Robert Baar Allein unter Frauen
Robert Baar
Allein unter Frauen Der berufliche Habitus männlicher Grundschullehrer
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Robert Baar Allein unter Frauen
Robert Baar
Allein unter Frauen Der berufliche Habitus männlicher Grundschullehrer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.vsverlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17452-5
Danksagung
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die leicht überarbeitete und gekürzte Fassung meiner von der Fakultät I der Pädagogischen Hochschule Freiburg angenommenen Dissertation im Fach Erziehungswissenschaft. Mein besonderer Dank gilt meiner betreuenden Professorin Frau Prof. Dr. Sylvia Buchen für die großartige und kontinuierliche Unterstützung sowie Herrn Prof. Dr. Dr. Bernward Lange (Pädagogische Hochschule Heidelberg) für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens.
Inhalt
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
A Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Der geschlechterbezogene Ansatz dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Männerforschung und Erziehungswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.1 Empirische Männerforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.2 Kurzer historischer Abriss der deutschsprachigen Männerforschung. . 27 2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung . . . . 33 2.3.1 Das Konzept des männlichen Geschlechtshabitus nach Pierre Bourdieu. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3.2 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit nach . . . . . . . . . Robert Connell 40 2.3.3 Konklusion der Ansätze Bourdieus und Connells. . . . . . . . . . . 43 2.4 Männerforschung und Schulpädagogik: Aktueller Forschungsstand . . 47 3. Die geschlechtsspeziÀsche Segregation des Arbeitsmarktes am Beispiel ‚Grundschule‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.1 Zur BegrifÁichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.2 Begründungstheorien für die geschlechtsspeziÀsche Segregation des Arbeitsmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.3 Historischer Abriss zur geschlechtsspeziÀschen Segregation des Grundschullehrerberufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.4 Männer in gegengeschlechtlichen Berufsfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . 76
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Inhalt
B Methodologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Methodologische Vorüberlegungen und Verfahrensweisen . . . . . . . . . . . 87 1.1 Empirische Sozialforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1.2 Symbolischer Interaktionismus als Grundlage qualitativer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Explikation des Forschungsdesigns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.1 Das problemzentrierte Interview als Erhebungsmethode . . . . . . . . . . 91 2.2 Die dokumentarische Methode als Auswertungsverfahren . . . . . . . . 97 3. Zur Auswahl des Samples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
C Empirische Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Sechs Fallanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“ . . . . 117 1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Áirtet mal vielleicht ein bisschen.“ . . 167 1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“. . . 189 1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“. . . . . . . . . . . . 261 1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Kontrastierung der Handlungsorientierungen nach Themenfeldern . . . . . 326 2.1 Berufswahlmotivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2.2 BerufsbiograÀe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 2.3 Professionsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2.4 Stellung im Kollegium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 2.5 Berufsprestige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 2.6 Vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitsalltag: Allein unter Frauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 2.7 Zusammenfassung und Ableitung einer Typologie . . . . . . . . . . . . . . 367
Inhalt
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3. Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3.1 ReÁexiver Habitus: Denkhandeln in Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 3.2 Nicht-reÁexiver Habitus: (Bedrohte) Selbstverständlichkeiten . . . . . 373 3.2.1 Sexierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 3.2.2 Führungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 3.2.3 Innere Emigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
D Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 1. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse: Habituelle (Un-)Sicherheiten, Männlichkeitskonstruktionen, Bewältigungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 2. Perspektiven: Entdramatisierung durch Dramatisierung von Geschlecht. . 399 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 1. Transkriptionsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 2. Interviewleitfaden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
Einleitung
Zur Fragestellung Im Schuljahr 2006/07 waren in Deutschland knapp 87 Prozent der Lehrenden an Grundschulen Frauen (vgl. Statistisches Bundesamt 2008a). An Grundschulen in Freiburg im Breisgau betrug die Frauenquote im Schuljahr 2009/10 sogar rund 94 Prozent, wovon circa 40 Prozent der wenigen Männer, die hier tätig waren, Schulleitungspositionen besetzten (eigene Erhebung). Die Feminisierung des Lehrerberufs, speziell die außerordentlich hohe Quote von Frauen an Grundschulen, beschäftigt nicht nur Erziehungswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler sowie Bildungsforscherinnen und -forscher schon seit längerer Zeit. Seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse,1 meldeten sich verschiedene Kultusminister zu diesem Thema, voller Sorge um die Qualität der Schulen, vor allem aber auch über das schlechte Abschneiden der männlichen Jugendlichen. Unter der Schlagzeile „Lehrerinnen machen Schüler dumm – Kultusminister schlagen Alarm“ macht die Bild-Zeitung am 28.9.2003 den Grund für das schlechte Abschneiden der Jungen in Schulvergleichsstudien aus: „An den deutschen Schulen unterrichten zu viele Lehrerinnen!“ Niedersachsens Schulminister Bernd Busemann wurde in dem Artikel ebenso mit der Forderung nach einer Männerquote zitiert wie die Kultusministerin von Baden-Württemberg Annette Schavan und die hessische Schulministerin Karin Wolff. Während die Bild-Zeitung deren Äußerungen gerne aufgreift und weiter polemisiert, formuliert die Stuttgarter Zeitung am 30.9.2003 spitz: „Jetzt wissen wir’s. Schuld am Pisa-Debakel ist nicht etwa, dass es zu wenig Lehrer gibt. Nein, es gibt zu viele Lehrerinnen.“ Ungeachtet dessen ist der Ruf nach einer Männerquote, die laut Schavan den Jungen männliche Rollenvorbilder schaffen und so deren Motivation fördern soll, seither nicht mehr verstummt. Die jüngsten Forderungen auf bildungspolitischer Ebene stammen, wenn auch nicht in Form einer konkreten Quote von der schleswig-holsteinischen Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave sowie von ihrer nordrhein-westfälischen Kollegin Barbara Sommer.2 1 PISA untersuchte die Kompetenzen im Bereich Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in insgesamt 32 Ländern. Dabei konnte – im Übrigen in allen Ländern – eine hohe Differenz in der Lesekompetenz zu Ungunsten von Jungen festgestellt werden (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001). 2 Vgl. http://www.wdr.de/themen/wissen/bildung/schule/gaestebuch.jhtml?offset=50 (10.9.2008).
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Einleitung
Auch Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes, untermauert die aus seiner Sicht notwendige Erhöhung des Männeranteils an Grundschulen: „Die fortschreitende Feminisierung/Verweiblichung des Erziehungs- und Bildungsgeschäfts ist tatsächlich ein Problem. Wir haben immer mehr Jungen und Mädchen, die das ganze erste Lebensjahrzehnt mit keinem Mann zu tun haben. Ihre Entwicklung/Sozialisation ist geprägt von ausschließlich weiblichen Bezugspersonen: alleinerziehende Mutter, Kindergartenerzieherin, Grundschullehrerin. Das ist für Jungen und Mädchen gleichermaßen ungünstig, denn sie lernen damit keine männlichen Verhaltensmuster kennen. Letzteres wäre nötig – sei es als Vorbild, sei es, um sich daran reiben zu können (auch im Sinne des Erlernens eines konstruktiven Umgangs mit Gewaltimpulsen).“ (Kölnische Rundschau, 8.1.2007)
Der populärwissenschaftliche Diskurs wird bestimmt von der These, dass der hohe Anteil weiblicher Lehrerinnen an den Schulen der Grund ist für das schulische Versagen der Jungen; mal latent, mal offensiv werden die Lehrerinnen in einem nächsten Schritt verantwortlich gemacht für das generelle Scheitern der Schülerinnen und Schüler bzw. des gesamten Schulsystems bei internationalen Vergleichsstudien.3 Aber auch Sozialwissenschaftler werden nicht müde, vor einer Feminisierung der Grundschulen zu warnen. Klaus Hurrelmann, Sozial- und Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bielefeld, unterstützt die Forderung nach einer Männerquote an Grundschulen.4 Bernd Trocholepczy, Theologieprofessor an der Universität Frankfurt und stellvertretender geschäftsführender Direktor des Zentrums für Lehrerbildung, Schul- und Unterrichtsforschung, vertritt in der FAZ vom 3.9.2008 die These, dass Kinder nur mit männlichen und weiblichen Lehrerinnen und Lehrern eine eigene Identität erwerben können, da sie Vorbilder und Reibungsflächen brauchen. Der Entwicklungspsychologe und Familienforscher an der Freien Universität Bozen Wassilios Fthenakis äußert sich in einem Interview in der FAZ vom 12.10.2007:
3 Dabei ist zu bedenken, dass das medial aufgearbeitete und so auch Nicht-Experten zugängliche Wissen nicht nur vermittelt, sondern darüber hinaus auch produziert und funktionalisiert wird. Die Wirkmacht populärwissenschaftlicher Darstellungen kann gerade bei sensiblen Themen wie der Evozierung von Geschlechterdifferenz m.E. nicht ernst genug genommen werden, wie sich auch in vorliegender Studie unter den thematischen Aspekten Selbstwert/Sozialprestige deutlich zeigt. Symptomatisch erscheint hier der Titel des SPIEGEL (21/2001): „Schlaue Mädchen – Dumme Jungen. Sieger und Verlierer in der Schule“, darunter ein Artikel von Katja Thimm mit dem bezeichnenden Titel „Angeknackste Helden“. Anhand des aktuellen Artikels „Triumph der Schmetterlinge“ von Ralf Neukirch (Der Spiegel 35/2008, S. 44f.) lässt sich nachzeichnen, wie sich der Diskurs mittlerweile weiter zuspitzt und sich der Ton in verschärfter Form gegen vermeintliche Frauennetzwerke wendet, denen die Jungen ‚egal‘ seien. 4 „Unterdrückte Jungs“, Sendung vom 14.1.2007, WDR, Autor: Hoverath, M.
Einleitung
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„Genauso wie Männer in der Vergangenheit in Netzwerken ihren Machtstatus untermauert haben, bevorzugen heute Frauen jene, die mehr dem eigenen Ansatz entsprechen: die Mädchen. Deshalb sind Jungen heute die gefährdete und benachteiligte Gruppe. Es müsste eine Gesellschaft erschüttern, wenn ein Geschlecht, egal welches, diese systematische Benachteiligung erfährt. Aber niemand steht auf und protestiert. Es herrscht stattdessen ein merkwürdiges Schweigen.“
Unter die Sorge um die Entwicklung der Jungen und Mädchen mischen sich, so ist gerade in letzterem Zitat zu erkennen, auch Ängste, die eine große Verunsicherung bei Männern und die Furcht vor feministischen Netzwerken, die die bestehende Geschlechterordnung unterlaufen könnten, widerspiegeln: Frauen – die Grundschullehrerinnen! – als ‚Gender Trouble-Maker‘, denen es Einhalt zu gebieten gilt. Empirische Belege zur Untermauerung dieser dem momentanen populärwissenschaftlichen, aber auch sozialwissenschaftlichen Mainstream entsprechenden Thesen bleiben die Experten bislang allerdings schuldig.5 Den eigenen Thesen zuwiderlaufende Ergebnisse aus den wenigen Studien, die es in Bezug auf die schwache Schulleistung von Jungen gibt, werden ignoriert.6 Auch wenn es so aussieht, dass sich die Forderung nach einer Männerquote an Grundschulen politisch nicht durchsetzen lässt: Die Frage, warum so wenige junge Männer überhaupt Grundschullehrer werden wollen, steht weiterhin im Raum. Welchen professionellen Beitrag die wenigen Männer leisten, die in der Grundschule dann doch tätig sind, ist bislang ebenso wenig Gegenstand von Forschung.7 5 Auf die Untersuchung von Diefenbach/Klein (2002), deren Autoren als einzige einen empirischen Anspruch erheben, soll an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Sie wird in Kap. A 2.4 noch genauer beleuchtet werden. 6 So weisen Rodax und Hurrelmann (1986), also derselbe, der heute eine Männerquote fordert, sowie Hille (1990) nach, dass die Defizite der Jungen auch schon vorhanden waren, als von einer Feminisierung des Schulwesens noch lange nicht gesprochen werden konnte. Cohen (1998, 2004) gelingt der Nachweis der schulbezogenen Defizite von Jungen in einer historischen Entwicklungslinie bis zurück ins 17. Jahrhundert. Dass es wissenschaftlich kaum haltbar ist, einen Zusammenhang zwischen dem schlechten Abschneiden von deutschen Schülerinnen und Schülern in internationalen Vergleichsstudien wie PISA und der Anzahl von Frauen in Lehrtätigkeiten herzustellen, lässt sich schon allein auf Grund der Tatsache feststellen, dass in den meisten Ländern, die besser abgeschnitten haben, ein noch höherer Frauenanteil unter den Lehrerinnen und Lehrern zu finden ist (vgl. die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2003“). Auch in der IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) von 2001 erzielten deutsche Grundschülerinnen und -schüler – im Vergleich zur Überprüfung der Kompetenzen bei 15-Jährigen in der PISA-Studie – passable Ergebnisse, obwohl der Frauenanteil in den Grundschulkollegien eklatant höher ist als in den weiterführenden Schularten (vgl. Bos u.a. 2003). Für eine kritische Auseinandersetzung vgl. auch Cremers (2007). Kuhn stellt in einer Sekundäranalyse ein großes Forschungsdesiderat fest und kommt zum Schluss, dass auch die sehr seltenen Studien die These einer „femininen schulischen Subkultur“ (Kuhn 2008: 59) widerlegen. 7 Etwa zeitgleich mit der Beendigung der vorliegenden Studie startet Hannelore Faulstich-Wieland im Juli 2008 an der Universität Hamburg das erste Forschungsprojekt, das explizit männliche Grundschullehrer bzw. Studierende dieses Berufes zum Gegenstand hat. Im Projekt „MäGs: Männer
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Einleitung
Vor dem Hintergrund der hier in Grundzügen dargestellten Diskussion soll in vorliegender Studie genau letztgenanntes Desiderat bearbeitet werden: Interessieren soll zum einen die Selbstsicht männlicher Grundschullehrer auf ihre berufliche Tätigkeit, zum anderen vor allem auch die Konstruktionen, die mit der Arbeit in einem weiblich konnotierten Berufsfeld mit vergeschlechtlichten Berufsstrukturen einhergehen.8 Was also tun männliche Grundschullehrer in der Schule, wie tun sie dies und warum tun sie es genau so und nicht anders. Anders ausgedrückt: Gibt es einen erkennbaren beruflichen Habitus männlicher Grundschullehrer, und wenn ja, wie kommt dieser zustande? ‚Beruflicher Habitus‘ wird dabei verstanden als ein „solides System internalisierter Handlungsregeln, die der Anpassung an die Berufsanforderungen, der sinnvollen Interpretation des eigenen Selbst und der gesellschaftlichen Bedingungen dienen.“ (Profanter 2005: 49)
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, nach dem Zusammenhang zwischen der Arbeit in einem weiblich konnotierten Berufsfeld und der Herausbildung von männlichen Selbstkonzepten – von ‚Männlichkeiten‘ – zu fragen und deren Bedeutung für das berufliche Alltagshandeln von Grundschullehrern zu rekonstruieren. Der Kategorie ‚Geschlecht‘ kommt bei der Suche nach dem berufsbezogenen Habitus der männlichen Grundschullehrer ein zentraler Stellenwert zu, so dass die vorliegende Studie an der Schnittstelle von Schulpädagogik und Gender Studies anzusiedeln ist. Zum Forschungsstand Gerade in der Schule finden geschlechterstereotypisierende Zuschreibungen auf vielfältige Weise statt. Die Auswirkungen auf die Erziehung bzw. Bildung von Jungen, vor allem aber auf Mädchen, wurden bereits in Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Publikationen dargestellt. Meist beschränken sich diese Studien aber darauf, die unterschiedlichen Bildungschancen von Mädchen und Jungen zu beschreiben. Neuere Studien münden oft in der Forderung nach reflexiver Ko-
und Grundschule – Gleichstellung und Diversity an der Fakultät forschend entwickeln“ sollen vor allem Berufswahl- und Berufsfindungsprozesse angehender männlicher Grundschullehrer erforscht werden. Eine nähere Beschreibung des Projekts findet sich unter http://www.erzwiss.uni-hamburg. de/Personal/faulstich-wieland/Maenner%20und%20Grundschule.htm (14.11.2008). 8 Der Begriff ‚weiblich konnotiert‘ weist auf die Einordnung des Berufs als Frauenberuf hin. Als ‚Frauenberufe‘ werden in der Regel solche Berufe bezeichnet, in denen eine quantitative Dominanz von Frauen vorherrscht und in denen die Eigenschaften, die stereotyperweise mit der Tätigkeit verbunden sind, als mit dem Frausein verbunden angesehen werden (vgl. Horstkemper 2000b: 268).
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edukation9 oder der generellen Entdramatisierung der Bedeutung von Geschlecht,10 wobei Lehrerinnen und Lehrer als ebenfalls geschlechtliche Wesen wenn überhaupt, dann nur am Rande eine Rolle spielen. Nur sehr vereinzelt tritt dieser Aspekt in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses: Im Bereich der Professionalisierung des Lehrerberufs fasst Horstkemper (2000a) verschiedene Studien zur geschlechtspezifischen Form der Berufsausübung zusammen und konstatiert graduelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern vor allem für den Bereich der personalen Beziehungsebene zwischen Lehrerinnen bzw. Lehrern und Schülerinnen bzw. Schülern sowie auf der Ebene der kooperativen und kommunikativen Verständigung im Kollegium. Der Bereich der Grundschulen bleibt Horstkempers Zusammenschau zufolge dabei allerdings unbeleuchtet. Auch die jüngst veröffentlichte Studie von Nicola Düro „Lehrerin – Lehrer: Welche Rolle spielt das Geschlecht im Schulalltag?“ klammert den Bereich der Grundschule „zur Erzielung einer größeren Homogenität des Samples“ (Düro 2008: 63) explizit aus, obwohl bei der Datenerhebung durchaus Gruppendiskussionen mit Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern erhoben wurden. Für den Sekundarbereich dahingegen stechen zwei weitere Untersuchungen heraus: Flaake (1988/1989) fokussiert bereits Ende der 1980er Jahre das unterschiedliche Verhältnis von Lehrerinnen und Lehrern zu ihrem Beruf. Männer legen ihren Untersuchungen zufolge einen Berufshabitus an den Tag, der auf der professionellen Identität als Wissensvermittler basiert. Von ihren Schülerinnen und Schülern grenzen sich männliche Lehrer im Gegensatz zu ihren weiblichen Kolleginnen deutlich ab. Auch Buchen/Combe (1996) weisen in ihrer Studie zur Berufsbelastung von Lehrerinnen und Lehrern auf ein geschlechtsspezifisches Professionsverständnis hin und deutet bei Männern ein eher fachwissenschaftlich geprägtes Interesse an ihrem Beruf an. Die personale Ebene des Unterrichtens erleben Männer als anstrengend, worauf sie mit einer inneren Distanz zu den von ihnen unterrichteten Schülerinnen und Schülern, aber auch zu ihrem Beruf insgesamt reagieren. Düro selbst kommt in ihrer Studie zur Erkenntnis, dass die Mehrzahl der von ihr erfassten kollektiven Orientierungen von Lehrerinnen und Lehrern in Bezug auf Geschlechterkonstruktionen einer biologistischen Differenzhypothese
9 Einen umfassenden Überblick zur Ideengeschichte, zu Entwicklungslinien und Zukunftsperspektiven der Koedukation liefern Horstkemper (1999) sowie das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung Soest/Westfalen (2002). Zusammenfassend zum Begriff der reflexiven Koedukation vgl. Faulstich-Wieland (1999). 10 So z.B. die jüngste Studie von Budde/Scholand/Faulstich-Wieland (2008) über die Konstruktionsmechanismen von Geschlecht durch Lehrerinnen und Lehrer im Kontext der Schulentwicklung an einem österreichischen Gymnasium.
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Einleitung
folgen.11 Dieses Muster bewirkt eine Stereotypisierungen und Dichotomisierung der Geschlechter, die Auswirkungen auf den Umgang mit den Schülerinnen und Schülern, aber auch auf das Professionsverständnis der Lehrerinnen und Lehrer haben (vgl. Düro 2008: 204ff). Hier sei zum einen der Pygmalion-Effekt genannt, zum anderen die Gleichsetzung von Mannsein und Autorität/Macht. Eine klare Zuordnung zu einem der Bereiche Wissensvermittlung oder Erziehung, wie dies bei Flaake und Buchen/Combe der Fall ist, stellt Düro zunächst nicht fest: Sie spricht von einer „Zielkonkurrenz“ und einer „erlebten Rollendiffusion“ (ebd.: 212). In einem anderen thematischen Zusammenhang werden dennoch Geschlechterreviere festgestellt, die sich vordergründig um ebenjene Pole bilden, hinter denen darüber hinaus aber „eine grundsätzliche Konkurrenz im Wettstreit um Macht und Einfluss zu erkennen“ (Düro 2008: 234) ist. Für den Bereich der Berufswahlmotivation stellt Düro fest, dass Lehrerinnen nach wie vor eng an das Bild des Lehrerin-Seins als familiennahe und damit weiblich konnotierte Tätigkeit gebunden sind, die darüber hinaus ebenjenen Spagat zwischen Berufstätigkeit und Familienversorgung vollbringen kann. Die Berufswahlmotive der männlichen Lehrer erscheinen dahingegen uneinheitlich. Alle drei Studien beleuchten allerdings Lehrerinnen und Lehrer aus dem Sekundarstufenbereich. Welches Professionsverständnis im Primarbereich tätige Lehrer haben, darüber existieren keine wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse. Vor dem Hintergrund des Forschungsdesiderats fordert Hänsel, in Bezug auf die Geschlechtersegregation im Lehrberuf zukünftig u.a. die Differenzen zwischen den Schularten genauer in den Blick zu nehmen (vgl. Hänsel 1997); was bislang aber weiterhin ausbleibt. Terhart macht für den gesamten Bereich der Grundschulen ein Forschungsdefizit aus, indem er feststellt, dass auf Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer bezogene Forschungen kaum existieren (vgl. Terhart 2001: 134). Auch Spitz weist in ihrer Studie zur Professionalität von Grundschullehrerinnen darauf hin, dass das pädagogische Handeln von Lehrerinnen und Lehrern der Primarstufe noch weitgehend unerforscht ist (vgl. Spitz 2003: 3).12 11 Die Studie eruiert mittels Gruppendiskussionen vor allem die Themenfelder Geschlechterkonstruktionen, Professionsverständnis und Generationendifferenz. Bei der Anlage der Studie wird von einem durchgängigen Vergleich von Männern und Frauen bzw. deren Orientierungen verzichtet. Vielmehr werden anhand der kollektiven Orientierungen aller Gruppen, die größtenteils geschlechtergemischt sind, Orientierungsmuster herausgearbeitet, die auch vergeschlechtlichte Handlungsweisen umfassen. 12 Eine der wenigen Ausnahmen bildet hier Schönknecht mit ihrer Studie zu innovativen Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern, wobei auch hier der Kategorie Geschlecht keine nähere Beachtung geschenkt wird. Im Übrigen weist Schönknecht ebenfalls nach, dass kaum Forschung über Primarstufenlehrerinnen bzw. -lehrer existiert (vgl. Schönknecht 1997: 18f.).
Einleitung
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Erst recht existieren keine empirisch abgesicherten Hinweise auf eine ‚typisch weibliche‘ oder ‚typisch männliche‘ Berufsausübung von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern. Lediglich Terhart u.a. schreiben im Zusammenhang mit ihrer Untersuchung von Berufsbiographien von Lehrerinnen und Lehrern verschiedener Schularten, die auch den Primarbereich einschließen, Frauen im Gegensatz zu Männern eine eher „persönlich-erzieherisch-involvierte“ (Terhart u.a. 1994: 187) Orientierung zu. Diese Ergebnisse knüpfen damit an die Befunde zum Sekundarbereich (s.o.) an. Hier muss allerdings gefragt werden, ob sich dieses Bild in einer Zeit sich wandelnder Geschlechterverhältnisse inzwischen nicht verschoben haben könnte. Auch werden Frauen und Männer dabei binär-komplementär betrachtet; auf eventuell vorhandene Differenzierungen innerhalb der Genusgruppen wird nicht weiter eingegangen; andere Strukturkategorien als die des Geschlechts (Generation etc.) fließen nicht in die Untersuchung ein. Theoretische Vorannahmen Folgt man der Argumentation Wetterers, so sind Männer wie Frauen danach bestrebt, „ihren Beruf in einer Weise auszuführen, für sich selbst zu interpretieren und für andere darzustellen, die darauf abzielt, Geschlechtszugehörigkeit und berufliches Alltagshandeln als kongruent in Szene zu setzen“. (Wetterer 1995: 237)
Horstkemper stellt in diesem Zusammenhang fest, dass eine Berufswahl, die nicht mit dem eigenen Geschlechterstereotyp kongruiert, zu speziellen Herausforderungen führt: „Zum einen muss die Eignung für die Tätigkeit in dem gewählten Bereich immer wieder neu bewiesen werden, der Erfolgs- und Legitimationsdruck ist hoch. Dazu müssen in der Regel auch Kompetenzen und Verhaltensweisen angeeignet werden, die eher dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Zum anderen muss dies aber vorsichtig ausbalanciert werden mit den Ansprüchen der Geschlechterrolle, um nicht in eine soziale Randstellung zu geraten oder gar isoliert zu werden.“13 (Horstkemper 2000b: 268)
13 So stellt beispielsweise auch Williams (1989) in ihrer als klassisch geltenden Untersuchung zu männlichen Krankenpflegern fest, dass diese außerordentliche Anstrengungen unternehmen müssen, um durch ihre gegengeschlechtliche Berufsausübung nicht als ‚unmännlich‘ stigmatisiert zu werden (vgl. Gildemeister/Robert 2008: 228f.). Generell schränkt Tölke ein, dass der Beruf vor allem für Männer zwar „als zentrale Ressource für die Organisation des individuellen Lebenswegs, für die gesellschaftliche Teilhabe und die soziale Anerkennung“ (Tölke 2000: 139) galt, in jüngster Zeit allerdings eine Auflockerung festzustellen ist. Dennoch scheinen im Fall von männlichen Grundschullehrern Horstkempers Thesen schlagkräftig und können anhand der hier vorliegenden Pilotstudie eventuell auch bestätigt werden.
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Einleitung
Hierzu mag es nötig sein, das berufliche Handeln der Kolleginnen umzudeuten und weibliche Professionalität zu leugnen (vgl. Geissler 1998: 113). Vielleicht müssen Männer ihre Arbeit so interpretieren, dass sie „kongruent ist zur Enaktierung der Geschlechterdifferenz“ (Gildemeister/Wetterer 1992: 247), um eine Passung von beruflicher Alltagswirklichkeit und den Anwendungsbedingungen des männlichen Habitus zu erreichen.14 Eine andere Strategie kann sein, die wenigen Aufstiegspositionen (Schulleitung, stellvertretende Schulleitung) zu besetzen. Dieses Phänomen belegen für die Grundschule statistische Daten.15 Kontos weist auf Tendenzen hin, dass Männer ihren Minderheitenstatus in Frauenberufen in die „Kostbarkeit der Seltenheit ummünzen“ (Kontos 2008: 71) und daraus Hegemonieansprüche ableiten. In Bezug auf Frauen macht Geissler die Möglichkeit aus, dass angesichts mangelnder beruflicher Perspektiven auf den immanenten Sinngehalt der Arbeit, auf intrinsische Motivation und Zufriedenheit mit der Sache an sich verwiesen wird (vgl. Geissler 1998: 115f.) Dies könnte auch für Männer gelten. Dennoch verlangt die Sinndimension der Arbeit „nach einem Mindestmaß an sozialer Wahrnehmung und Bestätigung“ (Hagemann-White 1998: 34). Davon, dass Männern diese im Beruf des Grundschullehrers erfahren, könnte nicht nur ihre Berufszufriedenheit,16 sondern ihr gesamtes psychosoziales Befinden17 und daraus resultierende Handlungspraxen abhängig sein, stellt Hagemann-White doch fest, dass das „Selbst-in-der-Welt“ (ebd.: 33), dass sich eben gerade in der Erwerbsarbeit festmacht, wesentlicher Bestandteil des eigenen Identitätskonzeptes ist. Daneben tritt das „Selbst-in-Beziehung“ (ebd.: 34), das Anerkennung im zwischenmenschlichen Bereich umschreibt. Zwar wird dieses Kriterium eher Frauen 14 Leidner (1991) zeigt in ihrer Untersuchung zu Versicherungsagenten auf, dass Männer, deren berufliche Tätigkeit Anforderungsmerkmale aufweisen, die stereotyperweise als ‚weiblich‘ gelten, durch partielle Umdeutungen eine Maskulinisierung der Tätigkeit erreichen (vgl. Knapp 2001: 175). 15 So waren im Jahre 2001/02 69,9 Prozent der Schulleitungen an baden-württembergischen Grundund Hauptschulen männlich besetzt (vgl. Roisch 2003: 40): Diese Zahlen markieren relativ genau das spiegelverkehrte Bild des quantitativen Geschlechterverhältnisses. 16 ‚Berufszufriedenheit‘ ist zu verstehen als das Resultat einer Bilanz, die das Verhältnis von Erwartungen an den Beruf und die Erfüllung dieser Erwartungen einem Vergleich unterzieht (vgl. Merz 1979). 17 Eder bezeichnet mit Befinden „relativ überdauernde Stimmungen und Empfindungen“ (Eder 1995: 16, Hervorhebung i. O.). Das Befinden, das sich aus Selbstbeschreibungen und Erlebnisaussagen ableiten lässt (vgl. Wenninger 2000: 189), wird in der Psychologie in der Regel als Allgemeinzustand erfasst (vgl. Tewes/Wildgrube 1999: 53). In der vorliegenden Studie beschränkt sich das Interesse auf das berufliche Befinden. Auch wird Befinden weniger psycho-physisch, sondern psycho-sozial verstanden. Mit diesem psycho-sozialen Ansatz wird der Gedanke Heideggers aufgegriffen, der ausführt, dass in der Befindlichkeit „existential eine erschließende Angewiesenheit auf Welt“ (Heidegger 1960/1927: 137) liegt.
Einleitung
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als Männern zugeschrieben, doch kann man sich leicht vorstellen, dass – bezogen auf ihre Berufstätigkeit – auch männliche Grundschullehrer ein Mindestmaß an Gratifikation benötigen, um sich mit ihrem Beruf zu identifizieren und zu einem professionellen Handeln zu gelangen. In dieser Arbeit werden die Handlungspraxis und der berufsbezogene Habitus, der dahinter steht, in den Fokus des Forschungsinteresses gerückt. Aus den theoretischen Vorannahmen geht hervor, dass der Kategorie Geschlecht dabei ein zentraler Stellenwert zukommt. Zum Vorgehen Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile: In Teil A wird der theoretische Hintergrund, der der Studie zugrunde liegt, geklärt. Hierzu wird zunächst der geschlechterbezogene Ansatz erläutert, um anschließend einen Blick auf das Verhältnis von Männerforschung und Erziehungswissenschaft zu werfen. Zuvor werden sowohl der Habitusbegriff Bourdieus als auch das Konzept der Hegemonialen Männlichkeit nach Connell geklärt, bilden beide Ansätze sowie deren Konklusion doch die theoretische Grundlage für den empirischen Teil der Arbeit. Schließlich werden zentrale Erkenntnisse der Forschung zur geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes aufgezeigt. Die methodologischen Grundlagen des empirischen Teils sind Gegenstand des Teils B. Hier werden methodologische Vorüberlegungen angestellt, vor allem aber das Forschungsdesign erläutert. Im Rahmen des Kapitels zur Auswahl des Samples wird gesondert auf das methodische Problem der Reifizierung von Geschlechterdifferenz eingegangen. Darüber hinaus werden in einem Exkurs die Strukturkategorien ‚Generation‘ und ‚Milieu‘ in ihrer Bedeutung für die vorliegende Studie geklärt. Der dritte Teil C ist der Darstellung der empirischen Ergebnisse gewidmet. Aus der Kontrastierung von insgesamt sechs hierfür ausgewählten Falldarstellungen wird eine Typologie entwickelt, die den beruflichen Habitus männlicher Grundschullehrer repräsentiert und die Konstruktionen erläutert, die diesem Habitus zugrunde liegen. Das Resümee in Teil D fasst die zentralen Forschungsergebnisse abschließend zusammen und zeigt Perspektiven für die pädagogische Handlungspraxis auf.
A Theoretische Grundlagen
Teil A der vorliegenden Arbeit dient der Darstellung des theoretischen Rahmens, innerhalb dessen sich die empirische Untersuchung bewegt. Hierzu wird in Kapitel 1 der geschlechterbezogene Ansatz erläutert, um in Kapitel 2 den Stand, die Entwicklung und die Erkenntnisse der Männerforschung in den Blick zunehmen. Es werden historische Entwicklungen knapp skizziert, nach den Schnittpunkten zwischen Männerforschung und Schulpädagogik gefragt, vor allem aber das Konzept des männlichen Geschlechtshabitus nach Bourdieu sowie das Konzept der hegemonialen Männlichkeit nach Connell ausführlicher beleuchtet. Das Kapitel 3 widmet sich dann der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes. Einschlägige Begründungstheorien für eine solche werden einer Analyse unterzogen, Forschungsbefunde zu Männern in gegengeschlechtlichen Berufen dargestellt. Auch die geschichtliche Entwicklung des Volksschullehrerberufs hin zum Beruf der Grundschullehrerin wird in einem eigenen Unterkapitel nachgezeichnet. Dabei geht es bei der Aufarbeitung des theoretischen Rahmens nicht um die Generierung von Hypothesen, die als Grundlage für das im Teil B näher explizierte Forschungsdesign dienen. Die qualitativ-rekonstruktive Anlage der Studie verbietet ein solches Vorgehen geradezu (vgl. Kap. B 1.1). Dennoch muss ein Begriffsinventar grundgelegt werden, das nicht zuletzt der Leserin und dem Leser den Forschungsfokus sowie die Anlage der Studie verdeutlicht.
1. Der geschlechterbezogene Ansatz dieser Arbeit Personale Identität kann es außerhalb des Geschlechts in unserer zweigeschlechtlichen Kultur nicht geben (vgl. Hagemann-White 1984). Diese ursprünglich von Garfinkel (1967) entwickelte Omnirelevanzannahme besagt, dass die nach Geschlechtern unternommene Zweiteilung des Menschen „so tief in Wahrnehmung, Denken, Verhalten und Handeln eingedrungen und [...] über so machtvolle institutionelle Ressourcen wie etwa Arbeitsteilung und heterosexuelle Paarbildung abgestützt [ist], dass sie in faktisch jeder Situation von Bedeutung“ ist. (Gildemeister 2004: 31, Herv. i. Orig.)
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A Theoretische Grundlagen
Dieser Ansatz ist inzwischen vielfach kritisiert worden, öffnet er doch das Tor für eine als zu überwinden geltende differenztheoretische Sichtweise auf Geschlecht, die Differenzierungsprozesse nicht beleuchtet. Gildemeister (ebd.: 32) beispielsweise warnt davor, über die Omnirelevanzhypothese Generalisierungen vorzunehmen und andere Klassifikationen wie Alter, Ethnizität oder Milieu außer Acht zu lassen, da ein solches Vorgehen Geschlechterdifferenz reifiziert. Sie plädiert für die Idee des von Hirschauer (1994) entwickelten ‚undoing gender‘, das eine situative Neutralisation der Geschlechterdifferenz darstellt, um in der Folge deren Relevantsetzung bzw. Neutralisierung mit einem unvoreingenommenen, empirischen Blick untersuchen zu können. Diese Sichtweise greift der geschlechterbezogene Ansatz der vorliegenden Studie auf. ‚Geschlechterbezogen‘ meint dabei, dass sich das Forschungsinteresse zwar auf Geschlecht und die Konstruktion desselben bezieht. Dies geschieht jedoch ohne Festschreibungen vorzunehmen. Während ein geschlechtsspezifischer Ansatz von tatsächlich existierenden Spezifika der Geschlechter ausgeht, ist für den geschlechterbezogenen Ansatz eine grundsätzliche Neutralität prägend.1 Dennoch denkt er Geschlecht mit, verleugnet dieses als wichtige gesellschaftliche Strukturkategorie nicht. So sind auch Lehrerinnen und Lehrer weder „geschlechtsneutrale Wesen“ (Hempel 2002: 57), noch stehen sie außerhalb unserer zweigeschlechtlich organisierten Kultur. Gerade in der Schule finden geschlechterdifferenzierende Zuschreibungen auf vielfältige Weise statt. Die Auswirkungen auf den Unterricht und die Erziehung bzw. Bildung von Mädchen und Jungen werden in verschiedenen Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Publikationen dargestellt.2 Auch wenn politische Programme und gesellschaftliche Bestrebungen zunehmend auf eine Auflösung der tradierten Geschlechterrollen hinwirken und sich gegen das Beharren auf „geschlechtsständische[n] Zuschreibungen“ (Koppetsch/ Burkart 1999: 1) wenden, so kann trotz Veränderungen, die sich beispielsweise in den Bemühungen um Gender Mainstreaming in öffentlichen Institutionen oder in der seit neuestem gesetzlich verankerten Möglichkeit der Inanspruchnahme von Elternzeit auch für Väter zeigen, nicht davon ausgegangen werden, dass sich Geschlechtsnormen im öffentlichen und privaten Leben generell auflösen.
1 Näher zu den Feinheiten der Begrifflichkeit: Kunert-Zier 2005: 16. 2 Beispielhaft: „Erziehungsziel Geschlechterdemokratie“ von Thies/Röhner (2000), „Doing gender im heutigen Schulalltag“ von Faulstich-Wieland/Weber/Willems (2004) und „Männlichkeit und gymnasialer Alltag“ von Budde (2005). Die beiden letztgenannten Studien stellen beispielsweise eine Dramatisierungstendenz der Geschlechterdifferenz durch Lehrerinnen und Lehrer fest, die zu Stereotypisierungen führt.
1. Der geschlechterbezogene Ansatz dieser Arbeit
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Auch eine verbale Aufgeschlossenheit und das Bemühen, sich semantisch korrekt auszudrücken, gehen nicht unbedingt einher mit der tatsächlichen Handlungspraxis.3 In diesem Zusammenhang prägt Wetterer den Begriff der ‚rhetorischen Modernisierung‘: Das „diskursfähige Differenzwissen“ (Wetterer 2003: 290) verändert und modernisiert sich zwar, die sozialen Strukturen, Institutionen und Alltagspraxen bleiben aber weiterhin den geschlechtsspezifischen Hierarchien verpflichtet.4 Für diese Studie werden nur männliche Grundschullehrer interviewt. Dementsprechend wird zunächst – und nur zunächst – der differenztheoretische Ansatz bemüht, der Geschlecht als „elementare Ordnungskategorie“ (Rendtorff/Moser 1999: 28) begreift. Allerdings werden dabei keinerlei Wertungen oder geschlechtsspezifische Zuschreibungen vorgenommen. Im weiteren Forschungsprozess lehnt sich die vorliegende Studie an die Differenzierungshypothese an: Es wird von einer Heterogenität innerhalb der Genusgruppe ausgegangen und nach geschlechtsinternen Differenzierungen gefragt.5 Nicht vermeintliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern werden fokusiert, sondern Unterscheidungen. Männlichkeit, besser: Männlichkeiten sollen daher auch nicht als natürlicher, anthropologischer Charakterzug oder als Norm definiert werden, vielmehr gilt die Aufmerksamkeit den Prozessen und Beziehungen, die die interviewten Grundschullehrer ein vergeschlechtlichtes Berufsleben führen lassen.6 Insbesondere interessiert die Sicht der männlichen Grundschullehrer auf das qualitative Geschlechterverhältnis im Kollegium, auf Konstruktionen bezüglich Beruf und Mannsein und das damit einhergehende ‚Gendering‘. ‚Gendering‘ beschreibt dabei den gesellschaftlichen Prozess, der verantwortlich ist für die Konstruktion von Geschlecht als soziale Kategorie im Zusammenspiel von geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung und geschlechtsbezogener Interaktionsformen bzw. Habitusausprägungen (vgl. Böhnisch/Winter 1993: 34). Es stellt sich die Frage, wie das Geschlecht Interaktionen strukturiert und wie innerhalb und durch Interaktionen Geschlecht konstruiert wird.
3 Koppetsch/Burkhart (1999) zeigen solche Mechanismen eindrucksvoll in ihrer Studie zur Wirksamkeit latenter Geschlechtsnormen im Milieuvergleich auf. 4 Wetterer warnt, dass die rhetorische Modernisierung sogar dazu beitrage, die geschlechtsspezifische Ungleichheit zu verschleiern und dem kritischen Blick zu entziehen (vgl. Wetterer 2003: 290). 5 Vgl. zu diesem Ansatz auch Kampshoff/Nyssen (1999: 225) in Bezug auf Nestvogel (1997: 135ff). 6 So definiert Connell: „‚Männlichkeit‘ ist – soweit man diesen Begriff in Kürze überhaupt definieren kann – eine Position im Geschlechterverhältnis, die Praktiken, durch die Männer und Frauen diese Position einnehmen, und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeit und Kultur.“ (Connell 2000a: 91, Herv. i. Orig.).
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A Theoretische Grundlagen
Dabei besteht die Gefahr, dass durch die Fragestellung der Arbeit Geschlechterunterschiede akzentuiert und bestätigt werden.7 Dies ist ausdrücklich nicht Absicht dieser Arbeit.8 Stattdessen wird davon ausgegangen, dass eine (de-) konstruktivistische Sichtweise den Blick darauf lenken kann, dass die Lehrer selbst – bewusst oder unbewusst – in die Produktion und Reproduktion von Geschlechterunterschiede verstrickt sind. Dies kann sich u.a. darin zeigen, ob die „initiale (unvermeidliche!) Unterscheidung“ (Gildenmeister 2004: 32) von Geschlechtern im Verlauf der Interviews von den Probanden aktualisiert wird, oder ob dies eben nicht geschieht. Es geht also nicht um eine Naturalisierung der Geschlechterunterschiede, sondern um die Frage, wie diese sozial hergestellt werden. Dabei bezeichnet Geschlecht (bzw. Männlichkeit und Weiblichkeit) als eine soziale Konstruktion „nicht das, was wir sind, sondern etwas, was wir tun.“ (Horstkemper 2000b: 270, Herv. i Orig.). Das ‚Tun‘ ist dabei nicht als absichtsvolles, intentionales Handeln zu verstehen, sondern als eine Praxis, die sich in Interaktionen und strukturellen Rahmungen situativ vollzieht. Diese Praxis schreibt sich weitestgehend in die Wissens- und Sinnstrukturen der Personen ein, ohne dass sie einer bewussten Reflexion zugänglich sind: Es gilt, diese habituellen Verankerungen im Sinne Bourdieus aufzuspüren.9 Geschlecht ist damit nicht mehr nur Strukturkategorie, sondern wird als „Prozesskategorie“ (Maihofer 2004: 21) verstanden. ‚Geschlecht‘ kann somit weiter unterschieden werden in ‚sex‘ und ‚gender‘, wobei ‚sex‘ den biologisch zugeschriebenen Status, also das ‚biologische Geschlecht‘ meint und ‚gender‘ den sozial und kulturell erworbenen Geschlechtscharakter, also das ‚soziale Geschlecht‘ bezeichnet. Diese von Oakley (1972) bereits Anfang der 1970er Jahre in die feministische Wissenschaftskritik eingeführte Terminologie erfährt erstmals in Folge eines Aufsatzes von Rubin (1975), die Gender als philosophischen Begriff ‚erfindet‘ (vgl. Forster 2008: 206), eine breite wissenschaftliche Aufmerksamkeit und wird von West/Zimmermann (1987) in einer konstruktivistischen Sichtweise entscheidend weiterentwickelt.10 Inzwischen kann die Unterscheidung als sozialwissenschaft7 Vgl. zu diesem Problem unter anderem auch Behnke/Meuser (1999: 43). 8 Vgl. den Exkurs zum Problem der Reifizierung in Kap. B 3. 9 Bohnsack, dessen ‚dokumentarische Methode‘ in vorliegender Studie als Auswertungsmethode herangezogen wird, prägt hierfür den Begriff des ‚Habituellen Handelns‘ (vgl. Schäffer 2004: 55). 10 West/Zimmermann erweitern die Unterscheidung von ‚sex‘ und ‚gender‘ um den Begriff der ‚sex categorie‘, die als Bindeglied verstanden werden kann. ‚Sex‘ ist dabei nicht mehr bloß das essentielle, biologische Geschlecht, sondern vielmehr das Geschlecht, das einem Menschen nach biologischen Kriterien, auf die sich die Gesellschaft geeinigt hat, zur Klassifizierung von ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ zugewiesen wird. ‚Sex category‘ bezeichnet dann die tatsächliche Zuordnung in eine der beiden Kategorien. Diese Zuordnung muss im Alltag wieder und wieder
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licher Common Sense bezeichnet werden, obschon auch diese Zweiteilung kritisiert wird.11 Konstruktionstheoretische Ansätze bestehen auf eine reflexive Betrachtung der Relation zwischen Natur und Kultur, da das, was natürlich und naturgebunden erscheint, dennoch in kulturell verankerten Modellen und Konstrukten betrachtet, gedacht und vorstrukturiert wird (vgl. Gildemeister/Robert 2008: 16). So wird Geschlecht auch in der vorliegenden Arbeit als Kategorie verstanden, die verschiedenen kulturellen Konstruktionen unterliegt. Gildemeister/Wetterer bezeichnen diese Konstruktionen als ein „generatives Muster der Herstellung sozialer Ordnung“ (Gildemeister/Wetterer 1992: 230, Herv. i. Orig.), das auf interaktive Prozesse beruht. Interaktionen wiederum sind geprägt von einem symbolischen Repertoire an Ordnungen, Handlungs- und Körperpraxen, die den Akteurinnen und Akteuren zur Verfügung stehen (vgl. Behnke 1997: 13). Nicht hinwegtäuschen kann die konstruktivistische Sichtweise auf Geschlecht allerdings darüber, dass die eingangs erläuterte Omnirelevanzhypothese jenseits der theoretischen Diskurse weiterhin ihre Wirksamkeit entfaltet: „Die soziale Wirklichkeit ist zweigeschlechtlich strukturiert, die Differenz ist bereits in die soziale Welt eingeschrieben und unsere Wahrnehmung ist darauf ausgerichtet, in jeder Situation Frauen und Männer zu unterscheiden.“ (Gildemeister 2004: 33, Herv. i. Orig.)
Fragestellungen in dieser Arbeit, die einen geschlechterdifferenzierenden Ansatz tragen, sind diesem Umstand und der Frage nach der sozialen Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit geschuldet. Sie sind demnach auch nicht als Reifizierung von Geschlechterdifferenz zu lesen, vielmehr sollen Wirkungsstrukturen sowie Konstruktionen der Interviewpartner aufgespürt, re- und dekonstruiert werden. Es geht darum, methodisch kontrolliert herauszufinden, „wie, wann, wo und von wo aus [...] ‚Geschlecht‘ relevant (gemacht)“ (ebd.: 34., Herv. i. Orig.) wird.
erkennbar gemacht werden. Mit ‚Gender‘ ist schließlich das Verhalten gemeint, das die Praktiken der Person mit der Zuordnung zu einem Geschlecht in Übereinstimmung bringt (vgl. FaulstichWieland 2004: 176f.). Zur Historie des Genderbegriffs vgl. auch Deuber-Mankowsky (2008) sowie Forster (2008). 11 So machen Gildemeister/Wetterer darauf aufmerksam, dass bei dieser Unterscheidung die Gefahr eines „verlagerten Biologismus“ (Gildemeister/Wetterer 1992: 206, Herv. i. Orig.) besteht; zudem bedeute die Bipolarität der Kategorien eine „stillschweigende[n] Parallelisierung“ (ebd.: 207).
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A Theoretische Grundlagen
2. Männerforschung und Erziehungswissenschaft 2.1 Empirische Männerforschung Obwohl in der Geschlechterforschung durchaus behauptet wird, dass Wissenschaft immer männliche Wissenschaft – von Männern über Männer für Männer – war und weitgehend noch heute ist,12 muss man einschränkend sagen, dass der Mensch zwar weitgehend mit Mann gleichgesetzt wird, jedoch nicht nur Frauen als Forschungsgegenstand ausgeklammert, sondern auch Männer – zumindest bis vor ca. 10 Jahren – als geschlechtliche Wesen außer Acht gelassen werden (vgl. Brandes 2002a: 13). Vor diesem Hintergrund meint Männerforschung die interdisziplinäre Erforschung von Männern als historisch, kulturell und sozial variierende und konstruierte Geschlechtswesen (vgl. BauSteineMänner 1996: 5). Dies schließt selbstredend die Erforschung des Geschlechterverhältnisses mit ein, setzt sich aber durch den Fokus auf das ‚Mannsein‘ vom Mainstream der bisherigen Gender Studies ab, die sich in der historischen Entwicklung aus der Frauenforschung ableiten und auch heute noch weitgehend als – übrigens meist von Frauen durchgeführte – Frauenforschung beschrieben werden. Die Auseinandersetzung mit Männern geschieht hier häufig unter einem feministisch geprägten Blickwinkel, eine Fokussierung des Mannseins im Sinne der oben skizzierten Männerforschung bleibt zumindest unterrepräsentiert (vgl. Brandes 2002a: 14; Walter 2000: 108).13
12 So stellt beispielsweise Hagemann-White fest: „Da in der bisherigen patriarchalen Geschichte der Diskurs der Frauen unterdrückt wurde, wissen wir über Männer, soweit sie sich uns heute darbieten, recht viel, über Frauen rein gar nichts.“ (Hagemann-White 1990: 30) Felbinger konstatiert auch noch 14 Jahre später: „Durch die auch heute noch männlich dominierte Wissenschaft wird entsprechend androzentrische Erkenntnis produziert und weiterverbreitet.“ (Felbinger 2004: 18) 13 Walter unterscheidet im Zusammenhang mit diesem Diskurs drei unterschiedliche Richtungen der Männerforschung: Kritische Männerforschung meint, dass „männliche Forscher als Männer über Männer forschen“ (Walter 2000: 107, Herv. i. Orig.). Männlichkeitsforschung hingegen meint Forschung, bei der die Forschenden (Frauen und/oder Männer) ihr eigenes Geschlecht nicht mitreflektieren. Feministische Männerforschung schließlich ist Forschung, die von Frauen betrieben wird. Zu hinterfragen bleibt, in wie weit die Koppelung von Forschungssubjekt und Forschungsobjekt als Kriterium für eine Kategorisierung ausreicht bzw. ob es nicht gewinnbringender wäre, hier nach den theoretischen Vorannahmen und Zielen der Forschungsansätze – unabhängig vom Geschlecht der Forschenden – zu unterscheiden.
2.2 Kurzer historischer Abriss der deutschsprachigen Männerforschung
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2.2 Kurzer historischer Abriss der deutschsprachigen Männerforschung Ausgangspunkt und Bezugsrahmen Als Ausgangspunkt für die deutsche Männerforschung macht Brandes (2002a) zwei Bezugselemente aus: Zum einen die zweite Frauenbewegung in Deutschland mit ihrer Kritik an männlicher Gewalt und Sexismus, in deren Folge in den 1970er Jahren patriarchatskritische Männergruppen und -büros entstehen. Diese beschäftigen sich in einer feministischen Perspektive mit Fragen, die vor allem geschlechtsbedingte gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen zum Thema haben.14 Zum anderen verweist Brandes auf die angloamerikanischen ‚Men’s Studies‘, deren Anfänge in den 1960er Jahren liegen. Deren wissenschaftliche Beschäftigung mit Mann-Sein und Männlichkeit erhält ebenfalls entscheidende Impulse aus dem Feminismus, aber auch aus der Schwulen- und Queerbewegung15 (vgl. Krause 2003: 57). In diesem Kontext werden wissenschaftliche Studien vor allem zur verunsicherten männlichen Identität und dem Leiden an der auf Leistung und Erfolg ausgerichteten tradierten Männerrolle angefertigt. Ausgangspunkt der Men’s Studies ist dabei die antisexistische Männerbewegung, die den politisch-emanzipativen Anspruch der Männerforscher begründet. Dieser rekurriert auch auf die „Auseinandersetzung mit der feministischen Theoriebildung, den entstehenden Gay Studies und mit der Geschlechtsrollentheorie“ (Walter 2000: 97, Herv. i. Orig.). So wird die bis dato vorherrschende Vorstellung
14 Versteht man Feminismus als identitätsstiftendes und solidarisches Moment im Kampf gegen gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen und für Gleichberechtigung, so geht damit einher, dass sich dieser gegen das Frauen unterdrückende patriarchale Herrschaftssystem wenden muss. Wut und Empörung über politische, gesellschaftliche, aber auch private Machtkonstellationen prägen, zumindest in der frühen feministischen Theorie und Praxis, den Blick auf das Mannsein. Mit der Etablierung von Frauenstudien in den 1980er Jahren wird das androzentristische Bild, das Wissenschaft vermittelt, kritisiert, sowie Geschlecht als soziale Strukturkategorie etabliert. Der Fokus auf weibliche Lebenszusammenhänge bestimmt die Betrachtungen. Männer gelten als Vertreter und Ursache des Patriarchats, freiwillig oder unfreiwillig, bewusst oder unbewusst verwoben in die gesellschaftliche Ausgangslage. Vor diesem Hintergrund werden auch soziale Beziehungsstrukturen von Männern betrachtet: Während weibliche Lebenslagen durchaus differenziert betrachtet werden, spielt der Pluralismus in männlichen Lebensentwürfen keine Rolle (vgl. Meuser 1998a: 83). Männerforschung setzt zwar an der feministischen Wissenschafts- und Rationalitätskritik an, hat aber zum Ziel, Geschlechterverhältnisse jenseits der Perspektive feministischer Frauenforschung zu analysieren (vgl. BauSteineMänner 1996: 6). 15 Straub (2006: 37f.) definiert das ‚gay liberation movemment‘ in den USA als dritte Wurzel der Männerforschung. Er verweist auf Carrigan/Connell/Lee (1996) und sieht den Beitrag der Schwulenbewegung vor allem darin, die Heteronormativität in der Theoretisierung der Geschlechterverhältnisse in Frage gestellt zu haben. Daneben gelinge es den Queer Studies, Hierarchisierungen innerhalb der Gruppe der Männer offen zu legen.
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A Theoretische Grundlagen
von biologistisch begründeten Rollenvorstellungen einer fundamentalen Kritik unterzogen und anstelle von Rollenidentitäten der gesellschaftlichen Druck thematisiert, der von den normativen Vorstellungen des ‚normalen‘ Mannseins ausgeht (vgl. ebd.: 97f.). Nachdem es in den USA bereits Mitte der 1970er Jahre erste Seminare und Vorlesungen im Bereich der Männerforschung gab, konnten sich die Men’s Studies Anfang der 1980er Jahre dort als eigenständiger Forschungsbereich etablieren. Dabei waren sie oft in traditionelle Disziplinen wie Soziologie, Psychologie oder Politikwissenschaften eingebunden, oder aber stellten einen Bestandteil der Women’s bzw. Gender Studies dar. Im Jahre 1983 vernetzten sich die Männerforscher in den USA zur Men’s Studies Task Group innerhalb der National Organization for Changing Men. Hieraus entstand die Men’s Studies Association, die sich zur Aufgabe machte, die Verbindung von antisexistischer Männerbewegung und akademischer Forschung aufrecht zu halten (vgl. Walter 1996: 15). Als Reaktion auf die feministische Kritik, die Wissenschaft als Männerwissenschaft (s.o.) entlarvt und die Notwendigkeit einer Etablierung von Männerforschung (von Männern über Männer) bestreitet, bildet sich hierdurch eine ‚neue‘ Männerforschung heraus, in der Männer unter antisexistischer und profeministischer Perspektive als „Geschlechtswesen untersucht werden und die männlichen Erfahrungen als spezifische und kulturell wie geschichtlich variierende“ (Walter 2000: 98) betrachtet werden. Forster/Rieger-Ladich (2004: 274) berufen sich ebenfalls auf eine Reaktion auf die Frauenbewegung als Ausgangspunk der amerikanischen Men’s Studies, datieren deren Beginn aber auf ein Jahrzehnt später. Weiter unterscheiden sie in diesem Zusammenhang zwei Generationen von Männerforschern: Während zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Mannsein vor allem die kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeitskonzepten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Männern im Mittelpunk des Interesses stehen, folgt ab Mitte der 1980er Jahre die zweite Generation von Männerforschern. Wiederum als Reaktion auf eine sich weiterentwickelnde Frauenforschung wird nun die Vielfalt sozial konstruierter Männlichkeiten und Machterfahrungen vor allem vor dem Hintergrund von Ethnizität, Milieu oder auch sexueller Orientierung fokusiert.16
16 Heute wird dieser Ansatz weiter ausdifferenziert. Im Zusammenhang mit der Globalisierung tritt zunehmend der Bereich der Ungleichheit und der Unterschiede unter Männern in den Fokus des Interesses der Männerforschung. Forster vertritt die Auffassung, dass eine Ausdifferenzierung des kollektiven Mannseins in unterschiedliche Männlichkeiten bzw. Männlichkeitsinszenierungen für die weitere Männerforschung unabdingbar sein wird. Eventuell könnte auch eine verstärkte Ausrichtung auf die Queer Theory stattfinden, hat sich diese doch schon längst von binären Geschlechterkonzepten gelöst (Forster 2005: 216).
2.2 Kurzer historischer Abriss der deutschsprachigen Männerforschung
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Obwohl in Deutschland zahlreiche Publikationen im Rahmen der Männer- bzw. Männerbewegungsliteratur17 erscheinen, kann sich Kritische Männerforschung zunächst nicht institutionell etablieren. Zwar gibt es seit 1985 den Arbeitskreis kritischer Männerstudien,18 Lehrveranstaltungen im Wissenschaftsbereich finden lange Zeit dennoch so gut wie nicht statt. Vielmehr beschränken sich die durchaus politisch zu verstehenden Bestrebungen meist auf den privaten Bereich: In Reaktion auf die Frauenbewegung bilden sich Männergruppen, die sich als antisexistisch und profeministisch verstehen und auf Grund von Schuld- und Schamgefühlen nicht mehr länger Nutznießer des Patriarchats sein wollen (vgl. Walter 1996: 17). Dieses Selbstverständnis, das Walter als „frauenidentifizierte Ansätze“ (ebd.: 19) beschreibt, bestimmt auch die theoretische Auseinandersetzung mit dem Mannsein. Die Forscher versuchen, das Geschlechterverhältnis aus einem feministischen Blickwinkel zu betrachten. Dabei werden Frauen und Weiblichkeit „als positive menschliche Norm angesehen, von der aus Männer und Männlichkeit seltsam und fragwürdig scheinen“ (ebd.). „Männeridentifizierte Ansätze“ (ebd.: 18) hingegen gehen davon aus, dass Männer ebenfalls unter der patriarchalen Gesellschaftsordnung leiden und durch deren Strukturen unterdrückt werden. Obwohl sie in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens Nutznießer desselben sind, werden pathologische Befunde zur Gesundheit von Männern, vor allem aber psychische Belastungen betont.19 Von diesen Belastungen kann Mann sich nur frei machen, so die These des männeridentifizierten Ansatzes, wenn Mann sich selbst emanzipiert und auf seine scheinbaren Privilegien verzichtet. Gleichzeitig wird in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Geschlechterforschung gefordert, sich „vom traditionellen feministischen Diskurs über Männlichkeit [zu] lösen, welche dort weitgehend als statisch gesehen wird und in dem Männer als Problem eingestuft werden.“ (Gärtner/Riesenfeld 2004: 101) Einige Männergruppen und -forscher geraten dabei nicht unbegründet in den Verdacht, „offen oder verdeckt in Konkurrenz zum Feminismus [zu] treten oder ihn aktiv zu bekämpfen.“ (Forster 2005: 205) 17 Beispielhaft seien hier Herrmann Horsts Buch „Die Angst der Männer vor den Frauen“ (1989), Bernd Nietzschkes „Männerängste, Männerwünsche“ (1984) oder auch Volker Elis Pilgrims „Manifest für den freien Mann“ (1983) genannt. Meuser nennt diese Literaturgattung im Übrigen „Männerverständigungsliteratur“ (Meuser 1998a: 129). Insgesamt sind hier psychotherapeutische Hilfestellungen genauso en vogue wie die „mythopoetische Suche nach Männlichkeit“ (Krabel/ Struve 2000: 53). 18 Eine Vernetzung auf internationaler Ebene geschieht seit 1993 mit der International Association for Studies of Men (IASOM). 19 So geben Gärtner/Riesenfeld (2004) ihrem Artikel „Männlichen Erwerbsorientierung und neue Lebensmodelle unter veränderten Arbeitsmarktbedingungen“ die, wie sie betonen durchaus wörtlich zu verstehende, Überschrift „Geld oder Leben?“.
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A Theoretische Grundlagen
Verwissenschaftlichung des Diskurses im deutschsprachigen Raum Brandes macht den Beginn der sich langsam entwickelnden deutschen Männerforschung mit dem 1988 erschienenen Buch von Walter Hollstein „Nicht Herrscher, aber kräftig“ fest (vgl. Brandes 2002a: 16ff). Seit den 1990er Jahren kann eine verstärkte Dynamik der Männerforschung für den deutschsprachigen Raum ausgemacht werden. Nach dem Vorbild der Men’s Studies wurde 1993 erstmals von Lothar Böhnisch und Reinhardt Winter mit „Männliche Sozialisation. Bewältigungsprobleme männlicher Geschlechtsidentität im Lebenslauf“ der Versuch unternommen, wissenschaftliche Standards für die Auseinandersetzung mit Männlichkeiten zu setzen (vgl. Krabel/Stuve 2000: 53). Böhnisch und Winter arbeiten acht grundsätzliche Bewältigungsprinzipien von Mannsein heraus, die von Externalisierung bzw. Außenorientierung über Gewalt, Funktionalisierung, Stummheit, Alleinsein und Körperferne bis hin zu Rationalität und Kontrolle reichen (vgl. Böhnisch/Winter 1993). Weiter ist hier als ‚Meilenstein‘ der Verwissenschaftlichung des Diskurses die Publikation „Kritische Männerarbeit“ des Autorenkollektivs BauSteineMänner von 1996 anzuführen. Insgesamt betrachtet nimmt Männerforschung im deutschsprachigen Raum noch immer eine äußerst marginale Stellung ein.20 So stellt Straub zu Recht fest, dass „im deutschsprachigen Raum kaum eigenständige, innovative, theoretische Arbeiten vorgelegt wurden“ (Straub 2006: 37). Meusers 1998 erschienene Publikation „Geschlecht und Männlichkeit“ kann, so Straub, hier als Ausnahme gelten. Als eigenständige Disziplin kommt Männerforschung im wissenschaftlichen Betrieb nicht vor, wohl aber ist sie als Teilgebiet in die Gender-Forschung eingebettet. Dabei ist auch die Öffnung der Frauenforschung in Richtung Gender Studies auslösendes Element für eine gewisse Etablierung einer eigenständigen Männerforschung (vgl. Forster/Rieger-Ladich 2004: 272). In diesem Rahmen zeichnet sich Männerforschung heute durch ein großes Maß an Pluralität aus. Zum einen wird durch und mit ihr Gesellschaftskritik geübt, aber auch Selbstreflexion und das Erforschen männlicher Lebenslagen und Interessen werden als legitim erachtet. Dabei spielen Entstehungsbedingungen und Veränderungsmöglichkeiten von Männlichkeit im Spannungsfeld von ökonomischen, politischen und sozialen Privilegien auf der einen und emotionaler Vereinsamung, 20 Dies gilt allerdings auch auf internationaler Ebene. So konstatiert Connell: „Die Männlichkeitsforschung ist nach wie vor ein ziemlich kleiner Zweig des Wissenschaftsbetriebs und hat nur geringen Einfluss auf politische Entscheidungen. Der unausgegorene Essentialismus von PopulärPsychologen […] findet wesentlich größeren öffentlichen Anklang und ist damit gegenwärtig wahrscheinlich einflussreicher.“ (Connell 2000b: 18)
2.2 Kurzer historischer Abriss der deutschsprachigen Männerforschung
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niedrigerer Lebensdauer, höhere Suizidrate auf der anderen Seite eine entscheidende Rolle (vgl. Brandes 2002a: 18). Herausgestellt hat die Männerforschung so zum Beispiel den Zusammenhang zwischen sozialer Lebenslage, Milieu sowie Generation und der unterschiedlichen Ausprägung von Männlichkeit.21 In der heutigen Männerforschung können vier grundlegende theoretische Orientierungen unterschieden werden (vgl. Brandes 2002a: 19f.): Der rollentheoretische Ansatz sucht die sozialen Erwartungen und gesellschaftlichen Ursachen zu ergründen, die zur Übernahme männlicher Geschlechterrollen führen. Als Vorreiter gilt hier Talcott Parsons, der in den 1950er Jahren auf der Grundlage früherer Schriften eine funktionalistische Geschlechterrollentheorie entwickelte. Geschlechterrollen betrachtete er als instrumentell-expressive Differenzierung, deren Übernahme in Sozialisationsprozessen erlernt wird (vgl. Parsons/ Bales 1956). Der dekonstruktivistische Ansatz von Judith Butler (1991) ergründet Männlichkeit als soziale Konstruktion, die vor allem in sprachlicher Auseinandersetzung hergestellt wird. Der kultursoziologische Ansatz von Pierre Bourdieu forscht nach dem sozialen Habitus, der als Schnittstelle zwischen Körper und Gesellschaft zum Tragen kommt. Im Vordergrund steht dabei das handelnde Tun, das Geschlecht noch vor einem sprachlichen Diskurs konstruiert. Der Ansatz von Robert Connell schließlich ergründet Männlichkeit vor dem Machtaspekt als Produkt sozialer Praxis, wobei zwischen hegemonialen, komplizenhaften, unterdrückten sowie marginalisierten Formen von Männlichkeit unterschieden wird. Während der aktuelle populärwissenschaftliche Diskurs um Männer, Mannund Jungesein weitgehend von einem rollentheoretischen Verständnis geprägt ist, stoßen die Konzepte von Bourdieu und Connell auf die größte Resonanz in der wissenschaftlichen Männerforschung (vgl. Forster/Rieger-Ladich 2004: 274f.; Jahnshen 2000: 16.). Zumindest die kritische Männerforschung versteht Männlichkeit inzwischen als binnendifferente Männlichkeiten. Diese wiederum werden vor dem Hintergrund von Machtbeziehungen zu fassen gesucht und nicht mehr als (sozio-)biologisch ‚gegeben‘ angesehen, sondern im Sinne von ‚doing-gender‘ als in sozialer Interaktion hergestellt: „Masculinity in the sense of gender is not a biological destiny, but refers to an identity lived out within complex social relations.“ (Gärtner/Höyng 2005: 18)
21 Vgl. hierzu die Studien von Zulehner/Volz (1998) (Generationsaspekt), Meuser (1998a/b) (Milieuaspekt).
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A Theoretische Grundlagen
Dennoch, so Walter, bleibt man auf dem Feld der Männerforschung mit „einer Vielzahl von höchst unterschiedlichen Ansätzen, Zugängen und Definitionen konfrontiert“ (Walter 2000: 97), von denen, so meine Einschätzung nach Durchsicht der Literaturlage, die wenigsten einen konsequenten Anschluss an eine kultursoziologisch-(de-)konstruktivistische Sichtweise suchen, wie sie im Bereich der Frauenforschung schon längst als Common Sense angesehen werden kann. Aktuelle Entwicklungen Momentan zeichnet sich ein gewisser ‚Boom‘ in der deutschsprachigen Männerforschung ab: Zunehmend wird der Ruf nach einer verstärkten Jungen- und Männerforschung laut. Spätestens seit Erscheinen der 1. PISA-Studie, die den Jungen schlechte Leistungen im sprachlichen Bereich attestiert, rückt die Forderung nach einer verstärkten Förderung derselben in den Fokus des öffentlichen Interesses.22 So erscheinen – neben einem in den Medien ausgetragenen populärwissenschaftlichen Diskurs (vgl. die Einleitung der vorliegenden Arbeit) – seit kurzer Zeit vermehrt wissenschaftliche Publikationen, die sich der Problematik annehmen und für eine verstärkte Jungenarbeit plädieren.23 Dass dieser Diskurs kein neuer ist, zeigt der Standpunkt Prengels, die schon 1990 klagt, Pädagogik lasse „Jungen im zentralen Aspekt ihrer Persönlichkeitsentwicklung, in ihrer geschlechtlichen Identität im Stich – und zwar in Theorie und Praxis“ (Prengel 1990: 37). Diese frühen Forderungen werden heute verstärkt wiederholt, zwar unter anderen Vorzeichen, aber in weit größerem Umfang und zudem mit großer medialer Resonanz.24 Auch die der Empirie geschuldeten Erkenntnisse, dass Männer beispielsweise in Statistiken zu Gewaltverbrechen überdurchschnittlich stark vertreten sind, dass sie weitaus häufiger Suizid begehen als Frauen, häufiger unter Übergewicht und anderen, schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden,25 lässt 22 Als Randnotiz sei bemerkt, dass die in der Folgestudie PISA 2003 aufgedeckten Defizite der Mädchen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich kaum eine vergleichbare Reaktion hervorrufen. Ob dies daran liegt, dass in diesem Fall lediglich erwartbare Ergebnisse bestätigt wurden, die – im übrigen kaum vorgebrachten – Forderungen nach verstärkter Mädchenförderung als ‚alter Hut‘ aus den feministischen 1970er Jahren betrachtet werden, oder aber ob diese Ergebnisse gerade dazu dienen, die Dinge im Sinne des männlichen Hegemonieanspruchs zumindest ein Stück weit wieder gerade zu rücken und deshalb keine Beachtung finden, sei dahingestellt. Budde ist einer der wenigen Wissenschaftler, die eine differenziertere Sicht auf die geschlechterbezogenen PISA-Ergebnisse fordern und die vielfach konstatierte einseitige Benachteiligung von Jungen in Frage stellen (vgl. Budde 2006a). 23 Beispielhaft seinen hier genannt Schultheis/Fuhr/Strobel-Eisele 2006, Boldt 2006, Bentheim 2004, Jantz/Grote 2003. 24 Zu den Beweggründen, Motiven, Richtungen und Erkenntnisse der Jungenforschung ausführlicher im Kap. A 2.4.2 dieser Arbeit. 25 Das Statistische Bundesamt erfasst für 2004 die Männerquote unter allen rechtskräftig Verurteilten mit 82 Prozent (vgl. http://www.destatis.de/basis/d/recht/rechts3.htm (4.4.2007)). Laut der dem
2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung
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den Ruf nach einer verstärkten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Mannsein in den letzten Jahren lauter werden.26 Ob diesem Ruf auch tatsächlich wissenschaftliche Studien folgen werden, darüber ist bislang noch keine abschließende Aussage möglich.
2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung Wie bereits oben dargestellt, sind auf konzeptionell-theoretischer Ebene vor allem zwei Theorien zu Männlichkeitskonstruktionen herauszustellen, die wesentliche Beiträge zur Geschlechterforschung leisten und das Potential haben, als Ausgangspunkt für empirische Männerforschung zu dienen: Das Konzept des ‚männlichen Habitus‘ von Pierre Bourdieu sowie das Konzept der ‚hegemonialen Männlichkeit‘ von Robert Connell. Beide Konzepte werden im Folgenden ausführlicher erläutert, bilden sie doch den theoretischen Rahmen für die vorliegende Studie. Michael Meuser gelingt es, beide Konzepte in Einklang zu bringen und hieraus sein ‘Gender-HabitusKonzept‘ zu entwickeln, das ebenfalls dargestellt wird und als Bezugsrahmen für die vorliegende Studie dient. 2.3.1 Das Konzept des männlichen Geschlechtshabitus nach Pierre Bourdieu Zum Begriff des Habitus Der französische Soziologe Pierre Bourdieu entwickelt sein Habituskonzept als eine „Theorie des Erzeugungsmodus der Praxisformen“ (Bourdieu 1979: 164) zuerst auf der Grundlage seiner in den 1960er Jahren durchgeführten ethnologischen Untersuchung zum Ehrverhalten, zur symbolischen Organisation des Hauses und zu Verwandtschaftsbeziehungen der Kabylen in Algerien.27 Den Begriff ‚Habitus‘ definiert Bourdieu als „ein sozial konstituierendes System von strukturierten und strukturierenden Dispositionen, das durch Praxis erworben wird und konstant auf Statistischen Bundesamt obliegenden Gesundheitsberichterstattung des Bundes waren im Jahr 2005 73,3 Prozent aller Personen, die Suizid begingen, Männer (vgl. http://www.gbe-bund.de (4.5.2007)). Die 2007 erschienene Studie der ‚International Association for the Study of Obesity‘ befindet 75 Prozent der deutschen Männer zu dick, während es bei den Frauen ‚nur‘ 59 Prozent sind (vgl. www.iaso.org (4.5.07)). 26 Für einen zusammenfassenden Überblick und den Versuch einer Analyse (allerdings vor einem rollentheoretischen Hintergrund) vgl. die Publikation mit dem bezeichnenden Titel „Konkurrenz, Karriere, Kollaps. Männerforschung und der Abschied vom Mythos Mann“ von Bründel/Hurrelmann (1999). 27 Gleichsam wurde das Konzept während dieser frühen Studie begrifflich noch nicht als ‚Habitus‘ bezeichnet, vielmehr der Begriff ‚Ethos‘ verwendet (vgl. Fuchs-Heinritz/König 2005: 113).
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A Theoretische Grundlagen
praktische Funktionen ausgerichtet ist“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 154). ‚Strukturiert‘ ist der Habitus als Dispositionssystem insofern, als dass er in primären Sozialisationsprozessen erworben wird und sich in der weiteren Auseinandersetzung mit und in der überindividuellen Soziallage, die das Individuum umgibt, weiter ausbildet und verfestigt. Die spezifische Soziallage, die das Individuum vorfindet, ist dabei an den sozialen Raum gebunden, der von anderen Räumen abgegrenzt ist.28 ‚Raum‘ bedeutet hier zunächst die soziale Klasse, in die der Mensch hineingeboren wird. Je nach Klassenlage verfügt das Individuum über bestimmte Kapitalien: Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital stehen hier gleichbedeutend nebeneinander und wirken aufeinander ein;29 die Kombinationen und Konfigurationen der Kapitalien sind Grundlage der spezifischen Soziallage, die in Form von ‚inkorporierter Geschichte‘ ihre Wirkung als „System generativer Schemata von Praxis“ (Bourdieu 2005: 279) entfaltet.30 Neben die strukturierte Funktion des Habitus tritt eine strukturierende: Das Individuum handelt zunächst im Rahmen des spezifischen strukturierten Habitus, der sich, wie bereits erläutert, aus der Soziallage des Akteurs oder der Akteurin ergibt. Der Habitus ist somit als „vereinheitlichendes Prinzip“ (Barlösius 2006: 48) zu verstehen. Das Handeln ist dadurch gekennzeichnet, dass es zwar weitgehend nur regelhaft (nämlich gerade im Rahmen des durch die verfügbaren Kapitalien strukturierten Habitus) stattfinden kann; der Akteur bzw. die Akteurin ist ein gesellschaftlich – und damit auch historisch – geprägter. Dennoch resultiert sein Handeln nicht allein aus den äußeren sozialen Bedingungen, sondern stammt generativ aus dem Individuum selbst. Der Rahmen, innerhalb dessen sich das Handeln bewegt, ist dabei durch die systematisch strukturierten Anlagen vorgegeben und prädeterminiert.31 Es basiert innerhalb dieser Rahmung auf einer so erzeugten spezifischen Art der Lebensführung, die exklusiv für je eine spezifische Soziallage charakteristisch ist. Gleichzeitig werden Rahmen und Lebensführung im Sinne „symbolischer Repräsentationen“ (Meuser 2001: 207) immer wieder neu reproduziert; Widersprüchliche Transformationen sind dabei zwar möglich, nicht 28 Bourdieu betont, dass die sozialen Lagen sich gleichermaßen aus ihren nur ihnen je spezifische Merkmalen und aus der relationalen Differenz zu anderen Lagen definieren; die spezifische Stellung im „System von Differenzen“ (Bourdieu 2005: 279, Herv. i. Orig.) führe dazu, dass soziale Identität eine Bestätigung erhält. 29 Unter ‚ökonomisches Kapital‘ lassen sich Geld und Besitz, unter ‚soziales Kapital‘ Beziehungen und soziale Netzwerke, unter ‚kulturelles Kapital‘ schließlich Wissen und Kulturgüter fassen. Ausführlich hierzu: Müller 1986. 30 Bourdieu (1987: 102) drückt dies an anderer Stelle so aus: „Über den Habitus regiert die Struktur, die ihn erzeugt hat, die Praxis.“ 31 ‚Anlagen‘ bezeichnen hier keineswegs eine angeborene Disposition; vielmehr handelt es sich hierbei um Erfahrungen, die das Individuum im Rahmen der Sozialisation macht und es entscheidend prägen (vgl. Schwingel 1995: 56).
2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung
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jedoch die vollständige Auflösung der etablierten Habitusstrukturen.32 Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von der „geregelten Improvisation“ (Bourdieu 1979: 179), die sich in unterschiedlichsten Praktiken niederschlagen kann, jedoch auf bestimmte Praxisformen beschränkt bleiben muss: Individualität und personalisierte, heterogene Praktiken sind nur innerhalb des mit dem gruppen- und klassenspezifischen Habitus verinnerlichten homogenen Spielfeldes möglich. Individuelles Handeln geschieht dann auf der Grundlage der Position, die eine Person innerhalb einer Gruppe bzw. einer Klasse einnimmt, sowie aus der individuellen sozialen Laufbahn der Person.33 Zusammenfassend beschreibt Bourdieu die strukturierende Struktur des Habitus folgendermaßen: „Mit dem Habitus als inkorporierter Notwendigkeit, verwandelt in eine allgemeine und transponierbare, sinnvolle Praxis und sinnstiftende Wahrnehmungen hervorbringende Disposition, erfährt die den jeweiligen Lernsituationen imanente [sic! RB] Notwendigkeit über die Grenzen des Habitus hinaus systematische Anwendung: Der Habitus bewirkt, dass die Gesamtheit der Praxisformen eines Akteurs (oder einer Gruppe aus ähnlichen Soziallagen hervorgegangenen Akteuren) als Produkt der Anwendung identischer (oder wechselseitig austauschbarer) Schemata zugleich systematischen Charakter tragen und systematisch unterschieden sind von den konstitutiven Praxisformen eines anderen Lebensstils.“ (Bourdieu 2005: 278)
Neben den in diesem Zitat beschriebenen Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, die an den spezifischen Habitus gebunden sind, bestehen darüber hinaus Denkschemata, die strukturierend wirken: Mittels Klassifikationsmuster wird die Welt interpretiert; ethische Normen fungieren als Bewertungsmaßstab für gesellschaftliche Handlungspraxis. Schließlich werden ästhetische Maßstäbe angelegt, um Dinge und Praktiken als geschmackvoll oder geschmacklos zu klassifizieren (vgl. Schwingel 1995: 56). Die Schemata wirken dabei als Dispositionssystem zusammen, bedingen sich gegenseitig, sind dem Akteur bzw. der Akteurin zwar nur peripher bewusst und entziehen sich weitgehend einer Reflexion, dienen gleichwohl aber als Orientierungssinn und Grundlage für die angemessene Interaktion innerhalb der sozialen Welt. Den ‚sozialen Sinn‘, der aus oben stehendem Zitat ebenfalls deutlich wird und als eben jener Orientierungssinn in der Gesellschaft zu verstehen ist, denkt Bourdieu schließlich als wörtlich gemeinten inkorporierten: die habituellen Schemata (s.o.) schreiben sich gleichsam in den Körper ein, formen und begrenzen ihn. Bourdieu bezeichnet den Körper dann auch als „eine Art Gedächtnisstütze“ (Bourdieu 2005: 739) des Sozialisationsprozesses, den Leib als „Körper gewordene soziale 32 Ausführlicher hierzu: Kassner 2004: 95. 33 Ausführlicher hierzu: Schwingel 1995: 66f.
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A Theoretische Grundlagen
Ordnung“ (ebd.: 740, Herv. i .Orig.). Anders ausgedrückt: Der Habitus fungiert als Schnittstelle zwischen Körper und Gesellschaft, ist als Brücke zwischen „Struktur und Handlung, sozialer Wirklichkeit und Repräsentation“ sowie zwischen „Individuum und Gesellschaft“ (Barlösius 2006: 46f.) wirksam. Zum Begriff des Feldes Um das Entstehen der internen Habitusstrukturen zu verstehen, ist es notwendig, neben den inkorporierten Ausprägungen die externen Bedingungen, in denen sich jene ausprägen, zu betrachten. Hier operiert Bourdieu mit dem Begriff des Feldes: Das soziale Feld, in dem Menschen agieren, formt die jeweiligen Akteurinnen und Akteure und wird von diesen gleichzeitig geformt. Das Handlungsrepertoire, das als ‚symbolisches Kapital‘34 eingesetzt wird, weist innerhalb eines Feldes eine bestimme Eigenlogik auf, die an genau dieses Feld gebunden ist, in dem die Akteurin bzw. der Akteur verortet ist.35 Um die Wahrung und Verbesserung der eigenen Stellung muss dabei gefochten werden: Symbolische Auseinandersetzungen und Kämpfe werden „innerhalb der verschiedenen Felder ausgetragen“, wobei es „neben der Repräsentation der sozialen Welt um die Rangfolge innerhalb jedes einzelnen Feldes wie deren Gesamtheit geht“ (Bourdieu 1991: 9). Dabei entspricht einem Feld jeweils ein konkreter Zusammenschluss von Personen, die in einer bestimmten (Macht-)Beziehung zueinander stehen und den sozialen Raum hervorbringen. Auch hier wirken soziale Praktiken als konstituierendes Moment, die wiederum auf der Grundlage habitueller Anlagen der Akteurinnen und Akteure generiert werden. Die Interdependenz, die Dialektik von Habitus und Feld werden offensichtlich.36 Dennoch kann unter bestimmten Umständen jene Dialektik aufbrechen: Treten Krisensituationen37 auf, in denen die weiter oben beschriebenen bewährten habituellen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata als Produktionsprinzip von Praxis versagen, so kann an die Stelle des habituellen Handelns ein reflektiertes 34 Das symbolische Kapital umfasst sowohl das ökonomische, kulturelle als auch das soziale Kapital und meint dabei das sich aus allen Kapitalien ableitende Prestige und die Anerkennung, die letztendlich zu einer bestimmten Stellung im Feld führen (vgl. Bourdieu 2005: 311). 35 Ausführlicher hierzu: Ebrecht/Hillebrandt 2002: 9f. 36 Schwingel formuliert die These, dass in der modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft diese Dialektik ein Stück weit aufgebrochen werden kann; verantwortlich hierfür seien der soziale Wandel, die möglich gewordene Mobilität zwischen soziale Klassen, aber auch der Aufenthalt in Feldern, die relativ unvertraut sind. Dennoch sei trotz der komplexeren Relation von Habitus und Feld die „alltägliche Abgestimmtheit der Habitusformen mit den Strukturen sozialer Felder kein ungewöhnlicher Fall“ (Schwingel 1995: 73), da sich das Individuum innerhalb des Feldes ein seinem Habitus entsprechendes Milieu schaffe. 37 Krisensituationen können dabei sowohl subjektiv, d.h. im Individuum verankert, als auch objektiv, d.h. von feldinternen Faktoren bestimmt, sein (vgl. Schwingel 1995: 74f; Barlösius 2006: 85f.).
2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung
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treten, das die bisherigen Schemata ersetzt (vgl. Schwingel 1995: 74f.). Diese Anpassungsleistung bleibt dabei dennoch immer eine „spezifische Variante des Möglichen“ (Karrer 1998: 37).38 Insgesamt entwickelt Bourdieu eine Theorie der Praxis, die sich in der Formel „[(Habitus) (Kapital)] + Feld = Praxis“ (Bourdieu 2005: 175) ausdrückt. Habitus und Geschlecht Bourdieus Habituskonzept gründet zunächst auf die Analyse von Klassen, deren Handlungsmöglichkeiten durch ihr Eingebundensein in die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse determiniert sind (vgl. Bourdieu 2005: 176). Somit wird der Habitus als sozialstrukturell, genauer: als klassenspezifisch bedingt angesehen. Bourdieu erweitert dieses Verständnis allerdings dahingehend, dass er für die Handlungen innerhalb einer Klasse eben nicht ausschließlich die Produktionsverhältnisse als „Hauptvariable“ (ebd.: 178) verantwortlich macht, sondern auch „sekundäre Merkmale“ (ebd., Herv. i. Orig.) in seine Überlegungen einbezieht, die als unabhängige Variablen die Praxis strukturieren und in der „Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen“ (ebd.: 182, Herv. i. Orig.) die jeweilige soziale Klasse definieren. Zu den sekundären Merkmalen zählt er neben Ethnie, Alter und Religion auch Geschlecht. An anderer Stelle spricht er von „Alters-, Geschlechts-, Gesellschaftsklassen“ (Bourdieu 2005: 730) und stellt diese auf eine Ebene mit den sozialen Klassen. In seinem späten Aufsatz „Die männliche Herrschaft“ entwickelt Bourdieu den Begriff des „vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Habitus“ (Bourdieu 1997a: 167), der gleichermaßen wie der Klassenhabitus als gesellschaftlicher Orientierungssinn die Alltagspraxis der Akteurinnen und Akteure prägt und „ebenso wenig von den klassenspezifischen zu isolieren [ist] wie das Gelbe der Zitrone von ihrem sauren Geschmack: eine Klasse definiert sich wesentlich auch durch Stellung und Wert, welche sie den beiden Geschlechtern und deren gesellschaftlich ausgebildeten Einstellungen einräumt.“ (Ebd.: 185)
Brandes und Menz sprechen daher auch von einer „Kreuzung“ (Brandes/Menz 2002: 138) der sozialstrukturellen und der geschlechtlichen Dimensionen, die den Habitus ausmachen. 38 Bourdieu spricht zum einen vom Hysteresiseffekt als Reaktion auf eine auftretende Unstimmigkeit im Habitus, die durch Veränderungen im individuellen Lebenswandel entsteht. Zum anderen bewirkten Veränderungen durch sozialen Wandel eine Gespaltenheit des Habitus, wenn dieser mit dem gesellschaftlichen Veränderungen nicht Schritt halten kann. Des Weiteren kann der Habitus durch den Prozess einer Bewusstseinsbildung im Sinne einer Sozioanalyse verändert werden (vgl. Barlösius 2006: 86ff).
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A Theoretische Grundlagen
Entsprechend seinem Habitusbegriff geht Bourdieu davon aus, dass Geschlechterdifferenzen nicht naturbedingt auftreten, sondern kulturell begründet sind:39 Die scheinbar naturgegebene Raumzuweisung ist „objektiviert – in der sozialen Welt und – inkorporiert – in den Habitus präsent […], wo sie als ein universelles Prinzip des Sehens und Einteilens, als ein System von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskategorien wirkt.“ (Bourdieu 1997a: 159)
Gleichzeitig ist es der Habitus selbst, der „gesellschaftlich vergeschlechtlichte Konstruktionen der Welt und des Körpers“ (ebd.: 167) erzeugt. In seiner Analyse zur ‚männlichen Herrschaft‘, in der Bourdieu eine Erklärung für männliche gesellschaftliche Dominanz eruiert, kommt er zum Schluss, dass die Geschlechterordnung durch eine symbolische Ordnung überhöht und abgesichert wird.40 Abgesichert wird diese dabei nicht nur vom männlichen Akteur, sondern auch von einer unbewussten Komplizenschaft der Frauen. „Alle Macht hat eine symbolische Dimension: Sie muss von den Beherrschten eine Form von Zustimmung erhalten, die nicht auf der freiwilligen Entscheidung eines aufgeklärten Bewusstseins beruht, sondern auf der unmittelbaren und vorreflexiven Unterwerfung der sozialisierten Körper.“ (Ebd.: 165)
Der symbolische Gewalt, die hierbei entsteht, ist notwendig „ihre Verkennung als Gewalt und ihre Anerkennung als legitime Macht“ (Rademacher 2002: 148, Herv. i. Orig.) zueigen. Für Männer bedeutet dies, dass sie zwar über gesellschaftliche Privilegien verfügen, diese auch inkorporiert haben, dafür aber ständig von der Notwendigkeit getrieben sind, die eigene Männlichkeit zu bestätigen (vgl. Bourdieu 1997a: 188). Darüber hinaus sind sie quasi dazu verurteilt, mit ihren Geschlechtsgenossen in die „Kämpfe um die Akkumulation des symbolischen Kapitals“ (ebd.: 189) einzutreten. Für die vorliegende Arbeit bedeutsam ist ferner der Gedanke Bourdieus, dass der männliche Habitus sich nur dann voll entfaltet, wenn der Mann sich in Konkurrenz mit anderen Männern in diesen Wettstreit begeben kann: 39 Bourdieu spricht vom geschlechtlichen Habitus als einer „naturalisierte[n] gesellschaftliche[n] Konstruktion“ (Bourdieu 1997b: 11). 40 In einem Interview mit Irene Dölling und Margarete Steinrücke räumt Bourdieu ein, dass seine Überlegungen auf seiner Untersuchung zu den Kabylen (s.o.) basieren, die männliche Herrschaft gewissermaßen in Reinform repräsentiert. Für die moderne, differenzierte Gesellschaft bestätigt er einen Transformationsprozess: „Es steht außer Frage, dass sich die männliche Herrschaft nicht mehr mit der Evidenz des Selbstverständlichen durchsetzt. Heute ist sie etwas, das man verteidigen und rechtfertigen muss, etwas, wofür man sich verteidigen und rechtfertigen muss.“ (Bourdieu 1997b: 226) Dennoch bekräftigt er beispielhaft anhand der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes, dass die männliche Vorherrschaft nach wie vor ihre Wirksamkeit entfaltet (vgl. ebd.: 226f.).
2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung
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„Konstruiert und vollendet wird der männliche Habitus nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen.“ (Ebd.: 203, Herv. i.O.)
Anerkennung erlangt ein Mann demzufolge nur dann wirklich, wenn ihm diese von einem anderen, ebenbürtigen Mann entgegengebracht wird (vgl. ebd.: 204). Konsequenzen für die vorliegende Arbeit Wie bereits im Kapitel zum geschlechterbewussten Ansatz erläutert, wird davon ausgegangen, dass die geschlechtliche Identität, die sich im Rahmen einer gesellschaftlich bipolar organisierten Geschlechterordnung ausbildet, durch eben diese strukturiert wird. Strukturierend wirkt sie wiederum in Form eines vergeschlechtlichenden Habitus, den aufzuspüren sich die vorliegende Arbeit zum Ziel gesetzt hat. Unterschiedliche Praktiken, so die aus dem Habituskonzept Bourdieus abgeleitete Vorannahme, können sich in unterschiedlichen Ausprägungen von Männlichkeiten und daraus resultierenden Konsequenzen für jegliche Formen der (berufsbezogenen) Interaktion niederschlagen. Als Klammer fungiert dabei die grundsätzliche Praxisform, die als Mannsein als solches beschrieben werden kann. Die Eruierung der sozialstrukturellen Dimensionen, die den oben stehenden Ausführungen zufolge den zweiten Baustein des Habitus ausmachen, geschieht in Form einer Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Strukturkategorie Generation, sowie mit dem sozialen Milieu, dem die interviewten Grundschullehrer zuzuordnen sind (vgl. Kap. B 3 dieser Arbeit). Es wird davon ausgegangen, dass sowohl sozialstrukturelle, aber auch geschlechtliche Dimensionen die Entstehung bestimmter Praxisformen hervorbringen, die sich im beruflichen Handeln wieder finden. In den Fokus gerückt wird daher auch das soziale Feld ‚Grundschule‘, innerhalb dessen sich die Erforschten bewegen und das als externe Bedingung des eigenen Handelns die Entstehung bestimmter Handlungspraktiken formt. Daneben gilt es, Strategien aufzuspüren, die darauf abzielen, ein bestimmtes symbolisches Kapital innerhalb des ausgeübten Berufes zu erlangen. Folgt man dem theoretischen Konzept Bourdieus weiter, so sind Grundschullehrer in ihren habituellen Handlungsmöglichkeiten determiniert, sofern sie sich tatsächlich in derselben Soziallage befinden. Dennoch sind verschiedene Praktiken im Sinne einer ‚geregelten Improvisation‘ (s.o.) möglich, die es aufzuspüren gilt. Eventuell kann auch davon ausgegangen werden, dass einzelne Interviewpartner durch die Erfahrung eines Scheiterns oder durch die Bewältigung anderer Krisen die mehr oder weniger bewährten habituellen Schemata aufgeben und zu einem reflektierten Handeln gelangen. Darüber hinaus ergeben sich für vorliegende Arbeit zwei Fragen: Wie tragen die Kolleginnen der Grundschullehrer zur Ausprägung eines geschlechtlichen und
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A Theoretische Grundlagen
vergeschlechtlichenden Habitus ihrer männlichen Kollegen bei, d.h. worin besteht deren ‚Komplizenschaft‘? Und: In wie weit ist es männlichen Grundschullehrern überhaupt möglich, einen männlichen Habitus auszuprägen und symbolische Macht zu erlangen, wenn doch eben die nach Bourdieu hierfür notwendigen Konkurrenten in Form männlicher Kollegen größtenteils nicht vorhanden sind? 2.3.2 Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit nach Robert Connell Der australische Soziologe Connell erforscht mit seinem sozialkonstruktivistischen Ansatz Männlichkeit vor dem Hintergrund von Dominanz und Unterordnung. Männlichkeit definiert er dabei als „eine Position im Geschlechterverhältnis“ sowie als „die Praktiken, durch die Männer und Frauen diese Position einnehmen, und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeit und Kultur“ (Connell 2000a: 91). In Bezug auf Gramscis in den 1920er Jahren entwickelten Theorie zur Klassenbeziehung und dessen Begriff der Hegemonie41 arbeitet Connell unterschiedliche Ausprägungen von Männlichkeit heraus. So entwickelt er 1985 gemeinsam mit Carrigan und Lee sein Konzept der ‚Hegemonialen Männlichkeit‘, das er zwei Jahre später in „Gender and Power“ weiter ausarbeitet und das, auch durch seine Fortführung in der 1995 erschienenen Studie „Masculinities“,42 seither einen entscheidenden Einfluss auf die Männerforschung ausübt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil das Konzept „die Kategorisierung und Analyse von Männlichkeiten als kollektive Handlungs-, Denk- und Gefühlsmuster“ (Brandes 2002b: 1) ermöglicht. ‚Kollektive Muster‘ bedeuteten dabei nicht, dass jedes Individuum oder jede Gruppe diesen auch folgt oder sie repräsentiert. Wohl aber wird von der Existenz eines „kulturell dominanten Deutungsmusters von Männlichkeit“ (ebd.) ausgegangen, das einen entscheidenden Einfluss auf die Individuen ausübt und als jener Bezugsrahmen fungiert, dem sich niemand entziehen kann.43 Jenes dominante Deutungsmuster bezeichnet Connell als ‚Hegemoniale Männlichkeit‘. Diese definiert er wie folgt: „Hegemoniale Männlichkeit kann man als jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimationsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll).“ (Connell 2000a: 98)
41 Gramski vertritt die These, dass sich Herrschaft nicht allein über den Besitz der Produktionsmittel ergibt, sondern an gesellschaftlich akzeptierte – also auch von den Beherrschten mitgetragene – Machtbeziehungen gebunden ist (vgl. Gramski 1967). 42 In der deutschen Übersetzung 1999 erschienen unter dem Titel „Der gemachte Mann“. 43 Vgl. hierzu auch Döge 2001: 36.
2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung
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Zentral an der obigen Definition ist, dass Connell Männlichkeit auf soziale, geschlechtsbezogene Praxis bezieht. Diese Praxis ist gleichsam geprägt durch das prozesshafte Zusammenspiel von handelnden Subjekten, die subjektive Muster von Männlichkeit widerspiegeln, und Institutionen, die als objektive Strukturen anzusehen sind (vgl. Brandes 2002b: 2). Die Ausprägung hegemonialer Männlichkeit ist an kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen gebunden, die sich ändern können. Somit unterliegt die Ausgestaltung des Konzepts Transformationsprozessen. Connell spricht hier von Hegemonie als „historisch bewegliche Relation“ (Connell 2000a: 98). Auch wenn obige Definition auf das Dominanzverhältnis zwischen Männer und Frauen abhebt, so umfasst der Begriff der hegemonialen Männlichkeit doch eine zweifach strukturierte Ungleichheitsrelation. Neben der grundsätzlichen Verschiedenheit vom Weiblichen sowie der grundsätzlichen Überlegenheit gegenüber Frauen beschreibt hegemoniale Männlichkeit auch das Verhältnis von Männern innerhalb der eigenen Genusgruppe. Hier ist es Connells Verdienst, den Begriff ‚Männlichkeit‘ konsequent zu ‚Männlichkeiten‘ weiterentwickelt zu haben. Insgesamt beschreibt Connell neben der hegemonialen Männlichkeit, die sich vor allem durch „ihren erfolgreich erhobenen Anspruch auf Autorität“ (ebd.: 98) sowie durch die Besetzung von „Macht- und Reichtumspositionen“ (Carrigan/ Connell/Lee 1996: 62) auszeichnet, dabei immer als Ideal und Bezugsrahmen dient, drei weitere Ausprägungen von Männlichkeiten: In unmittelbarer Nähe zur hegemonialen Männlichkeit ist die komplizenhafte Männlichkeit anzusiedeln. Nur wenige Individuen können die Reinform hegemonialer Männlichkeit ausfüllen. Dennoch gelingt es Männern, an der „patriarchalen Dividende“ (Connell 2000a: 100) teilzuhaben: ‚Komplizenhaft‘ partizipieren sie von den materiellen und immateriellen Vorteilen, die Männern durch die Hegemonie in der vorherrschenden Geschlechterordnung entstehen, ohne sich „den Spannungen und Risiken an der vordersten Frontlinie des Patriarchats aussetzen“ (ebd.) zu müssen. Stattdessen schaffen sie als „Mittäter“ (Carrigan/Connell/Lee 1996: 62) Allianzen und Männerbünde, mit Hilfe derer sie sich strategisch die Vorteile sichern können, die ihnen die Dominanz des hegemonialen Handlungsmusters verschafft. Tatsächlich ist es gerade diese komplizenhafte Männlichkeit, die die Ordnung der Geschlechter wesentlich stützt (vgl. Budde/Faulstich-Wieland 2005: 39). Auf der anderen Seite steht die untergeordnete Männlichkeit. Connell sieht vor allem homosexuelle Männer „durch eine Reihe recht handfester Praktiken“44 (Connell 2000a: 99) heterosexueller Männer in diese Form der Männlichkeit gedrängt. 44 Zu diesen Praktiken zählt Connell Exklusionsmechanismen aus dem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben, aber auch staatlich-institutionelle sowie personale Gewalt (vgl. Connell 2000a: 99).
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A Theoretische Grundlagen
Untergeordnete Männlichkeit nimmt „das untere Ende der Geschlechterhierarchie“ (ebd.) ein, „Schwulsein [wird] leicht mit Weiblichkeit gleichgesetzt“ (ebd.). Neben homosexuellen Männern kann, so Connell, auch heterosexuellen Männern untergeordnete Männlichkeit ‚verordnet‘ werden, wenn sie den dominanten Männlichkeitsidealen nicht entsprechen. Connell identifiziert in diesem Zusammenhang Sprachhandeln, durch das eine symbolische Feminisierung stattfindet.45 Döge konstatiert mit Bezug auf Mosse (1997), dass gerade diese „‚Anti-Typen‘ […] zur Bestimmung hegemonialer Männlichkeit von eminenter Bedeutung [sind], beschreiben sie doch genau das Bild vom Mann, das als un-männlich gilt und abgewertet wird.“ (Döge 2001: 37, Herv. i. Orig.)
Connell bezeichnet Hegemonie, Komplizenschaft und Unterordnung als „interne Relationen der Geschlechterordnung.“ (Connell 2000a: 101). In der Absicht, diese um externe Faktoren sozialer Ungleichheit wie Klasse und Ethnizität zu erweitern sowie um weitere Beziehungen innerhalb der Geschlechterordnung aufzuzeigen, fügt er den bisher genannten Männlichkeitsformen die der ‚marginalisierten Männlichkeit‘ hinzu. Mit ihr werden „Beziehungen zwischen Männlichkeiten dominanter und untergeordneter Klassen oder ethnischer Gruppen“ (ebd.: 102) beschrieben. Marginalisierung entsteht, so Connell, „immer relativ zur Ermächtigung hegemonialer Männlichkeit der dominanten Gruppe“ (ebd.). Das System hegemonialer Männlichkeiten ergibt sich also im Zusammenspiel der vier aufgezeigten Handlungsmuster, die „auf dem grundlegenden Arrangement der dichotomen, hierarchischen und heterosexuellen Anordnung der Geschlechter“ (Budde/Faulstich-Wieland 2005: 39) beruhen. Deutlich wird anhand des Konzepts der hegemonialen Männlichkeiten, dass es Männlichkeit als solche nicht gibt, man vielmehr von Männlichkeiten im Plural sprechen muss. Diese Männlichkeiten stehen in hierarchischen Beziehungen zueinander und äußern sich in vergeschlechtlichten Selbstdarstellungen, Selbstwahrnehmungen und Körperpraxen (vgl. Connell 2000b: 21f.). Männlichkeiten werden somit nicht verstanden als individuelle biologistische Charaktereigenschaften, sondern als Konstrukte, die „innerhalb einer Kultur kollektiv bestimmt und von Institutionen gestützt“ (ebd.: 22) werden. Männlichkeiten entstehen als kultureller Orientierungsrahmen im und aus dem (auch institutionell verankerten) Handeln der Individuen: Sie wirken als strukturierte und strukturierende Handlungsmuster (vgl. Connell 2000a: 102), sind dabei einer „Veränderungsdynamik“ (ebd.: 87) unterworfen. Hegemoniale Männlichkeit bezeichnet dabei die Form der Männ45 Connell listet stellvertretend Schimpfwörter wie „Schwächling, Schlappschwanz, Muttersöhnchen, Waschlappen, Feigling, Hosenscheißer, Saftarsch, Windbeutel, halbe Portion, Brillenschlange, Milchbrötchen, Memme, Streber“ (Connell 2000a: 100) auf.
2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung
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lichkeit, die die „bestimmende Position“ (ebd.: 97) im Geschlechterverhältnis (zwischen Männern und Frauen, sowie zwischen Männern und Männern) einnimmt. Hegemoniale Männlichkeit wirkt so als grundlegendes Erzeugungsprinzip der Konstruktion von Männlichkeit und als männlicher Geschlechtshabitus, egal, ob der Anspruch letztlich eingelöst werden kann oder nicht (vgl. Meuser 2000: 59; Meuser/Scholz 2005: 212). Das Geschlechterverhältnis selbst muss dabei als „ein dynamisches, heftig umkämpftes Feld der Macht“ (Forster/Rieger-Ladich 2004: 275) betrachtet werden. Konsequenzen für die vorliegende Arbeit Legt man die Annahme Connells zugrunde, dass Männer grundsätzlich dem kulturell dominanten Deutungsmuster der hegemonialen Männlichkeit folgen, so ist zu fragen, ob und wie männliche Grundschullehrer dies im sozialen Feld ‚Grundschule‘ tun. Gelingt es ihnen, trotz oder gerade wegen ihres Minderheitenstatus einen Anspruch auf Autorität geltend zu machen und durchzusetzen? Lassen sich Strategien eruieren, mit denen ein solches Ziel verfolgt wird? Findet ein latent oder gar offen ausgetragener Machtkampf statt? Auf der anderen Seite drängt sich die Frage auf, in wieweit Männer, die als Grundschullehrer tätig sind, von anderen Männern marginalisiert oder gar in eine unterdrückte Form der Männlichkeit gedrängt werden. Als Männer, die in einem gegengeschlechtlichen Beruf tätig sind, entsprechen sie den dominanten Männlichkeitsidealen zunächst nicht. Durch ihre Berufsausübung stellen sie eine Nähe zum Weiblichen her, die, folgt man dem Ansatz Connells, sanktioniert wird. Die Selbstwahrnehmung wird von einer potentiellen Marginalisierung genauso beeinflusst wie Interaktionen und die Handlungspraxis im beruflichen Feld.
2.3.3 Konklusion der Ansätze Bourdieus und Connells Obschon die Nähe zwischen Bourdieus und Connells Ansätzen überdeutlich ist, entwickelt Connell seine Theorie der Männlichkeiten ohne Rückgriff auf das Habituskonzept Bourdieus. Während Bourdieu die Beharrlichkeit des einmal erworbenen Habitus betont, der das Handeln der Personen innerhalb der objektiven Strukturen alles in allem determiniert (vgl. Bourdieu 1997b: 225), gesteht Connell dem Akteur ein höheres Maß an Variabilität im Handeln zu, gerade um vorgefundene gesellschaftliche Strukturen zu verändern (vgl. Connell 1987: 95). Connell geht davon aus, dass die Reproduktion männlicher Hegemonie auf der Grundlage von Bündnisbildung und dem Aushandlungsprozess von Konsens geschieht. Dahingegen erklärt der gegenüber einem möglichen Wandel der Geschlechterverhältnisse um ein Vielfaches skeptischere Bourdieu die Beharrkraft der Machtverhältnisse mit
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A Theoretische Grundlagen
dem Konzept der symbolischen Gewalt. Die Unterordnung und somit die Stützung männlicher Dominanz lässt sich nicht länger mit Freiwilligkeit erklären, vielmehr handelt es sich um einen inkorporierten Habitus, der für eine vorreflexive Unterwerfung verantwortlich zeichnet (vgl. Meuser/Scholz 2005: 224). Dennoch können beide theoretischen Ansätze miteinander verbunden werden, beschreiben sie doch eine Theorie der Praxis, die den Zusammenhang von Struktur und Handeln betont. Das Bindeglied heißt bei Bourdieu ‚Habitus‘, bei Connell ‚soziale Praxis‘. So gelingt es Michael Meuser (1998a), beide Ansätze zu vereinen und seine Theorie des ‚Gender-Habitus-Konzepts‘ zu entwickeln. Meuser setzt an der habitustheoretischen Sozialstrukturanalyse Bourdieus an und arbeitet diese – auf der Grundlage seiner empirischen Studie zum medialen Diskurs von Maskulinität und zu alltagsweltlichen kollektiven Orientierungen von Männern – zu einer Analyse von „Geschlechtslagen“ (Meuser 2001: 211) als Basis einer soziologischen Geschlechtertheorie aus.46 Um sein Gender-Habitus-Konzept zu verfolgen, geht er der Frage nach, wie „Zweigeschlechtlichkeit als soziale Tatsache konstruiert wird“, und im Hinblick auf sein männerforschungsgeleitetes Interesse, wie „Mannsein sich in einer distinkten sozialen Praxis reproduziert“ (Meuser 1998a: 107, Herv. i. Orig.). Meuser definiert Geschlecht hierzu zunächst als eine distinkte Handlungspraxis, aus und in der es existiert. Diese (soziale) Existenz ist „an einen spezifischen Habitus gebunden, der bestimmte Praxen generiert und andere verhindert“ (ebd.: 112). ‚Doing Gender‘ im Sinne eines ‚modus operandi‘ und Geschlecht als ‚opus operatum‘ sind die beiden Seiten des geschlechtlichen Habitus, der als „verkörperte und naturalisierte Praxis par excellence“ (ebd.: 113) auftritt. Dabei gibt es, so Meuser, pro Geschlecht als generierendes Prinzip nur jeweils einen Habitus: den weiblichen oder den männlichen. Unberührt davon bleiben unterschiedliche Ausdrucksformen des Habitus, die sich in ebenso unterschiedlichen Ausprägungen von Femininität und Maskulinität niederschlagen. Ursache für diese Unterschiede sind die verschiedenen Erfahrungen, die der Akteur beispielsweise innerhalb eines bestimmten sozialen Milieus, innerhalb einer Generationenkohorte macht (vgl. ebd.: 115). Der Begriff des männlichen Geschlechtshabitus umfasst sowohl eine Differenz-, als auch eine Ungleichheitsdimension: Die Mechanismen der Abgrenzung von Frauen werden genauso beleuchtet wie die Mechanismen, die bei dieser Abgrenzung zu einer männlichen Dominanz führen (vgl. ebd.: 117) Meuser jedoch betrachtet nicht nur die Produktion und Reproduktion von Differenz und Dominanz von Männern gegenüber Frauen, sondern und gerade auch die Interaktionen, mit denen Unterschiede und Machtbeziehungen zwischen Männern hergestellt werden. 46 Bei Bourdieu selbst meint Meuser nur die Andeutung der Theorie eines Geschlechtshabitus zu erkennen, nicht aber deren systematische Entfaltung (vgl. Meuser 1998a: 110). Dies zu leisten ist Meusers Bestreben.
2.3 Erträge kritischer Männerforschung zur Geschlechterforschung
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Hier wird die Kompatibilität des Habitusbegriffs Bourdieus mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit Connells sichtbar. Meuser gelangt schließlich zu der Annahme, dass hegemoniale Männlichkeit gleichsam das Fundament des männlichen Habitus darstellt: „Hegemoniale Maskulinität ist der Kern des männlichen Habitus, ist das Erzeugungsprinzip eines vom männlichen Habitus generierten doing gender bzw. ‚doing masculinity’, Erzeugungsprinzip und nicht Praxis selbst.“ (ebd.: 118, Herv. i. Orig.)
Von besonderem Interesse für vorliegende Arbeit ist Meusers These, dass ein mit dem männlichen Habitus kompatibles Leben Männern „habituelle Sicherheit“ (ebd.: 119) verleiht. ‚Habituelle Sicherheit‘ definiert Meuser als eine Sicherheit, „die ein Handeln betrifft, das unter den Geltungsbereich eines bestimmten Habitus und in den Rahmen einer bestimmten Sozialordnung fällt, hier derjenigen der Zweigeschlechtlichkeit“ (ebd.).
In seiner Studie stellt Meuser die Frage, ob habituelle Sicherheit vor dem Hintergrund einer zunehmenden Auflösung der traditionellen gesellschaftlichen Geschlechterordnung überhaupt noch zu erlangen sei bzw. welche Strategien verfolgt werden, um diese dennoch herzustellen (vgl. ebd.: 120). Habituelle Sicherheit gründet sich auf und in familiären Zusammenhängen und den darin eingenommenen Positionen, auf und in der Interaktion zwischen Frauen und Männern, vor allem aber auch zwischen Männern und Männern, und schließlich auf und in Mechanismen der Selbstpräsentation (vgl. ebd.: 296). Wie die empirischen Ergebnisse Meusers zeigen, kann diese Sicherheit nur dann entwickelt werden, wenn „das eigene Handeln nicht als ein geschlechtlich konnotiertes wahrgenommen wird“ (ebd., Herv. i. Orig.). Dies ist umso mehr dort der Fall, wo das hegemoniale Männlichkeitsverständnis ungebrochen und unhinterfragt Gültigkeit hat, einhergeht mit klassenspezifischen Merkmalen und nicht weiter reflektiert wird. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang vom Habitus als „Spontaneität ohne Willen und Bewusstsein“ (Bourdieu 1987: 105). Vorreflexive Desexierung, Normalisierung und Nihilierung werden als Strategien enttarnt, die habituelle Geschlechterordnung aufrecht zu erhalten; die Mystifikation männlicher Hegemonie ist eine weitere Praxis (vgl. Meuser 1998a: 298f.) Meuser spricht in diesem Zusammenhang an anderer Stelle auch von „Strategien einer kognitiven Immunisierung gegenüber sozialem Wandel“ (Meuser 2000: 62). Werden solche Strategien nicht verfolgt, so sind existentielle Verunsicherung und Orientierungsverlust die Folge, die jenseits von Geschlecht auch andere Felder der Identität tangiert (vgl. Meuser 1998a: 299ff). Eine Verunsicherung tritt auch dann zu Tage, wenn die „Alltagswirklichkeit zu wenig den Anwendungsbedingungen des männlichen Habitus entspricht“ (ebd.: 299). Dennoch gelingt es den verunsicherten Männern nicht, so Meusers
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A Theoretische Grundlagen
Forschungsergebnisse, den inkorporierten Habitus abzustreifen, so sehr sie diesen auch in Frage stellen. Zusammenfassung ‚Habitus‘ meint die verkörperte Geschichte eines Menschen, die als vergangenes Erkennen und Handeln künftiges Erleben strukturiert: Der Habitus ist von der Geschichte geprägt, und wirkt gleichzeitig auf diese prägend. Es wird von einem inkorporierten, praktischen und handlungsleitenden Wissen ausgegangen, das keineswegs reflexiv zu verstehen ist, sondern vielmehr aus impliziten Handlungsschemata besteht. Bezogen auf das Geschlecht ist davon auszugehen, dass auch die Konstruktion von Männlichkeit in der sozialen Praxis der Akteure, also im Verhältnis von Sprache zu Handlung bzw. Sprache und Körper, gründet. Der soziale Habitus erzeugt Vorstellungen und Handlungsweisen, die „den objektiven Umständen entsprechen, denen sie entstammen“ (Bourdieu 2005: 378). Legt man hegemoniale Männlichkeit als Kernpunkt eines vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden männlichen Habitus zugrunde, dann wird sichtbar, dass in Zeiten, in denen traditionale Geschlechterverhältnisse mehr und mehr aufbrechen, eine habituelle Unsicherheit die Folge sein muss. Überkommene, gleichwohl inkorporierte Praktiken lassen eine Passung zwischen Habitus und Feld, in dem Mann sich bewegt, nicht mehr ohne weiteres zu. Vor genau diesem theoretischen Hintergrund sollen die habituellen berufsbezogenen Praktiken von Grundschullehrern untersucht werden. Welche Strategie und Bewältigungsformen in Form von Handlungspraxen und Konstruktionen werden bei ihnen wirksam, um den Widerspruch, als Mann in einem weiblich konnotierten Berufsfeld zu arbeiten, aufzulösen? Können tatsächlich Anzeichen einer habituellen Verunsicherung ausgemacht werden? Es wird davon ausgegangen, dass gerade das Geschlechterverhältnis im Feld Grundschule eine Struktur darstellt, die Praxisformen der Berufsausübung erzeugt und strukturiert. Es gilt, diese Praxisformen über die Handlungsorientierungen herauszufinden und auf Regelmäßigkeiten hin zu überprüfen. Die Frage nach dem – regelgeleiteten – Denken und Handeln der Grundschullehrer soll kollektive Praxisorientierungen und deren Wechselbeziehung zu den objektiven sozialen Strukturen aufspüren. Die Überlegungen Bourdieus, Connells und Meusers bilden dabei den theoretischen Rahmen, innerhalb dessen sich die vorliegende Studie bewegt.
2.4 Männerforschung und Schulpädagogik: Aktueller Forschungsstand
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2.4 Männerforschung und Schulpädagogik: Aktueller Forschungsstand Unternimmt man den Versuch, nach Einflüssen der Männerforschung auf das erziehungswissenschaftliche Forschungsfeld, genauer auf das der Schulpädagogik zu blicken, stellt man schnell fest, dass solche nur äußerst marginal existieren. Es ist das Verdienst der feministischen Schulforschung, dass seit den 1970er Jahren die Kategorie ‚Geschlecht‘ in Bezug auf Schule, Bildung und Chancengleichheit in den Fokus des wissenschaftlichen und öffentlichen Interesses geraten und der androzentristische Blick auf Schule hinterfragt wird. Koedukation, Schulbücher und der ‚heimliche Lehrplan‘ sowie die darauf beruhenden Interaktionsmuster im Unterrichtsgeschehen, Geschlechterstereotypisierungen und deren Bedeutung für das Selbstbild von Schülerinnen und Schülern sind nur einige Aspekte, die in diesem Zusammenhang kritisch beleuchtet werden: „Im weitesten Sinn analysiert die feministische Schulforschung einerseits die Fragestellung, wie sich die gesamtgesellschaftliche Geschlechterhierarchie in der Schule manifestiert, andererseits fragt sie danach, welche Bedeutung die Schule für die Reproduktion, aber auch Infragestellung der bestehenden Geschlechterverhältnisse hat.“ (Kampshoff/Nyssen 1999: 224)
Männerforschung als eigenständige Disziplin bleibt hier weitgehend außen vor, selbst wenn man sie als Teil der Geschlechter- oder Genderforschung betrachtet. Lediglich über die Praxis der Jungen- und Männerarbeit hat sich Männerforschung im deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren eine gewisse Position auch in der Erziehungswissenschaft gesichert.47 Berührungspunkte ergeben sich vor allem aus Fragen nach der männlichen Sozialisation und nach Bildungsverläufen, sowie im Bereich der Gewaltprävention. Einschränkend ist festzustellen, dass die meisten Publikationen gleichwohl nicht an den in seiner theoretischen Ausarbeitung schon viel weiter entwickelten soziologisch geprägten Diskurs um Mannsein und Männlichkeit(en) anschließen. Empirische Studien sind insgesamt selten, und diejenigen, die vorliegen, halten spätestens bei der Interpretation der Daten meist vehement an differenztheoretischen Ansätzen mit einer essentialistischen Auslegung von dem, was ‚Männlichkeit‘ bedeutet, fest. Die Ergebnisse weisen wenige Anschlussmöglichkeiten an die Errungenschaften der Frauen- und Geschlechterforschung oder der soziologischen Männerforschung auf. Der Begriff des ‚doing gender‘ (West/Zimmermann 1987), der eine kontextgebundene Analyse der Mechanismen von Geschlechterkonstruktionen im Feld Schule erlaubt, scheint hier noch nicht angekommen zu sein. Vielmehr gleichen die vorhandenen Arbeiten oft ideologisch geprägten Konstrukten, deren normative Argumentationslinien 47 Gleichwohl stellt Hagemann-White fest, dass Jungenforschung mit einem Fokus auf Schule im deutsprachigen Raum kaum vorhanden ist (vgl. Hagemann-White 2002: 146).
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Alltagstheorien in vermeintlich wissenschaftliche Theorien transformieren wollen.48 Dennoch soll im Folgenden ein kurzer Überblick über die Beiträge der Männerforschung zur Schulpädagogik gegeben werden. Jungenforschung wird dabei als ein Teilgebiet der Männer- bzw. Männlichkeitsforschung betrachtet. Gewaltprävention Bezogen auf das viel diskutierte Themengebiet ‚Schule und Gewalt’ konkurrieren täterzentrierte Interventionsprogramme, die nahezu ausschließlich auf die Persönlichkeit bzw. das unmittelbare Umfeld des Täters abzielen, mit Präventionsprogrammen, die grundsätzlicher gegen Männergewalt operieren: Bei letzteren wird auf struktureller sowie kultureller Ebene angesetzt und die generelle Gleichstellung der Geschlechter genauso fokussiert wie die Ächtung von Gewaltnormen (vgl. Forster 2005: 210). Gerade in diesem Zusammenhang entstehen zunehmend Untersuchungen zum generellen Verhältnis von Männlichkeiten und Schule, dies durchaus auch unter männlichkeitstheoretischer Perspektive (vgl. Forster/RiegerLadich 2004: 273). Jungenarbeit und Jungenforschung In der aktuellen Jungenarbeit bildet sich ein breites, teilweise komplementäres Themenspektrum ab: Zum einen wird die Täter-Opfer-Debatte mit den Aspekten Gewalt, Sexismus, aber auch Homophobie neu geführt, zum anderen treten Fragen nach der Sozialisation, Identität und Bildung von Jungen in den Vordergrund. Fragen nach der Feminisierung des Bildungs- und Erziehungssektors, nach ‚fehlenden‘ und ‚neuen‘ Vätern, generell nach den Möglichkeiten von Jungenarbeit an Schulen finden hier Aufmerksamkeit. Ein weiterer Themenkomplex spannt sich um Körperkonstruktionen, Gesundheit und Grenzerfahrungen, wobei hier sowohl die Auseinandersetzung mit riskanten Lebenspraxen wie auch das Streben nach lustvoller Männlichkeit verankert sind (vgl. Forster 2005: 209ff). Grundsätzlich können identitätstheoretische, emanzipatorische und antisexistische Ansätze geortet werden. Walter konstatiert, dass es trotz der aus Reflexionen entwickelten vielfältigen Praxisansätze kaum repräsentative empirische Studien in diesem Gebiet gibt (vgl. Walter 2000: 104). In letzter Zeit entstehen aber auch hier Arbeiten auf der Grundlage empirischer Forschungsergebnisse, die eine konstruktivistische Sichtweise verfolgen.49
48 Einige Beispiele hierzu werden weiter unten angeführt. 49 So untersucht beispielsweise Michalek (2006) Geschlechtervorstellungen von Grundschülern, Budde (2005) Männlichkeitskonstruktionen von Gymnasiasten.
2.4 Männerforschung und Schulpädagogik: Aktueller Forschungsstand
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Die Traditionslinie der Jungenforschung ist allerdings eine andere und wirkt auch heute noch: Jungen geraten explizit in den Fokus der Aufmerksamkeit als Reaktion auf bzw. als Unterstützung von feministischer Mädchenarbeit. Sollen Jungen hiermit zunächst, d.h. seit etwa Mitte der 1980er Jahre50, davon abgehalten werden, Mädchen bzw. Frauen im Kontext eines patriarchalen Herrschaftsverständnisses als Täter zu unterdrücken51, so werden seit den 1990er Jahren Jungen zunehmend als Opfer genau dieser gesellschaftlichen Strukturen und Ideologien gesehen (vgl. Busche 2004: 136). Mit dem Buch „Kleine Helden in Not“ legten Schnack/Neutzling (1991) die Grundlage für einen Perspektivenwechsel von der antisexistischen zur opferorientierten Jungenarbeit. Im Zusammenhang mit dem vermeintlich schlechten Abschneiden von bundesdeutschen Jungen in der ersten PISA-Studie (vgl. PISA-Konsortium 2001) erfährt Jungenforschung einen gewaltigen Popularitätsschub. Die Opferrolle der Jungen wird zunehmend betont, wenn nicht sogar stilisiert, und nicht selten in Form eines ‚Backlash‘ (vgl. Buchen 2004a: 11) gegen Mädchen, Frauen und deren Förderung gewendet. Unter anderem wird immer wieder die Bedeutung des Vaters oder anderer männlicher Bezugspersonen als Identifikationsfiguren für eine glückende Sozialisation von Jungen beschworen.52 Diefenbach/Klein (2002) gehen im schulischen Kontext gar so weit, in ihrer methodisch inzwischen vielfach kritisierten Studie „Bringing Boys Back In“ den hohen Anteil von Lehrerinnen für das schulische Versagen der Jungen verantwortlich zu machen.53 Zwei Thesen stehen dabei im Vordergrund: Zum einen benötigen Jungen, so die Annahme, für eine gelingende (schulische) Sozialisation gleichgeschlechtliche Identifikationsfiguren. Diese seien in den Grundschulen aber nicht vorhanden. Zum anderen wird eine feminisierte Schulkultur beklagt: Erziehungsziel sowie Erziehungsstil folgen weiblichen Orientierungsmustern, die Jungen fremd bleiben und sie in ihren schulischen Erfolgsaussichten benachteiligen. Forderungen nach einer jungenfreundlichen Schule werden mit massiver Kritik an der feministischen Schulforschung und den auf diese resultierenden bildungs50 Kunert-Zier identifiziert den 1981 erschienen Aufsatz von Brunke „Zur geschlechtsspezifischen Arbeit mit Jungen“ als erste Publikation im Bereich der geschlechtsspezifischen Jungenarbeit (vgl. Kunert-Zier 2005: 57). 51 Beispielhaft: Ottemeier-Glücks 1987. 52 Beispielhaft: Sielert 2002: 80, Zwick 2004: 13, Boldt 2005: 108f. 53 Das methodische Verfahren und die Interpretation der Ergebnisse halten einer wissenschaftlichkritischen Betrachtung nicht stand. Zur Kritik: Budde 2006a, Heinzel/Henze/Klomfaß 2007, Kuhn 2008. Dennoch werden die vermeintlichen Erkenntnisse von Diefenbach/Klein sowohl im populärwissenschaftlichen als auch im wissenschaftlichen Bereich wieder und wieder rezitiert (beispielsweise von Cornelißen u.a. 2003: 228, oder auch m.E. besonders fatal, da – völlig unkritisch und als Wahrheit dargestellt – in einer schulpädagogischen Einführung zu Konzepten der Koedukation bei Kreienbaum/Urbaniak 2006: 59f.
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A Theoretische Grundlagen
politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre verbunden.54 Darüber hinaus wird Geschlechterdifferenz in einem essentialistischen Sinne par excellence reifiziert. Busche stellt dar, wie eng diese normativen Vorstellungen einhergehen mit der Sichtweise, dass Jungen nur wenig bis nichts von Frauen lernen oder von diesen in ihrer Entwicklung nicht unterstützt werden (vgl. Busche 2004: 140f.). Gleichzeitig wird durch die Betonung der Notwendigkeit, eine ‚männlichen Identität‘ auszuprägen, eine Idealvorstellung von – heteronormativer – Männlichkeit reproduziert. Ebenjene Auseinandersetzung mit männlicher Identität stellt, so Forster, den Schwerpunkt der deutschsprachigen Männer- und Jungenarbeit dar. Dabei kennzeichne Orientierungslosigkeit eine Krise. Das Ziel von Männer- und Jungenarbeit müsse daher eine „Resouveränisierung männlicher Identität“ (Forster 2005: 213) sein, die nur in Abkehr von der früheren antisexistischen Männer- und Jungenarbeit erreicht werden könne, betrachte jene das ‚Mann-Sein‘ doch aus einer Defizitperspektive. Die Existenz einer solchen Krise darf m.E. bezweifelt werden, wenn man sich die uneingeschränkt fortwirkende gesellschaftliche Durchschlagkraft des Konzepts der hegemonialen Männlichkeit vergegenwärtigt. Auch die Abwehrmechanismen gegen eine vermeintliche Bedrohung der tradierten Vormachtsstellung funktionieren nach wie vor hervorragend, wie der aktuelle Diskurs belegt. Bislang nur vereinzelt wird auf wissenschaftlicher Ebene eine dekonstruktive geschlechterbezogene Bildungsarbeit propagiert. Ein solches Verständnis hat zur Folge, dass das Geschlechterverhältnis in der Schule einer grundlegenden Revision unterzogen wird55, aber auch, dass der defizitäre Blick auf Mädchen und Jungen grundlegend einer anderen Perspektive weicht. Eine dekonstruktive Sichtweise beinhaltet auch, die Herstellung von Geschlecht als Aufgabe von Jungen und Mädchen zu erkennen, die jeden Moment neu bewältigt werden muss. Jungenarbeit bedeutet in diesem Kontext dann, Bewältigungsstrategien aufzuzeigen, mit denen den widersprüchlichen Anforderungen des Geschlechtersystems begegnet und eine eigene Identität entwickelt werden kann (vgl. Busche 2004: 138). Dabei kann es, so Krabel und Stuve, nicht mehr darum gehen, einen essentialistischen Begriff von männlicher Identität zu lancieren; in Anlehnung an Maihofer (1995) verfechten die Autoren den Begriff von „Geschlecht als Existenzweise“, der die „gesellschaftlichen und historischen Dimensionen der dichotomen Aufteilung der Geschlechterwelt in Männer und Frauen beschreibt.“ (Krabel/Stuve 2000: 53f.) Als Konsequenz lehnen sie vorherrschende Modelle der Jungenarbeit ab, die
54 Beispielhaft: Preuss-Lausitz 2005: 222f. 55 Vgl. beispielhaft den von Faulstich-Wieland (1991) entwickelten Ansatz der reflexiven Koedukation.
2.4 Männerforschung und Schulpädagogik: Aktueller Forschungsstand
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ihrer Meinung nach vor allem auf eine heteronormative Reproduktion der Zweigeschlechtlichkeit hinauslaufen, und plädieren stattdessen für ein identitätskritisches Verständnis (vgl. ebd.: 64ff). Berufswahlmotive Galt der Beruf des Grund- bzw. Volksschullehrers lange Zeit als Aufstiegsberuf für junge Männer aus den unteren Klassen (vgl. Kap. 3.3 dieser Arbeit), so zeigt sich spätestens seit Ende der 1970er Jahre, dass die Entscheidung für ein entsprechendes Studium in keinem Zusammenhang mit der sozialen Schichtzugehörigkeit steht (vgl. Terhart 1994). Dahingegen weisen sich Lehramtsstudierende durch „eine berufliche Einstellung aus, die ausgesprochen wenig auf Prestige und materiellen Gewinn abzielt“ (Giesen u.a. 1981: 51). Jürgens und Standop stellen in ihrer Studie neben pädagogisch-kindbezogenen Motiven auch den Aspekt der Selbstverwirklichung als weiteres zentrales Motiv heraus, das Grundschulstudierende auszeichnet (vgl. Jürgens/Standop 1997). Ulich bescheinigt Grundschulstudierenden im Vergleich zu Studierenden anderer Lehrämter eine stärker auf die Arbeit mit Kindern ausgerichtete Motivationslage. Extrinsische Motive treten im Vergleich zu Studierenden anderer Fachrichtungen dahingegen in den Hintergrund. Zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im Feld Grundschullehramt kann er keine Aussage treffen, da unter den Befragten nur drei männliche Probanden waren. Für die Lehrämter Haupt- sowie Realschule und für den Studiengang Gymnasium stellt er aber geschlechtsspezifische Unterschiede fest, die verkürzt so dargestellt werden können: Männliche Studierende orientieren sich wie ihre Kommilitoninnen zwar an der Arbeit mit den Kindern bzw. Jugendlichen, sind insgesamt aber weniger schülerorientiert und stärker von extrinsischen Faktoren geleitet. Gerade beim Lehramt an Gymnasien fällt bei ihnen die weitaus stärkere Orientierung an der Wissensvermittlung auf (vgl. Ulich 1998). Terhart bestätigt in einer Sekundäranalyse älterer und neuerer Studien einen „altruistisch-pädagogisch-caritativen Motivkomplex“ (Terhart 2001: 136), der zur Aufnahme eines Lehramtes für Grundschulen führt, macht aber keine Aussagen zur spezifischen Motivlage von Männern. Auch Martin und Steffgen, die den Einfluss der Berufswahlmotivation auf die Berufszufriedenheit luxemburgischer Grundschullehrerinnen und -lehrer untersuchen, berichten in ihrer Studie von der Durchschlagkraft des Motivs ‚Arbeit mit Kindern‘, stellen aber auch den hohen Stellenwert des extrinsischen Faktors ‚angenehmes Berufsleben‘ heraus. Die Wissenschaftler werten ihre Ergebnisse auch geschlechtsspezifisch aus. Hier wird deutlich, dass Frauen einen höheren Wert hinsichtlich des positiven Berufsbildes (Arbeit mit Kindern) aufweisen, während männliche Grundschullehrer die Motive ‚angenehmes Berufsleben‘ sowie
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‚gesellschaftliche Anerkennung‘ stärker gewichten als ihre Kolleginnen (vgl. Martin/Steffgen 2002: 245). Die vor allem auf Grund der in ihr gezogenen Schlussfolgrungen kontrovers diskutierte, bislang noch nicht als Publikation vorliegende Studie des Bildungsökonom Ludger Wößmann vom ifo-Institut München bescheinigt Studierenden des Lehramts für Grundschule unterdurchschnittliche Schulleistungen. Dahingegen weist die Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung von Klusmann u.a., die sich ebenfalls noch im Erscheinen befindet, den Zusammenhang zwischen der Berufswahl und einer negativen Selektion bei kognitiven und psychosozialen Merkmalen zurück. Auch hier werden schlechtere Schulleistungen im Kohortenvergleich zu anderen Studienanfängerinnen und Studienanfängern konstatiert, allerdings werden sie durch ein starkes Interesse am Beruf sowie hohen sozialen Motivationswerten ausgeglichen.56 Zu eventuell vorhandenen geschlechtsspezifischen Unterschieden in beiden Studien wurden bislang keine Aussagen gemacht Alle einschlägigen Studien zu den Berufsmotiven von Lehramtsstudierenden verfolgen einen quantitativen Ansatz. Als Messinstrumente fungieren Fragebögen mit Ratingskalen oder schriftliche Befragungen unter einer offenen Fragestellung. Viel versprechend für einen weiteren Erkenntnisgewinn erscheint ein qualitatives Vorgehen als Forschungsmethode, weswegen im Folgenden auf eine Studie eingegangen werden soll, die die Berufswahlmotive in einer benachbarten Disziplin eruiert, deren Ergebnisse aber durchaus auf das Lehramt an Grundschulen übertragen werden können. Schildmann, Tremel und Möller untersuchen in ihrem Forschungsprojekt „Geschlechterverhältnisse in (akademischen) pädagogischen Berufen und universitären Ausbildungsgängen unter besonderer Berücksichtigung der Rehabilitationswissenschaften/Sonderpädagogik“, in wie weit der Anteil männlicher Pädagogen in den pädagogischen Feldern, in denen Frauen überrepräsentiert sind, erhöht werden kann. Hierzu eruieren sie die Berufswahlmotivation von männlichen Studenten der Fachrichtung Sonderpädagogik/Rehabilitationswissenschaften mittels qualitativer Leitfadeninterviews.57 Erste Ergebnisse zeigen, dass der Zugang zum sonderpädagogischen Studium eher zufällig ist, die im Zivildienst gemachten Erfahrungen aber ein starkes Motiv für die Aufnahme eines Studiums in diesem Bereich darstellen (vgl. Tremel/Möller 2006: 56). Der Zivildienst fungiert dabei 56 Vgl. http://berufundchance.fazjob.net/s/RubC43EEA6BF57E4A09925C1D802785495A/Doc~ EEB118D392ECC4323AE1D9F5B2E4D9B8D~ATpl~Ecommon~Scontent.html (1.4.2009). 57 Zusätzlich ermittelt Schildmann über narrative Interviews berufsbiografische Perspektiven von Expertinnen und Experten, also von Frauen und Männern, die schon seit einiger Zeit in pädagogischen Berufen tätig sind; darunter auch ein männlicher Grundschullehrer. Diese Daten werden aber nicht ausgewertet, sondern bleiben als freie Erzählungen und Selbstreflexionen stehen (vgl. Schildmann 2006: 17).
2.4 Männerforschung und Schulpädagogik: Aktueller Forschungsstand
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gewissermaßen als ‚dooropener‘ zu pflegenden und betreuenden Tätigkeiten, die traditionell als ‚weiblich‘ angesehen werden. Da längst nicht alle jungen Männer Zivildienst leisten bzw. alle Zivildienstleistenden sich dann auch für einen sozialen Beruf entscheiden, gilt es, so Tremel und Möller, dass jungen Männern auf andere Weise Erfahrungen ermöglicht werden müssen, die den Abbau hegemoniale Männlichkeitskonstrukte sowie anderer Geschlechterstereotypen ermöglichen und Potentiale für alternative Männlichkeiten freisetzen. Das Forscherteam schlägt hier die Schule als zentrale Sozialisationsinstanz vor, propagieren alternative Konzepte der Berufsberatung genauso wie geschlechterreflexive Ansätze im Unterricht (vgl. ebd.: 57). Lehrerbelastung/Lehrergesundheit Studien zur Lehrerbelastung und speziell zur Lehrergesundheit58 sind meist wenig explizit auf männliche Lebenslagen ausgerichtet, unterscheiden aber doch häufig nach Geschlecht und leisten so einen indirekten Beitrag zur Männerforschung, wenn auch nicht zur Männlichkeitsforschung. So belegt die Potsdamer Lehrerstudie, dass Lehrerinnen unter mehr und stärker ausgeprägten psychischen und körperlichen Beschwerden leiden als Lehrer (vgl. Schaarschmidt 2004b: 53).59 Erklärt wird der Sachverhalt in der (eigentlich zunächst deskriptiv angelegten) Potsdamer Lehrerstudie mit der Doppelbelastung vieler Lehrerinnen durch Beruf und Familie, aber auch mit „ungleichen physischen Voraussetzungen“ wie „Körpergröße und Stimmgewalt“ und grundsätzlichen „geschlechtsspezifischen emotionalen Dispositionen“ (ebd: 54.). Auch der Umstand, dass Frauen den sozial-erzieherischen Aspekt ihrer Tätigkeit stärker betonen, scheint sich der Studie zufolge negativ auf das Beanspruchungserleben auszuwirken. Auf der anderen Seite wird herausgearbeitet, dass Lehrer auf weniger soziale Unterstützung zurückgreifen können, um Belastungssituationen zu bewältigen (vgl. ebd.: 56). Anzumerken ist hier, dass sowohl in der Anlage der Studie, vor allem aber in der Interpretation der Ergebnisse, eine differenz-, wenn nicht gar eine defizitorientierte Sichtweise auf Geschlecht mehr als deutlich wird.60 Eine differenzierte und individualisierte Betrachtung des Einzelfalls vor einem (de-)konstruktivistischem theoretischen Hintergrund wäre hier notwendig, um Ausmaß und Ursachen von 58 Beispielsweise: Buchen/Combe 1996; Rudow 2000; Schaarschmidt 2004a; Hillert/Schmitz 2004. 59 Dieses Ergebnis deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien (vgl. Krause/Dorsemagen 2007: 64). 60 Kritisch zur aufgeworfenen These der Doppelbelastung vgl. auch Gehrmann 2007: 192.
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A Theoretische Grundlagen
Belastungserleben und Gesundheit zu eruieren sowie sinnvolle Handlungsoptionen aufzuzeigen. Entsprechende Studien liegen bisher nicht vor. Männlichkeitskonstruktionen in der Schule Jürgen Budde gehört nach Durchsicht der aktuellen deutschsprachigen Forschungsliteratur zu den raren schulpädagogische Männlichkeitsforschern, die Geschlecht, und damit auch Männlichkeit(en) konsequent als sozial konstruiert betrachten.61 Seiner der theoretischen Anlage nach für die schulpädagogische Männlichkeitsforschung wegweisenden Studie „Männlichkeit und gymnasialer Alltag“ (2005) legt er sowohl das Habituskonzept Bourdieus als auch Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeiten zugrunde. Die Studie beleuchtet Interaktionsformen und Inszenierungsmuster von männlichen Jugendlichen, indem sie in einer breit angelegten ethnographischen Studie das ‚Doing Gender‘ von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, aber auch jenes der Unterrichtenden erforscht und nach deren Konstruktionen von Männlichkeiten fragt. Entscheidend für die Konstruktionen sind, so Buddes Ergebnis, „die Binnenrelation des System hegemonialer Männlichkeiten, die gemischtgeschlechtlichen Interaktionen sowie generalisierbare Dimensionen von Männlichkeit.“ (Budde 2005: 235)
Budde sieht – wie Tremel/Möller – ebenfalls die Schule als zentrale Sozialisationsinstanz und Ort, an dem Jungen Hilfestellungen und Unterstützung im Prozess der „geschlechtlichen Identifizierung“ (ebd.: 248) erhalten müssen. Gleichzeitig zeigt er auf, dass einzelne Lehrerinnen und Lehrer zwar eine Entdramatisierung62 der Geschlechterdifferenz anstreben, die meisten Lehrkräfte aber der Gender-Thematik mit Desinteresse begegnen. Dramatisierungen finden ebenfalls statt, genauso wie mädchenprotektierendes Verhalten durch Lehrerinnen oder sich zwischen Konkurrenz und Solidarität bewegendes Lehrerverhalten gegenüber Jungen.63 Um Schule geschlechtergerechter zu gestalten, hält Budde es für unabdingbar, den Lehrkräften ein „fundiertes theoretisches Wissen um die spezifischen Konstruktionsmechanismen von Männlichkeit 61 Konstruktivistische Ansätze verfolgen daneben auch Michalek (2006) in ihrer Studie zu Geschlechterkonstruktionen von Grundschülern, Jösting (2005) in der empirischen Arbeit zu Männlichkeitskonstruktionen in Jungenfreundschaften, sowie Breidenstein/Kelle (1998) und Faulstich-Wieland/Weber/Willems (2004), die den Fokus allerdings nicht explizit auf Männlichkeitskonstruktionen, sondern generell auf den Prozess des Doing Gender in der Schule legen. 62 Entdramatisierung meint das Zurückweisen der Relevanz. 63 Besonders interessant erscheint – gerade vor dem Hintergrund der in der Einleitung der vorliegenden Arbeit skizzierten Diskussion um die angeblich fatalen Auswirkungen des Fehlens von Männern im Bildungsbereich – Buddes Ergebnis, dass Jungen in der Schule eher zu viel als zu wenig Männlichkeit erfahren, nämlich dann, wenn Lehrer eigene Geschlechterstereotype reproduzieren (vgl. Budde 2005: 182f.).
2.4 Männerforschung und Schulpädagogik: Aktueller Forschungsstand
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und Weiblichkeit und von den geschlechtlichen Identifikationsprozessen ihrer Schülerinnen und Schüler“ (ebd.: 250)
zu vermitteln. Zunächst muss also eine Dramatisierung von Geschlecht als Strukturkategorie stattfinden, um in einem zweiten Schritt andere Kategorien wie beispielsweise das soziale Milieu in die Überlegungen einzubeziehen. In der konkreten schulischen Interaktion kann dann, ausgestattet mit fundiertem „Genderwissen“ (Budde 2006b: 58 in Bezug auf Dölling 2005) das Geschlecht entdramatisierend unterrichtet werden. Weiter plädiert Budde für die Ermöglichung alternativer körperlicher Erfahrungen, wie sie etwa während erlebnispädagogischer Maßnahmen gemacht werden können, um dem inkorporierten geschlechtlichen Habitus ein breiteres Spektrum an Körperkonzepten gegenüberzustellen (Budde 2005: 251). Auf diese Weise aufgezeigte „Handlungs- und Erlebensoptionen“ (Budde 2006a: 499) können dazu dienen, dysfunktionale tradierte Männlichkeitsstereotype zu überwinden. Weitere Konzepte werden vorgeschlagen, die von reflexiver Koedukation über eine generelle Individualisierung des Unterrichts jenseits von Geschlecht bis hin zum verstärkten Einsatz von Unterrichtsmethoden reichen, die eine größere Partizipation der Schülerinnen und Schüler ermöglichen. Zusammenfassung Insgesamt können in der schulpädagogischen Männlichkeitsforschung, sofern vom Vorhandensein einer solchen als eigenständigem Forschungsbereich überhaupt gesprochen werden kann, ähnlich wie bei der feministischen Schulforschung64 mehrere Argumentationslinien unterschieden werden. Sie bewegen sich zwischen Repressions-, Defizit-, Differenz- und konstruktivistischem Theorem. Nur die letztgenannte Ausrichtung ist anschlussfähig an den aktuellen Genderdiskurs. Dennoch stehen andere Ansätze im Vordergrund der erziehungswissenschaftlichen Männer- und vor allem der Jungenforschung. Hier besteht noch erheblicher Entwicklungsbedarf. Ein Blick auf die theoretischen Vorannahmen, Methoden und Ergebnisse der feministischen Schulforschung könnte diesen Prozess erheblich abkürzen und viele Diskurse, die bislang auf ein normatives Wissenschafts- und Geschlechterverständnis gründen, auf eine empirische Basis stellen.
64 Vgl. hierzu Kampshoff/Nyssen 1999: 225f.)
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A Theoretische Grundlagen
3. Die geschlechtsspezi¿sche Segregation des Arbeitsmarktes am Beispiel ‚Grundschule‘ 3.1 Zur BegrifÀichkeit Der Begriff der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes meint, dass Frauen und Männer dazu tendieren, in verschiedenen Berufsfeldern, Berufen und Arbeitsstellen tätig zu sein (vgl. Achatz 2005: 276). 65 Gildemeister/Robert konstatieren, dass die „Segregation des Arbeitsmarkts nach Geschlecht eine der wichtigsten Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit und auch für die Berufsfindungsprozesse von jungen Frauen und Männern“ (Gildemeister/Robert 2008: 118) ist. Dabei gibt es in der Regel deutlich sichtbare Trennlinien zwischen den Bereichen, die mit der Geschlechtszugehörigkeit der in ihnen beschäftigten Personen zu tun haben.66 Diese Trennlinien können auf der einen Seite horizontal gezogen werden: Männer und Frauen arbeiten in unterschiedlichen Berufen, sie halten arbeitsinhaltlich unterschiedliche Bereiche inne. Berufe, die einen quantitativen Anteil des anderen Geschlechts unter 30 Prozent aufweisen, werden in der Regel als ‚segregiert‘ bezeichnet.67 Weiter besteht eine vertikale Trennung: Männer und Frauen besetzen hierarchisch unterschiedliche Positionen innerhalb desselben Tätigkeitsfeldes, es findet eine Stratifizierung, also eine soziale Schichtung statt.
65 Gildemeister/Robert plädieren für eine Ablösung des Begriffs ‚geschlechtsspezifische Segregation‘ durch ‚vergeschlechtlichte Segregation‘, da nicht das Geschlecht selbst die Trennlinien zwischen Frauen- und Männerarbeit bestimmen, sondern soziale Konstruktionen über das Geschlecht selbst (vgl. Gildemeister/Robert 2008: 120ff). Dieser Einwand erscheint nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Geschlechtswandels von Berufen und der unterschiedlichen Zuordnung von Berufen in verschiedenen Kulturen und Gesellschaften einleuchtend und sinnig. Dass im Folgenden dennoch am Begriff der ‚geschlechtsspezifischen Segregation‘ festgehalten wird, ist allein der etablierten wissenschaftlichen Verwendung des Begriffes geschuldet. 66 Der Begriff der ‚Geschlechtszugehörigkeit‘ ist aus konstruktivistischer Sichtweise hier zunächst als ‚sex‘ zu verstehen, wobei die Gründe, die zu einer Segregation führen, eher auf ein ‚gendering‘ zurückzuführen sind, wie im Folgenden noch erläutert wird. 67 Ein allgemein gültiger Schwellenwert ist in der Forschung mangels theoretisch fundierter Begründung nicht einheitlich festgelegt; Achatz weist allerdings auf empirische Untersuchungen hin, die die 30-Prozent-Marke als Schwellenwert plausibel machen (vgl. Achatz 2005: 278). Die Einschätzung, einen Beruf als ‚geschlechtsspezifisch segregiert‘ anzusehen, beruht zunächst auf quantitativen Geschlechterverhältnissen. Wie Achatz herausstellt, kann darüber hinaus von einer ‚qualitativen Geschlechtstypik‘ gesprochen werden, wenn dem Beruf geschlechterbezogene Merkmale attribuiert werden, die wiederum vornehmlich weiblich oder männlich konnotierten Fähigkeiten und Kompetenzen repräsentieren. In diesem Fall müssen die quantitative Geschlechterzusammensetzung und die ‚Gender-Typik‘ nicht notwendig übereinstimmen (vgl. ebd.: 275f).
3.1 Zur BegrifÁichkeit
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Dabei ist auch die horizontale Segregation von hierarchischen Momenten geprägt: So verdienen Frauen in der Regel in horizontal gleichwertigen Berufen weniger als Männer.68 Wetterer konstatiert für die horizontale Segregation, dass geschichtlich betrachtet (Arbeits-) „Inhalte, die jeweils als spezifisch für ‚die‘ Differenz ausgewiesen werden“ (Wetterer 1995: 229, Herv. i. Orig.) nicht zufällig kreativ modernisiert und der bipolar-hierarchischen Unterscheidung von Männerund Frauenarbeit angepasst werden. Generell zeichnen sich Frauenberufe dadurch aus, dass sie in der Regel wenige Aufstiegschancen aufweisen und vergleichsweise schlecht bezahlt werden. Hagemann-White stellt fest, „dass die drei Elemente von Status, Einkommen und Aufstiegschancen ein Relevanzsystem der Bewertung von Berufsarbeit bilden, das von jungen Männern ernst genommen und beachtet, von jungen Frauen aber eher gering bewertet wird“ (Hagemann-White 1998: 34). Hinzu kommt, dass Frauen aufgrund ihrer ‚doppelten Vergesellschaftung‘ im Erwerbsleben und im privaten Reproduktionsbereich (Mutterschaft, Haushalt) in den gewählten Berufen oft nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen.69 Während sich die generelle geschlechtsspezifische Segregation auf dem europäischen Arbeitsmarkt innerhalb der letzten Jahre etwas abgeschwächt hat70, stellen Höyng/Puchert/Holter in ihrer Auswertung statistischer Daten aus Europa fest, dass dies für die horizontale Segregation nicht der Fall ist, Geschlechterreviere sich sogar weiter verfestigt haben: „Indicators show a general tendency in industrial society that technically oriented work became more purely masculine, and socially oriented work more purely feminine. Although gender differences in rank were diminished, differences in work orientation increased.“ (Höyng/Puchert/ Holter 2005: 54)
68 Für den gesamten europäischen Raum stellen Höyng/Puchert/Holter (2005: 23) unter Auswertung der Daten von EUROSTAT fest, dass sich die ‚Gender Wage Gap‘ zwischen 1994 und 2003 nicht vermindert hat und Frauen noch immer im Durchschnitt 16 Prozent weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, die die gleiche Arbeit verrichten. Das Statistische Bundesamt stellt in der Verdienststrukturerhebung 2008 beim unbereinigten Verdienstabstand zwischen Männer und Frauen (‚unadjusted Gender Pay Gap‘) gar einen Einkommensunterschied von 24 Prozent zu Ungunsten von Frauen fest. Diese Erhebung erfasst das Brutto-Gesamteinkommen von Frauen und Männern, allerdings unabhängig von Anteilen der Teilzeitbeschäftigung, horizontalen Positionen etc. (vgl. Statistisches Bundesamt 2008b). 69 So waren in Deutschland im Jahre 2002 nur ca. 5 Prozent der berufstätigen Männer teilzeitbeschäftigt, während die Quote von teilzeitbeschäftigten Frauen bei ca. 40 Prozent lag (vgl. Höyng/ Puchert/Holter 2005: 41f.). 70 Höyng/Puchert/Holter führen als Grund hierfür die zunehmend höhere Qualifizierung von Frauen an, die diese in höherwertigen Berufen münden lässt (vgl. Höyng/Puchert/Holter 2005: 54).
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A Theoretische Grundlagen
Zwar weichen in einigen europäischen Ländern, so beispielsweise in Spanien, Geschlechterreviere in Bezug auf technische Berufe etwas auf, für Deutschland gilt das jedoch nicht (vgl. ebd.). 71 Im Kontext der vorliegenden Untersuchung können die dargestellten Ergebnisse neuerer Studien ohne weiteres untermauert werden: Auf der horizontalen Ebene ist das Lehramt an Grundschulen ein weitgehend feminisierter Beruf. Statistische Erhebungen weisen nach, dass die Frauenquote inzwischen knapp 87 Prozent beträgt (vgl. Statistisches Bundesamt 2008a).72 Die Tendenz verläuft weiter steigend: So befanden sich im Jahr 2007 beispielsweise unter den Auszubildenden im Vorbereitungsdienst in Baden-Württemberg nur noch 8 Prozent Männer, die das Lehramt an Grund- und Hauptschulen anstrebten (vgl. Landesinstitut für Schulentwicklung/Statistisches Landesamt Baden Württemberg 2007: 206ff). Vergleicht man dieses Berufsfeld mit dem des Gymnasiallehramts, für das die gleiche Ausgangsqualifikation benötigt wird und das in der Tendenz ein ähnliches Berufsbild aufweist, so wird deutlich, dass das quantitative Geschlechterverhältnis hier deutlich verschoben ist. Zwar arbeiten im gymnasialen Bereich inzwischen ebenfalls geringfügig mehr Frauen als Männer (ca. 53 Prozent, vgl. ebd.), doch kann der Beruf (noch) als durchaus integriert, d.h. geschlechtsneutral beschrieben werden. Während die Grundschullehrerin (und auch der Grundschullehrer) in der Regel eine Eingangsbesoldung von A12 erhält und auf dieser Besoldungsstufe bis zu ihrer Pensionierung verweilt73, erhält der Gymnasiallehrer (und auch die Gymnasiallehrerin) als Anfangsgehalt bereits die Besoldungsstufe A 13 plus einer Zulage Z. Nach wenigen Jahren kann er zum Oberstudienrat und damit in die nächsthöhere Besoldungsstufe aufsteigen. Karrierechancen ergeben sich für ihn über Posten wie Fachbereichsleiter und Direktorenstellen, die eine Besoldung bis A 16 als Oberstudiendirektor ermöglichen. Für die Grundschullehrerin besteht die einzige Karrieremöglichkeit in der Übernahme einer Schulleitungsfunktion, die, je nach Größe der Schule, teilweise nur mit einer geringen Amtszulage materiell honoriert wird. Darüber hinaus ist die Unterrichtsverpflichtung bei der Grundschullehrerin um rund 15 Prozent höher als die des Gymnasiallehrers. Auch der Anteil der Personen, die Teilzeit arbeiten, variiert zwischen den Schularten: Sind es im Jahre
71 Auch Achatz weist in Bezug auf andere Untersuchungsergebnisse darauf hin, dass die geschlechtsspezifische horizontale Segregation des Arbeitsmarktes „in den einzelnen Ländern zum Teil erheblich […] schwankt“ (Achatz 2005: 263). 72 Für genauere Daten und einen Überblick zur historischen Entwicklung siehe weiter unten. 73 Tatsächlich wird in Baden-Württemberg im Rahmen der Neustrukturierung der Lehramtsstudiengänge darüber nachgedacht, die Eingangsbesoldung für das Lehramt Grundschule auf A 11 abzusenken.
3.1 Zur BegrifÁichkeit
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2007 in den Gymnasien 39 Prozent, die ihr Deputat reduziert haben, so arbeiten an Grundschulen immerhin 53 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit. Im Bereich der Grundschulen ist dann der Frauenanteil unter den Teilzeitbeschäftigten mit knapp 96 Prozent wesentlich höher als der Frauenanteil unter den Vollzeitbeschäftigten (76,8 Prozent) (vgl. ebd.: 206ff). Wie diese Daten belegen, lässt sich also der Beruf der Grundschullehrerin – sowohl was den quantitativen Anteil der Frauen als auch was die äußeren Rahmenbedingungen anbelangt – als ein Frauenberuf par excellence charakterisieren. Auf der vertikalen Ebene lässt sich ebenfalls eine geschlechtsspezifische Segregation nachweisen: So steigt der Anteil weiblicher Schulleiterinnen zwar stetig an, doch halten nach wie vor überproportional viele Männer dieses Amt inne.74 Sicherlich lassen sich auch bei der schulinternen Aufteilung der Arbeit sowie der grundsätzlichen Interpretation der professionsbezogenen Aufgaben Segregationen feststellen. Hier liegen zwar keine statistischen Daten vor, wohl aber verschiedene empirische Untersuchungen, von denen an dieser Stelle stellvertretend nur die bekannten und vielfach rezitierten Studien von Flaake (1989) und Buchen/Combe (1996) genannt werden sollen. Für die Fragestellung der vorliegenden Studie ist die Segregation des Arbeitsmarktes in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Von der horizontalen Ebene aus betrachtet arbeiten männliche Grundschullehrer in einem gegengeschlechtlichen Beruf. Es stellt sich die Frage, in wie weit sie diesbezüglich einem gesellschaftlich verankerten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sind und wie sie mit diesem umgehen. Auf der vertikalen Ebene soll eruiert werden, ob und in wie weit eine geschlechtsspezifische Segregation ihre Wirksamkeit entfaltet und in welcher Form die männlichen Grundschullehrer an der Herstellung einer solchen beteiligt sind. So stellt sich unter anderem die Frage, ob von den Grundschullehrern der Versuch unternommen wird, geschlechtsspezifische Differenzen und Hierarchien herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten, um auf diese Weise beispielsweise eine männliche Art der Berufsausübung zu konstruieren. Um diesen Fragen weiter nachgehen zu können, ist es zunächst nötig, Begründungstheorien für die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes zu betrachten.
