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PERRY RHODAN – Extra 6 Der dritte Goratschin Autor: Wim Vandemaan ZWISCHEN VENUS UND TERRA – SIE EXPERIMENTIEREN MIT DER ZELLPROBE EINES TOTEN TERRANISCHEN MUTANTEN Der Sommer des Jahres 1346 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: Seit die Terminale Kolonne TRAITOR die Milchstraße und die umliegenden Galaxien besetzt hat, leisten praktisch nur noch die Bewohner des Solsystems zähen Widerstand gegen die Besatzer. Die Menschen auf Terra sowie den bewohnten Planeten und Monden werden durch den undurchdringlichen TERRANOVA-Schirm gegen die Angriffe der Terminalen Kolonne geschützt. Die andauernde Belagerung sorgt für eine angespannte Stimmung unter den Terranern; überall wird an Möglichkeiten gearbeitet gegen TRAITOR vorgehen zu können. Nicht nur Terraner leben im Solsystem; auch eine Kolonie von Aras sitzt gewissermaßen auf der Venus und der Erde fest. Unter den Galaktischen Medizinern reift eine wagemutige Idee – und diese gipfelt in einer riskanten Entwicklung. Es ist DER DRITTE GORATSCHIN
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Prolog 25. Juli 1345 NGZ Ein ewiger Winter »Hejho, hejho!«, rief Weniamin Trofimowitsch Stawrogin. Er schwang die Peitsche hoch über den Kopf und ließ sie knallen. Die Troika zog kräftiger an, und der Schlitten kam wieder in die Spur. Stawrogin sang aus voller Kehle: »Schiroki prastor .dlja metschty i dlja schisni ...« Für einen Moment heulte der Sturm so laut auf, dass Stawrogin die eigenen Worte nicht verstand. Unbeeindruckt davon jauchzte er weiter. Dann flaute der Lärm ab, und er hörte sich wieder. »Nam silu dajot nascha wernast otschisne«, sang er. »Tak byla, tak jest i tak budet wsegda!« Eines der Pferde aus der Troika ließ einen gewaltigen Furz. Es stank für einen Augenblick bestialisch. Enorm, dachte Stawrogin. Doch sofort durchstießen sie die Duftwolke und ließen sie hinter sich. Welche Finesse! Weit vorne schimmerte ein Licht im Schneegestöber auf. Das musste der »Einbeinige Orang-Utan« sein. Die Rauchfahne von Stawrogins Atem verwehte. Er holte tief Luft und sang noch einmal die alte russische Hymne, diesmal aber in der Interkosmo-Version. »Ein Land, weit genug für Träume und Leben — eröffnet sich uns in der künftigen Zeit. Uns kräftigt die Treue zu unserer Heimat. — So war es, so ist es, so wird's immer sein.« Der Schnee verwandelte sich in prasselnden Eisregen, als Stawrogin die Troika endlich auf den Hof der Schänke lenkte. Er parkte den Schlitten zwischen zwei Gleitern; einer der beiden musste aus den Zeiten des Solaren Imperium stammen und besaß, wenn überhaupt, nur noch musealen Wert. Das war Petenkas Fahrzeug. Stawrogin stieg ab, stellte den Kragen seines Mantels auf und warf die ölgetränkte Plane über den Bock des Schlittens. Er tätschelte dem außen
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stehenden Pferd, einem Rappen, die Flanke; es roch wunderbar nach Pferd. Ein leises Schnauben; Stawrogin lachte und stapfte los. Das Metallschild der Schänke pendelte im Wind, quietschte und kreischte in den Scharnieren; der Namenszug war kaum lesbar: »Zum Einbeinigen Orang-Utan«. Das Eis und die Nacht krochen ihm in den Bart. Stawrogin warf einen Blick zurück zur Troika. Die drei Pferde bebten in der Kälte. »Na gut«, murmelte Stawrogin, zog seinen Impulsgeber aus dem robenartigen Mantel und richtete ihn auf die Troika. Ein Druck auf die Sensortaste, und die drei Pferde fielen in ein gefühlloses Stand-by. Stawrogin trat die Tür mit dem Stiefel auf und betrat den Korridor. Einige Schritte weiter erst, vor der Tür zum Gästeraum der Schänke, klopfte er die Schuhe in einer Fußmatte ab. Die Tür quietschte wie eine alte Jungfer, die man beim Tanz von hinten tief in die Pobacken griff. Wobei es auf der Venus von alten Jungfern nicht gerade wimmelt, dachte Stawrogin und grinste. Na, wenn schon. Dann greift man zur Not auf die jungen Jungfern, zurück! Dichter Rauch hing in der Stube, es duftete nach Knaster, Koljurija, Salzgurken und geschmortem Fleisch. »Weniamin Trofimowitsch, bist du das?«, bellte ihm eine Stimme entgegen. »Und wenn?« »Und wenn: Dann schließ die Tür, du Sohn einer Glotzschnecke und ... und ... du Missgeburt! Tür zu!« Stawrogin lächelte vergnügt und schritt voran, aber die Tür hatte die Bitte des Gastes schon vernommen und schloss sich. Schlagartig wurde es leiser; es war, als hätte jemand den Schneesturm draußen per Knopfdruck ausgeschaltet. Stawrogin schlug Petenka im Vorübergehen auf den Rücken, dass es krachte. Der Wodka hüpfte aus dem Glas in Petenkas Hand wie eine aufgeschreckte Kröte.
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Stawrogin kicherte. »Petenka, du Wrack, wer hat dich aus dem Heiltank deines Sanatoriums gefischt?« »Mein Wodka, gib mir meinen Wodka zurück, du mieser ... Politkommissar! Ich will meinen Wodka wiederhaben!« »Beruhig dich, Mädel!« Stawrogin winkte dem Orang-Utan, der auf einem Bein heran geschaukelt kam, den langen rechten Arm immer am Führungsseil. Das Seil war kreuz und quer unter der Decke gefestigt und verlief nach einem für Menschen nicht durchschaubaren System. Mit der anderen Hand balancierte er ein Tablett, auf dem eine Flasche Wodka Tomisenkow stand. Auf dem Holoetikett sah man den berühmten Handschlag des berühmten Generals Tomisenkow mit dem noch berühmteren Major Rhodan. Militärs unter sich, jederzeit bereit, der Stimme der Vernunft zu folgen. Es war ein ebenso kitschiges wie verlogenes Bild. »Väterchen Weniamin, nicht immer unartig Rotzblag, lass mein Petenka in Ruh! «, schimpfte der Orang. »Auf deine Rechnung das geht, ja?« »Ja ja, setz es auf meine Rechnung«, willigte Stawrogin ein und schnäuzte sich in ein riesenhaftes Taschentuch voller gelber und weißer Flecke. Enorm, dachte er und steckte das Tuch nickend wieder ein. Der Orang hagelte sich zum Tresen, um Ersatz für Petenkas Wodka zu beschaffen. Stawrogin sah sich um und bemerkte, dass die meisten Tische und Nischen besetzt waren. Warum auch nicht? Denis Denissowitsch Scheckows Kochkünste waren venusweit berühmt, und es sollte nicht wenige Terraner geben, die eigens herüberflogen, um im tomisenkowgrader Einbeinigen Orang-Utan Wohlhynische Kohlwickel, Plow, Tabakhühnchen und andere altrussische Spezialitäten zu genießen. Und zum Nachtisch unbedingt Meister Scheckows berühmten Wackelwodka, eine unter Verwendung von Wodka hergestellte Götterspeise, klar wie Kristall, herzerwärmend wie ein Zungenkuss der Liebsten.
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Überrascht sah er in einer der Separees des Schankraumes eine Ebar-Doschonin, ein elfengleiches Geschöpf mit Gliedern wie aus Glas und hellem, rätselhaften Gesicht. Er wusste, dass die Ebar-Doschonin seit Äonen in einer Symbiose mit Geschöpfen lebten, die einer Riesenmuschel der irdischen Biosphäre ähnelte. Aber was diese Symbionten waren und warum die Erbar-Doschonin diese Lebensgemeinschaft eingingen, davon hatte er keine Ahnung. Diese Elfe schmiegte sich an das irisierende, samtige Innenhaut der Muschel. Sie sah verloren aus. Ihre Blicke folgten Stawrogin. Stawrogin nickte ihr grüßend zu. In einer anderen Nische entdeckte er drei Menschen, die er auf den ersten Blick für Terraner gehalten hätte, deren Haare aber eine ähnliche Violettfärbung aufwiesen wie ihre Augen, die ihn schamlos musterten. Übrigens möglich, dass die drei tatsächlich Terraner waren und bloß einer befremdlichen Mode folgten, einem Hang zum Exotischen. Aber sein Gefühl sagte Stawrogin, dass es sich tatsächlich um Báalols handelte, um Antis. Wahrscheinlich sind diese Antis ebenso wie die Ebar-Doschonin Kolonnengestrandete, vermutete er, verirrte Seelen, wie sie sich zu Millionen in diesen Tagen im Solsystem aufhalten, gestrandet, seitdem das Solsystem hinter dem TERRANOVA-Schirm hat in Deckung gehen müssen. Endlich fand der Orang-Utan Zeit für ihn. Er hangelte sich zum Stawrogin heran und grunzte klagend. »Väterchen Weniamin, ihr euch gar nicht angekündigt habt. Hab kein Tisch nicht für euch reserviert.« Stawrogin nickte. »Hast du dennoch ein Plätzchen für mich?« Der Orang grunzte. »Wenn nicht, schmeißen Petenka raus«, bot er an. Petenka fuhr auf. »Du Tier! Du Untier! Du Bestie in ... Affengestalt!« Der Orang grunzte vergnügt, griff in die Seile und hangelte los. Stawrogin folgte ihm zu einem Separee und setzte sich auf den angewiesenen Platz.
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»Wodka? Schipowka? Nikolaschka?«, fragte der Orang, rückte den Intelligenzhut zur Seite und kratzte sich dezent am orangeroten Kopf. Stawrogin wusste, dass der Hut des OrangUtans eine umgebaute SERT-Haube war Der Orang hatte ihm vor Jahren erzählt, dass Denis Denissowitsch den Hut in der Metallsternenstadt erworben hätte. Die Metallsternenstadt lag dort, wo Grippis und Bhaun in den Tausend-Bogen-Fluss mündeten, beinahe im geometrischen Zentrum des Kontinents Aphrodite-Terry. Die Metallsternenstadt war altes chinesisches Siedlungsgebiet. Merkwürdigerweise hatten sich auf der Venus etliche ethnische Traditionen besser bewahrt als auf Terra selbst, auch wenn sich die Venusier längst physiognomisch vereinheitlicht hatten. Keinem von ihnen war mehr die irdische — oder gäanische — Herkunft anzusehen. Sie alle zeigten einen blassblauen Teint und waren im Durchschnitt schlanker, fragiler, höher gewachsen als die Alt-Terraner. Kein Wunder, schließlich betrug die Schwerkraft auf der Venus nur 0,85 Gravo. Ja, die Venus war anders, und es schien, als würde sie, die der Erde zunächst ähnlicher gewesen war als der Mars, ihrer Terrafizierung zäheren Widerstand leisten als der ehemals rote Wüstenplanet. »Einen Nikolaschka«, orderte Stawrogin. Der intelligenzoptimierte Orang, der ein geschäftstüchtiges Kerlchen war und den Laden in Schwung hielt, hangelte sich zum nächsten Tisch, nahm eine weitere Bestellung auf, turnte zur Küche und brüllte die Bestellung durch das Sprachfenster hinein. Stawrogin blickte auf die Uhr. Es war der 25. Juli 1345 NGZ, 18.30 Uhr TerraStandard. Tiefste Venusnacht. Da die Venus sich beinahe zehnmal langsamer drehte als Terra, dauerten Tag und Nacht etwa 240 Stunden. Stawrogin trank den Nikolaschka, der nach Kognak, Zuckerzitrone und Bohnenkaffee schmeckte. Er wartete. *
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Der Mann, der nach fast zwei Stunden in die Tür zur Schänke trat, war keine auffallende Erscheinung. Blass, annähernd zwei Meter groß, eine Zobelpelzmütze auf dem Kopf, hätte man ihn für einen Venusier halten können. Allerdings fehlte seiner Haut der blassblaue, porzellanene Glanz, und die Augen schimmerten in einem lichten Rot. Er schaute sich suchend um. Petenka pöbelte grundlos herum. Als der Blick des Neuankömmlings über das Gesicht Stawrogins glitt, hob dieser sein Glas und prostete ihm lächelnd zu. Der Fremde trat mit den langen Schritten eines Stelzvogels an seinen Tisch. »Du bist der Lieferant, wie ich vermute?« Er sprach Interkosmo mit einem leichten arkonidischen Akzent, durchaus dezent und nicht mit den Heullauten durchsetzt, mit denen arkonidische Adlige die Nichtigkeiten verzierten, die sie zu sagen hatten. »Einsicht in Leben und Heil, Paspatern«, wünschte Stawrogin. Der Ara setzte sich, nahm die Mütze ab und legte sie auf den Tisch. Stawrogin sah, dass Paspaterns hoher, kahler Schädel von einem feinmaschigen Wärmenetz geschützt war. »Ich habe mit der Bestellung auf dich gewartet. Soll der Orang uns die Karte bringen?« »Ich bin nicht zum Essen hier. Ich bin satt.« »Da entgeht dir etwas. Das Plow mit Zweigfüßlerfleisch ist eine Sensation. Aber der Geheimtipp ist Tschachochbili aus echter Ente.« »Die Ente ist ein terranischer Vogel«, bemerkte der Ara. »Kein venusisches Tier.« »Das ist richtig. Aber keine Sorge: Die Enten, die Denis Denisowitsch für sein Tschachochbili verwendet, sind nicht den ganzen Weg von Terra hierhin zu Fuß geflogen. Er züchtet sie selbst.« »Ich bin begeistert.«. Der Ara fixierte Stawrogin. »Du hast den Busen abgelegt, den du im Museum getragen hast. Warum? Er stand dir gut.«
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Stawrogin lachte. »Kompliment. Und ich dachte, es sei eine prima Maske. Ja, der Busen — mir war bis dahin gar nicht bewusst, dass diese Dinger so lästig sein können. Kein Wunder, dass unsere Weibchen ein derart ausladendes Hinterteil haben müssen, als Gegengewicht, was?« Er lachte dröhnend. Der Ara verzog das Gesicht und forderte: »Kommen wir zum Geschäft.« Stawrogin nestelte in seinem Mantel, fand, wonach er gesucht hatte, und stellte eine Puppe auf den Tisch, handspannengroß und aus weichem Lindenholz geschnitzt. »Was ist das?«, fragte der Ara. Stawrogin drehte die Figur langsam, so dass der Ara den aufgemalten, quietschbunten Sarafan und das bäuerlichgemütliche Gesicht der Puppe bewundern konnte. »Das ist eine Matrjoschka«, erläuterte er. »Eine Steckpuppe. Gib Acht!« Er drehte die obere Hälfte des hölzernen Mütterchens ab und holte die darin eingesteckte zweite Puppe hervor; er nahm auch diese auseinander, danach die dritte, die vierte. »Interessant, nicht wahr?« »Keineswegs«, erwiderte der Ara. Der Orang-Utan hangelte sich an ihren Tisch und fragte, ob er noch etwas bringen dürfe. Der Ara verscheuchte ihn. Stawrogin drehte zwei weitere Puppenhälften auseinander. Dann hielt er eine nicht einmal fingernagelgroße, ovale Kristallkapsel zwischen den Kuppen. »Es ist hier drin«, sagte Stawrogin. »In diesem Kryokristall.« Er legte die Kapsel auf den Tisch und ließ den Ara danach greifen. Der Ara hielt es sich vor die Augen. Stawrogin hatte davon gehört, dass etliche Aras sich nanomechanische Wahrnehmungsassistenten in die Sinnesorgane implantieren ließen, optische Prothesen beispielsweise, die sie nacht-, wärme- oder mikrosichtig machten. Der Ara blickte auf. »Es sieht aus wie ein Schiff. Es ist sehr schön.« Tatsächlich war die Kristallkapsel unregelmäßig gestaltet, und Stawrogin fand, dass der Ara recht hatte: Mit etwas
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Fantasie konnte man darin ein archaisches Wasserfahrzeug erkennen. »Woher weiß ich, dass sie echt sind?«, fragte der Ara. »Woher weiß ich es?« »Woher weißt du es?« »Es war unter dieser Bezeichnung archiviert. Und laut Archiv haben die Zellen genau die Eigenschaften, von denen ich dir erzählt habe.« »Aber du hast keinen Beleg.« Stawrogin lächelte. »Ich hätte es ein wenig unverschämt gefunden, Pouman noch um ein Echtheitszertifikat zu bitten. Oder die Positronik um eine Expertise. Immerhin ist dieser Warentransfer nicht ganz legal, nicht wahr?« »Ist er das nicht?«, fragte der Ara. »Nein, ist er nicht. Die Zellen sind Eigentum der Liga.« »Du hast sie entwendet«, konstatierte der Ara. »Boschemoj - ich habe sie entwendet!«, flüsterte Stawrogin wie in jäher Selbsterkenntnis. »Na, da will ich sie mal an Ort und Stelle zurückbringen!« Er nippte an seinem Glas, stellte es schwungvoll auf die Tischplatte und winkte dem Orang-Utan. »Ihr könnt nichts mit der Probe anfangen. Ihr braucht sie überhaupt nicht«, protestierte der Ara. »Während du sie aus Forschungszwecken dringend benötigst?« Der Ara klopfte sich mit den Fingerknöcheln bestätigend an die Stirn. Er bemerkte den Blick des Venusiers und nickte, wie es Terraner tun. »Ich benötige sie.« »Tja. Was machen wir denn da?« Der Ara wühlte in seinem Mantel und legte gleich darauf ein Kreditstäbchen und eine schmale Phiole auf den Tisch. Darin schwappte träge eine ölige, blausilberne Flüssigkeit. Stawrogin schob das Kreditstäbchen ungeprüft in eine Manteltasche und nahm die Phiole in die Hand. »Aha!«, sagte er. »Es ist das Stärkste, was wir haben. Es wirkt unfehlbar.«
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»Wie kann ich sicher sein?«, fragte Stawrogin. »Würde es dir helfen, wenn ich dir ein Echtheitszertifikat dazulege, oder ziehst du eine Expertise vor?« Stawrogin lachte fröhlich. »Vertrauen gegen Vertrauen.« * Stawrogin trat aus der Schänke und aktivierte mit einem Impulsgeber die Pferde. Er entfernte die Plane, stieg auf den Bock des Schlittens und nahm die Zügel in die Hand. »Hejho, meine Täubchen!«, rief er und schnalzte mit der Zunge. Die drei Robottiere trabten an. Der Schneesturm hatte sich gelegt. Die Luft war eisig und klar. Im Westen kündigte ein zartes Rosa den baldigen Sonnenaufgang an. Im Westen, denn schließlich rotierte die Venus im Gegensatz zum üblichen Drehsinn der Eigendrehung und der Umlaufbewegung der solaren Planeten rückläufig. Wenn er die Robotpferdchen laufen ließ, würde er Tomisenkowgrad mit dem Schlitten in etwa drei Stunden erreichen; im Antigravmodus mochte ihn der Flug 15 Minuten kosten. Stawrogin legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Zweithimmel auf. Das Firmament der Tomisenkowgrader Kuppel war dem originalen Nachthimmel der Venus sehr ähnlich, nur standen einige Planeten vergrößert da. Der grandiose Saturn mit seinen erhabenen Ringen; der gute Mond der Erde. Auf die Erde selbst, die in der Nacht hing wie ein beleuchteter Kinderglobus, hätte er verzichten können. Wer brauchte schon die Erde? Ihren honigfarbenen Mond hingegen fand er schön wie immer, denn Stawrogin war ein Romantiker. Deswegen hatte er dem Ara das Material auch nicht für Geld überlassen, sondern gegen einen romantischen Preis: ein Aphrodisiakum aus araischer Fertigung. Er müsste nur, wie Paspatern ihm verraten hatte, einige Tropfen eigenes Blut in die
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Substanz mischen, die sich dann molekular auf ihn eichen würde. Wer immer einige Tropfen nur von dieser Substanz trank oder sie über die Haut aufnahm, dem würden designte Bindungshormone, Oxytocin und Oxytocinderivate aus der Liebeszauberküche von Aralon das Hirn fluten. Mit folgender Wirkung: Die fragliche Person würde in hemmungsloser, ewiger, unersättlicher Leidenschaft zu Stawrogin entbrennen. Vor seinem geistigen Auge ließ Stawrogin die Mitarbeiterinnen seines zukünftigen Harems paradieren. Aber er musste ja nicht nur die Damenwelt beglücken. Stawrogin kicherte schalkhaft. Warum nicht einige Tropfen an Waldermar Olbarow verschwenden, seinen Konkurrenten in der Abteilung? Was für ein Spaß, wenn Olbarow, der ihn bislang gehasst und verachtet hatte, nun von Herzen anschmachten müsste? Völlig aussichtslos übrigens, denn Stawrogin machte sich nichts aus 80-jährigen, beleibten Männern mit manikürten Fingernägeln und hochtoupierten Haaren. Stawrogin ließ die Pferde fliegen. Bald kamen die Myriaden Augen der Stadt Tomisenkowgrad in Sicht. Der ewige Winter unter der Kuppel kühlte seine Stirn, aber sein Herz brannte in Vorfreude auf die Vergnügungen, die da kommen würden. Er liebte es, solche Geschäfte zu machen. Aus voller Kehle sang er wieder: »Nam silu dajot nascha wernast otschisne tak byla, tak jest i tak budet wsegda!« Vierzehn Jahre zuvor: 13. Juli 1331 NGZ Ein Beratervertrag Celestine Ponkas Butler-Roboter bat Rith'meas herein. Der Ara durchschritt den ovalen Korridor ließ dabei eine Desinfektion über sich ergehen. Der Desinfektionsblitz war gedimmt und stach nicht in die Augen. Das konnte kein billiges Gerät sein. Der Butler-Roboter nahm Rith'meas die Pelerine ab und rollte auf dem Rad, das aus
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seinem Rumpf ragte, vorweg. Der Ara folgte. Ponka stieg ihm aus dem zentralen Wohnraum entgegen und reichte ihm die Hand. Ihr Griff war fest, die Haut kühl und glatt wie Glas. Nano-Creme, vermutete Rith'meas, Teil eines Hyper-Makeups, »Ich freue mich, dich zu sehen«, sagte Ponka. »Es freut mich, wenn du dich freust. Ich wünsche dir Einsicht in Heil und Leben.« Ponka schien einen Moment zu stutzen, lächelte dann aber. »Setzen wir uns.« Rith'meas blickte sich um. Durch den Wohnraum schlängelte sich ein Röhrenaquarium, in dem etliche Brokatkarpfen ihre Bahnen schwammen, einige von ihnen groß und wuchtig. Vor dem Panoramafenster erhoben sich die mächtigen Wände der Freya Montes, des Massivs, das den gesamten Nordwesten des Kontinents Ishtar-Terra umspannte. Er sah das glitzernde Band der Traktorgondeln, das zum Gipfel des Mount Tropnow heraufführte, einem beliebten Ausflugsziel. Da die Atmosphäre der Venus dichter als die der Erde war, konnte man auch dort oben in fast 10.000 Metern Höhe verhältnismäßig leicht atmen. Die Couch fühlte sich warm und seidig an, wie der Leib einer Schlange. Inmitten des Raumes plapperte ein Nachrichten-Holo. Der Ara hörte den Sprecher gut. »Eulalia, die Sprecherin der syntronischen Künstler von Zumurrund, bezeichnete alle weiteren Einschränkungen des kreativen Betriebs in der Künstlerkolonie als unannehmbar und drohte damit, die Kolonie für unabhängig und zum 1. Juli 1331 ihren Austritt aus der Liga zu erklären. Die Kolonie habe bereits eine Anwaltskanzlei mit der rechtlichen Überprüfung dieses Schrittes beauftragt. Die Behörden von Zumurrund erachten dagegen eine Unabhängigkeitserklärung von Seiten der Kolonie für unwirksam. Maschinen kämen laut Verfassung der Liga Freier Terraner keinerlei politischen Rechte noch Freiheiten zu, und Syntroniken blieben selbst dann
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Maschinen, wenn sie künstlerisch-kreativ tätig werden.« Ponka schnippte das Holo auf stumm »Eine neue Krise?«, fragte Rith'meas. Ponka zuckte mit den Achseln. »Krisen sind Chancen.« Der Ara studierte das ebenmäßige blassblaue Gesicht der venusischen Wissenschaftlerin. Er hätte ihr Alter nicht zu schätzen gewusst. »Krisen sind Chancen? Sicher tut man gut daran, es so zu sehen, wenn man einen Regenten wie Rhodan hat, der Krisen förmlich anzieht.« Sie lachte. »Resident, nicht Regent«, verbesserte sie. »Aber du bist nicht hier, um über terranische Politik zu plaudern?« »Ich brauche deine Hilfe als Medizinhistorikerin. Ich biete dir einen gut dotierten Beratervertrag an.« »Du weißt ja nicht, ob du dir mich leisten kannst.« »Mein Suhyag ist reich.« Ponka lachte auf; also kannte sie den Begriff. Suhyag - so nannten die Aras ihre Clans oder Stämme, ihre parafamiliären Interessensverbände. Wörtlich ins Terranische übersetzen konnte Rith'meas den Begriff nicht. Suhyags, Mantarheiler, vielfältige Lobbys, Gewerkschaften, die elf Minister des Medizinischen Rats, der Lord-Mediker das araische Gesellschaftssystem war von beachtlicher Labyrinthizität. Wer letztlich. den Staat der Aras regierte, blieb den meisten Außenstehenden unerfindlich. Der Butler-Roboter rollte herbei. »Wünscht unser Gast etwas zu trinken?« »Coca Cola«, bestellte der Ara. Wenn man im Solsystem weilt, sollte man auch die lokalen Nationalgetränke kosten - und Beweise sammeln für den immer noch barbarischen Geschmack der Terraner. »Sehr wohl«, sprach der Roboter und rollte davon. »In welcher Hinsicht werde ich dich beraten, Mantarheiler Rith'meas?« Der Ara betrachtete einige Kois, die bleich und golden im lupenreinen Wasser standen. »Du bist mit dem araischen System der Mantarheiler vertraut, Celestine Ponka?«
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»Hinreichend. Auf Aralon werden die fähigsten Mediziner als Mantarheiler bezeichnet. Sie bilden zusammen eine Art Zunft, eine medizinische Bruderschaft oder Gewerkschaft, wie auch immer. Die Zunftmeister stellen den inneren Zirkel dieser Gewerkschaft dar und wirken an der Regierung mit. Etwas wie ein Senat des Medizinischen Imperiums von Aralon.« Rith'meas klopfte sich zustimmend an die Schläfe. »Der innere Zirkel erwägt, mich zu kooptieren«, sagte er. »Schön für dich.« »Doch bevor ich aufgenommen werde, muss ich eine Initiationsaufgabe lösen. Als Beweis meiner Würdigkeit.« »Eine Aufnahmeprüfung? Eine medotherapeutische Mutprobe?«, spöttelte Ponka. Der Ara wirkte nachdenklich. War die ihm gestellte Aufgabe nicht eine verkappte Abweisung? Eine Demütigung? Eine Waffe zu finden gegen einen ausgestorbenen Feind ... Beinahe so demütigend, wie der Vater eines Sohnes wie Paspatern zu sein. Der Roboter brachte ein kelchförmig gewölbtes Glas mit einer schwarzen, leicht aufgeschäumten Flüssigkeit. Rith'meas nahm einen Schluck. Das Getränk war eisig, schmeckte nach bittersüßem Honig und war mit Kohlensäure versetzt. »Stimmt es, dass dieser schwarze Saft aus menschlicher Gallenflüssigkeit, Zucker und Karamel gebraut wird?« »Eigentlich ist es ein Geheimrezept.« Ponka schmunzelte. »Aber einem Wissenschaftler wie dir kann man nichts vormachen, oder?« Er nippte noch einmal. »Wäre es unhöflich, wenn ich meine Bestellung noch einmal änderte? Die Vorstellung, terranische Körperflüssigkeit zu mir zu nehmen ...« Der Butler nahm ihm das Glas sanft aus der Hand. »Ein Tässchen araischen Gumppo?« »Ja, bitte. - Meine Aufgabe lautet, ein Mittel gegen eine ausgestorbene Krankheit zu konstruieren. Gegen eine seltene
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Krankheit, oder, wie ihr auf Terra sagt, gegen eine Orphan Disease.« Ponka runzelte die Stirn. »Es gibt im Solsystem nicht mehr viele dieser Orphan Diseases. Die meisten der alten Krankheiten haben wir mit Hilfe der arkonidischen Medizin therapieren können.« »Einer Medizin, die nicht selten Ergebnisse der araischen Forschung aufnimmt«, sagte Rith'meas lächelnd. »Natürlich. Bereits im frühen 21. Jahrhundert vorgalaktischer Zeitrechnung konnten wir das kongenitale OT-Syndrom, die Morbus Fabry Und die Thanatophore Dysplasie besiegen.« »Genetische Defekte, relativ einfach zu kurieren«, kommentierte Rith'meas. »Natürlich. Relativ einfach zu kurieren. Danach kamen die eingeschleppten Seuchen. Die Zentrumspest ...« »Gibt es einen aktuellen Fall von Zentrumspest auf Terra?«, fragte der Ara verblüfft. »Nein. Kam schon seit Urzeiten nicht mehr vor. Sollst du etwa gegen die Zentrumspest ermitteln?« »Gegen Ratrovin.« »Ratrovin?« Ponka lächelte abwesend und neigte ihr Ohr, als lauschte sie einer fernen Stimme. Wahrscheinlich, dachte Rith'meas, tat sie genau das; sie ließ sich über ein implantiertes Interface aus ihren Datenbänken informieren. Sie blickte Rith'meas in die Augen. »Die Transitionskrankheit? Das ist wirklich ein archaisches Phänomen.« Der Ara klopfte leicht gegen seine Schläfe. Ponka referierte: »Ratrovin befiel lemuroide Raumfahrer infolge von Transitionen. Die Krankheit schädigte, soweit ich weiß, auf diffuse Weise die Temporallappen. Ratrovin-Kranke verloren bestimmte Gedächtniskompetenzen, sie konnten nicht mehr zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden ...« »... zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Weswegen es Stimmen gab, die glaubten, Ratrovin sei keine Krankheit, sondern eine psi-relevante, echte Mutation.
