Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 565 Die Landschaft im Nichts
Welt der Illusionen von H. G. Francis Das Geheimnis der...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 565 Die Landschaft im Nichts
Welt der Illusionen von H. G. Francis Das Geheimnis der Landschaft im Nichts Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Schiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den August des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL entscheidende Impulse zu positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff viele Lichtjahre zurückgelegt, und unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, hat längst eine Normalisierung des Lebens an Bord stattgefunden. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe. So geschieht es auch, als die SOL auf dem Flug nach Ploohnei in ein MiniUniversum verschlagen wird, das die Landschaft im Nichts enthält. Die Solaner sollen auf die Landschaft im Nichts gelockt werden, und auch das Multi-Bewußtsein erscheint an diesem Ort, der sich als großangelegter Betrug erweist, als eine WELT DER ILLUSIONEN …
Die Hauptpersonen des Romans: Oggar, Cpt'Carch und Sternfeuer - Das Multi-Bewußtsein im Kampf gegen das Anti-Bewußtsein. Bjo Breiskoll - Der Katzer auf der Landschaft im Nichts. Sanny - Die Molaatin trifft auf einen Artgenossen. Tdibmufs - Ein merkwürdiges Wesen wird entlarvt.
1. »Wie lange willst du noch warten?« fragte Insider. Oggar, der an einem der vielen Instrumente in der Zentrale des HORTs stand, drehte sich langsam um. Er blickte Insider prüfend an, als sei er sich dessen nicht sicher, wie er auf seine Erwiderung reagieren werde. »Die Wartezeit ist vorbei«, erklärte er mit leiser Stimme. »Der Impuls ist gerade gekommen.« »Was für ein Impuls?« Das Multi-Bewußtsein antwortete nicht sogleich. Oggar ging zum Steuerleitpult und setzte sich. Insider wartete geduldig. Er war überzeugt davon, daß Oggar auf seine Frage eingehen würde. »Wir brechen auf«, sagte das Multi-Bewußtsein, in dem Oggar, Sternfeuer und Cpt'Carch vereinigt waren. »Es geht gegen den Schalter.« »Du weißt, wer oder was der Schalter ist?« »Nein. Leider nicht. Für mich ist dieser Impuls, den ich aufgefangen habe, ohne ihn näher definieren zu können, das Zeichen zum Start. Wir werden gegen das Böse antreten, das durch den Schalter verkörpert wird.« Insider setzte sich neben ihn. »Bist du dir deiner Sache so sicher?« »Ich vertraue den alten Prognosen.« »Wir können doch nicht gegen irgend jemanden oder gegen
irgend etwas antreten, von dem wir absolut nichts wissen«, wandte Insider ein. »Wer oder was ist der Schalter? Hast du wirklich überhaupt keine Ahnung?« »Mir ist lediglich bekannt, daß der Schalter ein Werkzeug der eigentlichen Macht ist. Ich meine, dieser erklärte Gegner muß mit Atlan in Berührung gekommen sein. Diese Berührung, wie immer sie auch zustande gekommen sein mag, hat den Impuls ausgelöst.« »Der Schalter ist also nicht derjenige, um den es geht? Über ihm gibt es noch jemanden, der mächtiger ist, und der ihm Befehle erteilt?« »Ich weiß nicht, ob man das so einfach darstellen darf«, erwiderte Oggar nachdenklich. »Vielleicht ist alles viel komplizierter. Wir werden das bald erfahren.« »Du willst also diesem Impuls folgen«, stellte Insider fest, »obwohl du nicht mit letzter Sicherheit sagen kannst, woher und von wem er kommt.« Oggar, der Kunstkörper, in dem die drei Bewußtseinsinhalte lebten, hob abwehrend die Hände. »Warum löcherst du mich mit Fragen über diesen Impuls? Ich weiß zu wenig, als daß ich sie erschöpfend beantworten könnte. Ich kann dir nicht sagen, von wem er kommt, aber ich weiß, wo er entstanden ist. Dorthin werden wir fliegen.« Insider verschränkte seine vier Arme vor der Brust. »Bist du schon mal auf den Gedanken gekommen, daß wir in eine Falle gelockt werden könnten?« »Natürlich habe ich daran gedacht«, antwortete das Multi-Wesen. »So etwas kann man nie ausschließen, doch in diesem Fall glaube ich nicht daran. Dieser Impuls ist nicht so etwas wie ein elektromagnetischer Energiestoß, sondern etwas, das in mir entstanden ist. Ich habe das Gefühl, als wäre mir plötzlich wieder etwas eingefallen, was ich vergessen hatte.« »Ich verstehe«, sagte Insider. »Es hat also mit etwas Übersinnlichem zu tun. Wie sind die Koordinaten unseres Zielgebiets?«
Er erwartete nicht, daß Oggar ihm eine klare Auskunft geben konnte, doch das Mischwesen nannte ihm sofort eine Reihe von Zahlen, die der Extra an das Mnemodukt-I weiterleitete. Insider bewegte sich wie gewöhnlich ungemein schnell. Mit seinen vier Händen bediente er die Tastatur des Mnemodukts so rasch, daß Oggar ihnen kaum mit seinen Blicken folgen konnte. »Klatsch-hurra«, sagte der Extra wenig später. »Da haben wir das Ergebnis. Unser Ziel liegt am Rand der Kugelgalaxis PersMohandot.« Er programmierte das Resultat ein, und wenig später war der HORT startbereit. »Es tut mir leid«, sagte Insider. »Ich habe kein gutes Gefühl. Sollten wir uns nicht noch einmal genau überlegen, ob wir dorthin fliegen? Möglicherweise gibt es andere Ziele, auf die wir uns konzentrieren sollten.« »Für mich kommt nur dieses in Frage.« Seltsam, dachte Insider. Oggar scheint die Gefahr nicht zu spüren. »Wir starten.« Insider erhob keine Einwände mehr, obwohl sich seine innere Unruhe noch steigerte. »Wir starten«, stimmte er zu und verdrängte alle Bedenken. »Wenn es kritisch wird, müssen wir eben kämpfen.« »Das tun wir auf irgendeine Weise ständig«, erklärte Oggar, während er den HORT beschleunigte. »Das Leben ist ein einziger Kampf.« Für das Fernflugmodul des HORTs stellte die riesige Entfernung zu dem Zielgebiet kein Problem dar. Schon einige Stunden später löste das Mnemodukt-II ein Tonsignal aus, um Insider und Oggar anzuzeigen, daß die Verzögerungsphase des Raumflugs auslief. »Na also«, sagte das Multi-Bewußtsein, das zusammen mit dem Extra eine kleine Reparatur an einer Positronik ausgeführt hatte. »Sehen wir uns mal an, wohin uns der Impuls geführt hat.« Ungeduldig und voller Tatendrang eilte Oggar in die Zentrale
zurück. Insider folgte ihm langsam und zögernd, als wolle er gar nicht wissen, wo sie waren. »Das gibt es nicht«, hörte er Oggar rufen, als dieser die Zentrale betrat. »Das ist doch unmöglich.« Verwundert blieb Insider im Eingangsschott der Zentrale stehen. Auf den Bildschirmen zeichnete sich absolut nichts ab. Die nächsten Sterne waren Lichtjahre vom HORT entfernt. »Nanu? Sind wir an unserem Ziel vorbeigeflogen?« fragte er. »Unsinn«, erwiderte Oggar verärgert. »Du hast falsch gerechnet. Wir sind im Leerraum zwischen den Sternen angekommen. Sieh dir das an. Keine Sonne, kein vagabundierender Planet oder sonst ein Himmelskörper. Hier ist kein Raumschiffswrack oder irgendeine Weltraumstation. Hier ist nichts. Überhaupt nichts.« Zwzwkos Gesicht verfärbte sich. Es nahm einen dunkelgrünen Ton an. »Ich habe nicht falsch gerechnet und auch das Mnemodukt so programmiert, wie es sein muß«, verteidigte er sich. »Du warst sehr schnell«, warf ihm Oggar vor. »Vielleicht ein bißchen zu schnell?« »Wir können das überprüfen«, entgegnete der Extra. »Du wirst sehen, daß alles seine Ordnung hat. Wenn du den Impuls richtig ausgewertet hast, dann bezeichnet er uns das Zielgebiet, in dem wir uns befinden.« »Wir wollen uns nicht streiten«, lenkte Oggar ein und setzte sich in einen Sessel. »Du solltest jedoch einsehen, daß wir uns geirrt haben müssen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß wir wirklich dort sind, wo wir eigentlich sein sollten, denn hier ist nichts, was man als Ziel ansehen könnte.« »Das gebe ich zu.« Insider hatte die Zahlen gespeichert, die Oggar ihm genannt hatte. Er ließ sie sich nun wiederholen, verglich sie, stellte fest, daß ihm kein Fehler unterlaufen war, und führte die astronavigatorischen Berechnungen erneut durch.
»Es stimmt«, berichtete er danach. »Wir sind genau da, wo wir sein sollen.« »Das glaube ich nicht.« Insider lächelte. »Du wehrst dich gegen das Ergebnis, weil es dir nicht gefällt. Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir versuchten, herauszufinden, ob hier nicht doch irgend etwas ist, was für uns interessant ist?« »Damit verschwenden wir nur Zeit. Sieh dich um. Wir sind im Nichts.« »Ich gebe nicht so schnell auf, und es paßt nicht zu dir, daß du schon jetzt die Flinte ins Korn werfen willst. Entweder hast du mir unbeabsichtigt die falschen Zahlen genannt oder …« »Das habe ich nicht.« »… oder wir sind am Ziel, und dann sollten wir uns sehr genau umsehen.« Oggar wechselte zum Ortungsleitstand über und nahm die Arbeit daran auf, entschlossen, irgend etwas zu finden, was ihnen weiterhelfen konnte. Auch Insider bemühte sich, in dem Nichts etwas aufzuspüren, was ihnen bestätigte, daß sie sich nicht geirrt hatten. Doch er hatte ebensowenig Erfolg wie Oggar. »Sternfeuer löst sich von mir«, teilte das Multi-Bewußtsein schließlich mit. »Vielleicht erreicht sie mehr als wir.« Für den Extra war keine Veränderung erkennbar. Er wußte jedoch, was Oggar meinte. In diesem lebten neben ihm noch Sternfeuer und Cpt'Carch. Sie bildeten ein Gemeinschaftswesen, das als Einheit sprach, sich jedoch in Einzelwesen auflösen konnte. Der Bewußtseinsinhalt von Sternfeuer trennte sich nun von dem Gemeinschaftswesen ab und glitt in das Nichts hinaus. »Sie ist zurück«, meldete Oggar schon bald darauf. »Und? Was hat sie entdeckt?« »Sie sagt, daß sie ihren Zwillingsbruder Federspiel gedanklich gespürt hat«, berichtete das Multibewußtsein. »Sie zweifelt nicht daran, daß er in der Nähe ist.«
»Das würde bedeuten, daß auch Atlan und die SOL sich irgendwo in diesem Bereich befinden.« »Das ist richtig.« »Ich sehe aber nichts. Und die Ortungsgeräte zeigen nichts an. Wie paßt das zusammen?« »Ich habe darüber nachgedacht, während Sternfeuer weg war. Es gibt eigentlich nur eine Antwort.« »Welche?« »Die Auseinandersetzung zwischen Atlan und dem Schalter spielt sich nicht im realen Raum ab.«
* Oggar und Insider stellten in den folgenden Stunden eine Reihe von komplizierten Berechnungen an und nutzten alle Möglichkeiten, die ihnen die Ortungsgeräte gaben, den umgebenden Raum zu erforschen. Doch das Ergebnis änderte sich nicht. Der HORT stand im Leerraum, und nichts war in der Nähe, was als Ziel angesehen werden konnte. So blieb schließlich nur die Möglichkeit, daß der Impuls sie in einen Raum führen sollte, der nichts mit dem Kontinuum zu tun hatte, in dem sie sich aufhielten. »Es gibt keine andere Lösung«, stellte Insider fest. »Die Frage ist nur, wie wir zu Atlan und der SOL kommen können, wenn wir keine gemeinsame Existenzebene mit ihnen haben.« Oggar saß ihm gegenüber in einem Sessel, und er hielt sich so lässig, als sei er ein organisch gewachsenes Geschöpf, das körperliche Entspannung und Wohlbefinden kannte. Tatsächlich war er jedoch ein Androide, der eine kopfgroße Positronik in der Bauchhöhle hatte. Das Zellplasma, das den Körperkern umgab, bestand aus nichtintelligentem Leben. Das Mnemodukt war mit allerlei Peripheriegeräten umgeben, die den Körper automatisch versorgten und die notwendigen Veränderungen bewirkten.
Obwohl die drei Bewußtseinsinhalte von Oggar, Sternfeuer und Cpt'Carch den Körper beherrschten und steuerten, seine Haltungen und Bewegungen bestimmten, war ihm anzusehen, daß er künstlich war. Seine Außenhaut war im Normalzustand weiß. Sie konnte jedoch ihre Struktur verändern und wurde dann hart, wobei dennoch eine ausreichende Elastizität gewahrt blieb. Sie schimmerte nach einer solchen Anpassung an veränderte Gegebenheiten fahlrosa und hellgrün und war dann praktisch unzerstörbar. Insider hatte sich schon manches Mal gefragt, aus welcher Art Materie sie dann bestand. War es Jenseitsmaterie? Gab es eine Parallele zu Chybrain? Eine Antwort hatte er bisher nicht erhalten. Durch die winzigen Taster, Sensoren, Sprech- und Hörwerkzeuge verfügte der Körper über all das, was normalen Sinnesorganen entsprach. Er hatte jedoch keine technischen Einrichtungen wie etwa Funkanlagen oder ein Ortungssystem. Insider verstand sich mit dem Mischwesen ausgesprochen gut. Eine ernsthafte Auseinandersetzung hatte er mit ihm noch nicht gehabt, und er konnte sich auch nicht vorstellen, daß es irgendwann eine geben würde. »Du hast recht«, sagte das Multi-Bewußtsein. »Wir müssen zu Atlan, und ich meine, es muß irgendeine Art Schleuse geben, durch die wir zur anderen Bezugsebene kommen können.« »Wenn es eine solche Schleuse gibt, wie sollen wir sie dann finden? Wir haben alles versucht und sämtliche Möglichkeiten des HORTs durchgespielt.« »Vielleicht sollten wir in den Linearraum gehen?« Der Extra schüttelte den Kopf. »Das würde uns nicht weiterführen. Wir würden uns zwangsläufig von dem Punkt entfernen, an dem wir jetzt sind. Und das könnte bedeuten, daß unsere Schwierigkeiten nur noch größer würden.« »Was für Möglichkeiten haben wir aber dann noch? Ich sehe keine.«
Oggar war ratlos. Was auch immer Insider und er in den vergangenen Stunden angestellt hatten, es war erfolglos gewesen. Es schien in der absoluten Leere zwischen den Sternen nichts zu geben, was ihnen weiterhelfen konnte. Auch die Suche Sternfeuers hatte im Grunde genommen nicht viel gebracht, außer der Erkenntnis, daß irgend etwas Undefinierbares in der Nähe war, das eine Verbindung zu Federspiel und Atlan ahnen ließ. »Fangen wir noch einmal von vorn an«, schlug der Extra vor. »Nutzen wir alle Möglichkeiten des HORTs. Irgend etwas muß da sein. Es ist uns entgangen.« Oggar schüttelte den Kopf. »Ich muß dich korrigieren, Insider. Es kann uns nichts entgangen sein. Das Mnemodukt hätte für uns Alarm geschlagen. Richtig ist, daß es die Ortungsgeräte nicht erfaßt haben.« Insider lächelte. »Du bist übergenau«, entgegnete er. »Was macht das schon für einen Unterschied?« »Er ist erheblich und entscheidend. Die Positronik kann nichts übersehen, aber wenn die Ortungsgeräte nur 98 Prozent unserer Umgebung erfassen, bleibt eine zu hohe Fehlerquote.« Oggar nickte. »Natürlich. Du hast wiederum recht. Fangen wir also noch einmal von vorn an, und wenn wir auch dann noch nicht weitergekommen sind, wiederholen wir das Ganze.« »Es ist ein Geduldspiel«, stimmte der Grüne zu. »Wir werden es schaffen.« Abermals begannen sie mit der Suche nach der »Schleuse«, von der sie weder wußten, wie sie aussah, welch energetischer Art sie war, und in welchem Bereich sie sich befand. Dieses Mal gingen sie noch erheblich sorgfältiger vor als vorher. Ihre Mühe wurde belohnt. Nach etwa zwei Stunden angestrengter Arbeit lehnte Insider sich seufzend zurück.
»Ich habe etwas«, verkündete er. Oggar sprang auf und eilte zu ihm. Der Extra zeigte auf einen winzigen, leuchtenden Punkt auf dem Ortungsschirm, vor dem er saß. »Das könnte es sein«, erklärte er. »Ein energetisches Punktecho, das ich nicht definieren kann, und das auch durch keines der Peripheriegeräte beschrieben wird. Es ist einfach da. Etwa fünf Lichtminuten von uns entfernt mitten im Leerraum.« Seine Hände glitten über die Tastaturen. Danach erschienen einige Zahlen auf den Bildschirmen. »Moment mal«, jubelte Oggar. »Das ist doch etwas.« »Tatsächlich. Das Mnemodukt konnte etwas mit den Daten anfangen, die ich eingegeben habe. Danach strahlt dieses Ding aus einem übergeordneten Kontinuum in den Normalraum. Schwach, aber immerhin. Es strahlt.« »Das muß der neuralgische Punkt sein, an dem der Übergang möglich ist«, sagte das Mischwesen erregt. Es legte Insider die Hand auf die Schulter. »Ich gratuliere dir.« »Danke für die Blumen«, entgegnete der Alleskönner gelassen. »Es war nichts als ein Zufall. Normalerweise verschwindet so ein Ding in der Toleranzgrenze.« Oggar lachte. »Sternfeuer und Carch beschweren sich«, teilte er mit. »Ihnen geht deine falsche Bescheidenheit auf den Geist.« Der Extra schien diese Worte nicht gehört zu haben. Er gab bereits weitere Daten an das Mnemodukt weiter und schloß eine Reihe von Fragen an. »Das kann ich nicht alles beantworten«, erklärte die Positronik. »Wir sind schon zufrieden, wenn du das tust, was du kannst«, erwiderte Insider. Das Mnemodukt schwieg einige Minuten lang, dann meldete es sich erneut. Insider und Oggar wußten, daß es inzwischen komplizierte Berechnungen angestellt hatte, die ihre Zeit forderten.
»Der Transferpunkt ist sehr klein«, eröffnete ihnen die Positronik. »Er ist auf jeden Fall zu klein für den HORT.« Der Extra und das Mischwesen blickten sich enttäuscht an. Beiden wurde bewußt, daß sie im Geist schon mit dem Aufbruch beschäftigt gewesen waren und dabei als selbstverständlich vorausgesetzt hatten, daß sie mit dem HORT weiterfliegen würden. »Wenn der HORT zu groß ist«, sagte Oggar. »Was für ein Objekt könnte dann diese Schleuse passieren?« »Die SCHNECKE hätte Aussichten, hindurchzukommen. Allerdings dürfte auch sie Schwierigkeiten haben, die mit den besonderen energetischen Bedingungen des Transferpunkts zu tun haben.« »Das habe ich mir bereits gedacht«, entgegnete das MultiBewußtsein. »Hast du uns Vorschläge zu machen?« »Verzichtet darauf, euch dem Energiepunkt zu nähern.« Oggar ließ sich in einen Sessel sinken. »Ich dachte, das Mnemodukt könnte uns etwas Brauchbares empfehlen«, seufzte er. »Wir müssen natürlich fliegen. Das heißt – einer von uns.« »Gut. Ich starte jetzt gleich. Je früher wir klären, was hier überhaupt los ist, desto besser.« Oggar schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich weiß zu schätzen, daß du mir diese Aufgabe abnehmen willst, aber du bist überstimmt. Sternfeuer und Cpt'Carch sind dafür, daß wir gehen. Einer muß beim HORT bleiben. Du.« »Das ist unfair«, protestierte Insider. »Niemand hat etwas von einer Abstimmung gesagt.« »Aber das ist doch selbstverständlich«, lächelte das Mischwesen. »Schließlich muß ich die Meinung der anderen respektieren. Oder würdest du dich einfach über sie hinwegsetzen?« Der Extra erkannte, daß Oggar sich nicht von seinem Entschluß abbringen lassen würde, und er gab nach. »Also schön. Ich bleibe hier an Bord und sorge dafür, daß der
HORT uns erhalten bleibt. Gib mir Nachricht, sobald du kannst.« Oggar nickte nur. Er erhob sich und verließ die Zentrale. Insider folgte ihm bis zur SCHNECKE, dem kleinen Beiboot des HORTs, mit dem er selbst auch schon geflogen war. Die Maschine bot nur wenig Platz, und der Extra sah ein, daß Oggar die größeren Chancen hatte, die bevorstehenden Schwierigkeiten zu überwinden, da ihm die Telepathin Sternfeuer und Cpt'Carch zur Seite standen, wohingegen er selbst auf sich allein gestellt gewesen wäre. »Viel Glück«, sagte er, als Oggar ins Beiboot stieg. »Ich drücke dir die Daumen.« Das Mischwesen grinste breit. »Da du vier Daumen hast, wird das bestimmt helfen.«
2. Oggar steuerte die SCHNECKE auf den Punkt zu, den das Mnemodukt errechnet hatte. Das Beiboot flog ins Dunkel, in dem das Mischwesen nichts erkennen konnte, was irgendwie auffallend war. Dennoch war da etwas. Nur für die Augen Oggars blieb es lange Zeit verborgen. Erst als er sich dem Transferpunkt bis auf wenige hundert Meter genähert hatte, bemerkte er ein schwaches Leuchten. Zunächst war da nur Licht, doch dann unterschied Oggar hellrosa und hellgrüne Farben, die aus dem Nichts zu kommen schienen. Ein Schwall von unverständlichen Impulsen drang auf ihn ein. Er spürte ihn wie einen körperlichen Druck, und er wehrte sich gegen ihn, da er ihn als unangenehm empfand. Auch Sternfeuer und Cpt'Carch zeigten Widerstand. Während sie beide sonst irgendwo im Hintergrund seiner Persönlichkeit existierten, kamen sie nun energisch nach vorn. Beide fürchteten sich. Oggar horchte kurz in sich hinein, und er vernahm das Echo ihrer
lautlosen Schreie. Sie litten. Die unerklärlichen Impulse wirkten wie unsichtbare Keile, die sich zwischen sie drängten und die Telepathin und Carch von ihm abzusprengen drohten. Oggar verzögerte das Beiboot, das nun kaum noch hundert Meter von der Lichtquelle entfernt war. Diese hatte einen Durchmesser von etwa dreißig Metern. Seltsamerweise wurde das Licht um so schwächer und diffuser, je näher das Multi-Bewußtsein kam. Es schien sich zu einem verwaschenen Fleck aufzulösen. Kehre um! schrie es in ihm. Du hast dich geirrt. Du kannst nicht durch dieses leuchtende Etwas fliegen. Es ist unmöglich. Es bringt dich um. Die SCHNECKE flog plötzlich noch langsamer, ohne daß er etwas getan hatte. Es schien, als sei sie in eine immer dichter werdende Atmosphäre geraten, die es ihr unmöglich machte, sich mit hoher Geschwindigkeit voranzubewegen. »Oggar«, tönte es verzerrt aus den Lautsprechern. »Hörst du mich? Wo bist du?« »Ich bin unmittelbar vor dem Transferpunkt, falls es überhaupt so etwas ist«, antwortete er. Jedes Wort fiel ihm schwer. »Ich habe dich nicht mehr in der Ortung.« Die Stimme Insiders war kaum noch zu verstehen. »Du bist verschwunden.« »Noch befinde ich mich in diesem Kontinuum. Aber nicht mehr lange.« Oggar kämpfte mit aller Kraft und Konzentration gegen die Impulse. Die Verbindung zu Insider riß ab. Gleichzeitig begannen die Schutzschirme der SCHNECKE, die bisher unsichtbar gewesen waren, zu leuchten. Fahlgrüne Blitze zuckten um das Beiboot, und die Einwirkung der Impulse auf Oggar wurden immer unangenehmer, so daß es das Multi-Wesen kaum noch in seinem Sessel hielt. Unbändige Kräfte schienen an
seinem Körper zu zerren, und irgend etwas drohte direkten Einfluß auf die Positronik in seiner Bauchhöhle zu nehmen. Als die SCHNECKE das Licht erreichte, änderten sich die Impulse. Aufflammende Kontrollampen verrieten, daß sie nicht nur Einfluß auf ihn zu nehmen versuchten, sondern vor allem auf das Triebwerk und die Schutzschirmpositronik des Beiboots. Erschrocken erhöhte Oggar die Energiezufuhr zu den Schutzschirmen, obwohl der Antrieb dadurch entscheidend geschwächt wurde. Doch er glaubte, keine andere Wahl zu haben. Wenn es ihm nicht gelang, die Impulse abzuwehren, konnte er alle Hoffnungen fahrenlassen, diesen geheimnisvollen Bereich passieren zu können. Die SCHNECKE wurde abermals langsamer, und es schien fast, als würde sie bewegungslos im Raum verharren. Oggar griff sich mit beiden Händen an den Kopf, in dem Sternfeuer und Cpt'Carch nicht nur um den Bestand des Bewußtseinsverbunds kämpften, sondern auch um ihre eigene Existenz. Eine fremde Kraft drohte sie zu vernichten. Ich will durch! dachte das Mischwesen. Ich will. Ich muß es schaffen! Während er sich bemühte, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen dem Energiebedarf der Schutzschirme und dem des Triebwerks zu finden, konzentrierte er sich mehr und mehr darauf, die ominösen Impulse zurückzuwerfen, und dabei ging ihm auf, daß es bei diesem Kampf gegen das Unsichtbare weniger auf die technischen Mittel ankam, die ihm zur Verfügung standen, als vielmehr auf seine geistigen Kräfte, auf seinen Willen, sich zu behaupten. Die SCHNECKE flog plötzlich wieder schneller. Oggar hatte das Gefühl, in einem zähen Brei zu stecken, aus dem er sich nun langsam freikämpfte. Alles, was ihn aufgehalten hatte, schien von ihm abzutropfen.
