Seewölfe 38 1
John Roscoe Craig 1.
Der Seewolf blickte zum Himmel hinauf und musterte mißtrauisch die zerfaserten Wolk...
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Seewölfe 38 1
John Roscoe Craig 1.
Der Seewolf blickte zum Himmel hinauf und musterte mißtrauisch die zerfaserten Wolken. die im unwirklichen Licht der Sonne messinggelb schimmerten. Noch hielt die glühendheiße Brise aus, die die schlanke „Isabella III.“ nach Nordwesten vor sich hintrieb, doch der Seewolf wußte, daß sich der Wind bald legen würde. Die Vorzeichen waren untrüglich. Ben Brighton schlief noch in seiner Kammer. Er hatte die Wache von vier Uhr morgens gehabt. Auch die meisten der anderen Männer schliefen unter Deck, da der Wind bisher mit gleichbleibender Stärke geweht hatte und nur wenige Männer nötig waren, die Segel zu brassen. Viele von ihnen würden von dem Reichtum träumen, den sie in den Laderäumen der „Isabella“ mit sich führten. Ein Lächeln glitt über die Züge des Seewolfs, als er daran dachte, daß seine Beute vielleicht schon größer war als die von Drake, der ein paar Tage weiter nördlich mit der „Golden Hind“ an der Küste entlangsegelte. Obwohl in der Menge am geringsten, so war doch der Schatz, den sie auf der Chincha-Insel Isla del Medio gefunden hatten weitaus am wertvollsten. Hasard hatte die schönsten Stücke in seine Kammer bringen lassen. Immer wieder schaute er. sie sich an, und wenn er daran dachte; mit welcher Brutalität die Spanier diese Kunstwerke einfach einschmolzen, um das reine Metall oder die Edelsteine nach Spanien schaffen zu lassen, schnitt es ihm ins Herz. Er wußte, daß diesen Kleinoden in England wahrscheinlich kein besseres Schicksal beschieden war. Am liebsten hätte er die schönsten Stücke ihren Besitzern zurückgegeben, aber er war sich darüber im klaren, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis sich die Schätze wieder in den Händen der spanischen Conquisadoren befanden. Der Wind war plötzlich verschwunden, als hätte der Himmel aufgehört zu atmen. Die
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Segel begannen zu killen, und Pete Ballie, der am Kolderstock stand, meldete, daß er den Kurs nicht mehr halten könne. Der Seewolf nickte Ferris Tucker zu, der sich unter der Back erhoben hatte. Der rothaarige Riese warf einen kurzen Blick zum Himmel hinauf und wußte Bescheid. „Alle Mann an Deck?“ fragte er. Der Seewolf nickte. „Beeil dich, Ferris“, erwiderte er. „Ich traue dem Frieden nicht. Laß die Segel bergen - bis auf die Fock und die Blinde.“ Ferris Tucker schaute sich um. Bis auf die dünnen, zerfaserten Wolken war am Himmel nichts zu erkennen. Er hob die Schultern. Wenn der Seewolf meinte, es würde ein Sturm aufkommen, so mußte das stimmen. Der schwarzhaarige Satansbraten hatte sich noch nie in solchen Dingen getäuscht. Ferris Tucker konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern. Hasard stand an der Galerie des Quarterdecks und beobachtete die Männer bei der Arbeit. Seit seine Crew um dreizehn Männer angewachsen war, war alles leichter für ihn geworden. Die Karibik-Piraten waren vielleicht nicht gerade das, was man als Vertrauenspersonen bezeichnen würde, aber eines stand fest: Sie waren ausnahmslos alles hervorragende Seeleute. Jean Ribault, der Franzose, grinste Hasard an, als er sich von ihm beobachtet fühlte. Der Seewolf blickte ruhig weiter. Um den Franzosen brauchte er sich nicht zu sorgen ebenso wenig um Jeff Bowie, den Engländer, der seine Peitschenhiebe, die ihm sein ehemaliger Kapitän Mac-DundeeEinohr hatte verabreichen lassen, schon längst vergessen hatte. Auch der alte Will Thorne, in dessen Armen noch die Kraft eines Zwanzigjährigen steckten, war ein anständiger Mann. Er schien froh zu sein, auf der „Isabella“ fahren zu dürfen. Bei den anderen Männern .war sich der Seewolf nicht sicher. Der bärenstarke Ire Patrick O’Driscoll hielt sich bisher zurück. Er redete nur wenig. Ebenso die beiden Dänen und die beiden Holländer, die sich von den anderen ein bißchen absonderten.
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Am wenigsten konnte Hasard den dürren Gordon Watts leiden. Der Mann mit dem Geiergesicht riß die Klappe ziemlich weit auf und wurde von der Mannschaft schon als Spinner bezeichnet. Hasard hatte ihn auf den ersten Blick durchschaut. Hinter seiner Quasselei verbarg er seine wirklichen Gedanken, die aber in seinen Blicken zu lesen waren. Er suchte überall nach Informationen und redete jedem nach dem Münde. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann der dürre Engländer damit beginnen würde, die Leute gegeneinander auszuspielen oder sie sogar aufeinanderzuhetzen. Der Seewolf grinste grimmig. Er würde sofort merken, was los war, und dann rettete Watts nichts mehr vor einer kleinen Reise am Tampen unter dem Kiel der „Isabella- hindurch. „Laß die Kanonen dreifach fest- zurren, Ferris“, sagte der Seewolf, als die Segel geborgen waren. „Ribault; du nimmst dir ein paar Männer und sicherst die Rahen.“ „Aye, aye“, sagte der Franzose grinsend und drehte sich um, ehe Hasard noch etwas sagen konnte. Dir werde ich das Grinsen eines Tages. auch noch austreiben, dachte der Seewolf. Er ging zum Rudergänger hinüber, der nur eben dem Kopf das Achterdeck überragte. Pete Ballie fluchte ununterbrochen, weil er das Schiff nicht auf Kurs halten konnte. Wütend schlug er gegen den Kolderstock. „Spar dir deine Kraft für den Sturm auf“, sagte. Hasard trocken. „Ich schicke dir drei Männer hinunter, die dir zur Hand gehen.“ „Such aber welche aus, die ein bißchen Mumm in den Knochen haben“, erwiderte Pete, „sonst laß mich lieber gleich allein hier unten.“ Der Seewolf wandte sich lächelnd ab. Er rief Blacky, den Engländer Jeff Bowie und den semmelblonden Kleiderschrank Buck Buchanan zu sich. Buchanan wirkte etwas schwerfällig, aber er hatte Kraft wie ein Ochse. Mit seinem Denkapparat war nicht viel los, doch er war gefällig und freundlich. Man sah ihm nicht an, welch grausamer Kämpfer er sein konnte. Hasard lief heute noch ein Schauer über den
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Rücken, wenn er daran dachte, wie der blonde Kleiderschrank unter seinen ehemaligen Kameraden auf der Silbergaleone aufgeräumt hatte. Pete Ballie war mit Hasards Wahl einverstanden. Hinter sich hörte Hasard das leise Knarren der Tür, die zu den Kammern führte. Er blickte sich um und sah Ben Brighton, der sich verschlafen die Augen rieb. „Was ist denn hier los?“ fragte er. „Läßt du die Männer ein bißchen schwitzen, damit sie kein Fett ansetzen?“ Ehe der Seewolf antworten konnte, tönte die helle Stimme Dan O’Flynns vom Großmars. „Wolken achteraus! Sie nähern sich verflucht schnell!“ Der Seewolf und Ben Brighton sahen sich um. Ben wurde ein bißchen blaß um die Nase, als er die schwarzen, quellenden Wolken sah, die sich wie drohende Ungeheuer über die Kimm schoben und das Meer zu verschlingen schienen. „Warum hast du das Großsegel bergen lassen?“ fragte er Hasard. „Wenn wir es reffen, fahren wir sicherer damit als mit der Fock und der Blinde.“ „Und was willst du unternehmen, wenn der Sturm das Großsegel zerfetzt?“ fragte Hasard zurück. „Blinde und Sturmfock haben wir noch als Ersatz an Bord, ein Großsegel nicht. Und ohne Großsegel werden wir Drake nie wieder einholen.“ Ben Brighton nickte schweigend. Er schien sich zu fragen, warum er eigentlich immer wieder etwas sagte, wenn Hasard ihn doch jedesmal von der Richtigkeit seiner Entscheidung überzeugen konnte. Der Seewolf sah, wie Ferris Tucker die letzten Luken verschalkte. Das teergetränkte Segeltuch würde verhindern, daß allzu viel Wasser ins Schiff lief. Dann brüllte der Schiffszimmermann seinen Leuten ein paar Befehle zu und verschwand mit ihnen unter Deck. Wahrscheinlich ging er noch einmal das ganze Schiff ab, um jede noch so kleine Ritze im Rumpf mit Werg zuzustopfen.
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Hasard teilte die Männer ein, die die Segel bedienen sollten, und schickte die anderen unter Deck. „Runter vom Mars!“ brüllte er Dan O’Flynn an, der bisher noch keine Anstalten gemacht hatte, seinen Ausguckposten zu verlassen. „Und vergiß deinen Affen nicht!“ Nebeneinander turnten Dan O’Flynn und Arwenack an den Wanten herunter. Der Seewolf konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Je länger das Bürschchen sich mit Arwenack dort oben im Mars aufhielt, desto ähnlicher schien er ihm zu werden. Auf jeden Fall hatte er von dem Schimpansen schon eine Menge gelernt. Er kletterte jetzt noch eleganter in der Takelage herum als früher. Manchmal schien es, als wollen sich die beiden im Wettstreit messen. Die Männer, die an Deck blieben, sicherten sich mit langen Leinen, die verhindern sollten, daß sie von den Brechern über Bord gerissen wurden. Blitze zuckten durch die näher rückenden Wolken, die bereits die südliche Hälfte des Himmels bedeckten und die Sonne verschluckt hatten. Und dann brach das Inferno wie ein schwarzes, wirbelndes Ungeheuer über die „Isabella“ herein. * Die Brecher schlugen mit unvorstellbarer Gewalt von achtern über das Deck der „Isabella“. Schon die ersten größeren Wellen hatten das kleine Boot, das die „Isabella“ an einer Leine hinter sich herzog, gegen den Rumpf der Galeone geschleudert und fast das Ruder in Mitleidenschaft gezogen. Der Seewolf hatte geflucht wie ein Fuhrknecht, weil niemand mehr an das Boot gedacht hatte. Zu schnell war das Ungewitter über die hereingebrochen. Hasard und Ben Brighton hatten sich an der Quarterdeckgalerie festgezurrt. Der Seewolf sah mit einem Auge die grünschwarzen Wellenlawinen, die die schlanke Galeone vor sich herhetzten und sich dann schäumend und brüllend auf den
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wehrlosen Feind stürzten. Mit dem anderen Auge erfaßte der Seewolf die schwankende Masse des Schiffes, das immer wieder tief in die Wellentäler hinabstieß. Jedesmal sah es so aus, als ob die Blinde wegtauchen würde, doch dann riß das zum Zerreißen gespannte Segel die Galeone förmlich wieder hoch. Hasard wußte, daß er richtig kalkuliert hatte. Sie liefen genau vor dem Wind, und durch die Blinde, die das Schiff förmlich nach vorn riß, verringerte sich die Gefahr für die Galeone, querzuschlagen. Sie gierte zwar bei heftigen Brechern, doch die vier Männer am Kolderstock brachten sie mit harten Ruderlagen schnell wieder auf Kurs. Der Seewolf schrie dem neben ihm stehenden Ben Brighton etwas zu, doch in dem Heulen des Windes und dem unvorstellbaren Dröhnen der Wellen und Brechern war kein Wort zu verstehen. Hasard wies mit dem rechten Arm auf das Sturmsegel, das sie statt der normalen Fock fuhren. Ben Brighton schüttelte den Kopf, denn es war stockdunkel, obwohl es erst Mittag sein konnte. Nur die grellen Blitze, die unablässig aus der schwarzen Hölle herabzuckten, rissen das Schiff immer wieder für Augenblicke aus der Finsternis. Im weißen Licht des nächsten Blitzes sah Ben Brighton, was den Seewolf beunruhigte. Das Focksegel drohte am Steuerbordliek zu reißen. Er hob die Schultern und blickte Hasard an. Sie konnten nichts tun. Jetzt einen Mann hinaufschicken, war Mord. Die Brecher, die auf, das Deck schlugen, würden ihn zerschmettern. Vier Stunden tobte dieser Sturm jetzt, aber die Männer an Bord der „Isabella“ hatten das Gefühl, als wären schon Tage vergangen_ Riesige Wassermassen strömten aus den tiefhängenden Wolken. Knöchelhoch stand das Wasser auf allen Decks. Es konnte nicht so schnell aus den Speigatten ablaufen, wie der Regen und die gischtenden Wellen es wieder aufs Deck warfen. Der nächste zuckende Blitz enthüllte dem Seewolf das, was er schon erwartet hatte.
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Das Sturmsegel am Fockmast hing in Fetzen herab. Durch das Brausen der Elemente meinte Hasard das Schreien Pete Ballies zu vernehmen. Er spürte, wie die schlanke Galeone zu gieren begann. Ben Brighton begann mit den Armen zu fuchteln. Hasard sah, wie sich seine Augen an einer hohen, schaumgekrönten Welle festsogen, die mit dumpfem Dröhnen von schräg achteraus auf die Steuerbordseite zurollte. Die „Isabella“ krängte nach Backbord. „Gegenruder!“ brüllte der Seewolf aus Leibeskräften, doch er wußte, daß es zwecklos war. In dieser Hölle drangen seine Worte nicht weiter als bis zu seiner Nasenspitze. Hasards Hände krallten sich in das Holz der Galerie. Wenn die Welle sie in dieser Lage überrollte, war es um die „Isabella“ und ihre Besatzung geschehen. Er schloß die Augen, die vom Salzwasser brannten. Gib Gegenruder, Pete! betete er lautlos. Die Decksplanken erzitterten unter dem Druck der tobenden Elemente. Hasard merkte, wie sich die „Isabella“ aufrichtete. Er öffnete die schmerzenden Augen und sah, daß sich die riesige Wellenlawine jetzt genau achterlich der Galeone befand. Pete Ballie und seine drei bärenstarken Männer hatten es geschafft, das Ruder im letzten Moment herumzureißen. Und dann war das Wasser über ihnen. Der Seewolf fühlte sich wie eine Fliege, nach der mit einer nassen Fliegenpatsche geschlagen wird. Die Wassermassen waren hart wie Holz. Sie schleuderten ihn gegen die Quarterdeckgalerie und preßten ihm die Luft aus den Lungen. Keuchend wollte er Atem schöpfen, aber überall um ihn herum war Wasser. Er schluckte hart, und als er endlich wieder Luft in die gequälten Lungen saugen konnte, fühlte er sich wie zerschlagen. Er warf einen Blick über die Kuhl. Im Zucken des Blitzes sah er, wie sich die Männer an den Steuerbord- und Backbordbrassen wieder erhoben. Hart preßte er die Zähne aufeinander. Im Widerschein des Blitzes, der noch in seinen Pupillen nachflackerte, sah er das
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Bild, das er erwartet hatte: Die Männer an den Schoten und Brassen blickten zu ihm hinauf. Sie warteten auf seinen Befehl, das Ersatzsturmsegel, das Will Thorne unter Deck bereithielt, an der Fockrah anzuschlagen. Der Seewolf warf einen Blick auf die Blinde. Würde sie dem ungeheuren Druck des Sturmes standhalten? Hasard bezweifelte es. Wenn er sich darauf verließ, spielte er mit dem’ Feuer, denn wenn sie ebenfalls zerfetzt wurde, waren sie endgültig verloren. Der Seewolf wußte, daß jeder seiner Männer seinem Befehl gehorchen würde, ohne auch nur einen Lidschlag lang zu zögern. Aber es ging ihm wider die Natur, in dieser Situation seine Männer die selbstmörderische Arbeit allein ausführen zu lassen. Er legte Ben Brighton kurz die Hand auf die Schulter. Dann löste er die Leine, mit der er sich an der Galerie festgezurrt hatte. Ben Brighton wollte ihn zurückhalten, doch Hasard war schon auf dem Weg zur Kuhl. Seine Hände krampften sich um das Holz einer Nagelbank und dann um die Taue, mit denen der Baum des Gaffelsegels festgezurrt war. Schritt für Schritt mußte er sich vorkämpfen, bis er endlich unten in der Kuhl stand und sich die Leine um den Leib band, die ihm eine Hand aus dem Dunkel reichte. Im grellen Schein des nächsten Blitzes erkannte der Seewolf das breite Grinsen des Schweden Stenmark. Die langen blonden Haare klebten auf seiner Stirn. Andere Männer tauchten auf. Smoky, Batuti und Gary Andrews. Und der Ire O’Driscoll, den der Seewolf zum erstenmal grinsen sah. Dieser Teufel schien sich im Augenblick sauwohl zu fühlen. Mit wenigen Handbewegungen erklärte der Seewolf den Männern, daß sie keine andere Wahl hatten, als ein neues Focksegel zu setzen, wenn die „Isabella“ von den Brechern nicht zu Kleinholz geschlagen werden sollte. Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Manchmal glaubte der Seewolf, die See
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würde sie mitsamt dem Ersatzsegel verschlingen, doch schließlich hatten sie es geschafft. Hasard arbeitete sich von der Nock der Fockrah zum Fockmars vor. Im Licht der unablässig herabzuckenden Blitze sah er, daß die gesamte Mannschaft an Deck war. Auf Handzeichen von Ben Brighton hin wurde das neue Sturmsegel gebraßt. Die Blinde hielt zum Glück immer noch. Sie riß die „Isabella“ weiter nach vorn und verhinderte, daß die schlanke Galeone querschlug. Als der Seewolf wieder in der Kuhl stand und von den anderen Männern in Empfang genommen und unter die Back geführt wurde, glaubte er, auf seinen zitternden Beinen nicht mehr stehen zu können. In seinem rechten Arm hatte er einen Krampf, der sich nur langsam löste. Schwer keuchend lagen die anderen fünf Männer neben ihm, die ihm geholfen hatten, das Focksegel anzuschlagen. Es war ein Sturm, der den Männern das Mark aus den Knochen sog, Und der Seewolf war froh, daß er auf einem Schiff wie die „Isabella“ fuhr, die trotz ihrer schlanken Abmessungen diesem Höllensturm zu trotzen vermochte. Hasard dachte an Francis Drake und die „Golden Hind“. Er hoffte, daß sich der Sturm tot geritten hatte, wenn er drei oder vier Tagesreisen weiter nördlich Drakes Schiff erreichte. In Augenblicken wie diesen haßte man die See wie sonst nichts auf der Welt, aber der Seewolf wußte, daß er sich dieser Herausforderung jederzeit wieder stellen würde. Der Sturm war so schnell vorbei, wie er über sie hereingebrochen war. Erleichtert blickten die Männer der „Isabella“ den davonjagenden schwarzen Wolken nach und begrüßten den blauen Himmel und die Sonne wie einen totgeglaubten Freund. Schwankend stand der Seewolf mit Ben Brighton und Ferris Tucker auf dem Achterdeck und beobachtete den verhältnismäßig geringen Schaden, den der fürchterliche Sturm in der Takelage der Galeone angerichtet hatte. Bis auf die
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Spieren an den Topps der Masten hatte die „Isabella“ das Inferno heil überstanden. Ferris Tucker hatte schon Anweisungen gegeben. die zersplitterten Spieren zu ersetzen. Ben Brighton ließ alle Segel setzen. Der Wind blies immer noch kräftig aus südlicher Richtung. Piek- und Klaufall wurden vorgeheißt, und dann halste die „Isabella“ und jagte in nordwestlicher Richtung vor dein Wind her. Der Seewolf sah seinen Männern an, wie fertig sie waren. In den Augen einiger der neuen Leute sah er Bewunderung, wenn sie zum Achterdeck aufblickten. Wahrscheinlich hielten sie den Seewolf für eine Art Zauberer, weil er es geschafft hatte, die Galeone heil durch den Sturm zu bringen, den der Höllenfürst persönlich gesandt zu haben schien. Hasard grinste Ben Brighton an, der diese Blicke ebenfalls richtig gedeutet hatte. „Du bist für die Piraten ein Wundermann“, sagte er, „oder sie glauben, daß du mit dem Leibhaftigen im Bunde stehst.“ „Das kann nicht schaden“, sagte der Seewolf grimmig. „Und wenn einer meint, er könne mit mir umgehen wie mit einem Normalsterblichen, dann werde ich ihm beweisen, daß ich der Satan persönlich bin.“ Ben Brighton pfiff durch die Zähne. „Mir zittern schon die Knochen“, sagte er grinsend. „Das gilt doch nicht für die alte Crew, du Blödmann.“ Hasard wandte sich um, als Ferris Tucker auftauchte, um zu berichten, daß sie schon bald mit dem Lenzen aufhören konnten. Es war verhältnismäßig wenig Wasser ins Schiff gedrungen. Am meisten durch das Koldergat auf dem Achterdeck. Die vier Männer am Kolderstock hatten praktisch die ganze Zeit, in der der Sturm getobt hatte, unter einem Wasserfall gestanden. Jetzt saßen sie unter der Back, in trockenes Zeug gehüllt, und schlürften das heiße Getränk, das der Kutscher ihnen gebraut hatte. Die schlanke Galeone schoß wie ein Pfeil durch das aufgewühlte Meer, das sich sehr
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viel langsamer beruhigte als der Himmel, der wieder sein strahlendes Blau zeigte. Der Seewolf blickte nach vorn, wo Will Thorne und ein paar andere auf Ben Brightons Befehl die Blinde einholten und das Ersatzsegel anschlugen. Will Thorne sollte das Segel, das den Sturm so gut überstanden hatte, überprüfen, ob es Schaden erlitten hatte. Die ersten Seevögel tauchten wieder auf und kreisten kreischend über dem Schiff. Hasards Haß auf den mächtigen, unendlichen Ozean war wie weggewischt. Das Herz ging ihm auf, wenn er die zum Zerreißen geblähten Segel seines Schiffes betrachtete. Hier war er in seinem Element. Er wußte, daß er ohne die See nicht leben konnte, auch wenn sie ihn eines Tages wahrscheinlich umbringen würde. Ihr Kurs stand fest. Francis Drake war auf dem Weg nach Panama. Dort. wo die Silberschiffe des Stillen Ozeans ihre wertvolle Ladung löschten, damit diese über den Isthmus von Panama nach Porto Bello geschafft werden konnte, würde sich El Draque, wie die Spanier Francis Drake nannten, auf .die Lauer legen, um wie ein reißender Wolf in die Schafherde einzudringen. Der Seewolf war sicher, daß er Drake finden würde. Er hatte ein schnelles Schiff – und eine Crew, mit der er dem Teufel die Schwanzhaare absegeln konnte. 2. Der Sturm erreichte die „Golden Hind“ am Abend desselben Tages, an dem er auch die „Isabella“ gebeutelt hatte. Doch er hatte längst nicht mehr die Kraft wie ein paar Stunden zuvor. Thomas Moone und Edwin Carberry hatten alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen, obwohl es nicht aussah, als ob die „Golden Hind“ in Schwierigkeiten geraten könne. Thomas Moone zog sich deshalb beruhigt zu den anderen Gentlemen zurück, die an diesem Abend von Francis Drake zum Nachtmahl geladen waren. Edwin Carberry übernahm die Wache bis Mitternacht.
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Der Wind blies kräftig, wechselte aber zum Glück nicht. Carberry blickte zum Fockmast und dachte, daß sie auch das Marssegel hätten stehenlassen können. Der Profos war allein auf dem Achterdeck. Er spuckte nach Lee, als er das Gelächter aus der Kammer des Kapitäns hörte. Sein Gesicht verzog sich zu einem grimmigen Lächeln. Er konnte die Männer, die Francis Drake um sich versammelt hatte, nicht leiden. Die einzige Ausnahme bildete Thomas Moone, aber auch dem blieb nichts weiter übrig, als den Mund zu halten, wenn die feinen Pinkel und Möchtegern-Abenteurer sich mit dem Kapitän über Dinge unterhielten, die nicht einmal ein lahmes Maultier interessierten. Carberry dachte an die guten alten Zeiten zurück, als Francis Drake noch einer der ihren gewesen war. Obwohl er nie gesoffen und geflucht hatte, war er doch immer ihr Kapitän gewesen, der sich bedingungslos auf ihre Seite gestellt hatte, wenn es irgendeinem von der Mannschaft an den Kragen gehen sollte. Jetzt umgab er sich mit Speichelleckern wie dem jüngeren Bruder von Sir Thomas Doughty, den Drake vor der Durchfahrung der Magellanstraße hatte köpfen lassen. Es war das erstemal, daß Carberry den Henker gespielt hatte. Wenn er heute darüber nachdachte, konnte, er wahrhaftig nicht sagen, daß Ihm Spaß bereitet hatte, einem Menschen den Kopf abzuschlagen, aber es quälten ihn auch keine Gewissensbisse. Sir Thomas Doughty war ein Verräter und Meuterer gewesen, der um ein Haar Francis Drakes gesamte Mission zum Scheitern gebracht hätte. Was ihm auf Drakes Schiff widerfahren war, wäre mit ihm auf jedem anderen Schiff der Welt ebenfalls geschehen. Der Lärm in der Kapitänskammer wurde lauter. Carberry versuchte nicht hinzuhören, aber es war leichter gesagt als getan. Er leckte sich die Lippen. Er dachte daran, daß die Männer in Drakes Kammer jetzt den schweren Wein in sich hineinschütteten, den Drake von der letzten Prise übernommen hatte.
