Nr. 419
Welt der Schätze Im Zentrum des Rghul-Reviers von Marianne Sydow
Als AtlantisPthor, der durch die Dimensionen...
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Nr. 419
Welt der Schätze Im Zentrum des Rghul-Reviers von Marianne Sydow
Als AtlantisPthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Neben Atlan und seiner Gefährtin, deren Weg im Marantroner-Revier von Abenteu ern und tödlichen Gefahren gekennzeichnet ist, operiert noch ein Fremder in den Randbezirken der Schwarzen Galaxis. Dieser Fremde ist Nomazar, der Mann ohne Gedächtnis. Auf unerklärliche Weise gelangt er in das Rghul-Revier, den Herrschaftsbereich des Neffen Duuhl Larx, wo er zuerst als Sklave gehalten wurde. Jetzt aber, nach Peleffs Entmachtung, findet Nomazar eine Möglichkeit, sich aufzu werten und ins Zentrum des Rghul-Reviers zu gelangen – direkt zur WELT DER SCHÄTZE …
Welt der Schätze
3
Die Hautpersonen des Romans:
Nomazar - Der Mann ohne Gedächtnis gewinnt seine Erinnerung zurück.
Peleff - Der Valvke wird in Gewahrsam genommen.
Subtuhl - Galionsfigur von Peleffs Schiff.
Frant-Erf - Nomazars Fremdenführer.
Drafgar-Kert - Duuhl Larx' neuer Vertrauter.
1. Die PELEFFS RACHE war ein Organ schiff, ein unregelmäßiger Konus, knapp zweihundert Meter lang und am Heck ein hundertsechzig Meter dick – ein großes Schiff, viel zu groß für eine nur dreiköpfige Besatzung. Noch größer, wenn man bedach te, daß Subtuhl, die Galionsfigur, in der Bugkanzel festsaß und keinen Raum bean spruchte. Während Nomazar durch das Schiff schlenderte, lauschte er auf jedes Ge räusch. Manchmal hörte er tappende Schrit te. Das waren die Roboter, die alle techni schen Vorgänge an Bord überwachten. Die Roboter waren völlig auf Peleff, den Valv ken, fixiert. Wenn Nomazar einer solchen Maschine begegnete, dann bog er schleu nigst in einen Seitengang ein. Die Roboter schienen ihn gar nicht zu beachten. Trotz dem wußte Nomazar, daß die Maschinen ihn im Auge behielten und alles an ihren Mei ster weitermeldeten. Nomazars Status an Bord war schwer zu definieren. Er konnte sich frei bewegen, als sei er Peleffs Gast. Aber der Schein trog, wie er vor einer knap pen Stunde hatte feststellen müssen. »Du warst bei den Hangars«, sagte da Peleff, als Nomazar von einem seiner Aus flüge in die Zentrale zurückkehrte. »Ehe du auf dumme Gedanken kommen kannst, möchte ich dich warnen: Die Beiboote sind präpariert. Nur ich kann sie benutzen. Jeder andere, der mit ihnen von der PELEFFS RACHE wegfliegt, stirbt eines schreckli chen Todes.« »Reizend!« war Nomazars Antwort. Peleff lächelte nur. Eine Flucht, so dachte Nomazar, kam also nicht in Frage. Er grü belte seit Stunden darüber nach, was er tun
sollte. Peleff hatte die Organschiffe des Nef fen Duuhl Larx abgehängt. Die Flucht aus dem Caudin-System war geglückt. Und jetzt hielt das Schiff auf die Grenzen des RghulReviers zu. Es konnte nicht mehr lange dau ern, bis die PELEFFS RACHE in das Ma rantroner-Revier eindrang. Dort herrschte Chirmor Flog, der wie Duuhl Larx ein Neffe des Dunklen Oheims war. Die beiden Nef fen haßten sich seit ewigen Zeiten, und jeder wartete nur darauf, daß der andere einen Fehler beging und seinem Konkurrenten so mit Gelegenheit gab, ihn beim Dunklen Oheim, wer immer das auch sein mochte, anzuschwärzen. Peleff war bis vor kurzem Duuhl Larx' Vertrauter gewesen. Er wußte mehr über den Neffen als irgendein anderes Wesen im gan zen Rghul-Revier. Jetzt war er in Ungnade gefallen, und wenn er sich erwischen ließ, würde man ihn nach Cagendar schaffen und ihn einen Kopf kürzer machen. Peleff hatte den begreiflichen Wunsch, seinen Kopf noch für einige Zeit zu behal ten, und darum befand er sich nun auf der Flucht. Chirmor Flog würde die Informatio nen, die Peleff ihm geben konnte, zu schät zen wissen. Wenn der Valvke Glück hatte, tauschte er die Rolle des todgeweihten Ver räters gegen die eines umhegten Favoriten im Marantroner-Revier um. Nomazar hatte dagegen nichts einzuwen den. Ihn ärgerte nur, daß Peleff ihn einfach mitschleppte. Vor etlichen Wochen hatte er auf der Welt Ximmerrähne das Bewußtsein erlangt. Er hatte nicht gewußt, wer er war und woher er kam, und daran hatte sich bis jetzt noch nichts geändert – er wußte nur, daß er alles, was seine Herkunft betraf, aus Sicherheits gründen vergessen hatte. Aber irgend etwas
4 trieb ihn immer weiter, und nach der Flucht vom Planeten der Fischmenschen war er zu den Kunstsammlern von Achtol gelangt, und von dort aus reiste er weiter nach Guhrno, der Hauptwelt der legendären Planeten schleuse. Zwar war keine dieser Reisen auf Nomazars persönlichen Wunsch erfolgt, aber er glaubte, doch ein System darin zu er kennen: Er war Duuhl Larx, beziehungswei se dem Planeten Cagendar, immer näher ge kommen. Und je mehr er über das RghulRevier erfuhr, desto dringender wurde in ihm der Wunsch, den Neffen aus der Nähe zu erleben. Er wollte wissen, was für eine Sorte Lebewesen es fertigbrachte, einen gan zen Raumabschnitt in Angst und Schrecken zu versetzen. Peleff hatte den Lauf der Dinge unterbro chen, als er Nomazar nach Caudin entführte. Dort lebten in einem Palast etwa zwei Dut zend unglückliche Wesen, deren einziger Fehler es war, daß sie eine Affinität zu Peleff besaßen, wie das auch bei Nomazar der Fall war. Der Lebenszweck dieser Krea turen bestand darin, sich erbitterte Kämpfe um die Gunst des Valvken zu liefern, und diese Kämpfe waren das einzige, woran Peleff sich von ganzem Herzen erfreuen konnte. Nun, Caudin lag hinter ihnen, und vergan gen war auch die Zeit, da Peleff von der Gnade seines Gefangenen abhängig gewesen war. Ohne Nomazars Hilfe wäre der Valvke im Sumpf von Caudin ertrunken. Nomazars Hilfsbereitschaft wurde von dem Transfusi onsgebundenen übel belohnt, und auch die gemeinsam bestandenen Strapazen der Flucht hatte die beiden ungleichen Männer nicht zu Freunden gemacht. »Ich muß zurück in die Nähe von Cagen dar«, sagte Nomazar leise zu sich selbst. Er lauschte dem Klang seiner Stimme. Sie hör te sich fremd an. In der PELEFFS RACHE klangen jeder Laut und jedes Geräusch, als würden sie inmitten eines Wattebergs er zeugt. Die Stille an Bord war bedrückend. Nomazar kehrte in die Zentrale zurück. Dort hatte sich nichts verändert. Peleff hock-
Marianne Sydow te fett und träge in einer Sitzschale vor dem Hauptkontrollpult. Sein weites, leuchtend blaues Gewand hing nach allen Seiten über, so daß es aussah, als habe der Valvke gar keine Beine, sondern sei gezwungen, sich rollend wie eine Kugel von der Stelle zu be wegen. Aus dem Gewand stachen die dür ren, schwarzen Hände hervor, unheimliche Gebilde mit je zwölf Fingern, und oben auf der blauen Kugel saß der ebenfalls viel zu knochige Kopf mit den kalten gelben Au gen. »Hast du endlich einen Fluchtweg gefun den?« Nomazar ignorierte den ätzenden Spott, den Peleff in diese Frage legte. »Nein«, antwortete er ruhig. »Warum sollte ich nach einem suchen? Du hast mir oft genug erzählt, wieviel Gutes uns im Ma rantroner-Revier erwartet.« »Wie schön es ist, jemanden um sich zu haben, der einem vertraut!« sagte Peleff. Spotte du nur, dachte Nomazar grimmig. Eines Tages werde ich dir die dürre Kehle zudrücken, das steht fest. Aber noch brauche ich dich. Eine Idee schoß ihm durch den Kopf, und er wandte sich ab, damit Peleff ihm nicht ins Gesicht sehen konnte. Der Valvke hatte die fatale Begabung, die Mimik auch des fremd artigsten Wesens spontan zu durchschauen und aus den winzigsten Anhaltspunkten gan ze Gedankenketten zu rekonstruieren. Er hörte, wie Peleff neue Anweisungen für Subtuhl in das Mikrophon flüsterte. »Ich bin müde«, sagte er, als der Valvke damit fertig war. »Hast du etwas dagegen einzuwenden, wenn ich mich jetzt zurück ziehe?« »Ganz im Gegenteil«, versicherte Peleff mit falscher Freundlichkeit. »Ich wünsche dir angenehme Träume.« Nomazars Kabine lag direkt neben der Zentrale. Peleff schien entschlossen zu sein, für die gesamte Dauer des Fluges hinter den Kontrollen hocken zu bleiben, und Nomazar schloß daraus, daß der Valvke auch dem Groden in der Bugkanzel mißtraute. Das war
Welt der Schätze kein Wunder, denn Peleff traute grundsätz lich niemandem, sich selbst ausgenommen. Und dann waren da ja auch noch die Robo ter, die der Valvke selbst programmiert hat te. Nomazar legte sich aufs Bett und dachte über die Galionsfigur nach. Er hatte inzwi schen vieles über die Rolle dieser bedau ernswerten Wesen erfahren. Man schien sie von allen möglichen Welten zu holen. Sie wurden in die Bugkanzeln gebracht und mit Hilfe von Schläuchen und Kabeln mit ihrem Schiff verbunden. Von diesem Augenblick an begannen sie zu sterben. Auch wenn es Jahre dauern mochte – ihr Leben endete mit dem Moment, in dem der letzte Kontakt sich schloß. Denn von da an hatten sie nur noch eine Aufgabe: Sie mußten das Schiff nach den Befehlen des Kommandanten lenken. Ob sie im früheren Leben Wissenschaftler, Philosophen, Krieger oder Jäger gewesen waren, interessierte niemanden, individuelle Interessen galten für sie nicht mehr. Sie ver brachten ihre Tage in dem kleinen Raum am Bug, und sie starben dort, wenn die Arbeit sie aufgefressen hatte. Waren sie tot, so ent fernte man die Schläuche und Leitungen aus ihren Körpern, und eine neue Galionsfigur nahm ihren Platz ein. Die gesamte Raumfahrt in der Schwarzen Galaxis war darauf abgestellt, daß die Gali onsfiguren ihre Arbeit versahen. Hätten alle diese Wesen auf einen Schlag beschlossen, für bessere Lebensbedingungen in den Streik zu treten, dann hätte dies mit großer Wahrscheinlichkeit das Ende für den Dunklen Oheim und seine seltsamen Neffen bedeutet. Dementsprechend waren Wesen wie Subtuhl konditioniert worden. Die Mannschaft eines Organschiffs mochte auf dumme Gedanken kommen und eine Meute rei anfangen – die Galionsfiguren aber hiel ten treu zu genau der Macht, die ihnen den schleichenden Tod bescherte und sich nicht scheute, die Galionsfigur im Fall eines To talschadens samt ihrem Raumschiff zu ver schrotten. Es wäre interessant zu wissen, dachte No
5 mazar, ob das, was Peleff jetzt tut, sich mit den Gesetzen der Schwarzen Galaxis ver trägt. Sitzt er deshalb die ganze Zeit vor dem Mikrophon? Hat er Angst, ich könnte mich mit Subtuhl unterhalten? Man müßte das ausprobieren. Aber wo gibt es ein zweites Mikrophon? Er war bei seinen bisherigen Raumflügen niemals auch nur in die Nähe der Komman doräume gekommen. Natürlich galt das nur für jene Reisen, die er mit Hilfe von Organ schiffen unternommen hatte – an das, was früher gewesen war, erinnerte er sich ja nicht. Jedenfalls waren seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Raumfahrt alles andere als überragend. Die Logik sagte ihm, daß es für den Dienstbetrieb an Bord normaler Schiffe nicht ausreichte, wenn ein einziges Mikro phon für die Verbindung zur Bugkanzel zur Verfügung stand. Es mußte mehr davon ge ben, schon für den einfachen Fall, daß tech nische Störungen auftraten. Nomazar entsann sich plötzlich, daß er an der Peripherie des Schiffes, nahe den Han gars, eine versiegelte Tür gesehen hatte. Das Siegel trug Peleffs Zeichen, die zwölffingri ge Hand. Peleff aber ertrug nur in Ausnah mefällen organisches Leben in seiner Nähe. Die wenigen Wesen, die eine natürliche Af finität zu dem Valvken besaßen, verloren in Peleffs Nähe schon nach kurzer Zeit den Willen und die Kraft, sich gegen ihr Schick sal aufzulehnen. So gesehen, hatte Peleff es überhaupt nicht nötig, an Bord seines eige nen Schiffes irgendeinen Raum besonders abzusichern. Also mußte es mit der bewuß ten Tür eine ganz besondere Bewandtnis ha ben. Nomazar beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. Das Risiko, daß Peleff ihm auf die Schliche kam und ihn für seine Neu gier bestrafte, konnte ihn nicht schrecken. Er ahnte, daß ihm Schlimmes bevorstand, wenn es ihm nicht gelang, dem Valvken zu ent kommen. Hatte der Dicke erst das Marantro ner-Revier erreicht, so war es zu spät. Be stenfalls würde Peleff ihn zu seiner Belusti gung an Bord behalten, bis er seines Gefan genen überdrüssig würde.
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Marianne Sydow
»Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende«, sagte Nomazar zu sich selbst und machte sich auf den Weg.
* Das Siegel war groß und klobig, und No mazar betrachtete es mißtrauisch von allen Seiten. Er hatte auf Guhrno beobachten kön nen, was geschehen war, als der Transfusi onsgebundene Elkort ein Handsiegel des Neffen Duuhl Larx zerbrechen wollte. Es hatte einen grellen Blitz gegeben, und was danach noch von Elkort übrig war, reichte nicht einmal mehr für ein Begräbnis. Gab es hier ähnliche Vorrichtungen? Zu sehen war nichts. Das Siegel bestand aus einem schimmernden, rötlichen Materi al, das weich und elastisch aussah. Als No mazar das Zeug berührte, spürte er ein schwaches Kribbeln in den Fingerspitzen. Erschrocken wich er einen Schritt zurück und betrachtete seine Hände. Aber das Krib beln schien harmlos zu sein. Entschlossen griff er zu. Er bekam einen Zipfel des Siegels zu fassen und zog daran. Die rötliche Masse leistete Widerstand. Sie war zäh wie Gummi und fühlte sich beinahe lebendig an. Nomazar lächelte grimmig. Er besaß ge waltige Kräfte, und wenn er auch nicht mehr wußte, wie er an sie gekommen war, so ver stand er sich doch ausgezeichnet darauf, mit ihnen umzugehen. Er setzte seine Muskeln ein, und eine halbe Sekunde später löste sich das ganze Siegel mit einem schmatzenden Geräusch von der Tür und klatschte auf den Boden. Nomazar stieß das fladenähnliche Gebilde mit dem Fuß zur Seite und schlug die Riegel zurück. Die Tür schwang auf. Er hatte richtig vermutet. Der Raum, in der er blicken konnte, war eine Miniaturaus gabe der Zentrale. Das Mikrophon über dem Hauptkontrollpult zog Nomazars Blicke ge radezu magisch an. Mit festen Schritten ging er darauf zu. Er entdeckte Schalter, Hebel und Knöpfe in genau derselben Anordnung, wie Peleff sie ständig vor sich hatte, und er
streckte die Hand aus, um die Verbindung herzustellen. Einen Augenblick lang zögerte er noch, denn er mußte daran denken, was geschehen mochte, wenn Peleff ausgerech net jetzt mit Subtuhl sprach. Aber er wußte nicht, wie man das von hier aus feststellen konnte. Er mußte sich auf sein Glück verlas sen. »Subtuhl, kannst du mich hören?« fragte er in das Mikrophon. »Wer bist du?« kam die Antwort nach ei nigen Sekunden. »Man nennt mich Nomazar.« Für einen Augenblick blieb es still. »Bist du der Fremde, den Peleff mit an Bord brachte?« »Ja. Ich muß mit dir reden.« »Das geht nicht.« »Warum nicht?« »Ich darf nur mit Peleff sprechen.« »Ich kann mir denken, daß der Valvke einen solchen Befehl gab. Trotzdem – es muß sein, denn es ist dringend. Subtuhl, wem bist du im Zweifelsfall Gehorsam schuldig: Peleff oder dem Gesetz der Schwarzen Galaxis?« »Dem Gesetz.« »Und wenn Peleff dagegen verstößt?« »Das tut er nicht. Er kann es gar nicht, denn er ist ein Transfusionsgebundener.« »Duuhl Larx hat ihm die Gunst entzogen. Seine Schiffe griffen uns an, als wir von Caudin starteten.« »Das geschah, um den Schein zu wahren. Wir sind in geheimer Mission unterwegs ins Marantroner-Revier. Es ist anzunehmen, daß Chirmor Flog Spione ausgesandt hat, die uns beobachten konnten. Sie wurden getäuscht.« »Das hat dir Peleff weismachen wollen«, sagte Nomazar. »Aber er hat dich belogen, Subtuhl. Es gibt Funkempfänger – wenn du geduldig bist, wirst du hören, daß Duuhl Larx nach der PELEFFS RACHE suchen läßt.« Wieder herrschte für kurze Zeit Schwei gen. Es schien, als ließe der Gorde sich das Ganze durch den Kopf gehen. Allein dies war für Nomazar ein deutlicher Beweis da
Welt der Schätze für, daß die Galionsfigur dem Valvken nicht so sehr vertraute, wie es bisher scheinen mochte. »Komm zu mir herauf!« sagte Subtuhl schließlich. »Es ist zu gefährlich, über diese Verbindung zu sprechen.« »Die Roboter werden mich beobachten, und dann wird Peleff dafür sorgen, daß ich dich nicht erreiche.« »Das ist dein Problem.« Nomazar vernahm ein feines Knacken. Subtuhl hatte die Verbindung unterbrochen. Nomazar verließ den Raum. Das Siegel lag immer noch auf dem Boden. Er hob es auf und drückte es gegen die geschlossene Tür, nachdem er die Riegel wieder an ihren Platz geschoben hatte. Zuerst wollte das Sie gel nicht halten. Es kräuselte sich von der Tür weg, und fast schien es, als versuche der Fladen zu fliehen. Aber Nomazar hielt ge duldig still, und endlich schmiegte sich die elastische Masse gegen das Metall. Sicher würde Peleff feststellen können, daß jemand die Tür geöffnet hatte, aber Nomazar hoffte, daß diese Entdeckung erst dann erfolgte, wenn der Valvke zufällig an die Tür geriet. Solange Peleff in der Zentrale blieb und sich darauf beschränkte, das Schiff per Bild schirm zu kontrollieren, sollte alles in Ord nung sein. Es sei denn, der Bursche weiß längst Be scheid, dachte Nomazar. Es würde zu ihm passen, mich in dem guten Glauben zu las sen, daß ich eine Chance habe. Aber noch hatte er Hoffnung, und so sch lich er durch das stille Schiff der Bugkanzel entgegen. Er hielt sich an Gänge und Schächte, die so aussahen, als würden sie auch von den Robotern nur selten benutzt, und es begegnete ihm auch wirklich keine einzige Maschine auf seinem Weg. Trotz dem fühlte er sich unsicher. Er wußte, daß es überall in der PELEFFS RACHE versteckte Kameras gab. Als er ein paar Minuten später vor dem Schott stand, das die Bugkanzel vom Rest des Schiffes trennte, war er beinahe bereit, zu glauben, daß Peleff ihn noch nicht ent
7 deckt und durchschaut hatte. Er legte die Hand auf das Schott, und sobald die Öff nung groß genug war, schlüpfte er hindurch. »Du hast lange gebraucht!« sagte Peleff mißbilligend. »Ich hasse es, wenn man mich warten läßt.« Nomazar stand wie erstarrt da. »Andererseits liebe ich die Abwechs lung«, fuhr der Valvke fort. »Die Fahrt ist langweilig genug, und es ist mir nur recht, wenn du für Unterhaltung sorgst. Aller dings«, seine zwölffingrigen Hände hielten plötzlich eine Waffe, deren Lauf auf Noma zars Bauch gerichtet war, »bin ich absolut nicht begeistert, wenn jemand versucht, eine Galionsfigur gegen mich aufzuhetzen.« Nomazar beherrschte sich eisern. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Er wird mich nicht töten, dachte er. Er braucht mich. Er braucht die Gesellschaft lebender Wesen, auch wenn es nur selten ein Individuum gibt, dessen Nähe er ertragen kann. Alle anderen Affinen starben auf Cau din – ich bin der letzte, bis es ihm gelingt, sich Ersatz zu beschaffen. Und laut sagte er: »Subtuhl ist intelligenter, als du glaubst. Er wäre auch ohne mich dahintergekommen, daß du das Gesetz brichst.« Aus dem Augenwinkel sah er Subtuhl an. Der Grode war ein weißhäutiger Organ klumpen, ein meterdicker, plumper Ball, der Pseudoarme nach allerlei Instrumenten aus gestreckt hatte. »Mag sein«, murmelte Peleff gleichgültig. »Es spielt keine Rolle. Subtuhl hat mir zu gehorchen. Für ihn bin ich das Gesetz.« »Wirklich?« fragte Nomazar lächelnd. »Einen Wurm wie dich braucht man nicht zu belügen«, erklärte der Valvke verächt lich. »Geh voran. Wir haben hier nichts mehr verloren.« Nomazar wandte sich schweigend um. Das Schott stand noch immer halb offen. Er ging hindurch, und Peleff folgte ihm schwe bend, die Waffe noch immer im Anschlag. Als Nomazar einige Schritte vom Schott entfernt war, vernahm er einen wütenden
8 Laut, und instinktiv warf er sich zu Boden. Das war sein Glück. Ein Energiestrahl fuhr heiß und fauchend über ihn hinweg. Gegen über dem Schott glühte es in der Wand auf. Beißender Gestank breitete sich aus. No mazar rollte sich zur Seite und sprang auf, und Peleff, der im Schott eingeklemmt war, feuerte wieder, aber er konnte schlecht zie len, und so ging auch dieser Schuß daneben. Ehe der Valvke ein drittes Mal abdrücken konnte, war Nomazar bei ihm und schlug ihm die Waffe aus der Hand. »Du verdamm ter Narr …«, schrie Peleff wütend auf. »Ruhe!« befahl Nomazar kalt, hob die rechte Faust und versetzte dem Valvken einen wohldosierten Schlag auf den kahlen Schädel. Peleff verstummte augenblicklich. »Mach das Schott wieder auf!« rief No mazar der Galionsfigur zu. »Er kann uns nichts mehr tun.« Er schleifte den Valvken in die Bugkan zel, fand ein paar lose Kabelenden in einer staubigen Ecke und fesselte Peleff damit kunstgerecht. Subtuhl schloß unterdessen das Schott. »Danke«, sagte Nomazar zu dem Organ klumpen. »Ich habe nur meine Pflicht getan«, erwi derte die Galionsfigur sachlich. »Was soll nun geschehen?« »Was schlägst du vor?« »Wir bringen Peleff zum Neffen Duuhl Larx.« »Ja, das dachte ich auch schon. Aber weißt du auch, wie wir zu ihm kommen?« »Nein«, gestand Subtuhl. »Ich gebe euch gerne die Koordinaten!« ließ Peleff sich vernehmen. Nomazar fuhr herum. Der Valvke lag gefesselt auf dem Boden. In seinen großen gelben Augen funkelte es boshaft. Der Dicke mußte widerstandsfähi ger sein, als Nomazar angenommen hatte. Zwar war der Schlag relativ sanft ausgefal len, aber es hätte reichen müssen, um Peleff für gut eine halbe Stunde ins Land der Träu me zu verbannen.