Die Daseinsebene, aus der er kam, glitt plötzlich von ihm weg, und er wechselte auf eine andere über. Fahlgrüne und rote Lichter umtanzten das Raumschiff, bis gleißend helle Glut vor ihm auftauchte. Ich fliege mitten in eine Sonne! durchfuhr es ihn, und eisiger Schrecken lähmte ihn. Jetzt wäre er gern umgekehrt, da es so schien, als könne er der Vernichtung nicht mehr entgehen. Die SCHNECKE schien in den Flammenlohen einer Sonnenkorona zu tanzen. Die Mächte eines Energiesturms schienen sie zu packen und zu schütteln, so daß Oggar meinte, sich nicht mehr in seinem Sessel halten zu können. Doch ebenso plötzlich, wie dieser Eindruck entstanden war, legte er sich wieder. Ruhig und erschütterungsfrei glitt das Beiboot durch einen schwarzen Raum, der so leer zu sein schien wie jener, aus dem das Mischwesen gekommen war. Wir sind durch! jubelten Sternfeuer und Cpt'Carch. Nichts behindert uns jetzt noch. Oggar lehnte sich aufatmend in seinem Sessel zurück. Die Ruhe irritierte und verunsicherte ihn. Waren tatsächlich alle Schwierigkeiten überwunden? Befand er sich nun auf einer anderen Daseinsebene, von der aus es keine Verbindung mehr mit Insider gab? Er war versucht, den HORT über Funk zu rufen, zog die Hände jedoch rasch von den Tastaturen zurück, weil er sich nicht durch derartige Aktivitäten auf sich aufmerksam machen wollte. Zunächst muß ich klären, wo ich überhaupt bin, dachte er und richtete seine Blicke auf die Bildschirme, die ihm den Raum hinter der SCHNECKE zeigten. Verblüfft stellte er fest, daß es keinerlei Anzeichen für den Transferpunkt gab. Zumindest in unmittelbarer Nähe des Beiboots leuchtete nichts. Gleißende Lichter waren weit von ihm entfernt. Sie leuchteten durch eine gewaltige Kuppel, die sich über ihm wölbte, und sie
ließen ihn an Sterne am Himmel denken. Auf den Monitorschirmen vor ihm kamen die ersten Ortungsergebnisse herein. Sie waren so überraschend, daß Oggar an eine Täuschung glaubte. Er löschte sie und forderte neue an. Doch als diese Sekunden darauf einliefen, unterschieden sie sich durch nichts von den vorangegangenen. Das gibt es doch nicht! dachte das Mischwesen verblüfft. Wenn das richtig ist, befinden wir uns ziemlich genau im Mittelpunkt einer gewaltigen Hohlkugel, die einen Durchmesser von etwa 14 Millionen Kilometern hat, und die an einigen Stellen durchlöchert zu sein scheint wie ein Käse. Weitere Untersuchungen brachten zu Tage, daß die Innenfläche der Hohlkugel aus Nickel bestand, und daß die Öffnungen, deren Zahl im Vergleich zu der riesigen Fläche der Hohlkugel denkbar gering war, einen Durchmesser von kaum fünf Kilometern hatten. Die Verwirrung Oggars steigerte sich. Wo war er? War dies eine reale Welt, oder träumte er? War er in einen unwirklichen Zustand hinübergeglitten, ohne es zu merken, und hielt er sich nun in einer Welt auf, in der die astrophysikalischen Bedingungen, wie er sie als allein geltend kennengelernt hatte, nicht mehr existierten? Was war dies für eine Hohlwelt? Und wer hatte sie geschaffen? Hidden-X? Hatte der Schalter damit zu tun? Es schien so. Die Tatsache, daß über neunundneunzig Prozent der inneren Kugelfläche aus Nickel bestand, wies darauf hin. Welche Bedeutung aber hatten die gleißend hellen Öffnungen? Sie mußten eine Funktion haben. Doch welche? Und warum leuchtete es so grell durch sie herein, daß er das Licht selbst über eine Entfernung von annähernd 700 000 Kilometern hinweg als blendend
empfand? Ich kann nicht hier bleiben, überlegte er. Ganz sicher gibt es irgend jemanden, der dafür sorgt, daß sich niemand in dieser Hohlkugel herumtreiben kann, der darin nichts zu suchen hat. Ich bin in einem Instrument von Hidden-X, dachte das MultiBewußtsein. Und ich bin gegen den Willen von Hidden-X hier. Lange brauche ich auf eine Gegenreaktion bestimmt nicht zu warten. Es gab nur einen Weg, dem er folgen konnte – er mußte versuchen, durch eine der Öffnungen nach außen zu kommen. Doch das Gleißen und Leuchten dieser Durchgänge war keineswegs verlockend. Fernmessungen zeigten ihm an, daß er mit Temperaturen zu kämpfen haben würde, welche die SCHNECKE bis über die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit hinaus belasten würden. Dennoch muß ich es riskieren, denn ich kann nicht bis in alle Ewigkeit in dieser Hohlkugel bleiben. Es muß eine Außenwelt geben, und nur in ihr komme ich weiter. Während er das Beiboot beschleunigte und auf einen Kurs zu einem der Ausgänge brachte, fragte er sich, ob er im Innern einer Hohlsonne gelandet war. Gar so unwahrscheinlich kam es ihm nicht vor, wenngleich ihm nicht in den Kopf wollte, daß ein astrophysikalisches Gebilde dieser Art existierte. Er horchte in sich hinein. Von dem geistigen Druck, der ihm den Durchgang zu dieser Daseinsebene erschwert hatte, war kaum noch etwas zu spüren. Geblieben war lediglich eine Art Hintergrundrauschen. Die SCHNECKE beschleunigte. Die größten Schwierigkeiten schienen überwunden zu sein. Oggar richtete seine Aufmerksamkeit nun ganz auf die Öffnungen. Sie stellten die nächste Barriere auf seinem Weg in den freien Raum dar. Dann wandte er sich jedoch der Positronik zu, um sie zu überprüfen.
In diesem Moment kam der Schlag, und er traf ihn völlig unvorbereitet. Er wurde mit geistigen Waffen und aus dem Nichts heraus so energisch geführt, daß das Multi-Bewußtsein beinahe zusammenbrach. Es verlor die Kontrolle über seinen Androidenkörper und kippte nach vorn. Oggar prallte mit der Stirn gegen die Kante des Kontrollpults, und für einige Sekunden wußte er nicht, wo er war, und was mit ihm geschah. Doch dann wehrte sich das Dreierbewußtsein. Vor allem Sternfeuer kämpfte gegen die drohende Vernichtung. Sie bäumte sich auf und versuchte, sich, Oggar und Cpt'Carch abzuschirmen. Das gelang ihr zumindest teilweise. Es ist ein robotisches Bewußtsein, das uns angreift, schrie sie, und sie war in diesen überaus kritischen Sekunden von Oggar und Cpt'Carch völlig abgelöst, so als habe sie den Dreiverbund verlassen. Immerhin verhalf sie den beiden durch ihre entschlossene Abwehr zu einer kurzen Erholungspause, die beide nutzten, um sich zu regenerieren. Gemeinsam stellten sie sich danach der robotisch-geistigen Macht entgegen, die sie vernichten wollte. Jetzt erfaßten sie, daß sie es mit einem außerordentlich gefährlichen und mächtigen Gegner zu tun hatten, der nicht so ohne weiteres abzuwehren war. Eine unsichtbare Hand schien die SCHNECKE mit ihren Insassen zu umschließen. Sie drohte, sie zu erdrücken. Oggar merkte schnell, daß sie das Anti-Bewußtsein, wie er den Angreifer nannte, mit gleichen Mitteln nicht besiegen konnten. Sie vermochten sich gegen den geistigen Druck für eine gewisse Zeit zu behaupten, aber sie konnten ihn nicht beseitigen. Instinktiv wandte sich das Mischwesen zur Flucht. Es lenkte die SCHNECKE in die entgegengesetzte Richtung, um eine möglichst große Entfernung zwischen sich und dem Anti-Bewußtsein zu legen.
Doch der Erfolg dieser Aktion war gleich Null. Der geistige Druck ließ nicht nach. Wir müssen uns trennen, signalisierte Oggar den beiden anderen. Wir müssen unsere Einheit zumindest vorübergehend aufgeben und das Anti-Bewußtsein dadurch zwingen, seine Kräfte zu zersplittern. Nur dann haben wir eine Chance, den Angriff zu überleben. Das wäre falsch, protestierte Sternfeuer, die sich mehr und mehr von ihm ablöste, ohne die geistige Einheit mit ihm aufzugeben. Das robotische Bewußtsein würde uns einzeln angreifen und umbringen. Wir müssen es zumindest versuchen, drängte er. Diesem Gedanken gab Sternfeuer nach. Oggar und Carch fühlten, wie sie sich von ihnen absonderte, und zunächst schien es so, als sei dies der richtige Weg. Doch dann traf ein derart wuchtiger Angriff das Multi-Bewußtsein, daß dieses beinahe getötet worden wäre. Oggar schrie in seiner Angst und Verzweiflung. Er sah sich plötzlich vor einem Abgrund, und er wußte nicht mehr, wie er sich vor ihm retten sollte. Das Anti-Bewußtsein schnürte ihn ein, und er kam sich vor wie jemand, der eingebrochen und unter das Eis geraten war. Panik stieg in ihm auf, während er nach einem Ausweg suchte. Längst bereute er, daß er Sternfeuer mit seinem Vorschlag aus dem Verbund vertrieben hatte. Er rief sie und hoffte, daß sie seine geistigen Impulse auffangen würde. Die fremde Macht schien ihn aus der SCHNECKE zu ziehen. Er wähnte sich außerhalb des Beiboots, und er meinte, sich selbst sehen zu können, so als ob er seinen Körper verlassen hätte. Er schien sich von der SCHNECKE zu entfernen. Sternfeuer! schrie es ihn ihm. Hilf mir doch! Er machte sich heftige Vorwürfe, weil er unvorbereitet in dieses Abenteuer gegangen war. Keinen einzigen Gedanken hatte er darauf verwandt, welche Entwicklung seine Expedition ins Ungewisse nehmen würde. Er war einfach mit der SCHNECKE
gestartet und zu dem Transferpunkt geflogen. Ich hätte die verschiedenen Möglichkeiten durchspielen müssen, dachte er nun. Wenn ich es getan hätte, wäre ich nicht so leicht überrumpelt worden. Doch nun war es zu spät. Das Anti-Bewußtsein hatte ihn gepackt und hielt ihn fest. Er spürte, daß sich ihm ein immaterieller Körper näherte, und daß der Druck, der von diesem ausging, immer stärker wurde. Warum griff Sternfeuer nicht ein? Mit höchster Konzentration stemmte er sich dem Fremden entgegen. Er kämpfte sich in das Beiboot zurück und fand sich hier in seinem Körper wieder. Seine Hände zuckten vor und glitten über die Schalter der Bordkanone. Sonnenhelle Energiestrahlen fuhren aus den Projektoren und rasten in das Nichts hinaus, wo sie nicht die geringste Wirkung erzielten. Das Anti-Bewußtsein schien die Strahlen noch nicht einmal wahrzunehmen. Wir müssen weichen, meldete sich Cpt'Carch. Es hat keinen Sinn, wenn wir bleiben. Oggar war bereits so geschwächt, daß er nicht mehr antworten konnte. Er folgte Sternfeuer und glitt hinaus in die Leere. Augenblicklich wurde er frei. Das robotische Bewußtsein schien nicht mit einer derartigen Flucht gerechnet zu haben. Oggar glaubte, sehen zu können, wie es den Raum nach ihm abtastete und ihn suchte. Er spürte die Nähe von Sternfeuer, während er sich mit ständig wachsender Geschwindigkeit von der SCHNECKE entfernte, und sie blieb bei ihm. Bald erkannte er, daß die Innenseite der Hohlkugel keineswegs so glatt war, wie er zunächst angenommen hatte, und er fragte sich verwundert, warum er nicht früher auf den Gedanken gekommen
war, sie eingehender zu untersuchen. An der Nickelwand klebten verschiedene Maschinen. Sie sahen fremdartig und bizarr aus, so daß er nicht erkennen konnte, welche Arbeiten sie leisteten und wofür sie eingerichtet worden waren. Die Angriffe gegen mich können nur von dort ausgehen, dachte er. Zur Zeit fühlte er sich frei, doch er fürchtete, daß die erdrückenden Angriffe wieder beginnen würden, sobald er zur SCHNECKE zurückkehrte. Dorthin aber mußte er, da er ohne die Waffen des Beiboots nichts gegen die Maschinen an der Hohlwand ausrichten konnte. Dir bleibt nicht lange Zeit, sagte er sich. Du mußt in den Körper zurück, und dann mußt du blitzschnell zuschlagen. Er führte seinen Entschluß augenblicklich durch. Kaum war er jedoch in dem Androidenkörper, als das Anti-Bewußtsein mit geradezu schmerzlicher Wucht angriff. Oggar glaubte, zerrissen zu werden. In höchster Not nahm er einige Schaltungen vor und beschleunigte die SCHNECKE, so daß sie sich der Innenwand der Hohlkugel näherte. Dann floh er erneut aus seinem Körper, nachdem er vergeblich versucht hatte, Verbindung mit Carch oder Sternfeuer zu bekommen. Beide antworteten nicht. Waren sie tot? Waren sie dem robotischen Gegenspieler erlegen? Er konnte es nicht sagen. Der ihn umgebende Raum war leer. Sobald er sich weit genug von der SCHNECKE entfernt hatte, wich der Druck des Anti-Bewußtseins. Wiederum erschien es so, als könne dieses ihn nicht finden. Oggar begleitete das Beiboot auf seinem Flug, bis es nur noch etwa fünfzigtausend Kilometer von der Innenwand der Hohlkugel entfernt war. Dann sprang er in seinen Körper, aktivierte ihn, stieß mit den Händen zu den Schaltern vor und löste den Thermostrahler aus.
Weiß leuchtende Energiestrahlen zuckten aus den Projektoren und schlugen in die Maschinen. Sie lösten bei einigen von ihnen Explosionen aus und bewirkten bei einigen anderen den augenblicklichen Zerfall. Als Oggar einen geistigen Angriff auf sich bemerkte, wich er aus und floh erneut aus seinem Körper. Um die SCHNECKE machte er sich keine Sorgen. Er wußte, daß die Positronik das Beiboot abbremsen würde, bevor es gegen die Nickelwand prallen konnte. Der Schaden, den er angerichtet hatte, war offenbar noch nicht groß genug. Irgendwo lauerte das Anti-Bewußtsein noch auf ihn, bereit, ihn zu vernichten, sobald er sich zu seinem Körper wagte. Oggar wußte, welche Gefahr ihm drohte, doch er konnte sich in der Leere nicht halten. In der unmittelbaren Nachbarschaft der Nickelwand existierten eine Reihe von energetischen Feldern unterschiedlichster Art und Stärke, zwischen denen er hin und her gerissen wurde, und die seinen Bestand bedrohten. Als er sich darüber klar wurde, daß er dicht vor der Auflösung stand, aus der es dann kein Zurück mehr geben würde, entschied er sich dafür, den Kampf von seinem Körper aus bis zum Ende durchzustehen. Kaum hatte er sich dazu entschlossen, als er auch schon in den Androiden zurückkehrte, ohne sein Vorhaben noch einmal zu überdenken. Carch war da, und er war erleichtert, daß er nun nicht mehr allein zu kämpfen brauchte. Der erwartete Druck kam augenblicklich. Doch dieses Mal war Oggar besser darauf vorbereitet als zuvor. Er hatte damit gerechnet, und es gelang ihm, sich gegen ihn zu behaupten. Der Widerstand kostete ihn jedoch soviel Kraft, daß er sich nicht lange halten konnte. Es muß in spätestens einer Minute vorbei sein, oder es ist aus mit mir, fuhr es ihm durch den Sinn. Er feuerte den Thermostrahler erneut ab. Energiestrahl auf
Energiestrahl raste in die Leere hinaus. Und jeder Schuß fand sein Ziel. Oggar glaubte, von schwachen, elektrischen Strömen getroffen zu werden. Er schüttelte sich wie in einem Fieberanfall, so daß er die Bewegungen seiner Hände kaum noch koordinieren konnte. Dann aber zog sich das Anti-Bewußtsein schlagartig zurück. Es ist hinüber, jubelte Sternfeuer, die sich in diesem Moment in das Multi-Bewußtsein einfügte. Der letzte Schuß war ein Volltreffer. Du hättest früher kommen müssen, warf er ihr vor. Unmöglich. Ich habe es versucht, verteidigte sie sich. Dann überwanden sie den Zustand, in dem sie drei Persönlichkeiten waren, die unabhängig voneinander lebten und nur mit besonderen Anstrengungen miteinander kommunizieren konnten. Sie verschmolzen zu einer Einheit, in der die Verständigung so rasch erfolgte, daß keine formulierten Gedanken mehr notwendig waren, und in der Meinungsverschiedenheiten im Unterbewußtsein innerhalb von Sekunden ausgetragen und bereinigt wurden. Ich bin frei, dachte das Mischwesen. Hidden-X hat verloren. Aber es war knapp. Es hätte auch anders kommen können. Und noch nachträglich fuhr ihm der Schrecken in die Glieder. Der unwirkliche Kampf war zu Ende, doch eine Drohung blieb. Oggar blickte auf die Bildschirme, auf denen sich mehrere der zerstörten Maschinen abzeichneten. Eine oder mehrere von ihnen hatten auf parapsychologischer Basis gearbeitet oder doch mit Mitteln, die ähnlich gelagert waren. Sie erschienen ihm so unwirklich wie der Übergang von der einen Daseinsebene in die andere, von einem Kontinuum in das andere, von der Welt des HORTs in diese Hohlkugel, deren Dimensionen so gewaltig waren, daß sie nur in der Schwerelosigkeit des Weltraums bestehen konnte.
