Gespenster-
Krimi � Zur Spannung noch die Gänsehaut � Nr.477 � .477
Frederic Collins �
Wettstreit mit der � Hölle � ...
17 downloads
417 Views
869KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Gespenster-
Krimi � Zur Spannung noch die Gänsehaut � Nr.477 � .477
Frederic Collins �
Wettstreit mit der � Hölle � 2 �
Nichts ahnend schlenderte Dough Fuller durch Soho. Als vor ihm brüllende Flammen aus dem Asphalt schlugen, war es schon zu spät. Er stolperte in das höllische Inferno hinein. Sein Schrei erstickte im Toben des Feuers. Dough Fuller glaubte, in der mörderischen Glut zerrissen und verschmort zu werden. Unerträgliche Helligkeit blendete ihn. Vor ihm tauchte aus den Flammen eine mächtige schwarze Gestalt auf, klobig und drohend. Eine schwarze Pranke streckte sich ihm entgegen. Dough Fuller schrie auf, als ihn die mächtige Faust traf… Nichts ahnend schlenderte Dough Fuller durch Soho und ging in das nächste Pub, um ein Bier zu trinken. Danach machte er sich ans Werk. *** Frank Cody liebte seine Wohnung. Sie lag direkt am Soho Square. Frank Cody erreichte daher jeden Punkt des Zentrums von London leicht mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Er brauchte nur aus dem Fenster zu sehen. Auf dem Soho Square war immer etwas los, und in den umliegenden Straßen gab es jede Vergnügungsmöglichkeit, die sich ein Junggeselle von siebenundzwanzig Jahren wünschen konnte. Frank Cody war Kellner und arbeitete in Soho, mal in diesem, mal in jenem Lokal. Er kannte eine Menge Leute aus dem Viertel. Das war für ihn nicht nur amüsant, sondern auch lebenswichtig. Frank Cody hatte sich nämlich insgeheim einer besonderen Aufgabe verschrieben. Er war Mitglied im Orden der Weißmagier. Der Orden bekämpfte
das Böse, wo immer es sich zeigte. Frank Cody war einer dieser Kämpfer. Er hatte seine Augen und Ohren überall. In der Vergangenheit hatte er schon mehrere wichtige Spuren entdeckt und Schaden von seinen Mitmenschen abgewendet. Als in Soho die Straßenfeste begannen, ahnte niemand etwas. Auch Frank Cody dachte sich nichts dabei. In der Nähe des Soho Squares wurde eine Kunstausstellung eröffnet. Irgendein gewichtiger Politiker war auf die Idee gekommen, Kunst ins Volk zu bringen, wie er sich ausdrückte. Deshalb erhielten junge Künstler auf dem Soho Square Gelegenheit, vor Publikum zu arbeiten. Die Leute aus dem Viertel sollten den Künstlern bei der Arbeit zusehen. Frank Cody zählte sich zu den 3 �
Leuten aus dem Viertel. Deshalb blieb er nicht am Fenster seiner Wohnung stehen, sondern mischte sich unter das Volk. So nebenbei tauschte er feurige Blicke mit einigen hübschen Mädchen, die ebenfalls von dem Spektakel angelockt worden waren. Der junge Frank Cody stammte zwar aus London, sah aber wie ein feuriger Italiener aus dem Bilderbuch aus. Kein Wunder, daß er den Girls gefiel. Doch vorläufig interessierte er sich mehr für die Arbeiten auf dem Soho Square, Er ging von einem Künstler zum anderen, sah Malern und Glasbläsern zu, unterhielt sich mit einer Künstlerin, die Figuren aus Ton formte, und blieb schließlich vor einem riesigen schwarzen Steinblock stehen. Der Bildhauer war an die dreißig, groß und schlaksig. Frank Cody besaß ein fotografisches Gedächtnis. Er prägte sich ohne besonderen Grund die braune Haarmähne des Bildhauers genauso ein wie dessen Bart und Kleidung. Der Künstler trug Jeans und Jeansjacke und darunter ein kariertes Hemd. »Hi!« Cody winkte lässig. »Wirst du mit dem Ding überhaupt fertig, bevor das Fest vorbei ist? Der Klotz ist ja so groß wie die St. Pauls Cathedral« Der schlaksige Bildhauer warf ihm nur einen knappen Blick zu und arbeitete scheinbar unkonzentriert
weiter. Er schlug bald hier ein Stück aus dem Block, bald dort eine Ecke. Ein System war nicht zu erkennen. Der Mann hämmerte wahllos auf den Block ein. »Ob du fertig wirst, habe ich gefragt«, wiederholte Frank Cody. Wieder warf ihm der Künstler nur einen flüchtigen Blick zu und nickte. »Er wird fertig«, murmelte er. »Er? Wer?« Frank Cody merkte, daß seine Fragen nicht gerade geistreich waren. Dieser Bildhauer interessierte ihn aber auf einmal, so daß er nicht locker ließ. »Ich habe gar nicht mitbekommen, wie der Steinblock gebracht wurde. Hast du ihn selbst hierher geschafft?« »Er ist hier«, murmelte der Bildhauer, holte weit aus und schmetterte den Hammer gegen eine Kante. Ein von seiner Arbeit Besessener, dachte Frank Cody. »Wie heißt du?« erkundigte er sich. »Mein Name ist Frank.« »Dough.« Der Bildhauer lächelte plötzlich und wandte sich von dem Stein ab. »Dough Fuller.« Frank Cody grinste. »Wir werden uns jetzt öfters sehen. Ich wohne dort drüben. Bin gespannt, wie dieses Ding hier aussieht, wenn es fertig ist. Was wird es?« Dough Fuller starrte ihn an, als habe er die dümmste Frage der Welt gestellt. »Das wird er«, murmelte Dough Fuller und schlug erneut auf den 4 �
Steinblock ein, als wolle er ihn zerschmettern. Endlich gab Frank Cody auf. Mit diesem verrückten Kerl vergeudete er nur seine Zeit. Von dem bekam er ohnehin keine klare Auskunft. Da machte er sich schon lieber an die hübschen Girls heran, die ihm in einigem Abstand gefolgt waren. Eines von ihnen ließ sich bestimmt zu einem Drink einladen, und vielleicht ergab sich auch mehr. Frank Cody war Einzelgänger. Er hatte nicht einmal eine feste Freundin. Das brachte seine Tätigkeit für den Orden der Weißmagier mit sich. Sie konnte lebensgefährlich sein. Frank Cody fand, daß er keinen anderen Menschen mit hineinziehen durfte. Es dauerte nur zehn Minuten, dann hatte er sich das hübscheste Girl ausgesucht. Donna hieß sie, hatte genauso pechschwarze Haare wie er und strahlend blaue Augen. Die anderen Girls zogen enttäuscht ab. Frank Cody und Donna kümmerten sich in den nächsten Stunden um alles andere, nur nicht um das Straßenfest auf dem Soho Square. Frank Cody wurde jedoch schon bald unangenehm an den seltsamen schwarzen Stein und den noch seltsameren, wortkargen Bildhauer erinnert. Als er nämlich nach einem Discobesuch mit Donna den Soho Square
betrat, fröstelte er ohne jeden Grund. Er sah sich um, als könne er feststellen, woher diese Kälte kam. Und richtig, wenn er den schwarzen Steinblock betrachtete, fror er am stärksten. »Bleib hier stehen, Donna«, bat er nervös. »Ich bin gleich wieder bei dir.« »Was ist denn auf einmal?« beklagte sich Donna. »Ich denke, wir wollten…« »Warte hier!« fuhr Frank sie an und überquerte den Platz. Als er unmittelbar vor dem Steinblock stehen blieb, erschrak er fürchterlich. Dough Fuller war es gelungen, innerhalb kurzer Zeit eine Gestalt zu meißeln. Vorerst waren nur die Umrisse zu erkennen. Dennoch zeichnete sich schon jetzt ab, daß es ein ungefähr drei Meter großer und fast zwei Meter breiter Mann werden sollte, mit einem Umfang von nahezu sechs Metern. Er stand völlig gerade, ließ die unförmigen Arme hängen und stützte sich auf säulenartige Beine. Der Kopf wirkte genauso wuchtig und gedrungen wie die ganze Figur. Das Gesicht schälte sich noch nicht aus dem Stein heraus. Frank Cody zitterte am ganzen Körper. Schweiß brach auf seiner Stirn aus. Er fühlte deutlich die Nähe von etwas Unbeschreiblichem, etwas 5 �
Lebendigem, das nach ihm griff. Er sollte näher an die Statue heran kommen, in Reichweite der mächtigen Fäuste. Nur mit größter Anstrengung machte sich Frank von diesem schrecklichen Einfluß frei. Er taumelte über den Platz zu Donna zurück. »Lauf!« schrie er ihr zu. »Lauf weg! Hörst du nicht! Du sollst laufen!« Sie erschrak vor seinem verzerrten Gesicht. In diesem Moment glaubte sie, er sei verrückt geworden. Mit einem Aufschrei warf sie sich herum und hetzte durch die nächtlichen Straßen von Soho. Einmal wandte Donna den Kopf und schrie erneut, als Frank sie scheinbar mit weit ausholenden, unsicheren Schritten verfolgte. Sie rannte, bis sie ihn nicht mehr sah. Doch Frank Cody verfolgte nicht das Girl. Er lief zur nächsten Telefonzelle, doch er hatte seinen Körper nicht mehr vollständig unter Kontrolle. Das Unheimliche hatte sein Innerstes berührt und beschädigt. Der Einfluß des Bösen folgte ihm. Keuchend und ächzend erreichte Frank die Telefonzelle. Sie war frei. Seine Hände zitterten so sehr, daß er kaum den Hörer halten und die Nummer wählen konnte. Er begann mit der Vorwahl von Brighton.
* � Sagon Manor, in der Nähe von Brighton war ein Landhaus wie aus einem Werbeprospekt für die englische Südküste. Es lag inmitten eines herrlichen, gepflegten Parks. Als Wohnsitz des Großmeisters des Ordens stellte es das Zentrum der Kämpfer gegen das Böse dar. Doch das Böse war näher, als man ahnen mochte. Es hatte auf dem benachbarten verlassenen Landsitz Mortland einen starken Stützpunkt errichtet, der allen Angriffen widerstand. Gut und Böse dicht nebeneinander. Die Mächte der Finsternis versuchten mit allen Kräften, ihren Einfluß auszudehnen und das Gute zu vernichten. Deshalb waren die Bewohner von Sagon Manor auf jeden Angriff vorbereitet, obwohl Sagon Manor selbst von einem starken weißmagischen Bann geschützt wurde. Als das Telefon gegen Mitternacht klingelte, saßen Peter Winslow, der junge Großmeister, und seine beste Helferin, Maud Orwell, an seinem Schreibtisch. Peter Winslow hasste nicht nur aufgrund seiner Jugend diese Schreibtischarbeit. Er war überhaupt ein Typ, der lieber handelte, als Anfragen von Ordensmitgliedern zu beantworten und Meldungen über 6 �
Schläge der Gegenseite zu lesen. Deshalb war er über die Unterbrechung erfreut. »Hallo«, meldete er sich und versuchte, Maud während des Gesprächs zu küssen. Sie wich ihm lachend aus und schüttelte den Kopf. Ihre grünen Augen funkelten dabei schalkhaft und verrieten, daß sie bei anderer Gelegenheit einem Kuss nicht abgeneigt war. »Den Großmeister, schnell.« Die Stimme am anderen Ende kam heiser und röchelnd durch die Leitung. Peter Winslow handelte blitzartig. »Am Apparat«, rief er und schaltete gleichzeitig den Lautsprecher ein. Ein Tonbandgerät lief automatisch bei jedem Anruf mit. »Cody, Frank Cody!« Der Mann atmete schwer und konnte kaum sprechen. »London, Soho Square…! Er holt mich!« »Los, Mann sprechen Sie!« rief Peter ins Telefon. »Von wem werden Sie verfolgt?« Doch der Anrufer antwortete nicht mehr. Statt dessen drang aus dem Telefon ohrenbetäubendes Krachen und Klirren. Peter und Maud sahen einander entsetzt an, als mehrere dumpfe Schläge ertönten. Noch ein schmetternder Krach, dann Stille. Tiefe, tödliche Stille. »Die Leitung ist unterbrochen.«
Peter warf den Hörer auf den Apparat und sprang auf. »Frank Cody! Er muß ein Ordensmitglied sein! Schnell, ich brauche seine Adresse. Harvey soll das machen. Du fährst mit mir!« Peter hetzte in die Halle von Sagon Manor. Es war ihm ein Rätsel, wie es Butler Harvey immer wieder schaffte, im richtigen Moment zur Stelle zu sein. Er kam seinem jungen Großmeister schon in der Halle entgegen. Maud informierte ihn. Innerhalb kürzester Zeit hatte Butler Harvey die Anschrift von Frank Cody notiert. Er brachte den Zettel und eine Reisetasche an Peters Wagen. Der Großmeister saß bereits hinter dem Steuer. Maud kam aus dem Haus und warf sich auf den Nebensitz. Minuten später jagte der Wagen durch Brighton und weiter in Richtung London. »Was da auch geschehen ist«, sagte Maud und klammerte sich fest an den Griff, »wir kommen auf jeden Fall zu spät.« »Okay, das weiß ich«, antwortete Peter und fuhr wie ein alter RallyeHase. »Aber es hat sich mehr als dringend angehört. Wir werden in jedem Fall gebraucht.« Maud widersprach nicht. Sie hatte den Anruf mitgehört. Der Schreck steckte ihr jetzt noch in allen Glie7 �
dern. Diesem Frank Cody gab sie keine Chance mehr. Es hatte geklungen, als sei eine Planierraupe durch ein Haus gefahren. »Er holt mich«, wiederholte Maud die letzten Worte des Anrufers. »Wer ist er?« Peter gab keine Antwort, aber er war fest entschlossen, es herauszufinden. »Wie sollen wir feststellen, von wo aus Frank Cody angerufen hat?« fragte Maud, als sie sieh London näherten. »Er hat den Soho Square erwähnt«, erwiderte Peter, der keine Spur von Müdigkeit zeigte. »Dort wohnt er zwar, aber ich glaube nicht, daß er in seiner Lage seine Adresse nennen wollte.« »Jedenfalls kommen wir zu spät«, behauptete Maud erneut. »Du spielst heute Nacht die Pessimistin vom Dienst«, stellte Peter mit einem flüchtigen Lächeln fest. »Wenn sich auf dem Soho Square ein Mord ereignet hat, werden wir bestimmt noch Spuren finden. Vielleicht ist auch die Polizei da. Zumindest können wir morgen früh die Nachbarn fragen.« Als sie den Soho Square ansteuerten, erlebten sie die erste Überraschung. Er war gesperrt. »Das hat nichts mit einem Mordfall zu tun«, meinte Peter. »Sehen wir uns ein wenig um.«
Sie erkannten rasch, wieso alle Zufahrten zum Soho Square abgeriegelt waren. »Ein Volksfest oder so etwas Ähnliches.« Peter Winslow deutete in eine Seitenstraße und brachte den Wagen zum Stehen. Mit einem Satz sprang er aus dem Fahrzeug und rannte los. Er war ein durchtrainierter Sportler. Auch Maud war nicht langsam, aber sie holte Peter erst nach einer Weile ein. Der junge Großmeister stand vor einer völlig deformierten Telefonzelle. »Als ob ein Panzer reingerasselt ist«, sagte Peter kopfschüttelnd. »Dabei darf hier gar nichts fahren.« »Vielleicht hat hier ein Betrunkener gewütet«, meinte Maud. »Möglich.« Peter sah sich aufmerksam um. »Die Scherben sind schon beseitigt. Also hat sich die Polizei um die Sache gekümmert. Nur das verbogene Metallgestell ist noch da.« »Aber keine Leiche und keine Mordkommission.« Maud tippte Peter auf den Arm. »Da drüben gibt es eine Nachtbar. Vielleicht kann man uns dort etwas sagen.« »Okay, sehen wir nach«, stimmte Peter zu. »Ich bin sowieso durstig.« Die Bar war schlecht besucht. Sie wurden sofort bedient, als sie sich an die Theke setzten. »Na, ihr beiden?« fragte die Bardame mit einem müden Lächeln. 8 �
»Findet ihr auch noch nicht den Weg nach Hause. Was soll es denn sein, großer Blonder?« Peter grinste. »Zwei Bier und eine Information. Wo kann ich hier telefonieren? Die Telefonzelle da drüben ist ja kaputt.« »Das kannst du laut sagen, Sportsmann.« Die Bardame schenkte ein und wandte sich an Maud. »Gehört diese Prachtausgabe von Mann dir, oder kann ich mein Glück versuchen?« Maud lächelte süß. »Er gehört niemandem. Er ist einer von der unabhängigen Sorte. Aber wenn du dein Glück probierst, kratze ich dir die Augen aus.« »Okay, okay, war ja nur eine Frage.« Die Bardame zog sich vorsichtshalber von Maud zurück. »Gratuliere zu dem Fisch, Süße. Da hast du dir was Ordentliches eingefangen.« Peter grinste verstohlen über Mauds Eifersucht und das kurze Wortgefecht der beiden. Doch er verlor seine Ermittlungen nicht aus den Augen. »Was ist denn nun mit dem Telefon?« forschte er. »Und was ist mit der Zelle passiert?« »Da ist ein Zwergpinscher dagegen gerannt, und dann hat es einen mächtigen Knall gegeben.« Die Bardame lachte herzlich über ihren eigenen Witz. »Ich bin übrigens Judy.«
»Peter«, stellte sich der Großmeister vor. »Und meine kratzbürstige Begleiterin heißt Maud.« »Was ist mit der Telefonzelle passiert, möchten wir wissen«, mahnte Maud, ohne ihre Nägel einzusetzen. Judy zuckte die Schultern und ordnete ihre blonde Mähne. »Kein Mensch weiß das. Es hat einen fürchterlichen Knall gegeben. Dann hat einer so schrecklich geschrien, daß ich jetzt noch eine Gänsehaut bekomme. Aber als wir nachgesehen haben, war nichts und niemand zu sehen.« Sie mußte andere Gäste bedienen, kam aber bald zu den beiden zurück. Vor allem Peter hatte es ihr angetan. Lockend lehnte sie sich über die Theke, hatte aber kein Glück. »Kennst du jemanden, Peter, dem du gefällst?« fragte Judy und deutete auf sich. Peter stützte sich lächelnd auf die Theke. »Kennst du Frank Cody? Er wohnt am Soho Square.« »Wer kennt Cody nicht?« Judy wurde mißtrauisch. »Was wollt ihr von ihm? Das ist ein feiner Kerl. Ich will ihm keine Schwierigkeiten machen. Hat er Schulden?« »Sehen wir wie Gerichtsvollzieher aus?« fragte Peter dagegen. »Du ganz bestimmt nicht«, versicherte Judy. »Und wenn du ein Gerichtsvollzieher bist, mußt du bald zu mir pfänden kommen.« 9 �
Peter sah im Spiegel hinter der Bar, daß Maud sich sprungbereit machte. Er hätte beinahe laut losgelacht und damit alles noch schlimmer gemacht. »Wir sind Freunde von Frank«, sagte er hastig, bevor Maud etwas Unüberlegtes tun konnte. »Du hast ihn nicht zufällig da draußen an der Telefonzelle gesehen?« »Warum sollte ich?« Judy war sichtlich enttäuscht, daß Peter auf keinen ihrer Versuche einging. »Ich habe Cody heute überhaupt noch nicht gesehen. Noch zwei Bier?« Maud nickte und erkundigte sich, was auf dem Soho Square veranstaltet wurde. Daraufhin schafften es Maud und Judy, sich ganze fünf Minuten zu unterhalten, ohne einander in die Haare zu geraten. »Ihr werdet noch Freundinnen«, prophezeite Peter. Sie sahen ihn an und mussten gleichzeitig lachen. »Okay, begraben wir das Kriegsbeil«, stimmte Judy zu. »Ich lasse dir deinen Blondschopf, Maud. Schade ist es trotzdem. Halt ihn in Ehren, Maud.« Und zu Peter gewandt, fügte sie hinzu: »Wenn sie dich einmal schlecht behandelt, kannst du dich bei mir ausweinen. Du weißt ja, wo du mich findest!« Sie bezahlten und gingen. Judy hatte ihnen vorher noch beschrieben, in welchen Lokalen Frank Cody sich gern aufhielt, wenn er nicht arbei-
tete. Zufällig wußte sie, daß er seinen freien Tag oder besser, seine freie Nacht hatte. »Das ist mir vielleicht eine«, sagte Maud lachend, als sie auf die Straße traten. »Die ist schon richtig«, erwiderte Peter. »Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck.« »Wunderbar«! Maud blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Willst du jetzt Gerichtsvollzieher spielen oder dich bei Judy ausweinen?« »Noch behandelst du mich nicht schlecht«, erwiderte Peter und wich vorsichtshalber ein Stück zurück. Maud dachte jedoch nicht daran, den scherzhaften Streit fortzusetzen. Sie deutete quer über den Soho Square. »Das ist vielleicht eine sonderbare Figur.« Sie ging näher an den schwarzen Koloss heran. »Diese Statue wirkt irgendwie unheimlich.« »Unfertig, würde ich eher sagen«, entgegnete Peter und hatte für die angefangene Figur nur einen flüchtigen Blick übrig. »Versuchen wir es in Codys Wohnung. Vielleicht sitzt er ja seelenruhig zu Hause, und alles war nur falscher Alarm.« Sie glaubten beide nicht an diese Möglichkeit, durften jedoch nichts unversucht lassen: Unter Umständen hatte sich ja doch jemand nur einen dummen Scherz erlaubt. Oder die Gegenseite hatte sie aus Sagon 10 �
Manor fortlocken wollen. Auf ihr Klingeln meldete sich niemand in Codys Wohnung. »Was jetzt?« Maud ging zusammen mit Peter zu ihrem Wagen zurück. »Sollen wir uns ein Hotel nehmen?« Peter antwortete nicht. Statt dessen packte er Mauds Arm und drückte schmerzhaft fest zu. Er lockerte erschrocken seinen Griff, als Maud sich wehrte. »Bist du verrückt?« zischte sie ihm zu. »Was…?« Die Frage blieb ihr im Hals stecken. Jetzt sah auch sie, daß jemand in ihrem Auto saß. Der Mann kauerte auf den Rücksitzen und preßte das Gesicht gegen die Seitenscheibe. Es befand sich im Lichtkreis einer Straßenlampe. Daher gab es keinen Zweifel. Er war tot. Und er war eines grauenvollen Todes gestorben. * Carol Bongert lief wütend durch ihre kleine Wohnung. »Wovon willst du leben?« rief sie. »Womit willst du deine Miete bezahlen? Glaubst du, ich kann dir ewig Geld leihen?« »Carol«, sagte Dough Fuller flehend. »Denk an die Nachbarn. Es ist schon weit nach Mitternacht.«
»Die Nachbarn sind mir genauso gleichgültig wie dein dämlicher Wettbewerb!« schrie Carol außer sich. »Wie oft soll ich dir noch vorpredigen, daß du eine Arbeit machen sollst, die Geld bringt? Wie oft soll ich dir noch vorrechnen, daß du so gut wie nichts verdienst? Und wenn du etwas einnimmst, warten schon zehn Gläubiger auf das bisschen Geld!« »Carol, es ist meine große Chance.« Dough Fullers Augen leuchteten begeistert. »Ich werde ganz bestimmt den ersten Preis gewinnen. Dann habe ich für ein ganzes Jahr ausgesorgt. Diese Statue wird mein Meisterwerk.« Carol Bongert ließ sich neben dem jungen Bildhauer auf das Sofa fallen und streckte erschöpft Arme und Beine von sich. »Was für eine Figur wird es diesmal?« »Das weiß ich noch nicht«, erwiderte Dough und beugte sich eifrig zu ihr. »Ich spüre in mir, daß ich ihn schaffen muß.« »Ihn?« Carol zog die mit Sommersprossen übersäte Nase kraus. »Wen mußt du schaffen?« Dough blieb ihr die Antwort schuldig. »Ich sehe ihn vor mir. Riesengroß, mächtig und unbesiegbar. Ich schlage ihn aus einem riesigen schwarzen Block in einem Stück.« Carol richtete sich überrascht auf. »Wie groß ist das Ding denn überhaupt?« 11 �
Dough beschrieb die Abmessungen. Carol riß die Augen auf. »Und woher, bitte schön, wenn ich fragen darf, hast du dieses Steinchen? Du hast es doch nicht etwa auf Pump gekauft?« »Nein, ich habe…!« Dough Fuller brach verwirrt ab und fasste sich an die Stirn. »Die Stadt stellt das Material zur Verfügung.« Doch damit kam er bei seiner denkenden Freundin praktisch schlecht an. »Das kannst du meinetwegen deiner Großmutter erzählen, aber nicht mir!« schrie sie. »Die Stadt wird ausgerechnet dir einen riesigen Steinblock kaufen, damit du eine Statue daraus machst! Daß ich nicht lache!« Sie lachte jedoch nicht, sondern schimpfte die nächsten fünf Minuten über seinen vermeintlichen Leichtsinn. Carol war felsenfest davon überzeugt, daß er irgendwo Geld geliehen hatte. Erst als sie zum Schimpfen zu müde war, setzte sie sich wieder. »Hat das schwarze Ding denn auch einen Namen?« fragte sie nach Luft ringend. »Eckrhomm«, sagte Dough. »Eck… was?« Carol war sicher, daß ihr Freund jetzt endgültig übergeschnappt war. »Du liebe Zeit, ich hätte mich nie mit einem Künstler einlassen dürfen«, murmelte sie. »Zu allem Überfluss liebe ich ihn auch
noch.« Dough Fuller hörte ihr nicht zu. Er nickte nachdrücklich. »Eckrhomm«, wiederholte er. »Jetzt ist mir der Name eingefallen. Ich schaffe Eckrhomms Abbild.« Carol hatte endgültig genug. »Wenn du willst, daß ich mir diesen dämlichen Namen merke, schreib ihn mir auf«, sagte sie und stemmte sich hoch. »Komm jetzt, ich bin müde und will schlafen.« Dough war wie in Trance, als er ebenfalls aufstand. »Eckrhomm«, murmelte er. »Ja, er heißt Eckrhomm.« »Meinetwegen, Darling, wie du willst«, brummte Carol. »Hauptsache, ich kann endlich schlafen und muß nicht deine Rechnung bezahlen.« Noch schob sie Doughs Verhalten auf seinen leichten geistigen Höhenflug als Künstler. Um Verdacht zu schöpfen, war sie viel zu müde. Carol löschte das Licht. »Eckrhomm«, flüsterte Dough. »Halt den Mund und schlaf«, erwiderte sie. »Gute Nacht!« * Maud klammerte sich an Peter. Sie zitterte heftig. Auch der Großmeister mußte schlucken. Sie waren beide nicht abgebrüht, obwohl sie bei ihrer Tätigkeit schon viele Leichen gese12 �
hen hatten. Der Tote in ihrem Wagen konnte aber auch dem Abgebrühtesten das Blut in den Adern gefrieren lassen. »Dort… dort kommt ein Streifenwagen«, sagte Peter stockend. »Wenn sie den Toten entdecken, sind wir erst einmal geliefert.« Maud wußte genau, was er meinte. Sie hatten nichts zu verbergen, aber zumindest für die nächsten Stunden waren sie durch Verhöre festgenagelt. Dabei brauchten sie absolute Freiheit, um schnell handeln zu können. Sie vermuteten, daß der Tote Frank Cody war. Sein Aussehen zeugte von einem fürchterlichen Kampf, und das paßte zu den Geräuschen, die sie am Telefon gehört hatten. »Was machen wir bloß?« flüsterte Maud. »Wir müssen den Streifenwagen anhalten, bevor die Polizisten Cody sehen. Nur dann sind wir einigermaßen unverdächtig.« »Du hast recht«, stimmte Peter zu. »Wir haben gar keine andere Wahl.« Sie wollten auf die Straßenmitte laufen und die Polizisten stoppen, als etwas Unerwartetes geschah. Der Tote bewegte sich und rutschte auf dem Sitz tiefer. Auf diese Weise war er von außen nicht mehr zu sehen. »Schnell, sonst gibt es Ärger«, flüsterte Peter und nahm Maud in die Arme.