Marianne Sydow »Hat es dir die Sprache verschlagen?« höhnte der Valvke. »Gib Subtuhl die Koordinaten!« befahl Nomazar. Peleff ratterte aus dem Gedächtnis eine lange Reihe von Zahlen und Buchstaben herunter. Nomazar lauschte und fühlte sich unbehaglich, denn seine Kenntnisse reichten bei weitem nicht aus, um die Angaben des Valvken auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Er wandte seine Aufmerksamkeit der Ga lionsfigur zu. Es war schwer, wenn nicht so gar unmöglich, dem Groden eine Gemütsbe wegung anzumerken, und falls Subtuhl sei nem neuen Partner ein geheimes Zeichen zu geben versuchte, so verstand Nomazar ihn nicht. »Kannst du damit etwas anfangen?« frag te er darum, sobald Peleff schwieg. Der Valvke lächelte höhnisch. »Ja«, behauptete Subtuhl. »Mit Hilfe die ser Angaben kann ich das Schiff nach Cagendar bringen.« Peleffs Augen strahlten wütend auf, und Nomazar bog den Kopf zurück und lachte schallend. »Das hast du dir geschickt ausgedacht«, sagte er zu Peleff. Niemand flog Cagendar einfach an. Wer immer sich auch dem Sitz des Neffen nähern wollte, der mußte zuerst durch die Planeten schleuse. Nomazar nahm an, daß jedes Raumschiff, daß Cagendar zu nahe kam und nicht von Guhrno aus angemeldet wurde, auf die Abschußliste geriet. Subtuhl mochte davon nichts wissen, denn er gehorchte als Galionsfigur norma lerweise nur den Befehlen, die man ihm gab. Das selbständige Denken fiel dem Groden sicher schwer. »Wir fliegen zum NurschugSystem«, ent schied Nomazar. »Dort wird man wissen, was mit Peleff geschehen soll.« »Sie werden dich töten«, behauptete Peleff und starrte seinen rebellischen Gefan genen durchdringend an. »Denn du bist ein Spion. Jeder weiß das mittlerweile.« »Jeder außer mir«, konterte Nomazar ge
Welt der Schätze lassen. »Und vielleicht ist Duuhl Larx klü ger als seine Untertanen.« Peleff kicherte schrill. Nomazar bemerkte, daß Subtuhl erschrak und fast einen falschen Hebel erwischt hätte. Der Valvke wird uns mit seinen Bemer kungen zermürben, dachte er. Ich muß ihn zum Schweigen bringen. Bei dieser Gelegenheit fielen ihm die Ro boter ein. Sie waren Peleff treu ergeben, und um das Gesetz der Schwarzen Galaxis wür den sie sich herzlich wenig scheren, wenn sie ihren Herrn in Gefahr wußten. In der Bugkanzel waren Subtuhl und Nomazar vor den Maschinen sicher. Die Roboter würden es nicht wagen, hier einzudringen, denn jede Form von Gewaltanwendung würde sowohl Peleff als auch Subtuhl in Gefahr bringen. Und ohne Galionsfigur war das Schiff ma növrierunfähig. Er würde dafür sorgen müs sen, daß Peleff in der Kanzel blieb. Gleich zeitig mußte er Peleff dazu bringen, den Mund zu halten. »Hast du die Koordinaten des NurschugSystems?« fragte er die Galionsfigur. »Nein, aber ich kann sie jetzt leicht be kommen.« »Dann fange an zu rechnen und ändere den Kurs, sobald du weißt, wohin wir uns zu wenden haben.« Während Subtuhl noch mit dieser Aufga be beschäftigt war, durchstöberte Nomazar systematisch die ganze Bugkanzel. Er stellte fest, daß er es zur Not ein paar Tage lang hier drinnen aushalten konnte. Es gab einen Anschluß an das Versorgungssystem der PELEFFS RACHE, so daß er sich mit Was ser und Proviant versehen konnte. Zum Schlafen mußte der Boden herhalten, aber auch das schien halb so schlimm, denn die ganze Kanzel war mit einem schwammigen Material ausgelegt. Und es war warm genug, daß er auf Decken und ähnliches verzichten konnte. So blieb ihm am Ende nur eine Sorge: Peleff. Der Dicke ließ am laufenden Band seine spöttischen Bemerkungen los. Noma zar ließ sich durch dumme Redensarten
9 nicht beeindrucken, aber Subtuhl wurde im mer nervöser. »Paß auf«, sagte Nomazar schließlich zu dem Valvken. »Ich gebe dir die Chance, die Reise nach Guhrno halbwegs bequem zu überstehen. Voraussetzung ist, daß du den Mund hältst und Subtuhl in Ruhe läßt.« »Der arme Subtuhl«, murmelte Peleff. »Was geschieht, wenn ich mich nicht nach deinen Vorschlägen richte?« »Dann wird es weniger bequem für dich«, erwiderte Nomazar schulterzuckend. »Ich werde dich knebeln. Und falls dich das im mer noch nicht daran hindert, den Groden in seiner Konzentration zu stören, werde ich dir solange eins über den Schädel geben, bist du endlich für ein paar Stunden ruhig bist.« »Wie brutal!« sagte der Valvke verächt lich. »Warum bringst du mich nicht einfach um?« »Das kann Duuhl Larx erledigen. Ich bin nicht dein Richter.« »Du hoffst auf eine Belohnung, wenn du mich auslieferst, wie? Wie hoch ist bei dir der Preis für das Leben eines Freundes?« Nomazar sah ein, daß es völlig sinnlos war, mit dem Valvken zu diskutieren. Da er nichts gefunden hatte, was sich als Knebel verwenden ließ, zog er seine Jacke aus und riß ein Stück aus dem Futter heraus. Wenig später konnte Peleff nur noch unartikulierte Grunzlaute von sich geben. Das allerdings tat er so beharrlich, daß Nomazar sich schließlich doch gezwungen sah, die rabiate Methode anzuwenden. Danach war Peleff still. Auch als er wieder bei Bewußtsein war, gab er keinen Laut mehr von sich. Aber in seinen Augen brannte der Haß. Inzwischen hatte Subtuhl den neuen Kurs berechnet. Hinter dem durchsichtigen Mate rial der Kanzel bewegten sich die Sterne und wanderten seitwärts aus dem Blickfeld. Es waren seltsame, fremde Sterne, die alle aus sahen, als hätten sie einen tiefschwarzen Kern. Endlich nahm die PELEFFS RACHE Fahrt auf. Nomazar dachte flüchtig daran, daß es eigentlich der richtige Zeitpunkt ge wesen wäre, dem Organschiff einen neuen
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Namen zu geben. Er setzte sich auf den Boden, lehnte sich gegen ein Instrumentenpult und schloß die Augen. War es richtig, was er jetzt tat? Peleff hatte von Duuhl Larx keine Gnade zu erwarten. Indem Nomazar den Valvken zurückbeförderte, verurteilte er ihn zum To de. Es wäre humaner gewesen, ihn hier und jetzt umzubringen, denn der Neffe des Dunklen Oheims zählte offenbar nicht zu denen, die ihren Gegnern wenigstens das Sterben halbwegs leicht machten. Er hätte Peleff retten können. Sie mußten dazu nicht einmal unbedingt ins Marantro ner-Revier fliegen. Sie befanden sich in der Randzone der Schwarzen Galaxis, und wenn sie ein wenig Glück hatten, fanden sie einen Planeten, auf dem sie den Valvken absetzen konnten. Aber wenn Nomazar ohne Peleff in der Planetenschleuse auftauchte, hatte er kaum noch eine Chance, sein gestecktes Ziel zu er reichen. Dieses Ziel war Duuhl Larx. Er mußte wissen, was es mit diesem geheimnis vollen Burschen auf sich hatte. Und Peleff? Nüchtern gesehen hatte der Valvke den Tod tausendfach verdient. Man haßte und fürch tete ihn überall, wo sein Name bekannt war. Und er hatte keineswegs nur im Auftrag des Neffen gemordet und Völker in den Krieg getrieben. Wenn es ihm jetzt auch noch ge länge, Chirmor Flog zu erreichen, so war ein Krieg zwischen den beiden Revieren unaus weichlich. Und so ein Krieg kostete unzähli ge intelligente Wesen das Leben. Nomazar schob den nutzlosen Gedanken zur Seite. Es hatte keinen Sinn, sich solche Fragen zu stellen. Recht oder Unrecht – es blieb ihm gar keine Wahl.
2. Es wurde ein ungemütlicher Flug. Die Bugkanzel war zu eng für drei Personen, die sich gegenseitig auf die Nerven gingen. Die Verpflegung war schlecht und bestand nur aus faden Konzentraten. Peleff schwieg ei-
sern und bedachte seine Umgebung mit bos haften Blicken. Subtuhl fühlte sich offenbar durch die Gegenwart zweier freier, nicht mit einem Schiff fest verbundener Wesen be drückt. Und Nomazar litt unter der Vorstel lung, daß er sich automatisch zum Kompli zen des Neffen Duuhl Larx machte, indem er Peleff nach Guhrno brachte. Die Zeit verging – vier volle Tage brauch ten sie, um die Planetenschleuse zu errei chen. Dann endlich lag das Nurschug-Sy stem vor ihnen, mit seiner großen, grellblau en Sonne, die wie alle anderen in dieser Ga laxis einen schwarzen Kern zu besitzen schi en. Subtuhl strahlte ein Kodesignal ab, und man ließ sie ungehindert in die Nähe Guhr nos gelangen. Dann allerdings ließ es sich nicht mehr umgehen, daß Nomazar seine Karten auf den Tisch legte: Das Heymfloz verlangte energisch Auskunft darüber, wer oder was sich an Bord der PELEFFS RACHE – die sen Namen kannte das Computersystem zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch nicht – dem Hauptplaneten der Schleuse nä herte. Nomazar ging bereitwillig auf das Spiel ein und wurde angewiesen, auf dem Konti nent Bryson, in der Nähe der gleichnamigen Stadt, zu landen. Zum erstenmal seit seinem Erwachen auf Ximmerrähne kehrte Nomazar an einen Ort zurück, anstatt immer neue Schauplätze hin ter sich zu lassen, und das war ein seltsames Gefühl. Für einen Augenblick dachte er dar über nach, wie es wohl sein mochte, nach Hause zu kommen. Aber da solche Spekula tionen doch zu nichts führten, konzentrierte er sich hastig wieder auf die Gegenwart. Die PELEFFS RACHE setzte sanft auf. Sie landete am Rand des Hafens, und von der Bugkanzel aus konnte Nomazar den Pa last von Bryson sehen, einen gigantischen Gebäudekomplex, mit Türmen und Hallen, die samt und sonders aus riesigen Muschel schalen und Schneckenhäusern zusammen gesetzt waren. Mittendrin erhob sich die schimmernde Heymfloz-Kuppel. Auf der
Welt der Schätze breiten Straße, die den Hafen mit dem Palast verband, rasten offene Fahrzeuge heran, dicht besetzt mit Kunen, deren goldfarbene Hautkämme in der Mittagssonne leuchteten. »Gib mir eine Verbindung«, verlangte Nomazar, der neben Subtuhl stand und fas ziniert nach draußen sah. »Mit wem?« erkundigte sich der Grode. »Verlange den Hafenmeister, falls es hier so etwas gibt.« Sekunden später erhellte sich ein Bild schirm. Das Gesicht eines Kunen wurde sichtbar. Er hatte rosa Augen, die auf kurzen Stielen saßen, einen schmalen, scharfge schnittenen Mund und große, enganliegende Ohren. Der Kune nannte sich Onnytschan. »Ich brauche deine Hilfe«, sagte Nomazar bedächtig. »Dieses Schiff gehört dem Valv ken Peleff.« Er registrierte zufrieden, daß Onnytschan zunächst erschrak, als dieser Name genannt wurde, dann aber dem Fremden, den er auf seinem Gerät erblickte, dienstbeflissen das Zeichen zum Weitersprechen gab. »Ich bringe Peleff zurück, er ist mein Ge fangener. Leider befinden sich aber im Schiff noch die Roboter des Valvken. Bis jetzt haben sie mich und die Galionsfigur in Ruhe gelassen. Ich fürchte aber, daß sie so fort angreifen werden, sobald ich mich mit Peleff aus der Bugkanzel herauswage.« »Wir werden die Roboter umgehen«, ver sprach Onnytschan. »Auf welche Weise?« »Wir werden direkt von außen in die Bug kanzel eindringen und dich und Peleff her ausholen.« »Ich möchte nicht, daß Subtuhl gefährdet wird. Ohne ihn wäre es unmöglich gewesen, den Valvken hierherzubringen.« »Wer ist Subtuhl?« fragte Onnytschan verwirrt. »Die Galionsfigur.« Onnytschan schien im Zweifel zu sein, ob es wirklich nötig war, auf ein so untergeord netes Subjekt wie den Groden Rücksicht zu nehmen. »Subtuhl hat dem Neffen Duuhl Larx
11 einen großen Dienst erwiesen«, setzte No mazar darum hinzu. »Es dürfte ratsam sein, ihn gut zu behandeln.« Die versteckte Drohung erfüllte ihren Zweck. »Wir werden uns vorsehen«, versprach Onnytschan. »Eine Frage noch«, sagte Nomazar, ehe der Kune abschalten konnte. »Wer hat Elkorts Nachfolge angetreten?« »Bis jetzt wurde von Cagendar noch kein neuer Transfusionsgebundener zu uns ge schickt«, erwiderte der Kune abweisend. Of fenbar war es ihm unangenehm, an Elkorts Schicksal erinnert zu werden. »Wer bestimmt dann, was auf Guhrno ge schieht?« »Eine Gruppe von Kunen, zu der auch ich gehöre.« Der Schirm wurde dunkel. Peleff gab einen verächtlichen Laut von sich, und No mazar drehte sich nach dem Valvken um. »Was immer du sagen willst«, sagte er warnend, »behalte es für dich. Oder hattest du vor, deinen Robotern zu befehlen, daß sie uns in Ruhe lassen sollen?« »Das könnte dir so passen!« erwiderte Peleff höhnisch. »Auch gut. Und jetzt hältst du den Mund, verstanden?« Peleff fügte sich, und Nomazar fragte sich beunruhigt, ob der Valvke nicht doch noch etwas in der Hand hatte, irgendeinen ver steckten Trumpf, den er im letzten Augen blick ausspielen konnte. Es kam ihm seltsam vor, daß der Valvke sein Schicksal so gelas sen hinnahm. Aber dann tauchten vor der Bugkanzel die ersten Flugschalen auf, und Dutzende von Kunen hängten sich mit Hilfe dünner, schar fer Haken an die Außenhülle des Organ schiffs. Nomazar sah blinkende Werkzeuge, mit denen die grau bepelzten Wesen sich durch die Schiffswand schnitten. »Sie werden bald hier sein«, murmelte Subtuhl, und seine Stimme verriet Besorg nis. »Hoffentlich beschädigen sie keine Ver sorgungsleitung. Mein Leben ist zwar nicht
12 besonders schön, aber ich hänge daran.« »Sie werden dich wie ein rohes Ei behan deln«, versprach Nomazar. »Unser Gefange ner dürfte dem Neffen einiges wert sein. Ich nehme an, daß du mit einer Belohnung rech nen darfst.« Er glaubte selbst nicht an das, was er da sagte, aber er wollte alles tun, um Subtuhl zu beruhigen. Der Grode wußte vermutlich bes ser als Nomazar, wie es um Gefühle wie Dankbarkeit bei Duuhl Larx bestellt war, denn er schwieg und wandte sich demonstra tiv seinen Instrumenten zu. »Die Roboter haben Verdacht geschöpft«, sagte er plötzlich. »Acht stehen jetzt vor der Schleuse.« Nomazar zog den Valvken in die Mitte der Kanzel, band ihn an einer Sitzschale fest und sorgte dafür, daß Peleff sich genau zwi schen dem Schott und dem Groden befand. Damit war Subtuhl wenigstens im ersten Augenblick eines Angriffs gesichert. Noma zar hoffte jedoch, daß die Kunen kamen, ehe die Roboter sich zu einem solchen Schritt entschlossen. Unruhig beobachtete er die Schwebeplatten, von denen jetzt schon fast zwanzig um die Bugkanzel herumflogen. »Gibt es eine Schleuse hier oben?« fragte er den Groden. »Sie ist zu weit weg. Außerdem müßten die Kunen von dort aus tief in das Schiff eindringen, ehe sich eine Gelegenheit ergibt, in unsere Richtung einzuschwenken.« »Bis die sich da hindurchgearbeitet haben …« »Ich werde mit den Robotern sprechen«, sagte Peleff plötzlich. Nomazar sah ihn überrascht an. »Es ist kein Trick!« behauptete der Valv ke, und er lächelte verzerrt. »Wenn die Ma schinen angreifen, geht es auch mir an den Kragen.« »Das wird wohl sowieso der Fall sein«, entgegnete Nomazar skeptisch. »Oh, ich bin noch längst nicht geschla gen«, versicherte Peleff spöttisch. »Solange ich lebe, habe ich immer noch Hoffnung. Und man wird mich nicht hier auf Guhrno
Marianne Sydow hinrichten. In Fällen wie meinem schlägt Duuhl Larx mit Vorliebe persönlich zu.« »Du mußt es ja wissen. Wie willst du an die Roboter herankommen?« »Gibt mir ein Mikrophon und eine Ver bindung nach draußen.« Nomazar rechnete ziemlich fest damit, daß Peleff ihn zu täuschen versuchte. Darum blieb er neben dem Valvken stehen. Er war fest entschlossen, beim ersten falschen Wort rücksichtslos zuzuschlagen. Peleff merkte das, und er lachte spöttisch, aber dann be gann er zu sprechen, und was er sagte, klang aufrichtig. »Verhaltet euch ruhig«, befahl er den Ro botern. »Wenn ihr mich zu befreien ver sucht, gefährdet ihr mich nur. Zieht euch zu rück und leistet keinen Widerstand, wenn dieses Schiff durchsucht wird.« »Sie gehorchen«, rief Subtuhl überrascht. »Sie kehren in die unteren Abteilungen zu rück.« Nomazar nahm dem Valvken das Mikro phon ab und wies den Groden an, ihn aber mals mit Onnytschan zu verbinden. »Du kannst deine Leute zurückrufen«, er klärte er. »Peleff hat eingesehen, daß er sich nur selbst das Leben schwer macht. Ich gehe jetzt mit ihm zur Schleuse hinunter.« Onnytschan nahm es ohne erkennbare Ge mütsbewegung zur Kenntnis. Ein paar Mi nuten später stand Nomazar auf dem Boden von Guhrno, und der gefesselte Valvke wur de von einigen Kunen davongeschleppt.
* »Was wird mit Peleff geschehen?« fragte Nomazar, als er im Palast von Bryson dem Kunen Onnytschan gegenüberstand. Onnytschan überragte Nomazar um gut einen halben Meter, aber er war so zierlich gebaut, daß man hätte meinen können, der erste etwas heftigere Windstoß würde ihn davontragen. »Der Befehl lautet, ihn nach Cagendar zu bringen«, erklärte der Kune. »Alles andere ist Sache des Neffen.«
Welt der Schätze Der Kune bewegte sich unruhig, und No mazar hatte das Gefühl, als müsse On nytschan ihm etwas mitteilen, was ihm nur schwer über die Lippen wollte. »Auch du wirst nach Cagendar fliegen«, sagte der Kune schließlich. »Du hast dem Neffen einen Dienst erwiesen, und dafür will er dich belohnen.« »Belohnen?« fragte Nomazar mit sanftem Spott. »Meinst du das wirklich?« »Ich habe meine Befehle«, wich der Kune hastig aus. »Für die guten Absichten des Neffen spricht wohl, daß du als freier Mann nach Cagendar reisen sollst.« Eine schöne Art von Freiheit, dachte No mazar. Wenn ich mich weigere, werden sie mich in Ketten legen und abtransportieren. Aber was soll's – ich wollte Duuhl Larx ken nenlernen, und dabei bleibt es. »Wirst du an Bord gehen, sobald die KARSEI startbereit ist?« fragte Onnytschan beinahe ängstlich. »Ja, natürlich«, antwortete Nomazar gei stesabwesend. »Wieviel Zeit bleibt mir noch?« »Die KARSEI startet morgen früh«, ant wortete Onnytschan erleichtert. »Ich dachte, Duuhl Larx würde darauf dringen, daß Peleff sofort zu ihm gebracht wird«, sagte Nomazar erstaunt. Onnytschan wand sich verlegen, und die Kette aus winzigen Perlmuttmessern, die ihm bis zum Gürtel herabhing, klirrte leise. »So ist es auch«, sagte er. »Aber die KARSEI ist nicht früher startbereit.« »Habt ihr kein anderes Schiff?« »Oh doch. Trotzdem – nur die KARSEI kommt für den Transport in Frage.« »Warum?« »So lautet der Befehl.« Nomazar schwieg. Bei den Domern auf Achtol kursierte das Gerücht, daß Duuhl Larx längst nicht mehr voll bei Verstand sei. Je mehr er über den Neffen erfuhr, desto stärker wurde in ihm der Verdacht, daß die ses Gerücht die Wahrheit traf. Lag darin die Chance, die Peleff noch zu haben glaubte? »Wir haben den Wunsch«, sagte On
13 nytschan, »dir die Zeit zu verkürzen. Es ist eine große Beruhigung für uns, daß du Peleff gefangengenommen hast. Der Valvke hat viel Unheil angerichtet. Außerdem«, fügte er nüchtern hinzu, »hast du dem Nef fen eine Freude bereitet, und das wirkt sich auf alle seine Untertanen günstig aus.« Sieh an, dachte Nomazar amüsiert. Er hät te sich gerne auf Guhrno ein wenig umgese hen. Allein dieser Muschelpalast war es wert, daß man ihn betrachtete, und die Stadt, die sich bis an den Fuß einer wilden Berg kette hinzog, sah aus der Ferne ebenfalls sehr reizvoll aus. Aber er entschied, daß es besser war, auf Onnytschans Angebot einzugehen. Unter anderen Umständen hätte er seine Freude an dem Fest gehabt, das die Kunen ihm zu Ehren veranstalteten. Es war eine laute, farbenfreudige Angelegenheit, und Nomazar beobachtete fasziniert die Kunen, die sich an diesem Abend von einer ihm bis her völlig unbekannten Seite zeigten. »Vor sehr langer Zeit«, erzählte On nytschan, als der Wein ihm die Zunge gelöst hatte, »zogen wir als freie Nomaden über unsere Welt. Wir durchquerten Wüsten und Meere und trieben Handel, und oft gab es Krieg zwischen den Stämmen. Noch heute sind wir unruhig im Blut, und oft zieht es uns zu langen Wanderungen fort von diesem Palast. Aber die alten Zeiten sind verloren, und sobald unsere Füße müde werden, keh ren wir in die Stadt zurück. Ein paar Lieder und Tänze – das ist alles, was uns geblieben ist.« Ein paar Meter weiter saß eine Kunin und zupfte an den Saiten einer Wüstenharfe. Ei ne Melodie klang auf, die voller Sehnsucht und Melancholie war und unversehens um schlug in eine leidenschaftliche Klage. »Spiel etwas Lustigeres, Sydelär!« rief Onnytschan. Die Akkorde brachen sich, dann klangen fröhlichere Töne auf. Onnytschan sprang auf und drehte sich mit der Grazie eines ange schwipsten jungen Hundes im Kreis. Andere Kunen kamen hinzu und tanzten ausgelassen
14 durcheinander. Ihre Muschelketten klingel ten und klapperten im Takt, und ihre Füße schienen den Boden kaum zu berühren. Die meisten Männer trugen weite Umhänge mit wehenden Kapuzen, wie man sie in der Wü ste wohl gebrauchen konnte, und an ihren Gürteln hingen zahllose Taschen und Beutel, in denen sie ihre bewegliche Habe mit sich schleppten. »Nein«, sagte Nomazar leise zu sich selbst. »Du irrst dich, Onnytschan. Es ist euch noch viel mehr von eurem Nomaden dasein geblieben. Eines Tages werdet ihr frei sein und wandern können – ich möchte wetten, daß dieser ganze Planet im Lauf ei ner einzigen Generation entvölkert sein wird.« Es war weit nach Mitternacht, als die Tän zer müde wurden. Nomazar taumelte, be nommen vom Lärm und dem würzigen Wein, in die ihm angewiesenen Zimmer. Noch im Traum hörte er die Harfen und die klaren Stimmen der Kunen, die vom Sand und vom Wind sangen, von den wandernden Bergen im Norden und dem treibenden Eis in den polaren Meeren. Mit schmerzendem Kopf begab er sich am Morgen in die KARSEI, als freier Mann, wie Onnytschan es versprochen hatte. In der Schleuse drehte er sich noch einmal um. Die Muscheltürme und Schneckenhaus hallen schimmerten und glänzten im Licht der aufgehenden Sonne in pastellenen Far ben. Die Heymfloz-Kuppel erhob sich wie ein Fremdkörper in ihrer Mitte. Soweit er sich erinnern konnte, war es die erste Welt, die er zweimal betreten hatte. Er fühlte eine seltsame Verbundenheit mit die sem Planeten und seinen Bewohnern. Irgendwann, dachte er, kehre ich zurück. Dann will ich deine wandernden Berge se hen, Onnytschan, und die wilden Klippenbe wohner, von denen du mir gestern erzählt hast. Dann mußt du mit mir durch die Wüste wandern und mir die Pflanzen zeigen, die eurem Wein die Würze geben. Irgendwann … Aber dann brachte man Peleff an Bord, ei-
Marianne Sydow ne kleine, unglaublich dicke Gestalt, die im Innern einer Energieblase gefangen saß, und die Träume verflogen. Nomazar wußte, daß man ihn noch immer verdächtigte, ein Spion zu sein. Die Freundlichkeit der Kunen konn te nicht darüber hinwegtäuschen, daß er in akuter Lebensgefahr schwebte. Er ging in das Schiff hinein, fand eine Art Messe und ließ sich dort von einem jungen Kunen ein Getränk servieren, das die Reste des Weins aus seinem Blut saugen sollte. Die KARSEI startete unterdessen, raste in den kristallkla ren Himmel von Guhrno hinein und nahm Kurs auf Cagendar, die legendäre Welt, auf der Duuhl Larx mit seinem Hofstaat lebte.