3. Oggar war so erleichtert über den Erfolg gegen die robotischen Maschinen, daß er die Schwierigkeiten, die er nun noch zu meistern hatte, unterschätzte. Er war erschöpft von dem überstandenen Kampf, und er genoß das Gefühl der Einheit mit Sternfeuer und Cpt'Carch, während sich seine Blicke auf eine der Öffnungen in der Hohlwand richteten. Da diese einen Durchmesser von etwa fünf Kilometern hatten, waren sie groß genug für die SCHNECKE, so daß diese sie ohne weiteres hätte passieren können, wenn da nicht die wabernde Glut gewesen wäre. Glühende Gaswolken schossen mit wahnwitziger Geschwindigkeit hin und her, brachen wallend tief in das Innere der Hohlkugel ein, als wollten sie wie tastende Finger nach der SCHNECKE greifen, erloschen jedoch, bevor sie sie erreichen konnten. Wie weit reicht diese Glut nach außen? fragte Oggar sich. Er zweifelte nun nicht mehr daran, im Innern einer Hohlsonne zu sein. Daher war für ihn sicher, daß die Glutmassen über der Öffnung nur einen schmalen Gürtel bildeten. Wenn ich schnell genug fliege, bin ich in wenigen Sekunden durch, überlegte er. Für diese Zeit halten die Schutzschirme die Hitze ab. Er nahm einige Fernmessungen vor und stellte Berechnungen über den Flug an. Danach festigte sich seine Ansicht, daß er die Hitzebarriere mühelos überwinden konnte. Er übersah dabei, daß er einen schwerwiegenden Fehler gemacht hatte, und daß die Voraussetzungen seiner Kalkulation nicht stimmten. Ruhig und gelassen bereitete er den Start vor, wobei er sich mehr damit beschäftigte, was ihn hinter der wabernden Glut wohl erwarten mochte, als mit dem Durchbruch selbst. Das änderte sich auch nicht, als er beschleunigte. Erst als die SCHNECKE in die ersten Gaslohen tauchte, kamen
ihm Bedenken. Flog er schnell genug? Wenn er in eine Art Protuberanz geriet, dann konnte diese unter Umständen Hunderttausende von Kilometern weit ins All hinausreichen. Für diesen Fall blieb die SCHNECKE zu lange im Hitzebereich. Wie dick war die Schale der Hohlkugel? Erschrocken erkannte er, daß er sich darüber keine Gedanken gemacht hatte. In der Euphorie seines Sieges über die Roboter hatte er es vergessen. Jetzt wurde ihm klar, daß die Öffnung, die vor ihm lag, in einen Tunnel führen konnte, der viele tausend Kilometer lang war. Die Hohlkugel hatte einen inneren Durchmesser von etwa 14 Millionen Kilometern. Wie groß aber war der Durchmesser der gesamten Sonne? Möglicherweise war sie doppelt so groß oder gar noch größer. Am liebsten hätte Oggar den Flug abgebrochen. Doch das konnte er nicht mehr. Die SCHNECKE flog zu schnell, und sie befand sich bereits in der Glutzone. Es gibt nur einen Weg, überlegte er. Ich muß schneller fliegen. Jetzt bleibt mir nur noch, alles auf eine Karte zu setzen. Er beschleunigte mit höchstmöglichen Werten und raste in die wabernde Glut hinein. Die Alarmpfeifen der SCHNECKE begannen zu heulen. Lichter zeigten an, daß die Schutzschirme überlastet wurden. Das Mnemodukt-II übernahm die Kontrolle über das Raumschiff und setzte sich damit über den Willen Oggars hinweg. Dieser protestierte nicht, weil er erkannte, daß er einen Fehler gemacht hatte, und daß nur noch die Positronik ihn retten konnte. In den tobenden Gasmassen taumelte das Beiboot nahezu hilflos hin und her. Oggar klammerte sich an seinen Sessel. Er spürte die Hitze, die durch die Schutzschirme drang. Trotz der Maßnahme, die das Mnemodukt-II ergriffen hatte, geriet
die SCHNECKE in höchste Gefahr. Die Kräfte, die in dem glühenden Kanal tobten, waren zu groß für das Kleinraumschiff. Oggar spürte Panik in sich aufkommen. Er wußte nicht mehr, was er tun sollte. Mittlerweile war er sich dessen ganz sicher, daß er sich in einer Sonnenkorona befand und nicht in einem anderen astrophysikalischen Gebilde, und ihm war klar, daß die Temperaturen noch ansteigen würden, sobald er die Wand der Hohlsonne durchstoßen hatte. Wir können uns nicht halten! schrie es in ihm. Verzweifelt versuchte er, die SCHNECKE noch mehr zu beschleunigen, um sie so kurz wie nur irgend möglich in der Gluthölle verweilen zu lassen. Das Beiboot wurde jedoch so stark hin und her geworfen, daß er die Schaltungen nicht mit den Händen erreichen konnte. Flackernde Lichter auf den Instrumentenkonsolen zeigten ihm überdies an, daß er die Leistung des Triebwerks nicht mehr erhöhen durfte, weil er dazu zuviel Energie von den Schutzschirmen abziehen mußte. Diese aber würden vollends zusammenbrechen, wenn sie geschwächt wurden. Die Lage war ausweglos geworden. Oggar verfluchte seinen Leichtsinn und die Euphorie, in die er nach seinem Sieg über die robotischen Maschinen geraten war. Er hatte zu schnell und unüberlegt entschieden. Wir müssen den Körper verlassen, drängten Sternfeuer und Carch in ihm. Wir müssen raus. Es wäre unser Ende, wenn wir noch länger blieben. Oggar wehrte sich dagegen, den Androidenkörper aufzugeben. Wohin sollte er sich danach wenden? Als körperloses Wesen konnte er nur für eine begrenzte Zeit existieren. Er konnte sich nur retten, wenn er ein lebendes Wesen in greifbarer Nähe fand. Er glaubte jedoch nicht daran, daß es das in der unmittelbaren Umgebung der Hohlsonne gab. Wir haben keine andere Wahl, beteuerte Sternfeuer und Carch. In der
SCHNECKE haben wir keine Chance. Oggar blickte auf die Schutzschirme. Er sah, daß wabernde Glut durch die Energiehülle schlug und sich der Außenhaut des Beiboots näherte. Das Ende schien unabwendbar zu sein, denn obwohl die SCHNECKE mit hoher Geschwindigkeit flog, konnte er nicht erkennen, wie weit die Sonnenkorona ins All hinausreichte, und wann er sie mit dem Raumschiff verlassen würde. Er gab seinen Widerstand auf. Gemeinsam mit Sternfeuer und Cpt'Carch wich er aus dem Körper. Die drei Bewußtseinsinhalte klammerten sich aneinander. Sie flüchteten ins All hinaus und ließen sich treiben. Gibt es irgendwo Leben? fragte Carch. Ich weiß nicht, antwortete die Telepathin. Das körperlose Mischwesen wußte nicht, wohin es sich wenden sollte. Jetzt wurde deutlich, daß der Kampf gegen die parapsychisch wirksamen Roboter zuviel Kraft gekostet hatte. Die Energie, den Raum schnell und entschlossen nach intelligentem Leben abzutasten, fehlte, und der Zerfall setzte sich fort. Oggar erkannte, daß sie sich aus eigener Kraft nicht mehr retten konnten. Sie waren noch nicht einmal mehr in der Lage, sich umzusehen und ihre nähere Umgebung abzusuchen. Wir sterben, dachte er erschrocken, und er glaubte, eine eisige Hand zu fühlen, die aus der Leere des Weltraums nach ihm griff. Daß die SOL in der Nähe war, merkte das Mischwesen nicht. Sternfeuer stellte ihre kraftlosen Bemühungen ein. Sie gab auf. Sie war bereits zu schwach. Plötzlich aber schien das Multi-Bewußtsein von einem Blitz getroffen zu werden. Oggar empfing einen geistigen Impuls, der ihn zu einer sofortigen Reaktion zwang. Er folgte dem Signal, weil dieses ihm Rettung in letzter Sekunde verhieß. Doch kaum hatte er das Ziel erreicht, zu dem ihn der Impuls
geführt hatte, als er auch schon erfaßte, daß er in eine Falle geraten war, aus der es kein Entkommen mehr gab.
* Etwa zur gleichen Zeit betrat Breckcrown Hayes die Ortungsstation der SOL. Gerade in diesem Moment meldete Zorg Namok ein winziges Objekt, das aus der Sonne Super geschleudert wurde. Hayes ging zu ihm. »Das könnte ein kleines Raumschiff oder etwas Ähnliches sein«, sagte Namok. »Einholen und bergen«, befahl Hayes. »Wir nehmen es an Bord.« »Ich werde es veranlassen«, erwiderte der Ortungsspezialist. Hayes nickte nur. Die Urlauber-Landeaktion war praktisch abgeschlossen. Tdibmufs mußte den Eindruck gewinnen, daß 80 000 Solaner in der Landschaft im Nichts Erholung suchten. Tatsächlich aber waren nur 260 Menschen dort. Alles andere waren Roboter mit dem Äußeren von Solanern. Noch schien niemand diesen Trick durchschaut zu haben, der einer sorgfältigen Prüfung kaum standgehalten hätte, doch eine solche hatte es bisher nicht gegeben, und es sah auch nicht danach aus, als ob eine eingeleitet werden würde. Breckcrown Hayes und seine Stabsspezialisten fragten sich schon seit Tagen, warum diese Täuschung bisher so reibungslos geglückt war. Verzichteten die Machthaber der Landschaft im Nichts darauf, die vorgeblichen Solaner zu überprüfen? Oder gab es gar keine Machthaber der Landschaft im Nichts? Oder waren sie – wenn es sie gab – von der Aktion Solanias oder Atlans so abgelenkt, daß sie sich mit den vermeintlichen Urlaubern nicht ausreichend beschäftigen konnten? Oder waren sie einfach nur leichtgläubig?
Das konnte Hayes sich nicht vorstellen, und daher verunsicherte ihn die augenblickliche Situation der SOL und ihrer Besatzung. Von Atlan und seinen Begleitern fehlte jedes Lebenszeichen. Niemand wußte, was mit ihnen geschehen war, da keine Nachricht von ihnen abgestrahlt worden war. Selbst der telepathisch begabte Breiskoll hatte sie nicht gefunden, als Hayes ihn gebeten hatte, sie aufzuspüren. Doch das war nicht weiter verwunderlich angesichts der merkwürdigen Verhältnisse der Landschaft im Nichts. Lediglich Vorlan Brick meldete sich regelmäßig mit kurzen Funkimpulsen. Doch er wußte nichts von Atlan. Hayes war froh darüber, daß die Ortungsspezialisten diesen Körper ausgemacht hatten, der aus der Sonne gekommen war. Endlich bewegte sich etwas. Er hoffte, Hinweise zu erhalten, die ihm halfen, die Lage besser zu beurteilen und irgend etwas zu unternehmen. Ungeduldig wartete er daher, bis der halbkugelförmige Körper an Bord der SOL war. Er befahl, ihn in einen Hangar zu bringen und untersuchen zu lassen. Zusammen mit Breiskoll ging er zu dem Hangar, um sich das Objekt anzusehen, das ihm inzwischen beschrieben worden war. Erstaunt betrachtete er die Gestalt, die vor der Halbkugel stand, als sich das Hangarschott vor ihm geöffnet hatte. Er sah sogleich, daß er es mit einem Androiden zu tun hatte. »Wer bist du?« fragte er. »Das Mnemodukt-II«, antwortete der Fremde. »Nur mit eurer Hilfe ist es mir gelungen, die SCHNECKE aus der Sonne zu bringen. Das Beiboot ist dabei allerdings beschädigt worden und muß repariert werden. Die Hitze in der Sonnenkorona war zu groß, und die Turbulenzen zu stark. Allein hätte ich mich nicht retten können. Besten Dank also für eure Hilfe.« Hayes und Breiskoll ließen sich von dem höflichen Benehmen des Mnemodukts nicht ablenken. Sie waren argwöhnisch und
vorsichtig. Allzu gut erinnerten sie sich noch an Wesen wie die Alphas und die Orders, speziell an Order-7. Sie wollten keinen Fehler machen und fürchteten, daß der Androide von den Machthabern der Landschaft im Nichts geschickt worden war und ihnen eine Falle stellen sollte. Mißtrauisch machte sie auch, daß das Wesen ihre Sprache benutzte. Hayes blickte Breiskoll an. Dieser schüttelte den Kopf und gab ihm damit zu verstehen, daß sie es bei diesem Kunstgeschöpf nicht mit einem Lebewesen zu tun hatten, da es in ihm kein Bewußtsein gab. »Wir werden dir helfen«, versprach der High Sideryt. »Das Boot wird repariert. Allerdings erwarten wir einige Antworten und Informationen von dir. Wer bist du? Wieso kommst du aus der Sonne?« »Ich bin Oggar«, erwiderte das Mnemodukt, als sei damit alles gesagt. »Und wer ist Oggar?« fragte Hayes. »Du bist ein Androide und wirst von einer Positronik gelenkt. Bezeichnest du diese Einheit als Oggar?« »Nein«, entgegnete das Mnemodukt. »Oggar weilt zur Zeit nicht in mir. Er mußte mich verlassen, weil die Bedingungen während des Fluges durch die Sonnenkorona für ihn und die anderen unerträglich wurden. Er wäre gestorben, wenn er in mir geblieben wäre. Selbst ich wäre beinahe vernichtet worden.« »Oggar und die anderen?« Hayes Argwohn stieg. »Willst du nicht genauer sein? Eine Positronik sollte sich nicht mehrdeutig äußern, sondern klar und verständlich.« »Ich bin hier, weil ich Atlan in seinem Kampf gegen den Schalter, einem Diener einer grausamen Macht, helfen will, die sich jetzt Hidden-X nennt. Dieses Hidden-X hat, früher allerdings unter einem anderen Namen, diesen Abschnitt des Kosmos seit undenklichen Zeiten in Unfreiheit und Vernichtung gestürzt.« »Du willst Atlan helfen? Nun, er ist nicht hier. Er hat die SOL mit einer Expedition verlassen, und wir wissen nicht, wo er ist.«
»Ich könnte vorläufig auch kaum etwas für ihn tun«, gestand das Mnemodukt, »da die drei Bewußtseinsinhalte nicht bei mir sind.« »Welche drei Bewußtseinsinhalte?« fragte Breiskoll verwirrt. »Oggar war nicht allein in mir, sondern auch ein Wesen namens Sternfeuer und ein anderes, das sich Cpt'Carch nennt. Diese drei sind normalerweise in diesem Körper.« Der Androide legte sich die Hände an die Brust, als sei er stolz auf sich und seine Leistung. »Und Cpt'Carch ist dadurch endlich geboren worden.« Breiskolls Miene entspannte sich, und er lächelte bei dem Gedanken an Cpt'Carch und dessen häufige Redewendung, alles werde anders und vor allem besser werden, wenn er erst einmal geboren sei. Angesichts der früheren Ereignisse um Cpt'Carch und Sternfeuer überzeugte ihn die Aussage des Androiden. Nur wer Cpt'Carch kannte, konnte wissen, wie dieser sich über seine Geburt geäußert hatte. Doch das allein führte nicht dazu, daß Breiskoll dem Kunstwesen glaubte. Entscheidend war vielmehr, daß dieses nicht jenes undefinierbar Böse ausstrahlte, das von der Landschaft im Nichts ausging. Der Telepath befragte das Mnemodukt nun näher nach Oggar, Sternfeuer und Carch und ließ sich genau beschreiben, was geschehen war. Der Androide gab bereitwillig Auskunft, und er schloß mit der Bitte: »Suche nach Oggar, Sternfeuer und Carch. Sie müssen irgendwo in der Nähe sein, und wenn du telepathische Fähigkeiten hast, wie du mir gesagt hast, dann müßtest du sie finden. Falls sie noch leben.« Breiskoll erfüllte die Bitte des Mnemodukts, zumal er hoffte, dabei eine weitere Bestätigung für den Wahrheitsgehalt der Aussage des Androiden zu bekommen. Doch er hatte keinen Erfolg. Seine parapsychische Suche führte ins Leere.
*
Während Oggar, Sternfeuer und Cpt'Carch in eine Falle gerieten und Breckcrown Hayes, Breiskoll und der Androide miteinander verhandelten, irrte die Molaatin Sanny durch den Zentralkegel der Landschaft im Nichts. Sie war auf der Flucht vor den Wachrobotern der Anlage. Der Roboter, der sich der »Heimatlose« nannte, begleitete sie. Atlan und Bit hatte sie längst aus den Augen verloren. Als sie durch eine Tür schritt, fand sie sich in der Halle wieder, in der sich die gewaltigen Maschinen erhoben, in denen Atlan Antigravaggregate vermutet hatte. Die Tür schloß sich hinter ihr, und sie drehte sich um. Der »Heimatlose« überragte sie wie ein Berg aus Metall. Er war etwa 2,50 Meter groß, und sie reichte ihm kaum bis an die klobig wirkenden Knie. In den benachbarten Räumen rumorte es. Polternde Schritte ertönten. Sie wiesen darauf hin, daß Roboter nach ihnen suchten. »Wir müssen aufpassen«, sagte die Instinktmathematikerin in molaatischer Sprache. »Diese Roboter halten dich für einen Abtrünnigen.« »Das bin ich ja auch«, antwortete der »Heimatlose«. »Ich habe endlich eine normale Molaatin gefunden. Und das ist Grund genug für mich, zu dir zu stehen.« »Das könnte für dich gefährlich werden«, stellte sie fest. »Was passiert? Werden von irgendwoher Kommandos erteilt?« »Nein«, antwortete die Maschine. »Ich bin vom Informationsfluß abgeschnitten.« Sanny fühlte sich von nicht bestimmbarer Seite bedroht. Das Netz, das ihr unbekannter Gegenspieler um sie spannte, wurde immer enger, und sie wußte nicht, wie sie ihm entgehen sollte. Auf der einen Seite war sie froh darüber, einen Roboter wie den »Heimatlosen« bei sich zu haben, weil er über eine gewaltige Kampfkraft verfügte. Auf der anderen Seite aber behinderte der Automat sie auch, weil er so groß war, daß er sich nirgendwo
verstecken konnte, während sie selbst an vielen Stellen Unterschlupf finden konnte. Die Größe allein macht es nicht, dachte sie und blickte zu dem Koloß hoch. Sie fischte aus einem der Lederbeutel, die sie am Gürtel trug, eine Nascherei hervor und schob sie sich in den Mund. »Wir müssen Atlan und Bit finden und herausschlagen«, sagte sie. »Und zwar schnell. Sie müssen frei sein, bevor die Wachroboter uns stellen.« »Dann sollten wir uns aber beeilen«, antwortete der »Heimatlose«. »Wenn wir hier bleiben, fliegen gleich die Fetzen.« »Aus welcher Richtung rücken die Wachroboter an?« »Aus allen.« Ratlos blickte die Molaatin sich um. Sie begriff, daß sie in einer Falle saßen, aus der es für sie beide keinen Ausweg geben konnte. Doch sie wollte nicht aufgeben. Sie hoffte noch immer, daß sich irgend etwas ereignen würde, wodurch die Lage für sie besser wurde. Neben einem gläsern erscheinenden Würfel öffnete sich ein Schott, und ein klobiger Roboter schritt mit stampfenden Bewegungen herein. »Weg von mir«, rief der »Heimatlose«, »sonst wirst du getroffen.« Sanny flüchtete hinter eine flaschenförmige Metallsäule, in der geheimnisvolle Maschinen summten. Im gleichen Moment glitten weitere Schotte zur Seite. Überall sah die Molaatin Wachroboter, und sie erfaßte, daß der »Heimatlose« keine Chance hatte. Energiestrahlen zuckten durch den Raum und blendeten sie, und da sie keine Waffe hatte, konnte sie dem »Heimatlosen« nicht helfen. Verzweifelt flüchtete sie weiter, glitt in der Deckung von fremdartigen Maschinen, Rohren und Konsolen an Kampfrobotern vorbei, die pausenlos auf den molaatischen Automaten feuerten, und schlüpfte schließlich durch ein offenes Schott in einen nach oben gepolten Antigravschacht. Sie blickte über die Schulter zurück und verfolgte, wie der »Heimatlose« im Strahlenfeuer
zusammenbrach und sich in seine Bestandteile auflöste. Trauer erfüllte sie, obwohl der »Heimatlose« nichts weiter als eine Maschine gewesen war. Er hatte jedoch etwas an sich gehabt, was sie bis ins Innerste berührt hatte. Sie merkte, daß ihre Hände zitterten, und sie wollte sich zur Ruhe zwingen, doch es gelang ihr nicht. Bisher hatte sie nicht erlebt, daß die Wachroboter mit einer derartigen Härte und Entschlossenheit zuschlugen. Um so erschrockener war sie über das Ende des »Heimatlosen« und über die Art, in der es herbeigeführt worden war. Nun fürchtete sie, daß die Roboter sie in ähnlicher Weise angreifen würden. Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihr bot, verließ sie den Antigravschacht und geriet in einen Raum, in dem zahlreiche Särge standen. Sie eilte an ihnen entlang. Dabei hörte sie, daß einige Roboter in den Antigravschacht stiegen. Sie kommen hinterher! dachte sie erschrocken. Sie klappte einen der Särge auf und stieg hinein. Dann schloß sie den Deckel und kauerte sich an einem Ende des Behälters zusammen. Unmittelbar darauf vernahm sie die stampfenden Schritte der Roboter, als diese die Halle betraten. Mit beiden Händen umklammerte sie die kleine Lampe, die ihr als einziges Ausrüstungsstück geblieben war. Sie wartete. In der Nähe bewegte sich knarrend einer der Sargdeckel und fiel dann laut knallend zu. Der Boden erzitterte unter ihr. Furchtsam legte sie die Hände an den Kopf und zog die Schultern hoch. Sie fröstelte, obwohl es nicht kalt im Sarg war. Würden die Roboter sie finden? Deutlich hörte sie, wie weitere Sargdeckel bewegt wurden. Immer wieder knallte es laut, wenn einer von ihnen zufiel. Doch die Maschinen durchsuchten nicht jeden Sarg. Sie machten ganz offensichtlich nur Stichproben, wie an den Geräuschen, die sie verursachten, deutlich zu erkennen war.
Wie würden sie sich verhalten, wenn sie sie fanden?
Würden sie schießen? Verzweifelt überlegte die Molaatin, was sie tun konnte, doch ihr fiel nichts ein. Sie war wehrlos gegen die Wachroboter.
* Tdibmufs lächelte freundlich, als er Bjo Breiskoll sah. Dieser war mit dem Transmitter zur LiN gekommen und war einige hundert Kilometer weit mit einem Gleiter geflogen. Einem spontanen Gedanken folgend, war er an einem Wäldchen gelandet und hier völlig unvorbereitet auf den geheimnisvollen Alten getroffen, der unter den Bäumen an einem See gesessen hatte. »Leiste mir ein wenig Gesellschaft«, bat Tdibmufs freundlich. »Es ist so beruhigend, auf die spiegelnde Fläche eines Sees zu blicken. Weißt du eigentlich, daß unmittelbar über dem Wasser die Luft am saubersten ist? Früher als ich noch jung war, bin ich gern geschwommen, um diese Luft tief einatmen zu können.« Der Katzer ließ sich von dem zuvorkommenden Wesen Tdibmufs' nicht beeindrucken. Er blieb ihm gegenüber auf Distanz. Er spürte eine gewisse negative Ausstrahlung, die ihn an das Böse erinnerte, das von der Landschaft im Nichts ausging, doch konnte er den Alten trotz seiner telepathischen Fähigkeiten nicht durchschauen. Tdibmufs trat als gütiger und weiser Mann auf, der ein menschliches Äußeres hatte. Ob dieses Bild tatsächlich stimmte, war Breiskoll noch unklar. Tdibmufs, von dem es hieß, daß er der letzte Mensch einer kleinen Gruppe sei, die vor langer Zeit auf dieses merkwürdige Weltenfragment verschlagen wurde, war ein Mann von etwa 80 Jahren. Er hatte graues Haar und trug eine Bordkombination, die alt und zerschlissen war und Ähnlichkeit mit jenen Kleidungsstücken hatte, die in der Vergangenheit auch an Bord terranischer Raumschiffe getragen wurden.
