Thomas Schubert Wahlkampf in Sachsen
Thomas Schubert
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Thomas Schubert Wahlkampf in Sachsen
Thomas Schubert
Wahlkampf in Sachsen Eine qualitative Längsschnittanalyse der Landtagswahlkämpfe 1990 –2004
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität Chemnitz, 2009
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Schindler | Verena Metzger VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18048-9
Meiner Familie
Danksagung Vorliegende Studie ist meine im Juni 2009 von der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Chemnitz angenommene, für die Drucklegung aktualisierte und leicht gekürzte Dissertation. Sie wäre ohne den ideellen und materiellen Beistand Vieler nicht zu realisieren gewesen. Mein herzlicher Dank gilt allen, die mich während der letzten Jahre auf meinem wissenschaftlichen und privaten Weg begleitet und unterstützt haben. An erster Stelle steht Prof. Dr. Eckhard Jesse, der meine Forschung mit „Zuckerbrot und Peitsche“ vorantrieb und auch in kritischen Phasen stets ermutigende Worte fand. Ihm danke ich für Rückhalt und Vertrauen. Ferner danke ich der Hanns-Seidel-Stiftung e.V., namentlich Herrn Prof. Hans-Peter Niedermeier, für die finanzielle und ideelle Förderung. Den Mitgliedern des Promotionskollegs „Extremismus und Parteien“ bin ich nicht nur für ihre fachlichen Anregungen verbunden. Weiterer Dank gebührt meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn). Aus den Reihen der Chemnitzer Politikwissenschaft standen mir Dr. Tom Thieme und Dr. Florian Hartleb stets mit Rat und Tat zur Seite. Herrn Dr. Ulrich Brümmer verdanke ich Inspiration und die Erweiterung meiner Quellenund Literaturbasis. Gedankt sei darüber hinaus den über 40 Gesprächs- und Interviewpartnern aus CDU, SPD und PDS für ihre Zeit, ihre Auskunftsbereitschaft und für die mir durch einige von ihnen direkt oder indirekt eröffneten Wege. Ebenso dankbar bin ich vielen Mitarbeitern der Landtagsfraktionen, Landesgeschäftsstellen, Parteiarchive und Bibliotheken, die mich oft unprätentiös bei meinen (mitunter weitreichenden) Rechercheanliegen unterstützt haben. Die größte Verbundenheit gilt meiner Familie: meinen Eltern Jutta und Reinhold Schubert, die mir auf meinen Lebens- und Bildungswegen jede Unterstützung zukommen ließen. Und natürlich Sabine Sieble, die in den vergangenen Jahren mit einer kraftspendenden Mischung aus Liebe, Geduld und Nachdruck alle Entbehrungen ertrug und unzählige Manuskriptseiten redigierte. Ihnen widme ich dieses Buch. Chemnitz, im November 2010
Thomas Schubert
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis .................................................................................................................9 Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................................15 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Einleitung .....................................................................................................17 Problemstellung .............................................................................................17 Landtagswahlkämpfe als Forschungsgegenstand ..........................................20 Methodik........................................................................................................28 Aufbau ...........................................................................................................30
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3
Parteien und Wähler in Ostdeutschland....................................................33 Parteiensystem – Angebotsseite des politischen Systems ..............................33 Begriffsklärungen ..........................................................................................33 Quantitative Spezifika des ostdeutschen Parteiensystems 1990-2004 ...........34 Qualitative Spezifika des ostdeutschen Parteiensystems 1990-2004 .............38 Wahlverhalten – Nachfrageseite des politischen Systems .............................42 Wahlrecht als Rahmenbedingung und Einflussfaktor ....................................42 Wahlverhalten als Rahmenbedingung und Einflussfaktor .............................43 Landtagswahlen unter dem Einfluss der Bundespolitik .................................50
3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.3.3 3.2.3.4 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.2.1 3.4.2.2
Säulenmodell des Wahlkampfes .................................................................53 Wahlkampfbegriff..........................................................................................53 Konzeptioneller Überbau ...............................................................................54 Wahlkampforganisation .................................................................................54 Wahlkampfstrategie .......................................................................................56 Generelle Ausprägung ...................................................................................56 Spezifische Ausprägung ................................................................................59 Wahlkampfkommunikation ...........................................................................64 Kommunikation als Mittel der Strategieumsetzung.......................................64 Medienkampagne ...........................................................................................65 Werbekampagne ............................................................................................66 Parteien- und Mobilisierungskampagne ........................................................67 Professionalisierungsstadien von Organisation und Kommunikation ...........68 Erste Säule: Imagekampagne .........................................................................70 Parteiimage ....................................................................................................70 Kandidatenimage ...........................................................................................71 Zweite Säule: Themenkampagne ...................................................................74 Allgemeine Themenkampagne ......................................................................74 Spezielle Themenkampagne ..........................................................................77 Wirtschaftspolitik als Wahlkampfthema........................................................77 Wirtschaftspolitische Konzeption ..................................................................79
2
3
10
Inhaltsverzeichnis
3.5 3.6
Dritte Säule: Konkurrenzkampagne ...............................................................88 Gesamtmodell ................................................................................................90
4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.5 4.5.1 4.5.2
Sächsischer Landtagswahlkampf 1990 ......................................................93 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl ...................................................93 Wahlkampf der CDU – Auf dem Weg zur Regierungspartei ........................97 Parteientwicklung bis zum Wahljahr .............................................................97 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................100 Imagekampagne ...........................................................................................103 Themenkampagne ........................................................................................107 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 111 Wahlkampf der SPD – Auf dem Weg in die Opposition .............................113 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................113 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................115 Imagekampagne ...........................................................................................118 Themenkampagne ........................................................................................121 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 125 Wahlkampf der PDS – Kampf ums Überleben ............................................127 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................127 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................129 Imagekampagne ...........................................................................................132 Themenkampagne ........................................................................................135 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 139 Wahlnachlese ...............................................................................................140 Wahlergebnis ...............................................................................................140 Entwicklung nach der Wahl .........................................................................143
5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5
Sächsischer Landtagswahlkampf 1994 ....................................................147 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl .................................................147 Wahlkampf der CDU – Kampf um die absolute Mehrheit ..........................152 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................152 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................155 Imagekampagne ...........................................................................................158 Themenkampagne ........................................................................................160 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 164 Wahlkampf der SPD – Kampf gegen die absolute Mehrheit .......................166 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................166 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................169 Imagekampagne ...........................................................................................171 Themenkampagne ........................................................................................174 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 178 Wahlkampf der PDS – Konsolidierung in der Opposition...........................180 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................180 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................183 Imagekampagne ...........................................................................................186 Themenkampagne ........................................................................................188 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 193
4
5
Inhaltsverzeichnis
11
5.5 5.5.1 5.5.2
Wahlnachlese ...............................................................................................194 Wahlergebnis ...............................................................................................194 Entwicklung nach der Wahl .........................................................................197
6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.5 6.5.1 6.5.2
Sächsischer Landtagswahlkampf 1999 ....................................................201 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl .................................................201 Wahlkampf der CDU – Neukrönung der Regierungspartei .........................206 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................206 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................208 Imagekampagne ...........................................................................................211 Themenkampagne ........................................................................................214 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 218 Wahlkampf der SPD – Deklassierung einer Volkspartei .............................220 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................220 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................222 Imagekampagne ...........................................................................................225 Themenkampagne ........................................................................................228 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 232 Wahlkampf der PDS – Aufstieg zur Oppositionsführerin ...........................234 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................234 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................236 Imagekampagne ...........................................................................................239 Themenkampagne ........................................................................................242 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 246 Wahlnachlese ...............................................................................................248 Wahlergebnis ...............................................................................................248 Entwicklung nach der Wahl .........................................................................251
7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4
Sächsischer Landtagswahlkampf 2004 ....................................................253 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl .................................................253 Wahlkampf der CDU – Ende der absoluten Mehrheit .................................258 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................258 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................260 Imagekampagne ...........................................................................................263 Themenkampagne ........................................................................................266 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 270 Wahlkampf der SPD – Gescheiterter Neuanfang ........................................272 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................272 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................275 Imagekampagne ...........................................................................................278 Themenkampagne ........................................................................................280 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 284 Wahlkampf der PDS – Zwischen Protest und Regierungsambition ............286 Parteientwicklung bis zum Wahljahr ...........................................................286 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................288 Imagekampagne ...........................................................................................291 Themenkampagne ........................................................................................294
6
7
12
Inhaltsverzeichnis
7.4.5 7.5 7.5.1 7.5.2
Konkurrenzkampagne .................................................................................. 299 Wahlnachlese ...............................................................................................300 Wahlergebnis ...............................................................................................300 Entwicklung nach der Wahl .........................................................................303
8.1 8.1.1 8.1.1.1 8.1.1.2 8.1.1.3 8.1.1.4 8.1.1.5 8.1.1.6 8.1.1.7 8.1.2 8.1.2.1 8.1.2.2 8.1.2.3 8.1.2.4 8.1.2.5 8.2 8.2.1 8.2.1.1 8.2.1.2 8.2.1.3 8.2.1.4 8.2.2 8.3 8.3.1 8.3.1.1 8.3.1.2 8.3.1.3 8.3.1.4 8.3.1.5 8.3.2 8.3.2.1 8.3.2.2 8.3.2.3 8.3.2.4 8.3.2.5 8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.4.4 8.4.5
Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe ..................................307 Konzeptioneller Rahmen .............................................................................307 Wahlkampforganisation ............................................................................... 307 Temporäre Wahlkampforganisationen.........................................................307 Rolle der Landtagsfraktionen und der Staatskanzlei ....................................310 Rolle der Bundesparteien ............................................................................. 312 Funktion der Direktkandidaten ....................................................................313 Funktion der Parteimitglieder ......................................................................315 Funktion externer Politikvermittlungsexperten ...........................................317 Wahlkampfphasen .......................................................................................318 Wahlkampfstrategie .....................................................................................319 Quantitative und qualitative Wahlkampfziele..............................................319 Kernstrategien ..............................................................................................321 Leitkampagne als zentrales Handlungsprogramm .......................................324 Regierungs- versus Oppositionsstrategie .....................................................325 Bundespolitik als Teil landespolitischer Wahlkampfstrategien ...................329 Imagekampagne ...........................................................................................334 Parteiimage ..................................................................................................334 Ideologisches Parteiimage ........................................................................... 335 Kompetenzvermittelndes Parteiimage .........................................................339 Strukturelles Parteiimage .............................................................................340 Sächsische Identität .....................................................................................341 Kandidatenimage .........................................................................................344 Themenkampagne ........................................................................................350 Allgemeine Themenkampagne ....................................................................350 Problemwahrnehmungen der Wähler und Themen der Parteien .................350 Strategische Einbindung der Themenkampagne ..........................................351 Rolle der Wahlprogramme...........................................................................352 Themenarten ................................................................................................354 Art der Personalisierung der Themenkampagne ..........................................355 Wirtschaftspolitische Konzeption ................................................................356 Situationsanalysen .......................................................................................356 Zielbestimmungen .......................................................................................360 Methoden .....................................................................................................362 Ordnungsprinzipien .....................................................................................369 Rationaler Zusammenhang ..........................................................................375 Konkurrenzkampagne .................................................................................. 380 Konkurrenzstrategien ...................................................................................380 Konkurrenzverhältnis zwischen CDU und SPD ..........................................382 Konkurrenzverhältnis zwischen CDU und PDS ..........................................384 Konkurrenzverhältnis zwischen SPD und PDS ...........................................386 Sächsische Strukturen der Parteienkonkurrenz ............................................388
8
Inhaltsverzeichnis
9
13
9.1 9.2
Schlussbetrachtung ....................................................................................393 Zusammenfassung .......................................................................................393 Ausblick und offene Fragen.........................................................................403
10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4
Quellen- und Literaturverzeichnis ...........................................................417 Quellenverzeichnis ......................................................................................417 Archive ........................................................................................................417 Veröffentlichte Quellen ...............................................................................417 Interviewte Personen ...................................................................................420 Umfrage- und Wahlanalysen .......................................................................422 Literaturverzeichnis .....................................................................................422 Unveröffentlichte Literatur .......................................................................... 422 Selbstständig erschienene Literatur .............................................................423 Unselbstständig erschienene Literatur .........................................................427 Zeitungen und Zeitschriften ......................................................................... 439
10
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ............................................................................441 Tabellenanhang ................................................................................................................443
Abkürzungsverzeichnis
ABM ACDP ADSD AfNS AG Aleksa AMD APuZ BFD BIP CDU CSU DA DBD ddp DDR DFP DGB DNN dpa DSU FAZ FDJ FDP FGW FP FR GG GWA IM infas INSM JU KPD LDPD LL-PDS LV MdL
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung Amt für Nationale Sicherheit Arbeitsgemeinschaft Alternatives Landesentwicklungskonzept für den Freistaat Sachsen Advanced Micro Devices Aus Politik und Zeitgeschichte Bund Freier Demokraten Bruttoinlandsprodukt Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern Demokratischer Aufbruch Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutscher Depeschendienst Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forumpartei Deutscher Gewerkschaftsbund Dresdner Neueste Nachrichten Deutsche Presseagentur Deutsche Soziale Union Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei Forschungsgruppe Wahlen Freie Presse Frankfurter Rundschau Grundgesetz Gemeinschaftsinitiative für Wirtschaft und Arbeit Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit Institut für angewandte Sozialwissenschaft Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Junge Union Kommunistische Partei Deutschlands Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Linke Liste-PDS Landesverband Mitglied des Landtages
16 LVZ MDR MJV MfS ND NDPD NF NPD NRW NRZ ÖTV PDS Pro DM PVS REP RSG SAM SDP SED SNN SPD SZ UB WASG WK ZIS ZK ZParl ZfP
Abkürzungsverzeichnis
Leipziger Volkszeitung Mitteldeutscher Rundfunk Marxistische Jugendvereinigung Ministerium für Staatssicherheit Neues Deutschland Nationaldemokratische Partei Deutschlands Neues Forum Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nordrhein-Westfalen Neue Ruhr Zeitung Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Partei des Demokratischen Sozialismus Initiative Pro Deutsche Mark Politische Vierteljahresschrift Die Republikaner Regionale Standort- und Strukturentwicklungsgesellschaft Strukturanpassungsmaßnahme Sozialdemokratische Partei in der DDR Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sächsische Neueste Nachrichten Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sächsische Zeitung Unterbezirk Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit Westlausitz Kurier Zukunftsinitiative Sachsen Zentralkomitee Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Politik
1 Einleitung
1.1 Problemstellung Der Wettstreit der Parteien um Wähler hat in Sachsen eine über hundertjährige, von zahlreichen Brüchen gezeichnete Tradition. Prägte die Anfangsjahre ein „Dauerkonflikt um das Wahlrecht“1, bewirkte das 1909 eingeführte Pluralwahlrecht einen initialen „Politisierungsschub“ und eine breite „leidenschaftliche Wahlagitation“.2 Die halbdemokratische Reform war die „Geburtsstunde“ sächsischer Landtagswahlkämpfe. Indem sie die Zahl der Wahlberechtigten erhöhte, relativierte sie die starke Stellung der bislang bevorteilten liberalen und konservativen Kräfte. Die Sozialdemokraten reüssierten fortan. Der offenere Parteienwettbewerb um Wählerstimmen machte zukünftig Wahlkämpfe für Erstgenannte notwendig, für Letztgenannte sinnvoll.3 Dennoch resultierte erst aus dem Landeswahlgesetz von 1920 eine freie Streitkultur und, bis zum frühen Bankrott des Länderparlamentarismus 1933, eine kurze Phase freier (nicht gewaltfreier) Landtagswahlkämpfe. Auf die Beendigung jeglicher demokratischer Wettbewerbs- und Wahlmechanismen durch das NS-Regime folgten, unterbrochen durch eine von der Sowjetunion geduldete, halbfreie Landtagswahl 1946, 40 Jahre nicht-kompetitiver Wahlen. Mit Floskeln wie der „Volksaussprache über Grundfragen der Politik“ oder der „Aufstellung und Prüfung der Kandidaten durch die Wähler“ hatten die kommunistischen Machthaber einen scheinbaren Wahlkampfersatz geschaffen.4 Die Wahlen dienten einzig der Akklamation der SED-Politik, ihre Ergebnisse wurden – falls überhaupt notwendig – gefälscht, demokratische Wahlrechtsgrundsätze in jeder Hinsicht unterlaufen. Erst die friedliche Revolution 1989/90 beendete die SED-Diktatur. 5 Demokratische Wahlen und eine Parteienkonkurrenz etablierten sich als tragende Elemente der Transformation neu.6 Der Landtagswahlkampf erlebte in Sachsen eine Reinkarnation. Die Wahl zum Sächsischen Landtag am 14. Oktober 1990 gab den Bürgern ihre wichtigste Partizipationsmöglichkeit zurück. Den Landesparteien ermöglichte sie erstmals wieder einen freien Wettbewerb um Wählerstimmen und um die Machtvergabe. Der sächsische Landtagswahlkampf 1990 bildete die Ouvertüre zu einem regelmäßigen „Kräftemessen“ vorrangig dreier Parteien: CDU, SPD und PDS.7 Bis zum Jahr 2004 1 2 3
4
5
6
7
Simone Lässig (1998): Reichstagswahlen im Königreich Sachsen 1871-1912, Leipzig/Dresden, S. 14. Dies. (1996): Wahlrechtskampf und Wahlreform in Sachsen (1895-1909), Köln/Weimar, S. 233. Vgl. Gerhard A. Ritter (1990): Das Wahlrecht und die Wählerschaft der Sozialdemokratie im Königreich Sachsen 1867-1914, in: Ders. (Hrsg.): Der Aufstieg der deutschen Arbeiterbewegung, München, S. 49-101. Vgl. die im Staatsverlag der DDR erschienene Schrift von Herbert Graf/Günther Seiler (1971): Wahl und Wahlrecht im Klassenkampf, Berlin, S. 242-254. Vgl. Eckhard Jesse/Thomas Schubert (Hrsg.) (2010): Zwischen Konfrontation und Konzession. Friedliche Revolution und deutsche Einheit in Sachsen, Berlin. Vgl. Hans Michael Kloth (2000): Vom „Zettelfalten“ zum freien Wählen. Die Demokratisierung der DDR 1989/90 und die „Wahlfrage“, Berlin, S. 42. Ulrich Brümmer bezeichnet für die Jahre 1990 bis 2004 CDU, SPD und PDS als „Kernelemente“ des sächsischen Parteiensystems. Vgl. Ulrich Brümmer (2006): Parteiensystem und Wahlen in Sachsen. Kontinuität und Wandel von 1990-2005 unter besonderer Berücksichtigung der Landtagswahlen, Wiesbaden, S. 260.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
18
Einleitung
standen sie im Zentrum der Auseinandersetzungen, trugen sie den demokratischen Wettbewerb um parlamentarische Mehrheiten (beinahe) unter sich aus. Ebenfalls dominierten in diesem Zeitraum die ökonomische Transformation und die mit ihr einhergehenden sozialen Umbrüche die Landtagswahlkämpfe. Der auf den politischen und wirtschaftlichen Offenbarungseid der DDR folgende zentralverwaltungswirtschaftliche Kehraus und die sich direkt anschließende sozio-ökonomische Entwicklung polarisierten die Wahlkämpfe. Eingebettet in unterschiedliche Transformationsphasen, geprägt durch differente inner- und interparteiliche Konstellationen, sich verändernde personelle und thematische Schwerpunkte, sich wandelnde Kampagnenformen, sind die Landtagswahlkämpfe ein Zeugnis des politischen Aufbruchs und des (vor allem parteiförmigen) Gedeihens im Freistaat Sachsen. Die qualitative Längsschnittanalyse sucht daher Antworten auf die Leitfrage: Wie gestalteten sich die Landtagswahlkämpfe der drei sächsischen Parteien CDU, SPD und PDS 1990 bis 2004 im Hinblick auf ihre organisatorischen wie strategischen Konzeptionen und ihre Hauptkampagnen (Image-, Themen- und Konkurrenzkampagne) – herrschte Konvergenz oder Divergenz vor? Damit verbundene Unterfragen lauten: Welche strukturellen, konzeptionellen und prozessualen Eigenheiten charakterisierten die Landtagswahlkämpfe? Welche Kontinuitäten, welche Momente des Wandels existierten bei den einzelnen Parteien und im Vergleich der Parteien? Entwickelte sich der Wahlkampf von einer altruistischen Diskussionsveranstaltung um Ideen und Köpfe im Jahr 1990 hin zu einer erbitterten Auseinandersetzung um die Regierungsmacht im Jahr 2004? Oder dominierte von Beginn an der Machtkampf den Parteienwettbewerb um Wählerstimmen? Differenziert und konkretisiert entstehen für den konzeptionellen Rahmen die Fragen: Wie sehen die Wahlkampforganisationen aus? Gibt es übergeordnete Einflüsse? Existiert eine Entwicklung weg vom improvisierten hin zu einem modernen Wahlkampfmanagement? Welche Strategien liegen den Wahlkampagnen der einzelnen Parteien zugrunde? Nutzen die Akteure klassische Regierungs- bzw. Oppositionsstrategien oder landesspezifische Strategiemuster? Sind ihre Kampagnen primär ereignis- oder eher zweckgebunden? Wie ausgeprägt ist die Personalisierung? Inwieweit unterliegen die Landtagswahlkampfstrategien thematischen und strategischen bundespolitischen Einflüssen? Für die Analyse der Imagekampagne ergeben sich weitere Aspekte: Welches Image kommunizieren die Akteure im Wahlkampf für Partei und Spitzenkandidaten? Ist der Wahlkampf vorrangig auf den Spitzenkandidaten oder auf die Partei ausgerichtet? Bestimmen bundespolitische Einflüsse die Imagekampagne, oder handelt es sich um landeseigene, autonome Rollenbilder? Im Mittelpunkt der Themenkampagne stehen u. a. die Unterfragen: Welche Themen beherrschen den Wahlkampf? Wie sind die Themenkampagnen der Parteien ausgestaltet? Welche wirtschaftspolitischen Konzeptionen vertreten CDU, SPD und PDS? Welche Veränderungen sind im Zeitverlauf erkennbar? Handelt es sich um rationale Konzepte? Geht es bei den von den Parteien vertretenen wirtschaftspolitischen Inhalten nur um eine „Konkurrenz der Nuancen“,8 oder bestehen klare programmatische Unterschiede? Die Untersuchung der Konkurrenzkampagne folgt den Fragen: In welchem Verhältnis stehen die Parteien? Welche auf die politischen Gegner bezogenen Strategien verfolgen sie? Im Rahmen eines Analyserasters soll der Werdegang der drei Landesparteien anhand der Landtagswahlkämpfe beleuchtet werden. Die Konzentration auf CDU, SPD und PDS erfolgt aufgrund deren durchgehender Parlamentsmitgliedschaft und der von 1994 bis 2004 8
Kurt Faltlhauser zitiert nach Stefan Hönemann/Markus Moors (1994): Wer die Wahl hat... Bundestagswahlkämpfe seit 1957. Muster der politischen Auseinandersetzung, Marburg, S. 29.