3. Fyr-Than fuhr seinen Köcherkopf aus, richtete mühsam die Sinnesfühler auf und gewahrte schaudernd den blutroten Himmel über sich. Er fror erbärmlich, obwohl er in einer Mulde saß, die die Wärme des Tages fast die ganze Nacht hindurch gehalten hat te. Er hatte sich zusätzlich in ein halbes Dut zend Decken gewickelt und die Mulde mit trockenen, Kräutern ausgestopft. Aber die Kälte, die ihn plagte, kam von innen her, und er fühlte sich alt und krank. »He, Fyr-Than, lebst du noch?« rief es aus der nächsten Mulde. »Dasselbe wollte ich dich gerade fragen«, quakte Fyr-Than mißmutig, richtete sich auf und spähte zu Erter-Than hinüber. Er blieb lange genug oben, um zu sehen, daß sein Sohn tapfer versuchte, mit Hilfe von Frei übungen die Kälte aus seinem Körper zu vertreiben. Dann fuhr ein kalter Wind über das kahle Land, und Fyr-Than zog sich ha stig wieder in sein Versteck zurück. »Als ich noch jung war«, sagte er zu sich selbst, »hat mir eine Nacht im Freien auch nichts ausgemacht. Aber erzähle das mal ei ner diesem Burschen. Der weiß ja sowieso alles besser.« Wie auf ein Stichwort tauchte Erter-Than am Rande der Mulde auf. »Es wird Zeit, daß wir aufbrechen«, be
Welt der Schätze merkte er. Obwohl er mit seinem Vater sprach, dem er tiefen Respekt schuldete, hielt er es nicht einmal für nötig, den Köcher ein wenig weiter auszufahren, wie die guten Sitten es geboten. »Warte lieber noch«, meinte Fyr-Than, der es längst aufgegeben hatte, von seinem Sprößling so etwas wie manierliches Beneh men zu verlangen. »Es kommt ein Unwetter auf – ich spüre es in allen Knochen.« Erter-Than ließ die Sicht und Hörfühler über dem Rand des Köchers pendeln. »Ich finde nicht, daß es danach aussieht!« bemerkte er. »Du willst dich nur vor der Ar beit drücken.« »Unsinn«, gab Fyr-Than ärgerlich zurück und hievte seinen schweren Körper aus der Mulde. »Du wirst schon sehen, daß ich recht behalte.« Erter-Than verzichtete auf eine Erwide rung, denn er war ausreichend damit be schäftigt, seine Lautfühler, die am Grund des Köchers saßen, zu putzen. Fyr-Than durchstöberte seine Taschen und fand ein Päckchen Trockenobst. Er riß die Verpackung auf und stopfte den ganzen Block in die Eßöffnung unterhalb des Kö chers. Dann sammelte er seine Decken ein und verschnürte sie zu einem glatten Paket. Dabei beobachtete er unausgesetzt den Him mel. Wenn es jetzt einen dieser fürchterli chen Regenstürme gab und sie noch hier draußen waren, weit weg von allen schüt zenden Dächern, dann erging es ihnen schlecht. Fyr-Than war fest davon über zeugt, daß er so etwas nicht mehr überleben würde. »Wir machen da weiter, wo wir gestern aufgehört haben«, entschied Erter-Than. »Komm jetzt.« »Ich hätte mich nicht darauf einlassen sol len«, bemerkte Fyr-Than, während sie dem Rand der versiegelten Fläche entgegengin gen. »So ein Unsinn, auf meine alten Tage noch etwas mit den Sanitätern anzufangen – ausgerechnet ich, der ehemalige oberste Baumeister von Vemed!« »Du begleichst nur einen winzigen Teil
15 deiner Schulden, vergiß das nicht«, sagte Er ter-Than streng. »Hättest du nicht so eifrig bei der Versiegelung mitgeholfen, so wäre das Klima vielleicht noch nicht ganz so schlecht.« »Das glaubst du doch selbst nicht!« prote stierte Fyr-Than schwach. »Es gibt genug Baumeister auf Cagendar. Meine Rolle war denkbar klein.« Erter-Than gab keine Antwort. Schwei gend stapfte er auf seinen kurzen Beinen voran, ein massiger, fest viereckiger Klotz, der sich schwarz gegen den leuchtenden Himmel abhob. »Außerdem hat die Versiegelung auch ih re guten Seiten«, behauptete Fyr-Than trot zig. »Früher war der Himmel von Cagendar nicht so farbenprächtig.« »Es ist das Gift, das die Farben be stimmt«, entgegnete Erter-Than streng. »Hör jetzt endlich auf zu reden und komm.« Der Boden war uneben und von Rinnen durchzo gen. Zwischen niedrigen Kräutern zeichne ten sich Flächen abgestorbener Vegetation ab. An vielen Stellen trat der nackte Boden zutage, und diese Flächen wurden immer größer – auf Cagendar waren die Wüsten am Wachsen. Sie entstanden keineswegs aus ei ner natürlichen Notwendigkeit heraus, weil etwa die Temperaturen sanken oder stiegen oder die Niederschläge ausblieben. Nein, auf Cagendar wurden die Wüsten kunstgerecht großgepäppelt, und Fyr-Than wußte das. Die Angst vor dem Zeitpunkt, an dem das Leben auf Cagendar völlig erlöschen und nur noch eine riesige, versiegelte Kugel übrigbleiben würde, trieb Fyr-Than auf seine alten Tage dazu, sich in Gefahr zu begeben. Je näher sie der versiegelten Fläche ka men, desto unwirtlicher wurde die Land schaft. Fyr-Than zog fröstelnd den Kopfkö cher ein und vergewisserte sich, daß die Verschlüsse seiner umfangreichen Schutz kleidung in Ordnung waren. Der Wind pfiff rauh und kühl über das Land, und kein Baum, kein Strauch stellte sich ihm noch in den Weg. Aber dafür ragte er jetzt vor ihnen auf, der
16 Rand, die glitzernde, strahlende Kante, die ihr Ziel war. Die Sonne hob sich über den Horizont, und ihre Strahlen brachen sich funkelnd in den unzähligen Juwelen und Kristallen, die gerade hier in besonders rei cher Zahl in die Versiegelung eingebettet waren. Fyr-Than mußte seine Sichtfühler einziehen und kurze Zeit stehenbleiben, so blendend hell war das Gefunkel. »Es ist eine Schande«, sagte er, aber er bewegte seine Lautfühler dabei so sanft, daß der Wind die Worte verschluckte und ErterThan nichts hörte. »Wie kann etwas so Schönes so schädlich sein.« Erter-Than zog ihn am Arm weiter. »Kein Bautrupp ist in der Nähe!« rief der junge Truge triumphierend. »Wir haben Glück!« Fyr-Than stolperte hinter seinem Sohn her, bis sie dicht an der Kante angelangt wa ren. Erst dann wagte er es, die Sichtfühler wieder auszufahren. Er starrte direkt in ein Dämonengesicht mit großen, roten Augen und einem breiten Mund, eine fremdartige Fratze, die ihn böse angrinste. »Teil einer Statue von Gunx«, murmelte er. »Ältere Arbeit, nicht besonders gut aus geführt. Teile des Kopfes sind nur ange fügt.« Die nüchterne Klassifizierung gab ihm sein inneres Gleichgewicht wieder, und er war nunmehr fähig, sich auf die selbstge stellte Aufgabe zu konzentrieren. Wie bekam man den Kopf am leichtesten aus der Versiegelung heraus? »Die Schicht ist noch nicht durchgehär tet«, bemerkte Erter-Than fachmännisch. »Wir haben den richtigen Zeitpunkt erwi scht. Hast du den Säuresprüher dabei?« »Natürlich habe ich ihn«, gab Fyr-Than ärgerlich zurück. »Aber ich denke nicht dar an, ihn einzusetzen. Wir haben nicht so viel Säure, daß wir sie verschwenden könnten. Wir treiben einen Keil unter den Kopf und hebeln das ganze Ding heraus. Dann fällen die Steine, die direkt darüber sitzen, von selbst herab.«
Marianne Sydow Erter-Than war enttäuscht. Er gab sich zwar gerne sehr aktiv, aber in Wirklichkeit haßte er körperliche Arbeit. Es war eine be queme Sache, die Sprüher gegen die Kante zu setzen und zu warten, bis die Stücke ab bröckelten und die Säure sich tief in die Ver siegelung gefressen hatte. Aber da Fyr-Than den Keil bereits in der Hand hielt, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich den Hammer zu greifen und zuzuschlagen. Die ganze Fläche schien zu dröhnen, als der Keil millimeterweise in das glasklare Material eindrang. Dem Jungen wurde es heiß in seiner Vermummung, und der Alte bekam schwarze Flecken auf seinem Kö cher, so sehr mußte er sich anstrengen, den Keil gerade zu halten. Sie brauchten fast bis zum Mittag, dann endlich löste sich der Dä monenkopf knirschend aus seiner Veranke rung. Die beiden Trugen brachten hastig ihre breiten Füße in Sicherheit, und der Kopf plumpste in den aufstäubenden Sand. An die fünfzig geschliffene Kristallkugeln, Hunder te von Juwelen bis zur Größe einer Trugen faust und eine Menge kleinerer Gegenstände prasselten herab – in der Versiegelung hatte sich eine Luftblase befunden. Erter-Than schnalzte vor. Aufregung mit den Lautfüh lern und stierte fassungslos auf den Haufen glitzernder Dinge. »So etwas ist uns noch nie passiert!« be merkte er erfreut. »Was für ein Loch!« Es sah in der Tat beeindruckend aus. In der glatten Kante gähnte eine riesige Wun de. Und es kam noch besser: Die dünne Decke über diesem Hohlraum brach zusam men und riß weitere Gegenstände mit sich. »Hurra!« schrie Erter-Than. »Wir haben gesiegt! Wir werden es schaffen, wir werden die ganze Versiegelung von unserem Plane ten wegsprengen!« Fyr-Than war über das Alter hinaus, in dem man Erfolge überbewertete. Nüchtern verglich er die Lücke mit der schier unend lich langen Kante, überdachte die Maße der Fläche um Vemed und fügte die übrigen Kunstwüsten in Gedanken hinzu. Von einem Sieg konnte keine Rede sein. Sie hatten
Welt der Schätze Glück gehabt – und auch das nur für einen Augenblick. »Wir brauchen einen Transporter«, stellte er fest. »Kannst du einen besorgen?« Erter-Than, der in einem wahren Freuden taumel um den glitzernden Berg herumtapp te, hielt erschrocken inne. »Wie kommst du denn darauf?« fragte er. »Warum sollte ich einen Transporter …« Dann ging ihm der Sinn der Frage auf, und er starrte seinen Vater betreten an. Für einen Moment hatte er das Problem der Sanitäter vergessen. Natürlich, hätten sie Fahrzeuge zur Verfügung gehabt, so wäre es auch nicht mehr nötig gewesen, nächtelang in der Kälte auszuharren. Aber Fahrzeuge aller Art wurden von den Beauftragten des Neffen unter Verschluß gehalten und nur bei wirklichem Bedarf den Bautrupps zur Ver fügung gestellt. Es war schon schwer genug, einen Personenschweber für private Zwecke zu bekommen – an einen Transporter aber kam kein Truge ohne die entsprechende Ge nehmigung heran. »Was sollen wir tun?« fragte Erter-Than kleinlaut. »Alles liegen lassen?« Fyr-Than setzte zu einer höhnischen Be merkung an, zwang aber gerade noch recht zeitig seine Lautfühler in eine neutrale Stel lung zurück. Welchen Sinn hätte es gehabt, den Jungen jetzt zu verspotten? Die Sanitäter hatten sich vorgenommen, die Versiegelung des Planeten Cagendar aufzuhalten. Sie ganz zu verhindern, war oh nehin unmöglich. Duuhl Larx hatte befoh len, daß ein Panzer aus Kunstschätzen diese Welt umschließen solle, und des Neffen Be fehle wurden befolgt. Hätte er den Trugen befohlen, sich in den vergifteten Gewässern zu ertränken, so hätten sie wahrscheinlich auch gehorcht. Der Befehl, in dessen Folge sich die Versiegelung über die Kontinente ausbreitete, war schließlich auch nichts an deres als die Aufforderung zum Selbstmord. Schon jetzt war die Natur aus dem Gleichge wicht geraten, und die Störmanöver der Sa nitäter konnten daran nichts ändern. Ein anderes Volk hätte sich vielleicht
17 energischer gewehrt, aber die Trugen besa ßen kein Übermaß an Mut und Initiative. Es war schon erstaunlich genug, daß es über haupt Sanitäter gab. Immerhin war Fyr-Than trotz gelegentlicher Anfälle von Mißmut entschlossen, seinen bescheidenen Teil zu dem großen Werk beizutragen, und wenn Erter-Than nicht mehr weiter wußte, mußte eben sein Vater etwas unternehmen. Ließen sie das Zeug, das sie aus der Kante herausgebrochen hatten, an Ort und Stelle liegen, so würde man es schon morgen wie der einsiegeln. Der oberste Grundsatz der Sanitäter laute te: »Nichts liegen lassen«, und in den Medi tationshöhlen erzählt man sich unter wohli gem Schaudern die Geschichte von zwei Trugen, die schon fast die gesamte Abbruch masse fortgeschafft hatten, als eine Bauin spektion nahte. Die beiden hatten todesmu tig die letzten Stücke verschluckt und waren elendiglich daran gestorben. Fyr-Than hatte die Absicht, sein Leben auf weniger spektakuläre Art zu beenden. Außerdem konnte niemand diesen ganzen Berg von kristallenem Zeug verschlingen. Aber sie konnten das Gerümpel auch nicht bis zur nahen Küste tragen, um es dort nach bewährter Methode zu versenken. »Wir graben es ein«, sagte Fyr-Than ent schlossen. Sein Sohn wackelte vor Schrecken mit den Sichtfühlern. »Das ist unmöglich«, behauptete er. »Unsinn. Die Messungen in diesem Ge biet sind längst abgeschlossen. Man wird den Boden nicht noch einmal aufgraben. Wir brauchen das Zeug nur ein bißchen zu verteilen und einen halben Meter tief im Sand zu verscharren. Dann kann nichts mehr schiefgehen.« Erter-Than resignierte und trollte sich, um nach Grabwerkzeugen zu suchen. Weit brauchte er dazu nicht zu wandern, denn in der Nähe der Kante lag immer genug Ar beitsmaterial herum. Fyr-Than schleppte unterdessen Brocken um Brocken davon, und als Erter-Than zu
18 rückkehrte, war alles schon weit genug über die sandige Fläche verteilt. Sie arbeiteten wie die Besessenen. Wäh rend die Sonne sank, schaufelten sie Gruben in den Sand, stießen die Kristalle und Juwe len und all den anderen Kram hinein und verbuddelten sie, bis nichts mehr von ihnen zu sehen war. Wegen der Spuren ihrer Tätig keit machten sie sich keine Sorgen. Der ste tige Wind verwehte sie schon jetzt, und bis die Versiegelung ausgehärtet war, würden noch mindestens zwei Tage vergehen – so lange kam höchstens zufällig jemand an die sen Ort. Vor lauter Eifer merkten sie gar nicht, wie kühl es mittlerweile schon geworden war, und erst als die Dunkelheit kam, stießen sie erschrocken die Schaufeln in den Sand. »Das schaffen wir nicht mehr«, stellte Fyr-Than fest. »Wir müssen die Nacht hier verbringen.« »Wir werden erfrieren«, jammerte sein Sohn. »Wenn wir uns beeilen, kommen wir vielleicht noch zu den Mulden, in denen wir die letzte Nacht verbracht haben.« »Wir waren seit drei Nächten nicht mehr in den Meditationshöhlen«, murmelte FyrThan mitleidig. »Unsere Reserven sind fast erschöpft. Wir können uns also die Mühe sparen.« Erter-Than brachte vor Angst keinen Ton mehr heraus. Sie würden sterben. Egal, was sie jetzt noch unternahmen, sie konnten es nicht mehr schaffen, in eine Höhle zu den medi tierenden Weibern zu gelangen. Und ohne die Kodierung der Wärme mußten sie un weigerlich erfrieren. Selbst wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, die ganze Nacht hindurch ein großes Feuer zu unterhalten, so hätte ihnen das gar nichts genutzt. Gegen die innere Kälte half nur jene innere Wärme, die die Frauen der Trugen mit ihren Meditatio nen zu erzeugen vermochten. Fyr-Than, der immer dazu neigte, die Tat sachen so zu nehmen, wie sie waren, setzte sich neben seiner Schaufel in den Sand. Er spürte den kalten Wind durch die Kleidung
Marianne Sydow hindurch. Sein einziger Trost war, daß es schnell gehen würde. Auch hieß es immer, der Tod durch Erfrieren sei vergleichsweise angenehm. Flüchtig dachte er an die Sanitä ter. Wenn man an dieser Stelle zwei erfrore ne Trugen fand, würde man sich fragen, wie die Leichen an diesen Ort kamen. Und dann kamen Nachforschungen, die vergrabenen Gegenstände mußten entdeckt werden, die Familie wäre entehrt, vom Schaden, den die Sanitäter erleiden würden, ganz, abgesehen … Fyr-Than raffte sich zu einer letzten An strengung auf. Er tappte bis dicht an die Kante heran, kratzte mühsam den Sand zur Seite – seine Muskeln waren bereits so steif, daß er sich nur unter großen Schmerzen be wegen konnte – und rief mit fast tauben Lautfühlern nach Erter-Than. Nebeneinander hockten sie sich in die fla che Mulde. Vielleicht, wenn der Wind kräf tig genug war, würden ihre Körper vom Sand bedeckt sein, ehe jemand sie fand. So saßen sie dann in der Dunkelheit, spür ten die zunehmende Kälte und warteten auf den Tod. Plötzlich jedoch wurde Erter-Than unru hig. »Was ist los?« fragte Fyr-Than ärgerlich, denn er bemühte sich gerade, Frieden mit sich selbst zu schließen. »Ich spüre etwas«, flüsterte Erter-Than aufgeregt. »Ich spüre – Wärme!« Fyr-Than war entsetzt. Gewiß, sein Sohn war noch jung und mochte weniger leicht dazu zu bewegen sein, sich mit dem Ende abzufinden. Aber Halluzinationen dieser Art waren ja geradezu unanständig! »Sei still!« sagte Fyr-Than streng. »Hat man dich nicht gelehrt, wie du dich zu ver halten hast, wenn es soweit ist?« »Oh doch!« »Dann richte dich gefälligst danach und störe mich nicht länger!« »Aber wenn ich die Wärme doch spüre …« »Hier gibt es keine Wärme. Wir sind min destens einen vollen Tagesmarsch von den
Welt der Schätze nächsten Höhlen entfernt.« »Du bist ein blinder alter Narr!« fuhr Er ter-Than auf. Das war zu viel. Auch ein noch so junger Truge durfte mit seinem Va ter nicht auf diese Weise reden. »Du …«, stieß Fyr-Than hervor und sprang auf die Füße, seine klammen, schmerzenden Muskeln für einen Augen blick vergessend. Aber Erter-Than war auf der Hut. Er stand bereits, als Fyr-Than noch um sein Gleich gewicht kämpfte, und rannte schnurstracks auf den Einbruch in der Kante zu. Fyr-Than folgte ihm schnaufend und taumelnd. »Ich werde dich prügeln!« versprach er. Offenbar hatte die Kälte seine Sinne be reits verwirrt, denn ihm ging nicht ganz auf, daß ihm zu einem solchen Vorhaben die Kräfte fehlten. Erter-Than verschwand hinter einer glit zernden Ecke, und Fyr-Than eilte triumphie rend hinter ihm her. Der Junge wollte sich also in dem Hohlraum an der Kante ver stecken. Das war dumm von ihm, denn da drin konnte er seinem Vater nicht mehr aus weichen. »Merkst du denn immer noch nichts?« rief Erter-Than ihm entgegen, als Fyr-Than über die Splitter der Versiegelungsmasse kletterte. »Du warst am Erfrieren, und jetzt kannst du schon wieder laufen – woher kommt das wohl?« Fyr-Than hörte zuerst gar nicht hin. Stur wie ein Roboter stieg er seinem Sohn hinter her, den Kopf voller Rachegedanken. Aber dann sickerte allmählich die Erkenntnis in sein Bewußtsein, und er hielt abrupt an, kei ne zwei Meter vor Erter-Than entfernt. »Der Junge hat recht«, stammelte er mit zitternden Fühlern. »Es ist warm!« Verwundert drehte er sich im Kreis. »Wie kommt das?« fragte er seinen Sohn. Erter-Than ließ sich erleichtert zu Boden sinken. »Ich weiß es nicht«, gestand er freimütig. »Und ich habe auch gar keine Lust, lange nach einer Erklärung zu suchen. Wir sind gerettet, das ist alles, was ich wissen will.«
19 Fyr-Than setzte sich schwerfällig neben ihn. Ja, der Junge hatte wohl recht. Was brachte es ein, wenn er sich lange den Kopf zerbrach. Aber je wärmer und stärker er sich fühlte, desto größer wurde in ihm der Wunsch, die Quelle der Wärme doch noch zu entdecken, und schließlich begann er danach zu suchen. Es war leichter, als er gedacht hatte. Er brauchte nur dieser seltsamen Strahlung zu folgen, da stieß er auf eine Kugel aus pur purfarbenem Kristall, die zur Hälfte aus der Versiegelungsmasse herausragte. Fyr-Than legte die Hände um die Kugel und spürte die Kraft, die in seinen Körper strömte, stärker und mächtiger als während aller Meditatio nen, die er in seinem ganzen Leben mitge macht hatte. »Das ist die Lösung!« sagte er zu seinem Sohn. »Diese Kugel nehmen wir mit, wenn wir morgen früh aufbrechen. Sie wird uns unabhängig von den Höhlen der meditierenden Weiber machen. Von jetzt an können wir gehen, wohin wir wollen, und wegblei ben, solange es nötig ist.« Aber als sie am nächsten Morgen, kaum daß sich der Himmel rot färbte, unter der kristallenen Kante hervorkrochen, warteten ihre Häscher schon auf sie. Es waren Kunen, überschlanke Wesen, die zwar schwächer als ein Truge, dafür aber um vieles beweglicher waren. Trotzdem – Fyr-Than allein hätte sie alle miteinander abwehren können, wäre er nur auf diesen Gedanken gekommen. Leider war er aber eben ein echter Truge, der so gut wie unfä hig war, Gewalt anzuwenden. Die beiden Trugen ließen sich wider standslos abführen. Man brachte sie nach Vemed und sperrte sie in eine Zelle – nor malerweise bedeutete das für einen Trugen den sicheren Tod, denn nach wenigen Tagen mußte die innere Kälte ihn töten. Fyr-Than und Erter-Than starben noch nicht. Sie hat ten die Kugel, die sie wärmte.
4.