»Danke«, lehnte Breiskoll die Einladung ab. »Ich möchte mich ein wenig umsehen. Allein.« »Wie du willst. Ich werde mich dir nicht aufdrängen.« Die Augen des Alten verdunkelten sich, und er wandte sich ab, sichtlich enttäuscht über die Absage, die der Katzer ihm erteilt hatte. Breiskoll bereute, was er getan hatte. Er wollte den Alten zurückrufen, gehorchte dann jedoch einer inneren Stimme, die ihn vor allzu großer Vertrauensseligkeit warnte. Nach langem Zögern hatte er seine Scheu vor der Landschaft im Nichts überwunden und verdrängt. Nur aus Sorge um Atlan, und weil er Oggar finden wollte, hatte er die SOL verlassen. »Ich wollte dir noch etwas sagen«, rief er Tdibmufs nach. Der Alte drehte sich um. Er schien vergessen zu haben, daß Breiskoll ihn abgewiesen hatte. Leutselig lächelnd hob er eine Hand. »Gern. Ich höre«, sagte er. »Ich wollte dir nur mitteilen, daß in wenigen Stunden alle Solaner auf der LiN sind.« »Das freut mich. Ich gönne ihnen den Aufenthalt hier. Er wird erholsam sein, und es ist gut für euch, wenn alle kommen.« »Der High Sideryt hält es nicht für notwendig, daß noch jemand an Bord bleibt«, versicherte der Katzer. »Es gibt noch einige unwesentliche organisatorische Schwierigkeiten, aber die sind bald überwunden, so daß dann auch der Rest der Besatzung zur LiN überwechseln kann.« »Ich danke dir. Es freut mich, daß du mir das mitgeteilt hast. Und nun laß dich nicht aufhalten. Es steht dir alles offen.« »Ich kann gehen, wohin ich will?« »Natürlich. Wenn ich euch schon einlade, dann auch in alle Bereiche der LiN.« Das war eine Lüge, und Bjo Breiskoll wußte es, doch er ließ sich nicht anmerken, was er dachte. Zum Kegel im Zentrum der Landschaft im Nichts durfte keiner der Besucher. Der Katzer wußte aber auch, daß es sinnlos gewesen wäre, den Alten darauf
anzusprechen, denn dieser hätte mit Sicherheit eine ausweichende Antwort gegeben. »Danke«, erwiderte Breiskoll. »Und jetzt entschuldige mich.« Er ging zu dem Gleiter, mit dem er hierher geflogen war, und startete. Als er nach unten blickte, konnte er Tdibmufs nicht mehr sehen, und er esperte auch das Böse nicht, das von ihm ausgegangen war. Hatte der geheimnisvolle Alte sich unter die Bäume zurückgezogen, um wieder den versteckt liegenden See zu betrachten? Wollte er das tatsächlich, oder hatte er es nur vorgegeben? Tdibmufs berührte Breiskoll seltsam. Dieser konnte seine Gedanken nicht lesen, und er vermutete, daß der Alte sich mit einem Spezialgerät dagegen schützte. Entsprach es der Wahrheit, daß seine Vorfahren noch in einem normalen Universum gelebt hatten, das er selbst nie gesehen hatte? Stimmte es, daß er die technischen Geheimnisse der Landschaft im Nichts nicht kannte, obwohl doch offensichtlich zu sein schien, daß er hier eine entscheidende Rolle spielte? Tdibmufs hatte erklärt, daß die LiN ihm alles zum Überleben lieferte, was er benötigte, daß er sie jedoch nie habe erforschen können. Er sprach Interkosmo, und er behauptete, er habe diese Sprache allen Bewohnern der LiN, die ebenfalls Verschlagene seien, beigebracht. Bjo Breiskoll dachte daran, daß der Alte erklärt hatte, er gehe seinen Studien nach, die vor allem den vielen Fremden der LiN gewidmet seien. ! Waren das alles wahrheitsgetreue Aussagen, oder waren es Erfindungen, die Tdibmufs gemacht hatte, um die Besatzung und vor allem die Schiffsführung der SOL zu täuschen? Der Katzer war versucht, zu ihm zurückzukehren und sich nun doch eingehender mit ihm zu befassen. Er wollte mehr von ihm wissen, war sich jedoch dessen bewußt, daß er ein klares Konzept
haben mußte, nach dem er vorzugehen hatte, wenn er das Geheimnis dieses Wesens ergründen wollte. Das aber hatte er nicht, und deshalb schob er nach einigen Überlegungen das Problem Tdibmufs auf. Er dachte an Oggar. Was war mit ihm geschehen? Warum konnte er ihn nicht finden? Wenn Sternfeuer tatsächlich Bestandteil dieses Mischwesens war, wie der Androide behauptet hatte, warum bekam er dann keine telepathische Verbindung zu ihr? War es nicht wichtiger, zunächst einmal eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten?
4. Oggar bereute längst, daß er den Androidenkörper verlassen hatte und der Verlockung gefolgt war, außerhalb der Sonnenkorona nach Hilfe und Unterschlupf zu suchen. Inzwischen hatte er sich erholt. Doch das half ihm überhaupt nichts. Er saß in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Das einzig Tröstliche war für ihn, daß sich sein Zustand stabilisiert hatte. Er drohte nicht mehr, sich aufzulösen und somit zu sterben. So blieb ihm die Hoffnung, daß er der Falle vielleicht doch irgendwann entrinnen konnte.
* Sanny ertrug es nicht mehr, darauf warten zu müssen, daß einer der Roboter den Sargdeckel öffnete, sie entdeckte und womöglich tötete. Sie mußte etwas tun. Als die Geräusche ihr anzeigten, daß sich keiner der Roboter in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielt, stemmte sie sich vorsichtig gegen den Sargdeckel über sich und hob ihn einige Millimeter weit an, so
daß sie hinaussehen konnte. Erschrocken ließ sie ihn wieder fallen. Sieben Roboter standen nur wenige Schritte von ihr entfernt an einem Schott und bewachten es, während zwei andere Sarg auf Sarg öffneten und hineinblickten. Ich muß raus, dachte sie, sonst finden sie mich. Es war eine ziemlich schlechte Idee, mich hier zu verkriechen. Sie rief sich ins Gedächtnis, wo die Roboter gestanden hatten. Keiner von ihnen hat zu mir hergesehen, überlegte sie. Aber werden sie nicht anders reagieren, wenn ich den Deckel zu stark bewege? Resignation kam in ihr auf. Waren diese Maschinen nicht geradezu übermächtig ihr gegenüber? Konnte ihnen überhaupt etwas entgehen? Wie empfindlich waren ihre Mikrofone? Nahmen sie auch das geringste Geräusch auf, das sie verursachte? Und wie groß war der Blickwinkel ihrer Linsen? Die Geduld der Automaten war grenzenlos. Wenn sie Verdacht geschöpft hatten, dann würden sie so lange in diesem Raum verweilen, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Sie konnte also nicht darauf spekulieren, daß sie irgendwann aufgeben und abziehen würden. Wiederum stemmte sie den Sargdeckel hoch, und jetzt sah sie, daß ihr alle neun Roboter den Rücken zuwandten. Kurzentschlossen hob sie den Deckel noch etwas höher und glitt aus dem Sarg. Lautlos schloß sie ihr Versteck und schmiegte sich dann an einen anderen Sarg, hinter dem sie in guter Deckung lag. Im gleichen Moment bewegten sich die Roboter wieder. Wenn sie Infrarotspürgeräte einsetzen, haben sie mich, dachte Sanny voller Sorge, aber noch scheinen sie nicht auf diesen Gedanken gekommen zu sein. Sie erriet an den Geräuschen, wohin sich die Roboter bewegten, und sie schob sich in der entgegengesetzten Richtung weiter. Vorsichtig spähte sie um eine Ecke herum, sah die Maschinen,
erkannte ihre Chance und flüchtete hinter einen anderen Sarg. Ein offenes Schott geriet in ihr Blickfeld. Es war unbewacht, und es lockte sie mit nahezu unwiderstehlicher Gewalt an. Doch plötzlich, als sie sich ihm schon bis auf wenige Schritte genähert hatte, verharrte sie auf der Stelle. Es ist eine Falle, dachte sie. Diese Maschinen wollen mich dorthin locken. Wahrscheinlich wartet ein Roboter hinter dem Schott auf mich. Kurzentschlossen kehrte sie um und arbeitete sich nun in Richtung der Maschinen vor. Sie nutzte jede Deckung, ging kein Risiko ein und vermied jedes Geräusch. Geduldig wartete sie, bis sich ihr eine Möglichkeit bot, weiterzukommen, und sie lag schließlich unmittelbar hinter einem der Automaten an einem bewachten Schott. Auf dieser Seite haben sie alle Särge untersucht, erkannte sie. Hier vermuten sie mich nicht. Am Ausgang stand ein Roboter, der über zwei Meter groß war, und ihr wie ein Gebirge aus Stahl und Kunststoff vorkam. Die Maschine wich nicht von der Stelle, so daß sie nicht wußte, wie sie sie überwinden sollte. Sie beschloß zu warten, weil sie hoffte, daß sich die Situation irgendwann für sie verbessern würde. Tatsächlich drangen die Roboter weiter und weiter vor und entfernten sich dabei immer mehr von ihr, so daß sich das Gewicht der Aktion zu jenem Schott hin verlagerte, vor dem sie geflohen war. Und dann trat ein, womit Sanny gerechnet hatte. Der Roboter, der den Ausgang vor ihr bewacht hatte, setzte sich in Bewegung und marschierte zu den anderen hinüber. Er kam dicht an ihr vorbei, bemerkte sie jedoch nicht. Sanny harrte in ihrem Versteck aus, bis er an ihr vorbei war, dann glitt sie bäuchlings durch das Schott hinaus auf einen Gang. Erleichtert flüchtete sie zu einer Nische, in der sie sich sicher
fühlte. Hier richtete sie sich auf und sah sich um. Keiner der Roboter hielt sich in ihrer Nähe auf. Der Gang, auf dem sie sich befand, war unbewacht. Weiter! trieb sie sich an. Weg von den Robotern.
* Tdibmufs blieb unter dem Geäst eines Baumes stehen. Mit verengten Augen blickte er zu dem Gleiter hinüber, mit dem Breiskoll startete. Er war zutiefst verunsichert. Bisher war er ausgeglichen und ruhig gewesen. Er hatte geglaubt, von einer unangreifbaren Position aus agieren und das Geschehen überwachen zu können. Doch damit war es nun vorbei. Mit Bjo Breiskoll war eine Macht aufgetaucht, die er nicht berechnen konnte. Wer war dieser Mann von der SOL? Welche Bedeutung hatte er in dem strategischen Spiel? Tdibmufs wußte es nicht. Er zog sich weiter unter die Bäume zurück und blieb schließlich bei seinem kugelförmigen Gleiter stehen, an dem Gammler, der Roboter, auf ihn wartete. Die teilweise verrostete Maschine verhielt sich schweigsam. Tdibmufs hätte jetzt gern mit irgend jemandem über den Katzer gesprochen, doch er versuchte erst gar nicht, in Gammler einen Gesprächspartner zu finden. Nachdem er einige Minuten lang nachgedacht hatte, schlug er mit der Faust gegen einen Baumstamm und stieg dann in den Gleiter. »Es wird schwieriger«, sagte er laut, »aber das ändert nichts. Wenn es Probleme gibt, müssen sie bewältigt werden.« Er beschloß, sich eingehend mit Breiskoll zu befassen.
* Der Antigrav des Gleiters arbeitete plötzlich unregelmäßig. Bjo Breiskoll schaltete die Sicherheitspositronik ein und wartete darauf, daß sich die Maschine selbst reparieren würde. Doch die Lichter, die ihm den Erfolg dieser Maßnahme hätten anzeigen müssen, leuchteten nicht auf. Dagegen leitete die Automatik eine Notlandung ein. Der Katzer griff nach den Schaltungen des Funkgeräts, betätigte sie dann jedoch nicht. Er befand sich über felsigem Gelände, das mit kleinen, bewaldeten Tälern durchsetzt war. In einigen langgestreckten Tälern dehnten sich Savannen aus, auf denen zahlreiche Tiere ästen. In diesem Gebiet zu landen, erschien ihm nicht sonderlich gefährlich. Und da er das Gefühl hatte, daß der Gleiter manipuliert worden war, wollte er noch nicht um Hilfe rufen, sondern zunächst versuchen, selbst zu klären, was gespielt wurde. Die Maschine setzte weich auf. Unmittelbar darauf fiel der Antigrav ganz aus und ließ sich auch nicht mehr aktivieren. Die positronische Überwachung wies aus, daß ein zentrales Teil des Aggregats zerstört war und durch nichts ersetzt werden konnte, was sich an Bord befand. Bjo stieg aus und sah sich um. Da der Gleiter in einer Mulde auf der Kuppe eines Berges gelandet war, reichte der Blick weit über das Land. Für die zumeist dicht bewaldete Landschaft interessierte der Katzer sich jedoch nur wenig. Er konzentrierte sich ganz auf den Kegel, der sich in einer Entfernung von etwa zehn Kilometern von ihm erhob. Er schätzte, daß dieses auffallende Gebilde aus Fels etwa 650 Meter hoch war. Zu ihm zog es ihn. Bjo wollte auf jeden Fall wissen, was es mit diesem Kegel auf sich hatte. War von dort irgendeine Strahlung ausgegangen, die die Zerstörung im Antigravaggregat verursacht hatte?
Der Katzer schob sich einen kleinen, handlichen Kombistrahler in den Gürtel und eilte den Berg hinab. Er war sicher, daß er den Gleiter wiederfinden würde, so daß er sich im Notfall immer wieder zu ihm zurückziehen konnte. Als er den Fuß des Felskegels erreichte, teilten sich die Büsche vor ihm, und ein gefährlich aussehendes Tier blickte ihn mit gelben Augen an. Erschrocken blieb Breiskoll stehen. Das Tier ähnelte in verblüffender Weise einer Hyäne, wie er sie aus Berichten über die Erde kannte. Es erreichte jedoch eine Schulterhöhe von fast zwei Metern und war damit erheblich größer als jene Aasfresser, die es auf Terra gab. Ein drohendes Knurren kam aus dem Rachen der Bestie. Bjo Breiskoll wich vorsichtig vor ihr zurück. Er wollte sich nicht auf einen. Kampf mit ihr einlassen, falls dieser abwendbar war. Doch die Riesenhyäne griff wütend an. Sie riß das Maul weit auf und schnappte zu. Der Katzer empfing die geistigen Impulse des Tieres, und er erfaßte, welche Freßgier hinter der Attacke stand. Er hatte keine andere Wahl. Er mußte schießen. Der Energiestrahl traf die Hyäne am Kopf und fällte sie auf der Stelle. Bjo wich vor dem sterbenden Tier zurück, um nicht von einem letzten Prankenhieb getroffen zu werden. Langsam schob er die Waffe in den Gürtel, während er überlegte, ob es nicht doch besser war, wenn er vom Gleiter aus um Hilfe rief, auch wenn der Funkspruch abgehört werden sollte. Er verspürte wenig Lust, durch eine Landschaft zu gehen, in der er ständig damit rechnen mußte, von irgendwelchen Bestien angegriffen zu werden. Dabei störte ihn weniger der Gedanke an die damit verbundenen Gefahren, als vielmehr jener, daß er dabei zwangsläufig eine Reihe von Tieren töten mußte. Der Boden brach an mehreren Stellen auf, und große Insekten krochen daraus hervor. Sie stürzten sich auf die getötete Hyäne und
begannen zu fressen. Angeekelt wich der Katzer vor ihnen zurück. Er hörte den Flügelschlag eines großen Tieres, und ein Schatten strich über ihn hinweg. Als er nach oben blickte, bemerkte er einen Vogel mit riesiger Spannweite. Das Tier erinnerte ihn ebenfalls an eines, das er in den Berichten über die Tierwelt der Erde gesehen hatte; er vermochte es jedoch nicht einzuordnen. Es ist viel zu groß, dachte er. So große Vögel hat es auf der Erde nicht gegeben. Oder doch? Er wurde unsicher und überlegte erneut, ob er zum Gleiter zurückkehren sollte. Er entfernte sich einige Schritte von dem toten Tier und beobachtete, wie der Vogel auf diesem landete und mit wütenden Schnabelhieben Beute machte. Vielleicht kann ich die Tiere abschrecken, überlegte er. Wenn sie mich angreifen, müßte es genügen, sie mit einem Schuß in die Luft zu blenden. Er wollte es versuchen, schlug einen Bogen und eilte weiter in Richtung Zentralkegel. Wenig später erreichte er eine kleine Lichtung, und er schreckte einige Tiere auf, die hier geweidet hatten. Verblüfft betrachtete er sie, da auch bei ihnen eine unübersehbare Verwandtschaft mit Tieren der Erde vorlag. Sie hatten auffallend lange Hälse und im Verhältnis zu ihren Körpern kleine Köpfe. Giraffen! schoß es ihm durch den Kopf. Sie gleichen Giraffen, aber die sind doch wesentlich größer. Die bunt gemusterten Tiere, die vor ihm ins Unterholz flohen, erreichten eine Höhe von kaum einem halben Meter, und einige Jungtiere waren kaum halb so groß. Nachdenklich blieb der Katzer stehen. Was hatte das zu bedeuten? Bestätigten diese Tiere, daß Tdibmufs die Wahrheit gesagt hatte? Waren zusammen mit ihm und den anderen seiner Expedition auch Tiere von der Erde mit an Bord ihres Schiffes gewesen? Waren sie in
der Landschaft im Nichts ausgesetzt worden, und hatten sie sich im Laufe der Jahrhunderte den neuen Lebensbedingungen angepaßt? Bjo Breiskoll erinnerte sich nicht daran, jemals von einer »Arche Noah des Weltraums« gehört zu haben. Wenn überhaupt Tiere von der Erde zu anderen Welten gebracht worden waren, dann waren es Haustiere wie Hunde und Katzen gewesen, aber nicht alle möglichen Arten. Und welchen Sinn hätte auch ein Export von Tieren von Terra auf fremde Planeten haben sollen? Auf Welten, auf denen Menschen geeignete Bedingungen vorfanden, gab es auch Tiere, und es wäre unsinnig gewesen, das ökologische Gleichgewicht bewußt mit Vertretern aus der terranischen Fauna zu stören. War das Auftreten dieser Tiere, die Bjo gesehen hatte, also nur eine Laune der Natur? Lag hier eine zufällige Übereinstimmung vor? Oder wollte irgend jemand die Landschaft im Nichts in einer Weise präsentieren, die der Besatzung er SOL besonders vertrauenerweckend erscheinen mußte? Breiskoll bedauerte, daß Tdibmufs nicht bei ihm war. Ihn hätte er fragen können. Jetzt begrüßte er, daß er auf den Gleiter verzichtet hatte und zu Fuß weitergegangen war, da ihm diese Merkwürdigkeiten sicherlich nicht aufgefallen wären, wenn er geflogen wäre. Ich werde Tdibmufs wiedersehen, dachte er. Und dann soll er mir einige Fragen beantworten. Ich werde mich nicht so ohne weiteres abspeisen lassen. Als er einen Kanal erreichte, setzte er sich für einige Minuten ins Gras und blickte auf das Wasser. Das Gewässer war etwa zehn Meter breit und schien sich auf beiden Seiten bis zum Horizont zu erstrecken. Es war dunkel und undurchsichtig, und Bjo spürte eine gewisse negative Ausstrahlung. Ihm war, als könne er geheimnisvolle Bewegungen unter der Wasseroberfläche wahrnehmen, ohne daß deutlich wurde, was da war.
Ein unbestimmtes Gefühl warnte ihn davor, den Kanal zu durchschwimmen. Wie aber sollte er ihn sonst überqueren? Während er noch überlegte, wie er sich ein Floß bauen konnte, knackte es im Unterholz hinter ihm. Er fuhr herum und griff nach seiner Waffe, um sich gegen einen möglichen Angriff verteidigen zu können. Dann jedoch vernahm er ein dunkles Lachen, und er ließ die Waffe sinken. Er erwartete, Tdibmufs zu sehen, doch nicht er, sondern ein blonder, junger Mann mit freundlich blitzenden Augen trat aus dem Dickicht. »Hallo«, sagte er. »Wieso fuchtelst du mit der Waffe herum? Du hast doch wohl nicht vor, mir eins auf den Pelz zu brennen?« »Natürlich nicht«, antwortete Breiskoll zurückhaltend. »Hier läuft jedoch allerlei gefährliches Getier herum, und man muß aufpassen.« »Unsinn«, erwiderte der Blonde. Er trug eine schlichte Kombination, wie sie zur Zeit an Bord der SOL bevorzugt wurde. Gelassen streifte er seine Stiefel ab und hängte die bloßen Füße ins Wasser. »Ich habe nirgendwo eine friedlichere Landschaft erlebt. Hier gibt es ja noch nicht einmal Mücken, die einen plagen.« Der Katzer konnte seine Gedanken nicht lesen. Das war ungewöhnlich und weckte seinen Argwohn. Kam dieser junge Mann von der SOL? Alles deutete darauf hin, und doch mochte Breiskoll nicht recht daran glauben. »Bist du allein?« fragte er. »Klar doch. Ich habe mich von den anderen getrennt. Die wollten bloß in der Sonne liegen und braun werden. Das ist mir aber zu langweilig. Ich bin doch nicht hier, um mir den Bauch verbrennen zu lassen, sondern um etwas zu sehen. Wir hatten ein Segelboot, aber das ist zu Bruch gegangen, weil wir nicht damit umgehen konnten. Jetzt bin ich auf der Suche nach irgendeinem Transportmittel.« »Von wo kommst du?«
»Aus der SOL natürlich.« »Das meine ich nicht. Ich will es genau wissen. Aus welchem Teil der SOL? Was hast du für Aufgaben an Bord? In welcher Abteilung arbeitest du?« Der Blonde zog die Füße aus dem Wasser, massierte sie schweigend und streifte sich dann die Stiefel wieder über. »Nun, willst du mir nicht antworten?« fragte Bjo. »Warum sollte ich? Ich kann neugierige Burschen wie dich nicht ausstehen. Ich bin hier, um mich zu erholen, nicht aber, um mich von dämlichen Fragen belästigen zu lassen. Wer bist du überhaupt?« »Du weißt nicht, wer ich bin?« »Müßte ich das wissen?« »Vielleicht.« Die beiden Männer blickten sich abschätzend an. Spöttisch schürzte der Blonde die Lippen. »Vielleicht solltest du mir zunächst ein paar Auskünfte geben«, sagte er. »Wer bist du? Was treibst du dich hier herum? Wie siehst du überhaupt aus? Bist du eine Katze oder ein Mensch?« Die letzte Frage sollte Bjo Breiskoll provozieren, doch er ließ sich nicht herausfordern. Er ignorierte sie. Sein Gerechtigkeitssinn ließ ihn schwankend werden. War sein Argwohn berechtigt? Mußte ihn denn jedes Besatzungsmitglied kennen? Und durfte er wirklich soweit gehen, jeden zu verdächtigen, dessen Gedanken er nicht lesen konnte? »Also – wer bist du?« drängte der Blonde. »Du spielst dich auf, als ob du zu den Stabspezialisten des High Sideryt gehörst. Nun? Was ist? Willst du es mir nicht sagen?« »Wo sind die anderen? Deine Freunde, meine ich.« Der Blonde stürzte sich plötzlich auf ihn und schlug ihn mit einem kräftigen Schlag zu Boden. Er warf sich über ihn und umklammerte seinen Hals mit beiden Händen. »Mit dir stimmt doch was nicht«, keuchte er. »Irgend etwas ist
faul. Oberfaul. Und ich will wissen, was es ist. Du bildest dir doch wohl nicht ein, daß du uns Solaner so ohne weiteres hereinlegen kannst, wie?« Bjo Breiskoll kämpfte verzweifelt gegen den Würgegriff an, ohne ihn sprengen zu können. Der Blonde war ein geschickter Kämpfer, der jeden Griff und jeden Abwehrschlag schon vorher zu ahnen schien. Der Katzer drohte zu ersticken, und in seiner Todesangst gelang es ihm, mit einer letzten Kraftanstrengung die Umklammerung zu sprengen. Er schleuderte den jungen Mann zurück und richtete sich schweratmend auf. Als der Blonde ihn erneut attackierte, konnte er ihn sich so lange vom Leib halten, bis er sich wieder ein wenig erholt hatte. Dann aber trafen ihn nacheinander zwei wuchtige Faustschläge am Kopf, und er stürzte rücklings in den Kanal. Eine wahre Sturzflut von telepathischen Impulsen drang auf ihn ein. Er fühlte, wie sich das Böse um ihn drängte, und gleichzeitig erfaßte er die primitiven Gedanken von Tieren, die von einer unglaublichen Freßgier vorangetrieben wurden. In panischem Entsetzen schwamm er zum Ufer zurück. Unmittelbar neben ihm tauchte der graue Kopf eines fremdartigen Tieres auf. Bjo Breiskoll sah die vierfachen Zahnreihen der Bestie. Er begriff, daß er in höchster Gefahr war. Zwei Hände packten ihn an den Schultern und rissen ihn aus dem Wasser. Bjo hörte, wie die Kinnladen eines großen Tieres knallend zusammenschlugen, und er wälzte sich vom Ufer weg durch das Gras, bis er gegen einen Baumstamm stieß. Der Blonde lachte schallend. »Du hättest dich selbst sehen sollen«, rief er belustigt. »Du warst so verdammt flink. Und das war auch ganz gut so, denn sonst wärest du zum Appetithappen für diesen kleinen Fisch geworden.« »Danke«, stammelte der Katzer. »Danke, daß du mich aus dem Wasser gezogen hast.« »Keine Ursache. Ich habe dich ja vorher hineingeworfen. So gleicht
sich alles aus.« Er grinste breit und rieb sich die Knöchel seiner Fäuste, als ob sie von den harten Schlägen schmerzten, die er verteilt hatte. »Nun, wirst du mir jetzt sagen, wer du bist? Oder soll ich dich wieder in den Kanal befördern?« Bjo richtete sich auf und setzte sich so ins Gras, daß er sich mit dem Rücken gegen den Baum lehnen konnte. »Das war nicht gerade die vornehme Art«, entgegnete er und strich sich mit den Fingerspitzen über das Kinn und die Wange, wo ihn die Faustschläge getroffen hatten. Er blickte den Blonden mit forschenden Augen an. »Ich will dir etwas verraten.« »Heraus damit.« »Ich bin Bjo Breiskoll. Ich bin Telepath.« Der Blonde legte sich die Hände an den Bauch und lachte. »Das soll wohl so etwas wie eine Drohung sein, wie? Nach dem Motto: Hör' zu, Freundchen, ich kann deine Gedanken lesen. Wenn du also nicht freundlicher wirst, hole ich aus dir heraus, was ich wissen will. Stimmt's?« »So ungefähr.« »Du hast Pech gehabt, mein Freund. Ein Telepath richtet bei mir nichts aus.« Jetzt lächelte Bjo Breiskoll, aber es war ein freudloses Lächeln. Er stand auf und strich sich fest über Brust, Arme und Beine, um das Wasser aus seiner Kleidung zu drücken. »Erstaunlich, daß du so sicher bist«, sagte er. »Welche Telepathen kennst du denn? Oder wer hat dir das sonst verraten?« »Es gibt wissenschaftliche Methoden, so etwas auch ohne Telepathen nachzuweisen.« Bjo spürte, daß der Blonde unsicher wurde und nach Ausflüchten suchte. Er griff nach seiner Waffe. »Du wirst jetzt reden«, sagte er. »Das Versteckspiel ist zu Ende.« »Ich weiß wirklich nicht, was du von mir willst.« »Den Namen und alle Informationen, die zur Person gehören«,
erklärte der Mutant. Der Blonde schüttelte lächelnd den Kopf. »Hör mal, was soll denn das?« seufzte er. »Ich bin zur Erholung hier. Ich habe Urlaub. Belästige mich also nicht.« »Dein Urlaub wird unterbrochen. Sobald du mir gesagt hast, was ich wissen will, kannst du dich weiter erholen. Wenn nicht, begleitest du mich zur SOL.« Der andere fuhr herum und flüchtete mit einem mächtigen Satz in die Büsche. Bjo Breiskoll folgte ihm augenblicklich, verlor ihn aber dennoch aus den Augen. Ratlos blieb er stehen. Keinerlei Geräusche wiesen darauf hin, wohin der Blonde sich gewendet hatte. Er war wie vom Erdboden verschluckt.
