Zwischen Feuer und Eis
Barbara Delinsky
Collection Baccara 044-03 04/91 Scanned & corrected by SPACY
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Zwischen Feuer und Eis
Barbara Delinsky
Collection Baccara 044-03 04/91 Scanned & corrected by SPACY
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Die Bildhauerin Eva Mattheson ist nach New York gereist, um die Ausstellung ihrer Werke zu eröffnen. Mit einem Freund besucht der gutaussehende Filmproduzent Ted Dallas diese Veranstaltung. Er findet die kühl-abwehrende Eva faszinierend und läßt sich darum zu einer abenteuerlichen Wette hinreißen. Ted behauptet, Eva innerhalb kürzester Zeit zu seiner Geliebten zu machen. Am nächsten Tag schleicht er sich als Chauffeur bei ihr ein. Und er ist selbst überrascht, welch leichtes Spiel er zu haben scheint. Die ersten rregenden Berührungen, heiße Küsse – und er liegt mit dieser Traumfrau im Bett. Die leidenschaftlichen Stunden der Lust mit Eva sind einzigartig. Noch nie hat Ted bisher eine so hinreißende Geliebte gehabt...
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1. KAPITEL Eva Mattheson stand inmitten einer Schar von Bewunderern. Sie lächelte und nickte, beantwortete leise die Fragen über das eine oder andere Ausstellungsstück. Als sich die Gruppe verzog und neue Gesichter auftauchten, wiederholte sich das Ritual. Franco Roget, der Eigentümer der Galerie, stellte ihr jeden der Besucher vor. Ihre Haltung war hervorragend. Niemand, mit dem sie sprach, hätte vermutet, wieviel Überredungskunst nötig gewesen war, sie hierherzubringen. Sie wirkte gelassen, wenn auch etwas scheu, was ihr aber gut zum alabasterweißen Teint stand. „Sie arbeiten also ausschließlich in Stein?“ fragte einer der Besucher. „Nein, ich arbeite auch gern mit Holz.“ „Haben Sie davon hier nichts ausgestellt?“ „Meine Holzarbeiten befinden sich in anderen Galerien der Stadt. Wir entschlossen uns für ein ganze spezielles Thema.“ „Holz, Stein - ungewöhnlich für eine Künstlerin heutzutage, nicht wahr?“ Eva lächelte. „Ja, viele meiner Künstler Kolleginnen benutzen modernere Materialien - Metalle, Plastik und Textilien. Für mich stellt es eine Herausforderung dar, die Moderne mit der traditionellen Bildhauerei zu verbinden.“ „Was Ihnen außerordentlich gut gelungen ist.“ Der Mann, der Eva Mattheson als Christopher Wright III vorgestellt worden war, sah ja gar nicht so schlecht aus, auch wenn er etwas kleiner als sie war. Aber jetzt trat er ihr entschieden zu nahe, der schwere Duft seines Eau de Cologne war kaum zu ertragen. „Und was halten Sie von einem traditionellen Abendessen zu zweit?“ fragte er. „Ich hörte, Sie bleiben noch einige Tage in der Stadt.“ Eva ließ sich nicht aus der Fassung bringen. „Nur noch bis morgen, und ich fürchte, ich bin komplett ausgebucht. Tut mir leid, Mr. Wright...“ „Meine Freunde nennen mich Christopher, Miss Mattheson. Sind Sie öfter in New York?“ -4-
Sie schüttelte den Kopf und wandte sich einem anderen Kunstinteressenten aus der Gruppe zu, der gefragt hatte, wo sie denn ihr Atelier habe. „Ich lebe in Neu-England. Nicht sehr weit weg, doch weit genug. Ich käme überhaupt nicht zum Arbeiten, wenn ich in der Stadt wohnen würde viel zu schnellebig, fürchte ich.“ Eva bemühte sich redlich, die vielen Fragen zu beantworten, wie man es von ihr erwartete. Ob es sich nun um Konversation handelte oder um ihre Arbeit ging, sie schenkte ihrem Gegenüber immer ihre ganze Aufmerksamkeit. Die Ausstellung schien ein voller Erfolg zu sein, und das freute sie. Manchmal fiel auch die eine oder andere abfällige Bemerkung, aber Eva überhörte sie, verdrängte die spontane Betroffenheit. O ja, sie wußte, was die Leute von ihr dachten. Die Bezeichnung „Eisprinzessin“ hatte sie öfter als einmal gehört. Sie war nicht sicher, ob sie zutraf. Noch war der Mann, der sie vom Gegenteil überzeugen sollte, nicht in ihrem Leben aufgetaucht. Die beiden Männer, die am anderen Ende des Raumes standen und sie beobachteten, hatte sie nicht bemerkt. „Na, was hältst du von ihr, Ted?“ Der große Mann, den der andere Ted genannt hatte, nickte. „Ich muß sagen, gar nicht übel, Ben.“ „Sieht ein bißchen blaß aus, fast wie aus Marmor gehauen, nicht? Aber das könnte ja auch an der Beleuchtung liegen. Was meinst du, Ted?“ „Ben, deine Art von Kunstverstand kenne ich. Was würdest du tun, wenn dich mindestens zweihundert Interessenten bedrängen?“ „Die Leute schauen sich doch die Ausstellungsstücke an, nicht die Künstlerin.“ „Darauf würde ich an deiner Stelle nicht wetten, Ben. Heute ist nämlich der einzige Tag, an dem die Künstlerin zugegen ist. Warum glaubst du, haben sich die Leute zu dieser Vernissage so aufgedonnert, und das bei über dreißig Grad im Schatten? Die sind aus keinem anderen Grund gekommen, als sie zu sehen.“ „Ted, das ist die Creme der New Yorker High Society. Die lassen -5-
sich aus ihren vollklimatisierten Penthäusern direkt in ihren klimatisierten Limousinen zu einer klimatisierten Galerie kutschieren. Sie sind zu jeder Jahreszeit so angezogen.“ „Vielleicht hast du ja recht, Ben. Sie kann einem fast leid tun.“ „Was meinst du damit? Diese Frau läßt der Trubel doch völlig kalt. Unterkühlt, wie ihre polierten Marmorskulpturen.“ „Ich finde, sie bewahrt Haltung.“ „Willst du wissen, was Margery mir zugeflüstert hat?“ „Was hat sie, denn gesagt, Ben?“ „Margery sagt, sie sei am liebsten allein und völlig unabhängig. Aber auch ohne Margerys Bemerkung würde ich diese Lady für ziemlich frigide halten.“ „Du irrst dich, Ben. Unter der abweisenden Oberfläche steckt sicher eine warme und lebendige Persönlichkeit, da bin ich mir sicher. Ich finde, das geht auch aus ihren Arbeiten hervor. So eine Frau will eben erobert werden.“ „Erobern - was phantasierst du da zusammen, Ted? Du willst doch nicht etwa...“ „Ich finde sie recht attraktiv, schon von ihrem Äußeren her. Und darunter steckt Wärme und Leidenschaft, da gehe ich jede Wette ein.“ „Da halte ich gern dagegen, Ted. Wetten, daß du es nicht schaffst?“ „Also gut, Ben, die Wette gilt.“ Spät am Abend, nach Schluß der Ausstellung, fand sich Eva mit ihrer Agentin Margery Goodwin und deren Assistentin Carolyn Pook zusammen in einem kleinen Restaurant wieder. Mit einem übertriebenen Seufzer der Erleichterung lehnte sich Margery in ihrem Stuhl zurück. „Meine Lieben, wir haben es geschafft“, sagte sie mit einem triumphierenden Lächeln. „Ein voller Erfolg, auch wenn es sich bei einem Drittel der Stücke um Leihgaben aus Privatbesitz handelt. Für mindestens die Hälfte der restlichen Skulpturen haben wir ernsthafte Kaufinteressenten.“ -6-
„Du beliebst zu scherzen!“ warf Eva lachend ein. „Waren es so viele?“ „Aber sicher, vorausgesetzt, aus Kaufwünschen werden feste Kaufabschlüsse.“ „Da habe ich überhaupt keine Bedenken“, meldete sich Carolyn zu Wort. „Die Leute waren hellauf begeistert. Gratuliere, Eva!“ Eva lächelte sie an. „Danke. Ich hoffe, es gefiel ihnen. Ich glaube nicht, daß ich diese Ausstellungen viel öfter überstehen würde.“ „Ja, du siehst etwas abgespannt aus“, bemerkte Margery besorgt. „Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen. Das Stadtleben ist einfach zu aufregend.“ „Ist Sylvias Maisonette bequem genug? Sie meinte, du solltest dich dort wie zu Hause fühlen.“ „O ja, es war lieb von deiner Freundin, sie mir zu überlassen. Aber zu Hause bei mir ist es anders. Mir fehlt einfach das Meer.“ „Du bist doch erst seit gestern hier. „Ich weiß. Das Rauschen der Brandung ist aber nicht zu vergleichen mit dem Lärm der Großstadt. Du bist schon bei mir gewesen, Margery, und hast erlebt, wie friedlich es dort ist. „Also was mich betrifft, ich bin ein Stadtmensch. Auf Besuch am Meer, das lasse ich mir ja noch gefallen, aber dort leben?“ „Fühlen Sie sich nicht manchmal einsam?“ fragte Carolyn. „Nein, ich habe ja meine Arbeit. Außerdem ist da immer das Meer, sogar wenn ich mitten in der Nacht aufwache. Dann gehe ich auf die Terrasse hinaus und lausche dem Geräusch der Wellen. Es gibt kein besseres Beruhigungsmittel.“ Margery kicherte. „Ich könnte mir nachts etwas Angenehmeres vorstellen, etwas genauso Berauschendes allerdings.“ Carolyn lachte auf. „Margery Goodwin, du denkst auch immer nur an das eine.“ „Tja, so ist das Leben, nicht? Ich kann euch sagen, da waren ein paar gutaussehende Männer unter den Besuchern heute. Wäre ich nicht vollauf damit beschäftigt gewesen, deine Arbeiten zu verkaufen, Eva, ich hätte mich allzugern in Franco Rogets privates Hinterzimmer verzogen.“ Sie lehnte sich zu Eva hinüber und fragte: „Hast du ein Wort mit Tom Chester wechseln können? Ein -7-
Riese von Mann, alles an ihm ist Muskel.“ „Woher weißt du das so genau?“ Carolyn zog Margery auf. Margery lächelte. „Ich habe ihm einfach mal den Arm um die Taille gelegt. Du weißt doch, wie man das macht, wenn man etwas verkaufen möchte.“ Verschwörerisch senkte sie die Stimme. „Da schwabbelte nichts. Meine Visitenkarte habe ich ihm für alle Fälle überreicht.“ Eva lachte. Wenn sie Margery Goodwin nicht besser gekannt hätte, wäre ihr die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, peinlich gewesen. Margery war eine ausgezeichnete Kunstagentin und eine treue und fürsorgliche Freundin. Eva konnte verstehen, daß Margery sich mit ihren vierzig Jahren etwas intensiver mit dem männlichen Geschlecht beschäftigte. „Du bist einfach unverbesserlich, Margery. Wo hattest du denn David gelassen?“ „David? Och, weißt du, dem geht es prima. Ich sollte ihn für heute abend entschuldigen, wichtige Geschäftstermine und so.“ „Hätte er nichts einzuwenden, wenn du einfach mit einem anderen eine Affäre anfängst?“ „Ganz bestimmt.“ „Warum dann das große Gerede?“ Margery tätschelte beruhigend Evas Hand. „Es ist wirklich nur Gerede. Laß mich doch mal einen Spaß machen. Trotz seiner langweiligen Konferenzen ist David ein wundervoller Liebhaber. Eva, du solltest dir unbedingt einen Mann zulegen. Du glaubst gar nicht, was du versäumst.“ Eva lehnte sich zurück. Ein selbstzufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Danke, Margery, aber ich bin glücklich mit meinem Leben, so wie es ist.“ Carolyn schüttelte den Kopf. „Aber es könnte viel aufregender sein. Heute abend waren doch genug Männer da, mit denen man schnell mal für ein Wochenende hätte wegfliegen können.“ Eva hob warnend den Finger. „Margery, was für Flausen setzt du diesem armen Kind bloß in den Kopf?“ „Dieses Kind ist kaum jünger als du“, gab Margery entrüstet zurück. „Außerdem hatte sie in den letzten Monaten die Zeit, ihres Lebens als Begleiterin eines unserer wichtigsten Klienten. Walter -8-
Emerson ruft sie jeden zweiten Tag an.“ „Der Karikaturist? Ich dachte, er sei in den Fünfzigern?“ „Vorsichtig, meine Teuerste, manche von uns sind nicht mehr allzu weit weg davon. Aber wenn er dir zu alt erscheint, was würdest du denn von Jon Witley halten? Er joggt jeden Morgen und ist prächtig in Form.“ „Kein Interesse.“ Eva winkte ab. „Und was ist mit Bill Shaeffer?“ schlug Carolyn vor. „Er würde zu Ihnen passen. Wie ich weiß, hat er gerade seine Scheidung hinter sich.“ „Ja richtig, die dritte“, konterte Margery. „Tut mir leid“, sagte Eva leise. Gerade in diesem Moment leuchteten Margerys Augen auf. „Ich hab’s! Donovan Greene!“ rief sie laut. Eva verdrehte die Augen. „Bitte nicht! Was habe ich euch denn getan?“ „Du bist einfach zu anspruchsvoll, das ist dein Fehler“, stellte Margery fest. „Was du brauchst, ist eine heiße Affäre, die dir so richtig unter die Haut geht und mal dein Blut zum Sieden bringt. Du glaubst nicht, wie gut das der armen Seele tut, Eva. Das wärmt.“ Eva zweifelte daran. Ihr Lächeln sprach Bände. Und als ihr Chauffeur sie in der großen Limousine zu Hause abgesetzt hatte, war sie so müde, daß sie nur noch schnell unter die Dusche und dann ins Bett wollte. Unwillig drehte Eva sich um, als am nächsten Morgen der Wecker klingelte. Die Erschöpfung des letzten Tages hatte Wirkung gezeigt. Wie eine Tote hatte sie die Nacht durchgeschlafen. Obschon ein ausgesprochener Morgenmensch, hatte Eva keine große Lust aufzustehen. Die Vorstellung, den ganzen Tag von einer Galerie zur anderen fahren zu müssen, um die Händler die ihre Arbeiten verkauften, zu besuchen, stimmte sie keineswegs heiter. Die heiße Dusche half ihr, die Müdigkeit abzuschütteln, und sie entspannte sich. -9-
Sie setzte sich vor den Frisiertisch und bürstete ihr volles dunkles Haar aus, bevor sie es zu einem schimmernden Knoten im Nacken feststeckte auch das war ein Zugeständnis an ihren Aufenthalt in New York. Zu Hause zog sie es vor, das Haar locker auf die Schultern fallen zu lassen. Doch ihr war klar, daß unter den Leuten, denen sie an diesem Tag begegnen würde, manche waren, die einer Achtundzwanzigjährigen den frühen Erfolg nicht gönnten. Um den Neidern so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, trug sie Make-up auf, doch besonders dezent. Vor allem die Sommersprossen auf der Nase wollte sie verdecken. Die betonten den frischen, mädchenhaften Charme ihrer Gesichtszüge, und genau diesen Eindruck wollte sie nicht erwecken. Nachdem sie blaßlila Lidschatten aufgetragen hatte, überprüfte sie im Spiegel kritisch ihr Aussehen. Sie war zufrieden, sie strahlte Reife und kühle Eleganz aus. Ihre Vorliebe, kein Make up zu tragen, mußte warten. Nur noch einen Tag länger. Unter dem weißen Leinenkostüm trug sie eine schwarze Bluse. Mutter wäre stolz auf dich, Eva, dachte sie, als sie sich zum letztenmal vor dem Spiegel drehte. Sie erinnerte sich an die heftigen Diskussionen mit ihrer Mutter in früheren Jahren. „Nein, Eva, du ziehst keine Jeans an!“ „Aber die Jungs tragen sie doch auch.“ „Bei Jungs ist das etwas anderes. Eine junge Dame geht nicht in Latzhosen durch Manhattan.“ Bei dem Gedanken an die streng konservative Eleganz ihrer Mutter mußte Eva unwillkürlich lächeln. Sie waren immer blendend miteinander ausgekommen, an Liebe hatte es Eva nie gefehlt. Doch war es wahrscheinlich ein Ergebnis ihrer Erziehung, daß sie sich unwohl fühlte, wenn sie in Hosen durch die Stadt ging. Sich schick zu machen, war ungewohnt. Zu Hause trug sie, was sie wollte, egal zu welcher Zeit. Nun, schon morgen werde ich wieder frei sein, dachte sie. Wenn ihr nur diese Meetings mit den Galeristen erspart blieben. Sie warf einen Blick auf ihre goldene Armbanduhr. Noch zwanzig Minuten, bis ihr Chauffeur kam, sie abzuholen. Schnell - 10 -
stieg Eva die Treppe ins Untergeschoß hinunter, warf die Kaffeemaschine an und setzte sich anschließend an die Frühstücksbar. Eigentlich hätte sie bei dem anstrengenden Tag, der vor ihr lag, ein herzhaftes Frühstück nötig gehabt, doch ihr Magen rebellierte beim bloßen Gedanken daran. Viertel vor neun, war zu früh, um schon etwas zu essen. Das mußte bis zum Mittagessen warten. Eva wußte allerdings nicht, wann und wo sie Gelegenheit dazu haben würde. Noch einmal ging sie ins Bad, um einen Hauch Eau de Cologne anzulegen, und dann begab sie sich in den Salon, wo sie auf das Eintreffen ihres Fahrers wartete. Sie hatte noch fünf Minuten Zeit. Wie immer war sie überpünktlich. Sie versuchte sich auf die Geschäftsbesprechungen, die vor ihr lagen, zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken schweiften ab. „Margery, du weißt doch, wie sehr ich das hasse“, hatte sie vor einer Woche am Telefon protestiert. „Klar weiß ich das, Eva. Deswegen habe ich dir es ja auch bis heute verschwiegen. Je weniger du darüber nachdenken kannst, desto besser für dich. Aber besonders die Galeristen, die deine Arbeiten zum erstenmal ausstellen, möchten dich unbedingt kennenlernen.“ „Warum kommen sie dann nicht einfach zur Vernissage?“ „Wahrscheinlich werden sie dasein. Trotzdem mußt du sie besuchen. Jetzt hab dich nicht so, du vergibst dir doch damit nichts.“ „Und ob ich das tue. Den ganzen Tag krampfhaft lächeln und herumstehen, ist das etwa nichts?“ „Dann mußt du eben um einen Stuhl bitten.“ „Heißt das, du kommst nicht mit?“ „Tut mir leid, das geht nicht. Unser Fahrer wird dich abholen, er kennt deinen Terminplan. Am Abend kommt ihr dann bei mir vorbei, und wir gehen gemeinsam essen. Du kannst mir dann erzählen, wie es gelaufen ist.“ „Du drückst dich ja nur.“ „Aber Eva! Nur keine Angst, diese Galeristen sind von Natur aus - 11 -
äußerst charmant.“ „Das ist es ja gerade, was ich befürchte, Margery.“ „Einmal im Jahr ist das zuviel gefragt? Denk an deine Karriere, Eva. Du wirst ein, großes Stück weiterkommen.“ „Ich ziehe es vor, mir durch meine Arbeit Ausdruck zu verschaffen.“ „Weiß ich, das tust du auch. Aber dann und wann muß man schließlich auch ein bißchen die Werbetrommel rühren. Das schadet keinesfalls.“ Den Leuten Honig um den Mund schmieren, das genau war es, was Eva haßte. Viel lieber hätte sie den zusätzlichen Tag in einigen New Yorker Museen verbracht oder auch für Einkäufe genutzt, um dann schnellsten wieder nach Hause zurückzufahren. Gerade leerte sie ihre Tasse, als es an der Tür klingelte. Neun Uhr. Felix war auf die Sekunde pünktlich. Sollte ihn doch gleich... Sie angelte sich ihre Handtasche und warf noch, schnell einen Blick aus dem Fenster. Unten auf der Straße stand die ihr bereits vertraute, riesige schwarze Limousine. Eva ging zur Tür und öffnete sie. Der Mann, der vor ihr stand, war nicht Felix, ihr Chauffeur. Felix war klein, mit schütterem, grauem Haar. Dieser Fremde vor ihr trug zwar einen ähnlichen dunklen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte, aber er war groß, breitschultrig und athletisch gebaut. Sein Gesicht hatte eine gesunde Farbe, das blonde Haar unter der Chauffeursmütze war voll. Aber vor allem zogen seine Augen sie in ihren Bann. Sie waren blau und klar, und von einer sonderbaren Frische. „Miss, Mattheson?“ fragte er. Seine Stimme war tief und leicht rauh. „Ja?“ Eva spürte die Wärme, die in ihr hoch stieg. Würde es wieder so ein heißer Tag werden? „Mein Name ist Dallas. Ich habe den Auftrag, Sie heute zu fahren.“ Verwirrt blinzelte Eva. Sie hatte Mühe, ruhig zu atmen. „Ist - ist - 12 -
Felix krank?“ „Die Agentur braucht ihn heute für einen anderen Kunden. Aber ich habe die Liste mit den Galerien, zu denen ich Sie fahren soll.“ Er schaute an ihr vorbei in den Salon. „Haben Sie irgend etwas, das ich zum Wagen bringen kann?“ „Nein, nur die Handtasche. Ich bin soweit fertig.“ „Dann würde ich vorschlagen, wir fahren gleich los. Es ist ziemlich viel Verkehr in der Stadt.“ Er trat zurück und schloß die Tür, als Eva an ihm vorbeiging. Erst da bemerkte sie, wie groß er in Wirklichkeit war. Mit ihren einssiebzig und den Stöckelschuhen war sie nicht gerade klein, aber dieser Mann mußte an die ein Meter neunzig sein, dazu von einem Körperbau, der seine Größe noch unterstrich. Siehst du, Margery Goodwin, auch ich bin nicht ganz blind, dachte sie. „Es wird heute wieder ein warmer Tag werden“, hörte sie den Mann neben sich sagen. „Ungewöhnlich, dieses Wetter, für Anfang Juni.“ „Ja, das stimmt“, erwiderte sie leise und stieg die Stufen zur Straße hinab. Dallas ging schnell voraus und öffnete ihr die hintere Wagentür. Eva dankte ihm und ließ sich in den Fond sinken. Nachdem Dallas sich hinters Steuer gesetzt hatte, sah er sich den Terminplan an. „Sie haben ja ganz schön viel zu tun“, bemerkte er und warf einen Blick in den Rückspiegel. Dann ließ er den Motor an und reihte den schweren Wagen geschickt in den fließenden Verkehr ein. Die Fahrt verlief schweigend, Eva konzentrierte sich auf die bevorstehenden Termine. Doch ihre Laune hatte, sich nach dem unvermuteten Erscheinen dieses Fremden gebessert, sogar sehr. Als sie an ihrem ersten Bestimmungsort, einer kleinen Galerie an der East Side, angelangt waren, hielt Dallas am Bürgersteig, stieg aus und öffnete Eva die Tür. „Ich bleibe hier stehen und warte auf Sie“, sagte er, während er sie zur Galerie begleitete und sie eintreten ließ. Eva nickte und lächelte ihn an. Wenige Augenblicke später wurde sie von dem ersten der Kunsthändler, die sie umwerben sollte, begeistert begrüßt. - 13 -
Als sie eine Stunde später wieder auftauchte, stand, Dallas an die Seite des Wagens gelehnt. Sofort richtete er sich auf und öffnete ihr die Tür. „Na, alles glatt gegangen?“ fragte er. Seine rauhe Stimme hatte etwas Tröstliches. Wieder spürte Eva die Frische, die von ihm ausging. Sie antwortete nicht, doch das Zucken um ihre Mundwinkel verriet, was sie dachte. „Tut mir leid wegen der Hitze“, entschuldigte sich Dallas. „Ich habe immer mal wieder den Motor laufen lassen, aber die Klimaanlage ist solchen Temperaturen einfach nicht gewachsen.“ Er drehte die Kühlung voll auf „Ist schon gut“, beruhigte Eva ihn. Sie fühlte sich erleichtert, der beengenden Atmosphäre der Galerie entkommen zu sein. Als die Limousine anfuhr, studierte sie ihren Chauffeur etwas eingehender. Sein Haar war im Nacken sorgfältig geschnitten, an der Seite modisch kurz gehalten. Sie überlegte, ob es ihm unter seiner Fahrermütze nicht zu warm war. War eigentlich schade um das dichte Haar. „Wir sind da“, sagte Dallas und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Galerie, der sie sich näherten. „Was, so schnell?“ Im Wagen war es kühler geworden, und Eva verspürte wenig Lust, wieder auszusteigen. „Ich fürchte ja.“ In dem Blick, den er ihr im Rückspiegel zuwarf, lag eine insgeheime Vertrautheit, wie unter Mitverschworenen. Wieder half er ihr aus dem Wagen und versprach ihr zu warten. Nachdem sie die dritte Galerie besucht hatten, ließ sich Eva erschöpft in das weiche Polster des Rücksitzes sinken. Diesmal hatte sie mit einer Frau verhandelt, die zwar äußerst höflich gewesen war, aber auch Fragen von einer ermüdenden Intensität an sie gestellt hatte. Sie gab Eva das Gefühl, sofort nach Hause eilen zu müssen, um all die Arbeiten fertigstellen zu können, für die die Käufer bereits Schlange standen. So große Zuversicht hätte eigentlich ermutigend wirken müssen, doch Eva machte das nur nervös. Wieder wurde ihr bewußt, daß sie nie in der Stadt leben könnte. - 14 -
„Was halten Sie von einem kalten Drink?“ fragte Dallas. „Die nächste Galerie ist ganz in der Nähe. Wir haben noch ein paar Minuten Zeit.“ Eva schlug die Augen auf, die sie erschöpft geschlossen hatte. „Das ist der beste Vorschlag, den ich bisher gehört habe.“ Sie sah, daß Dallas lächelte. „Okay.“ Er hielt vor einem Kiosk an und lehnte sich über den Beifahrersitz, um das Angebot auf der Tafel über der Verkaufstheke zu studieren. „Sieht so aus, als gebe es nur Getränke in Dosen“, sagte er. „Was soll es denn sein Coke, Seven Up oder Limonade?“ „Coke ist mir recht.“ Egal was, Hauptsache, es war kalt und würde sie wieder zu neuem Leben erwecken. Eva kramte in ihrer Handtasche nach Kleingeld, aber Dallas war schon ausgestiegen, bevor sie ihm den Schein in die Hand drücken konnte. Durch die dunklen Scheiben der Limousine beobachtete sie ihn, wie er die Getränke entgegennahm und das Wechselgeld in seine Hosentasche steckte. Dabei schlug er das Jackett zurück, und sie sah, wie sich die Hose über seinen wohlgeformten Oberschenkeln spannte. Eva wunderte sich, woher ihr plötzliches Interesse an männlichen Vorzügen stammen konnte. Dallas war schließlich ihr Chauffeur. Eva hatte schon längst ihre Haltung wiedergewonnen, als Dallas zurückkam und sich zu ihr herumdrehte, um ihr die Cola-Dose zu überreichen. Er hatte auch eine für sich gekauft, und Eva überkam ein Gefühl der Scham, daß sie ihn in die Hitze hatte hinausgehen lassen, während sie in dem klimatisierten Wagen geblieben war und sich bedienen ließ. Sie hielt ihm das Geld hin. „Hier, bitte.“ Als Dallas sie verständnislos ansah, fügte sie hinzu: „Für die Getränke, alle beide. Und vielen Dank.“ Einen Augenblick schien es ihr, als wäre er verärgert. Er hatte die Augenbrauen fast unmerklich zusammengezogen. Aber dann entspannten sich seine Gesichtszüge wieder. „Danke, Miss, aber - 15 -
das geht zu Lasten der Agentur.“ Ihre Blicke trafen sich. Wieder spürte Eva die Faszination, die von seinen Augen ausging. Sie nickte nur und steckte das Geld in ihre Brieftasche. Dallas steuerte den Wagen in eine Seitenstraße und parkte im Schatten. Er öffnete den Verschluß der Cola Dose und setzte sie an seine Lippen. Eva beobachtete gebannt, wie sein muskulöser Hals bei jedem Schluck zuckte. Sein plötzliches „O je!“ brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Dallas suchte in seiner Jackentasche und förderte einen in Papier verpackten Strohhalm zutage. Seine betretene Miene wirkte ulkig. Eva mußte unwillkürlich lächeln. Sie nahm den Strohhalm dankend entgegen. Eigentlich hatte Dallas das genau richtig gemacht, aber sie war schließlich eine Dame im Herzen von Manhattan und konnte sich nicht einfach so gehenlassen. Begierig kostete sie das eiskalte Getränk. Sie bemerkte, daß Dallas ihr dabei amüsiert zusah. Viel zu früh mußten sie wieder aufbrechen. Der vierte und fünfte Termin war mehr oder weniger eine Wiederholung der vorausgegangenen, mit der Ausnahme, daß sie auch mit einigen Sammlern ihrer Kunst zusammentraf. Als Eva schließlich zum Wagen zurückkam, war es schon nach zwei Uhr. „Sie sehen müde aus“, bemerkte Dallas. Er drehte sich um und sah, wie blaß sie war. „Ich hoffe, man hat Ihnen etwas zu essen angeboten.“ Eva ließ den Kopf nach hinten ins Polster sinken. „Nein. Vielleicht hatte jeder angenommen, ich hätte schon anderswo gegessen. Oder das Interesse von Galeristen geht nicht so weit, daß sie sich um das Überleben ihrer Künstler kümmern.“ Dallas verzog keine Miene. Er sah sie nur weiter prüfend an. Dann drehte er sich wiederum und startete den Motor. „Na, dann müssen wir was dagegen unternehmen“, murmelte er. Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr durch einige Seitenstraßen, bis er vor einem kleinen Restaurant anhielt. Mit einem „Ich bin gleich wieder zurück“, stieg er aus. Eva war froh, sitzen bleiben und die Augen schließen zu können. Als Dallas wieder hinterm Steuer Platz nahm, hatte er eine große - 16 -
Tüte bei sich. In Eva regte sich plötzlicher Heißhunger. Sie klappte einen der Vordersitze im Fond um, so daß sie direkt hinter ihm saß. „Was haben Sie denn mitgebracht? Er konzentrierte sich auf den Verkehr. „Dies und das“, sagte er nur. Und nach einer Weile: „Hätten Sie Lust, im Park zu essen? Dort ist es schön kühl.“ Eva war gerührt, wie er sie umsorgte. „Das klingt wundervoll! Ich dachte nur, da würde man keinen Parkplatz finden.“ „Ja, für Ortsfremde ist das ein Problem.“ Dallas lächelte hintergründig, so daß Eva unwillkürlich lachen mußte. „Sind Sie hier in New York aufgewachsen?“ fragte sie ihn. „Nein, aber ich lebe hier schon lange genug, um die eine oder andere Besonderheit zu kennen. Der Central Park ist zwar nicht gerade mein Traumziel, aber gut genug, wenn man nichts anderes hat.“ Eva wunderte sich über ihren Chauffeur. Was hatte ihn wohl dazu gebracht, diesen Beruf zu ergreifen? Sie schätzte ihn auf Ende dreißig. Die Fältchen um seine Augenwinkel verrieten ihr, daß er gern und viel lachte. Er konnte aber auch plötzlich ernst, ja fast grimmig wirken. Das hatte sie bereits mitbekommen. Verblüfft beobachtete sie, wie er den Wagen in einen schmalen Seitenweg steuerte, der in den Park führte. Er hielt ihr die Tür auf. „Na, was sagen Sie? Picknick mitten im Central Park.“ „Herrlich“ jubelte Eva, stieg aus und sah sich um. Vor ihr breiteten sich die grünen Rasenflächen und hohen Baumgruppen des riesigen Parks aus. „Kommen Sie, wir suchen ein Plätzchen, wo wir uns niederlassen können“, sagte Dallas hinter ihr.
