Viktor Heese Aktienbewertung mit Kennzahlen
Viktor Heese
Aktienbewertung mit Kennzahlen Kurschancen und -risiken fun...
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Viktor Heese Aktienbewertung mit Kennzahlen
Viktor Heese
Aktienbewertung mit Kennzahlen Kurschancen und -risiken fundiert beurteilen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Guido Notthoff Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1675-4
Vorwort
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Vorwort
Das vorliegende Buch liefert eine kritische Darstellung der bekanntesten Kennzahlen in der Aktienanalyse. Es wird hier nicht auf eine Detailbeschreibung der Kennzahlen abgestellt, sondern der Schwerpunkt auf ihre ökonomische Aussagekraft gelegt. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Frage: Wann zeigen einzelne Kennzahlen eine faire (angemessene) Bewertung und wann eine Über- oder Unterbewertung der Einzelaktien und des gesamten Aktienmarktes an? Der Anleger darf Kennzahlen nicht unkritisch vertrauen. Sie sind, wie andere Analyseinstrumente auch, häufig nur „Werkzeuge“ im Methodenkampf um die Darstellung ökonomischer Sachverhalte. Hinter vielen angeblich komplexen Modellen verbergen sich daher nicht selten nackte Wirtschaftsinteressen. Wer ihre Hintergründe und Kulissen hinterfragt, erkennt, dass sie nicht unbedingt als objektives, zeitloses und „apolitisches“ Instrument bezeichnet werden können. Im Gegenteil, gerade wegen dieses verbreiteten Glaubens werden Kennzahlen von verschiedenen Interessensgruppen für ihre Ziele missbraucht. Plastisch formuliert: Kennzahlen haben dann eine „Alibi“-Funktion. So lässt sich mit ihrer Hilfe so mancher Missstand am Kapitalmarkt generell und am Aktienmarkt insbesondere als Normalzustand darstellen. Die Finanzbranche will ihre nicht immer attraktiven Anlageprodukte verkaufen und die Emittenten möchten ihre Aktien und Anleihen platzieren. Beide Parteien müssen jetzt die Kapitalgeber für den Kauf gewinnen, was sie unter anderem mithilfe „günstiger“ Bewertungskennzahlen versuchen. Stäbe hochkarätiger und teurer Spezialisten (Analysten, Wirtschaftsprüfer, Consulter, Ratingagenturen) unterstützen sie dabei. Als Ergebnis dieser fraglichen Praktiken kommen für den Berater und für den Anleger dann leider auch utopische Anlageurteile zustande. Aufgedeckte Bilanz- und Analystenskandale nach dem Platzen der Finanzblase bestätigen diese These. Kennzahlen haben aber ebenso ihre positive Seite und der Analyst oder Anleger wird auf der Suche nach „billigen“ Aktien nicht ohne sie auskommen. Er muss sich dabei nicht zwangsläufig den vorgenannten Missbrauchsgefahren aussetzen. Wenn er über die Tücken Bescheid weiß, kann er sich darauf einstellen. Er wird im Vorfeld seiner Anlageentscheidung die Vorund Nachteile sowie die möglichen Fehlinterpretationen der Kennzahlen kritisch studieren. Denn häufig resultieren Fehlurteile aus unrealistischen Annahmen und Erwartungen bei ihrer Anwendung. Bei einer richtigen Handhabung liefern dagegen Kennzahlen für die Aktienkursprognose langfristig brauchbare Ergebnisse.
6
Vorwort
Das vorliegende Buch, das sich auf zahlreiche praktische Beispiele aus dem Börsen- und Wirtschaftsalltag stützt, soll den Berater und den Privatanleger beim Kennzahlenstudium unterstützen. Verwendet werden dabei einfache Muster-Bilanzen, Schaubilder und Grafiken. Dem Autor ist bewusst, dass die Kennzahlenanalyse ein uraltes Börsenthema darstellt und nicht gerade zur Lieblingsbeschäftigung eines Börseneinsteigers zählt. Diese Aversion resultiert aber aus dem zu Unrecht verbreiteten Vorurteil, Kennzahlen wären schwer zu verstehen. Jeder Einsteiger bevorzugt daher auf seinem Weg zum Börsenglück die wesentlich „leichtere Kost“. Dazu zählt ein wenig Makroökonomie, viel Charttechnik und breites Wissen über ausgeklügelte Anlagestile und Strategien. Hier ist Vorsicht geboten. Bevor der Einsteiger von Top-Renditen zu träumen beginnt, sollte er seine „Hausarbeiten“ machen und sich mit Kennzahlen befassen. Das Studium von Bilanzen und Formeln ist langweiliger als das aufregende Errechnen von Kurschancen mithilfe von Charts. Vielen Anlegern sind elementare Fachbegriffe wie Kurs-Gewinn-Verhältnis, Cashflow oder Dividendenrendite unbekannt. Dabei sind diese Fachbegriffe das A und O für das Verstehen von Wertpapierexpertisen und einfachen Börsennachrichten. Wer sie beherrscht, wird sich ein von der Fremdberatung unabhängiges Bild vom Investitionsrisiko bei Aktien machen können. Bereits die Kenntnis einfacher Kennzahlen erlaubt ein Urteil darüber, wann eine Aktie günstig bewertet und damit als Langfristanlage anlagewürdig ist. Die Aversion der Deutschen gegenüber Aktien ist nicht zuletzt auf mangelndes Grundlagenwissen auf diesem Gebiet zurückzuführen. Auf noch einen Punkt ist hinzuweisen: Nicht nur der Börsenneuling wird durch die heute allgegenwärtigen Fach-Anglizismen abgeschreckt, welche im Detail nur Börsenprofis (Analysten, Fondsmanager, Broker) interessieren dürften. Hier kann Entwarnung gegeben werden. Denn dahinter stehen in der Regel banale Sachverhalte. Viele von diesen klangvollen Bezeichnungen sind bereits in der deutschen Betriebswirtschaftslehre vor hundert Jahren (etwa von Gutenberg und Schmalenberg) im Kern formuliert und seitdem nur unwesentlich modifiziert worden. Kennzahlen sind wie Verkehrszeichen im Straßenverkehr. Sie haben damit einen weitgehend universellen Charakter. Sie informieren und warnen. Ob sie im konkreten Fall einen Unfall verhindern können, bleibt offen.
Köln, Januar 2011
Dr. Viktor Heese
Inhaltsverzeichnis
7
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .......................................................................................................................................5 1. „Aktie schlägt Rente“ oder: Warum lohnt sich die Beschäftigung mit Kennzahlen? ..........9 2. Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab.............................................................15 3.
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse ....................................................29 3.1 Klassische Bewertungskennzahlen: Sind risikoorientierte Kennzahlen im Kommen? .........................................................33 3.2 Moderne Bewertungskennziffern: auf der Suche nach dem „fairen“ Unternehmenswert ................................................105
4. Bessere Börsenchancen mit weniger Kennzahlen?..........................................................149 4.1 Kennziffernanalyse als Weg zum Anlageerfolg? .......................................................149 4.2 Wie werden die richtigen Kennzahlen gefunden?......................................................150 4.3 Warum können sich Kennziffern widersprechen?......................................................153 5. Anlageexperiment: Depot-Aufbau mit Hilfe von nur drei Kennzahlen...........................159 6. Bank- und Versicherungsaktien........................................................................................163 6.1 Etwas Historie ............................................................................................................163 6.2 Besondere Bewertungskennzahlen bei Bank- und Versicherungsaktien....................178 7. Fazit ..................................................................................................................................187 Literaturhinweise....................................................................................................................191 Der Autor................................................................................................................................195 Stichwortverzeichnis ..............................................................................................................197
Zur Aktienaversion der Deutschen
1.
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„Aktie schlägt Rente“ oder: Warum lohnt sich die Beschäftigung mit Kennzahlen?
Zur Aktienaversion der Deutschen Das Aktieninvestment stellt bekanntlich nur eine der Anlageformen innerhalb des Geldvermögens dar. Warum in einem Land zu einem konkreten Zeitpunkt in eine konkrete Anlageform investiert wird, hängt von vielen Faktoren ab. Der Hinweis auf die jedem Volk spezifische „Anlagementalität“ mag hier genügen. Die Allianz Global Investors (www.allianzglobalinvestors.de) ist dieser Frage nachgegangen und hat in einer lesenswerten Untersuchung Erkenntnisse über die wiederkehrenden „Anlagesünden“ der Deutschen gemacht. Eine davon ist der defensive, risikoscheue Anlagestil, der hierzulande in einer regelrechten Aktienaversion zum Ausdruck kommt. In internationalen Vergleichen werden nicht die absoluten Größen, sondern sogenannte Aktienquoten verwendet, zu denen es ebenso zahlreiche Untersuchungen und unregelmäßige statistische Erhebungen gibt, obwohl diese zentrale Kennzahl gar nicht einheitlich definiert ist. Das beschriebene Phänomen wird durch Tabelle 1 bzw. die nachfolgenden Abbildungen bestätigt. In Tabelle 1 wird je nach Jahr eine Aktienquote zwischen 6,9 und 12,7 Prozent genannt. Diese Statistik besitzt zwei erhebliche Schwachpunkte. Zum einen zeigt sie nicht an, ob die Veränderungen aus Kursänderungen oder Umschichtungen innerhalb der Vermögensarten resultieren. In guten Börsenjahren steigt der Aktienanteil, ohne dass die Privathaushalte eine einzige Aktie dazugekauft hätten. Zum anderen ist aus ihr kein Hinweis zu entnehmen, wie das Aktienvermögen verteilt ist. Dieses Manko wird zum Teil in der vom Deutschen Aktieninstitut DAI (www.dai.de) verwendeten Abgrenzung der Aktienquote behoben, die es als die Anzahl der Aktiendepots an der Gesamtzahl der Einwohner definiert. Auch hier wurde niemals eine Aktienquote ermittelt, die signifikant über zehn Prozent lag. Schließlich sind die unregelmäßigen Erhebungen der Deutschen Bundesbank zu nennen, die herauszufinden versuchen, welchen Wirtschaftssubjekten (Privatanleger, Unternehmen, Staat, Auslandsinvestoren, Finanzintermediäre) die deutschen Aktiengesellschaften gehören. Die Privatanleger sind hier nicht die dominierende Gruppe. Demgegenüber ist im Ausland die Aktie als Anlageform zweifelsfrei populärer. Ohne im Detail darauf einzugehen, sind in allen drei Abgrenzungen die internationalen Spitzenwerte bei der Aktienquote drei bis vier Mal höher als in Deutschland.
V. Heese, Aktienbewertung mit Kennzahlen, DOI 10.1007/ 978-3-8349-1675-4_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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„Aktie schlägt Rente“ oder: Warum lohnt sich die Beschäftigung mit Kennzahlen?
Tabelle 1:
Das Geldvermögen der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland 1995 bis 2007
Geldvermögen insgesamt darunter : bei Banken bei Investmentsfonds bei Versicherungen in Wertpapieren davon: Aktien Persionsrückestellungen
Anteile
in
Prozent
1995
2000
2004
2005
2006
2007
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
44,0 7,4 22,3 20,0 7,4 6,3
35,2 11,7 24,7 23,0 12,7 5,5
36,6 11,6 26,3 19,6 6,9 5,9
35,6 12,2 26,1 20,4 7,6 5,7
34,9 11,7 26,0 21,7 8,3 5,7
35,7 11,9 26,3 20,4 8,6 5,7
Quelle: GDV
Sind die Deutschen vielleicht zu Recht so aktienscheu, weil die Risikoaversion begründet ist? Schließlich handelt derjenige nur logisch und ökonomisch, der keine unbegründeten Risiken eingeht. Gibt die katastrophale Kursentwicklung der Jahre 2008 und 2009 den Aktienpessimisten nicht eindeutig Recht? Ist diese Vorsicht demnach übertrieben oder angebracht? Im Langfristvergleich ist die letzte Frage zu verneinen. In der zitierten Allianz-Untersuchung wurde gezeigt, wie deutsche Privatanleger durch ihren defensiven Anlagestil „Rendite verschenken“. Sparen ist zwar schon an sich sinnvoll, aber vernünftiges Sparen noch mehr. An langfristigen Renditevergleichen – nur solche sind sinnvoll – kann gezeigt werden, dass die Aktie die hierzulande dominierende Rentenanlage „schlägt“. Beginnen wir mit der Aktienrendite. Im unteren Renditedreieck ermittelte das DAI für den Zeitraum der letzten 60 Jahre, trotz aller zwischenzeitlicher Marktzusammenbrüche, eine DAX-Rendite von 11,3 Prozent (DAX = Abkürzung von Deutscher Aktienindex, der die 30 größten börsennotierten Aktiengesellschaften abbildet). Überhaupt lässt sich dem Dreieck entnehmen, dass die Jahre mit einer negativen Aktienrendite selten sind.
Zur Aktienaversion der Deutschen
-7,5
-19,8 -13,9
-43,9 -33,0 -25,4
2000
2001
2002
37,1 -12,3 -14,9 -13,1
7,3 21,3 -6,2 -9,8 -9,4 Verkauf
2003
2004
11
27,1 16,8 23,2 1,2 -3,4 -4,1
22,0 24,5 18,5 22,9 5,0 0,4 -0,8
22,3 22,1 23,8 19,4 22,8 7,7 3,3 1,9
-40,4 -14,6 -3,8 3,1 3,9 8,8 -1,0 -3,6 -4,0
2005
2006
2007
2008
Ankauf
2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999
Quelle: DAI
Abbildung 1:
DAX-Renditen 1999 bis 2008
Der junge Bundesbürger, der für seine Altersvorsorge etwas tun will, muss aber nicht auf solchen einen unrealistisch langen Anlagezeitraum zurückgreifen, um am Aktienmarkt erfolgreich zu sein. In einer Periode von 22 Jahren (1987 bis 2008), selbst nach Einrechnung der Crash-Jahre, betrug die Rendite immer noch beachtliche 7,5 Prozent. Bei dieser Dynamik verdoppelt sich das eingesetzte Kapital etwa in zehn Jahren. Wie entwickelten sich die alternativen Anleihen in diesen Zeiträumen? Warfen sie vielleicht eine vergleichbare Rendite bei weniger Risiko ab? Die Antwort lässt sich anschaulich mithilfe indexierter Kursverläufe des DAX mit dem REX (REX = Rentenindex für langfristige deutsche Staatsanleihen) beantworten. Im kürzeren Vergleichszeitraum 1.1.1987 bis 30.1.2009 „schlug“ bis auf das Krisenjahr 2002 der DAX den REX immer deutlich. Ein Aktienanleger, der am 1.1.1987 in die DAX-Aktien 100 Euro angelegt hatte, besaß am 30.1.2009 etwa 440 Euro. Daraus errechnet sich approximativ eine Rendite von 7,4 Prozent jährlich. Der Anleiheinvestor kommt dagegen nur auf 350 Euro oder auf 6,3 Prozent jährlich. Das ist immerhin ein spürbarer Renditeunterschied von 1,1 Prozent über einen Zeitraum von 22 Jahren. Bis zum Frühjahr 2010 hat sich der Vorsprung in der Aktienanlage noch verstärkt.
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„Aktie schlägt Rente“ oder: Warum lohnt sich die Beschäftigung mit Kennzahlen?
DAX vs. REX 1987 - 2009
DAX
billige Aktien
Abbildung 2:
REX
teure Aktien
DAX- versus REX-Verlauf 1987 bis 2009
Aus Abbildung 2 lassen sich weitere Erkenntnisse gewinnen (Stand 30.1.2009): In den Rekordjahren am Aktienmarkt 2000 und 2007 waren die Renditeunterschiede viel stärker. Sie betrugen schätzungsweise zwölf Prozent und fünf Prozent. Wer umgekehrt auf den Rekordniveaus (2000 und 2007) am Aktienmarkt eingestiegen ist, konnte die REX-Rendite nicht schlagen. Der Einsteiger von 2000 musste schon sieben Jahre warten, bis er seine Kaufkurse erzielt hatte. Wer an die Zyklizität am Aktienmarkt glaubt und diese in Zukunft erwartet, kann aus den Kursverläufen entnehmen, dass wir uns zu Beginn eines neuen Marktzyklus befinden. Demnach wäre für den langfristig orientierten Anleger jetzt der günstige Einstiegszeitpunkt. Die Länge des Zyklus von sieben Jahren besagt zudem, dass dem Anleger der „Aktienmarkt nicht wegläuft“ und er noch etwas warten kann. Der Leser kann den kostenlosen Service der Direktbanken und Börsendienste (www.maxblue.de, www.comdirect.de, www.onvista.de, www.deutscheboerse.de) nutzen und selbst Grafiken für andere Länder und andere Zeiträume erstellen. Er wird dabei in der Regel feststellen, dass die alte These „Aktie schlägt Rente“, bis auf wenige Ausnahmen, Gültigkeit besitzt.
Fazit:
13
Fazit: Die Aktienanlage stellt für den Anleger nur eine von vielen Anlagemöglichkeiten dar. Sie ist und war in Deutschland schon immer stark unterrepräsentiert. Dabei belegen die meisten Statistiken, dass die langfristige Anlage in Aktien lukrativer als ein Investment in Anleihen ist. Ein Studium der Kennzahlen, welches einem Aktienengagement vorausgeht, könnte vor diesem Hintergrund sehr lohnend sein.
Faktoren der Aktienkursbildung
2.
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Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab
Faktoren der Aktienkursbildung Nachdem im vorherigen Kapitel auf die Attraktivität der Aktienanlage hingewiesen wurde, sollte jetzt gefragt werden, wovon die Bildung der Aktienkurse abhängt und welche Rolle die Bewertungskennzahlen dabei spielen. Aktienkurse werden von einer Reihe Faktoren bestimmt, die sich in bestimmte Kategorien (Erklärungsansätze) unterteilen lassen. Eine grobe Klassifizierung unterscheidet zwischen den makroökonomischen (volkswirtschaftlichen), den mikroökonomischen (betriebswirtschaftlichen), den psychologischen Faktoren sowie zahlreichen Sonderfaktoren. Bewertungskennzahlen stehen im Mittelpunkt des mikroökonomischen Erklärungsansatzes. Der Erklärungsversuch mithilfe von Kennzahlen ist nicht besser und nicht schlechter als andere Methoden. Es gibt hier kein Patentrezept. Wer ein solches erfunden hätte, würde es nicht verraten. Somit kommt es in der Praxis darauf an, mit welchem Ansatz an der Börse bessere Erfolge erzielt werden. Es ist typisch für den Börsenneuling, dass er sich schnell von angeblich „toppsicheren“ Methoden begeistern lässt, eine Zeit damit Geld verdient und im Übermut glaubt, diese Goldsträhne würde für alle Ewigkeit anhalten. Er glaubt felsenfest an „seine“ Methode und daran, dass an der Börse feste Gesetze gelten. Seine Gutgläubigkeit und Unerfahrenheit nutzen dann häufig Banken und professionelle Börseninformationsdienste aus und verkaufen ihm „exklusives“ Börsenwissen, was oft nur aus Grafiken besteht. Ein gleich gerichteter grafischer Verlauf von zwei oder mehreren Börsenfaktoren ist aber noch kein Gesetz! So kann der Kurs einer Aktie stark mit der Lufttemperatur korrelieren, ohne dass jemand ernsthaft behaupten könnte, er würde von ihr bestimmt. Die vorgeschlagene Einteilung der Kursfaktoren erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Theorie kennt viele andere Methoden, die genauso sinnvoll bzw. sinnlos sind. Wie gesagt, es handelt sich bei der Aufspürung von kurstreibenden Faktoren eben nicht – wie in den Naturwissenschaften – um „Gesetze“, die es zu entdecken gilt. So war es in der Vergangenheit und ist es noch heute. Wahrscheinlich dürfte auf diesem Gebiet auch in Zukunft niemals ein richtiger Durchbruch gelingen. Warum? So wie das Verhalten der Menschen nicht prognostizierbar ist, weil diese sich vielfach irrational verhalten, so verhält sich auch die Aktienbörse selten vernünftig. Isaac Newton charakterisierte seinerzeit die Börse mit folgenden Worten: „Die Bahn der Himmelskörper kann ich auf Zentimeter und Sekunden genau berechnen, aber nicht, wie eine verrückte Menschenmenge die Börsenkurse in die Höhe oder Tiefe treiben kann“. Auch der hoch geschätzte Altbundeskanzler Helmut Schmidt, dem ökonomischer Sachverstand wohl kaum abgesprochen werden kann, verglich die Börsianer mit Psychopaten. Die Aufgabe dieses Buches ist es – mithilfe von Kennzahlen – die Aktienattraktivität zu erklären, um diese Erkenntnisse nachher zur Verbesserung der Gewinnchancen im Börsen-
V. Heese, Aktienbewertung mit Kennzahlen, DOI 10.1007/ 978-3-8349-1675-4_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab
spiel umzusetzen. Daher muss die Analyse mit der Frage beginnen, ob andere Methoden als die Kennziffernanalyse vielleicht effektiver sind. Damit der Leser entscheiden kann, ob ihn die alternativen Analysemethoden mehr überzeugen oder nicht, sollten diese wenigstens in Kurzform vorgestellt werden. Dabei wird eine Vorgehensweise vorgeschlagen, die auf die Beantwortung des folgenden Fragenkataloges hinausläuft: Auf welchen wirtschaftlichen Größen/Aggregaten/Variablen basiert der Erklärungsversuch? Eine Kurzdarstellung hierzu liefert Abbildung 3. Für welche Märkte (Gesamtmarkt, Sektoren, Einzelaktien) ist der Ansatz hauptsächlich geeignet und wie weit wird er in der Praxis angewendet? Für welche Marktphasen (stabiler Aufwärts- bzw. Abwärtstrend, Seitwärtsbewegung, schwankungsstarke Märkte) liefert der Ansatz besonders gute Ergebnisse? Lässt sich der Ansatz hauptsächlich mit quantitativen (hard facts) oder mit qualitativen (soft facts) Variablen erklären? Liefert der Ansatz eine direkte Aussage zur Kurserwartung oder nur eine indirekte zur Bewertung der Aktie oder des Aktienmarktes? Hier geht es um die Frage, ob eine Aktie (ein Aktienmarkt) über, unter- oder „fair“ bewertet ist. Bewertung und Kurschancen sind zwei verschiedene Faktoren, die noch genauer behandelt werden. Was sind die Stärken, was die Schwächen der jeweiligen Ansätze und wie lauten die unter den Privatanlegern am meisten verbreiteten Vorurteile? Wie in anderen Lebensbereichen, bringt auch hier der Volksmund in „Weisheiten“ den Kern des Problems schnell auf den Punkt.
Makroökonomie
Chartanalyse
(z. B. BIP, Zinsen und Währungen)
Psychologie (z. B. Liquidität, Stimmungsindikatoren)
Kursfaktoren
Mikroökonomie
Sonderfaktoren
(z. B. Bewertungskennziffern)
(z. B. Fusionen, Großakquisitionen, splitt)
Abbildung 3:
Die wichtigsten Bestimmungsfaktoren der Aktienkursbildung
Faktoren der Aktienkursbildung
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(1) Makroökonomische Kursfaktoren: Kann die Konjunktur die Aktienkurse erklären? Zur Kursanalyse und -prognose am Gesamtmarkt werden im makroökonomischen Ansatz zum einen „klassische“ Konjunkturaggregate, wie das BIP (Bruttoinlandsprodukt) bzw. dessen Wachstum, die Zinsen und die Währungen herangezogen. Zum anderen spielt das jeweils vorhandene Volksvermögen ebenso eine wichtige Rolle. Während der erste Aspekt die Anlagewilligkeit zum Ausdruck bringt, nach dem Motto „Stimmt die Konjunktur, stimmt die Börse“, kommt es bei dem anderen primär auf die Anlagefähigkeit an. Wer kein Vermögen besitzt, kann es auch nicht anlegen. In den einzelnen Ländern dominiert entweder der eine oder der andere Aspekt. Die Börseneuphorie in den großen Schwellenländern war bis 2007 primär konjunkturbedingt, während das wirtschaftlich stagnierende aber reiche Japan sein Volksvermögen als Kurstreiber ins Spiel brachte. Auf welche Weise wird die Aktienbörse von der Konjunktur determiniert? Darüber wurden Hunderte von Büchern geschrieben. Der Sachverhalt lässt sich aber ebenso gut in wenigen Sätzen beschreiben. Es herrscht die Vorstellung, Aktienkurse werden primär von den Unternehmensgewinnen bestimmt und diese hängen wiederum von der Konjunktur ab. In der Hochkonjunktur steigen die Unternehmensgewinne, wenngleich beim restriktiven Kostensparen Gewinne auch bei einem Null-Wachstum zu Lasten der Löhne möglich sind. Allerdings ist dann das Steigerungspotenzial kurzfristig ausgeschöpft. Weil nach der alten Regel die Börse alles antizipiert, sind nicht die Ist-Zahlen, sondern die erwarteten Soll-Zahlen heranzuziehen. Diese werden wiederum aus einem breiten Universum von Frühindikatoren, die zu Hunderten aus den USA nach Europa „überschwappen“, prognostiziert. So sollen hohe Auftragseingänge und niedrige Lohnabschlüsse eine gute erklärende Größe (Frühindikator) für zukünftige Gewinne sein. Und so geht es weiter. Die Zinsen beeinflussen die Aktienkurse dagegen negativ, was zum einen daran liegt, dass Aktien als Anlagemedium in Konkurrenz zu den Anleihen stehen (darauf wird bei der Beschreibung des Fed-Modells detaillierter eingegangen). Bei steigenden Zinsen werden Anleihen attraktiver, Aktien unattraktiver. Zum anderen stellen Zinsen Finanzierungskosten dar, die den Gewinnspielraum des börsennotierten Unternehmens und damit auch den Kurs seiner Aktien bei einer Fremdfinanzierung einengen. Und welche Rolle spielen die Wechselkurse? Hier laufen die Expertenmeinungen auseinander. So kann auf der einen Seite der steigende Wechselkurs der Inlandswährung die Exporte belasten, da er die Waren für den Importeur verteuert. Auf der anderen Seite zieht die Währungsstärke ausländische Portfolioinvestoren an und beflügelt über dieses Vehikel die inländischen Aktienkurse.
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Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab
Wie wir beim mikroökonomischen Ansatz noch erfahren werden, liefert auch der Makroansatz nur eine indirekte Aussage über die Kurschancen. Er sagt zwar nichts zur Bewertung der Einzelaktien und Sektoren aus, sehr wohl aber einiges über die Bewertung des Gesamtmarktes. Wir erinnern an die beiden Faustregeln „Gute Konjunktur, hohe Gewinne, gute Aktienkurse!“ oder „Viel Vermögen, viel Geld für eine Aktienanlage!“ Es gibt eine weitere Einschränkung. Die Makrofaktoren sind als Erklärung in erster Linie anwendbar, wenn der langfristige Trend intakt bleibt und die Konjunktur breit angelegt (es partizipieren daran viele Branchen) und wenig schwankungsreich ist. Bei einer solchen Konstellation liefert der Makroansatz die besten Kursprognosen. In „gemischten“ Marktstudien, die in einem einzigen Analysepapier die anlagewürdigen Länder, Branchen und Einzelunternehmen umfasst, stehen die Makrofaktoren im Mittelpunkt des sogenannten Top-down-Ansatzes. (engl. von oben nach unten). Dieser Ansatz unterstellt die Erklärungsdominanz der Makroökonomie, während der Bottom-up-Ansatz (engl. von unten nach oben) auf die mikroökonomische Erklärungsbasis abstellt. Dementsprechend divergiert auch die Informationsbreite der einzelnen Betrachtungsebenen, die in diesen Studienarten geboten wird. Was ist eine (Bewertungs-) Kennzahl und wie wird sie in der Aktienanalyse eingesetzt? Zunächst werden einige makroökonomische Kennzahlen vorgestellt. Nach dem allgemeinen Sprachverständnis wird in der Wirtschaftswissenschaft darunter eine Verhältniszahl verstanden. Es ließen sich viele Makrokennzahlen konstruieren. Man denke dabei an die Exportquote, die als die Exporte im Verhältnis zum BIP definiert wird, oder an die volkswirtschaftliche Produktivitätsrate, welche das BIP in Relation zum Einsatz des Kapitals und der Arbeitskräfte abbildet. Kennzahlen sind aber besonders in der Mikroökonomie (Betriebswirtschaft) weit verbreitet. In diesem Buch wird sich die Definition der Kennzahlen auf die mikroökonomisch basierten (betriebswirtschaftlichen) Kennzahlen beschränken. Um den eingangs formulierten Fragenkatalog abzuarbeiten, bleibt beim makroökonomischen Erklärungsansatz noch die Frage nach den Vorurteilen zu beantworten. Am häufigsten steht bei den Privatanlegern das Vermögensargument im Vordergrund. „Für Aktien habe ich kein Geld!“ – wird als Entschuldigung zu hören sein. Wie wir wissen, stimmt das nicht ganz. Denn Geldvermögen ist in Deutschland vorhanden, es ist nur in anderen Assetklassen angelegt. Auch eine andere Behauptung ist sehr populär: „Von der Wirtschaft und Börse verstehe ich zu wenig!“ Dem wäre weitgehend zuzustimmen. Es bedarf keiner weitergehenden Erläuterungen, warum sich Makrostudien einer großen Beliebtheit erfreuen. Über Makroökonomie wissen nicht nur Analysten, sondern auch der Volksmund in der Person des Otto-Normal-Anlegers aus Massenmedien mehr Bescheid als über das Mikrowissen zu Einzelunternehmen. Dieses müsste sich der Einzelne mühsam im Wege des Einzelstudiums aus den Unternehmensprofilen, Geschäftsberichten oder Bilanzen erarbeiten. Dafür sind leider Sonderkenntnisse – wie die Grundzüge des Bilanzwesens –
Faktoren der Aktienkursbildung
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erforderlich und die Gefahr, dass sich hier ein „Experte“ blamiert, ist viel größer als bei den allgemein gehaltenen Makrofakten.
(2) Mikroökonomische (betriebswirtschaftliche) Kursfaktoren: Sind Kennzahlen mehr als reine „Erbsenzählerei“? Bei diesem Ansatz, der sowohl für die Kursprognose von Einzeltiteln als auch – in aggregierter Form – von Indizes geeignet ist, stehen die aus der Bilanz- und der Gewinn- und Verlustrechnung gewonnenen Kennziffern im Mittelpunkt. Weil hinsichtlich ihrer Anzahl, Konstruktionstechnik und Messziele keine allgemein gültigen Lehrgrundsätze vorliegen, versuchen viele ehrgeizige Analysten mit Eigenkreationen zu glänzen, um dadurch einen Bekanntheitsgrad in der Fachwelt zu erlangen. Kein Wunder, dass die Bildung von Kennziffern in den letzten Jahren zur Privatdomäne einzelner Researcher geworden ist. Solch eine Vorgehensweise ist zwar legitim, die Folge ist allerdings, dass der verwirrte Anleger in einem „Kennzifferndschungel“ herumirrt. Eine Systematisierung auf diesem Feld ist notwendig. Es wurde gesagt, dass die Kennzahlenanalyse die besten Erklärungserfolge bei Einzelaktien in Konsolidierungsphasen erzielt. Wenn der Trend am Gesamtmarkt ins Stocken gerät, der Aufwärtstrend aber immer noch intakt ist, lautet die am häufigsten von Optimisten gestellte Frage „Welche Aktien sind noch billig?“ Pessimisten fragen: „Muss man Aktien noch haben? Sind sie mittlerweile nicht zu teuer?“ – werden Pessimisten fragen. In einem Abwärtstrend hört man dagegen von Optimisten: „Müsste man jetzt nicht Aktien kaufen, wo sie doch so billig geworden sind?“ oder, wenn sich die Vorsichtigen zu Wort melden: „ Aktien sind doch noch zu teuer, nicht wahr?“ Entwickelt sich demgegenüber eine Branchen-Rallye, so wie bei den heute verschmähten Automobil- oder Bankenaktien, wurde (wird) analog nervös gefragt: „Gibt es noch überhaupt einen billigen Autotitel (Bankaktie)?“ Wie wir sehen, dreht sich in jeder der zitierten Börsenphasen alles um die simple Frage der „Preiswertigkeit“, also um die Unter- respektive Überbewertung eines Titels (Sektors). Das „Schnäppchenjagd-Denken“ steht an erster Stelle. Zwar zählen die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zu den „harten Fakten“ der Aktienanalyse. Sie geben aber keine Kurserfolgsgarantie. Der Aktionär sollte unermüdlich daran erinnert werden, dass Kennzahlen allein keine Kurse bewegen können. Denn es gilt die Binsenweisheit: „Billige“ Aktien müssen nicht steigen und „teure“ nicht fallen! Wenn der Zufall so stark regiert, braucht dann der Börsianer überhaupt noch Kennzahlen? Die Frage ist zu bejahen, denn jeder Anleger benötigt irgendwelche Orientierungsgrößen, damit er wenigstens logisch vorgehen kann. Zudem kann niemand erwarten, dass die Börse sofort reagiert. Ein weiteres Ärgernis bereitet die Tatsache, dass keiner genau weiß, wann und ob überhaupt die Börse auf die (neue) Unternehmensmeldung (zum Beispiel eine kräftige Gewinnsteigerung) – und damit auf veränderte Kennzahlen – reagiert. Wie die Empirie zeigt, kann nach dem Bekanntwerden einer positiven Meldung mit dem Kurs allerlei passieren, sowohl im positiven wie im negativen Sinne:
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Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab
Wenn der Kurs steigt, heißt es, das gute Ergebnis fiel noch besser als erwartet aus. Wenn er unverändert bleibt, gilt die Losung, die guten Zahlen hatte die Börse vorweggenommen und sie sind damit für eine Kursüberraschung nicht mehr relevant. Wenn er schließlich fällt, kann es lapidar heißen „sell on good news“, was so viel bedeutet wie: Verkaufe bei guten Nachrichten, bessere sind so schnell nicht zu erwarten! Besonders ärgerlich muss es dem Anleger zumute sein, wenn er der dritten Meinung folgt, seine Aktien verkauft und zwei Tage später gelangen Analysten doch noch zu der Ansicht, die Zahlen lagen über den Erwartungen und die Kurse beginnen erneut zu steigen. Denn Erwartungen sind kein klar definiertes Börsendatum! Er Irrtum hätte vermieden werden können. Warum hätte er warten sollen? Nach dem Allgemeinverständnis sind die Kurschancen bei günstig bewerteten Titeln höher als bei den ungünstig bewerteten. Früher oder später wird sich diese Regel bestätigen. Eine alte Börsenweisheit beruhigt: „An der Börse hat jeder irgendwann Recht!“ Welches sind die Vorurteile gegenüber betriebswirtschaftlichen Kennzahlen? Im Analysealltag sind betriebswirtschaftliche Kennzahlen integraler Bestandteil jeder Aktienstudie. Insofern sind sie allgegenwärtig, wenngleich sie in der Popularität – was vorher begründet wurde – hinter den Makrofaktoren stehen. Weil sie nicht immer sofort zu verstehen sind, werden sie von Anlegern nicht unbedingt geschätzt und häufig als trockene phantasielose „Erbsenzählerei“ abgetan. Ihnen haftet mehrfach etwas Buchhalterisches an. Zu Unrecht? Denn so wie viele Buchhalter über ihr Fachgebiet amüsant und spannend berichten können, ohne bei Bedarf den seriösen Pfad des Zitierens von Buchungssätzen verlassen zu müssen, so dürfte es sich bei den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen verhalten. Leider kann ebenso nachgewiesen werden, dass während Seminare zur Charttechnik und Börsenpsychologie oft vor Besucherandrang aus den Nähten platzen, es die Betriebswirte mit der Kennzahlenanalyse wesentlich schwerer haben. Als Einheit gesehen, bilden der makro- und der mikroökonomische Ansatz die sogenannte Fundamentalanalyse, die in harter Konkurrenz zur genannten Chartanalyse und der populärer werdenden Börsenpsychologie steht. Zur Beruhigung des Lesers, der sich weiter mit den Kennzahlen befassen muss, kann gesagt werden, dass auch die favorisierten Methoden nicht jeden überzeugen und die Charttheorie von ihren Kritikern abwertend als „Kaffeesatzleserei“ verulkt wird. Die orthodoxen Chartanhänger sind nicht alle an der Börse reich geworden. Wie erwähnt: Jeder Erklärungsansatz funktioniert einmal besser und einmal schlechter.
(3) Psychologische und charttechnische Kursfaktoren: Sind Aktienkurse nur mit der „Chaostheorie“ zu erklären? Der psychologische Erklärungsansatz liefert gute Prognoseergebnisse in einem stark schwankenden Gesamtmarkt. Die Methode ist unter dem englischen Begriff Behavioral Finance bekannt, was so viel wie verhaltensgesteuerte Finanzwirtschaft bzw. verhaltensgesteuerte Börse heißt. Im Mittelpunkt steht die These, dass die extremen Kursschwankungen durch das sich wiederholende irrationale (anormale) Verhalten der Anleger verursacht werden. Damit
Faktoren der Aktienkursbildung
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liefert sie einen krassen Gegensatz zu der Fundamentalanalyse, die vom rationalen Verhalten der Marktteilnehmer, dem homo oeconomicus, ausgeht. Die börsenpsychologischen Fachtermini benutzen qualitative Begriffe wie Panik, Gier, Angst, Skepsis und sollen die Einzelphasen eines unterstellten Börsenzyklus darstellen.
Gier
Psychologische Übertreibung
Hoffnung
Optimismus Pessimismus
Skepsis
Angst Depression
billige Aktien
teure Psychologische Aktien
Untertreibung
Abbildung 4:
Panik
Aktienmarktzyklus aus psychologischer Sicht
Nüchtern denkende Pragmatiker könnten zu Recht einwenden, dass sich mit solchen emotional geladenen Begriffspaaren, die eher der Welt der Romane denn der Ökonomie entspringen, keine brauchbare Aktienanalyse aufbauen lasse. Diese Annahme erweist sich allerdings als Trugschluss. Denn Börsenpsychologie lässt sich sehr wohl messen, und es sind auch viele „Gesetzmäßigkeiten“ formuliert worden, die eine anlagepraktische Relevanz haben. Drei markante Fälle können diesen Sachverhalt verdeutlichen.
Fall 1: Es lohnt sich bei hohen Volatilitäten zu investieren und in solchen Phasen auf eine steigende bzw. fallende Börse zu setzen, weil diese eine Trendumkehr signalisieren. Die Schwankungsstärke ist statistisch messbar. In Abbildung 5 sind fünf solch turbulente Punkte eingezeichnet.
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Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab
Verkaufen auch vor den Tops
Kaufen selektiv Verkaufen auch mit Verlust
billige Aktien
teure Aktien
Kauf auf breiter Front
Abbildung 5:
Handlungsmaximen im psychologischen Börsenzyklus
Fall 2: Die Charttechnik als eine Sonderform der Börsenpsychologie kennt Fälle der sogenannten sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Index
Charttechnik: falsches Kaufsignal Psychologie: hemmt, weil Sentiment schlecht Kursausbruch
200-Tage-Durchschnitt
Charttechnik: Psychologie:
billige Aktien
Abbildung 6:
richtiges Kaufsignal hemmt, weil Sentiment gut
Kursrückschlag
Ta ge sk urs e
teure Aktien
Zeit
Kursverhalten beim Durchstoßen der 200-Tage-Linie
Steht eine Aktie (ein Aktienindex) „charttechnisch“ kurz vor dem Ausbruch – zum Beispiel durch die 200-Tage-Widerstandslinie –, passiert in der Regel Folgendes: Nach dem Durch-
Faktoren der Aktienkursbildung
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stoßen dieser Linie wird ein Kaufsignal geliefert. Der Kurs schießt normalerweise kräftig nach oben, weil viele an die Chartanalyse glauben und danach handeln. Der Fachjargon spricht dann von einer „sich selbst erfüllenden“ Prophezeiung). Es besteht allerdings immer noch die Gefahr eines Rückschlages (falsches Kaufsignal, „Bullenfalle“).
Fall 3: Schließlich gibt es zahlreiche Indikatoren zur Messung psychologischer Börsenphänomene, mit denen die Stimmung an den Märkten wiedergegeben wird. Von diesen Messkonzepten haben wiederum zwei eine besondere Relevanz. Sentimentindikator: Kapitalmarktorientierte Fachstellen (Banken, Ratingagenturen, Fachzeitschriften, Broker, Meinungsforscher, Hochschulen) befragen regelmäßig die relevanten Marktakteure (Privatanleger, institutionelle Anleger, Analysten, Fondsmanager, Vermögensverwalter) nach ihrer Meinung „zum Aktienmarkt“. Die hieraus abgeleiteten Sentimentindikatoren werden etwa nach folgendem Muster gebildet: positive Stimmen Indikator
negative Stimmen
Gesamtstimmen
Häufig zeigen die Indikatorwerte einen zyklischen Verlauf, der zwischen den Extremwerten 40 (extremer Pessimismus) und + 40 (extremer Optimismus) liegt. Put Call Ratio: Mit dem sogenannten Put-Call-Ratio (PCR), welches das Verhältnis der Verkaufs- zu den Kaufoptionen am Terminmarkt misst, kann eine Aussage zur erwarteten Entwicklung des Gesamtmarktes (Einzelaktien) abgeleitet werden. Der Aussagewert zu konkreten Engagements ist natürlich höher, da es hier um „echtes und eigenes“ Geld und nicht um eine virtuelle Börsenspielvariante geht. PCR
Verkaufsoptionen
Pessimisten
Kaufoptionen
Optimisten
Wie beim Sentiment-Indikator ist eine freundliche Börse in solchen Fällen zu erwarten, wenn die Optimisten überwiegen (PCR < 1). Es lassen sich auch langfristige Durchschnitte bilden und erst die Abweichungen „nach oben“ bzw. „nach unten“ sind dann anlagerelevant. Börsenpsychologie kann spannend sein. Viele Analysten halten nicht zuletzt aus diesem Grund diese Methode sogar für relevanter als die beiden vorherigen Ansätze. Diese Haltung ist verständlich. Ein Studium von „trockenen“ Bilanzen ist nicht jedermanns Sache. Die „Bilanzverweigerer“ berufen sich bei ihrer Auffassung auf keinen geringeren als den Altmeister André Kostolany. Der bekannte Börsenguru des vorigen Jahrhunderts pflegte zu behaupten, dass 90 Prozent jeder Kursänderung auf psychologische und nur 10 Prozent auf fundamentale
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Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab
Faktoren zurückzuführen seien. Der Altmeister verdeutlichte diesen Sachverhalt mit dem plakativen Bild des spazierenden Herrchens (Langfristtrend) und dem vor- oder nachlaufenden Hündchen (Tageskurs) an der Leine. Das Herrchen bestimmt allein die Marschrichtung. Das Hündchen kann von dieser Route zwar für eine Weile abweichen, ist aber nicht im Stande einen eigenen Weg einzuschlagen. Der psychologische Ansatz hat einen weiteren Vorteil: Der Anleger braucht keinen Umweg über die Bewertung der Aktie (des Aktienindizes) zu nehmen, um an der Börse tätig zu werden, weil der Ansatz ihm direkte Kauf- oder Verkaufssignale liefert. Seine Gegner verweisen auf die Vielzahl von „weichen Fakten“ und sprechen den häufig emotional begründeten Ansätzen jede Methodik ab. Emotionen sind das Gegenteil von Logik und haben in der seriösen Anlagestrategie keinen Platz.
(4) Sonderfaktoren: Haben nur Insider Gewinnchancen? Sonderfaktoren werden primär bei Einzelunternehmen vermutet und können in jeder Börsenphase vorkommen. Das, was auf gesamtwirtschaftlicher Ebene mit ihnen Ähnlichkeit haben könnte – zum Beispiel eine unerwartete Steuergesetzgebung –, fällt unter die beschriebenen Makrofaktoren. In den meisten Fällen ist der Hintergrund für die Initialzündung, der sogenannte Sonderfaktor, im Voraus bekannt. Zu den Sonderfaktoren zählen Firmenübernahmen, Gerüchte, Einstieg eines Großaktionärs, Fusionen, Großaufträge, Sonderdividenden, Kapitalerhöhungen, Rücktritte von Konzernchefs, Skandale aller Art, Aktienrückkaufprogramme und vieles mehr. Nur der Eintrittszeitpunkt bleibt die eigentliche Spekulation. In der Regel wirken Sonderfaktoren abrupt und lösen einen starken Kurssprung nach oben oder unten aus, nach dem eine längere Konsolidierungsphase folgt. Viele Anleger, die zu spät von den Sonderereignissen erfahren haben, trauen sich nicht mehr „auf den fahrenden Zug“ aufzuspringen und vermuten verärgert, dass Insiderwissen im Spiel war und schon wieder „jemand etwas früher gewusst haben“ muss. Ein klassisches Beispiel für eine derartige Situation bildet der Rücktritt von Daimler-Chef Schrempp im Jahr 2006. Eigentlich dürfte es durch Sonderfaktoren ausgelöste Kurssprünge gar nicht geben, da die betroffenen Unternehmen über Ad-hoc-Meldungen rechtlich verpflichtet sind, die gesamte Investorengemeinschaft über alle kursrelevanten Ereignisse gleichzeitig und umfassend zu informieren. Sonderfaktoren sind nicht messbare „soft facts“. Es ist zwar bekannt, dass sie die Börsenkurse beeinflussen, aber wie stark und in welche Richtung bleibt, unklar. So kann eine Fusion in einer Börsenphase ein Kursfeuerwerk beim Übernehmer und/oder Übernommenen auslösen, in einer anderen zu einem Kurssturz führen. Bei den Börsianern hat sich die Meinung durchgesetzt, dass die Sonderfaktoren den bestehenden Trend verstärken, also prozyklisch wirken. Um also auf unser Beispiel zurückzukommen, wirken sich Fusionen auf den Aktienkurs in einem Aufwärtstrend positiv, in einem Abwärtstrend negativ aus. Tabelle 2 fasst die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale bei den Kursbildungsfaktoren noch einmal zusammen.
Faktoren der Aktienkursbildung
Tabelle 2:
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Merkmale der einzelnen Kursbildungsfaktoren Messfähigkeit?
Eignung in Börsenphase…
Assoziierte Vorurteile bei Anlegern…
Kursfaktoren
Anwendung für…
Makrofaktoren
Gesamtmarkt
bedingt
klarer Trend, wenig Schwankung
"keine Anlage für den kleinen Mann"
Mikrofaktoren
Einzelaktien
voll gegeben
Konsolidierung, schwankungsarm
"langweilige Erbsenzählerei"
Psychologische Faktoren (davon: Charttechnik)
Gesamtmarkt, Einzelaktien (Charts) (Gesamtmarkt, Einzelaktien)
bedingt (Kauf-/Verkaufssignale)
Sonderfaktoren
Einzelunternehmen
selten
extreme Schwankungen, Trendumkehr "massenpsychologisches Spielkasino" (jede Börsenphase) ("Kaffeesatzlesen") jede Börsenphase
"exklusives Insiderwissen"
Das (unklare) Zusammenspiel mehrerer Kursfaktoren Ist die Wirkungsanalyse der einzelnen Kursfaktoren schon schwierig genug, werden Fragen nach einem Zusammenwirken mehrerer Faktoren in einem Gesamtmodell wegen bestehender Interdependenzen (Korrelationen) um einiges komplizierter. Auch dieses Thema könnte so manches dickes Fachbuch füllen oder eine anspruchsvolle Dissertation ergeben. Im begrenzten Rahmen dieses Buches ist eine Detailuntersuchung nicht möglich. Die Darstellung hier beschränkt sich auf die drei wichtigsten, von der Anlagepraxis ausgearbeiteten Grundsätze.
Ansatz 1: Unterschiedliche Abhängigkeit je nach Börsenphase Im unteren DAX-Verlauf 1987 bis 2009 lassen sich Phasen erkennen, in denen die unterschiedlichen Kursbildungsfaktoren abwechselnd stärker zur Geltung kamen. Das Eintreten starker Kursschwankungen ist nach den dargestellten „Regeln“ der Börsenpsychologie dann sehr wahrscheinlich. Denn Turbulenzen kommen in der Regel am Vorabend einer Trendumkehr häufig vor. Bis zu diesem Zeitpunkt müsste der Makroansatz (Treiber: Finanzkrise) den Abwärtstrend gut beschreiben. Erst in der ab 2011 zu erwartenden Konsolidierungsphase müssten die Börsianer wieder ruhig zu rechnen beginnen und Kennzahlen an Gewicht gewinnen. 2010 dürfte der DAX nach der fulminanten Aufholjagd im Vorjahr weiter unter Abwärtsdruck stehen. Eine Konzentration auf einen Erklärungsansatz kann einerseits eine hohe Rendite bringen, ist aber andererseits gefährlich. Deswegen wird nach anderen Lösungen gesucht.
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Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab
DAX-Verlauf 1987-2009
Mikrofaktoren Psychologische Faktoren Makrofaktoren
Abbildung 7:
Dominanz der Kursbildungsfaktoren im DAX 1987 bis 2009
Ansatz 2: Portfolioaufbau mit mehreren Kursfaktoren als Kaufargumente In der Realität werden Vermögensverwalter und Fondsmanager das Risiko streuen und niemals alles auf eine Karte, das heißt auf ein Erklärungsmuster, setzen. Ein alter, zu dieser Situation passender Börsenspruch warnt: „Lege nie alle Eier in einen Korb!“ Ende 2007, auf dem Höhepunkte der Börsenhausse, wäre es denkbar gewesen, dass in einem internationalen Aktiendepot Werte zu finden waren, denen unterschiedliche Kaufargumente zugrunde lagen. Der Kauf von Nokia-Aktien – einer von vier Depotwerten – hätte dort mit günstigen (betriebswirtschaftlichen) Kennzahlen begründet worden sein können. Die These ging nicht auf. Die Nokia-Aktie fiel bis Mai 2010 deutlich unter zehn Euro. Tabelle 3: Lfd. Nr. 1.
Kaufargumente in einem kleinen Musterdepot (Beispiel) Wertpapier
Kurs in €
Stückzahl
Wert in €
Kaufargument
Russland Zertifikat von ABN Amro
40,55
12.500
506.875
günstige Makroprognosen für Russland
2.
Nokia Stammaktien
14,82
33.200
492,024
günstige Bewertung der Aktie im Sektorvergleich
3.
MAN Stammaktien
68,92
4.650
320.478
4.
Volkswagen Stammaktien
297,32
2.111
627.642
gesamt
1.947.019
Aktie steht charttechnisch vor Ausbruch Sondersituation (Aufkauphantasie durch Porsche)
Faktoren der Aktienkursbildung
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Ansatz 3: Verschiedene Anlagestile verwenden verschiedene Kennzahlen Im Unterschied zum Ansatz 2, in dem das Depot eher „zufällig“ zusammengestellt wurde, gehen Anleger mit einer genauen Risikovorstellung systematisch vor. In der Fachsprache ist dann die Rede von Anlagestilen oder Anlagestrategien. Die langfristigen Anlagestile lassen sich mit mikroökonomischen Kennzahlen gut abgrenzen. Makroökonomische Argumente werden in solchen Situationen allenfalls ergänzend beigefügt, börsenpsychologische Erklärungen und Sonderfaktoren werden in der Regel nicht herangezogen. Die Anlagenstile bauen primär auf Kennzahlen auf. Im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte hat sich die Unterscheidung in Value- und GrowthStyle durchgesetzt (s. Tabelle 4). Tabelle 4:
Anwendung der Kennzahlen je Anlagestil
Aktientyp
KBV
KGV
Dividendenrendite
Growth-Aktie
hoch
hoch
niedrig
Value-Aktie
niedrig
niedrig
hoch
Value-Aktien gelten als unterbewertet. Sie werden am ehesten in den Sektoren, Maschinebau, Stahlindustrie, Energie- und Wasserversorger vermutet. Auch deutsche Banken und Versicherungen waren in der Vor-Globalisierungsära wegen der konservativen HGB-Bilanzierung prädestiniert, zu den Value-Werten zu zählen. Diese Zeiten sind vorbei, nachdem die Finanzinstitute durch die Wertberichtigungen auf „toxische“ Wertpapiere leichtsinnig nicht nur alle stille Reserven aufgebraucht haben, sondern selbst die aufsichtsrechtliche Eigenkapitalausstattung nicht mehr einhalten konnten (siehe auch Kapitel 6). Growth-Aktien zeichnen sich demgegenüber durch starke Gewinnerwartungen aus. Wachstumsbrachen waren besonders in Zeiten der New Economy und des Neuen Marktes (1998 bis 2001) in Mode gewesen und danach stark in Verruf geraten. Hierzu zählten in erster Linie die TMT-Sektoren (Technologie, Medien, Telekommunikation). In der damaligen Wachstumspsychose wurden selbst Unternehmen, die tief in roten Zahlen steckten, von (bankabhängigen) Analysten als Favoriten deklariert. Nachdem die Internetblase geplatzt war, erwiesen sich vielfach sowohl die Zahlenwerke der Unternehmen als auch die Prognosen der Analysten als ein großer Schwindel. In Haussephasen tauchen immer wieder kurzlebige Schlagwörter auf, die als „neue“ Anlagestile nach außen dargestellt werden, in Wirklichkeit jedoch häufig reine Selbstverständlichkeiten bzw. Postulate darstellen. So war noch vor zwei Jahren der Spruch „Alpha generieren“ sehr verbreitet. Er stellte eine Forderung nach einer (Kurs-)Mehrrendite auf. Wie diese in der Anlagepraxis erreicht werden konnte, vermochten die Alpha-Protagonisten ex post nicht zu erklären.
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Aktienkurse hängen nicht nur von Kennzahlen ab
Fazit: Es gibt keinen perfekten „Königsweg“ bei der Prognose von Aktienkursen. Generell sind in der Analyse vier Erklärungsfaktoren (Makroökonomie, mikroökonomische Kennzahlen, Börsenpsychologie mit Charttechnik und Sonderfaktoren) zu unterscheiden, die in verschiedenen Börsenphasen einmal stärker, einmal schwächer zur Geltung kommen. Der Anleger kann sie entsprechend seinen individuellen Anlagepräferenzen testen. Grundsätzlich verkörpert jede Methode ein anderes Risiko-Chancen-Profil. Dort, wo die Risiken höher sind, sind erwartungsgemäß ebenso die Chancen höher und umgekehrt.
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
3.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Es soll daran erinnert werden, dass im Folgenden unter den Kennzahlen nur die mikroökonomischen (betriebswirtschaftlichen) Kennzahlen verstanden werden. Wie erwähnt, sind dem Einfallsreichtum der Analysten und Wirtschaftswissenschaftler in Bezug auf ihre Konstruktion kaum Grenzen gesetzt. Allein durch die Kombination von 20 Bilanz- und GuV-Posten miteinander ließen sich nach den Regeln der Kombinatorik Tausende von Kennzahlen gewinnen. Ob die so gebildeten Konstrukte sinnvolle Aussagen liefern, ist eine andere Frage. Nur zu oft verlieben sich die Kennzahlen-Autoren in ihre „Erfindungen“ und versuchen eine hohe Praxisrelevanz – wenn nicht sogar eine Gesetzmäßigkeit – nachzuweisen, was selbstverständlich unseriös ist. Das Kennzahlenuniversum wird von seinen Verfechtern in jeder Situation mit Vehemenz verteidigt. Wenn es schief geht, heißt es in der Regel, die Gültigkeit der Gesetzmäßigkeit ist nach wie vor gegeben, es gab aber in „diesem besonderen Einzelfall“ eine gravierende Ausnahme, warum die Prognose nicht eintraf.
Als Ausgangbasis kann die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung genommen werden Um eine grobe Systematik im Universum dieser potenziellen Möglichkeiten aufzubauen, sollte der Anleger fragen, welche Kennzahlen aus der Bilanz- und der GuV-Rechnung gewonnen werden können, um die Bewertung der Aktie richtig abzubilden. Dabei ist der Begriff Bewertung breit auszulegen und sollte die Kaufattraktivität einer Aktie wiedergeben. Damit wird klar, dass er über die numerische Bewertung eines Unternehmens – die Feststellung eines „fairen“ Wertes – hinausgeht. Die Kaufattraktivität kann sich an vielen Aspekten orientieren. Für Zwecke einer Wertpapieranalyse sind Aspekte wie Ertragsstärke, Substanzstärke (hohe Reserven), Ausschüttungspolitik und eventuell Sicherheit (gute Bilanzen) interessant. Sicherlich bleibt die Grenze zwischen diesen Kriterien fließend. Denn ebenso gut könnten hierfür irgendwelche Kosten- und Produktivitätskennzahlen, die „optische“ Kurshöhe oder das Standing und die Marktstellung als Erklärungsfaktor genommen werden. Die Analysten greifen häufig auf solche „unorthodoxen“ Faktoren zurück, wenn Standardlösungen versagen. Am einfachsten werden also Kennzahlen definiert, wenn sie aus der der Bilanz, der GuVRechnung oder beiden Teilen gleichzeitig abgeleitet sind. Für jeden dieser Fälle kann als Musterbeispiel eine klassische Kennzahl genannt werden, die später genauer beschrieben wird:
V. Heese, Aktienbewertung mit Kennzahlen, DOI 10.1007/ 978-3-8349-1675-4_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
In der Eigenkapitalquote wird nur die Bilanz abgebildet. In der Eigenkapitalrendite finden die Bilanz und die GuV-Rechnung Eingang. Die Kostenquote (Cost Income Ratio) lässt sich aus Zahlen der GuV errechnen. Häufig werden noch die Börsenkurse bei der Kennzahlenbildung verwendet. Solche Konstruktionen werden als kursbasierte Kennzahlen bezeichnet. Auf diese Weise lassen sich etwa 30 Kennzahlen gewinnen, von denen in diesem Buch zwölf beschrieben werden.
Warum ist eine Einteilung in klassische und in moderne Kennzahlen sinnvoll? Die vorgeschlagene Systematik ist zwar einfach, aber im Börsenalltag nicht sehr praktikabel. Es ist sinnvoller, die Kennzahlen in klassische (KGV, KCV, KBV, KUV, Dividendenrendite, Verschuldungsgrad, Eigenkapitalquote) und moderne (RoE/RoI, EV/EBITDA-Konzepte, Fed-Modell, DCF-Modell, EVA) einzuteilen. Diese Gruppierung hat folgenden Hintergrund: Die klassischen Verfahren sind seit den Fünfzigerjahren, also seit den Anfängen der Wertpapieranalyse, bekannt. Sie lassen sich in wenigen Sätzen charakterisieren. Im Grunde genommen werden hier die aktuellen Börsenwerte der Gesellschaften in Bezug zu ihren wirtschaftlichen Aggregaten, wie Erträge bzw. Umsätze, gesetzt und durch die Anzahl der Aktien geteilt. So entsteht eine Kennzahl, die Multiplikator genannt wird. Verdient zum Beispiel eine Gesellschaft 500 Millionen Euro und hat sie 10 Millionen Aktien an der Börse, so „verdient“ diese Gesellschaft 5 Euro pro Aktie. Kostet eine Aktie 50 Euro, ist der Multiplikator – hier das später beschriebene KGV – 10. Erst der weitere Vergleich zu einer sinnvollen Marktgröße, sei es ein Vergangenheitswert oder ein übergeordneter Branchenwert (Benchmark), erlaubt ein Bewertungsurteil. Erst dann kann die Aussage getroffen werden, ob eine Aktie oder ein Aktienmarkt über-, unter- oder „fair“ bewertet ist. Weil hier Börsenkurse vorliegen müssen, finden diese Kennzahlen bei nicht börsennotierten Gesellschaften keine Anwendung. Mit klassischen Kennzahlen lässt sich mithilfe der genannten Multiplikatorenrechnung auch der Wert des Unternehmens ermitteln. Das obige Unternehmen mit 100 Millionen Aktien ist an der Börse 500 Millionen Euro wert. Seine Wertermittlung kann direkt aus der Multiplikation der Aktienkurse mit der Anzahl der Aktien oder indirekt durch die Multiplikation des Unternehmensgewinns von 50 Millionen Euro mit dem Multiplikator (KGV) von 10 errechnet werden. Ob der Börsenkurs von 50 Euro je Aktie gerechtfertigt, sprich ein „fairer“ Wert ist oder nicht, steht bei den Multiplikatormodellen nicht zur Debatte. Auch wenn der langfristige Börsenwert des ganzen Unternehmens immer 500 Millionen Euro betrug, wird er von einigen Ana-
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
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lysten noch lange nicht als „fair“ angesehen. Sie ignorieren die alte Börsenweisheit „Die Börse hat immer Recht!“ und lehnen die Bewertung über das Parkett ab. Die These von der Allwissenheit der Börse ist tatsächlich nicht unumstritten. Auch ernst zu nehmende Fachleute behaupten, die Kurse spiegeln den wahren Wert eines Unternehmens nicht wider. Es wird daher gefordert, dass Analysten und Anleger mit dem Geist der Zeit gehen und die „Marktneuheiten“ auf dem Gebiet der Unternehmungsbewertung mit Hilfe von Modellen anwenden sollen. Im Widerstreit Börse versus Modellierung bekam die Diskussion um unterund überbewertete Aktien und Märkte neue Nahrung. Die Geburtsstunde moderner (angelsächsischer) Kennzahlen und Methoden war gekommen. Die Klassifikation der Börsenunternehmen in unter- bzw. überbewertete Titel hat praktischen Hintergrund. Dahinter verstecken sich indirekte Empfehlungen. Aktien von unterbewerteten Unternehmen sollen gekauft werden und umgekehrt. Kennzahlen, die diese Disproportionen festzustellen haben, können schnell zum Politikum werden und von Banken gesteuerte Aktienanalysen für Vertriebswecke eingesetzt werden. Wie es im Bankenalltag bei der Erstellung von solchen Studien diesbezüglich zugeht, wird später beschrieben.
Bewertungskennzahlen bei Aktien (Ziele) Unternehmens-
oder
Marktbewertung
Arten
andere Ziele Multiplikatoren
klassische
KGV KCV KBV KUV
moderne
EV/EBITDA
Abbildung 8:
Barwertmethode x
DCF-Modell (Variante: DD-Modell) EVA-Modell Fed-Modell
Dividendenrendite Verschuldungsgrad Eigenkapitalquote RoE-Modell
Klassifizierung der Kennzahlen nach Analysezielen
Mit welchen klassischen und modernen Kennzahlen die Aktienanalyse welche konkreten Ziele verfolgt, wird in Abbildung 8 in Form einer Matrix gezeigt. Zu den modernen Kennzahlen, die in diesem Buch behandelt werden, zählen die EV/EBITDA, RoE/RoI, EVA, das Fed- und das DCF-Modell. Diese Konzepte sind seit den Sechzigerjahren bekannt und geben mehrheitlich vor, mithilfe von Modellen den „fairen“ Unternehmenswert ermitteln zu können. Die verwendeten Methoden basieren auf keinen objektiven, unumstößlichen Gesetzen, sondern sind von ihren Autoren erdachte Gedankenkonstrukte und damit genau so angreifbar wie die klassischen Verfahren, hinter denen sich
32
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
immerhin die Börsenbewertung verbirgt. In der Regel handelt es sich hier um Varianten von Barwertmethoden, die auf diskontierten Ertragsgrößen aufbauen. Zwar sind diese Verfahren neueren Datums und im Erklärungsansatz anspruchsvoller. Trotzdem zeigen sie viele Schwächen. Ihr Hauptmanko liegt darin, dass sie keine besseren Kursprognosen liefern und daher von den meisten Börsianern eher gemieden werden. Schnell handelnde Profis und Privatanleger gehen lieber nach der Devise vor: „In der Kürze liegt die Würze!“ Lediglich Großanleger, die Zeit und analytisches Know-how besitzen und entsprechend große Depotvolumina bewegen, testen verschiedentlich diese Modelle in ihrer Anlagepraxis. Sie tun dies schon deswegen, um in den Augen ihrer Eigentümer und Berufskollegen den formalen Nachweis erbringen zu können, „up to date“ zu sein. Obgleich die modernen Ansätze objektiv keine besseren Methoden darstellen, haben die Angelsachsen – solange die Börse haussierte – den Vorwurf, sie „würden ebenfalls nur mit Wasser kochen“, weit von sich gewiesen. Wer weiter denkt, dem wird auffallen: Einen Nobelpreis für eine kapitalmarktgestützte Theorie der Unternehmensbewertung hat es bislang nicht gegeben. Also werden diese Verfahren keinen wirklichen ökonomischen Durchbruch darstellen. Ob ein Unternehmen nach diesen Methoden „fair“, über- oder unterbewertet ist, wird durch den Vergleich des Modellergebnisses mit dem Börsenwert festgestellt. Der diametrale Unterschied zu den Klassikern besteht darin, dass hier das Modellergebnis die Messlatte darstellt. Mit anderen Worten hat die Devise zu gelten: „Das Modell und nicht die Börse hat immer Recht. Der Börsenkurs hat sich anzupassen!“ Dass diese Vorstellung bei den Praktikern utopisch klingt, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Neben Barwertmodellen für Einzelunternehmen kann mithilfe des sogenannten Fed-Modells eine Bewertung des Gesamtmarktes vorgenommen werden.
Fazit: Der Begriff Bewertung sollte in der Aktienanalyse breit definiert und mit der Kaufattraktivität gleichgesetzt werden. Neben der numerischen Ermittlung des Unternehmenswertes können darunter Aspekte wie Ertrags- und Substanzstärke, Ausschüttungsrendite oder Sicherheit verstanden werden. Durch den Vergleich mit einer repräsentativen Messlatte (Benchmark) kann der Anleger feststellen, ob die Aktie oder der Aktienmarkt „fair“, über- oder unterbewertet ist. Die Frage ist, wer diese Messlatte bestimmt: die Börse oder das Modell eines Analysten? Klassische Kennzahlen orientieren sich vorwiegend an der Börse, moderne Verfahren arbeiten mehrheitlich mit Modellen. In diesem Buch folgt die Einteilung in klassische und in moderne Kennzahlen und Verfahren weitgehend dem Kriterium ihrer Relevanz für die unterschiedlichen Anlegergruppen. Während die erste Kategorie primär für Privatanleger, kurzfristig orientierte Trader und in letzter Zeit zunehmend auch für risikoaverse Investoren in Frage kommt, greifen auf die modernen Verfahren in erster Linie professionelle Langfristinvestoren zurück.
Moderne Bewertungskennziffern
3.1
33
Klassische Bewertungskennzahlen: Sind risikoorientierte Kennzahlen im Kommen?
