Nr. 340
Die Ebene der Krieger Expedition jenseits des Wölbmantels von Marianne Sydow
Die Erde ist wieder einmal davon...
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Nr. 340
Die Ebene der Krieger Expedition jenseits des Wölbmantels von Marianne Sydow
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans und Razamons Eingreifen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Zusammen mit dem Kontinent und seinen seltsamen Bewohnern befinden sie sich auf einer ungesteuerten Reise ins Ungewisse. An eine Kursbestimmung von Pthor ist noch nicht zu denken, und so werden Al gonkin-Yatta und seine exotische Gefährtin, die beiden Reisenden durch Zeit und Raum, die seit langem nach Atlan suchen und die den Arkoniden, als er noch auf der Erde weilte, nur knapp verfehlten, es schwer haben, sich weiter an seine Fersen zu heften. Der Arkonide ist jedoch kein Mann, der in Tatenlosigkeit verharrt. Während Odins Söhne nach dem Tod der Herren der FESTUNG ihre Herrschaftsansprüche auf Pthor geltend machen, beginnt Atlan, nach dem verborgenen Steuermechanismus des »Dimensionsfahrstuhls« zu suchen. Doch die »Kollision im Nichts« verhindert wirksame Maßnahmen. Pthor kehrt ins normale Raum-Zeit-Kontinuum zurück und bringt Tod und Vernichtung über DIE EBENE DER KRIEGER …
Die Ebene der Krieger
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan, Razamon, Thalia und Kolphyr - Der Arkonide und seine Gefährten gehen auf
Entdeckungsreise.
Juscu - Der »bedächtige Hirte« begegnet einem Amokläufer.
Der Vrill - Juscus Symbiont.
Sigurd, Balduur und Heimdall - Odins Söhne sehen sich als neue Beherrscher Pthors.
Burtimor, Otlusg und Tarsyr - Drei Jäger werden gejagt.
1. Pthor war gelandet. Odins Söhne konnten es noch gar nicht recht glauben, aber es war tatsächlich noch einmal gutgegangen. Zwar war das Land schwer erschüttert worden, aber die alles zerstörende Katastrophe war ausgeblieben. »Jetzt haben wir Ruhe«, triumphierte Si gurd, nachdem sie alle Dellos, Technos und Robotdiener hinausgeschickt hatten. »Wir werden die Anlagen gründlich durchfor schen und lernen, wie man Pthor steuert. Dann sind wir die wahren Herren des Lan des, und die Prophezeiungen haben sich er füllt.« »Wir sollten es allen Bewohnern Pthors mitteilen«, überlegte Heimdall. »Sonst kommt noch irgendein Volk auf dumme Ge danken.« »Die einzigen, von denen wir etwas zu befürchten haben«, erwiderte Sigurd nüch tern, »sind die Gordys.« Heimdall nickte düster. Über die Bewoh ner von Donkmoon war er am allerbesten in formiert. Sie hatten ihm genug Sorgen ge macht. Er dachte an seine Behausung und den skullmanenten Magier Kröbel. Hoffent lich bewachte der Wicht die Schätze gut. Wenn während seiner Abwesenheit die Bruchstücke des Paraxynths gestohlen wur den, dann bedeutete das einen unersetzlichen Verlust für Heimdall. Selbstverständlich tat Kröbel sein Bestes, dennoch beschloß Heim dall, sich möglichst bald um seine Schätze zu kümmern. »Odin wird uns schützen«, bemerkte Bal duur düster. »Wir werden in seinem Auftrag herrschen, vergeßt das nicht. Was sind die
Gordys gegen unseren Vater?« »Wichtig ist allein, wie wir die Botschaft formulieren«, erklärte Sigurd, ohne auf Bal duurs Kommentar einzugehen. »Sie muß so gestaltet sein, daß von Anfang an kein Wi derspruch möglich ist.« »Und wie stellst du dir das vor?« fragte Heimdall skeptisch. Sigurd lachte siegessicher. »Wir behaupten, daß die glückliche Lan dung nur uns zu verdanken ist.« »Die da draußen wissen, daß es nicht so ist«, erwiderte Heimdall und deutete mit dem Kinn zum Ausgang. »Sie haben erlebt, wie hilflos wir waren. Glaubst du im Ernst, daß uns jemand deine Behauptung ab nimmt? Sie werden über uns lachen!« »Oh, nein. Wir wissen, daß irgend eine Automatik Pthor im letzten Augenblick ge rettet hat. Niemand außer uns kennt dieses Geheimnis. Die Dellos können sowieso nicht selbständig denken. Die Technos ha ben bei allem technischen Wissen immer noch Angst vor der FESTUNG – sie werden nicht so vermessen sein, die glückliche Lan dung als ihr Verdienst auszugeben. Und die Robotdiener mögen manches ahnen, aber sie werden es nicht wagen, sich gegen uns auf zulehnen.« »Ihre Andeutungen waren sehr verdäch tig«, hielt Heimdall seinem Bruder vor. Seiner Meinung nach war Sigurd zu ver trauensselig. Er schien der Ansicht zu sein, nichts und niemand könne Odins Söhnen ge fährlich werden. »Sie werden sich beugen«, versprach Si gurd grimmig. »Sie sind nicht so unver wundbar, wie sie sich geben. Ich hörte von einem Zwischenfall, den ein Händler aus Orxeya herbeiführte.«
4 »Du meinst die Sache mit den Illusions steinen«, murmelte Heimdall nachdenklich. »Die Flußpiraten haben es irgendwie erfah ren. Sie waren sehr aufgeregt. Die Aussicht, Wolterhaven auszuplündern, raubte ihnen fast den Verstand. Aber wir haben diese Steine nicht.« »Wenn es nötig ist, werden wir sie uns besorgen«, versicherte Balduur. »Die Händ ler haben immer noch Angst vor mir – und vor Fenrir. Sie werden mir alles geben, was ich von ihnen verlange.« »Also gut«, sagte Heimdall beschwichti gend. »Auch die Robotbürger sind kein un lösbares Problem. Aber was ist mit den Ma giern? Sie haben sehr viel Macht.« »Nicht, solange sie sich in der Barriere verkriechen«, fuhr Sigurd dazwischen. »Jeder weiß, daß sie die Waffen geliefert haben, mit denen die Herren bis zum Tage Ragnarök das Land beherrschten!« fuhr Heimdall ungerührt fort. »Und ich habe Spuren gefunden, die darauf hindeuten, daß die Magier die Barriere auf Wegen verlassen können, die nur ihnen bekannt sind. Was passiert, wenn einer von ihnen auftaucht und beweist, daß er es war, der Pthor gerettet hat?« »Unsinn!« fuhr Balduur auf. »Odin war es!« Heimdall lächelte mitleidig. Selbst wenn der sagenumwobene Vater der drei Männer eingegriffen hatte, ließ sich das kaum bewei sen. Und allein darauf kam es an. Er hatte seine Erfahrungen mit den Magi ern gemacht. Kröbel gab mit seiner skullma nenten Magie zwar ungeheuer an, aber Heimdall hatte den kleinen Mann durch schaut. Die Wesen, die in der Barriere von Oth hausten, waren wirklich mächtig. Er traute es ihnen zu, daß sie mit ihren un durchschaubaren Tricks die restliche Bevöl kerung von Pthor so nachhaltig beeindruck ten, daß man sie als die neuen Herren be trachtete. Ob sie wirklich etwas mit der Lan dung zu tun hatte, spielte dabei keine Rolle. Aber Heimdall zog noch eine andere Möglichkeit in Betracht. Odins Söhne waren
Marianne Sydow sich stillschweigend darüber einig gewor den, an ein automatisch arbeitendes Gerät zu glauben, das sich gerade noch rechtzeitig eingeschaltet hatte – wobei Balduur davon überzeugt war, daß Odin nachgeholfen hatte. Heimdall ahnte nichts von dem Wesen na mens La'Mghor, das bei dem Zusammen prall mit dem riesigen Wasserball nach Pthor gelangt war und seitdem tief unter der Oberfläche von der »Seele« des Landes aus eine Steuerfunktion ausübte. Aber er ahnte, daß alles nicht so einfach verlaufen war, wie seine Brüder es sich einreden wollten. Und er hatte gewisse Befürchtungen, daß der wirkliche Retter im unpassendsten Moment auftauchen würde. »Wir brauchen die Magier, das ist rich tig«, murmelte Sigurd. »Aber das hat Zeit. Solange sie sich still verhalten, haben wir Ruhe vor ihnen. Wir sollten die Zeit nützen und die anderen Völker Pthors davon über zeugen, daß wir im Recht sind. Wenn dann die Magier auftauchen, haben sie kaum noch eine Chance.« »Vor allem sollten wir endlich etwas tun, statt nur zu reden«, grollte Balduur. Sigurd nickte und stand auf. »Ich werde die Dellos instruieren«, erklär te er. »Sie sollen die Guurpel nach Panyxan zurückbringen und alle Völker von Pthor aufsuchen. Ihr könnt euch darauf verlassen, daß meine Botschaft von allen verstanden wird.« »Da geht er hin«, murmelte Heimdall mit leichtem Spott, als Sigurd den Raum verlas sen hatte. »Nun, während er sich um unsere Glaubwürdigkeit bemüht, sollten wir beide uns mit ernsthafter Arbeit befassen.« Balduur sah ihn verständnislos an. Heim dall schlug seinem Bruder gutmütig auf die Schultern. »Große Geheimnisse warten darauf, von uns gelöst zu werden. Erhebe dich, Balduur, und stürze dich in das Abenteuer der Erkun dung vielfarbiger Leitungsstränge. Es bleibt uns nach Sigurds Botschaft nichts anderes übrig, als die Bedienung dieses Fahrstuhls zu erlernen.«
Die Ebene der Krieger
2. Viele Kilometer weiter nördlich waren vier Wesen unterwegs, von denen Heimdall die ungeliebte Wahrheit hätte erfahren kön nen. Daß die vier entgegen aller Vernunft nicht die FESTUNG ansteuerten, sondern die unbekannte Welt jenseits des Wölbman tels zum Ziel gewählt hatten, lag an Odins Söhnen selbst. Dabei hätten diese vier den Männern in der FESTUNG in vielen Dingen helfen kön nen. Kolphyr zum Beispiel, der Forscher aus dem Volke der Beras, war hochintelligent und wußte viel über die Dimensionen des Raumes und der Zeit. Atlan, der Arkonide, konnte jederzeit auf telepathischem Wege Verbindung zu La'Mghor aufnehmen und so erfahren, was sich im Innern von Pthor ab spielte. Abgesehen davon war er auf techni schem Gebiet nicht gerade unwissend. Raza mon, der Berserker, hatte während seiner Verbannung viel von den Bewohnern Terras gelernt. Thalia schließlich litt zwar immer noch unter dem Komplex, als Frau weniger wert zu sein als ihre Brüder, aber auch sie war ein Kind Odins und daher imstande, Zu sammenhänge zu erkennen, die für jeden an deren Pthorer ein Buch mit sieben Siegeln blieben. Leider konnten Odins Söhne sich immer noch nicht damit abfinden, daß von ihrem Bruder Honir nur eine leere Maske existier te, hinter der Thalia seit dem Tode ihres Va ters ihre Minderwertigkeitskomplexe ver borgen hatte. Und als die Schwester dann auch noch gewisse Gefühle für diesen Frem den namens Atlan entwickelte, war Thalia in den Augen ihrer Brüder nichts mehr wert. Was Razamon betraf, so sah er keinen Grund, die in ihrem Herrschaftsdenken er starrten Pthorer zu unterstützen. Er wollte auch nicht daran glauben, daß Sigurd, Heim dall und Balduur in Zukunft die Geschicke des Landes bestimmen würden. Sie waren für ihn verblendete Narren, die einem Hirn gespinst hinterherliefen. Außerdem hatte er
5 genau wie Atlan immer noch die Absicht, ei nes Tages in die schwarze Galaxis vorzu dringen, bis zu den Leuten, die Pthor auf sei ne verheerenden Reisen schickten, um sich an ihnen zu rächen. Kolphyr blieb aus ganz einfachen Grün den bei dieser Gruppe: Er mochte die ande ren und betrachtete sie gewissermaßen als seine Schützlinge. Das riesige Antimaterie wesen entwickelte regelrechte Muttergefüh le – worunter Odins Tochter besonders zu leiden hatte, und es war ein mittleres Wun der, daß er Thalia dabei nicht schon ein paar Rippen geknickt hatte. Im Augenblick war alles in bester Ord nung, und Thalia war sogar vor Kolphyr si cher, denn sie mußte sich auf die Steuerung des Zugors konzentrieren. Von oben sahen sie deutlich, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis auf Pthor wieder normale Verhältnisse herrschten. Das Land wurde zunehmend trockener, das Wasser versickerte oder strömte dem Rand entgegen. Sie flogen gemächlich an der Senke der verlorenen Seelen vorbei, dann entlang der Wüste Fylln nach Norden, überquerten das Quellgebiet des Xamyhr und gelangten dann über jenen Landstrich, den man seit langer Zeit die Eisküste ge nannt hatte. Vom Eis war längst nichts mehr zu sehen. Zwischen den Felsen gab es nur nackten Bo den, braun und von Feuchtigkeit gesättigt, dem man selbst aus großer Entfernung an sah, daß er reich und fruchtbar war. »Hier sollten wir landen«, sagte Raza mon. »Es wird schon dunkel. Es hat keinen Sinn, nachts nach draußen zu fliegen.« »Du hast recht«, stimmte Atlan zu. »In dieser Gegend brauchen wir nicht einmal Wachen aufzustellen. Eine Nacht voller Schlaf wird uns allen gut bekommen.« »Seid ihr sicher, daß sich niemand da un ten herumtreibt?« fragte Thalia vom Steuer block aus. »Du kannst dich darauf verlassen«, versi cherte Razamon grimmig, »daß nicht einmal die Parias aus der Wüste Fylln sich jetzt
6 schon dort umsehen. Du warst nicht dabei, als es zu tauen begann. Das ganze Land ge riet in Bewegung!« Atlan sah sich nach Kolphyr um. Er fragte sich, was dieser Riese jetzt empfinden mochte. Niemand wußte, wieviel Zeit ver gangen war, seitdem die Herren der FE STUNG Kolphyr in die Burg der Zyklopen verbannt hatten. Falls Kolphyr überhaupt etwas empfand, so verbarg er es. Er sah aus wie immer – wie ein riesenhafter, freundlicher Frosch. Atlan war sicher, daß sie die Eiszitadelle ziemlich genau überflogen, aber sie entdeck ten keine Spuren von dem uralten Gemäuer mehr. Die Burg der Zyklopen war zerstört, das Eis vergangen, und der Norden von Pthor wartete auf Wesen, die sich hier ansie delten, Felder bestellten und Vieh züchteten. Von den heißen Quellen war ebenfalls kaum noch etwas zu sehen. »Als erste werden die Valjaren kommen«, überlegte Atlan, während Thalia den Zugor in einer weiten Kurve nach unten führte. »Und die Leute aus Moondrag.« »Du vergißt die Parias«, murmelte Raza mon. »Sie bilden nur kleine Gruppen. Ich glau be nicht, daß sie von Bedeutung für die wei tere Entwicklung in dieser Gegend sind. Die Valjaren werden sich gegen Raubzüge zu wehren wissen.« »Ja. Aber es wird in erster Linie von de nen abhängen, die über Pthor herrschen, was sich hier in Zukunft abspielt.« »Muß es immer jemanden geben, der herrscht?« fragte Atlan bitter. »Könnte es nicht sein, daß sich die Völker von Pthor da für entscheiden, friedlich miteinander zu le ben?« »Du phantasierst«, sagte Thalia. »Du hast fast ganz Pthor gesehen. Eigentlich müßtest du erkannt haben, daß die Bewohner dieses Landes für so ein Leben noch gar nicht reif sind. Wenn sie tun können, was ihnen gera de einfällt, gäbe es innerhalb kürzester Frist Mord und Totschlag in ganz Pthor.« Atlan schwieg.
Marianne Sydow Er wußte, daß Thalia recht hatte. Auf den ersten Blick mochte es so ausgesehen haben, als hätten manche Bevölkerungsgruppen auch unter der Herrschaft der Herren ein völlig freies Leben geführt. Aber der Schein trog. Thalia setzte den Zugor in der Nähe eines Baches auf. Es gab ein paar flache Felsen, die der Flugschale einen sicheren Standort boten. »Schade, daß wir kein Feuer machen kön nen«, murmelte Razamon. Hier gab es kein Holz. Bevor das Eis kam, war dies eine freundliche Landschaft mit Wiesen und Wäldern gewesen. Eigentlich hätten sich noch Spuren dieser Vegetation zeigen müssen, aber sie befanden sich dort, wo sich das »schwere« Eis aufgetürmt hatte, und alle Gewächse waren unter seinem Ge wicht vermutlich zerquetscht und zermahlen worden. Atlan antwortete nicht. Die Umgebung und die Erinnerung an das, was sie hier er lebt hatten, bedrückte ihn aus einem ganz anderen Grund: Ihm fehlte Fenrir. Auf eine unaufdringliche Weise war der Wolf immer dann zur Stelle gewesen, wenn man ihn brauchte. Klug, zuverlässig und treu hatte er Atlan und Razamon lange Zeit begleitet. Bis er Balduur wieder traf. Er schien vergessen zu haben, daß sein Herr ihn fast getötet hät te, und daß er ohne Atlans Hilfe im Blutd schungel umgekommen wäre. Er blieb bei Balduur, und wenn er sich dem Arkoniden gegenüber auch nicht ausgesprochen feind lich verhielt, so hatte er ihm doch deutlich zu verstehen gegeben, daß die alte Freund schaft nicht mehr bestand. Thalia war mit ihren Gedanken beschäf tigt, und Kolphyr schien ebenfalls zu keinem Gespräch aufgelegt zu sein. »Ein wirklich gemütlicher Abend«, mur melte Razamon schlechtgelaunt, nahm seine karge Ration Fladenbrot und Dörrfleisch und ging damit zum Bach hinunter. Als es schon fast dunkel war, setzte sich Atlan ne ben ihn. »Was ist los?« fragte er.
Die Ebene der Krieger Der Pthorer zuckte die Schultern. »Ich weiß es selbst nicht«, brummte er. »Ich fühle mich einfach nicht wohl in mei ner Haut. Es passiert zu wenig.« Atlan sah ihn ungläubig an. »Gerade haben wir mit knapper Not die Landung überstanden, den Zugor in die Luft gebracht und es mit einem Ungeheuer zu tun bekommen – und du behauptest, es wäre langweilig. Es ist nicht zu fassen!« »Ich sage ja, daß ich es selbst nicht ver stehe!« Thalia und Kolphyr hatten es sich auf dem Boden des Zugors so bequem wie mög lich gemacht. Atlan suchte sich ebenfalls einen Platz. Sie hatten weder Decken noch Kissen. Zum Glück war es einigermaßen warm, und Atlan war in seinem Goldenen Vlies ohnehin vor extremen Temperaturen geschützt. Thalia hatte ihre Rüstung und Kolphyr den Velst-Schleier. Nur Razamon war schlecht dran, denn seine aus Stoff und Leder bestehende Kleidung war immer noch feucht und klamm. Der Arkonide konnte nicht einschlafen. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zu den fremden Sternen hinauf. An blicke dieser Art hatten sich ihm zu oft ge boten, als daß er darüber noch in Aufregung geraten wäre. Aber noch nie hatte er eine so seltsame Reise erlebt. Über diesen Gedan ken schlief er ein. Er träumte von einem grobschlächtigen Valjaren, der ihm das Mes ser an die Kehle setzte. Mit einem fast schmerzhaften Ruck er wachte er. Der Valjare war wirklich da, und der Druck auf Atlans Kehle ließ sich deutlich spüren.