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2. KAPITEL Schwungvoll breitete Dallas sein Jackett auf dem weichen Rasen aus. „Hier, nehmen Sie Platz, es wäre doch schade um das weiße Kostüm.“ Eva nahm das Angebot dankend an und sah zu, wie er das Lunchpaket auspackte. „Krabben, Parmaschinken, Melone, Thunfischsalat und Fladenbrot.“ Dallas reihte die Behälter vor ihr auf. „Zur Limonade ließ ich mir zusätzlich Eiswürfel geben, und hier haben wir Papierteller, Gabeln und Servietten.“ Er lächelte Eva an. „Sagen Sie bitte nicht, Sie seien allergisch gegen Fisch.“ Eva lachte auf. „Dallas, ich wohne am Meer. Für mich sind es nur ein paar Schritte bis zum Dock, wo die Fischer ihre Fänge anlanden. Da gibt es alles, was das Herz begehrt Hummer, Krabben, Kabeljau, dazu fangfrisch.“ Dallas verteilte den Thunfischsalat auf die beiden Teller. „So, Sie wohnen am Meer?“ „Ja, Marblehead Neck, im Norden von Massachusetts.“ „Liegt das in der Nähe von Gloucester?“ Evas Augen leuchteten auf. „Kennen Sie die Gegend?“ „Ich habe da oben Bekannte.“ Geschickt garnierte er den Salat mit einer Portion Krabben. „Ich besuche sie so oft wie möglich, es gefällt mir dort gut.“ „Ja, es ist ein wundervolles Stückchen Erde.“ „Sind Sie am Meer aufgewachsen?“ „Nein, meine Familie stammt aus Connecticut. Aber ich habe schon als Kind meine Ferien in Marblehead verbracht, und als ich nach einem Haus für mich suchte, fiel mir die Wahl des Standortes leicht.“ Dallas sah sie eine Weile schweigend an. „Als Künstler läßt es sich in Marblehead sicher gut arbeiten, es leben ja auch genug dort.“ „Richtig, man könnte es das San Francisco der Ostküste nennen.“ Erst jetzt sah Eva, auf ihren Teller. „Halt, das ist genug! Das schaffe ich ja nie.“ - 18 -
Der Blick, den Dallas ihr zuwarf, war unergründlich. „Wann haben Sie zum letztenmal gegessen?“ „Gestern abend.“ „Dann würde ich vorschlagen, Sie langen mal tüchtig zu.“ Um seine Mundwinkel zuckte es. „Wenn etwas übrigbleibt, erkläre ich mich gern für zuständig. Ich bin dafür bekannt, daß ich von anderen Tellern stibitze.“ Eva sah auf ihre Uhr. Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. „Soviel Zeit bleibt uns ja sowieso nicht.“ Sie nahm von dem Krabbenfleisch, tunkte es in die Sauce und kostete. „Hm, wirklich vorzüglich für New Yorker Verhältnisse.“ Sie warf Dallas ein Lächeln zu. „Nicht nur in Massachusetts bekommt man frischen Fisch. Ich glaube kaum, daß Sie einen Unterschied schmecken.“ Sie sagte nichts, natürlich hatte er recht. Die Krabben waren hervorragend. Eva lehnte sich zurück. Die Baumwipfel über ihr wiegten sich in einer leichten Brise. Ihr wurde plötzlich bewußt, daß sie noch immer ihre Kostümjacke trug. Sie wischte sich, die Hände an der Serviette ab und schlüpfte aus der Jacke. „Wissen Sie, ich hätte nicht gedacht, daß ich heute zu einem Picknick eingeladen werde“, sagte sie und suchte seinen Blick. „Vielen Dank.“ Wie gebannt starrte Dallas auf die Perlenkette, die sie um den Hals trug. „Diese Perlen sind wunderschön.“ Plötzlich verlegen fingerte Eva an ihrer Kette. „Die trage ich . nur, wenn ich in der Stadt zu tun habe. Ich ziehe sonst legere Kleidung vor.“ „Steht Ihnen aber gut. Halten Sie sich nicht gern in der Stadt auf?“ „Nein.“ Ihre Antwort kam leise, klang fast wie eine Entschuldigung. „Ich hatte mir vorgestellt, daß es ziemlich aufregend sein muß, so als erfolgreiche Bildhauerin gefeiert zu werden.“ „Ja, meine Arbeiten verkaufen sich gut. Aber die geschäftliche Seite interessiert mich kaum. Im Gegenteil, ich finde diese Abstecher in die Stadt ziemlich ermüdend.“ Eva sah Dallas zu, wie - 19 -
er seine Gabel zum Mund führte. Seine Hände waren kräftig, leicht gebräunt und sehr maskulin. „Wenn es nach mir ginge, würde ich Margery ganz allein den Verkauf überlassen. Mir ist es eigentlich gleichgültig, ob meine Sachen Käufer finden oder nicht, ich liebe nur meine Arbeit.“ Dallas musterte sie neugierig. „Wenn Sie aber nichts verkaufen, wovon wollten Sie dann leben?“ Und er fügte hinzu: „Oder unterstützt Sie Ihr Mann?“ „Ich bin nicht verheiratet. Und meine Bedürfnisse sind eher bescheiden“, erklärte Eva. Doch es war nicht die ganze Wahrheit. Evas Eltern hatten ihr eine beträchtliche Summe überschrieben, die ihr Auskommen sicherte, ob sie nun mit ihrer Arbeit erfolgreich war oder nicht. Sie schätzte sich glücklich, denn so war ihr Leben unbelastet, und sie konnte sich ganz ihrer Kunst widmen. „Ist es manchmal nicht einsam dort oben?“ fragte Dallas. Eva erinnerte sich nur zu gut, daß Carolyn ihr am Abend zuvor die gleiche Frage gestellt hatte, als sich das Gespräch hauptsächlich um Männer und Sex drehte. Sie warf einen prüfenden Blick auf ihren Chauffeur wie er so dasaß, gutaussehend, im Schatten der hohen Eichen des Central Parks, verspürte sie erneut dieses Gefühl von erwachender Sinnlichkeit, das sie heute morgen überfallen hatte, als sie ihm die Tür geöffnet und zum erstenmal in diese tiefblauen Augen geschaut hatte. Überrascht und etwas verwirrt wandte sie sich wieder ihrem Essen zu und gab ihm die gleiche Antwort, wie sie Carolyn bekommen hatte. „Ich bin gern allein. So arbeite ich am besten.“ „Und das Vergnügen? Kommt das dabei nicht zu kurz?“ Eva nahm sich ein Stück Melone. „Meine Arbeit macht mir Spaß. Außerdem habe ich ja Freunde, da findet auch mal die eine oder andere Party statt.“ Sie hob den Blick und sah Dallas an. Warum hatte sie das Gefühl, sich verteidigen zu müssen? „Ich unternehme lange Wanderungen am Strand, das ist meine Art von Vergnügung, da entspanne ich. Ich mag vielleicht allein sein, einsam fühle ich mich jedoch nicht.“ Sie stocherte in ihrem Salat herum. Fast beiläufig fragte sie: „Und Sie? Sie kommen doch sonst bestimmt nicht allein hierher in den Park?“ - 20 -
Sein amüsiertes Lächeln um die Mundwinkel war nicht zu übersehen. „Wenn Sie damit fragen wollen, ob ich öfter Frauen hierher zum Picknick einlade, die Antwort lautet nein. Meine Freundinnen ziehen Komfort vor.“ „Sie sind nicht verheiratet?“ „Nein.“ Eva dachte kurz nach.: „Fahren Sie eigentlich schon lange?“ „Seit ich sechzehn bin.“ „Nein, ich meine beruflich.“ Sie deutete mit einer Handbewegung zur Limousine hin. Dallas hätte aufgehört zu essen und sah sie an Sie fühlte sich seinen Blicken ausgesetzt, irgendwie verletzlich, als ob er sie berühren, mit seinen Händen sanft und erregend über ihre Wangen und Lippen streichen würde. „Ach das!“ sagte er gleichgültig. „Nein, noch nicht sehr lange... Aber bis jetzt entwickelt sich der Job zum reinsten Abenteuer. Man trifft auf so viele interessante Leute.“ „Erzählen Sie mir doch von den anderen, die Sie sonst fahren.“ Dallas holte tief Luft und setzte sich auf. „Ich denke, es ist besser, wir beeilen uns mit dem Essen. Ihr nächster Termin ist schon in zwanzig Minuten.“ Bei der Erwähnung dessen, was an diesem Nachmittag noch vor ihr lag, rümpfte Eva die Nase. Dallas sah sie fasziniert an. „Sie haben ja Sommersprossen!“ „Ach... Eigentlich sollte mein Make-up sie verdecken.“ „Warum denn das?“ „Um mich älter erscheinen zu lassen.“ „So? Wie alt sind Sie denn?“ Sein Blick glitt langsam über ihren Körper. „Dreiunddreißig, vierunddreißig?“ Eva lachte. „Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment verstehen soll oder nicht. Ich bin neunundzwanzig, mein Herr.“ „Wer hätte das gedacht!“ neckte er sie. Eva warf ihm einen vernichtenden Blick zu und konzentrierte sich dann auf den Inhalt ihres Tellers. Sie konnte sich nicht helfen, seine Gelassenheit wirkte ansteckend. In seiner Nähe fühlte sie sich sicher, und sie kostete jede Minute aus. Wie Dallas vorausgesehen hatte, aß sie alles auf. Sie begann die - 21 -
Teller zusammenzuräumen doch er nahm sie ihr sanft aus der Hand, stellte sie ineinander und trug sie zu einem nahen Abfalleimer, wo er sie, mit einem gezielten Wurf deponierte. Eva war inzwischen aufgestanden, hatte ihren Rock geradegestrichen und die Jacke angezogen. Sie nahm auch sein Jackett auf und hing es sich über den Arm. Dallas begleitete sie zur Limousine: „Na“ dann wollen wir mal“; sagte er und legte eine Hand ganz leicht um ihre Hüfte. Die nächsten vier Stunden wirkten auf Eva noch ermüdender, als es der Vormittag gewesen war. Eine seltsame Ungeduld hatte sie erfaßt. Alles in allem konnte sie sehr zufrieden sein mit dem Empfang, den man ihr in den verschiedenen Galerien bereitete, doch war es immer wieder eine Erholung, zur Limousine zurückzukehren und sich von Dallas umsorgen zu lassen. Er gab sich redlich Mühe, fuhr selbst Umwege, um den Aufenthalt in dem kühlen Wagen zu verlängern. Ab und zu warf er einen prüfenden Blick in den Rückspiegel, wie um sich zu vergewissern, daß es ihr gutging und Eva war ihm dankbar für diesen Blickkontakt. Seine leichte Konversation lenkte sie ab, und wenn er spürte, daß sie sich konzentrieren wollte, schwieg er. Zunehmend wurde ihr bewußt, wie spontan sie auf ihn reagierte. Schon wenn er sich ihr zuwandte, fühlte sie ein erregendes Kribbeln in ihrem Körper bevor er sie berührte! Eva war auf dem Bürgersteig mit ihrem Stöckel in einem Gitter hängengeblieben und wäre gefallen, wenn nicht Dallas sie aufgefangen hätte. Für einen kurzen, erregenden Augenblick hielt er sie in seinen starken Armen und preßte sie an sich. Er mochte wohl ihr Chauffeur sein, doch kam er Eva viel mehr wie ein Freund vor, der die Mühen des Tages mit ihr teilte und sie verstand. Wenn ein Galeriebesitzer sie allzu jovial begrüßte, brauchte sie Dallas nur einen Blick zuzuwerfen, er nickte dann unmerklich, wie um ihr zu sagen: Kopf hoch, das schaffen Sie schon! - 22 -
Eva fragte sich, ob sie sich wirklich physisch von Dallas angezogen fühlte oder ob die Wärme, die durch ihren Körper strömte, allein der Hitze des Tages zuzuschreiben war. Hatte sie sich von dem Gerede ihrer beiden Freundinnen am Vorabend beeinflussen lassen? War in ihr ein Hunger nach Sex erwacht? Sie wußte es nicht. Die einzige Erfahrung, die sie in dieser Hinsicht gehabt hatte, war vor Jahren mit einem gleichaltrigen Künstlerkollegen gewesen und ohne das geringste Gefühl der Befriedigung ihrerseits verlaufen. Das Bedürfnis nach einer Wiederholung war danach nie wieder aufgekommen. Doch nie, auch nicht beim erstenmal, hatte sie eine derartige Erregung gespürt. Ihr kam es vor, als lernte sie ihren Körper ganz von neuem kennen. Margerys Worte fielen ihr ein. Eva wunderte sich, ob ihre Freundin recht hatte, daß alles, was sie brauchte, eine wirklich heiße Affäre war, die Körper und Seele gleichzeitig wärmte, die Einsamkeit... „Miss Goodwin sagte, sie würde um acht vor dem Bürogebäude warten“, bemerkte Dallas, als er in die Third Avenue einbog. „Sind Sie dieser letzten Verpflichtung gewachsen?“ Sie sah im Rückspiegel, wie er lächelte. „Das Schlimmste ist ja überstanden“, antwortete sie leise. „Margery wird furchtbar neugierig sein, wie der heutige Tag verlief. Morgen früh habe ich noch einen Termin, und dann werde ich mich auf nach Hause machen.“ „Nehmen Sie das Flugzeug nach Boston?“ „Nein, ich fliege nicht, wenn ich es vermeiden kann, Das war eine der Bedingungen, als ich in die Stadt kam. Felix fuhr mich hierher, und ich nehme an, er wird mich morgen wieder zurückbringen.“ Kaum hatte er den Wagen vor einem modernen Gebäude mit Glasfront angehalten, kam Margery auch schon heran, riß die Tür auf und ließ sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf den Rücksitz neben Eva fallen. „Was für eine Hitze!“ rief sie aus. „Ich meine, es ist ja alles klimatisiert heutzutage, aber was nützt einem das, wenn man den - 23 -
ganzen Tag immer wieder rein und raus muß. Dieser ständige Wechsel ist unerträglich, ich habe fürchterliche Kopfschmerzen.“ Sie kramte in ihrer Handtasche und entnahm einem Döschen zwei Tabletten, die sie sich in den Mund steckte und hinunterschluckte. Eva verzog das Gesicht. „Wie schaffst du das ohne Wasser?“ „Alles Gewöhnungssache, meine Liebe.“ Sie beugte sich zu Dallas vor. „Ich habe einen Tisch im World Trade Center reserviert.“ Er nickte nur und fuhr los. „Nicht übel“, sagte Margery zu Eva mit einem Seitenblick auf Dallas. Eva lächelte. „Wir gehen heute also ganz groß aus?“ fragte sie. „Nun, ich dachte, du hättest dir eine Entschädigung verdient, nach allem, was du heute durchgemacht hast. Du haßt mich doch nicht etwa dafür?“ „Ich muß zugeben, es gab Augenblicke...“ „Erzähl mir alles, ich möchte jede Einzelheit wissen.“ Eva gab einen genauen Bericht, wie ihr Tag verlaufen war. Margery unterbrach sie hin und wieder mit Fragen, versuchte jede einzelne Reaktion der Galeristen, mit denen sich Eva getroffen hatte, einzuschätzen und ihr Interesse zu bewerten. Nicht einmal alle Termine des Morgens waren abgehandelt, da hatten sie ihr Ziel bereits erreicht. Dallas hielt an, stieg aus, öffnete den beiden Frauen die Tür und half ihnen galant aus dem Wagen. Scheint es mir nur so, dachte Eva, oder hat er meine Hand nur zögernd losgelassen? Margery unterbrach ihre Gedanken. Sie wandte sich an Dallas: „Geben Sie uns bitte, ein paar Stunden. Bis dahin haben wir uns dann wieder gestärkt.“ Ohne weitere Erklärung ging sie auf den Eingang zu. Eva zögerte noch. Sie sah Dallas an. „Werden Sie sich auch etwas zu essen besorgen?“ flüsterte sie ihm zu. Um seine Lippen zuckte es. „Ein Bier und ein Sandwich sind jetzt genau das richtige. Nicht gerade Champagner und Kaviar, aber für mich reicht es.“ „Ich fühle mich irgendwie schuldig.“ - 24 -
„Unsinn.“ Er streichelte ihr kurz über den Rücken. „Jetzt gehen Sie schon. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen. Ich finde, Sie haben es sich redlich verdient.“ Sie wollte ihm noch sagen, daß auch er Entspannung nötig hatte, als sie Margery bemerkte, die ungeduldig auf sie wartete. „Danke“, flüsterte sie ihm zu. Margery hakte sich gleich bei ihr unter. „Um was ging es denn“, fragte sie. „Wie bitte?“ „Heimlichkeiten mit deinem Fahrer?“ Eva war dankbar, daß ihr die Drehtür momentan eine Antwort ersparte. In der Eingangshalle hatte sie ihre Fassung wiedergewonnen. „Er ist ein netter Kerl“, bemerkte sie beiläufig. „Das freut mich zu hören. Als ich heute morgen von der Agentur hörte, daß Felix sich krank gemeldet hatte, machte ich mir schon Sorgen. Sie sagten mir, dieser Mann sei sehr fähig.“ „Allerdings, und ein Wunder an Geduld.“ Unter anderem, dachte Eva. „Weißt du, wenn wir beide heute über die Hitze klagen, wie muß er sich erst gefühlt haben?“ „Das ist doch sein Job, er wird ja auch gut bezahlt.“ „Trotzdem.“ Sie reihten sich unter die wartenden Leute vor dem Lift ein, der sie in kürzester Zeit ins hundertsiebte Stockwerk bringen würde. Margery sah Eva von der Seite an. „Trügen mich etwa meine Augen?“ Eva versuchte, so unbeteiligt wie möglich auszusehen. „Was ist mit deinen Augen, Margery?“ „Wenn mich nicht alles täuscht, magst du diesen Burschen.“ „Ich sagte doch schon, er ist ganz nett.“ „So meinte ich das nicht. Ich ahne, daß sich dahinter mehr verbirgt.“ Sie betonte jedes einzelne Wort. „Margery, er ist mein Fahrer!“ „Schon möglich. Aber er sieht auch hervorragend aus. Oder ist dir das entgangen?“ „Ja, er macht eine ganz gute Figur“, gab Eva zu. „Aha, langsam kommen wir der Sache näher!“ - 25 -
„Also jetzt mach mal einen Punkt!“ Eva gab vor, verärgert zu sein. „Ich habe so das Gefühl, daß mir gar nicht gefällt, was du andeuten willst.“ Margery hob die Augenbrauen. „Meine Liebe, bei dir bedeutet jedes Eingeständnis, das man dir aus der Nase zieht, schon einen Sieg. Das wollte ich damit sagen. Soviel Leidenschaft du auch in deiner Arbeit zum Ausdruck bringst, manchmal könnte man meinen, du hättest was gegen das männliche Geschlecht.“ Die Tür zum Lift öffnete sich und unterbrach ihr Gespräch. Aber sicher würde Margery keine Gelegenheit auslassen, auf dieses Thema zurückzukommen. Insgeheim wappnete Eva sich und nahm sich vor, die Neugier ihrer Freundin und Agentin diesmal unter keinen Umständen zu stillen. Dallas große Gestalt war eine dunkle Silhouette, die gegen die mächtigen Umrisse der schwarzen Limousine lehnte. Er tippte mit dem Finger an seine Mütze, als Eva sich dem Wagen näherte. Margery hatte sich bereits von ihr verabschiedet. Sie hatte ein Taxi gerufen, da ihre Wohnung in der entgegengesetzten Richtung lag. Schweigend, öffnete er die Wagentür. Eva nahm im geräumigen Fond des Wagens Platz. Ihre Gedanken drehten sich weder um das, was sie mit Margery besprochen hatte, noch den nächsten Tag, sondern um den Mann, der sie nach Hause brachte. Fast lautlos glitt die schwere Limousine die Sixth Avenue entlang, am Central Park vorbei. Immer näher kamen sie der Wohnung, die Eva für ihren Aufenthalt in New York überlassen worden war. Wie in Wolken eingebettet kam sie sich vor. Sie hätte gern das Wort an Dallas gerichtet, doch sie traute sich nicht, irgend etwas hielt sie zurück. Dallas parkte vor ihrer Haustür. Er saß noch kurz da, und Eva hielt den Atem an. Sie kaute an ihrer Unterlippe. Als er ihr aus dem Wagen half, schien er ihre Hand fester zu halten. Oder war das nur Einbildung? Doch er ließ sie auch nicht los, als er sie die Stufen hinauf zur Haustür führte. Das Licht der Straßenlaternen erleuchtete den - 26 -
überdachten Eingang nur schwach. Eva entzog Dallas ihre Hand, um den Wohnungsschlüssel aus ihrer Tasche zu nehmen. Sie fühlte den Schlüsselbund und umschloß ihn mit der Hand. Ihren Kopf hielt sie gesenkt. Sie wollte etwas sagen, irgend etwas tun ... Mit dem Finger unter ihrem Kinn hob Dallas sanft ihr Gesicht, bis sie ihn ansah. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht genau erkennen, aber in seiner Berührung lag die gleiche Spannung, die auch sie ergriffen hatte. Als er seinen Kopf zu ihr herunterbeugte, verharrte sie regungslos. Mit seinen Lippen strich er sanft über ihren Mund, dann, als sie nicht reagierte, noch einmal. Sie spürte instinktiv, daß er ihr Zeit gab. Wie verzaubert von seiner Berührung stand sie da, die Augen geschlossen, und ganz langsam öffnete sie ihren Mund. Erst dann wurden seine Küsse fordernder, und erst dann erfuhr Eva, was ein Kuß war. Er war warm, sinnlich, atemberaubend. Sie spürte, wie sehr Dallas sie begehrte, und auch in ihr erwachte eine nie gekannte Sehnsucht. Die Macht, mit der sie diese Erkenntnis überfiel, erschreckte sie. Sie zog sich zurück und sah ihn an. „Hast du den Schlüssel?“ fragte er heiser. Sie nickte und zog ihre Hand mit dem Schlüssel aus der Tasche. Er nahm ihn, schloß die Tür auf und öffnete sie. Eva sah ihn noch immer an. Sie konnte es kaum glauben, wie sehr sie sich plötzlich als Frau fühlte. Hatte das etwas mit ihm zu tun? Mit einem Mann überhaupt? Nein, nicht irgendeinem Mann, mit diesem Mann. Dallas, den sie gerade einen Tag kannte, ein absoluter Fremder, noch dazu ihr Chauffeur. Aber das spielte keine Rolle mehr. Nichts war wichtig, außer den Gefühlen, die von ihr Besitz ergriffen und von denen sie geglaubt hatte, sie würde sie nie mehr erfahren. Er wandte sich ihr zu, legte eine Hand um ihren Nacken und zog sie an sich. Diesmal erwartete sie seine Zärtlichkeit, gab sich ihm hin und versank in seinen starken Armen. Ihre Lippen nahmen und gaben, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. Ihre Zunge spielte ein köstliches Spiel, erforschte die warme, feuchte Höhle seines Mundes. - 27 -
Ein süßer Schauer durchrann sie. Mit hörbar belegter Stimme fragte Dalls: „Möchtest du, daß ich reinkomme?“ Eine Welle der Erregung durchflutete sie bei dieser Frage und dem rauhen Ton seiner Stimme. Sie konnte nicht sprechen, sie nickte nur. „Bist du sicher?“ Wieder nickte Eva. Sie machte sich keinerlei Illusionen. Dallas wollte, was auch sie wollte diesen Augenblick der sinnlichen Erregung voll auskosten. Der Unterschied zwischen ihnen lag nur darin, daß das für sie völlig neu war, daß sie wissen wollte, wohin diese warme Flut in ihrem Innern sie tragen würde Wenn diese Nacht in einer Enttäuschung endete, würde sie nichts verlieren. Schon morgen würde sie sich auf dem Heimweg befinden und Dallas nie wiedersehen. Wenn aber die Erregung, die sie spürte, ihre Erfüllung finden würde, dann blieb ihr nicht nur die Erinnerung, sondern auch die Gewißheit, daß sie eine Frau war, in der ganzen Bedeutung des Wortes. Und Dallas würde nie erfahren, welches Geschenk er ihr damit gab. Dallas legte einen Arm um Eva und führte sie in die Wohnung. Mit. dem Fuß stieß er die Tür hinter ihnen zu. Er nahm ihr Gesicht in seine großen Hände und küßte sie. Seine Zunge drang in sie ein, erforschte jeden Winkel ihres, Mundes. Evas Knie fingen so heftig an zu zittern, daß sie ihre Hände um seinen Nacken klammerte, um nicht zu Boden zu sinken. Sie spürte seine Kraft und Sicherheit, die sie vorher nur vermutet hatte. Er nahm die Hände von ihrem Gesicht, zog die Mütze ab und warf sie aufs Sofa. Dann umarmte er Eva und drückte sie fest an sich. Die Wärme seines Körpers steigerte ihre Erregung. Sie fühlte seine Hände über ihren Rücken streichen. Er neigte den Kopf und bedeckte ihren Hals mit zärtlichen Küssen, während er ihr ganz sacht die Jacke auszog und sie auf den Boden fallen ließ. Durch den dünnen Stoff ihrer Seidenbluse spürte sie, wie er über ihren Rücken strich und seine Hände dann langsam seitlich hinauf zu den Brüsten wanderten. Noch bevor er sie berührte, spürte Eva, wie ihre Knospen hart - 28 -
wurden vor Erregung, und unwillkürlich stockte ihr Atem, als er ihre Brüste sanft zu kneten begann. „Pst“, beruhigte er sie leise und strich mit dem Daumen in kreisenden Bewegungen über ihre Brustspitzen, die sich deutlich unter dem Stoff der Bluse abhoben. Vor und zurück, bis Eva nach Atem rang. Ihr ganzer Körper brannte lichterloh. Durch ihre Adern breitete sich ein Feuersturm aus, während köstliche Schauer, die seine Berührungen verursachten, über ihre Haut liefen. Sie hätte sich das nie träumen lassen, nie gewagt, es sich so auszumalen. Aber jetzt war sie sich über den Ausgang sicher, jetzt wollte sie mehr. Alles, was Dallas ihr geben konnte. Sein Atem ging stoßweise, als er sich von ihren Lippen löste. Nacheinander öffnete er die Knöpfe ihrer Bluse, ließ sie zu Boden gleiten und streifte dann mit einer sanften Bewegung ihr seidenes Unterhemd von den Schultern. Das einzige Licht im Raum war der Schein, der von der Straße durch die Scheiben drang. Mit ausgestreckten Armen hielt Dallas Eva von sich weg und sah ihren entblößten Oberkörper an. In seinen Augen glomm Begierde. „Halte mich“, flüsterte Eva. „Bitte!“ Er umarmte sie, und sie standen eine Weile still da. Dann löste er den Verschluß ihres Rockes und streifte ihn über ihre Schenkel, ließ ihn zu Boden gleiten. Er kniete vor ihr nieder und half ihr, die Strumpfhose und ihren Slip auszuziehen. Völlig nackt stand sie vor ihm. Er legte die Hände um ihre Hüften und strich mit den Lippen langsam über ihre Schenkel. Eva schloß die Augen. Wieder begannen ihre Knie unkontrolliert zu zittern. Sie war sich bewußt, daß sie mit einem Fremden zusammen war, und trotzdem genoß sie jede seiner Berührungen. Sie sah Dallas zu, wie er sich seiner Kleidung entledigte. Seine Brust war mächtig, wie sie erwartet hatte, und von einem leichten, dunklen Flaum bedeckt. Mit einer gewandten Bewegung schlüpfte er aus Hose und Schuhen. Als er schließlich nackt vor ihr stand, wurde ihr bewußt, wie sehr seine Männlichkeit sie zu erregen vermochte. Doch Dallas ließ ihr kaum Zeit, sich an seinem Anblick zu - 29 -
weiden. Er riß sie in seine Arme und drückte sie an seine fest gespannten Bauchmuskeln und Schenkel. Eva stöhnte und legte die Arme um seinen Rücken, schmiegte sich an ihn, um diesen Augenblick nicht entfliehen zu lassen. Dallas hob sie auf und ließ sie sanft auf den weichen Teppich nieder. Er kniete vor ihr, küßte und streichelte sie am ganzen Körper mit einer Leidenschaft, die auch von ihr Besitz ergriff. Ein Vorspiel war nicht mehr nötig. Ihr war klar, daß sie den ganzen Tag auf nichts anderes gewartet hatte. Sie wußte, beim ersten Kontakt würde sie sich verlieren. Er lehnte sich über sie und streichelte mit der einen Hand über die Innenseite ihrer Schenkel, dann legte er sie an ihre empfindlichste Stelle und begann sie zärtlich zu massieren. „Bitte nimm mich“, flüsterte Eva heiser und streckte ihm die Arme entgegen. Dallas ließ sich auf sie gleiten. Einen Moment glaubte Eva vor Verzücken zu sterben, sie glaubte sich der Erfüllung schon nahe. Doch dann fing Dallas an, sich langsam zu bewegen, und sie spürte, wie die Wärme sich in ihrem Körper ausbreitete, ein heißes Drängen sie erfüllte. Plötzlich drehte sich alles um sie. Sie krümmte den Rücken, verharrte einen langen Augenblick und klammerte sich dann wild an Dallas, als das Pulsieren in ihr wuchs und sich in kurzen, krampfartigen Stößen entlud. Langsam kehrte ihr Bewußtsein zurück. Sie spürte Dallas noch immer so gut wie zuvor. „Du bist nicht...“ Er küßte sie sehr sanft. „Nein, ich bin noch nicht gekommen“, sagte er ihr ganz leise ins Ohr. „Ich habe dich nur beobachtet, und das lenkte mich ab, aber es war ein phantastisches Erlebnis.“ Sie stöhnte auf, schloß die Augen und drehte den Kopf zur Seite. Dallas bedeckte ihr Gesicht mit zärtlichen Küssen. „Darling, das ist doch nicht schlimm.“ Seine Stimme hatte noch immer diesen erregend rauhen Klang. „Du glaubst nicht, wie wahnsinnig schön es für einen Mann ist, Zeuge der Leidenschaft seiner Geliebten zu sein. Ich wußte ja nicht, was für ein Sturm mich erwartet, doch um so wundervoller war es. Verstehst du nicht?“ - 30 -
Eva schlug die Augen auf. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte. Doch bemerkte sie genau das leise Lächeln, als er fortfuhr: „Außerdem macht das die Fortsetzung noch interessanter.“ „Die Fortsetzung?“ „O ja, wir wollen doch mal sehen, ob wir das nicht noch einmal hinkriegen.“ Sie, spürte, wie er sich bewegte und das Feuer in ihr wieder entfachte. „Dallas, ich weiß nicht, ob ich...“ stöhnte sie. „Schon erschöpft? Warte, das gibt sich gleich.“ Seine Bewegungen waren tief und zärtlich. „Ich möchte dir jetzt guttun, Dallas. Sag mir also, was ich tun soll!“ „Du brauchst doch keine Anleitung von mir.“ „Ich möchte aber auch zusehen.“ Sie umklammerte ihn mit ihren Schenkeln, In ihrem Innern spürte sie wieder diese Stromstöße, das pulsierende Gefühl kam zurück. Vor Überraschung hielt sie den Atem an. „Ist das gut?“ Sie nickte. „O ja“, flüsterte sie heiser. Da wurden seine Bewegungen heftiger. Eva spürte, wie seine Arme zu zittern begannen. Er hatte die Augen geschlossen, sein Atem ging stoßweise. Diesmal erreichten sie gemeinsam den höchsten Punkt der Erfüllung. Sie küßten sich wild, bis sie jeden Atemzug brauchten und sich in einem gemeinsamen wilden Sturm der Begierde aneinander klammerten und dann unaufhaltsam bis an den Rand des Abgrunds trieben. Noch mehrmals fanden ihre Körper in dieser Nacht zusammen, immer wieder sanken sie in einen erschöpften kurzen Schlummer, um sich von neuem zu liebkosen, wenn sie erwachten. Für Eva reihte sich Entdeckung an Entdeckung. Die Erregung erwachte immer wieder in ihr, wenn er sie berührte und sie seine Kraft in sich spürte. Später trug Dallas sie ins Schlafzimmer hinauf, wo Eva kurz vor Einbruch der Morgendämmerung einschlief. Als ihr Wecker sie um neun Uhr mit schrillem Klingeln weckte, war sie allein. - 31 -
3. KAPITEL Eva erinnerte sich mit einem Lächeln. Sie reckte sich gähnend, und dabei wurden ihr Muskeln an ihrem Körper bewußt, von denen sie vorher nichts geahnt hatte. Sie drehte sich zur anderen Seite des Bettes hin, wo ihr Liebhaber gelegen hatte. Dallas. Was für ein wundervoller Mann! Mit sanfter Gewalt und kraftvoller Zärtlichkeit hatte er sie geliebt und ihr gezeigt, was es hieß, eine Frau zu sein. In einem plötzlichen Ansturm von guter Laune lachte sie laut auf, warf die Decke zurück und hüpfte aus dem Bett. Eigentlich müßte sie ihm einen Brief zukommen lassen, in dem sie sich bedankte. Aber dann war das, was sie gestern nacht - bis weit in die Morgenstunden hinein - getan hatte, nach normalen, gesellschaftlichen Maßstäben kaum gut erzogen. Sie hatte die Nacht in den Armen ihres Chauffeurs verbracht. Theoretisch geradezu aufregend skandalös, doch in Wirklichkeit die wunderbarste Erfahrung, die sie je gemacht hatte. Um zehn Uhr würde man sie abholen. Eva beeilte sich unter der Dusche und packte anschließend ihre Sachen. Mit einer Tasse Kaffee setzte sie sich an die Frühstücksbar in der Küche und wartete. Die ganze Zeit über kreisten ihre Gedanken um die Geschehnisse der vergangenen Nacht. Sie fühlte keine Reue, sie hatte nur das getan, was sie wollte. Nun konnte sie in ihr Haus am Meer zurückkehren, in ihr lichtdurchflutetes Atelier, wo sie sich inmitten ihrer Arbeit wohl fühlte. Sie würde das Bewußtsein in sich tragen, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben Erfüllung gefunden hatte. Ob sie diese Leidenschaft, die ihr Dallas vermittelt hatte, je wieder finden würde oder nicht, diese Nacht wollte sie immer in dankbarer Erinnerung behalten. Sie hatte die Gewißheit, daß es ihr auf sexuellem Gebiet an nichts gebrach. Sicher würde das ihrer Arbeit eine ganz neue Note verleihen. Sie konnte es kaum erwarten, sich wieder ans Werk zu machen. Pünktlich um zehn läutete die Türglocke. Eva nahm an, daß Felix sie wieder fahren würde. Was aber, wenn Dallas vor der Tür stand? Wie würde sie reagieren, wie er? „Guten Morgen, Miss Mattheson.“ Der kleine Mann zog die - 32 -
Mütze, als sie ihm die Tür öffnete. „Wie geht es Ihnen heute?“ „Danke, ganz gut, Felix.“ Noch einmal warf sie einen Blick in die Wohnung zurück. „Ich glaube, ich habe alles.“ Felix hatte bereits ihren Koffer aufgenommen und ließ sie an sich vorbei zum Wagen gehen. Deutlich vernehmbar schloß er die Tür hinter sich. Das Geräusch mutete Eva wie ein Symbol eines vergangenen Lebensabschnitts an, dem sie nicht nachtrauerte. Zuviel war ihr in der letzten Nacht geschenkt worden. Es kam ihr vor, als wäre sie eine ganz andere Frau, verglichen mit der, die vor drei Tagen Marblehead verlassen hatte. Und wahrscheinlich war es besser, wenn sie Dallas nicht mehr wiedersah. Schließlich mußte er sein Leben leben und sie ihres. Immer wieder ging ihr dieser Gedanke durch den Kopf. Den ganzen Morgen dachte sie daran, auch während ihres Treffens mit dem letzten Galeriebesitzer, mit dem sie in New York verabredet gewesen war. So stockte ihr vor Überraschung der Atem, als sie die Galerie verließ und Dallas an die Limousine gelehnt auf sie warten sah. Ihre Knie fühlten sich butterweich an. Er tippte zur Begrüßung mit dem Finger an seine Mütze, und nur der durchdringende Blick aus, einen tiefblauen Augen verriet, daß es zwischen ihnen noch etwas anderes gab als formelle Höflichkeit. Eva hielt inne, bevor sie einstieg, und lächelte ihn an. „Dallas, ich hatte dich gar nicht erwartet.“ Ihr Körper war offenbar ebenso überrascht, wenn sie danach urteilte, was in ihr vorging. Eine Flut von Gefühlen und Erinnerungen überschwemmte sie. Vor ihrem inneren Auge erschienen ihre nackten. Körper, ineinander verschlungen, Hände, Lippen und Zungen, die erforschten und liebkosten. „Mir geht es nicht anders“, gab Dallas leise zurück. Wieder zwang sie sich zu einem Lächeln. „Die weite Fahrt nach Marblehead und zurück dürfte ganz schön langweilig für dich werden. Tut mir leid.“ Sie stutzte einen Moment. „Oder fährt Felix mich doch? Wo ist er eigentlich?“ „Er mußte in die Agentur zurück. Ich werde dich fahren.“ Eva hatte sich eigentlich schon damit abgefunden, Dallas nie - 33 -
wiederzusehen, und jetzt wußte sie überhaupt nicht, was sie von der veränderten Situation halten sollte. Vom Rücksitz des Wagens aus betrachtete sie die Gebäude, an denen sie vorbeifuhren, und das geschäftige Treiben der Großstadt. Nur drei Tage hatte sie sich hier aufgehalten, doch so viel war geschehen, und das meiste hatte mit diesem Mann zu tun, der hinterm Steuer saß. Dallas Gefühle waren nicht weniger gemischt. Immer wieder stellte er sich die Frage, was er hier noch zu suchen hatte. Seine Wette hatte er gewonnen, aber es war ihm nicht eingefallen, Ben anzurufen und ihn mit den Neuigkeiten zu konfrontieren. Er hatte sich aus Evas Wohnung geschlichen, als er sah, daß sie fest schlief, und war zu seinem Haus gefahren, ein Stadthaus im alten Stil, das nur wenige Blocks entfernt lag. Er war so verwirrt, daß er sich zuerst einmal heiß duschte und dann rasierte, bevor er sich in einen Sessel fallen ließ und darüber nachdachte, was er als nächstes tun sollte. In einem hatte er recht gehabt: Eva Mattheson hatte sich als die durch und durch leidenschaftliche Geliebte erwiesen, die er in ihr vermutet hatte. Unschuldig und ohne Koketterie hatte sie sich ihm völlig hingegeben. Sie hatte ihn nicht kaltgelassen wie die anderen Frauen, mit denen er in letzter Zeit zu tun gehabt hatte, nein, sie hatte eine ganz neue Sehnsucht in ihm geweckt. Wieder und wieder hatten sie sich in dieser Nacht geliebt, und Eva hatte ihm einen Genuß verschafft, den er bei all seiner Erfahrung noch nie erlebt hatte. Er hätte es dabei belassen sollen. Aber er konnte nicht. Schon ein paarmal hatte er den Telefonhörer in der Hand gehabt, bevor er dann schließlich die Agentur anrief. Er mußte herausfinden, wo Eva lebte. Man war damit einverstanden, daß er sie nach Hause fahren sollte. Daß er mit dem Chef der Agentur seit langem befreundet war, half dabei, so wie diese Beziehung ihm auch den Job als ihr Fahrer überhaupt ermöglicht hatte. Man wunderte sich etwas über Ted Dallas, den Medienguru, der plötzlich als Chauffeur auftrat, stellte aber keine weiteren Fragen. Was ihn völlig überraschte, war der Umstand, daß er einer Frau - 34 -