Kennzahlen(-systeme) im ständigen Wandel In der Researchpraxis gibt es weder Verbandsempfehlungen, noch rechtliche Vorschriften, welche Kennzahlen Analysten in ihren Studien zu verwenden haben. Die Arbeitsregeln des Researchs sind mit einer Straßenverkehrsordnung nicht zu vergleichen. In der Aufzählung der Mindeststandards für das Finanzresearch, das von der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management/DVFA (www.dvfa.de) erarbeitet wurde, wird zwar die Bewertung als eine der Pflichtangaben in Basisstudien vorgegeben. Mithilfe welcher Kennzahlen diese zu erfolgen hat, ist allerdings nicht ausgeführt. Die Analysten werden in dieser Beziehung allein auf sich gestellt, was andererseits den Reiz ihrer Arbeit ausmacht. Es wird behauptet, dass die Wertpapieranalyse von der Meinungsvielfalt lebt. Gegenwärtig gibt es etwa 20 bis 25 Kennzahlen zur Aktienbewertung, die eine internationale Verbreitung erfahren haben. Diese Anzahl ist seit Jahren etwa konstant geblieben und reicht für die Aktienanalyse aus. Während sich alle paar Jahre eine neue Kennzahl aus dem angelsächsischen Research weltweit durchsetzt, verschwinden die „alten“ Kennzahlen nicht unbedingt aus dem Umlauf. Sie werden zwar seltener verwendet, allerdings bei Bedarf wieder reaktiviert. Die Popularität der einzelnen Varianten könnte anhand ihrer Verbreitung in Analystenkreisen und der Nennung in Fachmedien statistisch erfasst werden. Derartige Erhebungen erfolgen dennoch nicht häufig. So ergab eine ältere Studie der US-Investmentbank Morgan Stanley Dean Witter folgende Häufigkeiten (siehe Abbildung 9).
53 % 32 %
31 % 19 %
KGV
EV/ EBITDA
EVA
DCF
18 %
12 %
Preis/ Free Buchwert cash flow
9%
8%
KCV
EV/ Umsatz
Abbildung 9: Häufigkeit der Anwendung von Kennzahlen durch Analysten
3% PEG
34
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Diese Erhebung lieferte zwar eine gute Orientierungshilfe, sie weist andererseits mehrere Schwächen auf. So waren Mehrfachnennungen möglich und es fehlten Hinweise auf die Widerspruchslösung bei konträren Aussagen. Ungeachtet dessen fällt auf, dass das KGV (engl. PER = Price Earnings Ratio) klar dominierte. Auch andere ertragsorientierte Kennzahlen belegten vordere Plätze, was die Bedeutung dieses Bewertungsaspektes hervorhebt.
Spielen Kennzahlen eine aktive oder eine passive Rolle im Wirtschaftsleben und an der Börse? Bei der Frage, ob Kennzahlen eine aktive oder eine passive Rolle spielen, ist genau zu fragen: In Bezug worauf? Hier ist nicht zu prüfen, ob ein Kennzahlensystem an der Gestaltung der Wirtschaftswirklichkeit aktiv mitwirkt oder nicht. Unserer Meinung nach darf – wie unten gezeigt wird – aktiv nicht mit positiv und passiv nicht mit negativ gleichgesetzt werden. Kennzahlen sind im Wirtschaftsleben weit verbreitet. Dazu einige einprägsame Beispiele: Die EU-Konvergenzkriterien (Verschuldungsgrenzen) demonstrieren, welche strengen Stabilitätsund Wachstumsvorstellungen die Mitgliedsländer anwenden und voneinander einfordern. In diesem Fall spielen die Kennzahlen eine aktive und gleichzeitig eine positive Rolle. Auch im Bankensektor sind positive Beispiele zu finden. Bei der Basel II-Reform, die sich nunmehr seit über zwölf Jahren hinzieht, wollen sich die OECD-Staaten auf einen Kennzahlenkatalog zur adäquaten Eigenkapitalausstattung bei Banken einigen, um Risiken einzudämmen. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise gewann die Kennzahlenanalyse eine besondere Aktualität. In Bezug auf den Aktienbereich sind zwei wichtige Fragen zu stellen: Gibt es Interdependenzen zwischen den Kennzahlen der Aktienanalyse und der Politik eine Art von „Kennzahlenpolitik“? Wenn ja: Lassen sich daraus bestimmte Rückschlüsse auf die aktive oder passive Rolle der Kennzahlen schließen? In der Aktienanalyse, dort liegt kein direktes öffentliches Interesse vor, werden rechtliche Vorgaben häufig durch angepasste Verhaltensweisen, eine Art von „Gewohnheitsrecht“, ersetzt. Bezüglich der angefragten Interdependenzen wurde Folgendes beobachtet: Sobald „börsennahe“ Kennzahlen, zum Beispiel hohe Lohnquoten, in den Geschäftsberichten, Reden, Interviews der Wirtschaftskapitäne und Politiker, in den Massenmedien (Presse, Talkshows, Börsenfernsehen) auftauchen, sind diese bald in den Analystenstudien wieder zu finden. Die Übertragungsquote ist signifikant. Allerdings wird ebenso der umgekehrte Weg gegangen: Viele von der Analystenzunft kreierten Kennzahlen werden von den Verantwortlichern der Wirtschaft kopiert und in Roadshows, Präsentationen oder Konferenzen verwendet. Dazu ein weiteres Paradebeispiel: Um Personalfreisetzungen im deutschen Bankgewerbe zu rechtfertigen, werden die im internationalen Vergleich hohen Cost Income Ratios (Aufwandsquoten) als ein wettbewerbsnotwendiges Argument eingesetzt. In Zeiten der von den Investmentbankern verursachten Wertpapierabschreibungen klingt dies fast wie Ironie: Abschreibungen verursachen laut Definition gerade eine steigende Cost Income Ratio! Denn
Moderne Bewertungskennziffern
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wenn die Erträge im Nenner stärker fallen als die Personalaufwendungen im Zähler, steigt die Cost Income Ratio selbst bei hohen Lohnkosteneinsparungen. Die vorgenannten Beispiele provozieren weitere Fragestellungen: Gibt es eine treibende Kraft, die hinter der Entwicklung und der Verbreitung bestimmter Kennzahlen, seien es allgemeine in der Betriebswirtschaft, seien es spezielle in der Aktienanalyse, steckt? Wer „guckt“ von wem wie viel ab und verwendet es für eigene Zwecke: die Analysten von der Wirtschaft und der Politik oder umgekehrt? Anders formuliert: Spielen Kennzahlen eine passive oder eine aktive Rolle im Wirtschaftsleben und an der Börse? Eine positive Rolle spielt derjenige, der den Impuls auslöst. Die Zuordnung der Eigenschaften „positiv“ und „negativ“ ist, wie wir sagten, nicht unproblematisch. Denn es kommt, wie im Beispiel mit der Lohnquote, auf den Standpunkt des Betrachters an. Die These von der aktiven Rolle der Kennzahlen besagt, dass die Kennzahlen das Wirtschaftsverhalten mitgestalten. Dagegen spielen Kennzahlen eine passive Rolle, wenn sie nur der „Reflex“ des bestehenden wirtschaftlichen Status quo sind. Kennzahlen lassen sich in vielerlei Hinsicht mit Musik vergleichen. Ob ein Lied gut („positiv“) ist oder schlecht („negativ“), ist Ansichtssache und hängt von den Vorstellungen des Beurteilenden ab. Ob ein Song dagegen aktiv ist, indem er etwas in breiten Gesellschaftsschichten bewegt (Antikriegsdemonstrationen, Protestbewegungen, Tatendrang) oder passiv (Kriegsverherrlichung, Lob auf die Machthaber in Diktaturen) ist eine andere Fragestellung. Gute alte Musik wird immer wieder gespielt und bewährte Kennzahlen werden immer wieder neu verwendet.
These 1: Die aktive Rolle der Kennzahlen Die Vertreter der aktiven Rolle der Kennzahlen dürften wie folgt argumentieren: Ein Rechnungslegungssystem muss „undogmatisch“ sein. Es hat lediglich eine Rechenvorschrift darzustellen, nach der das Wirtschaftsergebnis in Zahlen abzubilden ist. So wie die Charttechnik an der Börse objektiv und unbestechlich ist, sollte es auch die Rechnungslegung sein. Demnach kann ein solches Messsystem, ob national, ob international, von niemandem zu seinem Vorteil eingesetzt und missbraucht werden. Die globalen Wirtschaftsakteure haben ein vitales Interesse an einer Messobjektivität. Anderenfalls wäre in einer freien Marktwirtschaft an eine „faire“ Leistungsverrechnung im Welthandel nicht zu denken. Wenn privilegierte Interessensgruppen anderen Wirtschaftssubjekten „ihre Rechenwerke“ aufzwingen dürften, wäre jede Leistungsbereitschaft eine Utopie. Gleiche Anforderungen wie an diese Rechnungslegung sind an die von ihr abgeleiteten Kennzahlen zu stellen. Daraus folgt: Neue Kennzahlen, auch in der Aktienbewertung, entstehen in diesem Umfeld zum einen aus dem Bedarf der Praxis. Dadurch wird sich die Rechnungslegung – so die Umstellung von HGB auf IAS/IFRS – weiterentwickeln. Zum anderen liefert die Wirtschaftswissenschaft ihrerseits neue Erkenntnisse, weil sie neue „Gesetzmäßigkeiten“ in der Realwirtschaft und auf den Kapitalmärkten entdeckt, die sich mit Kennzahlen beschreiben lassen.
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Erweist sich eine neue Rechnungslegungsvorschrift oder Kennzahl als falsch oder als nicht praktikabel, wird sie korrigiert und ersetzt. Umgekehrt müssen die Analysten und andere Kennzahlennutzer das Recht haben, die Missstände in der Wirtschaft und an der Börse eindeutig anzeigen zu dürfen. Das Kennzahlensystem zur Aktienbewertung wird im geschilderten Umfeld eine aktive Rolle spielen. Es hilft, auf der Basis fairer Methoden und Spielregeln objektive Börsenprognosen zu liefern, so wie ein funktionierendes Thermometer immer die richtige Temperatur anzeigt. Auch zeigt das System dann Blasenbildungen und Krisensymptome rechtzeitig an. Es profitiert von den beschriebenen Interdependenzen zwischen Theorie und Praxis. Dennoch bleiben Fragen zu dieser harmonischen Symbiose ungeklärt: Wer hat Recht, wenn zu große Differenzen zwischen der Wirtschafts- und Börsenrealität und der Kennziffernwelt entstehen? Die Kennzahlen oder die wirtschaftliche Realität? Leider ist die Vorgehensweise im Falle eines Dissens nicht geklärt worden. Die Wirtschaftstheorie hat für diesen Fall einige Vorschläge ausgearbeitet: Zunächst werden Marktstörungen durch unlauteren Wettbewerb vermutet. Danach wird gefragt, ob Verletzungen der Wirtschaftlichkeitsprinzipien vorliegen. Im Falle der Subprime-Blasenbildung konnten zum Beispiel die Risikokennzahlen der Ratingagenturen im Kreditbereich noch so gut ausgefallen sein. Weil sie von massiven Regelverletzungen, wie den utopischen Bonitäts-Ratings, begleitet waren, wurden die Ratings unbrauchbar. Schließlich gilt als ultima ratio: Wenn sich auf Dauer die Anomalie nicht mehr erklären lässt, ist nach neuen Kennzahlen, Verfahren und Modellen zu suchen, die die Wirklichkeit besser beschreiben. Im vorliegenden Fall wären die Kredit-Ratings nicht abzuschaffen, sondern durch zusätzliche Frühindikatoren zu ergänzen. Eine passende Börsenweisheit zur Modellproblematik lautet: Kann ein Modell die Wirklichkeit nicht mehr beschreiben, muss das Modell und nicht die Wirklichkeit geändert werden!
These 2: Die passive Rolle der Kennzahlen Demgegenüber dürften Vertreter der passiven Rolle der Kennzahlen wie folgt Position beziehen: Sie unterstellen eine starke Abhängigkeit zwischen der Unternehmensstrategie (Ziele und Mittel), der praktizierten Rechnungslegung (konservativ oder aggressiv) und des intern und extern kommunizierten Kennzahlensystems. Die Summe der vorgenannten drei Elemente kann als Unternehmensdoktrin bezeichnet werden. Die Unternehmen werden ihre Lenkungssysteme je nach Größe und Anspruch unterschiedlich ausgestalten. Die diesbezügliche (fiktive) Vorgehensweise des globalen Versicherungskonzerns Allianz und des mittelständischen exportorientierten Maschinenbauers Gildemeister könnte so aussehen: Die Allianz dürfte als ihre Unternehmensstrategie die Festigung ihrer Global PlayerPosition nennen, das IFRS-System in der externen Rechnungslegung anwenden, als Steuerungsgröße im Konzern die modernen Kennzahlen wie das EVA verwenden und schließlich bei der Nennung des „fairen“ Wertes ihrer Aktie auf die EV-Multiplikatoren zurückgreifen.
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Der Maschinenbauer Gildemeister dürfte sich dagegen mit der Position als spezialisierter Nischenanbieter mit der Nennung seiner Unternehmensstrategie begnügen, nach HGB bilanzieren, keine besondere Steuerungsgröße vorgeben – ihm dürfte das konservative Ziel der angemessenen Gewinnerzielung ausreichen – und versuchen, die Attraktivität seiner Aktie im Vergleich zu Wettbewerbern auf der klassischen KGV-Basis zu belegen. Einzelheiten darüber, wie börsennotierte Unternehmen hier vorgehen, lassen sich den Geschäftsberichten und speziell der Rubrik „Unsere Aktie“ entnehmen. Angaben der Investor Relations-Abteilung auf den Unternehmenswebseiten sind für Interessierte oft eine wahre Goldgrube. Die gültige Doktrin eines Unternehmens wird stark von der Außenwelt (Marktlage) und den „Spielregeln“ der Globalisierung determiniert. Selbst wenn von den Nutznießern des Status quo das Gegenteil behauptet wird, dient jede Doktrin vornehmlich als Rechtfertigung der herrschenden realen Vorgänge im Konzern. Dem Kennzahlensystem wird dort die Aufgabe zugedacht, die Unternehmensdoktrin zu unterstützen oder zu rechtfertigen. Für den Bezug von Moralpositionen ist dort kein Platz. Dies gilt selbst dann, wenn einige Kennzahlen Extremwerte annehmen. Ein bedenklich hoher Aktienkurs muss von der Unternehmensdoktrin offiziell als „fair“ bezeichnet werden. Würden die Konzernlenker den Aktienkurs als überbewertet ansehen – was sie wegen ihrer Aktienoptionen kaum tun dürften – könnte die Investorengemeinschaft dieses Eingeständnis als Startzeichen zum massiven Ausstieg aus dem Titel auffassen. Lassen trotz ausgefallener Bilanzkosmetik – in der Bilanzsprache ist dann von der Nutzung der Wahlrechte die Rede – die Extremwerte keine Rückschlüsse auf eine „faire“ Bewertung mehr zu, passiert häufig Folgendes: Es werden von wirtschaftlich abhängigen Analysten befreundeter Banken bald neue Kennzahlen ins Leben gerufen. „Positiv gestimmte“ Researcher werden entweder von den Beurteilten direkt hofiert oder ihre Arbeitgeber indirekt mit lukrativen Aufträgen (Teilnahme an Kapitalerhöhungen) gelockt. So wird im Endeffekt alles passend gemacht. Ist diese Vorstellung zu extrem? Wohl nicht. Die vom Autor vertretene pessimistische Sicht der Dinge ist keineswegs weltfremd. Überzeugende Belege für massive Missstände lieferten zahlreiche Analystenaffären in der New Economy und der gegenwärtigen Finanzkrise. Das Kennzahlensystem muss in dem beschriebenen Umfeld eine passive, dem Finanzestablishment „dienliche“ Rolle spielen. Dabei sind weder die klassischen noch die modernen Kennzahlen und Methoden per se die Wurzeln des Übels. Lediglich ihr Missbrauch respektive die „Beugung“ durch die Anwender sind zu verurteilen. Dazu eine lehrreiche Klarstellung: Wenn statt mit dem Eigenkapital nach der klassischen Methode ein Unternehmen mit dem DCF-Modell (moderne Methode) bewertet wird, so kann diese Umstellung allein noch keinen Missbrauch darstellen. Erst die bewusste Annahme unrealistischer Werte für die Erklärungsparameter des DCF-Modells, wie eine zehnprozentige jährliche Marktrendite und eine permanente 15-prozentige Wachstumsrate des Cashflow (Beschreibung folgt), lässt die Vorge-
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hensweise fragwürdig erscheinen. Aber wie wir erfahren haben, ist die noch so auffallende Abstellung auf optimistische Annahmen nicht strafbar. Was kann der Anleger daraus lernen? Vorsicht ist vor allem geboten, wenn bestimmte Kennzahlen, wie die Eigenkapitalquote oder die Eigenkapitalrendite, mit immer neuen Verfahren „optimiert“ bzw. „maximiert“ werden sollen. Es gibt „no free lunch“ an der Börse! Wo tatsächlich der Anleger Vorteile erzielt, erkauft er diese mit höheren Risiken. Auf das Chancen-Risiko-Profil kommt es letztendlich an. Die hohe Kunst der Illusion besteht nunmehr darin, allein die Chancen überproportional hervorzuheben und die Risken im Kleingedruckten zu verstecken. So arbeiteten bis vor Kurzem unter anderem viele Hedgefonds. Sie versprachen hohe Renditen und konnten diese als neue Eigentümer fremd finanzierter Firmen durch großzügige Ausschüttungen des Eigenkapitals darstellen. Als analytische Begründung mussten neue „Optimierungsansätze“ herhalten. Als die Banken den Kredithahn zudrehten, war es auch mit der Fremdfinanzierung und den Top-Renditen vorbei. Aus Top-Renditen wurden Top-Verluste.
Etwas Historie kann sehr aufschlussreich sein. Eine kurze Chronologie, wann die unterschiedlichen Rechnungslegungs- und Kennzahlensysteme ihr Debüt, ihren Glanz und Fall erlebten, kann sehr aufschlussreich sein. Sie wird zeigen, dass diese einem ständigen Wandel unterzogen sind. Der Schwerpunkt der Aufzählung soll dabei auf Deutschland und die Finanzinstitute gelegt werden: Die Anfang des 20. Jahrhunderts entstehende Betriebswirtschaftslehre (Vertreter in Deutschland: Gutenberg, Heinen, Schmalenbach) entwickelt die ersten Kennzahlen, die später in der Aktienbewertung Anwendung finden. In den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts werden in den deutschen Banken als Teile der volkswirtschaftlichen Abteilungen die ersten Teams der Wertpapieranalyse aufgestellt. In den Pionierstudien aus damaliger Zeit dominiert der Sicherheitsaspekt (Substanzwertverfahren). Das lag daran, dass dank den HGB-Vorschriften deutsche Großkonzerne erhebliche Freiräume in der Bildung von stillen Reserven nutzen konnten. 1967 wird in Zusammenarbeit mit der Schmalenbach-Gesellschaft die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) als Berufsvereinigung der Finanzanalysten gegründet. Die Gesellschaft gab seitdem viele methodische Empfehlungen heraus. Zu der bekanntesten zählt die Formel zur Berechnung des Ergebnisses je Aktie (sogenannte DFVA/SG-Formel), die noch heute verwendet und ständig modifiziert wird. Seit den Achtzigerjahren beginnt sich in Anlehnung an angelsächsische Vorbilder in der deutschen Aktienanalyse die Ertragswertbetrachtung durchzusetzen.
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Während der Übertreibungsphase an der deutschen Aktienbörse im Jahre 1990 – der DAX touchierte damals erstmalig die Marke von 2.000 Punkten – beginnen Aktienanalysten ihre Kaufargumentationen vom KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) auf das „optisch“ niedrigere KCV (Kurs-Cashflow-Verhältnis) umzustellen. Anfang der Neunzigerjahre stellen die DAX-Großkonzerne ihre Berichterstattung von HGB auf IAS um, um internationaler zu wirken und angelsächsische Investoren damit heranzuziehen. Ab diesem Zeitpunkt sind die Angelsachsen und ihre Methoden in Kontinentaleuropa endgültig auf dem Vormarsch. Während der (ersten) Blasenbildung in Zeiten der New Economy 1998 bis 2001 erfahren vor allem die Kennziffern Shareholder Value (DCF-Modell), Return on Equity (RoE), Cashflow-Konzepte oder Goodwill-Buchungsregeln eine weltweite Verbreitung. Deutsche Banken verwenden während des Neuemissionsbooms am Neuen Markt ausnahmslos das DCF-Modell, um die hohen Emissionskurse („fair value“) zu rechtfertigen. Das neue Rechnungslegungssystem nach IAS soll als Gütesiegel für Transparenz und objektive Bewertung herhalten. Später stellte sich heraus, dass gerade in diesem Segment die größten Missbräuche betrieben wurden. Im Crash der New Economy in den USA im Jahr 2001 wurden erstmalig in der Börsengeschichte massive Bilanzfälschungen und Analystenskandale bekannt. In Reaktion darauf ergreifen staatliche Stellen Präventivmaßnahmen. Das innerbetriebliche Controlling wird im Bankensektor neue konservative Risikomodelle konstruieren. Ratingagenturen schalten von Optimismus auf Vorsicht um. Ebenso werden Analysten zurückhaltender. Die Haftungsregeln für Manager und andere Kapitalmarktakteure erfahren zwar eine Verschärfung, sie werden aber bald durch die entsprechenden Versicherungen wieder erheblich aufgeweicht. Die Bundesregierung erlaubt der deutschen Versicherungswirtschaft im Rahmen einer „Bilanzhilfe“, die nach dem § 341b HGB vorgeschriebenen Abschreibungen auf Aktien (im Umlaufvermögen) zeitweise zu unterlassen, indem diese als „stille Lasten“ ausgewiesen werden müssen. Ohne diese Maßnahmen wären – bilanztechnisch gesehen – viele Assekuranzgesellschaften insolvent geworden. Als Reaktion auf den Sinneswandel in der Krise schwanken vor allem Bankchefs von der bis dato favorisierten RoE-Rendite als Steuerungsgröße ihrer Konzerne – die Deutsche Bank nennt hier als Zielgroße 25 Prozent brutto – auf die „defensive“ Cost Income Ratio (Aufwands-Ertrags-Verhältnis) um. Nach dem Börsenfiasko bricht ab 2002 eine regelrechte „Sparneurose“ aus. Sparziele werden zum integralen Bestandteil der neuen Bankdoktrinen, die von teuren Unternehmensberatungen formuliert werden. Dennoch werden anders als bei den ertragsbasierten Varianten keine bekannten kostenbasierten Kennzahlen entwickelt.
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Während der Blasenbildung in der Subprime-Ära 2003 bis 2007 kommt es erneut zu globalen Verletzungen der ökonomischen Regeln durch Banken, Analysten, Ratingagenturen und andere Finanzakteure. Die Missbräuche werden von den Hedgefonds, den Private Equity-Fonds und anderen Finanzinvestoren gefördert. Die Übernahmen und Substanzausplünderung von Unternehmen durch dieselben gelingen dank Fremdfinanzierung und Analystenbegründungen mit verschiedenen „Optimierungs- und Maximierungsmodellen“. Konzernchefs behaupten, der Kapitalmarkt würde höhere Renditen und einhergehende „Restrukturierungen“ einfordern. Die Heuschrecken-Debatte schlägt in Deutschland politische Wellen. Kurzfristig laufende Aktienoptionen verleiten Manager dazu, die Ergebnisausweise nach oben zu manipulieren. Die Bonis werden nicht nur an die Börsenkurse, sondern auch an Kennzahlen der Aktienanalyse geknüpft. Die formale Verbreitung der Corporate Governance soll auf freiwilliger Basis für Fair Play sorgen. In der Praxis erweisen sich diese formalen, nicht einklagbaren, Absichtserklärungen häufig als Farce. Den Gipfel der Täuschungspraktiken bilden bankeigene außerbilanzielle Zweckgesellschaften, die riskante Milliarden-Anlagen in minderwertige strukturierte Produkte und Derivate investieren („toxische“ Wertpapiere), ohne eine entsprechende Eigenkapitalunterlegung nachweisen zu können. Nach dem weltweiten Bankencrash Ende 2008 erlauben die EU-Kommission und die USA Banken auf „Bilanzerleichterungen“ zurückzugreifen, was Umbuchung der Wertpapiere ins Anlagevermögen impliziert und auf eine Unterlassung der Abschreibungen hinausläuft (sogenannte Buy and hold-Politik). Den Gipfel der Irrationalität bilden Fair Value-Gewinne auf der Passivseite, die mit einer Ratingverschlechterung einhergehen (gesunkener Rückkaufswert eigener Anleihen). Quasi bankrotte Banken verbuchen durch diesen „Trick“ Milliardengewinne. Wie zu erwarten war, gehen die gegenwärtigen Konzerndoktrinen erneut – wie nach 2001 – in die Defensive. Es ist zu fragen: Für wie lange? Wenn sich die Geschichte auch im Wirtschaftsleben angeblich wiederholt, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis andere Blasenbildungen und Exzesse verpackt in neue AlibiKennzahlen die zukünftige Wirtschaftsszene beherrschen werden.
Analysevorgang: Einzelschritte Bevor mit der Beschreibung einzelner Kennzahlen begonnen wird, ist die analytische Vorgehensweise vorzustellen. Die Analyse umfasst neben der formal-technischen Seite (Formeln) die Interpretation der ökonomischen und der anlagepraktischen Aspekte. Bei den weniger verbreiteten Kennzahlen wird ein verkürztes Prüfraster verwendet.
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Messkonzept, Ermittlung, Varianten Hier wird der technische Teil jeder Kennzahl behandelt. Darunter ist die Datenbeschaffung, die Rechenformel und die Art der Ableitung aus der Bilanz- und der Gewinn- und Verlustrechnung zu verstehen. Neben dem Grundmuster werden die gängigen Untervarianten behandelt. Stärken-Schwächen-Analyse Hier gilt zu prüfen, ob das Messziel – also bei den klassischen Varianten die Ertragskraft, Substanzstärke, Ausschüttungsattraktivität oder Unternehmenssicherheit – mithilfe der konkreten Kennzahl erreicht wird. So kann die Abbildung der Ertragsstärke durch sehr unterschiedliche Kennzahlen vorgenommen werden. Die bekanntesten müssen nicht immer die nützlichsten sein. Aus der Indexwelt wissen wir, dass in den USA der bekannteste Aktienindex, der Dow Jones, eigentlich der „falsche“ ist, wenn der repräsentative USAktienmarkt abgebildet werden soll. Der Dow Jones bildet nur die 30 größten USKonzerne ab, während der breite S&P500 genau 500 Unternehmen umfasst. Ähnlich verhält es sich bei den Kennzahlen. Die populärsten von ihnen müssen nicht die „richtigen“ sein, wenn es gilt, ein gewünschtes Messziel zu erreichen. Die Stärken-SchwächenAnalyse soll in diesem Fall die Eignung der Kennzahl von der ökonomischen Seite beleuchten. Mögliche Fehlinterpretationen Nach Abschluss der Stärken-Schwächen-Analyse sollte geprüft werden, ob Fehlinterpretationen möglich sind. Die Fehlinterpretationen haben mehrere Ursachen: 1. Der externe Bilanzleser begeht Interpretationsfehler, wenn er mehrere Kennzahlen in einer Wechselwirkung deuten muss. Kennzahlen widersprechen sich häufig. Ein negativer Wert der einen ist aufgrund des definitorischen Zusammenhangs die logische Konsequenz eines positiven Wertes einer anderen. Der Anleger kann nicht nur positive Werte erwarten. Er hat häufig zwischen mehreren Möglichkeiten zu entscheiden und muss Gewichtungen vornehmen. 2. Durch einen offensichtlichen Datenmissbrauch des gesamten oder nur eines Teils der Kennzahlen-Formel wird das Gesamtergebnis verfälscht. Berücksichtigt der Analyst nur „unbereinigte“ Gewinne, wird er ein falsches KGV erhalten. Ob aussagekräftige Gewinne verwendet wurden, kann wiederum nur ein erfahrener Profi feststellen, der die Methodenvielfalt und die Kulissen der Datengewinnung aus langer Erfahrung kennt. 3. Die Interpretation der Kennzahlen aus Anlegersicht muss auf praktische Gegebenheiten des Kapitalmarktes Rücksicht nehmen. Fehlinterpretationen derart, wie „günstig“ oder „ungünstig“ eine Aktie bewertet ist, werden unter anderem von den Marktphasen (steigende, fallende oder seitwärts gerichtete Trends) abhängen. In der Baisse erscheinen die KGVs häufig nur deswegen sehr günstig, weil Analysten nicht gewagt haben, die Unter-
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nehmensgewinne zu reduzieren. Dieses Hintergrundwissen ist ebenfalls primär nur Börsenprofis bekannt und aus der normalen Tagespresse nicht zu erfahren. Die Folgen von solchen Fehlinterpretationen sind falsche Rückschlüsse für die Anlagenallokation.
Fazit: Kennzahlen und verwandte Methoden der Aktienbewertung existieren so lange, wie es den Dow Jones-Index, den Kapitalmarkt oder die Betriebswirtschaftslehre schlechthin gibt. Sobald neue Entwicklungen in diesen Bereichen bekannt werden, finden diese ihren Niederschlag im Kennzahlensystem. Anders als in der Technik werden dann die „alten“ Kennzahlen und Methoden nicht ganz ad acta gelegt und ausnahmslos durch die Novitäten ersetzt. Denn die „neuen“ brauchen erst ihre Bewährungschance. So gesehen sind die Kennzahlen im ständigen Wandel begriffen. Sie sind jedoch leider nicht als zeitlose und objektive Messinstrumente (These von der aktiven Rolle der Kennzahlen) aufzufassen, die allein die Intensität wirtschaftlicher Phänomene abbilden. Kennzahlen können ein umkämpftes Politikum werden, wenn ihnen eine gestalterische Rolle im Wirtschaftsleben zugetraut wird. Sie werden dann zum Rechtfertigungsbringer des wirtschaftlichen Status quo, der geltenden Unternehmensdoktrin (bei Einzelaktien) oder der Extremzustände am Aktienmarkt degradiert. Besonders in Phasen der Blasenbildung an den Finanzmärkten, die Krisen vorausgehen, werden Kennzahlen in der Regel missbraucht.
3.1.1
Ertragsaspekt (1): Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)
Messkonzept und Ermittlungsmethode (Grundvariante) Es leuchtet ein, dass die Aktie einer Gesellschaft umso attraktiver bewertet ist, je mehr diese Gesellschaft pro Aktie verdient. Jeder Anleger möchte Aktien solcher „reichen“ Konzerne besitzen. Dennoch wird er, bevor er sie kauft, nach dem Kurs (Preis) fragen und dabei womöglich feststellen, dass eine weniger „verdienende“ Aktie relativ billiger sein kann. Denn, wie im täglichen Leben ist nicht alles, was gut ist, auch billig. Qualität hat ihren Preis! – heißt es im Volksmund. Um eine sinnvolle Aussage zu treffen, ist hiernach der Gewinn je Aktie immer in Relation zum Kurs zu sehen. Der ökonomisch handelnde Anleger wird also den Gewinn jeweils in Beziehung zu den Preisen (Kursen) setzen, was in der Börsensprache seit über einem Jahrhundert mit der Kennzahl Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) beschrieben wird:
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Kurs-Gewinn Verhältnis (KGV) =
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Kurs der Aktie (am Tag X) Gewinn je Aktie (für das Jahr Y)
Diese Grundformel ist zeitabhängig und muss sowohl das genaue Kursdatum als auch die Periode der Gewinnermittlung enthalten. Die Kernaussage für die Aktienbewertung lautet: Je niedriger (höher) das KGV, umso „billiger“ („teurer“) ist eine Aktie oder ein Aktienmarkt. Eine Aktie mit einem KGV von 10 ist günstiger bewertet als eine mit einem Wert von 14. Die erste sollte also, theoretisch gesehen, gekauft werden. Warum ein niedrigeres KGV günstiger ist, kann mit einem sachverwandten Vergleich aus dem Immobiliensektor gut erklärt werden.
Beispiel 1: Ein Investor hat zwei Gewerbeimmobilien zur Auswahl, die alternativ 1,0 Millionen Euro und 1,2 Millionen Euro kosten. Während die erste eine jährliche Miete von 100.000 Euro abwirft, erwirtschaftet die zweite 150.000 Euro. Die zweite Anlage ist damit unter Ertragsgesichtpunkten interessanter. In Börsenbegriffen gesprochen, hätte die erste Immobilie ein KGV von 10, die zweite aber nur von 8. So weit, so gut, gäbe es da nicht die Sonderfragen der Bewertungsproblematik. Denn während die Kursermittlung in der KGV-Formel kein Problem darstellt – bei Standardwerten werden tagtäglich mehrere hundert Realkurse ermittelt –, werden die Gewinne von Analysten geschätzt. Im Durchschnitt schätzen 30 bis 40 Analysten die Gewinne der großen Index-Aktien (DAX, Dow Jones, Nikkei) etwa sechs bis acht Mal jährlich. Dies geschieht zu Anlässen, die eine Änderung der Schätzung für das laufende und die kommenden Jahre rechtfertigen (neue Quartalszahlen, Akquisitionen, Großaufträge, Sonderbelastungen usw.). Für Allgemeinaussagen müssen angesichts der Fülle dieser Einzelschätzungen Durchschnitte (Mittelwerte) gebildet werden. Die I/B/E/S Spezialdatenbank – Betreiber ist die Gesellschaft Thomson/Primark – bietet detaillierte Schätzungen für institutionelle Anleger gegen Honorarzahlungen an. Alternativ wird von Konsensus-Schätzungen gesprochen. Zusammenfassungen hiervon werden von Internetbanken, die eine entsprechende Lizenz gekauft haben, online auch Privatanlegern angeboten. Neben I/B/E/S gibt es noch andere auf Honorarbasis arbeitende private Anbieter. Die Abbildungen 10 und 11 liefern detaillierte Schätzergebnisse der Gewinne je Aktie der Deutschen Telekom per 04.02.2009 beim Tageskurs von 9,98 Euro. In Abbildung 10 stammen die Schätzungen von den Analysten einzelner Brokerhäuser, in Abbildung 11 von der Gesellschaft selbst.
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Gewinnschätzung: Deutsche Telekom/Einzelanalysten Statistische Auswertung
Fallender Trend
Volatil!!! Einzelanalysten/Bank
billige Aktien
teure Aktien
Abbildung 10: I/B/E/S-Schätzung 2008/2009 für die Aktie der Deutschen Telekom per 04.02.2009. Eine Schätzung der Aktiengewinne ist kein banaler Vorgang. Nachfolgende Probleme, Besonderheiten, Interpretationen und Einschränkungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen: Für die Mittelwertbildung werden Schätzergebnisse von etwa 40 Analysten ausgewertet. Die Ergebnisse werden allein in Deutschland für die Aktie der Deutschen Telekom von mehr als 100 Spezialadressen (Banken, Vermögensverwalter, Versicherungen, Fonds) genutzt. Es gibt also deutlich mehr Nutzer als Schätzer. Die geschätzten KGVs von 13,67 (2008) und 12,17 (2009) ergeben sich laut Formel aus der Division des Tageskurses durch die Ergebnisse je Aktie von 0,73 Euro bzw. von 0,82 Euro (Mittelwerte). Die Spannweite der Einzelschätzungen ist dabei extrem hoch und liegt zwischen 0,49 Euro und 1,03 Euro für 2008 bzw. zwischen 0,60 Euro und 1,20 Euro für 2009. Der fallende Gewinntrend weist in den Jahren 2008 und 2009 keine extremen Schwankungen mehr auf. Das war nicht immer so, wie die Entwicklung Anfang 2005 zeigt. Als Maß für die Schwankungsstärke wird in der Praxis die Standardabweichung in Relation zum Mittelwert genommen, die im untersuchten Fall jedoch niedrig ausfiel.
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An der Anzahl der Schätzungsänderungen in einem Zeitraum lässt sich die Nachrichtenlage zur Aktie beschreiben. In Abbildung 10 gab es für 2008 zuletzt vier Auf- und vier Abstufungen. Werden dagegen viele und starke Schwankungen beobachtet, ist mit baldigen Kursreaktionen zu rechnen. Ihre Richtungen und Ausmaße könnten von der Stärke der Veränderungen abhängen. Im obigen Beispiel wurde aufgrund der Veränderungen der Durchschnittsgewinn allerdings nur unwesentlich um 0,6 Cent reduziert. Bestimmen die Schätzungsänderungen die Kursänderungen oder ist es umgekehrt? – lautet weiter die Gretchenfrage der Aktienanalyse. Wünschenswert wäre selbstverständlich der erste Fall. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Analysten eher prozyklisch agieren, also umgangssprachlich formuliert, „mit dem Strom schwimmen“. Die Börsenkurse eilen im Börsenalltag infolgedessen den Schätzungen und Empfehlungen in der Regel voraus. Erst wenn sie ohne Nachrichten stark „vorgelaufen“ sind, kommt häufig eine Reaktion bei den Analystengewinnen zustande. Wenn umgekehrt die Gewinnanpassung nach der Bekanntgabe wichtiger Zahlen und Nachrichten erfolgt, ist der Kurs meistens weit „weggelaufen“. Bekannt sind Fälle, in denen Analysten trotz massiver Kursänderungen nichts unternehmen wollen. Das passive Beharrungsvermögen dieser Berufsgruppe erstaunt schon manchmal. So blieben noch Monate lang nach dem Ausbruch der Finanzkrise bis in den Sommer 2009 die Gewinne der großen europäischen Bankaktien unverändert, was zu „abenteuerlichen“ KGV-Bewertungen zwischen 1 und 3 führte. Die Abhängigkeiten, die die Ursache für die beschriebene Passivität sind, werden später erläutert. Wichtig erscheint ein Vergleich der konzerneigenen Schätzungen (Abbildung 11) mit den zitierten Analystenwerten. Zwar verwendet bei der Ermittlung des Ergebnisses je Aktie auch jeder Konzern die gleiche Schätzmethode nach DVFA. Dennoch fallen die Ergebnisse unterschiedlich aus, so wie bei den einzelnen Analystenschätzungen, was aus der Anwendung anderer Prämissen und Methodenwahlrechten resultiert. Die Vorgehensweise der Konzernprognostiker und der Wertanalysten ist keineswegs immer die gleiche.
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Gewinnschätzung: Unternehmenseigene Prognosen
GpA-Schwankungen p. a. von > 500 %
17 % Jahreswachstum
Krasse KGVUnterschiede
Abbildung 11: Deutsche Telekom: konzerneigene Prognosen (1999 bis 2007) Es wäre zu erwarten, dass die Unternehmen aus Eigeninteresse tendenziell höhere Werte ausweisen werden als die unbefangenen und kritischen Analysten. In unserem Beispiel liegt der für 2008 genannte eigene Schätzwert der Telekom mit 0,70 Euro je Aktie nur geringfügig unter dem Analystendurchschnitt von 0,73 Euro. Bei anderen DAX-Werten und für andere Untersuchungszeiträume fallen die Unterschiede gravierender aus. Summa summarum: Die Konzerne rechnen sich je nach Lage „ärmer“ oder „reicher“. Steckt hinter dieser Taktik eher Zufall oder Absicht? Wohl eher das Letztere. Fallen die Ergebnisabweichungen extrem aus, so gibt es dafür viele plausible Erklärungen. Ein wachsender Konzern wird – falls es seine Darstellungsmöglichkeiten erlauben – ein grundsätzliches Interesse haben, einen kontinuierlichen und damit für die Außenwelt „berechenbaren Geschäftsverlauf“ vorzulegen. Solidität und nicht Zufall sollen seine Doktrin bestimmen. Starke unberechenbare Schwankungen nach oben oder nach unten wären unerwünscht. Warum? Besonders in der Hochkonjunktur weckt ein Rekordergebnis Begehrlichkeiten zahlreicher Stakeholder-Gruppen, namentlich höhere Dividenden für die Eigentümer, saftige Gehaltserhöhung für die Belegschaft, mehr Steuern für den Staat, höhere Preise für die Lieferanten und vieles mehr. In Baisse-Zeiten ist es umgekehrt: Das Unternehmen wird versuchen, eventuelle Liquiditäts- und Ertragsprobleme zu „verstecken“. Aus dem Geschilderten kann es für die Bilanzpolitik letztendlich nur eine logische Schlussfolgerung geben: In schlechten Zeiten gilt es, sich „reicher“, in guten Zeiten sich „ärmer“ zu stellen.
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Einschränkend ist zu vermerken, dass die beschriebene, mit der Bildung (Auflösung) stiller Reserven einhergehende Denkweise der Konzernspitzen primär in Europa für die VorGlobalisierungsära typisch war. Inwiefern diese heute in den DAX-Unternehmen noch präsent ist, wäre im Einzelfall zu untersuchen. Eins dürfte aber heute wie damals unverändert geblieben sein: Wenn der Börsenkurs überhaupt vom Unternehmensgewinn abhängt, dann wohl von dem Analystengewinn und nicht von dem durch das Unternehmen selbst ausgerechneten Wert. Von zwei Übeln (Unternehmen und Analysten) wählen erfahrene Börsianer immer das kleinere! Was lernt der Privatanleger aus diesen Zusammenhängen und Erfahrungswerten? Der Privatanleger braucht nicht so sehr in die Tiefe zu gehen. Für seinen Bedarf reichen die I/B/E/S-Schätzungen der Internetbanken – wie in Abbildung 12 dargestellt – aus. Sie sind auf den entsprechenden Webseiten unter „Analyse“, „Prognose“, „Indizes“ oder „Empfehlungen“ zu finden. Auch Fachzeitschriften wie die „Börsenzeitung“, das „Handelsblatt“ oder die Anlegerzeitschriften „Börse Online“ oder „Der Aktionär“ liefern die gleichen Informationen. Die Angaben zu den Ergebnissen je Aktie beziehen sich in der Regel nur auf den Stichtag. Damit geht dem Anleger wegen des fehlenden Zeitvergleiches die wertvolle Information über das Sentiment für die Aktie verloren. Steigen oder fallen die Gewinnerwartungen der Analysten – in der Börsenfachsprache wird dann von positiven/negativen Gewinnrevisionen gesprochen –, kann ein verbessertes oder verschlechtertes Sentiment konstatiert werden. Erst beim Vorliegen ausreichend vieler Einzelschätzungen lässt sich ein konkreter Trend erkennen. Dieser Trend ist in Abbildung 12 (von maxblue), die nur eine Tageseinblendung vom 04.02.2009 darstellt, nicht ersichtlich. Dennoch bietet sich ein Ausweg an. Der interessierte Anleger sammelt kontinuierlich die Angaben und konstruiert in Excel einen eigenen Trend, was sehr zeitraubend sein dürfte.
1,30 1,20 1,10 1,00 0,90 0,80 0,70 0,60 0,50 2009 billige 39 AnalystenAktien
2010 teure Aktien34 Analysten
2011 11 Analysten
Abbildung 12: I/B/E/S-Schätzungen für die Deutsche Telekom-Aktie (4.2.2009 )
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Methoden der Gewinnschätzung (1): Bereinigung um die außergewöhnlichen und disponiblen Faktoren Die von den Konzernen in den Jahresabschlüssen publizierten Bilanzgewinne werden nicht „blind“ in die Berechnung der Ergebnisse je Aktie übernommen, sondern um sogenannte außergewöhnliche und disponible Vorgänge „bereinigt“. Es werden die „bereinigten“ Gewinne so berechnet, als ob keine Sonderereignisse vorliegen würden (Normalfall-Hypothese). Wie erwähnt, hat in Deutschland die DVFA bereits 1967 entsprechende Methoden zur Ermittlung des Gewinns je Aktie ausgearbeitet, die laufend angepasst werden. Nach den internationalen Standards der Rechnungslegung (IFRS/US-GAAP) ist der Gewinnausweis je Aktie samt Offenlegung seiner Berechnungsweise verbindlich vorgeschrieben. Seine Ermittlung wird später am Beispiel der Bayer-Aktie vorgestellt. Die Bereinigung um die außergewöhnlichen und disponiblen Ereignisse wird in den Musterbeispielen 2 und 3 gezeigt. Aus Vereinfachungsgründen sollen hier die einfachsten Versionen der Bilanz und der GuV genommen werden. Die Rechenbeispiele beschränken sich auf einige wenige Posten. Allein die nach dem HGB anzuwendende Mindestgliederung der Gewinnund Verlustrechnung besteht bei einer Staffelform aus 21 Posten. Aus didaktischen Gründen konzentrieren wir uns hier auf einige ausgewählte Positionen.
Beispiel 2: Unser Musterunternehmen erzielte 2006 einen bilanziellen Gewinn (Alternativbezeichnungen: Gewinn netto, Ergebnis netto oder Ergebnis nach Steuern) von einer Milliarde Euro, bei einem Umsatz von zehn Milliarden Euro, Gesamtkosten von sieben Milliarden Euro und Abschreibungen auf das Sachvermögen (AfA) von einer Milliarde Euro, was einer linearen Abschreibungsquote von fünf Prozent entspricht. Das Unternehmen gehört 20.000 Aktionären, die insgesamt 100 Millionen Aktien zum Nominalwert von 1 Euro je Aktie besitzen. Der Börsenkurs der Aktien liegt bei 100 Euro. Das Eigenkapital beträgt eine Milliarde Euro. In der Konzernbilanz wird das Anlage- und Umlaufvermögen jeweils mit 20 Milliarden Euro ausgewiesen. Es ergibt sich demnach folgende Ausgangslage: Bilanz (in Milliarden Euro) AKTIVA Sachvermögen
PASSIVA 20,0
Umlaufvermögen 20,0
Summe
Ergebnisausweis laut GuV (in Milliarden Euro)
40,0
Eigenkapital
1,0
davon Aktienkapital 0,1 = 100 Mio. Aktien/1 Euro
Umsatz 10,0 - Kosten (Pensionsrückstellung 1,0) 7,0 - Abschreibung (AfA) 1,0
Fremdkapital
39,0
= Gewinn brutto - Steuern 50%
2.0 1,0
Summe
40,0
= Bilanzgewinn
1,0
Hiernach lässt sich ein „nicht bereinigtes“ Ergebnis je Aktie von zehn Euro (1,0 Milliarden Euro Gewinn: 100 Millionen Aktien) errechnen. Bei einem Börsenkurs von 100 Euro je Aktie beträgt das KGV demnach 10.
Moderne Bewertungskennziffern
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Im nächsten Schritt wird die angekündigte Bereinigung des Bilanzgewinns um die Sondereinflüsse demonstriert und dabei gezeigt, welche von ihnen wirtschaftlichen und welche bilanztechnischen Hintergrund haben.
Beispiel 3: Im Jahr 2007 steigerte das Unternehmen den Umsatz um zehn Prozent auf elf Milliarden Euro, bei unveränderten Gesamtkosten. Es wechselte weiter seine Abschreibungsmethode auf degressiv und schrieb jetzt zehn Prozent statt vorher fünf Prozent p. a. ab. Dadurch hat sich der Abschreibungsbetrag auf 2,0 Milliarden Euro verdoppelt. Gleichzeitig verkaufte das Unternehmen für 2,4 Milliarden Euro Maschinen, die in der Bilanz mit 2,0 Milliarden Euro standen, wodurch 0,4 Milliarden Euro Veräußerungsgewinn anfiel. Nicht bereinigter Gewinn (Milliarden Euro) Umsatz - Kosten (Pensionsrückstellung 1,0) - Abschreibung (AfA) + Gewinn aus Maschinenverkauf
11,0 7,0 2,0 0,4
Bereinigter Gewinn (Milliarden Euro) Nicht bereinigter Gewinn
1,2
- Gewinn aus Maschinenverkauf netto* 0,2 + Änderung Afa-Methode netto* 0,5
= Gewinn brutto - Steuern 50 %
2.4 1,2
* nach 50 % Steuern
= Bilanzgewinn
1,2
= bereinigter Gewinn
1,5
BEREINIGUNGSFAKTOREN IN UNSEREM BEISPIEL > außergewöhnliches Ereignis (Verkauf der Maschine) hat wirtschaftlichen Hintergrund > disponibles Ereignis (Änderung der AfA-Methode) ist reine „Bilanzkosmetik“
Während der bilanzielle Gewinn um 20 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro anstieg, beträgt der bereinigte Gewinn jetzt 1,5 Milliarden Euro. Das sind 15 Euro je Aktie. Beim unveränderten Aktienkurs von 100 Euro beläuft sich dann das neue KGV auf 6,7. Nur das auf bereinigten Gewinnen basierende KGV ist korrekt. Eine umfassendere Analyse der Bereinigungsfaktoren geht über diese simplen Beispiele hinaus. Mehr noch, es herrscht unten Fachleuten quasi ein regelrechter Methodenstreit darüber, in welchem Ausmaß und wann bestimmte Sonderereignisse „bereinigungsfähig“ sind und wann nicht. Zudem ändern sich die DVFA-Methoden, sodass der Anleger sich nur die Grundprinzipien merken sollte. Der Bilanzleser darf zudem nicht den Fehler begehen und die außergewöhnlichen und dispositiven mit den – im HGB ausgewiesenen – sonstigen betrieblichen und außerordentlichen Aufwendungen und Erträgen verwechseln, die er direkt in der GuV ablesen könnte und nicht erst schätzen braucht. Was semantisch „irgendwie“ ähnlich klingt, wie zum Beispiel „außergewöhnlich“ und „außerordentlich“, ist dem Sinne nach hier nicht identisch! Kurz gefasst: Es müssen bei der Definition der außergewöhnlichen und dispositiven Faktoren folgende Kriterien erfüllt sein:
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Außergewöhnliche Ereignisse Eine Bereinigung findet statt, wenn auf der Konzernebene ein Ereignis gleichzeitig einen großen Betrag (drei Prozent) im Verhältnis zu den gewöhnlichen Aufwendungen/Erträgen ausmacht, eine vorhersehbare Seltenheit ausweist und keinen Verlust/Gewinn in den kontinuierlichen Aktivitäten darstellt. So weit, so gut. Aber wie ist im konkreten Fall zu entscheiden? Was heißt „gewöhnlich“, was „kontinuierlich“? Warum werden Schließungskosten einer Auslandsfiliale nicht bereinigt, ein ganzes Restrukturierungsprogramm im Inland – nur deswegen, weil es geplant war und daher keine vorhersehbare Seltenheit hat – dagegen bereinigt? Diese Fragen bleiben offen. Dispositive Ereignisse Diese Einflüsse beziehen sich auf die rechtlich zulässigen Veränderungen des Ergebnisses durch die Nutzung der Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte. Negativ abgegrenzt wird hierbei von der Bilanzkosmetik, Bilanzakrobatik, Bilanztricks oder Bilanzpolierung gesprochen. Dieser Eingriff muss, was vorher gezeigt wurde, nicht immer auf einen höheren Wert hinauslaufen. Unternehmen können ebenso gut Interesse daran haben, sich „ärmer“ darzustellen als sie tatsächlich sind. Analysten hätten es schwer, die Auswirkung der Methodenänderung zu beziffern, hätte der Gesetzgeber nicht vorgeschrieben, diese im Geschäftsbericht zu nennen. Bilanzkosmetik war und ist besonders im HGB verbreitet. Es wäre dennoch ein Trugschluss zu glauben, durch die Umstellung auf IFRS/US-GAAP sei das Thema aus der Welt geschaffen und alles wird von nun an objektiv und wahrhaftig. Wie die neuen und alten Bilanzsünden in der Finanzkrise zeigten, hat sich die Situation eher noch verschlechtert, weil Missbräuche immer weniger strafbar werden. Abgesehen von der Verquickung der Analysen mit den Arbeitgeberinteressen gilt zu fragen, ob die verwendeten Bereinigungsmethoden tatsächlich zum Ziel führen. Wäre dem so, stellte sich weiter die Frage, warum gleiche Methoden zu unterschiedlichen Einzelschätzungen führen und diese so weit auseinander fallen, dass Mittelwerte (Mediane) gebildet werden müssen? Es lohnt sich, diese Problematik etwas näher zu untersuchen. Während bei den außergewöhnlichen Ereignissen die Interpretationsspielräume zu Ergebnisunterschieden führen, ist bei den disponiblen Ereignissen die Praxis der „Marktüblichkeit“ für viele Ergebnisdifferenzen verantwortlich. Das, was in einem Sektor „üblich“ ist (lineare Abschreibung), wird automatisch nicht bereinigt. Die vorgestellte Gewinnschätzung ist im Prinzip vergleichbar mit der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens in der Steuererklärung. Dort sind vom Bruttoeinkommen die Werbungskosten und die Sonderausgaben abzuziehen, um zum zu versteuernden Einkommen zu gelangen. Zwar sind die Steuergesetze jedermann bekannt und das Finanzministerium hat bundesweit gültige Formulare entwickelt, aber dennoch wird mit Sicherheit jeder Steuerberater die Gesetze und Verordnungen anders interpretieren und zu einem anderen zu versteuernden Ergebnis gelangen. Das Finanzamt ändert dann noch einmal vieles um. So ist auch die allgemein verbreitete DVFA-Methode keine schlichte mathematische Rechenformel, die zu identischen Ergebnissen führen muss.
Moderne Bewertungskennziffern
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Methoden der Gewinnschätzung (2): Adjustierung um die Anzahl der Aktien (Kapitalmaßnahmen, Aktienrückkäufe) Nicht nur die im Laufe des Geschäftsjahres veränderten ökonomischen Daten führen zu einem neuen DVFA-Ergebnis je Aktie. Von der besprochenen Gewinnbereinigung um die außergewöhnlichen und dispositiven Faktoren sind die Adjustierungen aufgrund einer veränderten Anzahl der Aktien und anderer „technischer“ Maßnahmen zu unterscheiden. In diesem Buch wird lediglich der erste Fall exemplarisch demonstriert. Es gibt viele Gründe, warum sich in einem Berichtszeitraum die Anzahl der Aktien eines börsennotierten Unternehmens erhöhen oder reduzieren kann. Als wichtigste wären zu nennen:
Kapitalmaßnahmen (Beispiele: Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen, Ausübung von Wandel- und Optionsrechten) Die Erklärung beginnt mit der Erhöhung der Aktienstückzahl. Aufgrund der höheren Anzahl der Aktien im Vergleich zum Altbestand muss sich das Ergebnis je Aktie in der gleichen Proportion reduzieren. Der bereinigte Gewinn wird nunmehr auf die höhere Anzahl der Aktien aufgeteilt. Das KGV steigt. Der beschriebene Vorgang ist als Ergebnisverwässerung bekannt. Ob eine davon zu unterscheidende Vermögensverwässerung eintritt, hängt davon ab, wie hoch der Bezugspreis für die neuen Aktien ist. Liegt dieser unter dem Börsenkurs, sollten die Altaktionäre in der Regel einen Vermögensausgleich in Form des Bezugsrechtes erhalten. Bei einer Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht – ein heute gängiges Verfahren – erleiden sie dagegen einen Nachteil. Diese heutige Praxis war in Zeiten der „HGB-Ära“ bis Anfang der Neunzigerjahre eher unüblich und wurde erst mit der Einführung angelsächsischer Kapitalmarktusancen im Rahmen des IAS/IFRS verbreitet. Zwar dürfte je Maßnahme die Verwässerungsquote maximal zehn Prozent betragen, sie könnte aber häufiger innerhalb einer Mehrjahresperiode durchgeführt werden. Letzte staatliche Rettungsmaßnahmen bei den Banken, so zum Beispiel bei der Commerzbank oder der HypoRealEstate, sind typische Beispiele von Kapitalerhöhungen ohne Bezugsrecht. In seltenen Fällen wird der Bezugskurs über dem Börsenkurs liegen. Der Unterschied zwischen einer Ergebnis- und einer Vermögensverwässerung, die keinesfalls auf börsennotierte Aktiengesellschaften beschränkt ist, lässt sich an einem einfachen Beispiel demonstrieren: Tritt in eine Firma mit einer Million Euro Eigenkapital, deren Eigentümer zwei Gesellschafter mit je einem Geschäftsanteil sind, ein dritter Gesellschafter ein und erwirbt für 500.000 Euro einen neuen Anteil im Wege der Kapitalerhöhung, so bleibt das Vermögen je Anteil aller Gesellschafter unverändert. Die Firma hat jetzt ein Eigenkapital von 1,5 Millionen Euro. Das Ergebnis je Anteil wird allerdings zunächst um ein Drittel verwässert, da mehr Vermögen nicht automatisch ein höheres Ergebnis bedeutet.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Rückkauf eigener Aktien Der Rückkauf eigener Aktien durch eine Gesellschaft kann als ein zu einer Kapitalerhöhung umgekehrter Vorgang angesehen werden. Unter sonst gleich bleibenden Bedingungen verbessern sich hierdurch die KGV-Werte je Aktie, da der bereinigte Gewinn durch eine geringere Anzahl Aktien geteilt wird.
Bayer AG 2006
2007
2.762
3.154
Abschreibungen auf immaterielle Vermögenswerte
734
1.463
Außerplanmäßige Abschreibungen auf Sachanlagen
107
118
909
911
4.512
5.646
-782
-920
-236
-
in Mio € EBIT gemäß Gewinn- und Verlustrechnung
Bereinigung Sondereinflüsse (ohne Abschreibungen)
dispositive Einflüsse „Core EBIT“ Finanzergebnis (gemäß Gewinn- und Verlustrechnung)
Bereinigung
Außerordentliches Beteiligungsergebnis
außergewöhnliche Einflüsse
Ertragsteuern (gemäß Gewinn- und Verlustrechnung)
-454
72
Außerordentliches Steuerergebnis
-203
-870
Steueranpassung
-531
-887
Ergebnis nach Steuern auf Minderheitsgesellschafter -12
-5
2.294
3.036
entfallend (gemäß Gewinn- und Verlustrechnung) Bereinigtes Konzernergebnis aus fortzuführendem Geschäft Finanzierungsaufwendungen im Zusammenhang mit der
72
98
2.366
3.134
746.456.988
764.341.920
45.300.595
59.565.383
791.757.583
823.907.303
2,99
3,80
Pflichtwandelanleihe bereinigt um den Steuereffekt Angepasstes bereinigtes Konzernergebnis
Bereinigung in Stück
neue Aktienstückzahl
Gewichtete durchschnittliche Anzahl der ausgegebenen Stammaktien Effekt aus der potenziellen Wandlung der Pflichtwandelanleihe Angepasste gewichtete durchschnittliche Anzahl der ausstehenden Stammaktien
Ergebnis je Aktie auf „Core“-Basis
Bereinigtes Ergebnis je Aktie aus fortzuführendem Geschäft (in €) „Core EPS“ Vorjahreswerte angepasst
Abbildung 13: Herleitung des GpA-Wertes auf „Core“-Basis bei Bayer Der Rückkauf eigener Aktien hat eine praktische Relevanz und wird häufig von dividendenfreundlichen Aktiengesellschaften vorgenommen. Lag der langfristige Fremdfinanzierungszins für zehnjährige Darlehen mit vier Prozent über der Dividendenrendite – wie bei den
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europäischen Telekomaktien, die sechs Prozent bis sieben Prozent jährlich ausschütteten – lohnte sich ein Aktienrückkauf auf Kredit. Es gibt auch Nachteile, da ein Rückkauf den Abfluss finanzieller Ressourcen aus dem Unternehmen bedeutet. Der noch zu behandelnde Buchwert der Aktie – als Eigenkapital je Aktie definiert – wird in der Regel sinken. Fehlen die Finanzmittel, ist ein Rückkauf nicht möglich. Die Rückkaufwilligkeit ist demnach von der Rückkauffähigkeit zu unterscheiden. Wir kehren zu der vorher genannten Ableitung des Ergebnisses je eigene Aktie durch die nach IFRS/US-GAAP-bilanzierenden Unternehmen zurück. Diese sind zwar rechtlich verpflichtet, die Gewinne je Aktie anzugeben und den Herleitungsvorgang darzustellen. Diese erfolgt allerdings oft eigenwillig, nach eigenen Definitionen, wie das Beispiel der Bayer AG beim Ausweis des „Kernergebnisses“ („Core“-EPS) in Abbildung 13 zeigt.
KGV-Arten: Sachlicher Vergleich (relatives KGV) Die Einzelaktie steht nicht isoliert im Anlageuniversum und muss sich sachlichen und zeitlichen Vergleichen stellen, wenn die Frage, ob sie „billig“ oder „teuer“ ist, beantwortet werden soll. Erst ein Gruppenvergleich (Peer-Gruppen) ergibt sinnvolle Aussagen. Wie eine praktikable Vergleichsgruppe zusammengestellt werden kann, zählt zu den ungeklärten Fragen der Wertpapieranalyse. Angewandtes Research hat Anlageempfehlungen zu liefern, die dann mit den realen Kursentwicklungen konfrontiert werden. Was liegt jedem Analyst näher, als sich durch die Zusammenstellung einer schwachen Vergleichsgruppe Vorteile zu verschaffen? Bei der Gruppenbildung von börsennotierten Titeln lässt sich die Korrelationsanalyse als nützliches Hilfsinstrument heranziehen. Eine Peer-Group sollte aus Werten bestehen, deren Börsenkurse stark miteinander korrelieren. Verbreitet sind Bewertungsvergleiche von Einzelaktien mit dem Gesamtmarkt und dem dazugehörigen Sektor. Es ist darauf zu achten, dass die Stichprobe nicht zu klein (sondern repräsentativ) ist. Hier steht jedoch dem Anwender oft nur eine begrenzte Anzahl an Aktien in einem Gesamtmarkt- oder Branchenindex zur Verfügung. Dessen ungeachtet waren nach dem geschätzten 2008er KGV per 15.01.2008 die Finanzwerte Deutsche Bank und Allianz sowie die Lufthansa im Vergleich zum DAX-KGV von 13,5 die „billigsten“ Indextitel. Gleichzeitig erwiesen sich am anderen Ende der Bewertungsskala Infineon, die Deutsche Börse, die Deutsche Telekom als die „teuersten“ Werte. Eine stichtagsbezogene Aussage birgt noch keinen Erkenntniswert. Das Börsengeschäft ist schnelllebig. Favoritenwechsel finden zwar nicht alltäglich statt, sind aber die Regel. Empirische Erhebungen zeigen, dass intersektorale KGV-Bewertungsspannen deutlich breiter ausfallen als innerhalb eines Sektors.
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Tabelle 5:
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
2008er KGV-Bewertung ausgewählter DAX-Titel per 15.01.2008 KGV-teuerste DAX-Titel
Aktie Infineon Deutsche Börse Deutsche Telekom
KGV-billigste DAX-Titel
KGV 115,7 23,1 19,8
Aktie Allianz Deutsche Bank Lufthansa
KGV 7,6 7,9 8,1
Nicht immer sind die Gruppen und Sektoren der zu vergleichenden Werte so gut bestückt und klar abgegrenzt, wie im Falle der Finanzwerte im EuroStoxx50, der 10 bis 15 Titel zählt und aus 50 Titeln und 18 Branchen besteht. Bei noch breiteren Indizes, die mehrere Tausende (MSCI World) oder Hunderte (Titan-Index mit 600 Werten bzw. US-S&P500 mit 500 Titeln) Aktien umfassen, fällt die Gruppenbildung noch leichter. Problematisch wird die Analyse bei den zwar bekannten, aber kleinen Auswahlindizes, wie beim Dow Jones (USA) oder beim DAX, die jeweils nur 30 Werte haben. Dort umfasst eine Branche rein rechnerisch oft nur wenige, nicht selten einen einzigen Wert, was jeden Vergleich fraglich erscheinen lässt. Aus diesem Grund bevorzugen Analysten in Sektorenvergleichen die weltweiten All-ShareIndizes. Selbst bei dieser Auswahl werden einige Branchen (Transport, Telekommunikation, Bauwirtschaft, Automobile) nur wenige Vergleichswerte gleicher Größenordnung aufbringen. Es gibt nicht viele gleich große Weltkonzerne, die Methodik verlangt aber, gleiches mit gleichem zu vergleichen. Denn es würde wenig Sinn ergeben, die Vergleichbarkeit allein durch eine größere Anzahl von Titeln zu erhöhen. Es würden dann deutsche Werte der zweiten und dritten Reihe neben die Global Player gestellt werden. Mit der Bildung „passender“ Vergleichsgruppen wurde in der Vergangenheit häufig Missbrauch betrieben. Sollte, wie in Zeiten des Neuen Marktes, eine Neuemission nach dem KGV besonders günstig erscheinen, wurden nicht selten „Äpfel mit Birnen“ verglichen. Bei Neuemissionen kam erschwerend hinzu, dass bis zur ersten Börsennotierung nur ein hypothetisches KGV auf der Basis des Emissionskurses berechnet werden konnte.
Ein Vergleich zwischen dem aktuellen, historischen und zukünftigen KGV Je nachdem, welche zeitlichen Kurse und/oder Gewinnschätzungen der Formel zugrunde gelegt wurden, unterscheiden wir zwischen dem historischen, dem aktuellen und dem zukünftigen KGV. Beim historischen KGV, zum Beispiel für das Jahr 2007, konnten alle in diesem Jahr gemachten Schätzungen herangezogen werden. Diese Vorgehensweise würde allerdings eine quasi unerschöpfliche Vielzahl von Werten ergeben. Denn ein DAX-KGV vom 11.03.2007, das sowohl die Kurse als auch die an diesem Tag aktuelle Gewinnschätzung impliziert, unterschied sich von dem Wert am 15.04.2007 oder von dem am 11.10.2007. Zwar hätte sich der
Moderne Bewertungskennziffern
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so tagtäglich ermittelte KGV-Verlauf für das Gesamtjahr grafisch darstellen lassen. Welches KGV für 2007 repräsentativ sein soll, bleibt dann allerdings offen. Um dem Dilemma aus dem Weg zu gehen, wurde in der Praxis der Kurs per 31.12.2007 (Variante 1) und die dazu gehörende Gewinnschätzung oder alternativ ein KGV (Variante 2) zugrunde gelegt, bei dem für den 2007er-Wert der Kurs per heute, die Gewinnschätzung aber vom 31.12.2007 genommen wurde. In beiden Fällen wurde vom historischen KGV gesprochen, da hier ein KGV für die Vergangenheit ermittelt wurde. Das aktuelle KGV bedarf keiner weiteren Erläuterung. Es werden die Kurse per heute (15.09.2009) und die Gewinne für das laufende Untersuchungsjahr – also für 2009 – genommen. Schließlich nehmen wir beim zukünftigen KGV den Kurs von heute und die Gewinnschätzungen für die zukünftigen Jahre, also 2010 und später. Die unterschiedliche Berechnungsweise einzelner Arten zeigt Abbildung 14.
Kurs per heute in Bezug zu ...
