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Der Mann, der aus dem Blizzard kam scanned by: crazy2001 @ 01/04 corrected by: mm
Ein Western der Sonderklasse von DAN ROBERTS
Die harten Zeiten waren für Lee Cranston vorbei, die Jahre, wo er seinen Colt schon aus dem Leder haben mußte, wenn einer nur seinen Namen rief. Lee hatte es satt, seinen Ruf mit heißem Blei zu verteidigen. Ein Mann konnte nicht sein Leben lang ein Schießer bleiben. Einmal mußte Schluß sein, und Lee Cranston hatte einen Schlußstrich gezogen. Die Kerle, die ihm früher auf dem langen Trail begegnet waren, lagen heute drei Fuß tief unter der Erde. Sie alle hatte es irgendwann erwischt, weil es immer einen gab, der doch noch um Sekundenbruchteile schneller war. Lee hatte dieses Leben aufgegeben. In der Einsamkeit seiner Berge fühlte er sich geborgen und sicher. Er ahnte nicht, daß dies ein fürchterlicher Irrtum war... Ein Roman, der jeden in Atem hält -1-
Lee Cranston richtete sich auf und sah prüfend zu den Berggipfeln hinauf. Die Felsen waren von einer Schneedecke überzogen. „Es riecht nach Schnee“, sagte der Mann leise. „Der Winter kommt früh in diesem Jahr.“ Lee stieß selten in die kahlen Regionen oberhalb der Baumgrenze vor. Sein Gebiet war der Wald. Hier lebte das Wild, das er jagte, das ihm und Mondlicht genügend Dollars zum Leben einbrachte. Seit vier Jahren lebte Lee mit der Indianerin zusammen. Sie war ihm gefolgt, als er damals die BlackfeetIndianer verließ, um sich ein neues Leben aufzubauen. Ein Leben ohne Colt, ohne Mündungslichter und beißenden Pulverrauch. Lee Cranston war ein Kämpfer gewesen, ein professioneller Revolvermann. Aber irgendwann spürte er, daß er den falschen Weg eingeschlagen hatte. Und er verließ die kleine Stadt in Wyoming, in der er gegen eine ganze Horde von Desperados gekämpft hatte. Cranston zog nach Montana hinauf, traf einen Stamm der Schwarzfüße und lebte beinahe ein Jahr bei ihnen. Und die Blackfeet, die sonst alles bekämpften, was auf zwei Beinen umherlief, nahmen den Fremden auf. Die naturverbundenen Rothäute spürten, daß der Weiße sich verloren hatte, daß er auf der Suche nach sich selbst war. Lee dachte an Mondlicht und verspürte ein tiefes Gefühl in sich. Er liebte die Indianerin. Und wenn er an die Frauen zurückdachte, die er im Laufe seines Kämpferlebens kennen gelernt hatte, konnte -2-
Lee nur über sich selbst den Kopf schütteln. Denn diese Flittergirls, und auch die anderen Frauen, sie alle schlängelten sich so durchs Leben, denn für sie alle war nur der Dollar wichtig, wichtiger als alles andere. Cranston lächelte über seine Gedanken. Wie kam er nur gerade letzt darauf? Vielleicht, weil Mondlicht ein Kind erwartete? Lee holte aus dem Lederbeutel, der an seiner Hüfte hing, eine Hand voll Salbeiblätter heraus, rieb sich die Finger und die Stiefelsohlen damit ein und ging weiter. „Drei Fallen noch“, sagte der Jäger, „dann reite ich zurück. Und morgen gehe ich zum letzten Mal die Strecke ab und sammle die Fallen ein.“ Es hatte keinen Sinn mehr, weiterhin Pelztiere zu fangen. Ihr Fell hatte sich noch nicht auf den Winter eingestellt, und Cranston mußte warten, um die prächtigen Pelze der kalten Jahreszeit zu erbeuten. Bei zwei Fallen erneuerte Lee den Köder, denn das alte Fleisch war verdorben. Und dann hatte er es geschafft. Er ging zurück. Kein Laut drang unter seinen Stiefelsohlen hervor. Er hatte gelernt, sich sie die Tiere des Waldes zu verhalten. Das Pferd stand in einer Lichtung, die ein Blizzard im vergangenen Winter gerissen hatte. Das Tier schnaubte leise, als es seinen Herrn witterte. Auf einmal, eigentlich ohne Grund, verspürte Lee Furcht in sich aufsteigen. In seiner wilden Vergangenheit hatte er gelernt, auf diese Warnungen seines Instinktes zu achten. Und auch jetzt handelte er, wie es ihm seine Reflexe -3-
vorschrieben. Lee ging hinter dem mächtigen Stamm einer uralten Fichte in Deckung und beobachtete die Umgebung. Nach einer Minute wußte er, daß nicht er in Gefahr war. „Mondlicht?“ rief Cranston leise. Dann peitschten drei Schüsse auf. Lee stand sekundenlang wie erstarrt. Die Berge, die Canyons verfälschten den Klang und die Richtung, aus der die Schüsse aufgeklungen waren. Aber irgendein Gefühl sagte Lee, daß die Gewehre bei seinem Blockhaus abgefeuert worden waren. Ein Revolver wummerte. Drei, vier Schüsse donnerten auf, und die Explosionen wurden sofort vom Peitschen einer Winchester beantwortet. Mit einem gewaltigen Satz sprang Cranston in den Sattel und hieb dem Tier die Absätze in die Flanken. Unwillig wieherte das Pferd auf, aber es jagte los. Lee spürte, daß er keine Zeit verlieren durfte und kämpfte gegen das Gefühl an, zu spät zu kommen. In gefährlichem Tempo jagte das Pferd an den Stämmen der Douglasfichten vorbei, erreichte den schmalen Weg und steigerte seine Geschwindigkeit noch. Lee spürte, wie sich in seinem Inneren etwas verhärtete. Er wußte, daß er zu spät kam, denn Mondlicht konnte die Hütte nicht allein gegen mehr als einen Angreifer verteidigen. Und auf eine rätselhafte Weise wußte Cranston, daß seine Frau nicht mehr lebte. Eine halbe Meile noch. Die Hufe des Tieres hämmerten auf dem Felsboden des Trails. Unermüdlich stampften die Beine des Pferdes. Es schien, als wüßte das Tier, daß es um Leben und -4-
Tod ging, denn es streckte sich und steigerte seine Geschwindigkeit noch. Lee tastete nach dem Kolben des Revolvers. Noch hundert Yards. Der Weg machte eine Biegung, und dann lag der Taleinschnitt vor Cranston. Am Ende dieses Boxcanyons stand das Blockhaus, das mit der Rückwand an die Steilwand gebaut war. Cranston zügelte das Pferd. Er sah den hellen Fleck, der wie ein Stoffbündel aussah. Und dieses Bündel lag dicht vor der Eingangstür der Hütte. Alles in Lee erstarb. Im Schritt ritt er näher, und aus einem Instinkt heraus achtete er darauf, keine Spuren zu vernichten. Er trieb sein Tier neben die Seitenwand der Hütte, betrachtete mit versteinert wirkendem Gesicht seine Frau und wußte, daß sie tot war. Lee stieg vom Pferd. Er ging geschmeidig wie ein Raubtier auf seine Frau zu, schlug die Kleider zur Seite und verspürte einen wilden, bitteren Zorn in sich. Die Halunken, die Mondlicht ermordet hatten, hatten ihr zuvor Gewalt angetan. Und irgendwie fiel all das zusammen, was sich in den letzten Jahren in Lee aufbaute. Er wurde wieder zu einem kalten Kämpfer, der nur sein Ziel verfolgte. Und sein Auftrag war diesmal Vergeltung, Suche nach Sühne für den Tod seiner Frau. Kein Sheriff, kein Richter würde auch nur eine Zeile eines Steckbriefes schreiben, denn Mondlicht war ja nur -5-
eine Indianerin gewesen. Und Lee Cranston war in den Augen der Weißen ein Squaw-Mann, ein Verräter an der eigenen Rasse. Bitter dachte Lee an diese Dinge. Er schwor sich, die Halunken zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen. Cranston unterdrückte all die Gefühle, die in ihm aufwallten. Er konzentrierte sich auf Mondlicht, ihre Haltung, die Spuren und den Colt, der einen halben Yard neben ihrer linken Hand lag. Zuerst überprüfte Lee den Revolver. Es war eine alte Schwarzpulverwaffe, und vier Kammern in der Trommel waren abgefeuert. Sofort schaute Cranston zum Blockhaus hinüber. Die Tür, aus massiven Bohlen gefertigt, wies Einschußlöcher auf. Eine Glasscheibe war zertrümmert, und nur wenige Splitter lagen draußen vor dem Haus. Also war die Kugel von den Halunken abgefeuert worden. Kurze Zeit später hatte sich Lee ein Bild von dem gemacht, was hier vorgegangen war. Drei Pferde waren auf dem freien Platz vor der Hütte gewesen. Und eines der Tiere hatte links hinten ein lockeres Hufeisen gehabt. Der Abdruck grub sich etwas verdreht in den Boden, und das war eine Spur, die sich leicht wieder finden ließ. Cranstons graue Augen wirkten ausdruckslos, wie tot, als er mit seinem Blick die Fährte verfolgte. Lee ging zur geöffneten Tür, trat in die Hütte, die nur aus einem einzigen großen Raum bestand, und wandte sich nach rechts. Dort hingen Werkzeuge an langen Nägeln, die in den -6-
Stämmen der Wand steckten. Und dort lagen auch die Felle aufgestapelt, das Ergebnis eines halben Jahres harter Trapperarbeit. Lee zuckte nicht zusammen, er stieß auch keinen Fluch aus, als er den nackten Bretterboden sah. Die Felle waren weg. Und Cranston spürte so etwas wie Triumph in sich aufsteigen. Denn nun hatte er einen weiteren Anhaltspunkt. Die Banditen mußten die Beute verkaufen, und eine solche Spur ließ sich verfolgen, besser verfolgen als ein Pferd mit einem lockeren Hufeisen. Cranston nahm eine Schaufel, verließ wieder die Hütte und ging zu einer sandigen Stelle, die von jungen Weymouthkiefern umgeben war. Es dauerte nicht lange, und die Grube war tief genug. Kurze Zeit später trug Lee seine tote Frau auf den Armen zu ihrer letzten Ruhestätte. Und als er das Grab zugeschaufelt hatte, stützte sich der ehemalige Revolvermann Cranston auf den Stiel der Schaufel und sagte in Gedanken ein paar Sätze. Er betete nicht, denn das hatte er in den langen Jahren seiner Kämpferlaufbahn verlernt, aber er sprach von den schönen Tagen, die er zusammen mit Mondlicht verbracht hatte. Und dann ließ Cranston die Schaufel einfach fallen, ging zur Hütte zurück und packte die nötigsten Sachen zusammen. Zuletzt zog er den Revolver, sah mit bitterem Lächeln auf die Waffe, die er in der Hand hielt, und warf sie auf den rohen Tisch. Mit diesem Colt konnte Lee seinen Verfolgungstrail nicht beginnen. -7-
Er öffnete eine selbstgezimmerte Truhe, nahm einen mattschwarzen Gurt heraus und betrachtete ihn ein paar Minuten. Die Messinghülsen der Patronen in den Schlaufen schimmerten. Der Griff der Waffe wirkte dunkel vom Gebrauch. Das Holz der Griffschalen war abgewetzt, und irgendwie sah der Revolver so aus, als gehörte er zu einer bestimmten Person. Und so war es auch. Lee schnallte den Gurt ab, den er trug, und legte sich das andere Leder um die Hüften. Irgendwie ging es nicht. Cranston öffnete den Verschluß, strich die hirschlederne Jacke mit den Fransen über der Brust zurecht und schnallte den Gurt über diese Jacke. Und nun saß die Waffe so wie in längst vergangenen Tagen. Kurze Zeit später war Lee Cranston bereit. Pferd und Packtier waren beladen. Die Tür der Hütte verschloß Lee nur mit einem Lederknebel. Jeder, der Unterschlupf suchte, konnte dieses Haus benutzen. So war es Brauch und Sitte in den Rockies, und kein ehrlicher Mountainman würde diese Art der Gastfreundschaft jemals mißbrauchen. Lee schnalzte mit der Zunge, und Das Pferd ging an. Das Packtier mußte an der Leine hinterher. Cranston drehte sich nicht um, als er die Biegung erreichte. Er wußte, er würde hierher zurückkehren. Aber bis dahin mußte einige Zeit vergehen. Denn so kalt Lee auch äußerlich wirkte, so sehr hatte -8-
ihn doch Mondlichts Tod getroffen. *** Am späten Abend zügelte Cranston die Pferde vor einer kleinen Stadt. Gibson lag der Hütte am nächsten, und Gibson schäumte über. Denn die Fallensteller und Jäger waren schon fast alle eingetroffen und hatten ihre Pelze den Agenten der großen Handelsgesellschaften verkauft. Mit den Aufkäufern waren Händler, Flittergirls und bleichgesichtige Kartenhaie hergezogen. Sie alle hatten nur im Sinn, den Rockymen die hart verdienten Dollars wieder aus den Taschen zu ziehen. Und die meisten der Fallensteller und Jäger gaben ihr Geld mit vollen Händen aus. Sie kamen nur zwei Mal im Jahr in die Nähe der Zivilisation. Und dann wollten sie all das nachholen, was ihnen in der Einsamkeit der Berge entging. Zehn Monate im Jahr war Gibson eine öde, kleine Stadt. Die Bürger lebten von den wenigen Ranches und Farmen und von den Mountainmen, denen die Vorräte ausgegangen waren.. Aber zwei Mal jedes Jahr verwandelte sich die kleine Town in eine Amüsierstadt wie es weit im Osten Dodge City und Hays waren, wenn die wilden Texaner ihre genau so wilden Longhorns zum Verladen auf die Eisenbahn hertrieben. Lee Cranston spürte seine alten Instinkte wieder wach werden. Er konnte nicht einfach losreiten, seine Pferde irgendwo anbinden. Oh nein, so ging es nicht. Er mußte unauffällig bleiben. -9-
Und so ritt er um die Häuser und Zeltsaloons herum, erreichte die kleine Weide, die hinter dem Mietstall lag, und saß ab. Minuten später waren die Pferde versorgt. Lee ging um den Stall herum, blieb abwartend an der Straße stehen und stieg auf den Sidewalk, als eine Gruppe Männer vorbeikam. Diese Burschen waren bereits ziemlich betrunken, und sie merkten nicht, daß Cranston hinter ihnen herging, als gehöre er zu ihnen. Die Männer stimmten ein wildes Lied an. Sie marschierten auf einen großen Zeltsaloon zu, der einem Pelzaufkäufer gehörte. Und dieses Zelt bot den nach Vergnügen ausgehungerten Trappern wahrhaftig alles, was sie begehrten. Lee huschte weiter und gelangte für den Bruchteil einer Sekunde in den Schein eines brennenden Teerfasses. Aber sofort tauchte Cranston wieder in der Dunkelheit ein. Er wollte zur Schmiede. Endlich erreichte er das verschlossene Tor und blieb lauschend stehen. Nichts rührte sich. Lee griff nach oben, packte zu und zog sich hoch. Eine Sekunde später landete er lautlos wie ein Puma auf allen Vieren im Hof. Unhörbar lief Cranston auf das Wohnhaus zu. Ein schmaler Lichtspalt drang unter einer Tür hervor. Lee lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, behielt die Rechte am Griff des Revolvers und klopfte mit der Linken gegen die Tür. „Wer ist da?“ fragte die Baßstimme des Schmiedes - 10 -
nach einigen Sekunden. Cranston antwortete nicht, er klopfte abermals. Es dauerte nicht lange, bis der Schmied die Tür aufriß. Und dann knackte es metallisch, als der Mann die Hähne einer Flinte spannte. „So, komm ins Licht, Mister“, befahl der massige Schmied laut. „Ich habe meine Greener mit gehacktem Blei geladen, und wenn ich abdrücke, fege ich den ganzen Hof leer.“ „Rowley, laß dir nichts anmerken“, flüsterte Lee, „ich bin es, Cranston. Mach das Licht aus, damit ich reinkommen kann.“ Dan Rowley reagierte sofort. Er trat ein paar Schritte zurück, schloß die Tür und nach wenigen Sekunden hustete er kurz. Lee trat vor, schob die Tür auf und huschte in den nun dunklen Korridor. Mit einigen langen Schritten lief Cranston zur Küche. „Was ist los, Lee?“ fragte Rowley wachsam. Er kannte den Fallensteller seit langer Zeit, und er hatte manchen Dollar an ihm verdient. Aber auch Dan Rowley sah Lee als Squaw-Mann an. „Ich suche ein Pferd“, sagte Cranston unbetont. „Es hatte links hinten ein lockeres Hufeisen, das sich beim Gehen einwärts drehte.“ Rowley atmete scharf ein, und auf einmal schien eine unerklärliche Spannung zwischen den beiden Männern zu herrschen. „Warum fragst du mich danach?“ wich der Schmied einer direkten Antwort aus. Cranston blickte Rowley an, und der schwere Mann zuckte etwas zusammen, als er den Ausdruck der grauen Augen sah. - 11 -
Rowley spürte die Gefahr, die Kälte, die auf einmal von diesem Trapper ausging, ihn wie ein unsichtbarer Mantel zu umwehen schien. Denn Lee hatte sich verändert. Er war nicht mehr der Mountainman, er wirkte wie einer jener professionellen Kämpfer, die sich ihre Dollar mit der Waffe in der Hand verdienten. „Verdammt, ich weiß nichts“, sagte der Schmied und blickte zu Boden. Rowleys Rechte umklammerte noch immer den Schaft der Schrotflinte, und irgendwie schien das den schweren Mann zu beruhigen. „Also weißt du doch etwas“ antwortete Lee fast gleichgültig. „Und ich hole es aus dir heraus, verlaß dich drauf, Dan.“ Cranston hörte leichte Schritte, wirbelte herum, und im Bruchteil einer Sekunde hielt er den Revolver schußbereit in der Hand. Drohend wies die Mündung auf die Tür der Küche. Langsam schwang die Tür auf. Lizzy Rowley, Dans Frau, stand in der Öffnung. „Teufel auch“, murmelte der Schmied und starrte fassungslos auf Cranstons Rechte, „so schnell habe ich noch nie jemand ziehen sehen.“ Lee nickte Lizzy kurz zu. „Sag es ihm, Dan“, befahl die Frau und blickte Cranston in die Augen. Und die Frau des Schmiedes spürte irgendwie, was geschehen war. „Los, so sag es ihm schon, du Narr“, rief Lizzy, und Zorn lag in ihrer Stimme. Als ihr Mann nicht antwortete, sprach Lizzy. „Er verkaufte drei Pferde, Lee. Und er nahm drei - 12 -
andere Tiere dafür in Zahlung. Er gab die beiden Rappen und den Pinto weg. Und er verdiente gut daran. Aber nun merkt er, daß an der Sache etwas faul ist und will es nicht zugeben.“ „Wo stehen die Tiere?“ fragte Lee nur.; „Im Stall, in unserem Stall“, sagte Rowley widerwillig. „Und ich weiß nicht, was daran faul sein soll.“ Lizzy holte tief Luft und sagte scharf und böse: “Aber ich weiß es, Dan Rowley. Denn es waren Galgenvögel, die diese Pferde eintauschten. Und sie besaßen eine Menge Dollars. Kerle dieser Art bekommen Geld nur auf krummen Wegen. Warum fragst du Lee nicht einfach, was passiert ist?“ Cranston holte Luft. „Mondlicht ist tot“, sagte er mit flacher, unbetonter Stimme. „Sie wurde von drei Kugeln getroffen. Und vorher taten die drei Halunken ihr Gewalt an. Meine Felle sind weg, und meine Frau ist tot. Das ist geschehen, Dan Rowley.“ Der Schmied sah betroffen aus. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber Lee kam ihm zuvor. „Wenn du jetzt von dir gibst, daß es ja nur eine Indianerin war“, raunte Cranston scharf, „dann jage ich dir eine Kugel in den Kopf.“ Und es hatte sich wahrhaftig so angehört, als würde Lee ernst machen. „Ich wollte sagen, daß es mir leid tut“, murmelte der Schmied. „Aber davon wußte ich nichts. Sicher, die Kerle hatten es eilig, aber Felle schleppten sie nicht mit. Sie werden die Pelze schon verkauft haben.“ Lizzy trat dicht an Lee heran und legte ihm beide Hände auf die Wangen. - 13 -
Die Frau des Schmiedes hatte Mondlicht gekannt, und die beiden hatten sich gut verstanden, wenn auch Rowley dagegen war, daß sich seine Frau mit einer Indianerin abgab. Und Lizzy spürte, was in Lee Cranston vorging. „Rache bringt nichts zurück“, sagte Lizzy eindringlich. Lees Lächeln wirkte kalt und abweisend, und die Frau des Schmiedes spürte, daß der Mann innerlich wie tot sein mußte. Der Schmied ging mit dem Trapper hinaus zum Stall und entzündete eine Laterne. Als Lee den linken Hinterhuf des zweiten Pferdes anhob, erkannte er das lockere Eisen. Die Burschen hatten schnell gehandelt. Sie besaßen frische, ausgeruhte Pferde und würden sicherlich einen mächtigen Vorsprung haben. Wohin mochten sie geritten sein? „Wie sahen die Halunken aus, Dan?“ wollte Lee wissen. Verlegen blickte der Schmied den Trapper an und murmelte: „So genau habe ich mir die Burschen nicht angesehen, Lee. Einer war sehr groß und schlank. Er hatte pechschwarzes Haar und einen mächtigen Schnauzbart. Die anderen beiden waren jüngere Burschen. Einer war blond, und der andere hatte sandfarbenes Haar. Sie trugen keine Barte.“ „Namen?“ fragte Cranston, „sprachen sie sich mit Namen an?“ Der Schmied schüttelte den Kopf.. „Das war es, Dan“, sagte Lee und wandte sich um. Er ging zum Tor, zog sich daran hoch und war nach einer Sekunde verschwunden. - 14 -
Der Schmied verspürte ein Frösteln, das nicht von der Kälte kam. Er starrte lange Zeit auf das verschlossene Tor, bevor er wieder ins Haus zurückging. *** Lee hielt sich außerhalb der Lichtkreise der Laternen und brennenden Teerfässer. Er huschte wie ein Nachttier durch die Dunkelheit. Zuerst mußte er herausfinden, wem die Halunken die Felle verkauft hatten. Der Aufkäufer konnte sicherlich eine bessere Beschreibung als der Schmied geben. Vier Handelskompanien hatten ihre Agenten nach Gibson geschickt. Alle vier Männer waren ehrlich, schlugen keinen allzu großen Profit aus der Tatsache, daß sie die einzigen waren, die Pelze kauften. Und alle vier kannten die Jäger und Fallensteller dieser Region der Rocky Mountains. Und ganz bestimmt hatten sie sich drei fremde Gesichter gemerkt. Es war schon spät. Aber noch immer hämmerten die mechanischen Klaviere, die von den Saloonbesitzern und Händlern herangeschafft worden waren. Und aus allen Saloons und Zelten drangen die lauten Stimmen von angetrunkenen Rockymen. Lee glitt weiter und erreichte ein Zelt, das abseits stand. Hier übernachtete Slown, Hank Slown, einer der Aufkäufer. Cranston verhielt seinen Schritt und horchte. Ruhige Atemzüge drangen aus dem Zelt. Der Aufkäufer schlief wohl. Lee hockte sich auf die Absätze und raunte: „Slown, Hank Slown, wach auf. Ich muß dich was fragen, Hank. - 15 -
Wach auf.“ Nach einer halben Minute veränderte sich der Rhythmus des Atems. Aber Slown war ein erfahrener Mann und antwortete nicht sofort. „Ich weiß, daß du wach bist“, murmelte Lee. „Und ich weiß auch, daß du einen Colt in der Hand hältst. Ich bin Cranston, und ich will mit dir sprechen, Hank.“ Sekundenlang blieb es still. „Ich mache kein Licht“, antwortete der Aufkäufer. „Komm rein, Lee. Du kommst spät in diesem Jahr. Brauchst du Dollar? Ich gebe dir einen Vorschuß. Die Felle kannst du morgen bringen. Komm nur rein, Lee.“ Cranston huschte um das Zelt, sah wie sich die Leinwand vorne bewegte und wand sich geschickt durch die Öffnung. „Ich brauche kein Geld, Hank“, sagte Lee leise. „Ich brauche eine Auskunft von dir.“ Und dann erzählte Cranston mit wenigen Sätzen, was geschehen war. Slown stieß einen bösen Fluch aus, als der Trapper schwieg. „Paß auf, ich habe Felle von einem Fremden gekauft“, sagte der Aufkäufer. „Aber deine Beschreibung paßt nicht. Es war ein ganz junger Kerl, und er ließ es ohne zu feilschen zu, daß ich ihm nur ein Viertel des wahren Wertes auszahlte.“ Lee atmete gleichmäßig durch. Er konnte der Spannung, die in ihm aufbrach, widerstehen. „Wie sah er aus, der Halunke?“ fragte der Jäger. „Schmal in den Schultern, hellblaue Augen“, antwortete Slown, „und er wirkte verdammt nervös. Ständig schaute er über die Schulter als erwarte er einen - 16 -
Verfolger. Eigentlich war er ein hübscher Kerl, vom Gesicht her, meine ich. Er hatte volles, helles Haar, eine gerade Nase, wirkte irgendwie offen. Aber als er zu mir kam, hatte er Angst. Warte, ich erinnere mich an eine Narbe auf seiner Stirn, dicht unter dem Haaransatz. Die Narbe war gut anderthalb Inches lang und so breit wie ein Revolverabzug. Ich habe den Kerl noch niemals hier gesehen. Und ich verwette mein letztes Hemd darauf, daß er kein Mountainman war.“ „Das ist er wahrhaftig nicht“, murmelte Lee. „Hast du gesehen, wohin er ging?“ „Ich weiß nicht genau“, antwortete Slown, „verdammt, hätte ich doch besser auf den Kerl aufgepaßt.“ Cranston legte dem Aufkäufer die Hand auf den Unterarm und sagte: „Du brauchst dir keinen Vorwurf zu machen, Hank. Du wußtest ja nicht, was passiert war.“ Slown murmelte etwas, das Lee nicht verstand. „Aber ich zahle dir das Geld aus, das ich dem jungen Kerl vorenthielt“, sagte Slown schließlich. „Immerhin waren es deine Felle, denke ich. Und du brauchst die Dollar, wenn du die verfluchten Mörder verfolgen und stellen willst.“ Lee dachte flüchtig an die drei kleinen Ledersäckchen, die gut in seiner Bettenrolle verborgen waren und wollte schon ablehnen. Denn diese Säckchen enthielten eine Menge winziger Nuggets und Goldstaub, den er während des Jahres aus verschiedenen Bergbächen gewaschen hatte. Die Blackfeet hatten Mondlicht erlaubt, von den Fundstellen zu sprechen, und Lee war klug genug, dieses Wissen nicht auszunutzen. Denn es waren keine ergiebigen Goldfelder, aber um - 17 -