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Carberry schlug mit der Faust auf die Reling. Seine Kehle fühlte sich plötzlich so trocken an, als wäre er ein paar Meilen durch die Wüste gelaufen. Er drehte sich etwas weg, als eine Welle gegen den Rumpf der Galeone klatschte und die Gischt in einem dichten Schleier über ihn hinwegwehte. Aus den Augenwinkeln heraus sah Carberry den schwarzen Schatten. „Was, zum Henker ...“ Der Stoß traf ihn völlig unvorbereitet und erwischte ihn, als er gerade sein rechtes Bein angewinkelt hatte, um einen Schritt zur Seite zu treten. Gleichzeitig gierte die Galeone nach Backbord. Carberry fühlte sich hochgehoben. Er versuchte, mit den Händen die Wanten des Großmastes zu erreichen, doch das gischtende Salzwasser, das ihm in die Augen gedrungen war, nahm ihm die Sicht. Er begann zu brüllen wie ein Stier. Mit strampelnden Armen und Beinen segelte er über die’ Reling und tauchte kopfüber in die nächste Welle, die gegen en Rumpf der „Golden Hind“ schlug. Edwin Carberry wußte, daß die Hölle nicht mehr fern war. Mit aller Kraft, die in seinem stählernen Körper steckte, wühlte er sich durch die Wassermassen nach oben. Er sah einen Schatten auf sich zurasen und packte in Sekundenschnelle zu. Das Holz des nachgeschleppten Beibootes war glatt. Einen Moment glaubte Carberry, er würde sich nicht halten ‘leinen, doch dann prallte seine Hand gegen eine Dolle und fand Halt. Der Profos wurde mitgerissen. Wellen schlugen über ihm zusammen, versuchten ihn zu verschlingen und ihn von seinem Halt loszureißen. Carberry ließ nicht locker. Er kämpfte um sein Leben. Mit unmenschlicher Anstrengung gelang es ihm, sich an Bord des Beibootes zu ziehen. Er hatte Unmengen von Wasser geschluckt. Seine Augen schmerzten höllisch. Als er aufblickte, sah er nur schemenhaft die Umrisse des breiten
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Hecks, das in dem aufgewühlten Meer auf und nieder tanzte. Carberry schrie sich die Kehle heiser. Irgendjemand mußte ihn doch hören! Er sah den Schatten, der zur Heckgalerie hinabkletterte und wollte aufatmen. Aber dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schock. Dieser Schatten hatte ihn über die Reling gestoßen! Wer war der .Mann, der ihm nach dem Leben trachtete? Zum erstenmal in seinem Leben spürte Edwin Carberry so etwas wie Angst in sich aufsteigen. Er sah, wie der Schatten sich zu der Stelle vorarbeitete, an der das Beiboot mit der Vorleine vertäut war. Doughty! schoß es ihm durch den Kopf. Das mußte John Doughty sein! Der Mann hatte die richtige Gelegenheit genutzt, sich dafür zu rächen, daß Carberry seinen Bruder geköpft und ihn selbst ausgepeitscht hatte! Carberry schrie. „Du verfluchter Hurensohn! Du Ausgeburt der Hölle! Du elendes Rübenschwein, laß deine dreckigen Pfoten von der Leine!“ Der Sturm riß ihm die Worte von den Lippen. Carberry kroch im Boot nach vorn und packte die Vorleine. Er zerrte daran. Die Muskelstränge auf seinen Oberarmen schienen zerreißen zu wollen. Stück um Stück zog er sich näher an den Heckspiegel der „Golden Hind“ heran, der Rettung für ihn bedeutete. Carberrys Augen waren weit aufgerissen. Sie versuchten, das Dunkel zu durchdringen und den Schatten zu identifizieren, der jetzt auf der Heckgalerie hockte und an der Vorleine des Beibootes hantierte. Er konnte nichts erkennen. Eine Welle schlug über ihm zusammen. Der fürchterliche Druck des Seiles ließ von einem Augenblick zu anderen nach. Carberry fiel zurück. Er stieß gegen die harte Kante einer Ducht. Der Schmerz schnitt durch seinen Rücken, und er dachte für einen Moment, sein Rückgrat wäre gebrochen.
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Er schluckte Wasser und spuckte es wieder aus. Er merkte kaum, daß er sich dabei übergab. Die Schaukelbewegungen des Bootes hatten sich verdoppelt. Seine Hände krallten sich in der Ducht fest. Langsam zog er sich hoch. Es war reiner Zufall, daß er das in der Dunkelheit hell schimmernde Focksegel der „Golden Hind“ noch einmal sah, bevor die Galeone von der Finsternis verschluckt wurde. Ein wilder Schrei brach aus Carberrys Kehle. Er dachte nicht daran; daß es niemanden gab, der ihn hören konnte. Er schrie sich die Seele aus dem Leib, bis ihn ein dichter Gischtschleier zum Schweigen brachte. Wieder übergab er sich. Er würgte, obwohl er nichts mehr im Magen hatte. Der bittere Geschmack der Galle brachte ihn wieder zur Besinnung. Er tastete sich vor und holte die Vorleine ein. Seine großen lederhäutigen Hände betasteten das Endes des Seils. Es gab keinen Zweifel. Es war nicht gebrochen. Jemand hatte es mit einem Messer durchtrennt. Carberry schüttelte den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Nicht jetzt. Er lebte, und solange noch ein Funken Leben in seinem Körper war, hatte er die verdammte Pflicht, um dieses Leben zu kämpfen. Er band sich die Vorleine um den Leib und befestigte sie an Back- und Steuerbord an den Dollen. Das Boot tanzte wie eine Nußschale auf den immer stärker werdenden Wellen. Mit den Händen begann Carberry, das Wasser hinauszuschöpfen. Er arbeitete wie ein Verrückter. Nichts konnte ihn davon abbringen, mit aller Macht um sein Leben zu kämpfen, nachdem er sich erst einmal dazu entschlossen hatte. Er merkte nicht, daß die ersten Sterne bereits am Himmel erschienen. Die Wolkenbänke waren nach Norden davongejagt und hatten einen blanken Himmel zurückgelassen. Noch tobte das Meer, aber nur selten schlug das Beiboot noch voll Wasser.
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Als der erste graue Schimmer über der Kimm erschien, erwachte Carberry zu neuem Leben. Er hörte auf, Wasser zu schöpfen und ließ sich auf eine Ducht sinken. Seine schmerzenden und vom Salzwasser entzündeten Augen richteten sich auf den schmalen Streifen Lichtes, das den neuen Tag verkündete. Der erste Sonnenstrahl entzündete in ihm einen Funken. Er atmete die scharfe, belebende Luft ein, die das Gewitter zurückgelassen hatte, und beugte sich hinunter, um die festgezurrten Riemen zu lösen. Er war froh, daß er sie nicht während des Sturmes gelöst hatte. Vielleicht wären sie ihm weggerissen worden. Er schob sie in die Dollen. Einen Moment lang überlegte er, ob er in dieselbe Richtung pullen sollte, in der die „Golden Hind“ verschwunden war. Aber dann verwarf er den Gedanken. Er wußte nicht, wie weit der Sturm sie von der peruanischen Küste fortgetrieben hatte. Auf alle Fälle war es besser, den Mittelweg zu wählen: nach Nordosten auf die Küste zu. Carberry tauchte die Riemen ins Wasser und begann nach Nordosten zu pullen. Er sah die glutrote Sonne über der Kimm auftauchen. Noch wies sie ihm den Weg, doch bald schon würde sie der zweite grausame Feind nach dem unendlichen Meer sein, der Carberry nach dem Leben trachtete. Mit unerschütterlicher Gewißheit glaubte Carberry daran, daß Francis Drake ihn suchen würde, wenn sich erst einmal herausstellte, daß sich der Profos nicht mehr an Bord der „Golden Hind“ befand. Mit dem Sonnenaufgang waren die dunklen Gedanken: an den Tod verschwunden. Fast hätte Carberry eins von den obszönen Liedern angestimmt, die er so oft mit seinen Kameraden in der Bloody Mary des alten Fettsackes Nathaniel Plymson gesungen hatte, doch die aufgewühlte See nahm seine Aufmerksamkeit voll in Anspruch. Immer wieder schaute er sich um, ob nicht schon irgendwo im Nordosten die Umrisse
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von Land an der Kimm auftauchten. In der Dunkelheit, die noch an der westlichen und nördlichen Kimm herrschte, war nichts zu erkennen. Edwin Carberrys muskelbepackte Arme zogen unentwegt die Riemen durchs Wasser, Er wußte, daß er weiterpullen würde, bis sein Herz aufhören würde zu schlagen. * Der Rudergänger der „Golden Hind“ fluchte lautlos, als er das Schralen des Windes bemerkte. Die Galeone neigte sich nach Backbord. Er gab dem Ruder nach und ließ die Galeone abfallen. Mit einem Ohr lauschte er nach Backbord, wo Carberry stehen mußte. Gleich würde seine rauhe Stimme über Deck schallen und den Männern befehlen, die Schoten und Brassen zu bedienen, um das Focksegel wieder richtig an den Wind zu bringen. Das Knattern des Segeltuchs riß den Mann aus seiner Lethargie. „He, Profos!“ brüllte er. „Willst du uns in Teufels Küche bringen?“ Fast wäre er ausgerutscht und mit einem Fuß ins Koldergat abgeglitten. Verdammt, pennte der Profos etwa? Der Rudergänger schüttelte den Kopf. Nicht Carberry. Wenn der Wache hatte, war er überall, wo es etwas zu tun gab, und wenn alles in Ordnung wäre, hätte der Profos wahrscheinlich schon etwas unternommen, bevor der Rudergänger das Schralen des Windes bemerkt hätte. „He, Deck! Ist da denn niemand?“ Er verrenkte sich fast den Hals. Er hörte das Schlagen einer Tür und schrie abermals, bis er das Gesicht von Thomas Moone über sich erkannte. Moone hatte sofort bemerkt, was los war. Mit ein paar Befehlen jagte er die Fockgasten an die Brassen und Schoten und ließ die Segelstellung regeln. Dann erst wandte er sich wieder dem Rudergänger zu. „Wo ist Carberry?“ fragte Moone. Der- Rudergänger hob die Schultern.
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„Ich habe nach ihm gerufen, aber er hat sich nicht gemeldet“, sagte er. „Wann haben Sie ihn zum letztenmal gesehen?“ Der Rudergänger überlegte. „Seit fast drei Glas“, sagte er dann. „Ich dachte, weil … Thomas Moone winkte ab. Er rief einem anderen Mann zu, sofort alle Mann an Deck zu holen. Er ging auf die Tür zu, die zu den Kammern führte, als John Doughty erschien. Moone blieb stehen. „Sie sind doch vorhin einmal längere Zeit auf dem Achterdeck gewesen, Sir“, sagte er zu Doughty. „Haben Sie da nicht den Profos gesehen?“ John Doughty warf den Kopf in den Nacken. „Sie werden von mir nicht verlangen können, daß ich mich um solche Kreaturen kümmere, Mr. Moone“, erwiderte Doughty. Thomas Moone verschränkte die Arme vor der Brust und hatte Mühe, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Der arrogante Bursche brachte Um jedesmal so in Wut, daß er nahe daran war, sich zu vergessen. „Sie sollten wissen, daß Mr. Carberry für dieses Schiff sehr viel wichtiger ist als Sie, Sir“, sagte er gepreßt. Doughty schnappte nach Luft. „Wie wagen Sie es, mit mir zu sprechen, Moone!“ rief er mit erregter Stimme. „Sie werden mir ...“ „Was geht hier vor?“ Die ruhige Stimme von Francis Drake unterbrach ihn. Der Kapitän der „Golden Hind“ trat an John Doughty vorbei aufs Achterdeck und blieb zwischen Doughty und Moone stehen. Thomas Moone warf noch einen kurzen Blick auf den eingebildeten Laffen, der einem Mann wie Edwin Carberry nicht das Wasser reichen konnte. Dann drehte er sein Gesicht Drake zu und sagte: „Mr. Carberry ist verschwunden, Sir. Der Rudergänger ‘bemerkte es, weil die Wache keinen Befehl erhielt, die Schoten und Brassen zu bedienen.“
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Francis Drake schüttelte den Kopf. „Das gibt es doch nicht“, sagte er. „Lassen Sie das ganze Schiff durchsuchen, Mr. Moone. „Leise fügte er hinzu: „Halten Sie es für möglich, daß Carberry über Bord gegangen ist? Hat er vielleicht einen von den Ziegenschläuchen Wein ...“ Thomas Moone schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn er auf Wache war, Sir“, sagte er. „Carberry war immer ein Vorbild für die Mannschaft.“ „Bei diesen primitiven Menschen weiß man doch nie …“, warf John Doughty ein, aber ein einziger Blick von Francis Drake brachte ihn zum Schweigen. „Wenn Ihre Suche ergebnislos verläuft, gehen Sie auf Gegenkurs“, sagte Francis Drake zu Moone. „Und zwar so lange, bis wir morgen früh die Position haben, an der Carberry vermutlich über Bord ging.“ „Aye, aye, Sir“, sagte Thomas Moone. Er riß den Kopf herum, als er einen Schrei von Steuerbord hörte. „Das Beiboot ist verschwunden!“ Francis Drake und Thomas Moone eilten an die Reling. Tatsächlich, vom Beiboot war nichts mehr zu sehen. Moone schickte einen Mann auf die Heckgalerie, um nachzuprüfen, ob die Schleppleine vielleicht gerissen war. Doch es war nichts von der Leine zu sehen. Francis Drake schüttelte den Kopf. Moone las in seinen Augen die Sorgen, die sich auf seinem Haupt häuften. Erst hatten sie den jungen Killigrew und seine Mannschaft abschreiben müssen, und jetzt war einer der besten Männer der Crew verschwunden. Sollte es ihnen vielleicht so ergehen wir dem Portugiesen Magalhaes bei der ersten Weltumseglung, als von seiner Mannschaft nach drei Jahren nur noch siebzehn Männer die Heimat wiedersahen? Der Kapitän blieb auf dem Achterdeck. Er wollte das Ergebnis der Schiffsdurchsuchung abwarten. Schon bald schwirrten die wildesten Gerüchte unter der Mannschaft. Mac Pellew war fleißig dabei, eins nach dem anderen in die Welt zu setzen.
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„Carberry gehört zu den Kerlen, die nachts allein auf dem Südmeer spazieren gehen. Ihr sollt mal sehen, wenn wir morgen wieder umkehren, latscht er uns entgegen und fragt uns, wo wir so lange geblieben sind.“ Patrick Evarts, der Segelmacher, scheuerte dem Koch eine, daß er gegen die Wanten krachte. „Halt dein verdammtes Lästermaul“, sagte er grimmig, „oder ich werde dich ebenfalls über Bord schmeißen und zusehen, ob du auf dem Meer spazieren gehst.“ Mac Pellew rieb sich die Wange. Er nahm den Schlag nicht übel. Er war es gewohnt, von der Mannschaft was einzustecken. „Du meinst, man hat ihn über Bord geworfen?“ fragte er interessiert. „Weißt du auch, wer das getan hat?“ „Ooouuh!“ Evarts raufte sich die Haare. „Ich hab gar nichts behauptet!“ brüllte er. „Halt endlich deine Klappe, sonst wickel ich dich in Segeltuch und nagle dich hier unten in der Bilge fest!“ Mac Pellew rümpfte die Nase. „Hast du das vielleicht mit Carberry auch ...“ Die anderen mußten Patrick Evarts festhalten, sonst hätte er tatsächlich das mit dem Koch angestellt, was er ihm angedroht hatte. Sie suchten das Schiff dreimal gründlich ab, und als sie immer noch nichts gefunden hatten, gab Francis Drake den Befehl, auf Gegenkurs zu gehen. Sie wußten alle, daß es in der stürmischen Nacht ein Ding der Unmöglichkeit war, Carberry in den tosenden Wellen zu finden. Sie hatten nur eine Chance. Sie mußten zurücksegeln und bei Tagesanbruch dort zu suchen beginnen, wo der Profos mit aller Wahrscheinlichkeit über Bord gegangen war. Drake ließ die Mannschaft einen Tag suchen, denn er hatte an ihren Gesichtern abgelesen, daß sie es ihm sehr übelnehmen würde, wenn er nicht alles tat, um Carberry zu finden. Doch dann waren auch die Hartnäckigsten davon überzeugt, daß sie Carberry höchstens in der Hölle wiedersehen
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würden. Niedergeschlagen gaben sie die Suche auf. Die „Golden Hind“ ging auf Nordwestkurs und segelte ihrem Ziel Panama entgegen. Francis Drake schloß sich in seiner Kammer ein. Er mußte diesen zweiten Schlag erst einmal verdauen. Er wurde das Gefühl nicht los, daß an Bord der „Golden Hind“ ein unsichtbarer Feind saß, der dem Unternehmen Unglück brachte. Carberry und bei der Wache über Bord gefallen? Francis Drake schüttelte den Kopf. Das war undenkbar. Irgendetwas war geschehen, was er nie würde aufklären können. Er dachte an die Männer, die ihm in der letzten Zeit Gesellschaft leisteten, und er erkannte, daß er sich in diesen Tagen so weit von seiner Mannschaft entfernt hatte, daß sie ihm schon fremd zu werden begann. Drake beschloß in diesen Stunden, sich wieder mehr um sein Schiff und die Mannschaft zu kümmern. Er brauchte seine Seeleute für das Unternehmen weit mehr als die Abenteurer an Bord, die zwar amüsant plaudern konnten, aber mit grünlichem Gesicht und voller Hose dastanden, wenn es har: auf hart ging. Er dachte zurück. Er hatte geglaubt, daß mit Thomas Doughtys Hinrichtung der Störenfried beseitigt worden sein. Er schien sich getäuscht zu haben. Francis Drake stand auf und lief wie ein gefangenes Raubtier in seiner Kammer hin und her. Dann blieb er stehen und schlug die Faust auf den Schreibtisch. Ja, er würde noch einmal hart durchgreifen, wenn sich herausstellte, daß es irgendjemanden gab, der es wagte, sein Unternehmen zu sabotieren. 3. Carberry hielt inne und blickte sich suchend um. Seine Augen brannten wie sein ganzes Gesicht. In der langen Dünung war es fast unmöglich, einmal bis zur Kimm zu schauen, und allmählich setzte sich in Carberry die Erkenntnis fest, daß
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Drake ihn auf diesem unendlichen Meer nicht finden konnte. Carberry wußte nicht, wo er sich befand. Um ihn herum war die grenzenlose Weite des Meeres. Er schaute hoch zur Sonne, die fast senkrecht über ihm stand. Er mußte schon mindestens vier Stunden gepullt sein. Und alles umsonst. Carberry entdeckte in sich ein Gefühl, das er bisher nicht gekannt hatte: Angst. Er hatte sich immer für einen eisenharten Kerl gehalten, den nichts, aber auch gar nichts aus der Ruhe bringen konnte. Doch im Angesicht dieser unendlichen Wasserwüste und der brennenden Sonne, die ihm bereits die Haut vom Nacken schälte, begannen seine Nerven zu flattern. Er war allein, nur mit einer Nußschale unter dem Hintern und ohne Wasser und Proviant. Wahrscheinlich wird mich der Durst fertigmachen, dachte er. Hatte es überhaupt noch Sinn, ostwärts zu pullen, wo in unendlicher Ferne Land liegen mußte? Oder war es nicht besser, einfach ins Wasser zu springen und sich einen langen Todeskampf zu ersparen? Carberry schüttelte wütend über sich selbst den Kopf. Was waren das für Gedanken! Noch lebte er, und solange ein Funken davon in seinem Körper war, würde er kämpfen. Er zögerte nicht länger. Er packte die Riemen und wendete das Boot, so daß er genau Osten anlag. Und dann pullte er los. Unaufhörlich zählte er die Schläge, mit denen er die Riemen. ins Wasser tauchte. Wenn er bei hundert war, begann er wieder von vorn. Er wußte bald nicht mehr, wie oft er bis hundert gezählt hatte. Als er das Boot gewendet hatte, hatte er geglaubt, die Zeit bis zum Sonnenuntergang würde ihm wie eine Unendlichkeit erscheinen, doch jetzt hatte er fast das Gefühl, als könne er die Bahn, die die Sonne am Himmel beschrieb, verfolgen. Er hatte nicht eine Minute mit dem Pullen ausgesetzt, als er sich bewußt wurde, daß die Sonne dicht über der Kimm stand. Er
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holte die Riemen ein und sackte in sich zusammen. Seine Lungen gingen wie ein Blasebalg. Überrascht stellte er fest, daß die Dünung immer länger geworden war und nur noch vereinzelt Schaumkronen auf dem Wasser in der rötlichen Sonne glänzten. Carberry wollte sich mit der Hand über die Stirn wischen, doch als er sie berührte, schrie er heiser auf. Haut war ihm an den Fingern kleben geblieben. Sein mächtiger Körper begann zu zittern. Fassungslos starrte er auf den Bizeps seines linken Arms, der unentwegt zuckte, ohne daß er Einfluß darauf hatte. Carberry schrie. Es war nur ein heiseres Krächzen, aber er mußte schreien, um seine Angst zu überwinden. Nein, noch war er nicht soweit, sich aufzugeben. Er drehte den Kopf, um nach Osten zu schauen. Fast eine Minute lang schaute er auf den dunklen, buckligen Punkt an der Kimm, bis er begriff, daß dieser Punkt Land sein mußte. Er warf sich förmlich herum. Er strengte seine brennenden Augen so an, daß sie zu tränen begannen und er nur noch verschwommene Schleier sah. Er wischte die Tränen fort und achtete nicht darauf, daß die Blasen im Gesicht aufplatzten. Er starrte wieder hinüber zu der Stelle, an der er den dunklen Punkt gesehen hatte. Ein Schluchzen drang aus seiner Kehle, als er den kleinen Buckel wieder sah. Er hatte sich nicht getäuscht. Es war keine Sinnestäuschung gewesen. Carberry entwickelte eine fieberhafte Eile. Er rechnete nicht aus, wie groß die Entfernung zu dem Buckel an der Kimm war - er wußte, daß nichts leichter war, als sich auf See in Entfernungen zu verschätzen. Licht, Luftströmungen und andere Dinge konnten die Wirklichkeit ins Unendliche verzerren. Er begann wie ein Irrer zu pullen. Das Zittern seiner Muskeln hatte aufgehört, sobald er die Riemen wieder fest gepackt hatte. Mit kräftigen Schlägen riß er das Boot durch das Wasser. Solange die Sonne
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noch über der Kimm stand, brauchte er sich nicht um die Richtung zu kümmern. Trotzdem hielt er häufig inne, um sich zu überzeugen, daß der dunkle Buckel noch da war. Zum erstenmal an diesem höllischen Tag merkte Carberry, wie seine Kräfte nachließen. Er preßte die Zähne aufeinander. Tränen des Zorns stiegen ihm in die geröteten Augen. Er schämte sich mehr über seine Schwäche, als daß er die Konsequenzen befürchtete. Mit unbändigem Willen versuchte er, diese Schwäche zu überwinden. Er konzentrierte sich so sehr darauf, daß er nicht bemerkte, wie die Sonne glutrot im Meer versank. Ein letzter Strahl traf seine entzündeten Augen. Es war, als wolle die Sonne Carberry eine Warnung zurufen. Der Profos schreckte hoch. Sein Kopf ruckte herum. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er die Dunkelheit sah, die sich bereits über die östliche Kimm gesenkt hatte. Nur mit Mühe konnte er den Buckel, den er ansteuerte, im letzten Licht der untergehenden Sonne erkennen. War er größer geworden? Carberry nickte grimmig. Er mußte daran glauben, wenn er die Hoffnung nicht aufgeben wollte. Er nahm die letzte Peilung, richtete den Bug des Bootes auf den Buckel, der jetzt wie der Rücken einer riesigen Schildkröte aussah und pullte mit kräftigen, regelmäßigen Schlägen weiter. Stur schaute er auf das Kielwasser seines Bootes, das schnurgerade verlief. Er merkte, daß seine Schläge kürzer wurden und forderte seinem Körper noch einmal alles ab, was in ihm steckte. Immer kleiner wurde der helle Halbkreis an der westlichen Kimm. Nur schwach schimmerte das Kielwasser, an dem er seine Richtung Orientierte. Er blickte sich ein letztes Mal um, und obwohl er wußte, daß er nichts mehr würde erkennen können, versetzte ihm die Tatsache einen Schock. Kälte kroch ihm den Rücken hinauf. Eine Kälte, die aus dem Innern seines Körpers zu kommen schien. Er sah die Gänsehaut auf seinen schweißbedeckten Armen.