... vergangenen Gewinnen
2007
2008
historischeKGVs
... Gewinn 2009
2009
2010
aktuelles KGV
... zukünftigen Gewinnen
2011
2012
zukünftigeKGVs
Abbildung 14: Historisches, aktuelles und zukünftiges KGV Welches KGV ist angemessen? Der Informationswert des aktuellen und des zukünftigen KGV ist unbestritten. Allerdings liefert auch das historische KGV besonders bei den zyklischen Branchen wertvolles Anschauungsmaterial. Diese Branchen unterliegen einem nicht so starken technischen Fortschritt wie die Wachstumsbranchen. So weisen die Gewinne im Maschinenbau oder in der Stahlbranche eine gut prognostizierbare Entwicklung aus. Der danach vorgehende Anleger kann anhand der historischen KGVs feststellen, ob sich das aktuelle KGV „zyklusadäquat“ verhält. Durchläuft es in einem sechsjährigen Rhythmus eine sinusartige Spanne mit KGVExtremwerten zwischen 10 und 20, muss es nach drei Jahren – unabhängig vom Gesamtmarkt – den Mittelwert von 15 erreichen. Lieg der Wert bei 13, ist der Titel „unterbewertet“, liegt er bei 17, gilt er als „überbewertet“.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Dynamisches KGV (PEG-Ratio) Nach den Regeln der Fundamentalanalyse dürfen wachstumsstarke Aktien generell ein höheres KGV besitzen. Was rechtfertigt diese These? Bei sonst gleich bleibenden Bedingungen kann ein heute „teurer“ Wachstumswert seinen Vergleichskonkurrenten hinsichtlich der KGV-Bewertung in wenigen Jahren überholen. Diesen Sachverhalt beschreibt das sogenannte dynamische KGV (auch PEG-Ratio, engl. price earning ratio), das mit folgender Formel berechnet wird: PEG-Ratio =
KGV Gewinnwachstum in %
Beispiel 4 Die Wachstumsaktie B weist eine Gewinnsteigerung von 25 Prozent p. a. aus, während die „normale“ Aktie A nur mit 5 Prozent p. a wächst. Nach fünf Jahren ist die Aktie B, die ein deutlich geringeres PEG-Ratio aufweist, KGV-mäßig mit 6,5 günstiger bewertet als A mit nur 7,8, obwohl sie im Ausgangspunkt nach dem KGV doppelt „so teuer“ war. Aktie A B
Kurs 100 100
2005 Gewinn 10 5
KGV 10 20
Gewinnwachstum p. a. in % 5 25
2010 PEG-Ratio Gewinn KGV 12,8 7,8 2,0 15,3 6,5 0,8
Wie das Zahlenbeispiel belegt, kann die Aktie B tatsächlich durch ein höheres Jahreswachstum innerhalb von fünf Jahren das 2005 bestandene KGV-Gefälle auf- und überholen. Insofern ist das Konzept durchaus aussagekräftig. Ein Problem ergibt sich allerdings, wenn zu hohe und unrealistische Wachstumsraten unterstellt werden (wie etwa in Zeiten des Neuen Marktes). Dann wird das Konzept des PEGRatios in klassischer Form missbraucht.
KGV-Bewertung von Aktienindizes Analog zur Bewertung von Einzelaktien werden KGV-Werte für Märkte (Indizes), Branchen oder Portfolios berechnet. Die Vorgehensweise wird am Beispiel des DAX-Aktienindex gezeigt. Was ist ein Aktienindex? Die Parallelen zum Warenkorb einer Hausfrau macht die Konstruktion eines Aktienindex verständlicher. Jeder Aktienindex, darunter auch der DAX, lässt sich mit einem repräsentativen Warenkorb einer Hausfrau vergleichen. Parallelen gibt es in mehrfacher Hinsicht. Der
Moderne Bewertungskennziffern
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Einfachheit halber soll unterstellt werden, dass der Warenkorb, so wie der DAX aus 30 Aktien, ebenfalls aus 30 Einzelartikeln, besteht. Die gewonnenen Aussagen sind analog: Sowohl die Preise der Waren als auch die Kurse der Aktien und Indizes unterliegen Schwankungen, wobei die Kursschwankungen der Einzelaktien unverhältnismäßig häufiger und stärker als beim Index ausfallen. So wie der Warenkorb einen konkreten Wert – zum Beispiel 150 Euro am 20.07.009 – an jeden Einkaufstag aufweist, besitzt der DAX einen Punktestand, der durch die Deutsche Börse alle 15 Sekunden ermittelt wird. Er betrug beispielsweise am 20.02.2009 um 14:20:56 Uhr konkret 3.624,09 Punkte. Wollen die Hausfrau und der Anleger wissen, wie sich die Preise (Kurse) ihres Warenkorbes bzw. Depots verändert haben, müssen sie, um methodisch sauber vorzugehen, den Vergleich bei Unterstellung unveränderter Mengen eines Artikels oder einer Aktie durchführen. Kauft eine Hausfrau mehr teure und weniger billige Artikel, zum Beispiel mehr Fleisch und weniger Brot, wird der Warenkorb mit Sicherheit einen anderen Wert aufweisen. Genau so verhält es sich mit den Depot-Aktien, wenn 100 Allianz-Titel zu je 50 Euro gekauft und auf der Gegenseite 100 Deutsche Bank-Titel zu je 25 Euro verkauft werden. Die geschilderten Wertänderungen des Korbes oder des DAX können somit auf Preis- und Mengeneffekte zurückgeführt werden. Soll die Preisänderung (Mengenänderung) isoliert gemessen werden, ist der Mengeneffekt (Preiseffekt) zu neutralisieren, indem konstante Mengen (Preise) unterstellt werden. In der Statistik werden dazu Verfahren verwendet, als Preis- und Mengenindizes bekannt sind. Der DAX ist ein Preisindex, der in der Performance-Variante die Dividendenzahlungen mit berücksichtigt. Ein Aktienindex, der keine Dividendenzahlungen berücksichtigt, wird als Kursindex bezeichnet. Zum Zeitpunkt der Messung müssen bestimmte Standardmengen im Warenkorb bzw. Depot festgelegt werden, die in der Statistik Gewichte genannt werden. Der Warenkorb wurde erstmalig für einen Vier-Personen-Haushalt 1958 vom Statistischen Bundesamt festgelegt, der DAX startete am 01.01.1987 mit einem Stand von 1.000 Punkten. Sowohl die Mengen als auch die Waren (Aktien) werden in regelmäßigen Zeitabständen angepasst. Nach gewissen Zeiträumen sind infolge des technischen Fortschritts und veränderten Konsumgewohnheiten einerseits und Entwicklungen an den Aktienmärkten andererseits bestimmte Waren und Aktien nicht mehr repräsentativ. Sie müssen aus dem Warenkorb und dem Depot herausgenommen und durch andere ersetzt werden, damit die Anzahl von 30 konstant bleibt. Die Wahl neuer Kandidaten bereitet keine Probleme. Ihre Gewichtung wird anhand der Umsatzzahlen im Handel oder der Börsenumsätze festgelegt. Im Warenkorb hat irgendwann ein Handy den Platz des alten Kassettenrecorders eingenommen, im DAX wurde zuletzt die Postbank durch die Hannover Rückversicherung (März 2009) ersetzt. Der geschilderte Sachverhalt wird in der Literatur mit – nicht immer unbedingt einfachen Formeln – beschrieben. An den Kernaussagen ändert die mehr oder minder „wissenschaftliche“ Präsentation der Problematik auch nicht viel.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Aber zurück zum KGV. Wie werden die Gewinne in einem Aktienindex (DAX) und sein KGV ermittelt? Bestehen hier Unterschiede zu der Vorgehensweise bei den Einzelaktien? Das KGV des DAX für das Jahr Y wird – in Analogie zur Einzelaktie – als das Verhältnis des DAX-Standes am Tag X zu seinen Gewinnen im Jahr Y errechnet. Stand DAX (am Tag X) KGV - DAX =
Gewinne DAX (für das Jahr Y)
Das, was der Kurs bei der Einzelaktie ist, stellt beim Index der jeweilige Index-Stand (seine Notierung) dar, der in Punkten und nicht in Euro gemessen wird. Es können ebenfalls historische, aktuelle und zukünftige DAX-KGVs errechnet werden. Die Gewinne eines Aktienindizes sind aus der Summe der Gewinne der einzelnen Indexaktien, multipliziert mit ihren Gewichten zu berechnen. Bei Verlusten sind diese von der Gewinnsumme der anderen Titel abzuziehen. Danach dürfte sich eine zehnprozentige Gewinnsteigerung der E.ON-Aktie, die ein DAXGewicht von etwa zehn Prozent hat, den Indexgewinn doppelt so stark nach oben ziehen, wie eine zehnprozentige Gewinnsteigerung bei Daimler-Aktien, die nur ein Gewicht von fünf Prozent aufweisen. Die Tagesgewichte der DAX-Titel sind auf den Internetseiten der Deutschen Börse nachzulesen. Noch einfacher kann der Anleger die Gewichte der Einzeltitel mit Hilfe der Fachpresse ermittlen, indem er die entsprechende Indexkapitalisierung am Tag X zur Indexkapitalisierung des Gesamtmarktes (des DAX) ins Verhältnis setzt. Die Indexkapitalisierung errechnet sich als die Anzahl der an der Börse notierten Aktien mit ihren Kursen. Betrug sie am 04.02.2009 bei Siemens 38,69 Milliarden Euro, bei 413,3 Milliarden Euro für den gesamten DAX, belief sich die Siemens-Gewichtung auf 9,35 Prozent. Tabelle 6:
Die KGV ausgewählter Länderindizes (Juli 2009)
Index Welt MSCI AC World USA S&P 500 Japan TOPIX Europa Euro Stoxx 50 Deutschland DAX 30 Frankreich CAC 40 Asien MSCI Asia Pacific
2009e 14,6 16,1 36,4 11,4 14,1 12,5 17,0
KGV 2010e 12,0 12,7 17,7 9,5 10,4 10,0 13,1
2011e 10,0 10,5 14,0 8,1 8,7 8,4 11,1
Quelle: IBES, Stand: Juli 2009
Zu den vorgestellten zeitlichen und sachlichen Klassifizierungen des Indizes kommen noch andere hinzu: Unterscheidungen nach Internationalität (Länderindizes: Dow Jones, Nikkei
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225, EuroStoxx50, DAX) nach Branchen (Medien, Telekomkonzerne, Banken, Versicherungen, Automobile, Technologiewerte) sowie nach bestimmten Unternehmensgrößen (Blue Chips, mid Caps) sind möglich. Tabelle 6 zeigt die KGV-Bewertung ausgewählter Länderindizes. Trotz Parallelen zwischen den Einzelaktien und Indizes lohnt ein Blick auf zwei Phänomene, die zu falschen Interpretationen führen können:
Phänomen 1: Es wird behauptet, die KGV-Bewertung eines breiten Indizes gibt ein exaktes Bild der Wirtschaft eines Landes aus der Kapitalmarktsicht wieder. Kauft im Vertrauen darauf ein unerfahrener deutscher Privatanleger Aktien eines „KGV-mäßig“ billigen Landes, kann sein Engagement zu bitteren Verlusten führen. Denn zu der heiklen Problematik der Gewinnermittlung kommt die der Indexkonstruktion hinzu. Dabei wäre oftmals die nahende Katastrophe bereits aus der „schiefen“ Konstruktion der führenden Länderindizes erkennbar. Indizes, die sehr bekannt sind, müssen nicht repräsentativ sein. Übertriebene Gewinnprognosen kommen hinzu und lassen einen Index „billig“ erscheinen. Die auf den ersten Blick plausible These vom objektiven Wirtschaftsbild muss aus mehreren Gründen nicht zutreffend sein. Erstens sind nicht immer die größten Unternehmen eines Landes an der Börse notiert, denn diese können sich in Staats- oder Familienbesitz befinden (Notierungsargument). Zweitens kann der BIP-Beitrag der Indexunternehmen gering sein, weil die Wirtschaftsleistung des Landes hauptsächlich aus dem nicht börsennotierten Mittelstand kommt (Konzentrationsargument). Drittens kann der Index durch die einseitige Vertretung einiger weniger „Fortschrittsbranchen“ verzerrt werden (Monokultur-Argument). Die dramatischen Schieflagen aus dem Jahr 2009 in vielen angeblich „unterbewerteten“ Emerging Markets (BRIC-Länder, Next 11-Gruppe) lieferten Paradebeispiele für solche Fehleinschätzungen. Zukünftige KGV-Bewertungen von unter 5 auf der Basis hoher Wachstumserwartungen waren für diese Länder die Regel. Ohne ein modernes Rechnungswesen waren in den Emerging Markets aussagkräftige Gewinnermittlungen Zufallssache. Die Zahlen wurden von den Investmentbanken, die ihre Zertifikate an den Anleger bringen wollten, einfach „gepusht“. Auf das Vorgehen vieler ehemaliger Top-Favoriten in der Region trifft der Tatbestand der Täuschung zu. Die Wirtschaft zahlreicher Emerging Markets blieb wegen der Ineffizienz staatlicher Monopolisten marode, obwohl die Börsenhaussen einen anderen Zustand vorspielten, weil hier lediglich einige Vorzeigeunternehmen den Ton angaben. Auch befand sich ein großer Teil der Ökonomie außerhalb des staatlich und statistisch erfassten Systems (Schattenwirtschaft). Schließlich war das vermeintliche Wirtschaftswunder der Kandidaten durch die einseitige Entwicklungsstruktur geprägt und durch wenige, von westlichem Know-how und Kapital kontrollierten Branchen (Touristik, Banken, Telefonie, Rohstoffgewinnung, Bauwirtschaft) getragen. Es bildeten sich Blasen, die – als sie platzten – zur Katastrophe in der Gesamtwirtschaft führten.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Zu den gescheiterten Schwellenländern gehörten in erster Linie Kasachstan, Nigeria, Pakistan, die Ukraine, Ägypten und Rumänien. Auch die in der heutigen Presse so beklagten Wirtschaftsprobleme Osteuropas waren primär hausgemacht, von Börsenhaussen angetrieben, die ihrerseits im gewissen Maße von den „günstigen KGV-Bewertungen“ getragen wurden. Bis Mitte 2010 haben sich die Aktienbörsen der Emerging Markets allerdings wieder kräftig erholt und quasi ihre alten historischen Höchststände (Indien, Brasilien) wieder erreicht.
Phänomen 2: Ein weiterer Trugschluss lautet sinngemäß: Sind breite Aktienindizes „billig“, das heißt im Vergleich zu den Benchmarken unterbewertet, kann es keinen Crash am Aktienmarkt geben. Zusammenbrüche von ganzen Märkten wären nur bei starken Übertreibungen logisch. Auch diese Vorstellung hält der Empirie nicht stand. Das KGV ist lediglich eine von vielen Bewertungskennzahlen, die neben anderen Faktoren die Aktienkurse bestimmen. Da sich Kursfaktoren häufig widersprechen, bleibt, wie in der Physik, die Richtung unterschiedlich wirkender Kräfte ungewiss. Die im Normalfall aussagefähige KGV-Wirkung kann sich in diesem Umfeld nicht entfalten. Zu diesem Argument wird es Einwände seitens der Verfechter der sogenannten „Neutralitätstheorie“ geben, die folgende Argumentation anführen: Während bei der Einzelaktie der Saldo anderer Faktoren ungewiss bleibt, könnte sich dieser in einem breiten Markt – der durch den Index repräsentiert wird – kompensieren. Hier hilft die Chaostheorie, welche vereinfacht besagt, dass das Verhalten einer Menge viel trefflicher vorauszusagen ist als das eines Individuums. Welche Theorie ist die richtige? Was sagt die Empirie dazu? Eine Untersuchung von Goldman Sachs (2009) für den breiten US-Index S&P500 zeigt, dass die Dauer und die Stärke der Krise keineswegs von der KGV-Bewertung abhingen. Krisen ereigneten sich sowohl bei einem KGV von 32,4 als auch bei einem von 9,7! Sind also im Endeffekt die KGV-Bewertungen eines Indizes genau so sicher oder unsicher wie die der Einzelaktie? Das ist keinesfalls sicher. Die Ermittlungs- und Prognosefehler, welche bei Einzelaktien gemacht werden, können sich in einem Index kumulieren oder aufheben. Hier kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Einzelmessungen und -prognosen hängen von der Genauigkeit und der Korrektheit der Analystenarbeit ab. Diese ist nicht isoliert vom Kapitalmarktumfeld zu sehen. Das Tätigkeitsfeld der Analysten ist nicht allein eine Frage ihres „Könnens“ und ihres „Wollens“, sondern auch des „Dürfens“. Damit kommen die Sachzwänge, denen diese Akteure im Kapitalmarktspiel unterliegen, zur Sprache.
Moderne Bewertungskennziffern
Tabelle 7:
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Börsenbaissen im historischen Vergleich – gemessen am S&P500
Hoch vor der Baisse
Tiefpunkt der Baisse
Dauer (Monate)
Rückgang S&P ( %) KGV (Durchschnitt)
KGV-Spannen
Sept. 1929
Jun. 1932
45
86
16,3
22,0 - 10,7
März 1937
Apr. 1942
61
60
20,8
28,1 - 13,4
Mai 1946
Jun. 1949
37
30
22,3
33,6 - 10,7
Aug. 1956
Okt. 1957
14
22
25,7
26,9 - 24,5
Dez. 1961
Jun. 1962
7
28
32,4
38,5 - 26,3
Feb. 1966
Okt. 1966
7
22
28,3
31,4 - 25,3
Nov. 1968
Mai 1970
19
36
26,8
31,7 - 21,9 22,8 - 11,3
Jan. 1973
Okt. 1974
21
48
17,1
Nov. 1980
Aug. 1982
22
27
9,7
10,9 - 8,5
Aug. 1987
Dez. 1987
4
34
14,2
18,0 -10,3
Juli 1990
Okt. 1990
3
20
15,6
16,9 - 14,4
März 2000
Okt. 2002
31
49
21,4
26,9 - 15,9
Okt. 2007
März 2009 (?)
17 (?)
56
17,9
22,4 - 13,4
Quelle: Goldman Sachs
Kulissen der Ermittlung und Prognose von KGV-Werten: Unter welchen Sachzwängen arbeiten Aktienanalysten? Es soll auf die systemimmanenten Sachzwänge, denen Analysten unterworfen sind, hingewiesen werden. Diese äußern sich im Interessenkonflikt mit dem Arbeitgeber, in der Regel einer Bank, in Bezug auf die von ihnen zu erbringende Arbeitsleistung (Wertpapierstudien). Wer die Wertpapieranalyse allein mit der theoretischen, formal-juristischen Brille sehen möchte, wird sich die dortigen realen Vorkommnisse nicht erklären können. Es wurde an vielen Stellen darauf hingewiesen, dass die Bewertungskennzahlen so gut (oder so schlecht) sind wie die Arbeit der Autoren, die sie entwerfen. Da es sich in erster Linie hier um „bankabhängige“ Analysten handelt, lohnt ein Blick hinter die Kulissen des real existierenden Banken-Researchs. Wie andere Kapitalmarktteilnehmer geraten Wertpapieranalysten in regelmäßigen Zeitabständen in den Verruf, lediglich Ausführungsgehilfen der omnipotenten Finanzindustrie zu sein. Diese Berufsangehörigen werden hiernach abwechselnd entweder als die „Opfer“ oder als die „Täter“ in Finanzkrisen stigmatisiert. Wer genau hinschaut bemerkt, dass sich eine solche Schwarz-weiß-Kategorisierung allmählich verwischt. Nicht alle Investmentbanker – schon gar nicht Analysten – haben in vergangenen Börsenhaussen millionenschwere Bonis verdient, zumal ihre Leistung formal nicht an die Verkaufszahlen gekoppelt werden durfte. Der Beruf eines Wertpapieranalysten bringt aber vielerlei Anerkennung mit sich, auch in nicht-pekuniärer Hinsicht. Analysten haben öfter als Wirtschaftjournalisten die Möglichkeit des direkten Kontaktes mit den mächtigen Wirtschaftska-
62
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
pitänen auf zahlreichen Konferenzen und Roadshows. Im Unterschied zu den Presseleuten kosten auf diesen Veranstaltungen die gut informierten Researcher ihr analytisches Knowhow in Diskussionen auf „Augenhöhe“ aus. Auch Auftritte im Börsenfernsehen, auf Vorträgen und Seminaren, in Interviews in Fachzeitschriften und Wirtschaftsmagazinen haben zweifelsohne ihren Reiz. Zudem genießen Analysten den Ruf als anerkannte Experten. Nicht zuletzt bleibt die „Titelinflation“ zu erwähnen. Banken vergeben sehr gern Titel, die sie nichts kosten und hinter denen sich keine Entscheidungsbefugnisse verbergen. So darf sich im Research häufig ein Analyst mit der Direktoren-Bezeichnung schmücken. Außenstehende Kunden, die die Vorgänge in der real existierenden Bankenwelt nicht kennen, glauben in solchen Fällen, eine wichtige, hierarchisch hoch gestellte Persönlichkeit vor sich zu haben. So viel zur Habenseite. Tabelle 8:
Die Welt der Wertpapieranalyse (Arbeitgeber, Konflikte, Nutzer)
Arbeitgeber der Analysten > > > > > >
Banken Fondsgesellschaften Versicherungen Vermögensverwalter Ratingagenturen Medien
Mögliche Interessenkonflikte im Bankenbereich
Nutzen für den Anleger
> IPO (Zuschlag, Platzierung) > Kunde (Beschwerden) > Institutionelle Kunden Vermögensverwaltung) > Kreditabteilung (Negatives nach außen abschirmen) > Analysten (Vorteile) durch tendenziöses Research
> Grundlage für Anlageentscheidung > Unterschiedliche Voten erlauben ein ausgewogenes Urteil Urteil > Studien Studien ohne ohne EmpfehlunEmpfehlun gen gen als als Informationsquellen Informationsquellen Research-F achsprache > Research Fachsprache erleichtertKommunikation Kommunikation erleichtert
Die Analystentätigkeit bringt aber auch Schatten auf der Sollseite mit sich. So wenig, wie es in Zeiten der Blasenbildungen an den Kapitalmärkten „Helden“ unter ihnen gibt, die „ihre Meinung“ offen zum Ausdruck bringen sollten, gibt es Opponenten in den Reihen anderer Investmentbanken. Dennoch steht an erster Stelle der Vorwurf des Opportunismus. Kritiker der Analysten behaupten, diese verhalten sich immer prozyklisch. Wenn der Kapitalmarkt haussiert, werden ohne Rücksicht auf die Spielregeln der Vernunft massiv Kaufempfehlungen ausgesprochen. In Phasen platzender Finanzblasen wird dagegen zum massiven Rückzug geblasen. Mit anderen Worten: Analysten verstärken sowohl den Optimismus als auch den Pessimismus der Finanzmärkte. In der Globalisierungsära wiederholt sich die beschriebene Prozedur alle Jahre wieder mit erstaunlicher Präzision. Während der Aufarbeitung der Finanzskandale in Baissezeiten, wenn Kritik und Diskussion erlaubt und gewünscht sind, stellte sich mehrmals heraus, dass alle Akteure der Finanzbranche „gesündigt“ haben. Dennoch werden die Analysten besonders an den Pranger gestellt. Es fällt den Geschädigten leicht zu behaupten, die Fachleute der Prognosekunst hätten die Fehlentwicklungen nicht erkannt oder wollten sie nicht kommunizieren. Dieser Vorwurf geht ins Leere. Warum? Sich gegen mächtige Vertriebsinteressen des Bankarbeitgebers zu stellen, bedeutet eben den „Held zu spielen“. Es ist vielfach gerichtsaktenkundig geworden, dass gerade unbequeme, warnende Analysen verschwiegen, missachtet oder schlicht gemobbt
Moderne Bewertungskennziffern
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wurden. Solange der Widerstand gegen den Vertriebsdruck keine Chance hat, sich zu formieren, wird im Bankbetrieb die kritische Analyse als marginale Systemstörung empfunden, die als notwendiges Übel hinzunehmen ist. Im praktischen Bankalltag wird das Research vielfach zum gewöhnlichen Erfüllungsgehilfen des Vertriebs heruntergestuft. Wie wehren sich Analysten dagegen? Gerade an den Wendepunkten von der Börsenbaisse zur -hausse und umgekehrt ist die Fluktuation in dieser Berufsgruppe besonders groß. Im ersten Fall werden Analysten gesucht, um die anlaufenden Vertriebsoffensiven zu unterstützen. Im zweiten Fall versuchen die Banken aus Kostengründen sich ihrer zu entledigen. Dieser Sachverhalt ist nach außen zu wenig bekannt. Die Tagespresse und andere Massenmedien berichten viel zu selten über die geschilderten Sachzwänge. Zu unrecht. Denn unbestritten ist: Researcher sind absolut in der Lage, bestimmte Trends rechtzeitig zu erkennen. Es sind vielmehr die Entscheidungsträger in den höheren Etagen der Kredithäuser, die die Verbreitung „unbequemer“ vertriebsschädlicher Wahrheiten verhindern. Um Konflikte zu vermeiden, haben die Banken zwar pro forma interne Kontrollstellen (Compliance) und die Trennung von Geschäftsbereichen eingeführt, die allerdings – wie andere Posten der internen und externen Bankenkontrolle – während der Blasenbildung oft versagen. Es besteht zwar die offensichtliche Gefahr einer passiven Parteinahme zugunsten der Arbeitgeberinteressen, trotzdem ist der Nutzen der Wertpapieranalyse als unstrittig anzusehen. In der Regel wird ihre Leistung erst anerkannt, wenn sich die Börsenlage beruhigt hat, die beschriebenen Restriktionen bekannt wurden und die Finanzwelt einer fairen Beurteilung zugänglich ist. Die Befürworter der Analyse berufen sich in solchen Zeiten insbesondere auf drei Argumente: Die Studien sind niemals alle „gleichgerichtet“. Zu einzelnen Titeln, wie zum Beispiel zur Daimler-Aktie, dürfte es zu jedem Zeitpunkt genau so viele Kauf- wie Verkaufsempfehlungen geben. Insofern würden „Gefälligkeitsstudien“ wenig sinnvoll sein, zumal jede Hausbank ihre Geschäftsverbindungen (Beteiligung, Kapitalerhöhungen, Mandate, andere Geschäfte) im Research offen legen muss. Wenn zeitweise die Studien der WestLB zur TUI-Aktie auffallend positiv ausfielen, so ist dies vor dem Hintergrund der vormaligen Börseeinführung von Preussag, des TUI-Vorgängers, durch die Landesbänker nicht verwunderlich. Wertpapieranalysten konzentrieren sich auf das Wesentliche, selektieren die Nachrichtenflut und bündeln diese zu Kernaussagen. Der „Normalanleger“ hat gar nicht die Zeit, diese Informationslawinen zu studieren. Darüber hinaus fehlt ihm oft das analytische Werkzeug für eine richtige Interpretation. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Vorarbeit der Analysten als besonders wertvoll. Börsenaltmeister André Kostolany bemerkte trefflich: Börsenwissen ist das, was übrig bleibt, wenn man schon alle Details vergessen hat. In Wertpapierstudien in Fachsprache klar definierte Kennziffern benutzt, anhand derer sich der Leser selbst ein Bild vom untersuchten Unternehmen oder vom Gesamtmarkt machen kann. Er könnte bei einer präsentierten Faktenlage durchaus zu einem anderen Urteil als der Analyst kommen. Auch andere Wirtschaftsbereiche (Kreditverträge, Lebensversiche-
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
rungen, Bilanzanalyse) kommen aus Gründen der Transparenz und der Kommunikation ohne eigene Fachsprache nicht aus. Nicht anders ist es in der Wertpapieranalyse. Die Einstellung zur Arbeit der Analysten und die Wertschätzung ihrer Leistungen unterliegen im Börsenalltag gewissen Schwankungen. Beginnt nach der Baisse der Börsenzyklus von vorn, wird in Kreisen der Broker und Privatanleger ihre Leistung eher vorsichtig bis misstrauisch beurteilt. Der Grund für diese Zurückhaltung liegt in dem angesprochenen prozyklischen Verhalten der Zunft. Wie gesagt, belegen empirische Studien, dass die Schätzer ihre Prognosen vornehmlich dem vorherrschenden Kurstrend anpassen. Demnach „machen“ häufig die Kurse die (Analysten-)Nachrichten und nicht umgekehrt, so wie es sein sollte. Es wirkt durchaus peinlich, wenn bestimmte „verspätete“ Fachleute die Gewinnanpassungen erst dann vornehmen, wenn die Aktienkurse seit Monaten schon markante Kursstrecken hinter sich gelassen haben. Was im Grundsätzlichen gilt, darf im Einzelfall nicht generalisiert werden. Anhand der Schwankungsbreite der bekannten I/B/E/S-Schätzungen lässt sich erkennen, wie stark von einer Einheitsmeinung der Analysten die Rede sein kann. Hier erweist sich folgender Hinweis als hilfreich: Gibt es monatelang auffallend keine neuen Ergebnisschätzungen, weil es keine neuen Nachrichten gibt, kann sehr wohl von einer „Prozyklizität“ gesprochen werden. Der Anleger wird in solchen Momenten im Stich gelassen. Berufliche Sanktionen für die beschriebene Passivität sind nicht vorgesehen, zumal häufig dahinter die abwartende Politik der Arbeitgeber steckt. Mit dem Strom zu schwimmen, ist einfacher als dagegen. Von „Prozyklizität“ kann auch dann gesprochen werden, wenn gute (schlechte) Meldungen zu undifferenzierten Urteilen in der Zunft führen und es kaum abweichende Meinungen gibt. Ist die Unterordnung der Wertpapieranalyse unter die Interessen der Finanzindustrie bekannt, so wird in der Öffentlichkeit zu Recht die Frage gestellt, ob es in einer Marktwirtschaft nicht den Bedarf für ein unabhängiges Research besteht. Dieses wäre von unabhängigen Stellen zu stellen und angemessen zu bezahlen. Schließlich ist der Schaden durch Mammutverluste in der Finanzkrise um ein Mehrfaches höher, als es die Kosten dieser neutralen Stellen wären. Schließlich werden auch bezahlte Ratingagenturen global akzeptiert und nicht als Systemfehler im Bewertungsbereich angesehen. Der Ruf nach einem unabhängigen Wertpapier-TÜV ist zwar nicht neu, sowie es nicht an ehrlichen Absichten des Gesetzgebers auf diesem Gebiet mangelt. Entsprechende Versuche scheiterten leider immer wieder an „mangelnder Börsennähe“ solcher Stellen und fehlendem Fachpersonal, das den Verlockungen des großen Geldes der konkurrierenden Finanzbranche widerstehen kann. Die „neutralen“ Kapitalmarktanalysten zählen ex definitionem zu den beamteten Non-Profit-Stellen, während ihre Fachkollegen an der Börse das Mehrfache verdienen. Selbst wenn ein unabhängiges Research staatlich vorgeschrieben wäre, könnte niemand die Anleger daran hindern, Bankstudien vorzuziehen oder sich in ihrer Anlageentscheidung an Gerüchten zu orientieren.
Moderne Bewertungskennziffern
65
Welche „neutralen“ Stellen sind heute anzutreffen und wie arbeiten diese? Die „Neutralen“ befassen sich mit dem Thema Börse im Rahmen der allgemeinen Kapitalmarktforschung. Ein klassisches Beispiel liefern die an den Universitäten und Forschungsinstituten verfassten Konjunkturprognosen, neue Unternehmensbewertungsmodelle, Arbeiten über internationale Kapitalströme oder Konzepte zur optimalen Portfoliotheorie.
Die non-Profit-Stellen neutrale Beobachter des „Börsenspiels“
Universitäten
Hoher Anspruch, jedoch Praxisferne (z. B. Kapitalmarkttheorien). Nützliche Ansätze: Portfoliotheorie
Forschungsinstitute
Verwandte Sonderthemen (z. B. Studien zum Ölpreis, Energie, Wettbewerb, Welthandel und Kapitalmarkt)
bankenunabhängiges Research
Soll unabhängig sein, de facto kann es aber trotz Kontrollmechanismen Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber geben!
Abbildung 15: „Neutrale“ im Börsenspiel Etwas unklar bleibt in diesem Umfeld die Stellung der Investor-Relations-Abteilungen. Einerseits liefern sie reine Informationen über ihre Unternehmen und Branchen und sind daher formal keine Profit-Center. Andererseits haben sie sehr wohl die Interessen des Arbeitgebers zu vertreten. Theorie und Praxis der Wertpapieranalyse klaffen damit im Alltag stark auseinander. Wie sind die Bankanalysten in diesem Umfeld einzuordnen? Nach dem Willen des Gesetzgebers gehören sie zu der Gruppe der „Neutralen“, trotz der vielfältigen Abhängigkeiten und Sachzwänge. Ihnen wird formal die Rolle des Interessenbewahrers der Anleger, welche eine objektive Wertpapiereinschätzung erwarten, zugedacht. Der Gesetzgeber hat allerdings kein Interesse, dieses Postulat durchzusetzen und interessiert sich nicht für die Finanzierungsseite. Anscheinend verhält sich nicht nur der Staat „verbrauchergleichgültig“. Denn auch die Standesorganisation, in Deutschland die DVFA, unternimmt – das behaupten ihre Kritiker – nichts, um die „ehrbaren Prinzipien“ der unabhängigen Wertpapieranalyse durchzusetzen und sich mit den mächtigen Banken anzulegen. Mit zu viel Kritik könnte der Vertrieb von Finanzprodukten gestört werden. Der Kommerz hat im Vordergrund zu stehen. Die Banken sind andererseits Hauptkunden, die Mitarbeiter zu den nicht gerade billigen Analysten-Seminaren der DVFA entsenden. Wer möchte da schon auf eine derart lukrative Einnahmequelle verzichten? Wer genau den DVFA-Verhaltenskodex für die Finanzanalysten studiert, wird dort vergeblich Hinweise auf die zu wahrenden Anlegerinteressen oder auf das Trennungspostulat zwischen Analyse und Marketing finden – dieser Passus war in den früheren Versionen enthalten.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Stärken (Vorteile) und Schwächen (Nachteile) Stärken (Vorteile) Einfache Berechnung und leichte Erklärbarkeit Die verwendete KGV-Formel ist selbsterklärend und der dort unterstellte direkte Zusammenhang zwischen dem Gewinn eines Unternehmens und seinem Aktienkurs überzeugend. Die Möglichkeiten der Ergebnismanipulation sind bei Verwendung der richtigen Datenbasis damit begrenzt. Internationale Verbreitung Das KGV (engl. EPS = Earnings Per Share) fand schon vor Jahrzehnten weltweite Akzeptanz. Diese Anerkennung hat zur Folge, dass es in allen Geschäftsberichten an zentraler Stelle zu finden ist. Marktbestimmendes Aktienresearch wird in der heutigen Zeit nicht mehr national, sondern international von den großen Investmentbanken betrieben. Durch diese Internationalisierung wird die Gefahr einer Methodenvielfalt eingeschränkt. Da alle Großbanken ausnahmslos die KGV-Kennzahl als zentrales Maß verwenden, ist dadurch ein zusätzlicher Multiplikatoreffekt in Bezug auf die Meinungsbildung gegeben. Weitere Objektivierung durch Bereinigungsfaktoren Weil in der KGV-Formel die um die Sonderfaktoren bereinigten Gewinne verwendet werden, ist eine weitgehende Unabhängigkeit der Ergebnisse von den Gestaltungsspielräumen der jeweiligen Bilanzpolitik des Bilanzierenden gegeben. Die Revision der Gewinnberechnungsformeln gewährleistet eine Aktualisierung an die veränderten Marktrends. Objektivierung durch relative Vergleiche Durch die Vergleiche innerhalb sinnvoll zusammengestellter Peer-Gruppen werden relative Bewertungen auch weltweit möglich. Beträgt das KGV der Deutschen Bank 10 und der Sektorwert im EuroStoxx50 liegt bei etwa 15, ist nach diesem Kriterium der deutsche Marktführer günstig bewertet. Bei der Gruppenbildung ist darauf zu achten, dass bei den in Frage kommenden Unternehmen bezüglich Branche, Produkte, Technologie, Abnehmergruppen, regionalen Schwerpunkte, Unternehmensgröße oder Renditen eine größtmögliche Überschneidung vorliegt. So ist es sinnvoller, weltweit Bankaktien untereinander zu vergleichen als die Werte in einem nationalen Leitindex, die ja unterschiedlichen Branchen angehören. Darauf wurde bereits mehrmals hingewiesen. Faustregel für die Renditerechnung Beim näheren Hinschauen ist das KGV – in Prozent ausgedrückt – der Kehrwert der Eigenkapitalrendite, die das analysierte Unternehmen erzielt. Je höher das KGV umso niedriger dessen Rendite und umgekehrt. Verdienen zwei Unternehmen mit identischen Aktienkursen von 100 Euro 5 Euro/Aktie bzw. 8 Euro/Aktie, betragen ihre Renditen fünf Prozent und acht Prozent; die KGV-Werte sind entsprechend 20 und 12,5.
Moderne Bewertungskennziffern
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Schwächen (Nachteile) Kein Ausweis bei Verlusten Gemäß der Formel kann das KGV nicht bei Aktiengesellschaften angewendet werden, die Verluste machen, da es kein „negatives“ KGV gibt. In statistischen Auswertungen wird dann – so im Falle des ehemaligen DAX-Mitglieds Infineon – anstelle des KGVs ein Punkt, oder der Wert „0“ gewählt. Eine Aktie, die Verluste macht, wäre nach der KGVFormel streng genommen wertlos, was den realen Verhältnissen nicht entspricht. Bei der Berechnung der Gewinne eines Aktienindizes ist es dagegen durchaus sinnvoll, die Gewinne der einen Gesellschaft mit den Verlusten der anderen zu verrechnen. Unterschiedliche Steuersysteme machen einen nationalen Vergleich zunichte Mit den bekannten Bereinigungsmethoden wurden die Sondereinflüsse, die nach den DVFA-Prinzipien als außergewöhnliche und dispositionsbedingte Ereignisse definiert wurden, eliminiert. Damit werden zwar die Gewinne aller Aktiengesellschaften in einem Land gleich behandelt. Die Verzerrungen, die sich bei internationalen Vergleichen durch unterschiedliche Steuersysteme und Systeme der Sozialabgaben ergeben, bleiben aber bestehen. Von zwei international operierenden Unternehmen A und B, die jeweils operativ (brutto) zehn Milliarden Euro verdienen und in ihren Ländern entsprechend 30 Prozent und 40 Prozent Steuern zahlen, wird unter sonst gleich bleibenden Bedingungen A ein um etwa 16 Prozent günstigeres KGV ausweisen und damit in der Gunst der Anleger höher stehen. Vor diesem Hintergrund wurden die EV/EBITDA-Konzepte entwickelt, auf die später eingegangen wird, die dieses Manko ausräumen sollen.
Mögliche Fehlinterpretationen Bei der Beschreibung des Analysevorganges wurde darauf hingewiesen, dass die Fehlinterpretationen bei den Kennzahlen von der Börsenphase abhängen, während ihre Stärken und Schwächen in ihrer formalen Konstruktion stecken und eher „zeitlos“ sind. Die häufigsten Fehlinterpretationen beim KGV liegen zum einen im Glauben, dass mit dem KGV ein klares und objektives Entscheidungskriterium für die Aktienauswahl gefunden wurde und zum anderen im Vorurteil, dass sich langfristig Unterschiede nivellieren müssen.
Die Qual der Wahl: An welchem KGV soll sich der Anleger orientieren? Wie gezeigt, führen Zeit- und Sachvergleiche oft zu Irritationen. So hört der Anleger beiweilen das überzeugende Argument „Aktie X ist zwar im Vergleich zum heutigen Sektordurchschnitt teuer, historisch gesehen ist sie andererseits im Vergleich zum eigenen Durchschnitt günstig bewertet.“ Offen bleibt, an welcher Bewertung sich der Anleger augenblicklich orientieren soll. Ein Ausweichen auf langfristige Durchschnitte bringt den Betrachter nicht weiter. Am Beispiel der Volkswagen-Aktie wird veranschaulicht, wie sich das KGV von 1996 bis 2008 in
68
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
einer extremen Schwankungsbreite zwischen 5 und 120 bewegte. Während der gleichen Periode schwankte das KGV von BMW deutlich weniger. Würde jetzt ein KGV-Durchschnitt für Volkswagen ermittelt werden, läge dieser vielleicht bei 45, also bei einem Wert, der vielleicht niemals gemessen wurde.
140
120
100
VW-Aktie
80
BMW-Aktie 60
40
20
0 Jan 96 BMW - PER
Jan 08 VOLKSWAGEN - PER
Abbildung 16: KGV von Volkswagen und BMW (Stammaktie) 1996 bis 2008 Statistiker greifen in solchem Fall auf den Median zurück, der den mittleren Wert einer Beobachtungsreihe darstellt. Besteht eine solche Reihe aus elf Banktiteln, von denen die zehn ersten ein KGV von 10 haben und der elfte mit 65 völlig aus dem Rahmen fällt, beträgt das durchschnittliche KGV 15, hat also einen Wert, der bei keinem Titel vorkommt. Der Median, der den Wert des sechsten Titels in dieser Beobachtungsreihe zeigt, liegt dagegen bei 10 und ist damit durchaus repräsentativ. Mit der Verwendung des Medians wird der verzerrende Einfluss der Extremwerte „neutralisiert“.
Messung ist keine Erklärung: Warum gibt es langfristige KGVUnterschiede? KGV-Unterschiede bei Einzelaktien in einem Index können sich hartnäckig halten. Es ist beobachtet worden, dass sie über Jahre und Jahrzehnte bestehen. Gäbe es außer dem KGV keinen anderen Kursfaktor, müsste es bei allen Indexaktien zu einem Ausgleich auf der Höhe des durchschnittlichen Marktniveaus kommen. Ökonomisch handelnde Anleger würden aus Arbitrageüberlegungen die KGV-teuren Aktien verkaufen – deren Kurse würden demnach fallen – und die KGV-billigen Aktien kaufen. So käme es, wie in einem System kommunizierender Röhren, zu der erwähnten Nivellierung der Unterschiede.
Moderne Bewertungskennziffern
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Potenzieller KGV-Ausgleich auf das Marktniveau
hohes KGV Markt-KGV niedriges KGV
billige Aktien
teure Aktien
Abbildung 17: Potentieller KGV-Ausgleich auf ein Marktniveau Der Anleger darf den KGV-Ausgleich nicht mit dem Kursausgleich verwechseln. Wären am Aktienmarkt nur zwei Titel A und B, die bei Gewinnen von 5 Euro je Aktie und 10 Euro je Aktie mit 40 Euro (KGV-billige Aktie mit 8) bzw. 120 Euro (KGV-teure Aktie mit 12) notieren, müsste es zur Anpassung des KGV beim Durchschnitt von 10 kommen. A würde danach auf 50 Euro je Aktie steigen und B auf 100 Euro je Aktie sinken. Was sagt die Börsenwirklichkeit zu diesen Erwartungen? Haben wir vielleicht hier eine langfristig wirkende goldene Anlageregel entdeckt? Wer glaubt, mit KGV-billigen Aktien eine überdurchschnittliche Rendite erzielen zu können, wird beiweilen schnell enttäuscht. Folgendes Anlageexperiment mit einem Depot, das aus zwölf Werten besteht, hätte ihn schnell in die Realität zurückgebracht (siehe Tabelle 9). Tabelle 9:
KGV-attraktivste Aktien am 31.12.2005 und 31.12.2008 Aktie
KGV am 31.12.2005
KGV am 31.12.2008
DAX
TUI 8,4 Volkswagen 8,8 Deutsche Post 8,9
Deutsche Post 4,1 Commerzbank 3,6 Deutsche Bank 4,4
EuroStoxx50
Renault 6,1 France Telecom 8,6 Credit Agricole 9,0
Fortis 1,3 ING 3,6 Renault 3,5
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Wer sich diese zehn Aktien – es sind zwar zwölf Titel in die Auswahl geraten, davon aber zwei doppelt – ins Depot geholt hat, musste leider in sieben Fällen stärkere Verluste als im Marktdurchschnitt, also im DAX und im EuroStoxx50, erleiden. Nur Fortis, Volkswagen und France Telecom haben besser abgeschnitten, wobei bei den erstgenannten Sondersituationen für die Kurserklärung verantwortlich sind. Fortis ist – wie andere Banken auch – nach der Beinahe-Insolvenz Ende 2008 unter den staatlichen niederländischen Rettungsschirm gekommen. Die Aktie wurde nach einem Kursverfall von über 90 Prozent allein 2008 zum Penny-Stock und zum Spielball der Spekulanten. Kurzfristige zweistellige prozentuale Kursschwankungen stehen bei wertlosen Papieren immer auf der Tagesordnung und machen jede fundamentale Kalkulation zur Makulatur. Die Volkswagen-Aktie wurde ab Sommer 2008 zum Spekulationsobjekt der Hedgefonds und der Familie Merckle, die über Leerverkäufe auf fallende Kurse gesetzt hatten. Der finanzstarke Konzern Porsche plante eine Übernahme von Volkswagen und hatte im Vorfeld den Markt quasi leer gekauft. Als die Leerverkäufer ihre Lieferverpflichtungen erfüllen mussten, gab es nur noch wenige freie Stücke im Markt, die zu astronomischen Preisen angeboten wurden. Wegen dieser Anomalie erreichte Volkswagen – mitten in der Automobil- und Börsenkrise – zeitweise über 30 Prozent an der Marktkapitalisierung des DAX. Das war ein einmaliger Vorgang seit dem Bestehen dieses Börsenbarometers. Summa summarum: Die Vorgänge bei Fortis und Volkswagen waren rein zufällig und analytisch nicht fassbar. Sie hatten damit mit einer vernünftigen KGV-Auswahl wenig gemeinsam. Im Endeffekt hätte der KGV-orientierte Anleger nur bei France Telecom die richtige Entscheidung getroffen. Wie verhängnisvoll bestimmte Fehlentscheidungen bei den verbliebenen sieben Werten wären, illustriert die untere Kursgrafik (Abbildung 18) am Beispiel der TUI- und der INGAktien. Während der DAX im Zeitraum von über drei Jahren etwa 20 Prozent verlor, brach die TUIAktie um 77 Prozent ein. Auch im Kurzfristvergleich von gut zwei Monaten (31.12.2008 bis 24.02.2009) ist die ING-Aktie 2,3 Mal stärker gefallen als der EuroStoxx50. Auch KGVkonforme Depots wären in anderen Analysen – der Leser kann sie mithilfe des Chartservices der Onlinebanken in Eigenregie vornehmen – als Gegenbeispiele vorzufinden. Eine Generalaussage ist hier nicht möglich, aber dennoch ist die Mehrzahl der Analysten mit den Ergebnissen der KGV-Anwendung nicht zufrieden. Die präsentierten Beispiele widersprechen demnach der „reinen KGV-Lehre“ und es gibt kein anderes „sicheres“ Verfahren, das eine bessere Auswahl rechtfertigen würde. Wie der Volksmund weiß, kann aus der Not nicht selten eine Tugend gemacht werden. Ein Anleger, der ohnehin Analysten misstraut, kann nach der Methode vorgehen, das Gegenteil von dem zu tun, was die Experten empfehlen. Konsequenterweise müsste er dann die KGV-teuersten Aktien kaufen. Die Experten gelten für ihn als Kontraindikator.
Moderne Bewertungskennziffern
71
Kursentwicklung von TUI, DAX, ING und EuroStoxx50
TUI vs. DAX (31.12.2005 -24.2.2009)
ING vs. EuroStoxx50 (31.12.2008 - 24.2.2009)
Abbildung 18: Kursentwicklung von TUI, DAX, ING und EuroStoxx50 Muss nach dem enttäuschenden Befund das KGV als die bekannteste Bewertungskennzahl der Aktienanalyse als Instrument verworfen werden? Ist es doch mit Abstand die zentrale Bewertungskennzahl in der Aktienanalyse, und man hätte sich das Leben so einfach machen können! So weit sollten die Zweifel nicht gehen. Denn wie wir wissen, erlangen nach der These über die Wirkungsweise der mikroökonomischen Kennzahlen diese erst in der Konsolidierungsphase die größte Prognosewirkung. Die beobachtete „Anomalie“ ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass die Aktienkurse sich im Abwärtstrend nicht an dem KGV, sondern an makroökonomischen, psychologisch-charttechnischen und den Sonderfaktoren orientieren. Des Weiteren wurde geltend gemacht, dass sich die Analysten in Krisenzeiten mit der Gewinnanpassung generell und in Krisenbranchen speziell schwer tun. Da in der obigen Depotauswahl überwiegend Banken- und Automobiltitel vorkommen, verwundert die beschriebene Verzerrung der Ergebnisse nicht besonders. Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheiten werden bei dem in Kapitel 5 geäußerten Vorschlag in das Musterdepot keine Finanzwerte genommen.
Zu viele Einzelbegriffe verwirren: Schnell kann im Informationsdschungel die falsche KGV-Kennzahl abgelesen werden (Beispiel: Bayer-Aktie) Zu den Pflichtangaben einer börsennotierten Gesellschaft gehören Angaben zur eigenen Aktie, die entweder in den Geschäftsberichten oder auf den Webseiten zu finden sind. In dieser Präsentation wird ebenfalls häufig die Herleitung des DVFA-Ergebnisses je Aktie angeführt. Der Anleger kann die Einzelschritte des Rechenvorgangs kontrollieren. Weniger kann den-
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
noch mehr sein. So detailliert die Unternehmensangaben auch sein mögen, für den ungeübten Privatanleger bergen sie eine Verwirrungsgefahr. Er hat über ihm absolut wesensfremde Fragen zu entscheiden, ob die nicht fortzuführenden (zu verkaufenden) Bereiche in der Gewinnberechnung zu berücksichtigen und nur die verwässerten Ergebnisse heranzuziehen sind oder nicht. Zudem sind definitorische (Definitionsvielfalt) und administrative Abgrenzungen (Konzern oder Muttergesellschaft) auseinanderzuhalten. Diese Schwierigkeiten sollen am Beispiel der Bayer-Aktie demonstriert werden. Beim Leverkusener Pharma- und Chemiekonzern errechnen sich laut Unternehmensangaben für das fortzuführende Geschäft je nach der verwendeten Methode (Abbildung 19) Ergebnisse je Aktie von 2,00 Euro bzw. 2,22 Euro für 2006 und von 2,91 Euro bzw. 5,84 Euro für 2007. Das sind signifikante Unterschiede von 11 Prozent und 104 Prozent, die zu ganz anderen KGV-Werten führen werden. Welche Zahl ist hier die richtige? Das zu entscheiden übersteigt die Fähigkeiten des Otto-Normal-Anlegers!
Bayer AG Gewinn- und Verlustrechnung Bayer-Konzern Anhang
2006
2007
[7.]
28.956
32.385
Ergebnis nach Steuern
in Mio €
Umsatzerlöse Herstellungskosten
Bruttoergebnis vom Umsatz
Vertriebskosten
[8.]
Forschungs- und Entwicklungskosten
[9.]
Allgemeine Verwaltungskosten Sonstige betriebliche Erträge
[10.]
Sonstige betriebliche Aufwendungen
[11.]
Operatives Ergebnis (EBIT)
-15.275
-16.352
13.681
16.033
-6.534
-7.782
-2.297
-2.578
-1.599
-1.772
730
davon auf Minderheitsgesellschafter entfallend
davon den Gesellschaftern der Bayer AG zustehend (Konzernergebnis)
[13.1]
Finanzielle Erträge Finanzielle Aufwendungen
Finanzergebnis
Berechnung beginnt mit EBIT [13.]
822
-1.219
-1.569
2.762
3.154
Aus fortzuführendem Geschäft
-25
-45
931
834
-1.688
-1.709
-782
-920
[16.]
2
unverwässert 2
Berechnung beginnt mit Ergebnis nach Steuern
Aus nicht fortzuführendem Geschäft
[14.]
1.980
2.234
-454
72
1.526
2.306
verwässert
Aus fortzuführendem und nicht fortzuführendem Geschäft 2
verwässert
Ergebnis nach Steuern aus nicht fortzuführendem Geschäft
2
unverwässert
Ergebnis nach Steuern aus fortzuführendem Geschäft
[6.3]
169
2.410
2
In Abb. 13 aber 2,99 € und 3,80 €
2,00
2,91
2,00
2,91
[16.]
2
Ertragsteuern
5
1.683 4.711
unverwässert
Ergebnis vor Ertragsteuern1
12
Ergebnis je Aktie (€)
verwässert Ergebnis aus at-equity bewerteten Beteiligungen
1.695 4.716 [15.]
0,22
2,93
0,22
2,93
2,22
5,84
2,22
5,84
[16.]
1 Entspricht dem Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit. 2 Die sich bei der Wandlung der Pflichtwandelanleihe ergebenden Stammaktien werden wie bereits ausgegebene Aktien behandelt.
Abbildung 19: Herleitung der Ergebnisse je Aktie für 2006 und 2007 für die Bayer AG (Unternehmensangaben)
Moderne Bewertungskennziffern
73
Fazit: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist die bekannteste Bewertungskennzahl in der fundamentalen Aktienanalyse. Es gibt die Bewertung einer Aktie oder eines Aktienindizes über die Ertragsseite als ein Vielfaches der Gewinne je Aktie an. In der „richtigen“ Gewinnerfassung besteht die eigentliche Schwierigkeit jeder KGV-Rechnung. Letztendlich wird der im Meinungsbildungsprozess ermittelte durchschnittliche Analystengewinn als die KGV-Berechnungsgrundlage verwendet. Nur der um außergewöhnliche (anormale Geschäftsvorgänge) und dispositive (Bilanzierungsvielfalt) Faktoren „bereinigte“ Bilanzgewinn wird dabei als aussagekräftig angesehen. Der neben diesen Analystenschätzungen vom Unternehmen gesetzlich vorgeschriebene Gewinnausweis je Aktie darf vom Anleger nicht kritiklos übernommen werden. Im Börsenalltag werden neben dem aktuellen das historische und das zukünftige KGV verwendet. An dem letzten Wert orientiert sich die Kurserwartung. Trotz seiner weiten Verbreitung liefert das KGV leider keine befriedigenden Kursprognosen. Dies mag daran liegen, dass die Börsenkurse von einer Vielzahl anderer Erklärungsfaktoren abhängen. Dennoch sind relative KGV-Vergleiche innerhalb einer Zeitperiode, einer Branche oder einer Ländergruppe informativ und anlagerelevant.
3.1.2
Ertragsaspekt (2): Das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV)
Cashflow: Messkonzept und Ermittlungsmethode – Grundvariante Der Volksmund weiß nicht erst seit heute: „Nur das Bare ist das Wahre!“ Auf Oskar Blumenthal wird eine andere verwandte Weisheit zurückgeführt: „Die Fähigkeit, auf welche die Menschen den meisten Wert legen, ist die Zahlungsfähigkeit.“ Diese beiden Sprüche beschreiben im Kern das Wesen des Cashflows. Neben dem dargestellten bereinigten Gewinn wird in der Aktienanalyse auch mit einer anderen Ertragsgröße, dem Cashflow, die „Objektivierung“ des tatsächlich erwirtschafteten Unternehmensergebnisses zu ermitteln versucht. Dabei ist der Cashflow nicht nur aussagekräftiger als der normale Bilanzgewinn, sondern auch als der bereinigte Gewinn. Da der Cashflow eine Ertragszahl darstellt, bietet es sich weiter an, in Analogie zum KGV ein Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) als Bewertungszahl zu bilden: Kurs der Aktie (am Tag X) Kurs-Cash flow-Verhältnis (KCV) =
Cash flow je Aktie (im Jahr Y)
Warum ist der Cashflow aussagekräftiger als der nicht bereinigte (bilanzielle) und der bereinigte Gewinn?
74
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Anhand einer weiteren Variante unseres Musterunternehmens lässt sich der Unterschied zwischen dem normalen Bilanzgewinn und dem Cashflow verdeutlichen. Vorab soll zunächst allgemein vom Cashflow gesprochen werden, ohne auf seine verschiedenen Varianten einzugehen.
Beispiel 5: Kurs der Aktie (am Tag X) Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) =
- Umsatz - Kosten (Pensionsrückstellung 1,0) - Abschreibung (AfA) normal - Sonderabschreibung + Gewinn aus Maschinenverkauf
11,0 7,0 1,0 1,0 0,4
= Ergebnis brutto - Steuern 50 %
2,4 1,2
= Bilanzgewinn
1,2
Cashflow je Aktie (im Jahr Y)
+
Umsatz 11,0 Kosten (Pensionsrückstellung 1,0) 7,0 Abschreibung (AfA) normal 1,0 Sonderabschreibung (Bereinigung) 0 Gewinn Maschinenverkauf (Bereinigung) 0
= Ergebnis brutto - Steuern 50 %
3,0 1,5
= bereinigter Gewinn
Gewinn netto + Pensionsrückstellung zu hoch + Abschreibung (AfA) + Maschinenverkauf
1,2 1,0 2,0 0,4
= Cashflow
4,6
1,5
Unser Musterunternehmen hat 2007 mit 4,6 Milliarden Euro mehr Ertrag erwirtschaftet, als es der Bilanzgewinn von 1,2 Milliarden Euro und der bereinigte Gewinn von 1,5 Milliarden Euro ausweisen. Denn es hat neben dem Bilanzgewinn noch die Abschreibungen von 2,0 Milliarden Euro und die Pensionsrückstellungen von jeweils 1,0 Milliarden Euro erwirtschaftet sowie eine Maschine mit einem Gewinn von 0,4 Milliarden Euro verkauft. Je Aktie beträgt der Mittelzufluss 46 Euro. Der Cashflow je Aktie ist damit deutlich höher als das bereinigte Ergebnis je Aktie von 15 Euro. In beiden Fällen wurde zwar der Bilanzgewinn von 1,2 Milliarden Euro oder 12 Euro je Aktie „objektiviert“, die Ergebnisse sind aber ganz unterschiedlich. Die GuV-Posten Abschreibungen (AfA) und Pensionsrückstellungen sind betriebswirtschaftlich gesehen Aufwendungen, aber keine Ausgaben. Sie machen den Unterschied zwischen dem Bilanzgewinn und dem Cashflow aus. Dessen Höhe kann negativ ausfallen, wenn Pensionsrückstellungen aufgelöst oder Zuschreibungen gemacht werden. Weil diese Mittel die Liquidität des Unternehmens erhöhen, wird der englische Begriff Cashflow genutzt, der allerdings schon vorher im Deutschen als Kapitalfluss bekannt war. Da der positive Cashflow als Zahlungsüberschuss im laufenden Geschäft nicht benötigt wird, kann er als langfristige Finanzierungsquelle für Investitionen angesehen werden.
Moderne Bewertungskennziffern
75
Cashflow-Arten: Nur der Netto-Cashflow ist für die Aktienbewertung relevant. Bisher wurde gezeigt, wie ein Unternehmen, das Pensionsrückstellungen bildet und Abschreibungen vornimmt, liquide Mittel akkumuliert, die es selbst verdient hat. Die dargestellten Fälle werden nicht die einzigen sein, in denen liquide Mittel dem Unternehmen zufließen oder aus ihm abfließen. Diese können von außen kommen und „nicht verdient“ sein. Bei den Zuflüssen wäre dann an Kreditaufnahmen, Kapitalerhöhungen oder an erhaltene Anzahlungen (Erhöhungen der Verbindlichkeiten) zu denken. Umgekehrt fließen Finanzmittel ab, wenn Investitionen getätigt, Dividenden gezahlt oder Anzahlungen geleistet (Zunahme der Forderungen) werden. Eine Unterscheidung in verdiente oder unverdiente Abflüsse ist nicht sinnvoll. Um diesem Umstand Rechnung tragen zu können, wird in der Praxis zwischen dem verdienten operativen Cashflow, dem Cashflow aus der Investitionstätigkeit und dem Cashflow aus der Finanzierungstätigkeit unterschieden. Weiterhin kann jeweils nach der Brutto- und der Nettoversion gefragt werden, wobei bei den Nettoversionen Steuern und andere Abgaben bereits abgezogen werden. Die untere Berechnung in Tabelle 10 baut auf einer musterhaften GuV-Rechnung auf und zeigt die Ableitung der drei gängigsten Cashflow-Arten. Der Vollständigkeit halber sind der Bilanzgewinn und der bereinigte Gewinn nach DVFA beigefügt, um die Ermittlungsunterschiede zu verdeutlichen. Tabelle 10: Unterschiede zwischen dem Bilanzergebnis, den Cashflow-Arten und dem DVFA-Ergebnis GuV-Rechnung Geschäftsvorgang
Cashflow-Rechnung
DVFA-Bereinigung
operativer
Investitionstätigkeit
Finanzierungstätigkeit
1. Umsatz
100
100
100
100
100
2. Materialaufwand
-20
-20
-20
-20
-20
-20
3. Verwaltungsaufwand
-30
-30
-30
-30
-30
-30
31 davon: Filialschliessung
-8
4. Abschreibungen Sachanlagen
-8
41 davon: außerordentliche
-5
5 Investition (Auszahlung)
.+8 -8
-8 .+5
60
.-60
.-60
6 Desinvestition (Einzahlung)
.+40
.+40
.+40
61 davon: Gewinn (Bilanzwert)
.+12
+12 (28)
7 Rückstellungen (Erhöhung)
-12
-12
71 davon: langfristige
-8
8. Vorräte/Forderungen 9. Verbindlichkeiten
.+12
+12 (28) -12 .+8
.+12
.-8
.-12
.-12
.+8
.+8
.-12
.+40
.+40
11. Kreditaufnahme (netto)
.+30
.+30
12. Dividenden/Entnahmen
-8
Gewinn brutto
.+12
.+8
10. Kapitalerhöhung
=
100
.-8 .+54
.+58
.+26
.+88
.+67
13. Steuern (50 %)
.-27
.-33,5
14. Jahresüberschuss (Gewinn netto)
.+27
.+33,5
+ = Gewinn (Zunahme/Erhöhung) - = Verlust (Abnahme/Rückgang)
76
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Im Endeffekt wird die Cashflow-Rechnung aus Finanzierungstätigkeit den Bilanzleser über die Änderung des Liquiditätsstatus im Berichtsjahr informieren. Betrug die Höhe der liquiden Mittel am Jahresanfang 100, so wird sie nach Abzug von Steuern in Höhe von 27 im unteren Beispiel am Jahresende 151 ausmachen. Solche Tabellenwerke sind für Privatanleger relativ unübersichtlich. Für die Zwecke der Aktienbewertung wird daher ein vereinfachtes Verfahren zur Ermittlung des sogenannten operativen Netto Cashflows verwendet, der den verdienten Cashflow abbildet. Diese Formel berücksichtigt alle langfristigen Rückstellungen, also nicht allein die Pensionsrückstellungen. Netto Cashflow = Jahresüberschuss +/- Ab-/Zuschreibung +/- Zu-/Abnahme lfr. Rückstellungen
Neben dem Netto Cashflow wird alternativ der Free Cashflow in der Aktienbewertung verwendet. Ob dieser Ansatz methodisch richtig ist, bleibt fraglich. Denn bei der Suche nach attraktiven Aktien sollte primär gefragt werden, was die Gesellschaften operativ „verdienen“. Der Free Cashflow enthält dagegen zusätzlich zur Ertragsgröße eine Verwendungskomponente (Desinvestition minus Investition). Falls der Free Cashflow nur aus Mitteln der Desinvestition besteht, sollte bei einer positiven Interpretation Vorsicht geboten sein. Hier könnte auch ein marodes Unternehmen durch Verkäufe ganzer Unternehmensteile einen hohen Free Cashflow ausweisen! Free Cashflow = Netto Cashflow + Desinvestition - Investition
Wie bei den Gewinnen je Aktie werden auf den Internetseiten der Direktbanken auch Grafiken von Cashflow-Werten präsentiert, wie in Abbildung 20 für die Deutsche Telekom. 4,50 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 2009 20 Analysten
billige Aktien
teure Aktien 2010
19 Analysten
2011 15 Analysten
Abbildung 20: Deutsche Telekom: Cashflow-Schätzungen 2009 bis2011 je Aktie per 23.09.2009 (maxblue)
Moderne Bewertungskennziffern
77
Stärken (Vorteile) und Schwächen (Nachteile) Stärken (mit Variantenunterscheidung) Der Cashflow informiert über Zahlungsströme, die in keinem anderen Rechenwerk der betrieblichen Berichtserstattung ersichtlich sind. Diese Angaben betreffen zum Beispiel Details über die Kreditaufnahmen. Über die Investitionstätigkeit eines Unternehmens kann sich der Anleger dagegen aus dem Anlagespiegel des Geschäftsberichtes informieren. Der Cashflow aus der Finanzierungstätigkeit zeigt den Liquiditätsstatus an (auch Barmittelbestand genannt) einen wichtigen Frühindikator, wenn es um die Gefahrensignale bei Problemunternehmen gibt. Sogar einem „reichen“ Unternehmen mit viel Eigenkapital nützt diese Vermögensfülle wenig, wenn es ihm nicht gelingt, diese schnell im Bedarfsfall in flüssige Mittel umzuwandeln, um laufende Ausgaben zu decken. Ein regelmäßig verdienter hoher operativer Cashflow liefert einen Hinweis auf mögliche stille Reserven. Denn dahinter verbirgt sich grundsätzlich ein Substanzaspekt. Bei gleichem KGV ist die Aktie mit einem günstigeren (niedrigeren) KCV vorzuziehen. Das Beispiel von zwei Kaufhäusern X und Y kann das verdeutlichen. Wenn X im Unterschied zu Y eigene lastenfreie, also nicht gemietete Kaufhäuser besitzt, wird es wegen der Abschreibungen einen höheren Cashflow (niedrigeres KCV) ausweisen. Der Cashflow deutet damit direkt auf Substanzbesitz hin oder auf die Fähigkeit, solchen zu bilden. Der Cashflow informiert genauso so gut über die Ausschüttungsfähigkeit. Häufig wird von Anlegern behauptet, Unternehmen, die Verluste schreiben, sind nicht imstande, Dividenden zu zahlen, es sei denn über Kreditaufnahmen. Hier wird ein folgenschwerer Interpretationsfehler gemacht. Diese Aussage ist falsch, da wie bekannt, Dividendenzahlungen aus dem Cashflow dargestellt werden können. Ein Musterbeispiel hierfür bietet die Deutsche Telekom, die jeweils ein Drittel ihres operativen Cashflows für Dividenden, Investitionen und die Eigenkapitalstärkung einsetzt. Der Cashflow ist zu jedem Zeitpunkt weniger „manipulierbar“ als der Bilanzgewinn, da Bilanzierungswahlrechte hier keine Anwendung finden. Wird ein Unternehmen in tiefroten Zahlen dank des „Bilanzierungstricks“ mit Wertzuschreibungen auf das Firmengebäude noch ein halbwegs akzeptables Bilanzergebnis aufweisen, kann es im Cashflow seinen wirtschaftlichen Misserfolg nicht mehr verbergen. Der bekannte US-Ökonom Alfred Rappaport erklärte seinerzeit sinngemäß den Unterschied zwischen dem Cashflow und dem Gewinn. Er sei vergleichbar mit dem zwischen einer Tatsache und einer Meinung. Wegen seiner Eigenschaften ist der (prognostizierte) Cashflow die wichtigste Erklärungsvariable in vielen Unternehmensbewertungsmodellen. Auf seine Verwendung in dem sogenannten DCF-Modell wird später eingegangen. Schwächen (Varianten-Unterscheidung) Viele Schwächen, die das KGV aufweist, insbesondere im Prognosebereich, sind auf das KCV direkt übertragbar.