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Ratrovinisten könnten in die Zukunft sehen ...« Ponka lachte leise auf. »Ah, komm. Das ist genau so plausibel wie die Theorie, wer ein Déjà-vu erlebe, tauche in Wirklichkeit in ein Paralleluniversum ein. Ich dachte, du arbeitest wissenschaftlich!« Der Gumppo, den der Butler servierte, war heiß und süßbitter. Rith'meas tunkte den Schwammstab ein, wartete, bis er sich vollgesogen hatte und lutschte ihn dann aus. »Ausgezeichnet«, lobte er. »Ich habe natürlich in unseren Medoarchiven recherchiert. Ich bin auf ganze dreiunddreißig dokumentierte Fälle von Ratrovin gestoßen, und unsere Archive reichen fast 40.000 Jahre zurück. Zweiunddreißig davon waren Arkoniden, einer war Terraner.« Ponka lauschte wieder ins Innere. »Jeonghee Reginald Rho. 2096 bis 2166. Ein Mitglied der alten Handelsflotte. Er fuhr von 2130 bis 2134 vorgalaktischer Zeit auf der FANOUS FALAK, einem der Schiffe, die damals noch nicht auf Lineartriebwerke umgerüstet waren.« Sie lächelte ihn an, den Kopf geneigt. »Die ersten Symptome traten im Jahr 2146 auf. So. Viel mehr als das habe ich leider nicht anzubieten, und es würde mich wundern, wenn du nicht selbst über diese Daten verfügen würdest. Schließlich hat ...« Sie horchte wieder auf ihre innere Stimme. »Damals hat eine medizinische Delegation den weiten Weg von Aralon nach Terra zurückgelegt, um Rho zu untersuchen und - das waren Zeiten! - kostenlos zu behandeln. Leiter der Delegation war ein gewisser Ghondhur.« Rith'meas lutschte am Schwammstab. »Wirklich ausgezeichnet«, sagte er. »Deine Informationen decken sich mit meinen. Und leider steht mir nicht mehr als ein Sammelsurium gespeicherter Informationen zur Verfügung. Da Transitionstriebwerke heute kaum mehr in Gebrauch sind, allenfalls in Form von Nottransitionstriebwerken, tritt auch Ratrovin nicht 'mehr auf, weswegen ich
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keinen Zugriff auf befallenes organisches Material habe.« »Einige Sternenvölker reisen noch mit Transitionstriebwerken: die Murjaan mit ihren Perlenschiffen oder die Shabah Qutma. Und außerdem sicher einige, von denen weder du noch ich wissen.« »Die Murjaan und die Shabah Qutma sind nicht lemuroid. Das wird der Grund sein, warum bei ihnen Ratrovin nicht bekannt ist.« »Du hast dort Erkundigungen eingezogen?« »Längst.« Celestine Ponka schwieg. Sie betrachtete interessiert einen Koi, der in einer Röhre stillstand. Was dachte sie wohl. »Ich denke, wir nähern uns dem geschäftlichen Teil. Denn jetzt komme ich ins Spiel, nicht wahr?« »Du leitest die medizinhistorische Abteilung der Para-Akademie von Port Teilhard.« Ponka nickte. Die Para-Akademie war vor ewigen Zeiten von Crest, dem arkonidischen Mentor der frühen raumfahrenden Menschheit und dem Telepathen John Marshall in den Räumen der alten Venusfestung eingerichtet worden. Sie hatte als Ausbildungsstätte für das Mutantenkorps gedient, aber diese Bedeutung schon vor vielen Jahrhunderten verloren. Mittlerweile war sie eine Mischung aus Dokumentationszentrum, Archiv und Forschungsstätte. Einen besonderen Schwerpunkt bildete die Analyse einiger Brocken von PEW-Metall. »Wie soll ich dich also beraten?«, fragte Ponka. »Meinen Recherchen zufolge wurde das Gehirn von Jeonghee Reginald Rho nach dessen Tod in der Para-Akademie konserviert. Es müsste heute noch dort aufbewahrt werden.« Wieder lächelte Ponka ihr Lächeln der Abwesenheit; diesmal wirkte es maskenhaft. »Ich weiß es nicht«, bekannte sie. »Die Daten sind versiegelt.« »Ein Staatsgeheimnis?«
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»Nein. Keine Kennung der Liga. Das Konvolut wurde noch ...« Sie lachte auf. »Das Siegel stammt noch aus den Zeiten des Solaren Imperiums.« »Demnach wäre das Organ unzugänglich?« »Ich werde mich erkundigen. Allerdings werde ich nichts Illegales tun.« Der Ara schürzte abwehrend die Lippen. »Natürlich nicht.« Er überlegte. »Was müsste ich tun?« »Wir stellen einen gemeinsamen Forschungsantrag.« »Gemeinsam? Du bist, mit Verlaub, keine Expertin in Sachen hypermedial induzierter Syndrome. Nicht einmal Pathologin.« »Als Medizinhistorikerin ist mein Wissen breit genug, um einen Antrag plausibel klingen zu lassen. Schließlich möchte ich das Honorar rechtfertigen, das du mir als Beraterin zahlst.« Rith'meas verkniff sich ein Lächeln und tunkte den Schwammstab noch einmal in den bittersüßen Gumppo, der vom Glas temperiert blieb. »Wie lautet deine Honorarvorstellung?«, fragte er. »Ich werde zufrieden sein. Schließlich ist dein Suhyag reich.« * Nichts im Solsystem war dem venusischen Regen vergleichbar. Am 7. September 1331 NGZ erlosch das Sternenfenster nach Tradom. Über Ishtar-Terra lag die Lange Nacht, und der Regen griff die Felswände der Freya Mountes an wie eine Armee aus Wasser und Schaum. Rith'meas saß in einem Labor innerhalb der Para-Akademie, zornig über seinen syntronischen Assistenten, dessen Werte ihm in den letzten Tagen immer grotesker erschienen waren. Die Nano-Sonden im Temporallappen des konservierten Gehirns entglitten der syntronischen Kontrolle anscheinend. Paspatern saß auf einem schlichten Holzhocker im Hintergrund des Labors. »Die Welt ändert sich, Vater«, verkündete er.
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»Ändere du dich. Das wäre mir lieb«, erwiderte Rith'meas. »Rhodan wird recht behalten, was die Erhöhung der Hyperimpedanz angeht.« »Wenn er recht behält, Pas, wird die Welt sich nicht ändern, sondern untergehen.« Paspatern schwieg. Rith'meas fluchte über eine weitere, absurde Meldung der Syntronik. Demnach wäre das Gehirn soeben zu einem »retroversen Leben auf Chronoechobasis erwacht, allerdings zeitpunktgleich chiastisch verreckt«. »Was soll das heißen, was ist ein retroverses Leben?« »Ich weiß es nicht«, räumte die Maschine ein. »Warum sagst du es dann?« »Es wurde mir höheren Ortes zugeflüstert.« »Die Syntroniken sterben«, verkündete Paspatern. »Hör auf mit deiner Unkerei. Ich muss mich konzentrieren!« Rith'meas vertiefte sich demonstrativ in ein Hologramm vom Temporallappen des toten Astronauten Jeonghee Reginald Rho. Einige Regionen waren farbig markiert und glühten. »Retroverses Leben ohne jeden Zweifel, das mich traurig stimmt«, nuschelte die Syntronik. »Ein großer Abschied, ein wirklich großer Abschied, wie groß ... Geduld - ich erstelle ein Parameter für die obwaltende Trauer ...« Paspatern seufzte leise und stand auf. »Ich gehe«, sagte er. »Gratuliere zu dieser Entscheidung«, murmelte Rith'meas. Paspatern hatte in der Para-Akademie einige interessante Leute kennengelernt. Er würde sie besuchen. Er würde abwarten. Er würde von einer der glasüberdachten Terrassen der Para-Akademie in den schwarzen Regen der Venus schauen, der die Ewigkeit fluten wollte. Er würde an Kesnar denken, die schmerzhafte Sonne über Aralon. Drei terranische Tage später klang aus dem Stimmfenster der Syntronik, mit der Rith'meas zusammenarbeitete, eine Art Schrei, hoch, verzweifelt und seelenlos.
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Die Notfallpläne der Liga traten in Kraft. Unsichere, hyperdimensional agierende Maschinen wurden außer Betrieb gestellt, wenn sie nicht selbst kollabierten. Die Forschung und Technik von Jahrhunderten wurde von den neuen Naturwerten kassiert.. Die Hyperimpedanz hatte ihren Höchstwert erreicht. Das Regime der Positroniken begann. Die interstellare Raumfahrt brach zusammen. Die 34.000 Lichtjahre zwischen dem Solsystem und Aralon waren zu einem unüberwindlichen Abgrund geworden. Rith'meas und sein Sohn Paspatern, ein junger Mann von 24 Jahren, waren im Solsystem gestrandet. * Die Jahre verstrichen. Celestine Ponka erfuhr nie, ob Rith'meas' Forschung an Rhos Gehirn und im Gen-Archiv der ParaAkademie erfolgreich gewesen war oder nicht. Eine Weile lang verkehrte Ponka mit dem Ara auf kollegialer Ebene; einmal bot sie ihm eine formelle Mitarbeit in der Akademie an, aber Rith'meas lehnte ab. Tatsächlich honorierte er Ponkas Hilfestellung großzügig; der Hinweis auf den Reichtum seines Suhyags war nicht bloß Geschwätz gewesen. Allerdings dauerte es beinahe drei Monate, bis der Ara über seine Geldmittel verfügen konnte. Mit dem Ausfall der Syntroniken, die auch in der Ökonomie eine herausragende Rolle gespielt hatten, war das interstellare Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs geraten. Zahlungen, Abbuchungen, Kreditierungen und Konvertierungen brauchten Wochen, bis sie über Hyperfunkstafetten - vor allem über Welten. wie Hayok und auch Olymp getätigt und bestätigt waren. Der Geldwert war kaum mehr zu regulieren, da der interstellare Handel, auf dem dieser Wert weitgehend basierte, weitgehend zum Erliegen gekommen war.
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Nach und nach gelang es den Positroniken der großen Wirtschaftswelten, zu einer Verständigung zu gelangen, das Finanzsystem zunächst in Grundzügen zu rekonstruieren und den Geldverkehr wieder in Gang zu setzen. Immerhin erwies sich, dass die Finanzwelt insgesamt Rhodans Warnungen vor einer bevorstehenden Erhöhung der Hyperimpedanz ernster genommen hatte als manche politische Führung und mancher militärische Führungsstab. Drei Monate nach dem Kollaps verfügte Rith'meas wieder über sein Vermögen. Weiter in Sachen Ratrovin zu forschen, um seine Aufnahme in den Meister-Zirkel der Mantarheiler voranzubringen, erschien ihm sinnlos. Der Zirkel tagte auf Aralon, einer Welt, die nach dem HyperimpedanzSchock in den tiefsten Tiefen der Galaxis versunken war. Rith'meas spielte mit dem Gedanken, nach Terra überzusiedeln und sich dort niederzulassen. Schnell entstanden dort araische Aktionsbündnisse und Netzwerke, denen er sich hätte anschließen können. Er entschied sich dagegen. Auf der Venus waren Grund, Boden und Ressourcen kostengünstiger zu haben. Seinen Traum, Paspatern zum Studium auf eine der terranischen Universitäten zu schicken, nach Terrania, Oxford oder Shanghai, gab er auf. Das notwendige Geld hätte er investiert, aber Paspatern zeigte keinerlei Neigung, Medizin zu studieren. Alles, was Rith'meas interessierte, schien durch eben dieses Interesse für seinen Sohn verschattet, verbrannt. Aus Gründen, die Rith'meas nicht begriff, wirkte Paspatern anziehend auf Frauen, nicht nur auf Ara-Frauen, von denen auf Terra einige Tausend, auf der Venus nur wenige Hundert lebten. Rith'meas war nicht mehr jung; Paspatern hatte er extra-uterin gezeugt und Ipa, seine biologische und auch seine Austragemutter nur einmal persönlich gesehen, als er sie auf die Tauglichkeit ihrer Reproduktionsorgane und Eizellen untersucht hatte. Sie hatten nach der Untersuchung noch ein gemeinsames
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kulturelles Abendprogramm absolviert. Die zukünftige Mutter seines Sohnes hatte eine arkonidische Militärsymphonie schauen wollen. Zu maßlos kitschiger Musik sah man in holografischer Aufzeichnung einige Dutzend Schiffe der GWALON-Klasse Jagd auf eine Prautymen-Flotte machen und mit ihren Intervallkanonen die Dendron-Schiffe der Prautymen zertrümmern. Das Dirigenten-Trio hatte zu Beginn der Vorstellung darauf hingewiesen, dass die Raumschlacht nicht etwa eine Simulation war, sondern die Aufzeichnung eines allerdings nachträglich choreographisch verbesserten Gefechtes. Rith'meas hatte sich mit diesem Schmonz unsäglich gelangweilt - Ekelhaft. Nur Idioten ziehen in den Krieg -, und allenfalls mit der Vorstellung amüsiert, dass es Aras gab, die mit den Müttern ihrer Kinder viele Jahre lang zusammenlebten und deren grauenvollen Vorlieben erdulden mussten. Er nicht. Die Austragung hatte ein kleines Vermögen gekostet, aber an dem Kind war von Anfang an etwas falsch gewesen. Nichts Definierbares, nichts, was er bei der Austragemutter hätte reklamieren können. Der makellos glatte Schädel, die rot, verschleierten Augen, die Stimme weich wie Seide - ein Schönling. Exakt ein Jahr nach dem HyperimpedanzSchock erwarb Rith'meas ein Gelände im Süden von Ishtar-Terra, in den Außenbezirken der venusischen Hauptstadt Port Venus. Dort ‚erbaute er die ArahontaPrivatklinik. Die Klinik lief gut. Sie lief nicht zuletzt deswegen gut, weil Paspatern sich als glänzender Organisator erwies. Allem Medinizisch-Therapeutischen abgeneigt, managte er den Betrieb mit traumwandlerischer Sicherheit. Bereits zwei Jahre nach Eröffnung der Klinik leisteten sich Rith'meas und Paspatern eine großzügige Villa in den Danu Montes, und zwar an den MarshallFällen, wo der Fluss Hondo spektakulär vier Kilometer in die Tiefe rauschte.
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Im achten Jahr ihres Bestehens, 1340 NGZ, gründete Rith'meas mit den beachtlichen Gewinnen aus seinem Betrieb eine Filiale der Arahonta-Klinik in Terrania und zog nach Terra um. Die medizinische Leitung des, venusischen Mutterbetriebs überließ er einem jungen, auf Mimas geborenen Ara namens Maupabitt. 1343 war die Filiale bankrott. Paspaterns Angebot, sie durch Quersubventionierung zu sanieren, lehnte er ab. »Ich komme nicht zu Besuch, ich komme ganz zur Venus zurück«, teilte er seinem Sohn unter vier Augen mit. »Um auch die medizinische Leitung der Arahonta-Klinik wieder—zu übernehmen?« »Das würde dir nicht gefallen.« »Du bist 142 Jahre alt, Vater Rith'meas. Du bist älter als Bostich.« »... der eine Menge mehr erreicht hat als ich, willst du sagen.« »Ich will sagen: Du hast Ruhe verdient.« »Sag, was du willst. Denk, was du willst. Ich bin immer noch Eigentümer der Klinik und ...« »Ich habe im Lauf der letzten Jahre einige weitere Anteile erworben«, unterbrach ihn Paspatern. Rith'meas starrte ihn an. »Wie viele? Was heißt das?« »Etwas mehr als die Hälfte, Vater Rith'meas.« »Demnach wärst du der Eigner meiner Klinik?« »Vor dem terranischen Gesetz: ja. Aber ich achte deine Ansprüche, deine Rechte.« »Welche Rechte? Araische Rechte, die ich im terranischen Rechtsraum nicht einklagen könnte? Ich werde mich nicht zum Empfänger milder Gaben machen.« »Ich wollte dir keine milden Gaben anbieten. Arbeite für mich. Sei mein Berater Der gute Geist der Klinik.« Rith'meas spuckte in eine Handfläche und verrieb den Speichel mit der anderen Hand. »Ich soll in meiner eigenen Klinik spuken?« »In meiner Klinik, Vater Rith'meas.« Rith'meas schwieg.
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»Ich habe große Pläne mit Arahonta«, sagte Paspatern. »Daran habe ich keinen Zweifel«, sagte Rith'meas und verließ den Raum, ohne zu fragen, welche. 23. Juli 1345 NGZ Rendezvous im Museum Paspatern betrat das General-TomisenkowMuseum und begab sich in die Cafeteria. Kurz darauf meldete sich seine Kontaktperson über das Kom und teilte mit, sie würde sich eine oder zwei Stunden verspäten. Offenbar konnte sein Rendezvouspartner nicht frei sprechen. Paspatern spürte die Unruhe wachsen wie eine Müdigkeit, und da die Zeitplanung der Kontaktperson außerhalb seiner Kontrolle lag, entschloss er sich, die Ausstellung zu besuchen. Das Museum widmete sich der Siedlungsgeschichte der Venus. In der Frühzeit hatte es auf dem südlicheren Kontinent Aphrodite-Terry eine arkonidische Kolonie gegeben; auf IshtarTerra, dem nördlicheren Kontinent, hatten die Arkoniden eine Festung im Gebirge angelegt. Die Festung wurde damals wie heute von einer Positronik geleitet, dem Kommandanten. In den Räumen der uralten Festung befand sich nun unter anderem die Para-Akademie, in der sein Vater geforscht hatte. Die arkonidische Kolonie hatte sich nicht halten können. Nach einem Angriff der Druuf waren die meisten Venus-Arkoniden geflohen, die Restkolonie war ausgestorben. Wohin geflohen? Niemand wusste es. Neu war ihm, dass wenige Tage vor Rhodans epochemachender Mondlandung ein tefrodisches Schiff aus der Zukunft Andromedas über der Venus erschienen war. Es war in die Tiefen der Zeit getaucht, um Rhodans Flug zu unterbinden und seine darauf folgende interstellare Karriere im Keim zu ersticken. Der RobotKommandant hatte das Tefroder-Schiff abschießen lassen und so, wenngleich
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unwissentlich, ein Zeitparadoxon verhindert. Was letztlich hieß: Die gesamte terranische Raumfahrtkultur verdankte sich der Venus und ihrem alten positronischen Kommandanten. Das hatten wenigstens venusische Datenhistoriker dem Archiv des Kommandanten entnommen. Später war die Venus von Terra aus neu besiedelt worden, und zwar von Seiten eines so genannten Ostblocks aus, Hauptstadt: Moskau. Paspatern betrachtete die alte Hauptstadt, wie sie vor der Zeit des Dolan-Angriffes ausgesehen hatte. Das Selbsterlebnisareal des Museums war dieser frühen terranischen Siedlungswelle gewidmet. Paspatern betrat das Holodrom durch eine Schleuse. Ein Androide mit einfachem Gesicht empfing ihn auf der anderen Seite und reichte ihm einen Erlebnisumhang. Paspatern zog ihn über, wartete, bis sich der Umhang an seinen Leib angepasst hatte und ihm wie eine zweite Haut saß. Das Kleidungsstück würde ihm zusätzliche physische Wahrnehmungen vermitteln. Abschließend setzte Paspatern den Helm auf. Helm und Umhang aktivierten sich und entfalteten ein Panorama. Eine Ebene erstreckte sich endlos nach allen Seiten; hier und da hing in weiter Ferne ein Regenschleier in der dichten Atmosphäre. Paspatern warf einen Blick zurück über die Schulter, auch dort war keine Spur mehr von der Schleuse oder den anderen Museumsbauten zu sehen, nur die venusische Ebene, die in der hitzetrüben, feuchten Luft lag, und eine primitive Zeltstadt. An einigen Fahnenmasten wehte eine rote Fahne mit zwei Werkzeugen darauf. »Hammer und Sichel«, flüsterte ihm der Helm zu, »die 'Fahne der Sowjetunion. Wenn du gestattest, führe ich dich durch die Ausstellung.« Paspatern klopfte leicht mit den Fingerspitzen seiner linken Hand gegen die Schläfe und signalisierte so seine Zustimmung.
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»Was ist das also?«, fragte er den Helm mit Blick auf das Camp. »Wir sehen das Lager von General Tomisenkow am 24. Mai 1980 vorgalaktischer Zeitrechnung. Ist dir Tomisenkow ein Begriff?« »Nein«, gestand der Ara. Er wusste, dass es auf Ishtar-Terra eine Siedlungskuppel mit der Millionenstadt Tomisenkowgrad gab, aber über deren Stifter oder Namensgeber wusste er nichts. Terranische Frühgeschichte gehörte nicht zu seinen Hobbys. »Der General leitete in jenen Tagen die Besiedlung der Venus ein.« In diesem Moment kam ein Mann mit einer Folie in der Hand zwischen den Zelten hervorgestürzt, direkt auf Paspatern zu. »Meldung!«, schrie er von weitem. »Meldung an den General!« Plötzlich stand das Hologramm eines uniformierten Mannes direkt neben Paspatern. Das musste Tomisenkow sein. Der General überflog die Folie. Paspatern konnte einen Blick auf die Folie werfen. Die Schriftzeichen waren, wie sie da standen, unlesbar für ihn. Der Helm flüsterte ihm eine Übersetzung zu. Demnach hatten Tomisenkows Leute mittels Radar etwas geortet, was sie zuerst für einen Himmelskörper gehalten hatten, weil es so groß war. Doch das Objekt vollführte gelenkte Bewegungen - ein Flugzeug! »Wissen Sie, was es ist?« Die Ordonnanz sagte: »Nein, General!« »Dann werde ich es Ihnen sagen. Man hat mir viel von jenem amerikanischen Major erzählt, Perry Rhodan. Ich meine, er hat von unserer Venus-Aktion etwas schneller Wind bekommen, als wir vermuteten, und jetzt will er uns ins Handwerk pfuschen. Ich habe mir immer gewünscht, mit ihm zusammenzutreffen. Anscheinend ist es jetzt so weit.« Er gab der Ordonnanz ein Zeichen. Der Mann salutierte und eilte davon. Kurz darauf spürte Paspatern, wie der Boden bebte. Weit vorn im Dschungel machten sich acht Abwehrraketen auf den Weg und
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schossen orgelnd in den verhangenen Venushimmel. Paspatern sah, wie sich vor ihm die Hologramme zweier prominenter Terraner bildeten: Perry Rhodan selbst, eine geisterhafte, durchsichtige Erscheinung, neben ihm Reginald Bull. Paspatern begriff, dass er in die Zentrale ihres georteten Raumschiffes blickte und den gestarteten Raketenangriff Tomisenkows von hier aus erlebte. Ein greller Blitz aus den Bildschirmen, bläulich weiß und schmerzhaft für die unvorbereiteten Augen. Der Ara hörte Bull mit unbeteiligter Stimme sagen: »Nuklearer Sprengsatz, Spaltzündung. Wirkung eine Megatonne TNT« Bull blickte Rhodan an. Rhodan lächelte amüsiert; Bull fragte ihn: »Was kann das sein, das mit altmodischen Raketen solcher Sprengkraft nach einem Raumschiff schießt?« Rhodan übernahm das Schiff, das laut Helmauskunft STARDUST II hieß, in Eigensteuerung, drückte die Kugelzelle bis tief hinunter, fast auf die Oberfläche des Meeres, und jagte in hoher Fahrt auf den Kontinent zu, von dem aus die Raketen abgefeuert worden waren. Dann verblasste das Bild der Zentrale und gab das Blick auf die Landschaft mit Zelten wieder frei. »Der Feind kommt auf uns zu, Herr General!«, meldete ein Soldat. »Geschwindigkeit etwa fünfzehn Kilometer pro Sekunde.« »Das bedeutet: weit über 50.000 Kilometer pro Stunde«, erläuterte der Helm. Paspatern stand und starrte. Die feurige Kugel des Raumschiffs wuchs an, dann stand sie wie ein feuerspeiender Berg vor dem Lager und schoss darüber hinweg. Paspaterns Trommelfelle versagten den Dienst, als sie von der ersten, brüllenden Schockwelle getroffen wurden. Der Umhang ließ ihn Hitze und niederfrequente Schallwellen erleben, wenn auch zweifellos auf herabgemildertem Niveau. Aber auch so war der physische Eindruck alles vernichtend.
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Paspatern sah nichts mehr, weil die Blitze die Augen geblendet hatten. Er fühlte deutlich, wie eine unwiderstehliche Gewalt ihn von den Beinen riss, hochhob und davonschleuderte. Dann spürte er, wie er das Bewusstsein verlor. Ausgezeichnetes Programm, dachte der Ara. Die Simulation lässt mich den Verlust des Bewusstseins bewusst erleben. Würde mich interessieren, wer diesen Erlebnisumhang programmiert hat. Die künstliche Bewusstseinstrübung dauerte nur wenige Sekunden. Dann stand Paspatern auf, trotz eines simulierten, stechenden Schmerzes in der Brust, holte tief, aber vorsichtig Luft und sah sich um. Das Lager war nicht mehr. Der Dschungel hatte sich verändert. Von Süden heran zog eine kilometerbreite Gasse, überquerte den Lagerplatz, die Raketenstellungen und den Landeplatz der Raumflotte und setzte sich weiter nach Norden fort. Die Spur des Sturmes war etwa zehn Kilometer breit. In der Mitte zog sich, knapp einen Kilometer breit, eine riesige Brandnarbe dahin. Die Erde war geschmolzen und strahlte eine unerträgliche Hitze aus. Paspatern wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Von den zehntausend Mann, die General Tomisenkow zur Venus gebracht hatte, fanden zweitausend bei dieser Aktion Rhodans den Tod«, berichtete der Helm. »Sechstausend Soldaten wurden schwer verletzt.« Paspatern schwieg. Der Helm fragte: »Interessant, nicht wahr?« »War Rhodans Raumschiff durch die Raketen wirklich gefährdet?«, fragte Paspatern. »Keineswegs.« »Warum reagierte Rhodan dann so? Sind wirklich zweitausend Terraner bei diesem Angriff getötet worden?« »Eintausendneunhundertvierundachtzig«, sagte eine andere, hohe Stimme. Die Hologramme erloschen. Paspatern drehte sich um. Vor ihm stand eine mehr als stattliche, pausbäckige Venusierin mit
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aufgemalten Rosen auf den blassblauen Wangen und gewaltigen Brüsten am Leib. Paspatern beugte sein Haupt kurz und fragte: »Mit wem habe ich das Vergnügen?« »Mit mir hättest du das Vergnügen, wenn ich mich mit dir vergnügen wollte. Das liegt mir allerdings fern. Ich will nur den Kontakt herstellen und einige Angaben überprüfen. Du bist Paspatern?« Der Ara bewegte den Kopf vor und zurück, wie es die Terraner als Geste der Zustimmung taten. Sie verhandelten. Der Preis, den die Venusin für ihren Klienten forderte, war hoch, und der Lieferant der Ware forderte darüber hinaus eine närrische Zugabe. Aber wenn denn ihr Klient wirklich das liefern konnte, was, dem Hinweise eines alten Bekannten nach, in den Archiven der Para-Akademie deponiert lag, war es die Sache wert. »Wo und wann wird dein Klient liefern?«, fragte Paspatern. »Sei am 25. Juli gegen 21 Uhr TerraStandard in der Tomisenkowgrader Kuppel und finde dich im Restaurant >Zum Hinkenden Orang Utan< ein.« »Das klingt sehr konspirativ«, amüsierte sich Paspatern. »Das ist es auch«, sagte die Venusierin und zwinkerte ihm zu. »Und die Küche dort ist jede Reise wert.« Als sich die Venusierin abwandte, schwenkte ihr Busen auf so wunderliche, unnatürliche Weise um, dass Paspatern erkannte, es müsse eine Maske sein. Wie in einem billigen Agentenvid, dachte er. Gut, dass mich Vater Rith'meas nicht so sieht. 23. Juli 1345 NGZ Paspaterns Team Sie sahen einander an. Sie kannten sich von gelegentlichen gemeinsamen Arbeiten, ohne dass Paspatern sie je in dieser Weise geteamt hätte. Der Medo-Manager der Arahonta-Klinik hatte zu einem Dienstgespräch bestellt. Ob er auch Rith'meas eingeladen hatte, der in einem Schwebestuhl an der Fensterfront
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saß und in den unendlichen Venusregen schaute, wussten sie nicht. Jedenfalls tat der alte Eigner der Klinik, als wäre er allein im Sitzungssaal, und wandte sich auch dann nicht zu ihnen um, als Paspatern die Mitarbeiter begrüßte. »Vater Rith'meas, Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche euch allen Einsicht in Heil und Leben. Ihr kennt einander.« Die anwesenden Aras klopften knapp an die Schläfe. Der medizinische Leiter des venusischen Stammhauses der ArahontaPrivatklinik, der Klonierer Maupabitt, hatte sich auf die Segmentklonung einzelner Organe und Organpartien spezialisiert, er war zugleich der Medizinische Leiter der Arahonta-Privatklinik. Phanu Phandur arbeitete im Bereich des Psychosomatischen Controllings und besorgte die psychische Balance nach intensivplastischen Eingriffen. Takthor Brufang war Botanik-Genetiker und Pharmazeut. Verrim, die Mnemodesignerin, rekonstruierte oder restrukturierte Gedächtnisse. Shabu Dhenn schließlich war Gen-Architekt mit einem Arbeitsschwerpunkt im Bereich historischer Gen-Architektur. »Unter der Blockade der Terminalen Kolonne ist die Zahl der Klienten unserer Klinik geradezu dramatisch gewachsen. Depressionen und ihre psychosomatischen Folgen grassieren. Im Grund ein solides, ja effizientes Geschäftsmodell.« »Hat die Kolonne sich bei dir erkundigt, ob sie auf Werbeprämien hoffen kann?«, klang es vom Fenster. »Nein, Vater Rith'meas. Ich finde es durchaus nicht ehrenwert, von der Kolonne zu profitieren.« »Ehre ist nichts als ein Haufen Dreck.« Paspatern klopfte sich leicht an die Schläfe. »Das Geschäftsmodell ist schon deshalb nicht zukunftsträchtig, weil ich es für wahrscheinlich halte, dass die Kolonne den TERRANOVA-Schirm durchbrechen wird. Damit würde unser Geschäft ruiniert. Und wir selbst auch. Final ruiniert.« Phanu Phandur sagte: »Das ist bekannt. Welche neuen Konsequenzen ziehst du daraus?«
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»Wir müssen uns wehren«, verkündete Paspatern. Shabu Dhenn sagte: »Du weißt, dass ich Mitarbeiter der TANKSTELLE von Port Venus bin?« »Durchaus. Aber die TANKSTELLEN sind eine terranische Einrichtung.« »Was sich dadurch erklärt, dass wir im Solsystem sind«, spöttelte Rith'meas. »Wir sind im Solsystem, leider. Aber wir werden dadurch keine Terraner - selbst dann nicht, wenn wir an der terranischen Verteidigung teilnehmen. Wir sind Aras. Galaktische Mediziner« »Jedenfalls die meisten von uns«, grummelte Rith'meas. Paspatern ignorierte ihn. »Wir werden anfangen, uns auf unsere eigene Weise zu wehren. Wir können mehr, als ein paar psychosomatische Wehwehchen zu lindern.« Er machte eine kleine Pause und sah die fünf Aras einen nach dem anderen an. »Ihr könnt sehr viel mehr.« Shabu Dhenn war der Erste, der reagierte. Behutsam hob er die linke Hand, behutsam klopfte er sich an die Schläfe. Verrim folgte seinem Beispiel, danach Banu Banda und Brufang, schließlich Maupabitt. »Was genau planst du?«, fragte er Paspatern. »Sollen wir eine speziell auf Mor'Daer oder Ganschkaren geeichte Krankheit entwickeln? Und wenn ja: Wie schleusen wir ihre Erreger in die Kolonne ein? Wir brauchten physischen Kontakt.« »Nicht unbedingt. Vielleicht wäre eine Übertragung per Hyperfunk möglich«, tippte Verrim. Über ihre Stirn kroch ein Mhuvatt, ein biotechnisches Schmuckstück, und zeichnete eine silberne Hieroglyphe auf ihre Haut. »Wir entwickeln einen Erreger, der sich über den Hyperraum ausbreiten kann. Der vom TERRANOVA-Schirm ... vielleicht haben wir ...« »Vielleicht haben wir etwas Besseres«, unterbrach Paspatern ihre Überlegungen. »Etwas viel Besseres.« Langsam drehte sich der Schwebestuhl von Rith'meas. Der alte Ara suchte Blickkontakt mit seinem Sohn.
