WÄCHTER DES ALLS (The Legion of Space)
Von Jack Williamson
1. „Legionär John Ulnar meldet sich zur Stelle!“ In der ne...
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WÄCHTER DES ALLS (The Legion of Space)
Von Jack Williamson
1. „Legionär John Ulnar meldet sich zur Stelle!“ In der neuen Uniform der Weltraumlegion stand John Ulnar in militärischer Haltung vor dem Schreibtisch des ernsten, weißhaarigen Offiziers, der das silberne Modell eines Weltraumkreuzers spielend in den Fingern hielt. Er fühlte, wie die gnadenlosen Augen des Majors von dem zierlichen Schiff zu ihm aufblickten und jede Einzelheit seines Körperbaues erforschten. Steif und fast zitternd vor Aufregung hielt er den durchbohrenden Blicken stand, voll Begierde zu erfahren, was seine erste Aufgabe sein sollte. „John Ulnar, sind Sie bereit, Ihren ersten Auftrag im Dienst der Legion so auszuführen, wie er ausgeführt werden muß? Sind Sie bereit, die Pflicht über alles andere zu stellen?“ „Yes, Sir, ich bin bereit.“ Was mochte das nur sein? „Das will ich auch hoffen, John Ulnar.“ John Star wurde damals noch John Ulnar genannt, der Name Star war eine Auszeichnung, die ihm erst später von der Grünen Halle verliehen wurde. Dieser Tag, einer der ersten des dreißigsten Jahrhunderts, war der größte, der erregendste Tag seiner einundzwanzig Jahre. Er bedeutete das Ende der harten fünf Jahre in der Akademie der Legion auf Catalina Island. Jetzt waren die Vorbereitungen beendet; sein Leben in der Legion sollte beginnen. Wohin, so fragte er sich, würde ihn seine erste Aufgabe verschlagen? Auf einen Kreuzer des Streifendienstes der Legion in der kalten Leere des Weltraums, auf irgendeinen isolierten Außenposten in den exotischen schrecklichen Dschungeln der Venus, oder vielleicht zur Wachtruppe der Grünen Halle selbst? Er bemühte sich, seine brennende Ungeduld zu verbergen. „John Ulnar“, sagte schließlich Major Stell mit seiner aufreizenden Bedachtsamkeit, „ich hoffe, es ist Ihnen klar, was Pflicht heißt.“ „Das ist mir klar, Sir.“ „Denn“, fuhr der Offizier langsam fort, „Sie sind für eine außerordentlich wichtige Aufgabe ausersehen.“ „Was ist es, Sir?“ Er konnte dem Verlangen nicht widerstehen, seine Neugierde schnellstens zu befriedigen, aber Major Stell ließ sich nicht zur Eile drängen. Seine scharfen Augen prüften John Star immer noch unbarmherzig, während die dünnen Finger weiter das silberne Spielzeug auf seinem Schreibtisch hin und her ‘drehten. „John Ulnar, es wird Ihnen eine Aufgabe übertragen, mit der bisher nur erfahrene und ausgesuchte Männer der Legion betraut worden sind. Ich muß schon sagen, ich bin überrascht, daß gerade Sie dafür ausgewählt wurden, denn Ihr Mangel an Erfahrung wird sich nachteilig für Sie auswirken.“ „Ich hoffe, nicht allzusehr, Sir.“ „Die Befehle für Ihren Einsatz, John Ulnar, kamen von Commander Ulnar selbst. Sind Sie vielleicht mit dem Kommandeur der Legion und seinem Neffen Eric Ulnar, dem Entdecker,
verwandt?“ „Yes, Sir, weitläufig.“ „Das könnte den Befehl erklären. Aber wenn Sie bei dieser Aufgabe versagen, John Ulnar, dürfen Sie vom Kommandeur keine Gnade erwarten, die Sie vor den Folgen bewahren könnte.“ „Nein, Sir, natürlich nicht!“ Wie lange sollte er diese Ungewißheit noch aushalten? „Der Dienst, zu dem Sie befohlen sind, ist kaum bekannt und streng geheim. Aber er ist der wichtigste, mit dem ein Soldat der Legion beauftragt werden kann. Sie werden der Grünen Halle unmittelbar verantwortlich sein. Ich warne Sie! Jedes Versagen, und sei es nur aus Nachlässigkeit, bedeutet für Sie Ungnade und strengste Bestrafung.“ „Yes, Sir.“ „John Ulnar, haben Sie jemals von AKKA gehört?“ „Akka? Ich wüßte nicht, Sir.“ „Das heißt nicht akka, sondern A—K—K—A. Es ist ein Symbol.“ „Yes, Sir. Und was soll es bedeuten?“ „Männer haben ihr Leben hingegeben, um es zu erfahren, John Ulnar, und Männer sind gestorben, wenn sie es wußten. Nur ein Mensch im Planetensystem weiß genau, wofür diese vier Buchstaben stehen, und dieser Mensch ist eine Frau. Die wichtigste Aufgabe der Legion ist, Sie zu bewachen.“ „Yes, Sir“, flüsterte er atemlos. „AKKA ist das Kostbarste, was die Menschheit besitzt. Ich kann Ihnen nicht sagen, was es ist, aber sein Verlust, das heißt der Verlust der jungen Frau, die es kennt, würde ein beispielloses Unheil über die Menschheit bringen.“ „Yes, Sir.“ „Ich könnte Sie zu keinem wichtigeren Einsatz kommandieren als den, sich den wenigen, ins Vertrauen gezogenen Männern anzuschließen, die diese junge Frau bewachen. Aber auch zu keiner gefährlicheren Aufgabe! Denn es gibt Menschen, die wissen, daß AKKA existiert, und auch wissen, daß sein Besitz es Ihnen möglich machen würde, die Grüne Halle unter ihre Herrschaft zu bringen, oder sie gar zu vernichten. Keine Gefahr, keine Schwierigkeit könnte sie von dem Versuch abhalten, die junge Frau in ihre Gewalt zu bekommen, um von ihr das Geheimnis zu erzwingen. John Ulnar, Ihre Wachsamkeit gegen jeden Versuch, sie zu rauben, muß unermüdlich sein, das Mädchen — und AKKA — müssen um jeden Preis geschützt werden.“ „Yes, Sir. Und wo ist das Mädchen?“ „Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Sie werden es erfahren, wenn Sie im Weltraum sind. Die Gefahr, daß Sie es weitergeben, auch unwissentlich, ist zu groß. Die Sicherheit des Mädchens hängt davon ab, daß ihr Aufenthalt geheimgehalten wird. Sollte er bekannt werden, dann würde die ganze Flotte der Legion nicht genügen, um sie zu verteidigen. Sie sind angewiesen, John Ulnar, sich der Wache des AKKA anzuschließen. Sie melden sich sofort in der Grünen Halle bei Captain Eric Ulnar und stellen sich unter seinen Befehl!“ Unter Eric Ulnar! Er war überrascht und zugleich überwältigt vor Freude, • daß er unter seinem berühmten Verwandten dienen sollte, dem großen Erforscher des Weltraums, der gerade von seiner verwegenen Fahrt über die Grenzen des Sonnensystems hinaus zu dem fernen, seltsamen Planeten von Barnards Stern zurückgekommen war. „Also, John Ulnar, ich hoffe, Sie werden nie die ungeheure Bedeutung der Aufgabe vergessen, die vor Ihnen liegt. Das ist alles.“ John Star war es seltsam zumute, als er die alten Anlagen der Akademie verließ, nachdem er von seinen Kameraden Abschied genommen hatte. Seltsam, denn er war noch ganz verwirrt vor Erregung. Ein Geheimnis lag vor ihm; die Aussicht auf Gefahren; das Erlebnis, seinen berühmten Verwandten kennenzulernen. Mit angeborenem Optimismus dachte er nicht an Major Stells grimmige Bemerkungen über die Möglichkeit eines unheilvollen Fehlschlages.
Aus dem landenden Stratosphärenflugzeug blickend, sah er an diesem Nachmittag zum erstenmal die Grüne Halle, den Sitz des höchsten Rates der Vereinigten Planeten. Wie ein großer Smaragd schimmerte sie dunkel und kühl in der Wüste des ausgedörrten Hochlandes von Neu Mexiko; ein kolossales Wunder aus grünem, durchscheinendem Glas. Dreihundertvierzig Meter stieg der Mittelturm in die Höhe, gekrönt von dem Landeplatz, zu welchem das Stratosphärenflugzeug sich niedersenkte. Die vier großen, von Säulen getragenen Flügel des Gebäudes breiteten sich über eine volle Meile grünen Parklandes aus. Ein einsames Juwel in der Wüste unter den zerklüfteten, meilenhohen Wällen der Sandias. John Star schlug das Herz bis zum Hals vor Erwartung, Eric Ulnar zu sehen, der damals im vollen Glänze seines Ruhmes stand; denn er hatte die erste erfolgreiche Expedition über die Grenzen des Sonnensystems hinaus geleitet — falls eine Expedition erfolgreich genannt werden konnte, wenn nur ein Viertel ihrer Mitglieder zurückgekehrt war und die meisten davon an einer schrecklichen Krankheit dahinsiechten, wahnsinnig geworden und mit furchtbaren körperlichen Entstellungen. Dunkle und schweigende Kapitel gab es in der Geschichte jener Reise. Aber die Öffentlichkeit wie auch John Star wußten nichts davon. Eric Ulnar wurde mit Ehrungen und Auszeichnungen überhäuft, während die meisten seiner Gefährten vergessen in Spitalzellen lagen und von den Schrecken jenes fernen, einsamen Planeten lallten und ihre Körper langsam verfaulten, fern jeder Hilfe der medizinischen Wissenschaft, die keine Erklärung dafür fand. John Star fand Eric Ulnar in einem Privatzimmer der weiten Grünen Halle, wo er ihn erwartete. Langes blondes Haar und eine schlanke Figur machten den jungen Offizier fast mädchenhaft hübsch. Brennende Augen und arrogante Züge sprachen für seine Leidenschaften und seinen hochmütigen Stolz. Aber ein fliehendes Kinn und ein etwas weicher Mund verrieten die verhängnisvolle Schwäche des Mannes. „John Ulnar, ich glaube, Sie sind mit mir verwandt.“ „Das dürfte stimmen, Sir“, sagte John Star und bemühte sich, die aufsteigende Enttäuschung, die sich in seine Bewunderung mischte, zu verbergen. Er stand in militärischer Haltung, während Eric Ulnars arrogante Blicke dreist seinen sehnigen, harten und durch fünfjähriges Akademietraining gestählten Körper musterten. „Ich glaube, Sie haben irgendwelche Verpflichtungen gegenüber Adam Ulnar?“ „Das stimmt, Sir, ich bin Waise. Der Kommandeur der Legion sorgte für meine Versetzung zur Akademie. Ohne ihn wäre ich nie in der Lage gewesen, in die Legion einzutreten.“ „Adam Ulnar ist mein Onkel. Er hat mich beauftragt, Sie für den Dienst auszuwählen, der jetzt vor Ihnen liegt. Ich hoffe, daß Sie jeden meiner Befehle ausführen werden!“ „Selbstverständlich, Sir. Denn neben, meiner Verpflichtung sind Sie ja mein Vorgesetzter in der Legion.“ Eric Ulnar lächelte, und einen Moment wirkte sein Gesicht fast anziehend, trotz seiner Schwäche und seines Stolzes. „Ich bin sicher, daß wir miteinander auskommen werden“, sagte er, „aber es kann sein, daß ich als Verwandter von Ihnen Dienste verlange, die ich von Ihnen als meinem Untergebenen in der Legion nicht verlangen könnte.“ John Star fragte sich im stillen, was das wohl für Dienste sein mochten. Er konnte sich die Tatsache nicht verhehlen, daß Eric Ulnar bei weitem nicht das war, was er sich unter dem heroischen Erforscher des Weltraums vorgestellt hatte. Irgend etwas an ihm erweckte ein unbestimmtes Mißtrauen, obwohl der Mann sein Idol war. „Haben Sie alles erledigt, damit wir gleich starten können?“ „Yes, Sir.“ „Dann gehen wir jetzt sofort an Bord des Kreuzers.“ „Verlassen wir die Erde?“ „Sie werden sich selbst am besten dienen, John“, sagte Eric Ulnar mit einer Miene schneidenden Hochmuts, „wenn Sie meinen Befehlen gehorchen und keine Frage stellen!“ Ein Aufzug brachte sie zum glitzernden Gewirr des Landeplatzes auf dem grünen gläsernen
Turm. Der „Skorpion“ wartete dort auf sie, ein schneller neuer Weltraumkreuzer, zylindrisch, oben spitz zulaufend, gute dreißig Meter lang, silbrigweiß mit Ausnahme der schwarzen Antriebsraketen. Zwei Legionäre erwarteten sie an der Einsteigluke und gingen mit ihnen an Bord. Vors, hager und zäh, mit einem Rattengesicht; Kimplen, groß, mit Habichtsaugen und einem wolfsähnlichen Gesicht. Beide waren um Jahre älter als John Star; beide, wie er bald erfahren sollte, Veteranen der interstellaren Expedition, zwei der wenigen, die der mysteriösen Krankheit nicht erlegen waren. Er ärgerte sich über die herablassende Verachtung, mit • der sie ihr wegen seiner Unerfahrenheit behandelten. Es ist merkwürdig, dachte er, daß man solche Männer auswählen konnte, um das unendlich kostbare AKKA zu beschützen. Er würde keinem von beiden über den Weg trauen. Der „Skorpion“ wurde mit Vorräten und Treibstoff versehen, und die zehn Mann starke Mannschaft begab sich an ihre Plätze. Die Einsteigschleuse wurde schnell verschlossen, aus den Raketen stießen blaue Flammen und das Schiff schoß durch die Atmosphäre, hinein in die Freiheit der Leere. Tausend Meilen weiter, sicher in dem frostigen, mit Sternen überwölbten Vakuum des Raumes, stellte der Pilot die Rakete ab; auf Eric Ulnars Befehl richtete er die Nase des Kreuzers zu dem fernen roten Funken des Mars und ließ die Geodyne-Generatoren an. Gleichmäßig summend, ihre mächtigen Kraftfelder gegen die Eigenkrümmung des Raumes wirkend, trieben die Geodynen — technisch ausgedrückt: elektromagnetischgeodätische Deflektoren — den „Skorpion“ über hundert Millionen Meilen zum Mars, mit einer Beschleunigung und einer Endgeschwindigkeit, die die Wissenschaft früher für unmöglich gehalten hätte. John Star vergaß sein unbehagliches Mißtrauen gegenüber Vors und Kimplen und freute sich über die Reise. Die ewigen Wunder des Weltraums entzückten ihn viele Stunden hindurch. Ebenholzschwarzer Himmel; frostige Stecknadelspitzen von Sternen, buntschillernd, unbeweglich; silberne Wolkennebel, die Sonne, blau, von dem roten Feuer der Corona umkränzt. Drei Mahlzeiten wurden in der engen Messe aufgetragen. Nach zwanzig Stunden wurden die Geodynen gestoppt. Sie wären zu mächtig gewesen, um sicher in allernächster Nähe eines Planeten manövrieren zu können. Der „Skorpion“ fiel, gebremst durch Raketenstöße, auf die Nachtseite des Planeten Mars zu. Eric Ulnar stand bei dem Piloten und gab ihm Anweisungen aus irgendwelchen privaten Aufzeichnungen. Über dem ganzen Vorgang lag ein Anflug des Mysteriösen, einer geheimnisvollen Eile, von dräuenden, unbekannten Gefahren, der John Star mächtig beeindruckte. Er hatte jedoch das Gefühl, daß irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuginge. Eine leise Furcht, daß nicht alles so war, wie es sein sollte. Sie landeten auf einer steinigen Marswüste, anscheinend fern von irgendeiner Stadt oder einem bewohnten „Kanal“. Niedrige, dunkle Hügel wurden im Sternenlicht undeutlich sichtbar. John Star und Eric Ulnar, der rattengesichtige Vors und der wölfische Kimplen stiegen aus; neben ihnen wurde ihr spärliches Gepäck und etwas Fracht ausgeladen. Vier Legionäre traten aus der Dunkelheit auf sie zu, der Teil der Wachmannschaft, den sie, wie John Star hörte, ablösen sollten. Die vier kamen an Bord, nachdem ihr Führer mit Eric Ulnar einige Dokumente ausgetauscht hatte. Hinter ihnen schlug die Luke zu. Die Raketen spieen blaue Flammen, der „Skorpion“ donnerte wieder davon; ein schwindender blauer Komet, der sich bald unter den funkelnden Marssternen verlor. Unter violettem Zenit und grünem Horizont lag der alte Planet unheimlich trostlos und öde vor ihnen. Eine einzige Wüste von ockerfarbigem Treibsand, gekräuselt von niedrigen Wanderdünen. Grausame, vorspringende Gebirgskämme aus rotem, vulkanischem Gestein ragten wie gebrochene Klauen aus dem gelben Sand hervor. Einsame Findlingsblöcke, durch den vom erbarmungslosen Wind getriebenen Sand zu grotesken, scharlachroten Ungeheuern
zerschnitten. Über die Ebene krochen die Hügel; niedrig, uralt, durch unzählbare Jahre von der Erosion abgetragen, wie alle Berge des sterbenden Mars. Umgestürzte Massen roten Gestein, zerborstene Palisaden von schwarzrotem, säulenartigem Fels, zerfurchte, vom Wind eingegrabene Abgründe. Auf dem Gipfel des Hügels erstreckte sich ein altes, halbzerfallenes Fort. Massive Mauern streckten sich am Rand der Abgründe entlang in die Höhe, mit viereckigen, massiven Türmen besetzt. Alles war aus dem roten, vulkanischen Stein und, charakteristisch für die Marswüste, langsam zu Ruinen zerbröckelt. Die Festung mußte, wie John Star wußte, noch aus der Unterwerfung der siliziumgepanzerten Marsbewohner stammen. Sie mußte schon vor mehr als dreihundert Jahren aufgegeben worden sein. Aber sie war doch noch nicht ganz verwüstet. Als sie zu dem Tor hinaufkletterten, trafen sie einen Posten, einen sehr dicken, kleinen Mann in der Uniform der Legion, der faul auf einer Bank im warmen Sonnenschein vor sich hin döste. Mit Fischaugen überprüfte er Eric Ulnars Papiere. „Aha, ihr seid also die Wachablösung?“ keuchte er. „Das ist ja höchst selten, daß wir hier ein lebendes Wesen zu sehen bekommen. Hier geht’s rein. Captain Otan ist in seinem Quartier über dem Hof.“ Innerhalb der zerfallenen roten Mauern fanden sie einen großen, offenen Hof, umgeben von einer Galerie, in die viele Türen und Fenster mündeten. Ein zierlicher Springbrunnen plätscherte in einem kleinen Garten mit lebenden Blumen. Weiter hinten lag ein Tennisplatz, von dem ein Mann und ein schlankes Mädchen bei ihrem Eintritt verschwanden. John Stars Herz klopfte schneller, als er das Mädchen sah. Er fühlte sofort, daß sie die Bewahrerin des geheimnisvollen AKKA sein mußte. Dies war also das Mädchen, zu dessen Bewachung er befohlen war! Er erinnerte sich an Major Stells Warnung vor tollkühnen, unbekannten Feinden, die kommen könnten, sie zu entführen. Eine plötzliche Besorgnis überfiel ihn. Das alte Fort bot keine Verteidigungsmöglichkeiten, war höchstens als Wohnung zu betrachten. Die Wachmannschaft bestand, wie er bald feststellte, alles in allem nur aus acht Mann. Sie waren nur mit Protonenpistolen ausgerüstet. Nur die Geheimhaltung war ihre eigentliche Verteidigung. Die Geheimhaltung, und die geheime Waffe des Mädchens. Wenn diese Feinde je entdeckten, daß sie sich, hier befand, und ein modernes, bewaffnetes Schiff senden würden... Eine Stunde nach Sonnenuntergang — John Star war gerade in dem Zimmer, das man ihm zugewiesen hatte und das auf den Hof hinausging — hörte er plötzlich Alarmrufe. „Raketen, Raketen! Ein fremdes Schiff landet!“ Er rannte hinaus in den Hof und sah ein grünliches Glitzern’, das von den Sternen herabkam; er hörte ein dünnes Pfeifen, das zu einem kreischenden Gebrüll anwuchs, betäubend laut. Die riesenhaft anwachsende Flamme ging hinter der Ostmauer herunter, und das Gebrüll erstarb plötzlich. Er fühlte ein starkes Beben unter den Füßen. „Ein großes Schiff“, schrie der Posten. „Es ist so nahe gelandet, daß hier der Hügel bebte. Grüne Raketenflammen, so etwas habe ich noch nie zuvor gesehen!“ Könnte es sein, fragte sich John Star und sein Herzschlag setzte fast aus, daß die geheimnisvollen Feinde des Mädchens erfahren hatten, wo sie sich aufhielt? War das Schiff gekommen, um sie zu entführen? Captain Otan, der Kommandeur der winzigen Garnison, hatte augenscheinlich dieselben Befürchtungen. Ein älterer, dürrer Mann, sehr aufgeregt, rief alle Legionäre heraus und postierte sie mit Protonenpistolen auf den alten Mauern und Türmen. Drei Stunden lang lag John Star auf dem Bauch und bewachte eine zerborstene Feldschanze. Aber es geschah nichts; und um Mitternacht wurde er wieder abgelöst. Der alte Offizier jedoch schien immer noch von der Ankunft des Seltsamen Schiffes alarmiert. Er befahl den anderen drei seiner eigenen Besatzung — Jay Kalam, Hal Samdu und Giles Habibula — auf dem Posten zu bleiben. Von ihm übertrug sich auf John Star ein Gefühl
des Schreckens und drohenden Unheils, welchem er viele dunkle und schreckliche Tage nicht entgehen konnte.
2. John Star fand sich plötzlich aufrecht in seiner Koje sitzend und auf das offene Fenster starrend, hinter dem der große Hof lag. Er wußte nicht bestimmt, was ihn aufgeweckt haben könnte — vielleicht ein plötzlicher Schauer instinktiver Furcht, ein unbestimmtes Gefühl vor etwas Grauenerregendem. Ein Auge! Das müßte ein Auge sein, dachte er, was da zu ihm hereinstarrte. Aber es war ziemlich lang, eiförmig; wie eine große Pupille. Dünne, faltige und zerfurchte schwarze Häute umgaben es. Es war purpurn und leuchtete in der Dunkelheit, irgendwie unvorstellbar bösartig. Schon allein sein Anblick jagte ihm Kälteschauer über den Rücken. Nur einen winzigen Moment blickte es ihn an, unsagbar böse, und dann war es verschwunden. Zitternd kroch er aus dem Bett, um Alarm zu schlagen. Aber der Schock, den er erlitten hatte, ließ ihn an seinen Sinnen zweifeln. Als er dann im Hof einen Wachposten den anderen anrufen hörte, als ob gar nichts geschehen sei, kam er zu der Überzeugung, daß das furchtbare Auge nur ein Alpdruck gewesen sei. Vor der Morgendämmerung stand er auf, begierig, mehr über das seltsame Schiff zu erfahren. An den übermüdeten Posten im Hol vorbei kletterte er die Wendeltreppe in dem alten Nordturm empor und blickte über die karminrote Landschaft, gerade als die Sonne plötzlich über dem Horizont aufstieg. Dünen von gelbem Sand — verwitterte, seltsame Felsen — weiter sah er nichts. Aber die zerklüfteten Berge im Osten schnitten ihm den Blick ab; er dachte, das Schiff könnte vielleicht hinter ihnen niedergegangen sein. Seine Neugierde steigerte sich. Wenn es ein befreundetes Schiff, ein Schiff der Legion war, warum waren dann die Raketenausstöße grün? Wenn es Feinde mit sich brachte, warum hatten sie nicht bereits angegriffen? Als er sich umdrehte, stand das Mädchen hinter ihm, das er auf dem Tennisplatz erblickt hatte, und von dem er glaubte, daß es die Bewahrerin des AKKA sei. Sie war eine liebliche Erscheinung, wie er wieder bemerkte; schlank, gerade und gut gewachsen; mit kühlen, grauen Augen, die nüchtern und ehrlich blickten; das Haar von einem glänzenden Braun, das in dem frühen Sonnenlicht zauberhaft aufleuchtete. Sie trug ein einfaches, weißes Kleid, ihre Brust hob und senkte sich von der Anstrengung des Laufes die Treppen hinauf hinter ihm her. Es überraschte ihn, daß die Bewahrerin des AKKA noch so jung sein sollte. „Guten Morgen!“ Er fühlte sich verwirrt, denn die Kadetten der Legion hatten wenig Zeit für gesellschaftliche Formen gehabt. Aber er war beeindruckt und bemühte sich, ihr zu gefallen. „Es muß ganz nahe sein!“ rief sie atemlos. Er fühlte, wie herrlich, aber auch wie erregt ihre Stimme klang. „Vielleicht hinter den Bergen.“ „Das kann sein.“ Ihre grauen Augen betrachteten ihn freimütig, sie schätzten ihn ab — aber mit einer gewissen Wärme, wie er mit Genugtuung wahrnahm. Plötzlich sagte sie mit leiser Stimme: „Ich möchte mit Ihnen sprechen.“ „Recht gerne.“ Er lächelte. „Bleiben Sie bitte ernst“, flehte sie ihn eindringlich an. „Sind Sie loyal eingestellt? Sind Sie der Legion treu? Der Grünen Halle? Der Menschheit?“ „Natürlich bin ich das. Was...“ „Ich glaube Ihnen“, flüsterte sie, die grauen Augen unablässig auf sein Gesicht gerichtet. „Ich glaube Ihnen wirklich.“
„Warum sollten Sie an mir zweifeln?“ „Ich werde es Ihnen sagen“, erwiderte sie schnell. „Aber Sie müssen es für sich behalten, jedes Wort. Auch gegenüber Ihrem Vorgesetzen, Captain Ulnar.“ Ihre Züge strafften sich, als sie den Namen mit einem Unwillen, der fast Haß war, aussprach. „Wenn Sie es sagen. Obwohl, ich sehe nicht ein...“ „Ich werde Ihnen vertrauen. Zuerst: Wissen Sie, warum Sie hier sind?“ „Ich habe den Befehl, ein Mädchen zu bewachen, das irgendein mysteriöses Geheimnis kennt.“ „Ich bin das Mädchen.“ Sie sprach bedachtsam und voll Vertrauen. „An mir liegt nichts. Aber das Geheimnis, AKKA, ist das wertvollste und gefährlichste Ding im System. Ich muß Ihnen etwas mehr darüber erzählen, als Sie zu wissen scheinen. Denn AKKA ist in schrecklicher Gefahr. Sie müssen uns helfen, es zu retten!“ Dann stellte sie ihm mit ruhiger Stimme eine Frage, die ihm ungewöhnlich vorkam. „Ich nehme an, daß Sie die Geschichte der alten Kriege zwischen den Purpurnen und den Grünen kennen?“ „Nun, ich glaube schon. Purpur war die Farbe der Kaiser. Die Grünen waren die Gruppe, die von den Wissenschaftlern geleitet wurde, und die nach einer Revolution die demokratische Grüne Halle gründete. Der letzte Kaiser, Adam III., dankte vor zweihundert Jahren ab.“ „Wissen Sie, warum er abdankte?“ „Nein. In den Büchern steht nichts darüber. Es würde mich aber interessieren.“ „Ich muß es Ihnen sagen. Es ist wichtig. Sie wissen, die Kaiser übten despotisch ihre Macht aus. Sie waren ungeheuer reich, sie kommandierten private Weltraumflotten und besaßen ganze Planeten. Sie herrschten mit eiserner Grausamkeit. Die Gegner, die sie nicht ermorden ließen, verbannten sie auf Pluto. Einer meiner Vorfahren, Charles Anthar, wurde auch dorthin verbannt. Er hatte nur eine Bemerkung gemacht über das Recht der freien Rede und der freien Forschung, und dies zu einem Mann, von dem er dachte, daß er sein Freund sei! Er war der beste Physiker im System. Er verbrachte vierzehn Jahre in den kalten Kerkern des schwarzen Planeten. Auf Pluto machte er eine wissenschaftliche Entdeckung. Rein mathematisch arbeitete er in seinem Kerker die Theorie aus. Dazu brauchte er neun Jahre. Dann schmuggelten seine Mitgefangenen ihm Material zu, um den Apparat zu bauen, den er geplant hatte. Er war sehr einfach, aber er brauchte fünf Jahre, um die Teile dazu zusammenzubekommen. Als er fertig war, vernichtete er die Wachmannschaft. In seiner Zelle sitzend, zwang er Adam III., seinen Befehlen zu gehorchen. Wenn der Kaiser sich geweigert hätte, hätte Charles Anthar das ganze Sonnensystem vernichten können. Seither hat diese Entdeckung den Frieden der Grünen Halle bewahrt. Sie ist so gefährlich, daß nur eine Person jeweils davon wissen darf. Nur das wenige hier wurde jemals darüber geschrieben: Eine Abkürzung.“ Sie zeigte ihm auf ihre weiße Handfläche tätowiert die Buchstaben AKKA. „Und nun sind Sie in Gefahr?“ flüsterte John Star. „Ja. Die Purpurnen verloren nicht ihren Reichtum und ihren Einfluß, wie Sie wissen. Ihr einziges Trachten war und ist auch heute noch, das Kaiserreich wiederaufzurichten. Allein die furchtbare Macht des AKKA ist das einzige, was die Ausführung ihrer Pläne hemmt. Sie wollen das Geheimnis, aber die Abkömmlinge des Charles Anthar haben es immer sicher für die Grüne Halle bewahrt. Mein Name ist Aladoree Anthar. Ich erhielt das Geheimnis vor sechs Jahren von meinem Vater, bevor er starb. Ich mußte das Leben aufgeben, das ich vorhatte, und ein sehr ernstes Gelübde leisten. Die Purpurnen wissen natürlich von Anfang an, daß AKKA existiert. Unaufhörlich haben sie spioniert, bestochen und gemordet, um es in ihren Besitz zu bekommen. Mit AKKA wären sie für immer die Mächtigsten geworden. Und ich bin überzeugt, jetzt ist Eric Ulnar gekommen,
um es zu rauben!“ „Sie müssen Eric vertrauen“, protestierte John Star. „Er ist der berühmte Entdecker, und der Neffe des Kommandeurs der Legion!“ „Und deshalb denke ich, daß wir verraten sind.“ „Warum? Ich sehe nicht ein...“ „Ulnar“, sagte sie, „war der Familienname der Kaiser. Ich glaube, Eric Ulnar ist ihr direkter Nachkomme, der Thronanwärter. Ich vertraue weder ihm. noch seinem ränkeschmiedenden Onkel.“ „Sie bezeichnen Adam Ulnar als Verschwörer!“ John Star war gröblich beleidigt. „So nennen Sie den Kommandeur?“ „Das tue ich! Ich denke, daß er seinen Reichtum und Einfluß dazu benutzte, um Kommandeur zu werden, damit er herausbekommen könnte, wo ich verborgen bin. Er schickte Eric hierher. Das Schiff gestern nacht brachte Verstärkungen für den Verräter und die Möglichkeit, mit mir zu entkommen.“ „Unmöglich“ sagte John Star schweratmend. „Vielleicht Vors und Kimplen, aber nicht Eric.“ „Er ist der Anführer.“ Ihre Stimme war kalt vor Gewißheit. „Eric Ulnar schlich sich gestern nacht aus dem Fort. Er war zwei Stunden weg. Ich glaube, er hat sich mit seinen Verbündeten in dem Schiff in Verbindung gesetzt.“ „Eric Ulnar ist ein Held, und Offizier der Legion.“ „Ich würde nie einem Mann trauen, der Ulnar heißt“ „Mein Name ist Ulnar.“ „Sie heißen — Ulnar“, flüsterte sie empört. „Sie sind verwandt...“ „Das bin ich. Ich verdanke meine Stellung der Großzügigkeit des Kommandeurs.“ „Dann weiß ich“, sagte sie bitter, „warum Sie hier sind.“ „Sie irren sich ganz bestimmt“, bestand er. „Dann denken Sie daran“, rief sie voller Zorn aus, „daß Sie ein Verräter an der Grünen Halle sind! Daß Sie mithelfen, die Freiheit, das Glück der Menschheit zu vernichten!“ Damit drehte sie sich um und rannte die alten Steintreppen hinab. Er blickte ihr nach, atemlos und bestürzt. Wenn er auch Eric verteidigt hatte, es blieb ihm doch ein nagender Zweifel zurück. Vors und Kimplen mißtraute er aufs äußerste. Die Nachbarschaft des seltsamen Schiffes hatte ihn alarmiert. Und er war höchst betrübt, daß er jetzt Aladoree Anthars Vertrauen verloren hatte. Das würde es noch schwerer machen, sie zu beschützen. Und außerdem, er fühlte, daß er sie liebte. Eric Ulnar traf ihn, als er in den Hof zurückkam, und sagte mit höhnischem Lächeln: „John, es scheint, daß Captain Otan in dieser Nacht ermordet wurde. Wir haben gerade seine Leiche in seinem Zimmer gefunden.“
3. „Anscheinend erwürgt“, sagte Eric Ulnar, und deutete auf einen geschwollenen roten Striemen. In der soldatischen Einfachheit seines Zimmers lag der tote Kommandeur mit dem Rücken auf dem schmalen Feldbett, die Glieder im Todeskampf erstarrt, das dünne Gesicht verzerrt, die Augen hervortretend, den Mund zu einem furchtbaren Schrei des Schreckens und Schmerzes verzogen. Als John sich über die Leiche beugte, entdeckte er weitere seltsame Striemen, auf denen die Haut trocken und hart war und lauter grünliche Schuppen aufwies. „Sehen Sie hier“, sagte er. „Wie eine Verbrennung durch eine Chemikalie. Und diese Wunde ist nicht durch Menschenhand entstanden. Vielleicht ein Strick?“ „Sie wollen wohl den Detektiv spielen?“ fiel Eric Ulnar mit einem dünnen, unwilligen Lächeln ein. „Ich muß Sie warnen, Neugierde ist eine sehr gefährliche Eigenschaft, John.
Trotzdem, was ist Ihre Theorie?“ „In der vergangenen Nacht“, begann er langsam, „sah ich etwas sehr Grauenvolles. Ich dachte hinterher, daß es ein Alpdruck gewesen sein müßte: Ein riesengroßes, purpurnes Auge starrte vom Hof her durch mein Fenster. Irgend etwas muß im Hof gewesen sein. Es sah in mein Fenster, es ermordete ihn und hinterließ diese Flecken. Diese Striemen am Hals — das kann keine menschliche Hand getan haben.“ „Sie bekommen wohl den Weltraumkoller, was?“ In Eric Ulnars Stimme lag ein scharfer, bösartiger Ton. „Das muß geschehen sein, während die alten Posten Dienst hatten. Ich muß sie verhören.“ Sein schmales Gesicht wurde kalt. „John, Sie nehmen Kalam, Samdu und Habibula fest und sperren sie in den alten Zellenblock unter dem Nordturm.“ „Die Leute festnehmen? Glauben Sie nicht, Sir, daß das ungewöhnlich ist, ohne ihnen vorher eine Chance zum Sprechen zu geben?“ „Sie spielen auf unsere Verwandtschaft an, John. Denken Sie bitte daran, daß ich immer noch Ihr Vorgesetzter bin, und seit Captain Otan tot ist, hier die alleinige Befehlsgewalt habe.“ „Yes, Sir.“ Er unterdrückte den wieder aufsteigenden Zweifel. Aladoree konnte nicht recht haben. „Hier sind die Schlüssel zum alten Gefängnis.“ Aladoree Anthar begegnete ihm, als er wieder auf den Hof zurückkam. Ärger und Bestürzung lag auf ihrem Gesicht. „John Ulnar“, begrüßte sie ihn und zuckte bei dem Namen zusammen, „wo sind meine drei treuen Männer?“ „Ich habe Samdu, Kalam und Habibula in das alte Gefängnis gesperrt.“ Ihr Gesicht war weiß vor Verachtung. „Denken Sie, daß das Mörder sind?“ „Nein, ich glaube wirklich nicht an ihre Schuld.“ „Und warum sperren Sie sie dann ein?“ „Ich muß meine Befehle ausführen.“ „Wissen Sie denn nicht, was Sie getan haben? Meine ganze getreue Wachmannschaft ist ermordet oder eingesperrt. Ich bin der Gnade Ulnars ausgeliefert. Er ist der wirkliche Mörder! AKKA ist verraten.“ „Eric Ulnar — ein Mörder! Sie verkennen...“ „Kommen Sie! Ich werde Ihnen den Mörder zeigen. Er ist gerade wieder weggeschlichen. Er geht zurück zu dem Schiff, das in der letzten Nacht landete, zu seinen Mitverschworenen,“ „Sie irren sich ganz bestimmt.“ „Kommen Sie!“ schrie sie zornig. „Seien Sie doch nicht blind.“ Sie führte ihn schnell an Rampen und Brustwehren entlang zu der östlichen Flanke der alten Festung, hinauf zu der Plattform eines Turms. „Da, sehen Sie! Das Schiff — wo es herkam, ich weiß es nicht. Und dort Eric Ulnar, Ihren Helden der Legion.“ Längst zerfallene Abgründe und verwitterte rote Findlingsfelder fielen vom Fuß der Mauer auf die finstere Ebene ab. Dort, keine Meile von ihnen, lag das seltsame Schiff. John Star hatte noch nie so etwas gesehen. Alles war aus glänzendem, pechschwarzem Metall. Die bekannten Raumschiffe des Systems aber waren alle spindelförmig, schmal und nach oben spitz zulaufend. Sie waren versilbert wie Spiegel, um die Hitzestrahlung zu reflektieren und die Ausstrahlung im Weltraum herabzusetzen; alle verhältnismäßig klein, die größten Kreuzer etwa hundertzwanzig Meter lang. Diese Maschine hier zeigte ein spinnenähnliches Gewirr von hervorstehenden Teilen — Stangen, Flächen mit Armen, große, flügelähnliche Gebilde, massive, mit Gelenken versehene Hebel, alles aus der Hülle hervorragend, die selbst aus einer gigantischen schwarzen Kugel bestand. Es war unglaublich groß; die Metallschienen, auf denen es ruhte, erstreckten sich
eine halbe Meile durch die rote Wüste; sein Umfang betrug ungefähr dreihundert Meter. „Das Schiff!“ flüsterte das Mädchen. „Und Eric Ulnar, der Verräter.“ Sie zeigte mit dem Finger, und John Star sah die zierliche Figur eines Mannes, der den Abhang hinabkletterte, zu einem winzigen Insekt zusammengeschrumpft im Schatten dieser ungeheuren, seltsamen und furchterregend schwarzen Maschine. „Glauben Sie mir jetzt?“ „Irgend etwas stimmt nicht“, gab er widerstrebend zu, „irgend etwas. Ich gehe ihm nach. Ich kann ihn noch einholen. Ich werde verlangen, daß er mir sagt, was los ist. Selbst wenn er mein Vorgesetzter ist.“
4. Die schwarze Masse des fremden Schiffes bedeckte den östlichen Himmel. Undeutlich sah man seine Kugel wie einen dunklen Mond, der in die rote Wüste gefallen war. Die schwarzen Flügel, die eine halbe Meile lang auf den von ihnen zertrümmerten Findlingsblöcken lagen, sahen aus wie große metallene Wände. Im Schatten dieser unglaublichen Maschine war der sich abmühende Ulnar zu einem winzigen menschlichen Atom zusammengeschrumpft. Auf halbem Wege zu der schwarzen Hülle — fast unter der Spitze des einen schwarzen Flügels, der ein Achtel des Himmels bedeckte — hatte er sich immer noch nicht umgewandt. John Star war vielleicht vierzig Meter hinter ihm, so laut atmend, daß er fürchtete, der andere würde ihn hören. Er ergriff seine Protonenpistole und rief: „Halt, ich habe mit Ihnen zu sprechen!“ Eric Ulnar blieb stehen und drehte sich verwundert um. Er machte eine kleine Bewegung, als ob er die Waffe aus dem Gürtel ziehen wollte, hielt aber inne, als er John Stars entschlossenes Gesicht sah. „Kommen Sie her!“ befahl John Star. Er wartete, kam wieder zu Atem, und bemühte sich, das nervöse Zittern seiner Waffe zu unterdrücken, während sein berühmter Verwandter langsam auf ihn zukam. Verdruß stand auf seinem schmalen und hübschen Gesicht. „Nun, John“, Eric Ulnar lächelte ihm vielsagend und hochmütig zu, „Sie überschreiten wieder einmal Ihre Befugnisse. Ich befürchte, Sie sind zu eifrig, um ein erfolgreicher Legionär zu werden. Meinen Onkel wird es erstaunen, wenn er von Ihrem Vergehen hört.“ „Eric“, sagte John Star, von seiner eigenen tödlichen Ruhe etwas überrascht, „ich habe Ihnen einige Fragen zu stellen. Wenn mir die Antworten nicht gefallen, werde ich Sie wohl erschießen müssen.“ Eric Ulnars mädchenhaftes, leidenschaftliches Gesicht wurde weiß vor Wut. „John, dafür bringe ich Sie vor das Kriegsgericht!“ „Das glaube ich gerne. Aber jetzt möchte ich wissen, woher dieses Schiff kommt, und warum Sie hierher schleichen.“ „Wie soll ich wissen, woher es kommt? Man hat nie zuvor etwas Ähnliches im ganzen System gesehen. Da ist es doch verständlich, wenn man sieb das aus purer Neugierde mal ansehen möchte.“ Eric schüttelte den Kopf und lächelte böse. „Ich befürchte, Eric, daß Sie einen Verrat an der Grünen Halle planen“, sagte John Star ruhig. „Ich glaube, Sie wissen, woher dieses Raumschiff kam, und warum Captain Otan ermordet wurde. Wenn Sie mich nicht überzeug“! können, daß ich unrecht habe, werde ich Sie erschießen, und dann die drei Männer, die ich auf Ihren Befehl hin eingesperrt habe, befreien. Wir werden das Mädchen verteidigen. Also, was haben Sie zu sagen?“ Eric Ulnar schaute hinauf zu dem großen, schwarzen Flügel über ihnen und lächelte wieder unverschämt und frech.