78
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Die Kennzahl KCV ist nicht so populär wie das KGV, was daran liegen mag, dass es einerseits zu viele – den Anfänger verwirrende – Cashflow-Begriffe gibt und andererseits mit diesen Größen weder von Analysten in ihren Studien noch von Firmen in ihren Doktrinen selten geworben wird. Was nicht sofort verstanden wird, lässt sich schlecht als Argument einsetzen. In der Anlagepraxis übt das KCV in Phasen der Marktüberhitzung häufig eine „Alibi“Funktion aus. Wenn sich hohe Kursstände mit dem KGV nicht mehr rechtfertigen lassen, besinnen sich plötzlich professionelle Marktteilnehmer (Analysten, Fondsmanager, Wertpapiervertriebe) darauf, dass das KCV „eigentlich“ objektiver als das KGV sei. Die Abschreibungen beschränken sich in den Formeln nur auf das Anlagevermögen, nicht auf die Finanzanlagen. Daher werden Vergleiche zwischen den Aktien der Industrie- und der Finanzdienstleister (Banken und Versicherungen) auf der KCV-Basis verzerrt ausfallen, da die letzten, insbesondere die börsennotierten, hohe Ab- oder Zuschreibungen auf ihre Finanzanlagen ausweisen (siehe Abschnitt 6.1).
Mögliche Fehlinterpretationen Die Cashflow-Bildung ist stark branchenabhängig. Es leuchtet ein, dass Konzerne der Schwerindustrie, die ein hohes bilanzielles Sachvermögen ausweisen, wegen der Abschreibungen auch einen hohen Cashflow haben müssen. Hierzu zählen in erster Linie Stahlwerke, Werften, Maschinen- und Anlagebauer, Baukonzerne, Fluglinien, Automobilhersteller, Energieversorger und Telekom-Konzerne. Umgekehrt werden Dienstleistungsunternehmen, wie Medienhäuser, Software-Hersteller, Ingenieurbüros, Beratungs- und Maklerfirmen, Vertriebs- und Logistikunternehmen oder Kaufhäuser niedrige Cashflow-Werte ausweisen. Abweichungen von diesem Grundmuster bestehen immer dann, wenn einerseits Maschinenbauer Fabriken und Werkhallen leasen oder pachten und andererseits alt eingesessene Kaufhäuser oder Versicherungen einen hohen Eigenbesitz an Immobilien und damit an Abschreibungen aufweisen. Grundsätzlich ist daher das Gefälle zwischen dem Bilanzgewinn und dem Cashflow ein branchenspezifisches Problem. Eine tabellarische Kurzübersicht im DAX-Bereich für das Jahr 2007 gibt Aufschluss über die Höhe dieser Differenzen (siehe Tabelle 11).
Moderne Bewertungskennziffern
79
Tabelle 11: Gewinn versus Netto Cashflow bei ausgewählten DAX-Titeln per 31.12. 2007 (Hoppenstedt) DAX-Titel
Gewinn (in Mrd. €) Netto Cash flow (Mrd. €)
Verhältnis
cashflow-starke Werte Deutsche Telekom BMW Daimler Deutsche Lufthansa Deutsche Post Continental
1,1 3,1 4,0 1,8 1,9 1,0
12,3 8,9 14,2 3,1 4,0 1,9
11,4 2,9 3,5 1,7 2,1 1,9
cashflow-schwache Werte Deutsche Börse Merck SAP Henkel
0,9 3,5 1,9 0,9
1,0 1,6 2,2 1,3
1,1 0,4 1,1 1,4
Wegen der irregulären Investitionstätigkeit sind beim Cashflow erhebliche Sprünge an der Tagesordnung. Denn kumulierte Abschreibungen stellen keinen Selbstzweck dar, sondern sind für spätere Ersatzinvestitionen vorgesehen. Wird das KCV eines „investitionsstarken“ Jahres in der Analyse verwendet, kann dies zu Irritationen führen. Häufig wird übersehen, dass letztendlich beide Methoden der Ertragsermittlung über den Gewinn oder den operativen Cashflow zum gleichen Ergebnis führen. Bilanzielle Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Bilanzierenden am Anfang einen Vorteil bringen, werden ihm langfristig zum Nachteil gereichen. Am Beispiel der degressiven und linearen Abschreibung kann gezeigt werden, dass sich die anfänglichen Vorteile beim Gewinn und Nachteile beim Cashflow später ins Gegenteil umkehren.
80
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Tabelle 12: Unterschiedliche Abschreibungsmethoden bedingen die divergierende Gewinnund Cashflow-Entwicklung (Musterbeispiel) Gleichbleibende
Lineare Degressive
Gewinn*
GuV-Positionen
AfA
AfA
bei linear
bei degressiv
bei linear
bei degressiv
Jahr 1
25
40
37,5
30
62,5
70
Jahr 2
25
30
37,5
35
62,5
65
Jahr 3
25
20
37,5
40
62,5
60
Jahr 4
25
10
37,5
45
62,5
55
Summe
100
100
150
150
250
250
Umsatz
Cashflow
140
Aufwendungen
40
Abschreibungen
*- Steuersatz 50 %
Das obige Beispiel demonstriert, dass sich die Gewinne und die Cashflow-Werte in der Zeit unterschiedlich entwickeln. Ab dem Jahr 3 weisen der Gewinn und der Cashflow bei der degressiven Abschreibungsmethode eine gegenläufige Entwicklung aus. Während die erste Größe ansteigt, sinkt die zweite. Die Konsequenz für die Analyse ist, dass ein widersprüchliches Signal entsteht. Denn nach dem KGV wird die Aktie des Unternehmens attraktiver, nach dem KCV unattraktiver. Weil in diesem Beispiel keine Änderung der Abschreibungsmethode stattfindet, ist eine dieses Dilemma lösende Bereinigung des Gewinnes nicht vorgesehen.
Fazit: Der Cashflow stellt die Ertragsgröße dar, die den Nettoliquiditätszufluss eines Unternehmens misst. Er ist weniger manipulierbar als der Gewinn, weil bei seiner Ermittlung keine Bilanzierungswahlrechte eingesetzt werden können. Weil nur die selbst erwirtschafteten Geldzuflüsse (also ohne Kredite) relevant sind, wird in der Aktienanalyse beim KCV in der Regel der sogenannte operative Netto Cashflow verwendet. Dieser setzt sich vereinfacht aus dem Gewinn, den Abschreibungen auf Sachanlagen und der Zunahme der langfristigen Rückstellungen zusammen. Das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) weist ähnliche Vor- und Nachteile wie das verwandte KGV aus. Seine Höhe variiert wegen der Abschreibungskomponente zudem stark im Branchenvergleich.
Moderne Bewertungskennziffern
3.1.3
81
Substanzaspekt: Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und Substanzwert
Messkonzept und Ermittlungsmethode (Grundvarianten) Nach der einfachen Definition entspricht der Buchwert eines Unternehmens seinem Eigenkapital und kann somit als die simpelste Formel für die (schuldenfreie) Unternehmensbewertung herangezogen werden. Zieht man von den Vermögenswerten (Aktiva) eines Unternehmens die Schulden (Passiva) ab, verbleibt als Differenz das Eigenkapital. Wird dieses Eigenkapital durch die Aktienstückzahl dividiert, erhalten wir den Buchwert (auch Bilanzwert oder Bilanzkurs genannt) je Aktie. Dieser informiert den Anleger, wie viel eine Aktie mindestens „wert“ sein müsste. Der Buchwert je Aktie drückt mit anderen Worten den Unternehmenswert je Aktie aus. Im Beispiel 1 betrug der Buchwert unseres Musterunternehmens 10 Euro je Aktie, da das Eigenkapital von 1,0 Milliarde Euro durch 100 Millionen Aktien geteilt wird. Aktienkurs und Buchwert werden gewöhnlich auseinander liegen. Wenn der Aktienkurs höher als der Buchwert (Normalfall) ist, werden beim Unternehmen Gewinne und falls dieser niedriger ist (Ausnahme), Verluste erwartet. Die Argumentation dazu sieht folgendermaßen aus: Weicht der Aktienkurs nach oben ab, wird diese Abweichung damit begründet, dass zum Buchwert noch die (diskontierten) zukünftigen Gewinne hinzu addiert werden müssen, um auf die „komplette“ Bewertung zu kommen. Denn andernfalls würde der Aktionär das zukünftige „Geschäft“ an der Börse umsonst bekommen. Beträgt der Börsenkurs 30 Euro je Aktie und der Buchwert 22 Euro je Aktie, entfallen nach dieser Rechnung auf dieses „Geschäft“ 8 Euro je Aktie. Generell wird eine Aktie als „teuer“ angesehen, wenn ihr Kurs vom Buchwert zu stark nach oben abweicht. Aber um wie viel? 20 Prozent oder 50 Prozent? Die Kennzahl wird als Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) bezeichnet. Kurs der Aktie (am Tag X) Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) = Buchwert je Aktie (für das Jahr Y)
Je höher dieser Quotient über 1 liegt, umso „teurer“ ist die Aktie, was nicht mit ihrer Überbewertung verwechselt werden darf, da ja der hohe Börsenwert durch das hochprofitable „Geschäft“ gerechtfertigt sein kann.
82
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Werden umgekehrt Verluste erwartet, die das zukünftige Eigenkapital schmälern, kann es vorkommen, dass der Aktienkurs unter seinen Buchwert fällt. Börsianer vermuten in diesem Fall beim Unternehmen latente Verluste, die erst später in der Bilanz sichtbar werden. Die Börse weiß alles im Voraus und hat rechtzeitig reagiert – besagt ein alter Börsenspruch. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) fällt unter 1. Der Buchwert kann demnach keinesfalls als die „Kursabsicherung der Aktie nach unten“ angesehen werden, wie verschiedentlich behauptet wird. Andererseits muss ein unter dem Buchwert liegender Aktienkurs noch kein Alarmzeichen sein. Denn es ist gut denkbar, dass die Börsianer bei gesunden Unternehmen echte „Perlen“ übersehen haben. „Leichen“ im Keller oder unentdeckte „Perlen“ – das ist die Frage. Es bleibt schwierig festzustellen, ob die Abschläge des Aktienkurses vom und die Zuschläge zum Buchwert gerechtfertigt sind oder nicht. Starke DAX-Divergenzen beim Kurs-Buchwert-Verhältnis sind demnach an der Tagesordnung, wie folgende, nach dem KBV vorgenommene Aufstellung per 25.3.2008 der drei „teuersten“ und der drei „billigsten“ DAX-Aktien in Tabelle 13 zeigt. Tabelle 13: Kurs-Buchwert-Verhältnis von ausgewählten DAX-Werten per 25.3.2008 (Börsenzeitung)
KBV-teuerste DAX-Titel Aktie
KBV-billigste DAX-Titel
Kurs/Buchwert
Aktie
Kurs/Buchwert
Deutsche Börse
7,7
Münchener Rück
0,5
SAP
5,4
Commerzbank
0,8
RWE
3,3
Infineon
0,9
Unterschiede: Buchwert und Substanzwert Was in der Bilanz zu sehen ist, sind ihre „offenen Posten“. Die Bilanz versteckt aber so manches vor den Augen ihrer unerfahrenen Leser. Ihre Geheimnisse aufzudecken, gehört zu den vornehmsten Aufgaben eines jeden Analysten! Für das ökonomische Verständnis des sehr wichtigen Substanzwertes ist mit der Definition der stillen Reserven (Lasten) zu beginnen. Denn während nicht eindeutig gesagt werden kann, wie ein Kurs-Buchwert-Verhältnis kleiner 1 interpretiert werden soll, wird umgekehrt generell positiv gesehen, wenn ein Unternehmen in der Bilanz stille Reserven besitzt, die, zum Buchwert addiert, den sogenannten Substanzwert (engl. Net Asset Value) ergeben. Net Asset Value = Buchwert +/- stille Reserven (stille Lasten)
Moderne Bewertungskennziffern
83
Stille Reserven können durch die Unterbewertung der Bilanzaktiva entstehen, wenn die Vermögenswerte am Markt mehr wert werden als in der Bilanz ausgewiesen. Sie können ebenso in der Überbewertung der Bilanzpassiva ihre Ursachen haben. Zu beachten ist, dass bei einer Realisierung der stillen Reserven immer Steuern zu zahlen sind und erst der Nettoerlös das Eigenkapital erhöht, falls der Gewinn nicht ausgeschüttet wird. Wird eine Neubewertung der Bilanzansätze vorgenommen und werden dabei stille Reserven aufgedeckt, ohne dass sie realisiert werden, sind latente („potenzielle“ oder „AlsOb-Steuern“) Steuern zu bilden. Die Problematik der latenten Steuern kann in diesem Buch nur am Rande behandelt werden. Der Unterschied zwischen dem Buchwert- und dem Substanzwert wird im folgenden Beispiel noch einmal verdeutlicht:
Beispiel 6: Der Marktwert der Immobilien unseres Musterunternehmens betrug im Jahr 2007 zwölf Milliarden Euro bei einem Buchwert von zehn Milliarden Euro. Es sind also zwei Milliarden Euro (brutto) an stillen Reserven auf der Aktivseite der Bilanz aufgedeckt worden. Gleichzeitig hat der Wirtschaftsprüfer festgestellt, dass in die Pensionsrückstellungen eine Milliarde Euro oder zehn Prozent zu viel dotiert wurden. Die Pensionsrückstellungen zählen zu den Verbindlichkeiten gegenüber den Arbeitnehmern (Fremdkapital), die sich jetzt ebenfalls um eine Milliarde Euro auf 38 Milliarden Euro ermäßigten. So gesehen sind auch auf der Passivseite 1,0 Milliarden Euro (brutto) an stillen Reserven aufgedeckt worden. Insgesamt beträgt jetzt die Summe der stillen Reserven 3,0 Milliarden Euro. Die Aktienstückzahl blieb mit 100 Millionen unverändert. Der Analyst fragt: Wie hoch ist der Substanzwert absolut und je Aktie nach diesen Vorgängen bei einer angenommenen Steuerquote von 50 Prozent? Er kommt auf einen Wert von 2,5 Milliarden Euro absolut bzw. auf 25 Euro je Aktie. AKTIVA
PASSIVA
AKTIVA
Sachvermögen
20,0
Eigenkapital
davon Immob.
10,0
davon Aktienkap. 0,1 (100 Mio. Aktien a 1€)
1,0
Sachvermögen davon Immob.
PASSIVA 22,0 12,0
Eigenkapital
2,5
davon Aktienkap.0,1 (100 Mio. Aktien a 1€)
Umlaufvermögen 20,0
Fremdkapital
39,0
Umlaufvermögen 20,0
latente Steuern 1,5 Fremdkapital 38,0
Summe
Summe
40,0
Summe
Summe
40,0
42,0
42,0
Eigenkapital 1,0 Mrd. € oder Buchwert von 10€ /Aktie + stille Reserven 3,0 Mrd. € - latente Steuern 1,5 Mrd. € = Substanzwert
2,5 Mrd. € oder 25 €/Aktie
Genauso wie stille Reserven nicht gezeigt werden, tauchen stille Lasten bei Wertminderungen nicht auf, wenngleich die Vorschriften des Rechnungswesens in diesem Fall viel restriktiver
84
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
ausfallen. Grundsätzlich wird ein Unternehmen versuchen, diese Wertminderungen als nicht „dauerhaft“ und damit nicht abschreibungswürdig darzustellen. Ergänzend sollen für die Aktiv- und die Passivseite noch einige weitere Beispiele von stillen Reserven (Lasten) genannt werden. Aktivseite: Bewertungsreserven tauchen primär in Wertpapieren und Beteiligungen auf, die im HGB durch die konservative Bilanzierung nach dem sogenannten Niederstwertprinzip (siehe Kapitel 6) begünstigt wird. So dürfen im HGB nicht realisierte Kursgewinne nicht über die Anschaffungskosten zugeschrieben werden, selbst wenn die Börsenkurse und andere Marktwerte dauerhaft und deutlich darüber liegen. Die abgeschriebenen und in der Bilanz mit einem symbolischen Erinnerungswert stehenden Vermögenswerte bei Fluglinien, Leasingfirmen oder Reedereien sind typische weitere Beispiele von stillen Reserven auf der Aktivseite. Passivseite: Auf der Passivseite können alle nicht notwendigen und damit „überflüssigen“ Rückstellungen – nicht allein die zu hohen Pensionsrückstellungen – als stille Reserven angesehen werden. Bei ihrer Bildung ergibt sich ein genereller Konflikt zwischen den Interessen des Unternehmens und der Steuerbehörden. Während das Unternehmen aus Gründen der kaufmännischen Vorsicht ein Interesse an hohen Rückstellungen haben muss, geht der Fiskus wesentlich restriktiver vor. Er beschneidet steuerlich deren Bildung, da sie als Aufwandsposten den zu versteuernden Gewinn reduzieren und Steuermindereinnahmen implizieren. Auch kann theoretisch von stillen Reserven auf der Passivseite gesprochen werden, wenn das an der Börse gehandelte Fremdkapital des Unternehmens unter dessen Ausgabepreis (Emissionspreis) fällt. Hat sich eine Bank über die Emission von langfristigen Anleihen zum Ausgabenpreis von 100 refinanziert und sind diese aufgrund steigender Zinsen auf 90 gefallen, könnte sie die eigenen Anleihen theoretisch zurückkaufen und elf Prozent Gewinn einstreichen. Auf diese „Bilanztricks“ wird bei der Beschreibung der Fair Value-Elemente auf der Passivseite bei Banken im Kapitel 6 eingegangen.
Komponenten des Eigenkapitals und das KBV Buch- und Substanzwert verändern sich nicht nur, wenn stille Reserven (Lasten) aufgedeckt werden, sondern ebenfalls dann, wenn im Wirtschaftsprozess einzelne Bestandteile des Eigenkapitals tangiert werden. Die nachfolgenden Ausführungen sind besser zu verstehen, wenn einzelne Eigenkapitalkomponenten ausführlicher erläutert werden. Nach der Elementardefinition setzt sich das Eigenkapital aus den in Tabelle 14 genannten Komponenten zusammen. Das Eigenkapital (10) besteht hier aus dem Grundkapital (1), der Kapitalrücklage (2), der Gewinnrücklage (6) und einer Neubewertungsrücklage (1).
Moderne Bewertungskennziffern
85
Bestandteile des Eigenkapitals (Beispiel)
Tabelle 14:
Aktiva Goodwill
Passiva 5 Grundkapital Kapitalrücklage Gewinnrücklage Neubewertungsrücklage
Eigenkapital Andere Aktiva Bilanzsumme
95 andere Passiva 100 Bilanzsumme
1 2 6 1 10 90 100
Die Vorgänge, die die Komponenten Grundkapital, Kapitalrücklage, Goodwill, Gewinnrücklagen und Neubewertungsrücklage beeinflussen, sind von besonderem analytischen Interesse. Die Komponenten Grundkapital und Kapitalrücklage verändern sich infolge von Kapitalmaßnahmen und sind allerdings unter Substanzgesichtspunkten nicht so bedeutsam und werden weiterhin nur am Rande behandelt.
Goodwill Laut Definition schont der Goodwill das bilanzielle Eigenkapital. Durch dessen Aktivierung bleiben die Bilanzsumme und damit die Eigenkapitalquote sowie der Buchwert unverändert. Wäre der Goodwill im obigen Beispiel voll abgeschrieben (HGB-Grundsatz), müsste sich im obigen Beispiel das Eigenkapital und damit der Buchwert je Aktie um 50 Prozent (auf 5) ermäßigen. Hier entstehen praktische Probleme. Die jährliche Goodwill-Abschreibung wurde im IFRS/US-GAAP-System durch den jährlichen Impairment Test (Werthaltigkeitsprüfungen) weitgehend unterlassen. Im Endeffekt verfälscht der aktivierte und nicht regelmäßig abgeschriebene Goodwill den Buch- und Substanzwert. Im DAX- und MDAX gibt es derzeit einige Titel, bei denen der Goodwill das ausgewiesene bilanzielle Eigenkapital übersteigt! Ist damit der Goodwill ein Fremdkörper im Bilanzsystem? Nein. Denn der auch im HGB als Firmenwert bekannte Goodwill ist einerseits ökonomisch sinnvoll. Große und bekannte Firmen haben einen Markennamen, der zwar per se „einen Wert“ besitzt, sich aber im Eigenkapital nicht oder nicht ausreichend niederschlägt. Andererseits kann der Goodwill eine gewöhnliche Bewertungsfalle bedeuten, wenn schlichte „Luftschlösser“ erworben wurden, wie in Zeiten der „Goldgräberstimmung“ am Neuen Markt, als europäische Großkonzerne in den Sektoren Telekommunikation, Automobilherstellung oder Finanzen in den USA überteuerte Töchter erworben haben, um in der Globalisierung am größten Markt der Welt präsent zu sein. Dass sich diese Akquisitionen später als ein Milliardengrab erwiesen haben, ist hinreichend bekannt. Summa summarum liegt das Bewertungsproblem beim Goodwill darin, dass er am Kapitalmarkt nicht gehandelt wird und daher keinen objektiven Preis besitzt.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Kapitalerhöhung Durch eine Kapitalerhöhung werden Aktienkapital und Kapitalrücklage erhöht. Das neue Geld kommt von „außen“, von den Aktionären. Ob dadurch der Bilanz- und Substanzwert der Gesellschaft gemindert wird, hängt von den Konditionen der Kapitalmaßnahme ab. Eine besondere Form der Kapitalerhöhung (Refinanzierung) stellt die Emission des Eigenkapitals in Form von nachrangigen Anleihen oder Genussscheinen dar, die als Nachrangkapital bezeichnet werden. Diese Refinanzierungsinstrumente zählen zum haftenden Eigenkapital, entsprechen aber dem Charakter einer Anleihe mit einer festen Verzinsung. Diese liegt gewöhnlich über dem Kapitalmarktsatz, um Anlegern einen Zeichnungsanreiz zu geben. Bis zum Ausbruch der letzten Finanzkrise waren diese Refinanzierungsinstrumente besonders bei Banken beliebt. Im Unterschied zum Kernkapital wird das Nachrangkapital nur zum Teil (etwa zu 50 Prozent) auf die aufsichtsrechtlich vorgeschriebene Eigenmittelausstattung angerechnet. Ungeachtet dessen erhöht nachrangiges Eigenkapital ebenfalls den Buch- und Substanzwert je Aktie.
Veränderung (Erhöhung) der Gewinnrücklage Der nicht ausgeschüttete Gewinn wird im Unternehmen thesauriert und stärkt seine Gewinnrücklagen. Gewöhnlich stellen diese den größten Posten innerhalb der Eigenkapitalkomponenten dar. Betriebswirte sprechen im Falle einer Neudotierung in die Gewinnrücklagen von der Eigen- und gleichzeitig von der Innenfinanzierung. Die in der Bilanz ausgewiesene Gewinnrücklage wird alternativ als die offene Reserve eines Unternehmens bezeichnet. An ihrer Höhe wird ersichtlich, wie erfolgreich ein Unternehmen in der Vergangenheit gewirtschaftet hat und gegebenenfalls, wie viel „Speck“ es durch die den Aktionären vorenthaltene Ausschüttung angesetzt hat.
Veränderung (Erhöhung) der Neubewertungsrücklage Besonders Finanzinstitute, die nach IFRS bilanzieren und an der Börse merkliche Gewinne (Verluste) gemacht haben, ziehen es vor, diese nicht ergebniswirksam über die GuVRechnung, sondern weniger spektakulär über die Neubewertungsrücklage zu buchen. Es ist ein gravierender Unterschied, ob nicht realisierte Börsengewinne ergebnis- oder nur eigenkapitalwirksam werden. Die Lösung bringt für den Bilanzierenden den Vorteil mit sich, dass signifikante Schwankungen im Ausweis des Bilanzgewinnes vermieden werden. Der durchschnittliche Bilanzgewinn beläuft sich in der Regel auf einen Bruchteil des Eigenkapitals. Beträgt dieser 1, wie in der obigen Muster-Bank, bewirkt ein satter Börsengewinn von 1 in der Hausse einen Anstieg auf 2, also um 100 Prozent. Wäre dieser Börsengewinn dagegen in der Bilanz gebucht, führte dessen Zuwachs lediglich zu einer Steigerung des Eigenkapitals um zehn Prozent auf 11. Das ist schon ein signifikanter Unterschied, zumal die Börsenöffentlichkeit ohnehin verstärkt auf den Gewinn schaut und sich wenig für die Kapitalausstattung interessiert.
Moderne Bewertungskennziffern
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Stärken (Vorteile) und Schwächen (Nachteile) Stärken (Vorteile) Hoher Substanzstärke bedeutet mehr Sicherheit für das Unternehmen. Im Prinzip ist folgende These unstrittig richtig: Je niedriger das KBV ist, umso sicherer sind das Geschäftsgebaren des Unternehmens und der Kurs seiner Aktien. Jedoch kostet diese Sicherheit Rendite. Wo hierbei die Verzichtsgrenze liegt und wie hoch das „optimale“ KBV sein sollte – auf diese Fragen gibt es keine überzeugenden analytischen Antworten. Hohes KBV weckt das Interesse von Finanzinvestoren. Dieser Aspekt weist zwei, sich widersprechende Seiten auf. Sicherlich hatten noch in jüngster Vergangenheit Finanzinvestoren (Hedgefonds, Private Equity) auf substanzstarke Aktien ein gieriges Auge geworfen. Sie werden sich dabei in erster Linie am KBV orientiert haben. Auch konnten bei einer feindlichen Mehrheitsübernahme durch Finanzinvestoren die Minderheitsaktionäre von Boni und Sonderausschüttungen profitieren. Dennoch bleibt, wie bei allen anderen Fusionen, eine schwerpunktmäßig allein auf diesem Aspekt aufbauende Anlagestrategie auch in Zukunft spekulativ. Der Zeitpunkt entscheidet. Wenn bestimmte Aktiengesellschaften einmal als Übernahmekandidaten eingestuft werden, werden deren Aktien meistens schnell zu teuer. Gratisaktien und Sonderausschüttungen durch die Alteigentümer Die von Übernahmen durch Finanzinvestoren bedrohten Vorstände der Fusionskandidaten versuchten sich häufig vor den beschriebenen feindlichen Übernahmen ebenfalls durch Sonderausschüttungen zu schützen, ohne allerdings dabei gleich das Gros des Eigenkapitals zu „plündern“. Im Unterschied zu den Finanzinvestoren agieren sie langfristig. Daher lohnt es sich generell, Unternehmen mit hohem KBV und hohem Substanzwert auf die Beobachtungsliste zu nehmen. Schwächen (Nachteile) Ein kleiner Fragenkatalog schildert die bekannten Probleme, die bereits beim KGV in Erscheinung traten und die an dieser Stelle nicht detailliert wiederholt werden sollen. Welche Eigenkapitaldefinition ist beim KBV zu nehmen? Wie ist die Neubewertungsrücklage oder der Goodwill auf das Eigenkapital anzurechnen? Ist die aktuelle oder die zukünftige KBV-Substanz ins Kalkül zu ziehen? Wie sind die aufzugebenden und fortzuführenden Bereiche zu behandeln? Wenn die Substanz auf Kosten der Rentabilität geht, wie sind diese beiden Aspekte gegeneinander abzuwägen? Last but not least oder die Qual der Wahl: Welche von den den Substanzaspekt abbildenden verwandten Kennzahlen, Kurs-Buchwert-Verhältnis oder die noch zu behandelnde Eigenkapitalquote, ist aussagekräftiger?
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Mögliche Fehlinterpretationen Generalisierung in schlechten Börsenzeiten irritiert. Wenn die Aktienbörse im Abwärtstrend nach unten „untertreibt“, fällt das KBV selbst bei guten Werten zu Unrecht dem Generalisierungsprozess zum Opfer. Anleger verlieren dabei schnell die Orientierung, inwiefern Werte von 0,5 oder sogar darunter – die in der Finanzkrise bei einigen europäischen Banktiteln anzutreffen waren – noch realistisch sein können. Zweifel sind angebracht, weil Börsenkurse unter oder in der Nähe des Bilanzkurses in der Vergangenheit immer eine klare Ausnahme und nicht die Regel waren. In der Krise 2008/2009 traten solche Fälle zwei bis drei Mal häufiger auf als während des letzten Crashs in den Jahren 2000 bis 2003. Das muss beunruhigen. KBV wird durch Kapitalmaßnahmen und Ausschüttungssperre verbessert Der Anleger hat zu prüfen, auf welche Komponenten eine eventuelle Verbesserung des KBV zurückzuführen ist. Vollzieht sich diese im Wege der beschriebenen Kapitalerhöhung oder über eine Ausschüttungssperre, ist eine derartige defensive Maßnahme negativ zu interpretieren. Eine Gesellschaft, die ihre Eigentümer „zur Kasse bittet“ ohne dabei konkrete Akquisitions- oder Investitionspläne als Verwendungszweck zu nennen, kann nicht als wirtschaftlich gesund bezeichnet werden. Viel Kapital, keine Substanz – das Eigenkapital wird nicht selten aus reinen „Luftschlössern“ bestehen Der Anleger wird getäuscht, wenn das Eigenkapital zum größten Teil aus Gewinnrücklagen akkumuliert wird, die aus einem „bilanzkosmetisch“ präparierten Gewinnausweis generiert werden. Ist der Bilanzgewinn vornehmlich auf Zuschreibungen zurückzuführen, sind die daraus gebildeten Gewinnrücklagen als minderwertig oder schlimmstenfalls als nicht existent zu betrachten. Mehr noch: Das Unternehmen kann trotz einer stattlichen Eigenkapitalausstattung auf dem Papier in Wirklichkeit völlig illiquide und insolvent sein. Bilanzkosmetik macht es möglich. Vorgenannte Situationen waren in Zeiten des Neuen Marktes häufig anzutreffen. Aktionäre haben kein Anrecht auf Realisierung der stillen Reserven Viele Konzerne, insbesondere gut verdienende Finanzinstitute, geben im Anhang ihrer Geschäftsberichte neben den Buchwerten die aktuellen Marktwerte (Zeitwerte) ihres Beteiligungsportfolios an. Die Differenz zwischen den beiden Größen bilden die stillen Reserven, eventuell auch die stillen Lasten. Anleger unterliegen häufig dem Irrtum, sie hätten als Miteigentümer einer substanzstarken Gesellschaft einen Anspruch auf eine Realisierung oder andersgeartete Beteiligung an diesen Reserven. In den Neunzigerjahren wurde diesbezüglich die Frage diskutiert, wie ausscheidende Kunden einer Lebensversicherung zu behandeln wären.
Moderne Bewertungskennziffern
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Fazit: So wie der Rohstoffreichtum oftmals ein falscher Indikator für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft ist, könnte der Buchwert und Substanzwert einer Aktie ebenso solche Fehlsignale senden. Im Extremfall könnte hohes Vermögen sogar den Ansporn zur mehr wirtschaftlicher Aktivität bremsen. Andererseits – man denke an die fleißigen Japaner – bietet eine hohe Substanz umso mehr Sicherheit für zukünftige schlechte Zeiten je mehr dieser Vermögenszuwachs aus kumulierten Gewinnrücklagen der Vergangenheit resultiert. Bei Einzelaktien ist auf die Bilanzqualität besonders zu achten. Die Höhe des Substanzwertes hängt stark von den Bewertungsmethoden der Eigenkapitalkomponenten und der stillen Reserven ab. In der Bilanz kann sich ein Unternehmen „ärmer“ oder „reicher“ rechnen.
3.1.4
Ausschüttungsaspekt: Dividendenrendite
Messkonzept und Ermittlungsmethoden (Varianten) Die Dividende – bezogen auf den Kurs der Aktie – ergibt die Dividendenrendite, eine häufig verwendete Bewertungskennzahl in der fundamentalen Aktienanalyse. Die Dividendenrendite wird wie folgt berechnet: Dividende (im Jahre t) Dividendenrendite in % =
Aktienkurs (am Tag x)
Bekanntlich werden erwirtschaftete Unternehmensgewinne für die Thesaurierung (Gewinne verbleiben im Unternehmen) und für die Dividendenzahlungen (Ausschüttung an die Aktionäre) verwendet. Ob überhaupt und in welcher Höhe eine Dividende gezahlt wird, hängt in der deutschen Börsenwirklichkeit vom Willen der Konzernverwaltungen ab. Obgleich die Hauptversammlungen (HV) de jure dem Ausschüttungsvorschlag der Verwaltung zustimmen müssen, bedeutet dieser Einschnitt in Wirklichkeit keine Unsicherheit. Denn die Abstimmungsprozedur vollzieht sich in Deutschland in der Regel geräusch- und reibungslos. Hiesige HV-Termine sind keine den Bundestagswahlen ähnelnde Veranstaltungen, deren Ausgang bis zum Schluss weitgehend offen bleibt. Wie sieht es im Ausland aus? In vielen empirischen Untersuchungen konnte die Ausschüttungswilligkeit nicht als ein länderspezifisches Phänomen identifiziert werden. Kontinentaleuropa ist in dieser Hinsicht nicht großzügiger oder restriktiver als die angelsächsischen Länder oder die Emerging Markets. Diese Einstellung verwundert insofern, als dass in gewissen Ländern eine stärkere Rentenlastigkeit in der Anlegerschaft vorherrscht, welche die Aktie gerne als eine Art von „Anleihe mit Kurschancen“ sehen möchte. In diesen Kreisen wäre eine höhere Ausschüttungsfreudigkeit zu erwarten.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Ein ähnliches Verhalten ist bei vielen Fonds zu beobachten. Dort entscheidet der Anlagestil (Wachstums- versus Value-Aktien), ob der Fonds thesaurierend oder nicht thesaurierend ist. Auch dieser Stil orientiert sich an der Rentenlastigkeit des Anlegerverhaltens eines Landes. In Staaten mit einer Vorliebe für Anleihen müsste es aus Wettbewerbsgründen mehr ausschüttende Fonds geben, damit diese im Werben um die Kundengelder mithalten können. Wie hoch ist gewöhnlich die Dividende? Die Höhe der Dividendenrenditen kann in bestimmten Jahren und Ländern den Langfristzins für die risikoarmen zehnjährigen Regierungsanleihen deutlich übersteigen. Für 2008 haben nach dem Kursstand vom 17.8.2009 von den 30 DAX-Werten 15 die damalige Marke von 3,30 Prozent deutlich übertroffen (siehe Abbildung 21). Unternehmen
Dividende
Kurs in € per
Dividenden-
2008 in €
17.08.2008
Rendite in %
Deutsche Telekom
0,78
8,80
8,86
RWE
4,50
58,08
7,75
K+S
2,40
35,57
6,75
Lufthansa
0,70
10,43
6,71
BASF
1,95
33,96
5,74
ThyssenKrupp
1,30
23,16
5,61
E.ON
1,50
26,89
5,58
Münchener Rück
5,50
98,82
5,57
Deutsche Post
0,60
10,85
5,53
Quelle: Börsenzeitung
Abbildung 21: Dividendenrenditen im DAX für 2008 (Stand.17.08.2009)
Stärken (Vorteile) und Schwächen (Nachteile) Der demnach zu beherzigende Anlagetipp „Kaufe jeweils Aktien mit der höchsten Dividendenrendite“ ist in der Anlagerealität nicht so banal, wie er auf den ersten Blick klingen mag. Die Befürworter und die Gegner hoher Dividendenzahlungen halten sich seit eh und je die Waage. Beide bringen gute Argumente vor. Die wichtigsten von ihnen werden im Folgenden genannt und stellen auf die deutschen Kapitalmarktverhältnisse ab.
Moderne Bewertungskennziffern
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Stärken (Vorteile) Nachhaltig hohe Dividenden beweisen die Ertragskraft des Unternehmens, sorgen für gutes Standing und treiben die Aktienkurse an oder halten diese auf hohem Niveau. In der Wirtschaftstheorie werden die dividendenfreudigen Konzerne plastisch als die „Cash Cows“ („fette Kühe“) bezeichnet. Damit sind erfolg- und ertragreiche Unternehmen in preisunempfindlichen und wenig konjunkturabhängigen Branchen gemeint. Zu dieser Gruppe zählen vorwiegend traditionelle Global Player (Oligopole), die die Zeiten des stürmischen Wachstums hinter sich haben und in den gegenwärtigen Entwicklungsphasen primär die Konsumentenrente abschöpfen. Ihr Standing, die unangefochtene Marktstellung und hohe investive Eintrittsbarrieren verhindern, dass neue Wettbewerber auf den Markt drängen. Lediglich eine markante Änderung des Konsumentenverhaltens und neue Produkte können in gesättigten Märkten eine Wende herbeiführen. Typische dividendenstarke Branchen sind heute die Nahrungsmittelhersteller, Versorger sowie Medien- und Telekommunikationskonzerne. Andere oligopolistische Sektoren mit genau so wenigen globalen Playern, wie die Automobilhersteller oder die Rohstoffproduzenten, zeigen dagegen stärkeres konjunkturabhängiges Dividendenverhalten. Hier fehlt oft die Nachhaltigkeit der Nachfrage, um ununterbrochen hohe Ausschüttungen darstellen zu können. Aus vorgenannten Renditegründen investierten kapitalstarke Konzerne der Old Economy in für sie völlig „fremde“ Zukunftssektoren, um später in den Genuss der besagten Konsumentenrente zu gelangen. Diese These belegen die vormaligen Aktivitäten deutscher Versorger in der lukrativen Telekombranche. Hohes Ausschüttungsvolumen sorgt ununterbrochen für „frisches“ Anlagegeld am Gesamtmarkt. 2008 haben börsennotierte deutsche Aktiengesellschaften insgesamt 25 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner verteilt, was im Einzelnen die Börsenkapitalisierung von SAP, BASF oder RWE (Stand: März 2009) überstiegen hätte. Auch eine andere Zahl verdeutlicht die Dimension dieser Kapitalflüsse. Für die Summe von 25 Milliarden Euro ließen sich die damals acht billigsten DAX-Werte (Commerzbank, Hannover Rück, Salzgitter, Metro, MAN, Fresenius, Henkel und Lufthansa) erwerben. Ebenso ist die 2008er DAX-Dividendenrendite mit 4,2 Prozent besonders hoch ausgefallen. In der Spitze zahlte die Deutsche Telekom einen Satz von 8,86 Prozent (siehe Abbildung 21). Die DAXRendite lag damit trotz der krisenbedingten massiven Dividendenkürzungen und -ausfällen, besonders bei den Finanztiteln, deutlich über der zehnjährigen Bundrendite, die gerade 3,30 Prozent abwarf. Auch für 2009 wurden die Zehn-Jahres-Bundrenditen deutlich übertroffen. Hohe Dividenden und Sonderdividenden animieren die Konzerne zum Rückkauf eigener Aktien. Diese Idee erscheint besonders dann sinnvoll, wenn die Dividendenrenditen über dem langfristigen Refinanzierungszins am Kapitalmarkt liegen. Die hier zitierte dividendenfreundliche Deutsche Telekom hätte 2008 bei der Dividendenrendite von 8,86 Prozent und marktüblichen Refinanzierungskosten von 4,3 Prozent p. a. über 3,5 Prozent p. a. sparen können, wenn sie eigene Aktien zurückgekauft und dafür Kredite aufgenommen hätte.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Alternativ zur Ausschüttung werden Teile des in den Gewinnrücklagen kumulierten Eigenkapitals für Berichtigungsaktien („Gratisaktien“) verwendet. Bei gesunden Unternehmen wird der hierdurch verwässerungsbedingte Kursrückgang in der Regel schnell aufgeholt. Viele vergangene Beispiele aus allen Marktsegmenten (BMW, Altana, Hugo Boss, GfK, Heidelberger Druckmaschinen, Hochtief, König&Bauer, Krones, Medion, RhönKlinikum, SAP, Siemens, Vossloh) bestätigen diese These. Schwächen (Nachteile) Nicht die hohen Dividenden per se treiben die Aktienkurse an, sondern die Unternehmensgewinne, welche einen soliden Spielraum für zukünftige Dividendenerhöhungen schaffen. Demnach haben Kurssteigerungen und Dividenden die gleiche Ursache, namentlich die Unternehmensgewinne. Zu beachten bleibt, dass sich definitorisch Kurssteigerungen und Dividendenrenditen widersprechen müssen. Der Anleger kann rein rechnerisch nicht beides haben: steigende Kurse und hohe (unveränderte) Dividendenrenditen. Steigt bei einer Dividendenrendite von fünf Prozent der Aktienkurs von 20 Euro auf 30 Euro, also um 50 Prozent, fällt bei sonst gleich bleibenden Bedingungen die Dividendenrendite auf 3,33 Prozent, also ebenfalls um 50 Prozent. Hohe Dividenden werden im Börsenalltag als fehlende und/oder begrenzte Investitionsmöglichkeiten angesehen, was als kursbelastend interpretiert wird. Eine solche Situation herrschte vor der Finanzkrise bei den britischen Banken (Royal Bank of Scotland, Lloyds TSB, HSBC, Barclays) und bei den europäischen Telekomriesen (Vodafone, Telefonica, Deutsche Telekom, British Telecom Group, France Telecom). Die kapitalstarken Konzerne suchten damals angabegemäß lukrative Beteiligungen, konnten aber keine richtigen Adressen finden. Interessanterweise fiel die „Investitionsnot“ der britischen Banken mit den Top-Eigenkapitalrenditen von 30 Prozent zusammen. Darauf wird später eingegangen. Als negativ sind Dividendenzahlungen zu werten, wenn diese nicht effektiv durch den Jahresüberschuss oder den operativen Cashflow erwirtschaftet wurden, sondern aus dem Verkauf einer Beteiligung resultieren. Der Cashflow ist dabei entscheidend. Unternehmen können auch dividendenfähig sein – zum Beispiel voraussichtlich Daimler im Jahr 2009 – wenn sie zwar keinen Gewinn erzielen, aber dennoch einen ausschüttungsfähigen Cashflow haben. Bedenklich ist im Extremfall eine Koppelung der Vorstandsgehälter an die Ausschüttungsquote, wie früher beim Reisekonzern TUI. So sind aus der Vergangenheit dreiste Fälle bekannt, in denen Unternehmen aus dem Eigenkapital oder durch betrügerische Kreditaufnahmen kurz vor der Insolvenz noch Rekorddividenden gezahlt haben (ehemalige MDAXWerte Plettac und AGIV). Dividendenrenditen werden in der Aktienanalyse generell als Hilfskennzahlen verwendet. Trotz ihrer Popularität wird die Dividendenrendite in der Analyse selten als das alleinige Kriterium für eine Aktienanlage herangezogen, obwohl Aktien häufig Dividendenpapiere genannt werden. Der Bezug zwischen der Dividendenhöhe und der Bewertung einer Aktie fehlt. Aktien mit nachhaltig hoher Dividendenrendite, selbst wenn diese über dem langfris-
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tigem Anleihezins liegt, werden daher nicht als „billig“ oder „unterbewertet“, sondern lediglich als „attraktiv“ bezeichnet. Daneben ist die Bedeutung der Dividende abhängig von der Börsephase. In Haussezeiten, wenn sprudelnde Kursgewinne – prozentual gerechnet – die Dividendenrendite deutlich übersteigen, werden selbst dividendenstarke Titel verschmäht und als „Witwen- und Waisenpapieren“ abgestempelt. In der Baisse besinnen sich die gebeutelten Anleger auf ihre Stabilitätsqualitäten und schätzen sie als den „sicheren Hafen“ in stürmischen Börsenzeiten. Dividendenzahlungen sind nicht immer nachhaltig. Der Anleger muss wissen, dass Dividendenzahlungen ausfallen können. Um sich von solchen Gefahren ein realistisches Bild zu machen, sollte er die diesbezüglichen Analystenerwartungen kontinuierlich studieren. In Abbildung 22 werden die Erwartungen für die Deutsche Telekom genannt, die hiernach für 2010 und 2011 von steigenden Werten ausgehen (Stand: 23.9.2009). Anfang 2010 haben die Bonner jedoch angekündigt, für 2010 bis 2012 eine konstante Dividende zahlen zu wollen.
1,40 1,30 1,20 1,10 1,00 0,90 0,80 0,70 0,60 2009 billige 37 Analysten Aktien
teure 2010 Aktien 37 Analysten
2011 30 Analysten
Abbildung 22: Deutsche Telekom: Dividendenschätzungen der Analysten für 2009 bis 2011 per 23.9.2009 (maxblue) Dem Interesse der Anleger Rechnung tragend, hat die Deutsche Börse im Jahr 2000 den einmal jährlich aktualisierten DivDAX konstruiert, der die zehn dividendenstärksten Titel des führenden deutschen Börsenbarometers enthält. Gerade in der Finanzkrise 2008/2009 hat sich gezeigt, dass im Jahresvergleich (Stand 21.03.2009) der „sichere Hafen“, der DivDAX, etwa 17 Prozent besser abgeschnitten hat als der DAX selbst. Der Privatanleger hat heute in der Internetära die Möglichkeit, die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit dieser These für andere Zeiträume und Länder zu überprüfen.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Kursentwicklung DAX vs. DivDAX (21.3.2008 – 21.3.2009)
DivDAX
DAX
billige Aktien
teure Aktien
Abbildung 23: Kursentwicklung DAX versus DivDAX im Zeitraum 21.03.2008 bis 21.03.2009 (maxblue)
Mögliche Fehlinterpretationen Die „Dividendenliebhaber“ unter den Aktionären unterliegen hinsichtlich ihrer Erwartungen nicht selten zwei weit verbreiteten Vorurteilen: Es besteht kein Anspruch auf eine Dividendenzahlung, auch nicht in guten Geschäftsjahren. Hat ein Unternehmen ambitionierte Investitionspläne, aber nur begrenzte Zugangsmöglichkeiten zum Kapitalmarkt, wird es diese vorzugsweise aus eigener Kraft finanzieren und die Ausschüttung möglichst niedrig halten. Es hat dabei zu achten, dass es mit diesem Schritt seine Aktionäre nicht verärgert, weil diese es bei zukünftigen Kapitalmaßnahmen unterstützen müssen. Das Abwägen der beiden konkurrierenden Gesichtspunkte ist in Börsenkreisen unter dem Fachbegriff „unternehmensspezifische Dividendenpolitik“ bekannt. Ein Anstieg der Dividendenrendite ist von der Ausschüttungsfähigkeit eines Unternehmens unabhängig zu sehen. Die Dividendenrendite kann steigen, weil die Aktienkurse fallen. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn die Aktienkurse stärker fallen, als die Dividenden zurückgehen. Aktien mit ei-
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ner hohen Dividende sind aus vielen anderen Gründen kursgefährdet. Mit erhöhten Ausschüttungen versuchen viele Konzerne nicht erst seit heute, ihre Stammaktionäre bei guter Laune zu halten. Der Dividendensegen wird häufig als Ablenkung von den operativen Problemen eingesetzt.
Fazit: Kluge Aktionäre wissen: Kurssteigerungen sind vergänglich, vereinnahmte Dividendenzahlungen dagegen reelle Geldzuflüsse. Es dürfte viele von ihnen beruhigen, wenn sie jährlich einen Rückfluss auf das eingesetzte Kapital erhalten. Das gibt ihnen die Gewissheit, dass „ihr“ Unternehmen immer noch gesund ist. Deswegen wird die (angemessene) Dividende bzw. die Dividendenrendite in der Regel ein beachtetes Kriterium bei der Aktienanlage bleiben.
3.1.5
Sicherheitsaspekt: Verschuldungsgrad und Eigenkapitalquote
Messkonzepte und Ermittlungsmethoden (Varianten) Bislang wurden Kennzahlen vorgestellt, die die Bewertung einer Aktie in Abhängigkeit von der Ertragskraft (KGV, KCV), der Substanzstärke (KBV, NAV) oder der Ausschüttungsattraktivität (Dividendenrendite) beschrieben. Es gibt in der Fundamentalanalyse einen weiteren Bewertungsaspekt: die Sicherheit. Diese kann mit dem Verschuldungsgrad und der Eigenkapitalquote gemessen werden. Der Verschuldungsgrad wird definiert als: Effektivverschuldung Verschuldungsgrad = Cash flow
und die Eigenkapitalquote entsprechend als: Eigenkapitalquote =
Eigenkapital Bilanzsumme
Hierbei ist die Effektiverschuldung als eine Nettoverbindlichkeit zu verstehen und der Verschuldungsgrad wird in Jahren gemessen. Er gibt an, in wie vielen Jahren ein Unternehmen
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
seine Schulden aus eigener Finanzkraft zurückzahlen kann. Als Cashflow-Größe wird mehrheitlich der Netto Cashflow genommen. Die daran anknüpfende Allokationsaussage lautet wie folgt: Je niedriger der Verschuldungsgrad und je höher die Eigenkapitalquote, umso günstiger die Bewertung der konkreten Aktie. In der Kapitalmarkttheorie haben seit Jahrzehnten zahlreiche Analysten in Modellen versucht, einen „optimalen“ Verschuldungsgrad zu finden – bislang ohne Erfolg. Die Betrachtung des Verschuldungsgrades ist vornehmlich bei Aktien von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen verbreitet. Bei Finanztiteln ist es dagegen nicht besonders sinnvoll, einen Verschuldungsgrad auszuweisen, obgleich dies möglich wäre. Die Differenzen zwischen diesen beiden Sektoren sind signifikant. Denn die Schuldenaufnahme, so die Begründung, ist bei den Kreditbanken anders als bei Industrieunternehmen ein geschäftsimmanenter Teil des Geschäftsmodells, und bei den Versicherungsunternehmen gibt es formal keine nennenswerten echten Verbindlichkeiten. An ihre Stelle treten die versicherungstechnischen Rückstellungen, die ökonomisch als Verbindlichkeiten gegenüber den Versicherten aufzufassen sind. Anstelle des Verschuldungsgrades wird bei den Finanzinstituten daher stark auf die Eigenmittelausstattung geachtet, indem vom Gesetzgeber aufsichtsrechtliche Mindestquoten und andere Kontrollkennzahlen vorgeschrieben werden. Summa summarum spielen die Eigenkapitalquote und der Verschuldungsgrad eher eine untergeordnete Rolle in der Aktienanalyse. In anderen Bereichen des breiten Wirtschaftslebens sind sie bedeutsamer. So schauen besonders Banken kritisch bei der gewerblichen Kreditvergabe auf die Kennzahl Eigenkapitalquote. Bei den börsennotierten Unternehmen gibt es eine breite Spannweite der Verschuldungsgrade, die von „negativen“ Verschuldungsgraden (es liegt dann keine Effektivverschuldung vor) bis in den zweistelligen Wertebereich reicht. Unternehmen mit einem hohen Verschuldungsgrad (vgl. zuletzt Arcandor) sind sehr zinssensitiv und werden schon bei leichten Zinserhöhungen in existenzielle Notlage geraten. Auch Eigenkapitalquoten schwanken je nach Konzern und Untersuchungsperiode erheblich.
Eine Sonderform des Verschuldungsgrades: Cash Burne Rate Die Kennzahl wird definiert als: aktuelle liquide Mittel Cash-burne rate =
negativer Cashflow
Die Cash Burne Rate informiert, wie lange die aktuellen liquiden Mittel ausreichen, bis durch den negativen Cashflow aus Finanzierungstätigkeit das untersuchte Unternehmen formell
Moderne Bewertungskennziffern
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zahlungsunfähig wird. Da sich die Kennzahl auf Vergangenheitswerte bezieht, ist ihre Anwendung nur sinnvoll, wenn das Unternehmen über eine gewisse Historie verfügt.
Stärken (Vorteile) und Schwächen (Nachteile) Die Stärken und Schwächen dieser beiden Kennzahlen werden nachfolgend gemeinsam dargestellt. Stärken (Vorteile) Bei einer korrekten Interpretation kann ein drastischer Anstieg des Verschuldungsgrades eines Unternehmens tatsächlich als ein Alarmzeichen gedeutet werden. Es besteht dann die Gefahr, dass das Unternehmen seinen Schuldendienst (Zinszahlungen und Tilgungen) nicht mehr leisten kann, wenn die Zinsen nach oben schnellen. Umgekehrt sollte eine merkliche Entlastung eintreten, wenn sich die fälligen Kredite und Anleihen zu deutlich günstigeren Konditionen prolongieren lassen. Eine solch günstige Situation lag Mitte 2009 bei den hoch verschuldeten Telekommunikationsriesen vor. Bei der Deutschen Telekom, die damals einen Schuldenberg von etwa 42 Milliarden Euro zu schultern hatte, würde eine Zinssenkung von einem Prozent eine Entlastung von 420 Millionen Euro brutto bedeuten, was gut 40 Prozent des 2007er Jahresüberschusses ausmachte. Viele Konzerne liefern genaue Angaben zu ihrer Verschuldungslage. Die Geschäftsberichte enthalten häufig auf freiwilliger Basis eine detaillierte Auflistung der Bankverbindlichkeiten nach Beträgen und Laufzeiten. Zwar werden die Finanzierungskonditionen nicht explizit genannt, der Bilanzleser ist jedoch in der Lage, durch den Vergleich des Kreditvolumens mit den Zinsaufwendungen in der GuV-Rechnung den durchschnittlichen Zinssatz approximativ zu errechnen. Im Endeffekt erhält der Anleger wertvolle Informationen darüber, bei welchem Unternehmen aufgrund der Zinslage eine Entlastung und bei welchem eine Bedrohung bevorsteht. Neben dem Sicherheitsaspekt kann der Verschuldungsgrad einen Hinweis auf eine eventuelle Substanzstärke liefern. Wenn Unternehmen, die traditionell seit Jahrzehnten mit hohem Anlagevermögen arbeiten, einen niedrigen Verschuldungsgrad aufweisen, werden sie diesen per definitionem durch ihr Eigenkapital finanziert haben. Sie werden ein vitales Interesse haben, dieses Eigenkapital konservativ zu bilanzieren, da sie gegenüber den Sicherheiten verlangenden Banken nicht in der Pflicht stehen, ein geschöntes Bild ausweisen zu müssen. Wer eine hohe Eigenkapitalquote ausweisen kann, braucht weniger Sicherheiten zu leisten. Wird dagegen bei hoher Fremdfinanzierung durch die „Bilanzkosmetik“ (Wertzuschreibung) das Anlagevermögen in der Bilanz aufgewertet, sind ceteribus paribus eventuelle stille Reserven niedriger oder überhaupt nicht vorhanden. Eine kontinuierlich rückläufige Eigenkapitalquote signalisiert im Normalfall die Notwendigkeit einer Kapitalerhöhung, wenngleich keine Faustregel anzeigt, wie hoch die Mindestausstattung mit Eigenkapital zu sein hat. Es gibt DAX-Unternehmen, die eine Eigenkapitalquote unter zehn Prozent, und solche, die über 40 Prozent Eigenkapital haben. Die
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
meisten Konzerne ermitteln ihren „Kapitalbedarf“. Das für diese Zwecke errechnete Risikokapital (ökonomisches Kapital) ist eine weit verbreitete interne Steuerungsgröße. Ein Vergleich des Eigenkapitals auf der Passivseite der Bilanz mit dem Anlagevermögen auf der Aktivseite informiert, ob die altbekannte goldene Bilanzregel eingehalten wurde. Nach dieser sollte langfristig gebundenes Vermögen sicherheitshalber langfristig finanziert werden. Dieses Postulat hat praktische Gründe. Falls im Notfall bei einer kurzfristigen Finanzierung eine Prolongation der Fremdmittel nicht möglich wird, gelingt ein kurzfristiger Verkauf des Anlagekapitals zu fairen Konditionen in der Regel nicht, um die entstehende Finanzierungslücke zu decken. Im Bankensektor ist die obige Forderung unter dem Begriff der Fristenkongruenz bekannt. Wie gefährlich ihre Verletzung sein kann, zeigte die Mega-Krise beim Hypothekenfinanzierer HypoRealEstate, dessen Irland-Tochter Depfa langfristige Hypothekendarlehen mit kurzfristigen Geldmarktpapieren (Commercial Papers) finanziert hatte. Ohne Staatseingriff wäre es wegen der mittelgroßen Depfa-Bank vermutlich zu einem sektorweiten Kollaps des deutschen Bankensystems gekommen. Schwächen (Nachteile) Die Definition des Verschuldungrades umfasst in seiner Teilkomponente Nettoverschuldung nicht alle Forderungen eines Unternehmens, sondern nur die kurz- und mittelfristigen Posten. Damit wird das Bild der tatsächlichen Vermögenslage bei denjenigen Unternehmen verzerrt, die einen hohen Anteil von langfristigen Forderungen in der Bilanzsumme aufweisen. Ein derartiger Fall kann bereits eintreten, wenn entgegen den üblichen Marktusancen einer Zielzahlung von etwa drei Monaten einem Top-Kunden ein langfristiger Lieferantenkredit eingeräumt wurde. Werden die umgebuchten Schulden nicht berücksichtigt, fällt dementsprechend die Nettoverschuldung. Eine „Bilanzkosmetik“ zum Jahresende kann im Wertausweis der Schulden nicht erkannt werden. Zahlt ein Musterunternehmen am 30.12. des Jahres X seinen Kredit aus vorhandener Liquidität zurück, um ihn am 02.01. des Folgejahres wieder aufzunehmen, kann es per Stichtag 31.12. einen günstigen Verschuldungsgrad vorlegen. Es ist zwischen der Rückzahlungsfähigkeit und der Rückzahlungswilligkeit zu unterscheiden. Ein niedriger Verschuldungsgrad bedeutet nicht, dass das untersuchte Unternehmen eine baldige Rückzahlung tatsächlich beabsichtigt. Denn eine völlige Schuldenfreiheit muss ökonomisch nicht immer sinnvoll sein. Insofern ist die Aussagekraft des Verschuldungsgrades als Kennzahl weiter zu relativieren. Viele Unternehmen erwirtschaften erst bei einem höheren Verschuldungsgrad den maximalen Gewinn. Auch umgekehrte Fälle kommen im Wirtschaftsalltag vor. Eine bewusst hohe Eigenkapitalquote wird – nach dem Motto „Sicherheit statt Dividende“ – auf Kosten der Rentabilität gehen, wenn aus Angst vor Kreditaufnahme fremdfinanzierte Erweiterungsinvestitionen unterlassen werden. Ein unbegründetes „Hamstern“ bleibt nicht ohne Folgen. Exzessive Eigenmittelakkumulationen ohne Ausschüttungen an die Aktionäre haben langfristig negative Kursauswirkungen, weil diese misstrauisch werden.
Moderne Bewertungskennziffern
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Wie erwähnt, konkurriert die traditionelle Eigenkapitalquote als Sicherheitsmaß mit dem aus der angelsächsischen Wirtschaftstheorie entliehenen Konzept des Risikokapitals. Diese Kapitaldefinition basiert auf folgender Überlegung: Von zwei Unternehmen A und B mit gleichem bilanziellen Eigenkapital und Ertrag braucht dasjenige, dessen Ertrag weniger schwankt, weniger Risikokapital. Das Risikokapital stellt demnach eine „schwankungsbereinigte“ Variante des bilanziellen Eigenkapitals dar. Je sicherer bzw. schwankungsarmer das Geschäft ist, umso niedriger ist das benötigte Risikokapital. In Folge ist das bilanzielle Eigenkapital mit einem Risikofaktor zu gewichten, um das Risikokapital (Value at Risk) zu erhalten. Welche praktische Bedeutung besitzt dieses Theorem in der Aktienanalyse? Die Kursrenditen von zwei Depots sind auf ihr risikoadjustiertes Volumen zu beziehen, das wie das Risikokapital zu interpretieren ist. Danach hat ein risikoarmes Depot mit (gewichteten) niedrigeren Kursschwankungen seiner Einzelwerte eine höhere Kursrendite. Analoge Aussagen lassen sich auch bei Einzelaktien anwenden. Als Beispiel für die Risikobereinigung kann folgende Renditeformel dienen: Risikoadjustierte Rendite =
Gesamtertrag - risikoloser Ertrag Value at Risk (Risikokapital)
Wiesen in der Vergleichsperiode die Aktien von A und B die gleiche Kurssteigerung von zehn Prozent aus und hat A ein Risikokapital von 0,9, beträgt dessen risikobereinigte Rendite 11,1 Prozent, die von B dagegen nur zehn Prozent. Ob den Anleger dieses künstliche Konstrukt überzeugt, bleibt fraglich. Für ihn sind zehn Prozent eben „zehn Prozent“ und nicht irgendwelche „fiktiven“ 11,1 Prozent. Es wäre denkbar, dass durch die nicht transparente Risikokapitalermittlung A besser dasteht, obwohl seine absolute Kursrendite deutlich niedriger als die von B ausgefallen ist. Nach dieser Argumentation könnten die absoluten acht Prozent von A mehr wiegen als vielleicht die absoluten zwölf Prozent von B. In der Bankberatung findet der Risikoaspekt praktische Anwendung in der Einteilung der Anleger in individuelle Risikoklassen. Jeder Risikoklasse werden mehrere Wertpapierarten zugeordnet, quer durch alle Gattungen. Aktien wie die inländischen Blue Chips ohne Währungsrisiko (DAX-Titel) werden selbstverständlich als „sicherer“ eingestuft als die USamerikanischen Titel der zweiten Reihe mit einem Währungsrisiko. „Sichere“ Risikoklassen müssen ein niedrigeres Schwankungsprofil aufweisen.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Mögliche Fehlinterpretationen Beim Verschuldungsrad Die Kernaussage, je niedriger (höher) der Verschuldungsgrad, umso günstiger (ungünstiger) die Bewertung, bedarf keiner besonderen Erläuterung. Solidität ist und war in allen Zeiten ein unschlagbares Bonitätsmerkmal. Auf die Feineinstellung kommt es weiter an. Bei einer isolierten Betrachtung wird oft übersehen, dass der Verschuldungsgrad ein konjunkturabhängiges Phänomen ist und nicht einzelwirtschaftliche Ursachen haben muss. In Zeiten von Hochkonjunktur steigt die Effektivverschuldung schneller als der Cashflow, weil Unternehmen expandieren und sich verschulden müssen, um notwendige Erweiterungsinvestitionen zu tätigen. Bis diese neuen Kapazitäten die Produktionsreife erreichen und Gewinne oder Cashflow generieren, vergeht gewöhnlich eine Zeitspanne von bis zu zwei oder drei Jahren. Durch das beschriebene Nachhinken wird der Verschuldungsgrad am Anfang des Konjunkturzyklus zu hoch und später zu niedrig angezeigt. Daraus folgt, dass ein steigender Verschuldungsgrad nicht unbedingt negativ interpretiert werden muss, wenn die Kreditaufnahme der Schaffung neuer Anlagewerte und nicht zur Stopfung infolge einer Misswirtschaft entstandener Finanzierungslücken dient.
Bei der Eigenkapitalquote Laut Definition steigt (sinkt) die Eigenkapitalquote, wenn das Eigenkapital steigt (sinkt) und/oder oder die Bilanzsumme sinkt (steigt). Auch hier kann es zu gravierenden Fehlinterpretationen kommen, wenn der ökonomische Hintergrund nicht ausreichend geklärt wird. Durchlaufende Bilanzposten, wie Derivate und Verbundgeschäfte, führen zur künstlichen Aufblähung der Bilanzsumme und zur Reduzierung der Eigenkapitalquote. Endkonsolidierungen führen dagegen zur Bilanzverkürzung und zur Erhöhung der Eigenkapitalquote. Eigentlich könnte jede Bilanzsumme durch die Saldierung der Forderungen und der Verbindlichkeiten massiv verkürzt werden mit der Folge, dass die Eigenkapitalquote und damit die Sicherheit eines Unternehmens formal erhöht wären. Dies ist jedoch rechtlich nicht möglich, da der Gesetzgeber aus Transparenzgründen bewusst einen Bruttoausweis vorschreibt. Im Wirtschaftsalltag gibt es ungeachtet dessen viele Fälle von legalen Bilanzverkürzungen. Kommt es bei einem Konzern durch die „Gesundschrumpfung“ (Endkonsolidierung) zum Beteiligungsabbau auf der Aktivseite, so erhöht sich ceteribus paribus die Eigenkapitalquote, wenn mit den frei gewordenen Mitteln Kredite auf der Passivseite getilgt werden. Zur Verdeutlichung kann ein simples Rechenbeispiel eines Unternehmens mit einer Bilanzsumme von 1000 und einer Eigenkapitalquote von 20 Prozent dienen. Der Verkaufserlös aus einer Beteiligung von 200 wird zur Schuldentilgung eingesetzt (Variante 1), womit sich dann beide Bilanzseiten von 1000 auf 800 reduzieren. Die Eigenkapitalquote erhöht sich auf 25 Prozent. Findet dagegen kein Schuldenabbau statt (Variante 2), ergibt sich ein gewöhnlicher Aktiv-
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tausch. Der Verkaufspreis führt in diesem Fall zu einer Erhöhung der liquiden Mittel um 200. Die Eignkapitalquote bleibt unverändert. Im Bilanzalltag sind statt der geschilderten Verkürzung häufiger umgekehrte Vorgänge (Aufblähung der Bilanzseiten) zu beobachten. Besonders krass kommt diese Praxis in Bankbilanzen wegen der Bilanzierung von eigentlich aufrechnungsfähigen Derivaten zum Tragen. Handelspassiva und Handelsaktiva wären durchaus zu kompensieren. Die Auswirkungen sind gravierend. So erhöhte sich durch den Wechsel der Bilanzierung von US-GAAP auf IFRS die Bilanzsumme der Deutschen Bank 2008 von annähernd einer Billion Euro auf zwei Billionen Euro! Würde sich die Eigenkapitalquote bei den Banken nicht an den Risikoaktiva, sondern an der einfachen Bilanzsumme orientieren, hätte das extrem niedrige Eigenkapitalquoten zur Folge. Es ist streng zu beachten, welche Definition der Berechnung von Eigenkapitalquoten zugrunde gelegt wird. Das Spiel mit definitorischen Abgrenzungen ist in Krisenzeiten sehr beliebt und dient gewöhnlich der Verschleierung eines tatsächlichen Quoteneinbruchs. Semantische Konstrukte, wie Kernkapitalquoten, um einmalige Sonderfaktoren bereinigte Quoten, auf einem „normalen“ Geschäftsverlauf basierende Quoten, Eigenmittelquoten und so weiter, haben in unruhigen Konjunkturzeiten Hochkonjunktur. Der Bilanzleser sollte sich darüber hinaus über das Kleingedruckte im Anhang informieren, welche „legalen Bilanztricks“, wie die Änderung der Bewertungsmethoden, Umbuchungen, Nennung von stillen Lasten, Bildung einer negativen Neubewertungsrücklage – eine negative Rücklage ist ökonomisch absolut sinnlos! – verwendet wurden. Werden diese Gestaltungsmöglichkeiten eingesetzt, kann so mancher Bilanzierungsjongleur mit einem spektakulären Top-Wert glänzen. Eine ausreichend hohe Eigenkapitalquote gibt dann ein bedauernswertes Fehlsignal, wenn ein Unternehmen fast illiquide ist und keine Aussicht auf (weitere) Kredite hat. Denn das hohe Eigenkapital kann in illiquiden Formen (Immobilien, nicht fungible Sachanlagen) gebunden sein. Ein Musterbeispiel hierfür bilden die US-Automobilkonzerne. Bei solchen Problemunternehmen ist in der Analyse ergänzend der Liquiditätsstatus – zum Beispiel die Cash Burne Rate – heranzuziehen.