diese Tatsache würden sich die Digger und Abenteurer nicht kümmern, sollten die Goldfunde bekannt werden. Diese Menschen würden in Schären gezogen kommen und die Berge umwühlen wie die Maulwürfe. „Gut, ich kann das Geld brauchen“, antwortete Lee, denn nur so blieb das Geheimnis bewahrt, daß es in einigen Bächen der Rockies Gold gab. „Moment, ich mache Licht“, sagte Hank Slown. Eine Sekunde später ratschte ein Schwefelholz. Kurz darauf verbreitete eine Kerosinlampe warmen, gelblichen Schein. Slown holte ein dickes Geldscheinbündel aus einer rohledernen Tasche und zählte achthundert Dollar ab, die er Lee reichte. „Ich schätze die Pelze auf zwölfhundert Bucks“, sagte der Aufkäufer. „Dem jungen Kerl, der sie brachte, gab ich dreihundert, und er war zufrieden.“ Cranston dankte Slown und bat: „Mach das Licht aus, bevor ich gehe.“ „Ahnungen?“ fragte Hank. Vage nickte Lee, denn er verspürte so etwas wie Gefahr, aber er war nicht sicher, daß sie ihn unmittelbar bedrohte. Doch als er in die Dunkelheit hinausschlüpfte, zeichnete sich für eine halbe Sekunde seine Gestalt vor dem schwachen Sternenschein ab. Es raschelte leise. Lee wirbelte herum, sah den Mann, der sich empor schnellte und geduckt davonlief. Der Fremde rannte in weiten Zickzacksätzen in das freie Land. Wie lange hatte der Kerl schon gelauscht? Cranston zog seinen Colt und hob die Rechte. - 18 -
Und dann drückte Lee ab. Die Kugel ging fehl. Wieder und wieder schoß Cranston, und nach dem fünften Aufbrüllen des Revolvers stieß der Fremde einen Schrei aus, taumelte und lief langsamer weiter. Aber als Lee erneut schießen wollte, war die Entfernung zu groß geworden. Er lief los, und während er hinter dem Kerl herrannte, stieß er die Hülsen aus der Trommel, fingerte neue Patronen aus den Gurtschlaufen und lud die Waffe auf. Aber Lee hatte Pech. Denn Sekunden später hämmerte Hufschlag auf. Für kurze Zeit war der Schatten eines Pferdes zu sehen. Das Tier fiel in Galopp und jagte in die Nacht. Lee starrte in die Dunkelheit. Er mußte diesen Kerl verfolgen, denn er war die einzige direkte Verbindung zu den Halunken. Cranston fühlte mit einer seltsamen Hellsichtigkeit, daß der Flüchtende zu den Halunken gehörte, die Mondlicht getötet hatten. Und das hieß, daß Lee es mit vier und nicht mit drei Banditen zu tun hatte. Grimmig stieß er den Revolver ins Holster und ging zum Zelt des Aufkäufers zurück. „Lee?“ fragte Hank Slown leise. „Ja, wir wurden belauscht“, antwortete der Rockyman. „Ich brauche deine Laterne, Hank, um die Spur des Pferdes zu finden.“ Kurze Zeit später marschierte Cranston mit der brennenden Lampe dorthin, von wo der Hufschlag aufgeklungen war. Rot schimmerte es im Schein der Laterne auf. Lee mußte den Burschen ziemlich schlimm getroffen haben, denn der Kerl hatte eine Menge Blut verloren. - 19 -
Cranston schöpfte Hoffnung, als er daran dachte. Aber er fragte sich, ob die anderen drei Kerle auf ihren verwundeten Kumpan Rücksicht nehmen würden. Hank Slown kam näher, blickte auf die Blutspur, die Hufabdrücke und sagte: „Hoffentlich schneit es nicht in der Nacht. Dann hast du eine Chance, diese Fährte zu verfolgen, Lee.“ Cranston nickte nur, gab die Laterne zurück und wandte sich ab. Er ging auf die wenigen Häuser zu und verschwand im Mietstall. Lee war sicher, auf dem Heuboden schlafen zu können, und so war es auch. Cranston schlief tief und traumlos. Mit der Dämmerung erwachte er und stieg vom Futterboden hinab in den Stall. Eine dicke Eisschicht bedeckte den Trog der Pferdetränke. Mit dem Revolverkolben zerschlug Lee das Eis und wusch sich. Und eine halbe Stunde später war Cranston unterwegs. *** Der Nachtfrost hatte die Hufabdrücke gesichert. Lee brauchte nicht einmal aus dem Sattel zu steigen, so deutlich sah er die Spuren. Sie führten nach Norden, in Richtung Kanada, dessen Grenze etwa achtzig Meilen entfernt war. Nach gut zwei Stunden zügelte Cranston das Reitpferd und starrte auf den Boden. Vier Pferde hatten hier gestanden, lange gestanden. Lee schwang sich aus dem Sattel und umkreiste den Ort. Zweimal fand der schlanke Mann Tuchfetzen, die - 20 -
voller Blut waren. Und dann blinkte etwas im Strahl der Sonne auf. Es war eine Whiskyflasche, eine leere Flasche. Bitterkeit wallte in Lee auf. Die Kerle betranken sich, während ihr Kumpan schwer verwundet war. Und sicherlich waren die verdammten Wölfe auch betrunken gewesen, als sie Mondlicht umbrachten. Cranston erreichte den Punkt, an dem die vier Fährten schnurgerade nach Norden führten. „Ich muß mich beeilen“, murmelte Lee, „die Sonne weicht den Boden noch etwas auf und verwischt so die Fährte.“ Kurze Zeit später ritt der Verfolger wieder auf der Spur der Mörder. Allmählich wurde der Trau steiler. Nach weiteren zwei Stunden erreichte Lee eine kahle Felsplatte, auf der keine Spuren zu erkennen waren. Sorgsam suchte er das Gestein ab, aber er fand nicht mal einen Kratzer. Mit ausdruckslosem Gesicht starrte Cranston auf die Gipfel, die bereits Schneehauben trugen. „Dort liegt Kanada“, murmelte der schlanke Mann, „und ich wette, die Kerle gehen über die Grenze, schlagen einen Bogen und kehren irgendwo im Osten nach Montana zurück.“ Es gab nur einen Weg nach Norden, und Lee schlug ihn ein. Am Nachmittag schoben sich mächtige grauschwarze Wolken vor die fahle Sonne. Und kurze Zeit später schneite es. Jetzt war jede Spur verborgen. Grimmig dachte Lee daran, daß seine Chance nur hauchdünn war. Aber er konnte einfach nicht aufgeben. Er ritt weiter, und das Packpferd trottete hinterher. - 21 -
Lee erreichte einen schneebedeckten Hang und suchte nach Spuren. Die Schneedecke lag glatt vor Cranstons Augen. Nur hier und da ragten die kahlen Zweige eines Strauches auf. Es war kalt, mächtig kalt, und es hatte aufgehört zu schneien. Lee ließ sein Pferd schräg den Hang hinaufmarschieren, um dem Tier den Aufstieg zu erleichtern. Und auf einmal spürte Cranston die Gefahr! Er ließ sich nichts anmerken, aber er suchte sorgfältig mit seinen Blicken die Umgebung ab. Und dann wußte er, wo sein Gegner steckte. In etwa zwanzig oder dreißig Yards Entfernung ragte eine mächtige Tanne weit in den Himmel. Hinter dem Stamm lagen die kahlen Äste eines vor langer Zeit entwurzelten Baumes. Dort, nur dort konnte Lees Gegner sich verbergen. Für den Bruchteil einer Sekunde schimmerte ein metallischer Reflex im Sonnenschein auf. Der Lauf einer Winchester schob sich um den Stamm, und es rasselte, als der Fremde durchlud. Lee hielt die Zügel mit beiden Händen und ließ das Tier weitergehen. Und als er nur noch zehn Yards von der Tanne entfernt war, schnellte sich Cranston wie eine Katze aus dem Sattel, rollte durch den Schnee und gelangte auf die Knie. Er spürte die Kälte an seinen Fingern nicht, als er den Colt zog. Die Winchester peitschte, und der helle Schußknall wurde von den Bergen ringsum zurückgeworfen. Abermals krachte das Gewehr. Lee sah einen rötlichen Schimmer, stach den Revolver - 22 -
wie die Verlängerung seiner Hand vor und drückte ab. Die Winchester fiel in den Schnee. Langsam kippte der Mann nach vorn. Seine Fingernägel kratzten über die Rinde des Baumes. Und dann fiel der junge Bursche nach vorn, mit dem Gesicht in den Schnee. Cranston stand auf und ging auf den tödlich Verwundeten zu. Lee wälzte den Jungen herum und blickte in helle Augen, in denen die Angst vor dem Ende schimmerte. Der Junge wußte, daß es aus war. Seine Hose war an der Hüfte blutdurchtränkt, und dicht über dem Herzen war die zweite Wunde. Lee hockte sich auf die Absätze und blickte dem jungen Kerl aufmerksam ins Gesicht. Nichts, aber auch gar nichts wies darauf hin, daß der Halunke ein wilder Wolf vom langen Trail war. Eigentlich wirkte er wie ein Cowboy, wie ein normaler Reiter. Heiser stöhnte der Junge auf. „Schon gut, bald ist es vorbei“, sagte Lee mit gleichgültig klingender Stimme. „Mister, ich war nicht dabei“, murmelte der junge Kerl schwach. „Ich habe die Felle verkauft, ja, aber ich war nicht dabei.“ Der Atem des Verwundeten ging rasselnd. Er hustete und bäumte sich auf. Sein Gesicht wurde fahlgelb, und dann fiel der junge Mann mit dem Rücken in den Schnee. Gleichgültig sah Cranston zu, wie der Bursche noch einmal Kraft sammelte. Irgend etwas wollte er wohl noch loswerden, und Lee hoffte, daß er einen Hinweis auf die anderen drei Halunken bekam. „Sie reiten nach Kanada“, keuchte der Sterbende. „Sie - 23 -
wollen nach Osten und dann zurück nach Loring. Mister, sie waren betrunken, ich bin nicht mitgeritten. Geh zu Linda, sag ihr, daß ich ...“ Ein starrer Ausdruck in den hellen Augen bewies Cranston, daß der junge Mann tot war. Kein Gefühl spiegelte sich in Lees Gesicht wider, als er aufstand. Irgendwo mußte er den jungen Mann begraben. Aber der Boden war hart gefroren in dieser Höhe, und es war fast unmöglich, ein Grab auszuheben. Lee suchte das Pferd des Toten, aber die anderen Halunken hatten das Tier wohl mitgenommen. Cranston holte seine Pferde und hob den Toten auf das Packtier. Die Hüftwunde schien entzündet gewesen zu sein, und sicherlich hätte der junge Bursche nur eine Chance gehabt, wenn er einen guten Doc gefunden hätte. Und ganz bestimmt wußten die anderen drei Halunken das und hatten ihren Kumpan darum zurückgelassen. Lee stieg in den Sattel und ließ die Pferde weiterhin bergauf gehen. Die Sonne stand bereits sehr tief, als Cranston die Felsenregion erreichte. Ein kalter, beißender Wind wehte hier oben. Der feine Schnee stob wie Pulver auf und wirbelte in dichten Schleiern davon. Cranston fand nach einiger Zeit eine enge Felsspalte. Sie mußte als Grab für den Jungen genügen. Lee schob den Körper hinein und suchte Steine, die er in den engen Einschnitt aufschichtete, damit das Raubwild nicht an den Jungen herankam. Cranston saß wieder auf und schaute sich um. In diesem Teil Montanas war er lange nicht mehr gewesen, - 24 -
aber er fand doch noch einige Landmarkierungen wieder, die er von früher her kannte. In ungefähr drei Meilen würde er eine verwitterte Felsgruppe erreichen, die wie mahnende Finger in den Himmel ragte. Die Indianer nannten diesen Ort Manitous Hand, und bei verschiedenen Stämmen galt der Platz als heilig. Aber dort waren Lee und die beiden Pferde vor den Unbilden der Witterung einigermaßen geschützt. Der Wind wurde stärker, schärfer, und die Schneekristalle fuhren wie leichte Peitschenhiebe über Cranstons Gesicht. Er zog das Halstuch über Mund und Nase und schob sich den Hut tiefer in die Stirn. Das Pferd hielt den Kopf gesenkt und stampfte durch die Schneedecke. Große Dampfwolken stiegen von seinen Nüstern auf und zerfaserten im Wind. Lee hatte eine gute Meile zurückgelegt, als er abgestorbene Krüppelkiefern entdeckte. Er saß ab, sammelte ein Bündel Holz und band es mit einigen Lederriemen auf dem Packpferd fest. Und kurze Zeit später erreichte Cranston die Felsformation. Er brachte die Pferde unter einen Granitvorsprung, der wie ein Dach weit hinausragte. Hier waren die Tiere einigermaßen geschützt. Es dauerte nicht lange, und Schnee schmolz in einer Blechkanne über dem kleinen Feuer, das Lee entfacht hatte. Die Pferde hatten die Futtersäcke umgebunden und zermahlten Hafer und Mais. Lee aß, legte etwas Holz nach und kochte sich einen - 25 -
Kaffee, den er in kleinen Schlucken trank. Danach breitete Cranston seine Bettenrolle aus, kroch hinein und hakte die Verschlüsse zu. Sollte der Wind stärker werden, so konnte Lee ganz hineinkriechen und würde selbst einen Blizzard überleben, denn die Segeltuchumhüllung war wasserdicht. Cranston dachte über die mageren Informationen nach, die er von dem Jungen bekommen hatte. Eines stand auf jeden Fall fest: der kaum erwachsene Bursche hatte die Wahrheit gesagt. Er war nicht dabei gewesen, als die drei anderen Halunken Mondlicht ermordet hatten; denn Lee fand nur die Spuren von drei Tieren, als er zu seiner Hütte gekommen war. Und noch etwas war Cranston klar: die drei anderen Kerle waren eiskalte Halunken. Sonst hätten sie den Jungen nicht zurückgelassen. Sonst hätten sie versucht, zu irgendeinem Doc zu gelangen, um dem Boy wenn schon nicht die Hüfte, so doch das Leben zu retten. Aber vielleicht saß ihnen die Furcht zwischen den Schultern und trieb sie vorwärts, weg aus diesem Land, in dem sie eine Frau ermordet hatten. Lee kannte die Stadt Loring, die der Junge genannt hatte, dem Namen nach. Sie lag im östlichen Montana, in der Nähe des Withwater Rivers. Dort war das Land flacher, und es gab gutes Gras. Einige große, Ranches gab es in dieser Gegend, und das Vieh dort war zäh und winterhart. „Ich muß nach Loring“, murmelte Cranston. „Irgendwann lassen sich die Burschen, dort sehen. Und die Beschreibung, die ich von ihnen habe, wird mir genügen.“ Aber Cranston wußte, daß er sich etwas vormachte. - 26 -
Denn es genügte nicht zu wissen, daß ein Mann blond oder schwarzhaarig war. Oh nein, um genau zu wissen, ob ein Bursche an dem Mord beteiligt war, mußte Lee viel mehr in Erfahrung bringen. Und wer weiß, vielleicht stammte nur dieser wilde Junge aus Loring? Vielleicht war diese Linda, die er erwähnte, sein Girl und konnte oder wollte einem Fremden nicht weiterhelfen. „Ob ich will oder nicht, ich muß den Kerlen auf der Spur bleiben“, sagte Lee bitter. „Sie wissen, daß ich hinter ihnen her bin, und sie werden versuchen, mich abzuschütteln. Aber ich erwische sie!“ Die letzten Worte flüsterte Cranston mit einem bitteren, zornigen Ton in der Stimme. Er schloß die Lider, denn er wollte mit dem Einsetzen der Morgendämmerung weiterziehen. Sekunden später war er eingeschlafen. *** Stunden später erwachte Lee Cranston. Er blieb reglos liegen und lauschte in die sternenklare Nacht. Was ihn geweckt hatte, wußte er nicht, aber er wußte, daß es sein Instinkt war, der ihm eine Warnung zukommen ließ. Lee hakte die Verschlüsse des Sturmbettes auf, tastete nach der Winchester und hätte beinahe geflucht, als seine Finger am eiskalten Metall des Verschlusses festklebten. Vorsichtig packte Cranston mit der anderen Hand zu und zog das Gewehr in das Bett unter die Decken. Nach langen Minuten hatte sich das Metall genügend - 27 -
erwärmt, aber trotzdem blieben einige Hautfetzen der Fingerkuppen darauf zurück, als Lee die Linke löste. Es war kalt, bitterkalt in dieser Nacht. Die Pferde schnaubten unruhig und scharrten mit den Hufen im Schnee, bis sie den Felsgrund spürten. Es war, als wollten sich die beiden Tiere festen Halt verschaffen. Und Lee hatte eine Ahnung, was die beiden Pferde fürchteten. „Wölfe werden es sein“, murmelte er kaum hörbar. „Aber warum greifen sie schon jetzt an?“ Der Winter hatte gerade erst begonnen. Noch gab es genügend Wild, um die Räuber des Waldes, der Berge zu ernähren. Sie litten noch keinen Hunger. In einigen Monaten sah es anders aus, oh ja, dann würden schwächere Rudel auch Menschen angreifen, um zu überleben. Aufmerksam spähte Lee in die Nacht. Und nach langen Minuten entdeckte er einen dunklen Schatten auf der glitzernden Schneedecke. Einen Schatten, der sich allmählich näher schob. Der Wind pfiff aus verschiedenen Richtungen um die Felsengruppe, die von den Indianern Manitous Hand genannt wurde. Ständig wechselte der Sturm seine Richtung und trug immer wieder den Wölfen die Witterung des Menschen und der Pferde zu. Noch weitere vier dunkle Punkte machte Cranston aus, Punkte, die sich halbkreisförmig den Felsen näherten. Für einen sicheren Schuß war das Sternenlicht zu schwach, die Entfernung zu weit. Trotzdem lud Lee durch. Wenn die Tiere in sicherer Schußweite waren, würde - 28 -
er abdrücken. Er konnte sieh nicht gefährden lassen, und es sah so aus, als seien diese Wölfe ein MenschenfresserRudel. Es gab solche Tiere. Und keiner der Indianer oder Trapper wußten, aus welchen Gründen normale Wölfe plötzlich nur noch Menschen angriffen. Und immer bestanden diese Rudel nur aus Rüden, die keine Wölfin bei sich duldeten. Wenn das Frühjahr kam, die Paarungszeit, dann fielen die Mordwölfe über andere Rudel her, griffen die eigenen Artgenossen an und trieben die Weibchen davon, die nach der Paarungszeit wieder zurückkamen. Minuten später war es so weit. Cranston hob die Winchester an die Schulter, zielte im Liegen und drückte ab. Mitten im peitschenden Knall sprang ein Tier hoch, bog sich halbkreisartig zusammen und sank schlaff in den Schnee zurück. Die anderen kümmerten sich nicht um ihren toten Artgenossen. Sie schnellten empor und jagten in langen Sätzen voran, auf die Felsen zu, zwischen denen sie ihre Beute witterten. Lee fluchte, kroch aus dem Bett und kniete sich hin. Er sah nur noch drei der Mordwölfe. Wo war das vierte Tier geblieben? In rasender Folge hebelte Cranston Patronen in den Lauf und schoß. Zwei der drei heranpreschenden Wölfe erwischte er, aber der dritte erreichte die Felsen und verschwand in der Deckung der Steine. Der Geruch der Angreifer ließ die Pferde schrill aufwiehern. Und irgendetwas, ein Gefühl, eine Ahnung, warnte - 29 -
Lee. Er wirbelte herum, blickte zu den Pferden und sah im letzten Moment den schlanken Körper, der sich von der dachförmigen Felsplatte herabschnellte. In der nächsten Sekunde kämpfte Lee gegen einen Wirbel aus Haaren, Zähnen und wild umherschlagenden Pfoten. Endlich gelang es Cranston, dem Tier den Lauf der Winchester in den aufgerissenen Fang zu schieben. Der Wolf biß zu, und krachend brachen zwei der Zähne ab. Aber das Tier gab nicht auf. Es versuchte, dem Druck des kalten Metalls zu entrinnen, stemmte sich mit den Hinterpfoten in den harschigen Schnee und riß sich los, sprang einen weiten Satz zurück und blieb mit gesträubtem Fell stehen. Heiseres Knurren grollte in seiner Kehle. Der Mordwolf, sicher war er der Anführer des Rudels, denn er trug den Schwanz steil aufgerichtet, duckte sich etwas zusammen. Lee ließ die Winchester fallen, zog blitzartig den Colt und feuerte zwischen die gelblich schillernden Augen. Das Tier war bereits abgesprungen, und selbst das schwere Geschoß des Revolvers stoppte diesen Sprung nicht. Cranston konnte nicht mehr ausweichen. Er spürte den Anprall, taumelte zurück und verfing sich mit den hochhackigen Absätzen in den Decken des Bettes und fiel auf den Rücken. Ein wildes, böses Knurren klang auf. Das tote Raubtier landete schwer auf Lees Oberkörper, aber der Mann hielt den Revolver krampfhaft fest. Denn blitzartig war Lee klargeworden, daß das letzte - 30 -
Tier in der Nähe war. Und dann sauste es auch schon durch die Luft, landete auf dem toten Leitwolf, schnellte sich herum, schnappte wild mit den Kiefern nach Lees Arm und rutschte ab. Cranston feuerte dreimal, bis sich nichts mehr rührte. Mit einem Ruck warf er den Leitwolf von sich ab und stand auf. Die Pferde drängten sich eng aneinander. Lee trat zu den Tieren und strich ihnen beruhigend über die Flanken und klopfte ihnen die Hälse. „Schon gut, ihr beiden“, sagte er laut, „es ist ja vorbei. Ich weiß, daß ihr den Geruch nicht ausstehen könnt, aber ihr müßt euch dran gewöhnen. Wir reiten erst, wenn es hell wird.“ Und dann fachte Cranston das Feuer neu an, bis die Flammen hoch aufloderten. Im Schein des Feuers schleppte er die Kadaver der Wölfe davon und warf sie hinter die Felsen. Es waren fünf Tiere gewesen, und alle fünf waren Männchen. Die Geschichten der Bergläufer und Trapper hatten sich wieder einmal bestätigt. Es war ein Rudel Mordwölfe gewesen, die in dem einsamen Mann und seinen beiden Pferden eine leichte Beute gewittert hatten. Und beinahe wäre es ihnen auch geglückt. Ein unerfahrener Mann hätte den Angriff des Rudels wohl nicht überlebt. Nach langer Zeit fiel Lee wieder in Schlaf. Er wußte, daß die Gefahr vorbei war, denn ein Mordwolf-Rudel duldete keine anderen Raubtiere in seiner Nähe. *** - 31 -
Lee erwachte, als die Sonne sich im Osten über die Berggipfel schob. Das Licht war noch schwach und fahl, aber es reichte aus, um die Fährte der Wölfe zu erkennen. Die Tiere waren genau von Norden gekommen. Aus der Richtung, in die Cranston reiten wollte. Es konnte sein, daß die Mordwölfe von Kanada herübergewechselt waren. Die Grenze war nicht mehr weit entfernt. Und die Raubwölfe hatten sich genau auf dem bequemsten Weg gehalten, waren so gezogen, wie auch Menschen getraut wären. Kurze Zeit später kochte der Kaffee auf dem wieder angefachten Feuer, und Lee kaute auf einem Stück Trokkenfleisch. Die Pferde prusteten in die leeren Futtersäcke. „Ich muß Hafer oder Mais besorgen“, murmelte Cranston, denn er hatte nicht genügend Nahrung für die beiden Tiere mitgenommen. Als die Sonne etwas stärker geworden war, hatte Lee sein Bett zusammengerollt und auf das Packpferd geschnallt. „Weiter“, befahl Cranston den Tieren und schwang sich in den Sattel, „in zwei Meilen kommt ein Creek, der nie zufriert. Dort könnt ihr saufen.“ Und so war es auch. Weiter im Norden plätscherte ein mehr als yardbreiter Wasserlauf aus . den Steilfelsen. Und er floß so schnell, daß er nicht vereiste. Lee ließ die Tiere trinken und suchte nach Spuren. Aber der Wind des vergangenen Tages hatte den pulverigen Schnee über alle Abdrücke geweht. Cranston spürte auf eine rätselhafte Weise, daß er auf - 32 -
dem richtigen Trau war. Irgendwie wußte er, daß die Kerle nach Norden, nach Kanada reiten würden. Und irgendwie ahnte Lee, daß er ihnen begegnen würde. Er ritt weiter. Aufmerksam beobachtete er die Umgebung und seine Pferde. Und als er die Grenze seiner Schätzung nach überschritten hatte, fühlte er, daß sich Menschen näherten. Die Ohren der beiden Pferde spielten aufmerksam, zuckten und dann schnaubte das Packtier. Der Weg führte leicht bergan, wand sich um hohe, von der Witterung zerfressene Felsen herum und war nicht zu übersehen. Cranston umrundete die letzte Gesteinsgruppe und sah drei Männer in knapp hundert Yards Entfernung vor sich. Der vorderste Reiter trug den leuchtend roten Uniformrock der berittenen Kanadischen Polizei, der Royal Canadian Mounted Police. Lee ließ seine Pferde weitergehen und zügelte sein Tier erst, als er nur noch knapp fünfzehn Yard von den anderen entfernt war. Die hellen Augen des Beamten musterten den Mann, der von Süden kam und wirkten auf einmal wachsam. Sicherlich war der Konstabler ein erfahrener Mann und wußte einen Mountainman von einem gefährlichen Kämpfer zu unterscheiden. Und trotz seiner Kleidung, seiner Ausrüstung wirkte Lee nicht länger wie ein Trapper. Seit er auf der Fährte der Mörder ritt, hatte er wieder das Gebaren des Revolverkämpfers angenommen, der er früher einmal war. Der Beamte im roten Rock legte grüßend die Hand an - 33 -