5. Die Molaatin kauerte sich hinter eine Maschine und wartete. Sie hörte die Roboter rumoren, aber nicht näher kommen. Träge strichen die Minuten dahin. Die Suche der Automaten schien kein Ende nehmen zu wollen. Erst nach Stunden wurde es allmählich ruhig. Sanny kehrte vorsichtig in den Raum zurück, indem die Antigravaggregate sich erhoben. Sie hatte lange genug überlegt und sich dabei an den Gang erinnert, der aus diesem Raum in das Erdreich um den Zentralkegel führte. Da dies der nächste Ausgang war, wollte sie hier ihr Glück versuchen. Doch kaum hatte sie sich der Außenwand genähert, als sie auch schon Alarmpfeifen hörte, die in einem der Nebenräume aufheulten und dort erhebliche Aktivitäten auslösten. Die Roboter! dachte sie erschreckt. Sie kommen. Ich habe einen Alarm ausgelöst. Sie flüchtete in den Gang und entdeckte eine Nische, die sich nicht
nur in der Seitenwand befand, sondern sich in der Decke fortsetzte. Sie drückte sich hinein und kletterte an kleinen Vorsprüngen hoch, bis sie eine Höhlung bemerkte, die gerade so groß war, daß sie hineinkriechen und sich darin verstecken konnte. Zusammengekrümmt wartete sie. Nur Sekunden verstrichen, dann kamen die Wachroboter. Sie leuchteten den Gang mit Handscheinwerfern aus. Die Instinktmathematikerin zog sich noch einige Zentimeter weiter zurück, und sie hatte Glück. Die Roboter kehrten um und marschierten davon. Sanny atmete auf. Sie wartete noch einige Minuten ab. Dann war sie sicher, daß sie den Kolossen entkommen war. Sie flüchtete weiter in den Gang hinein, der offenbar mit einfachen Mitteln in das Erdreich gegraben worden war, und der durch einige Holzbalken notdürftig abgestützt wurde. Alles in allem war der Gang primitiv und darüber hinaus auch unbeleuchtet. Nichts deutete darauf hin, daß er in eine Halle mit hochtechnischen Einrichtungen mündete, die aus einer völlig anderen Welt zu kommen schienen. Glücklicherweise hatte Sanny eine kleine Handlampe, so daß sie sich ihren Weg suchen konnte. Sie hoffte, durch den Gang ins Freie zu gelangen. Sie wollte zu Federspiel – sie ahnte nicht, daß dieser mittlerweile von Robotern aufgestöbert worden war. Der Gang führte schräg in die Tiefe. Als Sanny sich einige Minuten lang vorangetastet hatte, leuchtete plötzlich ein Licht vor ihr auf. Erschrocken schaltete sie die Lampe aus und horchte. Alles blieb still. Sie glaubte, sich getäuscht zu haben und ließ die Lampe wieder aufflammen. Dann erkannte sie, daß sie sich tatsächlich hatte irritieren lassen. Vor ihr befand sich eine Wand, von der der Lichtstrahl reflektiert worden war. Neugierig pirschte Sanny sich näher heran, und sie erreichte schließlich eine Wand, die aus Glas zu sein schien. Erst als sie unmittelbar davor stand, sah sie, daß jemand dahinter gefangen
war. Im fahlen Licht, das aus der Decke kam, erkannte sie Atlan, Federspiel, Lyta Bit Kunduran, Solania, Oserfan und drei weitere Gestalten, die sich so weit im Hintergrund hielten, daß sie sie nicht identifizieren konnte.
* Bjo Breiskoll wollte sich gerade vom Kanal abwenden und zu seinem Gleiter zurückkehren, als aus einem Seitenarm des Gewässers, den er bisher übersehen hatte, ein Segelboot hervorkam. Es glitt von dem leichten Wind getrieben auf ihn zu und noch verbarg sich vor ihm, wer darin saß. Das Segel versperrte ihm die Sicht. Doch dann wendete das Boot, und der Katzer blickte in das lächelnde Gesicht eines dunkelhaarigen Mädchens, das mit einem winzigen Bikini bekleidet am Ruder saß. »Hallo, Bjo«, rief sie. »Ganz allein?« »Allerdings«, antwortete er. »Leider.« Sie war schlank und hatte eine nahezu perfekte Figur, die durch den knappen Badeanzug besonders gut zur Geltung kam. Das Haar fiel ihr lang bis auf die Schultern herab, und sie spielte versonnen damit, indem sie die Enden um die Finger wickelte. Mit ausdrucksvollen Augen blickte sie ihn an. »Du könntest mir einen Gefallen tun«, sagte er. »Gern. Möchtest du mitfahren?« Sie konnte nur von der SOL sein, und sie war so verführerisch, daß er bewußt darauf verzichtete, ihre Gedanken zu sondieren, um sich den prickelnden Reiz des Flirts nicht zu nehmen. »Mir würde es schon genügen, wenn du mich auf die andere Seite bringst.« Sie lachte hell. »Kannst du nicht schwimmen? Du siehst so aus, als wärst du gerade eben im Wasser gewesen.«
Sie lenkte das Boot mit einem geschickten Manöver ans Ufer. Er stieg ein. »Ich will ehrlich sein«, erwiderte er. »Ich bin ins Wasser gefallen.« Sie lachte erneut. »Bjo, der große Held der SOL, fällt doch nicht so ohne weiteres in den Bach. Wie ist das passiert?« Eine sanfte Bö blähte das Segel und trieb das Boot auf den Kanal hinaus. »Ich war ungeschickt«, behauptete der Katzer. »Aber müssen wir von mir reden?« »Warum nicht? Du triffst wahrscheinlich täglich Mädchen wie mich, aber für mich kommt es fast nie vor, daß ich mich mal mit jemandem von ganz oben unterhalten kann.« Sie zeigte mit einem Finger in den Himmel hinauf und lächelte schelmisch, um anzuzeigen, daß ihr Respekt vor ihm so groß nun auch wieder nicht war. »Was treibst du hier?« fragte sie. »Du siehst nicht so aus, als wolltest du dich nur erholen.« »Dabei will ich tatsächlich nicht mehr als das.« Sie seufzte und streckte ihre langen Beine aus. »Es ist herrlich auf der LiN. Nur die Tage kommen mir zu kurz vor.« »Dabei sind sie auf die Minute genau ebensolang wie an Bord. Das hat unser Gastgeber so eingerichtet.« »Er hätte die Tage ruhig etwas länger machen können.« Sie blickte Bjo an, schüttelte dann den Kopf und korrigierte sich: »Ach, nein, die Nächte sind auch recht schön – und manchmal ebenfalls viel zu kurz.« Das Boot hatte die Mitte des Kanals erreicht und folgte diesem. Das Mädchen schien vergessen zu haben, daß Bjo zum anderen Ufer wollte, und sie schien kein Interesse daran zu haben, ihn dorthin zu bringen. Der Katzer bemerkte es, und für einen Moment wich er von seiner bisherigen Haltung ab und versuchte, telepathisch zu
erfassen, wohin sie das Boot lenken wollte. Er stieß ins Leere. Er konnte das Mädchen telepathisch nicht sondieren. Ihre Augen verdunkelten sich. »Was hast du?« fragte sie. »Du siehst so verändert aus.« »Tatsächlich?« Bjo lächelte, und es gelang ihm, sich so zu geben, als stehe er nicht unvermittelt unter einer scharfen Nervenanspannung. Ich habe mich einlullen lassen! warf er sich vor. Irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Sie hat mich getäuscht, und ich bin ihr auf den Leim gegangen. Abermals streckte er seine telepathischen Fühler aus, aber auch jetzt glitten sie ins Nichts. Sie ertasteten lediglich einen Hauch jener Ausstrahlung des Bösen, die über der gesamten Landschaft im Nichts lag, und er fand nicht heraus, ob sie von dem Mädchen kam, oder ob es ihm nur nicht gelang, sie aus dem Gesamtbild herauszuheben. »Mir ist lediglich aufgefallen, daß ich dich noch nicht einmal nach deinem Namen gefragt habe«, sagte er. Der Ausdruck ihrer Augen war anders geworden, und an den Mundwinkeln hatten sich zwei harte Falten gebildet. »Du kannst mich nicht zum Narren halten«, erwiderte sie heftig. »Irgend etwas paßt dir nicht. Aber du bist ja einer von denen da oben, und du meinst, du hast es nicht nötig, offen zu mir zu sein.« Bjo biß sich auf die Lippen, weil er beinahe eine unbedachte Antwort gegeben hätte. Ihre Reaktion forderte ihn heraus, und er brauchte einige Zeit, um sich zu fangen. Dabei wurde ihm bewußt, in welcher Situation er sich befand. Er fuhr in einem zerbrechlichen Boot mitten auf dem Kanal, in dem es Tiere gab, die äußerst gefährlich und aggressiv waren. Allzu deutlich erinnerte er sich daran, daß er den Zähnen eines bedrohlich großen Fisches nur ganz knapp entgangen war. Er fürchtete sich nicht vor dem Mädchen, da er überzeugt war,
daß sie ihm nicht gefährlich werden konnte, mahnte sich aber dennoch zur Vorsicht, da er sie nicht einzuordnen wußte. »Sei nicht albern«, entgegnete er und lächelte, als sei er in bester Urlaubsstimmung. »Du sagst nicht die Wahrheit.« »Warum sollte ich lügen? Für mich ist eine so nette Gesellschaft durchaus nicht alltäglich. Du irrst dich, wenn du meinst, daß ich …« »Ach, sei still«, fuhr sie ihn an. Einige Meter hinter ihr wölbte sich das Wasser auf. Der gewaltige Rücken eines Fisches durchbrach die Wasseroberfläche für einige Sekunden und tauchte dann wieder unter. Bjo stockte der Atem. Er erfaßte die Gedankenimpulse des Tieres mit seinen telepathischen Sinnen, und er erkannte, daß der Fisch sich in einer Art Blutrausch befand. In einer Entfernung von etwa fünfzig Metern vom Boot dehnte sich ein roter Fleck im Wasser aus. Dort hatte das Tier vor wenigen Sekunden Beute gemacht. Und es gierte nach mehr. Bjo griff nach seiner Waffe. Das Mädchen lachte. »Bist du nun wütend auf mich? Willst du auf mich schießen?« Sie breitete spöttisch die Arme aus. »Na los doch. Schieß.« »Sei nicht albern. Hinter dir ist ein Fisch. Er folgt uns, und er ist ziemlich groß. Ich möchte nur vorsichtig sein. Bisher ist zwar noch nichts passiert auf der LiN, aber das heißt noch lange nicht, daß wir uns absolut sicher fühlen können. Es ist besser, wenn man auf den Notfall vorbereitet ist.« Er hatte erwartet, daß sie nun erschreckt zusammenfahren und sich furchtsam umdrehen würde, doch sie schüttelte nur den Kopf, und ihre Augen leuchteten belustigt auf. »Du hast wohl gedacht, daß ich nun in deine Arme flüchten und bei dir Schutz suchen würde, wie?« spöttelte sie. Sichtlich enttäuscht schürzte sie danach die Lippen. »Und ich dachte, daß du ein Mann
bist. Dabei hast du dieselben billigen Tricks auf Lager wie all die anderen.« Sie griff nach einem Kleiderbündel, das neben ihr unter der Bank lag und streifte sich ein T-Shirt über. »Sage mir lieber, wohin du willst. Ich setze dich dann da ab. Zum Ufer?« Sie lachte herablassend. »Ein Mann wie du hat immer etwas im Sinn, wenn er sich so allein herumtreibt. Worum geht es? Bist du einem Geheimnis auf der Spur, von dem wir gewöhnlichen Solaner nichts wissen dürfen? Willst du zum Kegel? Was gibt es dort zu erforschen?« Sie versuchte, ihn zu provozieren. Sie gab sich gereizt, weil sie hoffte, ihm unbedachte Antworten entlocken zu können. Raffiniert, dachte Bjo Breiskoll, und jetzt kam der Verdacht in ihm auf, daß dieses Mädchen nicht von der SOL kam, sondern von Tdibmufs auf ihn angesetzt worden war. Sie legte beide Hände an das Kinn und trommelte sich mit den Fingerkuppen gegen die Lippen. »Es tut mir leid«, sagte sie und seufzte. »Ich wollte dich nicht beleidigen. So geht es mir immer. Wenn ich mal einen Mann treffe, der mir gefällt, dann flippe ich aus und werfe ihm irgendwelchen Blödsinn an den Kopf. Entschuldige, bitte. Es war nicht so gemeint.« Abermals wölbte sich das Wasser hinter dem Boot auf. Für einige Sekunden wurde der gewaltige Kopf des Fisches sichtbar. Bjo schätzte erschrocken, daß er wenigstens anderthalb Meter breit und zwei Meter lang war. Demnach mußte der ganze Fisch etwa zehn Meter lang sein. Bedrohlicher aber war noch, daß die Bestie nach wie vor von Freßgier erfüllt war. Bjo blieb jedoch ruhig. Er wußte, daß er sich notfalls mit seiner Waffe wehren konnte. Doch nun wurde die Situation für ihn ganz klar. Tdibmufs hatte ihm das Mädchen geschickt und ihn mit ihrer Hilfe auf den Kanal hinausgelockt, um ihn hier zwei Extremen auszusetzen. Auf der einen Seite sollte ihn das Mädchen mit ihrem
Charme und ihren weiblichen Reizen ablenken, auf der anderen Seite sollte ihn die Bestie, falls sie damit keinen Erfolg hatte, einschüchtern. Glaubte Tdibmufs wirklich, ihm mit diesen Mitteln Informationen entlocken zu können? »Bring mich zum Ufer«, forderte er das Mädchen auf. »Aber warum denn?« Sie lehnte sich lächelnd zurück und blickte zur Mastspitze hinauf. »Findest du es besser, durch die Wildnis zu laufen, als mit mir zu segeln?« »Du hast es erraten«, antwortete er. »Eine Solanerin hätte mich interessieren können, du jedoch nicht.« Sie verstand sofort. Geschmeidig sprang sie auf und stürzte sich auf ihn. Mit blitzschnellen Faust- und Ellenbogenschlägen drang sie auf ihn ein, und sie traf ihn zweimal am Kinn, so daß er betäubt zu Boden stürzte. Benommen verfolgte er, daß sie aus einem Fach unter der Rückbank des Bootes ein Kästchen hervorholte. Aus diesem nahm sie eine Spritzphiole. Sie will dir Wahrheitsserum verabreichen! erkannte er und stemmte sich mühsam hoch. Es gelang ihm, sie abzuwehren und ihre Hand zur Seite zu schlagen, so daß sie ihm das Präparat nicht injizieren konnte. Doch dann schlug sie erneut zu und traf ihn am Hals. Bjo klammerte sich an sie, packte ihr Handgelenk und drehte es zur Seite. Er konnte ihr das gefährliche Medikament nicht entwinden, weil er noch zu sehr unter der Wirkung des Hiebes stand, und er konnte sich auch nicht im Boot halten. Zusammen mit ihr fiel er über Bord.
* Sanny atmete erleichtert auf.
Sie klopfte gegen die Scheibe. »Hallo, Atlan!« rief sie. »Hallo ihr.« Doch der Arkonide und die anderen reagierten nicht. Verwundert nahm die Molaatin ihre Taschenlampe und schlug sie kräftig gegen die Scheibe, aber sie konnte sich auch jetzt nicht bemerkbar machen. Sie schaltete die Lampe ein und richtete den Lichtstrahl auf die Scheibe. Sie ließ ihn hin und her wandern, erzielte aber auch damit keine Wirkung. Sie sah, daß Atlan und die anderen sich bewegten und sich miteinander unterhielten. Einige von ihnen wandten sich ihr zu. Ihnen hätte das Licht auffallen müssen, doch sie reagierten nicht darauf. Die Scheibe ist nur von einer Seite aus lichtdurchlässig, erkannte Sanny enttäuscht. Sie läßt nur in einer Richtung Informationen durch. Kurzentschlossen ließ sie sich auf die Knie fallen und grub das weiche Erdreich mit den Händen auf. Sie hoffte, auf diese Weise eine Öffnung schaffen zu können, durch die sie unter der Scheibe hindurchkriechen konnte. Doch auch dieser Versuch scheiterte. Die Scheibe reichte so tief in den Boden hinein, daß die Molaatin schließlich aufgab. Resignierend klopfte sie ihre Hände an den Beinen ab, um den Schmutz zu entfernen, und zog sich dann von dem Verlies zurück, in dem ihre Freunde gefangen waren. Sie wollte nach irgendeinem Instrument suchen, mit dem sie die Wand durchbrechen konnte. Als sie einige Schritte weit gegangen war, entdeckte sie an der Seitenwand eine weitere Scheibe, die sie bisher übersehen hatte. Sie schien aus dem gleichen Material zu sein wie die andere. Auch hinter ihr brannte ein winziges Licht an der Decke. Es erhellte den Raum immerhin so sehr, daß Sanny erkennen konnte, daß sich niemand darin aufhielt. Sie wollte schon weitergehen. Doch dann stutzte sie. War der Raum wirklich leer?
Verunsichert kehrte sie zurück und drückte ihr Gesicht gegen die Wand. Die Höhle war kugelförmig und hatte eine völlig glatte Innenwand. Diese schimmerte in einem eigenartigen Metallton, der sie an Nickel denken ließ. Die Höhle hatte einen Durchmesser von etwa fünf Metern und hatte an der Oberseite einen Durchgang aus dem gleichen Material wie die Wandung. Er war verschlossen. Sanny konnte ihn lediglich an der kreisförmigen Einkerbung ausmachen. Der Raum ist wirklich leer, dachte sie. Aber da war doch irgend etwas, was mich aufmerksam gemacht hat. Sie kniff die Augen zusammen, als sei sie geblendet, und riß sie dann weit auf. Dabei sagte sie sich, daß sie sich irrte und sich nur etwas einredete. Doch dann spürte sie, daß doch irgend etwas in der Kugel war. Es war unsichtbar, aber dennoch erkennbar. Sie konnte sich diesem Eindruck nicht entziehen. Aus dem Nichts heraus schienen sie Augen anzublicken, die ihr bekannt waren, und je länger sie in den Raum starrte, desto mehr vertiefte sich dieser Eindruck. Das unbestimmbare Etwas schien sich durch die Wand in ihr Bewußtsein zu tasten und um Hilfe zu bitten. So intensiv Sanny sich jedoch bemühte, darüber hinaus konnte sie nichts erfassen. Da ist etwas! sagte sie sich, korrigierte sich jedoch sogleich. Nein, nicht etwas. Da ist jemand. Eine Person. Ein Freund vielleicht. Ich fühle es. Da ist jemand. Sie konnte nicht helfen. Auch diese Wand war undurchdringlich. Verzweifelt sank sie zu Boden.
6. Bjo Breiskoll war vor Entsetzen wie gelähmt. Einige Sekunden lang
tauchte er unter und fand nicht die Kraft, die Arme und Beine zu bewegen und nach oben zu schwimmen. Er fühlte die Druckwellen, die von dem Mädchen ausgingen, das sich offenbar rasch zur Wasseroberfläche emporkämpfte, und er glaubte, den gewaltigen Schatten des Fisches zu sehen, der sich ihm näherte. Dann aber überwand er den Schock. Er wollte heraus aus dem Wasser. So schnell wie möglich. Nur nicht länger vor dem Maul dieser freßgierigen Bestie bleiben, deren animalische Impulse er deutlich fühlte. Als sein Kopf die Wasseroberfläche durchstieß, fuhr Bjo Breiskoll herum. Er war allein. Das Segelboot war nicht mehr da, und das Mädchen war auch verschwunden. Wenige Meter neben ihm wölbte der mächtige Rücken des Fisches das Wasser auf. Der Telepath warf sich herum und schwamm mit schnellen Bewegungen zum Ufer. Immer wieder blickte er zurück. Wo war das Mädchen? Es mußte doch irgendwo sein. Bjo sah, daß der Fisch ihm folgte. Doch der Abstand zu ihm veränderte sich nicht. Das riesige Tier blieb einige Meter hinter ihm, so als sei es sich seiner Beute ganz sicher. Das Mädchen tauchte nicht wieder auf, und auch von dem Segelboot war nichts zu sehen. Bjo kämpfte sich voran. Er wühlte sich durchs Wasser, so schnell er konnte. Ein seltsamer Druck lastete auf ihm, so als verdichte sich das Wasser, oder als rückten von allen Seiten Fische heran. Die Kleider behinderten ihn, doch er hatte keine Zeit, sie abzustreifen. Es kam auf Sekundenbruchteile an, so meinte er, und er arbeitete sich bis zum Ufer vor. Dort schnellte er sich förmlich aus dem Wasser und wälzte sich vom Ufer weg, um vor dem Riesenfisch sicher zu sein, falls dieser versuchen sollte, ihn zurückzuziehen. Mit geweiteten Augen blickte er zurück.