* Razamon sagte sich mindestens ein Dut zendmal, daß ihm eine Portion Schlaf drin gend nottat. Aber eine innere Rastlosigkeit ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er stapfte kreuz und quer durch die Gegend und wußte selbst nicht, wonach er suchte. Gegen Mit
7 ternacht ging er zum Zugor. Die anderen schliefen. Da beschloß er, ein Stück den Bach hin aufzugehen. Vor der Landung hatte er gese hen, daß es dort einen See gab. Er sehnte sich danach, die feuchten Kleider abzulegen und ein Stück zu schwimmen. Wenn er Glück hatte, fing er sogar einen Fisch, wobei sich allerdings die Frage aufwarf, was er mit dem Tier anstellen sollte, solange keine Möglichkeit bestand, ein Feuer zu entfa chen. Razamon tröstete sich damit, daß sie morgen durch den Wölbmantel nach drau ßen flogen. Sicher gab es dort trockenes Holz – die anderen würden Augen machen, wenn er den passenden Braten dann schon bereithielt. Der Boden unter seinen Füßen war weich und naß. Er dämpfte das Geräusch seiner Schritte, ohne daß Razamon es darauf anleg te, sich besonders leise fortzubewegen. Es war leidlich hell, das Licht der Sterne reichte, um ihm den Weg zu zeigen. Er folg te dem Bach, kletterte geschickt eine Fels schwelle hinauf, über die das Wasser schoß, und stand dann am Ufer des Sees. Nur für eine knappe Sekunde bannte die Überra schung ihn an seinen Platz, dann duckte er sich hastig. Keine zwanzig Meter von ihm entfernt brannte am Ufer ein kleines Feuer. Daneben ragte ein Zelt auf, ein primitiver Unter schlupf, der im Wesentlichen aus einer Mit telstange und einigen Fellbahnen bestand, deren Ränder mit Steinen beschwert waren. Razamon schlich sich vorsichtig an, nach dem er das Zelt lange genug beobachtet hat te. Wer auch immer sich in dieser Gegend herumtrieb – er verhielt sich merkwürdig. Von diesem Platz aus konnte man die Lan dung des Zugors beobachten. Warum waren die Fremden nicht gekommen, um nachzuse hen, wer da in unmittelbarer Nähe ihres La gers gelandet war? Außerdem hatte Razamon während der Landung die Umgebung aufmerksam be trachtet. Das Zelt hätte ihm noch entgehen können, denn es war so dunkel wie der Bo
8 den, auf dem es stand. Aber auf das Feuer wäre er sicher aufmerksam geworden. Er dachte daran, daß für viele Bewohner dieses Landes der Anblick eines Zugors mit sehr unangenehmen Erwartungen verbunden war. Sie bewegten sich außerdem außerhalb der Schneisen, die für die Technos vorgese hen waren. Die Bewohner dieses Zeltes hat ten wahrscheinlich angenommen, daß Dellos in dem Fahrzeug saßen. Die Fremden hatten also sicher einen trif tigen Grund, sich zu verstecken. Und das be deutete, daß sie kein sehr reines Gewissen hatten, denn selbst die Dellos vergriffen sich nicht an harmlosen Wanderern. Razamon erreichte das Zelt und lauschte, aber drinnen war es still. Er sah zum Feuer hinüber – es war fast heruntergebrannt. Et was Holz lag neben dem Zelteingang. Vorsichtig wälzte der Pthorer ein paar Steine zur Seite und hob die hintere Zelt bahn behutsam hoch. Das Zelt war leer. Das heißt, es hielten sich keine Lebewesen darin auf. Aber es gab zwei spartanische Lager, die aus je einem Fell und einer zusammengerollten Lederta sche bestanden. Zwei Köcher mit Pfeilen und zwei Bogen baumelten unter der Spitze des Zeltes. Valjaren, dachte Razamon überrascht. Sie sind schneller gekommen, als Atlan ange nommen hat. Wo stecken sie jetzt? Er kroch in das Zelt hinein und untersuch te die Lager. Es war alles da, was ein Valja re brauchte, wenn er auf die Wanderschaft ging. Nur die Messer fehlten. Für die Jagd hätten sie die Pfeile genom men, überlegte Razamon. Wozu also die Messer? Als ihm die Antwort einfiel, schnappte er erschrocken nach Luft. Er kroch ins Freie und raste am Ufer entlang, sprang über die Felsen nach unten und lief in einem schnel len, federnden Trab am Bach entlang. Als er sich dem Zugor näherte, wurde er langsa mer. Geräuschlos schlich er heran. Als er neben der Flugschale eine Bewegung sah, warf er sich zu Boden. Eine dunkle Gestalt
Marianne Sydow schwang sich über den Rand des Fahrzeugs, eine zweite folgte. Razamon federte hoch und lief weiter, oh ne den Zugor aus den Augen zu lassen. Ab und zu richtete sich einer der Fremden auf – es war gegen den etwas helleren Himmel deutlich zu erkennen. Dann hielt Razamon inne und wartete auf die nächste Chance. Als er den Zugor erreichte, hörte er drinnen eine rauhe Stimme. »Keine falsche Bewegung, Fremder«, sagte ein Valjare. »Sonst muß ich dir die Kehle durchschneiden. Los jetzt, steh auf. Aber sei leise!« Razamon lächelte spöttisch. Er war si cher, daß Thalia und Kolphyr längst aufge wacht waren. Der andere Fremde mochte die Tochter Odins bedrohen oder das Antimate riewesen, aber einer von beiden blieb unbe wacht. Razamon entschied, daß Thalia den zweiten Valjaren am Hals hatte, denn Kol phyr war ein Experte darin, sich schlafend zu stellen, was immer auch neben ihm ge schah. Er rief sich ins Gedächtnis zurück, wie die einzelnen Personen im Zugor verteilt waren. Dann schlich er um die Schale herum – tief gebückt, damit man ihn drinnen nicht be merkte –, legte die Hände auf den Rand und atmete tief durch. An den schwachen Ge räuschen erkannte er, daß Atlan – nur er konnte gemeint gewesen sein – sich aufrich tete. Das war genau der richtige Augenblick, denn die Valjaren waren meistens klein und gedrungen. Der Gauner hatte sicher seine liebe Mühe, das Messer immer in Höhe der Kehle seines Kopfes zu halten. Razamon stieß einen gellenden Pfiff aus und sprang in den Zugor. Seine Rechnung ging auf. Kolphyr hatte sich wirklich schlafend ge stellt. Als der Pfiff ertönte, sprang der Riese auf und hob den Valjaren, der Thalia be droht hatte, einfach an der groben Leder jacke in die Höhe. Der Valjare schrie Zeter und Mordio und zappelte wild. Dem zweiten Valjaren schlug Atlan die geballten Fäuste in die Magengrube. Der
Die Ebene der Krieger Mann flog zwei Meter weit durch die Luft und landete in Razamons Armen. Wie der Blitz war Thalia zur Stelle und nahm ihm das Messer aus der Hand. Der Valjare we delte so wild damit herum, daß er sich selbst in die größte Gefahr brachte. »Besuch in der Nacht«, murmelte Atlan und rieb sich die Fingerknöchel. »Welch rei zende Idee. Kolphyr, laß den Kerl ruhig fal len, er ist rund herum gut gepolstert.« Sein Messer hatte der Valjare längst ver loren. Als Kolphyr losließ, plumpste er schwer zu Boden, schoß aber blitzschnell wieder in die Höhe und setzte zu einem Hechtsprung über die Bordwand an. Kol phyr kicherte belustigt und fing den Mann kurz vor dem Sprung wieder ein. »Wohin so hastig, mein Kleines?« fragte er gutmütig. »Komm, ich werde dich über die Enttäuschung hinwegtrösten.« Der Valjare stieß entsetzte Schreie aus, als der Riese ihn in die Arme schloß. Kol phyr wiegte ihn wie ein Baby hin und her. »Nun«, wandte Atlan sich an den zweiten Burschen. »Brauchst du auch Trost?« Dem Valjaren zitterten die Knie. »Was wollt ihr?« fragte er, nachdem er ei nigemale vergeblich zum Sprechen ange setzt hatte. »Das wollte ich dich gerade fragen. Schließlich seid ihr zu uns gekommen und nicht umgekehrt.« »Wir – äh – wir wollten uns nur mal um sehen«, stotterte er. »Wo? In unseren Eingeweiden? Oder ha ben eure Messer Augen?« Der Valjare hing schlotternd in Razamons Händen. »Immer heraus mit der Sprache«, sagte Razamon grimmig. »Ihr habt uns nichts zu befehlen«, keifte der Valjare giftig. »Keiner von euch. Das hier ist freies Land. Es gehört dem, der es sich zuerst nimmt. Es war unser gutes Recht, euch zu untersuchen, denn wir waren zuerst da.« »Wir sollten den beiden eine Tracht Prü gel verpassen und uns dann nicht mehr um
9 sie kümmern«, meinte Thalia. »Ihr seht doch, daß mit ihnen nichts anzufangen ist.« Razamon schüttelte den Valjaren kräftig durch. »Was hältst du von ihrem Vorschlag?« fragte er. »Du kannst es dir aussuchen. Ent weder redest du endlich, oder wir verprügeln euch.« Der andere Fremde, den Kolphyr in den Armen hielt, keuchte entsetzt. Vermutlich malte er sich aus, was geschah, wenn der Bera aufhörte, ihn zu »trösten« und statt des sen zum Angriff überging. »Es war nur Zufall«, stotterte Razamons Opfer. »Wir waren unterwegs, und da hörten wir den Zugor, und da dachten wir, wir se hen mal nach. Man kann ja nie wissen …« »Allerdings«, stimmte Razamon freund lich zu. »Man kann nie wissen. Aber ist das ein Grund, friedlich schlafende Leute mit Messern zu bedrohen?« »Wir dachten, ihr wolltet uns von hier vertreiben«, erwiderte der Valjare trotzig. »Wie nett. Wenn es um ein Stück Acker geht, schneidet ihr also Kehlen durch. Nun, ich kann mir nicht denken, daß euer An spruch auf das Land schon so riesig ist, daß ihr jeden Durchreisenden umbringen dürft. Mit nur einem Zelt ist es nicht getan. Womit wolltet ihr die Felder bestellen? Mit Pfeil und Bogen?« »Woher weißt du …«, krächzte der Valja re erschrocken. »Ihr habt vergessen, das Feuer zu lö schen.« Die beiden Fremden schwiegen betroffen. »Und jetzt würde ich gerne die Wahrheit hören«, erklärte Razamon und schüttelte sei nen Gefangenen abermals. »Laß sie«, sagte Atlan plötzlich. »Ich kann es mir denken. Die beiden wollten in die Dunkle Region.« Die Valjaren schnappten hörbar nach Luft. »Stimmt das?« fragte Razamon. »Es stimmt«, gab sein Gefangener zu. »Früher versperrte das Eis uns diesen Weg. Wir dachten, wenn wir von Norden in die
10 Dunkle Region eindringen, schaffen wir es leichter. Vielleicht reicht auch die Teufels furche nicht so weit nach Norden.« Atlan war froh, daß es dunkel war und die beiden Fremden den Anzug nicht sehen konnten, den der Arkonide trug. Anderer seits wußten die Valjaren wahrscheinlich gar nicht, was das Goldene Vlies darstellte. Trotzdem taten die beiden Unglücksraben ihm plötzlich leid. Er hatte angenommen, daß der Traum der Valjaren ein Ende hatte, sobald jemand das Goldene Vlies eroberte. Es schien, als hätte er sich geirrt. Vielleicht steckte der Wunsch aber auch schon so tief im Unterbewußtsein dieser Wesen, daß es der Träume gar nicht mehr bedurfte. Auf jeden Fall hatten diese beiden eine lange Wanderung hinter sich, und was noch vor ihnen lag … Atlan schüttelte sich. »Geht zurück zu euren Leuten«, sagte er. »Die Macht der FESTUNG ist gebrochen, und mit den Herren ging auch das Goldene Vlies. Der Traum ist verflogen. Ihr würdet euch umsonst den Gefahren der Dunklen Region aussetzen.« »Das sagst du nur, um uns von der Suche abzuhalten«, stieß der Valjare aus, den Kol phyr im Arm hielt. »Glaubst du, wir hätten euch nicht durchschaut? Warum kommt ihr denn hier in den Norden, in das Land, in dem Unvorstellbares geschah und in dem je der Felsen uralte Flüche in sich birgt? Ihr wollt genau dahin, wohin wir gehen werden. Ihr wollt selbst das Goldene Vlies erobern.« »Narr«, murmelte Razamon verächtlich. »Wir haben den Zugor. Den Umweg über die ehemalige Eisküste könnten wir uns also ersparen, denn mit der Flugschale könnten wir die Teufelsfurche leicht überwinden.« »Du hältst uns für dumm, wie?« kreischte sein Gefangener. »Jedes Kind weiß, daß ein Zugor abstürzt, wenn er auch nur in die Nä he der Furche gelangt.« »Es ist zwecklos«, kommentierte Thalia. »Die Kerle werden uns doch nicht glauben, und wenn wir stundenlang auf sie einreden. Laßt sie in ihr Verderben laufen.«
Marianne Sydow Atlan zögerte. Er hatte gesehen, was in der Dunklen Region vor sich ging. Die bei den Vaijaren würden keine zehn Kilometer weit kommen. Obwohl die beiden ihn und Thalia bedroht hatten, wollte er sie vor dem Schlimmsten bewahren. Da sie nicht auf ihn hörten, blieb ihm nichts anderes übrig, als eine List anzuwenden. »Also gut«, sagte er zu Razamon. »Es ist nicht rückgängig zu machen. Die beiden ha ben uns durchschaut.« Razamon setzte zu einem ungläubigen Kommentar an. Atlan sprach hastig weiter. »Immerhin sind wir keine Mörder. Außer dem bin ich sicher, daß wir schneller voran kommen werden. Wirf sie hinaus, dann star ten wir und suchen uns einen anderen Platz, an dem wir die Nacht verbringen.« »Wir werden euch finden«, versprach ei ner der Vaijaren verbissen. »Und dann wer den wir euch töten. Noch einmal entkommt ihr uns nicht.« Razamon lachte, hielt seinen Gefangenen in die Höhe und starrte ihm ins Gesicht. Der Valjare schrak zurück. »Du kleiner, heimtückischer Wicht«, knurrte der Pthorer. »Kolphyr, gib mir den Valjaren. Du hast lange genug mit ihm ge schmust. Er ist es gar nicht wert, daß du ihn so nett behandelst.« Das Antimateriewesen gab den Gefange nen nur widerwillig frei. Razamon klemmte sich die beiden stämmigen Valjaren unter die Arme. »Wirf den Motor an!« rief er Thalia zu und sprang über Bord. Er rannte mit seinen Gefangenen vom Zugor weg, setzte sie ab und kehrte in einem rasanten Spurt zurück. Er war kaum an Bord, da hob die Flugschale ab. »Das wird ihnen eine Lehre sein«, brummte er, als er die beiden von oben sah. Die Valjaren hatten sich noch nicht von der Stelle gerührt. Sie starrten fassungslos der Flugschale nach. »Sie werden wohl kaum versuchen, uns einzuholen.« »Hoffentlich doch«, antwortete Atlan. »Wenn sie nämlich lange genug auf der Su
Die Ebene der Krieger che nach uns umherirren, geht ihnen der Proviant aus, und sie müssen ihren Plan fal lenlassen.« »Darum also das Theater«, seufzte Thalia. »Um diese Strolche brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Wenn eine echte Gefahr aufzieht, laufen sie sowieso davon. Sie wer den bestimmt nicht in die Dunkle Region gehen. Dazu sind sie nicht verrückt genug.« »Wer weiß«, murmelte Atlan. Sie fanden einen günstigen Platz fast am Rand und warteten dort auf den Morgen. Dann starteten sie zu ihrem Flug nach drau ßen.
3. Als Burtimor zu sich kam, wußte er im er sten Augenblick gar nicht, was geschehen war. Dann erinnerte er sich daran, daß die erste aller Karawanenspitzen mit Donnerge töse vom Himmel herabgestiegen war. Ehr furchtsvoll schaute er nach oben, in der fe sten Überzeugung, den uralten Orientie rungspunkt aller Brangeln nicht mehr vorzu finden. Aber der Stern war da. Burtimor richtete sich fassungslos auf. Da oben flimmerte sie, die Karawanenspitze, der Leitstern auf den endlosen Wanderungen von einer Fläche zur anderen. Und doch hat te er deutlich gesehen, wie der Stern sich veränderte, größer wurde und auf den Plane ten Loors herabstürzte. Burtimor hielt sich nur kurz mit der Frage auf, ob er einer Sinnestäuschung aufgeses sen war oder ob etwas anderes hinter den rätselhaften Ereignissen steckte. Er erkannte nämlich, daß er keineswegs in seinem Zelt lag, sondern sich mitten im feindseligen Hü gelland befand. Er stolperte umher und fand nach einigem Suchen seine Gefährten. Ot lusg und Tarsyr kamen gerade wieder zu sich. Sie waren genauso verwirrt wie Burti mor. Immerhin erinnerten sie sich allmäh lich daran, daß sie einen von den Starren hatten einfangen wollen. Die Starren sahen aus wie große Eier mit
11 glänzender Schale. Sie waren mit fliegenden Zelten vom Himmel gekommen und blockierten die Fläche Jell-Cahrmere. Seit ihrer Ankunft durften die Brangeln nicht mehr wandern. Das war fatal, denn die Spy ten wurden unruhig und sogar aggressiv, wenn sie zu lange an einem Ort verharren mußten. In der Karawane Jarsys gab es eini ge Pessimisten, die vorhersagten, daß die Spyten auch ohne die Brangeln losziehen würden, wenn nicht bald etwas geschah. Da die Brangeln von den Spyten lebten, wäre eine solche Trennung fast einem To desurteil für ein ganzes Volk gleichzusetz ten. Die Brangeln konnten nicht einmal auf einen anderen Kontinent ausweichen. Selbst wenn sie die Kunst beherrscht hätten, see tüchtige Schiffe zu bauen, die groß genug waren, um die ganze Herde aufzunehmen, hätten sie nirgends auf diesem Planeten neues Land gefunden. Aus diesem Grund waren die Brangeln gezwungen, sich mit den Starren zu befas sen. Sie hatten ein paarmal versucht, die Dinger zu vertreiben, aber am Ende waren sie es, die weglaufen mußten. Die Starren verfügten über schreckliche Waffen, und sie hatten einen Verbündeten, ein blauhäutiges Wesen, das auf dem verbotenen Hügel lebte. Durch einen Zufall hatten Burtimor und sei ne beiden Freunde jedoch einen Starren ent deckt, auf den die übliche Bezeichnung nicht recht passen wollte: Das Ding lief nämlich zwischen den Hügeln herum. Sie hatten versucht, ihm eine Falle zu stellen. Beim erstenmal war der Starre entkommen – genauer gesagt: Er hatte die mutigen Jäger in arge Bedrängnis gebracht, so daß ihnen am Ende nichts anderes übrigblieb, als schleunigst die Flucht anzutreten. Burtimor hatte den Starren dabei hinter sich herge lockt, bis zur nächsten Falle, und nun … Die drei Brangeln waren mit ihren Erinne rungen bis an diesen Punkt gekommen, und augenblicklich vergaßen sie die erste aller Karawanenspitzen und die Ereignisse in der Nacht.
12 Sie waren lange bewußtlos gewesen. In zwischen war die Sonne aufgegangen, hatte den Zenit überschritten und verschwand be reits wieder hinter dem Horizont. Sehr vor sichtig schlichen die drei Brangeln zu der Fallgrube, die ein Zlit angelegt hatte, den die Jäger jedoch getötet hatten. Entgeistert starrten sie nach unten. Dort lag der Starre. Er hatte alle Gliedmaßen eingezogen und glich jetzt seinen Kollegen, die draußen auf der Fläche Jell-Cahrmere standen. Die Brangeln konnten nicht ahnen, daß das riesige Heer von zweihundertfünfzigtau send Kampfrobotern bei der Landung von Pthor vernichtet worden war. Die Brangeln wußten auch nicht, daß sie gerade jetzt, in diesem Augenblick, von dem bedächtigen Hirten Juscu beobachtet wurden. Sie hatten nichts anderes im Sinn als den Starren, der nun endlich hilflos vor ihnen lag. »Ich wußte es«, teilte Burtimor mit, in dem er schmatzende Geräusche mit seinen Saugrüsselfingern erzeugte. »Es mußte klap pen. Wenn das Licht ihn trifft, erstarrt er.« »Er ist nachts in die Falle gegangen«, meinte Otlusg skeptisch. »Und wir haben nicht einmal die Fackeln angezündet.« »Die Karawanenspitze hat ihn für uns ge lähmt«, behauptete Tarsyr ehrfurchtsvoll. »So viel Aufwand wäre gar nicht nötig gewesen«, meinte Otlusg. »Seht euch die Hügel an! Überall hat es gebrannt. Es ist ein Wunder, daß wir es überlebt haben.« »Ein weiterer Beweis dafür, daß er nur zu unseren Gunsten eingegriffen hat«, ereiferte sich Tarsyr. »Das war ein Zeichen, Freunde! Die erste Karawanenspitze aller Zeiten will, daß wir über dieses Land herrschen – und daß wir wandern!« »Wir werden im Lager darüber reden«, wehrte Burtimor ab, der mit Recht befürch tete, daß eine endlose Debatte bevorstand, in der die beiden sich darüber stritten, ob es die legendäre Karawanenspitze aller Zeiten gab oder nicht. Er warf einen kurzen Blick zum Himmel hinauf. Früher oder später, so
Marianne Sydow dachte er, wird sich alles klären. Es war jetzt fast finster. Sie glaubten zwar, alle Zlits in dieser Gegend getötet zu haben, aber man konnte bei diesen Biestern niemals ganz sicher sein … »Holt Fackeln«, befahl er. »Und Ranken, lange Gräser, dicke Äste. Wir brauchen eine Trage, um diesen Fremden ins Lager zu bringen.« Sie gingen nach allen Seiten auseinander. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann hatten sie alles zusammengetragen. Sie flochten Ranken und Gräser zu Seilen und banden die Äste zusammen. An einen be sonders langen Strick banden sie eine Sch linge. Burtimor ließ sich in die Fallgrube hinab. Als er unten stand, fühlte er sich gar nicht wohl. Erstens hatte er zu oft gesehen, wie sich die gefangenen Tiere in den Gruben der Zlits gegenseitig zerfleischten. Aber noch schwerer als diese Erinnerungen wog die un mittelbare Nähe des Starren. Das Ding war dem Brangel unheimlich. Mit Mühe überwand er sich dazu, die Schlinge um das Ei zu legen und sie festzu ziehen. Ausschlaggebend dafür, daß er den Starren überhaupt zu berühren wagte, war das Verhalten seiner Freunde, die von oben neugierig zusahen. Er wollte sich nicht bla mieren. »Nun zieht doch endlich!« signalisierte er ungeduldig. Der Starre glitt in kleinen Rucken nach oben. Burtimor kletterte ihm nach. Er warf dem Ei mißtrauische Blicke zu. Insgeheim erwartete er in jedem Augenblick, daß der Starre seine fürchterlichen Waffen in An schlag brachte, um die drei Brangeln zu tö ten. Aber sie kamen unbehelligt oben an. Der Krieger landete im Sand. Tarsyr und Otlusg, die den Starren im Gegensatz zu Burtimor bisher nicht aus direkter Nähe gesehen hat ten, wichen furchtsam zurück. Das gab Bur timor neuen Mut. Er rollte den Starren ganz alleine auf die Trage und genoß dabei die bewundernden
Die Ebene der Krieger Blicke seiner Freunde. »Wir werden uns abwechseln«, entschied der Brangel, als der Starre, durch zwei Seil schlingen gesichert, auf der Trage lag. »Zwei von uns tragen den Fremden. Der dritte ist für die Sicherheit verantwortlich.« »Und wenn wir nun doch einem Zlit be gegnen?« fragte Tarsyr ängstlich. »Dann werden wir ihn besiegen«, erklärte Burtimor entschlossen. Die Brangeln marschierten los. Burtimor übernahm die Führung und gleichzeitig die Aufgabe, drohende Gefahren auszukund schaften. Obwohl er seine Umgebung sehr aufmerksam musterte, entging ihm der Schatten, der zwischen den Hügeln entlang glitt und den Brangeln auf Schritt und Tritt folgte.
* Juscus Schweber glitt lautlos durch die Dunkelheit. Er hatte sich entschlossen, den Brangeln zu folgen. Wenn er seine Waffe auf die merkwürdigen Eingeborenen richte te, war es fast unvermeidbar, daß er auch den Krieger in Gefahr brachte. Und das wollte er nicht. Der bedächtige Hirte brauchte dringend einen Zeugen, der über den Untergang der Herde berichten konnte. Und er brauchte Beweise dafür, daß es auch dem geschickte sten Hirten in Spercos Reich nicht gelungen wäre, die Herde vor dieser Katastrophe zu schützen. Immer noch zerbrach er sich den Kopf darüber, wie dieser Krieger überhaupt in die Hügel gelangt war. Er konnte es sich nur so erklären, daß der Krieger seine Befehle vor dem Eintreffen des fliegenden Mondes doch noch rechtzeitig befolgt hatte. Aber warum hatte er dann nicht andere Mitglieder seiner Herde in diesem Gebiet gefunden? Sie rea gierten alle gleich schnell. Wäre der Amokläufer nicht gewesen, so hätte Juscu vielleicht doch einen Teil seiner Herde retten können. Das einzig Gute an der Situation war nach Juscus Meinung, daß der
13 Krieger mit der Amokphase ebenfalls der Katastrophe zum Opfer gefallen war. Er ahnte nicht im entferntesten, daß er ausgerechnet den Krieger mit dem Mord komplex zu befreien gedachte. Die Brangeln legten ein flottes Tempo vor. Sie schienen es eilig zu haben, die Hü gel zu verlassen. Juscu erinnerte sich vage daran, daß es ganz in der Nähe ein Lager der Eingeborenen gab. Wollten sie den Krieger dorthin verschleppen? Ihm wurden die Knie weich bei diesem Gedanken. Wenn eine ganze Horde von Brangeln den Krieger umgab, würde es noch schwieriger sein, ihn herauszuholen. Und Juscu hatte nicht viel Zeit. Die Spercoiden hatten sicher auf irgendwelchen geheimnis vollen Wegen erfahren, was auf Loors ge schehen war. Sobald sie mit ihren Schiffen landeten, mußte Juscu ihnen Rede und Ant wort stehen. Er brauchte diesen Krieger! »Was hast du vor?« fragte der Vrill, als Juscu nachdenklich die Waffe in der Hand wog. Das rätselhafte, vogelähnliche Wesen schwebte wie üblich neben Juscus Kopf. Es war im Augenblick nicht sichtbar. Der Lichtfleck, den es im Dunkeln bildete, hätte die Brangeln warnen können. »Ich werde sie doch angreifen müssen«, sagte Juscu zögernd. »Sie bringen den Krie ger in ihr Lager. Es kann nicht mehr weit weg sein.« »Sie werden eine Nacht und einen halben Tag brauchen, um es zu erreichen«, wider sprach der Vrill. »Warum kümmerst du dich nicht doch lieber zuerst um den Mond?« »Ich habe es dir bereits erklärt.« »Trotzdem. Wenn du diesen einen Krie ger rettest, wird man es dir kaum als Ver dienst anrechnen. Du mußt zusehen, daß sie dich in deine Heimat bringen, Juscu! Du weißt zwar nicht mehr, woher du gekommen bist, aber ich sage dir, es war sehr schön dort!« Der bedächtige Hirte schwieg. Er konnte mit dem Begriff »Heimat« tatsächlich nichts anfangen, denn er war spercotisiert und hatte
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vieles vergessen. Er begriff nicht, warum das vogelähnliche Wesen ihn plötzlich drängte. Die Brangeln umgingen eine Gruppe von dornigen Büschen, und Juscu wartete fieber haft auf eine Gelegenheit, den Krieger zu befreien. Wenn sie allerdings wirklich so lange unterwegs waren, wie der Vrill be hauptete, brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Wenn sie schliefen, konnte er den Krieger holen. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er hatte nicht nur das Prüfgerät auf dem Hügel liegengelassen, sondern auch nichts mitgenommen, womit er den Krieger akti vieren konnte. Wie sollte er ihn transportie ren? Juscu war zu schwach, um den Krieger auf den Schweber zu heben. Der bedächtige Hirte erkannte, daß er in letzter Zeit immer mehr Fehler machte. Ein Versagen zog das andere nach sich, und die Folgen wurden immer schlimmer. Er war schon fast entschlossen, umzukeh ren, als sich in einem Gewirr von Felsen et was bewegte. Juscu hielt den Schweber an und starrte gespannt nach vorne.
* Der Zlit war wütend und verwirrt. Einen seiner Freunde hatten die Brangeln wenige Tage zuvor getötet. Dann hatten sie einen fremden Zlit umgebracht, der auf der Suche nach Gesellschaft die Hügel durchwanderte. Sie hatten gehofft, nun Ruhe zu haben, denn es gab in ihrem Revier nur zwei Fall gruben, und die Brangeln mochten daraus schließen, die Hügel von Zlits gesäubert zu haben. Aber dann waren die Brangeln wieder aufgetaucht, und in ihrem Schlepptau kam einer von den Glänzenden aus der Fläche Jell-Cahrmere. Das Biest hatte den zweiten Freund fast getötet. Der Zlit hatte seinen Ge fährten blutend in den Büschen gefunden. Zu jenem Zeitpunkt schien es noch so, als könne der andere sich wieder erholen. Und
dann kam etwas vom Himmel, ein schreckli ches Etwas, das glühende Hitze und einen grauenhaften Sturm mit sich brachte. Der Zlit hatte noch versucht, seinen todkranken Freund in Sicherheit zu bringen. Aber als die Hitze zu groß wurde, konnte er nur noch fliehen. Jetzt war er alleine. Wahrscheinlich wür de ihm nichts anderes übrigbleiben, als selbst auf die Wanderschaft zu gehen und zu hoffen, daß jemand ihn aufnahm. Kein Zlit hielt es längere Zeit ohne Freun de aus. Die Raubechse streifte unruhig zwischen den Hügeln umher, bis sie plötzlich einen nur zu vertrauten Geruch auffing. Brangeln! Der Zlit setzte sich sofort in Bewegung. Er wußte, daß die Brangeln nicht riechen konnten, darum brauchte er auf den Wind keine Rücksicht zu nehmen. Und er hatte es längst gelernt, sich lautlos durch sein Revier zu bewegen, in dem er jeden Stein und jeden Dornbusch kannte. Er fand die Brangeln sehr schnell. Sie tru gen Fackeln. Und zwei schleppten auf einer Trage einen von den Glänzenden mit sich. Die feinen Sinne des Zlits spürten auch den bedächtigen Hirten mit dem Schweber auf, aber er schenkte diesem Wesen keine Aufmerksamkeit. Er glaubte zu wissen, daß ihm von dieser Seite keine Gefahr drohte. Bevor das Etwas vom Himmel gekommen war, hatte der Zlit versucht, seinen Freund zu rächen. Er nahm an, die Glänzenden sei en nichts anderes als die Eier des Blauhäuti gen. Er hatte ein paar von den Dingern über seine Reviergrenze getragen und gehofft, den Blauen damit zu einem Kampf heraus fordern zu können. Aber der Kerl hatte sich so feige verhalten, daß der Zlit voller Ver achtung davonzog. Von einem Hügel aus beobachtete der Zlit die Brangeln. Er fürchtete sich vor den Fackeln, denn Feuer war ihm unheimlich. Auch die Speere mit den scharfen Spitzen waren gefährlich, aber wenn er es geschickt anstellte, kamen die Brangeln gar nicht da
Die Ebene der Krieger zu, ihre Waffen einzusetzen. Nur der, der ganz vorne ging, trug den Speer in der Hand. Die anderen beiden hatten genug mit der Trage zu tun. Der Zlit sah eine einmalige Chance, seine Freunde zu rächen und gleichzeitig den gu ten Ruf seines Reviers wieder herzustellen. In aller Eile legte er sich einen Plan zu recht. Dann schlich er den Hügel hinab. Er würde die Brangeln an einer Stelle erwarten, die sich für einen Kampf besonders gut eig nete.