1.1 Problemstellung
19
anhaltenden politischen Bedeutungslosigkeit der sächsischen Kleinparteien, speziell von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. Art und Umfang der Analyse begründet ferner die herausgehobene Stellung der Landtagswahlkämpfe für die Landesparteien. Zu keinem Zeitpunkt ist die Kommunikation der landespolitischen Akteure mit den Bürgern intensiver. Interpretiert man Wahlen als „Teil des Prozesses der Machtzuweisung und Machtkontrolle“9, kommt Wahlkämpfen innerhalb eines demokratischen Systems eine Sonderrolle zu. Ferner ist eine Analyse von Landtagswahlkämpfen nicht nur unter „kurzfristigen“ Aspekten (Wahlverhalten/Regierungsbildung) sinnvoll, „sondern auch unter dem Gesichtspunkt ihrer langfristigen Wirkung auf den Politikprozess“.10 Dieser Aufgabe stellt sich die Arbeit. Landtagswahlkämpfe sind weit mehr als politische Auseinandersetzungen um die Gunst der Wähler. Sie beschreiben spezifische Kapitel inner- wie interparteilichen Verhaltens und prägen den Lebensweg von Parteien, indem sie diese ständig zu personellen wie thematischen Modifikationen zwingen. Landtagswahlkämpfe reflektieren „Selbstverständnis und Entwicklungsstand der Parteien“.11 Auf Landesebene erlauben sie es, personellen, programmatischen, strategischen und organisatorischen Wandel zu erkennen, verlangt doch jede Wahl von den Akteuren, ihren Standort neu zu bestimmen. Nirgends sonst kommen innerhalb des politischen Prozesses so komprimiert Verhaltensmuster von Landesparteien zum Vorschein, nirgends sonst tritt der Parteienwettbewerb, ob inszeniert oder nicht, derart deutlich zutage. Landtagswahlkämpfe nötigen die Landesverbände, politisches Personal zu rekrutieren, eigene Programme zu entwickeln und sich zu landes- und bundespolitischen Themen zu positionieren. Zudem werden sie im Gegensatz zu Bundestagswahlkämpfen zum Großteil von den Landesparteien konzipiert und realisiert. Der Zuschnitt auf das wirtschaftspolitische Themenfeld resultiert zum einen aus dessen Bedeutung für den sächsischen Parteienwettbewerb (ökonomische Transformation), zum anderen aus der allgemein hohen Relevanz ökonomischer Themen in Wahlkämpfen. Nicht erst das legendäre Credo aus der Präsidentschaftskampagne Bill Clintons 1992 „It’s the economy, stupid“ verweist darauf: Wirtschaftsthemen sind in Wahlkämpfen zentral, denn deren programmatische Hauptkonfliktlinie ist in der Regel sozio-ökonomisch. 12 Das wirtschaftspolitische Themenfeld reflektiert deutlich das ideologische Fundament eines Parteiensystems. Interparteiliche Unterschiede sind hier signifikant.13 Indem es grundsätzliche Ordnungsannahmen und detaillierte Handlungsvorschläge vereint, eignet es sich für ei9 10
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Werner Kaltefleiter/Peter Nißen (1980): Empirische Wahlforschung, Paderborn u. a., S. 17. Edwin Czerwick (1984a): Legitimationsstrategien der Parteien zwischen Landtagswahlen und Bundespolitik 1979-1983, in: Heino Kaack/Reinhold Roth (Hrsg.): Forschungsgruppe Parteiendemokratie. Analysen und Berichte Nr. 9, Koblenz, S. 15. Werner Wolf (1981): Die Entstehung des Slogans der hessischen CDU zur Landtagswahl 1974, in: Jakob Schissler (Hrsg.): Politische Kultur und politisches System in Hessen, Frankfurt a.M., S. 172-182, hier S. 172. Vgl. speziell für den bundesdeutschen Kontext Andrea Volkens (1996): Parteiprogramme und Polarisierung, in: Oskar Niedermayer (Hrsg.): Intermediäre Strukturen in Ostdeutschland, Opladen, S. 215-236, hier S. 230233; Hans-Dieter Klingemann/Andrea Volkens (2001): Struktur und Entwicklung von Wahlprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1998, in: Oscar W. Gabriel u. a. (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland, 2. Aufl., Bonn, S. 507-527, hier S. 507-527. Vgl. Martin Elff (2006): Politische Ideologien, soziale Konflikte und Wahlverhalten, Baden-Baden, S. 105125. Studien zur programmatischen Entwicklung der Landesparteien bestätigen für Sachsen die ausgeprägte Polarisierung des wirtschaftspolitischen Themenfeldes. Vgl. Marc Debus (2007): Die programmatische Entwicklung der deutschen Parteien auf Bundes- und Landesebene zwischen den Bundestagswahlen 1998 und 2005, in: Frank Brettschneider u. a. (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2005. Analysen des Wahlkampfes und der Wahlergebnisse, Wiesbaden, S. 43-63; Aline Schniewind (2008): Parteiensysteme, in: Markus Freitag/Adrian Vatter (Hrsg.): Die Demokratien der deutschen Bundesländer, Opladen, S. 63-109, hier S. 89-92.
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Einleitung
ne thematische Konvergenz- und Divergenzanalyse. Um die wirtschaftspolitischen Standpunkte von CDU, SPD und PDS geordnet abbilden zu können, dazu dient das Instrument der wirtschaftspolitischen Konzeption. Es macht die Programmatik der Parteien qualitativ fass- und vergleichbar. Die Analyse beschränkt sich dabei auf prägnante Aspekte. Eine detaillierte Untersuchung ist auf Basis der Wahlprogrammatik unmöglich. Im Unterschied zu Holger Fischer,14 der langfristige Parteikonzeptionen prüft, möchte diese Arbeit herausfinden, wie sich Parteien mit kurz- bis mittelfristigen wirtschaftspolitischen Aussagen im Wahlkampf positionieren und ob es sich bei den Angeboten um rationale Konzepte handelt.
1.2 Landtagswahlkämpfe als Forschungsgegenstand Der Forschungsstand zum Thema verlangt ein duales Vorgehen: (1) die Exploration der Landesebene, genauer des Freistaates Sachsen, und (2) der Wahlforschung, speziell der Landtagswahlkampfforschung. Der politikwissenschaftliche Blick auf die deutschen Länder steht noch immer im Lichte früherer Urteile. Ulrich von Alemann und Eckhard Jesse sprachen in den 1980er Jahren von einem „stiefmütterlichen“ Umgang, wobei allein von Alemann die gesamte Landespolitik in sein Urteil einbezog. 15 Die Länder geraten bis heute oft nur zusammen mit den ihnen übergeordneten staatlichen Ebenen in den Fokus, etwa in Arbeiten über bundespolitische Einflüsse auf Landtagswahlen,16 in politikfeldbezogenen Einzelstudien17 oder im Bereich der Koalitionsforschung. 18 Erst in jüngerer Zeit behoben wichtige komparative Studien einige Erkenntnislücken im Bereich landespolitischer Strukturen, Prozesse und materieller Politiken.19 Auch die Parteien- und Wahlforschung steht auf Landesebene „im Schatten der Bundespolitik“,20 wird ebenfalls „stiefmütterlich“ behandelt.21 Die geringe Relevanz, die die Politikwissenschaft den Ländern beimisst, ist u. a. eine Konsequenz des unitarischen Charakters des deutschen Föderalismus und der daraus resul14
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Vgl. Holger Fischer (1990): Die wirtschaftspolitische Konzeption der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Inaugural-Dissertation Universität Kassel-Gesamthochschule. Vgl. Ulrich von Alemann (1985): Parteien und Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Eine Einführung, in: Ders. (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Köln u. a., S. 11-21, hier S. 12; Eckhard Jesse (1981): Literaturführer: Parlamentarische Demokratie, Opladen, S. 147. Vgl. als Überblick Kerstin Völkl u. a. (Hrsg.) (2008): Wähler und Landtagswahlen in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden. Vgl. anstatt vieler Bärbel Martina Weixner (2002): Direkte Demokratie in den Bundesländern. Verfassungsrechtlicher und empirischer Befund aus politikwissenschaftlicher Sicht, Opladen. Vgl. exemplarisch Uwe Jun (1994): Koalitionsbildung in den deutschen Bundesländern. Theoretische Betrachtungen, Dokumentation und Analyse der Koalitionsbildungen auf Länderebene seit 1949, Opladen; Sabine Kropp (2001): Regieren in Koalitionen. Handlungsmuster und Entscheidungsbildung in deutschen Länderregierungen, Wiesbaden. Vgl. den vergleichenden Band von Freitag/Vatter (2008); ebenso die Politikfeldanalysen in Achim Hildebrandt/Frieder Wolf (Hrsg.) (2008): Die Politik der Bundesländer. Staatstätigkeit im Vergleich, Wiesbaden; Herbert Schneider/Hans-Georg Wehling (Hrsg.) (2006): Landespolitik in Deutschland. Grundlagen – Strukturen – Arbeitsfelder, Wiesbaden. Josef Schmid (1995): Expertenbefragung und Informationsgespräch in der Parteienforschung: Wie föderalistisch ist die CDU, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden, Opladen, S. 293-326, hier S. 295. Vgl. Bernhard Boll/Everhard Holtmann (2001): Parteien als Landesparteien: Einleitende Bemerkungen zu Forschungsstand, Fragestellung und Methodik, in: Dies. (Hrsg.): Parteien und Parteimitglieder in der Region. Sozialprofil, Einstellungen, innerparteiliches Leben und Wahlentscheidung in einem ostdeutschen Bundesland. Das Beispiel Sachsen-Anhalt, Wiesbaden, S. 9-15.
1.2 Landtagswahlkämpfe als Forschungsgegenstand
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tierenden Dominanz gesamtstaatlicher Perspektiven.22 Zwar stieg in den letzten zehn Jahren die Zahl landespolitischer Studien zu Parteien und Wahlen,23 von einer zielgerichteten Forschung kann aber weiterhin keine Rede sein. „Länderbezogene Organisations- und Politikwirklichkeit der Parteien“ findet kaum Aufmerksamkeit.24 Erschwerend kommt hinzu, dass die Politikwissenschaft, die Transformationsforschung ausgenommen,25 erst in den letzten Jahren die Entität Ostdeutschland zu differenzieren beginnt. Obwohl z. B. stets auf die besondere Konstitution des ostdeutschen Parteiensystems verwiesen wird, 26 ist nur die PDS (ab 2007 Die Linke) wissenschaftlich durchdrungen, nicht zuletzt wegen einer ausgeprägten Extremismusforschung27 und eines starken Eigeninteresses.28 22
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Vgl. Frank Decker (2004): Die Regierungssysteme in den Ländern, in: Ders. (Hrsg.): Föderalismus an der Wegscheide?, Wiesbaden, S. 169-201, hier S. 169. Einen aktuellen Über- und Einblick bieten: Uwe Jun u. a. (Hrsg.) (2008): Parteien und Parteiensysteme in den deutschen Ländern, Wiesbaden; exemplarisch für die westdeutschen Länder: Wolfgang Schroeder (Hrsg.) (2008): Parteien und Parteiensystem in Hessen. Vom Vier- zum Fünfparteiensystem?, Wiesbaden; Michael Eilfort (Hrsg.) (2004): Parteien in Baden-Württemberg, Stuttgart; Andreas Galonska (1999): Landesparteiensysteme im Föderalismus. Rheinland-Pfalz und Hessen 1945-1996, Wiesbaden; Bernd Heidenreich/Konrad Schacht (Hrsg.) (1996): Hessen. Wahlen und Politik, Stuttgart; Dirk Berg-Schlosser u. a. (Hrsg.) (1994): Parteien und Wahlen in Hessen 1946-1994, Marburg; exemplarisch für die ostdeutschen Länder: Steffen Schoon (2007a): Wählerverhalten und politische Tradition in Mecklenburg-Vorpommern (1871-2002), Düsseldorf; ders. u. a. (2007): Kein Land(tag) in Sicht? Bündnis 90/Die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern, München; ders./Nikolaus Werz (Hrsg.) (2006): Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2006 – Die Parteien im Wahlkampf und ihre Wähler, Rostock; Andreas Hallermann (2003): Partizipation in politischen Parteien. Vergleich von fünf Parteien in Thüringen, Baden-Baden; Klaus-Bernhard Roy (Hrsg.) (2002): Wahlen 2002 in Sachsen-Anhalt. Ausgangsbedingungen, Handlungsrahmen, Entscheidungsalternativen, Magdeburg; Boll/ Holtmann (Hrsg.) (2001); Nikolaus Werz/Hans Jörg Hennecke (Hrsg.) (1999): Parteien und Politik in Mecklenburg-Vorpommern, München; Frank Straile (1999): Status und Funktion der Parteien in den neuen Bundesländern Deutschlands, Hamburg; Karl Schmitt (Hrsg.) (1996): Thüringen. Eine politische Landeskunde, Köln/ Weimar. Die Landesebene spielt ferner eine Rolle bei Jill Hopper (2001): Old parties in a new Germany. The CDU and FDP in Eastern Germany, 1989-1994, in: Party Politics 7 (2001), S. 621-642; Ute Schmidt (1997): Von der Blockpartei zur Volkspartei? Die Ost-CDU im Umbruch 1989-1994, Opladen; Ulrich Eith (1997): Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt. Zur Bedeutung sozialstruktureller Einflussfaktoren auf die Wahlentscheidungen 1990 und 1994, Berlin; Michael Richter/Martin Rissmann (Hrsg.) (1995): Die Ost-CDU. Beiträge zu ihrer Entstehung und Entwicklung, Weimar u. a.; Franz Walter u. a. (1993): Die SPD in Sachsen und Thüringen zwischen Hochburg und Diaspora, Bonn. Vgl. Herbert Schneider (2001): Parteien in der Landespolitik, in: Oscar W. Gabriel u. a. (Hrsg.) (2001), S. 385-405, hier S. 385 f. Ebenso urteilen Rainer Bovermann (2002): Die Landesparlamente – Machtverlust, Funktionswandel und Reform, in: Politische Bildung 35 (2002) H. 4, S. 62-92, hier S. 62; Werner J. Patzelt (1998): Kommentar zum Beitrag von Everhard Holtmann. Die vergleichende Untersuchung von Landesparteien, in: Arthur Benz/Everhard Holtmann (Hrsg.): Gestaltung regionaler Politik. Empirische Befunde, Erklärungsansätze und Praxistransfer, Opladen, S. 77-88, hier S. 86-88. Umfassend: Alexander Thumfart (2002): Die politische Integration Ostdeutschlands, Frankfurt a.M. Beispielsweise Steffen Schoon (2007b), Das Parteiensystem in Ostdeutschland – regionalisiert, fragmentiert und funktionsgestört, in: Forschungsjournal NSB 20 (2007) H. 4, S. 37-46; Inka Jörs (2003): East Germany: Another Party Landscape, in: German Politics 12 (2003), S. 135-158; Markus Guhl (2000): Der Osten ist anders. Zur Struktur der Parteien in den neuen Bundesländern, Marburg; Eckhard Jesse (2000a): Parteiensystem im deutschen Osten: 1990 bis 2000, in: Politische Studien 51 (2000) Sonderheft 5, S. 68-80; Ursula Birsl/Peter Lösche (1998): Parteien in West- und Ostdeutschland: Der gar nicht so feine Unterschied, in: ZParl 29 (1998), S. 7-26; Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.) (1994): Parteien und Wähler im Umbruch. Parteiensystem und Wählerverhalten in der ehemaligen DDR und den neuen Bundesländern, Opladen. Vgl. etwa Eckhard Jesse/Jürgen P. Lang (2008): Die Linke – der smarte Extremismus einer deutschen Partei, München; Viola Neu (2004): Das Janusgesicht der PDS. Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus, Baden-Baden; Jürgen P. Lang (2003): Ist die PDS eine demokratische Partei? Eine extremismustheoretische Untersuchung, Baden-Baden. Vgl. Michael Brie/Rudolf Woderich (Hrsg.) (2000): Die PDS im Parteiensystem, Berlin; Michael Brie u. a. (Hrsg.) (2007): Die Linke. Wohin verändert sie die Republik?, Berlin.