Es war nicht der erste Kuss, den er ihr gab, doch noch nie hatte es ihm so wenig Spaß gemacht. Maud hing in seinen Armen wie ein Stück Holz. Aber für die Streifenpolizisten sah es echt aus, so daß sie keine Veranlassung sahen, das verliebte Paar zu kontrollieren oder sich gar um den Wagen zu kümmern. »Das war knapp«, seufzte Maud, als die Polizisten verschwunden waren. »Sehen wir ihn uns an«, sagte Peter. »Vorsicht! Wir wissen noch nicht, weshalb er sich bewegt hat.« »Irgend jemand muß ihn auch in unseren Wagen gebracht haben«, fügte Maud hinzu. »Du merkst auch alles.« Peter ging langsam auf das Auto zu, alle Sinne und Muskeln angespannt. Nichts geschah. Ihr Auto machte einen harmlosen Eindruck, als sei alles in bester Ordnung. Butler Harvey war auf Sagon Manor der Waffenspezialist. Seit die Kämpfe immer gefährlicher und gnadenloser wurden, ließ er seinen jungen Großmeister nicht mehr ohne Waffe in einen Einsatz gehen. Allerdings wirkten Harveys Waffen auf Peters ausdrücklichen Wunsch nur gegen Wesen, die sich dem Bösen verschrieben hatten. Menschen konnten sie nicht einmal verletzen. Peter und Maud hielten je einen solchen besonders präparierten Revolver in den Händen, als sie das 13 �
Auto erreichten. Sie verständigten sich mit einem kurzen Blick. Maud gab Peter Feuerschutz. Peter griff nach der Klinke und öffnete die hintere Tür. Mit einem Ruck riß er sie auf und sprang zurück. Überrascht ließen sie die Waffen sinken. Der Wagen war leer. »Wir haben uns doch nichts eingebildet«, meinte Maud und kam langsam näher. Sie durchsuchte rasch den ganzen Wagen, aber es gab nicht die geringste Spur von Frank Cody. »Da ist nicht einmal ein Blutfleck.« »Ob sich nur sein Geist gezeigt hat?« fragte Peter unschlüssig. Maud winkte ab. »Das war die Leiche«, behauptete sie. »So sehr kann ich mich nicht täuschen. Sie ist wieder verschwunden. Du weißt, was das heißt.« Peter nickte. »Cody kann von sich aus überall auftauchen und verschwinden«, sagte er und öffnete den Kofferraum. »Er wird möglicherweise von jemandem gesteuert.« Sie holten das Gepäck aus dem Wagen. Auf der Straße blieb alles ruhig. Niemand hatte die Szene beobachtet. Der Streifenwagen kam nicht zurück. »Hast du hier irgendwo ein Hotel gesehen?« fragte Maud verwundert. Peter schüttelte den Kopf. »Nein, aber wir haben ein Quartier, Verlass dich auf mich.«
Maud stellte ihre Tasche ab. »Willst du vielleicht Judy fragen, ob sie uns bei sich aufnimmt?« fragte sie gereizt. »Da spiele ich nicht mit.« Peter lächelte müde. »Ich würde der armen Judy nie antun, dich bei ihr unterzubringen«, erwiderte er. »Komm nur, ich habe eine ganze Wohnung für uns.« Endlich ahnte Maud, was er meinte. Sie folgte ihm auf den Soho Square. Fünf Minuten später standen sie in Frank Codys Wohnung. Es hatte Peter nicht viel Mühe gekostet, die Türen zu öffnen. Sie schalteten alle Lichter ein und gingen durch die insgesamt vier Räume. Maud zog die Nase kraus. »Ein schlampiger Junggeselle«, stellte sie fest. »Überall steht und liegt etwas herum. Wir müssen aufräumen.« »Hat das nicht Zeit?« fragte Peter ohne jede Begeisterung. »Dann bleibt es wieder liegen.« Maud winkte herrisch. »Los, wir fangen gleich an. Wer weiß, wie lange wir hier bleiben müssen.« Peter kannte seine Begleiterin. Es hatte keinen Sinn, ihr zu widersprechen. Wenn sie sich wirklich etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte sie es auch aus. Dennoch räumten sie an diesem Abend die Wohnung nicht mehr auf. Es gab ein Schlaf- und ein Wohnzimmer, dazu Küche und Bad. Sie 14 �
machten sich über die Küche her, als es im Wohnzimmer klirrte. Ein Glas war zerschellt. Sofort hielten sie die Revolver in den Händen. Peter sprang durch die offene Tür in den Wohnraum, während Maud hinter dem Türrahmen in Deckung ging und ihre Waffe in Anschlag brachte. Der Untote, den sie schon in ihrem Wagen gesehen hatten, stand vor ihnen. Er stützte sich schwer auf den Tisch. Dabei hatte er ein Glas auf den Boden geworfen. Bei Licht besehen, wirkte er noch schrecklicher. Dieser Mann konnte nicht mehr leben. Er wurde durch eine unerklärliche Kraft aufrecht gehalten. Peter Winslow erkannte, daß er im Moment nichts zu befürchten hatte. Dennoch nahm er die Waffe nicht herunter. Er hatte einen Zombie vor sich, wenn auch einen ganz besonderen. Normalerweise konnten Untote nicht nach Belieben erscheinen und verschwinden. »Du bist Frank Cody?« fragte Peter versuchsweise. Der Untote bewegte den Kopf. Er hatte keine richtige Kontrolle mehr über seinen Körper. Auch das unterschied ihn von gewöhnlichen Zombies. Dennoch kam ein Nicken zustande. Peters Hand mit dem Revolver zitterte leicht. Frank Codys Anblick
war kaum zu ertragen. »Du bist in der Telefonzelle ermordet worden?« fragte Peter. Diesmal fiel das Nicken schon deutlicher aus. »Von wem?« stellte Peter die entscheidende Frage. Der Untote öffnete den Mund und versuchte zu sprechen. Dennoch war nicht mehr als ein heiseres Krächzen zu hören. »Ich verstehe dich nicht.« Peter Winslow ging näher heran. »Wer hat dich getötet?« »Sei vorsichtig«, warnte Maud. »Und komm mir nicht in die Schusslinie.« Peter winkte ab. Der Zombie schien ausnahmsweise auf seiner Seite zu stehen. Sonst wurden Untote nur von den Kräften des Bösen gestützt. Und in die Schusslinie stellte sich Peter nie. Dazu war er trotz seiner Jugend schon viel zu erfahren. »Wer hat dich getötet?« wiederholte Peter eindringlich. »Ich muß es wissen?« »Eck…!« Der Untote bäumte sich auf. »Eckr…om…«, stammelte er undeutlich. Peter bemühte sich, seine Ungeduld nicht zu zeigen. Er wolle noch näher an den Zombie heran, stieß jedoch auf einmal gegen Widerstand. Eine unsichtbare Barriere hinderte ihn daran, Frank Cody zu berühren. 15 �
Zitternd hob Cody den Arm und deutete zum Fenster. »Er will uns etwas zeigen«, sagte Maud nervös. »Geh nicht ans Fenster, Peter. Du kennst ihn nicht. Vielleicht lockt er dich in eine Falle und will…« Sie brach ab, als der Untote zum Fenster wankte. Es stand offen und ging auf den Soho Square hinaus. Bevor Peter überhaupt begriff, was Cody plante, schwang dieser sich über das Fensterbrett und kippte nach draußen. Mit einem Sprung war Peter am Fenster und beugte sich weit hinaus. Von Cody war keine Spur zu sehen. »Er hat sich wieder in nichts aufgelöst«, stellte Peter fest. »Ein merkwürdiger Helfer.« Maud trat neben ihn an das offene Fenster und blickte lange auf den Platz hinunter. »Von hier oben sieht man die seltsame schwarze Statue besonders genau«, sagte sie. »Ob er die gemeint hat?« Peter zuckte die Schultern. »Genauso gut hätte er mir dort drüben die Holzbude oder das Karussell oder den Spielplatz zeigen können. Cody muß unmittelbar vor seinem Tod mit magischen Kräften in Berührung gekommen sein. Daher bezieht er jetzt die Fähigkeit, sich uns noch einmal in voller Gestalt zu zeigen. Das erklärt auch, wieso man seine Leiche nicht bei der Telefon-
zelle gefunden hat.« Nach diesem Erlebnis hatte auch Maud keine Lust mehr, die Wohnung aufzuräumen. »Wir halten abwechselnd Wache«, schlug sie vor. »Nicht nötig«, meinte Peter. »Cody wird uns nichts tun. Die Gefahr durch Schwarzmagier und Dämonen ist hier nicht größer als anderswo. Schlafen wir uns lieber aus, damit wir morgen einsatzbereit sind.« Damit war Maud sofort einverstanden. Sie richteten sich im Schlafzimmer ein. Frank Cody hatte zum Glück eine Couch für Besucher. Peter und Maud schliefen mit den Revolvern unter den Kopfkissen. In dieser Nacht brauchten sie jedoch ihre Waffen nicht. Der Feind schlief nicht, aber er arbeitete an anderer Stelle. * »Es ist schon merkwürdig, sozusagen in die Haut eines Toten zu schlüpfen«, sagte Maud am anderen Morgen beim Frühstück. »Wir sitzen in seiner Wohnung, essen seine Lebensmittel und benutzen sein Geschirr.« »Es stört ihn nicht mehr«, antwortete Peter, der in solchen Dingen viel praktischer dachte. Von der Küche aus konnten sie den Soho Square 16 �
überblicken. »Dieses künstlerische Volksfest ist offenbar ein voller Erfolg. Die Leute drängen auf den Platz.« »Wir müssen uns auch dort unten umsehen«, stellte Maud fest. »Codys Tod hat etwas mit dem Soho Square zu tun. Und letzte Nacht hat er auch auf den Platz gedeutet.« Zehn Minuten später mischten sie sich unter die Leute. »Gefällt mir gar nicht«, murmelte Peter unbehaglich. »Hier sind ganze Familien mit vielen Kindern. Wenn wirklich etwas passiert. Er überließ es Mauds Phantasie, sich die Folgen auszumalen. »Wir können vorläufig nichts dagegen tun«, antwortete sie. »Oder glaubst du, die Leute würden auf uns hören? Kein einziger würde den Platz verlassen.« Gerade als sie sich dem schwarzen Koloss näherten, kam von der anderen Seite ein großer, schlaksiger Mann mit brauner Haarmähne und dichtem Bart. Er trug Jeans und Jeansjacke, darunter ein kariertes Hemd. »Peter, fällt dir etwas an der Statue auf«, fragte Maud überrascht. Der Langhaarige packte sein Werkzeug aus und betrachtete den Koloss, machte sich wie besessen an die Arbeit und kümmerte sich nicht um die Zuschauer. »Was ist mit der Statue?« fragte Peter ohne besondere Interesse und
merkte sich das Aussehen des Bildhauers. Er wollte sich alle einprägen, die auf diesem Platz arbeiteten. Maud hakte sich aufgeregt bei ihm unter. »Der linke Arm war gestern Nacht noch genauso grob behauen und kantig wie der rechte. Sieh ihn dir jetzt an.« Peter betrachtete diese Stelle der Statue. Der Arm war hervorragend modelliert. Allerdings wurde schon jetzt deutlich, daß weder nackte Haut, noch ein Kleidungsstück dargestellt wurde. Der Arm war vielmehr von zahllosen feinen, sechseckigen Plättchen bedeckt. Auch sie waren sorgfältig aus dem Stein herausgeschlagen. »Das ist ja eine mörderische Kleinarbeit«, stellte Peter fest. Er wandte sich an den Künstler. »Ich bin Peter Winslow. Beantworten Sie mir eine Frage?« Der ungefähr dreißigjährige Bildhauer nickte freundlich. »Gern, Peter! Ich bin Dough Fuller. Was willst du wissen?« Peter deutete auf die Statue. »Hast du letzte Nacht daran gearbeitet?« »Da habe ich mich mit meiner Freundin Carol gestritten«, antwortete Dough Fuller. »Und heute morgen?« fügte Maud hinzu, nachdem sie sich vorgestellt hatte. »Auch nicht.« Dough Fuller schüttelte verwundert den Kopf. »Ich bin jetzt eben erst gekommen. Was soll 17 �
die Frage?« »Der Arm mit den sechseckigen Schuppen war gestern noch nicht fertig.« Peter lächelte unverfänglich, beobachtete den Bildhauer jedoch genau. »Wer hat ihn gemacht?« »Ich natürlich, und zwar gestern Abend«, behauptete Dough. »Ich lasse an meiner Statue doch niemanden arbeiten.« Peter blickte zu Maud. Sie schüttelte leicht den Kopf. Also war sie sich ihrer Sache sicher. Irgend etwas stimmte hier nicht. Die nächste Frage stellte Peter eigentlich nur, um den Bildhauer abzulenken. Dough Fuller sollte nicht ahnen, daß sie Verdacht geschöpft hatten. »Was stellt die Statue dar?« wollte Peter wissen. In Fullers Augen trat ein begeistertes Funkeln. »Eckrhomm«, sagte er andächtig. Er kümmerte sich nicht weiter um die beiden Betrachter, so daß es ihm nicht auffiel, wie Peter Maud beiseite zog. »Hast du das gehört?« fragte Peter aufgeregt. »Er hat ein merkwürdiges Wort gesagt«, erwiderte Maud. »Eckrhomm, glaube ich.« »Erkennst du es nicht wieder?« drängte Peter. »Es kommt mir bekannt vor«, gab Maud zu. »Irgendwo habe ich so etwas Ähnliches schon gehört.«
»Frank Cody hat gestern vergeblich versucht, uns etwas zu sagen.« Peter deutete auf die schwarze Statue. »Ich dachte zuerst, er könne nicht mehr sprechen. Aber er hat ›Eckrhomm‹ gesagt.« Maud überlegte nicht lange. »Warte«, sagte sie und ging zu Dough Fuller zurück. Sie sprach ihn mehrmals an, doch er antwortete nicht. »Ist er in Trance?« fragte Peter, als Maud zu ihm zurückkam. »Es sieht ganz so aus«, bestätigte sie. »Ich wollte wissen, was ›Eckrhomm‹ ist.« »Bleib hier und beobachte Fuller«, sagte Peter. »Ich rufe Harvey an. Vielleicht findet er etwas über dieses merkwürdige Wort heraus.« Von Frank Codys Wohnung aus rief Peter auf Sagon Manor an und gab seinem Butler alle Details durch. »Mehr haben wir vorläufig noch nicht heraus gefunden, Harvey«, schloß er. »Sie können Frank Cody übrigens von unserer Liste streichen.« »Wird erledigt, Sir«, versicherte der Butler in seiner steifen, altmodischen Art. »Sobald ich etwas herausgefunden habe, werde ich mir erlauben, Sie unter Mr. Codys Telefonnummer zu verständigen.« »Erlauben Sie es sich, Harvey«, antwortete Peter und legte auf. Eine Weile beobachtete er vom Wohnzimmerfenster aus das Treiben 18 �
auf dem Soho Square. Es gab nichts Auffälliges zu sehen. Alles wirkte harmlos und friedlich. Die Leute sahen den Künstlern bei der Arbeit zu. Für Kinder waren einige Stände mit Süßigkeiten eingerichtet. In einer Ecke des Platzes bezog eine Musikkapelle Stellung und vervollständigte das Volksfest. Dough Fuller arbeitete fieberhaft an der Statue. Er stellte sich geschickt an, Peter traute ihm nicht. Fuller hatte ihn belogen. Niemals hatte er am Vorabend den Arm der Statue fertig gestellt. Im Moment arbeitete er so grobflächig, daß er wahrscheinlich diese feinen, sechseckigen Plättchen gar nicht herstellen konnte. Noch jemand arbeitete an der Statue, und diesen Jemand wollte Peter unbedingt kennenlernen. Der junge Großmeister beugte sich weiter aus dem Fenster und sah Maud. Sie stand unter Frank Codys Wohnhaus und unterhielt sich mit einem agilen, durchschnittlich wirkenden Mann im grauen Anzug. Als Peter aus dem Haus trat, stellte Maud ihren neuen Bekannten vor. »Das ist Mr. Porter, James Earl Porter, der Organisator des Straßenfestes«, sagte sie. »Peter Winslow.« »Hallo, Mr. Winslow!« James Earl Porter konnte keine Sekunde still stehen und begleitete seine Reden mit heftigen Gesten. »Sie sind neu in der Gegend?«
»Wir besuchen einen Freund«, erwiderte Peter. »Gratuliere zu dem Fest. Den Leuten gefällt es.« James Earl Porter lachte selbstgefällig. »Ich habe mir entsprechend Mühe gegeben«, versicherte er. »Allerdings sind auch Künstler dabei, die diesen Namen nicht verdienen. Was soll man machen. Es schleichen sich immer ein paar taube Nüsse ein.« »Wen meinen Sie denn?« erkundigte sich Maud Orwell. Wenn James Earl Porter mit ihr sprach, blühte er förmlich auf. Bei Peter blieb er zurückhaltend. »Der Langhaarige da drüben, der bei der schwarzen Statue.« Porter seufzte. »Ich frage Sie, was soll das werden? Sieht doch scheußlich aus, nicht wahr?« »Ich erlaube mir kein Urteil«, wehrte Maud ab. »Dazu verstehe ich zu wenig von Kunst. Aber Sie haben recht, besonders schön sieht der schwarze Koloss nicht aus.« »Woher stammt eigentlich das Material der Künstler?« erkundigte sich Peter. »Dieser schwarze Steinblock zum Beispiel?« James Earl Porter zuckte die Schultern. »Da fragen Sie mich zuviel. Darum konnte ich mich nicht auch noch kümmern. Jeder Künstler hat sein eigenes Material mitgebracht.« »Das muß bei einem so großen Steinblock recht schwierig gewesen sein.« Maud lächelte dem ziemlich 19 �
nichts sagenden Mr. Porter zu, daß Peters Blut zu kochen anfing. »Dazu braucht man einen schweren Lastwagen mit Kran.« »Ich würde es Ihnen sofort verraten, aber ich weiß es leider nicht.« Mr. Porter ging auf Mauds Flirt heftigst ein. »Darf ich Sie auf einen Drink einladen, Miss Orwell?« »Sagen Sie Maud«, bat sie. Okay, gern.« Mr. Porter wurde gleich um zwei Zoll größer. »Und Sie nennen mich James Earl.« »Was für ein Glück, daß Sie nicht drei Vornamen haben«, bemerkte Peter bissig »Mich können Sie Peter nennen.« »Ja, gern«, antwortete Porter säuerlich lächelnd und wandte sich ausdrücklich an Maud. »Gleich dort drüben bekommen wir etwas zu trinken. Kommen Sie?« Und von der Seite sagte er zu Peter: »Sie sind auch herzlich eingeladen.« »Ich habe leider zu tun!« Peter schoß Maud einen warnenden Blick zu. »Ich denke, ich sollte Judy besuchen.« Sofort erwiderte sie seinen Blick, als könnten ihre Augen Dolche verschießen. »Grüß Judy von mir«, sagte sie scharf betont. »Ich besuche sie später!« »Wird gemacht«, versprach Peter. »Und du kümmerst dich um unseren gemeinsamen Freund. Okay?« Mauds kurzer Blick zu Dough Fuller zeigte ihm, daß die ihn richtig
verstanden hatte. James Earl Porter führte Maud zu einem Straßencafe, während Peter überlegte, wie er die Herkunft des Steins verfolgen könnte. Porter wußte offenbar nicht, woher der Steinblock stammte. Daher versuchte Peter es bei Dough Fuller, doch der Bildhauer hörte ihm nicht zu. Er befand sich in einem Arbeitsfieber, das wie Trance wirkte. Auch die Künstler neben Fuller konnten Peter keine Auskunft geben. Schließlich hatte er eine Idee. Er versuchte es in der Redaktion der Stadtteilzeitung, von der auf dem Platz Gratisexemplare verteilt wurden, und sprach dort mit dem Fotoreporter. Das war ein idealistischer junger Mann, mit dem Peter sich auf Anhieb verstand. »Reich wird man bei dieser Zeitung bestimmt nicht«, beklagte sich Bert, der Fotograf. »Aber es ist nun mal meine Leidenschaft. Was willst du sehen? Fotos vom Transport dieses schwarzen Steinblocks? Ich glaube, da habe ich etwas.« Er kramte unter seinen Negativen und nickte zufrieden. »Ich habe hier ein Bild, Peter. Leider habe ich es in der Zeitung nicht untergebracht.« Peter hielt das Negativ gegen das Licht, konnte aber nichts erkennen. »Ich müßte die Aufschrift an der Tür des Lastwagens lesen«, sagte er. 20 �
»Ich mache eine Vergrößerung«, bot Bert an. »Dauert nur ungefähr zehn Minuten.« »Nicht nötig«, wehrte Peter ab. »Zeig mir das Negativ im Vergrößerungsapparat. Für die Schrift reicht das.« Bert projizierte eine so starke Vergrößerung, daß Peter mühelos Namen und Anschrift des Fuhrunternehmers lesen konnte. Dem Fahrer des Lastwagens schenkte er nur einen flüchtigen Blick. Im Negativ war das Gesicht nicht zu erkennen. »Ich habe noch mehr Fotos, aber ich finde sie im Moment nicht«, erklärte Bert. »Wenn ich sie aufstöbere, bringe ich sie dir. Wo wohnst du?« Peter nannte die Adresse. »Doch nicht etwa bei Cody?« rief Bert überrascht. »Wir sind Freunde von ihm«, bestätigte Peter. »Kennst du Frank Cody?« »Wer in Soho kennt Frank Cody nicht?« Bert grinste über das ganze Gesicht. »Grüß Cody von mir.« »Er ist im Moment nicht da«, erwiderte Peter und verabschiedete sich rasch. Bis Beckenham im Süden von London war es eine halbe Weltreise, und er wollte dieses Fuhrunternehmen genauer unter die Lupe nehmen. Nach einer ermüdenden Fahrt durch den Londoner Verkehr gelangte Peter in den stillen Vorort.
Man konnte meinen, in einem Dorf gelandet zu sein. Er brauchte auch nur einmal zu fragen. Schon der erste Passant konnte ihm den Weg zu Joe Ferndown zeigen. »Wollen Sie etwas transportieren lassen, junger Mann?« erkundigte sich der alte Mann, den Peter angehalten hatte. »Da würde ich Ihnen von Ferndown abraten. Gehen Sie über zu Myers and Company.« »Warum soll ich denn nicht zu Ferndown gehen?« fragte Peter. »Arbeitet er vielleicht nicht gut?« Der alte Mann wurde verlegen. »Ich will ja nichts gesagt haben, aber ich würde das Gelände nicht einmal bei Tag betreten. In der Nacht würde ich einen weiten Bogen schlagen. Seien Sie vorsichtig!« Damit ging er hastig weiter. Dieser Joe Ferndown interessierte Peter immer mehr. Das Grundstück des Transportunternehmens lag am Rand von Beckenham. Dahinter begann dichter Wald. Schon von außen bot das Unternehmen keinen einladenden Anblick. Peter tippte sogar darauf, daß gewöhnliche Kunden abgeschreckt werden sollten. Eine halb verfallene Mauer umgab den Platz. Durch das schief in den Angeln hängende Tor erblickte man ein zur Hälfte eingestürztes Lagerhaus. Nur das Bürohaus daneben 21 �
befand sich noch in einem einigermaßen guten Zustand. Dafür stand ein hochmoderner schwerer Lastwagen mit Auslegerkran auf dem Hof. Er paßte hierher wie ein Rolls Royce auf eine Mülldeponie. Peter ließ seinen eigenen Wagen vor dem Grundstück auf der Straße stehen und betrat den freien Platz hinter der Mauer. Suchend sah er sich um und bemühte sich, so harmlos wie möglich zu wirken. Linker Hand erstreckten sich Glashäuser einer Gärtnerei. Von der Straße aus waren sie nicht zu sehen gewesen. Das Glas war völlig blind. Angespannt ging Peter auf das Bürogelände zu. Irgend jemand hielt sich bestimmt auf dem Gelände auf. Peter fühlte ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern, als würde er aus einem Versteck heraus beobachtet. Wenn Joe Ferndown zur Gegenseite gehörte, kannte er wahrscheinlich den Großmeister vom Orden der Weißmagier. Dann konnte dieses Gelände zu einer tödlichen Falle werden. Peter beobachtete aus den Augenwinkeln heraus den Lastwagen. Auch dort hielt sich niemand auf. Hinter ihm klirrte es leise. Er wirbelte herum. Seine Reflexe hatten ihm schon mehrmals das Leben gerettet.