Fazit: Der Sicherheitsaspekt spielt in der Kennzahlenanalyse je nach Börsenphase eine weniger (Hausse) oder eine mehr beachtete (Baisse) Rolle. Die für seine Messung im Bilanzbereich am häufigsten verwendeten Kennzahlen sind der Verschuldungsgrad und die Eigenkapitalquote. Die Risikomessung muss sich nicht nur auf die Bilanzposten (Wertbestand), sondern auch auf die Kontinuität der Ertragsstärke (Unternehmensgewinn) beziehen. Weiter ist zwischen dem Risikogehalt eines Unternehmensgewinns und dem Risikohalt eines Aktiendepots (dessen Wertbestand) zu unterscheiden. In der Anlagepraxis wird die Performance eines Aktiendepots häufig mit der risikoadjustierten, das heißt der um die Kursschwankungen bereinigten absoluten Kursrendite gemessen, die umso höher ausfällt, je niedriger die Kursschwankungen seiner Einzelwerte sind. Der Privatanleger möchte am liebsten beides gleichzeitig haben, die Sicherheit (geringes Risiko) und eine hohe absolute Kursrendite. Risikoadjustie-
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
rungen dürften ihn wenig interessieren. Inwiefern dieses Verhalten gegenüber der beratenden Bank als „fair“ bezeichnet werden kann, ist eine andere Frage.
3.1.6
Sonstige klassische Bewertungskennziffern
Im Börsen- und Wirtschaftsalltag gibt es zahlreiche andere Bewertungszahlen, die der klassischen Kategorie zugeordnet werden können. Oft wird ihre Konstruktion aus der Spezifikation des betriebenen Geschäftes abgeleitet. Die Banken- und Versicherungsaktien stellen hierfür ein gutes Beispiel dar und werden in diesem Buch getrennt behandelt. Auch die Aktien von Bau-, Transport- oder Beteiligungsholdings sind vorrangig mit Sonderkennzahlen adäquat analysierbar. Neben den zitierten sektoralen Sondersituationen finden im Industriebereich zwei Kennzahlen, das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) und Auftragsbestand zum Umsatz (Book to bill ratio) allerdings universelle Verwendung.
Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) Wie bei anderen kursbasierten Kennzahlen gilt hier folgende Grundaussage: Je niedriger (höher) diese Kennzahl, desto günstiger (ungünstiger) die Bewertung des Unternehmens und seiner Aktien. Anders interpretiert informiert uns die KUV-Kennzahl, wie viel Euro ein Käufer für einen Euro Umsatz an der Börse bereit ist zu zahlen. Bei einem KUV-Wert von 0,6 sind es 60 Cent für 1 Euro Umsatz, bei 1,3 mit 1,30 Euro mehr als das Doppelte. Bei gleich hohen Kursen ist das umsatzstärkere („größere“) Unternehmen günstiger bewertet. KUV =
Kurs (am Tag X) Umsatz (im Jahr Y)
Neben der Bilanzsumme ist die Umsatzhöhe das zweite Erkennungsmerkmal, welches die Größe eines Unternehmens charakterisiert. Es drängt sich folgende kritische Frage auf: Warum soll die Unternehmensgröße einen Kursfaktor darstellen? Schließlich wird auch die Bilanzsumme per se nicht als solcher angesehen. Hierfür wird in der Analyse folgende Überlegung herangezogen: Am Anfang eines jeden unternehmerischen Wirtschafterfolges steht immer der Umsatz. Ein Unternehmen, das demnach (relativ) viel Umsatz generiert, besitzt eine Marktstellung, die es befähigt, Gewinne zu erzielen. Ein umsatzschwacher Konkurrent würde eher vor Problemen stehen. Bei höheren Umsätzen sind bessere Gewinne wahrscheinlicher, weil die Kosten dem Gesetz der Kostendegression unterliegen. Dieses Axiom ist keine Glaubensfrage, sondern zählt zu den erwiesenen Grundlagen der Kosten- und Leistungsrechnung: Mit einer zunehmenden Ausbringungsmenge – so heißt es dort – sinken die fixen Stückkosten und im Endeffekt die Gesamtkosten. Ein großes umsatzstarkes Unternehmen erreicht schneller die Gewinnzone (sogenannter Break-Even-Punkt) als ein kleines.
Moderne Bewertungskennziffern
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Bei expandierenden Unternehmen in sogenannten Wachstumsbranchen ist es daher nicht „tragisch“, wenn diese anfänglich hohe Verluste schreiben. Sie müssten lediglich kontinuierliches Umsatzwachstum generieren und genügend Finanzierungskraft (Kreditlinien) aufweisen, um die anfängliche gewinnlose „Durststrecke“ zu überstehen. Irgendwann werden sich bei ausreichend hohem Wachstum die Gewinne automatisch einstellen. Die vorgebrachte These klingt zwar sehr überzeugend, kann aber in die Sackgasse führen. Aufbauend darauf gab es in Zeiten des Neuen Marktes unter Analysten und Anlegern folgende pseudoökonomische Illusion: Aktien von „Wachstumsunternehmen“, die steigende Verluste machten, jedoch ein starkes Umsatzwachstum vorweisen konnten, galten als unterbewertet und besaßen die besten Kursperspektiven. Logisch, dass unter dem Druck solcher Markterwartungen es zur Regel wurde, Umsätze vorzutäuschen und immer optimistischere Umsatzprognosen zu verkünden. So wurden Umsätze mit Aufträgen, Anfragen, Innenumsätzen mit Tochtergesellschaften und dergleichen gleichgestellt. Es entstanden klassische Bewertungsblasen. Einen traurigen Rekord auf diesem Gebiet registrierte mit 97-prozentigen Anteil an „Luftbuchungen“ das Neue Markt-Unternehmen Comroad, dessen Besitzer Bodo Schnabel wegen Betruges eine dreieinhalbjährige Freiheitsstrafe absitzen musste. Neben der beschriebenen negativen Seite hat die KUV-Kennzahl erwartungsgemäß viele positive Aspekte. Wenn keine weiteren Details zur Bewertung einer Aktie vorliegen, kann sie besonders bei Unternehmen, die das Massengeschäft betreiben (Pharma, Einzelhandel, Versicherungen) als eine gute Orientierungsgröße bei der Ersteinschätzung gute Dienste leisten. Denn im Unterschied zu anderen Kennzahlen ist ein ordnungsgemäß verbuchter Umsatz die am wenigsten beeinflussbare Größe in der GuV-Rechnung und das KUV kaum manipulierbar. Die KUV-Kennzahl wird aus diesem Grunde häufig bei der Beurteilung von Fusionen und Übernahmen herangezogen. Durch die Verwendung von Transaktionspreisen bei nicht börsennotierten Unternehmen kann die Peer-Group, aus der eine angemessene Bewertung abgeleitet werden soll, wesentlich erweitert werden. Eine breitere Vergleichsbasis erhöht wiederum den Signifikanzgrad der getroffenen Aussagen.
Auftragsbestand zum Umsatz (Book to Bill-Ratio) Eine weitere Kennzahl, die anders als bei den Massenproduzenten primär bei den Anbietern von Sonder- und Einzelfertigungen in der Investitionsgüterindustrie Anwendung findet, ist das Verhältnis des Auftragsbestandes zum Umsatz. Dabei gilt auch in diesem Fall, dass je höher diese Verhältniszahl ist, umso günstiger die Bewertung des analysierten Unternehmens ausfällt. Sinnvoll ist es, bei dieser Kennzahl alternativ von der Auftragsweite zu sprechen.
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Auftragsweite (AFW) =
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Auftragsbestand (am Tag X) Umsatz (im Jahr Y)
Besonders in der Analyse von Einzelunternehmen kann die Auftragsweite sehr informativ sein: In konjunkturellen Krisenbranchen (Bau, Maschinenbau, Schiffsbau) liefert sie eine gute Orientierung über die relative Lage der Wettbewerber, die sehr unterschiedlich ausfallen kann. Nach der Grundregel der Kosten- und Leistungsrechnung bildet die Deckung der fixen Kosten die kurzfristige, die Deckung der Gesamtkosten die langfristige Preisuntergrenze, zu der ein Unternehmen sein Produkt anbieten muss. Aus der Auftragslage und der Ausbringung kann wiederum errechnet werden, welche dieser beiden Kostenarten gerade noch gedeckt ist. Daraus sind weitere Schlüsse für die Gewinnprognose ableitbar. Eine andere Grundlage der Kosten- und Leistungsrechnung – die sogenannte Deckungsbeitragsrechnung – informiert über den Beitrag, den einzelne Produkte aus einem Produktionsprogramm (Produktionsmix) zur Deckung der fixen Kosten liefern. In Verbindung mit anderen Unternehmensangaben, wie zum Beispiel dem Lagerbestand, können zusätzliche Erkenntnisse über dessen Geschäftslage gewonnen werden. Wer einen hohen Lagerbestand besitzt, braucht weniger Neuaufträge, um in einer Krise länger durchzuhalten. In solchen Zeiten ist eine hohe Auftragsweite nicht so entscheidend, es sei denn das Unternehmensziel besteht nicht in der Ertragsorientierung, sondern in der Erzielung einer höheren Beschäftigungslage durch eine höhere Kapazitätsauslastung. Der Auftragsbestand wird als Bestandgröße durch Zu- und Abgänge bestimmt. Zwischen dem Auftragseingang und der Umsatz- und Gewinngenerierung können mehrere Monate vergehen. Ein kleines „Problemunternehmen“ aus dem MDAX- oder dem SDAX-Bereich könnte trotz verbesserter Auftragslage dennoch enorme Verluste während dieser „Durststrecke“ hinnehmen müssen. Der Analyst muss diesen Umstand bei der Aktienbewertung berücksichtigen.
Fazit: Zahlreiche Kennzahlen der Aktienbewertung sind branchenspezifisch und können nur partiell verwendet werden. Die meisten Branchen haben ihr spezifisches Sondergeschäft und ihren Sonderzyklus. Was als eine brancheadäquate Bewertungskennzahl gilt, ist strittig. So sind Bauaktien mit den Bankaktien nicht zu vergleichen. Wer als Analyst oder Anleger allein mit spezifischen Sonderfaktoren ihre Kursbildung erklären will, muss oftmals eigene Kennzahlen entwickeln. Hier beginnt die Subjektivität. Eine gewisse Hilfestellung liefert allerdings die Kenntnis des Verlaufs der Branchekonjunktur im Vergleich zum allgemeinen Konjunkturund Börsenzyklus. Ein Vergleich wird zeigen, in welcher Phase sich zum Beispiel der Bau-
Moderne Bewertungskennziffern
105
oder der Bankensektor im allgemeinen Konjunkturbild befinden. Die frühzyklischen Bauaktien erreichen ihre Topkurse vor, die spätzyklischen Banken hinter dem allgemeinen Konjunkturzyklus.
3.2
Moderne Bewertungskennziffern: auf der Suche nach dem „fairen“ Unternehmenswert
Kennzahlen und Finanzkrise In Abschnitt 3.1. wurde die These vom Bedeutungsverlust der angelsächsischen Kennzahlen und Methoden in der Finanz- und Wirtschaftskrise angesprochen. Im Folgenden wird auf diese Problematik detaillierter eingegangen. Das Muster der Wirtschaftskrisen wiederholt sich. Nahm doch das Unglück der augenblicklichen Lage seinen Anfang abermals in den USA. Ein anderer Grund als der regionale Ausgangspunkt überzeugt noch mehr: Einige Kennzahlen und Schlagworte wurden, wie in den Zeiten der New Economy, erneut von Finanzjongleuren als willfähriges Werkzeug missbraucht, um die ungenierte Substanzausplünderung der Realwirtschaft zu rechtfertigen. Dieser dreiste Kennzahlenmissbrauch zählte zu den wichtigsten Regelverstößen in der Finanzsphäre. Er hat zu gefährlichen Blasenbildungen geführt. Die Finanzblasen haben dann im Nachhinein die Realsphäre weltweit angesteckt. Selbst wenn die Einführung neuer und die exzessive Nutzung alter Kennzahlen kein direkter Krisenauslöser sein konnte – dazu sind Handlungen der Akteure notwendig –, so stellten sie doch das Übertragungsvehikel für die unrealistischen Vorstellungen der Manager an die ausführende Sphäre. Sollte zum Beispiel im Investmentbanking auf Dauer die sagenhafte Eigenkapitalrenditen (RoE) von 20 Prozent brutto erzielt werden, gegenüber mageren sechs Prozent oder sieben Prozent in der Realwirtschaft, konnte dieses Kunststück – so die Erfahrung – nicht mit rechten Dingen vollbracht werden. Wie in vorherigen Krisen ging es dabei nicht nur um die reinen Erwartungen der Führungsspitzen, die im Falle eines Nichteintreffens, ohne Konsequenzen für die ausführende Sphäre blieben. Das System forderte auch dieses Mal aktive Handlungen und reelle Top-Renditen mit dem Unterschied, dass die Vorgaben numerisch festgelegt wurden. Einerseits wurden den Kunden diese Renditen von den Finanzinvestoren versprochen, andererseits von den Bankvorständen von ihren Mitarbeitern als gehaltsabhängige Vorgaben rigoros eingefordert. Dabei war den Entscheidungsträgern aus Zeiten der kommunistischen Planwirtschaften bekannt, dass unrealistische Planvorgaben zu wirtschaftlichen Verwerfungen und Krisen geführt haben. In Konsequenz mündeten die utopischen Renditeerwartungen in den vorerwähnten Blasenbildungen auf den globalen Kapitalmärkten.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Einen kurzen Überblick („Sündenkatalog“) der wichtigsten Regelverstöße, die die Krise ausgelöst haben, liefert Tabelle 15. Mindestens die Hälfte von ihnen sind Fälle, die sich quantifizieren lassen und deren Intensität sich, wie die Geschwindigkeitsüberschreitung mithilfe eines Radars, mit Kennzahlen messen lässt. Den Hauptteil dieser quantifizierbaren Fälle bildeten wiederum die „modernen“, angelsächsischen Varianten, die häufig in der Aktienbewertung Anwendung zu finden sind. Tabelle 15: Katalog der häufigsten Regelverstöße in der Finanzsphäre während der Subprime-Ära (2003 bis 2007) Regelverstoß
Sphäre
1. Missachtung der Bewertungsregeln (KGV)
Anlage/Beratung Finanzinvestition
2. Renditevorgaben als Handlungsmaxime (RoE) 3. Flut von innovativen Anlageprodukten 4. Verkauf und Provisionsjagd stehen vor Beratung (Boni) 5. Beleihungsregeln missachtet (> 100 % vom Sachwert)
Kreditvergabe Banken
6. Vergabe ohne ausreichende Sicherheiten (Eigenkapital) 7. Risikoauslagerung durch Verbriefungen (ABS)
Bonitätsprüfung Controlling
8. „Sünden“ der Ratingagenturen (AAA-Flut) 9. Fehlende Außenkontrolle bei internen Ratings 10. Staatliche Aufsicht versagt (BaFin) 11. Ganze Bereiche ausgeklammert (Hegdefonds) 12. Großzügige Abfindungen, kfr. Optionsprogramme
Anreize/Führungsregeln bei Banken
13. Unzureichende Managerhaftung wg. Rückversicherung 14. Eigentümer mit wenig Entscheidungsmacht (HV) 15. Hohe Bewertungsfreiheiten
Bilanzierungsschwächen
16. billige 17. Aktien 18.
Außerbilanzielle Zweckgesellschaften/„Fair Value“ teure Missachtung der Fristenkongruenz (Banken) Aktien Fehlende Eigenkapitalunterlegung bei Risikogeschäften
19. Konzept einer Bad Bank
Nach der Krise ist man immer schlauer, Prävention gegen eine Wiederholung wird eingefordert. Wie realistisch ist ein solches Bekenntnis? Welche langfristige Lösung ist zu erwarten? Werden neue Kennzahlen konstruiert und die alten, die in „Verruf geraten“ sind, verworfen? Oder wird lediglich die Anwendung der alten Kennzahlen, ob klassischer oder moderner Natur, in vernünftige Bahnen gelenkt? Was könnte eine solche Korrektur konkret für die Aktienanalyse bedeuten? Die Meinungen zu diesen Fragen sind geteilt. Optimisten behaupten, obige Regelverstöße werden in Zukunft abgestellt. Die Weltwirtschaft hat aus den Fehlern richtige Lehren gezogen und wird sukzessive zu den altbewährten Wirtschaftlichkeitsprinzipien zurückkehren. Für den Bereich der Aktienanalyse würde diese Umorientierung eine Einschränkung der modernen und eine Rückkehr zu den klassischen Bewertungskennzahlen bedeuten. Die Kennzahlen werden wieder eine aktive Rolle im Wirtschaftsleben und an der Börse spielen.
Moderne Bewertungskennziffern
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Ist dieser gewünschte Umkehrtrend überhaupt realistisch? Die hierzu vernommenen Signale sind zum Zeitpunkt Mai 2010 ebenfalls widersprüchlich. Zwar ist der „Faire value“-Ansatz (Punkt 16 in Tabelle 15) massiv in die Kritik geraten, Zweckgesellschaften wurden verboten, die Aktivitäten der Finanzinvestoren verstummen. Diese Anzeichen lassen zunächst auf eine Rückkehr zur Vernunft hoffen. Andererseits sind die übrigen Punkte des „Sündenkatalogs“ keineswegs abgearbeitet worden. Häufig ist eine Reform gar nicht gewollt. Der Zeitfaktor ist die nächste Barriere. Wenn an die Jahrzehnte gedacht wird, die zur Implementierung der Eigenkapitalrichtlinien für Banken oder die Internationale Rechnungslegung nach IAS/IFRS benötigt wurden, sind hinsichtlich einer schnellen Lösung berechtigte Zweifel angebracht. Dieses Misstrauen bleibt auch nach dem G20-Gipfel in Pittsburgh (USA) Ende September 2009 bestehen. Schlimmer noch: Den hilflosen Regierungen erscheint bei der Bekämpfung der Bankenkrise fast jedes Mittel recht und neue wie alte Verfälschungen werden erneut zugelassen. Diese Praxis belegen unzählige Beispiele. Im Rahmen der Bilanzierungshilfen erlaubten die Staaten bereits einige Wochen nach der Insolvenz von Lehman Brothers am 15. September 2008 Umbuchungen von abschreibungsfälligen strukturierten Wertpapieren aus dem Umlauf- ins Anlagevermögen. Die Folge dieser legalen Manipulation war, dass die fälligen Abschreibungen auf Kosten der Transparenz auf unbestimmte Zeit aufgeschoben wurden. Es wurde nicht bekannt, welche Banken in welchem Umfang von diesen Erleichterungen Gebrauch machten. Die Vergleichbarkeit der Bankergebnisse ging damit erneut verloren und die Bewertungskennzahlen wurden Makulatur. Vergleichbare Beispiele ließen sich zahlreich anführen. Die andauernde Diskussion um die Bad Bank und die Auslagerung der „toxischen Wertpapiere“ sorgen für eine spannende Fortsetzung. Inmitten der Griechenland- und PIIGS-Krisen (PIIGS = Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) ist noch keine Lösung in Sicht.
Wie sind moderne Kennzahlen und Verfahren zur Aktienbewertung grundsätzlich zu beurteilen? In Fachkreisen war lange Zeit die Meinung verbreitet, moderne Kennzahlen und Verfahren seien „Alleskönner“. Genau so, wie blind daran geglaubt wurde, dass sich mit der Einführung der internationalen Systeme der Rechnungslegung IAS/IFRS die nationalen Unzulänglichkeiten bisheriger Systeme (unter anderem des deutschen HGB) beseitigen ließen, so glaubten Protagonisten der modernen Kennzahlen an ähnliche Wunder. Über diesen Trugschluss wurde bereits verschiedentlich berichtet. In der Fachpresse der letzten zwei Jahre ist das Versagen der „Alleskönner“ ausreichend dokumentiert. Das späte Eingeständnis des ehemaligen Konzernchefs von General Electric, Jack Welch (Spitzname „Elektronen-Jack“), der Shareholder Value sei „Quatsch“, kann die Wertung noch kaum eindrucksvoller dokumentieren. Auf das Konto dieses gnadenlosen, heute 73-jährigen Sanierers und rigorosen Verfechters der Aktionärsinteressen geht eine massive Arbeitsplatzvernichtung, die dieser Top-Manager mit diesem Konzept vehement durchgesetzt hat.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Bevor auf die Kennzahlenanalyse im Detail eingegangen wird, bedürfen folgende drei Aspekte einer kurzen Erläuterung: Klassische sowie moderne Kennzahlen und Verfahren haben mehr Gemeinsamkeiten als allgemein vermutet wird. In beiden Fällen erfolgt die Ableitung aus der Bilanz und der GuV-Rechnung mit oder ohne Verbindung zu Börsenkursen (kursbasierte Varianten). Das HGB und das IFRS haben als eigenständige Rechnungslegungssysteme mehr Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Konsolidierungs-, Gliederungs- und die Bilanzierungsgrundsätze als allgemein vermutet. Lediglich bei den Bewertungsgrundsätzen bestehen signifikante Abweichungen. Wer genauer hinschaut, wird erkennen, dass mit den modernen Varianten nicht etwas „Neues“ entdeckt, sondern eher das „Alte“ weiterentwickelt und/oder anders verpackt wurde. Was macht aber den prinzipiellen Unterschied beider Varianten aus? Es ist die andere Sichtweise des untersuchten wirtschaftlichen Phänomens, die zur Anwendung unterschiedlicher Analysemethoden führt. Während klassische Arten Kennzahlen darstellen, die in der Regel einfache Verhältniszahlen sind, ziehen die Angelsachsen synthetische Varianten vor, die auf die Abbildung (Modellierung) „fairer“ Unternehmensbewertungen und der Bewertungen ganzer Märkte abstellen. Anders heißt nicht automatisch besser. „Alle kochen nur mit Wasser“. Der Beweis, dass eine Anlagestrategie, die auf modernen Kennzahlen basiert, bessere Ergebnisse erzielt, muss noch erbracht werden. Es wird behauptet, dass moderne Kennzahlen eine reine Spielwiese für Theoretiker sind. Über die „moderne“ Wertpapieranalyse werden seit Jahrzehnten unzählige Fachbücher verfasst, hauptsächlich jenseits des Atlantiks, woher das meiste wirtschaftswissenschaftliche Know-how stammt. Die darin enthaltenen Gedanken werden bald von der globalen Investorengemeinschaft mit Ungeduld aufgefangen. Wem will man verdenken, dass er an der Börse reich werden möchte und begierig nach einem Know-how, dem perpetum mobile der Kapitalmärkte, sucht? Je klangvoller der Name eines neuen Nachschlagewerkes, umso viel versprechender erscheint der Inhalt. Die Erwartungen an das, was über den Ozean nach Europa schwappt, sind deswegen so immens, weil die Welt von Amerikanern mehr Kompetenz in ökonomischen Fragen erwartet. Es gab und gibt immer wieder clevere Anbieter, die die Sehnsüchte der globalen Investorengemeinschaft nach Lösungen der neuen und alten Kapitalmarktfragen gegen ein opulentes Entgelt erfüllen. Sie „kreieren“ neue Wirtschafts-, Kapitalmarkt- und Managementtheorien, Wirtschaftsdoktrin, wirksame wirtschaftspolitische Konzepte, erfolgreiche Geschäftsmodelle, intelligente Finanzprodukte und Ähnliches mehr – so die Stimmen der Kritiker zu diesem Thema. Die modernen Kennzahlen zur Aktienbewertung füllen ein Kapitel dieser Entwicklung aus. Sie zählen bei aller Würdigung einiger interessanter Ansätze ebenso zu dieser Sehnsucht-Kategorie. Selbst wenn der europäische bzw. der deutsche Privatanleger diese Novitäten jenseits des Atlantiks nicht immer unbedingt versteht, so möchte er diese Wissenslücke nicht gern zugeben. Er wünscht sich, informiert und gegenüber seinem Anlageberater
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kompetent zu erscheinen. Ein kritikloses Nachdeklinieren neuer englischer Fachphrasen gehört unverändert zum Beratungsalltag. Wie kommt andererseits dieses Know-how bei hiesigen Kapitalmarktprofis an? Diese Gruppe macht keinesfalls eine bessere Figur. In den standardisierten Analystenpräsentationen, die als Grundlage für Beratungsgespräche mit kapitalstarken institutionellen Anlegern dienen, war und ist es ein absolutes „Muss“ und quasi ein singulärer Befähigungsnachweis, professionelle angelsächsische Fachtermini zu benutzen. Eine Argumentation mit einfachen Kennzahlen würde in diesen Kreisen als Nachweis einer Professionalität keinesfalls ausreichen. Bei einer hinreichenden Strapazierung neuer Begriffe lässt sich so manche millionenschwere Kaufempfehlung durchdrücken. Wo kritisches Hinterfragen ausbleibt, beginnt die Spielwiese der Theoretiker, so die Kritiker weiter. Der Leser wird bemerken, dass diese Lagebeschreibung bewusst etwas überspitzt wurde. Aber der Grundton stimmt. Die angelsächsischen Konzepte sind nicht so kompliziert, wie sie erscheinen. Dabei muss es gar nicht so weit zur kommen, generell den Neuheiten per se mit Misstrauen zu begegnen. Denn angelsächsische Konzepte sind nicht grundsätzlich abzulehnen. Ein Modell oder eine synthetische Kennzahl ist keine Faustregel, die aus zwei oder drei Vergleichszahlen zusammengestellt wird. Wer ein Modell verstehen und anwenden will, braucht mehr Zeit und Hintergrundwissen, nicht unbedingt ein wirtschaftswissenschaftliches oder mathematisches Studium. Privatanleger verfügen in der Regel weder über diese Zeit noch über die Geduld, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. Aus dieser begründeten Vernachlässigung entstand der Mythos, moderne Kennzahlen und Verfahren eignen sich grundsätzlich nur für institutionelle Großanleger, weil sie der „kleine Mann“ nicht versteht. Was hat die Anwendung des anspruchsvollen Financial Engeenering den institutionellen Großanlegern gebracht? Auch sie wurden enttäuscht. Fiel doch die Anlagerendite bei den Profis trotz oder gerade wegen der Anwendung der modernen Methoden nicht besser aus als bei den Nichtprofis, die sich der antiquierten herkömmlichen Verfahren im Anlagealltag bedienten. Zwar konnten die Profis die Verantwortung für ihren Misserfolg zeitweise auf das Versagen der Ratingagenturen schieben. Damit werden sie heute aber niemanden mehr überzeugen. Selbstständiges kritisches Urteilvermögen wird von hoch bezahlten Professionals erwartet. Ratingsberichte sind lediglich Bonitätsurteile, die aus Kennzahlen gewonnen werden. Wer den Missbrauch der Kennzahlen kennen gelernt hat, kann sich ein reelles Bild von der Qualität der Ratingberichte machen. Folgende Voraussage kann gewagt werden: Entdeckungen von Kennzahlen, die die Kapitalmarkttheorie revolutionieren würden, werden wohl in Zukunft ausbleiben. Wenn man bedenkt, dass auf dem Gebiet der Wertpapieranalyse seit 50 Jahren kein Nobelpreis vergeben wurde, wird klar, dass auf diesem Gebiet eine Revolution seitdem nicht stattgefunden hat.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
3.2.1
„Faire“ Unternehmens- und Marktbewertung
Die modernen Verfahren und Modelle suchen eine „faire“ Unternehmens- bzw. Marktbewertung, die als Soll-Größe mit der tatsächlichen Ist-Größe der Wirklichkeit konfrontiert wird. Sind die Ist-Größen höher als die Soll-Größen, wird von einer Überbewertung, anderenfalls von einer Unterbewertung des Unternehmens und seiner Aktie bzw. des Marktes gesprochen. An dieser Stelle wird an die Einteilung der Kennzahlen, die eine Unternehmens- oder Marktbewertung zum Ziel haben, und solche, die andere Bewertungsziele verfolgen, erinnert. Beide Ziele lassen sich sowohl mit klassischen als auch mit modernen Methoden erreichen. Werden die Ziele und die Kennzahlenarten zur Zielerreichung miteinander kombiniert, erhalten wir eine Klassifikation, wie wir sie von Abbildung 8 her kennen. Zahlreiche andere Gliederungsmöglichkeiten sind ebenfalls verbreitet. Eine nützliche Information liefert die Übersicht in Abbildung 24, in der die Bewertungskennzahlen mit den sie erstellenden Urhebern verbunden werden. Hier ist das „Wie“ mit dem „Wer“ verknüpft.
Auf dem Parkett:
In der Vertragsurkunde:
über die
über den
über die
BÖRSE
MARKT
THEORIE
Bewertung: (permanente) steht fest und erfolgt über eine Vervielfachung (Multiplikation) des > KGV > PEG > KCV > KBV Elemente der Bewertung: reelle Größen (Kurse bzw. originäre Zahlen aus der Bilanz/GuV)
Bewertung: Einmalig bei Abschluss der Transaktionen wie: > Fusionen > Übernahmen > MBOs/LBOs > normale Käufe (z. B. durch Hedgefonds, Private Equity) Elemente der Bewertung: Kaufpreis bzw. Umtauschverhältnisse
traditionelle Bewertungsmethoden
oft erhebliche erhebliche Abweichungen bei Übernahmen börsennotierter börsennotierter Firmen Firmen
Auf dem Papier:
Bewertung: „Faire“ Bewertung soll über Modelle ermittelt werden > DCF > EVA > EVIEBITDA > CROCI Elemente der Bewertung: fiktive Größen bzw. umgeformte Konstrukte aus den Bilanz/GuVPosten Bewertung gesamter Aktienmarkt: > Fed-Modell (Aktien-KGV = Renten-KGV)
Analysten versuchen oft mit sog. „fairer“ Bewertung (z. B. B. bei IPOS) Argumente für ihre Empfehlungen Empfehlungen zu zu finden finden
moderne Bewertungsmethoden
Abbildung 24: Wo finden Unternehmungsbewertungen statt? Drei Wege sind dabei möglich. Eine Unternehmensbewertung kann über die Börse, über einen Kaufvertrag zwischen den Parteien oder über ein Analystenmodell erfolgen. An der Börse gibt es über die permanente Kursanzeige quasi jede Sekunde eine „neue Unternehmensbewertung“, am Beteiligungsmarkt passiert ein vergleichbarer Vorgang relativ selten, vielleicht einmal im Monat, wenn Kaufverträge über große Beteiligungen geschlossen und
Moderne Bewertungskennziffern
111
die Preise bekannt werden. In Analystenstudien werden Unternehmensbewertungen unregelmäßig, je nach Bedarf der Anleger und Berater errechnet. Die skizzierten Methoden finden unterschiedliche Beachtung in der Praxis. Je nach Berechnungsmethode werden sich verschiedene Unternehmenswerte ergeben. Jedes der Ergebnisse könnte, für sich genommen, den Anspruch auf die alleinige „faire“ Bewertung erheben.
Fazit: Moderne angelsächsische Kennzahlen und Verfahren der Aktienbewertung sind in der gegenwärtigen Finanzkrise massiv unter Beschuss geraten. Parallelen zu den Entgleisungen während der Ära des Neuen Marktes lassen sich nicht übersehen. Auch dieses Mal steht nicht die Konstruktion der Kennzahlen per se im Mittelpunkt der Kritik, sondern ihr Missbrauch durch dreiste Regelverstöße. Kennzahlen wurden und werden wiederholt vom mächtigen Management für die Rechtfertigung sich bildender Disproportionen am Kapitalmarkt eingesetzt. Dieser Missbrauch wird so lange nicht verhindert, wie eine konstruktive Kritik seitens der Analyse nicht geübt wird oder werden darf. Fairerweise ist zu betonen, dass sich die beschriebene Anomalie nicht allein auf die modernen Kennzahlen beschränkt, sondern auch bei den klassischen Arten vorzufinden ist. Wird zum Beispiel ein exorbitantes KGV von 30 nicht als ein Warnzeichen für eine Blasenbildung, sondern als eine „gerechtfertigte“ Sondersituation gewertet, werden klassische Kennzahlen ebenfalls versagen. Was die Performance der Anlage anbelangt, hat die Verwendung moderner Kennzahlen zu keinen besseren Erklärungs- und Prognoseergebnissen geführt. Dieser Misserfolg kann mit der Anlagerendite der sie verwendenden institutionellen Anleger (Banken, Fonds, Vermögensverwalter) nachgewiesen werden.
3.2.2
Herr Ackermann bevorzugt die Eigenkapitalrendite (RoE)
Messkonzept und Ermittlungsmethode (Grundvarianten) Jeder Unternehmer möchte eine ordentliche Rendite seines Investments erzielen. Um diese Rendite zu ermitteln, setzt er das erzielte Ergebnis in Relation zum eingesetzten Kapital. Die bekannten Probleme, die bei der Abgrenzung der Begriffe Ergebnis und Eigenkapital bekannt wurden, treten an dieser Stelle in doppelter Weise auf. Beim Ergebnisausweis werden am häufigsten die bereinigten Varianten sowie der Nettoausweis verwendet. Das Kapital wird demgegenüber in der Eigen- und Gesamtkapitalversion herangezogen. Bei einem Verlust wird in der Regel nicht von negativen Renditen gesprochen. Der Leser merkt, dass bereits bei diesen wenigen Fallunterscheidungen ein Dutzend verschiedener Renditebegriffe abgeleitet werden kann.
112
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Die Eigenkapitalrendite (engl. Return on Equity, Abk.: RoE) stellt in ihrer Grundvariante die bekannteste Version unter den Renditedefinitionen dar. Daneben sind die Gesamtkapital- und die Umsatzrendite (RoI = Return on Investment und RoS = Return on Sales) relativ weit verbreitet. Die entsprechenden Formeln für RoE und RoI lauten: Ergebnis Eigenkapitalrentabilität ( RoE ) = Eigenkapital
Ergebnis Gesamtkapitalrentabilität ( RoI) = Gesamtkapital
Die Kernaussage aus Bewertungssicht lautet in beiden Fällen: Je höher die Eigenkapitalrentabilität und die Gesamtkapitalrentabilität, umso günstiger fällt die Bewertung eines Unternehmens und seiner Aktie aus. Interessanterweise sind in der Analyse und der Fachliteratur kaum Hinweise auf eine Maximierung einer der beiden Renditevarianten oder auf die Frage, was eine „optimale“ Renditegröße wäre, zu finden. Ob ein Unternehmen mit einem RoE (brutto) von 20 Prozent ungünstig oder günstig bewertet ist, hängt primär von der Branche ab und der Nachhaltigkeit, mit der es sie erzielt. Schließlich wird dabei auch die Höhe des Zinses bei einer alternativen risikolosen Anlage von Bedeutung sein. Die RoE-Kennzahl erlangte in Deutschland völlig ungewollt einen hohen Bekanntheitsgrad durch die Forderung des Deutsche Bank-Chefs Josef Ackermann, der für sein Haus dauerhaft 25 Prozent (brutto) erreichen will. Kritiker halten diese Marke für krass übertrieben und verweisen in diesem Zusammenhang auf britische Adressen (darauf wird im Folgenden eingegangen), die zeitweise 40 Prozent und mehr auswiesen, in der jüngsten Finanzkrise ohne staatliche Hilfe aber fast zusammengebrochen wären. Mittlerweile hat Josef Ackermann indirekt ebenfalls erste Zweifel an seinem Renditeziel geäußert.
Vorteile (Stärken) und Nachteile (Schwächen) Stärken (Vorteile) Die Unterscheidung zwischen der RoE- und der RoI-Kennzahl ermöglicht eine Trennung zwischen der Sicht des Eigentümers (Eigenkapitalgebers) und der Sicht des Fremdkapitalgebers. Ist die RoI im Vergleich zur RoE zu stark gefallen, was bei einer sinkenden Eigenkapitalquote zwangsläufig erfolgt (siehe folgendendes Rechenbeispiel), könnten sich die Fremdkapitalgeber um die Sicherheit ihrer Gelder sorgen. Diese Besorgnis führt in der Regel zur Verschlechterung der Kreditkonditionen. In dieser Warnfunktion liegt die Stärke dieser beiden Kennzahlen.
Moderne Bewertungskennziffern
113
Die sehr verbreitete RoE-Kennzahl macht internationale Investitionsprojekte in unterschiedlichen Branchen miteinander vergleichbar. Schwächen (Nachteile) Wozu brauchen Börsianer diese Renditekennzahlen, wo diese doch primär bei Sachinvestitionsvergleichen Anwendung finden? Hier wird häufig auf die „Nachholbedarfshypothese“ zurückgegriffen, wonach RoE-schwache Konzerne aus Übernahmenängsten Restrukturierungen durchführen müssen. Unter einem massiven Effizienzdruck stehende Konzerne könnten für die Anlage interessant werden. Tatsächlich ist diese Hypothese weitgehend eine Glaubensfrage. So nahmen lange Zeit deutsche Anleger an, die heimischen DAX-Banken werden aus Furcht vor feindlicher Übernehme ihre britischen FTSE-Konkurrenten (HSBC, Barclays, Lloyds TSB, Royal Bank of Scotland) hinsichtlich der RoE-Effizienz einholen müssen. Diese These hatte vielschichtige Konsequenzen. Die DAX-Banken hätten sich hiernach an die britischen Vorgaben „heranzuarbeiten“, wollten sie langfristig überleben. Indem sie das fremde Geschäftsmodell kopieren, würden die Deutschen schrittweise in den Genuss hoher RoERenditen kommen, was die Börse mit Kursavancen honorieren würde – so lauteten die weiteren Überlegungen. Die Universalbank ist tot, es lebe die Investmentbank, lautete damals die von niemandem so richtig bezweifelte Handlungsmaxime. Die simple Frage, ob die britischen Häuser nicht hoffnungslos überbewertet sind und die deutschen vielleicht gerade „fair“ bewertet seien, hätte rechtzeitig die absurde „Nachholbedarfshypothese“ in Frage gestellt. So jagte die hiesige Bankerelite den teilweise manipulierten Renditevorgaben der Inselbanken nach und vergeudete dabei die stillen Reserven für astronomisch teure Akquisitionen im Investmentbanking. Die RoE-Zielvorgaben der Briten wurden nicht eingeholt, die Kurse ihrer Aktien brachen 2008 massiv ein und die stillen Reserven deutscher Nachahmer gingen ersatzlos verloren. „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, so könnte die warnende Stimme für die Zukunft lauten. Außerbilanzielle Geschäfte und Zweckgesellschaften sind ein markanter Störfaktor. Das Geschäftsrisiko eines Unternehmens, welches in einer RoI zum Ausdruck kommt, wird gravierend verzerrt, wenn außerbilanzielle Geschäfte und abgegebene Garantien im Vergleich zur Bilanzsumme bedeutsam werden. Wäre das außerbilanzielle Geschäft konsolidiert, würden sich die wahre Bilanzsumme und das tatsächliche Risiko erhöhen. Bleibt diese Berücksichtigung aus, wird der RoI zu hoch angezeigt. Ein hoher RoE auf Segmentebene kann ein falsches Strategiesignal geben. Bei einem Konzernumbau kann sich die einseitige Förderung der RoE-starken Segmente (Siemens-Beispiel) als die falsche Strategie erweisen. Zum einen stellt sich dabei die Frage einer exakten Zuordnung des „zugehörigen“ Segment-Eigenkapitalanteils. Die ihn ausweisenden Segment-Berichte erfolgen häufig nach formal-administrativen Kriterien und sind nicht selten Ausdruck interner Machtkämpfe der Vorstände. So sollten von Quartal zu Quartal stark schwankende RoE-Werte den Anleger grundsätzlich misstrauisch machen. Zum anderen unterliegen die Segmente eines breit aufgestellten Konzerns spezifi-
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
schen Sonderkonjunkturen. Am Beispiel der Deutschen Bank, als 2000/2001 zeitweise die Ausgliederung des „unrentablen“ (Marke: RoE < 10 Prozent) Privatkundengeschäftes zugunsten des mächtigen Investmentbankings zur Debatte stand, kann auf dieses Phänomen hingewiesen werden. Denn knapp zwei Jahre später war es das Investmentbanking, das eine viel niedrigere RoE als das Privatkundengeschäft auswies. So ändern sich die Zeiten. Oder vielleicht doch eher die Methoden? Das RoE symbolisiert die wirtschaftliche Effizienz, das RoI dagegen die Größe eines Unternehmens. Der Sinn einer RoI-Steigerung, wie sie in Konzerndoktrinen und zahlreichen Analystenmodellen als Zielsetzung postuliert wird, ist aus Börsensicht nicht ohne Zusatzerläuterungen nachvollziehbar. Dafür gibt es folgende Erklärung: Das Investment (I) in der RoIDefinition spiegelt die Bilanzsumme wider, an der neben der Umsatzhöhe häufig die Bedeutung eines Unternehmens gemessen wird. Die Börse denkt da etwas anders. Nicht die pure Größe, sondern der Ertrag und andere Bewertungsaspekte interessieren letztendlich den Börsianer. Empirische Studien ergaben, dass bei börsennotierten Unternehmen diejenigen mit größeren RoE/RoI-Werten letztendlich eine bessere Kursperformance hatten. Größe und Effizienz können sich ergänzen, müssen es aber nicht.
Mögliche Fehlinterpretationen Gerade wegen ihres hohen Bekanntheitsgrades führen die Kennzahlen RoE und RoI häufig zu folgenschweren Verwechslungen: Die RoE- bzw. RoI-Sicht ist die Sicht des Unternehmens, die Kursrendite die des Aktionärs. Die Anlagerendite, auch Kursrendite oder Performance genannt, impliziert eine grundsätzlich andere Sicht als RoE und RoI. Sie wird als die Kurssteigerung (mit oder ohne Dividende) in Relation zum Kaufkurs der Aktie definiert. Es kann zu einer völlig entgegengesetzten Entwicklung der Eigenkapitalrentabilität und der Kursrendite kommen. Das ist der Fall, wenn der Aktienkurs trotz besserer Unternehmensgewinne unerwartet zurückgeht. Dann entwickeln sich beide Renditearten in die umgekehrte Richtung. Wie im Kapitel 2 ausführlich dargestellt, werden die Aktienkurse von vielen Faktoren, nicht allein den Gewinnen, bestimmt. Daher muss ein Auseinanderdriften beider Renditen kein Widerspruch sein. Eine höhere Eigenkapitalunterlegung „kostet immer Rendite“! Es kann häufig im Interesse bestimmter Aktionärsgruppierungen liegen, wenn Unternehmen wenig Eigen- und viel Fremdkapital einsetzen. Diese These wird zum Beispiel nicht uneigennützig von den Banklobbyisten verbreitet und mit dem Effizienzargument begründet. In der Tat zeigt die untere Berechnung, dass je niedriger die Eigenkapitalquote ist, desto höher die Eigenkapitalrendite RoE und zwar solange die Fremdkapitalrendite über den Finanzierungskosten liegt und positiv ist (im Beispiel ein Prozent). Gleichzeitig fällt
Moderne Bewertungskennziffern
115
aber die Gesamtkapitalrendite RoI. Damit wird umgekehrt die Risikoposition der Fremdkapitalgeber geschwächt. Wie so häufig im Wirtschaftsalltag kann es nicht allen Interessenten gleichzeitig recht gemacht werden. Die Zahlenzusammenhänge zwischen der RoE- und der RoI-Entwicklung ergeben sich zwangsläufig, was folgendes Beispiel demonstriert.
Fall Eigenkapital
Kapital Ertrag RoE Gesamtin % Fremd- Gesamt- Eigenkapital Fremdkapital kapital kapital kapital Rendite 6% Rendite1%* Bilanzsumme
RoI in %
Eigenkapitalquote in % der Bilanzsumme
1.
100
-
100
6
-
6
6
6
100
2.
100
100
200
6
1
7
7
3,5
50
3.
100
200
300
6
2
8
8
2,7
33
4.
100
300
400
6
3
9
9
2,3
25
* nach Finanzierungskosten
Wenn Fremdkapital dazu genommen wird, sinkt die Eigenkapitalquote von 100 Prozent (Fall 1.) bis auf 25 Prozent (Fall 4.). Bringt jede weitere Fremdkapitalaufnahme von 100 Einheiten jeweils ein Prozent Nettorendite nach Abzug von Finanzierungskosten (die hier mit fünf Prozent unterstellt wurden), steigt der RoE. Der gleiche Effekt tritt ein, wenn bei einem Gesamtkapital von 100 das Eigenkapital sukzessive auf 25 reduziert (substituiert) wird. Formal-rechnerisch ist dieses Rechenkunststück als sogenannter Leverage-Effekt (Hebeleffekt) bekannt, der die Renditeverbesserung bei einer Substitution von Eigen- durch Fremdkapital angibt. Im Internet ist dessen Funktionsweise unter http://www.docju.de/ themen/fiwi/finanzierung/leverage.htm zu finden. Die Substitution des Eigenkapitals durch Fremdkapital und die Steigerung des RoE erlangte zuletzt hohe praktische Bedeutung. Laut aktivistischer Aktionäre sind unter Rentabilitätsgesichtspunkten hohe Ausschüttungen des Eigenkapitals ein absolutes „Muss“. Würde das im Eigenkapital gebundene Geld an die Aktionäre ausgeschüttet, käme es wegen der Renditeverbesserung zu neuen Kurschancen. Im Extremfall könnte nach dieser Logik das gesamte Eigenkapital substituiert werden. Der Aktionär verzichtet dann zwar auf zukünftige Dividendenzahlungen, er bleibt aber per saldo im Vorteil und partizipiert an der einmaligen Eigenkapitalausschüttung. Die Wirklichkeit widerspricht in vielen Fällen dieser These. Der erwartete Renditesprung kann schnell zu einem Desaster führen, wenn einerseits die als konstant unterstellten Renditen fallen, andererseits jedoch feste Zinszahlungen bedient werden müssen. Die Finanzkrise bot für derartige Fehlkalkulationen zahlreiche Paradebeispiele. Viele aktivistische Investoren erwartet heute das Aus im Falle eines nur leichten Zinsanstiegs. Aufbauend auf dieser Argumentation versuchten insbesondere Hedgefonds, Private Equity- und andere Finanzinvestoren sowie Pensionsfonds Druck auf die Vorstände der von ihnen über die
116
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Aktienmehrheiten kontrollierten Unternehmen auszuüben und Sonderausschüttungen durchzusetzen. Solange die Zinsen niedrig blieben, gelang das Leverage-Kunststück. KGV (der Aktie) und RoE können sich widersprechen. Wir erinnern uns, dass ein KGV umso günstiger interpretiert wird, je niedriger es ist. Der RoE ist dagegen attraktiver, wenn er höher ist. Von einem Widerspruch beider Kennzahlen kann logisch nur dann gesprochen werden, wenn sie in die gleiche Richtung – steigen oder fallen – tendieren. Für eine solche Bewegung wäre eine unerwartete Kursentwicklung verantwortlich. Wenn aufgrund guter Gewinne die Aktienkurse eines Unternehmens überproportional zulegen, steigt ex definitionem ebenfalls das KGV. Egal ob dieser Gewinn jetzt thesauriert oder ausgeschüttet wird, der RoE wird laut Definition ebenfalls zulegen. Wie oben dargestellt, bewegen sich die beiden Kennzahlen in die gleiche Richtung und widersprechen sich damit. Ein Anleger, der in Aktien investieren will, die in einer Beobachtungsperiode ihren RoE stark verbessert haben, ist daher gut beraten zu prüfen, ob die Kurse seiner Favoriten nicht zu stark „vorgelaufen“ sind. Das wird er am überproportionalen KGV-Anstieg feststellen können. Wie entwickeln sich gewöhnlich die beiden Kennzahlen RoE und KGV im Verhätlnis zueinander? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Abbildung 25 zeigt, dass die 2008er RoE-KGVWertepaare im DAX stark divergierten. Aus bekannten Bewertungsgesichtspunkten sind niedrige KGV- und hohe RoE-Werte – wie im Quadrant 1 – wünschenswert. Diese Konstellation, wie sie in der Matrix bei den Aktien von Bayer oder BASF anzutreffen waren, kommen nicht sehr häufig vor. In der Regel wird der Anleger vor einem Zielkonflikt stehen: der Wahl zwischen einem günstigen KGV oder einem hohen RoE (Quadranten 2 und 3). Konfliktsituationen sind im Wirtschafts- und Börsenalltag der Normalfall. Denn die anderen Extremfälle, in denen beide Kennzahlen wiederum ungünstig ausfallen, wie bei Siemens, Daimler oder der Deutschen Telekom, kommen ebenfalls nicht so häufig vor (Quadrant 4).
Moderne Bewertungskennziffern
35
117
RoE SAP Bayer
30
1
25
2
BASF
20
Deutsche Bank Allianz Münchner Rück
15
Siemens
E.ON Daimler
4
3
10
5 Deutsche Telekom
0 0
5
10
15
20
KGV 25
Abbildung 25: RoE-KGV-Konstellationen deutscher DAX-Werte Ende 2008
Fazit: Von den Renditeunterschieden bei RoE oder RoI hätten sich Aktionäre mehr Kursauswirkungen versprochen. Es hat sich allerdings gezeigt, dass das Denken in Renditekategorien mehr die Unternehmen und die Realinvestoren als die Börsianer interessiert. Der Grund für diese Diskrepanz dürfte im fehlenden Bezug der Unternehmensrenditen zu den Aktienkursen liegen. Wenn Konzernlenker in Kontinentaleuropa dennoch höhere Renditen statt höhere Börsenkurse als die Unternehmensziele angeben, so hat diese Akklamation einen opportunistischen Hintergrund. Denn die Börse als solche und die Aktienanlage sind in Kontinentaleuropa nicht besonders populär. Es erscheint den Konzernlenkern demnach klüger, offiziell eine Renditesteigerung als Konzernziel vorzugeben, die der Öffentlichkeit einen Wirtschaftserfolg vortäuscht, als einen höheren, für ihr Salär bonusrelevanten Aktienkurs anzustreben.
118
3.2.3
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Ein Modell macht Karriere: das Discounted Cashflow (DCF)-Modell
Messkonzept und Ermittlungsmethode (Grundvarianten) Das weit verbreitete DCF-Modell zählt zu den bekanntesten Barwertmodellen. Jede Barwertmethode basiert auf folgender simplen Annahme: Wenn der Gegenwartswert eines in der Zukunft einfließenden Geldstromes (Gehalt, Kredit, Rechnung) zum heutigen Zeitpunkt ermittelt werden soll, muss er um den entgangenen Anlagezins gemindert (diskontiert) werden. Erhält ein Wirtschaftsubjekt 1.000 Euro erst in zwei Jahren, entgeht ihm ein Zins aus einer potenziellen Zwei-Jahres-Anlage von ungefähr 80 Euro. Vereinfacht formuliert beträgt der diskontierte Zukunftsbetrag von 1.000 Euro per heute nur 920 Euro. Der Diskontwert (Barwert, Gegenwartswert) einer über einen längeren Zeitraum fließenden Zahlungsreihe kann je nach Fristigkeit mit unterschiedlichen Zinssätzen abgebildet werden. Derartige Modelle sind seit Jahrzehnten bekannt und werden häufig bei der Unternehmensbewertung eingesetzt. Auch das analysierte DCF-Modell basiert weitgehend auf der vorgenannten Grundüberlegung. DCF (engl.) steht hier für Discounted Cashflow und bedeutet so viel wie diskontierter Cashflow. Der Cashflow stellt hier den zufließenden Ertragsstrom dar und wurde bereits in Abschnitt 3.1.2 genauer dargestellt. Nach dem Barwertkonzept ist ein Unternehmen für den heutigen Käufer so viel wert, wie die Summe der diskontierten Erträge, die es im Laufe seiner „Lebenszeit“ (Betriebszeit) erwirtschaften wird. Der anzuwendende Zinssatz zur Diskontierung der Erträge kann der langfristige Anlagezins am heimischen Rentenmarkt sein. Wenn die zukünftigen Erträge bekannt sind und über den Zinssatz Einigkeit herrscht, berechnet heute jeder Computer den gesuchten Unternehmenswert in Sekundenschnelle. Zusammengefasst gilt: Der Wert eines Unternehmens ist umso höher und seine Aktie umso attraktiver, je höher der Ertrag, je länger die Betriebszeit („Lebensdauer“) des Unternehmens – und je niedriger der als Diskontierungsfaktor verwendete Zinssatz ist.
Die Modellannahmen beeinflussen vorab das Ergebnis Um die mögliche Ergebnisvielfalt der Berechnungen bei realistischen Zukunftsschätzungen zu verdeutlichen, sollen für das gleiche Unternehmen zwei Modellvarianten durchgespielt werden.
Beispiel 7: Wird die Lebensdauer eines Unternehmens auf 50 Jahre geschätzt und macht es pro Jahr konstant zwei Millionen Euro Gewinn, beträgt bei einem Diskontzins von fünf Prozent jährlich nach der Summenformel für die geometrische Reihe der faire Unternehmenswert
Moderne Bewertungskennziffern
119
38 Millionen Euro. Ein Liquidationswert, zu dem das Unternehmen am Ende seiner Betriebszeit verkauft werden könnte, soll hier nicht unterstellt werden. Man kann zeigen, dass bereits geringfügige Veränderungen der zugrunde gelegten Annahmen bezüglich der Betriebszeit, des Zinssatzes und des Jahresgewinns überproportionale Auswirkungen auf den Unternehmenswert haben. Wegen der extrem langen Betrachtungszeiträume sind unterschiedliche Varianten genau so wahrscheinlich. Ein fairer Wert von 27 Millionen Euro (wie im Beispiel unten) kann deswegen so gut vertreten werden wie einer von 50 Millionen Euro. Beide ergeben sich im unteren Beispiel bei einer Modellsimulation mit unterschiedlichen Annahmen. Wie wären die Modellergebnisse im Vergleich zu einem hiervon abweichenden Börsenwert des Unternehmens zu interpretieren? Eine weitere Annahme wäre zu machen. Beträgt die Anzahl der Aktien des Unternehmens eine Million Stück und der aktuelle Aktienkurs 40 Euro je Aktie, so ergibt sich ein Börsenwert von 40 Millionen Euro. Im ersten Fall – bei einem Unternehmenswert von 50 Millionen Euro – würde sich eine Überbewertung des Börsenwertes (Aktienkurses) im Vergleich zum fairen Unternehmenswert um zehn Millionen Euro oder um 25 Prozent ergeben. Im zweiten Fall entsteht eine massive Unterbewertung von 48 Prozent. Es bleibt, wie mehrmals erläutert, strittig, was „fair“ ist: der Börsenwert oder die Rechnung des Modellbauers? Strittig bleibt auch, ob eine Unter- oder eine Überbewertung vorliegt.
Betriebsdauer des Unternehmens Diskontierungsfaktor Jahresertrag (10% mehr/weniger als zuvor) Unternehmenswert absolut Unternehmenswert je Aktie bei 1 Mio. Aktien Aktienkurs Unterbewertung (-) / Überbewertung (+)
FALL 1 Best Case
FALL 2 WorstCase
50 Jahre 4% 2,2 Mio. € 50 Mio. € 50 € 40 € -25 %
30 Jahre 6% 1,8 Mio. € 27 Mio. € 27 € 40 € +48 %
Zu jedem dieser drei Werte – 50 Millionen Euro, 40 Millionen Euro oder 27 Millionen Euro – könnte theoretisch das Musterunternehmen erworben werden. Zudem müssen folgende Besonderheiten bei jedem Bewertungsverfahren zusätzlich umgesetzt werden: Erstens: Soll ein nicht börsennotiertes Unternehmen schuldenfrei übernommen werden, sind vom fairen Wert des Modells das Fremdkapital und die Pensionsrückstellungen abzuziehen und die liquiden Mittel zu addieren. Zweitens: Ist das Unternehmen an der Börse notiert, sind die Aktionäre zur Abgabe ihrer Aktien und zur Akzeptanz des Übernahmeangebotes zu bewegen. Das Unternehmen wird von den Aktionären mit Schulden übernommen. Für die geplante Aktienmehrheit kann kein
120
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
„Kaufvertrag“ geschlossen werden, sondern es muss das besagte Übernahmeangebot unterbreitet werden, das sich nicht am modelltheoretischen „fairen“ Wert, sondern an dem durchschnittlichen Börsenkurs der vergangenen sechs Wochen orientiert. Gelingt ein Übernahmeangebot nicht sofort, ist beim Übernahmekandidaten mit kräftigen Kurssteigerungen zu rechnen. In den „goldenen Zeiten“ für Neuemissionen am Neuen Markt zählten die DCF-Modelle zum absoluten Lieblingskind der Analysten. Diese Rechenkünste erlaubten ihnen quasi jeden erwünschten Modellwert als „fair“ darzustellen. Daran wurde dann der Emissionspreis angepasst. Der Emissionsbank war es damit möglich, nach außen die Seriosität der Preisermittlung zu dokumentieren, der Emittent erhielt den gewünschten Emissionsbetrag, die Erstzeichner durften sich über die „faire“ Behandlung freuen und die Analysten waren letztendlich stolz darauf, etwas Praxisbezogenes vollbracht zu haben. Alle Beteiligten gaben sich zufrieden, wie es so häufig in Haussezeiten geschieht. Der Internetnutzer findet auf der Webseite des Analystenhauses Independent Research viele Einzelstudien aus dieser Zeit (www.independentresearch.de). Das untere Blatt mit den Kerndaten zur DCF-Bewertung von Onvista aus dem Jahr 2007 wird zur Demonstration kurz vorgestellt.
Onvista Group in Mio. € Umsatz Wachstum Umsatz (in %) EBIT-Marge (in %) EBIT - Ertragssteuern + Abschreibungen
2007e
2008e
16,47
20,58
10 12,5
2009e
2010e
2011e 38,59
2012e
2013e
46,21
2014e
50,94
2015e
56,04
2016e
25,72
32,16
61,64
25
25
25
20
20
10
10
10
10
15
17,5
20
22
22
22
22
22
67,81 22
2,06
3,09
4,50
6,43
8,49
10,19
11,21
12,33
13,56
14,92
-1,02
-1,24
-1,80
-2,57
-3,40
-4,08
-4,48
-4,93
5,42
5,97
0,99
1,24
1,54
1,93
2,32
2,78
3,06
3,36
3,70
4,07
+/- langfristige Rückstellungen +/- sonstige operativer Cashflow
2,02
3,09
4,25
5,79
7,41
8,89
9,78
10,76
11,84
13,02
+/-Investitionen Umlaufvermögen
-0,66
-0,82
-1,03
-1,29
-1,54
-1,85
-2,04
-2,24
-2,47
-2,71
+/-Investitionen Anlagevermögen
-1,24
-1,54
-1,93
-2,32
-2,78
-3,06
-3,36
-3,70
-4,07
-4,48
0,13
0,72
1,29
2,19
3,09
3,98
4,38
4,82
5,30
5,83
0,12
0,61
1,01
1,57
2,04
2,43
2,46
2,49
2,52
2,55
free Cashflow Barwerte Summe Barwerte
17,79
Terminalwert
54,70
Wert operatives Geschäft
72,50
+ überschüssige Liquidität
Fairer Wert (hier: Kurs)
14,13
Modell-Parameter (Enlity-DCF-Modell)
86,62
langfristige Bilanzstruktur
EK 70%
riskofreie Rendite
Beta 1,1
- Fremdkapital Marktwert Eigenkapital Anzahl der Aktien (Mio. Stück)
6,700
Kurs in Euro
12,93
4%
Risikpraemie 0,6% Zins EK
Quelle: Independent Research
billige Aktien
Wachstum FCF teure
3,50% WAACC
FK 30% Risikopraemie Tax-Shield
10,60% 8,32%
Zins FK Datum
FK 1% 40% 3%
17.01.2007
Aktien
Abbildung 26: Onvista: Herleitung des fairen Wertes je Aktie per 17.01.2007 (Independent Research)
Moderne Bewertungskennziffern
121
Dem kritischen Beobachter wird im obigen Beispiel nicht entgangen sein, dass dort der freie Cashflow von 0,13 Millionen Euro innerhalb von zehn Jahren auf wundersame Weise bis auf 5,83 Millionen Euro hochschnellte, also genau um das 44,76-Fache! Das ergibt eine jährliche Top-Steigerung von etwa 53 Prozent! Nach 2016 wird nur noch eine Steigerung von 3,5 Prozent angenommen. Ohne diese „Mammut-Sprünge“ der prognostizierten Cashflow-Werte in den ersten zehn Jahren wäre ein Ausweis eines Unternehmenswertes von 86,62 Millionen Euro bzw. von 12,93 Euro je Aktie nicht darstellbar. Papier ist geduldig! Andere Analystenhäuser werden im Vorfeld der Börsenplatzierung vergleichbare Werte ermitteln und der letztendliche Emissionspreis wird irgendwo in der Mitte gelegen haben. Es trat ein, was vorher kritisiert wurde. Nicht ein Modell wirkt per se weltfremd, sondern die gemachten Annahmen, der Modell-Input mit dem es gespeist wird. Es leuchtet ein, dass derartig großzügige Annahmen nur in guten Börsenzeiten vom Erstzeichner akzeptiert werden. 2007 war noch eine Haussezeit!
Wichtigste Prämissen des DCF-Modells: sensible Annahmen Es gibt in der Praxis sehr unterschiedliche Varianten der DCF-Modelle, die nicht ausschließlich von Wertpapieranalysten und Wirtschaftswissenschaftlern verwendet werden. So bieten Unternehmensberatungen zu diesem Thema teuere mehrtätige Fachseminare an und viele Kernelemente der Barwertmodelle fanden in Gesetzestexten Eingang. Wenn es bei den Industrie- und Handelskammern um Vorgaben dafür geht, welcher Methoden sich Wirtschaftprüfer und Steuerberater bei Unternehmensbewertungen zu bedienen haben, werden diese Modelle an zentraler Stelle genannt. Die Grundvariante der populärsten Barwertmethode, das dreistufige DCF-Modell, ist in seinen Kernelementen wie folgt aufgebaut: Als Ertragsgröße wird der Free Cashflow oder der operative Cashflow genommen. Dessen Höhe wird für die ersten fünf Jahre (Phase 1) explizit geschätzt. Für die folgenden fünf Jahre (Phase 2) werden ab- bzw. zunehmende und ab dem elften Betriebsjahr (Phase 3) in der Regel konstante Wachstumsraten unterstellt. Solches Vorgehen stellt eine starke Vereinfachung dar, wenn nicht sogar eine Glaubensfrage. Dennoch ist der Hintergrund erleuchtend. Es kann in Simulationsmodellen gezeigt werden, dass die Wachstumsannahme für die Phase 3 das Gesamtergebnis derart massiv determiniert, dass andere Modellvariablen es kaum vermögen, diesen Einfluss zu kompensieren. Im Onvista-Beispiel macht dieser Teil (Terminalwert) 54,7 Millionen Euro aus – also 63 Prozent des Gesamtwertes. Es wird regelmäßig eine unendliche Betriebsdauer unterstellt. Das stellt ebenfalls eine starke Vereinfachung dar. Mit zunehmender Länge der Betriebsdauer schwindet der Einfluss dieses Faktors auf das Gesamtergebnis. Bei einer unendlichen Betriebsdauer beträgt im Beispiel 7 der marginale Wert der Perioden, die über 50 Jahre liegen, nur noch etwa zehn Prozent des gesamten Unternehmenswertes. Umgekehrt nimmt die Bedeutung überproportional zu, wenn sich die Dauer verkürzt. Bei einem Rückgang von 50 auf 40 Jahre vermindert sich der Unternehmenswert bereits um 13 Prozent.
122
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Als Abzinsungsfaktor werden meistens die durchschnittlichen Kapitalkosten verwendet, ein standardisiertes Konstrukt, das aus mehreren Elementen besteht. Die Kapitalkosten sind angabegemäß in der modernen Kapitalmarkttheorie nicht nur ein zentrales Bewertungsinstrument, sondern ein ebenso wichtiges Steuerungsinstrument. In ihrer laufenden Lenkungspraxis bewerten Konzerne ihren Gesamtbetrieb bzw. die einzelnen Geschäftsbereiche danach, ob der erwirtschaftete Ertrag ausreicht, die vorgegebenen Kapitalkosten zu decken. Die bekannte Formel für die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (engl. WACC = Weighted Average Cost of Capital) besteht in vereinfachter Form aus folgenden Bestandteilen:
WACC
=
EK / GK
*
k (EK)
=
(Rm - i)
*
ß (EK)
+
FK / GK
*
i
* (1-S)
mit k (EK) WACC EK/GK
k (EK) i ß (EK) S Rm
durchschnittliche gewichtete Kapitalkosten Eigenkapital/Fremdkapital erwartete Rendite des Eigenkapitals risikoloser Zins Risikofaktor der Investition Steuersatz erwartete Marktrendite
Abbildung 27: Grundformel für die gewichteten Kapitalkosten (WACC) Im Onvista-Beispiel (siehe Abbildung 26) wurden die durchschnittlichen gewichteten Kapitalkosten mit 8,32 Prozent berechnet. Wie sind die Kapitalkosten zu deuten? Die Formel ist logisch aufgebaut und enthält bis auf den Rm-Term (erwartete Marktrendite) alle am Markt real existierende oder näherungsweise aus der Bilanz eines Unternehmens ablesbare Größen. Damit ist im Unterschied zu anderen Modellen der befürchtete Subjektivitätsgrand weitgehend eingeschränkt. Der Faktor ß (EK) entspricht dem Verhältnis der Ergebnisschwankung des untersuchten Unternehmens zu den Schwankungen des Gesamtmarktes oder zu einer Vergleichsgruppe. Der Einfachheit halber nehmen Praktiker diesen Wert aus einem repräsentativen Aktienindex, zum Beispiel dem DAX. Der stark variierende ß-Koeffizient wird in den Fachzeitschriften täglich veröffentlicht und als Risikomaß interpretiert. Er lag im DAX-Bereich am 04.02.2009 in einer Spanne zwischen 0,45 bei FMC (Pharma) und 1,50 bei Salzgitter (Stahl). Eine Anlage in die Salzgitter-Aktie war zu diesem Zeitpunkte im Sinne dieser In-
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terpretation 3,3 Mal riskanter als ein Investment in der FMC-Aktie. ß besagt aber nicht, wie groß die Spannweite der erwarteten Gewinne ist (Rm-Faktor). Die erwartete Rendite des Eigenkapitals setzt sich aus der dem risikolosen Zinssatz und einer Mehrrendite zusammen. Die Sicherheit, mit der die Mehrrendite langfristig erzielbar ist, wird aber – wie erwähnt – durch den ß-Risikofaktor beeinflusst. Ist dieser Faktor hoch, reduziert sich der Erwartungswert. Mit anderen Worten kann trotz eines hohen Rm-Faktors (siehe Abbildung 27) der Wert von k (EK) niedrig ausfallen, weil ß sehr hoch ist. Es ist damit zu rechnen, dass Rm und k (EK) stark negativ korreliert sein werden. Das erklärt, warum ein Investor nicht von vornherein in risikoschwache Branchen investiert, die ein geringes k (EK) aufweisen. Die Berechnung der gewichteten Kapitalkosten wird unter Zugrundelegung der Marktdaten vom 04.02.2009, einem Steuersatz von 50 Prozent, einem risikolosen Zinssatz i von 3,5 Prozent, einem Finanzierungszins von 4,0 Prozent und einer unterstellten Marktrendite (DAX) von 8,5 Prozent p. a im Beispiel 8 exemplarisch vorgeführt.
