brannte eine Kerze für jeden toten oder vermissten Soldaten, und der durch die Kritallkuppel fallende Lichtschein war auch vom anderen Ende des Tals noch zu sehen. Zu den Gefallenen zählte auch Sebastien Montante, dessen von Dornen durchbohrter Leichnam zwischen den Ruinen eben jener Mauer gefunden worden war, auf der Pasanius jetzt saß. Sein Leichnam war im Imperiumspalast aufgebahrt worden, und die
Priester dieser Welt verlangten bereits seine Heiligsprechung. Pasanius wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis aus Sebastien der Heilige Sebastien geworden war, und er grinste bei dem Gedanken, wie amüsant der Fabrikator-Marschall diese Vorstellung gefunden hätte. Der Heilige Sebastien, das hatte einen guten Klang. Oberst Staglers Leichnam war von seinen Männern auf einem Berg von Tyranidenkreaturen gefunden worden, gefroren und brutal in Stücke gehackt. Seine Männer betrauerten ihn nicht. Er war nach Art der Krieg gestorben, und das reichte. Da sowohl Stagler als auch Rabelaq gefallen waren, hatte Major Aries Satria von der Verteidigungslegion Erebus das Kommando über die Streitkräfte des Imperiums übernommen, bis ein höherrangiger Gardeoffizier ernannt werden konnte. Was nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Nach der Zerstörung des Schwarmschiffs hatte sich der Schatten im Warp vom System Tarsis Ultra gehoben, und eine Flut astropathischer Nachrichten wurde von denjenigen Telepathen empfangen, die nicht von dem infernalischen psychischen Lärm der Tyraniden in den Wahnsinn getrieben worden waren. Schiffe der Imperiumsflotte waren weniger als eine Woche entfernt, schwerfällige Schlachtkreuzer und riesige Transporter, die frische Truppen brachten, um die geschwächten Verteidiger zu verstärken. Die Mortifactors hatten Tarsis Ultra am Tag zuvor verlassen. Ordenspriester Astador hatte ihnen angeboten, die sterblichen Überreste der gefallenen Ultramarines mitzunehmen und in den Ossarien der Basilica Mortis zu bestatten. Learchus, der das Kommando über die verbliebenen Krieger der Vierten Kompanie übernommen hatte, lehnte höflich, aber bestimmt ab. Inquisitor Kryptman und die Deathwatch schlichen immer noch durch die Ruinen der Stadt und sammelten Kadaver, die Magos Locard studieren konnte. Das Gengift hatte vielleicht nur gegen diese Schwarmflotte gewirkt, aber es gab immer noch viel über die Tyranidenrasse zu lernen. Freiwillige Säuberungstrupps wurden zusammengestellt, um die überlebenden Tyranidenungeheuer aufzuspüren und zu töten, die sich in den Tiefen der verwüsteten Stadt und in den Höhlen des Hochtals versteckt hatten. Der Schatten der Zerstörung war von dieser Welt genommen worden, doch Pasanius wusste, dass es
noch viele Jahre lang Ärger mit den Tyraniden geben würde, wenn ihn seine Erlebnisse auf Ichar IV irgendetwas gelehrt hatten. Die Winde von der Ebene waren kalt, und Pasanius streckte die silbernen Finger seines rechten Arms aus, dessen Metall makellos funkelte. Mehr als ein Techpriester hatte bereits eine Bemerkung zum Geschick des Schmieds gemacht, der seinen bionischen Arm nach der Schlacht auf dem Schwarmschiff repariert hatte. Pasanius schauderte und schloss die Augen, da er den Arm wieder im Stoff seines Chitons verstaute. Er konnte ihnen nichts erzählen, weil es keinen Schmied gegeben hatte. Der Arm hatte sich selbst repariert. Da waren