„Gut, John“, sagte er langsam, „ich bin ein Verräter.“ „Eric!“ John Star war wie betäubt vor Empörung und Zorn. „Sie geben es also zu?“ „Das Schiff kam vom Planeten des Barnards Stern, John. Ich vermute, Sie haben von den sterbenden Männern gehört, die wir von der Expedition zurückbrachten. Sie haben gehört, was sie stammeln? Sie sind gar nicht so wahnsinnig, wie man denkt. Das meiste von dem, was sie reden, ist Wirklichkeit, und die wird mir helfen, die Grüne Halle zu vernichten.“ „Sie haben Verbündete mitgebracht?“ John Star lächelte spöttisch über den Schrecken in seiner Stimme. „Gewiß, John. Sie sehen, die Herren des Planeten, den wir gefunden haben — sie sind so intelligent wie Menschen, obwohl sie alles andere als menschlich sind. Sie brauchen Eisen, es kommt auf ihrer Welt nicht vor, und es ist von unschätzbarem Wert für sie — für magnetische Instrumente, elektrische Ausrüstungen, Legierungen und tausend andere Dinge. So habe ich mich mit ihnen verbündet. Sie schickten dieses Schiff mit einigen ihrer Waffen, Kampfmaschinen, die Sie überraschen werden. Ihre wissenschaftlichen Errungenschaften sind wirklich bemerkenswert. Um bei der Vernichtung der Grünen Halle zu helfen und somit die Monarchie wieder einzusetzen, haben sie dieses Schiff geschickt. Dafür haben wir uns bereit erklärt, es mit Eisen zu beladen. Eisen ist billig. Wir können es tun. Aber ich denke, wir werden sie ausradieren, wenn wir AKKA haben und die Purpurne Halle wieder in ihrer Macht befestigt ist. Es ist nicht angenehm, sie um sich zu haben. Ja, John, ich bin überzeugt, wir müssen sie vernichten, sobald wir die geheime Waffe haben. Das Mädchen hat Ihnen wohl von AKKA erzählt?“ „Sie hat es. Und ich dachte, ich könnte Ihnen vertrauen, Eric.“ „So hat sie also schon einen Verdacht. Dann müssen wir sie in Ketten legen, bevor sie eine Möglichkeit hat, AKKA anzuwenden. Aber ich nehme an, Vors und Kimplen haben sie schon sicher.“ „Du — Verräter!“ flüsterte John Star heiser. „Gewiß, John. Wir bringen sie hier weg. Es kann sein, daß wir sie töten müssen, wenn sie uns ihr Geheimnis preisgegeben hat. Zu schade, sie ist eine so reizende Schönheit.“ John Star stand gelähmt vor ungläubiger Empörung, und Eric Ulnar lächelte. „Sie sind ein Narr gewesen, John. Wenn Sie wissen wollen, was für ein großer Narr, dann schauen Sie einmal nach oben.“ Der hübsche, blonde Kopf machte eine bezeichnende Bewegung nach oben. John Star hielt seine Augen auf den anderen gerichtet, da er eine List erwartete, um ihn abzulenken. Als er nun aber doch vorsichtig nach oben blickte, sah er die Gefahr. Etwa vierzig Meter über ihm schwebte eine Art Gondel, ein Wagen aus schwarzem, glänzendem Metall, mit Kabeln an einem großen, mit Gelenken versehenen Ausleger aufgehängt, der aus dem Gewirr des titanischen, schwarzen Mechanismus herausragte. Darin erblickte er etwas. Hinter den schwarzen Wänden der Gondel konnte er es nicht genau erkennen. Aber das wenige, was er sah, war haarsträubend. Ein kalter Schauer des Schreckens überlief ihn. Sein Atem stockte, sein Herz schlug langsamer, sein ganzer Körper war gespannt. Allein der Anblick des Dinges genügte, um all seine Gefahrinstinkte zu erwecken, schon sein Vorhandensein ließ ihn einen elementaren Schrecken erleben. Eine hervortretende glitzernde Fläche, grünlich schimmernd, feucht, schleimig, pulsierend von trägem Leben. Die Körperfläche von irgend etwas Ungeheurem und gänzlich Fremdem. Hinter den schützenden Platten starrte ein tückisches Auge hervor. Es war dasselbe, wie er es schon einmal gesehen hatte. Eine Quelle kalten, purpurnen Lichtes, verhüllt von uralter Weisheit. Und das war alles — diese hervorstehende, träge, grüne Oberfläche, und das monströse Auge. Weiter konnte er nichts sehen. Aber das war genug, um in ihm jede Reaktion einer nicht
erwehrbaren Furcht wachzurufen. Die Furcht ließ ihn frieren. Sie hielt seinen Atem an und preßte sein Herz zusammen. Sie goß ihm das lähmende Grauen in die Kehle. Sie wusch seine steifen Glieder mit eisigem Schweiß. Doch schließlich kam er wieder zu sich und richtete seine Waffe nach oben. Aber das Ding in der Gondel kam ihm zuvor. Rötlicher Dampf stieß aus der Seite des schwingenden Wagens hervor. Irgend etwas streifte seine Schulter wie ein kalter Luftzug. Und dann warf ihn eine Lawine von unerträglichem Schmerz in den Sand. Tiefe Bewußtlosigkeit brachte ihm Erlösung. Als er wieder zu sich gekommen war, gelang es ihm mit Mühe, sich aufzurichten. Ihm war elend zumute, er zitterte am ganzen Körper und war naß vor Schweiß. Arm und Schulter waren noch gelähmt und brannten mit fürchterlichen Schmerzen. Benommen, noch halb geblendet, blickte er angstvoll um sich herum. Eric Ulnar war verschwunden, und zuerst konnte er auch die schwarze Gondel nicht entdecken. Aber das zyklopenhafte Schiff hob sich immer noch gegen den grünen Marshimmel ab. Er suchte in dem Gewirr von Auslegern, Verstrebungen und Hebeln, bis er schließlich den schwingenden Wagen wieder erblickte. Der gigantische, teleskopartige Ausleger war über dem Fort zur vollen Länge ausgefahren. Er sah den Wagen, als er gerade über den roten Mauern hervorstieg. Schnell wurden die Kabel eingezogen. Der meilenlange Arm schob sich wie ein Teleskop zusammen, dann wurde die Gondel durch eine riesengroße Öffnung in die schwarze, kugelige Hülle ‘hineingezogen. Sie werden Eric Ulnar geholt haben, dachte er, und dann über das Fort ausgeschwungen sein, um Vors und Kimplen mit Aladoree aufzunehmen. Schweren Herzens wurde ihm klar, daß das Mädchen bereits innerhalb der feindlichen Maschine war. Bald stieg sie auf. Ströme von grünen Flammen donnerten aus höhlenartigen Düsen. Endlose schwarze Flügel reckten sich und breiteten sich in die dünne Marsluft aus. Der Grund bebte unter ihm, als die ungeheuren schwarzen Schienen ihre Last von der gelben Wüste hoben. Wie ein monströser, bösartiger Vogel, so erhob sich die schwarze Maschine schräg über den grünlichen Himmel zum violetten Zenit.
5. „Endlich! Es wird langsam Zeit, daß du an uns denkst“, wimmerte Giles Habibula kläglich aus der Finsternis hinter den Gittern hervor. John Star schloß das rostige Tor auf. Hier war ihm Gelegenheit gegeben, wenigstens etwas von dem verräterischen Werk seines Verwandten wiedergutzumachen — obwohl die größere Tat, die Rettung Aladorees und ihres mächtigen Geheimnisses ohne viel Aussicht auf Erfolg noch vor ihm lag. „Ich lasse euch jetzt raus“, sagte John Star, und fügte bitter hinzu: „Mehr kann ich nicht tun, um das wiedergutzumachen, was ich Narr getan habe.“ Der rostige Riegel schoß schließlich zurück, und das Tor ging quietschend auf. Giles Habibula watschelte heraus, hinter ihm Hal Samdu und dann, mit behutsamen Schritten, Jay Kalam. „Sind wir frei?“ fragte der letztere. „Ja. Es ist das mindeste, was ich für euch tun kann. Ich war ein vollkommener Idiot. Niemals werde ich das Verbrechen sühnen können, bei dem ich Eric Ulnar half, und wenn ich es auch mein ganzes Leben lang versuchen würde!“ „Was ist geschehen?“ Größte Besorgnis lag in Jay Kalams Stimme. „Aladoree hatte recht mit ihren Gedanken: Eric Ulnar war ein Verräter. Nachdem ich euch drei hier eingesperrt hatte, war sein Weg frei. Das Schiff, das letzte Nacht hier landete, kam vom Planeten von Barnards Stern. Ungeheuerliche Kreaturen waren an Bord; Erics
Verbündete. Es war eine von ihnen, die Captain Otan ermordete. Eric hatte ihnen als Gegenleistung eine Schiffsladung Eisen versprochen. Eisen ist kostbar für sie. Das Schiff nahm Eric mit und Aladoree. Ich konnte es nicht verhindern. Sie hatten mich unschädlich gemacht.“ „Sind es die Purpurnen?“ „Ja, wie Aladoree es gesagt hatte. Die Verschwörung soll das Kaiserreich wiederherstellen, mit Eric auf dem Thron. Der Hof glänzte in der Nachmittagssonne, als sie auf ihn hinaustraten. „Wir müssen von hier wegkommen“, fügte John Star hinzu. „Gibt es hier ein Radio?“ „Einen kleinen Kurzwellensender. Wir müssen sofort dem Hauptquartier der Legion Meldung erstatten.“ Doch der kleine, in einem Turmzimmer untergebrachte Sender war systematisch und gründlich zerstört. Die Röhren zerschlagen, die Kondensatoren zu formlosem Metall zusammengehämmert, die Drähte in kleine Stücke zerschnitten, die Batterien geleert und zerbrochen. „Damit ist nichts mehr anzufangen. Aber es muß doch irgendeine Möglichkeit geben. Wie steht es mit dem Versorgungsschiff?“ „Das kommt vor einem Jahr nicht zurück“, sagte Jay Kalam. „Sie kamen schon immer höchst selten. Es mußte ja vermieden werden, unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.“ „Aber — wenn die Station hier nichts mehr von sich hören läßt, würden sie dann nicht vermuten, daß irgend etwas nicht stimmt?“ „Sie war nur für äußerste Notfälle gedacht. Wir hatten sie nie gebraucht, denn die Signale hätten ja aufgenommen und lokalisiert werden können. Für uns gab es nur absolute Geheimhaltung, und unser Schutz war die Macht des AKKA. Natürlich hatte Aladoree ihre Waffe nicht aufgebaut, weil sie befürchtete, sie könne gestohlen werden — das war es, was den Verrätern Zeit gab, sie zu entführen. Wir waren nicht auf Verrat vorbereitet.“ „Könnte man nicht bis zur nächsten Station gehen?“ „Unmöglich! Es gibt kein Wasser in der Wüste. Hier ist die isolierteste Stelle auf dem Mars. Wir konnten keine zufälligen Besucher gebrauchen.“ „Aber es muß doch eine Möglichkeit geben... Wir haben Leuchtröhren!“ schrie er dann. „Wir können die Leistung erhöhen, es macht ja nichts, wenn sie bald ausbrennen. Wir können ein Notsignal blitzen. Gegen den dunklen Untergrund der Wüste; irgend jemand müßte es vom Weltraum aus sehen.“ Als die grüne Abenddämmerung vorüber war und die kalte, dunkle Marsnacht auf die rote Landschaft hereinbrach, stand John Star auf der Plattform des Nordturms bereit, in der Hand seine Taschenleuchtröhre, deren Spulen umgewickelt waren, um die Leuchtkraft tausendfach zu verstärken. In die purpurne, sternenbedeckte Nacht blitzte er immer und immer wieder die Codebuchstaben des Notsignals der Legion. Die Röhre brannte in seiner Hand, als die Elektroden zusammenschmolzen und die überladenen Spulen ihren Dienst aufgaben. Aber Jay Kalam stand schon mit einer anderen da. Es war lange nach Mitternacht, als die letzte Leuchtröhre ausgebrannt war. Dann warteten sie bis hinein in die grüne Morgendämmerung auf der Plattform und durchforschten das sternenglänzende Purpur, begierig, die blauen Raketenstöße zu sehen, die ein herabkommendes Schiff bremsen würden. Aber außer dem schwachen, kleinen Funken des Phobos, der im Westen aufging und schnell nach Osten kroch, sahen sie nichts Bewegliches. Giles Habibula war bei ihnen, er lag auf dem Rücken und schnarchte friedlich. Mit der Morgendämmerung wurde er wach und ging hinunter in die Küche. Gleich darauf rief er hinauf, daß das Frühstück fertig sei. Die anderen waren gerade dabei, voller Verzweiflung den Turm zu verlassen, als sie das Dröhnen der Raketen eines landenden Schiffes hörten. Ein langes, silbernes Fahrzeug, ein Pfeil weißer Flammen in der Morgensonne, so zog es über das Fort, das blaue Geflacker seiner Raketen vor sich hinstoßend.
„Ein Kreuzer der Legion!“ frohlockte John Star. „Der neueste und schnellste Typ!“ Mit seinen blauen Augen, die schärfer waren als sie aussahen, las Hal Samdu den Namen an der Seite: „Irgendwas wie Purpur — es ist der ,Purpurne Traum’!“ „Der ,Purpurne Traum’?“ echote Jay Kalam. „Das ist das Flaggschiff der Legionsflotte, das Schiff des Kommandeurs selbst!“ „Es ist das Schiff des Kommandeurs“, sagte John Star langsam, und seine gute Laune verflog sichtlich. „Ich befürchte, es wird uns nichts Gutes bringen. Commander Adam Ulnar ist Eric Ulnars Onkel, der eigentliche Anführer der Purpurnen.“
6. Die vier traten aus dem alten Tor heraus und gingen den roten, mit Felsblöcken übersäten Abhang zum „Purpurnen Traum“ hinunter, der inmitten gelber Dünen auf der Sandwüste lag. Der Offizier, der das Schiff befehligte, war ein magerer und ernster Mann, mit Kinnbacken wie eine Fuchsfalle; viel „u alt für seinen Rang. Er erschien in der offenen Einsteigschleuse. „Sie haben das Notsignal gegeben?“ „Das haben wir“, sagte John Star. „Aus welchem Grund?“ „Wir müssen hier weg. Wir haben der Grünen Halle eine dringende Meldung zu machen.“ „Und was wäre das?“ „Es ist streng geheim.“ „Dann kommen Sie an Bord in mein Dienstzimmer.“ Sie kletterten die Leiter hinauf zu den großen Ventilen und folgten ihm hinab durch das enge Deck in seine Kabine. Als er die Tür geschlossen hatte, wandte er sich ihnen voll Ungeduld zu. „Sie haben nichts vor mir geheimzuhalten. Ich bin Captain Madlok vom ,Purpurnen Traum’. Ich genieße Commander Ulnars volles Vertrauen. Mir ist bekannt, daß Sie hier stationiert sind, um einen unersetzlichen Schatz zu bewachen. Was haben Sie darüber zu berichten?“ Alle seine Kameraden zögerten. John Star sprach bitter aus: „Dieser Schatz ist verloren.“ „Verloren?“ schnappte Madlok. „Ihr habt AKKA verloren?“ John Star nickte mit schmerzendem Herzen. „Ein Verräter wurde hierher geschickt...“ „Ich habe keine Alibis entgegenzunehmen“, fiel Madlok ein. „Sie geben zu, daß Sie...“ „Aladoree Athar wurde entführt“, sagte John Star steif, denn Madloks strenges Gesicht rief ihm seine Lektionen im Verhalten gegenüber Vorgesetzten zurück. „Ich denke, Sir, daß sie zurückgeholt werden muß. Und ich glaube, Sir, daß diese Nachrichten an die Grüne Halle weitergegeben werden müssen.“ Madloks Stimme klang spröde. „Ich werde für alle erforderlichen Meldungen sorgen.“ „Sir, die Suche muß sofort beginnen“, sagte John Star eindringlich. „Ich habe von Ihnen keine Befehle entgegenzunehmen. Und ich werde Sie alle vier sofort zu Commander Ulnar bringen, zu seinem Wohnsitz auf Phobos. Sie können ihm dort selbst von Ihrem Versagen berichten.“ „Ich bitte um Verzeihung“, sagte Jay Kalam bestimmt. „Unsere Mission gibt uns eine besondere Stellung in der Legion, ungeachtet des militärischen Ranges. Wir stehen nicht unter Ihrem Befehl.“ „Ihre Signale wurden von Commander Ulnars privatem Observatorium auf Phobos gesehen“, schnappte Madlok. „Es ist daraus zu schließen, und mit Recht, daß Sie das in Sie gesetzte Vertrauen enttäuscht und AKKA verloren haben. Er schickte mich hierher, um Sie zur Purpurnen Halle zu bringen. Ich hoffe, Sie werden sich dazu herablassen, dem Kommandeur der Legion zu gehorchen. In zwanzig Sekunden starten wir.“
John Star hatte von Ulnars Besitz auf Phobos schon gehört, denn der leuchtende Glanz der Purpurnen Halle war im ganzen System bekannt. Der „Purpurne Traum“ ließ sich auf dem Landeplatz oben auf dem gigantischen viereckigen Turm nieder. Beim Aussteigen konnte John Star, über den Rand der Plattform blickend, die Dächer der weiten Flügel des Gebäudes sehen, die sich purpurglänzend über das lebhafte Grün von Rasen und Garten erstreckten. Darüber hinaus schienen die Wälder und Hügel der zierlichen Welt mit einer atemberaubenden Plötzlichkeit abzufallen, so daß es ihm vorkam, als ob er unsicher auf der Spitze eines großen, grünen Balles stehe, der in einem purpurblauen Meer schwamm. Mit einem Aufzug gelangten sie tausend Meter hinab, bewacht von Madlok und einem halben Dutzend bewaffneter Männer aus dem Kreuzer. Dann betraten sie, sprachlos vor Staunen, einen seltsamen Raum. Sie gingen voll Staunen und Ehrfurcht durch die weite Halle, unter dem flüsternden Gewölbe und um das Podium herum. Hinter dem Thron betraten sie durch eine bewachte Tür einen kleinen Raum. Dort saß Adam Ulnar, Kommandeur der Weltraumlegion, der Herr all dieses Glanzes und des unermeßlichen Reichtums und der Macht, die er repräsentierte, an einem Tisch. „Hier sind die Männer, Commander, die sich AKKA rauben ließen“, meldete Madlok kurz. Adam Ulnar blickte sie an, ohne Erregung, mit einem schwachen Lächeln auf seinem vornehmen Gesicht. „Sie waren also die Wachmannschaft von Aladoree Anthar?“ fragte er mit einer angenehmen, wohlklingenden Stimme. „Ihre Namen?“ John Star nannte ihm die Namen seiner Gefährten. „Und ich bin John Ulnar.“ Der Kommandeur lächelte wieder und stand von seinem Tisch auf. „John Ulnar? Ein Verwandter von mir, nicht wahr?“ „Ja, soviel mir bekannt ist.“ Er stand still, ohne das Lächeln zu erwidern. Adam Ulnar kam um den Tisch herum, um ihn warm und herzlich zu begrüßen. „Ich möchte Sie allein sprechen, John“, sagte er und nickte Madlok zu, der sich mit den anderen zurückzog. Dann wandte er sich John Star zu und bat ihn freundlich: „Setz dich, John. Ich wünschte nur, wir hätten uns schon früher gesehen und unter angenehmeren Umständen. Du hast ausgezeichnete Zeugnisse von der Akademie, John; ich habe für dich eine ausgezeichnete Karriere geplant.“ John Star blieb stehen, mit ernstem Blick sagte er steif: „Commander Ulnar, mir ist klar, daß ich Ihnen für meine Erziehung in der Legion und die mir zugewiesene Aufgabe zu danken habe. Vor wenigen Tagen hätte ich dies noch mit Freuden getan. Aber jetzt scheint es, daß man mich bloß als Werkzeug für einen Verrat benutzt hat.“ „Ich würde das nicht sagen, John“, entgegnete Adam Ulnar sanft. „Zwar verliefen die Ereignisse nicht so, wie ich es vorgesehen hatte; Eric nimmt alles zu sehr in seine eigenen Hände. Ich hatte dich unter seinen direkten Befehl gestellt, und ich hatte vor...“ „Unter Eric“, brach es heiß aus John Star hervor, „einem Verräter. Denn das ist er, so sehr ich ihn auch einst bewundert hatte, ich gehorchte seinen Befehlen und half damit, die Legion und die Grüne Halle zu verraten.“ „Verräter ist ein hartes Wort, John. Es gibt hier doch gewisse politische Unterschiede.“ „Politische Unterschiede!“ ,Unverhüllter Zorn ließ John Stars Stimme erbeben. „Sie geben offen zu, daß Sie Ihre Pflicht als Offizier der Legion dermaßen verletzen? Sie, der Kommandeur selbst!“ Adam Ulnar lächelte ihm ein klein wenig amüsiert zu. „Ist es dir klar, John, daß ich bei weitem der reichste Mann im System bin? Und daß ich leicht der mächtigste und einflußreichste sein könnte? Glaubst du nicht, daß Loyalität gegenüber der Purpurnen Halle mehr zu deinem Vorteil wäre, als die Unterstützung der Demokratie?“ „Sir, versuchen Sie, auch aus mir einen Verräter zu machen?“ „Bitte, John, laß dieses Wort. Die Regierungsform, für die ich einstehe, hat mehr historische
Berechtigung und ist älter als eure einfältigen Ideen von Gleichheit und Demokratie. Und vor allem, John, du bist ein Ulnar. Denk doch einmal an deinen persönlichen Vorteil, ich kann dir Reichtum, Einfluß und Macht verschaffen, wie du sie mit deiner gegenwärtigen unpraktischen demokratischen Einstellung nie erlangen kannst.“ „Das interessiert mich alles nicht.“ John Star stand noch immer unbeweglich vor dem Tisch. Adam Ulnar ging um ihn herum und ergriff seinen Arm. „John“, sagte er, „du gefällst mir. Du gefielst mir schon, als du noch ganz klein warst. Du wirst dich wohl nicht erinnern, daß wir jemals zusammen waren, aber damals zeigtest du schon Eigenschaften, die mir gefielen. Dein Mut und diese hartnäckige Entschiedenheit, die uns jetzt hindern, einander näherzukommen, das sind Vorzüge, die mein Neffe nicht aufzuweisen hat. Ich war an deiner Laufbahn interessiert, ich habe sie eingehender verfolgt, als du jemals wissen konntest. Deine Fortschritte auf der Akademie, alles, was du getan hast, wurde mir in allen Einzelheiten gemeldet. Eric ist schwach, er ist halsstarrig und doch ein Feigling. Seine Verbindung mit den Kreaturen auf dem Planeten von Barnards Stern ist die Idee eines Feiglings. Er ging sie ohne mein Wissen ein, denn er fürchtete, meine eigenen Pläne für die Revolution würden fehlschlagen. Immerhin, mit dir wollte ich es anders versuchen, ich steckte dich in die Akademie und ließ dich unwissend über deine hohe Bestimmung. Ich wollte, daß du lernst, dich auf dich selbst zu verlassen, daß du Charakter entwickelst und Mut. Dieses letzte Experiment war eine Art Test, und ich glaube, es hat sich herausgestellt, daß du alles hast, was ich von dir erhoffte. Und außerdem, ich habe dich gern, John.“ „Ja?“ sagte John frostig und wartete. „Das Kaiserreich wird wieder aufgerichtet. Nichts kann unsere Pläne aufhalten, John. Die Grüne Halle ist zum Untergang verdammt. Aber ich wünsche nicht, daß ein Schwächling auf den Thron kommt. Ulnar ist ein alter Name, ein stolzer Name, John. Unsere Vorfahren zahlten für das Kaiserreich mit Blut, Mühe und Arbeit. Ich wünsche nicht, daß unser Name geschändet wird — und ein Mann wie Eric könnte ihn in Schande bringen.“ „Sie meinen“, rief John verblüfft aus, „mit all dem meinen Sie, daß ich...“ „Jawohl, mein Sohn.“ Adam Ulnar lächelte ihm freundlich und voller Hoffnung zu. „Genau das ist es. Ich möchte nicht, daß Eric der Kaiser der Sonne wird, wenn sich die Grüne Halle ergibt. Der neue Kaiser sollst du sein!“ John Star stand bewegungslos und starrte fassungslos in das feine und doch starke Gesicht mit der Krone schneeweißen Haares. „Ja, du sollst Kaiser werden, John“, wiederholte Adam Ulnar sanft. „Dein Anspruch ist wirklich besser begründet als der Erics. Du bist in der direkten Linie der Nachkömmlinge. Ich habe die Beweise.“ John Star schüttelte seine Hand ab und trat ungläubig lachend einen Schritt zurück. „Was ist mit dir, John?“ Der große Kommandeur schien tief betroffen. „Du willst nicht...“ „Nein!“ John Star kam wieder zu Atem und sprach entschlossen. „Ich lege keinen Wert darauf, Kaiser zu werden. Wenn ich Kaiser würde, gäbe es nur eines: Ich würde abdanken und die Grüne Halle wieder in ihre Rechte einsetzen.“ Adam Ulnar ging langsam hinter den Tisch zurück und setzte sich schwerfällig und müde. Eine ganze Weile saß er schweigend da und beobachtete stirnrunzelnd und voll schmerzlicher Gedanken John Stars bestimmte, feste Gesichtszüge. „Ich weiß“, sagte er schließlich, „ich weiß, es ist dein Ernst. Ein unglückliches Ergebnis deiner Ausbildung, das ich nicht erwartet hatte. Ich glaube, es ist zu spät, du kannst dich jetzt nicht mehr ändern.“ „Ich werde nie anders denken.“ Adam Ulnar dachte wieder eine Weile nach und stand dann plötzlich auf, sein schmales
Gesicht wirkte herrisch vor Entschlossenheit. „Ich hoffe, du verstehst die Situation. Unsere Pläne schreiten fort. Wenn du nicht Kaiser werden willst, Eric will es bestimmt. Vielleicht wird er unter meiner Anleitung und mit meinem Rat nicht gar zu schlecht. Immerhin, die Grüne Halle ist zum Untergang verurteilt.“ Und nach einer kleinen Pause: „Ich nehme an, daß du mit deiner verrückten Einstellung gegen uns sein wirst.“ „Das werde ich!“ versprach John Star aufrichtig. „Ich hoffe nur, daß ich eine Chance haben werde, eure niederträchtigen Pläne zunichte zu machen.“ Irgend etwas milderte den stolzen Ausdruck im Gesicht des alten Kommandeurs. „Auf Wiedersehen, John. Es tut mir leid, daß wir so auseinandergehen müssen.“
7. In einem Lazarettzimmer im südlichen Flügel der Purpurnen Halle wusch ein mürrischer, aber tüchtiger Arzt schweigend John Stars Verletzungen mit einer blauen, bleichschimmernden Flüssigkeit aus, bedeckte sie mit einer dicken Salbe, verband ihn und ließ ihn zu Bett gehen. Zwei Tage später begann die alte Haut sich in harten, grünlichen Schichten abzulösen und ließ unter sich gesundes Fleisch zurück. „Gut“, sagte der lakonische Arzt und beugte sich über ihn, um ihn zu untersuchen. „Nicht einmal eine Narbe. Sie haben Glück.“ John Star wandte einen der Ringergriffe an, die er in der Akademie gelernt hatte. Mit des Doktors Kittel bekleidet verließ er den Raum. Den wütenden Doktor selbst hatte er geknebelt und gefesselt, aber unverletzt zurückgelassen. An der Tür stieß er auf vier bewaffnete Männer in der Uniform der Legion. Sie zeigten keine Überraschung und wiesen ihm den Weg. „Bitte schön, hier ist der Weg zum Gefängnis, wenn Sie jetzt bereit sind, mit uns zu gehen.“ John Star nickte schweigend und mit einem eingefrorenen Lächeln auf den Lippen. Das Gefängnis war ein riesengroßer, hoher quadratischer Raum unter dem Nordflügel der Purpurnen Halle. Seine Wände waren aus weißem Metall, glänzend und undurchdringlich. Die dreifachen Türen bestanden aus massiven, gleitenden Panzerplatten, mit Wachen in den schmalen Räumen dazwischen. Der Mechanismus erlaubte nur eine Tür auf einmal zu öffnen, so daß immer zwei weitere den Weg in die Freiheit versperrten. Der Zellenblock stand in der Mitte des großen Raumes, eine doppelte Reihe großer, mit Stangen versehener Käfige, durch Blechwände getrennt. In jeder Zelle waren eine schmale, harte Pritsche und die notwendigsten Gegenstände für einen einzelnen Häftling. Die Wache innerhalb des Raumes bestand aus einem Posten, der fortwährend um den Zellenblock herumspazierte. Als John Star in seiner Zelle eingeschlossen war, warf er sich ohne jede Hoffnung auf die Pritsche. Seine Sinne waren ganz auf Flucht eingestellt, denn die Legion würde unter Adam Ulnar keinen Befehl zum Versuch einer Befreiung Aladorees erhalten. Die Grüne Halle, so stellte er voll Verzweiflung fest, würde nicht einmal erfahren, daß AKKA verloren war. Er lag immer noch hoffnungslos auf seiner schmalen Pritsche, als er ein leises, vorsichtiges Klopfen an der Metallwand über seinem Kopf hörte, das ihn plötzlich aus seiner apathischen Verzweiflung weckte. Denn das gedämpfte Klopfen waren Buchstaben aus dem Code der Legion: „Wer?“ Schnell und vorsichtig antwortete er: „Ulnar.“ „Kalam.“ Er wartete, bis der Posten wieder vorbei war und klopfte: „Flucht?“ „Chance.“
„Wie?“ „Knüppel des Postens.“ Fast den ganzen Tag und eine Nacht lang beobachtete John Star diesen Polizeiknüppel, wenn der Posten in regelmäßigen Abständen an dem Gitter vorbeiging. Es war ein einfacher, langer Holzstab, der Griff etwas dünner, der Schaft zur Verstärkung mit grünem, emailliertem Draht umwickelt. Er begriff nicht, wozu dieser Knüppel bei der Flucht dienen könnte, aber wahrscheinlich war er von Bedeutung in dem Plan, den Jay Kalam voll Sorgfalt mit seinem analytischen Denken ersonnen hatte. Jeder Posten wurde jeweils für 4 Stunden in dem großen Raum mit den Gefangenen eingeschlossen. Er hatte ständig um den Zellenblock herumzugehen und jede Viertelstunde nach draußen zu melden. Die Gewohnheiten der Posten waren verschieden. Der erste, ein gutmütiger Mann, hielt seinen Knüppel fest in der Hand, die den Zellen abgewandt war; der nächste drehte eine abgezirkelte Runde, vorsichtig, immer außerhalb der Reichweite. Der dritte war nicht so vorsichtig und schwang seinen Knüppel an einem Lederriemen hin und her, einmal vom einen, einmal vom anderen Handgelenk aus. John Star bemerkte, daß er ihn manchmal nur wenig von den Gittern entfernt schwingen ließ. Er wartete mit unauffälliger Wachsamkeit, bis der Posten wieder abgelöst wurde. Seine Chance war noch nicht gekommen. Dann kam wieder der gutmütige Mann; und schließlich der, der den Knüppel schwang. John wartete eine Stunde, auf der Pritsche ausgestreckt. Und dann kam die Chance. Jede kleinste Bewegung hatte er vorausberechnet und in sein Gedächtnis eingeprägt. Er sprang lautlos, als der Knüppel zu schwingen begann. Sein Arm griff durch die Stangen. Seine ausgestreckten Finger schnappten um das Holz. Das gebeugte Knie und die Schulter preßte er gegen die Stangen Das geschah alles, bevor der Posten den Kopf wenden konnte. Der lederne Riemen an seinem Handgelenk riß ihn gegen die Zelle, sein Schädel schlug gegen die Stangen, lautlos ging er in die Knie. John Star zog ihm den Riemen von der schlaffen Hand herunter und flüsterte: „Jay, ich habe den Knüppel.“ „Gut so“, kam Jay Kalams ruhige Stimme aus der Zelle zur Rechten. „Halt ihn raus zu Giles.“ „Hierher, Junge!“ Das furchtsame, keuchende Stöhnen kam von der linken Seite. „Schnell, um Himmels willen!“ Er stieß den Knüppel wieder durch die Stangen und fühlte, wie die Finger Giles Habibulas ihn ergriffen. „Soll ich ihn durchsuchen? Nach Schlüsseln?“ „Er hat keine“, sagte Jay Kalam. „Sie wissen, daß so etwas vorkommen kann. Wir müssen uns auf Giles verlassen.“ „Mein Vater war ein Erfinder von Schlössern“, kam es aus der linken Zelle. „Ich erlernte einen höheren Beruf. Ich war nicht immer ein lahmer, alter Soldat der Legion. In meiner Jugend...“ Die Stimme erstarb. John Star bezähmte seine Neugierde und wartete schweigend. Es gab ja nichts anderes zu tun. In der nächsten Zelle war Giles Habibula eifrig bei der Arbeit. Sein Atem wurde hörbar, keuchend. John Star konnte manchmal ein ängstliches Gestammel hören. „Verdammte Minuten... ! Dieser elende Draht... ! Aber das Leben ist eine kostbare Sache... !“ „Mach schnell, Giles!“ flehte Hal Samdu aus der Zelle hinter ihnen, „beeile dich!“ Dann war ein schwaches metallisches Knirschen zu hören. „Wir haben noch fünf Minuten“, Jay Kalams Stimme war ruhig und langsam, „dann ist die Meldung des Postens fällig.“ Die Tür seiner Zelle ging auf. Er verließ sie und ging zu Giles Habibula. Der stämmige und massive Körper des alten Legionärs schien vor Aufregung zu zittern, aber seine dicken Hände waren wunderbar sicher und fest. Mit einem Stück des grünen, zusammengedrehten Drahtes, dessen Windungen den Knüppel verstärkt hatten, arbeitete er bereits fieberhaft an der Tür von
Jay Kalams Zelle. Die Tür gab Jay Kalam frei und als Nächster kam Hal Samdu aus seiner Zelle. Atemlos flüsterte John Star: „Was jetzt?“ Es waren noch vier Minuten bis zur fälligen Meldung des Postens. Die massiven Wände des großen Raumes, in dem sich der Zellenblock befand, hatten keine Fenster. Den einzigen Ausgang bildeten die drei hintereinanderliegenden Türen, zwischen denen bewaffnete Männer standen. „Hinauf!“ sagte Jay Kalam, so schnell, wie er sonst nie sprach. „Auf die Zellen hinauf.“ John Star kletterte die Stangen hoch, die anderen folgten ihm schnell. Giles Habibula pustend, von John Star nach oben gezogen und von Hal Samdu von unten gestützt. Dann standen sie auf dem Metallnetz, das die Zellen bedeckte, aber die weißgestrichene Metalldecke lag immer noch vier Meter über ihnen. „Jetzt!“ flüsterte Jay Kalam. „Der Ventilator.“ Er zeigte auf das schwere Metallgitter in der Decke über ihnen, von welchem ein kühler Luftstrom auf sie herabwehte. „Das ist deine Sache, Hal. Hier hast du endlich Gelegenheit, deine Kräfte praktisch zu verwerten.“ „Hebt mich hoch!“ rief der Riese, und hielt die großen Hände griffbereit. Sie hoben ihn hoch. Der pustende Giles Habibula und Jay Kalam standen auf dem Drahtnetz, John Star, der leichteste der vier, auf ihren Schultern, während der riesige Hal Samdu wieder auf seinen stand. Die Ventilationsgitter waren stark, obwohl sie dort angebracht waren, wo sie ein Mensch normalerweise nie erreichen konnte. Hal Samdus riesige Hände schlössen sich um die Stangen, sein Körper straffte sich. John Star hörte die mächtigen Muskel knacken. Sein Atem kam in kurzen, mühsamen Stößen. „Ich kann nicht mehr“, stöhnte er, so geht das nicht.“ „Wir haben vielleicht noch eine Minute“, sagte ihm Jay Kalam beruhigend. Der Riese zog sich von John Stars Schultern hoch und setzte je einen Fuß an jede Seite des Gitters, an dem er mit den Armen hing. „Fangt ihn auf!“ rief John Star. Hal Samdu straffte sich, mit den Füßen an der Decke. Metall klirrte, er fiel herab, mit dem Kopf nach vorne, vier Meter tief, das herausgerissene Gitter in den Händen. Das Rohr tat sich weit und schwarz vor ihnen auf, ein kalter Luftstrom stieß auf sie herab. Die drei fingen ihn in ihren Armen auf. Ein Geräusch klang von der Tür des großen Raumes. Der Schloßmechanismus öffnete die innere Tür. In Sekunden würden die Posten da sein. „Du zuerst, John“, sagte Jay Kalam, „du bist der leichteste. Hilf uns.“ Sie hoben ihn hoch zu der Öffnung. Er hing die Knie über den Rand und schwang seinen Körper mit ausgestreckten Armen hinab. Giles Habibula kam zuerst, prustend, von unten geschoben. Dann Hal Samdu, der sich an John Star anhängte, ein lebendes Seil, so daß Jay Kalam seine Hände ergreifen konnte. „Halt!“ kam der Befehl von der aufgehenden Tür. „So wie ihr seid. Oder wir schießen euch zusammen!“ Sie kletterten hinauf in das schmale, schwarze Maul des Ventilatorenrohres. Ein weiteres, kurzes Kommando. Der Feuerstoß einer Protonenpistole erleuchtete das dunkle Rohr mit einem intensiven Violett und zerspritzte geschmolzenes Metall hinter ihnen. Es erreichte sie alle mit lähmenden elektrischen Schlägen.
8.