die steife Krempe des spitzkronigen Hutes. „Morning Sir, Konstabler Lorne Graham“, stellte sich der Polizist vor. Wachsam schaute Lee zu den beiden Begleitern des Mannes und musterte sie aus kalt wirkenden Augen. Der Beamte hatte den Blick bemerkt und lächelte leicht. „Das sind Mel Coyne und Brian Thorpe“, sagte sie Konstabler. „Sie helfen mir für ein paar Tage. Wir sind hinter einem Rudel Mordwölfe her, Mister . . .“ Lee nickte und sagte: „Cranston, Lee Cranston, und ich reite ebenfalls hinter drei Mordwölfen her.“ Aufmerksam blickten die beiden Trapper, denn das waren die Begleiter des Konstablers offensichtlich, diesen harten Fremden an. „Hey, Mel, er meint sicher die drei Kerle, die bei unserem Auftauchen sofort die Richtung wechselten“, sagte der größere der beiden Jäger mit durchdringender Baßstimme. Der Konstabler räusperte sich und sagte leicht beunruhigt: „Werden Sie einen Feuerzauber veranstalten, wenn Sie diese Männer erwischen, Mister Cranston?“ Lee lächelte nicht, als er antwortete: „Ich nicht, Graham, ich werde ihnen nur etwas erzählen. Und dann fangen diese Höllenhunde von selbst an, verlassen Sie sich drauf.“ „Wollen Sie uns nicht sagen, was geschehen ist?“ forschte der Polizist. Cranston zögerte und blickte aus seltsam leblos wirkenden Augen in das weite, schneebedeckte Land. Nur ab und zu ragte eine Douglasfichte hoch auf, und einige halbhohe, vom Wind zerzauste Wacholdersträucher waren außer den wenigen Bäumen das einzige - 34 -
Grün. „Das Wolfsrudel, dem ihr folgt“, begann Lee, „ist tot. Sie griffen mich in der vergangenen Nacht an. Holt euch die Felle. Die Kadaver liegen hinter der letzten Zinne von Manitous Hand.“ Der kleinere der beiden Trapper stieß einen schrillen Pfiff aus uns fragte: „Du hast sie alle erwischt, alle fünf?“ Lee nickte nur. „Dann bist du einer von uns“, stellte Brian Thorpe fest. „Aber wir kennen deinen Namen nicht.“ Cranston lächelte verzerrt, und ein seltsames Feuer schimmerte in seinen Augen auf. Endlich entschloß er sich und sagte: „Die Siksika nannten mich zuerst ‚Mann der sich nicht kennt’ und später gaben sie mir einen anderen Namen . . .“ „Steinherz“, riefen die beiden Trapper zugleich und schwangen sich aus den Sätteln und stürmten auf Cranston zu. Er hob beide Handflächen, und als die beiden Jäger das Gesicht des in ihren Kreisen bereits zur Legende gewordenen Mannes sahen, hielten sie betroffen inne. Ja, dieser Lee Cranston, den die Blackfeet Steinherz nannten, wirkte wie tot, als sei alles Leben, alles Gefühl in ihm erloschen. Und die mit der Wildnis vertrauten Männer spürten mit ihren geschärften Instinkten, daß etwas Fürchterliches geschehen war. Aber der Konstabler wollte es genau wissen. „Sie sind also der ehemalige Revolvermann, der seinen Colt an den Nagel hing und Fallensteller und Jäger wurde?“ fragte Lorne Graham. Lee nickte nur. „Sie hatten es geschafft“, stellte der Polizist fest und - 35 -
mustert den Fremden nochmals eindringlich. Lange blickt der Beamte auf den matt schimmernden Gurt und den abgewetzten Kolben des Revolvers im Holster. „Aber jetzt tragen Sie Ihre Kämpferwaffe wieder“, sagte Graham. „Warum?“ fragte der Trapper Brian, „warum nahmst du wieder den Colt, Steinherz? Sicher, das Wild wird seltener, aber weiter im Norden gibt es noch immer unermeßlich reiche Reviere. Du hattest es doch geschafft, warst vom Pulverdampftrail weggekommen, warum reitest du wieder?“ Lee überlegte, ob er den Männern die Wahrheit sagen sollte. Eigentlich war es ihm gleichgültig, aber eine solche Tatsache wurde schnell zu einem Sattelgerücht oder wie die Männer in Hirschleder sagten, zu einem Wolfsgerücht, weil es genau wie Wölfe in kürzester Zeit weiteste Strecken überwand. „Vier Kerle waren es“, begann Lee mit gleichgültig klingender Stimme, „einen schoß ich an, als er mich in Gibson belauschte. Die drei anderen hatten meine Hütte überfallen und Mondlicht umgebracht. Der Junge verkaufte die Felle für die drei Halunken. Offensichtlich sah er mich in die Stadt kommen und versuchte herauszubekommen, was ich unternehmen würde. Ich schoß ihn an, aber er entkam. Am nächsten Tag schoß er auf mich, und ich tötete ihn. Die anderen hatten ihn zurückgelassen. Er hätte sofort einen Doc gebraucht, denn meine Kugel zerschmetterte ihm die Hüfte. Und das ist alles.“ Nachdenklich musterte Konstabler Graham diesen Lee Cranston, dessen Ruf als Revolverkämpfer selbst nach Kanada gedrungen war. - 36 -
„Sie schaffen es“, sagte der Beamte unvermittelt. „Ja, ich spüre, daß Sie es schaffen, Cranston. Aber wie geht es dann weiter? Reiten Sie wieder für Dollar? Vermieten Sie wieder Ihren Colt und Ihre Fähigkeiten?“ Lee zog die Schultern hoch, aber er antwortete nicht. Brian Thorpe blickte seinen Partner Mel Coyne an, und die beiden nickten sich zu. „Wir denken, daß niemand weiß, daß Lee Cranston und Steinherz dieselbe Person sind“, sagte Brian. „und wir denken, daß es niemanden etwas angeht. Später vielleicht, später kann man darüber reden. Aber zuerst hast du einen Job zu erledigen, Lee.“ Cranston nickte und schaute auf den Konstabler. „Mach dir keine Sorgen“, rief Mel laut, „dem stopfen wir schon den Mund, wenn er plaudern will. Aber er wird nichts sagen.“ Lorne Graham lächelte hart und sagte: „Warum sollte ich Geschichten erzählen? Ich habe genug damit zu tun, hinter Halunken her zu sausen. Stellen Sie nur nichts an, Cranston. Reiten Sie nach Cardston. Dort findet jedes Wochenende ein Tanzfest statt. Vielleicht entdecken Sie die drei Kerle dort.“ Lee nickte den drei Männern zu und zupfte am Zügel. Willig ging das Pferd an. Und auch das Packtier schien nur darauf gewartet zu haben, daß es weiterging. Lange blickten die drei Kanadier dem eisenharten Mann nach, den die Schwarzfußindianer Steinherz nannten. Zumindest die Mountainmen kannten die Legende um den Fremden, der eines Tages bei den Blackfeets auftauchte und dort lebte wie ein Indianer. Und die Trapper und Jäger kannten auch die Geschichte um diesen Weißen und um Mondlicht, die - 37 -
dem Fremden folgte und ihm eine gute Frau war. Hier, in der wilden Einsamkeit des Nordens waren die Menschen meist nicht so engstirnig wie in den vereinigten Staaten. Hier hatte fast niemand der Fallensteller oder Farmer etwas gegen eine Ehe mit einer Indianerin. Oh ja, diese Männer verstanden Lee Cranston. Und sie verstanden auch, daß er die Mörder stellen mußte. Sie selbst hätten nicht anders gehandelt. Aber insgeheim befürchteten sie, daß dieser stahlharte Kämpfer während seiner Verfolgung zu einem Killer werden könnte. Denn dann wäre er kaum besser als die Männer, die er jagte. „Wir sehen ihn wieder, ich weiß es“, sagte Konstabler Graham, und die beiden Trapper glaubten ihm. Bereits mehr als einmal hatte Lorne Graham mit seinen Ahnungen Recht behalten. *** Es dunkelte bereits, als Lee Cranston die Stadt Cardston erreichte. In der Main Street brannten eine Menge Laternen, und die gesamte Bevölkerung schien auf den Beinen zu sein. Irgendwo hinter den Menschen, die durch die hartgefrorenen Radfurchen der Straße stapften, schrillte plötzlich der Ton einer Fiedel auf. Es war ein lustiges Stück, das der Musikant angestimmt hatte, und nach und nach fielen auch andere Instrumente ein. Die Menschen lachten, riefen sich Scherzworte zu und eilten weiter. Das Fest schien zu beginnen. - 38 -
Lee musterte die Häuser, die Stores und die Geschäfte der Handwerker, deren Beschriftungen er im Licht der Laternen gut erkennen konnte. Der Mietstall lag in der Nähe. Cranston ritt dorthin und schwang sich aus dem Sattel. Ein alter Mann, dessen Kopf kein einziges Haar aufwies, schlurfte aus dem halb geöffneten Tor und blinzelte müde zu Lee hoch. „Na, Mister, willst du dir auch ein steifes Bein beim Tanzen holen?“ fragte der Alte und spuckte aus. Lee ließ den Zügel los, trat schnell durch den Lichtkreis und huschte in das Halbdunkel des Stalles. „Ha, willst wohl nicht erkannt werden, wie?“ murmelte der Alte und schob mit der Hand die Türflügel auseinander. Der Stallmann zog die beiden Pferde in das Innere und lehnte die Türen wieder an. „Ist ein Mounty hinter dir her?“ fragte der Alte, „oder kommst du von der Grenze, aus den Staaten?“ Lee atmete leise und horchte in die Dunkelheit. Kein außergewöhnliches Geräusch war zu hören. Lee und der Stallmann waren allein. Der Alte kicherte hohl und meinte: „Hier liegt keiner im Heu rum, Mister. Du brauchst keine Angst zu haben.“ „Ich suche drei Männer“, sagte Cranston flach. „Sie reiten zwei Rappen und einen Pinto. Sind solche Pferde gestern oder heute von Fremden bei dir abgestellt worden?“ „Nein“, kam die Antwort des Stallmannes, „hier waren überhaupt keine Fremden.“ Er trat einen Schritt näher an Cranston heran, sah ihm in die Augen und murmelte: „Und wenn, dann würde ich es dir sagen, Mister. Du bist auf einem verdammt - 39 -
einsamen Trail, das erkenne ich. Paß nur auf, daß du nicht in Schwierigkeiten gerätst. Das Gesetz ist hier streng und unerbittlich.“ „Und wie heißt dieses Gesetz?“ wollte Lee wissen. „Lorne Graham“, antwortete der Alte. „Ich kenne ihn, lernte ihn heute morgen kennen“, murmelte Cranston. „Er gab mir den Rat, hier in Cardston, nach den Halunken zu suchen.“ Eine Weile schwieg der Stallmann. Undeutlich schimmerte seine Glatze im Lichtschein, der von draußen hereinfiel. „Wenn das so ist“, sagte der Alte schließlich, „hat er einen Narren an dir gefressen. Denn er ist Fremden gegenüber mehr als mißtrauisch.“ „Vielleicht bin ich kein Fremder“, antwortete Lee leise. „Vielleicht erkannten mich Brian und Mel. Kommen sie auch her, wenn sie die Mordwölfe gefunden haben?“ „Verdammt, ich werde nicht klug aus dir“, murrte der Alte. „Du redest, als würdest du die drei kennen, aber ich weiß nichts von dir.“ „Brauchst du auch nicht“, antwortete Cranston hart. „Ich will nur wissen, ob sich drei Fremde in der Stadt aufhalten, einer einen Pinto und zwei Rappen reiten. Das ist alles, Mister Stallmann.“ „Ich habe keine gesehen, aber das heißt nicht, daß sie nicht doch hier sind. Es ist Samstag, verstehst du, Fremder? Und der Samstagabend ist hier so etwas wie ein Feiertag. Während des ganzen Winters kommen die Einwohner an diesem Tag zusammen. Sie erzählen, prahlen, schneiden auf und machen Geschäfte. Sie trinken und tanzen und suchen sich so viel Vergnügen, daß sie die nächste trostlose Woche überstehen können. - 40 -
Verstehst du das, Mister?“ Lee verstand das, denn während des Winters gab es nur wenig Abwechslung in diesen abgelegenen Gegenden. Die Städter und Handwerker waren eben nicht solche Menschen, die mit sich selbst und der rauhen Natur zufrieden sein konnten. Sie waren anders als die Waldläufer und Jäger. Und sicherlich hatten sich die Mountainmen auch darum in die Wildnis zurückgezogen. „Würden die Bürger denn Fremde unter sich dulden?“ fragte Lee. „Sicher, wenn die Männer etwas zu erzählen haben“, antwortete der Alte. Natürlich haben sie etwas zu erzählen, dachte Cranston grimmig. Aber diese Story durften sie den braven Bürgern Cardstones nicht zum Besten geben. „Paß auf“, sagte Lee zum Stallmann, „kann sein, daß ich schnell wieder weg muß. Mach die Pferde sauber, gib ihnen Hafer und Wasser. Hier hast du fünf Dollar. Dafür will ich auch Futter mitnehmen. Ist das genug?“ „Es reicht, Mister“, antwortete der Alte. „Du kannst dich auf mich verlassen. Was machst du inzwischen?“ „Ich sehe mir die Leute an“, antwortete Lee. “Komm mit nach hinten. Dort ist ein lockeres Brett. Da bleibst du aus dem Laternenschein“, murmelte der Alte und schlurfte durch den Gang zwischen den Boxen zur Rückwand des Stalles. Sekunden später stand Lee im Freien und zog sich das Tuch fester um den Hals. Es war mächtig kalt. Der Winter kam früh und würde sicherlich hart werden. In den letzten Jahren hatte Cranston gelernt, die - 41 -
Anzeichen der Natur zu beachten und zu deuten. Er huschte lautlos weiter und verharrte an Quergassen, aus denen der gelbliche Schimmer der Laternen drang. Erst als niemand mehr zu sehen oder zu hören war, lief Cranston mit langen Schritten weiter. Nach etwa zwanzig Minuten erreichte er das letzte Haus auf dieser Seite. Scheinbar endlos dehnte sich das weite Land unter der im Sternenschein matt weiß schimmernden Schneedecke. Hier hingen keine Lampen mehr an den Häusern. Aber zwischen den hölzernen Fensterläden drang Lichtschein heraus. Noch waren nicht alle Bürger beim Fest. Und vielleicht würden auch einige überhaupt nicht hingehen. Lee beobachtete eine Zeit lang die Häuser und lauschte. Außer der fernen Musik und den schwachen Stimmen war nichts zu hören. Cranston huschte auf die andere Seite der Straße, wich einem alten Blecheimer aus, der neben der Hauswand lag und hörte das drohende Knurren eines Hundes. Lautlos sank Lee gegen die Wand des Hauses. Das Tier befand sich im Inneren, und das Knurren wurde drohender. „Hey, was ist denn los?“ fragte eine kalte, böse klingende Stimme. „Erwartest du etwa noch Besuch?“ „Nein, nein, ich weiß nicht, wer das sein könnte“, rief eine Frauenstimme verängstigt. „Gehen Sie doch, ich werde Sie nicht verraten. Sie haben doch, was Sie wollten, so gehen Sie doch endlich!“ Der Mann lachte rauh auf. „Paß mal auf, mein Täubchen“, sagte er, „ich habe noch nicht alles, was ich will.“ - 42 -
Cranston entließ leise seinen Atem aus den Lungen. Lee wußte, daß mindestens einer der Schurken in diesem Haus war. „Meine Freunde kommen bald, Schöne, und dann werden wir uns gemeinsam vergnügen“, fuhr die rauhe Männerstimme fort. „Die beiden besorgen nur noch was, dann kommen sie. Und sie wollen auch ein warmes Essen, hast du das verstanden?“ „Ja, ja, ich mache alles, was Sie vvollen, Mister“, sagte die Frau angstvoll. „Aber tun Sie mir nichts an, ich flehe Sie an! Ich bin alleine, mein Mann ist unterwegs. Bitte, lassen Sie mich! So lassen Sie mich doch los!“ Deutlich hörte Lee Stoff zerreißen. Der Hund bellte zornig auf, etwas scharrte über den Boden, und dann stieß der Kerl mit der rauhen Stimme einen bösen Fluch aus. Schmerzvoll jaulte der Hund auf, winselte und wurde leiser. „Dieses Höllenbiest“, fluchte der Mann, „wenn er das nochmals versucht, schneide ich ihm den Schädel ab, dem verfluchten Köter.“ Sekundenlang blieb es still. Aber dann sagte der Bandit: „Aaaahhh, das ist doch etwas anderes als eine Rothaut. Komm näher, mein Täubchen, na komm schon, zier dich nicht so. Wenn dein Mann unterwegs ist, kannst du dir doch ein wenig Vergnügen gönnen.“ Lee tastete nach dem Colt, huschte lautlos um das Haus herum und verharrte reglos, als er das Pferd neben einem mächtigen Holzstapel stehen sah. Es war der Pinto. Seine hellen Flecken fielen in einer sternenklaren Nacht wie dieser zu sehr auf, als daß der Reiter hätte - 43 -
wagen können, seine Gefährten auf ihrer Diebestour zu begleiten. Vier Holzstufen führten zur Hintertür hoch. Vorsichtig trat Cranston an den Seiten der Bretter auf. Kein Laut klang auf, als er hinaufging. Lee tastete nach dem Riegel und drehte ihn. Lautlos öffnete sich die Tür einen Spalt, und Lichtschein drang aus dem Raum. Es war die Küche. Das einzige Fenster führte zur anderen Seite hinaus. Die Schlagläden waren vorgelegt, so daß kein Lichtschein ins Freie dringen konnte. Schatten bewegten sich in dieser Küche, und dann schrie die Frau leise auf. „Was ich von dem Köter gesagt habe, gilt auch für dich“, rief der Halunke voller Wut. „Ich schneide dir die Kehle durch, wenn du schreist.“ Behutsam zog Lee die Tür ganz auf, huschte in den Raum und richtete sich auf. Der kalte Luftzug erreichte den Kerl und die Frau, die sich erschreckt herumwarf. „Dan, Frank, seid ihr endlich zurück?“ fragte der Kerl und wandte sich um. Sofort ließ er die Frau von sich, als er Lee sah. Sie fiel und rollte sich geschickt neben den gemauerten Ofen, der in einer Ecke stand. „Du bist selbst schuld, Mann“, sagte der Fremde böse, „ja, du bist selbst schuld, wenn du jetzt stirbst. Warum mischt du dich ein?“ „Du stirbst“, antwortete Lee flach. „Bist du etwa ihr Mann?“ fragte der Halunke grinsend und wischte sich mit der Hand über den Mund. Aber diese Bewegung war nur ein Ablenkungsmanöver. Und ein weniger erfahrener Mann als Lee wäre - 44 -
vielleicht darauf hereingefallen. Aber Cranston kannte alle Tricks. Seine Rechte umklammerte den Griff der Waffe. Lee Cranston zog so schnell wie immer. Der Bandit bekam gerade den Lauf aus dem Holster, als Lees Revolver aufdonnerte. Das Blei traf den Kerl in die linke Schulter, stieß ihn einen halben Yard zurück und verletzte ihn so schwer, daß er zusammensank. Wachsam blieb Lee mit schußbereiter Waffe stehen, aber der Halunke rührte sich nicht mehr. „Madam, er hat noch zwei Kumpane“ , sagte Cranston mit flacher Stimme. „Ich will die Kerle erwischen. Nehmen Sie sich seinen Colt. Und wenn dieser elende Bastard etwas versucht, schießen Sie ihm eine Kugel in den Kopf.“ Der Hund kroch unter einer Bank hervor, schleppte sich zu der Frau, die mit zitternden Fingern versuchte, ihr zerrissenes Kleid über der Brust zusammenzuhalten und leckte ihr die Füße. „Ja, ich nehme seinen Revolver“, sagte die Frau endlich entschlossen. Sie bückte sich, ließ die Fetzen ihres Kleides fahren und nahm den Colt auf. Sie spannte den Hahn und hielt die Waffe mit beiden Händen. Entschlossenheit lag auf ihrem Gesicht, als sie die Mündung auf den verwundeten Halunken richtete. „Nein!“ peitschte Lees Stimme, „er ist wehrlos.“ „Das war ich auch“, rief die Frau mit schriller Stimme zurück. Sie hob den Colt etwas höher, zielte und zog langsam durch. - 45 -
„Meine Frau war auch wehrlos, „sagte Lee hart und kalt, „sie hatte es nicht so gut wie Sie, Madam. Meine Frau ist tot. Darum jage ich diese drei Bastarde. Und bevor dieser hier stirbt, will ich noch was von ihm erfahren.“ Aus weit aufgerissenen Lidern blickte die Frau zu Cranston hinüber, der seinen Revolver nachlud. Und irgendwie verstand diese noch junge Frau, daß sie den elenden Kerl nicht einfach töten durfte. Da gab es noch eine andere Schuld, die gesühnt werden mußte. Lee spürte, daß er gesiegt hatte, nickte ihr zu und verließ die Küche. Aber er kam zu spät. Entfernt hörte er Hufschlag. Die Halunken hatten den Schuß gehört und die richtigen Schlüsse gezogen. Und auch diesmal ließen sie ihren Kameraden einfach im Stich. Lee murmelte einen Fluch und wandte sich wieder der Tür zu. Er streckte die Hand aus, griff nach dem Drehknopf, wollte öffnen, als eine harte Stimme befahl: „Beweg dich nicht, Mann, ich drücke ab.“ Reglos stand Lee. Er wußte, daß er keine Chance gegen einen Feind aus dem Dunkeln hatte. Aber irgendwo hatte er die Stimme doch schon gehört! *** „Mit der Linken den Gurt aufschnallen und fallen lassen“, befahl der Mann aus dem Dunkeln. - 46 -
Wortlos gehorchte Lee. Und jetzt wußte er auf einmal, wer dieser Mann mit der eisenhart klingenden Stimme war. „Lorne Graham!“ rief Cranston unterdrückt. „Natürlich, was dachtest du denn, Mister?“ fragte der Konstabler. „Schließlich ist das hier mein Haus, in dem geschossen wurde.“ Hoffentlich ist der Mann ein richtig guter Polizist, dachte Lee besorgt. Wenn er seinem Zorn die Zügel schießen läßt, bringt er den Halunken um, bevor ich ihn ausquetschen kann. „Ich bin Lee Cranston“, sagte der Mountainman langsam, „und ich habe in deiner Küche geschossen, Lorne. Dort liegt einer der drei Halunken, hinter denen ich her bin. Er hat meine Kugel in seiner linken Schulter, und deine Frau hält den Bastard mit seiner eigenen Waffe in Schach.“ Sekundenlang blieb es still hinter Lee. „Dreh dich ganz langsam um“, befahl der Beamte schließlich. Cranston folgte der Aufforderung. „Und jetzt mach die Tür weit auf, ich will dich im Licht sehen.“ Eine Sekunde später kam der Beamte der Rotröcke näher. Er hielt noch immer seinen Revolver in der Rechten, und die Mündung wies wie zufällig auf Lee. „Stella, ich bin es, Lorne“, rief Graham laut. „Ist da drinnen alles in Ordnung?“ „Oh, Lorne, ja, aber ich halte es nicht mehr lange aus. Er ist wieder bei Besinnung. Laß den Fremden reinkommen. Er half mir, er schoß diesen Kerl nieder, sonst hätte er mich . . .“ Graham holte tief Luft und sagte: Wie bei deiner Frau, - 47 -
was, Lee?“ Cranston nickte nur und bückte sich nach seinem Waffengurt, hob ihn auf und schnallte ihn um die Hüften. „Was passiert mit diesem Hundesohn?“ fragte Lee, als er sich in die Küche hineindrehte. „Er kommt vor Gericht“, antwortete Lorne Graham hart. „Und bestimmt wird er für mindestens zwanzig Jahre in den Staatsgefängnissen Steine klopfen. Es sei denn, er bekommt den Lordrichter Warren Hensley als Vorsitzenden. Hensley läßt den Kerl hängen.“ Ein böses Lächeln erschien auf einmal auf Grahams Zügen. „Wenn ich mir die Sache richtig überlege“, sagte der Konstabler, „so sorge ich dafür, daß er Hensley bekommt.“ Lee ging weiter, machte Lorne Platz, der an Cranston vorbeiging, und plötzlich spürte Lee die Gefahr. Und dann rollte sich der Verwundete auf die Seite, stieß sich mit beiden Füßen ab und gelangte in die Hocke. Lee zog blitzschnell, aber er war von Graham behindert. Ein Messer, ein schweres Bowieknife blitzte im Lampenschein auf, als sich der zähe Bandit auf Stella werfen wollte. Die junge Frau hatte keine andere Wahl. Sie mußte abdrücken, und sie riß durch. Wieder und wieder schoß sie, bis der Hammer auf eine leere, abgefeuerte Patrone prallte. Stella Graham ließ den Colt fallen und stürzte zu ihrem Mann, der sie mit beiden Armen auffing, und die laut weinende Frau an sich preßte. Lee holsterte seinen Revolver und schob die beiden - 48 -
zur Seite. Mit der Linken packte Cranston den toten Banditen am Jackenkragen und schleifte ihn zur Küchentür. Mit einem gewaltigen Schwung warf er ihn in den Hof hinaus. Der Pinto bekam den Blutgeruch in die Nase und wieherte schrill auf. Das Pferd stieg vorne hoch und zerriß den Zügel und jagte davon. Ohne zu zögern, zog Cranston den Revolver, zielte kurz und drückte ab. Wie vom Blitz gefällt brach das Tier tot zusammen. Lee hatte das Pferd nicht gern erschossen, aber er besaß keine andere Wahl. Wenn das Tier davonjagte, würde es entkommen, und vielleicht befanden sich in den Satteltaschen Hinweise auf die drei Mörder. Cranston wartete eine Weile auf den Stufen der Küchentreppe. Sicherlich wollten Graham und seine Frau ein paar Minuten alleine sein. Und bestimmt holte Lorne ihr etwas zum Überziehen. Es dauerte mehr als zehn Minuten, bis der Konstabler sich hinter Lee räusperte. „Ich möchte dir danken, Cranston, sagte der Mann der Royal Canadian Mountain Police. „Stella wäre sicherlich tot, hättest du nicht eingegriffen.“ „Laß das“, wehrte Lee schroff ab, und der Beamte ahnte, was in dem anderen vorging. Sicherlich dachte Cranston an seine Frau, die tot war, der kein Helfer beigestanden hatte, als sie den Schuften ausgeliefert war. „Ist deine Frau in Ordnung?“ fragte Lee. „Kann sie mir erzählen, was der Halunke sagte? Jeder Hinweis ist wichtig für mich, Lorne.“ „Ich verstehe“, antwortete Graham, „und Stella - 49 -