* Als Juscu endlich sah, wer sich an die Brangeln heranmachte, bekam er einen ge waltigen Schrecken. Zwar war seine erste Begegnung mit diesen Raubechsen friedlich verlaufen, aber da hatte jeder von ihnen in seinem Bezirk gestanden, und das allein mochte entscheidend sein. Juscus Denken war revierbezogen, und er nahm es als selbstverständlich an, daß die Echse genauso dachte. Dann aber mußte sie ihn, den Krie ger und die Brangeln schon auf den ersten Blick als Feinde oder als Beute einstufen. Immerhin konnte auch sie mit dem Krie ger nichts anfangen. Juscu hoffte, daß die Echse sich mit den Brangeln zufriedengab und sich mit ihrer Beute zurückzog. Diese Lösung war sogar noch besser, als wenn er selbst gezwungen war, mit den Brangeln um den Krieger zu kämpfen. Der bedächtige Hirte hielt sich im Hinter grund und wartete ab. Die Echse schlich an eine Stelle, an der keine Pflanzen wuchsen und nur weicher Sand den Boden bedeckte. Juscu schnippte anerkennend mit den Fin gern. Das Tier hatte sich einen guten Kampfplatz ausgesucht. Die Brangeln merkten nichts davon, daß sie geradewegs in eine Falle marschierten. Sie bahnten sich mühsam ihren Weg.
* Der Krieger war schon vor einer ganzen
15 Weile erwacht. Er hatte sich jedoch nicht ge rührt, denn er wollte seinen Plan nicht ge fährden. Er hatte natürlich bemerkt, daß etwas Un gewöhnliches geschehen war. Für eine Wei le hatte er sich überhaupt nicht rühren kön nen, sogar die Denkprozesse waren unter drückt worden. Er dachte flüchtig an die Flä che Jell-Cahrmere und den bedächtigen Hir ten Juscu, aber er entschied, daß er sich mit diesem Problem nicht mehr zu befassen brauchte. Vor ihm lag eine Zeit voller Auf regungen. Die Brangeln sollten ihn nur ruhig in ihr Lager bringen – endlich konnte der Krieger seine Amokphase richtig genießen. Er war ein bißchen enttäuscht, weil er durch die unbekannten Umstände nicht mehr dazu gekommen war, wenigstens einen Brangel umzubringen, ehe er ihnen – zum Schein – in die Falle ging. Aber jetzt stellte er fest, daß diese verpaßte Gelegenheit auch ihre guten Seiten hatte. Die Brangeln kamen zu dritt auf jeden Fall schneller voran. Nach einer Weile spürte der Krieger et was Fremdes. Vorsichtig aktivierte er ein Beobachtungssystem. Die Brangeln merkten es nicht. Aber der Krieger entdeckte eine von diesen Bestien, die er bereits kennenge lernt hatte. Die Erinnerung an den Kampf war so verlockend, daß der Krieger fast von der Trage gesprungen wäre, um sich auf die Echse zu stürzen. Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, daß er zum Lager der Fremden wollte. Wenn er sich dort gründ lich ausgetobt hatte, konnte er sich immer noch mit den Bewohnern der Hügel beschäf tigen. Die Mordgier beschäftigte den Krieger des Tyrannen Sperco so stark, daß er etwas übersah, was seine Systeme durchaus hätten entdecken können: den bedächtigen Hirten, der der Gruppe beharrlich folgte. Er ließ das Beobachtungssystem in Be trieb. Von den Brangeln hatte er nicht zu be fürchten, daß sie in irgendeiner Weise Ver dacht schöpften. Sie kannten sich offensicht lich mit den Kriegern nicht aus. Interessiert musterte er die Gegend. Sie wanderten
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durch dichtes Gebüsch. Und die Echse nä herte sich. Waren die Brangeln denn blind und taub? Sie mußten doch merken, was da auf sie zu kam! Aber die Brangeln taten, als wären sie ganz alleine auf diesem Planeten. Der Krieger bemerkte die Lichtung, die nur noch wenige Meter entfernt war und er kannte sofort, daß es dort zum Kampf kom men würde. Gleichzeitig begriff er, daß sein herrlicher Plan in großer Gefahr war. Die Echse gehörte zu den organischen Le bensformen und würde die Gruppe nicht we gen des Kriegers angreifen. Jedenfalls nicht, solange er still und unbeweglich auf der Tra ge lag. Also hatte sie vor, die Brangeln um zubringen. Wie aber sollte er dann den Weg in das Lager der Fremden finden? Der Krieger entschied, daß er den Bran geln helfen mußte. Es mochte sein, daß sie Verdacht schöpften, aber wenn er sich ge schickt verhielt, würden sie annehmen, daß er durch den Kampf mit der Echse wieder in den Zustand der Starre zurückgeworfen wor den war. Burtimor setzte gerade einen Fuß auf die sandige Lichtung, da schnellte der Krieger sich hoch und flog dem Angreifer entgegen.
* Die drei Brangeln hatten sich mittlerweile an die Gegenwart des Kriegers gewöhnt. Das Ei mit der glänzenden Haut lag still und friedlich auf der Trage. Burtimor wurde mit jedem Schritt muti ger. Er sah sich bereits als Retter der Kara wane Jarsys, ja, sogar der Bevölkerung von ganz Loorsat. Mit seiner Hilfe würde man das Geheim nis der Starren lösen, und wenn bald wieder die Spytenherden über das Land zogen, war das allein ihm zu verdanken. Diese Gedanken und die herrlichen Visio nen, die sich damit verbanden, lenkten ihn von seiner eigentlichen Aufgabe ab. Von
Wachsamkeit konnte bei dem jungen Jäger keine Rede mehr sein. Er schöpfte denn auch nicht den gering sten Verdacht, als die Lichtung vor ihm auf tauchte. Wohlgemut schritt er zwischen den Büschen hindurch – und bekam einen furchtbaren Schrecken. Direkt vor ihm schob ein Zlit sich fau chend auf die Lichtung, und gleichzeitig flitzte etwas Silbernes an Burtimor vorbei. Er drehte sich entsetzt um, denn sein er ster Gedanke galt der Flucht. Da sah er seine beiden Freunde, die fassungslos die leere Trage anstarrten. Burtimor dachte um vieles schneller als sonst. Das Silberne war also der Starre gewesen. War er zufällig gerade jetzt erwacht? Auf der Lichtung war inzwischen der Teufel los. Sand stäubte auf und flog bis zu den Brangeln. Der Zlit fauchte und kreisch te. Unwillkürlich sah Burtimor sich um. Er hatte schon einmal gesehen, was so ein Starrer mit den Raubechsen anzufangen ver mochte, aber der Anblick ließ ihm fast das Blut in den Adern gerinnen. Trotz des starken Panzers blutete der Zlit bereits aus mehreren Wunden. Der Starre ra ste um das Tier herum und bot der Echse ein denkbar schlechtes Ziel. Sie schnappte und schlug meistens ins Leere, während der Star re immer neue Treffer landete. Er hatte Ar me mit messerscharfen, gekrümmten Enden ausgefahren. Diese Arme bildeten furchtbare Waffen. Sie rissen tiefe Wunden in die Flan ken des Zlits, der sich nahezu hilflos im Kreis herum drehte. Etwas berührte Burtimor knapp unterhalb der Organverdünnung, die bei ihm den Kopf ersetzte. Hastig fuhr er herum. »Er hat sich verstellt!« behauptete Tarsyr entsetzt. Burtimor, der seine schönen Träume da vonfliegen sah, wehrte sich gegen diesen Verdacht, aber auch er mußte einsehen, daß mit dem Starren etwas nicht stimmte. »Bestimmt ist es ein Trick des Blauen«, fuhr Tarsyr fort. »Er mag es nicht, daß wir
Die Ebene der Krieger so nahe bei der Fläche Jell-Cahrmere lagern. Er kann uns nicht befehlen, an einen anderen Ort zu ziehen, denn dann müßte er das Wan derungsverbot aufheben. Was lag da näher, als uns einen der Starren zuzuspielen?« »Du meinst …« Burtimor unterbrach sich, denn die Schlußfolgerung war so schrecklich, daß er seine Saugrüsselfinger nicht mehr unter Kontrolle behalten konnte. »Genau das«, versicherte Tarsyr. »Der Starre sollte uns alle töten – uns und wahr scheinlich auch die Spyten.« Die drei Freunde verharrten für einen Au genblick regungslos. Hinter ihnen ertönte immer noch das Fauchen der Raubechse, aber man konnte deutlich hören, daß die Kräfte des Zlits bereits nachließen. Dann ka men die drei zu einem Entschluß, der ebenso spontan wie einstimmig ausfiel. Sie rannten, so schnell sie konnten, da von. Nur Burtimor fragte sich voller Angst, ob diese Flucht ihnen etwas einbrachte. Er hatte seine Erfahrungen mit dem Starren gemacht und wußte, daß das Ding sich nicht so leicht abschütteln ließ. Aber im Augenblick war es am wichtig sten, eine möglichst große Entfernung zwi schen sich und den Starren zu legen. Später konnten sie sich immer noch den Kopf dar über zerbrechen, wie sie den Starren ab schütteln konnten. Die drei Brangeln liefen, bis der Morgen kam. Dann fielen sie total erschöpft zu Bo den. Burtimor, der sich für das Unglück, das er beinahe angerichtet hätte, verantwortlich fühlte, raffte sich noch dazu auf, auf einen Stein zu klettern und nach dem Starren Aus schau zu halten. Er konnte nichts entdecken. Vielleicht waren sie ihren Verfolger doch losgeworden. Burtimor wünschte sich in brünstig, daß der Zlit gesiegt hatte. Seine Freunde schliefen bereits. Burtimor rollte sich neben ihnen zusam men. Er fühlte sich entsetzlich schlecht. Ein letztesmal blickte er scheu zu dem Leitstern der Brangeln hinauf, der im blasser werden-
17 den Himmel leuchtete. »Wenn du wirklich über uns wachst, erste Karawanenspitze aller Zeiten«, flüsterte er, »dann sage dem Wind, er soll unsere Spuren verwischen, damit der Starre den Weg ins Lager nicht findet.« Der Stern veränderte sich nicht im gering sten. Burtimor schlief entmutigt ein.
* Natürlich merkte der Krieger, was sich hinter ihm abspielte. Die Brangeln flohen in heller Panik. Aber darum konnte er sich jetzt nicht kümmern. Der Kampf mit der Echse nahm ihn voll in Anspruch. Das lag nicht daran, daß der Zlit sich be sonders wild wehrte. Der Krieger hätte nur seine Strahlwaffe einzusetzen brauchen, dann wäre von der Echse nicht mehr als ein Häufchen Asche übriggeblieben. Das jedoch hätte dem Kampf seinen Reiz genommen. Der Krieger befand sich in der Amokpha se. Solange dieser Zustand anhielt, handelte der Krieger nicht zweckbewußt. Er richtete sich lediglich danach, wie er anderen Wesen Schaden zufügen konnte. Und er wollte die damit verbundenen Bilder genießen. Als er noch in der Fläche Jell-Cahrmere seine Artgenossen aus dem Verkehr zog, ging es ihm um Juscu, den bedächtigen Hir ten. Die Krieger selbst fühlten – außer in ei ner solchen Amokphase – sowieso nichts. Der Blaue dagegen verzweifelte fast ange sichts der Tatsache, daß es seinen Schützlin gen an den Kragen ging. Darum hatte der Amokläufer so schnell und lautlos gearbei tet, daß nicht einmal die Beobachtungsgeräte ihn aufzuspüren vermochten. Hier hatte er seinen Gegner direkt vor sich, und er dachte nicht daran, dem Zlit ein schnelles Ende zu bereiten. Die Brangeln hatten Zeit. Er würde ihre Spur zu finden wissen. Der Zlit wurde müde. Seine Bewegungen wirkten nicht mehr sehr kraftvoll. Der Krie ger fürchtete bereits, die Echse würde flie
18 hen. Dann hatte er zwei Spuren zu beachten – das bedeutete einen Zeitverlust. Aber der Kampfroboter konnte nicht ah nen, was in der geplagten Echse vorging. Auch sie hatte die Flucht der Brangeln be merkt. Damit war ihr Plan bereits zur Hälfte gescheitert. Die Rache an den Brangeln ent fiel. Und der verdammte Glänzende war al les andere als hilflos und unbeweglich. Im Gegenteil: Der Zlit erkannte sehr genau, daß das Ei bisher nur mit ihm gespielt hatte. Der Zlit war verzweifelt. Er konnte seine Freun de nicht rächen, und auch den guten Ruf sei nes Reviers nicht wieder herstellen. Wenn er floh, war er für immer zur Ein samkeit verdammt. Das war mehr, als ein Zlit verkraften konnte. Als der Glänzende wieder einmal einen Tentakel mit scharfer Spitze ausstreckte, wirbelte die Echse herum. Sie setzte ihre letzten Kräfte ein, und der Roboter, der die Absichten der Echse total falsch verstand, kam dem Plan des Zlits noch entgegen. Der Tentakel traf den fast ungeschützten Hals des Zlits. Der Krieger bemerkte noch, daß er ungewollt den tödlichen Streich durchgeführt hatte. Er wollte den Tentakel zurückreißen, aber der Zlit folgte der Bewe gung. Sekunden später sank er in einer riesi gen Blutlache zu Boden. Tiefer Frieden überkam ihn, und er fühlte fast so etwas wie Schadenfreude, als er in den letzten Momenten seines Lebens den Glänzenden sah, der aufgeregt umherstakste und sich offensichtlich nicht damit abfinden wollte, daß das Spiel zu Ende war. Der Krieger war sehr enttäuscht. Er unter suchte sein Opfer von allen Seiten. Viel leicht verstellte die Echse sich nur? Aber als er aus einem Winkel, der ihn für die Echse noch unsichtbar bleiben ließ, den Kopf des Tieres sah, wurde ihm klar, daß sein Gegner tatsächlich kein geheimes Spiel mit ihm trieb. Der Zlit war tot. Ärgerlich reinigte der Krieger seine Kampfarme, ließ seine Beobachtungssekto ren arbeiten und entdeckte endlich die Spur
Marianne Sydow der drei Brangeln. Wäre es dem Roboter möglich gewesen, höhnisch zu lachen, so hätte er es jetzt sicher getan. Die Brangeln hatten in ihrer Panik auf je des Täuschungsmanöver verzichtet. Die Spur war überdeutlich und führte genau in die Richtung, in die die Jäger vor dem Zwi schenfall mit dem Zlit gegangen waren. Er wollte sich gerade auf den Weg ma chen, da fingen seine empfindlichen akusti schen Systeme ein Rauschen auf, das er nur zu gut kannte. Der Schweber war noch einige hundert Meter entfernt. Der Krieger setzte sich in Trab, denn noch hoffte er, dem drohenden Verhängnis zu entkommen. Aber schon nach einer kurzen Strecke tauchte das Fahrzeug in geringer Höhe direkt über dem Krieger auf. »Halt!« rief der bedächtige Hirte. »Lauf nicht weg! Wir werden gemeinsam erfor schen, was die Brangeln mit der Katastrophe zu tun haben!« Der Krieger blieb stehen. Es hatte keinen Zweck. In einem ersten Impuls wollte er die Strahlwaffe auf den Schweber richten. Dann ließ er es doch lieber bleiben. Es waren keine Skrupel, die ihn davon ab hielten, den bedächtigen Hirten auf der Stel le umzubringen, sondern kalte Logik. Er würde Juscu in sein Spiel einbeziehen.
4. Sie verließen Pthor und durchstießen den Wölbmantel genau in dem Augenblick, in dem sich die fremde, hellrote Sonne über den Horizont erhob. Thalia, die auch jetzt die Steuerung des Zugors übernommen hatte, weil sie sich am besten mit der Flugschale auskannte, verzö gerte den Flug unwillkürlich. Schweigend starrten alle nach unten. Es war ein Bild der Zerstörung. Früher mußte es hier Hügel gegeben haben. Jetzt war der Boden glasiert, teilweise wie glatt geschliffen, an anderen Stellen aufgerissen und von tiefen Furchen durchzogen. Als sie weiter nach unten sanken, erkannten sie die
Die Ebene der Krieger Spuren einer reichentwickelten Vegetation. Sicher hatten dort auch Tiere gelebt. Jetzt rührte sich nichts mehr. Nur schwarze Flecken waren von all diesen Lebewesen im glasierten Boden übriggeblieben. »Landen wir?« fragte Thalia. »Zwecklos«, murmelte Razamon. »Da unten finden wir nichts, was uns weiterhilft.« Den Pthorer traf der schreckliche Anblick besonders schwer. Es erinnerte ihn daran, daß er an vielen solchen »Landungen« teil genommen hatte, um später, wenn die Kru ste des betroffenen Planeten zur Ruhe kam und die Meeresfluten in ihre Becken zurück kehrten, die Horden der Nacht nach draußen zu führen, damit sie auch den letzten Rest jeder Zivilisation vernichteten. Der Zugor stand jetzt fast in der Luft. »Wir fliegen weiter nach Norden«, ent schied Atlan. »Pthor kam fast senkrecht her unter. Wir werden das Ende der Einflug schneise also bald erreichen.« Trotzdem dauerte es fast eine Stunde, ehe unter ihnen Hügel auftauchten, die zwar mit den verbrannten Resten von Pflanzen be deckt waren, aber sonst ganz normal aussa hen. Fast im selben Augenblick deutete Kol phyr aufgeregt nach vorne. »Dort!« sagte der Riese nur. Im Licht der Sonne glänzte und leuchtete etwas. Die Form des Gegenstands ließ sich nicht feststellen, weil das reflektierte Licht nach allen Richtungen auseinandersprühte. Thalia beschleunigte den Zugor, und als sie den kritischen Winkel überwunden hatten, sahen sie vor sich eine riesige Ebene, die mit metallischen Strukturen bedeckt war. Thalia ließ den Zugor sinken. Aus knapp fünf Metern Höhe musterten sie die einzelnen Bestandteile dieses metal lenen Dschungels. »Ich würde sagen, sie waren eiförmig«, murmelte Atlan und zeigte auf eine Gruppe von noch halbwegs erhalten gebliebenen Körpern. »Roboter?« fragte Razamon. »Was könnte es sonst gewesen sein?« Kolphyr blickte schweigend nach unten.
19 Ihm war deutlich anzusehen, daß die Metall dinger ihn nicht interessierten. Sie gehörten einer kalten, seelenlosen Technik an. In der Welt, aus der der Bera kam, war alles ganz anders. Abgesehen davon war es offensichtlich, daß die Dinger dort unten – Roboter oder nicht – völlig zerstört waren. »Ich möchte mir das aus der Nähe anse hen«, meinte Thalia. »Da drüben ist ein frei er Fleck. Hat jemand etwas dagegen, wenn ich lande?« Der Zugor setzte in einer riesigen Wolke aus Staub und Asche auf. Sie warteten, bis die Luft klar war und kletterten dann hinaus. Vorsichtig näherten sie sich einer Gruppe von noch recht gut erhaltenen Metalleiern. Die Dinger waren etwa einen Meter hoch und vierzig Zentimeter dick. Aus dem unte ren Körperende ragten fünf dünne Stäbe, die wohl verhindern sollten, daß die Roboter bei der erstbesten Gelegenheit umfielen. Atlan untersuchte eine Maschine und fand haarfei ne Risse, die offensichtlich die Stellen be zeichneten, an denen bei Bedarf verschieden geformte Handlungsarme ausgefahren wer den konnten. »Es sind wirklich Roboter«, bemerkte er. »Aber die Hitzewelle hat sie alle zerstört. Die, die außen noch einigermaßen vernünf tig aussehen, dürften zumindest in ihren Schaltkreisen schwere Defekte haben.« »Wer mag so verrückt sein, dieses Rie senheer an Robotern einfach in diese Ebene zu stellen?« fragte Razamon skeptisch. »Ich sehe niemanden, der auf die Dinger auf paßt.« »Warum sollte unser Unbekannter diesen Haufen Schrott bewachen?« meinte Thalia abfällig. »Wir werden nach der Befehlszentrale su chen«, entschied Atlan. »Es muß sie geben, denn anders läßt sich eine solche Horde von Robotern nicht dirigieren. Wenn wir die Zentrale gefunden haben, erfahren wir viel leicht auch etwas über die Besitzer der Ma schinen.« »Eines läßt sich jetzt schon sagen«, stellte
20 Razamon fest. »Es muß sich um ziemliche Narren handeln.« »Wie kommst du darauf?« »Nun, erstens sehe ich keinen Sinn darin, eine solche Menge von Robotern auf diesem Planeten zu stationieren. Wir haben noch nichts entdeckt, was auf eine hochentwickel te Zivilisation schließen läßt.« »Der Planet ist groß«, widersprach Atlan. »Wir kennen nur einen winzigen Teil seiner Oberfläche.« »Eben. Wenn es hier Leute gibt, die sol che Maschinen bauen, dann werden sie sie nicht in irgendeine abgelegene Wüste schicken, sondern sie da einsetzen, wo sie gebraucht werden – in den Städten näm lich.« »Da ist etwas Wahres dran«, gab Atlan zu. »Aber du wolltest noch mehr Gründe nennen.« »Ja. Pthor kam zwar unerwartet auf dieser Welt an, aber es hat doch eine Weile gedau ert, bis es landete. Sein Kurs dürfte leicht zu berechnen gewesen sein – jedenfalls für We sen, die solch komplizierte Maschinen her stellen können. Und es war auch vorauszu sehen, daß ein so großer Flugkörper eine Hitze- und Druckwelle erzeugte. Roboter bewegen sich im allgemeinen sehr schnell. Warum also wurde diese Ebene nicht ge räumt?« »Wir werden es erfahren«, murmelte At lan und warf den eiförmigen Robotern einen letzten Blick zu. »Vielleicht. Wenn wir die Zentrale gefunden haben. Alles andere hat keinen Sinn.« »Sie sind fremd auf dieser Welt«, sagte Kolphyr plötzlich. »Du meinst, man hat sie hergebracht?« fragte Atlan mißtrauisch. »Ja«, erwiderte Kolphyr ernsthaft. »Sie passen nicht hierher. Sie sind aus Materiali en hergestellt, die es auf diesem Planeten gar nicht gibt.« »Woher willst du das wissen?« fragte Razamon ungeduldig. Aber das Antimaterie wesen hüllte sich in Schweigen. »Immerhin ist es eine interessante Hypo-
Marianne Sydow these«, stellte Atlan fest. »Fliegen wir wei ter.« Er wußte, daß Kolphyr in völlig anderen Bahnen dachte als alle anderen Wesen, die der Arkonide während seines langen Lebens kennengelernt hatte. Es war sinnlos, den Be ra danach zu fragen, wie er zu seiner Be hauptung gekommen war. Kolphyr konnte darauf keine Antwort geben. Er wußte, daß die Roboter Fremdkörper auf diesem Plane ten darstellten, und damit hatte es sich. Er gab sich redliche Mühe, seine Wahrnehmun gen zu erklären, aber niemand verstand ihn richtig. Der Zugor überflog die zerstörte Roboter schar in niedriger Höhe. An vielen Stellen waren die Maschinen völlig zerschmolzen und zusammengebacken. Oft waren die ein zelnen Konstruktionen gar nicht mehr aus einanderzuhalten. Sie bildeten glänzende Fladen und hatten sich in kleinen Senken zu erstarrten Seen versammelt. Am schlimm sten war es in der Mitte der Ebene. Als sie diesen Punkt überquert hatten, tauchten all mählich wieder Roboter auf, die wenigstens noch ihre einstige Form ahnen ließen. Weit voraus ragten wieder Hügel auf. »Wenn es eine Zentrale gab, dann befand sie sich bestimmt nicht in der Ebene«, sagte Razamon nachdenklich. »Um eine so große Fläche wirksam überwachen zu können, braucht man einen erhöhten Standpunkt!« »Eine Antenne tut's auch«, gab Atlan zu bedenken. »Siehst du eine?« »Nein. Aber sie könnte ebenfalls ge schmolzen sein.« »Zu einer Antenne gehören Gebäude für die Empfangsgeräte. Außerdem muß der Be sitzer der Roboter irgendwo gewohnt ha ben.« »Schon gut«, murmelte der Arkonide. »Sehen wir uns also die Hügel an.« Gleich zeitig zerbrach er sich den Kopf über ein Phänomen, das den anderen offensichtlich noch gar nicht aufgefallen war. Sie sprachen immer von dem Besitzer. Dabei war es viel wahrscheinlicher, daß eine große Gruppe
Die Ebene der Krieger von Wesen in der Nähe der Roboter lebten. Es sei denn, die Metalleier wurden auf dieser Ebene nur gelagert. Das Land sah nicht so aus, als würde es häufig Regen ge ben. Alle anderen Witterungseinflüsse konn ten den Robotern nichts anhaben. Mit einer Katastrophe, wie die Landung Pthors sie darstellte, hatte sicher niemand gerechnet. Auf was für eine Welt waren sie geraten? Thalia erreichte den Rand der Ebene und zog den Zugor in weiten Spiralen hoch. Die anderen musterten jeden einzelnen Hügel. Die meisten waren mit verbranntem Busch werk bedeckt. An einigen Stellen gab es in den Tälern Fallgruben. Sie waren getarnt ge wesen, aber die Hitzewelle hatte die dazu verwendeten Ranken zu Asche verwandelt. In der Nähe einer solchen Fallgrube sahen sie eine große Echse, die in offensichtlicher Wut die Pflanzenreste wegkratzte. »Das müßte es sein«, sagte Kolphyr nach einer Weile. Er deutete auf einen Hügel, auf dem man deutlich ein paar Gebäude erkennen konnte. Thalia änderte den Kurs. Bald waren Kup peln zu sehen, kleine, würfelförmige Bau werke und ein Gewirr von Pfaden. Alles war unzerstört. Das war insofern unverständlich, als die Roboter unterhalb des Hügels bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzen waren. Der Hügel lag genau in der »Einflugschneise« des Dimensionsfahrstuhls. Als sie nahe genug heran waren, sahen sie die Mündungen fremdartiger Projektoren, die am Fuß des Hügels aus dem Sand ragten. »Er hatte einen Schutzschirm«, stellte Razamon fest. Wieder wunderte Atlan sich darüber, daß der Pthorer beharrlich von einer einzelnen Person sprach, obwohl auf dem Hügel und in den Kuppeln sicher Dutzende von Men schen oder etwa gleichgroßen Wesen Platz gefunden hätten. »Es scheint niemand da zu sein«, sagte Thalia. »Merkwürdig. Ob es noch mehr sol che Roboterscharen gibt?« »Nein«, behauptete Kolphyr mit Be stimmtheit. »Diese Ebene ist einzigartig.«
21 Atlan runzelte die Stirn, verzichtete aber auf jeden Kommentar. Er gab Thalia ein Zeichen, und die Tochter Odins setzte den Zugor vorsichtig auf. Zum erstenmal dachte Atlan daran, daß sie immer noch keine Ah nung hatten, welchen Treibstoff diese Flug schalen brauchten. Wenn die Reserven zu Ende gingen, bevor sie nach Pthor zurückge kehrt waren, saßen sie in der Falle. Er erin nerte sich, wie Pthor ausgesehen hatte, als sie kurz nach Durchstoßen des Wölbmantels einen Blick zurückgeworfen hatten. Wie ein gigantisches Gebirge türmte das Land sich auf. Es hatte – im Gegensatz zu anderen Landungen – nicht einen Teil der festen Kruste dieses Planeten verdrängt, son dern hatte mit seiner Unterseite aufgesetzt. Natürlich hatte der Boden sich unter der un geheuren Last gesenkt. Trotzdem war es bei nahe unmöglich, den normalen »Rand« ohne ein Fluggerät zu erreichen. Sie hatten keine Waffen bei sich. Die Messer der Valjaren hatte Atlan kurz nach dem Start über Bord geworfen. Er hoffte, daß die beiden Abenteurer sie gefunden hat ten. Ohne ihre Messer waren sie in dem wil den Land der ehemaligen Eisküste verloren. Atlan wünschte sich jetzt, er hätte weni ger selbstlos gehandelt. Alles um sie herum zeigte, daß sie es mit einer hochentwickelten Zivilisation zu tun hatten. Ein Messer galt in einer solchen Um gebung kaum noch als Waffe. Gerade darum konnte man mit derart primitiven Hilfsmit teln allerhand erreichen. Wer ein Strahlenge wehr besaß, machte oft den Fehler, ein Mes ser nicht ernst genug zu nehmen. Aber noch immer rührte sich nichts zwi schen den Kuppeln. Die schmalen Pfade wa ren wie leergefegt. Nicht einmal Roboter waren hier zu sehen. »Was machen wir mit dem Zugor?« fragte Razamon. »Jemand sollte auf ihn aufpas sen.« »Nicht nötig«, erklärte Thalia. Sie hielt einen korkenzieherähnlichen Gegenstand hoch. »Niemand wird etwas mit der Flug schale anfangen können.«
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Marianne Sydow
»Es reicht, wenn dieser Jemand uns den Zugor demoliert«, murmelte Razamon, der von Thalias Trick nicht völlig überzeugt war. Andererseits reizte es auch ihn, diese fremden Gebäude zu erkunden. Sie fanden einen Pfad, der bis zum höch sten Punkt des Hügels führte, und machten sich auf den Weg.