Beispiel 8 Im Endeffekt betragen die WACC bei einem Eigenkapitalanteil (EK / FK) von 70 Prozent (0,7) bei einer Realinvestition im Pharmabereich 1,87 Prozent und 2,97 Prozent im Stahlbereich, was einfach berechnet werden kann: WACC (Pharma) = 0,3 * 1,58 + 0,7 * 4,0 * (1 - 0,5) = 1,87 WACC (Stahl)
= 0,3 * 5,25 + 0,7 * 4,0 * (1 - 0,5) = 2,97
Mit diesen WACC-Alternativsätzen wären alle zukünftigen Cashflow-Zuflüsse in einem DCF- oder einem anderen Barwertmodell zu diskontieren. Je nachdem, wie hoch diese ausfallen, ergeben sich gravierende Unterschiede in den ermittelten fairen Unternehmenswerten. Bei einer Lebensdauer von 50 Jahren und jährlichen Erträgen von zwei Millionen Euro (Beispiel 7) sind die Ergebnisunterschiede (Näherungswerte) zwischen etwa 23 Millionen Euro bei einem Diskontierungsfaktor von 1,87 Prozent und 15 Millionen Euro bei einem von 2,97 Prozent schon extrem.
Sum of the Parts: Spezialform der Unternehmensbewertung Eine Sonderform der DCF-Modelle stellt der sogenannte Sum of the Parts-Ansatz (engl. Summe der Einzelteile) dar. Hier werden Werte der einzelnen Beteiligungen oder Segmente eines Konzerns im DCF-Verfahren ermittelt und addiert. Der Ansatz zeigt, ob die Summe der Einzelteile einer Holding (zum Beispiel bei E.ON oder ThyssenKrupp) höher oder niedriger als die Marktkapitalisierung des Gesamtkonzerns ist. Entsprechend wird von einer Über- oder Unterbewertung des Konzerns gesprochen Angesichts der zusätzlich zu treffenden Annahmen kommt hier die individuelle „Gestaltungsphan-
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
tasie“ des jeweiligen Analysten verstärkt zur Geltung. An der Berechnungsmethode als solcher und den Kernaussagen wird sich im Vergleich zur Grundvariante des DCF-Modells nicht viel ändern. Die Gefahr ist groß, dass in den Sum of the Parts-Modellen weitere Annahmen so eingebaut werden, um je nach Bedarf das Resultat mit Vorstellungen der Anwender „stimmig“ zu machen. Ergibt sich ein zu hoher oder ein zu niedriger Modellwert im Vergleich zum Börsenwert, wird das Ergebnis häufig modifiziert, indem es durch einen „Konglomeratsabschlag“ (Begründung: im Mengengeschäft übliches Vorgehen) oder einen „Konglomeratszuschlag“ (Begründung: Spezial- und Nischenanbieter haben an der Börse eine höhere Bewertung) angepasst wird. Ob dann noch von Objektivität oder tatsächlich von angepassten analytischen Sandkastenspielen die Rede sein kann, soll dahingestellt bleiben. Zur Entlastung des Berufsstandes der Wertpapieranalysten darf daran erinnert werden, dass nicht nur sie im Wirtschaftsalltag mit „Ab- und Zuschlägen“ auf die errechneten Ergebnisse arbeiten und deshalb nicht ihnen allein eine „opportunistische“ Haltung vorgeworfen werden muss. Immobiliensachverständige nutzen diese Verfahrensweise ebenso, wenn die ermittelten Sach- und Ertragswerte von den Verkehrswerten (Marktpreisen) zu stark abweichen. Andere Beispiele ließen sich heranziehen.
Stärken (Vorteile) und Schwächen (Nachteile) Stärken (Vorteile) Die Abbildung einer Ertragsgröße (hier: Cashflow), der Diskontierung und des Risikoaspektes (ß-Faktor, lange Betriebszeiten) in einem Modellansatz ist eine neue und ökonomisch anspruchsvolle Vorgehensweise. Weil das Modell sehr plausibel ist, findet es eine große Verbreitung. Durch die Verwendung der gewichteten Kapitalkosten kommen gleichzeitig die Renditevorstellungen der Eigen- und der Fremdkapitalgeber zum Tragen. Die Kapitalkosten liefern eine sinnvolle Vorstellung von der Untergrenze, ab der eine Realinvestition sinnvoll wird. Schwächen (Nachteile) Sämtliche Barwertmodelle – neben dem DCF-Modell zählen zu dieser Gruppe die Gewinn- und die Dividendendiskontierungsmodelle – sind wegen ihrer Komplexität eher ein Analyseinstrument für professionelle Börsianer. Eine Nachprüfbarkeit der Ergebnisse ist für einen Außenstehenden ein schwieriges Unterfangen. Aufgrund der Interessenskonflikte zwischen einer unabhängigen Analyse und dem Emissionswunsch nennen Analysten der IPO-Häuser in ihren Studien keine direkten Zeichnungs- oder Kaufempfehlungen, sondern lediglich die „fairen“ Unternehmenswerte des Börsenkandidaten, den sie modelliert ermitteln. Im Endeffekt läuft diese Vorgehensweise aber auf eine indirekte Empfehlung aus.
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Nicht alle Erklärungsvariablen haben direkten ökonomischen Bezug zu dem bewerteten Unternehmen. So wird der ß-Faktor von den Kursschwankungen der Aktien (Aktienindizes) einer vergleichbaren Gruppe abgeleitet, obwohl diese Schwankungen nicht ökonomische Gründe (Übernahmephantasie und andere spekulative Gründe) haben könnten. Sinnvoller wäre zwar die Verwendung der tatsächlichen Ergebnisschwankungen und nicht eines ß-Wertes. Diese sind jedoch nur auf umständlichen und kostenträchtigen Wegen von spezialisierten Datenanbietern zu erhalten (Auswertung von mehreren Mehrjahresberichten).
Mögliche Fehlinterpretationen Weil die Unternehmen grundsätzlich vitales Interesse am „fairen“ Wert ihres Unternehmens haben werden, ist nach den Gründen zu fragen, wie und wann sich dieser merklich verändern wird. Es ist zu fragen, welche Annahmen getroffen wurden und ob diese sich womöglich logisch oder empirisch widersprechen müssten. Aus dem Komplex möglicher Einzelfragen sind hier zwei hervorzuheben: Wurden die Wachstumsprognosen für den Cashflow aufgrund von besseren konjunkturbedingten Geschäftserwartungen nach oben angepasst? Wenn ja, dann müssten logischerweise auch die gewichteten Kapitalkosten erhöht werden. Denn ein höherer Cashflow in Zeiten einer besseren Konjunktur wird in der Regel von steigenden Zinsen begleitet. Steigende Zinsen erhöhen aber die Kapitalkosten. Beide Vorgänge – steigender Cashflow und steigende Kapitalkosten – haben einen gegenläufigen Effekt auf den Unternehmenswert. Wie stark schlagen sich diese in der neuen Bewertung nieder? Ist womöglich umgekehrt ein höherer Unternehmenswert ohne unternehmerische Leistung allein exogen aufgrund niedrigerer Marktzinsen zustande gekommen? Sinkende Eigenkapitalkosten haben bekanntlich einen höheren Unternehmenswert zur Folge. Dieser Wertanstieg ist in einem solchen Fall „unverdient“ und wohl kaum positiv zu werten. Würde sich im Beispiel 8 der Marktzins von 3,5 Prozent auf 2,5 Prozent ermäßigen, könnten für das Unternehmen der Stahlbranche statt der gewichteten Kapitalkosten von 2,97 Prozent jetzt 2,0 Prozent genommen werden. Der „faire“ Wert wäre infolge dieser Optionen gestiegen. Zinsänderungen sind an der Börse täglich zu beobachten. Obwohl die ursprüngliche Betriebsdauer auf 50 Jahre angelegt war, kann in wenigen Monaten nach der ersten Schätzung die Zinslandschaft völlig anders aussehen. Dann sind starke Wertschwankungen vorprogrammiert. Im Wirtschaftsalltag haben Zinsschwankungen bei Pensionsrückstellungen und den nicht börsennotierten Beteiligungen von Unternehmen (primär bei Banken), die ebenfalls mit Barwertmodellen bewertet werden, gravierende Auswirkungen. Die hierdurch entstehenden Lücken zwischen den Pensionsverpflichtungen (erster Fall) und den Pensionsrückstellungen sowie die Wertdifferenzen bei den Beteiligungen (zweiter Fall) können je nach Bilanzpolitik entweder im Ergebnis oder im Eigenkapital abgebildet werden. In beiden Fällen sind sie als Störfaktoren aufzufassen.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Fazit: Das DCF-Modell ist deshalb in Analystenkreisen so beliebt, weil sich mit dieser Methode aufgrund der Sensibilität seiner Steuerungsparameter das „gewünschte“ Ergebnis schnell errechnen lässt. Diesen Vorwurf machen ihm die Skeptiker. Das Modell vermittelt dem Anleger das Gefühl einer hohen Komplexität, Professionalität und Seriosität. Seine Parameter (Wachstum des Cashflows, Betriebsdauer, Diskontierungsfaktor) sind für den Außenstehenden sehr plausibel. Er erkennt leider nicht sofort, wie stark das Ergebnis beeinflusst werden kann. Der amtierende Aufsichtsratsvorsitzende und ehemalige Controlling-Vorstand der Deutschen Bank, Prof. Dr. Clemens Börsig, stellt in diesem Zusammenhang ganz zutreffend fest: „Gesunder Menschenverstand muss komplexe mathematische Modelle ergänzen“.
3.2.4
Lieblingskennzahlen der Analysten: EV/EBITDA-Verhältnis und seine Ableitungen
In der Globalisierung geborene Kennzahlen In der Globalisierungsära ergeben sich für internationale Konzerne zahlreiche Möglichkeiten, ihren Geschäftsfokus in Länder mit günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen zu verlegen. Nicht nur Dienstleistungsunternehmen besitzen diese Option. Auch Produktionsbetriebe lagern zunehmend ganze Produktionsbereiche ins Ausland aus bzw. gründen in diesen Ländern echte Standorte. Klassische Beispiele für diese Strategien sind die Etablierung des Büroservices nach Indien bzw. der Bau von Automobilwerken in Osteuropa. Wie weit demgegenüber eine totale Standortsubstitution überhaupt realistisch ist – die Deutsche Bank plante zeitweise, ganz nach London „auszuwandern“ – kann hier nicht untersucht werden. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise hat sich dieser Prozess zwar verlangsamt, die Wahlmöglichkeit als solche bleibt dennoch auch in Zukunft bestehen. Daraus folgt weiter, dass die Global Player im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse Kennzahlen verwenden werden, die sie in Alternativrechnungen informieren, wie sich ihre Gewinnlage verbessern könnte, wenn die Verzerrung durch heimische Steuern und andere administrative Abgaben (administrative Kostenfaktoren) wegfallen. Dies ist häufig eine Rechnung auf dem Papier. Denn eine Auslandsverlagerung birgt viele Risiken. Politische Gefahren sind selbsterklärend und bedürfen keiner Zusatzerklärung. Es gibt darüber hinaus zahlreiche ökonomische Risiken. Oft kann eine hohe Produktivität erst erreicht werden, wenn an den ausländischen Standorten milliardenschwere Realinvestitionen durch den Outsourcer getätigt werden. Lohnkostenvorteile können durch Produktivitätsnachteile völlig aufgezehrt werden. Wenn danach noch das traditionelle Netz der Zulieferer plötzlich ausfällt, werden schnell enorme Zusatzkosten entstehen.
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Abgaben und administrative Kosten erweisen sich zudem vielmals als eine rein temporäre Erscheinung. Zum einen können ausländische Regierungen schnell die Vorteile rückgängig machen, nachdem sie ausreichend viele Auslandsinvestoren ins Land „gelockt“ haben. Rückzugsfälle selbst von großen Konzernen aus vermeintlichen Steuerparadiesen sind zuhauf bekannt. Zum anderen dürften ordnungspolitische Reformen im Inland die Wettbewerbsfähigkeit – so zum Beispiel Steuererleichterungen oder die Flexibilisierung des Arbeitsrechtes – der Auswanderungskandidaten verbessern. Sie bleiben dann im Lande. Dessen ungeachtet kommt es bei internationalen Renditevergleichen auf die Identifizierung der länderspezifischen Abgaben und andere administrative Kosten, die eine Verfälschung des operativen Ergebnisses zur Folge haben, an. Die folgenden EBITDA-Konzepte unternehmen den Versuch einer solchen Objektivierung.
Messkonzept und Ermittlungsmethode (Grundvarianten) Zu den wichtigsten Abgaben und administrativen Kosten zählen die staatlich festgelegten Steuern und Zölle (T = engl. tax), Abschreibungen auf Sachanlagen (A = engl. amortisation), Abschreibungen auf Finanzanlagen (D = engl. depreciation), wie auch die landesspezifischen Zinssätze (I = engl. interest). All diese Faktoren schmälern signifikant den Bruttogewinn. Vor diesem Hintergrund sind die EBITDA-Ertragszahl und die mit ihr verwandten Konstrukte ins Leben gerufen worden. Je nachdem, welcher Faktor vom Bruttoergebnis abgezogen wird, erhalten wir: Bruttoergebnis Sachabschreibungen (A) Sachabschreibungen (A) + Finanzabschreibungen (D) Sachabschreibungen (A) + Finanzabschreibungen (D) + Steuern (T) Sachabschreibungen (A) + Finanzabschreibungen (D) + Steuern (T) + Zinsen (I)
= EBA = EBDA = EBTDA = EBITDA
Nach den Regeln der Kombinatorik ließen sich noch weitere Varianten, wie zum Beispiel EBI oder EBT darstellen, die allerdings in der analytischen Praxis nur in Ausnahmefällen verwendet werden. Aktienanalysten verwenden die EBITDA-Zahlen nicht isoliert, sondern jeweils in Relation zum Unternehmenswert, dem sogenannten Enterprise Value. Die am häufigsten verwendete Kennzahl, die aus diesen Kombinationen entsteht, ist die EV/EBITDA. In ihrer Grundform wird die Kennzahl definiert als: EV/EBITDA =
Enterprise Value EBITDA
Der Enterprise Value wird dargestellt als: EV (Enterprise Value) = Marktwert des Eigenkapitals + Marktwert des Fremdkapitals
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Die allgemeine Bewertungsaussage lautet: Je niedriger die EV/EBITDA, umso günstiger die Bewertung eines Unternehmens. Es leuchtet ein, dass von zwei Unternehmen A und B, die beide eine Milliarde Euro wert (EV) sind und 100 Millionen Euro bzw. 200 Millionen Euro an EBITDA jährlich erwirtschaften, B relativ „billiger“ sein wird. Ein Investor, der sich für den Kauf von B entscheidet, hat – unter Außerachtlassung der Barwertbetrachtung – den Kaufpreis in fünf Jahren wieder zurück. Beim Kauf von A sind es dagegen zehn Jahre. Es liegt hier eine analoge Interpretation wie beim KGV vor. Mit der Unternehmensteuerreform 2008 findet die EBITDA Eingang in das deutsche Steuerrecht. Die als Zinsschranke bezeichnete Regelung beschränkt die Abzugsfähigkeit des Nettozinsaufwandes auf einen Betrag von maximal 30 Prozent „des Ertrages vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände (EBITDA)“.
Enterprise Value (EV): unübliche Definition des Unternehmenswertes? Wäre der Unternehmenswert, der Enterprise Value, an seinem Bilanzwert und nicht an dem Marktwert des Eigen- und Fremdkapitals gemessen, ließe er sich einfacher ermitteln. In der Variante mit Schulden würde er der Bilanzsumme und in der ohne Schulden dem Eigenkapital entsprechen. Wie wird dagegen der Marktwert des Eigenkapitals und des Fremdkapitals definiert, der dem EV-Konzept zugrunde liegt? Die einfachste Antwort basiert auf folgender Überlegung: Wer ein Unternehmen schuldenfrei erwerben will, muss die Aktionäre (Eigenkapitalgeber) und die Fremdkapitalgeber abfinden. Die Aktionäre bekämen den Börsenkurs ihrer Aktien, was in der Gesamtheit die Börsenkapitalisierung (Anzahl der Aktien multipliziert mit dem Kurs) ausmacht. Würde das Fremdkapital aus börsennotierten Unternehmensanleihen bestehen, hätten diese Anleihen ebenfalls einen Kurs, der im Normalfall von ihrem Emissionskurs abweicht. Über die Bestimmungsfaktoren des Aktienkurses wurde in Kapitel 2 ausführlich berichtet. Wovon hängt demgegenüber der Anleihenkurs ab? Konkret wird dieser vom aktuellen Marktzins, der Restlaufzeit der Anleihe und der Bonität des Unternehmens bestimmt. Beispiel 9 verdeutlicht diese Zusammenhänge.
Beispiel 9: Das Unternehmen A emittierte am 01.01.2006 eine zehnjährige Anleihe mit einem Volumen von 100 Millionen Euro zu pari (Kurs 100), die mit einem Nominalzins von 5,20 Prozent jährlich ausgestattet war, was aufgrund seines damals schlechteren Ratings einem Aufschlag von 100 Basispunkten (= 1,0 Prozent) im Vergleich zu einer Bundesanleihe gleicher Laufzeit
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entsprach. Bonitätsbedingt reduziert sich per heute (Stand: 01.04.2009) der Aufschlag auf 70 Basispunkte oder um 0,7 Prozent, bei einem aktuellen Zinssatz der Bundesanleihe von 3,50 Prozent. Der Kurs der Anleihe und damit der Unternehmenswert wird näherungsweise heute bei 105 liegen und damit fünf Prozent über dem Emissionswert. Der Marktwert des Fremdkapitals und damit auch der EV steigen automatisch um fünf Millionen Euro. Umgekehrt wird im Falle gestiegener Kapitalmarktzinsen und rückläufiger Anleihekurse der Wert des Fremdkapitals und damit der Unternehmenswert fallen. Die Wirkung ist hier die gleiche, wie beim DCF-Modell. Dort hatten gestiegene Zinsen eine Erhöhung der Kapitalkosten (des Diskontierungsfaktors) zur Folge, die den geschätzten Unternehmenswert schmälerten.
Schwächen (Nachteile) und Stärken (Vorteile) Schwächen (Nachteile): Die Implementierung der Marktwerte von Eigen- und Fremdkapital ist in der Praxis nicht durchführbar. Zwar basiert der EV-Ansatz auf aktuellen Marktwerten und nicht auf Prognosewerten, wie es beim DCF-Modell der Fall ist. Dennoch lässt sich der Ansatz in der Praxis kaum verwirklichen, weil er eine Momentaufnahme darstellt. Würde ein Kaufinteressent tatsächlich versuchen, über die Börse sukzessive die Aktien aufzukaufen, so würde er eine Kurslawine auslösen. Er könnte dann nicht mehr mit konstanten Notierungen rechnen. Außerdem gibt es, wie erwähnt, nicht für alle Formen der Fremdfinanzierung – namentlich Rückstellungen, Lieferantenkredite und Bankkredite – einen funktionierenden Markt. Mehr noch: Während der Kurs von Anleihen auf den Marktzins reagiert, waren bis vor 20 Jahren Bankkredite bei einer Festzinsfinanzierung durch den Vertrag fixiert. Mittels Verbriefungen ist es zuletzt gelungen, für diese Produkte eine aktive Handelsplattform zu schaffen. Die Frage nach dem „fairen“ Unternehmenswert bleibt letztendlich unbeantwortet, weil nur relative Bewertungen möglich sind. Bei welchem numerischen Wert des Quotienten EV/EBITDA das analysierte Unternehmen „fair“ bewertet ist, bleibt letztendlich offen. So gesehen, ist dieses Konzept eine Abwandlung der Multiplikatormodelle mit allen Stärken und Schwächen, die diese Gruppe aufweist. In der Aktienanalyse wird die Kennzahl Kurs/EBITDA verwendet. Auch sogenannte EBITDA-Margen, die diese Ertragsgröße zum Umsatz in Beziehung setzen, sind weit verbreitet und werden in vielen Geschäftsberichten (Deutsche Telekom) genannt. Stärken (Vorteile) EV/EBITDA ist für internationale Vergleiche universell einsetzbar. Wenn die Kennzahl EV/EBITDA trotz ihrer Schwächen dennoch eine breite analytische Anwendung findet, so liegt diese Anerkennung an der erwähnten Bereinigung um die län-
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
derspezifischen Besonderheiten. Die Kennzahl ermöglicht relative Aussagen dergestalt, ob die Deutsche Telekom günstiger bewertet ist als die spanische Telefonica oder die France Telecom. Gleiches gilt bei der Frage, ob amerikanische, deutsche, französische oder japanische Autohersteller ertragsstärker sind. Vor diesem Hintergrund findet diese Kennzahl insbesondere bei Branchenvergleichen breite Anwendung. Das Messkonzept erklärt eine neue Sichtweise von der Finanzierungsseite. Bei den klassischen Konzepten wurde der Unternehmenswert mehrheitlich über die stillen Reserven definiert. Diese waren in unterbewerteten Aktiva und überbewerteten Passiva zu suchen. Ein Ansatz, der auf der Finanzierungsseite basiert ist ein Novum. Damit werden erstmalig die Vorstellungen der Kapitalgeber ins Spiel gebracht, die letztendlich das Unternehmen verkaufen müssten. Die Formeln beinhalten objektive Marktdaten. Praktisch alle Bestandteile der EV/EBITDA-Formel und seiner Ableitungen basieren auf Marktdaten und sind damit objektiver als Modellansätze. Dort wo es keine solche Daten gibt, wie bei bestimmten Komponenten des Fremdkapitals (Lieferantenkredite, andere Verbindlichkeiten), können der Einfachheit halber die Nominalwerte aus der Bilanz genommen werden.
Mögliche Fehlinterpretationen Auf zwei wichtige interpretatorische Fehlerquellen bei einem kontinuierlich steigenden Unternehmenswert wird der Anleger zu achten haben: Ein logisches Problem entsteht, wenn durch eine Schuldenaufnahme der Unternehmenswert laut Definition steigen muss. Beide Bilanzseiten verlängern sich um den Wert der neuen Kreditaufnahme. Dieser Vorgang muss unter Umständen negativ interpretiert werden. Denn jede fremdfinanzierte Fehlinvestition, jeder Erwerb von fraglichen Lizenzen (UMTS bei den Telekomkonzernen) oder der Kauf unrentabler Beteiligungen, bei denen zudem der hohe Goodwill den Hauptteil des Kaufpreises bildet, also Fälle von offensichtlicher Misswirtschaft, würden ohne negative Konsequenzen für den Unternehmenswert bleiben. Die Annahme, der Neuverschuldung auf der Passivseite der Bilanz stehen neue vollwertige Vermögenswerte auf der Aktivseite gegenüber, erweist sich häufig als weltfremd. Die Wirtschaft kennt viele Korrektive. Es ist im oben genannten Fall zu erwarten, dass die Börse als Richter über diese Misswirtschaft die Akte des maroden Unternehmens mit Kursrückschlägen überproportional abstrafen wird. Aus diesem Grund werden die Marktkapitalisierung (Marktwert des Eigenkapitals) und der Enterprise Value womöglich stärker sinken als sie durch die Schuldenzunahme (höheres Fremdkapital) gestiegen sind. Ex ante sind dennoch solche Auswirkungen leider nicht genau zu prognostizieren. Ein positives EBITDA-Ergebnis besagt noch keinesfalls, ob ein Unternehmen wirtschaftlich arbeitet und überhaupt Gewinne erzielt. Die Komponenten I, T, D, A sind Kostenele-
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mente, die erst erwirtschaftet werden müssen. Die Situation verhält sich hier ähnlich wie beim Cashflow. Hat ein Unternehmen eine Million Euro Netto-Cashflow bei einer Abschreibung von zwei Millionen Euro erwirtschaftet, so hat es ceteribus paribus eine Million Euro Verlust gemacht. In einem vereinfachten Zahlenbeispiel kann die Parallele bei der EBITDA-Kennzahl demonstriert werden. EBITDA I (Interest) T (Tax) D (Depreciation) A (Amortisattion) Nettoergebnis
Fall A 10 2 3 2 1
Fall B 11 5 2 4 1
2
-1
Im Fall B weist das Unternehmen eine Steigerung des EBITDA von zehn auf elf Prozent aus, obwohl es in der Erfolgsrechnung einen Verlust von 1 nach einem Bilanzgewinn von 2 im Vorjahr gemacht hat. In Zeiten des Neuen Marktes überhäuften die neuen Börsenstars den Kapitalmarkt mit immer plakativeren EBITDA-Erfolgsmeldungen, obwohl sie wegen zunehmender Verschuldung und der damit steigenden Zinslast von Jahr zu Jahr zunehmend rote Zahlen geschrieben hatten. Dabei mussten sie erst gar nicht zur Manipulation greifen. Den meisten Privatanlegern fehlte das Basiswissen, um die „Erfolgszahl“ EBITDA kritisch zu interpretieren. Der heutige Anleger muss nicht bis zur Ära des Neuen Marktes zurückblicken. Auch beim Autoriesen Daimler gingen Analysten für 2010 von einem positiven EBITDA, aber negativen Jahresüberschuss aus.
Fazit: EBITDA-Kennzahlen sind weit verbreitete Ertragszahlenkonzepte, die ein Ergebnis vor den länderspezifischen administrativen Kosten – wie Zinsen (I), Steuern (T), Abschreibungen auf Sachanlagen (A) und Finanzanlagen (D) – ausweisen und sich daher für internationale Vergleiche eignen. Leider stellen diese Kennzahlen nur Teilrechnungen dar und zeigen nicht an, was unter „dem Strich“ übrig bleibt und ob überhaupt ein Gewinn erwirtschaftet wurde. Die EBITDA-Kennzahlen werden zudem bei der Unternehmensbewertung eingesetzt, indem EV/EBITDA-Quotienten gebildet werden. Der Zähler EV (engl. = Enterprise Value oder Marktwert des Eigen- und des Fremdkapitals) informiert darüber, wie viel ein schuldenfreies Unternehmen kosten würde, wenn seine Eigentümer (Aktionäre) und Fremdkapitalgeber (Banken, Anleihenbesitzer, andere Gläubiger) durch den neuen Käufer abgefunden werden müssten. Der EV entspricht damit nicht einfach der Passivseite einer Bilanz. Der Quotient EV/EBITDA, – hiervon abgeleitete Varianten heißen Multiplikatoren oder Multiple – besagt, wie relativ teuer ein Unternehmen ist und weist starke Ähnlichkeiten mit dem KGV aus. Die hohe Popularität der Kennzahl unter praktisch orientierten Analysten liegt in der breiten Verfügbarkeit aller Marktdaten.
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3.2.5
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Nur der Mehrwert zählt: Economic Value Added-Konzept (EVA)
Bekanntlich wird die wirtschaftliche Tätigkeit von vielen Zeitgenossen als eine beschwerliche, risikoreiche und mühsame Angelegenheit gesehen. Wer nicht ökonomisch dazu gezwungen ist und genügend Kapital besitzt, könnte dieses für sich auf den Kapitalmärkten „arbeiten“ lassen und von der Rendite leben, so lautet die darauf aufbauende Grundüberlegung. Insofern muss ein Unternehmer, der nicht als angestellter Manager tätig ist, sondern zusätzlich eigenes Kapital einsetzt, einen über diese auf dem Kapitalmarkt jederzeit erzielbare Rendite (Mindestrendite) hinausgehenden Anreiz für seine wirtschaftliche Leistung erhalten. Dieser wird als Mehrwert bezeichnet. Das „selbst“ arbeitende Kapital schafft in dieser Abgrenzung das mühelose Einkommen (risikofreie Marktrendite) und die unternehmerische Leistung den darüber liegenden Mehrwert. Nicht also das gesamte wirtschaftliche Ergebnis, sondern erst der Mehrwert sollte als Messlatte für eine ökonomische Leistung genommen werden. Das EVA-Konzept (EVA = engl. Economic Value Added, frei übersetzt, der addierte ökonomische Wert oder eben Mehrwert) basiert auf der oben vorgestellten Überlegung. Wenngleich dieses Konzept nicht wirklich eine bahnbrechende ökonomische Erfindung darstellt und schon Karl Marx den Mehrwertbegriff vor 150 Jahren in seiner Kapitaltheorie geprägt hat, ist es der Unternehmungsberatung Stern Stewart & Co. gelungen. sich das Kürzel EVA als geschützten Markennamen patentrechtlich zu sichern. Auch die deutsche Übersetzung, der Gesamtwertbeitrag (GWB) ist urheberrechtlich geschützt und zwar von Siemens. Es kommt äußerst selten vor, dass ökonomische Begriffe patentiert werden. Die Grundaussage lautet: Je höher das EVA ist, umso günstiger ist die Bewertung. Die Zahlen müssen aus Vergleichsgründen pro Aktie ermittelt werden. Ein großer DAX-Konzern wird in absoluten Maßstäben einen höheren Mehrwert als ein mittelständischer MDAX-Wert erzielen. Dennoch kann der Mittelständler relativ besser abschneiden. Weil EVA, analog zum DVFA-Ergebnis je Aktie, ein „bereinigtes“ Ergebnis darstellt, wäre theoretisch eine Konstruktion K/EVA je Aktie vorstellbar, was jedoch in der Praxis selten umgesetzt wird.
Messkonzept und Ermittlungsmethode (Grundvarianten) In der einfachsten Form lauten die dazugehörigen EVA-Formeln folgendermaßen: Wenn ein absoluter Mehrwert berechnet wird: Economic Value Added (EVA) = Ergebnis – (Kapitalkosten x eingesetztes Kapital)
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Wird die prozentuelle Variante gewählt, so lautet die Formel: Economic Value Added (EVA) = Rol - WACC
Als Ergebnis wird in der ersten Formel vornehmlich der Jahresüberschuss oder der operative Gewinn nach Steuern (um außerordentliche Einflüsse bereinigter Bilanzgewinn) verwendet. Die Interpretation von EVA besagt im Detail: Wenn ein Unternehmen eine Rendite von neun Prozent in Bezug auf das Gesamtkapital (Eigen- plus Fremdkapital) erwirtschaftet und seine Kapitalkosten fünf Prozent betragen, hat es de facto lediglich vier Prozent an Mehrwert erwirtschaftet. Die Kapitalkosten von fünf Prozent spiegeln bekanntlich die Verzinsung des Fremd- und des Eigenkapitals wider. Dabei ist in der Rendite des Eigenkapitals die risikolose Marktrendite enthalten, die als das vorgenannte mühelose Einkommen interpretiert wird. Ein Unternehmer, der seiner Firma neben dem Eigenkapital die Managerleistung zur Verfügung stellt, muss einen angemessenen (kalkulatorischen) Unternehmerlohn bekommen. Ob dieser in dem EVA enthalten oder herausgerechnet sein soll, ist in der Wirtschaftsheorie nicht geklärt. Folgende Erklärung wäre allerdings plausibel: Angenommen der Geschäftsführer einer GmbH stellt der Gesellschaft 300.000 Euro als Eigenkapital zur Verfügung. Seine GmbH „Glück“ erwirtschaftet im Jahre XYZ einen Gewinn von 150.000 Euro. Der EVA wird dann maximal 41.000 Euro betragen, weil von der Gewinnsumme der angemessene Unternehmerlohn von 100.000 Euro und die drei Prozent Mindestverzinsung (müheloses Einkommen) vom eingesetzten Eigenkapital abzuziehen sind. Vom jedem Unternehmen wird erwartet, dass es einen Mehrwert schafft, indem es mindestens seine Kapitalkosten verdient. Ist das nicht der Fall, wird bei einem negativen Mehrwert („Minderwert“) in der Fachsprache von Kapital- oder Wertvernichtung gesprochen.
Vorteile (Stärken) und Nachteile (Schwächen) Viele Vor- und Nachteile, die bei anderen Kennzahlen bekannt geworden sind, werden bei dem EVA ebenso vorkommen und müssen hier nicht wiederholt beschrieben werden. Es gibt dennoch einige wenige Unterschiede. Vorteile (Stärken) Leichte Verständlichkeit Für die Anwendung der EVA-Kennzahl spricht ihre leichte Verständlichkeit und Kommunizierbarkeit, zumal ihre Ableitung auf zeitnahen Werten und nicht auf Schätzgrößen basiert. Grundsätzlich ist der EVA, wie jede andere aus der Stromgröße abgeleitete Kennzahl, aussagekräftiger als eine, die aus Bestandsgrößen der Bilanz gewonnen wird.
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Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Verwendbarkeit als Steuerungsinstrument und Effizienzfinder Der EVA wird nach eigenen Angaben in vielen Großunternehmen (Allianz, Siemens) als Steuerungsgröße lenkungswirksam eingesetzt. Nach diesem Konzept sind – wie beim RoE und RoI-Ansatz – Unternehmensbereiche, die dauerhaft ihre Kapitalkosten nicht erwirtschaften, zu liquidieren. Unkritische Beobachter mögen darin eine „leistungsorientierte“ Strategie sehen. Die Skeptiker werden dagegen analog zu RoE/RoI fragen, wie stark die Werte im Langfristvergleich schwanken und nach welchen Kriterien die Zuordnung des Eigenkapitals für die entsprechenden Bereiche erfolgt. Eine einmal vorgenommene Bereichschließung, die aus falschen Daten abgeleitet wurde, kann nicht rückgängig gemacht werden! Breite Anwendung Das EVA-Konzept eignet sich bei ausreichender Datenbasis gleichermaßen zur Bewertung von ganzen Unternehmen oder Unternehmensteilen sowie zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit einzelner Realinvestitionen. Nachteile (Schwächen) Hohe Diskrepanz zwischen der Popularität und der Börsenwirklichkeit Großanleger nehmen diese Kennzahl bei ihren Anlagestrategien kaum zur Kenntnis. Denn es ist nicht schwer zu erkennen, dass die EVA-Zahl über die Komponente erwartete Eigenkapitalverzinsung (Element der Kapitalkosten) beeinflussbar ist. Auch in Fällen, in denen sich Konzerne der EVA-Kennzahl bedienen, werden die zugrunde gelegten Kapitalkosten oftmals (Begründung: Wettbewerbsnachteile!) nicht bekannt gemacht. Die EVAErmittlung wird dann erneut zum Sandkastenspiel. Zudem ist den misstrauischen praktischen Börsianern der Unterschied zwischen offizieller Darstellung und der Realität (Allianz) sehr wohl bekannt. Die Ableitung von möglichen 164 Versionen stiftet Verwirrung Dieser Nachteil ist zwar bei allen Kennzahlen präsent, die untere Aussage spricht dennoch für sich. Der Erfinder des EVA, Stern Stewart & Co. behauptet, bei einer Nutzung aller Bilanzierungswahlrechte ließen sich 164 Versionen von EVA ableiten. Selbst wenn nach einer anderen Quelle „nur“ 35 Varianten möglich sind, so dürfte doch eine Verwirrung und Ergebnisvielfalt vorprogrammiert sein.
Mögliche Fehlinterpretationen Ein Wert- oder Kapitalverlust in Sinne von EVA und eine Kapitalvernichtung an der Börse sind zwei verschiedene Dinge! Meldet ein Großkonzern einen unerwarteten Verlust von angenommen einer Milliarde Euro und bricht daraufhin der Aktienkurs um zehn Milliarden Euro ein, stellen am nächsten Tag führende Fachzeitschriften mit Verwunderung fest: „Die Börse übertreibt wieder einmal! Eine
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Milliarde Verlust, aber zehn Milliarden Wertvernichtung auf dem Parkett!“ In ganz ähnlicher Weise wird in der Analyse ein jährlicher EVA-Zuwachs oder eine EVA-Vernichtung mit einer entsprechenden Veränderung der Börsenkapitalisierung verglichen. Bildet sich eine zu starke Abweichung, werden darin übliche Börsenkapriolen, typische Übertreibungen, konstatiert. Ist diese Anschuldigung gerechtfertigt? Die Frage ist strikt zu verneinen. Die Börse bewertet bekanntlich die notierten Unternehmen mit dem KGV. Machte ein Musterunternehmen einen Gewinn von etwa zwei Milliarden Euro und hatte es zum Bilanzstichtag ein KGV von 15, so ist es, abgesehen von etwaigen Bereinigungen, theoretisch an der Börse 30 Milliarden Euro wert. Geht der Gewinn im Folgejahr auf eine Milliarde Euro zurück, müsste die Börsenkapitalisierung um 15 Milliarden Euro auf 15 Milliarden Euro fallen, wenn das KGV unverändert bliebe! Demnach stünden dem Gewinnrückgang um eine Milliarde Euro ganze 15 Milliarden Euro „Kapitalvernichtung“ gegenüber und es könnte immer noch nicht von einer Übertreibung gesprochen werden. Wird jetzt statt auf den Jahresüberschuss auf EVA abgestellt, ändert sich an der Grundaussage prinzipiell nichts. Die neuen Relationen lauten: eine Milliarde Euro Gewinnrückgang, eine Milliarde Euro EVA-Rückgang und 15 Milliarden Euro Börsenwertvernichtung! In der Regel fällt im Börsenalltag die Börsenwertvernichtung trotz horrender Gewinnmeldungen nicht so krass aus. Beläuft sie sich im obigen Beispiel auf zehn Milliarden Euro statt auf 15 Milliarden Euro, so beträgt sie nach der Korrektur 20 Milliarden Euro. Das dazu gehörige KGV erhöht sich aber von 15 auf 20 und nicht auf 30, was eine rechnerische Eins-zu-Eins-Abbildung des Gewinn- bzw. EVA-Rückgangs an der Börse implizieren würde.
Fazit: Das EVA-Konzept drückt den Mehrwert aus, den ein Unternehmen nach Abzug seiner Kapitalkosten erwirtschaftet. Die Kapitalkosten sind dabei die Finanzierungskosten des Unternehmens, das es als Realinvestition verursacht. Vereinfacht formuliert, gibt EVA den Gewinn an, der über eine risikolose Anlage – die mühelos am Kapitalmarkt zu erwirtschaftet wäre – hinaus erwirtschaftet wird. Wenn der Mehrwert negativ ausfällt, wird von einer Kapital- oder Wertvernichtung gesprochen, ohne dass ein bilanzieller Verlust eingetreten sein muss. Denn bei einem positiven Bilanzgewinn können die Kapitalkosten diesen sehr wohl übersteigen. Eine Wertschöpfung (Wertvernichtung) nach der EVA-Definition muss weiterhin mit einer Schaffung bzw. Vernichtung von Börsenwert nicht einhergehen. Die Kennzahl erfährt in der Praxis eine geringe Verbreitung, weil die Kapitalkosten als wichtiger Bestandteil der EVAFormel eine subjektive Vorstellung von der zu erzielenden Eigenkapitalrendite (Marktrendite) enthalten. Sie sind für einen Außenstehenden nicht nachprüfbar.
136
3.2.6
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Wann sind Aktien billig? – Aktien-KGV versus Renten-KGV im Fed-Modell
Aktien und Renten konkurrieren um die Anlagegelder Zu den Börsengrundlagen zählt, dass am Kapitalmarkt Aktien- und Rentenanlagen zueinander in Konkurrenz um die begrenzten Anlagegelder stehen. Sind die langfristigen Zehnjahreszinsen extrem hoch, wie kurz nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1991, als sie an die zehn Prozent heranreichten, scheint eine langfristige Rentenanlage äußerst attraktiv. Sind sie dagegen extrem niedrig, wie zum Beispiel 2003, als sie die Drei-Prozent-Grenze tangierten, werden wahrscheinlich die DAX-Aktien als die interessantere Anlage angesehen. Es existiert irgendwo eine „neutrale“ Konstellation von DAX-Stand und Langfristzins, bei der die beiden Anlagen indifferent zueinander betrachtet werden. Zwar gibt es in Haussezeiten an der Börse immer wieder ein stärkeres Engagement in der einen oder in der anderen Anlageklasse (Fonds, Immobilien, Zertifikate, Derivate). Dennoch sind die anderen Anlagen weitgehend als von den beiden obigen Grundformen, den Aktien und den Renten, abgeleitete Produkte einzustufen. So stellen Optionsscheine auf Aktien eine der vielen Derivatearten dar und Zertifikate sind gewöhnliche Inhaberschulverschreibungen (Anleihen) der Emissionsbank, wovon sich die Lehman-Geschädigten schmerzlich überzeugen mussten.
Fed-Modell: Messkonzept und Ermittlungsmethode (Grundvarianten) Im nachfolgend beschriebenen Fed-Modell (engl. Fed = Abkürzung von US-Federal Reserve, der Notenbank) wird dieses postulierte Gleichgewicht zwischen den Aktien und Renten für den DAX mit folgender Formel ausgedrückt: KGV-Aktien = KGV-Renten
DAX -Stand DAX- Gewinne
=
100 Zinssatz (langfristig)
Das Renten-KGV gilt im Fed-Modell als die Benchmark, d. h. als die Messlatte, mit der das Aktien-KGV verglichen wird. Aktien sind im Vergleich zu den Renten über- bzw. unterbewertet, wenn die beschriebene Gleichgewichtsbedingung verletzt wird. Eine Unterbewertung (Überbewertung) liegt vor, wenn das KGV-Aktien kleiner (größer) als das KGV-Renten ausfällt. Der Zins bestimmt hiernach neben den Unternehmensgewinnen den Indexstand bei den Aktien und nicht umgekehrt. Logisch gesehen gibt es drei Fallunterscheidungen mit den Relationen KGV-Aktien > KGVRenten oder KGV-Aktien < KGV-Renten oder KGV-Aktien = KGV-Renten. Denn die erwartete Gleichheit KGV-Aktien = KGV-Renten ist im Börsenalltag keine Selbstverständlichkeit!
Moderne Bewertungskennziffern
137
Wie die Gewinne für einen Aktienindex ermittelt werden, wurde bei der Beschreibung des DAX-KGV erläutert. Das Renten-KGV ist der reziproke Wert des langfristigen Zinssatzes eines Landes. Sollte das Gleichgewicht dennoch gegeben sein, sprechen wir davon, dass der Aktienmarkt im Vergleich zum Rentenmarkt „fair“ bewertet ist. Unzulässig wären dagegen ähnlich klingende Interpretationen: Auch der Rentenmarkt ist zum gleichen Zeitpunkt – vice versa – im Vergleich zum Aktienmarkt „fair“ bewertet. Diese Annahme wäre bereits aus logischen Gründen nicht haltbar. Denn bei einer relativen Positionsbestimmung von zwei Größen kann es nur einen festen Orientierungspunkt (Verankerung) geben. Jede einzelne Index-Aktie ist für sich gesehen „fair“ bewertet. Diese Aussage ist genauso falsch, denn im DAX können sich summarisch die unter- und überbewerteten Aktien ausgleichen. Die Erklärungsvariablen des Modells, die Unternehmensgewinne und der langfristige Anlagezins, jeder für sich, sind angemessen bewertet. Wovon die Zinsen und die Unternehmensgewinne abhängen, wird im Fed-Modell nicht geklärt. Zum Abschluss dieses Abschnittes werden daher Überlegungen zum „fairen“ Zinssatz außerhalb des Fed-Modells angestellt.
Wie ist der Aktienmarkt bewertet? – ein Zeitvergleich Das Fed-Modell soll erstens für alle großen Aktienmärkte mit einem funktionierenden Rentenmarkt – was zum Beispiel nicht in Hochinflationsländern gelten kann – eine universelle Gültigkeit besitzen und zweitens soll der Aktienmarkt zum Gleichgewicht tendieren. Unteroder Überbewertungen stellen die Ausnahme dar. Das verlangt die Theorie. Ob die Börsenwirklichkeit diese These bestätigt, ist eine Frage, die im Folgenden untersucht wird. Die Empirie zeigt, dass diese Gleichheit nicht für jede Periode und nicht für jeden Aktienmarkt (USA, Europa, Japan) besteht. In bestimmten Phasen kann der Aktienmarkt eines Landes sehr wohl unter- bzw. überbewertet sein. Zu fragen gilt, ob die Abweichungen die Ausnahme oder die Regel darstellen. In Abbildung 28 kann für die Periode 1980 bis 2008 annähernd die Gültigkeit des FedModells am deutschen Aktienmarkt bis 1998 unterstellt werden. Danach gibt es aber schon signifikante Unstimmigkeiten. Ab 2001 wären die Aktien völlig unterbewertet. Im Jahr 2005 fiel die Diskrepanz besonders extrem aus und betrug das Dreifache der Wertebereiche (KGVRenten 33 versus KGV-Aktien 10). Auch zum Stichtag (14.05.2010) ist der deutsche Aktienmarkt nach dem Fed-Konzept stark unterbewertet (32 zu 14)
138
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
35
30 25,7
25
20
15 10,8
10
DAX-KGV
Aug 07
Apr 05
Jun 06
Jan 03
Feb 04
Nov 01
Sep 00
Jul 99
Apr 97
Mai 98
Feb 96
Okt 93
Dez 94
Jul 91
Aug 92
Mrz 89
Mai 90
Jan 88
Okt 85
Nov 86
Aug 84
Apr 82
Jun 83
Jan 80
Feb 81
5
Renten-KGV
Abbildung 28: KGV-Aktien (DAX) versus KGV-Renten (REX) 1980 -2008 Kann aus einer solchen Unterbewertung eine Prognose für die Kursentwicklung des Aktienmarktes gewonnen werden? Tendieren die Aktienmärkte tatsächlich zum Gleichgewicht und zur „fairen“ Bewertung, wie es das Fed-Modell unterstellt? Die klare Antworten lautet: Nein. Dennoch wird das Modell, wie jede andere Methode, neben dieser Schwäche auch andere Stärken und Schwächen ausweisen, die nach dem bekannten Schema unten untersucht werden.
Vorteile (Stärken) und Nachteile (Schwächen) Stärken (Vorteile) Eine neue Methodik Die Abstellung des Modells auf die Anlagealternative Aktien oder Anleihen ist ein neuer Erklärungsansatz, der den immanenten Gegensatz zwischen diesen Anlageklassen gut erklärt. Die Beziehungen zwischen DAX-Stand, Zins und Unternehmensgewinnen sind eineindeutig. Es kann vorteilhaft sein, zu wissen, um wie viel bei steigenden Zinsen die Aktienanlage unattraktiver wird. Derjenige, der eine konkrete Vorstellung über die Zinsentwicklung hat, kann ceteribus paribus die erwartete Entwicklung am Aktienmarkt gut einschätzen. Gute Erklärung des internationalen KGV-Gefälles Das Modell kann (könnte) überzeugend erklären, warum ein internationales Zinsgefälle unter den Industriestaaten von zeitweise vier Prozent (zwischen einem Prozent in Japan und fünf Prozent in den USA) ein massives KGV-Gefälle nach sich zieht und dennoch von „fair“ bewerteten Aktienmärkten gesprochen werden kann. In den Achtzigerjahren hatte
Moderne Bewertungskennziffern
139
zeitweise Japan ein KGV von 60 bis 70, der Aktienmarkt war aber bei Zinssätzen zwischen einem Prozent und 1,5 Prozent dennoch fair bewertet. Nachteile (Schwächen) Durch den Einbau der zusätzlichen Variablen erfährt das Modell einen Regelbruch. Im Börsenalltag verwenden Analysten weltweit zwar gern das Fed-Modell. Sie gelangen jedoch in permanente Erklärungsnot, die massive und hartnäckige Unterbewertung des Aktienmarktes zu rechtfertigen. Um dieses Dilemma zu lösen, wurde ein Umweg gefunden. Durch den Einbau der sogenannten impliziten Risikoprämie wird ein einigermaßen „stimmiges“ Ergebnis erzielt. Was ist eine (implizite) Risikoprämie? Dieser Faktor soll die Risikobereitschaft der Anleger zum Ausdruck bringen. Grundsätzlich ist bei niedrigen Indexständen und ruhigen Märkten die Risikoprämie niedrig, bei hohen Ständen in unruhigen Märkten dagegen hoch. Was „hoch“, was „niedrig“ ist, wird erwartungsgemäß nicht objektiv zu messen sein. Die Ermittlung der impliziten Prämie bereitet dem Schätzer noch eine zusätzliche Schwierigkeit, weil sie einen Erwartungswert darstellt. In der unteren Matrix wird die Auswirkung einer Risikoprämie (IRP) auf die Herleitung eines „fairen“ DAX-Wertes demonstriert. Bei geschätzten 2010er DAX-Gewinnen von 459 Euro, einem erwarteten zehnjährigem Zinssatz von 3,5 Prozent und einer impliziten Risikoprämie von 6,0 Prozent lag der „faire“ DAX-Wert für 2009 per 30.06.2009 bei 4.846 Punkten und wich vom tatsächlichen Stand von 4.875 Punkten nur 0,7 Prozent ab. Weil die Börse zu jedem Zeitpunkt die zukünftigen Ereignisse – Vorlauf etwa ein Jahr – angeblich eskomptiert, sind für die Berechnung der „fairen“ Werte für 2009 die zukünftigen Gewinne von 2010, für 2010 von 2011 zu nehmen. Es fällt in diesem Bespiel auf, dass ein „stimmiges“ Ergebnis nur mithilfe des Tricks der impliziten Risikoprämie herbeizuführen war. Denn wäre die IRP nicht herangezogen, läge der modelltheoretische „faire“ DAX-Wert für 2009 bei 13.111 Punkten (459 x 100 / 3,5)! Eine solche Zahl wäre von keinem Börsianer ernst genommen worden. Die Notwendigkeit der Verwendung einer Risikoprämie bedarf für einen strikten Modellanhänger damit keiner Erklärung! Die Matrix enthält per 30.06.2009 insgesamt 30 Alternativwerte für den „fairen“ DAX, die sich je nach Zins- und Gewinnhöhe in einer Spannweite 3.271 (unten) und 5.781 Punkten (oben) bewegen. Erwartungsgemäß werden die DAX-Gewinne durch die neuen Analystenschätzungen angepasst. Per 14.05.2010 wurde die DAX-Gewinnreihe leicht nach oben angepasst und belief sich auf 335 Euro (2009) – 576 Euro (2010) – 653 Euro (2011).
140
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
2009e
DAX-Gewinne 2010e
2011e
IRP*
343
459
548
3,5
6,0
3.616
4.846
5.781
3,6
6,0
3.578
4.795
5.721
3,7
6,0
3.541
4.746
5.662
3,8
6,0
3.505
4.697
5.604
3,9
6,0
3.470
4.650
5.547
4,0
6,0
3.435
4.603
5.491
4,1
6,0
3.401
4.557
5.437
4,2
6,0
3.367
4.512
5.383
4,3
6,0
3.335
4.469
5.331
4,4
6,0
3.302
4.425
5.280
4,5
6,0
3.271
4.383
5.229
Zinssatz (10 J.)
* IRP: Implizite Risikoprämie
DAX-Stand am 30.6.2009 bei 4.875
Abbildung 29: Faire DAX-Werte in einem DCF-Modell bei alternativen Zinssätzen und Unternehmensgewinnen (implizite Risikoprämie 6,0 Prozent). Nicht nur die Risikoprämie stellt einen Fremdkörper im Fed-Modell dar. Es wäre grundsätzlich zu hinterfragen, ob jede Zinshöhe unkritisch akzeptiert werden kann. Bei Extremwerten sollten unter Umständen Korrekturfaktoren eingebaut werden, die auf konjunkturellen Überlegungen basieren. In Niedrigzinsphasen, wenn die vielen Leitzinssenkungen der Notenbank in einer „Liquiditätsfalle“ zu verpuffen drohen, wäre ein Aufschlag zu nehmen. Dieser könnte als eine Art Mehrrendite in Form des Performance-Unterschiedes zwischen der Aktien- und Rentenanlage definiert werden. In extremen Hochzinsphasen sollte dagegen vom Zinssatz die Inflationsrate abgezogen werden. Blieben diese Anpassungen aus, würde das Fed-Modell für Japan (Zins zeitweise bei 0,2 Prozent!) oder ein Hochzinsland (Türkei temporär über 20 Prozent) astronomische Unter- und Überbewertungen liefern! Welcher Anleger wird in der Globalisierungsphase dauerhafte KGVBewertungen von 500 (Japan) oder 4 (Türkei) als „fair“ ansehen? Keine Anwendung bei Einzelbewertungen Zur Berechnung des fairen Wertes der Einzelaktie oder eines Branchenindizes kann das Fed-Modell nicht herangezogen werden. Nicht alle Kennzahlen lassen sich gleichermaßen bei Einzelaktien und bei Indizes verwenden. So kann umgekehrt das nur bei Einzelbewertungen angewandte EV/EBITDA-Verfahren für den Gesamtmarkt verwendet werden.
Moderne Bewertungskennziffern
141
Keine Anwendung bei ineffizienten Rentenmärkten Um ein Fed-Modell zu konstruieren, muss ein landesspezifischer Marktzins vorhanden sein. Wenn es keinen funktionierenden Rentenmarkt gibt, wie in einigen EU-Ländern (Osteuropa) und den favorisierten BRIC-Staaten, wird ein repräsentativer Zinssatz nicht festzustellen sein und die Modellberechnung erscheint fraglich.
Mögliche Fehlinterpretationen Anleger werden in Erwartung der Kurssteigerungen in erster Linie in unterbewerte Aktienmärkte investieren wollen. Sie werden dabei häufig enttäuscht. Denn eine noch so krasse Unterbewertung im Sinne des Fed-Modells ist noch keine Garantie für steigende Kurse! Selbst wenn sich langfristig ein Trend zum Ausgleich beider KGVs erkennen ließe, was heute nicht der Fall ist (siehe Abbildung 29), bleibt unsicher, in welche Richtung die Anpassung gehen wird. Bei einem unterbewerteten Aktienmarkt kann sich die (erwartete) Anpassung über einen fallenden oder einen steigenden DAX und Gewinnänderungen vollziehen, wie folgendes (theoretische) Beispiel zeigt:
Beispiel 10 Auf der 2008er Schätzbasis ließ sich eine Unterbewertung des Aktienmarktes konstatieren, dass bei den DAX-Unternehmensgewinnen von 600 Euro, einem Zinssatz von 4,0 Prozent p.a. und einem DAX-Stand von 7.800 mit folgenden KGV-Werten zu errechnen ist: KGV-Aktien
= 7.800 / 600 = 13
KGV-Renten = 100 / 4 = 25
1. Ausgleich der Unterbewertung durch fallenden DAX auf 7.200 Punkte, fallende Gewinne auf 400 Euro und steigende Zinsen auf 5,5 Prozent (Variante 1) KGV-Aktien = 7.200 / 400 = 18
KGV-Renten = 100 / 5,5 = 18
2. Ausgleich der Unterbewertung durch steigenden DAX auf 8.400, fallende Gewinne auf 447 Euro und steigende Zinsen auf 5,3 Prozent (Variante 2) KGV-Aktien = 8.400 / 447 = 18,8
KGV-Renten= 100 / 5,3 = 18,8
Doch nicht alle hier vorgeführten Varianten sind gleich wahrscheinlich. Die Konstellation „fallende Gewinne und steigende Zinsen“ kommt in der Realität eher selten vor. Einen Gleichlauf beider Größen gibt es häufiger. In der Konjunkturbaisse fallen gewöhnlich die Gewinne und Zinsen gleichzeitig; in der Konjunkturhausse ist es eher umgekehrt.
142
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Exkurs: Was wäre ein „fairer“ Zinssatz? Generell wird im Universum der Zinsbegriffe zwischen den Paaren kurzfristiger und langfristiger sowie Anlage- und Kreditzins unterschieden. Es ist selbsterklärend, dass für das FedModell nur der langfristige Anlagezins in Frage kommt. Als langfristiger Anlagezins wird am häufigsten der Satz für die zehnjährigen Staatsanleihen herangezogen. So mancher Modell-Kritiker könnte fragen, warum sich der Aktienmarkt an einem Zinssatz orientieren soll, der womöglich völlig von den ökonomischen Gegebenheiten (Konjunktur, Verschuldungslage) losgelöst ist. Schließlich wird der Marktzins nicht ausschließlich am Kapitalmarkt durch Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern wird auch administrativ von der Politik und der Zentralbank beeinflusst. Der Analyst sollte demnach nur einen „fairen“ Zinssatz im Fed-Modell verwenden. Wie wäre dieser zu definieren? Bei der Lösung dieser Frage ist der Analyst glücklicherweise nicht ganz auf sich allein gestellt. Eine zusätzliche Argumentationshilfe kann ihm die sogenannte Zinsstrukturkurve am Anleihenmarkt geben (Abbildung 30). Die Konstruktion der Kurve gibt die Abhängigkeit des Zinssatzes von der Restlaufzeit einer Anleihe an. Eine neue fünfjährige Anleihe des gleichen Emittenten wird den gleichen Zinssatz ausweisen wie eine zehnjährige Anleihe, die vor fünf Jahren emittiert wurde. Emittenten mit besserer Bonität – wie ein westlicher EU-Staat mit soliden Staatsfinanzen – werden für ihre Anleihen niedrigere Zinsen zahlen als solche mit einer schlechteren Bonität. In der Zinsstrukturkurve schlägt sich der geschilderte Sachverhalt in einer parallelen Verschiebung der Kurve nach oben oder nach unten nieder. Von dieser Parallelverschiebung sind die Bewegungen auf der Kurve selbst und ihre Steigungen zu unterscheiden. Die Zinsstrukturkurve verläuft im Normalfall ansteigend, wobei der Anstiegswinkel primär von der Konjunkturlage abhängt. Der Verlauf muss dabei nicht immer linear erfolgen. Aus langjährigen Zeitreihenanalysen ist vor allem der „normale“ oder „typische“ Verlauf der Kurve bekannt. Der Analyst hätte bei seiner Suche nach dem „fairen“ Zinssatz nunmehr zu prüfen, ob der Verlauf konjunkturadäquat ist. Ist das der Fall, so ist der zehnjährige Zinssatz auf der Kurve ins Fed-Modell zu übernehmen. Anderenfalls sind Korrekturen erforderlich. Wie sieht ein „typischer“ Verlauf der Zinsstrukturkurve aus? Der Verlauf könnte aus dem Konjunkturzyklus abgeleitet werden und wird auf folgendem Szenario aufbauen. Am Ende einer Konjunkturbaisse zieht der Zins für alle Laufzeiten generell steil an. Die Differenz zwischen dem kurzfristigen und dem langfristigen Zins (engl. Spread) nimmt in dieser Phase stark zu, weil die Kreditnachfrage nach Investitionen und langlebigen Konsumgütern anzieht. Am Ende einer Hochkonjunkturphase verflacht sich dagegen die Kurve und die Differenz nimmt ab, was auf eine „Sättigungstendenz“ bei Krediten hinweist. Die aktuellen Spreads wären im nächsten Schritt mit den konjunkturüblichen Sätzen, die aus den Mehrjahresdurchschnitten gewonnen werden, zu vergleichen. So verhält sich die Lage in einem normalen Konjunkturzyklus. Ein „normaler“ Zyklus ist seinerseits nicht einfach zu definieren. Denn jeder Zyklus hat sein eigenes Muster. In der
Moderne Bewertungskennziffern
143
Phase einer Konjunkturüberhitzung kommt es zum Beispiel häufig zum inversen Verlauf der Zinsstrukturkurve, zu einer fallenden Kurve am sogenannten langen Ende (lange Restlaufzeiten), weil die Nachfragerwartungen nach Krediten massiv zurückgehen. Denn die Käufer an den Gütermärkten halten sich nicht nur wegen sinkender Einkommen mit neuen Kreditaufnahmen zurück, sondern auch, weil sie in Zukunft weiter fallende Zinsen erwarten.
8
Kreditnachfrage nach Investitionen und langlebigen Konsumgütern stagniert
7
ve (Hausse) 6 flache Zinsstrukturkur
Zinsspanne (Spread) 5 4
Leitzinserhöhung
3 2 1
stei
le
e (B kurv r u t k stru Zins
Kreditnachfrage nach Investitionen und langlebigen Konsumgütern zieht an
e) aiss
0 0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Laufzeit in Jahren
Abbildung 30: Zinsstrukturkurve in Baisse und Hausse im normalen Konjunkturzyklus. Trotz der Kenntnis obiger Zusammenhänge ist wegen der vielen Besonderheiten die Bestimmung des „fairen“ Zinssatzes keine einfache Aufgabe. Es wurde deutlich, dass einer bestimmten Konjunkturlage kein konkreter Verlauf der Zinsstrukturkurve und keine eindeutigen Spreads zugeordnet werden. Zudem ist die originäre Abhängigkeit des Zinses von der Konjunkturlage häufig ein reines Wunschdenken. Denn seine Höhe hängt von vielen anderen Einzelfaktoren ab, so von den Interventionen der Zentralbank. Ein weit verbreiteter Trugschluss ist, dass jeder Zinssatz von beliebiger Restlaufzeit letztendlich durch den vermuteten Zusammenhang zwischen den kurzund langfristigen Zinsen durch die Zentralbank über den Leitzins steuerbar sei. Wer diese Auffassung vertritt, übersieht die Vielzahl der Angebots- und Nachfragefaktoren. Trotz geäußerter Bedenken bezüglich der Aufweichung des Fed-Modells ist die Versuchung, einen „fairen“ Zinssatz zu finden, sehr verlockend. Er könnte sehr wohl den Platz der nicht operablen Risikoprämie im Fed-Modell einnehmen. Ein Regelbruch wäre er dennoch.
144
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Fazit: Das in der Aktienmarktanalyse stark verbreitete Fed-Modell erklärt, ob ein Aktienmarkt (Index) in Relation zum Anleihemarkt zu teuer, zu billig oder fair bewertet ist. Die Erklärungsvariablen des Modells sind die Index-Gewinne und der langfristige Anlagezinssatz. Die Bewertung der angemessenen Zinshöhe am Anleihemarkt selbst und des Realitätsgehaltes der Gewinne ist hierbei nicht vorgesehen. Mit dem Modell ist zudem eine Bewertung der Einzelaktien oder Branchen nicht möglich. Trotz dieser Restriktionen ist jedoch das Modell imstande, die unterschiedlichen KGV-Niveaus der weltweiten Aktienmärkte überzeugend zu erklären. Hiernach sind in der heutigen Realität alle Aktienmärkte unterbewertet; dies nährt die Zweifel an der Aussagekraft des Modells. Die Einführung nicht messbarer „Zusatzvariablen“ wie der impliziten Risikoprämie, stellt das ganze Konzept in Frage. Trotzdem ist das Konzept, das den Gegensatz zwischen der Attraktivität einer Aktien- und einer Rentenanlage aufzeigt, ein neuer ökonomischer Gedanke und muss gewürdigt werden. Altmeister Kostolany sagte zutreffend: „Wer gut essen will, kauft Aktien, wer gut schlafen will, Anleihen“.
3.2.7
DAX-Unternehmen: Mit welchen Kennziffern beurteilen sich die Konzerne selbst?
Bislang wurde dargestellt, wie die Kennzahlen von Anlegern als Entscheidungs- und Orientierungshilfen auf der Suche nach dem Börsenglück eingesetzt werden könnten. Nicht nur diese Marktakteure, sondern vornehmlich große Konzerne sehen in der internen und externen Anwendung von Kennzahlen viele Vorteile.
Theorie: Kennzahlen in der Unternehmenssteuerung Im Zuge der Globalisierung werden betriebswirtschaftliche Kennzahlen immer häufiger als betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente im unternehmerischen Alltag verwendet. Als Steuerung kann dabei jede Unternehmenshandlung verstanden werden, die der Ertrags- oder Werterschaffung, der leistungsgerechten Entlohnung oder schließlich der Kontrolle eingegangener Risiken dient. Externe Angaben hierzu werden von den Unternehmen in der Regel in dem sogenannte Value Reporting, einem Bestandteil des Geschäftsberichtes, gemacht. In einem anderen Bestandteil der unternehmerischen Rechnungslegung, dem Report zur Corporate Social Responsability, wird der Kontakt zu den Investoren und anderen Stakeholdern gepflegt. Insgesamt wird jedem Konzern die Transparenz und eine gute Reputation wichtig sein. Die jeweiligen Investoren und interessierten Leser der vorgenannten Reporte sollen die Unternehmen bei der Verbreitung dieser positiven Reputation unterstützen.
Moderne Bewertungskennziffern
145
Vorgenannte Aktivitäten sind zudem rechtlich kodifiziert, wenngleich vage und optional. Kapitalmarktorientierte Unternehmen haben nach DRS 15 (DRS = Deutsche Rechnungslegungsstandards) das unternehmensintern eingesetzte Steuerungssystem anhand qualitativer Maßstäbe einschließlich Veränderungen gegenüber dem Vorjahr zu beschreiben. Hiernach reicht es allerdings aus, die Kennzahlen, die für die Unternehmensteuerung eingesetzt werden, qualitativ zu erläutern. Lediglich empfehlenden Charakter hat die Aufforderung zur Quantifizierung dieser Kennzahlen. Die häufig freiwilligen Angaben der Unternehmen zu der angesprochenen Thematik greifen unterschiedlich tief. Der Fachbegriff einer sogenannten wertorientierten Unternehmenssteuerung wurde erst in den letzten Jahren zu einem der populärsten Modephrasen im Management und fand breiten Eingang in viele BWL-Publikationen. Was darunter im Einzelnen verstanden wird, bleibt offen. Jedes Unternehmen wird angeben wollen, es sei „wertorientiert“ gesteuert. Im ungünstigsten Fall wird der Begriff zu einer Floskel degradiert. Laut einer Studie der Unternehmensberatungsgesellschaft Kirchhoff Consult GmbH haben DAX-Unternehmen per 2005 folgende Informationen publiziert: Steuerungskennzahlen wurden von 83 Prozent der Unternehmen dargestellt und erläutert. Quantitative Angaben grundsätzlicher Art machten 60 Prozent. Den explizit geschaffenen Wertbeitrag (zum Beispiel EVA), der über den Kapitalkosten liegt, machten 47 Prozent. Den RoE nannten 37 Prozent, den RoNA und den RoI 7 Prozent (RoNA = engl. Return on Net Assets, eine Kennzahl, die auf bereinigte Aktiva abstellt). Über wertorientierte Ziele (Planvorgaben) berichteten 40 Prozent. Den Umsatz oder Gewinn als Zielvorgabe verwenden nur noch wenige Konzerne. Die Deutsche Börse nennt beispielsweise die EBITA, Kosten und RoE-Rendite als Steuerungsgrößen. Keine Angaben zum eingesetzten Steuerungssystem machten lediglich 17 Prozent. Die wertorientierte Berichtserstattung kann in mehreren Varianten erfolgen. Sie kann einperiodisch (umfasst nur ein Geschäftsjahr) oder mehrperiodisch bis zum ökonomischen Horizont des abgeleiteten Unternehmenswertes erfolgen. So sind Kennzahlen heute aus den Geschäftsberichten, den Analysten- und Pressekonferenzen oder den Roadshows kaum noch wegzudenken. Dieser Trend ist für die Außenkommunikation positiv zu werten, sprechen doch die Vorstände und die Anleger und Analysten die gleiche „Kennzahlen-Sprache“. Dadurch entsteht zwar ein Mehrwert für die Aktionäre (Shareholder Value). Die Kommunikation der Konzerne mit der Außenwelt wird im Sinne der Steigerung dieses Shareholder Value dadurch eindeutig verbessert. Allerdings geht durch zu viel Partikularismus und „Kennzahlen-Individualismus“ Transparenz verloren. Es ist eine andere Qualität der Aussage, wenn ein Unternehmen berichtet, es habe den Umsatz um XYZ Prozent erhöht und eine andere, wenn es vorgibt, den Unternehmenswert gesteigert zu haben oder es handle nach dem Corporate Governance-Kodex. Das kann vieles und wenig heißen. Die unteren Beispiele mögen den Optimismus etwas relativieren.