Diesmal nutzten sie ihm nichts mehr. Ein lose aufliegender Teil der Verglasung der Treibhäuser war verrutscht. Durch das Loch starrte Peter eine großkalibrige Mündung entgegen. Der Großmeister wollte sich noch mit einem gewaltigen Satz zur Seite werfen, doch schon im Ansatz krachte etwas gegen seinen Kopf. Er überschlug sich halb in der Luft, doch davon spürte er bereits nichts mehr. * Maud war auf James Earl Porters Einladung eingegangen, weil sie sich Informationen erhoffte. Sehr bald merkte sie, daß Porter nur einen Flirt suchte. Als er ihr zu eindeutig wurde, stand sie mit ihrem nettesten Lächeln auf. »Ich muß jetzt gehen«, sagte sie. »Mein Mann wartet auf mich.« »Ihr Mann?« fragte Porter enttäuscht. »Ist Peter… ich meine, ist Mr. Winslow Ihr Mann? Ich dachte, Sie heißen Orwell?« »Peter war mein zweiter Mann«, klärte ihn Maud auf. »Mr. Orwell ist mein vierter Mann. Wir leben in Scheidung. Ich möchte demnächst heiraten. Leben Sie wohl, Mr. Porter.« Sie hatte noch das Vergnügen, 22 �
James Earl Porters fassungsloses Gesicht zu sehen, ehe sie verschwand. Sie hatte sich gerade im richtigen Moment von Porter getrennt. Dough Fuller bekam nämlich Besuch. Zuerst blieb Maud überrascht stehen. Aus der Entfernung hätte man die junge Frau an Fullers Seite für Mauds Schwester halten können. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Störend war nur, daß Maud gar keine Schwester hatte. Die Fremde war offenbar Fullers Freundin. Das leitete Maud aus der Art ab, wie sie Fuller küsste, beziehungsweise küssen wollte. Denn Dough Fuller war nicht gewillt, seine Arbeit auch nur für einen Moment zu unterbrechen. Während Maud wie eine zufällig vorbeikommende Passantin näher schlenderte, prägte sie sich die Fremde ein. Sie war rothaarig und hatte eine Menge Sommersprossen im Gesicht, dazu graue Augen und war sehr klein. Aber sie war gut gebaut, wie Maud neidlos anerkannte. Die Augen waren der erste Unterschied zu Maud, die grüne Augen hatte. Der zweite war die Größe. Maud überragte das Mädchen um einen Kopf. »Hörst du mir überhaupt zu?« drängte die Fremde. »Ich will endlich wissen, wie viel du für diesen Stein bezahlt hast! Das heißt, mit wie
viel hast du dich verschuldet?« Endlich erhielt sie Antwort. »Gar nicht«, erwiderte Dough. »Der Stein ist ein Geschenk.« »So, ein Geschenk vom Weihnachtsmann«, murmelte die Rothaarige skeptisch. »Wieso kannst du nicht wenigstens fünf Minuten aufhören, wenn ich dich schon besuche?« Dough Fuller schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich muß fertig werden«, murmelte er nur und schob seine Freundin einfach beiseite. Maud fing das Mädchen ab, als dieses wütend weglaufen wollte. »Ich spende nichts!« fuhr die Fremde Maud an. »Ich habe selbst kein Geld mehr!« »Ich will kein Geld von Ihnen.« Maud nannte ihren Namen. »Können wir uns ein wenig über diese Statue unterhalten? Ich lade Sie auf eine Tasse Tee ein.« »Warum interessieren Sie sich für das klobige Ding?« fragte die Rothaarige. »Wollen Sie das Scheusal kaufen?« »Nein, aber ich möchte Ihnen helfen«, antwortete Maud, während sie sich in das Strafencafe setzten. »Sieht man uns schon so deutlich an, daß wir pleite sind?« Die Rothaarige lachte. »Das ist reinster Galgenhumor, Miss Orwell. Ich heiße übrigens Carol Bongert.« Sie einigten sich rasch auf die Vornamen. 23 �
Maud deutete auf Dough. »Arbeitet er immer so besessen?« Carol seufzte. »So habe ich ihn noch nie erlebt. Wie wollen Sie uns helfen?« Maud mußte ein schwere Entscheidung fällen. Sollte sie Carol Bongert vertrauen oder nicht? Sie sagte sich schließlich, daß sie es ruhig versuchen konnte, wenn Carol zur Gegenseite gehörte, wußte sie ohnehin alles. Maud deutete kurz an, was der Orden der Weißmagier war. »Wir vermuten nun, daß mit der Statue etwas nicht stimmt. Ich weiß nicht, ob Ihr Freund etwas mit der Sache zu tun hat oder nur vorgeschoben wird. Jedenfalls weist alles darauf hin, daß die schwarze Statue etwas mit Magie zu tun hat.« Carol Bongert ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. »Also, Maud«, meinte sie endlich, »Sie sehen nicht wie eine ausgeflippte Type aus. Bei Ihnen habe ich wenigstens das Gefühl, daß Sie wissen, wovon Sie reden. Ich weiß nicht, was ich von Schwarzer Magie und Dämonen halten soll. Ich weiß nur, daß an dieser Sache hier etwas faul ist. Fragen Sie und ich werde antworten.« Maud erkundigte sich ausführlich über Dough Fuller. Nach Carols Auskünften war er kein Schwarzmagier. Carol kannte ihn allerdings erst seit zwei Jahren. Er war neunundzwanzig, sie zwanzig. Er hatte nie
Geld. Trotzdem bearbeitete er auf einmal einen riesigen schwarzen Steinblock. »Halten Sie Augen und Ohren offen«, bat Maud, die ein wenig enttäuscht war. Sie hatte sich mehr versprochen. »Wenn Sie etwas erfahren, sagen Sie es mir. Und verschweigen Sie Dough, daß Sie mit mir gesprochen haben. Es könnte für Sie lebensgefährlich werden.« Carol sah sie erschrocken an. »Dough würde mir nie etwas tun!« rief sie. Maud erwiderte schweigend ihren Blick. Carol seufzte. »Okay, ich habe schon verstanden. Schwarze Magie macht alles möglich.« »Nicht alles, aber vieles«, verbesserte Maud. »Falls Ihr Freund mit den Vorgängen selbst nichts zu tun hat, ist er zumindest unter einen gefährlichen Einfluß geraten. Mehr kann ich Ihnen im Moment auch nicht sagen.« »Sie machen mir richtig Mut«, versicherte Carol bissig. »Okay, Sie hören von mir, sobald ich umgebracht worden bin.« Maud blickte ihr lächelnd nach. Sie mochte diese Carol, die es mit ihrem Freund sicher nicht leicht hatte und versuchte, es mit Humor zu nehmen. Maud fürchtete nur, daß Carol das Lachen bald vergehen könnte. Der schrille Angstschrei einer Frau 24 �
ließ Maud von ihrem Stuhl hochfahren. Drüben an der schwarzen Statue war etwas geschehen. Eine junge Frau preßte zitternd ihr ungefähr vierjähriges Mädchen an sich. Von allen Seiten strömten Menschen herbei. Auch Maud lief zu der Statue. Dough Fuller stand benommen neben seinem Kunstwerk. Er hielt noch sein Werkzeug in den Händen. »Sie haben sich bestimmt getäuscht«, sagte ein Polizist, den Maud erst jetzt bemerkte. »Ein so schwerer Steinblock kann sich nicht bewegen. Sehen Sie nur, er steht auf einer festen Unterlage.« Die Mutter war kreidebleich. »Und ich sage Ihnen, daß sich diese scheußliche Statue bewegt hat! Hätte ich mein Kind nicht zur Seite gerissen, wäre es von der Statue erschlagen worden.« Der Polizist übte sich in Geduld. »Wie kann die Statue Ihr Kind beinahe erschlagen, wenn sie aufrecht dasteht?« fragte er. Maud merkte Dough Fuller an, daß er ehrlich verstört war. Sie sah aber noch etwas anderes. Den Sockel hatte Fuller noch nicht behauen. Er war streng viereckig. Seine Umrisse hatten sich auf dem mit Staub gedeckten Untergrund abgezeichnet. Daran erkannte man ganz deutlich, daß sich der gesamte Block ver-
schoben hatte. In diesem Moment glaubte Maud die Geschichte der jungen Frau, schwieg jedoch. Nachträglich änderte sich ohnedies nichts daran, und niemand hätte ihr geglaubt, daß die Statue unter schwarzmagischen Einflüssen stand. Der einzige Beweis, nämlich die Umrißlinien aus Staub, verschwand im selben Moment wie von Geisterhand. Der Staub wirbelte durcheinander, obwohl sich kein Lufthauch regte. Dem Polizisten gelang es schließlich, die aufgeregte Mutter zu beruhigen. Sie verschwand hastig. Maud warf schaudernd einen Blick in das roh geformte Gesicht der Statue. Für einen Moment glaubte sie, höhnisches Gelächter zu hören. Sie schüttelte den Kopf. Jetzt bildete sie sich auch schon etwas ein. Ihre überreizten Nerven spielten ihr einen Streich. Doch dann dachte sie an die junge Mutter, der man auch eingeredet hatte, sie bilde sich nur etwas ein. In Wirklichkeit wäre ihr Kind tatsächlich um ein Haar unter dem Koloss begraben worden. Maud warf noch einen scheuen Blick auf die Statue, bevor sie sich zurückzog. Sie ging in Codys Wohnung, setzte sich an das Fenster und legte ein Fernglas bereit. Von hier oben konnte sie alles überblicken und 25 �
hörte gleichzeitig das Telefon, falls Peter etwas von ihr wollte. Als das Telefon dann tatsächlich klingelte, war es eine Fremde, die mit Frank sprechen wollte. Maud vertröstete sie mit der Ausrede, Frank Cody sei für ein paar Tage verreist. Insgesamt versuchten drei verschiedene Mädchen, Frank zu erreichen, und Maud bekam einen Überblick über seine Beliebtheit bei Frauen. Sie fröstelte bei der Vorstellung, daß sich seine Leiche an einem unbekannten Ort befand und versuchte, Peter und sie vor etwas zu warnen. Zuletzt rief Butler Harvey an, teilte jedoch nur mit, daß er mit dem Wort ›Eckrhomm‹ nichts anfangen konnte. Maud setzte ihre einsame Wache fort und begann, sich um Peter zu sorgen. Er blieb lange weg und hätte sich zwischendurch wenigstens einmal melden können. Doch es wurde Abend, ohne daß er ein Lebenszeichen von sich gab. Da wußte Maud, daß ihm etwas zugestoßen war. Sie hatte jedoch keine Ahnung, was sie für ihn tun konnte, wußte sie doch nicht einmal, wo er war. Endlich klingelte es an der Tür. Maud sprang auf und öffnete. Sie vergaß sogar die Vorsicht, vorher durch den Spion zu sehen. Enttäuscht betrachtete sie den
fremden jungen Mann, der sich als Bert vorstellte, Fotograf der Stadtteilzeitung. »Ich habe Peter ein paar Fotos versprochen«, sagte er und überreichte Maud einen braunen Umschlag. »Ich habe noch Bilder von dem Lastwagen entdeckt, der den Steinblock gebracht hat. Wissen Sie darüber Bescheid? Peter wollte sich das Fuhrunternehmen ansehen.« Mit zitternden Fingern riß Maud die Fotos aus dem Umschlag und las fiebernd die Adresse von Joe Ferndowns Transportfirma. Dann warf sie einen Blick auf den Fahrer des Lastwagens und riß die Augen auf. »Das ist doch…«, murmelte sie und wandte sich an Bert. Er machte einen hilfsbereiten Eindruck. »Haben Sie einen Wagen?« Als er nickte, bat Maud ihn um das Auto. Weil er zögerte, flehte sie ihn an, sie wenigstens nach Beckenham zu fahren. »Peter schwebt wahrscheinlich in Lebensgefahr«, sagte sie eindringlich. »Sie müssen mir helfen!« Fünf Minuten später waren sie nach Beckenham unterwegs. Schon eine dreiviertel Stunde später durchsuchte Maud das verlassene Gelände von Joe Ferndowns Spedition. Sie fand nichts. »Ist Peter mit dem Wagen hergekommen?« fragte Bert. Maud nickte heftig. »Sie sind ein 26 �
Genie!« rief sie und erstattete kurzerhand auf dem nächsten Polizeirevier eine Diebstahlsanzeige. Für eine Vermisstenanzeige war es noch zu früh. Fünf Minuten später lernte Maud die moderne Computertechnik kennen. »Der Wagen ist verunglückt«, erklärte ihr der Polizist, der das Kennzeichen in seinen Terminal getippt hatte. Telefonisch erfragte er bei dem benachbarten Revier die Einzelheiten. Dort war das Auto gefunden worden. »Der Fahrer hat das Auto gegen einen Baum gesetzt«, sagte der Polizist. »Ein gewisser Peter Winslow. Er liegt jetzt im Krankenhaus.« Er schrieb Maud noch die Adresse auf, und Bert brachte sie hin. Der behandelnde Arzt hatte eine schlimme Nachricht für sie. »Mr. Winslow liegt auf der Intensivstation«, sagte er betreten. »Wir haben keine Hoffnung mehr.« * Maud stand an der Glasscheibe und blickte verstört und fassungslos auf Peter. Sein Körper war mit unzähligen Leitungen verbunden. Die Apparate neben ihm ließen sie frösteln. Wie aus weiter Ferne hörte sie die Erläuterungen des Arztes. Er sprach davon, daß dieser Fall einige Merk-
würdigkeiten aufwies, die er sich als Mediziner nicht erklären konnte. »Ich habe Fotos des Unfallwagens gesehen«, meinte der Arzt. »Ein Polizist, der den Krankentransport begleitete, hatte sie bei sich. Es ist ein Wunder, daß aus diesem Auto überhaupt jemand lebend geborgen werden konnte. Mr. Winslow weist aber keinerlei Knochenbrüche auf.« »Wieso…!« Maud versagte die Stimme. Sie mußte sich räuspern, ehe sie weiter sprechen konnte. »Wieso sagen Sie dann, es sei hoffnungslos?« Der Arzt redete ruhig und beherrscht weiter. »Mr. Winslow hat an der Stirn eine starke Schwellung, die Ohnmacht und Bewusstlosigkeit erklären würde. Das ist die einzige Verletzung.« »Dann hat er nicht in dem Auto gesessen«, sagte Maud, die nur mühsam die Tränen zurückhielt. »Auf keinen Fall beim Aufprall«, bestätigte der Arzt. »Das alles sieht nach einem vorgetäuschten Unfall aus. Tatsache ist, daß Mr. Winslow unter einem unbekannten Einfluß steht. Möglicherweise wurde ihm Gift gegeben, das wir nicht identifizieren können. Seine Lebensfunktionen werden immer schwächer. Bald können wir auch mit unseren Maschinen nichts mehr tun. Im Moment lebt er nur noch, weil wir ihn künstlich am Leben erhalten, aber unsere Mittel sind begrenzt.« 27 �
Maud preßte die Hände flach gegen die Glasscheibe. »Wie viel Zeit geben Sie ihm noch?« fragte sie erstickt. Der Arzt rang sich nur mühsam ein Urteil ab. »Eine Viertelstunde, höchstens eine halbe. Sollen wir die Angehörigen verständigen?« Maud schüttelte entschlossen den Kopf. Sie riß sich zusammen. »Das übernehme ich, wenn es nötig sein sollte. Und jetzt lassen Sie mich zu ihm!« Der Arzt wehrte sich dagegen, doch Maud setzte sich schließlich durch. Sie schickte alle aus dem Raum. Als sie mit ihm allein war, beschlich sie Angst vor ihrem eigenen Mut. Zu beiden Seiten der Liege piepten und tickten die Geräte. Maud verstand nichts davon. Sie wußte nur, daß Peter noch lebte. Das zählte für sie. »Peter, hörst du mich?« fragte sie eindringlich. Es war ihr gleichgültig, ob jemand über ein Mikrofon mithörte. Hier ging es um Peters Leben. »Du warst in Beckenham bei Joe Ferndown. Was ist dort geschehen? Antworte! Ich weiß, daß du mich hörst. Ein Bann lähmt nicht deinen Geist. Zwing dich zu einer Antwort. Was ist bei Ferndown geschehen?« Sie wiederholte ihre Frage mehrmals und glaubte schon selbst nicht mehr an einen Erfolg, als Peter hefti-
ger zu atmen begann. »Glashaus«, murmelte er. Durch den Beatmungsschlauch waren seine Worte verzerrt, aber doch verständlich. »Gummigeschoß… ich wurde ohnmächtig… dann eine Stimme… bekannt… ein Mann…« »Vielleicht James Earl Porter?« fragte Maud. Es war ein Schuß ins Blaue, aber er traf. I »Ja, Porter!« rief Peter. Noch lag er in völliger Starre. »Er… spricht… Bann…« »Und dann haben sie dich fortgeschafft, deinen Wagen an den Baum gefahren und dich in das Auto gesetzt?« Maud bekam keine Antwort. Sie erschrak, doch die Geräte zeigten keine Veränderung an. Die Führungsspitze des Ordens konnte sich gegen solche Anschläge nie perfekt absichern. Nur auf Sagon Manor waren sie durch den weißmagischen Bann geschützt. Verließen sie das Herrenhaus, waren sie verwundbar wie jeder andere Mensch. Alle aber trugen verschiedene Hilfsmittel bei sich, die manchmal halfen, manchmal versagten. Butler Harvey und Peters Vater, der ehemalige Großmeister, hätten viel besser als Maud helfen können. Sie besaßen die größere Erfahrung. Vor allem Butler Harvey hatte für jede Lage eine Waffe oder einen Talisman. 28 �
Maud fehlte jedoch die Zeit, einen von ihnen zu verständigen. Bis sie London erreichten, mußte Peter bereits durch den schwarzmagischen Bann gestorben sein. Deshalb mußte Maud auf eigene Faust handeln. Sie trug nur eine weiße Platte in der Größe einer Briefmarke bei sich. Sie hatte keine Ahnung, aus welchem Material der Anhänger bestand, auf dessen Oberfläche rätselhafte Zeichen eingraviert waren. Mit zitternden Fingern löste sie die Platte von ihrer Halskette und legte sie auf Peters nackte Brust. Der ersehnte Erfolg blieb aus. Der Schreck ließ Maud erstarren. Wenn dieses Amulett nicht half, war Peter unrettbar verloren. Der Arzt hatte schon zugegeben, daß er nichts mehr machen konnte. Alle Hoffnung lag bei Maud und der weißmagischen Kraft des Amuletts. Peter blieb bewegungslos. Nichts deutete darauf hin, daß sich eine positive Wirkung einstellte. »Peter, kannst du mich hören?« rief Maud entsetzt. »Antworte, wenn du mich verstehst.« Die Apparate erwachten zu einem unheimlichen Leben. Die einen tickten schneller, an anderen flackerten Lampen. Maud deutete die Zeichen richtig. Peters Zustand wurde kritisch. In ihrer Verzweiflung verfiel sie auf eine einfache Idee. Sie drehte das
Amulett um, so daß die Zeichen der anderen Seite mit Peters Haut in Kontakt kamen. Die Apparate beruhigten sich schlagartig. Peter öffnete die Augen und sah Maud an. »Hallo«, flüsterte er benommen. »Was ist geschehen?« Die Tür flog auf. Der Arzt und zwei Krankenschwestern stürmten herein. Sie drängten Maud zur Seite und untersuchten Peter. »Unglaublich!« murmelte der Arzt immer wieder. »Einfach unglaublich. Was haben Sie gemacht, Miss Orwell?« »Maud befestigte das Plättchen mit den rettenden Symbolen wieder an ihrer Halskette. »Ich habe meine kleinen Geheimnisse«, erwiderte sie glücklich lächelnd. »Peter, wie fühlst du dich?« »Wenn ihr endlich diese scheußlichen Schläuche wegnehmt, geht es mir prima«, sagte er verwundert. Während die Krankenschwestern das besorgten, erklärte ihm Maud, wo er war. »Du hattest einen Autounfall«, behauptete sie, weil der Arzt zuhörte. »Offenbar hattest du mehr Glück als Verstand.« Der Arzt war mißtrauisch. Er wollte Peter nicht gehen lassen, doch der junge Großmeister bestand darauf. Bert empfing die beiden auf dem 29 �
Korridor. Peter trug seine eigene Kleidung, die nur schmutzig geworden war. »Es ist wie ein Wunder«, meinte der Fotograf. »Wie haben Sie das bloß gemacht, Miss Orwell?« Maud führte im Moment das Kommando. Peter spürte zwar nicht einmal Nachwirkungen des Treffers an der Stirn, wußte jedoch nicht, was los war. »Bert, Sie halten sich da heraus«, entschied Maud. »Sie haben uns wirklich geholfen, aber von jetzt an lassen Sie uns bitte allein.« Der Fotograf war keineswegs beleidigt. »Ich bringe euch beide aber noch nach Hause«, bestimmte er. Dagegen hatte Maud selbstverständlich nichts einzuwenden. Unterwegs wollte Peter von ihr erfahren, was denn nun wirklich passiert war, doch Maud blieb bei der Unfallversion. Bert platzte vor Neugierde. Er glaubte Maud genauso wenig wie Peter, erreichte jedoch nichts. In Frank Codys Wohnung mußte Peter sich hinlegen. Er protestierte, weil er sich fit fühlte. »Du hast ein Gummigeschoß an die Stirn bekommen«, widersprach Maud. »Also bleib liegen!« Dann schilderte sie ihm, wie sie auf seine Spur gekommen war. Allmählich fielen Peter die Einzelheiten ein.
»Jetzt weiß ich wieder, daß sie mich in einem Wagen weggebracht haben«, murmelte er. »Du hast recht, es war Porter. James Earl Porter, der Organisator des Festes auf dem Soho Square! Er gehört also zur Gegenseite und hat offenbar das Kommando. Es war seine Idee, einen Unfall vorzutäuschen.« »Du warst offenbar noch so benommen, daß sie dich für bewusstlos gehalten haben«, meinte Maud. »Zumindest haben sie mich für einen sicheren Todeskandidaten gehalten, vor dem sie sich nicht in acht nehmen mussten.« Peter ließ sich das Amulett zeigen. »Ich kenne es. Harvey weiß auch nicht, woher es stammt. Ein Ordensmitglied aus Java hat es uns einmal geschickt. Hast du dir gemerkt, welche Seite gewirkt hat.« Maud drehte das Amulett richtig. »Du ahnst gar nicht, wie froh ich bin«, flüsterte sie, und auf einmal war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Sie fiel ihm schluchzend um den Hals, und Peter brauchte eine Weile, bis er Maud getröstet hatte. »Es war ein entsetzlicher Anblick.« Sie schüttelte sich. »Wie du so dalagst und der Arzt sagte, er könne nichts mehr machen! Schauderhaft!« »Unsere Feinde haben sich viel Mühe gegeben«, bestätigte Peter. »Und sie sind ganz gemein vorge30 �
gangen. Sie hätten mich ja auch in den Wagen setzen können, bevor sie ihn gegen den Baum rasen ließen. Aber sie haben den Bann über mich gesprochen, damit ich alles miterlebe. Jetzt erinnere ich mich daran. Es war wie ein Starrkrampf. Ich konnte mich nicht bewegen und nicht sprechen, aber ich habe alles gesehen und gehört. Sogar mit geschlossenen Augen habe ich meine Umgebung gesehen! Es war schauerlich. Erst durch dein Zureden konnte ich den Bann teilweise lösen.« Ein tickendes Geräusch ließ sie Angespannt zusammenzucken. lauschten sie. »Haben wir eine Uhr in der Wohnung?« fragte Maud besorgt. Peter schüttelte den Kopf. »Das ist aber auch keine Bombe«, meinte er. »Das kommt von draußen.« Es war spät geworden. Der Soho Square lag verlassen unter ihnen. Das Ticken kam eindeutig von dem Platz zu ihnen herauf. »Das hört sich wie leise Hammerschläge auf einen Meißel an.« Maud hatte das feinere Gehör. »Ich kann mich an diese Geräusche noch sehr gut erinnern. Genauso hört es sich an, wenn Dough Fuller arbeitet.« Sie starrten angestrengt zu der Statue hinüber, konnten jedoch nichts entdecken. »Das sehen wir uns aus der Nähe an«, sagte Peter.