hinterherlief. Das war ihm noch nie passiert. Frauen traten in sein Leben, und er ließ sie wieder gehen, wenn die erste Leidenschaft vorbei war. Was also tat er hier, als Fahrer verkleidet? Und was würde ihn erwarten, wenn sie in Marblehead ankamen, in dem Haus am Meer, wo sich diese Frau wohl und geborgen fühlte? O ja, er wußte sehr gut, was er sich davon versprach. Die Reaktionen seines Körpers machten ihm nur zu deutlich, was er wollte. Er zuckte unwillkürlich zusammen, als er sich in seinem Sitz bewegte. Alles tat ihm weh. Es war eine wilde Nacht gewesen, und sie, Eva Mattheson, hatte ihn soweit gebracht. Kühl oder gar frigide? Niemals! Aber Schmerzen hin oder her, willig wäre er jederzeit zu einer Wiederholung bereit gewesen. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Eva sah zum Seitenfenster hinaus und schien ihn nicht zu beachten. Schon über zwei Stunden fuhren sie schweigend dahin. Als sie sich auf halber Strecke Hartford näherten, fragte Dallas: „Hungrig?“ Eva hob den Kopf und sah sich um. Sie war in Gedanken versunken gewesen und wußte nicht, wo sie sich im Augenblick befanden. „Schon ein bißchen“, gab sie leise zurück. „Im Gemeindezentrum gibt es ein tolles Restaurant, europäische Küche. Neugierig?“ „O ja, sehr.“ Im Grunde genommen war ihr Hunger Nebensache. Sie hatte sich gefragt, ob Dallas je wieder das Wort an sie richten würde. Ein Mittagessen klang da schon vielversprechend. Sie sah in ihm nicht ihren Chauffeur, viel eher einen attraktiven, großgewachsenen Begleiter. Atemberaubend sexy dazu. Als er ihre Hand nahm und sie zum Restaurant führte, schien ihr das die natürlichste Sache der Welt zu sein. Ohne große Worte bestätigte er ihr damit, daß die vergangene Nacht kein Traum gewesen war, was sie während der langen Fahrt nach Norden schon fast befürchtet hatte. Im Restaurant benahm sich Dallas mit weltmännischer Gewandtheit. Er ließ sich vom Oberkellner den Tisch seiner Wahl in einer ruhigen Nische zuweisen und bestellte dann eine Flasche - 35 -
Weißwein vom Besten. „Du bist eingeladen“, sagte er leise, aber bestimmt. Eva sah ihn an. Da erst bemerkte er, daß ihre Augen die Farbe von Jade hatten. Warum war ihm das nicht schon vorher aufgefallen? Etwas anderes an dieser attraktiven Frau mußte ihn wohl abgelenkt haben. Lange blickten sie einander an. Ted wunderte sich, was ihn an Eva so faszinierte, warum schon allein ihre Gegenwart in ihm ein Gefühl tiefster Befriedigung wachrief. Gleichzeitig wehrte er sich gegen dieses Gefühl. „Wie geht es dir heute?“ fragte er. „Danke, ausgezeichnet.“ „Du hast nichts bedauert am Morgen danach?“ „Nein.“ Ihr Lächeln und der Glanz ihrer Augen verrieten, wie glücklich sie war. „Überrascht, mich wiederzusehen?“ „Ein bißchen schon. Ich hatte nicht gedacht, daß wir uns wieder begegnen würden.“ „Wolltest du?“ „Ich war mir nicht sicher.“ Er stutzte. „Nicht mal gehofft?“ Eva senkte den Blick und lächelte. „Ich möchte ungern dein Ego verletzen.“ „Das tust du schon nicht.“ Er lachte leise. „Na ja, vielleicht ein bißchen. Jeder Mann bildet sich wohl gern ein, daß die Frau, die er erobert hat, es gar nicht erwarten kann, ihn wiederzusehen.“ Wieder sah sie ihn an. Sie schien ganz ruhig. „Ist es das?“ fragte sie. „Du hast mich also erobert?“ Er fühlte sich ertappt und spürte, wie seine Wangen brannten. Er hatte geglaubt, sie durch seine Direktheit aus der Fassung bringen zu können. „Ich nehme an, so würde man das wohl bezeichnen“, erklärte er hastig. „Es gibt sicher viele Männer, die in solchen Fällen Besitzansprüche anmelden.“ „Du auch?“ „Nein, auf so einen Gedanken käme ich nie.“ „In dieser Hinsicht hast du auch von mir nichts zu befürchten, - 36 -
Dallas“, sagte sie leise. Ihre Offenheit verschlug ihm fast die Sprache. Hatte Ben vielleicht doch recht gehabt? Dallas, mußte sich dazu zwingen, sich ihre Leidenschaft der vergangenen Nacht ins Gedächtnis zu rufen, so kühl und beherrscht kam sie ihm plötzlich vor. „Du glaubst also auch nicht an feste Bindungen?“ fragte er. „Für mich ist es nicht ausschlaggebend, zu jemandem zu gehören ...“ Eva wurde vom Kellner unterbrochen, der den Wein brachte. Nachdem Dallas einen Schluck davon gekostet hatte, füllte er die Gläser. Eva ließ auch zu, daß Dallas das Essen für sie bestellte. Als der Kellner Wieder gegangen war, hob Dallas sein Glas. „Auf uns?“ Eva sah ihm im die Augen und nickte nur. Sie trank einen Schluck von dem Wein. Er war herrlich trocken und schmeckte vorzüglich. Sie setzte das Glas ab. „Ich möchte nicht, daß du mich mißverstehst, Dallas. Was ich vorhin sagen wollte, ist folgendes: Ich liebe mein Leben, so wie es ist. Ich fühle mich sehr wohl dabei, allein zu sein. Und ich schätze meine Unabhängigkeit.“ „Aber letzte Nacht hast du doch auch genossen, oder nicht?“ „Ja, sehr. Das heißt aber nicht, daß ich mir das gleiche für heute nacht wünsche. Ich klebe an niemandem wie eine Klette, Dallas...“ Plötzlich grinste Dallas übers ganze Gesicht. Er beugte sich zu ihr hin. „Ted!“ flüsterte er ihr zu. „Dallas ist mein Nachname.“ Eva lachte unwillkürlich hell auf. „Ach, wie schade! Also gut, dann eben Ted.“ Sie machte eine kurze Pause. „Dallas gefiel mir eigentlich viel besser“, neckte sie ihn. „Ted klingt irgendwie weniger vertraut.“ „Warum? Siehst du in mir etwa immer noch deinen Chauffeur?“ „Unsinn“, gab sie schnell zurück. „Das spielte für mich von Anfang an keine Rolle.“ Es war die Wahrheit. Sie hatte in Ted immer nur den Mann gesehen, auch wenn sie das vor Margery verheimlicht hatte. Sein Beruf, der so gar nicht zu seiner Erscheinung und seinem Auftreten paßte, verlieh ihm etwas Geheimnisvolles machte ihn um so interessanter. Wie er ihr in seinem maßgeschneiderten dunklen - 37 -
Anzug gegenübersaß, hätte er ebensogut ein Rechtsanwalt, ein Börsenmakler oder ein reicher Playboy sein können, der sein Millionenerbe verschleuderte. Vielleicht arbeitete er nur deswegen in diesem Beruf, um Leute kennenzulernen? Vor allem Frauen, reiche noch dazu. War das vielleicht alles nur ein abgekartetes Spiel gewesen? Sein individueller Trick, die Langeweile seines reichen Single Daseins zu durchbrechen? Der Gedanke, der ihr da plötzlich gekommen war, gefiel ihr gar nicht. Mit einemmal fühlte sie sich benutzt. Ihr schwirrte der Kopf. „Machst du das oft?“ hörte sie sich fragen. „Was?“ „Frauen auf diese Art kennenzulernen.“ Zum erstenmal an diesem Nachmittag lachte er. „Soll das heißen, ob ich öfter meine Kundinnen verführe?“ Als sie zögernd nickte, vertiefte sich sein Lächeln. „Nein, das ist mir mit dir zum erstenmal passiert.“ „Warum ich?“ „Die Frage kommt mir reichlich naiv vor, Eva“, versuchte er abzulenken. „Meinst du nicht?“ Aber innerlich hatte sie ihm einen Stich versetzt. Zum einen hatte sie ihn daran erinnert, daß er sie vorsätzlich täuschte, da er nicht der Chauffeur war, der er zu sein vorgab. Und dann war da noch die Wette mit Ben. Doch irgendwie kam ihm das nebensächlich vor. „Auch ich habe mich gleich von Anfang an zu dir hingezogen gefühlt“, fügte er hinzu. „Hat es dich beunruhigt?“ „Hätte es das sollen?“ Sie zuckte die Achseln. Sie war sich selbst nicht im klaren über eine Antwort. „Ich weiß nicht“, sagte sie leise. „Schau mal, Eva“, versuche er zu erklären, „ich finde, daß die Anziehung, die wir für einander spüren, etwas ganz natürliches ist. Das ist vollkommen in Ordnung, und es gibt keinen Grund, warum wir uns dafür entschuldigen sollten. Ich mache es mir nicht zur Gewohnheit, irgendwelchen Frauen auf diese Art nachzusteigen, und ich bin froh über das, was passiert ist. Für mich bist du eine wundervolle Geliebte.“ - 38 -
Eva stieg unwillkürlich das Blut ins Gesicht. Nie hätte sie sich träumen lassen, daß ein Mann so etwas zu ihr sagen würde. Sie fand keine Worte. Zärtlich strich er ihr mit dem Finger über die Wange. „Das ist hübsch“, flüsterte er. „Was?“ fragte sie und wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Wie du rot wurdest“, sagte er sanft. „Letzte Nacht konnte ich es im Dunkeln ja nicht sehen. Bist du da auch rot geworden?“ Eva kam sich völlig überrumpelt vor. Der weiche Klang seiner tiefen Stimme verursachte einen Sturm in ihrem Innern. „Manchmal schon“, antwortete sie leise. „Aber es hat doch bereits vorher Männer in deinem Leben gegeben?“ „Ja, die gab es.“ „Viele?“ Eva zögerte einen Moment. „Nur einen.“ „Einen?“ Ted konnte seine Überraschung nicht verbergen. „Warum, Eva? Du bist eine schöne Frau, und dazu voller Leidenschaft.“ „Das war vielleicht nicht immer so.“ „Was meinst du damit?“ Forschend blickte sie ihm in die Augen. Nur zu gut waren ihr die Vertrautheiten bewußt, die sie miteinander teilten. Sollte sie ihm auch dieses Geheimnis anvertrauen? Aber sie sah keinen Grund, ausweichend zu antworten. Vor allem jetzt, wo sie wußte, wie es um sie wirklich stand. „Vor langer Zeit gab es da einmal einen Künstlerkollegen. Wir waren beide sehr jung. Er meinte, ich sei frigide, und ich war mir nie ganz sicher. Jedenfalls bis gestern abend nicht.“ Mit einemmal wurde Ted alles klar. Hatte er etwas in Eva geweckt, was noch keinem Mann bisher gelungen war? „Jetzt wundert mich nichts mehr“, sagte er. „Du strahlst ja heute geradezu.“ - 39 -
„Ich bin glücklich.“ In seiner Gegenwart fühlte sie sich durch und durch als Frau. Eine ganz neue Erfahrung für sie. „Dann bist du also... „ Ted furchte die Stirn und fuhr zögernd fort „aus Furcht all die Jahre Männern aus dem Weg gegangen?“ „Aber nein. Ich hatte nur kein besonderes Interesse.“ Als sie bemerkte, wie seine Augen sich verengten, fügte sie hinzu: „Ehrlich, das kannst du mir ruhig glauben. Mein Leben ist durch meine Arbeit. ausgefüllt. Eine Leere habe ich nie verspürt. Gestern nacht habe ich sehr viel über mich selbst erfahren, aber das heißt nicht, daß ich gleich mein ganzes Leben umkrempeln will.“ „Du möchtest nicht heiraten, keine Kinder haben?“ „Natürlich wünsche ich mir das. Ich habe es damit aber nicht eilig.“ Sie sah ihn an. „Warum schaust du so skeptisch? Das ist doch heutzutage nichts Ungewöhnliches.“ „Du bist bestimmt ungewöhnlich“, stellte Ted fest. Er schwenkte nachdenklich den Wein in seinem Glas und leerte es dann auf einen Zug. „Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll. Du machst einen so selbstsicheren Eindruck. Ich kann mich nicht daran erinnern, je einer so unabhängigen Frau begegnet zu sein.“ „Auch ich leide manchmal unter Selbstzweifeln“, gab Eva zurück. „So? Wann denn?“ „Bei meiner Arbeit. Mehr noch, wenn ich damit fertig bin. Manchmal gefällt es mir, was ich zustande gebracht habe, schließlich ist ja immer ein Teil von mir darin. Aber leider muß ich die meisten meiner, Skulpturen an irgendwelche Galerien liefern. Das kommt mir manchmal so vor, als würde ich mich vor der ganzen Öffentlichkeit nackt ausziehen. Bis ich dann von Margery höre, daß die Arbeiten gut aufgenomme wurden, leide ich Höllenqualen.“ „Aha! Es ist dir also nicht egal, was man von dir denkt?“ „Es geht nicht um mich persönlich, sondern um meine Arbeit. Ich bin kein Übermensch.“ „Du sagtest aber, es kümmere dich wenig, ob du deine Sachen verkaufst oder nicht.“ „Der Verkauf selbst ist eine andere Sache, er liegt mir überhaupt - 40 -
nicht.“ Eva versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Aber Bildhauerei bedeutet eben auch. Kreativität. Ich versuche, dem Betrachter etwas zu vermitteln, und wenn ich das nicht schaffe, habe ich mein Ziel verfehlt.“ „Ist das wirklich schon passiert?“ „Nicht nur einmal.“ „Und wie reagierst du dann?“ Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ich nehme mir einen Batzen Ton und knete und schlage ihn so lange, bis es mir wieder besser geht. Das funktioniert im allgemeinen ganz gut.“ „Du läßt also deinen Frust daran aus?“ „So könnte man es nennen.“ „Danach fühlst du dich besser?“ „Jedenfalls stark genug, um Margery anrufen zu können. Sie ist manchmal mein einziger Trost. Außerdem hatte sie dann inzwischen genug Zeit, um die Arbeit in eine andere Galerie zu bringen. Es ist eben wie bei Kindern man bemüht sich um sie mit allem, was man ihnen zu geben hat, und wenn man sie in die Welt hinaus entläßt, muß man zu seinem Erstaunen feststellen, daß man doch den einen oder anderen Fehler in der Erziehung gemacht hat. Das kann behoben werden, dauert aber seine Zeit und ist recht schmerzhaft.“ Ted nahm bereitwillig den Faden auf. „Und das nimmt dir nicht den Mut, überhaupt Kinder in die Welt zu setzen?“ Eva war klar, daß er nicht ohne Grund diese Frage stellte. Aus seinem Ton erkannte sie, daß ihm das am Herzen lag, auch wenn sie sich wunderte, woher der Anflug von Pessimismus stammte. Sie dachte nach und schwieg. „Erzähl doch etwas mehr über dich selbst“, bat Ted leise. „Tue ich das nicht?“ „Nein, ich meine, wie du als Kind warst, wo du aufgewachsen bist, über deine Familie.“ Ihr Mittagessen wurde serviert, und so hatte Eva Zeit, ihre Gedanken zu sammeln. Erst als sie von ihrem Geflügelsalat probiert, hatte, fuhr sie fort. „Ich bin in Connecticut aufgewachsen, in Westport.“ - 41 -
„Stinkfeine Gegend!“ „Ja, in dieser Beziehung hatte ich Glück. Ich wuchs wohlbehütet auf, mein Vater war - ist bei einer Bank. Uns Kindern...“ „Kindern?“ „Ich habe drei ältere Brüder“, erklärte sie. „Uns fehlte es an nichts. Ich meine nicht nur materielle Dinge, sondern auch Zuwendung und Liebe.“ „Leben deine Eltern immer noch in Westport?“ fragte Ted. „Und ist deine Beziehung zu ihnen immer noch intakt?“ „Sehr sogar.“, „Waren sie bei der Vernissage dabei?“ „Nein, das wollte ich ihnen nicht antun. Diese Ausstellungen machen mich furchtbar nervös, und meine Eltern sehe ich lieber, wenn ich mich entspannt fühle.“ Eva sah in seine blauen Augen. Wieder fühlte sie den Zauber, der von ihm ausging. Ihr Herz fing heftig zu klopfen an. Sie verspürte den plötzlichen Wunsch, über den Tisch zu reichen und sein Gesicht zu berühren, dieses feste Kinn, seine Wangen und Lippen. Sie holte tief Luft. „Ich muß zugeben, du bist eine einzige Inspiration, Ted. Hat dir das irgend jemand schon mal gesagt?“ Ted erinnerte sich an ihre Worte, als er in der Limousine saß und in Gedanken versunken über den Strand auf den grauen Atlantik starrte. Die Dunkelheit brach am Horizont herein, und Ted fühlte sich völlig frustriert. Irgend etwas war schiefgegangen und er versuchte mühsam, sich darüber klarzuwerden. Je mehr sie sich Marblehead genähert hatten, um so fröhlicher und ausgelassener hatte sich Eva gezeigt. Sie hatte sich auf dem Rücksitz ausgestreckt und die Schuhe abgestreift. Als sie endlich von der Autobahn auf die Landstraße abbogen, öffnete sie das Fenster und ließ den frischen Seewind in ihren Haaren spielen. Kaum hatte Ted vor ihrem Haus angehalten, war sie ausgestiegen. Sie stand da, schaute sich um und holte tief Luft. Dann drehte sie sich zu ihm um und schenkte ihm ein Lächeln, in dem ihre ganze, Begeisterung lag. „Wundervoll, nicht?“ sagte sie, ließ ihm aber keine Zeit für eine - 42 -
Antwort, sondern rannte über den Kiesweg zu ihrem Haus und war durch die Tür verschwunden, noch ehe er den Wagen abgeschlossen hatte, Er folgte ihr mit dem Gepäck. Zugegeben, es war ein herrliches Anwesen, alles daran schien ihre Persönlichkeit auszustrahlen. Fast wußte er, was ihn erwarten würde. Ein geräumiges Wohnzimmer mit riesigem Panoramafenster zum Meer, der offene Kamin, Naturstein, wuchtige Holzstreben. Eva zeigte ihm das ganze Haus, Schlafzimmer, Bad, Küche und Atelier, und er konnte ihr am Gesicht ablesen, wie stolz sie auf ihr Heim war. „Hast du das Haus nach deinen eigenen Vorstellungen bauen lassen?“ fragte er. „Nein. Ich hatte unwahrscheinliches Glück. Der Architekt, dem es gehörte, mußte umziehen, irgendwohin, den Süden. Genau an dem Tag, als ich hier anfing, nach einem Haus für mich zu suchen, gab er es zum Verkauf frei. Ich griff sofort zu.“ Wie lange sie schweigend dagestanden und hinaus aufs Meer geblickt hatten, wußte er nicht mehr. Ted hatte sie in die Arme genommen und sie geküßt, mit der ganzen Zärtlichkeit, die sie in ihm geweckt hatte. Aber dann war der Hunger in ihnen beiden wieder erwacht. Er hatte gespürt, wie Evas Hände über seinen Rücken strichen, sie ihren Körper an ihn schmiegte. Ihre Lippen waren weich und hingebungsvoll und schmeckten so süß. Als er merkte, daß sie sich ihm voll hingab und ihre Küsse fordernder wurden, entzog er sich ihr. „Paß auf dich auf`, flüsterte er ihr ins Ohr. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küßte sie sacht auf die Stirn. Dann drehte er sich um und verließ das Haus. Auf dem Weg zurück hatte er am Straßenrand angehalten und war ausgestiegen. Noch eine ganze Weile stand er da, starrte aufs Meer hinaus und lauschte dem Geschrei der Möwen, über ihm. Dann setzte er sich wieder hinters Steuer. Als Ted spät in der Nacht nach Hause kam, fühlte er sich völlig erschöpft. Er ging in sein Arbeitszimmer im dritten Stock und nahm an seinem Schneidetisch Platz mit den beiden TV- 43 -
Monitoren, die dazu dienten, die bei ihm in Auftrag gegebenen Videos zu kontrollieren und nachzubearbeiten. Das war sein Handwerkszeug, hier verbrachte er seine Zeit, er kannte es in und auswendig, und es war ihm vertrauter, als eine Frau es je sein konnte. Er mußte dann eingeschlafen sein, denn als er hochschreckte, drang das Morgenlicht durchs Fenster. Er sah auf die Uhr es war beinahe Mittag! Mühsam erhob er sich aus seinem Arbeitssessel und versuchte, die verkrampften Muskeln in Bewegung zu setzen. Er ging zum Telefon und hörte den Anrufbeantworter ab. Sein Agent hatte am Tag zuvor angerufen und dringend um Rückruf gebeten. Ted wählte die Nummer. Die Sekretärin stellte ihn sofort durch. „John?“ „Ted, wird langsam Zeit, daß du dich meldest!“ „Ich habe erst jetzt deine Nachricht bekommen.“ Er hatte keine Lust für lange Erklärungen. „Wo brennt es?“ „Wagner hat angerufen. Er möchte, daß du den Streifen bearbeitest, den er in Lateinamerika gedreht hat. „Davon hatte ich keine Ahnung.“ „Die Sache ist ja auch brandeilig. Machst du es?“ „Nein.“ „Warum nicht?“ „Ich habe Urlaub genommen.“ „Du bist doch hier. Wie lange würdest du dazu brauchen, eine Woche oder auch zwei? Dein Urlaub kann so lange warten, oder?“ „Denkst du!“ „Hey, die Bezahlung ist gut. Wo ist denn dein Ehrgeiz abgeblieben? Wagner ist der Beste, und er will, daß du es machst.“ Ted strich sich durchs Haar. „Ein andermal, John. Bitte hab Verständnis. Ich brauche den Urlaub. Mit Wagner wirst du das schon klären können, du bist doch sonst immer so diplomatisch.“ „Hm, ich habe ja auch öfter Gelegenheit dazu, dank deiner Eskapaden. Sag mal, bist du in Ordnung?“ „Ja, danke, es geht mir soweit gut. Ich brauche nur ein paar Wochen Ruhe. Bis dann, John, ich melde mich wieder.“ - 44 -
Ted legte den Hörer auf und ging ins Bad. Nach einer ausgiebigen Dusche rasierte er sich und zog sich rasch an. Er packte einige Sachen in eine Reisetasche,“ frühstückte kurz, und schon nach einer halben Stunde befand er sich auf dem Weg nach Norden in Richtung Massachusetts.
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4. KAPITEL Als Ted seinen Wagen vor ihrem Haus parkte, stand Eva gedankenverloren draußen auf der Terrasse zum Meer hin, so daß sie seine Ankunft nicht bemerkte. Es war ein seltsamer Tag für sie gewesen. Sie war früh aufgestanden und hatte einen Spaziergang am Strand entlang gemacht, unschlüssig, was sie unternehmen wollte. Was anlag, wußte sie genau: Sie mußte an ihre Arbeit zurück, eine enorme Skulptur, die an eine der von ihr besuchten New Yorker Galerien geliefert werden sollte. Da sie letzte Nacht nicht einschlafen konnte, hatte sie sich brieflich bei den Leuten bedankt, die sie so gastfreundlich aufgenommen hatten. Jetzt verspürte sie eine merkwürdige Unruhe, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Vielleicht brauchte sie einen Tag, um einfach einmal richtig auszuspannen? Am Strand erregte ein Stein ihre Aufmerksamkeit. Sie hob ihn auf und besah ihn von allen Seiten, versuchte seine besondere Struktur zu erkennen. Plötzlich wußte sie, was sie wollte - etwas formen, das nur für sie bestimmt war und das sie nie verkaufen würde. Jetzt, nachdem sie den halben Tag daran gearbeitet hatte, war die Unruhe verschwunden, die sie nach Teds plötzlichem Aufbruch gestern abend befallen hatte ... Niemand hatte auf sein Klopfen geantwortet, deshalb war Ted ums Haus herumgegangen. Er entdeckte Eva, die an der Brüstung der Terrasse lehnte. Gebannt stand er da und beobachtete sie. Sie trug eine rote Bluse, die sie vorn zusammengeknotet hatte, dazu weiße Shorts. Ihre Haare wehten in der kühlen Brise. Eine einsame Frau, die sich selbst genügte. Ted wurde bewußt, daß er ein Eindringling war und möglicherweise gar nicht willkommen in ihrer Welt. Eva hörte ein Geräusch und drehte sich um. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, wie Ted sich über das Geländer schwang. Sie kam ihm verwundbar vor, es stand in ihrem Gesicht geschrieben. Er ging auf sie zu, aber statt sie in seine Arme zu reißen, strich er ihr nur sanft mit einem Finger über die Wange. - 46 -
„Hi“, sagte er leise. Er lächelte unsicher. Sie hatte ihn nicht erwartet, hatte angenommen, daß er tags zuvor für immer gegangen war. Sie wußte nicht, wie sie reagieren sollte, nur in ihrem Innern sagte ihr eine Stimme, wie sehr sie sich freute, daß er zurückgekommen war Ted räusperte sich und sah an sich herunter. „Ich wollte mich nur mal kurz umziehen, ich dachte, das paßt besser zum Strand als ein Anzug.“ Eva lachte ein leises Lachen, fast wie ein Flüstern und schlug die Augen nieder. Seine Jeans waren ausgebleicht und saßen eng an seinen Hüften, die oberen Knöpfe seines karierten Hemdes standen offen. „Du siehst gut aus“, sagte sie leise. Ihr Atem ging schneller. „Ich fühle mich auch viel wohler so.“ Mit der anderen Hand strich er ihr durchs Haar. „Ich habe dich beobachtet, wie eine wunderschöne Statue hast du dagestanden.“ Ihre Blicke trafen sich. „Ich bin nicht aus Stein“, erwiderte sie lächelnd. „Weiß ich.“ Ted senkte den Kopf zu ihr hinunter und berührte sanft mit seinen Lippen ihren Mund. Dann schloß er die Augen und küßte sie, genoß das Wiedersehen. Eva schien ihm so kostbar. Er wußte, er sollte sich zurückhalten. Er würde sie nur verletzen, wie er schon so viele Frauen, mit denen er zusammengewesen war, verletzt hatte. Aber keine dieser Frauen hatte ihn so angezogen wie Eva mit ihrer kühlen Selbstsicherheit, unter der ihre Verletzlichkeit für ihn so deutlich hervorschimmerte. Er konnte jetzt nicht aufhören, er brauchte sie so sehr. Erst als sich ihr Mund öffnete, wurde sein Kuß leidenschaftlicher, doch mit einer Zärtlichkeit, die neu für ihn war. Sie war warm und süß, ihre Lippen, ihre Zunge, ihr Mund so weich. Er ließ von ihr ab und sah, daß auch sie die Augen geschlossen hatte. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck der Verzauberung. Mit der Zungenspitze fuhr er die Konturen ihrer Lippen nach, und als auch ihre Zunge sich zeigte, stockte ihm der Atem. Er preßte Eva an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. „Eva ... Eva...“ flüsterte er heiser. Er wollte sie. Seine Hände - 47 -
strichen über ihre Schultern, ihren Rücken, ihre Hüften und Schenkel. „Ich brauche dich, Eva, ich brauche dich so sehr“, flüsterte er ihr ins Ohr. Eva nickte nur. Ihre Hände gruben sich in die harten Muskeln seines Rückens. Ihr Körper schmerzte vor Sehnsucht nach ihm. Erst jetzt wurde ihr bewußt, wie sehr sie es verwirrt hatte, als er sie gestern abend so zärtlich geküßt und dann doch verlassen hatte. Sexuelle Frustration war ihr bisher unbekannt gewesen, und sie wußte nicht, ob sie damit zurechtkommen würde. Sie hielt ihn an den Schultern von sich weg. „Ted, bitte nicht, wenn du nicht vorhast zu bleiben“, sagte sie leise. Er verstand die Angst, die in ihren Augen lag. „Ich verspreche es, Liebling“, murmelte er und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Diesmal bleibe ich. War es das, wovor du Angst hattest?“ Als sie nickte, nahm er sie in die Arme. Eva spürte seinen warmen Atem an ihrem Gesicht. „Es tut mir leid für gestern. Ich habe mich wie ein Schuft benommen. Den ganzen Weg nach New York zurück machte ich mir Vorwürfe. Ich hätte umdrehen und zurückkommen sollen, aber manchmal benehme ich mich einfach wie ein Vollidiot.“ Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah ihr in die Augen. „Du weißt gar nicht, wie kostbar du für mich bist.“ Er legte eine Hand auf ihre Brust, mit dem Daumen strich er über die aufgerichteten Knospen, die sich unter dem dünnen Stoff der Bluse abhoben und hart und steif wurden. Eva gab einen Laut der Verzückung von sich, ihr Atem ging schnell und stoßweise. „Willst du mich?“ flüsterte er. „Ja!“ Unvermittelt ließ er sie los und nahm sie an der Hand. „Komm“, sagte er heiser, „wir verschwenden hier nur unsere Zeit.“ Sie brauchte nicht zu fragen, wo er sie hinführte. Sie wußte es und folgte ihm ohne Zögern. Ihr Herzschlag raste, als sie durch das Wohnzimmer und die Halle zu ihrem Schlafzimmer gingen. Noch ehe ihre Bluse zu Boden fiel, war sie schon vergessen. Ted ließ sich rücklings aufs Bett sinken und zog Eva zwischen seine Schenkel. Seine Lippen suchten ihre Brüste und liebkosten sie so - 48 -
zärtlich, daß sie aufschrie. Mit der Zungenspitze spielte er an ihren Brustknospen, bis ein heftiges Zucken durch ihren Körper fuhr und eine heiße Flut sich in ihrem Becken sammelte. Plötzlich waren seine Hände an ihren Hüften und zerrten Shorts und Höschen herunter. Während er die Knöpfe an seinem Hemd und den Verschluß seiner Hose öffnete, hörte er nicht auf, ihre Brüste zu liebkosen. Nur für einen Moment drehte er sich zur Seite als er seine Kleider auszog. Dann war er wieder neben Eva, auf ihr und drang in sie ein. Aus Evas Brust drang ein Stöhnen. Sie öffnete sich ihm, empfing ihn, genoß seine ungestüme Kraft und drängte sich ihm entgegen. Die Flut in ihr wuchs immer mehr, bis sich alles in einer Explosion entlud. Sie stöhnte und schrie, ihr ganzer Körper zuckte, und einen Augenblick später stöhnte auch Ted auf. „Oh, Eva, es ist so gut mit dir...“ Unwillkürlich mußte sie lächeln. Sie fühlte sich zufrieden und stolz, daß sie auch ihn zufriedengestellt hatte, daß er zurückgekommen war, weil er seine Sehnsucht stillen wollte. Sie strich mit ihren Händen über die glatte Haut seines Rückens. „Ich erdrücke dich ja“, sagte er leise. Er lachte kurz auf. „Aber ich habe nicht vor, meine Stellung zu wechseln.“ „Bitte nicht“, flüsterte sie zurück. „Es fühlt sich so gut an.“ Gewaltsam mußte er sich dazu zwingen, sich zur Seite zu rollen. Er bemerkte mit Freude die selige Zufriedenheit auf ihrem Gesicht. Beide rangen sie noch nach Luft. Ihr Keuchen vermischte sich mit dem Geräusch der Brandung, das vom Strand her ins Schlafzimmer drang. Ted wollte seinen Kopf aufs Kissen legen, als ihm bewußt wurde, daß sie sich nicht die Zeit genommen hatten, die Tagesdecke vom Bett zurückzuschlagen. Er verzog plötzlich vor Schreck das Gesicht. „Himmel!“ stieß er hervor. Eva hob den Kopf und sah ihn besorgt an. „Was ist?“ „Eva, ich muß den Verstand verloren haben. Alles ging so schnell. Ich habe gar nicht gefragt, ob wir uns schützen müssen.“ Sie streckte eine Hand aus und legte sie ihm besänftigend auf die Schulter. Sanft knetete sie seine Muskeln. „Es ist schon in - 49 -
Ordnung, Ted. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Du nimmst die Pille?“ fragte er. „Nein“, antwortete sie. Sie hatte das alles ja nie erwartet. „Wie kannst du dann so sicher sein? Was, wenn du schwanger wirst?“ „Darüber zerbrechen wir uns den Kopf, wenn sich das Problem ergibt. Ich habe es dir schon vorletzte Nacht gesagt, es ist meine sichere Zeit.“ Er verzog den Mund. „Glaubst du wirklich an diese RhythmusMethode? Ich halte das für reichlich naiv.“ Ted strich sich durchs Haar und ließ sich aufs Bett zurücksinken. „Das war mehr als unvernünftig. Wenn ich es nicht so sehr gewollt hätte, wäre das nicht passiert.“ „Ted, bitte, was sagst du da?“ Eva setzte sich auf und sah ihn erschrocken an. Ted starrte grimmig zurück, dann sprang er plötzlich aus dem Bett und griff nach seinen Jeans. „Du scheinst überhaupt keine Ahnung zu haben, mit wem du es zu tun hast, nicht?“ Völlig verwirrt über seine heftige Reaktion blickte Eva ihn an. Ted zog den Reißverschluß seiner Hose zu. „Vor ein paar Tagen, bei deiner Vernissage, ich war, dort, mit einem Freund von mir. Du hattest mich nicht gesehen?“ Evas Augen weiteten sich. „Nein, Ted“, sagte sie leise. „Er ist Rechtsanwalt, besorgt sich bei solchen Gelegenheiten neue Klienten. Wir beobachteten dich, und er erzählte von Gerüchten, die über dich verbreitet werden daß du kühl und unnahbar seist. Ich habe es ihm nicht geglaubt, na ja, und dann schlossen wir eine Wette ab.“ Evas Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie glaubte sich verhört zu haben. „Eine Wette?“ Ted war klar, daß er zu weit gegangen war, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. „Ja, wir haben gewettet, daß ich dich rumkriegen kann. Sieht so aus, als ob ich gewonnen hätte.“ Er fühlte sich überhaupt nicht als Sieger, eher wie ein niederträchtiger Schuft. Abrupt drehte er sich um und stürmte aus - 50 -
dem Schlafzimmer. Eva zitterte am ganzen Körper. Sie bewegte sich zum Rand des Betts, hob mühsam ihre Bluse vom Boden auf und hielt sie mit beiden Händen vor ihre Brust. Mit gekreuzten Beinen saß sie da und wiegte sich langsam vor und zurück. Sie starrte die Tür an, aus der Ted verschwunden war. Er stand draußen auf der Terrasse, stützte sich schwer aufs Geländer und sah auf das graue, stürmische Meer hinaus. Es kam ihm wie ein Spiegelbild dessen vor, was in seinem Innern vorging. Er kam nicht zurecht mit den Gefühlen, die er für diese Frau hegte, und er haßte sich dafür. Sollte er bleiben? Kein einziges Mal hatte sie um seine Liebe gebeten. Sie war glücklich mit ihrem Leben gewesen. Würde er dieses Glück jetzt nicht zerstören? Das beste war, wenn er sie verließ. Sie würde einen anderen finden, einen, der Manns genug war, ihr seine ganze Liebe zu schenken. Liebe war ein Fremdwort in Teds Vokabular. Er scheute die Verantwortung für eine Frau, geschweige denn für eine Familie. Was sollte er aber tun, wenn Eva schwanger war? Er zuckte zusammen, als eine Hand seine Schulter berührte, und wirbelte herum. Eva stand hinter ihm, in der Hand hielt sie sein Hemd. Sie hatte sich einen Rollkragenpullover übergezogen, ihr Gesicht war sehr blaß. „Du wirst dich noch erkälten“, sagte sie leise und hielt ihm das Hemd hin. Er nahm es entgegen und zog es an. „So wie ich dich behandelt habe, müßtest du mir eigentlich eine Lungenentzündung wünschen.“ „Warum sollte ich?“ „Du hättest etwas Besseres als mich verdient.“ „Ich bin nicht auf der Suche nach jemandem, Ted. Außerdem holst du dir keine Lungenentzündung. Du bist zu stark und so kalt ist es nun auch wieder nicht.“ Ihr Lächeln irritierte ihn. Er hatte erwartet, daß sie ihn anschreien - 51 -
und hinauswerfen würde. Mit beiden Händen faßte er sie bei den Schultern. „Eva, du mußt dich doch sehr verletzt fühlen?“ fragte er. „Gefreut habe ich mich nicht darüber. Wer kommt sich schon gern billig vor?“ Ted verzog bei diesem Wort das Gesicht. „Ich schwöre dir, so war das nicht. Zugegeben, es hat mit einer Wette angefangen, aber nur, weil ich, mich von Anfang an zu dir hingezogen fühlte. Es war deine Selbstsicherheit, die mich dazu brachte, als dein Chauffeur aufzutreten. Im allgemeinen verstecke ich mich nicht.“ Ein amüsiertes Lächeln huschte über Evas Gesicht. „Womit beschäftigst du dich denn sonst? Ich meine, wenn du nicht als Chauffeur verkleidet hinter Frauen herstellst.“ „Ich arbeite als Redakteur im Filmgeschäft.“ „In der Werbung?“ „Nein, Berichterstattung, hauptsächlich Dokumentarfilme.“ „Und im Augenblick hast du nichts zu tun?“ „Ich mache Urlaub. Weißt du, wenn ich an meiner Arbeit sitze, geht es meistens ziemlich hektisch zu. Vor einer Woche wurde ich mit einer Sache fertig, und ich brauchte mal eine Pause.“ „Was war es denn, was du fertiggestellt hattest?“ „Eine Dokumentation über Gefängnisreform. Ziemlich deprimierend, wenn man bedenkt, wieviel wertvolles Material gekürzt werden mußte, um den Wünschen des Produzenten nachzukommen. „Der Reformgedanke kam dabei etwas zu kurz?“ „Ja. Ich habe eben versucht, das Beste daraus zu machen. Die Zustände in unseren Gefängnissen sind schon erschreckend.“ „Hast du den Eindruck, die grundsätzlichen Aussagen in diesem Bericht durch deine Bearbeitung verfälscht zu haben?“ „Nein, ich versuche mich soweit wie möglich an die Wahrheit zu halten. Natürlich machen wir uns alle dann und wann schuldig...“ Ted sah Eva tief in die Augen. „Auch dich habe ich zu keinem Zeitpunkt belogen, Eva. Nicht einmal, als du mich gefragt hast, wie lange ich schon fahre.“ „Ich weiß“, sagte sie leise. „Mach dir bitte keine Vorwürfe, Ted. Du hast mir jetzt die ganze Wahrheit gesagt, und damit wollen wir - 52 -
es gut sein lassen. Meinst du nicht?“ Es war seine Chance, sich ihr zu öffnen. In seiner Stimme lag eine ungewohnte Härte. „Eva, ich bin ein Einzelgänger. Ich möchte nicht, daß du oder irgendeine andere Frau in mein Leben eindringst. Von mir kannst du nichts erwarten, ich habe nicht viel zu geben. Wenn wir auch noch so oft zusammen sind, eines Tages werde ich weg sein. Ich möchte dir keine Versprechungen machen.“ Wütend blitzte Eva ihn an. „Hast du nicht zugehört, als ich dir sagte, daß ich nichts von dir erwarte? Oder hast du geglaubt, das seien nur leere Worte? Ich kann dir sagen, es war mein voller Ernst. Ted, ich bitte dich um nichts. Gut, ich nahm, was du angeboten hattest, und es hat mich glücklich gemacht. Aber ich kann auch genausogut für mich selbst sorgen - ohne dich.“ Mit einer Geste der Frustration hob sie die Hände. „Warum glaubt ihr aus der Stadt, das ganze Leben drehe sich nur um euch? Das ist ja wie eine Krankheit.“ Sie wandte sich halb ab, überlegte es sich aber anders. „Wenn es dich so belastet, daß ich Ansprüche an dich stellen könnte, warum steigst du dann nicht einfach wieder in deinen Wagen und fährst nach New York zurück? Für mich gibt es außer dir noch sehr viel, das in meinem Leben eine Rolle spielt, Ted.“ Sie starrte ihn einen Moment unverwandt an, dann schüttelte sie den Kopf und ging ans andere Ende der Terrasse. Ted folgte ihr langsam. Er stand neben ihr und blickte hinaus aufs. Meer. „Ich dachte nicht, daß du das fertigbringen würdest“, sagte er leise. „Was?“ „So zornig zu werden.“ „Jetzt weißt du es.“ „Hm, stimmt.“ „Das kommt nicht sehr oft vor“, schränkte sie ein. Sie hatte ihre Fassung wiedergewonnen. „Darauf kannst du dir fast etwas einbilden.“ „Um so mehr schätze ich deine Offenheit.“ Eva warf ihm einen skeptischen Blick von der Seite zu. „Hast du Hunger?“ - 53 -