146
Wichtige Bewertungskennzahlen in der Aktienanalyse
Ernüchternde Bestandsaufnahme in der Praxis: Selbst ein krasser „Missbrauch“ der Kennzahlen bleibt ohne Folgen Denn im Wirtschaftsalltag hat Vorsicht zu walten. Reputation hin, Reputation her. „Missbräuche“ von Kennzahlen – wie beim EVA-Konzept, der RoE-Kennzahl, oder der optimalen Eigenkapitalquote – bleiben an der Tagesordnung. Hinter so manchen wohlklingenden Namen und Absichten verbergen sich in der Praxis meistens knallharte Wirtschaftsinteressen. Wie weit in solchen Fällen Anspruch und Wirklichkeit auseinander fallen können, soll an einigen markanten Beispielen demonstriert werden: Die Allianz steuerte angabegemäß jahrelang den Konzern nach dem EVA-Konzept. Konkrete Wertangaben zum EVA werden von den Münchenern interessanterweise aber erst seit 2006 veröffentlicht. Als der größte deutsche Versicherungskonzern rote Zahlen schrieb, hätte er logischerweise ein negatives EVA ausweisen müssen. Ungeachtet dessen stiegen die Vorstandsgehälter, dabei hätten sie doch EVA-konform fallen müssen. Die Deutsche Bank orientiert sich seit einem Jahrzehnt hartnäckig an der RoE-Zahl und gibt als Benchmark 25 Prozent (brutto) an. Verschiedene Sondereffekte werden dabei leider immer wieder herausgerechnet, sodass zeitweise bis zu fünf verschiedene Werte veröffentlicht wurden. Man durfte sich für die eigene Argumentation eine passende RoE-Zahl aussuchen! Schließlich postulierten aggressive Hedgefonds-Manager noch vor einem Jahr permanent eine „optimale Eigenkapitalstruktur“ bei den Beteiligungen, die sie erworben haben. Diese Forderung bedeutete ausnahmslos die Senkung der Eigenkapitalquote und die Ausschüttung an die Inhaber. Wasser predigen und Wein trinken! Bei einigen Banken werden die Aufwandsquoten in Zeiten des Personalabbaus um die Aufwendungen und Sozialplanausgaben (Restrukturierungsaufwand) bereinigt, damit sie günstiger ausfallen. Sorgten die offensichtlichen Missbräuche der Kennzahlen in der Vergangenheit vielleicht noch für Empörung, wurden sie in der letzten Finanzkrise mit ihren massiven Regelverstößen (siehe Tabelle 15) als Kavaliersdelikt abgetan. Die „Sünden“ der Bilanztäter übersteigen heute um ein Mehrfaches die Vergehen ihrer Vorgänger. Dennoch bleiben sie ohne Folgen. Wie ist dieses Fehlverhalten möglich? Leider greift auch hier der altbekannte Erklärungssatz: Unternehmen müssen sich wegen ihrer Praktiken keiner juristischen Verantwortung stellen – wie zum Teil bei den Bilanzierungsvorschriften, bei der Einhaltung aufsichtrechtlicher Kennzahlen bei Kreditinstituten bzw. bei der Angabe des Effektivzinses bei Kreditausleihungen. Was nicht explizit Gesetz ist, hat keine Chance auf faire Anwendung. So dürften wohl „Kennzahlenmissbräuche“ auch in Zukunft als Randvergehen ohne Konsequenzen bleiben. Wirtschaft und Börse plagen heute andere Sorgen als Fairplay-Fragen.
Moderne Bewertungskennziffern
147
Fazit: Die Steuerungskonzepte eines börsennotierten Unternehmens mittels Kennzahlen und die Erfüllung diesbezüglicher Planvorgaben werden von der Börse lediglich marginal beachtet. Es gibt zwei Gründe, warum die Börse solche Aktivitäten nicht mit Kurssteigerungen honoriert. Zum einen hat sich bislang keine einheitliche Darstellung durchgesetzt, was den Vergleich und die Erfolgsmessung unmöglich macht. Zum anderen ist das Misstrauen der Börsianer einfach zu groß, um den Unternehmensangaben – die zahlreiche, nicht nachprüfbare interne Elemente enthalten – unkritisch Glauben zu schenken. Internen Erfolgsmeldungen trauen Börsianer noch weniger als den ohnehin mit Vorsicht zu behandelnden externen Bilanzen und anderen Reporten. In Zukunft dürfte sich an dieser kritischen Haltung wenig ändern.
Kennziffernanalyse als Weg zum Anlageerfolg?
149
4.
Bessere Börsenchancen mit weniger Kennzahlen?
4.1
Kennziffernanalyse als Weg zum Anlageerfolg?
Viel Rechnen bringt noch keinen Börsengewinn Kennzahlen in der Aktienanalyse sollen dem Anleger helfen, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Wir erinnern uns an die drei wichtigsten Aussagen, die bislang im Zusammenhang mit Kennziffern gemacht wurden: Laut empirischer Studien erreichen (betriebswirtschaftliche) Kennzahlen ihre höchste Treffsicherheit während der Konsolidierungsphasen. In anderen Börsenphasen, so wie zum Beispiel im Auf- oder Abwärtstrend, liefern dagegen andere Erklärungsvariablen – wie die Makroökonomie oder die Börsenpsychologie – einen besseren Beitrag. Verschiedene Anlagestile in Aktien verwenden verschiedene Kennzahlen. So benutzen die risikoreicheren wachstumsorientierten Growth-Anlagestile andere Kennzahlen als die wertorientierten Value-Stile. Empirisch konnte nicht überzeugend festgestellt werden, welcher Stil besser ist. Die praktische Anwendung der wichtigsten Kennzahl, des KGV (Kurs-GewinnVerhältnis), erfüllte nicht die in sie gesetzten Erwartungen. Als eine große Enttäuschung mussten viele Aktionäre zur Kenntnis nehmen, dass gerade die im Sinne des KGV „billigen“ Aktien phasenweise deutlich schlechter als der Marktdurchschnitt (DAX) abgeschnitten haben. Diese Hinweise rechtfertigen die Frage, ob die Beschäftigung mit Kennzahlen in der Aktienanalyse sinnvoll ist. Ist es für den Privatanleger vielleicht lohnenswerter, die knappe Zeit und Energie auf das Studium anderer Kursfaktoren zu richten? Bislang wurden die Schwächen einzelner Kennzahlen isoliert dargestellt. Dabei zeigte sich, dass häufig die Unzulänglichkeit der einen gerade die Stärke der anderen ist. Was wäre demnach für den Analysten naheliegender, als ein geeignetes Bündel sich ergänzender Kennzahlen zu finden und in einem Modell zur Geltung bringen? Die Treffsicherheit der Prognosen müsste sich bei dieser Vorgehensweise eigentlich erhöhen. Die Idee ist zwar gut, aber die Frage, welche und wie viele Kennzahlen in die Auswahl zu nehmen seien, bleibt ungelöst. Denn zum einen liefern viele Kennzahlen häufig keinen Erklärungsbeitrag und die Auswahl ist auf die wesentlichen zu begrenzen (Fall 1). Verwendet man zu viele falsche Kennzahlen, so leidet die Erklärungsgüte eines Modells. Ein noch so wissensdurstiger Privatanleger kann nicht unbegrenzt viele Kennzahlen gleichzeitig beobachten. Nicht die Menge der Kennzahlen ist sinnvoll! Zum anderen kommt es vor, dass er zwar sofort
V. Heese, Aktienbewertung mit Kennzahlen, DOI 10.1007/ 978-3-8349-1675-4_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Bessere Börsenchancen mit weniger Kennzahlen?
die „richtigen“ Kennzahlen gefunden hat, diese aber voneinander zu stark abhängen und sich gegenseitig stören. Dann entsteht das Phänomen, dass jede einzelne Kennzahl für sich allein einen höheren Erklärungswert zur Kursbildung der Einzelaktie oder des Indizes liefert, als mehrere zusammen (Fall 2). An dieser Stelle ist folgender Vergleich angebracht. Mit den Kennzahlen verhält es sich ein wenig wie mit einer Fußballmannschaft. Hier wären die Tore die erklärte Variable, die Spieler die erklärenden Variablen. Sowohl viele schwache Spieler (Fall 1) als auch zu viele sich gegenseitig behindernde starke „Individualisten“, bei den Stürmern, Mittelfeldspielern, Verteidigern (Fall 2) dürften der Mannschaft nicht zum gesuchten Erfolg verhelfen. Auf diese und ähnliche Probleme der Modellbildung wird im folgenden Abschnitt eingegangen.
4.2
Wie werden die richtigen Kennzahlen gefunden?
Zu viel Information kann verwirren Auf der Suche nach den wichtigsten Kennzahlen (Fall 1) erscheint es sinnvoll, sich auf den folgenden Lösungsansatz zu konzentrieren: Es bleibt dem Suchenden nichts anderes übrig, als in einem ständigen „trial and error“Verfahren immer wieder neue relevante Kennzahlen ausfindig zu machen und diese so zusammenzustellen, dass sie einen höheren Prognosewert ergeben. Die zitierte Prognosegüte lässt sich erfreulicherweise statistisch objektiv messen, denn der Aktienanalyst kann auf Erkenntnisse und Erfahrungen zurückgreifen, die mit den ökonometrischen Modellen gemacht wurden. Da zunächst die ausgewählten Kennzahlen als gleichberechtigt einzustufen sind, kann vom horizontalen Verfahren gesprochen werden. Hilfreich ist bei der Kennzahlensuche die statistische Regressionsanalyse, die folgende Vorgehensweise nahelegt: Es sind so lange Kennzahlen in ein Modell aufzunehmen, bis sie einen höheren Erklärungsbeitrag zum untersuchten Aktienkurs leisten. Der gesuchte Aktienkurs kann als die erklärte Variable in einer linearen Regressionsgleichung (Kursmodell) aufgefasst werden, der von einer oder mehreren erklärenden Kennzahlen – als erklärende Variable – geschätzt wird. Wie in der Praxis ein solches Kursmodell mit Kennzahlen aussehen könnte, zeigt folgende Regressionsgleichung.
Wie werden die richtigen Kennzahlen gefunden?
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Kurs = (a * KGV) + (b * KBV) + (c * PEG) + (d * Störvariable) > a, b, c und d sind Parameter, die im Modell geschätzt werden > der Kurs ist die erklärte Variable; KGV, KBV und PEG sind die erklärenden Variablen
Die Lösung der obigen linearen Gleichung erfolgt mithilfe der Methode der kleinsten Quadrate. Es werden Zeitreihen (zum Beispiel für 1970 bis 2008) für den Kurs sowie die KGV-, KBV- und PEG-Schätzwerte aufgestellt und die Zusammenhänge zwischen ihnen untersucht. Mit dem statistischen Bestimmtheitsmaß r2 wird weiter geklärt, welcher Prozentsatz der Aktienkursschwankungen von den Schwankungen der erklärenden Variablen – also dem zusammengestellten Bündel von Kennzahlen – bestimmt wird. Bei r2 = 0,77 sind es 77 Prozent, bei r2 = 0,54 entsprechend 54 Prozent. Je höher das Bestimmtheitsmaß, umso besser der Erklärungsansatz. Der Einfachheit halber wird in der Praxis ein lineares Eingleichungsmodell genommen. Es sind genauso komplizierte nichtlineare Mehrgleichungsmodelle verbreitet. Die Konstruktion der ökonometrischen Modelle hat eine wichtige Besonderheit. Die Störvariable im Modell sollte eine reine Zufallsgröße sein, die keinen Trend oder andere Gesetzmäßigkeiten aufweist. Lassen sich gewisse Gesetzmäßigkeiten in ihrem Verlauf vermuten, muss nach einer noch nicht identifizierten erklärenden Variable – zum Beispiel nach der Umsatzrendite oder dem Verschuldungsgrad – gesucht werden. Der Verlauf der Störvariablen informiert den Leser, ob im Modell „etwas Wichtiges fehlt“. Im Fachjargon der Ökonometrie heißt es in einem solchen Fall, die Störvariable weist eine signifikante Autoregression auf und enthält eine noch „nicht gefundene Erklärungsvariable“. So wie der Astronom Gottfried Galle 1846 den Planeten Neptun anhand der regelmäßigen Störungen der Umlaufbahn des Planeten Uranus vorausgesagt hatte, kann der Ökonometriker feststellen, ob in seinem Modell reguläre Störungen stecken, die durch die Aufnahme einer zusätzlichen erklärenden Variable behoben werden. Erst dann sprechen die Spezialisten von einem voll identifizierten Modell. Bei jeder Modellkonstruktion sind weitere Besonderheiten zu beachten, von denen folgende wichtig sind: Der angenommene funktionale Zusammenhang in den Kursgleichungen muss nicht unbedingt linearer, sondern kann auch nichtlinearer, zum Beispiel exponentieller Natur sein. Lineare Beziehungen sind in der Ökonomie, die häufig von Grenzverhalten spricht, eher die Ausnahme. Die Einteilung in erklärte und erklärende Variable hat rein formalen Charakter, da sie eine Ursache-Wirkungs-Beziehung unterstellt. Die Zusammenhänge können je nach verwendeter Theorie genau so umgekehrt gesehen werden. In der obigen Kursgleichung wird angenommen, der Aktienkurs hänge unter anderem vom KGV und damit indirekt von den Gewinnen ab. Diese These entspricht zwar der herrschenden Meinung, die Konjunktur
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Bessere Börsenchancen mit weniger Kennzahlen?
bestimme die Börsenkurse und nicht umgekehrt. Warum sollte dennoch nur diese UrsacheWirkungs-Richtung gelten? Ist eine konkurrierende These unwahrscheinlich? Gute Börsenkurse verlocken die Privatanleger, einen Teil ihrer Börsengewinne vorab zu „verkonsumieren“ und regen damit die Konjunktur an. Dabei müssen die Aktien erst gar nicht verkauft, sondern können beliehen werden. Verläuft das Beziehungsgeflecht in diese Richtung, bestimmt der Aktienkurs über den Zusatzkonsum den Gewinn und nicht umgekehrt. Zu beachten ist daher: Die Regressionsanalyse ist keine Ursache-Wirkungs-Analyse. Wenn zwei korrelierende Größen einen gemeinsamen Ursprung haben – wie die Körpereigenschaften der Geschwister, die diese von ihren Eltern und Großeltern geerbt haben – wird dieser durch die Regressionsanalyse nicht aufgedeckt. Dieser gemeinsame Ursprung wäre die wahre Ursache. Die Erwartung der Wirkungsrichtung einer erklärenden Variablen ist alles andere als klar und wird nicht unbedingt der klassischen „Lehrbuchmeinung“ entsprechen. So müssen Zinsen die Aktienkurse keinesfalls invers beeinflussen, wie im Fed-Modell unterstellt wurde. Steigende Zinsen könnten genauso gut als Vorboten einer anziehenden Konjunktur ausgelegt werden und diese stimuliert bekanntlich die Unternehmensgewinne und damit indirekt die Aktienkurse. Diese werden dann trotz steigender Zinsen anziehen. Im FedModell wird dagegen angenommen, dass bei sonst gleich bleibenden Bedingungen die steigenden Zinsen den Wert des Aktienindizes ermäßigen (ungekehrte Proportionalität). Im Unterschied zu vorher geht es hier also nicht darum, wer wen beeinflusste, sondern wie: positiv oder negativ? Das Regressionsmodell wird – so wie die konkurrierende Chartanalyse – einen Crash nicht rechtzeitig erkennen und kein Warnzeichen aussenden. Seine Ergebnisse mögen zufriedenstellend ausfallen, solange der Aufwärts- oder Abwärtstrend anhält. Sobald der Trend plötzlich „gebrochen“ ist (statistischer Fachausdruck: Strukturbruch), wird die alte Trendlinie zur Makulatur. Andere Modelle, die eine zyklische Entwicklung um den Trend herum beschreiben (Beispiel: Multiplikator-Akzelerator-Modelle), sind zu abstrakt und in der Anlagepraxis nicht verwendbar. Von einigen Einflussfaktoren ist bekannt, dass sie für die Kursbildung entscheidend sind. Bedauerlicherweise lassen sich diese selten quantifizieren. Wie Gerd Gigerenzer, Psychologe und Direktor am Max-Planck-Institut für psychologische Forschung weiß: „Ökonomie geht gar nicht ohne Vertrauen. Nur kommt es in Gleichungen der Wirtschaftswissenschaftler nicht vor“. Hat ein Aktienanalyst seine Hausaufgaben endlich gemacht und ein voll identifizierbares Modell konstruiert, kann er zum Schluss die Frage beantworten, wann seine Aktie oder der Aktienindex „billig“ oder „teuer“ ist, respektive anders ausgedrückt unter- oder überbewertet. Hier erweist sich folgende Interpretation als sehr nützlich. Der auf der Regressionsgeraden liegende theoretische Kurs stellt unseren „fairen“ Wert dar; die Abweichungen nach unten die Unterbewertungen, die nach oben die Überbewertungen.
Warum können sich Kennziffern widersprechen?
153
Aktienkurs
Überbewertungszone
Kursgleichung
Unterbewertungszone Zeit
Abbildung 31: Aktienkurse, die über der (geschätzten) Trendgerade liegen sind über-, die darunterliegenden sind unterbewertet
4.3
Warum können sich Kennziffern widersprechen?
Die Qual der Wahl: Welche Kennzahlen wählen? Neben dem Phänomen der Autoregression der Zufallsvariablen ist im Zusammenhang mit der Modellierung das Problem der Multikolinearität der erklärenden Variablen zu lösen. Nehmen wir wieder unser Beispiel mit der Fußballmannschaft: Es ist zu fragen, ob diese nicht zu viele gute Angreifer besitzt, die zwar gute Torschützen sind, sich aber im Spielverlauf gegenseitig stören, weil einer dem anderen den Ball nicht zuspielen will. Die Spielweise der Angreifer ist, mit einfachen Worten ausgedrückt, miteinander korreliert. Zwischen den erklärenden Variablen (Spielern) herrscht häufig eine signifikante Korrelation, die dann Multikolinearität genannt wird. Es wurde beobachtet, dass durch das Hinzufügen neuer stark korrelierender Erklärungsvariablen – beispielsweise des RoE in das obere Eingleichungsmodell – das Bestimmtheitsmaß r2 und damit die Erklärungsgüte des Modells sinken kann, weil die Multikolinearität zunimmt. Dieses Ergebnis darf nicht verwundern. Im Alltag gibt es neben der zitierten Fußballmannschaft viele vergleichbare Phänomene. Da lässt sich bei Kindern bis zu zwölf Jahren ein starker Zusammenhang zwischen der Körpergröße (erklärte Variable) und dem Alter (erklärende Variable) feststellen. Wird eine weitere Variable wie das Gewicht hinzugefügt, muss der Erklärungsgehalt für die Körpergröße nicht unbedingt steigen, da Alter und Gewicht miteinander in der Regel stark korreliert sind. Der Volksmund kennt den Spruch: Zu viele Köche verderben den Brei! Diese Weisheit ist auch bei einem kennzahlenbasierten Modell zutreffend.
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Bessere Börsenchancen mit weniger Kennzahlen?
DuPont-Kennzahlenpyramide: Vorsicht Tautologien! Der Anleger, der von der „Bastelwut“ einiger Analysten in Bezug auf die Kennzahlenerfindung erfahren hat, ist vorgewarnt und fragt sich, ob neue Kennzahlen einen zusätzlichen Erklärungswert liefern werden. Denn diese könnten einfache Umformungen anderer Kennzahlen darstellen. Eine tatsächlich „neue“ Kennzahl sollte aus der Messung von neuen Wirtschaftsgrößen abgeleitet werden, für die regelmäßige Erhebungen vorliegen. Sie darf nicht einfach auf dem Bildschirm des Analysten erfunden werden, weil sie dann mit Sicherheit nicht „neu“ ist. Bei dem vertikalen Verfahren – das jetzt nach dem horizontalen Verfahren vorgestellt wird – kann zwischen übergeordneten und untergeordneten Kennzahlen unterschieden werden. Eine übergeordnete Kennzahl hat – sie wird im weiteren Hauptkennzahl oder Kennzahl erster Ordnung genannt – einen höheren Erklärungswert als eine Nebenkennzahl (Kennzahl zweiter Ordnung). Leider kann fast jede Hauptkennzahl durch Umformungen mithilfe von zwei und mehreren Nebenkennzahlen ausgedrückt werden. So wäre das KGV eines börsennotierten Unternehmens als Hauptkennzahl von zwei Nebenkennzahlen, nämlich der Multiplikation der Börsenkurse mit der Anzahl der Aktien (NK1) und der Differenz zwischen den gesamten Erträgen und Aufwendungen (NK2) darstellbar. Wer genau hinschaut, erkennt sofort, dass NK1 ein anderer Ausdruck für die Börsenkapitalisierung und NK2 ein anderer für den Gewinn ist. Somit sind NK1 und NK2 keine wirklich „neuen“ oder eigenständigen Kennzahlen-Erklärungsvariablen für das KGV, sondern nur Umformungen, die unter dem Begriff Tautologien bekannt sind. NK1 und NK2 können das KGV nicht erklären. Eine Unterteilung in erklärte und erklärende Variable. Dennoch besagt die Theorie, dass die Kennzahlen einer höheren Ordnung von denen der niedrigeren Ordnung erklärt werden. Eine Aufgliederung könnte beliebig fortgeführt werden, bis eine stattliche Kennzahlenpyramide entsteht. Die bekannteste Konstruktion dieser Art ist die DuPont-Kennzahlenpyramide. Ihre Aussagekraft wird stark überschätzt, denn anscheinend besteht sie in ihren Teilen aus simplen Tautologien. Des besseren Verständnisses halber soll zu dem Gesagten eine Tautologie am folgenden makroökonomischen Beispiel demonstriert werden: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes kann mit der Multiplikation der Anzahl der Beschäftigten (B) mit dem von ihnen erbrachten Output – auch als Arbeitsproduktivität (P) bekannt – gemessen werden. Diese Aussage ist zwar logisch, für die Analyse- und Prognosezwecke des BIP hilft sie uns nicht weiter, denn sie versucht sich „selbst“ zu erklären. Hier die Herleitung: <1>
BIP
=
B
x
P
Warum können sich Kennziffern widersprechen?
155
Die Arbeitsproduktivität wird wiederum definiert als: BIP <2>
P
= B
Nach dem Einsetzen von Formel <2> in <1> und der Kürzung durch B entsteht die tautologische Gleichung (BIP = BIP). Das Fazit lautet: Die Arbeitsproduktivität (P) kann neben der Beschäftigung (B) nicht ohne weitere Erklärung als separate Erklärungsvariable für das BIP angesehen werden. Ein analoges Bild liefert die DuPont-Pyramide mit der Hauptkennzahl RoI-Rendite und der weiteren Aufgliederung derselben in untergeordnete Nebenkennzahlen. Nach Ausschaltung tautologischer Beziehungen sind in der einfachsten Variante der DuPont-Pyramide von 16 Kennzahlen allenfalls elf als „echte Erklärungsfaktoren“ für die RoI-Rendite brauchbar. Die Kritik geht noch weiter. Bei den verbliebenen elf Fällen ist zudem zu fragen, ob eine Kennzahl der vierten Ordnung – wie der Liquiditätskoeffizient (Definition: liquide Mittel in Relation zum Umlaufvermögen) – einen nennenswerten Beitrag zur RoI-Erklärung leisten kann. Die Ursache-Wirkungs-Beziehung, falls sie hier überhaupt besteht, dürfte in einem künstlich aufgeblähten Kennzahlen-Dschungel schwer aufzufinden sein. Nimmt der Anwender unbewusst Tautologien in sein ökonometrisches Modell auf, kommt er nicht weiter. Er wird das Modell nicht identifizieren können und weiter nach neuen Erklärungsvariablen suchen müssen.
Was passiert, wenn sich Kennzahlen widersprechen? Wenn sich Kennzahlen infolge der Multikolinearität stören, kann durch einfaches Herausnehmen einiger von ihnen die Erklärungsgüte verbessert werden. Diese Vorgehensweise leuchtet allgemein ein. Es gibt zum einen Situationen, in denen sich die Kennzahlen stören und zum anderen gibt es Situationen, in denen sich Kennzahlen widersprechen. In letzterem Fall dürften mehrere Kennzahlen miteinander stark negativ korreliert sein; ihre Wirkung auf den Kurs (erklärte Variable) hebt sich in diesem Fall weitgehend auf. Eine Variable zieht den Kurs nach oben, die andere nach unten! Der Analyst kann sich in diesem Fall zwar freuen, ein gut identifiziertes Modell konstruiert zu haben. In einer Anlageentscheidung kommt er dennoch nicht viel weiter, weil er wegen der beschriebenen Kompensation wenig veränderte Kurse schätzten wird. Rechtfertigen die niedrigen Kurschancen einen analytischen Aufwand?
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Bessere Börsenchancen mit weniger Kennzahlen?
Es gibt hier eine Lösung. Es kommt auf den Saldo der Kompensationseffekte an. Wenn der Anleger im Fed-Modell von steigenden Zinsen und steigenden Gewinnen ausgehen muss, so hat er kein Rechenproblem, wenn er die realistische Veränderung beider Größen kennt. In anderen Fällen gibt es keine derart einfache und saubere Lösung. Bereits wegen ihrer Klassifikation könnten sich Kennzahlen aufgrund der Definition widersprechen. Es wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass der Anleger nicht alle Bewertungsaspekte (Ertrag, Substanz, Ausschüttung, Sicherheit) gleich gut erfasst haben kann. Wendet er mehrere Kennzahlen an, wird in der Regel ein Aspekt „zu kurz“ kommen. Folgende Kennzahlen werden sich aufgrund ihrer definitorischen Konstruktion widersprechen: Das KBV und die Dividendenrendite können sich gegenläufig entwickeln. Sobald Gewinne voll ausgeschüttet werden, dürfte die Dividendenrendite steigen. Das KBV bleibt allerdings unverändert, da keine Gewinnrücklagen das Eigenkapital stärken. Das KGV, das KCV und das KBV werden sich in der Regel unterschiedlich entwickeln. Hier kommt es darauf an, wie sich die GuV-Komponenten Abschreibungen und langfristige Rückstellungen im Vergleich zum Bilanzgewinn entwickeln. Auch ist darauf zu achten, an welcher Stelle nicht realisierte Kursgewinne (nach IFRS) gebucht werden: in der GuVRechnung oder in der Neubewertungsrücklage im Eigenkapital? Im ersten Fall verbessert sich das KGV, im zweiten das KBV. Auf den möglichen Widerspruch zwischen dem KGV und dem RoE sowie zwischen dem RoE und dem RoI wurde bereits hingewiesen (siehe Abbildung 25). Ohne eine genaue Festlegung der Rangordnung der Kennzahlen im Falle eines Widerspruchs gerät jede Anlagestrategie ins Stocken. Hier kehrt der Anleger zum Ursprung seiner Frage zurück: Welche der Kennzahlen ist für die Kursbildung wichtiger? Geht er nach den klassischen Kennzahlen vor, sollte er nicht alle Kennzahlen nach einem Bewertungsaspekt für seine Entscheidung nehmen, zum Beispiel das KGV, das KCV und die EBITDA. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ertragszahlen – sowie Substanzahlen – miteinander korrelieren und sich „behindern“ werden, ist groß.
Fazit: Unbefriedigende Schätzergebnisse mit einzelnen Kennzahlen brachten die Analysten auf die Idee, die Anlagestrategie auf eine breite Kennzahlenbasis zu stellen. Dabei traten in der Praxis die gleichen Probleme auf, die bei der Konstruktion der ökonometrischen Modelle bekannt wurden. Die Kennzahlen können in einem Regressionsmodell als die erklärenden Variablen, der gesuchte Aktienkurs als die erklärte Variable gesehen werden. Das Perpetuum Mobile wurde mit dieser Lösung dennoch nicht gefunden. Denn eine Modelkonstruktion ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Zum einen hat der Analyst nur die „richtigen“ Kennzah-
Warum können sich Kennziffern widersprechen?
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len zu verwenden, die in der Summe zum höheren Erklärungswert für den gesuchten Aktienkurs führen. Zum anderen dürfen die als „richtig“ identifizierten Kennzahlen voneinander nicht zu stark abhängen (korreliert sein). Dann stören und/oder widersprechen sie sich. Treten die besagten Schwächen auf, wird ein Modell unbefriedigende Ergebnisse liefern und muss neu konstruiert werden. Die Arbeit mit Kennzahlen-Modellen ist zudem ein ständiger Suchprozess, da die einmal gefundenen „richtigen“ Erklärungsvariablen nach einer gewissen Zeit ausgetauscht werden müssen. Einige brauchbare Regeln gibt es dennoch. Sinnvoll erscheint die Verwendung von Kennzahlen, die unterschiedlichen Erklärungsaspekte, wie Ertrags- und Substanzstärke, Ausschüttungsfreudigkeit oder Sicherheit, abbilden. Dann stören und behindern sie sich weniger.
Anmerkungen zur Asset Allocation
5.
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Anlageexperiment: Depot-Aufbau mit Hilfe von nur drei Kennzahlen
Anmerkungen zur Asset Allocation Asset Allocation ist rein analytisch gesehen ein florierender Bereich der Wertpapieranalyse und stellt in praktischer Hinsicht die Vermögensverwaltung dar, die als Portfoliomanagement bekannt ist. Sie befasst sich mit der Frage, nach welchen Kriterien und Strategien eine Anlage zu erfolgen hat. Denn alle wollen reich an der Börse werden und die Nachfrage nach den dazu angeblich führenden Anlagestrategien ist groß. Jede Asset Allocation berücksichtigt die alte Weisheit, dass man nicht alle Eier in einen Korb legen sollte. Vielmehr müssen Risiken und Chancen gestreut werden. Wie erfolgt diese Aufteilung? Die unterschiedlichen Verfahren der Asset Allocation befassen sich in unterschiedlicher Weise mit dem unteren Fragenkatalog. Ob die dann gefundenen Lösungen zum Anlageerfolg führen, ist eine andere Frage. A: Welche Vogelperspektive soll gewählt werden? Den Ausgangspunkt bildet die strategische Asset Alloction. Sie betrachtet die Anlagelandschaft sozusagen aus der Vogelperspektive und nimmt die Einteilung des Depots in einzelne Assetklassen (Aktien, Renten usw.), Länder (USA, EU) und Währungen (Euro, USD, Pfund) vor. B: Verfeinerung der Vogelperspektive durch den anschließenden Tiefflug Hier wird nach der konkreten Anlage innerhalb der vorher gewählten Assetklassen gefragt. Innerhalb der Kategorie Aktie wäre dann die attraktive Einzelaktie zu bestimmen. C: Wie ist das Anlageziel definiert? Anlageziele sind jeweils individuell formuliert. Ziele umfassen die Fragen nach der Rendite (Wie hoch sind die Erwartungen? Welcher Vergleichsindex ist zu schlagen?), der Sicherheit (Wie hoch darf schlimmstenfalls der erwartete Verlust sein?), dem Sparen für die Altersvorsorge und Vermögensaufbau (Welche Beiträge können im Monat gespart werden?) und viele andere. Auch ein Zielmix und eine Zielgewichtung sind gängig. Die im starken Wettbewerb stehenden Banken und Vermögensverwalter versichern immer wieder, dass die Asset Allocations ihrer professionellen Vermögensverwaltungen sehr erfolgreich sind. Die große Kunst der Selbstdarstellung besteht ex post darin, mit verschiedenen Benchmark-Vergleichen diesen Erfolg in der Vergangenheit „nachzuweisen“. Da es keine gesetzlichen Vorgaben gibt, wie Performance zu messen ist, sind hier einerseits die kühnsten
V. Heese, Aktienbewertung mit Kennzahlen, DOI 10.1007/ 978-3-8349-1675-4_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Anlageexperiment: Depot-Aufbau mit Hilfe von nur drei Kennzahlen
Innovationen und andererseits die häufigsten Schadensersatzklagen der Privatanleger gegen Banken wegen Falschberatung anzutreffen. Dabei wäre unnötiger Ärger und die Unsicherheit relativ einfach zu vermeiden: Der nicht zuletzt durch dieses Fachbuch aufgeklärte Privatanleger kann alleine mithilfe der kennengelernten Kennzahlen ein Aktiendepot zusammenbasteln! Im Endeffekt „kochen“ auch teure Profis „nur mit Wasser“! Warum sollte er es nicht selbst versuchen? Im Folgenden wird gezeigt, wie der Anleger dies mithilfe von nur drei Kennzahlen versuchen könnte.
DAX-Depotaufbau mithilfe von wenigen Kennzahlen? Dem Anleger werden die Kennzahlen im Hinblick auf seine „private“ Asset Allocation vornehmlich bei der Beantwortung der Frage C helfen. Durch die Beschäftigung mit den Punkten A („Vogelperspektive“) und B („Tiefflug“) wird er von den Hausbanken mit Hinweisen auf hauseigene Expertisen versorgt. Diesbezügliche eigene Aktivitäten würden ihn nur von der Kernfrage seiner Anlage ablenken. Dem Leser wird im Laufe der Ausführungen aufgefallen sein, dass es einfacher ist, Kritik zu üben, als ein eigenes Lösungsrezept zu präsentieren. Ein Patentrezept hinsichtlich des Börsenerfolges kann zwar auch dieses Buch nicht geben, es rät dennoch dazu, einige Grundprinzipien zu beherzigen: Prinzip 1: Es liegt in der Natur wirtschaftswissenschaftlicher Mess- und Prognoseverfahren, dass diese in unterschiedlichen Zeiträumen Ergebnisse von unterschiedlicher Güte liefern. Der häufigste Fehler, den in diesem Zusammenhang unerfahrene Anleger begehen, ist ihre Ungeduld im Umgang mit bestimmten Analyseverfahren. Jeder Anleger sollte Geduld mitbringen. Prinzip 2: In vorgenannten Fällen wird nur zu oft an den reinen Methoden „gefeilscht“. Es werden Sonder- und Bereinigungsfaktoren, Risikoprämien oder andere das Modell verletzende Fremdeingriffe vorgenommen, alles nur, um die theoretischen Ansätze mit den realen Ergebnissen „stimmend“ zu machen. Die Abweichungen von den Erwartungen besagen jedoch nicht, dass die Methoden generell versagen. Die Anleger sollten sich daran erinnern, dass die Aktie eine Langfristanlage ist. Was nicht gerade jetzt und heute eintritt, fundamental aber nachgewiesen ist, kann mit einer Zeitverzögerung erfolgen. Der mehrfach zitierte André Kostolany sprach von den vier „G“, die ein Aktionär haben muss: Geld, Glück, Gesundheit und Geduld. Kann Börse so einfach sein? Oben wurde aufgezeigt, welche schlechten Ergebnisse eine Aktienauswahl liefert, die allein auf der KGV-Kennzahl als Entscheidungskriterium aufbaut. Aus diesem Grunde wäre es lohnenswert, ein kleines DAX-Depot, das auf wenigen Kennzahlen basiert, aufzustellen und es an der Börsenwirklichkeit zu messen. Wir schlagen hier das Kennzahlen-Trio – das KGV, das KBV und die Dividendenrendite – vor.
Fazit:
161
Eine solche Auswahl lässt sich wie folgt begründen: Diese Kennzahlen finden eine breite Anwendung in der Anlagepraxis, zumal bei den Analysten und Fondsmanagern. Sie sind in Fachzeitschriften und anderen Quellen allgemein zugänglich, und jeder Privatanleger hat auf sie einen kontinuierlichen Zugriff. Es gibt kaum Informationsrestriktionen. Das Trio deckt repräsentativ die drei wichtigsten Anlageaspekte ab, und zwar die Ertragsseite (Gewinne je Aktie über das KGV), den Substanzwert inklusive Sicherheit (das Eigenkapital über das KBV) und die Ausschüttung (über die Dividende). Da die Gewinne je Aktie in der Regel für mehrere Jahre vorliegen, kann zusätzlich das Gewinnwachstum und damit indirekt eine vereinfachte PEG-Ratio berechnet werden. Bei einer Gleichgewichtung dieser Kennzahlen sind per Ende Mai 2010 aus den 30 DAXTiteln nach der Auslassung von Finanztiteln, deren Bewertung verzerrt erscheint, folgende drei Werte auszuwählen: E.ON RWE BASF Es wird dem Leser einen gewissen sportlichen Anreiz bieten, diesem Vorschlag zu folgen und den Anlageerfolg – gemessen im Vergleich zur DAX-Entwicklung – nach einer gewissen Zeitperiode, angenommen nach einem Jahr, zu vergleichen. Kritiker des vorgeschlagenen Verwahrens dürften eine Reihe bekannter Gegenargumente anführen, die sich auf den Anlagehorizont, die Beschränkung auf nur drei Titel, den fehlenden Vergleich mit Alternativanlagen oder zu alternativen Kennzahlen beziehen. Obwohl alle diese Einwände berechtigt sein mögen, an der Kernaussage, dass weniger oftmals mehr ist und durch eine breite Kriterienabdeckung die Anlagerendite erhöht wird, kann aus empirischer Sicht nichts Grundsätzliches entgegengebracht werden.
Fazit: Banken behaupten gern, sie verfügen aufgrund der Beschäftigung hochkarätiger Spezialistenteams über besseres Börsenwissen und könnten daher ihren Kunden eine höhere Anlagerendite anbieten. Sie meinen, die satten Beratungsprovisionen seien durch diese höheren Renditen gerechtfertigt. Spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise ist dieser Mythos weitgehend widerlegt worden. Jeder längerfristig agierende Privatanleger ist imstande, anhand einfacher Kennzahlen ein eigenes Depot aufzustellen. Seine zu erwartende Anlagerendite kann schon aus logischen Gründen nicht schlechter ausfallen. Denn Bankberater und -analysten verfügen über kein „Geheimwissen“. Sie würden bei einem Depotaufbau analog vorgehen, müssten sie nicht unter Provisionszwang anstatt Aktien „gebührenträchtige“ Zertifikate verkaufen. Neben der satten Gebührenersparnis zieht der Anleger einen weiteren Vorteil aus seinem mutigen Alleingang: Er wird sich im Vorfeld seiner Kaufentscheidungen mit der Kennzahlenproble-
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Anlageexperiment: Depot-Aufbau mit Hilfe von nur drei Kennzahlen
matik intensiv beschäftigen, ihre Stärken und Schwächen erkennen. Wenn er danach aus Neugierde ein Beratungsgespräch sucht, kann er aufgrund dieser Vorkenntnisse mit seinem Berater „auf Augenhöhe“ diskutieren. Vielleicht merkt er dann, wie gutgläubig er vorher gewesen war!
Etwas Historie
6.
163
Bank- und Versicherungsaktien
Das vorliegende Kapitel möchte den Leser von der Lektüre des spezifischen Vokabulars des Finanzsektors nicht abschrecken und ist aus diesem Grunde etwas populärer formuliert. Denn wenn zum „Börsenchinesisch“ auch noch das „Banken- und Versicherungschinesisch“ hinzukommt, wird es für den nicht betriebswirtschaftlich geschulten Leser mitunter schwierig.
6.1
Etwas Historie
Kapitalmarkt: Die Vor-Globalisierungsära (etwa bis 1995) Da sich deutsche Finanzinstitute bis zum Beginn der Globalisierung Anfang der Neunzigerjahre als Meister in der Bildung von stillen Reserven erwiesen, wurden sie Jahrzehnte lang von den Anlegern als „ reich“ und ihre Aktien als begehrenswert angesehen. Die Vorschriften des Handelsgesetzbuches (HGB) begünstigten die defensive Bilanzierungspraxis, machten häufig erst die Reservenbildung möglich und schützten damit einseitig die Interessen der Gläubiger, insbesondere der Banken. Vernachlässigt wurden die Interessen der Aktionäre. Gemäß dem Niederstwertprinzip mussten alle Aktivposten bei Wertminderung einerseits nach „unten“ abgeschrieben werden und durften andererseits, „nach oben“ nicht höher als bis zu ihren jeweiligen Anschaffungs- und Herstellungskosten bewertet werden. Auf diese Weise bildeten sich bei steigenden Börsenkursen und Marktpreisen hohe stille Reserven, die weder durch Verkauf realisiert noch in den Bilanzen gezeigt wurden – sonst wären es „offene“ Reserven. Die Begünstigungspraxis des HGB ging so weit, dass einmal vorgenommene Abschreibungen nicht aufgeholt werden mussten (Wertaufholungswahlrecht), falls die Kurse später anstiegen. Die Funktionsweise des Niederstwertprinzips im Bankensektor lässt sich am Beispiel einer Muster-Bank und Abbildung 32 verdeutlichen. So schrieb unsere Muster-Bank, die am 31.12.2005 zum Kurs von 100 erworbene zehnjährige Anleihen am Bilanzstichtag 31.12.2007 auf 91 ab. Der starke Kursrückgang am Anleihemarkt konnte durch steigende Zinsen verursacht worden sein. Die Bank schrieb andererseits die Anleihe nicht – bis zu den zulässigen Anschaffungskosten von 100 – wieder zu, als der Börsenkurs infolge fallender Zinsen am Bilanzstichtag 31.12.2008 bis auf 108 kletterte. Auf diese Weise konnte die Musterbank ohne diesen Vorgang in ihren Rechenwerken zu zeigen, eine hohe stille Reserve von 17 bilden, die sie zukünftig als Instrument der Ergebnissteuerung in den „mageren“ Jahren nutzen wollte. Wenn sie die Anleihen am 31.12.2008 verkauft hätte, hätte sie einen Gewinn von 8 in der GuV-Rechnung ausweisen müssen.
V. Heese, Aktienbewertung mit Kennzahlen, DOI 10.1007/ 978-3-8349-1675-4_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Bank- und Versicherungsaktien
Wie funktioniert das Niederstwertprinzip? Kurs Stille Reserve von 7
31.12.2008
31.12.2006
Kurs 108
Kurs 107
Jahre
31.12.2005 Kurs 100
31.12.2007
billige Kurs 91 Aktien
teure Aktien
Bei Buchung von 91 keine Wertaufholung = stille Reserve von 17
Abschreibung von 9
Abbildung 32: Funktionsweise des Niederstwertprinzips in einer Muster-Bank Von der geschilderten Generalklausel des strengen Niederstwertprinzips gab es mehrere Ausnahmen. Wenn die Wertminderung als vorübergehend anzusehen war, durfte die MussVorschrift durch die Anwendung des sogenannten gemilderten Niederstwertprinzips in eine Kann-Vorschrift umgewandelt werden. Die Musterbank konnte entscheiden, ob sie am Bilanzstichtag 31.12.2007 die Abschreibung tätigt oder die Anleihe in der Bilanz mit 100 belässt. Infolge der skizzierten Praxis häuften deutsche Banken über Jahrzehnte zum Nachteil ihrer Aktionäre hohe stille Reserven an und führten je nach Institut eine Vielzahl von börsennotierten und nicht börsennotierten Unternehmen in ihren Beteiligungsportfolien. Wegen der kumulierten Machtfülle stand der deutsche Bankensektor damals wie heute nicht zu Unrecht im Rampenlicht der öffentlichen Kritik. Noch in den Neunzigerjahren forderten Politiker aller Couleurs, Parteien (nicht nur die linken), Wissenschaftler und Anlegerverbände eine Beschränkung der „Bankenmacht“. Dieser Entmachtungsprozess, auf den unten eingegangen wird, begann dann tatsächlich vor einem Vierteljahrhundert mit der freiwilligen Realisierung der stillen Reserven und erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt in der letzten Bankenkrise. Einzelheiten folgen. Sah die Lage im Versicherungssektor vergleichbar aus? Der „Reichtum“ der weniger im Rampenlicht stehenden Assekuranz schlummerte primär in ihrem völlig unterbewerteten Immobilienbesitz, weil die führenden Gesellschaften über Jahr-
Etwas Historie
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zehnte keine Wertanpassungen dieser Assetklasse in ihren Bilanzen vorgenommen hatten. Die stillen Reserven der Assekuranz gehörten nach einigen restriktiven Gerichtsurteilen zwar zu 90 Prozent den Versicherten. Aber selbst der dem Aktionär zustehende zehnprozentige Restanteil summierte sich, sektoral genommen, auf viele Milliarden DM. Stille Reserven waren ein nicht nur typisches deutsches Phänomen. In einer ähnlich komfortablen Lage befanden sich die Finanzsektoren in anderen kontinentaleuropäischen Ländern, vor allem in der Schweiz, in Frankreich oder in Italien. Auch Versicherungsaktien waren heiß begehrt. Somit standen wegen diesem Substanzhintergrund alle deutsche Finanzwerte über Jahrzehnte unangefochten in der Gunst der Anleger. Zeitweise hatte der Sektor – so im DAX – einen Anteil von 30 bis 40 Prozent. Es zählte zur Lieblingsbeschäftigung ganzer Analystenteams in der damaligen Zeit, die hohen Substanzwerte einzelner Branchenunternehmen zu schätzen. Die Finanzbranche selbst zeigte sich – um keine Begehrlichkeiten zu wecken – bei der Aufklärung der Substanzfrage nicht unbedingt kooperativ und transparent. Die DVFA trug zwar recht früh der Besonderheit des Geschäftscharakters des Finanzsektors Rechnung. Sie entwickelte schon 1967 in mühsamer Kleinarbeit erste Schemata zur Gewinnermittlung für Bankund Versicherungsaktien, in denen selbstverständlich die Behandlung der Veräußerungsgewinne aus realisierten stillen Reserven im Mittelpunkt stehen sollte. Ohne die Mitwirkung der betroffenen Finanzkonzerne konnte sie jedoch leider nicht viel Transparenz in die Debatte bringen. Anspruch und Wirklichkeit klafften weit auseinander. Wie vorher angedeutet, hat sich die Lage auf den internationalen Kapitalmärkten innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts diametral geändert. „Reichtum“ und die harmonische Entwicklung des mächtigen Finanzsektors wurden von Krisen und „Eigenkapitalarmut“ abgelöst. Die goldenen Zeiten der deutschen und der kontinentaleuropäischen Finanzbrache gingen unwiderruflich verloren. Schon vor etwa 20 Jahren hatte der damalige Vorstand der Deutschen Bank, Dr. Ulrich Cartellieri, dies vorausgesagt. Er hat die These gewagt, die Banken werden in der kommenden Dekade die gleichen Probleme wie die Stahlbranche bekommen. Es kam noch schlimmer.
Kapitalmarkt: Der Siegeszug der Globalisierung (ab 1995) Was war geschehen? Die Schuld am Zusammenbruch des europäischen Bankensystems ist eindeutig im globalen Siegeszug des Investmentbankings zu sehen. Dieses in den Siebzigerjahren von den Angelsachsen „erfundene“ Bankgeschäft – die Gründung der Technologiebörse Nasdaq im Jahr 1971 kann gewissermaßen als Startzeichen gesehen werden – entwickelte sich nach und nach zum dominierenden globalen Trend in der Finanzwelt. Er verdrängte sukzessive das althergebrachte konservative Kreditgeschäft und das traditionelle schwankungsarme Börsengeschäft. Während in der angelsächsischen Bankenwelt die Geschäftsbereiche Kredit und Börse lange Zeit voneinander gesetzlich getrennt waren und von separaten
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Bank- und Versicherungsaktien
Bankhäusern betrieben werden mussten, fungierten die kapitalstarken europäischen Universalbanken quasi als „Alleskönner“, was ihnen mit der Zeit zum Verhängnis wurde. Das Geschäftsmodell der Investmentbanker besteht kurz gesagt aus dem Handel mit bereits umlaufenden Wertpapieren, dem Handel mit nicht börsennotierten Unternehmensbeteiligungen, der Börseneinführung nicht notierter Unternehmen (IPOs) und zuletzt in der Eigenkreation neuer Wertpapiere („Finanzprodukte“) wie Hebelprodukte, Zertifikate, Derivate, Finanzinnovationen. Es lag in der Natur der Sache, dass angesehene europäische Großbanken aufgrund ihrer Eigenkapitalstärke und aus purem Geltungsbedürfnis als ebenbürtiger Partner in diesem globalen Spiel der Finanzakteure mitmachen wollten. Die unerfahrenen Entscheidungsträger der damaligen Zeit scheuten keine noch so teure Akquisition in Übersee. Sie machten die stillen Reserven zur Kasse, obwohl diese Werte innerhalb eines ganzen Jahrhunderts – mit Ausnahme der Kriegszeiten und der großen Depression 1929 bis 1933 – von den Vorgängergenerationen mühsam aufgebaut wurden. Auf der Einkaufsliste Know-how-hungriger europäischer Adressen standen recht schnell zweit- und drittklassige Finanzinstitute. Diese stellten zum Erwerbzeitpunkt häufig schon Problem- und zum Teil sogar regelrechte Sanierungsfälle dar. Die kollektive Ansteckung war schnell entbrannt. Im Geschäftsalltag der Europäer herrschte uneingeschränkt die Handlungsmaxime: Wer an den großen Kapitalmärkten dieser Welt als ernst zu nehmende Adresse gelten will, der hat nur die Möglichkeit zu akquirieren. Es muss mit eigenen Instituten oder Filialen dort auf der Welt positioniert sein, wo das große Geschäft gemacht wird. Gorbatschows Spruch „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ schien in der aufgeregten Bankenwelt eine besondere Anwendung gefunden zu haben. Die Übersee-Beteiligungen brachten – zu überteuerten Kaufpreisen erworben – ihren neuen Eigentümern sehr schnell bilanziell kaschierte Milliardenverluste und wurden letztendlich zum Massengrab für das gutgläubige europäische Jahrhundertkapital. Der passende Spruch aus dem Volksmund müsste lauten: Das „Tafelsilber“ der Eltern und Großeltern wurde von den Kindern und Enkeln gnadenlos verjubelt. Wie erging es der Wertpapieranalyse in diesen stürmischen Zeiten? Der Siegeszug des Investmentbankings hatte tief greifende Konsequenzen für die bislang konservative Wertpapieranalyse insgesamt und für die Banken- und Versicherungsaktien insbesondere. Die „neue Ära“ forderte vom Wertpapier-Research neue Methoden, zeitgemäße Kennzahlen und schlagkräftige, marketingwirksame Vokabeln. So hielten die Angelsachsen bald Einzug in die Analyseabteilungen der kontinentaleuropäischen Banken. Viele ResearchZentralen wurden an globale Finanzplätze (London, New York, Singapur, Tokio) verlegt, die Analyse zentralisiert, vereinheitlicht und primär auf die Erfordernissen der Großanleger ausgerichtet. Es nahte die Geburtsstunde der später weltweit so verbreiteten Begriffe wie Turnaround, Benchmark, Performance, Goodwill, Takeover, Swing, Spin off, Derivate, IPO, Hedgefonds, Asset Allocation, IAS, Share Options, Exposure, Outsourcing, Private Equity und andere.
Etwas Historie
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In diesem veränderten Umfeld hatte sich die Aufgabe der Wertpapieranalyse im Wesentlichen auf die Rechtfertigung etablierter Trends und der mit Hochdruck betriebenen Verkaufsaktionen neuer Finanzprodukte zu reduzieren. Konservatismus, Unabhängigkeit und Risikobewusstsein waren kaum gefragt. Wer die Aktienanalysen aus der damaligen Zeit genauer studiert, wird dort utopische Kursziele und weltfremde Annahmen vorfinden. Nachdem die ersten Finanzblasen in den Neunzigerjahren (Asien-Krise 1997) geplatzt waren, kam etwas Licht in die dubiosen Praktiken der neuen Finanzindustrie und die von ihr abhängige Analyse. Die Presse berichtete erstmalig von Skandalen, wie kritische Analysten mundtot gemacht wurden. Das Startzeichen in die neue Finanzära gab in Deutschland der Branchenprimus, die Deutsche Bank, 1989 mit dem Erwerb der britischen Investmentbank Morgan Grenfell. Das Wertpapiergeschäft des Frankfurter Bankenkonzerns wurde von jetzt an de facto von London aus gesteuert, die ehrwürdige Analyse-Tochter degab in Deutsche Bank Research umfirmiert. Alle Konzernbereiche wurden sofort umstrukturiert und erhielten neue wohlklingende englische Bezeichnungen. Von diesem Zeitpunkt an wurden auch Presse- und Analystenkonferenzen in englischer Sprache abgehalten. Für die einheimische Klientel mussten im Publikationsbereich häufig nur aus dem Englischen abgespeckte Extrakte ausreichen. Selbst der deutsche Geschäftsbericht des Marktführers wurde mit für den Privatanleger unverständlichen englischen Finanzbegriffen gespickt. Den Internationalisierungsprozess in der Deutschen Bank beschrieb der damalige Vorstandssprecher Dr. Rolf Breuer mit dem Zustand einer „permanenten Baustelle“. Bis heute ist noch kein wirklicher „Baustopp“ erkennbar. Auch das scheint ein typisches Merkmal der Globalisierungsära zu sein, was gleichfalls auf andere global agierende europäische Banken zutrifft. Nicht nur in diesem Sektor nehmen angebliche Reformen kein Ende. Die Internationale Rechnungslegung IAS/IFRS versucht sich seit 1972 zu definieren. Die übrigen DAX-Banken folgten dem Vorbild der Deutschen Bank, wenngleich nicht in einem derart extremen Tempo. Selbst mittelgroße MDAX-Institute und die nicht börsennotierten Landesbanken, die nicht minder vom Mitspielen im globalen Investmentbanking träumten, eröffneten bald in London, bald in New York eigene Niederlassungen. Man wollte und musste dabei sein. Die zahlreichen Umstrukturierungsprozesse, deren Nutzen fraglich erscheint, wurden theoretisch unterlegt. Zeitgleich mit den neuen Studien, von denen vor allem deren Verfasser, die teuren Unternehmensberatungsgesellschaften, profitierten, begann der Abbau der Aktionärsrechte. Es gab wenig rational denkende Börsenkräfte, die den Trend stoppen konnten und wollten. Hier endet unser verkürzter historischer Rückblick, der stellenweise vielleicht zu negativ, teilweise zu überspitzt dargestellt wurde, im Kern aber die Entwicklung treffend wiedergibt. In den folgenden Ausführungen wird nunmehr gezeigt, dass für die Analyse von Banken- und Versicherungsaktien die neuen angelsächsischen Kennzahlen und Bilanzierungspraktiken keinen erkennbaren Fortschritt brachten, sondern dass sie, im Gegenteil, bei der Ermittlung der Gewinne je Aktie eher zu mehr Unsicherheit beigetragen haben. Die beklagenswerten Mög-
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Bank- und Versicherungsaktien
lichkeiten der irreführenden Bilanzpolitik einer Bank oder Versicherung sind heute zahlreicher denn je. Es empfiehlt sich, die Kurzanalyse getrennt für die HGB- und die IAS (IFRS)-Perioden vorzunehmen. Zur besseren Demonstration werden die zu treffenden Thesen weiterhin mithilfe von vereinfachter Muster-Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen dargestellt. Die Rechnungswerke im Finanzsektor (Holdingsgesellschaften, Banken, Versicherungen, Börsenbetreiber) galten für Außenstehende schon lange Zeit vor dem Ausbruch der Finanzkrise als ein „Buch mit sieben Siegeln“. Darauf wurde bereits hingewiesen. Umso mehr sollte die abstrakte Vorstellung neuer Entwicklungen mithilfe von Muster-Bilanzen vereinfacht werden.
HGB-Periode (Vor-Globalisierungsära): Banken (1): Geschäftsmodell und Rechnungslegung Begonnen wird die Präsentation der Musterbank, deren geschäftliche Schwerpunkte im Investmentbanking liegen. Tabelle 16: Bilanz und Erfolgsrechnung einer Investmentbank nach HGB (verkürzte Version) Bilanz
GuV-Rechnung GuV-Position
Lfd.
Aktiva
Wert Lfd.
Passiva
Hausse
Baisse
Zinsüberschuß
8
6
Wert
+
Provisionsüberschuß
5
4
+
Handelsergebnis
3
-1
1
0
1.
Liquidität
10
1.
Ausleihungen von Banken
40
2.
Ausleihungen an Banken/Private
110 2.
Spareinlagen von Privaten
80
3.
Wertpapiere (nach Arten)
60
3.
(emittierte) Anleihen
60 -
Verwaltungsaufwand
9
8
4.
Beteiligungen + Immobilien
20
4.
Eigenkapital
20
=
Ergebnis (brutto)
8
1
Bilanzsumme
200
Bilanzsumme
200
=
Jahresüberschuß (Steuer 50%)
4
0,5
(Kauf/Verkauf von kfr. Anlagen) +
Beteiligungsergebnis (Bewertung lfr. Anlagen + Rendite)
Der Jahresüberschuss, der im Bankensektor auch den Ausgangspunkt für die Ableitung des Ergebnisses je Aktie darstellt, wird bei einer Investmentbank stärker als bei einer kreditorientierten Universalbank von der Börsenlage abhängen. Je nachdem, wie diese verläuft, dürften die Ergebnisse stärker oder weniger stark schwanken. Die Investmentbank wird versuchen, das Ergebnis zu „glätten“ und sich in Haussezeiten „ärmer“, in der Baisse „reicher“ darzustellen. Selbstverständlich werden solche Gestaltungspraktiken offiziell nicht zugegeben. Doch Tatsache ist, dass sie verbreitet sind. Tabelle 16 zeigt in verkürzter Form die wichtigsten Posten der Bilanz und der GuV-Rechnung einer solchen Muster-Bank. Investmentbanken zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, dass die Summe aus Handels-, Provisions- und Beteiligungsergebnis (im Beispiel 9) den Zinsüberschuss (8) übersteigt.
Etwas Historie
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Alle Banken – nicht nur die Investmentbanken – nutzen im breiten Umfang die als Wahlrechte bekannten „legalen“ Bilanzierungstricks. Sie können dabei ihren Bilanzgewinn sowohl über die Höhe der Risikovorsorge im Kreditgeschäft als auch über die Bewertung ihres Wertpapierbestandes im Beteiligungsergebnis beeinflussen. Die zweite Variante ist bei Investmentbanken weit verbreitet und soll nunmehr beschrieben werden. Wir haben erfahren, dass bei einer Einbuchung der Wertpapiere in das Anlagevermögen das gemilderte Niederstwertprinzip anzuwenden ist. Falls in dieser Kategorie keine Wertminderung der Papiere vorliegt, darf diese als „nicht dauerhaft“ – Ermessenssache des Bilanzierenden! – deklariert und muss nicht abgeschrieben werden. Die Schwierigkeit im HGB besteht jetzt darin, dass die in den Bankbilanzen ausgewiesenen Wertpapiere nicht, wie bei Industriebilanzen, der direkten Zuordnung ins Umlauf- oder Anlagevermögen folgen, sondern einem anderen Prinzip und nach Wertpapierarten gegliedert sind. Erst aus dem mühsamen Studium des Anhangs erfährt der Bilanzleser, welche Bewertungsansätze (Anschaffungs- und Herstellungskosten, Barwert, Wiederbeschaffungswert, Börsenkurs, Nominalwert, strenges oder gemildertes Niederstwertprinzip) bei welchen Wertpapierarten anzuwenden sind. So kann eine Musterbank Aktien des gleichen Unternehmens je nach Erwerbszeitpunkt und Depotzuordnung zu unterschiedlichen Preisen bewerten. Befinden sich diese im Handelsbestand, der ökonomisch dem Umlaufvermögen entspricht, oder in der Liquiditätsreserve, worunter vorübergehende Geldanlagen in Zeiten schwacher Kreditnachfrage verstanden werden, gilt im Unterschied zum Anlagevermögen das strenge Niederstwertprinzip. Wertminderungen, gleichgültig, ob dauerhaft oder nicht, sind dann bedingungslos vorzunehmen. Das bringt viele Bilanzierer auf folgende Idee: Werden Wertpapiere rechtzeitig aus dem Umlauf- in den Anlagebestand umgebucht, können Abschreibungen vermieden werden. Nicht immer hat die Muster-Bank ein Interesse daran, Abschreibungen zu vermeiden. Ihre Bilanzpolitik gestaltet sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Börsen- und Konjunkturphase. Bankmanager werden in der Baisse andere Verhaltensmuster an den Tag legen als in der Hausse: In der Baisse sind Kreditabschreibungen zu vermeiden und Umbuchungen von Wertpapieren ins Anlagevermögen, soweit möglich, vorzunehmen. Diese Taktik leuchtet voll ein. Wer sich „arm“ zeigt, hat im harten Wettbewerb schwache Karten. In Haussezeiten wären sinnvollerweise die durch Wertpapierverkäufe entstandenen Börsengewinne mit allen möglichen Kreditabschreibungen und anderen Verlustquellen kompensiert. Eine Buchung der Wertpapiere ins Anlagevermögen ist nicht unbedingt angebracht. Neben der Entschlüsselung von Bewertungstaktiken müssen Bankaktienanalysten – unabhängig davon, ob die analysierten Institute nach HGB oder IFRS bilanzieren – mit weiteren Schwierigkeiten rechnen. So werden Portfolioverkäufe von den Banken unregelmäßig betrieben, was „unberechenbare“ Ergebnisschwankungen zur Folge hat. Solche Veräußerungsgewinne werden allerdings als normale, dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb einer Bank ent-
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Bank- und Versicherungsaktien
sprechende Gewinne angesehen und bei der Ermittlung des Ergebnisses je Aktie nicht bereinigt. Als die Deutsche Bank 1999 rund zwei Prozent ihres Allianz-Paketes verkaufte, konnte sie den damaligen Jahresüberschuss glatt verdoppeln. Ob sie diesen Verkauf 1999 oder 2001 oder gar nicht vornehmen würde, konnte kein noch so guter Prognostiker damals ernsthaft voraussagen. So viel zum Geschäftsgebaren einer Investmentbank. Das Geschäft einer klassischen Universalbank mit dem Schwerpunkt im Kreditgeschäft verläuft etwas anders. Die wichtigsten GuVPosten sind bei diesem Bankentypus weniger beeinflussbar, die Auswirkungen der Bilanzpolitik damit eingeschränkt. Nicht die Börse, sondern die Konjunktur beeinflusst bei den Kreditbanken in erster Linie das Jahresergebnis. In der konjunkturellen Baisse geht der Zinsüberschuss wegen Insolvenzzunahme in der Regel zurück und auch der Provisionsüberschuss mit fallenden Kreditausleihungen und nachlassenden Börsenumsätzen (weniger Order) sinkt stark. Das in einer Kreditbank vorhandene aber untergeordnete Handelsergebnis wird zusätzlich belastet. Werden in der Krise Sparprogramme aufgelegt, können sich bei Kreditbanken jedoch die Verwaltungskosten deutlicher als bei den Investmentbanken reduzieren.
Banken (2): Das Ergebnis je Aktie Wie wird konkret das Ergebnis je Bankaktie im HGB ermittelt? Das in den Sechzigerjahren entwickelte und seitdem ständig aktualisierte DVFAGewinnermittlungsschema für Bankaktien versuchte den Gewinn je Aktie in methodischer Hinsicht zu „objektivieren“. Wie erwartet, war hier analog zu den Industrieaktien kein Durchbruch erfolgt. Zum einen ist es nicht gelungen, alle Verzerrungstatbestände zu erfassen und zum anderen lieferte die DVFA-Formel zum Teil unklare Definitionen. Am Fall des nicht bereinigten Verkaufes des zweiprozentigen Allianz-Paketes durch die Deutschen Bank, trotz implizierter Gewinnverdoppelung, wurde dieser Missstand demonstriert. Zur Verdeutlichung der Thematik kann noch ein weiteres Beispiel herangezogen werden: Wurde im Rahmen eines Konzernumbaus das Bankfilialnetz verdünnt und eigene Gebäude verkauft, so durften die hieraus erzielten Gewinne erst nach dem Abzug eines „Bodensatzes an gewöhnlichen Veräußerungen“ als ungewöhnlich angesehen und bereinigt werden. Wie dieser „Bodensatz“ im Einzelfall definiert werden sollte, blieb offen. Es wurde nicht klar, ob er sich am „Normalgewinn“ des Instituts, an den Gesamtkosten oder letztendlich an den Gebäudeverkäufen in „gewöhnlichen“ Zeiten orientieren sollte.
Etwas Historie
171
Versicherer (1): Geschäftsmodell und Rechnungslegung Das Geschäftsmodell einer Muster-Versicherungsgesellschaft wird ebenso anhand einer verkürzten Muster-Bilanz und GuV-Rechnung demonstriert. Dabei wird im nachfolgenden Beispiel unterstellt, dass die Versicherungsgesellschaft neben der Schadenssparte (Prämienvolumen 12) ein starkes Lebensversicherungsgeschäft mit einem Prämienvolumen von 10 betreibt. Tabelle 17: Bilanz und Erfolgsrechnung einer Versicherungsgesellschaft mit dominierender Lebensparte (verkürzte HGB-Version)
Bilanz Lfd. 1.
2.
Aktiva Kapitalanlagen davon: Anleihen Aktien Immobilien Beteiligungen Liquidität Bilanzsumme
Wert Lfd. 98 75 7 12 6 2 100
GuV-Rechnung Passiva
1. Rückstellungen davon: versich.-techn. Deckungsstock Gewinnbeteiligung 2. Eigenkapital Bilanzsumme
Position
Wert
Prämieneinnahmen Ergebnis Kapitalanlagen
Wert 12 (+10)
85
+
(Zinsen + Dividenden, Abgänge, Bewertungen)
5
20 55 10
-
Leistungen an Kunden (Schadenszahlung)
10
-
Leistungen an Kunden (Rückstellungen) Aufwendungen Versicherungsbetrieb
9 6
=
Ergebnis (brutto)
2
=
Jahresüberschuß
1
15 100
Als Einstieg scheint folgende Kurzanalyse wiederholenswert. Deutsche Versicherungsgesellschaften mit Fokus auf Kapitallebensversicherungen hatten ebensowie die Banken über Jahrzehnte enorme stille Reserven angehäuft. Im Unterschied zu den Geldhäusern gehörten die Reserven der Assekuranz allerdings mindestens zu 90 Prozent den Versicherten und waren somit dem Zugriff der Aktionäre entzogen. Der Grund für diese Restriktion lag darin, dass 90 Prozent der Prämien in der klassischen Kapitallebensversicherung als Sparbetrag angelegt und nach Vertragsablauf als Ablaufleistung an den Versicherungsnehmer ausgezahlt werden. Die angelegten Sparbeträge auf der Bilanz-Aktivseite warfen enorme Erträge ab, die bisweilen an die eigentlichen Prämieneinnahmen einer Gesellschaft heranreichten. Auf der Passivseite der Muster-Bilanz wurden die kumulierten Ansprüche der Versicherungsnehmer aus den Sparvorgängen inklusive einer Garantieverzinsung zunächst im sogenannten Deckungsstock gesammelt. Die darüber hinaus anfallende Gewinnbeteiligung wanderte dagegen in die sogenannten Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen und wurde plastisch als „Gewinnpuffer“ bezeichnet. Wenngleich der Löwenanteil der Vermögenswerte den Versicherten zustand, reichten die verbliebenen zehn Prozent der stillen Reserven zuzüglich des aktionärseigenen Eigenkapitals aus, um einen hohen Substanzwert auszuweisen. Dieser lag in der Regel deutlich über dem Börsenkurs der Versicherungsaktien. Deutsche Versicherungen erwiesen sich nicht weniger substanzstark („reich“) als ihre Banken-Nachbarn. Neben der bescheidenen zehnprozentigen Anrechnung der stillen Reserven hatte für den Aktionär die einseitige Struktur der Aktivseite gefährliche Konsequenzen. Denn während die Passivseite in den Rückstellungen unveränderbare Ansprüche der Versicherten widerspiegelte
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Bank- und Versicherungsaktien
und damit nicht reduziert werden durfte, konnte die Aktivseite bei starken Kapitalmarktturbulenzen sehr wohl massiv einbrechen. Wenn durch die falsche Struktur der Kapitalanlagen Verluste entstanden, äußerten sich diese in Form einer „Bilanzlücke“,sobald das bilanzielle Eigenkapital nicht ausreichte. Die einzelnen Auswirkungen und die zu ergreifenden Abhilfemaßnahmen werden mithilfe einer Simulation in Tabelle 18 dargestellt.