* Der Pfad selbst war mit einer harten Schicht aus verdichtetem Sand überzogen. Kleine Seitenwege führten zu den überall verteilten Kuppeln. Aber abseits der Wege fanden sie im lockeren Sand eigenartige Spuren. Es waren eng beieinanderliegende Dreiecke. Sie stießen an den spitzen Enden fast aneinander. Auf der äußeren Fläche gab es Abdrücke, die von Zehen herrühren mochten. »Das sieht aus, als hätte unser Unbekann ter Schwimmflossen getragen«, sagte Raza mon. »Ja, und er hat sehr kurze Beine. Die Schrittlänge beträgt nicht einmal zwanzig Zentimeter.« Razamon und Atlan sahen sich an. Der Vergleich mit einer aufrecht gehenden Rob be drängte sich förmlich auf. »Was mag in den Kuppeln sein?« über legte Thalia. Sie trug – jeder Vernunft zum Trotz – im mer noch ihre Rüstung. Bei jedem Schritt klapperten und klirrten die metallenen Teile aneinander. Atlan fragte sich, wie sie es in der klobigen Kampfkleidung aushielt. Es war heiß auf dem Hügel, und je höher die Sonne stieg, desto schlimmer wurde es. Sie gingen über einen der Seitenwege und standen wenig später vor der Kuppelwand. In dem glatten, plastikähnlichen Material gab es eine bogenförmig verlaufende Rille. Das mußte die Tür sein. Aber es gab keinen Knopf oder Hebel, mit dem man die Tür öff nen konnte. Nach einer Weile entdeckten sie eine kleine, rauhe Fläche von der Größe ei ner Fingerkuppe. Sie lag eineinhalb Meter
über dem Boden. Als Atlan seine Hand dar auf legte, wich die Tür vor ihnen zurück. Sie ging nicht im normalen Sinne auf, sondern schob sich seitlich in die Kuppelwand. Vorsichtig spähten die Gefährten durch die Öffnung. »Eine Schaltstelle«, vermutete Razamon. »Ich kann mit diesem Zeug überhaupt nichts anfangen«, erklärte Thalia mißmutig. In Augenblicken wie diesem kam ihr immer wieder zu Bewußtsein, wie schlecht Odin seine Kinder auf ihre Aufgabe vorbereitet hatte. Keiner von ihnen kannte sich mit tech nischen Dingen aus. Und die Kräfte der Ma gie waren ihnen zwar vertraut, aber sie konnten sie praktisch nicht anwenden. Atlan betrachtete mißtrauisch die Ränder der Türöffnung. Er fand nichts, was nach ei ner Falle aussah. Er trat einen Schritt ins In nere der Kuppel und fand auf Anhieb den in neren Kontakt. »Ich glaube, wir können es wagen«, sagte er. Sie gingen von einem Gerät zum anderen. Sie sahen große Schalter und dicke Hebel, Skalen, auf denen Zeiger sich über unbe kannte Symbole bewegten, Kontrollampen, deren farbige Signale ihnen unverständlich blieben. Schließlich entdeckten sie eine Reihe von Bildschirmen. Drei waren in Betrieb. Sie zeigten Ausschnitte der Ebene. Die zerstör ten Roboter waren deutlich zu erkennen. Und noch immer tauchte niemand auf, um sie von diesem Hügel zu verjagen. Sie wurden mutiger, und selbst Thalia drehte an den Knöpfen der Schirme. Dabei fing sie zufällig ein Bild auf, das so unge wöhnlich war, daß sie die anderen alarmier te. »Ob das Eingeborene sind?« fragte sie aufgeregt. Die Wesen auf dem Schirm hatten wurst förmige Körper, die sich nach oben verjüng ten. Dort saßen einige wulstige Organe, de ren Sinn auch Atlan jetzt noch nicht erkann te. Einen Kopf im üblichen Sinn besaßen die Fremden nicht. Sie bewegten sich auf kurz
Die Ebene der Krieger en Beinen vorsichtig am Rand der Fläche entlang. Auch ihre Arme waren kurz, aber die dreifingrigen Hände waren wohlent wickelt. Die Fremden trugen Speere, Messer und Wurfschlingen. Die Größe dieser Wesen ließ sich nicht bestimmen, aber anhand des sie umgebenden Buschwerks schätzte Atlan sie auf etwa eineinhalb Meter. »Sie passen hierher«, behauptete Kolphyr. »Ihnen gehört diese Welt.« Der Arkonide nickte unwillkürlich. Diese Fremden kannten keine hochent wickelte Technik, wie sie für die Herstel lung riesiger Roboterscharen notwendig war, sonst hätten sie sich mit ganz anderen Waffen ausgestattet. Bist du sicher? fragte der Extrasinn spöt tisch. Auf der Erde baute man bemannte Raumschiffe, während gleichzeitig in ande ren Gegenden die Gesetze der Steinzeit gal ten. Es war natürlich möglich, daß diese Fremden zu einem zurückgebliebenen Stamm gehörten und sich in feindlicher Ab sicht an die Roboter ihrer fortschrittlicheren Artgenossen heranpirschten. Aber Atlan wollte daran nicht glauben. Erfahrungsge mäß lebten solche primitiv gebliebenen Völ ker in Gegenden, die durch natürliche Hin dernisse von den anderen Ländern getrennt waren – auf Inseln oder in schwer zugängli chen Gebirgen. Beides schied in diesem Fall aus. Pthor war offensichtlich mehr oder we niger im Zentrum eines Kontinents gelandet, denn auch vom Zugor aus hatten sie keine große Wasserfläche entdecken können. Und Gebirge gab es in der Nähe auch nicht. Er merkte sich die Richtung, in der die Eingeborenen zu finden waren. »Gehen wir weiter«, schlug er vor. Insgeheim hoffte er, etwas über denjenigen zu erfahren, der die Flossenspuren hinterlassen hatte. Er hatte einen vagen Verdacht, den er aber den ande ren noch nicht mitteilen wollte. Wenn es stimmte, hatten sie immerhin mit einigen Schwierigkeiten zu rechnen. Gleichzeitig mochte sich die erste Möglichkeit ergeben, Pthor zu einem positiven Machtinstrument
23 zu machen. Die Kuppeln glichen sich von innen in den meisten Fällen. Sie enthielten fast aus nahmslos technische Einrichtungen. In den würfelförmigen Bauten fanden sie Vorräte verschiedener Art, Ersatzteile und Dinger, die vielleicht Waffen waren. Sie probierten so ein Rohr aus, aber es funktionierte nicht. Entweder war es nicht in Ordnung, oder es sprach nur auf die Berührung durch be stimmte Personen an. Die vorletzte Kuppel unter dem Gipfel des Hügels war wesentlich interessanter. Es begann damit, daß Atlan auf den Tür kontakt drückte und den Kopf um die Ecke streckte, um zu sehen, ob sich wider Erwar ten doch jemand in der Kuppel aufhielt. Er stieß einen ärgerlichen Laut aus, als von oben ein halber Wasserfall auf ihn herab prasselte. Hastig sprang er zurück und wischte sich die Augen aus. »Dusche gefällig?« fragte Razamon spöt tisch. »Du hast gut reden«, knurrte der Arkoni de. »Das Zeug ist ganz schön kalt.« Thalia zog einen Handschuh aus und hielt eine Hand in das Wasser. »Ich würde eher sagen, daß es sich um Eiswasser handelt«, meinte sie. Atlan schlug sich vor die Stirn und riß den fast leeren Wasserbehälter vom Gürtel. Das Gefäß war gerade voll, als der unsichtbare Hahn zugedreht wurde. »Es ist trinkbar«, verkündete er nach ei nem vorsichtigen Versuch. »Schade, daß wir nicht eher auf diese Idee gekommen sind.« Razamon berührte schweigend den Kon takt. Die Tür schloß sich. Der Pthorer öffne te seinen Wasserbehälter und warf Thalia einen auffordernden Blick zu. Die Tochter Odins schien nicht sehr vom Erfolg des Ver suchs überzeugt zu sein, aber sie folgte dem Beispiel des Pthorers. Als Razamon aber mals den Kontakt berührte, fuhr die Tür auf, und das Wasser strömte herab. »Na also«, meinte Razamon zufrieden. »Damit kommen wir eine Weile über die Runden. Es scheint, als wäre der Bewohner
24 dieser Kuppel auf kalte Duschen ganz ver sessen.« »Dann sollten wir nachsehen, was ihm sonst noch besonders gut gefällt«, schlug Thalia vor. Sie betraten die Kuppel mit der angemes senen Vorsicht. Sie fanden eine richtige Wohnung, die al lerdings für ein nicht humanoides Wesen eingerichtet war. Es gab einen normalhohen Tisch mit einer extrem niedrigen Bank da vor. »Er hat also wirklich kurze Beine«, mur melte Razamon. In einer flachen Schale klebten Reste ei nes mattgrünen Breis. Atlan beugte sich vor und schnupperte daran. »Riecht nach Salz, Tang und Öl«, stellte er fest. »Komische Mischung.« »Jedenfalls für uns ungenießbar«, setzte Razamon hinzu. »Hier ist ein Schrank«, rief Thalia von der anderen Seite des Raumes. Der Innenraum der Kuppel war durch niedrige Zwischenwände in verschiedene Bezirke aufgeteilt. Thalia stand in einer Art Ausrüstungskammer. Mehrere Haken waren an der einen Wand befestigt. An einem hing ein schmaler Riemen, ein Gürtel vielleicht. Der Schrank, den Thalia geöffnet hatte, ent hielt einige Paare seltsam geformter Sanda len. In offenen Fächern lagen verschiedene Tücher. Daneben hingen zwei formlose Kleidungsstücke. Sie befühlten das glänzende, glatte Mate rial. »Schutzumhänge«, stellte Atlan fest. »Sie halten Hitze und Kälte ab. Da es hier selten kalt sein dürfte, ist unserem unbekannten Freund wohl die ständige Hitze unange nehm. Das paßt zu der kalten Dusche am Eingang.« »Ein Umhang fehlt«, bemerkte Thalia. Razamon hatte inzwischen ein Paar San dalen aus dem Schrank geangelt. Kopfschüt telnd betrachtete er sie. »Die könnten einem Riesen gehören. Ich lebe zwar auch nicht auf kleinem Fuß, aber
Marianne Sydow da passe ich dreimal hinein.« Atlan nahm einen der Umhänge ab. Das Kleidungsstück war mit einer Art Kapuze versehen. »Ein Riese ist er sicher nicht«, wider sprach der Arkonide. »So ein Umhang er füllt nur dann seinen Zweck, wenn er den ganzen Körper bedeckt. Und daß unser Freund kurze Beine hat, wissen wir bereits. Er dürfte kaum mehr als einen Meter groß sein.« Im nächsten Abteil fanden sie die Lager stätte des Fremden. Sie war der Beweis für Atlans Behauptung. Es war ein Bett, das für ein kleines Kind bestimmt zu sein schien. Geradezu abstrakt und dennoch passend wirkten ein paar seltsame Puppen, die auf den Kissen lagen. Puppen aus blauem Stoff, die wie Robben aussahen, nur besaßen sie anstelle der Vorderflossen kurze Ärmchen und Hände. Große, verwundert wirkende Augen und eine Knopfnase vervollständig ten den Eindruck kleiner, liebebedürftiger Wesen. Ehe jemand etwas sagen konnte, hatte Kolphyr eine der Puppen geschnappt und sie an seine Brust gedrückt. »Darauf hätten wir eher kommen kön nen«, meinte Razamon anzüglich. »Jetzt kann er seine aufgestauten Gefühle loswer den, ohne uns zu zerquetschen.« »Kolphyr niemand zerquetschen«, schrill te der Bera beleidigt. Atlan verzog das Gesicht. Er mochte es nicht, wenn Kolphyr in das Kauderwelsch früherer Tage zurückfiel. Meistens kündig ten solche Ausrutscher den nächsten Ge fühlsausbruch des Dimensionsforschers an. »Wenigstens wissen wir es jetzt genau«, mischte Thalia sich ein, ehe Atlan eine jener Bemerkungen loslassen konnte, die ernüch ternd auf den Bera wirken sollten. »Die Puppen müssen nicht die Gestalt des Unbekannten haben«, widersprach der Ar konide gereizt. »Auf Terra legte man klei nen Kindern vorzugsweise Teddybären ins Bett …« »Ich weiß zwar nicht, was Teddybären sind«, konterte Thalia, »aber die Hinweise
Die Ebene der Krieger sind deutlich genug. Da sind die großen Fü ße, die kurzen Beine und die allgemeine Form des Körpers. Diese Puppen erinnern mich ein bißchen an die Guurpel aus Panyx an. Ich möchte wetten, daß der Unbekannte eigentlich mehr im Wasser als auf dem Land zu Hause ist.« Atlan mußte ihr recht geben. Wenn man die automatische Dusche und die Schutzum hänge dazu rechnete, ergab sich ein ziemlich klares Bild. »Die drei Wesen auf dem Bildschirm sa hen unserem Fremden ein bißchen ähnlich«, fuhr Thalia fort. »Aber sie dürften nicht mit ihm verwandt sein. Sie sind auf das Leben in diesem trockenen Land eingerichtet. Damit erhebt sich die Frage, woher der Fremde kam.« Atlan erinnerte sich verschwommen an ein Abenteuer, das er vor langer Zeit erlebt hatte, damals, als er noch sehr jung war und den Zellaktivator noch nicht getragen hatte, der seit der Landung auf Pthor in seinem Brustkasten steckte. Da hatte es ein Volk ge geben, das dem Wasser verhaftet war, und obwohl die Entwicklung diese Intelligenzen auf das Land trieb, blieben sie in den seich ten Meeren, weil jemand sie dort festhielt – Tyrannen, die alles sahen und hörten. Er verdrängte die Erinnerung, ehe die Vergangenheit ihn einholte und zur Untätig keit verdammte. »Das gehört hier nicht hin«, wiederholte Kolphyr entschieden. Razamon nickte. »Allmählich glaube ich selbst daran. Aber was soll das? Wer hat die Roboter und den Unbekannten hierhergeschickt? Wozu sind die Maschinen überhaupt gut? Sie haben of fensichtlich tatenlos herumgestanden, denn sonst wären sie nicht von der Katastrophe überrascht worden.« »Wir wissen nicht, wie viele von den Din gern jenseits der Ebene herumlaufen«, be merkte Thalia. Atlan erinnerte sich plötzlich an einen Bildschirm in einer der Kuppeln. Dort hatte er eine Art Rasterbild gesehen. Die Grenzen
25 der Ebene waren deutlich zu erkennen gewe sen. Und innerhalb der Ebene waren Punkte eingezeichnet, die nur eines bedeuten konn ten: Jeder Punkt stellte eine gewisse Anzahl von Robotern dar. Das Muster wies keine Lücken auf. »Die Roboter da draußen sind vollzählig«, sagte er und achtete nicht darauf, daß die an deren ihn verwundert ansahen. »Sie wurden hier stationiert.« »Warum?« fragte Razamon. »Was weiß ich. In der Nacht haben wir Sterne gesehen. Ich habe keinen einzigen davon erkannt, und ich habe viele fremde Welten besucht. Vielleicht gibt es in der Nä he einen Planeten, dessen Bewohner die Raumfahrt beherrschen. Sie haben ein Impe rium, das bereits zu groß ist, um es von nur einer Welt aus zu beherrschen. Darum legen sie sich solche Depots an. Die Roboter wer den gehortet und einsatzbereit gehalten, bis man sie braucht. Damit spart man lange An flugwege. Natürlich«, fügte er nüchtern hin zu, »ist das nur eine Annahme, aber ich fürchte, daß ich die Wahrheit ziemlich ge nau getroffen habe.« »Das würde bedeuten, daß wir ungewollt in interstellare Verwicklungen hineinge schlittert sind«, murmelte Razamon. »Die Roboter sind zerstört – man wird uns die Schuld anlasten.« »Wir sind nicht die einzigen Bewohner von Pthor«, schränkte der Arkonide ein. »Wir sollten versuchen, den Bewohner dieser Anlagen zu finden«, meinte Thalia. »Vielleicht können wir uns mit ihm verstän digen und ihm erklären, daß alles nur ein un glücklicher Zufall war.« »Zuerst werden wir die letzte Kuppel un tersuchen«, entschied der Arkonide. Er warf Razamon einen Blick zu, und der Pthorer nickte kaum merklich. Beide waren der Meinung, daß der Wächter dieser Station bei der Katastrophe ums Leben gekommen war. Andernfalls hätten sie ihn auf dem Hü gel finden müssen, denn nur von hier aus konnte er – an wen auch immer – die Nach richt vom Untergang des Roboterheers wei
26 terleiten. Unten in der Ebene gab es nichts mehr, was der unbekannte Wächter für seine Schützlinge hätte tun können. Aber vielleicht fanden sie ihn doch noch – ganz oben, in der letzten Kuppel. Schweigend gingen sie über den schmalen Pfad. Die Sonne brannte heiß herab, und das glänzende Heer in der Ebene schien sich auf gespenstische Weise zu bewegen und zu verschieben. Die Luft flimmerte wie über ei ner heißen Kochplatte. Am Eingang der Kuppel kam Atlan zum erstenmal auf den Gedanken, daß der Wäch ter es in dieser Station nicht leicht gehabt hatte. Für das zwergenhafte Wesen waren die Türkontakte viel zu hoch angebracht, und sicher war es ihm auch nicht leicht ge fallen, mit seinen zierlichen Händen die klo bigen Schalter zu bewegen. Das Bild rundet sich ab, behauptete der Extrasinn. Wahrscheinlich gibt es viele Sta tionen dieser Art. Sie werden nach einer be stimmten Norm gebaut, ohne Rücksicht dar auf, welche Art von Wesen später darin ar beiten soll. Nur die Wohnbereiche werden den individuellen Ansprüchen angepaßt. Ein nicht gerade rücksichtsvolles Verfah ren, gab Atlan lautlos zurück. Wenn du recht hast, haben wir es mit ziemlich hochnäsigen Herrschern zu tun. Der Flug des Dimensionsfahrstuhls wur de unterbrochen, als Pthor auf dem Weg in die Schwarze Galaxis war. Das jedenfalls erscheint logisch, denn als die Herren der FESTUNG die drohende Niederlage erkann ten, wollten sie bestimmt dafür sorgen, daß Pthor zu ihren Auftraggebern zurückkehrt. Mit euch hätte man dann kurzen Prozeß ge macht. Niemand weiß, wie nahe wir der Schwarzen Galaxis sind. Aber es ist anzu nehmen, daß wir auf dem Weg dorthin vor zugsweise den Gesellschaftsformen begeg nen werden, die den Neigungen der unbe kannten Auftraggeber entsprechen. Das sind ja herrliche Aussichten, dachte Atlan ironisch. Der Extrasinn schwieg. »Sieh dir das an«, sagte statt dessen Raza mon. »Fällt dir nichts auf?«
Marianne Sydow Atlan schrak aus seinen Gedanken hoch und betrachtete verwundert ein Gerät, auf das der Pthorer zeigte. Wenn dieser Planet tatsächlich irgendwie mit der Schwarzen Galaxis in Verbindung stand, so war anzunehmen, daß alle Technik sich – wie auf Pthor – auf die magischen Wissenschaften zurückführen ließ. Das än derte nichts daran, daß einige Produkte sich am Ende ganz normal ausnahmen, von fremdartigen Verzierungen und ähnlichem Ballast einmal abgesehen. Dies hier sah ei nem Hyperfunkempfänger sehr ähnlich. »Genau das meine ich«, bestätigte Raza mon Atlans Meinung. »Aber es scheint, als gäbe es keine Sendeanlage.« Atlan untersuchte den Apparat von allen Seiten. Für einen Augenblick keimte in ihm die verrückte Hoffnung, über dieses Gerät eine Verbindung zur Erde herzustellen. Wie weit mochte Pthor sich auf seiner verrückten Fahrt von dem Planeten Terra entfernt ha ben? Seiner Meinung nach dürfte die Ge schwindigkeit auch innerhalb des Dimensi onskorridors nicht hoch genug gewesen sein, um sie in gänzlich unbekannte Weiten zu entführen. Wenn er Kontakt bekam und die Verbindung für eine bestimmte Zeit halten konnte, würde man den Standort des Sen ders einpeilen und sie alle abholen – Perry Rhodan würde nichts unversucht lassen, um den Arkoniden zu retten, davon war Atlan überzeugt. Pthor reist nicht nur durch den Raum, sondern auch durch Zeiten und Dimensio nen, stellte der Extrasinn ernüchternd fest, und der winzige Hoffnungsschimmer zer brach. »Ich kann nichts finden«, murmelte er de primiert. »Wahrscheinlich hat unser Unbe kannter hier nur bestimmte Anweisungen empfangen.« »Niemand wird so unvorsichtig sein«, überlegte Razamon, »keine Möglichkeit zu schaffen, damit ein Wächter in dringenden Fällen eine Warnung absetzen kann.« Atlan zuckte die Schultern. »Wir wissen so gut wie nichts über die
Die Ebene der Krieger Fremden. Sie mögen einer ganz anderen Lo gik folgen.« »Den Gesetzen der Magie, zum Beispiel«, nickte Razamon. »Ich wollte, wir hätten einen Abstecher in die Barriere von Oth ge macht. Bei unserer langen Irrfahrt hätte ein Tag mehr oder weniger kaum eine Rolle ge spielt.« »Glaubst du, daß ein Magier damit etwas anfangen könnte?« »Unterschätze diese Leute nicht«, warnte Razamon ernst. »Ich weiß, was du von ihnen hältst. Aber erinnere dich an Marxos. Die Magier von Oth sind keine Zauberer, die mit spitzen Hüten bestenfalls ein bißchen Dampf erzeugen.« »Ich weiß«, antwortete Atlan unwillig. »Trotzdem kann ich mich nicht mit dem Ge danken abfinden, daß das Ganze etwas mit Wissenschaft zu tun hat.« »Vielleicht hast du bald Gelegenheit, dich selbst davon zu überzeugen.« »Du meinst, daß die Magier ihr Versteck verlassen werden?« Razamon sah sich nach Thalia um. Die Tochter Odins stöberte in den Winkeln zwi schen den Geräten herum und schien zu be schäftigt, um auf das Gespräch zwischen At lan und dem Pthorer zu achten. »Eines steht fest«, murmelte Razamon lei se. »Die Magier stellen den zur Zeit größten Machtfaktor von Pthor dar. Thalias Brüder werden ihnen nicht gerade imponieren, und selbst die Robotbürger von Wolterhaven be kämen Schwierigkeiten, wenn sie sich mit den Magiern anlegten. Erinnerst du dich an die Illusionssteine?« »Sie gehören zu dem, was mein eifriges Gedächtnis wohl jahrtausendelang aufbe wahrt«, versicherte Atlan grimmig. »Ich habe den Verdacht, daß die Steine aus der Barriere kamen«, erklärte Razamon. »Woher sonst hätten die Händler von Orxe ya sie beziehen sollen?« »Das würde bedeuten, daß die Magier heimlich gegen die Robotbürger arbeiten.« »Was weiß ich?« fragte Razamon schul terzuckend. »Die Magier bilden keine Ein
27 heit, so viel habe ich aus den Unterhaltungen von Dellos, Technos und Thalias Brüdern herausgefunden. Es reicht, wenn einer von ihnen sauer auf die Roboter ist.« Atlan beobachtete nachdenklich Thalia, die eben einen Schalter herumdrehte. Ein Ring schwebte plötzlich vor ihr in der Luft. Thalia betastete das Ding neugierig. Atlan ging hinüber. »Darf ich?« fragte er. Thalia schob ihm den Ring hin. Es war genau so, wie er es erwartet hatte. Als er den Ring über seinen Kopf schob, paßte das Ding sich genau an und legte sich über Stirn und Schläfen. Obwohl der Ring aus Metall bestand, fühlte er sich weich und warm an. Er war in keiner Weise unbequem. Atlan stellte sich vor, wie der unbekannte Wächter von hier aus das Heer der Roboter dirigiert hatte. Er dachte daran, daß man mit Hilfe dieses Ringes das ganze Heer in Be wegung setzen konnte. Fast gleichzeitig fühlte er einen Druck, eine Beklemmung, die unzweifelhaft von dem Ring ausging. Er hatte das Gefühl, mit dem Kopf in einen Schraubstock geraten zu sein. Er schnappte verzweifelt nach Luft. Seine Hände fuhren nach oben, aber er erreichte den Ring nicht. Er erkannte den Grund für seine bedrohliche Lage. Das Robotheer war zerstört. Es konnte sich nicht bewegen. Keine einzige Maschine war imstande, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln. Die Gefährten hatte er inzwischen verges sen. Er wußte nicht einmal mehr, woher er kam. Er spürte nur noch den Druck, der sein Gehirn in eine unförmige Masse zu verwan deln drohte …