74 Achatz weist explizit auf Lehrerinnen und Schulleiter als Beispiel für die vertikale Dimension der Segregation hin (vgl. Achatz 2005: 276).
60
A Theoretische Grundlagen
3.2 Begründungstheorien für die geschlechtsspezi¿sche Segregation des Arbeitsmarktes Generell lassen sich zwei theoretische Erklärungsansätze für die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes unterscheiden: Während akteurorientierte Ansätze individuelle Merkmale und vorberufliche Konstellationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Mittelpunkt rücken, gehen strukturtheoretische Ansätze von strukturell verankerten Zwängen und Hindernisse in der Arbeitswelt selbst aus. Die beiden Linien werden dabei weiter ausdifferenziert. Diese sollen im Folgenden grob skizziert und einer kritischen Betrachtung unterworfen werden. Ergänzt werden die als klassisch zu bezeichnenden Ansätze um eine interaktionstheoretische Perspektive, stellt eine solche doch eine Verbindung der konkurrierenden Linien dar und wird der vorliegenden Arbeit zu Grunde gelegt. Akteurorientierte Ansätze Akteurorientierte Ansätze führen die Segregation des Arbeitsmarktes auf individuelle Merkmale und Konstellationen zurück, die außerhalb der Arbeitswelt selbst liegen (vgl. Heintz u.a. 1997: 25). Grundlegend wird hier die ‚Doktrin der unterschiedlichen Lebenssphären‘ bemüht, die den Geschlechtern ihre je eigenen ‚Reviere‘ zuweist: dem Mann die Sphäre des Ernährers und somit das Revier der Arbeit, der Frau die Sphäre der Mutter und Gattin und das Revier des Haushalts. Diese Doktrin, die als Idealbild der bourgeoisen Gesellschaft des ausgehenden 18. Jahrhunderts entsteht, kann sich in der Realität zwar niemals vollständig durchsetzen; gerade im Zuge der Industrialisierung tragen Frauen genauso wie Männer zum Lebensunterhalt durch bezahlte Arbeit in den Fabriken bei (vgl. Behnke 1997: 20ff). Bestrebungen, das bürgerliche Familienideal auch auf die Arbeiterklasse zu übertragen, scheitern nicht zuletzt an deren ökonomischen Lage.75 Dennoch hat das Idealbild erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt: Damit Frauen Männern nicht zu gleichwertig oder gar gleichgestellt werden, ist es nötig, den Arbeitsmarktsektor in unterschiedliche Sphären aufzuteilen. Höyng/Puchert/ Holter gehen von gesellschaftlichen Zwängen aus:
75 Beachtenswert ist hierbei, dass dieses Ansinnen auch von der bürgerlichen Frauenbewegung verfolgt wird. Obwohl sich diese für gleiche Rechte, vor allem aber auch für das Recht auf eine gleiche formale Bildung von Frauen einsetzt, propagiert die bürgerliche Frauenbewegung doch die grundlegende Verschiedenheit der Geschlechter und legt den Arbeiterinnen nahe, sich in ‚sparsamer Haushaltsführung‘ unterweisen zu lassen, um auf Berufsarbeit und den damit verbundenen Arbeitslohn verzichten zu können (vgl. Behnke 1997: 26). Zur Theorie der Geschlechterdifferenz bei Helene Lange, einer der führenden Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, ausführlich: Kuhne (2007).
3.2. Begründungstheorien geschlechtsspeziÀscher Segregation des Arbeitsmarktes
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„ […] it was hardly possible on the level of generally valid societal norms to treat men and women differently when they worked side by side in the same contexts and carried out the same duties. The ‚solution’ to this dilemma was to prevent women and men from working side by side and to conceal the fact that they were doing the ‚same‘ thing.“ (Höyng/Puchert/Holter 2005: 56, Herv. i. Orig.)
Frauen wird der Platz zugewiesen, der ihrem ‚weiblichen Arbeitsvermögen‘ entspricht. Das ‚weibliche Arbeitsvermögen‘ definiert sich auch heute noch über gesellschaftliche Normen, die mehr öffentlich als latent ihre Gültigkeit beanspruchen: Eigenschaften wie „Emotionalität, Einfühlsamkeit, Opferbereitschaft, Zuwendung“ (Krüger 2003: 132), die den Bereich der sozialen Aufgaben markieren, sind weiblich konnotiert und bedürfen daher auch, so Krüger, als „Wesenskonstante“ (ebd.) von Frauen keiner gesonderten, auf Professionalität zielenden Qualifikation.76; 77 Gildemeister/Roberts bezeichnen diese auf biologistische Zuschreibungen basierende Konstruktion als ein „In-Eins-Fallen von Geschlecht, Tätigkeit und Person“ (Gildemeister/Robert 2008: 121).78 Lässt sich in der historischen Betrachtung die opportune Konstruktion dieser Sichtweise leicht aufspüren, so reaktivieren Beck-Gernsheim und Ostner den Ansatz des weiblichen Arbeitsvermögens Ende der 1970er Jahre dennoch, um die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes zu erklären. Ihre Theorie basiert auf der gesellschaftstheoretischen Position, die die Marginalisierung von Frauen als Folge einer funktional differenzierten modernen Gesellschaft versteht (vgl. Beck-Gernsheim/Ostner 1978). Dieser differenztheoretische Ansatz unterscheidet Hausarbeit und Berufsarbeit als zwei Bereiche, die ein jeweils spezifisches Arbeitsvermögen verlangen. Aufgrund der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die Frauen und Männern jeweils unterschiedliche Sphären zuweist, entwickeln Frauen und Männer ein je unterschiedliches Arbeitsvermögen, das kongruent zu den
76 So werden beispielsweise seit 2006 in Hessen unter dem Aktionsprogramm „Unterrichtsgarantie Plus“ stundenweise Personen (vor allem Frauen) auch ohne professionelle Ausbildung im Schuldienst (Primarstufe und Sekundarstufe I) eingesetzt, um Unterrichtsausfall zu verhindern (vgl. http://www.unterrichtsgarantieplus.hessen.de/ (7.8.2008), zur Kritik: http://www.gew-hessen.de/ index.php? id=568 (7.8.2008). 77 Als Pendant zu den ‚Wesensmerkmalen‘ von Frauen existieren solche auch für Männer: In Bezug auf Connells Model der hegemonialen Männlichkeit (s.o.) können „individuelle Kompetenz, Effizienz, Rationalität und Durchsetzungsfähigkeit“ (Gärtner/Riesenfeld 2004: 91) als Leitbild von Männlichkeit identifiziert werden. 78 Gildemeister und Robert stellen fest, dass die auf die soziale Konstruktion von Geschlecht basierende Arbeitsteilung derart selbstverständlich erlebt wird, dass sie kaum bewusst wahrgenommen wird; sie stellt gleichsam ein „‚Superschema‘ für die Organisation von sozialen Interaktionen bereit“ (Gildemeister/Robert 2008: 121) und ist dadurch aufs Engste mit dem System und der Institution Arbeitsmarkt verbunden. So verstanden ist das Erklärungsmuster nicht rein akteurorientiert, sondern kann dem interaktionistischen Ansatz zugeordnet werden, der weiter unten ausführlicher erläutert werden wird.
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A Theoretische Grundlagen
Arbeitsbereichen ist. So entwickeln Frauen ‚weibliche Fähigkeiten und Fertigkeiten‘, die sie qua Natur für familiennahe, also hausarbeits- und körpernahe Berufe (wie Krankenpflege, Erziehen, Hauswirtschaften) qualifiziert und in solche Berufe auch einmünden lassen. Die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes wird in diesem Modell mit der Spezifik des weiblichen Arbeitsvermögens erklärt, das wiederum über geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse entsteht (vgl. Lemmermöhle 2004: 240). Dieser Ansatz ist mittlerweile vielfach kritisiert worden. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf die These der ‚doppelten Vergesellschaftung‘ von Frauen (vgl. Becker-Schmidt/Knapp1995), die Frauen ausdrücklich nicht ausschließlich auf den familialen Bereich beschränkt sieht. Weiter essentialisiert dieser Ansatz Geschlechterdifferenz (vgl. Heintz u.a. 1997: 28). Auch Lemmermöhle hält den Ansatz für empirisch vielfach widerlegt und verweist darauf, dass die Autorinnen ihre Hypothesen mittlerweile selbst zurückgenommen haben (vgl. Lemmermöhle 2004: 240). Gleichwohl bescheinigt sie ihm eine gesellschaftliche Durchschlagkraft, die damit einhergeht, dass der Ansatz auch weiterhin aktualisiert wird. Zu dieser Einschätzung gelangt auch Eggert-Schmid Noerr, die davon ausgeht, dass sich diese Muster „unter dem derzeitigen Druck des Arbeitsmarktes wieder verfestigt werden“ (Eggert-Schmid Noerr 2005: 122). Behnke kommt in ihrer Studie zum Geschlechterverhältnis aus männlicher Sicht zum Ergebnis, dass der Differenzdiskurs „auch heute noch ein spezifisch bürgerliches Phänomen“ (Behnke 1997: 128) ist.79 Auch in der vorliegenden Studie sprechen, wie an späterer Stelle noch ausführlicher dargestellt werden wird, einige der Interviewpartner dezidiert von Dingen und Aufgabenbereichen, die Frauen quasi per Naturgesetz besser bewerkstelligen als Männer und umgekehrt. Der Ansatz eines geschlechtsspezifischen Arbeitsvermögens wird also auch von ihnen reaktiviert. Sozialisationstheorien gehen ebenfalls davon aus, dass die Segregation des Arbeitsmarktes in den Personen selbst begründet liegt. Die Hauptursache sehen diese in der Primärsozialisation: Im Laufe der Kindheit und Adoleszenz eignen sich Mädchen und Jungen unterschiedliche Normen und Werte an, die sich in geschlechtsspezifischen Überzeugungen, Motivationslagen und Dispositionen ausdrücken. Das Streben nach einer Passung zu gesellschaftlich definierten geschlechtlichen Verhaltensweisen führt dazu, dass sie schließlich Berufe wählen, die den internalisierten Geschlechterstereotypen entsprechen. Die Jungen und Mädchen 79 So weist sie in ihrer Milieustudie nach, dass differenztheoretische Zuschreibungen und Segregationen im Arbeitermilieu wenig ausgeprägt sind und die Geschlechterordnung hinter die von externen Sachzwängen sowie von der Alltagsbewältigung geprägten „praktische Ordnung“ (Behnke 1997: 126) zurücktritt. Hier sei auf die Parallele zur historischen Entwicklung gegen Ende des 18. Jahrhunderts hingewiesen, wie sie weiter oben dargestellt wurde.
3.2. Begründungstheorien geschlechtsspeziÀscher Segregation des Arbeitsmarktes
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sind darum bemüht, die „symbolisch-kulturellen Grenzen der Geschlechtsangemessenheit von Berufen“ (Achatz 2005: 267) nicht zu übertreten. Auch der sozialisationstheoretische Ansatz ist mittlerweile vielfach kritisiert worden: So wird die Beschränkung des Ansatzes auf die Primärsozialisation in Frage gestellt, wird Sozialisation inzwischen doch als lebenslanger Prozess verstanden.80 Auch wird bezweifelt, dass die Berufswahl ausschließlich von Vorlieben bestimmt wird; vielmehr findet eine Anpassung der Wünsche an die real existierenden bzw. als solche wahrgenommenen Möglichkeiten statt. Somit kann die individuelle Berufswahl zwar Folge, nicht aber Ursache eines segregierten Arbeitsmarktes sein (vgl. Heintz u.a. 1997: 26). Humankapitaltheorien setzen wie Sozialisationstheorien bei der individuellen Berufswahl an. Allerdings sehen sie die Wahl nicht als Folge sozialisatorischer Prozesse, sondern schreiben sie rationalen Überlegungen zu, die vor dem Hintergrund von Kosten-Nutzen-Kalkulationen zu Berufswahlentscheidungen führen. So wählen Frauen deshalb Frauenberufe, da diese vielfach eine Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie ermöglichen: Die Möglichkeit von Teilzeitarbeit, eine geringe Ausbildungsdauer, ein relativ hohes Einstiegsgehalt, ein problemloser Wiedereinstieg in den Beruf nach der ‚Babypause‘ sind Faktoren, die dem Lebensmodell ‚Beruf und Familie‘ entgegenkommen bzw. eine Kompatibilität der beiden Bereich erst ermöglichen. Dabei wird von einer traditionalen familiären Arbeitsteilung ausgegangen. Auch dieser Ansatz erfährt auf breiter Ebene Kritik: Empirisch ist die Theorie der hier propagierten Selbstselektion kaum haltbar, wie vielfache Studien belegen (vgl. Heintz u.a. 1997: 29ff, Achatz 2005: 265f.). Hingewiesen sei im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie und dem weiter oben formulierten Vergleich zwischen den Lehrämtern Grundschule und Gymnasium darauf, dass beide Berufsfelder dieselben Vorzüge in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufweisen, jedoch nur das Lehramt an Grundschulen als Frauenberuf in Erscheinung tritt. Der Vorteil der kürzeren Ausbildungsdauer beim Grundschullehramt wird durch den Nachteil bei den späteren Verdienst- und Karrierechancen aufgehoben. Strukturorientierte Ansätze Anders als akteurtheoretische Ansätze gehen strukturtheoretische Ansätze nicht von individuellen Entscheidungen der Arbeitsnehmerinnen und -nehmer aus, die zu einer Segregation des Arbeitsmarktes führen, sondern von strukturellen Zwängen und Barrieren, die Frauen in Frauenberufe und Männer in Männerberufe einmünden lassen. 80 Allerdings beziehen einige Ansätze durchaus auch die Sekundärsozialisation in ihre Überlegungen ein (vgl. Bilden 1991).
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A Theoretische Grundlagen
So eruiert der social control-Ansatz von Jerry Jacobs (1989) die Widerstände, auf die Frauen in der Berufswelt stoßen. Diese sozialen Kontrollmechanismen entfalten ihre Wirksamkeit weit über die Phase der Berufswahl hinaus, wie Untersuchungen zur Mobilität und zum Drehtüreffekt zwischen Männer-, Frauen und integrierten Berufen beweisen (vgl. Heintz u.a. 1997: 34). Der job queues/labor queues-Ansatz von Reskin und Ros (1990) bestätigt die Thesen des social control-Ansatzes, legt den Schwerpunkt aber auf den Geschlechterwechsel von Berufen. Zum einen sind die Arbeitgeberinnen und -geber daran beteiligt, dass sie die Arbeitnehmerinnen und -nehmer unter anderem nach deren Geschlecht in verschieden Bereichen einsetzen (‚labor queues‘). So kann ein Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin verstärkt Frauen einstellen, wenn beispielsweise ein erhöhter Arbeitskräftebedarf entsteht und nicht durch männliche Bewerber gedeckt werden kann: Die Frauen rücken aus der ‚Warteschlange‘ nach. Zum anderen bewerten Arbeitnehmerinnen und -nehmer selbst bestimmte Tätigkeiten nach deren Attraktivität (‚job queues‘). Eröffnet sich ein neues, attraktives Berufsfeld, wandern Männer aus dem alten Berufsfeld ab und machen der ‚Warteschlange‘ hinter ihnen Platz: Frauen können deren bisherige Positionen einnehmen. Das Zusammenspiel dieser beiden ‚Warteschlangen‘ führt dazu, dass manche Berufe im Laufe der Zeit einen Geschlechterwechsel durchlaufen. Für den Beruf des Grundschullehrers bzw. des Volksschullehrers lässt sich ein solcher Geschlechterwandel leicht nachweisen, wie schon allein die weiter unten aufgeführten statistischen Daten belegen.81 In Beckers Anfang der 1970er Jahre entwickeltem Modell der Lohndiskriminierung wird die Arbeit von Frauen und Männern als generell austauschbar bezeichnet: Diskriminierungsmechanismen, die er in dem persönlichen Wunsch nach Distanz von Arbeitgebern, Kollegen und Kunden gegenüber Frauen begründet sieht, wirken allerdings so, dass Frauen letztlich nur mit kompensierenden Lohnabschläge eingestellt werden (vgl. Achatz 2005: 268f.). Das Modell einer statistischen Diskriminierung setzt weniger an persönlicher Vorurteilsneigung an, sondern bemüht komplexe Entscheidungssituationen als Erklärungsmuster für die unterschiedliche Entlohnung von Frauen und Männern. Da Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die neues Personal einstellen, leicht zu ermittelnde Produktivitätssignale benötigen, lassen sie sich in ihrer Entscheidung für oder gegen eine Person von leicht feststellbaren Kategorien wie Bildungszertifikaten oder eben aber Geschlechtszugehörigkeit leiten. Das durchschnittlich beobachtete Verhalten einer Gruppe (hier: von Frauen) führt zu statistischen Annahmen über das potentielle Verhalten der Bewerberin. So werden beispielsweise Annahmen über eine erhöhte Fluktuation oder eine geringere Einsatzbereitschaft Frauen 81 Ursachen hierfür werden in einem kurzen sozialgeschichtlichen Abriss in Kap. A 3.3 dargestellt.
3.2. Begründungstheorien geschlechtsspeziÀscher Segregation des Arbeitsmarktes
65
zugeschrieben. Letztendlich mündet dies in einer Zuweisung weniger produktiver und schlechter entlohnter Arbeitsplätze an Frauen (vgl. ebd.: 269). Betrachtet man heutige Assessment-Verfahren, so leuchtet die Kritik an diesem Ansatz, der persönliche Fähigkeiten der Bewerber nicht berücksichtigt, unmittelbar ein. Auch wird kritisiert, dass bei diesem Ansatz rein ökonomische Überlegungen im Vordergrund stehen, soziale Ursachen für die Diskriminierung aber unberücksichtigt bleiben (vgl. ebd.: 270). Für den Beruf der Grundschullehrerin könnte man zunächst meinen, dass beide Diskriminierungstheorien nicht greifen, geschieht die Einstellung in den Schuldienst doch zu beamtentariflich geregelten Konditionen. Die Einstellung selbst orientiert sich an der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung, die in Form einer Leistungsziffer aus beiden Lehramtsprüfungen ihren Ausdruck finden. Im Landesbeamtengesetz Baden-Württemberg (LBG B.-W §11, Abs. 2) ist beispielsweise festgeschrieben, dass die Ernennung „ohne Rücksicht auf Geschlecht“ zu erfolgen hat. Tatsächlich ist aber im Rahmen der schulscharfen Stellenbesetzungen in letzter Zeit zunehmend das Phänomen zu beobachten, dass vor allem an Grundschulen bevorzugt Männer zur Einstellung vorgeschlagen werden. Dieser Umstand ist sicherlich dem populärwissenschaftlichen Diskurs geschuldet, der mehr Männer für den Erziehungsbereich fordert (s.o.). 82 Der interaktionsorientierte Ansatz Eine Verbindung zwischen akteurs- und strukturorientierten Argumentationslinien gelingt dem interaktionstheoretischen Ansatz, der viele der oben beschriebenen Kritikpunkte an rein akteurorientierten und rein strukturtheoretischen Ansätzen ausräumen kann. Ridgeway (2001) stellt alltägliche Interaktionsprozesse als Begründung für die Hartnäckigkeit der hierarchischen geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarkes heraus: „Interaktion führt nämlich zwangsläufig zu geschlechtlicher Kategorisierung, und im Zuge dieser Kategorisierung werden Geschlechterstereotypen evoziert, die das Handeln am Arbeitsplatz und in anderen Bereichen prägen. Diese geschlechtlich eingefärbten und weitgehend unbewusst ablaufenden Interaktionsmechanismen funktionieren m.E. als „unsichtbare Hand“, durch die geschlechtliche Ungleichheit auch in neue sozio-ökonomische Verhältnisse eingeschrieben wird.“ (Ridgeway 2001: 251, Herv. i.O.)
82 Statistische Daten existieren hierzu nicht. Die Einschätzung beruht zum einen auf Beobachtungen an mir bekannten Schulen und auf Gesprächen mit Schulleiterinnen und Schulleitern, zum anderen auf den Erzählungen zweier Interviewpartner, die diese Form der ‚positiven Diskriminierung‘ selbst erlebt haben.
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A Theoretische Grundlagen
Zunächst erscheint dieser Ansatz akteurorientiert, sind es doch die Akteure, die miteinander interagieren. Doch sind ebenjene Interaktionen nicht vorstellbar ohne die Strukturen, in deren Rahmungen sie sich abspielen. So beeinflusst die geschlechtsspezifische Interaktion die Strukturen, die wiederum Interaktionen beeinflussen.83 Es besteht eine interdependente Koppelung zwischen Strukturen und Praxis, beide sind strukturiert und strukturierend. ‚Doing gender‘ wird nicht als rein personalisierte Form der Interaktion betrachtet, sondern bewegt sich als Konstruktionsprozess von (sozialem) Geschlecht und Geschlechterverhältnis im Rahmen gesellschaftlicher Verhältnisse, die sich in Institutionen und (Macht-) Strukturen abbilden. Gleichzeitig bleibt ebenjene Struktur „irrelevant, wenn sie nicht situiert wird“ (Hirschauer 2001: 226, Herv. i. Orig.). Von besonderem Interesse für vorliegende Arbeit ist der Schluss Ridgeways, dass die mit Geschlechterstereotypen verbundene geschlechtliche Kategorisierung von Arbeit zu „geschlechtsselektiven Vergleichsmaßstäben“ (Ridgeway 2001: 250) führt, die unterschiedliche Ansprüche, Erwartungen und Selbsteinschätzungen bei Frauen und Männern wecken. Zu einem entsprechenden Ergebnis kommen Puchert und Höyng, die ebenfalls einen interaktionistischen Ansatz verfolgen. In ihrer empirischen Untersuchung der öffentlichen Senatsverwaltung von Berlin betrachten sie vor allem die Mesoebene: Interaktionen innerhalb der Gruppe der Beschäftigten, soziale Netze und die soziale Alltagspraxis werden beleuchtet und auf ihre Teilhabe bzw. Verhinderung an Gender Mainstreaming hin untersucht. Die Wissenschaftler kommen zu der Einschätzung, dass Männer an ihrem Arbeitsplatz eine Arbeitskultur schaffen, die die herrschende patriarchale Geschlechterordnung gegen Veränderungen in Bezug auf Gleichstellungsbemühungen immunisiert.84 Zusammenfassend ist festzuhalten: Sowohl akteur- als auch strukturorientierte Ansätze zur geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes sind nicht unumstritten. Während einzelne Ansätze eher subjekt- und identitätstheoretische Fragestellungen verfolgen oder die interaktive Herstellung von Geschlecht (also das ‚doing gender‘) in den Blick nehmen, verfolgen andere Ansätze eine gesellschaftstheoretische Perspektive, die zum einen gesellschaftliche Machtverhältnisse analysiert, zum anderen die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften
83 Hirschauer spricht daher auch von „sexuierenden Strukturen“ (Hirschauer 2001: 226). 84 Dieses Ergebnis gilt im übrigen für alle drei Typen von Maskulinität, die Puchert und Höyng herausarbeiten konnten: Die ‚Zeitpioniere‘, die ‚Übererfüller‘ sowie die ‚guten Ernährer‘ bilden zwar einen jeweils unterschiedlichen berufsbezogenen Habitus aus, gehen auch nicht aktiv oder strategisch gegen Gleichstellungsbemühungen vor; sie schaffen sich aber verschiedene Arbeitskulturen, die Frauen ausgrenzen und Gleichstellungsmaßnahmen ins Leere laufen lassen (vgl. Höyng/Puchert 1998).
3.3 Historischer Abriss zur geschlechtsspeziÀschen Segregation
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und die damit verbundene Marginalisierung von Frauen beleuchtet (vgl. Lemmermöhle 2004: 238ff). Wie gezeigt werden konnte, sind einige der Theorien empirisch wenig haltbar; bei anderen ergibt sich die Frage nach Ursache und Wirkung. Bei der Kritik der einzelnen Ansätze wird in der Regel nicht unterschieden, ob das theoretische Konstrukt sich auf die horizontale oder vertikale Segregation bezieht. So ist es beispielsweise nahe liegend, dass gerade akteurorientierte Ansätze wie z.B. die Theorie des weiblichen Arbeitsvermögens ihre Wirksamkeit gerade auf der vertikalen Ebene entfalten, auch wenn sie die horizontale Segregation nicht erklären können. Für die vorliegende Arbeit ist vor allem bedeutend, wie die Interviewpartner ihre Situation selbst deuten. Da sie in einem gegengeschlechtlichen Beruf arbeiten, gleichzeitig das ‚sameness taboo‘ (vgl. Heintz 1997: 36 in Bezug auf Rubin 1975) als wirksam angenommen werden kann, werden sich die Grundschullehrer eventuell um eine bewusste (oder unbewusste) Grenzziehung zur Herstellung individueller und struktureller Differenz bemühen. Vor allem die Distinktionen, die in der täglichen Praxis im Klassen- oder Lehrerzimmer erzeugt und (re)produziert werden – oder aber auch nicht vollzogen werden –, stehen im Mittelpunkt des Interesses dieser Arbeit. Demnach dient vor allem der interaktionistische Ansatz mit seiner Betrachtung von Akteur und Struktur als theoretischer Rahmen. Die Grundannahme ist dabei, dass sich struktureller Rahmen und individuelle Praxis gegenseitig beeinflussen und bedingen.
3.3 Historischer Abriss zur geschlechtsspezi¿schen Segregation des Grundschullehrerberufs Anhand des folgenden Teilkapitels soll aufgezeigt werden, wie und warum der Beruf des Grundschullehrers bzw. Volksschullehrers im historischen Verlauf einen Geschlechtswechsel durchlaufen hat. Exemplarisch können hier Ursachen für die geschlechtsspezifische Segregation eines Berufes aufgezeigt werden. Nicht alle historischen Ursachen wirken noch heute auf die weiter fortschreitende Segregation des Lehrerberufs. Wie sich in den für vorliegende Studie geführten Interviews zeigt, sind viele der historischen Entwicklungen den Interviewpartnern überhaupt nicht bewusst. Einige Aspekte sind aber auch heute noch aktuell und in den Deutungsmustern der Probanden derart präsent, dass sie einen direkten Einfluss auf deren Selbstbild und Berufspraxis haben. Die Wurzeln des Grundschullehrerberufs liegen im Volksschullehrertum, das wiederum auf die vielfach ohne Ausbildung, ohne geregelte Besoldung und im Nebenamt ausgeübte Lehrtätigkeit an Küster-, Handwerker- und Elementarschulen der
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frühen Neuzeit zurückgeht. Erst mit der Einführung und allmählichen Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht sowie den ersten Regularien zu einem Ausbildungsund Qualifikationswesens kann von einer Verberuflichung der Volksschularbeit gesprochen werden. Dabei spielt die Säkularisierung innerhalb des allgemeinen gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses eine wesentliche Rolle (vgl. Terhart 2001: 131). Aufgrund der ständischen Gliederung des deutschen Schulsystems fällt es schwer geschichtlich festzumachen, welcher Personenkreis Lehrer wurde und wie dessen gesellschaftliche Funktion umschrieben war. Volksschullehrer mussten anderen Anforderungen entsprechen als Lehrer im höheren Schulwesen. Navé-Herz betont, dass die Sozialgeschichte des Volksschullehrerberufs sich von der Geschichte des Volksschullehrerinnenberufs unterscheidet. Dies macht sie zum einen an den unterschiedlichen Schichten fest, aus denen sich die Lehrer und Lehrerinnen rekrutierten, zum anderen an der unterschiedlichen Ausbildung, die beide Geschlechter durchliefen (vgl. Navé- Herz 1980: 69). Bis Frauen in größerer Zahl in den Lehrberuf vordringen konnten, vergingen einige Jahrhunderte.85 Etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts strebten Frauen zum ersten Mal in größerer Zahl eine außerhäusliche Berufstätigkeit an. Nicht zuletzt infolge der Industrialisierung waren Haus und Hof nicht mehr länger Produktionsstätten, bei denen die Mithilfe der Töchter vonnöten war. Auch auf Grund eines durch Kriege verursachten jahrelangen Frauenüberschusses waren Heiratschancen dürftig, die materielle Versorgung ungesichert. Frauen aus unteren Schichten drängten in die Fabriken, Töchter aus bürgerlichen Verhältnissen verstärkt in den Beruf der Lehrerin, der ihrer gesellschaftlichen Stellung adäquat erschien. Die gehobene soziale Herkunft blieb „auch nach der Ausdifferenzierung der Berufslaufbahnen durch Prüfungsordnungen usw. noch lange ein gemeinsames Merkmal der Lehrerinnen, das sie von der männlichen Lehrerschaft unterschied“ (Bölling 1983: 95).
Der Weg in die Schulen wurde den Frauen zum einen durch gesellschaftliche Strukturveränderungen bereitet, zum anderen aber auch durch die aktuerorientierte Doktrin der unterschiedlichen Lebensspähren (s.o.): Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wiesen philosophisch-pädagogische Schriften von Rousseau, Kant, Fichte oder Schleiermacher auf die Naturhaftigkeit weiblicher Tugenden (wie Emotionalität, Passivität, Tätigkeit für die Familie und in Liebe) hin. Pestalozzi und Fröbel führten dann das Bild der Frau als ‚guter Mutter‘ weiter. Mütterlichkeit wurde als naturhafte Eigenschaft aller Frauen angesehen, durch die sie die 85 Genauer hierzu: Enzelberger (2001), Terhart (2001), Reble (1995), Bölling (1983) und Navé-Herz (1980).
3.3 Historischer Abriss zur geschlechtsspeziÀschen Segregation
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besondere Befähigung zur Erziehung von Kindern erlangten (vgl. Breitner 1991: 134f.). Die bürgerliche Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts griff diesen differenztheoretischen Gedanken auf und prägte den Begriff der ‚geistigen Mütterlichkeit‘, der als „Argument im Konkurrenzkampf mit männlichen Pädagogen“ (ebd.: 136) diente. Nicht zuletzt über die Einflussnahme im Bildungsbereich könne die Frau ihrer kulturellen Aufgabe gerecht werden, „in der inhumanen Männerwelt durch Weiblichkeit mehr Humanität zu verwirklichen“ (Hausen 1976/2007: 50).86 Da bis 1880 die Schulpflicht faktisch durchgesetzt war, kam es seit den 1870er Jahren zu einem verstärkten Bedarf an Volksschullehrern, der allein durch männliche Bewerber nicht mehr gedeckt werden konnte.87 Die Chancen für Lehrerinnen standen gut, eine Anstellung im Elementarbereich oder im Mädchenschulwesen zu finden. Begünstigt wurde die Anstellung von Frauen im Schuldienst auch durch den finanziellen Vorteil, den kommunale und private Schulträger durch eine solche hatten. Eine Ministerialverfügung von 1885 schrieb fest, dass Lehrerinnen nur 75 bis 80 Prozent des Durchschnittsgehalts eines Lehrers erhalten sollten, da diese – unverheiratet, es galt das Lehrerinnenzölibat – weniger benötigten als ihre männlichen Kollegen, die potentiell Familienväter waren.88 So stieg der Anteil der Lehrerinnen an den preußischen Volksschulen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bereits auf circa 15 Prozent an, im Jahre 1911 waren es rund 21 Prozent. Währenddessen war der Beruf des Volksschullehrers allmählich zu einer Plattform für den sozialen Aufstieg geworden, der sich Untersuchungen zufolge allerdings nur in einer dreistufigen Generationenfolge vollzog (vgl. Enzelberger 2001: 79). Dennoch machte dies den Beruf vor allem für die unteren Mittelschichten attraktiv, wobei man als Volksschullehrer zwar nicht selbst in die Vorzüge des gesellschaftlichen Aufstiegs kam, wohl aber seinen Söhnen bis dahin undenkbare Möglichkeiten eröffnete. Demzufolge war auch die bis dahin zu beobachtende Selbstrekrutierung der Volksschullehrerschaft seit den 1890er Jahren rückläufig. Die Söhne von Volksschullehrern strebten in statushöhere Berufe und machten so im Sinne des weiter oben beschriebenen ‚job queues‘ den Platz frei für Frauen, die zunehmend das Terrain eroberten. 86 Genauer zu den Positionen der Frauenbewegung und deren Rolle im Zusammenhang mit dem zunehmenden Eindringen von Frauen in den Lehrerberuf: Gerhard (1990), als Quellentext u.a. Lange (1907). 87 Als weitere Gründe für den hohen Bedarf an Lehrkräften können die Einschränkung der Kinderarbeit, der starke Bevölkerungszuwachs nach 1890 sowie die Verpflichtung der männlichen Volksschullehrer, einen einjährigen Militärdienst abzuleisten, angeführt werden (vgl. Enzelberger 2001: 85). 88 Erst mit der Verfassung des Deutschen Reiches (Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1918), die generell die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frauen festschrieb, wurden mit dem Artikel 128 Abs. 2 auch das Lehrerinnenzölibat und die geringere Besoldung der Lehrerinnen aufgehoben: „Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.“
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Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich die Anstellungssituation für Lehrerinnen allerdings wieder, denn die Kriegsrückkehrer beanspruchten ihre alten Lehrerstellen für sich. Vor allem Jungelehrerinnen warteten vergeblich auf eine Anstellung, was sogar einen eigenen Begriff, den der ‚Junglehrerinnennot‘, entstehen ließ (vgl. ebd.: 167). Mit einer Notverordnung wurde 1923 gar der Abbau von weiblichem Personal im öffentlichen Dienst rechtlich verankert. Die Beschäftigung von Frauen in den Schulen blieb weiterhin eng gekoppelt an strukturelle Bedingungen des Arbeitsmarktes. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges trat erneut ein eklatanter Lehrermangel auf, da viele Lehrer zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Die von den Nationalsozialisten durchgesetzte ideologisch geprägte Entakademisiserung der Volksschullehrerausbildung und das damit sinkende Prestige des Berufes schreckte Männer von der Ergreifung des Berufes ab, so dass Ende 1940 fast 90 Prozent aller ‚Studierenden‘ junge Frauen waren. Dies verwundert zunächst, wurde unter den Nationalsozialisten weibliche Berufstätigkeit doch als wesensfremd deklariert. Verheiratete Beamtinnen mussten zunächst im Rahmen der so genannten ‚Doppelverdienerkampagne‘ nach 1933 aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden. 1937 wurde auch das Lehrerinnenzölibat wieder eingeführt, worauf die Zahl der Lehrerinnen um ca. 15 Prozent zurückging (vgl. ebd.: 186). Doch der Mangel an männlichen Lehrern ließ keine andere Wahl: Entgegen der nationalsozialistischen Ideologie, Frauen auf die Rolle der Mutter und ‚Hüterin der Rasse‘ zu beschränken (vgl. Panzer 1993: 239ff), wurde die Lehrerinnentätigkeit als ‚Frauendienst am deutschen Volk‘ deklariert (vgl. Enzelberger 2001: 185). Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur galt ein Großteil des Lehrpersonals aufgrund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit als „verwendungsunfähig“ (Enzelberger 2001: 189). In Bayern beispielsweise wurden 70 Prozent aller Volksschullehrer im Zuge der Entnazifizierung aus dem Schuldienst entlassen.89 In der Gesellschaft herrschte in den Nachkriegsjahren zwar noch immer das Modell der Geschlechterpolarität mit der Zuweisung der familialen Reproduktionsarbeit an Frauen vor, doch trug nicht zuletzt die ökonomische Notlage und das Fehlen der Männer dazu bei, dass Kriegswitwen sowie Frauen, deren Männer in Kriegsgefangenschaft waren, zunehmend einen Beruf ergriffen. Dabei entstand das Bedürfnis, Familien- und Erwerbsarbeit miteinander zu verbinden. Gleichwohl wurde das Lehrerinnenzölibat teilweise noch immer – häufig mit dem Argument gegen das ‚Doppeltverdienertum‘ – durchgesetzt. Nach der Einstellung der Ent89 Auf Grund des damit verbundenen Personalmangels wurden die Entlassungen allerdings teilweise wieder rückgängig gemacht.
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nazifizierungskampagne um 1950 und mit der Rückkehr von Kriegsgefangenen und dem Flüchtlingszustrom aus dem Osten, mussten Lehrerinnen – wie nach Ende des 1. Weltkrieges – ihre Posten zugunsten der zurückkehrenden Männern wieder räumen (vgl. ebd.: 192f.). Insgesamt betrug die Frauenquote an den Volksschulen damals aber schon annähernd 40 Prozent, und trotz einiger strukturell verankerter Rückschläge konnten die Frauen das eroberte Terrain verteidigen. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Lehrerrekrutierung blieben bestehen: Während die große Mehrheit der männlichen Studierenden sich aus dem alten und neuen Mittelstand rekrutierte, traf dies bei Studentinnen nur für die Hälfte zu. Immerhin ein Viertel der Frauen, die den Beruf der Volksschullehrerin ergreifen wollten, kam aus der Oberschicht. Hier galt der Beruf nach wie vor als standesgemäßer ‚Überbrückungsberuf‘ bis zur Heirat. Der Beruf des Volksschullehrers war für Männer zwar Spitzenberuf der mittleren Schichten, doch für die oberen Schichten war er „unterster Grenzberuf“ (ebd: 199). Dennoch kann der Lehrerinnenberuf als Einstiegsberuf in die Erwerbstätigkeit von Frauen auf akademischer Ebene gesehen gelten, waren Anfang der 1960er Jahre doch über 60 Prozent der Frauen mit akademischer Qualifikation als Lehrerinnen tätig (vgl. Kaiser 2001: 179). Erst 1950 entfielen die letzten staatlichen Reglementierungen mit der Aufhebung des – von kurzzeitigen Unterbrechungen abgesehen – bis dahin geltenden Lehrerinnenzölibats. Frauen hatten unter gleichen formalen Anforderungen erstmals die gleichen Chancen wie Männer, den Lehrerberuf zu ergreifen. Die langsame, aber stetige Gleichstellung von Frauen im Bildungswesen, die durch die Bildungsexpansion Mitte der 1960er Jahren eine besondere Schubkraft erfuhr, bildete die Basis für eine zunehmende Beteiligung von Frauen gerade im Grundschulbereich. Schon in den 1960er Jahren studieren an den Pädagogischen Hochschulen zu zwei Dritteln Frauen. Dementsprechend kann man ab diesem Zeitpunkt auch von einer quantitativen Feminisierung des Lehrerberufs sprechen, wobei sich diese auf alle Schularten, insbesondere aber auf den Grundschulbereich bezieht. Die Gründe für den eklatanten Anstieg von Frauen im Grundschulbereich werden in der Literatur verschiedenartig angegeben: Akteurorientierte Ansätze gehen davon aus, dass Frauen sich einen sicheren Arbeitsplatz mit familienfreundlichen Arbeitszeiten und relativ geringer Ausbildungszeit suchen, der darüber hinaus ihrem weiblichen Arbeitsvermögen entspricht. Maydell sieht im Volksschullehrerinnenberuf gar eine geeignete Vorbereitung auf die spätere Mutterrolle in Bezug auf Geduld und Einfühlungsvermögen (vgl. Maydell 1970: 145). Andere Erklärungen gehen davon aus, dass der professionelle Umgang mit jüngeren Kindern generell eine höhere Anziehungskraft für Frauen als für Männer besitzt (vgl. Stürzer et al. 2003: 219f.). Strukturorientierte Ansätze betonen hingegen, dass der Beruf den Anforderungen „der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der patriarchalischen Gesellschaft“ (Enzelberger 2001:
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212) entspreche. Da eine doppelte Vergesellschaftung (Familie und Beruf) nur für Frauen konstruiert wird, bestimme diese die Form der Integration der Frauen in die Arbeitswelt und die „Wiedererkennbarkeit ihrer Arbeit als Arbeit von Frauen“ (Geissler 1998: 111). Tatsächlich ist die von Geissler angeführte Konstellation aus Qualifikation, Einkommen, Arbeitszeit, betrieblichem Status, Selbstverständnis und beruflicher Perspektive in der Grundschule anderen Schularten gegenüber hierarchisch untergeordnet: Die Studiendauer ist kürzer, das Einkommen geringer, die wöchentliche Deputatsverpflichtung höher, die beruflichen Perspektiven sind äußerst eingeschränkt. Als Ergebnis eines Prozesses der Ausdifferenzierung zwischen den unterschiedlichen Schularten kann hier eine Konstruktion der Geschlechterdifferenz ausgemacht werden (vgl. Wetterer 1995: 228). Dies umso mehr, wenn man die Eigenschaften, die „stereotyperweise mit dem Beruf verbundenen werden“ (Horstkemper 2000b: 268), in die Überlegungen mit einbezieht. Seit 1972 ist empirischen Untersuchungen zufolge das Ansehen des Volksschullehrers in der Gesellschaft höher als das eines Studienrats. Dennoch scheint das Gefühl „beruflicher und gesellschaftlicher Isoliertheit, Inferioritöt, Unterprivilegiertheit“ (Enzelberger 2001: 226) nicht nur charakteristisch für Volksschullehrer der 1950er und 60er Jahre zu sein, sondern kommt auch heute noch zum Tragen. Dass das gesellschaftliche Prestige von den Lehrern selbst meist unterschätzt wird, zeigen Altrichter (1996: 130) und Bauer (1990) auf; letzterer spricht gar von einem „kollektiven Minderwertigkeitskomplex“ (ebd.: 200) von Grundschullehrern. Generell gilt, dass Berufe, die auf Grund des Prestiges (und/oder des Einkommens) für Männer unattraktiv werden, eine Wandlung von einem Männer- zu einem Frauenberuf vollziehen, sofern sich für jene die Möglichkeit bietet, in attraktivere Berufsfelder zu wechseln (vgl. Strober/Cantanzarite 1994: 125). Dies scheint in Bezug auf den Grundschullehrerberuf ausdrücklich der Fall zu sein. Prestige kann hier nicht ausschließlich als ein generelles Ansehen in der Gesellschaft betrachtet werden, sondern muss m.E. auch die Kategorie Geschlecht einbeziehen. Indem ein Beruf als Frauenberuf gilt und in der Gesellschaft als solcher wahrgenommen wird, ist es für einen Mann prestigeschädigend, sich für einen solchen Beruf zu entscheiden, egal wie angesehen der Beruf an sich sein mag. Der Verlust des symbolischen, vergeschlechtlichten Kapitals kann hier sicherlich als ein Grund benannt werden, der Männer davon abhält, den zwar sozialprestigeträchtigen, doch strukturell wenig honorierten und vor allem weiblich konnotierten Beruf zu ergreifen. Heintz u.a. stellen fest: „Mit der Unterscheidung von männlichen und weiblichen Bereichen ist in der Regel ein soziales Gefälle verbunden. Das lässt sich am Beispiel des Geschlechtswechsels von Berufen exemplarisch zeigen. Die Feminisierung eines männlichen oder ursprünglich neutralen Berufes scheint immer mit einem Prestigeverlust verbunden zu sein.“ (Heintz u.a. 1997: 63)
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Für das Grundschullehramt existiert hier zunächst ein Widerspruch: Gesellschaftlich erfährt der Beruf ein hohes Ansehen, strukturell wird die Tätigkeit weiterhin wenig honoriert. Dass das Sozialprestige des Grundschullehrerinnenberufs also generell hoch ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass als ‚weiblich‘ konnotierte Arbeit in der Gesellschaft noch immer geringer geschätzt wird als männlich konnotierte. Die momentane Diskussion in Baden-Württemberg zu einer Absenkung des Einstiegsgehalts für Grundschullehrerinnen und -lehrer sowie das Festhalten an einer kürzeren Studiendauer im Gegensatz zu anderen Lehrämtern macht dies mehr als deutlich. Heintz u.a. bezeichnen solche Vorgaben als „handfeste strukturelle Faktoren“ (ebd.: 54), die Männer von Frauenberufen fernhalten. Zu fragen bleibt, ob für die Ausbildung solcher Strukturen die Anzahl der Frauen im Lehrerberuf ausschlaggebend ist, oder nicht vielmehr die familiale, feminisierte Interpretation des Berufes. So könnte das Anforderungsprofil, das sich von der Beschränkung auf die Vermittlung kognitiven Wissens zur Vermittlung von Kompetenzen auch im methodischen, personalen und sozialen Bereich erweitert hat, mit eher ‚weiblichen‘ Qualifikationen bzw. Eigenschaften in Verbindung gebracht werden, die weniger honoriert werden und gleichzeitig Männer von einer entsprechenden Berufswahl abhalten. Zusammenfassend beschreibt Enzelberger: „Durch die gesamte Geschichte des Lehrerberufs zieht sich die Problematik des Sozialprestiges und des Selbstbildes, die für die Lehrerschaft stets von größter Relevanz war, und die bis heute nicht an Brisanz verloren hat. Eine entscheidende Rolle für die soziale Bewertung des Lehrerberufs spielt der im Mittelalter einsetzende Prozess der Ausdifferenzierung der Lehrer verschiedenen Schularten und die Funktionen, die die Lehrer der jeweiligen Schularten für die Gesellschaft und den Staat zu erfüllen hatten.“ (Enzelberger 2001: 223f.)
Deutlich wird darüber hinaus aber auch, dass die Zuschreibung eines Berufes zu einem bestimmten Geschlecht Ergebnis struktureller Veränderungen sowie sozialer Konstruktionen ist. Ohne die Angleichung des Bildungsniveaus von Frauen und Männern hätte sich die Geschlechtstypik des Grundschullehrerberufs nie ändern können. Nachdem die Angleichung spätestens Mitte der 1980er Jahre erreicht war, nehmen nun „bildungsunabhängige Bestimmungsgründe“ (Achatz 2005: 287) für die geschlechtsspezifische Segregation des Berufes zu. Solche Bestimmungsgründe werden auch in den Argumenten sichtbar, die die Diskussion um Männerquoten an Grundschulen mit sich bringen: Die Bedeutungszuschreibung für männliche Grundschullehrer ist dabei darauf festgelegt, als positives Rollenvorbild vor allem für die Jungen zu dienen. Diese Aufgabe scheint gesellschaftlich betrachtet so wichtig zu sein, dass auf breiter Front um Männer geworben wird.90 Die Rolle der 90 So schrieb beispielsweise die Stiftung Universität Hildesheim im November 2009 die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters/einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin aus, der/die ein Konzept für die Rekrutierung männlicher Studierender für das Grundschullehramt entwickeln soll.
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Frauen in der Grundschule wird dabei im selben Atemzug abgewertet: Sie erkennen, so die Argumentation, die Potentiale der Jungen nicht, legen ‚weibliche Tugenden‘ als Bewertungsmaßstab für schulische Leistungen zugrunde und sind insgesamt für die Misere des deutschen Bildungswesens verantwortlich. Ihre erzieherischen Impulse tun den Kindern zwar gut, doch für einen kognitiven Leistungszuwachs an den Schulen braucht es letztendlich doch Männer.91 Denkbar ist, dass der unter diesen Vorzeichen geführte, androphile Diskurs zukünftig mehr junge Männer dazu veranlassen könnte, den Beruf des Grundschullehrers zu ergreifen. Zwar würden diese nach wie vor in ein gegengeschlechtliches Berufsfeld eindringen, doch könnten sie dies - durch die gesellschaftliche Bedeutungszuschreibung legitimiert – nun auch als besondere Mission verstehen. Es bleibt abzuwarten, in wiefern sich die Zahlen in den kommenden Jahren verändern werden. Überblick über statistische Daten zur Feminisierung des Lehrerberufs Spricht man von der Feminisierung des Lehrerberufs, so lässt sich diese sowohl unter quantitativen als auch unter qualitativen Gesichtpunkten erörtern. Eine quantitative Betrachtungsweise fragt zunächst nach der Anzahl weiblicher Lehrerinnen an der Gesamtzahl aller Lehrkräfte und der damit einhergehenden horizontalen Ungleichverteilung von Frauen und Männern im Lehrberuf, während eine qualitative Betrachtungsweise im Sinne einer vertikalen Segregation Antworten auf Fragen der inhaltlichen Bedeutung sowie der Voraussetzungen und Folgen für Hierarchien im Schulwesens sucht. Dabei muss unter historischen Gesichtspunkten zwischen den Bereichen der Elementar- bzw. Volksschule und dem mittleren sowie dem höheren Schulwesen unterscheiden werden. Während vor allem im mittleren Schulwesen der Anteil weiblicher Lehrkräfte schon vor dem 1. Weltkrieg relativ hoch war (– allerdings beschränkte sich die Lehrtätigkeit von Frauen fast ausschließlich auf reine Mädchenschulen –), findet eine Feminisierung des Volksschullehrerberufes vor allem nach 1945 statt. Inzwischen werden differenzierte geschlechtsspezifische Daten zu Beschäftigungsverhältnissen an Bildungseinrichtungen regelmäßig vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht. Verschiedene Bundesländer wie beispielsweise BadenWürttemberg weisen nach wie vor keine differenzierten Daten für den Bereich der Grundschulen und Hauptschulen aus, da diese Lehrämter als Verbundlehrämter betrachtet werden. Dieses Vorgehen kaschiert den tatsächlichen Anteil von Frauen im Grundschulbereich (vgl. auch Horstkemper 2000a: 92).92 91 Zu den Argumentationslinien vgl. ausführlicher Kap. 2.4 dieser Arbeit. 92 Anzumerken ist hier allerdings, dass das Lehramt Grund- und Hauptschullehrerinnen und -lehrer beispielsweise in Baden-Württemberg nicht nur auf dem Papier als „Verbundlehramt“ geführt wird: LehrerInnen, die an kombinierten Grund- und Hauptschulen eingesetzt werden, unterrichten
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Betrachtet man weiter die Altersstruktur an den Grundschulen, so stellt man fest, dass im Altersbereich ‚50plus‘ noch verhältnismäßig viele Männer beschäftigt sind. Hierzu gibt es insgesamt keine bundesweit erhobenen Daten, doch belegen Zahlen aus einzelnen Bundesländern, dass auf Grund der Geschlechtsverteilung in den Alterskohorten eine weitere Zunahme der Anteil von Frauen im Grundschullehramt stattfinden wird (vgl. Kap. B 3.1). Im Folgenden werden die verfügbaren Daten in historischer Perspektive tabellarisch dargestellt. Zum Vergleich werden den Zahlen für die Volksschulen bzw. der Grund- und Hauptschulen auch jene der Mittel- bzw. Realschulen sowie der Höheren Schulen bzw. Gymnasien gegenübergestellt. Tab. 1: Anteil weiblicher Lehrkräfte an allgemein bildenden Schulen in Preußen, im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik Deutschland 1822-20079394 Jahr 1822 1840 1891 1901 1911 1921 1931 1937 195094 1960 1970 1980 1990 2000 2007
Volksschulen bzw. Grundund Hauptschulen 2,2% 6,0% 11,8% 15,4% 20,9% 25,0% 25,6% 26,3% 38,5% 44,7% 58,6% 63,7% 66,8% (51,3% Hauptschule) 83,0% Grundschule (58.4% Hauptschule) 86,9% Grundschule
Mittelschulen bzw. Realschulen
Höhere Schulen bzw. Gymnasien
48,0% 49,8% 46,2% 42,5% 44,2% 42,8% 47,5% 52,4% 52,0% 60,6%
26,9% 25,9% 24,4% 24,4% 31,0% 31,6% 31,6% 36,4% 36,8% 48,3%
62,1%
53,1%
teilweise mit einem Teildeputat in der so genannten ‚Gegenstufe‘, wie sie es auch schon während des Vorbereitungsdienstes getan haben. Da die absolute Anzahl der Lehrerinnen und Lehrer auf Grund der weit verbreiteten Teilzeittätigkeit im Schuldienst noch nichts über die Anzahl der tatsächlich erteilten Unterrichtsstunden aussagt, müssten hier eigentlich nicht Männer und Frauen, sondern von Männern erteilte Unterrichtsstunden denjenigen von Frauen erteilten gegenübergestellt werden, um ein genaueres Bild zu erzielen. Hierzu sind keine Daten vorhanden. Dennoch können die verfügbaren personenbezogenen Daten die Entwicklung der Segregation relativ eindeutig aufzeigen. 93 Eigene Berechnungen auf der Datengrundlagen von Bölling (1983: 10, 14), Faulstich-Wieland (1999: 89), Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2002: 76), Roisch (2003: 27), Statistisches Bundesamt (2008a). Die Daten von 18221891 erfassen nur das preußische Schulwesen, das aber als exemplarisch angesehen werden kann. 94 Wie schon oben erwähnt, muss bei den Daten nach 1945 bedacht werden, dass Statistiken keine Unterscheidung zwischen dem Grundschullehreramt und dem Hauptschullehreramt machen. Erst seit 2000 werden die Daten vom Statistischen Bundesamt differenziert zur Verfügung gestellt.
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Folgt man der quantitativen Definition der Segregationsforschung, so kann das Lehramt an Volksschulen den statistischen Daten zufolge bis ungefähr zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland als Männerberuf gelten. Ein integrierter Beruf war er bis in die 1980er Jahre hinein, wobei noch einmal drauf hingewiesen werden muss, dass die statistische Zusammenfassung mit dem Lehramt an Hauptschulen den tatsächlichen Frauenanteil verdeckt. Setzt man die zusammengefassten Daten mit den differenzierten Daten seit 2000 in Relation und hält man sich noch einmal die historische Entwicklung in den 1960er und 70er Jahren vor Augen, so kann davon ausgegangen werden, dass der Geschlechterwandel hin zu einem Frauenberuf sich bereits zuvor vollzogen hat. Unbestreitbar ist, dass eine Desegregierung des Berufes auch auf längere Sicht nicht absehbar sein wird. Daran können auch die unlängst geforderten Männerquoten (– sofern sie jemals eine Chance auf eine praktische Umsetzung haben sollten –) nichts ändern, wie auch Eckert (2006) mit seiner Analyse der Feminisierung des Lehrerberufs als Kohortenphänomen eindrücklich zeigt.
3.4 Männer in gegengeschlechtlichen Berufsfeldern Heintz u.a. stellen fest, dass die Segregationsforschung weitgehend Frauenforschung ist (vgl. Heintz u.a. 1997: 51). Sie weisen darauf hin, dass aus den wenigen existierenden Studien hervorgeht, dass Männer in gegengeschlechtlichen Berufen nicht mit denselben Benachteiligungen wie Frauen in gegengeschlechtlichen Berufen konfrontiert werden und anders auf ihre Situation reagieren bzw. in ihrer Situation agieren. So wird die männliche Geschlechtszugehörigkeit als „Ressource“ verstanden, die „strategisch eingesetzt werden kann“ (ebd.: 52). In Bezug auf eine Studie von Floge/Meriell (1986) stellt das Autorenkollektiv fest: „Aufgrund der engen Assoziation von Männlichkeit und Beruflichkeit heißt Mannsein auch in Frauenberufen Sachlichkeit, Führungsfähigkeit und Kompetenz.“ (Heintz u.a. 1997: 52)
Weiter ist gar von einem „Bonus des Außerordentlichen“ (ebd.) die Rede. Dabei sind Männer anscheinend darum bemüht, sich innerhalb des Berufsfeldes exklusive Reviere abzustecken, durch die sie sich von ihren Kolleginnen abgrenzen. Dieses Verhalten sei, so die Autorinnen und Autoren in Rückgriff auf Williams (1992) und deren Studie zu Männern im Krankenpflegebereich, eine „Folge der männlichen Identitätsproblematik“ und habe gleichsam eine „identitätsstiftende Funktion“ (Heintz u.a. 1997: 52)). Insgesamt betrachtet sind nur äußerst wenige Männer in geschlechtsuntypischen Berufen tätig. Für die Schweiz, die als mit Deutschland vergleichbar
3.4 Männer in gegengeschlechtlichen Berufsfeldern
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angesehen werden kann, bewegt sich der Prozentsatz bei 5 Prozent, wobei von diesen 5 Prozent wiederum 70 Prozent im Laufe ihres Berufslebens in integrierte oder reine Männerberufe wechseln (vgl. ebd.: 53 in Bezug auf Charles/Buchmann 1994). Diese Zahlen spiegeln den verstärkten Druck wider, sich als Mann geschlechtskonform und entsprechend des allgemein gültigen Maskulinitätsideals zu verhalten. Entspricht der Mann diesem Ideal auf Grund seiner Berufstätigkeit in einem gegengeschlechtlichen Beruf nicht, so wird er sanktioniert und ausgegrenzt: „Die Ausgrenzung läuft in der Regel über Feminisierung: Wer dem Idealbild nicht entspricht, ist homosexuell oder ein verweiblichter Schwächling.“ (Heintz u.a. 1997: 53)
Wetterer spricht entsprechend vom „Imperativ der geschlechtlichen Identifizierbarkeit“ (Wetterer 1995: 237), der umso stärker nach einer Inszenierung der Passung von Geschlecht und beruflichem Handeln verlangt, je weniger die eigene Geschlechtszugehörigkeit dem Geschlecht des Berufes entspricht. Heintz u.a beschreiben, dass in vielen Berufen die Darstellung von Geschlecht ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit ist. „Diese Verklammerung von beruflichem und geschlechtlichem Handeln, die in Frauenberufen besonders ausgeprägt zu sein scheint, stellt für das ‚fremde‘ Geschlecht eine nicht zu unterschätzende kulturelle Hürde dar. Arbeit in einem Beruf, in dem das doing gender zum Pflichtprogramm gehört, verlangt vom anderen Geschlecht Verhaltensformen, die der eigenen Geschlechtsidentität zuwider laufen.“ (Heintz u.a. 1997: 64, Herv. i. Orig.)
Eine Strategie von Männern, die in gegengeschlechtlichen Berufen arbeiten, ist der Versuch, Kongruenz zwischen Beruf und Geschlechtszugehörigkeit herzustellen.95 Dies geschieht durch Uminterpretationen der weiblich konnotierten Komponenten des Berufs in Männlichkeit symbolisierende Verhaltensweisen: So geben Heintz u.a. die Ergebnisse einer Studie von Leidner (1991) wieder, bei der männliche Versicherungsagenten die im Beruf für erfolgreiche Versicherungsabschlüsse notwendige Freundlichkeit, ja Unterwürfigkeit, in Kontrolle und Eroberung umdeuten (vgl. Heintz u.a. 1997: 65). Eine weitere Strategie von Männern, die in vorrangig von Frauen ausgeübten Berufen tätig sind, ist die Besetzung der wenigen Führungspositionen, die dort 95 Wetterer weist diese Strategie nach Durchsicht der empirischen Studien von Williams (1989), Leidner (1991) und Hall (1993) im übrigen nicht nur bei Männern nach: „(…) deutlich wird in allen diesen Untersuchungen, dass Männer wie Frauen bestrebt sind, ihren Beruf in einer Weise auszuüben, für sich selbst zu interpretieren und für andere darzustellen, die darauf abzielt, Geschlechtszugehörigkeit und berufliches Alltagshandeln als kongruent in Szene zu setzen.“ (Wetterer 1995: 237) Insgesamt kommt aber auch Wetterer zum Schluss, dass diese Handlungsorientierung für Männer anscheinend „weitaus dringlicher“ (ebd.) ist als für Frauen.
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A Theoretische Grundlagen
vorhanden sind (vgl. Krüger 2003: 123). Dieser Befund, den Krüger explizit für Erzieher- und Pflegeberufe herausstellt, ist auch für den Grundschulbereich nachgewiesen.96 Im Folgenden sollen neuere Ergebnisse der empirischen Sozialforschung dargestellt werden, die sich explizit mit der Rolle von Männern im Rahmen des Segregationsprozesses beschäftigen. Ausgewählt werden exemplarisch jene Studien, deren Erkenntnisse für vorliegende Arbeit von Bedeutung sind.97 Dabei ist die Studie von Annett Wilde die einzige, die explizit zu Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern (im Vergleich mit Polizistinnen und Polizisten) existiert.98 Die Ergebnisse der anderen Studien, die dargestellt werden, betreffen Männer, die in sozialen Berufen arbeiten: Bettina Heintz, Eva Nadin, Regula Fischer und Hannes Urmel erforschen Krankenpfleger, Lothar Böhnisch Sozialarbeiter sowie Sozialpädagogen, Ralf Puchert, Marc Gärtner und Stephan Höyng schließlich Männer, die ihre Berufstätigkeit einschränken oder unterbrechen, um Elternzeit zu nehmen. Auf Grund der Verortung dieser Studien im sozialen Sektor sowie wegen der in diesen Bereichen vorherrschenden vergleichbaren geschlechtsspezifischen Segregation kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse dieser Studien auf das Feld Grundschule übertragen werden können. Das „Work Changes Gender-Projekt“99 ist eine europäisch-internationale Studie im Zusammenhang mit dem Männerforschungs-Netzwerk „CROME“ (Critical Research of Men in Europe: The Social Problem and Social Problematisation of 96 Detaillierte und differenzierte statistische Daten zum quantitativen Geschlechterverhältnis bezogen auf Schulleitungsfunktionen werden weder systematisch noch bundesweit erhoben (vgl. Stürzer 2005: 47f.). Dadurch ist es schwierig, sich ein genaueres Bild zu verschaffen. Eine Durchsicht relevanter Literatur ergibt aber folgendes Bild: Im Schuljahr 1993/94 lag der Anteil von Frauen in Schulleitungspositionen bundesweit bei 31 Prozent, wobei in den alten Bundesländern nur 22 Prozent der Rektorenstellen mit Frauen besetzt waren (vgl. Faulstich-Wieland 1999: 78). Anzumerken bleibt, dass Frauen inzwischen zumindest an Grundschulen zunehmend Funktionsstellen übernehmen. So stieg der Frauenanteil in Hamburg beispielsweise innerhalb von acht Jahren von 36,8 Prozent im Jahr 1994 auf 51,2 Prozent im Jahr 2002 (vgl. Just 2004). In Baden-Württemberg lag dieser im Schuljahr 2001/02 bei nur 30,1 Prozent (vgl. Roisch 2003: 40), so dass erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern festzustellen sind. 97 Nicht näher dargestellt werden Studien zu Männern in Altenpflegeberufen (vgl. zusammenfassend Hammer/Bartjes 2005), da sich deren Ergebnisse weitgehend mit denjenigen aus der Krankenpflege decken. Lesenswert ist die vom Bildungsnetz Berlin herausgegebene kleinere Studie „Zur Situation von Männern in ‚Frauen-Berufen‘ der Pflege und Erziehung in Deutschland“ (Stuve u.a. 2006), die Interviews mit jeweils drei Krankenpflegern und Erziehern auswertet. Auf eine nähere Darstellung der Ergebnisse wird verzichtet, da die sehr unterschiedlichen Deutungsmuster der Interviewpartner nicht typisiert werden und sich die Studie trotz eines komparativen Ansatzes auf Einzelfalldarstellungen beschränkt. 98 Die Anlage der quantitativen Studie muss dabei allerdings kritisch betrachtet werden (s.u.). 99 Work Changes Gender – New Forms of Work, New Orientations for Men’s Lives, Opportunities for Gender Equality, gefördert vom 5. Rahmenprogramm (FP5) der Europäischen Union.
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Men and Masculinities) und geht davon aus, dass Arbeit zentral für Männlichkeitskonstruktionen ist (vgl. Puchert/Gärtner/Höyng 2005: 11). In der Einleitung zur Studie konstatieren Gärtner und Höyng: „The male self-concept used to be based on labour“ (Gärtner/Höyng 2005: 16). Was hier in der Vergangenheitsform zum Ausdruck gebracht wird, weisen verschiedene empirische Teilstudien innerhalb des Projekts auch für die Gegenwart nach: “Work and labour still play a central role within the ‘masculinity standards“ (Scambor/Schwerma/Abril 2005: 119). Dabei werden diese ‚Männlichkeitsstandards‘, die auf einer sowohl ökonomischen, sozialen, kulturellen als auch psychologischen Ebene verankert sind, über folgende Eigenschaften definiert: „expendable, hard, instrumental and (…) non-carers“ (ebd.: 120) Diese Eigenschaften werden vor allem über die Beziehungen und Interaktionen zwischen und unter den Geschlechtern institutionalisiert. „For the individual, these standards appear as preferences and attractions, as ought and ideal selves, as what I prefer and would like“ (ebd.). Da die Berufstätigkeit nun entscheidender Bestandteil des Selbstkonzeptes ist,100 bemühen sich Männer darum, auch auf dem Arbeitssektor diese Standards zu verkörpern. Obschon die Autoren zugestehen, dass sich diese Standards im Rahmen eines ökonomischen und gesellschaftlichen Wandels durchaus transformieren können, so bleiben sie doch bei der Einschätzung, dass diese Orientierungen weiterhin ihre Gültigkeit haben, zumindest aber als Hintergrundmetaphern wirksam bleiben (vgl. ebd.:121). Die Wissenschaftler schließen im letzten Teil des Gesamtprojekts mit einer psychologischen Substudie an die Ergebnisse der beiden anderen, ökonomische und soziologische Aspekte fokussierenden Substudien des Work Changes GenderProjekts an. Sie verfolgen den Ansatz, ‚Best Practice‘-Beispiele männlicher Selbstkonzepte zu analysieren. ‚Best Practice‘ wird von der Forschergruppe im Sinne einer Abkehr von Männlichkeitsstandards in Bezug auf Arbeit (s.o.) definiert. Hierfür werden insgesamt 69 Männer in sechs verschiedenen Ländern interviewt. Besonders interessant für die vorliegende Arbeit sind die Ergebnisse der Forschergruppe zu Männern, die ihre Arbeitszeit reduzieren (in Form von Teilzeitarbeit oder gar in Form eines Erziehungsjahres), um sich um die eigenen Kinder zu kümmern: Für Männer, die sich in dieser fürsorgenden Rolle wieder finden, bedeutet das eine habituelle Verunsicherung in Bezug auf den eigenen Genderstatus; die Reflexion des Selbstkonzepts sowie die Neuorganisation eines sozialen Netzwerkes werden in der Studie als Bewältigungsstrategien genannt, die allerdings nicht immer glücken (vgl. ebd.: 143). Die Forschergruppe entwickelt ein Phasenmodell, das den Prozess 100 In Anlehnung an Higgins (1987) betonen die Autoren noch einmal: „work and career are the central facets in men’s self concepts; other facets are subordinate and created around work and career“ (Scambor/ Schwerma/Abril 2005: 112).
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A Theoretische Grundlagen
der Reorganisation des eigenen Selbstkonzeptes repräsentiert: a) Misplacement b) Gender Status Insecurity c) Reflection d) Re-arranging Self Concept (vgl. ebd.: 144). They „try to keep their self-concepts stable by increasing the psychological distance to women/mothers. This distancing from women sometimes takes on devaluating forms“ (ebd.: 147, Herv. i. Orig.).
Das Phasenmodell bedeutet allerdings nicht, dass alle Phasen notwendig durchlaufen werden. Teilweise brechen Männer aus dem System aus, wenn sie beispielsweise in der Phase der Genderunsicherheit kein Modell für ihr gewünschtes Verhalten finden oder aber auch mit zu großer Ablehnung in ihrem näheren sozialen Umfeld konfrontiert werden. Auf jeden Fall kommt es zu Irritationen, die das eigene Männlichkeitskonzept in Frage stellt: „Many men in caring situations seem to go through a phase of gender role irritation that makes them feel they are not ‚real men‘“ (Gärtner 2005: 175, Herv. i. Orig.).
Interessant sind die dargestellten Ergebnisse für vorliegende Studie aus folgenden Gründen: Zum einen belegen sie, welchen hohen Stellenwert Arbeit für das Selbstkonzept von Männern hat. Weiter weist die Studie nach, dass mit dem Selbstkonzept verschiedene Standards von Männlichkeit einhergehen, die in irgendeiner Form und Weise mit dem Beruf bzw. mit der Art der Berufsausübung zur Deckung gebracht werden müssen. Männliche Grundschullehrer ziehen sich zwar nicht aus dem Berufsleben zurück, um fürsorgende Tätigkeiten (wie Kindererziehung) aufzunehmen; vielmehr besteht ihre berufliche Tätigkeit selbst zu einem hohen Teil aus ebenjenen fürsorgenden Motiven. Von einer Verunsicherung des eigenen Genderstatus kann somit auch bei den Grundschullehrern ausgegangen werden. Es erscheint möglich, dass phasenorientierte Bewältigungsmuster, wie sie die Autorengruppe des „Work Changes Gender Projekts“ beschreiben, im Feld Grundschule ebenfalls wirksam werden. Annett Wilde untersucht in ihrer quantitativ angelegten Studie den Einfluss der Geschlechtertypik eines Berufes auf das berufliche Selbstbild von Grundschullehrerinnen bzw. Grundschullehrern und Polizistinnen bzw. Polizisten. Den Beruf der Grundschullehrerin identifiziert sie im Rahmen einer geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes als typischen Frauenberuf, während sie den Beruf des Polizisten als typischen Männerberuf herausstellt. Sie stellt auf der Basis einschlägiger Literatur verschiedene Thesen auf zur geschlechtstypischen Arbeitsmarktsegregation, zu Berufswahlmotivation und Karriereorientierung, aber auch zu Berufszufriedenheit, Geschlechtsrolleneinstellung und Selbstwertgefühl (vgl. Wilde 2005: 99ff). Um diese Hypothesen zu überprüfen, entwickelt Wilde einen Fragebogen, mit dem insgesamt 156 zukünftige Polizistinnen und Polizisten
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(Studierende an der Fachhochschule) sowie 170 zukünftige Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer (im Vorbereitungsdienst) befragt werden.101 Wilde kommt in ihrer Studie zum Ergebnis, dass Wechselwirkungen zwischen dem Geschlecht der Befragten und der Geschlechtstypik des Berufs weitgehend fehlen: „Dieses weitgehende Fehlen von Interaktion zwischen Beruf und Geschlecht lässt vermuten, dass die Passung zwischen Geschlechtstypik des Berufes und dem Geschlecht der in dem Beruf tätigen Personen weder für Frauen noch für Männer eine große Rolle spielt.“ (Wilde 2005: 199f.)
Insgesamt weist der Frauenberuf Grundschullehrerin, so Wilde, strukturelle Nachteile gegenüber dem Männerberuf Polizist auf. Die Autorin stellt die Frage, ob das Ungleichgewicht „die Folge der Tätigkeit in einem geschlechtstypisierten Beruf“ ist oder aber „ob Personen mit unterschiedlichen psychologischen Profilen und Lebensplänen bereits unterschiedliche Berufe wählen“ (Wilde 2005: 201). Tatsächlich sind die untersuchten Berufsfelder von ihrer generellen Anlage her sehr unterschiedlich. Arbeitsinhalte und Zugangsvoraussetzungen unterscheiden sich so massiv, dass m.E. gefragt werden muss, in wie weit eine Vergleichbarkeit der beiden Berufe bzw. der Personen, die in diese Berufe streben, überhaupt gegeben ist. Interessant an Wildes Ergebnissen für die vorliegende Studie ist dennoch vor allem die These, dass die Arbeit in einem gegengeschlechtlichen Beruf trotz der fehlenden Passung zum eigenen (biologischen) Geschlecht völlig unproblematisch verläuft. Diese Feststellung steht anderen Forschungsergebnissen zur Arbeit in gegengeschlechtlichen Berufen diametral entgegen (s.o.). Da sich der vorliegende Forschungsgegenstand mit jenem von Wilde deckt, könnten sich eventuell Hinweise ergeben, dass das Feld Grundschule Besonderheiten aufweist, die in anderen Studien zur geschlechtsspezifischen Segregation nicht zum Tragen kommen. Bettina Heintz, Eva Nadai, Regula Fischer und Hannes Urmel stellen in ihrer Untersuchung zur Krankenpflege dar, in wieweit Männer, die in diesem weiblich konnotierten Berufsfeld tätig sind, Handlungsstrategien entwickeln, die mit ihrer
101 Zur Kritik an der Studie von Wilde: Die Rücklaufquote der Fragebögen betrug lediglich 31 Prozent (vgl. Wilde 2005: 107). Für die angestrebte Repräsentativität in einer quantitativen Studie ist dieser Wert freilich bedenklich. So fordern beispielsweise Babbie (2001: 256) eine Mindestrücklaufquote von 50 Prozent. In Bezug auf die Geschlechterverteilung der befragten Personen kann das Sample kritisiert werden: Während die Geschlechterverteilung bei den befragten Polizeianwärterinnen und -anwärtern relativ ausgewogen war, betrug der Anteil befragter männlicher Grundschulstudierender lediglich 12 Prozent (vgl. Wilde 2005: 109). Auch ist fraglich, ob Auszubildende bzw. Studierende über ausreichend Praxiserfahrung verfügen, um aus deren Antworten Rückschlüsse auf Personen mit langjähriger Berufspraxis schließen zu können. Andere Strukturkategorien wie beispielsweise Generation, die ebenfalls einen Einfluss auf die Ergebnisse haben könnten, werden in Wildes Studie nicht weiter berücksichtigt.
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A Theoretische Grundlagen
Geschlechtszugehörigkeit kongruent sind. 102 Sie kommen zum Ergebnis, dass grundsätzlich zwischen Direkteinsteiger103 und Zweitberuflern104 zu unterscheiden ist. Während Direkteinsteiger eher intrinsische Berufswahlmotive (durch biografische Erfahrungen oder eine humanistische Orientierung) aufweisen, sind diese bei Zweitberuflern extrinsisch geprägt. Gleichwohl liegt bei beiden Gruppen – geschlechterunabhängig – die Hauptgratifikation des Berufes in den „sinnstiftende[n] Funktionen“ (Heintz u.a. 1997: 84) der Tätigkeit. Unterschiede zwischen den Geschlechtern existieren dennoch: Tendenziell wird die empathische Seite pflegerischen Handelns Pflegerinnen zugeschrieben, die instrumentelle den Pflegern (vgl. ebd.: 117). Die berufliche Selbstdarstellung von Männern betont autonome Entscheidungen, planvolles Handeln und kämpferisches Durchsetzungsvermögen, während Frauen eher fremdbestimmte Prozesse in den Vordergrund stellen, die berufliche Entwicklungen beeinflussen (vgl. ebd.: 85). Weiter stellt das Forscherteam heraus, dass männliche Pfleger von einem generellen „Geschlechtsbonus“ (ebd.: 93) profitieren; ihre Leistungen werden nicht angezweifelt. Auch werden männliche Pfleger von den weiblichen Kolleginnen nicht ausgeschlossen. Zum Teil findet eine „erotische Integration“ (ebd.: 94) statt, zumindest herrscht aber eine affektive Nähe zwischen Pflegerinnen und Pfleger. Männer werden dann nachgefragt, wenn es etwas Schweres zu bewegen gibt: Im Rückgriff auf das Stereotyp des ‚starken Mannes‘ wird hier Mannsein und Körperkraft gleichgesetzt (vgl. ebd.: 94f.). Doch nicht nur in Bezug auf körperliche Tätigkeiten nehmen die männlichen Pfleger eine Sonderrolle ein: In emotional belastenden Situationen nehmen sie „informelle Vater- und Chefrollen“ (ebd.: 95) ein, wobei diese Positionen anscheinend selbstverständlich von den Pflegerinnen und den Pflegern evoziert werden. Die Autorinnen und der Autor fassen die (von den Pflegern selbst, von den Kolleginnen, aber auch von Patientinnen und Patienten) aktivierten Geschlechterstereotypen unter dem Begriff ‚Coolness‘ zusammen: „Ruhig, sachlich und überlegt behält dieser ‚Idealkrankenpfleger‘ die Übersicht bei der Arbeit und neutralisiert eine überhitzt-hysterische Stimmung im von Frauen dominierten Team“ (ebd.: 110, Herv. i. Orig.).
102 Das Forschungsdesign der Studie wird nicht explizit erläutert. Aus der Darstellung der Ergebnisse wird deutlich, dass Pfleger und Pflegerinnen gleichermaßen betrachtet wurden. Interviews fanden als Forschungsinstrument ebenso Anwendung wie ethnografische Beobachtungen. 103 Mit ‚Direkteinsteiger‘ sind Personen gemeint, die direkt nach Beendigung der allgemeinen Schulausbildung oder nach einer abgebrochenen Lehre den Beruf ergreifen. 104 Gemeint sind hiermit Männer, die bereits einen anderen Beruf erlernt und ausgeübt haben. Der Anteil von Zweitberuflern ist im Pflegeberuf sehr hoch: 1990 waren rund 40 Prozent der schweizerischen Krankenpfleger Zweitberufler (vgl. Heintz u.a. 1997: 82f.).
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Den Männern gelingt es dann auch, diese Männlichkeitsstereotype zu ihrem Vorteil zu nutzen: „Sie liefern eine ›kulturelle‹ Basis für fachliche Autorität, sachliche Kompetenz und Führungsqualitäten. Obwohl die Krankenpflege ein dezidiert ›weibliches‹ Image hat, erscheinen die Männer der Klinik so oft als die besseren Professionellen“ (ebd.: 96, Herv. i. Orig.).
Trotz der (patriarchalen) Dividende, die Männer aus ihrer Geschlechtszugehörigkeit ziehen können, ergeben sich Hinweise auf eine Verunsicherung der Geschlechtsidentität. Dies machen die Autorinnen und Autoren zum einen daran fest, dass die männlichen Pfleger eine „deutlich hierarchisierende Konstruktion der Differenz“ (ebd.: 98) leisten, wenn sie auf die Unterschiede in der eigenen, männlichen Berufsausübung und derjenigen ihrer Kolleginnen zu sprechen kommen. Zum anderen wird die „erotische Integration“ (s.o.) nicht in allen, aber in der Mehrzahl der Interviews als teilweise bedrohlich, zumindest aber als problematisch dargestellt. Die Problematik, dass das eigene Geschlecht nicht dem Berufsgeschlecht entspricht, spiegelt sich in Bemerkungen zur vermeintlichen Homosexualität männlicher Krankenpfleger wider. Eine Coping-Strategie, der verunsichernden Situation zu entkommen und eine Kongruenz zwischen dem eigenen Geschlecht und der Berufsausübung herzustellen, bildet die Karriereorientierung der Männer. Der quantitative Männeranteil im Berufsfeld der Krankenpflege (unter zehn Prozent) ist dem des Berufsfeldes Grundschullehrer vergleichbar; beide Berufe sind innerhalb ihrer jeweiligen Bezugsfelder (Krankenpfleger – Arzt; Grundschullehrer – Gymnasiallehrer) hierarchisch auf einer niedrigen Stufe angesiedelt. Zugangsvoraussetzungen und die Tätigkeit selbst unterscheiden sich zwar durchaus, doch ist beiden Berufen gemein, dass sie dem sozialen Sektor, genauer einem als fürsorgenden und damit auch weiblich konnotierten Berufsfeld zuzurechnen sind. Es ergeben sich somit zahlreiche Überschneidungen, und es trifft das Interesse der vorliegenden Studie, zu eruieren, ob und in wieweit die Ergebnisse der Studie von Heintz u.a. sich auch für den Bereich Grundschule bestätigen. Holger Brandes stellt in seiner Untersuchung zu Männern, die im Feld der Sozialen Arbeit tätig sind, fest, dass Soziale Arbeit historisch schon immer weiblich geprägt war (vgl. Brandes 2002a: 233). Für die Berufswahl sind eher intrinsische Motive, mit und für Menschen zu arbeiten, ausschlaggebend als extrinsische Faktoren wie Verdienst oder Karrieremöglichkeit. Männer, die sich für diese Profession entscheiden, sind biografisch häufig durch die Ableistung des Wehrersatzdienstes und/oder durch (kirchliche oder politische) Jugendarbeit geprägt (vgl. ebd.: 235). In Bezug auf Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit attestiert Brandes diesen Männern ein antitypisches Verhalten: Neben der
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A Theoretische Grundlagen „Distanz zu Macht und Autorität befürworten sie in ihrer überwiegenden Mehrheit in partnerschaftliches Verhältnis zu Frauen, zeigen soziale Sensibilität und emotionales Einfühlungsvermögen und eine reduzierte Empfänglichkeit für männliche Statussymbole.“ (Ebd.: 236)
Der Autor zeigt auf, dass die Studenten der Sozialen Arbeit in ihrer Männlichkeit verunsichert sind. Diese Verunsicherung führt dazu, dass die Männer ein ambivalentes Verhältnis zu Frauen und Macht entwickeln und Dominanz, trotz grundsätzlich ablehnender Haltung hierzu, dennoch ausüben. Brandes stützt sich bei seinen Überlegungen auf Erfahrungen, die er im Rahmen seiner Hochschultätigkeit mit Studierenden macht. So berichtet er, dass die quantitative Unterlegenheit der Männer zunächst zu deren Besonderung führt. In den Seminaren dominieren die weiblichen Studierenden auch qualitativ durch ihren Redeanteil oder durch die Art, wie sie Diskussionen inhaltlich prägen. Männliche Studierende erscheinen hier unterlegen und verstummen. Männer geraten dann in Dilemmatasituationen, wenn es thematisch um Fragen der sozialen Arbeit geht, die sich beispielsweise mit häuslicher Gewalt beschäftigen, die in der Regel von Männern als Täter ausgeübt wird. Vor ihren weiblichen Kommilitoninnen sehen sie sich qua Geschlechtszugehörigkeit als Repräsentanten solcher extremen Ausprägungen von Hegemonie, obwohl sie eine solche ablehnen. Brandes stellt eine „tiefverwurzelte Unsicherheit und Hilflosigkeit“ sowie einen Habitus fest, „in den grundlegende Umbrüche und die Distanz zur hegemonialen Männlichkeit eingeschrieben sind, ohne dass hieraus bereits ein neues Selbstbewusstsein erwachsen wäre“ (ebd.: 239).
Dieselben Ergebnisse zeigt Brandes auch für die Praxis der Sozialen Arbeit auf, die sich nicht wesentlich von der Situation während der Ausbildung hierzu unterscheidet. In der alltäglichen Arbeitsteilung innerhalb eines Projektes sind habituell verankerte, traditionale Männlichkeitskonstruktionen genauso vorzufinden wie in der Orientierung von Männern in Bezug auf Weiterbildung, Übernahme öffentlichkeitswirksamer Tätigkeitsfelder und Karriereorientierung. Der Widerspruch zwischen Identifikation und Abgrenzung vom männlichen Klientel bleibt ebenso prekär wie bei den Studierenden, besteht hier doch der Verdacht einer illegitimen Komplizenhaftigkeit. Brandes ermittelt auf der Grundlage von Interviews von Rudlof (2000) und Köhler (1999) zwei Bewältigungsmuster, die im Rahmen der habituellen Unsicherheit aktiviert werden: Zum einen die „Leitungsstrategie“ (Brandes 2002a: 241), zum anderen die „Verleugnungsstrategie“ (ebd.: 243). Personen, die die Leitungsstrategie verfolgen, berufen sich auf eine natürliche (authentische) Autorität, die in den ihnen übertragenen Aufgaben ihre Notwendigkeit erfährt. In der Übernahme von Leitungsaufgaben und -praxen „werden sozialpädagogischer Impetus und männlicher Habitus subjektiv vereinbar“ (ebd.). Die
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Verleugnungsstrategie dahingegen blendet brisante Themen, die das Geschlechterverhältnis berühren, einfach aus. Die Problematik eines Handelns jenseits von geschlechtsspezifisch „habituell verankerten Selbstverständlichkeiten“ (ebd.: 245) wird als eine solche nicht wahrgenommen, weder thematisiert noch reflektiert. Auch die Soziale Arbeit als weitgehend feminisiertes und weiblich konnotiertes Berufsfeld weist eine Nähe zum Beruf des Grundschullehrers auf. Es stellt sich die Frage, ob Grundschullehrer ebenfalls eine habituelle Verunsicherung aufweisen und ob die hierfür notwendigen Bewältigungsstrategien mit jenen der Sozialarbeiter vergleichbar sind.
B Methodologische Grundlagen
Der Teil B der vorliegenden Arbeit dient der Darstellung der methodisch-methodologischen Bezugsrahmen der vorliegenden Untersuchung. Bevor das zugrunde liegende Forschungsdesign expliziert wird, werden im Kapitel 1 zunächst die methodisch-methodologischen Grundlagen, die dieses tragen, dargestellt. Nach einer knappen Beschreibung der zwei großen Hauptströmungen der empirischen Sozialforschung wird auf den symbolischen Interaktionismus als Basis qualitativer Sozialforschung eingegangen, um dann, in Kapitel 2, sowohl die gewählte Erhebungs- als auch die Auswertungsmethode vor ebenjenem Hintergrund zu beleuchten. In Kapitel 3 wird die Auswahl des Samples erläutert. Ein gesonderter Blick wird innerhalb dieses Rahmens sowohl auf die Problematik der Reifizierung als auch auf die Strukturkategorien Generation und Soziales Milieu gerichtet.
1. Methodologische Vorüberlegungen und Verfahrensweisen 1.1 Empirische Sozialforschung Versteht man unter empirischer Sozialforschung „die systematische Erfassung und Deutung sozialer Tatbestände“ (Atteslander 1993:11), so bedeutet ‚empirisch‘ zunächst, dass theoretisch formulierte Annahmen an der spezifischen Wirklichkeit, an realen Erfahrungen überprüft werden müssen. Dies hat systematisch, d. h. regelgeleitet zu geschehen. Es sind zwei grundsätzliche Forschungsmethoden zu unterscheiden: Zum einen empirisch-quantitativen, zum anderen empirisch-qualitativen Verfahren. Quantitative Forschung stützt sich auf eine „streng theorie- und hypothesengeleitete Quantifizierung von Ereignissen, Abläufen und Zusammenhängen in der sozialen Wirklichkeit“ (Terhart 2003: 27). Dies bedeutet, dass es sich hierbei um ein deduktives Verfahren handelt, bei dem soziale Wirklichkeit zergliedert wird und bereits bestehende Hypothesen vor allem anhand von Fragebögen, aber auch mittels standardisierter Interviews überprüft werden. So kann vor allem die quantitative Ausbildung des zu erforschenden Merkmals gemessen werden; die
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B Methodologische Grundlagen
Hypothesen werden durch eine Übersetzung in operationalisierbare Kategorien und deren Überprüfung verifiziert oder falsifiziert.1 Qualitative Forschung dahingegen hat das Ziel „einer möglichst gegenstandsnahen Erfassung der ganzheitlichen, kontextgebundenen Eigenschaften sozialer Felder“ (ebd.). Durch den weitgehend unvoreingenommenen Zugang zum Untersuchungsgegenstand,2 gepaart mit einer entsprechenden datenbezogenen Haltung, die bisher erlangtes Wissen zunächst ausklammert, ist es möglich, mittels abduktiver Verfahren Hypothesen zu generieren, soziale Wirklichkeit zu beschreiben und zu rekonstruieren, sowie Strukturgeneralisierungen vorzunehmen und Theorien zu entwickeln.3 Dabei ist der Grundannahme Folge zu leisten, dass sich soziale Wirklichkeit immer durch interaktives Handeln konstituiert, darüber hinaus von jeder Person mit in sozialer Interaktion hergestellten Bedeutungen und Zusammenhängen konstruiert und sinnvoll strukturiert wird (vgl. Flick/von Kardoff/Steinke 2000: 20). Micus-Loos fasst diesen konstruktivistischen Ansatz so zusammen: „Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird als eine durch soziale Handlungen innerhalb von Interaktionsprozessen kollektiv hervorgebrachte Sozialordnung verstanden. Gesellschaftliche Tatbestände und soziale Phänomene existieren somit nicht unabhängig von sozialen interaktiven Handlungen.“ (Micus-Loos 2004: 125)
Qualitative Forschung bemüht sich mit anderen Worten um die „Rekonstruktion der Konstruktion sozialer Wirklichkeit“ (Flick/von Kardoff/Steinke 2000: 22). Hierzu
1 Genau genommen kann es nie zu einer Verifizierung der zu überprüfenden Hypothesen kommen, wie schon der Begründer der hypothesenüberprüfenden Verfahren Karl Popper darlegt (vgl. Popper 1994). Verifizierende Schlussfolgerungen, die aus quantitativen Verfahren gezogen werden, können lediglich wahrscheinlich sein (vgl. Reicheritz 2005: 280). 2 Meinefeld spricht in diesem Zusammenhang von der „Offenheit für das potentiell ‚Andere‘ des Forschungsfeldes“ (Meinfeld 2005: 266; Herv. i. Orig.), Bude gar von der „methodischen Dummheit“ (Bude 2005: 574). Auch Bohnsack/Netwig-Gesemann/Nohl setzen im Rahmen ihrer Explikationen zur dokumentarischen Methode, die in der vorliegenden Studie als Auswertungsmethode fungiert (s.u.), diese „methodische Fremdheitshaltung in der Tradition der Mannheim’schen Wissenssoziologie“ (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2007: 12) als notwendige Grundhaltung für einen Zugang des Interpreten zum handlungsleitenden Erfahrungswissen der Probanden voraus. 3 Reicheritz erläutert ausführlich den Begriff der Abduktion und erläutert, dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess nicht bei der Hypothesengenerierung mittels Abduktion stehen bleiben kann; es folgen „Ableitung von Voraussagen aus der Hypothese“ ( Reicheritz 2005: 285; Herv. i. Orig.) mittels Deduktion sowie die generell nur ansatzweise leistbare Verifizierung der Vorannahme mittels einer induktiven „Suche nach Fakten“ (ebd.; Herv. i. Orig.). Denselben Dreischritt propagiert Schröer, allerdings ohne die induktive Überprüfung der generierten Hypothesen ähnlich kritisch zu betrachten; er sieht in diesem Schritt eher ein Bindeglied zwischen qualitativen und quantitativen Verfahren (vgl. Schröer 1997: 116).
1.1 Empirische Sozialforschung
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ist es nötig, „subjektive Sinnstrukturen“ (Terhart 2003: 29) nachzuvollziehen4 und die Perspektiven der Handelnden möglichst authentisch zu erfassen.5 So können aus den Erfahrungen der sozialen Akteure, die mit dem Mittel von Beobachtungsprotokollen, erzählgenerierenden Interviews oder anhand von Dokumentenanalysen erhoben werden, gegenstandsspezifische Theorien entwickelt werden.6 In der vorliegenden Arbeit sollen unter der zentralen Fragestellung nach dem beruflichen Habitus männlicher Grundschullehrer die verankerten Wissens- und Erfahrungsbestände der Probanden eruiert bzw. rekonstruiert werden. Die Antworten auf die Fragestellung werden dabei stringent aus den einzelnen Fällen abgeleitet. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach einem eventuell kollektiv geteilten Sinngehalt der alltäglichen, berufsbezogenen Handlungspraxis. Da es sich hierbei um ein bislang unbeleuchtetes Forschungsfeld handelt (s.o.), gleichsam die Konstruktion der für die Grundschullehrer maßgeblichen Wirklichkeit interessiert, scheiden hypothesenüberprüfende, quantitative Verfahren für das Forschungsvorhaben aus.7 Es ist vielmehr nötig, ein methodisches Verfahren zu verfolgen, das den Erforschten einen möglichst breiten Raum zur Verfügung stellt, in dem sie ihre Relevanzsysteme entfalten können, denen der Forscher selbst mit einem ‚fremden Blick‘ begegnet. Da dennoch ein bestimmtes Forschungsinteresse fokussiert wird (nämlich welche Rolle das Geschlechterverhältnis in der Grundschule für die Herausbildung des beruflichen Habitus spielt), ist es notwendig, jenen den Erforschten zugestandenen Raum zwar nicht einzuengen, wohl aber bestimmte andere Räume, die von den Probanden vielleicht nicht von selbst betreten werden, zu öffnen. Diesem Anspruch wird die Methode des problemzentrierten Interviews gerecht, das als qualitative Erhebungsmethode gewählt und weiter unten näher erläutert werden wird. 4 Loos und Schäffer sprechen hier in Abgrenzung auch von „latenten Sinnstrukturen“ (Loos/ Schäffer 2001: 34), die im Sinne einer ‚Objektiven Hermeneutik‘ nicht so sehr auf die subjektiven Intentionen des Handelnden achtet, sondern nach dem objektiven Sinngehalt einer Äußerung sucht. Soeffner unterscheidet drei ‚Sinnschichten‘: „(1) einen objektivierten, intersubjektiv gültigen Sinn; (2) einen subjektiven Sinn und (3) einen okkasionellen Sinn“ (Soeffner 2005: 166). Da alle drei Sinnschichten für eine Interpretation durchdrungen werden müssen, sei Fremdverstehen nur „näherungsweise“ (ebd.) möglich. Umso wichtiger ist es daher, die Rekonstruktion der Konstruktionen der Interviewpartner methodisch kontrolliert, überprüft und überprüfbar vorzunehmen (vgl. ebd.: 167). 5 Marotzki geht hierzu von einem „Deutungs- oder Interpretationsapriori“ (Marotzki 1999: 110; Herv. i. Orig.) aus, das im Prozess der Sozialisation und damit in Abhängigkeit von sozialstrukturellen, institutionellen und biografischen Zusammenhängen aufgebaut wird. Die sich daraus ergebende Wirklichkeitsauffassung konstituiert sich erst in den „Interpretationen der Akteure“ (ebd.). 6 Vgl. Glaser/Strauss (1967/1998), die mit diesem Ansatz die ‚Grounded Theory‘ begründen. 7 Gleichwohl können ausgehend von interpretativ gewonnenen Erkenntnissen Hypothesen zur Konstruktion der berufsbezogenen Wirklichkeit der untersuchten Lehrer in Abhängigkeit von bestimmten Strukturkategorien (wie beispielsweise Generationszugehörigkeit) formuliert werden, die später für quantitative, standardisierte Erhebungen zugrunde gelegt werden können.
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B Methodologische Grundlagen
Zuvor soll jedoch der ‚Symbolische Interaktionismus‘ in seinen Grundzügen entfaltet werden, bildet er doch die theoretische Grundlage für qualitative Forschung.
1.2 Symbolischer Interaktionismus als Grundlage qualitativer Forschung Der Symbolische Interaktionismus geht auf die handlungstheoretischen Überlegungen von George H. Mead zurück. Grundsätzlich geht dieser davon aus, dass der Mensch „die Welt und sich […] in interaktionsvermittelten und -gebundenen Deutungen“ (Marotzki 2005: 176) kennen lernt. Mead unterscheidet hierzu zwischen zwei Instanzen des Ichs (des ‚Self‘): Zwischen dem ‚Me‘ und dem ‚I‘. Während das ‚Me‘ in sozialisatorischer Interaktion die Haltungen anderer übernommen hat, umschreibt das ‚I‘ den Bereich des Menschen, der als kreative und vereinheitlichende Instanz das ‚Self‘ in ein reflexives Verhältnis zur Haltung der Anderen und dadurch auch zum ‚Me‘ setzt (vgl. Loos/Schäffer 2001: 30): „Das ‚Ich‘ [= ‚I‘, R.B.] ist die Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer; das ‚ICH‘ [= ‚Me‘, R.B.] ist die organisierte Gruppe von Haltungen anderer, die man selbst einnimmt. Die Haltungen der anderen bilden das organisierte ‚ICH‘ und man reagiert darauf als ein ‚Ich‘“ (Mead 1995: 218).
Während sich der Begriff ‚Symbolisch‘ auf die sprachlichen Grundlagen menschlichen Zusammenlebens bezieht, weist ‚Interaktion‘ darauf hin, dass Menschen in wechselseitiger Beziehung zueinander gemeinsam handeln. Individuelle Handlungslinien werden demnach in ihrer Reflexivität auf ein gemeinsames, bedeutungshaltiges Handeln hin ausgerichtet (vgl. Denzin 2000: 136). Da individuelle Erfahrung, Struktur und Subjektivität „das Ergebnis dialogischer Prozesse“ (ebd.: 138) sind, können von der Interpretation eines Einzelfalls nicht nur Rückschlüsse auf dessen Konstruktion sozialer Wirklichkeit gemacht werden, vielmehr können Generalisierungen vorgenommen und Strukturhypothesen erstellt werden, die über den Einzelfall hinausgehen und auf ein Sozialsystem, auf „in Individuen repräsentierte Kollektivvorstellungen“ (Loos/Schäffer 2001: 31) bezogen sind: „Die Einzelfallstudie im qualitativen Paradigma strebt eine wissenschaftliche Rekonstruktion von Handlungsmustern auf der Grundlage von alltagsweltlichen, realen Handlungsfiguren an. Dabei versucht der Forscher nicht nur als alltagsweltlicher Handlungspartner, die Figuren nachzuvollziehen, sondern diese in den wissenschaftlichen Diskurs zu überführen und Handlungsmuster zu identifizieren, indem er allgemeinere Regelmäßigkeiten vermutet.“ (Lamneck 1993 :16; Herv. i. Orig.)
Es geht also darum, herauszufinden, inwieweit sich in den Besonderheiten eines Einzelfalles die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Lage (Milieu, Geschlecht,
2.1 Das problemzentrierte Interview als Erhebungsmethode
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Generation u.a.) dokumentiert (vgl. Meuser 2001: 216). Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass Handeln immer auch habitualisiertes Handeln ist: Homologe Handlungsmuster in unterschiedlichen, aber strukturähnlichen Situationen deuten auf ein spezifisches Orientierungswissen hin, das sich im Zusammenspiel von ‚Me‘ und ‚I‘ ausbildet (vgl. Gaffer/Liell 2001: 193f.). Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass dem einzelnen Interviewpartner ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird, da in dem von ihm Gesagten doch nicht nur das individuelle ‚I‘ deutlich, sondern auch das ‚Me‘ mitgedacht wird. Betrachtet man somit das ‚Self‘ des Interviewpartners, das sich erst auf dem Wege der „‚geistigen Vergegenwärtigung‘ (‚mind‘) von habitualisierten Interaktionsprozessen“ (Bohnsack 1997: 198, Herv. i. Orig.) bildet, kann vom Einzelfall abstrahiert werden; die Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit findet in einem allgemeineren Rahmen statt. Um an das ‚Self‘ des zu Erforschenden zu gelangen, bedarf es Methoden, um dieses sichtbar zu machen. Im Folgenden werden die für diese Studie gewählten Erhebungs- und Auswertungsverfahren vor diesem Hintergrund expliziert.
2. Explikation des Forschungsdesigns Nachdem im vorausgegangenen Kapitel die theoretischen Grundlagen für das methodische Vorgehen in der vorliegenden Studie beschrieben wurden, werden im Folgenden die angewandten Methoden erläutert: Das problemzentrierte Interview, das als Erhebungsmethode dient, wird genauso Gegenstand der Ausführungen sein wie die dokumentarische Methode als Auswertungsinstrument. Dabei sollen die Methoden auch hier in ihrem theoretischen Rahmen skizziert, dann aber konkret in der Anwendung in der Forschungspraxis beschrieben werden. Grundlegende Informationen werden ergänzt um Hinweise, wie die methodologischen Vorgaben in der vorliegenden Studie umgesetzt werden.
2.1 Das problemzentrierte Interview als Erhebungsmethode Um etwas über die Orientierungen und Erfahrungen männlicher Grundschullehrer zu erfahren, liegt es nahe die Lehrer mittels eines Interviews zu befragen. Damit den empirischen Ansprüchen an die Validität der so erhobenen Daten Genüge getan wird, kann dies nicht spontan und methodisch ungesichert geschehen.8 Daher ist 8 Zu den Grenzen von Interviews als Forschungsmethode sowie für einen ausführlichen Überblick über die verschiedenen Interviewtechniken vgl. zusammenfassend Friebertshäuser 2003.
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B Methodologische Grundlagen
es zunächst nötig, sich für ein methodisch abgesichertes Verfahren zu entscheiden. In der rekonstruktiven Sozialforschung stehen mehrere Interviewverfahren zur Auswahl: Die Bandbreite reicht vom narrativen, biografischen Interview (Schütze 1983) bis zum leitfadengestützten Experteninterview (Meuser/Nagel 1994). Bei allen Unterschieden, die intentional und methodisch begründet sind, zielen doch sämtliche Interviewarten auf eben jene Rekonstruktion von Erfahrungen und Orientierungen, die sich in der Narration artikulieren (vgl. Nohl 2006: 7). Während das biographische Interview dem Interviewpartner die größtmögliche Freiheit einräumt, eigene Themen von sich aus einzubringen und narrativ zu verankern, werden im leitfadengestützten Interview die Themen vom Forschenden in Bezug auf dessen Untersuchungsinteresse vorgegeben. Der Leitfaden wird dabei aber nicht als standardisierter, sondern als flexibel einzusetzender gehandhabt (vgl. Meuser/ Nagel 2003, S. 58). Mischformen der beiden Pole qualitativer Interviewformen sind dabei durchaus möglich. So versteht man unter dem von Witzel entwickelten ‚problemzentrierten Interview‘ eine Methode, bei der eine leitfadenorientierte und eine teilweise offene Befragung zusammengefasst sind. ‚Problemzentriert‘ bedeutet dabei, dass der Forscher eine relevante gesellschaftliche Problemstellung wahrnimmt, deren individuelle und kollektive Bedingungsfaktoren ergründet werden sollen (vgl. Witzel 1982: 67). Weiter geht es darum, „individuelle und kollektive Handlungsstrukturen und Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Realität“ (ebd.) zu ergründen. Das problemzentrierte Interview ist als eine Variante des narrativen Interviews anzusehen, bei dem einem diskursiv-dialogischem Charakter verstärkt Rechnung getragen wird.9 Dies bedeutet, dass der Interviewer den Befragten als Experten seiner Handlungen und Orientierungen begreift, der im Verlauf des Interviews durch das Zuhören und Nachfragen des Interviewers seine eigenen Erkenntnisse optimiert und kombiniert. Die Explikationsmöglichkeiten der Befragten sind dabei so zu gestalten, dass sie „ihre Problemsicht auch gegen die Forscherinterpretation und die in den Fragen implizit enthaltenen Unterstellungen“ (Witzel 1985: 232), die auf das systematisch zu erfassende, aber elastisch zu handhabende Vorwissen des Forschers zurückgehen, einbringen können. Der Leitfaden schränkt die Erzählung des Interviewpartners also nicht ein, vielmehr stellt er „geradezu […] das Instrument für die narrative Ausgestaltung von Interviews“ (Nohl 2006: 22) dar. Diesem Anspruch kann er nur gerecht werden, wenn die vorformulierten Fragen nicht einfach der Reihe nach ‚abgearbeitet‘ werden. Vielmehr ist es von entscheidender Bedeutung, erzählgenerierend vorzugehen: Themengebiete können vom Interviewpartner im 9 So stellt das problemzentrierte Interview „einen Kompromiss zwischen der strukturierten Form eines Leitfadeninterviews und der offenen Struktur biographischer Interviews dar“ (Krumbein 1995: 42).
2.1 Das problemzentrierte Interview als Erhebungsmethode
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Rahmen von „allgemeinen Sondierungen“ (Witzel 1982: 98) nach immanenter, auf bereits erfolgte Erzählungen bezogener Nachfrage vertieft und ausführlicher, detailreicher ausgebreitet werden; durch „spezifische Sondierungen“ (ebd.: 100) in Form von Verständnis- und Rückfragen können Argumentationsweisen eruiert werden.10 Sollten interessierende Bereiche vom Interviewpartner ausgespart bleiben, so dienen der Leitfaden und aus ihm abgeleitete „Ad-hoc-Fragen“ (ebd.: 106) dazu, Informationen und Sichtweisen zu spezifischen Fragestellungen zu erlangen. Um den narrativen Charakter des problemzentrierten Interviews zu steigern, wird bei der vorliegenden Studie als Intervieweinstieg die in hohem Maße erzählgenerierende Frage nach der Berufsbiografie gestellt. Somit findet zunächst eine Stegreiferzählung der Interviewpartner statt, an die problemzentriert angeschlossen werden kann.11 Weitere Fragen werden danach eher in Form von Gesprächsanregungen und Erzählaufforderungen formuliert, indem zwar weiter gefasste Themenkomplexe eingeführt, diese dem Interviewpartner dann aber zur freien Bearbeitung ‚überlassen‘ werden. Zu den methodischen Instrumenten des problemzentrierten Interviews gehören ein Kurzfragebogen, der Leitfaden und das Postskriptum. Diese Instrumente sollen an dieser Stelle knapp skizziert werden. Kurzfragebogen: Soziogra¿sche und berufsbiogra¿sche Datenerhebung Mit dem Kurzfragebogen erhebt der Forscher in der Regel vor Beginn des eigentlichen Interviews vor allem biografische Daten des Interviewpartners. Dies kann in Form eines schriftlichen Fragebogens, oder aber auch in Form eines kurzen Interviews geschehen. Dem Kurzfragebogen kommen dabei mehrere Funktionen 10 Nohl merkt zur ‚spezifischen Sondierung‘ allerdings kritisch an, dass in den so erhobenen argumentativen Textpassagen das atheoretische, handlungsleitende Wissen der Interviewpartner nicht erfasst werden kann. Das Interview werde vielmehr „auf die Ebene des expliziten Wissens“ (Nohl 2006: 23) reduziert. Diesem Einwand wird in der vorliegenden Studie auf zweierlei Ebenen Rechnung getragen: Bei der Erhebung der Interviews wird bereits darauf geachtet, vor allem allgemeine Sondierungsfragen zu stellen. Vor allem bei der Auswertung der Interviews wird genau zwischen den Textsorten ‚Argumentation‘, ‚Beschreibung‘ und ‚Narration‘ unterschieden. Die unterschiedlichen Textsorten verlangen eine unterschiedliche Interpretation, an manchen Stellen kann so auch sehr deutlich der Unterschied zwischen dem argumentativ vorgetragenen theoretisch-expliziten Wissen und dem letztendlich handlungsleitenden atheoretisch-impliziten Wissen aufgezeigt werden. 11 Da hierbei lediglich die Eingangserzählung des biographischen Interviews einbezogen wurde, weniger der narrative Nachfrageteil, der argumentativ-beschreibende Frageteil gänzlich außer Acht gelassen wird (vgl. die Abschnitte des biographischen Interviews bei Schütze (1983), kann bei der vorliegenden Studie methodisch nicht von einer Kombination von biographischem und problemzentrierten Interview gesprochen werden. Tatsächlich dient der biographische Eingangsteil eher als Impuls und vorab zur allgemeinen Sondierung der Themenfelder, die für den Interviewpartner von Interesse sind, und an die im leitfadengestützten Teil des Interviews dann angeknüpft werden kann. Zu den Vorteilen eines biographischen Intervieweinstiegs vgl. auch Witzel (1985: 238f.).
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zu: Zum einen dient er dazu, einen günstigen Gesprächseinstieg für das eigentliche Interview zu finden, zum anderen fördert er eine Fokussierung der Aufmerksamkeit des Interviewpartners auf den folgenden Forschungsgegenstand. Eine weitere Funktion ist die Entlastung des Interviews von exmanenten Details, die den angestrebten narrativen Charakter des anschließenden Interviews durch ein Frage-Antwort-Schema behindern (vgl. Witzel 1982: 89f.). In der vorliegenden Studie erfüllt der Kurzfragebogen vor allem letztgenannte Funktion: Die Erhebung soziodemografischer und auf den Beruf bezogener biografischer Daten entlasten das eigentliche Interview. In der ursprünglichen Planung sollte der Kurzfragebogen vor dem eigentlichen Interview zum Einsatz kommen. Aus den Antworten können sich, so der dahinter stehende Gedanke, erste Anknüpfungspunkte für den – offen gehaltenen – Leitfaden ergeben.12 Der Kurzfragebogen wird in dieser Studie nicht als Fragebogen in gedruckter Form vorgelegt, sondern die Daten werden in Form eines Interviews erhoben. Dies wird, so die Überlegungen zum Forschungsdesign, in dieser Weise geplant, um einerseits eventuell vorhandene offene Fragen des Interviewpartners zu beantworten, zum anderen aus dem Grund, dass interessante Details durch immanente Nachfragen bereits an dieser Stelle vertieft werden können. In der Erhebungspraxis stellte sich dann bereits während der zuerst durchgeführten Interviews heraus, dass eine Erhebung der Daten nach dem eigentlichen Interview effektiver ist: Zum einen zeigte sich der Kurzfragebogen mit seinen geschlossenen Fragestellungen zu Beginn des Interviews als hemmend für einen detailreiche Erzählungen beinhaltenden Fortlauf des eigentlichen Interviews. Der berufsbiografische Einstieg ohne vorherigen Einsatz des Kurzfragebogens erwies sich als weitaus gewinnbringender. Zum anderen wurden Antworten, die mittels des Kurzfragebogens erhoben werden sollten, von den Interviewpartnern viel sinnvoller und von selbst in deren Erzählungen eingebettet. So konnte nicht nur das Datenmaterial selbstläufig erhoben werden, gleichzeitig wurde die Einbettung und die Bedeutung der Daten, die diese für die Interviewpartner darstellen, deutlich und konnte in die Interpretationen einbezogen werden. Daten, die für eine soziogenetische Typenbildung als potentiell wichtig erschienen und im Interview nicht zur Sprache kamen, konnten gleichwohl nach dem Interview immer noch erhoben werden. Oft verbanden die Interviewpartner während dieser das Interview abschließenden Phase die Datenerhebung mit weiteren Erzählungen und Beschreibungen, die jenseits der zu erhebenden Grundinformationen weitere interessante Aspekte neu thematisierten oder noch einmal aufgriffen. Aus demselben Grund erwies sich die Erhebung in Interviewform als äußerst gewinnbringend; ein Fragebogen hätte 12 Vgl. zu dieser Art des Vorgehens die Ausführungen von Friebertshäuser 2003: 380.
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die Angaben tatsächlich auf reines Datenmaterial beschränkt, wenn nicht sogar darauf verkürzt. Die soziografischen und berufsbiografischen Daten werden in der vorliegenden Studie den Fallanalysen vorangestellt, damit der Leser und die Leserin sich vorab ein Bild des jeweiligen Interviewpartners machen können. Leitfaden: Orientierungsrahmen für den Forschenden Der Leitfaden soll einen groben Orientierungsrahmen für das Interview bieten, in dem gleichzeitig das Hintergrundwissen des Forschers thematisch organisiert wird (vgl. Witzel 1982: 90). Dieses Vorgehen steht sicherlich in einem gewissen Gegensatz zum weiter oben formulierten Ansatz qualitativer Verfahren, das Vorwissen des Forschers auszublenden, wie es auch Glasser/Strauss in ihrer Grounded Theory fordern (vgl. Meinefeld 2005: 268).13 Gleichwohl ist der entwickelte Leitfaden von einer großen Offenheit geprägt, reproduziert also keineswegs im Vorfeld generierte Hypothesen, sondern dient als Gerüst für die in die Studie einbezogenen inhaltlichen Dimensionen. Durch den Einsatz eines Leitfadens kann von einer „kontrollierten und vergleichbaren Herangehensweise an den Forschungsgegenstand“ (Witzel 1982: 90) gesprochen werden. Gleichwohl wird vornehmlich der Erzählstrang des Interviewten aufgegriffen und es wird immanent nachgefragt bzw. das Gesagte wird zurückgespiegelt, um eine Detaillierung der Ausführungen zu erreichen. Darüber hinaus kann an bestimmten Stellen das problemorientierte Interesse des Interviewers in exmanente Fragen, die im Groben im Leitfragen vorüberlegt wurden, verfolgt werden (vgl. ebd.: 90). Dabei bietet es sich m.E. ähnlich wie beim Gruppendiskussionsverfahren an, auf eine „demonstrative Vagheit bei der Frageformulierung“ (Loos/Schäffer 2001: 53, Herv. i. Orig.) und weitgehend unpräzise Fragestellungen zu achten, um dem Interviewten die Möglichkeit zu geben, seinem Orientierungsrahmen entsprechend zu antworten und weitere Themen einzuführen.14 Der Leitfaden wird also flexibel eingesetzt und den situativen Bedingungen des Gesprächs angepasst.15 Er stellt somit eine Art 13 Meinfeld kommt bei seinen Betrachtungen zum Schluss, dass es generell unmöglich sei, sich als Forscher völlig unvoreingenommen auf das Forschungsfeld einzulassen. Vielmehr seien die Erkenntnisse „Konstruktionen des Forschers von Anfang an“ (Meinring 2005: 269). Dies sei aber letztendlich kein Hindernis auf dem Weg zu neuem Erkenntnisgewinn: Er plädiert dafür, methodische Offenheit mit der Reflexion von explizierten Vorwissen zu kombinieren, um so „die Formulierung von Hypothesen mit dem rekonstruieren gegenstandsspezifischer Bedeutungsgehalte zu vereinbaren“ (ebd.: 272). 14 Zu achten ist darauf, dass vom Interviewer Themen lediglich initiiert, nicht aber proponiert (also bereits mit einem Orientierungsgehalt versehen) werden (vgl. hierzu ausführlicher Przyborski 2004: 62ff). 15 Freibertshäuser weist darauf hin, dass dieses Vorgehen sehr anspruchsvoll ist, da es einiges an themengebundener Kompetenz verlangt. Sie hält es für empfehlenswert, dass Forscher und
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„Hintergrundfolie“ (Witzel 1985: 236) für den Gesprächsfaden des Interviewten dar. Diesen Gesprächsfaden zunächst herzustellen ist Aufgabe des erzählgenerierenden Gesprächsanfangs, der bei der vorliegenden Studie Untersuchung unter einem berufsbiografischen Aspekt gestaltet wird (s.o.). Für die vorliegende Studie wurde zunächst der auf der Grundlage einer Pilotstudie bereits entwickelte Leitfaden dem veränderten Forschungsfokus angepasst. Flexibel gehandhabt wurde er nicht nur insofern, als dass er situativ dem jeweiligen Interview bzw. dem jeweiligen Interviewpartner angepasst wurde. Darüber hinaus wurde er im Laufe des Erhebungsprozesses immer wieder leicht verändert und erweitert. Dies geschah aus dem Grund, dass die Interviewten teilweise Aspekte und Themen in die Erzählungen einbrachten, die im Vorfeld nicht im Blickfeld des Forschers waren, sich dann aber als für das Erkenntnisinteresse höchst gewinnbringend herausstellten. Der Leitfaden, der für die vorliegende Studie entwickelt wurde, befindet sich im Anhang dieser Arbeit. Das Postskriptum: Hilfe zur Interpretation des Gesagten und Nichtgesagten Das Postskriptum schließlich findet als „Postkommunikationsbeschreibung“ (Witzel 1982: 92) unmittelbar nach dem Interview statt. In ihm werden die Rahmenbedingungen für das Interview dargestellt, wie z.B. die Kontaktaufnahme, die Situationseinschätzung während des Interviews, Anmerkungen zu nonverbalen Aspekten des Interviews, ein eventuell stattfindendes persönliches Gespräch vor oder nach dem Interview, etc. Sinn des Postskriptums ist es, einzelne Gesprächspassagen besser verstehen und einordnen zu können und das Gesamtbild des Interviews abzurunden (vgl. Friebertshäuser 2003: 381). Gleichzeitig wird mitbedacht, dass die Interviewsituation selbst bzw. wie es zu dieser kam, Einfluss auf die gewonnenen Daten hat. Diese Faktoren, die sich in der reinen Transkription des Interviews nicht wieder finden, können durch das Einbeziehen des Postskriptums in die Interpretation entsprechend gewürdigt werden. Weiter initiiert die Anfertigung des Postskriptums beim Forscher eine kritische Betrachtung der situativen Momente, die sowohl für Interviewer als auch Interviewter einen äußeren Rahmen für deren Äußerungen bilden und diese implizit beeinflussen können (vgl. Witzel 1982: 92). Die Postskripte zu den einzelnen Interviews werden in der vorliegenden Studie den jeweiligen Einzelfallanalysen vorangestellt.
Interviewer identisch sind. (Freibertshäuser 2003a: 380f.) Dies ist in vorliegender Studie der Fall.
2.2 Die dokumentarische Methode als Auswertungsverfahren
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2.2 Die dokumentarische Methode als Auswertungsverfahren Bei der Auswertung der Interviews stützt sich vorliegende Studie auf den von Bohnsack (zuerst 1989 in seiner dokumentarischen Methode) ursprünglich für Gruppendiskussionen16 entwickelten Dreischritt der Formulierenden Interpretation, der Reflektierenden Interpretation und der Diskursbeschreibung mit anschließender Typenbildung (vgl. Bohnsack 1989; 2003). Die im deutschsprachigen Raum von Bohnsack entscheidend weiterentwickelte dokumentarische Methode, die auf die Kultur- und Wissenssoziologie von Karl Mannheim, genauer auf dessen ‚Lehre von der Seinsverbundenheit des Wissens‘ aus den 1920er Jahren basiert (vgl. Mannheim 1964), an die Tradition der Ethnomethodologie (insb. Garfinkel 1967) anknüpft sowie einen weiteren Bezugspunkt in der Forschungspraxis der Chicagoer Schule – hier vor allem in der Grounded Theory von Glaser/Strauß (1967/1998) – hat, ist der rekonstruktiven Sozialforschung zuzuordnen.17 ‚Rekonstruktiv‘ meint dabei, dass zum einen die Forschungspraxis selbst, zum anderen die Alltagspraxis der Erforschten rekonstruiert werden. Die Rekonstruktion der Forschungspraxis bedeutet, dass diese reflexiv expliziert, systematisiert, begründet, eingeordnet und abgesichert wird. Die Rekonstruktion der Alltagspraxis der zu Erforschenden bedeutet, dass die individuelle Sinn- und Relevanzstrukturen der Erforschten (bzw. deren Wissensbestände) vor dem Hintergrund der Prozessstruktur der Interaktionsabläufe aufgespürt und wiedergegeben werden (vgl. Bohnsack 2003: 9f.; ebd.: 34). In dieser sodann aufgespürten Handlungspraxis, die sich in thematisch selbstgesteuerten „Beschreibungen und Erzählungen erlebter Interaktionspraxis“ (Bohnsack 1997: 200) abbildet, artikulieren sich Orientierungen, die der Praxis zugrunde liegen. Mittels der dokumentarischen Methode kann das „dieser Praxis zugrunde liegende habitualisierte und z.T. inkorporierte Orientierungswissen, welches dieses Handeln relativ unabhängig vom subjektiv gemeinten Sinn strukturiert“ (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2007: 9), herausgearbeitet werden.18 16 Obschon Bohnsack immer wieder (so beispielsweise 1997: 205f.) anmerkt, dass sich die dokumentarische Methode auch zur Interpretation von qualitativen (narrativen) Einzelinterviews eignet, bleibt er eine genauere forschungspraktische Anleitung hierzu schuldig. Nohl (2006) macht es sich zur Aufgabe, eine solche theoretisch fundiert darzustellen. 17 Einen ausführlichen und doch pointierten Überblick zu den einzelnen Anknüpfungspunkten leistet Buchen (i. E. 2009). 18 Gaffer/Liell sehen dieses habitualisierte Orientierungswissen als Grundlage des vorreflexiven Handelns und eines „kollektiv geteilten Handlungswissens der Akteure“ (Gaffer/Liell 2001: 180), das neben der habitualisierten Handeln auch aktionistische Praktiken strukturiert. Genauer hierzu: Ebd.: 193.
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Hierzu ist es notwendig, für die Interpretation des im Interview Gesagten zwischen zwei verschiedenen Sinnebenen zu unterscheiden: Der ‚immanente Sinngehalt‘ spiegelt sich in den wörtlichen Äußerungen des Interviewpartners wider und kann weiter unterschieden werden in den „intentionalen Ausdruckssinn“ sowie in den „Objektsinn“ (Mannheim 1964, zit. n. Nohl 2006: 8). Dabei beschreibt der ‚intentionale Ausdruckssinn‘ die Intentionen und Motive, die hinter dem Gesagten stehen, kurz: die kommunikative Absicht des Sprechers. ‚Objektsinn‘ meint dagegen die Bedeutung des Geschilderten im Textzusammenhang (vgl. Nohl 2006: 8). Der ‚dokumentarische Sinngehalt‘ geht über den ‚immanenten Sinngehalt‘ weit hinaus: Hier wird nach Orientierungen Ausschau gehalten, die hinter dem Gesagten stehen und vom Interviewpartner nicht als solche expliziert werden. Der Entstehungszusammenhang, also die Genese des atheoretischen Sinngehalts von Orientierungen, steht im Mittelpunkt der Analyse und ermöglicht es, die „kollektiven Orientierungen, implizite und habitualisierte Formen des Handlungswissens der Akteure“ (Gaffer/Liell 2001: 192) zu rekonstruieren. Mit der Erforschung des Dokumentsinns gelingt es, herauszufinden, wie der Proband gesellschaftliche Wirklichkeit herstellt. Nicht so sehr die faktische Wirklichkeit, viel mehr der ‚genetische‘ Prozess dieser Wirklichkeitskonstruktion und das, was sich durch diese Konstruktion über die zu erforschende Person und deren Orientierungen dokumentiert, sind Gegenstand der dokumentarischen Forschungspraxis (vgl. Bohnsack 2007: 227f). Es stellt sich „die Frage nach dem modus operandi, nach dem der Praxis zugrunde liegenden Habitus“. (Bohnsack/ Nentwig-Gesemann/Nohl 2007: 13, Herv. i. Orig.)19 Hierzu wird eruiert, auf welche Weise der Text sowie das in ihm Beschriebene konstruiert und in welchen Zusammenhängen Themen behandelt werden. Bohnsack formuliert dies wie folgt: „In einem praxeologischen Verständnis ist die Frage nach dem Sinn einer Handlung oder Äußerung diejenige nach der Struktur, nach dem generativen Muster oder der generativen Form, dem modus operandi des handlungspraktischen Herstellungsprozesses. Die Identifikation dieses generativen Musters, also dessen Interpretation, setzt die Beobachtung einer Handlungspraxis voraus.“ (Bohnsack 2007: 231)
Weiter wird alsdann nach der „sozialen Genese“ (ebd., Herv. i. Orig.), des eruierten Orientierungsrahmens gefragt, also nach dem „spezifischen Erfahrungsraum“ (ebd.: 232, Herv. i. Orig.), innerhalb dessen sich der Habitus konstruiert. Durch 19 Bohnsack lehnt sich mit dem Begriff des Habitus durchaus an Bourdieu an, erweitert dessen Definition von Habitus als System inkorporierter Strukturen des milieuspezifischen sozialen Raums allerdings dahingehend, dass er vor allem das Erleben im konjunktiven Erfahrungsraum als konstituierendes Element bei der Herausbildung spezifischer Habitusformen in den Vordergrund rückt (vgl. Buchen i. E. 2009).
2.2 Die dokumentarische Methode als Auswertungsverfahren
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das Einbeziehen dieser „milieugebundene Perspektivität von Deutungsmustern“ (Gaffer/Liell 2001: 190) gelingt es, den Habitus der Akteure jenseits individualistischer Einzelfallbetrachtungen zu rekonstruieren. So macht es sich auch diese Arbeit zur Aufgabe, über den immanenten, vor allem aber über den dokumentarischen Sinngehalt der Interviewtexte Zugang zum handlungspraktischen, handlungsleitenden, inkorporierten und atheoretischen Wissen männlicher Grundschullehrer zu erlangen, das deren Handlungspraxis vorreflexiv strukturiert. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse soll dann eine Typik entworfen werden, die eine Generalisierung von Orientierungen in deren je spezifischen (konjunktiven) Erfahrungsräumen zulässt.20 Methodisch geschieht dies in den im Folgenden dargelegten Schritten der dokumentarischen Methode. Formulierende Interpretation Um den immanenten Sinngehalt der Textproduktion zu erfassen, wird mit der formulierenden (auch: immanenten) Interpretation zunächst der thematische Verlauf des Interviews aufgezeigt, bei dem die behandelten Themen in Überschriften zusammengefasst und inhaltlich paraphrasierend wiedergegeben werden. Auf diese Weise erhält man „eine thematische Feingliederung des Textes […] und eine zusammenfassende Formulierung des wörtlichen Gehalts“ (Przyborski 2004: 54). Der Orientierungsrahmen21 des Interviewpartners bleibt dabei für eine begrifflichtheoretische Betrachtung unberücksichtigt. Lediglich die angesprochenen Themen sind von Interesse (vgl. Bohnsack 2003: 134). Leitfrage dieses Analyseschrittes ist: Was wird gesagt? Hierzu werden Stellen, bei denen im Verlauf des Interviews eine besonders hohe Selbstläufigkeit und metaphorische Dichte auftreten, identifiziert; diese können auf eine besonders hohe Relevanz der Thematik für den Interviewten hinweisen. Bohnsack spricht in diesem Zusammenhang von einem „Fokuscha20 Der Begriff ‚Konjunktiver Erfahrungsraum‘ meint Erfahrungen, die Personen mittelbar oder unmittelbar teilen; wobei die Art und Weise, wie diese Erfahrungen gemacht werden, entscheidend für das ‚Konjunktive‘ daran ist: Die Erfahrungen müssen von ihrer Struktur her ähnlich, wenn nicht gar homolog gemacht werden. Dies ist möglich, wenn gemeinsam Wissens- und Bedeutungsstrukturen vorhanden sind, wie sie beispielsweise in geschlechts- oder generationstypische Erfahrungsräume vorkommen (vgl. Mannheim 1980: 211ff; Przyborski 2004: 48f). Bohnsack/Nentwig-Gesemann/ Nohl sprechen vom konjunktiven Wissen, das sich in eben jenen konjunktiven Erfahrungsräumen bildet, „als dem je milieuspezifischen Orientierungswissen“ (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2007: 14). 21 Bohnsack unterscheidet zwischen Orientierungsrahmen und Orientierungsschemata: Der Begriff ‚Orientierungsrahmen‘ bezeichnet das, was die Handlungspraxis vorreflexiv strukturiert und kann mit dem Habitus-Begriff gleichgesetzt werden; ‚Orientierungsschemata‘ bezeichnet hingegen zweckrationale Handlungsentwürfe, die vom Interviewpartner expliziert werden können. Die Bezeichnung ‚Orientierungsmuster‘ versteht Bohnsack als Oberbegriff für beides (vgl. Bohnsack 2007: 230f.).
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rakter […] der Thematik für die Erforschten selbst“ (Bohnsack 2007: 233) und nennt solche Passagen dementsprechend „Focussierungsmetaphern“ (Bohnsack 2003: 45). Weiter dokumentieren sich, so Bohnsack an anderer Stelle, in der „detaillierten Darstellung handlungspraktischer Vollzüge die Prozessstruktur des Habitus“ (Bohnsack 1997: 205, Herv. i. Orig.). Die unter diesen Gesichtspunkten bestimmten Passagen werden nun durch die Formulierung von Überschriften und durch Paraphrasierung interpretiert22 (daher auch: Formulierende Interpretation), um den ‚immanente Sinngehalt‘ des Geäußerten herauszustellen.23 Die thematische Gliederung verbleibt dabei im Kommunikations- und Sinnzusammenhang des Interviewpartners, zur Bedeutungsebene oder zum Realitätsgehalt der Äußerungen wird nicht Stellung genommen. Nohl schlägt vor, nur diejenigen Interviewpassagen zu transkribieren und einer formulierenden Feininterpretation zu unterziehen, die bereits beim Abhören des Interviews als für die Fragestellung besonders relevant bzw. als ‚Focussierungsmetaphern‘ identifiziert wurden (vgl. Nohl 2006: 46). In der vorliegenden Studie wird auf diese forschungsökonomische Vorgehensweise verzichtet; zum einen, da die meisten Interviews nur wenige Stellen aufweisen, bei denen nicht von ‚Focussierungsmetaphern‘ gesprochen werden kann. Zum anderen verkürzt die Auslassung bestimmter Passagen m. E. den durchdringenden Blick auf den ‚modus operandi‘ des Gesagten: Auch wenn sich bestimmte Passagen dem immanenten Sinngehalt nach als für die Fragestellung nicht relevant erweisen, so sind sie doch im Gesamtzusammenhang des Interviews zu sehen und können Aufschluss darüber geben, wie der Interviewpartner generell Wirklichkeit konstruiert, wie er sich dem (immanent relevanten) Themen nähert bzw. welche Themen ihm selbst wichtiger erscheinen. Zudem soll sichergestellt werden, dass Feinheiten, die beim bloßen Abhören des Interviews vielleicht nicht sofort erfasst werden, nicht verloren gehen. Somit wurden sämtliche Interviews vollständig transkribiert und formulierend interpretiert.24
22 Da hierzu eine Abstraktionsleistung des Forschenden vor dessen spezifischen Milieuhintergrund stattfindet, handelt es sich bereits in diesem Stadium um mehr als eine bloße Zusammenfassung und Strukturierung des Textes, nämlich um eine Interpretation (vgl. Straub 2006: 67). 23 Vgl. hierzu auch Mannheim 1980: 74 ff. 24 Eine weitere Vorgehensweise schlägt Przyborski in ihrem Lehrbuch „Gesprächsanalyse und dokumentarische Methode“ (2004) vor: Sie erweitert das methodische Vorgehen um die Aufzeichnung des thematischen Verlaufs, die sie aus der formulierenden Interpretation herauslöst und dieser voranstellt. Alsdann schlägt sie für die formulierende Interpretation einen dem Ansatz Nohls vergleichbaren Weg ein.
2.2 Die dokumentarische Methode als Auswertungsverfahren
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ReÀektierende Interpretation Mit der reflektierenden (auch: dokumentierenden) Interpretation wird herausgearbeitet, was sich in dem, was gesagt wird, und in der Art, wie und in welchem Orientierungsrahmen es gesagt wird, dokumentiert. Bohnsack nennt dies den „Analyseschritt der interpretativen Generierung des Orientierungsrahmens“ (Bohnsack 2007: 233). Fallexterne Vergleichshorizonte werden geöffnet, die sich aus anderen Interviews ergeben und die in Form einer fallübergreifenden komparativen Analyse zum Tragen kommen.25 Die Frage, wie ein Thema behandelt wird, ist dabei als „Dokument für ein Grundmuster“ anzusehen, das „in ähnlicher Form auch andere Äußerungen präformiert“ (Loos/Schäffer 2001: 63). „Während die formulierende Interpretation als Rekonstruktion des Themas des Diskurses mit seinen Untergliederungen, also als Rekonstruktion der thematischen Gliederung zu verstehen ist, zielt die reflektierende Interpretation auf die Rekonstruktion und Explikation des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird, auf die Art und Weise, wie, d.h. mit Bezug auf welches Orientierungsmuster [...], welchen Orientierungsrahmen das Thema behandelt wird.“ (Bohnsack 2003: 150, Herv. i. Orig.)
Es gilt also, in der reflektierenden Interpretation den tiefer gelegten Sinngehalt, der sich hinter dem Gesagten verbirgt, zu erfassen und zu transzendieren. Da die dokumentarische Methode den Anspruch erhebt, „die implizite Regelhaftigkeit von Erfahrungen und den in dieser Regelhaftigkeit liegenden dokumentarischen Sinngehalt“ (Nohl 2006: 51) zu rekonstruieren, ist es notwendig, eben jene Regelhaftigkeiten als Kontinuitäten innerhalb des Interviewverlaufs und über die einzelnen Erzählsequenzen hinweg zu identifizieren. Dabei werden die einzelnen Sequenzen als „Bruchstücke (Dokumente) einer Totalität“ (Buchen i.E. 2009) gelesen. Durch die komparative Sequenzanalyse (auch: fallinterne komparative Analyse) wird ebenjenes geleistet: Erzählsequenzen werden zueinander in Beziehung gesetzt, um den homologen Charakter des je spezifischen Falles herauszuarbeiten und so zu einer „Spezifizierung eines Typus“ (Bohnsack 2007: 235, Herv. i. Orig.) zu gelangen. Erst wenn, so Bohnsack,
25 ‚Fallexterne Vergleichshorizonte‘ meint darüber hinaus auch die „Wissensbestände und Orientierungen der Interpretierenden selbst“ (Buchen i. E. 2009, o.S.). Um sicherzustellen, dass die Wissensbestände und Orientierungen des Interpreten nicht zu unzulässigen Zuschreibungen und Deutungen führen, der induktive bzw. abduktive Charakter des Vorgehens erhalten bleibt, wurde für vorliegende Studie nicht zuletzt das Prinzip der ‚investigator triangulation‘ (vgl. Flick 2000) verfolgt: Einzelne Textpassagen wurden im Rahmen einer Interpretationsgruppe sowie im Rahmen von Forschungs- und Doktorandencolloquien gemeinsam interpretiert, um eine „selektive Plausibilisierung“ (Flick 2002: 318) zu vermeiden. Letztendlich geht es dennoch nicht allein um die Herstellung einer vermeintlichen Objektivität, vielmehr steht das tiefere Verständnis des Forschungsgegenstands im Zentrum des Interpretationsprozesses.
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B Methodologische Grundlagen „das typisierte Orientierungsmuster in unterschiedlichen Situationen der Alltagspraxis Relevanz gewinnt, genauer: wenn es als modus operandi oder generative Struktur der Produktion und Reproduktion unterschiedlicher interaktiver Szenarien […] zugrunde liegt“ (ebd.: 238),
erst dann kann von einem eigenen Typus gesprochen werden. Die fallübergreifende komparative Analyse, auf die weiter unten noch eingegangen werden wird, erleichtert dabei das Erkennen und die Validierung von Regelhaftigkeiten (ebd.: 337f).26 In der vorliegender Arbeit wird ein hermeneutischer Rekonstruktionsprozess durchschritten, der auf die Strukturen des Sprechhandelns formaler und semantischer Art (vgl. Nohl 2006: 47) Wert legt. So werden affektiv-körperliche Ausdrucksformen – wie die lachend vorgetragene Aussage, stotternde Wiederholungen oder langes Schweigen – in Relation zur Inhaltsebene des Gesagten gesetzt. Auch eine bildhafte Ausdrucksweise, die Verwendung von Metaphern oder eine erhöhte Detailgenauigkeit liefern wertvolle Hinweise für eine Interpretation, spiegeln sie doch das Verhältnis des Erzählers zur Erzählkonfiguration wider (vgl. Buchen 1991: 20). Zuvor findet jedoch eine formale Interpretation und Textsortentrennung statt: Wie in der Narrationsstrukturanalyse von Schütze (1987: 148) werden zunächst die Textsorten Erzählung, Beschreibung und Argumentation voneinander unterschieden. Für die Rekonstruktion der Handlungspraxis des Interviewpartners sind gerade dessen Erzählungen und Beschreibungen von Bedeutung, die das atheoretische, konjunktive Wissen des Probanden widerspiegeln (s.o.).27 Argumentationen dahingegen geben Aufschluss über das kommunikative Wissen des Interviewpartners, da dieser hierdurch vor allem das Ziel der Plausibilisierung seiner geschilderten Handlungen gegenüber dem Interviewer verfolgt (vgl. Nohl 2006: 49). 28 Obschon zunächst davon ausgegangen wird, dass das kommunikative Wissen nur bedingt 26 Bohnsack plädiert dafür, auf die fallübergreifende komparative Analyse bereits zu einem sehr frühen Forschungszeitpunkt, idealerweise schon vor der fallinternen komparativen Analyse zurückzugreifen, da „auf diese Weise das Verallgemeinerungspotential von der fallspezifischen Besonderheit abgehoben werden kann“ (Bohnsack 2007: 234f; vgl. auch ebd.: 252). 27 Ausführlicher hierzu: Nohl 2006: 48f. 28 Das kommunikative Wissen gilt gemeinhin als abstraktes und von der Handlungspraxis abgehobenes. Dies vor allem deshalb, da Interviewer und Interviewter in der Regel unterschiedlicher Milieus entstammen und das so kommunizierte Wissen auf eine gesellschaftlich geteilte Ebene gebracht werden muss (vgl. Nohl 2006: 49). In der vorliegenden Studie trifft dies allerdings nur sehr eingeschränkt zu: Zwar gehören Interviewte (als ‚Männer der Praxis‘) und Interviewer (als ‚Mann der Theorie‘) durchaus unterschiedlichen Milieus an; als verbindendes Element bleibt aber die Affinität beider Seite zum Bildungswesen bestehen, zumal der Interviewer selbst einige Jahre lang als Lehrer – wenn auch nicht als Grundschullehrer – tätig war; noch wichtiger als die Milieufrage erscheint aber der Aspekt, dass sowohl Interviewte als auch Interviewer die selbe Geschlechtszugehörigkeit aufweisen. Eine ‚komplizenhafte Männlichkeit‘ (vgl. Connell 2000b) prägt den kommunikativen Prozess: Die Interviewten vertrauen oftmals darauf, dass ihre (männliche) Sichtweise von einem Mann selbstverständlich verstanden wird und argumentieren in diesem Sinn oft nicht auf der oben genannten gesellschaftlich abstrakten Ebene.
2.2 Die dokumentarische Methode als Auswertungsverfahren
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Zugang zur tatsächlichen Handlungspraxis und zum Orientierungsrahmen des Interviewpartners liefert, kann doch über die Rekonstruktion der argumentativen Konstruktionen wiederum der ‚modus operandi‘ (s.o.) herausgearbeitet werden: So gelangt man auch hierüber zu einem Einblick in den Orientierungsrahmen des Probanden. In der vorliegenden Studie wird die reflektierende Interpretation der Interviews anhand von bereits in der formulierenden Interpretation identifizierten Fokussierungsmetaphern dargestellt, die sich durch ein hohes Maß an Selbstläufigkeit, metaphorischer Dichte und Erzählcharakter auszeichnen (s.o.). Neben diesen semantisch-syntaktischen Gesichtspunkten spielen inhaltliche eine Rolle bei der Auswahl der Passagen: Die thematische Relevanz der Äußerungen für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit bilden ebenso ein weiteres Auswahlkriterium wie die für die komparative Analyse notwendige Vergleichbarkeit der Interviewpassagen mit denjenigen aus weiteren Interviews.29 Diskursbeschreibung Die Diskursbeschreibung ist ein Verfahren, das speziell für Gruppendiskussionen entwickelt wurde. In ihm geht es unter anderem darum, die Verteilung von Redebeiträgen, die Ratifizierung des Themas oder das Aushandeln der Teilnehmerrollen zu beschreiben. Für die Interpretation bedeutend ist vor allem die Eruierung von kollektiven Wissens- und Orientierungsbeständen der interviewten Personen, die sich – in Abgrenzung zu kommunikativem – in konjunktivem Sprachhandeln äußern (vgl. Przyborski 2004: 31f). Diese Aspekte sind bei der Durchführung von Einzelinterviews aus offensichtlichen Gründen wenn überhaupt, dann nur rudimentär und in Bezug auf die Interaktion zwischen Interviewer und Interviewtem gegeben. Daher findet eine explizite Diskursbeschreibung in vorliegender Arbeit nicht statt. Gleichwohl knüpft der Begriff ‚Diskurs‘ an den dokumentarischen Sinngehalt des Gesagten an: Die Betrachtung der Metaphorik in den Äußerungen oder der im Text identifizierbaren Kontextualisierungen ermöglichen die Rekonstruktion des Orientierungsrahmens über die Art und Weise, wie Wirklichkeit in diskursiver Praxis hergestellt wird (vgl. ebd.: 27). Bohnsack selbst weist darauf hin, dass für die Interpretation von Einzelinterviews anstelle der formalstrukturellen Rekonstruktion, wie sie bei der Analyse von Gruppendiskussionen geleistet wird, die „Ausdifferenzierung unterschiedlicher Ebenen der Darstellung“ (Bohnsack 1997: 206) in den Vordergrund tritt. Gemeint ist hiermit die Identifizierung von Passagen als Erzählungen, Beschreibungen, 29 Zur Auswahl von Interviewpassagen für eine vertiefende Interpretation vgl. auch Behnke/Meuser 1999: 57.
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B Methodologische Grundlagen
Argumentationen oder biografischer Entwürfe (vgl. ebd. in Bezug auf Schütze 1987). Diese Unterscheidung fließt, wie weiter oben bereits dargestellt, in die vorliegenden Interpretationen ein. Komparative Analyse und Typenbildung Um vom Einzelfall zu abstrahieren, wird bei der fallübergreifenden komparativen Analyse die Interpretation vor dem „Hintergrund empirisch rekonstruierter und damit intersubjektiv überprüfbarer Vergleichshorizonte“ (Loos/Schäffer 2001: 71) durchgeführt. Nur über gezielte Fallvergleiche kann der Anspruch der dokumentarischen Methode erfüllt werden, nämlich die beobachtete Handlungspraxis in ihrer geschlechts-, bildungs-, generations- und/oder milieutypischen Ausdifferenzierung zu rekonstruieren (vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2007: 15f.). Würde ein Vergleich mit anderen Fällen unterbleiben, so bestände die Gefahr, dass der Einzelfall lediglich vor dem Hintergrund der „Normalitätsvorstellungen“ (Nohl 2006: 54) des Interpreten betrachtet wird. Der alltagstheoretische und wissensgeleitete Erfahrungshintergrund des Forschenden würde den einzigen, subjektiven Vergleichshorizont darstellen, der dem Interpreten aufgrund seines oftmals impliziten, vorreflexiven Charakters selbst nicht bewusst ist (vgl. Bohnsack 2003: 137). Eine empirische Validität der gewonnenen Ergebnisse wäre so nicht gegeben. Durch das Hinzuziehen anderer Interviews hingegen kann – durch die vergleichende Betrachtung – die Spezifik des Einzelfalls weitgehend losgelöst vom Hintergrund des Interpreten in seiner ganzen Bandbreite erkannt werden. Für die vorliegende Studie wurden insgesamt elf Interviews geführt, um ebenjenen Vergleichshorizont zu schaffen. Diese werden zunächst auf die individuelle Bearbeitung der Themen hin untersucht, die durch das Erhebungsinstrument des problemzentrierten Interviews eingebracht wird. Der unterschiedliche Umgang mit diesen Themen stellt also das ‚tertium comparationis‘ dar. Auch für den narrativ angelegten berufsbiografischen Einstiegsimpuls ergibt sich die Frage, welche Themen, Erlebnisse und Erinnerungen von den einzelnen Interviewpartnern vor dieser Folie aktualisiert werden. Diese sind dann zunächst herauszuarbeiten und daraufhin zu überprüfen, ob sich Vergleichshorizonte mit anderen Interviews ergeben. Betrachtet man nun das tertium comparationis der verschiedenen Fälle, so ist es möglich, aus den rekonstruierten Orientierungsrahmen Generalisierungen vorzunehmen und zu einer Typenbildung zu gelangen.30 Dies geschieht zunächst sinngenetisch: Weisen mehrere Interviewpartner denselben kontrastierenden Orientierungsrahmen auf, der sich in analogen oder homo30 Die vergleichende Betrachtung der unterschiedlichen Orientierungsrahmen ist darüber hinaus zunächst Grundvoraussetzung, um diese überhaupt „sichtbar und begrifflich explizierbar“ (Bohnsack 2007: 235) zu machen.
2.2 Die dokumentarische Methode als Auswertungsverfahren
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logen Mustern äußert, kann dieser von den spezifischen Einzelfällen gelöst, abstrahiert und zu einem ‚Typ‘ mit dessen ihm eigener Sinnhaftigkeit ausformuliert werden (vgl. Bohnsack 2007: 234). Die dokumentarische Methode bleibt an dieser Stelle aber nicht stehen: Mittels der soziogenetischen Typenbildung wird herausgestellt, „in welchen sozialen Zusammenhängen und Konstellationen die typisierten Orientierungsrahmen stehen“ (Nohl 2006: 57). Der identifizierte Habitus wird auf bestimmte konjunktive Erfahrungsräume zurückgeführt. Hierzu ist es notwendig, weitere Interviewpassagen in die Interpretation einzubeziehen, die andere Themen beleuchten. So können über die Erweiterung des tertium comparationis zu mehreren, systematisch variierten tertia comparationis weitere Orientierungsrahmen rekonstruiert werden. Interviewpartner, bei denen mittels der sinngenetischen Typenbildung derselbe Typus identifiziert werden konnte, weisen eventuell unterschiedliche Orientierungsrahmen auf, die wiederum bei anderen, einem anderen Typus zugeordneten Fällen wieder erkannt werden. Die Überlappungen und Überlagerungen einer Typik durch andere Typiken lassen eine Mehrdimensionalität der Typologie erkennen: So entsteht eine zweite Typik, die den „Kontrast in der Gemeinsamkeit“ (Bohnsack 1989: 374) als Ausgangspunkt hat. Die Grundlage für die Bildung dieser Typik beruht zunächst auf Gemeinsamkeiten, dann auf der „Gemeinsamkeit im Kontrast“ (Bohnsack 1997: 201, Herv. i. Orig.). So lassen sich in der vorliegenden Studie beispielsweise generationstypische Gemeinsamkeiten bei Grundschullehrern feststellen; dennoch folgen nicht alle ‚jungen‘ bzw. ‚älteren‘ Kollegen demselben Orientierungsrahmen, sondern es lassen sich wiederum spezifische Unterschiede, die beispielsweise in der Zusammensetzung des Kollegiums ihre Ursachen haben könnten, finden. Die Aufgabe des Interpreten ist es nun, diese ausdifferenzierten, bedeutsamen Erfahrungsräume zu lokalisieren. Zu beachten ist, dass die Anlage des Samples die Vergleichsmöglichkeiten beeinflusst: Wären in der vorliegenden Studie beispielsweise nur ältere Grundschullehrer interviewt worden, so wäre die Kategorie ‚Generation‘ als Kontrastierungsmöglichkeit entfallen.31 Die Vergleichsmöglichkeiten sollten grundsätzlich so angelegt sein, dass sie für die Interpretation systematisch variiert werden können (vgl. Nohl 2006: 112). Eine Generalisierung der so gewonnenen empirischen Erkenntnisse ist dann möglich, wenn die „Reichweite und Grenzen der Typiken sichtbar gemacht werden können“ (Nohl 2006: 117). Dies kann nur geleistet werden, wenn durch die Kontrastierung der herausgearbeiteten Typiken deren Überlagerungen und die ihnen eigenen Spezifiken konturiert und auch auf einer abstrakteren Ebene erkennbar werden (vgl. Bohnsack 2007: 249). 31 Ausführlich hierzu im Kap. B 3 zur Auswahl des Samples.
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B Methodologische Grundlagen
3. Zur Auswahl des Samples Die Datenerhebung für die vorliegende Studie basiert auf dem Theoretischen Sampling nach Glaser/Strauss. Hierzu muss sich der Forscher oder die Forscherin zunächst gezielt über seine/ihre theoretischen Vorannahmen zu einem klar umrissenen Thema oder Problembereich im Klaren sein, auf deren Grundlage eine erste Datenerhebung erfolgt. Die Analyse der Daten und weitere Erhebungen erfolgen dann parallel; dies geschieht vor dem Gedanken, auf der Basis bereits erhobener und analysierter Daten zu entscheiden, in welcher Richtung und auf welchen Wegen weitere Daten erhoben werden sollen (vgl. Glaser/Strauss 1967/1998: 53).32 Die „Basistypik“, also jene Typik, bei der die Konstruktion einer ganzen Typologie ihren Ausgangspunkt nimmt, ist durch das Erkenntnisinteresse eines Projektes vorgegeben“ (Bohnsack 2007: 237, Herv. i. Orig.). Da das Erkenntnisinteresse durch die Fragestellung nach dem beruflichen Habitus männlicher Grundschullehrer klar umrissen ist, bilden eben jene männlichen Grundschullehrer die Ausgangstypik für die vorliegende Arbeit. Die Grundschullehrer, die in das Sample Eingang fanden, erfüllen folgende Kriterien: Zunächst mussten alle Interviewpartner einen männlichen Geschlechtsstatus (‚sex‘) aufweisen. Dann aber diente als Auswahlkriterium vor allem die aktive Tätigkeit im Schuldienst: Damit überhaupt von einem Habitus als inkorporierte Form der Handlungspraxis gesprochen werden kann, muss dieser die Gelegenheit gehabt haben, sich in eben jener Praxis auszubilden. Demnach wurden nur Grundschullehrer in das Sample einbezogen, die bereits seit einigen Jahren im Schuldienst tätig sind. Lehramtsstudierende, Lehreranwärter oder so genannte ‚Junglehrer‘ wurden aus dem Sample ausgeschlossen, obschon sich hier für die Eruierung von Entwicklungen und Transformationsprozesse sicherlich interessante Aspekte aufzeigen ließen. Für die Fragestellung der vorliegenden Studie spielen diese Gesichtspunkte jedoch keine Rolle. Bei der Auswahl des Samples war weiter wichtig, dass die zu interviewenden Lehrer keine Schulleitungsfunktionen innehaben, da dies völlig andere Horizonte vor dem Hintergrund der Fragestellung eröffnet hätte. Im Sinne einer komparativen Analyse könnte hier ebenfalls weitergeforscht werden. Somit ist das tertium comparationis des vorliegenden Samples die seit längerer Zeit bestehende Tätigkeit als männlicher Lehrer an einer Grundschule. Um Vergleiche anstellen zu können, wurde die Aufnahme des Strukturmerkmals Generation für das Sampling beschlossen, d.h., Lehrer mit unterschiedlichem Le32 Witzel schlägt für das Sampling zu dem von ihm entwickelten und in der vorliegenden Studie verwendeten ‚Problemzentrierten Interview‘ als Erhebungsmethode ebenfalls das Theoretische Sampling nach Glaser/Strauss vor (vgl. Witzel 1982: 80ff).
3. Zur Auswahl des Samples
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bensalter und dementsprechend unterschiedlichen Dienstaltersstufen und Diensterfahrungen wurden als Interviewpartner gewonnen. Durch dieses Vorgehen besteht die Chance, dass sich generationsabhängige differenzierte Sichtweisen erschließen lassen, sich aber auch generationsunabhängige konjunktive Erfahrungsräume herauskristallisieren (vgl. Kap. B 2.2). Der „Kontrast in der Gemeinsamkeit“ (Bohnsack 1989: 374) steht dabei im Vordergrund des Forschungsinteresses. Auf den der Studie zugrunde gelegten Generationenbegriff wird weiter unten in einem Exkurs ausführlicher eingegangen. Im Verlauf des Theoretischen Samplings wurden weitere Auswahlkriterien in die Generierung von Interviewpartnern miteinbezogen: So erschien es nach der Analyse der ersten Interviews von Interesse, in wie weit die Struktur der jeweiligen Schule die Ausbildung bestimmter Handlungspraxen beeinflusst. Als Vergleichsmomente seien hier die Verortung der Schule auf dem Land oder in der Stadt, die Größe der Schule, die geschlechterbezogene Besetzung der Schulleitungsstellen, das Vorhandensein (oder aber das Nichtvorhandensein) weiterer männlicher Kollegen, aber auch das Merkmal, ob es sich um eine reine Grundschule oder um eine kombinierte Grund- und Hauptschule handelt, genannt. Im weiteren Verlauf des Forschungsprozesses ergaben sich Verdachtsmomente, die darauf hinwiesen, dass der Familienstand der Interviewpartner, genauer: die eigene Vaterschaft, Einfluss auf den sich ausprägenden Habitus haben könnte. Auch die Berufswahlmotivation und die Frage, ob es sich bei den Erforschten um Direkteinsteiger oder Zweitberufler handelt, schienen für diese Arbeit interessant. Bei der Rekrutierung der Interviewpartner wurden ganz im Sinne des theoretical samplings die oben genannten Vergleichskategorien berücksichtigt und im Sinne einer maximalen Kontrastierung angewandt. Ob die ‚verdächtigen‘ Kategorien tatsächlich eine Relevanz für die Entstehung bestimmter Orientierungen und habituellen Handlungspraxen aufzeigen, wurde im Auswertungsprozess systematisch überprüft. Von einer geschlechtertypischen Spezifizierung wurde im Rahmen dieser Studie bewusst abgesehen. Durch den Forschungsfokus, der auf männliche Grundschullehrer gelegt ist, erscheint es zunächst denkbar, ja nahe liegend, als Vergleichsgruppe auch Grundschullehrerinnen in die Studie einzubeziehen.33 Dies geschieht aus folgenden Gründen nicht: Zum einen sind Grundschullehrerinnen nicht ‚allein unter Frauen‘, sie arbeiten in einem geschlechteradäquaten Berufsfeld und müssen hierzu keine den Männern vergleichbaren Bewältigungsstrategien entwickeln. Das Forschungsinteresse ist gerichtet auf die Varianz in der Konstruktion von Männlichkeit 33 Vgl. hierzu das Vorgehen von Bohnsack/Nohl in deren Projekt „Entwicklungs- und milieutypische Ausgrenzungs- und Kriminalisierungserfahrungen in Gruppen Jugendlicher“, anhand dessen Bohnsack die Methodik der dokumentarischen Typenbildung erläutert (vgl. Bohnsack 2001)
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B Methodologische Grundlagen
im weiblich konnotierten Berufsfeld ‚Grundschule‘ durch Männer. Entscheidend für den Verzicht auf den Vergleich mit weiblichen Grundschullehrerinnen ist darüber hinaus, dass es eben gerade nicht darum geht, Geschlechterdifferenz (zwischen Männern und Frauen) zu reifizieren.34 Insgesamt wurden elf Interviews geführt, die nach der Dokumentarischen Methode ausgewertet wurden. Da sich nach einer gewissen Zeit immer wiederkehrende Muster und homologe Orientierungen rekonstruieren ließen und keine neuartigen Erkenntnisse gewonnen werden konnten, wurde nach dem zehnten Interview davon ausgegangen, dass eine theoretische Sättigung des Forschungsgegenstandes erreicht wurde. Um die Relevanz weiterer Vergleichsmomente (politisch-gewerkschaftliches Engagement, Schule im sozialen Brennpunkt, s.o.) auszuschließen, wurde noch ein weiteres, elftes Interview geführt, das diese als irrelevant identifizierte. Das Sample wurde sodann geschlossen. Die Repräsentativität der vorliegenden Studie ist eine qualitative, die weniger eine einzelne Gruppe (so zum Beispiel die Gruppe der älteren männlichen Grundschullehrer, die als einziger Mann in einem Kollegium mit einer weiblichen Schulleiterin arbeiten) beschreibt, sondern das gesamte Untersuchungsfeld (nämlich der Männer, die Grundschullehrer sind) abbildet. Die Rekrutierung der Interviewpartner geschah fast ausnahmslos über so genannte ‚gatekeeper‘. So gaben mir beispielsweise ein Arbeitskollege und eine Arbeitskollegin Hinweise auf ihnen aus unterschiedlichen Zusammenhängen bekannte Grundschullehrer und stellten den Kontakt her. Freunde berichteten von einem Grundschullehrer in deren Nachbarschaft. Studierende, die in ihren Praktikumsberichten Portraits der Schulen zeichneten, wurden von mir gezielt angesprochen und darum gebeten, einen Kontakt herzustellen. Auch Interviewpartner selbst vermittelten mir weitere Kontakte. Bei zwei Interviews, die bereits im Rahmen einer Pilotstudie geführt wurden, bestanden persönliche Verbindungen zu den Interviewpartnern. Für den Forschungsprozess stellte dies keinen erkennbaren Einflussfaktor auf die Äußerungen der Probanden dar, zumal ich mir der Problematik, die solchen Interviewsituationen innewohnt, bewusst war und die Durchführung sowie die Interviews vor diesem Hintergrund ausführlich reflektiert wurden.35 34 Ausführlich zur Problematik der Reifizierung weiter unten. 35 Im Unterschied zu Interviews mit Fremden, bei denen man von einer idealtypisch asymmetrischen Beziehung zwischen Interviewer und Interviewtem ausgehen kann, hat die Beziehung zu bekannten Interviewpartnern eine Vergangenheit und eine Zukunft. Die Beziehung ist dann „weniger anonym als in anderen Fällen und enthält soziale Verpflichtungen, die ein unpersönliches und instrumentelles Verhältnis schwierig gestalten“ (Maindock 1996: 66). Hier ist anzumerken, dass die mir schon zuvor bekannten Befragten nur sehr weitläufige Bekannte sind. Den einen Interviewpartner traf ich zuvor ein einziges Mal auf einer privaten Feier, zum anderen Interviewpartner hatte ich
3. Zur Auswahl des Samples
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Insgesamt gestaltete sich die Rekrutierung als unproblematisch. Durch die Gatekeeper gelang es, recht schnell Kontakte herzustellen. ‚Verweigerer‘ gab es nicht: Mit allen kontaktierten Personen konnte ein Interview vereinbart und durchgeführt werden. Lediglich ein Proband stand einem Interview zunächst kritisch gegenüber; sein Vorbehalt, als Interviewpartner nicht geeignet zu sei, konnte aber in einem Telefonat rasch ausgeräumt werden.36 Zur Problematik der Rei¿zierung In der vorliegenden Studie kommt der Strukturkategorie Geschlecht eine zentrale Bedeutung zu, wird in ihr doch die Frage nach dem beruflichen Habitus von männlichen Lehrern gestellt, die im weiblich konnotierten Berufsfeld Grundschule tätig sind. Mit dieser Fragestellung (und der schon semantisch deutlich hervortretenden Dichotomie) verbunden ist das Problem der Reifizierung: Hiermit ist gemeint, dass universalisierende, formale Kategorien wie ‚Geschlecht‘ als Deutungsmuster von Interaktionsprozessen und Handlungspraktiken stillschweigend vorausgesetzt werden, ohne derer sozialen Konstruiertheit gerecht zu werden. In Bezug auf die Erforschung von Geschlechterverhältnissen ergeben sich hier einige Schwierigkeiten, auf die zuerst Judith Butler (1991), für den deutschsprachigen Raum Gildemeister/Wetterer (1992) aufmerksam machten: Der Bezug auf ein dualistisches, bipolar gedachtes Geschlechterschema führt unweigerlich zu einem naturalisierenden, differenztheoretischem Ansatz, der die kulturelle sowie die soziale Konstruiertheit von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen ausblendet. Ein duales Klassifikationsschema aber versagt dann, wenn „Geschlecht in seinen sozialen Erscheinungsformen als Kontinuum und nicht als Polarität“ (Metz-Göckel 2000: 39) gedacht wird. Es stellt sich also die Frage, wie die Reifizierung der binären Geschlechterordnung vermieden werden kann, „ohne die Relevanz von vor Jahren berufliche Kontakte. Seither bestand zu ihm keine Verbindungen mehr. Dennoch wurde bei letzterem Interviewpartner sehr genau darauf geachtet, das nicht im Interview erworbene Hintergrundwissen über dessen schulische Handlungspraxis auszublenden. Kaufmann folgt den Bedenken von Maindok (s.o.) und anderen qualitativen Forschern wie beispielsweise Platt (1981) nicht und wirbt in seiner Publikation „Das verstehende Interview“ (1999) sogar für den Aufbau einer sozialen Beziehung zum Interviewpartner, um dessen Aussagen verstehen zu können. Diese ‚soziale Beziehung‘ habe zwar eine Aufweichung der asymmetrischen Interviewsituation zur Folge, kann sich aber positiv erzählgenerierend auswirken. Dennoch entsteht die ‚soziale Beziehung‘ vor dem Hintergrund des Interviews und kann somit auch wieder beendet werden, was beim Interview mit Bekannten nicht der Fall ist und daher eine andere Qualität besitzt. Im vorliegenden Fall ist es tatsächlich so, dass ich beide Interviewpartner, die mir zuvor bekannt waren, seither nie mehr wieder gesehen habe. Dies lässt erkennen, dass es sich hierbei tatsächlich weniger um ‚Bekannte‘ im forschungsmethodologisch kritischen Sinn handelt, sondern eher um ‚Kontakte‘, deren Einfluss kontrollierbar bleibt. 36 Die genaueren Umstände der jeweiligen Rekrutierung werden im Rahmen der Fallanalysen im Postskriptum dargestellt.