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Aber Carberry war noch lange nicht so weit, daß er aufgegeben hätte. Warum auch? Er hatte Land gesehen und wußte, daß er es in ein paar Stunden erreichen konnte. Und galt er nicht als der beste Bootsgast auf sämtlichen britischen Schiffen, die für Old Lissy auf den Weltmeeren segelten? Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn er den Buckel, den er ansteuerte, nicht genau in der Mitte mit dem Bug seines Bootes treffen sollte! Diese Gedanken gaben Carberry die Ruhe und Zuversicht zurück, die er brauchte, um in der Nacht seinen Kurs zu halten. Mit langsamen, aber gleichmäßigen Schlägen pullte er weiter, immer weiter ... Er hörte ein Knirschen unter dem Boot und hörte es nicht. Dreimal hieb er mit dem Riemen durch die Luft, ehe er bemerkte, daß es unmöglich war, sie noch ins Wasser zu tauchen. Fast körperlich spürte er die Erkenntnis in sich aufsteigen, daß er es geschafft hatte. Er hatte Land erreicht! Der Kiel seines Bootes war über Sand geknirscht! Er hatte es geschafft! Carberry vergaß alle Qualen, die er ausgestanden hatte. Er fühlte sich plötzlich wieder frisch. Nichts war mehr von Schwäche in ihm. Mit einem heiseren Krächzen holte er die Riemen ein, erhob sich und sprang in das flache Wasser. Mit den schwappenden Wellen zog er sein Boot auf den Strand. Dann schaute er sich um. Im schwachen bleichen Sternenlicht sah er die dunkle Mauer, die von den Bäumen jenseits des Strandes gebildet wurden. Er ging darauf zu. Seine Beine schienen ihm leicht. Er spürte sie fast nicht. Ein euphorisches Gefühl ergriff ihn. Er glaubte immer noch, daß er auf die Bäume zuschwebte, als er schon längst mit dem Gesicht im Sand lag und die Wunden der aufgeplatzten Brandblasen von scharfen Sandkörnern blutig gerieben wurden. Carberry spürte von alledem nichts mehr. Regungslos lag er da, und seine Ohnmacht
ging in einen Erschöpfung über.
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Schlaf
der
4. Als Edwin Carberry erwachte, schlug er wild um sich. Er hatte einen bösen Traum gehabt. Ein Mann, dessen Gesicht er nicht erkennen konnte, tauchte ihn mit riesigen Händen immer wieder unter Wasser. Er spürte die Wellen über sich zusammenschlagen. Seine rechte Hand griff in Sand. Er stutzte. Abrupt brachen seine Bewegungen ab. Seine schmerzenden Lider hoben sich. Grelles Sonnenlicht blendete ihn. Der Sand, in dem er lag, war heiß. Langsam hob er den Kopf und stützte sich mit den Unterarmen ab. Er sah den langen Schatten und glaubte zuerst, er läge zwischen Bäumen. Doch einer dieser Schatten bewegte sich. Carberry spürte etwas in seiner Seite. Er wollte danach fassen, doch er erhielt einen Stoß und rollte auf den Rücken, ohne daß er sich dagegen hätte wehren können. Geblendet schloß er die Augen. Durch das monotone Rauschen der anbrandenden Wellen hörte er fremdartige Laute. Er öffnete seine Lider einen Spalt. Am liebsten hätte er sie gleich wieder geschlossen, aber er wußte, daß dadurch die Schatten nicht verschwinden würden. Aus seiner Lage sahen die halbnackten, dunkelbraunen Männer wie Riesen aus. Mächtige Bogen lagen in ihren Händen. Die Sehnen waren gespannt und bereit, die tödlichen Pfeile abzuschießen. Vorsichtig setzte Carberry sich auf. Er wußte nicht, was das für Menschen wären. Auf jeden dankte er seinem Schöpfer, daß sie keinen spanischen Harnisch trugen. Er vermied, sich hastig zu bewegen, um den Wilden keinen Anlaß zu geben, auf ihn zu schießen. Fast bedächtig wandte er den Kopf erst nach links, dann nach rechts. Er zählte acht Männer. Ein bißchen zuviel, wenn er bedachte, daß seine Kräfte immer noch ziemlich erschöpft waren und die anderen Waffen in den Händen hielten.
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Ihre Gesichter wirkten alles andere als freundlich. Vielleicht können sie nicht anders gucken, dachte Carberry. Grunzend wälzte er sich auf das rechte Knie und erhob sich langsam. Die Wilden traten erschrocken ein paar Schritte zurück und hoben ihre Bogen an. Acht spitze Pfeile zeigten auf Carberrys Oberkörper. Rasch streckte Carberry die Hände mit nach außen gekehrten Handflächen vor. Er wußte, welch fürchterliche Wunden die verdammten Steinspitzen der Indianerpfeile reißen konnten. „Ich Freund“, sagte er. „Io amigo ...“ Seine Stimme war dem Krächzen eines Papageis nicht unähnlich. Er sah, wie sich die Gesichter der Wilden bei den spanischen Worten noch mehr verdunkelten. Einer von ihnen war drauf und dran, seinen Pfeil auf Carberry abzuschießen. Carberry blieb nichts anderes übrig, als sich wieder zu setzen, um den halbnackten Männern zu zeigen, daß er keine bösen Absichten hegte. Zwischen den Beinen eines breitbeinig dastehenden Indianers entdeckte Carberry neben seinem eigenen Boot zwei schmale Auslegerboote. Lange Stangen ragten aus den schlanken Bootskörpern hervor, und von den dünnen Masten hingen feinmaschige Netze. Die Männer, waren also Fischer, und wie es aussah, hielten sie ihn für einen Spanier, denn wer sonst sollte sich als Weißer in diesem Land aufhalten? Carberry hatte sich vor zwei Tagen mit Thomas Moone über die Indianer unterhalten, die die Küste von Peru bevölkerten. Anhand der Netze erkannte der Profos, daß es sich bei den Wilden um Chimu-Indianer handelte. Es war laut Moone, der eine Menge darüber gelesen zu haben schien, ein Stamm von hoher Kultur, der aber schon vor vielen Jahren von den kriegerischen Inkas untergejocht worden war. Noch schlimmer aber hatten es die Spanier mit ihnen getrieben, denn für die waren selbst die herrischen Inkas keine richtigen Menschen. Die Chimus, die sich den Inkas unterworfen hatten. waren für sie nichts weiter als Tiere.
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Wie kann ich ihnen nur beipulen, daß ich kein Don bin, dachte Carberry und marterte sein Hirn. Englisch verstanden die Burschen nicht, und wenn er seine paar Brocken Spanisch hervorkramte, würden sie ihn wahrscheinlich mit ihren Pfeilen spicken und ihn anschließend braten und verspeisen. Er verlegte sich auf Gesten. Dabei redete er Englisch, damit sie begriffen, daß er kein Don war. Er wies mit der rechten Hand zu seinem Boot hinüber. „Das Boot ist von einer englischen Galeone“, sagte er laut. „Ich bin über Bord gegangen und hierher gepullt. Mein Kapitän heißt Francis Drake. El Draque, wie die verfluchten Spanier sagen.“ Er hatte das Zauberwort gefunden, das ihre Herzen öffnete und ihr Mißtrauen besiegte. Er sah, wie sie ihre Bogen sinken ließen und sich ansahen. „El Draque“, wiederholte einer von ihnen mit kehliger Stimme, und dann folgte ein Kauderwelsch, das Carberry ebenso unverständlich war wie das Gekreische des Affen Arwenack, der mit dem Seewolf und seinen Leuten verschwunden war. Die Chimus waren von einem Augenblick zum anderen wie verwandelt. Zwei Männer legten ihre Bogen beiseite und setzten sich neben Carberry in den Sand. Unentwegt sprachen sie auf ihn ein. Carberry sah, wie die anderen zu ihren Booten liefen und allerhand Sachen hervorholten. Einer war in den nahen Urwald gelaufen und kehrte mit Holz zurück, das er im Sand aufschichtete und entzündete. Bald brannte ein Feuer. Einer der Chimus bemerkte Carberrys gierigen Blick, als er eine Blase mit Wasser herbeibrachte. Er reichte sie dem Weißen mit den roten Haaren. Carberry ließ das köstliche Naß in seinen ausgetrockneten Hals rinnen und fühlte sich wie neugeboren. Er spürte etwas Kühles in seinem Nacken und zuckte zusammen, doch dann merkte er, wie einer der Chimus ihm eine kühle, klebrige Masse auf seine Brandblasen schmierte und der brennende Schmerz fast augenblicklich nachließ. Der Chimu behandelte auch sein
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Gesicht und seine Arme. Da Carberry sich kaum bewegen konnte, wurde er von einem anderen Indianer mit Fleischstückchen und Obst gefüttert. „Ihr behandelt mich wie eine Mutter ihren Säugling“, sagte er schmatzend. „Daran könnte ich mich schnell gewöhnen. Sie sahen, wie zufrieden der Weiße war, und ein Lächeln verwandelte ihre harten Gesichter in Kinderantlitze. Carberry dachte, daß diese Menschen sicher fröhlicher gewesen waren, als sie noch keinen Spanier gesehen hatten. Der Duft von gebratenem Fisch stieg ihm in die Nase. Wenn das so weitergeht, dachte er, springe ich das nächstemal wieder über Bord, wenn in der Nähe eine Küste auftaucht. Plötzlich dachte er daran, daß es vielleicht kein Nächstesmal mehr geben würde. Er wußte nicht einmal, wo er sich befand. Wie wollte er jemals wieder auf ein Schiff gelangen, das ihn über den Atlantischen Ozean zurück nach England brachte? Wenn die Spanier ihn schnappten und erfuhren, daß er ein Mitglied der DrakeCrew war, dann würden sie ihn mit Genuß öffentlich aufhängen oder verbrennen, um jedem Fremden zu zeigen, was ihm blühte, wenn er es wagte, in spanischen Gewässern zu fischen. Carberry atmete wohlig durch, als der Chimu seinen zerschundenen Körper behandelt hatte. Mit vollem Mund versuchte er zu erklären, was er die Indianer fragen wollte. Aber erst als er Zeichen in den Sand malte, verstanden sie seine Frage. Einer der Chimus verlängerte die Linie, die Carberry gemalt hatte, zu einem Oval. Dann ging er ein paar Schritte weiter und malte eine andere Linie in den Sand. Carberry zog die Stirn kraus. „Eine Insel?“ fragte er „Isla?“ Der Chimu nickte. Sein Zeigefinger malte kleine Häuser und eine Art Festung auf die andere Linie. „Trujillo“, sagte er. Er sprach das spanische Wort aus, als ob er .über den Teufel redete.
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„Trujillo“, wiederholte Carberry und spuckte aus, was ihm ein beifälliges Nicken der Chimus einbrachte. Scheiß darauf, dachte er. Irgendwo muß ich ja an Land gehen, und in einem Hafen finde ich am schnellsten ein Schiff, mit dem ich nach Panama segeln kann. Er war sich durchaus darüber im klaren, welchen Schwierigkeiten er entgegensah, aber zur Not würde er sich auch zu Lande nach Panama durchschlagen. Er dachte nicht mehr an Francis Drake und die „Golden Hind“. Wenn er von ihnen jemals etwas wiedersah, dann höchstens in England. Carberry zeichnete eine Linie, die die Insel, auf der sie sich befanden, mit dem Festland und der Stadt Trujillo verband. Fragend blickte er die Chimus an. Er sah, daß sie ihn verstanden hatten, doch sie schienen nicht gewillt zu sein, seiner Bitte zu entsprechen. Hatten sie vielleicht Angst vor den Spaniern in Trujillo? Plötzlich bemerkte Carberry ihre begehrlichen Blicke, die auf sein Boot gerichtet waren. Er begann zu grinsen und nickte. „Ihr verdammten schlitzohrigen Rübenschweine“, sagte .er herzlich. „Ihr sollt das Boot haben, wenn ihr mich nach Trujillo bringt.“ Mit Händen und Füßen erklärte er ihnen, was er wollte. Er fragte, wie weit es bis zum Festland sei, indem er eine Sonne und einen Mond malte und sie mit einer Linie verband. Ein Chimu verstand und trennte die Linie in der Mitte. „Einen halten Tag“, murmelte Carberry und schaute skeptisch auf die schlanken Auslegerboote mit ihren dreieckigen Segeln, die aus irgendwelchen Pflanzenfasern geflochten worden waren. Einer der Chimus redete auf die anderen ein, die sich plötzlich mit strahlenden Gesichtern erhoben, ihre Sachen zusammenpackten und zu Carberrys Boot hinüberliefen, das sie aufgeregt betasteten. Carberry erhob sich ebenfalls. Er war noch ein bißchen wacklig auf den Füßen, doch er merkte, daß er die Strapazen der letzten
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sechsunddreißig Stunden verhältnismäßig gut überstanden hatte. Die Chimus hatten inzwischen alle Boote ins Wasser geschoben. Mit einer Leine wurde das kleine Beiboot der „Golden Hind“ an eins der Auslegerboote befestigt. Carberry wollte in sein Boot steigen, doch die Chimus führten ihn schnatternd zu dem zweiten Auslegerboot. Carberry wollte sich wehren, doch schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich dem leichten, schwankenden Boot anzuvertrauen. Er wagte nicht, sich zu rühren. doch als sich der Wind in den Dreieckssegeln fing und die schlanken Boote wie Pfeile über das Wasser zischten, vergaß er seine Befürchtungen. Er begann zu staunen über die Eleganz und Geschmeidigkeit der Chimus, mit der sie die zerbrechlichen Gefährte über das Meer lenkten. Kopfschüttelnd fragte er sich, was die Chimus an seinem unförmigen Boot fanden, wenn sie über so bewegliche Boote verfügten. Carberry hob die Schultern. Wahrscheinlich wußten sie es selbst nicht. Vielleicht nahmen sie an, daß alles, was die Weißen besaßen, besser sein mußte als ihre Sachen, denn warum sonst waren ihnen die Spanier so überlegen? Carberry genoß die Fahrt über die Meerenge zwischen der Insel und dem spanischen Hafen Trujillo an der ‘peruanischen Küste. Er verscheuchte die Gedanken an die Zukunft. Was er in Trujillo unternahm, konnte er immer noch entscheiden, wenn er dort war. 5. Edwin Carberrys Gesicht, das immer noch von den rotglühenden Brandblasen entstellt war, blickte sorgenvoll auf den kleinen befestigten Hafen, der unter der Last der brennenden Mittagssonne leblos dazuliegen schien. Der Profos der „Golden Hind“ hatte mit Händen und Füßen versucht, den Chimus zu erklären, daß sie ihn nicht direkt zu den Spaniern bringen, sondern ein paar Meilen
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weiter südlich oder nördlich des Hafens an der Küste absetzen sollten. Entweder hatten sie nicht begriffen, was er von ihnen wollte, oder aber sie wollten ihn nicht verstehen. Carberry hatte ergeben die Schultern sinken lassen. Die Chimus grinsten ihn weiterhin an, aber Carberry merkte davon nichts, denn er zermarterte sein Hirn. Welche Geschichte er den Spaniern auftischen sollte, wenn er in ihre Fänge geriet. Er hoffte nur, daß die Chimus den Spaniern gegenüber nicht den Namen El Draque erwähnten. Zwei spanische Galeonen lagen im Hafen vor Anker. Carberry überlegte, ob er vielleicht in der Nacht versuchen sollte, zu einem der Schiffe hinzuschwimmen, sich irgendwo unter Deck zu verstecken, um schnell nach Panama zu gelangen. Wahrscheinlich war das die beste Möglichkeit. Wenn die Spanier ihn auf See entdeckten, würden sie ihn nicht gleich töten. Gute Seeleute wurden immer gebraucht. Weit im Landesinneren sah Carberry jetzt die Befestigungsmauern der Stadt Trujillo, die von einem Fort überragt wurden. Einer der Chimus wies auf die nördliche Seite der Bucht, auf die sie zusteuerten. „Huanchac“, sagte er. Dann drehte er sich um und wies nach Süden. „Salaverri.“ Carberry hatte den Hafen an der südlichen Seite der Bucht noch gar nicht bemerkt. Erstaunt blickte er sich um. Er fragte sich, was die Spanier damit bezweckten, in einer. Bucht zwei Häfen anzulegen. Die schlanken Auslegerboote legten die letzte Strecke rasch zurück. Je mehr sie sich dem Hafen Huanchaco näherten, desto mehr Einzelheiten konnte Carberry erkennen. Die kleine Ortschaft war nicht so ausgestorben, wie er angenommen hatte. Er sah, wie ein Sonnenstrahl von einem eisernen Helm reflektiert wurde, und duckte sich unwillkürlich. Das hatte ihm noch gefehlt! Soldaten! Carberry begann mit Händen und Füßen zu reden, daß die Chimus umdrehen und ihn an einer einsamen Stelle an der Küste
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absetzen sollten, aber die Indianer grinsten nur und nickten, weil sie dachten, er freue sich, endlich wieder auf dem Festland zu sein. Er hörte sie miteinander reden und glaubte herauszuhören, daß es ihnen nur um das Boot ging, das sie sich jetzt verdient hatten. Die Chimus segelten weit an den Galeonen vorbei auf einen flachen Strand zu, der zur Ortschaft hin von einer aus Quadern errichteten Mauer abgeschlossen wurde. Sie hatten es plötzlich eilig. Kaum berührte der schlanke Bootskörper Grund, da schoben die Chimus Carberry ins flache Wasser. Er hatte nicht einmal Gelegenheit, sich bei den Indianern für ihre Hilfe zu bedanken. Sie drehten ihr Auslegerboot herum und segelten hinter ihren Leuten her, die mit dem anderen Boot schon vorher gewendet hatten und nun Carberrys Beiboot hinaus auf die offene See schleppten. Carberry wußte, daß er keine Zeit hatte, den Chimus lange nachzuschauen. Sicher hatte man seine Ankunft beobachtet. Er fragte sich, warum die Soldaten noch nicht aufgetaucht waren. Mit großen Schritten eilte er auf die Hafenmauer zu und schwang sich hinauf. Er hatte ein fensterloses Holzhaus ins Auge gefaßt, hinter dem er sich vor den neugierigen Augen der Einwohner vorerst verbergen zu können glaubte. „Alto!“ Carberry zuckte zusammen, als er die harte Stimme hinter sich hörte. Er kannte nur wenige spanische Brocken, aber daß alto halt hieß, das wußte er. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. Drei Soldaten standen auf dem staubigen Platz. Zwei von ihnen hatten ihre Degen hervorgerissen, der dritte legte gerade seine Muskete auf eine Schießgabel. Carberry war mit ein paar Sätzen hinter dem fensterlosen Holzhaus. Erst dann wurde ihm bewußt, daß er geflohen war. Er konnte nicht einmal mehr sagen, warum er es getan hatte. Vielleicht hatte er im Unterbewußtsein angenommen, der Soldat mit der Muskete wolle ihn erschießen.
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Er hörte das Geschrei der Spanier, und dann krachte ein Schuß. Carberry blickte hinaus aufs Meer. Er sah, wie einer der Chimus auf den Auslegerbooten die Arme hochriß und seitlich ins Wasser fiel. Die anderen waren plötzlich ebenfalls im Wasser verschwunden. Sie hielten sich am Rumpf und an den Auslegern fest. Langsam wurden ihre Boote hinausgetrieben. Gehetzt wandte Carberry den Kopf. Auf dem Hof des fensterlosen Holzhauses, das wahrscheinlich ein Lagerschuppen war, standen allerhand Kisten und Fässer herum. Er wußte, daß es wenig Sinn hatte, sich hier irgendwo zu verbergen, denn die Soldaten würden so lange suchen, bis sie ihn gefunden hatten. Er verfluchte sich, daß er so kopflos davongelaufen und sich damit als Feind verraten hatte. Wäre er stehengeblieben, hätte er den Soldaten immer noch irgendeine Geschichte erzählen können, daß er beim Sturm über Bord einer spanischen Galeone, auf der er erst seit kurzem fuhr, gegangen sei. Jetzt würden sie ihm nicht mehr glauben. Carberry hatte schon eine Menge Schauergeschichten über die Conquistadoren gehört. Sie sollten Meister im Foltern sein. Er hatte keine Lust, das am eigenen Leib zu erfahren. Er war entschlossen, sich seinen Weg freizukämpfen. Aber wohin? Carberry blieb nicht mehr viel Zeit. Das Schreien der Soldaten wurde lauter. Bald mußten sie hinter dem Schuppen auftauchen. Carberry lief los. Er erreichte den hohen Bretterzaun und sprang daran hoch. Er hörte etwas an der Bretterwand kratzen, und dann zischten messerscharfe Krallen dicht an seinem Gesicht vorbei. Carberry ließ sich vor Schreck einfach fallen. Er landete krachend auf dem Rücken und starrte auf das dämonisch wirkende Gesicht der gefleckten Raubkatze, die ihre riesigen Reißzähne entblößt hatte und ununterbrochen fauchte.
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Um ihren Hals lag ein breites Lederband; an dem eine Kette befestigt war. Die drei Soldaten hatten die Ecke des Schuppens erreicht und Carberry entdeckt. Sie schrien sich gegenseitig etwas zu. Zwei von ihnen liefen auf Carberry zu, während der dritte seine Schießgabel in die Erde rammte und die Muskete neu zu laden begann. Carberry war mit einem Satz wieder auf den Beinen. Er drehte der fauchenden Raubkatze den Rücken zu und blickte den Soldaten entgegen, die für ihn der leichtere Gegner waren. Fünf Schritte vor dem Riesen Carberry blieben die Soldaten stehen und fuchtelten mit ‘ihren Degen herum. Sie schrien ihn an, aber Carberry verstand kein Wort. Einer von ihnen tat so, als wolle er Carberry mit dem Degen angreifen, doch als der Profos einen schnellen Schritt nach vorn trat und seine mächtigen Arme ausstreckte, wandte sich der Spanier schreckensbleich um und lief zu seinem Kameraden zurück, der es immer noch nicht geschafft hatte, die Muskete zu laden. Carberry wußte, daß er nicht warten durfte, bis der Kerl es tatsächlich geschafft hatte. Er hatte gesehen, daß Angriff die beste Verteidigung war. Er schnappte sich eine Kiste und knallte sie dem Soldaten, der stehengeblieben war, vor die Brust. Der Mann überschlug sich in der Luft. Sein Degen war ihm aus der Hand gefallen. Benommen setzte er sich auf, und als sein Blick auf Carberry fiel, begann er auf allen vieren davonzukriechen. Carbarry stampfte weiter. Den Degen ließ er liegen. Mit diesen Zahnstochern hatte er noch nie etwas anfangen können. Die beiden Soldaten an der Muskete gerieten in Panik. Sie behinderten sich gegenseitig. als sie gemeinsam versuchten, die Kugel mit dem Ladestock festzurammen. Carberry erreichte den kriechenden Soldaten. Er trat ihm ins Gesäß, daß er mit dem Gesicht in den Sand fiel und platt liegen blieb. Der eisenbeschlagene Lederhelm war ihm von seinem Kopf gerutscht.