5. Das Signal paßt nicht in das Schema. Es tauchte plötzlich und unerwartet auf. Der Alarm pellte durch die Station. Etwas stimmte nicht auf Loors. Das Ro botdepot war in Gefahr. Jemand befand sich in den Anlagen des Wächters, und dieser Je
28 mand war fremd. Er war nicht einmal sper cotisiert! Sofort wurden Maßnahmen eingeleitet. Ein Schiff mußte starten, mit verantwor tungsbewußten Untertanen an Bord. Mit Leuten, die alles für den Tyrannen Sperco geben würden. Denn der Flug nach Loors würde kein vergnüglicher Ausflug werden. Es war noch nie geschehen, daß Fremde in die Robotherden eindrangen. Wenn nicht die Krieger selbst die Gefahr ausschalteten, gab es immer noch die Hirten. Sie waren spercotisiert. Dadurch waren sie absolut un fähig, etwas zu tun, was nicht den Interessen Spercos entsprach. Auf Loors diente der bedächtige Hirte Juscu. Er hatte sich bisher nichts zuschulden kommen lassen – was nicht viel heißen soll te, denn ein Diener Spercos versagte in jedem Fall nur einmal. Danach wurde er aus dem Verkehr gezogen. Trotzdem war die Lage bedrohlich. Spercos Reich war schon sehr groß. Es umfaßte einhundertsechsundzwanzig Syste me mit vierhundertachtundneunzig Welten. Siebenundzwanzig Robotdepots sorgten da für, daß Spercos Streitmächte jederzeit schnell von den Kriegern unterstützt werden konnten. Früher oder später würde Sperco die ganze Galaxis Wolcion kontrollieren. Der Ausfall eines Robotdepots konnte verheerende Folgen haben. Wenn jetzt – was allerdings nicht sehr wahrscheinlich war – in der Nähe von Loors Unruhen ausbrachen, konnte die Lage kri tisch werden. Dann brauchte man die Schützlinge des bedächtigen Hirten Juscu. Niemand rechnete zu diesem Zeitpunkt damit, daß die Herde der Krieger zerstört sein konnte. Die Krieger waren unbesiegbar. Niemand kam an sie heran. Auch wenn ein Hirte aus fiel, konnten die Krieger für ihre eigene Si cherheit sorgen. Es sei denn, ein Hirte be ging mehrere gravierende Fehler. Die Spercotisierung sorgte dafür, daß sol che Fehler in der Praxis nicht vorkamen. Aber die Tatsache allein, daß jemand, der
Marianne Sydow mit dem Tyrannen Sperco nichts zu tun hat te, sich auf dem Hügel des bedächtigen Hir ten herumtrieb, war besorgniserregend. We nigstens funktionierte das Leuchtfeuer auf Loors, wie eine Kontrolle ergab. Man beriet darüber, ob man einen Kon takt zu dem Fremden herstellen sollte. Viel leicht verriet er versehentlich sich und seine Ziele. Aber das Risiko erschien den Verantwort lichen zu groß. Es gab Wesen, die nicht nur die gerichte ten Fragen, sondern auch alle Nebenströ mungen wahrzunehmen vermochten. Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein solches Wesen sich auf Juscus Hügel verirrt hatte, war gering. Spercos Weisungen jedoch gingen dahin, daß niemand auch nur das geringste Risiko eingehen durfte, wenn es galt, das Sternen reich zu vergrößern und seinen Bestand zu sichern. Befehle wurden formuliert und weiterge leitet. Weit von der zentralen Station ent fernt startete ein Raumschiff. Es nahm Kurs auf Loors, den Planeten der Brangeln.
6. Juscu war überglücklich, als er endlich neben dem Roboter stand. »Wie bist du hierher gekommen?« fragte er den Krieger. »Ich vernahm deinen Befehl«, gab die Maschine ungerührt zurück. »Die anderen haben es nicht geschafft«, erklärte der bedächtige Hirte bedauernd. »Sie wurden von der Hitzewelle vernichtet. Du bist der letzte Krieger aus meiner Her de.« Der Roboter antwortete nicht. Er stand wie erstarrt vor dem Hirten. Juscu konnte nicht ahnen, welche Gedanken den Krieger bewegten. Eines stand fest: Er hatte nicht mehr viel Zeit. Die Vernichtung der Herde konnte nicht unbemerkt bleiben. Die Spercoiden würden kommen, um nach dem Rechten zu
Die Ebene der Krieger sehen. Bis dahin mußte der Amokläufer sich ausgetobt haben. Juscu war harmlos. Die Spercotisierung verhinderte, daß er bestimmte Zusammen hänge durchschaute. Der Krieger wußte ge nug über die Hirten, um Juscus Gedanken und Handlungen vorhersagen zu können. Für Juscu war es jetzt sehr wichtig, einen Zeugen zu finden. Der Krieger war nicht sonderlich beeindruckt von Juscus Aussage, daß alle anderen Krieger zerstört worden waren. Es war etwas geschehen, was nicht dem entsprach, woran der Krieger gewöhnt war. Eine gefühlsmäßige Bindung zu den anderen Robotern gab es für ihn nicht. Schon gar nicht jetzt, während der Amok phase. Es ging ihn nichts an, was mit der Herde passiert war. Er hatte genug mit sich selbst zu tun. Für ihn galt nur ein Ziel. Der Kampf mit dem Zlit hatte ihm nur wenig Erleichterung gebracht. Die Mordgier füllte ihn aus. Er mußte zerstören, alles kurz und klein schlagen. »Es ist ein Mond auf Loors gelandet«, sagte Juscu, ohne zu ahnen, was der Krieger plante. »Ich nehme an, daß dies den Anfang eines Angriffs auf den Tyrannen Sperco dar stellt. Wir werden gemeinsam den gelande ten Mond suchen und herausfinden, wer ihn bewohnt. So werden wir Verdienst erwer ben. Der Tyrann wird uns belohnen.« Der Krieger hätte Juscu sagen können, daß diese Hoffnung völlig unrealistisch war. Sperco würde nicht im Traum daran denken, den bedächtigen Hirten zu belohnen. Juscu hatte versagt: Selbst die größte Heldentat, die er nach dem Verlust seiner Herde voll brachte, konnte daran nichts ändern. »Komm«, sagte Juscu. »Ich habe die Richtung bestimmt. Du wirst mich beglei ten. Steige in den Schweber.« »Du bist verrückt!« schrillte die Stimme des Vrills. Juscu sah sich irritiert um. Er wußte, daß die Stimme seines kleinen Freundes nur für ihn hörbar war. Der Vrill zog es wieder einmal vor, un
29 sichtbar zu bleiben. Nur ein kühler Wind hauch bewies dem bedächtigen Hirten, daß der Kleine neben seinem Kopf in der Luft herumschwirrte. »Was meinst du?« fragte er halblaut. Mißtrauisch beobachtete er dabei den Krieger. Er hatte niemals darüber nachge dacht, welche Funktion der Vrill eigentlich ausübte, aber dessen höhnische Bemerkun gen über die Krieger und den Tyrannen Sperco glaubte er entnehmen zu dürfen, daß der Vrill gegen Sperco stand. Dann aber war es logisch, daß die bloße Anwesenheit des Vrills gegen die Gesetze Spercos verstieß. Dem bedächtigen Hirten lag sehr viel dar an, daß der Krieger nur den besten Eindruck von seinem Herrn gewann. Auf keinen Fall durfte das mechanische Wesen darauf kom men, daß Juscu allen Vorschriften zum Trotz einen Begleiter nach Loors gebracht hatte – noch dazu einen, der nicht spercoti siert war! »Sieh ihn dir an«, schnarrte der Vrill ver ächtlich. »Was tat er, als du dabei warst, den Schweber zu ihm zu dirigieren? Er versuch te, wegzulaufen.« »Das ist nicht wahr«, protestierte Juscu. Er spürte, daß der Krieger ihn intensiv musterte, und unterbrach sich hastig. »Mach dir doch nichts vor!« mahnte das Vogelwesen ärgerlich. »Du hast den Kampf mit der Echse verfolgt. Warum hat er die Strahlenwaffe nicht eingesetzt? Es war ein sinnloses Gemetzel, ein Blutvergießen, für das nicht die geringste Notwendigkeit be stand. Das ist ein Punkt. Und der zweite: Er hatte offensichtlich vor, die drei Brangeln zu verfolgen. Er stand am Anfang der Spur, als du ihn aufhalten konntest.« Juscu glaubte immer noch, den kalten Blick des Kriegers zu spüren, darum wagte er nicht, dem Vrill eine Frage zu stellen. Worauf wollte dieses rastlose Wesen hin aus? »Das ist kein gewöhnlicher Krieger«, schrie der Kleine, erbost über Juscus Schweigsamkeit. »Das ist der Amokläufer! Zerstöre ihn oder fliege davon, ehe er auch
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Marianne Sydow
dich umbringt!« »Das reicht!« sagte Juscu und vergaß den Krieger und dessen unheimliche Blicke. »Scher dich zum Teufel, du Störenfried. Du bist nur ärgerlich, weil ich einen neuen Be gleiter habe.« Es schien, als hätte es dem Vrill die Spra che verschlagen. Juscu wartete geraume Zeit, aber der Kleine meldete sich nicht mehr. Das beunruhigte ihn. Sie stritten sich oft, denn der Vrill war unbedacht in seinen Reden. Immer wieder verspottete er den Hir ten wegen seiner angeblichen Bedächtigkeit. In Wahrheit hätte ein weniger geduldiges Wesen als Juscu den Kleinen längst davon gejagt. Hatte der Vrill die letzte Äußerung so ernst genommen? Juscu konnte es sich nicht vorstellen. Der Vrill war selbst oft sehr grob dem Hirten ge genüber, und er konnte viel einstecken. Jus cu hatte den kleinen Irrwisch oft beschimpft und weggeschickt, aber er war noch jedes mal zurückgekehrt. Vielleicht hatte der Vrill etwas entdeckt, was ihn mehr interessierte. Der Kleine war sehr neugierig. Er mußte überall herum schnüffeln. Er kommt sicher wieder, sagte Juscu sich in Gedanken. Es kann nicht lange dauern. Der Krieger wartete auf ihn. Juscu kletter te schwerfällig in den Schweber. Er nahm Kurs auf den vermeintlichen Mond, der bei seinem Anflug die Herde überflogen hatte.
* Der Vrill blieb in Juscus Nähe, ohne daß der bedächtige Hirte etwas davon merkte. Der Kleine dachte verzweifelt darüber nach, was er unternehmen konnte. Er war körperlich sehr schwach. Seine Stärke bestand in dem Einfluß, den er auf den bedächtigen Hirten ausübte. Gerade der hatte jedoch gelitten. Normalerweise lebten die Vrills in einer vollkommenen Symbiose. Auf Psi-Basis wa ren sie mit ihren Wirten verbunden, sie kannten deren Pläne, teilten ihre Erfolge und
ihre Niederlagen. Sie erhielten von ihren Wirten das bißchen Nahrung, das sie benö tigten, und als Gegenleistung warnten sie die Blauhäutigen vor Gefahren aller Art, ga ben ihnen Ratschläge, kurz, sie betätigten sich als deren Schutzengel. Die Vrills ließen die Blauen in dem Glau ben, daß sie als die größere Komponente der Lebensgemeinschaft die Wirte darstellten. Die Wirklichkeit – und davon war jeder Vrill fest überzeugt – sah anders aus. Ein Blauer war ohne seinen Wirt lebensunfähig. Jedenfalls traf das auf die Gruppe der Was serwesen zu, aus der man Juscu entführt hat te. Der Vrill wußte, daß es andere Stämme gab, die nicht mit den vogelähnlichen Sym bionten verbunden waren. Das Ergebnis war – nach Meinung des Vrills – typisch: Die Blauen belogen und betrogen einander, sie führten sogar Krieg. Seit der Spercotisierung hatte sich die Verbindung zwischen Juscu und seinem kleinen Begleiter gelockert. Der Vrill wußte, daß jetzt zwei Mächte versuchten, Juscu zu bestimmten Handlun gen zu bewegen. Der Vrill war klein, und seine Kräfte waren begrenzt. Gegen Sperco kam er nicht an. Hätte er damals gewußt, was auf ihn zu kam, so wäre er wahrscheinlich zurückge blieben und hätte sich einen anderen Schütz ling gesucht. Er saß hier fest. Er hatte die Brangeln besucht und versucht, eine Verbin dung mit einem der Blauen herzustellen. Das ging nicht. Die Gehirne der Brangeln reagierten nicht auf die Impulse des Vrills. Wenn aber Juscu starb, verlor der Vrill seinen Halt in dieser Welt. Er, der normaler weise unsterblich war, würde erlöschen. Auf Juscus Welt blieben die Vrills ihren Schützlingen bis zu deren Ende treu. Sie er leichterten ihnen den Weg ins Jenseits, neu tralisierten Angst und Schmerzen und zogen sich erst zurück, wenn alles Leben in dem fremden Körper erloschen war. Dann aber machten sie sich eiligst auf die Suche, denn es blieben ihnen nur wenige Stunden Zeit. Bis dahin mußten sie einen neuen Schützling
Die Ebene der Krieger gefunden haben. Es war also kein Wunder, daß Juscus Vrill völlig verzweifelt war. Er hatte den Blechkrieger längst durch schaut. Er wunderte sich nur darüber, daß Juscu immer noch lebte. Eigentlich hatte er damit gerechnet, daß der Roboter den Blau en auf der Stelle tötete. Warum war der Krieger so zurückhal tend? Welche Pläne verfolgte er? Was es auch sein mochte, es war für Juscu schlecht. Davon war der Vrill überzeugt. Das Dumme daran war, daß Juscu in die sem Punkt nicht auf seinen kleinen Begleiter hören wollte. Der Blaue stellte sich blind und taub. Er wünschte sich, daß dieser Ro boter seine Rettung darstellte, und warum weigerte er sich, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Der Vrill schwebte unsichtbar neben dem Schweber her und zerbrach sich seinen win zigen Kopf darüber, wie er Juscu in Sicher heit bringen konnte. Nach wie vor war das kleine Wesen der Meinung, daß es viel ver nünftiger war, den angeblichen Mond zu un tersuchen, damit Juscu den garantiert ein treffenden Spercoiden genaue Angaben ma chen konnte. Aber Juscu beschäftigte sich nur noch mit dem Amokläufer. Er flog zwar in die Rich tung, in der der Mond sich jetzt befand, aber dabei redete er unaufhörlich auf den Krieger ein. Der Vrill lauschte diesem Gespräch. Immer wieder versuchte Juscu den Krie ger dazu zu bewegen, Einzelheiten über sei ne Erlebnisse preiszugeben. Aber der Amok läufer schwieg – aus verständlichen Grün den. »Ich befolgte deine Befehle und floh in das Hügelland«, sagte der Krieger. »Dann wurde ich aus mir unbekannten Gründen desaktiviert. Durch ein ebenfalls nicht mehr feststellbares Ereignis wurde die Informati onssperre wieder aufgehoben. Da lag ich auf der Trage der Brangeln, und ich stellte fest, daß die Raubechse die Eingeborenen angrei fen wollte.« »Aber warum hast du in den Kampf ein
31 gegriffen?« fragte Juscu. Der Vrill klapperte verächtlich mit dem Schnabel. Der alte Narr wiederholte sich mindestens zum zehntenmal. »Ich weiß es nicht«, behauptete der Krie ger. »Ein Impuls traf mich. Ich mußte han deln.« »Du hast deine Waffen falsch eingesetzt.« »Auch das hing mit dem Impuls zusam men«, erklärte der Krieger kaltschnäuzig. »Mir wurde befohlen, auf energetische Waf fen zu verzichten.« »Hast du immer noch nicht herausgefun den, woher der Impuls kam?« fragte Juscu ungeduldig. »Nein.« »Es könnte mit dem geheimnisvollen Mond zusammenhängen«, überlegte der be dächtige Hirte. »Die Fremden, die diesen Angriff durchgeführt haben, sind sicher nicht dumm. Wahrscheinlich haben sie sich vorher davon überzeugt, daß die Krieger des Tyrannen Sperco«, er vollführte eine kom plizierte Geste der Ehrerbietung, »ihnen nichts anhaben konnten. Ich weiß, daß es so gewesen sein muß. Sie müssen wahnsinnig sein, diese Narren, daß sie gegen Sperco kämpfen wollen. Sie werden alle umkom men, wenn sie nicht rechtzeitig zur Vernunft kommen.« »Zweifellos«, stimmte der Krieger lako nisch zu. »Sie mußten damit rechnen, daß nicht alle Krieger meiner Herde ihrem heimtückischen Angriff zum Opfer fielen«, fuhr Juscu fort. »Ich stelle mir vor, daß sie eine Waffe ent wickelten, die die überlebenden Krieger dar an hinderte, wirkungsvoll gegen die Frem den vorzugehen. Eine Strahlung, oder eine Impulsfolge, die den Einsatz der Strahlwaf fen verhinderte.« »So war es«, versicherte der Krieger im Brustton der Überzeugung. »Das ist doch totaler Unsinn!« schrie der Vrill aufgebracht. Juscu zuckte zusammen. Er konnte es nicht verhindern, daß der Krieger seine Re aktion bemerkte. Der bedächtige Hirte
32 glaubte, die durchdringenden Blicke seines metallenen Schützlings zu spüren. »Ich habe Schmerzen«, erklärte er hastig. Er ärgerte sich über den Vrill. Der unver schämte kleine Kerl wußte genau, daß Juscu sich nicht einmal gegen seine Vorwürfe ver teidigen konnte, ohne den Krieger mißtrau isch zu machen. »Er ist der Amokläufer«, schrillte die Stimme des Vrills. »Warum glaubst du mir das nicht endlich? Habe ich dich jemals be logen?« Juscu preßte die Lippen aufeinander. Er durfte sich nicht dazu hinreißen lassen, dem Winzling zu antworten. Der Vrill schoß wie der einmal weit über sein Ziel hinaus. Wenn er nur ein bißchen genauer hinsah, mußte er selbst darauf kommen, daß er sich irrte. Der Krieger auf dem Schweber konnte nicht der Amokläufer sein, denn sonst hätte er Juscu längst umgebracht. Einen besseren Beweis gab es nicht – jedenfalls für den be dächtigen Hirten. Der Vrill wirbelte verzweifelt durch die Luft. Er spürte, daß Juscu in großer Gefahr war, und es schien, als könne er nichts für den Blauen tun. Somit war er gezwungen, seinem eigenen Tod ins Auge zu blicken. Er war fast bereit, es doch noch einmal mit den Brangeln zu versuchen, da fing er einen Impuls auf. Er erstarrte in der Luft und fing sich gera de noch rechtzeitig vor dem Boden ab. Eilig strebte er dem Schweber nach. Jetzt hatte er einen Anhaltspunkt. Vielleicht konnte er Juscu doch noch umstimmen! Er holte den Schweber ein und kreiste aufgeregt um Juscus Kopf. »Es sind Fremde auf deinem Hügel!« kreischte er. Diesmal war die Überraschung zu groß. »Fremde?« stieß Juscu entsetzt hervor. Sofort wurde ihm sein Fehler bewußt. »Mit wem sprichst du?« fragte der Krie ger argwöhnisch. »Ich habe eine ständige Verbindung zu den Geräten auf dem Kommandohügel in stalliert«, behauptete Juscu und fügte hastig
Marianne Sydow hinzu: »Sie arbeitet auf psionischer Basis.« Damit wollte er dem Krieger die Erklä rung dafür liefern, daß die Maschine keine Energieströmungen orten konnte. Er hoffte, daß der Krieger nicht allzu gut über die Aus rüstung des Hirten informiert war. Seine Unsicherheit wuchs, als der Krieger auf jeden Kommentar verzichtete. Der bedächtige Hirte war nahe daran, jede Spur von Bedachtsamkeit über Bord zu wer fen. Am liebsten hätte er dem Vrill den Hals umgedreht. Leider war der Winzling so schnell, daß Juscu ohnehin keine Chance hatte, ihn jemals in die Finger zu bekom men. »Sie sind mit dem Mond gekommen«, schrie der Vrill. »Sie haben die Kuppeln ge öffnet und alles durchsucht. Einer hat die Bank des Wächters aktiviert. Jetzt versucht dieser Dummkopf, einen Kontakt zur Herde zu bekommen!« »Nein«, ächzte Juscu und ließ vor Schrecken die Steuerscheibe los. Der Schweber senkte die Nase und raste dem Boden entgegen. »Bist du lebensmüde, du Narr?« kommen tierte der Vrill sofort. Juscu hörte gar nicht hin. Er hatte genug damit zu tun, das Fahrzeug unter Kontrolle zu bringen. Der Krieger hielt sich zurück. Ihm schien es gleichgültig zu sein, ob der Schweber auf dem Boden zerschellte oder nicht. Erst als das Fahrzeug wieder ruhig in der Luft lag, wagte Juscu es, an die Behauptung des Vrills zu denken. Die Bank des Wächters! Sie war für den bedächtigen Hirten so et was Ähnliches wie ein Heiligtum. Niemand durfte sie berühren, der nicht infolge eines direkten Kontakts zum Tyrannen spercoti siert worden war. Der Vrill betrachtete die Bank als ein ganz normales Instrument zur Überwachung der Herde. Und er hatte etwas herausgefun den, wovon Juscu nichts ahnte. Die Bank des Wächters barg unter ande rem einen automatischen Sender. Der Vrill
Die Ebene der Krieger verstand nicht viel von Technik, aber er konnte logisch denken. Darum war er davon überzeugt, daß der Sender eine ständige Verbindung zur nächsten Zentralstation des Tyrannen Sperco schuf. Darum hatte er Jus cu schon gleich nach dem Unglück gewarnt und ihm empfohlen, möglichst schnell etwas zu unternehmen, womit er die Spercoiden besänftigen konnte, wenn sie kamen und die vernichtete Herde sahen. Im Grunde war es ihm egal, ob Fremde den Hügel heimsuchten oder nicht. Ihm ging es darum, dem bedächtigen Hirten endlich die Augen zu öffnen. Der Amokläufer war tete nur auf eine Gelegenheit, sich austoben zu dürfen. Der Vrill hoffte, daß Juscu den Hügel ansteuerte. Dann mußte der defekte Roboter sich sofort auf die Fremden stürzen. Daran mußte Juscu erkennen, wie es um sei nen Schützling bestellt war! Tatsächlich änderte der bedächtige Hirte den Kurs. Der Krieger stand immer noch re gungslos neben dem Hirten. Aber der Vrill spürte, daß unter der glänzenden Haut Dinge geschahen, die einen baldigen Ausbruch der Mordlust anzeigten. Hoffentlich kamen die Fremden nicht aus gerechnet jetzt auf die Idee, den Hügel zu verlassen. Sie besaßen ein Fluggerät, das hatte der Vrill aus den schwachen Gedankenimpulsen herausgelesen. Gleichzeitig stellten sie of fensichtlich einen beachtenswerten Macht faktor dar, denn sie verschwendeten keinen Gedanken an Sperco oder die Spercoiden. So sorglos konnten nur Wesen sein, die über überragende Waffen verfügten. Der Vrill zitterte vor Aufregung. Die Fremden boten ihm eine Gelegenheit, alle Probleme auf einmal zu lösen. Er konnte mit ihrer Hilfe den Amokläufer entlarven. Er dachte keine Sekunde lang dar an, daß der Krieger die Fremden töten wür de. Wenn seine Annahme stimmte, konnte das Blechding ihnen nichts anhaben. Andererseits waren sie hoffentlich auch mächtig genug, um Juscu vor den Spercoi den zu schützen und vielleicht sogar den
33 verhängnisvollen Bann von ihm zu nehmen, unter dem er seit seiner Verschleppung leb te. Und falls das alles doch danebenging, be stand immer noch die Hoffnung, daß einer der Fremden einen geeigneten Schützling für den Vrill abgab. Die Tatsache, daß er ih re Gedanken überhaupt aufspüren konnte, war verheißungsvoll. Der Hügel tauchte vor dem Schweber auf. Inzwischen war viel Zeit vergangen, und die Luft flimmerte über der Ebene. Juscu hatte seinen Schutzumhang angelegt. Der Vrill flatterte um seinen Kopf, um ihm zusätzlich Erleichterung zu verschaffen.