Schmerzen. Er nahm an, dass Schmerzen gut waren, weil sie bedeuteten, dass er noch lebte. Uriel öffnete die Augen, die nach so langer Bewusstlosigkeit verklebt waren. Er blinzelte die Rückstände fort und versuchte sich aufzurichten, fiel aber sofort wieder erschöpft zurück, da er kaum zu mehr in der Lage war als zu einer Kopfdrehung. Er lag auf einem soliden Bett in einer Steinkammer mit einem Kuppeldach. Es war warm, und er verspürte eine angenehme Taubheit, die nur das Resultat schmerzstillender Mittel sein konnte. Er schlug das Laken zurück, um seinen in Bandagen gewickelten Körper zu sehen. Narben überzogen seine Brust, und er konnte die Schmerzen einer kürzlichen Operation spüren. Was ihm auch zugestoßen war, es musste ernsthafterer Natur gewesen sein. Mehrere Stunden lang wechselte Uriel zwischen Wachzustand und Bewusstlosigkeit, bis er sich einer Gestalt gewahr wurde, die neben seinem Bett stand und einen Tropf an seinem Arm wechselte. Er versuchte zu sprechen, brachte aber kaum mehr als ein heiseres Krächzen heraus. »Das Sprechen wird Ihnen noch eine ganze Weile schwerfallen, Uriel«, sagte eine Stimme, die er als diejenige von Apothekarius Selenus identifizierte. Es gelang ihm, ein »Was ist passiert?« hervorzubringen. »Sie wurden von tyranidischen Phagezellen vergiftet, die auf die
Larramanzellen in ihrem Blut einwirkten. Das Gift hat eine Gerinnung Ihres Blutes im gesamten Körper bewirkt, und dadurch ist es zu einem Stillstand der Herzen gekommen, die durch das geronnene Blut verstopft waren. Klinisch waren Sie tot, aber die Deathwatch hat Sie so rechtzeitig wieder in das Thunderhawk gebracht, dass Bruder Damias Ihnen eine massive Dosis Gerinnungshemmer verabreichen und mit der Infusion frischen Bluts beginnen konnte. Pasanius hätte sich beinahe umgebracht, um Sie mit genug Blut zu versorgen und bis zu Ihrer Ankunft hier am Leben zu erhalten. Sie haben in der Tat Glück, dass Sie einen Freund wie ihn haben.« Uriel nickte, während er versuchte, die Information aufzunehmen, verlor aber wieder das Bewusstsein. Als er erneut erwachte, sah er einen Mann in der Uniform der Verteidigungslegion Erebus mit einem Arm in der Schlinge neben ihm sitzen. An seine Brust war ein Reinheitssiegel der Space Marines geheftet. »Sie sind wach«, sagte er, indem er sich erhob und die Hand ausstreckte. »Ja«, brachte Uriel hervor. »Sie sind...« »Pavel Leforto, ja. Sie haben mir in den Gräben das Leben gerettet.« Uriel lächelte, als er den Mann wiedererkannte. »Sie haben mir meines ebenfalls gerettet, wenn ich mich recht erinnere.« »Ja, nun, ich hatte Glück mit dem Raketenwerfer. An jedem normalen Tag hätte ich wahrscheinlich Sie getroffen«, sagte Pavel. »Trotzdem vielen Dank, Pavel.« »Keine Ursache, Hauptmann Ventris. Jedenfalls bin ich nur schnell vorbeigekommen, um mich bei Ihnen zu bedanken, aber jetzt muss ich mich bei meiner neuen Einheit melden. Wissen Sie, es gibt noch reichlich zu tun«, sagte Pavel. Pavel nahm Haltung an und salutierte, bevor er kehrt machte und den Raum verließ. Uriel sah ihm nach und dachte wieder an das Bild seiner Familie, das Pavel in der Hand gehalten hatte, als er verwundet und bettlägerig war. Wenn für Pavel Leforto die Zeit gekommen war zu sterben, würde er das Vermächtnis der Erinnerungen seiner Frau und seinen Kindern hinterlassen, die davon kündeten, dass er existiert hatte, dass er das Reich des Imperators für eine kurze Zeitspanne