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Carberry schlug dem Mann die Faust in den Nacken, um ihn auszuschalten. Der Soldat streckte sich mit einem Seufzer. Die beiden anderen hatten es endlich geschafft die Muskete zu laden. Mit zitternden Händen brachten sie die Waffe hoch und legten den Lauf auf die Schießgabel. Ein Sprung zur Seite genügte Carberry, der Gefahr aus dem Weg zu gehen. Bevor der Soldat begriffen hatte, daß er neu visieren mußte, drückte er ab. Die Pulverladung explodierte mit einem dumpfen Krachen. Pulverrauch hüllte die beiden Soldaten ein, die zu husten begannen. Erst dann flog die Kugel aus dem Lauf, beschrieb einen kürzen Bogen und landete nur zehn Schritte von den Soldaten entfernt im Sand. Carberry grinste. Die Kerle waren nicht mehr dazu gekommen, die Kugel richtig abzudämmen. Der Druck des explodierenden Pulvers war zwischen der Kugel und dem Lauf wirkungslos verpufft. Carberry war nur noch fünf Schritte von den beiden Soldaten entfernt. Er sah die kleinen Fässer, die an der Wand des Schuppens gestapelt waren, und hob eins an. Es war leer. Blitzschnell schwang er es über den Kopf und schleuderte es den Soldaten entgegen, die immer noch Mühe hatten, in der Pulverdampfwolke zu atmen. Das Faß traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie wurden von dem berstenden Holz von den Beinen gefegt, und bevor sie sich wieder aufrichten konnten, war Carberry bei ihnen, packte sie an den Schultern und ließ ihre Köpfe zusammenkrachen. Er hatte vergessen, ihnen die Helme von den Köpfen zu fegen. Es dröhnte zwar, als die Helme gegeneinander stießen, aber die Soldaten verloren nicht ihr Bewußtsein. Einer von ihnen schien sogar seinen Mut wiedergefunden zu haben. Carberry sah das lange Messer in der Sonne blitzen und konnte im letzten Moment dem überraschten Stoß ausweichen. Carberry schlug mit der flachen Hand zu. Der Helm flog dem Soldaten vom Kopf. Der Profos schlug mit der. Faust zu, als
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hielt er einen Hammer in der Hand. Die Beine knickten dem Soldaten weg. Er verdrehte die Augen und sackte zusammen, als wolle er sich in den Boden bohren. Etwas Hartes traf Carberry im Rücken. Fast gemächlich wandte er sich um. Der Spanier, der mit der langen Muskete zugeschlagen hatte, starrte den grauäugigen Riesen fassungslos an. Noch immer hielt er die Muskete in den schmerzenden Händen. Er konnte nicht glauben, daß sein Schlag bei dem Riesen keinerlei Wirkung hinterlassen hatte. Carberry hieb den Spanier mit einer Ohrfeige von den Beinen. Er wartete einen Augenblick, ob er noch einmal zulangen mußte, doch keiner der drei Soldaten rührte sich mehr. Ein Schauer lief Carberry über den Rücken, als er zur Bretterwand hinüberblickte, über deren Rand immer noch der fauchende Raubtierkopf zu sehen war. Die große Katze wäre sicher ein gefährlicherer Gegner gewesen als die drei Soldaten. Carberry wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb, von hier zu verschwinden, denn sicher waren die drei Soldaten nicht die einzigen gewesen, die hier im Hafen Huanchaco stationiert waren. Die anderen mußten die Schüsse gehört haben und waren vielleicht schon auf dem Weg hierher. Carberry drehte sich um. Er hatte nicht mal mehr Zeit, sich richtig zu erschrecken. Eine Mauer von Soldaten versperrte ihm den Weg zum Hafen hinunter. Im ersten Impuls wollte er sich herumwerfen, doch das Fauchen der Raubkatze brachte ihm in Erinnerung, daß ihm dieser Weg auch versperrt war. Carberry hob die Schultern. „Ola, amigos“, sagte er grinsend. Am liebsten hätte er noch gefragt, wann das nächste Schiff nach Panama auslief, doch seine Sprachkenntnisse reichten dafür nicht aus. Er rührte sich nicht, obwohl er sah, daß ein paar Soldaten ihn umkreisten. Ein Offizier
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trat einen Schritt auf ihn zu und begann zu. sprechen. Carberry wurde mit einem Hagelschauer von Worten überschüttet, von denen er kein einziges verstand. Er spürte eine Bewegung hinter sich und zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern. Es half ihm nichts. Mit ungeheurer Wucht krachte der Schaft einer Muskete auf seinen Hinterkopf und löschte sein Bewußtsein. Er spürte nicht mehr, wie er in den heißen Sand fiel und wie die Soldaten ihn mit sechs Mann hochhoben und am Hafen vorbei in ein festes Haus schleppten, das den Soldaten als Wachstube diente. * Carberry blinzelte in den Sonnenstrahl, der durch das hohe, vergitterte Fenster auf sein Gesicht fiel. Sein Schädel brummte, als hätte sich ein Bienenschwarm darin niedergelassen. Erst nach einer ganzen Weile bemerkte er, daß er nicht allein war. Stöhnend richtete er sich auf. Er befand sich in einem großen Raum. Die Wände bestanden aus groben Quadern, die ohne Mörtel zusammengefügt waren. In der gegenüberliegenden Ecke hockten drei verängstigte Indios. Carberry wußte nicht, ob es sich um Chimus oder Inkas handelte. Für ihn sahen die Gesichter der Indianer alle gleich aus. Seine Knie waren noch weich, als er zum Fenster hinüberging. Er mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, um hinaussehen zu können. Er hatte einen herrlichen Blick über die Bucht von Trujillo. Über die Hütten und Schuppen, die unten am Hafen standen, ragten die Aufbauten und Masten der Galeonen. Carberry rüttelte an dem Eisengitter, doch es schien zu stabil zu sein, als daß es sich mit Gewalt herausbrechen ließe. Er drehte sich um und grinste die Indios an. Angst stand in ihren Augen. Wahrscheinlich hatten sie einen solchen Riesen noch nie gesehen. Mit den dunkelblonden Haaren, die auf seinem
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Hinterkopf von Blut verklebt waren, und den eisengrauen Augen erschien er ihnen wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Früher einmal wären sie einem solchen Fremden wie einem Gott entgegengetreten, doch inzwischen kannten sie die Conquistadoren, und sie erwarteten, daß der grauäugige Riese noch viel furchtbarer war als die spanischen Eroberer. „Tu Chimu?“ fragte Carberry. Er wies mit der Hand auf sich. „Io marinero de El Draque.“ Er las nur Furcht und Unverständliches in ihren Augen. Vielleicht saßen sie schon zu lange in diesem Gefängnis, um von Drake gehört zu haben. Nur bei dem Wort Chimu hatte es in ihren Augen verächtlich aufgeblitzt. Die Indios schienen zu bemerken, daß ihnen von dem grauäugigen Riesen keine Gefahr drohte. Schließlich hatten die Spanier ihn ebenfalls eingesperrt. Carberry hockte sich auf den Boden und plauderte munter drauflos. Es war ein Gemisch aus Englisch und den wenigen Brocken, die er während der Fahrt von Nunez, dem portugiesischen Lotsen, aufgeschnappt hatte. Es war ihm gleich, ob sie ihn verstanden oder nicht, er wußte, daß das Sprechen eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffte. Sie hörten ihm zu. Die Angst verschwand aus ihren Augen. Ihre angeborene Neugier siegte. Einer von den Indios wagte sich an Carberry heran und wies auf sein Gesicht. Er sagte etwas. Carberry verstand die kehligen Laute nicht, doch er begriff, daß der Indio ihm sagen wollte, wie er am besten sein zerschundenes, von Brandblasen übersätes Gesicht behandelte. Carberry legte dem Mann die Hand auf die Schulter. Der Indio zuckte unter seiner Berührung zusammen, doch als er das Grinsen auf Carberrys Gesicht sah, begann er ebenfalls zu lächeln. „Amigo“, sagte er. Carberry lachte dröhnend. Er freute sich wie ein Kind, daß es ihm gelungen war, den ersten freundschaftlichen Kontakt zu diesen scheuen Männern herzustellen, die
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bestimmt schon sehr viel Böses erlitten hatten. „Amigo“, wiederholte er lachend und schüttelte die Hände der Indios. Sie wurden schlagartig still, als sie das Klirren von Ketten hörten. Die drei Indios verkrochen sich in ihre Ecke und starrten zur Tür. Carberry schüttelte den Kopf. Sicher waren diese Indios keine Feiglinge, aber wenn ein Volk über Jahrzehnte gedemütigt, ausgebeutet und skrupellos abgeschlachtet wird von einem übermächtigen Feind, dann kann sich der Mut eines Volkes schnell verlieren. Mit wenigen Schritten war Carberry neben der Tür. Er preßte sich eng an die Wand. Mit einer Handbewegung bedeutete er den Indios, sie sollten in eine andere Richtung blicken, damit sie ihn nicht gleich verrieten, aber sie begriffen erst, was er wollte, als er einen Finger auf die Lippen legte. Ein Schlüssel wurde in das Schloß gesteckt und umgedreht. Quietschend hob sich ein Riegel aus der Verankerung. Knarrend schwang die Tür nach innen und deckte Carberrys Körper. Er hörte an ihren Stimmen, daß es sich um zwei Wachen handelte. Vielleicht ständen noch andere herum, die nichts sagten, aber das Risiko mußte Carberry eingehen. Er hörte die überraschten Ausrufe der beiden Wachen, als sie den gefangenen Fremden nicht sahen. Die drei Indios starrten zum Fenster hoch, als erwarteten sie von dort ein Wunder. Carberry wußte, daß er jetzt handeln mußte. Er holte noch einmal tief Luft und warf sich mit aller Kraft gegen die schwere Bohlentür. Auf der Hälfte der Strecke spürte er den ersten Widerstand. Ein erstickter Schrei war zu hören. Dann knallte die Tür gegen den Rahmen. Sie ließ sich nicht ganz schließen. Carberry sah ein Bein, das seltsam abgeknickt war. Ein markerschütternder Schrei folgte. Carberry riß die Tür wieder auf. Er sprang zur Seite und sah die beiden Soldaten. Der eine hielt sein gebrochenes Bein, während
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der andere benommen an der gegenüberliegenden Wand lehnte und sich den Kopf hielt. Carberry zögerte keine Sekunde. Er hieb dem ersten Soldaten die Faust ans Kinn. Das Schreien erstarb. Der andere Soldat hatte seine Überraschung überwunden und zerrte an dem Degen an seiner Seite. Mit zwei Schritten war Carberry bei ihm und hieb ihn mit einer Ohrfeige zu Boden. Er riß dem Soldaten die Pistole aus dem Gürtel, überzeugte sich, daß sie geladen war und winkte dann den drei Indios, die ihn anstarrten und dabei so aussahen, als erwarteten sie jeden Moment den Weltuntergang. „Los, pronto!“ rief Carberry ihnen zu und wedelte mit der Pistole. Sie sprangen auf und liefen zur Tür. Carberry vermutete, daß sie Angst vor der Pistole hatten. Es war ihm egal. Hauptsache, sie nutzten ihre Chance und flohen. Er fluchte unterdrückt. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte, denn als sie ihn hierhergebracht hatten, war er besinnungslos gewesen. Endlich schienen die Indios begriffen zu haben, daß sie zusammen mit dem grauäugigen Riesen fliehen sollten. Sie redeten hastig aufeinander ein und winkten Carberry zu, ihnen zu folgen. Harte Schritte waren zu hören. Rufe klagen auf. Die Soldaten hatten den Schrei aus dem Gefangenentrakt gehört. Die Indios hatten den Weg ins Freie gefunden. Sie rissen die niedrige Tür auf und schlüpften hindurch. Carberry folgte ihnen. Die grelle Sonne stach ihm in die Augen. Er mußte sie zusammenkneifen. Eine kleine Hand zerrte an seinem Arm. Ein Schuß brüllte auf. Carberry vermeinte den Luftzug der Kugel zu verspüren. Das Blei klatschte hinter ihm in die Mauer. Ein Regen von Steinsplittern überschüttete seinen Rücken. Er riß die Augen auf. Vom Hafen herauf rannten Spanier auf ihn zu. Es waren keine Soldaten, doch sie waren schwer bewaffnet und mindestens ebenso gefährlich wie die
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Männer, die Carberry gefangengenommen hatten. Die drei Indios schrien. Sie waren schon losgelaufen, und einer von ihnen blieb jetzt stehen und winkte Carberry zu. Der Profos lief los. Schon nach wenigen Schritten merkte er, daß er seine Kraft überschätzt hatte. Sein Körper begann zu rebellieren. Schleier tanzten vor seinen Augen. Er glaubte seine Beine nicht mehr zu spüren. Schwer atmend blieb er stehen. Eine zweite Kugel fauchte dicht an ihm vorbei. Als sich die Schleier wieder lichteten, sah er das Gesicht des einen Indios vor sich. Die schmalen Lippen des kleinen Mannes bewegten sich, doch Carberry verstand nichts. Fast willenlos ließ er sich von dem Indio weiterzerren. Carberry überwand seinen Schwächeanfall. Er lief schneller. Er sah den fensterlosen Schuppen, und voller Schrecken sah er. wie die beiden Indios, die weit vor ihm liefen, in den Hof einbogen, wo er vor Stunden beinahe in die Fänge der furchtbaren Bestie geraten war. Er wollte dem Indio neben sich eine Warnung zurufen, doch da stolperte der kleine Mann und flog fast drei Yards durch die Luft, ehe er mit dem Gesicht in den Sand klatschte. Ein roter Fleck breitete sich auf seinem Rücken aus. Carberry blieb stehen. Mit zusammengebissenen Zähnen drehte er sich um, hob den Arm mit der Pistole und drückte ab. Einer der Verfolger überschlug sich mitten im Lauf. Die anderen warfen sich seitlich zu Boden, obwohl sie sehen mußten, daß Carberry keine zweite Waffe hatte. Mit einem Blick auf den Indio stellte Carberry fest, daß dem kleinen Mann nicht mehr zu helfen war. Das faustgroße Loch in seinem Rücken hatte ihn auf der Stelle getötet. Carberry hastete weiter. Er hatte noch eine kleine Hoffnung. Vielleicht kannten sich die beiden anderen Indios in Huanchaco aus und waren absichtlich zu dem Schuppen gelaufen.
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Mit schwerfälligen Schritten hastete er weiter. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er um die Ecke des Schuppens bog. Er blickte auf die gefleckte Raubkatze, deren Fänge weit geöffnet waren. Die mächtigen Reißzähne blitzten in der Sonne. Carberry war stehengeblieben, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Er hörte die kehligen Schreie der beiden Indios, die hinter der Raubkatze standen und ihm heftig zuwinkten. Erst dann sah er, daß einer der Indios die Kette hielt, die an dem Lederhalsband der fauchenden Bestie befestigt war. Nur langsam begriff Carberry. Das Raubtier gehörte den Indios. Sie hatten es gezähmt. Er wollte sich in Bewegung setzen, als er den harten Schlag am Kopf spürte. Er wollte sich umdrehen, um den Mann zu packen, der ihn geschlagen hatte, aber seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Er griff sich an den Kopf und erschrak, als er die klebrige Feuchtigkeit spürte. Plötzlich wußte er, daß er von einer Kugel getroffen worden war. Sie hatte ihn gestreift. Er preßte die Zähne aufeinander und zwang sich, vorwärts zu gehen. Die Raubkatze fauchte ihn an, doch ein paar Worte des einen Indios genügte, sie verstummen zu lassen. Carberry sah, wie der Indio zum Halsband der Raubkatze griff und die Kette löste. Die Nackenhaare stellten sich Carberry auf. „Jaguar!“ schrie der Indio gellend. Die gefleckte Raubkatze schnellte davon wie ein Pfeil. Carberry blieb taumelnd stehen und wandte sich um. Ein Bild des Grauens bot sich ihm. Die scharfen Reißzähne richteten ein Blutbad unter den Spaniern an. Sie flohen voller Entsetzen und hatten doch keine Chance, dem unheimlichen Angreifer zu entgehen. Carberry brach in die Knie. Tränen der Enttäuschung standen in seinen Augen. Er hatte die Möglichkeit, den Spaniern zu entfliehen. Er hatte zwei Freunde
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gefunden, die ihm sicherlich helfen würden, durch das unbekannte Land bis nach Panama oder Nombre de Dios zu gelangen, von wo aus er die Reise zur Heimat antreten konnte. Und gerade jetzt verließen ihn die Kräfte. Er spürte, wie ihm das Blut von der Streifwunde in den Nacken lief. Schmale Hände zerrten an seinen Armen, aber die beiden Indios schafften es nicht, den schweren Riesen auf die Beine zu bringen. „Lauft weg“, sagte Carberry keuchend, „Ihr könnt mir nicht helfen. Bringt euch selbst in Sicherheit ...“ Er verstummte, als er die Schüsse hörte. Ein Schrei klang auf, so schrill, wie Carberry ihn noch nie gehört hatte. Die Indios erstarrten. „Jaguar“, flüsterte der eine. Sie hatten die Raubkatze getötet. Jetzt war es nur noch eine Frage von Minuten, wann die Häscher auftauchen und sie wieder gefangen nahmen. Vielleicht würden die Spanier dieses Mal erst gar nicht so viele Umstände machen. Carberry wußte nicht, wie viele Männer die Raubkatze getötet hatte, auf jeden Fall würden die Soldaten verdammt wütend sein. Vielleicht so wütend, daß sie die Gefangenen auf der Stelle erschossen, wenn sie sie wieder einfingen. Carberry spürte, daß er nicht mehr die Kraft hatte, sich zu erheben. Er sah, daß er immer noch die Pistole in der Hand hielt. Langsam richtete er sie auf die beiden Indios. Sie starrten Carberry erschrocken an, und als er mit der Pistole ruckte, wichen sie ein paar Schritte zurück, „Haut endlich ab, ihr Affenärsche!“ brüllte er. „Oder sollen sie euch wieder bei den Hammelbeinen kriegen? Pronto, ihr Hohlköpfe! Verschwindet im Urwald!“ Sie begriffen nur langsam, was er von .ihnen verlangte. Carberry sah an ihren Augen, in denen keine Angst mehr war, daß sie ihn bewunderten. Er schüttelte den Kopf. Ihm selbst nutzte das wenig. Er sah, wie die Indios geschmeidig über den hohen Bretterzaun hinwegsetzten. Minutenlang starrte er ihnen nach, und als
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er die Geräusche der sich nähernden Spanier vernahm, sammelte er seine letzten Kräfte. Er wollte sie stehend empfangen. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er kämpfte seine Schwäche nieder, und als die Spanier um die Ecke des Schuppens liefen, stand er da wie ein Fels, den auch der stärkste. Sturm nicht umwerfen konnte. Sie blieben abrupt stehen und starrten den grauäugigen Riesen ungläubig an. Seine rechte Gesichtshälfte war rot vom Blut, das ihm am Hals hinablief und das Leinenhemd dunkel färbte. Er schleuderte ihnen die Pistole entgegen. Das Geschoß stieß einen der Spanier zu Boden. „Kommt nur her, .ihr spanischen Hurensöhne!“ rief er heiser. „Ich werde euch zeigen, wie ein Engländer kämpft!“ Er wollte einen Schritt auf die Spanier zugehen, doch als er seinen festen Stand aufgab, knickten seine Beine ein, und er schlug in den Sand wie ein gefällter Baum. 6. Seit fast drei Tagen segelte die „Isabella III“, mit vollem Zeug vor dem Wind, und die Mannschaft hatte das Gefühl, daß sie bald den Nordpol erreichen mußten, wenn sie so weitersegelten. „Vielleicht haben wir die ,Golden Hind` schon überholt“, sagte Ben Brighton zu Hasard. „Oder euer Kapitän Drake ist im Sturm abgesoffen“, fügte Jean Ribault hinzu. Ben Brighton hörte auf zu grinsen. Er blickte den Franzosen unter zusammengezogenen Brauen an, als habe er ein Sakrileg begangen. Ribault zuckte mit den Schultern. Für die alte Crew der „Isabella“ schien dieser Drake eine Art Gott zu sein. Er hatte schon ein paarmal bemerkt, daß eine eigenartige Spannung auftrat, wenn einer der ehemaligen Piraten etwas über diesen Kapitän Drake oder die „Golden Hind“ sagte, was den anderen nicht schmeckte. „Francis Drake ist der beste Kapitän, der je auf einem englischen Schiff gefahren ist“, sagte Ben Brighton. „Er hat es geschafft,
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die Stürme am Kap der Dämonen zu überstehen, dann wird ihn dieser kleine Windstoß nicht umgepustet haben.“ „Mon dieu“, erwiderte Ribault, und in seinen Augen blitzte es aufsässig. „Ich habe Monsieur Seewolf in diesem Sturm erlebt, und du willst behaupten, Drake sei ein noch besserer Kapitän, Brighton?“ Bens Kinnlade klappte herunter. Er blickte von dem Franzosen zu Hasard und wieder zurück. Er hätte nicht sagen können, wessen Grinsen hinterhältiger war. „Ich – natürlich ist ...“ Er begann zu stottern. ..Verdammt noch mal! Das kann man doch nicht miteinander vergleichen!“ „Warum nicht?“ fragte Ribault. Weil– weil ...“ „Warum stotterst du denn?“ fragte Hasard grinsend. Ben Brighton drehte sich abrupt um und ging davon. „Ihr könnt mich mal“, sagte er leise, aber Hasard und Ribault hatten es verstanden. „Warum reagiert ihr eigentlich alle so empfindlich, wenn der Name Drake fällt?“ fragte Ribault nach einer Weile. Hasard blickte den schlanken Franzosen an. „Er ist unser Kapitän“, sagte er. „Wir alle stehen unier seinem Kommando. Jeder Mann hier an Bord der ‚Isabella’ ist unter Drake gefahren. Und Brighton hatte recht. Drake ist der beste Kapitän, den es gibt.“ Ribault hob wieder die Schultern. „Ich kenne ihn nicht“, sagte er. „Also muß ich glauben, was ich von ihm höre. Nach allem, was die Leute erzählen, muß er ein übermenschliches Wesen sein.“ „So etwas Ähnliches“, erwiderte Hasard lächelnd. Ribault schwieg. Er hatte die Augen zusammengekniffen und starrte voraus. Nur wenig neben der Blinde sah er an der Kimm einen kaum erkennbaren dunklen Streifen. Er wollte sich an den Seewolf wenden und sagen, daß Dan O’Flynn da oben im Großmars wohl schliefe, als auch schon die Stimme des Bürschchens über Deck krähte. „Steuerbord voraus Land in Sicht!“
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Der Seewolf kniff die Augen zusammen, aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis er den kleinen dunklen Buckel entdeckte, der wie der Rücken einer Riesenschildkröte über die Kimm ragte. Ben Brighton tauchte wieder auf. Er versuchte, den Franzosen zu ignorieren. „Wir könnten ein paar Fässer Frischwasser gut gebrauchen“, sagte er zu Hasard. „Bei dem Sturm sind uns drei Fässer ausgelaufen und zwei vom Salzwasser verdorben.“ Der Seewolf nickte. Er rief ein paar Befehle, und wenig später ging die „Isabella“ über Stag und segelte auf den dunklen Buckel zu, der sich schnell näherte und sich als kleine Insel entpuppte. Sie war mit Palmen bewachsen. Der helle Sandstrand leuchtete in der Mittagssonne. Die Mannschaft der „Isabella“ hielt sich an Deck auf. Jeder hatte den Wunsch, zu den Bootsgasten zu gehören, die den Befehl erhielten, an Land zu pullen und drei Fässer voll Wasser zu füllen. Der Seewolf ließ die „Isabella“ bis an die Nordseite der Insel segeln, um an der Leeseite vor Anker zu gehen. Die Küste war hier zwar felsig, aber es gab genug kleine Buchten, in denen die Pinasse landen konnte. Ferris Tucker erhielt den Befehl, an Land zu pullen. Die Leute dafür suchte er selbst aus. Ferris war klug genug, sechs Mann von der alten Crew und sechs von den ehemaligen Piraten mitzunehmen. Noch war zu spüren, daß es zwei verschiedene Lager auf der „Isabella“ gab. Die Zeit war einfach zu kurz gewesen, die beiden Teile zu einem Ganzen zusammenzuschmieden. Die Pinasse wurde zu Wasser gelassen. Die glücklichen Männer, die Ferris Tucker ausgewählt hatte, kletterten hinunter und pullten nach wenigen Minuten mit kräftigen Schlägen auf die Insel zu, die vielleicht zwei Kabellängen von der ankernden „Isabella“ entfernt war. Der Seewolf und die zurückgebliebenen Männer beobachteten, wie Ferris Tucker und die anderen an Land gingen. Sie setzten die schweren Fässer an den Strand,
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und dann schickte Ferris sechs Männer los, die eine Quelle suchen sollten. „He, was ist denn das?“ Hasards Kopf ruckte hoch. Dan O’Flynn, der oben im Großmars hockte, wies zur Insel hinüber. „Ein paar Eingeborene mit Auslegerbooten und einem Beiboot!“ rief er zum Deck hinunter. Hasard schüttelte den Kopf. Was war daran so besonderes? Die Insel schien ein Paradies zu sein. Weshalb sollten hier keine Indianer leben oder zum Fischen vom Festland herübersegeln? Der Seewolf schwang sich in die Wanten des Großmastes und turnte hinauf. Arwenack, der Schimpanse, der neben Dan O’Flynn hockte, begann zu kreischen, als wolle er den Großmars gegen den ungebetenen Gast verteidigen. „Halt die Klappe, sonst dreh ich dir den Hals um“. sagte der Seewolf grimmig, und als Arwenack ihm darauf einen Belegnagel entgegenschleuderte, der ihn fast an den Kopf traf, fluchte er und griff nach dem Affen. Arwenack verschwand kreischend hinter Dan O’Flynn. „Du solltest deinem Bruderherz ein bißchen Benimm beibringen“, sagte Hasard zu Dan. Das Bürschchen grinste frech. „Das kommt schon noch“, sagte er, „erst mal muß ich seine Spräche lernen.“ „Die kannst du noch nicht?“ fragte Hasard. „Euer Geschrei hört sich schon verdammt ähnlich an.“ „Hast du uns auch eine Banane mitgebracht, Papa?“ fragte Dan. Hasard antwortete nicht. Er hatte die kleinen Dreieckssegel der beiden Auslegerboote entdeckt und zwischen ihnen das Ruderboot, das nur von einem europäischen Schiff stammen konnte. Die kleinen, eleganten Schiffe durchschnitten die sanfte Dünung und zogen das Boot hinter sieh her. Hasard kniff die Augen zusammen. Die Indianer flohen vor ihnen. Wahrscheinlich waren sie hier zum Fischen gewesen und glaubten, daß die Männer auf dem großen
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Schiff Spanier Waren. Hasard hob die Schultern und wollte sich schon abwenden, als Dan O’Flynn einen leisen Pfiff ausstieß. „Was. ist?“ fragte Hasard. Dan O’Flynn schüttelte den Kopf. „Einen Augenblick dachte ich, ich müßte das Boot kennen“, sagte er. „Aber das kann nicht sein.“ Jetzt blickte auch Hasard genauer hin. Ein seltsames Gefühl stieg in ihm auf. Er konnte an dem Boot nichts Besonderes entdecken. Diese Art Boote sahen alle gleich aus. Aber die Worte Dan O’Flynns hätten das Mißtrauen in ihm geweckt. Wie waren die Indianer zu diesem Boot gekommen? Der Seewolf überlegte noch einen Moment, dann beugte er den Kopf und rief zum Deck hinunter: „Anker auf! Setzt das Großsegel! Wir holen uns die Indios und fragen sie aus, ob sie die ,Golden Hind` gesehen haben!“ Ben Brighton reagierte, ohne viele Fragen zu stellen. Die Männer am Gangspill holten die Ankertrosse ein, ein paar andere setzten das Gaffelsegel. Schnell nahm die „Isabella“ Fahrt auf. Der Seewolf stand bereits wieder auf dem Achterdeck und beobachtete, wie sich die schlanke Galeone den Auslegerbooten näherte. In der Bucht, in der die Pinasse der „Isabella“ gelandet war, gestikulierten die zurückgebliebenen Männer. Der Seewolf hörte Fetzen von den gebrüllten Lauten, die der Wind herantrug. Er kümmerte sich nicht darum. Sie mußten wissen, daß er sie nicht im Stich ließ, sondern das etwas vorgefallen war, das ihn zwang, ankerauf zu gehen. Der Seewolf hatte Karl von Hutten herangewinkt. Der Deutsche blickte zu den Auslegerbooten hinüber. Die Indios versuchten durch Kurswechsel der Galeone zu entgehen, doch schließlich gaben sie auf. Sie hatten eingesehen. daß sie dem schnellem. Schiff nicht davonsegeln konnten. „Es sind Chimus“, sagte Karl von Hutten.