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Geschlecht zu ignorieren“ (Buchen i. E. 2009). Um sich durch eine Vorabsetzung bipolar ausgerichteter Differenz nicht den Zugang zu Konstruktionsprozessen von Geschlecht zu versperren, fordern Degele und Schirmer, dass die Forschenden erst „nach der Erhebung und Ordnung der Daten auf Geschlecht blicken, nicht davor“ (Degele/Schirmer 2004: 107, Herv. i. Orig.). Gildemeister schlägt vor, das Problem so zu lösen, dass ebenjener „Prozess der Geschlechterdifferenzierung“ (Gildemeister 2004: 34, Herv. i. Orig.) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt wird. Die Frage nach dem Vorhandensein von Differenz wird also abgelöst von der Frage nach der Herstellung von Differenz: In welchen Situationen, auf welchen Ebenen und in welchen Zusammenhängen wird Geschlecht relevant bzw. relevant gemacht? Weiter weist Gildemeister darauf hin, dass mit dieser Vorgehensweise, die im Übrigen systematisch betrieben werden müsse, einhergeht, dass „Männer und Frauen als Blöcke“ (ebd.) eben gerade nicht als solche miteinander verglichen und in Kontrast gesetzt werden können. Tatsächlich besteht durch das Forschungsdesign in vorliegender Studie die Gefahr einer Reifizierung der Geschlechterdifferenz: So werden ausschließlich Männer interviewt, eine sexuierende Vorsortierung auf der Grundlage des „Personalausweisgeschlechts“ (Helfferich 2004: 104) findet bereits beim Sampling statt; die duale Ordnung der Geschlechter bleibt zunächst bestehen. Dieses Vorgehen ist dabei der zentralen Fragestellung geschuldet, die sicherlich selbst auch schon die kulturell geprägte Binarität der Geschlechter widerspiegelt.37 Wilke betont (mit Verweis auf Hagemann-White 1993) allerdings eine andere Seite der Reifizierungsproblematik: „In der Alltagswirklichkeit ist die Geschlechterdifferenz stets zugegen und wird von den Akteuren und Akteurinnen als selbstverständlich und unhinterfragt vorausgesetzt. […] Geschlechtszugehörigkeit wird von den Beforschten empfunden und für wahr genommen, und in diesem Sinne müssen Forschende die Differenzperspektive ernst nehmen.“ (Wilke 2004: 272)
Noch entschiedener rechtfertigt Behnke ihr Vorgehen im Zusammenhang mit ihrer Studie zum Geschlechterverhältnis aus männlicher Sicht. Sie verweist darauf, dass sie sowohl Geschlecht als auch Geschlechterdifferenz als Selbstverständlichkeiten voraussetzt und konstatiert: 37 Dieses Dilemma spiegelt sich im Übrigen in allen mir bekannten empirischen Arbeiten wider, die sich im Rahmen von Männerforschung mit dem Mannsein und/oder den Ausprägungen von Männlichkeit(en) beschäftigen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ‚Männer‘forschung das Geschlecht als Hauptkategorie vorab mitdenkt und im radikalen Sinne schon allein über das Forschungsobjekt Geschlechterdifferenz reifiziert. Lohnend wäre es hier, den Diskurs, der nicht zuletzt die Frauenforschung zu Genderforschung weiterentwickelt hat, auch in die Männerforschung hineinzutragen, vor allem aber auch in die in letzter Zeit prosperierende Jungenforschung, wo m.E. differenz- und sogar lang überwunden geglaubte defizittheoretischen Sichtweisen eine Renaissance erfahren.
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„In der theoretischen Diskussion dominiert zur Zeit die Konzeption der Kategorie Geschlecht als soziale Konstruktion. Dieses Modell erweist sich im Rahmen der empirischen Forschung nicht als angemessen. Denn unabhängig davon, wie gestaltbar die Geschlechterkategorisierung und -ordnung sein mag; gegenwärtig gibt es Männer und Frauen.“ (Behnke 1997: 11)
Auch sie fordert, das Selbstverständnis der Probanden als geschlechtliche Wesen, sprich als Männer und Frauen, ernst zu nehmen und „Geschlecht nicht als Konstrukt, sondern als Realität, im Sinne konkreter, gelebter Erfahrung zu betrachten“ (ebd.). An dieser Stelle soll der Diskurs nicht entschieden werden. Es geht in der vorliegenden Studie nicht um die generelle Auslegung und Interpretation der Kategorie Geschlecht selbst. Schon gar nicht geht es aber darum, Differenzen im beruflichen Habitus zwischen den interviewten Grundschullehrern und deren Kolleginnen aufzuzeigen und somit Bipolarität festzuschreiben bzw. zu konstruieren. Vielmehr wird der Versuch unternommen, die Differenziertheit unter den Interviewten sichtbar zu machen, die befragten Männer nicht als Männer mit scheinbar männlichvergeschlechtlichten Verhaltensweisen zu beschreiben, sondern als unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen habituellen Handlungspraktiken, die die Kategorie Geschlecht erst sichtbar machen, sprich, ein bestimmtes Geschlechtsverhalten und ein bestimmtes Geschlechterverhältnis konstruieren. Obschon die Anlage der Studie die Kategorie Geschlecht vorab mitdenkt, erhebt die Studie den Anspruch, einer weiterreichenden Reifizierung von Geschlechterdifferenz durch bestimmte forschungspraktische Vorgehensweisen Einhalt zu gebieten: So wird während des Interviews zunächst darauf geachtet, die Kategorie ‚Geschlecht‘ bei den Fragen außen vor zu lassen, diese quasi zu neutralisieren. Das Augenmerk wird vielmehr darauf gelegt, wann, in welchem Zusammenhang und mit welchen Absichten ‚Geschlecht‘ von den Erforschten selbst thematisiert und damit relevant gemacht wird. Auch geht es darum, Differenzen und Differenzierungen zwischen den männlichen Interviewpartnern aufzuspüren. Auf diese Weise kann, so die Überlegung, aufgezeigt werden, dass nicht das Mannsein als biologistische Eigenschaft für die Ausprägung eines gewissen Habitus verantwortlich ist, sondern vielmehr das Mannsein als habitualisierte Handlungspraxis, bei der auch andere Kategorien jenseits von Geschlecht im Sinne einer Mehrdimensionalität wirksam werden.38 38 So weist beispielsweise Schäffer auf das Prinzip der Mehrdimensionalität (mit den Strukturkategorien Geschlecht, Milieu, Generation) hin, betont die Interdependenz der Kategorien und propagiert schließlich „das Mittel einer relationalen Dimensionierung“ (Schäffer 2004: 52) der Kategorien, um der Gefahr einer Reifizierung entgegenzutreten. Im neuesten Diskurs um die Genderforschung wird die Position vertreten, den Genderbegriff durch den von Crenshaw (1989) eingeführten Begriff der ‚Intersektionalität‘ zu ersetzen, zumindest aber dahingehend zu modifizieren: Eine integrierte und intrakategoriale Sichtweise auf Geschlecht, Klasse und Ethnizität könne die multiplen Formen der Exklusion und Diskriminierung in der modernisierten Welt umfassender ergründen (vgl. Knapp 2008; Kelle 2008). Allzu neu erscheinen diese Forderungen jedoch nicht,
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B Methodologische Grundlagen
Bestimmend für den weiteren Forschungsprozess ist immer auch die systematische ‚Fremdheit‘, die das eigene Wissen des Forschenden bzw. dessen Vorannahmen, Kategoriebildungen und Normalitätsvorstellungen zunächst (künstlich, dadurch kontrolliert) ausblendet. Das Ausblenden allein genügt dabei allerdings nicht: Der gesamte Forschungs- und Interpretationsprozess wird auf personaler Ebene einer Selbstreflexion unterzogen, um eigene Differenzannahmen zu ergründen und die Interpretationen dahingehend zu überprüfen.39 Das Gebot der Reflexivität besteht selbstredend auch in Bezug auf die Datenerhebung: Gerade, wenn in einem Interview die Kategorie Geschlecht thematisiert wird, wenn Fragen zum Geschlechterverhältnis gestellt werden, in vorliegender Arbeit gar die Frage formuliert wird, ob sich der Proband ‚allein unter Frauen‘ fühlt, dürfen Antworten hierauf nicht kontextunabhängig betrachtet werden, sondern sind vor dem Hintergrund des Forschungsprozesses insgesamt zu reflektieren und zu interpretieren. Als Grundlage für die Interpretation der Aussagen, Sichtweisen und Deutungen der Probanden dienen dann auch nicht der Wissensbestand oder gar die subjektiven Theorien und Erwartungshorizonte des Forschers. Vorannahmen, die die Fragestellung zunächst in den Forschungsprozess einbringt, werden in einem reflexiven Prozess dekonstruiert und eliminiert.40 Stattdessen eröffnet der fallinterne und fallübergreifende Vergleich einen empirischen Gegenhorizont, der die Konstruktionen jenseits einer Reifizierung beleuchtet und der sowohl für eine Relevantsetzung als auch für eine Neutralisierung der Geschlechterdifferenz offen ist. Zum Generationenbegriff In wissenschaftlichen Diskursen wird der Generationenbegriff höchst unterschiedlich verwendet. Schäffer unterscheidet dabei unter anderem essayistische Generationenkonzepte, die sich beispielsweise in Douglas Couplands „Generation X“ (1995) oder in Florian Illies „Generation Golf“ (2001) niederschlagen, von jugendsoziologischen und -psychologischen Generationenkonzepten. Während erstere weitgehend von einem altersgrupppenspezifischen Ethnozentrismus geprägt sind, untersuchen letztere aus zumeist soziologischer, aber auch psychologischer Perspektive die typischen Bedingungen des Aufwachsens einer altershomogenen werden sie doch beispielsweise im Rahmen der kritischen Männerforschung, hier vor allem mit theoretischer Bezugnahme auf das Männlichkeitenkonzept Connells, schon vielfach in empirischen Untersuchungen verwirklicht. 39 Zusätzlich wurden Deutungen und Interpretationen des Forschers innerhalb einer Interpretationsgruppe kritisch diskutiert und objektiviert. An dieser Stelle sei Maja S. Maier, Ingo Straub und Silke Burda für deren Unterstützung gedankt. 40 Buchen spricht hier von der „Entselbstverständlichung eigener Theoriebildung“ (Buchen 2004b: 85).
3. Zur Auswahl des Samples
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Kohorte.41 Damit einhergehend werden kollektive biographische und soziokulturelle Merkmale, aber auch Haltungen, Einstellungen und Orientierungen analysiert (vgl. Schäffer 2003: 39ff). Sackmann definiert ‚Generation‘ diesem auch als historischgesellschaftlichen zu bezeichnenden Generationenbegriff entsprechend als „Gruppen von Geburtskohorten (Geburtsjahrgänge gleicher Gesellschaften), deren Erfahrungsräume und soziale Lage durch gesellschaftlichen Wandel bedingte Unterschiede aufweist“ (Sackmann 1992: 202).
Mit Schäffer wird für diese Arbeit die an Mannheim (1928; 1980) angelehnte Konzeptualisierung von Generation als konjunktiven Erfahrungsraum verwendet.42 Dabei muss der Generationenbegriff in Relation gesetzt werden zu anderen konjunktiven Erfahrungsräumen, in vorliegender Studie unter anderem dem des Geschlechts und des Berufs. Innerhalb dieser konjunktiven Erfahrungsräume werden, so Schäffer, „grundlegende Orientierungen, Haltungen und Dispositionen erworben, die zunächst einer reflexiven Durchdringung relativ unzugänglich sind“ (Schäffer 2003: 86). Lern- und Aneignungsprozesse, die auf einer handlungsorientierten Ebene stattfinden, sind „die Basis für die Ausbildung generationsspezifischer konjunktiver Erfahrungsräume“ (ebd.). In Bezugnahme auf die empirischen Studien von Zulehner/Volz (1999) weist Brandes darauf hin, dass neben dem Milieu gerade die Kategorie Generation bedeutsam ist in Bezug auf Männlichkeitskonstruktionen bzw. das Verhältnis zum anderen Geschlecht: „Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Männer, die in einer Zeit scheinbar gesicherter, unhinterfragter patriarchaler Geschlechterverhältnisse aufgewachsen sind, auch im Alter an diesen Orientierungen und Werten beharrlich und unerschütterlich festhalten.“ (Brandes 2002a: 24)
Auch für jüngere und sehr junge Männer stellt der Autor Thesen auf, wobei er bei den sehr jungen Männern keine abschließende Einschätzung deren späteren Entwicklung geben mag. Behnke und Meuser unterscheiden die ‚präfeministische Generation‘ von der ‚feministischen Generation‘. Unter der präfeministischen Generation fassen Behnke und Meuser die Alterskohorte zusammen, die „zu Beginn frauenbewegter und feministischer Forderungen vielfach bereits fest in Partnerschaft und Berufsleben eingebunden“ (Behnke/ Meuser 1999: 59) waren. Bei der feministischen Generation hingegen fanden Partnerwahl, Studium und Berufseinstieg zu einer Zeit statt, „in der die größere 41 Als Vertreter dieser Richtung sind Schelsky (1975) oder auch Bude (2001) zu nennen. 42 Auf die von Mannheim vorgenommene Unterscheidung von Generationslagerung, Generationszusammenhang und Generationseinheit (vgl. Liebau 1997; Büchner 1996, beide in Bezug auf Mannheim 1928) wird hierbei nicht näher eingegangen.
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B Methodologische Grundlagen
Partizipation der Frauen an Bildung und Erwerbsleben sowie Forderungen nach Gleichstellung weitgehend zu Selbstverständlichkeiten wurden“ (ebd.: 67).43 In wie weit Generation im oben genannten Sinn tatsächlich ein Strukturkriterium für den beruflichen Habitus der Grundschullehrer in Bezug auf das Geschlechterverhältnis im Kollegium darstellt, kann bei allen Vorüberlegungen allerdings erst nach der Analyse und Interpretation der durchgeführten Interviews festgestellt werden. Zu zeigen ist, ob sich Brandes weiter oben angedeutete Thesen bestätigen lassen, und ob eine Kategoriebildung, wie sie Behnke und Meuser (1999) vornehmen, im Rahmen der vorliegenden Studie sinnvoll ist.44 Für die Auswahl des Samples entscheidend ist zunächst nur, dass bewusst Grundschullehrer unterschiedlichen Lebensalters und unterschiedlichen Dienstalters als Interviewpartner ausgewählt wurden.
43 Gleichwohl folgt, so Meuser, „daraus nicht zwangsläufig, dass traditionelle Männlichkeitsmuster obsolet geworden sind“, zeichnen sich kulturelle Deutungsmuster doch „durch eine erhebliche Zählebigkeit aus“ (Meuser 1998b: 239). 44 Erst dann können gegebenenfalls auch weitere Überlegungen angestellt werden, ob für Angehörigen der Alterskohorte, die genau in den Hochzeiten des gesellschaftlichen Kampfes und der Durchsetzung von Frauenrechten in Bezug auf die Gleichberechtigung ihr Studium und den Eintritt ins Berufsleben erlebte, eine eigene Kategorie zu bilden ist. Eventuell könnte bei den jüngeren Grundschullehrern angesichts einer sich weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft gar von einer ‚postfeministischen‘ Generation gesprochen werden. Für einen umfassenden Überblick zum historischen Rahmen der Frauenbewegung: Hervé/Buchholz-Will 1998, Navé-Herz 1997, Gerhard 1992.
C Empirische Ergebnisse
Im Teil C der vorliegenden Arbeit werden die empirischen Ergebnisse der Studie zum berufsbezogenen Habitus männlicher Grundschullehrer vorgestellt. Dies geschieht in drei Schritten: In Kapitel 1 werden relevante Fallanalysen nachgezeichnet, um diese im sich anschließenden Kapitel 2 nach Themenfeldern zu kontrastieren. Beide forschungsmethodologischen Schritte führen schließlich zu einer Typologie, die im Kapitel 3 expliziert wird. Zuvor wird das genauere Vorgehen knapp erläutert und begründet; dieses basiert im Übrigen auf die bereits in Kapitel B 2.2 explizierte dokumentarische Methode. Zum Vorgehen Aus den Interviews und deren Analysen lassen sich jene Themen herauslesen, die von den Interviewten zum Teil selbst in die Erzählung eingebracht, zum Teil auch durch das Erhebungsinstruments an die Probanden herangetragen werden. Durch fallinterne Vergleiche einzelner Passagen gelingt eine interpretative Analyse des Orientierungsrahmens, innerhalb dessen sich der Interviewpartner bewegt. So kann der dokumentarische Sinngehalt in der Abhandlung der Themen sichtbar gemacht werden (vgl. Kap. B 2.2). Fokussierungsmetaphern, also Passagen, bei denen ein besonders starkes Engagement der Interviewpartner deutlich wird, werden mit fallübergreifenden Fokussierungsmetaphern aus anderen Interviews verglichen. Mittels dem so gewonnenen Vergleichs- und Gegenhorizont kristallisieren sich Handlungsorientierungen und inkorporierte Motive heraus, die zu einem jeweils spezifischen berufsbezogenen Habitus führen. Obschon die Probanden alle Themen mehr oder weniger intensiv bearbeiten, werden die einzelnen Interviews in der Einzelfalldarstellung zunächst nicht innerhalb eines themenbezogenen Rasters interpretiert. Gerade um Fokussierungsmetaphern sichtbar zu machen, aber auch um die innere Logik der Narrationen rekonstruieren zu können, erscheint es sinnvoll, die jeweilige Struktur des einzelnen Interviews aufzugreifen und diese im Aufbau der Interpretation abzubilden. Aus diesem Grund werden die ausgewählten Interviews im Rahmen der Fallanalysen zunächst nicht zwingend synchron dargestellt. Dennoch treten Überschneidungen im Aufbau auf, was zum einen dem Interviewleitfaden geschuldet ist, zum anderen
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C Empirische Ergebnisse
aber auch der Tatsache, dass sich alle Interviewpartner als männliche Grundschullehrer in einem ähnlichen Feld bewegen. Auch in den kurzen Zusammenfassungen der einzelnen Interpretationen werden die herausgearbeiteten Ergebnisse noch nicht nach Themenfeldern systematisiert. Um die Vergleichs- und Gegenhorizonte für eine anschließende Typenbildung nachvollziehbar zu machen, geschieht dies in einem nächsten Schritt, der ‚Kontrastierung nach Themenfelder‘ genannt wird, und der die Grundlage für eine anschließende Abstraktion der Einzelfälle mit Typenbildung bildet. Für die Darstellung wird pro Typ bzw. Subtyp zunächst je ein Interview ausgewählt und ausführlich dargestellt, das die identifizierbare Typik besonders deutlich repräsentiert. Insgesamt können zwei Grundtypen herausgestellt werden, wobei sich ein Typ zunächst sinngenetisch, dann aber auch unter dem Aspekt ‚Generation‘ soziogenetisch weiter ausdifferenziert. So ergibt sich letztlich die Zahl von sechs darzustellenden Einzelfallanalysen. Das oben erläuterte Vorgehen führt unweigerlich zu Doppelungen, die aber in Kauf genommen werden, um der Komplexität der Interviews und der hierin verborgenen Handlungsorientierungen gerecht zu werden. Nicht zuletzt soll dieser Weg der „Mehrstimmigkeit“ (Stuve u.a. 2006: 25) die Interpretation für die Leserin und den Leser nachvollziehbar machen. Die verbleibenden fünf Interviews fließen nicht weiter in die Darstellung ein. Sie alle lassen Orientierungen erkennen, die den dargestellten ähneln und lediglich Variationen derselben bilden. Erst im Rahmen der Typenbildung werden sie in die Ausführungen einbezogen. Alle Namen, Orte und sonstige Daten, die Rückschlüsse auf die Identität der Interviewpartner zulassen könnten, werden maskiert und anonymisiert. Der besseren Lesbarkeit wegen werden bei der Darstellung der Ergebnisse keine Buchstabenkombinationen, sondern Pseudonyme und erfundene Ortsnamen verwendet, die Analogien zu den tatsächlichen Namen aufweisen.1 Ebenso der Lesbarkeit geschuldet ist die Glättung von Dialektfärbungen, sofern Sie für die Interpretation keine Bedeutung haben.2 Die Transkriptionsrichtlinien, die in den Zitaten aus den Interviews relevant werden, sind im Anhang der vorliegenden Arbeit aufgeführt. Die Zeilenangaben
1 So erhalten Wohn- oder Schulorte Namen, die auf einen städtischen oder dörflichen Charakter schließen lassen. Wurden Interviewpartner während des Interviews gesiezt, erhalten sie in der Kombination mit ‚Herr‘ einen Nachnamen. Wurden sie hingegen geduzt, erhalten sie lediglich einen Vornamen. 2 So könnte ein Wechsel von Hochsprache in den Dialekt beispielsweise ein Hinweis dafür sein, dass die Aussage emotional bedeutsam ist, oder aber auch auf eine besondere Authentizität der Äußerung hinweisen.
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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hinter den einzelnen Zitaten beziehen sich auf die Transkription des Interviews. Sofern nicht anders gekennzeichnet, stammen die Zitate vom jeweiligen Interviewpartner. Steht dem Zitat ein ‚Y:‘ voran, handelt es sich um eine Aussage des Interviewers.
1. Sechs Fallanalysen 1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“ Zur Person und zur Schule Zum Zeitpunkt des Interviews ist David 32 Jahre alt. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Norddeutschland, wo er in einem liberal-intellektuellen Milieu aufwuchs. Nach dem Abitur an einem allgemeinbildenden Gymnasium leistete er seinen Zivildienst in einem Kinderheim mit integrativem Kindergarten ab. Die Tätigkeit dort war seinen Aussagen zufolge ausschlaggebend für seine Berufswahl. Er studierte an einer Pädagogischen Hochschule die Fächer Deutsch und Religion mit dem Stufenschwerpunkt Grundschule. Nach seinem 1. Staatsexamen schloss sich das Referendariat an einer Grund- und Hauptschule an. Seine erste Stelle trat er unmittelbar danach an. An dieser Grund- und Hauptschule blieb er fünf Jahre, bis er einen Versetzungsantrag stellte und durch die Vermittlung einer ehemaligen Kollegin aus dem Referendariat an seine jetzige Schule kam. Da die Stelle schulscharf ausgeschrieben war, musste er sich dennoch einem Bewerbungsverfahren stellen. Dort unterrichtet er zum Zeitpunkt des Interviews seit nunmehr eineinhalb Jahren und ist Klassenlehrer einer 2. Klasse bei vollem Deputat. Die Schule, an der David unterrichtet, ist eine vierzügige reine Grundschule mit ca. 400 Schülerinnen und Schülern, die von ungefähr 20 Kolleginnen und Kollegen unterrichtet werden. David hat zwei weitere männliche Kollegen. Die Schulleitungspositionen halten zwei Kolleginnen inne. Die Schule liegt in einem von Akademikern geprägten Stadtteil einer Großstadt und gilt als besonders reformfreudig. David ist mit einer Grundschullehrerin verheiratet, mit der er gemeinsam studiert hat und die an einer anderen Schule unterrichtet. Postskriptum Kontaktaufnahme Die Kontaktaufnahme mit David geschah über einen seiner Kollegen, der bereits Interviewpartner war. Telefonisch wurde ein Termin vereinbart, der erst einige Wochen nach der Kontaktaufnahme stattfand, da er ihn auf die Mittagspause zwischen Unterricht und Konferenz legen wollte.
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C Empirische Ergebnisse
Setting und Verlauf Das Interview fand nach Unterrichtsschluss in einem Besprechungsraum der Schule statt. Interviewer und Interviewter saßen sich an zwei zusammengeschobenen Schülertischen gegenüber. Nach der vage gehaltenen Klärung des Forschungsanliegens und des methodischen Vorgehens wurde sehr zügig mit dem Interview begonnen. Das Interview begann mit dem biografisch-narrativen Teil. Davids Bericht erschien zunächst recht sachlich und auf Fakten bezogen, er war reflektiert und problembewusst. Da er von sich aus den Genderaspekt thematisierte, kamen wir sehr schnell zu diesem Teil des Leitfadens. Viele seiner Aussagen belegte der Interviewpartner mit Beispielen und konkretisierte sie, so dass nur wenige Nachfragen notwendig waren. Auf die Interviewsituation reagierte David unbefangen, er antwortete direkt und es entstand zu keiner Zeit der Eindruck, dass ihn eine Frage verunsicherte oder er schwierige Themen zu umschiffen versuchte. So verlief das Interview konzentriert und recht zügig. Insgesamt dauerte das Interview 59 Minuten. Im Anschluss daran wurden biografische und schulbezogene Daten aus dem Kurzfragebogen erhoben, die während des Interviews nicht zur Sprache gekommen waren. Nach dem Interview Nach dem Interview zeigte sich David interessiert an den bisherigen Erkenntnissen und stellte einige Fragen hierzu. Bedenken äußerte er gegenüber dem methodischen Vorgehen, vor allem im Hinblick darauf, dass die Erzählungen der Kollegen vom situativen Zeitpunkt der Erzählung (vor einem Ferienabschnitt/nach einem Ferienabschnitt, nach einem stressigen Tag/nach einem entspannten Tag) abhängen könnten. Das Gespräch blieb sachbezogen und wurde nicht privat. ReÀektierende Interpretation Berufswahlmotivation: „Ich wusste auch nicht, was ich sonst machen sollte.“ Auf die das Interview einleitende Frage nach der Berufswahlmotivation antwortet David recht ausführlich. Er erläutert seine Unschlüssigkeit, geht aber nicht genauer auf alternative Optionen ein: „Also (.) ich war eigentlich zur Zeit äh:: auf dem Gymnasium sehr unschlüssig was ich machen sollte das wusste ich eigentlich gar nicht, ich hatte da verschiedene Sachen im Kopf.“ (5-7)
Dass er nicht genauer auf die „Sachen im Kopf“ eingeht, deutet darauf hin, dass er tatsächlich keine konkrete Vorstellung zu einem Berufswunsch hat; um mehr Klarheit zu erlangen, bedarf es eines Anstoßes in Form praktischer Erfahrung, die er im Anschluss an das Abitur während des Zivildienstes in einem Kinderheim macht:
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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„Und in der Zeit (.) hab ich gemerkt dass mir das Spaß macht, einmal mit den ganz Kleinen, ähm zu arbeiten, aber eben auch also die etwas älte- also einmal eben vom Alter her so die Kleinen, aber so von dem was ich da auch in der Nachhilfe da gemacht hab, hab ich auch gemerkt das liegt mir auch oder das macht mir auch Spaß. Kindern etwas beizubringen oder zu helfen.“ (14-19)
Der Interviewpartner leistet seinen Dienst in einem integrativen Kindergarten ab und gibt zusätzlich älteren Kindern Nachhilfe im angeschlossenen Kinderheim: David entdeckt, dass ihm gerade die Arbeit mit „den ganz Kleinen“ Spaß macht, er darüber hinaus aber auch das ‚Beibringen‘ von Sacheverhalten schätzt. Was genau ihm daran Spaß macht, erläutert David nicht näher. „Spaß“ genügt als Rechtfertigung, einen Beruf zu ergreifen, der die beiden Aspekte seiner Tätigkeit im Zivildienst vereint: Die Wissensvermittlung und die Arbeit mit jüngeren Kindern, die sich im Beruf des Grundschullehrers par excellence verkörpert. Der nachgestellte Einschub „oder zu helfen“ am Ende der Passage deutet auf ein Verständnis der Arbeit hin, das über den Aspekt der reinen Wissensvermittlung hinausgeht; ein berufliches Ethos wird sichtbar, das verstärkt auch karitativ-fürsorgende Momente einschließt. Dennoch geschieht die Berufswahl letztendlich nicht aus einer tragenden Überzeugung heraus: „Ohne mir wirklich Gedanken gemacht zu haben was erwartet mich da. also es war auch ein bisschen äh so eine Entscheidung ich wusste auch nicht was ich sonst machen sollte“(17-19)
Gerade die Betonung darauf, sich eher impulsiv und aus den Erfahrungen heraus – die doch in einem anderen beruflichen Feld stattfanden – für den Beruf des Grundschullehrers entschieden zu haben, weisen darauf hin, dass David seine Entscheidung im Rückblick selbst als zumindest in Ansätzen naiv betrachtet: Über das eigentliche Berufsbild und die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, ist er sich bei der Berufswahl nicht im Klaren. Es deutet sich ein Konflikt an, den er im weiteren Verlauf des Interviews noch präzisieren wird. Vorerst beschränkt er sich darauf, mangelnde Alternativen als Argument anzuführen, und weist abschließend noch einmal auf den Zusammenhang seiner Entscheidung mit den Erfahrungen während des Zivildienstes hin: „Aber eigentlich das liegt mir ja das muss was für mich sein. (.) ja.“ (23)
Obwohl als zusammenfassende Konklusion formuliert, zeigt sich auch in dieser Passage durch die Abtönungspartikel „eigentlich“, vor allem aber auch durch das Verb „muss“, dass der Interviewpartner seine Entscheidung aus der Notwendigkeit heraus trifft, eine Entscheidung treffen zu müssen und keine bessere Alternative zur Verfügung zu haben. Geradezu beschwörerisch mutet das Verb „muss“ an; würde diese Option wegfallen, so stünde David erneut an dem Punkt, an dem er
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C Empirische Ergebnisse
sich schon während der Schulzeit befindet: Er hat keine genauen Vorstellungen davon, welchen Beruf er ergreifen möchte. Ähnlich wie seine Berufswahl geschieht die Wahl des Studienortes: David, der aus Norddeutschland stammt, bewirbt sich an mehreren Hochschulen und nimmt den Studienplatz, der ihm als erstes angeboten wird. So landet er schließlich an einer Pädagogischen Hochschule in Baden-Württemberg. Diese Entscheidung, die im Grunde gar keine Entscheidung war, heißt er im Nachhinein gut: „Hab’s nicht bereut und bin jetzt letztendlich dann auch wieder (.) hier gelandet.“ (26f.)
Deutlich wird in dieser Eingangssequenz, dass David niemand ist, der Entscheidungen aktiv herbeiführt. Es sind eher Impulse, denen er nachgibt. Sowohl seine Berufswahl als auch die Wahl des Studienorts sind im Grunde genommen keine wirklichen ‚Wahlen‘, vielmehr sind es Zugeständnisse an Umstände, die von außen gesteuert erscheinen: Ein Beruf muss ergriffen werden, hierzu wird ein Studienort benötigt. Zwar spielen gerade in Bezug auf die letztlich gefällte Entscheidung für den Beruf des Grundschullehrers durchaus tätigkeitsbezogene Überlegungen eine Rolle, diese geschehen aber nicht aus einer tiefen Überzeugung heraus, kommen eher einem Nachgeben auf die grundlegende Anforderung gleich, irgendeinen Beruf ergreifen zu müssen. Studium an der Pädagogischen Hochschule: „Als Student verbummelt man diese Zeit so ein bisschen.“ Auf das Studium selbst geht David von sich aus nur sehr knapp ein. Seine Äußerungen sind eher Randnotizen, die er bei seinen weit ausführlicheren Narrationen zum Referendariat anbringt. Vor allem bemängelt er, dass man als Student nicht wisse, worauf es im späteren Beruf ankomme, und man daher auch nicht beurteilen könne, welche Studieninhalte wichtig sind: „Und an als Student, verbummelt man irgendwie diese Zeit so ein bisschen und ähm einfach auch aus dem Grund weil man (.) Vieles auch noch nicht so absehen kann warum soll ich das jetzt lernen warum soll das jetzt wichtig sein.“ (52-54)
Dass diese Einschätzung für David trotz ihrer randständigen Einbindung dennoch wichtig ist, zeigt sich darin, dass der Interviewpartner diese Beobachtung nicht als Feststellung auf sich beruhen lässt. Stattdessen macht er sich Gedanken darüber, wie diesem Phänomen entgegengewirkt werden könnte. Er wünscht sich eine engere Verzahnung von Theorie und Praxis: „Und (.) hab dann für mich auch überlegt vielleicht wär’s besser irgendwie so das im Wechsel zu machen also mal eine Praxiserfahrung und dann wieder an die PH, dann weiß man auch was
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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interessiert einen, wo braucht man was, an Hintergrundwissen, dann wieder Praxiserfahrung und irgendwann dann mal eine Prüfung. aber nicht so dies- also das (.) einfach so.“ (54-59)
David wünscht sich die Verzahnung aus einem praxisgeleiteten Interesse: Er räumt die Notwendigkeit von „Hintergrundwissen“ ein, will dieses aber auf konkrete pädagogische Situationen bezogen wissen. Sichtbar wird hier ein Verständnis des Studiums, das auf eine Berufsausbildung mit Elementen konkreter Handlungsanweisungen für die pädagogische Praxis hinausläuft. Diese findet er eher im Referendariat, in dem er auch „zufriedener als im Studium“ (63) ist. Im Referendariat: „Ich habe bei den Unterrichtsbesuchen oft zu hören bekommen, dass es schön ist, dass da jetzt einmal ein Mann da ist.“ Nach seinen Erfahrungen im Referendariat gefragt, initiiert David den Genderaspekt von sich aus und als ersten Punkt, der ihm hierzu einfällt: „Y: Und im Referendariat, was hast du da für Erfahrungen gemacht? D: Also jetzt in Bezug darauf dass ich ein Mann bin? Y: Nein, generell. D: Generell, aber eigentlich ist das schon eine Sache die mir relativ schnell dazu einfällt wenn’s um die Frage geht wie bist du so durchgekommen, und was war das so mit den Prüfungen, (.) hab ich schon oft zu hören bekommen gerade mit diesen ähm bei den Unterrichtsbesuchen äh das ist schön, dass da jetzt mal ein Mann ist. also von den Frauen, die ich da hatte.“ (35-42)
Der neutralen Frage des Interviewers wird zunächst mit einer Gegenfrage begegnet. Warum sich David hier auf das Thema ‚Mannseins‘ bezieht, ist aus dem bisherigen Interviewverlauf, in dem der Aspekt keine Rolle spielt, nicht begründbar. Auch wurde im Vorfeld des Interviews (telefonische Kontaktaufnahme, Terminabsprache, Klärung des Forschungsdesigns vor dem Interview) dieser Themenbereich bewusst ausgespart. Denkbar ist, dass der Kollege Davids, der den Kontakt vermittelt hatte und selbst bereits Interviewpartner war, David im Vorfeld vom Forschungsfokus des Interviewers berichtet hat; wie dem auch sei: David bringt den Genderaspekt ohne äußere Notwendigkeit nachdrücklich ins Spiel. Von der klaren Entgegnung, dass dieser Gesichtpunkt zunächst keine Rolle spiele, sondern es um allgemeine Erfahrungen gehe („Nein, generell.“), lässt sich David nicht beirren; zu wichtig erscheint ihm dieses Thema, zu entscheidend für die Erfahrungen, von denen er zu berichten weiß. David erzählt nicht zuallererst von den Schülerinnen und Schülern, von seinen Mentorinnen und Mentoren oder von Unterrichtserfahrungen, auch nicht, in wie weit er sich durch die Begegnung mit dem Schulalltag in seiner Berufswahl bestätigt sieht. Die zentrale Erfahrung für ihn ist tatsächlich das Mannsein in einem feminisierten Berufsfeld. Er bemerkt, dass ihm als Mann ein exklusiver Status
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C Empirische Ergebnisse
zugewiesen wird, den er in einer positiven Diskriminierung (vor allem von Frauen) auch in Prüfungssituationen erlebt: „Ich hatte einen Lehrbeauftragten, bei dem war das nicht so sehr das Thema, der kam ja selber so vom Fach, aber bei den Frauen (.) war’s dann wirklich so dass ich das oft gehört hab das ist aber mal schön. und äh (.) hab irgendwie das Gefühl gehabt dass es für mich ein Vorteil war in der Ausbildung. (.) ja einfach grundsätzlich hab ich diesen Spruch gehört dass die Männer also Männer sind wichtig in der Grundschule und so weiter.“ (42-47)
David unterscheidet die Sichtweise von Frauen und Männern. Während seine Geschlechtszugehörigkeit für seinen männlichen Lehrbeauftragten weniger Gewicht hat, wird ihm von den weiblichen Lehrbeauftragten ein Vorteil eingeräumt. Er selbst bezeichnet die Zuschreibung, Männer seinen „wichtig in der Grundschule“, als „Spruch“, was darauf hinweist, dass er diese von sich aus nicht vornimmt und zunächst nicht aus eigner Initiative für sich beansprucht. Auch kennzeichnet die Verwendung des Begriffs „Spruch“ die Erfahrung, dass für eine solche Sichtweise keine Argumente geliefert werden. Sie bleibt als bloße Behauptung stehen, wird gleichsam immer wieder aktiviert und beansprucht so eine gewisse Gültigkeit: Es war „wirklich so“, er hat dies „oft gehört“. Zwar weist David im weiteren Verlauf durchaus auch auf den „Druck“ (55, 64) hin, der im Referendariat herrscht, dennoch kann er insgesamt resümieren, dass er sich im Referendariat wohl gefühlt hat („hab es sehr genossen“ (63)) und er in seiner Berufswahl bestätigt wurde („hab ich gemerkt, dass der Beruf was für mich ist“ (62)). Seine sehr guten Prüfungsergebnisse spiegeln ihm diesen Eindruck wider und lassen das Referendariat als Erfolgsgeschichte erscheinen. Erst auf Nachfrage kommt er auf seinen Einsatz in der Hauptschule zu sprechen; hier fließen auch negative Erfahrungen in die Erzählung ein: „Im Referendariat war ich in Religion im Einsatz, und das war für mich eigentlich immer Horror. muss ich ganz ehrlich sagen“ (55f.)
Die Beschreibung des Unterrichtens als „Horror“ wird verstärkt durch das Adverb „immer“. Dies wird „ganz ehrlich“ berichtet: Es gibt nichts zu beschönigen, David verzichtet auf Umdeutungen, die seine Erfolgsgeschichte fortsetzen. Der Interviewpartner geht näher auf die negativen Erfahrungen ein: „Ich war nun auch an zwei, also sowohl in Hornheim als auch in Mauringen war’s wirklich eine äh Brennpunktschule, mit sehr sehr viel Russlanddeutschen, und ich gemerkt hab dass ich eigentlich, voller Ideen stecke, und mich wirklich reinknie um um=äh gerade aus dem Fach Religion was rauszuholen, und dass ich dann doch merke in der Stunde kämpfe ich eigentlich nur um die Aufmerksamkeit und ich kann so vieles gar nicht loswerden von dem;“ (66-72)
Der Interviewpartner bezieht seine Erfolglosigkeit nicht auf die Situation als unerfahrener Referendar, sondern schließt in seine Erzählung die Erfahrungen an
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seiner ersten Stelle nach Beendigung des Vorbereitungsdienstes (Mauringen) mit ein, wo er als Fachlehrer wie im Referendariat das Fach Religion in der Hauptschule unterrichtet hat. Den Grund für sein Scheitern sucht er vielmehr in der Struktur der Schule: Um Zweifel an seiner Aussage gar nicht erst aufkommen zu lassen, schickt er dem zuweilen inflationär gebrauchten Begriff „Brennpunktschule“ voraus, dass es sich in beiden Fällen „wirklich“ um genau solche gehandelt hat. Weiter belegt wird dies mit dem hohen Anteil von Spätaussiedlern; dies genügt vorerst an Argumenten und Erklärungen für Davids Scheitern. Unzufrieden macht ihn dann, dass er seine Ideen bezüglich der Unterrichtsgestaltung nicht umsetzen kann. David betont durch den Erzählduktus und die vorgenommene lautliche Betonung seine Kreativität und sein Engagement. Zweifel daran lässt er so gar nicht erst aufkommen. Eine kreative und engagierte Unterrichtsgestaltung reicht grundsätzlich dazu aus, so der implizite Gedanke, selbst in einem ‚schwierigen Fach‘ wie Religion zu respektablen Unterrichtserfolgen zu gelangen. Nicht so im Hauptschulbereich: Obwohl der Interviewpartner sich bemüht, ist der Unterricht ein Kampf, der ihn in keinerlei Weise befriedigt: „Und an der Hauptschule, ähm war hab ich gemerkt ich bin nicht authentisch, ich kann nicht authentisch sein, weil ähm (.) ich muss zusehen dass dass dass dass das irgendwie läuft, und äh, da macht’s mir einfach keinen Spaß wenn ich mich verstellen muss. wenn ich ernster sein muss als ich wirklich bin, (2) ja so wenn ich nur noch in dieser Disziplinierungsschiene drin bin; das kann ich zwar machen, aber es befriedigt mich nicht.“ (75-81)
Mit dieser Sequenz beansprucht David für sich, durchaus in der Lage zu sein, für einen disziplinierten Ablauf des Unterrichts zu sorgen. Dies widerspricht allerdings seinem Naturell, er muss „ernster sein“ als er tatsächlich ist, fühlt sich in seiner Authentizität eingeschränkt. Der Wunsch, das professionelle Handeln mit der eigenen Person in Einklang zu bringen, stellt für David ein zentrales Motiv seiner beruflichen Tätigkeit dar. Diesen Einklang herzustellen gelingt ihm bei der Arbeit mit Hauptschülerinnen und Hauptschülern nicht. Stattdessen muss er „zusehen, dass dass dass das irgendwie läuft“; durch die Satzstockung wird deutlich, dass David, der ansonsten als sehr eloquenter Sprecher erscheint, hier sehr erregt ist, dass dieser Aspekt seiner Erinnerung noch immer großes Unbehagen bei ihm auslöst. In der Grundschule macht er solche fundmentalen, neben seinem Selbstverständnis als Lehrer auch seine Persönlichkeit angreifenden Erfahrungen nicht: „Und das ist dann eben für mich de- die Entscheidung oder auch die Erkenntnis gewesen ich gehör in die Grundschule. weil da kann ich im Prinzip, da hab ich auch sehr viel mit Disziplin zu tun, aber ich kann letztendlich loslegen mit der Art die mir als Lehrer Spaß macht. ich kann authentisch sein.“ (72-75)
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C Empirische Ergebnisse
Diese „Erkenntnis“, wie er sich ausdrückt, führt David im weiteren Verlauf als einen wichtigen Grund dafür an, sich an seine jetzige Schule versetzen zu lassen. Diese ist eine reine Grundschule, er läuft nicht mehr Gefahr, als Fachlehrer in der Hauptschule eingesetzt zu werden. Die erneute Diskursivierung von Disziplin spiegelt die Intention Davids wider, nicht als jemand zu erscheinen, dem es an Durchsetzungsvermögen mangelt. Dies kann als Vorgriff auf spätere Interviewpassagen gedeutet werden, in denen Männlichkeitskonstruktionen eindeutiger expliziert werden: David möchte nicht nur als professionell, sondern auch als männlich wahrgenommen werden. Als Mann in der Grundschule: „Was mir absolut fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“ David verfügt über Erfahrungen und Eindrücke aus insgesamt drei Schulen: In Hornheim, einer Grund- und Hauptschule, absolvierte er sein Referendariat. In Mauringen, ebenfalls einer Grund- und Hauptschule, trat er sine erste Stelle an, bevor er an seine jetzige Schule in Haselstadt kam, die eine reine Grundschule ist. In allen Schulen hatte David männliche Kollegen. Obschon er weiter oben die Besonderung als Mann in der Grundschule durch seine Lehrbeauftragten im Seminar schildert, fühlt er sich an der Schule selbst nicht in einer Sonderrolle: „Ja also in Hornheim war’s so, zwei nee drei Männer waren es, zwei davon waren die Schulleitung, und ich war dann im Prinzip der vierte, und (.) ich hab mich da gut aufgehoben gefühlt, äh hatte auch noch nicht so diese Sonderrolle, denn ich war eher in der Referendarsrolle drin glaub ich. Ich glaub ich war eher in der Schublade Referendar und nicht in der Schublade Mann.“ (91-95)
Ob das Gefühl des Aufgehoben-Seins sich darin begründet, dass David einen Bund mit den anderen männlichen Kollegen schließen kann, geht aus der Äußerung nicht eindeutig hervor, obschon die Reihenfolge der Äußerungen eine solche Vermutung nahe legt. Wichtiger ist aber, dass der Proband vor allem als Referendar angesehen, seine Geschlechtszugehörigkeit weniger aktualisiert wird. In der „Schublade“, wie David es nennt, hat nur eine Strukturkategorie Platz: Nämlich die des Auszubildenden; die Kombination ‚männlicher Referendar‘ wird dabei nicht angedacht. Dies kann natürlich zum einen an der männlichen Schulleitung an dieser Schule liegen, zum anderen weist David darauf hin, dass die Referendare sowohl vor als auch nach ihm ebenfalls Männer waren: „Insofern war das da gar nicht so (.) was Außergewöhnliches.“ (98f.)
Für seine erste reguläre Stelle macht er dann vor allem die Größe des Kollegiums für die fehlende Besonderung verantwortlich, zumal gerade durch den angegliederten
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Hauptschulbereich einige Männer im Kollegium vorhanden sind, und sich darüber hinaus auch im Grundschulbereich männliche Kollegen finden: „Ein großes Kollegium mit 45 Leuten, äh (.) da waren so viele Männer vom Hauptschulbereich, (.) und in der Grundschule waren wir am Ende auch mit drei also es sind acht Grundschulklassen gewesen, davon waren drei Klassenlehrer.“ (100-102)
Auch für seine jetzige Schule stellt David fest, dass er männliche Kollegen hat. Er resümiert und nimmt den Titel der vorliegenden Arbeit, der ihm bislang unbekannt ist, vorweg: „Ja, in sofern war ich jetzt nie alleine unter Frauen. das habe ich noch am ehesten äh so im Studium erlebt. @(.)@ ja, (2)“ (104f.)
Obschon die Männerquote an der Pädagogischen Hochschule statistisch gesehen höher ist als an Grundschulen, deutet sich hier doch ein subjektives Erleben Davids an, auf das er an dieser Stelle noch nicht näher eingeht. Das kurze Lachen am Ende der Sequenz, das eine gewisse Unsicherheit andeutet, sowie die sich anschließende Pause weisen darauf hin, dass David mit seinem Bericht zunächst am Ende angelangt ist. Gleichwohl schließt er an: „Äh aber wenn ich da soll ich da noch mehr dazu sagen zu diesem, (.) ich hab’s in Mauringen am Ende, und hier eigentlich jetzt relativ schnell schon so empfunden, dass ich diese Rolle als Mann hab.“ (105-108)
Die im vorhergehenden kurzen Auflachen schon sichtbar gewordene Unsicherheit wiederholt sich zu Beginn der Sequenz: David hat noch mehr zu diesem Thema zu berichten. Es ist für ihn tatsächlich ein aktuelles Thema, wie sich schon vorher im Interview angedeutet hat. Er versucht sich rückzuversichern, ob weitere Ausführungen erwünscht sind, wartet eine Bestätigung durch den Interviewer aber nicht ab, sondern berichtet weiter. Gegen Ende des Referendariats, als David ein fast schon ‚fertiger Lehrer‘ ist und er sein Können vermutlich auch in den Lehrproben bereits unter Beweis gestellt hat, öffnen seine Kolleginnen und Kollegen – um im von David entwickelten Bild zu bleiben – die Schublade ‚Junglehrer‘, in die er nicht mehr richtig hineinpasst. Stattdessen wird er in die Schublade ‚Mann‘ gesteckt, er sieht dies als „Rolle“, die anzunehmen er scheinbar bereit ist. Auch an seiner jetzigen Schule wird ihm diese Rolle zuteil, die er den Erwartungen entsprechend ausfüllt: „Das das äh bei den Kolleginnen, nicht unangenehm, sondern so ein bisschen ah ja unser Mann hier, und ach ja also man hört dann immer so so diese Sprüche, und ich glaub ich geh da auch ganz gern und gut mit um, st- stört mich jetzt nicht, ich glaube eher dass ich mich sogar ganz bewusst dann in diese Rolle rein begebe, ich hab das wirklich jetzt auch gemerkt dass ich eigentlich eine ähnliche Rolle spiele den Kolleginnen gegenüber wie in Mauringen. obwohl es ja (.) ganz andere Frauen sind.“ (108-114)
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C Empirische Ergebnisse
David erfährt an seiner jetzigen Schule die gleiche Rollenzuweisung wie an der vorherigen. Er wird konfrontiert mit „Sprüchen“; die Verwendung dieses Begriffes deutet darauf hin, dass er selbst diesbezügliche Interaktionen nicht für ernst nimmt, sie als scherzhaft verstanden weiß. Das angeführte Beispiel „unser Mann hier“ impliziert einerseits eine Zugehörigkeit zum Kollegium, andererseits eine Besonderung. Vorsichtig tatstet sich David an eine Bewertung des Verhaltens seiner Kolleginnen heran. Zunächst erscheint er passiv, wird scheinbar in die ihm zugewiesene Rolle gedrängt. Dennoch ist ihm das „nicht unangenehm“; zunächst ein relativ schwacher Ausdruck. Eine Steigerung erfährt die Bewertung dann, wenn David davon berichtet, dass er die zugewiesene Rolle aktiv annimmt: Er gehe „ganz gern und gut“ damit um. Wie er diese Rolle in der Praxis ausfüllt, beschreibt er nicht. Beinahe schon einer Beschwörung gleichkommend betont David in einer vierten Bewertung, die im Vergleich zur vorhergehenden allerdings in abgeschwächter Form konstatiert, „es stört mich jetzt nicht“. Es wird sichtbar, dass der Interviewpartner das Verhalten seiner Kolleginnen nicht uneingeschränkt legitimiert oder naturalisiert. Er setzt sein Einverständnis voraus, um die Rolle einnehmen zu können und sich hierin wohl zu fühlen. Das Wohlfühlen wird dabei als ausschlaggebender Indikator verstanden, der darüber entscheidet, ob er die Rolle einnehmen möchte oder nicht. Wenig später im Interview, gleichwohl noch im selben Kontext, bringt David dies explizit zum Ausdruck: „und ich fühl mich da eigentlich ganz wohl mit.“ (122) Aus dem so möglichen Einverständnis heraus gelangt David zu einer aktiven Rollenübernahme: Er erklärt, die ihm zugewiesene Rolle im Kollegium „sogar ganz bewusst“ einzunehmen. Diese Einschätzung, die durch den einleitenden Nebensatz „ich glaube eher“ als solche gekennzeichnet ist, beruht auf die parallelen Erfahrungen, die er bereits an seiner vorherigen Schule gemacht hat. Das Verhalten der Kolleginnen wie auch sein eigenes werden auf diese Weise naturalisiert und legitimiert. Über diesen Umweg findet eine Naturalisierung von Geschlechterdifferenz statt, deren Konstruiertheit und aktive Herstellung David dennoch bewusst ist. Viel später im Interviewverlauf nimmt er dieses Thema noch einmal auf und berichtet: „Es gibt so viel Situationen, es ist jetzt zum Beispiel morgens wenn ich hochkomme zum Kopierer da stehen die vier neuen Kolleginnen die auch wieder alle erste Klassen haben, und die blockieren halt jeden Morgen den Kopierer. das ist einfach so. und dann scherzen wir halt immer und wenn ich dann hochkomme dann gibt’s halt schon immer die Sprüche, also, es ist schon so äh dass auch die Frauen glaube ich das (.) genießen können dass da jetzt ein Mann also ich hör auch von Kolleginnen gerade es ist schön dass da jetzt hier mal ein Mann ist also einfach so.“ (696-703)
Zunächst klingt es so, als laufe die Äußerung auf eine Beschwerde über die neuen Kolleginnen hinaus („die blockieren halt jeden Morgen den Kopierer“). Die Kolleginnen beanspruchen den Raum für sich, er wird dabei in seiner Arbeit behindert.
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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Der Kopierer steht dabei stellvertretend für das gesamte Umfeld Schule: Obwohl die Kolleginnen sogar neu an der Schule sind, besetzen sie das Feld, David selbst fühlt sich an den Rand gedrängt und hat unter all den Frauen keinen Platz. Der nachgeschobene Satz „Das ist einfach so.“ lässt keinen Zweifel an seiner Aussage und macht deutlich, dass er auf diese Situation keinen Einfluss nehmen kann. Scheinbar unausweichlich gerät er ins Hintertreffen. Die weitere Entwicklung der Sequenz macht deutlich, dass David sich dennoch nicht an den Rand drängen lässt, die Rand- eher einer Sonderstellung gleicht, die er gern einnimmt: Die Aussage „und dann scherzen wir halt immer“ bezeichnet ein Ritual, das die Ebene repräsentiert, auf der das Miteinander gelingt. Es wird nicht über ihn gescherzt, das Personalpronomen „wir“ bezeichnet ein tatsächliches Miteinander, in dem alle Beteiligten ihre Rollen akzeptieren und antizipieren. Der Satz „dann gibt‘s halt immer die Sprüche“ verdeutlicht noch einmal die Ebene des Umgangs zwischen ihm als Mann und den Kolleginnen als Frauen: Humor ist die Basis, auf der David die Situation bewältigt. Das Blockiert-Werden wird nicht thematisiert, ein möglicher Konflikt wird so verhindert und mittels humorvoller Sprüche auf einer anderen Ebene ausgetragen. Nach der Beschreibung der Situation folgt eine Interpretation Davids, die noch einmal seine Einschätzung, im Kollegium auf Grund seines Mannseins gern gesehen zu werden, wiederholt. Zunächst sagt David, er „glaube“, dass die Frauen seine Anwesenheit als Mann genießen „können“: David kennzeichnet seine Äußerung als Interpretation von Situationen, das Verb „können“ deutet an, dass er davon ausgeht, dass es auch tatsächlich etwas zu genießen gibt. Die Kolleginnen verfügen über die Fähigkeit, den Wert, den seine Anwesenheit darstellt, zu erkennen. David bestätigt seine Einschätzung durch den Hinweis darauf, dass genau dies nicht nur das Verhalten der Kolleginnen und die Reaktionen auf ihn widerspiegeln, sondern dass diese sich auch explizit äußern. Beiläufig erfährt David hier eine Bestätigung in seinem Mannsein: Nicht er als Person wird geschätzt, sondern die Situation, dass er als ein Mann präsent ist. Die Geschlechtszugehörigkeit Davids wird auf diese Weise zur Basis der Beziehung zwischen ihm und seinen Kolleginnen gemacht. Sie ist Grundlage der Interaktionen; die Person als solche tritt weitgehend in den Hintergrund. Im Vergleich zu anderen Interviewpartnern, die vergleichbare Situationen eher kritisch erleben und den Verlust des individuellen Selbst durch solche Zuschreibungen und Rollenzuweisungen sehen, nimmt David das Angebot seines Gegenübers dankbar an und füllt die ihm zugewiesene und von ihm aktiv angestrebte Rolle tat- und sprachkräftig aus. Dies geschieht nicht zuletzt auf Grund seiner eigenen Unsicherheit, in wie weit er in seinem Berufsfeld und allein unter Frauen Männlichkeit überhaupt repräsentieren kann. Den Ort, Männlichkeit zu inszenieren, sieht
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C Empirische Ergebnisse
David weniger in der Arbeit mit den Kindern sondern vielmehr in der Interaktion mit den Kolleginnen: „Jetzt nicht so vom Arbeiten vom Pädagogischen das wissen sie gar nicht, aber äh (.) können sie ja nicht beurteilen aber einfach das (.) hab ich schon mal gehört auch (.) der würde=äh (.) ich als Mann würde einfach auch mal Sachen so ein bisschen auf den Punkt bringen oder äh (.) ja einfach auch mal so einen Spruch bringen und so und ja, (.) ein bisschen Ironie dabei haben und das (.) ich hab’s Gefühl d- das genießen dann viele Kolleginnen, ohne dass sie selber so wären.“ (703-708)
David sieht sehr wohl einen Unterschied in der Form der Berufsausübung zwischen sich und jener seiner Kolleginnen, darauf geht er an dieser Stelle aber nicht näher ein. Die Kolleginnen „wissen [das] gar nicht“, können die Qualität seiner Arbeit nicht beurteilen: Der ritualisierte, scherzhafte Umgang bezeichnet eine Ebene, auf der anscheinend für einen inhaltlichen Austausch über pädagogische Konzepte und die Arbeit mit den Kindern kein Raum bleibt. Dies empfindet David aber nicht weiter als schlimm, wie die Kürze des Einschubs vermuten lässt: Seine Aufgabe als Mann sieht er vielmehr in der Pflege eines bestimmten kollegialen Umgangs miteinander. Er bezieht sich hier nicht auf eine Selbsteinschätzung, der leicht ein arroganter Unterton zugeschrieben werden könnte, sondern berichtet erneut von Äußerungen von Kolleginnen, die ihm „als Mann“ einen analytischen Blick attestieren sowie die Fähigkeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Diese naturalistische Zuschreibung, die gleichwohl nebenbei Frauen diskreditiert, fasst David als Bestätigung seiner eigenen Männlichkeit auf und integriert sie in sein Selbstkonzept. Neben der Fähigkeit, „Sachen so ein bisschen auf den Punkt [zu] bringen“, wird noch einmal der scherzhafte Charakter seiner Interaktionsgestaltung, die von „ein bisschen Ironie“ geprägt ist, betont. Die nochmalige Betonung dieser Verhaltensweisen scheint David wichtig zu sein, steht sie doch einer Verbissenheit gegenüber, die er wohl bei den Kolleginnen an seiner Schule des Öfteren erlebt.3 Noch einmal kommt der Aspekt des Genießens ins Spiel: Seine durch das Mannsein geprägte Art des Umgangs tut den Kolleginnen gut, sie schätzen diese, „ohne dass sie selbst so wären“. Dies können sie auch nicht sein, haben sie doch in der Interpretation Davids die falsche Geschlechtszugehörigkeit für ein entsprechendes Verhalten. Trotz der bewussten Entscheidung, als Basis eines freundschaftlichen, scherzhaften Umgangs mit den Kolleginnen eine bestimmte Rolle einzunehmen, die zudem sein eigenes Mannsein absichert, genügt David diese Rolle im Kollegium nicht. Von sich aus kommt er darauf zu sprechen, dass er gern einen männlichen „Kumpel“ in seinem Kollegium hätte: 3 Vgl. weiter unten die Sequenzen zur Inneren Schulreform.
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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„Andererseits muss ich sagen was mir absolut fehlt, ist einfach so ein, ein Kumpel.“ (120)
Das Adverb „absolut“ sowie die Betonung des Wortes „Kumpel“ unterstreichen den inhaltlichen Gehalt der Aussage Davids. Da in der vorhergehenden Sequenz nur von den Frauen als Kolleginnen die Rede war, impliziert dieses Statement zweierlei: Zum einen fehlt das männliche Gegenüber, zum anderen jemand, der mehr als nur Kollege ist. Der Wunsch nach einer Schaffung von Privatheit, wenn nicht gar Freundschaft, wird deutlich. David weiß hier von Erfahrungen an seinen vorhergehenden Dienstorten zu erzählen: „Also (.) das hatte ich im Referendariat, eben gerade mit dem Referendar der auch nach mir dann kam, oder mit denen die man da in der Pädagogikgruppe kennen gelernt hat, einfach (.) ein Kumpel, mit dem man auch privat was machen kann, und (.) musste ich neulich erst daran denken, dass ich, ich meine ich hab wir haben in Haselstadt jetzt ja auch wieder neu angefangen, da sind ja die alten Bekannten nicht mehr die man früher hatte, und dass äh (.) es ja schon oft so ist dass wenn man in eine neue Stadt zieht, dass man einfach Leute einfach über den Beruf kennen lernt. also die Kumpels; die Freunde wirklich kennen lernt über den Beruf. und das sind halt hier (.) Frauen in der Regel.“ (120-129)
David weiß von einem Mitreferendar zu berichten, den er als „Kumpel“ gewonnen hat. Dieser bleibt nicht nur Kollege, sondern er verbringt auch Freizeit mit ihm; das Berufliche geht in das Private über. Der Interviewpartner schafft dabei einen starken Zusammenhang dieser Verbindung: Freundschaften (als Steigerung von Kumpelhaftigkeit) entstehen seiner Argumentation zufolge vor allem in beruflichen Zusammenhängen. Da er beruflich von Frauen umgeben ist, fehlt ihm hier die Möglichkeit, neue Freundschaften zu schließen. Dabei hat er, wie er berichtet, zwei männliche Kollegen. Zu diesen bleibt der Kontakt aber auf die kollegiale Ebene beschränkt: „Mit den Männern ist es einfach kollegial und so, aber jetzt nicht privat.“ (129)
Warum es David nicht gelingt, mit diesen eine von ihm doch so sehr gewünschte Privatheit herzustellen, darauf geht er an dieser Stelle nicht ein. Vielmehr beschreibt er weiter die Situation, in der er sich befindet: „Und mit den Frauen hier mach ich auch was, aber wie gesagt dann bin ich wirklich allein unter Frauen am Abend.“ (129f.)
Obschon er mit seinen Kolleginnen auch in der Freizeit etwas unternimmt, fühlt er sich „allein unter Frauen“. Die Erfahrungen, die er tagsüber im an der Schule macht, setzen sich abends fort: Er ist der einzige Mann in der Runde. Die männlichen Freunde, die er beispielsweise während des Studiums hatte, vermisst er schmerzlich: „Also das fehlt mir absolut. (.) denn es ist einfach ein Unterschied ob man jetzt mit Frauen als Kumpels oder mit Männern unterwegs ist. (3)“ (136f.)
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C Empirische Ergebnisse
Deutlich wird hier, dass er seine Kolleginnen, mit denen er auch über den Beruf hinaus zu tun hat, durchaus als „Kumpels“ ansieht. Er kann in diesem Zusammenhang die Rolle, die ihm zugewiesen wird und die er auch bereitwillig einnimmt (s.o), nicht verlassen. Dies könnte zum einen ein Grund für den Wunsch nach einem männlichen Kumpel sein, zum anderen aber, so seine Schlussfolgerung, weist er auf die grundlegende Differenz im Zusammensein mit Frauen gegenüber demjenigen mit Männern hin. Worin genau dieser Unterschied besteht, darauf geht David an dieser Stelle nicht weiter ein, er wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Frage nach einer potentiellen Veränderung der eigenen Arbeit bei Vorhandensein eines Kumpels im Kollegium wehrt David eher ab. Er beruft sich auf mangelnde Erfahrungen und insistiert darauf, den Kumpelwunsch vor allem in Bezug auf den außerschulischen Bereich zu hegen: „Dass über den Beruf private Kontakte mit Männern entstehen.“ (153)
Diese Erfahrungen hat David bisher – abgesehen von der Beziehung zu seinem Mitreferendar – noch nicht gemacht. Der ‚fehlende Kumpel‘ ist ein Thema, dass ihn schon während seines Studiums beschäftigt: „Das war auch schon im Studium so muss ich sagen, da hatte ich auch nicht so viele Bekanntschaften, einfach weil @die Auswahl nicht so da@ war, und (.) das hat mich auch manchmal genervt.“ (154-156)
Als Erklärung für den ‚fehlenden Kumpel‘ während des Studiums nimmt David Bezug auf den geringen Männeranteil an der Pädagogischen Hochschule. Diese Einschätzung wird lachend vorgetragen, David markiert die Situation dadurch als grotesk. Zwar erfüllt sich der Kumpelwunsch dann im Referendariat: „da sind ganz andere äh Kontakte entstanden.“ (162)
Diese rühren seiner Sichtweise nach vor allem von der gleichen Situation, in der man sich befindet: Man lernt gemeinsam auf Prüfungen, ist aufeinander angewiesen. Im Schulalltag gibt es diese Verbindung nicht mehr, daher bleibt auch der Kumpelwunsch unerfüllt. David relativiert die Bedingungen für das Entstehen von Privatheit später allerdings: „Und ja, klar äh bisher war äh in den Grund- und Hauptschulen waren schon auch Männer, natürlich eben an den Hauptschulen waren waren mehr Männer, aber irgendwie da hatte sich auch wenig entwickelt. das ist ja immer so Typsache. also ich äh komme dann oft mit den Frauen noch besser aus einfach und hab da auch kein Problem damit oaber (.) na jao. (5)“ (163-167)
Das Argument der insgesamt nicht oder wenig vorhandenen Männer zieht an dieser Stelle nicht mehr. David bringt nun die „Typsache“ ins Spiel, grenzt sich somit
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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von den vorhandenen männlichen Kollegen ab. Ein kleiner Offenbarungseid ist dann die Feststellung, dass er sich „oft“ mit den Frauen besser versteht; dies sei „einfach“ so, auch wenn er es eigentlich nicht will und ihm weiterhin das Bild einer Männerfreundschaft vorschwebt. Dass David darauf hinweisen muss, „kein Problem damit“ zu haben, drängt sich als Indiz für ein solches geradezu auf: Seine Affinität zu Frauen verunsichert ihn in seiner Männlichkeit. Das leise vorgetragene „oaber (.) na jao. (5)“ mit der anschließenden langen Pause schließt dieses Thema ab; das Unbefriedigende an seiner Situation wird deutlich spürbar, resignative Anteile werden in diesem Resümee sichtbar. Der eigene Unterricht: „Diese Freiarbeit, da bin ich noch nicht richtig angekommen.“ David arbeitet an einer Schule, die auf Grund der an ihr offensiv vertretenen offenen Unterrichtskonzepte als Modellschule gilt. Er selbst unterrichtet als Klassenlehrer einer 2. Klasse alle Fächer in dieser, was er auch betont: „Ich bin Klassenlehrer und mach alles in meiner Klasse. Wirklich alles.“ (172)
Nach dem üblichen Ablauf eines Schultags gefragt, berichtet er von der Begrüßung, Organisatorischem und kleinen Ritualen. In der Abfolge der einzelnen Unterrichtsstunden zeigt sich David flexibel. Dann kommt er auf das Thema ‚Freiarbeit‘ zu sprechen: „Es ist so an dieser Schule ist ja diese Freiarbeit ganz wichtig, und äh das hat man mir natürlich auch gesagt als ich hier Vorstellungsgespräch hatte, aber da äh (2) mach ich’s viel- denk ich noch nicht so wie ich’s machen sollte speziell an dieser Schule. also dazu dafür mach ich’s vielleicht doch noch relativ herkömmlich oder, also es ist schon (2) es ist auch wieder schwierig seine eigene Arbeit zu beurteilen ohne jetzt zu wissen wie macht’s der Kollege. also dann könnte ich vielleicht sagen da und da bin ich anders; also für mich ist der Unterricht schon äh vielseitig, Methodenwechsel, ähm (2) ja; aber so diese Freiarbeit, dieses ganz freie Arbeiten, da bin ich noch nicht angekommen richtig. ja, (.) in sofern wäre das jetzt übertrieben äh wenn ich jetzt sagen würde ja und dann kommt immer eine Stunde Freiarbeit oder so das so regelmäßig mache ich das nicht.“ (182-192)
David, der sich auf seine jetzige Stelle schulscharf beworben hatte, war sich von Anfang an über das Profil der Schule bewusst. Daher kann davon ausgegangen werden, dass er keine Aversionen gegenüber offenen Unterrichtsformen hat. Für sich selbst beansprucht er, eher „herkömmlichen“ Unterricht zu verfolgen und weicht einer eindeutigen Einschätzung zu offenen Unterrichtsformen aus. Die Unfähigkeit zu einer klaren Selbsteinschätzung rechtfertigt er mit den mangelnden Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Kollegen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass eine Kooperation zwischen ihm und den Kolleginnen und Kollegen kaum bzw. überhaupt nicht stattfindet. Die Verwendung des Konjunktivs und des Adverbs
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C Empirische Ergebnisse
„vielleicht“ unterstreichen die Suchbewegung bei der Beschreibung der eigenen Arbeit. Um nicht in den Verdacht zu geraten, an seiner Schule als rückständig bewerteten Unterricht zu machen, weist David auf den Methodenwechsel hin, der seinen Unterricht „vielseitig“ macht. Er grenzt sich damit zum einen vom zunächst herangezogenen „herkömmlichen“ Unterricht ab, zum anderen aber auch von „dieser Freiarbeit“, bei der er „noch nicht angekommen“ ist. Das „noch nicht“ in dieser Äußerung deutet darauf hin, dass sich David in einem Entwicklungsprozess sieht, der, vermutlich auf Grund des Schulprofils, in Richtung Freiarbeit verläuft. Das Verb ‚ankommen‘ impliziert, dass diese Unterrichtsform das Ziel ist. Auf die Nachfrage, ob es Gründe dafür gibt, warum er diese Unterrichtsform weniger stark einsetzt als seine Kolleginnen, antwortet er: „Der Grund ist dass ich’s so:: schwerpunktmäßig nie gemacht habe und gelernt habe. also dass ich mich (.) da einarbeiten muss.“ (202f.)
David weist auf mangelnde Qualifikation und fehlende Erfahrungen hin. Bei seiner Feststellung, sich hier einarbeiten zu müssen, fällt auf, dass er nicht etwa sagt, dass er sich hier erst noch einarbeiten müsse. Es stellt sich die Frage, ob die Bereitschaft zu einer Einarbeitung überhaupt vorhanden ist. Im Folgenden führt David weitere, eher organisatorische Hinderungsgründe an: „Und ein spezieller Grund ist auch dass wir hier Materi- ganz ganz viel Materialien haben im Haus. und die Verteilung ist so schleppend. das heißt wenn ein neues Schuljahr begonnen hat, es gibt unheimlich viel Freiarbeitsmaterial zweite Klasse, das hab ich inzwischen in meinem Zimmer, aber wir sind noch nicht dazu gekommen also die Chefin wollte wollte das mit uns machen, äh uns das auch zu zeigen. also, (.) ich kann das Material nicht so einfach einsetzen; das ist schon relativ speziell.“ (203-209)
Während im Allgemeinen eher fehlende Materialien als Argument gegen den Einsatz offener Unterrichtsformen angeführt werden, gelingt es David, seine Argumentation unter umgekehrten Vorzeichen aufzubauen. Zunächst wird die Fülle der Materialien betont, deren Verteilung nur schleppend verlaufe. Wer für die Verteilung zuständig ist, das wird nicht gesagt. Dieses Argument ist aber auch belanglos, wie sich in der weiteren Argumentationslinie zeigt: David hat die Materialien längst in seinem Klassenzimmer. Verantwortlich ist vielmehr die „Chefin“, sprich die Rektorin der Schule, die sich bislang – das erste Schulhalbjahr neigt sich zum Zeitpunkt des Interviews bereits seinem Ende zu – noch nicht die Zeit genommen hat, David und seine Klasse mit den Materialien vertraut zu machen. Dass er dies nicht selbst in die Hand nimmt, liegt, so seine weitere Argumentation, an der Komplexität der Materialien. An dieser Ursachenanalyse wird deutlich, dass David die Verantwortung für sein in dieser Hinsicht fehlendes Engagement
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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nicht selbst tragen möchte. Es finden versteckte Schuldzuweisungen statt, die ihn aus der Pflicht entlassen. David selbst hält den Einsatz von Freiarbeitsmaterialien für Maßnahmen der inneren Differenzierung nicht aus eigener professioneller Überzeugung für notwendig; tatsächlich kann er sich dieser Unterrichtsform nur deswegen nicht völlig verschließen, da sie elementarer Bestandteil des Schulprofils ist und er sich speziell um eine Stelle an genau dieser Schule beworben hat. Das Interesse für Freiarbeit war Voraussetzung für seinen Stellenantritt. Bei seinem Vorstellungsgespräch hatte er, vor dem Hintergrund der mangelnden Erfahrungen, dieses signalisiert: „Ich habe schon zu ihr gesagt dass ich mit Freiarbeit nicht viel Erfahrung habe, habe aber auch gesagt dass ich offen bin für solche Sachen und omich da interessiereo und das war ihr eigentlich auch wichtig. Und das bin ich auch,“ (256-259)
Dass er sich für Freiarbeit interessiert, äußert David leise: ein versinnbildlichender Hinweis darauf, dass sein Interesse an ihr gering ist. David kommt im weiteren Verlauf des Interviews auf andere Hinderungsgründe zu sprechen: „Ähm (.) es geht einfach so ein bisschen unter auch im ähm im äh im Tagesverlauf, weil man irgendwie denkt weil ich auch denke ich hab soviel noch zum (.) zum Abarbeiten und dann bleibt so viel liegen oder ich muss auch viel einführen gerade in Klasse eins und zwei.“ (259-262)
Betrachtet man die Summe der vorgebrachten Argumente, so zeigt sich deutlich ein Rechtfertigungsdruck, dem sich David ausgesetzt sieht. Obwohl dieser anscheinend nicht von außen an ihn herangetragen wird, so stellt er ihn doch selbst her; weiter zeigt sich die Orientierung der eigenen Unterrichtspraxis am Bild des Wissensvermittlers. David beansprucht, gerade in der Schuleingangsstufe zunächst Grundlagen vermitteln zu müssen, bevor man den Schülerinnen und Schülern selbstständige Arbeitsformen zumuten kann: „Vielleicht sieht das in Klasse drei und vier anders aus. weil die auch (.) selbstständiger schon arbeiten. aber in Klasse eins hab ich gemerkt ich muss ihnen ja doch, (.) ständig irgendwas neu erklären weil sie es noch nie gemacht haben.“ (262-265)
Die Argumentation erlaubt David, die aktive Auseinandersetzung mit Freiarbeit auf einen Zeitpunkt zu verschieben, zu dem seine Schülerinnen und Schüler selbstständig genug dazu sind. Selbstständigkeit zu fördern ist ihm dabei durchaus ein Anliegen, allerdings in Verbindung mit dem Einsatz von Computern: „Ich lasse sie gern an den Computer, das vielleicht noch, wir haben ja einen Computerraum mit fünf ähm Computern; das ist zum Beispiel etwas was sie gern machen und selbstständig,“ (211-213)
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C Empirische Ergebnisse
Als Alternative zur materialgebundenen Freiarbeit führt David die Arbeit an Computern an, mit denen das Ziel der Selbständigkeit ebenfalls erreicht werden kann. Selbständigkeit zu fördern wird so als pädagogischer Wert eingeführt. Gleichzeitig beansprucht er Technik- bzw. Medienorientierung für sich. Weiterhin werden in dieser kurzen Äußerung Kindzentrierung und die Orientierung an den Interessen der Kinder als Orientierungsmuster für das Professionsverständnis erkennbar. Im Anschluss an diese Sequenz werden noch weitere Werte sichtbar, die durch die Beschreibung seiner Arbeit zum Vorschein kommen: „Was ich auch gern mache ist wirklich in verschiedenen Räumen arbeiten lassen, auf dem Gang oder in dem kleinen Nebenraum den wir haben, da haben wir auch alle Möglichkeiten. um ähm sie (.) einmal auch daran zu gewöhnen dass sie auch ruhig arbeiten wenn ich sie nicht im Blick hab, das ist Vertrauen, das ist mir eigentlich sehr sehr wichtig dass (.) eben das was man mit Grundschülern machen kann mit Hauptschülern eigentlich nicht. dass äh die Kinder von sich aus wirklich (.) sich disziplinieren. und eben nicht der Lehrer guckt, ich bin ruhig, der Lehrer guckt weg jetzt geht’s los. das treibe ich ihnen wirklich mit (.) mit Einsicht aus. kann man meiner Meinung nach mit den Kleinen ganz gut machen. also wirklich auf dieser Vertrauensbasis,“ (213-222)
Aus seinen vorhergehenden Erzählungen zu den Erfahrungen in der Hauptschule wurde bereits deutlich, dass David wenig Interesse daran hat, die Disziplinierung seiner Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund seiner Arbeit zu stellen. Er forciert das Mittel der Selbstdisziplinierung: Das gegenseitiges Vertrauen als Grundlage einer fruchtbaren Arbeitsbeziehung wird betont, wobei er sich hier nicht im Sinne eines Laisser-faire aus der Affäre zieht, sondern seiner pädagogischen Verantwortung nachkommt. Er wird aktiv, spricht sogar von „austreiben“, was im ersten Augenblick beinahe nach einer autoritären Haltung klingt, beruft sich dann aber auf das Mittel der „Einsicht“, die er zusätzlich betont und so in den Vordergrund seines Handelns stellt. Dass Einsicht und Vertrauen dennoch nicht ausreichen, wird deutlich, wenn David im Folgenden berichtet: „Und wenn ich oder schon auch so wenn ich dich draußen arbeiten lasse, und ich guck dann aber mal vorbei und du benimmst dich daneben, dann bist du halt sofort wieder drin. also eine unmittelbare Konsequenz muss halt schon da sein.“ (222-225)
Hier ist von einer direkten „Einsicht“, die die Schülerinnen und Schüler entwickeln sollen, nicht mehr die Rede. David markiert seine Autorität und gibt vor, konsequent zu handeln; als Faktum stellt er diese Handlungsweise nicht weiter zur Diskussion, das „muss halt schon da sein“. Der Unterschied zwischen autoritärem Gebaren und pädagogischer Konsequenz wird weiter ausgeführt: „Ja, ähm (2) also das ist mir unheimlich wichtig dass die Kinder (.) die Regeln, ähm nicht einfach nur so hinnehmen, sondern dass sie sie aufnehmen un- und verstehen. und dass sie sie auch (.) äh gutheißen. also dass sie wirklich auch erkennen es lohnt sich diese Regeln einzuhalten. und so ist
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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es bei mir (.) eigentlich schon sehr stark in die Richtung, Zuckerbrot und Peitsche. also wir- wenn’s gut läuft, dann haben wir alle mehr Spaß, Herr David ist auch besser gelaunt, und es ist einfach; (.) und wir verschenken nicht so viel Zeit, wir haben Zeit gewonnen, die wir für schöne Dinge machen Spielen oder so was ähm verwenden können, aber wenn’s halt nicht läuft, fahre ich eben dann auch so diese andere Schiene. ja. (2)“ (225-233)
Einleitend betont David noch einmal den Aspekt der Einsicht. Sowohl an der betonenden adverbialen Bestimmung „unheimlich wichtig“ als auch am Raum, den David diesem Themenfeld einräumt, kann man erkennen, welche Bedeutung das Thema Disziplin, Disziplinierung und Durchsetzungskraft für ihn hat. Die „Einsicht“, von der David in einem theoretischen Rahmen spricht, wird in den in ‚Wir‘-Form formulierten Handlungspraxen weniger sichtbar: Hier geht es um Konsequenzen, die das ein oder andere Verhalten hat, um Belohnung für Regeln befolgendes Verhalten und Strafen bzw. das Ausbleiben von Belohnung für Regelverstöße. „Zuckerbrot und Peitsche“ nennt der Interviewpartner das Prinzip selbst. David stellt sich als durchsetzungskräftiger Lehrer dar, der die Zügel in der Hand hält, sein Handeln aber pädagogisch absichert. Im Zusammenhang mit dem Spannungsfeld Disziplinierung/Einsicht kommt Daniel noch einmal auf das Thema Freiarbeit zu sprechen: „Ich sehe schon (.) Nachteile oder oder Probleme bei der Freiarbeit, zum Beispiel, das hab ich bisher schon gemerkt; dass die Kinder einfach gern das wählen was sie schon können, also Freiarbeit Freies Arbeiten wähle aus aber sie wählen dann doch den Computer. ist der Computer frei, zack sind sie da wieder. ja und dann bin ich in dem Dilemma. wenn ich jetzt sage äh jetzt macht doch mal was anderes, jetzt macht ihr mal da, dann ist es eigentlich keine Freiarbeit mehr. wenn ich nichts sage ist es Freies Arbeiten, aber sie machen immer dasselbe. und auch nicht so dass es äh also nicht unbedingt so über ihrem Niveau dass sie sich wirklich auch entwickeln können. sondern sie bleiben dann eigentlich so in ihrem Bereich drin. ja. und das ist so ein (.) Problem was ich sehe.“ (266-275)
David beobachtet, dass seine Schülerinnen und Schüler nicht verantwortlich genug mit der Wahlmöglichkeit während Freiarbeitsphasen umgehen, um zu Lernfortschritten zu gelangen. Er befürchtet, dass sie auf dem bereits erreichten Niveau verweilen. Diese Beobachtung ist für ihn schwer erträglich, er stellt – übrigens jenseits von organisatorischen Fragen zum ersten Mal inhaltlich – das Gesamtkonzept in Frage. Dass dieses Argument gegen Freiarbeit erst nach Umwegen über einen Diskurs zur Disziplinierung genannt wird, deutet noch einmal auf den Rechtfertigungscharakter seiner vorherigen Äußerungen zu diesem Thema hin. Erst ganz zuletzt bringt er Einwände vor, die zumindest an seiner Schule nicht gern gehört werden dürften. Daniel grenzt sich vom Profil seiner Schule ab, nimmt in Bezug auf Arbeitsformen eine Randstellung ein. Sein zuletzt vorgebrachtes Argument dient aber auch dazu, sich verantwortlich zu zeigen für den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler.
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C Empirische Ergebnisse
Führt man sich noch einmal vor Augen, welche Ausgangsfrage seinen Äußerungen zugrunde liegt, nämlich die nach dem Ablauf eines gewöhnlichen Schultages, sind zweierlei Dinge leicht erkennbar: Zum einen befindet sich David noch in einer Phase der beruflichen Entwicklung, in der er seine Durchsetzungskraft und Autorität unter Beweis stellen muss. Dies geschieht vor dem Hintergrund eines reflektierten pädagogischen Ethos, dessen Übertragung in die Praxis allerdings nur teilweise gelingt. Zum anderen besteht für David durch das Profil seiner Schule, die sich der Öffnung von Unterricht durch Freiarbeit verschrieben hat, und der Tatsache, dass er dieser Schule nicht einfach zugewiesen wurde, sondern sich ausdrücklich an ihr beworben hatte, ein Rechtfertigungsdruck, da er das Prinzip der Freiarbeit in seinem eigenen Unterricht bislang nicht oder nur in rudimentärer Form umsetzt. Seine vielfältigen Begründungen für diesen Umstand deuten auf eine Verunsicherung hin, die sich auch in der folgenden Passage ausdrückt: „Ich merke es ja auch an Rückmeldungen von den Kindern und Eltern dass ist dass es schon läuft. also das das beobachte ich schon. ich denke schon dass ich (.) sehr selbstkritisch sein kann manchmal vielleicht auch zu sehr. also dass ich zu sehr in Frage stelle was ich mache.“ (298-301)
In welcher Form er Rückmeldung von Schülerinnen und Schülern bzw. von Eltern bekommt, bleibt offen. Dennoch bilden sie für David die erste Instanz, die darüber befindet, ob er seine Arbeit gut macht. Das eigene professionelle Selbstverständnis scheint ungefestigt. Seine Reflexionsfähigkeit deutet David als Selbstkritik, die er in ihrer starken Ausprägung als Hindernis für ein berufsbezogenes Selbstbewusstsein empfindet. Gleichwohl verfügt David durchaus über Strategien, mit deren Hilfe er sich gegenüber den „sehr hohen Anforderungen“ (320) an seiner Schule absichert: „Und ich versuche mich da ein bisschen davon frei zu machen und einfach zu sagen gut äh ich hab auch meine Erfahrungen, und äh ich beobachte ob es läuft und ob die Kinder was dazulernen und dann gehe ich da meinen Weg. ja, (3)“ (321-324)
Bezeichnend ist die Formulierung „ich versuche“: Nicht immer scheint ihm dies zu gelingen; der Rechtfertigungsdruck, der auf ihm liegt, entfaltet weiterhin seine Wirksamkeit. Gleichzeitig wird noch einmal die grundsätzliche Fähigkeit Davids zur Reflexion sichtbar: Erfahrungen und Beobachtungen werden bewusst gesammelt und anschließend einer Bewertung unterzogen. Verhältnis zur Rektorin: „Es ist bei mir schon so, dass ich ein bisschen auf Distanz gehe.“ In der Tatsache, dass David über eine schulscharfe Stellenausschreibung an die Schule gekommen ist, begründet sich ein besonderes Verhältnis zur Rektorin, die
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ihn unter den Bewerbern ausgewählt hat. Dabei spielt Davids Geschlecht eine besondere Rolle: „Ich hatte schon das Gefühl, dass es (.) ein großer Vorteil ist dass ich ein Mann bin. bei der Bewerbung. ooder bei der Vorstellungo das hat sie auch gesagt. äh und meinte sie auch meinte Frau Holm auch so, äh jetzt kom- aber Sie wollen hier wirklich hin, kommen Sie nicht auf die Idee noch mal bei der und der Schule weil die würden sie sofort nehmen die brauchen unbedingt einen Mann und die haben keinen und so, also wirklich so dieses Gezanke fast schon, wo ich gedacht habe wow; ist jetzt mal echt ein Vorteil.“ (248-254)
David berichtet, dass sich seine Rektorin vor allem von seiner Geschlechtszugehörigkeit als Qualifikationsmerkmal leiten lässt. Die Widergabe deren Äußerungen in wörtlicher Rede lassen erkennen, dass David diese Bevorzugung beeindruckt hat. Ihm wird suggeriert, dass er quasi freie Auswahl zwischen unterschiedlichen Schulen hat, und dies allein begründet durch sein Mannsein. Die Interjektion „wow“ drückt nahezu Begeisterung über diese Tatsache aus, gemischt mit Verwunderung. Dass sein Mannsein „jetzt mal“ ein Vorteil darstellt, deutet andererseits darauf hin, dass er dies nicht immer so erlebt. Anschließend an seine Äußerungen zu seiner Stellung im Referendariat hat er zwar hier bereits Vorteile gehabt; im Zusammenhang mit der Erzählung über sein Studium erweckt David dahingegen eher den Eindruck, dass er unter dem Exotentum gelitten hat. Freilich birgt diese Bevorzugung auch ein Risiko: „Ohne dass sie jetzt meine Arbeit einschätzen konnte. ich habe schon zu ihr gesagt dass ich mit Freiarbeit nicht viel Erfahrung habe,“ (256f.)
Obschon er keinen Hehl daraus macht, eigentlich nicht zum methodischen Profil der Schule zu passen, entscheidet sich die Rektorin für ihn: Geschlecht schlägt fachliche Qualifikation. Die Tatsache, dass seine Geschlechtszugehörigkeit mehr wiegt als seine Arbeitsweise bzw. seine pädagogisch-didaktischen Fähigkeiten, setzen David unter Druck, den so indirekt an ihn gerichteten Rollenerwartungen gerecht zu werden. David versucht, den Geschlechtsbonus aufrechtzuerhalten, vor allem, weil er im Bereich der propagierten Freiarbeit weiterhin unsicher ist (s.o.). So bemüht er sich, eine gewisse Distanz zu seiner Rektorin aufrecht zu erhalten, damit diese nicht zu viel mitbekommt von dem, was er tagtäglich in seinem Klassenzimmer tut: „Es ist bei mir schon so dass ich ein bisschen auf Distanz gehe weil ich dann denke also (.) ich bin froh wenn ich mein Ding machen kann,“ (296f.)
Obschon er seine Rektorin als fachliche Autorität gerade in Bezug auf das bisher weite Strecken des Interviews bestimmende Thema ‚Freiarbeit‘ anerkennt, scheut
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C Empirische Ergebnisse
er sich davor, sie um Rat zu fragen. David erlebt sie hier als übergriffig, sie schreckt anscheinend auch nicht davor zurück, beobachtete Fehler vor den Kindern zu korrigieren. Dies aber würde ihn auf die Stufe des Auszubildenden zurückwerfen, was er unbedingt vermeiden möchte: „Aber wenn ich (.) zu sehr auf sie zugehen würde vielleicht auch um mir Hilfe zu holen in solchen Bereichen, dann käme ich (2) wahrscheinlich; was ich so weiß, auch in die Situation rein dass dass äh mir dann zu sehr reingeredet wird oder dass ich mich plötzlich kleiner fühle, so wie im Referendariat plötzlich; ja, dass man dann plötzlich irgendwie Dinge von denen ich weiß die laufen so und die mache ich so und die haben Sinn, plötzlich in Frage gestellt werden weil sie es halt anders macht. anders; anders, aber dann für richtig erachtet. und das was (.) die Alternative von mir ist dann einfach, die wird dann gewertet. oder abgewertet.“ (301-309)
Zwar hat David eine solche Situation noch nicht selbst erlebt. Der Satzeinschub „was ich so weiß“ deutet auf Erfahrungen von Kolleginnen und Kollegen hin, die allerdings nicht konkretisiert werden. Bezeichnet David sich selbst zuvor noch als (zu) selbstkritisch (s.o.), so lehnt er Fremdkritik vehement ab. Diese erwartet er automatisch bei einem Hilfegesuch. Auch wenn er von seinem professionellen Handeln überzeugt ist, („die laufen so“, „die machen Sinn“), scheut er sich vor einer Auseinandersetzung und befürchtet, dass sein Status gefährdet werden könnte. Die Wertung seiner Handlungen geschieht in seiner Erwatung in Form einer Abwertung, die darüber hinaus nicht nur seine pädagogischen Praktiken, sondern seine ganze Person betrifft. Auch in den Passagen zum Verhältnis zu seiner Rektorin wird Davids Verunsicherung spürbar: Als Lehrer, der den eigenen Schilderungen zufolge bereits seit mehreren Jahren erfolgreich unterrichtet, ist er durch das Profil der Schule und die Rektorin damit konfrontiert, sich zumindest vor sich selbst für seine Art des Unterrichtens rechtfertigen zu müssen. Sein Mannsein betrachtet David als ausschlaggebend für seine erfolgreiche Bewerbung; gleichwohl wird das Thema ‚Geschlecht‘ nicht weiter aktualisiert, wenn er von seinem Verhältnis zur Rektorin spricht. Hier treten fachliche Aspekte in den Vordergrund. Daneben wird die Persönlichkeit der Rektorin thematisiert, nicht aber deren eigene Geschlechtszugehörigkeit. Kooperation mit den Kolleginnen: „Man ist doch eher drin in dieser Einzelkämpferschiene.“ Während David sich bei seiner Rektorin als ausgewiesener Fachfrau aus oben eruierten Gründen keine Unterstützung sucht, könnte man annehmen, dass dies vielleicht bei seinen Kolleginnen oder Kollegen geschieht. Die Schule ist vierzügig, das heißt, drei andere Kolleginnen sind wie er Klassenlehrerinnen einer 2. Klasse. Alle Parallelklasslehrerinnen kamen zusammen mit ihm neu an die Schule. Zwei davon bezeichnet er als gerade in Bezug auf Freiarbeit erfahren, der dritten,
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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ebenfalls jüngeren Kollegin spricht er eine vergleichbare Position wie sich selbst zu („die äh schwimmt auch oft so.“ (320)). Auf die explizite Frage nach Formen der Kooperation zwischen ihm und seinen Kolleginnen antwortet David aber: „Selten äh also es ist zu selten, dadurch dass wir so viele anderen Termine haben, gerade dieser Montag da ist halt immer irgend etwas, und alle paar Wochen ist dann eigentlich mal Zeit für eine Stufe. also Stufenkonferenz. wo wir dann wirklich zu viert die Zeit haben. ansonsten müssten wir sie zusätzlich uns nehmen. und das ist oft schwer zu machen, weil äh eine hat Kinder, un- und die andere macht an anderen Schulen Beratungs- äh verfahren und so weiter, das heißt man kriegt uns schlecht dann mal zusammen, außerhalb dessen.“ (327-333)
In der einleitenden Bemerkung, Kooperation finde „zu selten“ statt, zeigt sich Davids grundsätzliches Interesse an einer solchen. Als Grund für den unbefriedigenden Status Quo nennt David Zeitmangel: Die häufigen Konferenzen sowie familiäre und dienstlichen Verpflichtungen zweier Kolleginnen behindern eine kooperative Arbeitsbeziehung über einen 14-tägigen Jour Fix hinaus. Der Hinweis, weitere Treffen seien „oft schwer zu machen“, impliziert zunächst, dass diese durchaus stattfinden; dem ist in der Realität aber nicht so. Auch mit der Kollegin, die im Zusammenhang mit weiteren Verpflichtungen nicht genannt wird, findet keine weitere Kooperation statt. Es deutet sich an, dass David zwar den Sinn von Kooperation nicht in Frage stellen möchte, von sich aus aber auch kein übermäßiges Engagement zeigt, hier aktiv zu werden. Als weiteren Grund für fehlende Kooperation nennt David die räumliche Trennung von ihm und seinen Parallelklasskolleginnen, die ihre Klassenzimmer in anderen Stockwerken bzw. in einem Nebengebäude haben: „Und ich sehe die manchmal tagelang nicht. (.) und wenn wir auf einem Stockwerk wären, dann könnten wir uns viel besser absprechen.“ (337-339)
David vertritt hier die These, dass die Möglichkeit zu Kooperation an eine räumliche Nähe gebunden ist. Damit drückt er gleichzeitig aus, dass Kooperation für ihn quasi nur zwischen Tür und Angel stattfinden kann. In der Summe erhält man den Eindruck, dass David insgesamt wenig Wert auf Kooperation legt: Zunächst ist das mangelnde Zeitbudget Hinderungsgrund, dann die Kolleginnen, die keine Zeit haben, schließlich die räumlich Situation. Davids Statement endet dann allerdings so: „Und das ist schade. dass man die auch selten sieht dann, ja, (.) is- m- is- man doch eher drin in dieser Einzelkämpferschiene. wo wir das eigentlich gar nicht wollen. aber, notgedrungen. (5)“ (339-341)
Von der 1. Person Singular wechselt David hier zunächst in die 3. Person, und zwar zum indefiniten Personalpronomen ‚man‘. In der Fortführung des zuletzt
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C Empirische Ergebnisse
entwickelten Gedankens kann dies als Hinweis gedeutet werden, dass er nun tatsächlich nicht von sich und seiner Meinung spricht, sondern hier eventuell eine sozial erwünsche Antwort liefert. Dass er dann schließlich in die 1. Person Plural wechselt und damit eine Einheit zwischen sich und seinen Kolleginnen herstellt, quasi auch für diese spricht, kann so interpretiert werden: Der Wunsch nach Kooperation wird im Kollegium als selbstverständlich vorausgesetzt. Widersetzt man sich diesem Wunsch, so gilt dies als nicht legitim und unprofessionell. Dennoch ist es im Grunde gut, wenn es Gründe gibt, die einen von einer echten Kooperation abhalten, denn diese würde zunächst vor allem einen zeitlichen Mehraufwand darstellen. So muss man eben „notgedrungen“ auf Kooperation verzichten; zwar wird durch diese Formulierung die Nähe zu einer ‚Not‘ hergestellt, vor allem aber noch einmal die persönliche Verantwortung für die fehlende eigene Bereitschaft zu Kooperation zurückgewiesen. Innere Schulreform: „Ich bin nicht der Typ, der überall mitmischen möchte.“ Ähnlich ablehnend wie gegenüber kollegialer Kooperation verhält sich David in Bezug auf ein Engagement bei Maßnahmen der inneren Schulentwicklung: „Di- dieses nee. die Schulentwicklungsgruppe wurde (.) vor meinem Wechsel hierher so oder diese Steuergruppe wurde so ins Leben gerufen, also äh die machen das jetzt eigentlich so weiter, und (.) da äh mische ich jetzt nicht mit. weil ich auch so die Anfänge nicht so mitbekommen habe.“ (344-347)
Die Satzabbrüche und Interjunktionen weisen darauf hin, dass sich David mit der Frage nach seinem diesbezüglichen Engagement erneut einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sieht. Das Verb „mitmischen“ bringt seine ablehnende Haltung deutlich zum Ausdruck und kommt schon beinahe einer Abwertung der Arbeit der Steuerungsgruppe gleich. Dennoch kann er diese ablehnende Haltung nicht als solche eindeutig formulieren, sondern führt einen Grund an, der seine Position im Kollegium als die eines Neulings umgrenzt. David hat aber das Gefühl, dass er sich noch klarer positionieren muss: Er berichtet, dass er durchaus eine Aufgabe im Kollegium übernommen hat, nämlich die des Sicherheitsbeauftragten („diese Erste-Hilfe-Kästen in Ordnung zu halten“ (349)). Ein weiteres Engagement kommt für ihn aber nicht in Frage: „Also, ja ja. (.) aber ansonsten bin ich sicherlich nicht der Typ, de::r ähm überall mitmischen möchte, ich bin der Meinung an dieser Schule gibt es zu viele äh Häuptlinge, und zu wenig Indianer, und (.) deswegen gibt es auch oft Probleme hier, äh im Kollegium, gerade auch natürlich dann die äh Schulleiterin bei den ganzen Häuptlingen sich dann noch einmal eine Stufe höher stellen. (.) muss. oder sie meint sie müsste das tun. und dadurch haben wir dann so ein Kompetenzgerangel, und äh=s es wird alles ausdiskutiert bis ins Letzte und es kommt aber nichts dabei raus, und ich sitze
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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oft dann da in Konferenzen und denk also das beste was man jetzt tun kann ist nicht auch noch seinen Senf dazu geben. und dazu stehe ich, da- dass gerade in so einem Kollegium, (.) es wirklich gut tut, einfach auch mal zu sagen, ja und jetzt ist das halt so. mein Gott. na klar, äh man könnte es so oder so und da noch ein bisschen perfekter und anders machen, aber lass es doch mal so. ja, das ist so meine Einstellung.“ (368-379)
Zunächst verweist David hier auf eine Typsache: „Mitmischen“ hat weniger mit sachlichem Interesse zu tun, sondern mit der Persönlichkeit. Er selbst erhebt keinen Führungsanspruch, was an seiner Persönlichkeit liege. Dadurch, dass er das Bild der Häuptlinge/Indianer wählt, macht er darauf aufmerksam, dass er das „Kompetenzgerangel“ an seiner Schule als – kindisches –Spiel versteht. Dieses Spiel wird als kontraproduktiv erlebt: Diskussionen führen nicht zu greifbaren Ergebnissen. Seiner Meinung nach geht es im Grunde um Macht und weniger um die Sache selbst. Auch die metaphorische Umschreibung „Senf dazu geben“ macht deutlich, was David von solchen Diskussionen hält. Er selbst beansprucht für sich die Position des „Indianers“, übersetzt: des Mitläufers; zwar teilt er am Ende der Passage mit, dass er durchaus auch Ideen habe, sogar wisse, wie man manche Dinge „noch ein bisschen perfekter“ gestalten könne. Sein Pragmatismus und seine Fähigkeit, die wahren, nämlich personalen Gründe hinter den Diskussionen zu durchschauen, machen ihn aber zum wahrhaft Überlegenen, auch wenn er sich aus den Diskussionen heraushält und seine Ideen nicht aktiv einbringt. Diese Einstellung zeigt sich deutlich auch in der Fortführung der Passage: „Und für mich ist eigentlich immer der Alltag mit den Kindern wichtig, das steht bei mir absolut im Vordergrund, und da kann (.) irgendwie die Theorie und das ganze Gerede so das Abstrakte, (2) kann da nicht ranreichen. also da, (.) manchmal denke ich wirklich die Zeit die ich da sitze, hätte ich jetzt lieber zu Hause gehabt, da hätte ich eine Stunde oder zwei mal Zeit gehabt um mal eine richtig besonders tolle Stunde zu planen von der die Kinder profitieren am nächsten Tag.“ (380-385)
Seine Haltung rechtfertigt David, indem er sich auf sein Kerngeschäft, das Unterrichten beruft. Dies hat für ihn „absoluten“ Vorrang. Diskussionen zur Schulentwicklung bleiben für ihn theoretisch, die mit der Praxis nichts zu tun haben. Sie sind „Gerede“, bleiben „das Abstrakte“, das von David nicht als Fundament für die Praxis und deren Weiterentwicklung gesehen wird. Wie bei seiner Haltung zur Kooperation argumentiert er mit dem Zeitfaktor: Er sieht die Konferenzen als Zeitverschwendung an. Als schlagendes Argument bringt er hier die Schülerinnen und Schüler ins Spiel. Diese profitieren nämlich lediglich von gut vorbereiteten Unterrichtsstunden, und nicht von theoretischen und abstrakten Maßnahmen der inneren Schulreform. Verantwortlich für die von ihm als besonders erlebte Situation an seiner Schule („wo es oft nicht zu Ergebnissen kommt“ (388)) sind Davids Sichtweise nach zwei Faktoren: Zum einen bescheinigt er seinen Kolleginnen und Kollegen, dass diese tatsächlich qualifiziert sind:
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C Empirische Ergebnisse „Das liegt daran dass dass die, dass viele Kollegen wirklich (.) so (.) ambitioniert sind und solche Koryphäen sind dass sie sicherlich auch zu allem sehr viel wissen auch in der Theorie und auch von ihren Zusatzausbildungen und was weiß ich von ihrer Erfahrung und so weiter.“ (391-394)
Die Qualifikationen der Kolleginnen und Kollegen werden durchaus anerkannt, allerdings nicht wirklich gewürdigt („was weiß ich“). Dies liegt daran, dass David neben der fachlichen Qualifikation die personal-soziale vermisst: „Und dann einfach äh das nicht sein lassen können, einfach mal zu akzeptieren, selbst wenn was abgestimmt wurde, geht es wieder von vorne los hinterher. und äh:: ja, zu viele Häuptlinge einfach.“ (394-396)
Noch einmal bemüht David das Bild der „Häuptlinge“. Die Art seiner Beschreibung zeigt, dass David von diesem Verhalten, das er in der Qualifikation, dann vor allem aber auch im Charakter der Kolleginnen begründet sieht, zutiefst genervt ist. David spielt hier soziale gegen fachliche Kompetenz aus. Da er selbst im Rahmen der Anforderungen an seiner Schule letztere nicht nachweisen kann, wertet er diese ab. So gelingt es David, die eigene Person und Position aufzuwerten. Explizit wünscht sich David dann auch mehr „Mitläufer“: „Und man braucht letztendlich Mitläufer, Mitläufer klingt vielleicht so negativ; aber, einfach welche die, die auch mal ja sagen und sagen okay, das ist jetzt so.“ (401-403)
Durch die Aussage „man braucht“ stellt David seine Einstellung als Wahrheit dar, über die nicht weiter diskutiert werden muss. Hierdurch wird auch die negative Konnotation des Mitläufertums, die er selbst explizit herstellt, entkräftet. Für sich selbst sieht er in der Haltung des Mitläufers, die er für sich beansprucht, auch persönliche Vorteile: „Das würde mich auch zu sehr stressen wenn ich mich in jede Entscheidung so reinsteigern würde, dann aus der Konferenz gehe und sage, un- und das mit nach Hause nehme diesen Ärger nur weil da irgendwas jetzt ähm (.) nicht ganz so läuft wie ich mir das vorstelle.“ (403-406)
David plädiert mit dieser Äußerung für eine strikte Trennung von Beruf und Privatleben. Seine eigene Haltung beschreibt David im Folgenden als Typsache, die nicht nur auf eine bewusste Entscheidung, sondern auf Charaktereigenschaften zurückzuführen ist: „Ich sehe das einfach lockerer, und denke ja Mensch, (.) lass uns das jetzt einfach mal anpacken. also vielleicht bin ich auch so ein (.) pragmatischer ein praktischerer Typ. (2)“ (407-409)
David gelingt es, jenseits des Mitläufers ein Bild von sich zu entwerfen, das ihn als Mann der Tat darstellt. Dieses Bild stellt den Gegenhorizont zu seinen Kolleginnen
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und Kollegen dar, die sich im Rahmen der inneren Schulreform engagieren, vor lauter Diskussionen und Kampf um Durchsetzung der eigenen Interessen aber zu keinem Ergebnis kommen. David grenzt sich ab und naturalisiert gleichzeitig seine Haltung. In letzter Konsequenz assoziiert ‚Coolness‘ und Pragmatismus nicht nur mit sich als Person, sondern auch mit sich als Mann, entspricht das gezeichnete Bild doch den gängigen Klischees von einer männlichen Art der Berufsausübung. Obwohl David vorgibt, die Situation an seiner Schule genau analysiert zu haben und die eigene Position positiv darstellt, überrascht David mit folgender Aussage: „Insofern hab ich meine Rolle vielleicht in dem Kollegium noch nicht so (.) gefunden oder äh=ich kann nicht abschätzen wie jetzt die Kollegen mich einschätzen. Also was sie jetzt sagen oja Gott was is=eno welche Rolle hab ich jetzt.“ (413-416)
Die Position, die David einnimmt, ist nicht so gesichert, wie er zunächst vorgibt. Sie endgültig auszumachen, ist eine Aufgabe, der er sich noch stellen muss. Deutlich wird an dieser Stelle eine Ambivalenz: Zum einen ist David der Aktive, der sich seine Rolle sucht und diese ausfüllt, zum anderen wird diese ihm aber von seinen Kolleginnen und Kollegen zugeschrieben, wenn nicht sogar zugewiesen. In beiden Feldern ist David unsicher. Obschon er sein Verhalten im Kollegium zuvor ausführlich begründen konnte, scheint hier noch etwas offen zu sein. Auch die Einschätzungen seiner Kolleginnen und Kollegen sind David unbekannt. Der leise gesprochene Einschub verstärkt den Eindruck der Unsicherheit. Um Sicherheit innerhalb des Kollegiums zu erlangen, scheint eine klare Positionierung aber ausgesprochen wichtig zu sein. Daher unternimmt David einen weiteren Versuch seine Rolle zu beschreiben: „Ich bin vielleicht der, der ab und zu mal einen lockeren Spruch bringt, dass wir das ganze mal äh=ein bisschen auflockern und die Leute auch mal lachen in der Konferenz, dafür bin ich immer zu haben, und das halte ich zum Beispiel auch für wichtig. (.) wenn das keiner macht, ist auch traurig. ((räuspert sich)) insofern hab ich da so vielleicht eine Nische gefunden. der jüngste Kollege, der jüngste männliche Kollege, ja, (.) oder so ein bisschen (.) die Lockerheit auch zeigen möchte. (2)“ (416-422)
Die Suchbewegung wird durch die Abtönungspartikel „vielleicht“ zum Ausdruck gebracht. Noch einmal beschreibt David „Lockerheit“ als hohen Wert, der im dargestellten Zusammenhang hilft Spannungen abzubauen. In seiner Argumentation teilt David mit, dass er diese Lockerheit bewusst herstellen möchte. Er stellt es zunächst so dar, dass er eine „Nische“ besetzt, die im Kollegium noch frei war und die unbedingt besetzt werden muss: „wenn das keiner macht, ist auch traurig“. Gleichwohl erachtet er sich als prädestiniert für diese Aufgabe: er ist der „jüngste Kollege“, und interessant in der Fortführung die Betonung, „der jüngste männliche Kollege“. Lockerheit wird mit Jugendlichkeit verbunden, darüber hinaus
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C Empirische Ergebnisse
vor allem aber mit Männlichkeit. Auf Grund der Merkmale Alter und Geschlecht ist Davids Position vorgegeben. Hinzu kommt, dass David „die Lockerheit auch zeigen möchte“: Durch eben jenes Zeigen erinnert David daran, dass er jung und männlich ist. Er grenzt sich von seinem Kollegium ab und sichert sich einen besonderen Status, der darüber hinweg sehen lässt, dass er sich in den fachlichen Diskussionen wenig einbringt. Der Frauenbeauftragte: „Meint sie das jetzt vielleicht sogar ernst?“ David berichtet, dass er in einer Konferenz von einer Kollegin als Frauenbeauftragter vorgeschlagen wurde: „Witzigerweise auch zum Thema Frauen und Männer, äh als diese Aufgaben verteilt wurden hieß es dann ja wir brauchen noch einen Frauenbeauftragten oder einen Gleichba- Gleichberechtigtenbeauftragten. und da meinte irgendjemand, ja David soll das machen. war natürlich dann ein Lacher,“ (350-353)
David leitet seine Erzählung mit dem Adjektiv „witzigerweise“ ein: Im Rückblick nimmt er den Vorfall nicht mehr ernst und ordnet ihn in die Kategorie der Skurrilitäten ein. Frauenbeauftragter und „Gleichberechtigtenbeauftragter“ werden von ihm gleichgesetzt. Die korrekte Bezeichnung für den Gleichstellungsbeauftragten verwendet David nicht, es ist zu vermuten, dass der Begriff nicht zu seinem aktiven Wortschatz gehört. Obwohl David, wie sich in der Weiterführung der Passage zeigen wird, die Person, die diesen Vorschlag unterbreitet hat, ausmachen kann, wählt er zunächst die Bezeichnung „irgendjemand“. Das deutet darauf hin, dass diese Bemerkung von jeder beliebigen Kollegin bzw. jedem beliebigen Kollegen gemacht worden sein konnte, verkörpert er doch allen gegenüber die gleiche Rolle (jung, männlich, locker). Dass der Vorschlag in der Tat skurril ist, wird durch das Lachen der Kolleginnen und Kollegen deutlich: „natürlich“ lachen diese, der Vorschlag wird so per se als grotesk und absurd definiert. In der Situation selbst zeigt David sich aber zutiefst verunsichert. „Aber ich hab in dem Moment gar nicht gewusst meint sie das jetzt vielleicht sogar ernst, oder meint das irgendjemand hier ernst, dass ich jetzt Gleich- weil da gibt’s dann auch so Versammlungen oder so wo man dann mit anderen (.) von anderen Schulen zusammenhockt, und ich hatte dann halt wirklich die Vorstellung das machen ja sowieso nur Frauen, und wenn ich da als einziger Mann sitze, dann käme ich mir richtig dämlich vor.“ (353-358)
In der Situation findet David den Vorschlag nicht komisch, er kann anscheinend nicht mitlachen. Er zieht in Erwägung, dass der Vorschlag ernst gemeint sein könnte. David fühlt sich in seinem Mannsein nicht ernst genommen. In seiner Vorstellung sieht er sich bereits körperlich in Versammlungen, bei denen er der einzige Mann
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ist. Die Gefühlsbeschreibung, sich in einer solchen fiktiven Situation „richtig dämlich“ vorzukommen, spiegelt zum einen Davids Anspruch wider, als Mann wahrgenommen zu werden, zum anderen Verärgerung. Er fühlt sich veralbert: „Und das war schon ein bisschen; so eine Stichelei, die ich vielleicht lieber nicht gehört hätte. weil ich sie nicht richtig einschätzen konnte. von der Kollegin. weil ich die Kollegin auch nicht so einschätzen konnte.“ (358-361)
Auch wenn David im Rückblick abmildernd von einer „Stichelei“ spricht, so werden die Verunsicherung und die Bedeutung des Vorfalls sehr plastisch. David fühlt sich öffentlich gedemütigt. Zwar beruft er sich darauf, dass seine Verunsicherung darauf beruht, dass er die Kollegin nicht einschätzen kann, doch losgelöst von der einen Kollegin befürchtet er hier einen Konsens im gesamten Kollegium. Ein leise vorgebrachtes „ odas ist jetzt nicht euer Ernsto.“ (362f.) bestätigt diesen Verdacht. Auch in den anschließenden Äußerungen, in denen er die Aufgaben einer Frauenbeauftragten in modernisierter Form tatsächlich als die eines Gleichstellungsbeauftragten beschreibt, besteht David darauf, als Mann wahrgenommen zu werden: „Ja aber klar es ging ja schon auch darum Gleichberechtigung auch für die Männer. das heißt ja nicht mehr Frauenbeauftragte. aber da geht es ja auch darum bei Gesprächen, bei Einstellungsverfahren, wenn Frauen eingestellt werden sollen, dass da jemand sitzt der sie auch (.) ja, unterstützt. und in solchen Dingen. und da bin ich dann einfach nicht der Richtige.“ (353-368)
David gelingt es, eine Verbindung zwischen Gleichberechtigung und Männern herzustellen und betont, dass das Amt nicht mehr „Frauenbeauftragte“ heißt. Durch diese Analyse wahrt er seinen Anspruch, als Mann im Kollegium wahrgenommen zu werden: So abstrus, wie der Vorschlag der Kollegin zunächst erscheint, ist dieser gar nicht. Einschränkend erläutert David dann, dass die Hauptaufgabe doch vor allem in der Unterstützung von Frauen bei deren Einstellung liegt. Als logische Konsequenz bedarf die abschließende Einschätzung Davids auch keiner weiteren Erklärung, dass er als Mann nicht geeignet ist, die Interessen von Frauen zu vertreten. Als Mann in der Grundschule: „Ich denke schon, dass ich einen Männerbonus habe.“ Obwohl David weiter oben feststellt, dass die Aufgabe eines Gleichstellungsbeauftragten auch darin liegt, Gleichberechtigung für Männer herzustellen, erlebt er in seinem Kollegium keine Benachteiligung. Er berichtet von einer Diskriminierung an seiner alten Schule, die aber nichts mit seinem Geschlecht zu tun hatte, sondern darauf beruhte, dass sein damaliger Rektor sich als Hauptschullehrer verstand und generell die Arbeit der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer abwertete.
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C Empirische Ergebnisse
An seiner jetzigen Schule erlebt er dahingegen eine vergeschlechtlichte positive Diskriminierung durch die Schulleiterin, die nicht nur seine erfolgreiche Bewerbung (s.o.) betrifft: „Bei Frau Holm denke ich schon dass ich einen Männerbonus habe, das haben mir auch Kolleginnen irgendwann mal (.) gleich am Anfang erzählt, dass Männer bei ihr immer einen besseren Stand hätten, oha ja ob das jetzt wirklich so isto, aber (2)“ (441-444)
David „denkt“, dass er einen Männerbonus bei seiner Rektorin hat. Diese Vermutung basiert allerdings zunächst nur auf der Einschätzung seiner Kolleginnen. Der leise vorgebrachte Einwurf am Ende der Passage deutet darauf hin, dass David dies aus aktuellen Erfahrungen so nicht bestätigen kann. Er kann hierfür keine konkreten Beispiele anführen. Benachteiligt fühlt er sich aber auch nicht: „Jetzt Bereiche wo ich da:: (.) nee, (3) @(.)@ nee, fällt mir wirklich nicht ein. also wenn ich jetzt überlege, ob die irgendwas von mir wollen, nur weil ich ein Mann bin oder so, (.) ich meine wenn das irgendwelche Sachen sind wo man anpackt, dann ist das ja völlig okay, ja, (3) ja jetzt halt wenn es was zu tragen gibt oder so (.) sch- schwerere Tätigkeiten oder so das ist ja völlig in Ordnung. (2) ähm nee, (.) muss ich wirklich sagen also da (.) osehe ich keine Problemeo. (5)“ (444-450)
David sucht nach Vorfällen, die auf eine Benachteiligung hinweisen könnten. Die Pause ist eine Nachdenkenspause, das kurze Auflachen deutet auf die Unerheblichkeit des einzigen Punktes an, der ihm in den Sinn kommt: Sein Mannsein wird mit Körperkraft verbunden, bei „schweren Tätigkeiten“ ist er als Mann gefragt. Da dies dem gängigen Klischee von Männlichkeit entspricht, ist diese Zuschreibung für ihn auch „völlig in Ordnung“. Insgesamt resümiert er nach weiterem Nachdenken, dass er nicht benachteiligt wird. Von den Eltern seiner Schülerinnen und Schüler erfährt David hingegen positive Reaktionen auf Grund seines Mannseins: „Aber auch von dem Arbeiten mit den Kindern, da höre ich sehr oft also habe ich in den letzten Jahren immer wieder gehört auch von der Elternseite; äh wie toll das das da ist dass da ein Mann ist, äh wie wichtig das wäre,“ (463-465)
Davids Mannsein verleiht ihm in der gesellschaftlichen Wahrnehmung seiner Arbeit einen positiven Status. Diese zunächst allgemein gehaltene Feststellung wird belegt mit dem Verhalten der Elternschaft. David benutzt die Gradpartikel „sehr“, betont dieses noch, um seine Aussage zu unterstreichen. Auch die Beschreibung mit Hilfe der Adverbien „immer wieder“ dient dieser Funktion. Davids exklusiver Status als Mann wird wertgeschätzt. Das Adjektiv „toll“ erfährt eine inhaltliche Ausgestaltung in Form von „wichtig“. Das „wichtig“ bezieht David im weiteren Verlauf des Interviews auf Scheidungskinder, für die er die Einschätzung der Eltern teilt:
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„Ja und das hat meiner Meinung nach auch ganz viel damit zu tun dass man zunehmend äh Scheidungskinder in der Klasse hat, ähm ich schon auch merke welche Kinder (2) ich weiß es ja natürlich auch wer wer jetzt gar keinen Papa zu Hause hat welche Kinder das dann irgendwo brauchen. das merke ich eindeutig.“ (467-471)
David legitimiert die Erwartungen der Eltern über die Problematik zerfallender Familienstrukturen. Gleichzeitig bringt David ein, dass er Bescheid weiß über die familiären Hintergründe seiner Schülerinnen und Schüler. Dies ist zu verstehen als Symbol für ein echtes Interesse an den Kindern, das sein pädagogisches Ethos bestimmt. Von einem recht schwach formulierten „irgendwo brauchen“ gelangt David schließlich zu einem „eindeutig“, das keine Zweifel an seiner Einschätzung zulässt. Er selbst rückt sich in dieser Passage an die Stelle eines Vaterersatzes; die Verwendung der Bezeichnung „Papa“ anstelle des nüchternen ‚Vaters‘ unterstreicht dabei die Orientierung am Modell familiärer Erziehung. David berichtet anschließend von einer konkreten Situation, die seine Argumentation stützt: „Ganz interessant vielleicht, (.) auf den Bögen die die äh also damals von:: meiner Klasse, als Erstklässler, ähm da steht ja so drin mit welchen F- Freunden die gern zusammenkommen wollen und so weiter, dass die Schule weiß wohin sie die Kinder hinverteilen, und da stand bei einem Jungen dann dabei dass äh (2) br- b- also wenn möglich, bei einem Lehrer. bei einem strengen konsequenten Lehrer. das war so der Wunsch der Eltern von einem Scheidungskind.“ (471-476)
Die Eltern eines Scheidungskindes missbrauchen das Anmeldeformular für die Äußerung eines Wunsches nach einem männlichen Lehrer. Ob die Eltern gleichzeitig die Zuschreibung ‚männlich = streng und konsequent‘ vornehmen oder diese Eigenschaften gleichberechtigt neben der ersten stehen, geht aus der Schilderung nicht hervor. David selbst stellt den Zusammenhang her, beleuchtet ihn jedoch im Folgenden kritisch: „Und da hab ich dann auch so überlegt ja warum eigentlich. also es könnte ja auch sein dass ich also die konnten mich ja nicht einschätzen ich war halt einfach nur männlich. aber es hätte ja sein können dass ich den Laden überhaupt nicht im Griff habe und total überfordert bin, und eine Kollegin, äh da super ihre Linie fährt und da den Jungen in den Griff kriegt. aber das war auch schon so dieses positive Vorurteil, na ja der Mann, äh der macht das sicher streng,“ (477-482)
David nimmt den Elternwunsch nicht selbstverständlich hin, sondern gerät ins Nachdenken. Er stellt überkommene Geschlechterklischees in Frage. Seine einzige ‚Qualifikation‘ besteht zuerst einmal in der Geschlechtszugehörigkeit, die aber weiter nichts über seine professionelle Arbeit aussagt. Das „einfach nur“ stellt eine Verbindung von Geschlecht und Professionalität massiv in Frage. Im Konjunktiv skizziert er ein Szenarium, das durchaus denkbar sei: Eine Kollegin könne grundsätzlich qualifizierter sein, um einen „Jungen in den Griff“ zu bekommen.
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C Empirische Ergebnisse
Die Zuschreibung der Eltern bezeichnet David als „positives Vorurteil“, erkennt also einerseits den Vorteil, den er darin hat, weist diesen Vorteil aber als Stereotypisierung zurück: Durchsetzungsfähigkeit und Konsequenz sieht David nicht an das Geschlecht des Lehrers oder der Lehrerin gebunden. Quasi als Nebeneffekt gelingt es David mit dieser Aussage erneut, seine eigene Durchsetzungsfähigkeit ins Spiel zu bringen: Es „hätte ja sein können“, dass er über eine solche gar nicht verfügt: Es ist aber nicht so. Der verwendete Konjunktiv ist ein Konjunktiv Irrealis, David ist seiner Aufgabe durchaus gewachsen. Da David den Kausalzusammenhang ‚männlich = streng‘ aufhebt, kann er gleich anschließend klarstellen, dass er nicht autoritär auftritt, ohne sein Mannsein zu gefährden: „Ich bin eigentlich nicht streng. also ich bin nicht so einer also von der alten Schule oder so. aber dass dann doch irgendwo geglaubt wird, die männliche Ausstrahlung lässt die Kinder eher, oder diszipliniert die Kinder eher als die weibliche. (2) und. ich stand oft genug da vor der Klasse und hab gedacht verdammt mir hört keiner zu oder so. dieses (.) diesen Bonus bei den Kindern; dann zu sagen ja (.) jetzt (.) ihr habt einen Mann vor euch; haha, hier ich kann in Ruhe Unterricht machen; das ist nicht so. (.)“ (482-488)
Die Abtönungspartikel „eigentlich“ wird durch die Betonung der Negation des Strengseins sofort aufgehoben. Die Aussage Davids ist eindeutig, soll auch so verstanden werden, denn ‚Strenge‘ setzt er mit „der alten Schule“, mit autoritärem Gebaren gleich. Verwunderlich findet er die Erwartung, dass allein die „männliche Ausstrahlung“ genüge, Kinder zu disziplinieren; der Kontrast zu Frauen, zu deren ‚weiblichen Ausstrahlung‘, wird eingeführt. Indem David von einer geschlechtsgebundenen „Ausstrahlung“ spricht, weist er darauf hin, dass es durchaus Geschlechterdifferenzen gibt. Diese sind in einem grundgelegten Habitus verankert, allerdings nicht an bestimmte Eigenschaften (wie beispielsweise Strenge) gebunden. Auch wenn er für sich selbst eine „männliche Ausstrahlung“ beansprucht, lehrt ihn die Erfahrung, dass diese allein nicht ausreicht: „Oft genug“ hat er erlebt, dass die Schülerinnen und Schüler ihm nicht die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die er sich wünscht. David entwirft eine grotesk anmutende, überspitzte Situationsbeschreibung, in der ‚Mann‘ sich vor die Klasse stellt und das Mannsein erfolglos als verbal formuliertes Argument für einen störungsfreien Unterricht einbringt. Durch die Darstellung dieser absurden Situation koppelt David das eigene partielle Versagen in Bezug auf Autorität von der Kategorie Geschlecht ab. Es gelingt ihm, dennoch Mann zu sein, auch wenn er den stereotypen Erwartungen nicht gerecht wird. Weist er also die Vermutung zurück, durch seine Geschlechtszugehörigkeit bei den Kindern einen Autoritätsvorsprung zu haben, so hebt er auf Nachfrage noch einmal hervor, dass er diesen bei Eltern sehr wohl habe:
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„Da hab ich den Männerbonus erst einmal. auf jeden Fall. das hab ich bei der Einschulungsfeier gehört, das äh (.) das hört man immer wieder. dass die das einfach (.) toll finden dass da ein Mann ist.“ (508-510)
Auf die Erwartungen der Eltern, die hinter diesem Vertrauensvorschuss stecken könnten, geht David nicht weiter ein. Das unspezifische, dafür umso stärkere „toll“ genügt als Umschreibung. Die Erwartungen der Eltern stellt David gleichwohl noch einmal in Frage, wie er es weiter oben schon getan hat: „Warum eigentlich? (2) ja es ist seltsam eigentlich. weil (.) sie können mich vielleicht als Mensch einschätzen aber (.) eine Frau wirkt genau- oder eine Lehrerin kann genauso ankommen von der Ausstrahlung. (3)“ (510-512)
Dadurch, dass David seine Bedenken als Frage formuliert, macht er deutlich, dass er die Haltung der Elternschaft massiv in Frage stellt. „Seltsam“ kommt ihm dies vor; er beruft sich darauf, zunächst als „Mensch“ wahrgenommen werden zu wollen: Nicht seine Geschlechtszugehörigkeit, sondern seine „Ausstrahlung“ auf die Schülerinnen und Schüler will er als Argument für Wertschätzung gelten lassen. Die von ihm genannte „Ausstrahlung“ kommt dabei in erster Linie eher einer geschlechtsunabhängigen Charaktereigenschaft, erst in zweiter Linie auch einer professionellen Einstellung gleich: Dies deutet sich an, indem er zunächst „einer Frau“, dann ergänzend „einer Lehrerin“ ebenjene „Ausstrahlung“ ebenso zuspricht. Zusammenfassend betrachtet zeigt sich David verwundert über den Vertrauensvorschuss, der ihm sowohl von den Eltern als auch von seiner Rektorin entgegengebracht wird. Die Eltern erwarten von ihm als Mann vor allem einen strengeren Unterrichtsstil. David selbst bezweifelt, dass Männer diesen Erwartungen grundsätzlich eher entsprechen können als Frauen. Die Zuschreibungen hält er für abstrus und kann sie sich nicht erklären. David zeigt sich verunsichert durch die Erwartungen, die an ihn gestellt werden. Am ehesten kann David nachvollziehen, dass Eltern von Scheidungskindern einen männlichen Grundschullehrer wünschen. Hier vertritt er in Ansätzen das Konzept des Lehrers als Vaterersatz. Ein solches Orientierungsmuster belegen auch andere Interviewpassagen, die im Folgenden interpretiert werden sollen. Männliche Berufsausübung: „Ich mache die Kinder souverän.“ Obwohl David in den bereits dargestellten Interviewpassagen eine geschlechtsspezifische Zuschreibung bestimmter professioneller Kompetenzen ablehnt und sich verwundert über solche zeigt, nimmt er vergleichbare Konstruktionen selbst vor:
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C Empirische Ergebnisse „Trotzdem denke ich ist es wichtig ähm ich denke ideal wäre es; wenn Kinder in Klasse 1/2 eine Lehrerin haben und in Klasse 3/4 einen Lehrer. vielleicht auch andersrum aber in der Regel liegt den Lehrern ja doch so (.) Klasse 3/4. bei den Grundschullehrern. bei mir ist es übrigens genauso.“ (490-493)
Betrachtet man Davids zuvor angestellten Überlegungen, so mutet dieses Statement wie eine Kehrtwendung an. Die Strukturkategorie ‚Geschlecht‘ wird aktiviert, das Adjektiv „wichtig“ erfährt eine Steigerung in „ideal“. Davids Vorschlag zielt darauf, dass die Schülerinnen und Schüler abwechselnd von Frauen und Männern unterrichtet werden. Dabei weist er Frauen die Klassenstufe 1 und 2 zu, Männern die Klassenstufe 3 und 4: Zwar wirft er ein, dass diese Aufteilung auch „andersrum“ geschehen könne; dies aber nur „vielleicht“. Pauschal führt er das Argument an, dass männlichen Grundschullehrern die höheren Klassen besser liegen. Diese subjektive Theorie muss David nicht weiter stützen, sie beruht auf seine Beobachtungen und wird zudem durch sein eignes Erleben gestützt. Gleichzeitig werden Geschlechterreviere markiert: Frauen erscheinen geeigneter für den Umgang mit jüngeren, Männer für jenen mit älteren Kindern. Ganz nebenbei stellt David eine Passung zwischen seiner Person und dem Mannsein her, indem er betont, dass diese Einschätzung „übrigens“ auch auf ihn zutreffe. Bleibt die Argumentation zunächst im theoretischen Rahmen verhaftet, so berichtet David im Folgenden von seinem individuellen Erleben, das seine zuvor formulierten Thesen absichert: „Ich mache jetzt zum ersten Mal Klasse 1/2 und da muss ich sagen da stoße ich auch so ein bisschen an meine Grenzen, äh das ist nicht so:: (2) ja, obwohl ich damals im Kindergarten auch gedacht habe ja das ist was für mich mit den Kleinen; aber (.) das Unterrichten mit Klasse 3/4 macht mir um einiges mehr Spaß und da kann ich mehr meine Stärken einsetzen zum Beispiel einfach auch so (2) zu so=so Sprüche, so=so=so ein bisschen Ironie auch; ein Witz also; den die Kleinen natürlich nicht verstehen. also die Sprache wie rede ich mit den Kindern; ich meine ich bin jetzt niemand der jetzt so diese (.) diese Kindergartensprache auspackt und so, sondern ich rede eigentlich mit den Kindern schon in der ersten Klasse so wie ich mit Erwachsenen auch spreche. zumindest jetzt vom Tonfall. jetzt natürlich nicht vom Wortschatz. aber (.) da möchte ich mich auch nicht verstellen. und das kam (.) bisher auch gut an bei den Kindern. also das wird schon auch wahrgenommen dass ich da authentisch bin. (.) aber eben mit Klasse 3/4 macht das das schon noch leichter. oals mit den Kleineno. (5)“ (493-506)
David spricht zwar davon, dass er beim Unterrichten in der Schuleingangsstufe an seine Grenzen kommt; die Formulierung „so ein bisschen“ impliziert, dass David die Sache aber durchaus im Griff hat. Er erinnert an seine Berufswahlmotive, wenn er seine Erfahrungen im Kindergarten während seines Zivildienstes noch einmal ins Spiel bringt. Dann betont er aber, dass er besser für die höheren Klassen geeignet ist: „Spaß“, also individuelle Befriedigung bei der Arbeit, sowie eigene „Stärken“, sprich Qualifikationen, werden als unterstützende Argumente angeführt. Er beruft sich darauf, die Kinder sprachlich wie Erwachsene zu behandeln und wertet eine
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altersgerechte Anpassung der Sprache als „Kindergartensprache“ ab. Dass sein Verhalten tatsächlich eine Qualifikation darstellt und nicht etwa eine fehlende Kindorientierung, sichert David mit dem Hinweis ab, dass Kinder dies schätzen und seine Authentizität erkennen. Es erschließt sich, dass David sein Selbstbild über Sprache definiert. Eine Anpassung des Sprachniveaus an die Klientel bedeutet ein Verstellen, auf das er sich unter keinen Umständen einlassen möchte. Durch die Betonung diesen Bereiches („da möchte ich mich auch nicht verstellen“) schwingt mit, dass er sich in anderen Zusammenhängen eine Abweichung von seiner Persönlichkeit durchaus vorstellen kann, diese eventuell auch stattfindet. Implizit unterstellt er mit seiner Argumentation, dass Frauen eine „Kindergartensprache“ eher liege und diese sich hier nicht verstellen müssen. Eine – unbeabsichtigte – Abwertung der Kolleginnen findet statt. Auf Nachfrage geht David weiter auf die Differenz zwischen Frauen und Männern im Grundschulberuf ein: „Es ist vielleicht, (.) ich weiß nicht was sich bei den Kindern abspielt. ob sie dann irgendwie so ein bisschen denken das ist so wie der lustige Onkel, der=äh ab und zu mal vorbeikommt und mit denen so ein bisschen äh ja, zünftiger vielleicht äh zu tun hat, ist ja oft so ein bisschen das Klischee das ma=oder der Papa wenn er mal Zeit hat dann macht er richtig Remmi-Demmi und so, und die Mama ist eher so für das Emotionale zuständig, ich denke schon dass ich da so in die Richtung gehe; dass ich auch so ein bisschen (.) zünftiger sein kann. und (.) das gefällt, ja es ist die Frage wem gefällt es und wem gefällt es nicht bei den Kindern; äh ich würde jetzt nicht unterscheiden und sagen ja für die Mädchen tut es mir dann wieder leid, die armen, die haben jetzt nicht die (.) die emotionale und fürsorgliche Lehrerin sondern so einen ähm, (.) nö.“ (518-528)
Interessant ist die sequenzielle Argumentationslinie, die einem Herantasten an die eigentliche Aussage gleicht: Das vage „vielleicht“ deutet ebenso wie die Konstruktion über die Erwartungen der Kinder darauf hin, dass David sich hierzu noch kaum explizit Gedanken gemacht hat, die seine Thesen auf einer reflexiven Ebene stützen könnten. Über den „Onkel“ gelangt er zum „Papa“, stellt damit in zwei Schritten erneut eine Familiarisierung seiner Arbeit her. Er bezeichnet es selbst als „Klischee“, dass Männer in der Familienstruktur zum einen eher abwesend sind („ab und zu mal vorbeikommt“, „wenn er mal Zeit hat“), zum anderen dann für Aktionen sorgen, die vor allem Spaß versprechen. Als Gegenbild zeichnet er das Bild der emotional-fürsorglichen Mutter. Gleichwohl bestätigt er dieses zuvor als Klischee bezeichnete Verhaltensmuster und beansprucht für sich klar die Rolle des „Onkels“ bzw. die des „Papas“. Lehrerinnen weist er als Gegenpol die Rolle der Mutter zu. Als weitere Suchbewegung ist dabei seine Frage zu sehen, wem seine Art entgegenkomme und wem nicht. Er behauptet, hier keine geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen feststellen zu können, impliziert in seiner Formulierung aber gleichzeitig, Mädchen wären bei einer mütterlichen Lehrerin besser aufgehoben. Dem setzt er in der Fortsetzung der Passage entgegen,
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C Empirische Ergebnisse
dass er davon überzeugt ist, mit seiner männlichen Art der Berufsausübung allen Kindern in derselben Weise zu nutzen: „Ich glaube äh; die Erfahrung habe ich gemacht mit den Klassen die ich bisher hatte eben mit 3/4 in Mauringen; (.) dass ich sie schon präge. und das (.) hat mich am Ende dann auch stolz gemacht wenn ich sie dann am Ende Klasse 4 hatte, dass ich gemerkt habe; ja; jetzt sind die v- von mir irgendwo auch erzogen worden und haben auch ein bisschen meinen Stil angenommen, von dem ich dann auch denke der bringt sie auch weiter zum Beispiel (.) dass sie einfach auch ein gewisses Selbstbewusstsein aufbauen. das (.) war mir immer sehr sehr wichtig. ja, und dass ich von ihnen auch was fordere und und äh sie nicht immer nur tätschele und streichele sondern wirklich auch mal komm jetzt und es geht los.“ (528-536)
Wurde das Thema zuvor noch als theoretisches Konstrukt bearbeitet und blieb David daher auch eher vage, so stützt er sich nun auf Beobachtungen und Erfahrungen, die eine eindeutige Positionierung ermöglichen. David spricht von Prägung und Erziehung, die die Kinder seiner Meinung nach in eine sinnvolle Richtung lenken. Diese Richtung schlagen sie ein, indem sie Davids „Stil“ annehmen: Hier sind im Rückgriff auf die gesamte Passage sein Witz, seine Ironie und seine ‚zünftige Art‘ gemeint, die den Kindern Selbstbewusstsein vermitteln. Gerade hierin sieht er ein Erziehungsziel, das zu erreichen ihn „stolz“ macht. Sichtbar werden hier Davids erzieherische Ansprüche sowie seine Theorie darüber, wie Erziehung stattfindet: im ‚Lernen am Modell‘. Er selbst sieht sich als Vorbild, dessen eigene Persönlichkeit ausschlaggebend ist für den Erziehungserfolg. Der Erfolg wiederum ist ausschlaggebend für Davids Berufszufriedenheit. Zu seinem pädagogischen Verständnis gehört weiterhin das Prinzip des Forderns: Schülerinnen und Schüler müssen zu Leistung angespornt und angetrieben werden. „Tätscheln“ und „Streicheln“ sieht er im Gegensatz hierzu und wertet den auf der emotionalen Ebene von Erziehung basierenden Bereich gerade durch die Verwendung dieser im pädagogischen Kontext negativ konnotierten Begriffe ab. In der Weiterführung der Passage stellt David letztere Form der Pädagogik als typisch weiblich heraus: „Und äh (2) ich denke dass Lehrerinnen da manchmal auch so in diese äh Mutterrolle rein geraten; einfach o- das ist überhaupt kein Vorwurf oder so, sondern dass sie da einfach selbstverständlich so (.) mehr Verständnis vielleicht haben oder mehr (2) ja, zärtlicher da rangehen oder so.“ (536-540)
Bereits in der vorsichtigen Formulierung mit „manchmal“ und „rein geraten“ deutet David an, dass er seine Kolleginnen mit dieser Feststellung nicht verurteilen möchte: Sie können ja nichts dafür, als Frau ist es „selbstverständlich“, ist es anthropologisch bedingt, dass sie einen anderen Umgang mit den Schülerinnen und Schülern pflegt. Dieser ist weniger auf Leistung bedacht, sondern von „mehr Verständnis“ und zärtlichem Umgang geprägt. Eine Abschwächung des zuvor verwendeten und doch sehr negativ besetzten Begriffes „Tätscheln“ findet statt,
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um nicht in den Verdacht einer diskriminierenden Äußerung zu geraten. David betont explizit, dass diese Feststellung „überhaupt kein Vorwurf“ sein soll. Die Lehrerinnen werden hier gleichsam passiv dargestellt, die sich nicht aktiv für einen Erziehungsstil oder ein pädagogisches Konzept entscheiden können, sondern sich durch eine ihnen scheinbar angeborene Mütterlichkeit notwendig in die „Mutterrolle“ hineinbegeben. Dem stellt David noch einmal sein eigenes Konzept entgegen, das ein komplementäres Kontrastprogramm zu Mütterlichkeit darstellt: „Und dass ich denke mit meiner Art die ich fahre, die natürlich eine Lehrerin genauso fahren kann, äh (.) ja mache ich die Kinder souverän.“ (540f.)
Hier wird durch die Hintertür ein Vorwurf an die weibliche, mütterliche Art des Unterrichtens gerichtet: Durch das eigene Unterrichten werden Kinder „souverän“, demzufolge bleiben Kinder durch die andere, fürsorgliche Art unselbstständig. Eine klare Wertung der Konzepte findet statt, bei dem seine, die männliche Art der Berufsausübung, eindeutig überlegen ist. Geschieht die Art der Berufsausübung seiner Argumentation zufolge zunächst gekoppelt an die Geschlechtszugehörigkeit, so gesteht er an dieser Stelle in einem Nebensatz den Lehrerinnen zu, sich ebenfalls für seine Form entscheiden zu können. Dennoch müssen Frauen sich hierzu aktiv entscheiden, während Männer dazu prädestiniert sind. Aus dem Diskursverlauf wird deutlich, wie schwer sich David damit tut, sich von überkommenen Rollenklischees zu lösen. Diese werden teilweise explizit als solche bezeichnet, anschließend aber doch reproduziert; dies nicht nur, um die eigene Argumentationsweise zu stützen, tatsächlich sind sie Teil der eigenen Argumentation. Geschlechtsrollenzuschreibungen werden aber immer wieder zurückgenommen; zu bezweifeln ist, dass dies lediglich aus dem Grund der sozialen Erwünschtheit heraus geschieht. Vielmehr kennzeichnen die vielen Suchbewegungen und Fragen, die David selbst in den Raum stellt, eine Verunsicherung, ein Stück ‚Gender Trouble‘, das ihn umtreibt. David erscheint gefangen in einem Netz von Erwartungen, Erfahrungen, Beobachtungen und Reflexionen, die in ihrer Gesamtheit teilweise gegensätzlich zueinander sind und ihm keine einfachen Antworten erlauben. Eine weitere Unsicherheit wird spürbar, wenn David die thematische Sequenz weiterführend und von der Körperlichkeit seines Berufes berichtet: „Was wo ich mich sehr unwohl gefühlt hab in Klasse 1, Klasse 2 gibt’s das nicht mehr so, ist wenn die Kinder dann zu mir kommen. weil dann merke ich nämlich das ist jetzt der Punkt also wenn sie sich auf den Schoß setzen wollen und so weiter, das ist dann der Moment, wo mir dann viel durch den Kopf geht. wo ich dann weiß, für für eine Lehrerin ist das kein Problem. wenn die das nicht stört, dann sitzen die alle drum herum, und das ist für die Kinder auch schön. und wichtig. gerade am Anfang. und bei mir denke ich dann immer nur, oh ja; wenn jetzt jemand reinkommt. was kann der alles äh die alles Falsches denken.“ (543-550)
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C Empirische Ergebnisse
Der Interviewpartner muss das Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler nach Körperkontakt zurückweisen, obwohl er diesen für „schön“ und „wichtig“ für die Kinder hält. Dies geschieht aus der Angst heraus, sich des sexuellen Missbrauchs verdächtig zu machen. Die Ungeheuerlichkeit eines solchen Verdachts wird dadurch deutlich, dass David diesen nicht als solchen explizit nennt, sondern umschreibend von „alles Falsches“ spricht. Die Äußerungen deuten gleichwohl darauf hin, dass er die körperliche Nähe dennoch zulässt: „bei mir denke ich dann immer nur“ weist darauf hin, dass seine Ängste sich nicht auf eine rein hypothetische Situation beziehen. An späterer Stelle revidiert er dies aber, indem er eindeutig sagt, dass er dies nicht zulasse (s.u.). Hier wird der Widerspruch zwischen impulsivem und reflektiertem Verhalten deutlich: Folgt David unbewusst seinem ersten Impuls, so kommt es zu spontanen Situationen, in denen körperliche Nähe möglich ist. Schaltet sich Davids Bewusstsein ein und reflektiert die Situation, ist dies nicht mehr möglich. Er sieht Lehrerinnen im Vorteil, die vor dergleichen Verdächtigungen seiner Meinung nach verschont bleiben. Der Lehrerin als Stellvertreterin der Mutter ist emotionale Zuwendung in Form von Körperkontakt erlaubt, während diese für ihn als Mann mit einem Tabu belegt ist. David stellt klar, dass er in diesem Zusammenhang auf ein gesellschaftlich vermitteltes Bild Rücksicht nehmen muss: „Es ist das einzige Problem was ich da hab. das Problem ist nicht dass es mich stört wenn die Kinder da um mich rum sind. wobei ich jetzt schon auch ähm sagen würde also irgendwann ja, es=s s=ist jetzt, das geht jetzt auch nicht mehr. aber wenn ich dann schon auch merke ein Kind hat jetzt das Bedürfnis oder so, hab ich da keine Berührungsängste. aber ich trau es mir nicht zu und deswegen lass ich es. weil ich immer denke ja. oder allein wenn ein Kind das zu Hause erzählt. einfach nur erzählt ja ich saß dem Herrn David auf dem Schoß das war ganz schön und so; (2) um das zu vermeiden,“ (550-557)
Zwar schränkt David ein, dass ihm körperliche Nähe durchaus auch einmal zuviel werden kann, dennoch lehnt er sie nicht generell ab. Daniel schafft so den Spagat zwischen Mannsein und weiblich konnotierten Verhaltensweisen. Dabei legitimiert er seinen Ansatz über die Bedürfnisse von Kindern nach Nähe. Gleichzeitig wird in der Passage erneut sein pädagogisches Ethos sichtbar, das die Bedürfnisse der Kinder wahr- und ernst nimmt. Gleichwohl geht nicht nur von den Kolleginnen und Kollegen bzw. von der Rektorin die Gefahr der Missdeutung aus, auch die Eltern könnten sein Verhalten fragwürdig finden. Hier könnte der ihm entgegengebrachte Männerbonus schnell in das Gegenteil verkehrt werden. Nach konkreten Erfahrungen mit Missbrauchsvorwürfen in seinen bisherigen Kollegien gefragt, kann er von keinen Vorfällen berichten:
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„Ich denke das ist übertrieben von mir. diese Sorge. ich denke (.) in der Regel (.) selbst wenn da Frau Holm [die Rektorin, R.B.] mal reinkommt und sieht dass ich da mal ein Kind (.) im Arm hab oder so würde sie nichts Falsches denken. aber, (.) äh ich will da gar kein Risiko eingehen.“ (570-573)
Das betonte „denke“ weist auf Unsicherheit hin: Sicher kann er sich in der von ihm skizzierten beispielhaften Situation nicht sein. Seine Souveränität steht der „Sorge“ gegenüber, in einen unbegründeten Verdacht zu geraten. Dieses „Risiko“ steht so dominant im Raum, dass er von einem Verhalten in diese Richtung in jedem Fall absieht. Gleichwohl konstatiert er, dass diese selbst auferlegte Distanz im Grunde nicht angebracht ist: „Und dann denke ich auch hm. jetzt hab ich jetzt dadurch zu viel Distanz zu den Kindern, gerade jetzt erste Klasse, äh (2) ja (.) kann ich denen jetzt was nicht geben was sie wo anders kriegen würden? (.) da- das denk ich schon dass ich das auch phasenweise gedacht hab. gemerkt hab da ähm (.) in dem Bereich kann ich nicht so viel bieten, jetzt mach ich halt ja=äh od- oder schlüpf noch mehr in die Rolle des Mannes rein und mach da so meine Schiene. (.) für manche Kinder tat es mir leid. Ja. (5)“ (573-579)
Sein Mannsein zwingt David zu einer Distanz, die den Erfordernissen in der Schuleingangsphase entgegensteht. „Wo anders“, sprich bei den weiblichen Kolleginnen, können die Schülerinnen und Schüler auch die körperliche Zuwendung erfahren, die sie seiner Sichtweise nach gerade zu diesem Zeitpunkt benötigen. Um dieses Defizit auszugleichen, wählt David eine Strategie, die in seiner Darstellung als bewusst gewählte erscheint. Er schlüpft „in die Rolle des Mannes rein“. Der Interviewpartner erweckt hiermit den Anschein, dass diese Rolle klar definiert ist. Die Formulierung suggeriert eine differente Berufsausübung von Männern und Frauen. Die Unmöglichkeit, nur Frauen zugestandene Anteile in den Berufsalltag einzubringen, verlangt nach einer Kompensation durch betont männliche Verhaltensweisen. David bezeichnet dieses Verhalten als „Rolle“, die man einfach so übernehmen kann. Hier zeigt sich eine Ambivalenz, in der David zum einen differenztheoretische Sichtweisen ganz natürlich aktiviert, zum anderen aber ein konstruktivistisches Verständnis von Geschlecht und den hiermit verbundenen Zuschreibungen an den Tag legt. Vergleicht man die Sequenz zum Missbrauchsverdacht mit seinen zuvor gemachten Ausführungen zum „Tätscheln“ und „Streicheln“, so wird die innere Gespaltenheit Davids besonders deutlich. Lehnt er eine fürsorgliche Art der Berufsausübung zunächst als weiblich-mütterlich ab, so zeigt sich nun eine Sehnsucht danach, unbefangen agieren und die Kinder auch emotional ansprechen zu können. Gesellschaftlichen Konventionen und das eigene Konstrukt einer geschlechtsspezifischen Berufsausübung, zu der er eine Passung herstellen muss, verhindern ein Nachgeben dieser Sehnsucht.
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C Empirische Ergebnisse
Berufsprestige: „Das ist einfach eben so Trallala Anfassen Ringelpiez.“ Bereits in seiner Berufsfindungsphase macht David die Erfahrung, dass der Beruf des Grundschullehrers wenig gesellschaftliche Akzeptanz erfährt: „Also wenn ich überlege was das für einen Ruf hatte bei uns äh zu Oberstufenzeiten beispielsweise, oder auch in der Phase wo ich mich dann entschieden hab das zu studieren, es (2) es war mir fast peinlich das zu sagen. gegenüber meinen Kumpels, also ich hab das eigentlich nicht groß so rausposaunt.“ (614-617)
Auf den schlechten Ruf des Berufes geht David zunächst nicht näher ein, da dies in seinen Augen nicht weiter erklärungsbedürftig ist. David scheut sich, seinen Berufswunsch seinen „Kumpels“ zu offenbaren. Vermutlich erwartet er gerade von anderen jungen Männern wenig Verständnis. Das Adjektiv „peinlich“ drückt ein Schamgefühl aus: Der Berufswunsch ist nicht kongruent zu Davids Geschlecht. Er vermeidet es, seine Entscheidung öffentlich zu machen. Offensiv vertritt er seine Berufswahl in keinerlei Weise, die Gefahr, in die Defensive zu geraten und in eine Verteidigungshaltung gedrängt zu werden, veranlasst ihn, seine Berufswahlentscheidung für sich zu behalten. Auf die konkrete Nachfrage nach dem Ruf, der dem Beruf des Grundschullehrers bzw. der Grundschullehrerin seiner Meinung nach anhaftet, antwortet David: „Der Ruf ist einfach, dass es kein richtiger ernstzunehmender Beruf ist. so hatte ich das Gefühl. dass äh das einfach eben so Trallala Anfassen Ringelpiez ist, und äh (.) nicht richtig pädagogische Arbeit. also jetzt vor allem natürlich von denen die auch nicht (.) irgendwie Gymnasiallehrer sind oder so was sondern einfach die mit Pädagogik nich- auch nichts am Hut haben. ja die eher so ein bisschen Richtung Wirtschaft denken. BWL und so so solche Studiengänge äh die konnten da grundsätzlich nichts damit anfangen, und dann noch Grundschule, das war einfach so (.) es hat hat wirklich so diesen Ruf.“ (619-626)
Die extrem abwertende Beschreibung als „Trallala Anfassen Ringelpiez“ bringt zum Ausdruck, dass für diesen Beruf weder eine bestimmte Qualifikation benötigt wird, noch dass in ihm qualifizierte Arbeit geleistet wird. David schränkt diese Stigmatisierung dahingehend ein, dass er sie mit Personen verbindet, die sich für ‚harte‘ Studiengänge entschieden haben und insgesamt mit Pädagogik nichts anfangen können. Mitschülern bzw. Mitschülerinnen, die selbst das Lehramt an Gymnasien anstreben, spricht er durchaus eine andere Einstellung zu. Allerdings können diese eher mit Verständnis für deren Berufswahl rechnen als jemand, der sich für das Lehramt Grundschule entscheidet. Die Formulierung „und dann noch Grundschule“ bestätigt, dass dieser Beruf in seinen Augen auf der untersten Akzeptanzstufe steht. Dass es sich bei seinen Äußerungen nicht um bloße Eindrücke von ihm handelt, sondern dieses Prestige dem Beruf tatsächlich anhängt, sichert David mit dem die Passage abschließenden Satz ab.
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Selbst während des Studiums erfährt David keine Anerkennung für die Wahl seines Stufenschwerpunkts: „Und da hatte ich auch so ein bisschen daran zu knabbern auch so die ersten Studienjahre dann auch unter Studenten natürlich. was studierst du; ja Grundschullehramt. genauso. genau dasselbe.“ (626-628)
Erfährt David zuvor Ablehnung von Personen, die generell keine Affinität zu pädagogischen Berufen aufweisen, so sind es nun Kommilitonen und Kommilitoninnen, die das Lehramt an Haupt- oder Realschulen studieren. Die verharmlosende Formulierung „ein bisschen daran zu knabbern“ täuscht darüber hinweg, dass David die verweigerte Anerkennung tief kränkt. Die erlebte Abwertung führt soweit, dass er selbst ins Zweifeln gerät über die Qualifikation, die für die professionelle Ausübung seines Berufes notwendig ist. So berichtet er, dass er erst während des Referendariats begreift, welche Anforderungen der Beruf tatsächlich stellt: „Und erst seit ich in dem Beruf drin bin, eigentlich seit dem Referendariat. hab ich kapiert dass es ein eigentlich ein absolut (.) oder nicht eigentlich. dass es ein=ein=n absolut äh (.) ja ein absoluter Beruf ist mit hohen Anforderungen und wo man wirklich professionell arbeiten muss sonst geht man unter. (2) das ist ganz klar.“ (628-632)
David selbst begreift erst in der Praxis, dass es sich bei seinem Beruf um eine Tätigkeit handelt, bei der es nicht mit „Trallala Anfassen Ringelpiez“ getan ist. Diese Erfahrung veranlasst ihn, die zunächst mit der Abtönungspartikel „eigentlich“ weich eingeleitete Feststellung zu korrigieren und ein „absolut“ dagegenzusetzen; seine Position steht nicht weiter zur Diskussion. Fehlt die professionelle Haltung, dann „geht man unter“. Dieses Untergangsszenario verlangt weiter keine Erklärung, denn es ist „ganz klar“, quasi eine unumstößliche Tatsache. David betont die für den Beruf notwendige Professionalität und verschafft dem Beruf so das auch für sein eigenes Selbstbewusstsein wichtige Prestige. Zunächst gilt Davids Plädoyer für alle Schularten: „Egal ob Grundschule oder Hauptschule ooder sonst irgendwie welche Schulformo.“ (632f.)