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Einleitung
Die sächsische Situation bestätigt all dies. Während neben der wahl- und der parteihistorischen Forschung etwa die Parlamentarismusforschung29 floriert und z. B. journalistische wie politische Schriften zu Kurt Biedenkopf30 existieren, mangelt es an politikwissenschaftlichen Studien über Wahlen und Parteien in Sachsen. Abgesehen von einigen Sammelbandund Zeitschriftenbeiträgen31 sind mit Ausnahme der Jahre 1989/9032 die sächsischen Parteien kaum untersucht worden.33 Analysen zu Landtagswahlen oder Landtagswahlkämpfen in Sachsen sind rar.34 Erst in jüngerer Zeit haben drei umfassende Studien diesen Mangel teilweise behoben. Ulrich Brümmer analysiert in seiner Dissertation das sächsische Parteiensystem anhand dessen elektoraler und gouvernementaler Dimension. In einer stringenten Komposition aus den Rahmenbedingungen, dem Akteurshandeln inner- und außerhalb des 29
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Vgl. dazu: Kerstin Heinig (2008): Das Selbstauflösungsrecht des Sächsischen Landtages, Frankfurt a.M. u. a.; Susann Mende (2010): Kompetenzverlust der Landesparlamente im Bereich der Gesetzgebung. Eine empirische Analyse am Beispiel des Sächsischen Landtages, Baden-Baden; Karin Algasinger u. a. (2004): Wie das Parlament die Regierung kontrolliert: Der Sächsische Landtag als Beispiel, in: Everhard Holtmann/Werner J. Patzelt (Hrsg.): Kampf der Gewalten? Parlamentarische Regierungskontrolle – gouvernementale Parlamentskontrolle, Wiesbaden, S. 107-147; Werner J. Patzelt (2004): Länderparlamentarismus in Deutschland: Sachsen, in: Siegfried Mielke/Werner Reutter (Hrsg.): Länderparlamentarismus in Deutschland. GeschichteStruktur-Funktionen, Wiesbaden, S. 389-416; Erich Iltgen (Hrsg.) (2000): Zehn Jahre Sächsischer Landtag. Bilanz und Ausblick, Dresden. Vgl. Alexander Wendt (1994): Kurt Biedenkopf. Ein politisches Portrait, Berlin; Peter Köpf (1999): Der Querdenker Kurt Biedenkopf. Eine Biografie, Frankfurt a.M.; Michael Bartsch (2002): Das System Biedenkopf, Berlin; die von der Fraktion Linke Liste-PDS unterstützte Schrift von Horst Schneider (1993): Wohin treibt Sachsen? „Landesvater“ Biedenkopf, Schkeuditz. Vgl. Gero Neugebauer (2008): Das Parteiensystem Sachsens, in: Jun u. a. (Hrsg.), S. 387-408; Ulrich Brümmer (2007): Schwarz-rote Vernunft-Ehe in Sachsen, in: Deutschland Archiv 40 (2007), S. 222-230; Werner Rellecke (2004): Freistaat Sachsen, in: Hans-Georg Wehling (Hrsg.): Die deutschen Länder. Geschichte, Politik, Wissenschaft, 3. Aufl., Wiesbaden, S. 253-270; Werner J. Patzelt/Karin Algasinger (1996): Das Parteiensystem Sachsens, in: Niedermayer (Hrsg.), S. 237-262; Werner J. Patzelt (1994): Sachsen, in: Jürgen Hartmann (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bundesländer, Bonn, S. 483-526; Markus Lesch (1994): Die CDUReformer in Sachsen, in: Die politische Meinung 39 (1994) Nr. 297, S. 37-43. Hervorzuheben sind ferner die Arbeiten von Dan Hough und Michael Koß, die sich komparatistisch mit den ostdeutschen Landesverbänden der PDS auseinandersetzen. Vgl. Michael Koß/Dan Hough (2006a): Landesparteien in vergleichender Perspektive: Die Linkspartei.PDS zwischen Regierungsverantwortung und Opposition, in: ZParl 37 (2006), S. 312-334; dies. (2006b): Between a Rock and Many Hard Places: The PDS and Government Participation in the Eastern German Länder, in: German Politics 15 (2006), S. 73-98. Michael Richter (2009): Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90, 2 Bände, Göttingen; ders. (2004): Die Bildung des Freistaates Sachsen. Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90, Göttingen; Markus Schubert (1998): Der Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen, in: Hans Bertram u. a. (Hrsg.): Systemwechsel zwischen Projekt und Prozess. Analysen zu den Umbrüchen in Ostdeutschland, Opladen, S. 563-593; Alexander Fischer/Günther Heydemann (Hrsg.) (1995): Die politische Wende 1989/90 in Sachsen. Rückblick und Zwischenbilanz, Weimar u. a. Von Bedeutung sind etwa Mike Schmeitzner/Michael Rudloff (1997): Geschichte der Sozialdemokratie im Sächsischen Landtag. Darstellung und Dokumentation 1877-1997, Dresden, S. 146-167; dies. (Hrsg.) (2000): Die Wiedergründung der sächsischen Sozialdemokratie 1989/90. Erinnerungen, Dresden; Henrik Steglich (2005): Die NPD in Sachsen. Organisatorische Voraussetzungen ihres Wahlerfolgs 2004, Göttingen. Jenseits der bereits genannten Studien existieren folgende Untersuchungen: Eckhard Jesse (2000b): Die Landtagswahl in Sachsen vom 19. September 1999: Triumphale Bestätigung der CDU, in: ZParl 31 (2000), S. 6985; ders. (2005a): Die sächsische Landtagswahl vom 19. September 2004: Debakel für CDU und SPD gleichermaßen, in: ZParl 36 (2005), S. 80-100; Anja Mays (2007): Landtagswahlen in Sachsen 1994 bis 2004: stärkere Landes- als Bundeseinflüsse, in: ZParl 38 (2007), S. 567-577; dies. (2008): Bundespolitische Effekte oder regionale Besonderheiten? Zum Einfluss der Bundespolitik auf die sächsischen Landtagswahlen, in: Kerstin Völkl u. a. (Hrsg.): Wähler und Landtagswahlen in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden, S. 361-380; Eckhard Jesse (2010): Die sächsische Landtagswahl vom 30. August 2009: Sachsens Vorreiterrolle für den Bund, in: ZParl 41 (2010), S. 322-339.
1.2 Landtagswahlkämpfe als Forschungsgegenstand
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Wahlkampfes sowie den Wahlergebnissen, betrachtet er qualitative und quantitative Parteiensystemeigenschaften. Die Landtagswahlkämpfe leuchtet er eher kurz aus, konzentriert sich hier auf das zur Analyse von Polarisierung und Segmentierung notwendige interparteiliche Verhältnis. Die Studie belegt umfassend Kontinuität, Wandel und Eigenheiten des sächsischen Parteiensystems.35 Sie liefert nicht nur wichtige Zusammenhänge zur Parteienentwicklung in Sachsen, sie verweist vor allem auf einen diesbezüglich spezifischen „sächsischen Weg“. Der Sammelband von Christian Demuth und Jakob Lempp bietet neben einigen Überblicksstudien zum Wahl- und Parteiensystem detaillierte Einzelanalysen der sächsischen Parteien.36 Wegen der mangelnden Primärquellenorientierung fehlt es den Parteibeiträgen jedoch in unterschiedlichem Maße an landesspezifischer Tiefe, einige lassen sächsische Spezifika vermissen. Die Parteienstudien offenbaren die entscheidende Schwäche landespolitischer Forschung. Mangelt es an konkreten Informationen über die Landesverbände, kompensieren Wahldaten, Aussagen über die Bundesparteien oder allgemeine Feststellungen das Informationsleck. Dessen ungeachtet warten die Analysen von CDU, SPD und PDS mit relevanten Informationen und Zusammenhängen zur organisatorischen, strategischen, personellen und inhaltlichen Verfasstheit der Landesparteien auf. Wolfgang Luutz untersucht in einer Diskursanalyse die „symbolische Regionalpolitik“ respektive die „regionenbezogene Identitätspolitik“ in Sachsen, u. a. im Kontext des Landtagswahlkampfes 1999. Er folgt dabei der Frage, „wie das ,Sachsen-Motiv‘ eingesetzt wird, um die Wahlentscheidung im Sinne des jeweiligen politischen Akteurs zu beeinflussen“. Er belegt, dass weder SPD noch PDS der CDU-Identitätspolitik ein eigenes Konzept entgegnen konnten.37 Besonders die von ihm theoretisch wie empirisch beleuchtete „sächsische Identität“ war ein zentrales Element aller Wahlkämpfe in Sachsen. Luutz’ Schrift und ein 2001 (mit Wolfgang Fach) veröffentlichter Aufsatz38 sind die einzigen Arbeiten zu einem sächsischen Landtagswahlkampf. Eine Vergleichsanalyse der sächsischen Landtagswahlkämpfe von 1990 bis 2004 existiert nicht. Anders verhält es sich mit der politikwissenschaftlichen Wahlforschung. Die Literatur ist hier „Legion“ und „kaum mehr [zu] überblicken“.39 Die in Deutschland vorherrschende akademische Wahlforschung kann, so Max Kaases mehr denn je gültiges Urteil, „nach wissenschaftlichen Zentren und verfügbaren Daten als sehr gut etabliert angesehen werden“,40 unterliegt aber – so Wilhelm Bürklin – der „hoch arbeitsteiligen Spezialisierung“. 41 Während sich das Erkenntnisinteresse ihrer Protagonisten primär auf die Explikation des Wählerverhaltens auf Bundesebene konzentriert,42 kommt es zu einer theoretischen und 35 36 37
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Vgl. Brümmer (2006). Vgl. Christian Demuth/Jakob Lempp (Hrsg.) (2006): Parteien in Sachsen, Dresden/Berlin. Vgl. Wolfgang Luutz (2002): Region als Programm. Zur Konstruktion „sächsischer Identität“ im politischen Diskurs, Baden-Baden. Vgl. Wolfgang Fach/Wolfgang Luutz (2001): Das „Sachsen-Motiv” im Sachsenwahlkampf. Eine vergleichende Textanalyse, in: Jahrbuch des SFB 417. Kulturwissenschaftliche Regionenforschung, Bd. 1, Leipzig, S. 148-171. Eckhard Jesses Urteil von 1981 hat an Gültigkeit gewonnen. Jesse (1981), S. 173. Max Kaase (2000): Entwicklung und Stand der empirischen Wahlforschung in Deutschland, in: Markus Klein u. a. (Hrsg.): 50 Jahre Empirische Wahlforschung in Deutschland, Wiesbaden, S. 17-40, hier S. 24. Wilhelm Bürklin (1988): Wählerverhalten und Wertewandel, Opladen, S. 7. Landtagswahlen finden wegen ihrer gering veranschlagten Bedeutung als bundespolitische Testwahlen nur wenig Zuspruch. Vgl. Oscar W. Gabriel/S. Isabell Thaidigsmann (2000): Stand und Probleme der Wahlforschung in Deutschland, in: Politische Bildung 33 (2000) H. 3, S. 6-19, hier S. 17. „Die empirische Analyse