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„Verstehen Sie ihre Sprache?“ fragte Hasard. Von Hutten nickte. „Sie sind ein bedauernswertes Volk“, sagte er. „Erst wurden sie von den Inkas unterjocht und kämpfen schon seit einem Jahrhundert gegen sie, und als sie es fast geschafft hatten, sich ihre Freiheit zurückzuerobern, mußten sie feststellen, daß die spanischen Eroberer noch viel grausamer als die Inkas sind.“ „Können Sie das Boot gestohlen haben?“ fragte Hasard. Karl von Hutten hob die Schultern. „Ich weiß es nicht“, antwortete er. „Meiner Meinung nach haben sie viel zu viel Angst vor den Spaniern, als daß sie es wagen würden, ihnen etwas zu stehlen. Die Spanier würden sie dafür töten.“ Dicht neben den Auslegerbooten drehte Ben Brighton bei. Das europäische Boot schwabte am Rumpf der „Isabella“ entlang. Mit angstvoll geweiteten Augen starrten die fünf Indios zum Schanzkleid der Galeone hoch, über dem die Läufe mehrerer Musketen lagen. Hasard wollte kein Risiko eingehen. Er bat Karl von Hutten, die Indios an Bord zu holen und ihnen zu erklären, daß ihnen nichts geschähe, wenn sie nicht selbst zu ihren Waffen griffen. Karl von Hutten beugte sich über das Schanzkleid und sprach mit den Chimus. Zuerst blickten sie ihn mißtrauisch an, aber als Hasard das Wort El Draque aus Huttens Mund hörte, sah er, wie sich die Gesichter der Indios erhellten. Vier von ihnen kletterten an Bord der „Isabella“, nachdem sie ihre Messer im Bootskörper der Auslegerboote abgelegt hatten. Einer von ihnen blieb zurück, um die Boote zusammenzuhalten. Die vier Chimus redeten ununterbrochen auf Karl von Hutten ein. An ihren Gesten erkannte Hasard, daß sie von einem Kampf berichteten. Hasard trat dazwischen. „Fragen sie ihn, ob er die ‚Golden Hind` gesehen hat“, sagte er. „Alles andere interessiert uns nicht.“
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„O doch“, erwiderte Karl von Hutten. „Warten Sie ab, Sir. Die Chimus erzählen mir gerade, von wem sie das Boot haben.“ Er forderte den einen Indio auf, weiterzuerzählen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er mit seinem Bericht zu Ende war. Der Seewolf wurde schon ungeduldig. Er meinte, daß in dieser Zeit jemand die gesamte Menschheitsgeschichte erzählen konnte. Karl von Hutten wandte sich an Hasard. „Das scheint eine interessante Geschichte zu sein“, sagte er. „Die Chimus haben das Boot von einem Mann, der behauptet hat, er sei jemand von der Mannschaft El Draques.“ Hasard starrte den Deutschen überrascht an. Dann blickte er hinunter zu dem Beiboot. Er rief die Mannschaft heran und fragte, ob jemand sich genau an das Beiboot der „Golden Hind“ erinnern könne. Niemand wußte es mit Bestimmtheit. Doch alle räumten ein, daß es das Boot sein könnte. „Wo ist der Mann?“ fragte Hasard. „Die Chimus haben ihn auf seinen Wunsch hin zum Festland hinübergebracht, das eine halbe Tagesreise mit ihren Booten von hier entfernt ist“, sagte Karl von Hutten. „Dafür hat er ihnen das Boot versprochen. Sie setzten ihn in einem kleinen Hafen ab, aber dort wurde er gleich von spanischen Soldaten in Empfang genommen. Sie haben noch gesehen, daß er geflohen ist, aber dann wurden sie selbst beschossen und konnten nichts mehr sehen. Einer ihrer Leute wurde von einer Musketenkugel getötet.“ Hasard schüttelte den Kopf. Das war tatsächlich eine seltsame Geschichte. Wer konnte der Mann sein, der mit dem Boot der „Golden Hind“ einsam auf dem großen Meer herumfuhr?“ Hatte Drake ihn ausgesetzt? „Hat der Mann seinen Namen genannt?“ fragte Hasard. Karl von Hutten fragte die Chimus. Sie schüttelten die Köpfe. Auf seine nächste Frage holte einer der Chimus eine Art Palmwedel aus seinem Gewand und sprach auf Karl von Hutten
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ein. Der wandte sich an einen der nebenstehenden Männer und bat ihn, einen Eimer Wasser heranzuschaffen. Die Männer der „Isabella“ blickten sich fragend an. Auch Hasard wußte nicht, was das zu bedeuten hatte. Aber als der Eimer Wasser auf den Decksplanken stand. wurde es jedem klar. Der Chimu tauchte seinen Palmwedel ins Wasser und begann auf dem Deck zu malen. Mit wenigen gekonnten Pinselstrichen zauberte er mit dem Wasser ein Gesicht auf die Planken, das jeder aus der alten Seewolf-Crew auf Anhieb erkannte. „Carberry!“ rief Dan O’Flynn. „Der Mann soll Haar wie dunkler Sand und graue Augen gehabt haben“, sagte Karl von Hutten. „Carberry“, murmelte Hasard. Es gab keinen Zweifel. Aber wie, verdammt noch mal, geriet Carberry in das Beiboot der „Golden Hind“, und warum pullte er mutterseelenallein auf dem großen Ozean herum? Er schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken. Es gab nur einen, der ihm auf diese Fragen eine Antwort geben konnte, und das war Carberry selbst. Hasard wandte sich wieder an Karl von Hutten. „Wie heißt der Ort, an dem sie Carberry abgesetzt haben?“ fragte er. Hutten fragte die Chimus und sagte dann nach einer Weile:: „Es ist ein Hafen namens Huanchaco. Acht Meilen weiter den Chimu-Fluß hinauf liegt die Stadt Trujillo.“ Während die Chimus weiterhin mit lebhaften Gebärden auf Karl von Hutten einredeten, starrte der Seewolf auf das langsam trocknende Bild von Carberry, das der eine Chimu gemalt hatte. Das Rammkinn, die prägnante Nase, die Narben im Gesicht — es war unverkennbar Carberry. War der Profos den Spaniern in die Hände gefallen? Oder hatte er sich vielleicht absichtlich von der „Golden Hind“ abgesetzt und war zu den Spaniern
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übergelaufen? Weshalb hatte er sich direkt in einen spanischen Hafen bringen lassen? Karl von Hutten unterbrach seine Gedanken. „Sie haben mir von einem Teufel in Menschengestalt erzählt, der dort oben in der Festung von Trujilio herrschen soll“, sagte er leise, daß nur Hasard ihn verstehen konnte. „Sie meinten, wenn der große Engländer den Spaniern in die Hände gefallen sei, dann habe man ihn dorthin gebracht. Und dann sei er so gut wie tot. Der Teufel von Trujillo würde ihn so lange foltern, bis kein Leben mehr in ihm sei.“ Hasard preßte die Lippen aufeinander. Er gab auf die Erzählungen der Indios nicht viel. Sie glaubten allzuschnell an Geister. Aber eins war klar: Wenn Carberry einem spanischen Beamten in die Hände fiel, dann würde der ihn wahrscheinlich wirklich so lange foltern, bis Carberry ihm verraten hatte, woher er so plötzlich aufgetaucht war. Sie würden herausfinden, daß er Engländer war, und dann war der Schluß nicht mehr weit. daß er zu El Draque gehörte, dessen Auftauchen im Pazifischen Ozean wie ein Lauffeuer durch die Städte im Westen des neuen Kontinents ging. Hasard hob den Kopf. Ein entschlossener Ausdruck trat in seine Augen. Er hatte sich alles genau überlegt. Er mußte Carberry aus den Fängen des Teufels von Trujillo, wie ihn die Chimus genannt hatten, befreien. Hasard glaubte nicht, daß Kapitän Drake gegen dieses Unternehmen Einwände erhoben hätte, wenn es auch gefährlich war, mit so wenigen Leuten eine spanische Festung anzugreifen. Vielleicht würde Drake sagen, daß sich das Risiko für einen einzelnen Mann nicht lohnte, aber dann würde Hasard ihm entgegenhalten, daß er es unbedingt hatte verhindern müssen, daß die Spanier von Carberry unter der Folter erfuhren, wohin Drake segeln wollte. Ja, das war die Lösung. Der Seewolf schaute seine Männer an. Die alten, die Carberry schon seit Jahren kannten, würden ihm folgen, ohne zu zögern. Die anderen würde er eben mit der Beute
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locken, die sie sicher in der Festung fanden. Er wandte sich an Hutten. „Fragen Sie die Chimus, ob sie uns zu dem Bau führen können, wo der Teufel regiert“, sagte er. „Versprechen Sie ihnen zwei Segel, die Thorne für ihre Auslegerboote nähen wird.“ Karl von Hutten übersetzte Hasards Wunsch. Im ersten Moment verdunkelten sich ihre Augen vor Furcht, doch als er ihnen von den Segeln erzählte, leuchteten ihre Gesichter, und sie nickten eifrig. Hasard befahl, die Auslegerboote und das Beiboot an Deck zu holen. Dann fuhr Ben Brighton eine Halse und segelte zur Bucht zurück, in der die Männer mit der Pinasse warteten. Sie hatten eine Quelle gefunden und die Fässer gefüllt. Nachdem auch sie an Bord waren, gab Hasard Ben Brighton den Befehl, auf die Küste zuzuhalten. Die Chimus kannten eine kleine Bucht, in der sie unbemerkt ankern konnten. Hasard dachte daran, daß sie den Anschluß an die „Golden Hind“ wieder verlieren würden, aber wenn er Carberry dafür retten konnte, war ihm kein Opfer groß genug. 7. Die kleinen Schweinsaugen des schmierigen Mannes glitzerten gierig. Er warf den abgenagten Hühnerknochen hinter sich und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. Langsam beugte er sich über den mit Speisen überladenen Tisch und starrte auf die Schätze, die dort auf einem Tuch ausgebreitet waren. Dann wanderte sein Blick höher und richtete sich auf den schlanken Offizier. Der Mann sah blendend aus. Die großen schwarzen Augen in dem ebenmäßigen Gesicht waren voller Feuer. Der schmierige Mann drehte den Kopf zur Seite. Er fluchte leise, als er sah, wie die Frau, die neben ihm saß, den Offizier mit ihren Augen fast verschlang. Er haßte diese gutaussehenden Männer, und er haßte den Ausdruck in den Augen der Frauen, wenn sie diese Männer anschauten.
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Seine fettige Hand zitterte vor Wut. Er spürte den Griff der Pistole unter seinem seidenen Wams und überlegte, ob er den Offizier abschießen sollte wie einen räudigen Hund. Doch zuerst mußte er wissen, woher Capitan Bartholome Segoya den herrlichen Inkaschmuck hatte. „Ist der Capitan nicht süß, Miguel?“ Die Frau neben Miguel Petro de Vaca kicherte albern. De Vaca kannte ihre Vorstellungswelt, und er wußte, daß sie Segoya in diesem Augenblick schon nackt vor ihrem Lager stehen sah. „Halt dein ungewaschenes Maul, wenn Männer miteinander reden“, sagte er grob. Sie verzog die Lippen und sah aus, als ob sie jeden Augenblick heulen wollte. Beleidigt griff sie nach einem gebratenen Huhn und schlug ihre Zähne hinein. Das Fett lief ihr am Kinnwinkel zum Hals hinunter und von dort in den Ausschnitt, der ihre großen, weichen Brüste mehr enthüllte als verbarg. „Wo haben Sie das Zeug her, Capitan Segoya?“ fragte de Vaca lauernd. Der Offizier begann zu lächeln. „Wissen Sie, Gouverneur“, sagte er, „der Weg durch die Wildnis der Anden war sehr strapaziös. Mehr als die Hälfte meiner Männer sind unterwegs gestorben ...“ De Vaca winkte ab. „Ich habe davon gehört“, sagte er ungeduldig. „Ihre anderen Männer sind kurz vor Trujillo einem Angriff der Inkas zum Opfer gefallen. Ich kenne Ihre Version. Wahrscheinlich wäre meinen Männern das gleiche passiert, wenn es um solche Schätze ging.“ Er grinste den Capitan verschwörerisch an. „Wieviel von dem Zeug ist dort noch zu holen, wo Sie diese Dinge herhaben?“ „Die hundertfache Menge“, sagte Segoya lächelnd. „Und meinen Sie, wir beide könnten es schaffen, das Gold aus den Bergen zu holen?“ „Es käme darauf an, wie Sie mich beteiligen, Gouverneur“, sagte Capitan Segoya. Er lächelte jetzt nicht mehr. Er kannte Miguel Pedro de Vaca, seines
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Zeichens Gouverneur der Provinz Libertad, lange genug, um zu wissen, daß es in diesem Augenblick um Leben und Tod ging. De Vaca ließ seine Augen für einen Moment hinter den Fettpolstern verschwinden. Er rülpste laut. „Wieviel?“ fragte er plötzlich. Segoya begann zu frieren. Er fragte sich, ob es richtig gewesen war, de Vaca einzuweihen und um Hilfe zu bitten, auch noch die anderen Schätze, die er in den Bergen entdeckt hatte, mit einer Expedition zu erobern. Vielleicht hätte er sich mit dem begnügen sollen, was hier vor ihm auf dem Tuch lag. Er zögerte mit seiner Antwort. Er hatte von Anfang an gewußt, daß er nicht viel verlangen konnte, aber ein kleiner Teil vom gesamten Schatz war immer noch bedeutend mehr als das, was hier vor ihm lag. „Ein Fünftel“, sagte er mit fester Stimme. „Von dem was bleibt, wenn wir den Anteil des Königs abgezogen haben“, sagte de Vaca lauernd. Segoya preßte die Lippen aufeinander. Es war ein offenes Geheimnis in ganz Peru, daß de Vaca der letzte war, der seine Einnahmen ordnungsgemäß mit dem König abrechnete. Segoya nickte, und er verfluchte sich selbst für seine Feigheit. Er hätte seinen Degen ziehen und ihm dem Fettwanst durch den Leib rammen sollen. Wahrscheinlich hätte man ihn dann in Trujillo wie einen Helden gefeiert. „Wo haben Sie den Schmuck gefunden?“ fragte der feiste Gouverneur. Eine Alarmglocke schlug in Segoyas Hirn an. Er brauchte nicht die tückischen Augen de Vacas zu sehen. Er wußte auch so, daß er ein toter Mann war, wenn er diese Frage beantwortete. „Es ist ein weiter Weg“, sagte er vorsichtig. „Ich könnte ihn beschreiben, aber Sie würden ihn trotzdem nicht finden. Mir blieb keine Zeit, eine Karte anzufertigen. Aber ich würde wieder hinfinden. Die Inkas bauen tief in den Anden eine Stadt. Von überall her strömen
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die Inkas und bringen ihre Schätze mit. Ich habe die Stadt nur durch Zufall gefunden, als es mir gelang, einer Kolonne heimlich zu folgen. Sie liegt vielleicht siebzig Meilen nordwestlich von Cuzco über dem Urumbamba-Tal zwischen zwei Bergen. Den höheren der beiden nennen die Inkas Machu Picchu, was soviel wie hoher Berg heißt.“ „Sie meinen also, daß ich diese Stadt nicht ohne Sie finden werde, Capitan?“ fragte de Vaca. „Ich bin mir selbst nicht einmal ganz sicher, ob ich sie wiederfinden werde“, antwortete Segoya. De Vaca begann zu grinsen. Seine fettige Hand schloß sich um den Griff der Pistole und zog sie langsam hervor. Segoya konnte es nicht sehen, weil sich de Vacas Hand unter der Tischkante befand. Ehe der Offizier begriff, daß sich das Blatt plötzlich gewendet hatte, starrte er in die Mündung der Pistole, die ruhig in de Vacas Hand lag. Die Frau neben de Vaca kreischte, doch ein Fußtritt des Gouverneurs brachte sie zum Schweigen. „Du bist zu gierig, Segoya“, sagte de Vaca sanft. „Weißt du nicht, daß alles Gold, was in meiner .Provinz gefunden wird, bei mir abgeliefert werden muß? Du wagst es, den König zu betrügen, indem du einen Anteil an der Beute forderst?“ Segoya war blaß geworden. Er überlegte krampfhaft und war schließlich überzeugt, daß de Vaca nicht schießen würde. Der Gouverneur war zu gierig, um auf das Gold zu verzichten. Und wenn er es haben wollte, mußte er Segoya am Leben lassen, denn es gab keinen anderen, der ihn zu der geheimnisvollen Stadt führen konnte. Aber die nächsten Worte de Vacas belehrten ihn eines anderen. „Du hast es als einziger geschafft, Trujillo lebend zu erreichen“, sagte der Gouverneur. „Alle anderen wurden von den Inkas, die euch verfolgten, getötet. Du hast erzählt, daß sie einen Jaguar bei sich hatten, der mehrere deiner Männer zerfleischt hat. Weißt du, daß wir drei Inkas und den Jaguar gefunden haben?“
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Segoya spürte, wie ihm die Knie weich wurden. „Die Inkas werden Ihnen nichts verraten“, sagte er heiser. „Eher werden sie sich selber töten.“ De Vaca grinste nur. Die Frau neben sich vertrieb ihr Entsetzen mit einet Kanne Wein, die sie an die Lippen setzte. Das meiste lief vorbei und beschmutzte ihr Kleid. „Sie können mich nicht töten!“ Segoyas Stimme klang jetzt schrill. „Heute nachmittag ist die ,San Isidro` ausgelaufen. Der Kapitän hat einen Brief von mir an den Gouverneur von Panama, in dem ich von meinem Fund berichte. Man wird Sie nach dem Verbleib des Schatzes fragen!“ Die Schweinsaugen de Vacas funkelten. Langsam griff er mit der linken Hand in eine Mappe, die neben ihm auf der Sitzbank lag. Er zog einen Brief heraus, dessen Siegel erbrochen war. „Meinst du vielleicht diesen Brief?“ fragte de Vaca zynisch. Mit Capitan Segoyas Beherrschung war es vorbei. Er begann zu zittern. Flehend streckte er die Hände vor, was der Frau neben de Vaca ein verächtliches Rülpsen entlockte. „Du bist ein Verräter, Segoya“, sagte de Vaca genüßlich. „Aber weil du einer meiner besten Offiziere warst, erhältst du die Gnade, durch eine Pistolenkugel zu sterben.“ „Die Inkas werden Ihnen nichts verraten“, flüsterte Segoya. De Vaca grinste diabolisch. . „Du kennst meine Folterkammer, Segoya“, sagte er kichernd. „Bisher habe ich noch jeden zum Sprechen gebracht. Die Inkas sind zwar ein bißchen zäher als unsere Landsleute, aber auch bei ihnen gibt es eine Grenze, wo sie die Schmerzen nicht mehr ertragen. Ich .brauche dich nicht mehr, Segoya. Fahr zur Hölle!“ Mit einem verzweifelten Schrei warf sichder Capitan nach vorn. Seine Hand zuckte hinunter zur Hüfte. Die blitzende Klinge fuhr aus der Scheide. Noch zwei Schritte trennten den Capitan von dem Tisch, hinter
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dem der feiste .Gouverneur wie eine Spinne in ihrem Netz hockte. De Vaca zielte eiskalt. Er drückte ab, als Segoya seinen Degen nach vorn stieß. Die Bleikugel traf den Capitan dicht neben der Nase unter dem rechten Jochbein und riß ihm das halbe Gesicht weg. Der Capitan wurde herumgewirbelt. Sein Degen klirrte auf die Steinfliesen. Seine Arme zuckten konvulsivisch, als suchten sie irgendwo Halt. Dann sackten die Beine unter seinem Körper weg. Es schepperte, als er zwischen die goldenen Becher und Schmuckstücke fiel. Das Tuch darunter färbte sich von seinem Blut rot. De Vaca verscheuchte den Pulverdampf von seinem Gesicht mit der linken Hand, in der er noch den Brief hielt, der ihn den Kopf gekostet hätte, wäre er an sein Ziel gelangt. Er lachte meckernd. Die Frau neben ihm himmelte ihn aus glasigen Augen an, schlang ihre wabbelnden Arme um seinen Stiernacken und drückte ihm die fettigen Lippen auf die Wange. „Mein Held“, lallte sie. De Vaca spürte ihre Hand an seinen Beinen. Ein. Kribbeln stieg ihm in die Lenden. Er ließ den Brief fallen und versenkte seine Hand in ‚ihrem Ausschnitt. Sie kicherte, und verstärkte ihre Anstrengungen, unter dem Tisch. De Vaca wand sich vor Lust. Die Bank, auf der sie saßen, geriet ins Wanken, und ehe sie das Gleichgewicht wiederfanden, lagen der Gouverneur und seine Gespielin auf dem Boden. Sie kreischten vor Vergnügen. De Vaca schob ihre Röcke hoch. Er wußte, welch erregender Anblick ihn erwartete, denn er hatte ihr verboten, unter dem Kleid noch etwas anderes anzuziehen. Er hob den fetten Hintern, damit sie. ihm die Hose herunterziehen konnte. Mit einem erregenden Keuchen ließ sie sich zurücksinken. Die Perücke rutschte de Vaca ins Gesicht. Fluchend riß er sie sich vom Kopf. Er spürte, wie seine Beine zitterten. Oh, dieses verdammte Luder! Niemand verstand es so gut wie sie, ihn in Fahrt zu bringen.