versteht das auch. Sie weiß, was geschah. Komm rein, Lee, ich rede mit den Leuten, die dort hinten kommen.“ „Vergiß das Pferd nicht, die Satteltaschen“, mahnte Cranston und ging an Graham vorbei in die Küche. Stella war wirklich eine tapfere Frau. Sie putzte den Bretterboden mit heißem Wasser und sah nur kurz auf, als Lee hereinkam. Er lehnte sich an den Herd und schwieg. Als Stella Graham fertig war, brachte sie das Wasser hinaus und kam mit dem leeren Eimer zurück. Furchtsam blickte sie Lee an, sah sein hart wirkendes Gesicht, die ausdruckslosen, leeren grauen Augen und die angespannte Haltung, die an ein sprungbereites Raubtier erinnerte. Vor langen Jahren hatte Stella einmal einen Tiger in einem Käfig eines Zirkus gesehen und Cranstons Haltung erinnerte sie an diesen Tiger. „Ich fürchte, ich werde lange davon träumen“, sagte sie leise und blickte Lee unsicher an. Er nickte und antwortete: „Ja, man träumt immer davon, wenn man einen Menschen getötet hat. Wenn die Träume ausbleiben, ist man genau so erbärmlich wie diese Kerle. Aber Sie haben keine andere Wahl gehabt. Es ging um Ihr Leben, Madam.“ Lees Stimme hatte gleichgültig geklungen, aber irgendwie klangen seine Worte richtig. „Darf ich Sie was fragen, Madam?“ Stella nickte. „Ich bin an allem interessiert, was der Kerl sagte“, begann Lee. „Waren seine beiden Kumpane in der Nähe, als er eindrang? Sprach er von seiner Heimat, nannte er den Namen einer Ranch oder einer Stadt?“ Langsam schüttelte die Frau den Kopf und blickte Lee - 50 -
bedauernd an. „Er sprach nur von Essen, warmem Essen und von...“ sagte sie. „Und seine Kumpane waren draußen, ja, aber ich habe sie nicht erkannt. Nur daß sie schwarze Pferde ritten, sah ich, aber da war der Halunke schon bei mir in der Küche.“ „Was wollten die anderen beiden Kerle besorgen, bevor auch sie hierher zum Essen kamen?“ fragte Lee. Ratlos zog Stella die Schultern hoch. „Er hat nichts gesagt, gar nichts. Vielleicht hilft Ihnen, daß einer der anderen blond war. Ich sah sein Haar im Schein der Küchenlaterne, aber er drehte schnell den Kopf weg.“ „Danke, Madam“, sagte Lee. Er ahnte, daß er nicht mehr erfahren würde. „Woher wußten die Kerle, daß Sie alleine waren?“ fragte er noch. Stella lachte bitter auf und antwortete: „Das wußte doch jeder in der Stadt. Und ganz bestimmt sind die Burschen rumgeschlichen und haben einiges aufgeschnappt. Sicher wußten sie, daß Lorne mit zwei Bergläufern hinter einem Rudel Mordwölfe her war, und daß er nicht so schnell zurückkommen würde.“ Lee nickte Stella zu und verließ das Haus. Er glitt über die vier Stufen der Hintertreppe, ging geschmeidig zu dem Toten und drehte ihn um. Mehr als drei Dutzend Menschen standen in zehn oder zwölf Yard Abstand und starrten auf Lee und den Konstabler, der die Satteltaschen herantrug. Lee beachtete die Männer und Frauen nicht. Er durchsuchte die Taschen der Pelzjacke und des Hemdes aus schwerem Mackinaw-Stoff, der aus Virginiawolle gewebt wurde. - 51 -
Alle Reiter des Norden trugen Hemden oder Jacken aus diesem Tuch, und es bot keine Hinweise. Die Taschen enthielten außer hundert Dollar, Zigarettenpapier und zwei Päckchen Durhamtabak nur noch Zündhölzer. „Was hast du gefunden?“ fragte Graham. „Nichts, was mir weiterhilft“, antwortete Lee und ließ die Dinge achtlos auf den Oberkörper des Toten fallen. Lorne öffnete die beiden Satteltaschen. Er holte ein Fernglas heraus, wie es die Offiziere der Kavallerie mitführten, Wäsche, ein paar Streifen Tuch und eine Menge rohlederne Riemen. „Das deutete darauf hin, daß der Bursche vom Nutzen des Rohleders weiß“, murmelte Lee, „aber es beweist nichts, verdammt.“ „Hier, ein paar Salben noch, mehr nicht“, sagte der Konstabler und hielt die Tuben hoch. Lee hatte eine Idee. „Komm mit den Dingern mal ans Licht“, sagte er zu Graham. Verwundert trat Lorne näher und reichte Cranston die Tuben, die alle zur Hälfte verbraucht waren. Sorgsam rollte Lee das Metall auf und sagte schließlich: „Hier, lies mal.“ „Ein kleines Schild ist aufgeklebt“, sagte der Konstabler überrascht, „Doc Fred Böiger, Loring.“ Lee holte tief Atem und sagte: „Jetzt weiß ich, daß ich auf dem richtigen Trail bin.“ „Was wirst du tun?“ fragte der Mountie. „Ich reite nicht länger hinter ihnen her“, antwortete Cranston entschlossen. „Ich reite auf dem schnellsten Wege nach Montana, in den Osten, in das Phillips County, denn dort liegt die Stadt Loring. Und dort werde - 52 -
ich schon herausfinden, wie der Blonde und der Schwarzhaarige heißen. Und ich werde herausfinden, wer Linda ist, von der der junge Bursche sprach, den sie zurückließen, damit er mich abschoß.“ „Es ist ein Ritt von mehr als dreihundert Meilen“, warnte Lorne Graham. „Deine Pferde sind nicht mehr frisch, und du solltest dich auch etwas ausruhen.“ „Kann ich eine dieser Tuben haben?“ fragte Lee statt einer Antwort. „Natürlich, und ich lasse die beiden Kerle nicht verfolgen, vielleicht hilft dir das“, sagte Graham. „Wenn sie sich unbeobachtet fühlen, lassen sie sich vielleicht mehr Zeit, und du erhältst einen Vorsprung.“ „Danke“, sagte Cranston, gab zwei der Tuben zurück und ging einfach davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Und er sah so aus, als gehe dort der Tod, der nur versehentlich die Gestalt eines Menschen angenommen hatte. Der Alte im Mietstall blickte nur einmal in Lees Augen und holte wortlos die Pferde aus den Boxen. Als Cranston ihm einen Dollar geben wollte, denn der Alte hatte geholfen, die Pferde zu satteln und zu beladen, schüttelte der Stallmann nur den Kopf. Lee nickte ihm zu, saß auf und schnalzte mit der Zunge. Willig gingen die Pferde an. Und wenige Minuten später waren die beiden Tiere nur noch als dunkle Punkte im Sternenlicht auf der Schneedecke zu erkennen. ***
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Tage waren vergangen, Tage voller Einsamkeit in dem weiten Land. Lee Cranston traute unermüdlich nach Osten. In der Nähe von Aden war er abermals über die Grenze gegangen und setzte seinen weiten Ritt nun in Montana fort. Das Land war flacher geworden. In weiten, welligen Hügeln zogen sich die Ausläufer der Rocky Mountains nach Osten. Und alles Land lag unter einer mehr als zehn Inches dicken Schneedecke. Lee spürte, daß er sich seinem Ziel näherte. Er besaß ein untrügliches Gefühl für Entfernungen und Richtungen. Cranston gelangte mit seinen beiden Pferden an einen zugefrorenen Flußlauf. Vorsichtig ließ Lee das Reittier hinabgehen. Das Eis war stark genug. In langsamem Schritt überquerten die Tiere den River. Es mußte der Lodge sein, der bei Chinook in den Big Sandy mündete. Eine Meile weiter gelangte Cranston an einen See. Lee erinnerte sich, daß zwischen dem Lodge und dem Battleriver dieser See lag. Es gab zwei Möglichkeiten: er konnte es wagen, diese mehr als zwei Meilen breite Wasserfläche mit den Pferden zu überqueren oder einen Umweg machen, der ihn mehr als sechs Meilen kosten würde. Ausdruckslos starrte Lee auf die zugefrorene Fläche. Er entschied sich für die Überquerung. Aber er war vorsichtig genug, die Tiere in einigem Abstand gehen zu lassen, verlängerte die Leine, an der er das Packpferd mitführte. - 54 -
Ein kalter Wind fauchte von Norden her auf, als wolle er den einsamen Mann vor dem Wagnis warnen. Schnee wirbelte in dichten Wolken hoch und versperrte die Sicht. Lee schlug sich mit der Hutkrempe den Schnee von den Beinen, saß auf und zog das Halstuch über Mund und Nase. Die Hutkrempe schützte die Augen vor dem beißend kalten Wind und den messerscharfen Schneekristallen. Vorsichtig setzte das Reitpferd Huf vor Huf. Irgendwie schien das Tier der Eisdecke nicht zu trauen, schien es unsicher zu sein, aber es gehorchte dem Schenkeldruck des Reiters. Ein scharfes Knistern übertönte das Fauchen des Windes, das sich in diesem Moment noch mehr steigerte. Und Lee Cranston wußte, was dieses Knistern zu bedeuten hatte! Seinem Gefühl nach mußte er die Mitte des Sees erreicht haben, und sicherlich war hier die Eisdecke wesentlich dünner als am Rand. Und doch zog Cranston die Zügel an, als das Pferd in Trab fallen wollte. Das Tier spürte die Gefahr, es wollte schnell weiter, weg von dieser trügerischen Fläche, unter der der eiskalte, nasse Tod lauerte. Der Wind steigerte sich zu einem Sturm, dessen Heulen nun das gefährliche Krachen und Knistern unter den Pferdehufen übertönte. Und dann geschah es! Das Packpferd wieherte gellend auf. Die Leine am Sattelhorn straffte sich bis zum Zerreißen, und durch das Heulen des Sturmes hörte Lee den berstenden Krach, mit dem das Eis unter den Hufen des schwer beladenen - 55 -
Packpferdes barst. Cranston hatte nur eine Chance! Und er handelte ohne Zögern. Lee riß das Messer heraus, durchtrennte mit einem raschen Schnitt die Leine und hieb seinem Pferd die Sporen in die Seiten. Empört wieherte das Tier auf, aber es stieß sich ab und fiel in Trab. Doch das war nicht schnell genug. Für Sekunden ließ der Sturm nach. Und durch die wirbelnden Flocken erkannte Lee die dunklen wirkenden Risse im Eis. Er beugte sich vor und schrie dem Pferd in die Ohren: „Los, lauf, lauf um unser Leben!“ Und das Tier streckte sich, fiel in Galopp, achtete nicht darauf, daß Eisbrocken unter seinen Hufen abplatzten und davon stoben. Es jagte in rasendem Tempo voran. Ein Stück Eis von etwa zwei Quadratyards versank unter den Hinterhufen, aber das Pferd stieß sich gewaltig ab, landete auf festerem Grund und setzte seine wilde Flucht fort. Lee dachte an das Packtier, das nun jämmerlich in den eisig kalten Fluten des Sees ertrank. Cranston war von einem Feuer erfüllt, das ihn die Kälte, den beißenden Sturm nicht spüren ließ. Es war das Feuer der Rache, das in ihm loderte, und nur darum war er unterwegs, darum nahm er die Gefahren eines wilden Rittes durch den Blizzard auf sich. Weit griff das Reitpferd aus, stemmte sich mit der Hinterhand ab und gelangte auf festen Grund am anderen Ufer des Sees. Zitternd blieb das Tier stehen. Aber Lee gönnte ihm keine Ruhepause. - 56 -
„Weiter sonst fällst du mir zusammen!“ brüllte der Mann dem Pferd in die Ohren. Es schüttelte sich und trottete los. Loring mußte noch etwa sechzig Meilen entfernt liegen, und diese Entfernung war bei dem Schneesturm nicht mehr zu schaffen. Lee brauchte einen Unterschlupf, in dem er das Ende des Blizzards abwarten konnte. Die nächste Stadt war Chinook, aber bis Hogeland war es genauso weit. Cranston entschied sich für Hogeland, doch er sollte es nicht erreichen. Eine Stunde später steigerte sich das gleichmäßige Heulen des Sturmes zu einem schrillen Kreischen, das in den Ohren schmerzte. Und dann brach das Geräusch ab. Die Stille war unnatürlich, wirkte unheimlich, und Lee wußte, was ihm bevorstand. Einer der gefürchteten Northerner, einer der Blizzards, die Eiskristalle wie Peitschenhiebe vor sich hertrieben, war im Anzug. „Und das Packtier ist verloren“, sagte Cranston bitter. Er hatte kein Sturmbett mehr, keine Plane für das Pferd und kaum Vorräte. Lediglich einen Futtersack mit Hafer, die Kaffeekanne und die Bratpfanne hingen an der Rolle hinter dem Sattel des Reitpferdes. „Kaffee, Salz, Zündhölzer, Hafer und ein paar Streifen Trockenfleisch“, sagte Lee, „und fast achthundert Dollar und drei Säckchen mit Gold. Das alles nutzt mir jetzt einen Dreck.“ Es sah mächtig schlimm aus für den harten Mann aus den Rockies, der auf dem Trail der Vergeltung ritt. - 57 -
Es war sinnlos, dem Sturm ausweichen zu wollen. Einzig ein Unterschlupf konnte Lee retten. Nach zehn Minuten hob das Pferd den Kopf und witterte. Auch Lee sog tief die Luft ein, nahm den Moschusgeruch wahr und schöpfte Hoffnung. Und plötzlich standen sie dem mächtigen Büffel gegenüber. Das massige Haupt des Tieres senkte sich, pendelte hin und her, und der Bursche war unsicher, ob er angreifen sollte oder nicht. Denn auch der Bison spürte die Gefahr, die auf ihn zukam. Und es war eine zweifache Gefahr, die er mit den Instinkten des Wildnistieres witterte. Nicht nur der Blizzard konnte ihm gefährlich werden, nein, auch dieses seltsame Wesen, halb Pferd und halb Mensch bedrohte ihn. Doch bevor der Büffel reagieren konnte, handelte Cranston. Er riß sich die Handschuhe von den Fäusten, zerrte mit einem Ruck die Winchester aus dem Scabbard und hebelte eine Patrone in den Lauf. Peitschend brach der Schuß. Der Büffel streckte sich, richtete sich auf, wollte angreifen, aber er war tödlich getroffen. Er brach in die Knie, und dann trafen ihn zwei weitere Kugeln, die ihn töteten. Lee sprang aus dem Sattel, ließ die Winchester einfach fallen und rannte mit dem Bowiemesser auf den Bison zu. Mit fieberhaften Schnitten öffnete Cranston das Tier, weidete es aus und warf die Innereien einfach hinter sich. Und dann holte er das Pferd, band es mit den Zügeln - 58 -
an die Hörner des Büffels und löste die Deckenrolle hinter dem Sattel. Zwei der Decken breitete Lee über das Tier, verhüllte ihm den Kopf, damit die messerscharfen Schneekristalle ihm nicht die empfindlichen Nüstern zerrissen und kroch schließlich in den noch warmen Körper des ausgeweideten Büffels. Sekundenlang rang Lee nach Atem, aber allmählich gewöhnte er sich an den dumpfen Geruch. Die letzte Decke verhüllte den gewaltigen Schnitt, hinter dem sich Cranston mit seinen Waffen, dem Geld und dem Gold verbarg. Und dann zerriß das kreischende Geräusch erneut die Stille. Es klang wie eine gewaltige Säge, die sich in immer schnellerem Tempo in hartes Holz fraß. Auf einmal traf die volle Wucht des Sturmes das Pferd, das verzweifelt am Zügel zerrte. Der Instinkt gab dem Tier ein, daß es fliehen müsse, aber dann war es erst recht verloren, denn kein Pferd konnte einem Blizzard davonlaufen. Lee spürte die beißende Kälte noch nicht, aber er fühlte die winzige Eiskristalle, die durch die Öffnung gepeitscht wurden. Es schien Stunden zu dauern, aber das Zentrum des Schneesturmes war innerhalb von zehn Minuten vorbeigezogen. Doch diese kurze Zeit hatte gereicht, um die Temperatur weiter absinken zu lassen. Und sie hatte gereicht, um das Pferd ernsthaft zu schädigen, denn das Tier war längst nicht so gut geschützt wie Lee. Und als es draußen endlich still wurde, stemmte sich Lee gegen die Decke, drückte die harte Schnee- und - 59 -
Eisschicht davon und kroch ins Freie. So weit er sehen konnte, war das Land mit Verwehungen übersät. Jede Erhebung, jeder Strauch und jeder Felsbrocken wies eine lange Schneerampe auf, welche die Richtung des Sturmes kennzeichnete. Lee trat mit dem Fuß gegen das Fell des Büffels. Es war steinhart gefroren. Und dann sah Cranston nach seinem Pferd. Der Temperatursturz des Blizzards hatte dem Tier das Leben gekostet. Es lag steif neben dem Kadaver des Büffels. Die Decken ragten wie Zeltwände empor. Cranston starrte ausdruckslos auf die Dinge, die er gerettet hatte. Sie würden ihm weiterhelfen. Es hatte keinen Sinn, den Sattel abzuschnallen. Sicher, es war ein guter Sattel gewesen, aber er würde ihn auf seinem Marsch zur nächsten Ansiedlung nur belasten. Sorgfältig verteilte Cranston das Geld, das Gold und die Waffen an seinem Körper, um möglichst gleichmäßig belastet zu sein. Und dann machte sich der schlanke Mann auf den Weg. Er brauchte sich nicht zu orientieren, er wandte sich nach Osten und ging los. Und er war das einzige Lebewesen, das sich auf der weißen Fläche bewegte. *** Er schätzte, daß er noch zwölf bis fünfzehn Meilen von Hogeland entfernt war. Die Temperatur stieg allmählich an. Der Blizzard hatte eine Kältewelle mitgebracht, die sich jetzt verzog. - 60 -
Trotzdem war es noch immer sehr kalt, aber Lee merkte es nicht. Er marschierte mit gleichmäßigen Schritten voran. Er war zäh, dieser Jäger und ehemalige Revolvermann, und das Leben in den Rockies hatte seinen Körper widerstandsfähig und kräftig gemacht. Er würde trotz der Kälte, trotz der Schneedecke die Strecke nach Hogeland schaffen. Lee kniff die Lider zu schmalen Schlitzen zusammen, als die Sonne durch die dunklen Schneewolken brach und blitzend auf der weißen Fläche reflektierte. In etwa einer Meile Entfernung ragten einige Felsentürme auf. Gleichzeitig dachte Cranston daran, daß er dort mit seinem Pferd sicherlich besseren Schutz hätte finden können. Aber es war keine Zeit mehr geblieben. Lee überlegte, ob er diesen Felsen umgehen sollte, denn ein Aufstieg würde ihn zu viel Kraft kosten. Aber als er wieder hinüberblickte, sah er vier dunkle Punkte, die sich näherten. Die Reiter hatten sich in der Deckung der Felsen gehalten und kamen nun auf den einsamen Mann zu. Wachsam hebelte Cranston eine Patrone in den Lauf der Winchester und hielt das Gewehr im Hüftanschlag. Aber als die Entfernung zwischen den Reitern und ihm auf ein Drittel zusammengeschrumpft war, ließ Lee die Waffe sinken und hielt sie locker in der Rechten. Es waren Indianer, die auf ihn zukamen, Blackfeet, wie Cranston an den Perlenstickereien auf den hirschledernen Hemden erkannte. Die vier Krieger zügelten ihre Pferde fünf Yard vor dem Weißen und musterten ihn aus gleichgültig - 61 -
wirkenden Gesichtern. „How, Steinherz“, sagte einer der Männer, „du hast überlebt, aber du hast kein Pferd mehr. Willst du marschieren, um deine Rache zu vollenden?“ Lee lächelte freudlos und antwortete: „Ich gehe bis zur nächsten Stadt und kaufe mir dort ein Pferd. Was wißt ihr?“ „Nicht viel, Steinherz, aber die Männer, die noch leben, wohnen in diesem Land. Und sie kommen, das wissen wir.“ „Warum seid ihr hier?“ wollte Lee wissen. Der Anführer der Krieger lächelte, zeigte die weißen Zähne und antwortete: „Wir wollten wissen, ob du unsere Schwester rächst.“ Da brach der Zorn in Lee auf! „Verdammt nochmal“, rief er erbittert, „ich will Vergeltung, ich will diese verdammten Mörder erwischen. Ich weiß, daß sie nicht vor Gericht kommen, daß sie nicht verurteilt werden, denn sie brachten ja nur eine Indianerin um. Aber es war meine Frau, und ihr wißt, daß ich Mondlicht liebte. Was soll das, ihr Krieger?“ „Du warst nach den Gesetzen des Stammes ihr Mann, und du warst nach den Gesetzen der Weißen ihr Mann. Der Mensch mit dem schwarzen Anzug las aus dem Buch vor, als ihr zusammengehen wolltet, ja, sie war deine Frau, Steinherz. Und darum wollen wir uns vergewissern, ob du den richtigen Weg gehst.“ „Ich gehe den richtigen Weg“, antwortete Lee hart, „und ich würde ihn auch gehen, wenn Mondlicht eine Weiße gewesen wäre.“ „Jetzt wissen wir es“, sagte der Krieger. Er musterte Lee achtungsvoll. - 62 -
„Steig hinter mir auf. Wir bringen dich in die Nähe der Stadt“, sagte der Anführer der Indianer. Erfreut nickte Cranston und kletterte geschickt auf den Pferderücken. Das Tier ging an. „Was wißt ihr über die Männer?“ fragte Cranston nach einer Weile drängend. „Ihr wißt doch mehr.“ „Nein, wenn doch, würden wir dir helfen“, antwortete der Indianer. „Wir sahen uns die Pferde an, die diese drei Männer eintauschten in der Siedlung Gibson.“ „Das tat ich auch“, sagte Lee. „Aber du hast vergessen, die Zeichen zu betrachten“, meinte der Krieger. „Sie sehen so aus ...“ Und er schrieb mit dem Finger auf seinem Oberschenkel die Buchstaben S und M. „Ein Mann, der seinen Pferden diese Zeichen einbrennt, lebt in diesem Land“, fuhr der Blackfoot fort. „Es kann sein, daß die Mörder die Pferde irgendwo kauften und mit dem bunten Papier bezahlten. Aber dann hätten sie den Tieren ihre eigenen Markierungen gegeben. Also denken wir, daß die Mörder von diesem Manne kommen.“ „SM, vielleicht eine Pferderanch“, vermutete Lee. „Vielleicht“, sagte der Indianer. Er blickte sich um, sah dem gleich großen Mann hinter sich in die Augen und sagte leise: „Du wirst zurückkommen, Steinherz. Und du wirst immer ein Freund unseres Stammes bleiben. Aber du kommst nicht allein. Keine Siksika wird in deiner Hütte wohnen, aber du bleibst unser Freund.“ Verblüfft fragte Lee: „Woher weißt du das?“ „Der mina maska hat die große Mutter befragt“, antwortete der Krieger, und damit war für ihn alles - 63 -
gesagt. Denn die große Mutter war das Sonnenlicht, das bei den Blackfeet der Gegenstand religiöser Verehrung war. Und der mina maska war der oberste Sonnenpriester. Cranston wußte, daß viele der Schamanen merkwürdige Begabungen besaßen, die aber den meisten Weißen fremd oder verborgen blieben. Lees Zeit bei dem Stamm hatte ihn manches sehen lassen, was eigentlich nicht für seine Augen bestimmt war. Und so schwieg der Kämpfer. Er akzeptierte die Worte des Kriegers, denn er konnte nicht sagen, daß sich die Weisen des Stammes je geirrt hatten. Nach einer guten Stunde zügelten die Krieger die Pferde. „Dort hinten liegt die Siedlung der Weißen“, sagte der Anführer. „Du mußt nicht mehr lange laufen. Wir reiten zum Stamm zurück und berichten, daß du deinen Weg gehst.“ Lee rutschte vom Pferderücken, wartete, bis die Indianer die Pferde in andere Richtung gebracht hatten und sah den Blackfeet nach, bis sie nur noch als Punkte in der Ferne zu sehen waren. Entschlossen wandte sich Cranston um und marschierte los. Nach einer halben Stunde erreichte er einen Hügel und sah die Häuser Hogelands vor sich liegen. Nichts wies auf eine Straße oder einen Trail hin. Unberührt lag die Schneedecke im Licht der Sonne. Lee ging weiter, erreichte die ersten Häuser und sah sich um. Der Mietstall befand sich in der Mitte der Stadt, deren - 64 -
Gebäude sich zu beiden Seiten einer Straße dahinzogen. Es mußte die Straße sein, denn sie verlief schnurgerade. Aber was war mit den Menschen hier los? Cranston zog die Schultern hoch und ging weiter auf den Stall zu. Die Tür schwang auf, als Lee sie fast erreicht hatte, und ein mißtrauisch wirkender Mann schob eine doppelläufige Schrotflinte vor. „Hat euch der Blizzard den Verstand gekostet?“ fragte Cranston. „Oder warum verkriecht sich hier jeder?“ „Mister, hier treiben sich Indianer rum“, antwortete der Stallmann. „Slim Snyder war heute morgen auf dem Dach seines Hauses und suchte die Umgebung mit seinem Fernglas ab. Er sah vier Indianer, und wo vier sind, sind auch noch mehr. Sicher haben die roten Halunken Hunger. Und wir wollen vorbereitet sein, wenn sie über uns herfallen.“ Lee entließ mit einem pfeifenden Geräusch die Luft aus seinen Lungen. „Ihr könnt eure Schießeisen wieder wegpacken“, sagte er. „Es waren nur vier Krieger, und sie brachten mich bis kurz vor die Stadt. Sie hatten mit mir zu tun, verstehen Sie, Mister?“ „Nur vier?“ fragte der Stallmann, „was wollten die denn von Ihnen?“ Aber als er den Blick des Fremden sah, wurde dem Kerl mit der Flinte der Kragen zu eng. Denn Lees Augen zeigten eine deutliche Warnung. „Schon gut, schon gut“, murmelte der Stallmann, „ich kümmere mich eigentlich nur um meine Angelegenheiten. Wo haben Sie Ihr Pferd?“ „Im Blizzard erfroren“, antwortete Lee. - 65 -