Er verteidigt den Berufsstand der Lehrerinnen und Lehrer generell. Dann stellt er noch einmal das von ihm gewählte und ausgeübte Lehramt besonders dar, um abzusichern, dass seine Tätigkeit auch im Vergleich zu anderen Lehrämtern in keinerlei Weise minderwertig ist: „Aber in der Grundschule muss man ja (.) so viel können, ich mach ja alle Fächer, ich muss ja überall was bieten können, dazu noch äh diese erzieherischen Dinge die auch zunehmend äh anstrengender werden,“ (633-635)
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C Empirische Ergebnisse
Die Betonung in dieser Sequenz stellt die hohen Anforderungen heraus, weist schon beinahe in Richtung einer Überforderung. Von der unbestimmten Form „man“ gelangt David zum „ich“, um sich als Beispiel einzubringen: Man muss etwas können, er muss etwas bieten. Ansprüche werden gestellt, denen er nachzukommen verpflichtet ist. Als ob dies nicht genug ist, kommen dann noch „diese erzieherischen Dinge“ hinzu; zu den fachwissenschaftlichen bzw. fachdidaktischen Aspekten, die zunächst als Argumentation für die Notwendigkeit von Professionalität angeführt werden, tritt untergeordnet die erzieherische Seite der Arbeit. Diese Reihenfolge ist vermutlich dem vorherrschenden Bild des Berufs geschuldet: Die erzieherische Leistung wird vermutlich noch eher gesehen und anerkannt, der fachwissenschaftliche Aspekt sowie der fachdidaktische Anspruch wird in der Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen. Daher muss dieser zuerst betont werden. Die Aussage, dass die Erziehungsarbeit „zunehmend anstrengender“ werde, überrascht, hält man sich vor Augen, dass David gerade einmal fünfeinhalb Jahre im Schuldienst ist. Hier zeichnet er das gängige Bild einer veränderten Kindheit, das vermutlich wenig mit den eigenen Erfahrungen zu tun hat. Wohl ist es aber als weiterer Hinweis zu verstehen, dass erzieherische Arbeit auch von David nicht als Tätigkeit gesehen wird, die an sich schon professionelles Handeln verlangt. Erst die zunehmenden Belastungen in gesellschaftlicher Perspektive erfordern ein solches. Insgesamt werten die praktischen Erfahrungen Davids eigenes Bild von seinem Beruf soweit auf, dass er nun zu seinem Beruf stehen kann: „Und inzwischen so also (.) ich ich steh dazu, wenn ich jetzt äh meinen ehemaligen Kumpels vo- von der Schulzeit erzähle, kann ich dazu stehen, absolut, und versuche ihnen dann auch zu vermitteln was dieser Beruf eigentlich bedeutet,“ (635-638)
Aus dem anfänglichen Schamgefühl ist Selbstbewusstsein geworden. Ein gewisser Rechtfertigungsdruck besteht anscheinend weiterhin, wenn er „versucht“, den Skeptikern den Wert seines Berufes zu „vermitteln“. Am Erfolg dieser Versuche zweifelt David allerdings selbst: „Ob sie’s wirklich dann so annehmen weiß ich nicht weil dann kommt natürlich immer diese anderen Sprüche mit Ur- mit den Ferien und so weiter, ja, und die tollen Vorteile die man hat, ich sag inzwischen nur noch ja warum hast du’s nicht gemacht, ja, wenn das so viele Vorteile hat und so toll ist warum bist du nicht Lehrer geworden,“ (638-642)
Auf sein Werben um Akzeptanz wird mit dem Klischee der Ferien reagiert: David nennt diesbezügliche Äußerungen „Sprüche“, weist damit darauf hin, dass es sich um keine ernstzunehmenden Argumente handelt. Dennoch kommen diese „natürlich“: So tief verankert sind Klischees und Vorurteile über den Lehrerberuf,
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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dass sie nicht ausbleiben können. David kontert zwar in der Sache, dies aber wenig argumentativ, sondern mit einem ‚Totschlagargument‘. Gilt das Klischee des Dauerurlaubers zunächst für den gesamten Berufsstand der Lehrerinnen und Lehrer, so führt David in der Folge ein weiteres Argument an, das ihn speziell als Grundschullehrer betrifft: „Aber es hat sicherlich viel damit zu tun dass es so ein bisschen äh wie so so ein n- n- ja- äh Familie, also als ob das so ist wie wie die Hausfrau mit den Kindern die Erziehung macht, so was mach ich halt in der Schule. so irgendwie. (2) ja.“ (645-648)
Der Beginn der Sequenz „Aber es hat sicherlich viel damit zu tun“ deutet darauf hin, dass der genannte Zusammenhang vom Gegenüber selbst nicht explizit hervorgebracht wird. Vielmehr spricht hieraus eine Sichtweise auf den Beruf, die in David selbst latent vorhanden ist. Die Nähe seiner Tätigkeit zum Reproduktionsbereich, der weiblich konnotiert und mit „Hausfrau“ in Verbindung gebracht wird, spiegelt die tief greifende Verunsicherung wider, die David mit seiner Berufswahl verbindet: Er als Mann übt eine Tätigkeit als Beruf aus, die normalerweise Frauen quasi nebenbei als Hausfrauen bewerkstelligen. Der professionelles Handeln erfordernde Charakter seiner Tätigkeit wird selbst ihm erst auf den zweiten Blick und auf Grund seiner praktischen Erfahrungen bewusst. Diese fehlen Außenstehenden, Anerkennung erwartet er daher schon gar nicht, auch wenn er sie inzwischen (halbherzig) einfordert. Der Interviewpartner berichtet weiter, dass er gefragt wird, warum er nicht Gymnasiallehrer geworden sei, verdiene man dort doch „viel mehr Kohle“ (665). Diese Option schlägt er kategorisch aus: „Aber ich könnte es mir gar nicht vorstellen. ja und äh (2) und einfach vom Arbeiten her. weil das ist einfach ganzheitlicher hier. hier kann ich alles machen und (.) mir geht es gar nicht so um die Wissensvermittlung sondern mir geht es wirklich um diese Erziehung. und das muss man auf der Grun- auf dem Gymnasium oder kann man da ja gar nicht so machen.“ (663-667)
Beschreibt David zuvor seinen Beruf noch so, dass er alles machen „muss“, so stellt er diesen Sachverhalt nun als großen Vorteil dar. Auch die Belastung durch die „zunehmend anstrengender“ werdende Erziehungsarbeit erfährt eine Umdeutung. Wurde diese zuvor noch als belastender Indikator eingeführt, so wird sie nun als großer Vorteil gegenüber anderen Lehrämtern gedeutet. Die berufliche Orientierung Davids wird erkennbar: Er stellt den Erziehungsauftrag klar vor den Bildungsauftrag. Direkt darauf angesprochen, ob er vor dem Hintergrund des Genderaspekts mit Vorurteilen konfrontiert wird, antwortet David: „Ach so dass ich als Mann, ja da kam halt immer dieser Spruch ja mit den vielen äh Studentinnen um dich herum und so, also so eher auf die Art. ja, diese Grundschulmäuse oder Grundschulhäschen da die haben dann auch so ihren Ruf, (.) ja. und es (.) an dem Ruf ist teilweise auch etwas dran
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C Empirische Ergebnisse würde ich sagen also es waren schon so gewisse Klischees dann auch an der PH. so strickend und Janosch-Täschchen und so weiter und so solche Sachen haben mich dann auch immer ein bisschen genervt aber mein Gott. ((klatscht in die Hände)) ja. (2) wie gesagt seit ich Lehrer bin weiß ich dass es ein vollwertiger Beruf ist. der einem alles abverlangt und deswegen steh ich da auch total dazu. und weiß dass es ein toller Beruf ist,“ (669-677)
David greift hier auf Erfahrungen aus der Zeit des Studiums zurück. Um den hohen Studentinnenanteil an der Hochschule wird er beneidet, die Kommentare seiner Freunde sind eindeutig sexuell konnotiert. Er selbst vermittelt aber den Eindruck, dass er mit dem Typ Frau, der von seinen Kommilitoninnen repräsentiert wird, nicht viel anfangen kann: Zunächst bezeichnet er diese als „Grundschulmäuse oder Grundschulhäschen“. Erinnert „Grundschulmäuse“ noch eher an das Bild der grauen Maus, also der unauffälligen Frau, so spricht aus dem „Häschen“ erneut eine sexualisierte Zuschreibung. Beide Begriffe sind in einem patriarchal gefärbten Ton zu verstehen, aus ihnen spricht Abwertung und die Reduktion der Studentinnen auf Objekte, die nicht Ernst zu nehmen sind. Wennschon aus der Sequenz zunächst nicht eindeutig hervorgeht, ob dies das Bild der Freunde oder das eigene Bild ist, so setzt David im Folgenden dem auf jeden Fall nichts entgegen. Im Gegenteil, er bestätigt die „Klischees“, die er selbst als solche bezeichnet. Die Äußerung „so strickend und Janosch-Täschchen“ drückt in Bildern einen Typ Frau aus, den David nicht ernst nimmt. Stricken als Handarbeit ist zu verorten in den häuslichen Bereich, hat nichts zu tun mit einer intellektuellen Leistung, die im Hörsaal verlangt wird. Die „Janosch-Taschen“ stehen als Bild für Infantilisierung und Regression. Diese Studentinnen „nerven“ David dann „immer auch ein bisschen“: Auch wenn David seine Aussage sprachlich abschwächt, so ist doch sein Unbehagen zu spüren, sieht er sich doch in die gleiche Ecke gedrängt, die durch seine Kommilitoninnen in Reinform repräsentiert wird. David beendet den Diskurs dann recht vehement, indem er in die Hände klatscht. Das „aber mein Gott“ zuvor deutet an, dass er diese Erfahrungen beiseite schieben möchte, er sie als abgeschlossen ansieht. Er wiederholt zusammenfassend, dass er sich inzwischen (aufgrund seiner praktischen Erfahrung) nicht mehr verunsichern lässt, nennt seinen Beruf „vollwertig“, betont noch einmal, wie anspruchsvoll dieser ist, identifiziert sich mit dem „tollen Beruf“. Aufgrund seiner Verunsicherung infolge der Konfrontation mit ablehnenden Haltungen gegenüber seiner Berufswahl vor und während des Studiums bedarf es dieser pointierten Aussage als Selbstvergewisserung. Dennoch kann sie als authentische Haltung angesehen werden. David redet sich seinen Beruf nicht schön, er identifiziert sich tatsächlich mit diesem. Auf Nachfrage sträubt er sich gegen den Gedanken, irgendwann einmal das Amt eines Schulleiters anzustreben. Hier zeigt sich noch einmal das geschlechtergebundene Sozialprestige, das er als Mann in der Grundschule erfährt:
1.1 Fallanalyse David: „Was mir fehlt, ist einfach so ein Kumpel.“
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„Nein, aber es ist tatsächlich so dass ja aber es ist ja wenn man ein Mann ist, ich hab schon oft die Frage gestellt bekommen ja und? Schulleiter? so auf die Art; was, du willst nicht Schulleiter werden? und bist trotzdem Grundschullehrer geworden? ja aber eben; ich arbeite gern mit den Kindern zusammen. und nicht in der Verwaltung oder bei irgendwelchen Konferenzen. (2)“ (777-781)
David deutet die Frage nach einem Karrierewunsch so, dass es nur dann legitim ist, sich als Mann für den Beruf des Grundschullehrers zu entscheiden, wenn man genau einen solchen hegt. Vehement weist David diese Erwartungen zurück. Die Tätigkeit, für die er sich entschieden hat und die er ausüben möchte, ist die pädagogische Arbeit mit den Kindern. Das Amt des Schulleiters setzt er mit Verwaltungsaufgaben gleich; Schule gestalten, reformieren und entwickeln spielt in diesem Bild keine Rolle. Allein unter Frauen: „Ich brauch zum Beispiel jemanden, mit dem ich über Fußball reden kann.“ Auf die Frage, in wie weit der Titel der vorliegenden Arbeit ‚Allein unter Frauen‘ seine Situation beschreibe, erwidert der Interviewpartner: „Ja ich erlebe es schon so.“ (695)
Die Verwendung des Verbs „erlebe“ impliziert reale Vorfälle und Situationen, denen David in seinem Beruf begegnet. So beschreibt er im Anschluss eine Situation, die zunächst noch kein Alleinsein zum Ausdruck bringt: Am Beispiel des täglichen Zusammentreffens mit bestimmten Kolleginnen zeigt David auf, dass er eine Besonderung durch diese erfährt. Diese ist allerdings positiv konnotiert, er erfährt Wohlwollen und Anerkennung aufgrund seines Mannseins. Erst in einem zweiten Schritt kommt er dann darauf zu sprechen, was konkret sein Alleinsein ausmacht. Obschon er zwei männliche Kollegen an seiner Schule hat, verfügt er nicht über den Kontakt zu diesen, den er sich wünscht: „Ja gut bei Thomas ist es denk ich auch also (.) ich meine wir haben auch zusammen studiert und wir kannten uns zwar nicht, aber so vom Alter her würde es ja noch passen so, er ist glaub ich so ein bisschen älter, aber er ist schon in einer anderen Lebenssituation drin. mit Kindern und Haus bauen und so weiter. und deswegen äh kommen wir uns auch privat so nicht näher weil er denk ich auch ganz viel um die Ohren hat im privaten Bereich. das ist eigentlich schade, also (.) irgendwie kommt man nicht dazu, und der andere, Karl, mit dem rede ich schon auch so privat und den, den sehe ich auch eher, Thomas ist zu weit weg. der war letztes Schuljahr im Nebengebäude, jetzt ist er da ganz oben irgendwo, und mit dem Karl da haben wir halt äh Fußball als ein Thema, der geht auch zum Fußballclub, gestern haben wir uns zufällig getroffen im Stadion und so, und mit dem habe ich mich auch schon ausführlicher unterhalten. und das tut auch immer ganz gut. also ich brauch zum Beispiel jemand mit dem ich über Fußball reden kann. das ist ein super Beispiel dafür allein unter Frauen, das fehlt mir montagmorgens. das war in Mauringen ganz schlimm, da gab es nicht mal Männer die sich richtig interessiert haben, und ich saß da ja und jetzt (.) also worüber kann man privat reden mit den Leuten. das ist ja so die Frage. und mit dem Karl kann ich halt darüber reden oder auch über das Reisen, der reist auch gerne, (.) ja und sonst gibt es schon Dinge
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C Empirische Ergebnisse die man mit Frauen @jetzt vielleicht nicht so@ bespricht. oder andersrum die Frauen unterhalten sich über Dinge und ich sitz dabei und denk mir dann halt na ja gut, wüsste ich jetzt auch nichts dazu beizutragen.“ (715-734)
David spricht zuerst über Thomas, mit dem er aber kaum in Kontakt ist. Als Kriterium für eine Freundschaft wird zunächst der Generationenaspekt deutlich gemacht: Thomas ist etwa im selben Alter, er befindet sich in einer vergleichbaren Dienstaltersstufe. Grundsätzlich sind das Voraussetzungen, die für David die Basis für Privatheit darstellen: „vom Alter würde es ja noch passen so“. Diese Formulierung nimmt vorweg, dass dies ansonsten eben nicht der Fall ist: Thomas befindet sich in einer Lebenssituation, die von familialen Bezügen geprägt ist: „mit Kindern und Haus bauen und so weiter“. Hier verliert sich für David die Anschlussfähigkeit einer privaten Beziehung. Er selbst befindet sich in einer anderen Situation, ist zwar selbst auch verheiratet, dennoch stärker nach außen orientiert. David deutet die Lebenssituation von Thomas so, dass dieser „auch ganz viel um die Ohren hat im privaten Bereich“. Dies ‚denkt‘ David: Sicher ist er sich nicht, vielmehr handelt es sich um eine Interpretation der beobachteten Lebenssituation. Dass David dieses Nicht-Verhältnis bedauert, wird durch das „das ist eigentlich schade“ zum Ausdruck gebracht. Was an dieser Stelle fehlt, ist eine Begründung für dieses Bedauern: Das ähnliche Alter von Thomas und David bleibt die alleinige Begründung für eine potentielle Freundschaft. Gleiche Interessen werden nicht genannt, durch die unterschiedlichen Phasen der Lebensgestaltung sogar eher ausgeschlossen. Von grundsätzlichen Sympathien spricht David ebenfalls nicht. So entsteht der Eindruck, dass sich das Bedauern eher darauf bezieht, dass ein potentieller ‚Kumpel-Kandidat‘ ausfällt. Mit Thomas als Person hat das Bedauern wenig zu tun. Die Barriere einer räumlichen Trennung (Thomas „war letztes Schuljahr im Nebengebäude“) als unüberwindbares Hindernis für eine private Beziehung kann als These aufrechterhalten werden. Diese Hindernisse bestehen bei Karl, seinem zweiten männlichen Kollegen, nicht: Zum einen sieht er diesen „eher“, das heißt, er unterrichtet im selben Gebäudeteil. Zum anderen haben sie ein gemeinsames Interesse, nämlich Fußball. Über das Alter Karls berichtet David an dieser Stelle nichts: Wurde dies zunächst als ein verbindendes Element angeführt, so spielt es nun vordergründig keine Rolle. David berichtet, dass er sich mit Karl „privat“ und „ausführlicher“ unterhält. Welche Themen mit „privat“ gemeint sind, lässt sich an dieser Stelle und aus dem weiteren Verlauf der Äußerungen nur erahnen: Das gemeinsame Thema ist Fußball. Beide besuchen das lokale Fußballstadion, allerdings nicht gemeinsam: David hat Karl dort „zufällig getroffen“. Obwohl er innerhalb des Kollegiums also jemanden gefunden hat, der sein Interesse und Hobby teilt, obwohl ihm die Gespräche „auch immer ganz gut“ tun, bleibt das Verhältnis kollegial und in der
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Schule verortet. Auch wenn ein gewisser Grad an Privatheit hergestellt wird, geht die Beziehung nicht darüber hinaus. Der Kumpelwunsch bleibt weiterhin unerfüllt. Dies ist umso verwunderlicher, da neben Fußball noch ein weiteres gemeinsames Hobby eingeführt wird: das Reisen. Worin der Hinderungsgrund für eine weitere Privatisierung des kollegialen Verhältnisses liegt, bleibt unbeleuchtet. In Verbindung mit der Sequenz zu Thomas kann davon ausgegangen werden, dass Karl älter ist als David und dies ein Grund darstellen könnte. David führt das Thema ‚Fußball‘ als beispielhaftes Thema ein, das seine Situation als männlichen Grundschullehrer beschreibt: Die Formulierung „ich brauch […] jemand mit dem ich über Fußball reden kann“ drückt aus, was er mit ‚allein unter Frauen‘ meint: Fußball beschriebt nach wie vor (und trotz der Erfolge der Damen-Nationalmannschaft) ein männliches Geschlechterrevier par excellence: Für David bleibt ausgeschlossen, dass sich auch seine weiblichen Kolleginnen für Fußball interessieren und adäquate Gesprächspartnerinnen sein könnten. David aber benötigt diese Gespräche, um sich seines eigenen Mannseins zu versichern. Männlichkeit kann sich nicht besser ausdrücken als im Fußballspiel. So ist auch seine Äußerung zu den Erfahrung an der vorherigen Schule zu sehen: „das war in Mauringen ganz schlimm, da gab es nicht mal Männer die sich richtig interessiert haben“. Das „da gab es nicht mal Männer“ kann dabei auch ohne den Nebensatz stehen bleiben: Ein richtiger Mann hat sich für Fußball zu interessieren. Als logische Konsequenz ist dann auch kein Kumpel in Sicht, er ist allein. Als Suchbewegung ist dann der Einschub „also worüber kann man privat reden mit den Leuten. das ist ja so die Frage.“ zu lesen. Anscheinend sind Davids Themen begrenzt: Fußball und Reisen, das sind vorerst die Themen, die er anspricht. Mit „den Leuten“ sind seine Kollegen gemeint, nicht etwa Freunde oder Kumpels. Hier besteht für David eine Barriere: Das Themenspektrum im Kollegium ist eingeschränkt, kann per se nicht zu privat werden. Ohne diese Privatheit kann andererseits aber auch kein über das Kollegiale hinausgehendes Verhältnis geschaffen werden. Dieses grundsätzliche Dilemma verstärkt sich im Verhältnis zu den weiblichen Kolleginnen: „ja und sonst gibt es schon Dinge die man mit Frauen @jetzt vielleicht nicht so@ bespricht.“ Welche „Dinge“ dies sind, verrät David nicht. Das Lachen weist darauf hin, dass es sich nun nicht mehr um Sachthemen wie Fußball oder Autos handelt. Vielmehr wird hier ein weiteres Geschlechterrevier eingeführt, bei dem es sich vermutlich um Gespräche über Frauen handelt, die durchaus auch sexistisch konnotiert sein können. David selbst fühlt sich durch die Themen der Frauen ebenfalls ausgeschlossen. Eine inhaltliche Pointierung geschieht nicht; er selbst kann als Mann jedenfalls „nichts dazu beitragen“. Auf die explizite Nachfrage nach diesen ihn ausschließenden Themen antwortet David:
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C Empirische Ergebnisse „Ach wenn vielleicht wenn sie zusammen was gemacht was unternommen haben äh am Abend vorher oder so, und da irgendwas gemacht haben wo ich jetzt eh nicht so einen Bock gehabt hätte ich hätte vielleicht sogar mitkönnen, ähm inzwischen gibt’s da wirklich so ein paar junge Leute mit denen man wirklich was machen kann, aber äh da wusste ich halt das ist nichts für mich. wenn’s irgendein bestimmter Kinofilm ist oder so ound jao (.) eben und da jetzt so vielleicht sogar zwei oder drei äh Männer sitzen zu haben mit denen man so richtig, ach einfach einmal einen trinken gehen kann einfach. das kann ich jetzt eben nur mit denen die ich aus dem Referendariat kenne und dann so (.) einmal im Quartal geht es dann so auf die Piste. und das ist ein bisschen wenig. das ist schade. und das geht halt mit Frauen nicht das ist einfach so. also (.)“ (736-745)
Anscheinend existieren innerhalb des Kollegiums durchaus Verbindungen, die über das rein Kollegiale hinausgehen: Die Kolleginnen treffen sich privat und unternehmen abends etwas Gemeinsames. Das „wo ich jetzt eh nicht so einen Bock gehabt hätte“ weist auf differente Interessen hin. Die umgangssprachliche Formulierung „Bock gehabt hätte“ passt wenig zu der eher gewählten Ausdrucksweise, die David ansonsten verwendet. Sie deutet darauf hin, dass David in dieser Beziehung weitgehend resigniert hat, dass er sich auch nicht weiter um eine Abgleichung der Interessen bemüht. Die Verwendung des Konjunktivs sowie der nachgeschobene Satz „ich hätte vielleicht sogar mitkönnen“ implizieren, dass David grundsätzlich nicht ausgeschlossen wird. Scheinbar wird David dennoch nicht gefragt, er selbst müsste initiativ werden, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Ein Bemühen seinerseits unterbleibt dann aber, vordergründig zunächst aufgrund der unterschiedlichen Interessen, die er am Beispiel eines Kinofilms verdeutlicht. Dabei bescheinigt er seinem Kollegium, dass es (trotz der fehlenden Männer) „da wirklich so ein paar junge Leute“ gibt, „mit denen man wirklich was machen kann“. Noch einmal wird die Bedeutung der Kategorie Generation für den Aufbau von Freundschaften deutlich. Die Betonung durch das zweimalige Verwenden des Attributs „wirklich“ kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass doch die Kategorie Geschlecht Davids Denken und Handeln bestimmt: „eben und da jetzt so vielleicht sogar zwei oder drei äh Männer sitzen zu haben mit denen man so richtig, auch einfach einmal einen trinken gehen kann einfach.“ Nicht die Themen sind die eigentliche Ursache für Davids Abgrenzung, es ist das Geschlecht der Kolleginnen. „Einen trinken gehen“ als Männlichkeitsritual kann man „so richtig“ nur mit und unter Männern: „Und das geht halt mit Frauen nicht das ist einfach so.“ Die Äußerung „das ist einfach so“, die dieses Statement abschließt, lässt keinen Zweifel an seiner Ausführung zu. Unumstößlich existiert die Differenz als Tatsache, über die sich weitere Diskussionen erübrigen. Das Geschlecht bestimmt, ob aus einem kollegialen Verhältnis ein privates werden kann. Das Mannsein selbst ist das erste und grundlegende Kriterium hierfür, nachgestellt werden Alter und Interessen eingeführt, wobei letztere sich vor allem über das Männlichkeitssymbol Fußball definieren.
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Zusammenfassende Interpretation Davids Situation als männlicher Grundschullehrer ist von einer tief greifenden Verunsicherung geprägt. Schon während der Berufswahlphase erfährt er eine Abwertung des von ihm angestrebten Berufes. Der Beruf des Grundschullehrers ist für seine Schulfreunde, aber auch für ihn selbst, eindeutig weiblich konnotiert. Er selbst bezeichnet es als „peinlich“, seine Berufswahl offenbaren zu müssen, kommt die angestrebte Tätigkeit doch derjenigen einer „Hausfrau“ gefährlich nahe. Davids Verunsicherung rührt von ‚Gender Trouble‘, der in der Nichtpassung des Berufs mit seiner Geschlechtszugehörigkeit begründet liegt. Das Erleben einer Nichtpassung findet seine Fortsetzung während des Studiums durch die abwertenden Reaktionen von Kommilitoninnen und Kommilitonen, die andere Lehrämter studieren. Auch die Akzeptanz und positive Diskriminierung, die David während seines Referendariats und nach dem Ende seiner Ausbildung erfährt, irritieren ihn. Für ihn ist es nicht ersichtlich, warum er von Lehrbeauftragten, der Rektorin seiner jetzigen Schule, von Kolleginnen und Eltern auf Grund seiner Geschlechtszugehörigkeit eine Besonderung erfährt. Er stellt die Zuschreibungen, die ihm als männlichen Grundschullehrer entgegengebracht werden, vehement in Frage, setzen diese ihn doch unter einen gewissen Leistungsdruck. Er befürchtet, den Erwartungen seines Gegenübers nicht gerecht zu werden. David gerät in Gefahr, wiederum nicht als ‚echter Mann‘ zu gelten. Auch um das eigene Mannsein unter Beweis zu stellen, beruft er sich dennoch selbst auf Differenzen zwischen der eigenen Berufsausübung und derjenigen seiner Kolleginnen. Für sich beansprucht er Attribute wie pragmatisch, leistungsorientiert, ironisch und gelassen. Frauen dahingegen weist er den emotionalen Sektor zu. Gegen ein Verhätscheln durch Grundschullehrerinnen setzt er die Vermittlung von Souveränität durch ihn als Grundschullehrer. David erkennt die Notwendigkeit emotionaler Zuwendung in seinem Arbeitsfeld, kann diese aber nicht in sein Handlungsrepertoire aufnehmen auf Grund einer Verunsicherung in seiner Männlichkeit, die ihren Ausdruck auch in der Angst vor Missbrauchsverdächtigungen findet. Davids Verunsicherung wird am deutlichsten sichtbar, als er davon erzählt, wie eine Kollegin ihn als Gleichstellungsbeauftragten vorschlägt. Hier versagen seine Strategien der Ironie, Lockerheit und Schlagfertigkeit: Er fühlt sich zutiefst in seinem Mannsein angegriffen, kann den Vorschlag weder einordnen noch souverän auf ihn reagieren. Es zeigt sich, unter welchem enormen Druck David steht, seine eigene Männlichkeit unter Beweis stellen zu müssen. Vor diesem Hintergrund ist auch Davids ausgeprägter Kumpelwunsch zu sehen: Über Männlichkeitsrituale – wie Bier trinken gehen oder über Fußball sprechen – könnte sich David in komplizenhafter Allianz seiner eigenen Männlichkeit vergewissern. David, dem dieses männliche Gegenüber im Kollegium fehlt, zieht
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C Empirische Ergebnisse
sich dennoch nicht zurück; seine Verunsicherung kompensiert er im kollegialen Alltag durch witzige Sprüche und die Rollenübernahme des Clowns. Dieses Verhalten erlaubt er sich auf Grund der Sonderstellung, die ihn als jüngsten Mann im Kollegium kennzeichnet. So lässt sich das Interview mit David als eine Geschichte der (negativen wie positiven) Diskriminierung und Verunsicherung lesen, die in bestimmten Handlungspraxen bewältigt werden muss. Die Bewältigungsstrategien, die hierzu verfolgt werden, erscheinen von außen betrachtet vielleicht nicht immer durchdacht. Dennoch zieht sich durch das gesamte Interview ein Faden der Reflexion. Das Geschlechterverhältnis und die damit einhergehenden Rollenzuweisungen werden zwar aktiv mitgeformt und mitgestaltet, von einer Selbstverständlichkeit kann dabei aber keine Rede sein. Immer wieder gerät David ins Nachdenken und stellt Zuschreibungen in Frage. Er besteht darauf, als Person und nicht als Mann wahrgenommen zu werden, egal, ob er negative oder positive Diskriminierungen auf Grund seiner Geschlechtszugehörigkeit erfährt. Das Nachdenken Davids ist dabei kein flüchtiges und situatives; auch wenn er zu keinen befriedigenden Antworten gelangt, so ist doch ein echtes Denk-Handeln erkennbar, mit dem aus der Distanz heraus auf die Interaktionen zurückgeblickt wird. Auf den beruflichen Habitus hat diese Art der Bewältigung folgende Auswirkungen: David grenzt sich grundsätzlich nicht von seinen Kolleginnen ab, dennoch sucht er nach Differenzen zu ihnen, um seine sich unterscheidende Geschlechtszugehörigkeit deutlich machen zu können. Eine fachliche Kooperation mit Kolleginnen wird aus demselben Grund nicht aktiv verfolgt. Auf den Umgang mit den Kindern wirkt sich dieses Orientierungsmuster so aus, dass er den emotionalen Bereich seiner Arbeit – wenn auch mit schlechtem Gewissen – vernachlässigt. Offene Unterrichtsformen werden nur in reduzierter Form praktiziert, dies vor allem in einer männlich-technisierten Variante (Freiarbeit am Computer). Das Ermöglichen von Souveränität und Selbständigkeit steht im Mittelpunkt seiner pädagogischen Arbeit. Wissensvermittlung und Erziehungsarbeit stehen in keiner Konkurrenz zueinander; David markiert beide Bereiche für bedeutsam. Bei Fragen der inneren Schulentwicklung wird eine Strategie des Sich-Nicht-Einmischens gewählt, um sich nicht noch weiter zu exponieren. Gleichzeitig wird diese Haltung als männlich-souverän gedeutet. Insgesamt gelingt es David, auf der Basis einer als erfüllend erlebten Arbeit mit den Kindern ein Gefühl der Zufriedenheit mit dem Beruf herzustellen. Die zahlreichen Verunsicherungen, die David als männlicher Grundschullehrer erlebt, sind zwar tief greifend; gleichwohl werden sie – zumindest in Ansätzen – von David soweit reflektiert, dass sie nicht die Oberhand gewinnen und sich negativ auf sein Befinden auswirken. Als männlicher Grundschullehrer ‚allein unter Frauen‘ zu
1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Áirtet mal vielleicht ein bisschen.“
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sein, lässt David durch die erlebte Besonderung eine Verunsicherung erfahren, der er mit reflexiven Elementen über das Geschlechterverhältnis begegnet.
1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Àirtet mal vielleicht ein bisschen.“ Zur Person und zur Schule Zum Zeitpunkt des Interviews ist Herr Maier 61 Jahre alt. Er stammt aus einem landwirtschaftlichen Betrieb in Ostpreußen und kam nach dem 2. Weltkrieg als Kleinkind zusammen mit seiner Familie in den Südwesten Deutschlands. Nach dem Besuch eines allgemeinbildenden Gymnasiums studierte er an der Pädagogischen Hochschule Lehramt für Grund- und Hauptschulen. Sein Erstes Staatsexamen legte er Mitte der 1960er Jahre ab, seither ist er ununterbrochen im Schuldienst tätig. Nach einigen Schulwechseln unterrichtet er seit 23 Jahren an seiner heutigen Schule, einer Grund- und Hauptschule im großstädtischen Milieu. Das Einzugsgebiet ist ambivalent: Zum einen prägt ein gehobenes Wohngebiet den Stadtteil, in dem sich die Schule befindet, zum andern gibt es etliche Straßenzüge, die eine sozial eher schlechter gestellte Bevölkerungsstruktur aufweisen. Die Schülerzahl liegt an der Schule bei ungefähr 300, die Grundschule ist zweizügig. Unter den 13 Lehrerpersonen, die im Grundschulbereich tätig sind, ist er der einzige Mann. Im Hauptschulbereich sind weitere Männer tätig. Herr Maier ist Klassenlehrer einer 3. Klasse, unterrichtet diese in allen Fächern außer dem musisch-ästhetischem Gegenstandsbereich. Daneben ist er in weiteren Grundschulklassen als Fachlehrer eingesetzt. Zusätzlich erteilt er Englischunterricht in einer 8. Hauptschulklasse. Die Schule, an der er tätig ist, wird von einer Frau geleitet. Die Konrektorenstelle ist vakant. Postskriptum Kontaktaufnahme Die Kontaktaufnahme mit Herrn Maier geschah über einen Kollegen, dessen Sohn die Klasse von Herrn Maier besucht. Der Interviewtermin, der an einem Schultag nachmittags im Klassenzimmer des Interviewpartners stattfand, wurde telefonisch vereinbart und fand nur wenige Tage später statt.
Setting und Verlauf Im Klassenzimmer des Interviewpartners saßen sich Interviewer und Interviewpartner am Lehrerpult gegenüber. Bei der kurzen Vorstellung des Forschungsvorhabens wurde vermieden, den Fokus auf Geschlechterverhältnisse zu erwähnen.
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C Empirische Ergebnisse
Zunächst wurden mittels eines Kurzfragebogens biografische Daten erhoben. Im direkten Anschluss daran fand das Interview statt. In einer Passage, in der er nach den richtigen Worten suchte, forderte Herr Maier den Interviewer auf, das Aufnahmegerät zu stoppen (Zeile 493). Dies geschah dann auch unverzüglich. Durch ein Kopfnicken Zustimmung einholend wurde es nach ca. zwei Minuten wieder angestellt. Obwohl die Atmosphäre während des Interviews als angenehm bezeichnet werden kann, wurden weitere Unsicherheiten des Interviewpartners ob der ungewöhnlichen Situation sichtbar. So stellte Herr Maier mehrmals die Rückfrage, ob er die im Interview gestellte Frage zufriedenstellend beantwortet habe oder ob er zu ausführlich erzähle. Auch schaute er während des Gesprächs des Öfteren auf das Mikrofon, das, etwas an den Tischrand gerückt, auf dem Lehrerpult stand. Das Interview dauerte insgesamt knapp 55 Minuten. Nach dem Interview Nach Beendigung des Interviews schloss sich ein etwa 15-minütiges Gespräch an. Vor allem der Mangel an persönlichen Kontakten in einer fremden Umgebung war noch einmal Thema seiner Ausführungen. Auch seine Erfahrungen an der Gesamtschule thematisierte er erneut. Schließlich wollte er noch etwas über das Forschungsvorhaben erfahren, unter anderem, welche Ergebnisse bereits vorlägen. In diesem Zusammenhang betonte er noch einmal, wie gut er generell mit Frauen zusammenarbeiten könne. Schließlich kam Herr Maier darauf zu sprechen, dass er gern mit 63 Jahren in Pension gehen würde, dann jedoch einen Abschlag seiner Pensionsbezüge in Kauf nehmen müsse. Obwohl er seinen Beruf nach wie vor gern ausübe, merke er, wie er inzwischen nervlich an die Grenzen seiner Belastbarkeit komme. ReÀektierende Interpretation Berufseinstieg: „Ich war drauf und dran, alles hinzuschmeißen.“ Herr Maier greift den angebotenen berufsbiografischen Erzählstimulus auf und erzählt ausführlich über seine dienstliche Laufbahn, die ihn an insgesamt acht Schulen geführt hat. Zunächst erinnert sich der Interviewpartner an das den Anfang seiner Tätigkeit prägende Gefühl, nicht den richtigen Beruf ergriffen zu haben: „Als so dann die ersten Lehrproben kamen, hatte ich eigentlich das Gefühl, dass ich da nicht so richtig (2) äh zu Hause bin, ich hab das dann aber durchgezogen (.) und hab dann nach äh der üblichen Zeit eben mein Examen dann gemacht.“ (14-16)
Die Zweifel kommen mit den Praxiserfahrungen und nicht auf Grund des theoriebezogenen Studiums, auf das er im Übrigen nicht zu sprechen kommt. Die
1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Áirtet mal vielleicht ein bisschen.“
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Formulierung „nicht so richtig zu Hause gefühlt“ lässt vermuten, dass „das Gefühl“, vielleicht nicht den richtigen Beruf ergriffen zu haben, relativ diffus und nicht mit als akut empfundenen Erlebnissen in der Schule in Verbindung zu bringen ist. Dieses Gefühl spiegelt die ebenfalls diffuse Berufswahlmotivation von Herrn Maier wider, der von sich behauptet, nach dem Abitur nicht so recht gewusst zu haben, was er tun solle, und – nicht näher definierte – Andere ihm raten, an der Pädagogischen Hochschule zu studieren (10-14). Eine passive Berufswahlentscheidung wird sichtbar. Dennoch macht Herr Maier sein Examen und wird Lehrer. An seiner ersten Stelle unterrichtet Herr Maier den Hauptschulzweig einer Zwergschule. „Und bekam dort eine (.) an einer Zwergschule, die komplette Hauptschule vorgesetzt. (.) und das hat mir also absolut kein Vergnügen bereitet, (.) denn wir hatten zwar während der Ausbildung an der PH ein so genanntes stadtfremdes oder äh ja stadtfremdes Praktikum, (.) äh wo man eben auch diese äh diesen Unterricht mit mehreren Klassen in einem Raum äh erleben äh zu erleben hatte, allerdings äh (.) natürlich überwiegend als Beobachter. so dass also das eigentliche Arbeiten mit mehreren Klassen gleichzeitig natürlich erst mal (.) sauer (.) erlernt werden musste; nicht, und ich habe also (2) äh dort äh wirklich (.) große Schwierigkeiten gehabt, das äh zu managen, (.) zunächst einmal, und war drauf und dran, alles hinzuschmeißen; muss ich Ihnen ehrlich sagen,“ (17-26)
Herr Maier fühlt sich auf diese Aufgabe durch die Lehrerausbildung nicht ausreichend vorbereitet und berichtet von großen Schwierigkeiten, die er beim Unterrichten einer jahrgangsgemischten Klasse hat. Die Notwendigkeit, sich autodidaktisch diese Form des Unterrichtens aneignen zu müssen, stellt eine enorme Herausforderung für Herrn Maier dar, der er sich kaum gewachsen sieht. Die Betonung, dass ihm diese Art des Arbeitens „absolut kein Vergnügen“ bereitet, verdeutlicht, dass Herr Maier unter der beschriebenen Situation tatsächlich leidet. Sein Unbehagen geht so weit, dass er sich erneut überlegt, den Beruf aufzugeben: Der Nachsatz „muss ich Ihnen ehrlich sagen“ unterstreicht diesen Gedanken. Herr Maier versucht nicht, sich als Helden darzustellen, sondern gibt ohne weiteres Schwierigkeiten zu, auf die er stößt. Dabei ist nicht die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern an sich unbefriedigend, vielmehr leidet Herr Maier unter den Strukturen, auf die er trifft und die er als äußerst belastend erlebt. Der so genannte Praxisschock entfaltet bei Herrn Maier seine Wirkung. Äußere Umstände: „Sie können sich denken, dass das natürlich auch nicht so sehr motivierend war.“ Schwierig ist für Herrn Maier nicht nur die Arbeit selbst, sondern vor allem auch die lokale Isolation, die er an seinem ersten, sehr abgelegenen Schulort erfährt. Ausführlich beschreibt er seine Dienstwohnung, die er als sich in „einem grauenhaften Zustand“ (77) befindend schildert. Auf seine berufliche Motivation haben
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C Empirische Ergebnisse
diese äußeren Umstände entsprechende Auswirkungen, die er als nahe liegend bezeichnet: „Sie können sich denken, dass das natürlich äh auch (3) nicht so sehr motivierend war,“ (79f.)
Die Detailgenauigkeit, mit der er die Wohnung und die abgeschiedene Lage auch nach 39 Jahren noch beschreiben kann, verrät auf der einen Seite, wie traumatisierend die äußeren Umstände an seiner ersten Stelle für ihn waren; auf der anderen Seite ist sie als Indiz zu werten, wie wichtig die passende Umgebung und ein soziales Umfeld für Herrn Maiers Befinden sind. Der mangelnde soziale Kontakt in der fremden Umgebung macht ihm immens zu schaffen: „Das andere war eben auch der absolute mangelnde menschliche Kontakt den ich dort hatte; nicht, also ich sah die Kollegin vormittags, ich hatte eben weil ich kei- weil ich nicht motorisiert war, kaum eine Möglichkeit irgendwo (.) jemanden zu besuchen, und ähm (.) ich kannte ja auch dort oben im Mittelgebirge niemanden, nicht, ich war ja in Großstadt (.) weitgehend aufgewachsen, hier hatte ich meinen Bekanntenkreis, ich bin dann natürlich am Wochenende nach Großstadt immer gefahren das ist klar,“ (90-96)
Erneut betont Herr Maier das Attribut „absolut“, um die Dringlichkeit seiner Aussage zu unterstreichen. Den einzigen Kontakt, den er an seinem neuen Wohnort hat, ist der zu seiner Kollegin, die er allerdings nur vormittags sieht. Auch wenn er ein Auto besäße, so könnte er doch niemanden besuchen, denn er kennt in dieser fremden Umgebung niemanden. Stattdessen wartet Herr Maier auf die Wochenenden, an denen er an seinen früheren Wohnsitz, an dem er auch aufgewachsen ist, zurückkehren kann, um seinen Bekanntenkreis zu treffen. Dies sei, so Herr Maier, selbstverständlich. Unklar bleibt bei dieser Passage, warum Herr Maier keine neuen Kontakte knüpft. Seine Kollegin wohnte zwar etwas entfernt und er besitzt kein Auto, doch gäbe es durchaus andere Möglichkeiten, Bekanntschaften am neuen Wohnort zu schließen. Vorstellbar ist, dass die anstrengende, unbefriedigende Arbeit in Verbindung mit der demotivierenden und geringe Wertschätzung ausdrückenden Dienstwohnung Herrn Maier soweit bringt, dass er von sich aus kein Interesse daran entwickelt, an diesem Ort heimisch zu werden und nur darauf wartet, mit dieser ersten Berufserfahrung abschließen zu können. Mit dem Stellenwechsel nach nur einem halben Jahr entkommt Herr Maier der von ihm als höchst unbefriedigend erlebten Situation: „Und dann bin ich in die Ebene gekommen. an eine größere Schule, und dort bekam ich eine Jahrgangsklasse, eine vierte Klasse weiß ich noch, und von da an fing mir die Arbeit an Spaß zu machen. sehr großen Spaß sogar. (3) und da bin ich dann etwa anderthalb Jahre geblieben,“ (102-105)
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Die Reihenfolge, mit der Herr Maier diese neue Stelle beschreibt, weist darauf hin, warum er über diesen Wechsel glücklich ist: Zum einen kommt er vom abgelegenen Bergdorf in die sonnige, warme Ebene. Die Schule ist größer, dementsprechend hat Herr Maier nun auch mehr Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen. Er übernimmt eine Jahrgangsklasse, muss also nicht mehr mühsam eine jahrgangsübergreifende Lerngruppe unterrichten. Er wird einer Grundschulklasse zugeteilt, was ihm eher entspricht als die Tätigkeit an der Hauptschule, wie sich im weiteren Interviewverlauf noch herausstellen wird. Die Arbeit macht ihm zum ersten Mal Spaß, „sehr großen Spaß sogar“. Herr Maier unterstreicht diese Aussage durch die Betonung. Seine Situation hat sich nicht nur verbessert, er ist nicht nur von den widrigen Umständen an seiner ersten Stelle quasi ‚erlöst‘, sondern er findet in seiner Arbeit tatsächlich Befriedigung. „Ausgesprochen barbarisch“ (121) nennt Herr Maier es dann auch, dass er nach anderthalb Jahren auf Grund äußerer Umstände von dieser Schule und aus dem Schulkreis wegversetzt wird. Über sein Befinden an der nächsten Schule äußert sich Herr Maier dann nicht explizit, nur in sofern, als dass er sich bei der Suche nach einer Planstelle vor allem von geografischen Interessen leiten lässt: „Ich wollte nämlich äh; also wenigstens zwischen Hochstadt und Großstadt irgendwo unterkommen; nicht, also keinesfalls da am Fluss, und schon gar nicht im Mittelgebirge irgendwo; (2) zumal ich nicht den Dialekt der einheimischen Bevölkerung spreche, ich spreche halt denn ich bin ja Norddeutscher von Geburt her; nicht, und ähm (.) spreche eben dieses Hochdeutsch, und man wird dann von den Bauern, das habe ich äh auch an meiner ersten Stelle erlebt, irgendwie doch als Fremdkörper irgendwie empfunden; nicht, owenn man nicht die Sprache der Einheimischen sprichto.“ (136-142)
Noch einmal wird deutlich, wie sich Herr Maier an seiner ersten Stelle fühlt: Als „Fremdkörper“, der schon auf Grund seines anderen Dialekts von der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, zumindest aber keinen Zugang zur bäuerlichen Dorfgemeinschaft findet. Diese Erfahrung möchte Herr Maier nicht noch einmal machen, deshalb legt er großen Wert auf die geografische Lage der Stelle. Eine Zwischenstation führt ihn dann, wiederum auf Grund äußerer Umstände, für kurze Zeit zurück in das Mittelgebirge, wo er an einer Einlehrer-Grundschule unterrichtete. Hier wird ihm eine Planstelle angetragen, die er ablehnt: „Aber da ich damals ähm ledig war noch, und ähm äh noch nicht einen einzigen Stuhl mein eigen nannte, ich hatte bis dahin immer in Untermiete gewohnt, (.) ähm konnte ich mit der mit der Stelle verbundenen 170-Quadratmeterwohnung nichts anfangen. (.) und ich hatte wieder das gleiche Problem wie an meiner ersten Stelle, ich kannte dort keinen Menschen. ich hatte zwar in Kleinstadt (.) natürlich, wo ich vorher gewesen war einige Kontakte aber (.) die=äh (2) versickern ja dann irgendwie oder oder die die wenn man nicht mehr an der Schule arbeitet.“ (151-158)
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C Empirische Ergebnisse
Herr Maier führt zunächst an, damals noch ledig gewesen zu sein und keine Möbel besessen zu haben, was ihn daran hinderte, die Stelle anzunehmen. Diese ist mit einer sehr großen Dienstwohnung verbunden. Hätte Herr Maier die Stelle wirklich angetreten, wenn er verheiratet gewesen wäre oder Mobiliar besessen hätte? Hatte sich Herr Maier bei der Beschreibung seiner ersten Stelle noch über den grauenhaften Zustand seiner kleinen Dienstwohnung ausgelassen, so scheint ihm jetzt die Größe der angebotenen Wohnung Furcht vor Einsamkeit und Leere einzuflößen. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn er gleich darauf davon spricht, dass er an diesem Ort wiederum keinen Menschen kennt und anscheinend, geprägt von den Erfahrungen an seiner ersten Stelle, auch nicht erwartet, neue Kontakte zu schließen. Die alten Kontakte, die sich an seiner sich in der Nähe befindenden früheren Schule ergeben haben, sind nach einem halben Jahr anscheinend schon „irgendwie“ verloren gegangen. Woran dies genau liegt, das erklärt Herr Maier nicht: „oder oder die die wenn man nicht mehr an der Schule arbeitet.“ Das „irgendwie“ und die Wortwiederholungen deuten eine Unsicherheit an; die eigenen Erklärungsversuche erscheinen nicht überzeugend. Wie dem auch sei, Herr Maier tritt diese Stelle nicht an. Stattdessen geht er an eine Schule bei Hochstadt, wo er allerdings eine Hauptschulklasse übernimmt. Da er sich bei der Arbeit mit Hauptschülern nicht sonderlich wohl fühlt, stellt er abermals einen Versetzungsantrag: „Und nun lag mir aber die Arbeit an der Hauptschule nicht so sehr weil ich vorher überwiegend in der Grundschule gearbeitet hatte, (.) und das erleichterte mir den Entschluss, mich von dieser Planstelle, wieder wegzubewerben und mir eine andere Planstelle zu suchen;“ (164-167)
Den Grund dafür, dass ihm die Arbeit an der Hauptschule nicht liegt, sucht Herr Maier in der Tatsache, dass er zuvor überwiegend an einer Grundschule gearbeitet hat. Diese Äußerung entspricht der über seine erste Stelle, bei der er völlig unvorbereitet und dafür nur unzureichend ausgebildet eine jahrgangsgemischte Hauptschulklasse unterrichten muss. Man kann daraus schließen, dass Herr Maier kein großes Vertrauen dazu hat, sich autodidaktisch in neue, ihm bislang fremde Arbeitsfelder einzuarbeiten. Da Herr Maier aber im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit an der Grundschule davon berichtet, wie viel Spaß ihm sein Beruf dort macht (vgl. 104f.), ist davon auszugehen, dass er in der Grundschule einfach das Berufsfeld gefunden hat, in dem er sich wohl fühlt. Diese Tatsache „erleichterte“ ihm den Entschluss, einen erneuten Versetzungsantrag zu stellen. Warum er überhaupt zögert, bleibt im Unklaren. Umso erstaunlicher ist es dann, dass er seine nächste Stelle an einer Gesamtschule annimmt, wo er es wiederum nicht mit Grundschülern arbeitet:
1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Áirtet mal vielleicht ein bisschen.“
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„Und bin dort, an der Gesamtschule gelandet. äh denn das war die einzige Möglichkeit nach Großstadt zu kommen.“ (169f.)
Tatsächlich ist also nicht die angestrebte Tätigkeit an einer Grundschule für den Versetzungswunsch ausschlaggebend, vielmehr ist es der Ortswechsel, die Rückkehr in die Heimat, die Herrn Maier antreibt. Dieses extrinsische Motiv ist so groß, dass Herr Maier auch in Kauf nimmt, in einem Berufsfeld zu arbeiten, das ihm eigentlich gar nicht so sehr liegt. Doch Herr Maier ist damit noch nicht am Ziel angekommen. Nur ein Jahr später stellt er erneut einen Versetzungsantrag: „Ich muss allerdings sagen ich denke nicht so gerne an diese Zeit zurück, ich war dort ein Jahr und habe mich dort dann wieder wegbeworben; also es war damals die Zeit der antiautoritären Erziehung, 68, 69 war ich dort, nicht, und da ging es also (.) recht (.) also gelinde gesagt recht munter zu, und es haben sich viele Lehrer damals eben doch äh wegbeworben; o( ) es war so eine ziemliche (.) Zirkulationo Fluktuation, nicht, von der Gesamtschule und dann bin ich an eine (2) ähm (3) normale Grund- und Hauptschule an die Peripherie Großstadts gekommen;“ (172-178)
Herr Maier hat Schwierigkeiten damit, sich mit den antiautoritären Erziehungsgedanken anzufreunden, die an dieser – in der damaligen Zeit sicherlich politisierten – Gesamtschule vorherrschen. Der Anspruch, durch die Arbeit an einer Gesamtschule auch gesellschaftlich etwas zu bewirken, ist für Herrn Maier ganz offensichtlich nicht die Motivation dazu, sich an dieser neuen Schulform um eine Stelle zu bewerben. Vielmehr konstatiert er, dass es an dieser Schule „gelinde gesagt recht munter“ zugeht. In dieser ironisierenden Umschreibung, die zudem durch sprachliche Stockungen vorbereitet wird, dokumentiert sich das Unbehagen Herrn Maiers deutlich. Nicht nur er, sondern „viele“ Lehrer verlassen die Schule schnell wieder. Mit der Darstellung einer „ziemlichen Zirkulation Fluktuation“ sichert sich Herr Maier gegen die Verdächtigung ab, als reaktionär zu gelten: Nicht er als Person, sondern die Schule ist verkehrt. Von seiner nächsten Schule erzählt Herr Maier dann auffallend wenig, obwohl er dort zehn Jahre lang im Grundschulbereich tätig ist. Scheinbar hatte er dort seinen Platz gefunden, bis sein Befinden an dieser Schule durch zwischenmenschliche Faktoren so beeinträchtigt wurde, dass er sich ein letztes Mal versetzen lässt: „Und da habe ich dann ähm gut zehn Jahre gearbeitet, auch an der Grundschule wieder, (.) und dann gab es äh gewisse Probleme menschliche Probleme die ich nicht näher erläutern will, mit maßgeblichen Personen, oder mit einer maßgeblichen Person, und dann habe ich äh mich dort wegbeworben, und bin dann hier an die Uhlandschule gekommen,“ (185-188)
Worin diese „menschliche[n] Probleme“ liegen und wer die „maßgeblich[e] Person“ ist, darüber möchte Herr Maier nicht sprechen. Offenbar handelt es sich um eine sehr private, intime Erfahrung, die Herr Maier nicht öffentlich machen möchte.
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C Empirische Ergebnisse
Das entstandene Problem ist in jedem Fall so gravierend, dass er einen weiteren Stellenwechsel auf sich nimmt. Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern: „Ich erfreue mich der Zuneigung meiner Schüler.“ An seiner neuen Schule wird Herr Maier erneut im Hauptschulbereich eingesetzt, wo er fünf Jahre lang tätig ist. Schwierigkeiten hat er vor allem mit der 9. Klasse, die er zunächst von einer Kollegin übernimmt, die vor dieser Klasse „die Flucht ergriffen“ hat und sich weigert, „mit der Klasse weiter zu arbeiten“ (191f.). Schließlich kommt Herr Maier auch mit dieser Klasse zurecht. „Und dann haben sie also (.) ’ne Zeit lang mir auf der Nase herumgetanzt aber es war ja die 9. Klasse die dann so gegen (2) äh den Abschluss hin ging, und dann hab ich mit denen mal einen (.) äh kurzen Landschulheimaufenthalt gemacht, nicht, und dann haben sich die Verhältnisse wieder geregelt und wir sind dann im (.) eigentlich ganz gut auseinander gegangen,“ (199-203)
Herr Maier klagt über seine anfänglichen Schwierigkeiten nicht, sondern führt aktiv ein gelingendes Arbeitsverhältnis herbei. Er legt Wert darauf, ein gutes Verhältnis zu seinen Schülerinnen und Schülern aufzubauen und es gelingt ihm, durch eine außerunterrichtliche Aktivität die Grundlage für eine fruchtbare Zusammenarbeit zu schaffen. Sichtbar wird hier Herrn Maiers Haltung, dass erfolgreicher Unterricht auf der Beziehungsebene ausgehandelt wird. Der für ihn ausschlaggebende zwischenmenschliche Bereich im Kollegium, der ihn immer wieder zu Schulwechseln veranlasst, bildet auch die Grundlage der pädagogischen Arbeit. In den Schuljahren danach, in denen er Klassenlehrer verschiedener Grundschulklassen ist, unterrichtet er weiterhin einige Stunden im Hauptschulbereich. Einige Klassen sieht er dabei durchaus als Belastungsfaktor, doch zeichnet er ein sehr differenziertes Bild und beruft sich auch auf fachliche Zusammenhänge, deren Vermittlung ihn erfüllen: „Ja; also zurzeit ist es ’ne ist es eine nette Abwechslung, es ist eine sehr angenehme Hauptschulklasse, also für Hauptschulverhältnisse natürlich, (.) aber da ich das ja wie ich sagte schon von Anfang an hier gemacht habe, auch schon als Klassenlehrer in der Hauptschule hab ich Englisch unterrichtet, und später auch (.) als::: (.) auch als ich dann in die Grundschule (.) herniederstieg (.) weitergemacht, und ich habe da auch Klassen erlebt die äußerst unangenehm waren, (.) aber da das Fach mir eben liegt, hab ich da natürlich äh wenn man so will, aus dem Vollen schöpfen können, und deswegen hab ich das eigentlich auch ganz gerne gemacht. ich habe aber eben das Glück, dass ich jetzt wo ich in Richtung (.) Pension gehe und die Nerven nicht mehr die besten (.) sind, dass ich eben eine sehr (.) friedfertige (.) Hauptschulklasse jetzt unterrichte. also da macht das Arbeiten eigentlich Spaß, es ist sind sehr nette Schüler, (2) äh das kann ich aber wie gesagt nicht von allen Klassen äh (.) be- behaupten in denen ich das ogemacht habeo.“ (233-245)
Dadurch, dass er seinen Einsatz im Hauptschulbereich als „nette Abwechslung“ bezeichnet, impliziert Herr Maier, dass ihn eine ausschließliche Tätigkeit im
1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Áirtet mal vielleicht ein bisschen.“
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Grundschulbereich langweilen könnte. „Nett“ ist die Abwechslung deshalb, weil er es mit unproblematischen Schülerinnen und Schülern zu tun hat. Das Klasse beschreibt er als eine „friedfertige“. Die Verwendung dieses Adjektivs zeichnet ein Bild, das Unterrichten im Gegenhorizont gewissermaßen als Ort des Kampfes, wenn nicht gar als Kriegsschauplatz beschreibt. Davon zeugen Herrn Maiers Randbemerkungen, dass er durchaus auch andere Klassen erlebt hat. Der Verweis auf sein Nervenkostüm, das kurz vor der Pensionierung nicht mehr das Beste ist, ist als Beleg dafür zu sehen, dass die Arbeit in der Hauptschule für Herrn Maier grundsätzlich anstrengender ist als in der Grundschule. Obwohl aus den vorhergehenden Passagen zu den Stationen seines Berufslebens hervorgeht, dass er dies schon immer so empfunden hat, macht er hierfür nun sein Alter verantwortlich. Tatsächlich ist nicht er als professioneller Akteur für eine gelingende Arbeitsbeziehung verantwortlich, sondern die Schülerinnen und Schüler mit deren Charaktereigenschaften. Dies steht im Widerspruch zur vorhergehenden Passage, in der er sich um ein geglücktes Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern bemüht. Dennoch wird auch in dieser Sequenz die hohe Bedeutung der Beziehungsebene für Herrn Maier sichtbar. Darüber hinaus gelingt es Herrn Maier in der Passage, seine fachliche und fachdidaktische Kompetenz im Fach Englisch einfließen zu lassen. Auffallend an der Textpassage ist dann die Aussage von Herrn Maier, dass er von der Hauptschule in die Grundschule „herniederstieg“. Diesen Ausdruck, der eine Statusminderung und eine Abwertung der Grundschularbeit impliziert, relativiert Herr Maier auf Nachfrage als scherzhafte Bemerkung und korrigiert sich: „Ich betrachte das fast als Aufstieg;“ (258)
Die als scherzhaft bezeichnete anfängliche Äußerung spiegelt zunächst das Bild wider, das im öffentlichen Bild über das Grundschullehramt im Vergleich zu anderen Lehrämtern vorherrscht: Die Arbeit mit kleineren Kindern ist einfacher, die Tätigkeit leichter und weniger anspruchsvoll als die Arbeit mit Jugendlichen an weiterführenden Schulen. Erst auf Nachfrage behauptet Herr Maier, für ihn selbst bedeutete der Wechsel in die Grundschule einen Aufstieg. Die Aussage wird dennoch mit der Abtönungspartikel „fast“ eingeschränkt. Herr Maier thematisiert an dieser Stelle indirekt ein Statusproblem, das er wahrnimmt. Da er sich selbst an der Grundschule besser aufgehoben fühlt als im Hauptschulbereich, wird der statusbezogene Abstieg in einen persönlichen Aufstieg umgedeutet. Auf die direkte Frage nach seinem Befinden im Grundschulbereich äußert sich Herr Maier: „Ja, also äh, ich erfreue mich (.) äh der (.) Zuneigung meiner Schüler. (3) aber ich denke dass dürfte wohl in der Grundschule Gang und Gäbe sein.“ (247f.)
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C Empirische Ergebnisse
Herr Maier schöpft seine Zufriedenheit aus der Beziehungsebene seiner Arbeit. In den Pausen und das eingeschobene „äh“ dokumentiert sich die Suche nach einem treffenden Ausdruck, den er in „Zuneigung“ findet, diesen betont und ihn dadurch als ganz bewusst gewählt einführt. Worauf die ihm entgegengebrachte Zuneigung gründet, die den emotionalen Charakter von Anerkennung hervorhebt, führt Herr Maier nicht weiter aus. Das Bestreben, nicht als überheblich zu gelten, spricht daraus, dass er die ihm entgegengebrachte Zuneigung seiner Schülerinnen und Schüler nicht auf sich als Person oder auf sein professionelles Handeln als Lehrer bezieht, sondern sie als im Grundschulbereich üblich bezeichnet. In der Kontrastierung mit vorhergehenden Interviewpassagen kann aber davon ausgegangen werden, dass Herr Maier durchaus davon überzeugt ist, dass das gute Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern zu einem großen Teil auf seine pädagogische Haltung, aber auch auf sein fachliches Geschick gründet. Auf der Basis der ihm entgegengebrachten Akzeptanz zeichnet Herr Maier im Rückblick eine Erfolgsgeschichte seines Berufslebens: „Ich muss sagen, ich habe meinen Beruf eigentlich von dieser ersten Stelle abgesehen nicht, (.) dieser (.)äh (.) erste Stu- äh diese Zwergschule, und vielleicht auch mal der einen oder der anderen Hauptschulklasse (2) hab ich meinen Beruf eigentlich immer gerne ausgeübt. (3) (unbedingt ja)“ (250-253)
Herr Maier kommt noch einmal auf seine als traumatisch erlebte erste Stelle zu sprechen und erwähnt einige weitere Hauptschulklassen, die Belastungsmomente für ihn darstellten. Dass er seinen Beruf dennoch „eigentlich immer gerne ausgeübt“ hat, unterstreicht er durch die gesetzte Betonung. Deshalb muss auch die Abtönungspartikel „eigentlich“ nicht als relevante Einschränkung gelesen werden, eher als Hinweis darauf, dass Herr Maier für ihn schwierige Situationen sehr wohl erinnert und diese nicht verdrängen oder beschönigen möchte. Insgesamt zieht er ein positives Resümee. An späterer Stelle erklärt Herr Maier noch einmal, warum er seinen Beruf gern ausübt. Er benutzt eine Kontrastierung zur Arbeit an Hauptschulen: „Aber ich bin froh, dass ich in der Grundschule unterrichte, denn es ist doch nervenschonender, und es wird einem eben doch (.) sagen wir mal, man genießt wie ich sagte am Anfang, man genießt die Zuneigung der Schüler stärker als (.) in der Hauptschule. (2) es ist also befriedigender. nicht, (2) menschlich befriedigender.“ (572-576)
Zum einen thematisiert Herr Maier hier die nervliche Belastung, die in der Interaktion mit Hauptschülerinnen und Hauptschülern seinem Empfinden nach nicht zu vermeiden ist. Zum anderen zeigt sich erneut, wie sehr der Interviewpartner ebenjene Interaktionen benötigt, um einen Sinn aus seiner Arbeit zu schöpfen. Das Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern und die ihm entgegengebrachte
1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Áirtet mal vielleicht ein bisschen.“
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Wertschätzung sind die Quellen seines positiven beruflichen Befindens. Durch die Verwendung der Adjektive „stärker“ und „befriedigender“ im Komparativ deutet sich an, dass Herr Maier durchaus positive Erfahrungen in der Hauptschule macht, die im Vergleich zum Grundschulunterricht aber weniger intensiv ausfallen. Indem er die unpersönlichen Pronomen „einem“ und „man“ verwendet, markiert Herr Maier seine These nicht als individuelle Einschätzung, sondern als allgemeingültig, obwohl er sich auf seine konkreten Erfahrungen bezieht. Bezogen auf die Unterschiede im fachlichen Anspruch argumentiert er im Anschluss: „Inhaltlich, stofflich (.) äh kann es die Hauptschule unter Umständen sein, aber was bringen Sie einem Hauptschüler heute noch (.) nahe; (2) das was der Hauptschüler am Nachmittag privat erlebt, am Videospiel, (2) da kann die Schule keine Konkurrenz bieten, (5) und in der Grundschule sind die Kinder eben noch (.) weitgehend unberührt von solchen Problemen, und äh (.) schließt den (.) Lehrer die Lehrerin eben (.) wenn man (.) sich einigermaßen geschickt anstellt in ihr Herz ein.“ (576-582)
Resignation spricht aus den Äußerungen bezogen auf die Hauptschule. Das durch das Symbol „Videospiel“ gekennzeichnete mediengeprägte Freizeitverhalten der Jugendlichen setzt er in direkte Konkurrenz zum Bildungsauftrag der Schule. Das zunächst vorgenommene Zugeständnis an den Hauptschulunterricht, unter dem fachlichen Bereich für den Lehrer bzw. die Lehrerin gewinnbringender zu sein, wird so sofort zurückgenommen. Deutlich wird in der Weiterführung der Passage die eigentliche Intention von Herrn Maier: Berufliche Befriedigung sucht er nicht auf der fachlichen, sondern auf der Beziehungsebene seiner Tätigkeit. Die bildhafte Formulierung „in ihr Herz einschließen“ zeugt von der großen Nähe, die er zu seinen Schülerinnen und Schülern empfindet. Der Einschub „wenn man (.) sich einigermaßen geschickt anstellt“ bezeichnet die Sichtweise, dass eine glückende emotionale Beziehung durchaus Professionalität voraussetzt. Die Zuneigung der Kinder ist nicht selbstverständlich, der Lehrer bzw. die Lehrerin hat einen Anteil an deren Zustandekommen. Herr Maier ist aber nicht ausschließlich auf emotionale Erfüllung aus: „Äh ich muss allerdings sagen, dass die ersten Klassen (.) äh mir nicht so ganz geheuer sind. weil ich auch ein bisschen ein Kopfmensch bin. ich bin nicht nur ein Mensch mit Herz, sondern auch ein etwas ein Kopfmensch, und (.) ich will meine Schüler über den Verstand auch ansprechen können; und das ist mir in ersten Klassen nicht so möglich, jedenfalls nicht bei allen, (.) und da kommt noch das kindergarten- (.) mäßige Gehabe sag ich jetzt mal ein bisschen (.) boshaft, nicht, gerade auch im ersten halben Jahr doch noch sehr zum Tragen; nicht, (.) und ähm (.) so dass ich äh eigentlich äh ganz zufrieden bin immer mit der dritten Klasse beginnen zu können. (.)“ (589-596)
Ihm gelingt mit dieser Passage zweierlei: Noch einmal stellt er den emotionalen Charakter seines Berufsverständnisses heraus. Gleichzeitig markiert er einen
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C Empirische Ergebnisse
fachlich-kognitiven Anspruch: Als „Kopfmensch“ möchte er seine Schülerinnen und Schüler auf der Verstandesebene ansprechen. Wie aus den gewählten Formulierungen hervorgeht, kennzeichnet Herr Maier nicht nur professionsbezogene Handlungsorientierungen, sondern beschreibt seine Persönlichkeit. Die beiden scheinbar komplementären Charaktereigenschaften lassen sich im Unterricht in den höheren Grundschulklassen vereinen. Darüber hinaus grenzt sich Herr Maier mit der Formulierung „kindergartenmäßige[s] Gehabe“ klar ab vom Berufsfeld Kindergarten, in dessen Nähe er die erste Grundschulklasse rückt. Durch den Hinweis, er drücke dies „jetzt mal ein bisschen boshaft“ aus, versichert er, dass er mit seiner Abgrenzung keine Entwertung der Arbeit in der Schuleingangsphase vornehmen möchte. Dennoch gelingt es Herrn Maier, seine eigene Prädestination für die höheren Klassenstufen, und somit auch für eine höher anzusiedelnde Arbeit, sichtbar zu machen. Auch wenn der Geschlechteraspekt in dieser Passage vom Interviewpartner nicht selbst aktiviert wird, so kann doch vermutet werden, dass Herr Maier sich in der Pflicht sieht, sein beziehungsorientiertes Berufsverständnis um ein fachlich-kognitives zu erweitern, um männlich konnotierte Anteile zu besetzen. Stellung im Kollegium: „Mein Wort gilt schon was, allein schon wegen des Alters.“ Mit seiner Stellung innerhalb des Kollegiums ist Herr Maier grundsätzlich zufrieden: „Also das Kollegium ist (.) insgesamt gesehen (.) eigentlich recht harmonisch hier, es war nicht immer so, (.) es ist aber sicher seit einigen Jahren, und man kann hier ganz gut leben. (.) aber (.) ich meine es ist natürlich klar, dass auch in einem (.) wie ich das eben nannte harmonischen Kollegium natürlich immer mal Meinungsverschiedenheiten gibt und natürlich auch mal (.) kriegt man schon mal irgendwo auch ’nen Tritt; nicht, also es::: es läuft natürlich ist natürlich nicht alles Friede Freude Eierkuchen,“ (269-275)
Das Kollegium charakterisiert Herr Maier als „eigentlich recht harmonisch“. Die durch die Partikel „eigentlich“ zum Ausdruck gebrachte Einschränkung beruht auf Meinungsverschiedenheiten, die es „natürlich immer mal [...] gibt“, also Normalität darstellen. Durch den bildhaften, ironisierenden Ausdruck „Friede Freude Eierkuchen“ wird dies betont. Ein weiteres Bild taucht auf, dass man „schon mal irgendwo auch ’nen Tritt“ bekomme. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass die Meinungsverschiedenheiten zumindest teilweise ernsthafter und durchaus mit Verletzungen verbunden sind. Diese Passage hält Herr Maier in der indefiniten ‚man‘-Form. Dennoch lässt sich aus der Formulierung herauslesen, dass Herr Maier nicht nur die Rolle des
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Beobachters einnimmt, sondern in seinem Bericht auf eigene Erfahrungen und selbst erlebte Kränkungen zurückgreift. Da er Auseinandersetzungen aber als natürliche Begleiterscheinung kollegialer Interaktionen sieht, nimmt er diese nicht so wichtig und berichtet nicht von konkreten Vorfällen. In der anschließenden Sequenz wird erkennbar, dass Herr Maier eine Sonderstellung im Kollegium einnimmt. Er beruft sich auf seinen Status als fast Dienstältesten und spricht von einem „Bonus“, den er dadurch erhält: „Aber es ist natürlich auch so, da ich hier (.) mittlerweile (.) der fast Dienstälteste bin, natürlich auch äh einen gewissen wie soll ich mal sagen Bonus habe, und äh (.) man äh (.) behandelt mich also sagen wir mal relativ zuvorkommend.“ (275-278)
Das Kollegium begegnet Herrn Maier mit Respekt und Rücksichtsnahme. Sein Alter sowie die Tatsache, dass er mit am längsten im Schuldienst tätig ist, macht ihn nahezu unangreifbar. Diesen Sachverhalt bezeichnet er als „natürlich“, die Strukturkategorie Generation nimmt in Herrn Maiers Wahrnehmung einen entscheidenden Stellenwert ein und regelt Interaktionen. Keinen kausalen Zusammenhang stellt er hingegen her zwischen seiner Stellung und seinem Geschlecht, seiner Person als solcher oder etwa mit seiner pädagogischen bzw. fachlichen Qualifikation. Die Wahl des Adjektivs „zuvorkommend“, das durch die Betonung als treffender Ausdruck gekennzeichnet wird, lässt auf Höflichkeit ihm gegenüber schließen: Respekt, aber auch eine gewisse Distanz bezeichnen das Verhalten, das ihm entgegengebracht wird und das er durchaus zu schätzen weiß. Der Zusammenhang zwischen Alter und Autorität, den Herr Maier herstellt, wird sichtbar in der Fortsetzung der Passage: „Also ich bin im Kollegium denke ich akzeptiert, (.) äh bin äh mitnichten die Hauptperson, gar keine Frage, aber mein Wort gilt schon was, nicht, allein schon wegen des Alters, ohne dass es jetzt irgendwie heißt (.) ach, beraten Sie uns mal soweit geht’s nicht. aber wenn ich was sage, meine Meinung einbringe, wird schon zugehört. das ist gar keine Frage, (.) und äh ja. (3)“ (302-307)
Herr Maier sieht sich weder als Mittelpunkt des Kollegiums, noch schätzt er seine Autorität so ein, dass er ein Anrecht darauf hätte, – jüngere – Kolleginnen oder Kollegen zu beraten. Dennoch ist seine Meinung innerhalb des Kollegiums angesehen und man bringt seiner Person und seinem Erfahrungsschatz Respekt entgegen. Die Art des Berichts zeugt vordergründig von Bescheidenheit. Eine solche kann im fallinternen Vergleich mit anderen Interviewpassagen zwar durchaus als habituell verankert identifiziert werden. Aus der Äußerung spricht aber auch eine Erwartungshaltung. Sein Alter verleiht ihm aus seiner Perspektive das Anrecht, gehört zu werden. Durch den das Thema abschließenden Satz „das ist gar keine Frage“ dokumentiert sich dies deutlich: Das Alter ist die zentrale soziale Kategorie, die die
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Stellung und den Status im Kollegium regelt. Mit dieser durch ‚Doing Generation‘ hergestellten Position zeigt sich Herr Maier auch äußerst zufrieden. Berufsprestige: „Man wurde also immer voll akzeptiert.“ Mit der Akzeptanz seiner Person in der Öffentlichkeit scheint Herr Maier zufrieden zu sein: „Ja also es ist ja bekannt, dass der Lehrerstand in die Kritik geraten ist, und nicht mehr diesen (.) dieses Ansehen genießt wie das äh früher war, also ich erinnere noch an die ersten Stellen dass ich mit Herr Lehrer angesprochen wurde, das ist natürlich heute nicht mehr (.) vorstellbar, nicht, aber wir haben hier im Stadtteil, jetzt hab ich das Stichwort mal genannt, an der Uhlandschule, wie haben hier im Stadtteil also (.) eine also hier an der Uhlandschule, eben eine würde ich sagen zu zwei Dritteln, also in der Grundschule zu zwei Dritteln eine (.) gutbürgerliche Klientel, also ich habe beispielsweise in meiner Klasse vier Professorenkinder, vier Arztkinder und fünf Lehrerkinder, und natürlich auch noch andere; (.) also das heißt ähm (.) da ist also sagen wir mal substantiell einiges da, um das mal so zu nennen, und äh ich habe eigentlich mit diesen äh (.) Eltern, dieser Elternschaft, die ich in jeder Klasse so ähnlich äh auch vorfinde, nicht, also eben auch sehr viel Akademiker, hier immer gute Erfahrungen gemacht; und selbst die äh Herren Professoren oder Frau Doktoren oder wer da auch immer vor mir saß, Herr Studienrat, nicht, die da oben ihre Einfamilienhäuser haben, nicht, haben mich nie irgendwie als nur in Anführungszeichen Volks- oder Grundschullehrer angesehen, sondern (.) äh man wurde also immer voll akzeptiert denke ich. (2) also klimatisch habe ich da eigentlich keine negativen Erfahrungen gemacht. (2)“ (336-353)
Im Rückblick meint Herr Maier einen Prestigeverlust seines Berufsstandes zu erkennen. Er beruft sich auf den medialen Diskurs, wenn er auf die Kritik an den Lehrerinnen und Lehrern zu sprechen kommt. Konkret macht den Statusverlust daran fest, dass er nicht mehr mit „Herr Lehrer“ angesprochen wird, meint auch, dass dies gar nicht mehr „vorstellbar“ ist, also fern jeglicher gesellschaftlicher Realität liegt. Mit der Elternschaft, mit der er es direkt zu tun hat und die zu einem großen Teil aus Akademikern besteht, macht Herr Maier dennoch durchweg positive Erfahrungen und sieht sich in seinem Beruf „voll akzeptiert“. Die detaillierte Aufzählung der Berufe der Elternschaft weist darauf hin, dass Herr Maier deren Berufe als statushöher als den eigenen einschätzt. Ein Minderwertigkeitskomplex deutet sich an, der auch in der folgenden Sequenz zum Ausdruck kommt: „Also ich habe ja wie gesagt auch Arztkinder und auch die Ärzte die ich hatte, ich hatte auch einen Medizinalprofessor hier, des- also dessen Sohn, und diese Leute waren immer ausgesprochen höflich und haben also auch gar nicht Wert darauf gelegt dass ich sie mit ihrem Titel anrede oalso gleicho nennen Sie mich bitte Herr Müller; odas ist gar keine Frageo, also da gibt’s hier keinen Dünkel würd ich sagen, nicht, bei diesen Leuten;“ (364-369)
Die Sequenz knüpft an die vorhergehende an und vertieft noch einmal das Erleben Herrn Maiers. Dass ein gewisser, vermutlich auch in seiner Generationszugehörigkeit begründet liegender Standesdünkel bei ihm selbst vorhanden sein könnte,
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erschließt sich aus seiner Erwägung, die Eltern überhaupt mit deren Titel anzusprechen. Dass diese sein Ansinnen zurückweisen und ihn „ausgesprochen höflich“ behandeln, ist für ihn Ausdruck der Wertschätzung seiner Person und erfüllt ihn mit Genugtuung, wie die Betonung erkennen lässt. Insgesamt stellt Herr Maier den eigenen professionellen Status dabei zur Disposition. Dieser erhält in seinem von gesellschaftlichen Hierarchien geprägten Denken so wenig Gewicht, dass er ihn nicht aktiv sichert, indem er sich etwa als Experte für Erziehungs- und Unterrichtsfragen darstellt. Vielmehr macht er sich von den Reaktionen der Eltern abhängig, die von ihm aufgrund derer Berufe als statushöher angesiedelt werden. Da diese sein Expertentum aber von sich aus anerkennen und er keine Zurückweisung erfährt, erlebt er eine Aufwertung seiner Person. Geschlechterverhältnis im Kollegium: „Wir haben einen sehr charmanten Umgang miteinander.“ Herr Maier ist als einziger männlicher Kollege im Grundschulbereich seiner Schule tätig. Das Geschlechterverhältnis im Kollegium stellt für ihn dennoch originär kein Thema dar, das er im Interviewverlauf selbst initiiert. Auf explizite Fragen zum Geschlechterverhältnis antwortet er teilweise verunsichert, was ebenfalls darauf hinweist, dass dies kein Gebiet ist, mit dem er sich ausgiebig beschäftigt oder das er als problematisch betrachtet. Er selbst sieht sich als „Exot“ (209; 392; 524), dies jedoch „im positiven Sinn“ (524), der voll in das quantitativ frauendominierte Kollegium integriert ist. Dabei nimmt er eine Sonderstellung ein: „Na ja, das ist das berühmte Problem mit dem Hahn im Korb, also ich bin nicht der Hahn im Korb, das keinesfalls, aber (.) äh es ist so, wenn eben ähm wenn man der ein- einzige oder einer der wenigen Männer ist, dann (.) ähm (4) ((tiefes Ausatmen)) ja (2) sage ich mal (2) äh (5) ja (2) ist man vielleicht irgendwo auch mal so das Objekt der (.) ähm (2) wie soll ich sagen der (.) zwischen Mann und Frau eigentlich (.) äh sagen wir mal (.) üblichen und zu erwartenden (.) ähm (.) na ja, wie soll ich das nennen, sehr schwer zu formulieren; (2) also man=äh (4) flirtet mal vielleicht ein bisschen dort, oder man=äh ist mal charmant=äh, entsprechend wird man von den von den Frauen dann auch äh vielleicht einmal so ein bisschen äh ähm (3) ((lautes Ausatmen)) schalten Sie’s aus,“ (483-492)
Herr Maier ringt in dieser Textpassage um Worte, die das Verhältnis zu seinen Kolleginnen und das seiner Kolleginnen zu ihm beschreiben. Er tut sich außerordentlich schwer damit, wie man an den vielen Pausen, Wortabbrüchen und Satzumplanungen, sowie an den vielen ‚Ähs‘ und ‚Ähms‘ ablesen kann. Zunächst schildert er seine Stellung als die eines – privilegierten – „Hahn[es] im Korb“. Indem er diese Situation zunächst als bekanntes „Problem“ bezeichnet, lässt er durchblicken, dass er eine solche Geschlechterkonstellation als mit Schwierigkeiten verbunden betrachtet. Er problematisiert mit der assoziativen Metapher „Hahn im Korb“ zunächst das Geschlechterverhältnis, jedoch geschieht dies entpersonalisiert
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und generalisiert. Dies erklärt sich daraus, dass er die persönliche Situation anders empfindet: Er selbst sei „nicht der Hahn im Korb“. „Man“ sei dennoch, und hier sucht Herr Maier vehement nach einer adäquaten Ausdrucksweise, „vielleicht irgendwo auch mal so das Objekt der (2) ähm (2) wie soll ich sagen“. Herr Maier bemüht sich, seine geplante Aussage abzuschwächen und vage zu halten. Die Abtönungspartikeln „vielleicht“, „irgendwo“ und „auch mal so“ präzisieren keine bestimmte Situation, auch die Konstruktion mit dem unbestimmten Pronomen „man“ statt einem eindeutigen ‚ich‘ deutet vorsichtiges Herantasten an. Seine Aussage bringt Herr Maier nicht zu Ende: ‚Objekt der Begierde‘ müsste es heißen. Er verzichtet auf diese letzten Worte, die ihm dann vielleicht doch zu sexuell aufgeladen erscheinen. Herr Maier sucht stattdessen weiter nach den richtigen Worten, („na ja, wie soll ich das nennen, sehr schwer zu formulieren;“), gerät in eine nächste Konstruktion, in der er von den zwischen Mann und Frau „üblichen und zu erwartenden“ – Verhaltensweisen? Annäherungen? Anziehungen? – spricht, erneut ohne seine Aussage zu Ende zu führen. Sein Verhalten, das er wieder auf der unpersönlichen ‚man‘-Ebene formuliert, beschreibt er schlussendlich als flirtend und „charmant“. Die Reaktion der Frauen bleibt dabei im Ungewissen, denn Herr Maier, wiederum um vorsichtige Äußerungen bemüht, bricht den Satzanfang, man werde von den Kolleginnen „dann auch äh vielleicht einmal so ein bisschen äh ähm (3)“ ab. Auch hier bleibt zu spekulieren, wie dieser Satz weitergehen könnte: Verwöhnt? Mit Reizen bedacht? Herr Maier lässt den Interviewer im Unklaren und fordert sogar, das Aufnahmegerät auszuschalten. Die Verunsicherung erreicht ihren Höhepunkt, Herr Maier sieht sich in Aussagen verstrickt, die er nicht offiziell werden lassen möchte. Herr Maier hat diffuse Gefühle und Gedanken bezogen auf die Qualität des Geschlechterverhältnisses. Deutlich wird dabei, dass das vom Interviewer initiierte Thema keines ist, mit dem er sich bisher reflexiv auseinandergesetzt hat oder das seine Handlungsmuster bewusst beeinflusst. Des Weiteren zeigt sich, dass Herr Maier sich scheut, bestimmte Dinge in der Interviewsituation auszusprechen. Er ist um Political Correctness bemüht, was eventuell auch vor dem Hintergrund der Debatte um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu verstehen ist. Der Interviewpartner ist in seinen Handlungsmustern über jeden diesbezüglichen Verdacht erhaben: Tatsächlich tritt er als Charmeur in der Tradition eines älteren Gentelmans auf, der nicht zuletzt angesichts seines Alters gefahrlos mit seinen Kolleginnen flirten kann. Deutlich wird, dass das Mannsein nur in Verbindung mit dem Alter Herrn Maiers Stellung innerhalb des Kollegiums sichert. Das Geschlecht reguliert dabei dem traditionalen Bild entsprechend den Umgang miteinander: Charmante Höflichkeit ist ohne Frage für Herrn Maier generell der angemessene Umgang mit Frauen. Die großen Unsicherheiten zu Beginn der Passage erklären sich durch die Sexierung des Beziehungsgeflechts, innerhalb dessen sich Herr Maier
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bewegt. Die vorgenommene Sexierung versucht er abzumildern, indem er sich auf die Normalität eines charmanten Umgangs zwischen den Geschlechtern beruft. Diese These lässt sich mit einer kurz darauf folgenden Interviewpassage stützen, in der der Interviewpartner über das Verhältnis zu seiner Schulleiterin berichtet: „Wir haben einen sehr charmanten Umgang miteinander. [ ] sie ist ja auch einige Jahre jünger als ich, nicht, und da kann ich mir das auch erlauben;“ (517f.)
Erneut wird die Strukturkategorie Generation bemüht, um die Handlungsorientierung zu legitimieren. Die Verwendung des Verbs „erlauben“ ist als Indiz zu sehen, dass sein Verhalten dennoch eine Gradwanderung darstellt. Die Sexierung des Verhältnisses zu seinen Kolleginnen im Allgemeinen und zu seiner Rektorin im Besonderen regelt dennoch den Umgang miteinander. Nach ca. zwei Minuten, in denen das Aufnahmegerät gestoppt bleibt und Herr Maier weiterhin nach Worten sucht, wird dieses wieder eingeschalten. Herr Maier führt seine Gedanken weiter aus: „Wie Männer mit Frauen und Frauen mit Männern umgehen, nicht, also man äh man (2) kann also wenn man mit den Kolleginnen eben ähm (4) grundsätzlich also menschlich zu äh Streich kommt, eben auch erleben dass man dann auch mal irgendwie so aufgenommen wird, menschlich, und äh das dann eben auch der Umgangston vielleicht jetzt nicht nur rein kollegial ist, sondern das da eben dann auch noch ein bisschen (.) mehr dazu kommt,“ (496-501)
In der Fortsetzung der Passage stellt Herr Maier fest, dass Frauen mit Männern und Männer mit Frauen anders miteinander umgehen als Männer bzw. Frauen untereinander. Er erlebt, dass er „irgendwie so aufgenommen wird“. Aufgenommen, angenommen: Als Mensch, nicht nur als Kollege. Die Abtönungspartikel „irgendwie“ bezeichnet, dass das Verhältnis dennoch auf eine diffuse Beziehung gründet. Wichtig ist dem Interviewpartner die Privatisierung des Kollegialen. Daher bleibt der Umgangston auch nicht auf das professionelle Miteinander beschränkt, sondern es kommt „ noch ein bisschen (.) mehr dazu“. Dieses „mehr“ drückt zunächst das menschliche, das freundschaftliche und private Miteinander aus. Betrachtet man aber die gesamte Interviewsequenz, so umschreibt Herr Maier auch hier ein sexualisiertes Verhältnis, das auf die Paradigmen Charme und Flirt beruht. Die durchgängige Verwendung des unbestimmten Pronomens „man“ betont die Selbstverständlichkeit dieser Art, das Geschlechterverhältnis zu regeln. Herr Maier konstruiert eine Normalität, die keiner weiteren Analyse bedarf und schließt die Thematik ab, indem er feststellt: „Ja; also, äh (.) ich muss sagen ich arbeite eigentlich sehr gern mit Frauen zusammen; das ist gar keine Frage; nicht, [...] also ich kann sogar mit Frauen eigentlich fast besser; nicht, (.) umgehen als mit Männern,“ (501-504)
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C Empirische Ergebnisse
Trotz der vielen Unsicherheiten in den vorhergehenden Sequenzen beim Beschreiben des Geschlechterverhältnisses im Kollegium konstatiert Herr Maier nun, dass der Umgang mit seinen Kolleginnen für ihn unproblematisch ist: Er fühlt sich unter Frauen wohl und arbeitet sehr gern mit ihnen zusammen. Als Charmeur fällt ihm der Umgang mit seinen Kolleginnen leichter als der Umgang mit Männern. Das Geschlecht regelt die Beziehung auf natürliche Art, durch die essentialistisch gedachte Bipolarität der Geschlechter entsteht keine Konkurrenz, die das Verhältnis belasten könnte. Auf die Nachfrage, worin er die Gründe für sein Empfinden sieht, antwortet Herr Maier: „Na ja;(.) das=äh hängt auch mit meiner äh eigenen Kindheit und Jugend zusammen, also ich bin in einem Umfeld groß geworden, in dem überwiegend Frauen waren. also Familie, Verwandtschaft und so.“ (509-511)
Herr Maier befindet sich nun wieder auf sicherem Terrain und findet eine für ihn nahe liegende, rationale Begründung. Durch die Verwendung dieses einfachen Erklärungsmusters wird noch einmal deutlich, dass das Thema ‚Geschlecht‘ für Herrn Maier keines ist, das einer Reflexion unterzogen wird. Insgesamt zeichnet sich in den Aussagen zum Geschlechterverhältnis von Herrn Maier zu seinen Kolleginnen ein traditionelles Bild ab, das die Bipolarität der Geschlechter als Selbstverständlichkeit zu Grunde legt. Diese Bipolarität betrachtet Herr Maier unter einer heterosexuellen Matrix, wodurch das Beziehungsgefüge sexualisiert wird. Zwar bemüht er sich darum, das Verhältnis in der Beschreibung als ein natürliches darzustellen, das vor allem auf einen respektierenden, höflichen Umgang miteinander abzielt. Durch die Handlungsorientierung ‚Charme und Flirt‘ erlangt dieses Verständnis aber eine sexierende Konnotation, die Herrn Maier erst bewusst wird, als er auf Grund der Interviewfrage nach einer verbalen Beschreibung des Verhältnisses sucht. Herr Maier selbst resümiert sichtbar zufrieden mit seinem Status: „Aber man merkt doch, dass man als Mann also durchaus auch gern gesehen ist, oim Kollegiumo, also wenn wir unsere Grundschulteams haben bin ich ja der einzige Mann unter etwa zehn Kolleginnen, und (.) das wird gar nicht als so unangenehm empfunden von der anderen Seite hab ich das Gefühl.“ (526-530)
Die Formulierung „gar nicht als so unangenehm empfunden“, die quasi eine doppelte Verneinung darstellt, lässt den Schluss zu, dass Herr Maier die Möglichkeit sieht, dass sich die Situation auch anders gestalten und er eventuell ausgegrenzt werden könnte. Herr Maier argumentiert aus einer passiven Haltung heraus: Nicht er findet es angenehm, als einziger Mann unter Frauen zu arbeiten, sondern ihm ist es wichtig, dass die Frauen seine Anwesenheit als angenehm empfinden. Offen
1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Áirtet mal vielleicht ein bisschen.“
185
ausgesprochen wird dies von den Kolleginnen anscheinend nicht: Die Formulierungen „man merkt doch“ und „hab ich das Gefühl“ machen sichtbar, dass es sich hierbei um subjektive Wahrnehmungen des Interviewpartners handelt. Jungen in der Grundschule: „Ich meine, dass gerade Jungs in der Grundschule öfters mal einen Mann sehen sollten.“ Das Konstrukt der Dichotomie wird noch deutlicher als in den Äußerungen zum Geschlechterverhältnis im Kollegium, wenn man die Interviewpassagen zu unterschiedlichen Arbeitsweisen und Erziehungszielen zwischen Herrn Maier und seinen Kolleginnen betrachtet. Der differenztheoretische Ansatz, der hier zum Vorschein kommt, ist in Teilen als defizitorientierter zu verstehen, auch wenn Herr Maier sich bemüht, dies nicht so erscheinen zu lassen: „Also ich habe beobachtet, dass Kolleginnen (.) häufig ein Problem haben, (.) Jungen in der Grundschule, (.) also häufig; nicht immer oder sagen wir mal öfter oder doch eben regelmäßig das Problem haben, meiner Ansicht nach, die Jungen (.) geschlechts- (.) gemäß, (.) also ihrem Geschlecht entsprechend also dem männlichen Geschlecht entsprechend (.) ähm ja wie soll ich sagen (.) also auf sie zuzugehen; oder sie äh (2) ja sagen wir schlicht- sagen wir schlichterdings (.) äh erzieherisch mit ihnen zu agieren;“ (426-432)
Herr Maier bescheinigt seinen Kolleginnen Schwierigkeiten damit, angemessen und erzieherisch auf Jungen einzuwirken. Er beruft sich auf eigene Beobachtungen, wobei er insgesamt sehr vorsichtig argumentiert: Die Formulierung „also häufig; nicht immer oder sagen wir mal öfter oder doch eben regelmäßig“ lässt darauf schließen, dass Herr Maier noch unentschlossen ist, in wie weit seine Einschätzung zu verallgemeinern ist. Daher schiebt er auch den Nebensatz „meiner Ansicht nach“ hinterher und betont das Personalpronomen. Er bemüht sich zunächst um eine differenzierte Haltung, kommt dann aber doch zum Schluss, dass die Probleme zwischen seinen Kolleginnen und den Jungen in der Schule „regelmäßig“ auftreten. Auch an das, was dieses Problem inhaltlich fasst, tastet sich Herr Maier schrittweise heran. Dieses schrittweise Herantasten mit einer Vielzahl von Satzumplanungen deutet darauf hin, dass Herr Maier zum einen sehr bedacht darauf ist, eine treffende Erklärung zu finden, zum anderen zeigt sich eine Unsicherheit bezüglich dem inhaltlichen Gehalt seiner Aussage. Herr Maier geht ganz selbstverständlich davon aus, dass Interaktionen dem Geschlecht des Gegenübers gemäß stattfinden müssen; dies zeugt von der Naturalisierung der Geschlechterdifferenz, die Unterschiede innerhalb der Genusgruppen nicht mitdenkt. Als Grund für die bei seinen Kolleginnen festgestellten Schwierigkeiten im Umgang mit den Jungen sieht er deren Bezugnahme auf das Verhalten der Mädchen und die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften:
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C Empirische Ergebnisse „Die Jungs werden verglichen mit den Mädchen, das machen also Kolleginnen, nach meiner Erfahrung, sie vergleich die Jungs mit den Mädchen. und da Mädchen eben (.) äh meistens etwas pflegeleichter sind, nicht, meistens auch sorgfältiger in der Arbeit=äh=sweise sind in der Grundschule was Heftführung und auch ähm äh Zuverlässigkeit und so weiter anbetrifft, und (.) das äh was man eben bei Jungs nicht immer so häufig hat; nicht, (.) das dann eben (.) ähm (.) die Qualität; oder sa- ja sa- ich nenn’ es mal so die Qualität der Jungen, eben äh (.) so verglichen wird mit der der Mädchen, und das, was vielleicht bei Jungen Jungens manchmal spezifisch sagen wir mal diese Originalität, die Spontaneität, vielleicht auch so mal so das Überbordende, was man bei Jungs vielleicht eher hat, also äh also wie soll ich mal sagen, so ein bisschen provokant auftreten; was ja auch Intelligenz verrät; nicht, das wird eigentlich von manch- von vielen Kolleginnen hab ich beobachtet, eher als negativ angesehen; während (.) dieses (.) Schöntun, (.) das akkurat Arbeiten sozusagen, als der (.) Wert schlechthin angesehen wird.“ (432-445)
Der Interviewpartner greift auf stereotypisierende Zuschreibungen zurück, wenn er die unterschiedlichen Eigenschaften von Jungen und Mädchen in der Schule beschreibt. Er zeichnet ein als defizitorientiert zu betrachtendes Bild der Mädchen, indem er ihnen Eigenschaften zuschreibt, die seiner Meinung nach mit „Schöntun“ zusammengefasst werden können. Jungen hingegen weist er Eigenschaften zu, die allesamt „Intelligenz“ verraten. Zum anderen stellt er bei seinen Kolleginnen fest, dass sie die Verhaltensweisen der Jungen nicht richtig deuten können und sich auf Grund der eigenen Geschlechtszugehörigkeit zu stark an den – durchaus schätzenswerten, jedoch insgesamt minderwertigen – Eigenschaften der Mädchen orientieren. Er selbst vertritt eine differente Auffassung und sagt, dass Männer die Qualitäten von Jungen grundsätzlich besser erkennen als Frauen: „Und da bin ich eben anderer Meinung, ich hab natürlich auch gern, wenn meine Schülerinnen sauber arbeiten, natürlich auch wenn es die Schüler tun, nicht, (.) aber ich seh’ eben auch in den Jungs Qualitäten, die anderer Art sind. und ich glaube dass das ein Mann vielleicht (2) manchmal doch (.) besser erkennen kann als eine Frau.“ (445-449)
Die vorsichtige Formulierung „vielleicht (2) manchmal doch“ weist darauf hin, dass Herr Maier seine Kolleginnen nicht offiziell abwerten möchte. Für ihn liegt es in der Natur der Dinge, dass nur Männer die wahren Qualitäten der Jungen erkennen können. Somit tragen die Kolleginnen keine Schuld an ihrem Versagen gegenüber den Jungen, vielmehr ist dieses auf die Geschlechtszugehörigkeit der Akteurinnen und nicht auf deren mangelnde Professionalität zurückzuführen. Dies wird auch an anderer Stelle deutlich, als der Interviewpartner mit der Schlagzeile aus der Bildzeitung konfrontiere, die polemisierend feststellt: ‚Lehrerinnen machen Schüler dumm‘. Herr Maier widerspricht: „Äh, das find ich jetzt sehr krass, also ich denke dass die Kolleginnen hier bei uns sehr gute Arbeit leisten, also (.)“ (404f.)
Herr Maier lässt die Schlagzeile in keinerlei Weise gelten und missbilligt den von der Bildzeitung hergestellten Zusammenhang. Er beruft sich auf Erfahrungen an
1.2 Fallanalyse Herr Maier: „Man Áirtet mal vielleicht ein bisschen.“
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seiner Schule und verteidigt seine Kolleginnen, denen er, trotz der explizierten Defizite im Umgang mit Jungen, pauschal sehr qualifiziertes Arbeiten attestiert. Weibliche Arbeitsweisen, auf deren Differenz zu männlichen er im weiteren Interviewverlauf insistiert, markiert er somit nicht als generell defizitär. Für den Bereich der Jungenförderung rückt er dennoch nicht vom entworfenen Bild ab, dass es hier quasi als kompensatorische Maßnahme einen höheren Männeranteil in den Grundschulen geben müsste: „Und deswegen meine ich eben dass gerade Jungs auch in der Grundschule, vielleicht öfters mal einen Mann sehen sollten; nicht, (.) weil sie doch spüren, das ist einer der versteht mich doch besser manchmal. wenn da einer übermütig wird, ein Junge, heißt es eben bei den Kolleginnen gerne mal, der stört. aber ich seh’ da eben noch anderes dahinter; und das äh denk ich ist für mich als Mann einfach besser zugänglich;“ (452-457)
Noch einmal wiederholt Herr Maier die These, dass die männliche Geschlechtszugehörigkeit entscheidend für das Verständnis jungentypischer Verhaltensweisen ist. Nur er als Mann kann diese richtig interpretieren und die wahren Beweggründe zum Beispiel für Unterrichtsstörungen erkennen. Herr Maier geht davon aus, dass auch den Jungen selbst dieses Mehr an Verständnis bewusst ist, das ihnen von männlichen Lehrern entgegengebracht wird. Hier wird eine Sichtweise auf Geschlecht erkennbar, die von einem generationenübergreifenden Bündnis unter Geschlechtsgenossen und -genossinnen ausgeht. Ob das Bündnis auf biografische Erfahrungen beruht oder wie es sonst zustande kommt, bedarf in Herrn Maiers naturalistischem Verständnis von Geschlecht keiner weiteren Erläuterung. Dass es erstrebenswert wäre für die Jungen, von mehr männlichen Grundschullehrern unterrichtet zu werden, ergibt sich für Herrn Maier auch aus den Bedingungen des Aufwachsens in einer ‚vaterlosen Gesellschaft‘. Schon in einer früheren Textpassage äußert er sich: „Denn es gibt ja Kinder, die auf Grund dieser Alleinerziehungssituation, nicht, die kennen eben von zu Hause her, nur die Mutter, im Kindergarten die Kindergärtnerin, in der Grundschule die Grundschullehrerin, und vielleicht fragen sich dann mit zehn Jahren, äh was ist überhaupt ein Mann; (2) und ich denke dass das auch für die Beziehungsfähigkeit der Kinder (.) wichtig ist; also (2) später mal, (3)“ (394-399)
Herr Maier konstruiert einen Zusammenhang zwischen fehlenden Männern im Erziehungssektor und der zukünftigen Beziehungsfähigkeit der Kinder, die er durch den von ihm beschriebenen Status Quo gefährdet sieht. Anhand dieser Argumentationslinie wird noch einmal sichtbar, welch hohen Stellenwert das Thema ‚Beziehungen‘ in Herrn Maiers beruflichem Leben einnimmt. Durch das ganze Interview hindurch zieht es sich wie ein roter Faden: Herr Maier berichtet von den Beziehungen innerhalb der verschiedenen Kollegien seiner Dienstlaufbahn,
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C Empirische Ergebnisse
zur Elternschaft, zu den weiblichen Kolleginnen an seiner jetzigen Schule, vor allem aber auch zu den Schülerinnen und Schülern. Die Gestaltung gelingender Beziehungen ist dabei zentrales Motiv für Herrn Maiers berufliche Orientierung. Zusammenfassende Interpretation Herrn Maiers Situation als männlicher Grundschullehrer kann als ausgesprochen befriedigend bezeichnet werden. Zwar kommt er durchaus darauf zu sprechen, dass ihn die Tätigkeit mit Kindern mehr anstrengt als dies früher der Fall war, auch spricht er in berufsbiografischen Zusammenhängen zahlreiche Aspekte an, die sein Wohlbefinden in der Schule zeitweilig massiv beeinträchtigt haben. Dennoch blickt er auf ein erfülltes Berufsleben zurück. Es zeigt sich, dass für Herrn Maier die Beziehungsgestaltung leitendes Motiv seiner beruflichen Orientierungsmuster ist. Dabei steht zum einen das Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern im Mittelpunkt seines Interesses. Die Interpretation seines Berufes geschieht kindzentriert, die ihm entgegengebrachte Zuneigung ist zentral, wobei fachliche Ansprüche durchaus vorhanden sind. Zum anderen sichern die Beziehungen innerhalb des Kollegiums, aber auch die Anerkennung, die er von Elternseite erhält, sein positives Erleben ab. Die Gratifikation, die er in beiden Feldern erfährt, ist ihm wichtig und bestätigt ihn nicht nur als Lehrer, sondern auch als Person. Verantwortlich für seinen Status innerhalb des Kollegiums macht er zunächst die Kategorie Generation. Als einer der dienstältesten Kollegen verfügt er über Autorität und erfährt Respekt. Darüber hinaus fungiert seine Geschlechtszugehörigkeit als Regulativ für die Interaktion im Kollegium. Hier erlebt er sich als gern gesehenen Exoten, der sich über die sexierenden Handlungsmuster Flirt und Charme einen exklusiven Status sichert. Seine implizite Haltung, die auf traditionale Einstellungen und Verhaltensmuster basiert und das Geschlechterverhältnis in essentialistischer Weise denkt, regelt den expliziten Umgang. Der eigene vergeschlechtlichte Status wird als Selbstverständlichkeit erlebt, Interaktionen orientieren sich „am üblichen Umgang zwischen Männern und Frauen“. Die Zusammenarbeit mit Frauen erlebt er als wohltuend, das Verhältnis ist geprägt von zwischenmenschlichen Regungen, die über das Kollegiale hinausgehen. Die als positiv empfundene Beziehungsebene spielt dabei eine tragende Rolle für das berufliche Befinden des Kollegen. Seiner eigenen Geschlechtszugehörigkeit muss sich Herr Maier dabei nicht bewusst versichern: Von einer Verunsicherung bezüglich des eigenen Mannseins ist nichts zu spüren. Herr Maier sieht keine Veranlassung dazu, seine Männlichkeit durch besonders männlich konnotierte Verhaltensweisen unter Beweis zu stellen. Es ist für Herrn Maier auch nicht notwendig, in einen reflexiven Prozess über seine eigene Geschlechtszugehörigkeit oder das Geschlechterverhältnis zu treten, da
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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beide als naturgegeben verstanden werden. Deutlich zeigt sich dies darin, dass Herr Maier das Thema Geschlecht von sich aus nicht initiiert und er auf Fragen dazu mit Verunsicherung und teilweise weitschweifigen Suchbewegungen reagiert. Zwar sieht Herr Maier auf der professionellen Ebene Differenzen zwischen sich selbst als Mann und seinen Kolleginnen, dies vor allem in Bezug auf die Jungenerziehung. Frauen bzw. Mädchen werden Eigenschaften zugeschrieben, die sich deutlich bis komplementär von denen der Männer bzw. der Jungen unterscheiden. Dennoch geschieht keine offizielle Abwertung des weiblichen Geschlechts. Die Dichotomie der Geschlechter wird als selbstverständlich erachtet, darauf resultierende Unterschiede sind anthropologisch begründet und müssen als solche gewertet werden. Erkennbar wird in den Argumentationen Herrn Maiers dennoch eine defizitorientierte Sichtweise, auch wenn diese so nicht beabsichtigt ist. Die dargestellten Orientierungsmuster erlauben die Entwicklung eines beruflichen Habitus, der keiner aktiven Abgrenzung von den Kolleginnen bedarf. Die Dichotomie der Geschlechter regelt alle Interaktionen und ist aus einer sexierenden Auffassung des Geschlechterverhältnisses heraus Garant für den respektvollen, als befriedigend erlebten Umgang miteinander. Da Herr Maier sich seines Mannseins nicht durch bewusste Handlungsstrategien vergewissern muss, ist es ihm erlaubt, die Beziehungsebene auch in Bezug auf die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern in den Vordergrund zu stellen. Als besonders männlich konnotierte Verhaltensweisen wie Durchsetzungsvermögen oder Orientierung an fachlicher Wissensvermittlung müssen nicht übermäßig betont oder inszeniert werden. ‚Allein unter Frauen‘ bedeutet für Herrn Maier, ein gern gesehener Exot zu sein.
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“ Zur Person und zur Schule Zum Zeitpunkt des Interviews ist Herr Jehle 64 Jahre alt, befindet sich somit im Jahr vor seiner Pensionierung. Er kann auf 43 Dienstjahre zurückblicken. Nach dem Abitur an einem allgemeinbildenden Gymnasium begann er seine vier Semester dauernde Ausbildung zum Volksschullehrer an einer Außenstelle einer Pädagogischen Hochschule in Greisteig. Diese Ausbildungsstätte war bis dahin ein Lehrerinnenseminar, so dass er zusammen mit fünf anderen Kommilitonen zu den ersten Männern gehörte, die an diesem Ort ausgebildet wurden. Nach dem damals regulär vier Semester dauernden Studium, in dem er die Fächer Biologie und Werken belegte, legte er Mitte der 1960er Jahre sein Erstes Staatsexamen ab. Im direkten Anschluss daran unterrichtete an einer Volksschule im ländlichen Raum, in der er zusammen mit drei anderen Kollegen vier jeweils kombinierte Klassen
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C Empirische Ergebnisse
unterrichtete. Er selbst übernahm die 8./9. Klasse, legte seine zweite Dienstprüfung ab und bewarb sich anschließend auf die Planstelle an einer anderen Volksschule, an der noch heute tätig ist. Diese war zunächst ebenfalls eine Volksschule, er unterrichtete abwechselnd die Abschlussklassen und die Schuleingangsklassen. Als die Schule in Grund- und Hauptschule getrennt wurde und der Hauptschulbereich in einen benachbarten Ort umzog, entschied sich Herr Jehle für den Verbleib im Grundschulbereich. Die Entscheidung geschah vor allem aus praktischen Erwägungen (Wohnort = Schulort). Die Schule wird heute vierzügig geführt, wobei ein Klassenzug in einem benachbarten Teilort ausgelagert ist. Mit ca. 350 Schülerinnen und Schüler ist die Schule recht groß. An der Stammschule, an der Herr Jehle unterrichtet, arbeiten neben ihm und einem männlichen Kollegen weitere sieben Kolleginnen. Die Schule hat sich das Profil „Projektorientiert arbeitende Schule“ gegeben. Der Schulleiter ist männlich, die Konrektorin eine Frau. Im Moment unterrichtet Herr Jehle eine 4. Grundschulklasse als Klassenlehrer. Auf Grund einer körperlichen Beeinträchtigung erhält Herr Jehle seit diesem Schuljahr eine Deputatsermäßigung von sechs Stunden. Seine Klasse unterrichtet er in allen Fächern außer dem musisch-ästhetischen Gegenstandsbereich (Musik, Bildende Kunst/Textiles Werken, Sport), obgleich er auch in diesen Fächer in den Jahren zuvor im Einsatz war. Besonders hervorgehoben wird von Herrn Jehle, dass er Kindern auch schon Sticken beigebracht hat, nachdem er sich dies zuvor von seiner Frau zeigen lassen hatte. Herr Jehle ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. Postskriptum Kontaktaufnahme Herr Jehle ist der Kollege eines Interviewpartners, der an derselben Schule wie dieser, allerdings in der Außenstelle arbeitet. Der Kontakt zu Herrn Jehle wurde über diesen hergestellt und erfolgte telefonisch. Herr Jehle war sofort zu einem Interview bereit; dieses fand dann auch nur eine knappe Woche nach der Kontaktaufnahme statt.
Setting und Verlauf Das Interview fand an einem Herbstferientag nachmittags im Wohnzimmer des Interviewpartners statt. Interviewer und Interviewpartner saßen sich auf einer Polstergarnitur schräg gegenüber. Das Forschungsvorhaben wurde nur sehr knapp erläutert. Die Atmosphäre während des Interviews war ausgesprochen freundlich. Sowohl beim narrativen, berufsbiografischen Teil des Interviews als auch bei der Konkretisierung der Fragestellung in Bezug auf den Genderaspekt hatte Herr
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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Jehle viel zu erzählen, kam von sich aus auf Beispiele zu sprechen und gab auf Nachfragen bereitwillig Auskunft. Herr Jehle schien es geradezu zu genießen, von seinen Erlebnissen und Erfahrungen berichten zu können. Das Interview dauerte insgesamt etwas über 95 Minuten. Nach dem Interview Nach dem Interview fand ein kürzeres Gespräch zum Lehrerberuf und Schulalltag im Allgemeinen statt. Noch einmal machte Herr Jehle deutlich, wie gern er Lehrer ist und dass er auf ein erfülltes Berufsleben zurückblicken kann. ReÀektierende Interpretation Berufswahlmotivation: „Ich wollte schon immer mal so ein Lehrer werden.“ Auf die einleitende Frage, wie Herr Jehle zu seinem Beruf gekommen sei, antwortet dieser: „Ich hab mich als Kind, bin ich ja in eine einklassige Schule gegangen, auf einem ganz kleinen Dorf, und damals hab ich mir schon immer vorgestellt; ich wollte mal so ein Lehrer werden.“ (6-8)
Herrn Jehles Antwort impliziert, ohne detailreich zu sein, das Bild einer glücklichen Schulzeit, in der der Lehrer ein Vorbild ist, dem es nachzueifern gilt. Später verfolgt er aber eine andere Idee bezüglich seines Berufswunsches, die aber an finanziellpragmatischen Gründen und Einwänden seines Vaters scheitert: „Im Laufe der Zeit hab ich dann plötzlich mal andere (.) Ideen gehabt da wollte ich zur See fahren, wollte Schiffsbauingenieur werden, äh und dann hat sich mein Vater erkundigt gehabt und dann hat er gesagt des geht finanziell nicht da müsste ich (.) nach Hamburg ich müsste auf der Werft arbeiten ich müsste dort studieren ich werde dreißig bis ich fertig werde und (.) das kann er sich nicht leisten,“ (12-17)
Scheinbar „plötzlich“ verwirft er seinen von Kindesbeinen an gepflegten Berufswunsch: Vom Dorfschullehrer wandelt sich sein Wunsch in maximaler Kontrastierung zum Seefahrer, der nicht mit Menschen, sondern mit Maschinen arbeitet, sich nicht in der dörflichen Heimat, sondern in der weiten Welt bewegt. Auffällig ist, dass nicht Herr Jehle selbst, sondern sein Vater Erkundigungen einholt und letztlich seinem Sohn diesen Berufswunsch aus finanziellen Überlegungen verwehrt. So greift Herr Jehle auf seinen ersten Berufswunsch zurück, den er, wie die Formulierung in der folgenden Sequenz zeigt, anscheinend für einige Zeit völlig beiseite geschoben hatte: „Ja und dann (.) hab ich mich plötzlich wieder an das Lehrersein äh z=rk erinnert, und hab da kurz entschlossen mich da (.) zur PH angemeldet. (.) so kam ich also (.) zum Lehrersein.“ (17-19)
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C Empirische Ergebnisse
Die Formulierung „Lehrersein“ weist schon an dieser frühen Interviewstelle darauf hin, dass Herr Jehle den schließlich gewählten Beruf nicht nur als Tätigkeit, sondern als ein ‚Sein‘ im Wortsinn betrachtet, über das sich seine Person definiert: Der Beruf ist bestimmend für das gesamte Leben, für das Selbstbild und das Prestige, das Herr Jehle innerhalb der Gemeinde erfährt. Weniger die Arbeit mit Kindern, vielmehr der Status des Lehrers innerhalb und außerhalb der Schule bestimmen seine Berufswahlmotivation. Daneben nennt Herr Jehle andere, pragmatische Motive für seine Entscheidung: „Vielleicht hat noch ’ne Rolle gespielt, ich hab da meine Frau schon kennen gelernt gehabt, äh::: damals (.) war man nach vier (.) Semestern (.) fertig ausgebildet, für Grund- und Hauptschule. alle Fächer. (2) ja, hat da auch noch ’ne Rolle gespielt dass ich möglichst sch- rasch dann fertig sein wollt vielleicht gell, (2) ich mein wie das alles ineinander übergegangen ist weiß ich jetzt auch nicht mehr aber, ich würde sagen das waren wirklich die maßgeblichen Gründe, und ich konnte natürlich zu Hause ich bin ich komm aus Kreisstadt konnte zu Hause wohnen mit dem Bus nach Greisteig fahren jeden Morgen, und abends wieder zurück.“ (28-35)
Herr Jehle möchte räumlich nicht von seiner damaligen Freundin getrennt sein. Die kurze Studiendauer stellt in Aussicht, dass die Phase der weiteren Familienplanung rasch erfolgen kann. Zudem muss Herr Jehle sich um keine Unterkunft kümmern, da er, der verhinderte Seefahrer, während des Studiums weiterhin zu Hause wohnen kann. Die Formulierungen in dieser Sequenz, die zwischen „vielleicht“ und „wirklich“ schwanken, verweisen zum einen auf die vielen Jahre, die seither vergangen sind, zum anderen aber auch auf eine Berufswahlentscheidung, die – trotz des frühen Wunsches, selbst einmal Lehrer zu sein - zwar wohlüberlegt, aber nicht durchgängig als intrinsisch motiviert bezeichnet werden kann. Studium an der Pädagogischen Hochschule: „Wir Männer waren umschwärmt“ Auf die Frage, wo er dann studiert habe, antwortet Herr Jehle: „Äh, das war damals gab’s ganz neu äh in Greisteig, das war eine Außenstelle der PH Großstadt. und das war vorher wa::r des so ein Institut, nur für Lehrerinnen, das war also des erste Jahr, wurden da auch Männer zugelassen. das waren natürlich (.) im Hinblick auf die Frauen äh schon interessante Erfahrungen, wir waren (.) ungefähr 120 Studierende, davon sechs Männer. (.) also wir waren um@schwärmt@ muss man sagen oja waren wir also4.“ (21-26)
Herr Jehle tritt seine Ausbildung in einer Umbruchphase an: Das Lehrerinnenseminar, an dem er studiert, wird gerade im Rahmen der Akademisierung der Lehrerausbildung an die Pädagogische Hochschule angegliedert. Er ist einer der sechs ersten Männer, die an diesem Institut ihr Studium aufnehmen. Diese Erfahrung ist so einschneidend, dass sie das erste ist, was Herr Jehle von seinem Studium 4 Das badische ‚als‘ meint in etwa ‚immer‘, ist diesem gegenüber aber um Nuancen abgeschwächt.
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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erzählt. Sein Exotenstatus verhilft ihm zu „interessante[n] Erfahrungen“, auf die er von sich aus zunächst nicht näher eingeht. Lediglich die Aussage, er und seine Kommilitonen seien „umschwärmt“ gewesen, deutet eine sexualisierte Richtung der Erfahrungen an. Das „umschwärmt“ spricht Herr Jehle lachend aus: dies wohl weniger, um eine Peinlichkeit zu überdecken, sondern eher aus einer Freude, die in ihm aufkommt, wenn er sich erinnert. Die leise gemurmelte Bestätigung seiner Aussage am Ende der Sequenz unterstreicht den Prozess eines Zurückerinnerns. Da er nicht explizit auf sein Erleben der Situation eingeht, stellt der Interviewer eine Zwischenfrage nach diesem. Herr Jehle antwortet: „Ich hab mich eigentlich ganz wohl gefühlt, ich hab ein paar (.) auch mal näher kennen gelernt, äh hab mich auch an (.) Veran- gemeinsamen Veranstaltungen beteiligt, abends fortgehen so irgendetwas, (.) ja man wurde schon umschwärmt aber (.) ich hatte keine (.) festeren (.) Ziele gehabt da dort. das wusste ich dann ja genau. nein, das möchte ich nicht. ich hab eine feste Beziehung schon gehabt im Prinzip gell, (.) aber ich zum Teil die später wieder gesehen auch mal so, und (.) Erfahrungen ausgetauscht.“ (41-47)
Herr Jehle genießt seinen Status als einer der wenigen männlichen Studierenden. Dementsprechend pflegt er Kontakte zu seinen Kommilitoninnen. Hat es zunächst den Anschein, dass der Interviewpartner mit dem betonten „näher kennen gelernt“ eventuell auch sexuelle Beziehungen meinen könnte, so relativiert sich dieser Eindruck, wenn er gleich darauf von „gemeinsamen“ Unternehmungen spricht, also von Gruppenaktivitäten. Dennoch betont Herr Jehle noch einmal, umschwärmt worden zu sein. Durch das kollektivierende „man“ wird aber deutlich, dass nicht er allein als Person, sondern auch seine männlichen Kommilitonen und damit generell das Mannsein im Fokus des Interesses der Studentinnen steht. Dennoch muss sich der Interviewpartner anscheinend gegen diese Schwärmereien wehren: Er weiß genau, dass er „das“ nicht möchte: ein Sich-Einlassen auf die scheinbar vorhandenen Angebote der Frauen, eine Affäre oder eine Beziehung zu beginnen. Denn Herr Jehle hat „im Prinzip“ bereits eine „feste Beziehung“ mit seiner späteren Ehefrau. Die Formulierung „im Prinzip“ deutet an, dass durchaus die Versuchung besteht, eine lockere Affäre zu beginnen. Die Betonung der „feste[n] Beziehung“ setzt aber einen Kontrapunkt und weist die Verbindung zu seiner damaligen Freundin als über jegliche Verlockungen erhaben aus. Zu einigen seiner ehemaligen Kommilitoninnen hält Herr Jehle auch nach dem Studium den Kontakt. Die Wortwahl „Erfahrungen ausgetauscht“ weist darauf hin, dass ein sachlicher Grund für ein Wiedersehen betont werden muss, um letzte Zweifel an potentiellen emotionalen Verstrickungen zu zerstreuen. Herr Jehle fasst zusammen: „Damals haben wir eigentlich keine schlechten Erfahrungen gemacht.“ (47f.)
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C Empirische Ergebnisse
Durch den Gebrauch des Personalpronomens im Plural erschließt sich der Anspruch Herrn Jehles, für alle Männer zu sprechen, die mit ihm zusammen studiert haben. Deutlich wird sein Verständnis von Mannsein als kollektive Angelegenheit, die in dieser Situation der Besonderung zusätzlich verstärkt wird. Auf ein eventuell entstandenes Gruppengefühl unter den männlichen Studenten angesprochen, berichtet Herr Jehle: „J::a, ja wir hatten auch schon eine engere Gruppe und (.) da hab ich auch viel länger noch die Kontakte gehalten.“ (51f.)
Die Geschlechtszugehörigkeit schafft ein Bündnis, das tragfähiger ist als die Kontakte zu den weiblichen Studentinnen. Herr Jehle kommt auf einen Grund zu sprechen, der die männlichen Studenten zusätzlich miteinander verbindet und in eine Sonderposition bringt: „Aber es war immer ein bissel ein seltsames Verhältnis weil die Lehrerinnen ja auch dort gewohnt haben meistens, war ja Internat eigentlich vo- vorher, und wir oder sie haben privat gewohnt, da mussten sie immer abends zu Hause sein, da haben die Vermieter darauf geschaut das hat die (.) Schule (.) kontrolliert, un::d dann waren die Männer praktisch sowieso extern dann irgendwie was anderes. die waren also nur aus dem Bereich Bezirksstadt Kreisstadt eigentlich. (3) ja. (2)“ (56-61)
Als ‚Externe‘ genießen die Männer Freiheiten, die den Frauen verwehrt bleiben. Sowohl die Vermieter als auch die Schule treten als Autoritäten auf, die das sittsame Verhalten der jungen Frauen kontrollieren. Die Männer stammen zudem aus der Gegend, sind also nicht zur Ausbildung neu an den Ort gekommen. Warum dieser Unterschied zu einem „ein bissel ein seltsames Verhältnis“ beiträgt, erschließt sich nur in der Spekulation, auf die an dieser Stelle verzichtet wird. Die erste Stelle: „Da hab ich das große Los gezogen.“ Da es zur damaligen Zeit noch keinen Vorbereitungsdienst gibt, tritt Herr Jehle direkt nach seinem kurzen Studium die erste Stelle an. Sein einziger Wunsch ist, eine Stelle in der Nähe seiner Eltern und seiner Freundin zu bekommen. Da diesem Wunsch entsprochen wird, „hab ich eben (.) tja das große Los gezogen.“ (64). Die Schule ist klein, lediglich vier Lehrer unterrichten an ihr, jeweils zwei Klassenstufen sind zusammengelegt. Herr Jehle übernimmt die kombinierte 7./8. Klassenstufe, also die Abschlussklassen. Noch nach vielen Jahren erzählt er begeistert von der Anfangszeit seiner Berufsausübung: „Ich hatte ein tolles Klassenzimmer mit abgeteiltem (.) Raum, mit Glaswand, so dass ich die Siebtklässler mal hinten rein setzen konnte, mich mit den Achtklässlern beschäftigt und umgekehrt, und doch immer alle so im im Blick hatte. das war auch eine (.) schöne Schule, ich hab mich wohl gefühlt dort, der Rektor (.) hat sich sehr um mich gekümmert, weil’s ja kein Referendariat gab kam
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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der ab und zu mal in den Unterricht hat mir ’ne Viertelstunde zugehört und dann hat er gesagt so jetzt mach ich weiter, so wie ich’s machen würde, ohne Kommentar einfach ich soll zuschauen. (2) und ich hatte dort auch einen Kollegen, mit dem ich sehr viele Jahre noch also zusammenkam, äh der hat mich auch sehr sehr unterstützt, (.) und eine Kollegin muss ich sagen, die treffe ich heute noch ab und zu, äh die (.) hat mich hat mich au- auch unterstützt.“ (74-83)
Nach der Beschreibung der günstigen räumlichen Voraussetzungen und der Feststellung, er habe sich auf Grund dessen an der Schule wohl gefühlt, berichtet Herr Jehle von der Unterstützung durch den Rektor, durch einen Kollegen und eine Kollegin. Ihm scheint es wichtig gewesen zu sein, dass der Rektor seinen Unterricht nicht direkt kritisiert, sondern durch sein eigenes Unterrichten eine Vorbildfunktion einnimmt. Erfahrung ist für Herr Jehle ein hohes Gut, von dem er als junger Kollege stark profitieren kann. Dies wird an späterer Stelle noch deutlich, wenn Herr Jehle berichtet, dass er eben jene Rolle des Erfahrenen in späteren Jahren selbst einnimmt und gern bereit ist, jüngere Kolleginnen zu unterstützen. Indiz für die gute Atmosphäre an der Schule ist für Herrn Jehle, dass er mit dem Kollegen und der Kollegin freundschaftlich verbunden bleibt, auch als er die Schule längst verlassen hat. Der kollegiale, zwischenmenschliche Kontakt wird als entscheidend für das Wohlbefinden markiert. Auf Grund der damaligen Schulstruktur (– es gab konfessionsgebundene Planstellen und Herr Jehle hatte in diesem Fall die falsche Religionszugehörigkeit, um an dieser Schule bleiben zu können –) bewirbt sich Herr Jehle nach zwei Jahren auf eine andere Stelle. Er bekommt drei Schulen angeboten und entscheidet sich für diejenige, die am nächsten zu seinem Wohn- und Heimatort gelegen ist. Die zweite (und letzte) Stelle: „Keine fünf Jahre bleibe ich da.“ Der erste Eindruck von der neuen Schule ist negativ: „Also ich muss sagen als ich die Schule kennen gelernt habe und des Dorf hab ich gesagt keine fünf Jahre. bleib ich da.“ (92f.)
Was genau ihm an Schule und Dorf nicht gefällt, wird von Herrn Jehle zunächst nicht erwähnt. Das Dorf selbst spielt deshalb eine wesentliche Rolle, da Herr Jehle zur damaligen Zeit im selbigen eine Dienstwohnung zu beziehen hat. Dabei wird er schon vom Bürgermeister äußerst unfreundlich begrüßt: „Äh zumal ich auch nicht gerade vom Bürgermeister freundlich empfangen wurde, ich hab mich wie üblich auf dem Rathaus vorgestellt, der ist nicht einmal aufgestanden mir die Hand zu geben, sondern hat mich nur als erstes gefragt können Sie den Gesangverein dirigieren? (.) und dann hab ich gesagt nein, ich bin der neue Lehrer, kann ich nicht, (.) dann können wir sie nicht brauchen. hat sich ans Telefon begeben und hat auf dem Schulamt angerufen er kann mich nicht brauchen. (2) aber dank dem Schulrat der hat gesagt entweder den Lehrer oder keinen, kam ich dann doch hin und (.) na ja das Verhältnis war dann natürlich die ganze Zeit äh etwas gespannt.“ (93-101)
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C Empirische Ergebnisse
Die Regeln der Höflichkeit werden nicht eingehalten, stattdessen fordert der Bürgermeister die sachfremde Übernahme einer Aufgabe für die Gemeinde. Der Erzählduktus spiegelt auch Jahrzehnte später noch die Empörung des Interviewpartners wider. Herr Jehle weist die Forderung entschieden zurück und beruft sich knapp auf seine Dienstposition, die nichts mit der geforderten Aufgabe, den Gesangsverein zu dirigieren, zu tun hat. Eine höhere Instanz, das Schulamt, entscheidet den Konflikt zu Gunsten Herrn Jehles. Herr Jehle verweigert sich aber keinesfalls der Dorfgemeinschaft, sondern weiß um die Regeln und Erwartungen an ihn als Lehrer, die in kleinen Gemeinden üblich sind: „Ich bin ich hab mich dem Turn- und Sportverein angeschlossen dann, äh einfach um die Leute im Dorf kennen zu lernen muss man irgendeinen sich einem Verein zuwenden und (.) hab dann (.) der war gerade (.) ohne richtigen Vorstand ohne alles, dann hab ich den Schriftführer gemacht hab alles in die Wege geleitet, bin später aufgestiegen zum zweiten Vorstand zum ersten Vorstand, und bin als ich dann weggezogen bin aus Rasmushausen mit (.) 50 Jahren zum Ehrenvorstand geworden. ernannt worden.“ (104-110)
In dieser kurzen Sequenz spiegelt sich die Erfolgsgeschichte des Interviewpartners wider: Zunächst von der Einsicht geleitet, die Mitgliedschaft in einem Verein sei in einem Dorf die Voraussetzung, um in Kontakt mit der Bevölkerung zu treten, weiß er auch um die Erwartungen, die an seine Person als Dorflehrer gestellt werden. Er übernimmt Verantwortung und steigt die Karriereleiter des Vereins Stufe um Stufe nach oben; dies versinnbildlicht quasi den Integrationsprozess in die Dorfgemeinschaft. Als er das Dorf Jahrzehnte später verlässt, um in einem benachbarten Dorf eine Eigentumswohnung zu beziehen, wird ihm der Titel des Ehrenvorstands angetragen: Er hat es geschafft. Aus den anvisierten „keine fünf Jahre“ werden schließlich 40 Jahre, die Herr Jehle als geachteter Bürger und Lehrer bis zu seiner Pensionierung an der Schule in diesem Dorf verbringen soll. Betonte er in der Erzählung zu seiner ersten Stelle noch, wie hilfreich die Unterstützung durch seinen dortigen Rektor für ihn war, so spielt die fehlende Unterstützung durch den Rektor an dieser Schule anscheinend keine Rolle. Zwar mokiert er die schlechte Arbeitshaltung von jenem, doch stört ihn dies insgesamt wenig: „In der Schule hatten wir einen Rektor der sich sehr wenig um die Schule gekümmert hat, (.) der (.) wirklich alles hat laufen lassen, man konnte arbeiten wie man wollte, hat sich nicht viel darum gekümmert, Hauptsache er hat seine Freizeit gehabt, das heißt er ging also morgens oft um elf oftmals heim, er hat gesagt ich muss daheim ’s Frühbeet lüften oder irgend etwas so machen, und wurde nicht mehr gesehen.“ (130-134)
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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Auch wenn deutlich wird, dass er eine solche Arbeitshaltung nicht schätzt, so resümiert er doch: „Eigentlich hab ich mit dem Rektor keine Probleme gehabt. (4) wie gesagt er war (.) wenig für die Schule da. (2)“ (139f.)
Entscheidung für die Grundschule: „Ich gehe deshalb in die Grundschule, dann kann ich zu Fuß in die Schule gehen.“ An seiner zweiten Schule bekommt Herr Jehle als Klassenlehrer eine erste Klasse übertragen. Obwohl er hiermit, wie er betont, bislang keine Erfahrung sammeln konnte, gefällt ihm diese Aufgabe: „Der Witz war als ich dann nach Rasmushausen kam, (.) ging’s mir fast wieder wie in Wiedeneck bloß umgekehrt, da hieß es die einzige Klasse die frei ist ist die erste Klasse. (.) und so musste ich dann praktisch gleich wieder (.) nie, auch nie äh Unterricht erteilt, mit der ersten Klasse anfangen, drei Jahre lang, hat mir sehr viel Spaß gemacht,“ (142-146)
Deutlich wird, dass er es zunächst für absurd hält, gerade ihm, der sich als Junglehrer gerade erst in die Anforderungen eingearbeitet hat, eine Abschlussklasse zu unterrichten, nun das genaue Gegenteil zu überantworten. Dennoch kann er rückblickend behaupten, dass ihm diese Aufgabe „sehr viel Spaß“ gemacht hat, wobei er genauere Gründe hierfür nicht anführt. Seine Tätigkeit beschränkt sich aber nicht auf die Eingangsklassen, denn direkt nach diesen ersten drei Jahren bekommt er wiederum eine Abschlussklasse. Auch seine Erinnerung hierzu beschreibt eine Erfolgsgeschichte: „Die letzte Abschlussklasse war dann schon ’ne Neunte dann, äh muss ich sagen war also so ein gutes Verhältnis dass ich bei allen, (.) Polterabenden (.) eingeladen war wenn die Kinder später geheiratet haben.“ (148-150)
Herr Jehle zieht einen hohen Anteil seiner Berufszufriedenheit aus der Anerkennung, die er durch seine Schülerinnen und Schüler erfährt. Dass er, Jahre nach Beendigung der Schulzeit, zu deren Polterabenden eingeladen wird, ja sogar zu „allen“, erfüllt ihn mit Stolz. Er betont das gute Verhältnis zu diesen, was darauf schließen lässt, dass er um ein solches sehr bemüht ist. Diese Haltung mündet in für ihn als „selbstverständlich“ bezeichnete Konsequenzen, wie in der sich anschließenden Passage verdeutlicht wird: „Und selbstverständlich noch immer (.) jede Jahrfeier, werde ich eingeladen. (2) die:: wenn’s um was vorbereiten geht dann fragen sie mich kommen sie zu mir hier her, und fragen es wäre einmal wieder Zeit es ist wieder ein Jubiläum fällig, was machen wir oder wo gehen wir hin oder (.) oja alsoo da hab ich also sogar jahrelang die Einladungen als noch geschrieben (.) und verschickt; ja::.“ (152-157)
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C Empirische Ergebnisse
Herr Jehle wird nicht nur eingeladen, sondern ist nach wie vor Ansprechpartner und wird zum Organisator verschiedener Jubiläen gemacht. Die ehemaligen Schülerinnen und Schüler suchen ihn noch heute zu Hause auf. Die Gratifikation, die Herr Jehle so für seine Arbeit erhält, spiegelt den Erfolg seiner beruflichen Tätigkeit wider. Im Rahmen der Schulreform Mitte der 1960er Jahre wird die damalige Volksschule in Grund- und Hauptschule überführt. Herrn Jehles Volksschule war bislang für vier Ortschaften zuständig, nun wird die Hauptschule in eine dieser Ortschaften ausgegliedert. Herr Jehle steht vor der Entscheidung, ob er weiterhin in der Schule an seinem Wohnort unterrichten möchte, die reine Grundschule werden wird, oder aber im Hauptschulbereich im benachbarten Ort unterrichtet. Die Entscheidung fällt er aus einer extrinsischen Motivation heraus: „Und für mich war’s eigentlich nahe liegend, ich geh deshalb in die Grundschule, dann kann ich zu Fuß in die Schule gehen, ich bin am Ort, meine Frau hat’s Auto, wir haben selber vier Kinder gehabt, (.) und äh:: ja, also ich brauch kein Auto für um in die Schule zu gehen.“ (161-164)
Da ihn die Arbeit mit kleineren Kindern im Grundschulbereich genauso befriedigt wie die Arbeit mit Jugendlichen, spielen diesbezügliche Überlegungen keine weitere Rolle. Ein Rechtfertigungsdruck für seine Entscheidung, auch bezogen auf das Prestige seiner Arbeit oder auf die Rolle als Mann in der Grundschule, besteht zunächst scheinbar nicht. Dennoch können Ansätze einer Rechtfertigung erkannt werden, wenn man die anschließende Sequenz betrachtet: „Am Anfang war ich dann mal noch so stundenweise mal in der Hauptschule, wir hatten ausgelagerte Klassen in Rasmushausen, war dann auch in Pfefferhausen so mal, weil ich äh Werkunterricht erteilt habe in der Hauptschule vor allem, bin ich halt mit dem Bus dann runter gefahren halt dann, aber dann hat sich’s nach und nach doch wirklich getrennt und ich war nur noch in der Grundschule. (.) und ich hab’s auch muss ich sagen die Hauptschüler damals nicht vermisst, hab dann nämlich noch ähm einen zweiten Job gehabt, in Rasmushausen ist das Bildungshaus, und da werden Erzieherinnen ausgebildet. und äh die haben mich damals gefragt ob ich nicht bereit wäre da nachmittags ab und zu mal zu unterrichten, und an zwei Nachmittagen hab ich dann dort die ja es hieß noch Kindergärtnerinnen unterrichtet, und da hab ich dann Bezug noch zu den Älteren gehabt, zu den älteren Schülern die hatten allerdings alle mittlere Reife, und ich hab meine Kleinen gehabt. (3)“ (164-176)
„Nach und nach“ habe sich seine Lehrtätigkeit dann doch „wirklich getrennt“: Diese Formulierung, die eine von außen gesteuerte Entwicklung beschreibt, lässt kein Bedauern von Herrn Jehle erkennen. Von einem sehr personenbezogenen Verständnis seiner Arbeit zeugt die Äußerung, er habe „die Hauptschüler […] nicht vermisst“. Er führt weder die Hauptschule als Institution, noch die Arbeit an der Hauptschule an, sondern es sind die Schülerinnen und Schüler selbst, die im Vordergrund stehen; diese fehlen ihm allerdings nicht. Das Nicht-Vermissen widerspricht seiner bisher erkennbar gewor-
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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denen beruflichen Orientierung, die das gute Verhältnis zu seinen Schülerinnen und Schülern betont. Wie dem auch sei: Ersatz für die Hauptschülerinnen und Hauptschüler findet er in den Auszubildenden im Bildungshaus, denen er nachmittags Unterricht erteilt. Die Verwendung des Possessivpronomens in der Formulierung „und ich hab meine Kleinen gehabt“ unterstreicht wiederum die personenzentrierte Auffassung seines Berufes. Aus der Gesamtheit der Sequenz kann vielleicht doch geschlossen werden, dass nicht nur extrinsische Faktoren für seine Entscheidung für die Grundschule ausschlaggebend waren. Gerade der abschließende Satz „und ich hab meine Kleinen gehabt“ deutet darauf hin, dass sich Herr Jehle mit diesen stärker verbunden fühlt als mit älteren Schülerinnen und Schülern. Dass dennoch ein Rechtfertigungsdruck für die Entscheidung für die Grundschule auf ihm lastet, wird in der folgenden Interviewpassage deutlicher: „Aber ich muss sagen ich (.) damals hat ein mancher Kollege zu mir gesagt bi- wortwörtlich bist du blöd, dass du an die Grundschule gehst. warum gehst du nicht in die Hauptschule gell,“ (179-181)
Herrn Jehles Entscheidung wird von mehreren seiner – vermutlich männlichen – Kollegen vehement in Frage gestellt. Der Interviewpartner erinnert sich sogar an die genaue Formulierung, mit der ihm nahe gelegt wird, seine Entscheidung zu überdenken. Dies macht einerseits deutlich, dass die Kommentierung für ihn durchaus verletzend war, spricht sie ihm doch den gesunden Menschenverstand ab. Zwar revidiert er seine Entscheidung nicht, doch lässt er sich durchaus verunsichern. Erst im Rückblick zeigt er sich froh darüber, dass er sich nicht umstimmen ließ: „Und im Nachhinein muss ich sagen war ich froh dass ich in die Grundschule gegangen bin. (2)“ (181f.)
Auf die Nachfrage, worin sich dieses Zufriedenheitsgefühl mit der damaligen Entscheidung begründet, antwortet Herr Jehle zunächst: „Ja, äh::: ich muss schon sagen später dann. (.) vor zehn Jahren so ungefähr hat sich dann dieses Gefühl von Frohsein eingestellt,“ (199-201)
Daraufhin folgt eine Sequenz zur Begründung, warum er in späteren Jahren vor allem in den Klassenstufen 3 und 4 eingesetzt wurde, auf die an anderer Stelle noch eingegangen werden wird. „Ja, (.) wenn ich in der vierten Klasse dann die Grundschulempfehlung gebe; (.) diese Kinder Gymnasium, diese Realschule, wenn ich dann überlege was bleibt für die Hauptschule übrig; (2) und dann (.) werden immer vier vierte Klassen, das gibt dann zwei Hauptschulklassen, kleine Hauptschulklassen, wenn ich überlege was da für Kinder in der Hauptschule sind; dann muss ich sagen da war ich sehr froh, in der Grundschule zu sein; denn da hat man dann (.) wirklich noch
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C Empirische Ergebnisse alles drin. von den guten, aber auch schlechte Kinder. (2) die (.) besten intelligenten und wirklich ganz ganz schwach begabte. (2) und man sieht einen Erfolg.“ (215-223)
Herr Jehle begreift den Übergang in die weiterführenden Schulen als Akt der Selektion, bei dem die zukünftigen Hauptschülerinnen und Hauptschüler diejenigen sind, die „übrig“ bleiben. Herr Jehle betont, er sei „sehr froh“, nicht wie in der Hauptschule nur die leistungsschwachen Kinder zu unterrichten, sondern eben „alles“. Obwohl er sich nicht nur auf die Arbeit mit den leistungsstarken Schülerinnen und Schülern beruft, sondern die große Heterogenität in einer Grundschulklasse in seine Überlegungen einbezieht, diese gar in ihren Extremen expliziert, sind es doch die „besten intelligenten“ Kinder und deren sichtbare Erfolge, die er für seine Berufszufriedenheit benötigt. Diese Erfolge lassen sich in seiner Argumentation in der Grundschule erreichen und nicht in der Hauptschule. Herr Jehle illustriert seinen Gedanken mit einer konkreten Erfahrung: „Wenn ich äh wenn die Kinder in die Schule kommen (.) und ein Jahr in der Schule sind dann sehe ich wirklich was die Kinder gelernt haben. kann ich sehen kann ich messen. (2) fühlen. ich hab ein Mal (.) in einer fünften Klasse noch unterrichtet, die wo ich abgegeben hab von der vierten in die fünfte (.) Klasse. musst ich dann mal so aushelfen. dann hab ich gedacht das kann nicht wahr sein, das Niveau ist gegenüber der vierten Klasse gesunken in der fünften. also ganz eindeutig. (3) ja äh liebe Kinder und alles nä also ich hab nicht diese Probleme gehabt also das nicht, aber einfach vom Lernniveau her (.) war’s wirklich ein Rückschritt. (2) das war die Erkenntnis dass es mir also wohl (.) in der Grundschule besser gefällt. ich=sehe gern irgendeinen Erfolg. (2) ja; (.)“ (223-230)
Der Erfolg der eigenen Arbeit muss für Herrn Jehle sichtbar und in einer Steigerung messbar werden. In der Erzählung über die 5. Klasse zeigt sich, dass Herr Jehle einen Rückschritt zwar nicht messen, wohl aber „ganz eindeutig […] fühlen“ kann. Sein Entsetzen darüber drückt sich in der Betonung sowie dem Einschub „das kann nicht wahr sein“ aus. Impliziert wird in dieser Passage weiter, dass das Unterrichten an Hauptschulklassen von Disziplinproblemen geprägt sein könnte. „Diese Probleme“ hat Herr Jehle nicht, er verweist darauf, dass es sich um „liebe Kinder“ handelt. Dennoch: Herr Jehle ist leistungsorientiert und möchte Lernerfolge sehen. Jene stellen sich in der Grundschule eher ein als in der Hauptschule. Vor diesem Hintergrund gelangt er schließlich zur „Erkenntnis“, dass er an der Grundschule seinen Platz gefunden hat. Waren die Gründe für seine Wahl zuvor extrinsisch motiviert, so erlangt er nun eine inhaltliche Bestätigung. Die Orientierung am Lernerfolg sowie die Konstatierung eines höheren Niveaus in den Grundschulklassen im Vergleich zur Hauptschule legitimiert seine Entscheidung vor den Kollegen, die ihn für diese zunächst kritisiert haben. Noch einmal zurück zu den Kollegen, die ihm ‚Blödheit‘ attestiert hatten, als Herr Jehle sich für die Grundschule entscheidet: Auf die Nachfrage, was diese
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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Kollegen zur Abwertung seiner Entscheidung bzw. durch diese auch zur Abwertung seiner Person verleitet haben könnte, antwortet Herr Jehle: „Äh ich glaube, die meisten haben kein (.) so Verhältnis zu kleineren Kindern.“ (186)
Ein solches Verhältnis ist für Männer in der traditionalen Sichtweise der Kollegen auf Geschlechterverhältnisse unüblich und liegt für diese auch außerhalb ihrer Möglichkeiten. Für sich selbst beansprucht er den Zugang sehr wohl und erklärt ihn mit seinem Dasein als Familienvater: „Dadurch dass wir vier selber vier Kinder hatten hab ich irgendwie immer den Umgang mit unseren Kindern gehabt, und hab eigentlich die Schulkinder äh so ähnlich empfunden. wie wenn’s meine Kinder wären (.) und äh hab wirklich ein gutes Verhältnis und ich hör heute noch; von den da- erst letzthin hat mir eine erzählt eine Schülerin, damalige erste Klasse die (2) ((lautes Ausatmen)) die ist jetzt schon (.) Mi- ja Mitte vierzig, (2) oja oder fünfzig baldo, äh ob ich noch wüsste; was ich damals für ein schönes Bild an die Tafel gemalt hätte so; und ein Märchen erzählt hätte; und das kann sie nie vergessen. diese erste Zeit hat sie so (.) hat sich bei ihr so eingeprägt;“ (186-194)
Zum einen stellt Herr Jehle die Schulkinder in die Nähe seiner eigenen Kinder und sieht dies als Grund für das gute Verhältnis zu ihnen. Eine Familiarisierung der Beziehung wird mit dieser These erkennbar. Seine Eignung als Grundschullehrer dokumentiert er nicht ohne Stolz mit einer Narration über eine ehemalige Schülerin, die sich auch Jahrzehnte später noch höchst positiv an seinen Unterricht und dessen kindgerechte Gestaltung erinnert. Die Rückmeldung der nunmehr fast fünfzigjährigen Frau spiegelt für ihn den Erfolg seiner Tätigkeit wieder, den er über die Erzählung der Szene gern auch öffentlich illustriert. Auf diese Weise gelingt ihm zweierlei: Zum einen findet eine Selbstvergewisserung statt, damals mit der Wahl des Grundschulbereichs die richtige Entscheidung getroffen zu haben, zum anderen weist er Bedenken zurück, dass er sich als Mann in der Grundschule am falschen Platz befindet, wie ihn seine Kollegen glauben machen wollen. Rektor werden/nicht werden: „Sie werden sich fragen, warum ich nie etwas anderes geworden bin.“ Herr Jehle erlebt sich als kompetenten Lehrer, der ein außergewöhnlich gutes Verhältnis zu seinen Schülerinnen und Schülern auch über deren Schulzeit hinaus pflegt. Auch in die Dorfgemeinschaft ist er sehr gut integriert ist. Anscheinend ist es für ihn nahe liegend, dass er mit seinen Dispositionen ein Amt in der Schulleitung anstreben müsste. So kommt er in Zusammenhang mit seinen Erklärungen, warum er sich für die Grundschule entschieden hat, von selbst hierauf zu sprechen: „Ja (.) vielleicht soll ich noch (2) äh:: ma=wahrscheinlich Sie werden sich fragen warum ich nie (.) was anderes geworden bin, (2) (232-234)
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C Empirische Ergebnisse
Der von Unsicherheit geprägte Sprachduktus sowie die Formulierung ‚was anderes‘ anstelle der präzisen Amtsbezeichnung zeigt, dass dies eine Sache ist, die Herrn Jehle sehr beschäftigt. Er möchte auf dieses Thema zu sprechen kommen, es ist ihm aber peinlich, das Thema selbst zu initiieren. Herr Jehle hat das Gefühl, sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass er nie eine Funktionsstelle übernommen hat, nie Schulleiter geworden ist. Er selbst war durchaus bereit für ein solches Amt: „Ja, wäre vielleicht auch interessant, ich hab mich also zwei Mal, auf eine Stelle beworben, aber in Rasmushausen muss ich sagen; äh ’s erste Mal, hat mir der Schulrat gesagt waren zwei Bewerber, beide sind gleich gut, der andere Kollege ist um einige Jahre älter. (3) der bekommt den Posten, beim zweiten Mal hab ich mich auch wieder in Rasmushausen beworben, (.) und da::: (.) ich hab dann im Gespräch da hat mir der Schulamtsdirektor klar gemacht, ich kann in Rasmushausen nicht Konrektor werden, erstens weil ich schon so lang in Rasmushausen bin, und er alle drei Jahre, (.) Wechsel zum Beispiel, die Stelle wechselt, es wäre also höchste Zeit ich solle die Stelle wechseln, von ihm aus gesehen ich hab aber gesagt ich möchte nicht, ich kenn das ja auch alles hier, un::d dann hat sich na hat er gesagt ich kann nicht in Rasmushausen Konrektor werden. (2) er (.) jede andere Stelle auf die ich mich bewerben würde, würde ich bekommen. musst damals noch so:: extra überprüft auf Führungsqualität das war mal ne Zeitlang war das mal so, das hätte ich ja bestanden gehabt also um das ging’s nicht.“ (236-249)
Argumente, die nicht in der Person oder in der Qualifikation des Interviewpartners liegen, werden als Begründung dafür angeführt, dass sich Herrn Jehles Karrierewunsch nicht erfüllt. Das eine Mal ist es das höhere Alter eines Mitbewerbers, das andere Mal die Ansicht des Schulrates, der künftige Schulleiter müsse von außen kommen. Herr Jehle bekommt signalisiert, dass er an einer anderen Schule sofort einen Leitungsposten bekommen könne, er aber lehnt ab. In seiner Argumentationslinie zeigt sich Herrn Jehles Verbundenheit mit dem Ort und der Schule, in dem und an der er sich zu Hause fühlt. Gleichzeitig zeigt sich, wie wenig Herr Jehle dazu bereit ist, bekannte Strukturen zu verlassen und ein gewisses Risiko einzugehen, indem er Neues wagt. Etwaige Zweifel, ob die vorgebrachten Hinderungsgründe nicht nur vorgeschoben sein könnten und seine Nichtkarriere doch in seiner Person liegt, zerstreut Herr Jehle, indem er auf die positiv ausgefallene Überprüfung seiner Führungsqualität hinweist. Auf der einen Seite zeigt die Interviewsequenz, dass Herr Jehle durchaus danach strebt, dem Interviewer gegenüber die eigene Qualifikation zu untermauern. Auf der anderen Seite wird deutlich, dass Herr Jehle über Orientierungsmuster verfügt, die Mannsein mit beruflicher Karriere gleichsetzen. Ganz selbstverständlich geht er davon aus, dass das Gegenüber auf Grund seiner Geschlechtszugehörigkeit einen Karrierewunsch bei ihm erwartet. Herr Jehle führt weiter aus: „Später habe ich dann aber erfahren von dem der dort geworden ist, der hat sich auf eine Rektorenstelle beworben gehabt, wurde (.) abgelehnt, und man hatte ihm versprochen, (.) wenn er sich auf diese Stelle bewerben würde, würde er sie bekommen. (3)“ (249-252)
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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Die Argumentation des Schulrats erweist sich im Nachhinein als nicht korrekt: Interne Absprachen verhinderten die erfolgreiche Bewerbung Herrn Jehles. Mit seiner eigenen Ortsgebundenheit, die als Schwäche ausgelegt und als Argument gegen ihn verwendet wird, hat die Entscheidung des Schulrats nichts zu tun. Herr Jehle ist von den offen gelegten Hintergründen enttäuscht, er verzichtet auf weitere Bewerbungen, auch als die Konrektorenstelle an seiner Schule erneut frei wird: „Ich hab keine Lust mehr gehabt.“ (259)
Die Aussage markiert in ihrer Knappheit Endgültigkeit, enthält aber auch einen verbitterten Unterton. Sehr viel später, bei der Erhebung der Daten für den Kurzfragebogen, kommt Herr Jehle bei der Frage nach dem Geschlecht der jetzigen Schulleitung noch einmal auf diesen Punkt zu sprechen: Konrektorin sei inzwischen eine Frau aus dem Kollegium, er selbst verzichtete aus der nachwirkenden Enttäuschung seiner zwei vergeblichen Versuche heraus auf eine Bewerbung: „Un::d wenn ich das damals noch mal gewollt hätte wäre ich wahrscheinlich hätte ich wahrscheinlich das Amt haben können aber (.) da wollt ich dann nicht mehr zu dem Zeitpunkt;“ (858-860)
Dass es sich trotz dieses recht unemotional vorgetragenen Berichts zum verhinderten Karrieresprung dennoch um eine tiefere Kränkung des Interviewpartners handelt, zeigt sich im weiteren Interviewlauf: „Ich hab dann allerdings ich hab die ganzen Jahre mich auch immer in der (2) Referendariatsausbildung beteiligt, hab immer Referendare bei mir gehabt, äh dann hab ich aber gesagt (.) mit dieser Ablehnung; so und jetzt ist Schluss, jetzt mach ich nichts mehr, soll doch mal (2) andere. unser Rektor hat noch nie einen Referendar betreut; gar nie; (4) hab ich für mich die Konsequenz gezogen, ich war dann auch schon so fünfzig so, dann hab ich gesagt nein, und jetzt ist Schluss.“ (259-265)
Herr Jehle stellt fest, dass sich Engagement nicht auszahlt; im direkten Vergleich mit seinem Rektor erlebt er sich als viel engagierter, dennoch wird ihm nicht einmal das Amt des Konrektors übertragen. Er zieht sich zurück, stellt sein Engagement ein und betont zweimal: „jetzt ist Schluss“. Das Ausmaß der Kränkung, die Herr Jehle empfindet, wird deutlich, wenn man die weitere Erzählung verfolgt: Herr Jehle schränkt nicht nur sein Engagement in der Schule ein; er, der Ort und Schule immer in enger Verbindung sieht, erwägt sogar, den Ort selbst zu verlassen, obwohl gerade das Festhalten an der eigenen Ortsverbundenheit seinem Karrierewunsch im Wege stand. Enttäuschung, aber auch ein gewisser Trotz leiten sein Verhalten: „Und dann hab ich gesagt und irgendwann werd ich auch von Rasmushausen wegziehen, wäre ich wahrscheinlich geworden Konrektor; hätte ich in Rasmushausen wäre ich geblieben wahrscheinlich wohnhaft, hab mal überlegt gehabt dort zu bauen, ich hab von der Gemeinde schon einen Bauplatz gehabt, wäre alles kein Problem gewesen,“ (265-269)
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C Empirische Ergebnisse
Herr Jehle gibt den Bauplatz zurück und zieht mit seiner Familie in ein einige Kilometer entferntes Nachbardorf. Er selbst beschreibt den Rückzug aus Rasmushausen in engem Zusammenhang mit seinem Rückzug von den Posten an der Schule: „Und da hab ich irgendwie dann angefangen mich von mich von Rasmushausen zu verabschieden. (4) also (2) schulisch dann eben ja:: muss ich sagen dann auch ich hab dann gesagt ich will mich richtig nur noch um meine Klasse kümmern, und also sonst hab ich (.) ja nach und nach alles (.) abgegeben ich hab die Bücherei betreut ich hab die Büchereibestellung gemacht, ich hab die Geräte betreut äh alles Technische was so zu machen war, und dann hab ich nach und nach hab ich alles (.) abgegeben. so dass ich so seit (.) drei Jahren (.) keinen Posten mehr habe, (3)“ (281-288)
Diese Sequenz dient dazu, noch einmal das eigene Engagement in der Schule hervorzuheben, das seine Messbarkeit in der Übernahme von Zuständigkeiten und Aufgabenbereichen erfährt. Herr Jehle geht auf Distanz zur Schule, gibt diese Ämter ab. Nebenbei initiiert Herr Jehle eine seine Geschlechtszugehörigkeit bewusstmachende Selbstdarstellung, die durch die männlich konnotierte Aufgabenbereiche markiert wird. Herr Jehle möchte nicht Gefahr laufen, man könne ihm unterstellen, er mache nun nur noch Dienst nach Vorschrift: Für das Kerngeschäft seiner Tätigkeit, das Unterrichten, behält er sein Engagement bei. Herrn Jehle gelingt es, seine Enttäuschung so zum Ausdruck zu bringen, dass diese zwar als solche sichtbar wird, sein pädagogisches Verständnis und sein Unterrichtshandeln aber nicht beeinträchtigt werden. Auch wenn er von „verabschieden“ spricht, so findet doch keine vollständige innere Kündigung statt. Dass ihm der Einsatz für seine Klasse nach wie vor äußerst wichtig ist, zeigt sich auch in einer später folgenden Interviewpassage: „Also ich hab bis jetzt noch mich voll, bis jetzt noch mich noch voll ich hab gesagt meine Klasse führ ich durch. wirklich bis zuletzt. also da, kenn ich nichts.“ (347f.)
Diese Aussage, deren Wichtigkeit durch Satzverschleifungen, Wiederholungen und Betonung fast schon beschwörend hervorgehoben wird, erläutert Herr Jehle weiter am Beispiel der geplanten Abschlussfahrt, für die er sogar ein Wochenende opfert: „Und ich habe mich sogar jetzt hab ich gesagt ich geh eben das Wochenende sogar. nehm also=gar einen Wochenendtermin, (.) in Kauf nur damit ich mit der Klasse das (.) machen kann. (2) ja also das also nein die Klasse das wird also (.) das will ich nicht schleifen lassen, (2)“ (358-361)
Da die Klasse nicht für die Verhinderung seines Karrierewunsches nicht verantwortlich ist, soll sie hierfür auch nicht bestraft werden. Die Arbeit mit den Kindern, aus der er seine Berufszufriedenheit und -befriedigung zieht, leidet nicht unter seiner persönlichen Enttäuschung.
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Offene Unterrichtsformen: „Da kann ich nicht dahinter stehen.“ Herr Jehle äußert sich nicht nur argumentativ, sondern auch in seinen Erzählungen kritisch zu offenen Unterrichtsformen. So weiß er zu berichten, wie eine seiner Konrektorinnen neue Unterrichtsformen verpflichtend einführen möchte: „Dann hatten wir mal, da komm ich jetzt vielleicht auf die Frauen, mal eine Konrektorin, (.) und die wollte neue Methoden einführen, (.) und da hab ich gesagt da kann ich nicht dahinter stehen, (2) äh:: das mach ich nicht so ich hab auch Methodenfreiheit, und ich wird das so (.) weiterhin machen. dann hat sie gesagt wenn ich das (2) nicht (.) machen will wie sie’s sagt, dann würde ich keine Anfangsklasse mehr kriegen.“ (206-211)
Der Forderung der Konrektorin, neue Unterrichtsmethoden einzusetzen, stellt sich Herr Jehle vehement entgegen: Sie widersprechen seiner pädagogischen Überzeugung, er beruft sich auf die methodisch-didaktische Freiheit, die er als Lehrer hat. Die Sequenz zeigt aber auch einen Konflikt, den Herr Jehle nicht zuletzt auf das Geschlecht der Konrektorin zurückführt: Die Einleitung „da komm ich jetzt vielleicht auf die Frauen“ impliziert zum einen, dass genau diese für offene Unterrichtsformen stehen, zum anderen aber auch, dass Frauen mit unlauteren Mitteln ihre Interessen und Vorstellungen durchsetzen: Eine Auseinandersetzung mit seinen Argumenten findet scheinbar nicht statt, sondern es erfolgt die Zuweisung in eine andere Klassenstufe per hierarchischer Anweisung. Vom Rektor selbst (einem Mann) erhält Herr Jehle keine Unterstützung, „Weil unser damaliger Rektor äh von der Hauptschule kam, und keine Ahnung von der Grundschule hatte, hat er sich ganz auf sie verlassen.“ (211f.)