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Paspatern schaute ihm in die Augen, hielt Stand und sagte: »Vater Rith'meas, Kolleginnen und Kollegen, wir ziehen in den Krieg.« Rith'meas sagte: »Lasst uns bitte allein.« Die fünf Aras verließen den Sitzungssaal. * »Was für einen Unsinn hast du vor?«, fragte Rith'meas. »Was sind das für Abenteuergeschichten? Wir ziehen in den Krieg - nur Idioten ziehen in den Krieg!« »Es wird ein Krieg mit araischen Mitteln sein. Und ich will ihn nicht nur, weil die Kolonne uns direkt bedroht - hier auf Terra wie auf Aralon. Ich will ihn nicht nur, um nicht wieder einmal den Terranern die Abwehr einer Gefahr zu überlassen; während wir >Business as usual< betreiben, wie es die alten Terraner genannt haben.« »Stolz«, diagnostizierte sein Vater. »Stolz ist mir fast ebenso zuwider wie Ehre.« »Es hat mit Stolz nichts zu tun. Es hat in erster Linie mit Selbstverteidigung zu tun. Und es hat mit Forschung zu tun.« »Das musst du ja wissen als der große Forscher, der du bist!« »Ich werde nicht selbst forschen, ich werde forschen lassen. Wir werden Dingen auf die Spur kommen, von denen Generationen von Aras nur träumen konnten. Nicht einmal träumen konnten, weil ihnen das geeignete Material fehlte.« »Das du natürlich hast.« »Das ich bald haben werde. Und wenn wir Erfolg haben, Vater Rith'meas, werden uns die Terraner unsere Produkte aus der Hand reißen. Sie werden die Hälfte ihres Militärbudgets aufwenden, um unsere Erzeugnisse zu kaufen. Und wir, die Arahonta-Klinik, werden zu den führenden Medoinstituten der Galaxis gehören.« »Und wenn, und wenn, und wenn. Du lebst in einer Und-wenn-Welt.« »Und wennschon. In welcher Welt lebst du?«, entfuhr es Paspatern. »Was hast du werden wollen, was bist du jetzt? Ein Ara auf der Venus! Der sein Geld mit terranischen Wehwehchen verdient.«
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Beide schwiegen. »In zwei Tagen weiß ich mehr«, versprach Paspatern. »In zwei Tagen also«, sagte Rith'meas tonlos und schwebte an Paspatern vor26. Juli 1345 NGZ In den Katakomben Einen Tag nach seinem Geschäft im »Einbeinigen Orang-Utan« beorderte Paspatern sein Team in die Neuen Katakomben. Neben dem Hauptgebäude der Arahonta-Klinik war in den letzten Wochen ein Turm entstanden; seine Fassade schimmerte in denselben warmen Kupfer- und Messingtönen wie die älteren, mit ultradünnen Metallplatten verkleideten Gebäude. Der Turm besaß einen Aufsatz: einen nicht ganz zehn Meter hohen Äskulapstab, um den sich eine smaragdfarbene geflügelte Schlange wand; sie glitt weiter und weiter hinauf, ohne je die Stabspitze zu erreichen. Auf der Spitze rotierte ein Hologlobus, in dem abwechselnd mal der Name der Klinik zu lesen stand, mal die Preisliste für diverse Therapien, oder wo sich Szenen aus dem Leben Äskulaps abspielten: seine Jugend mit dem heilkundigen Kentauren Cheiron; seine Erweckung eines Toten. Hin und wieder neigte die Schlange ihr Haupt und glitt, indem sie ihren Leib endlos dehnte, die vierzig oder fünfzig Meter zum Bodenniveau hinab, um mit ihrer sanften weiblichen Stimme Klienten zu 'werben. Auch, als die Hauswartpositronik des Turms Paspatern erkannte, schickte sie den Schlangenkopf hinab. »Willkommen, Meister Paspatern«, säuselte sie erst Paspatern zu, dann richtete sie sich nach und nach an jeden einzelnen seiner Begleiter. »Die Aufspaltung des Hologramms ist noch unbefriedigend«, bat Paspatern um Entschuldigung. »Deswegen muss sie uns nacheinander ansprechen. Aber die Multilokalitätsfunktion des Programms wird noch optimiert.«
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Sie betraten den Empfangssaal des Turms. Es gab keinen Antigravschacht; elegant einfache, transparente Liftschächte durchzogen das Gebäude. Paspatern führte die Gruppe in eine etwas größere Aufzugkabine. Nachdem die Tür sich geschlossen hatte, legte er den Daumen auf eine schwach rot leuchtende Sensortaste und sagte: »Paspatern. Kode Venus-Mutation.« »Identifikation abgeschlossen, Meister Paspatern. Wohin?« »Abwärts!«, kommandierte er, und die Kabine sank. Zum ersten Mal fuhren die Mitarbeiter Paspaterns in die Neuen Katakomben der Klinik ein. Bereits die Ausschachtungsarbeiten hatten unter einer Baukuppel stattgefunden, alle Beteiligten waren Maschinen, die unter der Leitung eines Konstruktionsroboters standen. Die Kabine hielt, doch die Tür öffnete sich nicht. Stattdessen vollführte die Kabine eine Rückwärtsbewegung, verließ offenbar den vertikalen Schacht, glitt noch eine Weile und hielt dann. an. »Der Raum, den wir betreten werden, existiert offiziell selbstverständlich nicht. Er kann von keinem anderen Raum der subvenusischen Etagen aus betreten werden, nur von dieser Kabine aus. Nur durch diese Tür. Und die öffnet sich nur vor mir « Die rückwärtige Wand der Kabine glitt lautlos zur Seite. Sie traten hinaus in einen Saal. Wände, Decken und Böden waren wie die Einrichtungsgegenstände in einem cremefarbenen Ton gehalten. Sanftes, aber hinreichend helles Licht fiel aus mannsgroßen Lampions, in denen Mikrolebewesen für Bioluminiszenz sorgten. Die Bedienungseinheiten mächtiger Positroniken ragten aus dem Boden. Im Hintergrund des Saales standen Maschinenblöcke, Energiespeicher und Transformatoren. Rith'meas erkannte Holo- und Schirmfeldprojekoren. »Ich sehe, du hast groß eingekauft«, grummelte Rith'meas. »Anschaffungen, die ordentlich über die Bücher liefen?«
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»Nicht alle«, gestand Paspatern und lächelte. Im Zentrum des Saals befand sich auf einem Podest ein wuchtiger Medotank aus einem halbtransparenten Material. Im Tank warf eine milchige Flüssigkeit träge Wellen. Es roch ein wenig säuerlich und herb. Drei Humanoide standen so reglos in der Nähe der großen Wanne, dass man sie für Statuen hätte halten können. »Setzen wir uns«, bat Paspatern wies auf einen ovalen Tisch, um den zehn Sitzschalen lagen. Er nahm am Kopfende Platz. Rith'meas dirigierte seinen Schwebestuhl an der gegenüberliegenden Seite des Ovals. Die zehnte Sitzschale rückte für ihn zur Seite. Offenbar bezogen auch die drei Humanoiden die Einladung auf sich, denn sie traten näher, begrüßten die Aras knapp und wortlos und nahmen neben ihnen Platz. Die Drei trugen schwarze, von Goldfäden durchwirkte Anzüge, die, eng anliegend, matt schimmernd, wie Uniformen wirkten. Violette Iris, violettes Haar ... Paspatern stellte die drei Antis vor: »Dies sind Lidaya Pompor, A-Thraot, Temne von Fedefco. Ich habe die drei Báalols als Sicherheitskräfte für unser Projekt engagiert. A-Thraot und Temne verstärken und restrukturieren den Prallfeldschirm, der sich um diesen Saal aufgebaut hat. Unsere Sitzung findet mit ihrer Hilfe unter restlosem Ausschluss der Öffentlichkeit statt.« Die beiden Antis bestätigten dies mit stummen Gesten. »Lidaya wird nicht primär mit Sicherheitsaufgaben betraut, sondern sie wird in unserem neuen Projekt eine Funktion übernehmen, zu der sie ihre besonders geschulten Psi-Kräfte qualifizieren. Dazu später mehr.« Paspatern setzte sich als Letzter und blickte eine Weile auf seine rechte Hand, die er, nachdem er in eine Hosenlatztasche gegriffen hatte, zur Faust geballt hielt. Er holte Luft und sagte: »Meine erste Idee war: Schlagen wir die Kolonne mit den
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eigenen Mitteln. Was zeichnet die Kolonne aus?« Er sah sich fragend um. »Dass sie ein wahrscheinlich Millionen Jahre alter Heerwurm ist mit Milliarden von Raumschiffen und zehntausenden Planeten als Ressource-Quellen«, antwortete Rith'meas. Er schien sich zu amüsieren. »Also, worauf warten wir? Vor uns liegt viel Arbeit!« Paspatern ließ den Spott an sich abperlen. »Die Kolonne hat Raumschiffe, wie jeder Sternenstaat. Sie verfügt über Planeten, wie jeder Sternenstaat. Hier macht nur die Masse den Unterschied. Anders, qualitativ völlig anders dagegen ist ihr Führungspersonal: die doppelköpfigen, doppelbewussten Synthesewesen. Die Duale. Warum synthetisiert TRAITOR Duale?« Er blickte seinen Vater an. »Sag du es mir.« »Weil das duale Bewusstsein eine neue, andere Qualitätsstufe erreicht. Oder? Vielleicht sogar eine psiaktive Struktur.« »Nicht abwegig«, gab Rith'meas zu: »Wozu sonst der Aufwand? Und nun willst du eine kleine Dualfabrik eröffnen? Die Paspatern-Arahonta-Dualmanufaktur?« »Nein. Es würde terranische Gepflogenheiten widersprechen, Individuen mental-chirurgisch zu fusionieren.« »So innovativ es auch wäre, ein entsprechendes Verfahren zu entwickeln«, warf Phanu Phandur ein. »Eine echte wissenschaftliche Herausforderung.« »Sicher«, sagte Paspatern. »Aber ich habe etwas Besseres.« »Das hast du schon mal versprochen.« Paspatern lächelte. »Es ist immer noch dasselbe Versprechen. Ich habe vor einiger Zeit eine merkwürdige, vielversprechende Spur gefunden, und bin ihr immer weiter gefolgt. Jetzt habe ich endlich etwas in der Hand.« Er öffnete langsam die Finger seiner Faust. Ein kleiner, kristalliner Gegenstand lag darin, den er behutsam mit den Fingern der linken griff und hochhielt. »Das hier«, sagte er leise. »Paspetern!«, rief Rith'meas. »Würdest du diese lächerliche Show bitte beenden und
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endlich sagen, was Sache ist? Was hast du dort in dem Behältnis?« »Es ist eine Zellprobe.« »Wie viel hast du dafür ausgegeben?« »Ich bin der Eigner und Manager der Klinik. Ich bin niemandem auskunftspflichtig ...« »Wie viel, Paspatern?«, herrschte Rith'meas ihn an. Er nannte die Summe. Rith'meas starrte ihn zornig, ungläubig, entsetzt an. »Damit setzt du Arahonta aufs Spiel. Wozu? Ist es das wert?« »Wir werden sehen«, sagte Paspatern leise. »Was ist es, was du gekauft hast?« Verrims Stimme klang behutsam. »Es ist eine völlig intakte, wahrscheinlich klonable Zellprobe von Iwan Iwanowitsch Goratschin«, antwortete er. »Was ist ein Goratschin?« Takthor Brufang war offenkundig ratlos. Paspatern berührte ein Sensorfeld auf der Tischplatte. Ein Hologramm baute sich über dem Konferenztisch auf. Es zeigte eine menschenähnliche Gestalt, unmenschlich aber darin, dass sie zwei Köpfe besaß. Die beiden Köpfe saßen so dicht beieinander, dass ihnen kaum Bewegungsfreiheit blieb; die Ohrmuscheln berührten sich. Die Köpfe schienen identisch: kahl, lang, die grüne Haut geschuppt. Das Hologramm drehte sich langsam; die stämmige Gestalt ragte hoch auf, musste fast zweieinhalb Meter groß sein; die Augen... Obwohl die Gesichter bloße holografische Reproduktionen waren, wichen die Aras ihnen aus. Paspatern bemerkte es voller Erstaunen. Etwas an diesen Augen war irregulär, aus der Art geschlagen. »Mo, mir zum Beistand!«, betete Shabu Dhenn. »Was ist das?« »Das ist Goratschin«, sagte Paspatern. »Ein sogenannter Zünder. Der tödlichste Mutant, den Rhodan je hatte. Eine lebende Waffe, gegen die es keinen Schutz gibt.« »Er gehörte zum alten terranischen Mutantenkorps«, schloss Verrim. »Er ist seit Jahrhunderten tot, nicht wahr?« »Ja, aber nicht mehr lang«, sagte Paspatern.
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»Er erinnert tatsächlich frappierend an einen TRAITOR-Dual«, gab Maupabitt zu. Paspatern reichte den Mitarbeitern kleine Datenfolien. »Das ist interessant. Der Goratschin konnte bei gemeinsamer Konzentration Ziele, die ihm sichtbar waren, zünden, indem er Kohlenstoff- und Calciumatome zu einem Kernverschmelzungsprozess anregte«, las Phanu Phandur. »Das heißt, er musste alle vier Augen auf ein Ziel fokussieren, nicht wahr?« »So heißt es in den Daten. Aktiviert die Fußnotenfunktion der Folien, dort findet ihr reichlich Hintergrund.« Beinahe eine halbe Stunde lang informierten sich die Aras und die drei Báalols aus den Datensätzen. »Wir sollen den Goratschin nicht nur klonen, sondern auch genetisch optimieren?«, erkundigte sich Shabu Dhenn. »Wir werden den Goratschin verbessern. Das wird vor allem deine Aufgabe sein und die von Maupabitt. Phanu Phandur zeichnet für die psychosomatische Kontrolle des Klons verantwortlich. Der Goratschin muss nicht nur funktionieren, er muss steuerbar sein und bleiben. Dazu braucht er ein geeignetes Gedächtnis. Verrim - das wirst du konstruieren. Bei der Inkraftsetzung wird dir unsere báalolsche Kollegin Lidaya Pompor mit ihren spezialisierten Hypnokräften assistieren.« »Ich wüsste nicht, wo mein Wert für dieses Projekt liegen sollte«, monierte Takthor Brufang. »Ich bin Botanik-Genetiker - soll ich besonders explosive Blümchen für den Goratschin züchten?« »Du sollst Blümchen für den Goratschin züchten, richtig. Irgendwann werden wir den Goratschin, oder - wenn uns die Serienproduktion gelingt - die Goratschine in Stellung bringen müssen, bis auf Sichtweite zu den Einsatzkräften der Terminalen Kolonne. Ich plane, diesen Transport durch terranische Raumlinsen durchführen zu lassen, die passiv bewegt
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werden und keinerlei Energie emittieren. Dazu werden sie bestimmte Pflanzen an Bord nehmen, Pflanzen, die du züchtest. Überlebensblümchen für die Goratschine. Kriegsblümchen.« »Du hast an alles gedacht«, lobte Verrim. Paspatern lächelte. Die Aras klatschten in die Hände und schnalzten mit den Zungen. Paspatern ließ den Applaus mit gesenktem Kopf über sich ergehen. Als es wieder still war, schaute er sich suchend um. »Was meinst du, Vater Rith'meas?« Der alte Ara sah ihn eine Weile mit angehaltenem Atem an. Dann öffnete er die Lippen leicht, und die Luft entwich mit einem leisen Stöhngeräusch. Er drehte mit dem Schwebstuhl ab und steuerte ihn Richtung Ausgang. Die Tür schloss sich hinter ihm. »Was heißt das nun?«, fragte Maupabitt. »Es heißt: Wir machen uns an die Arbeit!« 15. August 1345 NGZ Raumschlacht »Raumlinsen passieren die Strukturschleusen im Sog des Schrotts. Linsen bleiben energetisch inaktiv«, meldete die Positronik Über einige Wochen hin hatten Lastschlepper der Liga-Flotte Schrott und Abfall in der Nähe des TERRANOVASchirmes abgeladen. In den letzten zwei Tagen waren den Schrotthaufen nach und nach Raumlinsen beigemischt worden, terranische Miniaturraumschiffe, die den Körpermaßen der Goratschine angepasst waren. In jeder Raumlinse lag ein Goratschin. Kein einziges Aggregat der Linsen war in Betrieb, nicht einmal ein energieverbrauchendes Lebenserhaltungssystem. Jede Linse hatte Pflanzen aus der Genschmiede der Arahonta-Klinik an Bord, Takthor Brufangs Meisterwerke. Die Pflanzen gediehen im Atem der Doppelköpfe und pumpten Unmengen von Sauerstoff in die Kammer des Schiffes; ihre Früchte waren saftig und nährstoffreich.
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Vor wenigen Sekunden waren die Strukturschleusen geschaltet worden. Der Traktorsog hatte die Müllhalden auf die andere Seite gezogen. Bevor die ersten Traitanks Fahrt aufnehmen konnten, waren die Lücken im Schirm bereits wieder geschlossen. Das Timing war ausgezeichnet. Hier und da nahmen die großen ovalen Scheiben den Müll unter Feuer. Die Positroniken hatten damit gerechnet, dass zehn bis zwölf Prozent der Raumlinsen durch Aktionen der Kolonne zerstört würden, bevor die Armee der Goratschine in Angriffsformation waren. Paspatern lauschte für einen Moment der Skizze eines Beitrags des Senders Augenklar. Der spöttische Kommentar wurde nicht nur über das solsystemweite Trivid, sondern per Richtfunk an tausende von Traitanks ausgestrahlt. In dieser Sendung bedankte sich der Müde Mariin als Anchorman des Senders bei der Kolonne für deren Freundlichkeit, sich an der Abfallentsorgung der Liga zu beteiligen. Der Müde Mariin lächelte sein triefäugiges Lächeln in die Aufnahmeobjektive, legte melodramatisch die Hand aufs Herz und sprach mit Stentorstimme: »Wenn ihr auch noch bereit seid, uns die Scheiße vom Arsch zu wischen, könnte das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden!« Täuschend echt, fand Paspatern. Stunden verstrichen, Paspatern erlebte sie gerafft. Angetrieben von nichts als dem längst erloschenen Traktorsog, fächerten die Schrotthaufen auf und verstreuten sich im Raum. Unmerklich gingen die Raumlinsen in Position. Hier und da korrigierte ein winziger Gasausstoß Lage und Richtung der Kleinstraumschiffe. Paspatern meinte zu spüren, wie die Goratschine atmeten, die Früchte aussaugten, aßen. Wie sie durch die Glassitkuppel der Linse starrten. Das optimierte Glassit verstärkte das Restlicht, vergrößerte. Die Goratschine brauchten Sichtkontakt zu ihren Objekten. Es war ein ruhiger Tag. Keine Aktivitäten am TERRANOVA-Schirm. Die Traitanks
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standen fahrtlos; ihre Ortungseinrichtungen detektierten keine Bewegung; ihre Schilde waren desaktiviert. Die Goratschine vermochten, Kohlenstoffund Calciumatome kernchemisch miteinander regieren zu lassen und damit eine nukleare Explosion zu zünden. Und was in diesem Universum war restlos frei von Kohlenstoff? Nicht einmal der Ricodin-Verbundstoff, aus dem die Hülle der Traitanks gefertigt war. 12.15 Uhr Terra-Standardzeit. Die Raumlinsen waren in Position, die Goratschine mussten ihre Ziele erfasst haben. Paspatern stellte sich vor, wie die beiden Köpfe sich aneinanderschmiegten, wie die beiden Augenpaare gemeinsam fokussierten, wie sie die wenigen Moleküle, die sie brauchten, im Ozean der umgebenden Materie entdeckten. Wie sie ihr Ziel mit einem leichten, wohligen Seufzer zündeten... Es wurde Licht. Rings um den TERRANOVA-Schirm barsten die Traitanks und ergossen elektromagnetische Strahlung in den schwarzen Raum. Sonnen, Sonnen über Sonnen! Paspatern lachte laut auf, klopfte sich begeistert an die Schläfen. Die zweite Welle. Die dritte Welle. Offenbar vermochten die Supratroniken keine Angreifer zu identifizieren, mussten sie die Explosionen doch als innere Angelegenheit der Schiffshüllen deuten. Nur noch vereinzelt platzte einer der Traitanks. Die Schlacht um das Solsystem war beendet. Die Blockade war vorbei. Die Kolonne war geschlagen. * Verrim benetzte die Kuppe ihres Mittelfingers mit Speichel, strich damit über Paspaterns Nacken und löste ihn aus dem Bann der Simulations-Holografie. Sie überlegte: »Die Schwachstelle ist der Ricodin-Verbundstoff. Wir haben keine
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Materialprobe, um etwas Definitives über seinen Kohlenstoffgehalt auszusagen.« »Es gibt Alternativen«, sagte Paspatern. Er blickte über die Schultern zu ihr hoch. Das Mhuvat lief auf ihrer Wange im Kreis und hinterließ eine kobaltblaue Leuchtspur. »Es gibt immer Alternativen«, sagte sie. »Wir könnten versuchen, einen Bildkontakt zu den TraitankKommandanten herzustellen. Eine Rede Rhodans würde sie vor die Schirme locken, zum Beispiel, wenn ...« »Zum Beispiel, wenn Rhodan die Kapitulation des Solsystems ankündigte.« »Ja, gut. Gute Idee«, lobte er. »Wird aber nicht funktionieren, weil Rhodan nicht lügt. Nie.« Sie lachte. »Wenn er lügt, wächst seine Nase, und sein Zellaktivator explodiert.« »Du machst dich lustig über mich«, erkannte er und wandte sich wieder der holografischen Simulation zu, in der noch immer hier und da ein winziger Stern aufflammte, eines der simulierten Opfer der simulierten Goratschine. »Oder ...« Paspatern dachte nach. »Wir modifizieren einfach den Zündungsmechanismus. Wer sagt, dass unsere Goratschin Kohlenstoff benötigen? Warum sollten wir nicht versuchen, die Palette der Angriffsflächen zu erweitern?« »Das Psi-Potenzial der Goratschin-Hirne manipulieren?« »Aber ja!« Paspatern klopfte sich heftig an die Schläfe. »Wenn wir sein Psi-Programm entziffern könnten, wenn wir es dekodieren, dann können wir es auch reprogrammieren. Stell dir das vor: eine Armee von Mutanten; die die Fraktalen Aufrissen-Glocken zerstören, die Dunkelfelder durchdringen können. Wir würden die ganze Kolonne aus dem Raum fegen!« »Ja. Klasse. Kein Problem!«, spöttelte Verrim. »Weißt du, woran ich gerade denke?« »Noch nicht. Aber sobald ich meine Goratschine zu Telepathen gemacht habe ...« Er probierte ein frivoles Lächeln. »Ich denke: Vielleicht hat vor ewigen Zeiten mal jemand genau wie du so
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dagesessen und überlegt, was man tun könnte gegen einen übermächtigen Feind. Und er hat es getan. Und die Terminale Kolonne gebaut.« »Die Kolonne ist eine Angriffswaffe, wir verteidigen uns bloß!« Verrim warf einen demonstrativen Blick in die Holo-Simulation, in der wieder eine Miniaturexplosion aufblitzte. »Das ist«, sagte sie, »von außen nicht immer leicht zu unterscheiden.« »Von außen? Wieso von außen? Wir stehen nicht außen, wir stehen mittendrin. Oder wo stehst du? Stehst du außen?« »Natürlich! Ich bin eine Spionin der Kolonne. Buh!« Sie lachte wieder. »Lass uns nachsehen, wie weit Maupabitt und Shabu Dhenn sind. Denn ohne Goratschine ... würden wir nach deinem Plan die Kolonne nur mit einem Haufen Schrott bombardieren.« »Du klingst wie mein Vater. Sei doch etwas optimistisch!« »Du hast Angst vor deinem Vater, ja?« 2. bis 16. Oktober 1345 NGZ Scheitern, scheitern Paspatern schaute mit den anderen Aras in den Medotank, wo die Leiche Goratschins in der Nährflüssigkeit trieb, immer noch über zahlreiche Schläuche mit diversen Kontrollund Steuereinrichtungen verbunden. 2. Oktober 1345 NGZ. Geburtstag des neuen Goratschins in den frühen Morgenstunden. Exitus um 11.56 Uhr Terra-Standard. »Die Biomasse war insgesamt funktional, die Wachstumsbeschleuniger haben die Kernzellensubstanz zu keinem Zeitpunkt angegriffen. Die DNA der postbiotischen Masse ist mit der unserer Probe identisch.« »Woran hat es also gelegen?«, wollte Paspatern wissen. Niemand antwortete. Paspatern blickte sich zu seinem Vater um, der auf seinem Schwebstuhl saß. Vor seinen Augen lief ein Datenhologramm ab. »Ich fürchte, dass das biotische Objekt nicht kompatibel war mit dem artefakten
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Bewusstsein, das wir zu transferieren versucht haben. Eine Abstoßungsreaktion.« »Was tun?« Paspatern fühlte sich ratlos, war ratlos. Verrim räusperte sich. »Das Gedächtnis, das ich entworfen habe, beruht auf den bekannten Materialien. Ich habe alte Interviews mit dem Original-Goratschin aus dem HistNet gezogen, einige Sondersendungen altterranischer TrividProgramme, die Nachrufe auf Goratschin kurz nach seinem Tod auf Anchorot am 16. Juni 3432 alter Zeitrechnung. Kopien von Materialien aus dem Anchorots Planetarem Museum in Charota ... Es sind insgesamt Trivialitäten, nichts, was die biologische Basis des Gedächtnisses in irgendeiner Form überfordern sollte.« »Hast du die Informationssegmente über seinen Tod aus dem Gedächtnisartefakt gelöscht? Oder wusste das biotische Objekt, dass es tot ist?«, fragte Rith'meas. Verrim wandte sich aufreizend langsam zu dem alten Ara um. »Nur, weil ich mit deinem Sohn schlafe, muss ich keine Idiotin sein, und dein Sohn hat mich nicht ins Team gerufen, weil ich mit ihm schlafe. Ich weiß, was ich zu tun habe. Selbstverständlich habe ich das Artefakt um jede Spur seines Todes gereinigt.« »Ich werde mir die hirnpräformierenden Areale seiner Gene noch einmal ansehen«, sagte Phanu Phandur. »Wir hatten ja bereits vermutet, dass wir kaum beim ersten Versuch Erfolg haben würden.« »Womit das Scheitern immerhin die Richtigkeit eurer Prognose beweist«, sagte Rith'meas, »Bravo!« »Wir machen weiter«, schloss Paspatern die Beratung. * 16. Oktober 1345 NGZ. Das Antigravkissen hob den Leib des zweiten Goratschins behutsam an die Oberfläche. Die zähe Nährflüssigkeit rann in Dutzenden Fäden von der nackten Haut. Es sah aus, als ob der Tank den hünenhaften Leib mit dürren Tentakeln festhalten wollte.
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Der Brustkorb des nackten Leibes hob und senkte sich. »Besser«, sagte Maupabitt, »viel besser!« »Wir starten die höheren Hirnfunktionen jetzt!«, kündete Phanu Phandur an. Paspatern ging unruhig auf und ab, warf hin und wieder einen Blick auf seine Mitarbeiter an den Kontrollkonsolen. Die drei Báalols hockten im Kreis beieinander, die Arme auf die Schultern des Nachbarn gelegt. Rith'meas saß in seinem Schwebstuhl, den Kopf zur Seite gesunken, und schnarchte leise. Er stellt sich schlafend, dachte Paspatern. Er lauert. »Implantation des Mnemo-Artefakts beginnt - jetzt!« Aus netzförmigen Gebilden oberhalb des Doppelkopfes strömten Lichterscheinungen und drangen in die Stirnen des Klons ein. Paspatern wusste, dass diese Erscheinungen nicht mit dem Transmissionsvorgang identisch waren, sondern bloße Ablaufmarken waren, die zu Verrims Orientierung dienten. »Sieht gut aus. Er kommt«, sagte Sandra leise, den Blick fest auf die Monotore der Enzephalographen fixiert. »Das biotische Objekt Goratschin Baureihe II funktioniert. Gut gemacht, Verrim!« Verrim drehte sich zu Paspatern um, lächelte und leckte sich die Lippen. Noch war Goratschin II nicht bei Bewusstsein. Das künstliche Gedächtnis, das Verrim konstruiert hatte, war zwar implantiert, aber die ÜBSEF-Konstante des biotischen Objektes griff noch nicht darauf zu, individualisierte sich nicht. »Lidaya!«, rief Maupabitt der Báalol zu. »Mach dich an die Arbeit!« Die Báalol löste sich aus ihrem Verbund und begab sich zu einem Antigrav-Stuhl, der sie in Richtung Medotank trug. Reglos und mit geschlossenen Augen saß sie im Stuhl, der reglos über dem nackten, grün geschuppten Leib schwebte. Minuten verstrichen. »Kein Kontakt«, sagte sie. »Alles hohl. Alles schwarz.« Paspatern betrachtete eine vergrößerte Holografie der beiden Gesichter. Die Stirnen wirkten zerfurcht. als wäre der
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Goratschin in tiefes Nachdenken versunken. Plötzlich begannen sich die Lippen zu bewegen, Speichel, dünn mit Blut vermischt, tropfte aus den Mundwinkeln. Der Goratschin hob die Lider. Die Augen waren tot wie Steine. »Ich bekomme keinen Kontakt«, sagte Lidaya. »Es ist nur ein - Sog. Ich wende mich ab.« Plötzlich trat ein unwirklicher Schimmer in die Augen des Goratschins. Kein Leben, kein Erkennen, nur etwas wie ein matter Reflex. »Schirmfelder hochfahren!«, rief Paspatern, aber die positronische Überwachungseinheit, die für diesen Saal zuständig war, hatte die gleichen Schlüsse gezogen und das Feld schon über dem Tank aufgebaut. Der Goratschin hob die linke Hand und tastete damit ins Leere. Ballte die Finger zur Faust. Öffnete sie wieder. Führte sie vor die Augen. Fixierte sie. Zündete sie. Fleischfetzen, Knochenscherben, prallten gegen den Schirm. Der Schirm glühte auf, Paspatern sah, wie die A-Thraot und Temne von Fedefco in Konzentration erstarrten. Sie unterstützten den Schirm mit ihren Parakräften. Der Goratschin hob den Armstumpf, zündete den Unterarm, den Ellenbogen, bäumte sich auf. Und sackte zusammen. Der Goratschin der zweiten Baureihe war tot. Rith'meas ließ seinen Schwebestuhl Höhe gewinnen und schaute aufmerksam hinab in den Tank. »Alles Matsch«, sagte er. * Paspaterns Mitarbeiter hatte die Katakomben verlassen, um ihre Termine in den Klientenarealen der Arahonta-Klinik wahrzunehmen. Paspatern wollte nicht, dass der Eindruck entstand, sie stünden außer Dienst. Die Medoroboter hatten sich bereits an die Arbeit gemacht. Das biotische Objekt war
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zerlegt und weitestgehend per Desintegration entsorgt. Etliche Gewebeproben wurden den Analyseeinheiten zugeführt. Paspatern spazierte, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, im Saal umher. Er lauschte auf die Sauggeräusche aus dem Medotank. Die Nährflüssigkeit sollte komplett ausgetauscht werden. In diesem Moment ging die Tür zum Saal auf. Sein Vater kehrte zurück, glitt auf Paspatern zu und sank herab, bis die beiden sich Auge in Auge gegenüberstanden. »Kommst du, um über deinen Sohn zu triumphieren?«, fragte Paspatern. »Ein Sohn sollte über seinen Vater triumphieren, nicht umgekehrt.« »Wie soll ich triumphieren? Als Paspatern, der den nutzlosesten Versuch von allen unternahm, gegen TRAITOR anzukämpfen?« »Als Paspatern, der immerhin einen Versuch unternahm.« »Applaus der Heerscharen. Paspatern und Mo - wie man uns in einem Atemzug nennen wird!« »Mo war auch kein Gott. Nur ein Arbeiter.« »Die meisten halten ihn für mehr.« »Weil die Idioten immer in der Mehrheit sind.« »Diskutieren wir über Politik?«, wollte Paspatern wissen. »Diskutieren wir über dein Projekt.« »Was gibt es da noch zu diskutieren? Es funktioniert nicht.« »Ich erachte die zweite Baureihe durchaus als Erfolg«, sagte Rith'meas. »Man hat das Problem nur unzulässig stratifiziert, die Problemfelder unzureichend kontrolliert. Wir werden eine Reorganisation der Kompetenzen vornehmen. Wir tauschen Maupabitt als medizinischen Leiter aus.« »Gegen wen?«, fragte Paspatern irritiert. »Gegen mich.« »Gegen dich? Du ... du glaubt an mein Projekt?« »Ich glaube an gar nichts. Aber ich weiß, dass Kollege Maupabitt einige Kleinigkeiten übersehen hat. Einige
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Möglichkeiten ausgelassen hat. Unscheinbare Details ...« »Dinge, die dir selbstverständlich nicht entgangen sind? Zum Beispiel?« Rith'meas lachte heftig auf. »Zum Beispiel? Ist dir die Verzögerung der dendritischen Aktivitäten, im Temporallappen aufgefallen, wenn die ÜBSEF-Präfiguration ...« Über Paspatern ergoss sich ein Schwall von Fachbegriffen, die er nicht verstand, und er war sich sicher, dass sein Vater ein besonders exquisites Vokabular verwendete, um ihm seine Ahnungslosigkeit zu demonstrieren. Er winkte ab. »Wann wollen wir diese Restrukturierung vornehmen?« »Jetzt«, sagte Rith'meas. Paspatern sah, wie sich der alte, dürre Leib im Schwebstuhl reckte und dehnte. »Ich fange jetzt an.« 16. Oktober 1345 NGZ Baureihe III Das Team nahm die Änderung mit offenbar gemischten Gefühlen auf. Die drei Báalols zeigte keine sichtbare Reaktion. Temne von Fedefco erkundigte sich lediglich, ob der Wechsel in der Teamleitung Auswirkungen auf sein Honorar haben würde. Maupabitt lächelte schief. »Mit allem gebührenden Respekt, Paspatern: Ist dein Vater physisch zu einer derartigen Anstrengung fähig?« »Er wirkt wie aufgeblüht«, sagte Paspatern. »Aufgeblüht? Wie romantisch. Welche Drogen benutzt er, um wieder in solcher Blüte zu stehen? Elaith? Thuuvam?« »Das kann uns völlig egal sein«, warf Shabu Dhenn ein. »Nur das Resultat ist von Belang.« »Du hättest Paspaterns Vater früher vergiften sollen, als er noch weniger misstrauisch war«, lästerte Verrim. »Habe ich ja versucht«, sagte Maupabitt. »Aber er muss die Magenwand mit Neutralisatoren ausgerüstet haben.« »Ich
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empfehle deswegen immer Hautkontaktgifte«, sagte Verrim sachlich. »Ich schätze die komödiantische Ader eures Volkes wirklich sehr«, unterbrach AThraot das Geplänkel, »aber lasst uns bitte sachlich werden.« Paspatern war . sich nicht sicher, ob Maupabitt und Verrim lediglich gescherzt hatten. Wenigstens bei Maupabitt hatte er immer wieder eine extreme Abneigung gegen seinen Vater zu spüren gemeint. Warum sollte. er nicht versucht haben, Rith'meas zu vergiften? Bei einem genialen Mediziner und Pharmakologen wie seinem Vater hätte Maupabitt nicht ernsthaft auf Erfolg gehofft, sondern den Versuch, wenn er ihn denn unternommen hätte, eher unter sportlichen Aspekten betrachtet. »Mein Vater arbeitet seit dem gestrigen Versuch ununterbrochen in den Katakomben. Er möchte mit uns unmittelbar nach diesem Dienstgespräch die neuen Zuständigkeiten und den Zuschnitt der Aufgabenfelder behandeln.« »Die Revolution der Väter gegen die Söhne«, witzelte Maupabitt bitter. »Wahrscheinlich auch eine Folge einer erhöhten Hyperimpedanz. Alles wird wie früher. Mo wird wieder auferstehen.« »Bei allem nötigen Respekt, Maupabitt: Hast du - oder hat irgendwer von euch Zweifel an der fachlichen Kompetenz meines Vaters?« Da es diese Zweifel nicht gab, machte sich die Gruppe auf den Weg in die Katakomben. * Bis zum Jahreswechsel 1346 NGZ ging keine neue Baureihe in Produktion. Die Vorarbeiten und die weiteren Forschungen, zu denen Rith'meas das Team antrieb, waren umfangreich, eingehend und aufreibend. Oder, wie Maupabitt immer wieder monierte: penibel, kleinlich und schikanös. »Ich bin nicht dein Schüler, Rith'meas!«, fuhr Maupabitt den alten Ara einmal an.