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Einleitung
thematischen „Pluralisierung an den Rändern“. 43 Ein stetig wachsender Bestandteil dieser Pluralisierung ist die Wahlkampfforschung. Trotz früher Vorbehalte, sie sei kaum theoriebildend44 und neige dazu, Wahlverhalten anhand von Vor- und Ablauf eines Wahlkampfes erklären zu wollen,45 gewinnt selbige wegen der steigenden Relevanz kurzfristiger Wahleinflussfaktoren und der „Modernisierung“ der Kampagnen zunehmend an Gewicht. 46 Die Wahlkampfforschung analysiert einerseits, wie Kampagnen geführt werden. Andererseits strebt sie danach zu erklären, wie Wahlkämpfe auf das Wahlverhalten einwirken. Schnittmengen zur Kommunikationswissenschaft sowie die Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis differenzieren dieses Forschungsfeld.47 Die Wahlkampfforschung „strebt danach, einzelne Wahlkämpfe zu beschreiben und verschiedene Wahlkämpfe zu vergleichen. Einen Schritt weiter gehen Arbeiten, die fragen, aus welchen Gründen eine Kampagne so geführt wurde, wie sie geführt wurde. Eine andere Kausalrichtung betrachtet Analysen, die untersuchen, welche Wirkungen von Wahlkämpfen ausgehen. Dieser Zweig der Forschung ist relativ weit fortentwickelt. Im Vergleich dazu weist die Forschung in den zuvor genannten Hinsichten erhebliche Lücken auf.“48 Sie ist, wie Harald Schoen zutreffend bemerkt, „kaum den Kinderschuhen entwachsen“.49 Eine genaue Klassifikation der deutschen Wahlkampfforschung fällt daher nicht leicht. Nützlich ist die Unterteilung von Monika Bethscheider in zeitgeschichtlich-deskriptive, faktorspezifische, prozessanalytische und funktionalistische,50 ergänzt um die Kategorie der historisch-analytischen Forschung.51 Die zeitgeschichtlich-deskriptive Wahlkampfforschung bietet Gesamtdarstellungen eines Wahlkampfes. Die Studien verzichten weitgehend auf die Analyse von Strukturen und Prozessen oder die theoretische Einordnung der Ergebnisse. Ihnen geht es insbesondere um die subjektive Auswahl wahlkampfrelevanter Aspekte. Diese Wahlkampfmonografien beschreiben die Vorgänge im Vorfeld von Wahlen und erörtern das Wirken des Wahlkampfes auf das Wahlverhalten.52 Die faktorspezifische Wahlkampf-
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der Wählerentscheidungen auf der Landesebene gehört zu den am stärksten vernachlässigten Gebieten der empirischen Wahlforschung.“ Oscar W. Gabriel/Everhard Holtmann (2007): Ober sticht Unter? Zum Einfluss der Bundespolitik auf Landtagswahlen, theoretischer Rahmen und Analysemodelle, in: ZParl 38 (2007), S. 445-462, hier S. 462. Kaase (2000), S. 29. Vgl. Nils Diederich (1965): Empirische Wahlforschung. Konzeptionen und Methoden im internationalen Vergleich, Köln/Opladen, S. 51-53, 118; Bürklin (1988), S. 43. Vgl. Alfred Braun (1969): Ein falsches Bild vom Wähler? Methoden und Ergebnisse der empirischen Wahlforschung, in: Der Bürger im Staat 19 (1969), S. 112-116, hier S. 114. Vgl. Kathrin Bretthauer/Patrick Horst (2001): Wahlentscheidende Effekte von Wahlkämpfen? Zur Aussagekraft gängiger Erklärungen anhand in der ZParl publizierter Wahlanalysen, in: ZParl 32 (2001), S. 387-410. Vgl. Harald Schoen (2005a): Wahlkampfforschung, in: Jürgen W. Falter/ders. (Hrsg.): Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden, S. 503-542, hier S. 504. Harald Schoen (2007): Ein Wahlkampf ist ein Wahlkampf ist ein Wahlkampf? Anmerkungen zu Konzepten und Problemen der Wahlkampfforschung, in: Nikolaus Jackob (Hrsg.): Wahlkämpfe in Deutschland. Fallstudien zur Wahlkampfkommunikation 1912-2005, Wiesbaden, S. 34-45, hier S. 34. Ebd., S. 43. Vgl. Monika Bethscheider (1987): Wahlkampfführung und politische Weltbilder. Eine systematische Analyse des Wahlkampfes der Bundestagsparteien in den Bundestagswahlkämpfen 1976 und 1980, Frankfurt a.M., S. 24-28. Vgl. etwa Andreas Gawatz (2001): Wahlkämpfe in Württemberg. Landtags- und Reichstagswahlen beim Übergang zum politischen Massenmarkt (1889-1912), Düsseldorf, S. 224, 232, 319. Vgl. exemplarisch die bewusst auf eine analytische Fragestellung verzichtende, dennoch wertvolle Studie von U. W. Kitzinger (1960): Wahlkampf in Westdeutschland. Eine Analyse der Bundestagswahl 1957, Göttingen.
1.2 Landtagswahlkämpfe als Forschungsgegenstand
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forschung liefert umfassende Detailanalysen, etwa zu Inhalten und Programmen,53 Organisationen, Strategien oder einzelnen Kampagnen.54 Die prozessanalytische Wahlkampfforschung untersucht das Zusammenwirken mehrerer Wahlkampffaktoren auf vornehmlich lokaler und regionaler Ebene. Ihr Fokus liegt auf der Wechselseitigkeit relevanter Wahlkampfaspekte.55 Die funktionalistische Wahlkampfforschung umfasst alle „technischen“ Studien zur Wahlkampfführung. Diese „Handbücher“ zielen auf verwertbare Erkenntnisse für das politische Management.56 Die hier vorliegende Längsschnittanalyse verbindet die zeitgeschichtlich-deskriptive Ereignisbeschreibung mit einer faktorspezifischen Perspektive auf wichtige Rahmenbedingungen und zentrale Kampagnenbestandteile, gekoppelt mit einer prozessanalytischen Betrachtung der Wahlkampfakteure.57 Während Studien auf nationaler Ebene alle vier Kategorien hinreichend ausfüllen,58 ist die Forschung über Landtagswahlkämpfe selektiv. Es mangelt an grundlegenden und systematischen Arbeiten. Landtagswahlkämpfe werden allenfalls zur besseren Interpretation des Wahlverhaltens in Analysen einbezogen.59 Eine theoretische Trennung nationaler und regionaler Wahlkämpfe vernachlässigt die Wahlkampfliteratur.60 So konzentriert sich etwa Peter Radunski ausschließlich auf die nationale Ebene.61 Allein Werner Wolf berücksichtigt Landesaspekte, etwa den bundespolitischen Einfluss auf Landtagswahlkämpfe.62 Auf die beobachtend-deskriptive Pionierarbeit von Stephanie Münke63 über den Wahlkampf im Nachkriegs-Berlin folgten weitere frühe Wahlkampfanalysen auf Landesebene – etwa die unveröffentlichte Examensarbeit von Herwig Oehlschläger64, welche die „graue“ Wahlkampfliteratur der niedersächsischen Parteien vergleicht, die Diplomarbeit von Werner Wermeister65 oder die Dissertation von Wolf-Erich Schede66. Die kaum belegte Studie 53
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Vgl. anstatt vieler Edwin Czerwick/Ulrich Sarcinelli (1982): Außenpolitik und Wahlkampf. Eine Analyse zur Rolle der Außenpolitik im Bundestagswahlkampf 1979/80, Koblenz; Silke I. Keil (2003): Wahlkampfkommunikation in Wahlanzeigen und Wahlprogrammen, Frankfurt a.M. Vgl. etwa Kurt Faltlhauser (1971): Wahlkampf im Wahlkreis. Eine Untersuchung zur Wähleranalyse sowie zur Planung, Strategie und Durchführung eines Wahlkampfes auf Wahlkreisebene; dargestellt auf der Grundlage des Bundestagswahlkampfes 1969 der CDU im Bundestagswahlkreis 152, Inaugural-Dissertation, Mainz. Vgl. Vera Gemmecke (1967): Parteien im Wahlkampf. Eine Analyse der Bundestagswahl 1961 im Wahlkreis Arnsberg Soest, Meisenheim a.G.; vgl. den durch ausgefeilte theoretische und methodische Strukturen den bis dahin deskriptiven Trend durchbrechenden Band von Klaus von Beyme u. a. (Hrsg.) (1974): Wahlkampf und Parteiorganisation. Eine Regionalstudie zum Bundestagswahlkampf 1969, Tübingen. Vgl. den „Klassiker“ von Peter Radunski (1980): Wahlkämpfe. Moderne Wahlkampfführung als politische Kommunikation, München. So auch Volker Hetterich (2000): Von Adenauer zu Schröder – Der Kampf um Stimmen. Eine Längsschnittanalyse der Wahlkampagnen von CDU und SPD bei den Bundestagswahlen 1949 bis 1998, Opladen, S. 24 f. Verschiedene Aspekte deckt folgender Band ab Nikolaus Jackob (Hrsg.) (2007). Vgl. die kontinuierlich veröffentlichten Landtagswahlstudien in der Zeitschrift für Parlamentsfragen. So auch die begründete Feststellung von Michaela Schreiber (2004): Kommunikationsstrategien im Wahlkampf. Unterschiede lokaler und nationaler Kampagnen am Beispiel von SPD und Labour Party, in: Markus Karp/Udo Zolleis (Hrsg.): Politisches Marketing, Münster, S. 67-88, hier S. 69. Vgl. Radunski (1980). Vgl. Werner Wolf (1980): Der Wahlkampf. Theorie und Praxis, Köln, S. 76-82; ders. (1985): Wahlkampf und Demokratie, Köln, S. 46-52. Vgl. Stephanie Münke (1952): Wahlkampf und Machtverschiebung. Geschichte und Analyse der Berliner Wahlen vom 3. Dezember 1950, Berlin. Vgl. Herwig Oehlschläger (1963): Publikationen von CDU, FDP und SPD zum niedersächsischen Landtagswahlkampf 1963 im Verwaltungsbezirk Oldenburg. Inhalte und Methoden, Oldenburg. Vgl. Werner Wermeister (1964): Ziele und Methoden der Parteien im Landtagswahlkampf von NordrheinWestfalen 1962, Diplomarbeit, Köln. Vgl. Wolf-Erich Schede (1961): Der Landtagswahlkampf in Niedersachsen 1959, Stuttgart.