Der horizontale Schacht, dem sie folgten, bestand aus schwarzem Blech, quadratisch, nicht ganz ein Meter hoch, und wie Giles Habibula sagte, schwarz wie der Darm eines Walfisches. Sie krochen auf allen vieren, zerstießen sich die Glieder und Köpfe an Nieten und Verstrebungen. Giles Habibula war vorn, dann kamen Jay Kalam und Hal Samdu, John Star machte den Schluß. Die Wachen hatten sich wohl verzögert, weil sie erst eine Leiter suchen mußten, denn auf eine Flucht durch die Ventilatorenanlage waren sie bestimmt nicht gefaßt gewesen. Anfänglich war kein Ton einer Verfolgung zu hören. Die vier schleppten sich durch das enge Dunkel, der starke Wind der Ventilatoren rauschte über ihnen. „Wenn eine Abzweigung kommt“, stieß Jay Kalam hervor, „müssen wir uns gegen den Luftstrom halten. Dadurch kommen wir zu den Ventilatoren und von den kleinen Verteilerrohren weg. Wir müssen über die Ventilatoren hinaus gelangen und durch das Luftloch ins Freie. Wenn wir den Weg verfehlen, werden sie uns wie Mäuse in der Falle haben.“ Er hielt ein. Der Wind gegen ihre Gesichter hatte plötzlich aufgehört. „Sie haben die Ventilatoren abgestellt“, flüsterte er mit bitterer Stimme, „jetzt haben wir den Luftstrom nicht mehr, nach dem wir uns richten konnten.“ „Ich höre Stimmen“, John Star atmete schwer, „hinter uns. Sie folgen uns.“ „Um Himmels willen“, stöhnte Giles Habibula etwas später, „eine Wand. Ich bin mit dem Kopf dagegen gestoßen.“ „Mach weiter“, sagte Jay Kalam hinter ihm ganz ruhig, aber drängend. „Fühl um dich herum, hier muß es doch irgendwo weitergehen.“ „Mein armer Kopf! Ah, ja, hier ist eine Öffnung — sogar zwei. Eine Abzweigung. Rechts oder links?“ „Wir müssen uns auf den Zufall verlassen, da sie ja die Ventilatoren abgestellt haben. Sagen wir rechts!“ Ein Stöhnen von Giles Habibula: „Verdammt! Ein fürchterliches Loch. Ich wäre fast hineingefallen. Um Himmels willen, stoßt nicht so! Ich liege doch der Länge nach am Rand!“ „Das Rohr geht nach unten, ja, so ist es“, sagte Jay Kalam. „Ich befürchte, wir sind in der falschen Richtung. Das Luftloch muß ja oben sein. Aber zum Umkehren ist es zu spät. Hier könnten Sprossen seine, eine Leiter, falls die Rohre einmal gereinigt oder repariert werden müssen.“ „Ja, du hast recht, Jay, hier sind sie, ich habe sie gefunden.“ Er turnte bereits die Leiter hinab, die anderen hinter ihm her. Er sprach abgehackt, und durch das Stöhnen aus seiner hämmernden Brust fortwährend unterbrochen. „Ein Boden“, keuchte er auf einmal. „Ah, jetzt ist alles vorbei. Ich bin auf den Boden gestoßen. Kein Weg außer dünnen Röhren, durch die selbst eine Ratte nicht hindurchkriechen könnte.“ Mit blutenden Fingern tasteten sie verzweifelt die Umgebung ab, aber sie fanden keinen Ausweg, kein Rohr war groß genug, als daß ein Mann sich hätte hindurchzwängen können. „Wir hätten uns nach links wenden sollen“, sagte Jay Kalam. „Wir müssen zurück“, rief John Star. „Wenn wir uns beeilen, können wir ihnen vielleicht noch zuvorkommen.“ Jetzt den anderen voran, stürzte er die Leiter hinauf. Er erreichte den horizontalen Schacht und tauchte in ihn hinein. Hal Samdu hielt sich eng an seinen Fersen, Jay Kalam nicht weit dahinter. John Star sah den weißen Schimmer einer Taschenleuchtröhre auf der Wand vor sich, dann hörte er wieder Stimmen. Die Verfolger näherten sich gerade der Abzweigung. Er kroch verzweifelt voran, um noch vor ihnen dort zu sein. Das Licht blitzte kurz auf. Es kam aus dem Haupttunnel vor der Abzweigung und streifte die Wand entlang. Dadurch konnte er sich orientieren. Er wartete, kroch hinter den Winkel und atmete so ruhig er konnte. Hal Samdu kam hinter ihm her, er hieß ihn schweigen, indem er ihn mit dem Fuß anstieß. Weit zurück hörte er Giles Habibulas klagendes Flehen: „Nur einen kurzen Augenblick! Seid doch
vernünftig und wartet auf mich armen, alten Soldaten. Ach, jetzt habt ihr mich im Stich gelassen, und ich sitze hier wie eine krepierende Ratte in ihrem stinkenden Loch.“ Das Licht blitzte wieder auf, jetzt ganz nahe. Der erste Mann kam aus dem Haupttunnel. John Star ergriff seinen ausgestreckten Arm und zog ihn um die metallene Ecke herum. Ein Kampf in völliger Dunkelheit begann, denn die Leuchtröhre, die dem Verfolger aus der Hand gefallen war, brannte nicht mehr. Es war eine wilde Schlacht, denn der unbekannte Posten kämpfte um sein Leben, John Star um mehr als das. Es war vorbei, bevor der nächste Mann dahinter die Abzweigung erreichen konnte. Die Legion hatte John Star trainiert, jeden schwachen Punkt des menschlichen Körpers zu erkennen. Er wußte, wie man ein Gelenk auskugelt, er kannte den Stoß, der einen Nerv lahmt, den Kniff, der den Gegner durch seine eigene Kraft tötet. Er war leicht, aber das Training der Legion hatte ihn hart, schnell und sicher gemacht, um jetzt gegen die Legion kämpfen zu können. Der andere Mann versuchte zuerst, die schwere, kleine Protonenpistole in der rechten Hand zu gebrauchen, aber er fand plötzlich, daß sein Handgelenk gebrochen war. Mit der linken Hand schlug er dann in die Dunkelheit hinein, aber die Wucht seines Stoßes schleuderte ihn gegen die Wandung des Rohrs. Er drehte sich um, versuchte wieder zuzuschlagen, und brach sich das Genick. Das war alles. Als der nächste Mann sein Licht aufleuchten ließ, um zu sehen, wie das Gefecht ausgegangen war, hatte John Star die Protonenpistole seines ersten Gegners schon in den Haupttunnel abgefeuert. Ein dünner, versengender Strahl reiner Elektrizität schmolz Metall, entzündete brennbare Stoffe, verbrannte Fleisch. Es war ein schmales, tödliches Schwert von intensiver Weißglut, ganz und gar kein Spielzeug. Das alles geschah in Sekundenbruchteilen. Die anderen Männer hatten gleiche Waffen und waren nicht minder kampfbereit Aber sie mußten sich einen Moment aufgehalten und mit dem Zielen gezögert haben. John Star zögerte nicht. Und fünf Mann starben in dem Tunnel, die drei vorderen wurden durch den direkten versengenden Kontakt mit dem Strahl getötet, die beiden anderen durch elektrischen Schlag, daß heißt durch den in der ionisierten Luft geleiteten Strom. l John Star hatte mit aller Kraft den Auslöser betätigt, um alle Energie der Zelle in einem einzigen, schrecklichen Stoß zu erschöpfen. Die blendende, violette Flamme erlosch. Jetzt herrschte wieder Dunkelheit im Schacht, völlige, schweigende Dunkelheit. In der Luft lag der beißende Geruch des Ozons, von der Wirkung des Strahls, und der scharfe Geruch von verbranntem Fleisch und angesengtem Tuch. Dieses schnelle Auslöschen von Menschenleben ekelte John Star an. Das war die erste Probe der todbringenden Künste, die er gelernt hatte. Er fühlte sich schwach und zitterte plötzlich. „John“, fragte Hal Samdu, „was ist mit dir?“ „Nichts. Mir — mir geht’s gut“, stammelte er und versuchte, sich wieder in Gewalt zu bekommen. Es gab ja keine andere Wahl. Er tappte schwach nach der herabgefallenen Leuchtröhre. „Die Wachen.“ „Die sind alle tot“, flüsterte er matt, „ich habe sie alle getötet.“ „Hast du eine Protonenpistole?“ Hal Samdu ahnte nichts von John Stars Gemütsverfassung. „Ja!“ Aber die Frage brachte ihn wieder zurück zu dem, was im Augenblick nötig war. „Ja, aber unbrauchbar, wenn ich nicht eine andere Zelle finde.. Sie ist ausgebrannt.“ Er mußte sich dazu zwingen, den vor ihm liegenden Körper zu durchsuchen; er fand keine Zelle, und bewegte sich deshalb weiter zu den anderen, die der Strahl erschlagen hatte. Jay Kalam kam heran. „Hast du den Protonenstrahl gebraucht? Mit voller Kraft? Dann hat es keinen Wert, daß du nach Waffen oder Leuchtröhren suchst. Alles Elektrische ist ausgebrannt.“
Er fand noch eine Protonenpistole, halb zerschmolzen, die verbrannte Isolierung rauchte noch, sie war so heiß, daß sie ihm fast die Finger versengte. Weit unten im Schacht, nach dem Gefängnis zu, hörte er ein Kommando. Er sah einen Strahl warnenden Lichts. „Sie kommen wieder, wir müssen weiter. Nach links diesmal!“ Giles Habibula kam geräuschvoll heran. So taumelten sie vorwärts, verzweifelt, blutend, nach Luft schnappend, wieder ohne Waffen außer der unbrauchbaren Protonenpistole, und immer noch ohne Licht, auf allen Vieren kriechend. John Star war jetzt vorne, er meldete plötzlich: „Wieder ein Schacht, er ist aber größer und geht nach oben und unten.“ „Also hinauf“, sagte Jay Kalam. „Über uns muß das Luftloch sein, wahrscheinlich auf dem Dach.“ „In tiefster Dunkelheit kletterten sie die dünnen Metallsprossen hinauf. „Das Dach!“ flüsterte John Star plötzlich. „Können wir auf den Turm kommen, auf den Landeplatz? Dort sind die Schiffe.“ „Möglich“, sagte Jay Kalam, „aber wir müssen an den Ventilatoren vorbei, eine Kleinigkeit, wenn sie, wie bis jetzt, ausgeschaltet bleiben. Außerdem ist der Landeplatz bewacht, und wir haben keine Waffen.“ Sie kletterten die endlosen Sprossen hinauf, durch schwärzeste Finsternis. Sie atmeten nur noch mit schmerzlicher Anstrengung, ihre Muskeln zitterten und versagten fast im Kampf mit der Erschöpfung. Zerschlagene, mit Blasen bedeckte Hände hinterließen Blutspuren auf dem Metall. „Ich habe die Sprossen gezählt“, sagte Jay Kalam schließlich mit ruhiger Stimme und brach das Schweigen, das auf ihnen durch die Anstrengungen lastete. „Wir müssen im Turm sein.“ Ein heftiger Luftstrom stieß plötzlich auf sie nieder und blies den Schacht hinab. „Die Ventilatoren laufen wieder!“ stammelte John Star, „ich möchte bloß wissen, warum?“ Er sollte es bald erfahren. Der Abwärtswind wuchs an. Er wurde zu einem Sturm, einem heulenden Orkan. Er gellte in ihren Ohren mit dämonischen Stimmen. Er riß ihnen fast die Kleider vom Leib. „Sie versuchen, uns die Leiter hinabzublasen!“ schrie Jay Kalam durch das Heulen hindurch. Klettere weiter. Stoppe die Ventilatoren!“ John Star kletterte weiter gegen den erbarmungslosen Druck der heulenden Luft und kämpfte sich hinauf gegen die reißenden, dämonischen Krallen. Die dünnen Metallsprossen bebten und bogen sich unter dem Druck. Langsam und mühselig setzte er seinen Weg gegen den Sturm fort. Schließlich kam ihm ein anderes Geräusch zu Ohren. Durch den tobenden Sturm hörte er das Kreischen von Zahnrädern, das Surren von großen, rauschenden Propellern, die mit äußerster Kraft angetrieben wurden. Er kämpfte sich aufwärts, Stück um Stück, bis zur Spitze der zitternden Leiter, zu einer weiten Plattform vibrierender Metallstangen. Hier machte er eine Pause, um das Spiel mit dem Tod zu gewinnen. Irgendwo in der Finsternis über ihm rasten die großen Flügel. Er bewegte sich mit äußerster Vorsicht. Jetzt war er aus dem Hauptluftstrom heraus und konnte sich daher leichter bewegen. Doch launenhafte Böen packten ihn immer wieder wie Dämonenhände, die ihn gegen die rasenden, unsichtbaren Flügeln schleudern wollten. Langsam bewegte er sich in Richtung auf das Gekreisch der Zahnräder. Mit vorsichtigen Fingern betastete er den Rahmen der vibrierenden Maschine. Er versuchte, sich in Gedanken ein Bild von ihr zu machen. Schließlich fand er das Ende einer rotierenden Welle, langsam und sorgfältig stieß er mit der schweren Pistole ins Leere. Dann rissen sie Ihm metallene Zähne aus der Hand. Das Schwirren und Schnurren schwoll zu einem Kreischen und Klirren an. Die Zahnräder hatten die Pistole erfaßt, sie kauten Metall und spuckten die Bruchstücke wild um sich. Und dann brachen sie. Der Motor heulte kurz auf. Dann war Schweigen.
Die surrenden, unsichtbaren Flügel wurden langsamer und standen still. Der dämonische Sturm hatte sich gelegt. Mit hämmerndem Herzen wartete John Star in der schweigenden Finsternis. Er ließ seine zitternden Muskel zur Ruhe kommen, während die anderen drei zu ihm emporgeklettert kamen. „Jetzt das Luftloch“, drängte Jay Kalam mit sanfter Gewalt, „bevor sie kommen.“ Sie kletterten weiter, einen riesengroßen, stillgelegten Flügel hinauf, und an der massiven, bewegungslosen Welle entlang. Sie liefen aufrecht in das weite, horizontale Einlaßrohr hinein und kamen zum Boden eines weiteren senkrechten Loches. „Licht!“ rief John Star aus. „Der Himmel!“ Oben, am Ende des Schachtes, nahmen sie einen quadratischen, leuchtenden Flecken wahr, der ihnen wie ein Leuchtfeuer des Willkommens vorkam. Aber es war nicht der Himmel, sondern nur die Unterseite des Landeplatzes. Sie kletterten die letzte kurze Leiter hinauf und über eine niedrige Metallwand, dann standen sie endlich auf dem Dach des Turmes. Es war flach, und mit purpurnen Glasziegeln gedeckt, und mit den Öffnungen einer ganzen Anzahl von Ventilatorenschächten übersät. Auf ihm stand ein Wald gigantischer Pfeiler, die die riesige Plattform des Landeplatzes trugen, die immer noch 30 Meter über ihnen lag. „Jetzt werden sie wohl wissen, daß wir hier oben sind“, bemerkte Jay Kalam, „denn der Ventilator steht still. Also ist keine Zeit zu verlieren.“ Sie liefen zum Rand des Daches und kletterten weiter das diagonale Gitterwerk eines riesigen, senkrechten Stützpfeilers hinauf. Die letzten 2 Meter über den Rand der gigantischen metallenen Plattform kletterte John Star allein. Wie eine menschgewordene Fliege klammerte er sich an und blickte vorsichtig über den Rand der ungeheuer großen, flachen Plattform. Nur ganze 30 Meter entfernt lag der Bug des „Purpurnen Traums“. Wie ein schlanker, glänzender Pfeil schimmerte das Flaggschiff unter der kleinen Sonne, die heiß in der dünnen Luft des Mondes Photaos brannte. Der „Purpurne Traum“! Nur 30 Meter entfernt lag die Freiheit, die Sicherheit, und die Möglichkeit, Aladoree zu finden. Schlank und spitz zulaufend lag der vollkommenste Kreuzer der Legionsflotte vor ihnen, zu den kühnsten Hoffnungen anregend, und doch eine hoffnungslose Angelegenheit. Die Einstiegschleuse war verschlossen, die glitzernden Panzerplatten undurchdringlich, und in größter Wachsamkeit standen zwölf schwerbewaffnete Legionäre in einem Halbkreis vor der Luke.
9. John kletterte zu den anderen zurück, die ihn stumm und fragend zugleich anblickten. „Dort ist der ,Purpurne Traum’. Seine Luke zeigt in Richtung auf uns, ist aber verschlossen. Ein Dutzend Männer bewachen ihn. Aber ich glaube, ich sehe eine Chance.“ „Wie?“ Er erläuterte seinen Plan, und Jay Kalam steuerte noch einige Vorschläge bei. „Wir versuchen es. Eine bessere Lösung gibt es nicht.“ Sie kletterten den Pfeiler wieder hinab auf das Dach. Dann liefen sie quer über die purpurnen Ziegel durch das Gewirr von Pfeilern und kletterten mühsam wieder zur Plattform hinauf, diesmal zur Ecke hinter dem „Purpurnen Traum“. John Star blickte wieder über die Oberfläche. Kein Posten war in Sicht. Die flache Plattform war auf dieser Seite leer. Der „Purpurne Traum“ lag jetzt 35 Meter entfernt. „Jetzt“, flüsterte er, „alles klar.“ In Sekunden war er über der Kante, obwohl es selbst für einen trainierten Körper ein
mühsames Geklettere war. Bei seiner großen Geschwindigkeit und Gefechtsstärke war der „Purpurne Traum“ nicht groß. 40 Meter lang und sieben Meter der größte Durchmesser. Aber es war nicht leicht, geräuschlos und unbeobachtet auf ihn hinaufzukommen, wie John Stars Plan es verlangte. Sie liefen unter die schwarze, vorstehende Mündung der Backbordheckraketen und hoben John Star hinauf. Er wieder half den anderen herauf. Von den Raketen aus schoben sie sich langsam und Zentimeter für Zentimeter über die glänzende Hülle vorwärts und hinauf. Auf einmal rutschte Giles Habibula aus. Er begann schon, die polierte Hülle hinabzugleiten, er stöhnte auf in stummer Verzweiflung, aber John Star und Hal Samdu fingen ihn auf und zogen ihn zurück. Endlich befanden sie sich in der Mitte des Schiffes. Dort blieben sie auf der flachen Hülle liegen und warteten. Sie wagten nicht, sich zu bewegen, sie konnten nur warten. Und sie schwebten in ständiger Gefahr, entdeckt zu werden. Zwar waren sie aus der Nähe des Schiffes unsichtbar, aber in einiger Entfernung sah man die in der Hitze flimmernde und tanzende Metallplattform. Jeder zufällige Beobachter hätte sie von dort aus auf dem Kreuzer entdecken können. Vielleicht zwei Stunden lang brieten sie auf der silbernen Hölle, als sie plötzlich von unten eine Glocke und scharfe, aufgeregte Stimmen hörten. „Befehl des Kommandeurs. Er geht in fünf Minuten an Bord. Sofort den Kreuzer startbereit machen!“ „Die Schleusen öffnen. Captain Madlok melden!“ „Ich möchte bloß wissen, wo es hingehen soll.“ „Ich glaube, der Alte will abhauen, bis diese Ausbrecher wieder gefaßt sind.“ Das Geräusch von Schritten auf der Treppe, die vom Aufzug auf die Plattform führte, unterbrach das Gespräch. Ein Klirren und Klingen von Metall wurde hörbar, als das große, äußere Ventil herabgelassen wurde, um so ein kleines Deck unter der Schleuse zu bilden. Tritte auf der Einsteigleiter, und dann schließlich ein scharfes Kommando: „Alles klar. Luken dicht!“ „Jetzt“, flüsterte John Star. Sie rollten sich blitzschnell die Hülle hinab und glitten mit den Füßen zuerst auf die kleine Plattform vor der offenen Luke hinunter. Der Schmerz schüttelte John Star, aber er faßte sich wieder und stürzte vorwärts in die Schleuse hinein. Hal Samdu war dicht hinter ihm, dann Jay Kalam und Giles Habibula. In dem Handgemenge, das jetzt folgte, hatten sie den Vorteil der völligen Überraschung. Der erste Mann am Kontrollmechanismus der Luken war nicht einmal bewaffnet. Sein Gesicht wurde plötzlich bleich vor Schrecken — denn der Ruf der vier war ihnen schon an Bord vorausgeeilt — und er versuchte zu laufen. John Star hatte ihn schnell eingeholt. Ein scharfer Stoß auf einen lebenswichtigen Nerv, ein Schlag mit der flachen Hand nahe dem Ohr. Er ging zu Boden, schlaff und lautlos. Giles Habibula stolperte keuchend über die Flansche und John Star rief ihm zu: „Schließ die Luken!“ Wenn die Einsteigschleuse einmal von innen verschlossen und gesichert war, würde der „Purpurne Traum“ gegen jede äußere Gefahr gut geschützt sein. Gefolgt von dem riesigen Hal Samdu und Jay Kalam stürzten sie das enge Deck hinauf. Sie trafen auf zwei uniformierte Männer, die gerade noch versuchten, ihre Waffen zu ziehen. Den ersten von ihnen traf Hal Samdus Faust, der Mann schlug dabei gegen ein Schott und rollte langsam zu Boden. Ein Protonengewehr begann zu summen, aber Jay Kalam kam gerade zur rechten Zeit, um den dritten Angreifer niederzuschlagen. John Star ergriff eine Waffe und drehte sich noch rechtzeitig um, um Captain Madlok gegenüberzustehen, der gerade aus seiner Kabine kam. Madlok stürzte auf ihn zu, geduckt und fluchend, eine Protonenpistole schußbereit in der Hand. Aber wieder einmal war John Star schneller. Eine weiße Flamme elektrischen Feuers sprang hervor, und der „Purpurne Traum“ hatte einen neuen Kommandeur. Dann teilten sie sich. Giles Habibula blieb, um die Schleuse zu bewachen. Ham Samdu rannte zu den Mannschaftsquartieren im Heck. Jay Kalam stieg hinab in den Generatorenraum unter
Deck, und John Star stürzte vorwärts auf die Kommandeurskabine und den Steuerraum zu. Das Stärkeverhältnis war immer noch eins gegen zwei, denn die volle Besatzung des „Purpurnen Traums“ bestand aus zwölf Mann. Aber jetzt waren sie durch die völlige Überrumpelung im Nachteil. John Star stand plötzlich einem neuen Gegner gegenüber. Es war der Pilot, der mit einer Protonenpistole in der Hand aus dem Steuerraum kam. Als er John erblickte, versuchte er, zu feuern. Einige hundertstel Sekunden kam er zu spät. John Star riß die Tür mit der Aufschrift „Kommandeur“ auf und fand Adam Ulnar in seiner Kabine, als er gerade den Mantel aufhängen wollte, den er getragen hatte. Für einen Augenblick stand der große, weißhaarige Herr der Legion und der Purpurnen Halle bewegungslos und starrte atemlos auf die drohende Mündung der Protonenpistole. Seine Gesichtszüge schienen eingefroren und waren vollkommen ausdruckslos. Plötzlich rang er nach Atem. Der Mantel entfiel seinen Händen, und schwerfällig setzte er sich auf den einzigen Stuhl im Raum. „Well, John, du hast mich überrascht“, sagte er mit einem kurzen, heiseren Auflachen „Ich hatte gemerkt, daß du zu gefährlich bist, um am Leben bleiben zu können. Ich wollte weggehen, bis man sich deiner entledigt hätte. Aber das hier habe ich nicht erwartet.“ „Ich freue mich, daß Sie Ihr Leben schätzen“, stieß John Star rauh hervor, „denn ich möchte es mit Ihnen aushandeln.“ Adam Ulnar lächelte. Trotzdem er in die Verteidigung gedrängt war, verlor er die Selbstbeherrschung nicht. Er war wieder der schlaue, alte Staatsmann der Purpurnen Halle. „Du bist im Vorteil, John. Ich nehme an, daß deine Männer die Kontrolle über den Kreuzer haben.“ „Das dürfte jetzt der Fall sein.“ „Was verlangst du also, John?“ „Auskunft. Ich muß wissen, wo Ihr Aladoree Anthar habt.“ Adam Ulnar lächelte mit einer gewissen Erleichterung und sagte: „Sie brachten sie mit dem Medusenflieger zurück auf den Planeten von Barnards Stern.“ „Nicht dorthin!“ stöhnte John. „Selbst Eric würde nicht...“ „Ja, John“, unterbrach ihn sein berühmter Verwandter, „ich hatte mir gedacht, daß dir diese Tatsache kein Vergnügen bereiten wird.“ „Wir werden ihr nachfliegen.“ Es war fast etwas wie Bewunderung in Adam Ulnars Stimme: „Sicher, du wirst es tun. Aber du brauchst keine Hoffnung auf Erfolg zu haben.“ „Warum nicht?“ „Unsere Verbündeten, John, sind eine sehr tüchtige Rasse. Sie existieren schon viel länger als die Menschheit. Ich mag sie nicht, weil ich genug mit ihnen zu tun hatte. Ich stimme auch dem Bündnis nicht zu, und ich habe auch nicht meine Zustimmung gegeben, das Mädchen dorthin zu bringen. Sie haben nichts Menschliches, ganz und gar nicht. Es gibt nichts Ähnliches im Sonnensystem, obwohl Eric sie Medusen nannte. Sie haben eine seltsame, unangenehme Psychologie. Offen gesagt, ich habe Angst vor ihnen. Aber sie sind wissenschaftlich befähigt, sie sind uns weit voraus. Sie verfügen über das angehäufte Wissen von Zeiträumen, die ich nicht abschätzen kann. Unheimlich wie sie sind, haben sie einen ausgezeichneten Verstand, eine kalte, gefühlslose Intelligenz. Sie sind mehr Robotern ähnlich als Menschen. Sie bekommen, was sie wollen, unbeirrbar, ohne irgendwelche Skrupel. Ich bin sicher, daß sie, wenn sie das Mädchen auf ihrem eigenen Planeten in Gewahrsam haben, sie auch dazu bringen werden, das Geheimnis preiszugeben. Sie haben eine sehr wirksame Verteidigung aufgebaut, um ihre eigene, fremde Welt zu bewachen. Jenen Gefahrengürtel, von dem die wahnsinnigen Überlebenden von Erics Expedition immer noch
stammeln. Gut, ihr habt mich hilflos gemacht, aber unsere Pläne schreiten voran. Die Medusen werden zurückkommen. Die Legion wird zu ihnen übergehen. Sie wird ja jetzt schon von unserer Organisation kontrolliert. Die Grüne Halle wird ausgelöscht, denn die Medusen haben unheimliche Waffen. Und Eric wird den Thron besteigen. Den Thron, der auf dich gewartet hatte.“
10. Der „Purpurne Traum“ trieb im Weltraum, hunderttausend Meilen von der großen, gelb und braun leuchtenden Kugel des Mars entfernt. Der winzige Mond Phobos war längst in der Million der bunten Nadelspitzen verschwunden, die die schwarze Sphäre der leeren Nacht durchbohrten. Sie trieben mit gelöschten Lichtern und Signalen, hilflos — und die gierigen Flotten der Legion jagten sie. Adam Ulnar hatten sie in der Brücke eingesperrt. Mit Raketenkraft waren sie von dem Landeplatz auf der Purpurnen Halle gestartet und hatten das Gefühl der wiedergewonnenen Freiheit verspürt. Aber dann hatte ein sterbender Ingenieur der Besatzung, getreu der Tradition der Legion, einen Schalter herausgerissen und dadurch eine Geodyne ausgebrannt. Mit unbrauchbaren Generatoren und mit Raketen, die nicht ausreichten, um das Schiff schnell und weit durch die Unendlichkeit zu bewegen, trieben sie jetzt dahin. In dieser verzweifelten Lage waren die vier zu einer Beratung zusammengekommen. „Da ist die Sache mit der Navigation“, begann Jay Kalam. „Ich kenne zwar die Grundlagen, aber...“ Er sah sich zweifelnd um, blickte auf die Wände des Steuerraums mit seiner verwirrenden Menge glänzender, verwickelter Mechanismen: Tele-Periskopen, geodäsischen Bildschirmen, Meteorablenkern, Raketenabschußhebeln, Geodynkontrollen, Weltraumkreiselkompassen, Radaren, thermischen und magnetischen Detektorleuchtschirmen, Sternen- und Planetenkarten, Positionsgeschwindigkeits- und Schwerkraftberechnern, Atmosphären- und Temperaturmessern, alles Apparate für das nicht ganz einfache Unternehmen, den Kreuzer von Planet zu Planet zu bringen. „Ich weiß damit umzugehen“, bot sich John Star ruhig an. „Gut. Dann müssen wir einen Ingenieur haben, um die Geodynen zu reparieren. Wir müssen sie irgendwie reparieren und sie dann in Betrieb halten.“ „Ja, selbstverständlich“, sagte Habibula, „das wäre ja gelacht, wenn ich die lebenswichtigen Geodynen nicht wieder zum Laufen brächte.“ „Kannst du den ausgebrannten Satz wieder in Ordnung bringen?“ „O ja, das kann ich“, versprach der neue Ingenieur. „Aber es wird schwer sein, sie mit den anderen zu synchronisieren. Diese Einheiten werden bei der Herstellung alle aufeinander abgestimmt. Wenn einer aus dem Gleichgewicht kommt, ist es verdammt schwer, das ganze System wieder aufeinander einzustellen. Aber ich will mein Bestes tun.“ „Und du, Hai“, fuhr Jay Kalam fort, „warst Protonenschütze. Du kannst mit dem Protonengeschütz umgehen, wenn die Legion sich auf uns stürzt — obwohl wir uns auf keinen Kampf einlassen können, mit nur vier Mann auf einem havarierten Schiff.“ „Ja, das kann ich tun“, nickte der riesige Hal Samdu langsam. Sein rotes Gesicht war sehr ernst. „Das ist einfach. Das kann ich tun.“ „Nun bleibst du noch übrig, Jay“, sagte jetzt John Star. „Wir brauchen dich, um das zu tun, was du gerade jetzt tust. Um zu planen, um zu organisieren. Du bist unser neuer Kommandeur.“ „Nein...“, begann der mit bescheidenem Einwand, aber Hal Samdu und Giles Habibula
stimmten bei, und so wurde Jay Kalam Kapitän des „Purpurnen Traums“. „Wie viele sind’s jetzt?“ fragte Jay Kalam Stunden später. Sie trieben immer noch hilflos in der Leere. Indem er die verräterischen roten Funken auf dem Bildschirm betrachtete, antwortete John Star langsam: „Sieben. Und ich befürchte, Jay, sie haben uns gefunden!“ „Glaubst du?“ Intensiv studierte Jay die Instrumente und stimmte schließlich mit Besorgnis in der Stimme zu: „Ja, sie haben uns gefunden. Sie drehen alle sieben auf uns zu.“ Dann sprach er in sein Telefon: „Hai, halte dich bereit... Ja, sieben Kreuzer der Legion, die alle auf uns zudrehen.“ Er gab die Positionen. „Giles, die Geodynen? Noch nicht fertig? Und du kannst dich nicht auf die reparierte Einheit verlassen? Sie haben uns entdeckt. Entweder kommen wir jetzt fort oder niemals mehr.“ Wenige Minuten danach kam der nächste Kreuzer fast in Reichweite des Protonengeschützes. Jay Kalam sprach ins Telefon, und ein flammender, violetter Strahl stürzte sich aus dem Geschütz über ihm auf den Angreifer. „Er zieht sich zurück“, flüsterte John Star, seine Augen fest an ein Teleperiskop gepreßt, „um auf die anderen zu warten. Aber bald werden sie alle für einen gemeinsamen Angriff nahe genug heran sein.“ „Ja, wir können es versuchen“, pfiff Giles’ dünne Stimme aus dem Hörer, „wenn auch diese verkrüppelte Einheit immer noch eine ziemlich wackelige Krücke ist!“ Jay Kalam nickte schnell, und John Staf wandte sich den Armaturen und Schaltern zu. Das musikalische Summen der Geodynen wuchs an und erfüllte das Schiff mit einem machtvollen Gesang. Schnell drehte er sie zur größten Leistung auf. Ihr Ton wurde höher, schärfer und zu einem vibrierendem Gewimmer, das durch jeden Mann auf dem Schiff zitterte. „Es hat geklappt!“ rief er frohlockend. Er erkannte an den roten Flecken, die auf dem Leuchtschirm glühten, daß der „Purpurne Traum“ sich bewegte, und immer schneller vom Mittelpunkt des feindlichen roten Schwarmes hinwegeilte. Fast konnte er die schreckliche Stoßkraft der Geodynen fühlen. „Wir sind gerettet!“ rief er wieder. „Auf geht’s zu Barnards Stern, hinweg zu...“ Seine Stimme senkte sich. Ein anderer Ton hatte das singende Geräusch der Generatoren unterbrochen. Giles’ Stimme kam aus dem Hörer, dünn, blechern und ängstlich: „Oh, diese verdammten Generatoren! Der eine Satz ist nun zwar in Ordnung, aber sie sind aus dem Gleichgewicht. Sie bleiben nicht synchronisiert. Die verdammte Schwingung kriecht wieder zurück. Sie nimmt die Kraft weg, sie wird das Schiff zerschmettern. !“ „Wir haben an Geschwindigkeit verloren“, meldete John Star besorgt von den Instrumenten. „Die Legionsschiffe holen wieder auf.“ „Stell sie doch bitte wieder ein, Giles“, plädierte Jay Kalam in das Telefon. „Alles hängt von dir ab.“ Giles mühte sich ab, und der reine Ton der gleichmäßig summenden Generatoren kam zurück, wurde aber wieder unterbrochen. Der „Purpurne Traum“ kam blitzartig voran und gewann so gegenüber den sieben verfolgenden Schiffen an Vorsprung, wenn die Geodynen klar und scharf summten, verlor aber jedesmal wieder und fiel schwerfällig zurück, wenn die harte, störende Vibration einsetzte. John Star studierte seine Instrumente lange und sorgfältig. „Wir stehen ungefähr gleich mit ihnen“, äußerte er sich schließlich. „Solange die Generatoren nicht schlechter werden, können wir den Abstand beibehalten, obwohl wir ihnen keinesfalls entwischen können. Immerhin, wir können der Sonne und dem System Lebewohl sagen. Selbst wenn sie uns weiter verfolgen...“ „Nein“, warf Jay Kalam ruhig ein, „wir sind noch nicht fertig, um Abschied zu nehmen.“ „Wir müssen mehr Treibstoff haben für den weiten Weg nach Barnards Stern. Sechs Lichtjahre und zurück. Wir müssen jeden Fußbreit an Bord mit Kathodenplatten für die Geodyngeneratoren vollpacken. Und natürlich müssen wir die Vorräte für uns selbst
überprüfen, Nahrungsmittel und Sauerstoff.“ John Star nickte langsam. „Wir werden landen“, sagte Jay Kalam mit seiner üblichen Bestimmtheit. „Und zwar auf dem Stützpunkt auf Plutos Mond. Das ist der entfernteste auf unserem Weg, und die isolierteste Legionsstation überhaupt im System.“ „Trotzdem werden sie auch dort gewarnt und vorbereitet sein.“ „Zweifellos. Aber wir müssen Vorräte haben. Wir sind jetzt Piraten, und wir werden uns deshalb nehmen, was wir brauchen.“
11. Es waren fünf Stunden Flug bis zu Pluto, dem entferntesten Außenposten des Systems, so fern, daß selbst die Sonne dort nur ein leuchtender Stern war, und das Tageslicht ewige Dämmerung. / Fünf Stunden flogen sie mit Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum. Ihre Kraftfelder wirkten gegen die Eigenkrümmung des Raumes derart, daß sie sich von ihm abstießen und so das Schiff nicht durch den Weltraum trieben, sondern um ihn herum. Dadurch wurden unglaubliche Beschleunigungen möglich, und dies ohne jede Unbequemlichkeit für die Reisenden. Sie hatten Geschwindigkeiten erreichen können, die sogar weit über der Geschwindigkeit des Lichtes lagen. Ein Astrophysiker würde hinzufügen, daß es sich um wahrscheinliche Geschwindigkeiten handelte, da ja, im gewöhnlichen Raum gemessen, das Schiff rund lief, denn im Hyperraum waren sowohl Beschleunigung wie Geschwindigkeit nur mäßig, so daß es in Wirklichkeit durch ihn hindurch ging. Giles Habibula pflegte die mit voller Kraft arbeitenden Generatoren mit höchster Sorgfalt und größtem Eifer. Es bewies sich, daß seine Hände eine erstaunliche Sicherheit und Geschicklichkeit besaßen, und außerdem hatte er einen enormen Respekt vor dem ständig anwachsenden Schwärm der Legionskreuzer hinter ihnen. Er regulierte den nicht mehr einwandfrei arbeitenden Satz so gut es ging. Für eine Stunde vielleicht war der Gesang der Generatoren klar und scharf, aber immer wieder kam der harte Mißton der zerstörerischen Vibration zurück. Einer nach dem anderen hatten sich die Patrouillenkreuzer der Legion der verfolgenden Flotte angeschlossen, bis sechzehn Schiffe den „Purpurnen Traum“ jagten. Aber ganz allmählich ließen sie sie zurück, bis sie in der Nähe des Pluto, wie John Star schätzte, einen ziemlich großen Vorsprung besaßen. Das bedeutete, daß sie in kurzer Zeit auf dem feindlichen Stützpunkt landen, seine Mannschaft überwältigen und sie zwingen mußten, ihnen an die zwanzig Tonnen Vorräte an Bord zu bringen, und daß sie schließlich wieder sicher in den Weltraum hinauskommen mußten. Während des Fluges ertappte sich John Star oft dabei, daß er an Aladoree Anthar dachte. Obwohl er sie nur einen Tag gekannt hatte, brachte ihm die Erinnerung an sie einen Abglanz der Freude, und einen bitteren Schmerz bei dem Gedanken an die menschlichen Verräter und die unheimlichen unbekannten Wesen, die sie nun gefangenhielten. Der „Purpurne Traum“ senkte sich mit prasselnden Raketen auf Plutos Mond hernieder. Zerberus, der Mond des Pluto, war ein winziger, rauher Felsen, der noch trostloser und grausamer als sein dunkler Planet war. Ein toter Satellit. Außer der Mannschaft der einsamen Legionsstation hatte er keine Bewohner. In einer Uniform, die Captain Madlok gehört hatte, trat John Star hinaus in die dünne, scharfe Luft auf das kleine Deck, das von dem herabgelassenen äußeren Ventil gebildet wurde. Er wappnete sich mit einem Selbstvertrauen, das alles andere als echt war, und wartete, während zwei Männer aus dem niedrigen, weißen Gebäude zögernd näherkamen. „Zerberus Station, ahoi!“ rief er sie an, sich so dienstlich gebend wie nur möglich. „Purpurner Traum“, ahoi!“ entgegnete einer von ihnen mit zweifelnder Stimme, ein kleiner
Mann, glatzköpfig, sehr dick und mit einem roten Gesicht. Seine Erscheinung zeigte die sorglose Vernachlässigung, die eine lange Isolation oft mit sich brachte. Er trug die matt gewordenen Rangabzeichen eines Leutnants der Legion. „Ich bin Captain John Ulnar“, sagte John Star brüsk. „Der. Purpurne Traum’ braucht Vorräte. Captain Kalam stellt die Requisitionsliste auf... Die Vorräte müssen unverzüglich eingeladen werden.“ Der kleine Mann runzelte die Stirn und zog die Schweinsäuglein zusammen. „John Ulnar?“ Seine Stimme war ein nasales Schnarren. „Und Captain Kalam, he? Kommandieren den. Purpurnen Traum’, was?“ Sein schmutziges, gelbstoppeliges Gesicht zeigte einen Ausdruck finsterer Schläue. John Star bemerkte seine gerissene Feindseligkeit, und wußte nun auch, daß die Verräter ihr Netz sogar bis zu diesem kalten, vergessenen Felsen gespannt hatten. „Ja, das sind wir.“ Unverschämtheit war hier das einzig Richtige. „Wir haben einen äußerst wichtigen Auftrag, wir müssen die Vorräte sofort an Bord bekommen!“ „Ich bin Leutnant Nana, der Kommandant der Station.“ Die mürrische Stimme wurde devot vor militärischer Höflichkeit. Mit einem wissenden Seitenblick fügte Nana schlau hinzu: „In meinen Listen läuft der. Purpurne Traum’ unter Captain Madlok und Commander Adam Ulnar. Er ist als das Flaggschiff des Kommandeurs aufgeführt.“ John Star hatte nicht viel Zeit zum Überlegen, was dieses Spiel bedeuten könne. Wenn Nana vor ihnen gewarnt worden wäre, so erschien es doch merkwürdig, daß er ihnen so friedlich begegnete. Und außerdem ließ die unbefestigte Zerberus-Station nirgends erkennen, daß sie über Waffen verfügte, die schwer genug sein könnten, den „Purpurnen Traum“ herauszufordern. Wenn er keine Warnung erhalten hatte... Aber hier war keine Zeit zu verlieren, um Rätsel zu lösen. „Es wurde ein Wechsel im Kommando vorgenommen“, informierte John Star ihn knapp. „Hier ist Captain Kalam.“ Neben ihm erschien Jay Kalam in einer anderen gefundenen Uniform. Sie schwangen sich beide die Strickleiter von dem kleinen Deck herab, und Jay Kalam hielt Nana ein Dokument vor die Nase und stieß scharf hervor: „Unsere Requisition, Leutnant!“ Mit einem Blick zu dem niedrigen Turm des Schiffes machte John Star eine schnelle Bewegung mit der Hand. Die lange Protonenkanone des Schiffes kam sofort aus ihrem Gehäuse hervor und zielte über ihre Köpfe hinweg auf das lange, weiße Gebäude. Hal Samdu war auf dem Posten. Nana sah mit schmalen, blutunterlaufenen Augen auf die Kanone. Sein ungewaschenes Gesicht zeigte weder, Überraschung noch irgendeine besondere Aufregung. Er warf John Star einen finsteren, feindseligen Blick zu und nahm widerstrebend die Liste entgegen. „Sechzehn Tonnen Kathodenplatten?“ Sein Erstaunen klang nicht überzeugend. „Für ein einziges Schiff?“ „Sechzehn Tonnen“, wiederholte John Star scharf. „Und zwar sofort!“ „Unmöglich!“ Nana blickte wieder stirnrunzelnd auf die drohende Kanone und stammelte ausweichend: „Ich kann sie euch nicht geben, ohne zuerst beim Hauptquartier anzufragen, damit eure Befehle bestätigt werden.“ „Dazu haben wir keine Zeit. Unser Auftrag ist von höchster Bedeutung...“ Nana zog seine schlampigen Schultern trotzig hoch. „Ich bin der Kommandant von Zerberus-Station“, schrie er. „Ich bin nicht gewöhnt, Befehle von...“ Er machte eine Pause, und seine roten Augen schlössen sich zu schmalen Schlitzen „... von Piraten entgegenzunehmen!“ „In diesem Fall“, sagte Jay Kalam sanft, „würde ich Ihnen raten, es doch zu tun.“ Nana schüttelte die Fäuste in einem Zorn, der nach schlechter Schauspielerei aussah, und Jay. Kalam winkte ein Signal zu Ham Samdu. Die Kanone über ihren Köpfen richtete sich auf den Funkturm auf dem Gipfel, und blendende Weißglut stieß aus ihr hervor. Der Turm fiel sofort in sich zusammen.