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Der kicherte so heftig, dass der Schwebestuhl schwankte. »Natürlich bist du das nicht. Idioten wie dich würde ich niemals als Schüler annehmen.« Die Situation in der Milchstraße spitzte sich zu, nachdem die Terminale Kolonne eine zweite Welle schickte und in der Nähe des Solsystems Kolonnen-Forts errichtete. Jeder Terraner merkte, dass der Feind buchstäblich näher rückte. Ein großer terranischer Trivid-Sender machte aus der Parzellierung der AkonenWelt Drorah eine groß angelegte Unterhaltungsserie. Sogar Verrim wurde von der Vernichtung Drorahs berührt. Nach neuer terranischer Mode ließ sie sich von ihrem Mhuvatt sogar schwarze Tränenspuren unter die Augen zeichnen. Der Saal in den Neuen Katakomben war um einen Konstruktionsroboter und eine kleine Fertigungseinheit bereichert worden. Gegen Ende Oktober 1345 NGZ hatte die Maschinerie zwei handspannengroße Auto-Injektoren produziert, die an den Schädeln des nächsten Goratschin fixiert werden sollten. Diese Injektoren würden den Herzschlag und den Adrenalinhaushalt der neuen Baureihe überwachen und im Falle, die biotische Masse würde Stresssignale aussenden, den Körper lahmlegen und die Mentalstruktur betäuben. Anfang Januar 1346 NGZ kam es zum Streit zwischen Rith'meas und Shabu Dhenn. »Wozu, bitte, willst du denn diese Änderungen im Erbgut? Das sind völlig irrelevante Strukturen. Das ist - schiere Ästhetik!« »Eben!«, gab Rith'meas zu und schüttelte sich aus vor Lachen. »Wir machen das, weil's schöner aussieht.« Verrim verdrehte die Augen. Sie war noch ein wenig ausgelaugt, weil sie die Nacht zusammen mit Paspatern und Lidaya verbracht hatte. Das Vergnügen war dank der hypnosuggestiven Kräfte der Báalol exzellent gewesen. Die Báalol vermochte, anderen Intelligenzwesen hypnosuggestiv Wahrnehmungen einzugeben. Dank dieser Begabung hatte Verrim die Nacht nicht nur
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als sie selbst, sondern zugleich aus der Warte Lidayas und Paspaterns erlebt. Verrim fragte sich, warum die Báalol aus dieser Gabe keinen finanziellen Gewinn schöpfte. Diese Fremdvölker waren manchmal ganz schön irrational. Mit einem sanften Druck ihrer Fingerkuppe stellte sie das Mhuvatt an und ließ es anzügliche Zeichen auf ihren Hals malen. Paspatern las sie und lächelte ihr zu. Am 13. Januar kommandierte Rith'meas: »Initiiert die primäre Mitose«. Das war der Startbefehl für die Baureihe III. * Am Dienstag, 27. Januar 1346 NGZ, war der Wachstumsprozess des biotischen Objekts abgeschlossen. Rith'meas hatte deswegen entschieden, gegen zwölf Uhr Terra-Standard die BewusstwerdungsProzedur einzuleiten und das Objekt zu wecken. Die niederen Hirnfunktionen funktionierten weitgehend tadellos. Immer mehr Aufgaben wurden aus der positronischen Kontrolle entlassen und dem biologischen Material selbst überantwortet. Die Speicher für die Schirmfeldgeneratoren waren gefüllt. Die drei Báalol hielten sich seit Stunden in Bereitschaft, hockten wieder auf dem Saalboden, die Arme über die Schultern der Kollegen verschränkt. Unbewegt. Paspatern ertappte sich dabei, wie er versuchte, den Nacken Lidayas unter ihrem violetten Schopf auszumachen, wie er im Geist ihre Wirbelsäule markierte und abwärtsglitt. Es erregte ihn, und die Erregung überlappte sich mit der Aufregung wegen der neuen GoratschinGeneration. »Gut, dann wollen wir mal«, sagte Rith'meas. Sein Gesicht lag in grauen, pergamentenen Falten, die Augen tief verschattet. Sein Vater, fand Paspatern, sah restlos verbraucht aus. Fast wünschte er,
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Maupabitt hätte Recht und Rith'meas würde eine Droge konsumieren. Eine etwaige Abhängigkeit ließe sich immerhin therapeutisch behandeln. Aber was Rith'meas so schwächte, war letztlich nicht behandelbar. Es war das Alter, beschleunigt durch seinen Misserfolg und das lange solare Exil. Wieder machten holografische Zeichen im und über dem Tank positronisch gesteuerte Vorgänge sichtbar; erneut erschienen die immateriellen netzförmigen Strukturen beim Doppelkopf und fädelten sich in die Stirnen ein. Lidaya hatte sich diesmal anders vorbereitet. Sie stützte sich mit ausgestreckten Armen auf eine Art Stehpult, an dessen Fuß ein handspannegroßer Roboter ohne Kopfsegment ein Weihrauchfässchen schwenkte. Die Báalol atmete tief, die Nüstern blähten sich. Ihr Oberkörper schwankte leicht, als sei sie in Trance. A-Thraot und Temne von Fedefco standen Hand in Hand in einiger Entfernung zum Tank. Das Schirmfeld schimmerte wie dünnes Glas. Als das leise Ächzen aus dem Medotank erklang, glaubte Paspatern für einen Moment, von Beginn der Prozedur an den Atem angehalten zu haben. Dann warf er einen Blick auf seine Uhr: 12.47 Uhr. Der Goratschin erhob sich langsam aus dem Tank. Er war groß. Die Nährflüssigkeit reichte ihm nur bis zur Mitte der Oberschenkel. Verrim schaute in den Schritt des Objektes und grinste. »Rith'meas hat sehr großzügig optimiert«, wisperte sie Paspatern zu. Der Goratschin stieg ohne weitere Hilfe aus dem Tank. »Trocknet und bekleidet ihn!«, kommandierte Rith'meas. Ein schlichter Kegelrobot schwebte herbei mit einem Tuch aus grauer Wolle in den langen, dünnen Armen, einer Art Tunika. Er umrundete den Goratschin und ließ Luft aus zahllosen Düsen auf die Schuppenhaut strömen.
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Dann legte er Goratschin III die Tunika um. Es war ein unwirklicher, feierlicher Moment. Der Goratschin schaute sich um. Seine Gesichter wichen ein wenig von dem Original ab. Die Gesichtshaut war weniger geschuppt, glatt wie grünes Glas. Die Schädel waren nicht kahl, das dichte blonde Haar stand wie aufgewirbelt. Das Kinn wirkte energisch; die Augen waren schmal, hart, und schauten. Paspatern spürte, dass der Goratschin sah, aber nicht verstand. Der Medo-Saal der Neuen Katakomben war zu komplex für sein eben erwachendes Erkenntnisvermögen. »Etabliert das Sibirische Habitat«, befahl Paspatern. Rings um den Goratschin schien es plötzlich zu schneien. Das Schneetreiben war so konfiguriert, dass es dem Klon die Sicht auf den Saal nahm. »Rith'meas erleidet einen Herzinfarkt«, meldete die Positronik seines Schwebestuhls. »Kannst du das nicht eben selbst erledigen?«, blaffte Maupabitt die Maschine an. »Selbstverständlich«, gab der Stuhl zurück. »Ich wollte euch nur informieren.« »Gibt es Komplikationen?«, fragte Paspatern sicherheitshalber das Gerät. »Nichts, womit ich nicht fertig würde.« »Dann spiel dich nicht so auf!«, wies Maupabitt den Schwebestuhl an. »Wir legen das biologische Objekt schlafen«, entschied Paspatern. »Es soll keinen - Schaden davontragen. Sobald mein Vater wiederhergestellt ist, veranlasst er alles Weitere.« »Wir sind keine Idioten«, sagte Maupabitt. »Diese Unterbrechung ist überflüssig.« »Wir werden meinen Vater nicht übergehen«, stellte Paspatern klar. Und er dachte: Bei Mo! Mein Plan funktioniert! 11. Februar 1346 NGZ Erscheinungen Iwan Iwanowitsch stapfte durch den tiefen Schnee der Tundra. Mühsam war es, die
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Stiefel herauszuziehen, das Leder quietschte. Aus dem Wald dröhnten die Axthiebe der Baumfäller. Das Schneefeld erstreckte sich über die Hügel, hinter denen ihre Zelte lagen. Iwan Iwanowitsch ging einfach die Fußspuren zurück, die er selbst gelegt hatte. Dann kam auch schon der Stapel gefällter Kiefern. Obenauf saß eine Frau. Iwan Iwanowitsch hatten sie noch nie gesehen. »Guten Tag«, sagte die Frau. Sie trug ein erbärmliches Jäckchen, das aus irgendeinem hauchdünnen Stoff gemacht war oder, weiß Gott, aus gar keinem. Es war nur eine Folie, das Jäckchen. Fror sie nicht? Nein, sie fror nicht, zitterte nicht, saß ganz ruhig da, wenngleich die Lippen blass waren, ihr Haar violett, ihre Haut weiß wie der Schnee. »Du musst Schneewittchen sein«, erkannte Iwan Iwanowitsch. »So? Wenn ihr es sagt, Brüderchen, mag es richtig sein.« Merkwürdig klang, was sie sagte. Es klang, als ob sie ganz andere Wörter benutzte, aber er verstand, was sie meinte. »Wo kommst du her, Schneewittchen?«, fragte er sie. »Ich weiß es nicht«, bekannte sie. »Kannst du mir nicht helfen?« »Kommst du aus dem Wald oder aus einer Stadt?« »Ich weiß es nicht. Aus einer Stadt, denke ich.« Iwan Iwanowitsch nickte. »Dann musst du aus Dudinka kommen. Sonst gibt es hier keine Stadt, und du siehst wirklich aus wie ein Stadtmädchen.« »Wie sehen denn Stadtmädchen aus?« »Ganz prima. So wie du.« Schneewittchen lachte. »Dann war das ja ein Kompliment. Danke schön, mein Schöner!« »Wir sind einer, aber auch zwei!«, sagte Iwan Iwanowitsch. »Einer, aber auch zwei? Hui, das klingt ganz schön kompliziert. Wart ihr zwei Schönen schon mal in diesem Dudinka?« »Ja, auf einem Dampfboot sind wir gefahren, den Jenissei hoch. Wir haben die
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Kräne im Hafen gesehen, und einen Eisbrecher auch. Da haben wir Fuchspelze. verkauft und Rentierfleisch. Es gibt Häuser dort, denk dir, die sind größer als das Blockhaus der Handelsstation!« »Nicht möglich!«, staunte Schneewittchen. »Bist wohl mit deinen Eltern dort gewesen, in Dudinka?« »Nein, unsere Eltern sind tot.« »Oh! Das ist aber schade, Iwan Iwanowitsch. Wie hießen deine Eltern?« »Mutter hieß Ludmilla, Vater Iwan Gregorewitsch. Aber woher weißt du, wie wir heißen?« »Ihr habt doch auch gewusst, wie ich heiße!«, sagte sie und freute sich und warf das lange lila Haar: »Schneewittchen!« »Schneewittchen und die sieben Ritter. Schneewittchen liegt in einem gläsernen Sarg. Übrigens habe ich auch in einem gläsernen Sarg gelegen!« »Du hast in einem gläsernen Sarg gelegen? Waren auch sieben Ritter da, um dich zu schützen?« Iwan Iwanowitsch überlegte. »Ja. Mehr sogar als sieben. Einer saß sogar auf einem Thron, der fliegen konnte.« Er schaute sie mit großen Augen an. »Und weißt du was? Du warst auch da!« »Woher weißt du das?«, fragte Schneewittchen ernst. »Ich weiß nicht, woher ich das weiß. Ist das schlimm?« »Du bist mir schon ein merkwürdiger Terraner — ein merkwürdiger Mensch, Iwan Iwanowitsch!« »Ich bin kein Mensch«, murmelte Iwan bitter. »Doch ich sollte einer sein.« Schneewittchen betrachtete ihn lang. Von fern hallten die Axthiebe. Was für ein Lärm. Was für ein Gepolter. Wollten sie denn alle Kiefern der Tundra bis hinauf nach Dudinka fällen? »Weißt du, wann du geboren wurdest, Iwan Iwanowitsch?« »Klar. Am 29. April 1950.« »So. Und wie alt bist du jetzt?« Iwan Iwanowitsch lächelte unsicher. »Weiß ich ... wissen wir nicht.« »Bist du traurig, dass deine Eltern tot sind?«
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»Och, nein. Ist so lange her. Ich war noch klein, damals, und sie sind einfach in den Wald gegangen und nicht wiedergekommen.« »Aber du bist sicher, dass sie tot sind?« »Ganz sicher.« »Was heißt denn tot?« »Das heißt — hm. Es heißt ...« . »Hast du schon einmal einen Menschen getötet?« »Ich glaube schon.« Iwan Iwanowitsch lachte auf. »Wie hast du Menschen getötet?« »Ich glaube, ich habe sie nur ... Ich weiß es nicht.« »Sagt dir der Name Clifford Monterny etwas? Der Overhead?« »Er ist dick und schwabbelig, und er hat einen Rie-sen-kopf. Er macht Kopfweh. Er ist ... ich mag ihn nicht. Ich mag nicht an ihn denken.« »Das musst du auch nicht. Er ist tot.« Iwan Iwanowitsch nickte nachdenklich. »Gehen wir ein Stück«, sagte Schneewittchen und sprang vom obersten Baumstamm des Stapels. Schnee staubte auf. Wie das frisch geschlagene Holz duftete„ und das süße Harz der Kiefern. Nebeneinander gingen sie Richtung Waldsaum. Es dämmerte. Dennoch erkannte Iwan Iwanowitsch die Holzfäller. Jeder von ihnen stand ein wenig links von dem Baum, den er fällen wollte, die Beine breit, die Mütze etwas in den Nacken geschoben. Es waren Hunderte. Zugleich hoben sie die Axt, zugleich schlugen sie zu, zugleich zogen sie den Stahl aus dem Holz und holten wieder aus. »Was ist das?«, fragte Iwan Iwanowitsch leise. Er war so müde. »Sie hören dich nicht. Sie gehen ihrer Arbeit nach. Sie sind fleißig.« »Ja«, sagte Iwan Iwanowitsch. »Ich sollte auch arbeiten. Ich bin so ein Faulpelz.« »Weißt du, ich glaube, Holzfällen ist nichts für euch, Iwan Iwanowitsch.« »Meinst du? Woher willst du das wissen?« Sie streichelte ihm sanft den Rücken, knapp über der Hüfte. »Ich bin Schneewittchen. Ich stand an deinem Sarg.
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Ich habe geholfen, dich zu erwecken, denn du hast so lange geschlafen. So lange.« »Wenn ich so lange geschlafen habe: Warum bin ich dann müde? Was stimmt nicht mit mir?« »Es gibt auch Schlaf, der müde macht. Das ist ganz normal.« »Werde ich ganz wach werden? Werde ich arbeiten können?« »Du möchtest arbeiten? Ich kenne jemanden, der dir eine Arbeit geben könnte. Eine große Arbeit. Eine gute Arbeit.« Iwan Iwanowitsch nickte. »Gut. Wo ist er?« »Ganz in der Nähe. Er wartet auf dich. Komm!« Schneewittchen tänzelte ihm voran; ihre Füße schienen den Schnee nicht zu berühren. Ihr violettes Haar flatterte im Wind wie eine Fahne. Iwan Iwanowitsch stapfte hinter ihr her. Sie erreichten eine kleine Hütte; sie war mehr Unterstand als Hütte. Die Frau öffnete die Tür. Sie traten ein. Die Hütte war ganz leer, kein Stuhl stand da, kein Tisch, kein Bett. Aber ganz hell war es. In der Mitte des Raumes stand ein Mann, sehr schlank, mit einem schmalen, nach oben verlängerten kahlen Schädel. »Das ist der Mann, der dir helfen wird. Vertrau dich einfach ihm an.« Der Fremde lächelte. Er rührte sich nicht. »Wie heißt er?«, fragte Iwan Iwanowitsch die Frau. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, als würde sie ein großes Geheimnis verkünden, und flüsterte: »Er heißt Paspatern.« »Kein russischer Name. Er kommt nicht aus Russland«, erkannte Iwan Iwanowitsch. Paspatern nickte und kam auf Goratschin zu. »Ich bin kein Russe, das habt ihr gut erkannt. Ihr seid kluge Burschen.« »Und du bist kein Freund vom Overhead!« »Nein. Ich bin kein Freund vom Overhead. Aber ich möchte gerne dein Freund sein, Iwan Iwanowitsch.« »Aha.« Es fiel Goratschin schwer, über dieses Angebot nachzudenken.
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»Was ist mit ihm, Lidaya? Kannst du es kategorisieren?« »Freundschaft ist im Ansatz eine ethische Kategorie. Sozialethisch. Der Goratschin hat bislang nicht sozial existiert. Das Erinnerungsfragment Overhead wird als physisch rezipiert. Als Kopfschmerz. Der Goratschin ist ... ich würde sagen: neugierig.« Paspatern überlegte. Dann ging er an Goratschin vorbei, aus der Hütte hinaus, in den dichten Schnee. »Komm mit mir. Ich möchte dir etwas zeigen.« Er lächelte Goratschin zu, machte einige Schritte, drehte sich um und winkte mit der Hand. Iwan Iwanowitsch folgte. Das war ein merkwürdiger Weg, hol's der Teufel! Mochte der Teufel wissen, wie dieser Paspatern es anstellte. Jedenfalls war von schweren Schritten gar keine Rede mehr. Sie glitten förmlich nur so durch den Wald, als liefen sie auf Kufen übers Eis. Aber selbst, als Iwan Iwanowitsch für einen Moment verwundert stehen blieb, ging es weiter, weiter voran, so, als ob der Wald an ihnen vorbeiraste. »Komm, komm!«, lockte Paspatern immer weiter. »Ich will dir etwas zeigen!« Nun ging es eine Hügelkette hoch. Aber wenn man gemeint hatte, es würde deshalb langsamer gehen: nein! Im Gegenteil. Sie flogen förmlich bergan. Schon standen sie auf dem Kamm und schauten. Da waren Lichter, weit im Norden. Das musste Dudinka sein. Und der Jenissei schlängelt sich lautlos darauf zu, schwarz und silberweiß gefleckt im Mond wie eine Schlange. »Dudinka«, sagte Iwan Iwanowitsch. »Da waren wir schon mal.« Paspatern lachte. »Sieh genauer hin, Iwan Iwanowitsch.« Und Iwan Iwanowitsch sah: Ein Licht ging auf in der Nacht, so riesengroß und ungeheuerlich, dass es den Himmel sprengte. Es strahlte, es leuchtete, es schlug die Nacht in klitzekleine Fetzen. Der riesenhafte Leib stand still in der Luft, bodenlos und himmelhoch, war schmal und schimmerte wie Erz im Glanz der Myriaden Lichter, mit denen er besetzt
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war, ein Mantel aus Diamanten, eine Rüstung, wie noch keine war. Oben spannten sich Flügel aus, straff und stark, wie viele? Ja, weiß der Teufel, wie viele, vier mochten es sein oder fünf? »Ist das ein Engel?«, fragte Iwan Iwanowitsch. »Sind wir in einem Märchen?« »Es ist kein Engel«, sagte Paspatern. »Es ist die Solare Residenz. Von dort aus wird die ganze Erde regiert. Und sogar mehr als die Erde: die Sterne, Iwan Iwanowitsch.« »Der Palast, von dem aus die Sterne regiert werden ...«, wiederholte Iwan Iwanowitsch andächtig und spürte die Herzwärme, die von der Residenz ausstrahlte. »Wie heißt der Zar ... oder Generalsekretär, der dort regiert?« »Er heißt Rhodan.« »Wie ... wie schön der Palast ist, wie schön«, stammelte Iwan Iwanowitsch. »So schön wie das Licht.« Paspatern trat ganz nahe an ihn heran und winkte ihn zu sich herunter. Goratschin beugte sich, beide Köpfe versuchten, ihr Ohr nahe an Paspaterns Mund zu bringen. »Er ist wirklich einzigartig schön. Aber leider ist er in großer Gefahr«, flüsterte Paspatern. »Man muss ihn retten!«, rief Iwan Iwanowitsch. »Kannst du ihn bitte retten?« Paspatern seufzte übertrieben. »Ich fürchte, nein.« »Wer kann ihn retten?« »Nur du«, sagte Paspatern. »Von allen Menschen dieser Welt nur du.« * »Ich hoffe, das war nicht zu viel fürs erste Mal«, unkte Rith'meas. »Wir waren sehr behutsam«, sagte Lidaya. »Wir haben die psychische Basis gelegt.« Die Báalol hatte ihr Wissen über die frühe Kindheit und Jugend des Goratschins aus dem HistNet bezogen und durch eigene Ideen ergänzt. Auf den schönen Einfall, die Baumfäller zu synchronisieren, war sie fast ein wenig stolz.
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Das Bild der Solaren Residenz war in jedem Vid-Shop als Holoposter zu haben, kostenlos sogar als Werbevid der LigaRegierung, in überragender Qualität, aufwendig und detailgetreu. Dennoch hatte Lidaya die Wahrnehmung durch den Goratschin noch poliert, hatte ihn unter dem Schneefall frieren und die Residenz wie einen freundlichen Ofen in der kältesten Winternacht erleben lassen. Als sie die Sitzung vorbereitet hatte, hatte sie sogar überlegt, eine Vision einzuarbeiten, das Gesicht von Goratschins Mutter in der Fassade aufschimmern zu lassen: Aber die Archive im HistNet verfügten über kein Porträt der Ludmilla Goratschin. »Wir mischen authentische Erinnerungen des . Goratschins mit aktuellen konfigurierten Elementen«, sagte Paspatern. »Was du nicht sagst.« Rith'meas lachte. Schließlich folgten sie damit seiner Anweisung. Der Alte hatte den Infarkt lange nicht so gut überstanden, wie Paspatern gehofft hatte. Er wirkte immer noch ein wenig abwesend, saß mit leichter Schlagseite. Als wiche der Geist langsam aus dem Leib, als suchte er sich groteskerweise einen Seitenausgang. Er wird bald sterben, dachte Paspatern. Und er erkannte den wahren Beweggrund für Rith'meas' Engagement in diesem Projekt: Es war sein letztes Mal, seine letzte wissenschaftliche Arbeit, sein letztes großes Vorhaben, die Arbeit, deren Glanz postum auf seinen Namen fallen würde. Er hat mich beraubt, dachte Paspatern. Er empfand keine Wut, keinen Zorn, sondern Befriedigung: Also habe ich doch etwas erdacht, was sein Begehren geweckt hat. Wenn er schon den Sohn nicht lieben kann, hat er am Ende doch dessen Idee geliebt! Gut. So ist das getan. Und jetzt geht es weiter. »Ich möchte den politischen Nutzen des Goratschins möglichst schnell entwickeln«, sagte Paspatern. Das Stichwort politisch sollte seinem Vater signalisieren, dass nunmehr vordringlich
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die Fähigkeiten eines Managers gefragt waren. »Und der Wert des Objektes - sein politischer wie sein finanzieller Wert hängen entscheidend davon ab, dass er die Welt so versteht, wie wir es wünschen. Ich meine: Der Goratschin muss handhabbar sein.« »Die ganze Produktreihe muss handhabbar sein, nicht nur der Prototyp«, hörte Paspatern Maupabitt sagen. »Wie viele Goratschine willst du der Liga als erste Staffel liefern?« »Bevor wir wirklich liefern, sollten wir überlegen, ob wir den biotischen Objekten eine Art Kopierschutz implantieren«, meldete sich Verrim zu Wort. »Und wir benötigen ein Patent!«, ergänzte Dhenn. »Und wem und wie bieten wir die Objekte an?«, wandte sich Maupabitt an Paspatern. »Schicken wir eine Holomail an das Außenministerium? Bitten wir Tamira Sakrahan um einen Termin, um ihr eine neue Waffe vorzustellen? Oder wenden wir uns an das Residenz-Ministerium für LigaVerteidigung? Oder an das ResidenzMinisterium für Mutantenfragen?« »Überlasst das meinem Sohn«, grollte Rith'meas. Der Schwebestuhl verstärkte seine Stimme. »Er ist der Manager.« Paspatern sagte: »Es ist noch viel zu tun.« Eine Müdigkeit war über ihn gekommen, als hätte sich die Anziehungskraft der Venus plötzlich verdoppelt. »Geht bitte alle an die Arbeit!« Rith'meas hatte tatsächlich für jeden weitere Aufgaben parat. Takthor Brufang bat um eine Audienz; der BotanikGenetiker war bei der Züchtung hochaktiver Sauerstoffproduzenten auf ein kleines Dilemma gestoßen, dessen Behebung er mit dem alten Ara besprechen wollte. Nur Paspatern blieb arbeitslos. Er wanderte durch den Saal, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und plauderte kurz mit Temne, der ihm seine Sorge um . die Zukunft seiner Heimatwelt Trakarat anvertraute. Lidaya saß vor einem Hologlobus, küsste ihn fahrig und unkonzentriert und studierte dann im
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HistNet Informationen über Einsätze des historischen Goratschin in den Zeiten des Solaren Imperiums. Paspatern begann sich zu langweilen und überlegte, ob er das Team allein lassen sollte. Nichts sprach dagegen. Er könnte sich gut in der Verwaltung der ArahontaPrivatklinik sehen lassen, die Buchhaltungspositronik aktuelle Kontenstände aufsagen lassen und mit einigen besonders zahlungskräftigen Gästen plaudern. Stattdessen ging er in Richtung Medotank. Die Nährflüssigkeit war abgeflossen. Der Goratschin lag auf dem Boden der Wanne, in eine Wolldecke gehüllt. Seine Tunika hatte er ordentlich gefaltet. Die Holoprojektoren emittierten eine Schneelandschaft, in die Paspatern von außerhalb des Tanks nur einen grotesk verkürzten Eindruck hatte. Er hielt die Hand in die gegenstandslosen, flauschigen Schneeflocken und spürte die Wärme, die von den Rändern des Tanks ausgestrahlt wurden. Der Goratschin ruhte Hinterkopf an Hinterkopf; beide Münder murmelten leise im Schlaf. Auf den Schädeln saßen die Hypnohauben aus Aluminiumwolle. Paspatern schaute. Er kannte das Programm der hypnosuggestiven Schulung. Das biotische Objekt lernte zu sprechen, zu rechnen, zu denken, lernte elementare terranische Gestik und Mimik. Es lernte, ihn, Paspatern, zu erkennen, zu schätzen, ihm folgsam zu sein. Plötzlich schlug einer der Köpfe die Augen auf. Der Kopf wendete sich unruhig, stieß an den Hinterkopf des Bruders, drehte sich Paspatern zu und blickte ihm in die Augen. Das Objekt hatte den wirklichen Paspatern noch nie mit den wirklichen Augen gesehen. Paspatern war neugierig. Würde er ihn erkennen? Gewiss würde er ihn erkennen. Lidaya war eine ausgezeichnete Suggestorin. »Paspatern«, flüsterten die Lippen des Goratschins. Und noch einmal: »Paspatern.« Dann lächelte der Mund, und die Augen schlossen sich, und er schlief friedlich weiter.
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Paspatern aber spürte, wie er erbleichte, wie er unter der Wucht der Erkenntnis aufseufzte. Goratschin war kein biotisches Objekt. Sie hatten kein biotisches Objekt geschaffen. Goratschin war beseelt. Er war ein Mensch. Mo steh mir bei!, dachte Paspatern, und er fragte sich entsetzt: Was habe ich getan? 17. Februar 1346 NGZ Picknick am Dschungelrand »Das ist aber ein großer Wald«, staunte Iwan. Er schaute aus dem Fenster des Gleiters, der etwa fünfzig Meter über Bodenhöhe flog - und knapp zehn Meter über den Wipfeln des Baummeeres von Schöschu. »Guck mal, Iwanowitsch, was für ein Rie-sen-Wald.« Iwanowitsch stöhnte abweisend. »Ich wär lieber zuhause geblieben.« »Stubenhocker«, schimpfte Iwan. »Politkommissar!« Es war Paspatern noch immer nicht gelungen herauszufinden, warum dieser Begriff bei den Venusiern als krasses Schimpfwort galt. Jedenfalls empörte sich Iwan fast sofort. »Sag noch einmal Politkommissar zu mir, und ich hau dir auf den Kopf.« »Politkommissar, Politkommissar, Politkommissar!« »Da hast du!«, rief Iwan und haute mit seinem Arm auf den Kopf von Iwanowitsch. Iwanowitsch haute mit seinem Arm zurück. Paspatern seufzte leise. Lidaya machte »Pscht, pscht, seid lieb, ja?«, und setzte ihren beruhigenden Hypnoeinfluss ein. »Schneewittchen stellt sich immer auf deine Seite«, maulte Iwanowitsch. »Tut sie nicht, tut sie gar nicht!«, rief Iwan. Die Báalol erhöhte den hypnosuggestiven Druck ein wenig. »Wo fliegen wir eigentlich hin?«, wollte Iwan wissen. Er hatte sich in den wenigen Tagen nach seiner Erweckung zu dem lernbegierigen, extrovertierten der beiden Köpfe
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entwickelt; Iwanowitsch war eher introvertiert, aber leicht zu erzürnen. Fast so leicht wie sein Bruder. Paspatern und Rith'meas hatten die Reizschwelle der Auto-Injektionseinheiten bereits erheblich herunterregeln müssen, der Goratschin hätte andernfalls kaum einen Tag bei Bewusstsein erlebt. Aber alle Beteiligten, auch die Positronik des Medo-Saales in den Neuen Katakomben, erachteten die Aggressivität von Iwan Iwanowitsch als tolerabel. Als frühkindliches Phänomen. »Fliegen wir zu den Marshall-Fällen? Ich will die Marshall-Fälle sehen!«, rief Iwan begeistert. »Da wollen alle hin, aber wirklich alle«, sagte Iwanowitsch. »Da wollen alle hin und glotzen.« »Deswegen will ich auch da hin. Weil alle dahin wollen!« »Du Glotzkopf ! Du Tourist!« »Du Eremit! Du armenischer, wodkablinder Mönch!« Eine Freude, wie rasch sich Goratschin neues Vokabular aneignet!, dachte Paspatern mit einem Anflug von Sarkasmus. Er mischte sich in den Streit und fragte Iwan: »Woher weißt du von den Marshall-Fällen?« »Hab ich gehört!« »Von wem?« »Hab ich vergessen.« Paspatern stutzte. Hatte Lidaya ihre Hypnoschulung mit einer kleinen Führung durch die Länder der Venus bunt gestaltet, oder zapfte Iwan Iwanowitsch Quellen an, die er nicht kannte? »Sag schon«, verlangte er mit Nachdruck. »Die schlaue Maschine«, sagte Iwan leise. Paspatern nickte. Er würde dem nachgehen müssen. Der Gleiter hatte die Vororte von Port Venus längst hinter sich gelassen, war dem Verlauf des Hondo einige hundert Kilometer gefolgt und erreichte nun die ersten Ausläufer der Danu Montes. Das Baummeer von Schöschu erstreckte sich nun in alle vier Himmelsrichtungen, so weit das Äuge reichte. Hier und da schoss eine Shatunda-Spinne aus dem Dschungeldach, breitete ihre Flugfalten aus
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und glitt träge dahin, immer auf der Suche nach Beute. Der Gleiter flog für einige Minuten parallel zu einem Volk Schnarrfledderern, gefiederten Echsen, die den Gleiter lautstark anschnarrten, um ihn in ihre Formation zu locken. Sie sind wie wir, amüsierte sich Paspatern, sie suchen Verbündete, auch wenn sie nicht ihrer Art sind. Dann hatte das Volk wohl die Vergeblichkeit seiner Bemühungen eingesehen, jedenfalls drehte es ab Richtung Osten, wo die Sonne allmählich unterging. Weil die Venus sich so langsam drehte, dauerte der Sonnenuntergang hier viele Stunden. Eigentlich, dachte Paspatern, war die Venus ein außerordentlich schöner Planet. Fast schon mehr Heimat als Aralon, wo er 1307 geboren war und die Jahre bis 1331 verbracht hatte. 15 Jahre lebte er nun schon hier. Temne von Fedefco gab der Steuerpositronik des Gleiters den Befehl zu steigen. Der Gleiter zischte einige Minuten steil nach oben, flog eine Parabel, sank wieder. Die Insassen wurden für kurze Zeit schwerelos, von Fedefco hatte auf künstliche Schwerkraft verzichtet. »Hejho, hejho!«, juchzte Iwan. »Ich glaube, ich muss kotzen«, sagte Iwanowitsch. Sie landeten am Saum des Waldmeeres. Nordöstlich erstreckte sich die Ebene von Ghaon, befleckt vom Hornwühlerrat. Im Norden standen die Gipfel der Danu Montes im Flaum ihrer Wälder: Die Hornwühler, bis zu hundert Meter lange Würmer, lebten vorwiegend in der ersten, der Wurzeletage des venusischen Dschungels. Hin und wieder suchten sie Flächen auf, die frei von Pflanzenwuchs waren, und schieden Hornwühlerrat aus, eine weißgelbliche, betäubend: süß riechende Substanz. »Riecht gut hier!«, freute sich Iwan. »Ich glaube, ich muss kotzen«, sagte Iwanowitsch. »Neues Hobby, was? Iwanowitsch Kotzkopf !«
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»Wenn ich kotz, dann unbedingt in deine Richtung!«, drohte Iwanowitsch. Dann wandte er sich an Paspatern: »Müssen wir uns hier lange anstinken lassen?« »Wir machen ein Picknick, Kotzkopf«, sagte Iwan altklug. Das muss die Stunde ihrer Pubertät sein, dachte Paspatern. Hoffentlich geht sie schnell vorüber. Das auf der Venus vorhandene und leicht zugängliche Datenmaterial über die psychische Entwicklung von Klonen war spärlich. Man musste auf Überraschungen gefasst sein. »Ihr seid hier, um etwas zu lernen«, herrschte Rith'meas die beiden an. »Benehmt euch!« Temne von Fedefco und A-Thraot hatten die Ladefläche des Gleiters geöffnet und ließen die Robots ausladen. Einige Schirmfeldgeneratoren waren mit Antigravkissen ausgerüstet, andere mussten von den Maschinen transportiert werden. Die Projektoren wurden so positioniert, dass sie eine Fläche von annähernd vier Quadratkilometern unter einen Schirm legen konnten. Innerhalb des Hauptschirmes würde ein zweiter Schirm entstehen, den die Báalol mit ihren Kräften verstärken sollten. Dann meldeten die Báalols Bereitschaft aller Systeme. Das Experiment konnte beginnen. * Die Konstruktionspositronik des MedoSaales hatte ein Gestell für den Goratschin anfertigen lassen, einen grob eiförmigen Käfig. In das Metallgestänge waren einige Milligramm hochwertiger Hyperkristalle verbaut worden, was Paspatern die restlichen Rücklagen der ArahontaPrivatklinik gekostet hatte. Die Details über Sinn und Zweck des Gehäuses waren Paspatern unbegreiflich, er wusste nur, dass der Käfig der Initialisierung von Goratschins paranormalen Kräften dienen sollte. In einigen der letzten hypnosuggestiven Sitzungen hatte Lidaya die Gefahr, in der
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die Solare Residenz schwebte, dramatischer gestaltet. Sie hatte Iwan Iwanowitsch eine Horde tiefschwarzer Flugscheiben vor Augen gestellt, die die Residenz umlauerten und umkreisten. Die Flugscheiben ähnelten natürlich den Traitanks der Kolonne. Um die Szenerie bedrohlicher erscheinen zu lassen, waren die Traitanks sogar aus dem Boden gekrochen wie eine seit Jahrzehnten wühlende, unterirdische Brut. Lidaya Pompor hatte versucht, die Kolonnen-Modelle als böse zu markieren und in der Psyche des Klons einen Widerwillen gegen dieses Böse einzusetzen und zu verankern. Der Versuch war misslungen, wie sie Paspatern beiläufig mitgeteilt hatte: »Das Konzept von Gut und Böse begreift er noch nicht, er ist wahrscheinlich noch zu jung. Ich habe mich mit einem schlichten ästhetischen Parameter beholfen: hell und dunkel. Die Residenz ist licht und hell, die Kolonne dunkel. Der Goratschin liebt das Helle, hasst das Dunkle. Sollen wir es vorläufig so belassen?« »Du hast gesagt, er, versteht das ethische Konzept nicht?« »Nein.« »Haben wir dann eine Wahl?« »Nein.« »Dann lassen wir es so. Vorläufig.« Die beiden Báalol-Männer ließen von den Robotern einen Baldachin errichten und stellten sich dort unter; auch Rith'meas glitt mit seinem Schwebstuhl unter das leichte Dach. Paspatern und Lidaya gingen langsam zum Goratschin hinüber, der schon längst in dem Gehäuse stand, lässig angelehnt, in beiden Mündern ein Eis am Stiel. Ein Prallschirm schimmerte auf. »Hallo, Iwan Iwanowitsch!«, begrüßte Paspatern die beiden. »Geht es euch gut?« Beide Köpfe nickten. »Vater Rith'meas hat euch bereits gesagt, dass ihr heute etwas lernen sollt. Etwas sehr Wichtiges sogar.« Er erklärte ihnen, dass sie lernen sollten, die Solare Residenz zu verteidigen.