20 Der Flug von der Planetenschleuse nach Cagendar dauerte nur eineinhalb Tage, aber selbst diese wurden Nomazar fast zu lang. Die Ungeduld brannte in ihm. Die Kunen in der KARSEI behandelten ihn freundlich, und die Verpflegung war gut – er hätte die Reise genießen und sich erholen können. Es waren seine Gedanken, die ihn daran hinder ten. Immer wieder kehrten sie zurück und erinnerten ihn daran, daß er ein Fremder war, einer, der sich selbst kaum kannte. Wo her war er gekommen? Was tat er hier? Wa rum mußte er immer weiter und weiter rei sen, und warum konnte er sich an nichts er innern, was vor seinem Erwachen auf Xim merrähne geschehen war? Schon mehrmals hatte er geglaubt, mit diesem Rätsel leben zu können. Er fand sich damit ab, nichts zu wissen, und konzentrier te sich auf die Gegenwart. In solchen Au genblicken war er sicher, zum letztenmal all die Qualen der Ungewißheit überwunden zu haben. Aber irgendwann geschah dann et was, das ihn aus seiner mühsam erkämpften Ruhe riß, und die Fragen waren größer und drängender als beim letztenmal. Als endlich Cagendar auf den Bildschir men sichtbar wurde, entwickelte Nomazar ein fast verzweifeltes Interesse an dieser Welt, die er schon bald aus der Nähe ken nenlernen sollte. Das erste, was ihm an Cagendar auffiel, war, daß der Planet ungewöhnlich hell strahlte. Je näher das Schiff kam, desto deut licher wurde sichtbar, daß große Teile Ca gendars das Licht der Sonne unwahrschein lich stark reflektierten. Dazwischen lagen dunklere Flecken, die ein unregelmäßiges Muster bildeten. »Woran liegt das?« fragte Nomazar einen Kunen namens Breigaz, der sich vom ersten Augenblick an besonders intensiv um das Wohlergehen des geheimnisumwitterten Passagiers gekümmert hatte. Breigaz gab bereitwillig Auskunft. »Das ist die Schatzkruste. Sie besteht aus den vielen Kunstgegenständen, die durch die Planetenschleuse nach Cagendar gebracht
Marianne Sydow werden. Es ist der Wunsch des Neffen, Cagendar in den prächtigsten Planeten zu ver wandeln, den es jemals gab. Er läßt ganz Cagendar mit einem Panzer aus Kunstwerken und Juwelen überziehen. Siehst du den glit zernden Fleck in der unteren Hälfte des Pla neten? Das ist Harrytho im Lauen Meer. Dort lebt Duuhl Larx mit seinem Hofstaat. In Harrytho ist das große Werk schon vollendet. Dort ist jeder Fleck Boden mit Schätzen gepflastert, und alle Gebäude be stehen aus auserlesenen Kunstwerken.« Nomazar blickte den Kunen zweifelnd an. »Wie kann man dann dort noch herumlau fen?« fragte er. »Ich meine, wenn überall solche Sachen herumstehen …« Breigaz lachte. »Nein, nicht so. Die Schätze werden in ei ner durchsichtigen Bindemasse eingebettet. Man kann die einzelnen Stücke gut sehen. Aber die Oberfläche ist glatt. Auf ähnliche Weise wurden die Paläste gebaut.« »Hm«, machte Nomazar. Er hatte seine eigenen Erfahrungen mit den von Breigaz erwähnten Kunstwerken gemacht. Fast alles, was er auf Achtol und an Bord der RYGERKALL gesehen hatte, mochte zwar aus wertvollen Materialien be stehen, sah aber so häßlich aus, daß es No mazar beim bloßen Gedanken an die Paläste schauderte. »Landen wir in Harrytho?« erkundigte er sich, um auf ein anderes Thema auszuwei chen. »Nein, denn dort gibt es keinen Raumha fen. Wir landen auf Vemed, dem Hauptkon tinent. Ich nehme aber an, daß man dich mit einem Gleiter zum Sitz des Neffen bringen wird. Ich beneide dich darum. Im ganzen Rghul-Revier spricht man von der unermeß lichen Pracht, die es dort zu sehen gibt, aber nur wenigen ist es vergönnt, die Paläste mit eigenen Augen zu sehen.« Von mir aus könntest du gerne an meiner Stelle nach Harrytho fliegen, dachte Noma zar sarkastisch. Aber damit dürfte Duuhl Larx nicht einverstanden sein. Wie sagte man doch auf Achtol? Duuhl Larx ist über
Welt der Schätze geschnappt – mir scheint, daß dies eine mil de Untertreibung ist. Wer einen ganzen Pla neten zuzukleistern versucht, der muß schon einen ziemlichen Dachschaden haben! Während die KARSEI dem Hafen von Vemed entgegensank, betrachtete Nomazar die treibenden Nebel über der riesigen Stadt, die die Landefläche in sich einschloß. An ei nigen Stellen ballten sich die gelblichen Schwaden zu dichten Wolken zusammen, und Nomazar war sich ziemlich sicher, daß in diesen Gegenden jeder Atemzug zu einem Risiko für Leben und Gesundheit würde. »Komm«, sagte Breigaz, kaum daß das Organschiff aufgesetzt hatte. »Die Trugen warten schon auf dich.« »Was sind das für Leute?« erkundigte sich Nomazar. »Ein Volk, das sich ganz in den Dienst des Neffen gestellt hat. Über die Trugen ge hen seltsame Gerüchte um. Es heißt, daß sie eigentlich sehr friedlich und faul sind. Trotz dem zittert man überall vor ihnen. Sie führen jeden Befehl des Neffen bis auf den letzten Punkt genau aus.« Das muß kein Widerspruch sein, dachte Nomazar. Mancher wird eben aus reiner Be quemlichkeit zum Verbrecher. Und dann sah er die ersten Trugen in der Hauptschleuse der KARSEI stehen. Sie waren um die zwei Meter zwanzig groß, wobei höchstens siebzig Zentimeter auf die Beine entfielen. Der Rest war nichts weiter als ein riesiger, aufrecht stehender Kasten, aus dem auf halber Höhe zwei unge heuer biegsame Arme herausragten. An den Enden dieser Arme saßen je drei lange, klau enförmige Finger, und statt des Kopfes ragte oben aus dem Kasten ein köcherartiges Ge bilde, aus dessen oberem, offenem Ende zahllose Fühlerenden baumelten. Die Tru gen waren bewaffnet. An der Vorderseite der Kastenkörper klebten seltsame Schleu dern und Strahler. Mehr ließ sich nicht er kennen, denn die Fremden waren allesamt so dick vermummt, als gelte es, zu Fuß eine Eiswüste zu durchqueren. »Du bist Nomazar?« fragte einer der Tru
21 gen mit einer tiefen, quakenden Stimme, die direkt aus dem Köcher drang. »Ja«, antwortete der Mann ohne Gedächt nis lakonisch. »Wir haben den Auftrag erhalten, dich in die Stadt zu bringen. Dort ist ein Quartier für dich vorbereitet. Hast du Gepäck?« Das alles klang durchaus höflich, aber Nomazar konnte sich des Gefühls nicht er wehren, daß er keineswegs als Gast, sondern als Gefangener betrachtet wurde. Da er kein Gepäck sein eigen nannte, gin gen die Trugen sofort zum nächsten Pro grammteil über. Sie brachten ihren Schütz ling zu einem offenen Gleiter und baten ihn höflich, auf einem der Rücksitze Platz zu nehmen. Einer der Fremden quetschte sich neben Nomazar, und der einsame Mann fühlte sich ziemlich unbehaglich neben die sem Koloß, der nicht einmal Augen besaß, an deren Ausdruck man etwas über die Stimmung des Trugen hätte ablesen können. »Ich bin Frant-Erf«, sagte der Truge. »Man hat mich zu deinem Begleiter be stimmt. Wenn es also irgend etwas gibt, was du brauchst oder dir ansehen möchtest, dann sage es mir.« »Ich werde daran denken«, versprach No mazar, und fast gleichzeitig entdeckte er ei ne Energieblase, die gerade auf einen ande ren Gleiter geladen wurde. Drinnen hockte der blaugewandete Valvke, der jetzt aller dings gar nicht mehr so spöttisch und über legen dreinblickte, wie Nomazar es von ihm gewohnt war. »Was geschieht mit Peleff?« fragte er. »Bringt man ihn jetzt nach Harrytho?« »Nein, noch nicht. Er wird in Vemed vor ein Gericht gestellt. Man sagt, daß du ihn eingefangen hast. Das ist eine beachtenswer te Tat.« »Es war halb so schlimm«, murmelte No mazar. »Ich habe nur die Umstände ausge nutzt.« »Bescheidenheit«, bemerkte Frant-Erf mit leichtem Tadel, »ist eine edle Eigenschaft, aber hier auf Cagendar kann sie einem We sen wie dir eher schaden als nützen. Ob es
22 an den Umständen lag oder nicht – du hast Peleff bezwungen. Kennt man in deinem Volk keinen Stolz auf außergewöhnliche Leistungen?« Nomazar zuckte zusammen. Wie soll ich das wissen? dachte er alar miert. Ich habe doch keine Ahnung, zu wel chem Volk ich gehöre. Aber laut sagte er: »Wir kennen den Stolz, aber es gilt bei uns als unfein, mit seinen Taten zu prahlen.« »Dann solltest du die Sitten deines Volkes vergessen, solange du dich auf Cagendar aufhältst.« Der Gleiter schoß über das Landefeld, und Nomazar hatte Gelegenheit, sich über die Bedeutung des Hafens klar zu werden. Hier standen Tausende von Organschiffen. Und während der Landung hatte er gesehen, daß es noch mehr solche Anlagen gab. Über all waren Transportfahrzeuge unterwegs, und sie alle transportierten die ihm bereits bekannten Kisten und Kästen, in denen die Kunstwerke verpackt waren, die von allen Planeten des Rghul-Reviers nach Cagendar gesandt wurden. In einer eleganten Kurve schwenkte der Gleiter nach rechts, und dann waren sie in der Stadt. »Wie heißt dieser liebliche Ort?« fragte Nomazar ironisch. »Vemed«, erklärte der Truge. »Wie der Kontinent. Sie ist die einzige Stadt. Früher gab es mehrere, aber wir haben sie eingeeb net, damit sie der Versiegelung nicht im We ge stehen. Später, wenn das ganze Land bis an die Küsten mit Schätzen bedeckt ist, wer den wir auch Vemed verlassen und die Lücke in der Glasur schließen.« »Aha. Und wo werdet ihr dann leben?« »Duuhl Larx wird uns den Ort zur rechten Zeit nennen.« Deinen Glauben möchte ich haben, dachte Nomazar. Vemed war so häßlich, daß Nomazar sich fragte, wie Duuhl Larx, der doch angeblich die Schönheit liebte, so etwas auf seinem Planeten dulden konnte.
Marianne Sydow Die Gebäude waren niedrig und grau, und wenn sie ausnahmsweise Fenster besaßen, dann handelte es sich lediglich um winzige Luken mit vom Schmutz blinden Scheiben. An der Erfindung des Lotes waren die Tru gen wohl während ihrer technischen Ent wicklung aus irgendeinem Grunde vorbeika tapultiert worden. Ob eine Wand oder eine Kante senkrecht ausfiel, schien bei ihnen reine Glückssache zu sein. Und was den Grundriß eines Gebäudes betraf, so blieb dieser dem Zufall überlassen. Es gab eckige und runde Häuser, ovale und gekrümmte und viele, bei denen sich die Form einfach nicht bestimmen ließ. Nomazars Respekt vor den Trugen sank mit jedem Kilometer, den der Gleiter zurücklegte. »Dort wirst du wohnen«, erklärte FrantErf nach geraumer Zeit. Der Gleiter senkte sich auf ein Gebäude hinab, das einem zerbeulten Würfel glich und von einer holperigen Landeplattform gekrönt war. Frant-Erf kletterte aus dem Gleiter und forderte Nomazar freundlich auf, es ihm gleich zu tun. Die anderen Trugen blieben sitzen, und bevor Nomazar seinem Beschützer in das Innere des Hauses folgte, sah er den Gleiter mit hoher Beschleunigung starten. Es ging eine halbdunkle Treppe hinab, de ren Stufen zum Glück einigermaßen gleich mäßig waren, so daß Nomazar nur drei bis viermal stolperte, und dann öffnete der Tru ge eine quietschende Tür. »Hier ist es«, gab er bekannt, und aus sei ner quakenden Stimme klang deutlicher Stolz. Nomazar warf einen Blick in den Raum hinter der Tür, dachte unwillkürlich an den Palast von Bryson und unterdrückte tapfer den Wunsch, einfach davonzulaufen. »Sehr gemütlich«, lobte er. Frant-Erf blieb erwartungsvoll stehen, bis Nomazar einsah, daß er seine Zufriedenheit offenbar deutlicher demonstrieren mußte. Er ging al so in das Zimmer und setzte sich auf das un ordentliche Lager aus übereinandergeworfe nen Decken. Ein strenger Geruch hing in der
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Luft, die Decken fühlten sich zwar warm, aber auch sehr rauh an, und die nackten, grauen Wände zeigten im gnadenlosen Licht einer hellen Lampe zahllose Unebenheiten. »Wirklich gemütlich«, wiederholte No mazar und stand vorsichtig wieder auf. »Aber ich habe mich vor der Landung aus geruht und würde mich lieber gleich ein biß chen umsehen. Läßt sich das machen?« »Selbstverständlich«, quakte Frant-Erf hocherfreut.
* Vemed – die Stadt – lag nicht weit vom Äquator entfernt, und dementsprechend heiß wurde es, als die Sonne höher stieg. Noma zar schwitzte, aber der Truge trabte unge rührt in seiner dicken Kleidung neben ihm her und gab die Richtung an. »Können wir nicht ein Fahrzeug benut zen?« schlug Nomazar nach einiger Zeit vor. »Wenn wir diese riesige Stadt zu Fuß be sichtigen wollen, brauchen wir ja Wochen, um vom einen Ende ans andere zu kom men.« Frant-Erf bewegte seinen Köcher ruckar tig. Nomazar hatte den Eindruck, daß dies eine Geste der Verlegenheit war. »Ich werde nachfragen«, versprach FrantErf nach einer Pause. »Wirst du hier auf mich warten?« »Hier?« Sie standen in einer dieser endlos langen, staubigen Straßen. »Ich habe Durst«, sagte Nomazar. »Was hältst du davon, wenn du mir einen Ort zeigst, an dem ich etwas trinken kann, wäh rend du deine Erkundigungen einziehst?« Der Truge überlegte kurz. »Ja«, quakte er dann. »So geht es. Komm.« Und schon marschierte er wieder los. Es war erstaunlich, wie schnell der Bursche auf seinen kurzen, plumpen Beinen vorankam. Was für ihn ein gemütlicher Spaziergang war, bedeutete für Nomazar einen flotten Geländemarsch, und das war nicht sehr an
genehm bei dieser Hitze. »Hier kannst du trinken«, sagte der Truge plötzlich und blieb so abrupt stehen, daß No mazar fast in ihn hineingerannt wäre. Sie standen zwischen zwei von diesen wind schiefen Häusern. Um sie herum gab es nur grauen, nackten Boden. Vergebens sah No mazar sich nach einer Tür oder wenigstens einem Brunnen um. »Ich sehe nichts«, bekannte er resignie rend. Der Truge trat schweigend ein paar Schritte vor und stieß seine Klauenfinger ge gen die Wand. Es quietschte und knarrte, und plötzlich öffnete sich eine schmale Pfor te. Ein saurer Geruch stieg Nomazar in die Nase. »Ein Erfrischungszentrum«, erklärte Frant-Erf. »Es ist speziell auf die Bedürfnis se von Wesen eingerichtet, die von außer halb nach Cagendar kommen. Ich bin sicher, daß du dort alles findest, was du brauchst.« Nomazar war sich dessen nicht so sicher, aber ehe er zu einem Entschluß gelangen konnte, drehte Frant-Erf sich um und eilte davon. Diesmal eilte er wirklich, und Noma zar sah auf den ersten Blick, daß er keine Chance hatte, unter den gegebenen Umstän den mit dem Trugen Schritt zu halten. Also gab er sich einen Ruck und schritt durch die Pforte. Er gelangte in einen stockfinsteren Raum und tastete an den Wänden herum, bis er einen Türgriff zu fassen bekam. Im nächsten Augenblick hob er stöhnend die Hände vor die Augen. Licht flutete ihm entgegen, grel les, gleißendes Licht aus unzähligen Schein werfern, die es alle nur auf eines abgesehen zu haben schienen: Nomazar die Augen aus zubrennen. »Hier herüber, Freund«, sagte eine dunkle Stimme, und breite Hände legten sich um Nomazars Schultern. »Komm, ich führe dich. Diese verdammten Narren können nicht begreifen, daß es Wesen gibt, die die ses Licht nicht vertragen. Aber es ist gleich vorbei.« Nomazar ließ sich weiterziehen, und auch
24 wenn er sicher war, daß der oder die Fremde ihm wirklich helfen wollte, so fühlte er sich doch sehr unbehaglich, denn er ahnte, daß ihm hier auf Cagendar noch mehr unerfreuli che Überraschungen bevorstanden. »Setz dich hierhin und nimm die Hände von den Augen. So ist es gut. Nun probier's mal. Kannst du schon wieder sehen?« Nomazar blinzelte vorsichtig. Erleichtert stellte er fest, daß er sich in einem etwas we niger hellen Raum befand. Er sah Wände und fremdartige Möbelstücke und schlug die Augen vollends auf. »Na also«, sagte die fremde Stimme zu frieden. »Es ist alles halb so schlimm, nicht wahr? Wer bist du?« Nomazar nannte mechanisch seinen Na men und sah sich nach seinem unbekannten Helfer um. Der Fremde war humanoid, fast so groß wie Nomazar, und auf dem hohen, breiten Schädel trug er einen dichten Wald von grellgelben Stacheln. »Ich heiße Thusp«, sagte der Fremde. »Ich habe noch nie ein Wesen wie dich hier im Rghul-Revier gesehen«, bekannte Nomazar. »Von welchem Planeten stammst du?« »Ich habe es vergessen.« Nomazar fuhr hoch. »Vergessen?« Konnte es sein, daß es noch mehr Wesen gab, die ohne Erinnerung auf irgendeiner Welt erwachten und ihren Weg nach Cagen dar suchten? Aus irgendeinem Grund war Nomazar stets davon überzeugt gewesen, ein Einzel gänger zu sein, ein Mann mit einem unver gleichlichen Schicksal. Jetzt schossen ihm die wirrsten Gedanken durch den Kopf. Er sah plötzlich eine ganze Armee von Gleich gesinnten vor seinem inneren Auge. Thusps Antwort ernüchterte ihn unge mein. »Die Trugen haben mir die Erinnerung genommen«, sagte der Fremde nämlich. »Das war, bevor man mich nach Harrytho brachte. Sie haben Erfahrung in solchen Dingen, weißt du? Irgend etwas mußte ich
Marianne Sydow im Palast des Neffen tun, aber auch daran erinnere ich mich nicht mehr. Jedenfalls sit ze ich hier auf Cagendar fest. Sie lassen mich nicht heimkehren.« »Aber warum denn nicht? Wenn du dich sowieso an nichts mehr erinnerst …« »Sie fürchten wohl, die Erinnerung könn te zurückkehren, wenn ich erst einmal weit genug von Cagendar entfernt bin. Aber mach dir keine Gedanken darüber. Es gibt viele von meiner Art hier. Nur wenige, die nach Harrytho geholt werden, um dort ir gendwelche speziellen Dienste zu leisten, können sich hinterher wieder auf den Heim weg machen. Was hat man mit dir vor?« Auch wenn Thusp ein Leidensgefährte war, wollte Nomazar ihm nicht alles auf die Nase binden. Cagendar war nicht der Ort für übertriebenes Vertrauen. »Ich habe keine Ahnung«, behauptete er. »Aber wahrscheinlich wird man mich zu Duuhl Larx bringen, damit ich dort irgendei ne Belohnung in Empfang nehme.« »Belohnung?« Thusp zog sich schrittwei se von Nomazar zurück. »Ich habe Peleff eingefangen«, sagte No mazar hastig – er wollte nicht, daß der Fremde sich zurückzog, denn er brauchte ihn noch. »Peleff!« rief Thusp aus, und die gelben Stacheln auf seinem Haupt richteten sich auf. »Ich hörte schon, daß er in Ungnade ge fallen ist. Erzähle, Nomazar, ich will alles ganz genau wissen.« »Erst brauche ich etwas zu trinken«, ant wortete Nomazar lächelnd. »Ich habe näm lich Durst.« Als Frant-Erf später kam, um Nomazar abzuholen, war Thusp über Nomazars große Tat bestens informiert. Er entdeckte den Trugen und stand hastig auf. »Wenn du etwas brauchst«, flüsterte er, »oder wenn du dich bedroht fühlst, dann ge he in ein Erfrischungszentrum und frage nach der Liga der Verdammten. Aber paß auf, daß du nicht an einen Trugen gerätst.« »Was ist das für eine Organisation?« »Es reicht, wenn du den Namen kennst.
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Leb wohl.« »Hast du dich ausgeruht?« fragte FrantErf höflich. »Ja. Wie steht es mit einem Fahrzeug?« »Es wartet auf uns.« Als der Gleiter zwischen den schiefen Häusern nach oben stieg, bemerkte Frant-Erf beiläufig: »Der Fremde, mit dem du dich unterhal ten hast, gehörte sicher zur Liga der Ver dammten. Nimm dich vor diesem Haufen in acht. Die meisten von diesen Brüdern sind total verrückt.« »Der, mit dem ich gesprochen habe, machte aber einen ganz vernünftigen Ein druck.« »Vielleicht bildet er eine Ausnahme. Es geht mich ja auch nichts an. Ich wollte dich nur warnen. Es gibt eine Menge Mörder in der Liga, und sie brauchen nicht einmal ein Motiv, um jemanden umzubringen.« »Wenn ihr Trugen das wißt, wäre es wohl an der Zeit, dagegen einzuschreiten.« »Das dürfen wir nicht. Duuhl Larx hat es verboten.«
5. Es ist ein Skandal, dachte Peleff. Noch vor wenigen Tagen haben sie vor mir gezit tert, und sie hatten Grund dazu. Ein Wort von mir, und meine Roboter hätten ihnen die Köcher eingeschlagen, und Duuhl Larx hät te mir noch Beifall gezollt. Aber sie werden es noch bereuen. Vielleicht ahnten die Trugen, die um sein Gefängnis herumstanden, welche Gedanken den Valvken bewegten. Aber wenn es so war, dann ließen sie sich nichts anmerken. Die braune Haut ihrer Köcher blieb gleich mäßig und glatt. Sie behandelten Peleff so gleichgültig, als sähen sie jeden Tag gefan gene Valvken in Energiesphären sitzen. »Wohin bringt ihr mich?« rief Peleff nach draußen. Er wußte, daß seine Bewacher ihn hören konnten. Aber sie antworteten ihm nicht. Voller Unruhe starrte er zu den Or ganschiffen hinüber. Wenn er nur eines da
von hätte erreichen können … Nicht alle Raumfahrer konnten schon jetzt wissen, daß Peleff in Ungnade gefallen war. Und selbst wenn sie davon gehört hatten, würden sie es nicht wagen, sich ihm zu widersetzen. Lange genug hatte Peleff die Macht in der Hand gehalten, und er hatte die Zeit gut genutzt. Wie sehr man ihn selbst jetzt noch fürchtete, sah man schon daran, daß man ihn in der Sphäre ließ. Die Trugen wußten genau, daß Peleff immer noch gefährlich war. Darum ließen sie ihm in weiser Voraussicht keine Chance. Aber noch bin ich nicht am Ende, dachte Peleff. Und der Weg nach Harrytho ist weit. Bis wir dort sind, werde ich schon noch ein Schlupfloch finden. Er gab sich aber keinen großen Illusionen hin. Sie würden ihn zum Neffen bringen. Duuhl Larx ließ es sich niemals nehmen, Verräter, denen er vertraut hatte, mit eigener Hand zu töten. Und dem Valvken hatte er zu sehr vertraut. Peleff war die Nummer Zwei im Rghul-Revier gewesen. Nur Duuhl Larx selbst war noch mächtiger als der Valvke. Wer würde nach Peleff kommen? Aber das spielte im Augenblick keine Rolle. Viel leicht sah er den Neffen sogar, bevor er starb, dachte Peleff. Er hatte Duuhl Larx noch niemals zu Gesicht bekommen. »Warum geht es nicht endlich weiter?« schrie er zu den Trugen hinüber. »Sei still!« befahl einer dieser lebenden Kästen grob. Peleff lächelte böse. Das war immerhin eine Reaktion gewesen. Seit Stunden stand der Gleiter nun schon auf dem Raumhafen. Die Sonne schien heiß auf die Sphäre herab, und Peleff litt unter der Hitze. Den Trugen machte das natürlich nichts aus. Sie liebten alles, was heiß und hell war. Darum liebten sie sogar Duuhl Larx, der ihnen in einer ähnlichen, aber un durchsichtigen, heiß strahlenden Sphäre ge genübertrat. Plötzlich hatten es die Trugen eilig. Sie sprangen auf die Ladeplattform und kauer ten sich rings um die Sphäre. Der Gleiter
26 setzte sich in Bewegung. Dicht über dem Boden schwebte er der Stadt entgegen. Peleff kannte Cagendar gut, und die Stadt Vemed bot für ihn keinerlei Geheimnisse. Er erkannte schnell, daß die Trugen nicht den Weg einschlugen, der nach Harrytho führte. Statt dessen nahmen sie Kurs auf die nördli che Vorstadt. Sie bringen mich zum Gefängnis, dachte Peleff verwundert. Was hat das zu bedeu ten? Nun, auf jeden Fall gewinne ich Zeit. Wenige Kilometer vom Raumhafen ent fernt gelangten sie in eine Straße, die mit gelbem Staub bedeckt war. Auch die Häuser waren gelb überpudert. Die Wächter auf der Transportplattform zogen die unförmigen Helme ihrer knallgelben Schutzanzüge hoch und schlossen sie sorgfältig. Die Luft, die durch winzige Öffnungen in die Sphäre drang, roch stechend. Da wußte Peleff, warum es so einen lan gen Aufenthalt gegeben hatte. Über diesem Teil der Stadt war eine Giftgaswolke nieder gegangen. Es mußte sehr schlimm gewesen sein, wenn man es nicht einmal gewagt hat te, den relativ gut geschützten Gefangenen hindurchzuschaffen. Je weiter sie kamen, desto unübersehbarer wurden die Folgen der Katastrophe. Der Staub lag an manchen Stellen so hoch, daß die Rettungsmannschaften – meist Angehö rige anderer Hilfsvölker, denn die Trugen hielten es für unter ihrer Würde, sich wegen solcher Unternehmungen in Gefahr zu brin gen – bei jedem Schritt tief darin einsanken. Es kam immer häufiger zu solchen Zwi schenfällen. Peleff kannte die Gründe. Im Norden der Stadt erhob sich jene gewaltige Anlage, in der der größte Teil der Versiege lungsmasse hergestellt wurde. Es war von Anfang an klar gewesen, daß dabei giftige Gase entstanden. Und jeder Truge wußte auch, daß der Wind fast ausnahmslos von Norden wehte und die giftigen Schwaden in die Stadt hineindrückte. Aber anfangs hatte es Schneisen in der Stadt gegeben, Grünzo nen und Windkanäle, die man erst allmäh lich, weil man nicht auf die bereits versie-
Marianne Sydow gelten Flächen ausweichen konnte, mit Häu sern zubaute. Die Trugen waren allerdings schlau gewesen, diese gefährdeten Quartiere vorzugsweise den Angehörigen anderer Völ ker zuzuweisen. Und wirklich gefährlich war es erst geworden, seit der Ring der Gla sur eine bestimmte Breite angenommen hat te. Wie ein gigantischer Spiegel umschloß das Zeug die Stadt. Es reflektierte das Licht so stark, daß die Luft über ihm zu kochen schien. Kein bodennaher Wind konnte diese Heißluftmassen durchbrechen. Vemed war schon jetzt zum Untergang verurteilt. Dem Valvken war es ziemlich egal, ob die Trugen und andere Völker sich auf diese Weise selbst vergifteten. Er sah die Dinge von der rein praktischen Seite und wunderte sich im mer wieder darüber, daß Duuhl Larx nicht endlich eingriff und den Trugen befahl, et was zur Rettung ihrer Stadt zu unternehmen. Man würde Vemed noch für einige Zeit brauchen. Und nicht nur die Stadt, sondern auch die Arbeitskräfte, die hier wohnten, wurden benötigt. »Nun«, murmelte Peleff vor sich. »Was geht es mich an? Wenn Duuhl Larx seine ei genen Pläne in Gefahr bringt, dann ist das schließlich seine Sache. Niemand verlangt mehr von mir, daß ich meinen Verstand in den Dienst des Neffen stelle.« Ungerührt sah er nach draußen, während sich der Gleiter durch die verseuchten Stra ßen schob. Dann aber ließen sie die vergiftete Zone hinter sich, und vor ihnen tauchte das Ge fängnis auf. Es war leicht zu erkennen, denn es unter schied sich erheblich von den Bauten der Trugen. Das Gefängnis war sehr groß, und es sah aus wie eine Burg, mit Mauern und Türmen und unzähligen Innenhöfen. Es hieß, daß Tausende von Sklaven unter schiedlichster Herkunft beim Bau dieses Komplexes gestorben waren, teils wegen der mangelhaften Versorgung, teils wegen feh lender Sicherheitsvorkehrungen, und daß man alle diese Toten kurzerhand eingemau ert hatte.