Verdutzt sah er sie an. „Wie kommst du denn plötzlich darauf?“ „Ich habe seit zehn nichts mehr gegessen.“ Er lachte. „Siehst du, was passiert, wenn du keinen Chauffeur hast, der sich um dich kümmert?“ „Ach, weißt du, ich mache mir das zur Regel“, gab sie lächelnd zurück. „Zwei Mahlzeiten am Tag, morgens und abends. Sehr gesund, solltest du auch einmal probieren. Ich habe noch frische Scholle im Kühlschrank. Möchtest du mitessen?“ „Du lädst mich zum Abendessen ein?“ „Wenn du nichts anderes vorhast. Oder wolltest du deine Freunde hier in der Gegend besuchen?“ „Ich hatte nicht einmal an sie gedacht. Ich kam nur deinetwegen. Du weißt das.“ „Dann bleib doch.“ „Ich möchte nicht, daß du dir solche Mühe machst. Viel lieber würde ich dich zum Essen einladen.“ Eva holte tief Luft. „Sag mal, warum bist du überhaupt gekommen? Ich freue mich doch, daß du hier bist.“ Er zögerte und holte tief Luft. „Ich weiß es selbst nicht genau. Ich folgte einem Impuls, ich brauchte dich und sehnte mich nach deiner Nähe. Außerdem mußte ich mal eine Pause einlegen...“ Er deutete mit der Hand nach Süden. „Von dem ganzen Großstadttrubel...“ „Möchtest du die Nacht über bleiben?“ „Natürlich möchte ich das.“ „Bist du geschickt mit deinen Händen?“ Einen Augenblick sah er sie ungläubig an. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Das weißt du doch genau“, sagte er. Eva ließ sich durch seine anzügliche Bemerkung nicht verwirren. „Kannst du Dinge im Haus reparieren?“ Sein Lächeln war verschwunden. „Kommt darauf an.“ „Einige der Holzplanken haben sich hier gelockert, da unten am Strand. Andere müßten dringend ausgewechselt werden. Außerdem tropft in der Küche der Wasserhahn, und die Badezimmertür klemmt auch.“ „Du brauchst einen Handwerker, scheint es.“ - 54 -
„Wenn ich einen hätte, würde ich ja nicht dich fragen. Möchtest du es dir morgen einmal anschauen? Solange ich im Atelier arbeite?“ „Du hast vor zu arbeiten? Ich hatte gehofft, wir könnten ein bißchen rausfahren, die Küste entlang, und irgendwo zu einem Hummeressen einkehren.“ „Ich muß was tun. Du bist es, der Urlaub macht, nicht ich.“ „Immer nur Arbeit! Wo bleibt denn da das Vergnügen?“ Ted lachte. Eva ignorierte seine Bemerkung. „Also, entscheide dich: Möchtest du die Scholle oder nicht? Ich jedenfalls sterbe fast vor Hunger“ „Gut, ich nehme die Einladung an.“ Er sah ihr hinterher, als sie über die Terrasse ins Haus zurückging. Bevor sie ins Wohnzimmer trat, rief er ihr zu: „Die ganze Zeit kannst du ja unmöglich im Atelier verbringen!“ Sie saßen sich im Eßzimmer am Tisch gegenüber. Ted wollte von Eva alles über Marblehead wissen, und sie ging bereitwillig auf seine Fragen ein. Auch er fing an zu erzählen, als sie sich näher nach seiner Arbeit erkundigte. „Wie bist du denn zu diesem Beruf gekommen?“ fragte sie. „Gleich nach der High-School fing ich als freischaffender Pressefotograf an, wollte mir nebenher das College finanzieren. Aber irgendwie kam das Geld dafür nicht zusammen, und so entschloß ich mich, für zwei Jahre das College an den Nagel zu hängen und mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Meine Bilder fanden Beifall bei den großen Agenturen, und schließlich boten sie mir bei Associated Press einen Job an. Von da an gab es kein Halten mehr, ich war jung und voller Energie. Überall, wo es für meine Kollegen zu brenzlig wurde, holte ich mir meine Bildberichte - Iran, Rhodesien, Vietnam, die Philippinen.“ „Das klingt ja wahnsinnig aufregend.“ „Das war es auch. Aber mit der Zeit wird es zur Routine, man - 55 -
stumpft ab und brennt aus. Die ganze Armut, die Kriege, Unterdrückung und Revolutionen es ist schlimm, was in der Welt so vor sich geht.“ „Du hast dann etwas anderes angefangen?“ „Etwas in meinem Inneren sagte mir, daß ich meine Ausbildung beenden sollte. Ich hatte ja genug Geld gespart. Ich nehme an, es war zum großen Teil mein Stolz und Ehrgeiz.“ Er sah Eva an. „Weißt du, da, wo ich herkomme, ist eine richtige Ausbildung eher eine Seltenheit. Ich wollte es mit jedem aufnehmen können, und das College, war der erste Schritt dazu.“ „Wie alt warst du damals?“ „Siebenundzwanzig, bedeutend älter als viele meiner Klassenkameraden. Wenn ich nicht so fest entschlossen gewesen wäre, ich hätte das erste Semester nie überstanden. „Aber du hast es geschafft?“ „Ja. Und während meiner College Zeit entdeckte ich den Beruf des Filmredakteurs.“ Nachdenklich lächelte er. „Wir hatten da einen Professor, äußerst kluger Köpf. Wir beide kamen gut miteinander aus, und er besorgte mir meinen ersten Auftrag.“ „Er muß ziemlich stolz auf dich sein, daß du dabeigeblieben bist.“ Sein Lächeln verschwand. „Er ist tot. Eines Tages hatte er einen Herzanfall und“ - er schnippte mit dem Finger „so schnell ging das. „Das tut mir leid.“ Ted zuckte die Schultern. „So ist es eben im Leben. Aber ich habe sein Erbe fortgeführt, mit ziemlich viel Erfolg.“ Evas Eindruck, daß Ted ein Meister im Verbergen von schmerzlichen Gefühlen war, wurde während seiner Erzählungen immer mehr bestätigt. Der Beruf des Fotografen hatte ihn geprägt. Was er in dieser Zeit erlebt und gesehen hatte, hatte ihn hart und verschlossen gemacht. „Kannst du mir einen Titel nennen, den du bearbeitet hast?“ fragte sie ihn. Er verzog den Mund. „Also, in letzter Zeit habe ich eine Dokumentation über Kinderprogramme gemacht. Und einen - 56 -
faszinierenden Beitrag über Selbstmordgefährdete. Dann die Alten in unserer Gesellschaft, ihre Nöte in einer Umgebung, die zunehmend auf Jugend Wert legt. Ach ja, da war noch die Dokumentation über Korruption in der Politik. Hat eine Menge Leute aufgeschreckt.“ „Kann ich mir gut vorstellen, wenn es so ähnlich wie ‚Folgt eurem Führer’ war“ „Du hast ‚Folgt eurem Führer’ gesehen?“ „Ja, letzten Winter.“ „Wie gefiel es dir?“ „Ich war wie gebannt. Faszinierend, fast wie ein gutgemachter Horror Streifen. Ich finde, es war technisch ausgereift, absolut wirkungsvoll.“ „Freut mich. Ich war schließlich daran beteiligt.“ Ihre Augen weiteten sich. „Du?“ Sie lächelte ihn an. „Was, wenn es mir nicht gefallen hätte?“ „Wenn das deine aufrichtige Meinung gewesen wäre, ich hätte sie akzeptiert.“ „Einfach so?“ „Was bleibt mir anderes übrig?“ Eva sah ein, daß er recht hatte. Es hatte keinen Sinn, gegen etwas anzukämpfen, das man nicht beeinflussen könnte. Doch tat ihr der Umstand weh, wie sachlich Ted das Ganze sah, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. Dabei spürte sie, daß Ted Gefühle besaß. Das leise Lächeln, als sie ‘Folgt eurem Führer’ erwähnte, war nur ein weiterer Beweis gewesen. „Kannst du dir aussuchen, welche Filme zu bearbeitest?“ „Ich kann ablehnen.“ „Deprimieren dich manchmal die Themen, wie du sie vorhin erwähnt hast. Du klangst leicht zynisch, oder irre ich mich?“ „Wenn mich etwas deprimiert, sind es die Bedingungen. Ich muß einerseits den Produzenten zufriedenstellen, andererseits aber auch den Regisseur. Das ist manchmal nicht leicht und verlangt öfter schmerzliche Kompromisse. Aber so ist die Welt des Films. Man darf nicht vergessen, daß vieles, was wir auf der Leinwand oder dem Bildschirm sehen, auf Illusion oder Trick beruht.“ - 57 -
„Irgendwie finde ich das schade.“ „Daran kann man wenig ändern, und ich mache mir als Zuschauer auch wenig Gedanken darüber. Ich ziehe es vor, daran zu glauben.“ Er kicherte vergnügt. „Auch wenn ich weiß, daß eine hinreißende Liebesszene bereits zum hundertstenmal wiederholt worden war, bevor sie verwendet wird. Alles Lug und Trug, dieses Spiel mit den Gefühlen.“ Eva stand auf, um die Teller abzuräumen. „Da bin ich nicht so sicher“, sagte sie. Und bevor sie in der Küche verschwand, fügte sie hinzu: „Könnte doch sein, daß es dir gefallen würde, wenn du eine Frau hättest, die so in dich verliebt ist, daß sie dir bereitwillig ihr Herz öffnet. Eva lächelte, als sie keine Reaktion von ihm hörte. Sie kam mit dem Nachtisch zurück, einer tüchtigen Portion Blaubeerkuchen. Ted sah sie nachdenklich an, als sie sich zu ihm setzte. „Bist du dir im klaren darüber, was du tust, Eva? Du lädst mich ein hierzubleiben.“ „Das sehe ich anders. Ich lade dich nicht ein, ich sage nur, daß du bleiben kannst, wenn du möchtest. Das Haus ist groß genug für uns beide. Wozu hat man Freunde?“ „Wir sind aber mehr als nur Freunde. Hast du das vergessen?“ „Nein“, antwortete sie leise. „Und wenn ich hierbleibe, habe ich nicht vor, im Gästezimmer zu schlafen.“ „Das habe ich nicht erwartet.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Gesichtsausdruck war steinern. „Warum tust du das?“ „Meine Gastfreundschaft anzubieten?“ „Ja, und dich selbst auch.“ „Weil ich dich mag, Ted. Muß es dafür sonst noch Gründe geben?“ „Im allgemeinen gibt es da noch andere.“ „Ted, mach nicht alles komplizierter, als es ist. Ich freue mich, daß du da bist. Und solange du hierbleiben möchtest, kannst du bleiben. Du hast doch selbst gesagt, daß du eines Tages einfach verschwinden könntest.“ - 58 -
Verblüfft sah er sie an. „Du bist ganz schön cool, Eva.“ „Darin stehst du mir in nichts nach, Ted.“ Eva lachte laut auf. „Komm, gehen wir auf die Terrasse hinaus und lassen uns den Wind um die Nase wehen.“ Sie nahm ein Tablett und stellte die Kaffeetassen und den Kuchen darauf. Ted folgte ihr. Gut, er wollte ihr Angebot annehmen und seinen Urlaub hier verbringen. Selbst wenn es dafür keinen anderen Grund gab, als ihr und sich selbst zu beweisen, daß er damit zurechtkommen und sich dennoch eines Tages einfach verabschieden würde.
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5. KAPITEL Es war Nachmittag. Ted saß draußen auf der Terrasse mit einem Buch. Aber er las nicht, sondern sah übers Meer hinaus zum fernen Horizont und dachte nach, schwelgte in den Erinnerungen an die vergangene Nacht. Trotz der kühlen Selbstsicherheit, die Eva bisweilen an den Tag legte, hatte sie eine Leidenschaft bewiesen, die ihn immer wieder überraschte. Ihre weiche Seite kam dann zum Vorschein, zärtlich und wild zugleich. Für eine Frau, die vorher nie sexuelle Erfüllung gekannt hatte, war sie ein Wunder. Vielleicht holte sie nach, was sie versäumt hatte? Möglicherweise war es auch der Reiz des Neuen, dem sie sich ganz überließ. Er fühlte sich wohl, und er hatte nicht die Absicht, sich so schnell wieder davonzumachen. Ted hatte mit den Reparaturen begonnen, um die Eva ihn gebeten hatte. Am Morgen, gleich nachdem er aufgestanden war, waren sie beide in die Stadt gefahren, um Werkzeuge und Material zu besorgen. Eva war viel früher wach gewesen und hatte bereits seit Stunden im Atelier gearbeitet. Ein Lächeln umspielte seinen Mund, als er sich an die Diskussion erinnerte, wessen Wagen sie nehmen sollten und wer fahren würde. Er hatte sich durchgesetzt. Beim Anblick seines kleinen Sportwagens, einem Oldtimer MG, hatte Eva ihn ungläubig angesehen. „Du bist voller Überraschungen, Ted“, hatte sie gesagt, als sie eingestiegen war. Bevor sie mit den Einkäufen nach Hause zurückfuhren, hatte Ted darauf gedrängt, gemeinsam in eine Apotheke zu gehen und ein Verhütungsmittel zu besorgen. Eva hatte sich geweigert, sie zog es vor, rasch ihren Frauenarzt aufzusuchen. Ted wartete solange im Wagen. Zumindest waren sie jetzt sicher, dachte er, unerwünschte Schwangerschaften standen ganz oben auf der Liste der Fehler, die er im Leben vermeiden wollte. Er hatte zu viele Kinder gesehen, die darunter litten, daß ihre Eltern nicht willens oder in der Lage waren, für sie zu sorgen. Verärgert über die Wende, die seine Gedanken genommen hatten, stand er auf und streckte sich. Einem plötzlichen Impuls folgend - 60 -
machte er sich auf den Weg zu Evas Atelier. Er hatte es nur einmal betreten, am ersten Abend, als sie ihm ihr Haus gezeigt hatte. Die Tür stand offen. Er blieb im Eingang stehen, ihm kam es vor, als hinderte ihn eine unsichtbare Barriere am Eintreten. Der Raum war - wie alle mit Blick zum Meer - lichtdurchflutet, mit riesigen Fensterfronten. Selbst im Dach waren Fenster eingelassen. An einem Sommertag wie diesem standen die Schiebetüren zur Terrasse weit offen und ließen die kühlende Brise vom Meer herein. Aber das war es nicht gewesen, was ihn veranlaßt hatte, an der Tür innezuhalten. Der Raum strahlte eine merkwürdige Ruhe aus und Frieden. Sein Blick schweifte über die Werkzeuge und das Rohmaterial, über die Arbeitsgestelle, Podeste, die Staffelei und den riesigen Tisch. An den weißgetünchten Wänden hingen ein paar eingerahmte Poster. Über dem Tisch war ein Pinboard an der Wand angebracht, auf dem Skizzen und Zettel mit Notizen befestigt waren. Eva saß auf einem Hocker am anderen Ende des Raums. Sie trug einen Lederschurz, auf ihrem Schoß lag ein großer Block Holz. Ihre Gesichtszüge waren hinter einem Schutzschild aus Plexiglas verborgen, den sie wie einen Helm trug. Sie schien Ted nicht bemerkt zu haben, arbeitete stetig und bedächtig mit sicheren Schlägen die Form aus dem harten Material. Wieder kam sich Ted wie ein Eindringling vor und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Eva aufblickte. Sie schob den Schutzschild hoch. „Geh bitte nicht!“ rief sie. „Ich wollte nicht stören.“ „Du störst mich nicht. Ich brauche sowieso eine Pause.“ Ted rührte sich nicht von der Stelle, fühlte sich noch immer befangen. „Was soll das werden?“ fragte er. Sie sah hinunter auf das Stück Holz und strich mit der Hand darüber. „Die erste Figur aus einer Gruppe von Strandvögeln.“ „So, eine Gruppe. Hattest du nicht unter deinen Ausstellungsstücken etwas Ähnliches?“ Sie sah ihn an und lächelte schelmisch. „Aha, du hast also außer - 61 -
mir auch noch meine Arbeiten wahrgenommen, das erstaunt mich.“ Er nickte nur. „Wie haben sie dir gefallen?“ „Deine Skulpturen sind wunderbar, so voller Gefühl. Das war auch einer der Gründe, warum ich nicht glauben konnte, daß du ... Na ja, du weißt schon.“ Eva nickte. „Ted“, sagte sie leise, „du darfst reinkommen.“ Die unsichtbare Barriere an der Tür öffnete sich, und Ted trat in den Raum. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans und sah sich um. „Ein hübsches Atelier hast du“, sagte er anerkennend, „sehr hell und doch, irgendwie gemütlich.“ Sie folgte seinem Blick. „Ja, das war einmal das Schlafzimmer. Aber schon als ich das Haus zum erstenmal besichtigte, kam mir sofort die Idee, die Räume als Atelier zu nutzen. Das Ankleidezimmer eignet sich gut als Aufbewahrungsraum, und im angrenzenden Bad habe ich den Wasseranschluß, den ich zum Arbeiten brauche.“ Ted nahm die Arbeiten, die im Atelier herumstanden, genauer in Augenschein. Bei der Vielzahl der Werkzeuge, die neben dem Pinboard in einem Gestell hingen, fragte er erstaunt: „Du brauchst all das?“ „Hin und wieder.“ „Mir kommen die meisten ziemlich ähnlich vor.“ Er streckte eine Hand aus und berührte einige der Werkzeuge, die sauber aufgereiht da hingen. „Das sind Raspeln... Jede einzelne ist von der anderen verschieden. Wenn es an die Feinheiten der Bearbeitung geht, kann das, einen großen Unterschied ausmachen.“ Ted nickte und ging auf sie zu. Sein Blick fiel auf das Stück Holz auf ihrem Schoß. „Was ist das für Holz?“ Sie hob den roh geschnitzten Holzblock hoch und drehte ihn langsam um. „Walnuß.“ „Wirst du die anderen Figuren auch aus Walnuß schnitzen?“ „Ja, schon. Trotzdem werden sie alle leicht verschieden sein, kein Stein oder Stück Holz gleicht dem anderen. Davon abgesehen kann - 62 -
man nie voraussagen, wie eine Arbeit am Ende genau aussehen wird.“ Er überlegte einen Moment. „Machst du dir vorher Skizzen?“ „Natürlich. Die von der Vogelgruppe liegen zuoberst auf dem Tisch.“ Ted ging hinüber und sah sich die Zeichnungen an. Auf einem großen Blatt war die ganze Gruppe zusammen dargestellt. Auf Details schien Eva keinen Wert gelegt zu haben, die Konturen der Vögel waren mit Kohlestift herausgearbeitet. „Sehr lebendig“, meinte Ted. „Sie sehen so leicht aus, als ob sie schwebten.“ Er sah zu ihr hinüber. „Auf welchen Untergrund wirst du die Gruppe stellen?“ „Auf Sand, hoffe ich wenigstens. Klebstoff kann manchmal Wunder wirken.“ Sie lachte. „Ich werde es eben einmal ausprobieren.“ Ted lehnte sich an die Tischkante und betrachtete Eva, wie sie vor ihm auf ihrem Hocker saß. Sie sah so glücklich aus mit ihrer Arbeit auf dem Schoß, und doch hatte sie geduldig und bereitwillig seine Fragen beantwortet. Ihm lagen noch viel mehr Fragen auf dem Herzen, doch er wollte Eva nicht weiter von der Arbeit abhalten. Er richtete sich auf und ging zur Tür, als plötzlich eine kleine Figur aus Stein seine Aufmerksamkeit erregte. Er nahm sie in die Hand und sah sie sich genau an.. „Was ist das?“ fragte er ohne aufzuschauen. „Ach, nichts Besonderes. Eine Spielerei“, erwiderte sie ein bißchen zu eifrig. Er warf ihr einen seltsamen Blick zu und drehte die Figur langsam. Sie hatte ungefähr die Größe seiner Hand, zwei Finger waren bereits deutlich zu erkennen, der dritte angefangen. Die Hand eines Mannes. Wann hatte sie diese Arbeit wohl begonnen, und was verbarg sich dahinter? Irgend etwas hielt ihn davon ab zu fragen. Er stellte das Stück wieder hin und verließ nachdenklich das Atelier. Barfuß schlenderte er durchs Haus, ging wieder auf die Terrasse hinaus und dann die Stufen zum Strand hinunter. Dort setzte er sich auf - 63 -
einen großen Felsen. Hier fand ihn Eva einige Zeit später. „Ich dachte, daß du hier unten sein würdest“, begrüßte sie ihn und setzte sich neben ihn. „Hast du etwas dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?“ Wieder sah er sie mit diesem merkwürdigen Blick an. „Es ist schließlich dein Strand“, erwiderte er. „Wenn du lieber allein sein möchtest...“ Als er nur mit den Schultern zuckte, schlug sie die Augen nieder „Ich - ich wollte es dir erklären“, sagte sie leise. „Was?“ „Das mit der Arbeit, die du vorhin in der Hand hieltst.“ Sie stockte. „Sie soll deine Hand darstellen.“ „Der Gedanke ging mir durch den Kopf.“ „Ich hatte sie gestern angefangen.“ „Warum?“ Diesmal zuckte Eva die Schultern. „Ich weiß auch nicht. Ich fand den Stein am Strand, und plötzlich sah ich deine Hände vor meinen Augen, wie eine Vision.“ „Funktioniert das immer so?“ „Nicht immer. Manchmal habe ich eine Idee, und dann suche ich monatelang nach dem passenden Material.“ Ihre Augen glänzten. „Doch es kommt auch vor, daß ein Stein oder ein Stück Holz eine Vorstellung in mir weckt. Es, ist...“ Sie zögerte, wurde verlegen. „Wie was?“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. „Als ob der jeweilige Stein, oder was es auch ist, zu mir spricht. Als ob sich etwas in ihm verbirgt, das befreit werden möchte.“ Evas Wangen röteten sich leicht. Sie hatte das Bedürfnis, ihre Gedanken und Gefühle mit Ted zu teilen, war sich aber seiner Reaktion nicht sicher. „Wie ein Geheimnis, das da drin auf mich wartet, etwas sehr Kostbares.“ Ted streckte eine Hand aus und umfaßte Evas Nacken, zog sie sanft zu sich heran. Ihre Lippen waren weich und feucht. Unfähig, ihrer stummen Einladung zu widerstehen, preßte er seine Lippen auf ihren Mund und gab sich ganz dem Zauber der Berührung hin. Auch Eva spürte diesen Zauber. Es war, als weckte sein Kuß alle - 64 -
ihre Sinne. Ted umschlang ihre Hüften und drückte sie eng an seinen festen Körper. Seine Stimme schien ihr heiserer als zuvor. „Was hältst du davon, wenn wir gleich ausprobieren, was für ein Wunder dein Arzt vollbracht hat?“ flüsterte er. „Ich muß doch noch arbeiten“, gab sie kichernd zurück, obwohl sie wußte, daß nichts mehr daraus werden würde. „Ich gebe dir genug, woran du arbeiten kannst“, sagte Ted mit leisem Lachen. „Du darfst alles an mir berühren, dir ins Gedächtnis einprägen, wie sich mein Körper anfühlt. Vielleicht findest du einen verborgenen Schatz?“ Eva lachte. „Ach, ich verstehe. Dann würde ich mich aber an deiner Stelle beeilen. Wenn wir noch länger hier stehen, wirst du mich ins Haus tragen müssen. Meine Knie halten diese nervliche Beanspruchung nicht aus, sie fühlen sich schon butterweich an.“ Sie spürte, wie ihre Brüste zu schwellen begannen gegen den harten Druck seines Oberkörpers, und bei den sachten Bewegungen seiner Hüften schien sich ein Feuer in ihr zu entfachen. Bevor sie zu Ende gesprochen hatte, hatte Ted Eva in die Arme genommen und hob sie auf. „Hey“ protestierte sie lachend, „noch bin ich nicht völlig bewegungsunfähig!“ „Macht nichts.“ Er grinste jungenhaft. „Das ist eben der Macho in mir. Überlaß dich mir einfach.“ Und das tat sie, doch keineswegs allein. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen, und Ted stellte wieder einmal unter Beweis, was für ein zärtlicher Liebhaber er war. Viel später, nachdem sie geduscht und sich angezogen hatten, saßen sie im Wohnzimmer am Kaminfeuer zusammen und lasen. Eva hatte ein kleines Abendessen zubereitet, und sie konnte sich nicht erinnern, je einen gemütlicheren Abend in einer so entspannten Atmosphäre verbracht zu haben. Sie fühlte sich wohlig und rundum zufrieden. Es bereitete ihr Vergnügen, mit Ted freimütig über ihre Arbeit und private Angelegenheiten zu sprechen, die sie sonst für sich - 65 -
behielt. Mit einer einzigen Ausnahme: Die Pille, die ihr der Arzt mitgegeben hatte, lag immer noch verpackt im Arzneischränkchen im Bad. Einer instinktiven Eingebung folgend hatte Eva beschlossen, sie nicht zu nehmen. Sie war allein mit dieser Entscheidung. Sie wußte, in diesem Punkt konnte sie nicht mit seinem Einverständnis rechnen. Ted verstand es zwar, auf sie einzugehen, und mit seinen Reaktionen, ob humorvoll oder engagiert, ihr den Eindruck zu vermitteln, sie wäre für ihn die, einzige Frau auf der ganzen Welt. Aber das entsprach natürlich nicht den Tatsachen. Er hatte vor ihr Frauen gekannt, und auch nachher würde es sie geben. Sie wußte und akzeptierte das. Wenn er sie eines Tages verlassen würde, wollte sie ihr Leben wieder so einrichten, wie es war, bevor sie Ted kennengelernt hatte. Nur die Erinnerung an ihn würde ihr bleiben. Die nächsten zwei Wochen vergingen wie in einem Rausch des Glücks. Eva wunderte sich darüber, wie leicht sie sich an Teds Anwesenheit gewöhnt hatte, obwohl sie doch vorher so lange allein gelebt hatte. Er kümmerte sich um sämtliche Hausarbeiten und andere nebensächliche Dinge, was ihr viel Zeit für die Bildhauerei ließ. Ted lud sie häufig zum Essen in einem Restaurant ein, und er übernahm es auch, die Lebensmittel, die sie einkauften, zu bezahlen. Scherzhaft erklärte er, daß sie sich dafür revanchieren könnte, wenn sie zuließe, daß er ab und zu ein Basketballspiel im Fernsehen ansehen dürfe. Doch sie wußte, daß ihm sein Stolz nicht erlaubte, auf ihre Kosten zu leben. Sie hatten Tagestouren nach Boston und an der Küste von Maine entlang unternommen. Einmal hatte Ted sie sogar auf eine Party bei ihren Freunden begleitet und war glänzend mit den Leuten dort ausgekommen. An diesem Abend war Eva richtig stolz auf ihn gewesen und hatte sich besonders glücklich gefühlt. - 66 -
An den Abenden unterhielten sie sich lange. Eva wollte alles über seine Arbeit und sein Leben wissen, Sie hatte sich daran gewöhnt, daß er ab und zu fast zynisch und abweisend klang, und sie rätselte, woran das liegen konnte. Vielleicht an seiner Kindheit? Sie wußte fast nichts von diesem Abschnitt von Teds Leben. „Erzähl mir ein bißchen von deiner Familie, Ted“, bat sie ihn. Er warf ihr einen forschenden Blick zu und antwortete nicht sofort. „Du hast sie nie erwähnt“, fuhr sie leise fort. „Ich bin neugierig, unter welchen Umständen du aufgewachsen bist. Versteh doch.“ „Warum willst du das denn unbedingt wissen?“ „Einfach so.“ Wieder warf er ihr diesen Blick zu, doch sie ließ sich nicht beirren. „Vielleicht, weil ich Künstlerin bin. Ich gebe mich nicht mit dem oberflächlichem Anschein zufrieden, sondern möchte in, etwas eindringen. Außerdem habe ich so viel von mir erzählt“, fügte sie lächelnd hinzu, „ich finde, du bist jetzt einmal an der Reihe.“ „Das habe ich auch“, protestierte er. „Ja, sicher, über deine Arbeit und über Ted als Erwachsener weiß ich Bescheid. Aber über deine Kindheit schweigst du dich aus. Als ob es da ein Geheimnis gibt.“ „Das nicht, aber es fällt mir schwer, darüber zu reden.“ Die Ablehnung in seinem Ton war verschwunden. Eva stand aus ihrem Sessel auf und setzte sich zu ihm auf die Couch. Ted legte einen Arm um sie. „Ich wuchs nicht so behütet auf wie du.“ „Ich sagte doch, daß ich Glück hatte. Wo bist du groß geworden?“ „In den Hinterhöfen.“ „Wo?“ „In Delaware. Meine Mutter trieb sich ziemlich viel herum. Und mein Vater war nie da. Der einzige, der sich um mich kümmerte, war mein älterer Bruder, eigentlich Halbbruder. Aber auch er verschwand, sobald er alt genug war, und danach war ich allein.“ Eva konnte ihr Entsetzen kaum verbergen. „Aber deine Mutter muß sich doch um dich gekümmert hab?“ - 67 -
„Wieso muß?“ Seine Augen verengten sich, und ein bitterer Zug erschien um seine Mundwinkel. „Was sie betraf, hatte sie mir während der Schwangerschaft neun Monate ihres Lebens geopfert. Das war für sie mehr als genug.“ „Aber als Kind muß doch jemand für dich dagewesen sein.“ „Irgendwer schon, ich weiß es nicht. Seit der Zeit, als ich alt genug war, mich daran zu erinnern, wurde ich von einem Babysitter zum anderen weitergereicht. Ab und zu tauchte dann mal meine Mutter auf und beglich murrend die Rechnung. Wenn sie ging, schien sie sichtlich erleichtert. Mehr als einmal hatte sie mir erklärt, daß ich nur ihre Freiheit einschränkte.“ „Hat dein Vater nichts dagegen unternommen?“ „O Eva, wie naiv du manchmal bist! Du glaubst immer das Beste von den Menschen. Mein Vater hatte sich aus dem Staub gemacht, ich habe ihn nie kennengelernt.“ „Ted, es tut mir ja so leid.“ „Ich möchte kein Mitleid“, stieß er hervor, „ich habe es überlebt.“ „Aber wie?“ „Meine Mutter war überglücklich, als ich endlich in die Schule kam. Weniger Babysitter Kosten. Manchmal haßte ich sie.“ „Das ist nicht dein Ernst!“ „Doch, wirklich“, bekräftigte er leise, ohne viel Regung zu zeigen, so daß Eva ihm fast glaubte. „Sie hat mir das Leben zur Hölle gemacht. Mir kommt es vor, als wollte sie mich damals dafür bestrafen, daß ich überhaupt existierte. Ich fühlte mich total allein gelassen in dieser Welt.“ „Aber da war doch dein Bruder, wenigstens eine Zeitlang. Machte das keinen Unterschied?“ „Bei ihm war es anders. Gut, auch sein Vater ließ sich nicht mehr blicken, aber immerhin schickte er manchmal Geschenke und Geld für das Nötigste. Brian konnte sich wenigstens einbilden, daß jemand für ihn sorgte. Mir blieb nicht einmal diese Illusion.“ Wieder wollte Eva ihm sagen, wie betroffen seine Erzählung sie machte, doch wollte sie nicht noch einmal seinen Unmut erregen und schwieg daher. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn sie an den kleinen Jungen dachte, der Nestwärme und Liebe - 68 -
nie gekannt hatte und der sich jetzt als Mann gegen solche Verletzbarkeiten mit Härte und Zynismus wappnete Sie legte ihren Kopf an Teds Schulter und faßte ihn enger um die Hüfte. Sie wollte ihm das geben, was er als Kind vermißt hatte. Doch war sie nicht seine Mutter, konnte ihm nicht ersetzen, was er einst verloren hatte. Und sie wollte noch viel mehr von ihm hören. „Wie erging es dir während deiner Teenager Zeit?“ fragte sie. „Besser. Mein Bruder war schon fort, aber ich war alt genug, um auf mich selbst aufzupassen. Wenn ich morgens zur Schule ging, schlief meine Mutter meistens noch, kam ich nach Hause, fand ich die Wohnung verlassen vor. Na ja, einen Vorteil hatte die Sache wenigstens: Es gab niemanden, der mir sagte, was ich zu tun hatte und was nicht.“ „Warst du gut in der Schule?“ „Nicht besonders.“ Ted lachte bitter. „Meine Mitschüler beneideten mich wegen meines freien Lebens. Wenn die gewußt hätten ... Ich haßte Autorität, lehne sie auch heute noch ab. Aus diesem Grunde arbeite ich freiberuflich. Es steht mir frei, einen Auftrag anzunehmen oder nicht.“ Er hob ihr Gesicht zu sich hoch und sah sie herausfordernd an. „So, das war meine Geschichte. Faszinierend, nicht?“ Innerlich konnte Eva ihm nicht zustimmen. Sie wollte ihn in die Arme nehmen und trösten, sehnte sich nach seiner Wärme und Zärtlichkeit. Aber der Augenblick zerrann. Ted ließ es, nicht zu, daß diese alten Wunden länger, als nötig wieder aufgerissen wurden. „Ich habe einiges daraus gelernt, Ted, und ich glaube, ich verstehe dein Verhalten jetzt viel besser“, sagte sie leise. „Was meinst du damit?“ „Nun, manchmal hatte ich schon den Eindruck, du seist ein Zyniker durch und durch, aber wahrscheinlich ist das nur Selbstschutz. Deine Ansichten klingen zuweilen ganz schön hart.“ „Und so ist auch das Leben, sehr hart“, erwiderte er heftig. „Da draußen geht es ums nackte Überleben.“ Ted machte sich los und stand auf. Erschrocken sah Eva ihm nach. Dann sagte sie leise: „Da stimme - 69 -
ich nicht mit dir überein.“ Er drehte sich zu ihr um. „Wie solltest du auch? Deine Welt ist ja in Ordnung, du hast nie erfahren müssen, wie niederträchtig Menschen sein können.“ „Aber Ted, du bist doch eine Ausnahme.“ „Mitnichten. Als Reporter habe ich ähnliche Schicksale überall und immer wieder beobachtet.“ „Also gut, keine Ausnahme, aber bestimmt nur die eine Seite der Medaille“, widersprach sie ihm. „Ted, es gibt auch noch eine andere. Aber wenn du dich in deinen Zynismus zurückziehst und nur deine negative Sicht der Dinge zuläßt, dann schließt du damit die guten Seiten des Lebens aus. Du, gibst ihnen nicht die winzigste Chance, und dabei bieten sie sich dir geradezu an.“ Zornig funkelte Ted sie an. „Diese Diskussionen führen zu nichts. Was ist mir dir los, Eva? Bist du plötzlich zur Missionarin geworden? Möchtest du mich zum positiven Denken bekehren?“ „Nein, das will ich nicht.“ „Was soll das Ganze dann?“ Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Ich erzähle dir etwas, was ich noch niemandem vorher anvertraut hatte, und du wendest es gegen mich an.“ „O Ted, wie kannst du das nur glauben? Ich wollte dir doch nur sagen, wie leid es mir tut, daß du so sehr verletzt wurdest. Aber ohne Wärme und Licht werden diese Narben nie ganz ausheilen, siehst du das nicht ein?“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Wärme! Licht! Der Himmel bewahre mich vor solchen Vergleichen! Ich kann ganz gut ohne sie auskommen.“ Eva schlug die Augen nieder. Ihr Stolz regte sich. „Dann ist es vielleicht besser, wenn du gehst“, sagte sie. „Denn das ist meine Überzeugung. Ich weigere mich, einfach dazusitzen und auf eine Katastrophe zu warten und vor lauter Angst die Augen vor den guten Seiten des Lebens zu verschließen. Mag sein, daß meine Chancen nicht die besten sind, aber ohne Schmerz geht es sowieso nicht ab. Meine Einstellung zum Leben ist positiv, und das ist die einzige Art, wie ich existieren will und kann.“ Ted starrte sie lange an, dann stieß er zwischen - 70 -
zusammengebissenen Zähnen hervor: „Na, damit hast du ja alles Nötige gesagt.“ Wenn Eva gehofft hatte, bei ihm Gehör zu finden, schien sie sich getäuscht zu haben. Es machte sie tieftraurig, wieviel Freude Ted in seinem Leben verpaßte. Tränen standen in ihren Augen. Sie erhob sich von der Couch und wandte sich zur Tür. „Ich gehe schlafen“, sagte sie niedergeschlagen und ging hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Eva hatte nicht erwartet, daß Ted ihr folgen würde. Lange lag sie im Bett mit einem Buch neben sich und wartete auf ihn. Es war sehr spät, als er endlich ins Schlafzimmer kam. Eva war noch wach, sie hatte schon befürchtet, daß er ihrer Aufforderung zu gehen, gefolgt war. Sie wagte nicht, die Augen zu öffnen. Beim Geräusch von Kleidungsstücken, die zusammengefaltet wurden, stockte ihr der Atem. Packte er? Die vergangenen zwei Wochen waren so idyllisch gewesen, warum hatte sie es nicht dabei belassen können? Erleichtert atmete sie auf, als Ted einige Augenblicke später unter die Bettdecke schlüpfte. Ihr war klar, daß er sie irgendwann verlassen würde, doch war sie momentan noch nicht bereit, ihn aufzugeben. Ted lag schweigend neben ihr, starrte nur an die Decke. Er tat ihr damit weh, das wußte er, aber er konnte nicht anders. Eigentlich hätte er Eva und dieses Haus schon längst verlassen sollen, aber er wollte mehr. Nur noch einen Tag. Es erstaunte ihn selbst, wie sehr er sich bei ihr wohl fühlte. Sogar jetzt, nachdem sie sich gerade gestritten hatten. Er hätte vielleicht nicht über seine Kindheit reden sollen, aber Eva hatte ihn ja darum gebeten und selbst so viel über ihre eigene Vergangenheit berichtet. Warum fühlte er keine Erleichterung, nachdem er sich alles von der Seele geredet hatte? Im Gegenteil, die Last auf seinen Schultern schien ihn um so mehr zu bedrücken. Und warum hatte sie ihm nicht einfach zugehört, ohne viel zu sagen, wie in der ersten Nacht, als sie ihn dazu gebracht hatte, hierzubleiben? - 71 -
Er wunderte sich über diese Frau neben ihm. Eva verfocht ihre Meinung auf eine stille und sanfte Art, jedoch mit einer Beharrlichkeit, die ihr Selbstbewußtsein deutlich machte. Genug, um einem Mann graue Haare wachsen zu lassen. Ted drehte sich zu ihr um. Da erst bemerkte er, daß sie wach war. Aus großen Augen sah sie ihn an. Lag Furcht in ihrem Blick? „Eva“, flüsterte er. Sie nickte nur. „Bist du okay?“ Wieder nickte sie. „An was denkst du?“ Sie antwortete lange nicht. Plötzlich kuschelte sie sich an ihn und flüsterte kaum hörbar: „Mir ist kalt, Ted.“ Er stöhnte. „Komm her“, sagte er leise. Er schob seinen Arm unter sie und drückte sie enger an sich heran. Wie auch er war sie vollkommen nackt und - das spürte er - genausowenig wie er in Stimmung für Zärtlichkeiten. Es war Trost und Frieden, die sie beide suchten, nach dem Streit, der vorausgegangen war. Besänftigung und Nähe. Er spürte, wie sie sich noch enger an ihn schmiegte. Sie legte ihren Arm über seinen Oberkörper. Seltsam, es störte ihn überhaupt nicht, auch nicht ihr Haar auf seiner Brust oder das Gewicht ihres Beines über seinem Schenkel. Es verlieh ihm sogar ein Gefühl der Sicherheit. Das letzte, an was er sich erinnerte, bevor er einschlief, war ihr warmer, gleichmäßiger Atem, den er auf seiner Haut spürte.