„Heee, und Sie? Sie sind wohl auf dem Blizzard geritten, was?“ staunte der Stallmann. „Nein, ich hatte Glück und fand einen Bison“, antwortete Lee. „Ich brauche ein heißes Bad, ein warmes Essen, ein Pferd und Ausrüstung. Wo bekomme ich das?“ „Pferde bei mir“, meinte der Stallmann. „Aber die Tiere sind nicht billig, das sage ich Ihnen gleich. Es sind Murdock-Pferde, und die haben ihren Preis. Aber dafür sind sie auch ausgezeichnet.“ „Murdock?“ fragte Cranston gedehnt. „Ja, Spencer Murdock“, sagte der Stallmann. „Er hat seine Pferderanch in der Nähe von Loring, weiter im Osten.“ Spencer Murdock, dachte Lee, das sind die Buchstaben SM, die der Krieger gezeichnet hatte. „Wo sind die Tiere?“ wollte Lee wissen. Er folgte dem Mann mit der Flinte in den Stall. Die Pferde waren wirklich gut. Es waren keine Weidetiere, die man für vierzig oder fünfzig Dollar überall kaufen konnte, oh nein, es waren ausgezeichnete Reitpferde, die sicherlich zweihundert Dollar kosten würden. Und nach zehn Minuten hatte sich Lee breits entschieden. „Dieser Falbhengst dort, was kostet der?“ fragte er. Der Stallmann grinste schief und meinte: „Sie haben einen sicheren Blick für Pferde, was? Er kostet zweihundertfünfzig.“ „Zweihundert, und ich zahle sofort“, sagte Lee gelassen. Das Tier war zweihundertfünfzig wert, aber Cranston wollte hier als ganz normaler Mann auftreten und - 66 -
handeln. Sie einigten sich bei zweihundert-dreißig Dollar. Für weitere hundert Dollar bekam Lee einen Sattel, der besser als der eigene war. Der Falbhengst war ein kräftiges, aber nicht zu schweres Tier. Er wirkte zäh und ausdauernd und konnte sicher auf ebener Strecke auch lange Zeit hohe Geschwindigkeit halten. Zu schwer durfte das Pferd nicht sein, denn dann war es für Lee in den Bergen nutzlos. Lee gab dem Stallmann das Geld, der die Scheine genau prüfte und dann wieselflink im Hintergrund verschwand, um die Dollar zu verstecken. Dann ging er mit Cranston zum General Store und beruhigte den Inhaber, der große Furcht vor den Indianern hatte. Eine Stunde später besaß Lee eine neue Ausrüstung, eine Bettenrolle mit Sturmschutz, Decken, Futtersack und Proviant und Munition. Und eine weitere Stunde später hatte Cranston gebadet, seine Kleidung gesäubert und gegessen. Er zahlte, ging zum Stall und wollte das Pferd abholen. „Einen Moment noch“, sagte der Stallmann, „ich muß Ihnen noch die Verkaufsbestätigung schreiben. Sonst hängt Murdock Sie, wenn Sie auf einem Pferd mit seinem Brand reiten.“ Verblüfft blickte Lee den Mann an und fragte: „Wie war das, Mister?“ Der Verkäufer verzog das Gesicht und meinte: „Sie haben schon richtig gehört, Murdock hängt jeden auf, der sich an seinen Pferden vergreift. Und darum brauchen Sie diese Bestätigung.“ - 67 -
„Aber das Tier hat einen Verkaufsbrand, das habe ich doch gesehen“, rief Lee. „Das ist Murdock doch egal“, erwiderte der Stallmann. „Er ist das Gesetz um Loring herum. So sieht das aus, Mister. Sehen Sie sich vor, er hat eine Menge eiskalter Burschen auf seiner Lohnliste. Man kann es ja verstehen, denn immer wieder versuchen Banditen ihm die Tiere abzutreiben.“ „Und was sagt der Sheriff dazu?“ fragte Cranston. „Oh, der hockt in Malta, der Countyhauptstadt und ist froh, daß er sich nicht um den Norden zu kümmern braucht“, antwortete der Stallmann und reichte Lee das Papier. „Einen Falbhengst an einen Fremden ehrlich verkauft, Lon Barker in Hogeland“, las Cranston laut vor und schüttelte den Kopf. „Das gibt Ärger“, sagte er mit flacher Stimme. „Sollte mich jemand fragen, woher ich das Pferd habe, bekommt er die entsprechende Antwort.“ „Passen Sie nur auf sich auf, Mister“, meinte der Stallmann. „Murdocks Leute sind schnell mit dem Schießeisen bei der Hand.“ Lee blickte den anderen nur kalt an und führte den Falben am Zügel aus dem Stall. Der Mann war unter diesem Blick zusammengezuckt und murmelte kaum hörbar: „Ja, es gibt Ärger in Loring. Dieser Fremde ist ein richtiger Tiger. Und er wirkt wie ein Revolvermann. Oha, es wird ein rauher Spaß werden, wenn er auf Murdocks Männer oder Söhne trifft.“ Minuten später hatte Lee die Stadt verlassen und ritt weiter nach Osten. Er wollte Loring vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. - 68 -
Cranston war sicher, daß dieser Spencer Murdock irgendetwas mit den Männern zu tun hatte, die sich in den Rockies wie wilde Tiere benommen und Lees Frau umgebracht hatten. *** Der Falbe hatte gehalten, was sich Lee von dem Tier versprach. Das Pferd war zäh und ausdauernd durch den Schnee getrabt. Am frühen Abend erreichte Cranston Loring. Die Main Street war an der festgefahrenen Schneedecke zu erkennen. Einige Laternen hingen vor den Saloons und Speisehäusern. Und an den Hitchracks standen eine Menge Pferde. Lee verhielt sein Tier und ritt langsam weiter. Er suchte das Schild, das die Praxis des Docs anzeigte. Die Pendeltüren eines Saloons schwangen auf. Zwei Männer traten heraus. Lee geriet gerade in den Lichtkreis der Laternen vor der Bar, als einer der beiden Burschen einen Ruf ausstieß. „Heee, das ist doch ein Tier von uns, Dude!“ rief der Mann und trat mit einem langen Schritt auf die Straße. „Sicher, Mark, sicher, das ist Falbhengst, den wir hatten“, antwortete der andere mit vom Whisky unsicherer Stimme. „Also los, sehen wir uns den Mister mal an“, meinte der erste Mann. „Du weißt ja, was der Boß uns gesagt hat.“ „Yeah, ich weiß es“, antwortete der Angetrunkene. Lee spürte die Drohung der Gefahr, die auf ihn zukam, - 69 -
aber er blieb gelassen. „Mister, Sie sollten uns sagen, woher Sie dieses Pferd haben“, rief einer der beiden Kerle unterdrückt. Lee zügelte das Tier, blickte aus seinen pulvergrauen Augen auf die beiden Männer hinab und wußte sofort, daß er nicht nur zwei einfache Reiter vor sich hatte. Nein, dies waren sicher gute Cowboys, aber sie konnten auch mit ihren Revolvern besser umgehen als gewöhnliche Weidereiter, denn sie trugen die Eisen recht tief. „Auf eine solche Frage gibt es als Antwort eigentlich nur eine Kugel“, sagte Cranston fast gleichgültig und wollte weiter reiten. Aber der zweite Mann, der Angetrunkene hatte wohl etwas zu viel von dem Whisky erwischt und mußte sich aufspielen. Er schnappte den Colt heraus und spannte den Hahn. Lee hatte zugelassen, daß der Bursche zog. „So, Mann, runter vom Gaul“, sagte der zweite Cowboy mit etwas schwankender Stimme. „Wir sehen uns mal den Brand dieses Gaules an, und dann reden wir weiter. Cranston saß auf der Straßenseite ab, trat einen Schritt zur Seite, zog und feuerte zweimal. Das Blei traf genau dort, wohin er gezielt hatte: in die Schultern der beiden Kerle. Sie brüllten vor Schmerz auf und taumelten zurück an die Saloonwand. „Ich hatte euch gewarnt“, sagte Lee mit flacher Stimme. „Und wenn eure Kumpane dort drinnen auf komische Gedanken kommen, werde ich auch mit ihnen fertig.“ Blitzschnell ließ Cranston den Revolver im Holster - 70 -
verschwinden und zog die Winchester aus dem Scabbard. Metallisch rasselte der Verschluß, als Lee die erste Patrone in den Lauf hebelte. Die Pendeltüren flogen auf. Fünf, sechs Mariner stürzten ins Freie, wollten ausschwärmen, den Fremden umzingeln, aber als sie Lees hartes Gesicht im Lampenschein sahen, blieben sie stehen. Sie waren wie Hunde, die einem Puma gegenüberstanden, und sie wußten, daß sie kaum eine Chance hatten. Abermals schwang die Pendeltür zurück. Ein schlanker, mittelgroßer Mann trat aus dem Saloon, betrachtete die Situation und sagte laut: „Was soll das, Fremder? Warum schossen Sie zwei unserer Männer an?“ „Weil sie sich wie Buschräuber benahmen“, antwortete Lee hart. „Sie zwangen mich zum Absteigen, und einer der Kerle hielt mir seinen Colt unter die Nase.“ Der Schlanke seufzte und meinte: „Hören Sie mir mal zu, Fremder. Hier ist das eben so.“ „Aaahhh, das ist also eine Banditenstadt, was?“ höhnte Cranston. „Jeder Fremde wird zuerst mal gründlich untersucht, ob er nicht ein paar Dollar hat, die ihr besser brauchen könnt, was?“ „Verdammt, nein!“ brüllte der Schlanke an der Tür, „Spencer Murdock ist der große Mann im County. Und andauernd versuchen irgendwelche Hundesöhne, seine Pferde zu stehlen. Und darum sollen wir bei jedem Murdock-Gaul überprüfen, ob das Tier rechtmäßig gekauft wurde. Begreifen Sie das denn nicht?“ Lee schwieg ein paar Sekunden, bevor er antwortete, aber als er sprach, war seine Stimme beißend vor Spott. „Soo, dieser Spencer Pferdeking trägt also einen Stern, - 71 -
wie? Ist er vielleicht Hilfssheriff oder so was? Wie kommt er dazu, einen freien Mann derart zu beleidigen? Ich will euch mal was sagen, ihr Buschräuber: wenn ihr einen Krieg wollt, so könnt ihr ihn habend. Richtet das eurem großmäuligen Boß aus. Wenn er was will, so soll er mir beweisen, daß ich das Tier gestohlen habe, von seinem Land gestohlen! Denn der Falbe trägt einen Verkaufsbrand, verstanden? Und wenn ich das Tier zweihundert Meilen von hier stahl, so geht euren Boß das einen Dreck an. Und nun verschwindet. Bringt die beiden Narren zum Doc und laßt ihnen die Kugeln aus den Schultern holen. Sie hatten Glück, daß sie nicht tot sind. Haut ab, ihr Banditen.“ Einige der Kerle scharrten mit ihren Stiefeln im Schnee und blickten unschlüssig den Sprecher an der Tür an. Der Schlanke nickte, und als seine Männer verschwunden waren, trat er an Lee heran und sagte eindringlich: „Sie sollten mir die Verkaufsbestätigung zeigen, Fremder. Sie haben sonst eine Menge Ärger. Murdock hängt Pferdediebe einfach auf, verstehen Sie?“ „Sie sind der Vormann dieses sauberen Züchters?“ fragte Lee. „Nein, der Vormann ist mit den beiden Söhnen des Ranchers unterwegs“, antwortete der Schlanke. „Ich vertrete ihn so lange.“ Lee spürte, wie sich in ihm alles anspannte. Er wußte, daß er am Ziel angelangt war. „Wer war noch dabei?“ fragte er, >wer ritt außer dem Vormann und den Söhnen mit?“ „Ein junger Bursche, hinter dessen Schwester der Rancher her ist“, antwortete der Schlanke kurz. „Übrigens, ich heiße Hank Devlin.“ - 72 -
„Lee Cranston“, stellte sich der Mann aus den Bergen vor und fragte gleichgültig: „Heißt die Schwester zufällig Linda, Hank?“ „Ja, verdammt, woher weißt du das?“ sagte Devlin verblüfft. „Kennst du sie etwa?“ „Nein, ich soll ihr nur was ausrichten“, antwortete Cranston. „Wo finde ich sie?“ „Da kannst du jetzt nicht hinreiten“, sagte Devlin scharf. „Der Boß besucht das Mädchen gerade. Und er hat ein paar schnelle Männer bei sich. Gegen die hast du keine Chance.“ „Wo finde ich das Mädchen?“ fragte Lee, und ein stahlharter Unterton schwang in seiner Stimme mit. Hank Devlin wies nach Osten. „In vier Meilen zweigt eine kleine Schlucht vom Trail ab. Sie mündet am Withwater River. Diese Schlucht ist das einzige Land, das Murdock nicht gehört. Dort steht die kleine Pferderanch der Barnes.“ Lee nickte. „Und wo liegt eure Ranch?“ wollte er wissen. „Weiter südlich, von der Schlucht aus sind es noch sieben oder acht Meilen“, antwortete er. Er wartete, bis Lee im Sattel saß und rief leise: „Paß auf dich auf, Fremder. Und zeig den anderen und dem Rancher die Verkaufsbestätigung, sonst lernst du die Feldglocke kennen.“ Lee verzog das Gesicht zu einem freudlosen Grinsen und ritt an. Die Feldglocke war ein Gehängter, der wie ein Pendel einer Glocke hin- und herschwang. Cranston ritt genau nach Osten, in die Richtung, die ihm der stellvertretende Vormann gewiesen hatte. Der Schnee knirschte unter den Hufen des Falben, und - 73 -
das Mondlicht erhellte die schneebedeckte Landschaft so, daß jeder Reiter bereits aus großer Entfernung zu sehen war. Aber Lee war am Ende seines Trailes. Ihn interessierte nicht, ob er kämpfen mußte oder nicht. Er würde sich den Vormann und den anderen Sohn des Ranchers Murdock vornehmen, sobald er sie erwischen konnte. Und wenn er zuvor diesen Pferdezüchter zu Unvorsichtigkeiten verleiten konnte, so hatte er es hinterher umso einfacher. Denn dieser Murdock schien wahrhaftig wie ein King hier zu herrschen. Er machte sich seine Gesetze selbst und ließ Pferdediebe einfach aufknüpfen. Sicherlich war er ein rauher, harter Mann, der von sich glaubte, das Richtige zu tun, aber darauf würde Lee Cranston keine Rücksicht nehmen. *** Lee erreichte die Schlucht, die nur etwa fünfzig Yard breit war, sich aber weiter hinten zu einem Tal öffnete, das sicher fast eine halbe Meile zwischen den Seitenwänden maß. Eigentlich war dieser Platz ideal für eine Pferdezucht, dachte Lee. Die Tiere haben nur zwei Ausgänge und können leicht überwacht werden. Cranston sah das niedrige Haus, das aus Baumstämmen erbaut war und mit der Rückwand an der linken Talseite abgestützt war. Rauch stieg aus dem Schornstein, und vor dem Haus standen fünf Pferde. Als Lee näher kam, sah er, daß es sich um - 74 -
hervorragende Tiere handelte. Und sicherlich ritten nur ausgesuchte Männer solche Pferde, für die man mehr als dreihundert Dollar zahlen mußte. Cranston war noch zwanzig Yard von den Tieren entfernt, als zwei Männer zu beiden Seiten des Hauses erschienen und abwartend stehen blieben. Sie machten es geschickt, denn so hatten sie den Fremden, der sich näherte, in der Zange. Aber Lee achtete gar nicht auf die vier Burschen, sondern zügelte den Falben und saß ab. Er band dem Tier den neuen Futtersack um, schlang den Zügel um einen Baum und ging auf die massiv wirkende Brettertür des Hauses zu. „Hee, Mann, da kannst du jetzt nicht rein“, sagte einer der vier Burschen warnend. Cranston blieb stehen, sah den Sprecher an und fragte: „Und warum nicht? Bist du vielleicht der Türsteher, muß ich dir erst zwanzig Cent in die Hand drücken?“ Die drei anderen lachten unterdrückt auf, aber in den Augen des Sprechers blitzte Zorn. Oha, er fühlte sich mächtig beleidigt, dieser Coltschwinger, und er tastete schon nach dem Griff des Revolvers, den er tief an der Hüfte trug. Seine raubvogelartigen Gesichtszüge wirkten auf einmal noch ausgeprägter, schärfer, als er einen Schritt auf den Fremden zuging. „Hör zu, du kannst jetzt da nicht rein“, sagte der Scharfgesichtige hart. „Du mußt mir das glauben, wenn ich dir das sage.“ Cranston verzog keine Miene, als er einfach weiterging. „Bleib stehen!“ brüllte der Kerl voller Zorn. Lee hörte das schabende Geräusch, als Metall über - 75 -
Leder glitt. Der Falkengesichtige zog seinen Colt! Aber Cranston klopfte mit der Linken gegen die Bretter und rief halblaut: „Miß Linda Barnes? Ich habe eine Nachricht von Ihrem Bruder für Sie. Kann ich reinkommen?“ Lee hörte ein halb ersticktes Geräusch und handelte sofort. Er riß die Tür auf, sprang mit einem Satz in den Raum und trat zur Seite, während er den Revolver zog. Eine Frau von vielleicht Mitte Dreißig lehnte mit dem Rücken am gemauerten Herd und wehrte mit beiden Händen einen bullig wirkenden Mann ab, der sie bedrängte. „Verdammt, ich will nicht gestört werden, Lawson“, rief der Bullige mit harter Stimme. „Miß Linda Barnes?“ fragte Cranston sanft. Der Mann wirbelte herum. Das sandfarbene Haar hing ihm in die Stirn. Es mußte Spencer Murdock sein. Er tastete nach dem Revolver, aber als er Lees Gesicht sah, ließ der Bullige es sein. „Verdammt, wer bist du?“ fragte er zornig. „Wo sind meine Männer? Wer hat dich reingelassen?“ „Miß Linda“, sagte Cranston sanft, der die Furcht in den Augen der jungen Frau sah, „darf ich bleiben?“ „Selbstverständlich“, sagte sie, aber ihre Stimme wirkte unsicher. Lee musterte den Rancher, der sich das Haar aus der Stirn strich und nickte. „Was gibt es da zu nicken?“ fragte der Mann. „Sie wissen wohl nicht, wer ich bin, he?“ „Ich kann es mir denken“, antwortete Cranston kalt. - 76 -
„Sie sind sicher dieser großmäulige Pferdezüchter Murdock.“ Der Rancher wurde weiß vor Zorn. „Und wissen Sie auch, wieso ich das weiß?“ fragte Lee böse und hart. „Weil Sie sich genau so benehmen wie Ihre Söhne. Auch die bedrängen wehrlose Frauen, nahmen ihnen ihre Ehre und ermordeten sie dann.“ Der Rancher holte Luft, und so etwas wie Vorsicht stand auf einmal in seinen Gesichtszügen. „Was soll dieses Geschwätz?“ fragte er fast sanft. „Es ist kein Geschwätz“, antwortete Lee eisenhart. Er blickte Linda an, in deren Blick Angst und eine furchtbare Gewißheit standen. Die junge Frau wußte, daß ihr Bruder tot war, sie fühlte es. „Können Sie ihn wegschicken?“ fragte Lee und deutete mit dem Revolverlauf auf Murdock. Die junge Frau lachte bitter auf. „Sicher“, antwortete sie, „aber ob er geht, ist eine andere Sache. Und wenn er geht, kommt er zurück, das ist auch sicher.“ „Also los, Rancher, verschwinde, ich habe mit Miß Linda Barnes zu reden“, sagte Cranston hart. Jetzt wurde Spencer Murdock knallrot im Gesicht. „Ich lasse mir nicht von einem dahergelaufenen Satteltramp sagen, was ich zu tun und zu lassen habe!“ brüllte er. Und er sah wahrhaftig so aus, als wolle er sich trotz des drohenden Revolvers auf Cranston stürzen. „Laß es sein, Mann“, sagte Lee flach. Der Tonfall seiner Stimme brachte den Rancher zur Besinnung. „Was ist mit Lindas Bruder?“ fragte er. „Er ritt mit - 77 -
meinen Söhnen und meinem Vormann nach Westen. Sie sollten sich in der kalten Jahreszeit etwas den Wind um die Nase wehen lassen. Die jungen Burschen kennen noch nicht viel von der Welt. Also, was ist mit ihnen?“ Bevor Lee antworten konnte, sprach Linda. „Al ist tot, ich fühle es“, sagte sie leise und sah Lee fragend an. „Ja, Miß“, antwortete Cranston knapp, „ich mußte ihn töten, denn sonst hätte er mich erschossen. Seine Kumpanen ließen ihn zurück, als er nicht mehr weiter konnte.“ Kein Muskel verzog sich im Gesicht der Frau, aber die Tränen liefen ihr über die Wangen. Da hörst du es“, hetzte der Rancher, „dieser Kerl hat deinen Bruder erschossen, und jetzt spielt er sich hier auf. Ich lasse ihn einfach an den nächsten Baum hängen, Linda.“ Der Rancher blickte Cranston triumphierend an und brüllte: „Lawson, komm mit den Männern rein, es gibt eine Hängeparty. Dieser Fremde hat Lindas Bruder auf dem Gewissen.“ Aber die Frau wandte sich dem Rancher zu, starrte ihn aus erloschen wirkenden Augen an und sagte scharf: „Spencer Murdock, ich hasse dich und deine verkommenen Söhne. Ich wünschte, ihr wäret tot und niemand würde mehr von euch sprechen. Ihr regiert mit eurem Revolver-Vormann wie die Könige in diesem Land. Ihr verurteilt Männer und hängt sie selbst auf. Oh, was seid ihr doch für erbärmliche Halunken. Ich bin sicher, daß deine Söhne meinen Bruder Al zu etwas anstachelten, was er selbst nie getan hätte. Ja, ich wünschte, deine Höllenbrut wäre tot!“ Verwirrt und auch etwas betroffen blickte der Rancher - 78 -
die junge Frau an. „Linda, was soll das?“ fragte er. „Die jungen Leute sollen sich die Hörner abstoßen. Sie müssen das Leben kennen lernen, wenn sie in diesem rauhen Land nicht verloren sein wollen.“ „Gehört dazu auch, Frauen zu bedrängen und zu ermorden?“ peitschte Lees Stimme. Der Rancher drehte sich langsam um, musterte Cranston und sagte: „Wenn ich dich so ansehe, Mann, dann hast du bestimmt mit einer Indianerin zusammen gehaust. Was soll das also?“ Lee beherrschte sich gewaltsam, aber nichts war ihm anzumerken. „He, habe ich recht?“ fragte Murdock, „bist du ein Squaw-Mann?“ „Sie war mit mir nach den Gesetzen der Weißen verheiratet, sie war meine Frau“, sagte Cranston leise. „Ach, was soll das denn, hol dir doch irgendwo eine neue Squaw“, rief der Rancher und machte eine abwehrende Handbewegung. Lee holte tief Luft, sah den zu Tode erschreckten Blick Lindas und antwortete: „Murdock, bisher war das eine Sache zwischen deinen Söhnen, dem dritten Mann und mir. Dieser dritte Mann ist groß, schlank und hat pechschwarzes Haar und einen Schnauzbart.“ „Dan Prentiss, mein Vormann“, sagte der Rancher sofort. „Er ist ein erfahrener Bursche und wird die Jungs richtig leiten.“ „Das hat meine Frau am eigenen Leibe erfahren“, sagte Lee kalt. „Und wenn du weiter so über sie redest, kommst du auch noch in das Spiel, Spencer Murdock. Halt dich da raus.“ Linda Barnes holte tief Luft und sagte scharf: - 79 -
„Verschwinde, Murdock, komm nie wieder her, hörst du, nie wieder!“ Der bullige Rancher duckte sich etwas unter den Worten der Frau und schaute Cranston wütend an. „Was ist mit meinen Söhnen? Los, red schon, ich will es wissen!“ brüllte Murdock. „Der mit dem sandfarbenen Haar ist tot“, antwortete Lee gelassen. „Du hast ihn umgebracht, du Bastard!“ schrie der Rancher voller Zorn. Lee schüttelte den Kopf. „Nein, ich gab ihm nur eine Kugel in die Schulter“, antwortete er. „Getötet hat ihn die Frau. Als er keine Chance mehr sah, ging er mit dem Messer auf sie los. Ihr Mann ist der Polizeikonstabler des Ortes. Sie feuerte alle sechs Kugeln auf deinen mißratenen Sohn ab, Rancher.“ Das Gesicht des massigen Mannes wirkte auf einmal eingefallen. Es war weiß wie der Schnee, der draußen lag. „Wo waren Frank Und Dan Prentiss?“ flüsterte Murdock. „Irgendwo in der Stadt“, antwortete Lee. „Sie besorgten wohl Proviant. Die Frau sollte ihnen warmes Essen machen, und das tat sie auch. Aber dein Sohn konnte sich nicht beherrschen. So war das, Spencer Murdock.“ Mit schweren Schritten ging der bullige Mann zur Tür des Blockhauses. „Sie hat ihn gereizt, ich weiß es“, murmelte er. „Und wenn eine Frau meinen Steve reizte, drehte er manchmal durch. „Dazu hatte er keinen Grund“, sagte Cranston beißend. „Denn vier Tage vorher war er dabei, als meine - 80 -
Frau vergewaltigt und ermordet wurde. Weißt du, was ich denke, Rancher? Ich denke, es liegt an dir und deinen Ansichten, daß sich deine Söhne so aufführen. Aber jetzt ist es zu spät, denn wenn dein Vormann und dein Sohn Frank herkommen, werde ich beide töten.“ Spencer Murdock wirbelte herum, riß die Tür auf und prang mit einem weiten Satz ins Freie. „Wir reiten nach Hause!“ brüllte er wild. Lee glitt zur Tür und beobachtete die fünf Pferde, die sich im Galopp entfernten. Cranston schloß die Tür, steckte den Colt ins Holster und schaute Linda an. Innerlich erschrak er, denn die junge Frau strahlte etwas aus, das ihn in seinen Gefühlen berührte. „Stimmt das alles, was Sie mir sagten?“ fragte sie leise. „Ja, alles“, antwortete Lee, „aber Ihr Bruder war nicht dabei.“ „Setzen Sie sich, bitte. Ich mache uns was zu essen, Mister Cranston“, sagte sie und hantierte geschäftigt mit Töpfen und Pfannen. Kurze Zeit später aßen sie, und Linda Barnes holte den Kaffee von der eisernen Herdplatte. „Können Sie mir erzählen, was geschah?“ fragte die junge Frau weich. Lee dachte einen Moment nach und nickte. Ja, vielleicht würde es ihm gut tun, wenn er alles einem anderen Menschen erzählte. Und so begann er.