Die Bestie hob den Kopf aus dem Wasser und blickte ihn mit kalten Augen an. Aus den gewaltigen Zahnreihen floß das Wasser, und Bjo begriff kaum, daß es ihm gelungen war, diesem gefährlichen Feind zu entkommen. Er sprang auf und eilte zu einem Baum, kletterte hinauf und blickte aus sicherer Höhe über den Kanal. Irgendwo muß eine Spur von dem Mädchen und dem Boot sein, dachte er. Sie können nicht so einfach verschwinden. Doch es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, daß da jemals ein Boot mit einem Mädchen gewesen war. Langsam und nachdenklich stieg der Katzer vom Baum herunter. Sein Herz schlug rasend schnell, und erst jetzt ging ihm auf, wie knapp er einem tödlichen Angriff des Fisches entgangen war. Wenn dieser nur ein wenig energischer zugestoßen hätte, dann wäre es vorbei gewesen. Im Wasser hätte er nicht die geringste Chance gehabt, sich gegen ihn zu behaupten. War das Mädchen der Bestie zum Opfer gefallen? Hatte diese sie und das Schiff in die Tiefe gezogen und nichts übriggelassen? Bjo Breiskoll zog sich Hemd und Hose aus, um sie auszuwringen, und breitete sie danach in der Sonne aus. Als er auch seine Unterhose abstreifte, hörte er ein leises Surren hinter sich. Verlegen drehte er sich um. Tdibmufs schwebte mit seiner Antigrav-Kugel heran und landete einige Meter von ihm entfernt. Bei ihm war der Roboter Gammler. Dieser blieb in der Maschine sitzen, während der Alte ausstieg. »Du kannst die Trockenvorrichtung meines Gleiters benutzen, wenn du willst«, sagte Tdibmufs freundlich. »Schließlich möchte ich nicht, daß du dich erkältest.« »Danke. Das Angebot nehme ich gern an.« Bjo reichte dem Roboter seine Sachen zum Trocknen und setzte sich ins Gras. »Du siehst verstört aus«, stellte der Alte fest und ließ sich neben ihm auf einen Stein sinken. »Was ist passiert?« »Eine junge und sehr attraktive Solanerin ist das Opfer eines
Raubfisches geworden«, erwiderte der Katzer. »Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre ebenfalls umgekommen. Ich konnte mich gerade noch ans Ufer retten.« »Das ist ja unglaublich.« Das Gesicht des Eremiten verhärtete sich, und die Augen, die sonst so milde und gütig dreinblickten, sprühten vor Zorn. »Es tut mir leid. Da ist eine Panne passiert. Es wird nicht wieder geschehen.« »Eine Panne?« Bjo horchte auf. »Das würde bedeuten, daß es irgendwo eine Regie gibt, die den Ablauf der Ereignisse auf der LiN nach ihrem Willen beeinflußt.« »Das ist nur bedingt richtig. Nur ein Kern der Wahrheit ist in dieser Vermutung enthalten.« »Ich meine, du solltest mir sagen, was los ist.« »Das werde ich, aber dazu mußt du mir etwas Zeit lassen. Deine Kleider sind trocken.« Der Alte stand auf und ging zum Gleiter. Bjo folgte ihm und hielt ihn an der Schulter fest, als er einsteigen wollte. »Nein. Ich will die Wahrheit jetzt wissen. Irgend jemand hat dieses junge Mädchen also auf mich angesetzt, und er hat dafür gesorgt, daß der Fisch uns angreift?« Tdibmufs reichte ihm die Kleider und blicke nachdenklich zu Boden, während Breiskoll sich ankleidete. »Ich lebe schon sehr lange hier«, erklärte er dann. »Aber dennoch weiß ich kaum etwas über die Landschaft im Nichts. Immerhin ist mir bekannt, daß es wenigstens eine Maschine gibt, die für Unterhaltung sorgen kann. Für Unterhaltung im besten Sinne des Wortes. Doch diese Maschine ist alt. Viel älter als ich. Wahrscheinlich so alt wie die Landschaft im Nichts, und ich vermute, daß es Zerfallserscheinungen gibt, so daß die Maschine hin und wieder etwas veranlaßt, was nichts mehr mit Unterhaltung zu tun hat.« Bjo hörte dem Alten mit wachsendem Mißtrauen zu. Mittlerweile glaubte er ihm kaum noch etwas. Dennoch schien plausibel zu sein, was er gesagt hatte. Er schien wirklich betroffen und verärgert zu
sein, so als habe ihm eine Positronik, auf die er keinen Einfluß hatte, einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. »Was ist das für eine Maschine? Wo steht sie? Und warum schaltest du sie nicht aus? Der Angriff auf mich war gefährlich. Er hätte tödlich sein können.« »Ein Vorfall dieser Art wird nicht mehr vorkommen.« »Darauf kann ich mich nicht verlassen.« Bjo folgte einem Gedanken, der ihm plötzlich durch den Kopf gegangen war. »Ich werde zur SOL zurückkehren und dort Bericht erstatten. Das ist meine Pflicht. Sehr wahrscheinlich wird der High Sideryt dann den größten Teil der Urlauber von der Landschaft im Nichts abziehen.« Tdibmufs blickte ihn erschrocken an. Bjo Breiskoll beobachtete ihn genau, und er war sicher, daß der Alte nicht versuchte, ihn zu täuschen. Der Schrecken war ihm tatsächlich in die Glieder gefahren. »Nein, nein, das ist nicht notwendig«, beteuerte Tdibmufs. »Du kannst dich fest darauf verlassen, daß niemand um sein Leben bangen muß. Ich verbürge mich dafür.« »Wie kannst du das, wenn du diese Regiemaschine nicht unter Kontrolle hast?« »Ich nehme die Verantwortung auf mich. Laß uns nicht mehr länger darüber reden. Ich möchte keine Zeit verlieren, sondern so schnell wie möglich dafür sorgen, daß keine weiteren Störungen vorkommen.« »Das soll mir recht sein. Wenn es so ist, kann ich wohl noch etwas mit meinem Bericht warten.« »Darum möchte ich dich bitten. Warte noch. Ich melde mich wieder bei dir, sobald das mit dieser Maschine erledigt ist.« Der Katzer fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen, und seine Augen blitzten belustigt auf. Tdibmufs hatte einen Fehler gemacht. »Weißt du denn immer, wo ich bin?« fragte der Telepath. »Natürlich nicht.« Der Alte stutzte, blickte Breiskoll forschend an
und schüttelte dann mit mildem Vorwurf den Kopf. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Du bist völlig frei. Ich spioniere nicht hinter dir her. Ich möchte dir deinen Aufenthalt auf der LiN so angenehm machen wie irgend möglich, und ich werde mich nur dann bei dir melden, wenn du es möchtest.« »Wie gebe ich dir Bescheid?« »Über Funk.« Er holte ein schwarzes Kästchen aus dem Gleiter und reichte es dem Katzer. »Hier. Damit kannst du mich jederzeit erreichen. Ganz gleich, wo ich bin. Ich werde dich hören.« Damit verabschiedete er sich. Doch Breiskoll ließ ihn noch nicht starten. »Einen Moment«, bat er. »Mir ist noch etwas unklar. Was war denn nun mit dem Mädchen und dem Segelboot? Du hast durchblicken lassen, daß eine Maschine Regie geführt und das Mädchen zu mir geschickt hat. War es eine Androidin?« Tdibmufs zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Bjo, das kann ich erst beantworten, wenn ich die Positronik untersucht habe. Ich hoffe, sie wird mir Auskunft geben.« Damit schloß er die Tür des Gleiters und befahl seinem Roboter zu starten. Der Katzer blickte der Maschine nach, bis sie am Horizont verschwunden war. Dann wandte er sich dem Wasser zu. Er sah gerade noch, wie der massige Rücken des Riesenfisches abtauchte, und dann peitschte eine Schwanzflosse das Wasser, die wenigstens anderthalb Meter hoch war. Was war geschehen? Tdibmufs hatte zugegeben, daß etwas inszeniert worden war. Damit sah Bjo sich in seinem Argwohn gegen das Mädchen bestätigt. Dieses war nicht zufällig am Ufer erschienen und hatte ihn auch nicht aus einer Urlaubslaune heraus angesprochen, sondern sie war geschickt worden. Ihr ging es um Informationen, dachte der Katzer, und er stemmte sich überrascht die Hände in die Seiten. Mit dem blonden Mann war
es ähnlich. Wie konnte ich das nur übersehen? Auch er wollte mich aushorchen, und auch er verschwand plötzlich, und ohne eine Spur zu hinterlassen. Waren der Blonde und das Mädchen nur illusionäre Erscheinungen gewesen? Oder waren es Androiden gewesen, die irgend jemand geschickt hatte, um ihm eine Falle zu stellen? Vielleicht waren es Roboter, dachte der Telepath. Dann käme uns die LiN mit dem gleichen Trick wie wir Tdibmufs. Wieder glitt der riesige Fisch am Ufer entlang, als könne er sich noch nicht damit abfinden, daß ihm seine Beute entgangen war. Bjo sah den grauen Rücken, und er griff spontan zur Waffe. Als er sie abfeuerte, tauchte das Tier weg. Dennoch spürte es die enorme Hitze, denn es wühlte das Wasser peitschend auf, bevor es vollends verschwand. »Schade«, sagte der Katzer laut. »Ich hätte früher auf dich feuern sollen. Wenn ich es getan hätte, wüßte ich jetzt, ob du wirklich ein Fisch bist oder nur ein Roboter mit einer interessanten Positronik in seinem Innern.« Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß der Fisch wie ein Hai aussah. Doch leben Haie nicht im Salzwasser? Im Kanal war Süßwasser. Er drehte sich um und machte sich auf dem Weg zum Zentralkegel der Landschaft im Nichts. Obwohl er durch unberührte Wildnis ging, kam er rasch voran. Der Boden war trocken und eben. Nur an wenigen Stellen stieß er auf Gebüsch, das ihn zu einem Umweg zwang. Als er jedoch die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, geriet er auf sumpfiges Gebiet. Immer häufiger mußte er Senken ausweichen, in denen der Boden grundlos war, so daß es zu gefährlich gewesen wäre, sie in gerader Linie zu durchqueren. Mehrere Gleiter von der SOL flogen in seiner Nähe vorbei. Er sah, daß ausgelassene Besatzungsmitglieder darin saßen, aber er beachtete sie nicht weiter, denn er wußte, daß es Roboter waren. Die Maschinen landeten etwa einen Kilometer von ihm entfernt,
starteten jedoch bald darauf wieder und flogen in westlicher Richtung davon. Wenig später vernahm er einen Hilfeschrei. Er eilte zu einigen Büschen, bog die Zweige zur Seite und sah einen bärtigen Mann, der bis zu den Schultern im Boden versunken war. Flehend streckte der Verunglückte ihm die Arme entgegen. »Hilf mir«, rief er. Bjo Breiskoll lachte. »Mich führst du nicht an der Nase herum«, sagte er und griff nach dem Gerät, das Tdibmufs ihm gegeben hatte. Er warf es dem Bärtigen hin. »Hier. Du kannst ja deine Freunde rufen, wenn du meinst, daß das notwendig ist.« Damit wandte er sich ab und ging lächelnd weiter. Er war fest davon überzeugt, daß er es abermals mit einem illusionären Bild zu tun hatte, mit dem man ihn täuschen wollte. »Bjo«, kreischte der Bärtige. »Um Himmels willen, geh nicht weg. Ich versinke.« »Die Positronik wird dich schon rechtzeitig herausholen«, antwortete er. »Bei allen Göttern der Erde! Bjo, bist du wahnsinnig geworden? Du kannst mich doch nicht hier sterben lassen.« Erst jetzt wurde der Katzer sich dessen bewußt, daß er die telepathischen Impulse des Mannes empfing, und er begriff, daß dieser sich tatsächlich in höchster Gefahr befand. Er mußte ihm helfen. Erschrocken fuhr er herum und eilte zurück. Mittlerweile war der Bärtige tiefer gesunken. Nur noch sein Kopf und ein Arm ragten aus dem Sumpf. »Paß auf«, schrie der Verunglückte. »Der Boden ist tückisch.« Bjos linkes Bein sackte plötzlich weg, als sich die Grassoden teilten und unter ihm nachgaben. Er warf sich zur Seite, und es gelang ihm, sich zu befreien. Dabei klammerte er sich an einen vertrockneten Baumstamm, der neben ihm lag. Er nahm das Holz auf und warf es zu dem Bärtigen hinüber. Dann schob er sich bäuchlings über den
Boden, bis er den Stamm wieder fassen konnte. »Zieh dich daran 'raus«, rief er. »Los, versuche es.« Ein verzweifelter Kampf um das Leben des Mannes begann, bei dem Bjo und der Verunglückte alles gaben, was an Kräften in ihnen steckte. Schließlich gelang es dem Telepathen, den Bärtigen auf sicheren Grund zu ziehen. Er sank neben ihm auf den Rücken und rang keuchend nach Luft. »Ich dachte, es wäre ein Trick«, sagte er mühsam. »Man hat mich schon zweimal hereingelegt, und ich glaubte, dies sollte der dritte Versuch sein.« »Oh, Mann«, flüsterte der Bärtige. »Das war wirklich knapp.« »Wie ist das passiert?« »Ich hatte Streit mit den anderen. Da haben sie mich ausgesetzt. Sie meinten, ich hätte zuviel getrunken. Und damit haben sie recht.« Bjo machte sich heftige Vorwürfe. Er sagte sich, daß er augenblicklich hätte merken müssen, was los war. Doch er war so sehr von dem Gedanken beherrscht gewesen, daß er abermals getäuscht werden sollte, daß er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, auf die telepathischen Impulse des Bärtigen zu achten. Ich habe mich sogar gegen sie abgeschirmt, dachte er. »Wir müssen uns trennen«, erklärte er dem Solaner, nachdem er sich von den Anstrengungen wieder erholt hatte. »Kommst du allein zurecht?« »Jetzt ja. Mein Kopf ist wieder klar. Was war mit diesem schwarzen Ding, das du mir zugeworfen hast?« »Angeblich war das ein Funkgerät, aber ich fürchte, es war ein Peilgerät, mit dem man mich kontrollieren wollte. Es ist ganz gut, daß es im Sumpf verschwunden ist.« Der Bärtige bedankte sich noch einmal bei ihm und ging dann in westlicher Richtung davon. Breiskoll wartete einige Minuten, bevor er sich zum Zentralkegel aufmachte. Er wollte sicher sein, daß der andere ihn nicht verfolgte. Dann erst ging er weiter.
Doch seine Gedanken lösten sich nicht von dem Mann, den er gerettet hatte. Immer wieder streckte er seine telepathischen Fühler nach ihm aus, obwohl er dabei jedesmal bestätigt fand, daß der Bärtige tatsächlich von der SOL kam. Doch das Mißtrauen saß zu tief. Von Anfang an hatte der Katzer der Landschaft im Nichts scheu und zurückhaltend gegenübergestanden. Er war sich dessen ganz sicher, daß äußerste Vorsicht geboten war, und die Ereignisse der letzten Stunden hatten ihn darin bestärkt. Die Machthaber der LiN hatten ihn als eine der wichtigen Persönlichkeiten der SOL identifiziert. Und sie hatten versucht, Informationen über ihn einzuholen, indem sie ihm eine Welt vorgegaukelt hatten, die nicht der Realität der LiN entsprach, aber auch nicht jener der Erde. Die Hyäne war zu groß, und die Giraffen waren zu klein gewesen. Auch jener adlerähnliche Vogel, der bei der toten Hyäne aufgetaucht war, hatte nicht die richtigen Proportionen gehabt. Der junge, blonde Mann hatte versucht, mit Gewalt Informationen aus ihm herauszuholen, und das Mädchen hatte seine weiblichen Reize eingesetzt, um das gleiche Ziel zu erreichen. Beide waren plötzlich und spurlos verschwunden, als sie gescheitert waren. Gehörte nun dieser Bärtige, der beinahe im Sumpf versunken wäre, auch zu dem Spiel? Hatten die Machthaber der LiN mittlerweile erkannt, daß er jeden ihrer Agenten daran zu erkennen vermochte, daß er diesen telepathisch nicht sondieren konnte? Hatten sie dem Bärtigen – vielleicht mit Hilfe des schwarzen Kästchens – zu einer parapsychisch erfaßbaren Pseudo-Identität verholten? Bjo blieb verwirrt stehen. Er blickte zum Felskegel hinüber, der sich senkrecht aus dem Land erhob. Noch war er den wahren Geheimnissen der LiN nicht nahe
gekommen. Noch blieb vieles im verborgenen. Würde er im Kegel mehr erfahren, falls es ihm überhaupt gelang, in ihn einzudringen? Nur dort komme ich weiter! sagte er sich. Tdibmufs verrät mir nichts. Er gehört selbst zu den Rätseln dieses Weltenfragments. Er ging weiter und verfiel wenig später in einen leichten Trab, um schneller voranzukommen. Gammler! schoß es ihm durch den Kopf. Du hast Gammler vergessen. Der Roboter des Alten spielt auch eine Rolle. Er ist nicht einfach nur zufällig da. Er blieb stehen, um sich von dem anstrengenden Lauf ein wenig zu erholen und in Ruhe nachdenken zu können. Bisher hatte er auf Gammler kaum geachtet. Roboter waren etwas so Selbstverständliches für ihn, das sie kaum mehr Interesse fanden als eine Klebstelle an einem Gleiter, ein Instrument oder ein Gepäckstück. Sie waren einfach da und verdienten normalerweise keine Aufmerksamkeit. Doch mit Gammler mußte es anders sein. Er ist gar zu auffällig, dachte Bjo und rief sich das Bild des Roboters ins Gedächtnis. Die Maschine war völlig veraltet. Sie war etwa 1,80 Meter groß. Vielleicht etwas weniger. Der linke Arm fehlte. Teile ihres Körpers waren rostig und ungepflegt, und sie knarrten in den Gelenken. Auch die Stimme klang so, als würde sie von schadhaften Schwingungselementen erzeugt. Die Positronik schien gestört zu sein. Bjo erinnerte sich daran, daß Gammler irgendwo im Hintergrund gewesen war, als er mit Tdibmufs gesprochen hatte. Warum? Roboter hatten entweder eine Funktion, oder sie waren Schrott. Wenn Tdibmufs Gammler bei sich duldete, dann nur deshalb, weil dieser die ihm gestellten Aufgaben nach wie vor erfüllte. Warum aber reparierte Tdibmufs ihn nicht? Sah er mittlerweile so
etwas wie menschliche Züge an ihm? Das war nur dann wahrscheinlich, wenn Tdibmufs durch seine Einsamkeit einen geistigen Schaden erlitten hatte. Er eilte weiter. Gehst du nicht zu weit? fragte er sich. Warum sollte Tdibmufs geistesgestört sein? Er macht nicht diesen Eindruck, sondern scheint im Gegenteil völlig klar zu sein, und er scheint genau zu wissen, was er tut. Vielleicht ist ihm der Roboter nur gleichgültig. Möglicherweise hat er sich an dessen armseligen Zustand so gewöhnt, daß ihm dieser gar nicht mehr auffällt. Bjo nahm sich vor, genau auf Gammler zu achten, falls es zu einer weiteren Begegnung mit dem Alten und dem Roboter kommen sollte. Vorläufig aber wollte er sich auf den Kegel im Zentrum der Landschaft im Nichts konzentrieren. Er hatte sich ihm mittlerweile so weit genähert, daß er Einzelheiten erkennen konnte. Er sah nun, daß der Kegel aus Fels bestand. Zahlreiche Einbuchtungen, Risse und Schrunde waren mit Glasscheiben versiegelt worden, als sei da etwas in dem Kegel, das vor äußeren Einwirkungen geschützt werden mußte. Bjo wollte sich auf jeden Fall das Innere des Turmes ansehen, der nicht aus gewachsenem Gestein zu bestehen schien. Als er noch etwa sechshundert Meter vom Kegel entfernt war, setzte Bjo sich auf einen umgestürzten Baumstamm und blickte zu dem geheimnisvollen Gebilde hoch. Irgendwo muß es einen Einstieg geben, überlegte er. Und der ist bestimmt nicht unten am Fuß, sondern irgendwo hier in der näheren Umgebung. Der Turm machte einen düsteren Eindruck auf ihn und ließ ihn an die Aura des Bösen denken, die er gespürt hatte. Da er jedoch unter einer ihm selbst nicht erklärlichen Anspannung stand, konnte er nicht unterscheiden, ob der Turm eine eigene Ausstrahlung besaß, oder ob das Gefühl, in einer Welt des Bösen zu sein, von der Landschaft im Nichts insgesamt ausging.
Unwillkürlich sah der Katzer sich um. Die Gegend war relativ flach und eben. Allein der Zentralkegel ragte steil aus der Landschaft empor. Er war ein absolut einmaliges Gebilde in diesem Bereich. Plötzlich empfing er einen Gedanken. Überrascht erhob er sich und stieß sofort nach. Er hatte sich nicht getäuscht. Sanny! dachte er erregt. Es ist Sanny! Er erfuhr, daß Sanny im Zentralkegel war, und was sie erlebt hatte. Darüber hinaus erfaßte er, daß sie Atlan und seine Begleiter gesehen hatte, und wie es um sie bestellt war. In Bruchteilen von Sekunden holte er mehr Informationen ein als in den letzten Stunden, und sie waren überaus gehaltvoll. Er versuchte nun, mit seinen Psi-Sinnen zu Federspiel vorzudringen, um Verbindung mit ihm aufzunehmen und ihn wissen zu lassen, daß er in der Nähe war, um ihnen zu helfen. Doch das gelang ihm nicht. Er stieß auf einen Schirm, den er nicht durchdringen konnte. Er spürte den Kerker, in dem die Freunde steckten, und er esperte auch das zweite Verlies, aber auch dieses war so stark abgeschirmt, daß er keine Impulse aus seinem Innern empfing. Er bedauerte, daß er sich Sanny nicht mitteilen konnte, zumal ganz deutlich für ihn wurde, wie verzweifelt sie war. Doch er war dennoch nicht unzufrieden, da er wußte, wo er die Freunde zu suchen hatte, und wie er zu ihnen kommen konnte. Er arbeitete sich nun mit äußerster Vorsicht weiter, wobei er jede Deckung nutzte, damit er vom Zentralkegel aus nicht gesehen wurde, bis er zu einem jener Punkte kam, unter denen die unzugänglichen Zonen lagen. Dabei stieß er zufällig auf einen Brunnenschacht, der zwischen dichten Gebüschen verborgen war. Als er sich durch das Geäst der Büsche schob, blickte er zum Zentralkegel hinüber. Dabei rutschte er aus und glitt unversehens über die Felskante des Brunnens. Im letzten Moment gelang es ihm,
eine Wurzel zu packen und sich daran zu halten. Erschrocken blickte er in die Tiefe, und dabei entdeckte er ein Metallschott, das sich etwa fünfzig Meter unter ihm befand. Einen Sturz aus dieser Höhe hätte er kaum überlebt, da mehrere Felsspitzen aus dem Wasser des Brunnens ragten. Auch ein Aufprall auf dem Wasser hätte schwerwiegende Folgen haben können. Doch Bjo entdeckte zahlreiche Vorsprünge in der Schachtwand, die er für einen Abstieg nutzen konnte. Er kroch am Rand des Brunnens entlang, bis er meinte, eine besonders günstige Stelle gefunden zu haben, und kletterte dann von hier aus in die Tiefe. Doch schon nach wenigen Metern merkte er, daß die Bedingungen alles andere als gut für ihn waren. Das Gestein bröckelte unter seinen Füßen weg, so daß er mehrmals abzustürzen drohte und sich nur mit viel Glück halten konnte. Dennoch kehrte er nicht nach oben zurück, sondern arbeitete sich weiter vor, bis es überhaupt nicht mehr ging. Etwa zehn Meter unter ihm glänzte das Wasser im Widerschein der Sonne Super. Ihm blieb keine andere Wahl. Er mußte springen, wenn er seine Chance nutzen wollte. Er zögerte lange, denn der Bereich, in dem er aufkommen mußte, war relativ klein. Wenn er ihn verfehlte, wurde er an den Felsen zerschmettert. Er bereitete sich sorgfältig auf den Sprung vor, ließ sich dann von der Wand abkippen und stieß sich mit den Füßen ab. Unwillkürlich hielt er den Atem an, als er in die Tiefe stürzte, und es kam ihm vor, als sei er viel höher als zehn Meter über dem Wasser. Der Fall schien endlos zu sein. Er konnte sich nicht so halten, wie er wollte, und er ruderte mit Armen und Beinen, um seine Lage zu stabilisieren. Doch das gelang ihm trotz aller Geschicklichkeit nicht so, wie er wollte. Er prallte seitlich mit angewinkelten Beinen aufs Wasser, und er hatte das Gefühl, auf Beton geschlagen zu sein. Heftige Schmerzen durchzuckten ihn. Er streckte die Arme aus, griff nach den Felsen und zog sich aus
dem Wasser. Seine Beine waren wie gelähmt. Vergeblich versuchte er, auf die Füße zu kommen. Immer wieder gaben die Beine unter ihm nach. So kroch er schließlich auf allen vieren weiter, bis er unmittelbar neben dem Schott in der Sonne lag. Hier blieb er, um sich zu erholen und um die Kleider ein wenig trocknen zu lassen. Die Schmerzen in seinen Beinen wurden stärker, und die Muskulatur verkrampfte sich. Bjo begann damit, die Oberschenkel zu massieren, und er merkte, daß nichts gebrochen war. Er hatte sich lediglich Prellungen zugezogen, die zu einer vorübergehenden lokalen Lähmung geführt hatten. Um ihr zu begegnen, stemmte er sich hoch und schritt vor dem Schott hin und her, bis die Schmerzen abflauten, und er sich dem Schott zuwenden konnte. Es schien aus reinem Nickel zu bestehen, und es war mit einem positronischen Schloß gesichert. Das sollte kein Problem sein, dachte er und griff zu seiner Waffe. Notfalls schieße ich es weg.