Und Nana zitterte plötzlich; sein unrasiertes Gesicht war bleich und zuckte vor Furcht, die echter aussah, als sein Zorn vorher. „Also gut“, flüsterte er rauh, „ich nehme Ihre Requisition an.“ „In kurzer Zeit waren alle Kathodenplatten an Bord, die Sauerstoffbehälter verladen sowie auch die Nahrungsmittel sorgfältig verstaut. Nur die schwarzen Trommeln mit Raketenbrennstoff blieben aufgestapelt unter der Luke. John Star fiel der Glanz finsterer Zufriedenheit in Nanas roten Schweinsaugen auf, und seine Besorgnis steigerte sich. Dann sprang Jay Kalam vom Deck herab und kam schnell laufend über das Feld. „Es ist Zeit, wir müssen verschwinden, John!“ Seine Stimme war leise, aber drängend. „Warum? Ich denke, wir haben noch ein wenig Zeit...?“ Jay Kalam blickte auf die neugierig starrenden Männer, die dabei waren, den Raketenbrennstoff einzuladen, und sprach noch leiser: „Die Teleperiskope zeigen noch ein anderes Schiff, John. Es ist noch näher und kommt schnell auf Pluto zu.“ Das also war Nanas Spiel! John Star nickte. „Eine nette kleine Überraschung für uns. Immerhin, wir haben jetzt den Treibstoff und damit immer noch eine Chance. Nanas Freunden zu entrinnen.“ Jay Kalams schmales, dunkles Gesicht war angespannt von einer seltsamen Erregung. „Es ist kein Schiff der Legion, John. Dazu bewegt es sich viel zu schnell.“ Unter seiner Ruhe konnte John Star die tiefe Besorgnis fühlen. „Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen. Ein Schiff wie eine schwarze Spinne, mit Dingern, die aus einem runden Bauch der Hülle hervorstehen!“ John Star war wie vom Schlag getroffen. „Die Medusen“, stöhnte er. „Das ist ein Schiff von der Art, mit der Aladoree weggebracht wurde. Nana muß es gerufen haben, um uns hier im Hinterhalt aufzulauern. Ich weiß nicht, welche Waffen sie haben werden.“ „Wir müssen gehen“, fiel Jay Kalam ein. „Wir können keinen Kampf riskieren.“ Leutnant Nana sah ihnen aus halbgeschlossenen, roten Augen nach und murmelte etwas mit seinen Leuten bei den Trommeln. Sie zogen sich alle mit einer verdächtigen Eile in das lange Metallgebäude zurück. Die Einsteigschleuse wurde geschlossen. John Stars Finger zogen die Hebel herunter. Blaue Flammen hätten jetzt aus den Raketen hervorstoßen sollen, um sie in den Raum hineinzutreiben — aber der „Purpurne Traum“ rührte sich nicht. ! Verwirrt und bestürzt probierte er wieder an den Abschußhebeln, aber nichts geschah. „Wir hängen fest!“ Ungläubig starrte John auf die Armaturen. „Magnetismus!“ rief er aus. „Sieh dir die Instrumente an! Ein fürchterliches Feld. Aber wie... ? Das Schiff ist nicht magnetisch. Ich kann nicht begreifen...“ „Eine magnetische Falle“, sagte Jay Kalam. „Unser Freund Nana hat irgendwo in der Nähe des Schiffes Magnete verborgen. Unser Schiff ist nicht magnetisch. Aber trotzdem hält das Feld den Raketenabschußmechanismus und die Geodynen außer Kontrolle. Er versucht, uns zu halten, bis das Schiff heran ist. Und...“ „Dann“, fiel John Star ein, „müssen wir ihre Anlagen zum Stillstand bringen!“ „Hal“, rief Jay Kalam ins Telefon, „schieß das Gebäude zusammen!“ Die Zunge der zischenden, violetten Flamme stieß wieder aus der Kanone hervor. Sie leckte das lange, niedrige Metallgebäude von einem zum anderen Ende entlang und ließ einen flachen Haufen rauchenden Metalls zurück. „Jetzt!“ Wieder versuchte John Star die Raketen, und wieder war nur Schweigen die Antwort. „Die Magnete halten uns immer noch. Die Anlagen müssen unterirdisch sein, wo sie der Feuerstoß nicht erreichen konnte.“ „Ich weiß Bescheid!“ rief John Star aus. „öffne das Ventil!“ Er griff sich zwei Protonenpistolen, außer den zweien, die er bereits im Gürtel hatte, und
stürzte aus dem Steuerraum hinaus. „Warte“, rief Jay Kalam. „Was...“ Aber er war bereits gegangen, und Jay Kalam betätigte die Hebel, um das Ventil für ihn zu öffnen. John stürzte hinaus und rannte die rauchenden Trümmer des Gebäudes entlang und durchsuchte das nackte Fundament, bis er die Treppe fand. Es war ein Schacht, der durch dunkle Felsen und Gletscher hindurch gehauen war. John stürmte die Stufen hinab, mit den Protonenpistolen in den Händen, und sprang über verstreute Bruchstücke von noch glühendem Metall. Etwa dreißig Meter tief in der kalten Kruste des Zerberus schimmerte vor ihm ein schweres, metallenes Tor. Er brachte einen konzentrierten Protonenstoß an. Es blitzte weißglühend auf und fiel in sich zusammen. Er sprang darüber und kam in eine lange, dämmerige Halle. Vor sich hörte er den Lärm von Maschinen, das Summen von Dynamos; aber ein anderes Tor hielt ihn noch auf. Er zog die Pistole ab, aber sie war leer, erschöpft von dem ersten vollen Feuerstoß. Bevor er eine andere in Anschlag bringen konnte, stieß eine violette Feuerlanze aus einem winzigen Pförtchen auf ihn zu, blitzschnell schleuderte er seinen Körper unter dieser Klinge tödlichen Feuers flach auf den Boden. Obwohl er dadurch dem versengenden Strahl entging, hatte ihn doch der elektrische Schlag fast betäubt. Aber sein eigener Feuerstoß antwortete im gleichen Moment, und das glühende Wrack der Tür wurde auf den Mann dahinter geschleudert. Sofort wieder auf den Füßen, obgleich seine Schulter brannte und schmerzte, sprang er auf das Tor zu, warf seine ausgebrauchte Pistole weg und zog die beiden anderen aus seinem Gürtel. In den Felsen gehauen lag ein viereckiger Raum vor ihm, in dessen Mitte große Dynamos summten. Um sie herum standen fünf Männer, vor Schreck versteinert. Nur Leutnant Nanas Hand griff mechanisch nach der Waffe. Aber John Stars Pistolen flammten auf und trafen die Generatoren. Jetzt unbewaffnet, aber sicher, daß die Dynamos vernichtet waren, warf er seine unbrauchbaren Pistolen in Nanas finsteres, gelbstoppeliges Gesicht und rannte zurück durch die Halle, die Treppe hinauf, in der Hoffnung, daß ihm die Überraschung Zeit lassen würde, an Bord zu kommen. Sie tat es. Das Einsteigventil fiel wieder zu, die Raketen wuschen die Zinnen mit donnernden, blauen Flammen, und der „Purpurne Traum“ blitzte aufwärts, hinweg von Plutos zerfurchtem Mond.
12. So flogen sie hinein in das sternenglitzernde, kristallene Schwarz des interstellaren Raumes. Alle vier magerten zusehends ab, vor Mangel an Schlaf und von der ständigen Anspannung. Nur Jay Kalam schien fast unverändert, immer bedächtig und kühl, immer ernst und liebenswürdig. John Stars Gesicht war bleich, seine Augen brannten. Hal Samdu, der nervös und reizbar geworden war, sprach mit sich selbst; er ballte seine riesigen, jetzt so nutzlosen Fäuste, und schüttelte sie manchmal gegen imaginäre Feinde. Selbst Giles Habibula verlor unglaublicherweise an Gewicht, bis ihm die Haut in Säcken unter seinen hohlen, bleischweren Augen hing. Tag für Tag wurde die Sonne kleiner, bis sie zwergenhaft zwischen Beteigeuze und Rigel stand, bis sie ein ganz schwacher, weißer Stern war, verloren in dem zurückweichenden Glanz des Orion. In den Teleperiskopen erschien jetzt Barnards Stern und wurde größer. Fliehende Sonne! Ein roter, schwacher, sterbender Zwergstern, nach Norden rasend aus dem
Sternbild des Ophiuchus hinaus, in wahnsinnigem Flug von der Schlange und dem Skorpion hinweg. Lange zuvor von seinem Entdecker Barnards Runaway Star getauft wegen seiner bemerkenswerten Eigenbewegung, war er der nächste Stern des Nordhimmels und der nächste, von dem festgestellt wurde, daß er einen bewohnbaren Planeten hatte. Bewohnbar — so hatten ihn die zensierten und bruchstückweisen Berichte der Expedition Eric Ulnars beschrieben. Aber die wahnsinnigen Überlebenden der Expedition, die in gut bewachten Lazaretten an Krankheiten dahinsiechten, die die Spezialisten der planetaren Medizin weder erklären noch heilen konnten, stammelten und flüsterten von einer unheimlichen Welt mit unvorstellbaren Schrecken. Die Herrscher jenes Planeten waren die monströsen Medusen. Für Menschen war er kaum bewohnbar. John Star stellte die Vergrößerung der Teleperiskope aufs Äußerste ein, bis er die häßliche, kriechende Bewegung der weiten, sich windenden Ströme und die bösartigen Flüsse fremder Materie und fremder Energien, die in ihm kochten, sehen konnte. „Ein Nebel, der nicht auf den Karten verzeichnet ist“, stellte er fest. „Es wäre besser, wenn wir abdrehen würden.“ Die sternebeobachtenden Nomaden der Erde wunderten sich von Anfang an über jene dunklen Wolken am Firmament. Die sternedurchstreifenden Nomaden des Weltraumes in neuerer Zeit sind manchmal darin untergegangen. Sie waren jedoch noch wenig bekannt, und alle vorsichtigen Weltraumfahrer hielten sich fern von ihren Mahlströmen aus Feuer und kosmischen Furien. Früher, auf der Legionsakademie, hatte John Star einen berühmten Astrophysiker gehört, der von intranebularer Dynamik gesprochen hatte. Er kannte die feingesponnenen Theorien des Gegenraumes, der umgekehrten Krümmung, der Pseudogravitation und der negativen Entropie. Die Nebel waren, gemäß jener Theorie, der Mutterleib von Planeten und Sonnen und selbst von zukünftigen Milchstraßen; das zweite Gesetz der Thermodynamik wurde in ihren anomalen Gegenräumen irgendwie überlistet. Strahlungen wurden in ihren mysteriösen Tiefen eingefangen und wieder in Materie verwandelt; ihre letzte und ehrfurchtgebietende Bestimmung war, das untergehende Universum wieder aufzubauen. So glaubte jener berühmte Astrophysiker — aber er hatte sich niemals in die Nähe des dunklen, ungeheuerlichen Furiosums eines solchen Sturms im Weltraum gewagt. John Star schluckte, und seine Stimme klang schwach vor Furcht. „Wir kommen zu nahe — ich werde unseren Kurs ändern.“ „Nein!“ protestierte Jay Kalam ruhig. „Fliege direkt darauf zu.“ „Ja?“ Verwundert, steif vor wachsendem Schrecken, gehorchte John. Die Masse vor ihnen ließ die Schwerkraftdetektoren ihren Dienst aufgeben. Sie mußten unter die Lichtgeschwindigkeit zurückgehen, so daß ihre Suchstrahlen sie vor Zusammenstößen bewahren konnten. Und die seltsame Wolke vor ihnen wurde größer. Gänzlich unbedeutend mag der Nebel gewesen sein im Maßstab des kosmischen Raumes, so winzig, daß ihn die Astronomen des Sonnensystems niemals entdeckt oder auf Karten verzeichnet hatten. Seine ausgedehnten und wenig bekannten Kräfte konnten das System selbst nicht bedrohen, denn die umgekehrte Beugung des Gegenraumes verursachte die Abstoßung von den Schwerkraftfeldern der Sonne. Im Maßstab der Milchstraße war es nur ein Fleckchen uninteressanten Staubes. Im menschlichen Maßstab jedoch war es groß genug — und tödlich. Ungeheuerlich schraubten sich die dunklen, undeutlich schimmernden Arme über die Sterne vor ihnen heraus. Die Teleperiskope begannen seine schrecklichen Einzelheiten zu zeigen: Schwarze Staubwolken, prasselnde Ströme von gezackten Meteorbruchstücken, dunkle Fahnen dünner Gase, alles gepeitscht von den rasenden Strömen halb erforschter kosmischer Kräfte, bösartig glühend von dem fahlen Grün der Ionisation. „Wenn wir da hineingeraten würden...“ Das Wort blieb John in der trockenen Kehle stecken, er mußte schlucken. „Diese Meteorströme — prasselnde Blöcke!. Diese Strudel von
leuchtendem Gas. Die Kräfte darin — unbekannt!“ Er wischte sich den Schweiß vom starren, bleichen Gesicht. „Ich glaube nicht, daß es fünf Sekunden dauern würde.“ Aber Jay Kalam sagte ihm: „Steuere etwas näher heran.“ „Was?“ murmelte John Star mit rauher Stimme. „Warum?“ Schweigend deutete Jay Kalam auf den roten, vergessenen Funken auf dem Bildschirm, der die Position des schwarzen Schiffes hinter ihnen markierte. Es war sichtlich im Aufholen begriffen, um den Abstand, der so lange gleichgeblieben war, zu verringern. John Star stockte der Atem. „So versuchen sie also jetzt, uns zu überholen?“ „Mehr als versuchen“, bemerkte Jay Kalam leise. „Ich nehme an, sie befürchten, daß wir sie an den Rändern des Nebels abzuschütteln versuchen. Steuere etwas näher heran.“ John betätigte wieder die Steuereinrichtungen, mit steifen, eisigen Fingern. Das rasende Schiff drehte leicht auf die schreckliche Wolke verschwommenen grünen Feuers zu. Ein kosmischer Sturm, wahrhaftig. Wahnsinnig wilde, von ungesehenen Kräften zerrissene Fahnen schwarzen Staubs wirbelten umher, zerfetzte Schwaden glühenden Gases, wilde Strudel und wuchernde Tentakeln, die sich in elementarem Rasen krümmten und peitschten. „Noch etwas näher“, drängte Jay Kalam sanft, „und wir werden bald feststellen, wie sehr sie Commander Ulnars Leben schätzen.“ Mit starren und unwilligen Fingern betätigte John Star wieder die Steuereinrichtung und drehte dann ein Teleperiskop auf das schwarze Schiff hinter ihnen — denn jetzt konnte sie das träge Licht von dort überholen, nachdem sie die Fahrt verlangsamt hatten. Ein kolossales Ding, seltsam wie die grünlichen und feuchten schwellenden Ungeheuer, die seine Mannschaft bildeten. Mit schwarzen Stangen, Armen und Hebeln, die in einer verwirrenden Anordnung aus der runden Hülle hervorstanden. Es sah wirklich wie eine schwarze, fliegende Spinne aus. Die Hauptflügel waren eingezogen, aber gewisse kleinere Flügel bewegten sich leicht hier und da, wie es sich gerade ergab, als ob sie gegen ein ungesehenes Medium reagieren würden, um den Flug zu steuern. Vielleicht, so dachte er, machten sie Gebrauch vom Strahlungsdruck. Es wurde immer größer im Teleperiskop — dunkel und seltsam wie der kosmische Sturm vor ihnen. „Sie können nicht angreifen“, schluckte John Star, um seine Kehle zu befeuchten, „nicht, wenn sie Commander Ulnars Leben erhalten wollen.“ Und Jay Kalam murmelte leise: „Versuch es doch jetzt noch etwas näher.“ John Star griff wieder an das Ruder, und sein Herzschlag setzte fast aus. Der strahlende, reine Gesang der Geodynen hatte durch das Schiff geklungen voll lebendiger Kraft; er hatte fast den Stoß gefühlt, mit dem sie vorwärtsgetrieben wurden. Aber dieser Gesang änderte sich plötzlich. Jetzt kehrte die knarrende Vibration der nicht abgestimmten Sätze zurück. Ihre Geschwindigkeit fiel wieder ab, und der rote Funken auf dem Bildschirm kam fast so nahe heran, daß er sie berühren konnte. Starr und voll Verzweiflung lenkte John das Schiff näher heran an die stürmische Wand von Staub, grünem Feuer und mahlenden Steinen, und Jay Kalam beobachtete das fremde Schiff. Plötzlich sagte er: „Ich befürchte nach allem, der Kommandeur wird uns nicht retten. Sie feuern irgend etwas ab.“ Aus dem Bauch des schwarzen Spinnenschiffes kam eine kleine, nebligweiße Kugel. Sie folgte ihnen, schneller, als die schadhaften Geodynen sie vorwärtstreiben konnten, und wuchs an, je näher sie kam. Sie beobachteten sie in den Linsen, erstarrt von diesem neuen Wunder, atemlos vor Schrecken. Der „Purpurne Traum“ schlingerte und rollte auf sie zu. Eine plötzliche Übelkeit, ein unerträgliches Schwindelgefühl überkam John Star. Er wankte, stolperte von den Kontrollen zurück und ergriff ein Handrad. Daran hielt er sich fest, halb ohnmächtig und zitternd, während sich das Schiff hilflos im Bereich der verfolgenden Sonne drehte.
Sie fielen auf diese blendende Opaleszenz zu. Grimmig biß John Star die Zähne zusammen und kämpfte gegen die Drehung des angeschlagenen Schiffes, kämpfte sich im Schlingern zurück zu den Instrumenten — und fand, daß die Geodynen gänzlich ausgefallen waren! Das Schiff fiel, steuerlos. Eine Explosion mit weißleuchtenden Flammen blendete sie — und wie eine 40 zerplatzte Seifenblase war die Sonne verschwunden. John Stars Übelkeit hörte auf, der Raum lag wieder schwarz hinter ihnen, und bald konnten seine geblendeten Augen den Glanz des Oriongürtels wieder wahrnehmen. Der Gesang der Geodynen kehrte zurück, und das Schiff gehorchte wieder dem Steuer. John Star wischte sich schwach über das Gesicht. „Was war das?“ flüsterte er. „Was haben sie auf uns geschleudert?“ „Ich stelle mir vor, es ist eine Art Auflösungswirbel“, kommentierte Jay Kalam bedächtig. „So etwas Ähnliches war in den geheimen Berichten der Ulnarexpedition erwähnt, die sie Akidoree ins Fort auf dem Mars geschickt hatten. Nur ein Hinweis — sie waren vorsichtig, ihr nicht zu viel zu erzählen. Aber es war die Rede von einer Energiewirbelwaffe — von einem furchtbaren Ding, das die Raumkoordinaten ablenkt und alle Materie unstabil macht. Sie soll aus der Energie der Atome entstehen, die vernichtet werden und somit eine Anziehungskraft schaffen, die noch mehr Materie in sich hineinzieht. Eine Art Pseudosonne!“ Und der „Purpurne Traum“ schraubte sich vorwärts durch das Gewirr der Nebel. Wände aus grünen Flammen waren plötzlich vor ihnen; der Abtrieb lauerte ihnen auf in den schwarzen Staubwolken und sprang heraus mit nackten Fängen zermalmender Steine. Hurrikanartig schlugen und zerrten die kaum bekannten Kräfte des kosmischen Sturmes das Schiff hin und her — Kräfte, die, wie John annahm, den furchtbaren Wirbeln der Sonnenflecken und sogar dem tödlichen Sog der Pseudosonnen der Medusen verwandt waren. Rechts oder links, nach oben oder unten, er führte das Schiff mit sicheren Händen. Radar und Wärmedetektoren machten ein ständiges, nutzloses Geräusch, bis er sie abstellte. Nur menschliche Geschicklichkeit und Schnelligkeit konnten ihnen jetzt nützen. Einen Augenblick dachte er, daß sie freigekommen wären. Das Schwarze vor ihnen war kein tödlicher Staub mehr, sondern das Dunkel des offenen Weltraums. Durch das fahle, grüne Flimmern sah er das Leuchtfeuer des roten Antares — und dann fielen die Geodynen wieder aus. Der reine Gesang der Generatoren brach plötzlich ab, und die alte, herzzerreißende Vibration stellte sich ein. Sie hatten keine Stoßkraft mehr. Eine schwarze, gezackte Felsmasse — vielleicht eine im Entstehen begriffene Welt — kam plötzlich auf sie zu. John Stars Finger griffen nach den Schalthebeln, aber das kranke Schiff reagierte nicht. Auf dem Bildschirm näherte sich der schwarzklauige Felsen. Und dann schlug er gegen die Hülle mit einem Klang, der widerhallte wie die Totenglocke des Untergangs. Dann war Schweigen. John Star lauschte. Er konnte die Geodynen nicht hören — aber da war auch kein Zischen und Tosen entweichender Luft Er wußte, daß die feste Hülle standgehalten hatte. Dann begann sich das Schiff zu drehen. Das glänzende Leuchtfeuer des Antares war plötzlich verschwunden und der Riß im Nebel geschlossen. Der gleiche Kraftstrom, der den Felsbrocken herangewirbelt hatte, hatte sie nun gefangen. Er warf sie zurück, auf den geheimnisvollen Kern des Nebels zu. Der wahnsinnige Sturm der Energie fegte sie voran. John Star studierte erregt seine Zifferblätter und Instrumente, es gelang ihm nicht, sie zu analysieren. Es war weder Magnetismus noch Schwerkraft, es mußte etwas aus dem Nebel kommendes, Fremdes sein. Hier auf dem unbekannten Grenzgebiet von Raum und Gegenraum, dachte er, könnten sogar solche vertrauten Begriffe wie Magnetismus und Schwerkraft keine sichere Bedeutung haben Die Geodynen summten plötzlich wieder klar und hell. Sie kamen aus dem letzten, dünnen Wimpel des Sturmes heraus und hinein In die klare Dunkelheit des Raumes. Vor ihnen lagen die kalten, diamantenen Sterne, und der grünliche Schatten des Nebels hinter ihnen wurde immer kleiner. Im riesigen kosmischen Maßstab war es nur noch ein Fleck uninteressanten Staubes.
„Geschafft!“ rief John Star aus. „Geschafft!“ wiederholte Jay Kalam das Wort und lächelte ironisch. „Und dort vor uns ist Barnards Stern.“ Im Feld des Teleperiskopes fand John Star die fliehende Sonne. Es war ein rotes, einsames Auge, das ihre Annäherung mit einem kalten, beständigen Starren düsterer Drohung beobachtete.
13. „Vor uns wird noch ein rauheres Wetter liegen“, sagte John Star. „So stelle ich es mir wenigstens vor — nach all dem, was man von dem Gefahrengürtel gehört hat“ Dieser Satz hatte eine bemerkenswerte Wirkung auf Adam Ulnar. Sein Gesicht verlor das Lächeln eines vorsichtigen Spötters und gefror zu einer starren Maske. Hinter der Maske fühlte John Star etwas wie Bestürzung. Adam Ulnars Hände klammerten sich an die Stangen der Zelle. Er starrte von einem zum anderen, und Sekunden vergingen, bevor er sprechen konnte. „Der Gürtel“, schluckte er, „du meinst also, daß wir nach Barnards Stern gehen?“ „Wir suchen Aladoree“, sagte John Star ruhig, „mir ist bekannt, daß Erics Expedition etwas über eine Verteidigungsschrankenzone rund um den Planeten der Medusen berichtete. Wir wollen wissen, was es damit auf sich hat, und wie wir lebend da hindurchkommen können.“ Die feinen Runzeln gruben sich tiefer in Adam Ulnars Gesicht und alle heitere Farbe war von ihm gewichen. Die Pupillen seiner blauen Augen waren schwarz und groß vor krankhaftem Schrecken. „Ich weiß nicht, was es damit auf sich hat.“ Seine Stimme kam langsam und dumpf vor Furcht. „Ich weiß es nicht.“ „Sie müssen es wissen!“ John Stars Stimme war eine einzige Herausforderung. „Sie hatten die kompletten, unzensierten Berichte. Eric muß Ihnen von all dem erzählt haben. Geben Sie sie uns!“ Schwerfällig schüttelte der alte Kommandeur den Kopf. „Eric wußte es nicht“, sagte er. „Selbst, nachdem die Medusen sich bereit erklärt hatten, uns für eine Ladung Eisen als Gegenleistung zu helfen, wollten sie ihm nichts darüber erzählen. Alles, was ich weiß, ist das, was die Wirkung auf die Schiffe seiner Expedition war, als sie zum erstenmal zu landen versuchten. „Und was war das?“ „Genug“, sagte Adam Ulnar. „Seine Flotte näherte sich der Schrankenzone, ohne von der Gefahr gewarnt zu sein — glücklicherweise war Eric schlau genug, sein Flaggschiff an den Schluß zu bringen. Nur die zwei führenden Schiffe gelangten in die Zone — sie kamen nie mehr heraus! Eric hielt den Rest seiner Flotte außerhalb der Schranke, bis er Funk- und Fernsehverbindung mit den Medusen hergestellt hatte, was eine beträchtliche Zeit dauerte. Später erlaubten sie einigen seiner Schiffe, den Planeten zu besuchen und ihn wieder zu verlassen. Anscheinend können sie die Schranke nach Belieben öffnen.“ John Star blickte ihn scharf an. „Was wissen Sie sonst noch?“ fragte er. „Die Männer, die landeten, mußten doch etwas erfahren haben.“ Der alte Mann, der sich noch immer an den Stangen festhielt, lächelte gezwungen. „Die meisten von ihnen konnten nie erzählen, was sie erfuhren.“ Seine dumpfe Stimme ließ ein Echo des Schreckens erkennen. „Es sind diejenigen, die zurückkamen, um in den Irrenhäusern zu sterben. Wissen Sie, es gibt etwas in der Atmosphäre des Planeten, das für
den menschlichen Körper und den Verstand nicht gut ist. Ein Virus, eine sekundäre Strahlung, die durch die Strahlen der Schranke hervorgerufen wird, oder vielleicht eine giftige Ausstrahlung aus den Körpern der Medusen selbst. Unsere Wissenschaftler konnten niemals zu einer Übereinstimmung gelangen, was es ist. Aber sie bewiesen, daß Menschen dort nicht leben können. Die Wirkungen sind äußerst verschieden, und manchmal verzögern sie sich lange. Aber der Anfall, wenn er kommt, ist plötzlich und schrecklich.“ „Danke, Commander“, sagte Jay Kalam, und sie wandten sich zum Gehen. „Wartet!“ Die zitternde Stimme rief ihnen nach. „Ihr wollt doch nicht — Dicht in den Gürtel hinein?“ „Wir werden durch ihn hindurchfliegen“, versicherte ihm John Star. „Wir werden versuchen“, fügte Jay Kalam verbindlich hinzu, „mit sehr großer Geschwindigkeit hindurchzukommen; durch die Überraschung, bevor diese Strahlungen — wenn sie das sind — Zeit haben, wirksam zu werden.“ Der „Purpurne Traum“ flog weiter. Barnards Stern leuchtete rechts von ihnen. Eine anschwellende, vollkommene Kugel, scharf abgegrenzt gegen die schwarze Leere. Ein Typ M-Zwergstern, alt über jede Vorstellung hinaus, und in der Erkaltung schon so weit fortgeschritten, daß ihre Augen ohne Sorgen auf ihn. blicken konnten, ohne Filter hinter den Linsen. Aber seine glutroten Strahlen schlugen mit schicksalsschwerer Drohung auf ihre Gehirne. Gerade vor ihnen lag sein einsamer Planet, ein verschwommenes, furchtbares Gewächs; die Welt der monströsen Medusen, jenes schwarzen Spinnenschiffs, des wartenden Gefahrengürtels. Das Schiff flog voran mit scharf und klar singenden Geodynen. John Star und Jay Kalam standen vor den Teleperiskopen und achteten auf die ersten Anzeichen einer Gefahr. Der rote, wolkige Planet vor ihnen wurde immer größer. Seine Nachtseite war gänzlich schwarz, ein runder Fleck auf dem Sternenhimmel. Die Tagseite war eine gekrümmte, bösartig rote Klinge, wie befleckt von bösem Blut und von Klumpen dunklen Rostes. Seine Bahn lag nahe an dem sterbenden Stern. Und er war riesenhaft, wie John Star feststellte, viele Male so groß wie die Erde. Jay Kalam holte langsam und angstvoll Atem. „Die Forts!“ flüsterte er. „Die Stationen, die die Schranke bilden — das müssen sie wohl sein. Ein Gürtel von Monden.“ John Star fand sie. Undeutliche, winzige Halbmonde, rot wie der unheimliche Planet selbst. Er fand drei, einander folgend in der gleichen Bahn hoch über der düsteren Atmosphäre der mächtigen Welt vor ihnen. Es mußten wohl sechs im ganzen sein, einer vom anderen sechzig Grad entfernt, John Stars brütender Blick ging zu dem größeren, düsteren Halbmond zurück. „Aladoree — dort!“ Seine mit stockendem Atem hervorgebrachten Worte wurden von einem Gefühl vagen Schreckens erfaßt. „Hinter diesen Monden! Verborgen und bewacht, irgendwo auf jenem Planet, und wegen des Geheimnisses des AKKA gequält. Wir müssen hindurchkommen, Jay!“ „Wir müssen!“ Und Jay Kalam sprach ruhige Befehle in das Telefon. Dicht vor den Steuereinrichtungen, kaum atmend, steuerte John den „Purpurnen Traum“ hinab in den weiten, böse glimmenden Halbmond aus karminroter Dunkelheit, gerade zwischen zwei dieser schwarzen, winzigen Monde hindurchzielend. Und nun sah er etwas Furchtbares. Noch kein sichtbares Geschoß oder ein Strahl war von dem befestigten Satelliten gekommen — aber er sah, daß etwas mit dem Schiff und mit ihm geschah! Die metallenen Schotts und die Vorderseiten aller Instrumente vor ihm leuchteten plötzlich. Seine eigene Haut strahlte. Glänzende Atome tanzten hinweg in die Luft, strudelnde Sonnenstäubchen in vielen Farben. Es schien, als ob das Metall des Schiffes in einem regenbogenfarbigen Nebel verdampfen würde. Und so war es auch mit seinem eigenen Körper.
Erst dann fühlte er den Schauer eines betäubenden Schmerzes. Für einen Moment gab er sich der Ohnmacht hin, krank und taumelnd, mit geschlossenen Augen. Er kämpfte verbissen um seine Selbstbeherrschung und wankte auf Jay Kalam zu — der jetzt ein schimmerndes Gespenst war, in einen glänzenden Nebel sich auflösender Regenbogen gekleidet. „Wie lange kann... ?“ Seine Stimme versagte. Die rote Ohnmacht stieg gegen sein Gehirn. Jede Sekunde dachte er, daß er den letzten Kampf seines Lebens kämpfte, und in jeder Sekunde wuchs die Agonie noch an. Er war blind vor Schmerz. Der Schmerz dröhnte in seinen Ohren. Rotglühende Nadeln der Pein sondierten jede Fiber seines Körpers. Aber immer noch kämpfte er, sich selbst in Gewalt zu behalten. Er stand starr über den Armaturen und lenkte den Kreuzer nach unten. Über den grausigen Schmerzen, die in seinen Ohren dröhnten, hörte er das Geräusch der hart getriebenen Geodynen, wie es wieder in grobes Vibrieren umschlug. Das bösartige Knarren wuchs an, bis das ganze Schiff davon erfüllt war. Aber die Vibration endete plötzlich, und das Schiff lag in tödlicher Stille. Die Geodynen waren vollkommen ausgefallen. Nur der Antrieb war geblieben, um sie durch die Strahlenwand zu bringen. In dem neuen Schweigen hörte er Adam Ulnar in seiner Zelle schreien. „Auflösung...“ kam das schwache, rauhe Gekrächze von Jay Kalam. „Wir werden unsichtbar!“ Dann sah er, daß das feste Metall der Mechanismen um ihn herum in unheimlicher und unglaublicher Weise halb durchsichtig wurde. Als ob es sich vollkommen in dem glitzernden Nebel auflösen wollte, der immer dichter von ihm hinwegwirbelte. Wie durch einen Nebel von Edelsteinstaub blickte er auf Jay Kalam und sah etwas Gräßliches. Das leuchtende Gespenst war jetzt halb durchsichtig, die Knochen wie Schatten in den nebelhaften Umrissen des Fleisches sichtbar. Feuriger Rauch wirbelte aus ihm. Es sah nicht mehr menschlich aus. Es war der abscheuliche Tod, der sich in Nichts auflöste. Aber immer noch hatte es Bewußtsein, Verstand und Willen. Er flüsterte, trocken und schwach: „Raketen!“ John Star wußte, daß auch er ein in Auflösung begriffener Geist war. Jedes Atom seines Körpers brannte vor unerträglichem Schmerz. Die Pein machte ihn blind, gellte in seinen Ohren, ließ seinen Körper erstarren. Aber er bewegte sich, bevor es ihn endlich überkam. Er erreichte noch die Raketenabschußhebel. Dann lag er plötzlich ausgestreckt über der Schalttafel — das war das erste, was er schwach und zitternd feststellte, als er wieder zu sich kam. Sein kranker Körper war schlaff und bebte vor Schweiß. Er zog sich hoch, er wußte, das seine furchtbare schmerzende Transparenz verschwunden war. Er sah Jay Kalam schwach und weiß, hinter ihm noch ein paar glitzernde, diamantene Partikel in der Luft umherwirbeln. „Die Raketen“, stieß Jay Kalam mit schwacher Stimme unsicher hervor, „die Raketen haben uns durchgebracht.“ „Durch!“ Es war ein trockenes, rauhes Krächzen, das John hervorbrachte. „Auf die Innenseite des Gürtels?“ „Wir sind drin und nähern uns der Oberfläche.“ Er kämpfte, um sich wieder ganz in Gewalt zu bringen. „Dann müssen wir unsere Geschwindigkeit herabsetzen, bevor wir aufschlagen und zerschmettern.“ „Giles!“ Jay Kalam rief in das Telefon, „die Geodynen...“ „Laß mich in Ruhe“, keuchte jener mit schwachem und kläglichem Protest. „Die Generatoren sind erledigt, ausgebrannt. Zerstört durch die furchtbare Vibration. Sie können nicht mehr repariert werden — selbst nicht durch die wunderbare Geschicklichkeit eines Giles Habibula.“
„Das glaubst du doch selbst nicht, Giles“, fiel John Star ein. „Natürlich kannst du sie wieder in Ordnung bringen!“ „Nein, John, es ist aus, vorbei, ich sage es dir doch, ausgebrannt und restlos hinüber.“ „Es ist wahr“, sagte Jay Kalam. „Ich habe sie untersucht. Die Geodynen sind erledigt. Wir haben nur noch die Raketen, um uns vor einem Aufprall zu bewahren.“ John Star schleppte sich grimmig zu den Abschußhebeln und murmelte: „Jetzt müßten wir den Brennstoff haben, den wir auf Plutos Mond liegen ließen.“
14. „Wie steht’s?“ „Eine trübe Angelegenheit“, sagte John Star langsam. „Sehr ärgerlich. Fast zur gleichen Zeit werden drei Dinge geschehen. Unsere Geschwindigkeit wird gebremst, wir werden uns dem Planeten nähern, und den Raketen wird der Treibstoff ausgehen. Aber diese dichte, rote Atmosphäre verbirgt die Oberfläche — ich kann nicht sagen, wie weit sie unter uns liegt. Wenn sie zu nahe ist, werden wir aufschlagen, bevor die Triebkraft gebremst ist. Wenn sie zu weit ist, werden wir weiter fallen, ohne jeden Treibstoff. Entweder das eine oder das andere wird eintreten!“ „Dann“, folgerte Jay Kalam ruhig, „machen wir uns auf alles gefaßt. Wie lange noch?“ „Zwei Stunden mit voller Kraft, dann sind die Tanks leer.“ Jay Kalam nickte und drehte sich schweigend zu seinem Teleperiskop um. Plötzlich deutete er erregt auf einen neuen roten Funken, der unbemerkt auf dem Bildschirm aufgetaucht war. „Noch ein schwarzer Flieger“, kündigte er an. „Ich vermute, er ist gekommen, um das Feuerwerk bei unserem Aufprall zu sehen — sie müssen uns ausgemacht haben, als wir zwischen den Satellitenforts hindurchflogen.“ John Star machte es in seinem eigenen Instrument aus — eine monströse Form von funkelndem, schwarzem Metall; große Flügel bewegten sich langsam und seltsam um den riesengroßen, schwarzen Bauch seiner Hülle. Es war nicht weit über ihnen und hielt Schritt mit ihrem Fall. Aber es machte keine feindliche Bewegung. „Die wollen uns jetzt aufprallen sehen“, murmelte er. „Und wenn wir ihnen den Gefallen nicht tun, werden sie uns abfangen.“ „Ich werde Commander Ulnar holen“, sagte Jay Kalam plötzlich. „Er soll sie anrufen. Wir haben nichts mehr zu verlieren, „aber alles zu gewinnen. Vielleicht können wir Aladoree freikaufen. Was die Ulnars auch immer angeboten haben, das System kann es sich leisten, noch mehr zu geben — um sie und AKKA zu retten.“ John Star nickte — vielleicht war das eine Chance. Jay Kalam brachte Adam Ulnar in den Steuerraum. Der hochgewachsene Kommandeur war immer noch bleich und erschüttert von dem Flug durch die Strahlungsschranke, aber ein schwaches Lächeln stand wieder in seinem Gesicht. „Ich gratuliere, John. Ich hatte niemals gedacht, daß du uns durchbringen würdest.“ Jay Kalam sagte mit fester Stimme: „Ich werde Sie jetzt sprechen lassen, Commander. Ich werde Ihnen eine Chance geben, Ihr eigenes Leben — und Aladoree Athar mit ihrem Geheimnis für die Grüne Halle zu retten. Die Einzelheiten überlasse ich Ihnen. Aber ich bin sicher, daß die Grüne Halle jedem notwendigen Lösegeld zustimmen wird. Und ich verspreche Ihnen — wenn Sie uns helfen können, Aladoree sicher zum System zurückzubringen — ich verspreche ihnen, daß Sie frei sein sollen.“ „Ich danke Ihnen, Kalam.“ Der weiße, vornehme Kopf machte eine leichte und halb ironische Verbeugung zu ihm hin. „Ich bin gerührt von dem Vertrauen, daß Sie in mich setzen. Aber es ist wahr, daß ich nicht zu sterben wünsche, und daß Eric sehr grobe Schnitzer in der Durchführung des Unternehmens
gemacht hat, das ich geplant hatte — ich hatte nie daran gedacht, das Mädchen hierher bringen zu lassen. Ich werde also tun, was mir möglich ist.“ „Sehr gut“, sagte Jay Kalam. „Können wir sie hier von Bord aus anrufen?“ „Mit dem Ultrakurzwellensender“, nickte der Kommandeur. „Die Medusen, wissen Sie, reagieren nicht auf Schallwellen — obwohl ihnen Erics Männer den Namen einer erdbewohnenden Qualle gaben. Es gibt nichts im System, dem sie gleichen. Sie verständigen sich direkt mit Radiokurzwellen. Ich kenne den Signalkode, den Erics Männer ausgearbeitet haben. Von der Purpurnen Halle aus hätte ich oft mit den Agenten, die sie nach dem System schickten, zu verhandeln.“ „Fangen Sie an“, sagte ihm Jay Kalam. „Bringen Sie das Schiff dort dazu, uns vor dem Zerschmettern zu bewahren. Sorgen Sie dafür, daß sie Aladoree Athmar sicher an Bord bringen und uns alles geben, was wir brauchen, um die Geodynen zu reparieren. Und lassen Sie sie die Schranken öffnen, damit wir wieder herauskommen, denn ich glaube nicht, daß wir eine zweite Durchfahrt da hindurch überleben würden. Versprechen Sie, was Sie wollen, aber tun Sie alles, um sie zu überzeugen.“ Und Adam Ulnar setzte sich an die große Schalttafel des Schiffssenders, sein hohlwangiges Gesicht sichtlich angespannt. Er stellte schnell die Frequenz ein, die er brauchte, und begann dann Laute in das Mikrofon von sich zu geben — Laute anstelle von Wörtern, unartikuliertes Gegrunze, Schnalzen und Pfiffe. Die Antwort, die sofort aus dem Empfänger kam, war noch viel seltsamer. Die Stimmen der Medusen glichen schrillem Gewisper, trocken und unheimlich, ganz und gar unirdisch, so daß John Star beim Zuhören ein kalter Schauer unerklärlichen Schreckens überfiel. Auch Adam Ulnar schien Schreckliches in dem zu finden, was er hörte. Bestürzung ließ seine schmalen Kinnbacken erschlaffen. Er zitterte plötzlich, und sein bleiches Gesicht war mit Schweißperlen bedeckt. Seine Augen starrten glasig. Wieder sprach er wunderliche, kurze Laute in den Sender, seine Stimme war so trocken, daß er sie kaum zustande brachte. Trockenes Geraschel kam aus dem Empfänger zurück. Er hörte lange Zeit zu und starrte in die Leere. Schließlich hörte das fremdartige Gezirpe auf. Mechanisch streckte er seine weiße, zitternde Hand aus, um den Sender abzuschalten, und kam mit hölzernen Bewegungen wieder auf die Füße. „Was ist?“ fragte John Star atemlos. „Was sagten sie?“ „Nichts Gutes“, murmelte Adam Ulnar ausdruckslos. Zitternd ergriff er ein Handrad, um sich daran aufzurichten. „Das Schlimmste, was passieren konnte. Und doch ist es etwas, was ich befürchtet hatte, schon seit ich von Erics wahnsinniger Verbindung mit ihnen hörte.“ Seine kranken Augen blickten auf das Schott, aber sie sahen in die Leere. „Was ist geschehen?“ fragte John Star. Adam Ulnar wischte mit zitternder Hand über seine schweißgebadete Stirn. „Ich wage es dir kaum zu sagen, John, denn du wirst mir die Schuld daran geben. Und ich nehme an, daß ich auch schuld bin — ich war es, der Eric mit der Expedition hierherschickte, und der ihm die Chance gab, sich zum Helden zu machen. Eric II. !“ Er kicherte ohne jede Heiterkeit. „Ja, ich bin schuld an allem.“ „Was haben sie gesagt?“ Seine glasigen Augen wandten sich John Star in stummem Flehen zu. „Bitte, denke nicht, daß ich das geplant hätte. Aber die Medusen haben Eric betrogen und, wie es scheint, uns auch. Sie gaben vor, uns helfen zu wollen beim Wiederaufrichten des Kaisertums, als Gegenleistung für eine Schiffsladung Eisen. Nun scheinen sie die Absicht zu haben, ein gutes Stück mehr zu nehmen.“ Sein hagerer Körper erbebte. „Sie erzählten mir gerade jetzt mehr von ihrer Geschichte, als Eric jemals erfuhr — es ist eine lange Geschichte. Sie sind alt, John. Ihre Sonne ist alt. Ihre Rasse war schon alt auf diesem gräßlichen Planeten, bevor unsere Erde überhaupt geboren war. Sie sind zu alt, John — aber sie wollen nicht untergehen.