***
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Als Cranston endlich schwieg, schaute ihn Linda lange an. „Sie müssen Mondlicht sehr geliebt haben“, sagte sie leise, und Lee nickte. „Ich will von uns erzählen“, sagte die junge Frau. „Mein Vater kam zusammen mit Murdock in dieses Land. Aber Spencer hatte eine Frau bei sich und seine beiden kleinen Söhne. Im Verlauf von zwanzig Jahren baute er seine Pferdezucht auf. Er war und ist unerbittlich, wenn es darum geht, Diebe zu verfolgen und zu hängen. Uns ließ er in Ruhe, denn unser Land ist eingetragen. Er half uns sogar manchmal aus, wenn wir Schwierigkeiten hatten.“ Linda schwieg eine Weile und starrte auf die Tischplatte. „Meine Mutter starb bei Als Geburt“, sagte die junge Frau schließlich. „Ich zog Al auf. Er war etwas jünger als Murdocks Söhne und irgendwie ergab es sich, daß die drei oft zusammen waren. Aber es gelang mir immer, das Schlimmste zu verhüten. Unser Vater wurde immer bitterer, als er sah, wie sich Al entwickelte. Vor drei Jahren starb unser Vater. Wir konnten existieren, ja, sogar etwas Geld zur Seite legen. Unsere Pferde sind genau so gut wie Murdocks Tiere, und da wir wesentlich kleiner als der große Züchter sind, machte er uns auch niemals Ärger. Lee Cranston ahnte bereits, wie die Geschichte weiterging. Er stand auf, ging zum Herd und holte die Kaffeekanne. „Al schloß sich Frank und Steve Murdock immer enger an“, fuhr Linda fort. „Sie heckten Streiche aus, die schon keine mehr waren. Aber niemand wagte es, sich bei Murdock zu beschweren. Sie kannten ihn alle nur zu - 82 -
gut. Und jetzt ist Al tot. Spencer schickte sie mit dem Vormann Dan Prentiss los, um sich den rauhen Wind des Westens um die Nasen wehen zu lassen, ja, so war es. Und nun warten Sie, Lee Cranston darauf, daß sie zurückkommen. Sie warten, um Prentiss und Frank Murdock zu töten.“ Lees Gesicht war ausdruckslos. Er trank einen Schluck Kaffee, setzte den Becher hart auf den Tisch und sagte: „Wenn meine Frau eine Weiße gewesen wäre, würde ich die Kerle dem Richter übergeben. Sie müßten hängen.“ Cranston preßte seine Lippen zu schmalen Strichen zusammen. „Aber da sie nur eine Indianerin war, kann ich nur selbst für Vergeltung sorgen“, sagte er. Lee stand auf und ging zur Tür. „Ich reite in die Stadt“, sagte er. „Dort warte ich auf diesen Prentiss und Frank Murdock.“ Linda sprang auf und rief: „Nein, bleiben Sie, ich bitte Sie!“ Verwirrt schaute sie Lee an und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoß. „Wenn Murdock zurückkommt, habe ich keine Wahl mehr“, flüsterte Linda. „Er setzt mir seit drei Jahren zu, seit mein Vater tot ist, ihn zu heiraten. Ich kann nicht, verstehst du, Lee? Ich brauche Hilfe.“ Cranston verspürte so etwas wie eine Verantwortung in sich, aber er rief sich zur Ordnung, denn er konnte sich nicht mit den Problemen anderer Menschen belasten. Er brachte den Tod, den heißen Wind der Vergeltung in diesen Montanawinter, und niemand wußte, ob Lee überleben würde. Wie es aussah, mußte er auch gegen Spencer Murdock - 83 -
und seine rauhe Mannschaft kämpfen, und das veränderte die Chancen mächtig zu seinen Ungunsten. Aber Cranston stand nicht zum ersten Mal in einer derartigen Situation. Er würde gelassen abwarten, wie sich die Dinge entwickelten und dann handeln. „Sie sehen wie Prentiss aus, wie Sie so dastehen“, sagte Linda leise. „Er ist ein eiskalter Revolvermann, ein Schießer, und noch niemand hat in dieser Gegend schneller gezogen als er. Alle fürchten sich vor ihm, denn er kämpft rücksichtslos für Murdock.“ Cranston öffnete die Lider weit und starrte Linda an. Das war es! Ja, er hatte sich verändert, er war zu einem innerlich harten, gefühllosen Mann geworden. Und wenn er sich nicht vorsah, würde er wieder auf den rauhen Trail jener Kämpfer geraten, die auf dem schmalen Grat zwischen Gut und Böse einher wanderten. Sie konnten jederzeit nach einer der Seiten abstürzen; und meistens war es so, daß die zu Gunslingern wurden, die für harte Dollars jeden, aber auch wirklich jeden Job annahmen und ausführten. Auf der anderen Seite war Mondlicht, seine ermordete Frau. Weil sie nicht der weißen Rassen angehörte, gab es keine Vergeltung für das Verbrechen, das man ihr angetan hatte. Und das konnte Lee einfach nicht vergessen. Das Gesetz sah vor, solche Verbrecher zu hängen. Cranston würde die Burschen herausfordern, zu einem Revolverkampf zwingen, denn das Gesetz half ihm nicht. Aber was nach diesem Kampf kam, wußte Lee noch nicht. Er spürte, daß Linda Barnes mit ihren Worten, ihrer Warnung recht hatte. Und er spürte auch, daß sie vor Murdock Angst hatte. - 84 -
„Ich bleibe“, sagte Cranston. „Ich sattele mein Pferd ab. Wo kann ich schlafen?“ Die junge Frau lächelte und wies auf ein Lager an der Rückseite des Wohnraumes. „Dort schlief Al, wenn er hier war“, sagte sie. „Ich habe eine kleine Kammer an der Seite dort.“ Linda zeigte auf eine Brettertür, die in einen anderen Raum führte. Cranston nickte, verließ das Haus und versorgte sein Pferd, das er in einen kleinen Stall führte, in dem nur ein Reittier stand. Und wenig später saß Lee wieder am Tisch, sah seine Waffen nach und hörte Linda zu, die ein trauriges Lied sang. Sie wußte, daß Lee keine Schuld am Tod ihres Bruders hatte. Sie wußte, daß Al auf den falschen Weg geraten war, und daß er ihn bis zum bitteren Ende gegangen war. *** Die Nacht war ruhig verlaufen. Es war noch kälter geworden, und Lee zerhackte mit einer Axt die dicke Eisschicht, die sich auf dem Trog neben dem Pferdestall gebildet hatte. Es war kurz vor Mittag, als ihn etwas warnte. Er ging aus der Hütte, schaute sich sorgfältig um und sah die Mannschaft, die in geschlossener Formation auf das Blockhaus zuhielt. Lee lächelte, und es war ein freudloses, böses Lächeln. Murdock kam, um seine Macht zu zeigen. Sicher hatte er alle freien Reiter aufgeboten, um diesem fremden hartmäuligen Revolvermann vorzu- 85 -
führen, welch mächtiger Weideking er war. Lee ging ins Haus zurück, lehnte die Winchester innen neben den Türpfosten und nickte Linda zu. „Murdock kommt mit seinen Männern“, sagte Lee. Linda lief zum Fenster, hauchte dagegen und wischte mit dem Ärmel ihres Kattunkleides darüber. „Er bringt fast die ganze Mannschaft mit“, sagte sie gepreßt. „Lee, wir haben keine Chance, wenn er ernst macht.“ Cranston lächelte und sagte: „Er wird noch nicht zuschlagen, Linda. Ich kenne diese Dinge aus meiner Vergangenheit. Und wenn ich mich irre, wenn Murdock uns überfallen will, so schieße ich ihn aus dem Sattel. Seine wilden Wölfe geben dann auf, wenigstens so lange, bis Frank und der Vormann zurück sind.“ „Vielleicht sind sie schon da“, vermutete die junge Frau. Lee schüttelte den Kopf und meinte: „Das glaube ich nicht, sie sind durch Kanada geritten und mußten sich abseits der normalen Wege halten, denn sicher vermuten sie, daß die Royal Canadian Mounted Police nach ihnen fahndet. Sie wußten nämlich nicht, daß sie in das Haus eindringen wollten, in dem die Frau des Konstablers wohnte.“ „Was will er denn?“ fragte Linda Barnes erregt. „Verhandeln, seine Stärke zeigen“, antwortete Cranston. Der vorderste Reiter, der eine Länge vor den anderen Männern ritt, zügelte sein Pferd. Er hob die rechte Hand, und die anderen verhielten ihre Pferde wie eine gut gedrillte Schwadron Kavallerie. Spencer Murdock stieg aus dem Sattel, rückte seine schwere Jacke zurecht, die ihn vor der beißenden Kälte - 86 -
schützte, und stiefelte auf das Blockhaus zu. „Linda, Cranston“, rief er, „ich will mit euch sprechen. Kann ich reinkommen?“ Fragend blickte die junge Frau Lee an. Cranston nickte. „Wenn er verhandeln will, kann er keine Zeugen gebrauchen“, meinte Lee mit schmalem Lächeln. „Du zählst nicht, dich läßt er aus dem Land schaffen, wenn etwas schief gehen sollte. Laß ihn rein, den Hundesohn.“ Linda öffnete die Tür. Murdock trat ein, blickte von dem Mädchen zu Lee und öffnete umständlich die Knöpfe seiner Jacke. „Cranston, du hast zwei meiner Männer angeschossen“, sagte der Pferdezüchter anklagend. „Sie sollen froh sein, daß sie noch leben“, antwortete Lee hart. „Sie benahmen sich wie Strauchdiebe, aber das paßt ja zu Ihnen und Ihrer Mannschaft, Murdock.“ Sofort schwollen die Adern am Hals des massigen Ranchers an. Aber er beherrschte seine Wut, denn er spürte, daß Cranston ein besonderer Mann war, der sicher den meisten seiner Coltschwinger mehr als überlegen war. „Cranston, verstehen Sie mich doch“, sagte Murdock und duzte Lee auf einmal nicht mehr. „Ich kann mich doch nur schützen, indem ich alle Halunken aufhänge. Sie kommen seit zwanzig Jahren und versuchen, mir wertvolle Pferde abzutreiben. Jetzt fürchten sie sich, und nur die Furcht hält sie zurück. Wenn ich nachlasse, bin ich in zwei Wochen vielleicht schon ein armer Mann.“ „Vielleicht auch nicht“, antwortete Lee. „Warum bringen Sie diese Pferdediebe eigentlich nicht nach Malta zum Sheriff?“ „Ach, verdammter Sheriff, verdammtes Gesetz!“ rief - 87 -
der Rancher wild, „der Richter verurteilt die Kerle zu ein paar Wochen Gefängnis, und dann kommen sie raus und versuchen es von neuem!“ „Und da machen Sie sich Ihr Gesetz einfach selbst, nicht wahr?“ fragte Cranston. Murdock lächelte kalt und meinte: „Sie handelten gestern nach dem gleichen Gesetz, Cranston. Einem Mann das Pferd zu stehlen, heißt in der Wildnis, ihn zum Tode zu verurteilen.“ Lee verzog das Gesicht und antwortete: „Sie besitzen mehr als ein Pferd, Murdock.“ „Ja, und ich lebe davon!“ rief der Rancher. „Um meine Existenz und die meiner Söhne zu schützen, muß ich so handeln. Aber ich bin nicht gekommen, mich zu rechtfertigen. Ich möchte mit Ihnen wegen meines Sohnes Frank reden.“ Lees pulvergraue Augen wirkten ausdruckslos als er sagte: „Er bekommt einen fairen Kampf, Rancher.“ „Darum geht es nicht“, sagte Murdock schwer. „Steve ist tot, daran läßt sich nichts mehr ändern. Aber Frank ist mein einziger Erbe. Ich muß ihn retten, verstehen Sie das nicht, Cranston? Meinetwegen fordern Sie Dan Prentiss heraus, aber lassen Sie Frank aus diesem Spiel!“ Lee schwieg eine lange Weile, während er den Pferderancher anstarrte. „In einem haben Sie recht, Murdock“, sagte der schlanke Mann aus den Bergen, „auch ich sage, verdammtes Gesetz, das meine Frau nicht schützt. Dann wäre ich nämlich nicht hier. Dann säßen Ihr Sohn Frank und der saubere Vormann Prentiss schon lange im Jail, oder sie wären bereits gehängt worden. Aber da meine Frau Indianerin war, ist sie noch nach ihrem Tod wehrund rechtlos.“ - 88 -
„Ich biete Ihnen zehntausend Dollar, wenn Sie wegreiten, wenn Sie noch heute wegreiten“, sagte der Rancher. „Bleiben Sie, biete ich Ihnen nichts als ein Stück Blei.“ Murdock schwieg und beobachtete Lee, in dessen Gesicht, in dessen kaltem Blick sich nichts veränderte. Aber Linda preßte beide Hände vor den Mund. Schmerz stand in ihren Augen, als sie langsam den Kopf schüttelte. „Spencer Murdock“, sagte sie leise, „glaubst du, du kannst mit deinem Geld alles kaufen?“ „Es kommt nur auf den Preis an“, antwortete der Rancher. „Und was bezahlst du für meinen toten Bruder?“ wollte Linda wissen. Sie ging zum Herd hinüber, öffnete die eiserne Klappe und sah Murdock lauernd an. „Nichts“, antwortete der Rancher, „er ist aus freien Stücken mitgeritten. Er schloß sich meinen Söhnen an, weil ihm ihr Leben besser gefiel als das, was ihm dein Vater und du bieten konnten. Nein, er ist selbst schuld an seinem Tod, dein kleiner Bruder Al.“ „Und deine Söhne sind auch selbst schuld an ihrem Tod“, sagte Lee tonlos und flach. Linda packte zu, zerrte ein langes, glühendes Holzscheit aus der Herdöffnung und lief auf Murdock zu. Sie hob das Holz, daß die Funken sprühten und schrie gellend: „Verschwinde, du Lump, verschwinde endlich! Du hast an allem Schuld, du mit deiner selbstherrlichen Einstellung von Recht und Ordnung. Es wird Zeit, daß Menschen wie du verschwinden. Dann können wir anderen endlich in Frieden leben.“ Und dann schlug Linda wahrhaftig zu! - 89 -
Nur Murdocks schnelle Reaktion rettete ihn. Er warf sich zur Seite, und der glühende Holzscheit streifte seine Haare und traf die Schulter. Im nächsten Moment roch es vermengt. Der Pferderancher stieß einen wüsten Fluch aus, öffnete die Tür und rannte hinaus. Draußen warf er sich in den Schnee, erstickte das Glimmen seiner Haare und die Glut auf der Schulter und stand wieder auf. „Das wird euch noch leid tun“, brüllte Murdock. „Das war mein einziges Angebot. Ab jetzt herrscht Krieg zwischen uns. Ihr wolltet es ja nicht anders. Cranston, wenn du dich auf meinem Land sehen läßt, stirbst du! Jeder meiner Männer wird auf dich schießen. Hast du verstanden?“ Lee trat ins Freie und sagte scharf: „Sicher, Großmaul, du brüllst ja laut genug. Du willst den Krieg, du bist ja direkt verrückt danach. Sicher möchtest du mal wieder richtig deine Macht zeigen, was? Aber du kannst es so haben, wie du willst. Und jetzt habt ihr drei Minuten Zeit, von hier zu verschwinden.“ Spencer Murdock schwang sich in den Sattel und starrte Cranston ungläubig an. Alles an diesem Mann wirkte hart, eisenhart. Dieser geschmeidig aussehende Fremde hatte die Herausforderung angenommen, und er war doch nur ein einzelner Mann. Er war bereit, sich mit dem mächtigsten Rancher des Countys, mit dessen harter Mannschaft zu messen. Und dieser Cranston schien sicher zu sein, daß er gewinnen würde! „Wir reiten“, befahl Murdock und zupfte an den Zügeln. - 90 -
Innerhalb weniger Sekunden fielen die Tiere der Mannschaft in Galopp und jagten über die Schneedecke davon. „Oh Lee“, stöhnte Linda hinter Cranston, „was machen wir jetzt?“ „Wir ziehen in die Stadt“, antwortete der Mann aus den Bergen. „Hier sind wir nicht mehr sicher. Die Schlucht ist wie eine Falle, verstehst du, Linda?“ Die junge Frau nickte nur. „Nimm alles mit, was du zu brauchen glaubst“, drängte Lee. „Ich fange ein paar Pferde ein.“ Er lief aus dem Haus. Im Stall sattelte er die Reittiere und schwang sich auf den Falben. In jagendem Galopp stürmte der Hengst in die Schlucht. *** Spencer Murdock und seine Männer hatten vorgesorgt. Kein einziges Pferd der Barnes Ranch war zu sehen. Alle Tiere waren von der Mannschaft des großen Züchters abgetrieben worden. Lee fluchte leise. Wenn Linda ihre Sachen mitnehmen sollte, mußten sie Packtiere haben. Cranston ritt in der Mitte des Trails. Allmählich verengte sich die Schlucht. Deutlich spürte Lee das Gefühl der drohenden Gefahr, aber er entdeckte eine Fährte auf der anderen Seite. Trotz der Warnung seines Instinktes zog Cranston am Zügel. Willig ging der Falbe hinüber. Mehr als drei oder vier Dutzend Pferde hatten eine - 91 -
nicht zu übersehende Spur im Schnee zurückgelassen. Lee war ganz sicher, daß es Lindas Tiere waren, die dort getrieben worden waren. Plötzlich flammte die Warnung deutlich in Lee hoch. Seine Hand fiel auf den Griff des Revolvers, aber es war zu spät. Cranston war in die Falle gelaufen! Drei Schlingen senkten sich vom Rand der Schlucht auf ihn herab. Ein Ruck, und Lee fiel aus dem Sattel. Verzweifelt versuchte der Mann, sich herumzuwälzen, die Arme zu spreizen, aber die Kerle mit den Wurfschlingen fingen sonst halbwilde Pferde ein und verstanden ihr Geschäft. Der Zug der Riemen ließ nicht nach. Lee war gefangen. „Na, du hartmäuliger Coltschwinger“, dröhnte eine Stimme von oben, „was sagst du jetzt?“ Innerlich nannte sich Lee einen verdammten Narren. Er hatte sich um Lindas Besitz gesorgt, statt auf die eigene Haut zu achten. „Wir reiten jetzt ein Stückchen zusammen, Mister Revolvermann“, rief der Sprecher. „Du wirst dich wundern, wenn wir ankommen.“ Lee erkannte einige der Kerle wieder, die noch vor ganz kurzer Zeit hinter Murdock auf den Pferden gesessen hatten. Der Rancher hatte keine Zeit verloren. Und sicherlich war sein Plan bereits fertig gewesen, als er Cranston das Angebot von zehntausend Dollar machte. Aber von dem Züchter selbst war nichts zu sehen. Lees suchende Kopfbewegung war den Kerlen aufgefallen. „Wen suchst du?“ fragte derselbe Mann wie vorhin. - 92 -
Er war mittelgroß, untersetzt und hatte rötliches, dichtes Haar, das unter dem Stetson hervorquoll. „Sicher unseren Boß, was?“ fragte der Rothaarige, „aber der hat mit diesem Spaß überhaupt nichts zu schaffen. Das ist unsere Idee, Coltschwinger, ganz alleine unsere.“ „Ja, wir wollten was für unseren Boß tun, Mister“, rief ein junger Kerl mit heller Stimme. „Wir können doch nicht zulassen, daß irgendsoein wilder Kerl daher kommt und das Ansehen von Spencer Murdock untergräbt, was Männer?“ Die anderen sechs Burschen murmelten zustimmend. Lee grinste verächtlich und sagte: „Ihr seid miserable Schauspieler. Diese Story nimmt euch keiner ab. Also los, ich denke, wir wollen einen Ritt machen.“ „Sicher, warte einen Moment“, sagte der Rothaarige und führte den Falben am Zügel heran. Zwei Männer hoben Lee aufs Pferd und fesselten seine Beine unter dem Bauch des Tieres. „Du brauchst dir um den Hengst keine Sorgen zu machen“, meinte der Rothaarige. „Wir stellen ihn in den Mietstall, da geht nichts verloren. Aber du hast nichts mehr von ihm, Mister.“ Die anderen grinsten gemein, als sie diese Worte hörten. „Aber für uns wird es noch ein feiner Spaß werden“, rief der junge Kerl und lachte laut. Sie wollen mich also umbringen, dachte Lee. Er war entschlossen, die geringste Chance wahr zu nehmen, die sich ihm bot. Aber er sollte keine Chance bekommen. Sie ritten auf Loring zu, wie Cranston erstaunt feststellte. Was hatten die Kerle vor? Wollten sie ihn in - 93 -
der Stadt hängen, um den Bürgern Furcht vor Spencer Murdock erneut einzuimpfen?“ Lee sprach kein Wort. Seiner Schätzung nach waren sie noch anderthalb Meilen von Loring entfernt, als die Kerle ihre Pferde zügelten. „Wir warten hier“, sagte der Rothaarige und blickte Lee an. Sicherlich hoffte der Bursche, daß der Gefangene eine Frage stellen würde, aber Cranston tat ihm nicht den Gefallen. Der Kerl spuckte aus, und der Speichel gefror sofort auf der verharschten Schneedecke. Zwei Banditen hoben Lee vom Pferd und erneuerten die Beinfessel nicht. Cranston erwog seine Chancen, davonzulaufen, aber es hatte keinen Sinn. Die Wurfleinen waren an den Sattelhörnern befestigt. Und selbst, wenn es Lee gelang, in den Sattel eines Tieres zu gelangen, so waren die Halunken doch schneller, denn sie trugen keine Fesseln um den Oberkörper. „Er kommt, Leute!“ rief der Rothaarige. Aufmerksam spähte Lee zur Stadt hin. Aber er sah nur einen Wagen mit einem Deichselpferd davor. Das Tier ging langsam und schien ab und zu stehen zu bleiben. „Verdammt, Jim hat den Alten zu sehr unter Whisky gesetzt“, fluchte der Rothaarige. „Er ist blau, dieser dämliche Totengräber und Sargtischler.“ „Laß ihn doch“, meinte ein anderer, „Hauptsache, er merkt nicht, daß wir gar keinen Toten in seinen Sarg hineinstopfen.“ - 94 -
Cranston dachte nach und verspürte keine Furcht. Ja, er würde sterben, das war ihm klar. Denn sicherlich hatten die Kerle dem Sargmacher befohlen, die einfache Holzkiste sofort zum Stiefelhügel zu bringen und in eine vorbereitete Grube zu senken. Lee wußte, daß hier im Norden zu Anfang des Winters immer einige Gräber sozusagen auf Vorrat ausgehoben wurden. Denn später war der Boden so hart gefroren, daß es unsägliche Mühe bereitete, einen Mann unter die Erde zu bringen. Knarrend drehten sich die Räder des Flachwagens. Und wahrhaftig stand ein Sarg auf der Ladefläche. Der Deckel wag daneben. „Komm, Revolverheld, du bist dran“, sagte der Rothaarige. „Ich denke, du weißt, was passiert.“ „Sicher, ich weiß es“, sagte Lee gelassen. Und irgendwie wurde er den hartgesottenen Halunken unheimlich, wie er so vor ihnen stand und kein Muskel seines Gesichtes zuckte. Ausdruckslos blickte Cranston die Kerle aus seinen pulvergrauen Augen an, als wolle er sich ihre Gesichter bis in alle Ewigkeit einprägen. Lee spürte den Luftzug und spannte die Nackenmuskeln an und zog den Kopf etwas zur Seite. Aber der Schlag traf noch zu gut. Cranston sank besinnungslos zusammen. Er hörte nicht mehr, wie der Rothaarige befahl: „Schnell, die Leine weg. Der Alte darf nichts merken. Wir legen diesen Cranston in die Kiste und nageln sie selbst zu, verstanden?“ Und es ging wirklich schnell. Nach wenigen Minuten rollte der Flachwagen wieder an, aber diesmal in Richtung Loring. - 95 -