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„Attacke!“ brüllte er. Doch in diesem Augenblick drang ein Geräusch in seine erregten Sinne, das ihn von einem Augenblick zum anderen ernüchterte. Fluchend ließ er von der Frau ab, die sich an ihn klammerte und schrie: „Komm, mein Böckchen! Laß mich jetzt nicht hier so liegen! Laß mich ...“ Er schlug ihr die Hand aufs Maul, rappelte sich auf und zerrte die Hose über die Hüften.. Wutentbrannt schaute er zu der großen Flügeltür des Saales hinüber, die aufgestoßen worden war. Drei Soldaten waren eingetreten und zuckten zusammen, als sie den Gouverneur in seinem derangierten Zustand sahen. „Seid ihr verrückt geworden?“ brüllte de Vaca. „Ich werde euch auspeitschen lassen, damit ihr euch endlich merkt, wann man seinen Herrn nicht stören darf!“ „Es ist — wir können nichts dafür, Don Miguel“, sagte der eine der Soldaten stotternd. De Vaca war mit einem Schlag wieder nüchtern. Er sah den Jammergestalten an, daß etwas Schlimmes passiert sein mußte. Seine kleinen Schweinsaugen glitzerten bösartig. „Was ist los?“ fragte er leise, aber seine Stimme klang so gefährlich, daß den Soldaten die Beine zu schlottern begannen. „Die drei Inkas ...“ De Vaca hielt den Atem an. Schwer stützte er sich auf die Tischplatte und beugte sich vor. „Weiter!“ sagte er heiser. „Wir haben einen Mann im Hafen festgenommen, der kein Spanier ist“, begann der Soldat. „Wir haben ihn zu den Inkas gesperrt. Als wir ihn herausholen wollten, hat er die beiden Wächter zusammengeschlagen und ist geflohen ...“ „Was hat das mit den drei Inkas zu tun?“ schrie de Vaca. „Sie sind mit dem Mann geflohen“, antwortete der Mann kleinlaut. „Wir haben sie verfolgt und den fremden Mann wieder eingefangen.“
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De Vaca raufte sich seine spärlichen Haare. Er hörte hinter sich das Stöhnen der Frau, die sich noch nicht damit abgefunden zu haben schien, daß es keinen Nachtisch mehr gab. De Vaca trat mit dem Fuß nach ihr, und sie verstummte. „Die drei Inkas!“ Seine Stimme wurde immer schriller. „Was ist mit ihnen?“ „Wir haben einen von den dreien noch erwischt“, sagte der Soldat kleinlaut, „obwohl sie ihren Jaguar auf uns gehetzt haben. Er hat vier von unseren Männern getötet, bevor Jose ihn erschossen ...“ „Die beiden anderen Inkas sind entwischt?“ fragte de Vaca. Der Soldat nickte und zog den Kopf zwischen die Schultern. „Wo ist der dritte?“ De Vaca brüllte wieder. „Macht endlich das Maul auf, ihr Idioten! Oder muß ich euch jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen?“ „Wir haben ihn schon verscharrt, damit er nicht die Luft verpestet“, antwortete der Soldat. „Wir dachten ...“ „Was .. .“ De Vacas Kinnlade klappte herunter. Seine Schweinsaugen schienen sich durch die Fettpolster zu drängen und aus den Höhlen zu springen. Sein Gesicht schwoll an wie der Kamm eines wütenden Hahns. In seinen Pupillen platzten feine Äderchen. „Ihr hirnverbrannten Hornochsen!“ brüllte er, daß der Kronleuchter zu schwanken begann. Mit der Faust hieb er auf den Tisch. Speisen spritzten zur Seite weg, eine Kanne Wein kippte um. und die rote Flüssigkeit ergoß sich über die Steinfliesen. „Ich brauche einen von den Inkas lebend! Los, verfolgt sie! Wenn ihr ohne sie zurückkehrt, dann werde ich euch die Haut in Streifen vom Körper schneiden!“ Keuchend sank de Vaca auf die Bank zurück, die die Frau inzwischen wieder aufgestellt hatte. Er faßte sich mit der rechten Hand aufs Herz. Er durfte sich nicht so aufregen, aber wenn er an die Inkaschätze dachte, die nun für ihn verloren schienen, hätte er sich für seine Voreiligkeit selbst ohrfeigen können.
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Warum hatte er Segoya nicht eingesperrt, bis er im Besitz des Schatzes war? Wieder hieb er mit der Faust auf den Tisch. Er sah, daß einer der Soldaten an der Tür stehengeblieben war. „Bring den Toten raus“, sagte er. „Und dann will ich diesen Fremden sehen, der die Inkas befreit hat. Er wird für seine Tat mit allen Foltern büßen, die ich mir nur ausdenken kann. Er wird hundert Tode sterben ...“ Der Soldat schleifte den toten Bartholome Segoya an den Füßen hinaus. Er hinterließ eine blutige Spur auf den Fliesen. De Vaca spürte die Wärme der Frau neben sich. Wieder tasteten sich ihre Finger zu seinen Oberschenkeln hoch. Er stand abrupt auf und stieß sie weg. „Laß das“, sagte er. „Ich habe jetzt an was anderes zu denken.“ * Carberry konnte sich nicht vorstellen, was die Soldaten veranlaßt hatten, ihn plötzlich wie einen Fürsten zu behandeln. Sie hatten ihm zu essen und zu trinken gegeben, und sogar ein Arzt hatte sich um seine Verwundung gekümmert. Jetzt saß er in einer Kutsche, die holpernd auf den gepflasterten Hof der großen Festung von Trujillo rollte. Sie hatten ihm Ketten um die Fußgelenke gebunden, und neben der Kutsche ritten zehn schwerbewaffnete Soldaten. Vor einem großen Portal hielt die Kutsche an. Carberry wurde aus der Kutsche gezerrt. Einer der Soldaten trat ihm von hinten gegen die Beine, als er nicht schnell genug ging. Carberry grunzte böse, drehte sich blitzschnell um und hieb den Soldaten von den Beinen. „Faß mich nicht noch einmal an, du Tintenfischfresser“, sagte er grollend. Ihre Freundlichkeit war vorbei. Ein anderer Soldat stieß ihm die Mündung seiner Muskete in die Seite. Stöhnend ging Carberry in die Knie. Er hörte die scharfe Stimme eines Mannes, und der Soldat trat
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hastig zurück. Sie warteten, bis er sich wieder erhoben hatte. So ist das also, dachte Carberry und grinste grimmig. Sie haben mich aufgepäppelt, damit ich auf eigenen Beinen vor ihrem Gebieter erscheinen kann. Er ließ sich Zeit mit dem Aufstehen. Das Portal war inzwischen geöffnet worden. Carberry blickte in eine riesige Halle. Er erhob sich langsam und folgte dem Anführer der Soldaten. In der Halle blickte Carberry sich um. Eine breite Steintreppe führte in die oberen Räume, deren Türen von einer breiten Galerie abgingen. Die Türen in der Halle standen zum größten Teil offen. Carberry sah, daß sich zu ebener Erde die Wachstuben der Soldaten sowie eine langgestreckte Waffenkammer befanden. Die Soldaten marschierten schnurstracks auf die Steintreppe zu, und Carberry folgte ihnen. Er hatte keine andere Wahl. Widerstand war mit der Kette an den Beinen und angesichts der Übermacht der Spanier sinnlos. Außerdem sah es im Augenblick gar nicht schlecht für ihn aus. Vor einer Flügeltür, die mit indianischen Mustern geschmückt war, blieben die Soldaten stehen und schoben Carberry vor. Carberry sah, daß ihre Gesichter angespannt waren. Sie haben Angst vor ihrem Gebieter, dachte er. Er wollte erst grinsen, doch dann dachte er daran, daß er erst recht Angst vor dem Gouverneur haben sollte, wenn schon die spanischen Soldaten vor ihm zitterten. Der Anführer klopfte zaghaft gegen die Tür. „Adelante!“ brüllte eine helle Stimme, die einem Eunuchen hätte gehören können. Der Anführer stieß die beiden Flügel auf und trat zur Seite. Carberry stand plötzlich allein in der Tür. Er blickte in einen Saal, an dessem anderen Ende ein fast fünf Yards langer Tisch stand, der mit Speisen und Getränken überladen war. Die ehemals weiße Tischdecke war mit den verschiedensten Flecken übersät. Carberry starrte den kleinen, beleibten Mann und die schlampig gekleidete Frau an, die hinter dem Tisch saßen und wie die
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Schweine fraßen. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen — nicht vom Anblick der Frau, sondern von den Braten und Früchten, unter denen der Tisch fast zusammenbrach. Der Mann hinter dem Tisch winkte Carberry zu sich heran. Carberry erhielt einen Stoß in den Rücken. Er stolperte ein paar Schritte vor. Sein Blick fiel auf die dunkelbraune Schleifspur, die bis zu einem Tuch vor dem Tisch führte, auf dem ein Goldschatz von unermesslichem Wert lag. Carberry erkannte, daß es sich um eine Blutspur handelte. Sie war vielleicht erst Stunden alt, und niemand hatte es für nötig befunden, sie wegzuwischen. Neben dem Tuch mit dem Goldschatz blieb Carberry stehen. Er sah, daß die Frau ihn lüstern betrachtete, und wich ihrem Blick aus, um nicht mit dem feisten Gouverneur in Streit zu geraten. „Du bist Engländer?“ fragte der Gouverneur. Carberry blickte überrascht hoch. Der Dicke hatte ihn in seiner Muttersprache angesprochen, und bis auf einen leichten Akzent klang es sehr gekonnt. Mißtrauisch betrachtete Carberry das feiste Gesicht, das unter der schwarzen Lockenperücke rosig schimmerte wie ein Schweinehintern. Die kleinen, tückisch blinzelnden Augen lagen in tiefen Fettpolstern. Carberry konnte ihre Farbe nicht erkennen. Er leckte sich die Lippen, als der Gouverneur ein Stück Fleisch von einem Spanferkel abriß und es schmatzend verzehrte. Von seinen dicken Lippen tropfte das Fett auf sein Wams. „Ich habe dich etwas gefragt, Fremder“, sagte der Dicke. Carberry nickte. Er wußte, daß er diesem Mann keine Lügen auftischen konnte. Wenn er so gut englisch sprach, würde er schnell herausfinden, daß Carberrys Wiege in England gestanden hatte. „Ich bin Engländer“, sagte er. Der Dicke begann zu strahlen. „Willkommen in Trujillo. Engländer“, sagte er freundlich. „Ich bin Miguel Pedro de Vaca, Gouverneur des Königs von
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Spanien für die Provinz Libertad. Setz dich zu mir an den Tisch, Engländer, und greif zu. Du siehst aus, als ob du Hunger hättest.“ Carberry zögerte keine Sekunde. Er glaubte zwar nicht an die ehrlichen Absichten de Vacas, aber ehe sich der Mann besonnen hatte und ihm weitere unangenehme Fragen stellte, wollte er sich schnell noch den Bauch vollschlagen. Er schlang alles in sich hinein, was in seiner Reichweite stand. Er bemerkte, wie der feiste Gouverneur ihn lauernd beobachtete. Carberry fragte nicht danach, was der heutige Tag ihm noch bringen mochte. Er hatte in den vergangenen sechsunddreißig Stunden so viel erlebt, daß ein normaler Mann davon ein ganzes Leben zehren konnte. Er deutete die lüsternen Blicke der Frau richtig. Er wäre gewiß nicht abgeneigt gewesen, ihr zu zeigen, daß ein englischer Seemann von seinem Kaliber durchaus in der Lage war, eine Frau zu beglücken, aber der Gouverneur sah nicht danach aus, als würde er dabei tatenlos zusehen. Carberry saß der Frau gegenüber. Er spürte plötzlich eine Berührung an seinem Bein und zuckte zusammen. Hastig zog er seine Beine zurück. Dieses verdammte Luder! dachte er. Wahrscheinlich würde sie ihn liebend gern vernaschen und hinterher seelenruhig zusehen, wenn de Vaca ihn abschlachten ließ. Er hatte die Blutspur auf den Fliesen nicht vergessen. Er nahm nicht an, daß sie von irgendeinem Tier stammte. „Du hast den drei Indios zur Flucht verholfen“, sagte de Vaca. Sein Mund war noch immer zu einem Lächeln verzogen, aber die kleinen Schweinsaugen blickten kalt wie Eisstücke. „Nur zweien von ihnen“. antwortete Carberry schmatzend. „Den dritten haben deine Männer abgeknallt.“ Die Lippen des Gouverneurs wurden zu schmalen Strichen. Fast erschrak Carberry vor dem Haß, der ihm plötzlich entgegenschlug. Er hörte mit dem Essen auf und drehte leicht den Kopf. Die Soldaten hatten den Saal nicht verlassen. Sie standen neben der Flügeltür
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und hielten ihre Schußwaffen in den Händen. Der gemütliche Teil war beendet. Carberry suchte sich einen sauberen Teil der Tischdecke und wischte sich das, aus den Mundwinkeln. In seinen grauen Augen war keine. Angst, als er de Vaca anblickte. In der Stimme des Gouverneurs war nicht mehr der Hauch von Freundlichkeit, als er jetzt sprach. „Die Indios waren sehr wichtig für mich. Sie sollten mich an einen Ort führen, wo es die hundertfache Menge des Goldes gibt, das da auf dem Tuch liegt.“ Er wies mit der linken Hand auf den Schatz, den Carberry schon beim Eintreten bewundert hatte. „Leider waren sie die einzigen, die den Ort kannten.“ „Das tut mir leid“, erwiderte Carberry brummend. „Wenn du willst, kann ich sie ja suchen gehen und sie fragen, ob sie dir nicht helfen wollen.“ Die Frau, die ihre Bemühungen, mit Carberry unter dem Tisch Kontakt anzuknüpfen, noch nicht aufgegeben hatte, stieß einen erschrockenen Schrei aus. Ihre großen Augen richteten sich auf den feisten Gouverneur, dessen Gesicht rot anlief. Carberry wußte, was folgen würde. Schon als er den Raum betreten hatte, war ihm klar gewesen, daß er die Festung Trujillo wahrscheinlich nicht wieder lebend verlassen würde. Er hatte zwar nicht mit dieser Entwicklung gerechnet, sondern vielmehr angenommen, daß sie aus ihm herauszuholen versuchen würden, wo sich El Draque aufhielt, aber das war im Endeffekt ziemlich gleich gültig. Bevor de Vaca seinen Mund aufreißen konnte, um einen Befehl zu brüllen, sprang Carberry auf, stemmte beide Arme unter die Tischplatte und hob sie an. Die Frau begann zu kreischen. Der Gouverneur schrie ein paar Befehle in Spanisch. Er versuchte, von der Bank zu rutschen und dem kippenden Tisch auszuweichen, doch sein fetter Körper erlaubte es ihm nicht, sich behände zu bewegen. Die Speisen rutschten von der Tischplatte. Teller und Schüsseln zerplatzten, als sie
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auf die Fliesen knallten, und ergossen ihren Inhalt über die beiden kreischenden, fetten Figuren. De Vaca schnappte nach Luft, als ihm die Tischkante den Brustkorb einquetschte. Die Frau hatte sich noch in Sicherheit bringen können. Sie kroch auf allen vieren davon und schrie wie ein abgestochenes Schwein, weil ihr eine heiße Soße über die Schultern hinab zu ihren wackelnden Brüsten gelaufen war. Ihr Kleid war hochgerutscht. Carberry konnte sich trotz der lebensbedrohenden Situation ein Grinsen nicht verkneifen, als er ihr durchaus nicht übel gestaltetes Hinterteil rosig aufleuchten sah. Leider hatte er keine Zeit, das sich bietende Schauspiel länger zu betrachten. Er hörte die hämmernden Schritte der Soldaten auf den Steinfliesen. Fast wäre er über seine Kette gestolpert, als er sich hastig umdrehte. Die Soldaten waren ein paar Schritte vor ihm stehengeblieben und starrten an ihm vorbei. Carberry bedankte sich im stillen beim appetitlichen Hinterteil der Gouverneursmätresse, das die Soldaten aus der Fassung gebracht hatte. Ehe die Kerle sich ihrer Aufgabe besannen, hatte Carberry seine Sitzbank angehoben und über den Kopf gestemmt. Krachend flog die Bank den Soldaten entgegen und mähte sie nieder wie eine Breitseite aus den Kanonen der „Golden Hind“. Zwei von den Soldaten, die an der Flügeltür stehengeblieben waren, schossen ihre Musketen auf Carberry ab. In dem geschlossenen Raum hörten sich die Schüsse an wie die Detonationen einer Neunpfünderkanone. Eine Kugel sauste haarscharf an Carberrys Seite vorbei und schlug dumpf in die massive Tischplatte. Der Gouverneur, der sich inzwischen von der Last des Tisches befreit hatte, schrie die Soldaten an. Carberry verstand nur das Wort Idiot, die Bedeutung der anderen Wörter konnte er sich denken. Carberry blickte sich um. Er sah, daß seine einzige Chance darin bestand, den Gouverneur als Geisel zu nehmen. Er
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wollte mit einem Satz über den umgestürzten Tisch springen, merkte aber noch rechtzeitig, daß die Kette zwischen seinen Knöcheln das nicht zuließ. Mit kleinen Schritten lief er um den Tisch herum. Er hatte nur Augen für de Vaca, der zwischen den verstreuten Speisen seine Pistole suchte. Er sah die Frau einen Moment zu spät. Er wollte ihr ausweichen, doch die Kette verfing sich an ihrem Bein, das sie gerade hochstreckte. Carberry schlug der Länge nach hin. Er streckte die Hände vor, um den harten Fall zu mildern, und er langte ins volle Leben. Die Frau, die eben noch vor Entsetzen gekreischt hatte, stieß lustvolle Seufzer aus. Carberry war weiß Gott in diesem Moment nicht danach zumute, seinem entwöhnten Körper die dargebotene Befriedigung zu verschaffen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie de Vaca seine Pistole fand und mit zitternden Fingern den Hahn zu spannen versuchte. Carberry glaubte zwar nicht, daß noch Pulver auf der Pfanne war, aber er wollte sich darauf nicht verlassen. Er wollte sich von dem weichen Körper, der unter ihm lebte, einfach zur Seite auf den Gouverneur werfen, doch zwei nackte Arme schlangen sich plötzlich um seinen Hals und versuchten, seinen Kopf an den wogenden Busen zu zerren. „Laß mich los, du verrückte Kuh!“ brüllte Carberry zornig. Er schlug mit der freien rechten Hand nach dem Arm de Vacas, der die Pistole auf ihn richtete. Die Waffe flog durch die Luft, und als sie irgendwo aufprallte, ging das Ding mit ohrenbetäubendem Krachen los. Ein Soldat schrie auf, taumelte schreckensbleich gegen eine Wand und hielt sich den linken Arm, der von einem Moment zum anderen blutüberströmt war. Carberry riß die Arme von seinem Hals los. Er spürte plötzlich feuchte Lippen in seinem Gesicht und hieb mit der flachen Hand zu. Die Frau fiel zurück und stieß kleine spitze Schreie aus, als hätte
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Carberry ihr das angetan, was sie von ihm erwartete. Carberrys Hände, die die Größe von Ankerklüsen hatten, griffen zu. Er spürte Seidenstoff zwischen seinen Fingern. Und in diesem Seidenstoff steckte Miguel Pedro de Vaca, seines Zeichens Gouverneur des Königs von Spanien. Carberry fühlte sich seinem Ziel nah. Er sah die vor Angst verzerrten Züge des fetten Mannes vor sich und hoffte, daß die Soldaten ihren Gebieter nicht so sehr haßten, daß sie keine Rücksicht auf sein Leben nahmen. „Sag ihnen, daß sie die Waffen wegwerfen und abhauen sollen“, stieß Carberry hervor, „oder ich drücke dir die Luft ab!“ Seine Hände schlossen sich um de Vacas kurzen Hals. Der harte Schlag kam für Carberry völlig überraschend. Er hatte das Gefühl, als sei in seinem Kopf eine Pulverladung explodiert. Er sah die Blitze und bunten Kreise, und sein Hirn signalisierte ihm, die Hände zu schließen und den feisten de Vaca mit in die Hölle zu nehmen... Miguel Pedro de Vaca schluckte verzweifelt, und als er endlich wieder Luft in die Lungen gesogen hatte, stieg ihm das ganze Essen, das er am heutigen Tag in sich hineingeschlungen hatte, die Speiseröhre hinauf und ergoß sich auf die Steinfliesen, von denen sowieso nicht mehr viel zu sehen war. Die Frau saß mit ihrem blanken Hinterteil zwischen den Speiseresten und blickte mit verträumten Augen auf den dunkelblonden Riesen, der ihren Körper schon durch die bloße Berührung seiner harten Hände in Wallung versetzt hatte. Der Engländer lag auf dem Gesicht. Aus einer Platzwunde am Hinterkopf sickerte Blut und lief hinter dem Ohr hinab zum Kinnwinkel. De Vaca erhob sich taumelnd. Sein sonst so rosiges Gesicht hatte eine grünliche Farbe angenommen. Er wollte den fassungslos herumstehenden Soldaten Befehle erteilen, aber die Kehle war ihm noch wie zugeschnürt. Mehr als ein
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Krächzen brachte er nicht über die blutleeren Lippen. Keuchend ließ er sich auf die Bank fallen, die die Soldaten samt dem Tisch wieder aufgestellt hatten. De Vaca brauchte fast fünf Minuten, um sich von seinem Schock zu erholen. Er starrte auf den riesigen Engländer, der ihm beinahe eine Reise ins Jenseits verschafft hätte. Er blinzelte einen seiner Bediensteten dankbar an, der einen Krug Wein vor ihn auf den Tisch stellte. Er trank in kleinen Schlucken, um den schlechten Geschmack loszuwerden, den das Erbrochene und die Todesangst in seinem Mund hinterlassen hatten. „Bringt ihn hinunter in die Folterkammer“, befahl er dann heiser. „Schmiedet ihn an, daß er sich nicht mehr bewegen kann. Er wird einen Tod erleiden wie noch keiner vor ihm!“ Die Soldaten packten Carberry mit -sechs Mann an und trugen ihn hinaus. De Vaca starrte ihnen noch eine Weile nach, die rechte Hand an seinem Hals. Er wußte, daß er den Augenblick, als sich die großen Hände des Engländers wie ein Schraubstock um seinen Hals geschlossen hatten, so schnell nicht vergessen würde. Er schwor sich, dem Engländer diese Todesangst tausendmal zurückzuzahlen. Er sah, wie sich die Frau vom Boden erhob und die Speisereste von ihrem Kleid schlug. Mit einem Wink befahl er dem Diener, zu verschwinden. „Hol die anderen und wisch den Dreck auf“, sagte er. „Das Gold kommt in die Truhe drüben. Wenn auch nur ein Stück fehlt, werde ich euch die Köpfe abhacken lassen, verstanden?“ Der Diener nickte, verbeugte sich und verschwand aus dem Saal. De Vaca blickte die Frau an. „Geh in dein Zimmer und zieh dich um, mein Täubchen“; sagte er. „Wenn du fertig bist, wirst du mich in die Folterkammer begleiten und zuschauen, wie der starke Engländer krepiert. Und hinterher werden wir das nachholen, was wir den ganzen Tag versäumt haben.“ Er gab ihr einen
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Klaps aufs Hinterteil und schob sie auf die Tür zu, die sich hinter dem Tisch befand. De Vaca blieb noch eine Weile sitzen und blickte auf die eingetrocknete Blutspur, die von dem Gold auf dem Tuch bis zur Flügeltür reichte. Er verfluchte sich für seine Voreiligkeit. Segoya war tot, und die Inkas waren verschwunden. Wer sollte ihn jetzt zu den Schätzen führen, die seinen Reichtum verdreifacht hätten? Sein Haß auf den Engländer wuchs ins Unermeßliche. Er kippte den Wein aus dem irdenen Krug in sich hinein, als sei es Wasser. Nur langsam beruhigte sich sein Zorn. Er begann nachzudenken. Was suchte der Engländer hier an der Küste seiner Provinz? Konnte es sein, daß er auf irgendeinem spanischen Schiff als Gefangener gefahren und geflohen war? Oder war er einer von den Piraten, von denen bisher schon zwei Schiffe in diesen Gewässern gesichtet worden waren? De Vaca setzte den Krug ab und stellte ihn. hart auf den Tisch. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Er dachte an die Nachrichten, die er aus Valdivia erhalten hatte. Es hieß, El Draque, dieser verrückte Engländer, der schon einmal die Häfen an der Küste von Neuspanien geplündert hatte, befände sich auf der Westseite der Neuen Welt, wo noch nie ein anderes als ein spanisches Schiff seinen Kiel in die Wasser des Pazifischen Ozeans getaucht hatte. Gehörte sein gefangener Engländer zu den Leuten El Draques? Eine heftige Erregung nahm von Miguel Pedro de Vaca Besitz. Wenn das zutraf, dann hatte er es nicht mehr nötig, hinter den Goldschätzen der Inkas herzujagen! Vielleicht gelang es ihm, aus dem Engländer herauszupressen, was El Draque plante. Sie konnten dem räuberischen Engländer eine Falle stellen und ihn mitsamt seinem Schiff versenken. Miguel Pedro de Vaca sah sich schon als Held- am Hofe seines Königs Philipp II. im Escorial vor dem Thron knien und die höchsten Ehrungen entgegennehmen, die der König der Spanier zu vergeben hatte.