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Einleitung
Schedes beschäftigt sich mit der Planung und Durchführung des niedersächsischen Landtagswahlkampfes 1959. Es dominiert die Deskription, eine analytische Perspektive fehlt. Schede argumentiert normativ, indem er etwa die politische Lenkungsfunktion des Wahlkampfes hervorhebt. Ebenfalls ohne Leitfrage, aber theoretisch fundierter unterscheidet Wermeister zwischen einer kontinuierlichen rationalen und konfliktarmen Parteienpropaganda und der speziellen „militanten“ und „emotionalen“ Wahlkampfpropaganda.67 Im Gegensatz zu den (heute kaum noch verwertbaren) frühen akademischen Arbeiten bietet der faktorspezifisch ausgerichtete Sammelband von Reinhold Roth und Peter Seibt zum Bremer Bürgerschaftswahlkampf 1975 neben Analysen zur Kandidatenaufstellung und Programmentstehung einen wertvollen Beitrag zu den „Interaktionen der Parteien im Wahlkampf“. 68 Einige der älteren Arbeiten untersuchten die unverändert bedeutsamen bundespolitischen Einflüsse auf Landtagwahlkämpfe. Wolfgang Leirich etwa stellt in seiner Studie über die nordrhein-westfälische Landtagswahl von 1962 eine gezielte bundespolitische Instrumentalisierung fest. Sei sich die CDU ihrer bundespolitischen Schwäche bewusst gewesen und habe daher auf für sie günstige landespolitische Größen gesetzt, habe die SPD nach der Devise agiert, dass die Wähler nicht klar zwischen Bundes- und Landespolitik trennen. Sie konzipierte ihre Kampagne ausschließlich bundespolitisch. 69 Von nicht minderer aktueller Relevanz ist Georg Fabritius’ These, dass Landtagswahlen und Landtagswahlkämpfe im bundespolitischen Schatten stehen. Der Bedeutungsverlust der Landespolitik, der hohe Einfluss von Bundesthemen in Landtagswahlkämpfen, die geringe Sensibilisierung der Wähler für landespolitische Fragen und die starke Rolle der Bundesparteien verliehen ihnen den Charakter instrumentalisierter „Bundesteilwahlen“.70 Wie Bernd Heidenreich und Werner Wolf belegen, kann ein kurzfristiger bundespolitischer Paukenschlag bei Landtagswahlen ein als sicher geglaubtes Wahlergebnis kippen und eine landespolitisch gut fundierte Wahlkampagne marginalisieren.71 Weiter vor dringt in dieser Frage Edwin Czerwick, der anhand der Landtagswahlkämpfe von 1979 bis 1983 das Legitimationsverhalten und die Wahlkampfführung der Parteien auf strategische landes- und bundespolitische Elemente hin untersucht.72 Die von ihm erörterten Zusammenhänge und Fabritius’ These bilden unerlässliche Grundlagen für diese Arbeit. Hingegen greift der Beitrag von Klaus Erich Pollmann über Wahlen und Wahlkämpfe in den bundesdeutschen Ländern der 1950er Jahre zwar auf die von Fabritius herausgearbeiteten Zusammenhänge zurück, handelt Landtagswahlkämpfe aber nur marginal ab. Einzig seine Verweise auf die geringere Mobilisierungswirkung und auf die „traditionellere“ Wahlkampfführung sind hilfreich. 73 67 68
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Vgl. Wermeister (1964), S. 4 f. Vgl. Hartmut Görler (1979): Interaktionen der Parteien im Wahlkampf, in: Reinhold Roth/Peter Seibt (Hrsg.): Etablierte Parteien im Wahlkampf. Studien zur Bremer Bürgerschaftswahl 1975, Meisenheim am Glan, S. 305-358. Vgl. Wolfgang Leirich (1968): Politik in einem Bundesland. Die Landtagswahl vom 8. Juli 1962 in Nordrhein-Westfalen, Köln/Opladen, S. 7, 57 f. Vgl. Georg Fabritius (1978): Wechselwirkungen zwischen Landtagswahlen und Bundespolitik, Meisenheim am Glan, S. 107 f., 212-215. Vgl. Bernd Heidenreich/Werner Wolf (1996): Die strategische Planung von Landtagswahlkämpfen am Beispiel des Wahlkampfes der hessischen CDU 1982, in: Bernd Heidenreich/Konrad Schacht (Hrsg.): Hessen. Wahlen und Politik, Stuttgart u. a., S. 219-237. Vgl. Czerwick (1984a). Vgl. Klaus Erich Pollmann (1997): Wahlen und Wahlkämpfe in den Ländern der Bundesrepublik 1949-1960, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.): Wahlen und Wahlkämpfe in Deutschland. Von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zur Bundesrepublik, Düsseldorf, S. 241-309, hier S. 261-264.
1.2 Landtagswahlkämpfe als Forschungsgegenstand
27
Aktuelle Landtagswahlkampfstudien konzentrieren sich überwiegend auf Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Der Stellenwert dieser Länder, speziell die Initiativen von Josef Schmid und Ulrich von Alemann, befördern derartige Arbeiten. So überprüft der Band von Josef Schmid und Honza Griese74 anhand des baden-württembergischen Landtagswahlkampfes 2001 die Amerikanisierungsthese. Ein landespolitischer Analyseschwerpunkt (beispielsweise die Frage nach Strukturmustern eines Landtagswahlkampfes) fehlt. Einzig die Beiträge über moderne Kampagnenausprägungen und über die Personalisierung im Landtagswahlkampf vermitteln „landestypische“ Wahlkampfelemente. 75 Der Nachfolgeband von Josef Schmid und Udo Zolleis zu den Landtagswahlen und Landtagswahlkämpfen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz 2006 hat ein stärker landespolitisches Erkenntnisinteresse. „Die beiden Wahlen [bilden] den Ausgangspunkt, um über die politische Kultur, die Parteien, die Wählerschaft, die Medienlandschaft und über moderne Wahlkampfmethoden in den beiden Ländern einen genaueren Überblick zu erhalten.“76 Dass dies gelingt, zeigen exemplarisch Anne Jessen und Udo Zolleis.77 Sie arbeiten die Relevanz der persönlichen Wähleransprache in Landtagswahlkämpfen und die Entscheidungsfreiheit der Wahlkreiskandidaten in ihrer Wahlkampfführung heraus. Zentral initiierte moderne Wahlkampfelemente scheitern mitunter an der Autonomie vor Ort. Die Autoren verneinen die These von amerikanisierten Landtagswahlkämpfen. Tina Huh beleuchtet in ihrer politikwissenschaftlichen Dissertation anhand der badenwürttembergischen Landtagswahlkämpfe von 1952 bis 1992 die Werbekampagnen von CDU und SPD.78 Ihre faktorspezifische Studie folgt der Leitfrage, ob politische Werbung die Wähler allein mit dem Ziel des Wahlerfolgs manipuliert oder aber sie als Instrument der politischen Willensbildung fungiert. Huh geht es folglich weniger darum, ein geschlossenes Bild der baden-württembergischen Kampagnen zu entwickeln, weshalb ihre Studie kaum tiefgehend schöpft. Größtes Manko ist der Mangel an Primärliteratur. Der Band von Ulrich Sarcinelli und Heribert Schatz79 untersucht die zentrale These des Übergangs von der Parteien- zur Mediendemokratie am Beispiel des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfes 2000. Die Studien orientieren sich an den vielfältigen Interaktionen zwischen Medien und Politik. Theoretische Reflexionen zu Landtagswahlkämpfen fehlen. Die einzelnen Beiträge, speziell der von Alexander Geisler und Jens Tenscher, bie-
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Vgl. Josef Schmid/Honza Griese (Hrsg.) (2002): Wahlkampf in Baden-Württemberg. Organisationsformen, Strategien und Ergebnisse der Landtagswahl vom 25. März 2001, Opladen. Vgl. Martin Gerster (2002a): Modernisierung und Amerikanisierung im baden-württembergischen Landtagswahlkampf 2001; Jürgen Graner (2002): Personalisierung als erfolgreiche Wahlkampfstrategie? „Prinzessin mit dem Mahagonihaar oder gerösteter Haarschopf?“, in: Schmid/Griese (Hrsg.) (2002), S. 31-41, 43-60. Josef Schmid/Udo Zolleis (2007): Wahlkampfforschung als Grenzgängerin zwischen den Disziplinen: Einleitende Gedanken, in: Dies. (Hrsg.): Wahlkampf im Südwesten. Parteien, Kampagnen und Landtagswahlen 2006 in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Berlin, S. 1-12, hier S. 1. Vgl. Anne Jessen/Udo Zolleis (2007): Moderne Elemente in traditionellen Bahnen – eine Untersuchung anhand der Wahlkreiskampagnen von CDU und SPD in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in: Ebd., S. 162-190. Vgl. Tina Huh (1996): Moderne politische Werbung – Information oder Manipulation? Werbestrategien im Wahlkampf, dargestellt anhand der Landtagswahlkämpfe in Baden-Württemberg von 1952 bis 1992, Frankfurt a.M. Vgl. Ulrich Sarcinelli/Heribert Schatz (Hrsg.) (2002): Mediendemokratie im Medienland. Inszenierungen und Themensetzungsstrategien im Spannungsfeld von Medien und Parteieliten am Beispiel der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2000, Opladen.
28
Einleitung
ten dennoch wertvolle Einblicke in die Wahlkampfplanung, -organisation und -führung der nordrhein-westfälischen Parteien.80 In Folgestudien zur Professionalität von Wahlkämpfen im Mehrebenensystem knüpft Tenscher an die Eigenheiten solcher Nebenwahlkämpfe an.81 Die vorrangig der „technischen“ Frage nach dem Professionalitätsgrad von Europa- und Landtagswahlkämpfen nachgehenden Betrachtungen eröffnen wichtige Zusammenhänge zur Kampagnenorganisation, den Kommunikationsstrukturen, dem Ausmaß der Personalisierung und zu strategischen Aspekten. Jens Tenscher verdeutlicht den klaren kommunikativen und strategischen Professionalitätsabfall zwischen den übergeordneten Bundestags-, den nachgeordneten Landtags- und den vernachlässigten Europawahlkämpfen. Er liefert damit essenzielle Vergleichs- und Bezugspunkte für den konzeptionellen Rahmen dieser Arbeit. Insgesamt offenbaren der spezielle Stand der Wahl- und Parteienforschung zu Sachsen sowie der allgemeine Stand der deutschen Landtagswahlkampfforschung die Notwendigkeit und die Möglichkeit dieser Wahlkampfanalyse. Sie kann durchaus auf Vorarbeiten zurückgreifen. Obwohl nur wenige Studien die Landesebene betrachten, sind Wahlkämpfe politikwissenschaftlich gut durchdrungen, das ebenenunabhängige Instrumentarium für ihre konkrete Exploration ist reichhaltig.
1.3 Methodik Wahlkämpfe werden gemeinhin wegen ihres akteursbezogenen Konkurrenzcharakters im Ringen um politische Entscheidungsmacht dem Politics-Bereich zugeordnet, Wahlkampfforschung folgerichtig der Politics-Analyse.82 Nach Manfred G. Schmidt ist die beste Politikwissenschaft jedoch diejenige, „die Fragen der institutionellen Ordnung, der ideengeschichtlichen Grundlagen, der Konflikts-, Konsens- und Machterwerbsprozesse und der Substanz politischer Entscheidungen gleichermaßen berücksichtigt“.83 In diesem Sinne lässt sich Wahlkampf methodisch als ein Wettstreit zwischen politischen Akteuren um Macht (politics) definieren, der in einem politisch-institutionellen Rahmen (polity) abläuft und seinen Sinn durch Aussagen auf diversen Politikfeldern (policy) erhält.84 Die Polity-Dimension stellt den formalen Rahmen aus Parteien- und Wahlsystem, der für den jeweiligen Wahlkampf als Fixum gilt, interperiodisch aber variiert. Er bestimmt, indem ihn alle Parteien antizipieren und akzeptieren, das grundlegende Wahlkampfprofil. Die Policy-Dimension 80
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Vgl. Alexander Geisler/Jens Tenscher (2002): „Amerikanisierung“ der Wahlkampagne(n)? Zur Modernität der Kommunikationsstrukturen und -strategien im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf 2000, in: Ebd., S. 53-117. Vgl. Jens Tenscher (2007): Professionalisierung nach Wahl. Ein Vergleich der Parteienkampagnen im Rahmen der jüngsten Bundestags- und Europawahlkämpfe, in: Frank Brettschneider u. a. (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2005. Analysen des Wahlkampfes und der Wahlergebnisse, Wiesbaden, S. 65-95; ders. (2008): Große Koalition – kleine Wahlkämpfe? Die Parteienkampagnen zu den Landtagswahlen 2006 im Vergleich, in: Ders. (Hrsg.): 100 Tage Schonfrist. Bundespolitik und Landtagswahlen im Schatten der Großen Koalition, Wiesbaden, S. 107-137. Vgl. etwa Gerhard Vowe (2003): Politische Kommunikation, in: Herfried Münkler (Hrsg.): Politikwissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg, S. 519-552, hier S. 540-546. Manfred G. Schmidt (1985): Politikwissenschaft, in: Hans-Hermann Hartwich (Hrsg.): Policy-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen, S. 137-143, hier S. 139. Die von Klaus Schubert weiterentwickelte Typologie politikwissenschaftlicher Fragestellungen Werner Janns charakterisiert diese Konstellation als „politische“ Fragestellung mit der politics-Dimension als integrativer Komponente. Vgl. Klaus Schubert (1991): Politikfeldanalyse. Eine Einführung, Opladen, S. 27.