Diese Äußerung bescheinigt nicht nur dem Rektor mangelnde Kompetenz, sondern gleichzeitig auch der Konrektorin, denn hätte der Rektor „Ahnung“ von der Grundschule, hätte er die Forderungen der Konrektorin zu verhindern gewusst. Herr Jehle fügt sich den Vorstellungen der Konrektorin nicht, vielmehr sabotiert er deren Anweisungen in seiner Funktion des Schulbuchverwalters: „Ich denk jetzt gerade auch an (.) wir hatten eine ältere Kollegin, die war schon an der Schule als ich nach Rasmushausen kam, und die hat auch immer nur (.) Anfangsklassen gehabt. und die konnte sich also wirklich (.) nicht mehr umstellen. und im letzten Jahr im letzten Jahrgang; wollte ihr diese Kollegin (.) auch (.) neue Methoden aufdrücken. und die hat gesagt ich kann’s nicht. (.) mit Freiarbeit halt und Wochenplanarbeit und Lernen nach eigenen Fortschritten das alles so die hat gesagt ich kann’s nicht ich möchte das Erstklässlerbuch nehmen wo wir die ganze Zeit gehabt haben, (2) und äh weil ich damals noch die Bücherbestellung gemacht habe, wollt ich dieser Kollegin entgegenkommen und hab für sie einfach keine neuen, sag ich mal modernen Erstklassbücher bestellt, sondern ich hab für sie das Material f- zum Weiterführen genommen sie hat gesagt ich brauch die alten Bücher auf, nur das Verbrauchsmaterial brauch ich neu zu bestellen,“ (315-327)
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C Empirische Ergebnisse
Herr Jehle zeigt Verständnis für die ältere Kollegin, zumal er ja selbst nichts von diesen offenen Arbeitsformen hält. Das Alter der Kollegin dient als Rechtfertigung, dass diese sich nicht mehr umstellen kann. Das Verb „aufdrücken“ macht sichtbar, wie Herr Jehle das Vorgehen der Konrektorin erlebt: als Machtkampf, der letztendlich über Hierarchien entschieden wird. Empörung über ein solches Verhalten wird deutlich, wenn Herr Jehle das Erlebte noch einmal zusammenfassend beschreibt: „Aber diese Kollegin wollte unbedingt da sich durchsetzen. rücksichtslos. (2)“ (325f)
Herr Jehle geht in dieser Sache moralisch als Sieger hervor, auch wenn die Konrektorin seinen Sabotageakt bemerkt und schließlich veranlasst, dass der Rektor die neuen Bücher für die Kollegin bestellt, da sich Herr Jehle weiterhin weigert, dies zu tun. Im Nachhinein bestätigen sich Herrn Jehles Einwände gegen das Vorgehen der Konrektorin, wenn er zu berichten weiß: „Und die hat dann aber später so viel Schwierigkeiten bekommen; mit dem ganzen Kollegium auch; dass sie irgendwann dann gesagt hat oalsoo ich gebe den Konrektorposten zurück,“ (336-338)
Nicht deutlich wird an dieser Stelle, ob der Rückzug der Konrektorin explizit mit dem Scheitern der Einführung neuer Unterrichtsformen zu tun hat. Herr Jehle deutet die Situation rückblickend so, dass er als erster den inkompetenten und unkollegialen Führungsstil der Konrektorin durchschaut hat und ihm das gesamte Kollegium in seiner Einschätzung später folgte. Noch einmal auf die Haltung zu offenen Unterrichtsformen angesprochen, berichtet Herr Jehle dann: „Also das mach ich eigentlich ja nicht so oft wie’s vielleicht ganz junge Kollegen machen würden äh also mit Freiarbeit mit Lerntheke solche Sachen hab ich auch schon alles ausprobiert, Gruppenarbeit äh (.) so Lernen nach Lernen so eigenem Lernfortschritt muss ich sagen (.) äh (2) da bin ich nicht so begeistert davon,“ (363-366)
Herr Jehle weist darauf hin, dass der Einsatz offener Unterrichtsmethoden mit der Generation, der ein Lehrer angehört, verknüpft ist: Im Gegensatz zu seinen „ganz junge[n] Kollegen“ setzt er diese weniger oft ein, wobei an dieser Stelle zunächst noch suggeriert wird, dass er sie nicht generell ablehnt. Dass er den häufigen Einsatz auf „ganz“ junge Kollegen beschränkt sieht, deutet darauf hin, dass nur derjenige so arbeitet, der wenig Erfahrung hat. Im Fortlauf der Sequenz wird deutlich, dass er den Unterrichtsformen grundsätzlich ablehnend gegenüber steht: Er hat zwar einige Formen schon „ausprobiert“, sie gehören aber nicht zu seinem täglichen methodischen Repertoire. Seine Aufzählung weist inhaltlich und syntaktisch auf wenig fundierte Kenntnisse der Methoden hin: Neben Freiarbeit und Lerntheke zählt er bereits Gruppenarbeit zu den offenen
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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Unterrichtsformen. Auch die Formulierung „Lernen nach Lernen so eigenem Lernfortschritt“ zeigt sehr deutlich, wie wenig sich Herr Jehle mit den Methoden auseinandersetzt. Dies resümiert er auch: „da bin ich nicht so begeistert davon“, wobei dies als eher noch verharmlosende Formulierung gelten kann. Worauf seine mangelnde Begeisterung gründet, davon weiß Herr Jehle mit einem konkreten Beispiel zu berichten: „Ich hab einmal Vertretung gemacht in einer ersten Klasse, (2) weil ’ne Kollegin länger erkrankt war, und musste dann diese Methode übernehmen, dann haben die halt ihre Blätter bearbeitet haben im Büchle abgestempelt was sie gemacht haben, un::d ja da hat mir auch mal ein Kind gezeigt, wie weit es schon ist, mit=em Abgestempelten, dann hab ich gesagt ja ich würde auch mal gern sehen was du gemacht hast. (.) ja ich hab alles kontrolliert. wird ja mit Selbstkontrolle. (.) hab=ich=gesagt ich würd=s trotzdem gerne sehen; (2) nun hat sich aber herausgestellt, die hat das gar nicht gemacht gehabt.“ (366-373)
Herr Jehle erlebt das Versagen der Selbstkontrolle bei einer Schülerin; dies hinterlässt einen so starken Eindruck auf ihn, dass er die Situation anschaulich und mit direkter Rede versehen schildern kann. Darüber hinaus bestätigt das Erlebte seine schon vorhandene Skepsis, so dass er nun die Legitimation erhält, das gesamte Konzept des offenen Unterrichts abzulehnen. Diese Haltung wird von einer anderen Erfahrung mitgetragen, von der er anschließend erzählt: „Und ich hab auch in derer Klasse festgestellt da hatte ein Kind sich selbst (.) n und m beigebracht, hat beide Buchstaben nach=äh Laute also verwechselt. (3) und die Lehrerin hat’s nicht gemerkt.“ (374-376)
Herr Jehle schließt aus den Einzelfällen, die für ihn einen exemplarischen Charakter haben, auf das Gesamtkonzept. Er orientiert sich hierbei vor allem an den kognitiven Lernfortschritten der Schülerinnen und Schüler. Sichtbar wird, dass er sich vor allem als Wissensvermittler sieht, zu dessen unabdingbarer Aufgabe die Kontrolle des Lernfortschritts gehört. „Und deswegen war ich immer also dafür gleicher Lernfortschritt für möglichst alle, so dass ich sehen kann da ist ein Defizit,“ (377f.)
Als Gegenprogramm deklariert Herr Jehle den lehrerzentrierten Klassenunterricht, in dem alle Kinder zur selben Zeit das Gleiche tun. Aus dieser kurzen Äußerung eine generelle Defizitorientierung Herrn Jehles abzuleiten, geht in der Interpretation zu weit. Sichtbar wird aber die Verantwortung, die Herr Jehle für den Lernerfolg seiner Klassen übernimmt. Er fungiert nicht als Lernbegleiter, sondern als Lehrer im traditionell verstandenen Sinne, der die Hauptverantwortung für den Wissenszuwachs der Schülerinnen und Schüler trägt. Die lineare Konstruktion des Unterrichtsprozesses wird auch nicht aufgeho-
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C Empirische Ergebnisse
ben, wenn Herr Jehle auf das unterschiedliche Lerntempo der Schülerinnen und Schüler zu sprechen kommt: Er differenziert mit quantitativen Zusatzangeboten („wer schnell ist wer’s gut kann bekommt Zusatzarbeit,“ (378f.)), öffnet seinen Unterricht aber nicht weiter. Wie wenig Herr Jehle dem Prinzip einer Binnendifferenzierung vertraut, wird noch einmal sichtbar, wenn er zwar eingesteht, dass er vor allem im Heimat- und Sachunterricht ab und an Gruppenarbeiten oder Lerntheken durchführt, hier aber vor allem schwache Schüler beobachtet, die sich vor der Arbeit drücken: „Aber, in jeder Gruppe ist doch mindestens ein Schüler. der nur mitgezogen wird, der im Grund genommen selbst nichts beibringt. beiträgt dazu. (.) ist meine Erfahrung bis jetzt. (2) äh und diese schwachen Schüler; die drücken sich gern. bei solchen Arbeiten. auch wenn’s um ’ne Lerntheke geht, ein Angebot zum Auswählen, die wählen sich immer das Einfachste aus. (2) und das echt schwierige lassen sie.“ (382-387)
Aus dieser Passage geht hervor, dass Herrn Jehle der didaktische Hintergrund offener Unterrichtsformen nicht bekannt ist. Homogenität herzustellen bleibt das oberste Ziel seines Unterrichtens. Das Verständnis von innerer Differenzierung beschränkt sich auf eine methodische Öffnung. Eine didaktische Differenzierung oder gar eine Individualisierung wird nicht angedacht. Auch wenn Herr Jehle von Projekten spricht, bestätigt sich seine ablehnende Haltung. Ganz kann er sich den Methoden allerdings nicht verwehren, ist doch gerade der Projektunterricht im Profil der Schule verankert. Zusammenfassend bringt Herrn Jehle seine Einstellung zu offenen Unterrichtsformen folgendermaßen zum Ausdruck: „Und (2) ja ich mach’s mit wenn’s sein muss, auch wenn ich nicht begeistert bin. sagen wir mal so einfach.“ (419-421)
Maßnahmen der inneren Schulentwicklung: „Ich halte mich jetzt weitgehend zurück.“ Herr Jehle blickt auf ein erfülltes Berufsleben als Grundschullehrer zurück, sieht nun, kurz vor seiner Pensionierung, aber wenig Anlass dazu, sich in neuere Reformen an seiner Schule einzubringen. Wurde vorausgehend deutlich, dass er der Unterrichtsentwicklung im Rahmen einer Öffnung von Unterricht prinzipiell ablehnend gegenüber steht, so zeigen sich im Rahmen der inneren Schulentwicklung ebenfalls Tendenzen, die auf einen Rückzug aus dem aktiven Schulleben hinweisen: „Und natürlich haben wir jetzt auch unsere regelmäßigen Konferenzen des ist ganz klar, aber ich halt mich jetzt (.) weitgehend zurück, es ist mein letztes Jahr, ich sage mir (.) des sollen jetzt die Kollegen machen,“ (421-423)
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Herr Jehle boykottiert die Maßnahmen der inneren Schulentwicklung nicht, trägt sie aber lediglich passiv mit. „Wenn’s nötig ist mach ich mit, halte ich mich dran, wobei ich feststellen muss vieles vieles ist nur Gerede, (2) und (.) wird wirklich nicht umgesetzt dann.“ (424f.)
Die einschränkende Bemerkung „wenn’s nötig ist“ weist darauf hin, dass er vieles gerade nicht für nötig hält. Verstärkt wird dieser Eindruck durch seine Äußerung, dass auf viele Worte keine Taten folgen. Mit dieser Feststellung legitimiert er seine passive Haltung zusätzlich. Kooperation im Kollegium: „Was hat’s dann gebracht.“ Im Rahmen der inneren Schulreform hat die Schule eine stärkere Kooperation derjenigen Lehrerinnen und Lehrer vereinbart, die dieselbe Klassenstufe unterrichten. Herr Jehle äußert sich auch zu diesem Punkt wenig begeistert: „Auch jetzt schon bei der vierten Klasse, jetzt müssen vier Kollegen, Herr Burger da waren sie ja ist ja einer von denen, äh er sagt er kommt jetzt schon gar nicht mehr zu den Konferenzen, weil’s sowieso nichts bringt, wir haben es ja beschlossen zum Beispiel jetzt in der Zeit zu den Herbstferien wir schreiben ein Diktat einen Aufsatz einen Mathematiktest. machen dies und das Thema, Deutsch Sprachbuch (.) und ja; ich hab das (.) so durchgezogen, (4) ein Kollege (.) hat er gesagt er kommt nicht dazu, zu dem allen, er hat’s nicht mitgezogen das heißt jetzt hängt er hinten dran, wir haben abgemacht des Thema auch für ’s Diktat, ich hab von meinen Vorbereitungen die ich von den Jahren schon hab hab das Diktat zur Verfügung gestellt, mit den gesamten Vorbereitungen, dann hat die eine Kollegin gesagt och ich hab jetzt im Sachunterricht doch was anderes gemacht das passt nicht mehr, ja=äh ich mach jetzt ein anderes Diktat, (.) ich mein da kann man schon nicht mehr vergleichen dann. (.) und so langsam frag ich mich was hat’s dann gebracht. (4)“ (425-438)
Grundsätzlich ist Herr Jehle zu einer Kooperation bereit. Er hält sich an Absprachen und stellt aus seinem Erfahrungsschatz Materialien zur Verfügung. Nun ist er verärgert darüber, dass seine Kollegen und Kolleginnen Zeitpläne und Themenvorgaben nicht einhalten, die er für die Gruppe sogar schriftlich festgehalten hat (s.u.). Von einem Kollegen weiß er zu berichten, dass dieser schon gar nicht mehr zu den Stufenkonferenzen erscheint. Er selbst tut dies zwar noch, stellt den Sinn der Treffen inzwischen aber vehement in Frage. „Klappt’s einfach nicht richtig. (2) und es ist zw- hört sich zwar wunderschön an, wir machen Klassenstufenkonferenz, äh ich hab sogar noch den Plan geschrieben was wir beschlossen haben alles, bis zum Jahresende, aber (.) wenn die anderen sich nicht daran halten, (.) ich weiß ja der eine Kollege der hängt immer ein bissle hinten dran, äh (2) ich weiß auch nicht warum, (.) äh ich sag halt ich wa- ich teile mir die Tests ein ich teil mir den Stoff ein, ich hab auch soviel Erfahrung der ist auch nicht mehr der Jüngste (.) ich schau dass ich durch bin und gerade in der vierten Klasse muss man schauen dass man bis März März möglichst viel doch gemacht hat. Bis die Entscheidung getroffen wird. Und jetzt hab ich schon für mich beschlossen nach den Herbstferien halt mach ich in meinem Tempo weiter. (3) oha jao (.) und sag den anderen einfach das hab ich gemacht, wenn Sie wollen, (2) ich stell’s ihnen auch zur Verfügung oaber sonsto; (3)“ (440-451)
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C Empirische Ergebnisse
Herr Jehles Enttäuschung resultiert nicht zuletzt daraus, dass seine Erfahrung anscheinend nicht so gewürdigt werden, wie er es erwartet. Mit Unverständnis nimmt er zur Kenntnis, dass seine Kollegen und Kolleginnen seinem Vorgehen nicht folgen und mit dem in seinen Augen notwendigen Tempo nicht mithalten können. Der Interviewpartner markiert damit gleichzeitig die eigene Kompetenz, die er nicht zuletzt auf seine Erfahrung zurückführt. Um die Stellung als kompetenter, erfahrener Kollege nicht zu gefährden, ist er bereit, auch weiterhin seine Materialien zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus ist er aber zu keiner weiteren Kooperation mehr bereit: Herr Jehle hat resigniert. Über Kolleginnen: „Ich hab also schon alles mögliche für Kolleginnen erlebt.“ Auf die quantitative Feminisierung des Grundschullehrerberufs angesprochen, berichtet Herr Jehle zunächst einmal über die Anstellungspolitik seines ersten Rektors: „Ja, also ich muss sagen vor v- an der ersten Zeit in Rasmushausen hatten wir einen Rektor, (.) der hat es geschafft, (.) nur (.) eine Frau im Kollegium zu haben. der hat @also@ (2) gesagt er will keine Frauen im Kollegium @(.)@ möglichst wenig. und diese Frau war damals schon ein bisschen älter, und unverheiratet, also da gab’s (.) auf jeden Fall war kein Nachwuchs zu erwarten, und das war so sein Ziel.“ (473-477)
Die Verwendung des Verbs „geschafft“ könnte zunächst als Bewunderung des Wirkens des Rektors interpretiert werden, lässt sich insgesamt aber eher darauf beziehen, dass das Heraushalten von Frauen aus der Schule nicht selbstverständlich oder gar leicht erreichbar ist. Das Lachen während der Erzählung zeigt, dass Herr Jehle über dieses Vorgehen amüsiert ist. Es ist ein wohlwollendes Amüsiert-Sein, denn schließlich hat der Rektor für sein Bestreben einen Grund: Er will seine Kolleginnen nicht durch potentielle Mutterschaft verlieren, die Fluktuation an der Schule gering halten. Das Kriterium Alter, noch dazu kombiniert mit „unverheiratet“, bezeichnet eine Qualifikation, die, in historischer Anlehnung an das Lehrerinnenzölibat, eine Frau erst mit der Arbeit an der Schule kompatibel macht. Doch diese Zeiten gehören der Vergangenheit an. In einer Rückschau auf seine Berufsjahre weiß Herr Jehle zu berichten: „Äh (3) ich hab also schon alle möglichen für Kolleginnen jetzt erlebt. (.) wir hatten schon eine Kollegin; die war (.) einiges jünger als ich, (.) die kam, (.) die hat von vornherein keine Lust gehabt, (2) äh:: hat an allem was auszusetzen gehabt überall alles besser gewusst, (.) und (.) wenn ich sie in der Klasse gehabt hab gab’s immer Ärger mit den Eltern (.) die wollt ich ehrlich gesagt nicht mehr in meiner Klasse haben. als Fachlehrerein. die ist dann aber auch die ist mit (.) fünfundfünfzig (.) krankheitshalber (.) aus psychischen Gründen (.) pensioniert worden. ich hatte auch ’ne andere Kollegin des gleiche in grün, habe auch schon einen Kollegen gehabt wo’s nicht geklappt hat; aber ich muss sagen die meisten Kolleginnen mit denen komme ich also sehr gut aus. Da klappt es sehr gut, (.) die Zusammenarbeit.“ (477-487)
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Herr Jehle lässt sich nicht auf pauschale, verallgemeinernde Aussagen ein, sondern beschreibt Einzelfälle, die er an sein eigenes Erleben koppelt. Zunächst charakterisiert er eine Kollegin, die „keine Lust“ zu arbeiten hatte. Die Kollegin wird für ihn zur Belastung, zumal sich auch die Eltern seiner Klasse über sie beschweren. Mit diesem Zusatz markiert er eine Instanz, die seine Einschätzung bestätigt und ihr Gültigkeit verleiht. Eine weitere Bestätigung erfolgt, wenn er berichtet, dass diese Kollegin „aus psychischen Gründen“ (als Steigerung von „krankheitshalber“) frühpensioniert wurde. Von einer weiteren Kollegin, die ähnliche Probleme zu haben scheint, berichtet er nur in Form einer aufzählenden Nennung, um dann ebenfalls aufzählend auch einen männlichen Kollegen zu erwähnen. Hieraus ergibt sich das Bild, dass Herr Jehle eine unprofessionelle Haltung nicht auf das weibliche Geschlecht begrenzt verstanden wissen will: Versagen hat mit persönlichen, geschlechterunabhängigen Eigenschaften und Einstellungen zu tun. Daher betont er im direkten Anschluss auch das generell gute Verhältnis zu seinen Kolleginnen, das er in Beziehung zu gelingender Zusammenarbeit setzt. Gleichwohl fällt auf, dass die positive Sichtweise erst am Ende der Passage zum Tragen kommt. Zunächst werden negative Erfahrungen wiedergegeben, was auf eine latente Abwertung von Frauen im Lehrberuf hinweisen könnte. Explizit und generalisierend findet eine solche aber nicht statt. Vielmehr berichtet Herr Jehle im Anschluss von konkreten kollegialen Arbeitsbeziehungen mit Frauen, die er als sehr gelungen betrachtet. So berichtet er von einem Projekt, bei dem er mit den beteiligten Kolleginnen einen „sehr sehr guten (.) Austausch“ (490) hatte, betont die gute Zusammenarbeit mit einer weiteren Kollegin, mit der er sich ebenfalls „wirklich sehr viel miteinander austauschen“ (491) konnte. Ein guter Austausch, d.h. eine gelingende Zusammenarbeit in schulischen bzw. unterrichtlichen Belangen wird durch diese Äußerungen zum Kriterium für ein gutes Verhältnis zu den Kolleginnen. Dies verwundert zunächst, äußert er sich zuvor doch äußerst ablehnend bezüglich der an seiner Schule praktizierten Kooperationsformen. Erklärbar ist die festgestellte Ambivalenz allerdings dadurch, dass letztere institutionalisiert und quasi verordnet sind, was Herr Jehle ablehnt. Privatheit hingegen scheint für ein gutes Verhältnis zu den Kolleginnen vorerst keine Rolle zu spielen, zumindest wird sie an dieser Stelle nicht thematisiert. Herr Jehle konstatiert: „Eigentlich hab ich also (.) da keine Probleme, und ich glaube die Kolleginnen haben mit mir (.) auch keine Probleme.“ (494 f.)
Der Interviewpartner geht davon aus, dass die Sichtweise auf das kollegiale Verhältnis nicht nur einseitig definiert werden kann. Er schließt das Gegenüber in seine Überlegungen ein. Herr Jehle ist sich sicher, dass die Kolleginnen mit ihm ebenfalls „keine Probleme“ haben. Der vermutende Charakter des verwendeten
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C Empirische Ergebnisse
Verbs „ich glaube“ wird durch die Betonung aufgehoben. Diese Einschätzung beruht auf das Agieren der Kolleginnen, von dem Herr Jehle berichtet: „Denn äh (.) sehr oft (.) fragen sie mich um Rat. (.) wo ich eigentlich denke das ist eher ’ne Sache der Schulleitung. (.) oder vertrauen mir Kummer an, wenn sie Kummer haben und und Probleme, wo ich denke na ja, (2)“ (495-497)
Herrn Jehle wird durch die Kolleginnen der Status des inoffiziellen Schulleiters zugewiesen: Er wird um Rat gefragt, wo er seiner Äußerung zufolge als ‚normaler‘ Kollege eigentlich nicht der richtige Ansprechpartner ist. Doch es bleibt nicht nur bei der Bitte um kollegiale Unterstützung, was sich durch Herrn Jehles großen Erfahrungsschatz durch dessen rund vierzigjährige Tätigkeit an der Schule erklären lassen könnte: Er gilt auch als Ansprechpartner für private Probleme, er wird ins Vertrauen gezogen. Der Zusatz „wo ich denke na ja“ deutet an, dass er sich auch hier nicht als den richtigen Ansprechpartner begreift, ihn das Vertrauen der Kolleginnen zwar ehrt – sonst würde er dies nicht thematisieren – , er aber doch vor der Privatheit, die mit diesem Vertrauen verbunden ist, zurückschreckt, oder aber die ihm anvertrauten Probleme nicht wirklich ernst nehmen kann. Auf die Nachfrage, um welche Art von „Kummer“ es sich bei den privaten Problemen handelt, wartet Herr Jehle mit einem Beispiel auf: „Ja eine äh die hab ich auch mal betreut gehabt so in der Ausbildung, äh kam sie auch mal zu mir was soll ich machen mein Mann äh der möchte sich verändern der möchte weg von hier und so und (.) ich weiß nicht was ich machen soll (2) hab ich ihr halt versucht (.) aus meinem Erfahrungsschatz sie dann zu beraten, da ist na dann aber alles noch gut gegangen.“ (499-503)
Herr Jehle wird nicht als Kollege um Rat gefragt, sondern als Privatperson, der als älterer Mann auf Grund seines Erfahrungsreichtums auch als Autorität in Lebensfragen angesehen wird. Im Gegensatz zum weiter oben geäußerten, Ablehnung zeigenden „wo ich denke na ja“ zeigt sich in diesem Beispiel, dass Herr Jehle die Rolle sehr wohl annimmt: Er berät in einem väterlichen Habitus und kann zufrieden feststellen, dass „alles noch gut gegangen“ ist. Geadelt sieht sich Herr Jehle auch durch ein Ereignis, an das er sich anschließend erinnert: „Es ist auch lustig, wir mussten mal, vor vielen Jahren, die erste Frauenbeauftragte wählen. und da haben die Frauen (.) mich vorgeschlagen. @(.)@“ (505 f.)
Herr Jehle wird durch diesen Vorschlag nicht irritiert, sondern findet ihn „lustig“, was er durch sein Lachen am Ende der Sequenz zusätzlich bestätigt. Auch wenn die Sache an sich belustigend wirkt: Im Zusammenhang mit dem oben geschilderten Beispiels wird deutlich, dass sich Herr Jehle durchaus als informeller Frauenbeauftragter sieht; dies allerdings im Sinne der Zuständigkeit vor allem bei privaten
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Problemen. ‚Frauenbeauftragter‘ wird von ihm also nicht verstanden als jemand, der sich für die Rechte der Frauen einsetzt, vielmehr untermauert er die geschlechterbezogene Hierarchie, indem er als Mann eine Autorität darstellt, die Probleme lösen, Rat bei Kummer und Antwort auf Fragen geben kann. Eine entsprechende Besonderung wird allerdings nicht aktiv vom Interviewpartner initiiert, vielmehr weisen die Kolleginnen selbst ihm diese Rolle zu, die er aber dankbar annimmt. Spannend ist der Diskursverlauf insofern, dass Herr Jehle sich in der Fortführung der Passage nicht weiter auf das gute Verhältnis beruft, das er zu den Kolleginnen hat, vielmehr abschließend mit einem Negativbeispiel aufwartet: „Ja fällt mir gerade ein wir hatten noch eine Kollegin ein paar Jahre lang, mit der hatte ich Problem, aber nicht nur ich. äh und zwar (.) wir waren beide Fachlehrer in einer ersten Klasse sie hat Französisch gemacht ich hab Mathematik gemacht, sie kam; war manchmal vor mir, manchmal nach mir. und wenn sie nach mir kam; dann kam sie nie pünktlich. manchmal ’ne viertel Stunde später. und ich hab dann immer diese Klasse natürlich hüten sollen solang bis sie kommt. und dann hab ich ihr’s einmal ganz deutlich gesagt das mach ich nicht mehr länger mit. sie soll die anderen Sachen eben zu einer anderen Zeit regeln. da haben sie dann da war sie dann mir eine Weile böse, aber sie kam dann pünktlich, später dann hat sie wieder gesagt na ja äh hat sie mir einen Kaktus geschenkt und nach ja äh ja sie hat halt ihre Schwierigkeiten hat sie gemeint in der Schule. aber sie hatte auch ihre Schwierigkeiten mit den Kolleginnen muss ich auch noch sagen jetzt. und was man auch dazus- was ich jetzt gehört hab sie ist zum Schuljahresende weggegangen, sie hat sich um eine Rektorenstelle beworben, (.) sie ist Rektorin geworden, (.) und nach zwei Tagen hatte sie den ersten Knatsch im Kollegium dort. also ich denke da mir; das liegt an der Person. (4)“ (508-523)
Schon zu Anfang der Passage betont Herr Jehle, dass nicht nur er mit dieser Kollegin Schwierigkeiten hatte. Dies impliziert, dass er selbst ein sehr umgänglicher Typ ist, mit dem man keine Probleme haben muss. Gleichwohl duldet Herr Jehle nicht, dass sich seine Kollegin nicht an die Regel der Pünktlichkeit hält. „Ganz deutlich“ macht Herr Jehle dies der Kollegin klar, worauf diese zunächst beleidigt reagiert, ihm dann aber – als schelmenhafte Versöhnungsgeste – einen Kaktus schenkt und sich ihm erklärt, ihn gleichwohl ins Vertrauen zieht und ihm ihre Probleme in der Schule anvertraut. Noch zwei Mal weist Herr Jehle darauf hin, dass auch andere Personen Schwierigkeiten mit der Kollegin hatten. Tatsächlich benutzt er das Wort „Person“, um die Ursache für die geschilderten Probleme mit deren Persönlichkeitsstruktur zu erklären. Er stellt ein problematisches Verhalten nicht offensiv mit der Geschlechtszugehörigkeit in einen kausalen Zusammenhang, gleichwohl ist die Erzählung in genau diesen Kontext eingebettet. Betrachtet man noch einmal den gesamten Diskursverlauf, der auf die Frage nach der zunehmenden Feminisierung des Grundschullehrerberufs folgt, so fällt auf, dass Herr Jehle weder auf die Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler noch auf die Qualität des Unterrichts Bezug nimmt. Für ihn steht unter diesem Aspekt ausschließlich das Verhältnis zu seinen Kolleginnen im Vordergrund. Spannend
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C Empirische Ergebnisse
bleibt, dass Herr Jehle die positiv konnotierten Erfahrungen mit Negativbeispielen rahmt. Zwar sind es Einzelfälle, von denen Herr Jehle zu berichten weiß, auch fügt er in Nebensätzen an, dass es sich bei seinen negativen Erinnerungen um keine unmittelbar an das weibliche Geschlecht gebundenen handelt, dennoch bilden sie die Klammer für seine Erzählung und lassen darauf schließen, dass er die von ihm wahrgenommenen Schwierigkeiten eher bei Frauen vermutet als bei Männern. Anschließend wird Herr Jehle danach gefragt, wie er seiner Einschätzung nach zu seiner besonderen Rolle im Kollegium kommt: Liegt es ausschließlich an seinem Alter und Erfahrungsschatz, oder spielt auch sein Mann-Sein hierbei eine Rolle? „Äh (3) ich denke mir alle wissen von mir ja gut das Ältere wird schon auch anerkannt, und mit Erfahrung also bestimmt auch. aber für mich sind die meisten Kolleginnen muss ich sagen sind im Alter von meinen Kindern. und irgendwie denk ich oftmals ist es so ein Verhältnis so fast wie wenn’s meine Kinder wären; ja, (.) wir haben in Rasmushausen eine ältere Kollegin die ist zwei Jahre jünger als ich aber die hat also kaum Kontakt zu den anderen. (2)“ (528-533)
Herr Jehle beruft sich zunächst auf sein Alter und seinen Erfahrungsschatz, um seine Position im Kollegium zu erklären. Tatsächlich ausschlaggebend ist aber die Vaterrolle, die er einnimmt. Herr Jehle denkt „oftmals“, das Verhältnis zu seinen Kolleginnen sei wie das zu seinen eigenen Kindern. Dies deutet darauf hin, dass sich Herr Jehle durchaus Gedanken zu diesem Themenkomplex macht, auch wenn er zunächst einige Sekunden überlegen muss, bis er eine Antwort auf die Frage findet. Die These, dass sein Alter ausschlaggebend sein könnte, kann er durch das Beispiel einer etwa gleichaltrigen Kollegin widerlegen, die eben kein vergleichbares Verhältnis zu den Kolleginnen vorweisen kann. Der väterliche Habitus, der von Herrn Jehle direkt eingeführt wird, spielt also die entscheidende Rolle für die Beziehungsgestaltung. Herr Jehle familiarisiert die Beziehungen: Dies verleiht ihm in einem gütig-patriarchalen Gestus Autorität, Respekt und eine exponierte Stellung. Seine Stellung will er aber nicht als Grundlage für unlautere Vorteilnahme verstanden wissen. Er führt ein Beispiel aus dem Schulalltag an: „Und (.) ja. ich gehör auch nicht irgendwie zu irgendwie die das ausnützen vielleicht auch, sondern (.) äh (.) bin auch bereit zum Beispiel äh (.) zum ja, (.) will mal einen wenn bei uns (.) jemand Geburtstag hat; wird in der großen Pause gefeiert. also für mich ist es kein Problem; wenn dann zwei Kolleginnen im Hof sind Hofaufsicht haben die sind bei der Feier nicht. dass ich mal eine viertel Stunde bei der Feier bin, und auch mal runter gehe in den Hof und sage so, jetzt könnt ihr rauf gehen und ein bisschen feiern.“ (538-544)
Herr Jehle schildert sich in dieser Sequenz als kollegial und väterlich-fürsorgend: Er verzichtet auf einen Teil seiner Pause, um den Kolleginnen die Teilnehme an einer kleinen Feier zu ermöglichen. Es gelingt Herrn Jehle dabei, das für ihn richtige
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Maß zu treffen: Er ist nicht so selbstlos, dass er seine ganze Pause opfert, sondern eben nur einen Teil davon. Er nützt seine Stellung nicht aus, wie er explizit betont, lässt sich aber auch nicht ausnützen. Er führt ein weiteres Beispiel an, das seine Hilfsbereitschaft untermauert: „Gerade jetzt zum Schuljahrsanfang eine junge Kollegin die hat gesagt mein Kind wird eingeschult, und ich soll’s am ersten Schultag wollte ich gern in die Schule gehen und da abholen, äh sie hat bei mir eine Fachlehrerstunde in der Klasse. und ich hab frei; hab ich gesagt das ist keine Frage; ich übernehme die Stunde. (2) klar sie hat sie mir angeboten das nachzuholen und zu tauschen aber äh was soll des dann eigentlich; gell, (2)“ (550-555)
Nicht nur, dass Herr Jehle der Kollegin bereitwillig und in seinen Augen selbstverständlich hilft, er erwartet auch keine Gegenleistung. Großzügigkeit unterstreicht die väterliche Rolle. Eine solche Einstellung vermisst er allerdings bei seinen Kolleginnen, wenn er anschließend feststellt: „Und ich glaube bei den Jungen ist es nicht mehr so unbedingt dass mal einer für den anderen einsteht. da schaut nur jeder noch dass er möglichst gut wegkommt. und möglichst bequem wegkommt. (2) so sehe ich’s vielleicht ich weiß nicht aber (.) ich beobachte sie einfach so. (.)“ (555-559)
Herr Jehle leitet die Passage zunächst mit einem „ich glaube“ ein, das seine nachstehende Aussage als subjektive Sichtweise abschwächt. Dann formuliert er aber zwei Sätze, die durch ihre Kürze und Prägnanz durchaus seine innere Überzeugung widerspiegeln. Herr Jehle scheint enttäuscht zu sein von der mangelnden Solidarität und Kollegialität der jüngeren Generation. Das „gut“ wegkommen wird durch ein „möglichst bequem“ wegkommen präzisiert. Auch die relativierenden Formulierungen am Ende der Sequenz schwächen den Gehalt seiner Aussage nicht ab. Schon in vorhergehenden Passagen wurde immer wieder deutlich, dass Herr Jehle Bequemlichkeit für eine Untugend hält, die er mit Unprofessionalität gleichsetzt. Mal ist es der unmotivierte Schulleiter, mal die unpünktliche Kollegin, nun die jüngeren Kolleginnen, zu denen er sich in Kontrast setzt. Herr Jehle äußert auf diese Weise nicht nur sein Missbehagen mit einer solchen Haltung, sondern unterstreicht über die Abgrenzung hierzu seine eigene Professionalität. Männer in der Grundschule: „Ein Mann hat wie ein Vater einen anderen EinÁuss auf die Kinder.“ Herr Jehle wird mit der Schlagzeile der Bild-Zeitung ‚Lehrerinnen machen Schüler dumm‘ und den Forderungen verschiedener Kultusministerinnen und Kultusminister nach einer Männerquote konfrontiert. Herr Jehle hat hierzu einiges zu berichten: In einer langen Passage (566-611) nimmt er Stellung zu den aufgeworfenen Thesen. Zunächst beginnt er mit den Erwartungen der Eltern an ihn als männlichen Lehrer:
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C Empirische Ergebnisse „Äh ja, (.) sehr oft hab ich schon den Satz gehört, Gott sei Dank bekommt er einen Lehrer. also das hört man von Eltern sehr häufig. und ich glaub es liegt aber eher daran; ja ich mein ich gr- d- ganz un- Untergrund munkelt man ja auch (.) äh auch bei den Eltern gibt es Defizite in der Erziehungsarbeit. und ich glaube die Eltern hoffen einfach dass ein Lehrer mit mehr Autorität auf die Kinder einwirken kann als eine Lehrerin. (2)“ (566-571)
Gleich einem Stoßgebet erscheinen die Äußerungen der Eltern, mit denen Herr Jehle „sehr oft“ und „sehr häufig“ konfrontiert wird. Eine höhere Macht wird bemüht, um hierfür zu danken. Herr Jehle hat ein Erklärungsmuster für dieses Verhalten parat: Offen will er es nicht aussprechen, er spricht – nach einigen Wortverschleifungen – von „Untergrund“ und „munkeln“, um Erziehungsdefizite bei den Eltern festzustellen. Eine Interpretation nimmt Herr Jehle dann vor, wenn er argumentiert, dass die Eltern sich von einem männlichen Lehrer einen Autoritätsvorsprung erhoffen. Dieser ist umso wichtiger, als dass es den Eltern selbst an Autorität fehlt. Seine Interpretation stützt Herr Jehle auf eigene Erfahrungen, von denen er im Anschluss berichtet: „Und ich habe jetzt schon einige Male eine dritte Klasse übernommen, die vorher bei einer Lehrerin waren, und diese Klasse war als sehr wild und unruhig (.) ich sag fast verschrien. und ich hab’s dort geschafft (.) dass die also die Lehrerinnen inzwischen sagen ach, es ist eigentlich eine nette Klasse (.) geworden; dass ich die hinbekommen habe.“ (571-575)
Herr Jehle bestätigt die Erwartungen der Eltern und stützt diese mit seinem Bericht. Es gelingt ihm, aus undisziplinierten Klassen „nette“ Klassen zu machen. Die Wörter „geschafft“ und „hinbekommen“ implizieren, dass dies nicht selbstverständlich, sondern mit Anstrengungen verbunden ist. Diese Anstrengungen bedürfen keiner näheren Erläuterung, sie liegen in der natürlichen Autorität von Herrn Jehle als Mann begründet. Durch die Betonung des Wortes „Lehrerin“ wird ein Kontrast seiner Autorität zum in seiner Konstruktion naturgegebenen Autoritätsdefizit von Frauen hergestellt. Als erläuternde Erklärung bemüht Herr Jehle den Zusammenhang der Tätigkeit als Grundschullehrer mit familialen Begebenheiten, die von ihm in der Differenz zwischen Vätern und Müttern wiederum naturalisiert werden: „Liegt vielleicht auch daran dass ein Mann da irgendwie auf die Kinder einen wie ein Vater anderen Einfluss hat auf die Kinder. und viele F- Mütter (.) denk ich mir lassen einfach alles laufen, (.)“ (575-577)
Deutlich wird an dieser Stelle, dass sich Herr Jehle nicht nur, wie weiter oben beschrieben, seinen Kolleginnen gegenüber in einer väterlichen Rolle sieht, sondern auch in der Arbeit mit den Kindern. Müttern bescheinigt er an dieser Stelle eine Laisser-faire-Haltung in Erziehungsfragen. Im weiteren Verlauf kommt er auf die Situation von Jungen allein erziehender Mütter zu sprechen, bei denen die von ihm aufgezeigte Problematik besonders
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greift. Es bleibt nicht bei einer theoretischen Argumentation, sondern Herr Jehle schildert ein belegendes Beispiel aus seiner Praxis: „Ich hab jetzt gerade also einen bestimmten Fall, die Mutter die (.) weiß sich nicht mehr zu helfen, sie tut alles für den Bub für das Kind für den Bub, dass er ja:: er soll ja: aufs Gymnasium gehen und er kriegt ja alles und er macht alles und so und der Kerl (.) der weiß es gar nicht zu schätzen, (2) der macht gerade was er will. (.) (579-583)
Herr Jehle zeigt die Hilflosigkeit der Mutter auf; nicht Strenge, sondern Überfluss wird – erfolglos – als Erziehungsmittel eingesetzt, Wohlstandsverwahrlosung ist die Folge. Für Herrn Jehle ist klar, dass eine strenge und konsequente Erziehung nur durch einen Vater erfolgen kann: „Und ich glaube also wenn man an die Familie denkt, dann ist es ja oftmals auch so; Mutter und Vater, jeder hat seinen bestimmten Einflussbereich, (.) meistens ist die Mutter ein bisschen nachgiebiger, der Vater ein bisschen strenger,“ (584-587)
Die Dichotomie der Geschlechter wird hier in einer differenztheoretischen Sichtweise konstruiert. Dadurch, dass das Handeln der Mütter als wenig Erfolg versprechend beschrieben wird, schwingt ein defizittheoretischer Ansatz mit, der aber nicht von den Frauen selbst zu verantworten ist, vielmehr in der Natur der Geschlechter liegt. Geschlechterstereotype Zuweisungen erfolgen, Schule wird familiär interpretiert. Nachdem Herr Jehle festgestellt hat, dass Männer wegen ihres Autoritätsvorsprungs wichtig für die Grundschulkinder sind, kommt er auf das Fernbleiben der Männer in diesem Berufsfeld zu sprechen: „Andererseits glaube ich äh (.) dass viele Männer mit kleinen Kindern an der Grundschule (.) nicht so gut zurecht kommen. (.) also das hab ich schon von Kollegen gehört, ja mit den Kleinen mit denen kann man ja nichts anfangen so ungefähr; dass das auch ein Grund ist weil dass w- weniger Männer in die Grundschule gehen. also ich könnte mir’s vorstellen. (2)“ (588-592)
„Nicht so gut zurecht kommen“ wird gleichgesetzt mit „nichts anfangen“ können, er bemüht die dem Sinn nach zitierten Kollegen für seine Einschätzung, um diese zu untermauern. Auch die Abstinenz der Männer erscheint in Herrn Jehles Darstellung natürlich, wobei gerade durch die Formulierung „nichts anfangen“ zum Ausdruck kommt, dass Herr Jehle Männern eher den Bereich der Wissensvermittlung zuschreibt. Dieser kommt in der Grundschule weniger stark zum Tragen, stattdessen stehen Erziehungsaufgaben im Vordergrund, die kontrastierend eher Frauen zugeschrieben werden. Weiter unten ergänzt Herr Jehle, dass seine Kollegen, die mit ihm gemeinsam studiert hatten, inzwischen alle an Hauptschulen unterrichten. Für sich selbst gilt aber anderes: Er ist zufrieden in der Grundschule.
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C Empirische Ergebnisse „Also i- für mich selber muss ich immer sagen war’s wirklich eine Bereicherung. das ist (.) wirklich familiär die (.) mit den Kindern.“ (592f.)
Herr Jehle bemüht noch einmal die Nähe zwischen Schule und Familie, betrachtet die Arbeit mit den Kindern als gewinnbringend, stellt sich in Kontrast zu den zuvor zitierten Kollegen, deren Haltung er aber durchaus nachvollziehen kann. Dass er seine Arbeit als familiäre Ergänzung, wenn nicht gar als familiären Ersatz betrachtet, wird auch aus der anschließenden Beschreibung ersichtlich: „Und wenn ich jetzt an früher denke heute darf man’s ja nicht mehr früher in der ersten Klasse so ha da kamen die Kinder oftmals zu mir haben sich auf den Schoß gesetzt, so richtig (.) oder haben sich an einen gedrückt, da hat man gemerkt; denen fehlt zu Hause was. und heut natürlich muss man wirklich sehr sehr aufpassen.“ (593-597)
Das Suchen von körperlicher Nähe wird als Beleg dafür gedeutet, dass diese zu Hause nicht zugelassen wird. Dieses Suchen muss inzwischen abgewehrt werden: Die Formulierungen „heute darf man’s ja nicht mehr“ und „heute natürlich muss man wirklich sehr sehr aufpassen“ lassen ein Problembewusstsein erkennen, dass Herr Jehle im Zusammenhang mit dem Diskurs um sexuellen Missbrauch an den Tag legt. Durch diesen Diskurs wird die Grenze zwischen Familie und Schule gezogen: Was auf der einen, privaten Seite erlaubt ist, ist auf der anderen, öffentlichen verboten. Das Verbot bleibt dabei von außen hineingetragen in die Beziehung zwischen ihm als Lehrer und seinen Schülerinnen und Schülern. Die Entfamiliarisierung des Verhältnisses folgt äußeren Umständen, keinen Überzeugungen. Dennoch gerät Herr Jehle in Situationen, in denen er mit dem Suchen nach Nähe konfrontiert wird: „Ich hab auch in der letzten vierten Klasse ein Mädchen gehabt mit ganz großen Schwierigkeiten. und die kam immer zu mir. und auch immer möglichst so nah und dann hab ich auch mit der Mutter mal ein längeres Gespräch gehabt, und dann hat mir die Mutter gestanden; sie kann das Kind ihr Kind nicht in den Arm nehmen. von klein auf nicht. und der Vater der kümmert sich schon gar nicht. sie hat drei Mädchen und der Vater ist enttäuscht dass kein Bub dabei war. und jetzt sucht natürlich das Mädchen irgendwo Anschluss das ist mir schon klar gell, (.) natürlich ist man heut heute muss man ganz (.) vorsichtig sein gell, ist ganz klar, gell,“ (597-605)
Das Gespräch mit der Mutter stützt Herrn Jehles Theorie von der fehlenden körperlichen Zuneigung zu Hause und legitimiert seine Orientierung an einem familiären Bild von Schule. Noch einmal betont er, dass er als Lehrer Defizite in dieser Beziehung nicht ausgleichen kann, schwebt doch der Missbrauchsverdacht als mächtige Bedrohung über entsprechenden Interaktionen. Er bedauert den Wandel und erinnert sich daran, wie es früher war:
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
219
„Früher hat man da nichts dabei gedacht und so, das war die Kinder haben auch oftmals noch Papa gesagt oder so dann irgendwie, es war richtig familiär. und von meinen eignen Kindern war ich’s eigentlich gewohnt. (3) vielleicht liegt das daran; gell, (.)“ (605-608)
Logisch erscheint in dieser Argumentationslinie die Folgerung Herrn Jehles, die eigene Vaterschaft bzw. die Mutterschaft als entscheidend für das Verhältnis zu Grundschulkindern zu betrachten: „Irgendwie kann man’s auch beobachten wenn ein Kollege oder eine Kollegin eigene Kinder hat, ist das Verhältnis oftmals ganz anders. als wenn sie keine Kinder haben. (4) also ich denk es oftmals dass die ein ganz anderes Verhältnis haben.“ (613-615)
Dieser Gedanke greift umso mehr, da Herr Jehle selbst Vater von vier Kindern ist. Elternschaft qualifiziert dieser Argumentation zufolge für den Grundschullehrerberuf in besonderer Weise. Noch einmal tritt die familiale Interpretation des Berufes zutage. Er selbst nimmt einen väterlichen Habitus ein, der im Sinne von patriarchal konstruierten Familienbildern Autorität beansprucht, dabei aber durchaus auch emotionale Nähe zu den Kindern herstellt. Berufsprestige: „Ich sage grundsätzlich nur, ich bin Lehrer.“ Obwohl Herr Jehle für sich konstatiert, seinen Beruf sehr gern auszuüben, unterschlägt er in der Öffentlichkeit, dass er Grundschullehrer ist: „Zunächst muss ich @sagen sag ich@ grundsätzlich nur ich bin Lehrer. also das Grundschule lass ich dann meistens weg, manchmal fragen die natürlich dann nach den Klassen, dann sag ich halt in der Grundschule.“ (627-629)
Das Lachen bei dieser Äußerung deutet darauf hin, dass Herrn Jehle dieses Eingeständnis ein wenig peinlich ist. Warum er nicht zu seinem Beruf stehen kann, erläutert er auf Nachfrage: „Äh also ich (.) ich würde mich nicht @als typischen Grundschullehrer@ bezeichnen, also von mir aus von der Ausbildung bin ich Lehrer für alles.“ (632f.)
Erneut prägt ein Lachen Herrn Jehles Argumentation. Er, der seine Arbeit sehr ernst nimmt und gern ausführt, der aus seiner Sicht ein gewissenhafter, guter und erfolgreicher Lehrer ist, besondert sich an dieser Stelle und grenzt sich von der Typik seiner Berufsgenossen – oder sollte man von Berufsgenossinnen sprechen? – ab. Hierbei bemüht er seine Ausbildung, die ihn als Volksschullehrer auszeichnet, also für den Grund- und Hauptschulbereich. Dass er in der Hauptschule schon seit vielen Jahren gar nicht mehr tätig ist, spielt dabei keine Rolle. Scheinbar ist der Beruf des Hauptschullehrers für ihn mit einem höheren Prestige verbunden. So betont er schon an früherer Stelle, dass er auch für diese Schulart ausgebildet und geeignet ist:
220
C Empirische Ergebnisse „Ich bin ich bin ich muss sagen ich bin gern in der Hauptschule gewesen. also wirklich sehr gern. und hab da hab da auch eigentlich Hauptschulfächer studiert, Biologie, Werkunterricht, also es waren eigentlich Hauptschulfächer; und ich hab auch in meinem ersten Blockpraktikum war ich auch in einer einklassigen Schule; und dann hab ich nachher eine Beurteilung; also ich wäre eher für die Hauptschule geeignet.“ (616-621)
Herr Jehle sieht die Notwendigkeit zu betonen, wie gern er in der Hauptschule unterrichtet hat. Er bemüht eine Instanz in Form einer Beurteilung, die seine subjektive Darstellung bestätigt. Tatsächlich hat er bei seiner Berufswahl wohl eher die höheren Klassenstufen im Blick gehabt. Seine Fächerwahl ist männlich konnotiert. Nun aber findet er sich in der Grundschule wieder, die als weiblich konnotiertes Berufsfeld gilt. Herr Jehle lässt zunächst den Eindruck entstehen, hier – per Geschlechtszugehörigkeit – am falschen Platz zu sein. Im weiteren Verlauf der Passage findet daher auch eine Legitimierung seiner Arbeit statt: „Hab auch keine Komplexe nur weil ich jetzt in der Grundschule bin; äh das sehe ich also nicht so. im Gegenteil ich denke mir fast die Grundschule ist heute wichtiger als die Hauptschule. (.) denn was in der Grundschule versäumt wird das lässt sich nachher wirklich sehr sehr schwer wieder aufholen.“ (634-638)
Herr Jehle betont die Wichtigkeit seiner Tätigkeit: Er schafft die Grundlagen für die weitere Schullaufbahn der Schülerinnen und Schüler und sitzt damit an entscheidender Stelle im Bildungsprozess und im Bildungssystem. Mit dieser Argumentation wird der Fokus auf die Vermittlung von kognitiven Kompetenzen gelegt; erzieherische Fragen, die Herrn Jehle zuvor noch beschäftigen, werden ausgeblendet, tragen sie doch nichts zum Ansehen des Berufes bei. Die Prestigefrage bleibt dennoch bestehen und gründet seiner Ansicht nach vor allem auf die Art der Berufsausübung seiner Kolleginnen. So führt er auf die Nachfrage, was für ihn ein typischer Grundschullehrer sei, ein Beispiel an, dass ihn als Mann von seinen Kolleginnen abhebt: „Ja also wir hatten mal eine Kollegin die die hätte ich jetzt als typische Grundschullehrerin bezeichnet, äh:: die (3) ja hat fast wie eine Glucke sag ich jetzt einmal ihre Kinder behütet, die Kinder gingen auch nur immer zwei und zwei, und sie hat oftmals auch meiner Ansicht nach fast kleinkind(.)artig mit ihren Kindern gesprochen, äh hat den Kindern alle jeden Handgriff erleichtert, hat ihnen alles gemacht, und gut=dann=unendlich viel Geduld gehabt; ich hab auch Geduld aber zu viel muss ich sagen (.) hab ich nicht. und der ihr ganzes Leben hat sich nur (.) um die Schule gedreht. das war für mich so eine richtige Grundschullehrerin. (2)“ (667-674)
Herr Jehle zeichnet ein Bild der Kollegin, das von übertriebener Fürsorge und wenig Anforderungskultur geprägt ist. Der Vergleich mit einer „Glucke“ sowie der Hinweis auf den „kleinkind(.)artig[en]“ Sprachduktus der Kollegin belegen die ablehnende Haltung Herrn Jehles gegenüber einer solchen Berufsauffassung.
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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Obwohl in seinen Schilderungen selbst sehr engagiert, lehnt er es ab, die Schule zum Lebensmittelpunkt zu machen. Er beansprucht für sich eine andere Position, indem er betont, dass er zwar durchaus auch geduldig sei, dies aber in gesundem Maße. Dieser Kontrast ergibt sich schon allein daraus, dass er eine typische Grundschullehrerin beschreibt und keinen Grundschullehrer. Seine eigene Geschlechtszugehörigkeit grenzt ihn somit nicht nur von seinen Kolleginnen, sondern insgesamt von seinem Beruf ab. Eigene Berufsauffassung: „Ich schaue also wirklich, dass meine Klassen die Leistung bringen.“ Herr Jehle grenzt sich weiter von seinen Kolleginnen ab, indem er auf seine eigene Berufsauffassung zu sprechen kommt: „Ich versuch doch irgendwie immer (.) ja doch ein bisschen die Kinder auch mal als größer zu betrachten, auch mal Aufgaben zu stellen wo ich denke vielleicht schaffen sie sie auch gar nicht, aber sich daran messen können mal versuchen können, (.) und versuch möglichst viel Selbstständigkeit reinzukriegen, vielleicht ein bisschen schon (.) wie man es von den Fünft- Sechstklässlern auch gewöhnt wäre. (2)“ (674-679)
Herr Jehle ist kein typischer Grundschullehrer und vor allem keine typische Grundschullehrerin. Zum einen stellt er hohe Anforderungen an die Kinder. Zum anderen fördert er Selbstständigkeit, was im komplementären Kontrast zur ‚Gluckenhaftigkeit‘ der Kolleginnen steht. Indem er die Schülerinnen und Schüler wie ältere Kinder behandelt, reifiziert er, dass er als Mann eigentlich für die Erziehung und Bildung älterer Kinder zuständig ist. Der Leistungsaspekt steht für Herr Jehle im Vordergrund seiner Tätigkeit. Ein Beispiel aus der Praxis veranschaulicht seine Haltung: „Gab’s früher weiß ich schon Diskussionen zum Beispiel, in der Grundschule Einmaleins-Lernen. ich hab halt darauf bestanden dass ich hab alle Reihen gelernt ein mal sechs gleich sechs zwei mal sechs gleich ja, und das mussten sie und durcheinander lernen. und ich hab auch immer abgefragt und immer neu gelernt. äh da (.) war schon die Diskussion haben Kollegen gesagt es genügt, wenn ein Kind sechs zwölf achtzehn sagen kann. ja, im Bildungsplan steht nur Reihen drin. und äh (.) da kamen wir dann auch nie auf einen Nenner, dann haben wir gesagt jeder macht es halt wie er es für richtig hält, und ich hab gesagt die Kinder müssen das muss sich einprägen die drei Zahlen die zusammen gehören, dass wenn sie’s wenn schriftliches Vervielfachen kommt, das muss wirklich sitzen. (2)“ (681-690)
Herr Jehle stellt Ansprüche, die er offensiv vertritt; selbst die Rahmenvorgaben des Bildungsplans können ihn daran nicht hindern. Er ist von seiner Auffassung überzeugt, da er sich als der Vermittler von Grundlagen sieht, die später einmal wichtig werden. Durch die Argumentation in der Erzählung beschreibt Herr Jehle nicht nur seine eigene Berufsauffassung, sondern eine männliche Art des Berufs-
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C Empirische Ergebnisse
verständnisses. Auf die Frage, ob er in Bezug auf Leistungsanforderungen einen Unterschied zwischen Lehrerinnen und Lehrern feststellen kann, erklärt Herr Jehle jedoch: „Also (.) also ich kenn bestimmt einige Kolleginnen, die wirklich genauso in der Leistung dran sind. und das weiß ich auch weil wir uns gegenseitig austauschen und alles, also das klappt eigentlich ganz gut, äh also ich würde sagen vor allem die jüngeren Kolleginnen die man so (.) die sind also auch so wirklich sehr hinten dran mit Leistung. (2)“ (704-708)
Das „hinten dran“ ist als ‚hinterher‘ zu lesen; Herr Jehle möchte keine pauschale Zuschreibung vornehmen. Er beruft sich auf seine Erfahrungen, mehr noch auf sein Wissen, das keinen Zweifel zulässt. Schließlich stellt er eine Untergruppe der Kolleginnen, nämlich die jüngeren, als leistungsorientiert heraus. Diese Hervorhebung impliziert, dass ältere Kolleginnen eben weniger leistungsorientiert arbeiten, er selbst als älterer Kollege aber durchaus. So entsteht über einen Umweg doch eine Abgrenzung, die eine männliche Art der Berufsausübung markiert. Zwar bescheinigt er durchaus auch männlichen Kollegen eine seiner Auffassung nach laxe Haltung gegenüber Leitungsanforderungen, doch berichtet er nur in einem kurzen Satz von dieser Beobachtung und belegt diese Feststellung auch nicht mit konkreten Beispielen, wie er es in den Sequenzen zu seinen weiblichen Kolleginnen macht: „Aber da gab’s auch Männer die nicht mit der Leistung hinten dran waren.“ (711f.)
Gleich darauf wartet er hingegen mit ausführlicheren Beispielen auf, die sich auf die Berufsauffassung von Frauen beziehen: „Aber oftmals ja, Lehrerinnen die Familie hatten die Kinder hatten, äh die waren dann wirklich froh wenn sie den Vormittag irgendwie rumgekriegt haben, egal wie, äh (.) die haben schon vor Jahren immer viel Freiarbeit gemacht, das heißt sie haben ihnen Blätter kopiert und hingelegt, (2) holt euch was, anmalen oder irgendwas zum Ausfüllen. (.) und das war für mich eigentlich keine Freiarbeit. also wie ich’s verstehen würde. aber die haben dann immer gesagt in der Konferenz ja wir machen schon Freiarbeit oaber das ist ja alleso (.) und da kam dann wirklich manchmal nicht viel raus dann (2)“ (712-719)
Als Begründung für diese Haltung wird die doppele Vergesellschaftung der Frauen angeführt: Neben der Rolle als Mutter bleibt nicht die Zeit, sich auf einem anspruchsvollem Niveau um unterrichtliche Belange zu kümmern. Herr Jehle äußert in diesem Zusammenhang noch einmal Bedenken gegen offene Unterrichtsformen, denen seiner Meinung nach die Funktion zukommt, mangelndes Engagement zu verdecken, und dabei in einem unlauteren Akt darüber hinaus als fortschrittlich dargestellt wird. Insgesamt beobachtet Herr Jehle, dass die doppelte Belastung als Mutter und Lehrerin dem Beruf abträglich ist:
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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„Vielleicht (.) ich muss noch sagen wenn ich jetzt gerade so überlege noch ein anderer Aspekt also ich:: hab festgestellt, Lehrerinnen sind häufiger krank als Lehrer. (3) muss ich also (.) also unsere Lehrer an der Schule sind also höchst höchst selten krank, (.) äh während die Lehrerinnen (.) also wir haben manche Lehrerinnen die sind regelmäßig (.) in der Vorweihnachtszeit in der Vorosterzeit immer wieder, (.) auch in Zeiten wo’s viel Arbeit gibt so vor Zeugnissen zum Beispiel, sind die krank. (4)“ (719-724)
Nach den möglichen Gründen für diesen Unterschied gefragt, antwortet Herr Jehle: „Sie haben einfach mehr Stress weil sie zu Hause noch andere außer Schule noch andere Arbeiten haben ich mei- ich:: vielleicht liegt’s bei mir auch daran dass ich das Glück habe, äh::: meine Frau ist zu Hause, hält mir im Grunde genommen den Rücken frei mit anderen Sachen, gut sie hat auch mal gearbeitet eine Zeit lang, gell, aber äh (.) und diese Kolleginnen vielleicht den ganzen Haushalt zu Hause schmeißen müssen mit Kindern, (.) mit einem Mann, der nie zu Hause ist, äh ich denke mir da haben die zu Hause schon Stress und in der Schule dann noch mal und dann brauchen sie öfters mal (.) eine Auszeit. so also (.) bei manchen (.) kann man das fast sehen. (2)“ (728-736)
Herr Jehle spricht nicht davon, dass sich die Kolleginnen vor der Arbeit drücken oder insgesamt weniger stressresistent sind. In seiner Argumentation nennt er Gründe, die als solche auch anerkannt werden. Gerade die Feststellung, dass seine eigene Frau ihm den Rücken freihält, zeigt, dass er seine Kolleginnen nicht in Misskredit bringen möchte. Er stellt lediglich einen Sachverhalt fest, den er zu beobachten meint. Anschließend berichtet er allerdings von einem speziellen Fall, bei dem auch Missbilligung gegenüber dem Verhalten der Kollegin geäußert wird: „Wenn i- ich an den früheren Jahre zurückdenke, hatte ich eine Kollegin, die war musikalisch sehr begabt, hat den Gesangverein dirigiert auch einmal dann, und mit der war ich einmal auch zusammen auch in Rasmushausen, damals waren wir nur zwei Lehrer, und ich hab mich immer darauf einrichten können, die hatte Donnerstag abends Gesangvereinprobe, dass ich Freitag morgens allein war. (.) irgendwann hat sie angerufen es ist ihr schlecht es geht ihr ga::r nicht gut und was weiß ich noch alles. äh (4)“ (736-742)
Hier ist nicht die doppelte Belastung als Mutter und Lehrerin die Ursache für eine Erkrankung, sondern eine Belastung, die mit einem Hobby verbunden auftritt. Für einen solchen Fall kann Herr Jehle kein Verständnis zeigen, wie aus dem abschließenden „und was weiß ich noch alles“ abzulesen ist. Herrn Jehles Äußerungen in der gesamten thematischen Passage zeigen deutlich, dass er hohe Maßstäbe an eine als gelungen zu bezeichnende Berufsausübung anlegt: Die Arbeit darf nicht zur Lebensmitte werden, wohl aber muss sie ernsthaft und zuverlässig ausgeführt werden. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Leistungswille und Leistungsorientierung sind für ihn Werte, die er selbst erfüllt, bei seinen Kolleginnen teilweise aber vermisst. Zwar verzichtet er auf Pauschalisierungen
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C Empirische Ergebnisse
und zeigt in Teilen Verständnis für das Verhalten seiner Kolleginnen auf Grund derer familiären Situation; dennoch grenzt sich Herr Jehle von den Kolleginnen ab und nimmt für sich einen besonderen, professionellen und nicht zuletzt auch männlichen Status in Anspruch. Verhältnis zu Kolleginnen: „Es sind für mich wirklich nur Kolleginnen, und nicht Frauen.“ Auf die Frage, ob sich Herr Jehle in der Schule ‚allein unter Frauen‘ fühle, beschreibt er sein Verhältnis zu seinen Kolleginnen als ein nicht vergeschlechtlichtes und entsexualisiertes. Er leitet seine Sichtweise durch ein lautes Ausatmen ein und berichtet: „((lautes Ausatmen)) also ich sehe eigentlich schon mal die Kollegin weniger als Frau sondern als Kollegin.“ (749f.)
Das laute Ausatmen vor dem Sprechakt deutet an, dass es sich um eine für Herrn Jehle schwierige Frage handelt. Er formuliert seine Aussage nicht im Plural, sondern wählt eine entpersonalisierende Form („die Kollegin“). Hierdurch markiert er eine generelle Grundhaltung, bei der er nicht zwischen den einzelnen, real existierenden Kolleginnen unterscheidet. Diesen begegnet er, so seine intendierte Aussage, ausschließlich auf rein professioneller Ebene. Privatheit, die mit dem Begriff „Frau“ assoziiert wird, klammert Herr Jehle aus, um die sexualisierte Konnotation, die eine Begegnung der Geschlechter für ihn anscheinend notwendigerweise hat, auszuklammern. Einen Grund für seine Orientierung gibt Herr Jehle in der Fortführung der Sequenz an: „Und (.) ich hab also es auch (.) ja, in den ersten Jahren; (.) da hatten wir Kolleginnen und Kollegen dann; da hatten wir ein sehr sehr enges Verhältnis; wir haben uns oftmals auch privat getroffen, un::d (.) ja da gab’s auch schon mal dass man sich umarmt hat so irgendwie so, ein wenig gedrückt hat, so Sachen kamen damals schon auch vor; und (.) dann hab ich aber mal (.) ja, eine große Enttäuschung erlebt, (2) äh:: dass eine Kollegin, (2) bei irgendwas in=en falschen Hals gekriegt hat, das heißt sie hat geglaubt, ich hätte irgendwas getan, (.) äh:: (.) was aber nicht gestimmt hat, da wurde kamen Informationen aus dem Rektorat abhanden. (.) und sie hat gla- geglaubt ich hätte diese Informationen diese Belege weitergegeben, war ein Schriftstück, weil ich ja oftmals stellvertretender Schulleiter war, gerade im Fall wenn niemand da war, und äh einen Schlüssel hatte fürs Rektorat. (2) und das hat sie mir also dann ja hat sie sich äh (.) ich würde sagen nicht gerade schön benommen, äh sie hat sich ungefähr so ausgedrückt irgend so ein Schwein das mein Rekt- vor meinem Rektor verraten hat ooder so irgendwieo. und äh:: hat sich dann später rausgestellt wie es war, hat noch jemand den Schlüssel gehabt nämlich der Hausmeister, @(.)@ @und der hat das weitergetragen@,“ (750-765)
Diese recht ausführliche Schilderung spiegelt einen Entwicklungsprozess wider: Das damalige Verhältnis überschreitet den Bereich der Kollegialität, man trifft sich privat und geht freundschaftlich miteinander um; auch Körperlichkeit spielt
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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eine Rolle. Die Art, wie Herr Jehle diese schildert („so irgendwie“, „so Sachen“), weist darauf hin, dass er zu dieser Art des Umgangs inzwischen eine distanzierte Haltung einnimmt, Körperkontakt für ihn gleichzeitig die Grenze markiert, die das Private vom Kollegialen sowie Männer und Frauen von geschlechtneutralen Personen unterscheidet. Tief gekränkt und enttäuscht ist Herr Jehle dann, als eine Kollegin ihn unbegründet eines Vertrauensbruches verdächtigt und ihn (wenn auch indirekt) als „Schwein“ tituliert. Herr Jehle kann auch nach vielen Jahren die Situation lebhaft und quasi mit einem Zitat versehen schildern, so eindringlich war diese Erfahrung für ihn. Inzwischen kann er aber auch über die Situation lachen, wie sich am Ende der Sequenz zeigt. Diese Lachen kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Herr Jehle sich auf Grund dieses Vorfalls dazu entschließt, private Nähe innerhalb des Kollegiums außen vor zu lassen. Da die Protagonistin in der geschilderten Situation eine Frau ist, zieht Herr Jehle die Konsequenz, dass er Nähe zu seinen Kolleginnen nicht mehr zulässt. Die konkrete Veränderung nach dem oben geschilderten Vorfall beschreibt Herr Jehle so: „Äh aber ab das war für mich ein Zeitpunkt, wo ich dann die Bindung an das Kollegium ein bisschen locker gelassen habe, und äh mit manchen Kolleginnen bin ich sagen wir einmal näher bekannt gewesen, war ich auch schon einmal zu Hause beim Kaffeetrinken, oder umgekehrt die hier, oder (.) aber ich hab’s also wirklich dann schon aus der Distanz heraus betrachtet. und deswegen meine ich äh es sind für mich wirklich nur Kolleginnen, und nicht Frauen. (3)“ (765-771)
Herr Jehle zieht sich zurück, verschließt die Tür zu seinem Privatraum, resümiert abschließend noch einmal, dass seine Kolleginnen für ihn keine geschlechtlichten Wesen darstellen. Diese Feststellung schließt sich wie eine Klammer um die gesamte Sequenz. Die bewusst argumentativ hergestellte Entsexualisierung der Beziehungen weist gleichsam auf eine Sexualisierung des Geschlechterverhältnisses hin: Freundschaften und Privatheit können nur dann entstehen, wenn die Geschlechtlichkeit des Gegenübers mitgedacht wird. Insgesamt ist festzustellen, dass trotz der Distanz, die Herr Jehle bewusst einnimmt, das Thema ‚Allein sein‘ für Herrn Jehle keine Rolle spielt: So erklärt er auf erneute Nachfrage nach einem eventuellen Alleinigkeitsgefühl lediglich: „Äh:: nö also, (3)“ (773)
Diese knappe Antwort zeigt eindrucksvoll, wie wenig Herr Jehle sich mit dieser Frage beschäftigt. Hierfür gibt es auch gar keine Notwendigkeit: Er wird nicht isoliert, er isoliert sich auch selbst nicht, sondern schafft in seinen Augen klare Verhältnisse, die ihn vor weiteren Enttäuschungen schützen. Da er den anderen Lehrerinnen auf der kollegialen Ebene aber weiterhin begegnet, diese Begegnungen
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C Empirische Ergebnisse
sich dann auch gefahrlos ereignen, muss sich Herr Jehle nicht zurückziehen, ist demnach auch nicht allein. Seine Strategie wird seiner Aussage zufolge im Übrigen auch von seinen männlichen Kollegen praktiziert: „Und die anderen Männer, die machen’s aber so ähnlich. (.) also die halten sich da auch äh in der Beziehung etwas zurück,“ (773f.)
Es besteht, unabhängig von den eigenen (schlechten) Erfahrungen, Einigkeit über den legitimen Umgang mit dem anderen Geschlecht. Quasi als Nebeneffekt stellt Herr Jehle eine Nähe zu den männlichen Kollegen her, verhalten sich diese doch genauso. Im sich anschließenden Diskursverlauf bestätigt sich die oben aufgestellte These, dass Herrn Jehles bewusste, argumentativ konstruierte Entsexualisierung des kollegialen Verhältnisses gerade auf einer Sexierung gründet. Herrn Jehle berichtet: „Ähm da muss muss i- muss ich noch einmal auf den Rektor zurückkommen, da kam eine junge Kollegin an die Schule, es ging kein halbes Jahr da saß sie ihm im Rektorat auf dem Schoß. (4) ja, (.) ein viertel Jahr später ist er zu Hause ausgezogen. und mit der Kollegin zusammen gezogen. äh (.) ja. also so ein enges Verhältnis so; so was wollte ich nicht,“ (774-778)
Die komprimierte und kompromittierende Erzählung der Begebenheit zeigt, dass Herr Jehle dieses Vorkommnis nicht billigt. Das Verhältnis der jungen Kollegin mit dem Rektor verdeutlicht Herrn Jehle die Gefahr, die von einer vergeschlechtlichten Sichtweise auf die Kolleginnen ausgeht: Zwar wird nicht explizit gesagt, dass der Rektor sich durch dieses Verhältnis ins private Unglück gestürzt hat. Das Gegenteil scheint vielmehr der Fall zu sein: Aus dem Verhältnis scheint eine tragbare Beziehung entstanden zu sein, die im Zusammenziehen mündet. Dennoch werden durch die Art der Erzählung existentielle Ängste Herrn Jehles sichtbar: In eine Kollegin, die auch als Frau gesehen wird, könnte man sich verlieben. Hierdurch würden Ehe und Familienleben gefährdet und in letzter Konsequenz zerstört. Frauen, wenn sie denn als geschlechtliche Wesen gesehen werden, stellen eine Gefahr dar. Den Weg hierzu bahnt „ein enges Verhältnis“, das es abzuwenden gilt. So ist der verwendete Konjunktiv in der die Passage abschließenden Formulierung „so was wollte ich nicht“ durchaus als Indikativ zu verstehen. Seiner klaren Position verdankt Herr Jehle es auch, dass er sich weder allein unter Frauen fühlt, noch allein unter Kolleginnen. Von sich aus kommt er zum Schluss, er hätte „keine Probleme auch als einziger Mann auch unter den Kolleginnen zu sein.“ (779). Auch hegt er auf Nachfrage mit Bestimmtheit keinen Wunsch nach weiteren männlichen Kollegen: „Nee: also das, nein. (3)“ (783)
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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Dennoch schließt Herr Jehle von Zeit zu Zeit Männerbünde, wenn es um die Vertretung sachlicher Interessen geht. Ein Beispiel hierzu erläutert er ausführlich, auch wenn der mit einem Kollegen geschlossene Männerbund in dieser Angelegenheit zunächst erfolglos bleibt. Es geht darum, dass die neue Konrektorin, zu der sich Herr Jehle schon weiter oben kritisch äußert, entgegen eines Konferenzbeschlusses alles daransetzt, die vereinfachte Ausgangsschrift an der Schule einzuführen: „Sie hat es dann geschafft den Rektor rumzukriegen, dass ein halbes Jahr noch einmal abgestimmt wurde, (.) äh irgendwo hat er es begründet die Abstimmung sie ungültig gewesen weil es unter dem Punkt Verschiedenes war oder irgendwie so halt. und in der Zwischenzeit hat sie die jungen Kolleginnen bearbeitet, sie möchten doch für die vereinfachte Ausgangsschrift stimmen. (2) und als die Abstimmung war, (.) waren tatsächlich nur (.) zwei Männer, Herr Burger und ich, wir haben für Beibehaltung lateinischer Ausgangsschrift gestimmt, und alle anderen haben (.) für die vereinfachte Ausgangsschrift gestimmt.“ (799-806)
Das Verb „rumzukriegen“ deutet auf das massive Vorgehen der Konrektorin hin, das nicht an Sachargumente gebunden scheint, sondern an ein unlauteres Vorgehen, auf das aber nicht näher eingegangen wird. Fadenscheinige Gründe führen zu einer erneuten Abstimmung. Der Konrektorin gelingt es, einen Frauenbund herzustellen: Zunächst beruft sich Herr Jehle darauf, dass die Rektorin die „jüngeren“ Kolleginnen „bearbeitet“ hat. Das Adjektiv „jüngeren“ steht für unerfahren, aber auch für abhängig, zumindest nicht standhaft. Das Wort „bearbeitet“ impliziert, dass hier nicht stichhaltige Argumente vorgebracht wurden, sondern die Kolleginnen unter Druck gesetzt werden konnten. Nur er und Herr Burger, ein männlicher Kollege, beugen sich (qua Alter und Geschlecht als Indikatoren für Kompetenz) dem in seinen Augen unsinnigen Anliegen der Konrektorin nicht. Die Niederlage ist jedoch nur eine vorläufige, denn in der weiteren Erzählung Herrn Jehles siegt dann letztendlich doch die Vernunft, sprich, die männliche Sichtweise. Nachdem die weiterführenden Schulen und die Eltern über das Schriftbild der Schülerinnen und Schüler klagen, kommt es zu einer erneuten Abstimmung: „Und jetzt haben wir die lateinische Ausgangsschrift; oalles zurück, alle Bücher neu gekauft. ja.o (.) äh ja gut, (.)“ (813-815)
Herr Jehle markiert durch diese Erzählung seine fachliche Kompetenz und Überlegenheit. Es bleibt ihm nur in einem Nebensatz anzumerken, dass dies ein für den Schulträger teures Unterfangen war, da die Kolleginnen nicht gleich auf ihn gehört haben. Da der von ihm geschlossene Männerbund zunächst nicht zum Erfolg führt, letztlich aber die Vernunft auch gegen Frauenbünde siegt, benötigt Herr Jehle auch keine weiteren Kollegen, mit denen er gemeinsam gegen solche ankämpfen könnte. Seine erfahrene und rationale, sprich männliche Sichtweise setzt sich
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C Empirische Ergebnisse
letztlich durch. So verwundert es nicht, dass Herr Jehle anschließend noch einmal bemerkt: „Also wie gesagt mit Frauen hab ich kein Problem, ich könnte auch allein als Mann da sein.“ (821f.)
Dass er als Mann auf jeden Fall aber benötigt wird, er sich für das Wohl des Kollegiums und der Schule für unerlässlich hält, erschließt sich aus der kurzen Erzählung, die dieser Einschätzung folgt: „Und (3) ich würde schon sagen also manche Kolleginnen, wir hatten einmal eine Kollegin die war zwei Jahre jünger als ich, die kam (.) von einer Schule mit Rektorin, (.) die war waren nur Frauen an der Schule und die war heilfroh in unser Kollegium zu kommen; nur weil’s ein paar Männer sind. (.) sie hat gesagt sie hat’s dort nicht mehr ausgehalten. Psychisch. (2)“ (822-826)
Auffallend ist, dass Herr Jehle zunächst das Merkmal ‚weibliche Schulleiterin‘ herausstellt, bevor er berichtet, dass ausschließlich Frauen an dieser Schule unterrichten. Ersteres scheint für ihn ein Indiz dafür zu sein, dass das kollegiale Klima an einer Schule unter einer solchen Voraussetzung stark leidet. Diese Interpretation ergibt sich aus der Verbindung dieser Sequenz mit den vorausgegangenen Erzählungen über die Konrektorin an der eigenen Schule, von denen die letzte unmittelbar vor dieser Sequenz erfolgt.5 Grundsätzlich reicht Herrn Jehle aber der Bericht einer einzigen Kollegin, um die These zu entwickeln, dass Männer im Kollegium eine ausgleichende Funktion innehaben, die das Arbeiten erst erträglich machen. Die Kollegin bleibt nicht so allgemein in ihrer Äußerung, sondern spricht Herrn Jehle darüber hinaus persönlich an: „Die hat auch immer die hat auch immer gesagt ach ich freut sich immer mi- mich zu sehen.“ (829f.)
Herr Jehle schließt von der Aussage dieser Kollegin auf alle Kolleginnen: „Aber. (.) äh ja. (.) also eigentlich (2) oja denk ich miro, freuen sich die Frauen eher mich zu sehen fast. ja, (2)“ (831f.)
Herr Jehle leitet diese Einschätzung durch zahlreiche (kürzere) Pausen und Füllwörter ein; leise fügt er hinzu, er ‚denke‘ sich dies: Er möchte weder eingebildet noch vermessen wirken, betont dann aber doch, dass sich die Frauen „freuen“, ihn zu sehen, sprich, dass er Teil des Kollegiums ist. Was diese Äußerung so besonders macht, 5 Daneben kann auch die bei der Erhebung des Kurzfragebogens aufkommende Äußerung Herrn Jehles als Indiz dafür gesehen werden, dass er nicht allzu viel von Frauen in Schulleiterpositionen hält: So bescheinigt er der jetzigen Konrektorin an seiner Schule nur wenig Engagement: „Sie eckt nirgends an, macht nichts verkehrt. (2) aber trifft auch kaum Entscheidungen obei irgendwaso “ (864f.).
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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ist die Tatsache, dass aus den ‚Kolleginnen‘ nun auf einmal doch „Frauen“ werden. Herr Jehle ist eben nicht nur Kollege, sondern er ist ein Mann. Seine Geschlechtszugehörigkeit als solche ist entscheidend, die ‚Freude‘ der Frauen wird durch ihn als gegengeschlechtliches Gegenüber ausgelöst. ‚Freude‘ als starkes Gefühl lässt die professionelle Distanz schwinden, sie berührt Herrn Jehle in seinem Inneren als Person und nicht in seinem bloßen kollegialen Lehrer-Sein. Sein Mannsein greift im Zusammenhang mit der Strukturkategorie Generation auf besondere Weise: „Aber vielleicht auf Grund des Alters eben (2) bin ich dann doch (.) nicht mehr das Nesthäkchen im Korb sondern (.) eher @der alte Gockel dann@ so, jaja. ja.“ (832-834)
Die Anspielung auf die Metapher des Hahnes im Korb, der von seiner Hühnerschar umringt und bewundert wird, zeichnet ein Bild, in dem das Mannsein in seiner Exklusivität an der Schule einen besonderen Stellenwert impliziert. Auf Grund seines Alters wird Herr Jehle nicht verwöhnt und umsorgt; vielmehr trifft die Bezeichnung „der alte Gockel“ eher zu, um seine Stellung innerhalb des Kollegiums zu versinnbildlichen: Er ist derjenige, der den Überblick behält, derjenige, der in der Rangfolge oben steht. „Der alte Gockel“ umschreibt daneben aber auch eine Person, die nicht mehr ganz ernst zu nehmen ist. Er ist nicht – mehr? – der kräftige, potente Hahn, sondern eher eine Karikatur dessen. Dieser Status, der das Verhältnis nebenbei entsexualisiert, ist dennoch ein besonderer, bleibt die herausragende Stellung doch erhalten. Das Lachen Herrn Jehles deutet auf Selbstironie hin, aber auch auf eine gewisse Verlegenheit. Noch einmal zeigt sich, dass das Geschlechterverhältnis für Herrn Jehle grundsätzlich nicht reflexionswürdig ist. Er betrachtet es in essentialistischer Weise als naturgegeben, bei Nachfragen hierzu zeigen sich dann aber latente Unsicherheiten. Dass Herrn Jehles Verhältnis zu seinen Kolleginnen weniger stark vergeschlechtlicht ist, als er wahrhaben möchte, zeigt sich deutlich am Ende des Interviews. So fällt ihm im Zusammenhang mit der Frage nach Funktionen, die er an der Schule inne hat (er ist Multimedia-Berater), folgende Episode ein, die er zum Besten gibt: „Jetzt fällt mir gerade ein ich hab auch einmal eine Kollegin gehabt, die war sehr emanzipiert. (.) äh und da hab ich mal was ganz Lustiges erlebt, sie wollte was kopieren, wir hatten noch den Umdrucker damals, (.) und es hat nicht geklappt. und ich saß im Lehrerzimmer, und hab da zugeschaut. aber ich wusste ja wie sie ist. also nicht eingegriffen. dann (2) hat sie sich lang abgemüht, dann ging sie zu einer Kollegin, hat ihr das Problem gesagt, und die hat gleich abgewehrt, und dann kam die Kollegin zu mir, (2) ob ich das in Ordnung bringen könnte. aber die eine Kollegin die emanzipierte, die hat nicht nachgefragt bei mir. ja irgendwie @das war ich hab gedacht also@ die ist irgendwo hab ich gedacht (.) auch verklemmt. die ist nicht normal. (.) das ist mir nur nebenbei eingefallen so, so hab ich schon vieles erlebt, gell, (.) der hätte ich auch nie in den Mantel geholfen. @(.)@ das darf einfach nicht sein dann.“ (883-895)
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C Empirische Ergebnisse
Die Betonung „sehr emanzipiert“ weist darauf hin, dass es für ihn nur wenig Berührungspunkte mit Frauen gibt, die als emanzipiert gelten; diesen steht er eher ablehnend gegenüber. Daher bietet er der Kollegin auch nicht von sich aus Hilfe an, sondern schaut dieser bei ihren vergeblichen Versuchen technischer Art zu. Sie selbst bittet ihn nicht um Hilfe, er wiederum erwartet dies auch nicht, denn er „wusste ja, wie sie ist“. Amüsiert konstatiert er der emanzipierten Kollegin Verklemmtheit und Anormalität. Gerade der Ausdruck „die ist nicht normal“ drückt aus, in welchen traditionellen Bildern Herr Jehle das Geschlechterverhältnis denkt. Selbstverständlich kennt er sich als Mann in technischen Belangen aus, selbstverständlich sind Frauen auf seine Hilfe angewiesen. Und selbstverständlich sind in der Folge Hilfe annehmen und Hilfe leisten die angebrachten Verhaltensweisen. Der Habitus eines Kavaliers wird in dem kurzen, der Situationsschilderung nachgeschobenen Satz deutlich, wenn er - durch ein amüsiertes Lachen abgeschlossen - berichtet, dass er dieser Kollegin dann auch nie „in den Mantel geholfen“ hätte: Da sie die Konventionen durchbricht – sie bittet ihn nicht um Hilfe, was Herr Jehle als übertriebene und nur mit seinem Geschlecht verbundene Ablehnung seiner Kompetenz erlebt –, hält er es auch nicht für nötig, die seinen Umgang mit dem anderen Geschlecht prägenden Habitus aufrecht zu erhalten. Er verweigert den Kavaliersakt, akzeptiert so zwar die Regeln, die die Kollegin aufstellt, ist hierüber aber belustigt und kann eine solche Haltung in seinem traditionalen Geschlechterverständnis nicht nachvollziehen. Zusammenfassende Interpretation Herr Jehle zeichnet in seinen Erzählungen die Erfolgsgeschichte seiner Berufstätigkeit als Grundschullehrer. Kurz vor seiner Pensionierung nutzt er die Interviewsituation als Chance für einen Rückblick auf sein berufliches Leben, das er als Verwirklichung eines Kindheitstraums darstellt und das über das Unterrichten hinaus einen elementaren Bestandteil seines Daseins bildet. In seinen Erzählungen zeichnet sich das Bild des klassischen, inzwischen historisch anmutenden Dorfschullehrers ab, der kraft seines Amtes eine exponierte Stellung in der Dorfgemeinschaft einnimmt. Sein Mannsein spielt schon während des Studiums eine herausragende Rolle: Als einer der ersten Männer, die an seinem Studienort studieren, nimmt er einen Exotenstatus ein, den er genießt. Die Beziehung zu seinen Kommilitoninnen ist sexualisiert, obschon Herr Jehle aufgrund seines eigenen Beziehungsstatus auf offensichtlich vorhandene Offerten nicht eingeht. Mit den anderen Männern an der Hochschule fühlt er sich qua Geschlechtszugehörigkeit besonders verbunden. Die Erfahrungen an seiner ersten Stelle wirken sich prägend auf sein eigenes Selbstverständnis als Kollege aus: Er erhält Unterstützung von den Kolleginnen
1.3 Fallanalyse Herr Jehle: „Fast wie wenn es meine Kinder wären.“
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und Kollegen sowie vom Rektor der Schule, kann von deren Erfahrungsschatz profitieren. Die Fürsorge, die er hier erfährt, macht er sich im Laufe der Jahre selbst zueigen: ‚Erfahrung‘ führt er als herausragendes Merkmal seiner jetzigen Berufsausübung an, und mittels dieser erreicht er einen Status innerhalb seines Kollegiums, der ihm ein hohes Maß an Wertschätzung einbringt. Er selbst sieht sich in der Pflicht, seinen Erfahrungsschatz weiterzugeben. Sein Verhältnis zu den Kolleginnen ist geprägt von Fürsorglichkeit, die er mit der Rolle eines Vaters vergleicht. Dieser Vaterfigur kommt eine natürliche Autorität zugute, die sich zunächst auf den Aspekt der Generation begründet, in letzter Instanz aber nur in Kombination mit der Geschlechtszugehörigkeit wirksam wird. Herr Jehles Väterlichkeit prägt seinen beruflichen Habitus entscheidend: Im Umgang mit den Kolleginnen tritt er als Ansprechpartner auch für private Probleme auf. Er betrachtet die Kolleginnen teilweise wie seine eigenen Kinder und agiert dementsprechend. Als Vater ist Herr Jehle umsichtig, fürsorglich, dabei klar und mit einem Wissens- und Erfahrungsvorsprung ausgestattet. Herr Jehles Führungsanspruch ist als väterlicher Führungsanspruch zu bezeichnen, weil es ihm nicht um die Macht allein geht, sondern um die Fürsorge gegenüber den Kolleginnen. Dies zeigt sich beispielsweise auch dann, wenn er sich schützend vor eine Kollegin stellt und diese gegen die Ideen der Konrektorin verteidigt. Gerade der Wissens- und Erfahrungsvorsprung, der auch von seiner langen Tätigkeit an derselben Schule herrührt, macht ihn zum ‚heimlichen Rektor‘ der Schule. Diesen Führungsanspruch vertritt Herr Jehle weniger offensiv als informell. Seine offiziellen Versuche, sich um eine Funktionsstelle zu bewerben, verlaufen erfolglos. Seine Eignung und damit auch seinen Führungsanspruch leitet er aus seinem Engagement und seiner Qualifikation ab, die er in klaren Kontrast zum amtierenden Rektor setzt. Aber auch generell und in Abgrenzung zu weiblichen Amtsanwärterinnen versteht er sich als Mann naturgegeben prädestiniert für ein solches Amt. Seine Enttäuschung, nicht mit einer offiziellen Führungsposition bedacht worden zu sein, zieht eine Frustration mit der bürokratischen Seite der Institution Schule nach sich, die er aber durch die eigentliche Arbeit mit den Kindern kompensiert sieht. Auch im Verhältnis zu diesen ist das Prinzip Väterlichkeit das prägende seiner Berufsausübung: Er betrachtet und behandelt diese ebenfalls wie seine eigenen Kinder. Sein Mannsein attribuiert Herr Jehle mit Kompetenz, Klarheit, Zuverlässigkeit, Erfahrung, Pragmatismus, Leistungsorientierung und Strenge. Diese Eigenschaften, die er zunächst für sich persönlich beansprucht, in letzter Konsequenz aber als wesentliche Faktoren seines Mannseins deklariert, untermauern seinen Führungsanspruch. Es findet eine Naturalisierung der Geschlechterdifferenz statt, so dass
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C Empirische Ergebnisse
keine explizite Abwertung des anderen Geschlechts vonnöten ist. Dass er von seinen Kolleginnen für das Amt des Frauenbeauftragten vorgeschlagen wird, amüsiert ihn, gereicht ihm dabei zu Ehre und macht ihn stolz auf das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird. Von einer Verunsicherung durch eine Lesart des Vorschlags als Angriff auf seine Männlichkeit, ist nichts zu erkennen. Der berufliche Habitus Herrn Jehles kann insgesamt als familiarisiert beschrieben werden. Sowohl gegenüber den Schülerinnen und Schülern als auch innerhalb des Kollegiums nimmt er die Rolle des kompetenten, fürsorglichen Vaters ein. Dabei ist die Rollenübernahme nicht als eine bewusste zu verstehen: Die Haltung von Herrn Jehle liegt in den Faktoren Generation und Geschlecht in essentialistischer Form begründet. Zwar sind die Argumentationen des Interviewpartners nicht ausschließlich vorreflexiv sondern erschließen sich teilweise in dessen Überlegungen und Erinnerungen, dennoch treffen sie genau den Habitus, der in allen Erzählsequenzen deutlich hervortritt. Gerade die seinen Kolleginnen entgegengebrachte Väterlichkeit gewährleistet für Herrn Jehle eine Absicherung in der Form, dass sich das Verhältnis zu diesen von vornherein als entsexualisiert darstellt. Nur so ist für Herr Jehle Privatheit auch im Beruf möglich. Eine Sexierung der Beziehungen würde gleichzeitig bedeuten, dass der inoffizielle Führungsanspruch gefährdet wird; sei es durch Rivalitäten, sei es durch Enttäuschungen. Dass die Entsexualisierung der Beziehung von Herrn Jehle aktiv betrieben werden muss, deutet gleichsam darauf hin, dass es sich in der Tat um ein zutiefst sexiertes Geschlechterverhältnis handelt. Auch wenn die Kategorie Geschlecht von Herrn Jehle mehrmals als unbedeutend dargestellt wird, so ist sie doch in seinen Erzählungen dauerpräsent. Herrn Jehles beruflicher Habitus mündet in einem scheinbar naturgegebenen Führungsanspruch. Neben seinem Mannsein wird vor allem der Generationenaspekt ins Feld geführt, der mit seinem ebenfalls natürlichen und naturgegebenen Erfahrungsvorsprung diesen Anspruch legitimiert. Die Naturgegebenheit dieser entscheidenden Faktoren bedeutet dabei, dass der Anspruch in der Regel nicht offensiv in Form von Kämpfen durchgesetzt werden muss. In wenigen Situationen muss zur Durchsetzung der eigenen Ansichten dennoch auf weitere Mittel zurückgegriffen werden: Hier stehen dem Interviewpartner zum einen eine Komplizenschaft mit einem weiteren männlichen Kollegen zur Verfügung, alternativ können auch Rückzugstendenzen in einigen weinigen Bereichen ausgemacht werden. Insgesamt gelingt es Herrn Jehle, eine ausgeprägte Berufszufriedenheit zu entwickeln. ‚Allein unter Frauen‘ bedeutet für Herrn Jehle, als heimlicher, väterlichfürsorglicher Schulleiter einen Status der Besonderung inne zu haben, den er genießt.
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“ Zur Person und zur Schule Zum Zeitpunkt des Interviews ist Sören 32 Jahre alt. Nach dem Besuch eines allgemeinbildenden Gymnasiums und dem Ableisten des Wehrersatzdienstes studierte er an einer Pädagogischen Hochschule in Baden-Württemberg das Lehramt für Grund- und Hauptschulen mit dem Stufenschwerpunkt Grundschule. Die von ihm studierten Fächer waren Deutsch und Heimat- und Sachunterricht mit dem Schwerpunkt Erdkunde sowie Englisch als Zusatz- und evangelische Religion als Erweiterungsfach. Vor sieben Jahren legte er sein erstes Staatsexamen ab. Seit nunmehr fünf Jahren unterrichtet er, direkt im Anschluss an den Vorbereitungsdienst, an einer Grundschule im ländlichen Raum. Es handelt sich um eine dreizügige reine Grundschule, an der zwölf Lehrerinnen und er als einziger männlicher Kollege tätig sind. Das Kollegium kann als ausgesprochen jung bezeichnet werden: Sörens Aussage zufolge ist er mit 32 Jahren der drittälteste Kollege. Die Schule verfügt noch über eine Außenstelle, mit der Sören aber nichts weiter zu tun hat. Er ist Klassenlehrer einer 3. Klasse und unterrichtet sämtlich Fächer in seiner Klasse, bis auf Bildende Kunst/Textiles Werken. Die Schulleitungsposition ist mit einer Frau besetzt, der Konrektor ist männlich. Letzterer ist allerdings an der Außenstelle tätig und kommt nur bei Konferenzen in das Schulgebäude, in dem Sören arbeitet. Sören lebt mit einer Grundschullehrerin zusammen, die an der gleichen Schule wie er tätig ist. Postskriptum Kontaktaufnahme Sören ist der Lebensgefährte der Schwester eines mit mir befreundeten Ehepaars. Der Kontakt entstand auf einer Geburtstagsfeier, auf der ich Sören zum ersten Mal begegnete. Als ich erfuhr, dass er Grundschullehrer ist, fragte ich ihn, ob er zu einem Interview bereit sei. Nachdem ich ihm mein Forschungsanliegen in groben Zügen skizziert hatte, sagte er spontan zu. Ein das Thema vertiefendes Gespräch fand auf der Feier nicht statt. Ein konkreter Interviewtermin wurde telefonisch vereinbart.
Setting und Verlauf Das Interview fand nachmittags nach einem Schultag am Esstisch von Sörens Wohnung in Mohningen statt. Nach einem kurzen Gespräch über die technischen Geräte zur Interviewführung wurden die Interviewmethode und das geplante Vor-
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C Empirische Ergebnisse
gehen erläutert. Nachdem der Interviewpartner erfahren hatte, dass nur männliche Grundschullehrer interviewt werden, zeigte er Interesse an eventuell bereits vorhandenen Forschungsergebnissen zum Themenkomplex ‚Schule und Geschlecht‘. Die Fragen wurden zwar weitgehend abgewehrt, doch entstand beim Interviewten ein fokussierter Blickwinkel, der schon zu Beginn des Interviews erkennbar wird. Das Interview selbst fand in entspannter Atmosphäre statt. Interviewer und Interviewter saßen sich gegenüber, der Interviewte hatte weder Scheu vor dem Tonbandgerät noch vor der fremden Situation, in der nur er erzählen und antworten sollte. Nach 23 Minuten (Zeile 211) klingelte es an der Tür, und Frauke, die Lebensgefährtin des Interviewpartners, betrat die Wohnung. Nach einer kurzen Begrüßung setzte sie sich zunächst auf einen Sessel im gleichen Zimmer, in dem das Interview stattfand. Dadurch trat eine gewisse Störung des Settings auf, stand das Interview nun doch unter Beobachtung. Die kurzzeitige Irritation beim Interviewer löste sich aber auf, nachdem Frauke sich mit an den Tisch setzte und aufmerksam zuhörte, ohne sich in das Geschehen weiter einzumischen (Zeile 237). Bei Sören selbst war keine Irritation zu bemerken.6 Nachdem der Leitfaden zum Interview nach ca. 40 Minuten ‚abgearbeitet‘ war, wurde Frauke spontan vom Interviewer in das Interview einbezogen (Zeile 374). Insgesamt bestätigte sie das Bild, das Sören von sich gezeichnet hatte. Dies geschah auch zu Punkten, die zu einem Zeitpunkt des Interviews angesprochen wurden, zu dem sie noch nicht anwesend war. Sören vertiefte in dieser Sequenz teilweise noch einmal seine Gedanken, führte sie an einzelnen Stellen weiter aus. Deutlich wurde in dieser Interviewphase, dass das Geschlechterverhältnis an der Schule für Sören ein höchst relevantes Thema ist, das auch in Unterhaltungen mit seiner Partnerin seinen Platz hat. Dabei haben beide einen weitgehenden Konsens in den Sichtweisen auf die Thematik hergestellt. Insgesamt hatte das Interview 6 Sören schien die Anwesenheit seiner Lebensgefährtin nicht zu stören. Grundsätzlich kann das neue Setting dennoch als problematisch betrachtet werden, zumal Frauke an der gleichen Schule wie Sören tätig ist. Eine Überprüfung der Transkription speziell unter dem Aspekt des Themenwandels und der inhaltlichen Ebene von Sörens Aussagen nach dem Eintreten der Lebensgefährtin ergibt aber, dass keine relevante Beeinträchtigung für den Interviewverlauf besteht. Dennoch kann das Verhalten von Frauke nicht ohne Belang für die Interpretation bleiben: Frauke unternimmt eine Grenzüberschreitung, die Rückschlüsse auf die Beziehungsstruktur des Paares ziehen lässt. Sie kontrolliert Sören gewissermaßen durch ihre Anwesenheit und verletzt ganz selbstverständlich die Intimität der Interviewsituation. Sören betrachtet das Eindringen von Frauke ebenfalls als selbstverständlich, so dass zu fragen bleibt, in wie weit Privatsphäre überhaupt einen Stellenwert innerhalb der Beziehung hat. Vor diesem Zusammenhang erklären sich eventuell Äußerungen von Sören im Interviewverlauf, in denen er herausstellt, sich in seiner Freizeit gern nur unter Männern aufzuhalten (257ff). Sören setzt so nicht nur einen Gegenpol zu seiner beruflichen Situation, sondern grenzt sich auch von seiner Partnerin ab, deren Präsenz innerhalb der Partnerschaft vehement zu sein scheint.
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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eine Länge von 49 Minuten. Die Daten aus dem Kurzfragebogen wurden vor dem Interview in mündlicher Form erhoben. Nach dem Interview Auf das Interview folgte ein Gespräch, in dem im Interview angesprochene Themen eine weitere dreiviertel Stunde lang vertieft wurden. Da private Themen keinen Raum fanden, ist davon auszugehen, dass der im Interview bearbeitete Themenkomplex sowohl für den Interviewpartner als auch für die anwesende Lebensgefährtin eine hohe Bedeutung hat. Die Äußerungen des Paares waren so aufschlussreich, dass das Aufnahmegerät erneut aktiviert wurde, um sich hier eröffnende Aspekte in die Interpretation mit einbeziehen zu können. Der Mitschnitt erfolgte über ca. 20 Minuten und wurde in Teilen ebenfalls transkribiert. Im Verlauf des Gespräches stellte sich beispielsweise heraus, dass der Interviewte durchaus in Betracht zieht, sich in Bälde auf eine Funktionsstelle zu bewerben. Weiten Raum nahmen noch einmal das Verhalten der Schulleiterin und das schlechte Verhältnis zu ihr ein. Nach dem Interviewtermin fand bislang keine weitere Begegnung zwischen dem Interviewer und dem Interviewten bzw. dessen Lebensgefährtin statt. ReÀektierende Interpretation Berufseinstieg: „Von daher war ich ganz froh, dass das alles so funktioniert hat.“ Der gewählte Erzählstimulus, zu beschreiben, wie seine noch kurze Berufsbiografie vom Zeitpunkt seiner Entscheidung für den Lehrerberuf an verlaufen ist, bewirkt beim Interviewpartner zunächst Aussagen zu dessen Zufriedenheit darüber, sofort nach dem Studium eine Stelle an einer reinen Grundschule bekommen zu haben: „Also bei mir ist’s so, dass ich direkt nach dem Studium ’ne Stelle bekommen hab, von daher war ich (.) ganz froh, dass das alles so funktioniert hat, dass ich auch an ’ner reinen Grundschule, weil ich hab ja Schwerpunkt Grundschule studiert, gelandet bin,“ (7-9)
Sören legt großen Wert darauf, überhaupt eine Stelle bekommen zu haben. Er zeigt sich erleichtert, spricht in einer technisierenden Weise davon, dass „alles so funktioniert hat“: Sören hat ein Ziel, nämlich Lehrer zu werden und damit sozial abgesichert zu sein, und dieses hat er nun erreicht. Auch versteht er sich explizit als Grundschullehrer: Er äußert sich befriedigt darüber, dass er an dieser Schulart eine Stelle erhalten hat. Als weitere Gründe für seine Zufriedenheit nennt er das Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern der konkreten Schule, an der er unterrichtet, sowie
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C Empirische Ergebnisse
die ländliche Lage der Schule, die seiner Sichtweise nach direkten Einfluss auf die Arbeit hat: „Hab mich eigentlich auch an der Schule immer ganz wohl gefühlt was die Klassen anging, was die Situation vor Ort anging, weil’s wie gesagt ’ne ländliche Schule ist, das heißt äh ein sehr geringer Ausländeranteil beispielsweise, was des Arbeiten dort leicht gemacht hat,“ (9-12)
Das Arbeiten fällt dem Interviewpartner leicht, weil er es mit wenigen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zu tun hat. Diese Aussage kann man direkt auf seine vorherige Äußerung beziehen, froh darüber zu sein, in einer „reinen Grundschule“ eine Stelle erhalten zu haben, sind an Hauptschulen im Allgemeinen überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund vertreten. Diese vermutet er auch an städtischen Grundschulen. Wohlfühlen kann sich Sören nur da, wo er auf keine Schwierigkeiten stößt: Nicht die Arbeit selbst löst bei Sören Zufriedenheit aus, vielmehr entsteht diese aus der Genugtuung darüber, keine schwierigeren Kinder bzw. Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen unterrichten zu müssen. Seine Angst vor der Hauptschule zeigt sich auch in einer späteren Passage (329-342), auf die an dieser Stelle aber nicht näher eingegangen werden soll. Grundschulspezifische Arbeitsweisen, der professionelle Umgang mit Kindern oder die Freude am Vermitteln von Kompetenzen werden als Grundlage für Sörens Zufriedenheit nicht erwähnt. Hierin zeigt sich eine durch externe Faktoren beeinflusste Zufriedenheit, der Verunsicherung und Zukunftsängste vorausgehen. Das offene Berufsbild des Grund- und Hauptschullehrers sowie schlechte Einstellungsprognosen führen bei Sören dazu, dass er schon allein aus der Tatsache Zufriedenheit schöpft, überhaupt eine Stelle erhalten zu haben. Dass sich diese darüber hinaus an einer ländlichen Grundschule ohne ausländische, verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler befindet, erlöst Sören von seinen beruflichen Ängsten. Vor diesem Hintergrund spielen interne Zufriedenheits- oder Belastungsfaktoren zunächst nur am Rande eine Rolle in Sörens Darstellung. Dass es solche durchaus gibt, deutet sich an, indem Sören bei seinen Ausführungen zu seinem Befinden die Vergangenheitsform verwendet und seine Aussage, sich an der Schule wohl zu fühlen, mit der Abtönungspartikel „eigentlich“ einleitet. Auffällig ist, dass Sören auf seine Berufswahlmotivation, das Studium, den Vorbereitungsdienst und andere berufsbiografische Momente nicht zu sprechen kommt. Hierzu äußert er sich erst später, als die entsprechenden Themengebiete vom Interviewer direkt eingeführt werden.
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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Verhältnis zur Rektorin: „Ich bin mit der Rolle des Schulleiters besser zurecht gekommen wie mit der Rolle der Schulleiterin.“ Der bereits erhobene Verdacht, dass Sörens Zufriedenheit beeinträchtigt ist, bestätigt sich im direkten Anschluss an die oben dargestellte Sequenz: „Die Situation hat sich ein bisschen geändert, weil ich auch ’ne Schulleiterin hab, mit der ich öfters mal im Clinch lieg, weil ich anderer Meinung bin, äh wo dann für mich immer rauskommt äh ich hatte im Referendariat ’nen Schulleiter, und ich bin mit der Rolle des Schulleiters besser klargekommen wie mit der Rolle der Schulleiterin, wobei ich das Gleiche bei meinen Kolleginnen feststell. also bei uns is=so dass wir auch schon auf Schulamt waren und hatten schon irgend(.) welche äh (.) ähm (.) Schlichter in der Schule wegen Streitgespräche und so, wegen unserer Rektorin, äh was die Situation ’n bissle anders macht.“ (13-20)
Nicht klar wird bei dieser Aussage, wie lange die Schulleiterin schon an der Schule ist. Unklar bleibt auch, ob die Konflikte mit der Schulleiterin erst in jüngerer Zeit auftreten, oder ob sich die Arbeitssituation für Sören durch einen Schulleitungswechsel geändert hat. Gründe für den Konflikt mit der Schulleiterin sieht Sören in Meinungsverschiedenheiten, die er nicht näher beschreibt oder inhaltlich füllt. Schnell sucht Sören den Grund für die auftretenden Meinungsverschiedenheiten in der Geschlechtszugehörigkeit seiner Schulleiterin: Im Referendariat hatte er einen männlichen Schulleiter, mit dem anscheinend keine Probleme auftraten. Sören bezieht dies nicht auf die Personen selbst, sondern spricht von der „Rolle des Schulleiters“ bzw. der „Rolle der Schulleiterin“. Sören hat ein Problem damit, eine weibliche Vorgesetzte zu haben. Dass dieses Problem nicht auf seine eigene Persönlichkeit zurückgeht, unterstreicht Sören, indem er sich auf seine Kolleginnen beruft, bei denen er „das Gleiche“ feststellt. Zwar nimmt er Bezug auf tatsächlich vorhandene Konflikte, dennoch geht er auch davon aus, dass seine Kolleginnen weiblichen Führungspersonen generell ablehnen. Um die Gültigkeit seiner Äußerung zu untermauern, führt Sören an, dass eine durch die Verwendung der 1. Person Plural („wir“) markierte Solidargemeinschaft sogar das Schulamt eingeschaltet hat. Die Konflikte werden von dieser Instanz anscheinend so ernst genommen, dass Schlichter eingesetzt werden. Ob die Streitigkeiten über diesen Weg ausgeräumt werden konnten, bleibt offen. Seine eventuell Abwertung implizierende Stockung bei „irgend(.)welche äh (.) ähm (.) Schlichter“ lässt allerdings vermuten, dass er von den Personen, die vom Schulamt an die Schule geschickt wurden, nicht sonderlich beeindruckt ist. Seine Abneigung gegen die Schulleiterin jedenfalls konnte nicht ausgeräumt werden. Die dieser Textsequenz unmittelbar folgende Bemerkung „Ansonsten komm ich aber mit meinen Kolleginnen supergut klar,“ (20f.)
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C Empirische Ergebnisse
will aussagen, dass Sören trotz der unguten Situation mit der Rektorin nicht isoliert ist. Durch das Adjektiv „supergut“ wird suggeriert, dass er ein sehr gutes Verhältnis zu den Kolleginnen hat. Auch befreit er sich mit dieser Bemerkung noch einmal von dem Verdacht, dass die Schwierigkeiten mit der Schulleiterin in seiner eigenen Person begründet liegen könnten. Bei allen Streitigkeiten mit der Schulleiterin erfährt er dennoch eine bevorzugte Behandlung durch diese: „Ich selbst stell zum Beispiel auch fest [ ] dass ich zum Beispiel ähm ein leichteren Stand hab der Schulleiterin gegenüber wie Lehrerinnen. der Fokus ist nicht so stark darauf gerichtet also meine Schulleiterin sagt viele Dinge zu mir nicht, beispielsweise wenn ich zu spät ins Zimmer geh oder so, krieg ich das nicht als Kritik äh nachgetragen, während bei vielen Junglehrerinnen, die bei uns einfach sind, das dann schon so ist. [ ] ich denk das hängt vielleicht schon auch mit der Rolle zusammen.“ (282-288)
Warum die Schulleiterin Sörens Fehlverhalten nicht maßregelt, erschleißt sich aus der Sequenz nicht eindeutig. Der Hinweis auf die „Junglehrerinnen“ könnte den Aspekt der Berufserfahrung bzw. des ‚Novizentums‘ in den Vordergrund rücken. Sören interpretiert den Sachverhalt aber eher in Bezug auf seine „Rolle“ innerhalb des Kollegiums. Seinen Erzählungen zufolge bietet er der Rektorin häufig Paroli und greift sie an. Diese „Rolle“ ist auf sein Verständnis von Mannsein und einer männlichen Art der Berufsausführung zurückzuführen. Vielleicht meint „Rolle“ aber auch einfach nur den generell besonderen Status, den Sören als einziger Mann im Kollegium einnimmt. In diesem Fall würde eine Besonderung Sörens auf Grund dessen Geschlechtes stattfinden. Dass diese Kategorie generell entscheidend für Sörens berufsbezogenes Verhalten ist, zeigt sich im Folgenden, wenn Interviewpassagen zu seiner Stellung an der Schule näher beleuchtet werden. Stellung im Kollegium: „Also eigentlich setz ich mich fast immer durch.“ An verschiedenen Stellen kommt Sören auf Auseinandersetzungen und Differenzen zu sprechen, die er nicht nur mit der Schulleiterin, sondern durchaus auch mit seinen Kolleginnen hat. Die Strukturkategorie Geschlecht wird dabei von Sören als ein entscheidender Faktor betrachtet. So antwortet Sören auf die Frage, ob er eine spezielle Rolle im Kollegium innehat: „Zum Beispiel im im Sport, äh, wenn’s die Durchführung ist von Bundesjugendspielen meine Schulleiterin ist komplett gegen Wettkampfsportarten oder so, ich find’s klasse die Kinder auch, äh aber ich stell immer fest bei den Lehrerinnen wenn’s dann ’ne Konferenz ist da ist’s so dass man sagt man könnt einfach ’nen Spiel- und Sporttag machen dass niemand irgendwie nachher ’n Negativerlebnis hat, wo ich denk, ich glaub, Männer denken da ein bissle anders, ich also ich find das jetzt nicht schlimm wenn jemand keine Urkunde hat, dann muss er damit zurecht kommen und ich glaub dass das was ist wo (.) oftmals dann so::: bei Frauen sich äh anders verhält also. (3)“ (91-99)
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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Sören ist in Bezug auf die Durchführung der Bundesjungendspiele anderer Meinung als seine Rektorin, die konkurrenzbehaftete Wettkämpfe generell abzulehnen scheint. Im weiteren Verlauf der Passage wird jedoch deutlich, dass auch Sörens Kolleginnen einen Spiel- und Sporttag ohne Wettkampfscharakter präferieren. Seine abweichende Einstellung in dieser Frage legitimiert Sören mit der Aussage, dass Männer in dieser Beziehung generell anders denken. Auch beruft er sich auf die Einstellung der Schülerinnen und Schüler, die seiner Meinung nach seine Sichtweise teilen. Er selbst findet es zumutbar, dass ein Kind keine Urkunde erhält und ein „Negativerlebnis“ erfährt: „dann muss er damit zurecht kommen“. Erscheint diese Einstellung durch die kurze, prägnante Ausdrucksweise zunächst hart und wenig pädagogisch, so grenzt er sich damit vor allem von einer weiblich konnotierten Bewahrpädagogik ab. Gerade indem er seine Haltung mit den Präferenzen der Kinder in Einklang sieht, legitimiert er diese grundlegend: Die Rektorin sowie die Kolleginnen folgen eigenen, irrationalen Befindlichkeiten, während er sich als einziger an den Wünschen der Schülerinnen und Schüler orientiert. Seine isolierte Haltung innerhalb des gesamten Kollegiums projiziert Sören auf eine grundlegende Differenz in den Einstellungen von Männern und Frauen, die auf die Dichotomie zwischen Rationalität und Emotionalität verkürzt wird. Darüber hinaus steht der von Sören propagierte Wettkampfcharakter als Synonym für eine grundsätzliche Leistungsorientierung, die Sören männlich konnotiert und für sich beansprucht, seinen Kolleginnen sowie der Schulleiterin dahingegen abspricht. Sören versucht, mit seinem Konrektor, der an einer Außenstelle der Schule unterrichtet, bei Gesamtlehrerkonferenzen aber anwesend ist, eine Allianz im Sinne eines Männerbundes zu schließen: „Vom Durchsetzen, es war meistens eigentlich äh=schon so dass man dann sich geeinigt hat man hat gesagt man macht jetzt ein Jahr Spiel- und Sporttag und ein Jahr Bundesjugendspiele, ich hab ein bissle Unterstützung allerdings, der Konrektor an unserer Schule, der ist an ’ner Außenstelle, wie gesagt das ist ein Mann. wobei der äh an unsrer Schule gar nicht ist, nur bei GLKs7 sind ja Außenstelle und äh Hauptstelle zusammen, und da hab ich des Glück dass er genauso denkt.“ (123-128)
Sören spricht von „Glück“, das er habe, denn sein Konrektor denkt als Mann automatisch genauso wie er. Allein auf Grund dessen Geschlechtszugehörigkeit entsteht eine Verbindung, die es Sören erlaubt, sich gegen die weibliche Überzahl im Kollegium durchzusetzen, zumindest aber seine Interessen geltend zu machen. Dies führt dazu, dass er im speziellen Fall der Bundesjugendspiele einen Kompromiss zwischen sich und dem übrigen Kollegium herbeiführen kann. In einem Abstimmungsverfahren, das gerade in solchen Fragen in Lehrerkonferenzen 7 GLK: Abk. für Gesamtlehrerkonferenz.
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C Empirische Ergebnisse
üblich ist, wäre es für die Kolleginnen ein Leichtes, die Durchführung von wettkampforientierten Bundesjugendspielen zu verhindern. Dennoch werden sie im zweijährigen Turnus veranstaltet: Sören versteht es, seine Interessen durchzusetzen. Dass es Sören hierbei nicht nur um das Vertreten einer pädagogischen Überzeugung geht, sondern tendenziell auch um einen hegemonialen Machtanspruch verbunden mit einer Männlichkeitskonstruktion, die um Abgrenzung bemüht ist, wird in einer weiteren Interviewpassage deutlich: „Also ei- eigentlich setz ich mich fast immer durch um ehrlich zu sein. es ist so dass ich ähm in (.) Konferenzen, manchmal dann auch ein bissle lautstärker wird weil ich denk man muss seine Meinung ja da zeigen, also das hat zum Beispiel dazu geführt dass ich äh oftmals war’s so dass wenn junge Kolleginnen kamen, dann dachten die dass ich der Konrektor wär oder so, wobei ich ein ganz also in Anführungszeichen normaler Lehrer an der Schule bin,“ (118-123)
Die Formulierung „um ehrlich zu sein“ deutet darauf hin, dass es Sören beinahe schon peinlich ist, dass er seine Meinungen im Kollegium „fast immer“ durchsetzt. Sören versteht es, sich Gehör zu verschaffen und seine Ansprüche geltend zu machen. Dies geschieht nicht etwa durch Argumente oder Überzeugungsarbeit, sondern durch Lautstärke. Sören ist stolz darauf, auf Grund seines Verhaltens und Durchsetzungsvermögens zuweilen für den Konrektor der Schule gehalten zu werden. Das Bild, das Sören damit von seiner Auffassung der Schulleitungsposition zeichnet, ist hierarchisch-autoritär und wenig von kooperativem Miteinander geprägt: Wer eine Funktionsstelle innehat, der setzt seine Meinung lautstark durch. Die Betonung, er sei ein „in Anführungszeichen normaler Lehrer“ impliziert, dass er sich für gerade den nicht hält. Auf Grund seines Geschlechts und dem für ihn damit verbundenen Professionsverständnisses unterscheidet er sich sehr wohl von seinen Kolleginnen, was sich in seinen Handlungsstrategien in Lehrerkonferenzen dokumentiert. Er sieht sich in einer Sonderrolle, die er in die Nähe einer staushöheren, mit einem legitimen Führungsanspruch versehenen Konrektorenstelle stellt. Dass dabei vor allem Geschlechterkonstruktionen zum Tragen kommen, zeigt sich auch an folgender Stelle, die im Zusammenhang mit einer Meinungsverschiedenheit zum richtigen Umgang mit einem Schüler, der notorisch zu spät zum Unterricht erscheint, steht: „Stell aber fest, dass die Meinung jetzt von meiner Schulleiterin und von mir komplett äh divergiert und ich glaub, dass wenn ein Schulleiter da wär, dass der auch härter durchgreifen würd. also ich glaub dass Männer härter (.) oder strikter durchgreifen.“ (155-158)
Zum einen konstatiert er die völlig unterschiedlichen Auffassungen über einen pädagogischen Maßnahmenkatalog von ihm und seiner Schulleiterin. Unterstützung für seine eigenen Auffassungen erhofft sich Sören in einem männlichen Schulleiter, der „auch härter durchgreifen würd“. Sören selbst ist mit dem pädagogischen
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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Ansatz seiner Schulleiterin nicht einverstanden und ruft nach ‚law and order‘ in Form von männlicher Härte. Generell geht Sören davon aus, dass Männer über mehr Durchsetzungsvermögen verfügen. Hier schreibt Sören seiner Rektorin und generell allen Frauen in der Schule eine weiche, pädagogisierende, abzulehnender Mütterlichkeit zu, und besetzt für sich selbst und für alle Männer in der Schule das Bild des strengen, auch strafenden Lehrers. Deutlich wird erneut Sörens Verlangen danach, männliche Allianzen zu schließen, um hierdurch schulische Handlungsmuster in seinen Augen zu professionalisieren. Seine eigene Professionalität macht Sören auch an seinen schulrechtlichen Kenntnissen fest, wie sich in einer weiteren Beschreibung zeigt, die sich direkt an oben stehende Passage anschließt: „Also ich hör zum Beispiel oft auch in GLKs dass ich ziemlich auf Paragraphen rumreite, ja, weil ich schulrechtlich glaub ich zumindest fitter bin wie unsere Schulleiterin, die das auch immer betont, sie ist äh wegen ihrer Pädagogik da, nicht weil sie irgendwie verwaltungstechnisch ’ne Ahnung hat, was allerdings bei uns immer wieder zu Reibereien kommt, weil ich ihr das auch immer wieder klar und deutlich sage wenn ich denk dass sie da wieder irgend ’nen Fehler gemacht hat, ja. (5)“ (158-164)
Mit seiner Haltung isoliert sich Sören und stößt dabei auf den Unmut seiner Kolleginnen. Gegen deren Kritik zeigt sich Sören indes resistent. Er rechtfertigt sein Verhalten mit dem in seinen Augen unzulänglichen Kompetenzen schulrechtlicher Art seiner Rektorin, der er Fehler und Versäumnisse vorhält. Zwar betont er in Zusammenhang mit der Behauptung, schulrechtlich qualifizierter zu sein als seine Schulleiterin, dass er dies nur „glaub[e]“, doch ist diese Einschränkung nicht wirklich ernst zu nehmen: Sören ist überzeugt davon, seiner Rektorin im professionellen Handeln überlegen zu sein. Professionelles Handeln deutet Sören dabei in einem technokratischen Sinn. Die Einwände der Schulleiterin, eine Pädagogin und keine Verwaltungstechnikerin zu sein, lässt er nicht gelten. Ganz offensichtlich hält sich Sören für den besser geeigneten Mann, die Rektorenstelle innezuhaben. Er fühlt sich dazu berechtigt, seine Rektorin anzugreifen und ihr vermeintliche Fehler vorzuwerfen. Es wird deutlich, dass Sören die Aufgaben der Schulleitung vor allem unter schulrechtlichen und verwaltungstechnischen, nicht aber unter pädagogischen Aspekten sieht. Mit der vorausgehenden Zuschreibung des Pädagogisierens als frauenspezifisch, spricht er Frauen erneut grundsätzlich die Eignung zur Schulleitung ab. Er selbst leide darunter, sich als Mann seiner weiblichen Rektorin unterordnen zu müssen und rebelliert dagegen auf unterschiedliche Weise. Als Beispiel lässt sich eine kurze Interviewpassage anführen, die bezeichnend für seine Handlungsstrategie ist. Sören berichtet vom Anspruch der Rektorin, dass ausgestellte Objekte ausstellungswürdig sein müssen. Auf die Frage, ob er sich
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C Empirische Ergebnisse
füge, wenn ihn die Rektorin ob seines von ihm selbst thematisierten mangelnden Perfektionismus zurechtweise, antwortet er: „Es kommt oft auf ’ne Diskussion, wobei wobei ich äh selbstverständlich dann letztendlich schon irgendwann äh dann das mach also wenn beispielsweise ’ne Ausstellung ist, neulich war so was dass ich äh Körperformen in Geometrie gebastelt hab aus Knet und Trinkröhrle, und da ist was im Schaukasten zusammengeklappt, natürlich hab ich’s dann äh weggeräumt wenn sie das sagt; also (.) sie hat allerdings drei Tage drauf warten müssen. @(.)@“ (544-549)
Die Formulierungen „selbstverständlich“ und „letztendlich schon irgendwann“ stehen dabei in Kontrast zueinander. „Selbstverständlich“ führt Sören die Anweisungen seiner Vorgesetzten aus, zumal Sören ihr Anliegen durchaus nachvollziehen kann. Doch geschieht dies mit Widerwillen und erst nach einiger Zeit. Sören kommt nicht von selbst darauf, unansehnlich gewordene Ausstellungsstücke wegzuräumen oder auszutauschen. Erst die Rektorin muss ihn darauf hinweisen. Diese lässt er „allerdings drei Tage drauf warten“. Das Lachen am Ende dieser Passage unterstreicht, dass er diese Form der Rebellion als Schelmenstück begreift und sich über seinen ‚zivilen Ungehorsam‘ freut. Indem er die Rektorin warten lässt, trägt er in seinen Augen einen Sieg über diese davon, auch wenn er auf Grund der Hierarchien deren Anweisungen letztendlich doch ausführen muss. Mit seinem Verhalten dokumentiert Sören mangelnden Respekt vor der Schulleiterin und das große Unbehagen, Anweisungen von ihr entgegennehmen zu müssen. Das Verhalten von Sören seiner Schulleitering gegenüber kann als eine ritualisierte Praxis begriffen werden, in der Sören vor allem versucht, seine eigene Männlichkeit zum Ausdruck zu bringen und hierdurch gegen Hierarchien anzukämpfen, die seinem Geschlechtsrollenverständnis zuwiderlaufen. Sein grundsätzliches Problem mit Frauen in Führungspositionen zeigt sich in einer weiteren Interviewstelle. Auf die Frage, ob Sören sich vorstellen kann, eine Funktionsstelle zu übernehmen, antwortet er: „Also ich hab’s mir schon oft überlegt, ich glaub ich könnt’s mir vorstellen, ja. also es ist so, ich weiß, dass momentan ähm::: fast nur Frauen eingestellt werden auf Grund von Quotenregelungen, was was ich allerdings auch wieder als Fehler weil ich denk es ist eigentlich fast lächerlich, wenn 90 Prozent der Grundschullehrer Lehrerinnen sind, und dann ’ne Quote gemacht wird. ähm (1) ich weiß ähm nicht, ähm ob man reel dann ’ne ’ne Chance hätt, aber ich glaub eigentlich wenn’s wenn’s der Bessere wird, dass man als Mann dann trotzdem @noch gut abschneiden kann@. (2)“ (186-192)
Sören kann sich vorstellen, sich auf eine Funktionsstelle zu bewerben. Tatsächlich hat er schon „oft“ mit diesem Gedanken gespielt. Allerdings meint er zu wissen, dass momentan auf Grund einer Quotenregelung, die er als „lächerlich“ ablehnt, fast nur Frauen solche Stellen erhalten. Es klingt schon beinahe nach einer Verschwörungstheorie, der Sören hier folgt: Männer werden bewusst ausgegrenzt und
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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in ihren Karrierechancen zu Gunsten von Frauenseilschaften behindert. Woher er das diesbezügliche Wissen hat, das den tatsächlichen Begebenheiten im Übrigen nicht entspricht, bleibt im Dunkeln. Jedenfalls unterstellt er den Frauen, die Schulleiterinnen werden, ihre Positionen nicht auf Grund der Qualifikation, sondern lediglich auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit zu erreichen. Vielleicht ist dieser Einwand als vorgreifende Schuldzuweisung und Entschuldigung zu verstehen, sollte er erfolglos bleiben, wenn er sich tatsächlich um eine Führungsposition bewirbt. Von seiner abwertenden Haltung gegenüber Frauen in Führungspositionen zeugt vor allem der letzte Satz der Sequenz: Wenn „der Bessere“ in einem Bewerbungsverfahren zum Zuge kommt, dann hat man als Mann dennoch gute Chancen, die Stelle zu erhalten. Sören behauptet hier, dass Männer grundsätzlich die bessere Qualifikation vorweisen können, die ein solches Amt erfordert. Dies spricht Sören lachend aus, wobei sein Lachen darauf hinweist, dass er sich des Wagnisses einer solchen Behauptung bewusst ist. Er sucht Komplizenschaft mit dem Interviewer, um die Aussage in ihrem radikal defizittheoretischen Gehalt zulässig zu halten. Sichtbar wird in den vorgestellten Passagen, dass der Interviewpartner vehement einen Führungsanspruch geltend macht. Sein Geschlecht adelt ihn und genügt als Legitimation für seinen Anspruch; sind mit seinem Mannsein in einer naturalistischen Sichtweise doch Qualitäten wie Rationalität, Kenntnis bürokratischer und schulorganisatorischer Abläufe sowie die von Strenge und Leistungsorientierung geprägte ‚richtige‘ pädagogische Grundhaltung verbunden. Den Führungsanspruch macht Sören gegenüber seinen Kolleginnen geltend, die diesen wohl weitgehend akzeptieren, zumindest aber nicht offensiv zurückweisen. Problematisch wird es für Sören dann, wenn er seinen Machtanspruch auch gegenüber der Schulleiterin durchzusetzen versucht. Da diese seine Ansprüche zurückweist, sucht er die offene Konfrontation. Kann er sich auf diese Art nicht durchsetzen, greift er zum Mittel der Sabotage. Mit seinem Kampf um Macht kämpft Sören auch um seine Männlichkeit, die er durch die Übermacht der Frauen gefährdet sieht. Würden diese sich durchsetzen, so müsste er sich nicht nur den Entscheidungen von Frauen unterwerfen, er müsste auch einem weiblich konnotierten Berufsverständnis folgen, das fürsorglich, wenig konkurrenzorientiert und in seinen Augen ‚zu pädagogisch‘ ist. In der Folge würde er sich aber nicht mehr von seinen Kolleginnen unterscheiden, was einem Verlust der eigenen Männlichkeit gleichkäme. So bleibt Sören nichts anderes übrig, als sich in einer defizittheoretischen Sichtweise immer wieder abzugrenzen. In wie weit sich dieses Orientierungsmuster auch auf die Handlungspraxis im unterrichtlichen Kontext auswirkt, wird weiter unten noch aufgezeigt werden.
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C Empirische Ergebnisse
Berufsprestige: „Schon frei? Schon in der Stadt?“ Dass die Berufszufriedenheit für Sören auch vom Sozialprestige des (Grundschul-) Lehrerberufs abhängt, wird im späteren Interviewverlauf deutlich. Auf die direkte Frage „Wie zufrieden bist du denn in deinem Beruf, mit deinem Beruf?“ (168f.) antwortet Sören: „Also ich hab manchmal=äh die Schwierigkeit, dass dass ich äh dann äh ’s Gefühl hab der Beruf ist in der Öffentlichkeit nicht von dem Ansehen wie ich’s mir vielleicht wünschen würde. also ich stell zum Beispiel fest auch so im Bekanntenkreis, dass es oftmals heißt. haja, der Herr Lehrer. oder schon frei? schon in der Stadt oder so? wo ich denk das ist was was nervend ist an dem Beruf,“ (170-174)
Sören hat den Eindruck, dass seine Tätigkeit in der Öffentlichkeit, später einschränkend in seinem Bekanntenkreis, auf den angeblich hohen Freizeitanteil reduziert wird. Eine direkte Reaktion auf diesbezügliche Äußerungen verrät Sören nicht, es sei nur „nervend“. Ein Rechtfertigungsdruck scheint zumindest in der Interviewsituation (– Sören weiß, dass der Interviewer selbst als Lehrer tätig war –) nicht zu bestehen. Als dem Interviewpartner die Berufsprestigeskala des Allensbacher Instituts vorgelegt wird, zeigt sich Sören zunächst verwundert: „Ah ja, Grundschullehrer, mhm. (2) also mich mich wundert’s ’n bisschen, kommt jetzt natürlich drauf an ob’s nur (.) Einbildung ist, man muss auch dazusagen, äh, gleiche Leute, die zum Beispiel sagen, oh der Herr Lehrer, schon wieder unterwe::gs, sagen auch im Gespräch ich wollt’s ja nie machen. also mir wär das ja zu stressig. das heißt ich glaub das Bild des Lehrers; wahrscheinlich nicht nur des Grundschullehrers sondern aller Lehrer in der Öffentlichkeit ist nicht unbedingt nur geprägt von äh eventuell nachmittags frei, und verbeamtet, und verdient nicht schlecht, oder so, sondern ich glaub dass es viele auch mittlerweile begreifen dass Lehrer auch ganz schön stressig sein kann, dass sich die Kinder und die Situation an der Schule verändert hat und deswegen also ich kenn jetzt niemand der zum Beispiel sagt ich würd gern mit dir tauschen.“ (197-206)
Sören stellt das Bild, das er bisher vom Ansehen seines Berufsstandes in der Öffentlichkeit hatte, als eventuell auf „Einbildung“ basierend in Frage. Er wägt ab, was ausschlaggebend für das relativ hohe Berufsprestige der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer sein könnte. Seine zuvor geäußerte Beobachtung relativiert er und attestiert der Bevölkerung eine differenzierte Wahrnehmung. Den vermeintlich hohen Freizeitanteil, die soziale Sicherung und die gute Bezahlung hält er nun nicht mehr „unbedingt“ ausschlaggebend für das Bild in der Öffentlichkeit. Die Betonung zeigt aber auch, dass Sören trotz der Datenlage nicht ganz von seiner Sichtweise ablassen möchte. Immerhin gesteht er zu, dass „viele auch mittlerweile begreifen“, wie anstrengend und aufreibend der Lehrer- bzw. Lehrerinnenberuf ist. Die Anstrengungen und Stressfaktoren, die Sören täglich selbst als Lehrer erlebt, werden von der Öffentlichkeit endlich gewürdigt. Die Wortwahl Sörens weist trotz der hier angestellten Überlegungen darauf hin, dass er das Sozialprestige des von
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ihm ausgeübten Berufes nicht als sonderlich hoch einschätzt. Daran können auch die vorgelegten Daten nichts ändern. Sören positioniert seinen Berufsstand im Vergleich zu anderen Lehrämtern und argumentiert: „Also ich glaub es ist es ist zweiteilig. einerseits glaub ich dass dass ein Grundschullehrer (1) in- innerhalb von von den Lehrern das heißt jetzt äh als Berufsstand von denen die selbst den Beruf haben, ein hohen Stand hat, weil sich’s doch unterscheidet von Lehrern beispielsweise am Gymnasium, Realschule oder an der Hauptschule. das fängt bei der Arbeitsweise an, also das was jetzt beispielsweise als Bildungsstandards in den neuen Bildungsplänen propagiert wird ist eigentlich so hab ich zumindest nach der Lektüre von den vorläufigen Plänen festgestellt, das was in den Grundschulen eh schon läuft. also die Neuerungen, die’s für andere sind sind’s beispielsweise für uns nicht; des heißt bei Lehrer glaub ich hat ein Grundschullehrer ein hohes Ansehen,“ (220-229)
Der Interviewpartner interpretiert den im Vergleich zum Gymnasiallehramt ranghöheren Skalenwert des Grundschullehreramts dahingehend, dass die Tätigkeit in der Grundschule innerhalb des Lehrerstandes ein hohes Ansehen habe. Dies führt er darauf zurück, dass in der Grundschule schon längst innovative Arbeitsformen vorherrschen, die erst jetzt langsam Einzug in die weiterführenden Schulen halten. Sören sieht seine eigene Arbeit als innovativ und begreift sich als Vorreiter, der Lehrerinnen und Lehrern anderer Schulformen überlegen ist. Hierdurch sichert er sein eigenes Prestige ab. Entgegen der tatsächlich ablesbaren Daten aus der Berufsprestigeskala fährt Sören dann fort: „Innerhalb von der Bevölkerung kommt’s mir so vor, dass zwar schon auch ein Ansehen da ist wo vielleicht nicht unbeträchtlich ist, allerdings ähm in die Ecke von Bastel Folier un::so weiter, ja, dass dass das da rein geschoben wird.“ (229-231)
Er bezweifelt das grundsätzliche Ansehen seines Berufs nicht. Dennoch sieht er seine berufliche Tätigkeit abgewertet, meint er doch, dass die Öffentlichkeit diese auf „Bastel[n]“ reduziert, den Wert und Anspruch der Arbeit letztendlich doch nicht würdigt. Wie Sören zu dieser Einschätzung kommt, bleibt offen. Sie spiegelt einen Minderwertigkeitskomplex wider, der auch gegenüber Ergebnissen empirischer Erhebungen resistent zu sein scheint. Dass auch hier ein Zusammenhang zu Sörens Vorstellungen zu Weiblichkeit besteht, wird weiter unten deutlich, wenn noch einmal auf diese Interviewpassage und deren Fortsetzung eingegangen werden wird. Die Arbeit mit den Kindern: „Es könnte auch schön sein im Büro, ohne lärmende Kinder drum herum.“ Auf die Frage, wie zufrieden er in seinem Beruf sei, erklärt Sören nach der oben geschilderten Passage zum Berufsprestige:
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C Empirische Ergebnisse „Der Beruf an sich macht mir eigentlich Spaß,“ (174)
Eine inhaltliche Füllung bzw. Differenzierung, was mit dem „Beruf an sich“ gemeint ist, folgt nicht. Spaß als indifferenter Begriff lässt ebenfalls Fragen offen. Die Abtönungspartikel „eigentlich“ ist im Kontext mit der Weiterführung der Sequenz zu lesen: „Wenngleich ich manchmal auch denk warum gibt man sich den Stress, könnt auch schön sein in=im:: Büro, keine lärmenden Kinder drumrum.“ (175f.)
Die Arbeit mit Kindern stellt für Sören eine Belastung dar. Obwohl im bisherigen Interview die Kinder selbst eine ausnehmend geringe Rolle gespielt haben, tauchen sie hier auf. Sören gibt nicht an, aus der Arbeit mit ihnen Befriedigung oder Zufriedenheit zu ziehen, sondern sie lärmen und verursachen „Stress“. Das muss man sich nicht „geben“, man könnte auch in einem Büro sitzen, dort könnte es „auch schön sein“. Sören entwirft mit der Bürotätigkeit eine kontrastive Tätigkeit zum Lehrersein. Allerdings kann sich Sören letztlich nicht damit anfreunden, Menschen gegen Papier- und Aktenstapel einzutauschen: „Äh oder ähm ’ne ’ne Seminartätigkeit oder an an der Hochschule oder so, weil ich merk, also ich mach bei uns an der Schule seit drei Jahre, oder das vierte Jahr schon Ausbildungsbeauftragter, und ich merk äh dass ich auch mit äh Erwachsene, also mit äh Referendare ganz gut eigentlich klar komm, und dass mir das auch liegt also von daher ich seh jetzt Grundschullehrer nicht als einzigste Möglichkeit, weiß auch nicht ob ich’s mir vorstellen könnt die nächsten vierzig Jahre oder was jetzt noch als Grundschullehrer tätig zu sein.“ (176-182)
Sören könnte sich vorstellen, im Bereich der Lehrerausbildung tätig zu sein. Er beruft sich auf seine Funktion als Ausbildungslehrer, der für die Betreuung von Referendarinnen und Referendaren zuständig ist. Seine Qualifikation für einen Wechsel an ein Seminar für schulpraktische Ausbildung bzw. an eine Hochschule leitet Sören aus der Einschätzung ab, dass er zu seinen Referendaren ein gutes Verhältnis hat und ihm die Tätigkeit als Ausbildungslehrer „liegt“. Fachliche Qualifikationen führt er nicht an. Das emotionale Beziehungsgefüge nimmt bei Sören den entscheidenden Stellenwert ein und scheint als Qualifikationsrahmen ausreichend zu sein. Mit einzubeziehen ist bei dieser Äußerung die Tatsache, dass der Interviewer selbst als Hauptschullehrer an die Hochschule abgeordnet wurde, was dem Interviewten bekannt ist und was ihm selbst ein vermeintliches Karrierefenster eröffnet. Nicht sicher ist sich Sören darüber, ob er tatsächlich bis zu seiner Pensionierung als Grundschullehrer tätig sein möchte. Er sieht aber durchaus Perspektiven, die sich auf die Erwachsenenbildung beziehen, also weiterhin im pädagogischen Sektor liegen. Im Aufzeigen von Alternativen schwingt mit, dass Sören nicht das Gefühl hat, den Beruf schlechthin gefunden zu haben und auszuüben. Es erscheint
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ihm erstrebenswert, sich nicht zuletzt statushöhere Berufsperspektiven offen zu halten. An späterer Stelle, an der Sören gefragt wird, ob er seine Berufswahl jemals bereut habe, äußert sich Sören grundsätzlich zufrieden mit seinem Beruf, erweitert die bereits aufgezeigten Alternativvorstellungen allerdings um den Beruf des Gymnasiallehrers: „Eigentlich (.) bereut würd ich sagen nicht, wobei ich könnt’s mir mittlerweile schon vorstellen dass ich zum Beispiel am Gymnasium oder so unterrichte. also ähm::: der Beruf des Lehrers an sich denk ich ist nicht schlecht aber wenn ich mir jetzt vorstelle, wir sind ja Grund- und Hauptschullehrer eigentlich, dass ich ’ne Hauptschulklasse hätte, dann bin ich froh dass ich an ’ner Grundschule bin. es gibt aber auch Tage, wo ich denk es sind irgendwie kleine Kinder, die auch ganz schön nervend sein können, man hätt’s gern mal mit erwachsenen Personen zu tun, und da denk ich dann oftmal man hätt schon auch Gymnasiallehrer beispielsweise lernen können.“ (337-344)
Noch einmal tritt die Arbeit mit Kindern in Erscheinung: Kleine Kinder können „ganz schön nervend“ sein. In solchen Momenten wünscht sich Sören den Umgang mit Erwachsenen und führt die Tätigkeit als Gymnasiallehrer als Kontrast an. Sören bedenkt dabei nicht, dass auch das Gymnasium mit der 5. Klasse beginnt, und er auch sonst eher mit Jugendlichen als mit Erwachsenen zu tun haben würde. Dies deutet darauf hin, dass Sören sich wohl kaum ernsthaft mit dieser Alternative beschäftigt hat. Wie schon zu Beginn des Interviews betont Sören noch einmal, wie wichtig es ihm ist, nicht an der Hauptschule tätig zu sein. Eine Erläuterung dieser Haltung erübrigt sich für ihn, zu offensichtlich scheint die desaströse Lage in dieser Schulart für ihn zu sein. Der Interviewpartner äußert an keiner Stelle, dass ihm die Arbeit gerade mit kleineren Kindern Zufriedenheit verschafft. Insgesamt geht es Sören vielleicht tatsächlich mehr darum, Lehrer zu sein als Grundschullehrer: „der Beruf des Lehrers an sich ist denk ich nicht schlecht“. Zu vermuten sind für seine grundsätzlich dann doch deklarierte Zufriedenheit sicherlich auch extrinsische Motive, die im Übrigen mit seiner Berufswahlmotivation korrespondieren: „Zugegeben es hat auch ’ne Rolle gespielt dass man viele Ferien hat, es wär gelogen wenn ich jetzt sag das wär nicht so,“ (328f.)
Allerdings führt Sören im Zusammenhang mit dieser Interviewstelle durchaus eine grundsätzliche Neigung für die Arbeit mit Kindern und den in seinen Augen bei ihm vorhandenen „pädagogischen Eros“ (315) an, einen Begriff, den er aus seiner Studienzeit übernimmt und nicht weiter reflektiert. Als Mann in der Grundschule: „Wäre nur noch ein Kollege da!“ Ein wesentlicher Punkt für das Befinden von Sören in der Schule ist das Fehlen eines männlichen Kollegen. Dieser Aspekt zieht sich durch das gesamte Interview. Schon in der Eingangssequenz äußert sich Sören:
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C Empirische Ergebnisse „Also ich hätt’s mir immer gewünscht dass mal ein ein Kollege kommt, der ich hab mir allerdings da vorgestellt so im Alter ist wie ich, mh villeicht auch ähm (.) noch nicht so lang dabei.“ (27-29)
Diese Aussage erfolgt eingebettet in die Antwort auf die Frage nach der Berufsbiografie, die Sören dazu nutzt, seine Zufriedenheit mit dem Übergang ins Berufsleben und seine Unzufriedenheit mit der Situation unter der Schulleiterin zum Ausdruck zu bringen (s.o.). Zwar berichtet Sören, dass er zum Schuljahresbeginn einen männlichen Kollegen von der Außenstelle seiner Schule bekommen hat; dieser unterrichtet allerdings nur mit wenigen Stunden an der Schule und ist zudem wesentlich älter als er. Sören erkennt ihn daher auch nicht als Kollegen an: „Ähm also für mich ist’s jetzt nicht irgendwie wie ’n Kollege;“ (27)
Neben dem Geschlecht aktiviert Sören auch die Kategorie Generation, die er darüber hinaus mit dem etwa gleichen Erfahrungsstand verbindet. Doch nicht so sehr das ähnliche, weil männliche Professionsverständnis steht im Vordergrund seines Wunsches nach einem ‚echten‘ Kollegen, also auch nicht der Wunsch nach einer fachlich-pädagogischen Kooperation, vielmehr sucht Sören einen Kumpel, der über die berufsbezogene Arbeit hinaus mit ihm verbunden ist. In einer späteren berufsbiografischen Passage relativiert Sören dann zunächst die Bedeutung der Kategorie Generation: „Ja::, also ich denk auf jeden Fall ein Kollege der gut es müsst vielleicht nicht mal nur ein junger sein. ich hab im Referendariat, da war ich an ’ner Schule das war ’ne Grund- und Hauptschule zusammen, deswegen waren automatisch auch mehr Männer dort, und ich bin mit denen sofort ganz gut klar gekommen, obwohl jetzt äh alle zwischen 40 und 50 eher schon waren. aber da war’s beispielsweise auch so dass man gemerkt hat dass die Anwesenheit von Männern lockert ungemein ’s Kollegium auf.“ (242-248)
Hegt Sören zuvor noch den Wunsch nach einem gleichaltrigen Kollegen, müsste es hier „nicht mal nur ein junger sein“. Bei dieser Äußerung steht weniger der Kumpelwunsch im Vordergrund, vielmehr beanstandet er den als verkrampft empfundenen Umgang in seinem jetzigen Kollegium. Dieser Verkrampfung wirkt seiner Meinung nach die bloße Anwesenheit von Männern entgegen. Mit den männlichen Kollegen kommt Sören während seines Vorbereitungsdienstes „sofort ganz gut klar“, ohne dass die unterschiedliche Generation ein Hinderungsgrund für eine gelingende soziale Beziehung darstellt. Diese Äußerung impliziert, dass dies mit seinen weiblichen Kolleginnen heute nicht unbedingt der Fall ist. Das Auflockern des Kollegiums bestand während des Referendariats im Übrigen darin, dass man „freitags am Ende der Woche ’ne Flasche Sekt geköpft hat“ (249f.): das Trinken als rituelle Form der Verbrüderung unter Männern durch gemeinsamen Alkoholgenuss. Sören transformiert den Brauch an seiner Ausbildungsschule in
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einen neuen. Er initiiert, an Geburtstagen Sekt in seine jetzige Schule mitzubringen. Dieser Brauch, der sich inzwischen – gegen die Bedenken der Rektorin – etabliert hat, „entkrampft ein bissle das Kollegium“ (254). In der Sequenz wird sichtbar, dass Sören Geschlecht durchgängig in komplementären, bipolaren Bildern denkt und darüber hinaus desavouirende Orientierungsmuster gegenüber Frauen aufweist: Diese sind verkrampft, Männer dagegen sorgen für Lockerheit. Er als Mann steht damit in der Verantwortung, auch an seinem jetzigen Kollegium dahingehend zu wirken: Sören versucht, über das Vehikel Alkohol eine entspannte, kollegiale Atmosphäre herzustellen. Auch im Zusammenhang mit der Konfliktkultur unter Kollegen und Kolleginnen argumentiert Sören, dass nur Männer hier einen angemessenen, da entspannten Umgang miteinander pflegen können: „Also ich hab zum Beispiel im im Referendariat festgestellt, dass es an der Schule wo ich war, oftmals zwischen den Lehrern richtig gekracht hat. aber ’ne Stunde später war das vergessen. das waren Lehrer. die haben sich zum Beispiel im Kollegium angebrüllt, und ’ne Stunde später war das Thema wieder okay und die standen dann zusammen und haben zusammen ’ne Zigarette geraucht. bei äh (.) Lehrerinnen glaub ich ist das nicht der Fall. also ich denk ich dass dass es nachtragender und so ist.“ (357-363)
Die symbolische Friedenspfeife wird in Form einer Zigarette geraucht; damit ist unter den männlichen Lehrern alles geregelt und Auseinandersetzungen können beiseite gelegt werden. Dass diese zunächst lautstark stattfinden, zeigt eine männlich konnotierte Art der Konfliktgestaltung. Männer erscheinen in dieser Schilderung als selbst in Konfliktsituationen effektiv und pragmatisch. Die Zuschreibungen, die Sören hier gegenüber den Frauen vornimmt, beruhen auf Überlegungen: er ‚glaubt‘, er ‚denkt‘, dass seine Einschätzung zutrifft. In diesem Fall kann Sören nicht mit einem konkreten Beispiel aufwarten. Anscheinend liegen die Sphären zwischen Männer und Frauen für ihn so weit auseinander, dass er Konflikte unter den Kolleginnen und deren Bewältigung nicht mitbekommt. Der Wunsch nach einem männlichen Kollegen besteht allerdings auch jenseits des Wunsches nach einem unverkrampften Kollegium aus noch gewichtigeren Gründen: „Äh deswegen kommt ja der Wunsch auch auf, dass ich manchmal denk wär nur noch ’n Kollege da, weil ich manchmal denk, hoffentlich färbt das nicht zu viel auf mich ab, weil ich manchmal auch an mir Sachen feststell, wo ich dann denk, Mensch jetzt stehst du auch schon irgendwie da, schnippelst irgendwelche Kärtle aus oder sitzt zu Hause vorm Fernseher und malst Bilder an oder so, was eigentlich ja nix Schlimmes ist, aber genau dem Bild von der Grundschultante entspricht, wo ich eigentlich ja::: gar nicht haben wollt.“ (266-271)
Sören hat Angst davor, Verhaltensweisen seiner weiblichen Kolleginnen zu übernehmen und in einem schleichenden Prozess seine Männlichkeit einzubüßen.
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C Empirische Ergebnisse
Seine Kolleginnen und das Berufsbild einer Grundschullehrerin reduziert er auf Bastelarbeiten und bestätigt damit das Bild, das in seinen Augen auch in der Öffentlichkeit von seinem Beruf besteht. Er bezeichnet die Grundschullehrerin abwertend als „Grundschultante“, betont den Begriff sogar und spricht ihnen damit jegliche Professionalität ab. Dass der Interviewpartner die skizzierte Form der Unterrichtsvorbereitung nicht gänzlich ablehnt („was eigentlich ja nix Schlimmes ist“), liegt allein darin, dass er diese Arbeiten selbst praktiziert. Dennoch irritiert ihn die von ihm selbst hergestellte Nähe seines Verhaltens zu Weiblichkeit. So gelingt es ihm nur ansatzweise, den gestaltenden Bereich der Unterrichtsvorbereitung als notwendige, vollwertige und didaktisch sinnvolle Aufgabe anzusehen. Dazu kommt, dass er sich schon an anderer Stelle gegen eine Berufsauffassung stellt, die das gesamte Leben, hier die Entspannungsphase abends vor dem Fernseher, bestimmt. Das hier beschriebene Verhalten wird von Sören weiblich konnotiert, gleichgesetzt mit einem ‚Grundschultanten-Dasein‘. Verunsichert stellt Sören fest, dass eine Adaption in Teilen bereits erfolgt ist: Er fürchtet den Verlust der eigenen Männlichkeit. Rettung könnte ein Gegenpol in Form eines männlichen Kollegen bieten, der schon allein durch seine Anwesenheit eine weitere Übernahme weiblich konnotierter Verhaltensweisen stoppt und ein alternatives, männliches Professionsverständnis als Orientierungsmuster anbietet. Auch die im gleichen Kollegium tätige Lebensgefährtin Frauke, die zu einem späteren Zeitpunkt zum Interview hinzukommt (vgl. Postskriptum), bestätigt Sörens Wunsch nach einem männlichen Kollegen. Auf die Frage, ob Sören sich über seine Berufstätigkeit häufig beklage, antwortet sie: „@Manchmal schon, oder?@ manchmal jammert er schon. also du jammerst schon über die Tatsache, dass keine männlichen Kollegen sind. du sagst oft wenn wir beim Martin waren sagst immer so’n Kollegen wünsch dir;“ (377-379)
Das in der Fragestellung initiierte Wort ‚häufig‘ wird durch ein lachend vorgetragenes „manchmal“ ersetzt und dadurch etwas abgeschwächt. Sören soll nicht als ‚Jammerlappen‘ dastehen, daher versichert sich Frauke durch das „oder?“ bei Sören, ob sie das Recht dazu hat, dies über ihn zu behaupten. Frauke hat durch ihre zeitweilige Anwesenheit während des Interviews mitbekommen, dass der Fokus des Interviews auf dem Geschlechterverhältnis im Kollegium liegt. Dennoch könnte sie die Frage auch auf Sörens Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern bzw. zur Schulleiterin beziehen. Stattdessen bestätigt sie Sörens Wunsch nach einem männlichen Kollegen, der anscheinend auch im privaten Bereich immer wieder als ernstes Bedürfnis vorgetragen wird. Sören bestätigt die Aussage Fraukes durch zustimmende ‚Mhms‘.