So sagten sie mir jetzt, daß die bemerkenswerte Eigenbewegung von Barnards Stern etwas ist, was sie selbst zuwege gebracht haben. Denn die Bodenschätze ihres eigenen Planeten waren schon lange zuvor aufgebraucht, und das hatte sie veranlaßt, andere Planeten aufzusuchen. In ihrer Wanderung entlang der Milchstraße leben sie durch Ausplündern der Welten, an denen sie vorbeikommen, und manchmal errichten sie eine Kolonie — das soll auch das Schicksal der Erde sein, wie sie mir sagten.“ „Bitte, John“, flüsterte er, „denke nicht, daß ich das jemals beabsichtigt hatte!“ John Star und Jay Kalam standen sprachlos vor Schreck. Das war doch undenkbar. Aber John Star wußte, daß es wahr sein mußte. Sein Verstand sagte ihm, daß die Medusen für eine einzige Schiffsladung Eisen kaum an einem interstellaren Krieg teilnehmen würden. Und Adam Ulnars entsetzte Gewissensbisse erschienen aufrichtig genug. Betäubt stellte sich John Star den Untergang der Menschheit vor. Das System würde nicht gegen eine Wissenschaft kämpfen können, die diese Schwarzen Spinnenschiffe gebaut und sie mit atomaren Sonnen als Waffen ausgerüstet hatte; eine Wissenschaft, die einen Planeten mit einem Gürtel künstlicher Satelliten befestigt hatte und selbst einen Stern wie einen roten Piraten über die Milchstraße lenkte. Nein, das System hatte keine Chance, nicht mit einer Weltraumlegion, die bereits von ihrem eigenen Kommandeur verraten war. Und AKKA befand sich bereits in den Händen des unheimlichen Gegners. Mit immer noch dröhnenden Raketen fiel der „Purpurne Traum“. Die Raketen waren nur für das vorsichtige Manövrieren bei Start und Landung vorgesehen. Sie waren niemals für eine Aufgabe wie die jetzige konstruiert worden. Die ungeheure Geschwindigkeit zu bremsen, die sie sicher durch die Strahlenschranke gebracht hatte, war eine Arbeit für die Geodynen — aber die Geodynen waren erledigt. John Star stand steif an den Armaturen, er kämpfte um den letzten Funken Kraft aus dem letzten Tropfen Treibstoff; er kämpfte, um den Kreuzer rechtzeitig zu stoppen. Das schwarze Spinnenschiff kam hinter ihnen her. Die tüchtigen Medusen bewachten sie — zweifellos neugierig, die Wirkung ihrer Schrankenstrahlen auf die Überbleibsel des Schiffes zu beobachten. Und sicher hatten sie eine neue Waffe, falls diese unbesonnenen Eindringlinge die Landung überleben sollten. Dicker roter Nebel kam herauf und hüllte den „Purpurnen Traum“ ein. Der verfolgende schwarze Flieger wurde zu einem undeutlichen, großen Schatten in der Dämmerung. Weiter war nichts mehr zu sehen. Und immer noch fiel der Kreuzer — auf die unsichtbare Welt unter den rotleuchtenden Wolken. Die Raketen setzten aus mit ihrem gleichmäßigen Donnern, kamen in einer lauten Fehlzündung wieder und blieben dann still. „Der Treibstoff ist alle“, flüsterte John Star. „Wir fallen immer noch und können nichts tun. Seine Hände krampften sich in ohnmächtiger Wut zusammen, und er starrte durch den dicken, rotleuchtenden Nebel vor ihnen. Seine angespannten Augen machten die Oberfläche aus — irgend etwas Glattes und Glänzendes. Etwas blitzte vor ihnen auf. „Ein See!“ stieß er hervor. „Wir stürzen in das Meer...“ Die Panik ergriff ihn, aber er hörte Jay Kalams Stimme, bedächtig und ruhig, selbst im letzten Moment ihres tauchenden Fallens: „Immerhin. John, wir haben den Planeten erreicht, auf dem Aladoree ist.“
15. „Jetzt stecken wir also auf den Grund irgend so eines verfluchten Sees!“ bemerkte Giles Habibula.
„Wir haben keine Möglichkeit, das Schiff zu bewegen“, entgegnete John Star, der mit Jay Kalam auf der Brücke stand. „Wir liegen in einer Untiefe — nach den Druckmessern ist sie keine dreißig Meter tief.“ „Können wir das Schiff nicht an die Oberfläche bekommen?“ „Nein. Die Geodynen sind unbrauchbar, und der Raketentreibstoff ist ausgegangen. Ja, wenn wir die Trommeln hätten, die wir auf Plutos Mond liegenlassen mußten. Die Hülle ist viel zu schwer, um zu schwimmen. Sie wurde nicht für die Navigation auf dem Wasser konstruiert.“ „Dennoch“, warf Jay Kalam ein, gedankenvoll ernst, aber mit der ruhigen Bestimmtheit, die mehr bedeutete, als eines anderen Heftigkeit, „dennoch können wir nicht aufgeben. Nicht, so lange wir leben und auf dem gleichen Planeten mit Aladoree sind.“ „Nein“, pflichtete John Star ganz entschieden bei. „Wenn wir sie auslösen könnten — gerade so lange, bis wir Material gefunden hätten, um AKKA aufzubauen — die Medusen wären unserer Gnade ausgeliefert.“ „Das ist es, was wir tun müssen, und was wir tun werden.“ „Und jetzt“, fügte er hinzu, „laßt uns mit Adam Ulnar sprechen.“ Sie fanden ihn, bleich und niedergeschlagen auf seinem Feldbett in der Zelle sitzend, immer noch betäubt von dem Schock der Offenbarung der Medusen. Der königliche Stolz der Purpurnen Halle hatte ihn verlassen. Er starrte mit leerem Blick auf die Wand und bewegte die trockenen Lippen. Zuerst bemerkte er die beiden gar nicht; John Star hörte die geflüsterten Worte: „Verräter! Verräter der Menschheit!“ „Adam Ulnar!“ rief John Star, im Zwiespalt zwischen Mitleid und Zorn für diese zitternde Kreatur, die sie in einer Art gleichgültiger Furcht anstarrte. „Wollen Sie mithelfen, Ihr Verbrechen wiedergutzumachen?“ Ein kleiner Schimmer von Interesse, von Hoffnung kam in die trüben, gequälten Augen. Aber dann schüttelte er den Kopf. „Ich würde helfen“, seine Stimme war leblos, matt und schleppend, „ich würde alles tun, aber es ist zu spät.“ „Nein, Mann!“ schrie John Star. „Es ist nicht zu spät. Wachen Sie auf!“ Adam Ulnar kam unsicher auf die Füße, sein Gesicht war angsterfüllt. „Ich will helfen. Aber was kann ich denn tun?“ „Wir gehen auf die Suche nach Aladoree. Wir müssen sie befreien, dann kann sie die Medusen mit der Macht des AKKA hinwegfegen.“ Der Kommandeur sank zurück und sagte mit müder und bitterer Stimme: „Ihr seid Narren. Ihr liegt in einem Wrack auf dem Grund eines Ozeans. Aladoree wird in einer Festung bewacht, die für alle Flotten der Legion unangreifbar ist — wenn die Medusen nicht schon das Geheimnis aus ihr herausgefoltert und sie beiseite geschafft haben. Ihr seid törichte Narren — wenn auch nicht solche Narren, wie ich einer war.“ „Erzählen Sie uns, was Sie über den Planeten wissen“, stieß Jay Kalam hervor. „Über die Lage seiner Kontinente, über die Medusen selbst; was wissen Sie von ihrer Zivilisation, und wo werden sie Aladoree gefangenhalten?“ Adam Ulnar blickte sie mit trüben Augen an, aus denen die Apathie der Verzweiflung sprach. Dieser Planet ist dreimal größer als die Erde. Seine Umdrehung ist sehr langsam, sein Tag dauert ungefähr fünfzehn Erdentage. Die Nächte sind furchtbar, eine Woche lang und bitter kalt — ein Typ M-Zwergstern hat nicht mehr viel Hitze, wie ihr wißt.“ Sein starrer Blick ging durch sie hindurch. John Star drängte ihn: „Die Kontinente?“ „Es gibt nur einen großen Kontinent — im Flächeninhalt ungefähr so groß wie die ganze Erde. Entlang der Küste ist ein Streifen unheimlichen Dschungels, wild und tödlich. Er wächst, wie Eric sagte, mit bestürzender Schnelligkeit in dem langen Tag, und in ihm wimmelt es von wildem, unirdischem Leben. Entlang der Ostküste, hinter dem Dschungel, ist ein Gebirgszug aufgetürmt, zerklüfteter als irgendein anderer im System. Westlich von dem Gebirge liegt eine weite Hochebene, leblos
und zerschnitten von wilden Schluchten, dahinter ist das Tal eines riesigen Flusses, zu dem das Wasser des ganzen Kontinents strömt. Die Medusen haben nur eine einzige Stadt übriggelassen — das Leben ist hart auf diesem sterbenden Planeten, und die meisten von ihnen sind in die anderen Welten, die sie eroberten, ausgewandert. Deshalb wollen sie auch uns erobern. Diese Stadt liegt irgendwo nahe an der Flußmündung — das ist alles, was ich über ihre Lage weiß.“ „Aladoree?“ fragte John Star ängstlich. „Sie wird zweifellos in der Stadt sein. Eine ganz verwirrende Stadt, wie Eric sagte, ungeheuer groß nach menschlichen Maßstäben. Alles ist aus schwarzem Metall gebaut. Sie ist umgeben von Mauern, die eine ganze Meile hoch sind, um den schrecklichen Dschungel zurückzuhalten. In der Mitte der Stadt ist eine kolossale Festung, ein gigantischer Turm aus schwarzem Metall. Sie werden sie wohl höchstwahrscheinlich dort festhalten — bewacht mit Waffen, die alle Flotten des Systems in einem Augenblick vernichten könnten.“ „Was wissen Sie über die Atmosphäre?“ „Habt ihr gesehen, daß sie rötlich ist?“ „Ja. Kann man in ihr nicht atmen?“ „Sie enthält Sauerstoff, ihr könntet sie einatmen. Aber sie ist von dem roten Gas erfüllt. Das schadet den Medusen nicht — aber es ist nicht gut für Menschen. Es ist ein künstliches, organisches Gas, wie sie mir sagten, als wir uns unterhielten. Sie erzeugen es, um das Klima zu kontrollieren, um die Hitzestrahlung für die Nacht zu speichern. Sie wollen damit zweifellos auch die Luft der Erde füllen. Aber es ist nicht gut für die Menschen...“ Er sammelte sich mit sichtlicher Anstrengung. „Erinnerst du dich noch an die Wunde an deiner Schulter, John? Das war die Wirkung des gleichen roten Gases, das sie in flüssiger Form auf dich gespritzt hatten. Die Medusen wissen Jetzt, wie es den menschlichen Wesen schadet. Die Männer von Erics Expedition...“ Der hagere Mann schauderte. „Ihre Krankheit kam nur vom Einatmen dieser Atmosphäre. Es machte ihnen im ersten Moment nichts aus, abgesehen von einer leichten Unbehaglichkeit. Aber später kam die Geistesstörung. Und ihr Fleisch begann zu faulen. Und sie hatten ungeheure Schmerzen zu ertragen. Und dann...“ „Eure Ärzte behandelten mich, nachdem ich auf dem Mars damit verletzt wurde“, fiel John Star plötzlich ein. „Was hatten sie dazu verwendet?“ „Wir hatten eine neutralisierende Formel ausgearbeitet. Leider haben wir die Stoffe dazu nicht an Bord.“ „Aber wir können trotzdem eine Zeitlang darin leben?“ „Eine Zeitlang“, echote der andere matt. „Die individuellen Reaktionen sind verschieden, aber gewöhnlich verzögerten sich die schlimmsten Komplikationen um einige Monate.“ „Dann hat es nicht Viel zu sagen.“ „Nein.“ Adam Ulnar sprach mit einer dumpfen und bitteren Betonung. „Ihr werdet den Tod in Millionen schnelleren Formen finden, wenn es euch gelingt, das Schiff zu verlassen. Ihr wißt, das Leben auf diesem Planeten ist sehr alt. Der Kampf ums Dasein ist äußerst hart. Das Resultat ist eine Tierwelt — und eine Pflanzenwelt, die geschaffen ist, um mit den Medusen zu leben. Ihr werdet es außerhalb des Schiffes nie überleben.“ „Trotz allem, wir werden es versuchen“, sagte Jay Kalam. Die vier betraten die Luftschleuse, zogen sich aus und verpackten ihre Kleider, Protonenpistolen, ein paar Pfund konzentrierte Nahrung und, auf Giles Habibulas Drängen, eine Flasche Wein in einem großen, wasserdichten Bündel. Sie schlössen das schwere innere Ventil, und John Star öffnete das Ausgleichsventil durch die äußere Tür. Ein dicker Strom Wasser drängte hinein in die kleine Kammer, überschwemmte sie, stieg eiskalt an ihren Körpern empor und preßte die Luft über ihnen zusammen. Erbarmungsloser Druck lastete auf ihnen. Das hereinstürzende Wasser blieb in Schulterhöhe stehen. John Star drehte das Kontrollrad an dem äußeren Ventil, aber die Panzertür hing fest. „Festgeklemmt!“ ächzte er. „Wir müssen es mit unserer Kraft versuchen.“
„Laßt mich mal!“ Ham Samdu tauchte nach vorne durch das eiskalte Wasser, seine Stimme klang seltsam schrill in der dichten Luft. Er preßte sich mit dem Rücken gegen das metallene Ventil, mit verschlungenen Armen und jede Faser seines Körpers anspannend. Seine Muskeln knackten. Die äußerste Kraftanstrengung verwandelte sein Gesicht in eine seltsame Maske. Sein schneller Atem kam hart und keuchend. John Star und Jay Kalam halfen mit aller Kraft; alle mit dem kalten Wasser kämpfend, das ihnen schon bis zum Kinn emporstieg, nach Luft schnappend in der heißen, schalen Atmosphäre. Das Ventil gab plötzlich nach. Ein Wasserstrom fegte sie zurück. Luft gurgelte heraus. Sie füllten ihre Lungen aus der großen Luftblase, schleppten sich durch die Öffnung und schwammen verzweifelt nach der Oberfläche. John Star kämpfte gegen den unbarmherzigen, gewaltigen Druck. Er kämpfte einen wilden Kampf, um seine gequälten Lungen zu leeren und ausatmen zu können. Er strampelte sich nach oben, eine furchtbare, unendlich lange Zeit. Dann plötzlich, ganz überraschend, war er auf der Oberfläche der gelben See und rang nach Atem. Flach und glänzend, ein öliges Gelbrot unter dem kalten, roten Himmel, erstreckte sich das unbekannte Meer bis in neblige, karminrote Fernen. Es hob Und senkte sich in langen, langsamen Wellen. Zuerst war er allein. Dann tauchte Jay Kalams Kopf neben ihm auf, triefend und keuchend. Dan Hal Samdus roter Schöpf. Sie warteten, nach Luft schnappend — zu atemlos, um reden zu können. Sie warteten eine lange Zeit, und schließlich tauchte Giles’ kahler Schädel auf, umgeben von dünnem, weißem Haar. Sie schwammen auf der gelben See und atmeten tief und dankbar — dabei dachten sie nicht daran, daß jeder Atemzug ein schleichendes Gift war. Die blanke Oberfläche lag weit vor ihnen, eine Wüste schweigender Trostlosigkeit. Der Himmel war eine kalte, sich herabsenkende Kuppel aus düsterem Karminrot; die Sonne brannte niedrig in ihm, eine ungeheure, riesige Scheibe aus tiefem, trüben Scharlachrot. Es war ein sterbender Stern, alt schon, als die Sonne der Erde entstand. „Unser nächstes Problem“, schnappte John Star nach Luft, „ist die Küste!“ „Das Bündel“, stammelte Hal Samdu, „mit den Gewehren; es ist nicht aufgetaucht.“ In der Tat war es nicht erschienen. Dann waren sie alle schweigsam. Irgendein großer Körper war nahe bei ihnen an die grelle Oberfläche aufgetaucht und mit einem lauten Platschen wieder zurückgefallen.
16. „In welcher Richtung liegt die Küste?“ fragte Hal Samdu. Weit von ihren nassen Köpfen hinweg reichte die ölige, auf und ab wogende gelbe See, von keiner Landmarke unterbrochen. Erdrückend niedrig über ihnen hing der düstere Himmel, dick von dem Nebel jenes roten, giftigen Gases. Fern über dem Meer brannte die riesige, trübe Sonne, ein blutroter Ball. Eine leichte Brise berührte ihre Gesichter, so schwach, daß sich kaum die gelbe Oberfläche kräuselte. „Wir können zwei Richtungen einschlagen“, bemerkt Jay Kalam, der sich mit ruhigen, langsamen Bewegungen über dem Wasser hielt. „Auf die Sonne zu oder auf den Wind.“ Zuerst bemerkten sie nichts Ungewöhnliches in der Luft. Aber John Star wurde sich auf einmal einer Reizung in Augen- und Nasenschleimhäuten bewußt, er fühlte einen Druck auf seinen schwer arbeitenden Lungen. Er fand, daß er etwas hustete, und gleichzeitig hörte er auch, daß die anderen husteten. Das schreckliche Schicksal der Überlebenden von Eric Ulnars
Expedition kam ihm in Erinnerung. Aber er schwieg. Es war Giles Habibula, der es aussprach: „Diese rote, fürchterliche Luft! Sie würgt mich noch zu Tode!“ Ein furchtbares Platschen schnitt sein Keuchen ab. Ein riesengroßer, spitz zulaufender Körper, schwarz und glänzend, war über der gelben Fläche hinter ihm auf- und wieder untergetaucht. „Meine Knochen!“ ächzte er. „Irgendein schrecklicher Wal, der uns alle miteinander verschlingen wird!“ Es kam ihnen unangenehm zu Bewußtsein, daß sie die Aufmerksamkeit der unbekannten Bewohner des gelben Meeres auf sich lenkten, und sie schwammen schneller — bis die Kreatur wieder auftauchte, und zwar vor ihnen. „Verausgabt euch nicht!“ ertönte Jay Kalams ruhige Stimme über ihrem wahnsinnigen Geplätscher. „Wir können unseren Abstand von ihm nicht vergrößern, aber vielleicht wird es nicht angreifen.“ Dann stöhnte Giles Habibula plötzlich: „Noch ein monströses Ungetüm!“ „Was ist los, Giles?“ „Irgendein — schreckliches Ungeheuer — knabbert an meinen Zehen!“ Sie schwammen hartnäckig voran, auf den entfernten schwarzen Gegenstand zu. John Star fühlte ein scharfes, stechendes Rascheln gegen seinen Schenkel, er sah, wie sein eigenes Blut das gelbe Wasser an seiner Seite rot färbte. „Irgend etwas hat gerade eine Kostprobe von mir genommen.“ „Sie sind wohl dabei, uns auszuforschen“, sagte Jay Kalam. „Wenn sie feststellen, daß wir uns nicht verteidigen...“ „Da ist ein Balken vor uns!“ rief Hal Samdu. Dann müssen wir ihn erreichen und auf ihn klettern...“ „Bevor uns diese elenden Kreaturen lebend auffressen!“ endete Giles Habibula. Die bleischweren, müden Muskeln zum Äußersten treibend, kämpften sie sich vorwärts. John Star quälte sich um Luft, jeder Atemzug war ein stechender Schmerz, jeder langsame Schwimmstoß ein höchster Willensakt. Er wußte, die anderen waren auch der Erschöpfung nahe; Hal Samdus rotes Gesicht war verzerrt vor Anstrengung; Jay Kalam bleich und gefaßt; Giles Habibula, nach Luft schnappend und verzweifelt platschend, war puterrot angelaufen. John Star sah das Ding, das er bereits als einen grünlichen Auswuchs am anderen Ende des Balkens bemerkt hatte. Eine riesengroße Masse einer schleimigen, durchscheinenden, gallertartigen Materie, die mehrere Tonnen wiegen mochte. Es hielt sich mit einer Reihe von formlosen, fußähnlichen Gebilden auf der schwarzen Rinde fest. Langsam, mit unbekannten boshaften Sinnen wurde es ihrer gewahr. Halbflüssige Ströme begannen in seinem Körper zu fließen, wie sie mit Schrecken beobachteten; es stieß Ausbuchtungen von sich, floß in sie hinein, und begann so einen schreckerregenden Marsch den Balken abwärts, auf sie zu. „Was ist das für ein furchtbares Ding?“ v „Eine gigantische Qualle anscheinend“, sagte Jay Kalam, „die nach etwas Eßbarem Ausschau hält.“ „Und das wird sie bei ihrer gegenwärtigen Geschwindigkeit in ungefähr einer halben Stunde erreicht haben“, schätzte John Star. Die vier Männer, nackt, erschöpft und waffenlos, saßen an ihrem Ende auf dem Balken und beobachteten, wie die grünen Arme hervorstießen und langsame Ströme halbflüssiger Masse hineinflössen, um sie aufzuschwellen. Der ganze scheußliche Körper schien sich überhaupt nicht zu bewegen, kam jedoch immer näher. Die riesige Qualle erreichte die Mitte des Balkens. „Wenn sie hierherkommt“, schlug John Star unsicher vor, „könnten wir abtauchen und versuchen, auf das andere Ende zu gelangen.“ Der kriechende Schrecken war drei Viertel auf dem Weg den Balken herab, als der scharfäugige Hal Samdu ausrief: „Die Küste! Ich sehe Land!“ Weit entfernt unter dem rauchigen, roten Horizont am Rand der gelben See tauchte eine dunkle Linie auf.
„Das sind aber noch einige Meilen“, sagte John Star. „Wir müssen an diesem Monstrum vorbeikommen, irgendwie...“ „Wir könnten den Balken kippen“, schlug Jay Kalam vor, „ihn herumdrehen und zurücklaufen, während unser Mitreisender darunter ist.“ „Und uns wahrscheinlich den verfluchten Biestern im Wasser zum Fraß vorwerfen, wenn er sich umdreht.“ Aber sie standen auf, unsicher auf der rauhen Rinde, und traten gemeinsam auf Jay Kalams Kommando von einer Seite auf die andere. Zuerst zeigte ihre riesige Anstrengung keinen sichtbaren Erfolg; die große Qualle setzte ihren langsamen Marsch ungehindert fort. Jedoch allmählich begann sich der Balken unter ihrem gemeinsamen Gewicht träge vor und zurück zu drehen, jedesmal ein klein wenig mehr. Die nasse Rinde war glitschig, Giles rutschte plötzlich aus und stöhnte schreckensbleich, als ihn John Star wieder zurückzog. Der am weitesten reichende Arm der formlosen, bösartig fließenden grünen Masse war keinen Meter mehr entfernt, als der Balken den Schwerpunkt überschritten hatte; er drehte sich plötzlich und zwang sie dazu, auf Händen und Knien zu klettern, um sich oben zu halten. „Jetzt!“ stieß Jay Kalam hervor. Einer sich am anderen festhaltend, kletterten sie schwankend die nasse Oberfläche entlang nach dem anderen Ende zu, wieder für eine Weile sicher. Aber die große Masse hungrigen Protoplasmas erschien wieder auf dem Balken, grün und triefend. Und es floß wieder auf sie zu. Zweimal noch mußten sie dieses Manöver wiederholen, bevor der Balken Boden berührte. Eine geheimnisvolle Welt lag vor ihnen, geheimnisvoll und schrecklich. Die gelben Untiefen erstreckten sich in eine Bucht aus kahlem, schwarzem Sand. Hinter der Bucht stieg ein verwirrender Dschungel empor — eine dunkle Wand aus Dornen, geraden schwarzen Stacheln, flammend von unzähligen riesengroßen, violetten Blüten, starrend von Tausenden stacheliger Spitzen. Eine undurchdringliche Schranke ineinandergewobener Schwerter, vielleicht an die dreißig Meter hoch. „Wir sind an Land!“ rief John Star aus, als sie durch die Untiefe wateten und der Qualle auf dem Balken ein höhnisches Lebewohl zuwinkten. „Ja, wir sind an Land“, stimmte Jay Kalam bei. „Aber ihr seht, auf der Ostküste. Die Stadt der Medusen ist irgendwo an der Westküste, wie der Kommandeur sagte. Das bedeutet, das wir diesen Dschungel zu durchqueren haben und über diese Gebirge hinweg müssen und durch den ganzen Kontinent dahinter.“
17. „Waffen“, begann Jay Kalam, „sind das erste, was wir brauchen...“ John Star stockte der Atem vor Schmerz, als irgend etwas heftig in seinen Fuß stach. Er hob das Ding auf, auf das er getreten war. Es war eine große, schwarze Muschel mit gebogener Kante. Jay Kalam prüfte sie ernsthaft. „Ganz gut“, sagte er. „Eine brauchbare Klinge.“ Er suchte nach weiteren Waffen, als sie die Bucht hinaufgingen, und fand für jeden seiner Gefährten eine dieser seltsamen Klingen. Giles Halibula nahm seine geringschätzig entgegen: „Ah, um des Lebens willen, Jay! Erwartest du von mir, daß ich mit diesen schwachen Ding einen Weg durch diese fürchterlichen Dolche und Bajonette schneide, die da vorne auf und lauern, um uns in blutige Bänder zu zerschneiden?“ Er deutete auf den schwarzen Dornendschungel. „Sobald wir uns damit einen Speer abschneiden können, werden wir bewaffnet sein“, sagte Jay Kalam.
Sie näherten sich der schwarzen, violettblühenden Schranke aus Dornen und Stacheln und hakigen Spitzen. Viele der Halme waren drei, vier Meter lang; das engfaserige Holz schien hart und scharf wie Stahl. Nackt und empfindlich, wie ihre Körper waren, war es nicht leicht für die vier, an die Halme heranzukommen, die sie ausgewählt hatten. Und weniger leicht erwies es sich, die eisenharten Hölzer mit den Muscheln abzuschneiden und zu formen. Stunden voller Qual vergingen, bis jeder von ihnen mit einem drei Meter langen Speer und einem kürzeren, dreieckigen, sägegezahnten Dolch versehen war. Hal Samdu schnitt sich auch eine große Keule aus einem Stück Treibholz zurecht. „Ah, jetzt fangen wir also an, einen ganzen fürchterlichen Kontinent auf unseren bloßen Füßen zu durchqueren...“, hatte Giles Habibula begonnen mit einem letzten, bedauernden Blick zurück auf die gelbe See, auf deren Grund der „Purpurne Traum“ lag, als seine Fischaugen irgend etwas erspähten. Er lief schwerfällig an die Bucht zurück. Es war ihr Bündel, das an die Küste getrieben war, während sie gearbeitet hatten. „Wir haben unsere Kleider wieder!“ rief John Star aus. „Und richtige Gewehre!“ Aber ihre Hoffnung auf Waffen wurde enttäuscht. Der Packen war leck geworden. Ihre Kleidung war durchnäßt, das meiste von den Nahrungsmitteln verdorben, der komplizierte Mechanismus der Protonenpistolen durch den Kontakt mit dem zerstörenden gelben Wasser unbrauchbar geworden. Mit unendlicher Vorsicht schlugen sie einen Weg unter dem Gewirr der Blätter ein, doch selbst diese Vorsicht verschonte sie nicht. Die Kleidung litt; jeder von ihnen blutete bald aus einem Dutzend kleinerer Schnittwunden, die schmerzhaft von dem Gift der Blätter pochten. Und bald trafen sie auf eine noch unheimlichere Gefahr. „Ein Vorteil ist es“, bemerkte Jay Kalam, „daß die Dornen, wenn sie uns behindern, genauso auch alle Feinde behindern, die — au!“ Ein leiser, erstickter Schrei schnitt seine Stimme ab. John Star drehte sich um und sah, wie er durch ein langes, purpurnes Seil vom Boden hochgehoben wurde. Aus der roten Dämmerung über ihnen, herabhängend, hatte es sich zweimal um seinen Körper geschlungen und eine flache Saugscheibe auf seine Kehle gesetzt. Wild um sich schlagend, hing er hilflos in dem sich immer mehr zusammenziehenden zolldicken Tentakel. Es zog ihn schnell hinauf in das Gewirr der schwarzen Dornen. John Star sprang mit gezücktem Dolch hinter ihm her, aber er war schon außer Reichweite. „Heb mich hoch, Hal!“ stöhnte er. Der Riese ergriff ihn an Knie und Schenkeln und stieß ihn mit aller Macht hinauf gegen das rotleuchtende Dornendach. Mit einer ausgestreckten Hand ergriff er die Rolle des zähen, purpurnen Taues, das sich unmittelbar zusammenzog und eine weitere Schlinge bildete, die sich um seinen Körper legte. Mit einer Hand hielt er sich fest und sägte mit seinem Dolch in der anderen an dem Seil Über Jay Kalams Schulter. Er schnitt durch zähe, purpurne Haut, eine dünne, violettfarbene Flüssigkeit floß heraus und rann seinen Arm herab — Saft oder Blut, er wußte es nicht. Harte Fasern im Innern bildeten ein Mark, das nicht so leicht zu durchschneiden war. Aber eine krampfig zusammengekrümmte Schlinge glitt schon seine Schulter hinab. „Ich danke dir, John“, flüsterte Jay Kalam mit schwacher Stimme, jedoch ohne Aufregung. „Versuch, dich loszuwinden.“ Und John sägte und hackte schweigend weiter. Plötzlich war Rot in der strömenden Flüssigkeit — er wußte, es war Jay Kalams Blut. Das purpurne Tau zog sich krampfhaft zusammen mit tödlicher, knochenzerbrechender Kraft. „Zu — zu spät! Tut mir leid, John!“ Jay Kalams bleiches Gesicht wurde schlaff. Er machte eine letzte, verzweifelte Anstrengung, als ein unerträglicher Druck Ihm den letzten Atem in einem langen Seufzer der Ohnmacht aus den Lungen preßte. Das lebende Tau riß, sie fielen hinab.
Das nächste, was John Star wahrnahm, war, daß der Dschungel hinter ihnen lag. Über ihnen türmte sich eine schwarze Gebirgskette auf; weite, abschüssige Felder, bestreut mit riesigen, pechschwarzen Felsblöcken. Ihr Weg führte über Haufen von kolossalen, schwarzen Felsblöcken und zerklüftete, steile Abgründe hinauf. Sie überstiegen Gebirgszug um Gebirgszug, um immer noch eine wildere, noch zerklüftetere Gebirgskette dahinter zu finden. Langsam zog die riesige, scharlachrote Sonne, die ihr Kompaß war, Ihre Bahn über den düsteren, karminroten Himmel, durch die lange Woche ihres Marsches. Oft waren sie hungrig und oft durstig und immer todmüde. Die Luft wurde dünner und kälter, je höher sie kamen, bis es ihnen nie mehr warm wurde, bis jede kleinste Anstrengung sie an den Rand der Erschöpfung brachte. Manchmal jagten sie die kleinen Tiere, die das blaue Gras fraßen, und kochten sie, während sie rasteten. Sie tranken von eisigen Gebirgsbächen, und wenn sie, schaudernd vor Kälte trotz des Sonnenscheins, ein wenig schliefen, hielt einer von ihnen immer Wache. Und sie gingen weiter. In der dünnen Luft rangen sie um Atem; die rote Scheibe der Sonne wurde langsam vom westlichen Horizont abgenagt, und ein eisiger Wind stieg um sie auf.
18. Sie waren vier hagere, abgemagerte Männer geworden, selbst Giles Habibula bestand nur noch aus Haut und Knochen. Sie waren sonnenverbrannt und zottig, zerschunden und von vielen Wunden bedeckt. Aber sie hatten sich eine eiserne Ausdauer erworben, eine Verwegenheit, ein absolutes Vertrauen des einen in den anderen. Eines Tages trieben sie in der Mitte eines Flusses, der eine zehn Meilen breite, tiefe, mächtige Flut bildete. Furchterregende Wände aus schwarzem Dschungel türmten sich längs seiner Ufer auf; Schranken aus violettblühenden Dorngewächsen, von tödlichen purpurnen Ranken durch woben; Dickicht aus turmhohem Rohr, das wie lebende Schwerter nach allem ausschlug, was sich bewegte; gigantische Bäume, die von schwarzem Moos bedeckt waren, das blutsaugenden Tod bedeutete. Über dem Dschungel hing der niedrige, rauchige Himmel, und im Westen, riesengroß und düster, die rote Sonne. Hal Samdu am Steuerruder schrie plötzlich: „Die Stadt! Dort ist sie!“ Wie ein weiteres schwarzes Gebirge stieg sie auf, undeutlich in dem rötlichen Nebel, kolossal über alle Vorstellungen hinaus. Ihre glatten Wände stiegen über dem Dschungel, unendlich, unglaublich hoch, zu seltsamen, schwarzen Türmen und ungeheuren, phantastischen Mechanismen auf. Eine schwarze Metropole, entworfen von Wahnsinnigen und gebaut von Riesen. Atemloses Staunen und angstvolle Unbehaglichkeit überkam die vier zerschundenen Männer auf dem Fluß, als sie auf die Stadt sahen, die zu erreichen sie die Unendlichkeit des Raumes und einen wilden Kontinent durchquert hatten. Sie standen mit zurückgelegten Köpfen und sperrten den Mund auf vor Staunen über die rätselhaften, titanischen Mechanismen, die die Gipfel ihrer Mauern krönten. „Aladoree!“ murmelte Hal Samdu schließlich. „Dort!“ „So dachte Adam Ulnar“, sagte Jay Kalam. „In jenem höheren zentralen Turm, der über alles andere hinausragt, muß sie sein. Könnt ihr ihn in dem undeutlichen, roten Nebel sehen?“ „Ja, ich sehe ihn. Aber wie kommen wir dorthin? So gut meine Keule auch ist — aber gegen diese Maschinen auf den Wällen? Dagegen sind wir weiter nichts als Ameisen!“ Stunden vergingen, und die gelbe Flut trug sie immer weiter. Die Stadt trat aus dem roten Nebel heraus und sah noch furchterregender aus. Ihre Masse schwoll an, um den roten Himmel mit düsterem, schwarzem Metall zu verdecken. Die titanischen Maschinen, die sie
krönten, blickten mürrisch und mit der Drohung eines unbekannten Todes herab. Eine zitternde Atmosphäre von Angst und Schrecken hing über der unirdischen Stadt, eine Ahnung von böser Macht und feindlicher Strenge, von uralter Weisheit und unheimlicher Wissenschaft, die schon existierte, als die Erde erst entstand. Die vier abgehärmten Kreaturen auf dem Floß starrten voll Hoffnungslosigkeit auf die vorbeiziehenden Mauern. Bange Besorgnis erfüllte sie bei der Vorstellung, wie die Erbauer dieses Haufens aus schwarzem Metall den Untergang der Menschheit herbeiführen würden, wenn es ihren schwachen Kräften nicht gelänge, das Mädchen, das dort gefangen war, zu befreien. Zuerst schien die Stadt wie ausgestorben, eine düstere Totenstadt, zu alt für jegliches Leben. Aber bald sahen sie Bewegung entlang der Mauerzinnen. Ein schwarzes Spinnenschiff streckte riesige Fühler aus und stieg lautlos von einer hohen Plattform auf, um in dem roten Himmel nach Osten zu verschwinden. „Wir müssen uns tarnen“, sagte Jay Kalam. „Sie könnten uns bemerken.“ Er ließ sie das Floß mit abgebrochenen Zweigen bedecken, so daß es wie Treibholz aussehen sollte. Und der Fluß trug sie weiter auf die mächtige Wand zu. In angstvollem Schweigen blickten sie nach oben, als Hal Samdu rief: „Ich sehe sie sich bewegen! Auf der Mauer!“ Wenn sie auch aus der Entfernung noch winzig aussahen, so konnten sie doch sofort die Wesen unterscheiden, die sich dort bewegten — die uralten Herrscher dieses alten Planeten. John Star hatte eine der Medusen auf dem Mars erblickt, das Ding in der Gondel, die aus dem schwarzen Schiff herausgeschwungen worden war, und dessen Waffen ihn kampfunfähig gemacht hatten. Eine geschwollene, grünliche Oberfläche, feucht, sich hebend und senkend; ein riesengroßes, ovales Auge, leuchtend und purpurrot. Aber das hier waren die ersten, die er in ganzer Größe sah. Sie trieben über der Mauer wie kleine, grüne Ballons. Ihre Augen waren winzige, dunkle Punkte in ihren hervorstehenden Seiten — jede hatte vier Augen in gleichem Abstand über dem Umfang verteilt. Vom unteren, kreisrunden Rand, wie Taue, an denen der Korb eines Ballons aufgehängt ist, hing ein Saum von schwarzen, peitschenähnlichen Tentakeln. John Star konnte die oberflächliche Ähnlichkeit, die Kuppelform und die umsäumenden Fühler sehen, die ihnen den Namen „Medusen“ gegeben hatten. Aus der Entfernung wirkten sie nicht sonderlich eindrucksvoll. Es war um sie eine gewisse Groteske, eine langsame Schwerfälligkeit Sie sahen nicht intelligent aus. Jedoch in der Art, wie sie sich bewegten, anscheinend ganz nach Belieben über der schwarzen Wand in der Luft schwimmend, lag eine Gewalt und ein Geheimnis, das Respekt einflößte. Und das Wissen, daß sie die Erbauer dieser schwarzen Metropolis waren. „Wir werden landen“, sagte Jay Kalam. „Und zwar am Rand des Dschungels unter der Wand.“ Sie rissen die verdeckenden Zweige zur Seite, ergriffen die langen Ruder und steuerten auf das Ufer zu, wo der Fluß von dem metallenen Abgrund abbog.