Welt der Schätze Ob das nun stimmte oder nicht – das Ge fängnis war ein unheimlicher Ort, an dem grausige Sachen geschahen. Nachts, so er zählte man sich in der Stadt, hörten die Ge fangenen lautes Heulen und Jammern, das aus den Wänden kam, und mitunter gelang es den Geistern sogar, sich ein Opfer zu ho len. »Alles Geschwätz«, sagte Peleff zu sich selbst. Aber ganz wohl war ihm nicht dabei. Zum erstenmal sah er das Gefängnis aus der War te eines Insassen. Dadurch verschoben sich die Perspektiven, und die Mauern schienen ihm mächtiger zu sein als bei seinen frühe ren Besuchen. Man brachte ihn durch das riesige Tor und lud die Sphäre im Haupthof ab. Die Trugen waren dabei sehr schweigsam. Sie beeilten sich, mit ihrer Arbeit fertig zu wer den, und sobald sie es geschafft hatten, stie gen sie in das Fahrzeug und brausten davon. Peleff wartete geduldig. Nach einer Stunde, als die Schatten schon weit über den Hof fie len, kamen etwa zwanzig Trugen auf die Sphäre zu. Sie waren alle in grell orangefar bene Kleidung gehüllt. Ihre Waffen klebten nicht an den Haftplatten, sondern waren auf Peleff gerichtet. Zwei von den Wächtern machten sich am Sockel der Sphäre zu schaffen. Das Energiefeld erlosch. »Komm heraus!« befahl ein besonders groß geratener Truge. »Aber hüte dich, eine falsche Bewegung zu machen.« »Du kannst dir diese Ermahnungen spa ren, Kao-Ernt«, meinte Peleff gelassen. »Ich habe keine Lust, mit euren Schockschleu dern in Berührung zu kommen. In welche Abteilung werdet ihr mich stecken?« »Halt den Mund.« »Aber, Kao-Ernt! An deiner Stelle wäre ich ein bißchen vorsichtiger. Nicht alles, was man dir über mich erzählt hat, muß der Wahrheit entsprechen. Was wirst du tun, wenn die Sache einen anderen Ausgang als erwartet nimmt? Ich bin sicher, daß Duuhl Larx mich bald wieder mit seinem Vertrauen beehren wird. Dann stehst du dumm da!«
27 »Man hat mich gewarnt«, erklärte KaoErnt mit Hilfe seiner Sprachfühler. »Man sagte mir, daß du es auf diese Weise versu chen würdest. Gib dir keine Mühe, Peleff. Du wirst uns nicht dazu bewegen können, unsere Pflichten in irgendeiner Weise zu vernachlässigen. Und jetzt komm, wir haben keine Zeit für sinnlose Diskussionen.« Peleff hob seine zwölffingrigen Hände zu einer resignierenden Geste. Aber die Trugen waren zu nervös, um jetzt auf die Gewohn heiten eines Valvken einzugehen, zumal sie im Umgang mit Angehörigen dieses Volkes ohnehin keine besondere Routine hatten – es gab ja nur einen davon. Bis auf Peleff waren sie alle von Duuhl Larx ausgerottet worden. Peleff kam noch dazu, einen kurzen Schrei auszustoßen, als die Geschosse der Schock schleudern sein leuchtend blaues Gewand durchschlugen. Dann verstummte er. Er fiel nicht um, obwohl er bereits fast ohne Be wußtsein war. Das Schwebefeld, mit dessen Hilfe er sich stets bewegte, hielt ihn auf recht. »Nun«, sagte Kao-Ernt nach einer Schreckpause, »es ist sicher besser so. Die ser Bursche ist wirklich gefährlich. Bringt ihn weg.« Er drehte sich um und ging in seinen Dienstraum. Dort wartete Kezem-Hun be reits auf ihn. »Wie ist es gelaufen?« fragte der Sanitäter gespannt. »Gut. Niemand hat Verdacht geschöpft.« »Ist die Zelle präpariert?« »Ja. Fyr-Than und sein Sohn werden sich mit ihm unterhalten können. Hoffentlich ha ben wir Glück. Peleff weiß so viel – er könnte uns wirklich bei unserem Vorhaben helfen. Die Frage ist nur, ob der Valvke mit spielen wird. Er scheint zu hoffen, daß Du uhl Larx ihn noch einmal davonkommen läßt.« »So dumm kann er nicht sein«, meinte Kezem-Hun, aber es klang unsicher, und sei ne Fühler bewegten sich dabei zitternd. »Wahrscheinlich hat er alles noch gar nicht recht begriffen. Es ist der Schock, Kao-Ernt,
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da bin ich mir ganz sicher. Sobald er alles versteht, wird er auf unsere Seite über schwenken. Dann ist für uns Sanitäter der Zeitpunkt gekommen, diese unsinnigen Störmanöver zu unterlassen und mit dem wirklichen Kampf um die Freiheit zu begin nen.« Kao-Ernt antwortete nicht. Ihm war schwindelig. Worauf hatte er sich da eingelassen? Gewiß, auch ihm bereitete der Zustand des Planeten Cagendar große Sorgen, und es stand ohne allen Zweifel fest, daß Duuhl Larx den Untergang des trugischen Volkes heraufbeschwor. Warum mußten ausgerech net sie, die stets treu zu dem Neffen gehalten hatten und für ihn alles taten, davon betrof fen sein? Hätte der Herrscher von Cagendar sich nicht ebensogut einen anderen Planeten für sein Vorhaben auswählen können? Trotzdem – an Widerstand zu denken war eine Sache, sich daran zu beteiligen, eine an dere. Kao-Ernt hatte in diesen Augenblicken das ungute Gefühl, sich an den Vorbereitun gen zu seiner eigenen Hinrichtung zu beteili gen.
* Peleff war ein harter, zäher Bursche, auch wenn er nicht danach aussah. Sein schwam miger Körper hatte schon so manchen Geg ner getäuscht. Peleff sah aus, als leide er an Fettsucht. In Wirklichkeit war er für einen Valvken sogar ausgesprochen schlank. Hin zu kam, daß die Geschosse der Trugen nur die äußeren Schichten seines Körpers er reicht hatten. Das Gift lähmte den Valvken, raubte ihm aber nicht ganz das Bewußtsein. Er konnte noch hören, wenn auch die Stim men seiner Wächter durch dicke Wände zu dringen schienen. »Legt ihn dorthin!« sagte einer der Tru gen. »Überprüft die Anlagen.« »Alles in Ordnung«, meldete ein anderer. »Wir ziehen uns zurück.« Anlagen – was für Teufeleien hatte man
in die Wände der Zelle eingebaut? Peleff wartete geduldig, bis die Lähmung aus seinem Körper wich. Das dauerte nicht einmal eine Stunde. Er richtete sich mit Hil fe seines Schwebefeldes auf und untersuchte die Zelle gründlich. Dabei fand er ziemlich schnell heraus, daß er von der Außenwelt völlig abgeschirmt war. Ohne Hilfe von au ßen würde er hier nicht herauskommen. Er kam nicht einmal an die Wände heran. Ein Energiefeld umschloß ihn von allen Seiten und hinderte ihn daran, den kühlen Stein zu berühren. Peleff setzte sich mitten in dem engen Raum auf den Boden und dachte nach. Da man ihn ins Gefängnis gesteckt hatte, anstatt ihn sofort nach Harrytho zu bringen, war wohl anzunehmen, daß man ihn vor ein Gericht stellen würde. Unter normalen Um ständen hätte dies eine Chance bedeutet. Peleff traute sich durchaus zu, in den er zwungenen Mußestunden Argumente zu sei ner Verteidigung zurechtzubasteln. Er hatte sich in den letzten Tagen schon eine glaub würdige Geschichte ausgedacht, aber die war für Duuhl Larx persönlich bestimmt. Leider waren die Umstände auf Cagendar nicht normal. Peleff hatte genug Prozesse miterlebt, um zu wissen, wie das System funktionierte: Man würde ihn kaum zu Wort kommen lassen, und wenn er doch Gelegen heit erhielt, zu sprechen, so würde man vor her dafür sorgen, daß er das Richtige sagte. Und schließlich waren da noch seine Rich ter. Was sie am Ende der Verhandlung ver kündeten, wurde ihnen vom Neffen diktiert. Die Lage schien hoffnungslos zu sein. Peleffs einzige Chance bestand darin, daß er nach der Urteilsverkündung nach Harrytho gebracht wurde. Vielleicht beging auch No mazar in der Zwischenzeit Fehler. Dann ge wannen die Argumente des Valvken an Ge wicht. Als er mit seinen Gedanken so weit ge kommen war, vernahm er undeutlich die Stimme eines Trugen. »Ist da jemand?« Er sah auf – die Zelle war leer, und an den
Welt der Schätze Wänden flimmerte der Energieschirm. »He, Nachbar, warum antwortest du nicht?« »Wer bist du?« fragte Peleff vorsichtig. Er erinnerte sich plötzlich an die Geister, die angeblich in den alten Mauern hausten. »Fyr-Than. Ich sitze mit meinem Sohn in der Nachbarzelle. Wir haben gehört, wie die Wächter sich über dich unterhielten. Bist du wirklich Peleff, der Valvke?« »Ja.« »Kannst du ein bißchen näher an die Wand rücken? Ich verstehe dich sehr schlecht.« »Mir kommt es schon verdächtig vor, daß wir überhaupt etwas voneinander hören kön nen«, brummte Peleff und folgte der Bitte Fyr-Thans, wobei er die Mauer mißtrauisch betrachtete. »Diese Zellen sind schalldicht, und mich hat man noch zusätzlich abge schirmt.« »Ich werde es dir später erklären«, ver sprach Fyr-Than. »Es ist sehr schade, daß wir uns jetzt erst begegnen.« Peleff glaubte, sich verhört zu haben. Schade? Mit viel Sorgfalt hatte er an seinem schlechten Ruf gebastelt, und er hatte es mit Erfolg getan – auf Cagendar und vielen an deren Planeten ging man ihm gewissenhaft aus dem Weg. Niemand nahm freiwillig Kontakt zu Peleff auf. »Hast du jemals von den Sanitätern ge hört?« fragte Fyr-Than. »Gehörst du zu einem Rettungstrupp?« »Nein. Oder doch, wie man es nimmt. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, zur Rettung unseres Planeten beizutragen.« »Wer ist wir? Du und dein Sohn?« »Wir sind viele. Tausende von Trugen ge hören den Sanitätern an, und noch mehr sympathisieren mit uns.« »Interessant«, sagte Peleff gedehnt. »Darf man fragen, warum ihr beide im Gefängnis sitzt?« »Man hat uns erwischt.« »Wobei?« »Sabotage«, antwortete Fyr-Than lako nisch.
29 Peleff hielt die Luft an. Manchmal, dachte er, ist es ganz nützlich, in die Rolle des Verlierers zu schlüpfen. Was, bei der Aura des Neffen, geht hier vor? »Wir haben die Versiegelung beschä digt«, erklärte Fyr-Than. Das ernüchterte den Valvken ungemein. Er mußte lachen. Daß er nicht gleich darauf gekommen war! »Das ist es also«, kicherte er. »Von diesen Sanitätern habe ich natürlich schon gehört. Duuhl Larx weiß über euch Bescheid. Mein lieber Fyr-Than, der Neffe amüsiert sich köstlich über dich und deinesgleichen.« Für einen Augenblick blieb es still. »Er wird bald aufhören, über uns zu la chen«, versicherte Fyr-Than schließlich. »Dann habt ihr also etwas Großes vor?« erkundigte sich Peleff. »Allerdings. Aber ich darf nicht länger darüber sprechen. Es wäre zu gefährlich, dich jetzt schon einzuweihen.« »Du meinst, ich könnte euch verraten?« Peleff lachte laut auf. »Man wird mich zum Tode verurteilen, Fyr-Than. Es ist ausge schlossen, daß Duuhl Larx es sich noch ein mal anders überlegt. Er kann es sich nicht leisten, mich am Leben zu lassen. Er weiß jetzt, daß ich schon seit langem insgeheim gegen ihn gearbeitet habe. Ich war immer sein Feind. Wie oft habe ich mir gewünscht, daß gerade unter euch Trugen endlich ein paar vernünftige Leute auftauchen, die mich in meinem Kampf gegen den Neffen unter stützen könnten. Ja, du hast recht, es ist schade, daß ich es erst jetzt erfahre. Gemein sam hätten wir viel erreichen können.« Er konnte es sich leisten, so zu sprechen. Erstens hatte er nicht viel zu verlieren, und zweitens konnte er später ohne weiteres be haupten, er hätte den Trugen nur zu verräte rischen Äußerungen verleiten wollen. FyrThan fiel auch prompt darauf herein. »Wenn es so ist«, sagte er zu Peleff, »dann sehe ich keinen Grund, noch länger zu schweigen. Unser Plan ist ganz einfach: Wir werden Cagendar retten, indem wir den Neffen töten. Ohne Duuhl Larx wird die
30 Versiegelung von Cagendar keine Minute länger weitergeführt werden.« Dem Valvken verschlug es sekundenlang die Sprache. Er hatte schon so manches er lebt, aber einem Trugen, der kaltblütig vom Mord an Duuhl Larx sprach, war er noch nicht begegnet. »Weißt du überhaupt, was ihr euch da vorgenommen habt?« fragte er schließlich. »Ich denke schon. Es wird schwer sein, an Duuhl Larx heranzukommen.« »Schwer?« Peleffs Lachen klang fast schon hysterisch. »Du bist ein Optimist, mein Freund! Eher gelingt es dir, zu Fuß ei ne Sonne zu umrunden, als daß du den Nef fen zu fassen bekommst.« »Er verbirgt sich in einer Aura«, stellte Fyr-Than nüchtern fest. »Wir haben Spezia listen, die sich mit Schutzschirmen aller Art bestens auskennen. Sie werden herausfin den, wie man die Aura aufbrechen kann, und das wird der erste Schritt sein.« »Der erste Schritt, ja, aber nicht in die Richtung, die euch vorschwebt. Laßt die Finger von dieser Sache. Sage deinen Freun den, daß es sinnlos ist, gegen Duuhl Larx vorzugehen. Wenn ihr es versucht, werdet ihr dasselbe Schicksal erleiden wie einst das Volk der Valvken. Auch wir haben rebel liert, wie du ja sicher weißt. Das Ende vom Lied war, daß Duuhl Larx mein Volk ver nichtete.« »Wir werden klüger sein als die Valv ken«, behauptete Fyr-Than ungerührt. »Wir werden vor allem nicht den Fehler begehen, uns auf unseren eigenen Verstand zu viel einzubilden. Wir sind bereit, zu lernen. Du, Peleff, könntest uns vieles lehren. Niemand kennt den Neffen besser als du, niemand weiß in Harrytho so gut Bescheid. Aber das ist nicht alles. Du weißt, welche Fehler die Valvken sich geleistet haben. Du kennst fast jede einzelne Rebellion, die es im RghulRevier jemals gegeben hat, und du bist über die Hintergründe informiert. Wenn wir alle diese Fehler kennen und sie bei unserem Vorhaben vermeiden, müssen wir siegen.« »Das wäre möglich«, stimmte Peleff zu.
Marianne Sydow »Dann wirst du mit uns zusammenarbei ten?« »Ich glaube, du hast vergessen, wo wir uns jetzt befinden.« »Die Sanitäter haben schon jetzt mehr Macht und Einfluß als du denkst, Peleff. Sie warten nur auf deine Zustimmung. Sage ja, und du wirst morgen frei sein.« »Frei – auf Cagendar?« »Es gibt viele Verstecke. Vergiß die alten Städte nicht. Sie wurden dem Boden gleich gemacht, aber viele der subplanetarischen Anlagen existieren noch.« »Also gut«, sagte Peleff gedehnt. »Ich werde es mir überlegen.« »Wann wirst du deine Entscheidung tref fen?« »Ich weiß es nicht. Lange kann es jeden falls nicht dauern. Ich werde nach dir rufen, wenn es soweit ist.« »Gut, ich warte.« Peleff rückte von der Wand ab, und seine großen, gelben Augen richteten sich auf eine Welt jenseits der Wirklichkeit. Er schaltete jeden Gedanken an seinen Körper aus und konzentrierte sich auf das strahlende Licht der Logik, das den Valvken seit eh und je Halt und Hilfe in allen Lebenslagen geboten hatte. Es war etwas faul auf dem Planeten Cagendar. Um das zu erkennen, brauchte er das strahlende Licht nicht zu bemühen. Und was dahintersteckte – in spätestens einer Stunde würde er es wissen. Was er dann unterneh men würde, war eine andere Frage. Eines stand allerdings schon fest: Auf der Seite der Verlierer wollte Peleff nicht landen.