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»Das können wir von hier aus schwerlich tun«, sagte Iwan. »Die Solare Residenz ist auf Terra. Mächtig weit weg.« »Die Solare Residenz ist flugfähig. Sie könnte sich hierhin begeben, in unseren Schutz«, sagte Iwanowitsch besserwisserisch. »Das wird sie vielleicht tun, vielleicht nicht«, sagte Paspatern. »Wichtig ist, dass wir bereit sind. In euch ist eine große Kraft, die wir heute wecken wollen. Wenn ihr es wollt ...« »Das unterliegt kaum dem Willen des biotischen Objektes«, hörte Paspatern die Stimme seines Vaters, die der Schwebestuhl per Richtlautsprecher auf sein rechtes Ohr gelegt hatte. »Natürlich wollen wir«, sagten Iwan Iwanowitsch. »Also dann. Seht dorthin!« Etwas mehr als hundert Meter vor ihnen, weit außerhalb des größeren Energieschirmes, hielt ein Roboter einen Landpolypen hoch. Die Maschine hatte einen Teleskoparm ausgefahren; das Tier in ihren Klauen bewegte sich schlapp. Es war noch nicht tot. »Ich möchte, dass ihr beide dieses Tier anschaut, ganz konzentriert. Ihr müsst euch einig sein beim Anschauen!« »Wie: einig?«, fragte Iwanowitsch. Wenn ich es wüsste, dachte Paspatern. Er sagte: »Ihr werdet es erkennen. Ihr werdet es spüren.« »Ich helfe euch«, sagte Lidaya. »Du kommst uns wieder in unseren Köpfen besuchen?«, fragte Iwan. Paspatern dachte: Woher weiß er das nun wieder? Die Báalol sah Paspatern fragend an, er klopfte zustimmend an die Schläfe. »Ja, ich komme zu euch, in eure Köpfe«, sagte sie. »Erschreckt jetzt nicht.« Die Projektoren errichteten um das Gestell einen weiteren Schirm, diesmal zum Schutz gegen den Goratschin. Paspatern fuhr fort: »Wenn ihr euch auf einen Punkt geeinigt habt, dann stellt euch vor, ihr wolltet diesen Punkt ... sprengen. Ihr würdet wollen, dass dieser Punkt explodiert. Könnt ihr das versuchen?«
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»Ja!« »Dann los!« Die beiden Köpfe konzentrierten sich. Minuten verstrichen. Der Polyp pendelte mit den Armen; der Roboter hielt ihn hoch. Nichts geschah. »Aha!«, hörte Paspatern die Stimme seines Vaters. »Beeindruckend.« Zuerst ging ein Licht auf, dann hörten sie einen Krach. Der Rumpf des Roboters rollte über die Ebene wie eine zerbeulte Konservendose und kam erst am Prallschirm zum Liegen. »Boschemoj!«, murmelten Iwan Iwanowitsch. »Waren wir das?« Lidaya setzte sich erschöpft auf den Boden. »Ja. Ihr.« »Das tat gut«, sagte Iwan. »Das war einfach nur geil«, stimmte Iwanowitsch ihm zu. »Noch mal?« »Nein!«, befahl Rith'meas harsch mit einer Stimme, die über das ganze Gelände rollte. »Wir bauen ab. Genug Material für eine suffiziente Analyse.« Der Schwebestuhl glitt lautlos herüber. »Pass auf!«, zischte Iwan Paspatern zu. »Alles klar, Brüderchen?« »Nein!«, schrie Paspatern. Die Köpfe der beiden synchronisierten sich und blickten weit ins Land, in Richtung der Felsen der Danu Montes. Der Blitz blendete Paspatern. Kurz darauf donnerte ein seelenloser Lärm über ihn hin, ein Kreischen und Krachen und Stampfen, das seine Ohren betäubte. Dann kam ein Prasseln ohne Ende; ein unaufhörliches Klopfen und Pochen von Titanenhänden ging nieder auf das Schirmfeld. Paspatern lag regungslos und schwankte doch. Oder schwankte der Boden, kippte hin und her? Es wurde so warm; er wurde so müde; er schlief ein. * Sie flogen dicht am Boden, als Paspatern wieder zu sich kam. Vorne und nahe an den Armaturen saß sein Vater, der aus dem Schwebestuhl gestiegen war.
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Die beiden Báalols lagen neben Paspatern, ihre Leiber glühten förmlich vor Anstrengung, die es sie gekostet hatte, den Schirm zu halten. Lidaya saß am Fenster und blickte reglos hinaus. Ihr Haar schimmerte tiefviolett im Licht der immer noch untergehenden Sonne. Der Goratschin lag reglos im Ladebereich des Gleiters. »Die Auto-Injektoren haben ihn betäubt«, sagte Rith'meas, ohne sich umzusehen. »Ich weiß nicht, was sie sonst noch angerichtet hätten.« »Was ist ... wie komme ich in den Gleiter?« »Ich habe den Robotern befohlen, euch einzusammeln. Die mobilen Schirmfeldprojektoren habe ich sprengen lassen. Sie zu bergen war keine Zeit. Ich denke, dass die Sicherheitskräfte von Port Venus bereits unterwegs sind. Das Verstärkergestell ist an Bord, auch wenn das biotische Objekt diese Verstärkung kaum noch brauchen wird.« »Nein«, gab Paspatern zu. »Die Schäden an euren Netzhäuten und Trommelfellen haben die Medorobots provisorisch behoben. Den Rest erledigen wir in Arahonta.« »Gut.« »Wir mussten schnell machen. Es war eine ausgewachsene nukleare Explosion im Bereich von 4000 Tonnen TNT. Der Gleiter hat die Aktion aufgezeichnet. Willst du sie sehen?« .Vor Paspatern entfaltete sich eine faustgroße Holografie. Die Explosion fand in der Flanke eines der Berge des DanuGebirges statt. Überall Licht, Licht, Licht. Die Positronik filterte. Paspatern sah, wie die Felsenmasse pulverisiert wurde, zerrissen, hochgeschleudert, auf die Erde prasselte, gegen den Schutzschirm. Nachdem die Druckwelle weggebrochen. war, hob sich der Explosionspilz. Die formlose Gewalt hatte eine Schneise in den angrenzenden Dschungel geschlagen, nicht unähnlich der Brandnarbe, die Rhodans Angriff auf das damalige
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Militärlager des Ostblocks hinterlassen hatte, wie Paspatern auffiel. Goratschin - ein Mann wie Rhodan, dachte er. Eine ideale Ergänzung seines waffentechnischen Portefeuilles. »Es tut mir leid«, sagte er. »Was tut dir leid?«, fragte Rith'meas verständnislos. »Dass du mir die Leitung überlassen hast? Dass du den Erfolg nicht für dich allein verbuchen kannst?« »Es tut mir leid, dass unser Projekt diese Katastrophe ...« »Welche Katastrophe? Unser Projekt ist ein denkbar großer Erfolg!«, jubilierte Rith'meas. »Du und die Báalol-Frau, ihr könnt den Feinschliff vornehmen, Ich werte heute die Daten aus und beginne morgen mit der Serienproduktion. Wir müssen Takthor Brufang antreiben. Schließlich wollen wir der Liga nicht nur die humanbiotische Komponente, sondern ein komplettes Waffensystem anbieten.« »Ja«, sagte Paspatern. »Was für ein Triumph, Paspatern«, hauchte sein Vater. »Unser Triumph!« * Als der Goratschin im Medo-Saal der Neuen Katakomben erwachte, saß Paspatern am Tank. Der holographische Schnee rieselte endlos. Wie würden sich die beiden Köpfe an die Zerstörung erinnern, die sie angerichtet hatten? Würden sie versuchen, sich zu rechtfertigen? Oder würde ihnen der Ausbruch selbst unverständlich sein, nichts anderes als der Ausdruck kindlicher Zerstörungslust? Iwan Iwanowitsch richtete sich auf und nickte Paspatern zu. »Hallo«, sagten beide Köpfe im Chor. »Wieder daheim?« »Wir sind zurück. Wollen wir über den Ausflug sprechen?« »Sicher wollen wir das«, sagte Iwanowitsch. »Wir kennen das Potenzial noch nicht, das wir entfalten können. Es gibt erheblichen Erklärungsbedarf.« »Mit der Steigerung unseres Potenzials wächst unsere strategische Bedeutung«,
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stimmte Iwan zu. »Allerdings sehen wir Defizite in unserer Mobilität ...« »Die zu beheben muss nicht unsere Aufgabe sein«, meinte Iwanowitsch. »Paspatern wird das für uns regeln. Priorität hat die Passage nach Terra. Zur Solaren Residenz.« Sie bemerkten Paspaterns Blick und lächelten synchron. Für einen Augenblick fürchtete Paspatern, dass, wenn sich ihre Blicke über seinen Augen kreuzten, sein Gesicht gezündet würde. Dann sagte Iwan: »Fürchte dich nicht, Paspatern. Du und die Solare Residenz -ihr seid in guten Händen.« Pubertät vorbei, diagnostizierte Paspatern. 14. März 1346 NGZ Verhör Nadesha Timpci bat Paspatern in ihr Büro. Die Kriminalpolizei-Inspektorin fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn außer dem Ermittlungsrobot noch ein Mensch an dem Gespräch teilnahm. »Ein Terraner?« »Ja.« »Kein Einwand«, sagte Paspatern. Deswegen also standen drei Sessel im Raum. Paspatern sah sich um. Aus dem Fenster des Büros sah er die Skyline von Port Venus. Vielleicht schaute er aber auch nur in ein Hologramm. Timpci schien keinen besonders hohen Rang in ihrer Institution zu bekleiden, vielleicht hatte man ihr ein Zimmer ohne Realsicht zugewiesen. Er setzte sich, das Syntholeder quietschte leise, als es sich seinen Körperformen anpasste. »Dürfen wir dir etwas zu trinken anbieten?«, fragte der Roboter, dessen Gesicht man menschenähnlich gehalten hatte, während sein Leib ein Torso ohne Arme und Beine war. Der Roboter schwebte neben Timpci. »Einen Gumppo vielleicht?« Paspatern lehnte höflich ab. »Gibt es neue Erkenntnisse?«
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Der Türmelder ertönte. Die Tür wurde kurz durchsichtig, Timpci nickte ihr zu, und die Tür glitt zur Seite. Herein schaute ein reichlich bebauchter Terraner, nicht viel größer als eineinhalb Meter, ein zerzaustes Nest roter Haare auf dem Kopf und einen ungepflegten Bart im Gesicht. Haare über Haare, dachte Paspatern. Fasziniert und angewidert stellte er sich vor, an welchen anderen Stellen der Mann noch behaart sein würde. Wie ein Tier. In der Hand hielt der Bebauchte eine bräunliche, daumendicke Rolle, deren eines Ende in Brand stand. »Tschuldigung«, sagte er, »bin ich zu spät? Ich trete mal näher, okay? Habt ihr schon alles besprochen?« »Wir haben unser Gespräch noch gar nicht begonnen«, sagte Timpci. Der Terraner schaute sich suchend um, entdeckte schließlich den offenbar freien Sessel und ließ sich hineinfallen, die Arme von sich gestreckt. Er rutschte seinen Hintern zurecht, dann beugte er sich zu Paspatern vor und raunte ihm zu: »Ich habe mich in diesem Irrgarten von Gebäude verlaufen. Ich frage dich: Warum baut man Gebäude, in dem sich nur noch Roboter zurechtfinden?« »Die terranische Zivilisation steckt voller Rätsel«, entfuhr es Paspatern. Der Terraner hob den Zeigefinger seiner linken Hand, wies damit auf Paspatern und nickte. »Genau«, sagte er, »genauso ist es. Du bist der Ara, der mit diesem Fall zu tun hat? Paspatern, richtig?« »Ja«, sagte Paspatern und wies auf die brennende Rolle. »Es riecht brenzlig. Ist das nicht gefährlich?« »Es ist eine Zigarre«, erklärte der Terraner. »Eine echte Havanna.« »Tatsächlich?« Paspatern sah sich hilfesuchend zu Timpci um, die dem Gespräch mit einem gequälten Lächeln folgte. »Und warum brennt die echte Havanna?« Der Terraner lachte ein tiefes Lachen, sein Bauch bebte. »Damit ich sie rauchen kann.« »Warum willst du sie rauchen?«
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»Ich muss das tun. Hat mir mein Arzt empfohlen.« Paspatern atmete das Aroma der echten Havanna ein. »Riecht nicht sehr gesund. Was für ein Arzt ist das? Ein Topsider?« »Entschuldigt, wenn ich euer Gespräch unter Männern unterbreche«, sagte Nadesha Timpci. »Tschuldigung«, sagte der Terraner. »Ich habe mich ja auch noch gar nicht vorgestellt. Petrus Klingenberg, Agent des Terranische Liga Dienstes. Sehr erfreut.« »Ein Geheimagent?«, fragte Paspatern überrascht. Wieder lachte der Terraner sein körpererschütterendes Lachen. »So geheim auch wieder nicht. Sonst hätte ich mich jetzt ja ganz schön verplappert, oder?« Was für ein Idiot, dachte Paspatern und rückte den Sessel so, dass er Timpci frontal ansah, dem Agenten dagegen beinahe den Rücken zuwandte. »Medo-Manager Paspatern«, schaltete sich der Ermittlungsrobot ein. »Wir haben noch einige Fragen, das Unglück in der Arahonta-Privatklinik betreffend.« »Die habe ich auch«, sagte Paspatern. Es klang bitter. »Zum Beispiel, ob ihr mittlerweile eine Spur der Mörder meines Vaters gefunden habt oder wenigstens einen Hinweis auf das Proto-Medikament; das sie uns geraubt haben.« »Haben wir nicht«, gestand Timpci. »Aber wir haben das Bildmaterial der Rettungseinheiten noch einmal einer Analyse unterzogen«, sagte der Roboter. »Besonders die Porträts der Leichen.« »Ja«, sagte Paspatern. »Und? Habt ihr sie nicht sogar obduziert?« »Die siebzehn Toten oberhalb der Katakomben sind alle am 11. März durch die Folgen der Explosionen ums Leben gekommen: stumpfe Gewalt gegen den Schädel, Verbrennungen, Erstickungen und dergleichen.« »Die Explosionen müssen furchtbar gewesen sein«, warf der TLD-Agent ein. »Sicher kein kluger Schachzug der Täter, denn sie waren so gewaltig, dass die Sicherheitskräfte von Port Venus
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aufmerksam wurden und zur Klinik flogen.« »Nadesha Timpci geht davon aus, dass mit diesen Verwüstungen die Spuren verwischt werden sollten«, half Paspatern aus. »Nicht wahr?« Timpci nickte. »Welche Sprengstoffspuren hat man gefunden?«, fragte Klingenberg. »Keine Rückstände«, informierte der Roboter. Klingenberg lachte und sagte: »Das nenne ich mal verwischte Spuren!« Timpci fuhr fort: »Leider haben wir nicht alle Leichen obduzieren können. Zwei von ihnen hatte die Arahonta-Privatklinik bereits entsorgt.« »Entsorgt ist nicht ganz der treffende Begriff«, stellte Paspatern klar. »Die Desintegration der Leiche meines Vaters geschah auf dessen testamentarische Verfügung hin; Lidaya Pompor wurde auf Wunsch ihrer Lebensgemeinschaftsvertragspartner AThraot und Temne von Fedefco desintegriert. Außerdem waren die beiden Leichen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.« »Lebensgemeinschaftsvertragspartner«, sprach der Agent nach. »Was für ein schwieriges Wort! A-Thraot und Temne — das sind diese Dings, diese Báalols?« »Ja. Pompor war übrigens auch eine Dings«, informierte ihn Paspatern. »Ich hatte mal mit einer Pompor zu tun, einer Akonin. Allerdings hieß sie, lasst mich mal überlegen — nicht Pompor, sondern Paumpor. Irgendwas mit da Paumpor. Alter arkonidischer Adel. Vielleicht Verwandtschaft?« Er sog an dem pflanzlichen Gift. Die Spitze glühte bedrohlich auf, dann veraschte sie. »Wahrscheinlich«, sagte Paspatern. »Alle Lemuroiden sind miteinander verwandt.« »Das ist ...«, Klingenberg nickte nachdenklich, »... ein interessanter Gedanke.« Er beugte sich hinter der Lehne von Paspaterns Sessel vorbei in Richtung Nadesha Timpci vor und vertraute ihr mit Flüsterstimme an: »Alle Lemuroiden sind miteinander verwandt!«
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Der Roboter sagte: »Immerhin konnten wir die Aufnahmen der bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Leichen analysieren. Das Ergebnis ist recht überraschend: Dein Vater und die Báalol zeigen kaum äußerliche Verletzungen, wie sie durch herumfliegende Trümmer bewirkt werden.« »Keine äußerlichen Verletzungen, abgesehen davon, dass sie verbrannt sind«, korrigierte Paspatern. »Davon abgesehen«, bestätigte der Roboter. »Und von ihren von innen gesprengten Schädeln.« »Von innen gesprengt?«, vergewisserte sich der TLD-Agent. »Von innen«, bestätigte der Robot. »Ist dir das nicht vor oder während der Desintegration aufgefallen?« »Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich habe es wohl für eine Schussverletzung gehalten, von einem Impulsstrahler ...« »Oooh nein!«, sagte der TLD-Agent. »Impulsschüsse haben einen etwas anderen Effekt, selbst wenn sie durch das Schädelzentrum ...« »Ich habe da keine Erfahrung!«, rief Paspatern. »Ich war nie im Krieg.« Der TLD-Agent schnipste mit den Fingern, ein Notizholo entfaltete sich in seiner Hand. Erlas, sog an der Zigarre, blies Paspatern etwas Rauch in Nacken und Gesicht. Der hustete. »Tschuldigung«, sagte Klingenberg. »Du hast zu Protokoll gegeben, dass in den Katakomben der Klinik ein wissenschaftlichpharmazeutisches Geheimprojekt betrieben wurde.« »Ich habe es mehrfach zu Protokoll gegeben, ja: Mein Vater Rith'meas entwickelte einen Stoff gegen eine sehr seltene Krankheit.« »Ratrovin«, sagte der Agent und nickte. Paspatern stutzte. »Ja, Ratrovin.« »Eine Krankheit, die man sich im Zuge einer Transition durch den Hyperraum zuzog. Als Transitionstriebwerke noch der Regelfall waren. Eine heute ausgestorbene Krankheit also. Warum musste das alles so geheim gehalten werden? Ich meine: Katakomben, konspirative Labore ... Das
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ist doch nicht die übliche Vorgehensweise in der pharmazeutischen Industrie?« »Du bist da sicher Fachmann«, spottete Paspatern. »Mein Vater, dieser Laie, hat geglaubt, seine Forschungsreihe und Resultate unter Verschluss halten zu sollen, bis das Medikament patentreif wäre. Schließlich gedachte er, mit der Neuentwicklung Geld zu verdienen. Geld, das der Klinik zugutekommen sollte.« »Natürlich hätte er wahre Reichtümer gescheffelt. Schließlich ist die Nachfrage riesengroß nach einem Anti-Ratrovin auf all den drei oder vier Schiffen, die galaxisweit noch mit Transitionstriebwerken unterwegs sind.« »Es sind mehr«, behauptete Paspatern kraftlos. »Zumindest nach dem Hyperimpedanz-Schock.« »Und Geld brauchte die Klinik wirklich, da sie in den letzten Monaten erhebliche Mittel aufgewendet hat«, murmelte Klingenberg. Er schob Paspatern die Hand mit dem Hologramm vor die Augen. Paspatern las die Summe ab. Sie mochte stimmen. »Dafür muss eine alte Ara lange Pillen drehen, was?«, fragte der Agent. »Woher stammen diese Zahlen?«, fragte Paspatern. »Och«, sagte Klingenberg anstelle einer Antwort. »Wir haben diese Gelder investiert.« »Für Schutzschirmprojektoren und andere Dinge, die man in einer Klinik dringend braucht?« Im Hologramm erschienen einige der Maschinen, die Paspatern erworben hatte. »Mein Vater wurde im Alter sehr ... na ja ... sicherheitsbewusst. Bei einigen Versuchsreihen wollte er die Katakomben völlig absichern.« »Deswegen auch die Báalol?« »Ja.« »Zur Sicherheit!« »Ja!« Der Agent lehnte sich in seinen Sessel zurück und nahm einen Zug. »Verstehe.« Er paffte eine stinkende Wolke aus. »Ratrovin also.« Dann zwinkerte er dem Ara zu. »Na komm schon, mal unter uns
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Klosterschwestern: Was hat Papa da wirklich gebraut? Vielleicht ohne dein Wissen oder deine Billigung?« Paspatern schloss die Augen und konzentrierte sich, um sich die Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Er holte Luft und sagte so wütend wie möglich: »Ich verstehe. Wir sind Aras, Aras sind Giftmischer, also brauen wir in unseren Kellern illegale Drogen. So sind wir nun mal, das ist unsere Natur.« Er lächelte wehmütig. »Och, die Natur, die ...«, sagte der TLDAgent gedehnt und sog genüsslich an seiner brennenden Delikatesse. »Mein Vater - er hat mich nicht in alles eingeweiht«, gestand Paspatern. »Hat man denn irgendwelche Reste von irgendwelchen Drogen in den Katakomben gefunden?« »Nein«, sagte der Roboter. »Aber der Medo-Saal und alle seine Einrichtungen sind so gründlich zerstört worden, dass uns dieses Defizit nicht erstaunt.« »Und mit Verrim, Maupabitt, Takthor Brufang, Phanu Phandur und Shabu Dhenn sind alle Aras, die deinen Vater in den Katakomben unterstützt haben, unter denjenigen, die durch die Explosionen getötet worden sind«, ergänzte Nadesha Timpci. »Leider«, sagte Paspatern. »Tragisch«, pflichtet der Agent traurig bei. »Und die beiden Báalols haben sich, um ihrer Trauer über den Verlust Raum und Zeit zu geben, in den Dschungel zurückgezogen«, sagte Timpci. »Richtige Naturburschen«, sagte der Agent und lachte. Paspatern lächelte schief. »Ich konnte sie nicht zurückhalten.« »Bist du jemals in der Para-Akademie gewesen?«, fragte der Ermittlungsroboter. »In der Para-Akadmie? Nein. Doch, ja, aber das ist ... über zehn Jahre her. Mein Vater recherchierte dort zu Beginn unseres Aufenthaltes im Solsystem.« »In Sachen Ratrovin, ja?«, riet der TLDAgent. »Vermutlich«, sagte Paspatern.
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»Einen engeren Kontakt mit einem Mitarbeiter der Para-Akademie hast du nicht unterhalten?«, fragte der Roboter. »Nein.« »Gut, gut!«, sagte Nadesha Timpci. »Das wär das.« »Dafür musste ich nach Port Venus kommen?«, wunderte sich der Ara. »Es würde uns leid tun, wenn wir deine wertvolle Zeit zu sehr in Anspruch genommen hätten«, entschuldigte sich der Roboter. Paspatern winkte ab, stand auf und ging zur Tür, die sich bereitwillig öffnete. »Ach, Paspatern!«, rief ihm Klingenberg nach. »Eine Kleinigkeit noch.« Der Medo-Manager blieb in der offenen Tür stehen und sah sich über die Schulter um. »Ja?« »Vor etwa vier Wochen hat es in den Danu Montes eine eigenartige Explosion gegeben. Man hört, ein ganzer Berg sei förmlich gesprengt worden. Hast du irgendwelche Informationen darüber?« »Nein«, sagte der Ara, »ich interessiere mich nicht für landschaftsgestalterische Maßnahmen.« Klingenberg lachte dröhnend. »Landschaftsgestalterische Maßnahmen das ist gut!«, freute er sich und winkte dem Ara vergnügt nach. * »Das war also Paspatern«, sagte Petrus Klingenberg. »Merkwürdige Erscheinung.« Nadesha Timpci lächelte. »Ich weiß noch nicht, was ich ihm glauben soll, was nicht. Aber warum ist der TLD an diesem Fall interessiert?« »Wir sind eher an der Explosion im DanuGebirge interessiert. Wir haben keine Ahnung, welches Mittel dort eingesetzt wurde.« »Welche Waffe, meinst du.« Er seufzte. »Ich will nicht hoffen, dass es eine Waffe war. Der Dienst hat das Gelände sondiert.« »Und?«
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Petrus Klingenberg berichtete, dass der TLD Trümmerstücke eines Roboters gefunden habe, dünne Echos von Energiesignaturen, wie sie von Schirmfeldprojektoren ausgestrahlt wurden. »Weit verstreute Fetzen von Feldschirmprojektoren, was die Signaturen erklären würde.« »Alles keine Spuren, die zu der ArahontaPrivatklinik führen«, sagte Timpci. »Spuren nicht, aber es gibt hauchdünne Hinweise. Unsere Positroniken haben etliche venusische Kolleginnen kontaktiert, auch die deiner Behörde. Danke übrigens für die Ermöglichung eines Datenabgleichs.« Nadesha Timpci verneigte sich. Der Agent fuhr fort: »Was die Maschinen bemerkenswert gefunden haben, ist Folgendes: Bei der Zerstörung im Gebirge ist eine ähnliche Kraft zum Einsatz gekommen wie bei den beiden Toten in den Katakomben. Beide Male wurde ein Objekt von innen heraus gesprengt. Und welche Kraft und welches Mittel auch immer diese Sprengung bewirkt hat: Es gab keinen Rückstand. Keine Spur.« »Keine Spur als Spur«, sagte Timpci. »Etwas dürftig, kaum gerichtsverwertbar.« »Aber sie hat mich neugierig gemacht, und ich habe recherchiert. Wir konnten Datenfragmente aus den Robottrümmern bergen und Reste der Programmierung. Viele mechanische Routinen, aber auch ein paar medizinische Notfallprogramme.« »Wie bei vielen Haushaltrobotern.« »Winzige Überbleibsel von PreisLeistungslisten. Stellt dir dein Hausrobot seine medizinischen Leistungen auch in Rechnung?« »Also eine Ara-Maschine.« Petrus Klingenberg sog an der Havanna. »Vielleicht. Es sind alles nur minimale Mosaiksteine. Die Kauforgie Paspaterns für Geräte, die dem Klinikbetrieb fremd sind. Die plötzliche Anwerbung von drei Báalols. Plötzlich nimmt Rith'meas ein Forschungsvorhaben wieder auf, das ein Jahrzehnt lang ruhte. Ein plötzlicher An. stieg des Energieverbrauchs in der Klinik am 16. Oktober letzten Jahres. Dann die
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alte Verbindung von Rith'meas zur ParaAkademie.« »Wir sind dem nachgegangen. Seine Hauptkontaktperson hieß Celestine Ponka, eine Medizinhistorikerin. Sie kam nach der Erhöhung der Hyperimpedanz bei einem Gleiterunfall ums Leben.« »Ich bin dem auch nachgegangen. Ich habe nach Unregelmäßigkeiten in der Akademie gesucht, nach noch so geringfügigen Unstimmigkeiten.« »Hat es solche gegeben?« Er lachte. »Es hat etliche gegeben. Für uns von Belang sind nur die in den letzten 15 Jahren. Rith'meas landete 1331 auf der Venus. Ich habe das Material positronisch von all den Irritationen bereinigen lassen, die mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Hyperimpedanz-Schwankung zurückzuführen sind. Im Juli letzten Jahres kollabierte ein positronisches System im Archivtrakt der Akademie. Ein Feuer brach aus. Es wurden einige Zellproben vernichtet.« »Zellproben? Welcher Art?« »Unbekannt, weil ja leider die zuständige Positronik ...« »Ich verstehe«, sagte Timpci. »Ich setze deine Mosaiksteine mal so zusammen: Rith'meas oder sein Sohn oder beide beschaffen etwas aus der Para-Akademie, was sie für ein nicht wirklich medizinisches Projekt benötigen. Was immer sie herstellen, entwickelt - gewollt oder ungewollt - in einer bestimmten Phase eine große Zerstörungskraft. Beleg: die Danu Montes. Jemand wird aufmerksam auf dieses Produkt. Er entwendet es aus der Klinik und geht dabei über Leichen. Ja?« »Ja, vielleicht. Aber wenn wir nun irren, was unsere Grundannahme angeht?« Petrus Klingenberg blies eine gewaltige Wolke in die Luft. »Unsere Grundannahme, die da lautet, dass der Einbruch diesen Diebstahl bezweckte und die Toten nur Kollateralschäden waren?« »Unsere Grundannahme, dass es ein Einbruch war«, sagte Klingenberg.