7. Etwas zerrte an Atlans Kopf. Undeutlich hörte er durch das Brausen in seinen Ohren ferne Stimmen, die aber nicht bis in sein Be wußtsein drangen. Er spürte jeden Atemzug. Sobald er Luft holte, schien etwas sein Gehirn gegen die Schädeldecke zu pressen. Vor seinen Augen tanzten Sterne durch eine endlose Finsternis. Er fühlte seinen Körper nicht mehr. Nur sein Schädel schien noch zu existieren, als eine fast formlose, schmerzende Masse, die dem Druck nicht mehr lange standhalten würde. Er sah und hörte nicht, wie die anderen versuchten, ihn von dem Ring zu befreien. Aber das verflixte Ding schmiegte sich wie angegossen um Atlans Kopf. Selbst der Bera mit seinen ungeheuren Kräften konnte den Ring nicht um einen Millimeter von der Stelle bewegen. Trotz der Schmerzen arbeitete das Gehirn des Arkoniden insofern tadellos, daß es alle Eindrücke speicherte, die der Ring ihm ver mittelte. Er sah die Herde der Roboter sozusagen mit Juscus Augen. Er erkannte den ungeheu ren Schaden, der hier entstanden war, und er begriff, daß es für den Wächter dieser Anla ge ein fast tödlicher Schock gewesen war, die Katastrophe erleben zu müssen. Atlan empfing noch andere Bilder.
34 Die meisten waren unverständlich. Er sah seltsam geformte Dinger, die möglicherwei se Raumschiffe darstellten. Dann masken haft starre Gesichter. Gestalten, die altmodi schen Rittern ähnelten. Andere Roboterherden, die einsatzbereit auf Befehle warteten. Seltsame Pflanzen und Tiere und starre, ver schiedenfarbige Meere. Wesen, die halb stofflich waren und deren Bild sich immer wieder verflüchtigte. Er erlebte die Landung Pthors noch ein mal, diesmal von einem anderen Standort aus. Er beobachtete, wie sich der Glutball herabsenkte, spürte die Beklemmung, die den fremden Wächter befallen haben moch te, und dessen Verzweiflung, als die Glut wolke sich auf die Ebene herabsenkte. Und endlich, nach einer halben Ewigkeit, wurde der Druck geringer. Die Bilder liefen schneller vor seinem inneren Auge ab. Et was schien vor ihm zu explodieren – und dann war da gar nichts mehr. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Boden des Zugors, und die anderen beugten sich mit besorgten Gesichtern zu ihm herab. Er sah einen Wasserbehälter in Thalias Hand, und seine Augen saugten sich förm lich daran fest. »Was war los?« krächzte er, nachdem er etwas getrunken hatte. Er befühlte seinen Kopf. Seine Finger fanden nichts, obwohl er meinte, mit Beulen übersät zu sein. »Es war dieser Ring«, sagte Razamon. »Erinnerst du dich noch daran?« Atlan versuchte zu nicken, beherrschte sich aber gerade noch rechtzeitig. Allein der Gedanke an eine solche Bewegung trieb ihm das Wasser in die Augen. Aber er erinnerte sich. Nicht nur an den Ring, der so unerwar tet zu einer teuflischen Falle geworden war, sondern auch an die Bilder, die er gesehen hatte. Und er begriff, daß die Gruppe sich in Gefahr befand. »Wir bringen ihn in die Wohnkuppel«, sagte Thalia zu Razamon. »Dort haben wir wenigstens Wasser für ihn, und es ist nicht so heiß wie hier draußen.« Razamon beugte sich herab und wollte
Marianne Sydow den Arkoniden hochheben, aber Atlan wehr te sich. Verblüfft trat der Pthorer zurück. At lan rang keuchend nach Luft, und vor seinen Augen flammten bunte Blitze. Als er wieder etwas sehen konnte, raffte er mühsam seine Kräfte zusammen. »Weg!« krächzte er. »Nach Westen!« Die anderen sahen sich unschlüssig an. »Vielleicht hat ihn etwas beeinflußt«, sag te Razamon mißtrauisch, »und er lockt uns, ohne es zu wollen, in eine Falle!« Atlan wäre am liebsten aufgesprungen, um selbst den Zugor mit Höchstgeschwin digkeit von dem Hügel wegzubringen. »Es geht ihm sehr schlecht«, bemerkte Kolphyr mitfühlend und streckte die Arme nach Atlan aus. »Laß ihn!« fuhr Thalia das Antimaterie wesen an. »Weg!« sagte Atlan noch einmal müh sam. »Schon gut«, murmelte Thalia beruhi gend. »Wir starten gleich. Mach dir keine Sorgen.« Er sah erleichtert, daß sie auf das Steuer pult stieg. Razamon schien mit ihrer Ent scheidung nicht einverstanden zu sein. Er re dete gestikulierend auf Thalia ein, aber die Tochter Odins betätigte ungerührt die Kon takte. Am Bild der sich in Bewegung setzen den Wolken erkannte Atlan, daß sie sich mit hoher Geschwindigkeit vom Hügel entfern ten. Er fühlte sich wie zerschlagen. In seiner Brust spürte er die heftigen Impulse des Zel laktivators. Er vertraute sich dem Gerät an und schloß die Augen. Er hatte schon vor langer Zeit gemerkt, daß der Aktivator dann am wirkungsvollsten arbeitete, wenn sein Träger schlief. Aber er fand keine wirkliche Ruhe. Die unheimlichen Bilder durchsetzten alle seine Träume. Trotzdem fühlte er sich erfrischt, als er wieder erwachte. Vorsichtig stützte er sich auf die Ellbogen. Die Kopfschmerzen waren verschwunden. Nur ein leichter Druck auf den Schläfen war geblieben.
Die Ebene der Krieger Er drehte den Kopf zur Seite und sah Raz amon, der ihn aufmerksam beobachtete. »Wo sind wir jetzt?« fragte Atlan, setzte sich auf und lehnte sich gegen die Bordwand des Zugors. »Im Hügelland«, antwortete der Pthorer ruhig. »So, wie du es gewollt hast. Was war mit dem Hügel los?« »Ich bin mir nicht sicher, aber ich fürchte, der Wächter hat das Unglück miterlebt.« Razamon zog die Augenbrauen hoch. »Du fürchtest?« fragte er verblüfft. Atlan lächelte bitter. »Ich wünsche niemandem etwas Schlech tes, und soweit ich es beurteilen kann, ist der Wächter ein sehr friedliches Wesen. Aber er hatte die Aufgabe, die Herde zu beschüt zen.« »Herde?« fragte Thalia dazwischen. »So nannte er seine metallenen Schützlin ge«, erklärte Atlan. »Er selbst bezeichnete sich als einen bedächtigen Hirten. Jedenfalls habe ich es so verstanden.« »Dann ist der Ring Teil eines Verständi gungssystems.« »Das nicht gerade. Es ist schwer zu erklä ren. Ich glaube, er diente in erster Linie da zu, den Robotern Befehle zu erteilen. Jeden falls hat der Ring auf diese Idee reagiert und mich festgehalten. Ich wüßte zu gerne, wa rum das Ding schließlich doch nachgegeben hat. Ist einer von euch an irgendeinen Schal ter geraten?« »Du hast fast eine Stunde daran gehan gen«, sagte Razamon grimmig. »Wir haben alles versucht, um dich zu befreien, und zu diesem Zweck auf jeden einzelnen Knopf gedrückt, den wir finden konnten. Es hat al les nichts genützt. Kolphyr und ich haben versucht, das Verbindungskabel zu zerrei ßen. Das ging auch nicht. Als wir gerade mit unserem Latein am Ende waren, öffnete sich der Ring ohne ersichtlichen Grund und schwebte nach oben. Du bist auf der Stelle zusammengebrochen.« »Vielleicht liegt es am Zellaktivator«, murmelte Atlan nachdenklich. »Wir werden es wohl nie erfahren. Es sei denn, einer von
35 euch setzt sich freiwillig unter den Ring.« »Nur unter der Voraussetzung, daß du mit einem Schweißgerät danebenstehst«, schnaubte Razamon. »Es war nicht so gemeint.« »Warum wolltest du, daß wir den Hügel verlassen?« fragte Kolphyr. »Ich fand die Kuppeln dort sehr anziehend. Sicher hätten wir noch vieles erfahren können …« »Ja«, nickte Atlan. »Zum Beispiel, wie es nun wirklich im Jenseits aussieht.« »Dann ist der Wächter also doch nicht so friedlich.« Atlan hatte Schwierigkeiten, das, was er über den Ring gesehen hatte, in Worte zu kleiden. Wie erklärt man einen Traum? Die vielen Bilder glitten übereinander und wur den von Sekunde zu Sekunde undeutlicher. Atlan strich sich ratlos über die Stirn. Er war daran gewöhnt, daß sein Gedächtnis ein wandfrei funktionierte. Warum versagte es ausgerechnet jetzt? »Er ist beeinflußt«, brachte er endlich mühsam heraus. »Er ist von Natur aus fried lich, aber für seine Aufgabe hat man ihn – man könnte sagen: aufgeladen. Von ihm selbst ist nur wenig übriggeblieben. Etwas Fremdes füllt ihn aus.« Razamon schwieg. Atlan bemerkte den mißtrauischen Blick des Freundes. »Mir konnte das Fremde nichts anhaben«, sagte er ärgerlich. »Erstens bin ich nicht so leicht zu beeinflussen, und zweitens trage ich den Anzug der Vernichtung.« »Er hat dich diesmal nicht gerettet«, ant wortete Razamon betont ruhig. »Woher willst du das so genau wissen?« Atlan wurde beinahe wütend, weil er das Gefühl hatte, daß Razamon ihm kein Wort glaubte. »Man hat es versucht, da bin ich mir ganz sicher. Und es hat nicht funktio niert. Darum gab mich der Ring wieder frei. Wenn du glaubst, daß ich im Auftrag von ir gend jemandem euch alle in eine Falle ge lockt habe, dann geh auf den nächsten Hügel und paß auf, was bei der Station geschieht. Der Wächter wird zurückkommen – falls er nicht längst da ist. Derjenige, in dessen Auf
36 trag er die Roboter bewachte, ist gnadenlos. Der Wächter kann sein Versagen höchstens damit ausgleichen, daß er die Schuldigen be straft. Und das sind in seinen Augen wir, weil wir von dem verdammten Dimensions fahrstuhl kommen.« »Davon kann der Unbekannte gar nichts wissen«, widersprach Razamon. »Natürlich nicht«, gab Atlan höhnisch zu rück. »Wenn man bedenkt, daß Tausende von Zugors in dieser Gegend herumfliegen und die Angehörigen fremder Sternenvölker in Hundertschaften durch die Gegend ziehen …« »Verdammt!« schrie Razamon empört und sprang auf die Füße. »Ich will doch nur sichergehen, daß du …« »Genug!« sagte Kolphyr mit seiner hellen Stimme. Er stellte sich blitzschnell zwischen Atlan und Razamon. Die beiden sahen den Riesen verblüfft an. »So werden wir das Problem nicht lösen«, fuhr der Bera fort. »Du, Atlan, bist überreizt durch das, was du erleben mußtest. Und du, Razamon, verlangst zuviel von deinem Freund.« »Sag das nochmal, wenn die Falle zuge schnappt ist«, knurrte der Pthorer, aber Kol phyr schien ihn nicht zu hören. Er starrte in die Richtung, in der der Hügel lag und stand lange Zeit regungslos da. Dann drehte er sich schwerfällig nach Thalia um. »Starte«, befahl er. »Aber sei vorsichtig und halte uns in Deckung. Etwas geschieht dort drüben.« Thalia wirkte unsicher, aber sie machte sich an die Arbeit. Als der Zugor knapp ne ben dem Gipfel eines Hügels verharrte, zog Razamon zischend die Luft durch die Zähne. Atlan rappelte sich mühsam auf und spähte über die Bordkante. Er fühlte sich schon wieder recht wohl, nur die Knie wurden ihm beim Stehen etwas weich. »Ein Zugor«, flüsterte Razamon. »Mit zwei Fahrgästen.« »Falsch«, sagte der Bera. »Diese Flug schale ist viel kleiner. Und einer der Passa giere gehört nicht in die Reihe der organi-
Marianne Sydow schen Lebewesen. Der Andere sieht so aus wie die Puppen, die wir in der Station fan den.« Atlan hatte immer geglaubt, sehr scharfe Augen zu haben, aber er konnte jetzt kaum Einzelheiten ausmachen. Er sah nur einen fliegenden Gegenstand mit zwei Erhebun gen. »Wir müssen näher heran«, sagte Raza mon aufgeregt, aber der Bera hob abweh rend die rechte Hand. »Der Roboter könnte uns orten«, warnte er. Thalia sah sich fragend nach Atlan um. Der Arkonide zuckte mit den Schultern. Er hatte wirklich keine Ahnung, wie sie sich in dieser Situation am besten verhielten. »Ich wollte, ich hätte ein Fernglas«, mur melte Razamon neben ihm. Atlan hatte bereits eine spitze Bemerkung auf der Zunge. Sei still, warnte der Extrasinn. Er meldete sich zum erstenmal seit dem Zwischenfall mit dem Ring. Bei dir ist einiges durchein andergeraten. Razamon hat nicht die Ab sicht, dich zu reizen. Warte eine Weile, dann wirst du selbst erkennen, daß deine Reaktio nen zur Zeit unangemessen sind. Wieder wollte die Wut in ihm explodie ren, aber diesmal begriff er, was der Extra sinn meinte. Es gelang ihm, sich zu beherr schen. Bestürzt fragte er sich, ob Razamon am Ende recht hatte – wenn auch auf etwas andere Art. War er zu lange dem Einfluß der fremden Macht ausgesetzt gewesen? Hatte der Ring ihn nur deshalb freigegeben, weil seine Ar beit abgeschlossen war? Würde es ihm am Ende nie mehr gelingen, sich aus dem ver hängnisvollen Bann zu lösen? Unwillkürlich dachte er an Razamons An fälle zurück. Würde in Zukunft er, der Arko nide, die Rolle des von irrsinniger Wut ge plagten Begleiters übernehmen müssen? Die Beeinflussung ist nur oberflächlich, tröstete der Extrasinn. In wenigen Stunden wirst du nichts mehr merken. Aber was kommt danach? fragte der Ar
Die Ebene der Krieger konide lautlos. Wie kann ich sicher sein, daß nicht irgendwo in meinem Unterbewußtsein etwas hängen geblieben ist, was mich zu ei ner Gefahr für die anderen werden läßt? Dein Unterbewußtsein wurde nicht be rührt, behauptete der Extrasinn. Der Arkonide war noch längst nicht beru higt. Er wünschte sich, auf Terra zu sein, wo man jederzeit erfahrene Ärzte konsultieren konnte. Für ihn war es völlig ungewöhnlich, in seinem Gehirn etwas zu finden, was nicht hineingehörte. Die Vorstellung, im Griff ei ner fremden Macht zu sein, machte ihn unsi cher. Der Erfolg war allerdings positiv, denn Atlan stellte sich selbst so stark in Frage, daß er sich durch keine Bemerkung mehr herausfordern ließ. Solche Bemerkungen waren allerdings im Augenblick auch überflüssig. Das fremde Fluggerät landete auf dem Hügel. Zwei winzige Gestalten krochen zwi schen den Kuppeln herum. Es sah aus, als suchten sie etwas. Fast eine Stunde verging, dann standen die beiden wieder an ihrer Flugschale. Und plötzlich stieg das Gerät wieder auf, aber diesmal saß nur ein Passa gier darin. »Es ist der Roboter«, sagte Kolphyr leise. »Thalia, warte bitte noch, bis die Flugschei be außer Sicht ist. Dann sehen wir nach, was auf dem Hügel geschehen ist.« Niemand hatte etwas gegen Kolphyrs Vorschlag einzuwenden.
8. Juscu unterrichtete den Krieger davon, daß er in der Station vermutlich Fremde an treffen würde. Da die abergläubischen Bran geln sich dem verbotenen Hügel niemals zu nähern wagten, konnten die Fremden eigent lich nur von dem kleinen Mond kommen. Wahrscheinlich wollten sie sich davon über zeugen, daß ihr schändlicher Plan gelungen war. Juscu war drauf und dran, sich in Grund und Boden zu schämen. Er hatte jämmerlich versagt. Nur diesen einen Roboter hatte er
37 retten können – wobei ihm immer noch nicht ganz klar war, wie der Krieger der Vernichtung hatte entgehen können. Die Gegner Spercos konnten zufrieden sein. Aber sie sollten ihr blaues Wunder erle ben. Juscu mochte noch so friedfertig sein, aber jetzt erfüllte ihn kalte Mordlust. Er fand es nur gerecht, wenn er die hochnäsigen Fremden umbrachte. Als sie sich dem Kontrollhügel näherten, tauchte der Vrill wieder auf. Er war voraus geflogen, um die Lage zu sondieren. »Sie sind weg«, rief er aufgeregt. Juscu ließ sich nicht beeindrucken. Er behielt den Kurs bei. »Du mußt Höhe gewinnen!« forderte der Vrill ungeduldig. »Sie können noch nicht weit gekommen sein. Von oben kannst du sie leicht orten. Sicher haben sie sich zwi schen den Hügeln versteckt.« Aber Juscu blieb stur. Er wußte, daß der Vrill die Wände der Kuppeln durchdringen konnte, ohne die Türkontakte zu öffnen. Trotzdem ging er davon aus, daß die Frem den sich in den Kuppeln verbargen und dort auf ihn warteten. Zu ihrem totalen Triumph gehörte nur noch der Tod des bedächtigen Hirten. Sie würden sich eine solche Gele genheit nicht entgehen lassen. Juscus Geist verwirrte sich wohl allmäh lich, sonst hätte er sicher erkannt, wo der Fehler in seinen Überlegungen steckte. Woher sollten die Fremden überhaupt wissen, daß es Juscu gab und daß er noch am Leben war? Abgesehen davon – wer die Macht hatte, eine ganze Roboterherde gleichsam im Vor beifliegen zu zerstören, der brauchte sich um einen einzelnen Gegner wohl kaum zu küm mern. Der Krieger verfolgte alle Vorgänge mit großer Aufmerksamkeit. Er freute sich auf den bevorstehenden Kampf. Die Energien stauten sich in ihm. Es wurde höchste Zeit, daß er sich abreagieren konnte. Juscu würde nicht viel von den Fremden zu sehen bekommen. Der Roboter war ent
38 schlossen, auf der Stelle das Feuer zu eröff nen, wenn er die Eindringlinge vor seine Linsen bekam. Und er mußte schnell han deln und seine Opfer sofort töten. Der alte Narr, der hier als Hirte auftrat, bekam sonst am Ende noch mitleidige Anwandlungen und beschränkte sich darauf, die Fremden gefangenzunehmen und den Spercoiden aus zuliefern. Der Vrill war beunruhigt. Er merkte, daß sein Einfluß auf Juscu immer geringer wur de. Ratlos schwebte er über dem Kopf des Blauen. So trafen die drei Teilnehmer des Unter nehmens beim Hügel ein. Ihre Motive waren so verschieden, daß eine Verständigung un möglich schien. Juscu setzte den Schweber am Fuß des Hügels auf. Vorsichtshalber nahm er seine Waffe schußbereit in die Hand. Der Roboter blieb bei ihm, als sie den Pfad hinaufstiegen und eine Kuppel nach der anderen durch suchten. Sie fanden viele Spuren, die ihnen bewiesen, daß die Fremden dem Hügel tat sächlich einen Besuch abgestattet hatten. Die Eindringlinge selbst blieben unauffind bar. »Sie müssen noch hier sein«, sagte Juscu beharrlich. »Nur hier können sie mir auflau ern. Sie haben es auf mich abgesehen, das weiß ich. Erst nach meinem Tod können sie sicher sein, diesen Stützpunkt ausgeräumt zu haben. Und ich werde sie finden!« »Du verschwendest deine Zeit«, schrie der Vrill wütend. »Vernichte endlich den Amokläufer und durchforsche den gelande ten Mond. Nur so kannst du dein Leben noch retten!« »Mein Leben bedeutet mir nichts mehr«, antwortete Juscu würdevoll und vergaß vor übergehend den Krieger, der alles mit anhör te. »Ich lebe für Sperco, den Tyrannen. Sei ne Feinde sollen spüren, daß selbst ein armer Hirte wie ich bereit ist, alles für Sperco zu geben.« »Du bist verrückt«, kreischte der Vrill. »Total übergeschnappt! Was hat Sperco da von, wenn du in den Tod rennst? Außerdem
Marianne Sydow haben sich die Fremden zwischen den Hü geln versteckt. Warum hörst du nicht auf mich?« »Weil du nichts weiter als ein dummer, geschwätziger und vorlauter Quälgeist bist«, gab Juscu grob zurück. Dem Vrill sträubten sich die Federn. Er schoß senkrecht in die Luft und verharrte dort flatternd. Unsicher starrte er nach unten. Was war nur in den bedächtigen Hirten ge fahren. War wirklich das letzte Band zwi schen ihnen gerissen? »Komm mit«, forderte Juscu den Amok läufer auf. »Ich werde es über die Bank des Wächters versuchen. Sie werden nicht ent kommen.« Davon war der Krieger ebenfalls über zeugt. Er stakste hinter Juscu her und beob achtete mit seinen kalt glitzernden Linsen, wie der bedächtige Hirte den Ring zu sich herabzog. Juscu merkte sofort, daß etwas verändert war. Im ersten Schrecken dachte er, die Fremden hätten die Bank des Wächters in eine Falle verwandelt. Dann erkannte er, daß ein Informationsaustausch stattgefunden hat te. Immer wenn Juscu sich der Bank bediente und seinen Kriegern Befehle gab, empfing er als Austausch Eindrücke aus der Welt des Tyrannen Sperco. Es waren erhebende Bil der, die seine Überzeugung verstärkten, einen bedeutenden Posten innezuhaben. Diesmal empfing er fremde, erschrecken de Bilder. Und er merkte nicht, daß er dabei sprach. »Ein riesiges Land ist das, was die Herde zerstörte«, murmelte er wie in Trance. »Es leben viele Völker in ihm, auch Ungeheuer aller Art. Überall drohen Gefahren. Es ist ei ne Welt der Kämpfer und des Krieges, böse und drohend. Es gibt Städte und Wüsten und technische Einrichtungen wie diesen Hügel hier. Am bedeutendsten ist die FESTUNG, die bis vor kurzem völlig isoliert war. Dort gibt es Krieger wie die, die in der Fläche Jell-Cahrmere auf ihren Einsatz warteten, und künstliche Wesen, die nur für den
Die Ebene der Krieger Kampf geschaffen wurden …« Juscu sah all das, was die Bank dem Ge dächtnis des Arkoniden entnommen hatte, während Atlan Informationen über Spercos Reich empfing – womit er allerdings nicht viel anfangen konnte, denn als Nichtsperco tisiertem mußten die Bilder für ihn sinnlos bleiben. Juscu dagegen verstand alles, und er gab es in einem monotonen Murmeln weiter. Er vergaß die Suche nach den Feinden. Auch auf den Krieger achtete er nicht mehr. Er erfuhr, wie die Fremden diesen Hügel nach ihm, Juscu, durchsucht hatten. Er be griff auch, daß sie erstens keine Ahnung von der Existenz Spercos hatten und zweitens nicht darauf erpicht waren, den bedächtigen Hirten zu töten. Sie hatten mit der ganzen Katastrophe nur insofern zu tun, als daß sie in diesem seltsamen Land lebten, das da vom Himmel gefallen war. Juscu wußte nicht mehr, was er von alle dem halten sollte. Es war schwierig, die Fremden einzustufen. Sie waren offensicht lich keine Feinde – aber auch keine Freunde. Dazwischen gab es für Juscu nichts mehr seit der Spercotisierung. Mit Mühe löste er sich aus dem Bann der fremden Bilder. Er sah auf und entdeckte den Krieger. »Sie sind nicht mehr hier«, erklärte er. »Sie hatten einen Schweber. Wahrscheinlich sind sie in ihr Land zurückgekehrt, nachdem sie sich hier umgesehen haben.« »Was wirst du tun?« fragte der Krieger unbewegt. Juscu fuhr sich mit der Hand über das Ge sicht. Seine Haut war trotz des Schutzanzugs rissig vor Trockenheit. Er brauchte dringend einen ausgiebigen Aufenthalt unter der Du sche. »Ich werde mich erfrischen«, sagte er nachdenklich. »Und dann werden wir den Fremden folgen. Wahrscheinlich stimmt es, daß das fremde Land nur durch einen Zufall die Herde zerstörte, aber ich möchte es ge nau wissen. Geh zum Schweber und bereite alles vor. Lade genug Vorräte ein, damit wir
39 unabhängig sind. Vergiß nicht, die Wasser vorräte aufzufüllen.« Der Krieger marschierte schweigend da von. »Du Narr!« sagte der Vrill in einer seltsa men Mischung von Trauer und Wut. »Jetzt muß der Amokläufer annehmen, daß du kei nen Kampf willst. Er wird dich bei der erst besten Gelegenheit umbringen und dann al leine in dieses komische Land eindringen. Du hast es ihm verlockend genug geschil dert. Er muß annehmen, daß es ein wahres Paradies für ein mordgieriges Monstrum wie ihn ist!« »Ich habe ihm nichts gesagt«, protestierte Juscu. »Du hast die ganze Zeit über geredet«, versetzte der Vrill. »Er weiß alles.« »Aber er ist nicht der Amokläufer. Er hät te mich sonst längst getötet.« »Du wiederholst dich«, schnarrte der Vrill verächtlich. »Geh weg«, murmelte Juscu erschöpft. »Ich brauche Ruhe.« »Die wirst du schon bald im Übermaß fin den«, versprach das kleine Wesen bissig. Juscu machte sich auf den Weg zur Wohnkuppel. Jeder Schritt fiel ihm schwer. Er brauchte dringend eine lange Pause der Erholung, aber er zwang sich, nicht daran zu denken. Er durfte sich jetzt nicht gehenlas sen. Die Zeit drängte. Bald würden die Sper coiden kommen … Der Gedanke an Sperco munterte ihn ein wenig auf. Er schritt schneller aus und stand dann endlich unter den eisigen Wasserfluten. Er spürte, wie seine Lebensgeister zurück kehrten. Nach dem Bad nahm er eine hastige Mahlzeit zu sich. Er wunderte sich darüber, daß der Vrill diesmal nicht kam, um sich seine Portion zu erbetteln. Nach dem Essen suchte er ein paar Sachen zusammen, von denen er annahm, daß er sie in jenem frem den Land brauchen konnte. Dann trat er nach draußen. Der Krieger erwartete ihn bereits. »Hast du auch nichts vergessen?« fragte Juscu be sorgt.