»Bist du denn schon wieder auf dem Damm?« fragte Maud besorgt. »Übernimm dich nicht.« »Alles okay«, bestätigte Peter. Sie überprüften ihre Waffen. Als sie den Platz betraten, blitzte es ein paar Mal hintereinander in einer Seitenstraße auf. Sofort trennten sie sich. Während Peter in die Mitte des Platzes lief, rannte Maud an den Häusern entlang. Sie hielten ihre Revolver schussbereit. Aus den Augenwinkeln heraus sah Peter, daß sich neben der Statue drei weiße Gestalten bewegten. Dann entdeckte er die Ursache der Blitze und blieb erleichtert stehen. Gleichzeitig erreichte Maud die Seitenstraße und richtete ihre Waffe auf den völlig verstörten Bert. Der Fotograf ließ seinen Apparat mit dem Blitzgerät sinken. Er blickte aus geweiteten Augen auf die Waffe, erkannte Maud und atmete auf. Dann deutete er hektisch auf die Statue und die weißen Gestalten. Peter begriff die Zusammenhänge. Bert war neugierig geworden und hatte sie beide beobachten wollen. Dabei war er durch Zufall auf die drei Skelette aufmerksam geworden, die an der Statue arbeiteten. Es wunderte den Großmeister nicht, daß Schweiß auf Berts Stirn stand. Ihn selbst konnte dieser Anblick längst nicht mehr erschrecken. Er hatte schon oft gegen Ske31 �
lette gekämpft. Neben Untoten gehörten sie zu den gefährlichsten Helfern des Bösen. »Ist das ein Trick?« fragte Bert stammelnd. »Das können doch keine echten Skelette sein!« Peter gab Maud einen Wink, sich um Bert zu kümmern. Während sie dem Fotografen die Umstände in groben Zügen erklärte, näherte sich Peter den Knochenmännern. Sie ließen sich nicht stören, obwohl er seinen Revolver auf sie richtete. Selbst wenn sie fähig waren, die Gefahr zu erkennen, hatten sie einen Auftrag. Sie mussten die schwarze Figur bearbeiten. Sollten sie zerstört werden, hatte die Gegenseite noch unzählige solcher Helfer. Jedes dieser Skelette war ersetzbar. Peter sah keinen Sinn darin, die Gerippe zu zerstören. An ihre Stelle wären sofort andere getreten. Er hätte pausenlos arbeiten müssen und letztlich doch nur erreicht, daß sie ihn mit Übermacht angriffen. Er mußte die Statue ausschalten. Das war seine einzige Aufgabe, doch dafür brauchte er erst einen Anhaltspunkt, was sie darstellte und woraus sie bestand. Jeder nicht vorbereitete Angriff hätte eine Katastrophe auslösen können. »Peter!« rief Maud gedämpft. Er drehte sich rasch um und entdeckte den Streifenwagen, der sich dem Platz näherte. Peter ging zu Maud und Bert, der auffallend blaß
geworden war. »Bin gespannt, was die Knochenmänner jetzt machen«, meinte Peter. »Ich habe sie fotografiert«, sagte Bert aufgeregt. »Das werden die Fotos meines Lebens.« Peter war anderer Meinung, behielt sie jedoch für sich. Vielleicht hatte Bert tatsächlich Glück. Der Streifenwagen rollte über den Platz und an der schwarzen Statue vorbei. Die Polizisten reagierten nicht, obwohl die Skelette ohne Unterbrechung weiterhämmerten. Vor der kleinen Gruppe hielt der Wagen an. Die Polizisten stiegen aus, grüßten höflich und erkundigten sich, was hier vor sich ging. Bert war viel zu aufgeregt, um etwas zu sagen. Peter hielt sich bereit, falls die Skelette es sich doch anders überlegten und angriffen. Daher übernahm Maud die Erklärung. »Unser Freund hier ist Reporter.« Sie deutete auf Bert. »Wir machen Aufnahmen vom Soho Square bei Nacht. Diese Bilder stellt er dann dem bunten Treiben bei Tag gegenüber.« »Ach so, alles klar«, meinte der eine Polizist und wollte wieder einsteigen. »Warten Sie!« rief Bert zitternd. »Sehen Sie nicht die Skelette, die mit Meißel und Hammer die Statue bearbeiten?« Die Polizisten blickten zu dem 32 �
schwarzen Koloss. Dann betrachteten sie sehr mißtrauisch den Fotografen. Maud sprang rettend ein. »Wir haben vorher ein wenig gefeiert«, behauptete sie. »Nehmen Sie ihn nicht ernst.« Der Polizist lächelte beruhigt. »Hoffentlich werden dann die Fotos etwas«, sagte er. »Darauf achte ich schon, keine Sorge.« Maud winkte den Polizisten zu, als sie abfuhren. »Wie konnten sie die Skelette übersehen?« rief Bert ungläubig. »Wir sehen sie doch auch!« »Eine Laune unserer Gegner«, erklärte Peter. »Da Maud und ich ohnedies Bescheid wissen, brauchen sich die Skelette nicht zu tarnen. Und du wirst offenbar auch schon zu uns gerechnet. Das kann für dich tödlich ausgehen.« Er wollte Bert einen Schock versetzen, damit der Fotograf sich von jetzt an aus der Gefahrenzone heraus hielt. Peter hatte jedoch keinen Erfolg. »Phantastisch«, murmelte Bert und schoß noch eine Reihe von Aufnahmen. »Das wird die tollste Story, die je in London geschrieben wurde.« »Okay, wir haben Sie gewarnt«, meinte Maud. »Nehmen Sie von uns noch einen guten Rat an. Erzählen und schreiben Sie nichts, das Sie nicht beweisen können. Und geben Sie uns nie als Zeugen an. Man
würde auch uns nicht glauben. Das Erlebnis mit den Polizisten sollte Ihnen eine Lehre sein.« »Ja, das ist es«, behauptete Bert, doch Maud zweifelte, ob er wirklich gelernt hatte. Zwanzig Minuten später stellten die Skelette ihre Arbeit ein. Sie legten Hammer und Meißel weg. »Bin neugierig, wie sie verschwinden«, sagte Peter. Bert hielt seine Kamera bereit und fotografierte auch noch den überraschenden Abgang der seltsamen Bildhauer. Sie traten hinter die schwarze Statue und verschmolzen in ihr. »Ihr hört wieder von mir!« rief Bert, kaum daß das letzte Skelett in die Statue eingedrungen war. Peter blickte dem Fotografen lächelnd nach. »Der Ärmste«, meinte er. »Du glaubst auch nicht, daß er etwas auf seinen Fotos drauf hat?« fragte Maud. Peter winkte ab. »Die Schwarze Magie läßt sich nicht in die Karten schauen. Deshalb gibt es ja keine eindeutigen Beweise für ihr Bestehen. Würden mehr Menschen an das Vorhandensein des Bösen glauben, wären sie gewarnt und könnten sich wehren. So aber schlagen unsere Gegner aus dem Hinterhalt zu. Das macht sie doppelt und dreifach gefährlich.« Sie wagten sich näher an die Statue 33 �
heran und betrachteten das Werk der Skelette. »Sie haben den Rücken dieses Monsters mit den gleichen sechseckigen Blättchen verziert«, stellte Maud fest. »Verzierung ist wohl nicht ganz der richtige Ausdruck«, sagte Peter. »Ich tippe auf Schuppen. Dieser schwarze Koloss stellt ein schuppenbedecktes Wesen dar.« Sie sahen sich gegenseitig an und dachten dasselbe. Es wurde immer deutlicher, daß mitten in London die Statue eines riesigen Dämons entstand. Welche Bedrohung das für die Bevölkerung darstellte, war beiden klar. »Es wird Zeit, daß wir Verstärkung rufen«, sagte Peter. »Jetzt wissen wir, worum es geht, und können nachhaken.« Von Codys Wohnung aus rief Peter seinen Butler an, der schon voll Ungeduld auf eine Nachricht gewartet hatte. »Ich habe eine Spur von Eckrhomm gefunden«, berichtete Harvey, noch bevor Peter etwas sagen konnte. Es kam selten vor, daß er seinen Großmeister gar nicht zu Wort kommen ließ. »Genaue Angaben fehlen noch. Aber wie es aussieht, war Eckrhomm vor Jahrhunderten ein gefährlicher Dämon. Er kam zugleich mit der Pest auf die Erde. Als er endlich gebannt war,
verschwand auch die Pest.« Peter wurde kreidebleich. Maud, die ihn aufmerksam betrachtete, erschrak und wollte wissen, was er erfahren hatte. Peter winkte ab, Durch seine nächste Frage erfuhr sie es ohnedies. »Glauben Sie denn, Harvey, daß Eckrhomm die Pest gebracht hat?« fragte er schockiert. »Peter!« rief Maud entsetzt. Sie drängte ihr Ohr an den Hörer, damit sie Harveys Antwort verstand. »Ich will mich nicht festlegen, Sir«, meinte der Butler in seiner vorsichtigen Art. »Es wäre aber möglich, daß wenigstens eine Pestwelle in Europa auf Eckrhomms Konto geht.« Peter brauchte ein paar Sekunden, um diese Nachricht zu verarbeiten. »Kommen Sie sofort zu uns«, entschied Peter. »Auf dem Soho Square entsteht derzeit Eckrhomms Standbild. Bringen Sie alles mit, womit man diese Steinstatue vernichten könnte. Vor allem aber, beeilen Sie sich!« »Ich mache mich sofort auf den Weg, Sir«, erwiderte Harvey. »Wollen Sie weitere Verstärkung anfordern?« »Nein«, erwiderte Peter. »Wir wissen, wer unser Feind ist. Entweder es gelingt uns, die Statue zu zerstören, oder die ganze Verstärkung hilft uns auch nichts. Also, Tempo!« »Bin schon weg«, entgegnete Harvey und verzichtete auf seine ver34 �
schnörkelte Ausdrucksweise. Das war ein Zeichen, wie dringend auch ihm die Sache erschien. Peter und Maud sprachen nicht mehr über den Fall. Ihnen war nun klar, worum es ging. Weitere Worte waren überflüssig. »Nehmen wir eine Handvoll Schlaf«, entschied Peter. »Ich möchte ausgeruht sein, wenn Harvey kommt.« Sie konnten nur schlafen, weil sie nicht an die drohende Gefahr dachten. Die hätte ihnen jede Ruhe geraubt. * Im Morgengrauen klingelte es. Mit einer knappen Begrüßung betrat Butler Harvey die Wohnung. Er trug zwei Koffer bei sich, einen kleinen mit seinen Kleidern, einen wesentlich größeren und schwereren mit Waffen. »Versuchen wir es sofort?« fragte Harvey. Auch jetzt drückte er sich äußerst knapp aus. Er zeigte keine Spur von Müdigkeit. »Sofort«, entschied Peter Winslow. »Gehen wir.« Der junge Großmeister schleppte den Koffer auf den Platz hinunter und legte ihn in sicherem Abstand von der schwarzen Statue auf den Boden. »Das also ist Eckrhomm«, murmelte Butler Harvey beeindruckt.
»Ich habe es mir nicht so schlimm vorgestellt. Wenn dieses Ungeheuer wirklich losmarschiert, gibt es ein Massensterben.« »Mir macht noch etwas Sorgen«, sagte Maud, während der Butler seinen Koffer öffnete. »Wo ist Frank Codys Leiche geblieben? Er konnte sich nach Belieben…« »Danke, ich bin unterrichtet«, winkte Harvey ab und holte Gegenstände hervor, die Handgranaten ähnelten. »Ich habe keine Ahnung, Maud, was aus Mr. Cody geworden sein könnte.« Diese Sprengkörper hatte Harvey schon sehr oft eingesetzt. Sie wirkten nur gegen das Böse, nicht aber gegen Menschen. Theoretisch hätte Harvey sie in seiner Hand explodieren lassen können, ohne daß ihm etwas geschehen wäre. Er tat es nur nicht, weil bei der Zerstörung schwarzmagischer Gegenstände gewaltige Energien frei wurden, die man nicht berechnen konnte. Eine volle Stunde lang hantierten sie zu dritt auf dem Soho Square. Es war ein Wunder, daß ihre zahlreichen Versuche nicht bemerkt wurden. Offenbar schliefen die Leute in den umliegenden Häusern besonders fest. Verkehr gab es auf dem Platz ohnedies nicht. Als sich die ersten Passanten zeigten, mußte Butler Harvey aufgeben. »Es tut mir leid, Sir«, sagte er niedergeschlagen. »Mit meinen Waffen 35 �
kann ich diesem Koloss nicht zu Leibe rücken. Sie haben selbst gesehen, was ich alles versucht habe. Es war vergeblich.« Peter setzte sich auf den Randstein und stützte das Kinn auf die angezogenen Knie. Sein Blick hing an Eckrhomms Statue. »Unglaublich«, murmelte er. »Sie haben sämtliche Beschwörungen und Sprengkörper, alle möglichen weißmagischen Zeichen und Amulette probiert.« »Heute ist ein schwarzer Tag«, versicherte Butler Harvey. »Dermaßen habe ich noch nie versagt.« »Wie wäre es mit meinem Amulett?« schlug Maud vor. Harvey warf einen Blick auf den Anhänger an ihrer Halskette. »Den haben Sie von mir, Maud«, stellte er fest. »Es handelt sich um einen ziemlich schwachen Talisman. Sie haben ihn damals aus meinem Vorrat ausgesucht, weil er Ihnen gefallen hat. Ihre Eitelkeit hat die Wahl beeinflusst, nicht die Wirksamkeit.« »Meine Eitelkeit hat Peter das Leben gerettet«, fuhr Maud ihn gereizt an. Sie hatte zu wenig geschlafen und war durch die vergeblichen Versuche nervös. »Los, Peter, versuch es wenigstens! Es kostet nichts.« Peter nickte und raffte sich auf. Viel Hoffnung hatte er nicht. Das Amulett hatte ihm nicht gegen Eckrhomm, sondern gegen jenen Bann
geholfen, den James Earl Porter über ihn gesprochen hatte. Er nahm Maud das weiße Plättchen aus der Hand und suchte die richtige Seite aus. Damit näherte er sich der schwarzen Statue und drückte das Amulett gegen ein Bein Eckrhomms. Peter tat es ohne Interesse und ohne die geringste Hoffnung. Darum wurde er von der Wirkung um so stärker überrascht. Er schrie auf, als er einen harten Schlag erhielt. Ohne jede Vorwarnung trat die Statue nach ihm. Der steinerne Fuß traf ihn an der Schulter und schleuderte ihn mehrere Meter weit. Nur seinem trainierten Reaktionsvermögen verdankte er es, daß er keine ernsten Verletzungen erlitt. Er rollte den Sturz ab und kam taumelnd auf die Beine. Stöhnend hielt er sich die Schulter. Während Butler Harvey das wertvolle Amulett barg, das Peter entfallen war kümmerte Maud sich um den Großmeister. »Du mußt ins Krankenhaus und dich untersuchen lassen«, redete sie ihm zu »Vielleicht ist etwas gebrochen.« »Ach was, Krankenhaus«, wehrte er gereizt ab. »Ich habe vorläufig genug von Krankenhäusern. Außerdem zerbreche ich nicht gleich.« Die Statue stand unverändert an ihrem Platz, als sei nichts vorgefal36 �
len. »Ich habe mich getäuscht«, gestand Butler Harvey ein und überreichte Maud ihr Amulett. »Es ist doch sehr wirkungsvoll.« »Trotzdem können wir Eckrhomm damit nicht besiegen«, sagte, Peter. »Das hat er uns sehr eindrucksvoll gezeigt.« »Aber wir können das Amulett als letzte Waffe einsetzen.« Maud hakte es vorsichtig an ihrer Halskette fest, um es nicht zu verlieren. »Was jetzt?« »Machen wir bei Dough Fuller weiter«, entschied Peter und deutete auf den Bildhauer, der an diesem Tag als erster Künstler auf dem Soho Square eintraf. Sie gingen ihm entgegen und sprachen ihn an. Als Fuller in Trance weiter gehen wollte, hielten sie ihn fest. Fuller begann zu schreien und zu toben, bis Maud ihm das weiße Plättchen auf die Stirn legte. »Was ist denn los?« fragte Dough Fuller verwirrt. »Wieso bin ich schon auf dem Soho Square? Ich wollte ausschlafen. Carol hat mich extra gebeten, sie zu wecken, bevor ich gehe.« »Komm mit«, sagte Peter und hakte sich bei dem Bildhauer unter. Wir müssen uns ernsthaft unterhalten.« Mittlerweile war der junge Großmeister überzeugt, daß Fuller selbst
ein Opfer der Schwarzen Magie geworden war. Er wußte nicht, was er auf dem Soho Square tat. Noch viel weniger konnte Fuller die Folgen seines Handelns absehen. Sie schafften Dough Fuller in Codys Wohnung. Mehrmals versuchte der Bildhauer, ihnen zu entkommen. Jedes Mal genügte eine kurze Berührung mit dem Amulett, um ihn aus dem Bann zu befreien, der nach ihm griff. Dann nahm Peter sich eine Stunde Zeit, Fuller die Zusammenhänge zu erklären. Dabei kam wieder eine von Peters Gaben zum Vorschein. Was er den Leuten zu sagen hatte, klang für die meisten absolut abenteuerlich und unglaubwürdig. Trotzdem wagte niemand, ihm offen zu widersprechen. Maud hatte einmal behauptet, es läge an Peters Augen. Sie seien so offen und ehrlich, daß man ihm einfach glauben müsse. Dough Fuller erging es wie vielen vor ihm. »Das klingt alles recht logisch, aber ich kann es nicht begreifen«, behauptete er. »Machen wir ein Experiment«, schlug Peter vor. »Du hast einen Auftrag von Schwarzmagiern erhalten.« »Davon weiß ich nichts«, wandte Fuller ein. »Nein, natürlich nicht«, versicherte 37 �
Peter. »Aber ich werde dir helfen, dich zu erinnern.« Der junge Großmeister spielte immer mit offenen Karten. Er erklärte Fuller, worum es ging. Daraufhin war der Bildhauer einverstanden. »Ich muß dich aber warnen«, fügte Peter noch hinzu. »Auch wenn du nicht an Schwarze Magie glaubst, kann es für dich tödlich ausgehen, daß du überhaupt mit uns sprichst. Unsere Feinde könnten dich ermorden, falls du nicht mehr für sie arbeitest.« »Machen wir erst einmal das Experiment«, antwortete Fuller ausweichend. Peter lächelte in sich hinein. Fuller wollte ihm nicht zu deutlich sagen, daß Schwarzmagier keine Gefahr waren, weil es sie nicht gab. Nach Peters Anweisungen legte sich der Bildhauer auf die Couch. Maud drückte ihr Amulett auf seine Stirn. »Vorläufig spüre ich gar nichts«, murmelte Doug Fuller. »Was kommt nun?« »Erinnere dich«, sagte Peter mit beschwörender Stimme. »Irgendwann in der letzten Zeit bist du mit jemandem zusammen getroffen, der dir einen Auftrag erteilt hat. Du solltest auf dem Soho Square einen schwarzen Steinblock behauen. Erinnerst du dich?« »Das war ganz allein meine Idee«,
protestierte Dough Fuller. »Ich will endlich ein Kunstwerk schaffen, das die Welt auf mich aufmerksam macht. Bis zur Preisverleihung wird die Statue fertig sein.« »Welche Statue?« hakte Peter nach. »Wen stellt sie dar?« »Keine bestimmte Person«, behauptete Fuller. »Ich schaffe sie aus meiner Phantasie heraus. Das ist doch das Besondere an einem Künstler.« »Das klappt nicht«, sagte Maud enttäuscht. »Wann hast du den Auftrag erhalten?« drängte Peter. Er wurde allmählich nervös. An diesem Tag funktionierte gar nichts. »Mann, ich habe es schon gesagt!« rief Dough Fuller gereizt und wollte sich aufsetzen. »Ich habe jetzt genug und fange an.« »Halt!« Peter drückte ihn auf die Couch zurück und deutete auf das Amulett. »Du hast die beiden Seiten verwechselt, Maud.« Sie beugte sich vor und erschrak. »Tut mir leid«, murmelte sie und drehte das Amulett rasch um. Sofort veränderte sich Fullers Zustand. Seine Augen weiteten sich. Seine Lippen wurden blaß und durchscheinend. Alles Blut wich aus seinem Kopf. Er atmete röchelnd und hob abwehrend die Hände. »Flammen!« schrie er auf. »Ich 38 �
habe den Brand nicht rechtzeitig gesehen! Ich gehe durch Soho, will mich nur ein wenig umsehen. Auf einmal schlagen vor mir Flammen aus dem Asphalt. Ein riesiger Abgrund tut sich auf, ganz mit Feuer gefüllt. Helft mir!« Maud und Peter hielten seine Arme fest. Butler Harvey versuchte, den um sich schlagenden Künstler auf die Couch zu drücken. »Ich stürze in den Abgrund!« Dough Fuller schrie entsetzt auf. »Ich liege in den Flammen. Um mich herum brüllen und toben die Feuersäulen der Hölle. Sie fressen mich auf.« Seine Augen quollen weit hervor. Sein Blick war in die Unendlichkeit gerichtet. »Da ist er!« schrie er röchelnd. »Er kommt auf mich zu, mitten aus den Flammen heraus. Er ist riesengroß, stark und breit, von schwarzen Schuppen bedeckt. Das Gesicht… es ist… ist… unbeschreiblich abstoßend. Es drückt alles Böse dieser Welt aus. Er schlägt nach mir!« Dough Fuller versuchte, dem nur in seiner Phantasie vorhandenen Schlag auszuweichen. Dabei entwickelte er solche Kräfte, daß sie ihn kaum zu dritt bändigen konnten. »Er schlägt mit der Faust nach mir.« Dough Fuller bäumte sich auf und fiel auf die Couch zurück. Seine Kleider klebten ihm am Körper, aber er beruhigte sich wieder. »Ich gehe
durch Soho. Die Flammen habe ich vergessen. Ich weiß auch nicht mehr, daß ich Eckrhomm getroffen habe. In einer anderen Dimension hat er mir den Auftrag erteilt, sein Ebenbild zu formen. Es wird zu Leben erwachen. Schon jetzt ist es mit seinem Geist erfüllt, aber er schirmt sich nach außen ab. Niemand soll zu früh die Wahrheit erahnen. Nur manchmal hat er sich nicht unter Kontrolle. Schon in der ersten Nacht hat sich seine Statue selbständig gemacht und einen Mann in einer Telefonzelle ermordet.« »Frank Cody«, murmelte Peter Winslow. »Und einmal wollte er ein Kind ermorden, doch er konnte sich gerade noch rechtzeitig zurückhalten.« Dough Fuller sprach jetzt unbeteiligt, als berichte er über Dinge, die ihn nichts angingen. »Er wollte sich nicht vor so vielen Zeugen verraten.« »Wann wird Eckrhomms Ebenbild fertig?« fragte Peter eindringlich. »Was wird er dann tun?« »Pünktlich zur Preisverleihung.« Dough Fuller schlug die Augen auf und blickte klar um sich. »Mehr weiß ich nicht«, sagte er mit seiner natürlichen Stimme. Peter entfernte das Amulett von Doughs Stirn. »Erinnerst du dich, was du soeben erzählt hast?« fragte er gespannt. Fuller nickte. »Entsetzlich«, mur-
melte er. »Ihr habt in allem recht behalten. Jetzt glaube ich auch eure verrückte Geschichte.« Er wandte sich verstört an Peter, dem er offenbar am meisten vertraute. »Was soll ich denn machen? Ich will nicht an diesem fürchterlichen Unglück mitschuldig werden. Andererseits fühle ich schon jetzt in mir den unwiderstehlichen Drang, an die Arbeit zu gehen. Wollt ihr mir helfen?« »Ganz bestimmt«, versicherte Peter. »Du mußt uns aber auch helfen. Wir wollen die Fertigstellung verzögern.« Er zeigte Dough Fuller das Amulett und erklärte ihm seinen Plan. Fuller war sofort einverstanden, einige weißmagische Zeichen von dem Amulett auf die Statue zu übertragen. »Einer von uns wird immer in deiner Nähe sein, um dir zu helfen«, versicherte Peter. »Es wäre möglich, daß Eckrhomm sich gegen unsere Versuche wehrt.« Doug Fuller wurde einen Schein blasser. »Wird er mich umbringen?« fragte er erschrocken. »Ich gebe offen zu, daß ich ein Feigling bin.« »Besser zehn Minuten ein Feigling, als ein Leben lang tot«, meinte Peter Winslow. »Du arbeitest an der Statue nur, solange zahlreiche Menschen in deiner Nähe sind. Vor ihnen wird Eckrhomm dir nichts tun. Gegen andere Gefahren schützen wir dich. Und Nachts bleibst du
ab sofort bei uns.« »Ich werde mich um Carol kümmern«, warf Maud ein. »Du kennst meine Freundin?« fragte Dough erstaunt. Maud erzählte von ihrem Zusammentreffen. »Am besten wäre es, wenn Carol die Stadt verließe. Tut sie es nicht, dürft ihr zwei nicht zusammenkommen, bis alles ausgestanden ist.« Dough Fuller stimmte allem zu. »Ich bin schon froh, wenn ich nicht für die Schwarzmagier arbeiten muß«, sagte er. »Ich werde alles tun, was ihr von mir verlangt.« »Ich übernehme die erste Wache bei Mr. Fuller«, bot Butler Harvey an. »Sie legten sich erst einmal für ein paar Stunden aufs Ohr«, bestimmte Peter. »Sie haben die ganze Nacht durchgearbeitet.« »Nun gut, Sir«, erwiderte der Butler. »Mit Ihrer gütigen Erlaubnis werde ich die Ruhe pflegen, damit ich Ihnen hinterher mit mehr Tatkraft und Energie…« »Ja, sehr fein«, unterbrach Peter seinen Butler. Wenn Harvey in seine üblichen Schnörkel verfiel, konnte ein einfacher Satz mehrere Minuten dauern. »Ich fahre zu Carol«, sagte Maud und machte sich auf den Weg. Peter klopfte Doug Fuller aufmunternd auf die Schulter und zeigte ihm noch einmal das Amulett.
»Also, worauf warten wir beide noch?« fragte Peter mit vorgetäuschter guter Laune. »Fangen wir an.« Zehn Minuten später hielt Fuller Hammer und Meißel in den Händen. Peter hatte ihm absichtlich nichts von den Skeletten erzählt. Fuller wäre bestimmt davon gelaufen, hätte er gewußt, daß an dem schwarzen Steinblock einige Knochenmänner lauerten. Zuerst tat Fuller, was ihm Eckrhomm eingab. Unter seinen Händen formte sich ein Bein der Statue in groben Umrissen. Dann gab Peter ihm ein Zeichen. Blitzschnell hämmerte Dough Fuller ein weißmagisches Symbol des Amuletts in das soeben modellierte Bein. Aufatmend trat der Bildhauer zurück und kam zu Peter, der in einigem Abstand auf seinen Einsatz gewartet hatte. »Alles okay, Peter«, meldete Dough Fuller. »Eckrhomm hat sich nicht gewehrt, und ich fühle nicht mehr in mir den Drang, an der Statue zu arbeiten.« »Ausgezeichnet.« Peter freute sich aufrichtig. »Dann bringe ich dich jetzt zu Harvey. Auch wenn er schläft, ist er für dich ein ausgezeichneter Wächter. Du kannst Gift darauf nehmen, daß er beim kleinsten Anzeichen von Gefahr einsatzbereit ist.« »Dieser komische, steife Butler mit
seiner verrückten Ausdrucksweise und altmodischen Kleidung?« fragte Dough Fuller zweifelnd und respektlos. »Der wirkt so klapperig, als ob er sich nicht auf den Beinen halten könne.« Peter grinste über das ganze Gesicht. »Lass das bloß Harvey nicht hören, sonst ist er tödlich beleidigt. Übrigens haben schon viele von Harveys Gegnern eine genauso schlechte Meinung von ihm gehabt wie du.« »Und?« fragte Fuller. »Was ist aus ihnen geworden?« Peter lachte nicht mehr. »Sie haben es bitter bereut«, sagte er. * Maud mietete einen Wagen und fuhr zu Carol Bongert. Die rothaarige Carol mit dem spitzen Mundwerk und der entfernten Ähnlichkeit zu Maud schlief noch, als sie den unerwarteten Besuch erhielt. »Was machen Sie denn bei mir?« fragte Carol erstaunt und blinzelte Maud aus müden Augen entgegen. »Wir beide müssen uns über Dough unterhalten«, sagte Maud. »Darf ich reinkommen?« »Dough schläft noch«, sagte Carol. »Muß es jetzt sein?« »Dough schläft nicht, sondern arbeitet auf dem Soho Square«, antwortete Maud und trat an der über-
raschten Carol vorbei ein. »Haben Sie es gar nicht bemerkt?« »Mich laust der Affe!« rief Carol und lief plötzlich hellwach ins Schlafzimmer. »Tatsächlich, der Kerl ist weg.« Maud folgte Carol in die Küche und sah ihr beim Teekochen zu. Dabei erzählte sie, was geschehen war. »Ich kann London nicht verlassen«, erklärte Carol entschieden. »Einer in der Familie muß die Mäuse verdienen. Da Dough immer nur Scheusale aus Stein hämmert, die keiner kauft, bin ich die Großverdienerin. Was meinst du, was mein Chef sagt, wenn ich verschwinde? Glaubst du, ich kann ihm erklären, daß ich vor einem Dämon wegrenne?« »Nein, wahrscheinlich nicht«, gab Maud zu. »Wir haben Dough eingeschärft, daß ihr zwei euch nicht sehen dürft, bis alles vorbei ist.« »O weh, das wird ihm schwerfallen«, meinte Carol und brachte den Tee ins Wohnzimmer. »Weißt du, Maud, Dough ist mein Liebhaber und mein Baby. Er braucht mich wie ein Säugling seine Mama. Ohne mich ist er verloren und weiß nicht einmal, was er anziehen soll. Daß er heute morgen auf eigene Faust weggegangen ist, beweist, daß ihn ein Dämon leitet. Er hätte nämlich ohne diesen Eckrhomm nicht einmal seine Strümpfe gefunden.«
Maud lächelte über die Art der Schilderung. »Trotzdem dürft ihr euch nicht sehen«, erklärte sie bestimmt. »Erstens wäre es für dich lebensgefährlich, weil die Schwarzmagier dich als Geisel nehmen könnten. Und zweitens müssen wir Dough ständig unter Kontrolle halten. Auch er könnte umgebracht werden.« Carol wurde kreidebleich. »Das darf nicht geschehen«, flüsterte sie und verzichtete auf ihre übliche Schnodderigkeit. »Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn anfangen sollte.« Maud nickte mitfühlend. »Genau deshalb werdet ihr euch bis zum Abschluß dieses Falles nicht mehr sehen«, wiederholte sie. »So, vielen Dank für den Tee. Ich muß weiter.« Carol brachte sie zur Tür. »Noch eine Frage«, sagte sie ernst. »Verrate mir, Maud, wie ihr vom Orden dieses Leben aushaltet. Ständig Kampf gegen solche Bestien, ständig Lebensgefahr und Ungewissheit.« Maud zuckte die Schultern. »Ich habe keine Ahnung, wie wir das machen«, gestand sie. »Es ist nun einmal unsere Aufgabe. Darum halten wir durch. Bis später!« Die einzelnen Ordensmitglieder waren in ihren Unternehmungen völlig frei. Sie stimmten sich meistens vorher ab, doch diesmal verzichtete Maud auf einen Anruf in Codys Wohnung. Butler Harvey sollte ungestört schlafen. Peter war 42 �
vermutlich ohnedies noch mit Dough Fuller beschäftigt. Also fuhr Maud nach Beckenham, um sich bei Tag die Transportfirma von Joe Ferndown anzusehen. Zuerst fuhr sie an dem Unternehmen vorbei, ohne einen Menschen auf dem Gelände zu entdecken. Dann entschloß sie sich, von der anderen Seite her zu versuchen. Peter war von der Straße aus eingedrungen und wäre dabei um ein Haar ums Leben gekommen. Sie stellte ihren Wagen ab und ging zu Fuß weiter. Ein schmaler Pfad führte am Waldrand entlang. Die Bäume reichten bis dicht an das Gelände von Joe Ferndown heran. Durch die Stämme geschützt, konnte sich Maud unbemerkt anschleichen so hoffte sie wenigstens. Schon nach wenigen Schritten kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Obwohl sie in Brighton lebte, kannte sie London ganz gut. Sie hatte noch nie gehört, daß es in der Umgebung einen richtigen Urwald gab. Doch hier sah es ganz danach aus, und das fand sie mehr als verdächtig. Alles wucherte und wuchs, als habe der Mensch seit über hundert Jahren nicht mehr eingegriffen. Von einem solchen Wald waren früher die gesamten britischen Inseln bedeckt gewesen, bevor abgeholzt
worden war. So sehr Maud auch die Natur schätzte, so wenig gefiel ihr dieser Wald. Zum Stadtrand von London paßte er nicht. Keine Gemeindeverwaltung ließ einen Urwald wuchern. Demnach gehörte dieser Wald Joe Ferndown. Und Ferndown war bestimmt alles andere als ein Umweltschützer und Naturliebhaber. Sofort änderte Maud ihren ursprünglichen Plan. Sie wollte sich später um Bürogebäude und Gewächshaus kümmern. In erster Linie interessierte sie sich jetzt für den Wald. Was verbarg er? Sie drang in das Dickicht vor und merkte schon bald, daß sie eine Machete gebraucht hätte. Dennoch gab sie nicht auf. Sie kletterte über umgestürzte und halb verfaulte Baumriesen, aus denen junge Hölzer wuchsen. Sie umging Sumpftümpel, in denen sich alles mögliche Getier tummelte, und wich Schlingpflanzen aus. Schließlich mußte sie sich gar durch so dicht ineinander verflochtene Zweige kämpfen, daß ihre Kleidung zerriss. Sie schützte Kopf und Gesicht mit den Armen. Einen neuen Jeansanzug bekam sie in jedem Laden. Um den war es nicht so schade. Die Sonne drang nicht bis zum 43 �
Boden vor. Hier unten herrschte ewige Dunkelheit. Seltsame Schreie gellten durch den Wald. Maud mußte sich mehrmals selbst daran erinnern, daß sie sich in London befand, sonst hätte sie daran gezweifelt. Doch ihre Mühe wurde belohnt. Im letzten Moment sah Maud vor sich die Kante eines tiefen Kraters. Ein dichtes Pflanzenpolster wäre ihr beinahe zum Verhängnis geworden. Um ein Haar wäre sie auf dem feuchten Boden ausgerutscht. Sie konnte sich eben noch an einem starken Zweig festklammern. Als sie sich vorsichtig vorneigte, blieb ihr noch nachträglich das Herz stehen. Vor ihr klaffte ein Krater von ungefähr einem halben Kilometer Durchmesser. Die Tiefe ließ sich nicht einmal erahnen. Ein paar hundert Meter fielen die senkrechten Wände bestimmt in die Tiefe. Das war aber noch nicht alles. Die Wände boten einen Querschnitt durch die Bodenbeschaffenheit. Unter der schwarzen Walderde folgte gelber Lehm, darunter kamen Kies und Schotter. Und darunter bestanden die Wände des Kraters aus pechschwarzem Gestein, genau jenem Stein, aus dem auf dem Soho Square Eckrhomms Statue entstand!