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6. KAPITEL Am Morgen danach vermieden Eva und Ted jede Bemerkung über die Auseinandersetzung, die sie gehabt hatten. Während der nächsten Tage gingen beide ihren gewohnten Beschäftigungen nach. Eva verbrachte den Morgen im Atelier, machte um zehn eine Pause, um mit Ted zu frühstücken, und arbeitete dann weiter bis in den frühen Nachmittag. Er kümmerte sich um Besorgungen, und wenn er damit fertig war, setzte er sich hin und las oder legte sich auf der Terrasse in die Sonne. Alles schien beim alten geblieben zu sein. Sie unterhielten sich, scherzten und lachten miteinander. Für Eva brachte jeder Tag mit Ted neue Überraschungen. Sie fühlte sich mehr und mehr zu ihm hingezogen, und da er keine Anstalten machte, nach New York zurückzukehren, nahm sie an, daß auch er sich nicht im mindesten langweilte. Doch seit ihrem Gespräch an jenem Abend hatte unter der ruhigen Oberfläche etwas Einzug gehalten, das ihre sonst so harmonische Beziehung veränderte. Ted bemühte sich verstärkt zu verstehen, was an Eva ihn hier hielt, und Eva versuchte mit dem Bewußtsein ihrer wachsenden Liebe zu Ted fertig zu werden. Immer öfter ertappte sie sich dabei, wie sie mit einer Arbeit auf dem Schoß dasaß und plötzlich Teds Gesicht vor sich sah, manchmal heiter und lachend, dann wieder ernst mit dunkelblauen Augen oder zornig mit zusammengepreßten Lippen. Seltener sanft und verletzlich. Er schien auf der Hut zu sein, seine weiche Seite zu zeigen. Als ob er bedauerte, ihr über seine Kindheit berichtet zu haben. Über eines war Eva sich mehr und mehr im klaren: Ted Dallas war ein sensibler Mann, trotz allem Anschein, von Härte, den er sich gab. Das Verständnis, das er an jenem heißen Tag in New York ihr gegenüber gezeigt hatte, bewies er auch hier. Gerade wenn ihre Schultern von der Arbeite im Atelier zu schmerzen begannen, tauchte er meist auf, stellte sich hinter sie und massierte sie sanft, bis die Verspannungen wieder von ihr abfielen. Wenn er bemerkte, daß sie müde war, schlug er vor, früh schlafen zu gehen. - 73 -
Besser als sie schien er zu wissen, wann sie von etwas genug hatte. Eva hatte Ted beobachtet, wenn er sich mit den Ortseinwohnern unterhielt, seine Sorge um einen der Fischer im Hafen, der sich das Bein gebrochen hatte. Wie er auf ein Basketballfeld lief, wo eine Gruppe Kinder spielte, um ihnen einige Tricks beim Korbwerfen beizubringen. Einmal hatte er dabei einen kleinen Sechsjährigen auf den Arm genommen und mit ihm zusammen mit den anderen Kindern gespielt. Das helle vergnügte Lachen des Kleinen klang ihr noch in den Ohren. Und sie erinnerte sich, wie er sich manchmal ihr zugewandt und Nähe und Trost gesucht hatte. Für einen Mann, der nach außen hart und unzugänglich schien, vermittelte er erstaunlich viel Wärme. Sie kannte ihn besser. Doch wußte sie auch, daß es töricht wäre, sich auf diese Sanftheit zu verlassen. Ted hatte von vornherein die Bedingungen für ihre Beziehung klargestellt: Ohne gegenseitige Verpflichtungen oder das Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft. Damit hatte sie sich abgefunden. Was ihr unerklärlich blieb, war das innerliche Frösteln, das sie überkam, wenn sie daran dachte, daß Ted eines Tages nicht mehr dasein würde. Viel änderte sich nicht zwischen ihnen während der nächsten Tage. Es gab heitere Momente, in denen sie einfach füreinander geschaffen schienen, und dann wieder solche, wo eine unerklärliche Logik ihre Trennung unausweichlich vorausbestimmte. An einem regnerischen Vormittag saß Eva auf einem Hocker in der Küche und unterhielt sich am Telefon mit ihrer Mutter. Sie hatte ihr bereits vor einer Woche von Ted erzählt, daß sie ihn in New York kennengelernt hatte und er seinen Urlaub bei ihr verbrachte. Auch ohne viele Fragen zu stellen, wußte Evas Mutter Bescheid. Noch nie hatte ihre Tochter eine längere Bekanntschaft mit einem Mann gepflegt, geschweige denn einen Freund bei sich zu Hause gehabt. Laura Mattheson war sich aber auch der Tatsache bewußt, daß ihre Tochter mit neunundzwanzig Jahren ein Recht darauf - 74 -
hatte, mit einem Mann ihrer Wahl zusammenzuleben, ohne sich Ratschläge besorgter Eltern anhören zu müssen. Von allgemeinen Fragen nach Ted abgesehen, drehte sich das Gespräch daher mehr um Familienangelegenheiten. „Hat Vater schon alle Vorbereitungen für das Golfturnier getroffen?“ fragte Eva. „Seit zwei Wochen verbringt er jeden Nachmittag auf dem Golfplatz“, beklagte sich ihre Mutter. „Ich würde es also stark annehmen. Wie habe ich mich nach dem Tag gesehnt, an dem er pensioniert werden würde, und was habe ich jetzt davon? Er ist so gut wie in Rente und trotzdem nie zu Hause. Ehefrauen sind eben die ewigen Verlierer.“ „Ach, Mutter, so schlimm ist es doch wirklich nicht.“ Eva lächelte, als sie Ted erblickte, der im Türrahmen lehnte. „Soweit ich weiß, hält dich auch wenig zu Hause. Ich erinnere dich nur an deine regelmäßigen Bridge Nachmittage.“ „Natürlich, was denkst du. Übrigens, viele Grüße von Elizabeth. Ihre Tochter bekam vor kurzem ein Baby, ein Mädchen. Habe ich dir das schon erzählt? „Nein, Mutter, das mußt du doch glatt vergessen haben“, zog Eva sie auf und lächelte schelmisch Ted an, der zu ihr an die Frühstücksbar gekommen war und sich mit den Ellbogen auf die Theke stützte. „Wieviel Enkelkinder hat Elizabeth jetzt?“ Zwischen ihrer Mutter und deren Bridge Freundinnen herrschte ein dauernder Wettstreit, wer die meisten Enkel vorweisen konnte. Laura hatte es schon lange aufgegeben ihre Tochter in dieser Hinsicht um Unterstützung zu bitten. Wenigstens hatten Evas drei Brüder dafür gesorgt, daß sie fünf Enkel ihr eigen nennen konnte. „Sieben“, stöhnte Laura. „Damit liegt sie immer noch hinter Vivies acht, aber sie holt auf.“ Sie machte eine Pause, schien auf einen Kommentar zu warten. Doch Eva hütete sich, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. „Habe ich dir von unserem Gartenfest letztens erzählt?“ fuhr ihre Mutter schließlich fort. „Nein.“ Ted spielte mit einer Locke ihres Haars, wickelte sie um seinen Finger und zog von Zeit zu Zeit sachte daran. Evas Konzentration - 75 -
auf das, was ihre Mutter zu sagen hatte, litt zunehmend darunter. „Es war einfach wundervoll!“ rief ihre Mutter begeistert aus. Sie konnte ja nicht ahnen, wodurch ihre Tochter momentan abgelenkt war. „Da war ein Lilienexperte, du hättest seine Züchtungen sehen müssen....“ „So, ein Lilienzüchter“, wiederholte Eva, Ted hatte sich zu ihr hinübergelehnt, ihr Haar beiseite geschoben und nibbelte sachte an ihrem Ohrläppchen. Seine Lippen waren warm, die feuchten Spuren, die seine Zunge hinterließ, fühlten sich kühl an, als sein Atem darüberstrich. Ein Schauer überlief Eva. „Er zeigte uns Dias von seinen Blumen. Was für herrliche Farben, du würdest es nicht glauben! Korallenrot, limonengrün ...“ Eva hielt den Atem an und preßte die Lippen zusammen, um nicht aufzustöhnen, als Teds Mund ihren Hals berührte. Seine Hand suchte sich, einen Weg in den Ausschnitt ihrer Bluse. Die zarte Berührung auf ihrer Haut bewirkte einen Sturm der Erregung in ihr. „...und dazu diese samtene Oberfläche der Blütenblätter, die die reichen Farbtöne noch unterstreicht“, plapperte ihre Mutter ungerührt fort. „Ich habe deinem Vater davon erzählt, und wir beschlossen, den Wintergarten auszubauen...“ Eva legte einen Arm um Teds breiten Rücken. Die Knöpfe ihrer Bluse waren wie durch ein Wunder geöffnet, seine Lippen strichen über ihre Brüste, verursachten ein Prickeln auf ihrer Haut. Als seine feuchte Zunge mit ihrer Brustspitze spielte, schloß Eva die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Ihre Hand, mit der sie den Hörer hielt, schien der einzige Teil ihres Körpers zu sein, aus dem die Kraft nicht völlig gewichen war. Wie aus großer Entfernung drang die Stimme ihrer Mutter an ihr Ohr: „Wir denken daran, zur Einweihung eine Party zu veranstalten...“ Wintergarten.... Einweihung ... Party. Wie in einem Nebel versuchte sie sich einen Reim auf das zu machen, was ihre Mutter ihr erzählte. Eva nahm den Hörer vom Ohr und preßte die Sprechmuschel gegen ihren Hals. „Bitte, Ted, laß das“, flüsterte sie, „ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagt!“ Zitternd hob - 76 -
sie den Hörer wieder ans Ohr und brachte mit Mühe ein gemurmeltes „Hm“ heraus. Ted lächelte sie an. Er schob eine Hand zwischen ihre Sehenkel, die sie zusammenpreßte. Doch das steigerte nur die heiße Welle der Erregung, die sie überlief. „Der Partydienst wurde uns bestens empfohlen“, hörte sie ihre Mutter sagen, „aber im Lachs waren Gräten, und dein Vater war der Meinung, man hätte nicht für genug Auswahl an Vorspeisen gesorgt. Das nächste Mal werden wir Georgias Partydienst ausprobieren, ich möchte schließlich, daß es ein voller Erfolg wird.“ Sie machte eine Pause. „Hast du Zeit, uns zu besuchen, Liebes?“ fragte sie unvermittelt. Eva hatte keine Ahnung, worum es ging. Was sollte sie antworten? Heftiger, als sie es beabsichtigte, faßte sie Teds Haarschopf und zog daran. Er gab einen überraschten Schmerzensschrei von sich. Endlich bemerkte auch Laura, daß sich am anderen Ende der Leitung etwas abspielte, wovon, sie bisher nichts mitbekommen hatte. „Eva, Liebling, was war denn das?“ fragte sie besorgt. „Das? Ah...“ stotterte Eva, bevor sie die Fassung wiedergewann. „Das war Ted, ich glaube er hat sich weh getan. Mutter, kann ich dich später zurückrufen? Ich schaue besser einmal nach ihm. Grüß Vater von mir, ja?“ ,Aber sicher.“ Laura schien ihre hastige Erklärung zu akzeptieren. „Paß auf dich auf, Liebes.“ „Das werde ich, Mutter.“ Nur mit Mühe schaffte sie es, den Hörer aufzulegen, da Ted sein Gesicht nicht von ihrer Brust nahm. Sie strich ihm übers Haar. „Was hatte deine Mutter zu berichten?“ Teds Stimme klang gedämpft. „Ich weiß nicht genau“, flüsterte sie lächelnd. „Ich habe kaum etwas mitbekommen, weil ich abgelenkt wurde von einem attraktiven Kerl, der seine Hände nicht bei sich behalten kann. Vielleicht lag es aber auch an der schlechten Verbindung.“ Ted stand abrupt auf, umfaßte Eva an den Hüften und hob sie zu - 77 -
sich empor. Aber was immer er vorgehabt hatte, es wurde durch das erneute Läuten des Telefons unterbrochen. „Nicht schon wieder!“ stöhnte er auf. „Eher immer noch“, berichtigte ihn Eva. „Wahrscheinlich hat Mutter etwas vergessen. Sie machte sich von ihm los und nahm den Hörer ab. „Ja?“ „Hier ist Benjamin Waite, ich bin ein Freund von Ted Dallas“, hörte sie eine fremde Männerstimme. Sie erinnerte sich sofort an den Namen. „Ach ja?“ „Mir wurde gesagt, daß ich ihn unter dieser Nummer antreffen könnte.“ Eva zögerte. „Das wäre allerdings möglich“, sagte sie. Sie hatte nicht die Absicht, es dem Anrufer besonders leichtzumachen. Schließlich war er es gewesen, mit dem Ted die Wette bei ihrer Ausstellung abgeschlossen hatte. „Ah, ist er - ist Ted da?“ „Ja.“ „Könnte ich ihn sprechen?“ „Schon möglich.“ Ihr fing dieses Katz und Mausspiel an zu gefallen. „Wären Sie vielleicht so freundlich ...“ Eva lächelte grimmig. „Nur wenn Sie schön bitte sagen, Mr. Waite.“ Ted hatte ihr stirnrunzelnd zugehört, doch beim Namen seines Freundes nahm er ihr sanft, aber bestimmt den Hörer aus der Hand. Am anderen Ende war zuerst kein Laut zu hören, dann kam ein zögerndes „Also gut, bitte.“ „Ben, bist du es?“ meldete sich Ted. Er mußte ein Kichern unterdrücken. „Was ist denn dort los?“ fragte sein Freund murrend. „Eva weiß über unsere Wette Bescheid. Ich nehme an, das nimmt sie uns beiden immer noch übel“, erklärte Ted. Lächelnd zwinkerte er Eva dabei zu. Sie machte eine verneinende Geste und schüttelte den Kopf. Dann trat sie zu ihm hin, stellte sich auf die Zehenspitzen und begann, an - 78 -
seinem Ohrläppchen zu nibbeln. Sie zahlte ihm mit gleicher Münze heim, was er ihr während des Telefongesprächs mit ihrer Mutter angetan hatte. Ted kam kaum dazu, die neugierigen Fragen Benjamins nach der Art seiner Beziehung zu Eva zu beantworten. Als sie sich schließlich vor ihm auf die Knie ließ und den Gürtel seiner Hose löste, verabschiedete er sich eilig von seinem Freund. „Du, Ben, entschuldige, aber ich muß jetzt Schluß machen. Ich rufe dich in Kürze an. In Ordnung?“ Ted und Eva machten eine Gewohnheit daraus. Wann immer sich einer von ihnen am Telefon befand, spielte der andere den Störenfried, fast so, als wollten sie verhindern, daß ihre kleine, glückliche Welt durch den Kontakt. nach außen gestört wurde. So manche Tage verbrachten sie am Strand, lagen einfach faul in der Sonne oder schwammen! Teds Körper war braungebrannt, in seinem sandfarbenen Haar zeigten sich von Sonne und Salzwasser gebleichte blonde Strähnen. Eva hatte die Gruppe von Strandvögeln fertiggestellt und arbeitete an einem Stück aus Stein, von dem sie noch keine genaue Vorstellung hatte, was es werden sollte. Sie nahm oft die Kamera mit und machte so viele Aufnahmen von Ted wie möglich. Wenn er dagegen protestierte, erklärte sie ihm, es könnte sein, daß er nicht mehr da sei, wenn sie sich entschlösse, die Fotos als Vorlage für eine Skulptur zu benutzen. Aber sie sollten auch eine Erinnerung an ihn sein. Immer deutlicher spürte Eva, wie unruhig Ted in letzter Zeit geworden war. Seit seiner Ankunft waren sieben Wochen verstrichen, und er telefonierte neuerdings täglich mit John, seinem Agenten. Die Augenblicke, in denen sie ausgelassen miteinander lachten und scherzten, wurden seltener, eine unmerkliche Spannung baute sich zwischen ihnen auf. Als Ted sie eines Abends zum Essen in einem eleganten Restaurant einlud, hatte Eva schon eine Vorahnung von dem, was - 79 -
sie erwartete. Doch Ted rückte nicht mit der Sprache heraus. Sie waren spät nach Hause gekommen und saßen im Wohnzimmer bei einem Glas Kognak zusammen auf der Couch. Eva entschloß sich, den Stier bei den Hörnern, zu packen. „Wann gehst du, Ted?“ fragte sie leise. Er schaute von seinem Glas auf, das er in der Hand hielt. In seinem Blick lag weder Überraschung, noch schien er verwirrt. „Morgen.“ Er sah sie ganz ruhig an. „Am Montag fange ich an einem neuen Film an.“ Eva fragte sich, wie lange er sich schon darüber im klaren gewesen war. „Um was geht es denn?“ erkundigte sie sich. „Ein Bericht über die CIA und andere Geheimdienste.“ „Oh, das klingt interessant.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe. Der Produzent wünscht sich die Geschichte so spannend wie möglich. Kann sein, daß die Bearbeitung Spaß macht.“ Sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, ihn gehen zu lassen, fiel ihr schwer. Sie rutschte zu Ted hinüber und lehnte den Kopf an seine Schulter. Er legte einen Arm, um sie. Plötzlich überkam sie der Wunsch, sich in seine Arme zu werfen und alles zu vergessen, bis der morgige Tag vorüber war. „Wirst du zurechtkommen?“ fragte er leise. „O ja, ganz gut. Du hast dich mit den Reparaturen so angestrengt, daß das Haus kaum über mir zusammenfallen wird.“ Eva hob den Kopf und lächelte Ted an. „Vielleicht finde ich wieder mehr Zeit zu arbeiten“, neckte sie ihn. „Du hast deine Arbeit selten unterbrochen“, wehrte er sich. „Aber ich ließ mich auch von dir ablenken. Hast du das nicht bemerkt?“ „Dann ist es ja ganz gut, wenn ich gehe.“ In dem Lächeln, das um seine Lippen spielte, lag ein Anflug von Trauer. Sie streichelte seine Wange. „Ich werde dich vermissen, Ted.“ Er zog die Augenbrauen zusammen, doch gleichzeitig verstärkte sich sein Griff um ihre Schultern, und er preßte sie enger an sich. „Sag das bitte nicht. Du wußtest von Anfang an, daß der Tag, kommen würde. Ich hatte ja nie vor, überhaupt so lange zu - 80 -
bleiben.“ „Warum bist du geblieben?“ „Es war wunderschön.“ Seine Stimme hatte einen weichen Klang bekommen. „Du bist eine phantastische Gastgeberin.“ Er lächelte sie an. Eva lachte. „Weißt du, als Hausgast machst du dich auch nicht schlecht. Eigentlich bin ich überrascht, wie gut wir miteinander auskamen.“ Sie sah, wie seine Augen sich verdunkelten. Sie setzte ihr Glas neben seinem auf dem Fußboden ab. Ted nahm ihre Hände und führte ihre Finger zu seinen Lippen. Nacheinander nahm er sie in den Mund und sog sanft daran. Mehr noch als sie zu verführen, drückte er damit eine stille Sehnsucht nach Eva aus, zu deren Erfüllung sie nur zu bereit war. Mit den noch feuchten Fingern zeichnete sie Spuren über seine Stirn und Wangen und blies dann darüber, um sie zu kühlen, bevor sie sie erneut mit ihrer Zunge nachzog. In dieser Nacht wollte sie ihm alles geben, ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen. Ihr war klar, daß sie ihn über alles liebte. Er küßte sie, ihr Mund öffnete sich, und ihre Zungen spielten ein erregendes Spiel miteinander. Ted löste sich von ihr. „Ich räume die Gläser weg. Geh du schon vor ins Schlafzimmer, ich komme gleich nach“, flüsterte er mit heiserer Stimme. „Warum nicht hier, Ted?“ Eva wollte ihn nicht aus ihren Armen verlieren. Doch er stand auf und zog sie zu sich hoch. „Heute nacht will ich es richtig“, stieß er hervor. „Lange und gut. Für das, was ich vorhabe, ist das hier nicht der richtige Platz. Das Versprechen in seinem Blick löste eine heiße Flut aus, die wie ein Sturzbach durch Evas Adern strömte. Sie stand da und sah ihm zu, wie er die Gläser aufnahm. „Das Schlafzimmer!“ erinnerte er sie. Als er hereinkam, stand Eva am Fenster und schaute aufs nächtliche Meer hinaus. Sie drehte sich zu ihm um und ging auf ihn zu. Es war ihr recht, daß er noch völlig angezogen war. Sie wollte ihn - 81 -
ausziehen, langsam und vorsichtig jedes Kleidungsstück entfernen, das seinen Körper bedeckte. Als ob sie die Umrisse einer Statue herausschälen würde, um ihn so immer im Gedächtnis zu behalten. Sie legte die Arme um seinen Nacken, „Gut siehst du aus. Wie eine Statue, die unter der Berührung eines Sterblichen zum Leben erweckt wird“, sagte sie leise. „Möchtest du mich, berühren?“ flüsterte er kaum hörbar zurück. „Ja.“ Sie glitt mit ihren Händen unter seinen Pullover und zog ihn ihm langsam über den Kopf und von den Armen. Eva öffnete die Knöpfe seines Hemdes. Sie legte ihr Gesicht an die warme, nackte Brust, die mit weichem, blondem Flaum bedeckt war, fühlte mit ihren Lippen die schwellende Kraft seiner Muskeln. Ted stöhnte auf. „Ich weiß nicht, ob ich das noch viel länger aushalte“, stieß er hervor. Sie hob den Kopf, streifte das Hemd von seinen Schultern. „Ich bin sicher, du wirst es aushalten“, sagte sie lächelnd. „Gib doch zu, daß es dir gefällt!“ „Ja, es gefällt mir“, war seine, heisere Antwort. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küßte sie hart und begierig. Während ihre Hände jeden Muskel seines nackten Oberkörpers erforschten, gab sie sich der wilden Leidenschaft seines Kusses hin. Sie tastete nach seiner Gürtelschnalle und löste sie. Ihre Hand am Reißverschluß seiner Hose, neigte sie den Kopf und berührte mit ihrer Zunge seine Brustwarzen, spielte mit ihnen, bis sie steif wurden. „O Eva!“ drängte Ted. Doch sie hatte nicht die Absicht, diesen Augenblick so schnell verrinnen zu lassen. Sie zog den Reißverschluß auf, schlüpfte mit beiden Händen seitlich in seinen Slip und schob ihn mitsamt der Hose über Hüften und Schenkel. Einen Moment stockte ihr der Atem, als sie seine kraftvolle Männlichkeit sah und wie leidenschaftlich er sie - Eva - begehrte. Sie kniete sich vor ihm hin und zog ihm Hose und Socken aus. Völlig nackt stand er vor ihr. Eva legte ihre Hände um seine Knöchel und strich dann langsam nach oben über seine behaarten Beine. Seine Schenkelmuskeln traten hart hervor. Als sie ihr - 82 -
Gesicht daran legte, griff er in ihr Haar. „Liebling, ich kann nicht mehr“, flüsterte er. „Zieh dich aus!“ Er faßte sie unter den Armen und zog sie zu sich hoch. Seine Hände tasteten auf ihrem Rücken nach dem Reißverschluß ihres Kleides. Geschickt entwand Eva sich ihm. Ja, sie würde sich vor seinen Augen ausziehen. Sonst hatten sie sich in aller Eile der Kleider entledigt oder sie sich gegenseitig vom Leib gezerrt, doch diesmal sollte es anders sein. Ted sollte wissen, daß sie bei weitem nicht mehr die unerfahrene Frau war, die er vor fast zwei Monaten in New York kennengelernt hatte. Ganz selbstverständlich und ohne Koketterie griff sie nach hinten und öffnete den Reißverschluß ihres Kleides, ließ es langsam zu Boden, fallen. Ihr Herz klopfte wild, als sie sich den Slip von den Hüften schob, über die Beine rollte und aus ihm heraustrat. Ted starrte sie an Nackt stand sie vor ihm. Ihr Blick suchte ein Zeichen der Anerkennung in seinen Augen. So oft, wie sie sich geliebt hatten, diese Bestätigung erwartete sie von ihm. Er preßte die Lippen zusammen. Ganz langsam wanderte sein Blick über ihren Körper. Seine Augen loderten. Schweigend ergriff er Evas Hand und zog sie zum Bett hin. Mit einem Ruck riß er die Tagesdecke herunter, ein weiterer Griff, und die Bettdecke fiel zu Boden. Ted ließ sich mit dem Rücken aufs Bett sinken, und Eva legte sich auf ihn. Mit ihren Füßen strich sie über seine Unterschenkel, an ihrem Bauch spürte sie die Härte seiner Hüften. Ihre Hände glitten über seine Brust, klammerten sich an seinen Schultern fest. Sie zog sich hoch, bis ihre Lippen seinen Mund fanden. Sie verschmolzen in einem innigen, leidenschaftlichen Kuß, der Eva beinahe die Sinne raubte und eine Ewigkeit zu währen schien. Mit letzter Willenskraft riß sie sich los. Noch gab es Arbeit zu tun, entschied sie sich. Sie richtete sich auf und kniete sich über ihn. Seine Augen waren halb geschlossen, und sein Brustkorb hob und senkte sich, als er nach Atem rang. „Eva!“ stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, - 83 -
die Warnung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Ted war nahe am Ende seiner Beherrschung. Aber er sollte erfahren, was es hieß, diese leidenschaftliche Begierde zu spüren, die sie manchmal fast um den Verstand brachte, wenn sie zusammen waren. Er sollte wissen, daß es keine andere Frau gab, die diesen Hunger stillen konnte, nirgendwo auf der Welt. Und sie wollte ihm zeigen, wie sehr sie ihn liebte, ob er das nun akzeptierte oder nicht. Was sich dann abspielte, entglitt ihrer Kontrolle. Jeden Zentimeter seines Körpers erforschte und berührte sie, unter ihren wilden Liebkosungen zuckte und stöhnte Ted auf. Schließlich packte er sie, drehte sich mit ihr herum und kam auf ihr zu liegen. Doch war es nur die Stellung, die seine Dominanz unterstrich. Eva wußte später, als sie beide vor Erschöpfung nicht mehr in der Lage waren, sich zu rühren, und schweißgebadet dalagen, daß sie Teds Geheimnis unter der harten äußeren Schale entdeckt hatte. So abweisend er äußerlich sein mochte, in seinem Inneren brannte die heiße Flamme der Liebe. Bevor sie beide den Höhepunkt der Lust erreicht hatten, hatte er aufgeschrien: „O Eva ... Liebling ... mein Schatz ...!“ Er hätte es später mit Sicherheit abgestritten, hätte sie ihn damit konfrontiert. Also ließ sie es. Aber das Gefühl, daß er sie wenigstens einen Augenblick von ganzem Herzen geliebt hatte, war ihr am nächsten, Morgen ein Trost, als er seine Sachen packte. „Paß auf dich auf“, sagte er zum Abschied, als sie bei seinem Wagen standen, und küßte sie leicht auf die Stirn. Mit einem letzten Blick setzte er sich hinters Steuer, schloß die Tür und ließ den Motor an. Eva blickte ihm nach, als er davonfuhr. Ja, sie würde auf sich aufpassen müssen. Denn auch sie trug ein Geheimnis in sich. Mit einer Sicherheit, für die es keine Erklärung gab, die aber auch keiner Begründung bedurfte, wußte sie, daß sie schwanger war.