40 »Nein«, antwortete der Roboter knapp. Juscu ärgerte sich über sich selbst. Ein Krieger Spercos konnte gar nichts verges sen. Er fühlte sich verwirrt und unsicher. So kam er nicht einmal darauf, dem Roboter sein Bündel mit der Ausrüstung aufzubür den. Schweigend watschelte er hinter dem Krieger den Pfad hinunter. Die Maschine ging ziemlich schnell. Juscu geriet außer Atem. »Langsamer!« befahl er keuchend. Der Krieger achtete nicht auf ihn und schritt un bekümmert weiter aus. »Du hast zu gehor chen!« rief Juscu, so laut er konnte. »Warte auf mich!« Der Krieger hatte inzwischen den Schweber erreicht und blieb endlich ste hen. Juscu atmete erleichtert auf. Unwillkür lich hatte er an die Warnungen des Vrills denken müssen. Aber natürlich hatte der Kleine unrecht. Er war nur eifersüchtig. Er hatte die Krieger nie leiden können, weil Juscu sich mehr mit ihnen als mit seinem kleinen Begleiter beschäftigte. Juscu watschelte das letzte Stück des Weges hinunter. Sein Bündel war so schwer, daß es ihn zwang, zum Boden zu blicken und sich auf jeden einzelnen Schritt zu kon zentrieren. Darum sah er nicht, wie eine winzige Öffnung im glänzenden Körper des Kriegers entstand. Erst als er direkt vor dem Roboter stand, erkannte er, daß etwas nicht stimmte. »Was ist los?« fragte er. »Warum steigst du nicht in den Schweber? Nimm mir das Bündel ab und lege es zu den anderen Vor räten.« »Es gibt keine anderen Vorräte.« Juscu starrte den Krieger mit offenem Mund an. »Ich verstehe nicht …«, stotterte er ver wirrt, aber in Wirklichkeit sah er genau in diesem Augenblick jene Wahrheit, der er so lange ausgewichen war. Bevor er in die Wohnkuppel ging, hatte er ständig seine Waffe getragen. Vor dem Es sen hatte er sie auf ein Regal gelegt, weil er erstens die Hände frei haben wollte und zweitens sowieso nicht mehr mit dem Auf-
Marianne Sydow tauchen eines Gegners rechnete. Und als er die Kuppel verließ, da trug er bereits das Bündel, und er war nicht gewillt, sich mit zusätzlichen Dingen zu belasten. Er hatte überdies eine Waffe eingepackt. Der Roboter hatte sich so gerissen und ge schickt verhalten, wie man es von dem Amokläufer erwarten konnte. Er ging kein Risiko ein. Natürlich war er schneller als der bedächtige Hirte, aber organische Wesen waren unberechenbar, und wenn der erste Schuß danebengegangen wäre, hätte Juscu vielleicht doch gesiegt. Außerdem hatte der Roboter nicht gewußt, ob Juscu nicht doch diesen gemeinen Kasten bei sich hatte, mit dem er jeden Krieger abschalten konnte. Jetzt war der bedächtige Hirte garantiert wehrlos. Er war sogar so erschrocken, daß er nicht einmal zur Seite wich. »Ich bin der Amokläufer«, sagte der Krie ger seelenruhig. »Ich werde dich töten. Und dann werde ich in das fremde Land gehen. Dort werde ich viele Kämpfe bestehen.« »Das darfst du nicht«, konnte Juscu noch sagen, dann fauchte ein greller Feuerstrahl aus der Körperöffnung des Amokläufers. Der bedächtige Hirte war auf der Stelle tot. Verwirrt und hilflos umflatterte der Vrill den Roboter. In seiner Verzweiflung wäre er sogar bereit gewesen, sich mit diesem Mon strum zu verbinden. Leider erwies sich die ses Vorhaben als unmöglich. Er schrie den Amokläufer an, er bewegte sich direkt vor dessen Linsensystemen, er umflatterte die Antennen, die aus dem obe ren Teil des metallenen Körpers ragten, aber der Roboter schien ihn nicht zu bemerken. Der Vrill konnte es nicht verhindern, daß der Amokläufer den Schweber bestieg und mit ihm davonflog. Das kleine Wesen blieb zurück. Seine ein zige Hoffnung waren jetzt die Fremden. Er wußte, daß sie sich noch in der Nähe auf hielten. Vielleicht kamen sie, um nachzuse hen, was auf dem Hügel des Wächters ge schehen war. Der Vrill würde keinen Augenblick zö
Die Ebene der Krieger gern, einen der Fremden zu seinem Schütz ling zu machen, wenn sich ihm auch nur die geringste Chance bot.
* Razamon lehnte über der Bordwand des Zugors und blickte mißtrauisch zum Hügel hinüber. Atlan ärgerte sich maßlos über den Pthorer, aber er beherrschte sich. Ab und zu horchte er in sich hinein, als könnte er so et was Fremdes aufspüren, das sich vielleicht – den Behauptungen des Extrasinns zum Trotz – eingeschlichen hatte. Aber da war nur die ser jähe Zorn, der bei jeder Kleinigkeit auf brandete. »Es ist wirklich der Blaue«, sagte Thalia nach einer Weile. »Er scheint verletzt zu sein – oder tot.« »Das hieße, daß der Roboter ihn umge bracht hat«, murmelte Razamon. »Klingt ziemlich unwahrscheinlich.« Atlan dachte an die Robotdiener aus Wol terhaven, schwieg jedoch, weil er genau wußte, daß er einen viel zu aggressiven Kommentar abgeben würde. »Geduldet euch noch ein wenig«, empfahl der Bera. »Wir sind ja gleich da.« Der Zugor war kaum gelandet, da sprang Razamon schon nach draußen und rannte zu dem Blauen hinüber. Der Pthorer hatte mit einer List des Fremden gerechnet. Als er den Wächter des Hügels jedoch erreichte, blieb er erschüttert stehen. Die anderen folgten ihm. Der Fremde hatte seinen Schutzumhang verloren. Er trug nur noch einen breiten Gür tel, an dem verschiedene kleine Gebrauchs gegenstände befestigt waren. Das Wesen sah tatsächlich einer Robbe ähnlich, hatte aber eine unbehaarte, blaue Haut und kurze Arme mit zierlichen Händen daran. Und es war tot. Oberhalb des Gürtels war ein faustdicker Energiestrahl eingeschlagen. Der Fremde war regelrecht durchbohrt worden. »Er hätte uns sicher einiges verraten kön nen«, meinte Razamon bedrückt.
41 »Er hätte uns getötet«, widersprach Atlan heftig. »Er stand unter dem Einfluß einer fremden Macht. Wir können nur froh sein, daß er zu spät hier eintraf.« Er ging an dem Pthorer vorbei den Pfad hinauf. »Wohin willst du?« rief Thalia ihm nach. Aber der Arkonide sah sich nicht einmal um. »Hoffentlich stellt er keinen Unsinn an«, meinte Kolphyr besorgt. »Er ist ganz durch einander. Wir sollten ihm lieber folgen.« Razamon zögerte. »Wir haben gesehen, daß der eine Robo ter abflog«, sagte er gedehnt, »aber wir wis sen nicht, ob sich hier nicht doch noch ein paar Maschinen verborgen halten, die nur auf uns warten.« »Dann hätten sie uns vorhin mühelos alle um die Ecke bringen können«, kommentier te Thalia. Kolphyr war bereits ein paar Me ter entfernt. »Durch den Tod des Wächters kann sich einiges verändert haben«, gab Razamon zu bedenken. »Diese Roboter scheinen sehr skrupellos zu sein. Wenn sie schon nicht da vor zurückschrecken, den armen Kerl hier zu töten, dann werden sie mit Fremden erst recht kurzen Prozeß machen.« »Um so wichtiger ist es, daß wir ihm fol gen.« Thalia sah Atlan nach, der mit schnellen Schritten den Pfad entlangeilte, ohne nach rechts oder links zu sehen. »Noch wichtiger wäre es, von hier zu ver schwinden«, murmelte Razamon düster. »Wem auch immer diese Roboter gehört ha ben – er wird kommen und sich bitter rä chen. Kehren wir nach Pthor zurück. Der Wölbmantel schützt uns vor allen, die uns an den Kragen wollen.« Thalia antwortete nicht, sondern lief hin ter Kolphyr und Atlan her. Razamon blieb unschlüssig stehen. Er wußte selbst nicht, was mit ihm los war. Er kam zu dem Schluß, daß es sich um Atlan handelte. Der Arkoni de hatte sich verändert, seitdem er mit dem verdammten Ring in Berührung gekommen war. Was konnte er tun?
42 Nichts. Es gab kein Mittel, kein Medikament, mit dem man dem Arkoniden helfen konnte. Wahrscheinlich brauchte Atlan nur Zeit und Ruhe, um wieder das zu werden, was er im mer gewesen war. Razamon entschied, daß Thalia und Kol phyr ausreichten, um den Arkoniden für den Augenblick vor Dummheiten zu bewahren. Er lehnte sich an die Bordwand des Zugors und behielt die Umgebung dabei im Auge. Auf keinen Fall durften sie die Flugschale verlieren. Razamon merkte nicht, daß seine Auf merksamkeit ständig abnahm. Ein warmer Nebel umhüllte sein Gehirn und schläferte ihn ein. Er empfing Bilder – andere als die, die Atlan vorher wahrgenommen hatte. Er sah einen violetten Himmel, in dem tiefschwarze Wolken schwebten. Ein dun kelrotes Meer, das gegen schwarze und gel be Klippen schlug. Eine betörend schöne Unterwasserwelt mit zahllosen bunten Fi schen und riesigen Tangwäldern. Dann wie der Strände, die wie mit Rost überzogen wa ren, und auf ihnen lagen blauhäutige Wesen, die den kalten Sturm genossen, der über sie hinwegbrauste. Er sah die treibenden Eisna deln über orangefarbenen Schollen und klei ne, blaue Blüten, die mitten im Packeis wuchsen. Etwas lockte ihn. Aber die Welt, die er sah, paßte nicht zu ihm. Sie war zu fremdar tig. Sofort veränderten sich die Bilder. Der Himmel wurde türkisfarben und unendlich hoch. Die Klippen färbten sich weiß und grau, das Meer blau, die Strände golden. Razamon sah mächtige Bäume und unter ih nen bunte Blumen in ungeahnter Pracht. Die Gärten der FESTUNG waren gegen diese Landschaft ungefähr so reizvoll wie ein zer tretener Rasenflecken in einer alten Stadt. Was soll das?, fragte er in Gedanken. Wer schickt mir diese Bilder? Ich, antwortete eine dünne Stimme. Der Vrill. Ich brauche dich. Der Hirte ist tot, und ohne ein Wesen, das ich beschützen
Marianne Sydow kann, werde auch ich sterben. Gib mir eine Chance. Ich kann viel für dich tun. Ich kann dich nicht einmal sehen, prote stierte Razamon. Wo bist du? Und was willst du für mich tun? Ich kann dich beschützen. Ich sehe Ge fahren voraus und werde dich rechtzeitig warnen. Deinem früheren Herrn hast du schlecht gedient, dachte Razamon bitter. Ich kann nichts dafür. Er hörte nicht auf mich. Ich kann dir das alles nicht so genau erklären. Die anderen werden gleich zurück kehren. Bis dahin muß du dich entschieden haben. Warum hast du mich ausgesucht? Das Wesen, das sich »Vrill« nannte, zö gerte mit der Antwort. An dir gibt es etwas, sagte es schließlich, was mich anzieht. Nur zu dir kann ich über haupt einen Kontakt herstellen. Aber wenn du nicht einwilligst … Razamon nickte nachdenklich und sah sein linkes Bein an. Es ist der Zeitklumpen, nicht wahr? Ich kenne diesen Ausdruck nicht, aber wenn es etwas ist, in dem du dich von deinen Begleitern unterscheidest, dann wird es wohl mit diesem Zeitklumpen zusammenhän gen. Razamon dachte an die Herren der FE STUNG, die ihn verbannt und mit der relati ven Unsterblichkeit bestraft hatten. Die Herren hatten Pthor starten lassen, als sie erkannten, daß ihnen eine Niederlage be vorstand. Pthor – soviel wußten sie – war auf den Weg in die Schwarze Galaxis ge bracht worden. Wären sie nicht mit dem Wasserball La'Mghors zusammengestoßen, so hätte wahrscheinlich nichts sie davor be wahrt, den Auftraggebern der Herren und eigentlichen Initiatoren der mörderischen Rei sen Pthors zu begegnen – unvorbereitet, oh ne Waffen und somit praktisch hilflos. Auch wenn die Reise durch Zeiten, Räu me und Dimensionen ging, ließ sich anneh men, daß sie überall den Spuren Pthors be gegnen würden.
Die Ebene der Krieger Der Zeitklumpen war ein Werk der Her ren der FESTUNG – und vielleicht einiger Magier. Und hier, auf diesem merkwürdigen Planeten, begegnete der Pthorer einem un sichtbaren Wesen, das sich vom Zeitklum pen angezogen fühlte. Razamon schlug wütend mit der Faust auf den Rand der Flugschale. Für wie dumm hielt man ihn eigentlich, daß man so plumpe Tricks mit ihm versuchte? »Ich will keinen Kontakt mit dir«, sagte er laut. »Und ich pfeife auf deine wunderbaren Fähigkeiten. Ich brauche keinen Beschützer, denn ich ziehe es vor, selbst auf mich aufzu passen.« Aber warum? fragte die lautlose Stimme des Vrills verzweifelt. Du kannst doch nur dabei gewinnen! Bedenke – ich werde ster ben, wenn ich dir nicht helfe! »Sterben?« Razamon lachte bitter. Er dachte an die Zeit seiner Verbannung zurück, in der nur der Gedanke an Rache ihn oft davor bewahrt hatte, den Verstand zu verlieren. Warum so selbstlos, Vrill? dachte er spöt tisch. Du behauptest, daß du nur leben kannst, wenn du mir helfen darfst. Warum hilfst du dir nicht selbst? Das geht nicht. Ich weiß. Du bist ein Schmarotzer. Ver suche nicht, mir etwas anderes einzureden. Was dich anzieht, das ist die Energie, die mein Zeitklumpen ausstrahlt. Genau diese Energie brauchst du. Kein Vrill hat jemals seinem Partner ge schadet. Aber es hat auch noch kein Vrill einen Berserker als Partner gehabt, konterte Raz amon. Wir haben vor, eine lange und ge fährliche Reise zu unternehmen, und die, die wir am Ende finden, sind dir möglicherweise ähnlich, denn du lebst auf einer Welt, die ir gendwie mit unseren Gegnern in Verbin dung steht. Nein, Vrill, du kannst mich nicht überzeugen. Versuche es bei einem anderen. Zu spät, Razamon, sagte der Vrill sehr lei se. Meine Zeit läuft ab.
43 Der Pthorer sah sich beunruhigt um. Der Vrill war nicht zu sehen. Er rief nach ihm, aber niemand antwortete. »Vrill!« rief er laut. »Komm zurück! Wir können doch noch mal darüber reden!« Aber das seltsame Wesen meldete sich nicht. Der Pthorer fühlte sich plötzlich schuldig. War er zu mißtrauisch gewesen? Vielleicht handelte es sich bei dem Vrill wirklich um ein harmloses, hilfsbereites We sen. Etwas kicherte schrill, und plötzlich spür te er ein Brennen in seinem linken Bein. Instinktiv ließ er sich fallen und ver wünschte gleichzeitig in Gedanken den Vrill und sein eigenes Mitleid in die entfernteste aller Höllen. Fast augenblicklich wurde das Brennen schwächer. Einer von uns erwischt dich doch, wisper te der Vrill. Früher oder später gelingt es uns. Razamon stampfte verzweifelt auf und fühlte, wie etwas sein Bein losließ. Eine Se kunde später lag ein vogelähnliches Wesen vor seinen Füßen im Sand. Vorsichtig beug te Razamon sich vor und starrte den Vrill an. Er entdeckte die winzigen Saugnäpfe an den Zehen und schüttelte verwundert den Kopf. Der letzte Angriff bewies zwar, daß die Zie le des Vrills nicht unbedingt edel und unei gennützig waren, aber Razamon konnte sich schwer vorstellen, daß ein so winziges Ge schöpf für jemanden eine Gefahr bedeuten sollte. Er kam nicht dazu, weiter nachzudenken, denn Thalia und Kolphyr kamen den Pfad herab. Sie trugen Atlan zwischen sich. Be sorgt eilte Razamon ihnen entgegen. »Er fing an, da oben zu randalieren«, be richtete Thalia. »Er wollte die Maschine mit dem Ring zerstören. Kolphyr konnte ihn ge rade noch zurückhalten.« »Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er alles zerschlagen hätte«, antwortete Raza mon düster. »Etwas stimmt hier nicht. Die ser verdammte Planet …« Er sah, daß Thalia mit dem nächsten Schritt das Vogelwesen zertreten würde, und
44 bückte sich hastig. Kolphyr und die Tochter Odins legten At lan in den Zugor. Der Arkonide würde bald wieder zu sich kommen. »Was ist das?« fragte Thalia, als sie sah, wie Razamon mit dem Vrill zu der Leiche des Wächters hinüberging. Razamon wandte sich ab und zuckte die Schultern. »Keine Ahnung«, brummte er. »Jedenfalls scheint es, als hätten die beiden zusammen gehört.« Er sah sich suchend um und entdeckte einen Überhang am Fuß des Hügels. Vor sichtig nahm er den kleinen, blauhäutigen Wächter auf die Arme und trug ihn zu dem kleinen Hohlraum. Er bettete den Hirten in den Sand und legte den Vrill daneben. Tha lia half ihm, einige große Steine heranzu wälzen, während Kolphyr bei Atlan Wache hielt. Nach einigen Minuten konnten sie si cher sein, daß kein Aasfresser es schaffen würde, das Grab aufzubrechen. Schweigend kehrten sie zum Zugor zurück. Atlan schlug gerade die Augen auf. »Was war denn los?« fragte er verständ nislos. Thalia erklärte es ihm. Der Arkonide schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann mich an nichts erinnern«, murmelte er. »Merkwürdig …« Razamon dachte noch einmal an den Vrill. Wirkte auch ein Zellaktivator anziehend auf diese Wesen? Hatte der Fremde zuerst Atlan beeinflußt, um es dann bei Razamon zu versuchen? Sie würden die Wahrheit niemals erfah ren. Schon deshalb zog Razamon es vor, nicht darüber zu sprechen. Sie blieben noch einige Minuten bei dem Hügel, aßen und tranken etwas und erfrisch ten sich, soweit die Umstände es zuließen. Atlan wirkte wieder völlig normal. »Wir sollten umkehren«, schlug Razamon vor. »Ich kann mir nicht helfen, aber diese Welt kommt mir komisch vor. Wenn wir draußen bleiben, werden wir Schwierigkei ten bekommen.«
Marianne Sydow »Das ist anzunehmen«, nickte Atlan. »Einen Vorgeschmack haben wir bereits be kommen. Trotzdem – ehe wir nicht wissen, was hier eigentlich gespielt wird, werde ich nicht nach Pthor zurückfliegen. Wir wissen, daß es Eingeborene gibt. Sie werden uns am ehesten verraten können, wer diese Roboter in die Wüste gestellt hat.« »Wenn die Kerle uns nicht vorher die Kehle durchschneiden«, knurrte Razamon ärgerlich. »Wie stellst du dir das vor? Die Eingeborenen zu finden, dürfte leicht sein. Aber wie sollen wir uns verständigen? Hier gibt es keine vollautomatisch arbeitenden Translatoren!« »Wir werden es trotzdem schaffen«, be hauptete Atlan. »Notfalls mit Zeichenspra che.« »Wie du meinst.« Razamon blieb schweigsam, als sie end lich starteten. Thalia zog den Zugor hoch und steuerte die Hügel an. Lange Zeit sahen sie nur graugrünes Gestrüpp, Sandflächen und staubige Felsen. Dann entdeckten sie drei Wesen mit wurstförmigen Körpern. Die Fremden hatten es eilig. Und sie hat ten Angst. Immer wieder kletterte einer auf einen Felsen oder den Gipfel eines Hügels, um sich umzusehen. Das erschwerte natür lich die Verfolgung. Immer wieder war Tha lia gezwungen, die Flugschale blitzschnell sinken zu lassen. Nach einer Weile kamen die Fremden of fensichtlich zu dem Schluß, den Gefahren bereich hinter sich gelassen zu haben. Von nun an hielten sie sich an die schmalen Pfa de, die durch die Täler führten, und sie sa hen sich selten um. Razamon übernahm das Steuer. Thalia ließ sich neben Atlan auf den Boden des Zugors sinken. »Merkwürdige Wesen sind das«, sagte sie leise. »Glaubst du wirklich, daß wir uns ih nen verständlich machen können?« »Ich hatte es in meinem Leben mit vielen intelligenten Lebensformen zu tun«, antwor tete Atlan gelassen. »Irgendein Weg findet sich immer.« »Und wenn es der ist, der in den Kochtopf
Die Ebene der Krieger führt!« kommentierte Razamon grimmig. »Was willst du?« fragte der Arkonide. »Noch lebe ich.« »Ja, weil du zu zäh bist. An dir würde sich sogar ein Neandertaler die Zähne aus beißen!« Atlan lachte leise und konzentrierte sich dann wieder auf die drei Fremden. Irgendwann würden diese grauen Burschen den Zugor zu ihrem Lager führen. Oder zu einer Stadt, einer Höhle – niemand konnte jetzt schon sagen, welche Art von Leben die Fremden führten. Sie waren bewaffnet, aber die Waffen wa ren primitiv. Sie waren fast unbekleidet. Al les sprach dafür, daß sie einem Volk ange hörten, das noch keine großartige Zivilisati on entwickelt hatte. Es sollte ihnen nicht schwerfallen, mit ein paar Tricks das Ver trauen dieser Leute zu gewinnen. Hätte er geahnt, wie sehr er sich irrte, dann hätte er Razamon auf der Stelle vom Steuerblock gestoßen, um den Zugor eigen händig nach Pthor zurückzubringen.