* � Nachdem Peter Winslow sich davon überzeugt hatte, daß Dough Fuller sich in Sicherheit befand, machte er sich auf den Weg nach Beckenham. Er hätte auch versuchen können, mit James Earl Porter zu sprechen, doch das hätte nichts gebracht. Porter war Schwarzmagier, das stand fest. Porter wußte auch, daß Peter ihn entlarvt hatte. Immerhin hatte Porter vor dem wehrlosen Peter offen gesprochen. Peter war aber nicht gestorben. Früher oder später würde sich James Earl Porter wieder zeigen, spätestens beim nächsten Anschlag auf den Großmeister und seine Helfer. Die Kämpfer des Bösen gaben nie auf. Viel interessanter fand Peter die Spedition von Joe Ferndown. Einmal hatten sie ihn dort beinahe umgebracht. Ein zweites Mal sollte ihm das nicht passieren. Er war gewarnt. Vermutlich wurden seine Schritte genau beobachtet. Daher machte er sich nicht die Mühe, unauffällig heran zu schleichen. Er stellte den Wagen auf der Straße ab und betrat das Gelände. Diesmal hielt er seinen Revolver schussbereit und war auf alles gefaßt. Nichts geschah. Die Gebäude wirkten genauso menschenleer wie bei seinem ersten Besuch. Heute fehlte der Lastwagen. 44 �
Peter fühlte die Nähe des Bösen fast körperlich. Wenn sich der junge Großmeister auf Einsatz befand, erhielt er rätselhafte Hilfe aus anderen Dimensionen. Manchmal war ihm, als würden ihn die Geister verstorbener Weißmagier unsichtbar begleiten. Von einem Geist wußte er ganz sicher, daß er ständig in seiner Nähe war, der Geist seiner ermordeten Mutter, Schwarzmagier hatten sie auf dem Gewissen. Nun unterstützte sie Peter, wo sie konnte. Allerdings gab es immer wieder Schwierigkeiten, von einer Dimension zur anderen Kontakt herzustellen. Feindliche Kräfte verhinderten es. Trotzdem fühlte Peter sich beschützt. Zuerst untersuchte er das Gewächshaus. Es wunderte ihn gar nicht mehr, daß es noch in Betrieb war. Die meisten Pflanzen, die hier gezogen wurden, kannte er nicht. Einige jagten ihm jedoch einen gehörigen Schreck ein. Sie produzierten tödliche Gifte. Aus anderen konnte man wirksame Hilfsmittel für Beschwörungen herstellen. Ein Garten der Hölle! Peter nahm sich vor, bei Gelegenheit dieses Gewächshaus zu zerstören. Das war zwar nur ein Tropfen auf einen heißen Stein, aber jeder Erfolg gegen das Böse zählte. Das Bürogebäude kam als nächstes an die Reihe.
Es war klinisch sauber. Peter grinste wütend. Sie hatten nach dem missglückten Mordanschlag alles beseitigt, das in irgendeiner Form auf Schwarzmagier deutete. Es gab kein Stück Papier, und Peter hätte jede Wette abgeschlossen, daß sie auch alle Fingerabdrücke verwischt hatten. Sie waren sehr gründlich gewesen. Jetzt bereute der junge Großmeister, daß er keine von Harveys Spezialwaffen mitgebracht hatte. Mit einer einzigen von Harveys Granaten hätte er das Gewächshaus auslöschen können. Im Haus gab es nicht einmal Benzin, um die Pflanzen zu verbrennen. Vorläufig konnte er auf dem Soho Square nichts unternehmen. Er mußte abwarten. Daher hätte er genug Zeit gehabt, zu Harvey zu fahren, einige von den Granaten zu holen und hier aufzuräumen. Schon wollte Peter das Grundstück verlassen, als er stockte. Hinter der Speditionsfirma erstreckte sich dichter Wald, um den Peter sich bisher nicht gekümmert hatte. Nun entdeckte er am Waldrand eine Gestalt. Obwohl das Sonnenlicht nicht bis unter die Bäume reichte, erkannte er doch Frank Cody. Der Untote winkte ihm zu. Obwohl nicht feststand, ob Cody auch jetzt noch auf der Seite der Weißmagier stand, zögerte Peter 45 �
nicht. Er folgte der Aufforderung und ging auf den Wald zu. Der Zombie brach wie ein Panzerfahrzeug durch das Dickicht. Peter hatte nur wenig Zeit, sich über diesen sonderbaren Urwald zu wundern. Er mußte sich beeilen, um Cody nicht aus den Augen zu verlieren. In gerader Linie drang der lebende Leichnam vor, blieb plötzlich stehen und streckte beide Arme zur Seite. Er drehte sich zu Peter um, der beim Anblick des zerstörten Gesichts die Fäuste ballte. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die Peter kaum mitbekam, tauchte Frank Cody seitlich zwischen die Bäume und kam nicht wieder zum Vorschein. Wenn Peter die Zeichen seines ermordeten Helfers richtig deutete, sollte er nicht weiter gehen. Cody hatte ihn jedoch ausdrücklich auf diese Stelle aufmerksam gemacht. Ganz langsam ging Peter näher. Ungläubig blickte er in den Krater, den man erst im letzten Moment erkannte. Vor seinen Füßen fiel eine senkrechte Wand in die Tiefe. Peter betrachtete die einzelnen Schichten und wußte nun, woher der Stein auf dem Soho Square stammte. »Peter!« ertönte ein Ruf, der ihn zusammenzucken ließ. »Maud?« erwiderte er verblüfft. Seine Freundin arbeitete sich durch das dichte Unterholz und
erreichte ihn Sekunden später. »Wie kommst du hierher?« fragte Peter erstaunt. »Wie kommst du hierher?« fragte Maud gleichzeitig. »Frank Cody hat mich hergeführt«, erklärte Peter. »Bei mir waren es Spürsinn und eine Menge Glück«, erwiderte Maud lächelnd. »Was sagst du dazu?« »Ein beeindruckendes Bergwerk«, stellte Peter fest. Maud betrachtete die plattgewalzte Schneise. »Du hast es sehr bequem gehabt«, stellte sie fest. »Ich habe mich durch diesen Urwald vorgekämpft.« »Man sieht es dir am« Peter deutete auf ihren zerrissenen Anzug. »Wir sollten…« »Vorsicht!« schrie Maud. Ihre Warnung war nicht mehr nötig. Auch Peter hörte den dröhnenden Motor. Durch die Schneise raste der Lastwagen heran, den Peter schon von den Fotos und von seinem ersten Besuch auf dem Gelände kannte. Hinter dem Steuer saß ein Fremder, vermutlich Joe Ferndown. Peter und Maud hechteten nach beiden Seiten auseinander. Der Fahrer bremste. Die Räder blockierten, und der Lastwagen rutschte auf dem feuchten Boden bis dicht an die Kante. Während der Angreifer das schwere Fahrzeug zurücksetzte, ver46 �
suchte Peter, tiefer in das Dickicht einzudringen. Nur dort war er vor dem Angriff mit einem Truck sicher. Schon nach wenigen Sekunden sah der Großmeister ein, daß er kaum von der Stelle kam. Er steckte gleichsam in einem Sumpf aus Schlingpflanzen, Unterholz, Moder und Moos. Ferndown fuhr den nächsten Angriff. Dabei lehnte er sich aus dem Fenster auf seiner Seite. »Zur Hölle mit dir, Großmeister!« brüllte er. »Erst nach dir, Joe Ferndown!« schrie Peter zurück. »Gut geraten!« Der Fahrer lachte wild und gab Vollgas. Der Wagen walzte federnde Büsche nieder. Die mächtigen Räder hatten auf dem unsicheren Boden keine Schwierigkeiten. Mit ihrem groben Stollenprofil fraßen sie förmlich das Unterholz weg und mahlten sich auch durch weiche Stellen. Peter sah keine andere Chance, als sich hinter einen mächtigen Baumriesen zu flüchten. Haarscharf bohrte sich der Lastwagen neben ihm in die Büsche. Wenn Peter die Hand ausstreckte, konnte er die vordere Stoßstange berühren. »Das nützt dir nichts, Großmeister!« Hass schwang in Joe Ferndowns Stimme mit. Vor einem Kampf Mann gegen Mann hatte Peter keine Angst. Und mit dem Lastwagen kam Ferndown
nicht an ihn heran. Doch Ferndown hatte noch eine andere, tückische Waffe, mit der Peter nicht rechnete. Den Kranausleger! Das Surren der Hydraulik warnte den Großmeister. Schon im nächsten Moment schwang der Kranarm herum und krachte in Kopfhöhe gegen den Stamm. Der Baum wurde bis tief in die Wurzeln erschüttert und neigte sich zur Seite. Es dauerte einen Moment, bis Peter die Gefahr, aber auch die Chance erkannte. Joe Ferndowns Stimme überschlug sich, als er dem Großmeister die gemeinsten Schmähungen zuschrie. Gleichzeitig schaltete er den Kran noch einmal auf höchste Geschwindigkeit und ließ ihn gegen Peters Deckung schlagen. Wieder neigte sich der Baum, als sei er bereits völlig entwurzelt. Das konnte nur eine Ursache haben. So nahe am Kraterrand war der Boden locker! Peter schnellte sich genau vor den Lastwagen. Joe Ferndown hielt seine große Stunde für gekommen. Er wollte den verhaßten Großmeister töten. An etwas anderes dachte er nicht. Der Motor des Wagens brüllte auf. Der schwere Laster machte einen Satz vorwärts. In diesem Moment tauchte Peter 47 �
vor dem rechten Vorderrad vorbei in das Unterholz ein und kämpfte um sein Leben. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen die nachgiebigen Pflanzen, um möglichst weit von dem Kraterrand wegzukommen. Es passierte genau so, wie Peter es voraus gesehen hatte. Der Boden geriet in Bewegung. Es schmatzte und knirschte. Peter drehte sich nicht um. Jeder Meter konnte über sein Leben entscheiden. »Hierher!« schrie Maud rechts von ihm. Peter orientierte sich nach ihrer Stimme. Er konnte kaum etwas sehen, weil ihm Zweige ins Gesicht schlugen und die Sicht verdeckten. »Hierher, Peter, du bist zu weit links!« schrie Maud voll Todesangst um ihn. Peter spannte sich an und schnellte sich vorwärts. Seine Finger krallten sich um einen dünnen Stamm. Er riß sich daran weiter und fiel kopfüber in die freie Schneise, die Frank Cody geschlagen hatte. Maud war sofort bei ihm und half ihm auf die Beine. Alles hatte nur Sekunden gedauert. Diese kurze Zeit genügte für eine mittlere Katastrophe. Im Laufen drehte Peter sich um und sah die breite Kluft, die quer über die Schneise verlief.
In einem Abstand von fünfzig Metern zur Kante brach das gesamte Gelände ab. Peter sah auch den Lastwagen, der rettungslos verkeilt im Dickicht hing. Er neigte sich bereits bedrohlich zur Seite. Joe Ferndown kletterte soeben durch das Fenster ins Freie. Die Tür konnte er nicht öffnen. Sie hatte sich so stark verzogen, daß sie im Rahmen festhing. »Holt mich raus!« schrie Ferndown ängstlich, aber niemand konnte ihm helfen. Der Graben verbreiterte sich rasend schnell. »Lauf weiter!« schrie Maud. Peter wußte nicht, warum. Er wäre lieber stehen geblieben, um Augenzeuge zu werden, folgte aber Maud. Sie hetzten auf die Gebäude der Spedition zu. Ein paar Mal wandte Peter den Kopf. Mit einem grässlichen Schrei verschwand Joe Ferndown mit seinem Lastwagen und einem riesigen Teil des Urwaldes in der Tiefe. In dem bodenlosen Krater war kein Aufprall zu hören, doch ohne Vorwarnung schoß eine Stichflamme aus der Tiefe. Jetzt wußte Peter, daß Maud die richtige Vorahnung gehabt hatte. Der Höllenkrater explodierte wie ein Vulkan. Er war nicht auf natürlich Weise entstanden, sondern durch magische Kräfte stabilisiert worden. 48 �
Dieses Gleichgewicht brach nun mit verheerenden Folgen zusammen. »Weiter!« rief Maud, als Peter vor dem Bürogebäude eine Pause einlegen wollte. »Bist du lebensmüde?« Sie hetzten zu seinem Wagen. »Fahr los! befahl Maud. »Möglichst weit weg! Seit wann bist du so unvorsichtig? Wer weiß, was noch passiert!« Auch diesmal war ihre Warnung berechtigt. Der Wagen schaukelte heftig in der Federung, als durch den Erdboden mehrere Stöße liefen. Hinter ihnen krachte das Bürogebäude in sich zusammen. Während Peter anfuhr, sah er, wie die Mauer einstürzte. Das Gewächshaus wölbte sich von innen herauf und platzte auseinander. Ein Splitterregen ergoss sich auf das Gelände. Dann rutschten die Ruinen von Haus und Gewächshaus in die Tiefe. Der gesamte Wald war in Bewegung geraten. Bäume fielen wie Dominosteine um. Erd- und Lehmmassen quollen aus den Tiefen hervor und deckten alles zu. Erst als sich das Toben beruhigte, hielt Peter den Wagen an und stieg aus. Zusammen mit Maud betrachtete er fassungslos das Gelände der Speditionsfirma. Sie hatten mit dem Wagen die Hauptstraße erreicht. Von hier bis in die Mitte des Waldes erstreckte sich
eine schlammige Wüste. Das Gelände war völlig eingeebnet. Der gewaltige Krater war verschwunden. »Joe Ferndown hätte nicht so versessen sein sollen, dich umzubringen«, stellte Maud trocken fest. »Lass uns hier verschwinden, bevor wir eine Menge Fragen beantworten müssen.« Sie erreichten Mauds Mietwagen, der von der Katastrophe verschont worden war. »Ferndown und seine Firma können wir für unsere Ermittlungen vergessen«, sagte Peter, bevor Maud umstieg und losfuhr. »Bleiben uns nur noch James Earl Porter und die Statue selbst.« »Eckrhomm«, sagte Maud schaudernd. »Wir brauchen eine sichere Methode, um diesen Dämon zu vernichten. Nur so erreichen wir etwas.« »Und woher sollen wir diese Methode nehmen?« fragte Peter. Maud blieb ihm die Antwort schuldig. Sie kannte sie genauso wenig wie er. * Peter und Maud fuhren hintereinander ins Stadtzentrum zurück. Auf dem Soho Square wartete eine Überraschung auf sie. Auch an diesem Tag herrschte ausgelassene Volksfeststimmung. Dazu 49 �
paßte allerdings nicht, daß Butler Harvey in der Nähe von Eckrhomms Standbild Posten bezogen hatte und Dough Fuller an dem Koloss arbeitete. »Was ist mit Dough los?« fragte Peter, als sie mit dem Butler zusammentrafen. »Ich denke, er steht nicht mehr unter dem Zwang, die Statue zu vollenden.« »Das tut er auch nicht«, bestätigte der Butler. »Ich habe mir erlaubt, unauffällig einige entsprechende Tests durchzuführen.« »Dann erlauben Sie sich jetzt auch, mir gütigst mitzuteilen, was zum Teufel geschehen ist!« rief Peter gereizt. »Während ich schlief, kam ein Anruf.« Butler Harvey nahm seinem Großmeister den scharfen Ton nicht übel. »Bevor ich erwachte, hatte Mr. Fuller bereits abgenommen. Er hörte nur zu, was der Anrufer zu sagen hatte. Dann legte er auf und machte sich an die Arbeit. Er hat mir keine Erklärungen gegeben. Vielleicht haben Sie mehr Glück als ich, Sir.« »Sehr aufschlussreich«, stellte Maud fest und folgte Peter zu Dough Fuller. »Was machst du hier?« fragte Peter unfreundlich. »Das siehst du doch, oder?« erwiderte Dough noch eine Spur unfreundlicher. Peter lenkte auf einen anderen Kurs ein. »Okay, so kommen wir
nicht weiter. Verrate mir, warum du wieder an der Statue arbeitest. Ich denke, du stehst nicht mehr unter Zwang?« »Doch, das tue ich«, behauptete Dough und hämmerte wie besessen auf den schwarzen Steinblock ein. »Du lügst«, sagte Peter ihm auf den Kopf zu. »Du bist völlig frei. Also, wer hat angerufen, und was hat er gesagt?« Dough Fuller Unterbrach seine Arbeit für kurze Zeit und sah Peter ruhig an. »Kannst du mich gegen eine Gewehrkugel schützen, die von einem der umliegenden Häuser abgefeuert wird?« fragte Dough. »Kannst du mich vor einem Giftpfeil oder einem Messerstich oder vor Gift im Essen schützen? Kannst du für Carol garantieren? Wirst du mich auch in den nächsten Jahren rund und die Uhr gegen Anschläge abschirmen können?« »Nein, natürlich nicht«, gab Peter zu. »Hat dir der Anrufer damit gedroht?« Dough nickte. »Er hat gesagt, daß er mich irgendwann erwischt, wenn nicht jetzt, so in ein oder zwei Jahren. Aber er wird mich ganz bestimmt umbringen. Und wenn er bei dem jetzigen Einsatz ums Leben kommt, wird ein anderer Killer die Arbeit für ihn tun. Er hat gesagt, daß Schwarzmagier immer zusammenhalten und eine Todesliste von Leu50 �
ten führen, die gegen sie sind. Jeder Name auf dieser Liste wird gelöscht, hat. er gesagt. Mein Name wird auf die Liste gesetzt, wenn ich die Statue nicht vollende. Und wenn ich noch einmal ein weißmagisches Zeichen auf die Statue setze, bringt er mich auf der Stelle um, hat er gesagt. Jetzt bist du an der Reihe.« Peter wechselte mit Maud einen betroffenen Blick. Sie zuckte nur die Schultern. In einem solchen Fall waren sie machtlos. »Okay, Dough, mach weiter«, sagte Peter. »Wir können dich weder jetzt, noch später vor diesen Anschlägen schützen.« »Dachte ich es mir doch«, murmelte der Bildhauer und hob erneut den Hammer. »Wenigstens bist du ehrlich, Peter. Das rechne ich dir hoch an.« »Danke für die Blumen.« Peter lachte grimmig. »Und jetzt hör mir zu. Meinetwegen kannst du dabei arbeiten. Eckrhomm hat eine Pestwelle über Europa gebracht. Wenn du diese Statue fertig stellst, gibt es vielleicht in London die Pest. Ich weiß es nicht. Aber wenn sie ausbricht, kannst du dir auf die Schulter klopfen und sagen, ich, Dough Fuller, habe dazu beigetragen.« Fuller arbeitete zwar unvermindert weiter, wurde jedoch blaß. »Kann natürlich auch sein«, fuhr Peter fort, »daß Eckrhomm auf die
Preisverleihung wartet. Dann wird der Soho Square mit unzähligen Menschen gefüllt sein. Wie viele Kinder werden sich dann hier aufhalten? Rate mal, Dough! Ich weiß es nicht. Schon einmal wollte Eckrhomm ein Kind töten. Er hat es nur nicht getan, um sich nicht vorzeitig zu verraten. Okay, mach' weiter an der Statue.« Dough Fuller ließ Hammer und Meißel sinken. »Ich weiß, daß du in Lebensgefahr schwebst«, versicherte Peter. »Du weißt es auch. Wenn du aufhörst, tun wir für dich, was wir können. Wenn du weiter machst, mußt du es verantworten. Tut mir leid, Dough, es ist eine elende Situation für dich. Dennoch liegt die Entscheidung bei dir.« Maud wandte sich an Peter. »Wir könnten ihn nach Sagon Manor schaffen«, schlug sie vor. »Dort schützt ihn der weißmagische Bann.« Peter winkte ab. »Das wäre nur vorübergehende Lösung. eine Irgendwann müßte er Sagon Manor wieder verlassen und wäre dann erst recht den Schwarzmagiern schutzlos ausgesetzt. Nein, Dough muß sich hier und jetzt entscheiden.« Der Bildhauer wußte über Sagon Manor und seinen schützenden Bann Bescheid. »Wenn ihr Carol nach Sagon 51 �
Manor bringt, arbeite ich für euch«, sagte er. »Das ist ein Wort!« Peter klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Ich rufe sofort eines unserer Ordensmitglieder in London an. Es soll Carol nach Sagon Manor schaffen.« »Lass mich mit Carol telefonieren«, bat Dough. »Wenn ich sie bitte, geht sie nach Brighton.« Sie erledigten alles wie vereinbart. Noch an diesem Abend traf Carol Bongert wohlbehalten auf Sagon Manor ein. Sie hatte sich nicht mehr dagegen gewehrt, London zu verlassen. Dough überzeugte sich durch einen Anruf, daß seine Freundin in Sicherheit war. Danach wagte er sich noch einmal im Schutz von Peter, Maud und Butler Harvey auf den Platz hinunter. Er meißelte insgesamt sieben weißmagische Zeichen in Eckrhomms Statue. Danach führten sie Dough in Frank Codys Wohnung. »Solange du bei uns bist, kann dir kaum etwas geschehen«, ermahnte Peter den Bildhauer. »Wenn du aber diese Wohnung verläßt, können wir für nichts garantieren. Warten wir ab, ob die Skelette heute Nacht wieder aktiv werden. Vielleicht haben wir dem Spuk ja schon ein Ende bereitet.« »Skelette?« fragte Dough entsetzt.