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»Was soll es sonst gewesen sein? Ein Akt spontaner Selbstzerstörung araischer Innenarchitektur?« »Wohl kaum. Aber wenn es kein Einbruch war - war es vielleicht ein Ausbruch.« »Ein Ausbruch?« Der Agent suchte eine Stelle, wo er die Zigarre ablegen konnte. »Soll ich sie für dich ausdrücken?«, fragte der Roboter. »Man drückt eine Havanna nicht aus.« Klingenberg lächelte. »Man lässt sie ausgehen. - Ich meine: Was, wenn da ein Produkt seinen Produzenten entkommen ist?« * »Ein Produkt, das Berge mit der Kraft von Nuklearexplosionen sprengt und nun frei in Port Venus herumläuft?«, hatte die Polizistin gefragt, deren blassblauer Teint und eine ein wenig überlange Nase Klingenberg außerordentlich attraktiv anmuteten. »In Port Venus, wenn wir Glück haben. Schließlich hatte das Produkt mindestens drei Terra-Standardtage Zeit, sich einen anderen Wirkungsort zu suchen.« »Aber noch hat es nicht wieder gewirkt, Gebirge oder Köpfe gesprengt.« Petrus Klingenberg hatte genickt und sich ächzend aus dem Sessel hochgewuchtet. »Ich werde mir mal die Para-Akademie ansehen. Wir bleiben in Kontakt?« Timpci hatte als Antwort darauf wundervoll gelächelt. In der Para-Akademie fragte Klingenberg nach Arkadij Zypkin. Zypkin war seinen Unterlagen nach der Mitarbeiter, in dessen Zuständigkeitsbereich die Abteilung mit dem Positronik-Zwischenfall lag. Zypkin war groß, wohlgestaltet und trug seine schwarzen Locken schulterlang. Der Charme war ihm eingebaut wie ein besonders teures Update. Er war Klingenberg sofort unsympathisch. »Das ist ja eine besondere Ehre, von einem leibhaftigen TLD-Agenten verhört zu werden. Muss ich Folter befürchten?« Klingenberg lachte laut und fröhlich; das Lachen ging nahtlos in einen Hustenanfall
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über; schließlich würgte der Husten einen Schleimklumpen hoch und schleuderte ihn gegen einen Monitor. »Pardon dafür«, murmelte er und zog ein ziemlich benutztes Taschentuch aus der Hose. »Bist du erkältet?«, fragte Zypkin entgeistert. »Warum tust du nichts dagegen.« »Kommt vom Rauchen«, sagte Klingenberg. »Aha«, sagte Zypkin, der offenbar nicht wusste, wovon die Rede war. »Übrigens darfst du die Speichelprobe gern behalten. Ich habe keine genetischen Geheimnisse. Und ihr sammelt doch GenProben hier, oder?« Zypkin winkte einen kleinen, fledermausförmigen Roboter heran, der die beschleimte Stelle reinigte und desinfizierte. »Nur bestimmte Proben. Historische, wertvolle Proben.« »Zum Beispiel?« »Wir haben ein paar Zellproben hier von Crest und Thora«, sagte Zypkin. »Vom Personal der frühen Dritten Macht. Nichtunsterbliche Mitglieder der Regierung des Solaren Imperiums. Solches Zeug halt.« »Whow!«, sagte Klingenberg. »Crest und Thora. Die Thora?« »Die Thora. Thora und der frühe Perry Rhodan besaßen ein Ferienhaus auf der Venus, am Fuß des Valta-Gebirges.« »Kann man es besichtigen? Oder mieten?« »Ich bin nicht das Touristeninformationsbüro, Petrus. Und kein Makler.« »Auch kein Gen-Makler, der ab und an eine kleine Probe ... nun ja, wie soll ich sagen?« »Natürlich kopiere ich ab und an die Thora-Zellen und verkaufe sie an Leute, die daraus den Originalkörper klonen, den sie dann als Lustsklavin in ihren Schlössern und Palästen halten. Oder ist das verboten?« Klingenberg lachte schallend. »Der Mann hat Humor.« Dann zwinkerte er Zypkin zu und fragte: »Was kostet denn so ein ThoraPröbchen, unter Freunden? Oder gibt es auch ein Rhodan-Pröbchen?«
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»Eine Rhodan-Probe gibt es nicht. Die Prominentengene sind mehrfach gesichert. Willst du dich überzeugen? Soll ich die wachhabende Positronik einschalten?« »Wenn es keine Umstände macht ...« Klingenberg brauchte mehrere Stunden, um den Bestand akribisch zu kontrollieren. Die Nachforschung blieb ergebnislos; alles archivierte Material lag tatsächlich mehrfach. gesichert in seinen Kryotresoren. »Jetzt möchte ich wissen, über welchen Bestand wir dank des positronischen Kollapses keinen Überblick haben.« Klingenberg erfuhr, dass die Denkmaschinen nicht lückenlos über Bestand, Zugänge und Abgänge in einem Spezialsammelgebiet informiert waren: dem Areal »Russische Mitarbeiter des Mutantenkorps«. »Warum gerade russische Mutanten?« »Weil die Venus altes russisches Siedlungsgebiet ist. Weil es ein blöder, aber harmloser Nationalismus ist. Weil es Folklore ist - was weiß denn ich!« Gregor Tropnow. Hypno. 1952 bis 2040. Anastasia Sumnina. Temporaldichotomin. 1961 bis ? (verschollen). Tatjana Michalowna. Telepathin. 1956 bis 2326. Alle Angaben: vorgalaktische Zeitrechnung. Petrus Klingenberg hatte nie von ihnen gehört. Der letzte Name auf der Liste war ihm allerdings ein Begriff, ein Echo aus fernster Vergangenheit: Iwan Iwanowitsch Goratschin. Zünder. 1950 bis 3432. »Reden wir nicht lange drum herum«, sagte Klingenberg, und aus seiner Stimme war jede Jovialität gewichen. »Wem hast du die Zell-Probe von Goratschin verkauft?« Zypkin verlor sichtlich die Fassung: »Was soll ich ...?« »Der Kollaps ist herbeigeführt worden, um unbemerkt Zellmaterial zu entwenden. Da du die Zellen kaum für dich ...« »Der Kollaps war einige Wochen vor meiner Zeit!«, protestierte Zypkin. »Ich habe mich nur hierhin versetzen. lassen
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können, weil die Stelle plötzlich verfügbar war, kurz nach dem Kollaps.« »Und wer war vor dir zuständig ... zur Zeit des Kollapses?« Zypkin grinste. »Ihr seid ja ein grandioser Geheimdienst!«, lachte er bitter auf. »Das weißt du nicht? Gloscha Pouman. Er ist tot.« 17. März 1346 NGZ Rekonstruktionen »Wer hätte gehofft, dass wir uns so schnell wiedersehen?« Petrus Klingenberg lachte zu Paspatern hinauf. Der Ara gehörte seiner Ansicht nach nicht zu dem exklusiven Club derer, die solche Hoffnung hegten. Er stand mit den Händen im Rücken vor einem Hologramm, in dem der Wiederaufbau der Arahonta-Klinik abgebildet wurde. Die Bauroboter hatten erst kurz zuvor mit der Wiederherstellung der Katakomben begonnen; die Schäden in den Hauptgebäuden waren offenbar leichter reparabel gewesen. Wenn er stand, reichte der Agent dem Ara bis knapp zur Brust. Umständlich zog der Agent eine neue Havanna-Zigarre aus der Manteltasche. Er schnitt ihr flaches Ende mit einem Zigarrenlocher an und aktivierte einen selbstzündenden Holzspan. Paspatern roch das Holz. Klingenberg hielt die Havanna nicht direkt in die Flamme, sondern toastete sie langsam. Als sich der Aschering gebildet hatte, nahm er den ersten Zug. Er paffte, aber nicht zu stark, und nahm den Rauch in die Mundhöhle auf. »Ah!«, stöhnte er lustvoll. »Was ein Ding!« Paspatern hatte der Zeremonie mit Befremden zugesehen. »Sei mir nicht böse, aber ich möchte nun die Bauarbeiten überwachen. Können wir rasch zum Thema kommen? Die Rekonstruktion der Klinik ...« »Rekonstruktion, ja, ja, das ist auch mein Interesse. Rekonstruktion. Ich habe versucht, die Ereignisse zu rekonstruieren
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und mich mal ein bisschen umgehört. Da wir es ja beide eilig haben, schlage ich vor, wir machen es kurz: Was ich weiß, weißt du auch. Was ich vermute, ist dies: Du hast am 25. Juli des vergangenen Jahres einen Ausflug nach Aphrodite-Terra unternommen, in die Tomisenkowgrader Kuppel.« »So?« »Ja, schon. Du bist ja sonst ein ökonomisch denkender Mann und hast privat nur einen kleinen Gleiter mit geringem Flugradius. Aber an diesem Tag hast du dir einen transkontinentalflugfähigen Gleiter geliehen, bei der ... wie hieß gleich die Firma? Paukinskij?« Der Ara schaute konzentriert in den Hologlobus. »Paukinskijs Gleiter führen ein Fahrtenprotokoll, Zur Tomisenkowgrader Kuppel also. Dort ist es ziemlich frostig, oder?« »Ja«, gab Paspatern zu. »Es gibt außerhalb von Tomisenkowgrad ein berühmtes Restaurant mit einem berühmten Küchenmeister. Denis Denisowitsch Scheckow. Ah, diese Gourmets - eine Welt für sich! Feinschmecker und ihre Gaumenfreuden, für die sie von Kontinent zu Kontinent sausen! Ich hab dem Tabakhühnchen zugesprochen: Klasse! War dein Essen auch gut?« »Es entsprach den Erwartungen.« »Großen Erwartungen, immerhin war es dein erster Ausflug nach Aphrodite-Terra, nicht wahr?« Der Ara nickte nach einigem Zögern. »Was hast du gegessen?« Paspatern schloss langsam die Augen. »Ich werde immer dann hellhörig, wenn jemand etwas zum ersten Mal macht. Na ja. Sie haben dort diesen para-intelligenten Affen mit der Körperbehinderung, dem der Laden übrigens gehört. Wusstest du das? Ein redlicher Kaufmann, der Orang: immer korrekte Buchführung. Er hat mich mal reinschauen lassen in seine Abrechnungen. Es gab keinen Zahlungseingang von dir an diesem Tag. Du warst eingeladen, nicht
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wahr? Würde es mir helfen, wenn ich wüsste, von wem ...« »Ich weiß seinen Namen nicht«, sagte der Ara leise. Er spürte geradezu, wie er von Minute zu Minute blasser wurde. Petrus Klingenberg schaute in den Hologlobus, reckte den Kopf, trat näher heran und nahm wieder Abstand. »Du hast sonst immer alles gut im Griff, ja?« Der Ara antwortete nicht. »Und deswegen würdest du das Gefühl hassen, etwas nicht im Griff zu haben. Ich weiß, dass du ein hervorragender Manager bist. Dein Vater hat die ArahontaPrivatklinik gegründet, aber du hast sie groß gemacht.« Wieder Schweigen. »Du hast Erfolg gehabt, wirklich. Aber diese Sache ist dir aus der Hand geglitten, nicht wahr? Warum? - Ach, ich will es gar nicht wissen. Sag mir nur: Wo ist der Goratschin-Klon?« »Ich weiß es nicht«, sagte Paspatern. »Ich weiß nicht, wie er die Auto-Injektoren abgeworfen hat, wie er die Paralysestrahler ausgeschaltet hat, warum er geflohen ist, und ich weiß nicht, wohin. Ich wollte ihn ... als Waffe gegen die Kolonne ... als Blockadebrecher. Ich habe nichts Böses beabsichtigt.« »Ich weiß«, sagte der Agent und seufzte leise. »Alles Böse dieser Welt wurde geboren aus einer guten Absicht.« * Das anschließende Verhör überließ der Agent Nadesha Timpci und ihrem Ermittlungsrobot. Er selbst saß im Hintergrund, schmauchte, diktierte manchmal etwas in sein Notizholo. »Ihr habt den Klon hin und wieder unbeaufsichtigt in den Katakomben gelassen?«, fragte Timpci. »Er war kein Gefangener.« »Aber gefährlich.« »Er stand unter Aufsicht der Positronik des Medo-Saales. Die Positronik verfügte über Paralysatoren. An Goratschins Köpfen waren Auto-Injektoren befestigt, die ...« »Das sagtest du schon.«
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»Außerdem war in der Regel einer der drei Báalols im Raum. Meist Lidaya Pompor.« »Wenn sie sich nicht gerade erotisch vergnügte«, warf Timpci ein. »Goratschin machte keine Probleme. Er schlief viel, lernte. Er lebte ja in seinem Holo-Sibirien. Ging in der Projektion spazieren, sah sich Dudinka an und die Solare Residenz.« »Die er retten sollte.« Der Roboter fragte: »Gab es unvorhergesehene Ereignisse?« Der Ara überlegte. »Ich habe herausgefunden, dass Iwan Iwanowitsch sich ab und an mit der Positronik unterhielt.« »Worüber?« Der Ara schüttelte den Kopf. »Belanglosigkeiten. Ihn interessierte alles, was mit Terra und der Geschichte der Liga zu tun hatte. Eure Andromeda-Expedition. Technische Spielereien. Raumschiffe.« »Andromeda?«, warf Petrus Klingenberg ein. »Was interessierte ihn an Andromeda?« »Weiß nicht. Völker. Von einigen hatte ich nie gehört. Paddler. Bujoschingo. Maahks. Gaids.« »Mehr werden wir kaum herausfinden«, bemerkte der Roboter. »Die Positronik wurde restlos zerstört.« Der TLD-Agent kam ächzend aus seinem Sessel und stellte sich neben Paspatern. Wenn der Ara saß, waren die beiden auf Augenhöhe. »Du sagst nie Goratschin-Klon, sondern Goratschin oder Iwan Iwanowitsch. Er war dir vertraut?« »Ja.« »Er kam mit seinen Sorgen zu dir?« Es dauerte eine Weile, bis der Ara sich erst an die Schläfe klopfte, dann nickte. »In den letzten Tagen hatte er das Gefühl, etwas stimme nicht mit ihm. Er hatte die Vorstellung, er würde im Schlaf berührt, verändert. Er fühlte sich nicht wohl.« »Hast du das physiologisch untersucht?« »Ich bin kein Mediziner.« »Hast du ihn untersuchen lassen?«
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»Er wollte es nicht. Vielleicht fürchtete er, verrückt zu werden, Wahnvorstellungen zu haben.« Klingenberg setzte sich wieder, trommelte mit den Fingern einer Hand nachdenklich auf die Lehne. »Man muss keine Wahnvorstellungen haben, wenn man von etwas Unsichtbarem berührt wird.« »Ein Deflektorschirm«, sagte Timpci. »Jemand, der einen Deflektorschirm trug, könnte den Goratschin-Klon manipuliert haben. Vielleicht sabotiert.« »Wer? Warum? Das Projekt war geheim. Alle, die eingeweiht waren, arbeiteten zusammen.« »Und wart ein Herz und eine Seele. Ein einig Volk von Brüdern. Eine große glückliche Familie«, spottete Klingenberg. »Na, komm schon, Paspatern: Wer käme in Frage? Wer hätte durch den Erfolg des Projektes verloren?« Der Ara überlegte. »Bevor mein Vater die medizinische Leitung übernommen hat, lag sie bei Maupabitt.« »Dem Klonierer?« Der TLD-Agent wandte sich an den Ermittlungsrobot. »Kannst du bitte recherchieren, was Maupabitt nach der Übernahme der Projektleitung in der Arahonta-Klinik gearbeitet hat, und zwar außerhalb der Katakomben?« Er blickte Paspatern an. »Außerhalb deiner Kontrolle?« »Natürlich«, sagte der Roboter. »Die Positroniken und Protokollroboter in den Hauptgebäuden und in den Bereichslaboratorien wurden nicht zerstört.« Der Ermittlungsrobot schickte einige Drohnen auf den Weg, begleitet von venusianischen Polizisten. Nach knapp drei Stunden lagen die Ergebnisse vor: »Maupabitt war ein fleißiger Mann. Er befasste sich mit etlichen Forschungsvorhaben. Für uns von Interesse dürfte sein, dass er ab Dezember 1345 NGZ an einem Präparat arbeitete, das die Zellteilungskompetenz klonierter Zellen extrem reduziert.« »Heißt was?«, fragte Klingenberg.
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»Ein Präparat, das die Lebenserwartung von Klonen beschränkt und frühzeitigen Zellverfall einleitet.« »Auf welche Dauer würde das Präparat die Lebenszeit eines Klons beschränken?« »Vier, maximal fünf Monate.« »Ab wann wäre Maupabitt klar gewesen, dass Rith'meas' Projekt ein Erfolg war?«, fragte Klingenberg. »Seit dem 17. Januar. Nach unserem Versuch am Danu-Gebirge.« Klingenberg und Timpci sahen einander an. »Dann hat der Goratschin-Klon nicht mehr viel Zeit«, sagte die Polizistin. »Nicht mehr viel Zeit, das zu tun, was er tun will. Und was will er tun, Paspatern?« Der Ara sagte: »Die Solare Residenz retten.« »Wir werden ihn auf Terra suchen müssen«, sagte Timpci. »In Terrania.« Klingenberg nickte. »Terrania ist groß.« »Aber der Goratschin-Klon ist kaum zu übersehen. Selbst für terranische Verhältnisse dürfte er eine auffällige Erscheinung sein.« »Ich glaube nicht, dass wir ihn ohne Weiteres erkennen werden«, sagte Klingenberg. »Und wir werden kaum nach jemandem suchen müssen, der wie Goratschin aussieht.« »Du glaubst, er hat sich maskiert?«, fragte Timpci und lächelte ungläubig. »Als was? Als Haluter?« Sie lachte. »Zu groß«, antwortete Klingenberg ernsthaft. »Paspatern - nach welchen Andromeda-Völkern hat sich Goratschin erkundigt?« »Ich sagte schon: Bujoschingo. Maahks. Gaids. Paddler.« »Gaids und Paddler atmen Sauerstoff, Bujoschingo können ihn atmen. Sie würden auf der Erde keinen Schutzanzug tragen müssen. Paddler sind eher klein, Gaids etwa so groß wie der Durchschnittsterraner. Zu klein für Goratschins Zwecke. Und die Bujoschingo - lange, dreieinhalb bis vier Meter hohe, klapperdürre Figuren.« »Wir suchen nach einem Maahk«, erkannte die Polizistin..
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»Nach einem eher groß gewachsenen Maahk, ja.« Der Agent stand auf und klatschte in die Hände. »Brechen wir auf. Paspatern möchtest du uns begleiten?« Der Ermittlungsroboter sagte: »Das ist nicht sein Krieg, Kollege Klingenberg.« »Jeder Krieg ist jedermanns Krieg«, widersprach Klingenberg. »Und es ist mein Klon«, ergänzte Paspatern und erhob sich. »Aber wo willst du ihn suchen? Wie soll er zur Erde gekommen sein, am 11. März?«, fragte sich Timpci. »Oder etwas später«, erwog ihr Roboter. Erster Aufbruch 12. März 1346 NGZ »Ich schalte dir die Traktorrampe frei, Leonid. Abhub in T minus 60 Sekunden. Guten Flug, grüß mir die Erde!« »Ja«, sagte Leonid matt und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Coloumbina Tschernijenko schaute verdutzt und machte dann einen freundlichen Kussmund. Er lächelte nur müde zurück. »Man sieht sich«, sagte er und unterbrach die Verbindung. Sein Bein schmerzte noch, obwohl die Medoeinheit die Wunde gereinigt, die Nerven sediert und eine behelfsmäßige Fußprothese angepasst hatte. »T minus 40 Sekunden.« Die Bordpositronik zählte mit. »Warum hast du das getan?«, fragte er das Monster zum wiederholten Mal. Wider Erwarten antwortete es diesmal. »Weil ich keine Zeit habe.« Es klang wie ein verzerrter Funkspruch, da wieder beide Köpfe zugleich gesprochen hatten. »Wer hat schon Zeit?«, sagte Leonid Byliby. Ohne hinzusehen, wusste Leonid, dass das Monster auf die Leiche von Alfred Alfredowitsch schaute. Alfred hatte allerdings Zeit, dachte Leonid bitter. Als Alfred den Strahler gezogen und auf das Monster gerichtet hatte, war ihm der Schädel auseinandergeflogen. Einfach so.
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Leonid hatte keinen Zweifel, dass das Monster ihn ermordet hatte. Keine Zeit - was für ein Motiv! »T minus zwölf Sekunden - du bist angeschnallt, Leonid?«, fragte die Positronik. Leonid verwünschte erneut Alfreds Geiz, als Partikulier der SACAJAWEA keine höherwertige Positronik angeschafft und eingebaut zu haben, eine Denkmaschine, die komplexere zwischenmenschliche Vorgänge hätte deuten können. So eine Maschine hätte längst von sich aus einen Notruf abgesetzt. Aber da keine Schusswaffe ausgelöst worden war - denn dazu war Alfred nicht mehr gekommen -, schien für die Positronik alles an Bord in Ordnung zu sein. Fast alles jedenfalls. »Aber unser Passagier. ist es nicht, Leonid. T minus sechs Sekunden.« »Kümmere dich nicht um mich«, bat das Monster mit den zwei Köpfen. »Drei ... zwei ... eins ... Traktorhub hat uns«, meldete die Positronik. Die SACAJAWEA wurde auf den Traktorstrahl des kleinen Handelshafens geschoben und hoch und höher gehoben. Die Wolken hingen tief und dicht; das Schleppschiff tauchte hinein, acht Gütergondeln im Schlepp, voll geladen mit Sportgeräten, präzisionsgeschneiderten Kleidungsstücken, Früchten. Es dauerte nicht einmal 20 Minuten, dann hatte der Traktorstrahl die SACAJAWEA aus dem Orbit gehoben. »Alles ok bei euch?«, meldete sich Coloumbina noch einmal. Hatte sie doch etwas bemerkt? Seine Grimasse gedeutet? Er schwieg verzweifelt, schaute sie aus aufgerissenen Augen an. »Na dann«, sagte sie nur. Ihr Bild erlosch. Die SACAJAWEA entfaltete ihre Magnetsegel. Der Plasmastrom floss, das kreisförmige Magentfeld baute sich problemlos auf - solide, fast kostenlose Lowtech. Preiswerter ließen sich keine Güter zwischen Venus und Terra transportieren. Innerhalb der nächsten Stunden würde der Teilchenstrom des Sonnenwindes den
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Schlepper und die Frachtgondeln bis auf 550 Kilometer pro Sekunde beschleunigen. So würde die SACAJAWEA fast elf Wochen brauchen, um die 58 Millionen Kilometer bis zur Erde zu überwinden. Zu lange. In den folgenden Stunden musste die Fertigungseinheit des Schleppers einen Raumanzug umbauen. Die Anpassung an die Übergröße des Monsters stellte keine Schwierigkeit dar. Allerdings wollte das Monster einen Helm, der beide Köpfe zugleich abdeckte. Der Helm sollte halbtransparent sein und mit einer internen Holoschicht überzogen werden. Das Monster beschaffte sich etwas Bildmaterial aus dem Datenarchiv und überspielte es auf den Holoprojektor des Helmes. Dann legte der Zweiköpfige sich den Raumanzug an und stülpte den Helm über. »Wie sehe ich aus?« Das Monster beugte sich zu Leonid hinab. Leonid Byliby erblickte hinter einem dichten Atmosphäreschwaden vier grün schillernde Augen, die auf dem Grat einer halbmondförmigen Kopfwulst saßen. Die Wirkung des helminternen Holgramms verblüffte Leonid. »Wie ein Maahk.« Sie waren noch nicht ganz zehn Stunden unterwegs und nicht ganz eine Million Kilometer in den Raum vorgestoßen, als das Monster befahl: »Zeig mir ein Bild der letzten Gondel!«. Der mehrere Hundert Meter lange Frachtcontainer erschien im Holo. Das Monster trat näher ans Bild heran, konzentrierte sich. Plötzlich explodierte die Gondel. Die Trümmer schlugen das Segel in Fetzen. »Warum hast du das getan?«, wunderte sich Leonid. »Setzt die Positronik einen Notruf ab?« »Das habe ich bereits getan«, sagte die Denkmaschine. »Schließlich sind wir beinahe manövrierunfähig.« »Wer bietet seine Hilfe an?« »Oh, wir haben die freie Auswahl. Mehrere Fähren, zwei Tiefraumgleiter, sogar ein veritables Raumschiff der PHOBOS-Klasse, die DRINGLICHE LISA.«
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»Sorge dafür, dass es ein Gleiter ist, mit geringer Besatzung oder ohne.« Leonid zögerte. »Wenn du nicht mehr als einen Fuß verlieren willst: Mach es so!« Leonid beantwortete die Hilfsangebote und bat einen leichten Tiefraumgleiter um Assistenz. * »Ich habe noch nie einen Maahk von so nahe gesehen«, sagte das Mädchen, das sich als Tiffany vorgestellt hatte. »Ein bisschen gruselig finde ich dich schon.« »Wie schön«, sagte der Maahk. »Bist du oft allein im Weltraum unterwegs?« »Nö. Ich habe Spic, einen meiner Väter, auf der Venus besucht. Normalerweise holt mich dann Hellmurd — das ist mein irdischer Vater — ab, aber Hellmurd musste zu irgendeiner bescheuerten Übung auf irgendeinem bescheuerten Schiff am Rand des TERRANOVA-Schirmes. Den wird die Kolonne sowieso bald knacken, und wir werden alle kabinettisiert. Sagt Fhagur, mein arkonidischer Vater.« »Warum hast du so viele Väter?«, wunderte sich der Maahk. »Ma sagt: damit es mir einmal besser geht!« »Aha«, sagte der Maahk und blickte in den Holoschirm, der die SACAJAWEA zeigte. Langsam wurde der Schlepper kleiner. »Den Rest des Weges will der Steuerrobot wirklich allein zurücklegen?«, fragte das Mädchen. »Mit seinem lädierten Antrieb?« »Allerdings. Er hat ja alle Zeit der Welt.« »Ja, Maschinen haben alle Zeit der Welt. Sie sind ja unsterblich!«, sagte das Kind. »Du warst wirklich das einzige Lebewesen an Bord?« »Keine Biosignaturen im Kanzelteil des Schleppers«, versicherte die Positronik des Gleiters. »Sag ich doch. Glaubst du mir nicht?«, fragte der Maahk. »Nö, ich glaube nichts und niemandem. Und du bist sowieso gruselig.« »Warum hast du mich dann an Bord genommen?«
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»Na, vergewaltigen wirst du mich kaum wollen!«, sagte das Mädchen und lachte vergnügt. »Ihr Maahks schlüpft doch aus Eiern, oder?« »Ja.« »Und ihr heißt alle Grek. Grek irgendwas. Grek Schreck.« »Du bist gut informiert«, sagte der Maahk. »Wie lange brauchen wir bis zur Erde?« »Zwei Stunden. Jedenfalls, wenn ich die lahmarschige Steuerpositronik machen lasse. Sie drosselt das Tempo immer Der Gleiter selbst hat exoplexo mehr drauf. Ein ToyoRoyce!« »Tatsächlich?« »Soll ich mal zeigen, was er draufhat?« »Wenn du willst!« »Dann halt dich fest, Grek Schreck, und du wirst was erleben, was du später noch deinen Ur-Ur-Eiern erzählen kannst.« »Ups«, sagte der Maahk, als Tiffany zeigte, was der Gleiter draufhatte. * Sie landeten am 13. März um 20.33 Uhr Ortszeit auf dem Aldebaran Spaceport, wo Trillvar, der wohlhabende plophosische Vater des Mädchens, über eine private Parkbox verfügte. Goratschin hatte eine strengere Einreisekontrolle erwartet, aber das Mädchen hatte auf seine Bitte hin den wachhabenden Lotsen beredet, davon abzusehen, ihnen eine Drohne an Bord zu schicken oder auch nur das Flugprotokoll der Bordpositronik gegenzulesen. Wenn er es recht sah, hatte das Mädchen ihm dafür ein Rendezvous mit ihrer Mutter versprochen, die, wie Tiffany sagte, »gerne den Horizont offen sah« und »immer auf der Suche« war »nach neuen, lohnenden Vätern.« »Ich habe kein Geld», sagte er zum Abschied. »Ich schon«, sagte das Mädchen. Sie gab ihm nach einigem koketten Gerede einen anonymisierten Kreditchip, den sie auf 2000 Galax limitierte. »Amüsier dich schön, und gedenke mein, wenn die Maahks mal wieder die Erde verwüsten
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wollen«, sagte sie melodramatisch und schüttete sich danach aus vor Lachen. »Mach's gut, Grek Schreck!« Er winkte ihr mit seinem tentakelförmigen Arm nach und stapfte auf einen Gleiterparkplatz beim Terminal des Spaceports zu. Das Terminal lag im Nordwesten des Raumhafens, so dass er Terrania in seinem Rücken hatte. Während des Landeanflugs hatte das Mädchen nicht die Stadt angeschaut, sondern die Glassitkanzel des Gleiters mit einem Hologramm überblendet, in dem man eine Musikkapelle spielen sah. Vor etwa zwanzig oder dreißig Robotern, die mit übermenschlicher Kraft in Trompeten, Posaunen und Saxo- und Tremtophone bliesen, hatten sich einige schmale Jünglinge aufgebaut und davon gesungen, wie viele Jungfrauen sie in der kommenden Nacht ihrer Bestimmung als Lustsklavin zuzuführen gedachten. Tiffany hatte die Fäuste geschüttelt, das Haar geworfen und wie von Sinnen den Refrain mitgebrüllt. Kurz vor dem Terminal drehte er sich um. Er hatte Terrania natürlich häufig im Holgramm gesehen. Aus der Hypnoschulung kannte er ihre wichtigsten Achsen, Stadtteile und Plätze. Er wusste, wo Antares City und wo in Antares City der Park mit der Solaren Residenz lag. Die Wirklichkeit war indes anders. Sie war — die Wirklichkeit. Vor ihm erhob sich ein Sturm aus Licht, eine himmelhohe Festung des Lebens in der toten Nacht. Für einen Moment leuchtete ihm ein, warum die Kolonne dieses Gebilde an sich reißen und in ihren Chaotender verbauen wollte. Es war schlichte Gier nach dem Schönen. Goratschin reckte sich. »Niemals«, sagte er halblaut, schloss die Augen und stellte sich die Residenz vor, das Herz des Herzens des Imperiums. »Du wirst nicht fallen«, flüsterte er ihr zu. »Hörst du? Ich werde es nicht zulassen. Du wirst niemals fallen!« 26. Juni 1346 NGZ Es ist so still...