9. Das Wache Auge lieferte zahllose Bilder von der Außenwelt, aber denen war nicht zu entnehmen, ob man dort draußen leben konnte. Pthor hatte bei seiner Landung furchtbare Schäden angerichtet, und die op tischen Systeme reichten nicht aus, um die Gebiete jenseits dieses verwüsteten Landes auf den Schirmen abzubilden. »Macht nichts«, meinte Sigurd gelassen. »Es hat sogar seine guten Seiten. Falls es hier Eingeborene gibt, so werden sie sich hüten, durch die verbrannten Hügel zu lau fen und uns zu bedrohen.« »Das dürfte ihnen ohnehin schwerfallen«, meinte Heimdall düster. »Du vergißt den Wölbmantel. Jetzt, da er wieder besteht, sind wir auf Pthor vor allem sicher. Niemand kann zu uns vordringen. Und wenn da drau ßen Leute mit Bomben und allen möglichen anderen Waffen leben, kann uns auch das egal sein, denn fremde Materie löst sich auf,
45 sobald sie in den Wölbmantel gerät.« »Sind die Dellos schon zurück?« wechsel te Sigurd das Thema. »Nicht alle«, murmelte Balduur, der diese Aufgabe übernommen hatte. »Sie haben zum Teil lange Wege zurückzulegen. Die Technos werden sich uns jedenfalls unter ordnen, und die Valjaren auch. In der Senke der verlorenen Seelen sieht es immer noch schlimm aus, aber die Technos dort sind of fensichtlich froh, daß sie nicht die Verant wortung übernehmen müssen. Sie versi chern, uns treu zu dienen.« »Damit können wir nicht viel anfangen«, stellte Heimdall fest. »Wir wissen nicht, was mit den Wesen geschehen soll, die dort in den Glaspalästen aufbewahrt werden.« »Immerhin werden uns die Wächter der Senke nicht in den Rücken fallen«, sagte Si gurd ärgerlich, denn er hatte die Botschaft an die Bewohner Pthors ausgearbeitet. »Die Kelotten stehen ebenfalls hinter uns«, fuhr Balduur fort. »Obwohl …« »Warum redest du nicht weiter?« fragte Sigurd ärgerlich. »Du müßtest doch am besten wissen, wie diese Fremden zu uns stehen. Haben sie nicht die Stadt durch einen Giftsee so abge riegelt, daß du nur unter größten Schwierig keiten nach Aghmonth hättest eindringen können?« »Das war vor dem Fall der FESTUNG«, wehrte Sigurd ab. »Außerdem hatte ich nie mals Sehnsucht danach, diese stinkende Stadt zu betreten. Die Kelotten sind beses sen von ihren Forschungen. Ich glaube nicht, daß sie uns Schwierigkeiten machen werden. Wir müssen nur dafür sorgen, daß sie genug Arbeit haben und auch Anerkennung fin den.« »Das gilt wohl für alle Gruppen auf Pthor«, murmelte Heimdall abfällig. »Was ist mit den Magiern?« fragte Si gurd. »Immer noch kein Kontakt?« »Sie bleiben hinter dieser merkwürdigen Sperre«, berichtete Balduur bedrückt. »Niemand kann zu ihnen gelangen. Die Del los haben es mehrmals versucht. Ich habe
46 auch Technos und sogar ein paar Robotdie ner hingeschickt. Es scheint, als wäre es un möglich, die schwarze Wand zu durchdrin gen.« »Wir haben auch die Schirme der FE STUNG überwunden«, erwiderte Sigurd är gerlich. »Wenn wir mehr Zeit haben, werden wir uns auch mit den Magiern befassen. Es muß eine Lösung geben. Übrigens habe ich nach Spuren suchen lassen, die auf den Ver bleib unserer Schwester hinweisen. Es sieht ganz danach aus, daß Thalia gemeinsam mit Atlan, Razamon und dem seltsamen Riesen bei der Katastrophe ums Leben gekommen ist.« »Hat man sie gefunden?« fragte Balduur. »Nein. Aber es konnte festgestellt wer den, wo sie sich ungefähr aufgehalten haben, als es passierte. Die betreffenden Bezirke sind restlos zerstört. Niemand konnte dort die Katastrophe überleben. Und wenn sie es wirklich überstanden hätten, so wären sie si cher inzwischen irgendwo aufgetaucht.« Eine Weile herrschte Schweigen. »Tot«, sagte Balduur schließlich nach denklich. »Ich weiß nicht, aber mein Gefühl sagt mir, daß etwas daran nicht richtig ist. Erinnert ihr euch an Odins Voraussagen?« Die Brüder sahen sich schweigend an. »Er wollte nicht in Gegenwart seiner Tochter zu uns sprechen«, sagte Heimdall düster. »Vielleicht ist es besser so.« Keiner sprach es aus, aber alle hatten die stille Hoffnung, daß ihre Schwester doch noch am Leben war. Sie erinnerten sich nur zu deutlich an den Kampf um die FE STUNG. Thalia hatte sich verdammt gut da bei gehalten – kein Mann hätte es besser ma chen können. Andererseits war da die Sache mit Atlan, dem Arkoniden, der gewiß nicht den passen den Gefährten für die Tochter Odins dar stellte. Und da war die Frage, wer am Ende über Pthor herrschen würde. Odin hatte be hauptet, die alte Dynastie ließe sich nicht wieder herstellen und Fremde würden die Herrschaft übernehmen. Odins Söhne woll ten sich damit nicht abfinden.
Marianne Sydow Wenn die Fremden tot waren, ließ sich die Zukunft allen Voraussagen Odins zum Trotz vielleicht doch noch ändern: »Das Wasser wird uns bald keine Schwie rigkeiten mehr bereiten«, sagte Sigurd und brach damit das bedrückte Schweigen. »Wir haben viel zu tun. Als erstes müssen wir jeden Winkel dieser Anlagen kennenlernen. Je eher wir das Land steuern können, desto besser.« »Wohin willst du es bringen?« fragte Bal duur. »In die Schwarze Galaxis etwa? Ich weiß nicht, was uns dort erwartet, aber et was Gutes ist es sicher nicht.« »Vorerst bleiben wir hier«, wehrte Sigurd ab. »Wenn wir mit den Geräten umgehen können, sehen wir uns draußen um. Wer weiß, vielleicht sind die Verhältnisse auf diesem Planeten sogar sehr günstig. Dann bauen wir ihn zu einem regelrechten Stütz punkt aus.« »Und wenn das nicht der Fall ist?« »Dann starten wir und suchen uns eine andere Welt.« Balduur lächelte melancholisch. »Wenn du das sagst, hört es sich so ein fach an, als wäre alles ein Spiel.« »Das ist es sicher nicht«, schränkte Sigurd ein. »Aber wir haben Zeit, sogar unendlich viel Zeit. Der Wölbmantel schützt uns, und unser Leben währt ewig. Was bedeutet es schon, wenn wir einige Jahre für die Suche nach den Steuerelementen brauchen? Wie lange haben wir darauf gewartet, daß Rag narök endlich angekündigt wurde? Hat einer von euch da die Geduld verloren?« »Das nicht«, murmelte Balduur. »Aber die Nerven – ab und zu.« »Wir waren in dieser Zeit noch dazu zur Untätigkeit verdammt«, fuhr Sigurd fort, oh ne den Einwand zu beachten. »Wir bewach ten die Straße der Mächtigen, und das war unsere einzige Aufgabe. Jetzt dagegen kön nen wir unsere Fähigkeiten anwenden. Wir müssen dafür sorgen, daß überall auf Pthor das Leben weitergeht.« »Das ist ein bißchen wenig«, wandte Heimdall ein. »Es gibt Gegenden, die völlig
Die Ebene der Krieger überflüssige Gefahren bergen, und solche, in denen die Bevölkerung sich nur mit Mühe am Leben erhalten kann. Dagegen sollte man etwas tun.« »Du denkst natürlich an deine besonderen Schützlinge vom Taamberg«, bemerkte Si gurd mit leichtem Spott. Heimdall nickte ernsthaft. »An sie und andere, denen es genauso schlecht geht.« Sigurd zuckte mit den Schultern. »Zuerst müssen wir für Ordnung sorgen«, stellte er fest und stand auf. »An die Arbeit, Brüder!« Draußen schien die Sonne. Ein paar Gärt nerdellos, die unbeschädigt geblieben waren, kurvten zwischen den Pyramiden herum und transportierten Schlamm und Trümmer brocken ab. An einigen Stellen leuchtete be reits wieder grünes Gras, und um einen ural ten Baum schwirrten bunte Vögel. Die drei Söhne Odins hatten das Gefühl, daß das Schlimmste überstanden war. Sie hatten Ragnarök überlebt und auch die erste Landung Pthors nach dem Fall der FE STUNG.
* Der Amokläufer war mit sich selbst unzu frieden. Als er dem bedächtigen Hirten folg te, da geschah es aus der Erwartung heraus, daß Juscu ihn zu Orten führen würde, an de nen es vor Kampfmöglichkeiten nur so wim melte. Aber schon das erste Unternehmen erwies sich als Fehlschlag. Auf dem Hügel des Wächters hielt sich niemand auf. In dem Roboter herrschte noch ein winzi ger Rest von Vernunft. Dieser Rest sagte dem Krieger, daß es erstens nicht Juscus Schuld war, wenn die erwarteten Gegner sich bereits zurückgezogen hatten, und daß zweitens ein Zusammengehen mit dem be dächtigen Hirten immer noch günstiger war, weil Juscu sich mit einigen Dingen besser auskannte. Dann überschwemmte die lange aufge
47 staute Mordgier jeden anderen Gedanken. Der Krieger empfand nichts beim Anblick des toten Hirten. Vielleicht war da eine Spur von Enttäuschung. Der Hirte hatte sich nicht gewehrt. Für den Krieger war ein solcher Kampf unbefriedigend. Er wandte sich schließlich ab und stieg in den Schweber. Vor langer Zeit, ehe man ihn nach Jell-Cahrmere gebracht hatte, war der Krieger programmiert worden. Er konnte mit den kleinen Flugschalen umgehen. Zwar hatten Spercos Krieger meist nur den Auf trag, alles zu zerstören, was sich ihnen in den Weg stellte, aber ab und zu brauchte man doch ein Fahrzeug, um wertvolle Beu testücke in Sicherheit zu bringen. Der Amokläufer flog quer über die Ebene, und seine Linsensysteme übermittelten die Bilder der zerstörten Krieger. Er ärgerte sich darüber, daß die Verwüstung nicht auf ihn zurückzuführen war. Ein Krieger des Tyran nen Sperco war zu solchen Gefühlen durch aus fähig, zumal dann, wenn er sich in der Amokphase befand. Als er die Hügel erreichte, dauerte es nicht mehr lange, bis er vor sich das riesige Gebilde sah, das auf Loors gelandet war. Der Krieger hielt den Schweber an und dachte angestrengt nach. Das Lager der Brangeln lag in entgegen gesetzter Richtung. Diese Wesen waren rela tiv harmlos. Bei ihnen könnte er sich austo ben, ohne selbst in Gefahr zu geraten. Und dann waren da noch die Fremden. Sie hatten zwar ebenfalls eine Flugschale, waren aber vermutlich nicht bewaffnet. Sonst hätten sie sich kaum so hastig vom Hügel des Wächters zurückgezogen. Den noch mußten sie mutige und gute Kämpfer sein. Anders ließ es sich nicht erklären, daß sie so unverschämt gewesen waren, beden kenlos in Juscus Reich einzudringen. Auch sie hatten dem Krieger also aller hand zu bieten, ohne ihn in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Das Ding da drüben dagegen sah sehr be drohlich aus – auch für einen Krieger Sper cos.
48 Es ragte weit in den Himmel auf, wie ein Gebirge, das ein Riese einfach in dieses Land gesetzt hatte. Mit den einfachen, opti schen Systemen konnte der Krieger fast kei ne Einzelheiten erkennen. Alles wirkte merkwürdig verschwommen. Irritiert setzte der Krieger andere Ortungs mittel ein. Der Eindruck war derselbe. Er glaubte, im unteren Teil des riesigen Brockens riesige Höhleneingänge wahrzu nehmen, dazwischen etwas, das wie Wasser fälle aussah, aber alles verschob sich ständig gegeneinander, so daß er nicht sicher war, ob seine Wahrnehmungen stimmten. Verwirrt verharrte er an Ort und Stelle. Zahllose Impulse durcheilten die Gedan kenwege in seinem Innern, prallten aufein ander und erzeugten dabei ein solches Durcheinander, daß der Krieger für lange Minuten wie gelähmt war. Als er diesen Zu stand endlich überwand, richtete der Krieger die Linsensysteme auf die hinter ihm liegen de Ebene. In großer Entfernung gab es einen Punkt, der sich bewegte. Der Krieger erinnerte sich daran, daß er in dieser Gegend die Brangeln aus den Augen verloren hatte. Wagten sich die Fremden et wa doch noch in die Ebene zurück? Aber der Punkt war zu groß. Auf diese Entfernung hätten die Normal-Systeme einen sich bewegenden Brangel gar nicht ausmachen können. Die anderen Fremden! Der Krieger drückte auf einen Knopf, und der Schweber machte einen Satz in die Rich tung, in der die fremde Flugschale sich be wegte. Er konnte sich denken, daß die Unbe kannten die Brangeln entdeckt hatten und ih nen folgten – vielleicht wurden sie von ähn lichen Wünschen getrieben wie der Krieger selbst. Auf jeden Fall gab es dort drüben et was, wogegen man kämpfen konnte, ohne erst mühsam nach einem Streitobjekt suchen zu müssen. Der Krieger war fest entschlossen, zuerst die Brangeln und dann die Fremden mit der Flugschale anzugreifen und zu vernichten.
Marianne Sydow Das, was Juscu von den Gefahren in dem fremden Land erzählt hatte, war für den Au genblick vergessen. Die Mordgier überwäl tigte den Krieger wieder einmal. Er raste über die Hügel hinweg und achte te darauf, daß er den fernen Punkt nicht aus der optischen Erfassung verlor. Dummer weise gelangten die Fremden jetzt in die Hü gel auf der anderen Seite, und der Krieger war gezwungen, den Schweber so hoch zu ziehen, wie es mit dem kleinen Gerät über haupt nur ging. Und dann ging es ganz schnell. Irgend etwas war vor dem Schweber in der Luft. Selbst die blitzschnellen Reaktio nen eines Roboters reichten nicht aus, um den Zusammenstoß zu verhindern. Es krachte gewaltig. Aus der Unterseite des Schwebers brach eine Stichflamme. Der Krieger verzichtete darauf, sich nach dem umzusehen, was sich entgegen seinen bisherigen Kenntnissen in dieser Höhe in der Luft herumtrieb. Er zog sämtliche Gliedma ßen ein, sicherte seine verschiedenartigen Systeme und bereitete sich auf den Aufprall vor.
* Srobb gehörte zu den Horden der Nacht, die es inzwischen praktisch nicht mehr gab, nachdem immer mehr dieser Ungeheuer ge tötet wurden oder den Katastrophen zum Opfer gefallen waren. Srobb gehörte zu den flugfähigen Ungeheuern, und soweit er es beurteilen konnte, war er der letzte aus sei ner Gruppe. Srobb war darüber hinaus mit einer bescheidenen Intelligenz gesegnet. Darum kam er bald darauf, daß für ein We sen wie ihn die Zukunft in Pthor in jedem Fall düster aussehen würde. Erstens fehlte die ständige Aufladung durch das Wasser des Dämmersees, und die Folge davon war, daß die Monstren träge wurden. Damit schwand ihre Gefährlichkeit. Leider hatten die Bewohner von Pthor noch gar nicht erkannt, daß die vorher so gefürch teten Hordenmitglieder nunmehr ziemlich
Die Ebene der Krieger harmlos waren. Ob Techno oder Dalazare, sie alle waren daran gewöhnt, diese Wesen zu fürchten und sie zu bekämpfen, sobald sie irgendwo auftauchten. Srobb konnte ein Lied davon singen. Min destens fünfmal war er mit knapper Not ent kommen. Vielleicht war er auch öfter in Be drängnis geraten, aber weiter als bis fünf vermochte er nicht zu zählen. Srobb zog sich deprimiert in das Hügel land nördlich der Barriere von Oth zurück. Dort gab es genug Quellen, an denen er sei nen Durst löschen konnte, und es gab auch Wild, wobei es sich leider meistens um klei ne Tiere handelte. Srobb brauchte minde stens zehn davon, um wenigstens den ärg sten Hunger zu besiegen. Srobb wußte, daß er hier nicht lange blei ben konnte. Schon am zweiten Tag ergriffen alle Tiere die Flucht, sobald er sich rührte, und wenn er in der Luft seine Kreise zog, steckten sie nur selten einmal den Kopf aus ihren Erdlöchern. Abgesehen davon machte die schwarze Wand ihn nervös, die im Sü den aufragte. Und dann gab es plötzlich einen Knall. Srobb warf sich entsetzt in die Luft. Er spür te, daß die Oberfläche von Pthor erschüttert wurde. Zu sehen war nicht viel, denn seit kurzem herrschte tiefste Nacht. Als der Bo den aufhörte, sich wie ein bockendes Tier zu benehmen, landete Srobb. Er dachte lange darüber nach, was geschehen sein mochte. Als am nächsten Morgen eine hellrote Sonne aufging, wußte er, daß Pthor wieder einmal gelandet war. Diesmal allerdings gab es nichts, was Srobb nach draußen drängte.
* Zwei Tage später verließ er Pthor trotz dem. Der Hunger zwang ihn dazu. Er wußte aus Erfahrung, daß »draußen« reiche Nah rung auf ihn wartete. Um so enttäuschter war Srobb, als er den Wölbmantel durchstoßen hatte und unter sich nur nackte Hügel erblickte. Unschlüssig kreiste er eine Weile auf der Stelle. Dann
49 entdeckte er etwas weit vor sich, das sich bewegte – noch dazu in der Luft! Srobb glaubte, endlich eine lohnende Beute ent deckt zu haben. Als er nahe genug heran war, irritierten ihn zwar die glänzenden Teile des Schwe bers, aber da er nach der Landung Pthors noch niemals fremden Flugobjekten begeg net war, entschied er, daß er ein mit Schup pen gepanzertes Wesen vor sich hatte. Das war schließlich nicht ungewöhnlich. Srobb streckte die Krallen aus und ließ sich fallen. Schon beim ersten Kontakt be rührte er einen sehr heiklen Teil von Juscus Schweber. Srobb merkte nichts von seinem Ende. Die Explosion zerriß ihn. Seine Überreste folgten dem Amokläufer in die Tiefe.
* »Was war das?« fragte Razamon mißtrau isch. Ein Donnerschlag rollte über das Land. Sie hielten nach allen Seiten Ausschau, aber der Blitz, in dem der Schweber vergan gen war, war längst erloschen. Und der stür zende Roboter, die Überreste des Schwebers und des Ungeheuers aus Kalmlech waren aus dieser Entfernung nicht zu sehen. »Wer weiß«, meinte Atlan. »Sicher ist Pthor noch nicht ganz zur Ruhe gekommen. Oder die Oberfläche dieses Planeten hat noch einmal etwas nachgegeben.« »Es hörte sich anders an«, beharrte Raza mon. »Ich traue der ganzen Sache nicht. Diese Roboter sind vielleicht nicht so zer stört, wie wir denken. Oder die Eingebore nen verfügen über Waffen, die mit Pfeil und Bogen nichts mehr zu tun haben.« »Du hast die Roboter selbst gesehen«, mischte Kolphyr sich beschwichtigend ein. »Und was die Eingeborenen betrifft, so brauchst du nur mal nach unten zu gucken.« »Wir sollten zurückfliegen und nachse hen.« Razamon konnte sein Mißtrauen nicht ab legen. Er spürte, daß etwas ganz und gar
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falsch war, aber er kam nicht dahinter, wo dieser Fehler saß. Das machte ihn nervös. »Wenn wir umkehren, verlieren wir unse re lebenden Wegweiser«, wandte Thalia ein. »Es wird nicht einfach sein, sie später wie derzufinden.« »Ihr Lager werden wir auch so aufspü ren«, knurrte Razamon. »Ja. Nach einer langen Suche. Die Ener gievorräte eines Zugors sind nicht unbe grenzt. Außerdem wissen wir nicht einmal, wie diese Fremden leben. Es ist durchaus möglich, daß sie in Höhlen hausen, zu denen es nur einige geheime Eingänge gibt. Nach denen könnten wir wochenlang suchen, ohne etwas zu entdecken.« Razamon drehte sich schweigend um. Der Zugor setzte seinen Flug fort. Die drei Brangeln merkten nichts davon, daß sie verfolgt wurden. Sie waren heilfroh, daß sie den mörderischen Starren abgehängt hatten. Burtimor war fest entschlossen, nie wie der ein böses Wort über die erste Karawa nenspitze aller Zeiten zu sagen. Nur sie konnte seiner Meinung nach die Spuren verwischt und die Karawane Jarsys vor einer weiteren Katastrophe gerettet ha ben. Angesichts solcher Wunder machte Burtimor sich wenig Sorgen um die Zu kunft. Die Karawanenspitze würde schon dafür sorgen, daß alles wieder in Ordnung kam.
* Weit entfernt schlug der Krieger des Ty rannen Sperco mit der Wucht einer Bombe in den Sand der Fläche Jell-Cahrmere ein. Zum Glück landete er nicht in dem Gebiet, in dem seine geschmolzenen Artgenossen umherstanden. Der Amokläufer überstand den Aufprall allem Anschein nach gut. Jedenfalls lag er nur wenige Sekunden lang regungslos da, dann fuhr er vorsichtig zwei Stelzbeine aus, richtete sich auf und öffnete die optischen Systeme. Er war etwas verwirrt, weil er im mer noch nicht begriff, was eigentlich mit
ihm geschehen war. Noch verwirrter war er, als er seine Artge nossen entdeckte. Sie sahen äußerst seltsam aus. Der Roboter konnte sich nicht erklären, wodurch sie in diesen Zustand versetzt wor den waren. Er stakste unsicher durch die Ge gend und suchte nach einem Hinweis. All mählich wurde ihm klar, daß er nichts finden würde. Die Herde war vernichtet. Und Juscu, der Hirte, existierte anscheinend auch nicht mehr, denn er kümmerte sich nicht um seine Schützlinge. Der Krieger verharrte lange Zeit zwischen den geschmolzenen Robotern und überdachte seine Lage. Er hatte etwas vergessen, das war ihm klar. Aber ein Krieger des Tyrannen Sperco vergaß normalerweise nichts. Und er ließ sich auch nicht zu einem hilflosen Metall klumpen zusammenschmelzen. Von der Amokphase wußte der Roboter nichts mehr. Er war jetzt wieder ein ganz normaler Krieger, an dem Juscu seine helle Freude gehabt hätte. Für den Roboter ergab sich die zwingende Frage, was er zu tun hatte. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder war ein Befehl vom Tyrannen erteilt worden, den der Krieger aus irgendei nem Grund verpaßt hatte. Wenn es so war, dann hatte der Roboter auf der Stelle dem Beispiel seiner Artgenossen zu folgen. Er besaß die Möglichkeit, sich selbst zu zerstö ren, zögerte jedoch aus ihm selbst nicht greifbaren Gründen, davon Gebrauch zu ma chen. Die zweite Möglichkeit: Ein Angriff war erfolgt. Das gefiel dem Krieger schon besser. Er stieg auf einen hohen Hügel und be merkte in der Ferne eine Bodenerhebung, die ihm verdächtig vorkam. Entschlossen marschierte er los. Jetzt war er nicht mehr besessen von dem Gedanken, um jeden Preis zu töten und zu zerstören. Aber er wußte, was er zu tun hatte: den Angreifer suchen, bekämpfen und unschädlich machen. Es gab nichts, was einen Krieger des Ty
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rannen Sperco vernichten konnte, wenn man einmal von so verheerenden Hitzewellen absah, wie sie über die Fläche Jell-Cahrmere gebraust waren. Und bis auf den Wölbmantel, der keine fremde Materie nach Pthor gelangen ließ. Als der tapfere Krieger das feindliche Ob-
jekt endlich erreicht zu haben glaubte, löste er sich plötzlich auf.
ENDE
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