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Männliche Berufsausübung: „Weil ich irgendwie pragmatischer vorgehe.“ Geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Orientierungen und Handlungsmuster zeigt Sören anhand von Erfahrungen und Einschätzungen auf. „Beispielsweise äh die Rektorin äh kann kein Gespräch kann kein Gespräch mit dir machen ohne dass sie zum Schluss sagt man müsst sich überlegen, wenn mit dem Kind was ist das nicht irgendwie::: ne Zangengeburt oder sonst was ist was mir manchmal schon zu weit geht wo ich denk da geht man schnell ins Überinterpretieren rein. hab ich bei Männern so noch nicht festgestellt, also zumindest bei denen die ich kenn ich kenn von Studium bestimmt zehn Stück, die=äh Grundschule als Schwerpunkt hatten,“ (54-60)
Sören zeigt kein Verständnis für die Rektorin, die sich anscheinend in einem diagnostischen Sinne um Hintergrundinformationen über die Schülerinnen und Schüler bemüht. Mit dem zugespitzten Beispiel einer „Zangengeburt“ als Erklärung für abweichendes Verhalten markiert Sören die Grenzen seines Verständnisses, das er durch den Beleg mit „bestimmt zehn“ anderen Kommilitonen als männlich und damit rational abgrenzt. Die pädagogischen Interaktionen von Frauen reduziert er auf deren Interesse an biologischen bzw. medizinischen Dispositionen. Nicht nur in den pädagogischen Einstellungen, auch in der konkreten Handlungspraxis konstatiert Sören Unterschiede, die er mit seiner Geschlechtszugehörigkeit begründet. Er vergleicht seine Arbeitsweise mit der seiner Kolleginnen: „Wenn ich jetzt beispielsweise vorbereit, dann geht’s bei mir definitiv schneller wie bei meinen Kolleginnen. weil ich irgendwie pragmatisch vorgeh; oder auch nicht (.) unbedingt den Hang zum Perfektionismus in in so übersteigerter Form hab. also bei mir darf jetzt auch mal was wo nicht foliert ist an der Tafel hängen.“ (532-536)
Schnelligkeit setzt Sören mit Pragmatismus gleich und konnotiert diesen männlich, wie der generalisierenden Vergleich mit seinen Kolleginnen als Gesamtgruppe zeigt. Frauen unterstellt er einen übertriebenen Hang zur Perfektion, die sich in der sorgfältigen Vorbereitung der Unterrichtsmaterialien dokumentiert. Dass Sören erneut auf das in seinen Augen ein weiblich konnotiertes Berufsverständnis symbolisierende Folieren zu sprechen kommt, zeigt deutlich, wie sehr sich Sören um Abgrenzung bemüht. Sörens differenztheoretisches, ja sogar defizittheoretisches Professionsverständnis dokumentiert sich im Übrigen schon zu Beginn des Interviews: „Dass=äh meiner Meinung nach schon Unterschiede existieren, im Lehrerbild. also, ich hab zum Beispiel ähm als ich Grundschullehrer äh gelernt hab, schon immer gesagt ich möcht nicht so ’ne so ’ne typische Grundschultante sein die dann mitschnippelt und foliert und und so macht, und ich merk bei meinen Kumpels ist des eigentlich des gleiche, die sind alle in ihrem Job (.) happy, die kommen gut mit den Kindern aus, und auch mit den Kolleginnen und Kollegen, aber es ist jetzt nicht so dass=äh=ja, bei vielen Frauen denk ich ist so die Erfüllung dass sie nur noch über Schule reden. also jetzt auch bei uns im Kollegium.“ (47-54)
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C Empirische Ergebnisse
Schon hier verwendet er die Bezeichnung „Grundschultante“ für Grundschullehrerinnen und wertet deren Arbeitsweise massiv ab. Sören distanziert sich schon während seines Studiums und bemüht sich um Abgrenzung. Auch kritisiert er deren Berufsverständnis in sofern, als dass der Beruf einen zu großen Raum in deren Leben einnehme. Bei seinen ehemaligen männlichen Kommilitonen sieht er – wie bei sich – eine große Berufszufriedenheit, die auf das Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern, aber auch zu den Kolleginnen und Kollegen gründet. Allerdings gelingt es Männern besser, so die Intention der Aussage, das richtige Maß zu finden, ohne dass der Beruf zum Lebensmittelpunkt wird. Sören beruft sich auf seine ehemaligen Kommilitonen und seine jetzigen Kolleginnen, objektiviert dadurch die eigenen Perspektive und stellt eine essentialistische Differenz zwischen Männern und Frauen her. Ist es zunächst noch das Schnippeln und Folieren, das beide Geschlechter voneinander unterscheidet, so sieht er am Ende dieser Passage Frauen in der Rolle, die ihr Lebensziel in der Auseinandersetzung mit Schule und Beruf sehen. Männer hingegen haben diese Art der Auseinandersetzung nicht nötig: Sie arbeiten auch so erfolgreich. Relevant ist in diesem Zusammenhang auch die Passage zum Berufsprestige, deren Anfang schon weiter oben angeführt wurde: „Innerhalb von der Bevölkerung kommt’s mir so vor, dass zwar schon auch ein Ansehen da ist wo vielleicht nicht unbeträchtlich ist, allerdings ähm in die Ecke von Bastel Folier un::so weiter, ja, dass dass das da rein geschoben wird. also ich glaub äh ’ne Grundschullehrerin ist jemand, (1) da gehört man als Lehrer dann wahrscheinlich automatisch mit dazu, jemand der viel bastelt, der Lieder singt, der im Kreis tanzt, und ja; eher ein bissle wie ’n Erzieher, wie ’n Kindergärtner dann wirkt.“ (230-235)
Die Reduktion des gesamten Bildungs- und Erziehungsauftrags der Grundschule auf diese wenigen, dem musischen Bereich zuzuordnenden Tätigkeiten reproduziert ein Klischee, das die Tätigkeit in der Grundschule stark einschränkt und diese statustief einordnet. Sören stellt die Nähe zum Beruf der Erzieherin bzw. des Erziehers her. Seine Äußerung erfolgt nach dem Einblick in die Berufsprestigeskala. Obwohl aus ihr eine hohe öffentliche Wertschätzung des Berufs abzulesen ist, hat dies keine Auswirkungen auf das Empfinden von Sören. Eine Korrektur findet nicht statt. Dies lässt auf einen Minderwertigkeitskomplex schließen, der sich weitgehend manifestiert hat. Dabei weist Sören die Schuld am vermeintlichen Bild in der Öffentlichkeit den Frauen in diesem Berufsfeld zu: Grundschullehrerinnen basteln und tanzen im Kreis, er als Mann gehört „dann wahrscheinlich automatisch dazu“. Sören erhebt den Anspruch, dass die von ihm geleistete Arbeit vielschichtiger ist als die seiner Kolleginnen. Worin sein von ihm konstruiertes Mehr an Professionalität besteht, dazu äußert sich Sören nicht. Gleichzeitig fühlt er sich als Mann durch die
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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Nichtwahrnehmung der differierenden Professionalität von Frauen und Männern bzw. die Nichtwahrnehmung der Existenz männlicher Grundschullehrer in der Öffentlichkeit diskriminiert und sieht seine Männlichkeit gefährdet. Dass es in der Tat nur wenige Männer gibt, die den Beruf des Grundschullehrers ergreifen, führt Sören nach den Gründen für diesen Sachverhalt gefragt auf folgenden Zusammenhang zurück: „Ich denk mal, es liegt vielleicht daran, weil Grundschullehrer so’n bissle=n ’n Touch oder ich glaub so’n Bild in von der Öffentlichkeit her dass es ein Beruf ist wo so fast schon nah am Kindergarten ist und das ist eher ’ne Domäne wo Frauen vorbehalten ist. Dazu kommt ich glaub man braucht ziemlich viel Geduld und auch Einfühlungsvermögen um mit kleinen Kindern was zu machen. Und höchstwahrscheinlich ist bei uns äh:: schon noch äh viel- vielleicht auch einfach vom vom Rollenverständnis auch wenn sich das geändert hat aber doch noch eher, äh, ’ne ’ne Domäne von von Frauen, dass sie für die Kindererziehung zuständig sind.“ (65-73)
Noch einmal stellt Sören die Nähe des Berufes zu dem der Erzieherin bzw. des Erziehers her. Die weiblich konnotierte Arbeit schreckt junge Männer davon ab, den Beruf zu ergreifen. Doch auch generell werden Eigenschaften benötigt, die Männer eher nicht vorweisen können: „ziemlich viel Geduld und auch Einfühlungsvermögen“. Obwohl Sören sich hier zunächst auf das Bild in der Öffentlichkeit beruft, auch von einem modernisierten Rollenverständnis spricht, so spiegelt sich doch seine eigene Meinung in der Äußerung wider. Dies wird deutlich, wenn man andere Aussagen Sörens mit in die Interpretation einfließen lässt. Geschlechterverhältnis im Kollegium: „Da wäre man ja auch extrem vorsichtig.“ Sören kommt darauf zu sprechen, dass seine Kolleginnen ihm als Mann einen besonderen Status zuweisen: „Ich hab jetzt nicht das Gefühl, dass jemand sagt oh da hat ähm ein Mann sich in der Grundschule verirrt oder so, im Gegenteil, die sagen immer es ist gut, es müsste eher noch ein Mann da sein, Erziehung kann nicht nur von Frauen erfolgen, was ich ganz gut find dass die Kolleginnen das genauso sehen wie ich auch weil das war unter anderem ein Grund warum ich Lehrer geworden bin, weil ich denk es gibt schon genug Lehrerinnen, also es kann fast nicht sein dass Erziehung nur so stattfindet,“ (85-91)
Zufrieden zeigt sich der Interviewpartner darüber, dass seine besondere Stellung als Mann innerhalb des Kollegiums anerkannt wird. Er wird als solcher wahrgenommen, was impliziert, dass von ihm auch andere Maßstäbe in Bezug auf die Unterrichts- und Erziehungsgestaltung erwartet werden. Diese Erwartungen erfüllt Sören bereitwillig. In einer normativen Sichtweise, die keine weiteren Erläuterungen bedarf, stellt er fest, dass Männer im Bildungs- und Erziehungssektor notwendig sind, dass es nicht gut sein kann, dass dort fast ausschließlich Frauen
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C Empirische Ergebnisse
tätig sind. Dem entgegenzuwirken sei ein Grund dafür gewesen, dass er seinen Beruf ergriffen hat: Sören als Retter der Grundschule, ja der Gesellschaft vor dem überbordenden Einfluss der Frauen. Scheinbar wird diese Sichtweise von den Kolleginnen geteilt. Eine besondere Stellung ist ihm durch dieses Konstrukt auf jeden Fall sicher. Der besondere Status, den Sören als Mann an seiner Schule einnimmt, dokumentiert sich auch in folgender Interviewpassage: „Ich glaub ich werd als Lehrer, als Grundschullehrer normal akzeptiert, aber ich hab schon ’ne spezielle Rolle, man hat ja schnell die Rolle vom Hahn im Korb,“ (100ff)
Der Interviewpartner sieht sich trotz seines Exotenstatus an der Grundschule in seiner Berufstätigkeit von den Kolleginnen grundsätzlich anerkannt. Er wird trotz der fehlenden Passung von Geschlecht und Beruf ernst genommen. „Normal“ ist sein Status dabei aber nicht: Die Metapher vom „Hahn im Korb“ erweckt den Eindruck, dass Sören als Mann verwöhnt, umsorgt und umschwärmt wird. Wie diese Stellung sich im Berufsalltag auswirkt, das wird in der Fortsetzung der Passage erkennbar: „Also, beispielsweise, das fängt an dass die Putzfrauen mir im Klassenzimmer irgendwelchen Fasnachtsschmuck aufhängen, was sie nie bei den @Lehrerinnen machen werden@, oder dass es wie gesagt so Dinge gibt, ich muss kein BK oder TW8 unterrichten, weil wohl von ’nem Mann am wenigsten erwartet wird dass er mit Kindern häkelt oder so,“ (102-106)
Lediglich eine Situation fällt Sören ein, die dem Bild „Hahn im Korb“ entspricht: Die Raumpflegerinnen übernehmen als freundliche Geste die Dekoration seines Klassenzimmers. Ob dies so gedeutet werde kann, dass diese ihn als einzigen Mann verwöhnen, oder aber ob sie nur ein festgestelltes Defizit ausgleichen, kann nicht beantwortet werden. Sören jedenfalls interpretiert die Situation als eine, in der er auf Grund seines Mannseins besondere Aufmerksamkeit erfährt. Das andere Beispiel, das Sören schildert, entspricht hingegen nicht der Metapher: Als Mann werden ihm als frauentypisch konnotierte Tätigkeiten von Vornherein erspart, was er als selbstverständlich und als Anerkennung seines Mannseins deutet. Die Besonderung Sörens scheint vor allem auf der professionsgebundenen Ebene stattzufinden; Privatheit zu seinen Kolleginnen stellt sich nicht ein. Die Behauptung Fraukes, Sören pflege keine privaten Kontakte zu seinen Kolleginnen, bestätigt Sören:
8 BK: Abk. für bildende Kunst; TW: Abk. für Textiles Werken
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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„Gut, man muss natürlich dazusagen, das ist auch so ’ne Schwierigkeit, da ’s jetzt bei uns zum Beispiel im Kollegium alles Kolleginnen sind, die jünger sind wie ich, also, da wär man ja auch extrem vorsichtig; wenn ich jetzt irgendwie was mach dann wird’s vielleicht gleich irgendwie als Anmache oder was ausgelegt,“ (390-395)
Sören hat Ängste, die einen ungezwungenen und unverkrampften Umgang mit seinen Kolleginnen verhindern. Die Betonung liegt zunächst auf „Kolleginnen“, die sich durch eine Kontaktpflege, die über die übliche kollegiale Kooperation hinausgeht, ‚angemacht‘ oder gar sexuell belästigt fühlen könnten. Verstärkend kommt für Sören hinzu, dass seine Kolleginnen jünger sind als er: Anscheinend vertritt er ein Bild, das davon ausgeht, dass ältere Männer Kontakt zu jüngeren Frauen nur dann aufnehmen, wenn sie sexuell konnotierte Absichten verfolgen. Da Sören zum Zeitpunkt des Interviews erst 32 Jahre alt ist, genügt für diese Konstruktion anscheinend bereits ein geringfügiger Altersunterschied zwischen den Geschlechtern. Die Formulierung „da wär man ja auch extrem vorsichtig“ lässt darauf schließen, dass Sören diesen Zusammenhang als allgemeingültig ansieht. Nicht nur er ist – auf Grund eventuell vorhandener Erfahrungen – vorsichtig, „man“ ist zurückhaltend. Seinen Ängsten steht nicht entgegen, dass er eine feste Partnerin hat, die zudem im selben Kollegium tätig und den anderen Kolleginnen als seine Partnerin bekannt ist. Unter Umständen liegt seine Befürchtung aber auch genau hierin begründet, da er, wie aus der Erhebung des Kurzfragebogens hervorgeht, seine Freundin zunächst als Kollegin kennen lernte, bevor sie seine Partnerin wurde. Sören versteht das Kollegium als Heiratsmarkt, bei dem allerdings die Männer fehlen. Als einziger Mann im Kollegium betrachtet er sich als potentiellen Partner seiner Kolleginnen, und versucht, sich hiergegen zu schützen. Er sexiert das Verhältnis zu seinen Kolleginnen, was ihm nebenbei dazu verhilft, sich seiner eigenen Männlichkeit zu vergewissern. Unter Männern: „Komm, wir gehen mal wieder ein Bier trinken.“ Sören vertieft die Problematisierung des Geschlechterverhältnisses, indem er Bezug auf Erfahrungen nimmt, die er während des Vorbereitungsdienstes gemacht hat: „Also ich (.) ich hab des eigentlich auch im Referendariat festgestellt; ich hab im im Referendariat, ich war lang der einzigste Referendar, dann kam ’ne Referendarin und ein Referendar dazu, und es war irgendwie klar, dass as=also ich ich hab mich mit dem Referendar sofort verstanden, mir sind mir sind äh abends oft zusammen fort gegangen, haben irgendwelche Unternehmungen gemacht, mit der Referendarin jetzt nicht, umgekehrt hab ich ähm zwar ’ne Mentorin gehabt und ’nen Mentor, aber ich hab zu meinem Mentor auch gleich ein anderen Draht gehabt, also da war man auch einmal, gell, vor zwei Jahr mal wo er Fünfziger gehabt hat, wo er angerufen hat ob ich nicht komm, ähm (2) also ich denk des ähm da ist schon irgendwie auch jetzt für ältere Kollegen oder so glaub ich leichter jetzt ein Mann, sei’s ein Referendar, oder jetzt ein fertigen Lehrer anzusprechen ob man was macht, wie wenn das ’ne Kollegin ist.“ (473-483)
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C Empirische Ergebnisse
Sören berichtet von eigenen Erfahrungen, die allesamt darauf hinauslaufen, dass er prinzipiell besser mit männlichen Kollegen zurechtkommt, zu weiblichen Kolleginnen hingegen keinen Kontakt sucht. Dies betrachtet er als natürlich, sein Verhalten entspricht der Norm: „es war irgendwie klar“. Er verallgemeinert seine eigenen Erfahrungen, indem er feststellt, dass es für männliche (eingeschränkt „ältere“) Kollegen generell schwierig sei, kollegiale Kontakte mit Frauen in private zu überführen. Nicht die Persönlichkeit entscheidet darüber, ob eine gemeinsame Basis für Privatkontakte gegeben ist, allein die Geschlechtszugehörigkeit ermöglicht oder verhindert diese. Dementsprechend agiert Sören auch in seinem jetzigen Kollegium: Mit seinen weiblichen Kolleginnen pflegte und pflegt Sören keinen persönlichen Kontakt. Mit dem männlichen Konrektor, der nicht direkt an seiner Schule tätig ist, trifft er sich durchaus auch in seiner Freizeit: „Mit mit unserm Konrektor, bin ich ähm ’n Bierle trinken gegangen. wo-wobei das so ist, dass er dann auch sagt komm wir gehen wieder mal unter Männern ein Bier trinken, ja, und sich ’n bissle ausquatschen weil ich denk dem Konrektor geht’s genauso, weil der das gleiche Problem ja im Prinzip kennt.“ (407-410)
Die Initiative zum „Bierle trinken“, das im übrigen eine deutliche Abgrenzung zum Kaffeetrinken der Kolleginnen darstellt, geht vom Konrektor aus, der sich „unter Männern [...] ausquatschen“ möchte. Dieser private Kontakt findet nicht zum ersten Mal statt, denn die Aufforderung lautet „wieder mal“. Dem Konrektor geht es wie Sören, auch er ist der einzige Mann in seinem Kollegium, befindet sich also in einer entsprechenden Situation. Dieser wählt die Formulierung „Problem“, um die Situation zu beschreiben. Die Bezeichnung trifft Sörens Befinden in der Tat, bestimmt die Situation als einziger Mann im Kollegium doch entscheidend seinen berufsbezogenen Habitus und sein Befinden. Worüber er mit dem Konrektor bei den männerbündnerischen Treffen redet, bleibt offen, doch interpretiert Sören die Zusammenkunft anscheinend als Solidar-, wenn nicht sogar als Leidensgemeinschaft. Dass auf Sören tatsächlich ein gewisser Leidensdruck lastet, wird in der sich direkt anschließenden Textpassage deutlich: „Ah, also jetzt am Wochenende waren wir beispielsweise beim Freund von mir, in Karlsruhe, und da war dann auch noch mal ’n Kumpel dabei, beides auch Lehrer, mh, das erste was wir gesagt haben, hey, lass uns ’ne Privatschule gründen, des wär echt cool, gell, man denkt dann schon, es es wär ganz nett wenn noch jemand da wär.“ (410-414)
Der Gedanke an die Gründung einer Privatschule kann als Phantasterei gewertet werden. Dennoch geht aus der Passage hervor, dass Sören unter der jetzigen Situation leidet und diese gern verändern würde: Das „erste“, das bestimmende Thema
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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des Zusammentreffens ist die Idee, eine Privatschule zu gründen. Dieser Wunsch entspringt nicht dem Gedanken, Schule zu reformieren oder pädagogische Ideen zu verfolgen, die an staatlichen Schulen nicht möglich sind; Hintergrund der Idee ist das Vorhandensein männlicher Kollegen, die in den Plänen gleichzeitig schon Freunde sind. Die Formulierung „wenn noch jemand da wär“ impliziert dabei, dass Männer im Kollegium zwar abwesend sind, Frauen aber auch als nicht vorhanden betrachtet werden. Sie sind zwar als Kolleginnen präsent, als Gegenüber und als Personen werden sie in einer androzentristischen Sichtweise aber ausgeklammert. Allein unter Frauen: „Das Gefühl, du bist allein auf weiter Flur.“ Dass es Sören bei seinem dringlichen Wunsch nach einem männlichen Kollegen nicht nur um die Möglichkeit geht, private Kontakte aufzubauen und ein Bier trinken zu gehen, erschließt sich aus der sich anschließenden Interviewsequenz: „Es kommt auch daher weil ich oft ’s Gefühl hab in Konferenzen, da sag ich’s oft dann zu der Frauke, ich hab’s Gefühl ich hab wieder das irgendwie alles gell, wieder sagen müssen, oder es sagt ja niemand was,“ (414-416)
Sören fühlt sich in Konferenzen, die vorhergehenden Äußerungen zufolge vom Streit mit der Rektorin geprägt sind, von seinen Kolleginnen im Stich gelassen. Er muss Konflikte stellvertretend austragen und die Schule vor den Ideen der Rektorin schützen. Obwohl Sören hier die männlich konnotierte Rolle des Retters und Ritters für sich in Anspruch nimmt, fühlt er sich dabei nicht wohl. Gern hätte er Unterstützung, die er von seinen Kolleginnen nicht erfährt: „Du hast dann schon ein bissle die:: ja, das Gefühl, du bist allein auf weiter Flur, wo du Unterstützung gern hättest.“ (418f.)
Sören fühlt sich „allein auf weiter Flur“. Es gelingt ihm nicht, seine Kolleginnen zum gemeinsamen ‚Kampf‘ gegen die Ideen der Schulleiterin zu animieren. Auch scheint er nicht aktiv für eine solche Koalition zu werben. Lediglich Frauke gegenüber, die er lachend, aber durchaus ernsthaft an anderer Stelle als „mein einziger @sozialer Zugang zum Kollegium@“ (441f.) bezeichnet, äußert er seine Gefühle diesbezüglich. Sicherlich zieht Sören auch eine Dividende aus seiner Rolle: „Wenn’s irgendwas gibt, dass viele Kolleginnen zu mir kommen und sagen ha:: man müsst mal was sagen; oder man müsst mal was machen, weil ich merk, äh man denkt oder man glaubt wohl, wenn ein Mann zur Schulleitung beispielsweise was sagt, dass es ein anderes Gewicht hat.“ (277-280)
Der Interviewte wird von den Kolleginnen aufgefordert, zu intervenieren oder Veränderungen anzustoßen. Dies führt er auf seine Geschlechtszugehörigkeit und den
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C Empirische Ergebnisse
damit verbundenen Machtvorsprung zurück. Die Dividende für Sören besteht darin, dass er von seinen Kolleginnen als kompetent und durchsetzungsstark angesehen wird, was Sören in seiner Männlichkeit bestärkt und ihm einen besonderen Status verleiht. Diesen nimmt er bereitwillig an, wünscht sich aber dennoch Unterstützung; diese kann ihm in seinen Augen nur ein potentieller männlicher Kollege geben, der ihn als aktiven Mitstreiter entlasten würde. Auch für das Kerngeschäft seiner Tätigkeit, das Unterrichten und die Planung des Unterrichts, sieht er in einem männlichen Kollegen ein Potential, das er bei seinen Kolleginnen nicht entdecken kann: „Ich bin überzeugt davon wenn ich jetzt äh jemanden hätte mit dem ich mich super versteh, also der der jetzt äh also ’n Kumpel von mir wär, dann wär das was anderes; dann würd man vielleicht auch mal länger in der Schule zusammen ein Projekt planen oder was, was jetzt nicht nur forciert von der Schulleitung kommt. (2) glaub ich schon dass ein Unterschied machen würd. so ist’s einfach, ich hab jetzt nicht des Bedürfnis mit meinen Parallellehr- lehrerinnen äh zusammen zu sitzen und und was zu planen oder so.“ (499-505)
Deutlich wird an dieser Stelle zum einen noch einmal der Wunsch nach einen „Kumpel“. Durch die angenommene private Nähe zu einem männlichen Kollegen erschließt sich für Sören auch ein professioneller Zugang: Sören sieht die Chance, kooperativ Projekte zu initiieren. Mit seinen „Parallelklasslehrerinnen“, mit denen er kooperieren könnte, tut er dies auf Grund deren Geschlechtszugehörigkeit nicht. Tatsächlich geht es Sören um ein privates Bedürfnis nach sozialem Kontakt, der sich in der Folge und nur als Nebeneffekt auch in der professionellen Arbeit niederschlagen würde. Obwohl Sören selbst sagt, dass Kooperation im Kollegium stattfindet und dies auch von der Rektorin durch schulorganisatorische Maßnahmen forciert wird, zeigt Sören in seiner jetzigen Situation nur wenig Kooperationsbereitschaft: „Wobei ähm (.) der der Austausch wie gesagt bei mir jetzt im Rahmen ist.“ (513f.)
Die Abgrenzungsbemühungen von Sören gehen über den Berufsalltag hinaus; er schafft sich in seiner Freizeit frauenfreie Räume: „Also ich selbst zum Beispiel genieß es wenn ich am Wochenende was mit Kumpels mach wo ich sag ich bin auch mal froh wenn nicht nur Frauen drum rum sind, früher ist das einem gar nicht so aufgefallen, während dem Studium beispielsweise wenn man fort gegangen ist war’s meist eine gemischte Gruppe, heut ist’s so dass ich auch ganz gern mal was nur mit Männern mach.“ (256-260)
Die von Sören aufgezeigte Entwicklung zeigt, dass die Geschlechtsthematik eine besondere Rolle für sein Selbstverständnis spielt. Eine Sensibilisierung findet erst mit der Tätigkeit in einem Berufsfeld statt, das zumindest quantitativ von Frauen
1.4 Fallanalyse Sören: „Ich möchte nicht so eine typische Grundschultante sein.“
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dominiert wird. Während er sich im Schulalltag zwar von seinen Kolleginnen abzugrenzen versucht, so kann er sich diesen doch nicht gänzlich entziehen. Als Ausgleich hierfür schafft er sich in seiner Freizeit „Männerabende“ (261), die er dann umso mehr genießt. Die Verwendung des ausdrucksstarken Verbs „genieß“ ist dabei im Umkehrschluss bezeichnend für das Unbehagen, während der Arbeit nur von Frauen umgeben zu sein. Obwohl sich Sören insgesamt innerhalb des Kollegiums nicht isoliert fühlt (vgl. 274), antwortet er auf die Frage, ob der Titel der vorliegenden Studie auf seine Situation zutreffe: „Ja. ich find den Titel sehr treffend.“ (256), worauf sich dann die zuvor dargestellte Sequenz anschließt. Zusammenfassende Interpretation Sörens Narrationen erscheinen im Vergleich zu den anderen Interviewpartnern wenig systematisch. Der Interviewpartner berichtet bereitwillig von seinen Erfahrungen und liefert Beispiele, die seine Argumentationen stützen. Seine Erzählungen folgen dabei nur wenig den durch den Interviewer vorgegebenen Impulsen. Auf Grund des Erzählstils des Probanden konnte daher bei der Darstellung der Interpretation, anders als bei den anderen Interviewpartnern, der sequentielle Verlauf des Interviews nur ansatzweise abgebildet werden. Das stattdessen gewählte Vorgehen, einzelne Aussagen thematisch zusammenzuführen, ist dem Material selbst geschuldet. Gerade der in Bezug auf eine Chronologie der Themen vergleichsweise konfuse Interviewverlauf zeigt aber deutlich, dass vor allem zwei in unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wiederkehrende Themen seinen beruflichen Habitus bestimmen: die Inkompetenz der Schulleiterin sowie der Wunsch nach einem männlichen Kollegen. Zusammenfassend kann Sörens Orientierungsmuster wie folgt charakterisiert werden: Sörens berufsbezogener Habitus ist geprägt vom Konflikt mit seiner Schulleiterin, die er nicht zuletzt auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit nicht als Vorgesetzte akzeptiert. Im Kampf gegen seine Rektorin legt Sören eine Art ‚Ritterlichkeit‘ an den Tag, in dem er stellvertretend für seine Kolleginnen Dispute ausficht und für die in seinen Augen richtigen pädagogischen und verwaltungstechnischen Entscheidungen eintritt. Er sucht die offene Konfrontation und erhebt einen Machtanspruch, da er sich nicht zuletzt qua Geschlechtszugehörigkeit für den besseren Schulleiter hält. Wo er seinen Machtanspruch nicht durchsetzen kann, sabotiert er die Anweisungen der Rektorin. Seine Interaktionen im kollegialen Umfeld gründen auf einem ritualisierten Rollenverständnis, mit dem er seine Maskulinität in einem weiblich dominierten Berufsfeld unter Beweis stellen muss. Dies führt dazu, dass er sich in einer von ihm konstruierten Dichotomie gegen Emotionalität und Beziehungsdidaktik wendet,
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C Empirische Ergebnisse
stattdessen Rationalität und die Umsetzung von Verwaltungsvorschriften als eigenes Orientierungsmuster aktiviert. Es findet eine Sphärentrennung der Geschlechter statt, bei der die von ihm als männlich konnotierten Eigenschaften einen direkten Einfluss auf seine Handlungspraxis erlangen. Er versucht sich leistungsorientiert zu geben, Wettbewerbe durchzusetzen und seinen Unterricht möglichst effektiv und ohne die in seinen Augen überflüssigen gestalterischen, pädagogischen oder gar psychologischen Überlegungen zu planen. Mit diesem Männlichkeit symbolisierenden Habitus nimmt Sören eine Sonderstellung ein, die es zu verteidigen gilt. Gleichzeitig wird eine Kooperation mit den Kolleginnen weitgehend unmöglich. Insgesamt ist Sörens Selbstbild davon geprägt, sein eigenes Konstrukt von Männlichkeit unter Beweis stellen zu müssen. Hierzu grenzt er sich klar gegen seine weiblichen Kolleginnen ab und beschreibt Differenzen in der Arbeitsweise und in den beruflichen Orientierungen. Sören beschränkt sich nicht auf das Aufzeigen von Unterschieden, sondern bedient sich eines defizittheoretischen Einstellungskatalogs, indem er die Arbeitsweisen seiner Kolleginnen als unprofessionell abqualifiziert. Obwohl er sich auf informeller Basis mit seinen Kolleginnen durchaus versteht und von diesen nicht ausgeschlossen wird, lehnt er sowohl private Kontakte zu ihnen als auch berufliche Kooperationsformen ab. Sörens sehnlichster Wunsch ist es, einen männlichen Kollegen zu haben, mit dem er sich auch kameradschaftlich versteht. Von ihm erhofft er sich Unterstützung im Kampf gegen die Rektorin und eine Kooperation, die er mit weiblichen Kolleginnen als nicht effizient betrachtet. Da er seinen hegemonialen Anspruch allein zwar erstaunlich effektiv, jedoch nur unter großen Kraftanstrengungen durchsetzen kann, sucht er in einem männlichen Kollegen eine Komplizenschaft, die ihm die Teilhabe an patriarchaler Dividende sichert. Männlichkeitsrituale wie gemeinsames Biertrinken dienen dazu, das Bündnis zu besiegeln. Mit einem solchen Bündnis könnte Sören auch dem öffentlichen Bild seines Berufstandes etwas entgegensetzen. Unzufrieden zeigt er sich damit, dass das Bild des Grundschullehrers in dem der Grundschullehrerin aufgeht. Er besteht auf die Unterschiede, die sich zwischen seinem Arbeitsverständnis und der Handlungspraxis seiner Kolleginnen zeigen. Von diesen distanziert er sich vehement, bedeutet die Adaption deren Arbeitsweisen doch der Verlust der eigenen Männlichkeit. Hinter dem zunehmenden Vordringen von Frauen in Schulleitungspositionen vermutet Sören Seilschaften, die eigenen Karriereorientierungen im Wege stehen. Die Arbeit mit den Kindern spielt bei all dem eine untergeordnete Rolle. Er zeigt sich lediglich zufrieden damit, an einer reinen Grundschule im ländlichen Raum zu arbeiten, da er hier auf weniger Disziplinschwierigkeiten stößt als dies an einer Hauptschule oder an einer Stadtschule mit einem höheren Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund der Fall wäre. Da Sören Erziehungsarbeit weiblich
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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konnotiert, nimmt er ein distanziertes Verhältnis zu seinem Beruf und den Kindern ein; diese empfindet er als nervig. Auf seine unterrichtliche Handlungspraxis kommt Sören so gut wie nicht zu sprechen. Insgesamt ist Sörens berufsbezogenes Befinden durch die Anstrengungen einer permanenten Abgrenzung als höchst unbefriedigenden einzustufen. ‚Allein unter Frauen‘ bedeutet für Sören ein Zustand zwischen Exponiertheit und Einsamkeit, der mit der Inszenierung der eigenen Männlichkeit einhergeht.
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“ Zur Person und zur Schule Der Interviewpartner Konrad ist zum Zeitpunkt des Interviews 32 Jahre alt. Im direkten Anschluss an sein Abitur an einem allgemeinbildenden Gymnasium nahm er sein Studium an der Pädagogischen Hochschule mit dem Stufenschwerpunkt Grundschule auf. Als Fächerkombination wählte er Deutsch sowie Heimat- und Sachunterricht mit dem Schwerpunkt Biologie. Unmittelbar nach dem Ersten Staatsexamen absolvierte er den Vorbereitungsdienst. Im Anschluss daran erhielt er direkt eine Stelle und ist seit inzwischen sechs Jahren an der gleichen Schule tätig. Nebenberuflich arbeitet er bei einem Schulbuchverlag an der Konzeption von Lehrwerken für den Deutschunterricht an Grundschulen. Momentan arbeitet Konrad mit einem vollen Deputat, hat aber für das kommende Schuljahr einen Antrag auf Reduzierung gestellt, um sich seiner Aussage zufolge verstärkt der Arbeit im Verlag zu widmen. Konrad ist – zum ersten Mal seit Aufnahme seiner Berufstätigkeit – nicht Klassenlehrer, sondern wird als Fachlehrer vor allem in zwei jahrgangsübergreifenden Klassen eingesetzt. Er unterrichtet alle Fächer, einschließlich Religion, obwohl er hierfür keine Missio besitzt. Die Schule, an der er arbeitet, ist eine reine Grundschule im ländlichen Raum, die zweizügig geführt wird. Im Rahmen des Reformprojekts „Schulanfang auf neuen Wegen“ bestehen an der Schule jahrgangsübergreifende Klassen: Jeweils die 1. und 2. Klassen sind zusammengelegt, ebenso die 3. und 4. Klassen. Das Kollegium umfasst insgesamt zehn Lehrkräfte. Sowohl der Konrektor als auch der Rektor sind männlich, alle anderen Lehrenden – bis auf Konrad – weiblich. Die Altersstruktur des Kollegiums ist bei einer Altersspanne von Ende 20 bis Anfang 60 gemischt, wobei die Mehrzahl der Kolleginnen zur jüngeren Generation zählt.
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C Empirische Ergebnisse
Postskriptum Kontaktaufnahme Die Kontaktaufnahme mit Konrad geschah über einen Freund, der selbst Lehrer ist und den Interviewpartner aus Studienzeiten kennt. Nachdem dieser grundsätzliche Bereitschaft zu einem Interview signalisiert hatte, wurde telefonisch ein Termin vereinbart, der an einem Schulnachmittag auf Wunsch des Interviewpartners im Büro des Interviewers an der Pädagogischen Hochschule stattfand.
Setting und Verlauf Interviewer und Interviewter saßen sich an einem großen Schreibtisch schräg gegenüber. Auf Grund des Kontaktes über einen gemeinsamen Freund war die Atmosphäre von Anfang an entspannt, das ‚Du‘ selbstverständlich. Konrad agierte sehr selbstbewusst und zeichnete sich schon im Telefongespräch im Vorfeld des Interviews durch ein hohes Mitteilungsbedürfnis aus. Zunächst fand ein kurzer Austausch über den gemeinsamen Freund statt. Es folgten einige Fragen seitens des Interviewpartners nach der Position des Interviewers an der Hochschule sowie nach dem Promotionsvorhaben, wobei dieses nur sehr grob skizziert wurde. Im Anschluss daran fand das Interview statt, das sich durch eine ausgesprochene Selbstläufigkeit auszeichnete. Auf weitgehend alle Fragestellungen, die im Leitfaden vorgesehen waren, kam Konrad von sich aus zu sprechen. Nach dem Interview wurden die Daten aus dem Kurzfragebogen erhoben. Das Interview dauerte insgesamt 65 Minuten, die Erhebung der Daten anhand des Kurzfragebogens weitere sieben Minuten. Da Konrad hier noch einmal einige Aspekte aufgriff und vertiefte, wurde die Datenerhebung ebenfalls transkribiert. Nach dem Interview Nach dem Interview bekundete Konrad noch einmal sein starkes Interesse an der Position des Interviewers an der Hochschule. Besonders interessiert zeigte er sich an den Möglichkeiten einer Abordnung für Lehrer an die Hochschule. Deutlich artikulierte er seine nachwirkende Unzufriedenheit mit seinem eigenen Studium an der Pädagogischen Hochschule und die Einschätzung, mit seinen Kompetenzen hier für Abhilfe sorgen zu können. Inhaltlich lokalisierte er seine Fähigkeiten im Bereich des Erstlese- und Erstschreibeunterrichts. Auffallend waren während dieser Phase das hohe Selbstbewusstsein des Interviewpartners, sein weiterhin großes Mittelungsbedürfnis sowie die noch einmal deutlich hervortretende Unzufriedenheit mit seiner momentanen beruflichen Situation. Das Gespräch nach dem Interview dauerte noch einmal gut 40 Minuten.
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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ReÀektierende Interpretation Berufswahlmotivation: „Das hat sich einfach irgendwie so ergeben.“ Konrad antwortet relativ knapp auf die das Interview einleitende Frage, wie er zu seinem Berufswunsch gekommen sei: „Ähm, (2) also Lehrer zu werden (.) war mir irgendwie relativ früh klar;“ (4)
Warum er Lehrer werden wollte, muss von Konrad nicht weiter erläutert werden; dies scheint ein Berufsziel zu sein, das keiner weiteren Erklärung bedarf. Wohl aber der Wunsch, Grundschullehrer zu werden: „Und Grund- und Hauptschullehrer war (.) nicht so richtig beabsichtigt, das hat sich einfach irgendwie so ergeben; also, ich hab dann bei der Anmeldung an der PH dann gedacht jetzt mach ich erstmal Grund- und Hauptschullehrer, dass ich auch die Vielfalt vielleicht hab, (2)“ (5-8)
Er gibt zunächst den Anschein, dass er selbst nicht aktiv in die Entscheidung eingebunden ist: „das hat sich einfach irgendwie so ergeben;“ Das „erstmal“ lässt darauf schließen, dass Konrad eventuell noch weitergehende Pläne hat: Ein weiteres Studium könnte sich anschließen, oder aber der eigene Berufswunsch kann sich nach Aufnahme des Studiums noch präzisieren und zu einem Studiengangwechsel führen. Erst im letzten Teil der Passage nennt Konrad mit der Heterogenität der Schülerschaft einen gewichtigen Grund, der für eine aktive Entscheidung spricht; dies freilich in Bezug auf das Lehramt an Grundschulen, weniger für das an Hauptschulen. Obwohl Konrad vom Lehramt an Grund- und Hauptschulen spricht, meint er mit seiner Wahl die Grundschule. „Umgang mit Kindern war eigentlich auch oder grad im Grundschulalter eigentlich ähm (.) ähm hat ich ’n recht guten Umgang immer; und ähm hatte da auch nie Probleme irgendwie mit denen oder irgendwelche Schamgrenzen wo ich denk; ach nee! äh das könnte doch nicht passen also es war mir schon klar, dass das recht gut laufen könnte,“ (8-12)
Unklar bleibt, wo Konrad seine Erfahrungen mit Kindern im Grundschulalter gesammelt hat. Der zweimalige Gebrauch der Abtönungspartikel „eigentlich“ in seinen Ausführungen ist dabei weniger als Einschränkung zu deuten, vielmehr als Ausdruck der Reflexionsleistung, die Konrad scheinbar erbringen muss, um Gründe für seine Berufswahl ins Feld zu führen. Interessant ist dann vor allem, dass Konrad von – bei ihm nicht vorhandenen – „Schamgrenzen“ spricht, die den Umgang mit Kindern im Grundschulalter beeinflussen könnten. Er erklärt auch diesen Sachverhalt nicht näher. Die Bedeutung erschließt sich erst im weiteren Kontext des Interviewverlaufs: es deutet sich an, dass Konrad durchaus davon ausgeht, dass der Beruf des Grundschullehrers, also die Beschäftigung mit kleineren Kindern, weiblich konnotiert ist. Als Mann ist es daher legitim, sich zu ‚schämen‘, wenn man
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C Empirische Ergebnisse
eine solche Tätigkeit ausführt, noch dazu gern. Konrad nimmt gleichzeitig vorweg, dass er seinen Beruf gut ausfüllt: Ihm ist schon in der Phase der Berufswahl „klar“, dass das so sein wird. Auf die Zwischenfrage, warum es seiner Meinung nach so wenig männliche Grundschullehrer gibt, antwortet Konrad: „Ja:::, mehrer Gründe. also ich denk es gibt einfach viele die nicht nah am Kind sind, oder nicht nah am Kind sein wollen, weil sie denken dass die Männlichkeit darunter leidet,“ (613f.)
Bei Konrad ist dies anders: Er denkt nicht, dass er in seinem Mannsein angegriffen wird, gleichzeitig handelt es sich hier um eine prekäre Sicherheit, denn sonst wäre Konrad nicht darauf zu sprechen gekommen, noch dazu im Zusammenhang mit dem vorher gebrauchten Ausdruck „Schamgrenze“. Die Argumentationslinie von einem feststehenden Zustand („nicht nah am Kind sind“) zu einem aktiven Streben nach Distanz („nicht nah am Kind sein wollen“) impliziert, dass Männer hier einen absichtsvollen Abgrenzungsakt vollbringen. Die üblichen Männlichkeitskonstruktionen werden als Hindernis eruiert, das Männer vom Grundschullehramt fernhält. Obwohl es Konrad insgesamt gelingt, ein paar wenige Gründe für seine Berufswahl zu nennen, kann insgesamt von einer tatsächlichen ‚Motivation‘ im engeren Sinne nicht gesprochen werden. Hierfür kommen die angeführten Gründe zu zögerlich, werden sie ohne Enthusiasmus vorgetragen, weder mit konkreten Beispielen noch mit präzisierten Erfahrungen belegt. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die Frage nach seiner Berufswahlmotivation nicht zu Konrads Themen gehört, denn Konrad ist – im Gegensatz zur Eingangspassage – bei anderen Themengebieten kaum mehr in seiner Narration zu stoppen. Studium an der Pädagogischen Hochschule: „Dann hatte ich ganz schnell ein klares Niveauproblem.“ Konrad nimmt sein Studium an der Pädagogischen Hochschule auf: Für das Fach Deutsch existiert ein Numerus Clausus, doch er erhält sofort einen Studienplatz. Das zweite Fach ist „Sachunterricht Schwerpunkt naturwissenschaftlich also im Endeffekt Biologie;“ (14f.)
Die Betonung, dass für das Fach Deutsch ein Numerus Clausus besteht, sowie die Aufwertung des Faches Sachunterricht zu Biologie greift in dieser kurzen Sequenz schon die Kernaussage der Passage vorweg: „Dann hatte ich ganz schnell ’n klares Niveauproblem.“ (25)
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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Zunächst bemängelt Konrad aber die Studienorganisation und berichtet von überfüllen Hörsälen. Auch fühlt er sich nicht richtig auf den Beruf vorbereitet und lässt das Argument nicht gelten, dass die praxisbezogenen Anteile der Ausbildung Aufgabe der 2. Phase im Vorbereitungsdienst sind: „Wo ich mir auch schon gedacht hab dass ich mal gezielt auch vielleicht hier mal vorsprechen werde weil ich gute Ideen hätt was man eigentlich hier machen könnte ähm was man später als Handwerkszeug wirklich braucht.“ (29-31)
Konrad möchte sich nicht als Nörgler verstanden wissen, vielmehr denkt er darüber nach, als Experte beratend in die inhaltliche Studiengestaltung einzugreifen. Er markiert Kompetenz auf zwei Ebenen: Zum einen weiß er, worauf es im Studium ankommt, zum anderen ist er ein Lehrer, der sein ‚Handwerk‘ versteht und professionell handelt. Dies verleiht ihm in seinen Augen die Legitimation, wenn schon nicht selbst an der Hochschule tätig zu sein, so doch als Berater zu fungieren. Zwar hat er seine Idee vorzusprechen bislang so nicht umgesetzt; sein Ansinnen, das er auch Jahre nach dem Abschluss des Studiums hegt, weist allerdings darauf hin, dass er anscheinend tatsächlich stark unter der Diskrepanz zwischen dem theoriegeleiteten PH-Studium und den ihm inzwischen vertrauten Anforderungen in der täglichen Praxis gelitten hat. Dieses Leiden benennt Konrad auch explizit als solches: „Und da hab ich also richtig darunter gelitten ich fand das grausig hier (.)“ (48f.)
Konrads Leiden bestätigt sich in der Wortwahl, wenn er berichtet, er sei in Deutsch und Biologie „mit Theorie zugebombt“ (33) worden. Von der Vorbereitung auf das Biologieexamen spricht Konrad dann auch von der „schlimmsten Zeit“ (41). Dieses Klagen steht allerdings im Widerspruch zur vorher gemachten Aussage, ein „Niveauproblem“ (s.o.) an der Hochschule gehabt zu haben. Wenn er zuvor von „Niveauproblem“ spricht, dann beklagt er hier nicht etwa eine Über-, vielmehr eine Unterforderung. Die hier zutage tretende Ambivalenz löst der Interviewpartner nicht auf. Konrad meint, die Ursache für die theoretisch überzogenen und unterrepräsentierten praxisorientierten Anforderungen aufgespürt zu haben: „Und dann auch sehr viele aus meinen Augen inkompetente Personen auch, also die äh wo du den Eindruck hast die die waren in der Schule auch richtig gemobbt @also@“ (51-53)
Konrad identifiziert Inkompetenz bei den Lehrpersonen an der Hochschule. Zunächst beschreibt er diese Feststellung als seine persönliche Meinung. Durch den Wechsel in die 2. Person Singular beansprucht er aber die generelle Gültigkeit seiner Sichtweise: Die an der Hochschule Lehrenden sind von den Schülerinnen und Schülern bzw. von den Kolleginnen und Kollegen aus den Schulen quasi
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C Empirische Ergebnisse
vertrieben worden.9 Konrad erkennt im vermeintlichen Scheitern jener den Grund dafür, warum das Studium an den Erfordernissen der späteren Tätigkeit vorbei geht. Das Lachen am Ende der Passage deutet darauf hin, dass Konrad den von ihm konstruierten Zusammenhang selbst als überspitzt formuliert empfindet. In der Kernaussage besteht er allerdings auf seine Einschätzung. Durch die Abqualifizierung des Studiums und der dort Lehrenden bei gleichzeitiger Betonung der eigenen Erfahrung in Bezug auf das, was in der Praxis wichtig ist, markiert Konrad eine überlegene Position, die Kompetenz ausstrahlt. Im Referendariat: „Ich fand diese Hauptschulzeit ganz schrecklich.“ Der Interviewpartner kommt, noch immer bei der Fragestellung nach seiner Berufswahlmotivation, auf seine Erfahrungen während des Referendariats zu sprechen: „Ja und dann hab ich [ ] das Examen gemacht, (.) das lief dann auch alles recht gut, (.) und hab dann:: äh gleich im Anschluss Referendariat in Sommerstadt angefangen, und war dort an ’ner Grund- und Hauptschule und hab im Ref ja beides abdecken müssen, (.) und die Grundschulerfahrung da:: hatt’ ich eigentlich Glück, weil ich dann auf meine damalige Mentorin getroffen bin und das ist meine jetzige Kollegin beim Verlag also mit der hab ich dann auch später Schulbücher gemacht und die ist einfach ein alter Hase dem das noch Spaß macht, und von der hab ich dann einfach das Handwerk gelernt;“ (53-61)
Konrad spricht von „Glück“, eine gute Mentorin bekommen zu haben. Weder im Studium noch in der Seminarausbildung während des Referendariats kann er tatsächlich etwas für die Unterrichtspraxis lernen, sondern ausschließlich von seiner Mentorin, die nach vielen Jahren im Schuldienst noch immer mit „Spaß“ dabei ist. Der Begriff „Handwerk“ zeugt von Konrads Auffassung, dass der Unterrichtserfolg vor allem an ein methodisches Repertoire gekoppelt ist, das man erlernen kann. Gleichzeitig weist die Verwendung des Begriffs auf ein technokratisches Verständnis seines Berufs hin: Nicht etwa ein pädagogisches Ethos steht im Vordergrund einer erfolgreichen Berufsausübung, sondern ein Handlungsrepertoire, das durch Erfahrung erworben und weitergegeben werden kann. Quasi nebenbei lässt Konrad an dieser Stelle einfließen, dass er inzwischen keiner Mentorin mehr bedarf: Er hat sein „Handwerk gelernt“ und unterrichtet daher eigenständig und erfolgreich. Auch führt er seine Nebentätigkeit in einem Schulbuchverlag ein, ohne an dieser Stelle genauer darauf einzugehen. Einen weiteren Schauplatz, durch den seine Qualifikation deutlich wird, eröffnet er damit aber schon einmal. 9 Diese Einschätzung ist dem Umstand geschuldet, dass Lehrende an den Pädagogischen Hochschulen Baden-Württembergs in der Regel mindestens drei Jahre im Schuldienst gewesen sein müssen, um eine Stelle an der Hochschule zu erhalten.
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Zunächst betont Konrad noch einmal, wie unabdingbar gute Mentorinnen bzw. Mentoren für die eigene Unterrichtskompetenz sind: „Also ich hatt’ einfach Glück mit der Mentorin, wobei ich viele gesehen habe die da auch wirklich Pech hatten und dieses Handwerkszeug äh dann auch einfach nicht gelernt haben;“ (65f.)
Für seine Tätigkeit im Hauptschulbereich setzt er allerdings einen anderen Schwerpunkt: „U:nd Hauptschule hatte ich auch ’ne gute Mentorin aber ich fand diese Hauptschulzeit ganz schrecklich; also das war ’ne richtige (.) problematische äh Hauptschule weil des Einzugsgebiet die Sommerstadt Niedermatten sind und das ist also richtig- richtiges @kriminelles@ Milieu und das war also das volle Programm mit Drogen und Waffen und also so wie man sich’s vorstellen kann, (.) oder wie man’s als oft hört und kaum glauben kann aber (.) es war schon heftig.“ (68-73)
Obwohl er auch hier eine Mentorin hatte, die er für fähig hält, findet er keinen Zugang zu dieser Schulform. Die Hauptschule, an der er unterrichtet, ist eine Brennpunktschule; er umschreibt den Stadtteil zwar lachend als „@kriminelles@ Milieu“, doch setzt er der Vermutung, dass dies übertrieben sein könne, sogleich im Sinne einer Explikation hinzu, dass es sich um das „volle Programm mit Drogen und Waffen“ gehandelt habe. Die Hauptschule entspricht den gängigen Klischees. Durch die Konfrontation mit der Realität wird Konrad klar, dass er nur in der Grundschule unterrichten möchte. Einschränkend meint er zur Arbeit an Grundschulen: „Da war mir im Nachhinein (.) äh eigentlich recht schnell klar dass ich Hauptschule, obwohl mir die Altersklasse eher zusagt, und äh ich auch nicht so das Gefühl hatte ich müsste mich so sehr verstellen in Anführungsstrichen wie in der Grundschule, also zum Beispiel mit verstellen mein ich (.) Sprache anpassen oder (.) ähm (.) ’s Niveau runterfahren in gewissen Sachen auch in Dialogen, weil ich bin eigentlich jemand der grundsätzlich sehr ironisch is’ und da Spaß dran hat und die Kinder haben einfach diese Entwicklung des Humors noch nicht durchgemacht also irgendwie kannst du da nicht machen das kannste ja bei Hauptschülern so siebte achte Klasse kannste das machen,“ (73-81)
Konrad begründet seine Einschätzung, für die Tätigkeit an Hauptschulen eher geeignet zu sein als für eine an der Grundschule, mit dem Argument, er sei ein sehr ironischer Mensch und müsse an Grundschulen sein sprachliches Niveau absenken. Er spricht von „verstellen“ und macht damit deutlich, dass er neben dem Niveau- auch ein Authentizitätsproblem bei der Arbeit mit Grundschülerinnen und Grundschülern hat. Beklagte er weiter oben noch das Niveau der Ausbildung, so ist es nun die kognitive Entwicklungsstufe der Kinder, die ihn daran hindert, seine Persönlichkeit und seine intellektuellen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Nicht die Kinder bzw. die Jugendlichen selbst stehen bei der Festlegung für eine Altersstufe im Zentrum seines Interesses, sondern die Passung der Schülerinnen und Schüler zu
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C Empirische Ergebnisse
seiner Person. Dennoch schrecken ihn die Erfahrungen an der Hauptschule derart, dass er die Einschränkung seiner Persönlichkeit in Kauf nimmt: „Ähm trotz des Wissens, dass des eigentlich für meine Person und Entwicklung gesünder wär, da i- und in mir stimmig zu bleiben, war mir klar, dass ich Hauptschule nicht mehr machen will, (.) weil das hätte mich verheizt; also ich hätte da drunter gelitten, dass ich auch viele Sachen angefangen hätte (.) und oder hab ich auch im Ref wo:: ich mir im Nachhinein überlegt hab was hat das jetzt gebracht also das blieb für meine Auffassung zu wenig kleben. (.) also d- ich hab da hohe Ansprüche, und hab von vielen dann auch immer wieder gehört die auch hohe Ansprüche anfangs hatten, die musst du runterschrauben die musst du runterschrauben, und ich hatte aber in vielen Bereichen kein Interesse die runter zuschrauben; also ich wollt mich da nicht verkaufen, und da hast du dann irgendwann ein Problem mit. (.) äh und das Problem ist dann, dass du irgendwann selber am meisten drunter leidest; und da muss man halt aufpassen genau, wenn man das überleben will; sozusagen; (( lautes Einatmen))“ (81-92)
Noch einmal kommt Konrad auf das Authentizitätsproblem zu sprechen, macht deutlich, dass dies nicht nur ein diffuses Gefühl ist, sondern spricht von „Wissen“. Auch gebraucht er das Adjektiv „gesünder“ und impliziert damit, dass ein Zugeständnis und der Verzicht auf Authentizität negative gesundheitliche Folgen haben. Das Dilemma, in dem sich Konrad befindet, wird im weiteren Diskurs deutlich: Die Alternative, sich für den Hauptschulbereich zu entscheiden, scheidet aus, weil ihn das „verheizt“ hätte. Konrad beansprucht durch die Verstärkung der Lautstärke eindringlich, hohe Anforderungen an den Wirkungsgrad seines Unterrichts zu stellen. Er beruft sich zunächst auf eigene Erfahrungen im Referendariat und stellt fest, dass viel von dem, das er vermitteln wollte, von den Schülerinnen nicht antizipiert wurde. Seine eigenen Erfahrungen untermauert er mit den Aussagen von „vielen“ anderen, die seine Einschätzung bestätigen. Die Betonung, dass es sich nicht um vereinzelte Meinungen handelt, soll jeden Zweifel an seiner Behauptung zerstreuen. Dabei kommt das Senken der Ansprüche für Konrad einem Ausverkauf seines Selbsts gleich. Authentizität geht verloren, man leidet darunter. Dieses Leiden erfährt eine Steigerung, die darin endet, dass Konrad von „überleben“ spricht. Der Gebrauch dieses inhaltlich starken Verbs scheint die logische Konsequenz aus seinen Einschätzungen zu markieren: Wenn er seine Ansprüche zu weit herunterschraubt, er seine eigene Person verleugnen muss, so beeinträchtigt dies nicht nur die psychosoziale Gesundheit. In letzter Konsequenz führt eine solche Verhaltensweise zur Auslöschung der eigenen Persönlichkeit, oder aber zu einem ‚Tod‘ im Feld Schule, der sich in Dienstunfähigkeit äußert. Welche Assoziation Konrad mit der Verwendung des Begriffs „überleben“ genau verbindet, bleibt dabei unerheblich: Sichtbar wird ein tief greifender Konflikt, der nicht ohne Auswirkungen auf den beruflichen Habitus des Interviewpartners bleiben kann. Er befindet sich in einem virulenten Dilemma; die Entscheidung für den Grundschulbereich erscheint ihm letztendlich aber als die Wahl des kleineren Übels.
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Start ins Berufsleben: „Es war eine ganz, ganz stressige Zeit.“ Nach dem Vorbereitungsdienst erhält Konrad ein Einstellungsangebot an einer reinen Grundschule unter der Voraussetzung, dass er dort eine jahrgangsgemischte Lerngruppe (Klasse 1/2) übernimmt. Er steigt mit einem reduzierten Deputat in den Schuldienst ein, um den auf ihn zukommenden Anforderungen genügen zu können. Außerdem arbeitet er nebenberuflich im schon oben erwähnten Schulbuchverlag, was seinen Angaben zufolge einiges an zeitlichen Kapazitäten bindet. Der Berufseinstieg gestaltet sich für Konrad anstrengend: „Deswegen fing ich mit einundzwanzig Stunden an, (.) u::nd das war auch trotz der Reduzierung auf einundzwanzig Stunden (.) relativ hart. weil (.) ich hatte gleich zu Anfang an ’ne (.) Lerngruppe, also Klasse 1/2, und man hat äh ja eigentlich (.) äh schon den Horror davor nach dem Ref dass man gleich ’ne erste Klasse kriegt, und dann hast du aber da ’ne erste und ’ne zweite Klasse, und dann hat die Schule einfach ’s Problem also ich seh das mittlerweile ganz skeptisch mit den Jahrgangsklassen nehm ich vielleicht ’n bisschen was vorweg und vor allem so wie’s bei uns an der Schule abläuft also es wurde halt (.) es ist so’n bisschen ’ne Larifari- und lockere achtundsechziger Schulleitung sag ich mal, die sagt ah das Kind hat doch Lust an der Schule dann lassen wir’s doch machen, (.) und deswegen wurde auch nie so ein richtiges Konzept erarbeitet wie jetzt du die Klassen äh tagsüber versorgst, also auch Freiarbeitsmaterial und so das (.) also es ist einem ja schon klar dass man die auch mit Werkstätten und so dann mh (.) konfrontieren muss; aber es äh wurde nie so richtig äh im Team (.) Material erarbeitet oder so das hast du dann für dich selber machen müssen was ja im Prinzip auch kein Problem ist aber wenn du das alles im ersten Jahr machen musst (.) gehst du ziemlich am Stock.“ (122-136)
Als Gründe für den anstrengenden Berufseinstieg benennt Konrad zum einen die Übernahme der jahrgangsgemischten Eingangsklasse. Er bemängelt die Führungsschwäche und die Laisser-faire-Haltung der Schulleitung, die er abwertend als „Larifari- und lockere 68’er-Schulleitung“ bezeichnet. Deutlich äußert Konrad den Wunsch nach einem klaren Konzept, in das er sich hätte einfügen können. Konrad möchte nicht als arbeitsscheu erscheinen: Eigentlich sei es kein Problem, Freiarbeitsmaterialien selbst zu erstellen. Dennoch wünscht er sich, dass die Unterrichtsmaterialien für die bei dieser Klassenzusammensetzung notwendigen offenen Unterrichtsformen in einem Team erstellt werden, um ihn, gerade als Berufsanfänger, zu entlasten. Es geht Konrad dabei nicht um eine kollegiale Unterstützung oder eine methodische bzw. inhaltliche Hilfestellung für den Berufseinstieg, sondern vor allem um das Einsparen von Vorbereitungszeit. Dies wird in den Ausführungen zur Kooperation an seiner Schule deutlich, auf die im Anschluss noch näher eingegangen wird. Konrads Erfahrungen führen dazu, dass er dem Modell der jahrgangsübergreifenden Klassen inzwischen ablehnend gegenüber steht. Einschränkend fügt er hinzu, dass dies „vor allem“ mit der Organisation des Modells an der eigenen Schule zusammen hängt. In der Kritik dokumentiert sich nebenbei Konrads tiefe Unzufriedenheit an seiner Schule.
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C Empirische Ergebnisse
Insgesamt und zusammenfassend bezeichnet Konrad den Start in sein Berufsleben als eine „ganz ganz stressige Zeit“ (163), und berichtet im Anschluss, wie er mit der Zeit Strategien entwickelt hat, mit den vielfältigen Anforderungen und Belastungen umzugehen: „Und dann lernst du natürlich in dieser Zeit auch ganz schnell zu schwimmen. also (.) man entwikkelt dann Mechanismen wie man schneller arbeitet, wie man äh man entwickelt Mechanismen was ist wichtig was ist unwichtig, ähm man:: (.) versucht sich in vielen Bereichen zu entspannen, (.) dass man einfach sagt ähm das muss jetzt nicht so perfekt sein, weil (.) ich da (.) die Elterngespräche noch nächste Woche hab oder so, also da auch wirklich dazu stehen dass man sagt okay, diese Woche machen wir einfach mal Schmalspur; weil in der Zeit kannst du dann die Elternprotokolle (.) vor- äh schreiben ja, und sitzt dann nicht total gerädert bei den Elterngesprächen also so Sachen des muss man einfach lernen, und das muss auch jeder in dem Beruf einfach lernen.“ (163-171)
Durch die verwendete unpersönliche ‚man‘-Form erklärt Konrad die Notwendigkeit, effektiv und zeitsparend zu arbeiten, für allgemeingültig. Der Anspruch, möglichst präzise und in allen Bereichen perfekt zu arbeiten, wird als überzogene Haltung von Berufsanfängern gebrandmarkt: Man müsse das alles entspannter sehen und Prioritäten setzen, das Niveau des Unterrichts auch einmal absenken, um sich anderen Aufgaben widmen zu können. Konrad spricht dabei von „Mechanismen“, die man „entwickelt“: Der Veränderungsprozess in der beruflichen Arbeitsorganisation folgt demnach einem natürlichen Muster, das unumgänglich ist. Deutlich wird an dieser Stelle die Unterscheidung von Unterrichts- und Verwaltungsaufgaben. Diese Aufgabenbereiche behindern sich gegenseitig und sind gleichermaßen zeitintensiv, sodass sie nicht parallel geleistet werden können. So spricht Konrad dann im weiteren Verlauf der Passage auch von einer „Doppelbelastung“ (172), mit der umzugehen er erst lernen musste. Er sieht diese Entwicklungsaufgabe unabhängig von seiner Person oder seiner persönlichen Belastungsgrenze, sondern konstatiert, dass sie von allen Lehrerinnen und Lehrern geleistet werden muss. Der Interviewpartner selbst hat diese Strategie offenbar schnell gelernt, denn er schließt das Thema ‚Berufseinstieg‘ folgendermaßen ab: „Generell glaub ich, ohne da zu eitel zu klingen dass ich da ’nen recht guten Job gemacht hab, und auch immer noch mach.“ (172f.)
Konrad ist sich bewusst, dass eine solche Aussage leicht als arrogant oder selbstgefällig verstanden werden könnte. Daher stellt er seiner Selbsteinschätzung voran, gerade nicht „eitel […] klingen“ zu wollen. Daher auch der Gebrauch des abschwächenden Attributs „recht“. Dennoch muss Konrad nach dem, was er zuvor gesagt hat, betonen, dass seine professionelle Leistung – trotz des Setzens von Prioritäten und der diesem Vorgehen geschuldeten Qualitätsverlusts seines Unterrichts – durchaus gut ist. Der Gebrauch des Substantivs „Job“ impliziert dabei,
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dass es sich bei seiner Tätigkeit um konkrete Aufgaben handelt, die erfüllt werden müssen. Neben dem Rückblick auf seinen Berufseinstieg erfolgt gleichzeitig ein Bekenntnis zur Gegenwart: Er hat die mit seinem Beruf verbundenen Aufgaben damals erfolgreich gemeistert und tut dies auch heute noch. Kooperation im Kollegium: „Wer hat mehr Kopien?“ Von selbst kommt Konrad auf die Kooperation im Kollegium, die durchaus vorhanden ist, zu sprechen: „Und es gab tatsächlich einmal donnerstags dann Teamsitzung oder gibt’s immer noch, und im Endeffekt hatte ich mir von der Teamsitzung versprochen damals, dass du einfach sagst okay, was haben wir für ein Thema, setzen wir uns zusammen besorg mach du mal den Teil, oder besorg du mal den Teil, und nächste Woche machen wir hier einfach einen Mittag und basteln uns das Zeug zusammen, stellen uns das machen’s gleich in doppelter Anfertigung, stellen das im Lehrerzimmer hin und dann haben wir wieder ’ne entspannte Woche wo wir uns wirklich um die Prozesse in der Klasse kümmern können, und das Material, aber vom Material her den Rücken frei haben und mal wirklich uns auf die Kinder konzentrieren können;“ (139-146)
Konrad hat klare, pragmatische Vorstellungen von Teamarbeit: Nach einer Klärung des Bedarfs werden Aufgaben verteilt, die jeder für sich arbeitsteilig bearbeitet und dann im Team zusammengefügt werden. Die Materialien werden daraufhin öffentlich zugänglich gemacht, und jeder kann sich daran bedienen. Als Folge eines solchen Vorgehens kann die tägliche Unterrichtsarbeit „entspannt“ verlaufen, und man hat Zeit, sich um die eigentlich wichtige Aufgabe, die Arbeit mit den Kindern, zu kümmern. Zwei Dinge werden in dieser Sequenz sichtbar: Zum einen ist Konrad bestrebt, Stress zu vermeiden, der durch die hohe Arbeitsbelastung entsteht. Zum anderen ist er aber nicht einfach auf Zeitersparnis im Sinne eines Zugewinns von Freizeit aus, sondern er verfolgt eine Orientierung, die als kindzentriert zu bezeichnen ist. Die Betonungen am Anfang der Sequenz, dass er sich das von Teamarbeit „versprochen“ habe, nimmt vorweg, dass die tatsächliche Umsetzung anders aussieht und seine Erwartungen nicht erfüllt werden. Die Realität schildert Konrad folgendermaßen: „Also (.) hätte man machen können und das hat aber nicht geklappt, die Teamsitzungen die laufen so ab, dass (.) ähm (2) also es ist ’ne zweizügige, nee wart mal jetzt muss ich grad überlegen, nee es gibt vier Lerngruppen also da waren so vier, (.) und dann gibts genau vier Lerngruppen, und du bist aber im Team (.) äh Anführungsstriche @(.)@ in der Lerngruppe drin, also du bist bis zu acht Personen bei den Teamsitzungen, und das war wirklich wir hauen uns die Kopien um die Ohren und wer hat mehr Kopien. und für mich war das dann im ersten Jahr das Problem, ich hab mir zu Hause ja Zeug rausgesucht, hatte da schon Schwierigkeiten mir was Gutes rauszusuchen, und bin mit so’m Berg dann mit so’m richtig hohen Berg heimgelaufen; und hab dann gedacht wozu mach ich das überhaupt. später hab ich dann gelernt dass ich das Zeug in die Tonne drück gleich. also das klingt jetzt ganz makaber, aber das das hat mich gerettet im Prinzip;“ (146-157)
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C Empirische Ergebnisse
Zunächst muss Konrad überlegen, wie viele Personen überhaupt in einem Team zusammenarbeiten. Das „Team“ empfindet er nicht als solches, wie die Betonung und seine von Ironie geprägte Anmerkung „äh Anführungsstriche“ sowie sein Lachen im Anschluss erkennen lassen. Die Zusammenarbeit beschreibt Konrad als Austausch von unzähligen Kopien, bei der nicht die Qualität, sondern die Quantität der Materialien im Vordergrund steht. Mit der Flut der Materialien ist Konrad überfordert: Er muss zunächst einmal herausfinden, welche Materialien überhaupt geeignet, seinem Anspruch an Qualität genügen. Der Sinn dieses Austausches erschließt sich Konrad nicht. Folglich wirft er inzwischen diese Materialien einfach weg, „drückt sie in die Tonne“, wie er sich wortstark ausdrückt, um keinen Zweifel an der Berechtigung seiner Vorgehensweise aufkommen zu lassen. Die Äußerung, dieses Vorgehen habe ihn „gerettet“, deutet darauf hin, dass er sich geradezu bedroht fühlt von der Flut der Materialien, von den Unterrichtsoptionen, die alle erst auf ihre Tauglichkeit hin bewertet werden müssen, von einem Mehr an Arbeit, das diese Form der Kooperation mit sich bringt. Dass sein Vorgehen auf Außenstehende vielleicht überzogen wirken könnte, wird in dem Nebensatz „das klingt jetzt ganz makaber“ angedeutet, doch rechtfertigt seine Not das Vorgehen. Für sich selbst entwickelt Konrad daraufhin eine andere Strategie der Zusammenarbeit: „Dass ich vorher schon wusste, okay ich mach das und das für mich, ich schlag das vor, wenn jemand sich da andockt ist das okay, oder ich hör mir auch an was die anderen vorschlagen, dass ich mich da andocken kann, (.) auch (.) wissend, dass das halt die Gefahr ist dass das ich halt wieder alles nach meinem Ding mach, was ja dem Teamgeist auch nicht gerade äh hilft, aber im Endeffekt hab ich’s so machen müssen dass ich mein Ding durchgezogen hab; damit ich irgendwie überlebe auch also das Wort überleben is’ wirklich, taucht da ganz oft auf.“ (157-163)
Konrad überlegt für sich, welchen Bedarf er hat. Nicht für das Gesamtkollegium, wie er vorher noch intendiert hat („stellen das im Lehrerzimmer hin“), sondern allein für sich selbst möchte er während diesen Teamsitzungen arbeiten. Falls jemand an seinem Projekt mitarbeiten möchte, oder aber jemand Anderes einen Vorschlag macht, der genau seinen Interessen entspricht, dann – aber auch nur dann – ist er zu einer Zusammenarbeit bereit. Konrad ist sich darüber bewusst, dass dies nicht der Sinn von Teamarbeit sein kann; er bringt sogar den „Teamgeist“ ins Spiel, der für ihn anscheinend neben der Materialherstellung ein Ziel der gemeinsamen Treffen ist. Als Entschuldigung für seine Haltung bemüht Konrad erneut das Wort „überleben“. Dass dieser Begriff nicht übertrieben ist, vielmehr seine Not tatsächlich treffend beschreibt, wird in der Betonung und der erläuternden Wiederholung des Wortes deutlich. Kooperation hält Konrad demnach von der Theorie her für nötig und sinnvoll; seine konkreten Erfahrungen an der Schule widersprechen aber seiner Auffassung vom Sinn einer solchen vehement. In der
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Tat erlebt er die Zusammenarbeit als massive Bedrohung. Als Konsequenz zieht er sich weitgehend zurück und achtet genau darauf, dass er eine persönliche Dividende aus den institutionalisierten Teamsitzungen ziehen kann. Berufszufriedenheit: „Ich merke, dass mich in der Grundschule als Mann viele Sachen belasten, die eine Frau nicht belasten würden.“ Nachdem Konrad auf Grund der insgesamt nicht zufriedenstellenden Situation an seiner jetzigen Schule sowie aus nicht näher benannten privaten Gründen erfolglos Versetzungsanträge nach Freiburg gestellt hat, kam bei ihm „so’n bisschen so’n Unmut auch da auf“ (188f.). Noch einmal betont er, in beinahe identischen Wortlaut wie weiter oben: „Ich glaube damals ’n guten Job gemacht zu haben und glaub das ich’s immer noch mach,“ (189f.)
Die Wiederholung betont die Bedeutung der Aussage für ihn; er möchte nicht als jemand gelten, der frühzeitig und auf Grund der Belastungen seine eigenen, hohen Ansprüche an eine qualitativ hochwertige Lehrertätigkeit aufgibt oder sich zurückzieht. Dennoch beschreibt er einen Veränderungsprozess: Konrad ist auf dem Weg, sich innerlich von seinem Beruf zu verabschieden. Die Bemerkung, noch immer „einen guten Job“ zu machen, ist deshalb so wichtig, da er im Folgenden weitere, gewichtige Gründe benennt, die ihn mit seiner Tätigkeit als Grundschullehrer hadern lassen und von großer Unzufriedenheit zeugen: „Ich merke jetzt aber, dass ähm (.) das für mich nicht alles sein kann, und ich merk auch dass mich in der Grundschule als Mann, mich viele Sachen belasten, die glaub ich ’ne Frau nicht belasten würden.“ (190-192)
Konrad fühlt sich in seiner Tätigkeit an der Grundschule unterfordert, er kann seine Potentiale nicht entfalten: Das kann „nicht alles sein“. Weiter kommt nun die Kategorie ‚Geschlecht‘ ins Spiel. Weniger ihn als Person, sondern ihn „als Mann“ belasten zunächst nicht näher definierte „Sachen“, die „’ne Frau nicht belasten würden“. Die Verwendung des Konjunktivs sowie das eingeschobene „glaub’ ich“ deuten darauf hin, dass er eine persönliche Einschätzung markiert, die zunächst noch nicht als allgemein gültig gehandelt werden kann. Auf die Skizze seiner Theorie folgt eine Beschreibungen seines Kollegiums, mit der er diese untermauert: „Eine Sache die mir sehr auf’n Sender geht, sind die typischen Grundschuldamen; die w=äh wirklich äh in jeder, äh wir sind ’n recht junges Kollegium und haben (2) wir sind zehn Leute, drei Männer, Rektor Konrektor ich, die Männer sind auch eigentlich recht entspannt und recht locker;“ (192-196)
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C Empirische Ergebnisse
Konrad hebt nun nicht weiter ab auf die Belastungen, die das Unterrichten oder die Verwaltungsaufgaben im Beruf mit sich bringen, sondern lenkt den Diskurs auf das Kollegium und hier speziell auf das Geschlechterverhältnis an seiner Schule. Die emotional besetzte Wortwahl zu Beginn der Sequenz zeigt, dass seine weiblichen Kolleginnen für ihn ein belastendes Moment darstellen. Durch die Bezeichnung der Kolleginnen als „Grundschuldamen“, wobei das „-damen“ noch betont wird, wertet er diese bereits einleitend ab und macht auf ein gestörtes Verhältnis aufmerksam. Während das „-damen“ impliziert, dass die Kolleginnen einen damenhaften Habitus (im Sinne von überheblich und zickig) an den Tag legen, suggeriert das Adjektiv „typischen“, dass es sich hierbei nicht um Extremfälle handelt; das im Folgenden beschriebene Verhalten ist für ihn anscheinend notwendigerweise mit dem Frausein verbunden. Historisch betrachtet schließt Konrad hier an einen Diskurs an, der bis zu den Anfängen der Lehrerinnentätigkeit im 19. Jahrhundert führt: Stammten die damaligen Schulmeister eher aus niederen Schichten, so waren die Lehrerinnen ‚höhere Töchter‘ aus den bürgerlichen Schichten (vgl. Kap. A 3.3). Bevor er aber auf das Verhalten eingeht, das ihn zu stören scheint, charakterisiert er zunächst, sich einschließend, die Männer, die an seiner Schule tätig sind. Diese seien „recht entspannt und recht locker“. Eine solche Grundhaltung, die Konrad schon im Vorfeld als für seinen Beruf unabdingbares Professionsverständnis eingeführt hat, scheint für ihn enorme Bedeutung zu haben und wird zum Antipoden gegenüber seiner Kolleginnen erhoben. Die (Un-)Fähigkeit zur Lockerheit wird nicht als personengebunden, sondern als geschlechtsspezifisch deklariert. Systemisch ist zu beachten, dass die einzigen zwei männlichen Kollegen, die Konrad in seinem Kollegium vorfindet, diejenigen sind, die die Schulleiterfunktionen innehaben. Durch die gleiche Geschlechtszugehörigkeit gehört Konrad automatisch in die Nähe dieser; zu dritt bilden sie ein Triumvirat, das deutlich erhöht über den weiblichen Kolleginnen steht. Konrad bildet eine Koalition mit den Schulleitern und profitiert von deren Machtposition. Als Mann, ausgestattet mit einem großen Maß an Analysefähigkeit, kann sich Konrad auch erlauben, die Arbeit der Schulleiter zu beurteilen: „Und der Konrektor von dem halt ich auch viel, das ist so einer der vie::l sagt und vie::l vorschlägt aber es dann auch macht, also das find ich ganz toll, und so eine gewisse Souveränität hat; also auch im Umgang mit den Kinder bei dem läuft’s halt und (.) ähm (.) der hat sich entspannt in vielen Sachen und deswegen läuft’s bei dem gut. der Rektor, (.) hab’ ich ja vorher so’n bisschen negativ auch erzählt gockelt gern und ist auch so’n bisschen der Sunnyboy, also auch so’n bisschen Rektor, wie du dir Rektor durchaus vorstellst, aber ist (.) in:: diesen ganzen bürokratischen Prozessen, sehr effektiv, ähm kündigt auch viel an setzt’s aber um, er probiert viel Neues, er probiert auch viel neuen Mist, aber er probiert’s zumindest, das ist schon mal toll, also wehrt sich auch so’n bisschen gegen Stagnation und das ist sehr positiv an ihm, und was er zum Beispiel sehr gut kann, er versorgt dich gut mit Infomaterial; was ist gerade äh in der Schulentwicklung los die neusten Beschlüsse die liegen also druckfrisch bei dir auf dem Tisch, das merk ich immer wenn ich zu
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Bekannten geh sag habt ihr das wieder gelesen? ham’se gesagt nee äh nee wie das oalsoo wissen wir gar nicht; das ist an ihm recht gut,“ (196-209)
Zunächst ist das Bild zu beachten, das Konrad von seinem Konrektor zeichnet. Gleich zu Beginn nimmt der Interviewpartner vorweg, dass er diesen schätzt. Er schreibt ihm Tatkräftigkeit und Pragmatismus zu, zwar rede er viel, setze seine Vorschläge aber auch in Taten um. Hinzu kommt ein kompetenter Umgang mit den Schülerinnen und Schülern, den Konrad durchaus bemerkt und positiv bewertet. Nicht nur das verwaltungstechnische Talent, sondern auch die pädagogischen Kompetenzen sind im Blickfeld des Interviewpartners, was auf seinen eigenen Anspruch schließen lässt, als Pädagoge zu wirken. Erneut macht Konrad die ‚Entspanntheit‘ als maßgebliche Haltung für eine kompetente Lehrerpersönlichkeit aus. Den Rektor sieht Konrad nicht ganz so positiv: Ihn stört es, dass dieser gern „gockelt“, das heißt, sich gern in Szene setzt und auf Außenwirkung bedacht ist. Eine entspannte Grundhaltung ist wünschenswert, doch darf diese nicht so weit gehen, dass man zum „Sunnyboy“ wird. Diese Attribuierung kann auch als Hinweis darauf betrachtet werden, dass der Schulleiter mit den Kolleginnen flirtet, jedenfalls scheint Konrad Ernsthaftigkeit zu vermissen. Vielleicht hält Konrad sich auch selbst für geeigneter, diesen Posten auszuüben. Über den Einschub „wie du dir Rektor durchaus vorstellst“ wird das Bild entworfen, dass Schulleiter generell ähnlich wie der eigene Schulleiter agieren. Davon abgesehen schätzt Konrad seinen Rektor durchaus: Die Kompetenz des Rektors macht sich für ihn vor allem in dessen Effizienz bei der Gestaltung von bürokratischen Prozesse fest. Der Schulleiter ist aktiv, probiert Neues, wobei die Offenheit für Neues höher gewertet wird als die Tatsache, dass manches wohl nicht wirklich überlegt ist. Herausstechend ist für Konrad aber vor allem der Informationsfluss, den der Rektor gewährt. Er wird hiervon nicht abgeschnitten, sondern mit den neuesten Informationen versorgt. Sichtbar wird an dieser Stelle Konrads Interesse an Maßnahmen der Inneren Schulreform. Durch das Weiterleiten der Informationen fühlt sich Konrad auch Kollegen an anderen Schulen („Bekannten“) überlegen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Konrad die Kompetenz seiner männlichen Kollegen an deren organisatorischen Fähigkeiten und der für Männer typischen ‚Entspanntheit‘ festmacht. Da er diese Eigenschaften auch für sich beansprucht, stellt er sich auf eine Ebene mit seinen Vorgesetzten, ist quasi der dritte Schulleiter. Die Geschlechtszugehörigkeit dient dabei als Erklärungsmuster, sein Mannsein adelt seine Art der Berufsausübung und stellt sie über diejenige seiner Kolleginnen. Deren Art der Berufsausübung beschreibt er in der anschließenden Sequenz: „Und der Rest ist bei uns sind die Grundschuldamen, und ich merk dadurch, dass es sich nicht vermischt bei uns; weil wir ’ne reine Grundschule sind (.) ist das mitunter recht anstrengend. u::nd
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C Empirische Ergebnisse (.) da bin ich jetzt auch an ’nem Punkt wo ich merk das kann ich auch mir in zwanzig Jahren nicht mehr vorstellen; ähm (2) ich hab ein recht gutes Potential, ich hab viele Ideen, und (.) ich möcht für mich weiterkommen und weiß auch das mich das zu sehr stresst; oalso daso ich schäm mich da ab und zu auch; also über das; ähm (.) mh=wie meine Kolleginnen (.) die sicher auch ’nen sehr guten Job zum Teil machen (.) wie das wie die viele Sachen angehen (.) also auch (.) sich selber wahnsinnig wegen (.) kleinen Sachen richtig stressen und diesen Stress aber nicht für sich behalten sondern (.) den rauslassen.“ (209-217)
Die Bezeichnung seiner Kolleginnen als „Rest“ (neben den Schulleitern und ihm) markiert eine klare Abgrenzung. Obschon es sich mit insgesamt zehn Kolleginnen und Kollegen um ein kleines Kollegium handelt, werden die an der Schule tätigen Frauen als anonyme Masse dargestellt, die alle dieselben Verhaltensmuster an den Tag legen. Diese sind von Emotionalität geprägt und stehen im maximalen Kontrast zu seiner eigenen Gelassenheit und derjenigen seiner Schulleiter. „Wegen Kleinsachen“, die nicht näher beschrieben werden, „stressen“ sich seine Kolleginnen. Zwar gesteht er ihnen zu, dass diese ebenfalls (wie er!) ihre Arbeit gut machen, „sehr gut“ sogar, doch benutzt er Abtönungspartikeln wie „sicher“ und vor allem „zum Teil“, um deutlich zu machen, dass dennoch eine Diskrepanz zur Qualität seiner eigenen Berufsausübung besteht. Er bemängelt, dass das Kollegium so homogen ist und meint damit die Geschlechterhomogenität, die er auf die Schulart („reine Grundschule“) zurückführt. So wird der Grundschullehrerberuf mit einem Frauenberuf gleichgesetzt, was ja auch Konrads eigener Erfahrung entspricht. Von einem geschlechtsheterogenen Kollegium, sprich von mehr männlichen Mitstreitern, verspricht sich Konrad nicht nur eine atmosphärische Verbesserung an der Schule, sondern vor allem eine Verbesserung seines eigenen Befindens und seiner Berufszufriedenheit. Die Arbeit in einem Kollegium, in dem die Frauen die Mehrheit bilden, bezeichnet er zunächst als „recht anstrengend“. Er verweist auf seine eigenen Fähigkeiten, auf sein „Potential“ und seinen Ehrgeiz, sich weiterzuentwickeln und weiterzukommen, fühlt sich in seiner Karriereorientierung aber behindert. Das Verhalten seiner Kolleginnen „stresst“ ihn selbst und nimmt ihm seine Entspanntheit, die er als Grundlage für eine qualifizierte Berufsausübung voraussetzt. Da die Kolleginnen sich den Stress nicht nur selber machen, sondern diesen auch nach außen tragen, wird er als Teil des Kollegiums unweigerlich involviert. Er selbst schämt sich gar für das Verhalten der Kolleginnen: Es gelingt ihm nicht, dies auszublenden oder sich herauszuhalten. Gleichwohl wird durch die starke Emotion der Scham deutlich, dass Konrad sich verantwortlich fühlt für das, was im Kollegium passiert. Noch einmal untermauert er so seine Nähe zu den Schulleitern und seine hervorgehobene Position im Kollegium. Gleichzeitig grenzt sich Konrad in dieser Sequenz stark von seinen Kolleginnen ab und wertet deren Orientierungsmuster massiv ab.
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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Auf die das Interview abschließenden Frage, ob er sich allein unter seinen Kolleginnen fühlt, antwortet Konrad an viel späterer Stelle: „Äh teilweise schon ja. ja. (2) teilweise schon. also eben auch die dieses was ich dann auch vorher erzählt hab mit den (.) ähm (.) Grundschuldixies Grundschulfrausein also auch im Lehrerzimmer dann auch wirkliches mh (.) Gegacker wo du dann denkst hoffentlich filmt mich jetzt keiner hier in welcher Runde ich da jeden Tag sitz also es passt schon bei mir. (3)“ (814-817)
Noch einmal wird das Gefühl der Scham offensichtlich. Der betone Begriff „Gegacker“ disqualifiziert die Interaktion unter den Kolleginnen vehement, der extrem abwertende Begriff „Grundschuldixies“ hebt jegliche Individualität und Personalität auf und lässt keine Differenzierung zu. Er selbst steht als Mann abseits, schämt sich für die Gesellschaft, in der er sich notgedrungen befindet, hat Angst, dass etwas davon in die Öffentlichkeit gelangen könnte, distanziert sich, fühlt sich allein. Dieses Alleinsein ist Sinnbild für die durch seine Kolleginnen verursachte unbefriedigende Situation, in der er sich befindet, dabei allerdings die einzige Bewältigungsstrategie, um die Achtung vor sich selbst zu wahren. Er wählt das Alleinsein von sich aus: „Wenn ich da außen vor stehe, dann ist das ein (.) bewusst gewählter Prozess von meiner Seite. aber ich werd nicht rausgemobbt oder so.“ (821f.)
Konrad markiert mit dem zweiten Teil der vorliegenden Sequenz, dass er keinen Anlass dazu bietet, dass seine Kolleginnen ihn nicht akzeptieren. Da das umgekehrt aber nicht der Fall ist, zieht er sich von sich aus zurück, emigriert ins Innere, denn er „kann es nicht immer ertragen einfach.“ (827). Über diesen aktiven und, wie er deklariert, „bewusst“ vollzogenen Prozess gelingt es Konrad, Herr der Lage zu bleiben. Über die Kolleginnen: „Bei uns ist die Stutenbissigkeit ganz extrem.“ Auf die kurze Nachfrage hin, was ihn den genau am Verhalten seiner Kolleginnen belastet, kann Konrad nach einigem Überlegen mit einem konkreten Beispiel aufwarten: „ (7) ähm Beispiel vielleicht von bisschen auch von so ’ner Stutenbissigkeit die bei uns ganz extrem ist, äh ist dass ’ne Kollegin grundsätzlich die in Mathe bei ’ner anderen Kollegin drin ist grundsätzlich ein paar Minuten überzieht. und die eine Kollegin die des aufregt nicht einfach hingeht und des anspricht, sondern sich erst mal bei mir dann tränenaufgelöst ähm auskotzt und wo ich dann sag du, ich bin der falsche Ansprechpartner also geh doch einfach hin und sag ihr dass dich das nervt und findet halt ’nen Kompromiss oder du überziehst auch wenn sie die Zeit braucht dann ähm in Absprache mit jemand anderem so also dieses diese also eigentlich ist’s ’ne Lappalie wenn eine überzieht und das kommt vor und (.) das ist vielleicht jetzt auch ein ganz kleines Beispiel, aber des ist so:: stellvertretend für viele Sachen wo du denkst ey Mensch das könnt man echt schnell klären ja geh halt hin und sag du es nervt mich echt dass du das ähm immer überziehst, und jetzt müssen wir irgendwie ’ne Lösung finden.“ (219-229)
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C Empirische Ergebnisse
Konrad benötigt einige Sekunden, um ein Beispiel zu finden, dass seine Haltung veranschaulicht. Diese lange Überlegensphase deutet darauf hin, dass die zuvor zum Ausdruck gebrachte Aversion gegen das Verhalten der Kolleginnen einer diffusen Gefühlslage entspringt, die aber gleichwohl tief angelegt ist. Konrad berichtet schließlich, wie er in den internen Konflikt der Kolleginnen involviert wird: Er ist Ansprechpartner für die Kollegin, was ihm einerseits ein Überlegenheitsgefühl als Ratgeber verschafft. Auf der anderen Seite weist er die Rat suchende Kollegin zurück und erklärt sich für nicht zuständig. Dennoch gibt er der Kollegin Tipps: Spreche sie an oder aber räche dich, indem du ebenfalls überziehst. Konrad stellt seine Kompetenz und männliche Überlegenheit zur Schau: Obwohl er sich gar nicht näher mit den Streitigkeiten befassen möchte, erkennt er mit dem analytischen, sachlichen männlichen Blick sofort ein oder zwei Lösungsmöglichkeiten. Das Beispiel aus dem Berufsalltag steht stellvertretend für die „Lappalien“, die die weiblichen Kolleginnen untereinander ausfechten. Es geht, so der Eindruck Konrads, weniger um die Sache selbst, vielmehr attestiert er seinen Kolleginnen eine „Stutenbissigkeit“, die dem Idiom nach schon weiblich konnotiert ist und in der Persönlichkeitsstruktur der Kolleginnen liegt. Charakteristisch für seine Kolleginnen ist ein Mangel an Problemlösefähigkeit, die er für sich selbst auf jeden Fall beansprucht. Er betont die Sachebene von Interaktion, Emotionalität („tränenaufgelöst“) steht er ablehnend gegenüber. Dies wird in der Fortsetzung der Erzählung mehr als deutlich: „Daraufhin ist diese Kollegin zu der Kollegin hin und hat das so gesagt, und die an= dann ist die andere in Tränen ausgebrochen und äh hat sich dann angegriffen gefühlt und dann wurd das so ein riesen Galama und dann ist sie aus der Tür gerannt und die andere hat dann gemeint ich hab’s doch gar nicht so gemeint und dann haben die Emotionen gekocht und das ging dann wirklich wochenlang, und das gab’s zwischen den beiden zum Beispiel schon öfters, und das ist wirklich nur wegen ’n paar Minuten Überziehen entstanden.“ (229-235)
Zunächst wird offensichtlich, dass Konrads Ratschlag von der Kollegin angenommen wird. Er gilt als kompetenter Ansprechpartner, auf dessen Einschätzung sie vertrauen kann. Selbst einigermaßen ratlos ist Konrad dann ob der Reaktion auf sein vorgeschlagenes Vorgehen: Die Aussprache misslingt, da die Frauen emotional reagieren. Aus einer „Lappalie“ wird ein „riesen Galama“. Konrad kann und will den Konflikt und dessen Ursache nicht verstehen: Emotionalität als eine typisch weibliche Eigenschaft steht einem professionellen Handeln, für das er steht, diametral entgegen. Die Verwendung des Begriffs „Galama“ sowie der Erzählduktus der Sequenz unterstreichen das Unverständnis Konrads. Und obschon der Interviewpartner mitbekommt, dass die als Beispiel dienenden Kolleginnen „schon öfters“ ähnliche Konflikte miteinander hatten, rückt er nicht davon ab, dass die Ursache dafür in der Sache (das „Überziehen“) liegt. Bezie-
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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hungsaspekte, die dem Konflikt wohl eher zugrund liegen dürften, werden nicht in die Überlegungen einbezogen. Dass Konrad überhaupt um Rat gefragt wird, könnte zunächst den Eindruck erwecken, dass dies generell seiner Stellung im Kollegium entspricht. Erst viel später im Interview, im Rückgriff des Interviewers auf den soeben geschilderten Vorfall, ergibt sich ein anderes Bild: „Das hat sich so ergeben weil wir äh ’n recht guten Draht haben und sie auch eine ist wo ich dieses äh ich bin nur Kollege auch dann diese Grenzen ’n bisschen (.) ja (.) gesprengt hab; also m=mit der geh ich auch mal so einen trinken oder wir wissen dann auch dann Privates voneinander. und wahrscheinlich eher deswegen; ansonsten bei andern Kollegen wär äh Kolleginnen jetzt auch mh (.) wär ich das nicht. (.) also da wär der Ansprechpartner dann schon also wahrscheinlich für die Kolleginnen ’ne andere Kollegin mit der sie da so ’ne freundschaftliche Basis hat wenn sie nicht gerade mit der im Clinch ist.“ (474-480)
Seine Involviertheit stellt also einen Ausnahmefall dar. Die Kollegin ist die einzige, zu der Konrad neben einem dienstlichen auch ein privates Verhältnis pflegt. Er selbst hat aktiv entschieden, dass er hier einen privaten Kontakt aufbauen möchte, der über das Kollegiale hinausgeht. Deutlich wird, dass er dies ansonsten vermeidet. Zu den Gründen, die ihn dieses Orientierungsmuster verfolgen lassen, weiter unten mehr. Ansprechpartner ist in der Regel nicht er, sondern sind grundsätzlich gleichgeschlechtliche, befreundete Kolleginnen: sofern die freundschaftliche Basis nicht gerade von einem Streit getrübt ist. Diese Einschränkung bringt erneut Konrads schon oben zum Ausdruck gebrachte Einschätzung einer vorherrschenden „Stutenbissigkeit“ zum Ausdruck. Dabei zeigt Konrad durchaus Verständnis für eine gewisse Anspannung, unter der Lehrerinnen und auch er als Lehrer zeitweise stehen: „Es ist in der Schule schon so dass du oft grad auch so vor Weihnachten echt unter Strom bist weil so viel ist und das eigentliche Unterrichten auch total zu kurz kommt weil so viel nebenher läuft und ich versteh’s auch dass man vielleicht nicht so ganz ausgeglichen ist ich bin das auch nie, ja, vor Weihnachten oder so Ballungszentren wie jetzt kurz vor den Ferien aber trotzdem zwischen uns Männern schaffen wir zum Beispiel bei so Sachen das einfach kurz zu klären oder wir gehen dann abends dann ein Bier trinken und=oder so und klären’s dort, ich glaube wir haben als Männer ne andere Ebene.“ (235-242)
Konrad zeigt Verständnis dafür, dass bei Belastungsspitzen durchaus eine gewisse Unausgeglichenheit an der Tagesordnung und üblich ist, selbst bei ihm als Mann. Dennoch argumentiert er, dass der Umgang mit Unstimmigkeiten, die in diesem Rahmen auftreten, jeweils geschlechtsabhängig unterschiedlich effektiv geregelt wird. Fließen bei Frauen Tränen, so fließt bei Männern Bier: Männer haben die Fähigkeit, Konflikte schnell, pragmatisch und effizient zu klären. Das gemeinsame
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C Empirische Ergebnisse
Biertrinken als Männlichkeitsritual markiert dabei ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das stärker wiegt als eventuell vorhandene Meinungsverschiedenheiten. Das Thema ‚Emotionalität‘ beschäftigt Konrad weiter: „Habe auch festgestellt dass Frauen unter sich was sehr gut können was wir Männer nicht können. also die:: haben ganz schnell ’ne tiefe emotionale Ebene wo die auch eher aus diesem kollegialen Verhältnis zumindest bei uns an der Schule ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen. viel schneller als wir Männer.“ (242-245)
Zunächst scheint es so, dass Konrad seine Kolleginnen um die weiblich konnotierte Eigenschaft, emotionale Bindungen zu den anderen Kolleginnen einzugehen, beneidet. Zwar schränkt er diesen als geschlechtsspezifisch konstruierten Zusammenhang ein, indem er sich auf Beobachtungen in seinem Kollegium beruft. Die Bereitschaft, sich über die kollegiale Ebene hinaus auf die anderen Lehrer und Lehrerinnen einzulassen, spricht er Männern ab, zumindest die Schnelligkeit, in der Frauen das vollziehen. Den Eindruck, Konrad könne eine gewisse Sehnsucht nach der beschriebenen freundschaftlichen Basis hegen, widerlegt er aber sogleich: „Ich mach das zum Beispiel mit Kollegen ungern weil ich äh im Kollegium einfach als Kollege sein will und äh vielleicht auch wenn’s auch drunter und drüber geht ich nicht so viel Angriffspunkte bieten will.“ (245-248)
Konrad legt keinen Wert auf persönliche Beziehungen zu seien Kollegen und Kolleginnen. Dass er diese Haltung nicht durchweg durchhalten kann, wird sichtbar, wenn er davon spricht, dass er sich auf eine solche Ebene nur „ungern“ einlasse; er erscheint distanziert, kann sich aber anscheinend nicht völlig abgrenzen, was auch der oben geschilderte Diskurs zum Streit zwischen den Kolleginnen zeigt, in den er – wenn auch unfreiwillig – eingebunden wird. Schlagende Argument für seine distanzierte Haltung sind die „Angriffspunkte“, die er den Kollegen und Kolleginnen nicht bieten möchte. Konrad begreift sein Verhalten als Schutzmechanismus. Wer genau ihn angreifen sollte, oder aber warum dies geschehen könnte, davon erzählt Konrad nichts. Lediglich die Situation, in der so etwas passieren könnte, wird präzisiert: „wenn’s auch drunter und drüber geht“ steht als Synonym für die weiter oben beschriebenen Hauptbelastungszeiten, in denen selbst er nicht vollkommen ausgeglichen ist. Die Beschränkung auf diesen Zeitraum suggeriert, dass Konrad im normalen Schulalltag eher keinen Anlass für Angriffe liefert. Um keine Angriffsfläche zu bieten, verfolgt er die Strategie, Beruf und Privatsphäre strikt zu trennen: „Sobald ich mein Privatleben preisgebe gegenüber Kollegen äh (.) kann das gefährlich werden. deswegen bin ich da zum Beispiel vorsichtig und ich fahr für mich gut mit also wenn mich jemand konkret fragt dann antwort ich natürlich dann mach ich nicht und sag nö. sag ich nicht aber ich würd
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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jetzt nicht von mir aus kommen und sagen ach du wie läuft’s bei dir daheim oder so weil ich glaube dass Beruf und Privatleben irgendwie auch trennen musst. ich glaub das für mich.“ (248-253)
Konrad spricht gar von einer Gefahr, die entsteht, wenn man Privates und Berufliches vermischt. Er geht nicht näher darauf ein, was ihn angreifbar machen würde, wenn jemand über sein Privatleben Bescheid wüsste. Dieses selbst scheint auch nicht ausschlaggebend zu sein, denn er zeigt sich, wenn auch widerwillig, durchaus auskunftsbereit, sofern er danach gefragt wird. Dennoch ist er insgesamt darauf bedacht, keine Vertrautheiten entstehen zu lassen und die Grenzen zur Privatheit zu wahren. Emotionale Bindungen sollen erst gar nicht entstehen, sonst könnte Emotionalität das professionsbezogene Agieren prägen. Da er als männlich-rationaler Typ hiermit nicht umgehen kann, könnte dies seine Souveränität gefährden. Gerade bei Konflikten kann dies, so Konrad, einer Lösung im Wege stehen: „Die können sich schneller öffnen, ’ner anderen Frau gegenüber, und haben aber glaub deswegen auch bei solchen Situationen Probleme das auf ’ner rationalen Ebene zu lösen.“ (253-255)
Konrad verschreibt sich der Rationalität als Gegenpol zu Emotionalität, die er weiblich interpretiert. Deutlich wird, dass er sich durch seinen männlich konnotierten Habitus Frauen gegenüber überlegen fühlt: Probleme, sofern solche überhaupt auftreten, kann er als Mann mühelos und rational lösen. Er allein zeichnet sich durch Professionalität aus, da er Berufliches von Privatem trennt. Der Preis für eine solche Handlungspraxis ist der Rückzug in eine gewisse Isolation, die er aber gern in Kauf nimmt. Mehr als deutlich wird das Bestreben Konrads, sich von seinen weiblichen Kolleginnen abzugrenzen: Er ist – schon allein auf Grund seines Mannseins – anders als die Lehrerinnen. Stellung im Kollegium: „Ich hab eher diese heitere Rolle und fühl mich da ganz wohl mit.“ Zwar ist Konrad mit der Situation, in der er sich als Grundschullehrer generell befindet, äußerst unzufrieden. Auch wird die Differenz- und Defizitperspektive, unter der er seine Kolleginnen betrachtet, schon sehr schnell im Interviewverlauf sichtbar. Seine Stellung im Kollegium scheint er dennoch nicht durchweg negativ zu empfinden: Fragen die Kolleginnen ihn beispielsweise um fachlichen Rat, dann kommt dies seinem Selbstverständnis als kompetenten Kollegen entgegen. Ist die Ratsuchende bzw. der Ratsuchende gar einer seiner männlichen Kollegen, adelt ihn dies umso mehr, zumal diese in der formalen Hierarchie der Schule über ihm stehen: „Für fachliche Sachen oder oder wenn einer von meinen Kollegen Rückmeldungen braucht und ein Problem hat, kommt der schon auch zu mir und fragt auch wie findest du das und wollen wir das so machen und so und (.) was meinst du dazu also;“ (481-483)
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C Empirische Ergebnisse
Konrad fühlt sich zum einen fachlich kompetent, was auch in anderen Zusammenhängen deutlich wird, wenn er sich selbst als „Deutschexperte“ (447) bezeichnet. Zum anderen ist es für ihn selbstverständlich, dass sein Schulleiter bzw. der stellvertretende Schulleiter („einer von meinen Kollegen“) auf Grund der Geschlechtszugehörigkeit eher bei ihm als bei den weiblichen Kolleginnen um Rat fragen. Als Mann kann er Situationen sachlich analysieren und beurteilen, daher wird seine Meinung geschätzt. Seinen Erzählungen folgend sind insgesamt klare Abgrenzungsbestrebungen und Rückzugstendenzen erkennbar. In Ambivalenz dazu steht allerdings die Antwort Konrads auf die Frage, ob er sich in seiner Rolle im Kollegium unwohl fühle: „Ne überhaupt nicht. also ich fühl mich i- ich glaub dass ’n Kollegium ’n Sozio- jedes Kollegium hat das selbe Soziogramm glaub ich; also es gibt so die (.) die die so’n bisschen ’n schweren Standpunkt hat oder den; und äh dann gibt’s äh die Überengagierten oder den Überengagierten, wo jeder die Augen verdreht, äh dann gibt’s den äh Witzigen, d- diese Rolle hab eher ich übernommen, aber das ist so ’ne Rolle die ich oft übernehm in gewissen Gruppierungen, (.) dann gibt’s s::o das Arsch sagen wir mal der sein der sagt ach ist mir doch alles egal und so, den haben wir auch, also es besetzt jeder glaub ich ’ne Rolle im Kollegium, und es ist erstaunlich wie viele Kollegien das selbe Soziogramm haben, und ich glaube ich hab eher diese heitere Rolle und fühl mich da ganz wohl mit also. (.) d- diese Rolle hab ich auch im alten Kollegium gehabt also das ist einfach so das Ding was (.) äh, (.) ja so bin ich halt. und ich fühl mich da wohl mit.“ (490-500)
Konrad nimmt die Rolle des „Witzigen“ ein und begründet dies mit seiner Persönlichkeitsstruktur. Diese Rolle, die seiner Einschätzung nach in jedem Kollegium vorhanden ist, wenn nicht sogar benötigt wird, übernimmt er bereits während des Vorbereitungsdienstes und ist zufrieden mit ihr. Gleichzeitig grenzt er sich mit seiner Aussage sowohl von den Über- als auch von den Unterengagierten ab. Da er in seiner Rolle innerhalb des Kollegiums anscheinend akzeptiert wird, zeigt er sich zufrieden. Erneut wird das Thema Authentizität aufgegriffen, die er hier wahren kann: „ja so bin ich halt“. Humor und Ironie als zentrale Begriffe für sein Selbstbild fungieren dabei als Mittel, Distanz in den zwischenmenschlichen Beziehungen im Kollegium aufrecht zu erhalten. Es ist kein vollständiger Rückzug, da dieser Humor ja auch nach außen gewandt ist. Dennoch gelingt es Konrad durch diese Haltung, gleichsam ein Schutzschild um sich aufzubauen, mit dem er Konflikten, Problemen und einer psychosozialen Auseinandersetzung mit seinen Kolleginnen und Kollegen entgehen kann. Die Arbeit mit den Kindern: „Ich merke immer mehr, dass ich mittlerweile echt genervt bin.“ Kann sich Konrad aus der Beziehungsarbeit mit seinen Kolleginnen noch weitgehend herausziehen, verlangt sein Beruf diese dennoch in Bezug auf die Kinder seiner Klasse. Da die Kinder gerade in der Schuleingangsstufe (Klasse 1/2)
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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„wahnsinnig viel (.) Aufmerksamkeit noch brauchen“ (258), empfindet er seine Arbeit als „mittlerweile sehr anstrengend“ (257f.) und ist „mittlerweile echt genervt“ (256f.). Das „mittlerweile“ deutet einen Entwicklungsprozess an. Obwohl Konrad erst seit sechs Jahren im Schuldienst ist, beschreibt er eine Veränderung, die ihn stark belastet. Dabei sind es nicht die fachlichen Inhalte, deren Vermittlung ihn anstrengt. Es ist die Beziehungs- und Erziehungsarbeit, die ihn unzufrieden macht: „Die Aufmerksamkeit betrifft eben nicht diese schulischen Inhalte, sondern einfach halt emotionale Zuwendung; die Johanna hat mich grad getreten; ähm du die Mama hat gestern, (.) und mich interessiert das zum Teil nicht mehr omerk icho also das ist mir (.) nicht mehr so (.) also ja mein Ding, ja und da kann ’ne Frau auch find ich herzlicher mit umgehen also ich stell das bei uns Männern allen fest, die dann einfach gucken dass sie ihren Stoff mal durchbringen und da was auf die Beine stellen und die Frauen können vi- echt gut auf die Kinder eingehen und das auch dann mal (.) herzen und so, also das ist auch nicht so mein Ding.“ (259-265)
Die vorliegende Passage lässt erkennen, dass Konrad ‚schulisch‘ mit ‚fachlich‘ gleichsetzt und in der Vermittlung kognitiver Kompetenzen seine eigentliche Aufgabe sieht. Das soziale, erzieherische Wirken hält er zwar durchaus für notwendig, doch ist das nicht sein „Ding“: Es interessiert ihn schlichtweg nicht (mehr) und er ist nicht bereit, seinen Schülerinnen und Schülern „emotionale Zuwendung“ entgegenzubringen. Die Formulierungen, die Konrad zur Illustration seiner ablehnenden Haltung verwendet („die Johanna […]“, „die Mama […]“) kennzeichnet seine Erzählung als Beschreibung seines konkreten Schulalltags. Seine jetzige Haltung entspricht in Konrads Deutung allerdings viel eher seiner Geschlechtszugehörigkeit. Während Frauen naturgegeben für den emotionalerzieherischen Bereich zuständig sind, identifiziert Konrad bei „uns Männern“ die fachliche Ausrichtung der Arbeit: Während die Kollegin das Kind „herzt“, stellt der Kollege „etwas auf die Beine“ und bringt die Kinder fachlich und inhaltlich weiter. Konrad wertet seine Kolleginnen hier nicht offen ab: Den emotionalen Bereich meistern diese „echt gut“. Dennoch impliziert diese geschlechtsgebundene Aufgabenzuschreibung, dass Frauen die andere, fachliche und insgesamt bedeutendere Ebene nicht so gut beherrschen wie ihre männlichen Kollegen. Konrad will aber nicht den Eindruck erwecken, er finde überhaupt keinen Zugang zu den Kindern: „Wobei, wie gesagt ich hab einen guten Draht zu den Kindern und (.) mh ich versuche schon auch drauf einzugehen; aber ich kann das halt nur in gewissem Maße, und ich finde es auch sehr anstrengend.“ (265-268)
Konrad rechtfertigt sich, indem er darauf hinweist, dass er immerhin „versuche“, auf der emotionalen Ebene zu agieren. Den „guten Draht zu den Kindern“ betont
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C Empirische Ergebnisse
er, um seine Professionalität nicht zur Disposition stellen zu müssen. Dennoch: Als unumstößliche Tatsache steht fest, dass er – als Mann – hier nur in „gewissem Maße“ tätig sein „kann“, nämlich genau so weit, wie es seinem Mannsein noch zuzumuten ist. Die Adaption weiblich konnotierter Verhaltensweisen empfindet er als „anstrengend“. Zwar ist mit der Anstrengung eine Belastung verbunden, gleichzeitig garantiert sie aber auch die eigene Männlichkeit: Würde Konrad die Beziehungsarbeit mit den Kindern leicht fallen, so fände keine Abgrenzung von seinen Kolleginnen statt. Die bis hierhin dargestellten Aussagen und Interpretationen basieren fast ausschließlich auf den das Interview einleitenden Erzählimpuls: Obwohl Konrad eigentlich nur nach seiner Berufswahlmotivation gefragt wurde, bereitet er ein weites Feld, das die Aspekte aufgreift, die ihm wichtig erscheinen und einen Rückblick, aber auch einen Ausblick auf seine Tätigkeit als Grundschullehrer bilden. Die Arbeit mit den Kindern thematisiert Konrad dabei zuletzt. Dennoch stellt diese kein untergeordnetes Thema für ihn dar: Auf die im Sinne einer kommunikativen Validierung gestellte Frage, ob als Resümee zusammengefasst werden könne, dass er seinen Beruf auf lang- bzw. mittelfristige Perspektive nicht mehr ausüben wolle, antwortet Konrad: „Was mich auf Dauer leiden lässt ist das das dieses Kollegiale und das mit den Kindern dann (2) ja ganz oft ist mittlerweile. also das das ich ganz viele Tage hab wo ich raus lauf und denk hey, heut irgendwie sind mir die Kinder richtig nervig vorgekommen und mich das genervt hat.“ (353-356)
Der Interviewte antwortet nicht direkt auf die Frage. Vermutlich mangels konkreter Alternativen hat er den inneren Abschied von seinem Beruf noch nicht komplett vollzogen. Er bekennt sich aber auch nicht zu diesem, sondern spricht erneut von „leiden“: ein Ausdruck, der das Befinden Konrads anscheinend auf den Punkt bringt. Viel mehr noch als die Interaktionen im Kollegium ist die Arbeit mit den Kindern die Ursache hierfür, denn in Bezug auf diese beschreibt er seine Empfindungen detailreicher. Nach einer kurzen Besinnungspause zeigt Konrad erneut einen Prozess auf: Das Gefühl, nicht im passenden Berufsfeld tätig zu sein, wird Konrad zunehmend bewusst. Dabei bleibt das, was genau ihn an der Arbeit mit den Kindern nervt, auch für ihn selbst im Dunklen: „irgendwie“ sind diese ihm „richtig nervig vorgekommen“. Dass sich dieses Gefühl inzwischen an „ganz viele[n] Tage[n]“ einstellt, ist für ihn alarmierend. In der Fortsetzung der Passage hat Konrad allerdings doch ein Erklärungsmuster parat: „Und ich auch merke, dass ich mich in eine Maske quetsche. Beispiel. das hab ich dir vorher schon erzählt, mit den mit dem mit In-sich-stimmig-Sein also, in der Hauptschule konnt ich einfach so sein wie ich bin, wenn ich in der Grundschule so wäre so sehr ich das will, hätte i- hätten die schon
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ein sprachliches Problem. weil ich meine Sprache reduzieren muss damit’s die Kinder begreifen. das ist kein Problem das zu machen aber wenn du das auf Dauer machst, bist du nicht der oder steht du nicht als der da, der du eigentlich bist also ich kann nicht mit den Kindern so reden wie ich mit dir rede und so wie ich mit dir rede das bin halt ich.“ (356-363)
Konrad fühlt sich durch die Notwendigkeit, mit den Kindern auf einem für diese verständlichen Sprachniveau zu kommunizieren, in seiner Authentizität gestört. Für Konrad, der sich über seine Sprache definiert („so wie ich mit dir rede das bin halt ich“), führt dies zu einer regelrechten Identitätskrise. Man könne sich sprachlich zwar dem Grundschulniveau anpassen, keinesfalls aber „auf Dauer“. Er selbst will dies jedenfalls nicht, zumindest nicht mehr und nicht noch länger. Der Mangel an Authentizität wird als Bedrohung der eigenen Persönlichkeit wahrgenommen. Obwohl er in seiner Argumentation von seinem eigenen Erleben spricht, hält er ein solches für unumgänglich. Dies dokumentiert sich darin, dass er in Teilen die 2. Person Singular verwendet. Er verleiht seinen Aussagen eine normative Gültigkeit, die die Dringlichkeit der Kernaussage verdeutlicht. Direkt an diese Sequenz anschließend kommt Konrad auf ein weiteres Authentizitätsproblem zu sprechen, auf das er bei der Arbeit an der Grundschule stößt: „Oder anderes Beispiel, das ist jetzt oder das ist sehr persönlich, aber ich ähm (.) zieh mir einfach gern ein Hemd an, ich kann nicht ohne Hemd aus dem Haus oder ähm würde jetzt auch nicht mit ’nem verlotternden T-Shirt rumlaufen, das das bin nicht ich, aber ich hab morgens echt Grundschulklamotten, weil ich weiß, ich bin äh danach dreckig angefummelt und äh angemalt. (.) das ist kein Problem, aber (.) irgendwann war’s für mich doch ein Problem weil ich da morgens vorm Kleider@schrank@ stand und gedacht hab Moment also jetzt du verkaufst du dich ja eigentlich als jemand anders. also ich merke dass dann diese Stimmigkeit die einfach so wichtig ist (.) damit du was erreichst auch. und dir selber auch treu bist in einer gewissen Linie dass die verloren geht. und das ist das ähm was mich belastet. das ist so der Hauptpunkt wo ich merke Moment, dann ist das nicht hundertprozentig dass ich. (.) Kannst du’s ein bisschen nachvollziehen was ich meine?“ (363-373)
Der Interviewpartner leitet die Sequenz mit dem Hinweis ein, dass er nun von etwas sehr Persönlichem berichtet: Daher auch das Lachen in der Mitte der Sequenz, ist ihm der Inhalt seiner Aussage auf Grund deren Intimität doch ein wenig peinlich. Beansprucht Konrad für das vorhergehende Argument, eine reduzierte Sprache führe zu Authentizitätsverlust, universale Gültigkeit, so geht es nun ausschließlich um seine Person. Es handelt sich – im Allgemeinen – um „kein Problem“, für ihn aber durchaus: Konrad definiert sich neben seiner Sprache auch über seinen Kleidungsstil, dem er bei seiner Tätigkeit als Grundschullehrer nicht folgen kann: Er, der nie „mit ’nem verlotterten T-Shirt rumlaufen“ würde, fühlt sich zu „Grundschulklamotten“ gezwungen, denn seine Hemden würden in der Schule „dreckig, angefummelt und angemalt“. Neben den inhaltlichen Gehalt der Aussage tritt der emotionale: Aus der Wortwahl lässt sich geradezu ein Ekelgefühl
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C Empirische Ergebnisse
Konrads ablesen. Deutlich wird, dass Konrad ein Nähe-Problem mit den Kindern hat: Den körperlichen Kontakt wünscht er nicht, er ekelt sich vor den dreckigen Kinderhänden, die keine Distanzgrenzen einhalten. Konrad umschreibt mit dieser Sequenz symbolisch den psychosozialen, erzieherischen Aufgabenbereich des Grundschullehrerberufs, der ohne Nähe zum Kind nicht auskommt. Konrad hingegen interessiert allein, Wissen zu vermitteln, den Kindern etwas beizubringen, und dies auf einem sprachlich hohen Niveau. Allem anderen steht er ablehnend, gar feindselig gegenüber. Er sieht die Privatheit seiner Person, auf die er auch im Umgang mit seinen Kolleginnen so sehr achtet, von den Kindern bedroht. Der Schutzmantel, den er in Form von „Grundschulklamotten“ um sich legt, führt allerdings zu einer weiteren Identitätskrise. Er muss seine Person, seine Persönlichkeit „verkauf[en]“, noch dazu zu einem niedrigen Preis. Die Authentizität, von ihm hier „Stimmigkeit“ genannt, ist Grundlage einer erfolgreichen Berufsausübung, die er an einem ‚etwas Erreichen‘, festmacht. Dies sieht er in seiner Situation als Grundschullehrer nicht gewährleistet. Wie wichtig ihm dieser Gedanke ist, wird sichtbar, wenn Konrad sich beim Interviewer rückversichert, ob dieser ihn verstanden habe. Tatsächlich ist es der zwischenmenschlich-soziale Bereich der Arbeit mit den Kindern, der Konrad stark belastet. Das Thema einer eventuell vorhandenen fachlichen Unterforderung muss erst vom Interviewer initiiert werden. Konrad antwortet: „Das hab ich auch; das ähm besonders in der Grundschule hab ich das so langsam auch; dass ich merke ich hab das jetzt auch ähm (2) einmal durch.“ (380-382)
Erneut wird von Konrad eine Entwicklung deutlich gemacht. Als Berufsanfänger fühlte er sich durchaus gefordert, inzwischen wiederholen sich die Anforderungen aber. Dieses Problem sieht er zwar auch für andere Berufe, in seinem aber besonders stark ausgeprägt: „Also ich möchte nicht denselben Mist noch mal machen (.) des Problem hast du in jedem Beruf aber grad in der Grundschule ist es so dass du halt doch ganz schnell an deine Grenzen stößt;“ (387-389)
Erneut inszeniert Konrad ein „Niveauproblem“, wie er es schon in der Interviewsequenz zum Studium getan hat. Indem er die Unterrichtsinhalte mit „Mist“ tituliert, bringt er seine Geringschätzung zum Ausdruck. Anstelle der „embryonalen Entwicklungsforschung“ (391), mit der er sich im Studium auseinandergesetzt hat und die er als „vom Niveau her äh (.) spannend (.) und ausbaufähig“ (393f.) betrachtet, stehen nun „Bäume Blätter bestimmen und so Sachen“ (395f.) auf dem Programm.
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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Er kann seiner Arbeit aber durchaus auch positive Aspekte abgewinnen: „Also gerade in der Grundschule das muss man auch mal positiv sagen also egal welches Thema du machst, ich bin auch an ’ner Schule mit aktiven Kindern die dann Sachen mitbringen und auch da echt mit Leib und Seele dabei sind, ganz anders ja zur (.) im Vergleich zur Hauptschulerfahrung wo die dann sagen ey hab’ Hausaufgaben nicht gemacht und so also wo du denkst (.) irgendwie da kommt komm ich nicht an Land. das ist ja an der Grundschule durchaus dankbar. und auch (.) ganz toll.“ (397-402)
Im Vergleich zu den Erfahrungen im Referendariat an der Hauptschule schätzt Konrad die Begeisterungsfähigkeit der Grundschülerinnen und Grundschüler für die Sache. Er weist darauf hin, dass dieser Aspekt nicht unterschlagen werden sollte. Die Adjektive „dankbar“ und „toll“ werden von ihm betont und stehen für eine Zufriedenheit, die daraus resultiert, dass das, was er macht, von den Kindern angenommen und wertgeschätzt wird. Freilich bezieht er diesen Sachverhalt nur auf die kognitiven sowie motivationalen Aspekte seiner Arbeit; soziale oder gar affektive Lernziele bleiben ausgeblendet. Konrads Ausführungen erscheinen trotz der verwendeten Adjektive („dankbar“, „toll“) recht nüchtern. Er expliziert seine Einschätzung aber noch anhand eines Beispiels aus der Praxis: „Dann haben die Kinder Ritterpräsentationen gemacht wo ich wirklich zum Schluss nichts mehr gemacht hab, obwohl ich was machen wollt aber die haben alles selber recherchiert, dann hatte ich Internetrechner an und dann waren das Präsentationen wo’s mir wirklich die Schuhe ausgezogen hat; das war toll. also die haben dann mit Musik zum Anfa- zu Anfa- also richtig ’ne Profistunde hingelegt, auch dann der eine der hat noch so’n Rittergericht im Internet gefunden und uns dann noch was gekocht und also echt su::per; ja, und die waren dann zehn also neun zehn, also des Potential was da drin steckt und wie die von sich aus darauf kommen ist toll.“ (405-411)
Echte Begeisterung über den Eifer und die Selbstständigkeit seiner Schülerinnen und Schüler spricht aus dieser Sequenz. Konrad ist erstaunt über die Kreativität der Kinder und das Niveau der Ergebnisse; beides hat er ihnen anscheinend nicht zugetraut. Für sich allein genommen könnte diese Sequenz für eine hohe Berufszufriedenheit stehen, die sich am Erfolg seines Unterrichtens und den Leistungen der Kinder festmacht. Doch die Zufriedenheit trägt nicht. Abgeschlossen wird der Exkurs nämlich wie folgt: „Aber fachlich bin ich auch an ’nem Punkt an dem ich sag das langweilt mich auch. muss ich ganz ehrlich sagen. oalsoo (2) ja. (4)“ (411f.)
Die Begeisterung wird zunichte gemacht von einer Langeweile, die auf das nicht eingeforderte fachwissenschaftliche Niveau resultiert. Die Kinder können noch so motiviert und wissensdurstig sein, der Unterricht kann noch so gut gelingen, Konrad fühlt sich unterfordert, gelangweilt und fehl am Platz. So ist die in der Narration
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angedeutete Ambivalenz zwischen Frustration und Begeisterung letztendlich nur eine scheinbare. Konrad hat sich längst entschieden: Er hat den falschen Beruf gewählt. Offene Unterrichtsformen: „Das hat sich jetzt zum Glück durchgesetzt.“ Offenen Unterrichtsformen und Maßnahmen der inneren Differenzierung steht Konrad mehr als aufgeschlossen gegenüber. Er hält diese nicht nur für notwendig, sondern praktiziert sie auch. Direkt nach der Rolle offener Unterrichtsformen an seiner Schule und in seinem Lehreralltag gefragt, antwortet er: „Spielt ’ne große Rolle und spielt auch in meiner Pädagogik, ’ne Rolle weil ich ich ähm einfach sehe, dass das ähm (.) der einzige Weg ist der Schere die du heute hast gerecht zu werden und gerade in Klasse 1/2 hast du ja (.) nicht nur (.) ’ne Differenzierungsschwierigkeit in einer Jahrgangsstufe sondern du hast eine sehr sehr sehr große Schere.“ (417-420)
Konrad ist sich der Heterogenität einer Schulklasse nicht nur bewusst, er betont diese sogar und sieht offene Unterrichtsformen als einzige Möglichkeit, den Unterschieden im Leistungsstand der Kinder gerecht zu werden. Diese sieht Konrad als Teil seiner „Pädagogik“. Diese Formulierung impliziert, dass Konrad sein Handeln reflektiert und es als ein durch professionell entwickelte Überlegungen gestütztes betrachtet. Konkret nennt er „Stationen, Werkstattlernen oder Lerntheken“ (429) als Methoden, die er nutzt. Konrad erläutert seine Überzeugung bezüglich der methodischen Gestaltung von Unterricht weiter: „Ich bin aber auch der Meinung, dass d:u ähm (.) einfach ’nen ganz klaren Kurs fahren musst und eben, das ist ein altes Geschwätz das wir immer hören aber so auch frontale Phasen einfach machen musst, weil die Kinder brauchen von Ablenkung dann auch ’ne Auszeit. und die müssen dann einfach mal auch ähm (.) kurz wieder (.) sich selber ’ne Auszeit nehmen und auch wieder mal was anhören können; das muss auch geschult werden. (.) also und da (.) musst du halt die gesunde Balance finden und ’ne gute Mischung. (.) also das hat beides Berechtigung, aber gerade zu::, ja um=nen neuen Lerngegenstand zu erarbeiten kommst du um die offenen Unterrichtsformen gar nicht drum rum, (2)“ (429-437)
Konrad plädiert für eine Mischung aus schüler- und lehrerzentriertem Unterricht. Für die Erarbeitung neuer Lerngegenstände schlägt er offene Unterrichtsformen vor, schleißt andere Vorgehensweisen kategorisch aus. Seine Begründung für die Notwendigkeit frontaler Unterrichtsphasen geht dahin, dass Kinder sich quasi von der Anstrengung, die das selbständige Lernen bedeutet, erholen müssen, gleichsam auch das Zuhören trainieren müssen. Zwar handelt es sich bei dem von ihm propagierten Ansatz um „ein altes Geschwätz das wir immer hören“, dennoch füllt er diesen argumentativ überzeugend, so dass auch an dieser Stelle
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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noch einmal Konrads reflexiver Habitus in Bezug auf die Unterrichtsgestaltung zum Vorschein tritt. Auf die Nachfrage hin, welche Position seine Kolleginnen und Kollegen zu offenen Unterrichtsformen haben, weiß Konrad zu berichten: „Das ist Konsens im Kollegium das muss man sagen also wir haben nicht so:: die alten Schachteln die das frontal durchklopfen, sagen wir mal so. das ist doch äh ähm erstaunlich gut, also da hab ich schon von ganz anderen Schulen gehört. das kommt aber auch immer mehr glaub ich also das hat sich jetzt zum Glück durchgesetzt. (.) ja.“ (439-442)
Konrad zeigt sich erstaunt darüber, dass seine Einstellung im Kollegium geteilt wird. Er führt dies unter anderem auf die Kategorien ‚Generation‘ zurück: In seinem relativ jungen Kollegium gibt es keine „alten Schachteln“, die das „frontal durchklopfen“. Die recht drastische Formulierung lässt seinen Anspruch erkennen, das eigene methodische Handeln sei modern, zeitgemäß und die einzige legitime Art des Unterrichtens. Erneut gelingt es Konrad, die eigene Kompetenz zu betonen. Frauen im Lehrberuf: „Also das sind einfach Frauen.“ Mit der Schlagzeile aus der Bild-Zeitung (‚Lehrerinnen machen Schüler dumm‘) konfrontiert, lacht Konrad auf. Er lehnt dieses Statement zunächst ab, indem er sich auf seine eigene Erfahrungen beruft: „@(.)@ nee. also wie gesagt ich hab ja vorhin schon erwähnt, dass ich ganz viele Kolleginnen hab die einfach einen sehr guten Job machen ähm (.) und auch die (.) die Fachinhalte die die Grundschule oder die ja ’s Curriculum für die Grundschule verlangt auch absolut so umsetzen, auch im Gegenteil, die oft die Geduld haben, dann da auch da dran zu bleiben, ich glaub das ist was das uns Männern dann fehlt, oder (.) ich geh da dann auch klar von mir aus wo ich dir (.) ja vorher erzählt hab dass mich dann oft die Kleinen ab und zu nerven, und da die Frauen eigentlich ähm ’ne andere Geduld haben also mit Kindern. oder Kindern in der Altersstufe.“ (514-521)
Konrad bescheinigt vielen seiner Kolleginnen eine hohe fachlich-inhaltliche Kompetenz. An erster Stelle für die Qualität des Unterrichtens steht für ihn die Inhaltsvermittlung, die seine Kolleginnen zufriedenstellend leisten. Seine weitere Argumentation baut auf die These auf, dass Frauen sogar besser für die Tätigkeit im Grundschulbereich geeignet sind, da sie geduldiger als Männer sind. Diese Einschätzung wendet er zunächst pauschal auf alle Männer an, bezieht sich dann aber einschränkend auf sich und seine individuellen Dispositionen. Dennoch naturalisiert er die festgestellte Differenz, indem er anschließend wieder pauschal von „die Frauen“ spricht. Indem Konrad erneut daran erinnert, dass ihn die „Kleinen ab und zu nerven“, grenzt er sich von diesen ab, wenn auch erstmals zu Ungunsten seiner selbst.
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C Empirische Ergebnisse
Die grundsätzliche Anerkennung der Arbeit von Grundschullehrerinnen schränkt er anschließend allerdings in Teilen wieder ein: „Ich glaube ich könnt mir vorstellen, dass sich diese Schlagzeile so’n bisschen auf’s Verhätscheln und auf’s Mäuschen spielen äh (.) bezieht. und (.) das ist ja tatsächlich was das die Frauen in der Grundschule machen, also oh jetzt wecken wir’s kleine Mäuschen und ’s Igelchen kommt hoch und so, das ist aber auch etwas das die Grundschüler auch obraucheno. es ist natürlich immer ’ne Frage in welchem Maße, aber da kann man ja auch nicht pauschalisieren dass das die Frauen grundsätzlich zuviel machen,“ (521-526)
Zwar äußert sich Konrad dahingehend, dass die emotionale Ebene bei der Arbeit mit Grundschülerinnen und -schülern durchaus notwendig ist. Auch möchte er nicht pauschalisieren, dass Frauen generell die Grenze zum „Verhätscheln“ überschreiten. Dennoch besteht die Gefahr, die sich für Männer nicht ergibt, da diese von vornherein so nicht agieren. Konrad verzichtet auf eine Abwertung der weiblichen Grundschullehrerinnen. Seinen eigenen Kolleginnen attestiert Konrad, genau das richtige Maß zu treffen: „Aber ich kann das bei den gerade bei meinen Kolleginnen, und da hab ich viele, die gerade dieses äh (.) im gesunden Maße machen find ich, und fachlich aber auch am Ball bleiben, und insofern kann ich da nicht zustimmen. (3)“ (535-538)
Die emotionale Ebene wird durchaus als wichtig erachtet. Gleichzeitig betont Konrad aber, dass der fachliche Aspekt darüber nicht vergessen werden darf. Da bei seinen Kolleginnen diese Symbiose zu gelingen scheint, lehnt er die Aussage der Bild-Zeitung ab. Konrad wird im Anschluss daran gefragt, in wie weit er selbst versucht, auf der emotionalen Ebene zu agieren. Konrad reduziert dies auf „Handpuppenspiel“, das er in „die Rituale des Morgenkreises“ (547f.) einbindet. Weiter will Konrad aber nicht gehen: „Wenn Kinder körperliche Zuneigung brauchen, hab ich ’ne gewisse (.) Hemmschwelle, und zwar einfach ähm aus dem Grund dass ich nicht will dass da irgendwie mir als Mann was nachgesagt wird. es war nie ’ne konkrete Situation, aber das ist so ’ne gesunde Vorsicht; also ich hab ’nen Kollegen, dem mal so was angehängt wurde von ’ner Schülerin, u:nd ähm also die hat gesagt er hätte sie auf der Toilette befummelt. und es war im Endeffekt so:: dass er a- aus Versehen auf die Toilette gelaufen ist und da war er neu auf der Schule und ist sofort wieder raus. und sie hat’s später dann auch zugegeben dass es so war. also die hatte den auf’m Kieker. war ’ne Viertklässlerin; (.) und (.) ich selber war mit so ’ner Situation noch nicht konfrontiert aber (.) da: denk ich als Mann möcht ich besonders äh:: vorsichtig sein; also in so was möchte ich nicht tappen.“ (549-558)
Zunächst ist festzustellen, dass Konrad durchaus davon ausgeht, dass seine Schülerinnen und Schüler körperliche Zuneigung „brauchen“. Er weist damit der emotionalen Ebene von Schule eine gewisse Bedeutung, ja, eine Notwendigkeit zu. Aus Angst vor Missbrauchsvorwürfen fühlt Konrad sich hier aber gehemmt
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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und lässt eine „gesunde Vorsicht“ walten. In seinem Bekanntenkreis hat er miterlebt, wie schnell man sich diesem Verdacht ausgesetzt sehen kann, auch wenn er zu Unrecht erhoben wird. Das Ende der Sequenz („also in so was möchte ich nicht tappen.“) erinnert daran, dass Schülerinnen (und wohl auch Schüler) gezielt Fallen stellen könnten, um sich an Lehrern zu rächen. Für ihn stellt der potentielle Missbrauchsvorwurf eine Bedrohung dar, der ihn daran hindert, die Bedürfnisse der Schüler und Schülerinnen in diesem Bereich zu erfüllen. Dass sich seine Zurückhaltung nicht allein auf diese Ängste gründet, wird deutlich, wenn man die weiteren Ausführungen Konrads betrachtet: „Und (.) da hat ’ne Frau weniger (.) Probleme mit, mit dem Mütterlichen auch einfach mal dann auch ’ne Umarmung; oder so Zärtlichkeiten dann über’n Rücken streicheln oder so. ich find das als Mann komisch. und ähm deswegen mach ich’s das nicht (.) und Frauen haben das auch unter sich eher; also wenn du Frauenfreundschaften anschaust wie die sich begrüßen wenn die sich sehen, und Männerfreundschaften, ähm (.) das ist von dem Austausch der Zärtlichkeiten sagen wir mal (.) anders; also das sind einfach Frauen. u:nd (.) die sind in dem Bereich (.) offener? vielleicht auch, oder es (.) es wirkt auch natürlicher wenn die das machen als wenn ein Mann das macht. auch für unser Auge denk ich; (.) un:d (.) deswegen können die sich das auch in der Grundschule erlauben. oder erlauben des klingt so also es sieht halt nicht (2) ja, gefährlich aus oder so. (3)“ (558-567)
Konrad naturalisiert sein eigenes Problem: Frauen weisen eine natürliche Mütterlichkeit auf, die diese berechtigt, einen körperlich-emotionalen Umgang mit Kindern zu pflegen. Der Interviewpartner stellt eine Nähe der Tätigkeit an der Grundschule zu den Aufgaben einer Mutter her, denen er als Mann per Geschlechtszugehörigkeit nicht gerecht werden kann. Er selbst findet ein Verhalten, bei dem er körperlichen Kontakt zu den Kindern aufnehmen müsste, als Mann „komisch“. Es passt nicht in sein Bild von Maskulinität. Dieses Bild zeichnet er auch für andere Bereiche: Freundschaften von Frauen seinen ebenfalls körperorientierter, bei Männerfreundschaften sind – unter einer heteronormativen Matrix betrachtet – selbst Begrüßungsrituale, die den Anschein von „Zärtlichkeiten“ haben, irritierend und unnatürlich. Die Essentialisierung dieser festgestellten Differenz erlebt in der Sequenz ihren Höhepunkt, wenn Konrad feststellt: „Also das sind einfach Frauen.“ Eine weitere Erörterung ist nicht notwendig, das Geschlecht regelt den sozialen Umgang miteinander und bestimmt, was erlaubt ist und was nicht. Die Aussagen am Schluss der Sequenz, emotionale Zuwendung durch Männer im Grundschulbereich sehe „gefährlich“ aus, schließt noch einmal an den vorhergehenden Diskurs um sexuellen Missbrauch an. Insgesamt stellt Konrad mit dieser Sequenz fest, dass Männer generell eigentlich nicht für diesen Beruf geeignet sind. Dies gilt für ihn als Mann im Besonderen. Im fehlt die natürliche und naturgegebene Mütterlichkeit, die nur Frauen vorweisen können: Der Umgang mit Kindern dieser Altersstufe erfordert emotionale Zuwendung und körperlichen Kontakt. Dieser Anforderung kann er
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C Empirische Ergebnisse
qua Geschlechtszugehörigkeit nicht nachkommen; der Umgang mit Kindern wird als problematisch, ja gefährlich gesehen: Konrad ist fehl am Platz. Männer in der Grundschule: „Grundschullehrer sind die weicheren, verweichlichten, Wollpulli tragenden Gitarrenspieler“ Auf die Frage, ob er die Forderung nach eine Männerquote an Grundschulen unterstützt, antwortet Konrad: „Ich weiß es nicht, ob ich das auch fordern würde. ound das war die Frage odero? (7) also es ist schwierig; wenn ich sehe (.) es gibt halt welche die ’n guten Job machen und es gibt halt welche die ’n kein guten Job machen; und es gibt verdammt viele Frauen die da einfach gut am Platz sind und das (.) super machen, und auch welche die da falsch am Platz sind und das (.) das ist halt so.“ (583-587)
Zunächst fällt auf, welch lange Überlegensphase seiner eingangs formulierten Meinungslosigkeit folgt. Es scheint kein Thema zu sein, mit dem er sich bislang beschäftigt hat. Schließlich stellt er fest, dass die meisten Frauen ihren Beruf an der Grundschule sehr professionell ausüben. Die Betonungen im Sprachduktus weisen darauf hin, dass er, trotz der langen Pause zu Beginn der Sequenz, diese Einschätzung vehement vertritt und er keinen Zweifel an seiner Aussage gelten lassen möchte. Obschon er für einige Frauen feststellt, dass diese ihren „Job“ nicht gut machen und zuvor auch Männern zugesteht, gute Arbeit an Grundschulen zu leisten, so spricht gerade im Zusammenhang mit der vorher beschriebenen Passage dennoch eine Naturalisierung aus seiner Argumentation: Grundsätzlich sind Frauen allein auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit sehr viel besser für diesen Beruf geeignet. Während bei den Männern nur „welche“ die Aufgaben „gut“ ausüben, sind es bei den Frauen, wie er durch die Intonation hervorhebt, „verdammt viele“, die „einfach gut“ in den Beruf passen. Für Kinder allein erziehender Mütter meint er aber die notwendige Anwesenheit männlicher Lehrer zu erkennen: „Ich hab festgestellt dass gerade Kinder aus zerrütteten E- Ehen, die bei der Mutter leben (.) und vielleicht auch nicht mehr so Kontakt zum Va- zum Vater haben, auch dankbar sind, dass du als Mann in der Grundschule bist. und das merkst du einfach (.) da dran dass ähm das Kind da dich halt dann eher mal begleitet oder ähm (.) ja du merkst ja ob ob jemand anhänglicher ist oder auch nicht (.) und ich hab auch oft Situationen gehabt wo die Mütter dann gesagt haben ach ich jetzt froh, dass sie als Mann mal sind das brauch sie irgendwie. so also. (.) es hat schon (.) auch es ist schon auch von dem Aspekt her wichtig.“ (587-594)
Konrad nimmt die Perspektive sowohl der Kinder als auch der Mütter ein. Die betonte Verwendung des Adjektivs „dankbar“ impliziert, dass es quasi ein Geschenk ist, dass er als Mann in der Grundschule anwesend ist. Er interpretiert das Verhalten
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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der Kinder vor dem Hintergrund deren Familiensituation und stellt fest, dass er hier kompensatorisch wirkt. Von den Müttern erfährt er eine Thematisierung seines Geschlechts, das ihn von seinen Kolleginnen abhebt und ihm einen besonderen Status zuweist. Auffällig ist an dieser Stelle der Sprachstil des ansonsten sehr eloquent auftretenden Interviewpartners. Zu interpretieren sind die Satzverschleifungen, Abbrüche und Fragmentierungen als ambivalente Haltung zu den Zuschreibungen, die er erfährt. Zum einen fühlt er sich unentbehrlich für zumindest diese Klientel, auf der anderen Seite möchte Konrad aber gern entbehrlich sein, um sich aus seinem Beruf verabschieden zu können. So schiebt er im direkten Anschluss nach: „Andererseits es gibt ja auch ’n Grund warum nicht so viel Männer da sind,“ (594f.)
Nähere Ausführungen unterbleiben. Konrad betrachtet den Interviewer als allwissend, den Grund für so offensichtlich, dass dieser nicht näher expliziert werden muss: Männern fehlt die Mütterlichkeit, die für diesen Beruf unabdingbar ist. In seiner Antwort auf die direkte Nachfrage, worin er die Gründe für den geringen Männeranteil an Grundschulen sieht, bestätigt sich diese Interpretation: „Ja:::, mehrere Gründe. also ich denk es gibt einfach viele die nicht nah am Kind sind, oder nicht nah am Kind sein wollen, weil sie denken dass die Männlichkeit drunter leidet, äh und dann gibt’s viele die:: einfach auf Grund dass sie tatsächlich nicht nah am Kind sind das auch nicht können, also sich auf ’n Kind einlassen oder auch (.) du musst ja innerlich dir äh oft auch im Klaren sein was geht in dem Kind grad vor, also du musst dich ja schon auf die Ebene begeben. (.) das können viele nicht, das wollen viele nicht,“ (613-618)
Konrad spricht Männern den Zugang zum Kind ab. Als Begründung für die ablehnende Haltung nennt er die Angst davor, dass „die Männlichkeit darunter leidet“. Diese elementare Angst, die die ganze Identität in Frage stellt, weist auf ein traditionelles Rollenverständnis hin: Die Beschäftigung mit Kindern gilt als unmännlich und bleibt Frauen vorbehalten. Dabei besteht auf Seiten der Männer ein Wechselspiel von Nicht-Wollen und Nicht-Können. Ist ersteres von Ängsten bestimmt, so bedeutet letzteres eine grundsätzliche Veranlagung, die als Tatsache und Naturgesetz feststeht. Konrad ergänzt diesen grundlegenden Aspekt, der ja auch sein eigenes Hadern mit dem Beruf ausmacht, durch einen weiteren, der bei näherer Betrachtung in eine ähnliche Richtung zielt: „Dann äh (.) ist es in der Gesellschaft immer noch so, dass die Grundschullehrer eben eher die weicheren verweichlichten (.) äh Wollpulli tragenden Gitarrenspieler sind, also um’s mal ganz überspitzt zu sagen; es gibt auch noch viele die tatsächlich so sind; un:d ja, das natürlich auch nicht gerade ’n gesundes Klischee ist in das du dich gerade rein begibst,“ (618-622)
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C Empirische Ergebnisse
Zunächst bezieht sich Konrad auf das Bild, das die Öffentlichkeit von männlichen Grundschullehrern seiner Meinung nach hat. Er zeichnet das Gegenbild zu seiner Vorstellung von Männlichkeit, die von einer maskulin konnotierten Härte gekennzeichnet ist: Der Grundschullehrer ist – im Vergleich zu einem ‚richtigen Mann‘ – nicht nur ‚weicher‘, er ist in der Steigerung ‚verweichlicht‘. Durch diese Beschreibung wird die Männlichkeit massiv in Frage gestellt, der Schritt von ‚verweichlicht‘ zu ‚verweiblicht‘ ist nicht nur in semantischer Hinsicht ein kleiner. Der „Wollpulli tragende Gitarrenspieler“ verdeutlicht symbolhaft Unmännlichkeit. Konrad, der weiter oben betont, wie gern er selbst Hemden trägt und wie sehr seine Authentizität darunter leide, dass er „Grundschulklamotten“ tragen müsse, markiert durch den Gebrauch der gewählten Metapher, dass er auf jeden Fall nicht zu dieser Sorte Grundschullehrer gehört. Dass es in der Tat noch viele Grundschullehrer gibt, die diesem Klischee entsprechen, nimmt er als rufschädigende Bedrohung wahr. Es wird deutlich, dass Konrad alles daran setzen muss, sich von dieser marginalisierten Männlichkeit abzusetzen. Der zeitliche Aspekt in der Formulierung „es gibt auch noch viele die tatsächlich so sind“ weist darauf hin, dass er selbst einer anderen Generation angehört, die diesem Klischee auf keinem Fall entspricht. Genugtuung verspürt Konrad auch aufgrund der Reaktionen seiner Umwelt, wenn er das erste Mal seinen Beruf offenbart: „Also wenn ich in in zum Beispiel in Kreisen bin, wo ich äh dann (.) wo die anderen nicht wissen was mein Beruf ist und ich das dann später sag, können sich die Meisten das bei mir nicht vorstellen. weil sie sagen ach du siehst gar nicht aus wie ’n Grundschullehrer.“ (626-628)
Konrad wird nicht als Grundschullehrer identifiziert. Er macht dies an seinem äußeren Erscheinungsbild fest. Konrad hakt in solchen Situationen bei seinem Gegenüber nach: „Und da ist natürlich dann immer meine Frage; ja wie sieht denn ’n Grundschullehrer aus weil mich des brennend interessiert; und dann kommen halt tatsächlich so diese Wollpulliaspekte. das ist tatsächlich noch so tief drin und äh (.) das passiert ganz oft.“ (628-631)
Einerseits erfüllt es Konrad mit Genugtuung, nicht ‚erkannt‘ zu werden, da er den gängigen Klischees nicht entspricht. Dennoch beschäftigt ihn das Bild seines Berufstandes in der Öffentlichkeit, sonst würde er nicht „brennend interessiert“ nachfragen, sondern könnte eigentlich zufrieden mit der Einschätzung seines Gegenübers sein. Dass er dies doch tut, weist auf eine Unzufriedenheit mit dem Sozialprestige hin, die eine Identifikation mit dem Beruf unmöglich macht. Da er als ‚wahrer Mann‘ gelten möchte, muss er sich nicht nur von seinen Kolleginnen, sondern auch von seinen männlichen Kollegen abgrenzen.
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Generell dominiert aber die Abgrenzung von den weiblichen Kolleginnen seine Haltung. So weiß Konrad auf die Frage nach der Akzeptanz bei seinen Schülerinnen und Schülern zu berichten: „Ja. (.) also wirklich von Kinderseite eher positive Erfahrung, (.) auch äh (.) dann Kinder die dankbar sind dass mal- also des klingt jetzt natürlich sehr eitel oder äh so dass als ob’s nur bei mir laufen würd’, so ist es nicht aber viele Kinder sind dankbar dass einfach bei bei mir, oder bei meinen Kollegen ruhiger ist, weil wir uns durchsetzen,“ (635-638)
Erneut bemüht Konrad den Begriff „dankbar“, wenn er von der Anerkennung durch die Kinder spricht. Vorsichtig weist Konrad darauf hin, dass er nicht in den Verdacht geraten möchte, „eitel“ oder arrogant zu sein. Dennoch stellt er fest, dass er und seine männlichen Kollegen über einen Autoritätsvorsprung seinen weiblichen Kolleginnen gegenüber verfügen. Die Kinder seien zufrieden damit, dass es während des Unterrichts bei ihm „ruhiger“ ist. Auf Grund des Mannseins verfügen er und die Kollegen über ein Durchsetzungsvermögen, was den Frauen anscheinend in Folge deren Geschlechtszugehörigkeit grundsätzlich fehlt. Da Konrad mit dieser Ansicht nicht chauvinistisch wirken möchte, ergänzt er: „,Und (.) nicht dass ’ne Frau das nicht kann, aber vielleicht (.) ja ich denk Kinder reagieren eben auf Männer ab und zu dann doch anders,“ (638-640)
Um seine Kolleginnen nicht zu diskreditieren, erklärt er die Reaktion der Kinder auf das Gegenüber zur Ursache für diesen Sachverhalt. Da er diese Erklärung sich aber nur ‚denkt‘, während er über das Durchsetzungsvermögen ohne weitere Einschränkung gesprochen hat, kann davon ausgegangen werden, dass diese Ergänzung vor allem der Political Correctness geschuldet ist. Das Gendering der Kinder ist als Reaktion zu verstehen auf die tatsächlich existierende Differenz. Von Elternseite erfährt er, nun unabhängig von der Familiensituation, ebenfalls Wertschätzung: „Äh und von den Eltern w::- wirklich nur positiv. also wirklich oft dieser Spruch äh schön dass mal ’n Grundschullehrer macht, und äh (.) äh mal ’n Mann macht, (.) un:d da durchaus positiv.“ (640-642)
Die Betonungen durch das Adverb „wirklich“ lässt keinen Zweifel an der positiven Diskriminierung, die Konrad von Elterseite erfährt, aufkommen. Diese Anerkennung ist ihm in Teilen trotzdem unheimlich, da er sich selbst ja kaum mit seinem Beruf identifiziert. So fügt er hinzu: „Wobei du da in ’ner Ebene bist wenn du ’n Elterngespräch hast wird dir nie ’n Elternteil sagen ach das passt gar nicht zu ihnen. wie jetzt in anderen Kreisen also ich glaub dass da auch vieles nicht ausgesprochen wird; (.) was ja klar ist. (3)“ (642-644)
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C Empirische Ergebnisse
Konrad hofft eigentlich, dass nicht nur neutrale Personen ihn nicht als Grundschullehrer identifizieren; im Grunde wäre es ihm recht, wenn auch die Eltern merken würden, dass der Beruf eigentlich nicht zu ihm passt. Er unterstellt, dass diese das durchaus bemerken, es im System Schule aber nicht äußern können. Erneut wird eine Ambivalenz sichtbar. Auf der einen Seite fühlt sich Konrad in der professionellen Art seiner Berufsausübung bestätigt, auf der anderen Seite wirkt die Anerkennung, die er erfährt, als Bedrohung: Er gerät in den Verdacht, tatsächlich ein guter Grundschullehrer und damit unmännlich zu sein. Danach gefragt, ob sich für ihn an der Schule etwas ändern würde, wenn er mehr männliche Kollegen hätte, antwortet der Interviewte: „((Seufzt)) mh=ja, ich denke dass man dann so Sachen (.) so Vorstellungen eher (.) oder ich, verwirklichen könnte wie zum Beispiel diese Vorstellung dass man sagt (.) äh wir haben des Thema, wir treffen uns am dem Tag und bereiten (.) uns das vor so dass wir das Material wirklich da haben also (2) ich glaube wenn wir mehr Kollegen wären in einem Team, dass wir da straighter rangehen würden. (2) teils (.) ich also es wär aber auch gefährlich weil ich glaub des würd so (.) ’ne Männergruppe und so ’ne Frauengruppe dann im Kollegium geben. (.) und das ist dann auch bedenklich; ähm also es hat hätte auch ’ne gefährliche Komponente glaub ich. (2) aber gewisse Prozesse behaupt ich würden effektiver laufen. (2) und das klingt natürlich immer gleich frauenfeindlich äh (.) das will ich überhaupt nicht damit sagen, aber ja. ich denk halt einfach, dass das effektiver wäre;“ (651-660)
Die Frage bezieht Konrad sofort auf die Kooperationsmöglichkeiten. Das Thema der in seinen Augen mangelhaften Kooperation, das schon in der Eingangssequenz des Interviews von ihm ausführlich erörtert wurde, wird an dieser Stele wieder aufgegriffen. Noch einmal werden die Kolleginnen für das Misslingen verantwortlich gemacht, nun ganz offensichtlich auf Grund von deren Geschlecht. Als Kontrastierung setzt er Mannsein mit Pragmatik und Effizienz gleich. Das Bemühen, zu erklären, dass er seine Einschätzung nicht gegen Frauen gerichtet verstanden haben will, weist darauf hin, dass er um politische Korrektheit bemüht ist. Dennoch schließt sich ein „aber“ an und er betont noch einmal seine Überzeugung, dass in einem Team mit Männern zielstrebiger gearbeitet wird. Weiter ist interessant, dass Konrad davon ausgeht, dass sich in einem im quantitativen Geschlechterverhältnis ausgeglichenen Kollegium automatisch geschlechtshomogene Gruppen bilden. Dies verdeutlicht seine Einschätzung, dass Frauen und Männer grundlegend verschieden sind und getrennte Räume besetzen. Im Grunde gibt er sich nur notgedrungen und aus Mangel an männlichen Kollegen mit den Frauen an seiner Schule ab. Dennoch sieht er die Gefahr einer Spaltung des Kollegiums, die mit einem Mehr an Männern verbunden wäre. Warum dies eine „gefährliche Komponente“ darstellt, bleibt dabei im Dunklen, legt er in der Praxis doch wenig Wert auf eine Zusammenarbeit. Die wenig vorhandene Klarheit Konrads zu dieser Thematik lässt sich nicht nur anhand der zahlreichen Pausen in seiner Ausführung,
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sondern auch daran erkennen, dass er sich um eine differenzierte Sichtweise bemüht. Er nimmt die Frauenperspektive ein und ergänzt seine Ausführungen: „Fraglich ist dann wenn nur Frauen unter sich dann wären ob ob die einfach dann auch zufriedener wären oder wie wie sich Frauen fühlen wenn Männer dabei sind das wär natürlich auch mal spannend. ob Frauen denken dass wir das ausbremsen oder dass wir zu::; vielleicht denken wir zu wenig nach für die Frauen oder, ja des äh wär natürlich auch mal spannend. (2)“ (660-664)
Konrad stellt die Vision eines reinen Frauenkollegiums zur Debatte und äußert die Vermutung, dass Frauen eventuell lieber unter sich bleiben würden. Der Pragmatismus der Männer steht für Konrad im Gegensatz zum Nachdenken; ‚Nachdenken‘ meint hier ein Eruieren der richtigen Methoden, der individuellen Zugangsmöglichkeiten zu einem Thema, vielleicht auch eine differenziertere Betrachtung von Lernvoraussetzungen. Aus der Frauenperspektive heraus kann Konrad sich vorstellen, dass die männlichen Kollegen didaktisch-methodische Überlegungen „ausbremsen“, diesen im Wege stehen. Diese Sichtweise bleibt als theoretisches Konstrukt stehen, kann aber vor dem Hintergrund von Konrads Handlungspraxis gesehen werden. In dieser unterläuft er institutionalisierte Kooperationsbemühungen, wie weiter oben dargestellt wurde. Das betonte „wir“ in der Passage macht die Abgrenzung von den Frauen überdeutlich. Es bezeichnet aber auch das bestehende Triumvirat ‚Rektor-Konrektor-Konrad‘, das innerhalb des Kollegiums de facto eine geschlechtshomogene Gruppierung bildet. Auf Grund der Funktion des Rektors, der in den Pausen eher in seinem Büro arbeitet, sowie auf Grund der Arbeitsweise des Konrektors, der seinen Unterricht „gern in der Klasse vorarbeitet“ (670), spricht Konrad davon, dass „wir diese Gruppierung jetzt nicht so extrem ausleben dass wir jetzt im Kollegium die ganze Zeit dann an einem Eck sitzen;“ (668f.).
Der Männerbund entfaltet seine Wirkkraft weniger im Schulalltag, wohl aber bei besonderen Anlässen: „Und so Bier (.) Bier trinken gehen des gibt’s dann zum Beispiel nach den nach ’ner Schulveranstaltung wo jetzt die Frauen sagen ah jetzt gehen wir heim, viele haben ja auch einfach Familie, und (.) das sind so Situationen wo wir sagen ach ja komm jetzt gehen wir noch; (.) also; (2)“ (671-674)
Den Kolleginnen wird hier die Rolle der Familienmütter zugewiesen, die nach Schulveranstaltungen nach Hause zu Mann und Kindern eilen. Die doppelte Vergesellschaftung der Frau bildet den Hinderungsgrund für gemeinsame Aktivitäten. Die Männer, die – außer Konrad – eventuell ebenfalls Familien haben könnten, berührt dies nicht; sie besiegeln ihren Bund beim vielleicht männlichsten aller Getränke, einem Bier.
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Doch auch im Nicht-Zusammensein wird ein Bündnis hergestellt: Beide Schulleiter ziehen sich in den Pausen zurück und vermeiden anscheinend den Kontakt mit den Kolleginnen. Konrad verfolgt eine ähnliche Strategie: „Ich nehme selbst ab und zu Auszeiten. (.) ähm und sitz dann also nicht- Auszeit heißt dass ich einfach in der großen Pause dann mal eher kopier oder (.) vorrichte (.) das heißt nicht, dass ich dann in der Ecke sitz und schmoll aber ich kann’s nicht immer ertragen einfach. ja,“ (824-827)
Der Interviewpartner erträgt die Anwesenheit seiner Kolleginnen nicht, er flüchtet sich in die Unterrichtsvorbereitung und vermeidet so eine Zusammenkunft. Die Verwendung des Verbs „ertragen“ bezeichnet ein starkes Gefühl, das über das oben genannte „anstrengend“, mit dem die Situation im Kollegium beschrieben wird, weit hinausreicht. Dieses Befinden prägt entscheidend seinen berufsbezogenen Habitus, der von einem aktiv betriebenen Rückzug getragen wird. Zusammenfassende Interpretation Konrad tritt als äußerst selbstbewusster Interviewpartner auf. Sprachlich versiert stellt er sich an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichsten Zusammenhängen als fachlich und didaktisch äußerst kompetent dar. Die Tätigkeit als Grundschullehrer entspricht dabei nicht seinem selbst erlebten Potential, er fühlt sich intellektuell unterfordert. Die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern erlebt er als anstrengend und belastend. Er fürchtet den Verlust seiner Authentizität, muss er seine sprachlichen und intellektuellen Fähigkeiten doch dem Niveau der Kinder anpassen. Zwar fühlt Konrad sich weiterhin seinem Anspruch verpflichtet, guten Unterricht zu halten, doch langweilt ihn dies zunehmend. Unbefriedigend erlebt Konrad auch die Kooperation mit seinen Kolleginnen. Der Interviewpartner ist stark darauf bedacht, Privates von Beruflichem zu trennen, vermeidet persönliche Kontakte zu seinen Kolleginnen, darüber hinaus inzwischen auch berufliche. Kooperation findet nur zu den von ihm gesetzten Bedingungen statt. Vehement lehnt der Interviewpartner den Umgang der Kolleginnen untereinander ab. Diesen stellt er als irrational, emotional geladen und von persönlichen, sachfremden Empfindungen geleitet dar. Konrad spricht davon, sich für seine Kolleginnen und deren Verhalten zu schämen. Die Auseinandersetzung mit ihnen empfindet er als Zumutung, die er kaum noch erträgt. Um der Situation zu entkommen, sucht Konrad aktiv und bewusst nach Rückzugsmöglichkeiten. Gleichzeitig begibt sich Konrad auf eine Stufe mit der männlich besetzten Schulleitung und sucht hier ein Bündnis. Sein Geschlecht lässt keinen Zweifel daran, dass er quasi der dritte Schulleiter ist. Nur diese Position legitimiert ihn dazu, als Mann eine in der Gesellschaft und auch von ihm selbst weiblich konnotierte Tätigkeit auszuüben. Da letztendlich aber kein Platz für einen dritten Schulleiter
1.5 Fallanalyse Konrad: „Damit ich irgendwie überlebe.“
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vorhanden ist, kann Konrad seinen inoffiziellen Führungsanspruch nicht durchsetzen: Es bleibt nur der (innere) Abschied. Die Belastungssituation, in der sich Konrad befindet, führt er auf sein Mannsein in einem gegengeschlechtlichen Berufsfeld zurück. Explizit kommt er darauf zu sprechen, dass die Arbeit mit jüngeren Kindern Eigenschaften verlangt, über die er als Mann nicht verfügt: Konrad spricht von der notwendigen „Mütterlichkeit“, die qua natura Frauen vorbehalten bleibt. Kontrastreich schreibt er Männern, und damit auch sich selbst, andere Eigenschaften zu: Rationalität, Pragmatismus, Effizienz, Durchsetzungsfähigkeit, Autorität, Führungsstärke, Gelassenheit und Ironie. Dieser Eigenschaftskatalog wirkt sich direkt auf seinen beruflichen Habitus aus. Da er für die Geduld verlangende Beziehungs- und Erziehungsarbeit in der Schule das falsche Geschlecht hat, erlebt er diese als äußerst anstrengend und blendet sie, wann immer es geht, aus. Die Grenze zwischen notwendiger emotionaler Zuwendung und „Verhätscheln“ ist für ihn fließend, gerade letzteres schreibt er Frauen zu. Für sich als Mann stellt er als Kontrast hierzu die Vermittlung kognitiver Kompetenzen klar in den Vordergrund seiner Berufsauffassung. Doch selbst aus dieser kann er keine Befriedigung mehr ziehen: Die zu vermittelnden Inhalte wiederholen sich, das fachliche Niveau in der Grundschule entspricht nicht dem eigenen intellektuellen Potential. Keine Auswirkung hat diese Haltung auf die Einstellung zu offenen Unterrichtsformen: Hier kann Konrad als methodisch versiert und durchaus reflektiert bezeichnet werden. Eine Abgrenzung von seinen Kolleginnen, die ebenfalls stark binnendifferenzierend arbeiten, findet auf dieser Ebene nicht statt. Generell ist Konrad bemüht, sein Konstrukt von Männlichkeit trotz seines weiblich konnotierten Berufes zu wahren. Gerade das von ihm gezeichnete Bild des Berufs in der Öffentlichkeit bedroht ihn in seiner vergeschlechtlichten Identität. Daher geht Konrad so weit, sich nicht nur von seinen weiblichen Kolleginnen, sondern auch von anderen männlichen Grundschullehrern abzugrenzen. Dabei bleibt es nicht: Er ist darum bemüht, sich insgesamt von seinem Beruf abzugrenzen. Denn eigentlich ist Konrad viel zu rational, pragmatisch und kompetent, sprich: viel zu sehr Mann, um in diesem Berufsfeld tätig zu sein. Dass er dennoch als Grundschullehrer tätig ist, erweckt in ihm Schamgefühle. Konrads Lage erscheint ihm selbst als ausweglos: Er generalisiert sein Erleben auf eine grundsätzliche Problematik, die einem ‚richtiger‘ Mann in diesem Berufsfeld unweigerlich widerfährt. Er fürchtet um seine Authentizität und Identität, die stark an sein Mannsein gebunden sind und die er akut gefährdet sieht. Die sich daraus ergebende Unzufriedenheit weitet sich zu einer Identitätskrise aus. Dieser begegnet er konkret mit einer Abwertung seiner Kolleginnen, dem Versuch, eine komplizenhafte Männlichkeit mit seinen männlichen Schulleitern herzustellen
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C Empirische Ergebnisse
sowie mit der Betonung eigener, männlicher Eigenschaften und Kompetenzen. Die vielschichtigen Abgrenzungsbemühungen Konrads führen nicht zuletzt dazu, dass sich sein Mannsein und die Angst um den Verlust der eigenen Männlichkeit wie eine Matrix über seine gesamte Berufsausübung legen. Konrad befindet sich in einer Identitätskrise, da er als Mann und als Person nicht in die Grundschule passt. Mehr oder weniger verzweifelt sucht Konrad nach möglichen Perspektiven in Form von Alternativen zum ausgeübten Beruf, bislang jedoch ohne konkreten Erfolg. Ein innerer Abschied vom Beruf hat sich derweilen weitgehend vollzogen. ‚Allein unter Frauen‘ bedeutet für Konrad die schamhafte Flucht in die selbst gewählte Isolation.