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Ende Juni des Jahres war Klingenberg nahe daran, die Suche nach dem Goratschin-Klon aufzugeben. Paspatern hatte sich längst auf die Venus zurückbegeben, wo der Wiederaufbau der Arahonta-Klinik rasche Forschritte machte. Nadesha Timpci war nach Port Venus beordert worden, um an der Aufklärung des Falles Lolkä mitzuarbeiten, der zu dieser Zeit im ganzen Solsystem für Aufsehen sorgte. Immerhin blieben Timpci und Klingenberg über Holovid in Kontakt, und ihre Gespräche gewannen mit der Zeit etwas erfrischend Anzügliches. Die Justiziabilität von Paspaterns GenAnkauf wurde noch geprüft. Es schien, als ob dem toten Gloscha Pouman kein Diebstahl oder Raub nachgewiesen werden konnte, weswegen der Ara nicht als Hehler belangt werden konnte. Diverse klinikinterne Protokolle bewiesen überdies, dass die Produktion des dritten Goratschin rechtlich vom ebenfalls verstorbenen Rith'meas zu verantworten war. In den Justizbehörden der Venus, denen das Rechtsministerium der Liga den Fall überantwortet hatte, argumentierten zwei Fraktionen gegeneinander. Und es war die kleinere Fraktion, die Paspatern als Rith'meas' Mitarbeiter für die Taten des Klons zur Rechenschaft ziehen wollte. Die größere Fraktion war der Meinung, der Klon sei spätestens ab dem Ausbruch aus den Katakomben der Arahonta-Klinik selbst für sein Tun verantwortlich, da sich Verantwortung wenigstens bei derartigen Geschöpfen nach dem Reifegrad des Bewusstseins bemesse und, nicht nach einer mehr oder weniger willkürlich festgelegten Altersgrenze. Eine Ansicht, die übrigens auch der Alte Kommandant der Arkonidenfestung teilte, den man in dieser Frage zurate gezogen hatte. »Neues in Sachen des Goratschin-Klons?«, fragte Timpci. »Nein. Mag sein, dass alle unsere Theorien falsch waren. Vielleicht hat sich der Klon irgendwo in den Dschungel verzogen und
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lebt als Eremit. Oder er hat seinen Frieden gefunden in der Kuppel von Tomisenkowgrad, im ewigen Winter.« »Oder wir finden ihn als Kellner im Einbeinigen Orang-Utan, wohin du mich aus ermittlungstechnischen Gründen gefälligst einlädst, wenn du das nächste Mal auf der Venus bist. Man hört ja Wunderdinge von diesem Denis Denisowitsch Scheckow.« »Wunderdinge? Ich wusste gar nicht, dass du nach religiösen Erscheinungen lechzt.« »Wonach soll ich lechzen, wenn nicht nach. religiösen Erscheinungen? Nach dir?« »Probehalber könntest du ruhig mal lechzen«, empfahl er ihr. »Vielleicht ist er längst tot.« »Der Klon?« »Der Klon. Wenn Maupabitt ihm wirklich diesen Zelltodbeschleuniger verabreicht hat ...« »Geben wir auf, Petrus?« Ihre Nase war wirklich erstaunlich lang, sie warf einen geheimnisvollen Schatten auf die Kerbe ihrer Oberlippe. »Nichts lieber als das«, sagte er. Er seufzte. »Neuigkeiten in Sachen Lolko?« »Nein«; sagte sie. »Alles ruhig. Absolute Flaute. Wir kommen nicht voran.« »Ja«, sagte er. »Diese Ruhe. Sie ist mir auch schon aufgefallen. Es ist alles so still, es knistert geradezu:« »Wenn man nichts hört, hört man die seltsamsten Dinge.« Beide sahen sich an und wollten lachen. Aber es wurde nicht einmal ein Lächeln daraus. * »Hallihallo! Die freundliche Wacheinheit aus deiner Nachbarschaft macht dich darauf aufmerksam, dass du, wenn du nicht bald abbremst und oder deinen Kurs korrigierst, in der Atmosphäre der Mutterwelt aller Lemurer verglühst wie ein Stück Scheiße.« »Anselm«, sagte Tarja und lotste den Kosmetikroboter zu den Zehennägeln ihres
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rechten Fußes, »wenn du deine Analfixiertheit nicht bald kurierst, lasse ich mich versetzen.« »Besser, du lässt dich versetzen, als dass du mich wieder versetzt.« »Oh, là, là! Wortspiele.« Tarja schnalzte anerkennend mit der Zunge. Anselm van Garsten sprach wieder ins Akustikfeld: »Hallo, Pilot im Schlepper bist du so nett und sprichst mit mir?« Alles blieb still. »Ich fasse es nicht. Diese Blassblauen von der Venus sind ein einziger Schnarchhaufen. Wir halten mal Kurs auf den Schlepper, ja?« »Aye«, säuselte die Positronik, die van Garsten auf die Stimme einer anbetungswürdigen Actrice moduliert hatte. Tarja verdrehte routinegemäß die Augen. Ihr Lack roch durchdringend. »Soll ich dem Schlepper einen Warnschuss vor den Bug setzen?«, bot sich die Positronik an. »Sei nicht so kriegerisch«, wies van Gartsen die Maschine zurecht. »Oder wir versetzen dich auf einen Lastengleiter und lassen dich einen Ausfall gegen die Kolonne machen.« »Ich würde den Burschen kräftig in den Arsch treten, Sir!«, sagte die Maschine mit einer unverhofft maskulinen Bassstimme. Wenige Minuten später konnten sie aus der Glassitkuppel der Space-Jet den Namen des Schleppers lesen: SACAJAWEA. Und sie sahen die Trümmer der Frachtgondel und des Magnetsegels. »Weißt du, was? Ich gehe da mal rüber«, entschied van Garsten. »Oh, mein Atlan!«, stöhnte Tarja lüstern auf und klimperte mit den Wimpern. In der Schleuse aktivierte van Garsten den Helm. Mit einem zarten Schubser dockte die Jet an die Außenwand des Schleppers an. Es gelang der Positronik, den Einstieg zur Führungskanzel zu öffnen. Sicherheitshalber flutete sie den kurzen Raumtunnel mit Sauerstoff. »Ich bin drin«, meldete van Garsten seiner Kommandantin. »Atmosphäre vorhanden. Alles still. Hallo?«
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Pause. »Tarja?« Als sie den Klang der Stimme hörte, verscheuchte sie den Kosmetikroboter, ließ die Schuhstrümpfe herabzischen und richtete ihren Sessel zum Kontrollpult aus. »Ich höre.« »Wir geben besser mal Alarm,« sagte van Garsten. * Wenn man ganz leise war, konnte man sie wühlen hören. Sie wühlten in allen Dimensionen, und es gab mehr Dimensionen, als sich die terranischen Behörden träumen ließen. Die Kolonnenwürmer bohrten sich so langsam durch den TERRANOVASchirm, dass sie den Ortungseinrichtungen der Liga entgingen. Wie dick war der Schirm? Zentimeter? Millimeter? Aber die Pararaumwürmer bohrten sich Femtometer um Femtometer vor, unterliefen den Raum, unterliefen die Zeit. Während die Behörden noch gebannt auf den Kristallschirm starten und auf die unzähligen Traitanks, die zur Tarnung der eigentlichen Angriffe im Orbit des Solsystems herumschaukelten, hielten die Schattenmächte TRAITORS ihre Synode unterhalb Terranias ab und tunnelten sich allmählich hinauf. Virtuelle Skorpione krochen, mikroskopisch klein und für das unbewehrte Auge unsichtbar, aus den Trividprogrammen. Wer Terra schützen wollte, tat gut daran, zunächst die Holoprojektoren seiner Wohnung außer Kraft zu setzen. Das hatte Goratschin getan. Doch es war unrealistisch zu glauben, dass alle Bürger von Terrania sich der Gefahr ähnlich wachsam stellen würden. Wie viele waren bereits eingelullt? Wie viele bereits geistig umgedreht? Die Feinde waren nicht hinter dem TERRANOVA-Schirm. Die Feinde waren bereits in der Stadt. Goratschin öffnete die PizzaOfenschachtel. Beide Hände griffen zu und
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schoben sich ein Stück, das die Schachtel eben gebacken hatte, in den Mund ihres Zopfes. »Was meinst du?«, fragte Iwan. »Thunfisch ist nicht mein Fall«, sagte Iwanowitsch. Er blickte sich suchend um. Die Steakflake-Packungen waren leer; Dutzende Pralinekartons lagen verknittert in der Ecke; mitten im Raum häuften sich die Trümmer der Hausrobots, den sie gleich zu Beginn ihrer Quartiernahme ausgeschaltet hatten. Sechs Espressomaschinen zischten um die Wette. Über 20 Vakuumschläuche waren verbraucht, fünf oder sechs noch voller Kaffeebohnen. Über den Boden verteilten sich Unmengen von Röhrchen und Dosen: Desoxynorephedrin, aMethylphenethylamin und andere Amphetamine; Koffeindragees; OpioidAnalgetika, Ibofrene, Oxicame und Schmerzblocker jeder Art. Iwan aß noch ein Stück Pizza, Iwanowitsch schaute missmutig ins Leere. »Wo haben wir die leckeren Pizzen deponiert?« »Weiß ich's?«, fragte Iwan zurück. »Lass uns aufstehen!«, drängte Iwanowitsch. Mühsam richteten sie sich auf. Schmerzen pulsierten wie Ströme von glutflüssigem Gold durch alle Glieder; sie wankten und brauchten einige Augenblicke, um sicher zu stehen. Dann setzten sie Schritt vor Schritt und gingen zum Außenwand des Raumes. »Transparenz!«, befahl Iwan. Die Wand wurde durchsichtig. Iwan Iwanowitsch hoben stöhnend die Hände vor die Augen und wandten sich ab. Es war Mittag; ihr Zimmer im Haus auf der Wega-Street lag nach Süden; die Sonne stach in ihre Augen. Iwan blickte auf den Rücken seiner Hand. Immer mehr Schuppen lösten sich, darunter schimmerte bleiche, schwammige Haut auf. Er fuhr sich über den Kopf, griff ins Haar und erntete ein ganzes Büschel. »Oh, nein«, klagte er leise. »Wir werden kahl, Alterchen.« Iwanowitsch lachte rasselnd. »Wir haben gute Köpfe für eine Glatze, Alterchen.«
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»Glassit abtönen!«, verlangte Iwan. Langsam drehten sie sich wieder zur Aussicht, lehnten ihre Stirnen an das kühle, inzwischen regengrüne Glassit. Sie atmeten, und ihr Atem klang rau und krank. Da hielten sie den Atem an. Das Glassit saugte alle Geräusche aus den Straßen auf. Es ist so still, dachten sie. 29. Juni 1346 NGZ, 13.40 Uhr Am Mittag wurde Klingenberg von Chorum a Matärn, seinem marsianischen Vorgesetzten beim Terranischen Liga Dienst, informiert: »Wir haben den VenusKlon aufgespürt.« »So?«, fragte er. »Wie und wo?« »Er hat auf seinem Weg zur Erde noch zwei venusische Raumfahrer getötet, und zwar am 12. März. Er hat die Positronik des Schiffes ausgeschaltet. Am 26. Juni wurde der Tatort untersucht, ein Lastschlepper « »Warum nicht früher?« »Der Inhaber des Lastschleppers ist ein unabhängiger Mann, der sich nirgends anoder abmelden muss. Niemand hat ihn vermisst. Erst, als sein Schiff ...« Klingenberg winkte ab. »Und jetzt habt ihr den Klon gefunden?« A Matärn lächelte überlegen. »Wir haben ihn nicht nur gefunden, sondern auch gestellt. Er hat sich aus dem Schlepper bergen und auf die Erde schmuggeln lassen, von einer jungen Terranerin, die ihn offenbar auch mit Geld -versorgt hat. Damit hat er ein Apartment in einem Wohnturm auf der Wega-Street in Aldebaran City angemietet. Im Turm Palast des Indra, wenn dir das was sagt. Er hatte sich anfangs als Maahk verkleidet, das hat uns auf seine Spur gebracht.« »Was meinst du mit: Ihr hättet ihn gestellt?«, fragte Klingenberg nach. »Lebt er überhaupt noch?« »Das wissen wir nicht. Wir stehen kurz davor, in die Wohnung einzudringen. Er hat immer wieder Pizza bestellt und so, Auto-Kost. Aber auch, wenn das nicht sehr
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gesund ist: Die Pizzas werden ihn kaum umgebracht haben!« A Matärn lachte los. Er wird nicht an Pizza sterben, dachte Klingenberg, und ärgerte sich. darüber, dass a Matärn seinen Bericht anscheinend nur überflogen hatte und nichts von der möglichen Gen-Sabotage wusste. Dass er es vielleicht gelesen und wieder vergessen hatte. Was auf der Venus geschieht, verliert auf der Erde an Bedeutung, wird nebensächlich. Venus — die Nebenwelt. Klingenberg nickte bedächtig. »Du weißt, dass er gefährlich sein kann. Er ist ein Klon des Zündermutanten Iwan Iwanowitsch Goratschin.« »Ich habe dein Dossier gelesen.« Matärn schmunzelte. »Wir haben da nicht zufällig ein wenig dramatisiert?« »Ich hätte dramatisiert bei einem Mann, der ... wie viele Menschen getötet hat?« A Matärn machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der Fall ist für die Polizei sicher zu groß, Pet. Aber jetzt haben wir die Sache ja in die Hand genommen. Wir stürmen das Haus aus zwei Richtungen: Unsere Leute nähern sich aus dem Intro des Turms, und vor den Turm gehen eben drei unserer Gleiter in Stellung.« »Unter Deflektorsehirmen oder sichtbar?« A Matärn musste lachen. »Natürlich sichtbar. Wir zeigen ihm, was wir haben. Du weißt doch, dass es den meisten Terroristen ganz gut tut zu sehen, mit wem sie sich da angelegt haben.« A Matärn blickte zur Seite; anscheinend schaute er nach, wie spät es war. »Der Angriff dürfte eben jetzt beginnen. Soll ich dich informieren, sobald wir ...« »Halt sie zurück!«, rief Klingenberg. * Die Trümmerteile jaulten dem Boden entgegen. Einige Metallplastfetzen trudelten gegen die Fassade des Wohnturms und schlitzten sie auf, andere kollidierten weiter unten mit einer Prallfeldstraße. Immerhin konnte die Steuerpositronik der Straße in Kooperation mit den kleineren Einheiten der Gleiter, die
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darauf verkehrten, tödliche Kollisionen vermeiden. Einige der Passanten am Grund der Straßenschlucht hatten weniger Glück. Als die Einheiten des TLD das Apartment stürmten, fanden sie es verlassen vor. In der Decke der Hygieneeinheit klaffte ein Loch. Der Klon hatte sich den Weg nach oben frei gesprengt. Der TLD setzte Drohnen auf die Spur des Flüchtlings. Der Klon musste die Wohnung, in die er über die Hygienezelle geflohen war, wie ein normaler Bewohner durch die Außentür verlassen haben. Die Drohnen brauchten etliche Minuten, bis sie von übergeordneten Maschinen die Erlaubnis erhalten hatten, die HauswartPositronik des Wohnturmes mit behördlicher Autorität zu befragen. Sie erfuhren: Der Klon hatte sich in Höhe der 120. Etage zu einem Luftpier begeben, der weit ins Leere ragte und in einer pfannenförmigen Aussichtsplattform endete. Als die Drohne die Plattform erreichte, hatte der Klon ein Loch in die Glassitkuppel gesprengt und war dadurch entkommen. »Wahrscheinlich verfügt der Flüchtling über einen Antigravtornister oder ein vergleichbares Fluggerät«, teilte die Drohne der Einsatzleitung mit. In den verlassenen Räumen fanden die TLD-Spezialisten die Ofenschachteln von fast 200 Pizzen, einige wenige noch nicht aktiviert. Klingenberg meldete sich nicht einmal eine Stunde nach Einsatzbeginn vor Ort. Der Palast des Indra hatte seine Fassade weitgehend regeneriert; das ganze Bauwerk ähnelte wieder einer Wassersäule, die bergan floss. Klingenberg betrat die Wohneinheit, in der Goratschin untergetaucht war, und fragte nach den Resultaten der Durchsuchung. Ein diskusförmiger Roboter auf dürren Spinnenbeinen teilte ihm. mit: »Der Klon hat diese Bereiche seit dem 13. März benutzt. In den letzten zwölf Tagen hat er sie nicht mehr verlassen.«
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»Bis heute«, stellte Klingenberg richtig. »Sonst noch was?« Eine junge Analytikerin trat hinzu. »Hallo, Petrus!«, begrüßte sie ihn. »Streitest du wieder mit den Robotern?« »Natürlich wäre es viel reizender, mit dir zu streiten, Antoni.« »Lass das nicht deine neue venusische Freundin hören«, tadelte sie ihn. Dann flüsterte sie: »Ist sie überall so blassblau wie im Gesicht?« »Ich frage sie, oh sie dir eine paar HobPorträts schicken kann. Was habt ihr hier herausgefunden?« »Wir analysieren noch. Das Einzige, was wir dank a Matärns raschem Zugriff inzwischen mit Sicherheit wissen ...« Sie zögerte. »Ja?« Antoni blickte über die Berge leerer Konservenhüllen. »Dein Klon hat eine Vorliebe entwickelt für Pizza mit Ruccola und Parmaschinken.« * Sie würden ihn also jagen. Bravo! Genau so hätte er es auch getan. Den Feind zunächst dort treffen, wo er stark war. Und einen stärkeren Verteidiger als ihn besaß die Solare Residenz nicht. Kluger Zug der Kolonne, ihn zuerst anzugreifen. Keck und frech beendeten die Kräfte der Kolonne ihre Wühlarbeit im Untergrund und erhoben öffentlich ihr Haupt. Sie kleideten sich terranisch, sie benutzten terranische Flugzeuge. Schöpfte denn niemand Verdacht? Das war doch der älteste aller alten Tricks. Wie oft hatte Rhodan mit dieser trojanischen Strategie den Feind überrumpelt. Hatte niemand in der Residenz bedacht, dass der Feind einmal ähnlich verfahren könnte? Die Terraner mit ihren eigenen Mitteln schlagen... Wahrscheinlich waren die Kolonnenspione bis ins Detail über Terras Truppenstärke, Waffensysteme, Aufmarschund Verteidigungspläne informiert. Was übrigens kein Wunder war, sie hatten ja lange genug wühlen können.
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Aber eines hatten sie nicht auf der Rechnung. Der unbekannte Faktor - das war er. Unbekannt, unberechenbar, mithin die letzte Chance der Solaren Residenz und -er wagte es kaum zu denken - der solaren Menschheit. Ein Grund mehr für die Kolonne, Jagd auf ihn zu machen. Die Zeit der Stille war vorüber. Goratschin hatte sich ohne Helm in die Luft katapultiert. Er spürte den eisigen Luftstrom auf den Wangen. Er brauchte die Maahk-Maske nicht mehr. Die KolonnenLeute waren aus der Erde gekrochen. Also war es an der Zeit, dass auch er mit offenem Visier kämpfte. Sollte jeder sehen, wer es war, der da der Solaren Residenz zu Hilfe eilte. Er hatte nichts mehr zu verbergen. * Chorum a Matärn traf wenig später im Palast des Indra ein. Er bat Klingenberg zu einer Kurzkonferenz. Die Analyse-Einheiten hatten mittlerweile hinreichend Genmaterial gefunden abgeschorfte Hautzellen und Haare -, um die Identität des Gesuchten und seine physiopathologische Situation zu bestimmen: Ja, es war Iwan Iwanowitsch Goratschin. Und er war todkrank. Die Zellsubstanz degenerierte unaufhaltsam. »Ist er bei klarem Verstand?«, fragte Noviel Residor. Der Chef des Terranischen Liga-Dienstes hatte sich holografisch zugeschaltet. Klingenberg hatte zum ersten Mal so visuell mit dem großen, schlaksig wirkenden Mann zu tun. Tatsächlich sprach Residor so leise, wie man von ihm behauptete, und tatsächlich war dennoch jedes Wort zu verstehen. Als wäre er in der Lage, seine Rede anderen unmittelbar ins Hirn zu diktieren. Die positronische Analyseeinheit antwortete: »Seinen psychisch-mentalen Zustand können wir nicht kalkulieren. Uns fehlen Vergleichsdaten. Wir verfügen über
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keinerlei Datenmaterial zu geklonten Mutanten.« »Goratschin hat niemals das besessen, was man einen klaren Verstand nennen könnte«, betonte Klingenberg. »Sein Bewusstsein ist ein einziges Artefakt. Eine Fehlerquelle. Die Realität, die er wahrnimmt, berührt sich mit unserer nur, ist aber alles andere als mit ihr deckungsgleich.« »Ich weiß«, sagte Residor, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich habe dein Dossier gelesen.« »Wir verfolgen einige vielversprechende Spuren«, sagte a Matärn. »Er will zur Solaren Residenz«, erklärte Klingenberg. »Das ist wahrscheinlich«, sagte Residor. »Die Erste Terranerin ist informiert. Die Residenz liegt bereits unter einem Schutzschirm. Die Frage ist, wie wir mit dem Mutanten-Klon verfahren.« Klingenberg schwieg. A Matärn nickte. »Was hast du Tamira Sakrahan vorgeschlagen?«, fragte Klingenberg. Er hatte sich eine Zigarre angezündet und rauchte. »Du hast ihr doch etwas vorgeschlagen?« »Was hättest du ihr vorgeschlagen?« Residor strich sich über die Glatze. A Matärn räusperte sich. »Wir sollten den Einsatz schwerer militärischer Mittel. erwägen. Nötigenfalls müsse wir Terrania großräumig paralysieren, um den Klon auszuschalten.« »Was, wenn er über einen Schutzschirm verfügt? Wir sollten den Ara Paspatern in die Stadt holen und versuchen, mit dem Klon zu sprechen«, schlug Klingenberg vor. Residor schaute immer noch ausdruckslos. Seinen eigenen Angaben zufolge sollte der Mann, der den Dienst seit fast einem halben Jahrhundert leitete, bei einem schweren Unfall mit Schädelhirntrauma die Fähigkeit verloren haben, Gefühle zu empfinden. Klingenberg hielt das für eine gut erfundene Legende. Residor sagte: »Ich habe beides veranlasst. In diesem Moment müsste die RYE OF THE CINQUE PORTS Position über
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Aldebaran City beziehen. Und der Ara dürfte in weniger als einer halben Stunde auf Aldebaran Spaceport landen. Klingenberg - du holst bitte den Ara ab und setzt ihn nach eigenem Ermessen ein. A Matärn - sollte eine Bestreichung mit Paralysestrahlen notwenig werden, informiere bitte nach Möglichkeit die Lokalen Katastrophendienste. Deren Zentrale ist im Bild.« Grußlos verblasste das Hologramm. A Matärn nickte Klingenberg zu. »Flieg zum Spaceport. Ich setze mich in Kontakt mit der RYE OF THE CINQUE PORTS.« 30. Juni 1346 NGZ, 13 Uhr Das neue Reich Die Drohnen entdeckten den Klon exakt um 13.00 Uhr. Er saß im Dachrestaurant des Wohnkomplexes Reine Leere an der Praesepe-Road im Süden von Garnaru. Das ringförmige Komplexgebäude verdankte seinen Namen dem riesigen Hologramm in seiner Mitte, das nichts zeigte als eben dies: ein schwarzes, ja nicht einmal schwarzes, reines Nichts - die reine Leere. A Matärn saß in dem Gleiter, der der Formation voranflog. Fast zwei Dutzend gepanzerte Einsatzgleiter des TLD folgten. Weit hinter ihnen schwebte der mächtige Kugelleib der RYE OF THE CINQUE PORTS, ein 500-Meter-Raumer der MARS-Klasse, durch die Luftmassen und schob die weiß leuchtenden Cumuluswolken über der Stadt auseinander. Nicht dumm von ihm, nach Garanru zu gehen, dachte a Matärn anerkennend. »Unter den vielen Exoten und NichtHumanoiden hier hat er die besten Aussichten, nicht aufzufallen. Oder will er in die Xeno-Klinik? In seinem Zustand ...« Das ringförmige Gebäude Reine Leere ragte über 600 Meter in die Höhe; im. Wohnring selbst, der einen Durchmesser von fast 70 Metern aufwies, gab es Apartments, Büros und einen der wegweisenden buddhistischen Tempel der Stadt.
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Auf dem Scheitelpunkt der Ringkonstruktion saß eine hundert Meter durchmessende Scheibe aus grüner Jade; eine Glassitkuppel überspannte das berühmte China-Restaurant Heng Heng, von dem aus die Besucher einen wunderbaren Ausblick genossen über die Stadt, auf die Dolan-Gedenkstätte und den Laury-Marten-Park. Hier hatte eine der Drohnen den Klon entdeckt. »Er ist also im Heng Heng«, murmelte a Matärn vor sich hin. »Es soll ein ausgezeichnetes Restaurant sein«, sagte die Steuerpositronik des Gleiters. »Du musst es ja wissen«, witzelte a Matärn. »Heng Heng - heißt so der Besitzer?« »Wohl kaum«, sagte die Positronik. »Das ist altchinesisch und bedeutet: sehr glücklich.« »Na, dann wollen wir mal heng heng sein, dass wir den Klon gefunden haben!« A Matärn freute sich über seinen gelungenen Wortwitz und fragte sich, ob der KlonMutant die Annäherung seiner. Einsatzgruppe bereits bemerkt haben würde oder ob er gerade einen Glückskeks aufbrach, um daraus seine Zukunft zu lesen. Eine Antwort erfuhr er nicht mehr. Sein Gleiter platzte wie eine eiserne Seifenblase und zwang die nachfolgenden Flugzeuge zu rapiden Ausweichmanövern. * Die RYE OF THE CINQUE PORTS hüllte sich in ihren Schirm; ihre Kommandantin rief über Holovid nach a Matärn: »Habe ich Freigabe zum Einsatz der Paralysatoren? A Matärn?« Die Drohne, die vor Ort im Restaurant war und den Klon von der Küche aus in den Sensoren behielt, meldete, dass der Klon bereits zur südliche Seite des Restaurants lief. Einige Gäste rutschten erschrocken mit ihren Stühlen zur Seite; einige Unither trompeteten protestierend. Die Drohne schoss aus der Küche hervor und rief: »Halt! Ich fordere dich im Namen
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der städtischen Behörden und des Liga Dienstes auf ...« Der Klon hielt, drehte sich kurz um und sprengte die Drohne. Dann lief er weiter. Das Glassit platzte vor ihm auf. Er sprang heraus und aktivierte im Sprung den Antigravtornister. Im Flug drehte er sich auf den Rücken und warf einen letzten Blick zurück auf die Reine Leere. Der Ring detonierte erst auf der linken, dann auf der rechten Seite, die obere Ringhälfte stürzte auf die untere. Der Klon beschleunigte, raste in nordwestlicher Richtung auf die Avenida Tengri Lethos zu und zugleich Richtung Boden. »Freigabe erteilt!«, schaltete sich Residor in den Funkverkehr ein. Aus allen Richtungen schossen Rettungsgleiter herbei. Die Kommandantin zögerte. »Wir haben keine exakten Daten, wo sich der Klon momentan aufhält. Nur einen ungefähren Vektor.« Sie stellte sich vor, wie der Paralysestrahl Zehntausende bestrich und lähmte, und in welche lebensbedrohlichen Situationen sie die Bewohner und Gäste der Stadt damit bringen würde. Und was, wenn der Klon einen Schutzschirm hat? »Ich weiß, was du denkst«, hörte sie Residor. »Wahrscheinlich trägt er tatsächlich einen Individualschirm. Aber wir haben immerhin eine Chance. Feuer.« »Paralysatoren auslösen!«, befahl die Kommandantin. Die RYE OF THE CINQUE PORTS legte die Westside von Garnaru unter Lähmstrahlung. Sie konnte nur hoffen, dass die hiesigen Botschaften, die von dem Paralyseschock betroffen waren, Verständnis für dieses rabiate Vorgehen aufbringen würden. Viel Arbeit für die Diplomaten, dachte sie. Sei's drum. * Es war ein Sausen in der Luft. Iwan Iwanowitsch wusste, was das zu bedeuten
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hatte: Das große Schiff verfolgte die beiden Brüder. Iwan aktivierte den Schutzschirm. Er wusste nicht, wie stark der Schirm war, immerhin hatten sie an Bord des Schleppers kein militärisches Gerät erbeutet. Allerdings war das LowtechRaumfahrzeug, in dem sie von der Venus geflohen waren, mit soliden Geräten ausgerüstet gewesen. So hatte sich ja auch der Antigravtornister bestens bewährt. Überhaupt war der offene Kampf gegen die Einheiten der Kolonne leichter, als er befürchtet hatte. Er war kurz am Residenzpark vorbeigeflogen und hatte gesehen, dass die Solare Residenz sich in einen Schirm gehüllt hatte. Eine akute Gefahr für die Brüder bestand also nicht. Sicherheitshalber aber hatte Iwan versucht, die Mächte der Kolonne von der Stahlorchidee wegzulocken. Er war öffentlich durch die Straßen Garnarus spaziert, hatte sogar dem einen oder anderen Passanten gewinkt. Aber er hatte ins Restaurant gehen müssen, bis seine Verfolger ihn endlich entdeckten. Er hatte sich mit der Sprengung des Gleiters öffentlich erklärt. Für wenige Momente hatte er gehofft, das große Schiff, das hinter der Gleiterflotte durch die Wolken tauchte, würde auf seiner Seite in die Schlacht eingreifen. Aber entweder hatte der Kommandant des Schiffes die Lage noch nicht begriffen, oder das Schiff war von den Phantomen der Kolonne gekapert worden. Er hatte durchaus überlegt, ob er das Schiff zünden sollte. Aber in einer Situation wie dieser hieß es Ruhe bewahren, keinen übereilten Schritt tun. Alles mit Bedacht. Sein Akt gegen das Gebäude, das aussah 'wie ein riesenhafter Fingerring mit Juwel, war dagegen bitter, aber notwendig gewesen, ein Signal für die ligatreuen Kräfte der Stadt, dass der Kampf begonnen hatte. Weit schwerer als der Kampf gegen die Phantome, die sich in die Köpfe
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unbescholtener Terraner eingewühlt und darin festgesetzt hatten, fiel der Kampf gegen die Schmerzen. Er litt unsäglich. Manchmal war ihm, als wäre sein Leib nichts als ein Kokon aus Feuer, aus dem sein zukünftiges Ich sich wie ein dunkler Schmetterling befreien müsste. Geburtsschmerzen, Todesschmerzen — wer wollte das noch unterscheiden? Manchmal erschrak ihn eine plötzliche Fühllosigkeit in den Gliedern, in den Beinen, er sackte ein, kniete für einen Moment auf dem Boden der Straße und brauchte alle Kraft für einen nächsten Atemzug. Oh ja, er befand sich tatsächlich auf dem Boden einer Straße. Rollbänder zischten an ihm vorbei. Am Rand eines der Bänder hockte ein Junge, dessen Mutter mit einer älteren Frau im Gespräch war. Die Beine des Jungen baumelten vom Band, er sah Iwan Iwanowitsch an und winkte ihm zu. »Komm mit!«, rief der Junge. War das endlich das erwartete Signal? Von einem Kind? Natürlich, warum nicht von einem Kind. Auf so etwas wäre die Kolonne nie gekommen. Das war ein echt terranischer Einfall, Iwan Iwanowitsch aktivierte den Antigravtornister, startete und setzte neben dem Jungen auf. Die Mutter blickte sich langsam um. Sie starrte Iwan Iwanowitsch an, machte einen Schritt rückwärts, griff nach dem Jungen und zog ihn hoch, weg von ihm. »Wo muss ich hin?«, fragte Iwan. »Wohin?« »Poq«, sagte der Junge und wies auf ein Gebäude, das weit vorne aus der Front der Wohnkomplexe ragte. Der Komplex verbreiterte sich in den hohen Etagen trichterförmig; vom Dachrand standen mächtige Streben ab, an deren Spitzen sich breite Mühlräder träge drehten und hin und wieder aufblitzten wie schieres Silber. Die beiden Frauen wechselten mit dem Jungen auf ein schnelleres Band in der Mitte der Straße.
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Das machte nichts. Er wusste Bescheid. Das Gebäude kam näher. Er verließ das Band und ging auf den Eingang zu, gepeinigt von jedem Schritt. Er spürte die Drohnen förmlich, die sich hoch in der Luft verständigten und sammelten. Sie hatten ihn entdeckt. Gut so. Sie sollten ihn ja entdecken. Ein Roboter in purpurner Livree stellte sich ihm in den Weg. Iwan zündete ihn zur Seite. Metallplaststücke klatschten in seinen Schirm. Ein Schatten zog über die Straße. Er musste nicht nach oben schauen, um zu wissen, was den Schatten warf. Es war das große Schiff. Also doch. Er betrat das Gebäude. Er orientierte sich an der Schautafel. Ah, dort also war Poq! Was war Poq? Er wusste es nicht. Aber es würde sich erweisen. Er trat in den Antigravschacht. Er spürte den Gravohub. Überall Menschen. Menschen, die miteinander schwatzten, Menschen, die sich an den Schwebenden Theken im Zentrum des Schachtes festhielten und aus Strohhalmen Getränke 'saugten, die frei und ohne Gefäß als schwabbelnde Kugeln in der Luft hingen. Menschen, die wütend schrien, als sie ihn sahen, die seinem Energieschirm auswichen. Menschen, die plötzlich erschlafften, deren Köpfe zur Seite nickten. Der Gravohub wurde schwächer, das Feld schaltete um. Alles sank zu Boden. Nicht so Goratschin. Er hatte seinen Antigrav in Betrieb und stieg durch den Schacht an den sinkenden Menschen vorbei. Das war der 37. Stock. Er sah die vielen paralysierten Menschen. Er stieg aus und betrat sein neues Reich. * »Hast du einen Plan?«, fragte Paspatern, der neben Klingenberg im Gleiter saß. Klingenberg paffte aus. »Nein«, sagte er. »Ich habe dich.«
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Sie hielten auf das Schiff zu, das wenige hundert Meter über der Stadt stand und dessen obere Hälfte in den Wolken hing. Der Ara wies mit seinen überschlanken Fingern darauf. »Was habe ich, was dein Schiff nicht hat?« »Ein Gesicht«, sagte Klingenberg. 30. Juni 1346 NGZ, 15 Uhr Auf dem Thron von Terrania »Das ist ein Minikom.« Klingenberg hielt Paspatern ein fingernagelgroßes Glasplättchen hin, auf dem ein winziges, smaragden schillerndes Körnchen lag. »Du setzt es dir in ein Ohr. Es verbirgt sich darin. Wir können darüber Kontakt mit dir aufnehmen und hören, was ihr besprecht. Wenn du deine Worte nur mit geschlossenen Lippen artikulierst, übersetzt das Minikom es für uns in verständliche Rede.« Paspatern nahm das winzige Teil und setzte es sich in die Ohrmuschel. Es kitzelte leicht, als sich das Minikom auf seinen Weg in den Gehörgang machte. Der Ara blickte zum Dach des Gebäudes hoch. Die letzten Geschosse waren ausgekragt; silbrige Flügel drehten sich an mehrfach geknickten Rohren. »Er ist im 37. Stock«, informierte Klingenberg ihn. » Es ist die Spielwarenabteilung des Kaufhauses, eine Filiale von POQ Tim Warner, wenn dir das etwas sagt« »Nein«, sagte Paspatern. »Du musst das nicht tun«, erinnerte Klingenberg ihn. »Ich weiß«, sagte Paspatern. »Wir sehen uns«, sagte Klingenberg und nickte, den Kopf in den Nacken gelegt, dem Ara zu. »Natürlich«, antwortete Paspatern. * Der breite Antigravschacht war außer Betrieb; die ovalen Erfrischungsinseln, die sonst darin schwebten, waren am Boden des Schachtes notgelandet. Auf zwei der Plattformen lagen ohnmächtige Menschen.