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7. KAPITEL Als Eva nach Teds Abfahrt in ihr Atelier zurückkehrte, nahm sie als erstes einen großen Batzen feuchten Ton, hob ihn hoch und ließ ihn auf den Arbeitstisch fallen, schlug und walkte ihn tüchtig durch. Viele Male wiederholte sie diesen Vorgang, bis sie völlig außer Atem geriet. Erschöpft ließ sie sich schließlich auf einen Hocker sinken. Sie spürte eine große Mattigkeit in ihrem Körper, ihr Herz war schwer wie Blei. Nach einer Weile stand sie auf und ging langsam zum Strand, hinunter, wo sie lange da saß und zum Horizont starrte. Sie beobachtete die Wogen, die von weit draußen hereinrauschten und sich am Strand verliefen. Wie kam es, daß der Himmel in tiefem Blau strahlte, während sie selbst in dumpfe Trauer versank? Ihre Haut begann unter den heißen Sonnenstrahlen zu prickeln, und sie ging ins Haus zurück. Ziellos wanderte sie durch die Räume, die ihr plötzlich leer und verlassen vorkamen. Sie lauschte den vertrauten Geräuschen, die Ted während seiner Anwesenheit verursacht hatte. Doch es blieb still, nur das Rauschen der Wellen am Strand drang zu ihr herauf. Eva trat ins Atelier, nahm sich wieder den Tonklumpen vor und hämmerte mit ihren Fäusten wild darauf herum. Haß und Liebe wechselten sich mit jedem Schlag ab. Müde ließ sie schließlich die Fäuste sinken und ging ins Wohnzimmer zurück, wo sie sich auf die Couch legte. Sie döste ein wenig, schreckte erst hoch, als es draußen dunkel wurde. Seit dem Frühstück hatte sie nichts gegessen. In der Küche trank sie ein Glas Milch und machte sich ein Sandwich. Doch sie brachte keinen Bissen hinunter. Wieder im Wohnzimmer, versuchte sie in dem Buch zu lesen, das sie vor ein paar Tagen angefangen hatte. Aber die Zeilen verschwammen vor ihren Augen. Sie entschloß sich, zu Bett zu gehen. Lange lag sie da und konnte keinen Schlaf finden. Es nützte auch nichts, daß sie die Laken wechselte. Warum sollte sie in ihrer Einsamkeit auch noch den Duft seiner Haut ertragen müssen? War es nicht quälend genug, ständig sein Gesicht vor Augen zu haben? - 85 -
In einem Atemzug verwünschte sie ihn und ihr eigenes verwundbares Herz. Erst am frühen Morgen fiel sie in einen leichten, unruhigen Dämmerschlaf. Als sie benommen aufwachte, dachte sie zuerst, sie würde in einem fremden Bett liegen. Auf der Seite neben ihr lag nur ein Kopfkissen, die Decke war glatt, das Bett unberührt. Langsam setzte die Realität ein. Bewegungslos lag Eva da, dann hob sie die zu Fäusten geballten Hände zum Mund. In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß, ihr Puls schlug wild, und sie spürte einen heftigen Stich in der Herzgrube. Und dann begann sie zu weinen. Heiße Tränen flossen ihr übers Gesicht, ein leises Schluchzen schüttelte ihren Körper. Sie zog die Knie an, rollte sich zusammen, vergrub ihr Gesicht im Kissen und weinte sich aus. Tags zuvor war sie ihren Schmerz und die Wut losgeworden, nun war nur noch Trauer übrig. Sie liebte Ted Dallas von ganzem Herzen. Er war fortgegangen, nicht einmal angerufen hatte er gestern abend. Ihre Trennung war vollzogen, scharf und sauber. Sie mußte die Fäden ihres Lebens wieder in die Hand nehmen. Eva wischte sich die Tränen vom Gesicht und setzte sich mit gekreuzten Beinen aufs Bett. Nach einer Weile war sie wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Entscheidungen mußten getroffen werden. Das würde sie von dem Schmerz ablenken, bis die schlimmsten Wunden geheilt waren. Ja, sie wollte wieder dort neu beginnen, wo alles sich so plötzlich geändert hatte, als Ted in ihr Leben getreten war. Ohne ihn! Sie wollte arbeiten, essen, schlafen, Spaziergänge machen, ab und zu ihre Freunde besuchen. Mit der Zeit konnte sie vergessen, daß es Ted je gegeben hatte. Nein, das wollte sie nicht. Sie liebte Ted, würde ihn immer lieben. Und außerdem war da noch etwas anderes ... Eva legte ihre flache Hand auf den Bauch. Mit langsamen, kreisenden Bewegungen strich sie darüber. Sie war sicher, daß sie Teds Baby trug. Die Erinnerungen an seinen Vater würden ihr helfen, wenn das - 86 -
Kind geboren wurde, würden sie begleiten, wenn sie es aufzog und mit ihrer Liebe umsorgte. Ein stilles, glückliches Lächeln spielte um Evas Lippen. Ganz so einfach, wie Eva gehofft hatte, gestaltete sich ihr weiteres Leben nicht. Es erstaunte sie selbst, wie oft sie an Ted dachte. Sogar ihr Haus schien nicht mehr dasselbe zu sein wie früher. Und wenn sie etwas unternahm, hatte sie immer das Gefühl, daß irgend etwas dabei fehlte. Die Stille des Abends, die sie sonst immer genossen hatte, kam ihr jetzt fast bedrohlich vor. Und dann war da noch die Sehnsucht. Wenn Eva sich ausmalte, daß er vor ihr stand, zog ein Prickeln durch ihren Körper, verstärkte sich zu einem Zittern, und dann überfiel sie wieder der Schmerz. Sie war völlig wehrlos dagegen. Ted Dallas, ob er es nun wußte oder nicht, war in ihr Leben eingebrochen, hatte Türen geöffnet, von denen sie nichts gewußt hatte, und fremde Sehnsüchte in ihr geweckt. Die Arbeit war ihr größter Trost, und sie stürzte sich förmlich mit Leib und Seele darauf. Die Figur, die sie vor Teds Weggang angefangen hatte, nahm Gestalt an - ein Fötus im frühen Stadium seiner Entwicklung. Manchmal jagte ihr der Gedanke Angst ein, daß dieses Abbild sich in ihr bereits festgesetzt hatte, noch bevor sie die Möglichkeit einer Schwangerschaft bewußt in Betracht gezogen hatte. War es ihr Mutterinstinkt gewesen, den sie im Unterbewußtsein in sich trug? Oder war Ted der Grund, der in ihr die Frau geweckt und zu voller Entfaltung verholfen hatte? Als sie die Figur mit ihren fließenden Formen und nicht ganz deutlichen Details fertiggestellt hatte, verliebte sie sich spontan in sie, wollte sie nur für sich behalten. Aber auch eine Mutter zog ihr Kind auf, um es eines Tages gehen zu lassen, oder nicht? Es kostete Eva größte Überwindung, die Figur in eine Kiste zu packen und nach New York zu senden. Sie fing eine neue Arbeit an, die Gestalt einer Tänzerin aus Eschenholz, das sie so lange gelagert hatte, bis das Holz die richtige Elastizität hatte. Darüber ging der August zu Ende. - 87 -
Ihre Schwangerschaft war nun Gewißheit. Die Bestätigung ihres Arztes stellte für Eva keine Überraschung dar. Ihre Brüste spannten manchmal, winzige blaue Äderchen zeigten sich, und die ersten, kaum wahrnehmbaren Veränderungen fanden in ihrem Körper statt. Ihre Freude darüber wurde nur durch die einsetzende Übelkeit getrübt, die sich keineswegs nur auf die Morgenstunden beschränkte und Eva an regelmäßigen Mahlzeiten hinderte. Doch ihr Arzt beruhigte sie. Er versicherte ihr, daß sie sich bester Gesundheit erfreute und ihre Symptome normal waren für eine Frau, die sechs Wochen schwanger war. Medikamente gegen die Übelkeit lehnte sie ab, statt dessen aß sie häufiger kleine Snacks. Aber manchmal, wenn es ihr schlechtging, sehnte sie sich nach der Geborgenheit, und dem Trost von Teds starken Armen. Sie hatte nichts mehr von ihm gehört. Wenn sie abends zusammengerollt auf der Couch lag, voller Erwartung und Stolz, wünschte sie sich, daß er da wäre und sie ihre Gefühle mit ihm teilen könnte. Auch wenn er noch so oft beteuert hatte, daß er keine Kinder in die Welt, setzen wollte, wußte Eva tief in ihrem Innern, daß er sich auf ihr gemeinsames Baby freuen und es von ganzem Herzen liebhaben würde. Diese Überzeugung gab ihr die Kraft, die langen, einsamen Nächte zu überstehen. Ende September packte Eva ihre Koffer. Sie reiste nach Connecticut ab, freute sich auf das Wiedersehen mit ihrer Familie. Zur großen Party, die Laura Mattheson seit dem Sommer geplant hatte, hatten sich auch Evas Brüder angemeldet. Der siebzigste Geburtstag ihres Vater war Anlaß zu einem rauschenden Fest. Evas Mutter wußte, daß Ted sie verlassen hatte. Sie hatte sehr viel Verständnis gezeigt und war während der letzten Wochen eine wahre Stütze für ihre Tochter gewesen. Aber Eva hatte ihr kein Sterbenswörtchen von ihrer Schwangerschaft erzählt. Sie hatte keine Ahnung, wann und wie sie ihrer Familie diese Neuigkeiten beibringen sollte. - 88 -
Vielleicht ergab sich eine günstige Gelegenheit nach der Feier, wenn ihre Brüder mit ihren Familien wieder abgereist waren? Doch es sollte anders kommen. Eva kam am Freitagabend in Westport an. Die Party sollte Samstag nachmittags beginnen. Evas Mutter begrüßte sie an der Tür. Wie immer war sie äußerst gepflegt gekleidet und sah hervorragend aus. „Eva!“ rief sie voller Freude und breitete die Arme aus. Sie umarmten sich mit einer Heftigkeit, die sie beide überraschte. Eva wurde in diesem Moment bewußt, wie sehr sie Wärme und Vertrautheit in letzter Zeit vermißt hatte. Ihre Mutter hielt sie an den Schultern fest und sah ihre Tochter prüfend an. Eva hatte sich alle Mühe gegeben, frisch und gesund auszusehen, doch umsonst.“ „Was ist los, du siehst müde aus“, bemerkte ihre Mutter besorgt. „Dafür scheint es dir um so besser zu gehen“, entgegnete Eva. Laura strich ihr über die Wange. „Danke. Aber Spaß beiseite, Liebes, fühlst du dich nicht wohl?“ „Doch, pudelwohl!“ „Immer noch traurig, daß dieser Bursche dich verlassen hat?“ „Sein Name ist Ted, Mutter. Nein, so langsam gewöhne ich mich an den Gedanken.“ Laura legte ihrer Tochter einen Arm um die Schultern und führte sie ins Haus. „Na, hier wirst du Gelegenheit haben, dich gründlich zu erholen. Ich hoffe, du hast genug Sachen für einen längeren Aufenthalt mitgebracht.“ Sie blickte Eva an. „Du wirst doch nicht krank werden?“ Sie liegt der Wahrheit damit gefährlich nahe, dachte Eva. „Bestimmt nicht“, beruhigte sie ihre Mutter. „Ist Vater zu Hause?“ „Er ist zum Flughafen gefahren, um Bill, Angie und die Kinder abzuholen. Jason und Annette trafen schon gestern abend hier ein. Sie sind heute mit Todd ins Schwimmbad gegangen, der Kleine konnte es kaum erwarten. Michael und Sheila wollen morgen früh mit den Mädchen hierherkommen.“ Eva sah sich in der Eingangshalle des großen Hauses um. „Das ist jetzt also die Ruhe vor dem Sturm.“ Sie lächelte ihrer Mutter zu. - 89 -
Laura kicherte. „Das kannst du wohl sagen. Aber mir ist es recht so, hier ist es sonst einfach viel zu still. Das schönste Geschenk, das ihr eurem Vater bereiten könnt, sind Kinder. Du weißt das.“ Schnell lenkte Eva vom Thema ab. „Freut er sich auf die Party?“ „Er kann es kaum erwarten.“ Sie nahm Eva beim Arm. „Komm, ich mache dir einen Tee mit Honig. Das wird Farbe in dein Gesicht bringen. Du kannst dich ja derweilen frisch machen, in deinem Zimmer ist alles vorbereitet.“ Eva ging in die Halle zurück und holte ihren Koffer. Langsam trug sie ihn ins Obergeschoß. Ihr Zimmer sah noch genauso aus wie damals, als sie vor elf Jahren ins College gegangen war. Kein Jungmädchenzimmer, sehr fröhlich, doch mit ausgesuchten antiken Möbeln und genau dem richtigen Maß an Gemütlichkeit. Eine seltsame Melancholie überkam sie, als sie sich auf ihr Bett sinken ließ. Hier hatte sie eine glückliche Kindheit verbracht, hatte mit ihren Schulfreundinnen gespielt und gelacht. Sie hatten zusammen geträumt von dem Prinzen in glänzender Rüstung, der eines Tages in ihrer Welt auftauchen würde. Auch wenn sie ihrem Kind keinen Vater geben konnte, es würde ihm an Glück bestimmt nicht mangeln. Sie bürstete ihr Haar und trug einen Hauch Rouge auf, bevor sie hinunter in die Küche zu ihrer Mutter ging. Laura saß im Frühstücksraum und rührte gedankenverloren in ihrer Teetasse. Als sie das Klappern von Evas Absätzen auf dem gefliesten Boden hörte, wandte sie den Kopf. Lächelnd setzte sich Eva zu ihr. Zusätzlich zum Tee hatte ihre Mutter eine Platte mit Gebäck und Käsecracker auf den Tisch gestellt. „Ist für morgen alles vorbereitet?“ fragte sie. Der forschende Blick ihrer Mutter war ihr nicht entgangen. „Ich glaube schon. Das Zelt wird morgen früh im Hof aufgestellt. Die Tische, Stühle, Tischtücher und das alles sollten dann eingetroffen sein. Der Florist hat sich für drei Uhr angesagt, und der Partydienst kommt um fünf. Ich habe gar nicht so viel damit zu tun, außer mich schön zu machen und aufzupassen, daß die Kinder nicht mit dem Silber spielen, wenn die Tische einmal gedeckt - 90 -
sind.“ Eva schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Ich kann es gar nicht erwarten, sie alle wiederzusehen. Ich wette, sie sind mächtig gewachsen.“ „Oh ja! Todd vor allem. Er ist der aufgeweckteste Fünfjährige, den ich kenne“, sagte ihre Mutter voller Stolz. „Koste doch einmal von den Käsecrackern, Liebes.“ Evas Magen zog sich zusammen, aber sie ließ sich nichts anmerken. Sie nahm ihre Tasse auf und probierte den Tee. „Nun, nicht schlecht, finde ich. Ein bißchen süß. Meinst du, der Honig tut seine Wirkung?“ Ihre Mutter ließ sich nicht so leicht durch Evas heiteren Ton täuschen. Sie schaute ihrer Tochter in die Augen. „Sag mal, was ist denn mit dir wirklich los?“ fragte sie ernst. „Es ist irgend etwas in deinen Augen, das mich beunruhigt. Fast wie Furcht...“ Eva schüttelte nur den Kopf und brachte ein gezwungenes Lächeln zustande. „Du kannst es mir sagen, Liebes. Ich bin doch deine Mutter.“ Eva schlug die Augen nieder. „Auch eine Tochter hat ein Recht auf ein paar Geheimnisse“, erwiderte sie leise. „Ach was. Ich kenne dich doch zur Genüge. Das ist mehr als manche Eltern von sich behaupten können. Und du weißt, wie sehr wir dich lieben.“ Sie streckte eine Hand aus und strich Eva eine Haarsträhne hinters Ohr. „Dir liegt etwas auf dem Herzen, das du loswerden möchtest. Was ist es? Es ist doch kein Zufall, daß man bei dir den Eindruck hat, du könntest keinen Bissen bei dir behalten. Und bei deiner Figur kannst du dir das nun wirklich nicht leisten. Außerdem siehst du so blaß aus ...“ Plötzlich stutzte sie. Auf ihrer Stirn erschienen zwei tiefe Falten. Sie berührte Evas Arm. „Kind, du bist doch nicht - schwanger?“ Trotz der Sorge in der Stimme ihrer Mutter konnte Eva ein Lächeln nicht unterdrücken. „Doch“, flüsterte sie. Lauras Augen weiteten sich. „Schwanger?“ „Ja, Mutter, ich bekomme ein Kind. Sieht ganz danach aus.“ „Das ist doch nicht dein Ernst“, sprudelte es aus ihrer Mutter heraus. Vor Aufregung fing sie an zu stottern. „Du - du bist ja - 91 -
nicht - nicht einmal verheiratet.“ „Darüber bin ich mir völlig im klaren, Mutter.“ „Und trotzdem erwartest du ein Kind?“ Laura schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich dachte, eure Generation hätte alle Möglichkeiten, sich vor solchen Überraschungen zu schützen?“ „Haben wir. Und doch passiert es. Vor allem, wenn man es will.“ „Das ist kein Anlaß, Scherze zu machen“, erwiderte Laura ernst und sah ihre Tochter vorwurfsvoll an. „Du bist doch eine intelligente Frau. So eine Dummheit hätte ich von dir nicht erwartet.“ „Mutter, versteh doch, ich wünsche mir dieses Kind.“ „Wie kannst du?“ Laura schüttelte den Kopf. „Du bist ganz allein. Hast du über deine Situation einmal nachgedacht?“ „Auch wenn es den Anschein hat, daß ich allein dastehe, fühle ich mich nicht allein. Außerdem ist das nicht das Thema, um das es geht. Tatsache ist, daß ich ein Kind erwarte.“ Sie holte tief Luft und sagte leise: „Du erwartest doch nicht etwa von mir, daß ich es rückgängig mache?“ „Himmel, nein!“ rief Laura aus. Sie war sichtlich blaß geworden. „Wie kommst du nur darauf? Es ist schließlich dein Kind.“ Eva lächelte. „Ja, Mutter, es gehört mir.“ „Und du willst es, nicht wahr?“ „Mehr als alles in der Welt. Wenn ich daran denke, wie es in mir wächst und Tag für Tag größer wird, wird mir ganz schwindlig vor Freude.“ „Und dann kommt die Übelkeit“, ergänzte ihre Mutter trocken. „Der Arzt sagt, das sei ein gutes Zeichen. Außerdem geht es ja bald vorbei. Du solltest das wissen, du hattest selbst vier Kinder.“ „Richtig. Aber auch einen Ehemann.“ Eva seufzte leise. „Man kann nicht alles haben Soweit hatte ich viel Glück. Ich habe beruflichen Erfolg, ein Heim und kann meinem Kind viel Liebe gehen.“ Ihre Augen schimmerten weich. „Ich will es wirklich, Mutter. Es ist mein Kind“, sie zögerte, „und auch Teds.“ „Weiß er davon?“ „Nein.“ - 92 -
„Aber du wirst es ihm sagen, nicht? Bestimmt heiratet er dich.“ „Nein, Mutter, ich werde es ihm nicht erzählen. Ich habe nichts mehr von ihm gehört, seit er fort ist. Ich war diejenige, die das Baby wollte, mit ihm habe ich nie darüber gesprochen. Ich werde ihn auf keinen Fall mit irgendwelchen, unfairen Forderungen konfrontieren, schon gar nicht mit Heirat. Ich will nichts von ihm und brauche auch nichts.“ Ihre Stimme zitterte. „Zumindest, was das Baby betrifft.“ Von der Einfahrt her hörten sie lautes Hupen. Laura sah zum Fenster. „O Liebes, Vater ist zurück.“ Sorgenvoll schaute sie ihre Tochter an. „Wir werden später noch einmal darüber sprechen. Ja?“ Eva nahm ihre Hand. „Bitte erzähle Vater noch nichts, davon. Ich möchte ihm nicht das Fest verderben.“ „Er hat ein Recht darauf, es zu wissen“, erwiderte ihre Mutter. „Er wird es erfahren - nach der Feier, wenn die Hektik nachgelassen hat“, versprach, Eva. Das Wiedersehen mit der Familie verlief in Hochstimmung, vor allem als Jason mit seiner Frau und dem kleinen Todd aus dem Schwimmbad zurückkamen. Am nächsten Morgen traf Evas Bruder Michael mit Anhang ein, und von da an herrschte nur noch Trubel. Trotz der besorgten Blicke ihrer Mutter stürzte sich Eva voll ins Vergnügen, achtete nur darauf, was sie aß, um ihrem Magen keine Gelegenheit zu geben, zu rebellieren. Ihr Vater geriet ganz aus dem Häuschen, seine Tochter wiederzusehen, und so übersah er die Anzeichen, die Evas Mutter von Anfang an aufgefallen waren. Glücklich versammelte er seine Kinder und Enkel um sich, und als am Samstagabend seine vielen Freunde und Geschäftskollegen eintrafen, kannte sein Stolz keine Grenzen. Das Fest war ein voller Erfolg. Um Mitternacht meldeten sich die Leute vom Partydienst ab, die Band hörte um eins auf zu spielen. - 93 -
Um zwei Uhr morgens verabschiedeten sich die letzten Gäste, und die Familienmitglieder kamen erst kurz vor drei ins Bett. Es war fast Mittag, als Laura am nächsten Tag leise die Tür zu Evas Zimmer öffnete. Sie setzte sich zu ihrer schlafenden Tochter aufs Bett und rüttelte sie sanft an der Schulter. „Eva“, flüsterte sie. „Eva, wach auf! Es ist schon Mittag.“ Langsam öffnete Eva die Augen und blinzelte ihre Mutter an. Noch halb im Schlaf ließ sie den Blick durchs Zimmer schweifen. Mit einem Stöhnen rollte sie sich auf die Seite und vergrub ihr Gesicht im Kissen. „Wie spät ist es, Mutter?“ hörte Laura sie sagen. „Gleich Mittag“, wiederholte ihre Mutter geduldig. „Zeit für dich aufzustehen Du verpaßt sonst das Frühstück“ „Frühstück?“ Eva stöhnte auf. Beim Gedanken an Essen revoltierte ihre Magen. Schon die Erwähnung war ihr zuwider. „Wie kann man bloß an Essen denken nach letzter Nacht“ Laura lächelte. „Die Kinder frühstückten schon um acht. Sie haben bereits wieder Hunger und wollten ihr Mittagessen. „O nein! Frühstück... Mittagessen! Wie kannst du mir das bloß antun, Mutter! Laß mich doch noch ein bißchen schlafen, bitte!“ Lauras Lächeln erstarb. „Eva, deine Brüder brechen bald auf“, drängte sie. „Ich dachte, du wolltest sie noch einmal sehen.“ Eva warf sich herum. Schlaftrunken richtete sie sich auf und schlug die Decke zurück. Sie strich sich mit den Fingern das Haar aus dem Gesicht. Sie wurde plötzlich blaß, hielt sich die Arme vor den Bauch. „O Mutter!“ stöhnte sie. Sie mußte heftig schlucken, um das Gefühl der Übelkeit zu unterdrücken. Mit der Hilfe ihrer Mutter schaffe sie es bis ins Bad. Nachdem alles vorbei war, rang sie nach Atem. Sanft rieb ihr Laura über den Rücken. „Ist es jetzt besser?“ fragte sie. „Ja, danke, es geht schon wieder“, antwortete Eva keuchend. „Du brauchst dich nicht zu bedanken. Ich wünschte nur, ich könnte mehr für dich tun, Liebes.“ Eva beugte sich übers Waschbecken und wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Dann spülte sie den Mund aus und trocknete sich anschließend mit dem Handtuch ab, das Laura ihr gereicht hatte. - 94 -
„Du bist bei mir, Mutter. Das genügt“, sagte sie. Laura sah sie besorgt an. „Kommst du allein zurecht?“ fragte sie. Eva lehnte sich gegen das Waschbecken. Mit einem tapferen Lächeln nickte sie. Von unten aus der Halle erscholl eine helle Kinderstimme: „Großmutter!“ Lauras Augen weiteten sich. „Oh, ich muß mich beeilen“, stieß sie hastig hervor. „Ehe Melissa uns die Tür einrennt. Glaubst du, du schaffst es?“ „Ja. Ich dusche jetzt, dann geht es mir sicher wieder besser.“ „Bestimmt? „Mutter!“ „Ich gehe ja schon.“ Kopfschüttelnd verließ Laura das Zimmer. Endlich allein, versuchte Eva sich zu sammeln. Ihr war klar, wie zwiespältig die Gefühle ihrer Mutter im Augenblick waren. Aber wie mochte ihr Vater reagieren? Obwohl ihr Entschluß felsenfest stand, brauchte sie doch die Zustimmung und Unterstützung derer, die sie liebte. Am späten Sonntagnachmittag war Eva wieder allein mit ihrer Mutter. Ihr Vater hatte den letzten ihrer Brüder zum Flughafen gebracht. Die Stille im Haus erschien ihr unwirklich nach all dem Lärm und Trubel der vergangenen zwei Tage. Sosehr sie auch das Wiedersehen mit ihren Brüdern und deren Familien genossen hatte und sich gewünscht hätte, sie würden länger bleiben, war sie jetzt doch erschöpft. Sie schlief auf dem Sofa im Salon ein, und Laura mußte sie wecken, um sie ins Bett zu bringen, wo sie in tiefen Schlaf fiel. Am nächsten Morgen wachte sie frisch und erholt auf. Es war ein herrlicher Herbsttag und die Sonne schien. Eva schlüpfte in ihre Jeans und einen Wollpullover, machte, sich in der Küche eine Scheibe trockenen Toast und schenkte sich ein Glas Orangensaft ein. Sie nahm beides mit in den Garten hinter dem Haus und setzte sich dort auf eine Bank. Sie blickte zum wolkenlos blauen Himmel, schloß die Augen und genoß mit einem zufriedenen Lächeln die wärmenden Strahlen der Sonne. - 95 -
Doch ihr Lächeln schwand, als sie hörte, daß sich Schritte auf dem Kiesweg näherten. Vom Klang her konnte es nur ihr Vater sein. Nervös biß sie sich in die Unterlippe. Eva öffnete die Augen. Ihr Vater stand vor ihr und sah sie ernst an. Doch sein Blick wurde weicher, als er die Furcht in den Augen seiner Tochter erkannte. „Wie geht es dir?“ fragte er leise. „Okay.“ Eva wartete darauf, daß er etwas sagen würde. Doch sein Blick senkte sich, und er schwieg. „Mutter hat dir alles erzählt?“ fragte sie fast flüsternd. Er nickte, sah sie aber nicht an. „Ich hatte sie gebeten, damit zu warten, ich wollte es dir selbst sagen, Vater.“ Er hob den Kopf. „Weißt du, als ich gestern abend nach Hause kam und hörte, daß du schon zu Bett gegangen warst, machte ich mir Sorgen. Deine Mutter übrigens auch. Ich glaube, sie brauchte einfach jemanden, mit dem sie sich diese Sorgen teilen konnte.“ Er sah zum Haus hin, wo Laura mit einem Frühstückstablett aufgetaucht war. „Das verstehst du doch, oder?“ „Ja, aber zur Sorge gibt es eigentlich keinen Grund“, erwiderte Eva, als ihre Mutter zu ihnen trat, das Tablett auf dem Gartentisch abstellte und ihrem Mann eine Tasse Kaffee reichte. Ihr fiel auf, daß Laura an diesem Morgen viel entspannter wirkte. „Kaffee, Liebes?“ fragte ihre Mutter. Als Eva eine Grimasse schnitt, lächelte sie. „Habe ich mir beinahe gedacht.“ Sie nahm einen Schluck von ihrer Tasse. „Auch ich mochte keinen Kaffee während meiner Schwangerschaften.“ Schwangerschaft! Das Wort schien drohend in der Luft zu hängen. Eva warf einen Blick auf ihren Vater, doch der starrte nur auf seine Tasse. „Es tut mir leid, wenn ich euch beiden Kummer gemacht habe“, sagte sie mit leisem Bedauern. „Ich wünschte mir, ich hätte ihn euch erspart. Aber die Dinge haben sich eben anders entwickelt.“ „Und warum?“ Ihr Vater blickte auf. „Soweit, ich von deiner Mutter erfahren habe, hast du diesen Ted geliebt.“ „Das tue ich noch immer. Aber eine einseitige Liebe führt kaum - 96 -
zu einer Heirat...“ „Liebt er dich nicht?“ warf ihr Vater ein. Eva bückte sich und zog einen Grashalm heraus. „Ich weiß es nicht.“ Laura setzte sich neben sie. „Wie kannst du so etwas nicht wissen? Entweder es ist da oder nicht.“ „Ich finde das zu vereinfacht, Mutter“, entgegnete Eva und kaute nachdenklich an dem Grashalm. Wochenlang hatte sie über dieser Frage gegrübelt. „Ted hat mich sicher auf die eine oder andere Art geliebt, aber insgesamt fällt es ihm schwer, mit diesem Gefühl fertig zu werden.“ Sie sah zu ihrem Vater auf, der noch immer vor ihr stand. „Ted ist ein ganz besonderer Mann und in dieser Hinsicht sehr empfindlich. Er wuchs nicht auf wie unsereins. Seine Mutter scheint ihn abgelehnt zu haben, und sein Vater ließ sich nie blicken. Er hat eine harte Schule durch laufen und glaubt, sein Leben allein leben zu müssen.“ Sie holte Atem. „Er ist äußerst begabt und ein erfolgreicher Filmredakteur.“ „Das hörte ich von deiner Mutter. Wie lange hielt er sich in Marblehead auf?“ „Sechs Wochen.“ Eva ahnte, auf was ihr Vater anspielen wollte, versuchte dem zuvorzukommen. „Er hat eingekauft, alles mögliche im Haus repariert, mich ausgeführt. Er ist kein Schnorrer.“ „Na, ich weiß nicht. Ich glaube, unter den Umständen hat er dir genug aufgebürdet“, meinte ihr Vater und verzog den Mund. „Für das Baby bin allein ich verantwortlich“, protestierte Eva schwach. Sie merkte, daß sie an Boden verlor. Sie sah Laura an. „Das habe ich auch Mutter zu erklären versucht. Ich wußte sehr wohl, daß Ted eines Tages gehen würde. Wir beide machten uns in dieser Hinsicht nichts vor. Wenn also jemand an dieser Schwangerschaft schuld ist, dann bin ich es. Wenn Ted es erfahren würde, wäre er bestimmt genauso aufgebracht wie ihr.“ Ihr Vater streckte eine Hand aus und legte sie Eva sanft auf die Schulter. „Niemand hier ist aufgebracht, Liebes. Ich mache mir Sorgen um dich. Heutzutage ein Kind aufzuziehen, ist nicht einfach. Und du hast dir keinen leichten Start dafür ausgewählt.“ „Ich habe darüber lange nachgedacht, Vater. Ich glaube, ich - 97 -
werde es schaffen. Ich verdiene genug...“ Ihr Vater unterbrach sie. „Geld ist keine Frage. Du weißt, wir werden dir jederzeit helfen „Ja, das weiß ich, und es ist ein beruhigender Gedanke. Aber ich werde es kaum brauchen. Was ich verdiene, reicht leicht für mich und das Baby. Ich habe mir ein kleines Vermögen erarbeitet, mein Geld angelegt, da ist das Haus, die Umgebung ist ideal für ein Kind, ich habe Freunde ...“ „Aber du wirst allein sein“, warf Laura ein. „Wie, glaubst du, auf Dauer damit fertig zu werden? Wie willst du eines Tages deinem Kind erklären, daß es keinen Vater hat?“ „Ich bin doch keine Ausnahme. Wie viele alleinerziehende Mütter gibt es heutzutage. Wenn die Zeit kommt, werde ich ihm von seinem Vater erzählen, und wie es dazu kam, daß es ohne ihn aufwachsen mußte“, antwortete Eva ruhig und gefaßt. „Meinst du wirklich, das sei so einfach“ fragte ihr Vater stirnrunzelnd. „Wenn ich dich richtig verstehe, will dieser Ted nichts von dem Kind wissen.“ „Das könnte sich ja ändern. Ich habe Ted mit Kindern zusammen beobachtet, er kommt phantastisch mit ihnen aus. Seine Meinung von dieser Welt ist nicht gerade optimistisch, ich glaube, er würde Kindern diesen Schmerz gern ersparen.“ Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Wie kannst du nur diesem Mann gegenüber so nachsichtig sein? Das begreife ich nicht.“ „Ich habe nicht den geringsten Grund, ihm etwas nachzutragen, Mutter.“ Eva legte eine Hand auf Lauras Arm. „Alles, um was ich euch bitte, ist eure Liebe und euer Verständnis.“ Ihr Vater trat auf sie zu, nahm ihre Hände und zog sie zu sich hoch. „Dessen kannst du sicher sein. Wir lieben dich und freuen uns mit dir auf unser nächstes Enkelkind.“ Eva traten Tränen in die Augen. „Danke, Vater“, stammelte sie und drückte ihm einen Kuß auf die Wange.