7. Bjo merkte, wie ein kühler Schauer seine Haut überlief, als er den Kombistrahler auf das positronische Schloß richtete. Eine eigentümliche und für ihn nicht definierbare Strahlung schlug ihm entgegen, als ob ein unsichtbares Wesen abwehrend die Hände ausstreckte. Nicht mit brutaler Gewalt! klang es in ihm auf. War es die Stimme eines anderen? Oder waren es seine eigenen Instinkte, die ihn vor einem unbedachten Schritt warnen wollten? Bjo Breiskoll ließ die Waffe sinken. Es gab noch eine andere Möglichkeit für ihn, das Schloß zu öffnen, doch dazu gehörte Geduld und viel Zeit.
Du könntest Sanny, Atlan und die anderen in Gefahr bringen, wenn du zu hastig vorgehst, mahnte er sich selbst. Wenn es wirklich eilig werden sollte, kannst du die Waffe immer noch einsetzen. Konstruktionsteil des komplizierten Kombistrahlers war ein positronischer Schwingungsdämpfer, der eine wesentliche Funktion in der Waffe hatte. Bei manchen Schlössern konnten damit die Schwingungen angemessen werden, die von den zentralen Sicherungselementen ausgingen. Bjo zögerte jedoch, dieses Teil auszubauen, da er dabei zwangsläufig einige Verbindungen zerstören mußte, die er selbst auf keinen Fall wieder reparieren konnte. Dazu mußte die Waffe an Bord der SOL in eine Spezialwerkstatt. Eine andere Möglichkeit, das Schloß auf sanfte Weise zu öffnen, gab es jedoch nicht. Er mußte den Schwingungsdämpfer einsetzen oder darauf verzichten, an dieser Stelle in den Zentralkegel einzudringen. Er entschied sich dafür, den Kombistrahler teilweise zu entwerten. Er öffnete ihn und riß das benötigte Teil heraus, kombinierte es mit der Energiezelle und drückte es dann an das Schloß. Nach einer Stunde mühseliger Arbeit gelang es ihm, die erste Sicherungshürde des Schlosses zu überwinden. Erschöpft legte er eine Pause ein. Wenn er bei dieser Methode blieb, brauchte er annähernd sechs Stunden, bis er es geschafft hatte. Die Gedanken Sannys verrieten ihm, daß die Molaatin allmählich verzweifelte, weil sie nicht mehr wußte, was sie tun sollte. Dennoch entschloß der Katzer sich, auf dem einmal eingeschlagenen Weg zu bleiben. Mit der Zeit wurde er geschickter und überwand die Schwierigkeiten schneller, die ihm die Positronik bot. So glitten die Riegel des Schottes schließlich nach etwas mehr als vier Stunden harter Arbeit zur Seite. Obwohl Bjo völlig entkräftet war, konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Nach den Anstrengungen, die hinter ihm lagen, wollte
er wissen, wie es hinter dem Schott aussah. Neugierig fuhr er es auf. Dann ließ er sich enttäuscht auf den Boden sinken und blickte in den primitiven Gang, der hinter dem Schott verborgen gewesen war. Hatte er solche Strapazen auf sich genommen, nur um in einen einfachen Erdgang zu gelangen? Wozu wurde dieser in so raffinierter Weise abgesichert? Wie so vieles auf der LiN schienen auch dieses Mal die Dinge nicht zueinander zu passen. Da es dunkel und kalt geworden war, kroch Bjo in den Gang und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Erdreich. Dabei fiel sein Blick auf eine runde Nickelplatte, die sich wenige Meter neben ihm im Boden befand. Sie machte ihn neugierig. Er schob sich zu ihr hin und untersuchte sie, soweit das in dem herrschenden Dämmerlicht möglich war. Die Platte war mit zwei Schubriegeln auf primitive Weise gesichert und ließ sich leicht öffnen. Um das geht es! dachte der Katzer erregt. Da ist eine gewisse Strahlung. Irgend etwas ist hier versteckt, und es muß verdammt wichtig sein, daß es so abgesichert worden ist. Er nahm den nur noch teilweise funktionsfähigen Kombistrahler in die linke Hand und riß die Platte mit der linken hoch. Unter ihm lag ein kugelförmiger Hohlraum, der von einem versteckten Licht spärlich erhellt wurde. Er enthielt – nichts! Enttäuscht ließ der Katzer sich zurücksinken. Wozu hatte er sich angestrengt? Alle Mühen waren vergeblich gewesen. Er wollte sich bereits aus dem Gang zurückziehen, um im Freien zu schlafen, bis der neue Tag anbrach, als er plötzlich fühlte, daß sich jemand an ihn herantastete. Ein unsichtbares Wesen streckte seine parapsychischen Sinne nach ihm aus, vorsichtig und ängstlich, als fürchte es, auf einen gefährlichen Feind zu stoßen.
Bjo richtete sich überrascht auf. »Sternfeuer!« flüsterte er. »Sternfeuer – du bist es.« Er blickte erneut in die Kammer, deren Wände aus Nickel zu bestehen schienen, sah aber auch jetzt niemanden darin. Doch telepathische Impulse bestätigten ihm, daß er jenes MultiBewußtsein gefunden hatte, das sich aus Sternfeuer, Cpt'Carch und Oggar zusammensetzte. Wir sind schwach, gab ihm Sternfeuer zu verstehen. Zunächst haben wir geglaubt, wir könnten bis in alle Ewigkeit in diesem Zustand und in dieser Nickelkugel ausharren. Doch das war ein Irrtum. Wir werden zerfallen, wenn wir nicht bald einen Körper finden, in dem wir leben können. Das solle kein Problem sein, erwiderte Breiskoll und berichtete, wie die SCHNECKE nach ihrem Ausbruch aus der Sonne zur SOL gekommen war. Das Multi-Bewußtsein jubelte. Mit einer derart glücklichen Wende hatte es nicht gerechnet. Wir haben uns in diese Falle locken lassen, berichtete Sternfeuer. Dabei wäre alles viel besser für uns gekommen, wenn wir nur ein wenig Geduld gehabt hätten. Dann wären wir sicherlich schon längst an Bord der SOL. Macht euch dorthin auf, wenn ihr könnt, empfahl der Katzer. Wir können. Wir schaffen es aus eigener Kraft. An Bord der SOL sehen wir uns dann wieder. Wir sind zwar schwach, aber bis zur SOL ist es nicht weit. Bjo Breiskoll spürte, wie das Multi-Bewußtsein an ihm vorbeiglitt. Auch jetzt konnte er es nicht sehen, aber er esperte seine Nähe, und die parapsychischen Impulse, die von ihm ausgingen, waren allzu deutlich. Während sich das Mischwesen von ihm entfernte, berichteten Sternfeuer und Cpt'Carch, wie es ihnen ergangen war, seit sie die SOL verlassen hatten und in den HORT übergewechselt waren. Bjo hörte ihnen zu, bis er alles wußte, dann gab er ihnen zu verstehen, daß er sich nicht mehr länger ablenken lassen durfte und
sich dem Innern des Zentralkegels zuwenden wollte. Wir sind mittlerweile in der SOL und beim Mnemodukt-II, antwortete Oggar. Für uns ist somit alles in Ordnung. Ich mache mich jetzt auf die Suche nach Sanny. Sanny? Wo ist sie? Bjo Breiskoll fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie muß hier in unmittelbarer Nähe sein. Sie hat euch gefunden, aber da war eine Scheibe, die sie nicht überwinden konnte. Er beschrieb, welche Gedanken und Empfindungen der Molaatin aufgefangen hatte. Dann trennte er sich endgültig von dem MultiBewußtsein und begann, nach einem Verbindungsgang nach unten zu suchen. Sanny mußte unter ihm sein, denn dort hatte sie gegraben, um unter der Scheibe hindurch in das Nickelgefängnis kriechen zu können. Er schritt in den Gang hinein. Als Bjo etwa zwanzig Meter weit vorgedrungen war, trafen ihn die Gedanken Sannys. Sie mußte in unmittelbarer Nähe sein, und sie hatte gerade beschlossen, sich aus dem Zentralkegel zurückzuziehen, da sie erkannt hatte, daß sie Atlan und den anderen nicht helfen konnte, wenn sie hier blieb. Am liebsten hätte der Katzer laut gerufen, um sie auf sich aufmerksam zu machen, doch er bemerkte einen Schatten am Ende des Ganges. An einer Abzweigung stand eine menschliche Gestalt. Bjo griff nach seinem Kombistrahler und ging langsam weiter, bemüht, jegliches Geräusch zu vermeiden. Mit seinen parapsychischen Sinnen konnte er die Gedanken des anderen nicht erfassen. Aber das gab ihm noch keinen Aufschluß darüber, ob er es mit einem lebenden Wesen oder einer Maschine zu tun hatte. Tdibmufs konnte sich ebenfalls vor ihm abschirmen, und vielleicht besaßen auch noch andere technische Einrichtungen, mit denen sie seine telepathischen Sondierungen wirkungslos machen konnten.
Als er nur noch etwa fünf Schritte von dem Schatten entfernt war, stieß er mit dem Fuß gegen einen Stein. Das Geräusch, das er dabei verursachte, alarmierte den anderen. Gedankenschnell setzte er sich in Bewegung und sprang dem Katzer entgegen. Erst jetzt sah dieser, daß er es mit einem Roboter zu tun hatte, der an dieser Stelle Wache gehalten hatte. Ein harter Schlag traf seinen Arm, und der Kombistrahler fiel auf den Boden. Bjo Breiskoll sah den zweiten Angriff der Maschine kommen. Er wich aus, fintierte und sprang den Roboter dann an, um ihm beide Füße vor die Brust zu stoßen. Mit dieser überraschenden Attacke überrumpelte er ihn und stürzte ihn um. Er selbst rollte sich über die Schulter ab, griff nach der entfallenen Waffe und löste sie aus. Ein grüner Desintegratorstrahl zuckte aus dem Projektor. Er schnitt sich in den Kopf des Roboters und zerstörte die Positronik. Der Kampfautomat, der sich halb aufgerichtet hatte, kippte wieder um und blieb ausgestreckt liegen. Bjo atmete auf. Zu seinem Bedauern hatte der Roboter keine Energiestrahlwaffe dabei, die er ihm hätte abnehmen können, um sie selbst zu nutzen. Er besaß außer seinen Händen überhaupt keine Waffe. Der Telepath eilte weiter. Die Zeit drängte, denn Sanny hatte sich schon eine beträchtliche Strecke von ihm entfernt, und er fürchtete, daß der Kontakt zu ihr abreißen würde, sobald irgendeines der vielen Strahlenfelder, die er bemerkt hatte, zwischen sie und ihn geriet. Der Gang bog nach einiger Zeit scharf nach rechts ab und führte in weitem Bogen zu der Stelle zurück, an der der Roboter lag. Ich muß mich durchgraben, dachte Bjo. Es gibt keine andere Möglichkeit. Er richtete den Projektor seines Kombistrahlers gegen den Boden, überlegte es sich dann jedoch anders und löste die Waffe nicht aus, um nicht unnötig Energie zu verschwenden. Er trennte einen der
Arme des Roboters ab und benutzte die stählerne Hand als Grabschaufel. Auf diese Weise kam er rasch voran, da der Boden weich war und sich leicht bearbeiten ließ. Schon nach wenigen Minuten hatte er ein Loch ausgehoben, das fast einen Meter tief war. Jetzt richtete er den Kombistrahler hinein und schnitt mit einem Desintegratorstrahl tief in das Erdreich. Dieses gab plötzlich nach, und ein Durchbruch in einen tiefer gelegenen Gang entstand. Bjo ließ sich hindurchgleiten, und jetzt sah er die transparente Scheibe, vor der Sanny so lange ausgeharrt hatte, und in der das Multi-Bewußtsein eingesperrt gewesen war. Nur wenige Schritte weiter stieß er auf eine andere Scheibe, hinter der Atlan und die anderen gefangen waren. Sannys Gedanken verrieten ihm, daß sie mittlerweile wieder umgekehrt war und sich nun in seine Richtung bewegte, da sie keinen Weg nach außen gefunden hatte. Er versuchte nun, die Scheibe mit dem Desintegratorstrahl zu durchbrechen, um Atlan und die anderen auf diese Weise zu befreien. Vergeblich. Der grüne Strahl zerfloß wirkungslos an der Scheibe. Diese hielt auch stand, als Bjo es mit einem Thermostrahl probierte. Keiner der Gefangenen reagierte. Sie merkten auch jetzt nicht, daß jemand versuchte, ihr Verlies zu öffnen. Bjo ließ die Waffe sinken. Ich muß den Schlüssel finden, sagte er sich. Es muß irgendein Gerät geben, mit dem man die Wand durchlässig machen oder vielleicht gar beseitigen kann. Plötzlich riß der Kontakt zu Sanny ab. Bjo fuhr herum. Er horchte. Nicht das geringste Geräusch verriet, daß sie in der Nähe war. »Sanny?« rief er. »Sanny, wo bist du?« Sie antwortete nicht. Bjo tastete sich lautlos voran.
Schritt für Schritt näherte er sich jenem Gangabschnitt, in dem die Molaatin vor Sekunden noch gewesen war. Wieso war sie plötzlich verschwunden? Was schirmte ihre Gedanken ab? Eine Maschine? Oder hatte sich ein lebendes Wesen eingeschaltet, das ebenfalls parapsychisch begabt war? Die Ausstrahlung des Bösen wurde intensiver. Ein fremdartiges Wesen schien durch das Erdreich zu gleiten, als ob es körperlos sei und durch kein Hindernis aufgehalten werden könne. Bjo bereute, daß er den Namen der Molaatin gerufen hatte. Damit hatte er sich verraten. Ein Schatten erschien vor ihm auf dem Gang, und eine menschliche Gestalt überquerte ihn. Bjo hörte, wie es leise quietschte. Ein Roboter? War Gammler in diesen Gängen unter dem Zentralkegel? Die Gestalt glitt ins Dunkel, bevor der Telepath sie genauer sehen konnte. Er preßte sich mit dem Rücken an die Wand und wartete. Tatsächlich vernahm er wenig später wieder das Quietschen, und dieses Mal zweifelte er nicht mehr daran, daß Gammler durch den Gang kam. Er meinte sogar, erkennen zu können, daß die Gestalt vor ihm nur einen Arm hatte. Es war Gammler. Dann mußte Tdibmufs ebenfalls in der Nähe sein. Bjo merkte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Endlich lüftete sich der Schleier des Geheimnisses ein wenig. Der Katzer beschloß, dem Roboter zu folgen und auf diese Weise in das Innere des Zentralkegels zu kommen. Lautlos eilte er hinter der Maschine her, und es dauerte nicht lange, bis er so weit aufgeholt hatte, daß er sie deutlich sehen konnte. Er hatte sich nicht geirrt. Es war der Roboter Gammler. Immer wieder streckte der Telepath seine Fühler nach Sanny aus, ohne jedoch einen Gedanken von ihr aufzufangen. Sie war wie vom
Erdboden verschluckt. Ähnlich wie der blonde Mann am Kanal und das Mädchen! dachte er. Gammler schritt in einen schräg nach oben führenden Gang ein. Er quietschte und knarrte bei jeder Bewegung. Bjo zögerte, ihm im gleichen Abstand wie bisher zu folgen, weil er sich nirgendwo verstecken konnte, falls der Roboter sich einmal umdrehte. Der Vorsprung der Maschine wuchs auf etwa zwanzig Meter. Dann bog sie in einen nach rechts abzweigenden Gang ein. Breiskoll rannte hinter ihr her. Unmittelbar bevor er die Ecke erreichte, an der der Roboter verschwunden war, vernahm er Schritte, die sich ihm näherten. Unschlüssig blieb er stehen. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte. Verstecken konnte er sich nun nicht mehr. Er griff nach seiner Waffe und wartete. Der blonde Mann, mit dem er am Kanal gekämpft hatte, kam aus dem Gang. Verblüfft blickte Bjo ihn an. Er wartete auf irgendeine Reaktion von ihm, doch er wurde enttäuscht. Sie blieb aus. Der Blonde schien ihn nicht zu sehen. Vorsichtig drückte der Katzer sich an die Wand und ließ den Mann an sich vorbeigehen, und er war so dicht bei ihm, daß er ihn mit den Händen hätte berühren können. Doch der Blonde verhielt sich so, als sei er allein auf dem Gang. »He, du«, sagte Bjo leise. Der andere ging weiter. Entschlossen folgte der Katzer ihm, streckte die Hand nach ihm aus, weil er ihn an der Schulter packen und herumdrehen wollte. Auf diese Weise wollte er ihn dazu zwingen, mit ihm zu reden. Doch seine Hand erreichte ihn nicht. Plötzlich fehlte dem Blonden ein Arm und ein Stück von der Schulter.
Bjo verharrte mitten in den Bewegungen. Er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Der Blonde verschwand so überraschend wie ein Teleporter, und er kehrte nach kaum einer Sekunde wieder zurück. Jetzt war er wieder vollständig. Aber er blieb nicht lange. Nach zwei Schritten war der Gang leer, jedoch abermals nur für eine kurze Zeit. Neugierig und voller Argwohn eilte Bjo zu der Stelle, an der der Fremde zuletzt gewesen war. Im gleichen Augenblick erschien der andere erneut, und dann wiederholte sich das rätselhafte Spiel in Abständen von Sekundenbruchteilen, so als ob Bjo den Blonden im Scheinwerferkegel einer Unterbrecherlampe sehe, die ihn mal in grelles Licht hüllte, mal in der Dunkelheit untertauchen ließ. Endlich blieb der Mann stehen. »He, du«, wiederholte Bjo nun mit lauter Stimme. »Hörst du mich nicht, oder willst du mich nicht hören?« Der geheimnisvolle Fremde reagierte auch jetzt nicht. Seine Gestalt verlor abermals einen Arm und einen Teil des Oberkörpers, wurde dann allmählich durchsichtig und verschwand. »Jetzt verstehe ich«, sagte der Katzer leise. »Es war nur eine Projektion, die sich materiell manifestiert hat. Der Projektor ist offenbar nicht in Ordnung. Er fällt immer wieder aus. Deshalb ist dieser Kerl manchmal da und dann wieder nicht.« Etwas raschelte hinter ihm. Er fuhr herum und verengte geblendet die Augen, da ihm jemand mit einem Handscheinwerfer ins Gesicht leuchtete. »Bjo«, rief Sanny mit heller Stimme. Sie schien vollkommen überrascht zu sein. »Wie kommst du denn hierher?« Sie ließ die Lampe sinken. »Sanny?« »Natürlich. Erkennst du mich etwa nicht? Außerdem kannst du doch meine Gedanken lesen.« »Eben nicht«, antwortete er. »Das ist ja der Grund dafür, daß ich gefragt habe.«
Auch die Molaatin kann nur eine Projektion sein, dachte er. Der Schalter, oder wer auch immer Machthaber der Landschaft im Nichts ist, gaukelt mir etwas vor. Doch dann trat Sanny einen Schritt näher an ihn heran, und plötzlich konnte er ihre Gedanken lesen. Er ließ sich auf die Knie sinken und blickte die Instinktmathematikerin freundlich an. »Hier gibt es überall Energiefelder, die dich gegen mich abschirmen«, erklärte er. »Ich suche dich schon seit einiger Zeit, aber du warst immer wieder verschwunden, so daß ich dich nicht anpeilen konnte. Aber jetzt ist ja alles gut.«
8. Sanny berichtete Bjo, wie es ihr ergangen war. Er wollte ihr sagen, daß er das längst wußte, weil er ihre Gedanken ausgelotet hatte, doch die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Sie war nicht zu bremsen, und so ließ er sie gewähren. »Wir müssen in den Zentralkegel hinauf«, eröffnete er ihr schließlich, als sie ein wenig ruhiger wurde. Sanny schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall«, erwiderte sie. »Davon habe ich genug. Die Roboter hätten mich beinahe erwischt.« »Wir haben keine andere Wahl«, erläuterte er. »Wir müssen herausfinden, was gespielt wird, und das können wir nicht hier unten, sondern nur oben im Turm.« »Das sehe ich ein«, seufzte sie schicksalsergeben. »Aber es gefällt mir nicht.« Er setzte ihr nun seinerseits einiges von dem auseinander, was er in Erfahrung gebracht hatte, und schloß: »Oggar ist zu seinem Körper unterwegs. Er ist längst in der SOL. Dort weiß man daher, wie es um uns steht. Wir können demnach mit Hilfe von außen rechnen.«
»Das wußte ich nicht.« »Also – komm.« Er schob die Molaatin sanft vor sich her. »Du kennst den Weg. Zeige ihn mir.« Sanny hob eine Hand und signalisierte ihm, daß sie einverstanden war. Sie führte ihn, so daß sie bald darauf den Raum mit jenen Maschinen erreichten, die Atlan für Antigravaggregate gehalten hatte. Staunend betrachtete Bjo die riesigen Geräte. Dabei dachte er wieder an das, was ihm auf dem Weg zum Zentralkegel widerfahren war. Er war sich dessen nun ganz sicher, daß auch die Tiere, denen er begegnet war, Projektionen waren. Irgend jemand hatte ihm Trugbilder vorgeführt, und dabei waren ihm eine Reihe von Fehlern unterlaufen. Die Proportionen stimmten nicht. Die Tiere waren entweder zu groß oder zu klein, so daß sie ihn nicht von der Harmlosigkeit der Landschaft im Nichts überzeugt, sondern seinen Argwohn geweckt hatten. War auch das Mädchen nur eine Projektion gewesen? Das Mädchen und das Segelboot! beantwortete er sich diese Frage selbst. Nur deshalb sind sie ohne jede Spur verschwunden. Und was war mit diesem Riesenfisch? Er wußte es nicht. Er hatte die geistigen Impulse des Tieres aufgefangen. Sie hatten ihm mit aller Deutlichkeit klargemacht, in welcher Gefahr er sich befand. Waren sie echt oder nur vorgetäuscht gewesen? Und wozu sollten die Machthaber der LiN so etwas getan haben? Fühlten sie sich durch ihn bedroht und wollten sie ihn ablenken? Bjo hätte der Wahrheit schon jetzt auf den Grund kommen können, wenn er nur konsequent genug gedacht hätte, doch er hoffte auf weitere Hinweise, die ihm helfen würden, das Rätsel der Landschaft im Nichts zu lösen. Ein Schott öffnete sich. Bjo zog Sanny hinter eine der Maschinen. Warnend legte er einen Finger an die Lippen. Schritte näherten sich ihnen. Sie wurden von einem leisen
Quietschen und Knarren begleitet, als ob die beweglichen Teile eines Roboters nicht ausreichend geschmiert seien. Bjo griff zur Waffe. Er wechselte einen kurzen Blick mit Sanny, die sich zwischen einige aufwärts steigende Röhren zurückzog. Ein Schott bewegte sich, irgendwo zischte es leise, und dann wuchs die Gestalt von Tdibmufs' mechanischem Begleiter vor Sanny und dem Telepathen auf. »Du bedrohst mich mit der Waffe?« fragte er mit schwankender Stimme. »Hast du nichts anderes im Sinn, als dich mit mir zu schießen?« Bjo zögerte. Er wollte Gammler nicht zerstören, wenn das nicht unbedingt notwendig war, und da die Maschine keinerlei Anstalten machte, ihn anzugreifen, ließ er die Waffe sinken. »Wo ist Tdibmufs?« fragte er. »Hier«, antwortete der Alte mit sanfter Stimme hinter ihm. Bjo drehte sich erstaunt um. Er hatte nicht gehört, daß jemand hinter ihn getreten war. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er eine Bewegung. Er reagierte blitzschnell, aber doch viel zu langsam. Gammler stürzte sich auf ihn, und obwohl die Maschine nur noch einen Arm hatte, entriß sie ihm den Kombistrahler, stieß ihm ein Knie in den Rücken und warf ihn zu Boden. Bevor der Katzer einen Gegenangriff beginnen konnte, blickte er bereits in das flimmernde Abstrahlfeld der Energiestrahlwaffe. Tdibmufs lachte selbstgefällig. »Wie kann man nur so leichtsinnig sein«, sagte er. »Bjo, du enttäuschst mich. Steh auf.« Der Telepath gehorchte. Er machte sich heftige Vorwürfe, weil er sich von dem harmlos erscheinenden Gammler hatte übertölpeln lassen. Er atmete tief durch und schüttelte dann lachend den Kopf, als sei ihm eine Ungeschicklichkeit unterlaufen, die ihn hilflos und verlegen machte.