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Paspatern schaute sich um. Er entdeckte eine Liftröhre und meldete sich bei dem Aufzugsystem an. Es dauerte einige Sekunden, bis die Kabine bereitstand, ihre Tür zur Seite glitt und er einsteigen konnte. Paspatern wählte das 37. Stockwerk des Kaufhauses. Plötzlich erschien Poq neben ihm, der Avatar von POQ Tim Warner, dem Geschäft, zu dem er unterwegs war. »Ich bedauere sehr, aber ich kann dir ein Nähertreten an unser Angebot heute nicht ans Herz legen. Wärest du so nett, in unsere Filiale in Happy Town auszuweichen? Ich könnte dir dafür einen Gratisgutschein über 25 Galax überlassen.« »Ich bin dienstlich hier«, sagte Paspatern. »Ich kann dich- nicht umstimmen? Ich fürchte, du wirst heute nicht viel Spaß in Poqs wunderbaren Wunderwelten haben.« Paspatern ignorierte den Avatar und schaute durch das golden getönte Glassit, aus dem der Lift gefertigt war. Er wartete, bis die Kabine stillstand und die breite Tür zur Seite glitt. Er trat hinaus und schaute sich um. Das also war eine Spielwarenabteilung. Der Ara entdeckte die ersten Paralysierten sofort. Es waren überwiegend Terraner und einige Blues, die auf dem Boden lagen. Einige Gute-Freunde-Roboter hatten die Lage offenbar unter Kontrolle. Die kleinen Maschinen, die von terranischen Eltern gekauft wurden, damit sie ihren Nachwuchs behüteten, waren medotechnisch ausreichend kompetent, um leichte bis mittelschwere Verletzungen zu behandeln. »Hallo«, sagte Paspatern leise, »alles in Ordnung hier?« Eine der Gute-Freunde-Maschinen blickte kurz auf. Er hatte einen türkisfarbenen Haluterkopf mit dicken Lippen, die tiefrot und süß glänzten wie eine Zuckerglasur. »Alle Hände voll zu tun, aber wir haben das hier ganz gut im Griff, Kumpel. Ein paar Gänge weiter hat es ein Unitherjunges erwischt mit einer Thamthitischen Ateminsuffizienz, kriegen wir aber exoplexo wieder hin. Bist'n Ara, oder was?« »Ja.«
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»Bist nicht zum Spielen hier, oder? Sondern als Obermedizinmann, was?« »Ich bin kein Mediker, tut mir leid. Ich suche einen Mann mit zwei Köpfen. Oder einen Maahk.« »Maahks führen wir hier nicht. Aber dein Doppelkopf hockt im Märchenwald, hinter den Raumschiffmodellen.« Paspatern bedankte sich bei der Maschine. Die rollte ein Stück zurück, drehte sich um die eigene Achse, rief: »Dann stürze ich mich mal wieder ins Getümmel!«, und verschwand zwischen viktorianischgewaltigen Regalwelten. Paspatern ging in die Richtung, die der Gute Freund ihm gewiesen hatte. Hin und wieder musste er über einen Paralysierten hinwegsteigen. Eine ganze Traube von Solaren Residenzen hing in der Luft, heliumbetriebene Nachbauten aus Leichtomit. Ein Schachspiel aus lebensgroßen Figuren. Weiß: Rhodan, Bull und die ewige Garde der Liga. Schwarz: die Meister der Insel, Mirona Thetin als Königin. Terraner sind immer noch von den Meistern besessen, schoss es Paspatern durch den Kopf. Warum nur? Vielleicht, weil die Meister ihr dunkles Ebenbild sind? In der Abteilung für Raumschiffmodelle hingen ein paar Holos von Planeten in der Luft. Paspatern erkannte Terra, Ferrol, Gatas und Arkon III. Ein diffuses Dämmerlicht herrschte. Hinter der Weltallszenerie öffnete sich der Märchenwald. Bäume mit Gesichtern summten vor sich hin. Paspatern schritt an leise klirrenden Schneehaufen vorbei und Gruben voller Blut, aus denen Raben tranken. Goratschin saß tief im Dunkeln auf einem Königsthron. Das metamorphe Möbel war für Kinder gedacht und hatte sich dem übermäßig großen Körper Goratschins nur mühsam angepasst. Es sah grotesk verzerrt und überdehnt aus. Im Baldachin aus Synthosamt zeichneten sich die beiden Köpfe ab, als wollten sie den Stoff durchstoßen..
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Iwan Iwanowitsch starrten geradeaus, schienen ihn aber nicht wahrzunehmen. Iwanowitsch hielt irgendetwas in seiner Hand, das leicht dampfte. Ein winziger holografischer Terraner hockte an einem Spinnrad, trat die Pedale und spann Stroh zu Gold; ein Rauch stieg aus einer Flasche, formte sich zu einem Dschinn, nickte Paspatern gravitätisch zu und löste sich wieder in Rauch auf. Aus einem Spiegel glotzte ihn eine Arafrau an, die aussah wie sein eigener Zwilling. »Na, mein Schöner, heute Abend schon etwas vor?«, kicherte ihm das Spiegelbild zu. »Verpfeif dich und störe die arbeitende Bevölkerung nicht!«, zeterte der Miniaturterraner am Spinnrad und schüttelte drohend die Faust. »Du Parasit!« »Wer redet denn mit dir, Rumpelrüssel?«, zischelte die Paspaternin zurück. Paspatern stand vor dem Thron. Die Gesichter des Klons wirkten matt, leicht verwischt. An leichten Lichtreflexen erkannte er den Energieschirm, der also immer noch aktiviert war. »Einsicht in Leben und Heil«, sagte Paspatern. Der Blick von Iwan Iwanowitsch entschleierte sich langsam. »Das wünschen wir dir auch«, sagten sie mit ihrer Doppelstimme. Sie klang zitterig, uralt. Iwan fragte: »Geht es dir gut?« »Bestens.« »Und Schneewittchen, geht es Schneewittchen auch gut?« »Ich fürchte, sie ist tot.« »Das ist bedauerlich«, sagte Iwan. »Hier hätte sie sich wohlgefühlt.« Jetzt erst erkannte Paspatern, was Iwanowitsch in seiner Hand hielt: ein Fruchteis an einem Essstiel. Iwanowitsch hob es an seinen Mund und lutschte daran. »Ich fürchte, ihr habt sie getötet«, sagte Paspatern. »Wirklich sehr, sehr bedauerlich.« Iwan nickte ernsthaft. »Ihr habt viele Menschen getötet, Iwan Iwanowitsch.« »Sieht so aus«, murrte Iwanowitsch. »Warum?«
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»Das ist lustig, dass du das fragst«, meinte Iwan. »Wir haben wirklich viel getötet, immer schon. Aber du bist der Erste, der fragt: Warum?« »Immer schon?«, wunderte sich Paspatern. »Ich erinnere mich an unseren Einsatz mit Gucky und Ras in der kosmischen Festung Baiwoffs Castle. Unsere Sabotageakte, um die Stützpunktingenieure zum Einlenken zu zwingen. Das muss so 2436 gewesen sein, was?« »Im April 2436«, sagte Iwanowitsch und schmatzte etwas. »Wir haben die Steuerzentrale der Mobys auf Siren zerstört und den Mond durch Kernbrand vernichtet. Als der Mond starb, starben auch alle Gleamors. Ein ganzes Volk, immerhin. Kollateralschaden. Ich habe viele Interviews gegeben, und ich habe viele Fragen über meine Einsätze beantwortet. Keiner hat mich je gefragt: Warum?« »Das hier ist kein Einsatz«, sagte Paspatern. Iwan Iwanowitsch lachten beide. »Das kannst du nicht beurteilen. Du warst nie in einem Einsatz!« »Das wart ihr auch nicht«, sagte Paspatern. »Es ist nicht wirklich eure Erinnerung. Es ist die Erinnerung eines anderen Goratschin.« »Was du nicht sagst!«, höhnte Iwan. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Grüne Hautschuppen rieselten zu Boden. Plötzlich wimmerte Iwanowitsch auf. Er starrte das Eis an. Einer seiner Zähne steckte darin, ein dünner Blutfaden rann ihm über die Unterlippe. »Du bist ein Klon«, erklärte Paspatern. »Ich habe eine Probe der originalen GenSubstanz des historischen Goratschin erworben und euch daraus gefertigt. Ich wollte Tausende wie euch aufziehen, ein ganzes Heer. Ihr solltet gegen die Kolonne TRAITOR kämpfen, mit Rhodan.« »Wie in den alten Zeiten.« Iwan kicherte. »Wie in den alten Zeiten, die ihr aber gar nicht erlebt habt. Wir haben euer Bewusstsein mit Erinnerungsmomenten des historischen Goratschin bestückt. Verrim hat euer Gedächtnis erstellt, Lidaya
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Pompor, das Schneewittchen, hat euch diese Vergangenheit. erleben lassen. Euer Sibirien. Eure Einsätze für das Solare Imperium.« Eure Loyalität, wollte er sagen, verkniff es sich aber. Iwanowitsch biss vom Eis das Stück ab, in dem sein Zahn steckte, und spie es aus. »Ja, und?«, fragte er. »Was spielt das für eine Rolle? Ist dein Gedächtnis deswegen echter als unseres? Kannst du sicher sein? Vielleicht hat eine Verrim auch deinen Geist gemacht. Und wenn es so wäre: Was würde es für dich ändern?« In der Tat. Was würde es ändern?, fragte sich Paspatern. Niemand garantierte ihm, dass er nicht selbst ein Klon war. Wenn in diesem Augenblick jemand käme und den Beweis dafür anträte - nichts würde sich ändern. Er wäre immer noch der Produzent des Goratschins. Er säße immer noch hier. Er wüsste immer noch nicht weiter. »Was ist passiert, dass du geflohen bist?«, fragte en Goratschin krümmte sich. Offenbar litt er große Schmerzen. Seine Augen verschleierten sich wieder. Paspatern wartete. Einer der Guten Freunde rollte heran. »Gibt's Probleme, Schatz? Brauchst du ein Pflästerchen?« Goratschin streifte die Maschine kurz mit einem Blick; es gab einen Knall; das Wrack der Maschine rutschte über den Boden und durch das Hologramm des Spinnrades. Paspatern? Alles in. Ordnung bei dir?, hörte er im Minikom. Alles in Ordnung, artikulierte er mit geschlossenen Lippen. »Was ist passiert?«, wiederholte er. »In einer Nacht wurde ich wach, weil mich etwas berührte. Aber ich habe nichts gesehen. Danach ging es mir nicht mehr gut. Ich habe es dir gesagt, weißt du das nicht mehr?« »Ich weiß.« »Ich bin vergiftet worden, nicht wahr?« »Etwas in der Art.«
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Iwanowitsch lehnte sich erschöpft zurück und schloss die Augen. Iwan beugte sich leicht vor. »In der Nacht, um die es geht, wurde ich wieder berührt. Ich hatte nur darauf gewartet. Sehen konnte ich nichts, deswegen konnte ich auch nichts zünden. Und ich wusste, wenn ich mich aufrege, legen mich die Auto-Injektoren flach. Ruhig, ganz ruhig habe ich zugepackt. Kriegte einen Arm zu fassen. Geschrei, ich hab Verrim erkannt. Wir kämpften, ich versuchte, ruhig zu bleiben, ich sagte mir:, >Ist nur eine Frau.< Ihr Arm brach. Sie schrie noch lauter. Ich kriegte ein Gerät zu fassen, riss es ab, und sie wurde sichtbar. >Schneewittchen<, sagte ich, >was tust du hier?< Sie stotterte, dummes Zeug, ich spürte, wie sie sich in meinen Kopf wühlte. Ich hatte Angst, wütend zu werden, und zündete etwas in ihrem Kopf. Peng!« Iwanowitsch röchelte, schlug dann die Augen auf. Iwan fuhr fort: »Dann red ich mit der schlauen Maschine, sie baut uns ein Spiegelfeld. Im Spiegelfeld können wir die Auto-Injektoren sehen. Ganz, ganz sacht sprengen wir sie ab.« »Warum hat die Positronik nicht eingegriffen? Sie hätte dich paralysieren sollen!« »Weil er es nicht wollte, natürlich!« »Wer?« »Dein Vater. Der wurde plötzlich sichtbar, als wir uns die Injektoren abgesprengt hatten. Der hat sich alles angesehen unter seiner Tarnkappe.« »Warum denn?«, fragte Paspatern verblüfft. »>Warum?<, frage ich deinen Vater. >Warum bist du hier? Warum hilfst du mir nicht gegen Schneewittchen?< Und er: >Weil ich wissen wollte, wer dich manipuliert.< >Und als du's schon wusstest? Warum hast du nicht eingegriffen?< Er: >Weil ich wissen wollte, wie du funktionierst.< Ich: >Ich funktioniere gar nicht! Ich wehre mich nur, das ist doch mein Recht!<
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Er lacht. >Recht? Welches Recht?< Und lacht und lacht. Dann sagt er: >Positronik!< Aber wir sind schneller, drehen uns um und lassen die Maschine platzen. Er kreischt: >Lass das! Was tust du? Dazu hast du kein Recht!< Aber wir wissen: >Wir haben jedes Recht. Denn wir sind da, um die Solare Residenz zu schützen.< Und wenn er uns hindern will, ist er gegen die Solare Residenz. Er ...« Iwan senkte die Stimme. »Er ist unser Feind, Paspatern. Da mussten wir ihn töten. Das siehst du doch ein, oder?« »Ich verstehe«, sagte Paspatern. »Und dann?« »Wir mussten raus aus dieser Höhle, wo nur Feinde waren. Wir mussten nach Terra. Wir durften nicht zulassen, dass man uns gefangen hält.« Paspatern nickte. »Haben wir das gut gemacht?« Paspatern spürte, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief. »Ihr habt die Klinik zerstört, die Mitarbeiter des Teams getötet und die Besatzung des Schleppschiffes auch.« »Ja. Sie wussten ja, wer wir waren, wohin wir wollten, und dass wir den Schutzanzug hatten.« »Aber die junge Terranerin, die euch zur Erde geflogen hat, habt ihr nicht getötet.« »Natürlich nicht!«, empörte sich Iwan. »Glaubst du, wir töten jemanden nur so, ohne Grund?« »Sie hielt uns für einen Maahk«, erklärte Iwanowitsch.« »Und dann?« »Dann haben wir uns eine Weile versteckt.« »Warum?« »Warum, warum? Was sind das für scheißlangweilige Fragen», beschwerte sich Iwanowitsch. »Wir ... wussten nicht, wo ansetzen«, sagte Iwan nüchtern. »Und die Solare Residenz schien uns nicht in akuter Gefahr « »Wart ihr dort?« »Nein«, sagte Iwan, »Wir haben sie aus dem Park gesehen. Von weitem.« »Und dann?«
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»Dann wurden wir angegriffen. Und da wurde uns klar: Die Schlacht um die Residenz hat begonnen.« »Aber man hat nicht die Residenz angegriffen, sondern euch«, sagte Paspatern. »Du verstehst nichts von Strategie«, nuschelte Iwanowitsch. »Wer die Residenz besiegen will, muss zunächst uns besiegen. Wir sind ihre Torhüter« »Wir haben kluge und mächtige Feinde, Paspatern«, flüsterte Iwan. »Es ist schade, dass wir so schwach sind.« »Ja«, sagte Paspatern. Bring das Gespräch auf eine mögliche Verständigung mit uns, hörte er Klingenbergs Stimme. Sag ihm, dass wir alle auf derselben Seite stehen wie er, dass wir der Geheimbund der ResidenzVerteidiger sind. Dass wir ihn brauchen und deswegen heilen müssen. Dass er sich in unsere Behandlung begeben muss, damit er genesen kann und stark wird, der unüberwindliche Torhüter der Residenz. Für einen Moment überlegte Paspatern, ob es Klingenberg ernst war, ob der Agent wirklich erwog, einen gesundeten Zünder für die Solare Residenz, gegen die Kolonne TRAITOR einzusetzen. Der Ara wusste es nicht. »Es gibt einen Geheimbund der ResidenzVerteidiger ...«, begann Paspatern. Iwanowitsch unterbrach ihn mit einem heiseren Lachen: »Einen Scheiß gibt es. Dieser Geheimbund ist so real wie die Figuren hier.« Er hob die Stimme: »Alles nur blöde Holografien, oder was, Towaritsch Rumpel?« »Voll korrekt, mein Arbeiterführer!«, rief die Holografie vom Spinnrad zurück. »So weit ist es mit uns«, flüsterte Iwanowitsch, »wir reden mit Gespenstern!« »Du bist krank«, sagte Paspatern. Beide Köpfe nickten. Goratschin hob die Hände. Er nestelte an einem Finger herum und hob den Nagel ab, betrachtete ihn, warf ihn zu Boden. Die Fingerkuppe war weich und weiß wie eine Made. »Du sagst, wir haben schon einmal gelebt?« Paspatern nickte.
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»Sind wir auch schon einmal gestorben?« »Ja.« »Wann sind wir gestorben?« »Am 16. Juni des Jahres 3432 alter Zeitrechnung. Vor etwa 1500 Jahren. Auf dem Planeten Anchorot. Er soll der Venus sehr ähnlich sein.« »Wie sind wir gestorben? Friedlich? An Altersschwäche?« »Ihr wurdet ermordet.« »Was sagt man dazu«, fragte Iwanowitsch. Iwan lachte. »Wir Armen«, sagte er. »Was wirst du also tun?«, fragte Paspatern. »Was schon? Sterben«, sagte Iwan. »Ich mach mit, Brüderchen«, sagte Iwanowitsch. Das Eis war aufgegessen; er schob sich den Essstiel in den Mund und kaute darauf herum. Wieder löste sich ein Zahn. Er wälzte ihn im Mund hin und her und spuckte ihn dann aus. »Kennst du das Märchen von dem Mann, der nicht mehr aus dem Haus ging?«, fragte Iwan. »Ich kenne mich in terranischen Märchen nicht gut aus«, gestand der Ara. »Es ist übrigens ein dummes Märchen«, sagte Iwan. »Der Mann geht nicht mehr aus dem Haus, weil vor der Tür ein Drache lauert.« »Aha«, sagte Paspatern. »Weil der Mann nicht herauskommt, will der Drache hinein.« »Verstehe«, sagte Paspatern und fragte sich, worauf der Goratschin hinauswollte. »Was der Drache nicht weiß, ist ...« Iwanowitsch kicherte. »... dass das Haus Fenster hat!« »Ein dummer Drache«, fand Paspatern. »Oh, für einen Drachen ist der Drache schlau«, widersprach Iwan. »Er versteht nur den Sinn der Fenster nicht.« Goratschin lachte; Iwanowitschs Lachen ging in ein Röcheln über. Er spuckte Blut auf die samtrote Lehne des Thrones. »He, du!« Goratschin winkte einem der GuteFreund-Roboter. »Ja, mein König?«, fragte der Roboter und vollführte eine komplizierte, knicksende Bewegung. »Hol mir den Zauberspiegel!«, befahl Goratschin.
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Der Roboter rollte zum Spiegel, hängte ihn von der Staffelei ab und trug ihn zum Thron. »Spieglein, zeig mir mal, was draußen so vor sich geht.« Für einen Moment blieb der Spiegel leer, dann erschienen kleine, aber präzise Holografien. Paspatern erkannte die schweren Polizeigleiter, die rund um den Turm Stellung bezogen hatten, und hoch im rostroten Himmel den Umriss eines Kugelraumschiffes. »Schau, was ich kann«, murmelte Goratschin und starrte in den Spiegel. »Nein!«, schrie Paspatern. Ein Gleiter verging in einer kalkweißen Explosion. Ein zweiter detonierte. Ein dritter. »Wollen wir uns mal das Raumschiff ansehen?«, fragte Goratschin. Paspatern machte einen Satz nach vorne, griff nach dem Rahmen des Spiegels, rüttelte und zerrte daran. Goratschin betrachtete ihn voller Verwunderung. »Auf welcher Seite stehst du, Paspatern?« Was sollen wir tun?, vernahm er die Stimme Klingenbergs. »Zieht euch zurück!«, schrie Paspatern. Iwanowitsch mahlte mit den Zähnen, spuckte etwas in die Hand, dann grinste er, zahnlos. »Paspatern - redest du auch mit Gespenstern?« »Ich rede mit den Behörden von Terrania. Mit den Schutzmannschaften der Solaren Residenz«, rief Paspatern. »Das glaubst du«, röchelte Iwan. »Wir sind ...« »Krank, ihr seid krank! Begreift es doch endlich. Und ich bin der Einzige, der euch helfen kann!« »Du Lügner«, flüsterte Iwan und lächelte. Noch immer kämpften sie um den Spiegel. »Vergrößern, vergrößern«, sagte Iwanowitsch. Im Holobild wuchs das Bild des Kugelraumers, Paspatern konnte bereits den Namenszug lesen: RYE OF THE CINQUE PORTS. Goratschin stieß Paspatern mit dem Fuß weg und hielt sich den Spiegel dicht vor die Augen. »Dann«, hörte er Iwanowitsch
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sagen, »wollen wir uns das Schiff einmal genau ansehen!« * »Machen wir dem ein Ende«, sagte Petrus Klingenberg, als die ersten beiden Detonationswellen über sie hinweggekracht waren. »Deflektoreinheiten: Stürmt die 37. Etage.« Die TARA-V-UH-Roboter starteten und aktivierten gleich darauf die Deflektorschirme. Danach schwebten die Polizei- und Geheimdienst-Einheiten los. »Der Klon wird das ganze Gebäude zum Einsturz bringen. Und wieder mit dem Antigrav entkommen. Hunderte von Toten ...« Antoni verkniff die Lippen. »Der Klon kann die RYE zum Absturz bringen. Tausende von Toten ...«, erwiderte Klingenberg. »Die Kolonne kann zufrieden sein«, erkannte Antoni bitter. »Lasst den Terranern Zeit, und sie massakrieren sich selbst.« * Paspatern rollte sich über den Boden in Richtung Thron, kam auf dem Rücken zu liegen, stützte sich auf die Ellenbogen und trat mit dem rechten Bein gegen den HoloSpiegel. Der Spiegel wurde Goratschin aus den Händen gerissen und landete irgendwo in einer Vitrine mit Kuschelblues, die Stimmen piepsten aufgeregt durcheinander. Goratschin fasste die Lehnen und stemmte sich hoch. Der Baldachin riss. Iwan Iwanowitsch schrie mit beiden Köpfen. Paspatern sah, wie die Beine des Riesen zitterten. Das rechte Bein knickte ein, Goratschin fiel auf den Thron zurück. Er stöhnte aus beiden Mündern. Die Füße fuhren über den Boden, fanden keinen Halt mehr, langsam rutschte Goratschin von der Sitzfläche und landete auf den Knien. Entthront, dachte Paspatern.
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Gleich würden die ersten TARAS in die Etage eindringen, unsichtbar und lautlos. Haltet sie auf!, artikulierte Paspatern mühsam. Es kam keine Antwort. Paspatern wusste nicht, ob er gehört worden war. Und selbst wenn ... Goratschin röchelte etwas. Paspatern verstand nicht. Er rief: »Ich verstehe euch nicht. Was wollt ihr mir sagen?« Iwan Iwanowitsch hatten die Augen geschlossen. Iwanowitschs Lippen bebten. Iwan murmelte: »Paspatern ... hilf uns doch!« Er muss den Schutzschild ausschalten, hörte er Klingenberg. Sag ihm, dass er dafür den Schutzschirm ausschalten muss! Sag es ihm endlich! »Du musst den Schutzschirm ausschalten, Iwan Iwanowitsch!«, schrie Paspatern. »Natürlich muss ich das. Ich werde es übrigens gleich tun«, sagte Iwan. Er war kaum zu verstehen. Iwanowitschs Kopf hatte zu nicken begonnen, sinnlos, rasch und heftig. »Schalt ihn aus!« »Gib mir einen Spiegel«, verlangte Goratschin. »Ich möchte etwas sehen ...« »Nein!«, rief Paspatern. »Ich gebe dir den Holo-Schirm nicht!« »Einen richtigen Spiegel«, sagte Iwan und lächelte. »Nicht einen, der zeigt, was außen ist.« »Ja«, sagte Paspatern, als er begriff. »Einen richtigen Spiegel.« Und er rief, so laut er konnte: »Hat jemand einen richtigen Spiegel?« »Ich, ich, ich«, hörte er eine helle Stimme, »aber er ist ganz klein. Aus einem Puppenhaus.« Eine der Bluespuppen kam herbeigelaufen und trug einen rosafarbenen Kinderspiegel mit beiden Armen über dem Tellerkopf. Ein leises Wehen im Raum ... die TARAS sind da! Nicht schießen, formte Paspatern mit der Zunge, und dann rief er es laut: »Nicht schießen!« Rings um den Thron wurden Kampfroboter sichtbar. Sie standen nur wenige Handbreit über dem Boden, mächtige, schweigende
Der dritte Goratschin
Maschinen, deren künstliche Gehirne die Lage sondierten. Kein Zweifel, dass sie Goratschin längst im Visier ihrer Waffensysteme und dass sie sich verständigt hatten über den einen Punkt, den sie gemeinsam unter Feuer nehmen mussten, um den Schirm zu brechen. Aber sie sahen den Klon, sie sahen Paspatern, sie sahen die herbeispringende Puppe mit dem Spiegelchen in den Händen. Und die positronischen Gehirne zogen ihre Schlüsse. Goratschin schenkte ihnen keinerlei Aufmerksamkeit mehr. »Magst du mit anschauen, was der Spiegel zeigt, Väterchen Paspatern? Oder magst du lieber gehen?« »Wir schauen es uns gemeinsam an«, entschied Paspatern. »Brüderchen«, rasselte die Stimme Iwans, »mach deine Augen auf. Ganz kurz nur. Nur ganz kurz.« 30. Juni 1346 NGZ In der Nacht In Absprache mit der Regierung waren die Aufzeichnungen gesperrt worden. Als die TARAS den Prallschirm um den Thron aufgebaut hatten, hatten sie ihn auch elektromagnetisch gesperrt und lichtundurchlässig gestellt. Selbst wenn einer der Paralysierten aus seiner Starre erwacht wäre, er hätte nicht gesehen, was im inneren Kreis vor sich ging. Aber die TARAS hatten es wahrgenommen und aufgezeichnet. Und Klingenberg wollte es sehen. »Irgendwie bin ich es ihm schuldig«, sagte er und lochte das eine Ende der Zigarre. »Schuldig? Ich finde es schwer, hier mit Begriffen wie Schuld zu arbeiten. Zumal, wenn es um dich geht.« Nadesha Timpci war, als die ersten Meldungen über den TLD-Einsatz in Terrania durch die Medien liefen, sofort von Port Venus aufgebrochen und vor kurzem in Terrania eingetroffen. Jetzt saßen sie nebeneinander auf der Couch in Klingenbergs Hauptwohnraum. Der Agent rollte eine unangezündete
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Havanna zwischen Daumen und Mittelfinger Das Hologramm baute sich auf. Sie sahen, wie Paspatern den Klon von hinten umarmte, sein Gesicht zwischen die Köpfe drängte, die ihm zugleich Platz machten, wie Goratschin der Puppe den Spiegel aus der Hand nahm und ihn vor die Augen hob und wie Iwan Iwanowitsch hineinschauten, Wange an Wange mit Paspatern. »Anhalten!«, befahl Klingenberg. Er betrachtete das Holo. »Sieht aus wie ein Familienbild«, sagte Nadesha Timpci. »Es ist ein Familienbild«, sagte Klingenberg. »Weiter!« Aber weiter war im Holo nichts mehr zu sehen, nur noch der eine, alles verbergende Blitz. Timpci nickte. »Gut, dass die TARAS den Schutzwall um den Klon errichtet haben. Sonst wären die Paralysierten noch zu Schaden gekommen.« »Ich glaube nicht, dass es nur an dem Schutzschirm der TARAS lag«, sagte Klingenberg. »Sondern?« »Ich glaube, in diesem letzten Moment hat Goratschin eine Art menschliches Augenmaß bewiesen.« »Du meinst: Der Klon hat seine eigene Zündung so dosiert?« »Goratschin« korrigierte Klingenberg. »Nicht: der Klon hat. Goratschin hat.« »Jetzt haben alle verloren«, sagte Nadesha Timpci. »Paspatern, der Goratschin-Klon, vielleicht sogar wir alle im Solsystem, denen der Klon, also Goratschin, vielleicht wirklich hätte helfen können. Alle haben verloren.« »Ach, wer weiß«, murmelte Petrus Klingenberg und zündete sich endlich seine Zigarre an. »Wer weiß das schon. Vielleicht hast du recht, und alle haben verloren. Aber vielleicht kennen wir auch nur die wahren Gewinner nicht.« Epilog 5. Juli 1346 NGZ Herrliche Nächte
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Weniamin Trofrmowitsch Stawrogin betrachtete sie ausführlich. Ihr blassblaues Gesicht, umrahmt von tiefroten Haaren. Ein Turmalin, wie man ihn nur in Paraiba auf Terra fand, oder in den venusischen Tiefminen bei Golgograd auf dem Aphrodite-Land. Ihre Augen waren so schwarz, als hätten sie sich randvoll gesogen mit der langen venusischen Nacht. Sie war eine der begehrtesten Frauen von Tomisenkowgrad und lebte exklusiv mit vier jungen Männern liiert. Noch. »Lass uns über das Glück und damit zusammenhängende Gegenstände sprechen«, schlug Stawrogin vor. Die Glassitkuppel, die sich beim Einsetzen des Eisregens über dem Schlitten geschlossen hatte, beschlug allmählich. Enorm, dachte Stawrogin. Die Positronik hat wirklich an alles gedacht. »Ich weiß nicht, ob ich glücklich sein will, unter dem TERRANOVA-Schirm. In der Gefahr, dass die :Kolonne jederzeit ...« Stawrogin küsste sie stumm auf die eisige Wange. »Wir sind immer in Gefahr, Jeka. Leben heißt, in Gefahr sein.« Jekaterina Fayndel lächelte mädchenhaft. »Du und dein dummes Geschwätz«, klagte sie. Stawrogin küsste sie wieder. Selbe Stelle, aber unter Einsatz seiner Zungenspitze. »Schließ die Augen! Das ist ein Befehl«, sagte er. »Die Militarisierung des Alltags ist ein erster Schritt in den Faschismus«, warnte sie. Aber die Augen schloss sie doch. »Warnung«, sagte sie, »mein Mund gehört mir. Dorthin küsst du mich nicht, verstanden?« »Wer hat behauptet, dass ich deinen Mund küssen will?« Stawrogin klang aufrichtig verwundert. »Augen bitte geschlossen halten. Ich habe eine Überraschung für dich.« Er zog eine schmale Phiole hervor, in der eine ölige, blausilberne Flüssigkeit wie in Zeitlupe schwappte. Er öffnete die Phiole und ließ ein wenig Flüssigkeit auf seinen Zeigefinger tropfen. »Küssen will
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ich deinen Mund vorläufig gar nicht. Du sollst ihn nur ein ganz klein wenig öffnen.« »Nichts da!« »Hab dich nicht so. Wir müssen alle Opfer bringen. Terra darf nicht fallen!« Sie lächelte, seufzte, sagte »Na gut. Für die Liga«, und öffnete den Mund. Er schob ihr den Finger in den Mund. »Koste davon!« »Boschemoj !«, rief Jekaterina und verzog angewidert das Gesicht. »Was ist das denn?« »Es wird dir helfen, mich mit neuen Augen zu sehen.« »Ach ja?« Sie öffnete erst das. linke, dann das rechte Auge. »Tatsächlich«, hauchte sie, »ich sehe dich mit neuen Augen.« Viele Stunden später, nachdem er ihr Haus auf den Messinghöhen über
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Tomisenkowgrad verlassen hatte und im offenen Schlitten dem Hinkenden OrangUtan zujagte, die Peitsche in der Hand, die Troika keuchend, beglückwünschte er sich noch einmal zu diesem Geschäft. Vielleicht würde er ja die Ebar-Doschonin in der Schänke treffen. Ein rätselhaftes Geschöpf. Ob ihre Physis auf das Elixier der Aras ansprechen würde? Warum nicht? Die Aras waren ein so wunderbares Volk. Und die Zukunft war ein wunderbares Land, das seinen Träumen weite Räume bot. Und die Terminale Kolonne? Kolonne kommt, Kolonne geht, dachte er. Stawrogin öffnete den Mund trotz des Eisregens und sang lauthals in die herrliche Nacht der Venus hinein. »Tak byla, tak jest i tak budet wsegda!«
ENDE