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Endlich zurück nach Spanien! Ein ehrenwerter Mann am Hofe, an dem wieder richtig gelebt wurde, seit. der König die Österreicherin geheiratet hatte. De Vaca wurde ganz schwindlig. Wie lange hatte er davon schon geträumt! Er haßte dieses heiße Land, in dem er von primitiven Menschen umgeben war, und es drängte ihn danach, seinen Feinden im Mutterland endlich alles zurückzuzahlen, was sie ihm angetan hatten. Das Gold, das er während seiner Zelt als Gouverneur der Provinz Libertad beiseite geschafft hatte, reichte aus, um ein ausschweifendes Leben zu führen. Miguel Pedro de Vaca kratzte sich am Kopf. Einen Nachteil hatte die Geschichte allerdings. Er konnte den hellhaarigen Riesen nicht die tausend Tode sterben lassen, wie er es vorgehabt hatte. Aber er würde ihn foltern, bis er alles ausgespuckt hatte, was er wußte. EI Draque vernichtet durch das unerschrockene Eingreifen von Don Miguel Pedro de Vaca! Er stand auf und lächelte selig. Trotz allem, was er heute erlebt hatte, würde dies der schönste Tag seines Lebens werden! * Edwin Carberry wußte nicht mehr, ob er schon tot war oder noch lebte. Er hatte geglaubt, daß die stürmische Nacht und der heiße lange Tag allein auf See das Höllischste gewesen seien, was ein Mann erleben konnte, doch das alles war nichts gegen die Stunden, die er hier unten in der Folterkammer von Don Miguel Pedro de Vaca hinter sich gebracht hatte. Im Schein des flackernden Feuers sah Carberry den Teufel, der ihm“ diese unmenschliche Qualen zufügte. Das feiste Gesicht des Gouverneurs war gerötet und schweißüberströmt. Sein Eifer, immer grausamere Foltern anzuwenden, war unvermindert groß, und allmählich hatte sich Wut dazugesellt, weil noch kein einziges Wort über Carberrys Lippen gekommen war.
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Carberrys Körper wurde von Schmerzen geschüttelt. Er wußte nicht, ob er fror oder vor Hitze verging. Er roch die verbrannte Haut auf seiner behaarten Brust, und die Muskeln an seinem rechten Oberarm, die der Folterknecht mit Nadeln durchstoßen hatte, zuckten, ohne daß er etwas dagegen tun konnte. Er war in einer Art Delirium, das ihm Sachen vorgaukelte, die es gar nicht gab. Er sah kleine schwarze Gestalten mit langen Schwänzen und Hörnern auf der Stirn, die einen Veitstanz um eine fette Frau aufführten, die mit weit aufgerissenen Augen auf die Folterszene starrte. In Augenblicken, in denen Carberrys Verstand klar war, erkannte er, daß die Mätresse des Gouverneurs sogar Vergnügen daran fand, einen Mann leiden zu sehen. Sie hockte da wie ein fettes böses Weib, den Körper verschwitzt, in den Augen den Ausdruck der Lust. Carberry nahm mit seinen abgestumpften Sinnen wahr, was am Feuer geschah. Der Folterknecht wendete mit einer langen Zange ein glühendes Stück Eisen. Carberry spürte keine Angst mehr. Er nahm all seine Willenskraft zusammen, denn er wollte dem Teufel von Trujillo nicht den Triumph gönnen, ihm zum Sprechen gebracht zu haben. Er sah de Vaca neben dem hölzernen Streckbett stehen, das sie erst gar nicht an ihm ausprobiert hatten. Sie hatten Carberry an Händen und Füßen mit Eisenbändern versehen und ihn mit Ketten an große eiserne Ringe geschmiedet, die in der Wand eingelassen waren. Wahrscheinlich hatten sie seine Kraft gefürchtet und vermeiden wollen, daß er sich losriß und wieder über sie herfiel. Carberry hing mehr in den Ketten, als er stand. Er spürte seine Füße nicht mehr, die sie ihm in einem spanischen Schuh fast zu Brei zerquetscht hatten. Drei Finger seiner rechten Hand waren gebrochen, und Brandblasen bedeckten seinen gesamten muskulösen Körper. Sie hatten ihm sämtliche Kleider heruntergerissen, und de Vaca hatte ihn in seiner nackten Hilflosigkeit verspottet.
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Carberry hatte den gierigen Blick der Frau gesehen, die ihre Erregung nicht hatte verbergen können, und er wußte, daß de Vaca nicht der Mann war, ihr das zu geben, was ein unersättlicher Körper brauchte. Carberry hatte es de Vaca ins Gesicht geschleudert. Es hatte ihm ein paar Brandwunden mehr eingetragen. Carberrys Kopf sackte immer wieder auf die Brust. Er schaffte es nicht mehr, ihn aufrecht zu halten. Seine Zunge war ein pelziger Ball, der ihm das Atmen erschwerte. Durch die geschlossenen Lider sah er die zuckenden Flammen des Feuers. das hell aufloderte, als der Folterknecht es schürte. Plötzlich war der tanzende rote Schimmer verschwunden. Carberry hob die unkontrolliert zuckenden Lider. Er sah den feisten Teufel von Trujillo, der jetzt dicht vor ihm stand. Wie aus weiter Ferne drangen Worte an sein Ohr. „Meine Geduld hat auch ein Ende“, sagte de Vaca. „Wohin fährt El Draque? Welchen Hafen will er angreifen? Wenn du nicht sofort anfängst zu reden, wirst du spüren, was es heißt, Miguel Pedro de Vaca eine Antwort zu verweigern!“ Was denn noch? dachte Carberry. Ich bin doch schon halb tot. Der Tod schreckt mich nicht mehr. Stoß mir deinen Dolch ins Herz. Von mir erfährst du nichts! Er wollte diese Worte dem Teufel ins Gesicht schleudern, doch er brachte nur ein Krächzen hervor. Hinter de Vaca tauchte der Folterknecht auf. In der Rechten hielt er die lange Zange, deren Spitze ein glühendes, längliches Stück Eisen hielt. „Ich werde dich blenden lassen“, sagte de Vaca kalt. „Danach werde ich dich verstümmeln_ Ich werde darauf achten, daß du nicht stirbst, Engländer. Sprich, und deine Qualen haben ein Ende. Sei kein Narr, und denke daran, daß El Draque dich auch im Stich gelassen hat. Oder wie sonst bist du an die Küste meiner Provinz geschwemmt worden? Hat er dich vielleicht ausgesetzt?“
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Carberry schwieg. In seinen Pupillen spiegelte sich der dunkelrote Schein des glühenden Eisens, das sich seinem Gesicht näherte. De Vaca schlug wütend mit der kleinen schwarzen Peitsche, die er in den Händen hielt, gegen die verbrannte Haut auf Carberrys Brust. „Rede, du verfluchter Hund! Wirst du endlich dein Maul aufmachen!“ Es hatte Carberry unendliche Kraft gekostet, den letzten Speichel in seinem Mund zu sammeln. Es lechzte ihn danach, ihn hinunterzuschlucken und die brennende Kehle anzufeuchten, aber er bezwang sein Verlangen. Der Haß auf diesen Teufel in Menschengestalt war größer. Unendlich langsam hob er den Kopf und brachte die geschwollenen Lippen auseinander. Der Speichel traf de Vaca mitten im Gesicht. Der feiste Mann schrie auf und sprang zurück. Sein rotes Gesicht verzerrte sich in ohnmächtigem Zorn. „Stich ihm die Augen aus!“ kreischte er. „Blende den verfluchten Hurensohn!“ Der Folterknecht bewegte sich einen Schritt vor. Die Zange mit dem glühenden Eisen, das schon langsam zu erkalten begann, näherte sich Carberrys Augen. „Was ist?“ keifte de Vaca, als der Folterknecht zögerte. Der große Mann mit dem schweißüberströmten nackten Oberkörper drehte sich langsam um und blickte de Vaca an. „Er ist bewußtlos“, sagte er mit unbeteiligter Stimme. „Das ist mir egal!“ schrie de Vaca. „Blende ihn!“ Der Folterknecht rührte sich nicht. Unverwandt blickte er seinen Herrn an. „Er wird keine Schmerzen verspüren“, sagte er. Es schien gegen seine, Ehre als Folterknecht zu verstoßen; daß er einen Bewußtlosen quälte. De Vacas Wut verrauchte nur langsam. „Wird er gleich wieder aufwachen?“ fragte er.
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Der Folterknecht schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht“ sagte er. In seiner Stimme klang so etwas wie Hochachtung vor dem geschundenen Engländer mit. „Es grenzt an ein Wunder, daß er die Torturen überhaupt solange ertragen konnte.“ De Vaca zögerte. Er dachte daran, daß mit jeder Stunde, die verging, El Draque seinem Ziel ein Stück näher kam. Gleichzeitig schwand seine, de Vacas, Hoffnung, als hochgeehrter Held in die Heimat zurückkehren zu können. „Wenn Sie ihn blenden, wird er Ihnen niemals etwas verraten“, sagte der Folterknecht, „denn dann haben Sie ihm den Sinn für ein Überleben genommen.“ De Vaca preßte die dicken Lippen aufeinander und nickte unwillig. Er wußte, daß der Mann recht hatte. „Gib ihm zu trinken und zu essen, wenn er wieder aufwacht“, sagte er. „Er soll die Lust am Leben wiederfinden.“ Er drehte sich um und streckte die Hand nach dein Frau aus, die sich langsam erhob, die Augen aber nicht von dem Körper des Engländers nahm, der auch in seiner Ohnmacht noch stark wirkte. 8. Sie hatten gewartet und sahen nun die Mauern des Befestigungsringes von Trujillo mit der Dunkelheit verschmelzen. Philip Hasard Killigrew lag neben. Karl von Hutten in der Deckung einer Mulde und ließ sich erklären, was die Chimus ihm von der Feste Trujillo berichtet hatten. Den ganzen Nachmittag hatte Karl von Hutten die Chimus zu überreden versucht, sie in die Festung zu begleiten, weil sie dort genau Bescheid wußten. Aber die Indios waren durch nichts zu bewegen gewesen, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Ihre Angst vor dem Teufel von Trujillo, wie sie den Gouverneur, der in der Festung hauste, nannten, war grenzenlos. So hatte sich Karl von Hutten die Lage des Palastes und die Raumaufteilung genauestens erklären lassen. Die Chimus wußten das alles von ihren Brüdern, die dazu gezwungen wurden, im Palast als
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Sklaven zu arbeiten. Niemand hielt es lange darin aus. Wenn ihnen nicht die Flucht gelang, dann endeten sie eines Tages unweigerlich in den Folterkammern des Gouverneurs, von denen die schrecklichsten und unvorstellbarsten Dinge berichtet wurden, Kein Chimu würde den „Bau des Teufels“ freiwillig betreten. „Es dürfte für uns kein Problem sein, den Palast zu stürmen“, sagte Hasard, als Karl von Hutten seinen Bericht beendet hatte. „Wenn es uns gelingt, die Soldaten in ihrer Wachstube einzusperren, haben wir freie Bahn. Die Frage ist nur, ob sich Carberry auch wirklich dort aufhält.“ „Die Chimus erzählten, daß jeder Fremde im Palast des Gouverneurs und in seinen Folterkammern landet“, sagte Karl von Hutten. Der Seewolf blickte sich um. In der Mulde saßen noch sechs Männer, die er für dieses Himmelfahrtskommando ausgesucht hatte: die drei Riesen Ferris Tucker, Batuti und Stenmark, sowie Dan O’Flynn, der alles darangesetzt hatte, mitgenommen zu werden. Er hatte dem Seewolf gedroht, nie mehr ein Wort mit ihm zu wechseln, wenn er weiterhin zurückstecken müsse und immer nur die anderen interessante Abenteuer erleben dürften. Hasard hatte ihn, Jeff Bowie und Jean Ribault noch mitgenommen. Ein paar Männer aus der alten Crew hatten zwar gemurrt, weil sie meinen, die Befreiung von Carberry ginge nur die alten DrakeKämpfer etwas an, aber Hasard hatte nicht nur daran gedacht, daß die Mannschaft der „Isabella“ endlich zu einer Einheit zusammengeschweißt werden mußte, sondern auch daran, daß die Piraten auf seinem Schiff nicht das Übergewicht erhielten. Noch traute er einigen der Piraten nicht. Vielleicht dachten sie’ doch daran, eines Tages das Kommando über das Schiff zu übernehmen und die Schätze, die in den Laderäumen der „Isabella“ lagerten, für sich zu beanspruchen. Der Seewolf gab seinen Leuten einen Wink, daß es soweit war. Er sah, wie Batuti und Stenmark die beiden
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Pulverfässer schulterten, die sie von Bord der „Isabella“ mitgebracht hatten. Ferris Tucker trug neben seinem mächtigen Enterbeil zwei Pistolen in der Bauchschärpe und die Lunten für die Pulverfässer. Auch die anderen waren bis an die Zähne bewaffnet. Dan O’Flynn hielt seine gekürzte Pike in der linken Hand und eine mächtige Pistole, deren Mündung den Durchmesser eines Hühnereies hatte, in der Rechten. Seine weißen Zahnreihen schimmerten in der Dunkelheit. Hasard ging los. Er wußte, daß er sich auf jeden seiner Männer blindlings verlassen konnte - auch auf Jeff Bowie und Jean Ribault. Der zähe Engländer hatte die Nachwirkungen seiner Mißhandlungen durch den verrückten Piratenkapitän MacDundee-Einohr völligüberwunden. Und der Franzose, der so wenig über sich selbst sprach, wurde Hasard von Tag zu Tag sympathischer. Sie hatten sich den Weg hinunter zum Südtor genau eingeprägt, als es noch hell gewesen war. So schafften sie es, von den Torwachen unbemerkt, bis dicht an die Brücke zu gelangen, die über einen Graben mit faulendem Wasser führte. Sie konnten nicht einfach über die Brücke marschieren. Die Wachen hätten sie sofort entdeckt. Und von den Chimus wußten sie, daß die Soldaten den Befehl hatten, bei Dunkelheit sofort zu schießen. Der Seewolf, Dan O’Flynn und Jean Ribault rutschten ohne zu zögern die Böschung hinunter, während die anderen sich duckten und ruhig verhielten. Das Wasser stank erbärmlich. Der Seewolf fragte sie, wie es erst in der brennenden Mittagshitze stinken mochte. Das Wasser ging ihnen bis zu den Knien. Lautlos durchquerten sie es und krochen auf der anderen Seite des Grabens die Böschung wieder hinauf. Unten an der Stadtmauer verlief ein etwa drei Fuß breiter Trampelpfad. Sie hielten jetzt ihre Waffen in den Händen. Hasard und der Franzose ihren Degen, Dan O’Flynn seine kurze Pike. Die Pistole hatte er weggesteckt. Schießen
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durften sie erst, wenn sie Carberry befreit hatten und sich den Weg zurück in die Freiheit bahnen mußten. Bevor sie das Tor erreicht hatten, hörten sie die Stimmen der Soldaten. Die Chimus hatten behauptet, am Südtor stünden nur zwei Posten, doch für einen Moment erschien es Hasard, als höre er die Stimmen von mehreren Männern. Er lauschte noch, vermeinte ein Geräusch über sich an der Stadtmauer gehört zu haben und schüttelte dann den Kopf. Er durfte sich nicht verrückt machen. Ihre Zeit war knapp bemessen. Noch im Morgengrauen mußten sie mit der „Isabella“ wieder in See gehen. Dan O’Flynn drängte schon gegen ihn, und Hasard schlich weiter. Als er das Tor erreichte, holte er noch einmal tief Luft. Er wußte, daß das Tor, das sich an der Innenseite der etwa fünf Schritt dicken Mauer befand, einen Spalt geöffnet. war, damit die’ davor postierten Wachen bei einem eventuellen Angriff schnell hindurchschlüpfen konnten. Hasard hörte die Stimmen jetzt deutlich. Die beiden Spanier unterhielten sich über ein paar Indiomädchen in Huanchaco, die ihre Sache besser verstehen sollten als alle Frauen Spaniens zusammen. Hasard packte den Griff seines Degens fester. Und dann sprang er aus dem Schatten der Stadtmauer hervor. Er erschrak, als er erkannte, daß die Dunkelheit unter dem Mauerbogen noch tiefer war als vor der Mauer. Er konnte nicht das geringste sehen. Neben sich spürte er Dan O’Flynn, der leise fluchte, und auf der anderen Seite den Franzosen Ribault. Die Stimmen der Spanier waren verstummt. Hasard hörte das metallische Schaben, das entstand, wenn jemand seinen Degen aus der Scheide zog. Der eine Soldat zischte etwas, das Hasard nicht verstand. Seine Stimme klang alarmiert. Plötzlich fiel ein Streifen Licht in die undurchdringliche Dunkelheit unter dem Mauerbogen. Jemand hatte das Tor aufgestoßen.
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Hasard sah die Umrisse der beiden Wachen deutlich vor sich. Einer von ihnen hob den rechten Arm und streckte ihn vor. Er hielt eine Pistole. Hasard hechtete nach vorn. Sein Degen gab einen pfeifenden Laut von sich, als er durch die Luft schnitt und von oben auf die Hand mit der Pistole schlug. Im nächsten Augenblick war Hasard dicht vor dem Mann, und die Klinge seines Degens bohrte sich tief in die Brust des Soldaten. Röchelnd brach der Spanier zusammen und begrub seine Pistole unter sich. Hasard wirbelte herum und wollte den zweiten Posten angreifen, aber den hatte Dan O’Flynn schon mit seiner Pike außer Gefecht gesetzt. In der Brust des Soldaten war ein .faustgroßes Loch, das die fürchterliche Pike gerissen hatte. Im zuckenden Fackellicht, das durch den Torspalt unter den Mauerbogen fiel, konnte Hasard erkennen, daß in den weitaufgerissenen Augen des Wächters kein Leben mehr war.. Der Franzose war an Hasard und Dan O’Flynn vorbeigelaufen und stieß das Tor weiter auf. Auf der Brücke waren die Schritte der anderen Männer zu hören, die sofort aufgebrochen waren, nachdem sie Hasard unter dem Torbogen hatten verschwinden sehen. Das Tor knarrte leise und schwang immer weiter auf. Ribault wollte es festhalten, aber er faßte daneben. Wie erstarrt blieben Hasard, Dan O’Flynn und Jean Ribault stehen. Zehn Schritte von ihnen entfernt standen zwei Soldaten und hatten ihre schußbereiten Musketen auf Schießgabeln liegen! Es war unmöglich, sie noch recht- zeitig zu erreichen. Hasard sah die glimmenden Lunten, die jeden Augenblick auf die Pulverpfannen schlagen und die Treibladung zur Explosion bringen konnten. Der Seewolf versuchte es trotzdem. Er hatte die beiden Soldaten noch nicht halb erreicht, als er das leise Sirren hörte. Die Soldaten begannen zu schwanken. Einer versuchte sich krampfhaft an seiner
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Muskete festzuhalten. Sein Körper begann zu zucken, und dann brach er in die Knie. Er stieß die Schießgabel um und fiel mit dem Gesicht in den Sand. Der Seewolf sah den zitternden Schaft eines Pfeiles aus seinem Rücken ragen. Er hob den Kopf und blickte sich um. doch er konnte nirgends etwas entdecken. Jean Ribault hatte den anderen Spanier auf den Bauch gedreht. Auch ihn hatte ein lautloser Pfeil aus dem Hinterhalt getötet. Dem Seewolf war nicht wohl in seiner Haut. Ihre unheimlichen Verbündeten hatten zwar verhindert, daß ihr Unternehmen schon gescheitert war, ehe es richtig begonnen hatte, aber er hätte lieber gewußt, wer ihnen geholfen hatte. Jeff Bowie und Karl von Hutten tauchten neben dem Seewolf auf. Karl von Hutten stieß einen leisen Pfiff aus, als er die buntgefiederten Pfeile sah. „Inkas“, sagte er leise. „Es muß etwas Außergewöhnliches geschehen sein, daß sie sich in eine Stadt der Spanier wagen und offen mit ihren Pfeilen töten.“ Der Seewolf schüttelte unwillig den Kopf. Sie hatten keine Zeit, jetzt weiter darüber nachzudenken. Sie mußten Carberry befreien, und jede Minute war kostbar. Er wartete, bis auch Batuti und Stenmark mit den Pulverfässern heran waren, dann liefen sie gemeinsam weiter. Die Stadt war wie ausgestorben. Nur an wenigen Häusern brannten Pechfackeln. Karl von Hutten lief ein paar Schritte voraus. Er hatte sich den Weg, den ihm die Chimus beschrieben hatten, genau gemerkt. Unangefochten gelangten sie bis II zum Palast des Gouverneurs, der wie ein mächtiges Fort aussah. Karl von Hutten hielt auf das Eingangstor zu, das wiederum von einem Soldaten bewacht werden sollte. Fast überraschte es die Männer nicht mehr, daß sie den Spanier mit einem Inkapfeil im Rücken tot auf den Stufen liegen sahen. Der Seewolf schüttelte den Kopf. Er hoffte nur, daß die Inkas auf ihrem Rachefeldzug, oder was das sonst hier war, nicht auch noch nebenbei Carberry abmurksten, weil sie ihn für einen Spanier hielten.
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Mit wenigen Schritten waren sie in der großen Halle, die von mehreren Fackeln ausgeleuchtet wurde. Eine breite Steintreppe führte in die oberen Räume, wo der Gouverneur residieren sollte. Aber wichtiger waren jetzt die Wachstube der Soldaten und die Waffenund Pulverkammern, die sich zu ebener Erde befinden sollten. Hasard schickte Jean Ribault und Dan O’Flynn zur Wachstube hinüber. Die Tür war nur angelehnt. Leise Stimmen waren zu hören. Ribault zögerte nicht lange. Er schlug die Tür zu und ließ den schweren Eichenbalken in die Halterung fallen, der die Wachstube verriegelte. Einen anderen Ausweg für die Soldaten gab es nicht. Von den Chimus wußten sie, daß es nur diese eine Tür zur Wachstube gab, und sämtliche Fenster des Palastes waren mit starken Eisenstäben gesichert. Für einen Moment verstummten alle Laute, doch dann hörten die Männer in der Halle Flüche und Geschrei, das aber nur gedämpft durch die massive Bohlentür klang. Der Seewolf gab den Männern einen Wink. Jeder wußte, was seine Aufgabe war. Ferris Tucker schob Batuti und Stenmark auf die Tür zu, die zu den Pulverkammern führen sollte. Jeff Bowie und Dan O’Flynn hatten die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Waffenkammern abgeriegelt und womöglich die Schußwaffen darin zerstört wurden. Der Seewolf, Karl von Hutten und der Franzose waren bereits auf der breiten Steintreppe, die zu den privaten Räumen des Gouverneurs führten. Mit wenigen Schritten war Jean Ribault an einer Tür, hinter der sich die Diener des Gouverneurs aufhielten, die jederzeit für ihn erreichbar sein mußten. Ribault stieß die Tür mit dem Fuß auf. Drei spanische Diener saßen an einem Tisch und würfelten. Sie blickten überrascht auf und starrten den Eindringling mit aufgerissenen Augen an. Ehe sie begriffen, was hier gespielt wurde, war Ribault bei ihnen und kitzelte den
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nächstsitzenden Spanier mit der Spitze des Degens am Hals. „Wenn einer von euch auch nur einen Mucks von sich gibt, werdet ihr den nächsten Tag nicht mehr erleben“, sagte er auf Spanisch. Seine Augen richteten sich auf den Hintergrund des Raumes, wo sich fünf Indios schlaftrunken aufgerichtet hatten. Sie waren mit langen Ketten gefesselt, die durch einen in der Mauer eingelassenen Ring liefen. Von den Chimus wußte Ribault, daß die Indiosklaven nachts angekettet wurden, damit sie nicht fliehen konnten. Die Spitze von Ribaults Degen ritzte die Haut des Spaniers. Blut quoll hervor und tropfte auf den weißen Kragen. „Einer von euch schließt die Indios los“, sagte Ribault mit harter Stimme. Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als er die Bewegung des zweiten Spaniers sah. Der Diener hatte seine Hand unter den Tisch sinken lassen und riß sie jetzt wieder hoch. Eine kleine Pistole lag darin, und Ribault erkannte in Sekundenschnelle, daß sie ein Steinschloß hatte. Er hechtete vor und zog den Degen mit. Er achtete nicht auf das Röcheln des ersten Dieners, dem die Degenspitze den Hals aufgeschlitzt hatte. Er mußte unbedingt verhindern, daß der andere Diener seine Pistole abdrücken konnte. Seine linke Hand schoß vor. Er schrie leise auf, als etwas Hartes auf seine Finger schlug, doch dann bohrte sich sein Degen in die Brust des Spaniers. Ribault zog den Degen sofort zurück und richtete die blutbeschmierte Klinge auf den dritten Mann, der ebenfalls aufgesprungen war. Fassungslos starrte der Diener auf seine beiden Kollegen. Der eine lag bewegungslos mit verdrehten Augen auf dem Boden, der andere hockte noch am Tisch und hielt sich jammernd den blutenden Hals. Der Diener wich zitternd zurück zur Wand, wo die Schlüssel für die eisernen Armbänder der Indios hingen. Wortlos begann er, die Indios von ihren Fesseln zu befreien.