mit seinen Werken bereichert hatte. Was würde Bruder-Hauptmann Uriel Ventris hinterlassen? Ein Leben gewidmet dem Dienst am Imperator, dem Dienst an der Menschheit, obwohl er selbst gar nicht mehr dazugehörte? Er erinnerte sich nur vage an seine Eltern, die jetzt seit fast einem Jahrhundert tot waren. Die Erinnerung an sie war nur noch ein entfernter Schatten nach den Jahrzehnten der Hingabe an den Orden und den Imperator. Nichts war mehr übrig, das ihn an seine Menschlichkeit erinnerte, keine Familie und kaum Freunde. Wenn er tot war, würde es so sein, als habe er nie existiert. Uriel hatte seine Möglichkeiten, so ein Leben zu führen, in dem Augenblick geopfert, als er Novize der Ultramarines geworden war. Und nachdem er dies alles nun wusste, wäre er bereit gewesen, ein Space Marine zu werden, wenn ihm das Ausmaß dessen, was er opferte, um ein Mitglied der Elite des Imperators zu werden, klar gewesen wäre? Uriel lächelte, und seine Züge wurden weicher, als die Antwort plötzlich so klar vor ihm stand, dass es ihn erstaunte, die Frage überhaupt gestellt zu haben. Ja. Das wäre er. Durch den Verzicht auf die Möglichkeit, ein normales Leben zu führen, hatte er etwas viel Größeres gewonnen. Die Möglichkeit, etwas zu bewirken. Die Möglichkeit, den Feinden der Menschheit entgegenzutreten und die Flut degenerierter Fremdwesen, verräterischer Ketzer und Diener des Chaos aufzuhalten, welche die Herrschaft über das Reich des Imperators an sich reißen wollten. Darauf konnte er stolz sein. Seine Kraft entsprang einer uralten Technologie, die ihn stärker, schneller und tödlicher machte, als es jeder Krieger je zuvor gewesen war. Er hatte auf seine Möglichkeit, ein wahrer Mensch zu sein, verzichtet, und, ja, er unterschied sich von der Masse der Menschheit, aber ohne seinen Verzicht wären unzählige Menschen sehr viel früher gestorben. Das war eine edle Gabe, und er war dankbar dafür, was und wer er war. Uriel lächelte, als er in einen traumlosen Schlaf fiel. Schneehund zuckte vor Schmerzen zusammen, als er zu dem Bett hinkte, wo Silber schlief. Seine Seite tat weh wie die Hölle, und sein Gesicht schien nicht abschwellen zu wollen. Er zog Sil-
bers Laken zurecht und strich ihr eine Strähne weißer Haare aus dem Gesicht. Sie bewegte sich, schlug die Augen auf und streckte eine Hand aus, um sein zerschundenes Gesicht zu berühren. »Hallo«, sagte sie. »Selber hallo. Wie geht's dir?« Sie stöhnte, als sie sich aufrichtete. »Furchtbar. Nächste blöde Frage?« Schneehund beugte sich vor, um sie zu küssen, und ein stechender Schmerz zuckte durch seine gebrochenen Rippen. Sie sah den Schmerz in seinen Augen und grinste »Das war ein Tag, hm?« »Ja«, stimmte er zu. »Das war ein Tag.« »Wie geht's jetzt weiter mit uns?« Schneehund antwortete nicht sofort, sondern warf einen Blick über die Schulter in den vorderen Raum der verlassenen HabEinheit, die sie als zeitweilige Basis requiriert hatten. Lex und Tigerlily würfelten, und Jonny Stampfer schnarchte laut auf einem Bett aus zusammengerollten Mänteln. Er hatte fast alles verloren, was er aus dem abgestürzten Schiff geborgen hatte, und als sein Blick auf die Schrotflinte und das Lasergewehr fiel, die auf dem Boden lagen, lächelte er. »Wie gehabt, mein Schatz«, sagte er. »Ganz wie gehabt.«
ENDE