19. Sie zogen sich in den Rand des Dschungels zurück, um außer Sicht zu bleiben, marschierten zwanzig Meilen und kletterten in die blauen Hügel hinein. Sie hatten gegessen und eine Zeitlang geschlafen, aber es waren immer noch einige Stunden vor Sonnenuntergang, als sie den unermeßlichen Damm aus schwarzem Metall unter dem Wasserbehälter erreichten. Es war keine Wache zu sehen, trotzdem krochen sie sehr vorsichtig unterhalb des Dammes weiter. Sie überkletterten glitschige, feuchte Wände und Flansche aus schwarzem Metall, bis sie zum Rand des unbedeckten Kanals kamen. Unter ihnen dröhnte der kalte, klare Strom aus
dem Schleusentor, dreihundert Meter breit, dunkel und tief. „Das Wasser führt in die Stadt hinein“, bemerkte Jay Kalam lakonisch. Er stieg nach einigem Widerstreben in den Kanal, die anderen folgten. Außer ihren Dornendolchen ließen sie alles zurück. Der klare, eisige Strom beförderte sie schnell die schwarzen Wände entlang; der mächtige Damm fiel hinter ihnen zurück; die Wälle der Stadt tauchten vor ihnen auf. Sie hielten sich über dem Wasser, wie es sie der gelbe Strom gelehrt hatte, und versuchten, ihre Kräfte zu sparen. Vor ihnen in der schwarzen Wand erschien ein winziger Bogen. Er wurde größer und verschluckte sie plötzlich. Sie waren in tosender Dunkelheit; der Bogen ließ hoch ein Stück des roten Himmels sehen, der schnell immer kleiner wurde. Der ständige Strom ergoß sich in völliger Dunkelheit weiter in die Stadt hinein. Betäubendes, immer stärker werdendes Donnern dröhnte gegen ihre Ohren. „Ein Wasserfall!“ warnte Jay Kalam. Sein Schrei wurde hinweggefegt. Sie Schossen in das Gewühl irrsinnigen, tobenden Wassers hinein. Sie wurden von den herabstürzenden Wassermassen fast zermalmt. Gnadenlose Strudel zogen sie in die Tiefe. Wilde Wirbel warfen sie unter erstickendem Schaum hin und her. Und das in völliger Dunkelheit. John Star rang nach Atem, er erstickte fast in dem Schaum. Er kämpfte gegen den Strom, der ihn hinabtrug, tiefer und tiefer! Unwiderstehlicher Druck preßte seinen Körper zusammen, er überstand den Todeskampf der Erstickung. Verzweifelt versuchte er zu schwimmen, aber das rasende Wasser machte seine Anstrengungen wieder zunichte. Es trug ihn immer wieder auf und ab. Als er zum zweitenmal wieder hochkam, gelang es ihm, sich über Wasser zu halten und von der Stelle des Strudels hinwegzuschwimmen. Sie waren in ein weites, tiefes Reservoir hineingespült worden, das in völligem Dunkel lag. Sie konnten seine große Ausdehnung nur durch den rollenden Donner des Widerhalls von der Decke erraten. Er schrie, als er schwamm, und hörte mit größter Freude Giles Habibulas klägliches Keuchen: „Ah, Junge, du hast es überstanden! Das war eine schreckliche Zeit, Junge, das war furchtbar, als es mich hinabzog.“ Dann rief sie Hal Samdu an, und etwas später stießen sie auf Jay Kalam. Sie schwammen alle von dem Donnern hinweg und kamen schließlich an die Wand des Tanks, der auch aus dem schwarzen, glatten Metall bestand, an dem jedes Klettern unmöglich war. Sie schwammen die glitschige Wand entlang, bis sie blindlings zu einem großen, metallenen Schwimmer mit einer starken Kette darüber kamen — das müßte, wie Jay Kalam sagte, der Pegel sein, mit dem der Wasserstand gemessen wurde. Sie kletterten die Kette hoch. So kamen sie schließlich mit müden Gliedern und mit blasenbedeckten Händen zu einer großen Trommel, auf der die Kette aufgewickelt war. Dort sahen sie einen schwachen roten Schimmer, auf den sie zukrochen, immer entlang der großen Welle der Trommel, die von der Verdunstung naß war. Nachdem sie mühselig über das riesige Lager der Welle geklettert waren, fanden sie ein kleines, rundes Loch im Dach des Tanks — das mußte offen gelassen worden sein, um das Lager zu schmieren. Sie kletterten hindurch. Giles Habibula blieb stecken, bis die anderen ihn herauszogen, und so waren sie endlich oben auf dem Reservoir innerhalb der Stadt. Sie standen an dem niedrigen Rand eines kegeligen, schwarzen Metalldaches, ein schwindelverursachender Abgrund von achthundert Metern lag unter ihnen. Aussichtslos, da hinab zu gelangen. In gefährlicher Nähe des Randes stehend, fühlte John Star wie einen Alpdruck die seltsame und verwirrende Unordnung dessen, was sie umgab. Gebäude, Türme, Kamine, Tanks, Maschinen, wie ein schwarzer, phantastischer Wall, der sich in erschreckenden Ausmaßen gegen den fahlen Himmel abhob. Die höchsten Bauwerke reichten, wie er schätzte, drei Kilometer hoch. Wenn diese schwarze Stadt der unheimlichen Medusen eine Ordnung oder einen Plan hatte,
so konnte er ihn nicht erfassen. Die schwarze Wand schien ein regelmäßiges Fünfeck einzuschließen. Aber in diesem Fünfeck war alles seltsam, erstaunlich, unverständlich, gespenstisch. Es gab keine Straßen, sondern bloß gähnende, tiefe Abgründe zwischen gebirgsartigen schwarzen Bauwerken. Die Medusen brauchten keine Straßen. Denn sie gingen ja nicht, sie schwebten! Tore öffneten sich geradeswegs in den Raum, in jeder Höhe von der Oberfläche bis zu dreitausend Metern hoch. Die verblüffenden schwarzen Bauwerke hatten keine regelmäßige Höhe oder Anordnung. Einige waren viereckig, andere zylindrisch oder mit Kuppeln versehen, wieder andere terrassenförmig, und einige — wie das Reservoir, auf dem sie standen — geradezu senkrecht. Überall zwischen ihnen standen verwirrende Maschinen mit rätselhafter Funktion — außer den wenigen, die anscheinend für Flieger oder Weltraumschiffe, die dort auf Landeplätzen angelegt hatten, bestimmt waren — aber alles schwarz, häßlich, kolossal; furchtbare Instrumente einer Wissenschaft, älter als das Leben der Erde. Die vier standen dort eine Weile, von dem Unfaßbaren vor ihnen so verwirrt, daß sie alle Vorsicht vergaßen. „Das muß der Zentralturm sein“, bemerkte Jay Kalam, „die schwarze Festung, von der Commander Ulnar sprach. Sie ist immer noch Meilen entfernt.“ Er deutete auf eine viereckige, ungeheure Säule, die in der roten, nebligen Entfernung aufstieg. Ein wahrer Berg aus schwarzem, fremdem Metall, aus dessen steil abstürzenden Wänden Landeplätze hervorstanden, die riesige Spinnenschiffe und große Maschinen mit unerklärlichem Zweck trugen. Müde und hoffnungslos schüttelte er den Kopf. „Wir müssen zurück“, flüsterte er, „und uns bis zur Dämmerung verbergen.“ „Oder die unheimlichen Dinger“, versicherte Giles besorgt, „werden sehen...“ „Ich glaube, eins hat uns bereits gesehen!“ fiel John Star ein. Vielleicht Hunderte von den Herren der Stadt waren von dem Moment an, als sie auf das Dach kamen, in Sicht. Als grünliche Halbkugeln mit dunklen, herabbaumelnden Fühlern trieben sie über das Gewirr der Bauten aus schwarzem Metall. Alle waren sie weit entfernt, unbedeutend im Vergleich zu ihren Werken. Aber jetzt hatte sich plötzlich eine über der Spitze des kegeligen Daches erhoben. Giles Habibula tauchte in das Loch, durch welches sie herausgekommen waren. Er blieb stecken; und bevor die anderen helfen konnten, war die Meduse über ihnen. Allein ihre Größe war erschreckend. Jene in der Entfernung erschienen im Vergleich dazu nur winzig. Ihre grüne Kuppel, feucht und langsam pulsierend, hatte gut sieben Meter Durchmesser, und die herabhängenden Fühler waren zweimal so lang. Sie war unvorstellbar schreckerregend; eine schleimige, gallertartige Masse von durchscheinendem Grün, Reihen von herabhängenden Fühlern, die sich langsam krümmten — leistungsfähig und zweifellos ganz schön in den Augen ihres Eigentümers. Gorgonenaugen! Es waren große, ovale Quellen mit purpurnem Leuchten, alles nur eine Pupille, von schwarzer, faltiger Haut umsäumt Sie waren die Spiegel einer kalten und unbarmherzigen Wissenschaft, alt schon, als die Sonne geboren wurde. John Star war zwar nicht zu Stein erstarrt, jedoch der plötzliche elementare Schrecken über dieses purpurne Starren brachte eine instinktive Furchtreaktion in ihm hervor. Sie lahmte seine Glieder mit stechender Kälte, verlangsamte seinen Herzschlag, stoppte seinen Atem und trieb ihm den Angstschweiß aus den Poren. Von Furcht betäubt standen sie bewegungslos, bis sich die Fühler um sie geschlungen, ihnen die Dornendolche aus den schlaffen Händen gerissen und Giles Habibula wie einen Korken aus dem Loch herausgezogen hatten. Vergebens kämpften sie gegen die harten, dünnen Tentakeln, die sie hochhoben. „Mein kostbarer Wein“, ächzte Giles Habibula.
Wie ein Bleiklumpen fiel die Flasche aus seiner Tasche in den Abgrund hinunter; sie fiel fast tausend Meter tief. „Meine schöne Flasche Wein!“ schluchzte er in den sich schlängelnden Tauen. Durch eine Kraft, die sie nicht kannten, durch irgendeine verblüffende Überwindung der Schwerkraft, bewegte sich die Kreatur fort und schwebte mit ihnen über die titanische schwarze Unordnung der Stadt in die Höhe und, wie John Star mit einer gewissen grimmigen Befriedigung feststellte, auf den Zentralturm zu. Sie bekämpften die Furcht, die sie betäuben wollte. „Die hat schon was in ihrem Verstand“, keuchte Jay Kalam. „Kräfte, die wir nicht erraten können. Das läßt einem zum Bewußtsein kommen, wie machtlos wir ihnen gegenüber sind.“ Durch ein Tor, das sich in anderthalbtausend Meter Höhe direkt in die Leere öffnete, wurden sie durch eine riesige, grünleuchtende Halle in das erstaunliche Gebäude getragen, durch eine rechteckige Öffnung im Fußboden gestopft und ohne Zeremonie fallengelassen. In einem schwarzwandigen Raum, sieben Meter im Quadrat, fanden sie neben sich einen Mann — oder was einmal ein Mann gewesen war — auf dem Boden ausgestreckt. Ausgehungert, zerlumpt, schlief er auf dem Gesicht mit langen, rasselnden Schnarchtönen. John Star rüttelte ihn, nachdem die Meduse von dem verschlossenen Gitter über ihnen verschwunden war, und weckte ihn auf. Fieberhafter Schrecken stierte ihnen aus roten Augen in einem bleichen, hageren Gesicht entgegen. Er brachte einen schrillen, rauhen Schrei höchster Pein hervor und klammerte sich in wildem, blindem Wahnsinn vor Furcht an John Stars Hand. Und John Star selbst stieß einen Schrei aus, denn der Mann war — Eric Ulnar. Der hübsche, hochmütige Offizier, der der Kaiser des Systems werden sollte, war zu diesem verzerrten und erbärmlichen Wrack geworden. „Laßt mich gehen, laßt mich gehen.“ Die Stimme war dünner und wilder als irgend etwas Menschliches. „Ich werde tun, was ihr wollt. Ich tue alles. Ich werde sie dazu bringen, das Geheimnis zu verraten. Ich werde sie töten, wenn ihr es wollt. Aber ich kann das nicht länger aushalten. Laßt mich gehen!“ „Aladoree?“ fragte John Star. „Wo ist sie?“ „Sie zwingen mich dazu, sie zu foltern“, jammerte die schwache, wilde Stimme. „Sie wollen ihr Geheimnis wissen. Sie wollen AKKA! Aber sie will nicht reden, und sie wollen mich nicht sterben lassen, bevor sie spricht. Sie wollen mich nicht sterben lassen!“ schrillte es. „Sie wollen mich nicht sterben lassen! Aber wenn sie redet, werden sie uns alle umbringen!“
20. John Star fragte Eric Ulnar noch einmal. Er hatte geschlafen, dieses zerrüttete menschliche Wrack, sein dürrer, ausgehungerter Körper war vom Ausbruch der Hysterie erschöpft. Er war ruhig, als er erwachte, in eine Art Apathie versunken, und sprach in einem dumpfen, müden Ton. „Die Medusen planen, diesen Planeten zu verwüsten“, sagte er. „Sie haben Ewigkeiten gekämpft, um diese Stadt am Leben zu erhalten. Und sie haben Wunder gewirkt — und dieses rote Gas fabriziert, um die Atmosphäre nicht einfrieren zu lassen, und andere Welten ausgeraubt, um ihre erschöpften Hilfsquellen zu ersetzen. Aber jetzt stehen sie vor dem endgültigen Ruin — denn der sterbende Planet dreht sich in Spiralen in den ebenfalls sterbenden Stern hinein. Selbst sie können das nicht aufhalten. Sie müssen gehen.“ „Du sagst, sie hätten bereits einen Außenposten im Sonnensystem?“ „Ja“, fuhr die leblos eintönige Stimme fort, „sie haben bereits den Mond der Erde erobert. Sie sind dabei, eine neue Atmosphäre für ihn zu erzeugen, die mit diesem roten Giftgas angefüllt
wird. Und als Ausgangsbasis für den Angriff auf die Erde bauen sie dort eine Festung, aus dieser schwarzen Legierung, die sie anstelle von Eisen verwenden.“ „Aber die Legion! Ganz gewiß...“ „Die Weltraumlegion ist vernichtet. Das letzte ihrer organisierten Überbleibsel wurde in einem vergebens geführten Angriff auf den Mond vernichtet. Die Grüne Halle existiert auch nicht mehr. Es gibt keine Organisation mehr im System, keine Verteidigung. Und die Medusen beschäftigen sich damit, von der Festung auf dem Mond aus die Menschheit zu vernichten. Sie feuern große Granaten, die mit dem roten Gas gefüllt sind, auf die Erde und alle anderen, von Menschen bewohnten Planeten. In jeder Atmosphäre steigt die Konzentration des Gases langsam an. Bald werden die Menschen überall wahnsinnig werden und dahinsiechen. Nur einige wenige der Medusen sind, glaube ich, bereits zu unserem System gegangen. Aber ihre große Flotte ist jetzt organisiert und ausgerüstet, um die auswandernden Horden hinwegzubringen, um unsere eroberten Planeten zu besetzen.“ „Und Aladoree?“ fragte John Star. „Wo ist sie?“ „Sie ist in der nächsten Zelle neben uns eingesperrt.“ „Was ist sie?“ stöhnte Hal Samdu mit vor Freude rauher Stimme. „So nahe?“ „Aber du sagst, sie haben sie...“ John Star konnte ein leichtes Seufzen vor Schmerz aus seiner Stimme nicht fernhalten, „gefoltert?“ „Die Medusen wollen ihr Geheimnis wissen“, kam die leblose, ausdruckslose Antwort. „Sie brauchen die Pläne für AKKA. Da sie sich mit ihr selbst nicht verständigen können — sie kennt den Code nicht — verwenden sie mich, um von ihr das Geheimnis herauszupressen. Aber sie will nichts sagen. Wir haben schon verschiedene Mittel angewandt“, redete er dumpf und schleppend weiter. „Ermüdung, Hypnose, Schmerzen. Aber sie will nichts sagen.“ „Du...“, würgte Hal Samdu hervor. „Du Vieh — Feigling...“ Er stürzte sich quer durch die Zelle, die großen Hände wild geballt Eric Ulnar schreckte vor ihm zurück und rief: „Laß mich! Haltet ihn fest! Ich bin nicht schuld. Sie haben mich gefoltert. Ich konnte es nicht aushallen. Sie haben mich gefoltert. Und sie wollen mich nicht sterben lassen.“ „Hai“, protestierte John ernst. „Das nützt uns nicht im geringsten. Wir müssen alles wissen, was er uns erzählen kann.“ „Aber er...“, stöhnte der Riese, „er folterte Aladoree!“ „Das weiß ich, Hal“, besänftigte ihn John Star, der seinen Arm hielt, obwohl ihn der wilde Impuls, diese nicht mehr menschliche Kreatur zu vernichten, fast mitgerissen hätte. „Was er uns erzählt, wird uns helfen, sie zu befreien.“ Er wandte sich wieder Eric Ulnar zu. „In der nächsten Zelle, sagst du. Ist da eine Wache?“ „Ja, eine der Medusen wacht immer in der großen Halle über der Zelle.“ „Wenn wir an der Wache vorbeikommen können, gibt es dann einen Weg hier heraus?“ „Ihr könnt nie aus dieser Stadt herauskommen“, gab die dumpfe Stimme zurück. „Ihr könnt niemals die Halle verlassen. Sie öffnet sich über einem eine Meile tiefen Abgrund. Da ist nur eine senkrechte, glatte Wand unter dem Tor. Und selbst, wenn ihr herabkämt, hättet ihr keine Möglichkeit, durch die Stadt zu kommen. Die Medusen haben keine Straßen, sie fliegen.“ Aber es hat keinen Wert, davon zu reden. Selbst aus dieser Zelle werdet ihr nicht herauskommen, noch Aladoree aus der ihren. Die Schiebetüren sind verschlossen. Ihr seid unbewaffnete Gefangene. Ihr redet davon, etwas zu stehlen, was die Medusen in ihrer sichersten Festung bewachen!“ Seine Stimme erstarb in dumpfer Geringschätzung. Mit der Ungeduld eines gefangenen Tieres blickte John Star in der Zelle umher. Eine Kammer ganz aus Metall, quadratisch, sieben Meter breit. Dreieinhalb Meter über ihnen war die
rechteckige Öffnung, durch die sie hinabgeworfen worden waren, und die jetzt mit einem Schiebegitter aus rechteckigen Metallstangen verschlossen war. Durch die Stangen drang grünes Licht aus der düsteren, hohen Halle über ihnen. Seine Augen suchten nach irgendeiner Waffe oder irgendeinem Gegenstand, der ihrer Flucht helfen könnte, aber sie fanden nichts Bewegliches in der Zelle. Es war nur ein viereckiger Kasten aus diesem schwarzen Metall. „Ihr kommt nicht heraus“, sagte Eric Ulnar mit schleppender Stimme. „Das Schloß...“ „Einer von uns hat eine gewisse Geschicklichkeit“, sagte Jay Kalam. „Giles, du mußt das Tor öffnen.“ Alle drei hoben sie Giles Habibula hoch, was jetzt eine leichtere Arbeit war, als sie es früher einmal gewesen wäre, so daß er das Stangengitter dreieinhalb Meter über dem Fußboden erreichen konnte. Er blickte auf den schwarzen Kasten des Schlosses, befingerte es mit unglaublich sicheren, feinfühligen Händen. Er legte sein Ohr an den Kasten, klopfte mit den Fingern darauf, reichte durch die Stangen hindurch und bewegte irgend etwas, wobei er ständig lauschte. Plötzlich ächzte er, sich bückend. „Laßt mich herab! Da kommt so ein elendes Ungeheuer!“ Schnell ließen sie ihn auf den Boden herab. Über ihnen schwebte eine riesige, grünliche Halbkugel an das Gitter, eine dicke Masse glänzenden, schleimigen, durchschimmernden Fleisches, das von seltsamem, langsamen Leben zuckte. Ein riesengroßes, ovales Auge starrte auf sie mit solch einer furchterregenden Intensität, daß John Star meinte, es müßte ihre Gedanken lesen können. Eine schwarze Tentakel warf fünf kleine, braune Ziegel durch das Gitter. Eric Ulnar, aus seiner Apathie aufwachend, schnappte sich einen und nagte eifrig daran. „Essen“, wimmerte er. „Das ist alles, was sie uns geben.“ Ein Würfel aus dunkler, feuchter Gallerte, wie John Star feststellte; es hatte einen merkwürdigen, unangenehmen Geruch, und es fehlte ihm jede Würze. \ „Etwas zum Essen!“ rief Giles Habibula und biß in einen anderen Würfel. Die grünliche, zuckende Masse ihres Kerkermeisters schwebte von dem Gitter über ihnen hinweg. Sie hoben Giles Habibula wieder in die Höhe, damit er seine Schlacht mit dem Schloß wieder aufnehmen könne. Von Zeit zu Zeit murmelte er verbissen vor sich hin, und sein Atem, durch die Anstrengung voll in Anspruch genommen, wurde ein langsames Seufzen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, die in dem trüben, von oben durch die Stangen fallenden grünen Licht erglänzte. Dann kam ein lauteres Klicken. „Ist es offen?“ „O ja. Die Bolzen sind gerade zurückgegangen. Das Gitter ist nicht mehr verschlossen. Aber ich habe es nicht geöffnet.“ „Warum?“ „Weil oben in der Halle das ekelhafte fliegende Ungeheuer aufpaßt. Es hängt immer noch über einer seltsamen Vorrichtung auf einem Dreifuß aus schwarzem Metall. Sein böses, purpurnes Auge würde jede Bewegung sehen, die wir machen.“ „Dreifuß?“ schrie Eric Ulnar mit erneuter hysterischer Panik in der Stimme. „Dreifuß? Das ist die Maschine, die sie für die Verständigung verwenden. Die haben sie wieder gebracht, um mich das Geheimnis aus Aladoree herausbringen zu lassen. Sie werden uns alle töten, wenn sie redet.“
21.
„Heb mich hoch“, sagte John Star, und Hal Samdus große Hände schwangen ihn hinauf. Durch die viereckigen Metallstangen des Gitters konnte er die Wände und die Decke der ausgedehnten Halle sehen. Zu weit und zu hoch für menschliche Maßstäbe. Alles war aus der nachtschwarzen Legierung gebaut und von kleinen, grünen, glänzenden Kugeln, die entlang der Mitte der Decke gezogen waren, beleuchtet. Er sah die Meduse, wie sie, etwas nach einer Seite geneigt, über der Zelle hing. Eine pulsierende, enorme Halbkugel aus grünlichem Fleisch; schleimig, halb durchsichtig und langsam pochend. Mit ovalen, purpurnen Augen, die etwas hervorstanden und furchterregend und wie hypnotisierend blickten. Schwarze Tentakeln baumelten herab, wie die Locken der Gorgone! Hinter ihr stand ein dreifüßiger Mechanismus. Drei schwere, mit Spitzen versehene Beine trugen einen kleinen Kasten, von dem Kabel herabhingen, an denen kleine Gegenstände befestigt waren. Diese mußten wohl Elektroden und Mikrofone sein, um Erics Stimme und die telepathischen Schwingungen der Medusen aufzunehmen. x Auf ein Zeichen ließ ihn der Riese herab. „Da ist eine Chance“, flüsterte er, „wenn keine anderen auftauchen und wenn wir schnell genug sind.“ Er erzählte, was er gesehen hatte und umriß seinen Plan. Jay Kalam nickte ernst, voll Zustimmung. In schnellem, atemlosen Flüstern diskutierten sie die Einzelheiten bis auf die kleinste Bewegung. Dann gab Jay Kalam das Zeichen, und Hal Samdu schwang John Star wieder hinauf. Diesmal ergriff er das Gitter, schob es schnell und lautlos zurück und stand sofort oben in der Halle auf den Füßen. Ohne einen Augenblick zu verlieren, sprang er auf den Dreifuß zu. In der Zwischenzeit kam Jay Kalam, von den Armen des Riesen geschleudert, durch die Öffnung hinter ihm her und half Hal Samdu herauszukommen. Einen Augenblick nur, nachdem sie das Gitter geöffnet hatten, standen die drei daneben und arbeiteten mit wilder Hast, um den Dreifuß auseinanderzunehmen. In diesem Moment hatte sich die wachende Meduse bereits bewegt. Ihre grüne Kuppel fegte schnell auf sie zu, wobei die dünnen, schwarzen Anhängsel wie wütende Schlangen ausschlugen. Hal Samdu drehte das Instrument auseinander. Ein schweres, mit einer scharfen Spitze versehenes Bein warf er John Star zu, das andere Jay Kalam. Das dritte, an dem noch der schwere, schwarze Kasten befestigt war, schwang er selbst wie eine große, metallische Keule. Das spitze Bein wie einen Spieß haltend, stieß John Star es in das purpurne Auge. Instinktiver Schreck ergriff ihn, die gleiche betäubende Furcht, die ihn schon zweimal vor den leuchtenden Gorgonenaugen übermannt hatte, die uralte Reaktion auf einen elementaren Schrecken. Er fühlte stechende Schauder, wobei sich ihm das Haar sträubte, und eiskalten, plötzlichen Schweiß. Irgend etwas stockte ihm Herzschlag und Atem, irgend etwas ließ seine Muskeln gefrieren. Die Unbeweglichkeit des instinktiven Schreckens — die alte Erbschaft irgendeines aus der Urzeit stammenden Vorfahren, der seine Sicherheit darin gefunden hatte, sich ruhig zu verhalten. Vielleicht nützlich für eine Kreatur, die zu klein ist, um zu kämpfen, und zu langsam, um fortzulaufen. Jetzt aber von tödlicher Wirkung. Er hatte gewußt, daß es kommen mußte. Er hatte sich gewappnet, um ihm zu begegnen. Er wollte von seinem Verstand beherrscht werden und nicht von uralten Instinkreaktionen. Einen Moment ließ es ihn zögern — nur einen Moment. Dann antwortete sein betäubter Körper auf die verzweifelt drängenden Nerven. Dann ging er vor, die metallene Spitze hoch vor sich aufgeschwungen. Die Meduse hatte in dieser kurzen Verzögerung sofort einen Vorteil erkannt. Die schwarze Peitsche einer Tentakel, dünn wie ein Finger, aber grausam hart, erbarmungslos stark, schnellte um seinen Nacken und zog sich zusammen.
Trotzdem führte er den Stoß aus. Er kämpfte die Ohnmacht nieder, die ihn übermannen wollte, und vollführte, mit jedem Gramm von Gewicht und Kraft dahinter, den Vorwärtsstoß und den Aufwärtsschwung. Die Spitze erreichte das Auge, durchriß die äußere Haut und tauchte tief in die purpurne Quelle zwischen den Säumen der faltigen, schwarzen Haut, die es umgab. Ein hin und her pendelnder Klumpen klarer Gallerte brach hervor, ein schneller Strahl schwarzpurpurnen Blutes, und die große Augenhöhle war eingesunken. Der furchtbare Druck auf seinen Kehlkopf stieg plötzlich an, die erstickende Tentakel schleuderte ihn mit aller Wucht vorwärts, zerbrach ihm fast das Rückgrat, und warf ihn betäubt und blind auf den Metallfußboden. Mit einem verbissenen Willen, der Gefahr und körperliche Schmerzen mißachtete, klammerte er sich an sein Bewußtsein und an seine Waffe. Schon bevor er wieder sehen konnte, kam er auf die Beine. Er gewahrte undeutlich die Schläge von Hal ‘Samdus großer Keule, dumpfe Schläge gegen weiches, knochenloses, pulsendes Fleisch. Er konnte wieder sehen. Er sah den Riesen, Kopf und Schulter eingehüllt von einer Masse schwarzer, böser Schlagen, bronzeglänzend von dem Schweiß des harten Kampfes und der Anstrengung, jeder Muskel angespannt, wenn er die Metallkeule schwang. Er sah auch, wie Jay Kalam zugestoßen hatte, um seine Spitze tief in das purpurne Auge zu treiben. Er sah ihn plötzlich in wilde, schwarze Peitschen eingewickelt, die seinen Körper zusammenpreßten, ihn drehten und wütend auf den Boden schleuderten. Es war Ha] Samdu, der auf die Füße taumelte und die Schlacht mit ein paar mächtigen Schlägen seiner Keule beendete und dann John Star unter der Masse hervorzog. Einen Moment standen sie und starrten auf den zuckenden Hügel aus schleimigem, grünlichem Protoplasma, der bis zu Hal Samdus Kopf reichte. Die Tentakeln, die sich immer noch verdrehten, streckten sich von den Rändern nach allen Seiten aus. Die sichtlosen Augen stierten schrecklich. „Sie hat Aladoree gequält!“ stöhnte Hal Samdu. „Sie verdiente zu sterben!“ Sie wandten sich von ihr ab, um Jay Kalam aufzuheben, der bereits wieder zu Bewußtsein kam und bemüht war, sich aufzusetzen. „Nur betäubt!“ murmelte er. „Jetzt ist es also aus? Gut. Wir müssen jetzt zu Aladoree, bevor die anderen kommen. Wenn die Meduse um Hilfe gerufen hat — Hai, hilf Giles und Ulnar aus der Zelle heraus. Wir müssen schnell arbeiten.“ Er fiel wieder zurück. Er war, wie John Star sah, grausam verletzt worden, als ihn die Tentakeln niedergeschleudert hatten. Sein Gesicht war bleich und schmerzverzerrt, seine ernsten Augen geschlossen. Stöhnend lag er so einen Augenblick, dann flüsterte er: „John? Suche sie. Ich werde schon wieder zu mir kommen. Wir müssen schnell sein!“ John Star verließ ihn. Er rannte um den grünen Fleischberg und fand noch ein Gitter im Fußboden. Er fiel auf die Knie, starrte in die Dunkelheit, die durch die grünen Strahlen von der Halle her schwach erhellt war. Schließlich erblickte er eine Gestalt, die schlafend auf dem nackten Boden lag. „Aladoree!“ rief er. „Aladoree Anthar!“ Der zarte, kaum erkennbare Körper in der Tiefe bewegte sich nicht, aber er hörte ein ruhiges Atmen — es schien ihm seltsam, daß sie so friedlich schlafen konnte, wie ein Kind, während das Schicksal des Systems von dem abhing, was sie wußte. „Aladoree!“ Er rief lauter. „Wach auf!“ Sie erwachte und ihre ruhige Stimme zeigte, daß sie vollkommen im Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten war, obwohl sie eher teilnahmslos und trübe klang. „Ja, hier bin ich. Wer seid ihr?“ „John Ulnar, und ihr...“ „John Ulnar!“ Ihre langsame, müde Stimme schnitt ihm voll spürbarer Verachtung das Wort ab. „Ich nehme an, daß Sie gekommen sind, um Ihrem feigen Verwandten behilflich zu sein, das Geheimnis aus mir herauszupressen. Ich warne Sie jetzt schon, Sie werden enttäuscht werden. Glaubt nicht, daß die ganze Menschheit von eurem feigen Geschlecht sei. Tun Sie,
was Sie wollen, ich kann das Geheimnis bewahren, bis ich sterbe — und das, glaube ich wird nicht mehr lange dauern.“ „Nein, Aladoree“, flehte er sie an, verwirrt und verletzt von ihrem bitteren Zorn. „Nein, Aladoree! Das darfst du nicht denken. Wir sind gekommen...“ „John Ulnar...“ Ihre Stimme unterbrach ihn voll Verachtung. Da kamen Giles Habibula und Hal Samdu und knieten über dem Gitter. „Segne meine Augen, Mädchen. Das ist eine verdammt lange Zeit her, seit der alte Giles deine Stimme gehört hat. Eine ewige Zeit! Wie geht es dir?“ „Giles! Giles Habibula?“ In dem erstickten Aufschrei, der aus der Dunkelheit durch das Gitter heraufdrang, lag ein Ton der Erlösung, eine unaussprechliche Freude, die John Stars Herz schmerzen ließ. Der verachtungsvolle Zorn war reinem Entzücken gewichen. „O ja, Mädel, es ist Giles, der alte Giles Habibula. Auf einer elenden, gefährlichen Reise bin ich, hierher gekommen, um dich zu befreien. Warte nur noch einen Augenblick, ich muß nämlich erst noch dieses wunderbare Schloß bearbeiten.“ Er lag schon bei dem Schiebegitter auf den Knien. Seine dicken Finger arbeiteten geschickt und ruhig und bewegten die seltsamen kleinen Hebel, die aus dem Gehäuse des Mechanismus hervorragten. „Aladoree!“ schrie Hal Samdu, wie verrückt vor Freude, mit seiner rostigen Stimme. „Aladoree, haben sie dir weh getan?“ „Hai“, kam ihr froher, zitternder Aufschrei. „Hai, du auch?“ „Natürlich. Hast du gedacht, ich würde nicht kommen?“ „Hai!“ stöhnte sie freudig bewegt. „Und wo ist Jay?“ „Er ist...“, begann John Star, als Jay Kalams ernste Stimme schwach und gebrochen neben ihm ertönte: „Hier, Aladoree — zu deinen Diensten.“ „Ich bin ja so froh“, kam ihre Stimme, von Seufzern der Freude unterbrochen, aus der Dunkelheit. „Ich wußte, ihr würdet es versuchen. Aber es war so weit! Und der Verrat — so schlau — so teuflisch...“ „Ach, Mädel, wein’ doch nicht“, drängte Giles Habibula. „Jetzt ist ja alles in bester Ordnung. Der alte Giles wird das Schloß gleich aufhaben, und du bist wieder in kostbarem Tageslicht.“ Plötzlich fühlte John Star, daß irgend etwas fehlte. Schnell sah er die lange, hochwandige schwarze Halle hinauf und hinab. Die riesige Masse der toten Meduse lag bewegungslos, die Schlangenlocken ausgestreckt und still. Auf dem Boden konnte er in dem grünen Licht nichts entdecken, was sich bewegte, keinen Gegner. Aber irgend etwas stimmte nicht. Plötzlich fiel es ihm auf. „Eric Ulnar“, stöhnte er. „Hast du ihm aus der Zelle geholfen?“ „O ja, Junge“, keuchte Giles. „Wir konnten ihn doch nicht allein lassen, damit ihn die elenden Biester weiterquälen.“ „Natürlich“, polterte Hal Samdu. „Wo ist...“ „Er ist fort“, sagte John Star müde. „Verschwunden! Immer noch ein Feigling und Verräter. Er ist gegangen, um sie zu alarmieren.“
22. „So, Jetzt haben wir’s“, keuchte Giles Habibula. „Und jetzt kannst du herauskommen, Mädel!“ Das Schloß hatte sich geöffnet, er schob das Gitter zurück. „Geh bitte hinunter, John“, sagte Jay Kalam, „und hilf ihr.“ John Star schwang sich durch die Öffnung, hielt sich an den Armen und sprang leicht auf den
Boden der Zelle neben Aladoree. Ihre grauen Augen beobachteten ihn zweifelnd; sie wirkten grünlich in dem trüben Licht. „John Ulnar“, fragte sie, wobei sie ihr zorniges Mißtrauen weniger offen merken ließ, ihn aber doch noch aufs tiefste kränkte, „sind Sie mit den anderen gekommen?“ „Aladoree“, flehte er, „du mußt mir vertrauen.“ „Ich sagte Ihnen schon einmal“, entgegnete sie kalt, „daß ich niemals einem Mann mit dem Namen Ulnar vertrauen kann. An jenem Tag hatten Sie meine treuen Männer eingesperrt und mich damit Ihrem verräterischen Verwandten ausgeliefert.“ „Ich weiß“, flüsterte er bitter. „Ich war ein Narr, ein riesengroßer Narr. Aber jetzt komm. Ich hebe dich hinauf.“ „Ich war der Narr — einem Ulnar zu vertrauen.“ „Komm! Wir haben keine Zeit!“ „Sie scheinen klüger zu sein als Eric, wenn Sie das Vertrauen meiner Leute haben. Ihr Purpurnen! Sie versuchen wohl, sie zum besten zu halten und die Medusen auch?“ „Sag das bitte nicht!“ Es war ein schmerzvoller Aufschrei. „Beeilt euch doch“, drängte Jay Kalam von oben. Da kam sie zu ihm, immer noch voll Zweifel. John Star legte einen Arm um ihren leichten Körper, hob sie am Fuß hoch und schwang sie hinauf in Hal Samdus ausgestreckte Arme und sprang dann selbst nach. Sie standen in der weiten Halle — winzig und verloren in der düsteren, schweigenden Weite. Aladoree war abgemagert, wie John Star sah, und bleich. Ihr weißes Gesicht zeigte die Spuren von Angst und Leiden; in ihren grauen, von blauen Schatten umgebenen Augen brannte ein verzehrendes Feuer. Ihr erschreckter Aufschrei beim Anblick des furchterregenden Berges der toten Meduse zeigte, daß ihre Nerven bis zum äußersten angespannt waren; aber ihre aufrechte Haltung ließ Mut, Entschlossenheit und stolze Bestimmtheit erkennen. Die Folter hatte sie nicht unterkriegen können. „Da wären wir nun, Aladoree“, sagte Jay Kalam. „Aber wir haben kein Schiff, um wieder wegzukommen, und auch kein Mittel, um aus der Stadt zu fliehen. Wir haben keine richtigen Waffen. Wir sind von dir abhängig von AKKA.“ Enttäuschung legte sich auf ihr zerquältes Gesicht. „Dann tut es mir leid“, sagte sie, „daß ihr euer Leben umsonst geopfert habt.“ „Warum?“ fragte Jay Kalam angstvoll. „Kannst du die Waffe nicht aufbauen?“ Müde schüttelte sie den Kopf „Nicht rechtzeitig genug. So einfach sie auch ist, ich brauche bestimmte Materialien und etwas Zeit, um sie aufzubauen und einzustellen.“ „Wir haben das Ding, das sie für die Verständigung mit Eric Ulnar gebraucht haben.“ Er deutete auf Hal Samdus Keule. „Jetzt ist es allerdings ziemlich zerschlagen. Es war etwas Elektrisches, ich glaube, eine Art Radio. Es sind bestimmt Drähte drin, Isoliermaterial, vielleicht auch eine Batterie.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Es könnte vielleicht gehen“, gab sie zu, „aber ich befürchte, es würde zu lange dauern, um die Teile zu richten und zusammenzubauen. Diese Kreaturen werden uns bald finden.“ „Wir müssen es mitnehmen“, sagte Jay Kalam. Hal Samdu löste die Vorrichtung vom Kopf des Dreifußes und band sie mit den Verbindungsdrähten an seinem Körper fest. „Wir müssen etwas tun“, rief John Star, aber allerschnellstens, denn Eric hat bestimmt inzwischen Alarm gegeben.“ „Wir müssen irgendwie aus der Stadt herauskommen“, stimmt Jay Kalam bei. „Aladoree, weißt du einen Weg?“ „Nein. In dieser Richtung“, zeigte sie, „führt die Halle in einen großen Schuppen, ein Laboratorium, vermute ich. Viele von ihnen sind dort immer bei der Arbeit. Ich nehme an, daß Eric diesen Weg ging, um es ihnen zu sagen. Das andere Ende ist außen, eine Meile hoch.