6. Der Tag wollte kein Ende nehmen. Seit Stunden – so schien es Nomazar – flog Frant-Erf mit ihm durch die Gegend und zeigte ihm windschiefe Gebäude und deren Inhalt. Nomazar besichtigte unzählige Fabri ken, und schon bald schwirrte ihm der Kopf von all den Dingen, die er dabei erfuhr. Vielleicht wäre das alles ganz interessant ge
Welt der Schätze wesen, wenn es ihm gelungen wäre, seine Gedanken zusammenzuhalten. Aber immer wieder quälte ihn die Frage, wann die Tru gen wohl das Spiel satt hatten und zur Sache kamen. »Laß uns eine Pause machen«, schlug No mazar vor, als sie gerade wieder einer dieser schmutzigen, stinkenden Hallen entronnen waren. Draußen war es heiß und stickig, aber im Vergleich zu dem, was er drinnen ausgehalten hatte, fühlte die Luft sich in sei nen Lungen wie reiner Sauerstoff an. »Bist du müde?« erkundigte sich Frant-Erf inter essiert. »Mehr als das«, murmelte Nomazar. »Gut«, meinte Frant-Erf. »Gehen wir in eine Erfrischungshalle. Dort drüben ist eine.« Nomazar zog es vor, die Augen zu schließen und sich von dem Trugen führen zu lassen. Frant-Erf war mittlerweile mit den Schwä chen seines Schützlings einigermaßen ver traut. Er brachte Nomazar in eine Nische, in der das Licht gedämpft war, drückte ihn auf eine Bank und besorgte ein kühles Getränk. »Das wird dir helfen«, erklärte er. »Du kannst davon bekommen, so viel du willst, denn du bist unser Gast.« Nomazar nippte vorsichtig an dem Be cher. Das Getränk schmeckte angenehm säu erlich und erfrischend, und es enthielt offen bar keinen Alkohol. Das war für Nomazar sehr beruhigend. Obwohl er im Grunde nichts zu verheimlichen hatte, fürchtete er sich vor dem Gedanken, in willenlosem Zu stand ausgefragt zu werden. Frant-Erf traf keine Anstalten, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Der Truge sagte überhaupt nichts, sondern war emsig damit beschäftigt, sich mit grünen Kugeln vollzustopfen. Zu diesem Zweck hatte er seine Schutzkleidung gelockert und den Kragen aufgeknöpft. Unterhalb des Kopfkö chers saß eine von Muskelwülsten umgebe ne Öffnung, in der die Kugeln verschwan den. Nomazar sah fasziniert und leicht ange widert zugleich zu. »Wie lange wird es dauern, bis man mich nach Harrytho bringt?« fragte er nach eini
31 ger Zeit. »Das weiß ich nicht«, antwortete FrantErf mit Hilfe der Fühler auf dem Grund des Köchers, während sein Mund ungerührt wei terkaute. »Es ist nicht einmal sicher, daß man dich überhaupt in den Palast holt. Das Lob des Neffen ist dir sicher. Es spielt keine Rolle, ob er es hier oder dort an dich erteilt.« »Ich finde, da besteht schon ein Unter schied.« »Warum?« »Es wäre eine große Ehre für mich, Duuhl Larx zu sehen«, erklärte Nomazar vorsich tig. »Du machst dir falsche Vorstellungen. Wenn man dich zum Neffen bringt, so heißt das noch lange nicht, daß du ihn auch sehen wirst. Niemand sah ihn bisher, nicht einmal seine engsten Berater oder die Diener, die im Palast leben.« »Das verstehe ich nicht.« »Es ist ganz einfach. Duuhl Larx zeigt sich seinen Untertanen nicht in seiner wah ren Gestalt. Er erscheint vielmehr im Schutz einer heißen, hellen Aura. Manche Trugen von niederem Rang glauben, daß diese Aura selbst der Neffe ist, aber das ist natürlich Unsinn. Weißt du, mein Volk liebt das Licht und die Wärme. Duuhl Larx weiß das. Er wählte eine Gestalt, die auf jeden Trugen wirkt, und er hatte von Anfang an Erfolg da mit. Man liebt ihn auf Cagendar, weil er Licht und Wärme um sich verbreitet.« »Und wie steht es mit dir? Verehrst du ihn auch?« »Ich bin ein Truge«, erklärte Frant-Erf, und es klang, als wollte er einer direkten Antwort ausweichen. Aber Nomazar witterte Gefahr und ver suchte erst gar nicht, seinen Begleiter zu provozieren. »Hast du dich jetzt lange genug ausge ruht?« fragte Frant-Erf. »Was willst du mir denn noch zeigen?« erkundigte sich Nomazar seufzend. »Du bist unser Gast«, erklärte Frant-Erf gelassen. »Ich habe Anweisung, dir alles zu zeigen, was das Leben meines Volkes be
32 stimmt. Unsere Tage sind mit Arbeit erfüllt, aber in den Nächten geben wir uns anderen Dingen hin.« Nomazar versuchte, sich das Nachtleben von Vemed vorzustellen, und er mußte la chen. Wollte Frant-Erf ihn in die trugische Version einer Schönheitsrevue schleppen? Er wußte zwar nicht, was sich unter der dicken Vermummung der wandelnden Kä sten verbarg, aber es war kaum anzunehmen, daß ihn der Anblick einer sich allmählich entblätternden Trugin in irgendeiner Weise erfreuen könnte. Er wußte nicht einmal, wel cher Unterschied bei diesem Volk zwischen Männlein und Weiblein bestand, ja, ihm war nicht ganz klar, ob er überhaupt schon einem weiblichen Trugen begegnet war. Diese Kä sten sahen für ihn alle gleich aus. »Sei mir nicht böse, Frant-Erf«, sagte er daher. »Aber ich bin wirklich sehr müde, und ich möchte schlafen, weiter nichts.« »Was dich erwartet, ist mindestens so er holsam wie Schlaf«, erklärte der Truge kate gorisch. »Die Kodierung der Wärme wird dir alle Entspannung schenken, die du brauchst.« »Was ist das – die Kodierung der Wär me?« »Man kann es nicht erklären, sondern nur spüren. Komm.« Nomazar resignierte. Er wollte den Tru gen nicht enttäuschen oder kränken, denn der Bursche schien ehrlich davon überzeugt zu sein, daß ihnen ein Hochgenuß bevor stand. Sie benutzten wieder den Gleiter, und diesmal flog Frant-Erf in ein Viertel, in dem die Gebäude kleiner waren als sonst und auch weiter voneinander entfernt standen. Inzwischen war es dunkel geworden, und es hatte sich abgekühlt. Nomazar genoß den frischen Fahrtwind. Frant-Erf dagegen hüllte sich enger in seine dicke Kleidung. Der Gleiter landete zwischen zwei Häu sern, die im schwachen Licht einiger Stra ßenlampen wie formlose Klumpen aussahen. Aus dem staubigen Boden ragten einige struppige Sträucher auf, mit winzigen, stark
Marianne Sydow riechenden Blättern und langen Dornen, und über dem Eingang des am nächsten stehen den Hauses war eine matt spiegelnde Platte angebracht. Offenbar sollten die Platte und die Sträucher dazu beitragen, das Heim der hier lebenden Trugen zu verschönern. No mazar fand diesen kläglichen Versuch gera dezu rührend. Drinnen war es hell und warm. Nomazar, der zum erstenmal ein trugisches Wohnhaus von innen sah, war überrascht ob der Viel zahl der Lampen und Leuchten, die überall an Wänden und Decken befestigt waren. Selbst in den Fußboden waren hell strahlen de Platten eingelassen. Frant-Erf schlüpfte sofort wieder in die Rolle des Fremdenführers. »Dies sind die äußeren Räume«, erklärte er. »Sie sind jedem Besucher zugänglich. Weiter drinnen, als nächste Zone, kommen die Wohnräume der männlichen Familien mitglieder. Und ganz drinnen leben die Frauen. Komm, ich zeige dir alles.« Nomazar ließ sich herumführen, und jetzt begriff er wenigstens, warum die Gebäude der Trugen so verbeult wirkten. Offenbar war es Gesetz, daß der Kern eines jeden Ge bäudes kreisförmig war und bei späteren Umbauten nicht mehr verändert werden durfte. Wuchs die Familie, so wurden neue Räume wie Beulen außen angesetzt, wobei stets zwischen der äußeren Wand und dem eigentlichen Wohnbereich ein Raum entste hen mußte, der für die »Öffentlichkeit« be stimmt war. Es schien ganz so, als legten die Trugen es darauf an, ihre Frauen völlig von der Außenwelt abzuschirmen. »Das stimmt«, sagte Frant-Erf auf eine diesbezügliche Frage. »Aber jetzt wird es Zeit, daß wir nach drinnen gehen, denn die Stunde der Meditation wird gleich begin nen.« Nomazar folgte dem Trugen durch einen spärlich eingerichteten Wohnraum. Als die nächste Tür vor ihm aufschwang, blieb er überrascht stehen. Hinter der Tür war es dunkel. Das war in einem trugischen Haus zumindest unge
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wöhnlich. Noch beunruhigender aber war das monotone Gemurmel, das aus der Fin sternis drang. Außerdem roch es merkwür dig. Frant-Erf schob seinen Schützling weiter und drückte ihn sanft auf den Boden. »Verhalte dich still«, empfahl er leise. »Und höre genau hin. Es ist nicht schwer. Die Formeln wirken auch auf nichttrugische Wesen, das wissen wir.« Nomazar spürte plötzlich die Nähe einer Gefahr, und in einem Anflug von Panik wollte er aufspringen und nach draußen lau fen. Aber Frant-Erf hielt ihn fest, und der Truge war sehr stark. Nomazars Widerstand währte nur Sekunden. Dann griff das Ge murmel nach ihm und lullte ihn ein. Er ent spannte sich, fast gegen seinen Willen, und Frant-Erf ließ ihn los. Das Gemurmel hielt an. Nomazar spürte eine seltsame Wärme, die nicht von außen kam, sondern in seinem Körper selbst ent stand. In der Mitte des Raumes erschien ein leuchtender Punkt, der sich schnell ausdehn te. Undeutlich nahm er wahr, daß überall Trugen waren, die auf dem Boden kauerten und die Fühler, die sonst ziemlich weit aus den Köchern ragten, fast eingezogen hatten. Aber er kam nicht dazu, sich auf diese Be obachtung einen Reim zu machen, denn plötzlich stieg eine ungeheure Hitze in ihm auf. Vor seinen Augen tanzten leuchtende Punkte, und im nächsten Augenblick explo dierte etwas in seinem Gehirn und schleu derte ihn zu Boden.
* Als er erwachte, erinnerte er sich nur un deutlich daran, was eigentlich vorgefallen war. Er blinzelte in das helle Licht und sah einen Trugen, dessen Sichtfühler auf ihn ge richtet waren. »Geht es dir jetzt besser?« fragte FrantErf, aber es hörte sich nicht so an, als wäre der Truge sonderlich besorgt um Nomazar. »Ja«, murmelte Nomazar und richtete sich langsam auf. »Was ist passiert?«
»Die Kodierung der Wärme scheint für dich nicht das Richtige zu sein«, antwortete Frant-Erf gelassen. »Ich werde dich in dein Quartier bringen.« »Keine schlechte Idee«, murmelte Noma zar. »Welchen Zweck erfüllt eigentlich diese Kodierung der Wärme?« erkundigte er sich, als sie über die stille, schlafende Stadt flo gen – Vemed war zwar sehr groß, aber vom pulsierenden Leben einer Großstadt war hier nichts zu spüren. »Es ist eine Meditationstechnik«, erklärte Frant-Erf. »Nur die Frauen beherrschen sie. Die Kodierung ist für uns Trugen lebensnot wendig. Sie regt den Stoffwechsel an, gibt uns neue Kraft und befähigt bestimmte Or gane in unseren Körpern, die für uns so wichtige Wärme zu erzeugen. Ohne die Me ditationen muß ein Truge innerhalb weniger Tage an innerer Unterkühlung sterben.« Nomazar nahm das zur Kenntnis. Es kam ihm zwar seltsam vor, und er wunderte sich, daß ein Volk, das eine so leicht erkennbare Achillesferse besaß, befähigt war, im RghulRevier zu bestehen und sogar eine führende Rolle einzunehmen. Aber er fühlte sich im Augenblick außerstande, dem Rätsel nach zuspüren. Frant-Erf brachte Nomazar in das kahle Zimmer, wünschte seinem Schützling eine angenehme Nacht und machte sich aus dem Staub. Die nächste halbe Stunde verbrachte Nomazar mit der Suche nach einem Licht schalter. Die kleine, grelle Lampe aber ließ sich nicht ausschalten. Sie tauchte den Raum in kalkiges Licht und strahlte besonders das Lager an der Wand an. Schließlich wickelte Nomazar sich in eine schmutziggraue Decke und sank auch tatsächlich in einen unruhigen Schlaf. Aber das dauerte nicht lange. Plötzlich nämlich war da ein Geräusch, das ihn aus seinen wirren Träumen schreck te. Benommen richtete er sich auf – und sah einen Trugen vor sich. »Frant-Erf?« erkundigte er sich unsicher. »Nein«, antwortete der Truge. »Komm mit, Frant-Erf erwartet dich.«
34 »Warum kommt er nicht selbst her?« Der Truge zerrte Nomazar schweigend hoch und zog ihn mit sich. Anfangs setzte Nomazar sich zur Wehr, denn er hegte den Verdacht, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. Aber der Truge drohte ihm, ihn mit Hilfe seiner Schockschleuder zu paralysie ren. Daraufhin zog Nomazar es vor, sich we nigstens vorerst von seiner besten Seite zu zeigen. Der Truge führte ihn wieder aufs Dach hinauf und nötigte ihn, in einem Gleiter Platz zu nehmen. »Wohin bringst du mich eigentlich?« fragte Nomazar vorsichtig, als das Gefährt sich in die Luft erhob. »In das Gewölbe des Rates«, erklärte der Truge. »Aha. Und was erwartet mich dort?« »Das wirst du in wenigen Minuten erfah ren.« Na schön, dachte Nomazar. Wenn du un bedingt ein Geheimnis daraus machen willst, werde ich dir den Spaß nicht verder ben. Aber was das Gewölbe des Rates dar stellt, wüßte ich doch ganz gerne. Hatte Frant-Erf es ihm am Tag davor nicht gezeigt? Er konnte sich nicht genau daran erinnern. Er hatte so viele dieser form losen Gebäude gesehen und so viele Be zeichnungen gehört, daß er sie nicht mehr auseinanderzuhalten vermochte. Wenig später landete der Gleiter. Trugen in knallgelben Schutzanzügen erwarteten Nomazar und geleiteten ihn durch ein hohes, halbrundes Tor. Die Schockschleudern tru gen sie dabei schußbereit in der Hand. No mazar ließ sich durch lange Gänge führen, in denen es von Trugen nur so wimmelte. Sie waren alle bewaffnet, aber das hatte nicht viel zu bedeuten, denn Nomazar hatte noch keinen einzigen Angehörigen dieses Volkes gesehen, der nicht wenigstens eine Schock schleuder und einen Strahler mit sich herum schleppte. Aber dann stieß man ihn durch eine offe ne Tür, und er sah einen Trugen, der an ei ner Art Tisch saß und mit seinem Strahler
Marianne Sydow auf Nomazars Bauch zielte. Diesen Trugen kannte er. Jetzt, da er ihm gegenüberstand, war er sicher, Frant-Erf zu sehen. »Was soll das?« fragte er empört. »Ich bin müde – warum läßt du mich nicht in Ruhe?« »Du bist ein Spion«, sagte Frant-Erf mit seiner lächerlichen, quakenden Stimme. Nomazar seufzte. »Das mußte ja kommen«, murmelte er. »Darf ich mich setzen?« »Nein. Welchen Auftrag gab man dir im Marantroner-Revier?« »Ich habe keinen Auftrag, Frant-Erf«, er klärte Nomazar ungeduldig. »Und ich kom me auch nicht aus dem Marantroner-Revier. Warum, um alles in der Welt, glaubt mir das denn niemand?« »Weil es Beweise gibt.« »Oh, das ist mir aber neu. Kannst du sie mir nennen?« »Du hast alles getan, was nur möglich war, um nach Cagendar zu gelangen.« »Du lieber Schrecken, ich wußte bis vor kurzem noch nicht einmal, daß es einen Pla neten dieses Namens gibt. Es war reiner Zu fall, daß ich bei den Leuten von Achtol et was von Cagendar und Duuhl Larx hörte.« »Dann war es auch Zufall, daß du einen schwierigen Kriminalfall aufgeklärt hast? Und du willst nicht gewußt haben, wie die Domer darauf reagieren würden?« »Woher hätte ich das wissen sollen?« »In der Planetenschleuse hast du einen Fluchtversuch vorgetäuscht.« »Was heißt hier getäuscht? Ich habe es verdammt ernst gemeint.« »Es ist nur seltsam, daß du genau im rich tigen Augenblick verschwunden bist. Elkort war ein Narr, und wir wissen, welch un glaubliche Gedanken er hegte. Er wollte dich töten lassen. Zwei Dinge hielten ihn da von ab – Peleffs bevorstehender Besuch und die Tatsache, daß du Guhrno verlassen hast.« »Wie sollte ich wohl über Elkorts Gedan ken Bescheid wissen? Ich ahnte ja nicht ein mal, daß es ihn gab.« »Dann kam Peleff. Er teilte dir mit, daß er
Welt der Schätze dich nach Cagendar bringen wollte. Du hast dich nicht dagegen gesträubt. Im Gegenteil, unsere Beobachter berichten, du wärest ihm freiwillig gefolgt.« »Freiwillig!« schnaubte Nomazar. »Er ließ mich in Ketten legen, dann schleppten mich seine Roboter davon. Deine Beobach ter scheinen ein Augenleiden zu haben.« »Dein Verhalten Peleff gegenüber änderte sich offenbar erst, als du erkanntest, daß das Ziel des Fluges nicht Cagendar war.« »Ich sehe schon, es hat keinen Sinn, mit dir zu reden. Du hörst ja doch nicht zu.« »Du hattest durch Peleff die Chance, das Rghul-Revier zu verlassen. Aber du bist freiwillig zurückgekehrt. Du hast dem Valv ken sogar auf Caudin das Leben gerettet. Du hast das nur getan, um Peleff später dem Neffen ausliefern zu können. Du wußtest ge nau, daß du auf diese Weise zumindest hier her, vielleicht sogar in die Nähe des Neffen gelangen konntest.« Nomazar starrte Frant-Erf schweigend an. »Warum legst du so großen Wert darauf, Duuhl Larx zu begegnen?« »Es war falsch, daß ich mich gestern mit dir darüber unterhalten habe, wie? Ich will dir etwas sagen, Frant-Erf: Es gibt so etwas, das nennt man Neugierde. Überall spricht man über Duuhl Larx, jeder hat etwas ande res über ihn zu berichten, und eine Ge schichte ist haarsträubender als die andere. Ich würde gerne die Wahrheit erfahren. Das ist alles.« »Nein. Du hast den Auftrag, möglichst viele Informationen zu sammeln. Chirmor Flog möchte wissen, wie es jetzt um Duuhl Larx steht. Wir wissen das. Auf den äußeren Welten geht das Gerücht um, Duuhl Larx wäre krank. Du solltest die Bestätigung lie fern, vielleicht sogar den Neffen töten.« »So? Was hätte Chirmor Flog davon? Müßte er nicht fürchten, selbst zur Rechen schaft gezogen zu werden?« »Du weißt genau, daß das nicht passieren wird.« »Hör zu, Frant-Erf«, sagte Nomazar grim mig. »Wenn du so viel über mich weißt,
35 dann müßtest du eigentlich längst erkannt haben, daß ich mit der ganzen Sache nichts zu tun habe. Ihr habt den Falschen erwischt. Falls es wirklich einen Spion gibt, so lacht er sich jetzt ins Fäustchen. Solange ihr euch nämlich auf mich konzentriert, kann er un gestört arbeiten.« »Du bist der Spion.« »Du kannst mich mal …«, schrie Noma zar, außer sich vor Zorn. Frant-Erf hob drohend die Schockschleu der, und Nomazar riß sich mühsam zusam men. »So kommen wir nicht weiter«, sagte er. »Ihr seid überzeugt davon, daß ich der Spion bin, und ich weiß ebenso sicher, daß das nicht stimmt.« »Das weißt du nicht, sondern du glaubst es.« »He!« sagte Nomazar überrascht. »Was soll das nun wieder?« »Wir wissen, wie Chirmor Flog arbeitet, denn wir würden genauso handeln. Du bist der Spion, aber du weißt es nicht. Es wäre zu gefährlich gewesen, dich so einfach zu uns zu schicken. Man hat dich auf deine Aufgabe gründlich vorbereitet, alle Anwei sungen in deinem Unterbewußtsein veran kert und dir dann die Erinnerung genom men.« Nomazar zuckte zusammen. Ich habe meine Herkunft aus Sicherheits gründen vergessen. Diesen Satz hatte er in seinem Gedächtnis als Antwort auf die Frage gefunden, warum er sich nicht an seine Vergangenheit erin nern konnte. Wenn Frant-Erf nun recht hatte? Wenn er wirklich aus dem Marantroner-Revier kam? Wenn er der Spion war, den man auf Cagen dar erwartete? Man würde ihn bei der erstbesten Gele genheit einen Kopf kürzer machen. Er mußte leugnen. Er mußte sich schnell stens eine glaubwürdige Geschichte ausden ken, einen Lebenslauf erfinden, eine plausi ble Erklärung dafür finden, daß er, der An gehörige eines im Rghul-Revier unbekann
36 ten Volkes, scheinbar aus dem Nichts auf Ximmerrähne aufgetaucht war. Und er muß te sich bei alledem beeilen, denn es ging um seinen Hals … Halt! befahl er sich selbst, als er seinen Fehler bemerkte. Nur jetzt keine Panik. Wenn ich jetzt anfange, zu reden, dann weiß Frant-Erf, daß ich etwas zu verbergen habe. Er wird mich sofort in die Zange nehmen, und der Himmel mag wissen, was dabei her auskommt. »Vielleicht«, sagte er bedächtig, »ist es wirklich so, und ich bin euer Spion, ohne daß ich mir dessen bewußt bin. Die Mög lichkeit läßt sich nicht ausschließen. Aber wie wollt ihr euch Gewißheit verschaffen?« »Wir werden es herausbekommen.« »Wie?« »Es gibt verschiedene Methoden.« »Oh ja. Und ich kann mir einige davon lebhaft vorstellen …« »Du irrst dich, Nomazar. Wir werden dich überaus schonend behandeln, denn es kann sein, daß wir dich noch brauchen.« »Das beruhigt mich. Aber hast du schon daran gedacht, daß Chirmor Flog mich auch für solche Fälle präpariert haben könnte? Wer weiß, was da alles in meinem Unterbe wußtsein verborgen liegt. Der Augenblick, in dem ihr die Wahrheit erfahrt, könnte mei nen Tod bedeuten.« »Dagegen können wir uns absichern.« Nomazar starrte den Trugen böse an. »Du hast auf alles eine Antwort, wie?« fragte er bitter. »Nein, keineswegs. Aber das hier ist mein Arbeitsgebiet. Du kannst dich darauf verlas sen, daß ich etwas davon verstehe.« »Wie geht es jetzt weiter?« fragte Noma zar, nachdem er diese Bemerkung, die über haupt nicht angeberisch klang, einigermaßen verdaut hatte. »Ich sehe, daß du wirklich sehr müde bist. Du wirst deine Kräfte brauchen. Wie gesagt, wir legen großen Wert darauf, daß du alles gut überstehst. Du wirst dich also jetzt erst mal ausruhen. Dann sehen wir weiter.« »Etwas interessiert mich noch«, sagte No-
Marianne Sydow mazar zögernd. »Das mit der Kodierung der Wärme war doch nur ein fauler Trick, nicht wahr?« »Nein, Nomazar, das war es nicht. Die Meditationsrunde war echt. Es ist so, daß viele fremde Intelligenzen dabei zu reden beginnen. Du hast immer behauptet, dich an deine Vergangenheit nicht erinnern zu kön nen. Ich hatte gehofft, daß dies eine Lüge sei. Wäre es so gewesen, dann hättest du mir in der Meditationshöhle deine wahre Ge schichte erzählt. Aber du konntest nicht sprechen. Du hast es in Trance versucht, und es ging nicht. Du konntest die Sperren, die in deinem Gehirn existieren, nicht durchbre chen. Dagegen hast du bis zum Zusammen bruch angekämpft. Und damit hatte ich den letzten Beweis dafür, daß ich auf der richti gen Spur bin.« Nomazar nickte nachdenklich. »Ich habe eine Todesangst vor der Wahr heit«, sagte er leise. »Das kann ich gut verstehen«, antwortete Frant-Erf, und in seiner quakenden Stimme schwang tatsächlich so etwas wie Mitgefühl. »Geh durch diese Tür dort, du findest dahin ter alles, was du brauchst. Ich lasse dich ru fen, wenn es soweit ist. Und – Fluchtversu che sind hier, auf Cagendar, absolut sinn los.«
7. Als Peleff aus seiner tiefen Konzentration erwachte und sich der Dinge bewußt wurde, die er unter dem Einfluß der strahlenden Lo gik herausgefunden hatte, war ihm zumute, als wäre er unversehens unter eine eiskalte Dusche geraten. Drafgar-Kert! dachte er. Du verdammter Narr – siehst du nicht, was dir und deinem ganzen Volk blüht, wenn du dieses Spielchen weitertreibst? Wie bist du nur auf diese ver rückte Idee gekommen? Wenn er doch nur mit dem Trugen hätte sprechen können! Aber Drafgar-Kert war weit weg, auf Har rytho, im Palast des Neffen. Von dort spann
Welt der Schätze er seine Intrigen, die den ganzen Planeten umzogen und mit denen er nun auch die an sich harmlosen »Sanitäter« eingefangen hat te. Diese armen Burschen hatten natürlich keine Ahnung, zu welch schmutzigem Spiel sie sich hergaben, indem sie auf DrafgarKerts Vorschläge eingingen. Peleff zweifelte auch daran, daß sie überhaupt wußten, wen sie sich da in ihre Reihen geholt hatten. Drafgar-Kert war ein Meister der Maske, der gerissenste Truge, den Peleff jemals kennengelernt hatte. Einst ein Schützling und Schüler des Valvken, war Drafgar-Kert unaufhaltsam in der Gunst des Neffen ge stiegen, und jetzt konnte nur eine mittlere Katastrophe ihn daran hindern, nach Peleffs Tod die Position seines früheren Gönners einzunehmen. Eben diese Katastrophe aber beschwor Drafgar-Kert jetzt herauf. Natürlich wollte er nicht den Neffen töten. Er hatte – und auch daran war Peleff nicht ganz unschuldig – längst erkannt, daß Duuhl Larx sehr nütz lich war, wenn man es nur verstand, sich sei ner zu bedienen. Wen wollte Drafgar-Kert auf diese Weise ausschalten? Wer war das Oberhaupt der Sa nitäter? Und warum bemühte sich der Truge, auch Peleff in sein Spiel hineinzuziehen? Oder handelte da jemand unter den Sanitä tern auf eigene Faust? »Fyr-Than!« rief Peleff laut. »Hörst du mich?« Die Antwort kam sofort. »Hast du dich entschieden?« »Ja. Ich mache mit.« Er war gespannt, was nun geschehen soll te. Wie wollte man ihn hier herausholen? Und was kam nach der Flucht? Würde Draf gar-Kert Verbindung zu ihm aufnehmen? Die Stunden vergingen. Draußen mußte schon der Morgen grauen, da öffnete sich die Tür zu Peleffs Zelle, und Kao-Ernt kam herein. »Ich habe hier etwas für dich«, sagte der Truge und zog ein Päckchen aus einer Ta sche seines Schutzanzugs. »Du wirst es spä
37 ter brauchen können. Übrigens – nur wenige Trugen wissen schon, daß du in Ungnade gefallen bist. Man hat dich in diesem Punkt belogen.« »Du gehörst also zu den Sanitätern«, stell te Peleff trocken fest. »Allmählich wird die Sache interessant. Fürchtest du keinen Ver rat?« »Von deiner Seite? Nein, Peleff. Wir wis sen mehr über dich, als du dir träumen läßt. Du kennst das Archiv von Harrytho. Einer von uns arbeitet dort. Er hat alle Daten über dich gesammelt, und es ist uns gelungen, Reste des Giftes sicherzustellen, das du bei deiner Ankunft auf dem Schiff des Neffen bei dir hättest. Du wirst von nun an auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Wenn du versuchst, uns zu hintergehen – nun, du weißt besser als ich, wie schnell dieses Zeug wirkt. Und den Schützen wird niemand zur Rechenschaft ziehen. Du wurdest auf der Flucht getötet, das ist alles.« Peleff hatte Mühe, sein Erschrecken zu verbergen. An das Gift hatte er lange nicht mehr gedacht, und er machte sich Vorwürfe deswegen. Er hätte es nicht mitnehmen sol len, damals, als er von seinem brennenden Heimatplaneten floh, um Duuhl Larx zu su chen. Aber Peleff war ein wehleidiger Mann, der keine Schmerzen ertrug. Für den Fall, daß der Neffe des Dunklen Oheims ihm keinen Glauben schenkte, wollte er unbe dingt etwas bei sich haben, das ihn vor den Widerwärtigkeiten des Lebens bewahrte. Nun bekam er die Rechnung dafür präsen tiert. »Was habe ich zu tun?« erkundigte er sich sachlich. »Das Schirmfeld hat eine schwache Stel le. Von innen läßt sich dieser Umstand nicht ausnutzen, wohl aber von außen, zum Bei spiel von der Nachbarzelle aus. Fyr-Than und sein Sohn haben bereits genaue Anwei sungen erhalten. Sie werden dafür sorgen, daß das Feld zusammenbricht. Die nächste Etappe der Flucht mußt du ohne unsere Hil fe durchführen. Aber du kennst dich ja in diesem Gebäude gut genug aus. Wir haben
38 genau ausgerechnet, wieviel Zeit du brauchst, um bis zum südlichen Turm zu kommen. Dort wird ein Gleiter auf dich war ten. Ein Mann namens Kezem-Hun wird dich in Sicherheit bringen.« »Wenn das nur gut geht. Sind Waffen in dem Päckchen hier?« »Nein. Es darf hier im Gefängnis keine Opfer geben.« »So – und Fyr-Than und der andere?« »Auf das, was sie getan haben, steht der Tod. Du kennst die Gesetze des Neffen – man würde es ihnen nicht leicht machen. Sie machen also einen guten Tausch, denn sie werden in ihrer Zelle sterben, in einem Au genblick, in dem sie es nicht erwarten und daher auch keine Angst haben. Und es wird schnell gehen.« »Ihr Trugen seid ein komisches Volk. Warum versucht ihr nicht, die beiden zu ret ten?« »Das wäre Zeitverschwendung. Außer dem würden wir unsere ganze Organisation in Gefahr bringen. Fyr-Than und sein Sohn sind nicht wichtig genug, um ein solches Ri siko einzugehen.« Peleff registrierte zufrieden, daß die Tru gen sich seines Wertes also durchaus bewußt waren. »Wann soll das Ganze stattfinden?« fragte er. »Sobald ich diese Tür hinter mir geschlos sen habe. Es gibt keinen günstigeren Zeit punkt. Die Sonne geht erst in einer Stunde auf. Bis dahin ist es still in der Stadt.« Kao-Ernt drehte sich um und Verließ die Zelle. Peleff wartete geduldig, und kaum fünf Minuten später hörte er einen gedämpf ten Knall. Er sah einen dünnen Rauchfaden, der links neben der Tür aus der Wand auf stieg, und ohne Zögern glitt er vorwärts. Die Tür ließ sich leicht aufdrücken. Viel leicht hatte Kao-Ernt sie nicht richtig ge schlossen, vielleicht war aber auch das Schloß durch den Zusammenbruch des Schirmfelds zerstört worden. Peleff machte sich darüber keine Gedanken. Er schwebte schnell und zielsicher die Gänge entlang.