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“ Zur Person und zur Schule Zum Zeitpunkt des Interviews ist Udo 51 Jahre alt. Nach dem Besuch der Mittelschule absolvierte er zunächst eine Ausbildung im gehobenen Verwaltungsdienst. Diese Ausbildung berechtigte ihn zum Studium an einer Pädagogischen Hochschule, das er zunächst mit dem Stufenschwerpunkt Hauptschule aufnahm. Nach wenigen Semestern wechselte er seinen Stufenschwerpunkt auf das Lehramt für Grundschulen. Die von ihm studierten Fächer waren Deutsch und Geschichte. Seither ist er ununterbrochen im Schuldienst tätig, an seinem jetzigen Dienstort seit Anfang der 1990er Jahre. Der Dienstort befindet sich im ländlichen Raum, jedoch in Nähe zu einer Großstadt. Das Dorf gilt als bevorzugte Wohnadresse für Akademiker, die in der Stadt arbeiten und sich hier den Traum vom Einfamilienhaus erfüllt haben. Udo unterrichtet zum Zeitpunkt des Interviews eine 4. Klasse als Klassenlehrer in allen Fächern außer Musik, Bildende Kunst und Technisches Werken. Mit vier Stunden ist er an eine benachbarte Schule abgeordnet, da an seiner Schule ein Deputatsüberhang besteht. In dieser – mit seiner Stammschule von der Schulstruktur fast identischen – Schule unterrichtet er in einer 4. Klasse die Fächer Bildende Kunst und Textiles Werken. In beiden Kollegien ist er der einzige Mann. In seiner Stammschule unterrichten neben ihm vier Kolleginnen, in der Schule, an die er abgeordnet ist, ebenfalls. In beiden Fällen handelt es sich um einzügige Schulen, deren Klassen eine zum Teil sehr überschaubare Anzahl von Kindern besuchen. Die Schulleiterin seiner Stammschule ist etwa gleichaltrig wie er, ebenso die beiden anderen Kolleginnen.
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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Postskriptum Kontaktaufnahme Der Interviewpartner Udo ist dem Interviewer aus seiner Referendariatszeit bekannt. Diese liegt schon annähernd fünfzehn Jahre zurück, seither bestand kein Kontakt mehr zwischen Interviewer und Interviewtem. Die Kontaktaufnahme für das Interview erfolgte telefonisch. Udo war nach der Klärung verschiedener Fragen seinerseits zu Sinn, Zweck, Thema und Ablauf zu einem Interview bereit, das auf Grund von terminlichen Schwierigkeiten erst einige Wochen nach der Kontaktaufnahme durchgeführt wurde. Zum thematischen Schwerpunkt des geplanten Interviews wurden Udo im Vorfeld nur vage Informationen geliefert: Es ginge hauptsächlich um das Befinden von Grundschullehrern.
Setting und Verlauf Das Interview fand nach einem Schultag abends im Wohnzimmer des Interviewpartners statt. Interviewer und Interviewter saßen sich auf einem Sofa und einem Sessel schräg gegenüber, das Mikrofon war auf einem kleinen Beistelltisch platziert. Zunächst fand ein allgemeiner Austausch über das momentane Befinden von Interviewtem und Interviewer statt, wobei diese Unterhaltung recht schnell abgeschlossen war. Während des Aufbaus des technischen Equipments, wurde das Forschungsanliegen noch einmal sehr weitläufig und wenig konkret skizziert. Nach Erhebung der Daten aus dem Kurzfragebogen fand das Interview dann in legerer Atmosphäre statt. Das Interview zeichnete sich dadurch aus, dass Udo kein großes Mitteilungsbedürfnis hatte. Zwar beantwortete er die Fragen nicht unbedingt lustlos, doch entstand zuweilen der Eindruck, dass er nicht wirklich gewillt war, sich auf die Themen, die angesprochen wurden, einzulassen. Das Interview wurde daher vom Interviewer als eher mühsam empfunden, zumal Udo zeitweise sehr leise und nuschelnd sprach. Nach 20 Minuten betrat die Ehefrau von Udo kurz den Raum, begrüßte den Interviewer, verließ den Raum aber sofort wieder. Das Interview dauerte insgesamt knapp 52 Minuten. Nach dem Interview Nach dem Interview folgte eine etwa halbstündige eine Unterhaltung vor allem über die berufliche Entwicklung des Interviewers. Ferner vertiefte Udo noch einzelne Aspekte aus dem Interview, unter anderem den der Kontrolle durch Vorgesetzte. Des Weiteren fand ein fachliches Gespräch über Rechtschreibunterricht statt, wobei Udo vor allem von Erfahrungen in seiner jetzigen Klasse berichtete. Sein Mitteilungsbedürfnis hielt sich aber auch hier in Grenzen.
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C Empirische Ergebnisse
ReÀektierende Interpretation Berufseinstieg: „Darauf war ich in keiner Art und Weise weder vorbereitet oder sonst irgendwas.“ Der Interviewpartner greift den angebotenen berufsbiografischen Erzählstimulus auf und berichtet zunächst von den Stationen seiner dienstlichen Laufbahn. Dies geschieht chronologisch und ohne auf spezielle Erlebnisse oder sein Befinden an den jeweiligen Schulen einzugehen. Nur einmal berichtet er etwas detaillierter: „Dann kam ich nach Sonnstadt, und da wurd ich dann mit ’ner (.) hatt ich dann ’ne achte Klasse. (.) und das war schon dann nicht so ohne. (.) denn darauf war ich in keiner Art und Weise weder vorbereitet oder sonst irgendwas. und hatte dann die achte Klasse in Mathe und was weiß ich was alles von was ich also relativ wenig Ahnung hatte, es war recht lustig.“ (8-12)
Udo, der den Stufenschwerpunkt Grundschule studiert hat, fühlt sich auf die ihn erwartenden Aufgaben wenig vorbereitet und qualifiziert. Er unterrichtet eine Hauptschulklasse in Fächern, von denen er „also relativ wenig Ahnung“ hat. Die Formulierung „es war recht lustig“ ist ironisch zu verstehen und deutet darauf hin, dass er mit einigen Problemen zu kämpfen hatte, auf die er aber nicht näher eingeht. An späterer Stelle im Interview wertet er sein anfängliches Berufshandeln gar ab, indem er berichtet, dass er hier „rummurkste“ (233). Ansonsten ist aus seinen Erinnerungen lediglich herauszulesen, dass er grundsätzlich damit zufrieden ist, im Grundschulbereich eingesetzt zu werden. Berufswahlmotivation: „Probierst du es halt mal!“ Zu seiner Berufswahlmotivation äußert er sich etwas ausführlicher. Den Beruf des Verwaltungsangestellten, den er vor seinem Studium erlernt hatte, ergreift er, ohne sich größere Gedanken darüber zu machen: „Das war mehr oder weniger (also) @(.)@ ohne weitere Überlegungen, das lag so am Weg, ja (.) sagen wir mal so ja, also ohne größere Überlegungen oder sonst was; war eigentlich nie Zi- Ziel und Zweck der ganzen Geschichte ja, und da wollt ich dann schon raus;“ (31-34)
Der Interviewpartner erweckt den Eindruck, dass es sich bei seiner Berufswahl um keinen aktiven Prozess handelt, er quasi in diesen hineingeraten sei. Da er sich nie mit dem Beruf identifiziert hat, spielt er mit dem Gedanken, seinen Beruf zu wechseln. Udo wird aktiv: „Diese diese Studienberechtigung die ich hatte die ging oich weiß es gar nicht mehr genau aufo Jura, und Verwaltungswissenschaften (.) PH (2) dacht ich mir probierst du’s halt mal, (2)“ (35-38)
Als Quereinsteiger steht Udo nur eine begrenzte Zahl von Möglichkeiten zur Verfügung, ein Studium zu ergreifen. Warum er sich für das Lehramtsstudium
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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entscheidet, erläutert er nicht näher. Anzunehmen ist, dass er eine Tätigkeit anstrebt, die nichts mit seiner vorhergehenden zu tun hat. Die verhältnismäßig laut vorgetragene Formulierung „probierst du’s halt mal“ zeugt dabei von wenig Ehrgeiz, Engagement oder intrinsischer Motivation: Udo möchte aus seinem Erstberuf heraus, nur daher beginnt er das Studium an der Pädagogischen Hochschule. „Und es war aber auch einfach (.) denk ich daher (2) motiviert dadurch, dass es einfach was völlig anderes war wie das was ich da vorhin machte dass es das nicht gewesen sein kann ja nee!, was da vorher ablief, das war mir da irgendwie schon mehr oder weniger klar.“ (41-44)
Udo sucht den Kontrast; die vagen Formulierungen („denk ich“, „irgendwie“, „mehr oder weniger“) sind ebenfalls als Hinweise zu verstehen, dass Udo eher einem allgemeinen Gefühl der Unzufriedenheit folgt, als er seinen Beruf aufgibt, als dass er dies aus einer Begeisterung für sein neues Berufsziel tut. BeruÁiche Karriere: „Dafür ist mir dann der Rest meines Lebens zu wichtig.“ Eine vorübergehende Tätigkeit als stellvertretender Schulleiter bedeutet für Udo keine positive Anerkennung seiner Fähigkeiten oder gar das Erreichen eines statushöheren Zieles: „Dann hatt ich noch die Ehre da ein Jahr lang als:: die Schule zu leiten da oben weil der andere ging, (2) im letzten Jahr als ich die ( ).“ (24f.)
Ironisch, fast schon sarkastisch äußert er sich über diese Aufgabe, die, wie er einfließen lässt, eigentlich eine „Ehre“ sein sollte. Er hingegen scheint froh zu sein, dass er diese Aufgabe nur vorübergehend ausfüllen muss und seither als ‚ganz normaler‘ Grundschullehrer arbeiten kann. Dieser Eindruck bestätigt sich an späterer Stelle, als er sich auf die Frage nach der öffentlichen Akzeptanz seines Berufes äußert: „Als Mann hast du halt (2) also zumindest hast du Rektor zu sein, (2) und da weigere ich mich (.) weigerte ich mich stetig, ja, also (.) aber das hat dann mit anderen Dingen zu tun.“ (414-416)
Auf die sich daran anschließende explizite Frage nach seiner Bereitschaft, eine Funktionsstelle zu übernehmen, antwortet Udo: „Nö::, um Gottes Willen. ich hab das wie gesagt ein Jahr gemacht, das reichte mir dann. ich ich nee!, ä-ä. also dafür ist mir dann:: der Rest meines Lebens zu wichtig, nee!“ (418-420)
Obwohl Udo unterstellt, man müsse als in der Grundschule tätiger Mann eine Schulleiterstelle innehalten, um in der Öffentlichkeit akzeptiert zu werden, schließt Udo dies für sich kategorisch aus. Besonderes Gewicht wird seiner Aussage
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dadurch verliehen, dass er den Interviewer die Frage gar nicht zu Ende führen lässt, sondern sofort antwortet, und dies mit einer Vehemenz, die keinen Zweifel an seiner Aussage zulässt. Die Verwendung des Verbs „weigerte“ impliziert, dass das Angebot durchaus bestand, langfristig eine Schulleiterstelle zu besetzen. Er aber nimmt dieses Angebot nicht wahr und gibt als Grund dafür zunächst noch indifferent an, dies habe „mit anderen Dingen“ zu tun. In der darauf folgenden Äußerung stellt Udo klar, dass ihm der außerberufliche, private Bereich seines Lebens zu wichtig sei, um sich mit den Aufgaben einer Funktionsstelle zu belasten. Das gesteigerte Sozialprestige ist es Udo nicht wert, sein Privatleben in welcher Form auch immer einzuschränken. Die Trennung von Privat- und Berufsleben haben einen so hohen Stellenwert für Udo und dessen Befinden, dass Udo auf eine berufliche Karriere verzichtet. Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern: „Ich krieg die Zufriedenheit, wenn ich sehe, dass es läuft.“ Direkt nach seinem heutigen Befinden in seinem Beruf befragt antwortet Udo: „Ja also bestimmt besser wie ich vor zehn, zwölf Jahren dachte; sagen wir’s mal so. (2) man kriegt natürlich da so ’ne gewisse Routine (.) ganz bestimmt also gerade darauf bezogen jetzt weniger auf rein fachliche Dinge sondern (4) auf:: ja f:: so- soll wie soll ich das jetzt nennen so soziale Geschichten; ja, wie man mit Leuten umgeht wie man mit Kindern umgeht und so weiter, das::: geht da denk ich schon besser;“ (64-68)
Udo antwortet nicht mit einem ‚Gut‘ oder einer entsprechenden Äußerung, sondern mit „besser als wie ich vor zehn, zwölf Jahren dachte“. Udo, der seit vielen Jahren ununterbrochen im Schuldienst tätig ist, scheint zunächst Befürchtungen zu haben, dass sich sein Befinden im Beruf nicht optimal entwickeln könnte. Auch lässt diese Aussage darauf schließen, dass er in den ersten zehn Jahren seiner Berufstätigkeit Erfahrungen gemacht hat, die zu einer negativen Erwartungshaltung gegenüber seiner berufsbiografischen Zukunft führt. Inzwischen ist seine Befindlichkeit zwar nicht unbedingt gut, aber immerhin zufriedenstellend. Als Grund für diese Entwicklung führt er die Routine im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern an. Die Qualifikation, die er zunächst „soziale Geschichten“ nennt, dann den Umgang mit „Leuten“ und zuletzt erst den Umgang mit „Kindern“, entwickelte sich bei Udo mit der Zeit. Die Formulierung „man kriegt natürlich da“ lässt darauf schließen, dass dieser Prozess nicht als aktiv gestalteter angesehen wird, sondern dass es sich um eine logische Folge von Erfahrung handelt, die sich mit der Zeit von allein einstellt. Dennoch fühlt sich Udo gerade durch den Umgang mit Kindern belastet. Er schließt direkt an oben stehende Sequenz an: „Das ist anstrengend; ja, ganz bestimmt, das ist bestimmt anstrengender wie’s vor (.) fünfzehn Jahren war; (2) also wenn ich mir vorstell ich hätt jetzt das Know-How das ich heute hätte und
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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müsste vor sagen wir mal vor fünfzehn Jahren unterrichten, hätte ich bestimmt bedeutend weniger zu tun wie jetzt; und es wär auch bestimmt auch weniger viel viel (.) nicht so stressig; ja, (2) also ’s ist schon relativ anspruchsvoll würd ich mal sagen.“ (68-74)
Der Interviewpartner zeigt einen Entwicklungsprozess auf: Die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern ist im Vergleich zu früher anstrengender geworden. Diese Einschätzung markiert er nicht als sein persönliches Gefühl, sondern als Tatsache. Er kommt noch einmal auf seine Routine zu sprechen, diesmal „KnowHow“ genannt. Udo behauptet, dass ihm das heute zur Verfügung stehende Handlungswissen, hätte er es damals schon gehabt, einiges an Arbeit erspart hätte. Er hätte „bedeutend weniger zu tun wie jetzt“, wobei sich diese These nicht nur auf quantitative, sondern auch auf qualitative Aspekte seiner Arbeit bezieht. Udo sucht nach einem treffenden Ausdruck, um sein Empfinden zu beschreiben: „und es wär auch bestimmt auch weniger viel viel (.) nicht so stressig; ja,“. Der Umgang mit seinen Schülerinnen und Schülern bedeutet für Udo nicht nur Anstrengung und Arbeit, sondern in der Steigerung Stress. Zusammenfassend spricht er davon, dass seine Tätigkeit „schon relativ anspruchsvoll“ sei. Durch diese Äußerungen stellt Udo dar, in einem anspruchsvollen Berufsfeld zu arbeiten, das professionelle Kompetenzen erfordert. Dadurch beugt er eventuellen Vermutungen vor, dass er – mit der Routine, die er inzwischen hat – eine Tätigkeit ausübt, die wenig Engagement und Einsatz erfordert. Udo kann nicht unbedingt von den Erfahrungen profitieren, die er im Laufe seiner Dienstjahre gesammelt hat, denn die verändert auftretenden Kinder verlangen ein anderes professionelles Handeln, als dies vor einigen Jahren noch der Fall war. Auf die Frage, was genau er als anstrengend erlebt, antwortet Udo: „Ich würd sagen der Umgang mit Kindern allgemein ist schon anstrengender geworden. sie sind fordernder geworden. (3) entwickeln eher ihre eigene Persönlichkeit. und mit denen muss man umgehen lernen. (2) wenn man dann natürlich dann mal den Fuß drin hat geht des ganz gut; ja, jetzt von meiner jetzigen Situation aus gesehen, (.) ((tiefes Ausatmen)) (.) das ist an sich immer das gleiche Spiel. wenn du jetzt 3/4 unterrichtest; ja, turnend im Wechsel; ja, dann hast du quasi (.) oder hab ich in in Klasse 3 wahnsinnig viel zu tun bis ich die soweit hab, ja, dass all diese Sachen halbwegs laufen; ja, das Miteinander-Umgehen; ha ja und dann bist du in Klasse 4, da geht das dann an sich ganz gut, im Moment hab ich da an sich mit (.) mit denen die ich hab nicht so arg viel zu tun; ja, diesbezüglich. aber ich bin mir todsicher wenn ich dann irgendwo an we- wenn ich wieder von von Anfang geht des Spiel wieder von vorne los; ja, (2) ich meine das ist wahrscheinlich das was diese (.) diese Anstrengung ausmacht ein Stück weit; ja, (5) dieses dieses @Verhaltenstraining@ im Endeffekt oder wie man das nennen will.“ (76-89)
Udo sieht die Hauptanstrengung seiner beruflichen Tätigkeit im erzieherischen Wirken. Noch einmal betont Udo, „der Umgang mit Kindern“ im Allgemeinen sei anstrengender geworden. Dies führt er darauf zurück, dass die Kinder mehr von ihm fordern und heute eher eine eigene Persönlichkeit entwickeln. Die Selbstständigkeit
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der Schülerinnen und Schüler erlebt Udo als störend: Mit ihren Ansprüchen rücken die Kinder in die Nähe der im populärwissenschaftlichen Diskurs so genannten ‚Kleinen Tyrannen‘, die zu erziehen ihm nun auferlegt wird. Vor allem in Klasse 3 sieht er die Schwierigkeit, den Schülerinnen und Schülern ein entsprechendes Sozialverhalten nahe zu bringen. Dort habe er „wahnsinnig viel zu tun“, also eine enorm hohe Arbeitsbelastung zu bewältigen. Erst nachdem er ein Jahr gewirkt hat, nämlich in Klasse 4, entspannt sich die Situation für ihn wieder: „ich hab nicht so arg viel zu tun; ja, diesbezüglich.“ Durch das „diesbezüglich“ macht Udo deutlich, dass dies für ihn aber nicht bedeutet, dass er sich nun zurücklehnen kann. Anscheinend treten andere Aufgaben an die Stelle der erzieherischen Aufgaben, auf die er aber nicht näher eingeht. Udo benutzt das Wort „Verhaltenstraining“, modalisert den Begriff durch sein Lachen zwar scherzhaft, meint ihn aber durchaus ernst. Er versteht sein erzieherisches Wirken tatsächlich als eine Art Training im Sinne der klassischen Konditionierung; implizit lässt Udo einfließen, dass er seine Aufgabe erfolgreich bewältigt. Dass sich seine Aussagen bislang nur auf die 3. und 4. Klassen beziehen, ist nachvollziehbar vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit in genau diesen. Darüber, dass er nicht in der Schuleingangsstufe unterrichten muss, zeigt Udo sich erleichtert: „Weil je kleiner die Kinder werden desto anstrengender wird’s für mich zumindest. das mag aber mit meiner männlichen Note ich weiß es nicht zusammenhängen. (2) ich denk dass das Männern allgemein etwas schwerer fällt. sich auf (.) auf die::: (4) auf die Köpfe von sechsjährige Kinder einzustellen @so was@ auf die Funktionsmechanismen. also mir fällt’s einfach leichter; ja, mit Leuten umzugehen, die schon so’n gewisses Level erreicht haben; wenn man nicht unbedingt bei Null anfangen muss; (2) sondern durchaus was voraussetzen kann diesbezüglich.“ (93-100)
Udo ist froh darüber, weiteren Anstrengungen zu entgehen. Sich auf sechsjährige Schülerinnen und Schüler einzustellen, betrachtet er als schwierig. Dabei sind es die „Köpfe“ und „Funktionsmechanismen“, zu denen er wenig Zugang hat. Die Ausdrucksweise deutet auf eine große Distanz hin, die Schulanfängerinnen und Schulanfänger werden technokratisch betrachtet. Er selbst besitzt keine ‚Gebrauchsanweisung‘, wie mit diesen umzugehen ist. Udo, der durchaus auch schon erste und zweite Klassen unterrichtet hat, bezieht dieses distanzierte Verhältnis aber nicht ausschließlich auf sein individuelles Empfinden. Die Schwierigkeiten führt er auf seine „männliche Note“ zurück, also auf seine Geschlechtszugehörigkeit, die er mit ganz bestimmten Verhaltensweisen und Eigenschaften verbindet. Generell hält er Frauen für geeigneter, sich mit kleineren Kindern zu beschäftigen. Udo naturalisiert sein Empfinden und legitimiert es dadurch. Die differenztheoretische Zuschreibung von Eignungen für verschiedene Tätigkeiten auf Grund des Geschlechts geschieht zunächst ohne eine explizite Abwertung von Frauen. In den Formulierungen „ein
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gewisses Level erreicht haben“ und „bei Null anfangen“ ist aber die Tendenz enthalten, vermeintlich statushöhere Tätigkeiten Männern zuzuschreiben. Im Sinne einer kommunikativen Validierung fasst der Interviewer Udos Sichtweise zu den geschlechtsspezifischen Aufgabenzuschreibungen zusammen: Y: „Ja, du hast es ja schon angesprochen eben, dass du denkst, dass Frauen so für die kleinen, jetzt erste zweite Klasse, ja lass es mich mal geeigneter nennen, sind.“ (101f.)
Udo beruft sich nun stark auf seine persönlichen Erfahrungen und nimmt die verallgemeinernde Aussage aus der vorhergehenden Sequenz zurück: „Ja, Gott, ob ich das jetzt unbedingt ob man das jetzt gerade so unbedingt festmachen kann in letzter Konsequenz weiß ich auch nicht; ich würd jetzt von mir ausgehen, mir liegt’s nicht. Also ich hab’s gemacht, ja, ich find’s für mich also (.) viel anstrengender wie das andere; (.) ob das jetzt d=f- zu verallgemeinern wäre, weiß ich nicht,“ (103-106)
Zu fragen bleibt, warum er seine vorhergehende Äußerung relativiert. Die geschlechtsspezifische Aufgabenzuschreibung wurde von ihm initiiert, ohne dass er im bisherigen Interviewverlauf mit dem Thema Geschlecht konfrontiert wurde. Es ist davon auszugehen, dass seine zuerst geäußerte Auffassung seine Haltung widerspiegelt. Da er seine Aussage auf Nachfrage hin abschwächt und ihr eine andere Argumentation zugrunde legt, kann vermutet werden, dass er sich mit der Thematik bislang nicht reflexiv im Sinne eines bewussten Denkhandelns auseinandergesetzt hat. Durch das entschiedene „weiß ich nicht“ am Ende der Sequenz betont Udo dann auch, dass er sich auf keine Theorie festlegen möchte. Eine vertiefte Auseinadersetzung mit der Thematik erscheint ihm unnütz, ihm genügt sein Erfahrungswissen als Grundlage eines individuellen Erklärungsmusters, sofern es überhaupt einer Erklärung bedarf. Dass er keine gültigen Aussagen zu geschlechtsspezifischen Fragestellungen machen kann, legitimiert er damit, keine anderen männlichen Grundschullehrer zu kennen. Er kann nur für sich selbst sprechen: „Also ich ich ich ich hab da kein kein Einblick; ich weiß es nicht; ich kenn niemand; ja, (.) ich kenn nur mich, @(.)@“ (108f.)
Udo hatte, abgesehen von zwei männlichen Rektoren, während seiner gesamten Dienstlaufbahn noch nie einen männlichen Kollegen. Er beruft sich darauf, nur von eigenen Empfindungen berichten zu können, die nicht als allgemeingültig angesehen werden können. Die massiven Wortwiederholungen zu Beginn der Sequenz, die schon beinahe einem Stottern gleichkommen, deuten erneut darauf hin, dass dieses Themengebiet in Form eines reflexiven Professionsverständnisses für Udo nur wenig Bedeutung hat. Udo sieht sich durch die Nachfrage in die
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Defensive gedrängt, er verweigert sich einer weiteren Auseinandersetzung. So sind auch der Ausspruch „ich kenn nur mich“ sowie das Lachen am Ende der Sequenz zu verstehen: Frag mich etwas, was mit mir zu tun hat. Als Mann in der Grundschule: „Ja, allein unter Frauen. Ja, und?“ Udo geht noch einmal die Stationen seiner beruflichen Laufbahn durch und bestätigt, dass er tatsächlich nie einen männlichen Grundschulkollegen hatte. Auf die sich daran anschließende Frage, wie es ihm als einzigem Mann in seinem Kollegium gehe, weicht Udo zunächst aus: „Das ist jetzt für mich relativ schwer zu beantworten weil ich die Gegensituation nicht kenn;“ (123f.)
Erneut lässt sich feststellen, dass das Thema Geschlecht für Udo eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Er verweigert sich erneut: Wie schon zuvor gibt er an, nur von Dingen sprechen zu können, die er auch tatsächlich kenne und erlebt habe. Gedankenkonstrukte hält er für unzulässig, eine Abstraktionsleistung findet nicht statt. Schließlich fährt er dennoch fort: „Also ich vermiss manchmal. (.) die männliche Person. (2) ich merk das bei uns in Schöndorf zum Beispiel dass ich einfach mit dem Karl Weber beispielshalber; ja, anders reden kann oder oder anders umgehen kann, ja,“ (124-126)
Udo gibt zu erkennen, dass er sich durchaus einen männlichen Kollegen wünscht. Als Indiz für einen potentiell anderen Umgang als den erlebten mit Frauen führt Udo den Religionslehrer an, der nur wenige Stunden an seiner Schule unterrichtet. Allerdings vermisst Udo dabei nicht einen männlichen ‚Kollegen‘, sondern vielmehr eine „Person“: Er wünscht sich anscheinende eine persönliche Beziehung, die über das Kollegiale hinausgeht. Nur schwer lässt sich die darauf folgende Sequenz interpretieren: „Ich hatt wie gesagt in in Spestadt dann die Hauptschulleute, ja, (3) was ja dann gerade das umgekehrte Verhältnis ist wiederum, ja, (.) aber sonst fehlt mir da jegliche (.) Erfahrung; (.) @mit so Leut@ müsstest du mich jetzt da einfach spezieller fragen, ja, das weiß ich kann ich wie ging’s mir da; ja, (.) ich gu::t, (.) bis (.) bis durchwachsen, ja, je nach dem, ja, das käm jetzt auf die Spezifizierung an; ja, (4)“ (130-135)
Udo berichtet nun, dass er an einer Schule sehr wohl männliche Kollegen hatte, die allerdings im Hauptschulbereich eingesetzt waren. Diese hält er für zu vernachlässigen, denn er geht nicht näher auf das Verhältnis zu ihnen ein. An späterer Stelle erklärt sich dies aus der Antwort auf die Frage, ob er sich in diesem Kollegium mehr Kontakt zu den Männern in der Hauptschule gewünscht hätte: „Überhaupt nicht, ich hab mich an die Grundschulleute gehalten;“ (171)
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Es fällt auf, dass er nicht von den Frauen bzw. Kolleginnen im Grundschulbereich spricht, sondern von den „Grundschulleuten“. Udo entdramatisiert Geschlecht an dieser Stelle, nur die gemeinsame Tätigkeit in derselben Schulstufe hat Bedeutung. Die mehrfachen Abbrüche vor der Beschreibung seines Befindens als „gu::t (.) bis (.) durchwachsen“ unterstreichen die inhaltliche Aussage, dass er ein relativ indifferentes Bild davon hat. Es geht Udo nicht schlecht, aber auch nicht gut. „Das käm jetzt auf die Spezifizierung an“: Eine Spezifizierung in wiefern? Auf das Verhältnis zu einzelnen Kolleginnen? Auf die kollegiale Zusammenarbeit? Oder aber auf den Unterrichtsalltag? Er selbst nimmt eine Spezifizierung nicht vor und hält in der Folge ein anderes Erklärungsmuster für sein differentes Befinden in den verschiedenen Kollegien bereit: „,Ja, wobei die Sache wahrscheinlich die ist ich will’s nur ich muss es doch wahrscheinlich etwas spezifizieren; anfänglich war meine Situation ja die, dass ich (2) sehr jung war, ja, und hatt es mit älteren Kolleginnen zu tun; ja, und das ist ja noch mal was völlig anderes. (3) ich hatte im Endeffekt drei verschiedene drei verschiedene Möglichkeiten. entweder hab ich’s mit Älteren zu tun, oder ich hab’s mit Jüngeren zu tun oder ich hab’s mit Gleichalten zu tun. ja, am besten kam ich wahrscheinlich mit den Älteren und den Jüngeren hin; ja, also wenn’s denn irgendwie hakte, war’s mit den Gleichaltrigen. (5)“ (139-146)
Warum das Alter der Kolleginnen für Udo eine Rolle spielt, erklärt er auf Nachfrage so: „Du, ich (.) würd mal sagen wenn du’s mit Älteren zu tun hast, ja, dann bist du in der Situation (.) dass die dir im Endeffekt was weitergeben. (2) wenn du’s mit Jüngeren zu tun hast, gibst du denen was weiter. und wenn du’s mit Gleichaltrigen zu tun hast, stehst du mit denen irgendwie in Konkurrenz. ja, ob du willst oder nicht; ja, (.) ich glaub das kommt da immer irgendwie so so (.) so unterschwellig immanent ins Spiel.“ (151-155)
Mit älteren und jüngeren Kolleginnen versteht sich Udo auf Grund des so verstandenen Mentoren- bzw. Mentorinnenverhältnisses gut: Von älteren Kolleginnen kann er etwas lernen, jüngeren Kolleginnen selbst etwas vermitteln. Mit Gleichaltrigen „hakte“ es „irgendwie“ manchmal, und das auf Grund einer Konkurrenzsituation, die auftritt, „ob du willst oder nicht“. Durch die Verwendung der 2. Person Singular markiert Udo das seiner Sichtweise entsprechende Generationenverhältnis als naturgegeben und unausweichlich, daneben als „unterschwellig immanent“ wirksam. Ein offener Konkurrenzkampf besteht nicht, er tritt verborgen auf. Udo hält es für ausgeschlossen, dass einer ähnlichen Generationenlage eine symmetrische kollegiale Beziehungsstruktur folgt. Er betrachtet die Kategorie ‚Alter‘ als informelle Hierarchie, die aus dem unterschiedlichen Erfahrungsschatz abzuleiten ist. Diese Hierarchie regelt das Miteinander, Konkurrenz um Macht und Ansehen kommt nicht auf.
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C Empirische Ergebnisse
Erneut darauf angesprochen, ob dies seiner Meinung nach auch mit der Geschlechterkonstellation zu tun haben könnte, äußert sich Udo: „Das weiß ich nicht, das kann ich nicht sagen, ich kenn den ich (2) ich vermut mal fast, ich weiß es nicht, ja, (2) beziehungsweise ich=ich (2) ’s käm auf ’nen Versuch an ob man da irgendwie die o- ob die Komplikationsschiene da::: gradliniger laufen; ich weiß es nicht. wie gesagt ich kenn den (.) ich kenn den Fall nicht. ich hab ihn nie gehabt.“ (161-164)
Noch einmal beruft sich der Interviewte vehement darauf, mit männlichen Kollegen keine Erfahrung zu haben. Auch die sich dann anschließende Aussage „ich vermut mal fast“, die erst nach einer kurzen Pause gemacht wird, schränkt er sogleich wieder durch ein „ich weiß es nicht“ ein. Abermals nach einer Pause meint er, „’s käm auf ’nen Versuch an ob man da irgendwie die o- ob die Komplikationsschiene da::: gradliniger laufen“. Udo muss diesen Fall anscheinend zunächst erleben, um ein abschließendes Urteil bilden zu können. Einen Versuch wäre es dennoch wert. Schon allein der Ausdruck „Komplikationsschiene“ deutet darauf hin, dass der Umgang mit – gleichaltrigen? – Kolleginnen nicht frei ist von Konflikten. Insgesamt stellt für Udo aber nicht das Geschlecht, sondern das Alter die zentrale Kategorie für den gelingenden oder misslingenden kollegialen Umgang miteinander dar. Verhältnis zu Vorgesetzten: „Das war, was diese Kontrolliererei anging, die schlimmste Erfahrung, die ich machte.“ Das im oben skizzierten Zusammenhang geäußerte Adjektiv „gradliniger“ scheint für Udo eine besondere Bedeutung zu haben. In der folgenden Textpassage äußert er sich im nochmaligen Rückblick auf seine Tätigkeit in Spestadt: „Aber da ging’s mir an sich ganz gut, ja, ich hatt da ’nen Rektor mit dem ich da dann (.) fantastisch hinkam, (.) das war zwar der war zwar schwarz wie die Nacht, aber (.) aber irgend@wie (.)@ ein völlig gradliniger Typ;“ (171-174)
In Kontrast gesetzt mit dem Begriff „Komplikationsschiene“ weiter oben meint Udo mit „gradlinig“ vermutlich einen unkomplizierten, direkten Umgang. Dabei stört Udo nicht, dass die Person eventuell andere Einstellungen oder eine andere politische Gesinnung wie er selbst vertritt. Sein Rektor sei zwar „schwarz wie die Nacht“ gewesen, also höchst konservativ, dennoch ging es Udo mit ihm „an sich ganz gut“, wobei das „an sich“ sowie das „ganz“ seinem Sprechhabitus entsprechen und nicht als Einschränkung zu lesen sind. Das gute Verhältnis macht Udo allerdings nicht am männlichen Geschlecht des Rektors fest, auch wenn der Begriff „gradlinig“ zunächst als männlich konnotiert interpretiert werden könnte. Vielmehr bemüht er auch hier die Generationenfrage:
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„Das würd ich aber nicht auf die:: (.) auf die::::: (4) auf das Geschlecht da abziehen, das würd ich wenn schon denn schon auf’s Alter abziehen, (2) also da würd ich wieder einfach auf die Gleichaltrigkeit rausgehen, ja, dass du da natürlich dann (.) ((tiefes Ausatmen)) (4) anders reagierst, ja, (2) den anderen Mann den ich da hatte war ein alter Mann, ja, (.) und das kann ich jetzt auch nicht sagen ich komm mit der Maria an sich unterdessen ganz gut hin, mit wem ich überhaupt nicht hinkam war der in Mulldorf. (3) der war in etwa so alt wie ich; ja, also mit dem hab ich furchtbar gestritten; (6)“ (184-190)
Der Rektor, mit dem er sich gut verstand, war ein „alter Mann“, derjenige, mit dem er „furchtbar gestritten“ hat, war in etwa gleichaltrig. Widerlegt wird Udos These durch die Tatsache, dass Maria, seine jetzige Rektorin, ebenfalls gleichaltrig wie er ist und er mit dieser „an sich unterdessen ganz gut“ auskommt. Obwohl er selbst diesen Widerspruch erkennt („und das kann ich jetzt auch nicht sagen“), greift Udo noch einmal sein generationenspezifisches Erklärungsmuster auf, auch wenn er zunächst nach der Persönlichkeitsstruktur seines Gegenübers fragt: „Also ich denk das hat viel eher was damit zu tun wie die jeweiligen Leute strukturiert sind; ja, ob die dann jetzt männlich sind oder weiblich, das:: (4) also den ärgsten Hader hatt ich wie gesagt also mit dem in Mulldorf. (4) und ich müsst mich jetzt wiederholen wie gesagt der ist ((tiefes Ein- und Ausatmen)) der war so alt wie ich oder geringfügig älter,“ (195-199)
Worin genau die Konflikte zwischen ihm und dem Schulleiter in Mulldorf bestehen, davon berichtet Udo nichts. Es ist ein grundlegendes Misstrauen, das ihn belastet und auf das er viel später im Interview von sich aus zu sprechen kommt: „Also der den ich damals hatte, von dem ich dir erzählte in Mulldorf, der ging mir also bestimmt mehr auf’n auf den Sack. @das brauchst du jetzt nicht da in (.) ( )@ beispielsweise diesbezüglich. also das war bestimmt dann (.) was diese Kontrolliererei anging die:: die:: die schlimmste Erfahrung die ich machte. (2)“ (325-330)
Im Rückblick auf seine Berufsbiografie ist das mangelnde Vertrauen die „schlimmste Erfahrung die ich machte“. Die Verwendung des Superlativs macht sichtbar, wie ernst es Udo mit seiner Aussage ist und wie traumatisch die Erfahrungen im Mulldorf für ihn waren. Auch der Vulgarismus in der Sequenz unterstreicht die Bedeutung des Themas für Udo. Für sein Befinden im Beruf scheint es entscheidend zu sein, selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten zu können, ohne dabei kontrolliert zu werden. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn er sich im Anschluss weiter an seine erste Stelle in Spestadt erinnert: „Ich konnt in Spestadt also da fing ich neu an. konnt ich also die die die fünf sechs Jahre lang völlig unabhängig arbeiten. also wirklich absolut unabhängig. ja, und man brachte mir Vertrauen gegenüber, äh ich ich konnt wirklich da:: vor mich hinmachen, ja wie ich mir das vorstellte. und das war ’ne wunderbare Sache. (2)“ (332-335)
312
C Empirische Ergebnisse
Von „Vertrauen“ ist die Rede, kurz nach der dargestellten Sequenz sogar von „Urvertrauen“ (338); dann aber vor allem auch von Unabhängigkeit. Udo wird weder kontrolliert noch muss er sich an Vorgaben oder Absprachen halten. Selbstständigkeit und die Möglichkeit, die eigenen Vorstellungen umzusetzen, sind für ihn hohe Werte, die seine Berufszufriedenheit entscheidend prägen. Inwieweit das Streben nach Unabhängigkeit seinen berufsbezogenen Habitus prägt, wird weiter unten noch deutlich werden. Wie in Mulldorf kann er auch an seiner jetzigen Schule weitgehend selbstständig arbeiten. Allerdings musste er sich diesen Status erst erkämpfen: „Und das hab ich da oben vielleicht unterdessen ein Stück weit, aber ich brauchte lang bis ich das hatte. und das war vielleicht das was mir in Schöndorf speziell stank ein Stück weit. (2) dass ich da irgendwo ein Stück weit mit so mit so ansatzweise Kontrollierereien zu tun hatte, und des des des des (.) des geht mir dann da irgendwie da hab ich dann feine Antennen.“ (338-343)
Mit „das“ ist das Vertrauen gemeint, das ihm inzwischen durch die Schulleiterin entgegengebracht wird. Dies war anfangs anscheinend nicht der Fall. Dass er von seiner Schulleiterin kontrolliert wird, empfindet Udo als massiven Affront. Deutlich wird dies in der Wortwahl: Es „stank“ ihm, „es geht mir dann da“ – man kann sich leicht vorstellen, wie dieser Teilsatz zu Ende zu führen ist. Auf ein solches Verhältnis reagiert Udo vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Mulldorf besonders sensibel, doch inzwischen hat sich, wie oben angedeutet, die Situation entspannt: „Ja, ja, denk ich, wir haben uns da (.) @zusammengerauft@. das ist aber ein beides- ein beidseitiger Prozess. ich mein du kennst die Person ja, die ist ziemlich willensstark, @(.)@ aber unterdessen geht das ganz, geht das (2) ganz gut.“ (350-353)
Die lachende Modulation des Begriffs „zusammengerauft“ deutet an, dass es sich hierbei um eine Verharmlosung handelt und vermutlich etliche Konflikte ausgefochten werden mussten. Den Prozess beschreibt Udo als „beidseitig“, was so zu deuten ist, dass Kompromisse gefunden wurden, die beiden Seiten gerecht werden. Die Charakterisierung der Rektorin als „ziemlich willensstark“, verbunden mit einem kurzen Auflachen, ist als Beleg dafür zu sehen, dass er den Grund für die aufgetretenen Konflikte letztlich in der Person bzw. Persönlichkeitsstruktur der Schulleiterin begründet sieht. Indem er ein Bündnis mit dem Interviewer herstellt, versucht er, seine Sichtweise zu legitimieren. Männer in der Grundschule: „Es ist meiner Meinung nach völlig Wurst, ob das ’ne Frau ist oder ’n Mann oder sonst was.“ Auf die Frage, warum seiner Meinung nach so wenige junge Männer den Beruf des Grundschullehrers ergreifen, antwortet Udo:
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
313
„Ich vermut mal stark dass das so mit ’ner Emphase zu tun hat die die man haben muss wenn man (.) wenn man mit (.) mit kleineren mit jüngeren Kindern umgeht; ja, (.) weil du da einfach (2) ((tiefes Ausatmen)) (2) anders reagieren musst anders anders anders strukturiert sein musst wie wenn du mit Älteren umgehst die eher auf’s Rationale rausgehen; ja, also ich glaub da ((tiefes Ausatmen)) (6) man muss da schon ziemlich ’ne gewisse Sensibilität aufbringen; ja, um mit denen umzugehen, ich denk dass da (.) manch einer davor zurückschreckt, ja, (2)“ (202-209)
Es ist nicht nur das professionelle Agieren selbst, das sich in der Grundschule von jenem an anderen Schularten unterscheidet. Der Interviewpartner konstruiert einen Zusammenhang mit der Tätigkeit und der dafür notwendigen Persönlichkeitsstruktur des Lehrers bzw. der Lehrerin. Das „Rationale“ findet wenig Platz in der Grundschule, für den Umgang mit den Kindern dort ist stattdessen eine „gewisse Sensibilität“ nötig. Udo spricht Männern eine solche nicht generell ab, verweist aber darauf, dass sie hiervor zurückschrecken. Eine fehlende Passung von Geschlecht und Beruf wird somit nicht explizit konstruiert, obschon der Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstruktur und Beruf genau in diese Richtung stößt. Er nennt einen weiteren, extrinsischen Grund, der die Berufswahl beeinflussen könnte: „Oder schlicht und ergreifend ja=also das ist jetzt ganz pragmatisch könnt ich mir vorstellen, bei manch einem ist’s die Bezahlung. (3) da kriegst du halt wenn du @wenn du jetzt@ auf Realschule rausgehst; ja, kriegst halt noch mal ’n paar Mark mehr. (2) und das mag für manch einen würd ich jetzt mal sagen @wohl durchaus ein Grund sein, ja@, (2)“ (219-223)
Hinter dieser Begründungstheorie steht die Karriereorientierung, die Udo bei Männern vermutet: Als Realschullehrer verdient man mehr, daher wird dieser Beruf dem des Grundschullehrers vorgezogen. Das Lachen innerhalb der Sequenz ist so zu lesen, dass Udo diese Motivation für naiv hält. Es entsteht zwar ein logischer Bruch, da er die Sequenz unter dem Vorzeichen Haupt- und nicht Realschule weiterführt, doch beruft er sich auf sein persönliches Erleben: „Aber ich find also die die Arbeit mit Kindern auf der Altersstufe so anstrengend sie ist; ja, manchmal. aber bestimmt viel interessanter wie das was ich (.) ja, was ich rudimentär erfahren hab an der Hauptschule.“ (226 ff)
„Rudimentär“ deshalb, weil er nur kurze Zeit als Hauptschullehrer eingesetzt worden ist. Dennoch kann er beurteilen, dass die Arbeit an der Grundschule erfüllender ist. Dies kann auch eine höhere Bezahlung nicht aufwiegen. In einem Nebensatz lässt Udo das Belastungsmoment seiner Tätigkeit einfließen, das den hohen Anspruch und Wert seiner Arbeit sichtbar macht. Von einer Männerquote, wie sie die damalige Kultusministerin von BadenWürttemberg gefordert hat, hält Udo nichts:
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C Empirische Ergebnisse „Das halt ich jetzt mal für sehr populistisch; ja, für ’ne Dummheit auf gut deutsch gesagt, was soll das, ja, also das hat (.) ich kenn die Diskussion; ja, von wegen da muss das des männliche Element eher rein dieser Vaterersatz oder Tod und Teufel was also ich halt’s für Blödsinn, also wenn einer die Rolle gut bringt, ist’s meiner Meinung nach völlig Wurst ob das ’ne Frau ist oder ’n Mann oder sonst was, ja, (4)“ (238-242)
Udo lehnt eine Männerquote vehement ab. Seine Wortwahl spricht für sich. Er ist mit den Forderungen anscheinend bekannt, hat dazu eine eindeutige Meinung. Die Begründungen, die hinter dem Diskurs stehen, hält er für „Blödsinn“, sie sind für ihn nicht nachvollziehbar. Die Formulierung „dieser Vaterersatz oder Tod und Teufel“ markiert darüber hinaus, dass er eine in diese Richtung zielende Rollenzuschreibung zurückweist: Eine familiale Interpretation hat mit seinem Professionsverständnis nichts zu tun. Daher spielt das Geschlecht der Lehrer und Lehrerinnen auch keine Rolle. Gerade das „oder sonst was“ am Ende der Sequenz macht diese Haltung mehr als deutlich und entdramatisiert die Kategorie vollständig. Entsprechend reagiert der Interviewpartner auch, als er mit der Schlagzeile aus der Bild-Zeitung konfrontiert wird: Lehrerinnen machen Schüler dumm. „Ich mein über die Bildzeitung @braucht man jetzt nicht reden@ das ist natürlich dann das was am Stammtisch abläuft, wieder aufgenommen, und (.) und verbraten. (3) ist Blödsinn meiner Meinung nach. (2) meiner Meinung nach gibt’s gu- es gibt, ’s ’s gibt halt (.) Leute die ’nen Draht haben zu Kindern ansatzweise und ’s gibt Leute die haben halt keinen Draht zu Kindern und egal ob die jetzt da weiß ich was immer sind; ja, (5)“ (247-254)
Die Aussage aus der Bildzeitung weist Udo entschieden zurück und disqualifiziert sie als Stammtischparole, die jeglicher realer Grundlage entbehrt. Das Geschlecht sieht er nicht als Qualifikationsmerkmal für den Umgang mit Kindern an und beruft sich auf eine Typsache, die allein in der Person liegt. Die individuelle, vom Geschlecht losgelöste Persönlichkeit macht er auch für die Autorität verantwortlich, die ein Lehrer bzw. eine Lehrerin gegenüber den Eltern hat. Zu einem späteren Zeitpunkt im Interview, als er danach gefragt wird, ob ihm als Mann ein Vertrauensvorschuss von Elternseite eingeräumt wird, antwortet Udo: „oKann ich nicht sageno. glaub ich nicht. (.) also das würd ich jetzt auch völlig unabhängig von von von der vom Geschlecht @(.)@ sehen wollen, das hat was denk ich mit mi- mi- mit deiner Autorität als Mensch zu tun oder wie du das Ding verkaufst.“ (477-479)
Insgesamt zeichnet Udo ein Bild, das die Kategorie Geschlecht als zu vernachlässigen ansieht. Weder beteiligt er sich aktiv an differenztheoretischen Konstruktionen, noch vermutet er solche bei anderen. Von einem reflexiven Habitus mit einer absichtsvollen Entdramatisierung von Geschlecht kann dennoch nicht gesprochen werden: Geschlechterverhältnisse sind für Udo schlicht und ergreifend kein Thema, mit dem er sich aktiv auseinandersetzt.
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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Stellung im Kollegium: „Ich versuch mich da wohl bewusst ein Stück weit rauszuziehen.“ Der Interviewpartner wird gefragt, ob sich für ihn etwas ändern würde, wenn er einen männlichen Kollegen hätte. Eine Suchbewegung wird sichtbar: „Denk ich nicht. es würd sich vielleicht (.) die Art und Weise wie ich mit mit meinen Kollegen kommunizieren kann, ja, über; jetzt nicht nur unbedingt über Schule sondern über andere Dinge, das würd sich vielleicht ändern. aber die Ar- die reine Arbeit, (3) würd sich glaub ich nicht weiß ich nicht denk ich nicht, ja, (3)“ (270-273)
Für die professionsbezogene Arbeit sieht Udo kein Veränderungspotential. Diese Einschätzung äußert er zunächst spontan, kommt auch im Verlauf der Sequenz zu keinem anderen Ergebnis: „glaub ich nicht weiß ich nicht denk ich nicht“. Konkrete Gedanken hierzu hat er sich jedoch noch nicht gemacht. Lediglich auf der kollegialprivaten Ebene erwartet Udo Auswirkungen durch die Anwesenheit eines männlichen Kollegen. Hier stellt er nicht mögliche Gesprächsthemen in den Vordergrund, sondern die „Art und Weise“, wie über außerschulische Belange geredet wird. Auf die konkrete Nachfrage, ob er sich im Rahmen von schulischer Kooperation eine Veränderung vorstellen könnte, sieht Udo aber doch ein Potential, das seine Arbeit beeinflussen könnte: „Würd ich jetzt nicht in Abrede stellen wollen; wäre denkbar. aber das ist wieder personenbezogen. das käm dann wirklich auf die Person an. und da will ich jetzt nicht in Abrede stellen dass ich mit ’nem männlichen Kollegen wenn der (.) denn ansatzweise auf meiner Wellenlänge liegt, besser zurecht käme; ja, in Anführungszeichen; könnte sein, (4)“ (277-281)
Obwohl die Kategorie Geschlecht nun nicht als völlig bedeutungslos dargestellt wird, dominiert doch der personale Aspekt: Nicht der Mann an sich ist ein möglicher Kooperationspartner, sondern der Mann, der „auf meine Wellenlänge liegt“. Diese Einschränkung ist entscheidend. Insgesamt formuliert Udo sein Gedankenexperiment im Konjunktiv; dies ist als weiterer Hinweis darauf zu verstehen, dass Udo keinen dringlichen Wunsch nach einem männlichen Kollegen hegt. Denn mit seiner Stellung im Kollegium ist er weitgehend zufrieden, garantiert sie ihm doch weitgehende Selbstständigkeit. Auf die Frage nach seiner Position innerhalb des Kollegiums antwortet er: „Also eher randständig. (5) also ich:: ’s kommt wahrscheinlich auch von mir selber ich versuch mich da wohl bewusst ein Stück weit rauszuziehen. (5) und ((Ausatmen)) das ist wahrscheinlich jetzt so einfach (2) in meiner Grundstruktur in meiner psychischen Grundstruktur begründet. (6) ich glaub halt dass ich da eher meine Unabhängigkeit ein Stück weit da (2) haben will; (3) aber glaub durchaus teamfähig bin. (4)“ (291-296)
316
C Empirische Ergebnisse
Udo zeichnet einen aktiven Prozess, der von ihm selbst initiiert wird. Er zieht sich bewusst zurück, um seine Unabhängigkeit zu wahren. Dass er sein Verhalten auf seine grundlegende Persönlichkeitsstruktur zurückführt, entschuldigt sein Verhalten. Dass dieses einer Entschuldigung bedarf, zeigt sich im Abschluss der Sequenz, durch die Udo markiert, dass er trotz seiner Zurückgezogenheit durchaus „teamfähig“ ist. Die vielen Pausen während seiner Äußerung können als Zeichen dafür verstanden werden, dass sich Udo nur ungern mit der Fragestellung auseinadersetzt. Gleichwohl erklären sich aus dieser Sequenz seine nur sehr vage gehaltene Aussagen in Bezug auf einen potentiellen männlichen Kollegen: Da die randständige Position innerhalb des Kollegiums Udos Persönlichkeitsstruktur entspricht und er diese selbst gewählt hat, besteht für ihn auch kein Anlass, einen Wunsch nach Veränderung zu hegen. Entsprechend ist auch die Reaktion Udos auf den Titel der vorliegenden Studie zu deuten: „Ja, (.) allein unter Frauen. (.) ja, (3) und?“ (311)
Udo sieht sein Alleinsein nicht als Problem. Er weist den Begriff ‚allein‘ auch nicht zurück. Der Interviewpartner erlebt sein Alleinsein positiv und deutet dieses in Unabhängigkeit um. Überraschend erklärt er kurz darauf allerdings: „Also ich würd auf jeden Fall generell sagen, ich würd’s begrüßen wenn ich noch ’nen Kollegen hätte. Aus den besagten Gründen; ja, (.) es mag (.) sein, dass ich da jetzt (.) irgendwelche::: Wunschgedanken oder was weiß ich damit verbinde, dass ich sag er fehlt mir; ich weiß es nicht, ja, aber ein Schaden wär’s bestimmt keiner. (5)“ (318-321)
Noch immer zeigt sich Udo indifferent bezüglich des Wunsches nach einem männlichen Kollegen. Wie schon weiter oben hat er wenig konkrete Vorstellungen davon, was genau sich für ihn durch die Anwesenheit eines männlichen Kollegen verändern würde. Im Zusammenhang mit der Frage nach einem Alleinseinsgefühl wird ein diesbezüglicher Wunsch allerdings doch geäußert. Den Verdacht des Interviewers, dass Udo sich eventuell doch einsam oder isoliert fühlen könnte, zerstreut Udo aber sogleich: Y: „Wenn ich jetzt allein mit einsam, oder sogar mit isoliert übersetzen würde?“ U: „Nö, (.) onee! (2) nee! (3) nee!o das nicht. (4)“ (222-224)
Die Pausen zwischen den einzelnen Verneinungen machen sichtbar, dass Udo kurz über seine Situation nachdenkt. Er kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Einsam oder isoliert ist er nicht. Woran sich dann der zumindest schwach vorhandene Wunsch nach einem männlichen Kollegen festmacht, erschließt sich aus der Weiterführung der Sequenz:
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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„Aber streckenweise etwas dominanten Frauen ausgesetzt; sagen wir mal so. (3) und das nervt manchmal auch durchaus.“ (324f.)
Udo bezeichnet seine Kolleginnen als dominant. Diesen sei er „ausgesetzt“, er kann sich anscheinend nur wenig gegen sie wehren. Das „nervt“ ihn. Der Gebrauch dieses Verbs impliziert, dass er unter diesem Zustand nicht wirklich leidet, er ihn aber gern anders gestaltet sähe. Vielleicht ist dies der Grund, warum er sich doch einen männlichen Kollegen wünscht: Er sucht einen Bündnispartner, mit dem er gemeinsam der Dominanz seiner Kolleginnen etwas entgegensetzen kann. Auch in Bezug auf Maßnahmen der inneren Schulreform, bei denen Udo die Haltung seiner Kolleginnen kritisiert, könnte ein männlicher Kollege ihn in seiner Haltung unterstützen. Udo berichtet: „Was mich da vielleicht stört ein Stück weit ist dass meine Kolleginnen speziell da oben auf jeden neuen Zug; ja, der sich irgendwo der irgendwo ankommt; ja, mehr oder weniger es se- ich sag’s jetzt mal so provokativ un- unf- unreflektiert draufhopsen; ja, egal was es immer ist; ja, und das geht mir etwas gegen den Strich;“ (358-362)
Udo wirft seinen Kolleginnen Aktionismus und mangelnde Reflexionsfähigkeit vor. Zwar lehnt er selbst Maßnahmen der inneren Schulentwicklung nicht generell ab, wie sich in der Fortführung der Passage zeigt. Doch mögen diese wohlbedacht sein. Die Ankündigung, er drücke sich „jetzt mal so provokativ“ aus, nimmt der stattfindenden Abwertung Schärfe. Im Zusammenhang mit dem Wunsch nach einem männlichen Kollegen, zeichnet sich eine defizitorientierte Sichtweise auf seine Kolleginnen ab. Bestreitet er bislang den Zusammenhang zwischen Geschlecht und professionellem Selbst, so schreibt er hier erstmals Frauen negativ konnotierte Eigenschaften zu. Zwar bezieht er sich auf seine Kolleginnen „speziell da oben“, dennoch wird von ihm zum ersten Mal ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Geschlecht und beruflichen Orientierungsmustern hergestellt. Ihm selbst geht ein solches Verhalten „etwas gegen den Strich“, wird er hier doch zwangsläufig in Prozesse eingebunden, die ein hohes Maß an Kooperation erfordern und die seinem Unabhängigkeitsstreben entgegenstehen. Berufsprestige: „Zeitdiebe, Tennisspieler.“ Udo sieht den Wert seiner Arbeit in der Berufsprestigeskala des Allensbacher Instituts bestätigt, obwohl er ein solches Umfrageergebnis anscheinend nicht erwartet hätte: „Aber es erstaunt mich doch, dass der Grundschullehrer da relativ weit oben ist, ja, (3) und der Studienrat relativ weit unten wobei ich das jetzt auch als Bestätigung meiner Arbeit nehme, ja, ich denk das ist berechtigt. (2) weil das Engagement bei Grundschullehrern generell ob männlich oder
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C Empirische Ergebnisse weiblich wahrscheinlich um ein Vielfaches höher ist wie das von Studienräten im Allgemeinen. soweit ich sie kenn. (6) aber (4) ich mein das geht ja irgendwie auf:: auf Wertschätzung in der Öffentlichkeit raus; ja, (2)“ (373-379)
Das Engagement von Grundschullehrerinnen und -lehrern sei „um ein Vielfaches“ höher als das der Studienräte, zu denen sich Udo in direkter Konkurrenz sieht. Warum Udo hier zunächst eine Differenzierung zwischen Frauen und Männern vornimmt, diese dann als irrelevant zurückweist, bleibt unklar. Vermutlich ist dies dem bisherigen Interviewverlauf geschuldet, die dem der Interviewer die Kategorie Geschlecht bereits mehrmals eingeführt hat. Seine Sichtweise auf Studienräte leitet er aus eigenen Erfahrungen ab: Diejenigen, die er kenne, engagieren sich weniger als er selbst. Durch Udos Interpretation der Berufsprestigeskala erreicht Udo zweierlei: Er bringt seine Befriedigung über die öffentliche Wertschätzung seines Berufsstandes zum Ausdruck, betont gleichzeitig auch sein eigenes Engagement und den Wert seiner Arbeit: „Wobei ich also den Anschein hatte in meinen fünfundzwanzig Jahren; dass meine Arbeit, die ich leiste, (.) also zumindest mal von den meisten Eltern mit denen ich in der Zeit zu tun hatte, (2) an sich schon schon schon so angenommen wurde wie sie gemeint ist. also schon da hab ich mich jetzt nicht irgendwie untervorteilt gefühlt ooder was immero.“ (379-383)
Dass seine Arbeit anerkannt wird, stellt der Interviewpartner im Rückblick auf seine lange Diensttätigkeit nicht als Tatsache dar, sondern er beruft sich auf den „Anschein“, den er hat. Weiter schränkt er ein, dass ihm diese Wertschätzung „zumindest“ von der Elternschaft entgegengebracht wird. Dies ist als Hinweis darauf zu verstehen, dass andere ihm Wertschätzung verweigerten. Aus anderen Interviewpassagen geht hervor, dass diese anderen vor allem der Schulleiter in Mulldorf, durchaus aber auch seine jetzige Rektorin sind. Eine weitere Einschränkung macht Udo durch die Abtönungspartikel „an sich“; auch die Wortwiederholung „schon schon schon“ kann als Unsicherheit bezüglich seiner Aussage gewertet werden. Seine Arbeit wird nicht gelobt oder als besondere herausgestellt, sondern so „angenommen“, wie sie „gemeint ist“. Das Adverb „untervorteilt“ am Ende der Sequenz mutet seltsam an. Vielleicht kann Udo auf keine, zumindest auf wenig aktive Wertschätzung durch die Elternschaft zurückblicken. Dadurch, dass diese ihn offensichtlich aber nicht kritisieren, fühlt sich Udo in seiner Arbeit bestätigt. Ein Beleg für diese Interpretation könnte sein, dass er in diesem Zusammenhang von Kolleginnen berichtet, die sich der massiven Kritik der Elternschaft stellen mussten: „Mal ’ne Zeit lang [ ] war das ja mal ’ne riesen Macherei gell wo (.) sich manche Kolleginnen also massiv von der Elternschaft auf die Füße getreten fühlten; ja,“ (383-387)
Udo betont noch einmal, dass ihn die Berufsprestigeskala wundere:
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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„Aber das find ich gut, ist wusst ich nicht, ja, ich hätt jetzt die Lehrer da nachdem was man da alles so liest, irgendwo im Keller gesehen. als Zeit- als Zeitdiebe Tennisspieler. ja, (3) und so, (3)“ (391-393)
Udo beruft sich auf die Printmedien, die seiner Meinung nach ein schlechtes Bild der Lehrerschaft vermitteln. Daher hätte er nicht nur ein schlechteres, sondern ein insgesamt schlechtes Abschneiden seines Berufsstandes erwartet, ohne hier zwischen den verschiedenen Schularten zu differenzieren. Lehrerinnen und Lehrer gelten nach Udos Auffassung als „Zeitdiebe“ und „Tennisspieler“. Anzunehmen ist, dass dieses verbreitete Klischee auch Udo unter eine Art Rechtfertigungsdruck setzt. Im Bekanntenkreis hält sich die Anerkennung für seine Tätigkeit in Grenzen. So berichtet Udo: „Ja ich Gott ich mein’ die Leute mit denen ich so normalerweise umgeh, ja, die @wissen das langsam@. so ganz so ganz verstanden haben sie’s wahrscheinlich immer noch nicht, aber (.) man akzeptiert das halt jetzt. also ich glaub es ist in (.) für viele Leute; bevorzugt für Männer; ist es sehr schwierig zu::: zu akzeptieren dass ein Mann Grundschullehrer ist. ja, (.) also irgendwie reg- i=ist das (.) ist das für manch einen nicht so so so einfach @verständlich@. (4) und in der Öffentlichkeit owenn ich das ( )o kann ich nicht beurteilen, ich kann das nur (.) ich kann dir nur das Feed-back geben von Leuten die ich wirklich gut kenn, ja, (.) und da hab ich den Anschein dass man das also::: wie vorhin gesagt akzeptiert, aber aber irgendwie @ist das@ ist das halt kein rechter Beruf für ’nen Mann. (3) würd ich jetzt mal sagen. (.) unterschwellig. (.) les ich das raus.“ (397-407)
Beinahe in die Nähe eines ‚Coming Outs‘ stellt Udo das Bekanntmachen seiner Berufstätigkeit, wenn Udo lachend formuliert, dass seine Bekannten inzwischen um seinen Beruf wissen. Udo wird diesbezüglich mit Unverständnis konfrontiert, Akzeptanz erhält er nur widerstrebend und wohl erst nach längerer Zeit, Respekt dagegen überhaupt nicht. Udos Äußerungen zufolge haben vor allem männliche Personen Probleme damit, seine ausgeübte Berufstätigkeit zu akzeptieren. Die Aussage „für Männer, ist es sehr schwierig“ suggeriert ein gewisses Verständnis für diese Haltung: Dass er auf Grund der Tätigkeit in einem weiblich konnotierten Berufsfeld nicht in seiner Männlichkeit akzeptiert wird, erscheint ihm nachvollziehbar. Ein problematisches Verhältnis der eigenen Männlichkeitskonstruktion in Bezug auf seinen Beruf wird erkennbar. Die Abwertung, die Udo erfährt, wird nicht direkt geäußert, er liest sie „unterschwellig“ aus ihm entgegengebrachten Äußerungen heraus. Den Satz „also irgendwie reg-“ bricht Udo ab. Nicht deutlich wird hier zunächst, ob sich Udo über das private Prestige seines Berufes und seiner Person aufregt, oder eben nicht. Die Art, in der er seine Einschätzung wiedergibt (Abbrüche, Wiederholungen, Pausen, lachend modulierte Äußerungen) deutet darauf hin, dass ihm das Prestige, das seiner Tätigkeit anhaftet, unangenehm oder gar peinlich ist, er unter Umständen aber selbst eine ähnliche Sichtweise teilt. Dies wird in seinen weiteren Ausführungen deutlicher:
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C Empirische Ergebnisse „Weil da irgendwie so’n so’n uraltes Rollenverhältnis reinkommt, ja, Grundschullehrer war halt ein Frauenberuf wie Kindergärtner ein Frauenberuf ist noch viel mehr noch viel mehr, und und und es gibt halt typische Männerberufe; und wenn du dich dich halt als Mann auf die auf die niedere auf die einfache Stufe stellst, ja, das::: das kann ich jetzt nur interpretieren, ja, äh das ist halt nix rechtes, (.) als Mann hast du halt (2) also zumindest hast du Rektor zu sein, (2)“ (410-416)
Zunächst spricht Udo von einem überholten Rollenverständnis, das seiner Meinung nach darauf resultiert, dass der Beruf des Grundschullehrers schon immer ein Frauenberuf war. Das „halt“ deutet an, dass er diese Zuschreibung nicht in Frage stellt. Dass die Sozialgeschichte des Grund- bzw. Volksschullehrerberufs dieser Zuschreibung, die er in der Vergangenheitsform äußert, eigentlich ein diametral entgegengesetztes Bild zeichnet (vgl. Kap. A 3.3) bleibt von Udo unberücksichtigt. Udo stellt die Nähe des Grundschullehrerberufs zu dem der Erzieherin her. Er selbst spricht davon, sich durch die Tätigkeit als Grundschullehrer „auf die niedere auf die einfache Stufe“ zu stellen. Dies stoße in der Öffentlichkeit auf wenig Akzeptanz, nehme man in diesem Bereich nicht zumindest eine Führungsposition ein. Gerade aus der Wortwahl „niedere [...] Stufe“ und der Herstellung der Nähe zum Erzieherinnenberuf spricht ein Minderwertigkeitskomplex, den Udo in der öffentlichen Meinung bestätigt sieht. Gleichzeitig weist Udo selbst durch diese Äußerung Männern statushöhere und Frauen statusniedere Tätigkeiten zu, ohne diese Zuschreibungen in Frage zu stellen. Udo äußert sich im weiteren Fortlauf des Interviews indifferent darüber, wie er mit öffentlichen und privaten Meinungen zu seiner Berufstätigkeit umgeht. Zunächst äußert er sich so: „Stören tut’s mich schon, ja, (.) aber das ist dann relativ schnell abgemacht; ja, (2) also man kriegt dann manchmal so gerade im Freundeskreis so so so flapsige (2) ja, ich kann dir jetzt auch kein konkretes Beispiel geben, aber du wirst’s dir du kannst’s dir ja vorstellen, (2) aber ((Ausatmen)) Gott, ich hab ich hab dann die entsprechende Antwort, aber ich bin damit bestimmt immer wieder konfrontiert o(dass wenn) mehr oder weniger spaßige Art und Weiseo. (4) aber ich bin Gott ja, (2) stören, nö:: (2) also so in in abwertender Form geht das nicht, passiert das nicht. (4)“ (424-429)
Spontan sagt Udo, dass ihn die Bemerkungen seiner Bekannten, für die er an dieser Stelle allerdings kein konkretes Beispiel findet, durchaus stören und verärgern. Er reagiert, indem er „die entsprechende Antwort“ liefert, wobei sein Einspruch keinen Einstellungswandel seiner Bekannten erzeugt. Indem er die Bemerkungen als „mehr oder weniger“ scherzhaft einstuft, kann Udo behaupten, dass sie ihn im Grunde genommen doch nicht stören: „stören, nö::“. Udo bezweifelt abschließend die Ernsthaftigkeit, mit der ihm mangelnde Akzeptanz als Mann in einem feminisierten Berufsfeld entgegengebracht wird. In seiner Person abgewertet sieht er sich durch die Sticheleien nicht. Dass ihn die Thematik dennoch nicht unberührt lässt, wird noch einmal deutlich, wenn Udo verlauten lässt:
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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„Und ansonsten wenn ich mit Leuten die ich jetzt nicht kenn, ja, kann ich weiß ich nicht, ja, wenn wenn ich da in irgendwelcher Form mein Beruf da kund tu, weiß ich nicht was in @deren Köpfe vorgeht@ (4) beziehungsweise das Erstaunen ist:: weiß ja nicht auf was du jetzt raus willst, das Erstaunen ist manchmal groß, ja, wenn ich dann sag; ich bin Grundschullehrer sagen wir mal so rum, ja, irgendwie ordnen die mich irgendwo ganz anders ein; (.) berufsmäßig. also Leute mit denen ich jetzt nicht so:: (2) oabero des @ist mir dann auch egal ich weiß es nicht;@ (7)“ (430-437)
In dieser Passage wird deutlich, dass Udo zufrieden darüber ist, dass man seine Person nicht sofort mit seinem Beruf verbindet. Er scheint insgesamt durchaus das Bedürfnis zu haben, sich von seiner Tätigkeit und den damit verbundenen Zuschreibungen abzugrenzen. Zunächst behauptet Udo, die Reaktionen der anderen nicht einschätzen zu können. Dann zielt er darauf ab, festzustellen, dass diese ob seines Berufes erstaunt sind und ihn „irgendwo ganz anders“ einordnen, vermutlich in einen ‚Männerberuf‘. Die letzte Zeile der Passage, die leise und lachend gesprochen wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Udo froh darüber ist, dass er dem Bild eines typischen Grundschullehrers bzw. gar einer typischen Grundschullehrerin nicht entspricht. Eine innere Distanz zur eigenen Berufstätigkeit wird erkennbar. Im Kollegium: „Da will ich dann nur noch meine Ruhe haben.“ Die Frage, ob er mit seinem Beruf zufrieden ist, beantwortet Udo äußerst knapp: „Ja. (.) also ich:: ja, (.) in Verbindung mit dem Rest meines Lebens, ja, (3)“ (439)
Udo bejaht die Frage zunächst, schränkt seine Antwort aber dahingehend ein, dass er die Zufriedenheit nicht allein aus seiner Tätigkeit ziehen kann. Es braucht den „Rest meines Lebens“ dazu; in wieweit dieser erst durch die Berufsausübung und die damit verbundenen Lebensumstände (sicheres Einkommen, Möglichkeit der freien Zeiteinteilung bei der Unterrichtsvorbereitung und -nachbereitung etc.) ermöglicht wird, geht aus der Aussage nicht hervor. Sichtbar wird erneut die Distanz Udos zu seiner Berufstätigkeit: In ihr allein findet Udo keine Erfüllung. Daher auch die Kürze der Aussage, die keinerlei Hinweise auf das, was ihn an der Arbeit eventuell doch befriedigt, enthält. Aus diesem Grund wird Udo anschließend nach Belastungsmomenten innerhalb seiner Berufstätigkeit gefragt, um über ein Gegenbild an den Gegenstand des Interesses zu gelangen. Er kommt in nachstehender Reihenfolge auf folgende Dinge zu sprechen: Zunehmende Kontrolle verbunden mit einer Einschränkung der Unabhängigkeit in der Arbeitsgestaltung, die schwieriger werdenden Kinder sowie die Anspruchshaltung der Eltern an seiner Schule. Alle drei Faktoren werden relativ abstrakt verhandelt, sodass auf eine detaillierte Darstellung verzichtet wird. Beachtenswert erscheint allerdings die Bewertung der Belastungsfaktoren:
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C Empirische Ergebnisse „Das nervt manchmal schlicht und ergreifend. Das ist nicht mal Stress, das ist (4) aber (.) gut, (2)“ (462f.)
Die Belastung scheint sich für Udo in Grenzen zu halten. Er fühlt sich durch die Faktoren gestört, sein Befinden wird demnach zwar beeinträchtigt, allzu nah lässt er dies aber nicht an sich heran. Es gelingt Udo, distanziert mit den Gegebenheiten umzugehen. Noch einmal wird Udo darauf angesprochen, in wie weit das Geschlechterverhältnis innerhalb des Kollegiums einen Einfluss auf sein Befinden hat. Er berichtet diesmal ausführlicher: „Ja aber ich fühl mich manchmal schon allein unter Frauen. jetzt nicht im Sinne von von von von (.) von ausgeliefert oder oder @was weiß ich was@, (.) ja aber doch; ich fühl mich manchmal allein unter Frauen. ja, weil einfach dieses (.) ((lautes Ausatmen)) (3 )((lautes Ausatmen)) wie soll ich jetzt sagen also diese abseits- de- der der der Pädagogik ablaufenden Gespräche; (3) speziell da oben; ja, (.) weil da einfach um andere Dinge sich kreisen wie das was mir da durch den Kopf geht, ja, (3) und dann kommt mit dazu dass ich jetzt ein Typ bin wenn ich da (.) am Morgen früh in meiner (.) da:: unterrichte, ja, und mit den Kindern da umgeh, dann hab ich bei Gott manchmal wirklich nicht mehr den Nerv dann über (.) über Gott und die Welt zu schwätzen, ja, da da will ich dann nur noch meine Ruhe haben zwischendurch und mal für (.) für fünf Minuten oder zehn Minuten abschalten; ja, (3)“ (489-499)
Zunächst stellt Udo einen Zusammenhang zwischen „allein“ und „ausgeliefert“ her, der seine eigene Situation aber nicht treffend beschreibe. Udo fühlt sich zwar nicht seinen Kolleginnen ausgeliefert, wohl aber deren Themen. Diese entsprechen nicht seiner Interessenlage. Er verspürt kein Bedürfnis danach, sich in den Pausen über „Gott und die Welt“, wie er mit abwertendem Unterton formuliert, zu unterhalten. Vielmehr hat er das Bedürfnis, sich nach dem Unterricht zu entspannen und etwas Ruhe zu finden. Er klinkt sich aus kollegialen Gesprächen aus und zieht sich zurück. An einer Privatisierung des kollegialen Verhältnisses zeigt er kein Interesse. Gleichzeitig markiert Udo seine Tätigkeit als anstrengend, so dass er Erholungsphasen benötigt. Vor allem Gespräche über die Familien und Kinder der Kolleginnen stoßen auf sein Desinteresse, wie sich in der anschließenden Sequenz zeigt: „Diese Familiengeschichten, ja, (2) spezielle Familiengeschichten, was da jetzt da jetzt alles geht, (.) was die Kinder da machen, @Tod und Teufel was, ja@, was mir also @grad den Buckel runter geht@. (6)“ (502-504)
Mit diesen recht abschätzigen Formulierungen bekräftigt Udo, wie wenig Interesse er an seinen Kolleginnen hat. Das Lachen innerhalb der Sequenz drückt zusätzlich aus, wie wenig ernst er die Gespräche nimmt und wie weit er davon entfernt ist, sich an diesen zu beteiligen. Er zieht in Erwägung, dass er mit einem männlichen Kollegen andere Gesprächsthemen finden könnte, die auch ihn interessieren:
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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„Und (.) in soweit würd ich:: käm’s auf ’nen Versuch an so mit ’nem mit ’nem männlichen Kollegen oder irgendwie o( ) wer immer das isto. (2)“ (504-506)
Es käme auf einen „Versuch“ an: Sicher ist sich Udo auch an dieser Stelle nicht, ob ein männlicher Kollege seine Situation verändern würde. Auch wenn sich Udo innerhalb seines Kollegiums als „randständig“ (291) und durchaus „allein“ (489) betrachtet, scheint diese Situation nicht im Vordergrund für sein Befinden zu stehen. Anscheinend kommt Udo gut alleine zurecht und ist mit seiner zurückgezogenen Position durchaus zufrieden, fühlt sich dabei höchstens einmal ‚genervt‘ von seinen Kolleginnen und deren Themen. Da Udo großen Wert auf seine Unabhängigkeit legt, könnte die Anwesenheit eines männlichen Kollegen Udos Befinden auch stören. Kann er sich von seinen weiblichen Kolleginnen schon allein auf Grund derer Geschlechtszugehörigkeit abgrenzen, so wäre dies einem männlichen Kollegen gegenüber nicht ohne weiteres möglich. Durch die Anwesenheit eines weiteren Mannes könnte für Udo ein Rechtfertigungsdruck für sein Tun und sein Verhalten entstehen. Udo könnte Mühe haben, seine Unabhängigkeit zu wahren. Berufszufriedenheit: „Die ziehe ich aus dem Kind.“ Noch einmal wird Udo die Frage nach seinem Befinden gestellt. Er kommt auf Maßnahmen der inneren Schulreform zu sprechen, die sein Befinden beeinflussen: „Ich würd’s mal ich würd mal sagen nicht schlecht. (.) also ich würd jetzt nicht sagen super und was weiß ich was, (3) aber nicht schlecht. (.) das ist jetzt natürlich alles da irgendwie etwas in der Schwebe da mit all den Geschichten da die da die da über’s Knie gebrochen werden im Moment, ja, was sicherlich auch seine Irritation darstellt, was aber (aber dann) streckenweise ein relativ interessanter Faktor ist im Spiel, ja, (.) aber ansonsten würd ich sagen nicht schlecht. ja, (2)“ (517-522)
Udo schätzt sein Befinden mit „nicht schlecht“ ein und grenzt es gegenüber euphorischen Äußerungen wie „super“ ab. Er scheint mit seinem beruflichen Leben insgesamt zufrieden zu sein, obgleich er in dieser Passage auch eine gewisse Verunsicherung durch die momentan stattfindenden Reformen und Schulentwicklungsmaßnahmen erkennen lässt. In stört, dass die Reformen „über’s Knie gebrochen werden“: Er hält sie für nicht ausgereift. Dennoch sieht er, dass sich hinter den Reformen „ein relativ interessanter Faktor“ verbirgt, was darauf hindeutet, dass er die Reformen nicht grundsätzlich ablehnt. Hinzuweisen ist an dieser Stelle aber auch auf die Sequenz, in der er seinen Kolleginnen vorwirft, hier zu aktionistisch zu agieren. Udo selbst gibt sich bedächtiger. Er beschränkt seine Beobachtungen zwar auf die Verhältnisse „speziell da oben“, also an seiner jetzigen Schule, sieht Aktionismus aber durchaus generell als weiblich konnotierte Verhaltensweise.
324
C Empirische Ergebnisse
Scheint in den vorangegangenen Passagen die Arbeit mit den Kindern trotz des routinierten Umgangs mit ihnen eher als belastend angesehen zu werden, so beeinflusst sie dennoch Udos Befinden maßgeblich positiv. Am Ende des Interviews äußert Udo auf die Frage, woher seine relative Berufszufriedenheit herrührt: „Die zieh ich aus dem Kind, (2) aber nicht wie’n Vampir. Nee!, ich denk ich krieg @(.)@ (2) ich krieg die Zufriedenheit wenn ich seh, ((Ausatmen)) dass es läuft; ja, d- das die Kinder ansatzweise und ich hab’s in letzte die letzten zwei Male (.) also schon mit (.) mit (.) mit mit mit mit relativ harten Brocken zu tun gehabt; oder hab’s zu tun; ja, wenn ich dann seh dass das im Kleinen da dass die ihre Schritte tun, irgendwie dann; ja, zumindest in mit mit mir zusammen ein Stück weiterkommen, dann dann dann (.) macht mich das schon zufrieden. (3) also wenn du da irgendwie so was wie wie wie’n in welcher Art auch immer wie’n Progress siehst, den Fortschritt siehst; (3) also da zieh ich meine @Berufszufriedenheit@ raus; ja, wenn ich seh dass das funktioniert, dann (4) was natürlich auch für lange Phasen beinhaltet dass man nicht zufrieden ist; ja, wenn man’s denn da drauf bezieht.“ (530-540)
Als maßgeblich für sein Wohlbefinden an der Schule wird der Fortschritt, den seine Schülerinnen und Schüler durch und mit Udo machen, deklariert. Daraus ziehe er seine „Berufszufriedenheit“, wobei er dieses Wort lachend ausspricht. Möglicherweise empfindet er diesen Begriff unpassend für sich, zumindest scheint er ihm im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit eher fremd. Ein Beleg für diese These findet sich am Ende der Passage: Udo schränkt ein, über „lange Phasen“ auch Unzufriedenheit zu erleben, wenn sich besagter Fortschritt eben nicht einstellt. Noch einmal wird deutlich, dass Udo seine Arbeit als anstrengend empfindet, wenn er von „harten Brocken“ spricht, mit denen er es zu tun hatte und hat. Dies erklärt, warum sich Udo schon mit Fortschritten „im Kleinen“ zufrieden gibt. Gleichzeitig inszeniert der Interviewpartner seine Tätigkeit als anspruchsvoll. Auch wenn er zuweilen Schwierigkeiten hat, seine Ziele zu erreichen: Alles in allem gelingt es ihm. Der Einschub zu Beginn der Passage, er ziehe seine Zufriedenheit „aus dem Kind, (2) aber nicht wie ’n Vampir“ zeigt, dass Udo seine Arbeit nicht als Selbstzweck betrachtet. Nicht seine persönliche Zufriedenheit steht für ihn im Vordergrund. Dies könnte man gerade in Bezug auf soziale Berufsfelder als professionelle Einstellung ansehen, oder aber auch als Haltung, die große Distanz und wenig Engagement vermuten lässt. Zusammenfassende Interpretation Von immenser Wichtigkeit ist für Udo die Möglichkeit, eigenverantwortlich und selbstständig arbeiten zu können. Kontrollen jeglicher Art erlebt Udo als unzulässige Einmischung und Beeinträchtigung seiner Person. Um diese schon im Vorfeld abzuwehren, nimmt Udo bewusst eine Randstellung im Kollegium ein. Das Verhältnis zu seinen weiblichen Kolleginnen ist geprägt von Abgrenzung, doch
1.6 Fallanalyse Udo: „Ich will da meine Unabhängigkeit ein Stück weit haben.“
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wählt er diese Strategie selbst und fühlt sich nicht isoliert. Er zieht sich auf sich selbst zurück, um seine Unabhängigkeit zu wahren. An kooperativen Kontakten zu seinen Kolleginnen ist Udo dementsprechend kaum interessiert. Selbst an Pausengesprächen beteiligt er sich nicht. Generell ist Udo die Trennung von Berufs- und Privatleben wichtig. Es wird deutlich, dass er seinen Beruf nur in Kombination mit seinem erfüllten Privatleben als befriedigend erlebt. Diesen privaten Raum sucht er vor beruflichen Einflüssen zu schützen. Das Geschlechterverhältnis im Kollegium spielt in Udos Bewusstsein eine marginale Rolle. Seine Stellung als einziger Mann im Kollegium stört ihn explizit wenig, auch wenn er sich durchaus vorstellen kann, einen männlichen Kollegen als Ansprechpartner zu haben. Dieser Wunsch ist aber weder virulent noch ist Udo dazu fähig, sich vorzustellen, was sich dadurch konkret ändern würde. Da Udo vor allem auf seine Selbstständigkeit bedacht ist, ist es fraglich, ob er mit einem männlichen Kollegen eher kooperieren würde als mit seinen Kolleginnen. Differenzen zwischen ihm und seinen Kolleginnen öffnet Udo auf der professionellen Ebene nur an wenigen, zu vernachlässigenden Stellen. Auf der privaten Ebene spricht er von unterschiedlichen Interessengebieten, die ihn von seinen Kolleginnen trennen. Hier äußert er sich durchaus abwertend. Von einem durchgängig defizittheoretischen Hintergrund seiner Äußerungen kann allerdings nicht gesprochen werden. Gerade in Bezug auf die Arbeit mit den Kindern verwahrt sich Udo dagegen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Qualität der Arbeit und dem Geschlecht der unterrichtenden Person gibt. Geschlecht spielt für ihn eine untergeordnete, wenn nicht unbedeutende Rolle. Dies erklärt sich aus dem Selbstverständnis eines Mannes, der in ein androzentristisches Weltbild eingebunden ist. Traditionale Handlungsmodelle regeln den Umgang mit den Kolleginnen, wobei diesen insgesamt nur wenig Beachtung geschenkt wird. Insgesamt lässt sich aus den Äußerungen Udos keine Reflexivität in Bezug auf das Geschlechterverhältnis im Kollegium ablesen. Mit der Situation als einziger Mann im Kollegium hat sich Udo arrangiert. Er selbst problematisiert seine Stellung im Kollegium nicht weiter. Auf seinen beruflichen Habitus hat das Geschlechterverhältnis dahingegen recht große Auswirkungen: Dadurch, dass Udo als einziger Mann im Kollegium tätig ist, ist es ihm möglich, als quasi ferner Satellit um die Schule zu kreisen: Er beobachtet aus der Distanz, sendet ab und an ein Signal, ansonsten kreist er aber allein und in großem Abstand um das Geschehen. An der Schule ist er niemanden Rechenschaft schuldig, durch den fehlenden männlichen Kollegen gerät er weder in eine Konkurrenzsituation, noch kann seine Handlungspraxis mit einer anderen verglichen werden. Udo profitiert von der Dividende des Alleinstellungsmerkmals ‚Mann‘, auch wenn er dieses nicht bewusst in die Interaktionen einfließen lässt.
326
C Empirische Ergebnisse
Die Tatsache, dass er als männlicher Grundschullehrer im Bekanntenkreis nicht die Akzeptanz erfährt, die er sich wünscht, empfindet Udo zwar als störend, er hält es dennoch für unnötig, ein eigenes Konstrukt von Männlichkeit aufzubauen, das ihn in seinem Mannsein innerhalb eines weiblich dominierten Berufsfeldes unterstützt. Verunsicherung kann sich bei ihm nicht einstellen, da er sich seinem Mannsein so sicher ist, dass es darüber auch keines Nachdenkens bedarf. Zufriedenheit stellt sich seinen Äußerungen zufolge ein, wenn er Fortschritte in den Lernleistungen der von ihm zu unterrichtenden Kinder beobachtet. Die Arbeit mit den Kindern erlebt er als grundsätzlich anstrengend, auch wenn er über eine entlastende Routine in Unterrichts- und Erziehungsfragen verfügt. Der emotionalempathische Aspekt in der Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern spielt für Udo keine weitere Rolle. Wie genau er Unterricht gestaltet und welche Ansprüche er hieran formuliert, darauf geht Udo nicht ein. Insgesamt bezeichnet Udo sein Befinden wiederholt als „nicht schlecht“, was durchaus als die treffende Bezeichnung gewertet werden kann. Seine Berufstätigkeit behindert ihn nicht in seinem Privatleben, das für Udo eindeutig einen höheren Stellenwert hat. Dies scheint auszureichen, um zu einem befriedigenden Befinden zu gelangen. Distanziert, unaufgeregt und stoisch geht er seinem Beruf nach. ‚Allein unter Frauen‘ bedeutet für Udo bei alldem die selbst gewählte Isolation innerhalb des Kollegiums und der Rückzug auf sich selbst.
2. Kontrastierung der Handlungsorientierungen nach Themenfeldern Aus den Fallanalysen ergeben sich verschiedene Themenfelder, die als Grundlage dienen, Deutungsmuster und Handlungsorientierungen und damit den beruflichen Habitus der interviewten Grundschullehrer offen zu legen. Im Folgenden werden die vorausgegangenen Falldarstellungen vor diesem Parameter miteinander verglichen. Als Themenfelder ergeben sich im Einzelnen: Berufswahlmotivation, Berufsbiografie (Studium, Referendariat/Start ins Berufsleben, Karriere und Perspektiven), Professionsverständnis (berufliche Orientierung, Berufsausübung), Stellung im Kollegium (Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen sowie zur Schulleitung), Berufsprestige und schließlich vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitskontext. Dem Datenmaterial geschuldet ist die Tatsache, dass nicht jeder Einzelfall sämtliche Themenfelder abbildet. Dies ist insofern unproblematisch, da aus der kontrastierenden Zusammenschau dennoch Themenfelder und Handlungsorientierungen, die für den jeweiligen Interviewpartner zentral und entscheidend sind,
2.1 Berufswahlmotivation
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herausgelesen werden können. Jeweils nach der Kontrastierung eines Themenfeldes wird eine Synopse der Ergebnisse in Tabellenform stehen, mit der zentrale Motive und Deutungsmuster schlagwortartig in komprimierter Form dargestellt werden.
2.1 Berufswahlmotivation Dass die Berufswahlmotivation einen Einfluss auf den sich herausbildenden berufsbezogenen Habitus hat, erscheint nahe liegend. Gerade bei ungeklärten Motivationslagen können sich während des Studiums oder auch in der beruflichen Praxis Verschiebungen im Blick auf die eigene Tätigkeit ergeben, doch sind die Motive, die zur Ergreifung des Berufes führen, zunächst als Grundlage von Handlungsorientierungen anzusehen. Eine intrinsische Motivation meint, dass der Interviewpartner eine Affinität zu den professionsbezogenen Aufgaben des Berufs hat: Er möchte gern mit Kindern arbeiten, möchte diesen etwas beibringen und erzieherisch wirken. Dahingegen kann von einer extrinsischen Motivationslage gesprochen werden, wenn der Interviewpartner andere Motive betont: Dies könnten beispielsweise Sicherheitsdenken vor dem Hintergrund einer angestrebten Verbeamtung, Ferienregelungen oder auch mangelnde Alternativen sein. David: Davids Berufswahlmotivation kann als bedingt intrinsisch bezeichnet werden. Während er nach Abschluss des Gymnasiums noch keine Vorstellungen zu seiner beruflichen Zukunft entwickelt hat, entdeckt er seine Affinität zu einem sozialen Beruf während des Zivildienstes, den er in einem Kinderheim absolviert. Das Fördern von Kompetenzen steht dabei gleichberechtigt neben dem karitativaltruistischem Motiv des Helfens. Seine Entscheidung für das Lehramt an Grundschulen geschieht dennoch eher impulsiv und ist dem Umstand geschuldet, eine Entscheidung treffen zu müssen. David erklärt im Rückblick, die Bedeutung und Anforderungen des Berufes zunächst nicht erfasst zu haben. Herr Maier: Auch Herr Maier berichtet von einer diffusen Berufswahlmotivation. Von seiner Familie wird er auf Grund seines guten Abiturs dazu gedrängt, Medizin zu studieren. Diesem Wunsch möchte er aber nicht nachkommen, er selbst hat zunächst aber auch keine Alternative parat. Im Gegensatz zu David hat er keine berufsähnlichen Erfahrungen im sozialen Bereich gemacht. Aus einer passiven Entscheidung heraus beginnt Herr Maier sein Studium für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen, nachdem ihm Dritte dazu geraten haben. Auch wenn sowohl bei Herrn Maier als
328
C Empirische Ergebnisse
auch bei David zunächst Ratlosigkeit über den zu ergreifenden Beruf herrscht, so unterscheidet sich diese doch im Detail: Bei David ist eine viel größere Unsicherheit zu spüren, dennoch trifft er seine Entscheidung selbstständig auf Grund von – diffusen – Überlegungen. Herr Maier ist zwar ebenfalls unsicher, folgt aber letztlich den Empfehlungen anderer, ohne sich selbst größere Gedanken über die Aufgaben und Anforderungen des Berufes zu machen. Herr Jehle: Bei Herrn Jehle gibt es bezogen auf die Berufswahl keine Unsicherheiten: Im Gegensatz zu David und Herrn Maier weiß er schon als Kind, dass er gern einmal Lehrer werden möchte. Vorbild ist dabei der eigene Dorfschullehrer. Zwar verwirft er diesen Gedanken zeitweise und denkt daran, einen technischen Beruf zu ergreifen. Da dieser Wunsch aber an den finanziellen Bedenken seines Vaters scheitert, besinnt er sich auf seinen ursprünglichen Berufswunsch und nimmt das Studium für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen auf. Die kurze Dauer des Studiums kommt dabei seiner Familienplanung entgegen. Später, als seine Schule in einen gesonderten Grund- und einen Hauptschulbereich geteilt wird, entscheidet er sich aus einem ganz pragmatischen Grund für die Grundschule: Er kann weiterhin zu Fuß zur Schule gehen. Auch bei ihm überkreuzen sich demnach intrinsische und extrinsische Motive, allerdings unter anderem Vorzeichen als bei den zuvor beschriebenen Probanden. Sören: Sören führt zunächst extrinsische Faktoren für seine Berufswahlmotivation an. Für ihn spielt die Aussicht auf die Ferien eine Rolle für die Entscheidung, Lehrer zu werden. Gleichzeitig führt er als Motiv an, den Erziehungssektor nicht nur Frauen überlassen zu wollen. Dieser Aspekt wird von keinem anderen Interviewpartner angeführt und zeigt, mit welcher Vehemenz das Mannsein Thema für Sören ist und wie kämpferisch er dieses verteidigt. Gleichwohl macht Sören aber durchaus sein gutes Verhältnis zu Kindern im privaten Bereich geltend, um seine Berufswahl zu legitimieren. Ähnlich wie bei Herrn Maier wird ihm zugetragen, Lehrer zu werden, allerdings mit dem Unterschied, dass bei Sören die Empfehlungen auf Beobachtungen beruhen, die sein ‚Händchen‘ im Umgang mit Kindern betonen. Selbst verspürt er ebenfalls Freude an der Beschäftigung mit Kindern, zusätzlich führt er den ‚pädagogischen Eros‘ an, den er besitze. Die Entscheidung für die spezielle Schulart Grundschule ist allerdings abhängig von dem schnellen Erhalt eines Studienplatzes. Sören bewirbt sich auch um einen Studienplatz für das Lehramt an Gymnasien, obschon er seine Nähe zu kleineren Kindern betont.
2.1 Berufswahlmotivation
329
Konrad: Ähnlich wie Sören beruft sich auch Konrad auf den Umgang, den er im privaten Bereich mit Kindern hat, als ausschlaggebendes Motiv für seine Berufswahl. Auch bei ihm ist die Entscheidung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen nicht so eindeutig: Obwohl er wie Herr Jehle schon früh weiß, generell Lehrer werden zu wollen, hat er keine genaue Vorstellung davon, welches Lehramt er studieren soll. Dass er sich letzten Endes für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen entscheidet, hat sich für ihn einfach so ergeben. Gleichwohl kann er hier die Entscheidung für den Primar- oder Sekundarbereich zunächst noch offen halten. Wie Sören thematisiert auch Konrad das Thema Geschlecht im Zusammenhang mit seiner Berufswahl, wenn auch unter einem anderen Fokus: Er schäme sich nicht dafür, sich mit kleinen Kindern zu beschäftigen. Konrad ist der einzige Interviewpartner, der sich vor dem Hintergrund seines Mannseins für seine Berufswahl rechtfertigt. Udo: Völlig fern ist ein solcher Gedanke Udo, der bereits einen anderen Beruf ergriffen hat, in den er seiner Aussage zufolge nur ‚hineingeschlittert‘ war. Als sich die Gelegenheit ergibt, mit wenig Aufwand das Lehramt Grund- und Hauptschule zu studieren, nutzt er diese, um seinem Erstberuf den Rücken kehren zu können. Die Auswahl an Alternativen ist begrenzt, und er entscheidet sich für das Lehramtsstudium, da dieser Beruf seiner bisher ausgeübten Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung am weitesten entgegengesetzt ist. Intrinsische Motive oder Erfahrungen mit Kindern im privaten Bereich spielen für seine Entscheidung dahingegen keine Rolle. Tab. 2: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Berufswahlmotivation‘
David Herr Maier Herr Jehle Sören
Berufsfindung geprägt von Unsicherheit Unsicherheit Sicherheit (bedingte) Sicherheit
Entscheidungsträger Selbst Außen Selbst Selbst/außen
Konrad
(bedingte) Sicherheit
Selbst
Udo
Gelegenheit
Selbst
Hauptmotive Arbeit mit Kindern, helfen Ratschlag von außen Ideal des Dorfschullehrers Eigene Erfahrungen mit Kindern, Hinweise von außen Eigene Erfahrungen mit Kindern Flucht aus dem Erstberuf
330
C Empirische Ergebnisse
2.2 Berufsbiogra¿e Die berufsbiografischen Erzählungen der Interviewpartner veranschaulichen, wie prägend Erfahrungen während des Studiums und in den ersten Jahren der Berufsausübung sind. Es lassen sich hier bereits Handlungsorientierungen ablesen, die sich im Laufe der Zeit verfestigen oder aber verändern. Zudem stellen sie einen Einflussfaktor auf die weitere Gestaltung der Berufsausübung und das Selbstverständnis als Lehrer dar. Alle Interviewpartner haben, wenn auch unter unterschiedlichen Voraussetzungen, an einer pädagogischen Hochschule in Baden-Württemberg studiert. Die älteren Kollegen Herr Maier, Herr Jehle und Udo mussten noch kein Referendariat absolvieren, die zweite Dienstprüfung wurde parallel zur nahezu vollwertigen Tätigkeit an der Schule abgelegt. Aus diesem Grund werden bei ihnen die ersten Dienstjahre betrachtet und mit den Erzählungen der jüngeren Grundschullehrer David, Sören und Konrad über den Vorbereitungsdienst verglichen. Narrationen zu weiteren Stellen fließen in die Darstellung ein, sofern diese relevant sind für die Ausprägung von Orientierungsmustern. Unter dem Aspekt ‚Karriere/Perspektive‘ wird schließlich danach gefragt, ob die Interviewpartner eine Funktionsstelle anstreben bzw. angestrebt haben, bzw. mit welcher beruflichen Perspektive sie auf die kommenden Jahre blicken. Studium David: David, der nur knapp auf sein Studium eingeht, reflektiert darüber, wie eine bessere Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis geschaffen werden könnte. Er wünscht sich mehr konkretes Handlungswissen für die Praxis, und beschreibt, dass er während des Studiums noch nicht entscheiden konnte, welche Inhalte tatsächlich wichtig sind und welche nicht. Zum konkreten Studienverlauf oder dazu, wann er sich in seiner zunächst unsicheren Berufswahl bestätigt gesehen hat, äußert er sich nicht. Auf Grund des hohen Anteils weiblicher Studierender vermisst er männliche Studienkollegen.
Herr Maier: Herr Maier thematisiert den Geschlechteraspekt dagegen nicht. Zentral ist für ihn die Erfahrung während der Praktika an der Schule: Er fühlt sich in der Lehrerrolle nicht wohl. Den Weg, den er auf Ratschlag Anderer hin eingeschlagen hat, scheint nicht seiner zu sein. Dennoch schließt Herr Maier das Studium ab und wird Lehrer. Auf die Tätigkeit dort sieht er sich, ähnlich wie David, schlecht vorbereitet. Zwar räumt er ein, durch die Praktika durchaus auch praxisrelevante Erfahrungen
2.2 BerufsbiograÀe
331
gemacht zu haben, jedoch haben sich diese meist auf das Beobachten beschränkt. Herr Jehle: Herr Jehle dagegen äußert sich überhaupt nicht zu den Inhalten, dem Verhältnis von Theorie und Praxis oder praxisbezogenen Erfahrungen während des Studiums. Er legt den Fokus auf das Verhältnis zu seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Während David den geringen Männeranteil während des Studiums bedauert, hat Herr Jehle mit ebenjenem das große Los gezogen: Im Rahmen einer Umstrukturierung der Lehrerausbildungsstätten gehört er zu den ersten sechs Männern, die an der von ihm gewählten Außenstelle ausgebildet werden. Diese Sonderstellung genießt Herr Jehle ausgesprochen, er ist umschwärmt, darüber hinaus entsteht eine enge Verbindung zu den männlichen Kommilitonen. Die Kategorie Geschlecht wird hierdurch zentral für das ganze Studium und überlagert alle anderen Eindrücke, die auch nicht weiter thematisiert werden. Im Gegensatz dazu verhandelt David das Thema Geschlecht zwar durchaus auch als eine das Studium beeinflussende Erfahrung, es stellt aber nur einen Aspekt unter anderen dar. Sören: Sören berichtet von seinem Studium wie Herr Jehle ebenfalls nur im Zusammenhang mit sozialen Kontakten: Anders als David findet er männliche Kommilitonen, zu denen er private Kontakte pflegt. Abends kommt er Verabredungen in geschlechtsheterogenen Gruppen nach. Diese Erfahrungen sind in der Kontrastierung zu seiner jetzigen Situation entscheidend: Im Schulalltag ist er ausschließlich von Frauen umgeben; er genießt es inzwischen, seine Freizeit in geschlechtshomogenen Gruppen unter Männern zu verbringen. Wie Herr Jehle schließt Sören enge Freundschaften zu seinen männlichen Studienkollegen, die auch über das Studium hinaus Bestand haben. David hätte sich dies auch gewünscht, wird aber unter den wenigen Männern an der Pädagogischen Hochschule nicht fündig. Konrad: Konrad wiederum beschäftigt ein völlig anderer Aspekt seines Studiums: Er fühlt sich vom Niveau der Ausbildung her unterfordert. Wie David und Herr Maier vermisst er die fehlende Anbindung an die Praxis; diesen Mangel erlebt er als so gravierend, dass er der Hochschule gern Verbesserungsvorschläge unterbreiten würde. Zudem stellt Konrad die Kompetenz der Hochschullehrenden in Frage. Er zeichnet ein Bild großer Unzufriedenheit, die jene von David und Herrn Maier weit übertrifft. Zum Geschlechterverhältnis oder zu Freundschaften mit männlichen Kommilitonen macht er dahingegen keine Aussagen.
332
C Empirische Ergebnisse
Udo: Udo schließlich weiß überhaupt nichts von seinem Studium zu erzählen: Er erwähnt lediglich, dass er nach drei Semestern seinen Stufenschwerpunkt gewechselt hat, kann hierfür aber keine Gründe nennen. Tab. 3: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Studium‘ David Herr Maier Herr Jehle Sören Konrad Udo
Eingebrachte Aspekte Fehlender Theorie-Praxis-Bezug, zu wenige männliche Kommilitonen Unzureichende Vorbereitung auf die Praxis Sonderstatus als Mann
Zufriedenheit Unzufrieden
Freundschaften mit männlichen Kommilitonen Mangelndes Niveau, Unzureichende Vorbereitung auf die Praxis Wechsel des Stufenschwerpunktes
Zufrieden Sehr unzufrieden
Unzufrieden Sehr zufrieden
Keine Aussage
Referendariat/Start ins Berufsleben David: Auch bei der Frage nach den Erfahrungen während des Referendariats hebt David auf das Thema Geschlecht ab und stellt dieses als zentral für sein Erleben dar. Er erfährt eine positive Diskriminierung vor allem von weiblichen Lehrbeauftragten und Mentorinnen, erkennt einen Vorteil, der ihm auf Grund seiner Geschlechtszugehörigkeit eingeräumt wird. Er selbst stellt diesen exklusiven Status nicht her, lehnt die ihm entgegengebrachte These, Männer seine wichtig in der Grundschule, eher ab. Deutlich wird, dass David keine Dividende aus dieser Zuschreibung schlagen möchte und auch nicht aktiv an deren Konstruktion mitwirkt. Aus einer reflexiven Distanz heraus sieht er aber deutlich, dass ihm als Mann ein besonderer Status zugewiesen wird. Ansonsten kommt David nun die Verbindung von Theorie und Praxis in der zweiten Phase der Lehrerausbildung entgegen. Er findet das, was er während des Studiums vermisst hat. Dementsprechend zufrieden ist er, auch wenn er gern mehr Zeit hätte, all das zu lernen, was er für notwendig hält. Die Tätigkeit in der Ausbildungsschule selbst ist in der Narration präsent vor allem in Bezug auf den zu erteilenden Unterricht im Hauptschulbereich. Diesen erlebt David als äußerst unbefriedigend. Er wird in seinem Wunsch bestärkt, im Grundschulbereich tätig zu sein und stützt so die zuvor noch vagen Motive seiner Berufswahlentscheidung. Im Grundschulbereich erlebt sich David dann als authentisch, er hat das Gefühl, angekommen zu sein. Auch sein vergeblicher Wunsch nach einem Kumpel während
2.2 BerufsbiograÀe
333
des Studiums wird nun erfüllt: Mit den anderen Referendaren kann er Freundschaften schließen. Reflexionsleistungen werden sichtbar, wenn er zu berichten weiß, dass die Kategorie ‚Junglehrer‘ die Kategorie ‚Mann‘ im Kollegium seiner Ausbildungsschule zunächst überlagert und erst später an Gewicht gewinnt. Diese Beschreibung deutet darauf hin, dass David sich intensiv mit seiner Männlichkeit im beruflichen Umfeld auseinandersetzt. Herr Maier: Herr Maier hat in seiner Laufbahn noch kein Referendariat zu absolvieren. Stattdessen übernimmt er im Anschluss an das Erste Staatsexamen sofort eine Klasse, die aus dem gesamten Hauptschulbereich einer Zwergschule besteht. Der Interviewpartner berichtet von großen Schwierigkeiten, die er anfangs hat und ist – wie schon nach den Praxiserfahrungen während des Studiums – erneut versucht, den Beruf aufzugeben. Traumatisierend wirken sich die äußeren Umstände des Stellenantritts auf ihn aus: Äußerst ausführlich und detailliert schildert er den abgelegenen Ort, das Schulhaus und seine Dienstwohnung. Hinzu kommt die Isolation an einer Zwergschule, an der außer ihm nur noch eine Kollegin tätig ist, zu der kaum Kontakt besteht. Er ist auf sich allein gestellt und kann die erlebten Defizite in der ersten Ausbildungsphase nicht ausgleichen. Nach einem halben Jahr kann Herr Maier allerdings die Stelle wechseln und bekommt eine Grundschulklasse zugewiesen. Er berichtet, dass ihm der Beruf ab diesem Zeitpunkt Freude bereitet. Ein erneuter Stellenwechsel kehrt die Gefühlslage wieder um. Es folgen weitere Schulen, auf die an dieser Stelle nicht noch einmal näher eingegangen werden soll. Insgesamt wird aus der Erzählung deutlich, dass vor allem zwei Dinge wichtig für Herrn Maiers Wohlbefinden an der Schule sind: Zum einen liegt ihm, wie auch David, die Arbeit mit Grundschülerinnen und -schülern deutlich mehr als die Arbeit im Hauptschulbereich. Zum anderen benötigt Herr Maier Kontakte: sei es zu Bekannten, zur Bevölkerung oder zu den Kolleginnen und Kollegen. Im Gegensatz zu David macht er keine geschlechtsbezogenen Unterschiede, auch wird der Wunsch nach einem Gegenüber allgemeiner und weniger privatisiert gefasst als der Wunsch Davids nach einem Kumpel. Herr Jehle: Ganz anders als Herrn Maier ergeht es Herrn Jehle in Bezug auf seinen Stellenantritt: Auch er kommt an eine kleine Schule, auch er wird in einer jahrgangsübergreifenden Volksschulklasse (Klasse 7/8) eingesetzt. Allerdings sind die äußeren Gegebenheiten um ein vielfaches angenehmer als dies bei Herrn Maier der Fall ist: Die Schule befindet sich nahe dem Heimatort, das Klassenzimmer ist modern, er erfährt Unterstützung durch seinen Rektor sowie einen Kollegen und eine
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C Empirische Ergebnisse
Kollegin, mit denen er heute noch befreundet ist. Gerade der Rektor verhält sich ihm gegenüber väterlich wohlwollend. Er kritisiert ihn nicht, sondern bietet sich ihm als Vorbild an, was Herr Jehle dankend annimmt. Die Besonderung als Mann, die Herr Jehle im Rahmen seines Studiums erfahren hat, setzt sich nicht fort, daher ist diese in der Narration über die erste Stelle auch kein Thema mehr. Ebenso scheint es für Herrn Jehle kein Problem zu sein, in der Oberstufe der Volksschule zu unterrichten. Sören: Sörens zentrales Anliegen bei der Schilderung seiner Erfahrungen während des Referendariats ist es, zu verdeutlichen, dass er im Referendariat einen männlichen Schulleiter hatte und er mit ihm weit besser ausgekommen ist als mit seiner jetzigen weiblichen Schulleiterin. Hierfür macht er beider Geschlechtszugehörigkeit verantwortlich. Auch betont Sören, dass er im Referendariat sofort guten Kontakt zu den anderen männlichen Kollegen hatte, obwohl diese um einiges älter als er waren. Ähnlich wie David entwickelt auch Sören eine Freundschaft zu seinem Mitreferendar, darüber hinaus zu seinem Mentor. Dies geschieht in Abgrenzung zum Verhältnis zu seiner Mitreferendarin und seiner Mentorin, mit denen keine Privatisierung der kollegialen Beziehung erfolgt. Die Kategorie Geschlecht strukturiert die Beziehungen und die Position innerhalb des Kollegiums. In Bezug auf seinen Einsatz im Hauptschulbereich aktiviert Sören ebenfalls die Kategorie Geschlecht: Als Mann habe er sich dort auch gegenüber türkischstämmigen Schülern durchsetzen können, während dies der Klassenlehrerin nicht gelungen sei. Wie zuvor David thematisiert Sören die Kategorie Geschlecht als entscheidenden Faktor für das Erleben des Referendariats. Dennoch geschieht dies bei beiden auf völlig unterschiedliche Weise: Sören versteht sich unhinterfragt in der Position als Mann, der in einem essentialistischen Verständnis notwendigerweise mit Männern besser auskommt. Er konstruiert geschlechtsspezifische Zuschreibungen selbst, während David entsprechende Konstruktionen, mit denen er von außen konfrontiert wird, hinterfragt und zu dekonstruieren versucht. Während Sören als Folge seiner Orientierung nicht weiter über seine Stellung im Feld Grundschule nachdenkt, zeigt sich David verunsichert. Auffällig im direkten Vergleich der beiden Interviewpartner ist weiter, dass Sören zwar in Bezug auf das Studium genauso wie David den mangelnden Theorie-Praxis-Bezug kritisiert, den Aspekt während des Referendariats aber nicht mehr weiterverfolgt. Bei David geschieht dies durchaus.
2.2 BerufsbiograÀe
335
Konrad: Hauptthema für Konrad in Bezug auf das Referendariat ist die Tätigkeit im Hauptschulbereich, die er, ähnlich wie David und auch Herr Maier, als äußerst unbefriedigend erlebt. Zwar stellt er fest, durch sein sprachliches Auftreten gerade in dieser Altersstufe eher authentisch sein zu können, doch beklagt er neben den Disziplinschwierigkeiten vor allem das niedrige Niveau, das an der Hauptschule vorherrscht. Deutlich wird an dieser Stelle das kompetenzbasierte Selbstkonzept, das Konrad für bestimmte Bereiche überqualifiziert: Leidet er während des Studiums unter dem mangelnden Niveau der Lehrveranstaltungen, so ist es nun das mangelnde Niveau der Schülerinnen und Schüler. Im Gegensatz zu Sören bestimmt nicht das Geschlecht, sondern die Kompetenz seiner Mentorin das Verhältnis zu ihr. Der zuvor thematisierte mangelnde TheoriePraxis-Bezug während des Studiums wird nun wettgemacht durch eine Mentorin, die ihm als Vorbild dient. Konrad erreicht eine ähnliche Zufriedenheit wie David, sind beide doch in der Praxis angekommen und können nun das nachholen, was während des Studiums aus ihrer Sicht zu kurz gekommen ist. Eine personale Bindung besteht hier allerdings nur bei Konrad: Seine Mentorin dient ihm als Vorbild, so wie im Falle Herrn Jehles diese Stellung der Rektor einnimmt. Der Geschlechteraspekt, der von Konrads jüngeren Kollegen thematisiert wurde, spielt in Konrads Erzählung generell keine Rolle. Udo: In der Narration Udos lassen sich Bezüge zu den Ausführungen Herrn Maiers ausmachen: Udo wird in einer Hauptschulklasse eingesetzt und fühlt sich in keinerlei Weise auf diese Aufgabe vorbereitet. Während Herr Maier hier seine Berufswahl noch einmal grundlegend in Zweifel zieht, begegnet Udo der Situation mit Gelassenheit und – zumindest im Nachhinein – ironischer Distanz. Auch sonst bleibt Udo in seiner Erzählung eher an der Oberfläche. Im völligen Kontrast zur Ausführlichkeit Herrn Maiers schildert er die Stationen seiner beruflichen Laufbahn in einem aufzählenden Duktus. Die personale Ebene des Berufsanfangs wird nur angesprochen in Hinblick auf die Freiheiten, die ihm der Rektor an seiner ersten Stelle einräumt. Im Gegensatz zu Herrn Jehle oder Konrad ist Udo nicht erpicht auf Unterstützung: Er zeigt sich zufrieden, dass er so agieren kann, wie er es selbst für richtig hält. Das Thema Geschlecht spielt in seinen Ausführungen – wie im Übrigen bei keinem der älteren Interviewpartner – keine Rolle.
336
C Empirische Ergebnisse
Tab. 4: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Referendariat/Start ins Berufsleben‘ Zentrales Erleben Besonderung und positive Diskriminierung als Mann Herr Maier Feindliche äußere Umstände und Überforderung
Tätigkeit im Hauptschulbereich Äußerst unbefriedigend Äußerst unbefriedigend
Herr Jehle
Wird nicht bewertet
David
Sören
Konrad
Udo
Grundstimmung
Zufriedenheit; Festigung des Berufswunsches Zunächst hohe Unzufriedenheit; massive Zweifel an der Berufswahl Schulleiter als Vorbild, äußere Hohe Zufriedenheit Umstände angenehm Schulleiter, Mentor, Mitrefe- Hohe Zufriedenheit rendar: Männer als Mitstreiter Tätigkeit in der Hauptschule völlig unbefriedigend, Mentorin als Vorbild Überforderung
Zufriedenheit
Gelassene Unzufriedenheit
Kann sich durchsetzen, dennoch unbefriedigend Äußerst unbefriedigend Unbefriedigend
Karriere und Perspektiven David: Davids Versetzung von seiner ersten Stelle an seine jetzige Schule ist dem Umstand geschuldet, dass er ein Mann ist. Die Stelle ist schulscharf ausgeschrieben; die Schule gilt als Modellschule und hat die Unterrichtsform Freiarbeit fest im Schulprofil verankert. Obwohl David keine diesbezügliche Erfahrung vorweisen kann, entscheidet sich die Rektorin für ihn und betont dabei, dass sie stolz darauf ist, mit ihm bereits den dritten Mann in ihr Kollegium geholt zu haben. Die Besonderung, mit der ihm im Referendariat begegnet wurde, setzt sich fort und verhilft ihm zu einer Stelle an einem begehrten Schulort. David zeigt sich selbst überrascht davon, dass als einzige Qualifikation sein Mannsein ausreicht und betrachtet den Zusammenhang, von dem er selbst profitiert, kritisch. Eine weitere Karriereplanung verfolgt David nicht. Er ist zufrieden mit seiner Position als Grundschullehrer, hält sich bei Schulentwicklungsprozessen zurück, sieht sich als „Indianer“ und nicht als „Häuptling“. Im Mittelpunkt seines beruflichen Interesses steht die Arbeit mit den Kindern. Er trägt keinerlei Ambitionen auf eine Führungsposition in sich, lehnt eine solche sogar dezidiert ab. Begründet wird diese Haltung damit, dass er für ein solches Amt zu harmoniesüchtig sei, was er wiederum auf sein Aufwachsen in entsprechenden Familienstrukturen zurückführt. Darüber hinaus übt David seinen Beruf sehr gern aus und erlebt ihn als erfüllend: Die Arbeit mit den Kindern ist zentral für sein Berufsverständnis.
2.2 BerufsbiograÀe
337
Herr Maier: Herr Maier, der kurz vor dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit steht, erwähnt im Interviewverlauf zurückliegende Karriereabsichten mit keinem Wort. Seine Karriereplanung bestand lediglich darin, in einer Schule an seinem bevorzugten Wohnort tätig zu sein, an der er im Grundschulbereich arbeiten kann und in der ein respektvoller Umgang herrscht. Perspektivisch betrachtet hat er dieses Ziel seit einigen Jahren erreicht, mit großer Gelassenheit sieht er nun seiner Pensionierung entgegen. Herr Jehle: Bei Herrn Jehle sah die Planung anders aus: Auch er steht kurz vor der Pensionierung, seine Laufbahn weist aber einen unerfüllten Karrierewunsch auf: Er erlebt eine in seinen Augen wenig engagierte und wenig qualifizierte Schulleitung in wechselnden Besetzungen. Ohne eigene Führungskompetenzen zu betonen, betrachtet Herr Jehle es als natürlich, dass er als Mann eine Leitungsfunktion anstrebt. Er bewirbt sich zwei Mal auf die jeweils freiwerdenden Konrektorenstellen an seiner eigenen Schule, beide Male erhält aber ein anderer Bewerber bzw. eine andere Bewerberin den Zuschlag. Dies geschieht seiner Meinung nach auf Grund von unlauteren Abreden auf Schulamtsebene. Auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit an der gleichen Schule sieht Herr Jehle sich bereits als informellen Schulleiter, daher ist es ihm unverständlich, dass die offizielle Übertragung des Amtes nicht erfolgt. Herr Jehle empfindet eine tiefe Enttäuschung, aus der er Konsequenzen zieht: Er zieht von seinem Wohn- und Schulort fort in eine benachbartes Dorf, gibt weitere Ämter und Funktionen an der Schule ab. Als ihm zu einem späteren Zeitpunkt die bislang verwehrte Funktionsstelle angeboten wird, lehnt er ab. Herrn Jehles Perspektive ist inzwischen eine andere: Er reduziert sein Engagement, beschränkt sich weitgehend auf das Unterrichten, ohne sich allerdings komplett zurückzuziehen. Ein Jahr vor seiner Pensionierung blickt Herr Jehle auf ein – trotz der verwehrten Schulleiterkarriere – erfolgreiches Berufsleben zurück und bereitet sich auf seinen Ruhestand vor. Sören: Im Gegensatz zu Herrn Jehle steht Sören, der einen massiven Führungsanspruch hegt, noch am Anfang seiner beruflichen Laufbahn. Er ist stolz darauf, dass neue Kolleginnen ihn auf Grund seines Auftretens für den stellvertretenden Schulleiter halten. Sich selbst erlebt er als weitaus kompetenter als die tatsächliche Schulleiterin. Gegen diese geht er massiv vor. In Konferenzen begreift er sich als Wortführer, agiert als Stellvertreter für die Kolleginnen und versucht mit allen Mitteln, seine eigenen Meinungen durchzusetzen. Die Übernahme einer Funktionsstelle strebt er durchaus an. Allerdings hat er Bedenken, dass Frauen bei Bewerbungen bevor-
338
C Empirische Ergebnisse
zugt werden. Grundsätzlich hält er Männer für besser geeignet, ein solches Amt zu bekleiden. Er selbst zeichnet sich für ein solches Amt vor allem durch seine schulrechtliche Kompetenz aus. Sören ist seit einigen Jahren Ausbildungslehrer und kann sich vorstellen, als Alternative in der Lehrerausbildung tätig zu sein. Auch spricht er davon, dass ihn die Grundschülerinnen und Grundschüler nerven. Als Alternativen nennt er kontrastreich eine Bürotätigkeit oder aber die Arbeit an einem Gymnasium. Auch die Gründung einer Privatschule mit seinen (männlichen) Freunden aus Studienzeiten bringt er gedanklich ins Spiel. Sören kann sich insgesamt kaum vorstellen, bis zur Pensionierung Grundschullehrer zu bleiben. Damit unterscheidet er sich in seinen Orientierungsmustern in maximalem Kontrast von David, der weder einen Führungsanspruch geltend macht, noch nach beruflichen Alternativen sucht. Deutlich wird hingegen die Nähe zu Herrn Jehle, dessen Bestrebungen zwar erfolglos geblieben sind, der aber ebenfalls einen Führungsanspruch hegt. Während Herr Jehle aber grundlegend zufrieden mit seinem Lehrerdasein ist, kann bei Sören davon nicht gesprochen werden. Gerade die Vielzahl der angedachten Alternativen weist auf eine große Unzufriedenheit mit seinem jetzigen Status hin. Als Ausdruck jener Unzufriedenheit ist sein Kampf um die Vormachtstellung innerhalb des Kollegiums und um die Durchsetzung seiner Interessen zu lesen. Konrad: Auch Konrad zeigt sich unzufrieden mit seiner Tätigkeit. Im Gegensatz zu Sören ist hierfür aber weniger der Status ausschlaggebend; mit der (männlich besetzten) Schulleitung ist er im Großen und Ganzen zufrieden, per Geschlecht gehört er inoffiziell quasi sowieso zum männlichen Schulleitungsteam. Einen Führungsanspruch wie Sören oder Herr Jehle macht er nicht aktiv über Interaktionen geltend: Sein Geschlecht regelt per se seine exponierte Stellung innerhalb des Kollegiums. Bei Konrad ist es vornehmlich die Arbeit mit den Kindern, aber auch der Umgang mit den Kolleginnen, der ihn unzufrieden macht. Seine eigenen Kompetenzen qualifizieren Konrad für mehr als das bloße Grundschullehrerdasein, das ihn inzwischen langweilt. Als Ausgleich arbeitet Konrad nebenberuflich bei einem Schulbuchverlag. Wie Sören kann sich Konrad eine Tätigkeit in der Lehrerausbildung vorstellen. Perspektivisch strebt er keine Schulleiterfunktion an, da eine solche ihn weiter an das Feld Grundschule binden würde. Stattdessen sucht er durchaus nach Alternativen, ganz aus dem Lehrerberuf auszusteigen. Für das dem Interviewzeitpunkt folgende Schuljahr hat Konrad sein Deputat auf die Hälfte reduziert.
2.3 Professionsverständnis
339
Udo: Udo, der die Arbeit mit den Kindern wie Sören und Konrad als anstrengend erlebt, ist insgesamt dennoch relativ zufrieden mit seiner Tätigkeit und dem Status, den er als Grundschullehrer ohne Schulleitungsfunktionen innehält. Da Udo für ein Jahr stellvertretend eine Schulleitungsposition einnehmen musste, kann er auf Erfahrungen zurückgreifen, wenn er entschieden feststellt, keinerlei Ambitionen für ein solches Amt zu hegen. Er engagiert sich lieber in seinem Privatleben, das er an erste Stelle setzt. Diese Haltung kann auch als Perspektive seiner gesamten Berufslaufbahn gesehen werden: Wie bei Herrn Maier war Udos Streben darauf gerichtet, eine Schule zu finden, die seinen Bedürfnissen entspricht. In Udos Fall ist dies eine kleine, reine Grundschule in der Nähe des Wohnortes, in der er weitestgehend selbstständig arbeiten kann. An einer solchen ist er inzwischen seit einigen Jahren tätig. Tab. 5: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Karriere und Perspektiven‘ David Herr Maier Herr Jehle
Sören
Karrierewunsch Kein Karrierewunsch Kein Karrierewunsch Unerfüllter Karrierewunsch Qualifikation: Selbstverständnis als Mann, Erfahrung, Kenntnis der Schule Angestrebte Karriere Qualifikation: Geschlecht, schulrechtliche Kompetenz
Konrad
Kein Karrierewunsch im Schuldienst
Udo
Kein Karrierewunsch
Perspektive Grundschullehrer sein An angenehmer Grundschule tätig sein Informeller Schulleiter, geordneter Rückzug Schulleitung, evtl. Referendarsausbildung, Privatschule gründen, Bürotätigkeit, Gymnasiallehrer Ausscheiden aus dem Beruf, verstärktes Engagement im Schulbuchverlag, evtl. Lehrerausbildung In Ruhe gelassen werden
2.3 Professionsverständnis Unter dem Parameter „Professionsverständnis“ werden dreierlei Aspekte zusammengefasst: Zum einen geht es um die Zielvorstellungen, die die einzelnen Interviewpartner in Bezug auf Schule und Unterricht entwickeln. Zum anderen liegt der Fokus auf der Grundhaltung gegenüber den Schülerinnen und Schülern. Schließlich geben die Unterrichtsformen, die präferiert bzw. abgelehnt werden, einen Hinweis auf das Berufsverständnis der Probanden. Berufliche Orientierung und Berufsausübung werden dabei in einem dialogischen Verhältnis zueinander verstanden.
340
C Empirische Ergebnisse
David: Davids Hauptanliegen ist es, Kinder souverän zu machen und deren Selbstbewusstsein aufzubauen. Auf Grund seiner Beobachtungen stellt er fest, dass ihm dies auch gelingt, was ihn mit Stolz erfüllt. Neben diesem auf die personale Kompetenz der Kinder abhebenden erzieherischen Ziel hat er durchaus den Anspruch, Wissen zu vermitteln. Trotz seiner emotionalen Aufgeschlossenheit grenzt er sich von einer Arbeitsauffassung ab, die zu wenig von den Schülerinnen und Schülern einfordert. David denkt gezielt darüber nach, wie es zu geschlechtsspezifischen Zuschreibungen im Feld der Unterrichtsarbeit kommt. Er selbst sieht sich durchaus in traditionalen Rollenmodellen verortet. So stellt er eine Nähe zur Vaterfigur her, weist damit verbundene stereotype Vorstellungen aber zurück. Er sei beispielsweise eben nicht auf Grund seines Mannseins streng, gleichwohl gesteht er Frauen einen zärtlicheren Umgang mit den Kindern zu. Eine Ambivalenz wird sichtbar, die ein Ausdruck von Verunsicherung ist: David stellt stereotype Zuschreibungen grundsätzlich in Frage, kommt gleichzeitig aber nicht umhin, solche zumindest in abgeschwächter Form selbst zu reproduzieren. Wichtig ist ihm selbst, als Person authentisch zu bleiben. Das bedeutet für ihn auch, den Kindern sprachlich so entgegenzutreten, als seien diese Erwachsene. Da hierzu auch Witz und Ironie gehören, fühlt er sich in den Klassenstufen 3 und 4 besser aufgehoben als in der Schuleingangsstufe. Verschärfend kommt in den unteren Klassen für David das verstärkte Bedürfnis der Kinder nach körperlicher Nähe hinzu. Hier zeigt sich eine tiefe Unsicherheit: Er sieht die Notwendigkeit der emotionalen Zuwendung, andererseits hat er Angst davor, in den Verdacht des sexuellen Missbrauchs zu geraten. Freiarbeit steht David eher skeptisch gegenüber, obwohl er an einer Schule arbeitet, die sich gerade dieser verschrieben hat. Das hat einerseits mit seiner fehlenden Erfahrung zu tun, andererseits mit Beobachtungen seiner Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Freiheiten. Er lehnt offene Formen des Unterrichtens aber nicht grundsätzlich ab und stellt durchaus ein diesbezügliches Entwicklungspotential bei sich fest. Insgesamt ist die Arbeit mit den Kindern zentral für Davids Professionsverständnis und legt den Grundstein für seine Berufszufriedenheit. Herr Maier: Herr Maier zieht einen großen Teil seiner Berufszufriedenheit ebenfalls aus der Arbeit mit den Kindern. Er hebt vor allem auf die emotionale Wertschätzung ab, die ihm die Kinder entgegenbringen. Wie David unterrichtet Herr Maier lieber in den höheren Klassen der Grundschule. Während diese Haltung bei David vor allem in der an Sprachhandeln gebundenen Authentizität begründet liegt, stellt Herr Maier die fortgeschrittene kognitive Entwicklung der Kinder in den Vordergrund,
2.3 Professionsverständnis
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die seiner Person eher entspreche. Geschlechtsspezifische Zuschreibungen, die David reflexiv in Frage stellt, reproduziert Herr Maier sowohl in Bezug auf Schülerinnen und Schüler als auch im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischem Lehrerinnen- und Lehrerverhalten. Als Mann sieht er sich selbst mit dem nötigen Durchsetzungsvermögen gegenüber den Schülerinnen und Schülern versehen. Als Mann ist es ihm, so die Annahme, vor allem aber auch möglich, die Potentiale der Jungen zu erkennen, was Lehrerinnen nicht gelingt. Herr Jehle: Während für David eher die grundlegende erzieherische Arbeit im Mittelpunkt seines Professionsverständnisses liegt und bei Herrn Maier die Beziehung zu den Kindern die Hauptrolle spielt, so ist dies bei Herrn Jehle der Leistungsaspekt. Wie David nimmt er die Kinder ernst und spricht diese zwar nicht als Erwachsene an, mutet ihnen aber Aufgaben zu, für die sie eigentlich noch zu jung sind. Selbständigkeit zu fördern ist auch ihm ein wichtiges Ziel, obschon er diese nicht mit offenen Unterrichtsformen zu erreichen sucht. Ablehnend steht er beispielsweise Freiarbeit gegenüber, bei der einige Kinder seiner Meinung nach nichts lernen und der Leistungsaspekt völlig verloren geht. Er selbst zieht gerade aus den Lernfortschritten der Schülerinnen und Schüler seine Befriedigung: Erfolgreich ist er, wenn er Erfolge bei den Schülerinnen und Schülern beobachten kann. Da er diese in der Grundschule eher festzustellen meint als bei Hauptschülern, ist er froh, sich letztlich für die Tätigkeit an der Grundschule entschieden zu haben. Eine Affinität zu Herrn Maier wird sichtbar, der in einer Hauptschulklasse Englisch unterrichtet: Das eigentlich höhere fachliche Niveau an der Hauptschule wird seiner Aussage zufolge durch das niedrigere kognitive Niveau der Hauptschülerinnen und -schüler wieder zunichte gemacht. Weiterhin ist Herrn Jehle – wie auch Herrn Maier – das gute Verhältnis zu seinen Schülerinnen und Schülern wichtig. Stolz erzählt er von Klassentreffen und Polterabenden, zu denen er eingeladen wird. Er selbst sieht sich in einer Vaterrolle den Schülerinnen und Schülern gegenüber. Hier unterscheidet er sich im Grad der Familiarisierung der Beziehung von Herrn Maier, der die Distanz stärker wahrt. Mit Bedauern stellt Herr Jehle fest, dass das Verhältnis heute nicht mehr die Nähe zulässt, die früher üblich war: Wie David kommt er auf den Verdacht des sexuellen Missbrauchs zu sprechen. Herr Jehle diagnostiziert auf der anderen Seite aber gerade das verstärkte Bedürfnis der Kinder nach Körperkontakt, das mit unsicheren Familienverhältnissen einhergehe. Sehr klar zeigt sich hierin noch einmal der Familiarisierungsaspekt: Herr Jehle sieht sich selbst als Vaterersatz, dem es eigentlich zukommen müsste, familiäre Defizite auszugleichen. In Bezug auf sein Mannsein weist Herr Jehle auf seinen Autoritätsvorsprung
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C Empirische Ergebnisse
gegenüber seinen Kolleginnen hin. Ansonsten kommen geschlechtsspezifische Zuschreibungen nicht zur Sprache. Sören: Betonen alle drei bislang dargestellten Interviewpartner die Befriedigung, die sie aus der Arbeit mit den Kindern, aus den Leistungsfortschritten und dem guten Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern ziehen, so sucht man in Sörens Narrationen vergeblich nach entsprechenden Aussagen. Pauschal sagt Sören zwar, die Arbeit mache ihm ‚Spaß‘, doch welchen Aspekt der Tätigkeit er damit genau meint, erschließt sich nicht. Stattdessen wird mehrmals betont, dass er die Kinder als nervig erlebt. In den Vordergrund seines Professionsverständnisses rückt dann vor allem das Durchsetzungsvermögen. Dieses steht für ihn im Kontrast zu einer weiblichen Berufsauffassung, die er mit Basteln und Verhätscheln gleichsetzt. Sören unterstützt hier nicht etwa stereotype Vorstellungen, sondern entwickelt diese selbst. Bestürzt stellt er fest, dass er teilweise weibliche Arbeitshaltungen übernimmt, etwa, wenn er Freiarbeitsmaterialien herstellt. Auf der anderen Seite macht er sich stark für Leistungswettbewerbe, wie es beispielsweise bei den Bundesjugendspielen der Fall ist. Sörens Leistungsorientierung ist dabei weit stärker ausgeprägt als Herrn Jehles. Konrad: Ein ähnliches Empfinden den Schülerinnen und Schülern gegenüber hat auch Konrad: Auch ihn nerven die Kinder. Im Gegensatz zu Sören zeigt er hier aber eine Entwicklungslinie auf und zeigt ein Bewusstsein für die Problematik dieser Veränderung. Die erzieherische Arbeit gerade in der Schuleingangsstufe empfindet er als äußerst belastend. Die emotionale Ebene, die vor allem bei Herrn Maier und Herrn Jehle entscheidend für deren berufliche Orientierung ist, weist Konrad von sich. Ihn interessieren viel eher die Lernprozesse sowie die Vermittlung von Inhalten. Seine Einstellung führt er auf geschlechtsspezifische Ursachen zurück. Konrad kann seine eigene Lustlosigkeit, Beziehungsarbeit zu leisten, damit legitimieren. Auf der anderen Seite langweilt ihn die inhaltliche Seite des Unterrichts in der Grundschule aber ebenso, da sich die Inhalte wiederholen. Seine Begeisterung, die er im Zusammenhang mit besonderen Projekten ebenfalls zum Ausdruck bringt, beschränkt sich auf ebenjene besonderen Situationen, die den Schulalltag ab und an durchbrechen. Dennoch betont er, dass er durchaus gute Arbeit leiste und einen angemessenen Umgang mit den Kindern habe. Diese Überzeugung schließt an sein generell hohes Selbstbewusstsein an, das schon in Bezug auf das Studium sichtbar wird. Das Thema der Authentizität bringt Konrad genauso ein wie zuvor schon
2.3 Professionsverständnis
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David. Auch Konrad legt großen Wert darauf, sich sprachlich nicht auf das Niveau der Grundschulkinder zu begeben. Fast identisch ist die Betonung von Ironie als wesentlicher Teil der Persönlichkeit, der nicht unterdrückt werden will. Während David die Möglichkeit, authentisch zu sein, in den oberen Klassenstufen der Grundschule durchaus gegeben sieht, schließt Konrad diese Möglichkeit aus. Um sein Selbst zu wahren, bleibt ihm im Grunde keine andere Möglichkeit, als eine berufliche Perspektive jenseits der Grundschule zu entwickeln, wie weiter oben schon beschrieben wurde. Selbst die Kleiderordnung, zu der er sich in Folge des körperlichen Kontakts mit den Kindern gezwungen sieht, erlebt er als Angriff auf seine Persönlichkeit. Überhaupt hat Konrad ein Wider gegen Körperkontakt. Wie David und Herr Jehle sieht er die Gefahr, sich des Verdachts des sexuellen Missbrauchs auszusetzen, wenn er einen solchen zulässt. Während die beiden anderen Grundschullehrer die Beziehung zu den Kindern allerdings familial interpretieren und die Missbrauchsdebatte eher bedauern, ist bei Konrad das Gegenteil der Fall. Bei ihm vermischen sich Ekel- und Schamgefühle in Bezug auf körperlichen Kontakt mit Kindern. Er ist auf Distanz bedacht und braucht – als Mann – diesen Kontakt auch nicht. Erstaunlich mutet zunächst an, dass Konrad offene Unterrichtsformen offensiv einsetzt, sind diese doch mit einer starken Kindzentriertheit verbunden. Er erachtet sie allerdings als notwendig, um der Heterogenität der Schülerschaft professionell zu begegnen. Offene Unterrichtsformen setzt er nicht in Kontrast zu Leistungsorientierung, sondern leitet deren Befürwortung aus seiner fachlichen und didaktischen Kompetenz ab. Es gelingt ihm, sich als Experte für Unterrichtsfragen zu inszenieren. Mit Sören verbindet ihn, dass er sich bei den Kindern durchsetzen kann. Beide schreiben dies ihrem Mannsein zu, genauso, wie das auch Herr Jehle und Herr Maier tun. David bleibt somit der einzige, der hier auf der personalen Ebene argumentiert und geschlechtsspezifische Zuschreibungen zurückweist. Udo: Udo fühlt sich im Gegensatz zu Konrad nicht gelangweilt von der Wiederholung in seiner Tätigkeit, sondern sieht die Routine positiv. Sie erlaubt ihm in seiner Sicht eine professionelle Bewältigung der Aufgaben, die er vor allem im erzieherischen Bereich sieht. Den Umgang mit den Kindern erlebt Udo im Gegensatz zu Konrad und Sören nicht als nervend, wohl aber als anstrengend und belastend. Gerade in der Schuleingangsstufe wird die erzieherische Arbeit als aufreibend erlebt. Wie David, Herr Maier und Konrad zieht auch er das Unterrichten in den oberen Klassenstufen vor. Ähnlichkeiten zur Argumentation von Konrad werden deutlich, der diese Präferenz auf die Geschlechtszugehörigkeit bezieht.
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C Empirische Ergebnisse
Seine Zufriedenheit zieht Udo aus dem Fortschritt, den die Schülerinnen und Schüler machen. Im Gegensatz zu Herrn Jehle ist es aber nicht der Leistungsfortschritt an sich, vielmehr ist es die Beobachtung, dass das eigene, unter Anstrengungen erbrachte Bemühen fruchtet. Insgesamt wirkt Udo dabei aber wenig engagiert. Die personale Beziehungsebene zu den Kindern blendet Udo weitgehend aus. Hier zeigen sich Ähnlichkeiten zur Haltung Konrads, auch wenn sein Bemühen um Distanz weniger offensiv stattfindet. Tab. 6: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Professionsverständnis‘ Bezug zu den Schülerinnen Vaterfigur; Ernst-Nehmen; Ambivalenz zwischen emotionaler/körperlicher Nähe und forderndem Verhältnis; erzieherische Arbeit mit den Kindern gewinnbringend Herr Maier Kindern etwas beibringen Vaterfigur; verstandesmäßige Ansprache; Verständnis für die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen; gutes Verhältnis und Anerkennung durch die Schülerinnen und Schüler wird als äußerst befriedigend erlebt Herr Jehle Leistung ermöglichen und Vaterfigur; Leistungen fördern einfordern und fordern; streng; gutes Verhältnis und Lernfortschritte werden als äußerst befriedigend erlebt Sören Sich durchsetzen Kinder werden als nervig und belastend erlebt David
Konrad
Udo
Zielvorstellungen Kinder souverän machen
Kindern etwas beibringen Kinder werden als nervig und belastend erlebt; betrachtet sich als Mann ungeeignet für emotionale Arbeit; fürchtet sich vor Authentizitätsverlust Leistungs- und VerhalKinder werden als anstrengend tensfortschritte sichtbar empfunden; Erzieherische Arbeit machen ist belastend; Erfolge werden gesehen und begründen (eingeschränkte) Zufriedenheit
Unterrichtsformen Eher traditionell, Ansätze von Öffnung des Unterrichts, Entwicklungspotential Traditionell, keine näheren Aussagen zu offenen Unterrichtsformen
Traditionell, lehnt offene Unterrichtsformen entschieden ab Betrachtet offene Unterrichtsformen als weibliche Arbeitsweise, kann sich diesen aber nicht vollständig entziehen Setzt offene Unterrichtsformen aus fachlichdidaktischen Überlegungen ein Keine Aussagen
2.4 Stellung im Kollegium
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2.4 Stellung im Kollegium Die Stellung im Kollegium wird im Folgenden unter zwei Gesichtspunkten beleuchtet: Zum einen wird das Verhältnis des Interviewpartners zu seinen Kolleginnen und Kollegen betrachtet, zum anderen zu seinen Vorgesetzten auf Schulebene. In der Gestaltung dieser Beziehungen werden Muster sichtbar, die in besonderer Weise die Männlichkeitskonstruktionen der Interviewpartner sichtbar machen. Um die Ergebnisse besser einschätzen zu können, an dieser Stelle zunächst ein Überblick zur strukturellen Datenlage in Tabellenform: Tab. 7: Strukturelle Daten zu den einzelnen Schulen der Interviewpartner David
W* 18
M** 3
Herr Maier 12
0
Herr Jehle
19
1
Sören
12
0
Konrad Udo
7 4
0 0
* ** ***
SL/svSL*** Altersstruktur, Besonderheiten w/w Gemischte Altersstruktur, relativ viele jüngere Kolleginnen und Kollegen w/Gemischte Altersstruktur ; Betrifft nur den Grundschulbereich; unterrichtet an Grund- und Hauptschule, bezieht sich in seiner Narration aber ausschließlich auf den Grundschulbereich m/w Gemischte Altersstruktur; hat nur einen direkten männlichen Kollegen, der andere unterrichtet an einer Außenstelle w/m Alle Kolleginnen jünger als er; stellvertretender Schulleiter leitet Außenstelle, daher kaum Kontakt m/m Gemischte Altersstruktur w/Alle Kolleginnen etwa gleichalt wie Udo
W: Anzahl der weiblichen Kolleginnen (ohne Schulleitung) M: Anzahl der männlichen Kollegen (ohne Schulleitung) SL/svSL: Geschlecht der Schulleitung/der stellvertretenden Schulleitung (w= weiblich, m= männlich)
Verhältnis zu den Kolleginnen (und Kollegen) David: Davids Verhältnis zu seinen Kolleginnen ist ambivalent. Er erfährt durch diese eine Besonderung als Mann, seine Geschlechtszugehörigkeit wird wieder und wieder ins Spiel gebracht. Er selbst reagiert darauf mit Scherzen, empfindet das Verhalten der Kolleginnen auch nicht als unangenehm. Ganz geheuer ist ihm die von außen initiierte Inszenierung seines Mannseins aber nicht. Für ihn stellt sich die Frage, welche Erwartungen hinter dem Verhalten seiner Kolleginnen stehen. Er entlarvt die Zuschreibungen als Konstruktion, die seine Persönlichkeit überlagert. Trotz der stattfindenden Verunsicherung beteiligt er sich an den Konstruktionsprozessen und füllt die ihm zugewiesene Rolle als (jüngster) männlicher Kollege aus. Diese
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C Empirische Ergebnisse
ist verbunden mit einem Stück ‚Narrenfreiheit‘ und erlaubt ihm einen scherzhaften Umgang mit den Kolleginnen. Geschlechtsspezifische Zuschreibungen, die seine professionelle Arbeit betreffen, lehnt er dahingehend ab und zeigt sich verwundert vor allem über die positive Diskriminierung, die er als Mann von seiner Rektorin erfährt. David weist eindringlich darauf hin, dass er gern einen männlichen Kollegen hätte, mit dem er auch privat befreundet ist. Ist er im beruflichen Feld fast ausschließlich von Frauen umgeben, setzt sich dieses quantitative Geschlechterverhältnis auch im privaten Bereich fort. Hier unternimmt er durchaus etwas mit seinen Kolleginnen, weist aber auf unterschiedliche Interessen hin. Obwohl er zwei männliche Kollegen hat, von denen einer sogar gleiche Interessen wie David teilt, ist das Verhältnis zu diesen rein kollegialer Natur. Auch an seiner ersten Schule, an der mehr Männer (vor allem im angegliederten Hauptschulbereich) vorhanden waren, hatte er mehr Kontakt zu Frauen. Indem er Geschlecht zum einen entdramatisiert und personale Eigenschaften für das Entstehen von Freundschaften aufzeigt, zum anderen aber immer wieder die Kategorie Geschlecht im Hinblick auf den virulenten Kumpelwunsch aktiviert, zeigt sich die Verunsicherung Davids. Bezogen auf Kooperation bedauert David, dass diese nicht in einem größeren Umfang stattfindet. Begründet wird dies mit der hohen Arbeitsbelastung sowie mit anderen, äußeren Umständen. Er selbst leistet keinen aktiven Beitrag zu einer Intensivierung von Kooperation. Herr Maier: Von einer Verunsicherung oder der Suche nach einer bestimmten Rolle innerhalb des Kollegiums ist bei Herrn Maier nichts zu spüren. Er, der schon seit vielen Jahren an derselben Schule unterrichtet, hat seinen Platz im Kollegium längst gefunden. Er ist der ‚ältere Herr‘ (– im Gegensatz zu David, der der jüngste männliche Kollege ist –) und pflegt einen charmanten Umgang mit seinen Kolleginnen. Aufgrund der Altersdifferenz zu seinen Kolleginnen empfindet es Herr Maier als ganz natürlich, dass er mit diesen flirtet: Es handelt sich dabei nicht um sexuell konnotierte Offerten, obschon gerade dieses Verhalten die Beziehung in besonderer Weise sexiert. Tatsächlich zeichnet Herr Maier das Bild von sich als ‚Hahn im Korb‘ und sogar als ‚Objekt der Begierde‘, obwohl er diskursiv behauptet, dies gerade nicht zu sein. Er selbst wird zuvorkommend behandelt und respektiert. Ähnlich wie David erlebt er ein grundlegendes Wohlwollen ihm gegenüber auf Grund seines exklusiven Status als Mann. Dies begründet Herr Maier in heteronormativer Vorstellung mit dem Theorem des naturgegebenen Verhältnisses zwischen den
2.4 Stellung im Kollegium
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Geschlechtern. Verstärkt wird dieses durch die Kategorie Generation. Mit seiner Sichtweise werden Beziehungen privatisiert, auch wenn sie sich ausschließlich im beruflichen Umfeld abspielen. Herrn Maier ist in besonderer Weise an einer harmonischen zwischenmenschlichen Beziehung zu seinen Kolleginnen gelegen. Da das Geschlecht die Beziehung regelt, arbeitet er lieber mit Frauen als mit Männern zusammen und verspürt, anders als David, keinen Wunsch nach einem weiteren Mann im Kollegium. Einen Führungsanspruch erhebt Herr Maier nicht. Ihm genügt es, dass seine Meinung Gehör findet, wenn er sie denn äußert. Dass seine Kolleginnen anders unterrichten und andere – mädchenadäquate – Schwerpunkte setzen, liegt Herrn Maiers Deutungsmuster zufolge in der Natur der Sache. Er sieht die Differenz, weist in diesem Zusammenhang auch auf Defizite hin, wertet die Kolleginnen oder deren Arbeit aber nicht ab; vielmehr versichert er, dass diese sehr gute Arbeit leisten. Herr Jehle: Sehr ähnlich wie bei Herrn Maier mutet die Abhandlung des Themas bei Herrn Jehle an. Auch ihm ist viel an einer zwischenmenschlichen Beziehung zu seinen Kolleginnen gelegen. Als Berufsanfänger hat er Unterstützung erfahren, nun ist er im Zusammenhang mit seinem Erfahrungsschatz selbst gern bereit, dieselbe den Kolleginnen zukommen zu lassen. Er stellt sich als hilfsbereit und fürsorglich dar und nimmt die Rolle des väterlichen Mentors ein. Kooperation gegenüber zeigt er sich eher kritisch. Wohl ist er grundsätzlich dazu bereit, doch pocht er darauf, dass Absprachen eingehalten und die gesetzten Ziele erreicht werden. Da dies seiner Erfahrung nach meist nicht funktioniert, arbeitet er lieber nach seinen eigenen Vorstellungen und in seinem eigenen Tempo. Die Geschlechtszugehörigkeit seiner Kolleginnen und Kollegen macht er für das Scheitern explizit nicht verantwortlich. Wie Herr Maier zeigt er Unterschiede in der Berufsausübung von Frauen und Männern auf. Mit den Unterrichtsmethoden der jüngeren Kolleginnen kann er nicht allzu viel anfangen. Teilweise kritisiert er deren Vorgehen, lässt diese aber – mit väterlich anmutender Nachsicht – gewähren, solange seine eigenen Interessen nicht tangiert werden. Ist dies jedoch der Fall, so ist er durchaus dazu bereit, für seine Interessen zu kämpfen. Als Argument dient vor allem Erfahrung, die ihm im Selbstbild fachliche Autorität verleiht. Gleichwohl schwingt implizit mit, dass auch sein Mannsein eine nicht unerhebliche Rolle dabei spielt, wenn es darum geht, rationale Entscheidungen zu treffen und Empfehlungen auszusprechen. Auch jenseits von dienstlichen Belangen tritt Herr Jehle als Berater auf. Es erfüllt ihn mit Stolz, dass Kolleginnen auch mit privaten Problemen an ihn
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C Empirische Ergebnisse
herantreten. Hier nimmt er gern die Rolle des väterlichen Ratgebers ein, der mit seiner Lebenserfahrung als Autorität auch in privaten Dingen gilt. So hat Herr Jehle ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu seinen Kolleginnen und nimmt eine ihm sehr angenehme Stellung innerhalb des Kollegiums ein. Auch er wird – wie David – von seinen Kolleginnen für die Wahl der Frauenbeauftragten vorgeschlagen. Anders als David verunsichert dies Herrn Jehle nicht. Herr Jehle, der wie Herr Maier ein naturalistisches Geschlechterbild vertritt, begreift diesen Vorschlag nicht als Angriff auf seine Männlichkeit, sondern als Anerkennung und Vertrauensbeweis. Die Naturalisierung des Verhältnisses zwischen Frauen und Männern führt allerdings im Gegensatz zu Herrn Maier nicht zu einem flirtenden Verhalten, obwohl es auch für Herrn Jehle selbstverständlich ist, einer Kollegin in den Mantel zu helfen. Während Herr Maier das Bild des (noch aktiven) Hahnes im Korb zeichnet, spricht Herr Jehle davon, der „alte Gockel“ zu sein; seine Stellung wird von ihm unter dem Vorzeichen des Alters bewusst entsexualisiert. Herr Jehle betont daher auch, seine Kolleginnen eben als solche und nicht als Frauen zu sehen. Trotz der expliziten Leugnung nimmt auch er eine Sexierung des Geschlechterverhältnisses vor. Die Negierung geschieht vor dem Hintergrund der Gefahr, die sich hinter einem so verstandenen Verhältnis verbirgt. An verschiedenen Stellen weist Herr Jehle darauf hin, verheiratet zu sein, auch berichtet er von einer Affäre des Rektors mit einer jungen Kollegin, die dessen Ehe zum Scheitern brachte. Eine potentielle Gefährdung seiner Ehe bannt Herr Jehle, indem er die eigene Sexierung argumentativ entsexualisiert und die Privatheit in den kollegialen Beziehungen nur bis zu einem bestimmten Punkt der Vertraulichkeit zulässt. Letztlich interpretiert er das Verhältnis zu den Kolleginnen als ein VaterTöchter-Verhältnis. Sören: Letztgenannte Strategie kann Sören schon allein auf Grund seines Alters nicht verfolgen. Obwohl auch er sich als ‚Hahn im Korb‘ bezeichnet und von seiner exklusiven Position allein unter Frauen profitiert, schränkt er die Privatheit der kollegialen Beziehung entschieden weiter ein als Herr Jehle: Er vermeidet eine solche komplett. Dies begründet er damit, dass ein freundschaftliches Verhältnis schnell als ‚Anmache‘ verstanden werden könnte. Auch Sören sexualisiert das Geschlechterverhältnis, erlebt es wie Herr Jehle als Bedrohung für seine Beziehung. Der Hintergrund bei Sören ist dabei allerdings biografisch geprägt: Seine Freundin und Lebensgefährtin hat er an der Schule kennen gelernt, sie ist seine Kollegin. Während Herr Maier auf Grund seines Alters gefahrlos flirten kann, ist dies Sören gänzlich verwehrt.
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Sören unterscheidet sich von allen anderen Interviewpartner: Er hält nicht viel von der Arbeit seiner Kolleginnen. Die differenztheoretische Sichtweise, die bei Herrn Maier und auch bei Herrn Jehle zu erkennen ist, weitet Sören zu einer defizitorientierten aus. Seine Kolleginnen bezeichnet er als „Grundschultanten“, deren Haupttätigkeit aus Schnippeln und Folieren bestehe. Wie David äußert Sören vehement den Wunsch nach einem männlichen Kollegen. Anders als bei David muss dieser nicht gleichaltrig sein oder ähnliche Interessen haben; das Geschlecht genügt als Garantie, dass Sören nicht etwa selbst verweiblicht in einem gänzlich feminisierten Umfeld. Ähnlich wie bei David ist hier eine Verunsicherung der eigenen Männlichkeitskonstruktion feststellbar. Diese dient bei Sören – anders als bei David – allerdings nicht als Auslöser für Reflexionen zur Gestaltung des Geschlechterverhältnisses oder über das eigene Mannsein. Sören wählt eine andere Strategie: In Konferenzen tritt er als Meinungsführer auf, vertritt seine Positionen lautstark und setzt diese durch. In einer habitualisierten Ritterlichkeit begreift er sich als Stellvertreter seiner Kolleginnen gerade auch im Kampf gegen die Rektorin, wie im nächsten Teil noch ausführlicher dargestellt werden wird. Eine Kooperation mit den Kolleginnen erachtet Sören als abwegig, da die geschlechtsspezifischen Differenzen in der Berufsorientierung unüberbrückbar sind. Im Gegensatz dazu begründet Herr Jehle seine ablehnende Haltung unabhängig von der Kategorie Geschlecht. Nicht zuletzt für eine nur mit Männern mögliche Kooperation wünscht Sören sich einen männlichen Kollegen. Konrad: Konrad bezeichnet die von Sören als „Grundschultanten“ betitelten Kolleginnen als „Grundschuldixies“. Auch bei ihm ist die Abwertung der Kolleginnen zentrales Mittel, um sich von diesen abzugrenzen und das eigene Mannsein zu betonen. Anders als bei Sören geschieht diese Abwertung aber nicht über ein defizitäres Bild der Arbeit, die die Kolleginnen leisten. Wie Herr Maier schätzt Konrad diese explizit hoch, sieht in deren Berufsorientierung im Gegensatz zu diesem aber keine Differenzen. Die Abwertung, die Konrad vornimmt, bezieht sich vielmehr auf den zwischenmenschlich-kollegialen Bereich. Er spricht von „Stutenbissigkeit“ und einer emotionalisierten Gestaltung der Arbeitsbeziehungen, bei der intrigante Strategien sichtbar werden. Anstatt Dinge männlich-pragmatisch zu lösen, gelingt es seinen Kolleginnen nicht, in Konfliktsituationen sachlich zu agieren. Für das Verhalten seiner Kolleginnen schämt er sich. Zwar hat er anders als Sören keine Angst davor, selbst zu verweiblichen, doch möchte er nicht in die Nähe der Kolleginnen gerückt werden. Kooperation lehnt Konrad wie Sören und Herr Jehle ab: Den fehlenden Pragmatismus seiner Kolleginnen empfindet Konrad als fast schon physische Bedrohung.