Dort ist kein Weg, den man ohne Flügel hinabkommen kann.“ „Dort könnte...“, dachte Jay Kalam nach, „ja, ich erinnere mich, dort könnte ein Abzugsrohr sein. Es sah so aus. Wir müssen sehen...“ Sie rannten hundert Meter weiter zu einem großen Tor am Ende der Halle, ein riesiges Schiebegitter aus schweren, schwarzen Stangen, gekreuzt und nahe beieinander, mit einem massiven Schloß versehen. Durch die Stangen sahen sie wieder die schwarze Stadt — ein Sturm raste über sie daher. Berge aus schwarzem Metall tauchten auf, phantastische, kolossale Maschinen mit rätselhafter Funktion, alles in titanischer Verwirrung aufgehäuft, ohne jede, einem menschlichen Auge erkennbare Ordnung. Keine Regelmäßigkeit der Form, der Größe oder der Lage, keine Straßen; nur Abgründe, Tore, die sich in atemberaubende Leere öffneten. Jetzt war die Stadt von wilden Gewalten gepeitscht. Die vier hatten auf ihrem Zug durch den schwarzen Kontinent schon Stürme genug überstanden, immer am Ende des wochenlangen Tages, wenn die plötzlich eiskalte Luft Luftdruckstürze verursachte. Aber dies war ein noch wilderes Toben. Aladoree schrak unwillkürlich vor dem eisigen Regen zurück, der durch die Stangen peitschte, vor dem unheimlichen Glühen des Himmels und dem furchtbaren Geheul des Sturmes und des Donners. Giles Habibula zog sich hastig zurück und murmelte: „Nein, so etwas habe ich noch nie gesehen.“ „Das Schloß, Giles“, sagte Jay Kalam drängend. „Segne meine Knochen, Jay“, schrie er über das Toben der Elemente. „Da hinaus können wir doch nicht gehen, in diesen verdammten Sturm und den furchtbaren, eine Meile tiefen Abgrund.“ „Bitte!“ „Na ja, wenn du willst, Jay. Jetzt ist es schon leichter.“ Seine geschickten, ruhigen Finger betätigten die Hebel des Schlosses, diesmal mit mehr Sicherheit und mehr Vertrauen. Fast im gleichen Moment klickte es auch schon; die vier Männer stemmten ihre Schultern gegen die Stangen, um das riesige Gitter beiseite zu schieben. Sie stemmten sich gegen den Wind und den Regen, der nun mit vielfacher Kraft hereintrieb, und sie blickten über den viereckigen Metallvorsprung. Die glatte, schwarze Wand fiel senkrecht unter ihnen ab, eine lange Meile, von Regen begossen. Jay Kalam stemmte sich gegen die heulenden Böen, wies mit dem Arm hinaus und schrie in das Dröhnen des Donners: „Das Abflußrohr!“ Sie sahen es neben sich, drei Meter entfernt. Es war ein riesiges, viereckiges Rohr, m engen Abständen von Metallklammern gestützt, die es an der Wand festhielten. Senkrecht stürzte es in den Abgrund hinab, zu einer winzigen, schwarzen Linie zusammenschrumpfend, um sich schließlich in dem rötlich flackernden Nebel unter ihnen zu verlieren. „Die Flansche!“ Viel mehr durch Beobachten seiner Lippen als durch den Laut konnten sie seine Worte erfassen. „Eine Leiter. Zu weit weg. Unpassende Form. Aber wir können sie hinunterklettern.“ „Ich werde es versuchen!“ schrie John Star. Er war der leichteste und der schnellste der vier, er könnte es tun, wenn es überhaupt einem von ihnen gelingen sollte. Er nickte Hal Samdu grimmig lächelnd zu. Die Hände des Riesen packten ihn und schleuderten ihn hinaus übet den Abgrund, hinaus in den tobenden Regen und heulenden Sturm. Johns Arme streckten sich aus, seine Finger faßten die Kante eines metallenen Flansches. Aber der Hurrikan hatte seinen Körper erfaßt, er schleuderte ihn über den Abgrund hinaus. Seine Finger krampften sich zusammen. Die gnadenlose Böe ließ ihn los und er blieb an dem Flansch hängen. Er war durchnäßt und rang in dem tobenden Regen um Atem. Er probierte die Flansche aus und fand, daß sie, wenn auch nur notdürftig, als Leiter dienen könnten. Er nickte den ändern zu.
Er stand auf einem Bein und hatte das andere um den Flansch über ihm gehakt, Er nahm alle Kraft zusammen und wartete mit griffbereiten Armen. Jay Kalam wurde hinausgeschleudert, er fing ihn auf und half ihm hinauf zum nächsten Flansch. Dann kam Giles Habibula, ächzend und grün im Gesicht. Und schließlich Aladoree, die leise und voll Verlegenheit „Danke, John Ulnar“, sagte, als er sie in seinen Armen auffing. Jetzt reichte ihnen Hal Samdu die als Spieße dienenden Beine des Dreifußes, um die sie ihre Gürtel schlangen. Er stand auf dem schmalen Vorsprung, und in der Hoffnung, die Verfolger dadurch zu verwirren, schloß er das Schiebegitter, so daß das Schloß einschnappte. Dann sprang er durch die Regengüsse, die ihm fast die Sicht raubten. John Star lehnte sich weit vor, um ihn aufzufangen. Hal Samdus Gewicht wurde in John Stars verkrampfter und unsicherer Lage zu einer unerträglichen Last, die durch eine wütende Abwärtsböe noch erschwert wurde. Als John Star die nassen Hände des Riesen erfaßte, glaubte er fast, daß sein Körper entzweigerissen werden müßte, aber er hielt sich fest. Hal Samdu ergriff einen Flansch mit der freien Hand, und dann war er sicher. Jetzt begannen sie, das Rohr hinabzuklettern. Die das Rohr umgebenden Flansche waren unbequem angeordnet; es wäre, selbst unter den günstigsten Umständen, keine leichte Aufgabe gewesen, sie eine Meile tief hinabzuklettern. Jetzt aber fiel der Regen in blendenden, erstickenden Güssen aus dem brüllenden Himmel, und der unbarmherzige Sturm zerrte an ihnen. Sie waren alle schon halb erschöpft, aber die Angst vor der unvermeidlichen Verfolgung trieb sie zu rücksichtsloser Eile. Nur in einer Hinsicht war der Sturm ein Vorteil, dachte John Star. Er hatte die Medusen von ihren Gebäuden und Maschinen in die Unterschlüpfe getrieben; es bestand also keine Gefahr einer zufälligen Entdeckung, bevor die Verfolgung von oben beginnen würde. Aber in dem Kampf mit Sturm und Regen bezahlten sie diesen Vorteil sehr teuer. Sie hatten vielleicht schon die Hälfte des Weges zurückgelegt, als Aladoree vor völliger Erschöpfung ohnmächtig wurde. John Star, der gerade unter ihr kletterte, hatte während der ganzen Zeit auf sie geachtet, besorgt, daß sie von den nassen Flanschen abrutschen könnte. Er fing sie auf und hielt sie fest, bis sie wieder zu sich kam und hartnäckig dagegen protestierte, daß sie jetzt nicht weiter klettern könne. Dann hob sie Hal Samdu auf seine Schultern und hieß sie, sich an ihm festzuhalten. So setzten sie den Abstieg fort. Je tiefer sie kamen, desto deutlicher wurde der Boden des Abgrundes durch den Nebel des herabströmenden Wassers sichtbar. Eine weite, viereckige Grube, gut ihre 350 Meter im Durchmesser, ohne Unterbrechung von den schwarzen, blanken Wänden der riesigen Gebäude umgeben. Der Boden war von dem gelben Wasser des Regens überflutet. Alles Wasser auf dem Planeten erschien gelb, weil es das rote organische Gas aufgelöst in sich trug. Als sie nahe dem Boden waren, ließ der stürmische Regen plötzlich nach. Das Rollen des Donners verminderte sich; der fahle, rote Himmel lichtete sich langsam; der kalte Wind stürzte sich mit abnehmender Gewalt auf sie. John Stars Füße hatten gerade das kalte, den Boden bedeckende Wasser berührt, als Giles Habibula die Warnung hervorstieß: „Verdammt noch mal. Die elenden Medusen kommen herab, um uns zurückzuholen!“ Als er nach oben blickte, sah er die grünlichen, schwarzumsäumten, fliegenden Kuppeln. Eine nach der anderen schwebte aus der Halle heraus, aus der sie geflohen waren. Sie kamen immer näher.
23.
John Star stand schon im knöcheltiefen Wasser, als die anderen gerade den Abstieg hinter ihm beendeten. Er blickte verzweifelt umher auf der Suche nach einer Möglichkeit, aus der Grube herauszukommen. Vor ihm lag eine Fläche gelben Flutwassers, 350 Meter im Quadrat. Darüber standen auf jeder Seite die glitzernden, schwarzen Wände der unheimlichen Gebäude, das allerniedrigste von ihnen größer als die stolze Purpurne Halle. Hier und da waren sie von den hohen Toren unterbrochen, aber er sah keines, das von einem anderen als einem fliegenden Wesen erreicht werden konnte. Gegen das kleine, rote Rechteck des Himmels über dem Abgrund sah er die verfolgenden Medusen herabschweben. „Es gibt keinen Ausweg“, murmelte er zu Jay Kalam, der neben ihm herniederplatschte. „Es ist endgültig aus! Ich nehme an, daß sie uns jetzt umbringen werden.“ „Und doch gibt es einen Weg“, beharrte Jay Kalam mit schneller, angespannter Stimme, „wenn wir noch Zeit haben, ihn zu erreichen. Nicht sicher und nicht angenehm, aber immer noch besser, als darauf zu warten, bis sie kommen und uns schlachten.“ „Kommt!“ rief er, als Giles Habibula als letzter ächzend und schaudernd in das kalte Wasser tappte. „Es ist keine Zeit zu verlieren!“ „Wo?“ fragte Hal Samdu, der mit Aladoree, die sich immer noch erschöpft auf seinem Rücken anklammerte, neben ihm durch die gelbe Flut watete. „Hier ist kein Ausweg.“ „Das Flutwasser“, bemerkte Jay Kalam kurz und bündig, „findet ja auch einen Ausgang.“ In plätscherndem Lauf führte er sie zu einem Einlaß der Ablaufrohre. Ein gelber Strudel, drei Meter im Durchmesser, dröhnte durch ein schweres Metallgitter in die Tiefe. „Heiliger Strohsack!“ keuchte Giles Habibula. „Müssen wir denn in dieses verdammte Rattenloch hineintauchen?“ „Wir müssen“, versicherte ihm Jay Kalam, „oder darauf warten, daß die Medusen uns umbringen.“ Hal Samdu hatte Aladoree abgesetzt, die fröstelnd, müde und unsicher dastand. Ihre Füße wurden fast von dem wirbelnden, gelben Wasser hinweggefegt, als die vier entlang einer Seite des runden, schwarzen Gitters standen, es ergriffen und ihre Muskeln anspannten. Es bewegte sich nicht. Mit einem der Dreifußbeine hämmerte und riß Hal Samdu an der Befestigung, schwankend in dem wahnsinnigen Strom, der um seine Füße schlug. John Star blickte nach dem Viereck des roten Himmels hinauf und sah die dunklen, immer größer werdenden Kreise der Medusen, die jetzt fast auf dem halben Wege waren. Der Biese schlug und zerrte an der Befestigung, aber vergebens. John Star und Jay Kalam versuchten, ihm zu helfen. Der wütende Wirbel des gelben Wassers stürzte darüber, behinderte ihre Anstrengungen und machte selbst das Stehen fast unmöglich. „Es war Eric Ulnar, der sie gewarnt hat“, sagte Aladoree mit bitterem Zorn in ihrer Stimme. „Eine von ihnen trägt ihn. Ich sehe, wie er auf uns zeigt.“ Sie erneuerten ihre Anstrengungen, um die Klampe mit den plumpen Werkzeugen zu zerbrechen. Sie stöhnten und ächzten, viel zu beschäftigt, um nach dem herabsteigenden Tod hinaufzuschauen. Schließlich brach das verdrehte Metall. „Jetzt!“ murmelte Hal Samdu. Sie ergriffen wieder die Stangen und hoben sie an. Durch ihre vereinten Kräfte bewegte sich das Gitter ein wenig, ging aber unter dem Druck des tosenden Wirbels wieder zurück. Sie versuchten es wieder. Giles stöhnend, mit puterrotem Gesicht. Hal Samdus mächtige Muskeln traten hervor und zitterten vor Anspannung. Selbst Aladoree faßte mit an. Und immer noch gab es nicht nach. Die Medusen schwebten immer schneller zu ihnen herab. John Star warf einen schnellen, besorgten Blick nach oben und sah eine ganze Reihe von ihnen. Einige hielten schwarze
Geräte, die Waffen sein mußten, und eine trug Eric Ulnar, der gestikulierend in einer Schaukel aus zusammengehängten Schlangen saß. „Wir müssen es heben!“ Mit wahnsinniger Anspannung versuchten sie es wieder in neuen Stellungen. Da gab das Gitter plötzlich nach und kam hoch, verhältnismäßig leicht, als es von den rasenden Wasserfluten ergriffen wurde. Sie schleuderten es hinter sich. Vor ihnen gähnte die offene Grube, drei Meter im Durchmesser. Tosendes, wirbelndes Wasser sprang in einem ununterbrochenen Guß von jeder Seite hinein. Es war ein gelber Trichter, von Schaum umgeben. Aus ihm heraus gellte das ohrenbetäubende Heulen des wilden Wassers. John Star hielt inne und eine Welle lähmenden Schreckens überlief ihn, als er in den ragenden gelben Schlund starrte. Es schien Selbstmord zu sein, in diesen dröhnenden Wirbel hineinzutauchen, Selbstmord auf eine ganz besonders furchtbare Art und Weise, in den lohfarbenen, schäumenden Schlund hinabgesaugt, hilflos durch die Kanäle gewirbelt, gegen die Wände geschlagen und schließlich in die Schrecken des großen Flusses ausgestoßen zu werden. Und Aladoree! Es war unmöglich. „Wir können nicht!“ schrie er über das prasselnde Toben des Wassers Jay Kalam zu. „Wir können sie hier nicht hineinziehen.“ „Unmöglich!“ stieß auch Giles Habibula rauh hervor. „Das bedeutet einen elenden Tod.“ Er taumelte zurück; er wankte in dem Wasser, das an seinen Füßen riß. Jay Kalam blickte nach den herabkommenden Medusen, die mit ihren schwarzen Waffen und Eric Ulnar, der sich in seiner Wiege aus Schlangen festhielt, jetzt sehr nahe waren. Er blickte ernst zu Aladoree, mit einer stillen Frage auf dem Gesicht. Sie sah hinauf zu den Verfolgern, und ihr bleiches Gesicht verhärtete sich vor Zorn. Ihre grauen Augen, die von Müdigkeit umschattet waren, blickten kühl und ruhig von einem zum anderen, und dann hinein in den donnernden Strudel. Einen langen Augenblick zögerte sie. Dann lächelte sie merkwürdig. Sie machte eine kleine, flüchtige Geste des Abschiednehmens und tauchte hinein in den gelben, heulenden Trichter. John Star war verblüfft durch die Plötzlichkeit ihrer Reaktion, durch ihren kalten, rücksichtslosen Mut. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich wieder gefaßt und seinen eigenen Schrecken vor dem gierigen, heulenden Schlund überwunden hatte. Dann warf er seine improvisierte Waffe weg, nahm einen letzten, vollen Atemzug und folgte. Mit dem gelben, schäumenden Wirbel fiel er sieben Meter tief in einen stürzenden Fluß. Das düstere, rote Leuchten war plötzlich ausgelöscht. In völliger Dunkelheit wurde er unter der schwarzen Stadt hinweggewirbelt. Der rasende Kanal war fast bis obenhin angefüllt. Sein schützender Arm schlug gegen einen Flansch. Aber es gelang ihm, einen Atemzug fauler, stinkender Luft zu nehmen. Er holte nochmals tief Luft und schrie Aladorees Namen; dann wurde ihm die ganze Sinnlosigkeit seines Tuns klar. Vor ihm, in dem tosenden Strom herumgewirbelt, würde sie ihn niemals hören können. Es würde ihr auch nichts nützen, wenn sie es könnte. Der Durchlaß drehte sich plötzlich, er erstickte fast im Dunst des Schaumes an der Biegung. Nachdem er eine ihm unendlich lang scheinende Zeit gekämpft hatte, um sich über Wasser zu halten und ab und zu die Lungen mit der fauligen Luft zu füllen, wurde er in einen tieferen, schnelleren Strom geschleudert. Und dieser Kanal war noch mehr angefüllt. Das wilde Wasser wusch, spritzte und schäumte gegen die Decke, und nur selten konnte er einen offen Raum finden, um Atem zu holen. Vorwärts und vorwärts wurde er gestoßen, bis er fühlte, daß der wilde Strom ihn ein für allemal besiegt hatte, bis sein zerschlagener, müder Körper nach Rast schrie; bis seine Lungen nach frischer Luft gierten und nicht nach der ekelhaften in den schaumgefüllten Blasen über der donnernden Flut. Er dachte, er könne es keinen Moment länger aushalten, als er in einen anderen, weiteren
Kanal getaucht wurde. Der Strom sog ihn hinunter. Es schienen ihm Stunden zu sein, die er sich mit zu Tode gequälten Lungen nach der Oberfläche kämpfte, aber als er sie endlich erreicht hatte, befand er sich unter vorbeirasendem Metall, unter dem es keine Luft gab. So gut er konnte, hielt er das Wasser von seinen schmerzenden Lungen fern. Er ließ sich von dem wahnsinnigen Strom vorwärtstreiben. Könnte Aladoree, so fragte er sich, das alles ausgehalten haben? Und die drei hinter ihm — wenn sie noch hineingetaucht waren, bevor die Medusen kamen — würden sie noch am Leben sein? Plötzlich schwamm er in einer wilden Furie von brüllendem Schaum. Er wurde wieder hinabgezogen, bis der grausame Druck des Wassers ihm fast den Brustkasten zusammenpreßte. Mühsam kämpfte er sich aufwärts. Schon viel zu ermattet, um noch eine Glut des Triumphes zu fühlen, sah er Licht im Wasser. Er stieß durch den gelben Schaum hindurch und sog dankbar die belebende Luft ein, wobei er nicht an das rote und langsam tödlich wirkende Gas dachte, mit dem sie verpestet war. Auf der einen Seite über ihm war der finstere Himmel, den der Sturm glänzend schwarz gewaschen hatte. Auf der anderen Seite lag die meilenhohe metallene Wand der schwarzen Metropolis. Er schwamm nun auf der wogenden Flut des gelben Stromes. Mit kochenden, leuchtenden Schaumkronen bedeckt, von Schlünden aus bösen Strudeln unterbrochen, reichten seine aufgepeitschten Wassermassen weit hinweg von ihm. Zehn Meilen vielleicht, so weit, daß die niedrige, dunkle Linie des Dschungels auf dem anderen Ufer ganz und gar im dicken, roten Nebel verloren war. Ängstlich hielt er Ausschau nach Aladoree — vergebens. Als er wieder zu Atem gekommen war, schrie er ihren Namen. Seine Stimme war ein dünner Laut, schwach und rauh, erstickt in dem Getöse des Chaos hinter ihm, wo sich die Flut aus dem Abflußkanal mit der mächtigen Flut des Stromes traf. Aber plötzlich sah er sie, hundert Meter hinter sich. Ihr Köper war zu klein, zu zerbrechlich, zu müde, um lange gegen den wilden Fluß kämpfen zu können. Er schwamm langsam auf sie zu, seine Glieder waren fast abgestorben. Der rasende Strom trug sie auf ihn zu, dann an ihm vorbei, schneller, als er schwimmen konnte; wildes Wasser spottete seiner, bis er, fast im Delirium der Erschöpfung, auf es einschlug, als ob es ein empfindendes, böses Wesen wäre. Sie sah ihn; sie kämpfte sich schwach zu Ihm hin, durch den gelben Schaum, während sie im Schatten der Wände dahinraste. Er blickte manchmal zurück in der Hoffnung, daß der eine oder andere der drei lebend durchgekommen sei, doch er sah keinen seiner Gefährten. Als er nur noch vier Meter von ihr entfernt war, verschwand Aladoree vor seinen Augen, durch einen erbarmungslosen Strudel hinabgezogen. Sie erschien wieder, als er gerade ohne jede Hoffnung nach ihr tauchen wollte. Das launenhafte Wasser schleuderte sie empor. Er ergriff ihren Arm und zog ihn über seine Schulter. „Halt dich fest!“ stöhnte er, und mit einem letzten grimmigen Funken von Galgenhumor fügte er hinzu: „Wenn du einem Ulnar vertrauen kannst.“ Sie klammerte sich an ihn, und der Schein eines vagen Lächelns lag auf ihren Zügen. An den mächtigen, vorbeiziehenden Wänden entlang trug sie der gelbe, wirbelnde Schaum vorwärts, auf die Flußkrümmung zu; und dort wartete der Dornendschungel.
24. Aladoree lag neben ihm auf dem schwarzen Sand und schlief. Als er ihren leichten, wehrlosen Körper anblickte, der so langsam und so ruhig atmete, fühlte er einen schmerzenden Stich in der Brust. Wie oft, so fragte er sich, war der Tod, seit sie hier lagen, auf dem gelben Fluß vorbeigekommen, oder hatte von den Dornenwällen auf sie gestarrt und ihr Leben verschont
und somit AKKA und die Hoffnung der Menschheit? Er versuchte, sich aufzusetzen, und sank stöhnend vor Schmerzen zurück. Jeder einzelne Muskel seines Körpers rebellierte. Und doch zwang er sich auf, rieb seine schmerzenden Glieder, bis wieder etwas Beweglichkeit in sie zurückkehrte, und kam schwankend auf die Füße. Zuerst nahm er Aladoree, die immer noch schlief, in seine Arme und trug sie höher hinauf auf die Sandbank, damit sie vor irgendwelchen Seeungeheuern, die vom seichten Uferwasser her angreifen könnten, sicher sei. Er baute eine primitive Wand aus Treibholz auf, um sie dahinter zu verbergen. Mit einer schweren Keule in der Hand, die er bei dem Holz gefunden hatte, wachte er nun bei ihr und wartete, bis sie aufwachen würde. Mit vorsichtigen Blicken durchforschte er den lohfarbenen Fluß, der vorbeiströmte, bis er im fernen, dunklen Dschungel undeutlich in rotem Nebel verschwand. Er durchforschte die nackte Wüste des dunklen Sandes und die schwarze Dornenschranke dahinter; die Zinnen der schwarzen Metropolis, die Meilen entfernt flußaufwärts gerade über dem Dschungel zu sehen waren. Aber die Gefahr glitt auf schweigenden Flügeln aus dem düsteren Himmel herab. Die Kreatur war schon ziemlich tief, als er bemerkte, wie sie auf das schlafende Mädchen hinter dem kleinen Schirm aus Zweigen herabstürzte. Irgendwie ähnelte sie einer Libelle, die zu monströser Größe angewachsen war. Sie hatte vier dünne Flügel, die sich zehn Meter weit ausspannten. Es war, wie er sah, ein ähnliches Geschöpf wie das, das Giles Habibula einst wegen seiner Flasche Wein bekämpft hatte. Er hielt den Atem an, verwirrt von dieser seltsamen und gefährlichen Schönheit. Die zerbrechlichen Flügel waren durchschimmernd blau; sie glitzerten wie dünne Blätter aus dunklem Saphir, die von scharlachroten Rippen durchzogen waren. Der schlanke, zugespitzte Körper war schwarz und unregelmäßig mit glänzenden, gelben Flecken versehen. Das eine riesige Auge sah aus wie eine Brosche aus poliertem Jett. Ein einziges Paar Glieder stand unter ihm hervor. Grausame gelbe Klauen streckten sich aus, um den Körper des Mädchens zu umkrallen. Und sein Schwanz, eine dünne, gelbe Peitsche, die mit einem schrecklichen Widerhaken bewaffnet war, bog sich schon zum Stich herab. John Star sprang ihm direkt in den Weg und schwang seine Keule nach dem jettschwarzen Auge. Aber die glänzenden Flügel neigten sich ein wenig, und die Kreatur wich nach oben aus. Jetzt griff sie ihn an, anstatt das Mädchen. Sein Schlag verfehlte das einzige Auge; die dünne, erbarmungslose Lanze des Stachels kam gerade auf ihn zu. Er warf sich zu Boden und hielt seine Keule vor sich, um den zustechenden Widerhaken abzuwehren. Er fühlte den Stoß, als seine Keule auf den wippen- den Schwanz schlug; seine giftige Spitze wurde etwas zur Seite getrieben, aber sie streifte seine Schulter mit einem Blitz betäubenden Schmerzes. Sofort wieder auf die Füße gekommen, fast blind vor sengendem Schmerz, sah er undeutlich, wie die Kreatur aufstieg, sich drehte und auf durchschimmernden blauen und scharlachroten Flügeln wieder zurückglitt. Und wieder hatte sie die Fänge griffbereit ausgestreckt. Diesmal sah er, daß der widerhakige Schwanz herabhing — seine Keule hatte ihn gebrochen. Schwankend vor rasendem Schmerz zielte er seinen Schlag wieder auf die leuchtende schwarze Scheibe des Auges. Und diesmal wich die Kreatur nicht aus. Sie stürzte mit ausgreifenden, gelben Klauen geradeswegs auf ihn zu. Im letzten Moment, halb wahnsinnig vor Schmerz von dem giftigen Stachel, bemerkte er, daß die Fänge nach ihm greifen würden. Wütend versuchte er, auf den Beinen zu bleiben. Er legte jedes Gramm seiner Kraft hinter das schwere Stück Treibholz und fühlte, wie es mit voller Wucht gegen die riesige schwarze Scheibe schlug. Dann verließen ihn seine Sinne in dem furchtbaren Schmerz. Der Todeskampf hörte allmählich auf, der pelzige Körper lag auf ihm. Die gelben Klauen waren selbst noch im Tode tief in seinen Arm und seine Schulter eingekrallt. Als der rasende Schmerz ein wenig abzuebben begann, öffnete er eine nach der anderen mit seinen Fingern, und schließlich stand er auf, schwach und stark blutend.
Er saß kraftlos bei dem schlafenden Mädchen und dem glänzenden, toten Tier und starrte in die dunstige rote Ferne, aus der drei winzige Figuren über die schwarze Sandbank müde näher kamen. Drei seltsame, hagere Gestalten, mit ein paar zerrissenen Lappen bekleidet, die um ihre abgezehrten, sonnengebräunten Körper hingen. Bärtige und langhaarige Männer. Sie gingen dicht hintereinander. Jeder von ihnen trug eine Keule oder einen Dornenspeer. Ihre eingesunkenen Augen blickten argwöhnisch mit finsterem Verdacht umher; sie glichen drei Waldmenschen, die im Schatten eines urzeitlichen Dschungels jagten; drei reißende Tiere, vorsichtig und gefährlich. Es gelang John Star schließlich, sich zu erheben, zu schreien und zu winken. Sie sahen ihn und kamen über die Sandbank auf ihn zu. Hal Samdu trug immer noch den schwarzen Mechanismus des Dreifußes, der mit den Verbindungsdrähten um seine breiten Schultern geschlungen war. Er hatte das Ding mit sich geschleppt, als er in die Abflußröhren getaucht war, und mit ihm beladen hatte er gegen den gelben Fluß gekämpft. „Aladoree?“ krächzte er rauh und angstvoll, müde vor den anderen herschleichend. „Sie schläft!“ John Star fand Energie für diese zwei Worte, für die Geste. Der Riese fiel neben ihr nieder, voll Besorgnis, aber ein Lächeln der Erlösung lag auf seinem hageren, rotbärtigem Gesicht. „Du hast sie herausgetragen?“ fragte er mit rauher Stimme. „Und das da getötet?“ John Star konnte nur nicken. Seine Augen waren geschlossen, aber er wußte, daß Jay Kalam und Giles Habibula näher kamen. Dann sank John Star zum zweiten Male in tiefen Schlaf. Als er aufwachte, war es schon kälter geworden. Seine Glieder waren steif, und er fröstelte, obwohl ein geschütztes Feuer aus Treibholz neben ihm loderte. Der Schrecken der Nacht kam schnell; die Scheibe der Sonne war jetzt völlig verschwunden, der Himmel bildete eine niedrige Kuppel von häßlichem, düsterem Zwielicht. Scharfer Wind blies düster über den Fluß auf den Dschungel zu. Giles Habibula saß beim Feuer und briet Fleisch, das er von dem toten, fliegenden Ding geschnitten hatte. John Star fühlte nagenden Hunger; es mußte der Duft des Bratens gewesen sein, der ihn geweckt hatte. Aber er aß nicht sofort. Jay Kalam und Hal Samdu standen hinter dem Feuer neben Aladoree. Sie hatten die kleine Maschine, die der Riese so weit getragen hatte, auseinandergenommen. Ihre Teile lagen vor ihnen ausgebreitet auf einem flachen Stück Treibholz: Spulen aus Draht und alle möglichen Teile aus Metall und schwarzem Kunststoff. Trotz der Steifheit seines Körpers stand er hastig auf und eilte zu ihnen. Sie sahen nicht auf. Vor Aladoree stand eine merkwürdige kleine Vorrichtung, die aus den schwarzen Metallteilen und aus grob zurechtgeschnitzten Holzstücken zusammengesetzt war. Sie befühlte begierig die übriggebliebenen Metallstücke, eins nach dem anderen, und warf sie alle beiseite, wobei sie hoffnungslos den Kopf schüttelte. „Du baust AKKA auf?“ flüsterte John Star. „Sie versucht es“, stieß Jay Kalam abwesend hervor. „Ich muß Eisen haben“, sagte Aladoree, „ein winziges Stückchen Eisen, so groß wie ein Nagel, würde genügen. Aber ich muß es für das magnetische Element haben. Alles, was ich sonst noch brauche, ist da. Aber es ist kein Stückchen Eisen dabei!“ Sie legte die kleine Vorrichtung hoffnungslos beiseite. „Dann müssen wir Erz finden“, sagte John Star, „einen Ofen bauen und es schmelzen.“ Jay Kalam schüttelte verdrießlich den Kopf. „Das geht nicht. Es ist kein Eisen auf diesem Planeten. Du weißt ja, daß die Medusen damals versprachen, unser System für die Purpurnen zu erobern, und das nur für eine Schiffsladung
Eisen. Bei allen unseren Wanderungen sah ich keine Spur von Eisenerz!“ „Dann können wir die Waffe nicht aufbauen“, sagte Aladoree langsam. „Hier nicht. Wenn wir nur zum System zurückkommen könnten!“ „Das Schiff liegt irgendwo als Wrack auf dem Grunde des Ozeans.“ Bleich und betäubt vor Verzweiflung standen sie da. und zitterten in dem eisigen Wind, der von dem Fluß herüberwehte. Sie blickten über den schwarzen Dornenschungel auf die Wände und Türme und rätselhaften Mechanismen der schwarzen Metropolis. Alt vor der Morgenröte der Menschheit, so würde sie noch unbesiegbar stehen, wenn der letzte Mensch verschwunden war. Von jenen fernen Wänden und Türmen brannten plötzlich grüne Flammen. Sie sahen riesige Formen aufsteigen; die schwarzen Spinnenformen der interstellaren Flieger der Medusen. Ein ungeheurer Schwärm stieg auf, als der ferne Donner der grünflammenden Raketen über den Dschungel und den Fluß rollte und verschwand zuletzt in dem blutroten Himmel. „Ihre Flotte’“ flüsterte Aladoree. „Sie fliegen nach dem System, mit all ihren Horden, um unsere Planeten zu besetzen. Ihre ganze Flotte ist bereits gestartet. Wenn wir nur ein Stuckchen Eisen gefunden hätten... Aber es ist zu spät. Jetzt ist nichts mehr zu retten!“
25. Die scharfen blauen Augen, die über Hal Samdus rotem Bart hervorschauten, erfaßten ein schwarzes Raumschiff — ein riesiges Spinnenschiff der Medusen, das grüne Feuerstöße von sich gab —, das sich auf die düsteren Wälle über dem gelben Fluß zu bewegte. Er wies darauf hin und verfolgte es schweigend. „Ist das... ?“ schrie John Star mit einem plötzlichen schmerzlichen Sprung seines Herzens. „Unter ihm — könnte das nicht... ?“ „Es ist der ,Purpurne Traum’ „, sagte Jay Kalam ernst. „Euer Schiff?“ rief Aladoree. „Unser Schiff. Wir verließen es als Wrack unter der gelben See, mit Adam Ulnar an Bord.“ „Adam Ulnar!“ Ihre Stimme klang zornig. „Dann ist er zu seinen Verbündeten zurückgegangen.“ Sie blickte ungewiß auf John Star. „Es sieht so aus“, gab er zu, als ob er es getan hätte. Er konnte sich mit den Medusen durch den Kurzwellensender in Verbindung setzen. Er muß sie gerufen und dazu gebracht haben, das Schiff zu heben und zu reparieren.“ Sie beobachteten den „Purpurnen Traum“, der unter den großen, schwarzen Stangen des Medusenfliegers flog. Aus seinen Raketen stießen blaue Flammen, als er sich der schwarzen Stadt, schräg durch den roten Himmel schießend, näherte. Die andere riesige Maschine hing auf den grünen Flügeln eines entfernten Donners ganz nahe über ihm. Er verlangsamte sich und landete schließlich auf einem Turm der schwarzen Mauer, so deutlich sichtbar, daß sein Anblick sie fast wahnsinnig machte. Das schwarze Schiff ließ sich nahe neben ihm nieder. Ein paar Minuten lang starrten sie alle schweigend und mit heftiger Sehnsucht auf den „Purpurnen Traum“, das Ziel ihrer Wünsche. „Wir müssen das Schiff bekommen!“ flüsterte Jay Kalam schließlich. „Es würde uns zum System zurückbringen“, stieß Aladoree hervor. „Wir könnten Eisen linden. Wir könnten AKKA aufbauen. Wir könnten schließlich einen Rest der Menschheit retten.“ „Wir könnten es versuchen“, stimmte Jay Kalam bei.“ „Ja!“ sagte Jay Kalam plötzlich und nahm die Idee an. „Ja, wir werden es versuchen. Aber das ist ein verzweifeltes Unternehmen; John. Du mußt das wissen. Ein unsicheres Flugzeug —
wenn wir überhaupt eins bauen können, das fliegen wird. Dann die Gefahr, daß du entdeckt wirst, die Schwierigkeit, an Bord zu kommen; und dann Adam Ulnar nur mit einem Dornendolch zu überwältigen. Selbst, wenn du sicher an die Instrumente kämst, — da ist noch das Spinnenschiff als Wache!“ „Ich weiß“, sagte John Star nüchtern. „Aber es scheint die einzige Lösung zu sein.“ So entschlossen sie sich angesichts jedes denkbaren Hindernisses und jeder Gefahr, das Unmögliche zu tun. Zuerst suchten sie nach Werkzeugen, nach scharfkantigen Muscheln, nach Steinen, die als Messer und Hammer dienen könnten, nach den eisenharten Dschungeldornen. John Star maß die Flügel aus und nahm all sein Wissen zusammen, um eine Konstruktion zu finden, in welche sie passen würden, und zeichnete mit Holzkohle auf ein Stück Rinde. In der wachsenden Kälte und Dunkelheit arbeitete er dann Stunde um Stunde, um den Gleiter zu bauen. Aus dem Dschungelrohr formte er Streben, aus dem zähen Dornenholz schnitzte er Glieder und band die glitzernden Flügel mit zusammengedrehten Fasertauen daran fest, während die vier anderen, einschließlich Aladoree, die Bucht und den Dschungelrand nach Material durchstöberten. Sie hörten nicht auf, bis es fertig war, ein einfaches Ding, zerbrechlich und leicht. Nur die vier zusammengehaltenen glänzenden Flügel, die mit Faserriemen an John Star zu befestigen waren. Sie banden das Gestell mit den Flügeln an ihm fest, und er lief mit ihm ein paarmal die Sandbank hinab in dem scharfen Wind, wobei ihn die anderen mit einem Tau aus zusammengeflochtener Rinde schleppten. So probierte er das Gleichgewicht. Er steckte zwei Dornendolche in den Gürtel und befestigte dann einen langen, schwarzen Speer an dem Rahmen neben sich. Er lief den Sand hinab, die anderen an dem Tau zerrend. Er stieg auf und warf es ab. Sein seltsames Gefährt stieg schwankend höher, taumelte und stürzte auf den Sand zu. Aber mit einer verzweifelten Drehung seines Körpers konnte er es wieder aufrichten — sein einziges Steuern bestand im Verlagern des Gewichts. Und er schwang sich auf in den starken Luftstrom, der über dem Dschungel aufstieg. Er blickte noch einmal hinunter auf die winzige Gruppe auf der schwarzen Sandbank — drei zerlumpte Männer und ein völlig erschöpftes Mädchen, deren Hoffnungen ihn hinaufgeschickt hatten. Vier winzige Figuren, allein in dem roten Nebel. Er winkte mit der Hand, sie winkten zurück. Endlich erreichte er den starken, böigen Luftstrom, der gegen die Wände der schwarzen Stadt stieß. Er wurde hochgetragen. Dabei fürchtete er, daß jeden Moment seine glänzenden Flügel zusammenklappen könnten und er in den gelben Fluß stürzen würde. So kam er schließlich auf eine Höhe mit dem Turm. Er machte den „Purpurnen Traum“ aus, eine winzige, silberne Spindel, die auf der riesigen, schwarzen Plattform in dem weiten Schatten des Spinnenschiffes lag, das ihn bewachte. Die gespenstische Stadt erstreckte sich unter ihm; die Maschinen auf den hohen Plattformen waren eine Armee aus schwarzen Riesen, die sich im roten Zwielicht duckten. Er schwebte über den Landeplatz. Die Böe trug ihn zu schnell, fast wurde er über die Mauer und in die Stadt hinein gefegt; der Gleiter krachte und flatterte. Sein Körper schauderte in der stechenden Kälte, taub und unempfindlich. Aber seine Füße berührten schwarzes Metall im Schatten des „Purpurnen Traums“. Er schlüpfte aus den Binderiemen und warf die glänzenden Flügel weg. Er lief lautlos auf die Einsteigluke zu, den Dornendolch in der Hand, angespannt auf die unbekannten Gefahren vor sich achtend.