Marianne Sydow Um diese Zeit waren hier keine Trugen un terwegs. Die Wachen hielten sich in ihren Räumen auf und vertrauten den Alarmein richtungen die Aufgabe an, über die Gefan genen zu wachen. Durch eine schmale Pfor te, die kaum breit genug war, den kugelrun den Valvken passieren zu lassen, gelangte er auf einen der Innenhöfe, und nun hatte er ei gentlich das Spiel bereits gewonnen. Dicht an der Wand entlang schwebte er bis zum Dach hinauf und nahm dann Kurs auf den südlichen Turm. Flüchtig überlegte er, ob er sich jetzt nicht absetzen sollte. Jetzt, in die sem Augenblick, war unter Garantie keine mit Giftnadeln geladene Schockschleuder auf ihn gerichtet. Er konnte fliehen, sich nach Harrytho durchschlagen und den Nef fen darüber aufklären, welchen Spielen Drafgar-Kert sich hingab. Dann würden die Köpfe rollen, und es war leicht möglich, daß Duuhl Larx, dem Valvken noch einmal ver zieh. Aus irgendeinem Grund, über den sich Peleff selbst nicht restlos klar war, flog er dennoch weiter. Er fand den Gleiter an der verabredeten Stelle. Kezem-Hun erwies sich als ein älte rer Truge mit höfischen Manieren. Im ersten Augenblick dachte Peleff schon, er hätte Drafgar-Kert persönlich vor sich, in einer seiner zahllosen Masken, aber nachdem er ein paar Fangfragen gestellt hatte, zweifelte er nicht mehr daran, daß Kezem-Hun echt war. Der Gleiter löste sich lautlos von dem wuchtigen Turm. Peleff blickte auf den Ge fängniskomplex hinab und gestattete sich ein spöttisches Lächeln. Siehst du, mein lieber Duuhl Larx, dachte er, es ist gar nicht so einfach, den alten Peleff kaltzustellen. Ich an deiner Stelle hät te keine langen Experimente gemacht. Du solltest wissen, was man früher über die Valvken sagte: Einen wie mich hat man erst besiegt, wenn die Totenvögel zur Stelle sind. Pech für dich. Wenn ich nur wüßte, ob ich gegen oder für dich kämpfen soll! Kezem-Hun steuerte den Gleiter der auf
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gehenden Sonne entgegen.
* Allmählich wurde dem Valvken die Aus strahlung des Trugen lästig. Er verdammte sein valvkisches Erbe, das es ihm nicht ge stattete, gelassen auf die Gegenwart eines Artfremden zu reagieren. Nur selten traf er auf Wesen, deren Nähe ihn nicht störte. Zu diesen wenigen hatte Nomazar gehört. Wo mochte der Bursche jetzt stecken? Peleff empfand wilden Zorn bei dem Gedanken, daß dieser Fremde womöglich frei auf Cagendar herumlief und sich bereits zurecht legte, was er vor Gericht gegen den Valvken aussagen wollte. Nun, der Prozeß würde nicht stattfinden, und vielleicht fand sich so gar eine Gelegenheit, Nomazar für seinen Verrat zu bestrafen. Er hätte diesen Mann von Anfang an härter anfassen sollen. Es war ein unverzeihlicher Fehler von ihm ge wesen, dem Fremden auch nur einen Funken Vertrauen entgegenzubringen: Das hatte Peleff nämlich am Anfang tatsächlich getan. Nomazar hatte ihm imponiert, der Fremde war geschickt und schlau – Peleff hatte viel mit ihm vor. Natürlich mußte er ihn nach Caudin bringen, aber Nomazar hatte dort nicht für immer bleiben sollen, nur für eine Weile, bis Peleff einen Weg gefunden hatte, den Fremden durch die Kontrollen von Cagendar zu bringen. Ganz nebenher bot sich auf Caudin selbstverständlich auch die Mög lichkeit, ein bißchen Spaß zu haben. Peleff hätte sich ein erhebendes Schauspiel ver sprochen, wenn dieser Mann sich mit den anderen Gefangenen auseinandersetzte. Aber leider kamen die Schiffe des Neffen … Das alles war vorbei und konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es wäre an der Zeit gewesen, Nomazar zu vergessen. Peleff wußte das, aber der Haß brannte in ihm, und dieser Haß hatte eine starke Wurzel. Soweit das einem Valvken bei einem fremden We sen überhaupt möglich war, hatte Peleff die sen Nomazar sympathisch gefunden. Viel leicht wären sie Freunde geworden, dachte
Peleff, ohne sich bewußt zu sein, wie absurd diese Vorstellung jedem erscheinen mußte, der den Valvken kannte. Die Sonne stieg über den Horizont, und noch immer steuerte Kezem-Hun den Gleiter. Peleff war manch mal drauf und dran, den Trugen einfach über Bord zu werfen. »Wie lange dauert das denn noch!« fuhr er den Trugen gereizt an. »Wir sind gleich da«, antwortete KezemHun gleichmütig. Unter ihnen zogen Hügel und Täler vor bei, alle von einer kostbar glänzenden Kru ste aus den gesammelten Schätzen vieler Planeten überzogen. Ein breiter Fluß tauchte auf. Seine Ufer waren bis zur Hochwasser grenze mit der strahlenden Glasur versehen. Einzelne Inseln ragten wie schimmernde Ju welen aus den Fluten heraus, selbst steile Felsen waren rundherum versiegelt. Von oben sah das prächtig aus, aber Peleff wußte so gut wie jeder andere Bewohner von Cagendar, daß unter der Versiegelung alles Le ben erstickte, und ihn schauderte es. Schon jetzt war es so weit gekommen, daß die Be wohner von Cagendar in allen ihren Bedürf nissen auf den Nachschub von anderen Pla neten angewiesen waren. Der Kontinent Ve med verwandelte sich in eine Kunstwüste – und das konnte man durchaus wörtlich neh men. Endlich tauchte die Kante auf. Weit im Süden, von der hitzeflimmernden Luft fast verwischt, waren Bautrupps zu erkennen. Transporter brachten die Schätze heran, die über das Land verteilt wurden. Dann ergoß sich aus gigantischen Tankfahrzeugen die stinkende Flüssigkeit ins Freie, die im Ver lauf mehrerer Tage zu der glasklaren, harten Schicht erstarrte, von der später ganz Cagen dar umschlossen sein würde. Über den Stel len, an denen diese Arbeit getan wurde, trie ben schillernde Giftwolken. »Bei den drei spitzen Hügeln dort vorne gibt es einen Tunnel«, bemerkte KezemHun. »Wir können leider nicht direkt vor dem Eingang landen. Es sind zu viele Bau trupps in der Nähe.«
40 Peleff gab keine Antwort. Er hatte im Au genblick nur einen Wunsch: So schnell wie möglich aus dem Gleiter und aus der unmit telbaren Nähe dieses Trugen zu entkommen. Aber auch als der Gleiter gelandet war, blieb Kezem-Hun dem Valvken auf den Fer sen. »Da ist der Tunnel«, verkündete der Tru ge endlich, nach einer fast halbstündigen Wanderung durch unwegsames Gelände. »Ich muß jetzt zurück nach Vemed fliegen. Geh den Tunnel entlang, bis du das Licht siehst. Dort wartet man auf dich.« Peleff sah dem Trugen erleichtert nach, dann kletterte er durch ein ungeschickt ge tarntes Loch im Boden und fand sich in ei nem hohen Stollen, der schnurgerade in die Finsternis hineinführte. War er wirklich allein? Er blieb stehen und lauschte. Kein Ge räusch verriet die Anwesenheit heimlicher Beobachter. Aber die kribbelnde Ungeduld in allen seinen Nerven verriet dem Valvken deutlich genug, daß es intelligentes Leben in seiner Nähe gab. Man ließ ihn nicht aus den Augen. Feine Verbündete sind das, dachte er är gerlich. Dann fiel ihm ein, daß die lichtbe dürftigen Trugen sich in der Enge dieses Stollens und der absoluten Finsternis alles andere als wohl fühlen mußten, und seine Laune besserte sich ein wenig. »Ich werde mir den Hals brechen, wenn ich in dieser Finsternis herumlaufe!« sagte er laut. »Und dazu habe ich eigentlich gar keine Lust. Man erwartet mich irgendwo dort hinten? Dann sollen die Brüder gefäl ligst jemanden schicken, der mich abholt!« Damit setzte er sich auf den kalten Stein boden. Er vertraute darauf, daß man jedes seiner Worte getreulich an die richtige Stelle wei terleiten würde. Und richtig, nach kurzer Zeit tauchte in der Ferne ein schwankender Lichtpunkt auf, der näher kam und sich als eine grellweiße Lampe entpuppte. Die Lam pe hing an einer langen Stange, und ein Tru ge schleppte das Ding durch den Tunnel.
Marianne Sydow »Folge mir!« befahl der Truge ziemlich unfreundlich. Er wartete die Antwort des Valvken nicht ab, sondern drehte sich um und marschierte wieder davon. Peleff ärgerte sich über so viel schlechtes Benehmen, aber er sah ein, daß er in diesem Fall nachgeben mußte. »Wie weit ist es?« erkundigte er sich bei dem Trugen. »Was kümmern dich Entfernungen?« gab der Truge knurrig zurück. »Du bist doch nicht auf die Kraft deiner Beine angewie sen!« Peleff gab es stillschweigend auf. Wieder verging etwa eine halbe Stunde. Aber dann tat sich etwas. Lichter tauchten weiter vorne auf, und aus einem Seitengang kam ein Trupp von Trugen, die mit allerlei Werkzeu gen beladen waren. Es schien, als würde in tensiv in diesen Stollen gearbeitet, ja, als be mühe man sich, den Schlupfwinkel weiter auszubauen. Peleff fand das merkwürdig, denn die Kante war nicht mehr weit entfernt, und in nicht allzu ferner Zeit würde auch dieses Gebiet mit der Schatzglasur überzo gen werden. Er hätte gerne den Burschen mit der Lampe nach diesen Dingen gefragt, aber sein Stolz war ihm dabei im Wege. Er wollte sich nicht gerne eine neue Abfuhr einhandeln. Und dann waren sie am Ziel und betraten eine hellerleuchtete Kammer. Der Truge mit der Lampe verschwand hinter einem Mauer vorsprung. Peleff starrte den Mann, der mit ten in der Kammer stand, fassungslos an. »Drafgar-Kert!« stieß er hervor. »Ich dachte nicht, daß ich dich so schnell zu Ge sicht bekommen würde.« »Es ist mir ein großes Vergnügen«, ant wortete Drafgar-Kert, »daß es mir gelungen ist, dir eine Überraschung zu bereiten.« »Nun«, bemerkte Peleff gelassen – er fing sich stets sehr schnell – und setzte sich auf einen flachen Hocker. »Ich wußte natürlich, daß du hinter der ganzen Sache steckst. Aber ich dachte nicht, daß du im Palast abkömm lich bist.« »Für dich tue ich alles. Ich lasse sogar
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Duuhl Larx alleine – was im Moment nicht ungefährlich ist. Er ist sehr wütend auf dich, Peleff.« »So?« »Er wird noch wütender sein, wenn er von deiner Flucht erfährt.« »Das kann ich mir denken.« »Derjenige, der dich erneut einfängt, hat mit einer großzügigen Belohnung zu rech nen.« Peleff schnellte von seinem Hocker hoch. Urplötzlich durchschaute er das Spiel, und er schalt sich einen blinden Narren, daß er auf einen so dummen Trick hereingefallen war. Aber es war zu spät. Drafgar-Kert bediente sich seiner Schock schleuder so schnell, daß es fast schien, als wäre Magie im Spiel. Peleff fühlte den hei ßen Schmerz, und er glaubte zu schreien, aber in Wirklichkeit kam kein Laut über sei ne Lippen. Er stürzte schwer, aber er spürte den Aufprall nicht. Drafgar-Kert beugte sich über ihn. »Du hast es mir leicht gemacht, Peleff«, sagte er höhnisch. »Willst du wissen, wie es weitergeht? Ich nehme dich jetzt mit in ein Versteck, das besser ist als diese alten Gän ge. Dort werde ich dich aufbewahren, für ein oder zwei Tage, ehe ich dich dem Neffen ausliefere. Und rechne nicht auf Hilfe. Die Sanitäter habe ich fest in der Hand. Sie wür den es niemals wagen, einen meiner Befehle zu ignorieren. Diese Narren sind froh, wenn sich jemand findet, der ihnen genau sagt, was sie zu tun und zu lassen haben. Und jetzt wünsche ich dir angenehme Ruhe, Peleff.« Der Valvke konnte zu diesem Zeitpunkt wenigstens noch hören und sehen. Aber nachdem Drafgar-Kert die Schockschleuder ein zweitesmal ausgelöst hatte, war es auch damit vorbei. Peleffs letzter Gedanke war, daß er jetzt kaum noch einen Grund hatte, auf Rettung zu hoffen.
8.
Nomazar war selbst überrascht darüber, wie frisch und ausgeruht er sich fühlte. Er sah den Trugen an, der ihn geweckt hatte, und obwohl er noch immer Angst hatte, war er entschieden ruhiger als bei der nächtli chen Unterredung mit Frant-Erf. Immerhin, dachte er, werde ich endlich die Wahrheit erfahren. Wenn diese Burschen es schaffen, mir die Erinnerung zurückzuge ben, werde ich wissen, wer ich bin und wo her ich komme. Mag sein, daß ich wenig Zeit finde, mich darüber zu freuen. Aber noch ist nicht alles verloren. Ich kann nicht der Spi on sein, den sie in mir vermuten. Er klammerte sich an diese Überzeugung. Und es gab ein paar Hinweise darauf, daß er sogar recht hatte. Auch Chirmor Flog war ein Neffe des Dunklen Oheims. Von Peleff hatte Nomazar viel über diese grausamen Herrscher erfah ren. Es schien, als wären sie alle miteinander unvorstellbar böse. Ein Spion, den ein We sen wie Chirmor Flog aussandte, mußte nach Nomazars Meinung eine Reihe von Fä higkeiten und Eigenschaften besitzen, die ihm völlig abgingen. Oder war auch das nur Bestandteil eines großen Planes, von dem er noch nichts wußte? »Es wird Zeit!« sagte Frant-Erf, der gera de zur Tür hereinkam. »Bist du bereit, No mazar?« »Ja«, seufzte er. »Bringen wir es hinter uns.« Frant-Erf blieb bei ihm und begleitete ihn in eine Art Laboratorium, wo bereits ei nige Trugen auf Nomazar warteten. Noma zar war jetzt fest entschlossen, alles zu tun, was die Sache beschleunigen konnte. Er spürte, daß die hier anwesenden Trugen ihm nicht unbedingt an den Kragen wollten. Es schien sich um Mediziner zu handeln, und offenbar sahen sie in Nomazar so etwas wie einen Patienten. Sie behandelten ihn freund lich. Trotzdem wünschte er sich, sie hätten wenigstens normale Augen gehabt, mit de nen sie ihn ansehen konnten. Es hätte ihm einiges leichter gemacht. Während Frant-Erf still in einer Ecke saß und wartete, ließ Nomazar eine Reihe von
42 Untersuchungen über sich ergehen. Schließ lich aber schienen die Trugen zu wissen, wie sie ihren »Patienten« zu behandeln hatten, denn eines dieser gesichtlosen Wesen reich te ihm einen Becher. »Trink das aus!« sagte er freundlich. Das Zeug in dem Becher roch scharf und betäubend. Nomazar schreckte instinktiv da vor zurück. Aber er besann sich auf seine guten Vorsätze und stürzte das Gebräu auf einen Zug hinunter. Man reichte ihm einen anderen Becher, in dem sich klares Wasser befand, und er spülte den fremden Ge schmack aus seinem Mund. Danach wurde ihm seltsam fröhlich zumute, und er stellte belustigt fest, daß die Trugen um ihn herum schwankten, als wären sie betrunken. Auch schien es ihm, als verlören die Wände ihre Festigkeit. Aber das wirkte keineswegs be drohlich, ganz im Gegenteil, es sah sehr lu stig aus, weil sich aus all den Teilen, die von den Wänden abfielen, komisch anzusehende Gestalten bildeten. Allmählich änderten sich die Figuren, die er nunmehr anstelle der Trugen sah. Sie nah men vertraute Formen an, dann bekamen sie Gesichter, und am Ende sprachen sie sogar zu ihm. Als erstes sah er drei hagere Wesen mit spitzen Köpfen und flachen Gesichtern, die ihn aus je vier Stielaugen anstarrten und von denen er sofort wußte, daß es sich um Fein de handelte. Er schrak vor diesen Fremden zurück, und grauenhafte Angst stieg in ihm auf. Im nächsten Augenblick wurde es abso lut dunkel um ihn herum, und er hatte das Gefühl, in einen schier endlosen Abgrund zu stürzen. Er schrie, und er spürte Hände, seltsame, nichtmenschliche Hände, die ihn festhielten. »Was war das?« fragte eine quakende Stimme. »Ich weiß es nicht, Frant-Erf«, antwortete eine andere. »Jedenfalls nicht das, wonach wir suchen. Wir werden ihm noch eine Do sis geben.« »Ihr dürft ihn nicht in Gefahr bringen, denkt daran!«
Marianne Sydow »Ja. Aber seine Sperren sind einfach zu stark, wir kommen anders an die Wahrheit nicht heran. Ich denke, er ist kräftig genug, um es zu überstehen.« Etwas berührte seine Lippen, er öffnete den Mund und schluckte gehorsam. »Noch einmal von vorne, Nomazar!« kam die Stimme eines Trugen wie von sehr weit her. Er hatte Angst. Er wollte die Fremden um keinen Preis der Welt noch einmal sehen. Er spürte, daß ein zweiter Zusammenprall die ser Art ihn um den Verstand bringen würde. Aber gegen die Bilder, die unter dem Ein fluß der Droge in seinem Gehirn entstanden, konnte er sich nicht wehren. Diesmal ging es schneller. Wieder form ten sich Gestalten, und er war erleichtert, weil es offenbar nicht die Vieraugen waren, die ihm erschienen. Statt dessen sah er ein menschliches Gesicht. Rötliche Augen sa hen ihn an. Das Gesicht wurde von weißen Haaren umrahmt, dennoch wirkte es jung. »Razamon!« sagte der Mann mit den röt lichen Augen. »Nimm dich in acht.« Endlich erkannte er den Fremden. »Atlan!« rief er laut. »Was bedeutet das alles? Wo bin ich? Was tue ich hier?« Aber das Gesicht verwischte sich schon wieder. Die nächste Vision war deutlicher. Er stand in einer Wachstube und blickte zor nig den terranischen Polizeibeamten an, der ihn nicht ernst nehmen wollte. »Ich bin gekommen, um mich zu stellen«, sagte er. »Mein Name ist Razamon. Ich bin ein Atlanter.« Ein neuer Wechsel. Er stand vor einem Mann, der Rhodan hieß, und er sagte zu die sem Mann: »Pthor ist meine Heimat, und sie wird von einer schrecklichen Macht beherrscht und mißbraucht. Ich habe vor, das zu ändern.« Wenig später schwamm er neben dem Weißhaarigen auf eine von Nebel fast ver deckte Küste zu, und er wußte, daß er Pthor erreicht hatte. Es kamen noch viele Bilder. Irgendwann aber erschöpfte sich die Wirkung der Droge,
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und die fremde und doch so vertraute Welt dieser Illusionen versank in bunten Nebeln. Die Trugen wagten es nicht, noch tiefer in die Erinnerungen ihres Patienten einzudrin gen. Nomazar – oder Razamon, wie er of fenbar in Wirklichkeit hieß – hing halb be wußtlos in den Armen zweier Trugen, die ihn hielten. »Er sieht schlecht aus«, stellte Frant-Erf fest. »Kümmert euch um ihn, tut alles, was in eurer Macht liegt, damit er es heil und ge sund übersteht.« Die Trugen brachten Razamon weg.
* Der Schirm zeigte kein Bild im üblichen Sinn. Alles, was Frant-Erf sah, war ein grel les Wabern von unvorstellbarer Pracht. Der Truge wagte vor lauter Ehrfurcht kaum, sich zu rühren. Als er Verbindung mit Harrytho aufnahm, da hatte er nicht erwartet, daß er es mit dem Neffen selbst zu tun bekam. Oder war es gar Duuhl Larx, der sich hin ter dem blendenden Flammenschirm ver barg? Es gab so viele Gerüchte, daß Duuhl Larx schwerkrank sei, zum Beispiel, daß er schon seit langer Zeit sein Lager nicht mehr verlas sen habe, und daß Roboter in der Sphäre sa ßen, die für den Neffen sprachen und han delten. Frant-Erf verdrängte diese Gedanken ha stig, denn aus dem Lautsprecher drang eine dumpfe Stimme. »Was ist mit dem Fremden? Berichte!« »Er ist kein Spion«, begann Frant-Erf ha stig. »Er kommt auch nicht aus dem Maran troner-Revier. Er stammt aus einem mir un bekannten Land, von dem niemand zu wis sen scheint, auf welchem Planeten es liegt.« »Wie heißt dieses Land?« »Pthor.« Sekundenlang blieb es still. Frant-Erf be obachtete den Bildschirm, und allmählich bekam er es mit der Angst zu tun. Duuhl Larx, so hieß es, war allwissend. Aber eines der dunklen Gerüchte, von denen es auf Ca-
gendar nur so schwirrte, besagte, daß die Allwissenheit des Neffen lediglich in der Kunst bestand, sich niemals bei der gering sten Unsicherheit ertappen zu lassen. Und – so munkelte man – Zeugen solchen Versa gens kurzerhand aus dem Verkehr zu ziehen, ehe sie den Ruf des Neffen in Gefahr brin gen konnten. »Pthor«, wiederholte die Stimme schließ lich gedehnt. »Es wundert mich nicht, daß ihr mit diesem Namen nichts anzufangen wußtet. Pthor gehört zu keinem Planeten der Schwarzen Galaxis. Pthor ist der Name ei nes Dimensionsfahrstuhls. Es handelt sich um ein Land, das durch Raum und Zeit reist. Der Dunkle Oheim selbst gebietet über die Dimensionsfahrstühle, und er setzt sie gegen fremde Galaxien ein. Nur außergewöhnliche Wesen leben auf Pthor und den anderen Ländern dieser Art. Ich hoffe, ihr seid scho nend mit Razamon umgegangen.« »Wir haben uns bemüht«, versicherte Frant-Erf hastig. »Natürlich war die Proze dur anstrengend für unseren – hm – Gast, aber er befindet sich bereits auf dem Weg der Besserung.« »Ich wünsche, daß Razamon nach Harry tho gebracht wird, sobald ihm die Reise zu zumuten ist. Ich werde selbst mit ihm spre chen. Wenn er wirklich von Pthor kommt, so wird er mir von großem Nutzen sein, vielleicht ist er sogar der wertvollste Ver bündete, den ich je hatte. Vor allem dürfte er vertrauenswürdiger sein als dieses Ungezie fer, mit dem ich mich jetzt herumplagen muß.« »Wir Trugen bemühen uns stets, dir mit allen Kräften zu dienen«, versicherte FrantErf hastig und zog den Köcher fast völlig ein, um seine Demut zu beweisen. Die Stimme hinter der Flammenwand lachte dumpf. »Sprich für dich selbst, Frant-Erf, aber hüte dich, dich zum Vertreter deines Volkes zu machen. Du wirst Razamon zu mir in den Palast bringen. Sorge dafür, daß ich den Pthorer bald zu sehen bekomme, aber gib ihm auch Zeit, sich zu erholen. Du bist mir
44 persönlich für seine Sicherheit verantwort lich.« »Es ist mir eine Ehre, dir dienen zu dür fen«, erwiderte Frant-Erf. »Den Spruch mit der Ehre kannst du dir sparen«, gab die Stimme sarkastisch zurück. »Wenn du deine Aufgabe gut erfüllst, sollst du andere Vorteile davon haben. Ich denke, ich werde Razamon in den Stand eines Transfusionsgebundenen erheben. Wenn du klug bist, Frant-Erf, dann sicherst du dir bei zeiten die Freundschaft des Pthorers. Gerade unter denen, denen ich am meisten vertraute, finden sich immer häufiger Verräter. Ich brauche Ersatz für diese Kreaturen. Nimm also deinen Verstand zusammen, und schon bald wirst du mir in einer Weise dienen kön nen, die dir mehr als nur ein wenig Ehre ein bringt.« Frant-Erf saß wie erstarrt vor dem Schirm. Er sah nicht, wie das Bild ver schwand, er nahm kaum wahr, daß ein ande rer Truge den Raum betrat – er schwebte in höheren Sphären. Erst als der andere Truge sich durch ein Geräusch bemerkbar machte, fuhr Frant-Erf herum. »Was gibt es?« fragte er unwillig. »Es geht um den Fremden«, sagte der Truge. »Du wolltest doch benachrichtigt werden …« Frant-Erfs Zorn über die Störung verflog sofort. »Was ist mit ihm?« fragte er beinahe ängstlich. »Es geht ihm besser«, erklärte der andere. »Er schläft jetzt. In wenigen Stunden wirst du mit ihm sprechen können.« Frant-Erf atmete auf. Er entließ den Boten mit einer freundlichen Bemerkung. Als er wieder allein war, wäre er am lieb sten wie ein übermütiges Kind im Raum herumgehüpft. Nur der Gedanke an die neue Würde, die ihm bald verliehen werden soll te, hinderte ihn daran, einer so unvernünfti gen Regung nachzugeben. »Bald«, sagte er zu sich selbst, »werde ich diese abscheuliche Stadt verlassen.«
Marianne Sydow Und in Gedanken sah er sich bereits im Palast von Harrytho residieren.