Der rothaarige Anführer der Halunken schwang sich in den Sattel, ritt neben den Kutschbock und sagte mit scharfer Stimme zu dem alten Mann mit dem eingefallen wirkenden Gesicht: „Du fährst sofort zum Stiefelhügel, verstanden? Und du buddelst unseren Freund ein, verstanden?“ „Sicher, Mister, sicher, mache ich alles“, brabbelte der Alte und tastete nach einer halb leeren Whiskyflasche unter dem dicken Schal, den er sich um Hals und den Oberkörper geschlungen hatte. Das Deichselpferd ging in müdem Trott auf Loring zu. „Was für ein Job ist das“, murmelte der Alte undeutlich, „da wird man in diese elende Kälte hinausgejagt, und dann soll ich auch noch die Schaufel schwingen.“ Vorsichtig sah sich der Sargmacher um. Als er keinen der Halunken mehr entdeckte, kicherte er hohl und meinte: „Aber sie sollen sich täuschen, ja. Es ist viel zu kalt zum Arbeiten. Ich grabe den armen Teufel morgen oder übermorgen ein. Jetzt geht's nach Hause.“ Kurze Zeit später erreichte der Wagen die Stadt. Das Pferd blieb von selbst vor der Werkstatt des Tischlers stehen. Der Kutscher war eingeschlafen, aber er spürte trotz seiner Trunkenheit, daß sich der Wagen nicht mehr bewegte. Der Alte wachte halb auf, öffnete die Lider und sah seine Umgebung mächtig verschwommen. „Na, da sind wir ja“, brabbelte er kaum verständlich, „rein in die gute Stube. Sollst auch nicht draußen frieren, mein Pferd.“ Der Sargtischler öffnete ein Tor und unter vielen Mühen und noch mehr Flüchen gelang es ihm, den - 96 -
Flachwagen mitsamt dem Deichselpferd rückwärts in die Werkstatt zu bugsieren. Endlich knallte er das Tor zu. Der Alte torkelte zu einer Tür, die wohl in seine Wohnräume führte und schlug sie auf. Sekunden später krachte sie wieder ins Schloß. Und nur das Pferd stand geduldig im Geschirr und schnaubte ab und zu. Kein weiteres Geräusch war zu hören. *** Als Lee erwachte, schoß ein scharfer Schmerz durch seinen Kopf. Cranston stöhnte auf und hob die Hände. Sie stießen gegen rauhes, ungehobeltes Holz. Sofort wußte Lee wieder, was ihm zugestoßen war. Er holte Luft und dachte in der gleichen Sekunde daran, daß er sparsam mit dieser Luft umgehen mußte. Aber dann hörte er ein Geräusch. Irgend etwas klirrte, schabte, und dann erklang ein Schnauben. Metallisch prallte etwas auf den Boden. Lee gewann neue Hoffnung, denn dieses Klirren hatte sich wie ein Hufeisen angehört. Und das Schnauben konnte nur von einem Pferd stammen. Erleichtert atmete Cranston aus. Mit den Händen erforschte er seine Umgebung und mißachtete den klopfenden Schmerz in seinem Kopf. Überall stieß Lee gegen rauhes, ungehobeltes Holz. Mit den Fingerspitzen fand er die Fugen der Bretter, die zu einem einfachen Sarg zusammengenagelt waren. - 97 -
Aber ein Lichtschimmer drang durch diese Fugen. Lee versuchte, die Beine an den Leib zu ziehen, aber es ging nicht. Vorsichtig hob der Mann aus den Bergen die Knie und stemmte sie mit aller Kraft gegen den Deckel. Als sich das Holz nicht bewegte, nicht einmal knirschte, nahm Cranston die Hände zur Hilfe. Aber auch jetzt gelang es ihm nicht, aus seinem dunklen Gefängnis auszubrechen. Doch er schaffte es, sich auf die Seite zu drehen. Sekundenlang mußte er still liegen, bis der stechende, pulsierende Schmerz in seinem Kopf nachließ. Und dann stemmte sich Lee mit aller Gewalt gegen den Deckel. Stöhnend sank er zurück. Die Bretter hatten sich nicht bewegt. „Die Hundesöhne haben nicht mit Nägeln gespart“, murmelte Lee. Er konnte bis zum anderen Tag hier liegen bleiben. Luft bekam er genug, denn die Seitenwände der Holzkiste waren nicht dicht. Aber was geschieht, wenn mich die Halunken inzwischen holen, dachte Cranston. Er beschloß, sich mit Gewalt aus dem Sarg zu befreien. Es kostete ihn einige Hautabschürfungen, bis er den Griff seines Revolvers erreichte und atmete erleichtert auf. Die Kerle hatten ihm seine Waffe gelassen! Lee setzte die Mündung in die Ecke zwischen Deckel und Seitenwand und holte tief Luft, bevor er abdrückte. Der Schuß hallte wie ein Donnerschlag, und in Cranstons Ohren klingelte es grell auf. - 98 -
Er schob die Mündung etwas weiter und jagte so alle sechs Kugeln aus der Trommel. Noch immer blieb es dunkel. Aber durch das schrille Klingeln und Dröhnen in den Ohren hörte Lee das gellende Wiehern eines Pferdes. Er warf sich hoch, drückte mit den Händen und dem Oberkörper gegen den Deckel, und endlich gaben die Bretter nach. Cranston gelangte in die Hocke, spürte das Schwanken des Wagens und rief laut: „Hoo, ruhig, bleib ruhig, es ist ja nichts passiert.“ Sofort hörte das Wiehern und das Stoßen auf. Der Klang der menschlichen Stimme hatte das alte Deichselpferd beruhigt. Der stechende Schmerz in Cranstons Kopf wich einem dumpfen Pochen, und allmählich veränderte sich der Ton in seinen Ohren zu einem Summen. Bevor Lee den Sarg endgültig verließ, stieß er die Hülsen aus der Trommel und lud nach. Durch zwei kleine Fenster drang Mondlicht in den Raum. Undeutlich erkannte Cranston die Werkstatt eines Tischlers und ahnte, was geschehen war. Denn Lee erinnerte sich an die Worte des Rothaarigen, der davon gesprochen hatte, daß der alte Kerl betrunken sei. Sicherlich hatte der Sargmacher den Auftrag, den Fremden sofort zu begraben. Aber in seiner Trunkenheit hatte der Mann den Befehl entweder vergessen oder mißachtet. Und das war Lees Glück gewesen! Er sprang von dem Flachwagen und huschte zum großen Tor der Werkstatt. - 99 -
Es ließ sich lautlos öffnen. Wie ein Schatten verschwand Lee in der Nacht. Er ging lautlos mit langen Sehritten über die Schneedecke. Lee mußte zum Mietstall, mußte sehen, ob der Falbe tatsächlich dort stand. Aufmerksam beobachtete Cranston die Main Street. Nur sechs Pferde standen an dem Hitchrack vor einem Saloon. Natürlich waren es Murdock-Tiere. Aber Lee mußte sich erst um seinen Falben kümmern, bevor er sich die Reiter der Ranch vornehmen konnte; denn es waren sechs Männer gewesen, die ihm am Ende der Schlucht aufgelauert hatten. Cranston erreichte den Mietstall und preßte sich horchend gegen die Bretter. Nur Tiere schienen im Innern des Stalles zu sein, denn trotz angestrengten Lauschens vernahm Lee keine anderen Geräusche. Vorsichtig öffnete er die kleine Tür, die in dem großen Schiebetor eingelassen war und trat in den Stall. Zwei Laternen hingen hoch oben an einem Balken und tauchten die Boxen in schwaches, gelbliches Licht. Cranston erkannte sein Pferd sofort. Es war noch gesattelt, ganz so, als ob der Besitzer in wenigen Minuten zurückkommen würde. Lautlos huschte Lee zum Tor, öffnete es und holte den Falben. Schon im Gang saß Cranston auf und zog an den Zügeln. Das Tier ging an und marschierte zum Loring Saloon. Die sechs anderen Pferde standen noch immer am Hitchrack. Lee saß ab, schlang die Zügel seines Falben um die - 100 -
Stange und trat an die Pendeltür. Zuerst sah er den Rothaarigen. Der Kerl hielt sich mit beiden Händen an dem glattpolierten Balken fest, der oben an der Kante des Tresens befestigt war. Lee sah zum Himmel und erkannte am Stand des Mondes, daß es mindestens drei Uhr nachts sein mußte. Und die Halunken hatten schwer geladen. Sicher war ihnen ihr Sieg leicht vorgekommen, und sie konnten der Verlockung, diesen Sieg zu feiern, nicht widerstehen. Daher hatten sie auch die Schüsse nicht gehört, die Lee vor kurzer Zeit abgefeuert hatte, um sich aus seinem Gefängnis zu befreien. Und die anderen Bürger verkrochen sich bestimmt unter die Bettdecken, wenn es um diese Zeit in Loring knallte. Denn sie alle fürchteten sich vor Spencer Murdock und seinen Reitern. Lee öffnete die Tür, glitt in den Raum und trat sofort zwei Schritte zur Seite. Vom Keeper war keine Spur zu sehen. Halb volle und leere Flaschen standen auf der Theke. Es stank nach Schnaps und Zigarettenrauch. Cranston fragte sich, warum die Kerle nicht auf dem Stiefelhügel nachgeschaut hatten, ob der Sargmacher seine Anweisungen ausgeführt hatte, und Lee fand keine Erklärung. Aber er sah, daß er mit den betrunkenen Kerlen leichtes Spiel haben würde. Mit einigen langen, gleitenden Schritten erreichte Cranston den Tresen, packte mit der Linken die Haare eines der Männer und zog mit der Rechten den Colt. - 101 -
Der Schlag wirkte wie abgezirkelt, und der Lauf traf den Burschen hinter dem Ohr. Nach einigen Sekunden hatte Lee vier der Banditen niedergeschlagen. Aber der Rotschopf schien die Witterung eines Tieres zu haben. Er hob den Kopf, starrte Cranston aus blutunterlaufenen Augen an und stieß einen leichten Schrei aus. Die Rechte des Mannes fiel auf den Griff des Revolvers, zerrte die Waffe halb aus dem Holster, aber da war Lee auch schon über ihm. Es krachte, als der Kopf des Rothaarigen Bekanntschaft mit dem Coltlauf machte, und dann sank der Kerl zusammen. Auch der letzte der Burschen leistete keinen Widerstand, denn er war viel zu betrunken. Lee überlegte sich, was er mit den Halunken anfangen sollte. Eigentlich gehörten sie nach Malta, ins Jail der Bezirkshauptstadt, aber dafür hatte Cranston keine Zeit, denn bis Malta waren es gut vierzig Meilen. Und dann hatte Lee einen guten Einfall. Er würde die Halunken in die Nähe von Murdocks Ranch bringen, gefesselt natürlich. Dort konnten sie so lange um Hilfe schreien, bis sie jemand hörte und befreite. Lee lief aus dem Haus, rannte zur Werkstatt des Sargtischlers und öffnete das Schiebetor. Geduldig zog das Deichselpferd den Wagen heraus. Mit einer kräftigen Armbewegung stieß Cranston den Sarg von der Ladefläche und führte den Flachwagen zum Saloon. - 102 -
In den Satteltaschen der Kerle fand Lee genügend Lederriemen, um alle Halunken zu verschnüren. Kurze Zeit später trabten die sechs Reitpferde hinter dem Wagen her. Sie waren mit langen Leinen angebunden und folgten willig. Die besinnungslosen Banditen lagen nebeneinander auf der Plattform. Sie waren von Decken umhüllt, damit sie in der kalten Nacht nicht erfroren, und jeder einzelne der Kerle war an der Ladefläche festgebunden. Lee erreichte die Barnes-Schlucht, fuhr vorbei und gelangte auf Murdocks Land. Das Zugpferd ging langsam und gleichmäßig. Als es nach Cranstons Gefühl etwa acht Meilen zurückgelegt hatte, zügelte er das Tier und horchte in die Nacht. Aus weiter Ferne drang das Geräusch von galoppierenden Pferden durch die Dunkelheit. Lee nahm das Wurfseil, holte aus und klatschte dem Deichseltier das Ende des Riemens auf die Hinterhand. Das Pferd erschrak, zog an, stemmte sich mit aller Macht ins Geschirr und riß den Wagen voran. Das alte Tier griff mächtig aus, denn sicherlich erwartete es, noch mehr Schrecken zu erleben, als ihm bereits widerfahren waren. Die Reitpferde der Halunken folgten dem Wagen. Lee zog am Zügel. Willig drehte sich der Falbe, und Cranston brachte ihn nach einem kurzen Stück in Galopp. Cranston ritt zur Schlucht, wo Linda hoffentlich nichts zugestoßen war. Doch je näher Lee dem Tal kam, desto stärker wurde eine furchtbare Gewißheit in ihm. Er spürte, daß Linda nicht mehr dort war. Und er fühlte so etwas wie Angst in sich aufsteigen. - 103 -
Denn mit Linda besaß Spencer Murdock einen Trumpf, den Lee nicht mißachten konnte. Auf einmal wußte er, daß er Linda liebte, wenn er sie auch kaum kannte. Und dabei war Mondlicht erst seit wenigen Tagen tot. Aber Lee wußte, daß man sich gegen seine Gefühle nicht auflehnen konnte. Und er wußte auch, daß Mondlicht sein Verhalten gebilligt hätte, denn zwischen ihr und Lee war es damals genau so gewesen. Cranston unterdrückte seine Besorgnis, die ihm unbewußt - schon zum Verhängnis geworden war, als er die Packpferde einfangen wollte. Er wurde wieder zu einem kalten, harten Kämpfer. Und sein Gefühl für die junge Frau hatte nichts damit zu tun, daß er Vergeltung für Mondlicht forderte. *** Lee erreichte das Blockhaus, sprang in gut vierzig Yard Entfernung aus dem Sattel und rannte in weiten Zickzacksätzen auf das Haus zu. Während des Laufens zog er den Colt. Und als Cranston die Tür erreichte, die weit offen stand, sprang er mit vorgehaltenem Revolver in das Innere des Hauses. Sofort schnellte sich Lee zur Seite, rollte zweimal um sich selbst und kam neben dem Herd wieder auf die Beine. Cranston blieb in der Hocke und hielt den Colt schußbereit. Nichts rührte sich. Der Herd war kalt, das Feuer erloschen. Und all seine Sinne sagten Lee, daß niemand hier war. - 104 -
Lautlos stand er ganz auf, huschte zur Tür und schloß sie. Erst dann fingerte er ein Zündholz aus der Tasche der hirschledernen Weste und riß es am Türbalken an. Im Schein der kleinen Flamme entdeckte Lee die Kerosinlampe und entzündete den Docht, den er ganz niedrig drehte. Und dann suchte Cranston das Blockhaus ab. Nichts war in Unordnung, nichts durchwühlt, aber von Linda war keine Spur zu sehen. Ihre Kammer lag leer vor Lee. Sein Gepäck fand er neben dem Ofen, und als er es hastig durchwühlte, stellte er fest, daß nichts fehlte, nicht mal die drei Säckchen mit dem Gold. Vorsichtig verbarg Lee die Lampe unter seiner Jacke und verließ das Haus. Im Stall holte er die Laterne hervor und drehte den Docht höher. Lindas Pferd war ebenfalls weg. Und als sich Lee umwandte, hinausgehen wollte, sah er den Zettel, der mit einem Messer an einen Balken geheftet war. Cranston hielt die Lampe höher. „Wir wissen, daß du es geschafft hast“, las Lee laut vor. „Aber wir haben Linda Barnes. Komm um elf Uhr in die Stadt. Der Boß erwartet dich.“ Eine Unterschrift fehlte, aber Lee war klar, von wem dieser Zettel stammte. Nur Murdock konnte Linda entführt haben. Nachdenklich ging Cranston ins Haus zurück und fachte das Feuer im Herd wieder an. Lee machte sich etwas zu essen, kochte Kaffee und dachte nach, während er aß. - 105 -
Die Spuren wiesen darauf hin, daß Linda bereits in der Nacht entführt worden war. Und da lag Lee noch besinnungslos im Sarg in der Werkstatt des betrunkenen Tischlers. Murdock und seine Männer mußten annehmen, daß ihr Plan Erfolg gehabt hatte. Weshalb ließ der Rancher dann Linda entführen? „Irgendjemand muß festgestellt haben, daß ich nicht auf dem Stiefelhügel liege“ , sagte Lee halblaut. „Wieso betranken sich die sechs Halunken so fürchterlich? Sie wurden doch bestimmt auf der Ranch erwartet und hatten Murdock zu berichten, daß sein Plan mit mir nicht geklappt hatte.“ Und dieser Jemand konnte den Reitern der Ranch Befehle geben, denen sie widerspruchslos gehorchten. „Der Vormann und Frank Murdock“, sagte Lee laut und setzte die Tasse hart auf die Tischplatte. Nur so konnte es sein! Die sechs Kerle waren auf dem Heimritt zur Ranch, als sie diesen Dan Prentiss und den Sohn des Ranchers trafen und ihnen von dem Plan des Bosses erzählten. Die beiden Männer, die sich in der Heimat sicher wähnten, wurden mißtrauisch. Denn wenn ihr Verfolger es geschafft hatte, vor ihnen hier zu sein, war er ein mächtig gefährlicher Mann. Und es war besser, sich von dem wahrhaftigen Gelingen des Planes zu überzeugen. „Aber der Stiefelhügel war leer“, sagte Lee halblaut. „Es gab kein frisch zugeschaufeltes Grab dort, und entweder dieser Prentiss oder Frank Murdock hatten sofort eine andere Idee.“ Und auf einmal wußte Lee, was die Kerle bewogen hatte, auf seine Beerdigung zu verzichten: Linda mußte - 106 -
es sein. Sie wußten nicht, was er inzwischen alles dem Mädchen erzählt. Und mit Linda Barnes hatten sie einen richtigen Trumpf gegen Lee in der Hand. „Sie erwarten mich in der Stadt, nun gut“, murmelte Cranston und stand auf. Er ging zum Herd, deckte Asche über die Glut und verließ das Haus. Sorgsam schloß er die Tür hinter sich, wandte sich um und hob den Kopf und betrachtete den Himmel. In einer guten Stunde würde die Sonne im Osten aufgehen. Und diese Stunde war die Zeit zwischen Nacht und Tag, in der alle Konturen verwischt wirkten. Selbst die Schneedecke wirkte nicht mehr weiß und hell, sondern eher grau. Und genau das brauchte Lee Cranston, denn er wollte erst zur Murdockranch, bevor er in die Stadt ritt. Vielleicht war Linda dort, auf der Ranch, und der Boß hielt sie verborgen. Lee schwang sich in den Sattel und ließ den Falben angehen. Das Tier fiel nach wenigen Schritten in Galopp und jagte davon. Cranston schlug die gleiche Richtung ein, aus der er vorhin gekommen war. Mit etwas Glück hatte man die sechs stockbetrunkenen Halunken noch nicht gefunden. Und so war es auch! Lee fand den Wagen unweit der Stelle, an der dem Deichselpferd die Leine über die Hinterhand geschlagen war. Die Banditen waren noch immer bewußtlos; ob von dem Schlag mit dem Revolverlauf oder vom Whisky, vermochte Lee nicht zu sagen. - 107 -
Sorgsam sah er sich um und entdeckte eine kleine Senke, die mit jungen Hemlocktannen bewachsen war. Cranston ritt dort hin und stieg ab. Er klopfte dem Pferd den Hals und sagte: „Ich komme wieder, mein Junge, und dann haben wir es bald geschafft. „ Lee band die Zügel am Stamm der kräftigsten Tanne fest und ging mit federnden Schritten zum Wagen zurück. Minuten später hatte der schlanke Mann die Fesseln gelöst, welche die sechs Bewußtlosen auf der Plattform hielten. Lee band die Kerle wieder fest und legte die Decken locker über sie. Und er sorgte dafür, daß für ihn selbst genügend Platz blieb. Nachdem Lee sich einen langen Stock gesucht hatte, kroch er unter die Decken, daß er kaum zu sehen war und stieß das Deichselpferd mit dem Knüppel an der Hinterhand an. Das Tier zog an, zog den Wagen langsam weiter. Ab und zu mußte Lee nachhelfen, stieß mit dem Stock, so wie die Maultiertreiber des Südens ihre Mulis antrieben, und das Wagenpferd marschierte brav voran. Die Ranch konnte nicht mehr weit entfernt sein. Lee dachte an den Hufschlag, den er vor einiger Zeit gehört hatte. Eine starke Mannschaft mußte die Ranch verlassen haben. Und Cranstons Hoffnung, daß er Linda hier finden würde, sank in sich zusammen. Er spähte unter der Decke hervor. Gebäude lagen in einer knappen halben Meile Entfernung. Deutlich erkannte Lee die Rauchfahne, die aus dem Schornstein des Haupthauses steil in die Luft stieg. Es war windstill, und kein Geräusch war von der - 108 -
Ranch her zu hören. Noch konnte Cranston es wagen, das Zugpferd anzutreiben, aber bald mußte er den Stock fallen lassen und hoffen, daß das Tier weiterging. Lee hatte Glück. Das Pferd witterte die Artgenossen, den Stall und marschierte geradewegs auf die Ranch zu. Langsam ließ Cranston die Decke sinken und zog den Revolver. Nichts rührte sich in den Gebäuden. Und doch spürte Lee, daß der Wagen beobachtet wurde, er spürte es mit den unerklärlichen Sinnen des Kämpfers, des Mannes, der mit den Gefahren vertraut ist. *** Langsam öffnete sich die Tür die Haupthauses. „Warte, es könnte ein Trick sein!“ rief ein Mann aufgeregt. „Unsinn, ich wette, ich weiß, wer dort unter den Decken liegt“, antwortete eine andere Stimme. „Es sind die Burschen, die sich in Loring betrunken haben. Und irgendwie brachte dieser verfluchte Cranston den Sargmacher dazu, die Kerle herzufahren. Sicher hockt der alte Trottel jetzt in guter Deckung und zittert vor Angst.“ Lee erkannte nicht viel durch den Spalt zwischen den Decken, aber er sah blonde Haare! „Hee, wieso ist der Sargmacher nicht deinem Vater und der Mannschaft begegnet?“ fragte der erste Sprecher aufgeregt. „Denk doch mal nach, Frank, bei dem Zotteltempo muß der Wagen doch noch in der Nacht in Loring abgefahren sein. Sie müssen deinem Vater begegnet - 109 -
sein.“ „Na und?“ fragte Frank Murdock. „Was sollen Dad und Dan mit diesen Schnapsleichen anfangen? Für einen Kampf taugen sie doch nichts. War schon richtig, daß er den Alten weiterfahren ließ. Nimm dir ein Pferd und suche ihn. Ich kümmere mich um die Burschen hier. Sag den anderen in der Bunk Bescheid, daß sie mir helfen sollen. Dafür werden sie ja wohl nicht zu fein sein, wenn sie auch mit den anderen Sachen nichts mehr zu schaffen haben wollen.“ Der zweite Mann verließ das Haus und steckte seinen Revolver ins Holster. Lee atmete tief durch. Ein Teil der Mannschaft hatte also mit Spencer Murdock und seinen Machenschaften gebrochen. Und diese Reiter befanden sich im Bunkhouse. Würden sie eingreifen, wenn Lee angriff? Cranston wußte es nicht, und es war ihm eigentlich auch gleichgültig. Er mußte Frank Murdock schnappen, dann würde es keiner wagen, auf ihn zu schießen. Und Frank, der letzte Sohn des Ranchers war ein ausgezeichneter Gegentrumpf zu Linda, die sich in den Händen von Franks Vater befand. Lee wartete ab, bis der zweite Mann ein paar Yards entfernt war. Und dann zog Cranston die Beine an den Leib, stieß sich ab und schnellte wie ein Aal unter der Decke hervor. Frank Murdock fuhr herum. Seine Hand umklammerte den Griff des Revolvers, wollte ziehen, aber da sah er die Mündung und stand stocksteif. „Sieh her!“ gellte die Stimme des anderen Burschen. Lee blickte aus den Augenwinkeln hinüber. - 110 -