1.3 Methodik
29
beeinflusst den Wahlkampf in Form inhaltlicher Auseinandersetzungen, die als Teil des Policy-Zyklus wahlkampftragend sind. Plastisch gesprochen, umfasst dies die erste (Problemdefinition, Agenda-Gestaltung) und die letzte Phase (Evaluation) eines idealen Politikzyklus.85 Indem Wahlkämpfe primär als Prozesse des inner- und interparteilichen Konflikts und Konsenses mit dem Zweck des Machterhalts bzw. des Machterwerbs, in Abhängigkeit zu den beiden anderen Dimensionen, verstanden werden, obliegt der dritten, der prozessualen Dimension (politics) ein Integrationsauftrag. Die qualitative Längsschnittanalyse berücksichtigt in ihrer zweigeteilten Vorgehensweise aus systematischer Deskription und vergleichender Analyse alle drei Dimensionen. Sie ist geleitet von dem ideografischen Ansatz, dass politisch komplexe Phänomene lediglich innerhalb ihres sozialen und historischen Kontexts beschrieben und erklärt werden können.86 Veränderte gesellschaftliche, ökonomische oder politische Umweltbedingungen beeinflussen unmittelbar und einzigartig die Parteien in ihrer Wahlkampfführung. Ferner zwingen die qualitativen Variablen den Aussagen dieser Arbeit einen probabilistischen Charakter auf.87 Beschreibung und Analyse der Wirklichkeit geschehen nur näherungsweise. Ziel ist die intersubjektiv nachvollziehbare Untersuchung empirischer Phänomene, um „mehr über den Objektbereich aus[zu]sagen als zu früheren Zeitpunkten“.88 Es handelt sich nicht um eine holistische, sondern um eine Studie, welche die Zahl der Betrachtungsobjekte sowie Tiefe und Breite der Analyse reduziert. Anhand von vier Wahlkämpfen gleicher Ebene (Fälle) werden die drei Akteure (Einheiten) mithilfe des Säulenmodells (Variablen) untersucht. Die zwölf Analyseeinheiten münden in einen Zwei-Ebenen-Vergleich, der einerseits die Entwicklung der einzelnen Parteien und ihrer Wahlkämpfe im Zeitablauf betrachtet, andererseits die Kampagnen vergleicht. Die Arbeit umfasst somit drei Untersuchungsobjekte zu vier Zeitpunkten in einer geografisch begrenzten Interaktion. 89 Die Datengewinnung geschieht nach drei Verfahren: interaktive Befragungen sowie Dokumenten- und Sekundärdatenanalysen. Die Streuung wirkt der Gefahr der Verfälschung entgegen und versucht, die besondere Datenproblematik des aktuellen Untersuchungsgegenstands auszuräumen. Landtagswahlkämpfe basieren überwiegend auf innerparteilichen, oft informellen Prozessen, was ihre Erforschung erschwert bzw. streckenweise verhindert. Während die programmatische und interparteiliche Ausrichtung im Wahlkampf sehr gut aus der öffentlichen Dokumentation hervorgeht, lassen sich Strategien, Organisationsschemen oder personelle Rollenverteilungen nur ansatzweise aus publizierten Materialien extrahieren. Unveröffentlichte Dokumente und Interviews bieten einen partiellen Einblick, wobei die weite Ebene der informellen Planung und Absprachen kaum zu erhellen ist. Als Interviewtechnik diente das mündliche, halb-standardisierte Experteninterview. Ziel war es, Datenlücken zu schließen und umstrittene Daten zu prüfen, um die Wahlkämpfe möglichst vollständig rekonstruieren zu können. Die offene Frageform ermöglichte zudem eine bessere Qualifikation der Antworten. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte nach deren Status zum Zeitpunkt der jeweiligen Wahl (z. B. Ministerpräsidenten, Minister, Fraktions- und Parteivorsitzende, Wahlkampfleiter, Wahlkandidaten). Die Fragen sprachen 85
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Vgl. Werner Jann/Kai Wegrich (2003): Phasenmodell und Politikprozesse: Der Policy Cycle, in: Klaus Schubert/Nils C. Bandelow (Hrsg.): Lehrbuch der Politikfeldanalyse, München, S. 71-103, hier S. 77, 82. Vgl. Siegfried Lamnek (2005): Qualitative Sozialforschung, 4. Aufl., Weinheim/Basel, S. 245-247. Vgl. Jürgen Hartmann (1995): Vergleichende Politikwissenschaft. Ein Lehrbuch, Frankfurt a.M., S. 28. Volker Dreier (1997): Empirische Politikforschung, München, S. 10, 27. Vgl. Manfred G. Schmidt (2004): Vergleichende Methode, in: Ders.: Wörterbuch der Politik, 2. Aufl., Stuttgart, S. 745; B. Guy Peters (1998): Comparative Politics. Theory and Methods, London, S. 23.
30
Einleitung
technische, taktische bzw. organisatorische Sachverhalte, strategische Informationen sowie das Alltägliche eines Wahlkampfes an. Für die Validität und die Reliabilität der Daten erwies sich das Interview als gültiges Instrument. Die Zuverlässigkeit der Aussagen wurde durch Quervergleiche verschiedener Antworten auf identische Fragen und durch den Abgleich der Interview- mit den Dokumentendaten geprüft.90 Neben Sekundärliteratur besteht das zur Analyse herangezogene Material überwiegend aus prozessproduzierten Primärdaten der sächsischen Parteien. Bei den veröffentlichten Materialien handelt es sich u. a. um Wahlprogramme, Regierungsprogramme und spezielle, für den Wahlkampf entworfene Aktionsprogramme,91 sonstige Wahlkampfschriften, sogenannte „graue Literatur“ (z. B. Wahlzeitungen, Handzettel, Anzeigen), und Reden der Spitzenkandidaten. Die unveröffentlichten Materialien umfassen u. a. Vorstandsprotokolle der Parteien, Strategie- und Kommunikationspapiere, Mitschriften von Wahlkampfbesprechungen, Parteitagsprotokolle und Programmentwürfe. Des Weiteren basiert die Analyse auf der Zeitungsberichterstattung der wichtigsten sächsischen und überregionalen Tageszeitungen, ergänzt durch Wochenzeitungen und -zeitschriften. Das Material wird per Inhaltsanalyse ausgewertet, interpretiert und analysiert. Entgegen streng qualitativer Inhaltsanalysen, geschieht dies anhand vorher entwickelter theoretischer Analyseeinheiten und -kategorien. Sie gewährleisten die Systematik und Plausibilität der Untersuchung, die mittels Reduktion, Strukturierung und Explikation Sinnzusammenhänge theoriegelenkt abbildet und interpretiert. Das Verfahren ist in Teilen hermeneutisch, da es durch Reflexion zwischen Vor- und Textverständnis die „hermeneutische Differenz“ zu verringern und das Verstehen zu erhöhen versucht.92 Der erwähnte Datenmix reduziert die inhärente Fehlerwahrscheinlichkeit. Zunächst selektiert eine systematische Datenreduktion das Material auf seine Hauptaussagen hin, ohne die Grundaussage zu verfälschen oder die Komplexität des Gegenstands zu verringern. Dem folgt die Datenstrukturierung, die unter festgelegten theoretischen Gesichtspunkten die für die Leitfragen relevanten Aspekte herausarbeitet.93 Die notwendige begriffliche Operationalisierung erfolgt in den einführenden theoretischen Kapiteln. Unter der Prämisse, dass Deskription „gesellschaftlichempirische Sachverhalte geordnet erfasst und der theoretischen Reflexion zuführt“,94 ist sie ein unersetzlicher analytischer Bestandteil qualitativer Wissenschaft.
1.4 Aufbau Kapitel 2 erörtert die Rahmenbedingungen der ersten vier sächsischen Landtagswahlkämpfe im Hinblick auf das Parteien- und Wahlsystem, das Wahlverhalten und den Einfluss der 90
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Vgl. Siegfried Lamnek (1995b): Qualitative Sozialforschung. Bd. 2 Methoden und Techniken, Weinheim, S. 35; Alexander Bogner u. a. (Hrsg.) (2002): Das Experteninterview, Opladen. „Wahlprogramme stellen die einzige Programmform dar, die bei allen Parteien regelmäßig und im gleichen Zeitraum – nämlich dem Wahljahr – veröffentlicht werden und durch die somit kontinuierlich Veränderungen von Themen und Positionen identifiziert werden.“ Daniel Rölle (2000): Wahlprogramme: Richtschnur parlamentarischen Handelns, in: ZParl 31 (2000), S. 821-833, hier S. 824. Vgl. Siegfried Lamnek (1995a): Qualitative Sozialforschung. Bd. 1 Methodologie, Weinheim, S. 75 f. Vgl. Ulrich von Alemann/Wolfgang Tönnesmann (1995): Grundriss: Methoden der Politikwissenschaft, in: von Alemann (Hrsg.), S. 132; Werner Reh (1995): Quelle- und Dokumentenanalyse in der Politikfeldforschung: Wohin steuert die Verkehrspolitik, in: Ebd., S. 201-259, hier S. 216. Dieter Nohlen (1994): Deskription/Deskriptive Analyse, in: Jürgen Kriz u. a. (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methoden (Lexikon der Politik, hrsg. v. Dieter Nohlen, Band 2), München, S. 76 f.
1.4 Aufbau
31
Bundespolitik auf die Landtagswahlen. Neben den zu beachtenden quantitativen und qualitativen Besonderheiten des ostdeutschen Parteiensystems (Angebotsseite) spielt auch das ostdeutsche Wahlverhalten (Nachfrageseite) eine wichtige Rolle für das Verständnis der sächsischen Landtagswahlkämpfe.95 Kapitel 3 konstruiert ein Säulenmodell,96 bestehend aus dem konzeptionellen Überbau des Wahlkampfes und den drei Hauptsträngen Image-, Themen- und Konkurrenzkampagne. Dabei handelt es sich nicht um ein Modell, welches empirisch be- oder widerlegt werden soll, sondern um einen strukturierten Instrumentenkasten für die spätere systematische Deskription und Analyse. Der konzeptionelle Überbau unterscheidet nach der organisatorischen, strategischen und kommunikativen Wahlkampfebene. Er schließt das zentrale Wahlkampfmanagement (Organisation), die Wahlkampfplanung in Form der angestrebten Ziele und der dazu verwendeten Mittel (Strategie) sowie, wohlgemerkt implizit, die Instrumentarien der Interaktion der Parteien mit den Wählern und Medien (Kommunikation) ein. Organisation und Strategie stehen im Vordergrund. Die Wahlkampfkommunikation ergänzt die Betrachtung punktuell. Die erste Säule, die Imagekampagne, umfasst das Erscheinungsbild des Spitzenkandidaten ebenso wie das der Partei. Das Kandidatenimage ist wegen des angenommenen hohen Personalisierungsgrads der Landtagswahlkämpfe wichtig. Das Parteiimage bedarf der Analyse, da alle drei Akteure ihr Rollenbild 1990 neu kreieren und in der Folgezeit fortentwickeln mussten. Die zweite Säule, die Themenkampagne, behandelt zunächst allgemeine Elemente, u. a. Themenmanagement, Leitslogans oder Programmfunktionen. Um exemplarisch den wirtschaftspolitischen Themenwahlkampf erfassen zu können, dient das Modell der wirtschaftspolitischen Konzeption. Es fungiert später als Instrument, um die wirtschaftspolitischen Prinzipien, Ziele und Methoden der Parteien zu bündeln und zu vergleichen. Die dritte Säule, die Konkurrenzkampagne, erklärt die Arten der zwischenparteilichen Interaktion und die ihnen zugrunde liegenden Strategiemuster. Bedeutsam ist hier u. a., in welchem Maße die Parteien ihre Wahlkampfstrategien und die darauf basierenden Kampagnen mit Blick auf den politischen Gegner instrumentalisieren. Abschließend erfolgt eine kurze Definition des Gesamtmodells. Die Kapitel 4 bis 7 bilden den ersten Schwerpunkt der Arbeit: die anhand des Instrumentariums und der gewonnenen Daten systematisierte, gezielt auf die leitenden Fragen hin entwickelte, analytische Rekonstruktion der Landtagswahlkämpfe im Zeitraum 1990 bis 2004. Alle vier Kapitel folgen dem gleichen Pfad. Zunächst zeichnet ein Unterkapitel die 95
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Die Ausführungen zum Wahlverhalten ersetzen Zielgruppentypologien. Zum einen kann über einen derart großen Transformationszeitraum nur schwer eine gültige Wählertypologie entwickelt werden, die als Erklärungsmuster für alle drei untersuchten Parteien zu dienen vermag. Eine für Ostdeutschland schlüssige Wählertypologie findet sich bei Peter Gluchowski/Fritz Plasser (1999): Zerfall affektiver Parteibindungen in Deutschland und Österreich: Vergleichende Trend-Analysen, in: Fritz Plasser u. a. (Hrsg.): Wahlen und politische Einstellungen in Deutschland und Österreich, Frankfurt a.M., S. 3-29, hier S. 9. Auch belegen Geisler/ Tenscher, dass sich die Zielgruppenkampagnen der Parteien bei Landtagswahlkämpfen vornehmlich an sozialstrukturellen Wählermerkmalen ausrichten. Vgl. Alexander Geisler/Jens Tenscher (2001): Modern, postmodern, pseudo-modern? Eine Überprüfung der Amerikanisierungsthese am Beispiel des nordrheinwestfälischen Landtagswahlkampfes 2000, in: Landauer Arbeitsberichte und Preprints, Heft 11, S. 34 f. Ähnlich verfahren Lars Neuwerth (2001): Strategisches Handeln in Wahlkampfsituationen. Der Bundestagswahlkampf 1998, Hamburg; Andreas Timm (1999): Die SPD-Strategie im Bundestagswahlkampf 1998, Hamburg. Neuwerth analysiert die Strategieimplikation im Bundestagswahlkampf anhand personen-, issueund parteibezogener Wahlkampfbotschaften. Timm stellt ein aus Personen-, Themen- und Angriffswahlkampf bestehendes „3-Säulen-Modell“ in das Zentrum seiner Untersuchung. Gerd Strohmeier unterteilt das politische Produkt einer Wahlkampagne in Kandidaten, Parteiimage und Sachthemen. Vgl. Gerd Strohmeier (2002): Moderne Wahlkämpfe – wie sie geplant, geführt und gewonnen werden, Baden-Baden, S. 37-57.