Beispiel 11: Würden in unserem Beispiel bei einer Aktienquote von sieben Prozent die Dividendenpapiere 50 Prozent im Kurs nachgeben, müsste sich wegen der Abschreibung von 3,5 das bilanzielle Eigenkapital auf 11,5 reduzieren. Fände der 50-prozentige Börseneinbruch bei einer Aktienquote von 35 Prozent statt, so läge der Abschreibungsbedarf bereits bei 17,5 und das Eigenkapital wäre voll aufgebraucht. Das darf aus rechtlichen Gründen bei einer Lebensversicherungsgesellschaft nicht vorkommen und ist nach dem geltenden 1 x 1 der klassischen Bilanzierungslehre auch sonst nicht darstellbar. Mit negativem Eigenkapital kann kein Unternehmen (langfristig) existieren, schon gar kein Versicherer, die ein aufsichtsrechtliches Mindestkapital ausweisen muss. Kein Wunder, dass die strengen HGB-Bilanzierungsvorschriften nach Antrag auf Bilanzierungshilfe außer Kraft zu setzen waren, sobald „Bilanzlücken“ zu entstehen drohten. Ein solches bedrohliches Worst-Case-Szenario blieb nicht nur Theorie. Es trat nach der New Economy-Krise 2001 bis 2003 tatsächlich ein, als die deutsche Lebensversicherungsbranche bei einer Aktienquote von etwa 30 Prozent herbe Verluste erleiden musste. Heranziehende „Lückengefahren“ können ex ante nicht erkannt werden, so wie auch Börsenkatastrophen schwer voraussehbar sind. Die Versicherungswirtschaft beugte in der Vergangenheit für solche Fälle vor, indem sie den Anteil der Risikopapiere (Aktien, Währungen) niedrig hielt und den gesetzlichen Rahmen – in Deutschland liegt er für Aktien und Absicherungsinstrumente bei 35 Prozent – nicht ausschöpfte oder/und in Krisenfällen stille Reserven in Immobilien und Anleihen mobilisierte. Dagegen sind nach den HGB-Vorschriften bei Versicherungsgesellschaften, anders als bei Banken, ergebnisschonende Umschichtungen innerhalb der Kapitalanlagen vom Um- in das Anlagevermögen nur begrenzt möglich. Was passiert, wenn die Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichen? Der Bilanzierungspraxis sind hier viele Fälle bekannt. Lässt sich trotz der Kompensationsversuche mit den stillen Reserven die „Lücke“ nicht vermeiden, werden Abschreibungen unterlassen und in Form von stillen Lasten ausgewiesen. Stille Lasten bilden den Gegenpol zu den stillen Reserven und müssen in guten Börsenjahren wieder abgebaut werden. Wir kehren zurück zu dem theoretischen Verlust von 17,5 im Beispiel 11 und schauen uns die verschiedenen „Verlustvermeidungstaktiken“ genauer an. Der drohende Verlust kann bilanztechnisch auf verschiedene Weise versteckt werden:
Etwas Historie
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Tabelle 18: Bilanz und Erfolgsrechnung einer Muster-Versicherungsgesellschaft, die stille Lasten bildet (verkürzte HGB-Version) Bilanz Lfd. 1.
Aktiva Kapitalanlagen
98
1.
davon:
Rückstellungen
45
Aktien
32
Immobilien Beteiligungen
12 6
Liquidität Bilanzsumme
*
Passiva
Wert
2 97
versich.-techn. Deckungsstock Gewinnbeteiligung 2.
20
Prämieneinnahmen
12
Bilanzsumme
97
Wert 12 (+10)
+
Ergebnis Kapitalanlagen (Abschreibungen 3 statt 17,5= stille Lasten 14,5)
2
-
Leistungen an Kunden (Schadenszahlung)
10
-
Leistungen an Kunden (Rückstellungen)
8
-
Aufwendungen Versicherungsbetrieb
6
=
Ergebnis (brutto)
0
=
Jahresüberschuß
0
55 10
Eigenkapital
Börsenwert 17,5 + stille Lasten 14,5
Position
85
davon: Anleihen
2.
GuV-Rechnung
Wert Lfd.
Die häufigste Vorgehensweise verläuft folgendermaßen: Ein Teilverlust von 3 wird zunächst direkt abgeschrieben. Die Bilanz und das Eigenkapital vermindern sich dann ebenfalls um diesen Betrag. Die verbliebenen stillen Lasten von 14,5 müssen in den kommenden Jahren aus den operativen Gewinnen durch nachzuholende Abschreibungen abgebaut werden. Im Beispiel 11 könnte ein solcher Verlustausgleich in knapp fünf Jahren gelingen. Erholt sich die Börse innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraumes deutlich, muss entweder gar nicht oder weniger abgeschrieben werden. Denkbar wäre, dass sogar Börsengewinne entstehen und aus stillen Lasten stille Reserven werden. Leider ist auch der umgekehrte Fall nicht auszuschließen. Im Worst-Case-Szenario könnten sich die stillen Lasten aufgrund neuer Börsenverluste erhöhen! Dann ist kein Ende absehbar, so wenig wie eine reelle Pleite eines Assekuranzunternehmens. In den Neunzigerjahren kamen in Japan solche Fälle vor. Wenngleich die „Bilanzhilfe“ eine eklatante Regelverletzung darstellt, ist dagegen nichts einzuwenden, solange sich die gehaltenen Wertpapiere als werthaltig erweisen und/oder die Gesellschaften in den Folgejahren genügend Gewinne erwirtschaften. Genau das gelang der deutschen Assekuranz, die in der Krise 2000 bis 2001 in ihren Depots hauptsächlich erstklassige DAX-Werte besaß und sich dieser Index von 2.200 Punkten im März 2003 bis auf 8.100 im Januar 2008 fulminant erholen konnte. Ungeachtet dieses glücklichen Endes bleibt zu fragen, wie ein ganzer Sektor überhaupt in eine solche missliche Lage geraten konnte. Da meldet sich die Globalisierung zurück. Bis 1995 verfolgten die deutschen Gesellschaften eine konservative Anlagepolitik und hielten Aktienquoten von unter zehn Prozent. Erst animiert und getrieben durch die britische Konkurrenz, die damals nicht zuletzt mit hohen RoE-Kennziffern warb, gaben die Deutschen ihre reservierte Haltung auf und stiegen sukzessive ins Aktiengeschäft ein, mit den bekannten Konsequenzen. Für den Anleger bleibt aus dem Vorhergesagten festzuhalten: In „normalen“ Zeiten lässt sich bei den Versicherungen primär das Ergebnis aus Kapitalanlagen durch Bewertungsgestaltungen beeinflussen. In Bezug auf Kundenleistungen ermöglichen zudem die Dotierungen in die Rückstellungen dem Bilanzierenden einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Gewinnausweis. Bevor eine Gewinnverteilung erfolgte, wurden in Krisenzeiten die dem Versicherten
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Bank- und Versicherungsaktien
allein zustehenden Überschüsse aus der Kapitalanlage nicht selten zur Stopfung drohender „Bilanzlöcher“ missbräuchlich verwendet.
Versicherungsgesellschaften (2): Das Ergebnis je Aktie Die Ermittlung eines Gewinnes von Versicherungsaktien nach dem DVFA-Schema stieß in der Praxis auf bekannte systemische und neue Schwierigkeiten. Altbekannt ist: Gewinne wurden in guten Börsenzeiten „nach oben“ gebremst. Umgekehrt verhalten sich die Konzerne in Krisenzeiten, wenn sie den Gewinnabfall „nach unten“ stoppen müssen. Neu war dagegen folgende Erkenntnis: Anders als bei den Banken gab es in der Assekuranz – abgesehen von der vorgenannten Problematik der Rückstellungsdotierung im operativen Geschäft – nur wenig Freiraum. Das Geschäft trug die klassischen Züge eines Massengeschäftes und erwies sich als wenig zyklisch.
IAS (IFRS)-Periode (Globalisierung) Banken: Trends, Finanzkrise, Implikationen Beginnen wir mit der letzten Finanzkrise: Die neue Bilanzierungspraxis brachte im Bankenbereich ab dem vierten Quartal 2008 bis heute oftmals abenteuerliche Ergebnisse. Diese konnten mit den Gesetzen der Logik kaum noch erklärt werden. Die Krise ging so weit, dass Einzelbanken das gesamte Eigenkapital verloren hätten, wäre es nicht zu massiven Regelbrüchen gekommen. Die Bilanzierungskosmetik erreichte daher notgedrungen ein vorher nie da gewesenes Ausmaß. Die Geldhäuser wollten und durften gar nicht anders verfahren, ohne Gefahr zu laufen, insolvent zu werden. Die Staaten mussten sie dabei unterstützen. Lehman Brothers war nur ein Vorgeschmack des zu erwartenden Crashs. Was war wieder passiert? Wie konnte es erneut zu einer unberechenbaren globalen Bankenkrise kommen? Die Erklärung des Beinahe-Kollapses kann hier ebenso anhand einer fiktiven Bilanz des konsolidierten Weltbankensektors in Verbindung mit Geschehnissen in unserer Muster-Bank anschaulich gemacht werden. Sowohl im Weltbankensektor (angenommene Maßeinheit: Billionen USD) als auch in der Muster-Bilanz (in Milliarden Euro) wurde in der Ausgangslage eine Überdosis an „toxischen“ Wertpapieren auf der Aktivseite unterstellt.
Etwas Historie
175
Tabelle 19: (Fiktive) Bilanz des Weltbankensektors und eine Muster-Bilanz mit „toxischen“ Wertpapieren (verkürzte HGB-Version) Bilanz Weltbanksektor Lfd. 1. 2.
Aktiva
Wert Lfd.
Liquidität
3
1.
Kredite "normale" gesamt
42 2.
Passiva (emittierte) Anleihen
Bilanz Muster-Bank Wert 12
Spareinlagen von Privaten 30
4.
Wertpapiere "normale"
12 3.
Kredite + Wertpapier "toxisch"
3
Bilanzsumme
60
4.
1.
Aktiva Liquidität
Wert Lfd.
Passiva
Wert
10 1.
Ausleihungen von Banken 40 Spareinlagen von Privaten 80
2.
Ausleihungen an Banken/Private
110 2.
12
3.
Wertpapiere "normale"
40 3.
(emittierte) Anleihen
Eigenkapital
6
4.
Wertpapiere "toxische"
40 4.
Eigenkapital
20
Bilanzsumme
60
Bilanzsumme
200
Bilanzsumme
200
(davon Private 30 und Banken 12) 3.
Lfd.
Kredite von Banken
60
Der Weltbankensektor weist bei 60 Billionen USD Bilanzsumme und gleich hohen Risikoaktiva eine Eigenkapitalquote von zehn Prozent aus, gegenüber der geforderten Marke von acht Prozent. Er kann demnach, wie auch immer geartete Verluste von 20 Prozent oder 1,2 Billionen USD verkraften, bevor er in Eigenkapitalnot geriet. Wenn sich sein Eigenkapital auf 4,8 Billionen USD oder auf acht Prozent der Risikoaktiva von 60 Billionen USD reduziert, ist diese Grenze erreicht. Angenommen, es sind weltweit sechs Billionen USD „toxische“ Wertpapiere in Form von ABS, CDS, Kreditkartenkrediten und anderen Varianten im Umlauf, was einem Anteil am Weltvermögen von acht bis zehn Prozent entspricht. Von dieser Summe gehören 50 Prozent Privatanlegern und 50 Prozent den Banken, absolut gesehen jeweils drei Billionen USD. Die Banken halten die Papiere direkt in ihren Bilanzen oder indirekt in ausgelagerten Zweckgesellschaften. Die Banken des Weltbankensektors dürfen demnach 40 Prozent oder 1,2 Billionen USD von den „toxischen“ Anlagen abschreiben, um noch insgesamt genügend Mindestkapital von 4,8 Billionen USD zu haben. Reißt diese Linie, so droht der globale Kollaps, es sei denn, die Notenbanken ändern die aufsichtsrechtlichen Mindestkapitalanforderungen. Eine Abschreibungsquote von 40 Prozent erscheint auf den ersten Blick sehr gewaltig zu sein, sie ist aber nicht unrealistisch. Je nach ABS-Gattung lagen und liegen die heutigen Wertverluste wesentlich höher, genau zwischen zehn und 90 Prozent! Wie akut war zum Höhepunkt der Krise die Insolvenzgefahr im globalen Bankensektor? Konnten die Institute damit rechnen, die Löcher schrittweise mit den operativen Gewinnen der Zukunft zu stopfen, wie es vorher im Beispiel 11 mit der Muster-Versicherung angenommen wurde? Wohl kaum. Zwar würden die Institute im operativen Geschäft auch in Zukunft weiter Geld verdienen. Allerdings steckten platzende Finanzblasen die globalen Börsen und die reale Weltwirtschaft weiter an. Dadurch entstand ein zusätzlicher Abschreibungsbedarf bei den bislang im Weltbankensektor noch „intakten“ Kreditforderungen und den „gesunden“ Wertpapieren, die in der Bilanz entsprechend mit 42 und 12 Billionen USD ausgewiesen werden. Das Wirtschaftswachstum und die Kreditnachfrage gingen daraufhin weiter massiv zurück. Den Banken drohte eine Abwärtsspirale.
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Bank- und Versicherungsaktien
Das Untergangsszenario war damit noch nicht zu Ende geschrieben. Die Banken misstrauten einander und liehen sich kein Geld mehr aus. Zwar sind in der Bilanz des Weltbankensektors die Summen (12) der Interbankengelder auf beiden Bilanzseiten gleich. Dieses Gleichgewicht betraf jedoch nicht die einzelnen Banken. Während einzelne Adressen überschüssige Liquidität bei der Zentralbank parken konnten, bemühten sich andere krampfhaft, Refinanzierungslöcher mit Kapitalerhöhungen und Staatshilfe zu schließen. Eins steht fest: Das weltweite Bankensystem wurde damals durch die Subprime-Krise existenziell gefährdet. Einzelne Banken, wie unsere Muster-Bank, konnten von der Finanzkrise noch stärker in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Sie besaß vor dem Ausbruch 20 Milliarden USD Eigenkapital und benötigte nur 16 Milliarden USD. Damit belief sich ihr „Abschreibungspuffer“ auf komfortable vier Milliarden USD, was zehn Prozent ihres Bestandes an „toxischen“ Anlagen ausmachte. Wenn sie jährlich zwei Milliarden USD Gewinn im operativen Geschäft erzielt hätte, dürfte ihre Abschreibungsquote auf 15 Prozent des vorerwähnten Bestandes ansteigen. Das war nicht viel. Ein 15-prozentiger Kursrückgang stellt im Segment der „toxischen“ Wertpapieren gerade die Einstiegsmarke dar, wie die Spezialindizes belegen. Angemessen wäre eher eine Größenordnung von 30 Prozent. Ohne Bilanzkosmetik hätte unsere Muster-Bank nicht überlebt! Was hätte sie unternehmen können, um kurz- und langfristig nicht insolvent zu werden? Hier wird ein kurzer Katalog der möglichen sieben Ausweichmanöver, die ihr zur Verfügung standen, vorgestellt. Dieser Maßnahmenkatalog erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Sie wird 90 Prozent der problematischen Wertpapiere als endfällig einstufen („Buy and hold“-Strategie) und ihre Wertminderung als vorübergehend deklarieren. Mit der Einbuchung in die IFRS-Kategorien „available for sale“ und „hold to maturity“ werden die anzuwendenden Abschreibungsregeln zur rettenden Kann-Vorschrift. Im HGB würden diese Ausweichtaktiken in beiden Fällen der bekannten Einstufung ins Anlagevermögen entsprechen. Sollte sich die Situation nach einigen Jahren nicht bessern, könnte ab einem gewissen Zeitpunkt ein jährlicher Werthaltigkeitstest (Impairment Test) der „toxischen Wertpapiere“ vorgenommen werden. Dieser, in der Regel von einem „befreundeten“ Wirtschaftsprüfer durchgeführte Bewertungsakt würde ebenfalls keinen akuten Abschreibungsbedarf feststellen. Die Bank hofft, so bald wie möglich ihre Papiere zu einem günstigen, über dem Marktpreis liegenden Kurs an die Zentralbank oder an eine Bad Bank auszulagern. Die Abschreibung wird zeitlich verschoben. Sie darf damit eine Art von Besserungsschein ausstellen, der ganz oder teilweise eingelöst wird, sobald wieder Gewinne gemacht werden. Kurzfristig werden stille Reserven realisiert und mit den Abschreibungen auf einen Teil der nicht umgeschichteten Papiere verrechnet.
Etwas Historie
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Der restliche Teil, der nicht abgeschriebenen, aber als abschreibungsnotwendig erachteten Papiere wird die Bank im Anhang als „stille Last“ ausweisen und braucht damit ebenso den Eigenkapitalausweis nicht zu korrigieren. Gleichzeitig richtet sie in ihrem Eigenkapitalkonto den Korrekturposten Neubewertungsrücklage ein, der zunächst – nach dem aufbauenden Vorbild der HypoRealEstate – zunächst negativ mit Verlusten gespeist wird. Es kümmert sie nicht, dass eine „negative“ Rücklage einen Widerspruch in sich darstellt. Da diese Rücklage nicht voll zum Kernkapital zählt, kann die Bank optisch nach außen besser dastehen. Besonders glänzend fand der Vorstand unserer Muster-Bank die von den Großbanken UBS und der Deutschen Bank – auch die IKB konnte im vierten Quartal 2008 damit eine Milliarde Gewinn machen! – abgeschaute Idee, die Fair Value-Bewertung der Refinanzierungsinstrumente auf der Passivseite zu nutzen. Es waren plötzlich drei Milliarden Euro Gewinn zu buchen, weil aufgrund einer Ratingverschlechterung die Anleihenkurse der MusterBank um fünf Prozent nachgaben. Wir merken: Unser Rettungsszenario ist bewusst extrem konstruiert, in breiten Teilen leider aber auch dieses Mal sehr realistisch. Es bleibt nicht bei ausgesuchten Musterspielen. Banken nutzen in unterschiedlichem Maße vorgenannte Möglichkeiten und die Analysten haben sich noch nicht getraut, hierzu ein klares Korrekturkonzept beim Ergebnis je Aktie vorzulegen. So lange dieser Missstand vorherrschen wird, gleicht jede Übernahme der Ergebnis- und Bewertungszahlen in die Anlageentscheidung einem Lotteriespiel. Dennoch haben die gebeutelten Bankaktien in der Periode von März 2009 bis Mai 2010 die größten Gewinne der letzten fünf Jahre gemacht. Der Aktienkurs der Deutschen Bank kletterte zum Beispiel von 15 Euro auf über 50 Euro. Wie ist dieser Sprung noch mit den Gesetzen der Fundamentalanalyse zu erklären?
Versicherungsgesellschaften: Trends, Finanzkrise, Implikationen Die Umstellung der Rechnungslegung der Versicherungswirtschaft auf IFRS hatte nicht die gleichen extremen Auswirkungen auf die Ergebnisermittlung gehabt wie bei den Bankaktien. Die Anpassung der Kapitalanlagen an die höheren Marktwerte brachte den Aktionären nur eine unwesentliche Erhöhung des ihnen zustehenden freien Eigenkapitals wegen der 90 Prozent-Klausel. Es blieb alles beim Alten. Durch die bloße Umstellung auf eine neue Rechnungslegung durften die Versicherten nicht automatisch „enteignet“ werden. Nachdem der Ausflug der deutschen Assekuranz in die Aktienanlage seit 1995 mit einem Fiasko endete, hat die Assekuranz ihre uralte Aversion gegenüber der Aktienanlage und Finanzinnovationen wieder rechtzeitig entdeckt. Durch diese kluge Entscheidung sollte sie weitgehend von der Finanzkrise verschont bleiben und musste nicht massiv zur Bilanzkosmetik greifen wie die Bankkonkurrenten. Die regulatorischen Vorhaben – wie die neue Eigen-
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mittelausstattung nach Solvency II und die Fair Value-Bewertung der Aktiv- und Passivseite, wonach infolge der geplanten Diskontierung der langfristigen Rückstellungen sich ein höherer Kapitalausweis ergibt – wurden durch die Finanzkrise zuerst gestoppt. Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Umstellung auf IFRS und die Finanzkrise sich bei den Bewertungskennzahlen der Versicherungsaktien weniger bemerkbar machten als bei den Bankaktien. Diese Papiere blieben berechenbarer.
6.2
Besondere Bewertungskennzahlen bei Bank- und Versicherungsaktien
Bankaktien Bei der Analyse von Bank- und Versicherungsaktien werden generell die gleichen Kennzahlen verwendet, die wir schon vorgestellt haben. Um Wiederholungen zu vermeiden, sollen im folgenden Abschnitt nur die Sonderkennzahlen des Finanzsektors diskutiert werden. Banken gelten weltweit als der von Seiten des Staates am strengsten regulierte Wirtschaftssektor. Neben Eigenkapitalanforderungen haben die Kreditinstitute zahlreiche, der Aufsicht täglich zu berichtende Liquiditätsvorschriften zu erfüllen. Zusätzlich zu diesen aufsichtsrechtlichen Regularien veröffentlichen Banken auf freiwilliger Basis zahlreiche Bonitäts- und Rentabilitätskennziffern. Es ist nicht allein der Umfang der Berichtserstattung, sondern deren Häufigkeit, durch die sich der Sektor von anderen Wirtschaftszweigen unterscheidet. Es klingt vor diesem Hintergrund fast wie Ironie, dass gerade er quasi eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst hat.
Kennzahlen im Bankensektor Rentabilität Eigenkapital > > > >
RoI RoA RoE RAROC
Margen
Kosten
> Zinsmarge
> cost income ratio
RoI (return on investment) RoA (return on assets) RoE (return on equity ) RAROC (risk adjusted return on capital)
Bonität
Liquidität
Risikoabdeckung
Kredite
Grundsatz II
Eigenkapital (Grundsatz I)
> Ausfallquote > Zuführungsquote zur Risikovorsorge = = = =
Gesamtkapitalrentabilität Rentabilität der Risikoaktiva Eigenkapitalrentabilität risikoadjustierte Kapitalrentabilität
Abbildung 33: Spezifische Kennzahlen im Bankensektor
> Tier 1 > Tier 2
Besondere Bewertungskennzahlen bei Bank- und Versicherungsaktien
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Abbildung 33 zeigt eine Zusammenstellung der wichtigsten Sonderkennzahlen im Bankensektor. Die Aufzählung ließe sich mit Leichtigkeit um weitere 10 bis 20 Fälle erweitern. Den erfahrenen Börsianer interessiert allerdings nicht ein so großes Kennzahlenuniversum, sondern die wichtigsten Faustregeln. Deswegen konzentrieren sich die Praktiker auf die beiden Kennzahlen Cost Income Ratio und Zinsmarge. Demgegenüber sind bei den aufsichtsrechtlichen Kennzahlen – der Eigenkapitalquote und den Liquiditätskennziffern – keine aufregenden Wertunterschiede zu erwarten, weil diese de facto auf einem Mindestniveau gehalten werden. Es wäre völlig unwirtschaftlich, wenn eine Bank eine Eigenkapitalquote von 20 Prozent hätte. Die meisten Banken halten Werte, die kaum die acht Prozent-Mindestmarke überschreiten. Die Trennschärfe ist viel zu gering, um im Einzelfall einen Unterschied zwischen einzelnen Instituten herauszuarbeiten und daraus einen Bewertungsvorteil zugunsten einer bestimmten Aktie zu erkennen.
Aufwands-Ertrags-Quote (Cost Income Ratio) Sie wird alternativ auch Kostenquote genannt und ist definiert als: Verwaltungsaufwand Cost Income Ratio = Zinsüberschuss + Provisionsüberschuss + Finanzergebnis
Das Finanzergebnis ist in dieser Formel als das Anlageergebnis der Bank aus dem Wertpapierhandel auf eigene Rechnung im weitesten Sinne zu verstehen. Es umfasst neben dem Handelsergebnis das ergebniswirksame Bewertungsergebnis (Ab- und Zuschreibungen). Die Summe der Posten im Nenner nennt man auch reguläre Erträge. Die Verwaltungskosten im Zähler umfassen größtenteils die Sachaufwendungen für den Bankbetrieb und die Personalaufwendungen. Die einfache Faustregel besagt: Je niedriger die Aufwandsquote ist, umso attraktiver ist die Bewertung der analysierten Bank. Um diesen Status zu erreichen, muss der Verwaltungsaufwand einer Bank nicht unbedingt zurückgehen. Der Wert der Kennzahl kann rechnerisch selbst bei steigenden Verwaltungsaufwendungen fallen, wenn die regulären Erträge im Nenner überproportional zulegen. Die Cost Income Ratio wird seit den Siebzigerjahren weltweit verwendet und lieferte trotz volatiler Finanzergebnisse relativ stabile Werte. Die Kennzahl galt lange Zeit in „normalen“ Geschäftsjahren als ein guter Frühindikator für die Ertrags- und die Rentabilitätslage. Noch zuverlässiger erwies sich dieser Quotient als Unterscheidungsmerkmal bei internationalen Bankvergleichen und bei Vergleichen zwischen den Geschäfts- und den Investmentbanken. So konnte jahrelang beobachtet werden, dass deutsche, französische und italienische Banken im Vergleich zur britischen, spanischen und skandinavischen Konkurrenz wesentliche höhere Cost Income Ratios aufwiesen. Bei den DAX-Banken lagen die Standardwerte damals wie heute bei 70 Prozent und höher, bei den britischen FTSE-Banken schwankten die Marken dagegen um die 50 Prozent. Die direkten Folgen dieser Diskrepanz schlugen sich auf
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der einen Seite bekanntlich in den signifikant höheren RoE-Werten der britischen Banken und der besseren Kursentwicklung ihrer Aktien nieder. Auf der anderen Seite wiesen alle Investmentbanken – trotz der Millionenboni für ihr Management – generell niedrigere Aufwandsquoten als die Geschäftsbanken aus. Als eine Sondervariante der Cost Income Ratio kann die Kennzahl Zinsüberschuss im Verhältnis zum Provisionsüberschuss angesehen werden. Sobald in der Vergangenheit der Quotient merklich und dauerhaft unter 1 fiel, wurde angenommen, dass die Bank die „Stufe zur Investmentbank“ überschritten hat. In der letzten Finanzkrise wird die Aufwandsquote als kursstimulierende Kennzahl an Bedeutung verlieren. Zum einen, weil sie zu stark schwankt und die Bedeutung der Investmentbankgeschäfte und damit das Finanzergebnis radikal abnehmen dürfte. Zum anderen dürfte bei einem Verlustausweis ein negativer Wert der Aufwandsquote erklärungsbedürftig werden. In diesem Fall übertrifft das negative Finanzergebnis den positiven Zins- und Provisionsüberschuss.
Zinsmarge Die Zinsmarge wird in folgender Formel ausgedrückt: Zinsertrag
-
Zinsaufwand
Zinsmarge (netto) = Risikoaktiva (Kreditgeschäft)
Die Nettozinsmarge soll die Marge im Kreditgeschäft zum Ausdruck bringen und ist damit streng genommen eine Variante der Rentabilitätsmessung. Der Zähler wird als das Zinsergebnis – im IFRS nach, im HGB vor der Risikovorsorge – in der GuV-Rechnung direkt abgelesen. Die Risikoaktiva im Kreditgeschäft stellen dagegen die absoluten Kreditvolumina, gewichtet mit dem Risikogehalt dar. Banken haben das aufsichtsrechtliche Risiko je nach Kreditnehmer und die gestellten Sicherheiten unterschiedlich zu bewerten und mit Eigenkapital zu unterlegen. Bei einem nominalen Kreditvolumen von 100 betragen die Risikoaktiva bei einem Hypothekenkredit 50, bei Ausleihungen an Banken 20 und bei Darlehen an Privatanleger 100. Laut Basel II soll die Anrechnung weiter individualisiert und verfeinert werden. Seltener wird die Zinsmarge als eine im Hinblick auf das Risiko ungewichtete Größe definiert und zwar als das Verhältnis des Zinsüberschusses zur Bilanzsumme. Folgende Besonderheiten sind weiter zu beachten: Zum Zinsertrag (Zinsaufwand) zählen neben den reinen Formen zinsähnliche Komponenten wie Mieten, Pachten, Leasingraten, Dividenden oder Ausschüttungen auf Genussscheine. Die Zinsmarge und ihre zeitliche Entwicklung liefern mehr Informationsmaterial, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. In der genannten Formel wird jeder einzelne Bestandteil (Zinsertrag, Zinsaufwand, Risikoaktiva) durch spezifische Ursachen beeinflusst. Diese kön-
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nen voneinander abhängen – ein risikoloser Kreditbestand bringt in der Regel wenig Zinserträge – müssen es aber nicht. Der Analyst erhält zusätzlich wertvolle Zusatzinformationen, wenn er die Margen in der Bilanzstruktur vergleicht, da die Zinserträge (Haben-Zinsen) mit bestimmten Posten auf der Aktivseite und die Zinsaufwendungen (Soll-Zinsen) mit der Passivseite korrespondieren. Bei kurzfristigen Restlaufzeiten sind die Margen niedriger als bei langfristigen. Die Bestandteile der Zinsmarge können sich zeitlich unterschiedlich stark in die gleiche oder in die entgegengesetzte Richtung entwickeln. Der Saldo ist ausschlaggebend. Neben der Analyse der laufenden Margen sind die Prognosewerte für Kurserwartungen entscheidend. Volkswirten sind Dutzende von Einzelszenarien für die Analyse und Prognose der Zinsmargen bekannt. So müssen fallende Zinsmargen für eine Bank noch kein Alarmzeichen bedeuten. Denn eine zurückgehende Kreditmarge kann in gewissen Sondersituationen sogar positiv bewertet werden, wenn damit ein Abbau hoch „toxischer“ Risikoanleihen einhergeht. Dieser Trend wird eine geringere zukünftige Kreditrisikovorsorge implizieren. Im umgekehrten Falle, wenn viel risikozulässiges Kreditneugeschäft gemacht wird, kann die Marge ebenfalls zurückgehen und der Zinsüberschuss wird trotzdem absolut steigen. Bei internationalen Margenvergleichen ist die Beschaffenheit des jeweiligen Bankenmarktes zu prüfen. Liegen oligopolistische Strukturen vor wie in Großbritannien, wo sich fünf Großbanken zeitweise 80 Prozent des Kreditmarktes teilten, sind höhere Margen zu holen als im fragmentierten deutschen Markt. Während die Briten zeitweise über drei Prozent erzielten, lagen die deutschen Margen über Jahrzehnte mehrheitlich unter einem Prozent. In der Mehrzahl der Fälle wird es allerdings für eine Kreditbank bedrohlich, wenn die Zinsmargen permanent sinken. Beunruhigte Bankvorstände verspüren dann Handlungsbedarf und experimentieren mit neuen „unbekannten“ Ertragsquellen. Mit dem Hinweis auf einen derartigen Margenverfall und der Suche nach höheren Einnahmen sind die Banken angabegemäß weltweit in die Subprime-Krise geraten. Mit dieser Noterklärung sollte vom globalen Versagen abgelenkt werden. Denn die Rechtfertigung wird einen kritischen deutschen Pessimisten aus folgenden Gründen kaum überzeugen: 1. Die Risikoseite der Subprime-Engagements wurde aufgrund ökonomisch sinnloser Ratings bewusst vernachlässigt. Bei strikter Anwendung inländischer Kreditvergabekriterien würden in Deutschland solche Anlagen nicht gekauft werden dürfen. 2. Eine ergänzende Berufung auf die exzellenten „internen Ratings“ muss angesichts bekannter Abhängigkeitsverhältnisse in einer real existierenden Bank als eine Farce empfunden werden. Auch die Fachpresse verwendet verschiedentlich diesen starken Ausdruck. 3. Das Subprime-Desaster begleitete ausgeklügelte Umgehungs- und Verschleierungstaktiken. Um den strengen inländischen Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften (Fristen-
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Bank- und Versicherungsaktien
kongruenz) auszuweichen, wurden (vorsätzlich?) in Steueroasen, vornehmlich in Irland, undurchsichtige außerbilanzielle Zweckgesellschaften gegründet. 4. Das gestiegene Risiko-Chancen-Profil war bei einer Mehrrendite von gerade einem bis zwei Prozent aus Anlegersicht indiskutabel. Kein vernünftig denkender Anleger hätte solche Mehrrenditen von seiner Bank verlangt. An den ABS-Verbriefungen haben einfach zu viele Akteure kräftig mitverdient, als dass die Marge für alle hätte ausreichen können. Das war den Bankvorständen hinreichend bekannt. 5. Engagementserhöhungen auf Kreditbasis, um Hebeleffekte zu nutzen und angeblich die Kreditmarge zu verbessern, waren unter dem extrem steigenden Risikoaspekt schon als grob fahrlässig zu bezeichnen. Der Leser bemerkt, wie ironisch die Entschuldigungen der Bankbosse klingen. Eine sinkende Zinsmarge kann wohl für den Ausbruch der globalen Finanzkrise kaum verantwortlich gewesen sein.
Versicherungsaktien Im Versicherungsgeschäft fehlt die geforderte Fristenkongruenz, wie sie bei den Banken anzutreffen ist. Es stellt sich auch kein Problem der Refinanzierung. Die Passivseite wird dort zu 85 bis 90 Prozent von den versicherungstechnischen Rückstellungen gefüllt. Gravierende Unterschiede bestehen zwischen einer Sach- und einer Lebensversicherungsgesellschaft. Der Anlagebedarf dürfte in einer Sachversicherung mit dominierendem kurzfristigen Geschäft nicht nennenswert vorhanden sein, da die Prämien keinen Sparbetrag enthalten. So müsste eine private Sachversicherung auf ähnlicher Basis funktionieren wie die Gesetzliche Rentenversicherung, sprich kostendeckend sein und mit einer nur geringen Gewinnspanne arbeiten. Mit „kostendeckend“ ist dabei die Regulierung der Schadensfälle und die Begleichung der Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb zu verstehen. Gäbe es in der Sachversicherung nicht das Langfristgeschäft (Unfall-, Feuerversicherung), wären keine Reserven in Form von Rückstellungen notwendig. Erwirtschaftet eine Sachversicherungsgesellschaft Gewinne, partizipiert der Aktionär voll an diesem Ergebnis. Die 90-Prozent-Zuordnung, wie sie in der Lebensversicherung existiert, ist hier nicht bekannt. Unter diesen Voraussetzungen erweist sich in der Sachversicherung eine Kennzahl als informativ, die die Erfüllbarkeit der Kosten (Schadensregulierungen + Aufwand für den Versicherungsbetrieb) durch die Einnahmen (Prämien + Erträge aus Kapitalanlagen) angibt. Diese Informationen liefert die sogenannte Combined Ratio (Aufwands-Ertrags-Relation), die unten beschrieben wird.
Besondere Bewertungskennzahlen bei Bank- und Versicherungsaktien
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Combined Ratio Sie lässt sich formelmäßig ausdrücken als: Schadensaufwendungen + Betriebsaufwendungen Combined Ratio = verdiente Prämien für eigene Rechnung
Die Zählerbestandteile (Schadens- und Betriebsaufwendungen) erklären sich selbst. Weiter gilt: Verdiente Prämien unterscheiden sich von den Bruttoprämien durch die Periodenabgrenzung. Die Prämien für die eigene Rechnung werden dagegen als die vereinnahmten Prämien abzüglich der Rückversicherungsprämien definiert. Die Combined Ratio informiert für eine ausreichend lange Zeitreihe darüber, ob die Versicherungsgesellschaft ihre Zahlungsverpflichtungen im Normalfall erfüllen kann. Die Quote muss damit im Durchschnitt unter 100 Prozent liegen. Anders als bei den Banken und in der Industrie darf die Assekuranz zur Deckung ihrer temporären Verluste keine Betriebsmittelkredite aufnehmen. An diesbezüglich bekannte Skandale mit Krankenkassenkrediten sei erinnert. So logisch die Kennzahl konstruiert sein mag, in der Anlagepraxis wird es bei der Bewertung einer Versicherungsaktie mit ihrer Hilfe einige Irritationen geben. Zu den wichtigsten hier vorkommenden Störfaktoren zählen: Das Ergebnis aus Kapitalanlagen Selbst wenn die Combined Ratio permanent unter 100 Prozent liegt, wird eine Versicherungsgesellschaft dennoch Verluste machen, wenn sie bei der Kapitalanlage immer „schief“ liegt und permanent ein negatives Teilergebnis einfährt. Veränderter Spartenmix Die heute börsennotierten Versicherungsgesellschaften sind in der Regel historisch gewachsene Assekuranzkonzerne mit einem sich verändernden Spartenmix. Jede Sparte zeichnet sich durch spezifische Schadensquoten aus. Angesichts des ruinösen Wettbewerbs im Massengeschäft versuchen Marktneulinge mit einem starken Konzernhintergrund Marktanteile durch Dumpingpreise zu gewinnen, was auf eine – früher verbotene – temporäre Quersubventionierung durch die Gewinnsparten hinausläuft. Aus diesem Grund können bestimmte Spartenwerte der Combined Ratios in Zeiten von Marktoffensiven kurzfristig falsche Signale senden. Rückversicherungen (andere Kostenquoten) Schließlich zeichnen sich die Rückversicherungen wegen fehlender kostenintensiver Vertriebsstrukturen durch niedrige Betriebsaufwendungen aus. Eine Combined Ratio eines Rückversicherers wird gewöhnlich unter dem Wert eines Erstversicherers liegen.
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Bank- und Versicherungsaktien
Embedded Value Andere Sachverhalte interessieren in einer Kapitallebensversicherung, die nach deutschem Muster arbeitet. Dort werden die Prämien bekanntlich von der Gesellschaft zu rund 90 Prozent als Sparbetrag angelegt und am Ende der Laufzeit an den Versicherungskunden als Ablaufleistung ausgezahlt. Für den Aktionär sind hier neben seinem Anteil an den stillen Reserven von zehn Prozent diejenigen Erträge interessant, die noch zusätzlich aus den langfristigen Versicherungsverträgen fließen. Hierzu zählen primär die Bestandsprovisionen, welche bis zum Vertragsende anfallen. Wegen der hohen Stabilität des Versicherungsbestandes und niedriger Stornoquoten – bei guten Adressen liegen diese unter fünf Prozent – sind die Provisionseinnahmen relativ sicher und lassen sich folglich diskontieren. Ein langfristiger Versicherungsbestand erweist sich somit als eine wahre Cash-Maschine. Die versicherungsspezifische Kennzahl, die einen solchen langfristigen Bestandswert schätzt, ist der Embedded Value. Ungeachtet einiger definitorischer Differenzen wird diese Kennzahl ab 2006 regelmäßig von den Konzernen Allianz, Aegon, AXA, Münchener Rückversicherung, Hannover Rückversicherung, Delta Lloyd, DBV Winterthur und Skandia ermittelt und veröffentlicht. Sie kann in ihrer Grundstruktur wie folgt definiert werden: Embedded Value (EmV)= diskontierte zukünftige Versicherungsgewinne + NAV* - WACC
*NAV = den Versicherten zustehender Teil (Eigenkapital + zehn Prozent stille Reserven) Es gilt die bekannte Aussage: Je höher der Embedded Value, desto attraktiver eine Versicherungsgesellschaft aus Börsensicht. Die Berechnung der Kennzahl bringt wegen der Diskontierungsproblematik die altbekannten Probleme mit sich, die beim DCF-Modells dargestellt wurden. Beim Embedded Value wird ähnlich wie bei den Barwertmodellen die Liste der Vor- und Nachteile lang ausfallen. Folgende Zusammenfassung ist für einen Nichtfachmann ausreichend: Vorteile: Das Konzept trägt dem Langfristcharakter einer Kapitallebensversicherung (erst hohe Kosten, dann permanente Erträge) Rechnung. Eine Berechnung des weitergehenden Unternehmenswertes ist relativ einfach, denn zum Embedded Value wäre noch der Goodwill, bestehend aus dem Wert des Neugeschäftes, hinzuaddieren. Simulationen der wichtigsten Modellparameter erlauben es, eine Identifikation der Werttreiber des Modells vorzunehmen.
Besondere Bewertungskennzahlen bei Bank- und Versicherungsaktien
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Nachteile: Die Berücksichtigung der Kundengarantien, die aus dem Mindestzins und dem Rückkaufswert bestehen und das Wesen des Lebensversicherungsgeschäftes ausmachen, fehlt. Der Wert der freien, noch nicht zugeordneten Gewinnbeteiligungen in den Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen, die zusätzlich zum Jahresgewinn generiert werden, bleibt ebenso unberücksichtigt. Damit wird der Embedded Value zu niedrig ausgewiesen. Aus Vereinfachungsgründen werden zukünftige Versicherungsgewinne mit prognostizierten Jahresüberschüssen auf bilanzieller Basis gleichgesetzt. Damit ergibt sich die bekannte Problematik ihrer Bereinigung. Im Formelteil NAV taucht die bekannte Bewertungsthematik von stillen Reserven bzw. von stillen Lasten auf, die sehr problematisch ist.
Fazit: Die Besonderheiten der Bewertungsanalyse von Bank- und Versicherungsaktien sind zurückzuführen auf die Vorschriften der Rechnungslegung und die spezifischen Geschäftsmodelle der Finanzbranche. Dennoch sind sie kein „Buch mit sieben Siegeln“, wenngleich das Studium dieser Sektorbilanzen auch für erfahrene Bilanzleser gewöhnungsbedürftig ist. Im Mittelpunkt dieser nicht einfachen Aufgabe hat die mühsame Prüfung aufsichtsrechtlich erlaubter und breit praktizierter Bilanzierungswahlrechte zu stehen. Diese Praktik impliziert im Endeffekt enorme Spielräume in Bezug auf den Ergebnisausweis, was jeden Einsatz von Kennzahlen generell in Frage stellt. Neben den bekannten Analyseinstrumenten – wie dem KGV, KBV oder dem RoE – werden im Finanzbereich zahlreiche Sonderkennzahlen verwendet, die hauptsächlich die Kostenseite umfassen. Dadurch wird die Bewertungsanalyse keinesfalls einfacher. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, glauben zu wollen, die Wertpapieranalyse von Finanztiteln müsse angesichts der vielen aufsichtsrechtlichen Vorschriften zur Eigenkapitalausstattung und Liquidität exakter und zuverlässiger als bei Industrieunternehmen ausfallen. Zum einen mangelt es wegen der Bilanzkosmetik an Transparenz, und zum anderen sind hier zahlreiche Regelverstöße gegen einfachste Wirtschaftlichkeitsprinzipien an der Tagesordnung. Eines bleibt sicher: Allein anhand der Kennzahlen konnte die aktuelle Finanzkrise nicht erkannt werden. Folglich werden kursattraktive Finanztitel wohl auch zukünftig umso weniger im Zusammenhang mit dem Einsatz von Kennzahlen zu finden sein.
Kennzahlen als Bestandteil der Wertpapieranalyse
7.
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Fazit
Kennzahlen als Bestandteil der Wertpapieranalyse Die Kennzahlenanalyse, im Börsenalltag auch als mikroökonomischer oder betriebswirtschaftlicher Methodenansatz bekannt, ist ein weit verbreitetes Verfahren der Wertpapieranalyse. Die Wertpapieranalyse hat wiederum zum Ziel, sowohl die Kursbildungsprozesse zu erklären als auch Kursprognosen zu erstellen. Neben der Kennzahlenanalyse werden dort der makroökonomische Methodenansatz, die Börsenpsychologie sowie die Charttechnik verwendet. Als Einheit sind der mikro- und der makroökonomische Methodenansatz als Fundamentalanalyse bekannt. Die Anlage in Aktien stellt neben Investments in Anleihen, Fonds, Immobilien, Derivaten oder Währungen eine der möglichen Formen der Kapitalanlage dar. Die obigen Methoden der Wertpapieranalyse werden dabei bei allen Anlageformen eingesetzt. So können spezifische Kennzahlen sowohl in der Aktien- als auch der Anleihenanalyse verwendet werden. In diesem Buch wurde ausschließlich die Aktienseite behandelt. Von den Kennzahlen der Wertpapieranalyse sind solche zu unterscheiden, die von Unternehmen als Steuerungs- und Kontrollinstrumente eingesetzt werden. In der Regel werden beide Kennzahlenarten aus der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung abgeleitet. Die Unternehmenskennzahlen kommen in großen Konzernen allerdings oft zweckentfremdet für gewöhnliche Marketingzwecke zum Einsatz, was ihre Aussagekraft relativiert. Auch in der Wertpapieranalyse sind Kennzahlen leider häufig nur Mittel zum Zweck, wenn mit den Analysen („Gefälligkeitsstudien“) primär knallharte Vertriebsinteressen verfolgt werden. In Krisenzeiten bekannt gewordene Analystenskandale (New Economy, letzte Finanzkrise) bestätigen diesen Missbrauch in eindrucksvoller Weise. In der Wertpapieranalyse stehen im Mittelpunkt die Bewertungskennzahlen. Sie haben die Aufgabe, die attraktivsten Wertpapiere mit den besten Kurschancen zu identifizieren. Dennoch sind Analysten lediglich imstande, günstig bewertete – oder anders ausgedrückt „billige“ – Wertpapiere zu finden, ohne eine Kurssteigerungsgarantie abgeben zu können. Das gilt für alle Anlagearten. Sonst würden die begnadeten Researcher sorglos in einem Schlaraffenland leben und ihr Wissen wohl eher für eigene Wertpapiergeschäfte nutzen! Denn das, was im Sinne der Kennzahlenanalyse „billig“ ist, wird nicht unbedingt im Kurs steigen. Aktien- und andere Wertpapierkurse hängen von einer Vielzahl identifizierbarer und nicht identifizierbarer Faktoren ab, die gerade das große Geheimnis der Börse ausmachen. Der Nutzer von Kennzahlen sollte wiederholt an den alten Grundsatz erinnert werden: So wie Kennzahlen keine Börsengesetze sind, sind „billige“ Wertpapiere keine Garantie für Kurssteigerungen.
V. Heese, Aktienbewertung mit Kennzahlen, DOI 10.1007/ 978-3-8349-1675-4_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Fazit
Dennoch können Kennzahlen in der Analyse eine nützliche Rolle spielen. Sie liefern grundsätzlich zufriedenstellende Ergebnisse in seitwärts tendierenden Märkten, wenn die Markttendenz uneinheitlich ist und die Börsenakteure mehr Zeit für das Studium von Analysen haben. Je nach Börsenphase können andere Analysemethoden als die (Mikro-) Kennzahlen prognosesicherer sein. So lassen sich Makrodaten besser in stark steigenden oder stark fallenden Börsenphasen verwenden, wenn ein klarer Trend vorherrscht. Steht die Aktienbörse dagegen vor einem Trendwechsel, so wird das Geschehen auf dem Parkett nervöser (volatiler) und der psychologische Erklärungsansatz liefert wiederum bessere Ergebnisse. Die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen der Wertpapieranalyse sind logisch aufgebaut und einfach zu verstehen, wenn ihr Nutzer den ökonomischen Hintergrund eruiert. Auch der Börsenneuling sollte keine übertriebene Scheu vor ihnen zeigen und dahinter komplizierte Sachverhalte vermuten. Analysten, die aus Geltungsbedürfnis häufig fremdartig klingende angelsächsische Fachbegriffe verwenden, „kochen auch nur mit Wasser“.
Kategorisierung der Kennzahlen in der Aktienanalyse Konkret sind die an der Börse gehandelten Aktien dann günstig bewertet („billig“), wenn sie im sachlichen und zeitlichen Vergleich mit anderen Branchentiteln, dem Branchendurchschnitt günstiger abschneiden (klassische Kennzahlen) oder ihre modelltheoretisch ermittelten „fairen“ Unternehmens- oder Indexwerte unter dem aktuellen Börsenkurs liegen (moderne Kennzahlen). Dann wird vermutet, dass sie bis zur Erreichung dieser Durchschnitte oder des „fairen“ Wertes Kurspotenzial aufweisen. Aktien mit Kurspotenzial werden gesucht. Es gibt zahlreiche Konzepte, wie diese Kennzahlen kategorisiert werden sollten. Welche konkrete Methode ein Analyst wählt, bleibt ihm überlassen. Die Nennung klarer und allgemeinverständlicher Kriterien ist dabei ein selbstverständliches Postulat. So lassen sich die Bewertungskennzahlen für Einzelaktien respektive für Aktienindizes vereinfacht in klassische und moderne Typen untergliedern. Zur ersten Kategorie zählen das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV), das KGV zum Gewinnwachstum (PEG-Ratio), das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV), die Dividendenrendite bzw. der Verschuldungsgrad (alternativ die Eigenkapitalquote). Moderne Varianten sind das DCF-Modell, das Fed-Modell, die Familie der EV/EBITDA-Multiplen, das EVAKonzept und der RoE bzw. die RoI-Ansätze. Die klassischen Kennzahlen als vorwiegend kursabgeleitete und damit „marktnahe“ Verfahren sind unter Privatanlegern beliebter als die modernen Konzepte. Die Letzteren arbeiten vornehmlich modelltheoretisch und verwenden als Methoden die Diskontierung unterschiedlicher Ertragsgrößen mithilfe von subjektiven Renditeerwartungen. Wegen ihrer angeblichen Komplexität dürften sie primär von Börsenprofis verwendet und verstanden werden. Das ist häufig nur ein Vorwand. Es wurde beobachtet, dass in Krisenzeiten (New
Aussagekraft der Kennzahlen in der Anlagepraxis
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Economy, letzte Finanzkrise) die angelsächsischen Konzepte vom gierigen Finanzestablishment massiv missbraucht werden, um die Bildungsprozesse von Finanzblasen zu rechtfertigen. Wenn die Bewertung generell die Anlageattraktivität ausdrücken soll, erweist sich die Bildung von Betrachtungsebenen innerhalb der Familie der klassischen Kennzahlen als sinnvoll. Hierzu zählen die Ertragsstärke (Kennzahlen: KGV, KCV), die Substanzstärke (KBV), die Ausschüttung (Dividendenrendite), die Sicherheit (Verschuldungsgrad, Eigenkapitalquote) oder die Rendite (RoE, RoI).
Aussagekraft der Kennzahlen in der Anlagepraxis Da nicht alle von den gewünschten Bewertungsaspekten in einer Kennzahl zum Ausdruck kommen können, weist jede von ihnen bestimmte Stärken und Schwächen auf. Zudem besteht die Gefahr der Fehlinterpretation, die mit der spezifischen Börsenphase und der gleichzeitigen Anwendung mehrer Kennzahlen zusammenhängt. In der Anlagepraxis hat sich bestätigt, dass häufig die populärsten Kennzahlen – so zum Beispiel das KGV – isoliert angewendet die schlechtesten Prognosen liefern. Diese Anomalie mag sowohl mit der erwähnten Börsenphase als auch mit der „Anpassungsaversion“ der Analysten zusammenhängen. Diese Berufsgruppe handelt oft prozyklisch und passt ihre Schätzungen der Unternehmensgewinne und anderer betriebswirtschaftlicher Größen zu spät an. Nicht die Methode versagt in diesem Fall, sondern die Datenbasis und das passive Verhalten der Wertpapieranalysten. Diese sind als Bankangestellte in der Regel einem spezifischen Erwartungsdruck ihrer Arbeitgeber ausgesetzt. Ein gangbarer Weg zur Verbesserung der Prognosesicherheit der Aktienkurse mithilfe von Kennzahlen wäre die Verwendung eines Wahlverfahrens, das auf mehreren Kennzahlen aufbaut, die sich hinsichtlich ihrer Schwächen kompensieren. In einem dafür konstruierten ökonometrischen Modell können Kennzahlen als die erklärenden Variablen, die gesuchten Aktienkurse als die erklärte Variable fungieren. Hier ergeben sich allerdings neue Probleme. Denn eine größere Anzahl von Kennzahlen liefert noch keinen höheren Erklärungswert. Zu viele miteinander signifikant korrelierte Kennzahlen sind dazu geeignet, die tatsächliche Wirtschaftslage eines Unternehmens eher zu verdunkeln als sie sie erhellen. Sie können sich ökonomisch widersprechen und mindern den Erklärungsbeitrag des ganzen Kennzahlenbündels. Einfache Beispiele bestätigen diesen „Verdacht“. Einem Unternehmen, das seit Jahren eine dividendenfreundliche Aktionärspolitik betreibt, fehlen die Mittel, um über die Gewinnrücklagen Eigenkapital aufzubauen. Dieses Unternehmen wird eine höhere Dividendenrendite, aber eine niedrige Eigenkapitalquote ausweisen. Die Dividendenrendite und die Eigenkapitalquote senden dem Anleger dann widersprüchliche Signale. Welche Kennzahl letztendlich in die engere Auswahl gelangt, lässt sich statistisch am Erklärungsbeitrag messen, den sie zum gesuchten Kursverlauf beisteuert. Mithilfe der
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Fazit
Regressionsanalyse lässt sich auf diese Weise eine geeignete Auswahl gewinnen. Vorsicht ist geboten, wenn „neue“ Kennzahlen einfache Tautologien darstellen, das heißt, wenn inhaltlich die gleichen Kennzahlen als Ursache und Wirkung dienen sollen. Sie liefern dann keinen zusätzlichen Erklärungsbeitrag. In der Fundamentalanalyse von Bank- und Versicherungsaktien werden andere Kennzahlen als bei Industrie- oder Dienstleistungsaktien benutzt, was auf den spezifischen Geschäftscharakter von Finanzinstituten zurückzuführen ist. Hier hat der Anleger besonders auf die Interpretationsspielräume zu achten, die aus dem sektorüblichen großzügigen Gebrauch von Bilanzierungswahlrechten („legale“ Bilanzkosmetik) resultieren.
Konstruktion eines DAX-Depots mithilfe von Kennzahlen Dieses Buch hat nicht zum Ziel, ausgeklügelte Anlagetipps zu liefern und dem Anleger neue, „topsichere“ Strategien zu präsentieren. Eine Ausarbeitung über Kennzahlen in der Aktienanalyse wäre jedoch unvollständig, wäre hierin nicht versucht worden, die „Tauglichkeit“ des präsentierten Kennzahlenuniversums zu prüfen. Der Leser hat das Recht zu fragen, welche Kennzahlen die „brauchbarsten“ sind und nicht nur das breite Spektrum der Pros und Cons zu erfahren. Kritisieren war immer einfacher, als klare Lösungen vorzuschlagen. Börsenneulinge sind durchaus in der Lage, in Eigenregie mithilfe von wenigen und einfachen Kennzahlen ein übersichtliches Aktiendepot zu konstruieren. Sie haben dabei folgende Grundregelen zu beachten: Es sollte ein hinreichend langer Anlagehorizont von mindestens drei Jahren gegeben sein, die Investition hat in Werte eines breiten Aktienmarktes (zum Beispiel des DAX-Index oder des EuroStoxx50) zu erfolgen und schließlich ist an eine genügende Risikostreuung, die Aufnahme mehrerer Werte ins Depot, zu denken. Wir halten eine Kennzahlenauswahl bestehend aus dem KGV, dem KBV und der Dividendenrendite für ausreichend, um einen solchen ersten Versuch zu unternehmen. Mit dieser „Dreierkombination“ werden die wichtigsten Bewertungsaspekte (Ertragskraft, Substanzstärke, Ausschüttung) abgedeckt. Erfahrungsgemäß liefert ein solches Depot eine bessere Kursrendite als bei der Abstellung auf nur eine einzige Kennzahl, zum Beispiel das KGV.
Literaturhinweise
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Interessante Links: Banken und Unternehmen: www.trinkaus.de www.raiffeisenresearch.at www.dbresearch.de www.bayernlb.de www.allianzglobalinvestors.de www.lazard.de www.goldmansachs.de www.ecb.int
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Der Autor
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Der Autor
Dr. Viktor Heese (59) studierte Volkswirtschaftslehre in Danzig (Polen) und Köln. Von 1982 bis 2010 arbeitete er als Wertpapieranalyst bei verschiedenen Banken, unter anderem von 1982 bis 1998 bei der Deutschen Bank. Sein Spezialgebiet sind Finanzwerte und Kapitalmarktfragen. Seit 1992 hält Dr. Heese Fachseminare zu den Themen Internationale Rechnungslegung (IFRS), Analyse von Bank- und Versicherungsbilanzen sowie Fundamentalanalyse von Wertpapieren. Er spricht fließend polnisch und russisch. Seit 2010 leitet er das Deutsch-Russische Zentrum für Wirtschaftswissenschaften in Moskau.
www.viktorheese.de
V. Heese, Aktienbewertung mit Kennzahlen, DOI 10.1007/ 978-3-8349-1675-4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Stichwortverzeichnis
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Abschreibungen
74, 79 f., 156 Abschreibungen auf Finanzanlagen 127 Abschreibungen auf Sachanlagen 80, 127, 131 Abwärtstrend 19 Ackermann, Josef 111 f. Aktie 38, 40 Aktienanlage 15 Aktienaversion 9 Aktienindex 56, 58 Aktienkurs 15 Aktienquote 172 Aktienrückkäufe 51 aktuelles KGV 54 f. Allianz 9, 36, 134, 146, 184 Altersvorsorge 11 Analyse 61, 64, 187 Analysten 40, 46, 61, 109 f., 126, 167, 189 angelsächsische Kennzahlen 105, 111 Anlagestil 27 Anlagestrategie 156 Anleihe 128, 181, 187 Asset Allocation 159 Aufwands-Ertrags-Quote (Cost Income Ratio) 35, 179 Aufwärtstrend 19 Ausschüttung 87 f., 180
Baisse
169 Bankaktie 178 Banken 146, 168, 170 Barwertmodelle 118 BASF 91, 116, 161 Bayer AG 48, 53, 72
Benchmark 32, 166 bereinigter Bilanzgewinn 73 bereinigter Gewinn 52, 74 Bereinigungsfaktoren 160 Beteiligungen 130 Bewertungskennzahlen 15, 29, 60 f., 110, 187 Bewertungswahlrecht 50 Bilanz 18, 89, 147, 163 Bilanzakrobatik 50 Bilanzerleichterung 40 Bilanzfälschung 39 Bilanzgewinn 49, 74, 77, 86, 156, 169 Bilanzhilfe 39 Bilanzierungshilfe 172 Bilanzierungstricks 169 Bilanzkosmetik 37, 50, 88, 176, 185 Bilanzpolierung 50 Bilanzpolitik 46, 169 Bilanzrechnung 187 Bilanzsumme 100, 102, 128, 180 Bilanztricks 50 BMW 68 Book to Bill-Ratio 103 Börse 21, 25, 91, 110, 119, 124, 128, 160, 187 Börsenpsychologie 20 f., 149 Börsenzyklus 64, 104 Börsig, Clemens 126 Bottom-up 18 Breuer, Rolf 167 Bruttoinlandsprodukt (BIP) 17, 59, 154 Buchwert 53, 81 ß-Koeffizient 122
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Stichwortverzeichnis
Cartellieri, Ulrich
165 Cash Burne Rate 96 Cashflow 37, 73, 77 Cashflow-Arten 75 Chartanalyse 152 Charttechnik 20 Combined Ratio 183 Comroad 103
Enterprise Value (EV) 128 Ergebnis je Aktie 38, 170, 174 erklärende Variable 151, 153 f. erklärte Variable 151, 154 Ertrag 189 EU 142, 159 EuroStoxx50 54, 66, 70, 190 EV/EBITDA 67, 127, 129
Daimler
Fairer Wert
E.ON
Galle, Gottfried 151 Geldvermögen 9 Gesamtkapitalrendite RoI 112, 115 Geschäftsbericht 37 Gewinn 49 Gewinn- und Verlustrechnung 41, 187 Gewinne je Aktie 161 Gewinnprognose 59 Gewinnrevision 47 Gewinnrücklage 84, 86, 189 Gigerenzer, Gerd 152 Gildemeister 37 Global Player 91, 126 Globalisierung 62, 126 Goodwill 39, 85, 184 Gorbatschow, Michail Sergejewitsch 166 Growth-Aktie 27 Growth-Anlagestil 149 Grundkapital 84
63, 131 DAX 11, 39, 54, 70, 122, 167, 190 Depfa-Bank 98 Depot 70, 159, 190 Deutsche Bank 39, 66, 69, 114, 167, 177 Deutsche Telekom 44, 76, 91, 129 Deutsche Vereinigung für die Finanzanalyse (DVFA) 33, 45, 65, 71, 165 Deutsches Aktieninstitut (DAI) 9 Discounted Cashflow-Modell (DCF-Modell) 30, 37, 77, 118, 184 Diskontwert 118 disponible Faktoren 48 Dividende 30, 52, 77, 89, 92, 94 Dow Jones 41 Dow Jones (USA) 54 DuPont-Kennzahlenpyramide 154 dynamisches KGV (PEG-Ratio) 56
123, 161 EBITDA 127 Economic Value Added-Konzept (EVA) 132 Effektiverschuldung 95 Eigenkapital 48, 77, 92, 130, 174 Eigenkapitalquote 30, 95, 99 f., 115, 189 Eigenkapitalrendite 38 Eigenkapitalrendite RoE 114 Embedded Value 184 Emerging Markets (BRIC-Länder) 59 Emission 129 Emittenten 142
31, 105, 125, 188 Fed-Modell 30, 136 Finanzinvestor 87 Finanzkrise 105, 115, 182, 189 FMC 123 France Telecom 69, 130 Fremdkapital 129 f. Fristenkongruenz 98 FTSE 179 Fundamentalanalyse 20 f., 56, 190
Handelsaktiva 101 Handelsergebnis 170
Stichwortverzeichnis
Handelspassiva 101 Hausse 101, 136, 169 Hedgefonds 40, 87, 146 HGB 35, 38, 50, 107, 163, 168, 176 historisches KGV 54
I/B/E/S
43, 64 IAS 39 IAS/IFRS 35, 51, 107, 168 IFRS 101 IKB 177 implizite Risikoprämie 139, 144 Independent Research 120 Indizes 19 ING 69, 70 Insider 24 Interessenkonflikt 61, 124 Investmentbank 113, 168 Investmentbanken 62 Investmentbanking 166 Investor-Relations 65
Japan
137, 140
Kapitalanlage
183, 187 Kapitalerhöhung 51 f. Kapitalkosten 122 Kapitalrücklage 84 Kapitalvernichtung 134 f. Kennzahlen 42, 145, 187 Kennzahlenmissbrauch 105 KGV-Arten 53 klassische Bewertungskennzahlen 106 klassische Kennzahlen 30, 111, 188 Konjunktur 17, 101, 105, 142 f. Korrelation 53 Kosten- und Leistungsrechnung 102, 104 Kostolany, André 23, 63 Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) 81, 87 Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) 73, 78 Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 34, 41 f., 66, 69, 116
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Kursprognose 19 Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) 102
Latente Steuern
83 Lebensversicherung 88, 171, 184 Lehman Brothers 174 Leverage-Effekt 115 Liquidität 140, 169, 185 Lohnquote 34
Makroökonomie
149 makroökonomische Kursfaktoren 17 Marktrendite 132 Marx, Karl 132 MDAX 104, 167 mikroökonomische (betriebswirtschaftliche) Kursfaktoren 19 mikroökonomische Kennzahlen 71 moderne Kennzahlen 30, 109, 188 MSCI World 54 Multiplikator 66 Muster-Bank 163, 168 f. Muster-Versicherung 175 Muster-Versicherungsgesellschaft 171
Neubewertungsrücklage
84, 86 Neuer Markt 103, 131 New Economy 105, 189 Niederstwertprinzip 84, 163
Ökonometrie
151 ökonometrisches Modell 155 Old Economy 91
Peer-Gruppen
53 Pensionsrückstellungen 74, 125 Portfolien 164 Prämie 183 Price Earnings Ratio (PER) 34 Privatanleger 9, 47, 161 Private Equity 87 Private Equity-Fonds 40
200
Prognose 73, 149, 181 Provisionsüberschuss 170 Put Call Ratio 23
Rappaport, Alfred
77 Ratings 36 Realinvestition 134 f. Realwirtschaft 105 Regression 150, 152, 156 Rendite 10, 115, 117, 161, 182 Renditedreieck 10 Rente 10, 136 Renten-KGV 136 Rentenmarkt 137 Research 166 Researcher 63 Return on Equity (RoE) 39 Return on Invest (RoI) 155 Return on Investment (RoI) 112 Return on Sales (RoS) 112 REX 11 Risiko 101, 122, 139 Risikoaktiva 180 Risikokapital 99 Risiko-Kennzahlen 36 Risikoklassen 99 Risikovorsorge 169, 180 Rückkauf eigener Aktien 52, 91 Rückstellungen 84, 96 RWE 161
S&P500
41, 54 Salzgitter 122 Schmidt, Helmut 15 SDAX 104 Sentimentindikator 23 Shareholder Value 39, 107 Sicherheitsaspekt 97 Siemens 113, 132, 134 Sonderfaktoren 24, 71 Stakeholder 144
Stichwortverzeichnis
Stern Stewart & Co. 132 stille Lasten 83, 101 stille Reserven 47, 77, 82, 88, 164, 171 f. Substanz 189 Substanzwert 82, 87, 161 Sum of the parts 123
ThyssenKrupp
123 Top-down 18 toxische Wertpapiere 174, 176 Trend 188 TUI 63, 69, 70
Überbewertung
119 Übertreibung 60 Unterbewertung 119, 138, 141 Unternehmensdoktrin 36 Unternehmensgewinn 17, 89, 92, 136, 152 USA 137, 159 US-GAAP 101
Value-Aktien
27, 90 Value-Stil 149 Verbriefung 182 Verschuldungsgrad 30, 95 Versicherungsaktie 165, 171, 178, 182, 190 Volkswagen 67, 69
WACC
122 Wachstum 17 Währungen 17 Welch, Jack 107
Zinsen
17, 118, 125, 129, 131, 137, 140, 142 f. Zinsmarge 180 zukünftiges KGV 54, 55 Zweckgesellschaft 113, 175