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8. KAPITEL Am Wochenende war Eva nach Marblehead zurückgekehrt. Ihre Mutter begleitete sie und blieb ein paar Tage bei ihr. Es half Eva wenig zu protestieren, wenn sie Laura zusah, wie sie das Haus von oben bis unten putzte und sämtliche Besorgungen erledigte. Selbst, einen Finger zu rühren, war ihr strikt untersagt. Obwohl sie an eine derartige Fürsorglichkeit nicht mehr gewöhnt war, mußte sie doch zugeben, daß ihr die Ruhe guttat. Es ging ihr wesentlich besser. Ob es an der Pflege lag, die ihre Mutter ihr angedeihen ließ, oder der bald dreimonatigen Schwangerschaft, wußte Eva nicht. Als Laura sich nach einer Woche verabschiedete, fühlte sie sich jedenfalls stark genug, die kommende Zeit allein zu meistern und sich auf die Geburt des Babys vorzubereiten. Ihres und Teds Baby! Es kam ihr wie ein Wunder vor, daß sie sein Kind in sich trug. Immer würde sie diesen Teil von ihm behalten. Sollten Psychologen doch ruhig behaupten, daß sie ihr Kind an Vaters statt liebte, sie wußte, in ihrem Fall traf das nicht zu. Ende des vierten Monats fühlte Eva sich voller Energie und arbeitete wie wild. Sie hatte sich vorgenommen, die Galerien in New York zu füllen, so daß ihr während und nach der Geburt genug Zeit blieb, sich ausschließlich um ihr Baby zu kümmern. Sie kam aber nicht umhin, Margery die Gründe für ihre Arbeitswut zu erklären und ihr von der Schwangerschaft zu erzählen. „Wie bitte? Du bist was?“ klang die Stimme ihrer Freundin und Agentin schrill aus dem Hörer. Eva lächelte beim Gedanken an das Gesicht das Margery wohl gerade machte. „Du hast richtig gehört, Margery, ich bin schwanger.“ „Du nimmst mich wohl auf den Arm?“ „Keineswegs.“ Eine geraume Weile war es still in der Leitung. Eva glaubte ein leises Keuchen zu hören. Sie fragte: „Margery, bist du noch da?“ „Ja“, kam es fast flüsternd. „Ich mußte mich nur setzen.“ Und dann zögernd: „Wer, um Himmels willen, ist der Vater?“ Und sie - 99 -
fügte hinzu: „Ich habe das leise Gefühl, daß du mir in letzter Zeit eine Menge verschwiegen hast, meine Liebe.“ Eva hatte Margery nie von ihrer Beziehung zu Ted erzählt, und auch jetzt beabsichtigte sie nicht, das zu ändern. „Wer der Vater ist, tut nichts zur Sache, Margery.“ Besänftigend dann: „Er war eine Zeitlang hier bei mir zu Hause. Ich liebte ihn, doch es war nicht von Dauer. Ich wollte das Baby, er weiß nichts davon.“ Ganz untypisch für sie hatte Margery darauf keine Antwort parat. Als sie ihre Verblüffung überwunden hatte, sagte sie: „Ich weiß nicht, Eva. Du bist voller Überraschungen. Ich dachte, ich würde dich kennen, aber ein Baby ...“ Plötzlich ertönte ein Kichern aus dem Hörer.. „Das ist einfach phantastisch! Kein Mensch hier wird es mir glauben.“ Margery beendete das Gespräch mit einer langen Aufzählung von Geschenken, die sie ihrer Freundin unbedingt zur Geburt des Babys besorgen wollte. Eva lächelte amüsiert, als sie den Hörer endlich auflegte. Es war höchste Zeit gewesen, daß ihr Image als Eisprinzessin in New Yorker Künstlerkreisen zu bröckeln begann. Eva war stolz auf sich. Die Bildhauerin, der man eine stark unterkühlte Selbstdisziplin und -beherrschung nachgesagt hatte, würde Mutter werden. Ted Dallas hatte von all dem keinerlei Ahnung. Er war auf dem Weg nach Marblehead, und so, wie er das Gaspedal durchtrat, wußte er nur, daß er Eva unbedingt sehen mußte. Wochenlang hatte er Tag und Nacht durchgearbeitet, sich nur Pausen der Erschöpfung gegönnt, um die Gedanken an sie zu vertreiben. Es hatte nichts genützt. Er mußte nur die Augen öffnen, und ihr Bild stand vor ihm. Es gab ein einziges Mittel, das ihm noch helfen konnte, entschied er. Er wollte zu ihr fahren, sie mit der ganzen Arroganz und Ablehnung behandeln, die er aufgingen konnte. Koste es, was es wolle, er mußte die Erinnerung an sie loswerden oder für immer zerstören. - 100 -
Als er vom Highway auf die vertraute Landstraße in Richtung Marblehead abbog, war er erstaunt, wie sehr sich die Landschaft inzwischen verändert hatte. Es war November geworden, die Bäume kahl, braunes Laub bedeckte das Gras um sie herum. Noch hatte der Schnee nicht eingesetzt, aber ein Eishauch lag schon in der Luft. Vielleicht würde er sich einen Skiurlaub gönnen. Warum nicht in Europa, in den Alpen? Dort, auf den Pisten und in den Hütten, traf man auf genügend attraktive Frauen, die die Erinnerung an Eva für immer vertreiben würden. Der Gedanke an einen Skiurlaub verflog, als Ted die Küste erreichte und den stürmischen grauen Atlantik vor sich sah. Majestätisch rollten die riesigen, schaumgekrönten Wogen an Land, das Tosen und die Gischt der Brecher, am Strand erfüllte die Luft. Er hatte diese Gegend liebgewonnen. Doch hätte ich mir für mein Vorhaben lieber einen grauen Regentag gewünscht, ging es Ted durch den Kopf, als er in die Auffahrt zu Evas Haus einbog, den Wagen parkte und in wenigen Sätzen die Stufen zur Haustür hinaufeilte. Hatte sie vielleicht das Schloß ausgewechselt? Einem spontanen Impuls folgend nahm er den Hausschlüssel, den Eva ihm überlassen hatte, aus der Jackentasche und steckte ihn ins Schloß. Er paßte. Langsam öffnete er die Tür und trat ein. Wieder überraschte ihn die heitere Atmosphäre der Räume, und die Erinnerung traf ihn wie ein Hammerschlag. Alles war wie zuvor. Nichts, aber auch nichts hatte sich geändert. Er wußte, wo er Eva finden würde. Mit großen Schritten durchquerte er die Eingangshalle in Richtung ihres Ateliers. Doch an der Tür hielt er inne. Er wagte kaum zu atmen. Eva saß an ihrem gewohnten Platz, den Kopf über einem Stein auf ihrem Schoß gebeugt, in einem übergroßen Sweatshirt und Jeans, die an ihren Hüften und Schenkeln eng anlagen. Ted’s Blick lag wie gebannt auf ihr. Sie arbeitete mit voller Konzentration, diesmal ohne Augenschutz, so daß ihr schimmerndes Haar frei nach unten fiel und ihre Gesichtszüge halb verbarg. Ted trat ein. Ohne den Blick von ihr zu wenden, näherte er sich - 101 -
ihr. Ein leises Geräusch ließ Eva hochschrecken. Ihre Augen weiteten sich, als sie Ted erblickte. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht. „Ted!“ stieß sie überrascht hervor. Er brachte nur ein Nicken zustande, seine Kehle schien wie zugeschnürt. „Du - bist hier?“ Ungläubig starrte sie ihn an. Wieder konnte er nur nicken. Ihre Augen schienen sich noch mehr zu weiten. Sie schluckte heftig. Plötzlich fiel der Hocker um, polterte der Stein, der auf ihrem Schoß geruht hatte, samt dem Polster zu Boden, und Eva stürzte in Teds Arme. Ted war nicht bewußt gewesen, daß er die Arme ausgebreitet hatte, bist er Eva darin auffing, sie an sich drückte, hochhob und im Kreis herumschwang. Zum erstenmal seit Monaten war er glücklich. Er schloß die Augen und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Er konnte es nicht glauben, wie gut sie sich anfühlte. Eva hielt Teds Nacken so fest umklammert, daß er schließlich nach Luft rang. Nur zögernd lockerte sie ihre Umarmung. „Ted?“ fragte sie, als ob sie es immer noch nicht glauben konnte. Er lächelte sie an. „Ja, ich bin es wirklich. Kein Phantom, keine Sinnestäuschung.“ „O Ted“, rief sie aus, „ich träume bestimmt! Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.“ „Davon war nie die Rede“, wehrte er sich leise. Gut, daß sie es nicht gehört hatte. „Wie schön es ist, dich halten zu können, zu umarmen.“ Eva trat einen Schritt zurück. „Laß dich anschauen.“ Er lächelte. „Ich dachte, das hättest du eben getan, als ich hereinkam.“ Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. Dann hob sie den Blick wieder und sah ihm in die Augen. „Wie groß du bist. Aber Ted, du siehst müde aus. Was hast du gemacht? Gearbeitet?“ Um seine Mundwinkel zuckte es. „Das kann man wohl sagen.“ „Hast du den Filmbeitrag fertig?“ - 102 -
„Ja, und noch einen dazu.“ Er suchte ihren Blick, wartete auf eine Reaktion. Warum machte sie ihm keine Vorwürfe? Er hatte sich monatelang nicht gemeldet, geschweige denn blicken lassen. Wie ein Schuft hatte er sich benommen. Doch zu seiner Verwunderung lachte sie ihn einfach an. „Gerade rechtzeitig, würde, ich sagen. Mit diesen Ringen unter den Augen gefällst du mir überhaupt nicht. Ich glaube, dagegen müssen wir schnellstens etwas unternehmen.“ Wieder umarmte sie Ted und schmiegte sie an ihn. Wie wunderbar weich sich ihr Körper anfühlt, und wie gut wir zusammen passen, schoß es Ted durch den Kopf. „Ich brauche dich, Eva“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber ich habe keine Frau mehr angeschaut, seit ich hier wegging.“ Eva lachte leise. „Muß ich das als Kompliment auffassen?“ „Es ist die volle Wahrheit. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen. Was hast du bloß mit mir gemacht?“ „Ich bin mir keiner Schuld bewußt. Aber scheinbar brauchst du ein Gegenmittel.“ Sie lachte ihn schelmisch an. „Ich wüßte schon eines. Du hast mich noch nicht geküßt.“ In gespieltem Entsetzen hielt er sie mit gestreckten Armen von sich. „Was? Das habe ich ja ganz vergessen.“ „O Ted“, flüsterte Eva. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, ihre Lippen suchten seinen Mund. Die ungestüme Gewalt, mit der er ihren Kuß erwiderte, war das, was Eva wollte und brauchte. Daß er andere Frauen erwähnt hatte, daran dachte sie nicht. Alles, was zählte, war seine Gegenwart. Nach Monaten der Sehnsucht und Einsamkeit hungerten ihre Lippen nacheinander, suchten sich ihre Zungen begierig, schmeckten die Süße des andern, spielten und forderten. In ihr Keuchen mischte sich leises Aufstöhnen, während ihre ungeduldigen Hände über den Körper des anderen strichen. „Ich will dich“, raunte Ted. „Ja, Ted, nimm mich“, flüsterte Eva mit erstickter Stimme. Sie klammerte sich so fest um seinen Hals, daß ihre Arme zu zittern begannen. - 103 -
Er hob sie auf und trug sie ins Schlafzimmer. Dort ließ er sie aufs Bett sinken. Hastig riß er sich die Jacke vom Körper. Eva huschte ins Bad. Als sie zurückkam, lag Ted bereits im Bett, nackt unter der halb zurückgeschlagenen Decke. Rasch schlüpfte sie aus ihrer Jeans und zog sich das Sweatshirt über den Kopf. Ihr Slip glitt zu Boden. „Komm!“ flüsterte Ted. Sie schlüpfte zu ihm unter die Decke, schmiegte sich an ihn, streichelte ihn. Er umfaßte ihre Brüste, beugte sich hinunter, nahm ihre dunklen Knospen zwischen seine Lippen, sog daran so heftig, daß Eva unwillkürlich aufschrie. Sie fühlte ein heißes Brennen in ihrem Körper. „Ted, bitte, komm!“ flüsterte sie. Und dann spürte sie sein ganzes Gewicht. Er füllte die Leere, die ihr in mancher Nacht so schmerzlich bewußt geworden war. Sie liebten einander mit einer so heftigen Begierde, als hätte keiner vom anderen genug kriegen können. Als sie beide gemeinsam dem Höhepunkt der Ekstase zutrieben, stockte ihnen der Atem, ihr Herzschlag schien auszusetzen. Ihre Körper bäumten sich auf, erstarrten einen Moment, um dann in krampfartigen, zuckenden, endlosen, Stößen niederzusinken. Sie lagen Seite an Seite. Es dauerte lange, bis sie wieder Atem geschöpft hatten, um überhaupt an Sprechen zu denken. Und auch dann war erst nur ein schluchzendes Wimmern zu vernehmen. Noch nie in ihrem Leben hatte Eva sich so wunderbar erfüllt gefühlt. Ted stöhnte leise. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und drückte Eva einen sanften Kuß auf die feuchte Stirn. „O Liebling“, flüsterte er heiser, „ich habe dich so vermißt.“ Sie verstand seine Geste, und seine zärtlichen Worte erfüllten sie mit Stolz. Die Tatsache, daß er gegen seinen Willen und seine Überzeugung zu ihr zurückgefunden hatte, bewiesen ihr die Tiefe seiner Gefühle. Auch wenn es nur körperliche Begierde gewesen wäre, Eva fühlte sich vollkommen glücklich. „Auch ich habe mich sehr nach dir gesehnt, Ted“, sagte sie. Ted beugte sich über sie. „Kleine Hexe, du hast mich verzaubert. Weißt du das?“ - 104 -
Eva streichelte über seine Brust. „Nein, Ted, das ist keine Hexerei.“ Sie legte den Kopf auf seine Schulter. „Ich bin so froh, daß du da bist.“ Sie ließ sich neben ihn sinken und streckte die Arme von sich. „Ich auch“, antwortete er leise. Er richtete sich halb auf und stützte sich auf den Ellbogen. Sein Blick glitt über ihre nackte Gestalt. „Deine Brüste sind voller geworden“, sagte er. Er beugte den Kopf und küßte sanft ihre hervorstehenden Spitzen. Mit der Hand strich er über ihren Bauch hinunter zu den Schenkeln. Plötzlich hob er den Kopf. Sein Blick heftete sich auf die Rundung ihres Bauches, wandte sich zu ihren Schenkeln, und wieder zurück zu ihren Brüsten. Und dann sah er Eva stirnrunzelnd an. Deutlich stand ihm ins Gesicht geschrieben, was er dachte, jedoch nicht auszusprechen wagte. Eva legte eine Hand auf ihren Bauch, hob kurz den Kopf und sah an sich hinunter. Ja, die beginnende Wölbung war auch im Liegen kaum zu übersehen. Sie drehte sich auf die Seite und winkelte ihre Beine leicht an. Ruhig und gefaßt erwiderte sie seinen harten, forschenden Blick. „Erraten“, sagte sie leise. Er reagierte nicht sofort. Seine Lippen waren zusammengepreßt. „Was?“ stieß er dann hervor. Sie lächelte unsicher. „Jetzt wissen wir es beide.“ Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Seine Augen loderten. „Eva...“ „Ja, Ted, ich bin schwanger“, sagte sie ruhig. „Es ist unser Baby!“ Einen Moment schien er wie vom Donner gerührt. Dann ruckte er hoch und kniete sich aufs Bett. Er beugte sich über Eva und schaute ihr in die Augen. In seinem Blick lag etwas wie Furcht. Oder war es nur Entsetzen? „Seit wann?“ „Drei Monate.“ Er zog die Brauen zusammen und dachte kurz nach. Ungläubig sah er Eva an. „Nach der Periode bist du damals beim Arzt gewesen, ich erinnere mich genau. Er hatte dir doch ein - 105 -
Verhütungsmittel gegeben.“ „Ja, die Pille. Ich habe sie aber nie genommen. Die Packung liegt noch immer...“ „Du hast was?“ unterbrach er sie heftig. Eva setzte sich ebenfalls auf, stützte sich mit dem einen Arm ab und sah Ted völlig ruhig in die Augen. „Ja, ganz einfach. Ich hatte mich entschlossen, sie nicht zu nehmen.“ Er faßte sie bei den Schultern, seine Finger gruben sich in ihre Haut. „Du hast dich entschlossen! Was soll das heißen?“ Er verzog den Mund. „Darf ich fragen, welche Rolle ich dabei spiele?“ Evas Lippen zuckten. Doch sie blieb gefaßt. „Ich wußte, du würdest eines Tages fortgehen, Ted. Ich dachte damals, es sei für immer. Ich wollte die Erinnerung an dich in mir tragen.“ Leise fügte sie hinzu: „Ich wollte ein Kind von dir.“ Er ließ sie los. „Großartig! Du beschließt, ein Kind von mir zu wollen, einfach so, und bringst nicht den Mut auf, mich ins Vertrauen zu ziehen.“ Plötzlich fühlte sich Eva nackt und ihm ausgeliefert. Sie griff nach dem Laken und wollte es hochziehen. Blitzschnell entriß ihr Ted das Laken. „O nein, so nicht! Du wirst dich vor mir nicht verstecken. Wenn du schon mein Kind trägst, dann habe ich auch das Recht, dich anzusehen.“ Erschrocken und wütend über seine Reaktion funkelte Eva ihn an. „Recht? Du sprichst von Rechten? Gar nichts hast du! Ohne dich auch nur umzublicken, bist du damals einfach verschwunden.“ Hast monatelang nichts von dir hören lassen.“ Sie atmete heftig. „Wer weiß, was du in der Zwischenzeit getrieben hast, Ted. Jedenfalls hast du überhaupt keine Ansprüche, was mein Leben angeht.“ Ihr Zorn schien ihn zu ernüchtern. Er hatte seine Fassung wiedergewonnen. „Ja, ich gebe zu, das mag einmal gestimmt haben“, erwiderte er ruhig. „Aber die Situation hat sich geändert. Du bist die Mutter meines Kindes.“ „Dein Kind? Es ist auch meines. Und da ich die einzige zu sein scheine, die es haben will, werde ich ganz allein die Verantwortung dafür übernehmen.“ - 106 -
„Was weißt du schon von Verantwortung?“ Ted sprang aus dem Bett und ging im Schlafzimmer auf und ab. Dann blieb er stehen. „Wie stellst du dir vor, ein Kind aufzuziehen?“ zischelte er ihr zu. Verletzt zögerte Eva. Sie war sich unschlüssig, ob sie ihm überhaupt antworten sollte. Doch dann sagte sie in leisem Ton: „Ich weiß, daß ich in der Lage bin, für das Kind zu sorgen.“ Ted wirbelte herum. „So? Und deine Arbeit? Du meinst, du kannst ruhig in deinem Atelier sitzen und dich gleichzeitig um ein schreiendes Baby kümmern?“ Drohend sah er sie an. „Außerdem bist du nur eine Frau.“ „Was heißt, ich bin nur eine Frau?“ „Ein Kind braucht auch einen Vater, das heißt es!“ „Mag sein, daß ich nur eine Frau bin“, entgegnete Eva heftig, „eines jedoch ist sicher: Ich werde für das Kind mehr Liebe aufbringen, als es von einem Vater erwarten kann, der sich einbildet, er könnte seine Gefühle auf Dauer unterdrücken. Auch du wirst dich damit abfinden müssen, Ted, daß es heutzutage mehr und mehr alleinerziehende Mütter gibt.“ „Du scheinst vergessen zu haben, daß es bei mir zu Hause nicht anders war.“ Triumphierend sah er sie an. „Der Vergleich hinkt, Ted. Im Gegensatz zu deiner Mutter wünsche ich mir dieses Kind von ganzem Herzen. Ich werde es lieben, die Bildhauerei steht an zweiter Stelle. Ich besitze genug Geld, um eine Weile auch ohne Arbeit existieren zu können. Außerdem werden mich meine Eltern unterstützen, wo sie können. Ein Anruf von mir, und sie stehen noch am selben Tag vor meiner Tür.“ Verdutzt starrte Ted sie an. „Du hast es deinen Eltern erzählt?“ „Natürlich.“ Sie schüttelte den Kopf. „Dachtest du etwa, ich würde es vor ihnen verheimlichen?“ „Waren sie verärgert?“ „Im Gegenteil, sie freuen sich. Natürlich mußten sie sich erst an den Gedanken gewöhnen, aber dann...“ Eva lächelte ihm zu. „Weißt du, Ted, ich hätte dich ihnen gern vorgestellt. Sie lieben mich, und ich bin sicher, daß sie auch dich gern haben würden. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen um meine Zukunft oder die des - 107 -
Babys.“ Ted starrte sie an. „Ihr seid ja alle verrückt“, sagte er. „Warum? Nur weil du dir nicht vorstellen kannst, wie es ist, ein Neugeborenes im Arm zu halten, seine Fingerchen zu betrachten, zu erleben, wie es die ersten Zähne bekommt, wenn es zum erstenmal Mama sagt?“ Ted zog sein Hemd über und stürmte ins Bad. Wie erstarrt saß Eva auf dem Bett. Nach einer Weile legte sie sich auf die Seite, griff nach der Decke und zog sie bis zum Hals hoch. Sie zitterte, in ihrem Innern spürte sie eine Eiseskälte. Und einen stechenden Schmerz. Wie glücklich war sie gewesen, Ted wiederzusehen, ihn in den Armen zu halten, ihn zu lieben. Und jetzt? Kaum wiedergewonnen, hatte sie ihn schon wieder verloren. Sicher würde er gehen, und diesmal bestimmt für immer. Und sein zorniges Gesicht, seine harten Worte würden sie in ihrer Erinnerung begleiten. Sie schloß die Augen. Ihr Traum war zerstört. Sie hatte sich vorgestellt, daß sie Ted eines Tages von dem Kind erzählen würde, wenn die erste Zeit nach der Geburt vorbei war, und er weiterhin sein Leben in New York leben, ab und zu jedoch nach seinem Kind sehen würde. Aber was nützten schon solche Wunschträume. Je schneller Ted gehen würde, desto besser. Eine tiefe Trauer überfiel Eva. Sie schlug die Decke zurück und stand mühsam vom Bett auf. Sie zog ihr Sweatshirt über und schlüpfte in ihre Jeans. Dann ließ sie sich wieder aufs Bett sinken. Sie versuchte, den Reißverschluß hochzuziehen, als Ted aus dem Bad kam. Er blieb stehen und sah ihren Bemühungen scheinbar amüsiert zu. „Du strangulierst ja das Kind“, sagte er leise. „Rede keinen Unsinn“, gab sie zurück. Schwer atmend versuchte sie den Hosenknopf zuzumachen. „Soll ich dir helfen?“ „Nein. Ich bin bis jetzt ganz gut allein zurechtgekommen konterte sie. „Na, dann beeile dich bitte. Wir haben heute noch einiges zu - 108 -
erledigen.“ Er schaute sich nach seinen Socken und Schuhen um. „Wovon sprichst du?“ fragte sie mißtrauisch. Er setzte sich in aller Gemütsruhe auf einen Stuhl und zog sich die Socken an. „Blutuntersuchung, Standesamt...“ „Standesamt?“ Ihre Stimme erstarb zu einem Flüstern. „Richtig. Wir heiraten.“ „Wie bitte?“ Er schlüpfte in seine Schuhe. „Du hast mich gehört.“ Er stand auf. „Ist mir recht, wenn du etwas anderes anziehen möchtest, um mit mir in die Stadt zu fahren. Ich finde, du solltest sowieso anfangen, Umstandskleider zu tragen. Hast du dir schon welche besorgt?“ „Warte mal! Einen Moment!“ Eva versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. „Noch einmal von vorn, bitte! Wir sollen heiraten?“ Ungläubig. starrte sie ihn an. „Ja. Wenn du dich vielleicht ein bißchen beeilen würdest ...“ „Ich denke nicht daran, dich zu heiraten“, schrie Eva plötzlich und sprang auf. Doch dann wurde ihr schwindlig, sie faßte sich an die Schläfe, und sank benommen aufs Bett zurück. Mit einem Satz war Ted bei ihr. Er drückte ihr sanft den Kopf zwischen die Knie und rieb ihren Nacken. „Du tust mir weh“, protestierte sie. „Laß den Kopf unten, es geht gleich vorbei. Du hast dich zu schnell bewegt.“ „Alles dreht sich um mich.“ Er hob ihren Kopf hoch und fühlte ihre Stirn. „Die ist ja ganz feucht“, sagte er besorgt, hielt sie an den Schultern und ließ sie mit dem Rücken aufs Bett sinken. Dann ging er ins Bad und kam mit einem feuchten Waschlappen zurück. Er legte ihr ihn auf die Stirn. Langsam fühlte Eva sich besser. Sie wandte den Kopf zu ihm. „Ich werde dich nicht heiraten, Ted“, sagte sie mit vibrierender Stimme. „Du erwartest mein Kind, also heiraten wir“, erklärte er. „Du kannst mich nicht dazu zwingen. „Richtig. Aber wenn du dich weigerst, werde ich andere Maßnahmen ergreifen. Sofort nach der Geburt beantrage ich ein - 109 -
Besuchsrecht. Vielleicht gehe ich auch vor Gericht und klage das gemeinsame Sorgerecht ein. Mal sehen. Du weißt schon, ... ein halbes Jahr bei der Mutter, die andere Hälfte des Jahres beim Vater.“ Evas Augen weiteten sich vor Schreck. „Das würdest du tun?“ flüsterte sie. „Selbstverständlich. „Aber ich dachte, du wolltest das Kind gar nicht.“ „Schrei nicht, sonst wird dir wieder übel. „Ted, das ist doch nicht dein Ernst!“ „Warum nicht?“ „Du hast immer gesagt, du würdest Bindungen ablehnen. Du möchtest keine Frau und bestimmt keine Kinder. „Ich habe meine Meinung geändert.“ „Einfach. so, während der letzten halben Stunde? „Ja. Was du fertigbringst schaffe ich auch. Als du dich entschlossen hattest, die Pille nicht zu nehmen, hat das wohl kaum länger gedauert, oder nicht?“ Eva schloß die Augen. „Ich fasse es nicht“, sagte sie seufzend. „Viel Zeit bleibt dir nicht mehr. Am Wochenende heiraten wir“ Ihr Kopf schnellte hoch. „Nein!“ Sie bemerkte die Warnung in seinem Blick. „Das geht nicht. Wir können nicht heiraten, du liebst mich ja gar nicht.“ „Liebe? Was hat Liebe damit zu tun?“ fragte er kühl. „Man heiratet aus Liebe.“ „Ach, hör schon auf! Die meisten Ehen fangen ganz anders an. Ein Mann will eine Frau oder umgekehrt. Sie für ihre Sicherheit und er ... Was weiß ich. Liebe, wahre Liebe kommt dabei recht selten vor. Wenn sich dann die Erwartungen nicht erfüllen, geht man zum Scheidungsanwalt.“ „Was für ein Zyniker du bist!“ „Das habe ich schon einmal von dir gehört.“ „Ist doch wahr! Also, dein Grund, mich heiraten zu wollen, ist das Baby, ja?“ „Du hast es erfaßt.“ Eva rollte sich auf die Seite, weg von ihm. „Was genau möchtest - 110 -
du damit erreichen, Ted?“ „Daß ich dich heirate. Ich dachte, das sei klar.“ Ted stand auf und ging zum Fenster. „Hätte ich die Wahl gehabt, wäre es mir, lieber gewesen, du würdest kein Kind bekommen. Aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Ich möchte, daß es meinem Kind an nichts fehlt. Vor allem nicht an einem Vater.“ „Und wo bleibt die Liebe, Ted?“ Er stand mit dem Rücken zu Eva. Sie sah, wie er mit den Schultern zuckte. Ohne sich umzudrehen, antwortete er: „Ich werde dasein, wenn es krank ist, es beruhigen, wenn es schlecht geträumt hat, werde es zur Schule begleiten, mit ihm Spiele spielen. Abends kann ich ihm vorlesen, vielleicht bringe ich ihm auch bei, Schach zu spielen. Oder wir gehen zusammen schwimmen. Dann kann es auf meinen Schultern sitzen. Hey, das wird ein Spaß!“ Er lachte und drehte sich zu ihr um. Als sie sein fröhliches Gesicht sah, fiel die Niedergeschlagenheit auch von Eva ab. Plötzlich fühlte sie sich erleichtert, fast kam es ihr vor, als schwebte sie. Ted ging auf sie zu. Seine Gesichtszüge waren seltsam weich geworden. „Bist du jetzt bereit?“ fragte er leise. Sie setzte sich auf. „Ted“, begann sie, zögernd, „ich finde, du solltest das alles noch einmal in Ruhe überdenken. Ich verstehe, was du dem Kind geben möchtest. Aber willst du auch mich?“ „Schon möglich. Um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig. „Das glaube ich dir nicht.“ „O doch, Eva!“ Er streckte eine Hand nach ihr aus und half ihr, vom Bett aufzustehen. Dann nahm er sie behutsam in die Arme. „Was könnte sich ein Mann mehr wünschen, als eine wunderschöne Frau wie dich? Die letzten Monate waren der reinste Horror. Ich glaube, ich komme dabei ganz gut weg.“ Eva entwand sich seinen Armen. Trotzig sah sie ihn an. „Nein, ich werde dich nicht heiraten, auch wenn du vor Gericht gehst.“ „Du wirst mich heiraten, das verspreche ich dir. Und zwar bald.“ Gegen ihr Sträuben umarmte er sie. Seine Hände glitten über ihren Rücken. Er preßte sie an sich, legte sein Gesicht an ihre Wange und flüsterte ihr ins Ohr: „Unser Kind wird zwei Eltern haben. Und - 111 -
sie werden Mann und Frau sein, Ted und Eva Dallas. Wenn wir schon ein Kind in die Welt setzen, dann wird es nicht ein Zyniker werden wie sein Vater.“ In seinen Armen fühlte sich Eva sicher. Gegen ihren Willen genoß sie die Wärme und den Trost seiner Berührung. Sie antwortete nicht. „Also“, flüsterte er, „können wir gehen?“ „Gehen?“ fragte Eva. Sie fühlte sich benommen. „Ja. Wir lassen die Blutuntersuchung bei deinem Arzt machen. Ich würde mich gern einmal mit ihm unterhalten. Wann ist dein nächster Termin?“ Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich - ich war letzte Woche dort. Ich gehe nur einmal im Monat.“ „Dann besser gleich. Ich habe keine Lust, noch drei Wochen zu warten, bis ich eine Antwort auf meine Fragen bekomme.“ „Ted, ist das wirklich, was du ... „ „Wo sind deine Strümpfe und Schuhe, Eva? Es ist kalt draußen.“ Er sah sich um, dann bückte er sich und hob ihre Tennisschuhe auf, die beim Stuhl gelegen hatten. „Komm, ich helfe dir beim Anziehen. Es wird sonst zu spät.“ Eva setzte sich auf den Stuhl. Ted kniete vor ihr und ließ sie in die Strümpfe schlüpfen. Dann half er ihr in die Schuhe. Doch gegen das heimliche Frösteln in Evas Herzen half das nichts.