350
C Empirische Ergebnisse
Er spricht von seinem Rückzug als notwendigen Schritt, um zu „überleben“. Inzwischen verweigert er sich weitestgehend, steht für fachlichen Rat aber durchaus zur Verfügung, wie dies auch bei Herr Jehle der Fall ist. In privaten bzw. in seinen Augen privatisierten dienstlichen Belangen ist er nicht ansprechbar. Persönlich werdende Kontaktangebote weist er zurück, von seinem Privatleben gibt er nichts preis. Konrad schafft so eine klare Trennlinie zwischen sich und den Kolleginnen. Als Bewältigungsmuster verfolgt Konrad das Mittel der Abwertung der Kolleginnen bei gleichzeitiger Betonung der eigenen Kompetenz, wie es auch Sören tut. Im Gegensatz zu diesem kommen Konrad seine beiden männlichen Schulleiter zugute, mit denen er sich identifiziert und auf eine übergeordnete Stufe stellt. Konrads Führungsanspruch allerdings ist, verglichen mit Herr Jehle oder auch mit Sören, dabei wenig ausgeprägt. Viel eher ist eine gewisse Verzweiflung zu spüren: Nachdem schon die Arbeit mit den Kindern seinem Potential nicht entspricht, ist auch das Verhalten der Kolleginnen unter seinem Niveau. Seine Authentizität wahren kann er nur durch einen weitgehenden Rückzug. Auch ein weiterer Mann im Kollegium würde hieran nicht viel ändern. Zwar kann Konrad sich vorstellen, dass Kooperation dann besser gelänge, da er aber im Grunde eine solche sowieso nicht wünscht, verspürt er auch keinen Wunsch nach einem männlichen Kollegen. Da er Privates von Dienstlichem strikt trennt, sieht er, anders als David oder Sören, einen männlichen Kollegen auch nicht als potentiellen Kumpel. Trotz des völlig unterschiedlichen Erlebens der Situation in der Grundschule und der verschiedenen Bewältigungsmuster ergibt sich eine erstaunliche Parallele mit David: Auch Konrad übernimmt die Rolle des Scherzenden im Kollegium, auch er begründet dies mit seinem Mannsein. Wird diese Rolle bei David vor dem Hintergrund der eigenen Verunsicherung in Ansätzen reflektiert und ist so ausgerichtet, dass die geschlechtsspezifischen Erwartungen der Kolleginnen auf diese Weise erfüllt werden können, so dient sie Konrad dazu, eine ironisch-distanzierte Haltung einzunehmen, die den Unterschied zu seinen Kolleginnen betont. Udo: Verunsicherung ist Udo fremd: Für ihn ist klar, dass er als Mann anders ist als die Frauen in seinem Kollegium. Die Binarität der Geschlechter ist nicht verhandelbar, daher spielt das Geschlechterverhältnis generell keine große Rolle für sein Berufserleben. Zwar könnte er sich durchaus vorstellen, einen männlichen Kollegen zu haben, diesen allerdings eher für Pausengespräche, da er ähnlich wie Sören, Konrad und Herr Jehle keinen Wert auf Kooperation legt. Eine solche wird allerdings aus einem anderen, bislang nicht genannten Grund abgelehnt: Udo hat kein Interesse daran, seine Freizeit für mit Kooperation verbundene Besprechungen, Teamsitzungen etc.
2.4 Stellung im Kollegium
351
zu opfern. Einen Führungsanspruch erhebt Udo im Gegensatz zu Herrn Jehle oder Sören aus demselben Grund ebenfalls nicht. Der Status als Mann im Kollegium genügt als Garant für die eigene Souveränität. Daher muss sich Udo nicht detailliert über seine Kolleginnen auslassen. Lediglich deren von ihm als Aktionismus bezeichnetes Engagement in Fragen der inneren Schulentwicklung wertet er ab. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass er dadurch in seiner Souveränität eingeschränkt und zu Mehrarbeit verpflichtet wird. Die Arbeit mit den Kindern erlebt er als anstrengend. Um sich hiervon zu erholen, zieht er sich gern zurück und hat kein Interesse an Gesprächen mit den Kolleginnen; an deren Themen zeigt er sowieso kein Interesse. Wie bei Konrad wird hier der Wunsch erkennbar, Privates von Beruflichem zu trennen. Beide ziehen sich zurück; während Konrad dabei beinahe verzweifelt wirkt und sich in seiner Person bedroht fühlt, erduldet Udo die Situation stoisch und gelassen. Der Wunsch nach einem männlichen Kollegen ist, wie bei Konrad, nicht virulent, da ein solcher seinen als Unabhängigkeit deklarierten Rückzug bedrohen könnte. Tab. 8: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen‘ Verhältnis zu den Kolleginnen David
Schätzt die Kolleginnen und deren Arbeit; fühlt sich mit geschlechtsbezogenen Zuschreibungen konfrontiert; auch private Kontakte Herr Maier Schätzt die Kolleginnen und deren Arbeit; gibt fachliche Ratschläge, wenn er gefragt wird; flirtet
Herr Jehle
Verhältnis zu den Kollegen
Kooperation
Kein intensives Verhältnis, dennoch privatisiert; massiver Kumpelwunsch
Kaum vorhanden, aber (schwacher) Wunsch danach
Keine Kollegen Keine Aussage vorhanden (außer im HS-Bereich, zu denen er aber wenig Kontakt hat); kein Wunsch nach männlichem Kollegen Schätzt die Männerbund, um Wird vermieden Kolleginnen und Interessen durchzuderen Arbeit; setzen; bevorzugte väterlich-fürsorgliche Zusammenarbeit Mentorenrolle
Stellung/Rolle im Kollegium, Bewältigungsstrategie Selbst gewählt: Clown; hineingedrängt: Mann; Verunsicherung, Reflexion; Geschlecht und Generation regeln den Umgang Selbst gewählt: Charmeur; Geschlecht und Generation regeln den Umgang
Selbst gewählt und zugeschrieben: fürsorglicher Vater, inoffizieller Schulleiter; Geschlecht und Generation regeln den Umgang
352 Sören
Konrad
Udo
C Empirische Ergebnisse Massive Abwertung der Arbeit der Kolleginnen; tritt als Stellvertreter auf; klare Grenzziehung zum Privaten Massive Abwertung der Kolleginnen, nicht aber deren Arbeit; Schamgefühl; klare Grenzziehung zum Privaten; Rückzug Keine wesentliche Abwertung; klare Grenzziehung zum Privaten; Rückzug
Kein Kollege vorhanden; massiver Kumpelwunsch
Findet nicht statt, mit männlichem Kollegen ist Kooperation vorstellbar
Selbst gewählt: Führer, Ritter; Geschlecht regelt den Umgang
Informelles Bündnis mit den Schulleitern; kein Wunsch nach männlichem Kollegen
Wird vermieden; Kooperation extrem unbefriedigend und bedrohlich
Selbst gewählt: Rückzug; Schutz der eigenen Person regelt den Umgang
Kein Kollege Wird vermieden vorhanden; marginaler Wunsch nach männlichem Kollegen
Selbst gewählt: Rückzug; Desinteresse regelt den Umgang
Verhältnis zur Schulleitung David: Davids Schulleiterin, die ihn bei einer schulscharfen Stellenausschreibung ausgewählt hat, weist ihm einen Sonderstatus als Mann zu. Die Geschlechtszugehörigkeit Davids ist ausschlaggebend für seine erfolgreiche Bewerbung. Diesen Sachverhalt beleuchtet David kritisch, ohne auf die Dividende zu verzichten, die er daraus ziehen kann. Auf Grund der klaren Vorstellungen, die die Schulleiterin von der Gestaltung des Unterrichts hat, verhält sich David ihr gegenüber zurückhaltend. Er hat das Gefühl, den didaktischen Anforderungen der Schulleiterin nicht entsprechen zu können und geht auf Distanz. Sie um fachliche Unterstützung zu bitten, lehnt er ab: Zu groß ist die Gefahr, dass er sich wieder in der Rolle des Berufsanfängers wieder findet. Das Verhältnis zur Schulleiterin kennzeichnet er als Nicht-Verhältnis. Zu spüren ist deutlich der Wunsch nach professioneller Eigenständigkeit sowie nach Anerkennung der eigenen Kompetenz. Das Geschlecht der Schulleiterin spielt für ihn dabei keine Rolle. Sein eigenes Geschlecht dahingegen verschafft ihm einen Schonraum.
Herr Maier: Völlig anders gestaltet sich das Verhältnis von Herrn Maier zu seiner Schulleiterin: Deren Geschlechtszugehörigkeit sowie seine eigene regeln das Verhältnis maßgeblich. Aus heteronormativen Vorstellungen heraus basiert das Verhältnis auf das alltägliche Spiel zwischen Mann und Frau. Herr Maier sexualisiert die Beziehung und spricht von einem charmanten Umgang miteinander. Das Verhältnis wird
2.4 Stellung im Kollegium
353
privatisiert und hat zunächst nichts mit einer professionellen Arbeitsbeziehung zu tun. Als Charmeur und Kavalier der alten Schule flirtet er, überschreitet intime Grenzen aber nicht. Der Altersunterschied zu seiner Schulleiterin erlaubt ihm einen sexierten Umgang. Herr Jehle: Bei Herrn Jehle spielt die Geschlechtszugehörigkeit der Schulleitung ebenfalls eine Rolle, wenn auch vor einem anderen Hintergrund. Insgesamt hatte er immer männliche Schulleiter: Während er vom ersten als Berufsanfänger große Unterstützung erfährt und diesen als Vorbild betrachtet, kritisiert er die laxe Arbeitshaltung des Schulleiters an seiner zweiten Schule. Die Kritik fällt dabei allerdings recht gnädig aus, besteht im Grunde aus Beobachtungen einzelner Sachverhalte, die zwar Herrn Jehles Missbilligung erfahren, das Verhältnis insgesamt aber nicht belasten. Wichtiger ist Herrn Jehle, dass er so arbeiten kann, wie er es wünscht; ein Schulleiter, der sich um nichts kümmert, ist die beste Garantie hierfür. Auch bedeutet ein ‚schwacher‘ Schulleiter, dass er selbst zumindest inoffiziell die Führung der Schule übernehmen kann. Als allerdings eine stellvertretende Schulleiterin an die Schule kommt, die sich massiv in die Unterrichtsgestaltung einmischt, sieht er sich in seiner Meinungsführung bedroht. Davids Schulleiterin vertritt ähnliche Unterrichtsprinzipien. David versucht, sich hier so gut es geht herauszuziehen, dies allerdings in einer passiven Haltung und offensichtlich auch verbunden mit einem gewissen Maß an schlechtem Gewissen. Herr Jehle dagegen wehrt sich offen und mit Massivität gegen das Ansinnen der Konrektorin, sabotiert Anweisungen und schmiedet – erfolglos – einen Männerbund mit seinem männlichen Kollegen. Zunächst erscheint Herrn Jehles Haltung der stellvertretenden Schulleiterin gegenüber sachlich begründet. Dennoch kommt hier der Geschlechteraspekt ins Spiel: Ein solch rücksichtsloses, in die falsche Richtung zielendes Vorgehen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geschlechtszugehörigkeit der Konrektorin. Mit Genugtuung stellt er fest, dass diese Frau nach kurzer Zeit ihre Leitungsposition zurückgibt. Nun, als Kollegin ohne Amt, ist sie vernünftig geworden: Impliziert wird damit, dass Frauen nicht für eine Führungsposition geeignet sind. Sören: Diese Meinung vertritt auch Sören, wenngleich mit deutlich mehr Vehemenz. Anders als David erfährt er keine positive Besonderung durch die Schulleiterin, an einen charmanten Umgang, wie ihn Herr Maier praktiziert, ist nicht zu denken. Sören greift die Schulleiterin in Konferenzen an, stellt deren Kompetenz in Frage,
354
C Empirische Ergebnisse
tritt in einen offenen Kampf mit ihr. Sören führt seine Probleme mit der Schulleiterin auf deren Geschlechtszugehörigkeit zurück. Kontrastierend hält er sein problemloses Verhältnis zum männlichen Schulleiter während des Referendariats dagegen. Sören hat keine Möglichkeit, einen Männerbund wie Herr Jehle zu schließen, da er der einzige Mann im Kollegium ist. Nicht zuletzt deshalb entwickelt Sörens den intensiven Wunsch nach einem männlichen Kollegen. Tatsächlich bestimmt das Verhältnis zur Schulleiterin Sörens Befinden zentral. Der Kampf gegen die Schulleiterin dominiert seine gesamte Narration und vermittelt das Bild eines Kampfes der Geschlechter. Konrad: Konrad muss einen solchen Kampf nicht ausfechten: Beide Schulleitungspositionen sind männlich besetzt. Konrad gelingt es, mit seinen Schulleitern einen Männerbund zu schließen, der in gemeinsamem rituellen Biertrinken nach den Konferenzen bekräftigt wird. Zusammen mit ihnen bildet er ein Triumvirat. Er begibt sich in eine Koalition der Vernunft, der Sachlichkeit und des Durchsetzungsvermögens, der eine entspannte Grundhaltung zugrunde liegt. Konrad schätzt seinen Konrektor auf Grund dessen Souveränität und Innovationsfreude. Am Rektor selbst schätzt er dessen bürokratischen Sachverstand und seine Effizienz; beides Eigenschaften, die Konrad männlich konnotiert. Zudem versorgt er Konrad mit den neuesten Informationen aus Schulamt und Ministerium, was ihm einen Informationsvorsprung vor befreundeten Lehrern anderer Schulen verschafft. Dass der Rektor mit den Kolleginnen flirtet, missbilligt Konrad, da es seinem Verständnis einer strikten Entprivatisierung von Arbeitsbeziehungen zuwiderläuft. Gleichwohl empfindet er das sexualisierende Verhalten des Rektors als durchaus natürlich, was – wie bei Herrn Maier – auf heteronormative Vorstellungen schließen lässt, die das Geschlechterverhältnis regeln. Udo: Udo schließlich liegt es zunächst fern, dass Verhältnis zur Schulleitung vor einer geschlechtsspezifischen Folie zu betrachten. An die Stelle des Geschlechterverhältnisses setzt er ein Generationenverhältnis, das die Beziehungen zu Vorgesetzten regelt. Zu seiner jetzigen Schulleiterin hat Udo inzwischen ein einigermaßen entspanntes Verhältnis, auch wenn dieses anfangs nicht unproblematisch war. Eine Sexualisierung der Beziehung wie bei Herrn Jehle findet nicht statt. Udo verbietet sich generell jegliche Einmischung in seine Arbeit. Kontrolle und mangelndes Vertrauen erlebt er als Affront, der sein Befinden massiv beeinträchtigt. Es liegt Udo fern, wie Sören oder Herr Jehle einen Führungsanspruch zu erheben.
2.5 Berufsprestige
355
Udo geht es einzig und allein um sein persönliches Befinden, um ein In-RuheGelassen-Werden, das sich stark von Davids Vermeidungsstrategie unterscheidet. Während David eher Angst davor hat, den Anforderungen der Rektorin nicht gewachsen zu sein, ist es bei Udo die Furcht davor, in seiner Zurückgezogenheit gestört zu werden, die ihn auf Abstand hält. Tab. 9: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Verhältnis zur Schulleitung‘
David
Herr Maier Herr Jehle
Sören
Konrad
Udo
Verhältnis Kein Verhältnis
Zentrale Motive Angst, dass eigene Kompetenz in Frage gestellt wird; Besonderung durch Schulleiterin; keine Dramatisierung von Geschlecht Charmantes Verhältnis Geschlecht regelt den Umgang miteinander; sexiertes Verhältnis, Flirt Kein Verhältnis (Rek- Rektor schwach, daher ungefährlich; weist fachliche Machttor)/offener Kampf ansprüche der Konrektorin zurück; dramatisiert Geschlecht (Konrektorin; in der latent; Selbstverständnis als informeller Schulleiter; Vergangenheit) Geschlecht und Erfahrung als Qualifikation Offener Kampf Hält sich für weitaus kompetenter als die Schulleiterin; offene Dramatisierung der Geschlechtszugehörigkeit der Schulleiterin; Geschlecht als Qualifikation Männerbund Sieht sich auf einer Ebene mit den Schulleitern; schätzt deren Sachverstand und männlich konnotierte Eigenschaften; dadurch: Dramatisierung Kein Verhältnis Möchte in Ruhe gelassen werden; Generation regelt Verhältnis; keine Dramatisierung von Geschlecht
2.5 Berufsprestige Der Aspekt Berufsprestige gliedert sich auf in den Selbstwert, den der Interviewpartner aus seiner Tätigkeit ableitet, sowie die Wertschätzung, die er in seiner Umwelt erfährt. Die Wertschätzung wiederum kann auf zwei Ebenen betrachtet werden: Die schulischen Ebene meint dabei die Anerkennung, die dem Interviewpartner vor allem von den Eltern entgegengebracht (oder auch verwehrt) wird. Die gesellschaftliche Ebene beschreibt die Einschätzung des Berufes in der Öffentlichkeit, aber auch im Bekanntenkreis des Interviewpartners. David: David erfährt durch die Eltern eine Besonderung als Mann. Sie geben ihm zu verstehen, dass sie es schätzen, dass er als Mann Grundschullehrer ist. Er selbst sieht die Notwendigkeit einer männlichen Bezugsperson vor allem für Scheidungskinder, die bei ihrer Mutter aufwachsen. Dennoch kommt David ins Grübeln darüber, woher die
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C Empirische Ergebnisse
Zuschreibung kommt, dass er als Mann generell geeigneter sei, gerade schwierigen Jungen mit der nötigen Autorität entgegenzutreten. Seine Geschlechtszugehörigkeit wird als Garant für Durchsetzungsvermögen und Strenge gewertet. Er selbst stellt diese stereotype Vorstellung in Frage und besteht darauf, dass die Eltern ihn als Mensch einschätzen sollten, nicht als Mann. Im Umgang mit den Kindern erlebt er, dass sein anfänglicher Männerbonus bei diesen schnell verpufft. Während seiner Berufswahlphase erlebt David das Gegenteil einer positiven Diskriminierung: Der Beruf des Grundschullehrers wird von seinen Schulfreunden nicht als vollwertiger Beruf anerkannt, schon gar nicht für einen Mann. David selbst erklärt die abwertende Haltung mit der Familiennähe seiner Tätigkeit, die zu Hause von Frauen erledigt wird. Er reagiert auf die verweigerte Akzeptanz wenig souverän, sondern schämt sich für sein Interesse und verzichtet darauf, sein Berufsziel publik zu machen. Dass selbst Studierende an der Pädagogischen Hochschule seiner Entscheidung für das Lehramt an Grundschulen nicht mit Respekt begegnen, verunsichert David. Dennoch kann er deren Vorurteile nachvollziehen und bestätigt diese in Bezug auf die von ihm als regressiv erlebten Kommilitoninnen. Erst als er in den Beruf eintritt, erfährt er den Wert des Berufes und erkennt die mit ihm verbundenen hohen Anforderungen. Er betont die notwendige Professionalität und kann zu seiner Berufswahl stehen. Auf Diskussionen, die beispielsweise die vielen Schulferien betreffen, lässt er sich gar nicht erst ein. Insgesamt sieht sich David genötigt, seine Berufswahl im Bekanntenkreis zu verteidigen, dies vor allem vor dem Hintergrund seines Mannseins, das ihn per Geschlecht für die familiennahe Tätigkeit an der Grundschule überqualifiziert. Gleichzeitig ist sein Mannsein in der Schule selbst dann verbunden mit einem hohen vergeschlechtlichten Prestige. David übernimmt weder die einen noch die anderen Zuschreibungen unreflektiert, sondern bezieht sich in seinem Selbstwert auf Erfahrungen, die ihm die Vollwertigkeit seines Berufes jeden Tag aufs Neue vor Augen führen. Herr Maier: Herr Maier kann keine negativen Vorbehalte gegenüber seinem Beruf feststellen. Zwar stellt er fest, dass der Lehrerstand insgesamt in die Kritik geraten sei und nicht mehr über die Autorität verfüge, die er früher einmal hatte, dennoch erfährt er großen Respekt durch die Eltern seiner Schülerinnen und Schüler. Er betont deren hohen sozialen Status und berichtet, immer respektvoll behandelt zu werden. Seine Geschlechtszugehörigkeit spielt dabei keine Rolle, sie wird in diesem Zusammenhang nicht thematisiert. Er selbst schätzt seinen Wert hingegen gerade wegen seiner Geschlechtszugehörigkeit hoch ein: Er betont die Wichtigkeit von Männern im Grundschulbereich
2.5 Berufsprestige
357
vor allem für die männlichen Schüler. Wie David sieht er die Notwendigkeit, dass Kinder allein erziehender Müttern in der Grundschule einem männlichen Lehrer begegnen. Eine weitere geschlechtsspezifische Zuschreibung nimmt Herr Maier vor, wenn er Vermutungen dazu anstellt, warum es so wenige männliche Grundschullehrer gibt. Er kann sich vorstellen, dass Männer nicht für voll genommen werden, wenn sie mit kleinen Kindern arbeiten. Er selbst berichtet aber von keinen diesbezüglichen Erfahrungen, so dass dieser Hinweis eine andere Qualität hat als die Verunsicherung bei David, der solche Diskriminierungen selbst erlebt. Von Seiten der Kinder erfährt Herr Maier eine Besonderung, die er mit speziellen Erwartungen an ihn als Mann umschreibt. Den ihm entgegengebrachten Männerbonus stellt Herr Maier im Gegensatz zu David nicht in Frage. Auch die Wichtigkeit und die Anforderungen seines Berufes muss Herr Maier, anders als David, nicht gesondert herausstellen. Hierin unterscheidet sich Herr Maier auch von Herrn Jehle. Herr Jehle: War die Motivation für Herr Jehle, in der Grund- und nicht in der Hauptschule zu unterrichten, zunächst von rein extrinsischen Faktoren gesteuert, so betont er heute die Wichtigkeit genau dieser Arbeit, da sie Grundlagen für die weitere schulische Laufbahn schaffe. Seine Kollegen, die vor einer ähnlichen Entscheidung standen, wechseln alle an die Hauptschule und legen ihm selbst denselben Schritt nahe. Er wird gar als „blöd“ im Sinne von verrückt bezeichnet, als er sich für den impliziert statusniedrigeren Grundschulbereich entscheidet. Im Nachhinein rechtfertigt er seine Entscheidung damit, dass das Niveau des Unterrichts an der Grundschule höher ist, der Leistungsaspekt, der ihm so wichtig ist, mehr in den Vordergrund treten kann. Herr Jehle vermutet wie Herr Maier, dass die meisten Männer kein Verhältnis zu kleinen Kinder haben. Er selbst sieht sich hier in einem gewissen Rechtfertigungsdruck und argumentiert, dass er selbst vier Kinder hat; daher seine – für Männer ungewöhnliche – Nähe zu Kindern. Sein eigener Selbstwert gründet sich auf seine Stellung im Kollegium und auf das Verhältnis zu ehemaligen Schülerinnen und Schülern. Da ihm eine Statusaufwertung durch die Übernahme einer Schulleitungsfunktion verwehrt geblieben ist, bezieht er sich darüber hinaus auf seine Erfahrung und Kenntnisse, die zum einen altersbedingt, dann aber durchaus auch auf Grund seiner Geschlechtszugehörigkeit zum Tragen kommen. Dies wird ihm, ähnlich wie bei David, auch von den Eltern vermittelt: Sie sind froh, wenn ihre Kinder einen männlichen Lehrer bekommen, der qua Geschlecht über mehr Autorität verfügt als eine Lehrerin und, so Herrn Jehles Vermutung,
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C Empirische Ergebnisse
familiäre Erziehungsdefizite ausgleicht. Er selbst sieht diese Zuschreibung auf Grund seiner Erfahrungen durchaus bestätigt, stellt sie also anders als David nicht in Frage. Im außerschulischen Umfeld zeigt sich Herr Jehle allerdings weniger überzeugt vom Prestige seines Berufes. Er vermeidet es, zu sagen, an welcher Schulform er unterrichtet und grenzt sich von typischen Grundschullehrern, die er mit weiblicher Übervorsorglichkeit assoziiert, ab. Er betont, dass er von seiner Ausbildung her Lehrer für alle Klassenstufen ist. Auch betont Herr Jehle, wie gern und erfolgreich er in Hauptschulklassen unterrichtet hat. Sören: Während das Berufsprestige selbst bislang nur bei David für eine Verunsicherung sorgt, ist es auch für Sören ein wesentlicher Faktor, der sein Befinden beeinflusst. Sind es bei David die Ferien, der Beamtenstatus sowie der gute Verdienst, für die er sich rechtfertigen muss, stehen bei Sören die freien Nachmittage zur Debatte. Allerdings schränkt Sören ein, dass dieselben Leute, die ihm diese vorwerfen, durchaus anerkennen, dass er einem anstrengenden Beruf nachgeht. Überrascht zeigt sich Sören dennoch über die Ergebnisse der Berufsprestigeskala des Allensbacher Instituts. Er betont, welche Vorreiterrolle im Rahmen der Schulentwicklung die Grundschule spielt und vermutet, dass Grundschullehrer vor allem unter Lehrern anderer Schularten ein hohes Ansehen genießen. Diese Einschätzung widerspricht den Erfahrungen Herrn Jehles und auch dem Erleben Davids, ist aber als wesentlicher Faktor für den Selbstwert Sörens zu begreifen. Dem gegenüber entwirft er das Bild der kindergartennahen Tätigkeiten, das in der Öffentlichkeit mit seinem doch viel anspruchsvolleren Beruf in Verbindung gebracht wird. Hier zeigt sich eine deutliche Parallele zu David, der ähnlich abwertende Zuschreibungen feststellt. Während David für dieses Bild in der Öffentlichkeit ansatzweise seine Kommilitoninnen verantwortlich macht, schreibt Sören eine solche Berufsorientierung dezidiert seinen Kolleginnen zu. Von diesen grenzt er sich deutlich ab. Sören berichtet wie zuvor Herr Jehle, dass in der Öffentlichkeit die Beschäftigung mit kleinen Kindern als Domäne der Frauen angesehen wird. Um seine Berufswahl dennoch zu legitimieren, führt Sören eine geschlechtsspezifische Umdeutung seiner Tätigkeit durch, indem er Arbeitsbereiche, Aufgaben und Arbeitsweisen für sich deklariert, die sich von denen der weiblichen Kolleginnen unterscheiden. Im Kollegium erfährt er die gleiche Besonderung, die auch David zuteil wird: Seine Kolleginnen vermitteln ihm, wie wichtig es sei, dass er als Mann in der Grundschule unterrichtet. Bei Problemen mit schwierigen Kindern wird er gerufen,
2.5 Berufsprestige
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um diese zu bändigen. Während David solche Konnotation hinterfragt, versucht Sören, diese auf allen Ebenen auszufüllen. Auch deshalb betont er Wissensvermittlung und Wettbewerb als zentrale Aspekte seines Berufsverständnisses. Durch die Eltern erfährt Sören eine positive Diskriminierung aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit. Wie Herr Jehle, aber im Gegensatz zu David nimmt er diese dankbar an und ist stolz darauf, im Gegensatz zu seinen Kolleginnen noch nie Probleme mit den Eltern gehabt zu haben. Er deklariert einen Autoritätsvorsprung für sich, den er, wie zuvor Herr Jehle, in einen Führungsanspruch umdeutet. Konrad: Konrad grenzt sich ebenfalls dezidiert von seinen Kolleginnen ab, um seinen eigenen Selbstwert aufrecht zu erhalten. Dies geschieht auf der Beziehungsebene und nicht – wie bei Sören – im professionsbezogenen Kontext. Abgrenzen muss sich Konrad auch vom Bild in der Öffentlichkeit; hier gelten männliche Grundschullehrer in seinen Augen als verweichlicht und unmännlich. Dementsprechend stolz ist er darauf, wenn in außerschulischen Zusammenhängen niemand vermutet, dass er Grundschullehrer ist. In seinem Inneren empfindet er allerdings eine Inferiorität: Er schämt sich dafür, Grundschullehrer zu sein. Konrad geht wie Herr Jehle und auch Sören davon aus, dass Männern grundsätzlich die Nähe zum Kind fehlt. Für sich selbst bestätigt er diese Sichtweise zum Teil. Wie einige seiner interviewten Kollegen sieht er allerdings gerade für Kinder allein erziehender Mütter die Notwendigkeit, dass er als Mann in der Grundschule tätig ist. Dies wird ihm auch von den Eltern vermittelt, die dankbar dafür sind, einen männlichen Grundschullehrer für ihre Kinder zu haben. Von Dankbarkeit spricht er auch in Bezug auf die Kinder: Diese sind froh, wenn er als Mann für Ruhe sorgen kann und Durchsetzungsvermögen beweist. Anders als David verpflichtet sich Konrad, die Erwartungen der Kinder zu erfüllen. Das Sozialprestige selbst spielt für Konrad eine ebenso große Rolle wie beispielsweise für Sören. Durch die Abgrenzung von seinen Kolleginnen und die insgesamt große Distanz zu seiner Tätigkeit gelingt es ihm zwar, offiziell über jeden Verdacht der Unmännlichkeit erhaben zu sein, dennoch ist sein Schamgefühl Ausdruck einer selbst empfundenen und von außen vermittelten Minderwertigkeit. Udo: Eine ähnlich große Distanz wie bei Konrad ist bei Udo zu spüren. Auch er ist erfreut darüber, dass Unbekannte ihn nicht als Grundschullehrer erkennen und diese sich erstaunt zeigen, wenn er seinen Beruf kundtut. Die Vorurteile, denen Udo begegnet, sind dabei vergleichbar mit jenen, auf die David und Sören stoßen. Ihm wird ebenfalls vorgeworfen, in seinem Beruf ein hohes Maß an Freizeit zu haben. Anders
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C Empirische Ergebnisse
als David versucht er aber gar nicht erst, den Wert der eigenen Arbeit darzustellen. Das Unverständnis gegenüber seiner Tätigkeit, das ihm anscheinend immer wieder von Bekannten entgegengebracht wird, erregt ihn ebenfalls nicht sonderlich. Er führt er darauf zurück, dass er sich als Mann in der Grundschule auf eine niedere Stufe begibt, die eigentlich Frauen vorbehalten bleiben sollte. Zumindest eine Schulleiterposition müsse er als Mann anstreben, um nicht unmännlich zu wirken. Hier zeigt sich eine Parallele zu Herrn Jehle, der im Gegensatz zu Udo ein solches Amt auch anstrebte. Udo selbst lässt sich von entsprechenden Zuschreibungen nicht weiter verunsichern. Von den Eltern fühlt er sich akzeptiert, auch wenn sein Mannsein dabei nicht besonders herausgestellt wird. Zu berichten weiß er aber genauso wie Sören, dass er weniger Konflikte mit den Eltern hat als seine Kolleginnen. Von diesen grenzt er sich im Übrigen nicht deshalb ab, um die Tätigkeit in einem feminisierten Berufsfeld zu legitimieren. Dies geschieht vielmehr aus dem Grund, um seine Selbstständigkeit zu wahren. Genauso wenig weiß Udo von speziellen Erwartungen der Schülerinnen und Schüler an ihn als Mann zu berichten. Schließlich nimmt Udo auch keine geschlechtsspezifischen Zuschreibungen vor, wie sie von den anderen Interviewpartnern etwa bei der Thematik allein erziehende Mütter initiiert werden. Tab. 10: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Berufsprestige‘ Selbstwahrnehmung
David
Hohe Anforderungen; Professionalität notwendig; Geschlecht zweitrangig
Herr Maier
Kann als Mann besser auf die Jungen eingehen
Herr Jehle
Abgrenzung; ist als Mann wichtig, um familiär bedingte Defizite auszugleichen Abgrenzung; anstrengend; Vorreiterrolle bei Schulentwicklung; männlich interpretierte Art der Berufsausübung legitimiert Tätigkeit
Sören
Fremdwahrnehmung Umwelt Für Männer nicht geeignet; Professionalität wird geleugnet; Ferien Lehrerstand ist insgesamt in die Kritik geraten Für Männer generell nicht geeignet
Fremdwahrnehmung FremdwahrEltern nehmung Kinder Besonderung als Mann; Besonderung; Zuschreibungen: Männer-Bonus, Strenge, Durchschwindet aber setzungsvermögen schnell
Freie Nachmittage, Beamtenstatus, guter Verdienst; kindergartennahe Tätigkeit; Domäne von Frauen
Besonderung als Mann; Keine keine Aussagen zu Aussagen bestimmten Zuschreibungen
Keine Besonderung als Mann; hohe Akzeptanz; Respekt Besonderung als Mann, Zuschreibung: Strenge
Besonderung: Freude Keine Aussagen
2.6 Vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitsalltag: Allein unter Frauen? Konrad
Udo
Abgrenzung; Kinder allein erziehender Mütter profitieren von ihm; geht auf Distanz zum eigenen Beruf Engagement der Grundschullehrerinnen /-lehrer; distanziertes Verhältnis zum eigenen Beruf
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Unmännlich; Nähe zum Kind ist Frauen vorbehalten
Besonderung als Mann; Dankbarkeit, keine Aussagen zu da er als Mann bestimmten Zuschrei- für Ruhe sorgt bungen; Dankbarkeit
Freizeit; kein Beruf für einen Mann (unmännlich)
Keine Besonderung
Keine Aussage
2.6 Vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitsalltag: Allein unter Frauen? Unter dem Aspekt ‚Vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitsalltag: Allein unter Frauen?‘ werden die Ergebnisse der oben bearbeiteten Aspekte noch einmal zusammengefasst und in Relation zueinander gesetzt. Aus der Pointierung auf die Bedeutung der Kategorie Geschlecht ergeben sich Hinweise auf Männlichkeitskonstruktionen, die das Selbstbild der Interviewpartner bestimmen, aber auch auf Bewältigungsstrategien, die prägend sind für deren beruflichen Habitus. Schließlich kann geklärt werden, in wie weit die einzelnen Interviewpartner sich tatsächlich ‚allein unter Frauen‘ sehen bzw. was der exklusive Geschlechtsstatus für sie bedeutet. David: David erfährt bereits seit Eintritt ins Referendariat eine Besonderung als männlicher Grundschullehrer. Die Anerkennung, die er hier vor allem durch weibliche Lehrbeauftragte, Mentorinnen, Rektorinnen, Mütter, aber auch Kolleginnen erfährt, steht im krassen Widerspruch zur Marginalisierung seiner als unmännlich konnotierten Berufswahl durch Schulfreunde und Kommilitonen. Auch die gesellschaftliche Sicht auf den Beruf nimmt er als abwertend wahr. Er selbst bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Teilhabe an der die Männer besondernden Dividende, die verbunden ist mit der Übernahme der zugeschriebenen Rolle, und der Zurückweisung einer vergeschlechtlichten Sichtweise auf seine Person. Als öffentliche Bewältigungsstrategie nimmt er die Rolle des Scherzenden ein, die ihm als jüngster männlicher Kollege zugestanden wird. Hier verschränkt sich die Kategorie Geschlecht mit der Kategorie Generation. Seine private Bewältigungsstrategie hingegen ist die Reflexion, die allerdings zu widersprüchlichen Analysen und zum Teil zu noch größerer Verunsicherung führt. Deutlich zu spüren ist Davids Verunsicherung darüber, ob er als Mann überhaupt
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C Empirische Ergebnisse
Grundschullehrer sein darf. Den Versuch einer Selbstlegitimation unternimmt er, indem er die Wichtigkeit und den hohen Anspruch dieser Arbeit betont. David ist nicht frei von differenztheoretischen Sichtweisen. So schreibt er den Kolleginnen emotional-mütterliche Anteile zu, während er für sich als Mann eine Art der Unterrichtsgestaltung beansprucht, die Kinder vor allem selbständig macht. Dabei gelingt es David durch seine reflexive Grundhaltung, sich nicht explizit von seinen Kolleginnen distanzieren zu müssen oder deren Arbeit abzuwerten. Auf sein Mannsein basierende Hegemonieansprüche macht er nicht geltend. Er kann einen beruflichen Habitus entwickeln, der geprägt ist von seinem erzieherischen Anspruch. Obwohl er bei seinen Kolleginnen auf Wohlwollen stößt und Anerkennung erfährt, fühlt er sich allein unter Frauen: Ihm fehlt der männliche Kollege, der gleichzeitig Kumpel ist und seine Interessen teilt. Hinter der Idee von ersehnten gemeinsamen Männlichkeitsritualen steht das Bedürfnis, sich in und anhand der Gegenwart eines potentiellen Kumpels der eigenen, verunsicherten Männlichkeit vergewissern zu können. Herr Maier: Anders Herr Maier: Er erlebt sich nicht allein unter Frauen, sondern fühlt sich unter und mit ihnen ausgesprochen wohl. Über die Sexierung der Beziehung zu seinen Kolleginnen nimmt er den Habitus des Charmeurs ein. Die heteronormativ verstandene Kategorie Geschlecht ist ausschlaggebend für die Gestaltung von kollegialen Beziehungen und Interaktionen. Völlig selbstverständlich ist es für Herrn Maier, dass das Geschlecht bestimmte Sichtweisen gerade in Bezug auf Jungen in der Schule bedingt. Er sieht hier eindeutige Differenzen zwischen seiner und der Auffassung der Kolleginnen. Defizite, die er bei diesen zu erkennen meint, führt er auf die Gegengeschlechtlichkeit der Frauen und Jungen zurück: Sie können diese gar nicht verstehen. Eine offizielle Abwertung ist damit nicht verbunden. Die Besonderung, die Herr Maier als Mann erfährt, muss dieser im Gegensatz zu David auf Grund seiner Sichtweise auf die Kategorie Geschlecht nicht hinterfragen. Sein berufsbezogener Habitus folgt damit seiner Konstruktion von bipolarer Geschlechterdifferenz. Männlichkeitskonstruktionen finden über eine nicht abwertend verstandene Abgrenzung statt, sowie, wie oben schon erwähnt, über die – im übrigen entsexualisierten – Sexierung der Beziehungen, die im Flirt ihren Ausdruck findet. Herr Maier muss sich nicht dafür rechtfertigen, als Mann in der Grundschule zu arbeiten. Seine Berufsauffassung folgt seinem Mannsein, das nicht zur Debatte gestellt wird. Neben der Kategorie Geschlecht prägt auch die Kategorie Generation das Verhalten und die Deutungsmuster Herrn Maiers: Als dienstältester Kollege gebührt ihm Respekt und Anerkennung, die ihm auch entgegengebracht werden. Hegemonieansprüche macht Herr Maier dennoch ge-
2.6 Vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitsalltag: Allein unter Frauen?
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nauso wenig geltend wie zuvor David. Er fühlt sich als gern gesehener Exot in seinem Kollegium geachtet und geborgen; das Gefühl, allein unter Frauen zu sein, ist ihm grundsätzlich fremd. Herr Jehle: Auch für Herrn Jehle ist sein Status als dienstältester Kollege ein wesentlicher Faktor, der seinen berufsbezogenen Habitus prägt. Seine Erfahrung und die Kenntnisse der Schule machen ihn zum inoffiziellen Schulleiter, der seinen Kolleginnen beratend zur Seite steht. Unterstützend regelt die Kategorie Geschlecht seine Handlungsorientierung: Im Gegensatz zu Herrn Maier vermeidet er eine offiziell werdende Sexierung des Geschlechterverhältnisses und gestaltet dieses familial als Vater-Töchter-Beziehung. In der Tat ist er der Patriarch, dessen hegemonialer Anspruch auf seine Männlichkeitskonstruktion beruht. Geschlecht, in der Kombination mit Alter, regelt auch hier den Umgang miteinander. Die Deutung der Arbeit mit den Schülern wird unter der naturalistischen Folie der natürlichen Geschlechterdifferenz betrachtet und im alltäglichen Handeln ausformuliert. Abwertungen der Kolleginnen sind auch für Herrn Jehle nicht nötig, obschon aus seinen Erzählungen durchaus defizitorientierte Ansichten abzuleiten sind. Die Offenlegung dieser untermauert den Führungsanspruch Herrn Jehles. Die Besonderung, die auch er als Mann erfährt, erscheint ihm selbstverständlich, von einer Verunsicherung wie bei David kann keine Rede sein. Da er die Arbeit mit kleinen Kindern aber durchaus als in der Gesellschaft weiblich konnotiert sieht und diese Zuschreibung entsprechend selbst durchführt, ist er darauf bedacht, seine männliche Art der Berufsausübung herauszustellen und seine Tätigkeit in einem Frauenberuf auf diese Weise zu legitimieren. Um einer Marginalisierung zu entgehen, unterschlägt er darüber hinaus im öffentlichen Rahmen schon einmal seine Tätigkeit als Lehrer in der Grundschule. Neben einer hegemonialen Männlichkeit kann auch eine komplizenhafte Männlichkeit ausgemacht werden: Kann er eigene Interessen nicht aus eigener Kraft und eigenem Status durchsetzen, bemüht er sich um einen Bund mit einem weiteren männlichen Kollegen. Wie Herr Maier fühlt sich Herr Jehle nicht allein unter Frauen. Er genießt die Anerkennung, die er als Mann im Kollegium erfährt, erhebt erfolgreich einen informellen Führungsanspruch, den er mit Fürsorge und Väterlichkeit kombiniert und blickt zufrieden auf ein erfülltes Berufsleben zurück. Sören: Sören erhebt wie Herr Jehle einen Führungsanspruch, allerdings bedeutend offensiver und nicht abgesichert durch den Parameter Generation. Vor allem die Beziehung zu seiner Rektorin wird vergeschlechtlicht. Indem er ihr als Person, vor
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allem aber auch als Frau die Kompetenz abspricht, die Schule zu leiten, erhebt er selbst den Anspruch auf dieses Amt. Sein Mannsein genügt hier als Legitimation, verfolgt er doch eine äußerst defizitorientierte Sichtweise auf Frauen. So stellt er auch seine Arbeitsweise und seine Zielvorstellungen in komplementären Kontrast zu jenen seiner Kolleginnen, die er massiv abwertet. Die Besonderung, die er durch die Eltern erlebt, empfindet er als angemessen. Dennoch ist Sören verunsichert: Dies nicht in Bezug auf das eigene Mannsein, wie es bei David der Fall ist, sondern auf die Passung von ihm als Mann und seinem Beruf. Er stellt fest, dass Frauen naturgemäß eher dazu bestimmt sind, sich mit kleinen Kindern zu beschäftigen. So muss Sören verschiedene Strategien anwenden, um seine eigene Männlichkeit sichtbar zu machen: Er entwickelt Perspektiven und Alternativen, die ihn aus seiner jetzigen Tätigkeit herauslösen können. Er muss die kleinen Kinder als nervig empfinden. Er muss die Arbeit seiner Kolleginnen abwerten, muss die männliche Art seiner Berufsausübung betonen und Differenzen aufzeigen. Er muss von der Kooperation mit seinen Kolleginnen Abstand nehmen, muss sich auch privaten Kontakten diesen gegenüber verwehren. Schließlich und zentral aber muss Sören um die Führung innerhalb des Feldes kämpfen. Der konkrete Kampf gegen die Rektorin geschieht seiner Lesart nach auch stellvertretend für seine Kolleginnen. Durch diese Sichtweise hat er den ersten Schritt bereits getan, um seine hegemonialen Ansprüche geltend zu machen: Innerhalb des Kollegiums hält er bereits die Führungsrolle inne. Auf der anderen Seite fühlt er sich allein gelassen; der Kampf um die Hegemonie ist anstrengend, er wünscht sich nicht zuletzt als Unterstützung und Entlastung einen männlichen Kollegen. Anders als David benötigt er diesen nicht, um sich seiner eigenen Männlichkeit zu vergewissern. Diese steht für Sören nicht zur Debatte, seine diesbezügliche Sicherheit ist aber in der jetzigen Situation durchaus prekär. Sören fühlt sich allein unter Frauen. Das empfundene Alleinsein sowie seine Unzufriedenheit sind Ausdruck einer Diskrepanz zwischen der Tätigkeit im weiblich konnotierten Feld Grundschule und seiner eigenen Männlichkeitskonstruktion. In Folge dessen gelangt Sören zu Bewältigungsstrategien, von denen der Kampf um Hegemonie zentral ist und den berufsbezogenen Habitus auf allen Handlungsebenen prägt. Konrad: Auch Konrads berufsbezogener Habitus gründet auf vergeschlechtlichte Deutungsmuster. Für ihn ist es nahe liegend, dass er als Mann unzufrieden in seinem kollegialen Umfeld, aber auch generell mit seiner Arbeit ist. Konrad bemüht die gleiche Argumentationslinie wie Sören: Für den Beruf eignen sich Frauen allein durch ihr Frausein und der damit verbundenen Nähe zum Kind deutlich besser als Männer. Immer wieder muss Konrad seine eigene fachliche Kompe-
2.6 Vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitsalltag: Allein unter Frauen?
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tenz und seine pragmatische Arbeitsweise betonen, um seine Tätigkeit in einem gegengeschlechtlichen Beruf zu legitimieren, für die er sich eigentlich schämt. Sein fachliches Interesse verhindert, dass er, anders als Sören, sich von seinen Kolleginnen in der Form abgrenzen muss, dass er alternative, männlich konnotierte Unterrichtsorientierungen entwickeln muss. Eine Abwertung seiner Kolleginnen findet nur auf der Ebene des zwischenmenschlichen Umgangs miteinander statt, hier dafür umso deutlicher. Wie David befindet sich Konrad in einem Spannungsfeld zwischen einer selbst empfundenen Marginalisierung durch die Gesellschaft und der Anerkennung, die er als Mann von Eltern und den Kindern erfährt. Anders als David stellt er die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen aber nicht in Frage, sondern bestätigt diese und setzt alles daran, ein konträres Bild zu einem ‚typischen‘ Grundschullehrer abbilden. Deutlich wird über eine Abgrenzung gegenüber seinen Kolleginnen hinaus eine generelle Distanz zu seinem Berufsstand. Seine eigene Konstruktion von Männlichkeit lässt sich dabei jedoch nur schwer mit den Anforderungen seines Berufes vereinbaren, er fürchtet einen Authentizitätsverlust. Wie bei Sören wiegt sich Konrad in einer prekären Sicherheit, die nach Selbstvergewisserung in Bezug auf das eigene Mannsein verlangt. Der Wunsch nach einem weiteren männlichen Kollegen ist bei Konrad nicht vorhanden. Da die Schulleitungsstellen männlich besetzt sind, kann er von der patriarchalen Dividende profitieren und stellt sich auf eine Ebene mit den Schulleitern. Sichtbar wird hier ein durchaus vorhandener hegemonialer Anspruch wie bei Sören oder Herrn Jehle, allerdings kann dieser durch komplizenhafte Männlichkeit objektiviert werden. Diese Strategie reicht dennoch nicht aus, um die hohe Unzufriedenheit mit und in seinem Beruf zu relativieren. Als Bewältigungsstrategie kann ein Rückzug festgestellt werden: Privatheit lässt Konrad nicht zu, Kooperation lehnt er ab, seine Arbeit erledigt er zwar nach wie vor engagiert, aber mit wenig Interesse. Mehr noch als Sören empfindet er die Arbeit mit Kindern als Belastung. Konrad fühlt sich allein unter Frauen, wobei das Alleinsein eine bewusste, selbst gewählte Isolation darstellt. Diese Strategie der inneren Emigration kann die Verzweiflung, die bei Konrad zu spüren ist, dennoch nicht vollständig auflösen. Die Nicht-Passung seiner Person als Mann und seiner Tätigkeit im Feld Grundschule bleibt bestehen. Udo: Ähnlich wie Konrad verfolgt auch Udo die Strategie der inneren Emigration. Auch er teilt das vergeschlechtlichte Deutungsmuster der Nichtpassung seiner Person als Mann mit seiner Tätigkeit in der Grundschule. Wie Konrad, aber auch wie Herr Jehle kann er nicht zu seinem Beruf stehen und ist stolz darauf, nicht als
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Grundschullehrer erkannt zu werden. Anders als Konrad lässt er sich aber nicht in seiner Männlichkeit verunsichern. Die bipolare Geschlechterdifferenz zwischen Frauen und Männer ist unumstößlich und muss nicht weiter reflektiert werden, das biologische Geschlecht ist Garant für das soziale Geschlecht. Daher muss Udo seine Arbeitsweisen und Zielvorstellungen weder geschlechtsspezifisch deuten noch in Kontrast setzen zu jenen seiner Kolleginnen, auch wenn er – wie andere Interviewpartner auch – davon ausgeht, dass deren Geschlecht eine bessere Passung mit der Tätigkeit garantiert. Wie Konrad grenzt er sich auf der zwischenmenschlichen Ebene massiv von den Frauen in seinem Kollegium ab. Die Abwertungen, die er dabei vornimmt, sind allerdings weit weniger aggressiv, als dies bei Konrad der Fall ist. Udo ist weniger verzweifelt, sondern er erduldet die Situation, in der er sich befindet. Er zieht sich bewusst zurück und begibt sich in eine selbst gewählte Isolation, die seine Position als einziger Mann erst ermöglicht. Unter dem Alleinsein, das er selbst gewählt hat, leidet er nicht. Es entspricht seinem berufsbezogenen Habitus, der von Desengagement und einer klaren Trennung von Berufs- und Privatleben geprägt ist. Der Wunsch nach einem männlichen Kollegen wird auch nur oberflächlich vorgetragen. Zwar könnte hier eventuell eine gemeinsame Ebene für Pausengespräche gefunden werden, doch insgesamt möchte Udo lieber seine Ruhe haben. Stoisch gibt er sich den Gegebenheiten hin. Das Geschlechterverhältnis ist für ihn grundsätzlich geklärt und bedarf keiner tiefer gehenden Reflexion. Tab. 11: Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitskontext: Allein unter Frauen?‘
David
Männlichkeit
Allein unter Frauen
Verunsicherung
Ja; massiver KumInsgesamt pelwunsch; leidet unter zufrieden Alleinsein Nein; genießt Exotenstatus Sehr zufrieden
Herr Maier Sicherheit
Herr Jehle Hegemonial; Sicherheit
Sören
Hegemonial; prekäre Sicherheit
Berufszufriedenheit
Bewältigung auf kollegialer Ebene Reflexion
Keine Reflexion nötig: Sexierung der Beziehung Nein; genießt Stellung Sehr zufrieden Keine Reflexion nötig: Familiarisierung der Beziehung Ja; massiver KumSehr unzufrieden Keine Reflexion: pelwunsch; leidet darunter, Kampf um dass er den Kampf allein Hegemonie führen muss
2.7 Zusammenfassung und Ableitung einer Typologie Konrad
Komplizenhaft; prekäre Sicherheit
Ja; bewusst gewähltes Alleinsein
Udo
Sicherheit
Ja; bewusst gewähltes Alleinsein
367 Sehr unzufrieden Keine Reflexion: Rückzug, Scham, Verzweiflung Zufrieden Keine Reflexion nötig: Rückzug, Gleichgültigkeit
2.7 Zusammenfassung und Ableitung einer Typologie Aus der Kontrastierung der Interviewpartner vor den verschiedenen thematischen Vergleichshorizonten können die Aussagen der Interviewpartner systematisiert, die individuellen Handlungsorientierungen präzisiert werden. Im Vergleich zeigt sich, dass diese in allen Fällen auf hochgradig vergeschlechtlichte Deutungsmuster basieren. Es kann gezeigt werden, dass die Konstruktion von Männlichkeit den beruflichen Habitus aller Interviewpartner entscheidend beeinflusst. Obwohl Erfahrungen zum Teil ähnlich sind, sich das Erleben einzelner Aspekte gleicht, unterscheiden sich die Bewältigungsmuster voneinander. Zum Teil ist dieser Umstand der Kategorie Generation geschuldet, zu einem anderen Teil aber der individualbiografischen Verschiedenheit der Interviewpartner. Auf einer anderen Ebene sind hier vor allem die individuellen Männlichkeitskonstruktionen der Interviewpartner entscheidend. Andere Vergleichshorizonte, die im Rahmen des Theoretical Samplings (vgl. Kap. B 3) in Betracht gezogen wurden, sind nach der Analyse als Ursache für die Herausbildung eines bestimmten Habitus auszuschließen. So ergeben sich beispielsweise keine Anhaltspunkte dafür, dass die Berufswahlmotivation Auslöser einer bestimmten Handlungsorientierung ist. Strukturelle Faktoren wie die Größe der Schule, die Verortung auf dem Land oder in der Stadt, die Arbeit an einer reinen Grundschule oder an einer verbundenen Grund- und Hauptschule werden von einigen Interviewpartnern zwar durchaus thematisiert, von einem Kausalzusammenhang zu bestimmten Handlungsorientierungen kann aber – abgesichert durch die Kontrastierung – nicht gesprochen werden. So beeinflusst beispielsweise das Geschlecht der Schulleiterin, das Sören zu einer massiven Abwehrhaltung veranlasst, dessen Habitus zwar in sofern, als dass es diesen verstärkt, die Kontrastierung mit anderen Fällen macht aber deutlich, dass sein Kampf hier lediglich eine willkommene Personifikation erhält. Es geht um etwas anderes und um viel mehr: um die Konstruktion der eigenen Männlichkeit. Insgesamt können die Ergebnisse nun von verschiedenen Perspektiven aus betrachtet werden. An erster Stelle wird die zentrale Kategorie ‚Sicherheit bzw. Unsicherheit der eigenen Männlichkeit‘ betrachtet. Diese wird als Ausgangspunkt für
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C Empirische Ergebnisse
die Entwicklung berufsbezogener Handlungsorientierungen im Feld Grundschule gehandelt. Dabei werden nun auch die verbleibenden Interviewpartner, die in der Darstellung der empirischen Ergebnisse bislang nicht berücksichtigt wurden, in die Systematisierung einbezogen.
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Abbildung 1: Verunsicherung/Prekäre Sicherheit/Habituelle Sicherheit als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines berufsbezogenen Habitus
Deutlich erkennbar ist die Generationengebundenheit der Konstruktion von Männlichkeit: Alle Grundschullehrer, die der präfeministischen Generation angehören, sind sich ihrer eigenen Männlichkeit zumindest so weit sicher, dass ihr Geschlecht in einer androzentristischen Sichtweise die Position im Kollegium, Arbeitsweisen und das Selbstbild bestimmt; letztlich regelt es den berufsbezogenen Habitus in einer naturalistischen Weise. Alle Grundschullehrer, die der feministischen Generation zuzuzählen sind, erleben ihre eigene Männlichkeit als gefährdet. Die Marginalisierung, die sie erfahren, führt zu einer Verunsicherung, der mit verschiedenen Strategien begegnet wird, von denen die Abgrenzung und Abwertung der Kolleginnen die prominenteste ist. Bei David kann zwar auch von einer prekären Sicherheit gesprochen werden, im Gegensatz zu den anderen jüngeren Grundschullehrern macht er sich diese Verunsicherung aber bewusst. Daher muss er zwar in enger Verbindung mit seinen jüngeren Kollegen betrachtet werden, gleichwohl nimmt er eine besondere Position ein: Die Sicherheit ist nicht gefährdet, er ist verunsichert. David entwickelt
2.7 Zusammenfassung und Ableitung einer Typologie
369
einen reflexiven Habitus, der die vergeschlechtlichten Konstruktionen hinterfragt und diese re- und dekonstruiert, während die andern jüngeren Grundschullehrer genauso wie die älteren diese als selbstverständlich hinnehmen bzw. zu verteidigen suchen. In dieser Lesart begründen weder Generation noch prekäre bzw. habituelle Sicherheit die Bewältigungsstrategien: So ziehen sich beispielsweise die jüngeren Lehrer Konrad und Thomas, die ihre Männlichkeit gefährdet sehen, genauso zurück wie der ältere Udo oder Herr Grom, die ihre Männlichkeit wenig in Frage stellen. Die Ausbildung differenter Handlungsorientierungen lässt sich eher erklären, wenn man eine andere Perspektive einnimmt:
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Abbildung 2: Reflexiver Habitus/Nicht-reflexiver Habitus als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Handlungsorientierungen
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C Empirische Ergebnisse
Mit dieser Perspektive können zwei grundsätzliche Typen voneinander unterscheiden werden: Der ‚Reflexive Typ‘ und der ‚Nicht-Reflexive Typ‘. Während der Reflexive Typ keine weiteren Subtypen ausbildet, ist dies beim Nicht-Reflexiven Typ aus – wie weiter oben geschildert – individualbiografischen Gründen der Fall. Der Nicht-Reflexive Typ spaltet sich auf in die Subtypen ‚Führungsanspruch‘, ‚Innere Emigration‘ und ‚Sexierung‘. Vor dem in Abb. 1 dargestellten Hintergrund bezüglich des Status unter dem Fokus ‚Sicherheit‘ lassen sich die beiden erstgenannten Subtypen unter einem soziogenetischem Blick weiter ausdifferenziert: Während jüngere Grundschullehrer, die den Typ Führungsanspruch repräsentieren, diesen über das Mittel ‚Kampf‘ durchsetzen wollen, gelingt dies den älteren Kollegen über die Handlungsorientierung ‚Fürsorge‘. Die Innere Emigration dagegen geschieht bei den jüngeren Grundschullehrern aus und in ‚Scham‘, bei dem älteren Kollegen in einer gelassenen Haltung, der ‚Stoik‘. In wie weit die Möglichkeit einer Transformation von einem Typ zu einem anderen besteht, soll erst an späterer Stelle diskutiert werden (vgl. Kap. D 1). Zunächst sollen im Folgenden die einzelnen Typen und Subtypen abschließend auf einer weiteren Abstraktionsebene und somit vom spezifischen Einzelfall losgelöst dargestellt werden.
3. Typologie Auf der Grundlage von fallinterner sowie fallexterner Kontrastierung der Handlungspraxis können die aufgezeigten Orientierungen von den Einzelfällen losgelöst und in ihrer Ausdifferenzierung rekonstruiert und typisiert werden. Dabei findet eine Verdichtung der empirisch generierten Ergebnisse statt, die auch als Abstraktion der Handlungsorientierungen bezeichnet werden kann. Die vorhergehenden Analysen haben gezeigt, dass insbesondere die Männlichkeitskonstruktionen der Probanden vor dem Hintergrund der Tätigkeit in einem weitgehend feminisierten Feld entscheidenden Einfluss auf die Ausprägung eines berufsbezogenen Habitus haben. Dies wird beispielsweise daran deutlich, dass alle Interviewpartner von einer Besonderung als Mann berichten und diese Besonderung durch eine bestimmte Handlungspraxis im Schulalltag mehr oder weniger stark selbst für sich in Anspruch nehmen. In fast allen Fällen geschieht dies vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Diskriminierung und Marginalisierung, die als solche erlebt wird: Die Arbeit in einem gegengeschlechtlichen Beruf wird mit Unverständnis und Abwertungen bis hin zur Absprache der Männlichkeit sanktioniert. Der herausragende Stellenwert, den die eigene Sicht auf das Mannsein in den Narrationen einnimmt, steht dabei im Mittelpunkt der Typologie. Die These
3.1 ReÁexiver Habitus: Denkhandeln in Distanz
371
lautet, dass männliche Grundschullehrer bestimmte Handlungsorientierungen entwickeln und habitualisiert verankern, um ihre geschlechtliche Identität, die in der Tätigkeit in einem gegengeschlechtlichen Berufsfeld andauernd präsent ist, nicht zu gefährden. Aus dem empirischen Material können zwei grundlegende Orientierungsmuster abgeleitet werden, die bei allen Interviewpartnern zum Tragen kommen, wenn auch in mehr oder weniger deutlicher Ausprägung: Der ‚Reflexive Habitus‘ und der ‚Nicht-Reflexive Habitus‘. Sie bilden die Basis für Interaktionen und Verhaltensweisen im Berufsalltag. Auf Grund unterschiedlicher generationenspezifischer sowie individualbiografischer Prägungen differenzieren sich diese zentralen berufsbezogenen Habitus weiter aus und werden als unterschiedliche Bewältigungsstrategien sichtbar. Nicht jeder Einzelfall kann dabei bruchlos einem der generierten Typen zugeordnet werden. Dies liegt im Wesen von Typologien, die, wie oben bereits beschrieben, vom Einzelfall abstrahieren und intersubjektive Relevanz beanspruchen. Analog zu den zwei identifizierten Habitusformen ergeben sich insgesamt zwei Typen, von denen sich der eine in drei Subtypen ausdifferenziert. Diese Subtypen lassen vor der Folie der Generationenzugehörigkeit zum Teil weitere Formen der Ausprägung erkennen.
3.1 ReÀexiver Habitus: Denkhandeln in Distanz Der Typ Reflexiver Habitus bezeichnet eine Grundhaltung, die nicht nur in bestimmten Situationen wirksam wird, sondern das berufliche Alltagshandeln in allen Bereichen bestimmt. Die Ausprägung eines solchen Habitus beruht auf einer tiefen Verunsicherung der eigenen Männlichkeit und ist in einem reziproken Verhältnis gleichzeitig Ursache für die Verunsicherung. Die Verunsicherung, die auch als Krise bezeichnet werden kann, spiegelt dabei die Ambivalenz wider, die der männliche Grundschullehrer erfährt. Er erlebt, dass seine Männlichkeit auf Grund der Entscheidung für einen gegengeschlechtlichen Beruf von der Umwelt in Zweifel gestellt und marginalisiert wird. Die Arbeit, die er verfolgt, wird weiblich konnotiert; ihm als Mann wird suggeriert, dass er, wenn er denn ein ‚richtiger‘ Mann ist, in diesem Feld nichts zu suchen hat. Die Wahl dieses Berufes ‚verunmännlicht‘ seine eigene Person und stellt seine geschlechtliche Identität zur Disposition. Ihm wird eine nach Connell ‚unterdrückte Männlichkeit‘ zugewiesen und er erfährt dementsprechende Diskriminierungsmechanismen. Innerhalb des beruflichen Feldes, in dem er sich bewegt, begegnet er allerdings anderen Reaktionen. Er erfährt eine positive Diskriminierung: Die Männlichkeit,
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C Empirische Ergebnisse
die ihm ansonsten abgesprochen wird, steht nun auf einmal im Mittelpunkt des Interesses und hebt ihn in eine Sonderstellung, die seine Person als vergeschlechtlichtes, männliches Wesen überhöht. Aus der Verunsicherung, die aus dieser Ambivalenz entsteht, entwickelt der Reflexive Typ ein Bewältigungsmuster, das, wie die Benennung des Typs schon andeutet, mit Reflexion und Nachdenken über die eigene geschlechtliche Identität beschrieben werden kann. Eine Diskursivierung der eigenen Männlichkeit findet statt. Weder die Verunmännlichung seiner Person durch die feldfremde Umwelt noch die Betonung seiner Männlichkeit im Feld selbst nimmt er als selbstverständlich hin: Er versucht, die Konstruktionen, die hinter den widersprüchlichen Haltungen stehen, zu ergründen und hinterfragt sie grundlegend. Durch die Re- und Dekonstruktion der Konstruktionen, denen er begegnet, gelingt es ihm, aus dem Reigen der negativen und positiven Diskriminierung auszubrechen; er muss sich seiner verunsicherten Männlichkeit nicht vergewissern, indem er etwa Kolleginnen abwertet, Differenzen betont, eine Art der männlichen Berufsausübung verfolgt, die einseitig Wissensvermittlung betont und den erzieherischen Bereich der Tätigkeit den Kolleginnen zuweist. Trotz der Dramatisierung der Kategorie Geschlecht, die er tagtäglich erlebt, strebt er die Entdramatisierung genau dieser an und beurteilt die Erfordernisse seines Arbeitens vor dem Hintergrund der pädagogischen, nicht der vergeschlechtlichten Notwendigkeit. Dies rührt auch daher, dass er grundsätzlich keine hegemonialen Ansprüche aus seinem biologischen Geschlecht ableitet. Zwar ist er durchaus daran interessiert, gewisse Erwatungen, die an ihn gestellt werden, zu erfüllen, doch erfolgt dies in Form von bewussten Inszenierungen, die er selbst als solche begreift. Dies ermöglicht ihm einen Umgang mit seinen Kolleginnen, der von Respekt und Anerkennung sowie scherzhaften Interaktionen geprägt ist. Für die Arbeit mit den Kindern hat er solche Inszenierungen nicht nötig. Er reflektiert auch hier die vergeschlechtlichten Erwartungen, die an ihn gestellt werden, ohne sich aufzuerlegen, diese auch erfüllen zu müssen. Diese Haltung erlaubt ihm, die professionelle Arbeit mit den Kindern selbst in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit und seines Selbstverständnisses als Lehrer zu stellen und nicht sein Mannsein, das er ansonsten immer wieder beweisen müsste. Die kritische Reflexion eigener Stärken und Schwächen, des erzieherischen Agierens sowie des methodischen Vorgehens ist dabei ein grundlegender Bestandteil seines berufsbezogenen Habitus. Die Reflexion der Erfahrungen im Schulalltag geht einher mit der Reflexion der eigenen personalen Rolle, die er hierbei spielt. So gelangt er zu einer professionellen Haltung, die es ihm ermöglicht, Entwicklungen zu beobachten, zu bewerten und hieraus Konsequenzen für die weitere Arbeit zu ziehen. Ein Reflexiver Habitus bedeutet, auf sich selbst zurückverweisend zu handeln, dies durchaus geschlechterbewusst, doch weit davon entfernt, geschlechtsspezifi-
3.2 Nicht-reÁexiver Habitus: (Bedrohte) Selbstverständlichkeiten
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sche Zuschreibungen zu reproduzieren. Reflexion ist nach Helsper (2001) dabei zu verstehen als ein bewusstes Nach-Denken und Be-Denken der eigenen Position in Distanz. Es findet eine diskursive Auseinandersetzung mit der eigenen Perspektive, aber auch mit jener der Anderen statt. Die eigene Position wird befremdet, um Irritationen zu begegnen und Handlungen zu entlasten.
3.2 Nicht-reÀexiver Habitus: (Bedrohte) Selbstverständlichkeiten Das zweite berufsbezogene Orientierungsmuster, das herausgearbeitet werden konnte, ist der Nicht-reflexive Habitus. Nur zum Teil ist hier eine Verunsicherung der eigenen Männlichkeit zu spüren: Jüngere Grundschullehrer erfahren eine Bedrohung ihres eigenen Männlichkeitsverständnisses. Sie fühlen sich in ihrer geschlechtlichen Integrität angegriffen von dem Bild, das in ihrem Erleben über den ausgeübten Beruf in der Öffentlichkeit vorherrscht. Auch sie erfahren, dass die Arbeit in einem Frauenberuf gesellschaftlich sanktioniert wird, indem ihre Männlichkeit in Frage gestellt wird. Für ihre feldfremde Umwelt repräsentieren sie eine Form der unterdrückten Männlichkeit. Die Diskriminierung führt zu einer massiven Abwehrhaltung, mittels derer versucht wird, das eigene Selbstkonzept aufrecht zu erhalten. Die eigenen Männlichkeitskonstruktionen werden dabei, anders als beim Reflexiven Typus, keiner reflexiven Überprüfung unterzogen. Ältere Grundschullehrer erfahren ebenso eine gesellschaftliche Form der Diskriminierung, gehen aber anders damit um: Sie lassen sich nicht verunsichern, sondern verfolgen Strategien wie Ignoranz, Verleugnung oder Zurückweisung. Auch sie setzen sich mit den eigenen Männlichkeitskonzepten nicht auseinander. Da sie in einer diesbezüglichen habituellen Sicherheit leben und entsprechend agieren, erfahren sie diese – anders als ihre jüngeren Kollegen – auch nicht als gefährdet. Positive Diskriminierungen, denen sie im beruflichen Feld begegnen, werden dahingegen von beiden Alterskohorten gern angenommen, stützen sie doch das eigene vergeschlechtlichte Selbstkonzept. Eine distanzierte Auseinandersetzung mit den Positionen findet nicht statt. Stattdessen ist das Geschlechterverhältnis für diesen Typ klar geregelt: Die Unterscheide zwischen Männer und Frauen sind so eindeutig und essentiell, dass hierüber nicht verhandelt werden muss. Aus dieser Orientierung ergibt sich eine männlich konnotierte Art der Berufsausübung. Bei den Grundschullehrern, die ihre eigene Männlichkeit als prekär erleben, steht eine Selbstversicherung der eigenen Männlichkeit im Vordergrund der berufsbezogenen Interaktionen. Bei jenen, die sich in habitueller Sicherheit wiegen, ist eine derart massive Präsenz vergeschlechtlichter Handlungsorientierungen
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nicht notwendig; dennoch führt der Nicht-Reflexive Habitus auch bei ihnen zu einer entsprechenden Interaktionsgestaltung und vergleichbaren berufsbezogenen Handlungspraktiken. Unterschiede zeigen sich im Detail: Während Geschlechterdifferenz in habitueller Sicherheit lediglich beiläufig reproduziert werden muss, reicht diese im Falle einer präkeren Sicherheit nicht aus. Hier ist ein aktiver Produktionsprozess notwendig, der als anstrengend erlebt wird. Die Strategien, die hierbei verfolgt werden, unterscheiden sich auch generationenunabhängig voneinander. So können insgesamt drei Subtypen ausgemacht werden: ‚Sexierung‘, ‚Führungsanspruch‘ und ‚Innere Emigration‘. 3.2.1 Sexierung Der Subtyp Sexierung begreift Geschlecht als Regulativ für Interaktionen im beruflichen Kontext. Die Naturhaftigkeit der Geschlechterbeziehung wird in einem traditionalen Rollenverständnis vorausgesetzt und bedarf keiner weiteren Reflexion. Das Verhältnis dieses Subtyps zu seinen Kolleginnen ist bestimmt von einem respektvollen, höflichen und charmanten Umgang. Die Kolleginnen werden als sich unterscheidende, dabei aber gleichberechtigte Partnerinnen im Schulleben anerkannt und es besteht keine Notwendigkeit, deren professionelles berufliches Handeln abzuwerten, auch wenn es sich vom eigenen unterscheidet: Da Männer und Frauen grundsätzlich verschieden sind, liegt es in der Natur der Sache, dass sich auch die Art der Berufsausübung unterscheidet. Differenzen werden durchaus als Defizite wahrgenommen; da das Geschlecht Handlungsoptionen determiniert und die Frauen diese somit nicht selbst zu verantworten haben, ist mit der defizitären Sichtweise dennoch keine Abwertung verbunden. Eine solche würde im hier sichtbaren Orientierungsrahmen auch gegen den Verhaltenskodex von Männern gegenüber Frauen verstoßen. Gleichsam werden eigene Defizite lokalisiert, die ebenfalls auf die Geschlechtszugehörigkeit zurückgeführt werden und somit hingenommen werden müssen. Seine Kolleginnen betrachtet der Subtyp Sexierung nicht zuerst als (weibliche) Kolleginnen, gegenüber denen er sich abgrenzen sollte, sondern in einer vergeschlechtlichten Sichtweise als Frauen. Die vorgenommene Sexierung bestimmt das Verhältnis innerhalb des Kollegiums und regelt den Umgang in der Form, wie sie auch im außerschulischen Kontext üblich ist: Seinen Kolleginnen gegenüber fühlt sich dieser Subtyp grundsätzlich zu Höflichkeit und einem charmanten, kavaliersgleichen Umgang verpflichtet. Obgleich das Verhältnis somit hochgradig sexiert wird, findet eine betonte Entsexualisierung statt: Der Umgang mit den Kolleginnen wird als üblicher Umgang zwischen den Geschlechtern definiert, ohne dass dadurch ein Werben um potentielle Partnerinnen stattfindet. Der alltägliche Flirt ist daher auch nicht als Form einer sexualisierten Hypermaskulinität zu verstehen.
3.2 Nicht-reÁexiver Habitus: (Bedrohte) Selbstverständlichkeiten
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Dem Subtypen Sexierung gelingt es auf diese Weise, eine Normalität zu konstruieren, die ihn als Mann nicht besonders herausfordert: Seine Männlichkeit muss er nicht erst beweisen, sie ist festgeschrieben in seiner biologischen Geschlechtszugehörigkeit. So unternehmen Grundschullehrer, die diesen Subtypus repräsentieren, auch keine Versuche, patriarchale Herrschaftsstrukturen zu etablieren oder hegemoniale Ansprüche durchzusetzen. Dennoch entstammt diese Haltung nicht etwa einer bewussten Ablehnung eines derart gestalteten Geschlechterverhältnisses; vielmehr garantiert das Eingebundensein in traditionale Vorstellungen den eigenen Selbstwert, der nicht weiter verhandelt werden muss: Da jeder und jede seinen bzw. ihren festen Platz in einer in Bezug auf Geschlecht bipolaren Gesellschaft innehat, findet keine Verunsicherung statt. Den kollegialen Umgang regeln vorgeschriebene Muster, die die Tradition für jede Interaktion zwischen Männer und Frauen verlangt. Die Handlungspraxis ist ritualisiert und routiniert, Männlichkeit kommt in der Rollen-Performanz zum Ausdruck. Weitere Anstrengungen, die eigene Männlichkeit innerhalb eines von Frauen dominierten Berufsfeldes zu beweisen, erscheinen überflüssig. Keiner weiteren Reflexion bedarf die Berufsausübung im Kontext mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule: Auch hier ist es selbstverständlich, dass Männer Unterricht anders gestalten als Frauen und anderen berufsbezogenen Orientierungsmustern folgen. Eine bewusst inszenierte Abgrenzung oder die Betonung der Differenz erübrigt sich. Dementsprechend hegt dieser Subtyp auch keinen Wunsch nach männlichen Kollegen, um etwa einen Männerbund zu schließen oder einen Kooperationspartner zu finden. An die Stelle des Gefühls, allein unter Frauen zu sein, tritt bei Grundschullehrern, die diesem Subtypen entsprechen, eine hohe Berufszufriedenheit: Der Status des gern gesehenen Exoten wird genossen, als ‚Hahn im Korb‘ prägen Charme und Flirt den beruflichen Alltag. 3.2.2 Führungsanspruch Grundschullehrer, die dem Subtypen Führungsanspruch angehören, bewegen sich in einem Geschlechterverhältnis, das traditional verstanden wird. Das Streben nach männlicher Hegemonie stellt dabei das zentrale Orientierungsmuster dar. Die Zugehörigkeit zum biologischen Geschlecht Mann reicht innerhalb eines patriarchalen Weltbildes aus, um den Machtanspruch zu begründen. Das Streben nach Übernahme einer Führungsposition innerhalb des Kollegiums ist darauf angelegt, die naturgegebene Geschlechterordnung aufrecht zu erhalten bzw. wieder herzustellen. In der Eigenwahrnehmung wird dem Grundschullehrer, der diesem Subtyp entspricht, eine entsprechende Position von den weiblichen Kolleginnen, aber auch von Eltern sowie Schülerinnen und Schülern zugewiesen. Sein Geschlecht verpflichtet ihn als Mann zur An- und Übernahme dieser Position, ohne
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dass die dahinter stehenden Perspektiven einer Reflexion zugänglich sind. Um den Führungsanspruch abzusichern, wird das eigene Durchsetzungsvermögen in Anschlag gebracht: Gegenüber Schülerinnen und Schülern, Eltern, vor allem auch im Kollegium und gegenüber der Schulleitung. Durchsetzungskraft ist männlich! Auf den Schulalltag hat ein solches Selbstverständnis erhebliche Auswirkungen: Der männliche Grundschullehrer übernimmt beispielsweise Verantwortung dafür, dass die Schulordnung von allen Schülerinnen und Schülern eingehalten wird. Er achtet darauf, dass der Leistungs- sowie Wettbewerbsaspekt im Vordergrund des Unterrichts und der gesamten Schulkultur stehen. Er tritt als Stellvertreter für seine Kolleginnen auf, wenn diese Probleme mit den Schülerinnen und Schülern oder aber mit der Schulleitung haben. Zum einen rechtfertigt seine Geschlechtszugehörigkeit diese Positionierung, zum anderen verleiht sie dem vorgebrachten Anliegen besonderes Gewicht. Seinen Kolleginnen selbst traut er auf Grund deren Geschlechtszugehörigkeit Durchsetzungsfähigkeit nicht zu. Deren berufliche Orientierungsmuster werden nicht nur als different weiblich konnotiert, sondern als defizitär betrachtet. Innerhalb des Kollegiums sieht er sich nicht als Lehrer unter Lehrern: Er erhebt den Anspruch, im Gegensatz zu seinen weiblichen Kolleginnen rational, klar und damit professionell auf die Dinge zu blicken. Dementsprechend trägt er Sorge dafür, dass er seine Sichtweise durchsetzt. Reichen Argumente nicht aus, kommen Verhaltensmuster zum Einsatz, die die eigene Männlichkeit weiter betonen, so zum Beispiel Lautstärke. Bei Widerständen versucht er, Komplizenschaft mit anderen männlichen Kollegen herzustellen, sofern diese vorhanden sind. Auch mit weiblichen Kolleginnen geht er zeitweise Koalitionen ein, um als deren Anführer eigene Interessen durchzusetzen. Ist dies nicht möglich, werden Absprachen und Anweisungen ignoriert, teilweise auch sabotiert. Je nach Generationenzugehörigkeit und mit ihr verbundenen Unterschieden in der Sicherheit der eigenen Männlichkeitskonstruktionen lassen sich zwei grundsätzliche Bewältigungsmuster unterscheiden, die die Handlungspraxis des Subtypen Führungsanspruch bestimmen. Für jüngere Grundschullehrer ist dies die Strategie ‚Kampf‘, für ältere die Strategie ‚Fürsorge‘. Kampf Jüngere Grundschullehrer, die dem Subtyp Führungsanspruch zuzuordnen sind, erleben in Bezug auf ihre Männlichkeit eine prekäre Sicherheit. In traditionale Geschlechtervorstellungen gefangen, sehen sie sich dazu verpflichtet, in einem gegengeschlechtlichen Berufsfeld die eigene Männlichkeit immer wieder unter Beweis zu stellen, um diese nicht zu gefährden. Der innere Druck, die eigene Maskulinität in der alltäglichen Geschlechterbeziehung immer wieder beweisen
3.2 Nicht-reÁexiver Habitus: (Bedrohte) Selbstverständlichkeiten
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zu müssen, kann als Indikator für Risse in den habituellen Sicherheiten betrachtet werden. Als Mann steht dem ‚Kämpfenden‘ in dessen Selbstverständnis grundsätzlich ein Führungsanspruch zu. Um die eigene Männlichkeit abzusichern, muss er den eigenen Führungsanspruch auch gegen Widerstände durchsetzen. Dies geschieht unter anderem dadurch, dass weiblichen Kolleginnen auf inhaltlicher Ebene Professionalität aberkannt wird. Deren Pädagogisierung des Schulalltags wird als ineffizient und irrational wahrgenommen; der Grundschullehrer steht in seinem Mannsein für die Gegenposition ein. Diese Haltung verunmöglicht die Kooperation mit den Kolleginnen. Um sich abzugrenzen, vermeidet der männliche Grundschullehrer Arbeitsformen und Arbeitsmethoden, denen er eine symbolische Nähe zum Weiblichen zuschreibt. Auch wenn sich der Grundschullehrer nicht allen Formen wie z.B. der Freien Arbeit verweigern kann, so widerstrebt es ihm doch, diese in sein Handlungsrepertoire aufzunehmen. Er wertet sie durch entsprechende Bezeichnungen ab und fürchtet um seine Männlichkeit, wenn er diese praktiziert. Als Ausgleich betont er vornehmlich andere Aspekte des eigenen Unterrichtens, die auf seine natürliche Autorität und die Betonung des Leistungsaspekts zielen. Ist die offizielle Schulleitung weiblich besetzt, treten unweigerlich Konflikte auf. Der Grundschullehrer, der den ‚Kampf‘ repräsentiert, konkurriert mit ihr und erkennt ihre statushöhere Position nicht an, da diese aus seiner Sicht dem Naturgesetz widerspricht. Grundsätzlich spricht er Frauen die Fähigkeit ab, eine Führungsposition einzunehmen: Führungskompetenz wird auf eine männlich konnotierte sachliche, organisatorische, verwaltungstechnische und rechtliche Ebene reduziert. Es ist konsequent, dass sich der männliche Grundschullehrer für den besseren Schulleiter hält und nach einer Entmachtung der weiblichen Schulleiterin strebt. Er beansprucht die Meinungshoheit und sucht nach Koalitionen, um als Anführer seiner Kolleginnen und inoffizieller Schulleiter in einen offenen Kampf gegen die Schulleiterin zu ziehen. ‚Kampf‘ bedeutet als Strategie, den eigenen Führungsanspruch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen und, wenn nötig, auch in eine offene Konfrontation zu treten mit denjenigen, die diesem Anspruch im Wege stehen. ‚Kampf‘ bedeutet weiterhin, sich nach Mitkämpfern und Verbündeten zu sehnen, die naturgemäß ebenfalls Männer sein müssen. Konsequenterweise erwägt der männliche Grundschullehrer, sich selbst um eine Funktionsstelle zu bewerben – auch um die Hierarchien wieder gerade zu rücken. Ist die Schulleitung männlich, so ist ein Kampf in dieser Form nicht unbedingt nötig. Der Grundschullehrer stellt sich aber durchaus auf die gleiche Stufe mit der Schulleitung: Das Geschlecht besiegelt die ebenbürtige Stellung, auch wenn diese nicht offiziell ist. Komplizenschaft wird gesucht und in der Eigenwahrnehmung auch gefunden.
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Die Strategie ‚Kampf‘, die als äußerst anstrengend bezeichnet werden kann, führt bei den männlichen Grundschullehrern, die diesem Muster folgen, zu einer großen Unzufriedenheit und zu dem Gefühl, allein unter Frauen zu sein: Da diese sich so grundlegend unterscheiden von der eigenen vergeschlechtlichten Person und den damit verbundenen beruflichen Orientierungsmustern, ist eine Verständigung auf professioneller und auch auf privater Ebene weder möglich noch erwünscht. Ein Kampf findet auf zwei Ebenen statt: Zum einen bestimmt das Orientierungsmuster die tägliche Handlungspraxis und damit alle Interaktionen, die im beruflichen Umfeld stattfinden. Die Strategie Kampf wird dabei als eine zum eigenen Geschlecht kongruente Praxis empfunden. Zum anderen ist der nach außen geführte Kampf Ausdruck für einen inneren: Die eigene Männlichkeit erscheint bedroht, scheinbare Sicherheiten sind gefährdet, Gewissheiten lösen sich auf. Es findet ein innerer Kampf um die Aufrechterhaltung eines fragil gewordenen Selbstverständnisses als Mann statt. Fürsorge Ältere Grundschullehrer, die den Subtyp Führungsanspruch repräsentieren, bewegen sich wie jüngere Grundschullehrer dieses Typus in einer traditionalen Sichtweise auf das Geschlechterverhältnis. Dieses wird allerdings nicht als gefährdet wahrgenommen, genauso wenig wie die eigene Männlichkeit, die unumstößlich mit der personalen Identität verbunden ist. Auf Grund der habituellen Sicherheit, die das Geschlechterverhältnis regelt, besteht keine Notwendigkeit, um den hegemonialen Anspruch in exponierter Weise zu kämpfen. Stattdessen mündet der Führungsanspruch in eine Strategie, die mit ‚Fürsorge‘ beschrieben werden kann: Qua Geschlechtszugehörigkeit steht dem männlichen Grundschullehrer ein Führungsanspruch zu. Von seinen weiblichen Kolleginnen unterscheidet er sich durch eine männliche Art der Berufsausübung, die sich durch natürliche Autorität und Betonung des Leistungsaspekts auszeichnet. Seinen weiblichen Kolleginnen dahingegen schreibt er eine weibliche Art der Berufsausübung zu, die von naturgegebener Mütterlichkeit und Emotionalität geprägt ist. Diese Differenz wird nicht als Defizit bewertet, obwohl die Wichtigkeit eines Gegenpols betont wird. Abwertungen finden nur insofern statt, als dass die eigene Berufsauffassung und das Vorhandensein als Mann in einem gegengeschlechtlichen Berufsfeld legitimiert werden muss. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, gegen irgendetwas anzukämpfen. Die eigene Männlichkeit steht nicht zur Debatte, sie muss nicht verteidigt werden. Verteidigt werden müssen lediglich der Führungsanspruch und die Meinungshoheit, wenn ein Gegenüber selbst in einen Kampf um diese eintritt. In diesem Fall wird ein Handlungsrepertoire aktiviert, das dem des jüngeren Kämpfers entspricht: Koalitionen werden gesucht, wenn möglich Komplizenschaften mit
3.2 Nicht-reÁexiver Habitus: (Bedrohte) Selbstverständlichkeiten
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männlichen Kollegen geschmiedet, Anweisungen werden ignoriert und sabotiert. Das kämpferische Verhalten hat allerdings eine andere Qualität. Wie beim jüngeren Grundschullehrer, der einen Führungsanspruch hegt, geht es um ein Machtstreben. Während der junge Kämpfer diese Macht zur Selbstvergewisserung seiner Männlichkeit benötigt, ist dies beim älteren Grundschullehrer nicht der Fall. Da diese nicht zur Diskussion steht, geht es ihm bei seinem Kampf tatsächlich und ausschließlich um Hegemonie. Der Führungsanspruch lässt sich für ihn in der Regel auf andere Weise durchgesetzt: Der Grundschullehrer familiarisiert die Beziehung zu seinen Kolleginnen und verhält sich väterlich-fürsorglich. Fachlich unterstützt er sie großzügig mit Rat und Tat und nimmt eine Art Mentorenstellung ein. Hierdurch erlangt er Wertschätzung, Anerkennung und Respekt. Teamarbeit und Kooperation hingegen steht er eher ablehnend gegenüber; zu unterschiedlich sind die geschlechtsbezogenen Arbeitsauffassungen voneinander, um zu effizienten Ergebnissen zu gelangen. Auch sein Hegemonieanspruch steht einer gleichberechtigten Zusammenarbeit entgegen. Gern stellt er aber – wiederum in seinem fürsorglichen Habitus – eigene Materialien und Ideen zur Verfügung. Nicht nur im kollegialen Sinne, sondern auch im privaten Bereich tritt er sich als Ansprechpartner auf. In der Kombination mit seinem Alter und der damit verbundenen Lebenserfahrung ermöglicht es sein Mannsein, die Position des väterlichen Ratgebers einzunehmen. Fürsorge bedeutet für den Grundschullehrer, eine exponierte Stellung innerhalb des Kollegiums einzunehmen, ohne den naturgegebenen Autoritätsvorsprung zu missbrauchen. Fürsorge bedeutet auch, als inoffizieller Schulleiter Richtungen vorzugeben und darauf zu achten, dass seine Kolleginnen dem folgen können. Fürsorge bedeutet letztlich, für die Sorgen und Nöte der Kolleginnen ein offenes Ohr zu haben und sie zu unterstützen, wo immer es möglich ist. Diese Strategie führt zu einer ausgeprägten Zufriedenheit im Berufsalltag, wenn sie von den Kolleginnen anerkannt wird. Allein unter Frauen zu sein ist ein Gefühl, dass diesem Subtypen fremd ist. Alter und Geschlecht verleihen ihm einen besonderen Status, den er genießt und aktiv ausfüllt. 3.2.3 Innere Emigration Als weiteren Vertreter des Nicht-Reflexiven Habitus lässt sich der Subtyp Innere Emigration identifizieren. Auch bei ihm findet keine reflexive Auseinadersetzung mit den eigenen Männlichkeitskonstruktionen statt. Das Geschlechterverhältnis ist gesellschaftlich klar geregelt und der hegemoniale Anspruch des Mannes steht nicht zur Debatte. Eine aktive, bewusste Auseinandersetzung mit der ritualisierten Praxis des Umgangs zwischen Männer und Frauen findet nicht statt, ein androzen-
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C Empirische Ergebnisse
tristisches Weltbild herrscht vor. Eigene Verstehens- und Erklärungsperspektiven werden keiner distanzierten Überprüfung unterzogen. Die Tatsache, als Mann in einem als weiblich konnotierten Beruf tätig zu sein, wird beantwortet mit der Strategie des Rückzugs auf sich selbst. Die Kolleginnen gelten nicht als gleichberechtigte Partnerinnen, mit denen man kooperieren oder private Kontakt halten könnte. Mangels eines ebenbürtigen Gegenübers ist der Grundschullehrer dieses Subtyps auf sich selbst zurückgeworfen und vermeidet den Aufbau kollegialer zwischenmenschlicher Beziehungen. Er sondert sich bewusst von seinen Kolleginnen ab und zieht sich in eine Randposition zurück. Obschon das Grundmuster der Inneren Emigration dasselbe ist, lassen sich hier, wie schon beim Subtyp Führungsanspruch, je nach Generation zwei Bewältigungsmuster aufzeigen, die in ihrer Ausformulierung der Inneren Emigration unterschiedliche Pole markieren. Für jüngere Grundschullehrer ist dies der Pol ‚Scham‘, für ältere der Pol ‚Stoik‘. Scham Der Begriff Scham bezeichnet die Situation, in der sich jüngere Grundschullehrer befinden, die dem Subtyp Innere Emigration angehören. Scham weist dabei zwei Komponenten auf, die in unmittelbarem Zusammenhang zueinander stehen: ‚sich schämend‘ und ‚beschämt‘. Sich schämend meint dabei den aktiven Prozess, der in Folge einer defizitären Selbstbewertung durch das Tätigsein in einem gegengeschlechtlichen Beruf entsteht. Beschämt hingegen wird der Subtyp zum einen durch das Erleben sozialer Missachtung seiner Männlichkeit und seines Berufes, zum anderen durch die konkreten Interaktionen im beruflichen Alltag mit den Kolleginnen und Kindern. Jüngere Grundschullehrer, die dieses Deutungsmuster verfolgen, erfahren zunächst eine Besonderung durch Kolleginnen, Eltern, Schülerinnen und Schüler, die ihrem Selbstbild weitgehend entspricht: Als Mann haben sie einen Autoritätsvorsprung und zeichnen sich dadurch aus, rational und effizient zu arbeiten. Sie selbst betonen neben der erzieherischen auch ihre fachliche Kompetenz. Können die jüngeren Grundschullehrer ihren Kolleginnen fachliche Kompetenzen noch zugestehen, so ist dies auf der Ebene der Arbeitsorganisation sowie der zwischenmenschlichen Ebene nicht möglich. Während fachliche Kompetenzen als geschlechtsunabhängig erworben gelten, sind Arbeitsorganisation und Sozialverhalten in einem biologistischen Sinne unwiderruflich und unabänderlich mit dem Geschlecht verbunden. Die Emotionalität und Ineffizienz der weiblichen Kolleginnen wird massiv kritisiert und abgelehnt, denn sie bedroht die eigene Integrität. Diese ist im Selbstbild bereits durch das wahrgenommene Berufsprestige beschädigt: Junge
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Innere Emigranten definieren den Aufgabenbereich in der Grundschule als einen weiblichen, betonen die Mütterlichkeit, die für diese Arbeit nötig ist und über die sie als Mann nicht verfügen. Genauso sehen sie das Bild des Berufes in der Öffentlichkeit: Als Mann sind sie einerseits zwar gern gesehen, dennoch fehl am Platz. Die eigene Männlichkeit gerät in Verruf, die Sicherheit, in der sich die Grundschullehrer innerhalb eines traditional verstandenen Geschlechterverhältnisses bewegen, zeigt sich brüchig. Abwertungen und Abgrenzungen gegenüber den Kolleginnen reichen nicht aus, um dieser Gefährdung Einhalt zu gebieten. Es folgt eine Abgrenzung auch gegenüber anderen männlichen Grundschullehrern, weiter eine Abgrenzung gegenüber dem gesamten Beruf. Nur so kann die als prekär erlebte Männlichkeitskonstruktion aufrechterhalten werden. Als Konsequenz findet eine Abgrenzung auch gegenüber den Kindern statt. Die Anforderungen, die mit diesem Beruf verbunden sind, kann und will der männliche Grundschullehrer nicht erfüllen. Zum einen versteht er sich auf Grund seines Mannseins als für diese Tätigkeit überqualifiziert, zum anderen ist es für ihn selbstverständlich, dass ihn die Tätigkeit langweilt: Sie ist unter seinem Niveau. Diese Erkenntnis gelangt mit der Zeit immer mehr ins Bewusstsein des Grundschullehrers und manifestiert sich. Verzweifelt sucht er nach Alternativen, die ihn aus der Falle, in die er sich begeben hat, wieder herausführen. Er stellt mehr oder weniger ernsthafte Überlegungen zu einem Berufswechsel an. Auch der Versuch, sich durch eine Komplizenschaft mit anderen männlichen Kollegen, im Idealfall mit dem männlichen Schulleiter, der eigenen Männlichkeit zu versichern, kann als Strategie beobachtet werden. Dabei wird allerdings – im Gegensatz zum Subtyp Führungsanspruch – keine hegemoniale Stellung innerhalb des Kollegiums angestrebt. Zu gering ist die Passung von Beruf und Geschlecht, als dass eine Machtposition diesen Widerspruch auflösen könnte. Auch bleibt der angestrebte Männerbund zu vage, um das grundsätzliche Unbehagen im Beruf abzumildern. Hierfür ist die Entfremdung zwischen der eigenen Person und dem Beruf zu groß. Eher dient eine solche Koalition der Selbstvergewisserung, dass der Beruf nicht nur für ihn selbst als Person, sondern auch für andere Kollegen und damit generell für Männer nicht taugt. Die einzige Strategie, die diesem Subtyp bleibt, ist der Rückzug auf sich selbst. Dieser umfasst alle Aspekt der beruflichen Arbeit: Kooperation wird als bedrohlich empfunden und abgelehnt. Kolleginnen werden abgewertet und sind keine in Frage kommenden Arbeitspartner. Private Gespräche werden vermieden und zurückgewiesen. Für den emotionalisierten Umgang der Kolleginnen untereinander schämt sich der männliche Grundschullehrer. Das Engagement für unterrichtliche Belange wird eingeschränkt, die Schülerinnen und Schüler werden als belastend erlebt. Emotionale Zuwendung diesen gegenüber wird weitgehend vermieden.
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C Empirische Ergebnisse
Scham bedeutet in diesem Zusammenhang die Furcht um den eigenen Ruf als Mann. Sie ist die Ursache für eine dramatische Unzufriedenheit mit dem eigenen Beruf. Wenn schon nicht als Ausweg, so doch als Bewältigungsstrategie kommt nur eine größtmögliche Abgrenzung, ein weitestgehender Rückzug, die Emigration ins Innere in Frage. ‚Allein unter Frauen‘ meint für den Inneren Emigranten die aus einer allgemeinen berufsbezogenen Verzweiflung und einem tiefen Schamgefühl heraus selbst gewählte Isolation. Stoik Bei älteren Grundschullehrern, die dem Subtyp Innere Emigration angehören, ist Verzweiflung nicht zu erkennen. Auch ein eventuell vorhandenes Schamgefühl ist nicht konsekutiv für die berufliche Handlungspraxis. An deren Stelle tritt eine Gelassenheit, die alles an ihnen abprallen lässt, die Stoik. Da von bipolaren Geschlechtscharakteren ausgegangen wird, bewegt sich der Stoiker in einer habituellen Sicherheit, die nur dadurch gestört ist, dass er in einem gegengeschlechtlichen Berufsfeld arbeitet, das auch in der Öffentlichkeit als solches wahrgenommen wird. Seine eigene Männlichkeit sieht er zunächst aber nicht gefährdet, es ist für ihn nicht vorstellbar, diese selbst in Frage zu stellen. Sein Mannsein grenzt ihn klar ab von seinen weiblichen Kolleginnen. Deren Arbeit muss nicht weiter abgewertet oder kommentiert werden, da sie den geschlechtsstereotypen Erwartungen entspricht. Die weitgehende Nichtthematisierung bzw. das Ausblenden des Geschlechts aus beruflichen Zusammenhängen ist als Indiz für sein androzentristisches Weltbild zu werten. Es suggeriert, dass Frauen in Schule und Beruf überhaupt nicht vorkommen: Was die Kolleginnen machen, interessiert ihn nicht, solange sie ihn selbst nicht behelligen. Als Kolleginnen sind sie zwar vorhanden, doch beschränkt er den Kontakt zu ihnen auf das unbedingt Notwendige. Kooperation wird genauso vermieden wie eine Privatisierung der Arbeitsbeziehung. Bewusst sondert sich der männliche Grundschullehrer ab und nimmt eine Randposition ein. Sie erlaubt ihm, sich aus professionellen Diskursen, an denen er selbst wenig Interesse hat, weitgehend herauszuhalten. Leidenschaftslos und stoisch lässt er alle äußeren Einflüsse an sich abprallen. Dies garantiert ihm, auch die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern mit wenig Engagement ausüben zu können. Wichtiger als die Arbeit ist ihm sein außerschulisches Leben; daher ist es ihm wichtig, den Arbeitsalltag ohne große Kraftanstrengung zu bewältigen. Das Alleinstellungsmerkmal Mann erlaubt es ihm, Forderungen und Erwartungen seiner Kolleginnen zurückzuweisen. Diese stellen als Frauen für ihn weder Kooperationspartner noch eine Konkurrenz dar, gegenüber denen er sich beweisen müsste. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich der Stoiker keinen männlichen Kollegen wünscht. Ein solcher würde eher eine Gefahr darstellen,
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würde er ihm doch einen Spiegel vorhalten, der seine als selbstverständlich und männlich angesehene Art der Berufsausübung in Frage stellen könnte. Unklar bleibt dabei, ob der Grundschullehrer durch die Anwesenheit von männlichen Kollegen aus seiner Zurückgezogenheit herausträte – oder ob er sich noch mehr in sich zurückzöge. Die selbst gewählte Isolation, hinter der sich Apathie verbirgt, deutet der Stoiker in Unabhängigkeit um. Durch die ausdrückliche Nicht-Gestaltung des Geschlechterverhältnisses gelingt es ihm, ohne besonderes Engagement im beruflichen Alltag zu bestehen und trotz seines wenig professionellen Verhaltens unangreifbar zu bleiben. Die zu wahrende Unabhängigkeit, die Desengagement verschleiert, wird durch die Abwehr äußerer Einflüsse und eine Emigration ins Innere, zu dem die Kolleginnen keinen Zutritt haben, erreicht. Stoik bedeutet dabei völlige Leidenschaftslosigkeit in der Gestaltung des Arbeitsalltags. Stoik bedeutet weiter, sämtliche von außen vorgetragenen Anforderungen und Erwartungen an ihn zu ignorieren. Stoik meint auch, ohne Unzufriedenheit, aber auch ohne Begeisterung den Beruf auszuüben: Solange er in Ruhe gelassen wird, geht es dem Stoiker gut. ‚Allein unter Frauen‘ schließlich bedeutet für den stoischen Inneren Emigranten die selbst gewählte Isolation, die es auf jeden Fall zu wahren gilt.
D Resümee
Ziel der vorliegenden Arbeit war zu eruieren, welche Bedeutung die Strukturkategorie Geschlecht für und auf Männer, die im Berufsfeld Grundschule tätig sind, hat. Durch die im Teil C dargestellten Fallanalysen konnten zwei grundlegende Handlungsorientierungen rekonstruiert werden, die einen jeweils spezifischen beruflichen Habitus markieren. Das Geschlechterverhältnis konnte dabei als zentraler Einflussfaktor auf das Selbstverständnis, aber auch auf die Art der Berufsausübung identifiziert werden. Im die Studie abschließenden Teil D werden zunächst die zentralen Ergebnisse der empirischen Untersuchung zusammengefasst und vor einem theoretischen Hintergrund diskutiert. Abschließend werden Perspektiven aufgezeigt, die sich als Konsequenz aus den Ergebnissen für die pädagogische Handlungspraxis ergeben.
1. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse: Habituelle (Un-)Sicherheiten, Männlichkeitskonstruktionen, Bewältigungsstrategien Aus dem empirischen Datenmaterial können zwei zentrale Typen herausgearbeitet werden, die die Handlungsorientierungen männlicher Grundschullehrer zusammenfassend repräsentieren. Diese Handlungsorientierungen, die auch als berufsbezogener Habitus bezeichnet werden können, regeln den beruflichen Alltag der Interviewpartner und prägen die Interaktionen im Feld Grundschule. Die Kategorie Geschlecht ist dabei, je nach Typ bewusst oder unbewusst, das zentrale Paradigma. Allerdings verfolgen die Probanden auch innerhalb der einzelnen Typen unterschiedliche Strategien, mit der sie der Situation, in der sie sich befinden, begegnen. Die Diversität ist zum einen dem Umstand der Zugehörigkeit zu verschiedenen Generationen geschuldet, kann darüber hinaus aber auf individualbiografische Unterschiede zurückgeführt werden, die, wie auch die Kategorie ‚Geschlecht‘ eng mit unterschiedlichen Mechanismen der Konstruktion von Männlichkeit verbunden sind.
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D Resümee
Zwischen ReÀexion und Reproduktion von Geschlechterstereotypen: Typen und Subtypen Zwei grundsätzliche Typen können unterschieden werden: Der Reflexive Habitus und der Nicht-reflexive Habitus. Während der Reflexive Habitus aus einer Verunsicherung gegenüber traditionalen Geschlechterkonstruktionen heraus entsteht, bedient sich der Nicht-reflexive Habitus ebenjener bzw. versucht, diese aufrecht zu erhalten. Mit Hilfe eines Reflexiven Habitus gelingt es dem männlichen Grundschullehrer, geschlechtsspezifische Zuschreibungen und Stereotype zu hinterfragen und zu einer geschlechterbewussten Handlungsorientierung zu gelangen. Geschlecht wirkt hier nicht länger als Imperativ, der die Praxis regelt. Die Reflexivität entfaltet ihre Wirksamkeit nicht nur in bestimmten Situationen, sondern ist als grundsätzliche Haltung angelegt. Diese Haltung kann als wesentlicher Baustein für die Entwicklung professioneller Kompetenz betrachtet werden (vgl. Schönknecht 1997). Männlichkeitskonstruktionen lassen sich gleichwohl auch beim Reflexiven Typ aufspüren. Diese basieren aber nicht auf eine Abwertung der Kolleginnen oder einer Verweigerung gegenüber Arbeitsformen, die von diesen praktiziert werden. Nicht umhin kommt der Grundschullehrer, sich widersprüchlichen vergeschlechtlichten Erwartungen und Zuschreibungen zu stellen. Oftmals gelingt es ihm jedoch, die Konstruktionen, die hinter diesen stehen, zu enttarnen und entsprechend mit ihnen umzugehen. So kann der Reflexive Typ seine Arbeit als sinnstiftend und erfüllend erleben. Für ihn zählt nicht, dass er in einem gegengeschlechtlichen Beruf arbeitet, es zählt vielmehr, dass er in einem Beruf arbeitet, der ihn fordert und den er als sinnhaft erlebt. Horstkemper sieht in der Bearbeitung der widersprüchlichen Anforderungen angesichts einer mangelnden Passung von Beruf und Geschlecht das Potential, Reflexion voranzutreiben (vgl. Horstkemper 2000a: 89). Dies lässt sich im Falle des Reflexiven Typs bestätigen. Allerdings greift dieser Mechanismus, so die Ergebnisse der vorliegenden Studie, in den meisten Fällen eher nicht: Der Nicht-reflexive Typ kommt gar nicht erst auf die Idee, dass bestimmte geschlechtsspezifische Zuschreibungen auf Konstruktionen beruhen oder einer Reflexion bedürfen. Er, der sich in einer bipolaren Geschlechterwelt verortet, beteiligt sich stattdessen in nahezu jeder Interaktion daran, die essentialistisch verstandene Differenz zwischen Männern und Frauen zu reproduzieren. Geschlecht gilt als Regulativ für alle Interaktionen innerhalb des Feldes Schule. In Nuancen unterscheiden sich die Strategien, mittels derer er die Konstruktion der eigenen Männlichkeit, die für die Tätigkeit in einem gegengeschlechtlichen Beruf von enormer Bedeutung ist, verfolgt. Mittels Flirt und unter dem Einsatz von Charme begründet der Subtyp Sexierung sein Verhältnis zu den Kolleginnen. Seine hegemoniale Maskulinität bringt er über
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die Sexierung des Geschlechterverhältnisses zum Ausdruck. Meuser umschreibt eine solche Strategie als „Erotisierung der Dominanz“ (Meuser 1998a: 118). Dass er sich in der Arbeit mit den Kindern von seinen Kolleginnen unterscheidet, muss kaum betont werden. Eine Abwertung der Kolleginnen kann im Grunde gar nicht stattfinden, würde so doch die Basis für den zwischenmenschlichen Flirt in Frage gestellt. Da seine Kolleginnen dieses Verhalten akzeptieren und so an der Aufrechterhaltung seines hegemonialen Anspruchs mitwirken, bestimmt dieses Verhältnis sein berufliches Befinden, das als ausgesprochen gut bezeichnet werden kann: Der Ist-Soll-Vergleich zwischen seinen Erwartungen und der Erfüllung dieser fällt durchweg positiv aus. Der Subtyp Führungsanspruch verkörpert hegemoniale Maskulinität in nahezu idealtypischer Form. Die naturgegebene Dominanz wird auch innerhalb des Kollegiums durchgesetzt. Hierzu wird von jüngeren Grundschullehrern die Strategie des Kampfes verfolgt. Damit verbunden ist nicht nur ein Kampf gegen Widerstände, die der eigenen Vormachtstellung im Wege stehen, sondern auch ein Kampf um die eigene Männlichkeit. Diese wird auf symbolisch-expressiver Ebene sichtbar gemacht, wo immer es möglich ist. Verbunden ist damit eine strikte Abgrenzung von den Kolleginnen und die Abwertung deren Arbeit. Es ist dem Grundschullehrer nicht möglich, in Kooperation zu treten oder innovative Arbeitsformen zu verfolgen, die auch von den weiblichen Kolleginnen ausgeübt werden. Nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass der alltägliche Kampf um Hegemonie, Anerkennung und Selbstvergewisserung der männlichen Identität als anstrengend erlebt wird, ist das berufliche Befinden eher schlecht. Anders beim zweiten Vertreter dieses Subtyps: Ältere Kollegen haben einen solchen Kampf nicht nötig. Ihre Männlichkeit steht nicht zur Debatte, den eigenen Führungsanspruch leiten sie aus dem natürlichen, binären Verhältnis der Geschlechter ab. An die Stelle eines Kampfes kann Fürsorge treten. Die Geschlechterdifferenz wird normalisiert, Abwertungen finden in Form von Aufdeckungen vermeintlicher Defizite statt, die aber als nicht weiter verwunderlich erachtet werden. Die Konstruktion der eigenen Männlichkeit geschieht nebenbei und bedarf keiner besonderen Anstrengung. So ist es nicht überraschend, dass diese Strategie zu einem beruflichen Befinden führt, das, wie im Falle der Sexierung, von einem einvernehmlichen zwischenmenschlichen Verhältnis geprägt ist und als befriedigend erlebt wird. Der Subtyp Innere Emigration bezeichnet das Scheitern in der Durchsetzung hegemonialer Maskulinität. Jüngere Grundschullehrer, die unter diesen Subtyp gefasst werden können, zeichnen sich durch eine mehr oder weniger große Verzweiflung über die Situation, in der sie sich befinden, aus. Sie stellen fest, als geschlechtliche Person, als Mann nicht zum gewählten Beruf zu passen. Die Differenz zu den weiblichen Kolleginnen muss wie bei den Grundschullehrern, die
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D Resümee
die Strategie ‚Kampf‘ verfolgen, immer wieder aufs Neue betont werden. Dies geht so weit, dass sich die jungen Grundschullehrer für ihre Kolleginnen – und letztlich auch für sich selbst – schämen. Die empfundene Scham verhindert Kooperation, verhindert darüber hinaus den alltäglichen kollegialen Umgang. In seiner Hauptaufgabe, dem Unterrichten, sieht er keinen adäquaten Aufgabenbereich für sich, ist dieser doch vom anderen Geschlecht besetzt. Dementsprechend unzufrieden ist er auch über und bei der Arbeit mit den Kindern. Das berufliche Befinden ist ausgesprochen schlecht, der Rückzug ins eigene Innere und in die Isolation ist die einzige Möglichkeit, die dem Grundschullehrer als Perspektive bleibt. Genau diese Bewältigungsstrategie wählen auch ältere Grundschullehrer, die demselben Subtyp angehören; dies geschieht allerdings weniger aus Scham, auch nicht aus einer Verzweiflung heraus. Bei ihnen genügt das Motiv des Mannseins, um eine Abgrenzung von den weiblichen Kolleginnen selbstverständlich herbeizuführen. Die Differenz zu Frauen muss nicht weiter betont werden. Über eine Nihilierung des Weiblichen wird eine Normalität konstruiert, in der Männer divergente Interessen haben und diese auch im Unterrichten verfolgen. Ein kollegialer Austausch, egal ob berufsbezogen oder privat, erübrigt sich. Dieser Umstand wird im Gegensatz zu jüngeren Grundschullehren aber äußerst gelassen hingenommen. Der exklusive Status ermöglicht es dem Grundschullehrer, ohne Konkurrenzdruck so zu arbeiten, wie er es sich wünscht. Die Isolation wird als selbst gewählt beschrieben und in Unabhängigkeit umgedeutet. Das Befinden kann trotz der Randstellung als zufriedenstellend bezeichnet werden. Habituelle Sicherheit – Prekäre Sicherheit – Verunsicherung: Der EinÀuss der Kategorie Generation Das auf das Geschlechterverhältnis bezogene kulturell verankerte Symbolsystem befindet sich bei jüngeren Grundschullehrern, so zeigt sich im empirischen Datenmaterial, in einer fundamentalen Krise: Bei ihnen ist von habituellen Sicherheit, wie sie Meuser als „Leben gemäß den (männlichen) Habitus“ (Meuser 1998a: 119) definiert, nichts (mehr) zu spüren. Obwohl das Prinzip der Zweigeschlechtlichkeit nicht in Frage gestellt wird, sehen sie die darauf resultierende Sozialordnung gefährdet. Jüngere Grundschullehrer, die die habituelle Sicherheit als prekär empfinden, verorten sich selbst als Mann, dem qua Geschlecht eine hegemoniale Stellung im Geschlechterverhältnis zukommt. Sie müssen aber gleichzeitig feststellen, dass ihnen von außen lediglich eine unterdrückte Männlichkeit zugestanden wird. Der geschlechtliche Habitus wird hier „von einer Vorgabe zu einer Aufgabe“ (Meuser 1998a: 121), die es zu bewältigen gilt. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise; gemein ist allen vorgefundenen Strategien aber, dass sie die Herstellung von
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Differenz und Grenzziehung zu den Kolleginnen sowie zu allen Arbeitsformen, die als weiblich konnotiert gelten, zum Ziel haben. In der radikalen Opposition, die sie einnehmen, lassen sich Tendenzen wahrnehmen, die, wie Meuser es ausdrückt, von einer „latenten negativen Selbstwahrnehmung“ (Meuser 1998a: 272) zeugen. Die Bindung an traditionale Geschlechtsvorstellungen ist dennoch so fest, dass sie trotz der Widersprüche, auf die die jungen Lehrer stoßen, einer tieferen Reflexion nicht zugänglich ist. Zwar tritt im Gegensatz zu älteren Grundschullehren eine Diskursivierung von Geschlecht zutage, d.h., Geschlecht und dessen Bedeutung wird in unterschiedlichsten Zusammenhängen betont; an den Manifesten hegemonialer Männlichkeitsvorstellungen wird aber nicht gerüttelt. Wohl aber führt die als brüchig erlebte Sicherheit dazu, dass Differenz nicht nebenbei reproduziert werden kann, vielmehr muss sie erst aufwändig selbst produziert werden. Die Reflexion des eigenen Mannseins ist lediglich dann der Fall, wenn eine vollständige Verunsicherung auftritt: Die Ambivalenzen, die der verunsicherte jüngere Grundschullehrer als in einem gegengeschlechtlichen Beruf Tätiger erlebt, führen bei ihm nicht zu Abwehrhaltungen oder Verleugnungen, sondern zu einer Reflexion der Geschlechterbeziehung insgesamt. Das „Reflexivwerden von Selbstverständlichkeiten“ (Meuser 1998a: 131) zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Geschlechterkonstruktionen als solche entlarvt und in Frage gestellt werden. Der reflexive Akt ist dabei ein gesteuertes, explizites Denk-Handeln und kann unterschieden werden von einem selbstbezogenen, spontanen Sich-GedankenMachen im Rahmen eigener subjektiver Theorien, wie es durchaus auch bei jüngern Männern auftritt, die eine prekäre habituelle Sicherheit erleben. Über eine habituelle Sicherheit verfügen hingegen ältere Grundschullehrer, die eine traditionale Männlichkeit repräsentieren. Ihr Handeln findet gerahmt innerhalb einer auf Zweigeschlechtlichkeit basierenden gesellschaftlichen Ordnung statt, die nicht hinterfragt wird. Männlichkeit ist dabei kein Ergebnis einer bestimmten Praxis, sondern „vorreflexive Routinepraxis“ (ebd.: 120) und „positiv angenommener Zwang“ (ebd.: 119). Männlichkeit wird in Opposition zu Weiblichkeit gesehen, Männer- und Frauenwelten bleiben als Naturgesetz voneinander getrennt. Da Männlichkeit und Weiblichkeit essentialistisch verstanden werden, müssen diese zunächst auch nicht weiter betont werden. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass das Thema ‚Geschlecht‘ für die befragten älteren Grundschullehrer zunächst keine Rolle spielt. Die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit stützen Meusers These, dass habituelle Sicherheit vor allem dann auftritt, wenn die eigene Praxis zunächst nicht mit dem eigenen Geschlecht in Verbindung gebracht wird (vgl. ebd.: 296). So tritt eine „Diskursivität von Maskulinität, welche als Indikator für eine Erschütterung von Ordnungsgewissheiten zu verstehen ist“ (ebd.: 13) bei den älteren Grundschullehrern zunächst nicht auf. Nur auf Nachfrage und an manchen
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Stellen werden Risse in der habituellen Sicherheit sichtbar. Dies ist zurückzuführen auf die Diskriminierungserfahrungen, die die Grundschullehrer im feldfremden Umfeld auf Grund der als unmännlich erachteten Tätigkeit erfahren. Mit dieser Diskriminierung können die älteren Grundschullehrer insgesamt aber gut leben: Die Nihilierung der Nichtpassung immunisiert vor Anfechtungen. Ein solches Deutungsmuster kann antizipiert werden, weil der ältere Grundschullehrer seine geschlechtliche Identität zu einer Zeit entwickeln konnte, als das Geschlechterverhältnis in der Gesellschaft noch traditional geregelt war. Dieser lebensgeschichtliche Faktor garantiert Stabilität, punktuell irritierenden Situationen kann mit einer Normalisierung dieser begegnet werden. Strategien, die verfolgt werden und den beruflichen Habitus prägen, können als vorreflexiv und naturverstanden betrachtet werden. Die Handlungspraxis folgt einem „biologisch vorgegebenen Imperativ“ (Meuser 1998a: 265), der nicht weiter hinterfragt werden muss. Im Gegensatz zu jüngeren Grundschullehrern kann Differenz in einer passiven Haltung und ohne Anstrengungen reproduziert werden. Die Verankerung im konjunktiven Erfahrungsraum ‚Generation‘ kann vor diesem Hintergrund zunächst als Basis für die Ausbildung eines bestimmten Habitus betrachtet werden. Wie sich in einer genaueren Analyse jedoch zeigt, gilt der Nachweis nur mit Einschränkungen: Jüngere Grundschullehrer können eine tief greifende Verunsicherung erfahren, die zu einem reflexiven berufsbezogenen Habitus führt, sie können aber genauso gut die habituelle Sicherheit lediglich als gefährdet betrachten und in einem Nicht-reflexiven Habitus münden. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation ist noch kein Garant für die Entwicklung eines spezifischen Habitus, auch wenn grundlegende Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten ausgemacht werden können. Da aber auch die Kategorie Geschlecht einen konjunktiven Erfahrungsraum darstellt, der über eine mindestens ebenso große Schlagkraft verfügt wie die Kategorie Generation, werden hierüber Gemeinsamkeiten geschaffen, die über die verschiedenen Generationen und damit verbundenen Erfahrungen hinweg Gültigkeit beanspruchen. So ist es zu erklären, dass einzelne Subtypen über die Alterskohorten hinweg bestehen. Die Ausprägungen und Muster, die dann als Bewältigungsstrategien innerhalb der unterschiedlichen Gruppen von Subtypen zum Tragen kommen, unterscheiden sich allerdings wieder je nach Generationenzugehörigkeit. Zwischen Beharrungskräften und Entwicklungsoffenheit: Die Möglichkeiten eines Typenwechsels Ob Transformationen von einem Typ zu einem anderen stattfinden können, kann anhand der vorliegenden Studie nicht geklärt werden. Wohl aber gibt es Belege
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dafür, dass die Möglichkeit einer Änderung der Strategie innerhalb der Gruppe der Subtypen besteht. So wird beispielsweise aus den Erzählungen Herrn Jehles deutlich, dass er über seine gesamte Dienstzeit hinweg dem Nicht-Reflexivem Typ angehört und dem Subtypen Führungsanspruch zuzuordnen ist. Den Führungsanspruch versucht er in jüngeren Jahren zunächst durchaus mit dem Mittel des Kampfes durchzusetzen, wie seine Ausführungen zur Auseinadersetzung mit der stellvertretenden Schulleiterin zeigen. Diese Strategie hat sich inzwischen gewandelt: Um seinem Führungsanspruch Geltung zu verleihen, steht nun Fürsorge und nicht mehr länger Kampf im Vordergrund seiner Handlungspraxis. Diese Transformation kann auf das Lebensalter zurückgeführt werden: Die Position einer fürsorglichen und fürsorgenden Vaterfigur kann selbstverständlich nur einnehmen, wer in Interaktionen auf Personen stößt, die jünger sind bzw. denen gegenüber ein Erfahrungsvorsprung geltend gemacht werden kann. Aber auch eine Gelassenheit, die für ältere Lehrer vor Eintritt in den Ruhestand typisch ist (s.u.), kann Grund sein für die Änderung der Bewältigungsstrategie. Es ist durchaus vorstellbar, dass Sören, der ebenfalls dem Subtypen Führungsanspruch zuzuordnen ist, im Laufe der Zeit eine ähnliche Metamorphose durchläuft. Trotz des äußerst geringen Altersvorsprungs seinen Kolleginnen gegenüber setzt er sich stellvertretend für deren Interessen ein, was im übertragenen Sinne auch eine Art der Fürsorge darstellt, wenngleich diese ausschließlich von der Durchsetzung der eigenen Interessen motiviert ist. Ein denkbarer Grund, von der Strategie Kampf Abstand zu nehmen, könnte – der Argumentationslinie des Interviewpartners folgend – auch sein, dass Sören an eine Schule wechselt, an der sein Kumpelwunsch erfüllt wird, deren Schulleitung männlich besetzt ist, etc. Dennoch ist anzunehmen, dass er trotz veränderter Mikrostrukturen weiterhin einen hegemonialen Anspruch geltend macht, diesen dann allerdings mit anderen Handlungsmustern verfolgen kann. Möglicherweise zeigt Sören irgendwann Ermüdungserscheinungen, ist die Durchsetzung des hegemonialen Anspruches doch äußerst kräftezehrend. Gibt er sich geschlagen, ist es nahe liegend, dass er als neue Bewältigungsstrategie den Rückzug antritt: Ein Wechsel zum Subtyp Inneren Emigration drängt sich hier geradezu auf. Diesen Überlegungen ist allerdings gemein, dass sie Spekulationen bleiben müssen und nur Längsschnittstudien Aussagen über Thesen zu einer möglichen Transformation zulassen. Auch Interviews mit älteren Interviewpartnern, die einen verstärkten Fokus auf biografische Erfahrungen und Deutungsmuster legen, könnten hier Aufschluss geben. Grundsätzlich ist, wie im theoretischen Kapitel gezeigt, eine habituelle Orientierung durchaus auf Dauer angelegt und kann nicht einfach durch eine andere ersetzt werden (vgl. Bourdieus Rede vom ‚Hysteresiseffekt‘). Dennoch sind Deutungs-
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muster, so Meuser, „prinzipiell als entwicklungsoffen konzipiert“ (Meuser 1998a: 128). Das Feld spielt dabei eine Rolle und übt seinen Einfluss aus. Ergeben sich hier Änderungen, die ein Versagen der bisher verfolgten habituellen Handlungsschemata bewirken, kann langfristig ein habitueller Wandel stattfinden: Dies allerdings nur vor dem Hintergrund einer echten Krise, wie Schwingel (1995: 73) und Barlösius (2006: 87) in Bezug auf Bourdieu feststellen. Berufsbiografische Konzepte zur pädagogischen Professionalität gehen im Übrigen davon aus, dass im Laufe des Berufslebens verschiedene Phasen durchlaufen werden, innerhalb derer bestimmte Aufgaben gelöst werden müssen und unterschiedliche Lösungsstrategien aktualisiert werden (vgl. Bauer 2000: 62). So unterscheidet das Modell von Fuller und Brown (1975) drei Stadien im Berufsleben von Lehrenden, denen jeweils zentrale Aufgaben, aber auch Belastungen zugeordnet werden können. Nach diesem Konzept befinden sich beispielsweise Lehrernovizen und Lehrernovizinnen im so genannten ‚survival stage‘: Gerade Konrads bemüht immer wieder explizit den Begriff des „Überlebens“, wenn er von seiner Handlungspraxis berichtet. Das von Huberman entwickelte Modell zur Abfolge von Themen in der Berufslaufbahn von Lehrerinnen und Lehrern greift für die Berufseinstiegsphase den Begriff „Überleben“ auf, ergänzt ihn darüber hinaus um den des „Entdeckens“. Als letzte Phase des Berufslebens macht er ein „Desengagement“ aus, das entweder in Gelassenheit oder Bitterkeit enden kann. In welches Bewältigungsmuster das jeweilige Stadium mündet, ist dabei abhängig von allgemeinen Persönlichkeitsund Lebenslaufentwicklungen, aber auch von Zeitumständen oder der Generationenzugehörigkeit (vgl. Huberman 1991). Auch hier zeigen sich deutliche Parallelen zu den Handlungsorientierungen in vorliegender Studie, wenn man den Interviewpartner Udo, aber auch Herrn Jehle betrachtet. Beide drücken in ihren Orientierungen Gelassenheit aus, wenn auch unter verschiedenen Vorzeichen. Nun kann daraus nicht notwendig abgeleitet werden, dass es auch für die Gestaltung und Interpretation des Geschlechterverhältnisses normative berufsbiografische Phasen gibt, die bewältigt werden müssten. Wohl aber deuten die Ergebnisse aus der berufsbiografischen Professionalitätsforschung auf die Option einer potentiellen Entwicklungsoffenheit hin, die möglicherweise in einem vergleichbaren Phasenmodel von Bewältigungsstrategien münden. Positionierung, um die geschlechtliche Identität zu wahren: Der EinÀuss des Feldes Die Makrostruktur des Feldes, in dem sich der männliche Grundschullehrer bewegt, nötigt diesen, sich als Mann zu positionieren, um die geschlechtliche Identität zu wahren. Dies geschieht im Falle einer habituellen Sicherheit en passant und
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weitgehend unbewusst im Sinne einer vorreflexiven Routinepraxis. Im Falle einer prekären habituellen Sicherheit hingegen wird um den Beweis der eigenen Männlichkeit gefochten, da Routinemechanismen angesichts eines als brüchig erlebten Geschlechterverhältnisses versagen. Der verunsicherte Grundschullehrer schließlich verweigert gängige Konstruktionen aus einer Reflexivität heraus und diskursiviert die eigene Männlichkeit. Hinweise darauf, dass Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung des Feldes, in dem sich die Grundschullehrer bewegen, Einfluss auf die Ausprägung eines bestimmen Habitus haben, können nur vordergründig nachgewiesen werden. Bei einer genaueren Analyse zeigt sich, dass beispielsweise das Geschlecht der Schulleitung oder aber auch das Vorhandensein anderer männlicher Kollegen die Bewältigungsstrategien in Nuancen beeinflusst, am grundlegenden Habitus aber nichts ändert. Nicht die Mikrostruktur des Feldes verantwortet die verschiedenen Bewältigungsstrategien, vielmehr ist die Makrostruktur des Feldes in der Einbindung in gesellschaftliche Zusammenhänge konstituierend für die Deutungsmuster: Die Interviewpartner arbeiten weitgehend ohne männliche Kollegen in einem gegengeschlechtlichen Beruf. Sie halten einen Exotenstatus inne, der ihnen innerhalb des Feldes Privilegien verschafft und sie positive Diskriminierungen erfahren lässt. In der feldfremden Umwelt dagegen erscheint der Beruf als unpassend für einen Mann, wenn er denn ‚ein richtiger‘ ist. Die Grundschullehrer erfahren als „illegitime Kapitaleigner“1 (Meuser 1998a: 299) keine Akzeptanz für ihre Berufstätigkeit, im besten Fall Verwunderung. Der Umgang mit Diskriminierungserfahrungen gestaltet sich unterschiedlich, wohl aber wirken sie sich in jedem Fall auf die Handlungspraxis aus. Deutlich wird an dieser Stelle der Anschluss an die Formel Bourdieus, der die Praxis als Produkt von Habitus und Kapital plus das Feld, in dem sie stattfindet, beschreibt (vgl. Bourdieu 2005: 175).2
1 Mit dem Begriff ‚illegitime Kapitaleigner‘ beschreibt Meuser Männer, die sich um die Aneignung weiblicher Anteile bemühen. Auch wenn dies in der realen Praxis so nicht stattfindet, vielmehr sogar vermieden wird, so unterstellen Männern außerhalb des Feldes doch ein solches Verhalten, da der Grundschullehrer die Geschlechtergrenzen unerlaubt überschreitet und in ein weiblich konnotiertes Geschlechterrevier eindringt. 2 Im Übrigen können alle anderen Faktoren, die im Rahmen des Theoretical Samplings (vgl. Kap. B 3) für eine Kontrastierung herangezogen wurden, als nicht entscheidend für die Ausprägung eines bestimmten Habitus identifiziert werden. Der konjunktive Erfahrungsraum ‚Mannsein‘, mehr noch: ‚Mannsein in einem gegengeschlechtlichen Beruf‘, erschüttert strukturell angelegten Orientierungen ebenso wie feldinterne Bedingungen und führt zu einer Handlungspraxis, die sich über alle anderen potentielle Einflussfaktoren (wie Berufswahlmotive oder Familienstand) hinwegsetzt.
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Konkurrenz und Projektion: Wettbewerb unter Männern in einem Feld, in dem keine weiteren Männer vorhanden sind Dass sich ein männlicher Habitus nur dann ausprägen kann, wenn er sich in einem Wettstreit mit anderen Männern befindet, wie dies Bourdieu feststellt (vgl. Bourdieu 1997a: 203), bestätigt sich in den vorliegenden empirischen Ergebnisse zunächst nicht. Im realen Feld Grundschule sind ebenbürtige, da männliche Konkurrenten nur in den wenigsten Fällen vorhanden. Das Feld ‚Grundschule‘ ist alles andere als ein homosozialer Raum, in der die kompetitive Struktur von Männlichkeit zum Ausdruck kommen könnte. Wohl aber sind es die Männer im näheren und weiteren Umfeld außerhalb der Schule, die den Grundschullehrer dann doch dazu veranlassen, einen bestimmten männlichen Habitus zu konstruieren. Gerade indem die Männlichkeit ob der weiblich konnotierten Tätigkeit in Frage gestellt und angezweifelt wird, bildet der männliche Grundschullehrer angesichts des für das eigene Selbstkonzept – bewusst oder unbewusst – als bedrohlich wahrgenommenen gesellschaftlichen Prestiges einen berufsbezogenen männlichen Habitus aus. Der Grundschullehrer tritt über die Grenzen seines beruflichen Feldes hinweg in Konkurrenz zu seinen Geschlechtsgenossen und streitet um die Anerkennung seiner Maskulinität. Im beruflichen Alltag wird der Konkurrenzkampf auf die weiblichen Kolleginnen übertragen: Mittels Distinktion und der Betonung von Unterschieden wird die eigene Männlichkeit herausgestellt und das Konkurrenzverhältnis auf das weibliche Gegenüber projiziert. Der Grundschullehrer konkurriert um die ‚richtige‘ Berufsorientierung, den ‚richtigen‘ kollegialen Umgang, vor allem aber um die Hegemonie innerhalb des Kollegiums. Der intendierte Zusammenhang von Differenz und Dominanz (vgl. auch Meuser 1998a: 117) ist dabei unübersehbar und Mittel einer diskursiv vorgenommenen Positionsbestimmung. Gleichwohl befindet sich der männliche Grundschullehrer in einem von Widersprüchen geprägten Spannungsfeld. Auf der einen Seite verkörpert er seinen Kolleginnen gegenüber hegemoniale Ansprüche, die er in der Regel auch durchsetzen kann. Die Anerkennung und Besonderung, die der männliche Grundschullehrer seitens der Kolleginnen erfährt, ist hier maßgebend für die erfolgreiche Konstruktion einer hegemonialen Maskulinität. Meuser bezeichnet diesen durch Interaktion erzeugten Vorgang als das „kulturell erzeugte Einverständnis der Unterprivilegierten“ (ebd.: 118). Auf der anderen Seite gelingt es dem Grundschullehrer nicht, hegemoniale Maskulinität auch gegenüber dem eigenen Geschlecht durchzusetzen, gilt er doch als Prototyp für eine unterdrückte Männlichkeit. Gegen stereotype Vorstellungen anzugehen, die dieser Unterdrückung vorausgehen, ist daher oberstes Ziel und führt zu einer Handlungspraxis, die, wo immer es geht, Abgrenzung von den weiblichen Kolleginnen als zentrales Bewältigungsmuster entstehen lässt. Gleichzeitig beteiligt
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sich der männliche Grundschullehrer an der Marginalisierung des eigenen Berufsstandes: Er selbst stellt keinen ‚typischen‘ männlichen Grundschullehrer dar. Dieser Prozess geschieht unabhängig von habitueller oder prekärer Sicherheit. Lediglich der verunsicherte Grundschullehrer beschreitet in einem Reflexiven Habitus andere Wege; das Ringen um alternative Perspektiven gleicht dabei allerdings einer Suchbewegung, die seiner Verunsicherung entspricht. Rationalität versus Emotionalität: Zentrale Geschlechterstereotypen als Grundlage für die Ausprägung eines beruÀichen Habitus Zusammenfassend ist festzustellen, dass jüngere Grundschullehrer, die sich in einer prekären habituellen Sicherheit befinden und dem Nicht-reflexiven Typus zuzuordnen sind, eine hohe Berufsunzufriedenheit erkennen lassen, die bis hin zur Verzweiflung reicht. Obgleich ältere Grundschullehrer, die sich generell alle in habitueller Sicherheit wähnen, zum Teil gleichen Subtypen zugeordnet werden können, ist bei diesen von einer derartigen Unzufriedenheit nichts zu spüren. Auf die eine oder andere Art gelingt es ihnen, sich in ihrem Beruf wohl zu fühlen. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass es ihnen gelingt, ihre Männlichkeitskonstruktionen mit entsprechenden Handlungsorientierungen in Einklang zu bringen und diese auch durchzusetzen. Bei den jüngeren Kollegen ist dies so einfach nicht der Fall. Daher setzen sie um ein vielfaches stärker auf die diskursive Abgrenzung von den Kolleginnen durch das Mittel der Abwertung. Dies geschieht zum einen auf der Ebene der personalen Kompetenzen, in manchen Fällen aber auch auf der Ebene der Professionalität. Beide Ebenen verunmöglichen Kooperation, letztere verhindert zusätzlich, dass innovative Arbeitsformen wie Freiarbeit, Projektunterricht etc. praktiziert werden. Diese Handlungspraxis trifft dann allerdings auch auf die älteren Kollegen zu: Auch sie lehnen Kooperation und offene Unterrichtsformen mehrheitlich ab. Bei ihnen ist ein solches Verhalten aber nicht als offensiver Abgrenzungsmechanismus zu verstehen. Für sie steht in ihrer habituellen Sicherheit vorreflexiv fest, dass sie als Mann andere Prioritäten im Unterrichtsgeschehen setzen, die sich an traditionellen Mustern der Wissensvermittlung und des Leistungswettbewerbs orientieren. Die Arbeit der Kolleginnen wird von männlichen Grundschullehrern, die dem Typ Nicht-reflexiver Habitus zuzuordnen sind, unabhängig von deren Generationenangehörigkeit über die emotionale und mütterliche Erziehungsarbeit definiert. Für sich selbst beanspruchen sie eine rationale und pragmatische Bildungsarbeit. Dabei umfasst der Begriff ‚Bildungsarbeit‘ mitunter ebenfalls erzieherische Aspekte, diese allerdings nur zu beschränkten Anteilen. Lediglich der Typ Reflexiver Habitus stellt hegemoniale Ansprüche von Männern generell in Frage und sucht nicht nach Strategien, solche durchzusetzen.
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Sicherlich lässt die dieser Studie vorliegende Anzahl von Interviews keine Aussagen über die quantitative Verbreitung dieses Typus zu. Dennoch muss festgestellt werden, dass in der vorliegender Studie nur ein einziger der interviewten Grundschullehrer diesen Typ repräsentiert, und dies auch nicht bruchlos. Gefangen in den eigenen Männlichkeitskonstruktionen: Verhinderung von Professionalität Aus der Analyse des empirischen Datenmaterials geht hervor, welche Bedeutung den unterschiedlichen Deutungsmustern des Geschlechterverhältnisses im beruflichen Alltag zukommt. Das Geschlechterverhältnis wirkt sich nicht nur elementar auf das eigene Befinden im Beruf aus. Über die mit den Deutungsmustern verbundenen Männlichkeitskonstruktionen nimmt er entscheidend Einfluss auch auf die berufliche Handlungspraxis und deren professionelle Gestaltung. Betrachtet man Erkenntnisse der Professionalisierungsforschung, werden – unabhängig von den konkreten Fällen in vorliegender Studie – einige Problemlagen deutlich. So weisen Bastian und Helsper mit Nachdruck darauf hin, dass Lehrerinnen und Lehrer eines „(berufs)biografisch selbstreflexiven, selbstbezüglichen Wissens (Bastian/Helsper 2000: 182) bedürfen, um das eigene Handeln sowie eigene Deutungsmuster zu verstehen. Diese Forderung beziehen die Wissenschaftler vornehmlich auf die Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern, um diese professionell zu gestalten. Gleichwohl kann in vorliegender Studie gezeigt werden, wie sehr unterrichtsbezogenen Handlungspraktiken von der Interaktion mit den Kolleginnen und der damit verbundenen Gestaltung des Geschlechterverhältnisses beeinflusst werden. Daher muss, so die These, ein reflexives Wissen auch die eigene Person in ihrer vergeschlechtlichten Sichtweise erfassen. Folgt man kriterienbezogenen Ansätzen der Professionalitätsforschung, so sind neben der Reflexion die intraprofessionelle Kooperation mit Kollegen und Kolleginnen sowie ein umfassendes Handlungsrepertoire, das verschiedene Unterrichtsformen einschließt, Bestandteil eines professionellen Selbst (vgl. zusammenfassend Bauer 1996). Altrichter (2000) fügt dem die Teilhabe an Schulentwicklungsprozessen hinzu, die auf die bereits zuvor genannten Punkte rekurriert. Mit Sorge muss man hier vor allem auf diejenigen Handlungsorientierungen blicken, die dazu geneigt sind, Professionalität im oben genannten Sinne zu verhindern. Wie gezeigt werden konnte, behindern und verhindern bestimmte Männlichkeitskonstruktionen Formen der Kooperation, aber auch Maßnahmen der Schulentwicklung werden torpediert und innovative Unterrichtsformen nicht praktiziert. Nicht zu unterschätzen ist bei der Entstehung der Handlungsorientierungen die Rolle, die die gesellschaftlichen Zuschreibungen über und im Beruf des Grund-
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schullehrers bzw. der Grundschullehrerin spielen. Zwar steigt der Beruf in der neuesten Sozialprestigeskala des Allensbacher Instituts weiter auf und befindet sich inzwischen hinter Ärztinnen und Ärzten, Geistlichen und Hochschullehrenden auf Platz 4 (vgl. Allensbacher Institut für Demoskopie 2008). Doch darf diese gesellschaftliche Gratifikation nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grundschullehrer sich zwar nicht für den Beruf selbst, wohl aber für die eigene Tätigkeit in einem gegengeschlechtlichen Beruf rechtfertigen müssen. Obwohl der Status des ausgeübten Berufes steigt, sinkt das Prestige als Mann, sobald der Beruf ergriffen wird. Die gesellschaftliche Tendenz, den Lehrerberuf als eine Tätigkeit zu betrachten, die alltagsweltliche Praxisvollzügen ähnelt, die genauso von Laien ausgeübt werden können (vgl. Bastian/Helsper 2000: 170), trifft insbesondere den Bereich der Grundschule. In der gesellschaftlichen Deutung ist hier ein Aufgabenfeld vorhanden, um das sich normalerweise Frauen – genauer Mütter – kümmern. Dass ein Mann diese Tätigkeit ausübt, noch dazu als Beruf, verletzt gängige Geschlechterbilder und wird sanktioniert. Das gesellschaftliche Geschlechterverhältnis ist noch immer in einem solchen Ausmaß essentialistisch bipolar ausgerichtet, dass die in letzter Zeit häufig vorgetragenen Forderungen nach einer höheren Anzahl von Männern im Erziehungsbereich als abstrakte Formel zwar durchaus unterstützt werden, Männern, die in diesem Sektor in personalisierter Form dann tatsächlich arbeiten, dennoch mit massiven Vorbehalten begegnet wird. Die Sanktionierung erfolgt dabei vor allem durch Männer, wie aus dem Interview mit David deutlich wird. Die Distinktion dient letztlich dazu, sich der eigenen Männlichkeit zu vergewissern und Hegemonieansprüche gegenüber dem Grundschullehrer geltend zu machen. Die positive Besonderung, die Männer innerhalb des Feldes Grundschule erfahren, kann dabei als ebenso kontraproduktiv gelten, wie in der Auswertung des empirischen Materials deutlich wird. Sie stellt eine Dramatisierung des Geschlechts und der Geschlechtlichkeit dar, mit der Erwartungen verbunden werden, die männliche Grundschullehrer in der Folge durch eine besonders ‚männliche‘ Art der Berufsausübung zu erfüllen suchen. Das gelingt aber nur dann, wenn sie ihrerseits die Differenz zu den weiblichen Kolleginnen weiter dramatisieren und sich in einem komplementären Kontrast inszenieren. Der Akt der Dramatisierung wird von jüngeren Grundschullehrern zum Teil sehr bewusst vollzogen, während er bei älteren Grundschullehrern bereits Teil eines inkorporierten geschlechtlichen Habitus ist. Das Erreichen eines professionellen Selbst ist vor dem Hintergrund einer solchen Orientierungsfolie und der damit einhergehenden gelebten Praxis unmöglich: Die männlichen Grundschullehrer scheitern an der notwendigen Reflexivität, die – auch vor dem Hintergrund der eigenen Männlichkeitskonstruktionen – die
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Rekonstruktion der eigenen Erfahrungen, des Selbstverständnisses und des zur Verfügung stehenden Handlungsraums zum Inhalt hat (vgl. Reh/Schelle 2000: 107f.). Ein weiteres Scheitern findet statt in Bezug auf die für ein professionelles Arbeiten unabdingbaren Kollegialität im Sinne eines Voneinander-Lernens, aber auch im Sinne einer, wie Altrichter (2000: 147f.) betont, Grundvoraussetzung für eine Steigerung der Qualität von Schule durch Organisations- und Unterrichtsentwicklung. Auch Bastian/Helsper verweisen darauf, dass der Weg zu Professionalität über Schulentwicklung führt, die wiederum eng verknüpft ist mit der „kollegialen Atmosphäre, der Partizipations- und Anerkennungsverhältnisse“ (Bastian/Helsper 2000: 178). Selbst dann, wenn das kollegiale Verhältnis als ausgesprochen gut erlebt wird, wie es bei den älteren Grundschullehrern der Subtypen Sexierung und Führungsanspruch der Fall ist, zeigt sich, dass die gleichzeitig vorgenommene Konstruktion hegemonialer Maskulinität wertschätzende Kooperation verhindert. Die vorreflexiven Abgrenzungstendenzen wiegen umso mehr, sind es doch gerade die Grundschullehrerinnen, die als besonders innovativ gelten (vgl. Kaiser 1996). Synergieeffekte können nicht genutzt werden, wenn Kooperation verweigert wird. Werden zur Betonung der Differenz kontrastreiche Arbeitsweisen und Unterrichtsmethoden verfolgt, mündet dies nicht selten in traditionale Unterrichtsformen, die die Möglichkeit eines auf Chancengleichheit zielenden Umgangs mit Heterogenität durch offene Unterrichtsformen verwirkt (vgl. Hempel 2002). Horstkemper macht nicht nur die Professionalität der männlichen Lehrer von einer Änderung deren habitualisierten Orientierungsmuster abhängig, sondern die Professionalisierung des Lehrerberufs insgesamt: „Einen spürbaren Innovationsschub erhält die Professionalisierung des Lehrberufs erst durch die systematische Reflexion und Dekonstruktion der hierarchischen Geschlechterdifferenz.“ (Horstkemper 2000a: 87f., Herv. i. Orig.)
Der in der Einleitung der vorliegenden Studie nachgezeichnete medial inszenierte Diskurs um die angeblich fatalen Auswirkungen fehlender Männer im Bildungsund Erziehungsbereich ist hier besonders kontraproduktiv, bietet er den Grundschullehrern doch eine Steilvorlage, Hegemonieansprüche geltend zu machen, ohne die dahinter stehenden Konstruktionen reflexiv zu überprüfen. Solange Geschlechterdifferenz aber als anthropologische Konstante und nicht als in sozialer Interaktion hergestellt verstanden wird, entzieht sie sich einer Veränderung. Eine solche aber ist, wie die vorliegende Studie zeigt, nicht zuletzt für die Entwicklung eines professionellen Selbst notwendig.
2. Perspektiven
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2. Perspektiven: Entdramatisierung durch Dramatisierung von Geschlecht Als Perspektive bleibt aufzuzeigen, jene Reflexionsfähigkeit, die als Schlüssel zur Professionalität gilt, um die Dimension des Geschlechterverhältnisses zu ergänzen. Studien zum reflektierten Praxisverständnis belegen, dass der Art der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern dabei eine hohe Bedeutung zukommt. Entsprechend gestaltet bietet sie die Basis dafür, die eigene Praxis kritisch wahrzunehmen und bewusst zu reflektieren (vgl. Bauer 1996: 18). Es ist daher notwendig, schon Lehramtsstudierenden Genderkompetenz zu vermitteln. Genderkompetenz lässt sich dabei als die Fähigkeit definieren, in Verhalten und Einstellungen von Frauen und Männern sowie von Mädchen und Jungen soziale Konstruktionen zu erkennen. Dieses Wissen ist so zu nutzen, dass beiden Geschlechtern – jenseits von stereotypisierenden Zuschreibungen –individuelle und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet werden. Der didaktische Dreischritt Sensibilisierung – Wissen – Können in Verbindung mit einer alle Schritte begleitenden Reflexion erscheint besonders geeignet, um ein theoriebasiertes Wissen auch in ein schulbezogenes Handlungsrepertoire zu transferieren. Vor allem die Ansätze der pädagogischen Praxisforschung sowie des Lehrend-Lehren-Lernens an den Hochschulen sind weiterzuverfolgen. Da die jährliche Rotationsquote an den Schulen aber nur zwei bis drei Prozent ausmacht (vgl. Altrichter 2000: 159), sind Fort- und Weiterbildungen mit einem entsprechenden thematischen Fokus auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse von mindestens genauso großer Bedeutung für die Weiterentwicklung einer professionellen Berufsorientierung in den Kollegien. Perspektiven ergeben sich hier aus die Praxis begleitender fallorientierter Arbeit und Supervision (vgl. Buchen 1997), die als handlungs- und praxisentlastete Rahmungen Raum schaffen zur Entwicklung von Reflexionskompetenz. Hierzu müssen auf struktureller Ebene Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Einsatz solcher Instrumente und deren Institutionalisierung ermöglichen. Zusätzlich können besser ausgestattete Arbeitsplätze und die Einräumung eines Zeitbudgets für die Kooperation innerhalb der Kollegien, aber auch die organisatorische Übertragung von Verantwortungsbereichen an Lehrer-/Lehrerinnenteams zur Vernetzung beitragen. Sowohl in der Aus- als auch in der Weiterbildung sind Lehrerinnen und Lehrer, unabhängig von deren Geschlechtszugehörigkeit, gefordert. Auch wenn die vorliegende Studie den Fokus auf die Männlichkeitskonstruktionen männlicher Grundschullehrer als Einflussfaktor auf die Ausprägung eines spezifischen beruflichen Habitus legt, so sind, wie gezeigt werden konnte, beide Geschlechter an den Konstruktionsmechanismen beteiligt und tragen dazu bei, dass die Hand-
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lungspraxis eine professionellen Art der Berufsausübung behindert, wenn nicht sogar verhindert. Angesichts der massiven Beharrungskräfte und der gesellschaftlich verankerten Omnirelevanz der bipolaren Sichtweise auf Geschlechterverhältnisse (vgl. Kap. A 1) ist es zugegebenermaßen eine optimistische Perspektive, dass Grundschullehrer ihre Männlichkeitskonstruktionen durch Aus- und Fortbildungen in Frage stellen oder sogar ändern. Da Identität auch immer ein geschlechtliches Sein beinhaltet (vgl. Maihofer 1994) und somit nicht nur Geschlechterkonstruktionen, sondern ganze Identitätskonzepte zur Disposition gestellt werden, ist mit erheblichen Widerständen zu rechnen. Die mögliche, ja voraussehbare Verunsicherung ist allerdings als produktive Ressource zu begreifen, die für das Erlangen eines reflexiven Habitus genutzt werden kann – wie auch der Fall David zeigt. Auch auf Grund des gesellschaftlichen Prestiges des Berufes als Frauenberuf müssen Lehrern Wege aufgezeigt werden, wie sie mit den Zuschreibungen konstruktiv umgehen können, um zu einer professionellen Handlungsorientierung zu gelangen. Gerade die Handlungspraxis des in vorliegender Studie identifizierten Typs Reflexiver Habitus zeigt, wie gewinnbringend ein solcher beruflicher Habitus für das Feld Schule ist. Der Herausforderung, diesen zu entwickeln und zu unterstützen, muss sich die Lehrerausbildung und -weiterbildung stellen. Dabei ist zunächst auf theoretischer Ebene eine Dramatisierung der Kategorie Geschlecht notwendig, um eine anschließende Entdramatisierung derselben für die pädagogische Praxis zu ermöglichen (vgl. Budde 2005). Genau diese Entdramatisierung der Geschlechterdifferenz in Verbindung mit einer weitestgehend individualisierten, von geschlechterstereotypisierenden Vorstellungen losgelöste kollegiale, aber auch schüler- und schülerinnenbezogene Interaktion, ist der Schlüssel zu einer geschlechtergerechten pädagogischen Praxis. Darüber hinaus bildet sie die Grundlage für die Entwicklung von Männlichkeitskonzepten, die der Berufszufriedenheit und professionellen Berufsausübung auch in einem gegengeschlechtlichen Berufsfeld nicht im Wege stehen.
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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Tab. 1
Anteil weiblicher Lehrkräfte an allgemein bildenden Schulen in Preußen, im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik Deutschland 1822-2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Tab. 2
Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Berufswahlmotivation‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
Tab. 3
Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Studium‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Tab. 4
Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Referendariat/Start ins Berufsleben‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
Tab. 5
Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Karriere und Perspektiven‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
Tab. 6
Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Professionsverständnis‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Tab. 7
Strukturelle Daten zu den einzelnen Schulen der Interviewpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Tab. 8
Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Tab. 9
Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Verhältnis zur Schulleitung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Tab. 10 Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Berufsprestige‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Tab. 11 Synopse der Kontrastierung unter dem Gesichtspunkt ‚Vergeschlechtlichte Deutungsmuster im Arbeitskontext: Allein unter Frauen?‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Verunsicherung/Prekäre Sicherheit/Habituelle Sicherheit als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines berufsbezogenen Habitus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Abb. 2 Reflexiver Habitus/Nicht-reflexiver Habitus als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Handlungsorientierungen. . . . . . . . 369
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Literatur
Literatur Achatz, Juliane (2005): Geschlechtersegregation im Arbeitsmarkt, in: Abraham, Martin/Hinz, Thomas (Hg.), Arbeitsmarktsoziologie. Probleme, Theorien, empirische Befunde, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 263-301. Allensbacher Institut für Demoskopie (2003): Allensbacher Berichte Nr. 7: Ärzte weiterhin vorn, URL: http://www.ifd-allensbach.de/pdf/prd_0307.pdf, (20.5.2009). Allensbacher Institut für Demoskopie (2008): Allensbacher Berichte Nr. 2: Ärzte weiterhin vorn, URL: http://www.ifd-allensbach.de/pdf/prd_0802.pdf, (20.5.2009). Altrichter, Herbert (2000): Schulentwicklung und Professionalität. Bildungspolitische Entwicklungen und neue Anforderungen an Lehrer/innen, in: Bastian, Johannes u.a. (Hg.), Professionalisierung im Lehrberuf. Von der Kritik der Lehrerrolle zur pädagogischen Professionalität, Opladen: Leske + Budrich, S. 145-163. Autorengruppe Bildungsberichterstattung im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (2008): Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I, Bielefeld: Bertelsmann. Babbie, Earl R. (2001): The Practice of Social Research, Oxford: Oxford University Press. Barlösius, Eva (2006): Pierre Bourdieu, Frankfurt a. M.: Campus. Bastian, Johannes/Helsper, Werner (2000): Professionalisierung im Lehrberuf – Bilanzierung und Perspektiven, in: Bastian, Johannes u.a. (Hg.), Professionalisierung im Lehrberuf. Von der Kritik der Lehrerrolle zur pädagogischen Professionalität, Opladen: Leske + Budrich, S. 167-192. Bauer, Karl-Oswald (2000): Konzepte pädagogischer Professionalität und ihre Bedeutung für die Lehrerarbeit, in: Bastian, Johannes u. a. (Hg.), Professionalität im Lehrerberuf. Von der Kritik der Lehrerrolle zur pädagogischen Professionalität, Opladen: Leske + Budrich, S. 55-72. Bauer, Karl-Oswald. (1996): Pädagogische Professionalität und Lehrerarbeit. Eine qualitativ empirische Studie über professionelles Handeln und Bewusstsein, Weinheim/München: Juventa. Bauer, Karl-Oswald/Burkhard, Christoph (1992): Der Lehrer – ein pädagogischer Profi?, in: Rolff, Hans-Günther u. a. (Hg.), Jahrbuch der Schulentwicklung Band 7, Weinheim/München: Juventa, S. 193-226. BauSteineMänner (1996) (Hg.): Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie, Hamburg: Argument-Verlag. Becker-Schmidt, Regina/Knapp, Gudrun-Axeli (1995): Einleitung, in: Dies. (Hg.), Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften, Frankfurt a. M.: Campus, S. 7-18. Beck-Gernsheim, Elisabeth (1976): Der geschlechtsspezifische Arbeitsmarkt. Zur Ideologie und Realität von Frauenberufen, Frankfurt a. M.: Campus. Beck-Gernsheim, Elisabeth/Ostner, Ilona (1978): Frauen verändern – Berufe nicht? Ein theoretischer Ansatz zur Problematik von ‚Frau und Beruf‘, in: Soziale Welt Nr. 29, S. 257-287. Behnke, Claudia (1997): „Frauen sind wie andere Planeten“. Das Geschlechterverhältnis aus männlicher Sicht, Frankfurt/New York: Campus. Behnke, Claudia/Meuser, Michael (1999): Geschlechterforschung und qualitative Methoden, Opladen: Leske + Budrich. Bentheim, Alexander (2004): Gender Mainstreaming und Jungenarbeit. Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendhilfe, Weinheim/München: Juventus. Bilden, Helga (1991): Geschlechtsspezifische Sozialisation, in: Hurrelmann, Klaus/Ulich, Dieter (Hg.), Neues Handbuch der Sozialisationsforschung, Weinheim/Basel: Beltz, S. 279-301. Böhnisch, Lothar/Winter, Reinhardt (1993): Männliche Sozialisation. Eine Einführung, Weinheim/ München: Juventa. Böhnisch, Lothar/Funk, Heide (2002): Soziale Arbeit und Geschlecht. Theoretische und praktische Orientierungen, Weinheim/München: Juventa.
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Anhang 1. Transkriptionsrichtlinien In Anlehnung an Bohnsack (2003: 233ff) und Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl (2007: 363f.) werden folgende Transkriptionszeichen verwendet: (.) (2) Mann Frau o glaub icho vielleizum=äh nei:::n (klasse) (
)
((Husten)) @Text@ @(.)@ @(3)@ . ; ? , Y:
Beginn einer Überlappung bzw. direkter Anschluss beim Sprecherwechsel Ende einer Überlappung Pause bis zu einer Sekunde Pause; Dauer in Sekunden (hier 2 Sek.) betont laut leise Abbruch eines Wortes Wortverschleifung Dehnung, die Häufigkeit von ‚:‘ entspricht der Länge der Dehnung Unsicherheit bei der Transkription (auf Grund schwer verständlicher Äußerung) unverständliche Äußerung; die Länge von ( ) entspricht der ungefähren Dauer der unverständlichen Äußerung Kommentare bzw. Anmerkungen zu parasprachlichen, nonverbalen oder gesprächsexternen Ereignissen Text wird lachend gesprochen kurzes Auflachen drei Sekunden Lachen stark sinkende Intonation schwach sinkende Intonation stark steigende Intonation schwach steigende Intonation Äußerung des Interviewers
Satzzeichen werden als Intonationszeichen verwendet; daher werden sich anschließende Äußerungen klein geschrieben. Alle Personen- und Ortsnamen werden durch erdachte Namen ersetzt, um eine Anonymisierung zu gewährleisten. Bei den erfunden Namen wird darauf geachtet,
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Anhang
dass homologe Muster verwendet werden. So werden Ortschaften entsprechend ihrer Größe benannt: Dörfer werden mit X-dorf, X-bach o. ä. bezeichnet, Städte mit X-stadt. Die Interviews werden von Dialekteinfärbungen weitestgehend bereinigt, sofern diese nicht als Indizien für die Interpretation dienen. Die den Interviewzitaten nachgestellten Zeilenangaben beziehen sich auf die Transkription des Interviews.
2. Interviewleitfaden Gegenstandsde¿nition Transparenz des Forschungsanliegens, der Methode und De¿nition der situativen Rahmen-bedingungen Ich beschäftige mich im Rahmen meines Dissertationsvorhabens mit der Frage, wie es Grundschullehrern in ihrem Beruf geht. Mich interessiert vor allem die Sicht auf den von Ihnen ausgeübten Beruf, auch unter lebensgeschichtlicher Perspektive. Es geht mir dabei nicht um einen lückenlosen Bericht. Wenn mir etwas unklar ist, werde ich nachfragen, ansonsten möchte ich mich einfach auf das Zuhören beschränken. Am Schluss werde ich dann noch einige konkrete Fragen an Sie richten. Damit ich das Interview später auswerten kann, werde ich es mit dem MinidiscRecorder aufzeichnen. Selbstverständlich werden Ihre Ausführungen anonymisiert, damit keine Rückschlüsse auf Ihre Identität erfolgen können.
Stimulierung Sie sind schon seit einigen Jahren Lehrer. Mich interessiert nun der Anfangspunkt Ihrer Beschäftigung, aber auch ihre gegenwärtige persönliche Situation an der Schule. Wie kam es denn dazu, dass Sie Grundschullehrer geworden sind?
Leitfaden (in offener Reihenfolge) Erzählen Sie doch bitte mal von einem Schultag. Wie läuft dieser ab? Spielen offene Unterrichtsformen an ihrer Schule eine Rolle? Wie sieht das in ihrem Unterricht aus? Wie gestalten sich die Maßnahmen der inneren Schulentwicklung an Ihrer Schule?
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Wo sehen Sie dabei Ihre Rolle beim Prozess der inneren Schulentwicklung? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen? Wenn Sie sich Ihre gegenwärtige Situation in der Schule anschauen: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer damaligen Berufsentscheidung? Hier sehen Sie die Berufsprestigeskala des Allenbach-Instituts. Wollen Sie sich diese bitte einmal anschauen und sich dazu äußern? Sie arbeiten in einem sogenannten feminisierten Berufsfeld, das heißt, dass der überwiegende Teil aller Grundschullehrer inzwischen weiblich ist. Dies wird von manchen als Problem gesehen. Die Bildzeitung betitelte einen Artikel mit der Überschrift „Lehrerinnen machen Schüler dumm.“ Können Sie sich hierzu äußern? Die ehemalige Kultusministerin von Baden-Württemberg Frau Schavan forderte vor einiger Zeit eine dreißigprozentige Männerquote an Grundschulen. Was halten Sie von so einer Quote? Woran liegen Ihrer Meinung nach die Gründe dafür, dass so wenige Männer den Beruf des Grundschullehrers ergreifen? Denken Sie, Ihre Arbeit würde sich verändern, wenn Sie (mehr) männliche Kollegen an Ihrer Schule hätten? Gibt es so etwas wie eine ‚geschlechtsspezifische Arbeitsteilung‘ an Ihrer Schule? Der Titel meiner Arbeit soll lauten: ‚Allein unter Frauen‘. In wieweit entspricht dies Ihrer Situation? Möchten Sie sonst noch etwas berichten?