»Du hättest mich beinahe hereingelegt«, sagte er. »Ich bin ein wenig überrascht, dich hier zu treffen. Ich habe nicht mit dir oder Gammler gerechnet.« »Rede keinen Unsinn«, erwiderte der Alte, und jetzt klang seine Stimme hart, und sie war in keiner Weise verbindlich. Auch die Augen hatten ihren gütigen, vertrauenserweckenden Ausdruck verloren. Bjo begriff, daß er es mit einem gefährlichen Gegner zu tun hatte, der sein äußeres Erscheinungsbild nur gewählt hatte, um ihn zu täuschen. Gammler trat einige Schritte zurück und richtete die Waffe ständig auf den Katzer, so daß dieser ihn nicht angreifen konnte. Sanny stand neben Bjo, aber sie war so klein und wirkte so harmlos, daß der Roboter sich durch sie nicht gefährdet sah. Sie war unbewaffnet und konnte nichts ausrichten. »Was passiert jetzt?« fragte Bjo. »Geht weiter«, befahl der Alte. »Dort entlang. Ihr werdet den Zentralkegel nicht mehr verlassen.« Bjo bemühte sich um ein harmloses Lächeln. »Warum nicht? Ist unser Urlaub zu Ende?« Tdibmufs blickte ihn herablassend an. »Ihr wißt ein wenig zuviel. Ihr könntet den Plan stören. Deshalb werdet ihr hier bleiben, bis ich weiß, welchen Tod Hidden-X für euch beschlossen hat. Das gleiche gilt für Atlan und die anderen.« Bjo erbleichte. Er hatte damit gerechnet, daß der Alte seine Maske fallenlassen würde. Diese überaus deutlichen Worte überraschten ihn aber dennoch, denn sie zeigten auf, daß Sanny und ihm keinerlei Spielraum mehr blieb. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen, zuckte mit den Schultern und tat, als habe er nicht verstanden. »Nicht doch, Tdibmufs«, entgegnete er lächelnd. »Auch ein Abenteuerurlaub kann seinen Reiz haben, aber das geht nun doch zu weit. Hidden-X ist eine Macht, die nicht zur Freizeitgestaltung
paßt. Außerdem kann sie nichts mehr entscheiden. Meines Wissens wurde sie aus dem Ysterioon vertrieben und existiert nicht mehr.« »Geht weiter«, wiederholte Tdibmufs seinen Befehl. »Habt ihr nicht gehört?« Bjo horchte seiner Stimme nach, während Sanny und er von dem Roboter in einen anderen, mit fremdartigen Maschinen ausgestatteten Raum geführt wurden. Hatte die Stimme nicht einen etwas schrillen Unterton gehabt? Hatte sie nicht eine gewisse Unsicherheit verraten? »Erstens, Bjo Breiskoll, dies ist kein Urlaub. Soll ich es dir beweisen, indem ich die Molaatin töte?« »Nur nicht«, antwortete der Katzer schnell. »Ich glaube dir. Mir ist schon seit Tagen bewußt, daß wir Solaner hier auf der LiN alles andere als einen Urlaub verbringen. Eben deshalb bin ich hier.« »Gut. Dann verstehen wir uns. Du hast also begriffen, wie ernst die Lage für dich ist. Ihr habt den Plan gestört und vielleicht gar gefährdet. Deshalb wird Hidden-X hart durchgreifen. Keiner von euch wird den Zentralkegel lebend verlassen. Hidden-X wurde zwar aus dem Ysterioon vertrieben, aber er existiert auch weiterhin.« Bjo hoffte, daß Tdibmufs weiterreden würde. Eine überaus wichtige Information hatte er ihnen bereits gegeben: Hidden-X gab es immer noch. Nach wie vor war mit ihm zu rechnen. Darüber hinaus war nunmehr ganz klar, daß Tdibmufs ein Machtinstrument von Hidden-X war, und es hatte sich bestätigt, daß der Argwohn gegen die Landschaft im Nichts berechtigt gewesen war. Eine Macht wie Hidden-X hatte alles andere im Sinn, als der Besatzung der SOL einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen. Sanny schaltete sich ein. »Würdest du uns einige Fragen beantworten?« fragte sie. »Wozu?« antwortete der Alte. »Was nützt euch das Wissen, wenn ihr doch in einigen Minuten sterben müßt?« »Was schadet es dir, uns die Informationen zu geben, die wir
haben möchten, wenn du ganz sicher sein kannst, daß wir sie nicht mehr weitergeben können?« konterte sie. »Du hast recht. Ihr könnt nichts mehr mit eurem Wissen anfangen.« »Was ist das Geheimnis des Zentralkegels?« Tdibmufs lachte. »Du beginnst nicht mit den kleinen Fragen, sondern gleich mit den ganz großen.« »Was macht das für einen Unterschied? Bist du dir deiner Sache so unsicher, daß du mir nicht ein paar Auskünfte geben kannst?« Der Alte blickte Sanny und Bjo abwechselnd an. »Das alles geht euch nichts an«, rief er dann und entfernte sich einige Schritte von ihnen. »Ihr seid Gefangene, mit denen ich keine langen Gespräche führe.« Die Molaatin zuckte zusammen, und ihre Augen weiteten sich. »Nein«, rief sie. »Das darf nicht wahr sein.« Sie lief auf Tdibmufs zu, blieb jedoch erschrocken stehen, als der Roboter sie bei der Schulter packte. »Du willst mir nicht verraten, was es mit dem Zentralkegel auf sich hat«, sagte sie erregt. »Nun gut, wenn du meinst, daß du ein Geheimnis daraus machen mußt, dann behalte es für dich. Aber dein Geheimnis kenne ich jetzt.« »Was redest du da für einen Unsinn? Ich habe keines.« »Und ob du eines hast«, triumphierte sie. »Ich kann es mit Hilfe meiner Paramathematik berechnen und durchschauen. Es ist ganz einfach, und ich hätte eigentlich schon viel früher darauf kommen müssen.« »Sei endlich still.« Tdibmufs schreckte vor ihr zurück, als habe er sie mit körperlicher Gewalt bedroht. »Ich denke gar nicht daran. Ich weiß jetzt, daß du ein maskierter Molaate bist.« Sie streckte einen Arm aus und zeigte anklagend auf Tdibmufs. »Und du bist der Schalter!« »Du bist nicht ganz bei Sinnen.«
»Wirklich nicht? Es ist so einfach, daß ich es kaum aussprechen mag. Wenn man die Buchstaben des Namens Schalter durch den jeweils folgenden Buchstaben des Alphabets ersetzt, entsteht der Name Tdibmufs.« Bjo Breiskoll blickte sie verblüfft an. Sie hatte recht. Sie war auf eine Tatsache gestoßen, die er selbst längst hätte entdecken können, wenn er nur ein wenig über den seltsamen Namen des Alten nachgedacht hätte. »Du bist der Schalter«, sagte er. »Warum bist du so feige, daß du es nicht zugeben willst?« Bjo deutete auf den Roboter, der seine Waffe noch immer in der rostigen Hand hielt. »Er hat den Kombistrahler. Er hat die Macht. Also? Bist du der Schalter oder nicht?« »Ich bin es«, antwortete der Alte. Er griff sich zum Gürtel, hantierte an der Schnalle herum und ließ die Maske fallen. Er schien in sich zusammenzustürzen. Das Bild eines leutseligen und vertrauenerweckenden Terraners verschwand, und plötzlich stand ein Molaate vor Bjo und Sanny. »Verräter!« zischte Sanny verächtlich. »Wie ist dein wahrer Name?« Auch Bjo Breiskoll war überrascht, denn die Projektion des Alten war so überzeugend gewesen, daß er sie bis jetzt nicht als solche erkannt hatte. Obwohl er kurz zuvor die Begegnung mit einer Projektion gehabt hatte, war er nicht auf den Gedanken gekommen, daß Tdibmufs sich mit einem solchen Trick tarnte. Es ist wiederum so einfach, sagte er sich. Ich hätte es erkennen müssen. »Du bist der Schalter«, wiederholte er. »Wie ist dein richtiger Name?« Der Molaate fühlte sich sicher. Er wußte, daß Bjo Breiskoll nichts gegen ihn ausrichten konnte. »Mein Name ist Hapeldan«, erwiderte er.
»Hast du dich freiwillig in den Dienst von Hidden-X gestellt?« fragte Sanny verwundert. »Hast du das wirklich getan?« »So ist es«, erklärte er. Mit der Maske hatte Hapeldan auch den Schutzschirm abgeschaltet, hinter dem er seine Gedanken verbergen konnte. Bjo Breiskoll konnte daher seine telepathischen Fähigkeiten nutzen, um weitere Informationen einzuholen. Er verzichtete jedoch nicht auf direkte Fragen, weil er Zeit gewinnen wollte. Über Hidden-X selbst, über das ominöse Flekto-Yn oder die verschwundenen Molaaten wußte Hapeldan nichts, und es hätte auch keinen Sinn gehabt, ihn danach zu fragen. Breiskoll erfuhr, daß Hapeldan tatsächlich freiwillig in den Dienst von Hidden-X getreten, jedoch nicht unbeeinflußt geblieben war. Machtgier war das Hauptmotiv für den Molaaten gewesen, und jetzt war er Hidden-X treu ergeben, obwohl er die Wesenheit nie gesehen hatte. Er wußte noch nicht einmal, ob man Hidden-X überhaupt sehen konnte. Ein Teil seiner Erinnerungen war gelöscht worden, so als ob gewisse Hirnpartien von der Sauerstoffzufuhr abgeschnitten und damit erstickt worden wären. Doch diese Teile des Gehirns waren nicht tot, sie waren lediglich leer oder zum Teil mit PseudoErinnerungen aufgefüllt worden, die so verschwommen waren, daß der Telepath sie nicht ausloten konnte. Immerhin bewies der Zustand des molaatischen Gehirns, daß Hidden-X Einfluß auf Hapeldan genommen hatte, und daß dieser keineswegs so freiwillig arbeitete, wie er selbst meinte. »Wir verlassen diesen Raum«, erklärte der Schalter, bevor Sanny oder Bjo weitere Fragen stellen konnten. »Später werdet ihr noch mehr erfahren. Ich möchte euch etwas zeigen.« »Was denn?« erkundigte sich der Katzer, während sie in eine benachbarte Halle überwechselten. »Einiges von der technischen Einrichtung des Zentralkegels. Es wird euch interessieren.« Hapeldan handelte keineswegs aus dem
Wunsch heraus, ihnen Wissen zu vermitteln. Er folgte seinem Geltungsbedürfnis. Er wollte Bjo Breiskoll und die Molaatin beeindrucken und ihnen beweisen, daß der Schalter nicht nur ein ausführendes Organ war, sondern über Macht verfügte. »Und wohin geht es?« forschte Sanny voller Mißtrauen. »Wir gehen mit dem Ego-Transmitter in die obere Zentrale des Kegels.«
* Etwa zur gleichen Zeit, als Bjo Breiskoll, Sanny, Hapeldan und Gammler mit Hilfe des Ego-Transmitters in die Zentrale des Kegels überwechselten, landete Oggar mit der SCHNECKE in der Nähe der Stelle, an der der Telepath in den Brunnenschacht gestiegen war. Oggar hatte sich wieder erholt. Er fühlte sich frisch und stark, denn das Multi-Bewußtsein hatte sich stabilisiert und drohte nun nicht mehr auseinanderzufallen. Oggar verließ das Beiboot und eilte zum Schacht. Mit Hilfe seines Antigravgürtels ließ er sich in die Tiefe sinken und verharrte kurz vor dem Schott, das Bjo Breiskoll mühsam geöffnet hatte. Ich kann mich bei ihm bedanken, daß ich nicht unnötig aufgehalten werde, dachte er. Hoffentlich kommt er allein klar. Da er auf telepathischem Weg alle Informationen erhalten hatte, die er benötigte, fand er den Weg zu dem Verlies, in dem Atlan und seine Begleiter steckten, ohne große Mühe. Auf der SOL hatte er sich für diesen Einsatz sorgfältig vorbereitet, und er führte daher einige Spezialinstrumente mit sich, mit denen er hoffte, die unüberwindlich erscheinende Scheibe durchbrechen zu können. Seine einzige Sorge war, daß er bei seinem Befreiungsversuch von Robotern gestört werden oder einen Alarm auslösen würde. Voraussetzung für einen Erfolg der Aktion war, daß diese schnell ablief, und daß die Befreiten danach in kürzester Zeit zur
SCHNECKE kamen. Als erstes baute Oggar daher einen Signalgeber auf, den er nach einigen Minuten mit Hilfe eines Meßgeräts auf die Frequenz der Kombination aus Energieschirm und Transparentscheibe einstellen konnte. Als der Signalgeber aufleuchtete, richteten die Gefangenen sich überrascht auf. Sie machten einander auf den Leuchtpunkt aufmerksam, der auf der Scheibe tanzte, und Oggar bedauerte, daß er ihnen vorläufig kein besseres Zeichen und nähere Informationen geben konnte. Er begann nun mit den Arbeiten an einer Strukturlücke. Diese waren zeitraubend, obwohl er verschiedene positronische Geräte einsetzen konnte. Mit ihnen fand er heraus, daß sich Frequenz und Struktur der Energieschirme ständig änderten, die das Verlies sicherten, so daß es äußerst schwierig war, eine Strukturlücke zu errichten, die sich für mehrere Minuten halten konnte. Atlan und die anderen Gefangenen hatten mittlerweile erfaßt, um was es ging. Sie bereiteten sich auf ihren Ausbruch vor.
* Bjo Breiskoll und Sanny befanden sich mittlerweile zusammen mit Hapeldan und dem Roboter Gammler in einem anderen Raum, der eine Fülle von Steuergeräten der verschiedensten Art enthielt. Der Schalter führte seine Gefangenen durch einige Räume, deren Aufgabe und deren Einrichtungen er stolz erläuterte. So zeigte er ihnen einen Umsetzer für Mentalimpulse in die Sprache des Schalters, eine Spezialantenne für Mentalimpulse, einen Umsetzer für Schalterkommandos und als Särge getarnte Fiktivprojektoren. Dabei gab er ihnen jedoch lediglich die Bezeichnungen an, ohne eingehende Beschreibungen ihrer Arbeitsweise hinzuzufügen. Bjo Breiskoll ließ ihn reden. Er verschaffte sich zusätzliche Informationen auf telepathischem Weg, und er wollte Zeit
gewinnen. Schließlich kehrten sie in die Schalterzentrale zurück. Die Vorführung der Machtinstrumente war zu Ende. »Wozu das alles?« fragte der Katzer. »Was hat das alles mit der SOL zu tun?« »Das ist kein Geheimnis«, erwiderte der Molaate. »Ich habe den Auftrag von Hidden-X, die SOL zu entvölkern.« »Und warum?« »Das liegt doch auf der Hand. Die SOL wird später unter meinem Kommando, bemannt mit Molaaten, zum Wohl von Hidden-X eingesetzt werden.« »Ich verstehe«, entgegnete Bjo. »Und was hat es mit der Sonne Super auf sich?« Hapeldan lächelte selbstgefällig. »Super ist eine als Sonne getarnte Einrichtung von Hidden-X. Sie ist ein Hohlspiegel. Er empfängt Impulse und Energien meines Herrn aus großer Ferne, lenkt sie teils direkt auf diese Raumzone, um sie vom normalen Universum abzuschirmen, teils auf den Zentralkegel, wo sie mit Hilfe der vorhandenen Gerätschaften für den Aufbau und die Erhaltung der Landschaft im Nichts sorgen.« »Moment mal«, sagte Bjo und tat, als sei er erregt und überrascht. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist die Landschaft im Nichts lediglich eine Projektion?« »Kluger Junge«, spöttelte Hapeldan. »Du hast es erfaßt. Der Plan von Hidden-X ist einfach genial. Er will möglichst viele Solaner auf die LiN locken, damit diese dann abgeschaltet werden kann, wenn sie dort sind. Wenn das gelingt, und es ist schon fast gelungen, fällt die SOL unversehrt und ohne Besatzung in meine Hände.« »Dann ist auch die Geister-SOL nur ein Instrument dieses Planes gewesen, die Solaner bis zur Erschöpfung zu treiben, damit sie ihr Schiff verlassen?« fragte Sanny. »Genau das ist richtig.« Bjo Breiskoll erschauerte angesichts der gewaltigen Kräfte, die
Hidden-X ins Spiel gebracht hatte. Fast erschien ihm der ganze Aufwand widersinnig, aber er sagte sich, daß sich die Pläne von Hidden-X mit menschlicher Logik eben nicht erfassen ließen. »Ich gebe zu, daß es in letzter Zeit Fehler gegeben hat«, fuhr Hapeldan fort. Selbstgefällig verschränkte er die Arme vor der Brust. »Hidden-X und ich haben die Mentalität Atlans und seiner Helfer teilweise falsch eingeschätzt. Aber das ist nun vorbei. Fast alle Solaner sind auf der LiN. Ich kann die Projektion also in Kürze abschalten. Dann befinden sich alle Solaner plötzlich ohne Schutzanzüge im Weltraum, und das ist der sichere Tod für sie.« Bjo schwieg. Die Worte des Schalters bewiesen ihm, daß dieser auf den schon fast primitiven Trick mit den Robotern hereingefallen war, die die Rolle der Solaner spielten. Es schien so, als hätten nur einfache Dinge Erfolg gegen eine Wesenheit wie Hidden-X, weil diese und seine Helfer solche nicht ins Kalkül zogen. »Ich habe noch eine Frage«, sagte der Katzer. Er zeigte auf Gammler, der noch immer mit dem Kombi-Strahler auf ihn zielte. »Was ist seine Funktion?« »Das ist schnell beantwortet«, erwiderte Hapeldan. »Er ist der Umsetzer meiner Anweisungen an die technischen Einrichtungen des Zentralkegels.« Der Molaate lächelte ironisch. »Sein Gehabe ist natürlich nur Tarnung. Damit habe ich euch erfolgreich getäuscht.« »Leider«, seufzte Bjo. Plötzlich kam Bewegung in den Roboter. »Entschuldige, daß ich störe«, sagte er. »Es ist etwas passiert. Das verschwommene Bewußtsein ist entkommen. Es hat sich seines Körpers wieder bemächtigt und die Gefangenen aus der Erdhöhle befreit.« Breiskoll atmete auf. Er wußte sofort, daß Gammler Oggar meinte. Er öffnete seine telepathischen Sinne und empfing nahezu im gleichen Augenblick die Gedanken von Federspiel und Oggar. Das
nun wieder vollständige Multiwesen befand sich unweit des Zentralkegels bei der SCHNECKE. Atlan hatte das Beiboot bereits betreten. Bjo beobachtete Hapeldan, und er sah, daß der Schalter nervös und unsicher wurde. »Es sieht so aus, als hättest du doch nicht alles im Griff«, sagte der Katzer. »Mit deinen verschiedenen Projektionen hast du mich vorübergehend getäuscht, aber schließlich habe ich begriffen. Und so wird es auch mit den anderen Solanern sein. Jetzt sind dir deine Gefangenen entkommen. Wie wird Hidden-X darauf reagieren?« »Sie still«, fauchte der Schalter ihn an. Bjo strich sich mit der Hand über den Mund, um vor Hapeldan zu verbergen, daß er lächelte. Er glaubte nicht daran, daß der Schalter ihn töten würde. Sannys und seine Chancen waren besser geworden, seit Atlan entkommen war, und die Situation Hapeldans hatte sich dramatisch verschlechtert. Ein Summen lag in der Luft. Es wurde immer lauter und bedrohlicher und ging schließlich in ein quälendes Dröhnen über. Dann brandete eine Stimme auf, die Bjo Breiskoll als die von HiddenX aus dem Ysterioon wiedererkannte. »Du hast versagt!« hallte es durch den Raum. »Man hat dich getäuscht. Ein mächtiger Verbündeter der Solaner ist aufgetaucht, und du hast mich nicht gewarnt. Rette, was zu retten ist. Schalte die Landschaft im Nichts sofort ab.«
ENDE
Hidden-X hat die Abschaltung der Landschaft im Nichts angeordnet und damit das Ende dieser Welt der Illusionen und all derer gefordert, die sich darauf aufhalten. Was nach diesem Befehl des mysteriösen Gegners Atlans und der Solaner
geschieht, das schildert Peter Griese im Atlan-Band der nächsten Woche. Sein Roman erscheint unter dem Titel: DER SCHALTER