Der zweite Mahn hielt seinen Revolver in der Hand, war bereit zu schießen und sah sicher eine riesengroße Chance. „Laß es sein, Junge“, sagte Cranston hart und spröde. „Du fängst eine Kugel, wenn du es versuchst.“ „Du kannst uns nicht beide erwischen, das schaffst du nicht“, hetzte der junge Kerl. „Ich kann es, und du weißt es auch“, antwortete Lee gelassen. Er blickte den jungen Murdock an, dessen Augen die Unsicherheit zeigten, die in ihm aufgebrochen war. „Verdammt, Mann, was wollen Sie überhaupt von mir?“ fragte Frank schließlich. Lee verzog keine Miene als er sagte: „Ich werde dich töten, Frank Murdock, denn du bist ein Mörder, ein Schuft der übelsten Sorte, Unkraut, Raubzeug, das ausgerottet werden muß.“ „Wenn Sie mich erschießen, ist das Mord!“ gellte die Stimme des Ranchersohnes. „Du bekommst deine Chance“, versprach Lee kalt. „Der junge Wild Bill soll seinen Colt einstecken und sich aus der Sache raushalten.“ „Das mache ich nicht“, rief der junge Mann schrill, „dann passiert nämlich überhaupt nichts. Wir stehen noch hier, wenn der Boß zurückkommt, und der macht kurzen Prozeß mit Ihnen, Mister. Der läßt sie einfach aufknüpfen. Aber das kann er sich sparen, denn ich jage Ihnen jetzt eine Kugel in den Leib!“ „Sobald du auch nur eine Bewegung machst, töten wir dich“, sagte ein Mann vom Bunkhouse her. „Laß deinen Colt fallen, Billyboy und komm rückwärts her,“ Aus den Augenwinkeln sah Lee, daß der Junge aufgeben würde. - 111 -
Und dabei hatte noch vor Sekunden seine Stimme schrill geklungen, so, als wolle er wahrhaftig abdrücken. Der Revolver des jungen Mannes namens Billy fiel auf den festgestampften Schnee des Ranchhofes. „Geben Sie Frank seine Chance, Cranston?“ fragte ein Mann. Lee nickte und sagte: „Natürlich.“ Er steckte den Revolver ein, aber er hatte den Griff noch nicht losgelassen, als Frank Murdock zog. Er war nicht fair, der junge Rancher. Aber wie sollte er das auch sein, denn diesen Begriff kannte er nicht, hatte er nicht bei seinem Vater und dessen hartem Vormann Dan Prentiss gelernt. Für einen winzigen Moment sah es so aus, als hätte Frank wahrhaftig eine Chance. Aber Lee Cranston war schneller. Denn er verfügte über die Erfahrung aus zahllosen Kämpfen und war sich seiner selbst sicher. Sein Colt donnerte, und Frank Murdock, einer der Mörder Mondlichts, sank sterbend in den Schnee. Lee fuhr herum, hielt den Revolver wachsam in der Faust, aber die Männer seitlich von ihm, die aus dem Bunkhouse gekommen waren, hielten ihre Waffen gesenkt. „Wir wissen, was die Kerle in den Rockies und in Kanada getrieben haben, Cranston“, sagte ein grauköpfiger Mann. Lee erkannte einen der Cowboys, die ihn am ersten Abend in Loring empfangen hatten. Und Lee sah auch die beiden Verwundeten wieder, die ihn schief angrinsten. „Wir reiten, wenn wir unseren restlichen Lohn haben“, sagte der Graukopf. „Frank hat den Schlüssel zum - 112 -
Schreibtisch. Wir holen uns nur, was uns zusteht.“ Cranston nickte nur. Er wartete, bis drei Männer dem toten Frank den Schlüssel aus der Tasche genommen und ins Haus gegangen waren. „Wir schämen uns, daß wir für einen Mann wie Spencer Murdock geritten sind“, sagte der Grauköpfige halblaut. „Dieses Hängen, diese erbarmungslosen Verfolgungen und die Selbstherrlichkeit Murdocks haben schon zu lange angedauert.“ „Ich brauche Informationen“, sagte Lee flach. „Wo ist Linda Barnes? Wo halten sich Murdock und Prentiss versteckt? Steht die übrige Mannschaft voll auf ihrer Seite?“ „Sie sind in Loring“, antwortete der Cowboy. „Murdock besitzt dort ein Haus. Dort wird er sich selbst und die junge Frau verbergen, denke ich. Dan Prentiss und die anderen werden im Saloon warten. Und was die anderen Reiter angeht, nun, die sechs, die dort auf dem Wagen liegen, waren neben Billyboy die schlimmsten. Die anderen werden aufgeben, wenn sie niemanden mehr haben, der ihnen Befehle gibt.“ „Danke, Sie haben mir sehr geholfen“, sagte Lee. „Wo liegt das Haus, wie komme ich ungesehen hinein?“ Der Grauhaarige kratzte sich am Kopf und antwortete: „Es liegt direkt neben dem Mietstall. Früher gehörte es dem Stallmann, aber jetzt schläft er auf dem Heuboden, denn Murdock hat ihm eine Stange Geld für das Haus gezahlt. Er hatte eben die fixe Idee, ein Großrancher müsse ein Haus in der nächsten Stadt haben. Und wie Sie hinein gelangen, wird Ihnen der Stallmann besser sagen können als ich.“ Lee blickte den jungen Billy an, der irgendwie Unruhe ausstrahlte. - 113 -
Auch der Graukopf schien das zu spüren. Er schaute den Jungen an und fragte: „Na, Billyboy, willst du doch gegen Cranston antreten?“ Der Junge zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. „Aber er führt was im Schild“, sagte Lee langsam. „Ich kann mir auch vorstellen, was er sich gerade denkt“, meinte der Graukopf grimmig. „Er denkt, daß wir davon reiten. Und er denkt, daß er sich dann einen Gaul zwischen die Beine klemmen kann und nach Loring saust, um Murdock zu warnen. Aber das denkst du nur, Billy, es gelingt dir nicht. Wir bleiben nämlich noch zwei oder drei Stunden hier und passen auf, verstehst du?“ Lee schaute zu den noch immer reglosen Gestalten auf dem Flachwagen und sage: „Gebt ihm doch eine tüchtige Ladung Whisky zu trinken. Dann könnt ihr in Ruhe packen und Proviant zurechtmachen.“ Der Grauköpfige grinste und meinte: „Das ist eine gute Idee, Billy trinkt sonst nämlich nie. Er fürchtet, daß das seiner Schnelligkeit mit dem Colt schaden könnte. Er will nämlich einer der ganz Großen mit dem Colt werden.“ Lee schüttelte leicht den Kopf und sagte: „Dazu reicht es wohl nicht, Junge.“ Billy lächelte verzerrt und antwortete: „Dan Prentiss wird Ihnen schon zeigen, wer schneller ist, Mister. Sicher, ich kenne Ihren Namen, ich kenne die Namen aller großen Schützen, aber von Ihnen habe ich in den letzen Jahren nichts mehr gehört. Ich denke, Sie sind langsamer geworden, und ich hoffe, er erwischt Sie. Prentiss trainiert mit mir, und er sagt, eines Tages werde ich so schnell wie er sein.“ Cranston holte Luft und winkte ab, als der Grauhaarige sprechen wollte. - 114 -
„Das ist es eben, Billy“, sagte Lee leidenschaftslos, „du trainierst, und dieser Prentiss sicher auch?“ Der Junge nickte nur. „Ich habe in meinen ganzen Leben, und ich bin jetzt beinahe vierzig Jahre alt“, fuhr Lee fort, „noch keine einzige Minute geübt.“ Mit offenem Mund staunte Billy den großen Mann an. „Und noch etwas“, meinte Cranston, „meinen Namen kennt man noch jetzt, da ich kein professioneller Kämpfer mehr bin. Aber ich habe noch nie etwas von Dan Prentiss gehört. Vielleicht stand er auf der anderen Seite des Zaunes, vielleicht ist er ein Gunslinger, ein Mörder. Aber das ist ja sicher. Denn wer Frauen belästigt und anschließend ermordet, kann kein Kämpfer sein.“ Lee nickte dem grauhaarigen Cowboy zu, der sich Cranstons Worte ebenfalls angehört hat. „Ich verschwinde“, sagte Lee. „Wenn es mir gelingt, schaffe ich Murdock nach Malta zum Sheriff. Wäre nett, wenn ihr euch auch dort einfinden würdet. Es geht nur um den Anschlag auf mich in der letzten Nacht und um die Entführung Lindas. Wenn ihr etwas wißt, kann das sehr wichtig für den Richter sein.“ „Wir reiten hin“, versprach der Grauhaarige. Lee lud seinen Revolver nach und ging mit federnden Schritten vom Ranchhof. Nach hundert Yard fiel er in eine Art Indianertrab, der ihn schnell zu seinem Pferd brachte. Und kurze Zeit später galoppierte der Falbe auf Loring zu.
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Lee verhielt sein Pferd auf den Hügeln und beobachtete lange Zeit die Stadt, die unter ihm lag. Nirgendwo sah Cranston einen Wächter, einen Posten. Spencer Murdock schien noch immer sehr selbstsicher zu sein. Er fühlte sich wahrhaftig als der große Mann dieser Gegend und hatte es nicht nötig, wegen eines Fremden Wächter auszuschicken. Zudem besaß der Rancher ja ein Faustpfand: Linda Barnes. Lee preßte seinem Pferd die Hacken in die Seiten. Das Tier ging an und marschierte im Schritt auf die Stadt zu. Cranston achtete darauf, immer in Deckung der Häuser zu bleiben. Die Sonne schien nur fahl, und dunkle, schneeschwere Wolken zogen über den Himmel. Die ansonsten weiße Fläche der Schneedecke über dem Land wirkte grau und verwaschen. Lee verhielt den Falbhengst eine halbe Meile vor der Stadt und stieg ab. Abermals beobachtete Cranston lange Minuten die Häuser. Aber nichts rührte sich. Lee zog die Winchester aus dem Scabbard und hebelte eine Patrone in das Lager und entspannte den Hahn vorsichtig. Und dann lief der große Mann los, als laufe er entlang seiner Fallenstrecke in den Wäldern der Rockies. Knapp zehn Minuten später erreichte Lee die Häuser und preßte sich dicht neben einer Regentonne, die eine mächtige Schneehaube aufwies, gegen die Wand eines Hauses. Der Mietstall lag nur drei Gebäude entfernt, und Cranston wußte nicht, welches Haus Murdock gehörte, denn der Stall wurde zu beiden Seiten von Wohnhäusern - 116 -
begrenzt. Lee arbeitete sich weiter vor, duckte sich unter den Fenstern, die nach hinten führten und erreichte die Rückwand des Stalles. Vorsichtig lockerte Cranston mit dem Bowiemesser drei Bretter und bog sie schräg nach oben. Die Lücke war groß genug. Lee schlüpfte hindurch, zerrte die Bretter so gut es ging wieder heran und richtete sich halb auf. Lange lauschte der große Mann, aber nur die Geräusche der Pferde waren zu hören. Und als sich Lees Augen an das Dämmerlicht im Stall gewöhnt hatten, lief er lautlos weiter, bis er die Leiter erreichte, die auf den Heuboden hinaufführte. Geräuschlos stieg Cranston die Sprossen hoch und nahm selbst die Winchester mit. Lee schob den Kopf durch die Luke und atmete ganz vorsichtig, damit ihn der feine Staub nicht zum Niesen reizte. Cranston erkannte einen Mann, der sich vorne an die Bretter preßte und offensichtlich durch ein Astloch oder eine Lücke im Holz auf die Main Street spähte. Jetzt bog sich der Mann etwas zurück, zog eine Uhr aus der Tasche und ließ den Klappdeckel aufspringen. „Gleich elf“, murmelte der Stallmann, „verdammt, wenn er doch so viel Verstand hätte, zu mir zu kommen. Aber sicher ist dieser Revolvermann ein ganz hartmäuliger Kerl, der es nicht nötig hat, auf einen alten Mann zu hören oder gar Ratschläge anzunehmen.“ Lautlos huschte Lee auf den Heuboden. Kein Geräusch drang unter seinen Stiefelsohlen hervor, als er dicht hinter dem Alten stand und ihm von hinten die Hand vor den Mund preßte. - 117 -
Gleichzeitig flüsterte Lee: „Er hat Verstand genug gehabt, er ist nämlich hier. Kann ich dich loslassen, Mister?“ Der Alte nickte heftig mit dem Kopf, und Lee gab den Mund des Mannes frei. „Teufel auch, Mister, kannst du fliegen?“ fragte der Stallmann leise. „Ich habe nichts gehört, und ich bilde mir seit Jahren auf mein gutes Gehör etwas ein.“ „Keine Zeit dafür“, rauhte Cranston. „Wie komme ich von hier in das Haus, das Murdock gehört? Ist Linda Barnes dort drin?“ „Sie ist mit dem Rancher dort, im Erdgeschoß“, antwortete der Stallmann. „Komm, ich zeige dir, wie du ins Haus kommst.“ „Wo sind die Männer und Dan Prentiss?“ fragte Lee. „In den Saloons verteilt, aber der Vormann hockt ebenfalls hier unten“, .jagte der Alte. „Ich belauschte sie. Sie wollen dich richtig fertig machen. Zuerst erzählt dir Murdock, daß er Linda hat, und daß du aus dem County verschwinden sollst. Und dann tut Prentiss so, als sei er wild auf einen Kampf. Und er ist sicher, daß er dich erwischen wird, Revolvermann.“ Lee lächelte nicht. „Es ist möglich“, sagte er nur. Der Alte nickte und meinte: „Ich denke, du bist besser als dieser Dan Prentiss. „Er ist eigentlich nur ein Schießer, mehr nicht.“ Lee folgte dem Stallmann zu einer Luke, die hinter zusammen gepreßtem Heu verborgen lag. Mit einem Ruck räumte der Alte den Ballen zur Seite und raunte: „Die Tür ist schon auf. Hier oben sind nur die drei kleinen Schlafzimmer. Wollte nämlich mal ein Hotel zu dem Stall aufmachen, aber hier ist zu wenig Betrieb, - 118 -
Mister. Da lasse ich die Burschen lieber für zehn Cents hier auf dem Heuboden schlafen und habe keine Arbeit.“ Lee drückte vorsichtig gegen die Luke, die lautlos zurückschwang. „Paß auf die Treppe auf“, murmelte der Alte kaum hörbar, „sie knarrt wie ein Ochsenfrosch im Sommer.“ Lee nickte, wandte sich um und stellte die Winchester in den Stall zurück. Hier, im Haus, würde ihn das Gewehr nur behindern. Cranston glitt an die Wand und verlagerte vorsichtig sein Gewicht auf die erste Stufe. Kein Knarren, nicht das geringste Geräusch klang auf. Behutsam ging Lee langsam hinab und verharrte auf der letzten Stufe. „Elf Uhr, Dan, geh mal zu den Männern und spendier ihnen eine Runde“, sagte Murdock. „Hoffentlich kommt der Kerl auch. Er ist gerissen genug, um zuerst auf meiner Ranch nach dem Girl zu suchen.“ „Ach was, dazu ist er viel zu neugierig“, antwortete eine harte Stimme. „Er will wissen, wieso wir das Mädchen entführten, obwohl wir ihn doch für begraben und tot halten mußten.“ Spencer Murdock lachte rauh auf. „Ich wette, das macht ihm Kopfschmerzen“, sagte der Rancher. „Woher soll er denn auch wissen, daß Frank und du auf die Männer gestoßen seid, die Cranston in die Kiste verfrachtet hatten.“ Es war also genau so, wie Lee vermutet hatte. „Aber du hättest beinahe einen Fehler gemacht, Spencer“, sagte der Vormann. „Diese Linda haßt dich inzwischen wie die Pest. Sie wäre bestimmt zum Sheriff nach Malta gelaufen und hätte einen so höllischen Wirbel veranstaltet, daß der Sternträger um eine Untersuchung - 119 -
nicht herumgekommen wäre.“ „Schon gut“, sagte Murdock schroff, „geh jetzt und gib die Runden aus.“ Lee duckte sich, lag beinahe flach auf der Treppe, als sich links neben ihm eine Tür öffnete und ein langer, schlanker Mann herauskam. Cranston sah den Burschen nur für Sekunden, aber er erkannte den Schnauzbart und die schwarzen Haare. Sicherheitshalber wartete Lee, bis Dan Prentiss in einem Saloon verschwunden sein mußte und trat von der letzten Stufe auf den Boden. Mit einem langen Schritt ging Cranston zur Tür, drehte den Knopf vorsichtig, und öffnete die Tür einen kleinen Spalt weit. Spencer Murdock saß in einem großen Sessel, der mit einem Bezug aus geblümten Stoff wie der Sessel eines Bischofs wirkte. Und der Rancher schaute zum Fenster hinaus, denn der Sessel stand mit seiner Lehne zur Tür. Vorsichtig öffnete Lee ganz, trat mit drei langen, vollkommen lautlosen Schritten hinter die Rückenlehne und zog den Revolver. Metallisch rastete der Hahn ein. Murdock wollte hochspringen, aber Lee sagte mit flacher Stimme: „Laß es sein, Rancher. Ich habe dich endgültig.“ Vorsichtig wandte der Pferdezüchter den Kopf, sah schräg hinauf und erkannte den erbarmungslosen Ausdruck in Cranstons pulvergrauen Augen. Und auf einmal spiegelte sich so etwas wie Furcht im Gesicht des großen Ranchers wieder. „Mein Vormann ist hier, er kann jeden Moment reinkommen“, stöhnte Murdock. „Nein, er ist nicht hier“, antwortete Lee kalt. „Prentiss - 120 -
ging in die Saloons um Freiwhisky auszugeben.“ „Was hast du mit mir vor, Cranston?“ wollte Murdock wissen. „Ich bringe dich zum Sheriff nach Malta“, antwortete Lee. „Der Mordanschlag auf mich und Lindas Entführung reichen für fünfzehn oder zwanzig Jahre Staatsgefängnis, wenn du nicht sogar aufgeknüpft wirst.“ „Mein Sohn Frank wird mich rausholen“, versprach der Rancher grimmig. „Und dann ist ja auch noch Prentiss da. Er ist ein Könner mit dem Colt, und er wird dich schlagen, Cranston.“ „Dein Sohn Frank ist tot“, sagte Lee leise. „Er starb auf dem Ranchhof, als er ziemlich unfair war, obwohl ich ihm einen fairen Kampf zugesagt hatte.“ Sekundenlang saß der Züchter wie erstarrt, aber dann schnellte er hoch, griff zum Revolver, doch er hatte keine Chance. Lee schlug zu, und Murdock sank bewußtlos in den Sessel zurück. Cranston lief aus dem Zimmer, öffnete die nächste Tür und sah Linda, die gefesselt und geknebelt auf einem harten Stuhl saß. Blitzschnell zerschnitt Lee die Stricke, zog dem Mädchen die Tücher aus dem Mund und sagte: „Keine Sorge, es wird alles gut. In wenigen Tagen reiten wir zu mir, in mein Blockhaus.“ Linda nickte nur und streckte ihre Arme nach Lee aus. Aber er wandte sich ab und rief zur Treppe hin. „Hey, ich brauche Stricke oder Riemen. Außerdem solltest du mein Gewehr mitbringen und Murdock bewachen.“ „In Ordnung!“ rief der Stallmann von oben. Sekunden später kroch er durch die Luke und polterte die Stufen herunter. - 121 -
Er grinste Linda zu, lief in den ersten Raum und band den Rancher am Sessel fest. „Mit dem Ding läuft er nicht davon“, sagte der Stallmann zufrieden. „Lee, Lee“, sagte die junge Frau drängend, aber dann begriff sie. Lee Cranston bereitete sich auf den Kampf vor. Der Mann konnte sich jetzt nicht mit anderen Gefühlen belasten. Er konzentrierte sich ganz auf das, was ihm bevorstand. „Er kommt aus dem Saloon“, rief der Stallmann unterdrückt. „Er war schon auf der anderen Seite. Verdammt, hoffentlich greifen die wilden Burschen nicht ein.“ Lee entspannte den Revolver und steckte ihn ins Holster. Und dann ging Cranston auf die Haustür zu, stieß sie auf und trat in den dämmerigen Wintermorgen hinaus. *** Abrupt blieb Dan Prentiss stehen. Er befand sich mitten auf der Straße, die durch den festgestampften Schnee gekennzeichnet wurde. „Aaaahh, der Squaw-Mann!“ rief der Schießer gedehnt. „Was hast du mit unserem Boß gemacht?“ „Gefesselt!“ antwortete Lee, „ich schaffe ihn zum Sheriff nach Malta. Es wird Zeit, daß hier das richtige Gesetz hinkommt, Prentiss.“ „Wolltest du nicht noch etwas anderes von mir?“ fragte der Gunslinger. „Du weißt es“, antwortete Lee hart. „Du hast meine Frau umgebracht.“ - 122 -
„Ich war nicht alleine“, höhnte der Vormann der Murdockranch. „Warum nimmst du dir nicht zuerst Frank vor?“ „Er ist tot“, sagte Lee kurz. „Er hat bezahlt.“ Dan Prentiss stand wie erstarrt. Doch dann stieß er einen bösen, wilden Fluch aus. Die Hand des Gunslingers zuckte zum Griff der Waffe. Und Prentiss war wahrhaftig ein schneller Mann, wenn es um das Ziehen ging. Doch dafür war er zu unruhig beim Schießen, weil ihm die innere Gewißheit fehlte, daß er für eine gerechte Sache kämpfte. Prentiss brachte den Lauf um den winzigen Bruchteil einer Sekunde eher hoch als Lee. Aber der Vormann drückte zu hastig ab und verriß die erste Kugel, die wie ein Peitschenhieb über Lees Rippen fuhr. Cranston hatte beinahe zur gleichen Zeit gezogen, und sein Geschoß traf tödlich. Dan Prentiss sank zu Boden, und der Schnee färbte sich rot. Es klirrte hinter Lee. Der Stallmann hatte mit dem Lauf der Winchester einfach die Fensterscheibe zerschlagen. „Wenn einer von euch Halunken etwas versucht, gebe ich ihm eine Kugel!“ brüllte der Alte. Cranston wirbelte herum, als er das Getrommel von Pferdehufen hörte. Vier Reiter jagten auf die Stadt zu. Lee hob den Revolver, wollte schießen, aber da erkannte er den grauhaarigen Cowboy von der Ranch. Die Männer deckten Cranston mit ihren Pferden und - 123 -
ließen die Tiere um ihn herumgehen. „Hört zu!“ schrie der Grauhaarige, „zwei von uns sind zum Sheriff nach Malta geritten und sorgen dafür, daß ein Aufgebot zusammengestellt wird. In wenigen Stunden sitzt Spencer Murdock im Jail. Gebt auf, rate ich euch. Kommt mit zur Ranch, ich zahle euch aus und schreibe alles für den Sheriff auf.“ Es dauerte nicht lange, nur Sekunden, bis die ersten Männer die Saloons verließen und zwischen den Häusern und im Mietstall verschwunden waren. Zehn Minuten später waren nur noch die drei Cowboys von der ehemaligen Ranch in der Stadt und natürlich Spencer Murdock selbst. Linda kümmerte sich um Lees Wunde, die aber nur. ein harmloser Kratzer war. Und als der Alte sie sah, grinste er und fragte: „Soll ich euch meinen Heuboden zur Verfügung stellen?“ „Nein, wir reiten zu mir“, antwortete Linda, „und in wenigen Tagen gehe ich mit Lee fort.“ Und Cranston lächelte, und diesmal war es ein frohes Lächeln. ENDE
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