Maud erklärte ihm, was es damit auf sich hatte. Dough Fuller erfuhr zum ersten Mal davon. »Wenn ich das geahnt hätte, wenn ich das bloß geahnt hätte«, jammerte er. Maud nahm Peter auf die Seite. »Ich fürchte, er macht schlapp«, flüsterte sie dem Großmeister zu. »Das fürchte ich auch«, bestätigte Peter. »Laßt ihn auf keinen Fall aus den Augen.« Sie begannen mit dem Warten. Die Skelette kamen aus der Statue, wie sie es in der letzten Nacht getan hatten. Dough Fuller verlor fast die Nerven. Er zitterte und stöhnte leise. Maud mußte sich um ihn kümmern, da Peter die Skelette im Auge behielt. Er wollte feststellen, ob die weißmagischen Zeichen Wirkung zeigten. Die Skelette machten einen verwirrten Eindruck. Sie hatten zwar auch in dieser Nacht Werkzeug bei sich, umrundeten jedoch die Statue und unternahmen nichts. Als es in einer Seitenstraße aufblitzte, wußte Peter Bescheid. »Dieser unvorsichtige Kerl«, rief Peter und rannte los. Maud blieb bei Dough Fuller, während sich der Butler dem Großmeister anschloss. Peter ahnte, daß etwas schief gehen würde. In der letzten Nacht hatten sich die Skelette nicht um die 52 �
Menschen auf dem Platz gekümmert. Heute war die Lage anders. Die Skelette reagierten möglicherweise aggressiv. Als Peter auf den Platz hinaus stürmte, bestätigte sich seine Vorahnung. Einer der Knochenmänner marschierte auf die Seitenstraße zu. Ohne daß Peter sich mit Butler Harvey verabredete, trennten sie sich. Harvey lief an den Häusern entlang, während Peter es in der Mitte des Platzes versuchte. Er sah als erster den Fotografen. Bert stand wie erstarrt auf der Straße und war viel zu erschreckt, um vor dem Skelett zu fliehen. Er hatte sich darauf verlassen, daß ihm auch diesmal nichts geschehen konnte. »Abschießen, Harvey!« rief Peter und deutete auf das Skelett. Harvey stand günstiger. Er schnellte sich mit einem weiten Sprung um die Straßenecke und schoß sofort. Das Skelett wurde zur Seite geschleudert und zerbarst in seine Einzelteile. Genau deshalb hatte Peter nicht geschossen. Seine Kugel hätte die Knochen gegen Bert geschleudert. Erst als die Reste des Knochenmannes den Boden berührten, lösten sie sich auf. Peter erreichte den Fotografen und ergriff energisch dessen Arm. »Was muß denn noch geschehen, damit du endlich vernünftig wirst?« schrie
er Bert an. »Wir haben dich mehrmals gewarnt.« »Gestern ist nichts passiert«, wandte Bert ein. Er war kreidebleich. »Ich hatte auf dem Film keine Skelette. Deshalb wollte ich neue Fotos machen.« »Du wirst sie nie auf Film bekommen.« Peter seufzte. »Ich hätte es dir gleich sagen können, aber du hättest es mir nicht geglaubt. Also, verschwinde endlich, und Lass dich hier nicht mehr blicken, sonst bringen sie dich noch um.« Bert nickte und schlich wie ein ertappter Sünder davon. Peter war sicher, daß wenigstens für Bert keine Gefahr mehr bestand. »Kommen Sie, Harvey, gehen wir zurück«, meinte er. »Wir haben genug gesehen. Den Rest können wir vom Fenster aus beobachten.« »Unsere Maßnahmen zeigen erste Erfolge«, stellte Butler Harvey fest. Die Skelette hatten tatsächlich ernste Schwierigkeiten. Ihr Auftrag lautete, Eckrhomms Statue zu verfeinern und dem tatsächlichen Aussehen des Dämons anzupassen. Die weißmagischen Zeichen behinderten sie. Vorsichtig arbeiteten die Knochenmänner um die Symbole des Guten herum und sparten die entsprechenden Stellen aus. »Wenn wir die ganze Statue mit Symbolen bedecken, ist Eckrhomms Macht beendet«, behauptete Peter. »Kommen Sie, Harvey, wir bespre53 �
chen das mit Maud.« Der Butler ging schweigend neben dem Großmeister her. »Warum sagen Sie nichts?« erkundigte sich Peter. »Gefällt Ihnen mein Vorschlag nicht?« »Oh doch, Sir, ich finde ihn geradezu bestechend in seiner Einfachheit«, versicherte Harvey. »Dennoch wage ich, Zweifel anzumelden. Ein mächtiges Wesen wie Eckrhomm läßt sich nicht auf so einfache Weise besiegen.« »Wir können es wenigstens versuchen«, sagte Peter, dessen Zuversicht gedämpft war. »Wenn wir gar nichts tun, gewinnt Eckrhomm auf jeden Fall.« »Auch in diesem Punkt haben Sie recht, Sir«, stimmte der Butler zu. »Ich denke, die Ausführung Ihres Vorschlages wäre unter gewissen Umständen…« Er verstummte, als er einen Blick Peters auffing. * Offenbar war in Frank Codys Wohnung alles in Ordnung. Peter verstand daher nicht, warum Maud ein so betroffenes Gesicht machte. »Du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hättest«, sagte Peter müde und unterdrückte tapfer ein Gähnen. »Was ist denn mit dir los, Maud?« »Ihr habt versagt«, murmelte
Dough Fuller. Er lag auf der Couch und starrte ausdruckslos zur Decke. »Und ihr wollt mich schützen? Daß ich nicht lache!« Peter fand es gar nicht zum Lachen, daß sich der Bildhauer so gehen ließ. Er warf Maud einen fragenden Blick zu. Sie winkte ihn wortlos zum Fenster. Die Skelette hämmerten auf die Statue ein. Im ersten Moment wirkte alles unverdächtig, so weit ein solcher Anblick überhaupt unverdächtig sein konnte. Doch dann bemerkte Peter, was die Knochenmänner wirklich taten. »Da soll doch…!« murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Harvey, sehen Sie sich das an! Wir können meinen Vorschlag sofort vergessen. Diese Bestien meißeln die weißmagischen Zeichen von der Statue ab. Dabei berühren sie die Symbole nicht, sondern schlagen ganze Steinplatten ab.« Im beherrschten Gesicht des Butlers zuckte kein Muskel. »Ich würde auch diese Lage nicht so durchweg pessimistisch beurteilen, Sir«, gab er eine Kostprobe seiner Sprachkünste. »Sehen Sie, die Beseitigung der Zeichen dauert doch eine gewisse Zeit, die den Skeletten bei ihrer anderen Arbeit fehlt. Sollten wir nun tatsächlich die gesamte Statue mit Symbolen überziehen, wären die Skelette noch mehr behin54 �
dert. Auf diese Weise verzögern wir die Fertigstellung. Der Versuch lohnt sich demnach.« Maud stimmte ebenfalls zu, so daß Peter sich dafür entschied. »Machen wir es gleich morgen früh«, sagte er und setzte sich zu Dough Fuller. »Dafür brauchen wir dich. Du bist der Bildhauer. Wir können nicht meißeln.« »Ich denke nicht daran, auch nur einen Finger zu rühren«, jammerte Dough. »Schaut auf den Platz hinunter. Was seht ihr? Ihr könnt nichts tun. Die andere Seite ist immer stärker.« »Wir sind weder allmächtig, noch unbesiegbar«, gab Peter geduldig zu. »Trotzdem müssen wir weiter machen. Wenn wir nichts versuchen, kann auch nichts gelingen. Das ist wie mit einem Schwerkranken. Versucht man gar keine Behandlung, kann er nicht gesund werden.« Es dauerte zehn Minuten, bis Dough wieder überredet war. Trotzdem machte er nicht mehr aus Überzeugung mit. Peter hatte sogar den Eindruck, daß Dough nur zustimmte, um Ruhe zu haben. »Peter«, sagte Maud und winkte ihn ans Fenster. Die Skelette verschwanden wie in der letzten Nacht in der Statue. Doch auch jetzt lief nicht alles wie gewohnt weiter. Auf dem Platz kehrte keine Ruhe ein, sondern der Boden zitterte
leicht. »Das ist kein Erdbeben«, warnte Butler Harvey. »Gehen wir lieber hinunter.« »Maud, bleib bei Dough«, bat Peter und lief zusammen mit Butler Harvey auf die Straße. Harvey hatte vorher einige Gegenstände zu sich gesteckt. In der Eile hatte Peter nicht darauf geachtet, was es war. Als sie das Haus verließen, erschrak der Großmeister. »Eckrhomm macht sich selbständig«, rief Peter. »Aufgepasst. Harvey! Wenn das ein Amoklauf wird…« »Halten Sie sich diesmal an mich«, erwiderte Harvey knapp. »Ich bin vorbereitet.« Peter störte sich nicht daran, daß er sich als Großmeister nach seinem Helfer richten sollte. Harvey tat nichts ohne guten Grund, und Peter legte keinen Wert aufs Kommandieren. »Halt«, befahl Harvey. Auf halbem Weg zwischen Codys Haus und der Statue blieben sie stehen. Beide zogen ihre Revolver, die im Fall eines Angriffs nur sehr schwache Waffen waren. Eckrhomm veränderte seine Haltung nicht, drehte sich jedoch. Sein rohes Gesicht zeigte jetzt zu Harvey und Peter. »Wir locken ihn hinter uns her«, flüsterte Butler Harvey. »Dabei 55 �
gehen wir auf dem Platz im Kreis. Wir müssen unbedingt verhindern, daß er in die angrenzenden Straßen oder gar in die Häuser gelangt.« Peter nickte. Seine Hände waren feucht, seine Kehle trocken. Dieser Eckrhomm jagte ihm schreckliche Angst ein. Ein solches Monster war ihnen bisher noch nicht begegnet. »Aufgepasst, er kommt«, zischte Harvey. »Wir nehmen ihn zwischen uns. Dann werfe ich Ihnen eine Fangleine zu. Mal sehen, wir er reagiert, wenn er stolpert.« Peter verstand im Moment kein Wort. Er war auch viel zu nervös, um Harvey zu fragen. Mit einem weiten Schritt trat die Statue von ihrem Podest herunter und zog den zweiten Fuß nach. Es dröhnte und knirschte, daß sich Peter die Haare aufstellten. Unter Eckrhomms Füßen bröckelte die Asphaltdecke. »Hinter uns herlocken, vergessen Sie es nicht«, mahnte Harvey. »Und behalten Sie die Nerven, Sir!« Peter nickte und riß sich zusammen. Angesichts dieses Monsters durften sie sich keinen Fehler leisten. Schritt um Schritt ging Eckrhomm auf sie zu. Nur ein Arm war fein modelliert. Der andere sah wie die restliche Figur kantig und derb aus. Dennoch machte Peter sich nichts vor. Ob Eckrhomms Ebenbild gut behauen war oder nicht, spielte
keine Rolle. Gefährlich war er trotzdem. »Ihr Plan klappt, Harvey«, murmelte Peter. Sie wichen in einem weiten Bogen zurück und zogen Eckrhomm wie an einer unsichtbaren Schnur hinter sich her. Die Statue hatte offenbar kein anderes Ziel, als Peter und Harvey zu töten. »Vorsicht, er wird schneller«, warnte Harvey. »Damit habe ich nicht gerechnet.« Auch Peter war aufgefallen, daß Bewegungen der Statue die geschmeidiger wurden. Er schauderte bei der Vorstellung, daß Eckrhomm offenbar bei entsprechender Übung schneller als ein Mensch laufen konnte. Dadurch gab es kein Entkommen mehr. »Nehmen Sie!« Harvey streckte Peter einen eiförmigen Gegenstand entgegen. »Einfach werfen, wenn sie ihn aufhalten wollen.« Sie hatten die erste Runde auf dem Platz vollendet und kamen soeben an dem verlassenen Sockel vorbei. Die Statue lief erschreckend schnell. Peter durfte nicht mehr rückwärts ausweichen, sondern mußte laufen und konnte sich nur von Zeit zu Zeit umdrehen. Das Dröhnen und Knirschen von Eckrhomms Schritten war verstummt. Die Statue rannte fast lautlos. 56 �
»Er wird zu schnell!« rief Harvey und warf seine Bombe. Sie fiel dicht vor Eckrhomm auf das Pflaster und explodierte in einem dunkelblauen Blitz. Wäre die Lage nicht lebensgefährlich gewesen, hätte Peter das herrliche Farbenspiel des Blitzes bewundert. Alle Schattierungen von Blau waren vertreten, wirbelten in Schlieren durcheinander und schlangen sich um Eckrhomms linken Fuß. Die Statue schwankte, als wäre sie über einen im Weg liegenden Stein gestolpert, warf die Arme hoch und ruderte haltsuchend in der Luft. Es gelang Eckrhomm, das Gleichgewicht zu halten. Er schüttelte die weißmagischen Fesseln ab und lief weiter. Jetzt allerdings wieder langsamer. »Sie auch!« rief Harvey dem Großmeister zu. Peter warf seine Bombe und traf das rechte Knie der Statue. Wieder traten die optisch schönen Lichterscheinungen auf. Der Großmeister achtete nur auf die Wirkung. Sie war verblüffend. Eckrhomm konnte die Beine nicht mehr bewegen. Die Fesseln schlangen sich um seine Knie. Diesmal hielt er auch das Gleichgewicht nicht, sondern stürzte vorwärts. Allerdings schlug er nicht der Länge nach hin, sondern landete auf den Knien und stützte sich mit den
Händen ab. Im nächsten Moment fuhr er mit einem Wutschrei hoch. Es hörte sich wie dumpfes Donnergrollen an. »Allmächtiger«, rief Butler Harvey entsetzt. Peter erschrak über den Ausruf seines Butlers mehr als über die Statue selbst. Wenn Harvey solche Angst zeigte, war die Gefahr wirklich übermächtig. »Laufen Sie!« schrie Harvey. »Und fangen Sie!« Er zeigte Peter eine Kugel von der Größe eines Tennisballs und warf sie. Peter fing die leichte Kugel geschickt auf. Erstaunt betrachtete er den hauchdünnen durchsichtigen Faden, der aus der Kugel lief und in einer zweiten Kugel in Harveys Händen endete. »Stolperdraht!« Mehr sagte Harvey nicht. Sie liefen nebeneinander in einem Abstand von ungefähr zehn Metern. Eckrhomm hetzte hinter ihnen her. Sie mussten versuchen, den Dämon zwischen sich zu bekommen. Doch plötzlich blieb die Statue stehen. Peter und Harvey sahen keinen Grund und hielten ebenfalls an. Eckrhomm wandte sich zur Seite. Dann ging alles so schnell, daß niemand eingreifen konnte. Mit weiten Sprüngen hetzte der 57 �
Dämon in eine Seitenstraße. Gleich darauf erscholl ein grausiger Schrei. Peter und Harvey rannten ein Stück zurück. Was sie in der Seitenstraße zu sehen bekamen, überstieg ihre schlimmsten Befürchtungen. Eckrhomm hatte Bert, den Fotografen, aufgespürt. Bert hatte die Warnungen wieder in den Wind geschlagen und sich von einer anderen Seite an den Platz herangeschlichen. Das hatte er nun mit seinem Leben bezahlt. Eckrhomms steinerne Pranken hatten mit tödlicher Genauigkeit getroffen. Der Dämon kümmerte sich nicht weiter um die Leiche, sondern nahm die Verfolgung wieder auf. In Frank Codys Fenster blitzte es mehrmals auf. Maud schoß auf Eckrhomm. Sie erkannte, daß Peter und Harvey in höchster Gefahr schwebten. Maud war eine hervorragende Schützin. Alle Kugeln trafen die Statue. Wo sie aufprallten, spritzten glühend rote Funken nach allen Seiten. Eckrhomm wankte unter den Einschüssen, drehte sich jedoch nicht einmal nach Maud um. Er lief ungehindert weiter. »Bereit sein!« rief Harvey. Sie hatten sich wieder getrennt und hielten die Enden der hauchdünnen Schnur in den Händen. »Jetzt!« schrie Harvey, warf sich
herum und lief in die entgegengesetzte Richtung auf Eckrhomm zu und dann an ihm vorbei. Peter folgte dem Beispiel seines Butlers. Die kaum sichtbare Schnur berührte Eckrhomms Beine. Der Dämon konnte nicht so rasch stehen bleiben. Er hob das rechte Bein, um noch einen Schritt zu tun. Eckrhomm stürzte, als wäre er gegen eine Betonmauer gestoßen. Die feine Schnur brachte ihn zu Fall. Dicht vor seinem Podest prallte der steinere Dämon auf den Asphalt, bäumte sich noch einmal auf und blieb regungslos liegen. Knistern und Knirschen setzte ein. »Ich wollte ihn eigentlich fesseln«, sagte Butler Harvey atemlos. »Aber bleiben wir lieber von ihm weg.« Auch Peter wollte erst abwarten, was weiter mit der Statue geschah. Die Fesselung konnten sie immer noch versuchen, wenn Eckrhomm sich erneut aufrichtete. Die Statue zeigte auf einmal zahllose feine Risse. Das Knistern verstärkte sich. Zwischendurch knackte es so laut, daß es sich wie Schüsse anhörte. Ein Teil nach dem anderen sprang von der Statue ab. »Der Aufprall hat den Stein von innen her zerplatzen lassen«, stellte Butler Harvey erleichtert fest. »Die Statue zerfällt wie eine gläserne Figur, die durch Temperaturwechsel 58 �
platzt.« Peter war in diesen Minuten gleichgültig, wodurch Eckrhomms Abbild zerstört wurde. Ihm saß noch der Schock über Berts Ermordung in allen Knochen. Der Fotograf war erst durch Peter auf die Spur dieser Ereignisse gekommen. Der Großmeister hatte sich zwar nichts vorzuwerfen, doch es war ein hässliches Gefühl. Wäre er nicht nach London gekommen, könnte Bert noch leben. Peter warf einen scheuen Blick zu der Stelle, an der Bert gestorben war. »Harvey, sehen Sie!« rief Peter erschrocken. Während vor ihnen die Statue in unzählige Stücke zerbröckelte, drehten sie sich bestürzt um. Berts Leiche war verschwunden. »Peter, hinter euch!« schrie Maud vom Fenster herunter. Der Großmeister und sein Butler wirbelten herum. Bert war schon heran. Bevor sie sich wehren konnten, versetzte der Untote jedem von ihnen einen heftigen Stoß. Beide prallten hart auf den Asphalt. Bevor sie sich aufrafften, war der Untote bei den Überresten der Statue angelangt und brach zusammen. Zuerst glaubte Peter nur an einen Zufall. Berts Leiche lag jetzt genau auf den Trümmerstücken. Gleich darauf erkannte er den teuf-
lischen Plan, den sie nicht verhindern konnten. Der Untote bildete einen Kern, um den herum sich die Bruchstücke sammelten. Innerhalb weniger Sekunden setzte sich Eckrhomms Standbild wieder zusammen und schloß Bert in sich ein. Die Statue stemmte sich hoch Peter machte sich auf eine neue Verfolgungsjagd gefaßt, doch Eckrhomm hatte anscheinend noch nicht genügend Energie, um weiteres Unheil anzurichten. Er kletterte auf den Sockel und erstarrte. Die Statue sah nun genau wie zuvor aus. Niemand konnte ahnen, was sich in dieser Nacht auf dem Soho Square zugetragen hatte. Peter und Harvey sahen einander stumm an. Sie waren erneut am Ausgangspunkt. Eckrhomm hatte gemordet, ohne daß sie es hätten verhindern können. Die Statue hatte sich verletzlich gezeigt, war aber aus eigener Kraft neu erstanden. Und sie hatten noch immer kein Mittel gegen die Bestie. Mutlos kehrten sie in Codys Wohnung zurück, wo sie von der genauso geschockten Maud schweigend empfangen wurden. Maud deutete bloß auf Dough Fuller. Worte waren überflüssig. Ein Blick in Fullers verzerrtes Gesicht genügte. Er würde von jetzt an nicht mehr für den Orden arbeiten. 59 �
* � Als das Telefon schrillte, fuhr Dough Fuller erschrocken hoch und starrte wie hypnotisiert auf den Apparat. Maud hielt sich bereit, um jederzeit eingreifen zu können, falls Fuller eine Dummheit machte. Peter hob ab und meldete sich nur mit »Hallo!« »Guten Abend, Mr. Winslow«, drang eine bekannte Stimme aus dem Hörer. Peter konnte sie allerdings nicht sofort einordnen. Wo hatte er schon mit diesem Mann gesprochen? »Oder darf ich Sie Peter nennen?« fügte der Anrufer spöttisch hinzu. »Ich finde, es wird Zeit, daß wir vernünftig miteinander reden. Geben Sie mir Mr. Fuller!« »Oh, Mr. James Earl Porter, der Mann, der auf beide Vornamen Wert legt«, antwortete Peter, der endlich die Stimme identifizierte. »Wenn Sie etwas wollen, sprechen Sie mit mir.« »Ich wünsche Fuller!« sagte Porter drohend. »Nicht nötig, er wird keinen Handschlag mehr für uns tun«, erwiderte Peter. »Er hat seine Lektion gelernt.« »Sehr gut«, antwortete Porter zufrieden. »Zur Sicherheit können Sie ihm ausrichten, daß wir seine kleine Freundin kassiert haben.« »Irrtum, Porter, das ist ausgeschlossen«, sagte Peter gelassen.
»Diesmal sitzen wir am längeren Hebel.« Porter zögerte einen Moment. »Sie nehmen mir den kleinen Bluff doch nicht übel, Peter?« fragte er mit gespielter Herzlichkeit. »Ich dachte, Sie hätten Carol Bongert noch nicht in Sicherheit gebracht. Also gut, ich schreibe Carol vorläufig ab.« »Weshalb rufen Sie überhaupt an?« fragte Peter kalt. »Sie wissen selbstverständlich, was sich auf dem Soho Square abgespielt hat. Wollen Sie sich an Ihrem Erfolg weiden? Möchten Sie hören, daß wir um Gnade winseln? Da können Sie lange warten.« »Aber, aber, Peter«, spottete Porter. »Ich werde niemals annehmen, daß der Großmeister aufgibt. Sie haben sicher noch eine Menge guter Waffen gegen unseren großen Meister Eckrhomm in Reserve. Ich kann Ihnen allerdings jetzt schon verraten, daß alle Ihre Waffen versagen werden.« »Sie benehmen sich kindisch«, warf Peter ihm vor. »Sie zeigen überdeutlich, von welch niedrigen Motiven Schwarzmagier angetrieben werden.« Ein Wutschrei antwortete ihm. »Euch wird das Lachen noch vergehen!« tobte James Earl Porter. »Und dich, Großmeister, hole ich noch von deinem hohen Ross herunter.« Peter legte auf. Es hatte keinen Sinn, sich noch länger mit diesem 60 �
Schwarzmagier zu unterhalten. Porter wollte nur spotten und drohen. Auf diese Weise kamen sie nicht weiter. Gleich darauf klingelte das Telefon noch einmal. Wieder war Porter am Apparat. »Ich will reden«, sagte er schnell, damit Peter nicht auflegte. »Wo treffen wir uns?« »Was für ein simpler Trick«, meinte Peter verwundert. »Wenn Sie mich schon in eine Falle locken wollen, sollten Sie es geschickter anstellen.« »Ich meine es ernst«, versicherte Porter. »Ich will mich mit Ihnen treffen und etwas besprechen.« »Was hätte ich davon?« erkundigte sich der Großmeister. »Ich biete Ihnen Dough Fullers Leben als Gegenleistung«, sagte Porter. »Fuller hat für Sie gearbeitet. Somit steht er auf unserer Abschussliste. Wenn Sie sich mit mir treffen und auf meinen Wunsch eingehen, streiche ich Fullers Namen und lasse den armen Kerl leben. Was halten Sie davon?« Peter wußte zwar, wie zuverlässig ein Schwarzmagier war. Dennoch interessierte ihn dieser Vorschlag. »Also gut, treffen wir uns vor den Fahrkartenschaltern der Waterloo Station«, bot er an. »Ich fahre sofort los.« »Sie sind ein vorsichtiger Mann«, stellte Porter fest. »Sie rechnen
damit, daß in der Waterloo Station immer Menschen sind und Ihnen nichts geschehen kann. Ich versichere Ihnen, daß Sie überhaupt nichts zu befürchten haben. Mir liegt viel an einer Einigung mit Ihnen.« Peter legte wortlos auf. Er war in Eile. Die Zeit drängte. Vielleicht lieferte Porter ihm ungewollt einen Anhaltspunkt, wo er einhaken konnte. Maud und Harvey waren gegen das Treffen mit dem Schwarzmagier, der das Unternehmen auf dem Soho Square leitete. »Habt ihr einen besseren Vorschlag?« fragte Peter. Als sie schwiegen, überprüfte er seine Waffe und machte sich auf den Weg. Dough Fuller blieb bei Maud und Harvey. Er hatte Peter versprochen, das Ergebnis dieses Zusammentreffens abzuwarten. Danach wollte er entscheiden, was er tun sollte. Vorläufig brauchte Peter sich um den Bildhauer keine Sorgen zu machen. Die Waterloo Station bot trotz der späten Stunde einen geschäftigen Anblick. James Earl Porter stand deutlich sichtbar vor den Fahrkartenschaltern. Er kam Peter entgegen. »Gehen wir in das Restaurant«, schlug er vor. Peter war einverstanden. Sie bestellten eine Kleinigkeit, und Porter kam sofort zur Sache. Auch ihm brannte offenbar die Zeit auf den 61 �
Nägeln. »Sind Sie bereit, Mr. Winslow, mit mir sachlich zu verhandeln?« fragte James Earl Porter nüchtern. Wer ihm zuhörte, mußte ihn für einen seriösen Geschäftsmann halten. Peter nickte. »Es kommt allerdings auf Sie an, Mr. Porter. Wie Sie sich vorstellen können, vertraue ich Schwarzmagiern grundsätzlich nicht.« »Also gut, dann verlange ich, daß Sie und alle Ihre Leute Frank Codys Wohnung räumen und sich nicht weiter um die Vorgänge auf dem Soho Square kümmern.« Porter hob mahnend den Zeigefinger. »Nehmen Sie die Warnung ernst, die Eckrhomm Ihnen erteilt hat. Sie haben keine Chance. Deshalb sollen Sie das Feld räumen. Dafür schenke ich Ihnen Dough Fullers Leben.« Peter ließ sich nicht bluffen. »Sie kennen offenbar den Orden«, sagte er gelassen. »Dann wissen Sie auch, daß wir nicht aufgeben. Wir stecken Rückschläge ein und versuchen es von vorne.« »Sie haben diesmal keinen Erfolg, weil gegen Eckrhomm kein Mittel existiert.« Porter gab sich zuversichtlich. »Haben Sie inzwischen herausgefunden, daß er schon einmal Pest über Europa gebracht hat?« »Können Sie sich nicht vorstellen, daß wir Eckrhomm um so weniger frei herumlaufen lassen?« hielt Peter ihm entgegen.