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9. KAPITEL Die standesamtliche Trauung fand Samstag nachmittag in Marblehead statt. Trauzeugen waren Evas Eltern, die am Abend zuvor eingetroffen waren und darauf bestanden hatten, das frischverheiratete Paar gleich nach der kurzen Zeremonie zu einem festlichen Essen einzuladen. Eigensinnig wie er war, wollte Ted unbedingt die Rechnung begleichen, doch konnte ihn Eva davon abhalten. Sie hatte ihm bei fast allen seinen Entscheidungen der letzten Tage Zugeständnisse gemacht. Als hätte sie nicht auf sich selbst aufpassen können, hatte sie dabeigesessen, als er ihren Arzt mit Fragen bestürmte. Sie hatte die Umstandsgarderobe mit Ted eingekauft, und lange bevor sie müde war, hatte sie sich ohne Murren am frühen Abend von ihm zu Bett bringen lassen. Doch was ihre Eltern betraf, gab sie nicht nach. „Mein Vater will uns zum Essen einladen, Ted. Bitte keinen Aufstand, ich bin schließlich seine einzige Tochter. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wären wir kirchlich getraut worden, mit einem großen anschließenden Fest, zu dem alle eingeladen gewesen wären. Da das nicht geht, laß ihm bitte wenigstens mit dem Essen seinen Willen.“ „Du hättest also gern im weißen Kleid und Brautschleier geheiratet“, fragte Ted und sah Eva forschend an; „vor allen Leuten?“ Doch sosehr Eva sich auch bemühte zu lächeln und glücklich auszusehen, ihre Mutter durchschaute sie sofort. Am frühen Samstagabend waren sie vom Essen heimgekommen. Laura packte im Gästezimmer ihre Koffer, während Eva sich im Sessel ausruhte und ihr zuschaute. Ihre Mutter schloß den letzten Koffer, setzte sich dann aufs Bett und sah ihre Tochter an, „Liebes, ich möchte doch nur dein Glück. Bist du sicher, daß es das war, was du wolltest?“ Eva verzog den Mund. „Und ich dachte, vor allem du seist jetzt erleichtert.“ Sie sagte es ohne Vorwurf. „Mit einem Ehemann müßte doch alles perfekt sein.“ Sie sah auf den mit Brillanten - 113 -
besetzten Ehering, den Ted ihr während der Trauung an den Finger gesteckt hatte, und drehte nachdenklich daran. „Er hat guten Geschmack bewiesen“, bemerkte Laura. „Ein wunderschöner Ring.“ „O ja! Ted ist entschlossen, der ganzen Welt zu zeigen, daß er das Richtige tut.“ „Dein Vater mag ihn sehr.“ „Warum auch nicht? Er ist schließlich der vollkommene Gentleman.“ Was durchaus den Tatsachen entsprach. Teds Verhalten war mustergültig. Weder Laura noch ihr Vater konnten jedoch ahnen, wie sehr Eva unter der zwar rücksichtsvollen, aber sonst kühlen Höflichkeit litt, mit der Ted sie behandelte. Sie vermißte die Herzlichkeit seiner Umarmung. Und wie verschieden war der, flüchtige Kuß nach der Trauung von den Küssen gewesen, die sie von früher kannte. „Magst du ihn, Mutter?“ „O ja, sicher. Er ist intelligent und hat ausgezeichnete Manieren. Ihr beide gebt ein fabelhaftes Paar ab. Auch wenn du vielleicht nicht mit mir übereinstimmst, finde ich, daß Ted die richtige Entscheidung getroffen hat. Du erwartest sein Kind, und es ist nur recht und billig, daß er dich beschützen will.“ Mit einer Handbewegung. hinderte sie Eva an einer Antwort. „Ich weiß, ich weiß. Du bist durchaus in der Lage, selbst für dich zu sorgen. Aber als, deine Mutter muß ich dir sagen, wie erleichtert ich bin, daß du die ganze Last nicht mehr allein tragen mußt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich würde mir nur wünschen, seine Rückkehr hätte dich glücklicher gemacht.“ „Ich bin soweit ganz glücklich sagte Eva leise. Sie hatte ihrer Mutter die Einzelheiten von Teds Rückkehr verschwiegen, hatte danach einfach bei ihren Eltern angerufen und ihnen eröffnet, daß Ted und sie heiraten würden. „Möchtest du mir mehr darüber erzählen?“ fragte ihre Mutter. „Worüber?“ „Deinen Kummer. Irgend etwas belastet dich doch.“ Eva war selbst erstaunt, daß sie das Bedürfnis zu einer Aussprache verspürte, aber seit Teds brüsker Erklärung seiner Gründe für eine Heirat hatte sich in ihr so viel aufgestaut, daß sie - 114 -
es unbedingt loswerden mußte. Mehr noch als das brauchte sie die Bestätigung ihrer Mutter, daß ihre Heirat kein Fehler gewesen war. „Also gut, glücklich ist nicht das richtige Wort“, erklärte sie ihrer Mutter. „Ted war schrecklich aufgebracht, als er erfuhr, daß ich schwanger bin, ich hatte alles andere erwartet als seinen Heiratsantrag. Das heißt, ein Antrag war es eigentlich nicht, mehr eine Forderung.“ „Er scheint sich mit dem Gedanken, Vater zu werden, ganz gut abgefunden zu haben.“ „Das ja. Er ist entschlossen, dem Kind alles zu geben, was ihm in seiner Kindheit gefehlt hatte.“ Eva erinnerte sich an den weichen Glanz in Teds Augen, als er davon sprach, was er alles mit seinem Kind anstellen würde. „Ich bin sicher, er wird es von ganzem Herzen lieben.“ „Aber?“ Evas Blick, den sie ihrer Mutter zuwarf, war voller Trauer. „Ob er auch mich liebt, steht auf einem anderen Blatt.“ „Du hast Zweifel?“ „Es gab eine Zeit, da war ich mir sicher. Und als er zurückkam, war er genauso glücklich wie ich auch. Aber das war, bevor er von dem Baby erfuhr. Ich weiß nicht, ob er mir das je verzeihen wird.“ Lauras Stimme war weich und sanft. „Die Liebe verfliegt nicht von einem Tag auf den andern, Eva. Auch wenn Ted jetzt noch verärgert ist, irgendwann wird er darüber hinwegkommen.“ „Wenn das nur kein Wunschtraum ist. Ted Dallas ist ein Mann, der nicht so schnell vergißt.“ Laura wurde nachdenklich. „Warum hast du eigentlich in die Heirat eingewilligt, Eva?“ Ihre Tochter seufzte unwillkürlich. Hilflos zuckte sie die Schultern. „Ich liebe ihn, Mutter. So simpel ist das.“ „Dann wirst du es schaffen, ihn umzustimmen. Gib einfach nicht auf, arbeite daran, und du wirst sehen, alles wird gut.“ Ted verkaufte sein Haus in New York mit allen Möbeln und zog - 115 -
mit dem Rest seiner Sachen nach Marblehead. Die technischen Geräte stellte er in einem der Gästezimmer auf, das er sich als Studio einrichtete. Ihr Zusammenleben gestaltete sich ganz ähnlich wie in den Wochen, als er im Sommer hier war. Doch mit einem wesentlichen Unterschied: Jegliche Wärme fehlte. Ihre Beziehung schien gespannt, und obwohl sie ein Bett teilten, zeigte er nicht ein einziges Mal Bereitschaft, mit Eva zu schlafen. Mit dem Umstand, daß sie schwanger war, hatte das wenig zu tun. Ihr Arzt hatte ihr im Beisein Teds bestätigt, daß es bis zum letzten Monat der Schwangerschaft völlig in Ordnung sei, wenn sie sexuellen Kontakt hätten, solange es Eva körperlich kein Unbehagen bereitete. Davon konnte keine Rede sein, sie war im fünften Monat, und sie sehnte sich nach Teds Berührung. Eva war sich ziemlich sicher, daß er sie bestrafte. Sie schwieg dazu, versuchte ihm in kleinen Dingen - mit einem Lächeln, einem besonders liebevoll zubereiteten Essen, mit Ruhe und Verständnis zu zeigen, daß sie ihn liebte. Mehr konnte sie nicht tun. Evas Eltern hatten das frischvermählte Paar für die Festtage nach Westport eingeladen. Evas Befürchtungen, daß Ted sich sträuben könnte, erwiesen sich als unbegründet. Im Gegenteil, ihm schien der Gedanke, ihre Familie kennenzulernen, Spaß zu machen. Bei dem Trubel, der im Haus ihrer Eltern herrschte, fiel der Schatten über Evas und Teds Beziehung nicht weiter auf. Ted fand sich außerdem spielend mit der Rolle des liebevollen Ehemannes zurecht, hielt Eva an der Hand, legte einen Arm um ihre Schultern, lachte und freute sich mit ihr auf eine Weise, die vollkommen natürlich schien. Auch mit ihren Brüdern und deren Ehefrauen verstand er sich glänzend. Die anfängliche Scheu, die die Kinder ihm gegenüber gezeigt hatten, legte sich sofort, als Ted mit ihnen eine Schneeballschlacht im Hof veranstaltete. Nie würde Eva vergessen, wie Ted die Zuneigung von Sami, Michaels siebenjähriger Tochter, gewann. Am ersten Tag beäugte sie ihn nur aus vorsichtiger Entfernung, am nächsten fand man sie schon ständig an seiner Seite, und am - 116 -
dritten saß sie auf seinem Schoß und flüsterte ihm ihre kleinen Geheimnisse ins Ohr. Auch wenn sie allein in ihrem Zimmer waren, schien er weniger distanziert. „Onkel Ted!“ wiederholte er mit einem amüsierten Lächeln. „Eva, ich hatte ja keine Ahnung, auf was ich mich einließ, als ich dich heiratete.“ „Tut es dir leid“ fragte sie. „Nein, es macht Spaß. Das sind großartige Kinder. Und ihre Eltern nicht weniger.“ Doch zu Zärtlichkeiten zwischen ihnen kam es nicht, und Eva hatte den Eindruck, daß ihre Familie in seiner Achtung gestiegen war, sie selbst jedoch nicht. Auf der Fahrt zurück nach Marblehead brachte er kaum ein Wort über die Lippen, und nachdem sie sich wieder in ihrem Haus am Meer eingerichtet hatten, benahm sich Ted so unnahbar wie zuvor. Es wurde Januar, und Evas Bauch wölbte sich deutlich. Sie hatte zugenommen, jedoch nicht so sehr, wie es sich ihr Arzt gewünscht hätte. „Sie essen doch tüchtig, vor allem gute und gesunde Kost?“ fragte er bei einem, ihrer monatlichen Untersuchungstermine. Ted war Eva mit der Antwort zuvorgekommen. „Sie läßt oft die Hälfte des Essens stehen.“ Der Arzt warf einen Blick auf Eva. „Das sollten Sie besser nicht. Sie essen jetzt für zwei.“ „Das weiß ich“, antwortete Eva leise. „Ich habe einfach keinen richtigen Appetit. Und wenn ich mich zwinge, fühle ich mich ganz elend danach.“ Es war ihr peinlich, daß Ted sich in das Gespräch einmischte. Sie hatte ihm klarzumachen versucht, daß sie es vorzog, ihren Arzt allein aufzusuchen, doch ohne Erfolg. Er mißtraute ihr, das war offensichtlich. „Sie sollten sich nicht dazu zwingen, auf keinen Fall. Vielleicht würde es helfen, wenn sie täglich vier oder fünf kleinere Mahlzeiten zu sich nehmen“, riet ihr der Arzt. Eva hatte ein ungutes Gefühl dabei. Von diesem Tag an setzte ihr Ted ständig diese kleinen Mahlzeiten vor, blieb neben ihr stehen und achtete darauf, daß sie auch alles aufaß. Eva bemühte sich - 117 -
nach besten Kräften, doch Teds übertriebene Fürsorge erzeugte in ihr immer mehr das Gefühl, ersticken zu müssen. Vor allem, weil er dabei keinerlei Wärme zeigte. Wenn sie dann keinen Bissen mehr hinunterbrachte, kam es zum Streit. „Ich kann nicht mehr, Ted.“ „Es ist für das Baby. Du wolltest es doch haben. Du kannst ihm jetzt nicht einfach die Nahrung vorenthalten, oder?“ „Mach doch wenigstens einmal den Versuch, dich in meine Lage zu versetzen“, fuhr Eva ihn wütend an. Es gab Tage, an denen sie Teds Überheblichkeit nicht mehr ertragen konnte. „Was würde das nützen? Alles, was ich dazu beitragen kann, tue ich. Ich sorge dafür, daß das richtige Essen auf den Tisch kommt, aber du läßt es stehen. Du weigerst dich, einen Mittagsschlaf zu machen, und auch nachts schläfst du kaum, Wo soll das hinführen?“ „Wie kommst du zu der Behauptung, daß ich wenig schlafe? Du schläfst doch nachts so tief wie ein Murmeltier.“ „Glaub mir, ich weiß es. Ich wache oft genug wenn du dich herumwälzt, und an deinem Atem merke ich, daß du wach bist.“ „Wenn es dich stört, kannst du in ein anderes Zimmer ziehen“, fauchte Eva ihn an. Doch Ted schien unbeeindruckt. Wortlos kehrte er ihr den Rücken. Auch in dieser Nacht schlief er wieder neben ihr. Eva gelangte zu der Überzeugung, daß er ein Spiel mit ihr spielte. Das alles war Teil seiner Bestrafung. Seine Sorge um das Baby kannte keine Grenzen, aber um sie kümmerte er sich kaum. Manchmal kam er ins Zimmer, wo sie saß, und würdigte sie nicht eines einzigen Blickes. Er unterhielt sich selten mit ihr, servierte ihr ohne ein Lächeln die Mahlzeiten und stand stumm daneben, während sie sie hinunterwürgte. Manchmal war sie froh, wenn er sie abends schon um neun zu Bett brachte. Wenigstens konnte sie dann eine Zeitlang der Spannung entfliehen, die sich tagsüber zwischen ihnen aufgebaut hatte. Gleich nach seinem Einzug hatte Ted seine Geräte im - 118 -
Arbeitszimmer aufgebaut, und nun zog er sich stundenlang dorthin zurück, ließ sich nur noch zu den Mahlzeiten blicken. Eva dagegen fehlte die Bestätigung, die ihre Arbeit ihr hätte geben können. Immer seltener hielt sie sich in ihrem Atelier auf. Ihr schien es an Inspiration zu mangeln, und sie konnte nur hoffen, daß dieser Zustand nach der Geburt nicht andauerte. Es war Februar geworden, und Eva begann unter dem Gewicht ihrer Schwangerschaft zu leiden. Ihr Bauch wölbte sich sehr stark nach vorn, was auf einen Jungen hinwies wie ihre Mutter behauptete. Manchmal traten auch Verkrampfungen auf, bei denen ihr Bauch sich hart wie Stein anfühlte. Ihr Arzt hatte sie beruhigt und erklärt, das wäre völlig normal. Doch Ted war jedesmal besorgt zur Stelle. „Setzt dich, Eva! Laß es erst einmal vorübergehen.“ „Ich kann doch trotzdem dabei kochen“, widersprach sie. „Du solltest nichts übertreiben. Wir leben ja nicht in der Steinzeit, als die Frauen die Feldarbeit unterbrachen, um mal kurz zu gebären, und dann weitermachten, als sei nichts geschehen.“ Hätte sie eine Spur Sorge um ihre eigene Person in Teds Worten entdeckt, Eva hätte auf ihn gehört. Doch sein gleichmütiger Tonfall ließ nichts davon erkennen. Trotzig führte sie fort, womit sie beschäftigt war, bis die Krämpfe sich legten, und ruhte sich erst danach aus. Es blieb nicht aus, daß er ihr Vorwürfe machte. Eines Tages, als sie sich besonders niedergeschlagen fühlte, fuhr sie ihn heftig an. Sie spürte, daß sie bei der Gratwanderung, zu der er sie zwang, langsam ins Wanken geriet. „Laß mich endlich in Ruhe, Ted! Ich kann ganz gut auf. mich selbst aufpassen.“ „Ha!“ In seinen Augen glänzte es triumphierend „Der Himmel weiß, was du dem Kleinen antun würdest.“ „Das ist unfair. Mir ging es blendend, bevor du hier aufgetaucht bist.“ „Ja, ja. Aber damals machte sich das Baby noch nicht bemerkbar. - 119 -
Jetzt mußt du eben darauf achten, was du ißt, daß du genug ißt und dich schonst.“ „Schonen? Ich dürfte keinen Finger rühren, wenn es nach dir ginge.“ Eva merkte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. „Ich werde hier noch verrückt. Total eingesperrt und frustriert. Für Spaziergänge ist es zu kalt, ich freue mich sogar auf die Termine beim Arzt, als ginge es zu einer Party.“ Doch der Arzt war anderer Meinung, als sie ihn in den nächsten Wochen wieder aufsuchte. Als Ted nach der Untersuchung ins Wartezimmer vorausgegangen war, nahm er Eva beiseite. „Sagen Sie mal, Mrs. Dallas, gibt es etwas, worüber Sie sich Sorgen machen?“ fragte er. „Ich verstehe nicht.“ „Sie kommen mir erschöpft vor. Ihr Blutdruck ist erhöht, und Sie nehmen nicht so schnell zu, wie es nötig wäre.“ Evas Augen weiteten sich. „Ist etwas mit dem Baby nicht in Ordnung?“ fragte sie voll Furcht. Der Arzt lächelte. „Nein, dem Baby geht es gut. Aber mir scheint, als würde die Schwangerschaft zu sehr an Ihren Kräften zehren.“ „Ach, das ist gut.“ Eva atmete erleichtert auf. „Ich kann es vertragen, etwas schlanker zu werden.“ „Da muß ich Ihnen widersprechen. Ich mache mir Sorgen, sowohl um das Baby als auch um die Gesundheit der Mutter. Außerdem wirken Sie gestreßt, ganz anders als zu Beginn Ihrer Schwangerschaft.“ Er zögerte. „Haben sie private Probleme?“ Eva vermied es, ihn anzusehen. „Manchmal habe ich den Verdacht, daß mein Mann nur noch an das Baby denkt, sich um mich und meine Bedürfnisse aber kaum mehr kümmert“, bekannte sie leise. „Seltsam, den Eindruck hat er mir eigentlich nicht vermittelt. Ich sehe hier in der Praxis einen Mann vor mir, der sich auf geradezu rührende Weise um Sie und das Baby sorgt. Gut, er mag es vielleicht manchmal etwas übertreiben. Aber Sie müssen bedenken, daß Männer ein Gefühl der Hilflosigkeit empfinden, wenn ihre Frauen schwanger sind. Sie fühlen sich ausgeschlossen. Manche kompensieren dieses Gefühl mit verstärkten Anstrengungen, - 120 -
Kontrolle über die Situation zu erlangen.“ „Mit vollem Erfolg“, bemerkte Eva bitter. „Offenbar nicht, denn Ihr Gesundheitszustand läßt einiges zu wünschen übrig. Ich muß Sie warnen: Wenn Sie so weitermachen, könnten Sie dem Baby ernsthaft schaden, Mrs. Dallas. Ich bin kein Eheberater, aber wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen einen Kollegen empfehlen.“ Alles, was helfen würde, die Schranke zwischen mir und Ted niederzureißen, dachte Eva. Doch sie konnte sich schon vorstellen, wie ablehnend er auf diesen Vorschlag reagieren würde. Unsicher lächelte sie ihren Arzt an. „Ich werde es mit meinem Mann besprechen“, sagte sie zaghaft. „Ich kann Ihnen nur dazu raten.“ Eva nickte. „Und versuchen Sie, etwas mehr auf sich aufzupassen. Gesunde und reichliche Kost, viel Ruhe, keine Aufregungen. Sie kommen nicht umhin, die Situation zu klären, und zwar noch vor der Geburt. Danach werden Sie kaum mehr Gelegenheit dazu haben.“ „Ja“, flüsterte Eva. Sie war jetzt noch entmutigter als zuvor. Nachdem sie die Praxis verlassen hatte, dachte Eva lange über den Vorschlag ihres Arztes nach. Aber ihr war ja völlig klar, wo die Ursachen für Tede Verhalten zu suchen waren. Er hatte den Entschluß gefaßt, sich von ihr zu distanzieren. Von dem Baby abgesehen, existierten Gemeinsamkeiten zwischen ihnen nicht mehr, seine Ablehnung bekam Eva tagtäglich zu spüren. Am schlimmsten jedoch schmerzte die Hilflosigkeit, die sie angesichts seines Verhaltens überfiel. Was ist nur aus der selbstbewußten Frau geworden, die ich vor einigen Monaten noch war? dachte sie. Ihr ganzer Lebensmut schien sie verlassen zu haben. Während der ersten Monate ihrer Ehe hatte Eva noch alle Anstrengungen unternommen, Teds Panzer zu durchdringen. Sie hatte Geduld und Verständnis aufgebracht, ihm ihre Liebe gezeigt. Doch nun fühlte sie sich nur noch müde und niedergeschlagen. Derartige Depressionen waren ihr bisher völlig unbekannt - 121 -
gewesen, sie hatte keine Erfahrung damit. Zugegeben, Ted war es gewesen, der ihre kühle Oberfläche der Selbstdisziplin aufgerissen und in ihr die leidenschaftliche Frau geweckt hatte. Doch er war tiefer gedrungen als beabsichtigt und, hatte dabei Seiten ihrer Persönlichkeit entdeckt, die ihn völlig überrascht hatten. Schwächen, von denen auch Eva nichts geahnt hatte. Aber was nützte es, ihm Vorwürfe zu machen? In den Augen ihres Arztes, ihrer Familie und Freunde stand Ted als idealer Ehemann und zukünftiger Vater ihres Kindes da. Keiner sah die Wunden, die er in Evas Herz gerissen hatte. Er arbeitete unablässig, hatte sich vorgenommen, nach der Geburt des Babys so lange wie möglich frei zu nehmen. Eigentlich hätte ihm Eva dankbar für diese Entscheidung sein müssen, doch das Gegenteil war der Fall. Ruhelos blätterte sie manchmal auf der Couch liegend in einem Magazin und achtete darauf, ob er sein Studio verließ. Jedoch nicht mit freudiger Erwartung, sondern Furcht. Eines Nachmittags ertrug sie es einfach nicht länger. Ted war Einkaufen gefahren, hatte darauf bestanden, daß sie sich solange hinlegte und zu schlafen versuchte. Es war so still im Haus, Eva hatte das Gefühl, die Decke fiele ihr im nächsten Moment auf den Kopf. Rasch zog sie sich einen warmen Pullover über und schlüpfte in ihre Stiefel und den warmen Wintermantel. Dann ging sie zur Garage. Sie konnte sich kaum noch daran erinnern, wann sie zum letztenmal gefahren war. Seit dem Sommer hatte Ted sie nicht mehr ans Steuer gelassen. Sie mußte erst den Fahrersitz zurückschieben, um hinters Lenkrad zu kommen, obwohl Ted davor den Wagen benutzt hatte. Aber sobald sie sich angeschnallt hatte und dein Motor startete, kam ihre frühere Sicherheit zurück. Einen Moment war sie unschlüssig, wohin sie fahren sollte. Marblehead kam nicht in Frage, die Gefahr, daß Ted sie entdecken konnte war zu groß. Also schlug sie die Gegenrichtung ein und fuhr die Küstenstraße entlang. Nach ein paar Kilometern wurde es ihr zu warm in ihrem Mantel, - 122 -
und sie versuchte, aus ihm herauszuschlüpfen. Doch sie schaffte es nicht, zu unbeweglich war ihr wie sie es empfand unförmiger Körper geworden. Sie gab auf und öffnete statt dessen das Fenster einen Spalt weit. Der kalte Lufthauch strich ihr übers Gesicht Als ihr Blick auf die verlassenen Strände und frostbedeckten Wiesen fiel, dachte Eva an den Frühling. Das Baby würde dasein, und sie freute sich schon auf die langen Spaziergänge, die sie mit ihm im Kinderwagen unternehmen wollte. Bevor Eva sich versah, befand sie sich auf der Schnellstraße nach Boston. Ihr kam. die Idee, einen Stadtbummel zu machen. Sie wollte die Newbury Street entlanggehen und sich die Auslagen in den Schaufenstern ansehen. Schließlich brauchte sie für die Zeit nach der Geburt dringend ein paar neue Sachen zum Anziehen. Aber es würde Stunden dauern, bis sie wieder nach Hause zurückkam. Na und? dachte sie. Soll sich Ted ruhig auch einmal um mich Sorgen machen. Er hat es verdient. Wenn er sie auf Sparflamme hielt, das brachte sie genausogut fertig. Sie rieb sich die Augen, fühlte eine leichte Mattigkeit. Nichts blieb einem in der Schwangerschaft erspart. Was hatte sie denn heute gegessen? Frühstück, zwei Stunden später einen Snack, danach Mittagessen keine großen Mahlzeiten, aber auch nicht weniger als sonst. Sie fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach und ihr leicht schwindlig wurde. An der nächsten Ausfahrt wollte Eva, in Richtung Arlington abbiegen, bei der. ersten Gelegenheit eine Pause einlegen und irgendwo eine Tasse Tee trinken. Doch sie kam nicht mehr dazu. Kurz vor der Ausfahrt, mit dem Fuß auf dem Gaspedal, verlor sie das Bewußtsein. Vollbepackt mit Tüten voller Lebensmittel, einem Buch und Magazinen für Eva kam Ted nach Hause zurück. Er ging in die Küche, um die Lebensmittel zu verstauen. Von Eva war nichts zu sehen. Er war froh, daß sie vernünftig genug gewesen war, seinen Rat zu befolgen, sich hinzulegen. In letzter Zeit fand er es - 123 -
zunehmend schwieriger, mit ihr auszukommen. Eva zeigte ganz neue Seiten. Aus der beherrschten, ruhigen Frau, die er im Sommer kennengelernt hatte war eine ... Er schüttelte den Kopf, und fuhr sich durchs Haar. Eva war hochschwanger und sie litt zunehmend darunter. Das war der einzige Grund. Verständlich genug. Gut, daß ich zurückgekommen bin, allein hätte sie es nie und nimmer geschafft, dachte er. Während er die Milch in den Kühlschrank stellte, schweiften seine Gedanken ab. Wie mochte es nach der Geburt weitergehen? Wahrscheinlich würde das Baby ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Aber was würde aus ihrer Beziehung werden? Zugegeben, er war manchmal recht streng mit Eva umgegangen. Das war ihm klar. Er fühlte sich noch immer hintergangen, daß sie sich, ohne ihn ins Vertrauen zu ziehen, zu einem Kind entschlossen hatte. Außerdem war er in seinem Stolz gekränkt, daß sie nicht von sich aus das Thema Heirat erwähnt oder ihn zumindest gebeten hatte, sich in dieser schwierigen Zeit um sie und das Baby zu kümmern. Ted war anfangs außer sich vor Zorn gewesen, wenn er es auch nicht gezeigt hatte. Ganz hatte sich dieser Zorn auch noch nicht gelegt. O ja, er freute sich auf das Baby. Aber was Eva betraf, wünschte er sich nichts sehnsüchtiger, als die Frau zurückzubekommen, die er im Sommer gekannt hatte. So völlig unabhängig, daß ihm jedes kleinste Zeichen der Zuneigung wie ein wertvolles Geschenk vorgekommen war. Sie hatte ja keine Ahnung, wie oft er in seinem Studio dasaß und grübelte. Sie wußte nichts von seinen Schuldgefühlen, die ihn plagten. Und auch nichts von seiner Hoffnung, daß die Spannung, die zwischen ihnen entstanden war, sich eines Tages legen würde. Ted war verwirrt, und manchmal hatte er Angst, das Glück, das ihm so unerwartet zugefallen war, wieder zu verlieren. Zu lange hatte er sich immer nur auf sich selbst verlassen. Aber das Baby hatte all das verändert. Nein, nicht nur das Kind, das Eva erwartete. Sie war seine Frau, er würde bald eine Familie haben, und eine gemeinsame Zukunft lag vor ihnen. Manchmal hatte er nachts neben Eva gelegen, wenn sie schlief, - 124 -
und hatte vor Sehnsucht fast den Verstand verloren. Zaghaft hatte er eine Hand nach ihr ausgestreckt und wieder zurückgezogen. Was für ein Feigling er doch war. Nachdenklich ging er ins Schlafzimmer. Ob Eva wohl noch schläft? fragte er sich. Doch in der halbgeöffneten Tür hielt er inne. Ihr Bett war leer! Ted ging ins Wohnzimmer. Auch dort war sie nicht. „Eva!“ rief er. Vielleicht war sie im Bad und hörte ihn nicht? Doch auch dort keine Spur von ihr. Er ging durchs ganze Haus, schaute in jedem Zimmer nach. Zum Schluß trat er hinaus auf die Terrasse. „Eva!“ schrie er. „Wo bist du?“ Er bekam keine Antwort. Der Strand war menschenleer, nur ein Schwarm Möwen schreckte beim Klang seiner Stimme auf Was war geschehen? Ted hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. War eine Komplikation eingetreten? Er stürmte ins Haus zurück, griff nach dem Telefonhörer und rief die Nummer ihres Arztes an. Aber auch dort wußte man von nichts. Plötzlich erstarrte ihm das Blut in den Adern. Eva hatte ihn verlassen! Heimlich hatte sie sich fortgeschlichen, als er zum Einkaufen in die Stadt gefahren war. Er ging vors Haus und öffnete die Garagentür. Sie war leer. Eva hatte ihren Wagen genommen. „Verdammt! Eva, warum hast du das getan?“ schrie er laut und faßte sich mit beiden Händen an die Schläfen. Er krümmte sich bei dem Schmerz, der ihn durchfuhr. Schwer atmend ging er ins Haus zurück. Was gab es zu tun? Sollte er ihre Freunde anrufen? Oder ihre Eltern? Nein, vielleicht, war sie auch nur nach Marblehead gefahren. Wollte etwas kaufen, das er vergessen hatte. Wie an einen Strohhalm klammerte sich Ted während der nächsten zwei Stunden an diese Hoffnung. Er irrte mit seinem Sportwagen durch die Straßen von Marblehead und Umgebung, doch von Eva oder ihrem Wagen fand er keine Spur. Völlig erschöpft kehrte er in das leere Haus zurück. Er setzte sich - 125 -
neben das Telefon und rief sämtliche Freunde Evas an, brachte es nur mit Mühe fertig, dabei einigermaßen ruhig zu klingen. Doch keiner hatte von ihr gehört oder sie gesehen. Zum erstenmal machte Ted sich die heftigsten Vorwürfe. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Jetzt erst begriff er, wie hart und unnachgiebig er sich Eva gegenüber verhalten hatte. Es war alles seine Schuld. Er hatte sie so weit getrieben, bis sie keinen anderen Ausweg wußte, als ihn zu verlassen. Ted schreckte aus seiner Verzweiflung hoch, als das Telefon neben ihm schrillte. Hastig griff er zum Hörer. „Eva, bist du es?“ Eine fremde Männerstimme meldete sich. „Mr. Dallas?“ Sein Herzschlag setzte aus. „Ja“, antwortete er und hielt den Atem an. „Wir haben versucht, Sie zu erreichen, doch die Leitung war dauernd besetzt. Wir ...“ „Was ist? Sagen Sie schon, Mann!“ „Ihre Frau. Sie hatte einen Unfall.“
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10. KAPITEL Noch nie in seinem Leben hatte Ted derartige Angst gekannt. Ihm kam es vor, als zerplatzte seine Welt vor seinen Augen in tausend Stücke. Wie vom Donner gerührt stand er da, unfähig, sich zu bewegen. Ich muß zu ihr, sofort! Das war der einzige Gedanke, der ihn beherrschte. Das Angebot des Polizisten, ihn nach Boston, ins Unfallkrankenhaus zu fahren, hatte er abgelehnt. In seinem kleinen Sportwagen konnte er viel schneller ans Ziel kommen. Er raste die Straße entlang, die vor ihm Eva genommen hatte. Erst der dichter werdende Verkehr zwang ihn zu einem langsameren Tempo. Der Polizist hatte ihm gesagt, Eva befände sich nicht in Lebensgefahr, aber was wußte er schon. Sie war am Steuer ohnmächtig geworden, hatte die Leitplanke gerammt und eine Gehirnerschütterung davongetragen, hieß es im Unfallbericht. Aber wie verläßlich konnte diese Information schon sein? Ted zitterte am ganzen Körper, als er durch die Eingangstür des Bostoner Krankenhauses trat. Die Schwester am Empfangsschalter telefonierte gerade. Ungeduldig, beinahe grob unterbrach er sie: „Entschuldigung, meine Frau wurde heute nachmittag hier eingeliefert...“ Die Schwester schenkte ihm keine Beachtung. „Hören Sie!“ Ted, wurde laut. „Ihr Name ist Dallas, Eva Dallas. Ich möchte sofort zu ihr. Sie hatte einen Verkehrsunfall. Ich muß sie sehen.“ „Mr. Dallas?“ Ted fuhr herum. Ein Mann im weißen Arztkittel stand hinter ihm und streckte die Hand zur Begrüßung aus. „Ich bin Dr. Brassle. Ihre Frau befindet sich auf meiner Station.“ Ted ergriff die Hand des Arztes. Mit bebender Stimme fragte er: „Wie geht es ihr?“ Der Arzt lächelte. „Beruhigen Sie sich, Mr. Dallas. Ihrer Frau geht es den Umständen entsprechend gut. Sie erlitt eine leichte Gehirnerschütterung. Aber sie ist sehr schwach. Ich nehme an, ihre - 127 -
Schwangerschaft hat ihr zugesetzt.“ „Schwangerschaft“, flüsterte Ted. Vor lauter Panik und Angst um Eva hätte er das Baby beinahe vergessen. „Ist das Kind ... „ Noch immer lächelte der Arzt. „Ihre Frau und das Kind sind wohlauf, Mr. Dallas. Es sind keinerlei Anzeichen einer drohenden Fehlgeburt zu erkennen. Das Baby scheint sich sehr wohl zu fühlen.“ „Kann ich meine Frau sehen? Wird sie lange im Krankenhaus bleiben müssen?“ unterbrach ihn Ted. „Wir werden Ihre Frau ein paar Tage zur Beobachtung hierbehalten“, erklärte Dr. Brassle. „Ja, Sie können sie kurz sehen. Wir haben ihr ein leichtes Beruhigungsmittel verabreicht, hauptsächlich wegen des Babys. Sie liegt auf Zimmer 604.“ „Danke, Doktor“, stieß Ted hervor. „604 sagten Sie?“ Der Stationsarzt wies ihm mit einer Handbewegung die Richtung zum Lift. „Nehmen Sie den Aufzug. Er bringt Sie direkt hin.“ Mit ein paar Schritten durchquerte Ted die Halle. Ungeduldig wartete er, bis der Lift kam. Er trat hinein und drückte den Knopf zur sechsten Etage. Als er dort in den Flur trat, sah er sich dem Krankenzimmer, das ihm Dr. Brassle genannt hatte, direkt gegenüber. Ted zögerte und nahm seinen ganzen Mut zusammen, bevor er es wagte, die Tür zu öffnen. Er hielt den Atem an. Eva lag mit geschlossenen Augen im Bett, ihr Gesicht war sehr blaß. Über ihrer rechten Augenbraue befand sich ein dicker Mullverband. Vorsichtig näherte sich Ted ihrem Bett. Er beugte sich über Eva und sah sie an. Er wollte sie berühren, wollte ihr sagen, wie leid es ihm tat und wie sehr er sie ... Ted streckte eine Hand aus und strich Eva zärtlich über die Wange. Wie kühl sich ihre Haut anfühlte! War das normal? Er unterdrückte den spontanen Impuls, zum Alarmknopf an der Seite des Bettes zu greifen. Er zog den Besucherstuhl zum Bett heran und setzte sich. Unablässig betrachtete er ihr Gesicht und registrierte ihr - 128 -
gleichmäßiges, ruhiges Atmen. Als Eva leise stöhnte, schreckte er hoch. Sie öffnete die Augen. Aber sie schien ihn nicht sofort zu erkennen. Dann kehrte ihre Erinnerung langsam zurück. Sie schluckte schwer. Ihre Lippen bewegten sich, aber sie brachte zuerst kein Wort heraus. „Ted!“ flüsterte sie schließlich kaum hörbar. „Es ist alles gut, Liebling. Ich bin bei dir.“ Ted nahm ihre Hand und streichelte sie sanft. Eva schluckte noch einmal. Ihre Stimme zitterte. „Es - es tut mir leid, Ted. Ich wollte nicht...“ „Schhh.“ Ted küßte ihre Fingerspitzen. „Ich wollte nicht ... Bitte verzeih mir.“ Tränen traten unter ihren geschlossenen Lidern hervor und rollten über Evas Wangen. Ted hatte sie noch nie weinen gesehen. Sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Ihm wurde bewußt, wie tapfer Eva während der letzten Monate gewesen war und was er ihr angetan hatte. Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante und nahm sie behutsam in die Arme. „Bitte, Liebling, nicht weinen. Alles ist gut. Ich bin es, der dich um Verzeihung bitten muß. Es ist alles meine Schuld.“. Eva versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten, doch ohne viel Erfolg. „Kleines, du wirst sehen, wir drei schaffen es.“ Er vergrub sein Gesicht an ihrem Hals. „Ich liebe dich doch so.“ Eva öffnete die Augen. Sie wagte nicht zu atmen. „Was hast du gesagt?“ flüsterte sie mit erstickter Stimme. Ted hob den Kopf und sah sie an. „Ich liebe dich, Eva“, wiederholte er leise. „Es tut mir so leid. Mir ist erst jetzt bewußt geworden, wie sehr ich dich die ganzen Monate gequält habe.“ Tränen traten ihm in die Augen, vor ihm verschwamm alles. „Ich habe dir das Leben zur Hölle gemacht mit meinem Starrsinn und verletzten Stolz.“ Er schüttelte den Kopf. „Mußte es wirklich erst dazu kommen bis ich meine Fehler einsah? Ich dachte, ich würde dich verlieren.“ Er verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Ein hartes Schluchzen schüttelte seinen Körper. Ted hob den Kopf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. „Ich - 129 -
habe kein Recht, dich das zu fragen, Eva.“ Unsicher sah er sie an. „Wirst du mir noch einmal verzeihen? Gibst du mir die Chance, dir meine Liebe zu beweisen?“ In seinen feuchten Augen lag ein verzweifeltes Flehen. Ungläubig sah Eva ihn an. Auch ihr traten wieder Tränen in die Augen. „O Ted“, sagte sie, und ihre Stimme klang weich und sanft, „selbstverständlich tue ich das. Ich liebe dich doch auch.“ Teds Herzschlag machte einen Sprung. „Wirklich?“ „Ja, Ted. Weißt du, Liebe läßt sich nicht einfach ein oder ausschalten. Sie ist da. Auch wenn du nicht zu mir zurückgekommen wärst, ich hätte nie aufgehört, dich zu lieben.“ Bittend sah sie ihn an. „Verzeihst du mir, das ich dir das mit dem Baby nicht gleich gesagt habe?“ Unter Tränen lächelte Ted. „Ich glaube, du hattest das einzig Richtige getan.“ Er nahm ihre Hand. „Ich war damals noch nicht soweit, mich für ein Leben mit dir und einem Kind zu entscheiden. Heute bin ich es.“ Er nahm sie zärtlich in die Arme und legte seinen Kopf an ihre Wange. Knapp zwei Monate später lagen sich Eva und Ted in einem ähnlichen Raum unter ähnlichen Umständen wieder in den Armen. Der Anlaß war allerdings bedeutend erfreulicher. Sie befanden sich in der Entbindungsstation des Krankenhauses von Marblehead. Vor einer Stunde war Eva von einem gesunden Mädchen entbunden worden. Gewaschen und gewickelt lag es neben Evas Bett in einer Krippe. „Ist sie nicht wunderschön, Eva?“ fragte Ted leise. „Genauso wie du.“ „Sie wirkt noch ein bißchen rot und zerknittert, meinst du nicht?“ „Überhaupt nicht. Guck dir nur mal ihre Fingerchen an.“ „Hm, alle zehn, ja!“ „Wie zierlich sie sind. Du, ich glaube, sie ist kitzlig. Als ich beim Wickeln ihre Fußsohlen berührte, zog sie sofort ihre Zehen ein.“ - 130 -
Eva lächelte amüsiert. Sie hatte volles Verständnis für Teds Übereifer. „Ted, das geschieht instinktiv“, erklärte sie geduldig. „Und der Mund! Hast du jemals so etwas Süßes gesehen? So rosig!“ „Ja, wie die Mutter, nicht? Ein süßer Fratz, das ist sie wirklich.“ „Sie wird einmal eine Schönheit, da bin ich sicher.“ Teds Augen funkelten vor Stolz. „Ich habe deine Eltern benachrichtigt, sie sind vor Freude total aus dem Häuschen.“ „Ja, sie haben sich so sehr noch ein Enkelkind gewünscht.“ „Sie konnten es gar nicht erwarten, deine Brüder anzurufen. Außerdem soll ich dir Grüße von Sandy, Frank, Tom und Margery bestellen. Sie sind alle sehr stolz auf, dich“, berichtete Ted und küßte Eva auf die Stirn. „Ach, beinahe hätte ich es vergessen. Auch Ben läßt grüßen. Er meinte, bei mir könnte er einfach nicht gewinnen. Er hatte auf einen Jungen gesetzt.“ Ted lachte. Auch Eva lächelte: „Armer Ben. Hast du ihm wenigstens erzählt, wie sehr du dich während der Geburt verausgabt hast?“ zog sie ihn auf. „Klar. Ohne mich hättest du doch gar nicht gewußt, wann du hecheln und wann du pressen solltest. „Ja, ja. Ich weiß, wir Frauen sind in so einer Situation fürchterlich hilflos.“ „Na ja. Mag sein, daß du auch ohne mich ausgekommen wärst. Ich hätte es aber nie ertragen, im Gang vor, dem Kreißsaal auf und ab zu wandern und völlig ausgeliefert darauf zu warten, daß man mir endlich sagt, wie es euch beiden geht. Was für ein Augenblick, als ihr Köpfchen erschien...“ „Siehst du, da hast du mehr mitbekommen als ich. Das ist nicht fair! Du mußt es mir irgendwann genau erzählen.“ Ted sah Eva voller Bewunderung in die Augen. „Unser Baby hat es mit uns beiden wirklich gut getroffen, meinst du nicht? Hat viel Glück, das kleine Ding.“ „Wir sind es doch, die sich glücklich schätzen können, Ted. Erinnerst du dich?“ Nachdenklich rieb Ted sein Kinn. „Ja, du hast recht. Ich bin dir ja so dankbar, Eva.“ - 131 -
„Und ich dir, Ted. In diesem Moment bewegte sich das kleine Bündel in der Krippe, und verzog das Gesicht. Dann machte es seine Bedürfnisse lautstark geltend. Eva und Ted sahen zu ihr hin, dann schauten sie einander an und brachen in freudiges Lachen aus. Ted lehnte sich zu Eva hinüber, küßte sie stolz auf die Stirn, hob dann seine kleine Tochter aus der Krippe und übergab sie ihrer wartenden Mutter. - ENDE -
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