26. Zu seiner Erleichterung war die Einsteigluke geöffnet und die Leiter auf die Metallplattform herabgelassen. In einem Augenblick war er die Stufen oben über das herabgelassene Ventil und auf dem langen, engen Deck innen, unter der Wölbung der Hülle, wo er eine Sekunde später Adam Ulnar Auge in Auge gegenüberstand. Bei ihrem Auseinandergehen vor Monaten auf dem Grund der gelben See schien Adam Ulnar ein geschlagener Mann, zerrüttet und zermalmt durch die Entdeckung, daß er und seine Sache von den Medusen verraten worden war, gebrochen von der Erkenntnis, daß er unwissend die Menschheit verraten hatte. Jetzt war er ganz anders. Immer noch eine große, eindrucksvolle Erscheinung, stand er hochaufgerichtet, zuversichtlich und kühl entschlossen. Frisch rasiert, das lange, glänzend weiße Haar gekämmt, sauber in Legionsuniform gekleidet, begegnete er John Star mit einem herzlichen Lächeln überraschten Willkommens auf seinem ansehnlichen Gesicht. „Aber wie kommt das, John? Du überraschst mich. Obwohl ich gehofft hatte...“ Er ging auf John Star zu und streckte seine wohlgepflegte Hand zum Gruß aus. John Star sprang vor, um ihm zu begegnen, und bedrohte seine Kehle mit dem gezogenen Dornendolch. „Still!“ flüsterte er rauh. „Keinen Ton!“ Er fühlte den Kontrast zwischen ihnen. Er wußte, daß er eine seltsame Figur abgab; grimmig, sonnenverbrannt, hager von der Erschöpfung, halbnackt. Mit zottigem Kopf und viele Monate altem Bartwuchs müßte er mehr einem Tier als einem Menschen ähnlich sehen. Ein ungeschlachtes Tier, das einem gepflegten, selbstbewußten, mächtigen Mann gegenüberstand. „Adam Ulnar“, stieß er wild hervor, „ich bin im Begriff, Sie zu töten. Ich denke, daß Sie den Tod verdienen. Haben Sie etwas zu sagen?“ „John!“ protestierte der andere mit aller Überredungskraft in seiner Stimme. „Du mißverstehst mich. Ich bin wirklich erfreut, daß du gekommen bist. Mein unglücklicher Neffe sagte mir vor einer Weile, daß du hier gewesen bist und in den Abflußkanälen ertrunken seist. Aber da ich dich und deine Gefährten kenne, konnte ich kaum glauben, daß ihr alle umgekommen seid. Ich hoffte immer noch, dir irgendwie behilflich sein zu können.“ „Behilflich sein“, echote John Star rauh, immer noch seine Kehle mit dem Dolch bedrohend. „Behilflich sein. Wo Sie die Verantwortung tragen für all das, was geschehen ist.“ „Ich wünsche nichts Sehnlicheres, mein Junge, als dir zu helfen, denn ich bin mir meiner eigenen Verantwortlichkeit bewußt. Zwar haben wir beide verschiedene politische Ansichten, aber ich hatte doch niemals die Absicht, den Medusen zu helfen, unsere Planeten zu kolonisieren. Ich habe jetzt nichts anderes im Sinn, als das wiedergutzumachen, was ich getan habe.“ „Was soll das heißen?“ fragte John Star mit einer unangenehmen Furcht, daß diese glatte, betörende Stimme sein Vertrauen gewinnen könnte, um es wiederum zu verraten. Adam Ulnar machte eine Bewegung, die das ganze Schiff umfaßte. „Ich habe schon etwas getan. Das wirst du zugeben müssen. Ich ließ den Kreuzer heben und reparieren, in der Hoffnung, daß er AKKA zum System zurückbringen könnte, rechtzeitig genug, um den totalen Untergang abzuwehren.“ „Aber die Medusen haben ihn gehoben.“ „Natürlich. Sie hatten mich betrogen; jetzt war ich an der Reihe — wenn ich es tun konnte. Also setzte ich mich mit ihnen in Verbindung und bat sie, mich ihnen anschließen zu dürfen. Ich erklärte mich bereit, ihnen mit meinen militärischen Kenntnissen bei der Eroberung des Systems zu helfen. Und ich bat sie, den ,Purpurnen Traum’ zu heben und ihn zu meiner Benutzung wiederherzustellen. Sie hoben den Kreuzer und reparierten ihn, aber ich befürchte, sie haben keine sehr hohe Meinung von der Menschheit. Sie scheinen mir nicht so sehr zu vertrauen, wie wir Purpurnen
ihnen vertrauten. Der schwarze Flieger da draußen steht Tag und Nacht als Wache über mir. Du weißt, was für eine Bewaffnung er hat — diese Kanonen, die atomare Wirbel abfeuern.“ „Haben Sie Eric gesehen?“ fragte John Star voller Verdacht. „Ist er bei Ihnen?“ „Nein, John. Er ist jetzt nicht mehr bei mir. Er erzählte mir, wie die Medusen ihn dazu gebracht hätten, alles zu tun, um das Mädchen zur Herausgabe des Geheimnisses zu zwingen. Er erzählte mir alles über eure Ankunft und eure Flucht. Und er sagte mir, daß er zurückging, um die Medusen zu warnen — er dachte nicht, daß ihr eine Chance haben würdet, wegzukommen. Und er hoffte, sich damit ihre Gunst zu, verdienen.“ „Dieses feige Biest!“ murmelte John Star. „Wo ist er?“ Adam Ulnar nickte, ein Schatten des Schmerzes überflog sein Gesicht. „Ja, das war er, John, ein Feigling, auch wenn sein Name Ulnar war. Ein erbärmlicher Feigling. Er machte das erste wahnsinnige Bündnis mit den Medusen, weil er ein Feigling war, weil er Angst hatte, meinen eigenen Plänen für die Revolution zu vertrauen. Dann wußte ich, John, daß ich einen Fehler begangen hatte. Ich wußte, daß du der Kaiser hättest werden sollen, und nicht Eric. Selbst damals wäre es noch nicht zu spät gewesen, wenn du bereit gewesen wärst, die Aufgabe zu übernehmen.“ „Aber ich war. nicht bereit.“ „Nein, du warst es nicht. Und vielleicht hattest du recht, John. Ich verliere meinen Glauben an die Aristokratie. Unsere Familie ist alt, John, unser Blut ist das beste im System. Aber Eric war ein feiger Narr. Und die drei Mann mit dir, gewöhnliche Soldaten der Legion, haben gezeigt, daß sie aus besserem Material sind. Es war nicht leicht für mich, meine Ansicht zu wechseln, John, aber ich hatte Zeit zum Nachdenken, unter der gelben See. Und ich habe mich geändert. Von jetzt an werde ich die Grüne Halle unterstützen.“ „Ja?“ John Stars Stimme war hart und skeptisch. „Aber beantworten Sie meine Frage. Wo ist Eric? Ihr beide...“ „Eric wird die Menschheit nicht noch einmal verraten, John.“ Seine Stimme war schmerzerfüllt. „Als ich hörte, wie er die Medusen euch nachgeschickt hatte, als ihr auf der Flucht wart — habe ich ihn erschlagen.“ Er fuhr zusammen. „Wenn er auch aus meinem eigenen Blute war — ich habe ihn erschlagen. Ich brach ihm das Genick mit meinen eigenen Händen.“ „Sie haben Eric erschlagen?“ John Star flüsterte die Worte sehr langsam. Seine hohlen Augen durchforschten gespannt Adam Ulnars Gesicht, das jetzt ernst vor Schmerz war. „Ja, John. Und mit ihm habe ich ein Teil meiner selbst getötet, denn ich liebte ihn. Jetzt bist du der Erbe der Purpurnen Halle.“ „Warten Sie!“ stieß John Star wild hervor und faßte den Dolch fester, während er das finstere, schmerzüberschattete Gesicht durchforschte. „Wie du willst, John.“ Mit einem seltsamen, schwachen Lächeln verschränkte Adam Ulnar die Arme, ging zur Wand zurück und stand da, John beobachtend. „Ich will dir vertrauen, Adam!“ sagte John Star und bemühte sich, einen letzten, zögernden Zweifel zu unterdrücken. Er fügte schnell hinzu: „Wir müssen Aladoree und die anderen holen. Sie sind unten am Fluß, ohne Schutz vor der Kälte, ohne richtige Waffen. Sie würden bald sterben in dieser Nacht.“ „Jetzt wegzukommen, wo der schwarze Flieger uns bewacht“, protestierte Adam Ulnar, „würde Selbstmord bedeuten. Wir müssen eine Gelegenheit abwarten...“ „Wir können nicht warten!“ Er war schroff vor Verzweiflung. „Wir haben das Protonengeschütz. Wenn wir sie überraschend nehmen würden...“ Adam Ulnar schüttelte den Kopf. „Sie haben die Nadel ausgebaut, John, und vernichtet. Der Kreuzer ist unbewaffnet. Sie haben selbst die Überreste der Handwaffen mitgenommen. Dein Dorn ist die einzige Waffe, die wir
gegen die Sonnen haben, die sie werfen.“ John Star biß die Zähne zusammen. „Es gibt einen Weg“, murmelte er grimmig. „Einen Weg, so schnell wegzukommen, daß sie sehr wenig Zeit haben würden, um zuzuschlagen.“ „Wie meinst du das?“ „Wir werden die Geodynen nehmen“, sagte John Star rauh. „Ich bin Pilot. Kannst du die Generatoren bedienen?“ Adam Ulnar blickte ihn einen Moment befremdet an, dann lächelte er, nahm John Stars Hand und drückte sie schnell und kräftig. „Also gut, John. Ich kann die Generatoren in Gang bringen. Wir starten mit den Geodynen... Ich wollte, du wärst mein Neffe!“
27. Der „Purpurne Traum“ stieß in die Freiheit des Raumes hinauf, wo sich seine rotglühende Hülle abkühlen konnte. Der Planet fiel hinter ihnen zurück, ein riesiger, eintöniger Halbmond aus trübem und häßlichem Orangerot. Von diesem Halbmond her folgte der Schwärm der Spinnenschiffe. Der rücksichtslose, plötzliche Start des Kreuzers hatte sie so weit hinter sich gelassen, daß sie ihre furchtbaren Waffen nicht sofort einsetzen konnten. Aber schnell schlössen sie die Lücke. Vor ihnen war der Gefahrengürtel. Ein unheilvolles Spinnengewebe aus unsichtbaren Strahlen ging von den sechs sich einander folgenden Festungen im Raum aus; das mächtige Geheimnis einer älteren Wissenschaft, die Schreckenszone unbekannter Strahlungen, die molekulare Verbindungen abbaute und festes Metall und gequältes menschliches Fleisch sich in den Nebel freier Atome auflösen ließ. Sich an Adam Ulnars Auskunft erinnernd, daß die Strahlung über den Polen schwächer sei, richtete John Star seinen Kurs nordwärts. Er trieb den Kreuzer mit der äußersten Kraft der Geodynen. Es war ihm schon unbehaglich zumute aus Angst vor der Barriere. Und es wurde ihm übel bei dem Gedanken, was Aladoree darin leiden müßte. Aber es gab keine andere Wahl. Der „Purpurne Traum“ tauchte in die Wand der unsichtbaren Strahlung hinein. John Star war allein auf der Brücke. Atom um Atom lösten sich das Schiff und sein Körper auf. Seiner Sinne fast nicht mehr mächtig, kämpfte er, um bei Bewußtsein zu bleiben, um den rasenden Kreuzer innerhalb des engen Durchganges der teilweisen Welleninterferenz über dem Pol zu halten. Sein halb transparent gewordener Körper leuchtete. Und er fühlte sich so kraftlos, daß er kaum noch die Schalthebel bewegen konnte. Jede Zelle seines Gehirns brannte in roten Flammen. Ein Teil von ihm wurde plötzlich von einem seltsam rauhen und wilden Lachen erschüttert. Wie von rasenden Fäusten gepackt, schüttelte es ihn, und mit einem furchtbaren Schrecken wurde ihm gewahr, daß der, der gelacht hatte, er selbst war. Schließlich wußte er, daß sie über die Schranke hinaus waren. Der rote Schmerz wich von ihm, das unirdische Leuchten verschwand von den Instrumenten, und das tanzende Regenbogengeglitzer zerstreute sich langsam in der Luft. Aber er schluchzte immer noch vor Lachen. Endlich kam Jay Kalam auf die Brücke. Hager und schmerzverzerrt, aber ruhig und besonnen. Seit sie die Schranke durchflogen hatten, hatte er sich bereits rasiert und eine neue Uniform gefunden. Er war wieder sauber, Schlank und braun, mit der ernsten Miene, die ihn nie verließ, stand er vor John Star.
„Gut gemacht, John“, sagte er ruhig. „Ich werde die Brücke eine Weile übernehmen. Ich habe gerade mit dem Kommandeur über unsere Chancen gesprochen, wie wir der Flotte hinter uns entrinnen können. Er sagt...“ John Star hatte sich verzweifelt bemüht, zuzuhören, zu schweigen und zu verstehen, was Jay Kalam sagte. Aber der Witz — er war ja so schrecklich lustig. Er verfiel wieder in ein wahnsinniges Gelächter, ein wilder Ausbruch von Gelächter, der ihn lang auf den Boden hinstreckte. Er mußte versuchen, Jay Kalam von dem Witz zu erzählen. Jay würde ihn zu schätzen wissen, denn sehr bald würde er auch lachen, wenn sein eigener Körper zum grünen Verfall kommen würde. Aber durch das quälende Lachen konnte er überhaupt nicht sprechen. „John!“ hörte er Jay Kalam entsetzt aufschreien. „Was ist los? Bist du — von Sinnen!“ Jay Kalam half ihm auf die Füße und hielt ihn fest, bis er aufhören und die Tränen aus den Augen schütteln konnte. „Ein Witz“, stöhnte er, „ein ungeheuerlicher Witz! Die Menschheit lacht, wenn sie stirbt!“ „John, John!“ Die ernste Stimme war schwach vor unaussprechlichem Schrecken. „John, was ist das?“ Er bemühte sich, den Witz zu vergessen. Es gab noch etwas anderes, was er Jay zu erzählen hatte, etwas- anderes, was nicht ganz so heiter war. Er hielt einen weiteren Anfall schluchzenden Gelächters auf. „Jay!“ flüsterte er. „Ich bin dabei, verrückt zu werden. Es ist das rote Gas. Ich kann es auf meiner Haut fühlen. Ich kann nicht aufhören zu lachen — obwohl ich weiß, daß es ganz und gar nicht zum Lachen ist. Du mußt die Steuerung übernehmen. Und sage Hai, daß er mich in der Zelle einsperren soll...“ „Aber warum denn, John?“ „Bitte, sperre mich ein. Ich könnte — ich könnte sogar Aladoree etwas antun... Und fliegt weiter, um das System zu retten.“ Das Lachen kam zurück; er klammerte sich an Jay Kalam und brachte schluchzend hervor: „Warte mal, Jay. Laß mich dir den Witz erzählen. Der ist so ungeheuer lustig. Millionen Menschen lachen, während sie sterben. Kleine Kinder selbst lachen, während ihr Fleisch zerfällt. Das ist der größte Witz, den es gibt, Jay. Ein kosmischer Witz auf das ganze Menschengeschlecht.“ Das Lachen überkam ihn. Sich krampfhaft schüttelnd, fiel er zu Boden. Als sie in den Saum des Sonnensystems eintraten, an Pluto und Neptun vorbei, war John Star wieder in der Lage, auf die Brücke zurückzukehren. Sie sahen im Teleperiskop, daß alle vertrauten Planeten eine schreckliche rote Färbung hatten. Selbst die Erde war ein trüber Funken von finsterem Karminrot. „Rot!“ stieß Jay Kalam hervor, seine Stimme war von Schrecken gezeichnet. „Die Luft eines jeden Planeten ist voll von dem roten Gas. Ich befürchte, wir kommen zu spät, John.“ „Selbst wenn wir nicht zu spät kommen“, sagte John Star mit bitterer Stimme, „Aladoree geht es immer noch nicht besser.“ „Immerhin, wir werden auf der Erde landen, ein Stück Eisen finden, und warten. Vielleicht wird sie erwachen — bevor der letzte Mensch tot ist.“ „Vielleicht. Obwohl ihr Puls — Giles sagt...“ Er brach ab und murmelte verzweifelt: „Aber sie kann nicht sterben, Jay, sie darf nicht.“
28. Der „Purpurne Traum“ ging über dem westlichen Nordamerika nieder, um schließlich bei der Grünen Halle zu landen, auf der braunen Hochebene unter den meilenhohen, zerklüfteten
Sandias. John Star erbot sich freiwillig, den Kreuzer zu verlassen, um Eisen zu suchen. Es war keines an Bord, als das Schiff damals in ihren Besitz gelangte. Raumschiffe sind unmagnetisch, da ja magnetische Felder mit der Tätigkeit der Geodynen interferrieren; und die Medusen hatten die wenigen Stückchen kostbaren Eisens von den Instrumenten entfernt, als sie das Schiff wieder ausrüsteten. „Nimm das“, sagte ihm Jay Kalam und gab ihm seinen alten Dornendolch. „Und sei vorsichtig, wenn du Menschen triffst. Sie können wahnsinnig sein und deshalb gefährlich... Und beeile dich! Wir müssen Eisen haben und irgendwohin verschwinden, bevor das schwarze Schiff kommt. Wir müssen uns verstecken und warten, bis Aladoree aufwacht.“ Als er aus der Einsteigluke gesprungen war, hielt John Star inne und starrte mit Schrecken auf das, was von der stolzen und glänzenden Hauptstadt des Systems übriggeblieben war. Der Himmel war von einem scharlachroten Nebel bewölkt, durch den die Nachmittagssonne glutrot, mit einer bösen Helligkeit brannte. Kahle Ebenen und rauhe Gebirge sahen in der schrecklichen Beleuchtung seltsam grimmig und unglaublich verwüstet aus. Die Grüne Halle war durch eine große Bombe vom Mond zerstört worden. Am Rand der Grundstücke, wo einstmals weite, einladende Rasenflächen sich erstreckten, gähnte ein zerklüfteter Krater, der von zerrissenen, rauhen Felsblöcken eingerahmt war. Hinter der Grube lag das Gebäude, eine kolossale Ruine, ein Berg von zertrümmertem, grünem Glas, aus welchem skelettartige Arme von verbogenem, rostigem Stahl hervorstanden. Er wartete einen Moment, starr vor Schrecken. Dann erinnerte er sich der dringenden Not, der Eile, die geboten war, und stürzte vorwärts durch üppig wachsendes Unkraut, durch die nackten Skelette von Bäumen, die das flüssige Gas abgetötet haben mußte, über abgestorbene Rasen, die mit Steinbrocken und Scherben von grünem Glas übersät waren. Bald hatte er Grund zu der Überlegung, wie schwer es ist, nur einen armseligen Nagel zu finden, wenn man ihn braucht. Er fand verschiedene Metallgegenstände, einen bronzenen Lampenständer, eine kleine, aus Blei gegossene Figur, den verbogenen und halbzerschmolzenen Aluminiumrahmen eines zerstörten Flugzeuges. Selbst einen großen Eisenträger, der von dem Gebäude hierhergeschleudert worden, aber viel zu schwer war, um ihn tragen zu können. Er eilte voll Verzweiflung weiter. Er durchsuchte die verwüstete Erde nach jedem kleinen Eisenstückchen, das klein genug war, um es tragen zu können. Gelegentlich warf er einen angstvollen Blick zu dem trüben Himmel. Wenn die Medusen sie gesehen hatten, wenn das schwarze Schiff kam, um sie anzugreifen... Er stolperte um einen großen Haufen zerbrochenen grünen Glases herum — und stand dem grünen Schrecken gegenüber. Es war einst ein Mensch gewesen, ein riesiger Mann. Er mußte die Tage des Schreckens nur durch seine brutale Kraft überlebt haben. Sein Körper war halb nackt, halb in zerrissene, schmutzige Fetzen einer Legionsuniform gekleidet, der Uniform der Garde der Grünen Halle. Seine Haut war eine Masse von blutenden Wunden, verschorft und schrecklich verkrustet von harten, grünen Schuppen. Grausige, rotgeränderte Augen, grün umschattet, stierten halbblind aus dem schrecklichen Gesicht. Lippen hatte er keine mehr. Mit nackten Fängen nagte er gierig an einem frischen, roten Knochen, der, wie John Star erschaudernd an seiner Form feststellte, ein menschlicher Schulterknochen war. Der Anblick dieses Menschenviehs, das da kroch, nagte und knurrte, erfüllte ihn mit Grausen und Mitleid, denn es bedeutete weit mehr als das Schicksal eines Mannes. Es faßte den Untergang der ganzen Menschheit zusammen, den Untergang durch die Invasion einer älteren und fähigeren Rasse — einer klugen, leistungsfähigen Rasse, die jetzt in der entscheidenden Prüfung bewies, daß sie zum Weiterleben besser ausgerüstet war. Unfreiwillig hatte er beim Anblick dieses grünen Biestes aufgeschrien. Dann, die Gefahr erkennend, versuchte er, davonzuschleichen. Aber es hatte ihn bereits bemerkt. Es brachte
einen merkwürdigen, halbvokalen, fragenden Laut hervor — heiser und seltsam rauh, denn seine Stimmbänder waren anscheinend schon zu sehr zerfallen, um noch artikulieren zu können —. Die rotgeränderten, tiefliegenden Augen stierten grauenerregend — und erblickten ihn. Es kam auf ihn zu, polternd, wacklig, bestialisch. „Zurück!“ schrie John gebieterisch, seine Stimme durch die Panik angespannt. Die Wirkung seines scharfen Kommandos war sonderbar. Denn dieses wackelnde Etwas hatte sich plötzlich zu militärischer Haltung gestrafft und stand kerzengerade. Steif erhob es eine schauerliche, grünüberkrustete Pfote zum Gruß. Aber das war nicht mehr als eine mechanische Reaktion, die von seinem vergessenen Menschendasein übriggeblieben war. Es fiel gleich wieder in die gebückte Haltung zurück und polterte auf ihn zu. „Achtung!“ schrie John wieder. „Halt!“ Einen Moment hielt es inne, und dann kam es schneller vorwärts. Formlose, protestierende Laute sprudelten aus seinem lippenlosen Maul hervor; John Star stand, schwach vor Grauen, und versuchte, seine Schreie zu verstehen, bis es ein plötzliches, gieriges, tierisches Quäken hervorstieß und in einen kriechenden, stolpernden Lauf verfiel. Dann wußte er, daß es nach ihm als Nahrung jagte. Schnell blickte er sich nach einem Fluchtweg um, wurde sich aber mit größter Besorgnis klar, daß es ihm eine Falle gestellt hatte. Seine tierische List war noch nicht vergangen, Berge von zerbrochenem, grünem Glas hielten ihn auf. Er mußte ihm gegenübertreten. Er hatte zwar den schwarzen Dorn. Aber er wußte, daß er nicht mehr die Kräfte hatte wie in der Zeit vor deiner langen Krankheit. Und dieses gierige, quäkende Vieh war gut zweimal so schwer wie er. Der grüne Verfall hatte anscheinend seine Stärke noch nicht sehr mitgenommen. Als sie sich zum Zweikampf gegenüberstanden, hoffte er, daß die Griffe, die er in der Legionsakademie gelernt hatte, seine Nachteile aufheben würden. Aber als eine hornige, grünschuppige Pfote sein Handgelenk, das den Dolch umfaßte, mit einem schlauen, grausamen Griff packte, wußte er, daß dies auch einmal ein Legionär gewesen war. Sein zerfressenes Gehirn hatte noch nicht vergessen, wie man kämpft. Der Dolch fiel ihm aus der gelähmten Hand. Faulige; grüne Arme umschlangen ihn in einer zerdrückenden Umarmung. Dann versuchte es einen seiner eigenen alten Tricks. Ein Knie in seinen Rücken, das andere über seine Schenkel gelegt und seine Schultern gedreht und gedreht, bis sein Rückgrat zerbrechen würde. Er kämpfte vergebens in dem erbarmungslosen Griff, blind vor Schmerz und Ekel. Die harten, grünen Schuppen rieben rauh gegen seinen Körper; der Gestank der Zersetzung bereitete ihm Übelkeit. Seine Anstrengungen mißlangen, und er fühlte eine nahende Ohnmacht. Nackte Fänge schlugen sich in seine Schulter; das Biest stieß ein wildes Geheul hervor. Es war hungrig. Die wilde Verzweiflung brachte seine alte, kühle Fassung zurück. Durch den Nebel der furchtbaren Schmerzen stellte er sich selbst vor, wie er früher auf der Akademie war. Er roch den Geruch von Leder, Alkohol zum Einreihen und fadem Schweiß. Er hörte die langweilige, nasale Stimme eines Ausbilders: „Drehen Sie Ihren Körper, so; treiben Sie Ihren Ellbogen in den Plexus, so; stecken Sie den Arm hindurch, so; dann umschließen Sie mit Ihrem Bein und drehen Sie!“ Er tat es, wie die trockene, alte Stimme in seinem Gedächtnis flüsterte, kaum gewahr werdend, wo er war. Nur wissend, daß der quälende Schmerz aufhören würde, wenn er es getan hätte, und daß er dann frei sein würde, um einen Nagel zu suchen. Schnapp! Er erhob sich langsam neben der zuckenden Masse grünlichen Verfalls. Er stolperte wieder weiter durch die zerschlagenen Ruinen der Grünen Halle und durchsuchte die aufgewühlte Erde. Er mußte sich beeilen! Wenn der schwarze Flieger käme... Es war ein Kinderspielzeug, was seinen Blick auf sich lenkte. Eine zerbrochene, rostige kleine Zugmaschine, die nicht mehr ihre winzige Last ziehen konnte — die aber das ganze Sonnensystem retten könnte.
Er zog die Welle aus ihr heraus, vergewisserte sich, daß es gutes, blankes Eisen war, und eilte zurück auf den Kreuzer zu. Über einen Haufen aus zerbrochenem, grünem Glas stolpernd, blickte er auf und sah das schwarze Spinnenschiff. Es glitt schräg über den roten, nebligen Himmel herab und war bereits sehr nahe. In einem verbissenen Lauf stürzte er vorwärts, bis er den „Purpurnen Traum“ zu sehen bekam. Ein winziges, torpedoähnliches Gebilde aus Silber, ein Zwerg im Schatten der riesigen, mit schwarzen Armen besetzten Maschine, die mit heißen, grünen Raketenstößen auf die dunklen Sandias herabtauchte. Er hatte hinter dem gähnenden Krater immer noch eine Viertelmeile vor sich. Hoffnungslos taumelte er weiter. Er fühlte die Nadelstiche der Erschöpfung in seinem Herzen. Der Kreuzer war unbewaffnet; die Waffen in dem schwarzen Schiff konnten ihn in einem Augenblick vernichten. Verwundert sah er beim Laufen, daß eine kleine Gruppe auf dem herabgelassenen Ventil der Einstiegluke erschien und die Leiter hinabeilte. Er erkannte Jay Kalam, Hal Samdu und Giles Habibula, die die bewegungslose Aladoree trugen. Das Ventil schloß sich hinter ihnen; Adam Ulnar war nicht erschienen. Sie liefen von dem Kreuzer weg. Anscheinend war er dabei, mit Adam Ulnar am Steuer aufzusteigen. Aber warum? Immer noch verzweifelt vorwärtslaufend, erinnerte sich John Star an seinen alten Zweifel. Hatte es sich sein berühmter Verwandter wieder anders überlegt? John Star konnte das kaum glauben. Adam Ulnar schien aufrichtig zu sein. Aber... Dann bewegte sich der „Purpurne Traum“. Er stieß in dem schnellsten Start, den er jemals gesehen hatte, in die Höhe. Er schoß so schnell hinweg, daß seine Augen ihn verloren. Er erblickte ihn wieder, als er auf den Spinnenflieger zublitzte, seine Hülle war bereits glühend rot. Und ehe er sich gewahr wurde, daß er nicht von den verhältnismäßig schwachen Raketen angetrieben wurde, sondern von der schrecklichen Gewalt der Geodynen, schlug er schon mit einem Ausbruch blendenden Lichts in die runde, schwarze Hülle des feindlichen Schiffes. Brennend fiel das schwarze Invasionsschiff mit einer merkwürdigen Bedachtsamkeit aus dem roten Himmel heraus. Es schlug auf die dürren Abhänge der Sandias auf und rollte hinab, wobei es immer noch wie eine schwarze, ungeheuerliche Spinne im langsamen Todeskampf aussah. John Stars alter, plagender Zweifel war beseitigt. „Du bist der letzte Ulnar!“ begrüßte ihn Jay Kalam mit einem feierlichen Respekt, als er auf die einsame, kleine Gruppe am Rand der Ebene zukam. „Adam Ulnar sagte, er würde versuchen, eine Schuld zu begleichen. Und er bat mich noch, dir zu sagen, er hoffe, daß du in der Purpurnen Halle glücklich wirst.“ John Star beugte sich über das ohnmächtige, bleiche Mädchen auf der Erde und flüsterte besorgt: „Aladoree! Wie geht es dir?“ „Ach ja, Junge“, keuchte Giles Habibula schmerzlich bewegt und legte ihr ein Kissen unter den Kopf. „Es scheint nicht besser geworden zu sein, immer noch nicht besser! Es ist die gleiche Trance, in der sie sich schon wochenlang befindet. Sie wird vielleicht niemals mehr aufwachen. Ach, das arme Mädchen...“ Er wischte eine Träne aus seinen Fischaugen. Unter einem kleinen Dach, das sie aus den Zweigen eines zerstörten Baumes gebaut hatten, versuchten sie, es ihr bequem zu machen. Sie fanden grobe Keulen, um sie zu verteidigen, wenn die grünen Biester sie finden sollten. Hal Samdu und Giles Habibula gingen auf die Suche nach Nahrung und Wasser; sie kehrten in dem trüben und düsteren Sonnenuntergang mit leeren Händen zurück. Giles jammerte: „Hier sind wir in einer furchtbaren Wüste rettungslos verloren. Alles tot und voll Ruinen, ohne Essen und Trinken für uns und das Mädchen! Und fürchterliche, knurrende Kreaturen schleichen um uns herum und jagen nach Menschenfleisch. Ach ja, das ist eine elende Zeit.“
Der Mond trat aus scharlachrotem Nebel hervor, ein riesiger, blutroter Ball über den zerklüfteten Zinnen der dunklen Sandias. Und sie sahen gegen sein pockiges und düsteres Gesicht eine kleine Traube von winzigen, schwarzen Flecken, die herumkrochen, größer wurden, sich ausdehnten. Ein Schwärm von schwarzen Insekten, der ständig und schnell größer wurde.
29. „Sie muß jetzt wach werden“, flüsterte John Star, „oder sie wird es niemals.“ „Ich befürchte es“, stimmte Jay Kalam bei. „Ich stelle mir vor, sie werden die ganze Ebene mit ihren atomaren Sonnen eindecken. Um sicher zu sein, daß wir sie nicht mehr länger ärgern werden.“ „Sie muß wach werden,“ murmelte John Star wieder. Mit einer Art wilder Zärtlichkeit hob er Aladoree hoch. Ihr Körper lag schlaff in seinen Armen. Ihre Augen waren geschlossen, ihre bleichen, vollen Lippen öffneten sich ein wenig. Er konnte kaum ihren Puls fühlen; ihr Atem ging sehr langsam. Tief, tief war sie in der Ohnmacht versunken, in der sie schon so lange lag. Nein, nein! Sie mußte erwachen. Und ihr Geheimnis anwenden und die Waffe bauen. Und die Drohung von jenem roten Mond vernichten. Er mußte sie erwecken, so daß sie für immer ihm gehören konnte. Unbewußt hatte er es ihr zugeflüstert. Und jetzt sprach er lauter, in einem verzweifelten Flehen. Er rief sie an und versuchte ohne große Hoffnung, durch ihre Ohnmacht zu schreien, damit sie aufwache und die verzweifelte Lage erkenne, in der sie sich befanden. „Aladoree! Aladoree! Du mußt aufwachen. Du mußt. Du mußt! Die Medusen kommen, Aladoree, um uns mit den Atomsonnen zu vernichten. Du mußt aufwachen, Aladoree! Du mußt retten, was von dem System übriggeblieben ist! Du darfst nicht sterben, Aladoree. Du darfst nicht, weil ich dich liebe!“ , Er glaubte immer noch, daß dieser Anruf bis zu ihrem schlafenden Verstand dringen könnte. Vielleicht tat er es. Oder vielleicht, wie ein Mediziner angenommen hat, war es die aufreizende Wirkung des roten Gases, das sie wieder zur Besinnung brachte. Das ist auch nicht weiter von Bedeutung; Wichtig ist nur, daß sie wieder zu sich kam. Sie nieste ein wenig und flüsterte schläfrig: „Ja, John, ich liebe dich.“ In seiner freudigen Erregung über ihre Antwort ließ er sie fast fallen; letzt wurde sie ganz wach und blickte in Verwirrung und Bestürzung über die seltsame Umgebung um sich. „Wo sind wir, John?“ flüsterte sie. „Doch nicht — auf jenem Planeten... ?“ Sie blickte voll Schrecken auf den roten Mond in dem rotgebadeten Himmel. „Nein, wir sind auf der Erde. Kannst du die Waffe schnell fertigstellen, bevor die Medusen kommen? Wir haben die Teile mitgebracht, die du an dem Fluß zusammengebaut hast.“ Sie stand auf, schaute wie betäubt um sich herum und hielt sich unsicher an John Stars Arm fest. „Kann das die Erde sein, John, unter diesem schrecklichen Himmel? Und das der Mond?“ „Sie ist es. Und diese schwarzen Flecken sind die Spinnenschiffe der Medusen, die herabkommen, um uns zu töten.“ Jay Kalam eilte auf sie zu mit dem kleinen, halbfertigen Gerät, das Aladoree auf dem anderen Planeten gebaut hatte und das, weil ein kleines Stückchen Eisen fehlte, nutzlos war. „Kannst du es jetzt fertigstellen?“ fragte er, immer noch ruhig und ernst. „Schnell, bevor sie kommen?“ „Ja, Jay“, sagte sie, gleichfalls ruhig, und schien sich von ihrer ersten Bestürzung erholt zu haben. „Wenn wir ein Stückchen Eisen finden körnen.“ John Star zeigte ihr die zerbrochene
Welle des Spielzeuges. Sie nahm sie mit begierigen Fingern und untersuchte sie flüchtig. „Ja, John, das wird genügen.“ Aladoree war mit der Waffe beschäftigt. Es war ein winziges Ding. Es sah sehr einfach, sehr grob und völlig nutzlos aus. Seine Teile waren auf einem schmalen Stück Holz befestigt, das auf einem plumpen Dreifuß montiert war, so daß man es drehen und damit zielen konnte. John Star sah es sich näher an, aber es gelang ihm ganz und gar nicht, daraus das Geheimnis zu ergründen. Er verwunderte sich über seine Einfachheit, er konnte nicht glauben, daß sich ein plumpes Ding jemals die schreckliche, uralte Weisheit der Medusen vernichten könne. Es waren zwei kleine Metallplatten mit Löchern, so daß man durch beide hindurchblicken konnte. Eine Drahtspirale dazwischen verband sie miteinander und mit der kleinen, eisernen Welle. Eine der Platten und die kleine Eisenwelle waren in Nuten verschiebbar angeordnet, so daß sie mit kleinen Schrauben gegeneinander verstellt werden konnten. Ein primitiver Schalter — vielleicht, um einen Strom durch die hintere Platte zu schließen, obwohl keine Stromquelle zu entdecken war. Das war alles. Aladoree nahm einige Einstellungen an den Schrauben vor. Dann beugte sie sich darüber und visierte durch die winzigen Löcher in den Platten den roten Mond mit den schwarzen Flecken der feindlichen Flotte an, die sich gegen ihn abhoben. Sie berührte den Schalter und straffte sich, um zu beobachten, mit einer stillen, erhabenen Heiterkeit auf ihrem ruhigen, bleichen Gesicht. John Star hatte unbestimmt irgendein besonderes Schauspiel mit dieser Maschine erwartet, vielleicht irgendeinen blendenden Strahl. Aber es war nichts. Nicht einmal ein Funke, als sie den Schalter umlegte. Soweit er sehen konnte, geschah überhaupt nichts. Einen Augenblick dachte er, daß er immer noch wahnsinnig sein müßte. Es war geradezu unmöglich, daß dieser plumpe, kleine Mechanismus — ein Ding, so klein und einfach, daß ein Kind es gemacht haben könnte — den Medusen schaden könne. Die erfolgreichen Sieger über unbekannte Planeten und unbekannte Zeitalter, was hatten sie zu fürchten? „Würde es nicht... ?“ flüsterte er angstvoll. „Warte!“ sagte Aladoree. Ihre Stimme war vollkommen ruhig, jetzt ohne Spur von Schwäche oder Erschöpfung. Wie ihr Gesicht brachte ihm diese Stimme etwas Seltsames zum Bewußtsein. Eine unbekannte Ruhe. Eine uninteressierte, leidenschaftslose Autorität. Eine Stimme voll Selbstvertrauen, ohne Furcht, ohne Haß. Es war wie die Stimme einer Göttin! Ungewollt trat er in Ehrfurcht einen Schritt zurück. Sie warteten, beobachteten die kleinen, schwarzen Flecken, die vor dem Gesicht des trüben Mondes schwärmten und anwuchsen. Fünf Sekunden vielleicht warteten sie. Und dann war die schwarze Flotte verschwunden. Es gab keine Explosion, weder Flammen noch Rauch, keine sichtbaren Trümmer. Die Flotte war einfach nicht mehr da. Sie waren alle etwas aufgeregt und atmeten tief auf vor Erleichterung. Aladoree begab sich wieder an das Gerät, um die Schrauben und den Schalter zu verstellen. „Wartet“, sagte sie noch einmal, ihre Stimme immer noch göttlich klar und ruhig, „In zwanzig Sekunden — der Mond...“ Sie blickte auf den roten, häßlichen Globus, der Erde seit Äonen verbunden, wenn auch jung vielleicht in den langen Zeitmaßstäben der Medusen. Jetzt die Basis ihrer Okkupationsstreitkräfte, die auf die Eroberung der Planeten warteten. Halb unbewußt zählte John Star die Sekunden und beobachtete die unheilverkündende rote Scheibe. „... achtzehn... neunzehn... zwanzig —“ Nicht war geschehen. Ein atemloser, herzzerreißender Augenblick des Zweifels. Dann wurde der rotleuchtende Himmel schwarz. Der Mond war nicht mehr. „Die Medusen“, flüsterte Jay Kalam, als ob er sich selbst des Unglaublichen versichern wolle,
„die Medusen sind weg.“ Ein langer Moment des Schweigens, und er flüsterte noch einmal: „Weg! Sie werden es nie mehr wagen — nie mehr!“ „Ich habe nichts gesehen!“ rief John Star atemlos aus. „Wie... ?“ „Sie wurden vernichtet“, sagte Aladoree merkwürdig ruhig. „Selbst der Stoff, aus dem sie bestehen, existiert nicht mehr in unserem System. Sie wurden aus allem hinausgeschleudert, was wir an Raum und Zeit kennen.“ „Aber wie... ?“ „Das ist mein Geheimnis. Ich kann es niemandem sagen — ausgenommen der erwählten Person, die es nach mir zu bewahren hat.“ Der „Grüne Verteidiger“, der neueste Kreuzer der Weltraumlegion, blitzte ein Jahr später auf die Purpurne Halle auf Phobos herab. Obwohl während des Bombardements der Medusen eine Bombe mit rotem Gas auf diesen winzigen Mond des Mars gefallen war, blieb das große Gebäude unbeschädigt. Die neutralisierende Lösung hatte alle geheilt, die von ihm vergiftet worden waren; es hatte sich zerstreut, in harmlose Salze gebunden, bis der dunkle Himmel der kleinen Welt von jedem roten Flecken frei war. Der Kreuzer ließ sich auf dem Landeplatz nieder, der den mittleren Purpurnen Turm krönte. Der neue Kommandeur der Legion kam langsam die Einsteigluke herab. John Star eilte freudig auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. Nach der Begrüßung machten sie eine Pause und blickten auf die üppige grüne Wölbung des winzigen Planeten, mit grimmigen Erinnerungen an die Zeit, die sie hier verbracht hatten, als sie den „Purpurnen Traum“ eroberten. „Keine Spur mehr zu sehen von der Invasion“, bemerkte Jay Kalam. „Nein, Commander“, antwortete John Star mit einem kleinen Lächeln bei dem Titel. „Nicht ein Fall von Wahnsinn ist im ganzen System ungeheilt geblieben, soviel ich weiß. Und das rote Gas ist vom Himmel verschwunden. Es gehört der Vergangenheit an.“ „Ein prachtvolles Grundstück, John!“ Mit Bewunderung überblickten Jay Kalams Augen die reiche, grüne, völlig gewölbte Landschaft. „Ich glaube, es ist das schönste im ganzen System.“ John Stars Stirn umwölkte sich. „Eine Verantwortung, die ich zu übernehmen hatte!“ Seine Stimme klang fast bitter. „Aber ich wünschte, ich wäre wieder in der Legion, Jay, mit Hal und Giles. Ich wollte, ich wäre wieder bei Aladorees Wache.“ Jay Kalam lächelte. „Du liebst sie sehr, John?“ Er nickte. „Ich liebte — liebe sie. Ich hoffte — bis zu jener Nacht, als sie AKKA in Tätigkeit setzte. Damals stellte ich fest, was für ein Narr ich war. Denn sie ist eine Göttin, Jay. Mit dem Geheimnis hat sie eine Macht — eine Verantwortung. Ich sah in jener Nacht, daß sie keine Zeit hatte — zur Liebe.“ Jay Kalam hatte immer noch ein ernstes Lächeln auf dem Gesicht. Bist du niemals gewahr geworden, John, daß sie nur ein Mädchen ist? Obgleich es interessant sein kann, einen Planeten zu zerstören. Aber sie tut das doch nicht jederzeit.“ „Natürlich“, gab John Star voll Verdruß zu. „Sie muß auch andere Interessen haben. Aber sie war... einfach eine Göttin! Ich konnte sie nicht fragen, damals. Und ich kann ja auch niemals der sein, den sie liebt.“ „Warum glaubst du das, John?“ „Aus einem einzigen Grund, mein Name ist Ulnar. Ich konnte sie nicht bitten, mir das zu verzeihen.“ „Aber der Name braucht dich doch nicht zu ärgern, John. Die Grüne Halle hat in Anerkennung deiner ausgezeichneten Dienste deinen Namen offiziell in John Star geändert. Das ist das eine, weshalb wir hierhergekommen sind.“ „Was?“ stöhnte er. Dann kam Aladoree durch die Schleuse, Hal Samdu und Giles Habibula hinter ihr. Das klare Sonnenlicht wirkte Wunder aus Rot und Braun und Gold in ihrem Haar. Mit ihren ernsten,
grauen Augen blickte sie in stummer Frage auf John Star. „Da ja die Purpurne Halle jetzt die stärkste Festung im System ist“, erklärte Jay Kalam hastig, „ersucht dich die Grüne Halle, die Verantwortung zu übernehmen und Aladoree Anthar zu bewachen.“ „Wenn du dazu bereit bist, John Ulnar“, fügte das Mädchen mit Augenzwinkern hinzu. Seine Kehle war trocken. In einem goldenen Nebel suchte er nach Worten und brachte sienur mit Anstrengung hervor: „Ich bin bereit. Aber mir scheint, daß mein Name doch jetzt John Star ist.“ Immer noch ernst, mit Ausnahme ihrer Augen, sagte sie: „Ich werde dich John Ulnar nennen.“ „Aber du hast doch gesagt...“ „Ich habe meine Ansicht geändert. Ich vertraue einem Ulnar. Mehr als das, ich Sie hatte es plötzlich sehr eilig, den Satz zu beenden.
Ende