Ärger zuckte über Porters Gesicht. »Sie sind stur, Winslow«, sagte er gereizt. »Sie sollten die Lehren aus Ihrem Wissen ziehen. Gegen Eckrhomm kommen Sie nicht an. Deshalb müssen Sie früher oder später ohnehin verschwinden. Wenn Sie bleiben, stören Sie uns. Deshalb möchte ich, daß Sie sofort gehen und Ihre Leute mitnehmen.« »Was geschieht, wenn ich ablehne?« Peter zeigte keine Spur von Unsicherheit. »Dann stirbt Dough Fuller«, zischte Porter. »Wir werden ihn schützen«, sagte Peter. »Sie kommen nicht an ihn heran.« »Ich habe inzwischen erfahren, daß Carol Bongert auf Sagon Manor in Sicherheit ist«, sagte Porter mit einem unangenehmen Lächeln. »Sie können Dough Fuller natürlich auch dorthin bringen. Dann müssen die beiden aber bis an ihr seliges Ende auf Sagon Manor bleiben. Denn wenn einer von ihnen das geschützte Gebiet verläßt, stirbt er. Es sei denn, Sie gehen auf meinen Vorschlag ein.« Peter legte sich blitzschnell einen Plan zurecht. Damit Porter ihn nicht durchschaute, tat Peter noch eine Weile, als wolle er nicht nachgeben. Allmählich trat er dann den Rückzug an. Zuletzt stimmte er Porters Vorschlag zu. »Es ist für mich eine ganz neue 62 �
Erfahrung, einem Schwarzmagier zu vertrauen«, sagte der junge Großmeister. »Sie verschonen Dough Fuller, und wir verlassen den Soho Square im Morgengrauen.« Porter hielt ihm die Hand entgegen. »Schlagen Sie ein, Mr. Winslow«, bat er. Peter stand auf, ohne die Hand zu ergreifen. »Wir wollen die Verbrüderung zwischen Weißund Schwarzmagiern nicht zu weit treiben«, sagte er kühl. »Sie dürfen dafür die Rechnung übernehmen.« Damit ließ er James Earl Porter sitzen und verließ das Restaurant. Peter fuhr auf schnellstem Weg zurück. Er wurde schon sehnsüchtig erwartet. Schweigend hörten sich Maud und Butler Harvey den Handel an, auf den Peter eingegangen war, »Und Sie glauben, daß diese Leute ehrlich spielen?« fragte Butler Harvey zweifelnd. »Natürlich nicht.« Peter wandte sich an Dough Fuller, der so tat, als ging ihn alles nicht an. »Du mußt bei uns bleiben, bis Eckrhomm besiegt ist. Mit ihm gehen alle Schwarzmagier unter, die für ihn gearbeitet haben.« »Das sagst du nur, um mich zu ködern«, behauptete Fuller. »Bisher war nicht die Rede davon, daß das Schicksal der Schwarzmagier mit dem der Statue verbunden ist.«
»So ist es aber fast immer«, versicherte Butler Harvey. »Wenn ein Dämon versucht, Einfluß in unserer Welt zu gewinnen, stellt er Hilfskräfte an. Wird der Dämon vernichtet, reißt er seine Helfer mit ins Verderben.« »Ich habe sehr wohl gehört, daß es nur fast immer so ist, keineswegs aber immer.« Dough Fuller schüttelte den Kopf. »Ich gehe jetzt. Und zwar fahre ich in Carols Wohnung. Von dort werde ich Carol anrufen und sie zurückholen.« »Sie sind ein Selbstmörder«, hielt Butler Harvey ihm vor. »Und wenn Ihrer Freundin etwas zustößt, sind Sie auch für deren Tod verantwortlich.« Dough Fuller stand auf und ging zur Tür. »Ihr könnt mir nichts mehr vormachen«, sagte er verächtlich. »Ich habe euch durchschaut.« Er verließ Codys Wohnung und schlug die Tür zu. »Soll ich ihm folgen?« fragte Maud. Peter schüttelte den Kopf. »Vorläufig ist er in Sicherheit. Porter ist auf einen Handel eingegangen, den er erst brechen wird, wenn wir für ihn nicht weiter wichtig sind. Vorerst will Porter uns aber um jeden Preis hier weglocken.« Maud schüttelte den Kopf. »Gefällt mir nicht, Peter. Porter ist nicht dumm. Er weiß, daß wir nicht aufgeben.« 63 �
»Also verfolgt er ein ganz anders Ziel«, führte Butler Harvey den Gedanken fort. »Ich ahne, worum es geht. Wir sollen diese Wohnung räumen.« Peter sprang auf. Schlagartig war ihm keine Müdigkeit mehr anzusehen. »Natürlich, das ist es!« rief er. »Frank Cody war Weißmagier und Ordensmitglied. Es ist möglich, daß sich in dieser Wohnung etwas befindet, das Eckrhomm gefährlich werden könnte.« »Wir hätten Fuller nicht gehen lassen dürfen«, meinte Maud. »Wenn wir nämlich doch in dieser Wohnung bleiben, läßt Porter ihn umbringen.« Peter griff zum Telefon. »Ich habe mir schon etwas ausgedacht«, sagte er beruhigend. »Noch haben wir Zeit. Porter wartet auf unseren Abzug. Bis dahin wird er stillhalten.« Er wählte eine Londoner Nummer. Innerhalb des Ordens war die Besitzerin dieser Nummer als »Die Dopplerin« bekannt. Sie war sechsundzwanzig Jahre alt, sah aber wie ein fünfzehnjähriges Mädchen aus. Peter verabredete sich mit ihr auf dem Piccadilly Circus. Sie sagte sofort zu. Wenn der Großmeister rief, war jedes Ordensmitglied einsatzbereit. Anschließend telefonierte Peter mit Sagon Manor und sprach eine
Viertelstunde mit seinem Vater. Daraufhin war Peter beruhigt und fuhr zum Piccadilly Circus. »Die Dopplerin« wartete schon auf ihn und stieg rasch in seinen Wagen. Während der Fahrt erklärte Peter der zierlichen Frau mit den schwarzen Haaren und blauen Augen, worum es ging. »Eine einfache Angelegenheit«, meinte sie. »Ich habe schon Schwierigeres erledigt.« »Ich kann mich gut erinnern«, bestätigte Peter und parkte in einer Seitenstraße. Bis zu Carol Bongerts Wohnung waren es nur noch ein paar Schritte. »Ich habe mir die Beschreibung gemerkt«, versicherte ›die Dopplerin‹ und kam damit Peters Frage zuvor. »Keine Angst, es wird klappen.« Peter ließ der »Dopplerin« einen Vorsprung. Während sie das Haus durch den normalen Eingang betrat, schlich Peter sich von der Rückseite an. Noch schliefen die Menschen. Das erleichterte die Aufgabe. Als ›die Dopplerin‹ an Carols Tür klingelte, huschte Peter soeben vom Hof her ins Treppenhaus. Es dauerte eine Weile, bis sich in der Wohnung Schritte näherten. »Wer ist da?« fragte Dough Fuller mißtrauisch. »Carol schickt mich«, antwortete ›die Dopplerin‹. »Ich habe eine 64 �
Nachricht von ihr.« »Welche?« Dough Fuller dachte offenbar nicht daran, die Tür zu öffnen. Peter gab »der Dopplerin« ein Zeichen, das sie gar nicht mehr sah. Sie starrte bereits aus großen Augen auf die Tür, hinter der Fuller stand. In der Wohnung war nichts zu hören. Eine volle Minute dauerte dieser Vorgang, dann nickte »die Dopplerin« dem Großmeister zu. Peter trat an die Tür. ›Öffne!‹ sagte er leise. Sofort drehte sich innen der Schlüssel. Die Tür schwang zurück. Peter war von dem Anblick nicht überrascht. Jeder andere hätte zu träumen geglaubt. Ab sofort gab es Dough Fuller zweimal. Der echte Fuller lehnte leichenblass und zitternd an der Garderobenwand und begriff nichts. Der zweite Fuller, die Kopie, hatte aufgeschlossen. »Los, komm«, flüsterte Peter und packte den echten Bildhauer am Arm. Bevor Fuller richtig zu sich kam, hatten Peter und »die Dopplerin« ihn schon über den Hinterhof zu Peters Wagen gebracht. »Was geht hier vor sich«, stammelte Fuller. »Die Dopplerin« fuhr durch das langsam erwachende London. Peter saß neben dem Bildhauer.
»Tut mir leid«, sagte er und zog eine dünne Schnur aus der Tasche. Sie war nicht dicker als ein Seidenfaden, so daß Fuller erst protestierte, als schon alles vorbei war. Er stemmte sich gegen die Fesseln, konnte den hauchdünnen Faden jedoch nicht zerreißen. »Das ist Kidnapping«, schrie Fuller. »Das ist Rettung in höchster Not«, erwiderte Peter. »Deine Kopie wird an deiner Stelle in der Wohnung bleiben. »Die Dopplerin« bringt dich nach Sagon Manor. Dort wird sie eine Kopie von Carol machen und nach London schicken. Du wolltest ja keine Vernunft annehmen, und ich kann auf dich keine Rücksicht mehr nehmen. Das war die einzige Methode, um dich vor deinen Mördern zu schützen.« Fuller gab den Widerstand auf. Vor allem sah er ein, daß er nichts ausrichtete. In einer Seitenstraße von Piccadilly Circus verfrachtete Peter den Bildhauer in das Auto der Dopplerin, wünschte beiden alles Gute und fuhr zum Soho Square zurück. Dort hatte Butler Harvey bereits seine Arbeiten beendet. Er empfing den Großmeister mit einer Erfolgsmeldung. »Wir können gehen, Sir.« Er führte Peter durch alle Räume. »Diese Wanzen findet keiner.« Peter stimmte ihm zu. »Hervorra65 �
gende Arbeit, Harvey. Räumen wir das Feld.« Der Butler überzeugte sich noch einmal davon, daß alles in Ordnung war und sowohl Sender, als auch Empfänger funktionierten. Er verließ Frank Codys Wohnung als letzter und schloß die Tür ab. »Wo sollen wir die nächste Zeit bleiben?« fragte Maud. »Wir haben in dieser Nacht noch keine einzige Stunde geschlafen.« »Ich habe für alles gesorgt«, versicherte Peter. »Mein Vater schickt uns ein Londoner Ordensmitglied mit einem entsprechenden Wagen. Es wird nicht gerade bequem, aber wir werden es aushalten.« Damit es echt aussah, mussten sie das Viertel um den Soho Square tatsächlich verlassen. Peter fuhr an der Themse entlang und achtete genau wie seine Begleiter darauf, ob sie beschattet wurden. Erst als sie sicher waren, alle möglichen Verfolger abgehängt zu haben, steuerte Peter das eigentliche Ziel an. Sie trafen sich mit dem Londoner Ordensmitglied bei den Lagerhallen nahe der Tower Bridge. Peter hatte den Mann noch nie zuvor gesehen. Dennoch klappte alles ganz ausgezeichnet. Peter und seine Begleiter übernahmen einen Lieferwagen, der rundherum geschlossen war und völlig harmlos wirkte.
Innen war er jedoch als komfortabler Campingbus eingerichtet. »Ich mag es nicht, daß mir die Leute durch die Fenster in den Wagen sehen«, meinte das Ordensmitglied grinsend. »Eine Marotte von mir. Niemand soll merken, daß ich in dem Auto wohne.« »Genau deshalb brauchen wir jetzt das Fahrzeug«, antwortete Peter. »Wie gut, daß wir solche Besonderheiten unserer Mitglieder in einer Kartei führen.« Der Besitzer des Wagens übernahm das Steuer und fuhr mit Peter, Maud und Harvey zum Soho Square zurück. Am Rand der Sperrzone stellte er seinen Wohnbus ab und fuhr mit einem Taxi nach Hause. Peter und seine Freunde hatten sich die ganze Zeit in dem abgeschlossenen Teil des Wagens befunden. Niemand konnte beobachtet haben, daß sie zurückgekehrt waren. Durch Lüftungsschlitze war eine Kontrolle der Umgebung möglich. Der Wagen stand so günstig, daß sie sogar Eckrhomms Statue sahen. Viel wichtiger aber war der Empfänger, der alle Geräusche aus Frank Codys Wohnung auffing. Mit seiner Hilfe wollten sie die finsteren Pläne der Schwarzmagier durchkreuzen. Gegen Eckrhomm selbst nutzte das alles aber nichts. Dabei wurde die Zeit knapp. Eckrhomms Vollendung war nicht mehr fern. 66 �
Auf Peters Bitten schlief Maud. Peter und Harvey bewachten Eckrhomm und den Empfänger. »Wer wohnt eigentlich noch in dem Haus?« fragte Peter. Der Butler wußte, welches Haus Peter meinte. »Ich habe mich erkundigt, Sir. Im Moment war Frank Cody der einzige Mieter. Das Haus ist baufällig und soll abgerissen werden.« Interessant.« Peter nagte an seiner Unterlippe. »Ich werde das Gefühl nicht los, daß etwas doch nicht so ist, wie wir uns das vorstellen.« Harvey überwachte pausenlos den Empfänger. »Funktioniert die Anlage überhaupt?« fragte Peter, als auch zwei Stunden später noch niemand in die Wohnung eingedrungen war. Harvey trug Kopfhörer. »Alles klappt einwandfrei, Sir«, versicherte er. »Ich hörte sogar, wenn sich der Kühlschrank ein- und ausschaltet.« »Ich hätte geschworen, daß Porter sich sofort auf die leere Wohnung stürzt«, murmelte Peter. »In Codys Apartment muß sich etwas befinden, das Eckrhomm vernichten könnte. Es kann gar nicht anders sein.« »Vorsicht, Sir«, warnte Harvey. »Sie haben eben selbst gesagt, daß etwas nicht so ist, wie es scheint.« »Ich halte es in diesem Käfig nicht mehr lange aus«, stöhnte Peter. »Schlafen Sie«, schlug Harvey vor.
»Ich halte Wache.« Peter nickte und streckte sich auf der zweiten Liege aus. Er warf einen neidvollen Blick zu Maud, die tief und fest schlief. Er selbst war so nervös und ungeduldig, daß er bestimmt wach blieb. In Gedanken ging er noch einmal alles durch und fand keinen Fehler. Alles sprach dafür, daß James Earl Porter ihn und seine Leute aus Frank Codys Wohnung weglocken wollten. Das wiederum konnte nur bedeuten, daß sie etwas aus Codys Wohnung brauchten. Während der langen Stunden untätigen Abwartens hatten Maud und Harvey die Wohnung gründlich durchsucht und nichts gefunden. Deshalb waren sie auf die Methode mit den Abhörgeräten verfallen. Die Schwarzmagier sollten sie auf die richtige Spur führen. Aber nichts rührte sich. Oder doch? Harvey wandte ruckartig den Kopf, sah, daß Peter noch nicht schlief, und schaltete den Lautsprecher ein. Er mußte auf volle Lautstärke stellen. Dann erst hörte Peter ein rhythmisches Klopfen. »Das ist nicht in der Wohnung«, sagte Harvey leise. »Ich habe keine Ahnung, was es ist.« Der Kühlschrank in Codys Küche schaltete sich ein. Sein Motorgeräusch war so laut, daß Maud 67 �
erschrocken hochfuhr. Harvey dämpfte die Lautstärke und sah Peter fragend an. »Keine Ahnung, was das sein könnte«, bestätigte Peter. »Wie spät ist es eigentlich? Meine Uhr ist stehen geblieben.« »Kurz vor acht Uhr morgens, Sir.« Butler Harvey drehte wieder auf volle Lautstärke. Der Kühlschrank hatte sich abgeschaltet. Doch nun war das Klopfen nicht mehr zu hören. »Warten wir noch eine Stunde«, entschied Peter. »Wenn sich bis dahin nichts tut, gehe ich zum Soho Square.« »Dort wird Porter dich sehen«, warnte Maud. »Das bekomme ich schon hin«, winkte Peter ab. Die Stunde verging. Nichts tat sich mehr. Peter Winslow machte sich auf den Weg. Als er den Platz betrat, erkannte er sofort, daß ihn seine Ahnung nicht getrogen hatte. Zwar erkannte Peter die wahren Hintergründe noch immer nicht, aber eines stand schon jetzt fest. James Earl Porter hatte ihn überlistet. Im nächsten Moment schlug zum ersten Mal die stählerne Abbruchbirne gegen Codys Wohnhaus. »Armer Harvey«, murmelte Peter, als er sich vorstellte, wie das in But-
ler Harveys Kopfhörern klang. * Erschöpft erreichte »die Dopplerin« Sagon Manor bei Brighton. Lord Hubbard Winslow, Peters Vater, empfing sie und den echten Dough Fuller. Carol Bongert stürmte aus dem Herrenhaus und fiel ihrem Freund um den Hals. »Warum umarmst du mich nicht?« fragte sie verwundert. »Weil mich diese Kidnapper gefesselt haben«, rief Dough verbittert und zeigte ihr seine Hände. »Mit einem durchsichtigen Seidenfaden?« staunte Carol. »Er ist durch einen weißmagischen Bann verstärkt«, versicherte Lord Hubbard. »Es war leider nötig.« Er bat alle ins Haus. Dort erklärte er ihnen noch einmal die Lage, wie Peter sie ihm geschildert hatte. »Es ist unbedingt nötig, Mr. Fuller, daß Sie bei uns bleiben«, sagte Lord Hubbard abschließend. »Sie müssen warten, bis diese schreckliche Statue nicht mehr existiert.« »Warum willst du nicht auf diese Leute hören, Peter?« fragte Carol ratlos. »Sie verstehen mehr von solchen Fällen.« »Sie können uns nicht schützen«, murrte Dough Fuller. »Sie sind auf Sagon Manor unser Gast«, versicherte Lord Hubbard und löste die Fesseln. »Mein Sohn 68 �
hat Ihnen mehrmals die Lage geschildert. Ich vertraue auf Ihre Vernunft, Mr. Fuller. Und ich hoffe, Miss Bongert, daß Sie Ihren Freund zur Einsicht bringen. Wenn einer von Ihnen das Gelände von Sagon Manor verläßt, ist er ein Todeskandidat.« Lord Hubbard hatte keine andere Wahl. Er mußte so handeln, wollte er Dough Fuller nicht wie einen Gefangenen einsperren. Peters Schwester Alicia, die ebenfalls auf Sagon Manor lebte, zeigte Dough sein Zimmer. Carols Zimmer lag genau daneben. Fünf Minuten später klopfte es. »Die Dopplerin« stand vor Carols Tür. Dough war bei seiner Freundin. »Was wollen Sie denn schon wieder hier!« rief er, als die »Dopplerin« eintrat. »Nichts von dir, Darling«, versicherte Carol und nickte der rätselhaften jungen Frau zu. »Ich bin bereit.« »Tu es nicht!« rief Dough wütend, als er den Plan durchschaute. »Ich will es nicht.« »Halt die Klappe, Darling«, erwiderte Carol lächelnd. »Die Dopplerin« richtete ihren Blick auf Carol, und schon nach einer halben Minute entstand aus dem Nichts heraus eine Doppelgängerin von Carol Bongert. »Die Dopplerin« verließ zusammen mit der Kopie Sagon Manor
und kehrte nach London zurück. »Das hättest du nicht zulassen dürfen«, sagte Dough verbissen. »Ich will diesen Hokuspokus nicht.« »Was du Hokuspokus nennst, ist für uns lebensrettend!« rief seine Freundin. »Wie kann man nur so stur sein? Wenn wir in unsere Wohnung zurückkehren, werden wir umgebracht. Um unsere Feinde abzulenken, schicken die Leute vom Orden die Kopien vor. Was ist daran schlecht?« »Sie hätten uns niemals in diesen Fall hineinziehen dürfen«, beklagte sich Dough. »Das haben sie auch nicht getan«, widersprach Carol heftig. »Du bist in die Sache hineingeraten, das ist die Wahrheit. Und du weißt das.« »Ich habe Angst«, flüsterte Dough. »Ich auch«, gab Carol zu. »Aber ich behalte trotzdem meinen klaren Verstand. Ich weiß, wer uns hilft.« Kurze Zeit später sahen sie Lord Hubbard und seine Tochter Alicia wegfahren. »Jetzt ist die günstigste Gelegenheit«, rief Dough, der am Fenster gewartet hatte. »Los, Lass uns verschwinden In der Garage stehen mehrere Wagen. Wir leihen uns einen davon aus.« »Dough!« rief Carol entsetzt. »Hast du den Verstand verloren? Wir müssen bleiben!« Er packte sie an den Schultern und sah ihr mit ungewohnter Härte in 69 �
die Augen. »Hör du mir jetzt zu, Carol«, sagte er leise und entschlossen. »Diese Ordensmitglieder mögen gelegentlich Erfolge gegen das Böse erzielen, okay. Ich streite das gar nicht ab. Aber sie stecken auch Fehlschläge ein. Und ich habe keine Lust, ein solcher Fehlschlag zu werden. Weißt du, was das bedeuten würde?« Carol wollte widersprechen, doch erließ sie erst gar nicht zu Wort kommen. »Die Schwarzmagier würden mich umbringen und dich dazu«, versicherte Dough. »Also bleibt uns nur eine Möglichkeit. Ich erfülle meinen ursprünglichen Auftrag und vollende die Statue.« »Du willst wirklich dem Dämon die Rückkehr auf die Erde ermöglichen?« fragte Carol betroffen. »Obwohl du weißt, was alles geschehen könnte?« »Ich bin ein Feigling«, gestand Dough ein. »Ich will nicht sterben. Deshalb fahre ich jetzt nach London.« Er ließ Carol stehen und lief aus dem Haus. Als er endlich einen Wagen mit Zündschlüssel fand, tauchte jemand neben ihm auf. Dough stieß einen Schrei aus, erkannte Carol und atmete erleichtert auf. »Du hast es dir also anders überlegt«, sagte er lächelnd.
Carol erwiderte dieses Lächeln nicht, als sie einstieg. »Nein, Dough«, erwiderte sie ernst. »Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß du einen tödlichen Fehler begehst. Du läufst deinen Mördern direkt ins Messer. Außerdem darfst du dem Dämon nicht helfen. Damit machst du dich für alle Zeiten schuldig. Ich begleite dich nur, weil ich dich liebe. Ich kann dich nicht allein lassen, auch wenn wir beide umkommen werden.« Dough war betroffen. Für einen Moment sah es so aus, als würde er es sich doch noch anders überlegen und bleiben. Seine unvernünftige Angst war aber stärker. Er startete und verließ Sagon Manor, ohne daß ihn jemand aufhielt. Sie erreichten Brighton und ordneten sich in Richtung London ein. Doughs Mut stieg. »Na also, alles in Ordnung«, sagte er fröhlich. »Du hast zu schwarz gesehen.« Als Carol nicht antwortete, wandte er den Kopf. Sie weinte still und verzweifelt. Trotzdem fand Dough nicht die Kraft, noch einmal umzukehren und nach Sagon Manor zurückzufahren. Er setzte lieber auf die Seite der Schwarzen Magie. Als sie London erreichten, schlug er sofort den Weg zum Soho Square ein. »Willst du irgendwo aussteigen?« 70 �
fragte Dough. Er war nicht mehr so zuversichtlich. »Du weißt, daß du mich nicht begleiten mußt.« Carol schüttelte den Kopf. »Ich fahre mit dir«, entschied sie. »Ich habe es angefangen, deshalb bringe ich es auch zu Ende.« Sie weinte nicht mehr, doch ihre Augen hatten jeden Glanz verloren. * Peter sprach mit den Männern des Abbruchkommandos. Sie waren von dem Mann geschickt worden, der dieses Grundstück aufgekauft hatte. »Wie heißt denn der neue Besitzer?« fragte Peter, obwohl er die Antwort schon im voraus kannte. »James Earl Porter«, erwiderte der Anführer der Abbruchkolonne. »Warum interessiert Sie das?« Peter hatte sich dem Mann gegenüber als Reporter ausgegeben. Zeitungsleser sind neugierige Menschen«, sagte er daher lächelnd und ging weiter. An Eckrhomms Statue hatte sich nichts verändert. Das hatte Peter auch gar nicht erwartet. Er kehrte zu dem Wohnmobil zurück und unterrichtete Maud und Harvey von der neuem Entwicklung. »Das war es, was mich gestört hat«, gab Peter zu. »Ich dachte, Por-
ter wollte Codys Wohnung durchsuchen. In Wirklichkeit wollte er uns raus haben, um das Haus abreißen zu können.« »Zu welchem Zweck?« fragte Maud. »Ja, das wüsste ich auch gern«, versicherte Peter. Butler Harvey schüttelte den Kopf. Er betastete seine Ohren. »Es hat mir fast das Trommelfell zerrissen«, sagte er seufzend. »Tut mir leid«, meinte Peter. »Ich konnte Sie nicht mehr rechtzeitig warnen. Ich gehe auf den Platz zurück. Etwas später löst mich einer von euch ab, damit ich auch eine Handvoll Schlaf bekomme.« Maud nickte und legte sich wieder hin. »Wir sind genauso schlau wie vorher und um eine Hoffnung ärmer«, sagte sie seufzend. »Sei du wenigstens vorsichtig, damit dir nichts zustößt.« »Unkraut vergeht nicht«, sagte Peter fröhlicher, als er sich fühlte. Er kam auf dem Soho Square in dem Augenblick an, als die Kopie von Dough Fuller an die Arbeit ging. Niemand konnte den Doppelgänger von dem echten Fuller unterscheiden. Er bearbeitete die Statue genau wie der richtige Bildhauer. Peter schlenderte zwischen den Schaulustigen umher. Die volksfestartige Stimmung wurde durch den Abbruch eines Hauses nicht getrübt. 71 �
Niemand kümmerte sich darum, und die Arbeiter machten weder viel Lärm, noch unangenehmen Staub. Bis zum Abend würde nichts mehr von dem Haus stehen. »Mann, Peter!« rief eine rauchige Frauenstimme. Eine Hand packte Peter. Die Finger gruben sich beinahe schmerzhaft in seinen Arm, daß er schnell die Muskeln anspannen mußte. »Hallo, Judy«, begrüßte er die Bardame, die er völlig vergessen hatte. Sie starrte entgeistert an ihm vorbei. »Die reißen Codys Haus ab«, rief sie. »Das geht doch nicht! Was soll aus Cody werden?« Peter hielt sie fest, als sie zu den Arbeitern laufen wollte. Bestimmt hätte sie eine Menge Ärger gemacht. »Sei vernünftig, jetzt ist es zu spät«, sagte Peter. »Cody wird es nichts mehr ausmachen. Er ist tot.« Judy wollte sich losreißen. »Verdammt, Lass mich!« schrie sie Peter an, daß die Umstehenden aufmerksam wurden. »Ich werde diesen Kerlen dort drüben zeigen, was… Moment!« unterbrach sie sich. »Was hast du da eben gesagt? Cody ist tot?« Peter nickte. »Tut mir leid, Judy. Er wurde in der Telefonzelle ermordet.« Sie wurde blaß und schwankte. »Das darf nicht wahr sein«, flüsterte sie. »Ich bin doch selbst auf die Straße hinaus gelaufen und habe
nichts gesehen.« Peter zögerte einen Moment. »Weißt du, was Cody in seiner Freizeit getrieben hat?« erkundigte er sich. Judy stand noch unter Schock. Trotzdem verzog sie die Lippen. »Willst du zweideutig werden, Peter? Ich weiß, was Cody gern in seiner Freizeit gemacht hat. Er war kein Kind von Traurigkeit.« »Er hat sich mit Magie beschäftigt«, sagte Peter ernst. Sie nickte. »Ja, er hat es mir einmal in einer schwachen Stunde gestanden. Er hat gegen alles Böse gekämpft. Weißt du, Peter, ich habe ihn nicht ernst genommen.« »Er ist für seine Überzeugung gestorben«, versicherte Peter. »Und jetzt reißen sie sein Haus ab, damit nichts von ihm übrig bleibt. Kennst du James Earl Porter?« »Klar kenne ich den«, sagte sie und rümpfte die Nase. »Der Kerl spielt sich als Herr von Soho auf. Keiner weiß, womit er sein Geld verdient, aber er steckt seine Nase in alles.« »Nun, Porter hat das Haus gekauft und läßt es abreißen.« Peter ließ Judy los, weil er sicher war, daß sie keinen Streit mehr mit den Arbeitern anfangen würde. »So ist das also«, sagte Judy niedergeschlagen. »Okay, dann muß ich wohl den armen Frank Cody aus meinem Gedächtnis streichen. 72 �
Schade, ich habe ihn gemocht.« Sie schenkte Peter einen Augenaufschlag. »Vergiß nicht, daß ich dich auch mag, Darling. Bist du noch deiner Maud treu?« Peter nickte. »Pech für dich, Judy, aber es liegt nicht an dir. Du gefällst mir nämlich auch.« Sie schickte ihm einen Kuss, bevor sie weiterlief. Peter holte sie rasch ein. »Noch eine Frage, Judy!« rief er. Sie blieb stehen und drehte sich lächelnd um. »Willst du meine private Telefonnummer wissen, Darling? Die gebe ich dir gem. Soll ich sie aufschreiben?« »Nein, aber du könntest mir verraten, wo ich Porter finde«, antwortete Peter. »Ich möchte mich mit ihm unterhalten.« »Tut mir leid, keine Ahnung«, versicherte Judy. »Ich glaube, niemand weiß, wo Porter sich herumtreibt.« »Sag mir Bescheid, wenn du ihn siehst«, bat Peter. »Ich bin immer in der Nähe vom Soho Square.« Er überlegte einen Moment. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr, die Tarnung aufrecht zu erhalten. »Ich miete mich in dem Hotel dort drüben ein.« Er deutete auf ein altes, schmalbrüstiges Haus auf der anderen Seite des Soho Squares. »Du hörst von mir«, versprach Judy. Peter kehrte auf den Platz zurück und blieb überrascht stehen, als er
Carol Bongert zwischen den Menschen entdeckte. Er war sicher, daß es Carols Kopie war, von »der Dopplerin« angefertigt. Dennoch konnte er das nicht begreifen. Was machte sie hier? Diese Kopien benahmen sich perfekt wie ihre Originale, richteten sich aber auch nach Zusatzbefehlen, die sie von Ordensmitgliedern erhielten. Niemand hatte Carols Kopie den Befehl gegeben, auf den Soho Square zu kommen. Peter mußte das klären. Er drängte sich durch die Menschenmenge und schnitt Carol den Weg ab. Ordensmitglieder besaßen ein nicht zu fälschendes Erkennungszeichen. Sie konnten für Momente ihre Augen von innen heraus blau strahlen lassen. Nicht einmal die besten Schwarzmagier konnten das imitieren. Kopien besaßen ebenfalls diese Fähigkeit. Peter blieb vor Carol stehen. »Identifiziere dich«, verlangte er. Nun hätte die Kopie das Leuchten der Augen zeigen müssen, da sie ihn als Großmeister anerkannte. »Was soll das?« fragte Carol statt dessen. »Sie kennen mich doch, Peter, oder? Ihr Vater sieht Ihnen übrigens zum Verwechseln ähnlich.« Peter starrte Carol entsetzt an. »Sind Sie die echte Carol?« fragte er. »Ich dachte, die Kopie…« Carol winkte ab. »Tut mir leid, 73 �
ehrlich«, versicherte sie. »Aber Dough war so unvernünftig. Er wollte auf keinen Fall auf Sagon Manor bleiben.« Peter stöhnte. »Dough ist doch nicht etwa auch hier?« fragte er ungläubig. »So wahnsinnig kann er gar nicht sein!« Wortlos deutete Carol zu Eckrhomms Statue hinüber. »Das darf nicht wahr sein«, murmelte Peter, wußte aber, daß es die bittere Wahrheit war! »Dough hat soeben sein Todesurteil gefällt.« Er starrte zu der Statue, vor der Dough Fuller zweifach zu sehen war. Der echte Dough Fuller und seine Kopie standen einander gegenüber. Beide hatten nicht mit diesem Zusammentreffen gerechnet und wußten nun nicht, wie sie sich zu verhalten hatten. Peter rannte los. Jetzt gab es nur noch eines. Er mußte den echten Dough Fuller gegen seinen Willen wegschaffen und eigenhändig nach Sagon Manor bringen, wo er eingesperrt werden mußte. Doch dazu kam es nicht. Einer der beiden Fullers taumelte und stürzte gegen die Statue. Lautlos brach er zusammen. Die Menschen auf dem Platz schrien erschrocken auf und wichen zurück. Peter sprang auf den zweiten Fuller zu. »Identifiziere dich«, zischte
er. Sofort zeigte der andere das blaue Leuchten der Augen. »Verschwinde und löse dich auf!« befahl Peter. Er kümmerte sich nicht weiter um die Kopie, die sich an eine versteckte Stelle zurückziehen und dort auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde. Ihre Aufgabe war zu Ende. Zusammen mit ihr würde sich auch Carols Kopie verflüchtigen. Peter kniete neben Dough Fuller nieder. Der Großmeister war kein Arzt, doch er brauchte keine medizinischen Kenntnisse, um Fullers Tod festzustellen. Eine Hand legte sich auf Peters Schulter. Rasch wandte er den Kopf. Carol Bongert stützte sich auf seine Schulter. Sie starrte aus großen Augen auf Dough hinunter. Peter stand hastig auf, legte seinen Arm um Carol und führte sie weg. Niemand hielt ihn auf, weil niemand ahnte, daß hier ein Mord geschehen war. Peter brachte Carol zu dem Wohnmobil. Butler Harvey öffnete von innen die Tür. Maud kümmerte sich um Carol, die auf einer Liege zusammenbrach. »Ist er tot?« fragte Carol schwer atmend. »Ja«, sagte Peter. »Der Arzt wird vermutlich Herzschlag feststellen, aber das war Eckrhomms Werk. 74 �
Warum hat Dough nicht auf mich gehört?« Carol hob ihren leeren Blick zu Peter. »Ich wünschte«, sagte sie leise, »der Dämon hätte auch mich getötet!« In dem Wohnmobil herrschte bedrückte Stille. Sogar Butler Harvey konnte seine Erschütterung nicht verbergen. Eckrhomm hatte seinen zeitweise ungetreuen Sklaven mit dem Tod bestraft. Nichts machte Dough Fuller mehr lebendig. * Peter sorgte dafür, daß Carol Bongert eine Leibwache bekam. Dafür setzte er vier Londoner Ordensmitglieder ein. Sie sollten Carol in ihre Wohnung bringen und bei ihr bleiben, bis der Fall abgeschlossen war. Als Carol ging, sah sie Peter noch einmal an. »Danke für alles«, sagte sie mit erstickter Stimme. Das war Peter mehr wert als eine lange Rede. Es bewies, daß Carol ihm nichts nachtrug und ihm auch nicht die Schuld gab. Er wußte zwar, daß er alles für Dough Fuller getan hatte. Trotzdem beruhigte ihn Carols Abschied. Als auch das erledigt war, mietete sich Peter mit Maud und Butler Harvey in dem kleinen Hotel auf dem Soho Square ein.