* Genau dort, im Palast, gab es zur selben Zeit beträchtliche Aufregung. Der Neffe Duuhl Larx war bekannt für seine Sprunghaftigkeit. Man war überra schende Entschlüsse von ihm gewöhnt, aber was er sich jetzt hatte einfallen lassen, das war einfach unglaublich, verrückt, skanda lös. Nur der Neffe selbst konnte sich so et was erlauben. Konnte er wirklich? Oder leistete er sich diesmal einen Fehler, der sich nicht so schnell wieder ausbügeln ließ? Da kam ein Fremder daher, möglicher weise ein Spion, und kaum stellte es sich heraus, daß dieser Bursche aus einem obsku ren Land namens Pthor stammte, da stellte Duuhl Larx diesen Fremden schnurstracks fast an die Spitze der Hierarchie von Harry tho. Man würde das nicht hinnehmen. Es gab nur relativ wenige Transfusionsge bundene, und in letzter Zeit hatte Duuhl Larx sich immer seltener dazu entschließen können, einem seiner Untertanen eine so ho he Ehre zu gewähren und ihn in den höch sten Stand des Vertrauens zu erheben. In Harrytho gab es nur ein knappes Dutzend, die es geschafft hatten, und mindestens die Hälfte aller Berater und Diener war der An sicht, daß sie ganz oben auf der Warteliste stehen mußten. Und dann sollte ein hergelaufener Frem der über sie gestellt werden? Der, den die Nachricht wohl am schlimmsten traf, hieß Drafgar-Kert. Von allen Anwärtern auf die Transfusionsbindung hatte er die besten Aussichten. Schon jetzt stand fest, daß er die Nachfolge des gestürzten Valvken antreten würde. Zu diesem hohen Amt gehörte die Bindung an den Neffen. Drafgar-Kert zwei felte auch gar nicht daran, daß Duuhl Larx früher oder später befehlen würde, an ihm diese Prozedur zu vollziehen. Daran konnte
Welt der Schätze Razamons kometenhafter Aufstieg nichts mehr ändern. Aber Drafgar-Kert würde län ger als geplant warten müssen. Zwischen den einzelnen Transfusionen mußten ver ständlicherweise längere Pausen liegen. Frü her war der Neffe noch imstande gewesen, alle ein bis zwei Wochen einen Untertanen durch die Vermischung des Blutes an sich zu binden. Aber die Pausen wurden immer länger – was nicht zuletzt der Grund für das Gerücht war, daß der Neffe schwer erkrankt sei. Jetzt dauerte es schon Monate, ehe Du uhl Larx sich dazu herabließ, etwas von sei nem Blut herzugeben. Drafgar-Kert war ein ehrgeiziger Mann. Peleffs Sturz hatte er schon seit langem vorhergesehen. Wäre der Valvke nicht von selbst gestolpert, so hätte Drafgar-Kert nachgeholfen, und das bald, denn er konnte es sich nicht erlauben, seine Zeit zu verschwenden. »Es gibt nur einen Weg«, sagte DrafgarKert zu seinen Freunden – und zu denen ge hörten im Augenblick alle, die etwas gegen Razamons Aufstieg einzuwenden hatten. Mit anderen Worten, halb Harrytho stand auf Drafgar-Kerts Seite. »Wir müssen diesen Pthorer ausschalten.« Sie stimmten ihm zu, aber er sah es ihnen an, daß sie Angst hatten. Sie waren wütend auf Duuhl Larx, noch wütender auf Raza mon, aber diese Wut war noch immer nicht groß genug, um sie ihre Furcht vor dem Nef fen vergessen zu lassen. »Wir müssen einen Plan fassen!« drängte Drafgar-Kert. »Wir dürfen nicht zu viel Zeit verlieren. Wenn Razamon erst hier im Palast ist, ist es zu spät. Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir ihn vor seiner Ankunft er wischen.« »Das stimmt sicher alles«, murmelte ein Truge namens Getza-Kul. »Aber wer soll es tun? Willst du das Risiko eingehen, DrafgarKert?« »Sieh ihn dir doch an!« spottete der Kune Falart. »Er will uns doch nur aufhetzen, da mit wir für ihn die schmutzige Arbeit über nehmen. Am liebsten wäre es ihm, wenn wir Außenweltler geschlossen losziehen und die
45 Jagd auf Razamon eröffnen. Dann ist er uns endlich los.« »Sei still«, schimpfte Rukul, ein Noot, der als besonders ruhig und besonnen galt. »Laß ihn doch erstmal ausreden.« »Vielen Dank, Rukul«, sagte DrafgarKert spöttisch. »Um es kurz zu machen: Keiner von uns wird Razamon auch nur aus der Ferne sehen müssen. Abgesehen davon, daß es für jeden einzelnen von uns verhäng nisvoll wäre, wenn er den Verdacht des Nef fen erregt. Es ist zu viel passiert in der letz ten Zeit. Duuhl Larx vertraut uns nicht mehr. Er wittert überall Verrat. Wenn er nur noch einen von uns eines Vergehens über führt, wird das Leben in Harrytho für uns al le zur Hölle werden. Wir brauchen also je manden, der uns die Arbeit abnimmt. Und es muß jemand sein, der ein gutes Motiv für den Mord hat. Eines, das auch Duuhl Larx überzeugen wird. Nur dann können wir si cher sein, daß der Neffe sich uns wieder zu wendet, wie es sich gehört.« »Das hört sich vernünftig an«, bemerkte Getza-Kul. »An wen hast du gedacht?« »An Peleff.« Sekundenlang blieb es still. Dann redeten plötzlich alle durcheinander. Drafgar-Kert ließ sie schwatzen, denn er kannte seine Freunde. Sie mußten ihrer verständlichen Erregung Luft machen, ehe man sich wieder vernünftig mit ihnen unterhalten konnte. »Wo ist der Valvke jetzt?« fragte GetzaKul schließlich aufgeregt. »Wenn Duuhl Larx ihn nun inzwischen hinrichten läßt? Wir müssen ihn sofort herausholen!« »Das ist nicht nötig«, sagte Drafgar-Kert sanft. »Ich habe bereits dafür gesorgt, daß Peleff uns zur Verfügung steht.« »Moment mal!« fuhr Falart mißtrauisch dazwischen. »Duuhl Larx hat seinen Ent schluß erst vor wenigen Stunden bekanntge geben, und in dieser Zeit hast du Harrytho nicht verlassen.« »Deine Beobachtungsgabe ist dein aner kannt größtes Talent«, spottete DrafgarKert. Aber Falart ließ sich nicht ablenken.
46 »Was hattest du mit Peleff vor?« bohrte er weiter. »Ich wollte ihn benutzen.« »Wofür? Um einen anderen Konkurrenten auszuschalten?« fragte Getza-Kul scharf. »Mach dich nicht lächerlich!« wies Draf gar-Kert den anderen zurück. »Das letzte, was wir jetzt noch gebrauchen können, wä ren Streitigkeiten in unserer Gruppe. Ich will euch die Wahrheit sagen: Ich will nicht, daß Peleff vor ein Gericht gestellt wird. Der Valvke ist unberechenbar. Er weiß zu genau, was wir alle in der Zeit treiben, in der Duuhl Larx die Sphäre nicht durch den Palaststrei fen läßt. Stellt euch nur mal vor, was ge schehen könnte, wenn Peleff all seine Kenntnisse zum Besten gibt. Das Risiko war mir zu groß. Ich holte also Peleff aus dem Gefängnis und täuschte seine Flucht vor, um ihn auf Eis zu legen. In einigen Tagen hätte ich ihn aus seinem Versteck geholt und ihn fliehen lassen. Und dann – nun, auch ein Valvke ist nicht unverwundbar. Peleff hätte jedenfalls keine Gelegenheit mehr gefunden, zu irgend jemandem zu sprechen.« Die anderen schwiegen. Sie trauten dem Trugen nicht. Ihnen allen war klar, daß Drafgar-Kert mit Peleff ein Druckmittel in der Hand hielt, dem sich keiner von ihnen hätte widersetzen können. Aber sie begriffen auch, wie wichtig dem Trugen der Mord an Razamon sein mußte, daß er seinetwegen das Geheimnis preisgab. »Wenn es so ist«, sagte Rukul schließlich, »dann besteht wohl keine Veranlassung mehr, sich über Razamon allzu viele Sorgen zu machen. Peleff hat allen Grund, den Pthorer zu hassen, und wir alle wissen, wie er mit Leuten verfährt, die seinen Zorn erre gen. Razamon ist schon jetzt so gut wie tot.« »Er hat den Valvken schon einmal be siegt«, gab Falart zu bedenken. »Razamon soll ein furchtbarer Kämpfer sein, und es scheint, als hätte er auch noch genug Ver stand, um es mit Peleff aufzunehmen.« »Er hatte nur Glück«, behauptete DrafgarKert wegwerfend. »Wahrscheinlich hat Peleff ihn auch zuerst unterschätzt. Dieser
Marianne Sydow Fehler wird ihm nicht noch einmal unterlau fen. Wenn ihr einverstanden seid, werde ich jetzt alles in die Wege leiten. Schon morgen können unsere Probleme gelöst sein.« »Was wird mit Peleff?« fragte Rukul. »Nach dem Mord hat er schließlich noch mehr Informationen als vorher in der Hand, mit denen er uns unter Druck setzen könn te.« »Er wird die Tat nicht überleben«, versi cherte Drafgar-Kert. Und die anderen glaub ten ihm. Sie wußten allerdings auch, warum Draf gar-Kert sie eingeweiht hatte, anstatt die Sa che in eigener Regie über die Bühne zu brin gen. Sollte wider Erwarten doch etwas heraus kommen, dann würde der Zorn des Neffen nicht nur Drafgar-Kert, sondern fast alle Be wohner von Harrytho treffen. Niemand wür de es unter diesen Umständen wagen, auch nur eine unvorsichtige Äußerung von sich zu geben. Drafgar-Kert hatte es wieder einmal fertiggebracht, sich auf sehr einfache Weise nach allen Seiten hin abzusichern.
9. Er war wach, aber er blieb mit geschlosse nen Augen liegen und spürte seinen Erinne rungen nach. Er genoß es, wieder eine Ver gangenheit zu haben, zu wissen, wer er war und woher er stammte. Er hieß Razamon, und er war ein Berser ker. Er gehörte zur Familie Knyr, die vor langer Zeit am Taamberg gelebt hatte. Da mals zählten die Angehörigen dieser Familie zu den Favoriten der Herren der FESTUNG. Sie hatten die Aufgabe, die Horden der Nacht zu begleiten und zu lenken. Selbst die Völker von Pthor, die an jede Art von Ge walt gründlich gewöhnt waren, fürchteten die Berserker und gingen ihnen aus dem Weg, wo immer sie konnten. Und ausgerechnet einer dieser harten, gnadenlosen Kämpfer erkannte plötzlich die Schwere des Verbrechens, das die Herren der FESTUNG an den Bewohnern unzähli
Welt der Schätze ger Planeten begingen. Diese Erkenntnis hatte Folgen: Razamon versuchte, den Be wohnern eines armseligen Planeten zu hel fen, und die Herren der FESTUNG kamen dahinter. Sie bestraften ihn, hängten einen Zeitklumpen an sein Bein, durch den er un sterblich wurde, und verbannten ihn, ließen ihn auf dem Planeten zurück, auf dem das ganze Unglück begonnen hatte. Razamon erlebte mit, wie sich die Be wohner der Erde von dem schrecklichen Überfall erholten, wie sie neue Kulturen und Zivilisationen aufbauten und schließlich zu den Sternen vorstießen. Er war unvorstellbar einsam, und in seinem Herzen brannte un stillbarer Haß auf die Herren von Pthor. Als sich die Rückkehr des Dimensionsfahrstuhls ankündigte, gab er das ewige Versteckspiel auf und nahm Kontakt mit der Regierung der Erde auf. Man hatte es in erster Linie dem Berserker zu verdanken, wenn die Ter raner diesmal mit dem Schrecken davonge kommen waren. Aber Razamon wollte sich nicht damit zufriedengeben, daß man den verderblichen Einfluß Pthors mit Hilfe gi gantischer Energieschirme neutralisierte. Er brannte darauf, endlich seine Rache an den unheimlichen Herrschern zu vollziehen. Und er fand einen Verbündeten: Atlan. Gemein sam drangen sie bis nach Pthor vor. Am Ta ge Ragnarök halfen sie den Kindern Odins, die FESTUNG zu stürzen. Atlan gewann die Freundschaft zweier hoher Magier, und die Völker von Pthor machten den Arkoniden zu ihrem neuen Herrscher. Aber inzwischen ra ste Pthor führerlos der Schwarzen Galaxis entgegen, und je näher sie diesem uner wünschten Gebilde kamen, desto größer wurden die Gefahren, die dem Land drohten. Den Krieg gegen die Krolocs überstanden sie, aber dann fanden sie eine im Raum trei bende Geisterflotte, und in drei Schiffen ent deckten sie Dinge, die aus der Schwarzen Galaxis stammten: Einen Klumpen dunkler Materie, eine seltsame Maschine, einen Be hälter mit drei hageren, vieräugigen Frem den darin. Wie blinde Narren hatten sie sich benommen und diese Dinge nach Pthor ge
47 bracht. Bis sie dahinterkamen, welche Ge fahr ihnen von diesen Mitbringseln drohte, war es fast schon zu spät gewesen. Der entscheidende Vorteil der drei Frem den bestand darin, daß sie aus einem Zeit versteck heraus agieren konnten. Damit wa ren sie praktisch unangreifbar. Nur Razamon konnte ihnen folgen – der Zeitklumpen er wies sich als die einzige brauchbare Waffe gegen die unheimlichen Fremden. Also ging er hin, um sie zu töten. Aber sie starben nicht durch seine Hand. Ein Unglück tötete sie. Razamon sah sie sterben, ehe eine seltsame Kraft ihn davon riß und ihn in einen dunklen Raum schleu derte. Was war damals geschehen? Wo hatte er sich aufgehalten? Was war dieser dunkle Raum? Er erinnerte sich nicht daran. Er kannte jetzt seine Geschichte bis zu dem Augen blick, in dem ihn etwas aus der normalen Welt von Pthor herausriß, und seine Erinne rung setzte mit dem Augenblick wieder ein, in dem er auf Ximmerrähne erwachte. Alles, was dazwischenlag, war wie weggewischt. Eines Tages, so hoffte er, würde er auch den Rest erfahren. Irgendwann mußten die Sperren in seinem Gedächtnis zerbrechen. Nun war er also in der Schwarzen Gala xis, und er hatte keine Ahnung, wo Pthor sich unterdessen befinden mochte. Lebte At lan noch? Oder war das ganze Land längst von den Helfern des Dunklen Oheims ver wüstet worden? Er mußte es herausbekommen. Wenn es auf Pthor noch Leben gab, wenn der Arkoni de noch existierte, dann hatte es auch noch einen Sinn, gegen die Schwarze Galaxis zu kämpfen. Ich bin im Rghul-Revier, dachte er. Und das liegt erst im Randbezirk der Schwarzen Galaxis. Von hier bis zum Zentrum ist es ein weiter Weg. Dort irgendwo befindet sich der Dunkle Oheim. Ich bin von jeder Hilfe abge schnitten, und es ist äußerst fraglich, ob ich jemals den Weg nach Pthor finden werde. An eine Rückkehr zur Erde ist schon gar
48 nicht zu denken. Ich könnte versuchen, mich aus allem herauszuhalten. Es gibt auch hier Planeten, auf denen man sich niederlassen und ein neues Leben anfangen kann. Es wä re der einfachste Weg. Aber während er das dachte, flammte der Haß in ihm auf. Nein! entschied er. Die Herren der FE STUNG sind nur Werkzeuge. Die eigentli chen Verbrecher sitzen im Zentrum dieser verfluchten Galaxis. Eines Tages werde ich sie finden. Ich habe Zeit. Er schlug die Augen auf. Endlich hatte er wieder ein Ziel. Er fühlte sich wie neugebo ren. Er hörte ein Geräusch, richtete sich auf und sah zur Tür. Dort stand Frant-Erf. War der Truge schon lange hier im Zim mer? Hatte er den Pthorer beobachtet? Wuß te er am Ende sogar, welche Gedanken den einsamen Mann bewegten? »Was hast du jetzt mit mir vor?« fragte Razamon. »Du bist kein Spion«, sagte FrantErf und zog respektvoll seinen köcherförmi gen Kopf ein. »Dir wurde großes Unrecht angetan, Razamon.« Der Berserker begriff eines sofort: Ihm drohte keine Gefahr mehr. Offenbar wußte man hier, im Rghul-Revier, noch nicht, was sich während der letzten Reise im Lande Pthor abgespielt hatte. Neue Hoffnung er füllte ihn, und er stand auf und winkte gut mütig ab. »Reden wir nicht mehr darüber, FrantErf«, murmelte er. Den Trugen freute das natürlich. Er schi en in der Tat ein sehr schlechtes Gewissen zu haben. »Duuhl Larx will dich sehen«, berichtete er eifrig. »Ich soll dich nach Harrytho brin gen. Der Neffe ist sehr beeindruckt von dir. Er will dich sogar zu einem Transfusionsge bundenen machen!« Frant-Erf schien das für eine ganz beson dere Ehre zu halten. Razamon dagegen er schrak, denn er erinnerte sich an alles, was er durch Peleff erfahren hatte. Ihm war klar, daß er eine Blutübertragung wahrscheinlich
Marianne Sydow nicht überleben würde. Niemand wußte, welchem Volk der Dunkle Oheim und seine Neffen entstammten, aber da die Angehöri gen vieler Völker sich dazu eigneten, zu Transfusionsgebundenen zu werden, gab es mit Sicherheit eine Artverwandtschaft zwi schen ihnen und ihren Herrschern. Razamon aber war im Lande Pthor geboren, und er zweifelte daran, daß sein Organismus sich mit dem Blut des Neffen vertrug. Ich werde dem Neffen diesen Plan ausre den müssen, dachte er. Es wird nicht einfach sein, aber – wie sagte Peleff? Die Transfusi onsgebundenen schulden dem Neffen abso luten Gehorsam. Es scheint mir, als sei die Methode nicht so zuverlässig, wie Duuhl Larx es sich erhoffte. Schließlich war der Valvke durchaus imstande, gegen die Inter essen seines Blutspenders zu handeln. Gleichzeitig entstand in ihm ein Plan. Er wußte plötzlich, was er zu tun hatte, um ei nerseits der Transfusion zu entgehen, ande rerseits seinem Ziel näherzukommen. Er würde dem Neffen eine Komödie vor spielen. Der Neffe mußte zu dem Schluß kommen, daß es keinen treueren Diener für ihn gab als den Berserker Razamon. Und zwar ohne Blutübertragung. Ob seine schauspielerischen Fähigkeiten dazu ausreichten? Er wußte es nicht, aber er würde sein Be stes geben. Und wenn Duuhl Larx ein noch so abscheuliches Ungeheuer sein mochte – Razamon würde ihm schmeicheln, bis er al len Widerstand aufgab. Es ging nicht nur um das Leben des Pthorers. Der Gedanke an At lan, an den Dimensionsfahrstuhl mit seinen Bewohnern und nicht zuletzt an die unheim liche Macht im Kern der Schwarzen Galaxis mußten ihm genug Kraft verleihen, um das Spiel durchzuhalten. »Bist du schon kräftig genug, um die Rei se antreten zu können?« fragte Frant-Erf zaghaft. Razamon schrak aus seinen Gedanken auf. »Wir sollten noch einen Tag warten«, meinte er. »Deine Leute haben mir zwar
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sehr geholfen, aber ihre Methode war nicht so schonend, wie ich es mir jetzt wünschen würde. Ich brauche noch etwas Ruhe. Oder hat Duuhl Larx es so eilig?« »Er trug mir auf, in erster Linie auf dein Wohlergehen bedacht zu sein.« »Das gibt für mich den Ausschlag. Sicher wäre er sehr zornig auf dich, wenn du ihm einen Pthorer bringst, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann.« Frant-Erf versicherte nochmals, daß dies nicht im Sinn des Neffen wäre und zog sich dann respektvoll zurück. Razamon atmete auf, als er wieder mit sich alleine war. An und für sich hätte er sich stark genug ge fühlt, auf der Stelle die Fahrt nach Harrytho anzutreten. Aber er wollte noch etwas Zeit haben, um sich in Gedanken gründlich auf das vorzubereiten, was ihn im Palast erwar tete. Als sie dann am nächsten Morgen aufbra chen, wünschte sich Razamon, daß er sich anders entschieden hätte, denn vor dem Ge bäude, in dem Frant-Erf als eine Art Polizei chef von Vemed residierte, bot sich ihm ein gräßliches Bild. »Verräter«, sagte Frant-Erf gleichmütig, als er Razamons entsetzte Blicke bemerkte. »Es war nur gut, daß ich mich noch in der Stadt befand. So konnte ich die sofortige Vollstreckung des Urteils anordnen.« Razamon wandte sich schweigend ab und stieg in den Gleiter, der unmittelbar neben
der Hinrichtungsstätte bereitstand. Er wagte es nicht, sich noch einmal umzusehen, als Frant-Erf das Fahrzeug steigen ließ. Der Ge danke daran, daß es Frant-Erf gewesen war, der diese Grausamkeit befohlen hatte, weck te Übelkeit und ohnmächtigen Zorn in ihm. In diesen Augenblicken wäre er fähig gewe sen, Frant-Erf über den Rand des Gleiters zu stoßen, nur um die Nähe dieses Wesens nicht länger ertragen zu müssen. Aber er riß sich zusammen. Die sechs Wesen, die er gesehen hatte, waren bereits tot. Er hätte ihnen ohnehin nicht mehr helfen können. Während der Gleiter Kurs auf Harrytho nahm, dachte Razamon an den Neffen Du uhl Larx. Dieses Wesen war der Urheber all der Grausamkeiten, die im Rghul-Revier ge schahen. Frant-Erf war nur ein winziges Rädchen im Getriebe. Das, so dachte Raza mon, war zwar keine Entschuldigung für das, was er gesehen hatte, aber es half ihm, sich über einiges klar zu werden. Von mir, überlegte er, dürfte Duuhl Larx so etwas nicht verlangen. Und eines Tages werde ich diesem Ungeheuer den Hals um drehen. Die Stadt blieb zurück. Vor ihnen lag die endlose Wüste aus glitzernden Schätzen.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 420 von König von Atlantis mit: Pakt mit dem Bösen von Marianne Sydow