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Ribault blickte auf seine linke Hand. Erst jetzt bemerkte er, daß er die kleine Pistole hielt. Der Hammer mit dem spitzen Feuerstein war ihm auf die Finger geschlagen. Er warf die Pistole fort. Sein Zeige- und Ringfinger schmerzten höllisch. Er hatte das Gefühl, als ob beide gebrochen wären. Ribault sprach die Indios auf Spanisch an. Zum Glück hatten sie während ihres unfreiwilligen Aufenthaltes im Palast schon genug gelernt, um ihn zu verstehen. Es waren Chimus. Sie schauten ihn ungläubig an, als er ihnen befahl, die drei spanischen Diener in Ketten zu legen, und er mußte sie mit seinem blutigen Degen bedrohen, bevor sie ihm gehorchten. Als sie damit fertig waren, sagte er: „Verschwindet jetzt. Die Soldaten sind in der Wachstube eingesperrt, und auch am Südtor stehen keine Posten. Aber laßt euch nicht einfallen, die Soldaten zu befreien. Dann werde ich euch den Bauch aufschlitzen! Verschwindet hinunter nach Salaverri. Dort warten ein paar Brüder von euch. Sie werden euch zurück in euer Dorf bringen.“ Die Chimus hatten endlich begriffen, daß der Fremde ihnen die Freiheit zurückgebracht hatte, sie nickten eifrig und liefen dann an ihm vorbei auf die Galerie und die breite Steintreppe hinunter. Als sie unten in der Halle Dan O’Flynn mit seiner blutbeschmierten Pike sahen, stockten sie, doch Ribault rief ihnen leise zu, daß der blonde Junge zu ihren Befreiern gehörte. Sie hasteten an Dan vorbei. Das Bürschchen hatte nur das Wort chico verstanden, und wütend rief er zu Ribault hinauf: „Beeil dich, Opa! Wie lange sollen wir hier unten denn noch warten? Ferris hat die Lunten schon gelegt.. Wir warten nur noch darauf, daß ihr mit Carberry antanzt, dann jagen wir diesen verfluchten Bau in die Luft!“ Ribault drehte sich grinsend um und lief auf die Tür zu, die zum Audienzsaal des Gouverneurs führte. Die beiden Flügel standen weit offen. Er sah den Seewolf und
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Karl von Hutten, die eine große Truhe geöffnet hatten. Der Franzose pfiff durch die Zähne und wollte nach dem glitzernden Goldschmuck greifen, aber Hasard winkte ab. Zu dritt liefen sie zur Tür hinüber, die ins Schlafgemach des Gouverneurs führte. Sie hörten seltsame Geräusche, und als Hasard die unverschlossene Tür leise aufzog, begann er zu grinsen. Das Stöhnen, das der Teufel von Trujillo von sich gab, war allzu eindeutig. Der Seewolf zog die Tür ganz auf und war mit wenigen Schritten im Zimmer. Mit einem Blick hatte er das breite Baldachinbett erfaßt und traf an das Fußende. Er sah ein breites Hinterteil, das nie und nimmer dem Gouverneur gehören konnte. Zitternd bewegte es sich auf und ab. Am Stöhnen und Keuchen des Mannes, der nicht zu sehen war, hörte Hasard, daß hier allerlei geboten wurde. In jeder anderen Situation hätte Hasard als Gentleman gewartet, bis die beiden ihren lustvollen Ritt beendet hatten, aber nicht jetzt. Grimmig dachte er daran, was dieser de Vaca wohl mit Carberry angestellt hatte. Mit der flachen Seite seines Degens schlug er auf das breite, rosafarbene Hinterteil, das sofort in seiner Bewegung innehielt. Ein heller spitzer Schrei übertönte das Keuchen des Mannes. „Hab ich es endlich geschafft, mein Täubchen?“ fragte eine halb erstickte, zitternde männliche Stimme. Kurze, fette Arme tauchten aus den seidenen Kissen auf und schlangen sich um die Hüften der aufrecht sitzenden Frau. Ihr Kopf ruckte herum. Der kleine, herzförmige Mund öffnete sich zu einem weiteren Schrei, als sie die drei grinsenden Männer am Fußende des Bettes stehen sah. Aber kein Ton drang über ihre Lippen. Der Ausdruck in ihren Augen hatte sich von einem Augenblick zum anderen geändert. Hasard las jetzt nicht mehr Erschrecken, sondern Neugier darin. Es war ihr deutlich anzusehen, daß der fette Mann unter ihr es nicht geschafft hatte, wie er annahm, und Hasard erkannte, daß sie
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lieber einen der drei Fremden, die so plötzlich aufgetaucht waren, an ihren mächtigen Busen gedrückt hätte, als den fetten, unbeweglichen Kerl unter sich zu befriedigen. Sie wandte sich an ihren Bettgenossen. „Wir haben Besuch, Böckchen“, sagte sie. De Vaca ruckte hoch. Er kümmerte sich nicht um die Frau, die mit herumfuchtelnden, halt suchenden Armen zur Seite fiel und aus dem Bett plumpste. Die kleinen Schweinsaugen in dem geröteten und schweißüberströmten Gesicht zuckten zwischen den drei Männern vor seinem Bett hin und her. Er brauchte nur kurze Zeit, um zu begreifen, was das Eindringen der Fremden zu bedeuten hatte. Plötzlich warf er sich zur Seite, und seine Hand griff nach dem Degen, der quer über einem kleinen Nachttisch lag. Hasard brauchte sich nicht einmal zu beeilen. Sein Degen war schneller. Klirrend landete die Waffe des Gouverneurs auf den Steinfliesen. „Aufstehen!“ sagte Hasard kalt. Der Mut des Gouverneurs sank in sich zusammen wie eine erlöschende Flamme. Sein schwammiger Körper begann zu zittern. Er hockte jetzt auf den Knien und wollte die Arme vorstrecken. Hasard schlug wieder mit der flachen Seite des Degens zu. Die Arme des Gouverneurs zuckten zurück. Er griff nach einem Nachthemd und blickte Hasard bettelnd an. Hasard nickte. „Aber beeil dich“, sagte er. „Du weißt, was wir von dir wollen, nicht wahr?’ Wir suchen den Engländer; der in Huanchaco von Chimus an Land gesetzt wurde. Wo ist er?“ „Im Keller“, stotterte de Vaca. Er stolperte vor Hasard her auf die Tür zu, und die Spitze des Degens trieb ihn zur Eile an. Hasard wandte den Kopf und sagte zu Jean Ribault: „Binde das Weib am Bett fest, damit sie nicht die Soldaten befreien kann, wenn wir verschwinden:“ „Mit Vergnügen“, erwiderte Ribault. Er packte die Frau mit grobem Griff und warf sie aufs Bett. Im ersten Moment
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glaubte er, sie wolle sich verzweifelt wehren, doch dann merkte er, daß sie etwas ganz anderes im Sinn hatte. Ribault grinste. Seine Hand klatschte in ihr Gesicht. Sie fiel mit einem leisen Schrei zurück in die Kissen. Rasch riß er ein paar Kordeln, mit denen die Vorhänge des Baldachins zugezogen werden konnten, herunter und fesselte mit geübten Griffen die Hände und Füße der Frau an den vier Bettpfosten. Mit bebendem Busen lag sie da. Warum eigentlich nicht? dachte Ribault. So schnell werden sie Carberry nicht finden. Sie stöhnte schon, als er sie noch nicht einmal berührt hatte... * Hasard spürte förmlich, wie ihm. alles Blut aus dem Gesicht wich. Er’ starrte auf die zerschundene Gestalt, die dort in Ketten an die Mauer geschmiedet war. War das noch der kraftstrotzende Carberry. den nichts erschüttern konnte? Hasard war mit ein paar Schritten bei ihm. Er hob die Schüssel mit Wasser an, die neben dem bewußtlosen Profos am Boden stand und hielt sie ihm an die aufgeplatzten Lippen. Er roch das verbrannte Fleisch, sah die fürchterlichen Brandwunden auf der Brust und die abgeschälte Haut im Gesicht, und Tränen traten ihm in die Augen. Hasard schämte sich nicht. Er hatte schon viele Grausamkeiten erlebt, aber was man Carberry angetan hatte, übertraf alles. Das Wasser lief an Carberrys Mundwinkeln hinunter. Hasard zwang die aufgeplatzten Lippen auseinander. Er spürte, wie das Leben in den Körper von Carberry zurückkehrte. Er faßte in Carberrys dichten Schopf und zog seinen Kopf in den Nacken, damit er besser trinken konnte. Carberry begann zu schlucken. „Carberry!“ rief Hasard leise. „Wir sind es! Die Männer von der ,Isabella’? Wir sind hier, um dich zu befreien!“ Hasard sah, wie sich die Augen langsam öffneten. Zuerst blickten sie noch durch
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ihn hindurch, doch plötzlich erkannte er das vom Fackelschein beleuchtete Gesicht, und ein Seufzer drang über seine Lippen, der wie ein befreiender Schrei klang. „Hasard!“ Der Seewolf hörte den gellenden Schrei Karl von Huttens, der den fetten Gouverneur vor seiner Pistole hatte. Hasard wirbelte herum. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er sah den Schatten des riesigen Mannes, der eine Henkersaxt zum Schlag erhoben hatte. Mit greller Deutlichkeit wurde sich Hasard bewußt, daß er der niedersausenden Axt nicht mehr würde ausweichen können. Doch die Axt blieb über dem Kopf des Riesen stehen. Der mächtige Körper war zusammengezuckt. Ein Zittern durchlief ihn von oben nach unten. Hasard reagierte erst jetzt. Er sprang vor, griff nach dem Handgelenk des Mannes und entriß die Henkersaxt der kraftlos gewordenen Hand. Der Riese begann zu schwanken. In seinen Augen war schon kein Leben mehr, als er nach vorn kippte und der Länge nach auf den Steinboden schlug. Hasard glaubte, die Erschütterung des Bodens zu verspüren. Seine Augen weiteten sich, als er auf den Rücken des Riesen blickte. Ein buntgefiederter Pfeilschaft ragte zwischen den Schulterblättern hervor. Hasards Kopf ruckte hoch. Er sah die Bewegung hinter der Tür, und dann tauchten zwei Indios mit bemalten Gesichtern auf. In ihren Händen hielten sie große Bögen, auf deren Sehnen schußbereite Pfeile lagen. Karl von Hutten sprach hastig ein paar kehlige Laute. Die Indios blickten ihn erstaunt an und ließen ihre Bögen sinken. Hasard hörte ein heiseres Flüstern Und wandte sich rasch um. „Carberry“, sagte er erschüttert. „Wie kommst du hierher?“ Der Profos der „Golden Hind“ schüttelte langsam den Kopf. Hasard verstand ihn. Es war später noch Zeit genug, ausführlich zu erzählen. „Sie – sie sind meine Freunde“, flüsterte Carberry stockend und sah zu den beiden
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Indios hinüber. Dann sackte sein Kopf zur Seite. Die Bewußtlosigkeit hatte ihn wieder in ihre Arme genommen. Dan O’Flynn tauchte in der Tür auf. Entsetzt starrte er auf den geschundenen Carberry. „Ist er ...?“ fragte er erschüttert. „Er lebt“, erwiderte Hasard hastig. Er band die Schlüssel vom ledernen Gürtel des toten Riesen und schloß die eisernen Schellen an Carberrys Gliedern auf. „Wir müssen uns beeilen!“ rief er. „Dan, hilf mir, Carberry nach oben zu tragen.“ Die beiden Indios waren plötzlich an seiner Seite und halfen Hasard „Frag den Dicken, wo er sein Gold hat“, sagte Hasard auf Spanisch. „Wenn er es in einer Minute nicht ausgespuckt hat, schneide ihm einfach die Kehle durch. Wir haben nicht mehr viel Zeit. De Vacas Gesichtsfarbe ging vorn Gelblichen ins Grünliche über. Die Wörter sprudelten nur so über seine Lippen. Seine Schätze befanden sich in einem nebenanliegenden Kellerraum. Hasard wartete, bis die Indios mit Carberry auf der Treppe nach oben waren, dann ging er mit Karl von Hutten und dem schlotternden de Vaca zur nächsten Tür. Der Schlüssel zum Schloß lag hinter einem drehbaren Stein. Hasard schloß auf und hielt eine Pechfackel in den dunklen Raum. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die gestapelten Goldbarren sah, die einen unermesslichen Wert darstellten. Hasard wurde es schwarz vor Augen, als er daran dachte, daß dieses Gold schon von den Inkas zu unnachahmlich schönen Kultund Gebrauchsgegenständen verarbeitet worden war. Daneben standen kleine Truhen, die bis zum Rand mit Edelsteinen gefüllt waren. „Wir müssen uns Maultiere besorgen“, sagte Hasard heiser. „Anders schaffen wir das Gold niemals von hier fort.“ * Es schien in Trujillo nicht viel mehr Soldaten zu geben als die Palastwache, die in der Wachstube eingesperrt war.
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Nachdem Ferris Tucker die Lunten befestigt und die Pulverspuren gelegt hatte. war er zur Bohlentür der Wachstube zurückgegangen und hatte sie mit Nägeln und Brettern so verschalkt, daß selbst die Leute von außen mindestens eine Stunde brauchten, um die Tür wieder zu öffnen. Batuti, Stenmark und Jeff Bowie waren in den Stall eingedrungen, der zum Gouverneurspalast gehörte, und hatten zwölf Maultiere und Esel vorgefunden. Die Tiere hatten sich zuerst störrisch benommen, aber dann hatte Batuti den angeketteten Chimusklaven gefunden und befreit. Nachdem die Männer ihm verdeutlicht hatten, daß er seine Freiheit behalten konnte, wenn er ihnen mit den Tieren half, waren auch die Esel kein Problem mehr. Sie gehorchten dem Chimu aufs Wort. Dann hatten sie geschuftet wie die Verrückten. Sie hatten es aufgegeben, zu zählen, wie oft sie die Treppe in den Keller hinab- und wieder heraufgegangen waren. Ihnen allen lief der Schweiß in Strömen von der Stirn. Karl von Hutten hatte die beiden Inkas hinauf in den Audienzsaal zu der Truhe mit dem Goldschmuck geführt und ihnen auf Hasards Geheiß hin erklärt, daß sie die Goldschätze mit zurück in die Berge nehmen sollten, in die Städte ihrer Väter. Die Augen der Inkas hatten vor Dankbarkeit geleuchtet. Die Goldbarren des Gouverneurs interessierten sie nicht. Gold hatten sie genügend in ihren zahlreichen Bergwerken. Aber unter dem Goldschatz, den der Capitan Segoya aus der geheimnisvollen Stadt in den Bergen geraubt hatte, waren viele Kultgegenstände, die für die Inkas einen Wert hatten, der nicht in Zahlen auszudrücken war. Jean Ribault hatte inzwischen versucht, sich unbemerkt zwischen die anderen zu schmuggeln und so zu tun, als ob er ebenfalls schon die ganze Zeit dabei gewesen wäre, die Goldbarren zu den Maultieren und Eseln zu schleppen. Aber Dan O’Flynn hatte es bemerkt.
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„Was war denn da oben?“ hatte das Bürschchen gefragt, und Ribault hatte keinen Grund gesehen, dem Jungen nicht die Wahrheit zu erzählen. Die nächste Viertelstunde war Dan O’Flynn spurlos verschwunden, und Ribault antwortete auf Hasards Frage, wo er abgeblieben war, daß Dan dringend einem körperlichen Bedürfnis habe nachgehen müssen. Was durchaus der Wahrheit entsprach. Stenmark war der nächste. Entweder war die Frau inzwischen schon so angeheizt, oder aber Stenmark war genau das richtige Kaliber für sie jedenfalls klangen ihre spitzen Schreie laut durch den ganzen Palast. Hasard fluchte. Er schrie die Männer an, sich zu beeilen. „Meint ihr, ich habe Lust, unser Leben aufs Spiel zu setzen, nur weil es euch in der Hose juckt?“ rief er. „Der nächste, der hinaufgeht, wird mit der Hure in die Luft fliegen, das verspreche ich euch!“ Sie beeilten sich. Zum Schluß befahl Hasard, die Frau herunterzuholen. Jeff Bowie, der den Befehl erhielt, ließ es sich nicht zweimal sagen. Wie der Blitz war er an der breiten Steintreppe. „Eine Minute!“ rief Hasard ihm nach. „Dann werden die Lunten gezündet!“ Jeff Bowie brauchte keine halbe Minute. Er stieß die nackte Frau vor sich her, indem er ihr auf die prallen Hinterbacken klatschte. Hasard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er die Frau sah. Sie schien völlig aufgelöst. Ihre Augen hatten einen verklärten Ausdruck, als ob. sie das Paradies ein paarmal durcheilt hätte. De Vaca, der gefesselt neben Batuti stand, sagte etwas zwischen den Zähnen, was wie das Zischen einer Schlange klang. Die Frau schien es nicht zu hören. „Warum ist sie nackend?“ fragte Hasard. Jeff Bowie blickte ihn grinsend an. „Die Zeit war zu knapp“, sagte er. „Ich wollte nicht mit ihr in die Luft fliegen.“ Sie verließen den festungsähnlichen Palast. Die beiden Inkas hatten eine Schlepptrage
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am Geschirr eines Maultieres befestigt und den bewußtlosen Carberry darauf gebettet. Während die anderen Männer davonzogen, warteten Ferris Tucker und Stenmark noch eine Weile, ehe sie die Lunten in Brand setzten, welche die Pulverspuren entzünden würden. Diese liefen in die Pulverkammern. Ferris Tucker wußte nicht, was bei der Explosion der Pulverfässer geschehen würde. Waren die Mauern der Festung stark genug, den freiwerdenden Kräften zu trotzen? Er zuckte mit den Schultern, schlug mit einem Flintstein Feuer und setzte die erste Lunte in Brand. Wenig später glimmten alle vier Lunten. Höchstens zehn Minuten würde es dauern, bis sie die Pulverspuren erreichten, und dann war es nur noch eine Frage von Sekunden, bis die Festung in die Luft flog. Sie beeilten sich, die Maultierkarawane einzuholen. Hasard und die anderen verließen die Stadt Trujillo gerade durch das immer noch unbewachte Südtor, als Ferris Tucker und Stenmark sie einholten. Hundert Schritte weiter drehten sich alle um und starrten zur Festung hinauf. Es war wie ein Erdbeben, als die Pulverkammer in die Luft flog. Sie sahen zuckende Blitze und hörten das Poltern, mit dem die in die Luft geschleuderten Steine zurück auf die Erde krachten. Mit einemmal war der Teufel los in der Stadt. Der Donner der Explosion war noch nicht verrollt, als ein Geschrei anhub, das die restlichen Mauern des Palastes zum Einsturz zu bringen drohten. Hasard gab den Männern einen Wink. Die Inkas sprachen auf Karl von Hutten ein, und der übersetzte Hasard, daß sie sich nach Norden absetzen wollten. Sie verlangten, daß Hasard ihnen den Teufel von Trujillo überließ, und da Hasard im Moment alles andere gebrauchen konnte als Streit mit den Inkas, willigte er ein. Er befahl Jeff Bowie, die nackte Frau freizulassen, und scheuchte seine Männer dann auf den Pfad, der hinunter zur Bucht führte, in der die „Isabella III.“ ankerte.
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Über den Gebirgsketten im Osten wurde die Schwärze der Nacht bereits von einem hellen Grau verdrängt, das sich schnell über den Himmel ausbreitete. Immer wieder hörten sie entfernten Lärm. Die gewaltige Detonation in Trujillo hatte wahrscheinlich auch die Wachmannschaften in den beiden Häfen Huanchaco und Salaverri auf die Beine gebracht. Hasard glaubte schon, das wartende Boot ohne Zwischen fälle erreichen zu können, als er einem Trupp von sechs Soldaten praktisch in die Arme liefen. Es gab einen kurzen, aber heftigen Kampf, bei dem vier Soldaten auf der Strecke blieben. Zweien gelang die Flucht, und Hasard trieb seine Männer wieder zur Eile an. Sie mußten das Gold an Bord der „Isabella“ geschafft haben, bevor die geflohenen Soldaten mit Verstärkung anrückten. Smoky und Blacky warteten schon sehnsüchtig bei der Pinasse. Sie rissen ihre verschlafenen Augen auf, als sie die Maultierkarawane entdeckten. Und als sie sahen, daß der Seewolf außer Carberry auch noch einen riesigen Haufen Goldbarren mitgebracht hatte, kriegten sie ihre heruntergeklappten Unterkiefer nicht wieder hoch. Sie mußten dreimal mit der Pinasse zur „Isabella“ hinüberpullen, bis sie das Gold an Bord hatten. Beim letztenmal waren die Soldaten plötzlich zur Stelle. Hasard jagte ihnen einen Schuß aus seiner sächsischen Reiterpistole entgegen. Er hatte nicht gehofft, daß er auf die weite Entfernung treffen würde, aber als seine Kugel doch einen von den Spaniern von den Beinen holte, war er nicht weniger überrascht als die Soldaten, die sich schleunigst in den Dschungel zurückzogen. Als sie die Pinasse an Bord hievten, stand die „Isabella“ bereits unter Segeln. Ben Brightons Befehle schallten über Deck. Unter der Back beugte sich der Kutscher kopfschüttelnd über Carberry, der sein Bewußtsein wiedererlangt hatte und bereits ein Grinsen versuchte, das ihm jedoch kläglich mißlang. Hasard blickte den Kutscher fragend an.
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„Der darf gar nicht mehr leben“, sagte der Kutscher. „Sieh dir seine zerquetschten Füße an - die Brandnarben an der Brust, die zerbrochenen Finger, die Striemen auf dem Rücken. Der muß tot sein. Wenn sich in dem noch was bewegt, so kann das nur sein Geist sein.“ „Das könnte dir so passen, du Affenarsch!“ Die Stimme klang wie ein Hauch, aber alle Umstehenden hatten die Worte verstanden. Einen Moment schaute der Kutscher dumm aus der Wäsche, aber als die anderen zu lachen begannen. stimmte er mit ein. Der eiserne Carberry hatte sich nicht unterkriegen lassen. Es steckte tatsächlich noch Leben in ihm. Denn ein Geist nahm doch wohl das Wort _Affenarsch“ nicht in den Mund, oder? Niemand von der Mannschaft redete vom Gold. Jedenfalls niemand von der alten „Isabella“-Crew. Die meisten von ihnen hätten vielleicht’ sogar auf den Rest ihrer Beute verzichtet, wenn sie dafür den Himmelhund von einem Profos aus den Klauen eines Teufels befreien konnten. Als die Sonne über den Gipfeln der Kordilleren aufging und die ersten glutroten Strahlen das Meer golden färbte, segelte die „Isabella III.“ aus der einsamen Bucht und jagte nach Norden. Die Segel der Galeonen, die von Salaverri und Huanchaco ausgelaufen waren, um das englische Schiff, das wahrscheinlich unter dem Kommando von El Draque fuhr, einzuholen und zum Kampf zu stellen, verschwanden schon bald hinter der Kimm. Trotz der schweren Ladung war die „Isabella“ immer noch ein äußerst schnelles Schiff. Der Seewolf richtete seinen Blick nach vorn. Dort irgendwo nördlich segelte Francis Drake, der wahrscheinlich annahm, daß Philip Hasard Killigrew und seine Männer nicht mehr unter den Lebenden weilten. Jetzt hatte er auch noch seinen Profos Carberry verloren. Wie, das war Hasard noch ein Rätsel. Carberry würde es ihm erzählen, wenn er wieder bei vollem Bewußtsein war.
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Daß der eisenharte Profos die Folgen der Folter abschütteln würde wie andere eine Tracht Prügel, dafür würde der Kutscher schon sorgen. Der Seewolf streckte den Kopf in den Wind. Er schmeckte wieder Salz auf der Zunge, und als er seine Männer in den Wanten, an den Schoten und Brassen beobachtete, da wußte er, daß es für sie noch lange nicht an der Zeit war, in die Hölle zu fahren. „Laß sie laufen, Ben!“ rief er seinem Bootsmann zu. „Vielleicht braucht Kapitän Drake schon bald unsere Hilfe!“
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Die Männer in der Kuhl, die diese Worte gehört hatten, grinsten ver- wegen, und als Dan O’Flynn, der schon wieder mit Arwenack im Großmars saß, brüllte: „Three Cheers für den Seewolf!“, da stimmten fünfundzwanzig rauhe Männerkehlen mit ein. Die sechsundzwanzigste Stimme wurde vom Singen des Windes übertönt, aber das Lächeln auf Carberrys zerschundenem Gesicht zeigte deutlich, daß er dem Bürschchen im Großmars aus vollem Herzen zustimmte.
ENDE