Fullers Leiche war inzwischen weggebracht worden. Peters Voraussage traf ein. Der Arzt bescheinigte Herzversagen. Da die Kopie verschwunden war, stellte auch niemand Fragen. Die schwarze Statue galt offiziell als fertig. Sie konnte am Wettbewerb teilnehmen. Sollte sie den ersten Preis erhalten, würde der Künstler posthum geehrt werden. Das alles interessierte Peter nur wenig. Ihm ging es noch immer darum, wie er Eckrhomm an seinem schauerlichen Mordfeldzug hindern konnte. Außerdem war das Geheimnis von Frank Codys Haus noch nicht gelüftet. »Jetzt spreche ich ein Machtwort«, sagte Maud, als Peter seine Ermittlungen fortsetzen wollte. »Du legst dich bin. Harvey und ich machen weiter. Wir wecken dich schon rechtzeitig vor der Abenddämmerung okay?« »Okay«, murmelte Peter. Er befolgte Mauds Befehl um so lieber, als ihm vor Müdigkeit bereits die, Augen zufielen. »Aber weckt mich ruhig früher, falls ihr etwas herausfindet.« »Wird gemacht« versprach Maud. »Darf ich mir erlauben, Sir«, sagte Harvey, »Ihnen trotz der ungewöhnlichen Schlafenszeit bei hellem Sonnenschein angenehme Ruhe zu wünschen?« Bei anderer Gelegenheit hätte 75 �
Peter seinen Butler vielleicht ein wenig auf den Arm genommen. Jetzt aber war er sogar zu müde, um auf Harveys geschraubte Redeweise einzugehen. »Danke«, murmelte er nur, legte sich zurück und war im nächsten Moment eingeschlafen. Als er von einer schrillen Klingel geweckt wurde, hatte er das Gefühl, eben erst eingeschlafen zu sein. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, daß er fast sechs Stunden geschlafen hatte. Die Sonne berührte soeben die Dächer am Soho Square. Es war ein außergewöhnlich schöner Tag gewesen. Wieder schrillte die Klingel und weckte Peter völlig auf. Er griff nach dem Telefon neben seinem Bett. Der Angestellte an der Rezeption verband Peter mit einer Anruferin. »Hallo, Darling, ich habe dich doch nicht geweckt?« fragte Judy. »Wie geht es dir?« »Du hast mich geweckt, aber es geht mir gut«, antwortete Peter. »Hast du nur nach meiner Stimme Sehnsucht, oder steckt mehr dahinter?« »Du wolltest James Earl Porter sprechen«, sagte Judy. »Sei froh, daß du in Soho eine ganz große Freundin hast, nämlich mich. Ich habe Porter für dich aufgetrieben. Wenn du sofort zu mir kommst, erwischt du ihn.« »Okay, bin schon unterwegs«,
sagte Peter hellwach. »Wo bist du im Moment?« »In einer Telefonzelle.« Sie gab ihm die genaue Adresse. »Das sind nur ein paar Schritte vom Soho Square. Ich warte hier auf dich, Darling.« Peter legte auf und hinterließ für Maud und Harvey eine Nachricht. Dann machte er sich auf den Weg. Er brauchte nur fünf Minuten zu gehen, bis er Judy vor der Telefonzelle sah. Sie winkte ihm fröhlich zu, kam ihm entgegen und hakte sich bei ihm unter. »Jetzt stelle ich mir vor, du wärst meinetwegen gekommen«, sagte sie lachend. »Das ist schön, Peter.« »Wo ist Porter?« fragte er ungeduldig. »Es ist schrecklich dringend.« »Okay, okay, dann stelle ich mir eben nichts vor«, sagte Judy ernüchtert. Während sie durch die abendlichen Straßen eilten, wollte Peter etwas Nettes sagen. Schließlich hatte sie sich für ihn bemüht. »Toll, daß du ihn aufgetrieben hast, Judy. Wie hast du ihn gefunden?« »Ich habe mich vorsichtig umgehört.« Judy führte ihn durch Straßen, in denen nicht so viele Vergnügungshungrige unterwegs waren. »Dabei habe ich erfahren, daß er in einem Lokal ein Hinterzimmer gemietet hat. Wenn du willst, bringe ich dich zum Lokal. Ich kann dir 76 �
aber auch einen Weg zu diesem Hinterzimmer zeigen.« »Das wäre besser«, stimmte Peter zu. »Porter hat nämlich allen Grund, mir auszuweichen. Wenn ich ihn überrasche, darf er keine Zeit mehr haben, sonst…« Er brach ab. Judy brauchte nicht zu viel zu wissen. »Du zeigst mir aber nur den Weg«, meinte er. »Ganz bis zu dem Lokal gehst du auf keinen Fall mit. Es könnte sonst für dich gefährlich werden.« »Ich bin keine von der ängstlichen Sorte«, winkte Judy ab, doch Peter blieb eisern. »Wie weit ist es noch?« erkundigte er sich, als sie in einer schmalen, menschenleeren Seitenstraße angelangt waren. Hier gab es weder Lokale, noch Geschäfte. »Wir sind da, Darling«, sagte Judy. »Los, nimm die Hände hoch!« Peter glaubte zuerst an einen Scherz. Der Revolver in Judys Hand bewies, daß es alles andere als lustig gemeint war. * Maud und Butler Harvey taten alles in ihrer Macht Stehende. Sie merkten bald, daß es nicht viel war. Zuletzt beobachteten sie die Arbeiter des Abreißtrupps. Maud fiel dabei etwas auf.
Sie gingen zu dem Vorarbeiter. »Ich wohne gleich nebenan«, schwindelte sie mit einem charmanten Lächeln. »Sie haben heute überhaupt keinen Schutt abgefahren. Wann machen Sie das? Morgen? Wissen Sie, ich müßte dann die Fenster geschlossen halten, wegen des Staubs.« »Nein, keine Sorge«, erwiderte der Truppführer freundlich. »Wir haben ausdrücklich den Auftrag erhalten, allen Schutt liegen zu lassen. Unsere Aufgaben sind schon beendet. Wir ziehen jetzt ab und kommen nicht wieder.« »Da bin ich aber erleichtert«, behauptete Maud, obwohl das Gegenteil der Fall war. Sehr beunruhigt kehrte sie zu Butler Harvey zurück und gab die Auskunft weiter. »Das ist in der Tat sonderbar«, bestätigte der Butler. »Ich sehe allerdings keinen Sinn darin, den Schutt liegen zu lassen.« Maud betrachtete Eckrhomms Statue, schüttelte sich und sah zu den Dächern hinauf. »Die Sonne geht schon unter«, meinte sie. »Kommen Sie, wir holen Peter.« »Wann gewöhnen Sie sich endlich an, den Großmeister mit Sir anzusprechen?« fragte Harvey, während sie zu dem Hotel gingen. »Er ist der Leiter unseres Ordens und verdient Respekt.« 77 �
»Ach, Harvey, geben Sie es auf«, antwortete Maud lächelnd. »Sie werden wohl nie einsehen, daß ich Peter eben Peter nennen muß, weil ich ihn näher kenne.« »Diese Beziehung entspricht gar nicht dem Respekt, den der Großmeister verdient«, versetzte der Butler tadelnd. Er hätte wahrscheinlich noch weiter gewettert, doch sie fanden Peters Zimmer leer. Maud entdeckte die Nachricht. »Sehen wir uns bei der Telefonzelle um«, schlug sie vor. »Es gefällt mir nicht, daß Peter allein weggegangen ist.« Diesmal störte sich Butler Harvey nicht einmal an der Vertraulichkeit. Auch er sorgte sich. Die Stunde der Entscheidung rückte immer näher. Da war jeder Alleingang doppelt gefährlich. An der angegebenen Telefonzelle fanden sie niemanden. »Nun ja, das war auch nicht zu erwarten«, sagte Maud, als wolle sie sich selbst trösten. »Sehen wir in der Bar nach, in der Judy bedient. Vielleicht weiß man dort etwas. Könnte ja sein, daß Judy schon ihren Dienst angetreten hat.« Butler Harvey war mit allem einverstanden, das ihn zu seinem Großmeister bringen konnte. Er lief hinter Maud her, die ein schnelles Tempo vorlegte. In der Bar erlebten sie die nächste
unangenehme Überraschung. Der Besitzer selbst stand hinter der Theke. »Judy?« fragte er ärgerlich. »Das Biest arbeitet nicht mehr hier. Sie hat gekündigt, und ich kann allein die ganze Arbeit machen. Was sollen meine Kunden denken?« »Wann hat sie gekündigt, Sir, wenn ich mir die Frage erlauben darf?« erkundigte sich Butler Harvey in seiner unnachahmlichen Weise. Den Wirt erschütterte nichts mehr, nicht einmal Butler Harvey. »Heute Abend hat sie angerufen und einfach erklärt, daß sie nicht mehr komme.« Draußen auf der Straße wechselten Maud und Harvey einen betroffenen Blick. »Das gefällt mir nicht«, sagte Harvey. »Mir noch weniger«, versicherte Maud. »Warum kündigt Judy ausgerechnet an dem Abend, an dem sie Peter zu James Earl Porter führen will? Es könnte ein Zufall sein, aber an solche Zufälle glaube ich nicht.« »Ich gestehe, daß ich völlig ratlos bin«, gab Harvey zu. »Meiner Meinung nach schwebt der Großmeister in höchster Lebensgefahr. An diesem Anruf stimmt einiges nicht.« »Ich gestehe, daß ich ebenfalls völlig ratlos bin.« Maud ahmte seinen Tonfall nach. »Wir sind feine Spezialisten, Harvey, nicht wahr? Peter 78 �
steckt vermutlich in der Klemme, und wir stehen hier herum und wissen nicht weiter.« »Zurück zum Soho Square«, sagte Harvey. »Wenn sich irgendwo die Dinge zuspitzen, dann auf dem Platz.« Dagegen hatte Maud nichts einzuwenden. Schon nach wenigen Schritten tauchte vor ihnen wie aus dem Boden gewachsen eine bekannte Gestalt auf. »Frank Cody«, flüsterte Maud. Es war tatsächlich der ruhelose Frank Cody. Auch an diesem Abend sah er entsetzlich aus. Maud hatte sich jedoch mittlerweile an seinen Anblick gewöhnt, so daß sie ihm ohne Schaudern folgte. Er ging vor ihnen her und winkte ihnen eindringlich zu. Inzwischen war es so dunkel geworden, daß sie nicht auffielen. Die Beleuchtung war schlecht. Nicht einmal einige Nachtschwärmer auf der anderen Straßenseite erkannten, daß Maud und der Butler einem Zombie folgten. Einer der Vergnügungssuchenden bemerkte Frank Codys schwankenden Gang und lachte laut auf. »Der hat aber schon getankt!« rief er. »He, Sportsfreund, immer der Nase nach und aufpassen, daß du gegen keinen Lichtmast knallst!« Frank Cody ließ sich nicht beirren. Dem Spötter wäre das Lachen ver-
gangen, hätte er Codys Gesicht aus der Nähe gesehen. So aber gingen die Leute ahnungslos weiter. Frank Cody führte Maud und den Butler schnurgerade zum Soho Square. Dort war inzwischen die entscheidende Runde angebrochen. * Peter starrte auf die Waffe in Judys Hand. »Nimm die Hände hoch, oder ich drücke ab!« Der Lauf zielte auf seine Brust. Judys Gesicht war eiskalt. »Du stehst auf Porters Seite«, sagte er dumpf. »Selbstverständlich«, erwiderte Judy. »Was meinst du, wer vom Gewächshaus aus mit einem Gummigeschoß den Großmeister vom Orden der Weißmagier außer Gefecht gesetzt hat?« »Du?« fragte Peter ungläubig. »Damit du es weißt, Darling«, entgegnete Judy mit gespielter Herzlichkeit, »ich bin der Kopf dieses Unternehmens. Eckrhomm hat sich mit mir in Verbindung gesetzt und mir seinen Befehl übermittelt. Es war meine Aufgabe, ihn auf die Erde zurückzuholen, nachdem er damals wieder in seine Dimension geschleudert worden war. Und ich habe meine Aufgabe erfüllt, wie du weißt.« 79 �
Peter sah ein, daß er vorläufig nicht aus dieser Falle entrinnen konnte. Er mußte Zeit gewinnen. »Da ist er ja, unser verehrter Großmeister«, sagte neben ihm James Earl Porter. Der Schwarzmagier trat aus der Tür eines baufälligen Hauses, wo er sich versteckt hatte. »Ausgezeichnet, Judy! Können wir beginnen?« »Es ist sogar höchste Zeit«, erwiderte Judy. »Eckrhomm ist bestimmt schon ungeduldig.« Sie schob den Revolver in ihre Manteltasche, behielt den Finger jedoch am Abzug. »Bei der ersten falschen Bewegung schieße ich dich nieder, Peter«, drohte sie. »Wir haben uns diesmal gegen eine magische Waffe entschieden«, erklärte James Earl Porter in seiner öligen Art, während sie den gleichen Weg zurückgingen. »Wir dachten, daß eine gewöhnliche Kugel den Großmeister sicherer tötet. Sie sehen, Mr. Winslow, daß wir aus unseren Misserfolgen gelernt haben.« »Du redest zu viel, James«, wies Judy ihn zurecht. Sofort verstummte der Organisator des Festes auf dem Soho Square. »Was habt ihr mit mir vor?« fragte Peter. »Warum habt ihr mich nicht gleich umgebracht? In dieser dunklen Straße hätte es niemand bemerkt.« »Wir töten dich doch nicht, Peter«, versicherte Judy eisig. »Wir bringen
dich zu Eckrhomm, wie ich schon sagte. Er wird dich töten und in sich aufnehmen. Das ist sein ausdrücklicher Befehl. Du wirst seiner Statue die nötige Kraft geben, damit sie für immer selbständig wird. Sobald du in Eckrhomm aufgegangen bist, ist er frei und wird die Stadt verwüsten. Es werden herrliche Zeiten für uns Schwarzmagier anbrechen. Wir werden die Herren von London und…« »Jetzt redest du zu viel, Judy«, sagte James Earl Porter. Eine Gruppe von Spaziergängern kam ihnen entgegen. Sofort drängte sich Judy an Peter heran und hakte sich bei ihm unter. Der junge Großmeister spürte den harten Druck in seiner Seite und wußte Bescheid. »Werdet bloß nicht nervös«, bat er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich lebe gern noch eine Weile.« »Aber sicher«, versprach Judy. »Wenn du die Leute warnst, ist es aus mit dir.« Peter verzog nicht einmal eine Miene, als sie an den Fremden vorbei gingen. »So ist es brav, Darling«, lobte Judy und hielt wieder Abstand. Die Waffe blieb jedoch auf Peter gerichtet. ..Immer geradeaus! Ich nehme an, du kennst den Weg!« Peters Mund wurde trocken, als sie den Soho Square vor sich sahen. Sein Blick saugte sich an der Statue 80 �
Eckrhomms fest. Als sie den Platz betraten, wendete der steinerne Dämon den Kopf. Peter taumelte zurück und wurde von James Earl Porter weiter geschoben. Verzweifelt blickte sich Peter nach seinen Begleitern um, doch weder Maud, noch Harvey kamen ihm zu Hilfe. Zitternd blieb Peter mitten auf dem Platz stehen. »Geh, oder ich schieße!« zischte Judy. Peter setzte einen Fuß vor den anderen. So mußte es Todeskandidaten bei ihrer Hinrichtung zumute sein, dachte er entsetzt. Jetzt kannte er dieses Gefühl. Einen Meter vor Eckrhomm blieb erstehen. Die Statue neigte sich vor. Das roh behauene Gesicht wandte sich zu Peter. Und dann hob das Monster die steinernen Pranken zum tödlichen Schlag. * »Da ist Peter!« rief Maud unterdrückt, als sie den Großmeister am Rand des Platzes erkannte. »Bei ihm sind Judy und Porter.« Butler Harvey riß Maud zurück, als sie losstürmen wollte. »Sehen Sie nicht die unnatürliche
Haltung des Großmeisters?« zischte er. »Dort! Judy hat eine Hand in der Manteltasche. Wahrscheinlich richtet sie eine Waffe auf ihn!« »Wir müssen ihm helfen!« drängte Maud. »Wir können nicht zulassen, daß sie ihn zu Eckrhomm bringen. Harvey, so tun Sie etwas! Stehen Sie nicht herum.« Butler Harvey deutete auf Frank Cody. Für Sekunden hatte Maud vor Schreck den Untoten völlig vergessen. Frank Cody war zur Seite gewichen und verschwand soeben in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern. Die dort abgestellten Mülltonnen ließen gerade so viel Platz, daß sich ein Mensch hindurchzwängen konnte. »Wir müssen zu Peter«, wiederholte Maud ängstlich. Butler Harvey stieß sie hinter Frank Cody her. »Bevor wir bei dem Großmeister wären, hätte Judy ihn schon getötet«, flüsterte Harvey. »Laufen Sie, Maud! Sie dürfen Cody nicht aus den Augen verlieren. Er will uns helfen, und nur er kennt ein Mittel gegen Eckrhomm!« Es brachte Maud fast um den Verstand, daß sie hier zwischen den Häusern keinen Ausblick auf den Soho Square hatten. Sie wußte nicht, was in diesen Minuten mit Peter geschah. Cody führte sie richtig. Sie erreich81 �
ten den Trümmerhaufen, der einmal ein Wohnhaus gewesen war, von der Rückseite. Der Untote kletterte auf den Schuttberg und begann zu graben. Maud und Harvey folgten ihm, beteiligten sich aber nicht an der Suche. Sie wußten nicht einmal, wonach sie Ausschau halten sollten, und hätten den Untoten nur behindert. Von ihrem erhöhten Standpunkt sahen sie über den Bauzaun hinweg, den die Arbeiter errichtet hatten. »Harvey, es ist zu spät«, rief Maud stöhnend, als Judy Peter quer über den Platz trieb. »Er soll Eckrhomm geopfert werden.« »Da, Cody hat etwas!« Butler Harvey vergaß alle Vorsicht. Auch er wußte, daß es um jede Sekunde ging. Er kletterte zu dem Untoten, der einen Ziegelstein aus dem Schutt zog. Es war keine Waffe! Butler Harvey verbarg seine Enttäuschung. Er hatte gar keine Zeit zum Überlegen. Frank Cody streckte ihm den Ziegel entgegen, und Harvey packte ihn. Damit rutschte er den Schuttberg hinunter. Maud wußte, was sie zu tun hatte. Während Harvey schnurgerade auf Eckrhomm, Judy, Peter und Porter zulief, wich sie seitlich aus. Judy hatte eine Waffe. Maud mußte sie ablenken.
Peter blieb einen Meter vor der Statue stehen, die sich zu ihm beugte und zum tödlichen Schlag ausholte. »Halt!« schrie Maud gellend auf. Judy fuhr herum. Sie riß die Hand mit dem schweren Revolver aus der Tasche, zielte auf Maud und schoß dreimal. Maud tauchte mit einem Hechtsprung hinter einer Holzbude, an der tagsüber Getränke verkauft wurden. Sie hörte zwei weitere Schüsse, die ihr jedoch nichts mehr anhaben konnten. Butler Harvey hatte inzwischen die halbe Strecke zurückgelegt. »Vorsicht, da ist der Butler!« schrie Porter. Judy schwenkte die Waffe herum und wollte Harvey niederschießen. Peter nutzte ihre Unaufmerksamkeit. Er duckte sich unter Eckrhomms Fäusten weg und warf sich von hinten auf Judy, schlug ihre Hand mit dem Revolver nieder und stürzte mit der Barfrau, die immer noch die Waffe krampfhaft festhielt, auf den Asphalt. James Earl Porter versuchte, seiner Komplizin zu helfen. Er sprang auf Peter zu, geriet dabei aber in Reichweite von Eckrhomms Fäusten. Es knirschte. Porter stieß einen Schrei aus, der wie abgeschnitten abbrach. Peter rollte sich herum. Eckrhomm hatte Porter an seiner Stelle getötet. 82 �
Für einen Sekundenbruchteil erstarrte Peter, als er sah, was der Dämon mit Porter gemacht hatte. Diese Unaufmerksamkeit nutzte Judy. Sie schwenkte die Waffe herum. Eckrhomm bückte sich und riß Porters Leiche an sich. Der Schwarzmagier verschmolz mit der Statue. Dann tat Eckrhomm den nächsten Schritt auf Peter zu. Judy drückte ab. Peter warf sich zur Seite. Die Kugel verfehlte ihn haarscharf. Butler Harvey holte weit aus und schleuderte den Ziegel. Der Stein traf den Schädel der schwarzen Bestie und zerplatzte beim Aufprall. Judy wollte noch einmal schießen, doch die Trommel war leer. Sie warf die Waffe nach Peter und achtete dabei zu wenig auf Eckrhomm. Von dem Ziegel platzte nur die oberste Schicht ab. Darunter kam ein Silberbarren zum Vorschein, der über und über mit Zeichen bedeckt war. Die Wirkung war verheerend. Eckrhomm bäumte sich auf und schlug mit den Armen wild um sich. Er drehte sich im Kreis und stürzte. Die riesige, schwere Statue prallte auf Judy. Sie konnte nicht einmal schreien. Auch diese Schwarzmagierin wurde Opfer ihres eigenen Geschöpfs und Verbündeten. Während Judy und die Statue miteinander verschmolzen, klebte der
Silberbarren an dem Schädel der Bestie. Eckrhomm versuchte, ihn wegzureißen, schaffte es jedoch nicht. Peter, Maud und Harvey wichen zurück, während sich der steinerne Koloss auf dem Asphalt wälzte, um sich schlug, sich immer wieder aufbäumte und dennoch von dem Silberbarren besiegt wurde. Jetzt wußten sie, was Porter in Codys Haus gesucht hatte. Er hatte die Wände nach diesem Silberbarren abgeklopft, hatte ihn nicht gefunden und deshalb das ganze Haus einreißen lassen. Noch einmal kam Eckrhomm auf die Beine, doch dann war es vorbei. Die Statue löste sich in Sekundenschnelle in schwarzen Staub auf, der von einem Lufthauch davon geweht wurde. Sogar der Sockel zerfiel. Nichts deutete mehr auf Eckrhomms grausiges Standbild hin. Nur der Silberbarren lag unverändert und unversehrt auf dem Boden. Peter bückte sich und hob ihn auf. Der Barren sollte auf Sagon Manor als wertvolle Waffe gegen das Böse aufbewahrt werden. »Wo ist Frank Cody?« fragte Butler Harvey. Sie sahen sich um, doch Cody blieb verschwunden. »Er hat seinen Frieden gefunden«, stellte Peter Winslow fest. Dann sah er seine Retter an. »Danke«, sagte er 83 �
schlicht. Erleichterung, Grauen und Müdigkeit mischte sich auf ihren Gesichtern, als sie zu ihrem Hotel gingen. Von der Halle aus rief Peter bei
Carol Bongert an. Sie brauchte nicht mehr um ihr Leben zu fürchten. Und sie war jung genug, um über den Verlust ihres Freundes hinweg zu kommen und neu anzufangen.
ENDE
84 