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Einleitung
wichtigsten ökonomischen, politischen und demoskopischen Rahmenbedingungen nach. Anschließend wird der Wahlkampf jeder Partei nach den Vorgaben des Säulenmodells abgebildet – immer ergänzt um den Werdegang der Parteien im Vorfeld der Wahl. Am Ende steht jeweils eine Wahlnachlese. Im zweiten Schwerpunkt (Kapitel 8) werden die (noch fallbezogenen) Erkenntnisse auf zwei Ebenen miteinander verglichen. Ein akteurszentriert-intertemporaler Vergleich widmet sich der Entwicklung (Kontinuität und Wandel) jeder Partei. Ein interparteilicher Vergleich richtet den Fokus auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Akteuren. Die komparative Analyse umfasst: Organisation und Strategie, die parteiliche und personelle Imagekampagne, die allgemeine und spezielle Themenkampagne sowie die Konkurrenzkampagne. Die Betrachtung der Organisation der Landtagswahlkämpfe ist gemäß den theoretischen Annahmen dreigeteilt. Sie unterscheidet nach dem temporären System der Wahlkampforganisation, den zentralen Akteuren im Landtagswahlkampf und den Phasen der Kampagnenorganisation und -durchführung. Die Kampagnenkommunikation fließt nur exemplarisch in die Organisationsanalyse mit ein. Sie ist nicht systematischer Kernbestandteil der Arbeit. Die Analyse der Strategien greift den im Säulenmodell entwickelten Dreiklang aus quantitativen und qualitativen Wahlzielen, zielorientierten Kernstrategien und den zu ihrer Umsetzung notwendigen Leitkampagnen wieder auf. Hinzu kommen die Spezifika des Regierungs- bzw. Oppositionsstatus der Landesparteien und des bundespolitischen Einflusses auf die landespolitischen Wahlkampfstrategien. Das Parteiimage wird mithilfe dreier Komponenten vergleichend analysiert: dem ideologischen, dem kompetenzvermittelnden und dem strukturellen Parteiimage. Darüber hinaus beleuchtet ein Unterpunkt die von allen Parteien bediente sächsische Identität. Das Kandidatenimage stellt das Verhältnis zwischen dem „Landesvaterimage“ und den Rollenbildern der Herausforderer in den Mittelpunkt. Der Vergleich der allgemeinen Themenkampagnen erfolgt auf fünf Gebieten: dem Zusammenhang zwischen den Problemwahrnehmungen der Wähler und den durch die Parteien induzierten Wahlkampfthemen, der strategischen Einbindung der Themenkampagne, der Rolle der Wahlprogramme für die Landesparteien, der Themenarten und der Art der Personalisierung der Themenkampagne. Die spezielle Themenkampagne analysiert die vier zentralen Merkmale wirtschaftspolitischer Konzeptionen: die Situationsanalyse, die sozio-ökonomischen Ziele, die zu deren Erreichen notwendigen Methoden und die zentralen Ordnungsprinzipien. Im Falle der Kohärenz ihrer Teile entsprechen die Konzeptionen dem Rationalitätsprinzip. Die vergleichende Analyse der Konkurrenzkampagnen erfasst anhand der eingangs erörterten konkurrenzstrategischen Grundlagen das Wettbewerbsverhältnis von CDU, SPD und PDS. Abschließend bündelt Kapitel 9 die wichtigsten Erkenntnisse, indem es über Punkt 8 hinaus die zu Beginn aufgeworfenen Leit- und Unterfragen beantwortet. Die Schlussbetrachtung beantwortet ferner die Frage nach der Prognose- und Erklärungsfähigkeit der Ergebnisse nach dem Ende des Dreiparteiensystems und vor dem Hintergrund des sächsischen Landtagswahlkampfes 2009. Ein kurzer Blick auf offene Forschungsfragen schließt die Studie ab.
2 Parteien und Wähler in Ostdeutschland
2.1 Parteiensystem – Angebotsseite des politischen Systems 2.1.1 Begriffsklärungen Wer Parteien im Sinne Max Webers als freie „Vergesellschaftungen“ Gleichgesinnter zur Machterlangung und politischen Zieldurchsetzung betrachtet,1 verengt ihre Rolle in Wahlkämpfen auf zwei Funktionen: Parteien als Instrumente zum Ausdruck von Zielen und Forderungen (Zielfindungsfunktion) sowie Parteien als Instrumente zur Machterlangung bzw. zum Machterhalt (Mobilisierungsfunktion). 2 Obwohl Artikel 21 GG die Willensbildungsfunktion von Parteien im politischen Gestaltungsprozess akzentuiert, stehen in Wahlkämpfen alle Funktionen, ob normativ gleich- oder höherrangig veranschlagt, hinter den oben genannten zurück bzw. gehen im Einklang mit diesen.3 So wirken Parteien über ihre Wahlkampfkommunikation permanent an der politischen Willensbildung mit. Ebenso bedürfen sie in Form von Wahlentscheidungen der freien politischen Willensbildung der Bürger.4 Charakteristisch für Parteien in demokratischen Verfassungsstaaten ist ferner ihre „Doppelrolle“. „Ihrer Herkunft nach sind sie gesellschaftliche Gebilde mit der Aufgabe, gesellschaftliche Meinungen und Interessen zu formieren und zu artikulieren. Ihrem Ziel nach sind sie auf den Staat gerichtet, in welchem sie mittels des Wählerauftrags ihre Meinung zur verbindlichen Herrschaft zu bringen versuchen.“ Indem Parteien die gesellschaftlich-staatliche Grenzlinie überspannen, lösen sie das „Vermittlungsproblem zwischen vorhandener gesellschaftlicher Vielfalt und aufgegebener staatlicher Einheit“. Objekt ihrer Konkurrenz in Wahlkämpfen ist der Staat, in Form legislativer bzw. exekutiver Macht.5 Der Begriff des Parteiensystems umschließt nach Heino Kaack die „Gesamtheit der politischen Kräfte, die im Parlament vertreten sind oder wenigstens eine Vertretung im Parlament anstreben, in Anzahl, Größenordnung, Struktur und politischen Relationen zueinander“.6 Die Beschränkung der Arbeit auf CDU, SPD und PDS ist daher legitim, erfüllen sie doch als einzige durchweg vertretene Parlamentsparteien das zentrale Kriterium. Eine genaue Einordnung der drei Akteure fällt indes vor dem Hintergrund der kaum über-
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Vgl. Max Weber (1964): Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Halbbd., Köln/Berlin, S. 211 f. Vgl. Winfried Steffani (1997): Gewaltenteilung und Parteien im Wandel, Opladen/Wiesbaden, S. 190; Klaus von Beyme (1984): Parteien in westlichen Demokratien, 2. Aufl., München/Zürich, S. 25. Vgl. Heino Kaack (1971): Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, Opladen, S. 687. Vgl. Heinrich Oberreuter (1992): Politische Parteien: Stellung und Funktion im Verfassungssystem der Bundesrepublik, in: Alf Mintzel/ders. (Hrsg.): Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bonn, 15-40, hier S. 28. Dieter Grimm (1987): Die Parteien im Verfassungsrecht: Doppelrolle zwischen Gesellschaft und Staat, in: Peter Haungs/Eckhard Jesse (Hrsg.): Parteien in der Krise?, Köln, S. 132-138, hier S. 133, 136. Kaack (1971), S. 11.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
schaubaren Typologien politischer Parteien schwer.7 Insbesondere behindert die in Westund Ostdeutschland unterschiedliche quantitative und qualitative Ausprägung des Parteiensystems und der Parteien selbst ihre exakte Spezifikation. Galt die PDS den wissenschaftlichen Beobachtern für die Dauer ihrer Existenz im Westen als Splitter-, gar Sektiererpartei, wurde sie im Osten schon in den 1990er Jahren als Regional-, Milieu- oder Volkspartei bezeichnet. Sind CDU und SPD im Westen Volksparteien, Massenparteien oder „catch-all parties“8, haben sie im Osten teils den Status von Kaderparteien.9 Neben ihrer Einbindung in das Parteiensystem bestimmt vor allem die innere Struktur einer Partei ihr Vorgehen im Wahlkampf. Die hier betrachteten Akteure entsprechen sogenannten Mitgliederparteien, bei denen, so Elmar Wiesendahl, „freiwillige Mitarbeit, demokratische Partizipation und Teilhabe, Programmorientierung und Ideologie organisationslogisch eine Einheit“ bilden und deren Markenzeichen „die demokratische Legitimation der Führungs-, Machtverteilungs- und Entscheidungsstruktur durch Mitgliederbeteiligung“10 ist. Obwohl die ostdeutschen Parteigliederungen seit Jahren wesentlich schwächer organisiert sind als die in Westdeutschland – die Formel von der „Mitgliederpartei ohne Mitglieder“ ist im Osten stichhaltig –, zeigen die Landesparteien hier nach wie vor Interesse am Aufbau einer mitgliederstarken Organisation, und haben sich nicht ihrem „Schicksal ergeben“. Ihre Zielrichtung ist eindeutig mitgliederorientiert.11 Ihrem politischen Anspruch nach handelt es sich um „organisational mass parties“, gekennzeichnet durch ausgebaute und dauerhafte Parteiapparate sowie durch Berufspolitiker mit langjähriger Parteikarriere. Im Vordergrund stehen für sie zudem die strategische Ämterbesetzung und damit die Expansion ihrer gesellschaftlichen und politischen Einflusssphären.12
2.1.2 Quantitative Spezifika des ostdeutschen Parteiensystems 1990-2004 Die friedliche Revolution 1989 beendete das formale Mehr-, jedoch faktische Einparteiensystem der DDR.13 Auf das zur Jahreswende 1989/90 zunächst etablierte Vielparteiensystem mit zahlreichen kleineren Gruppen folgte nach diversen Entwicklungsstadien14, welche das Organisations- und Parteiensystem der sterbenden DDR durchlief, ein Fünfparteiensystem aus CDU, SPD, den Liberalen, dem späteren Bündnis 90/Die Grünen und der PDS. Zahlreiche Parteineugründungen und Gruppen aus der Bürgerrechtsbewegung, wie der Demokratische Aufbruch oder das Neue Forum, hatten 1989 zunächst zwar eine gesunde 7
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Vgl. den Versuch von Richard Gunther/Larry Diamond (2003): Species of Political Parties. A New Typology, in: Party Politics 9 (2003), S. 167-199. Zur Terminologie siehe Otto Kirchheimer (1965): Der Wandel des Westeuropäischen Parteiensystems, in: PVS 6 (1965), S. 20-41, hier S. 27-33. Vgl. Karsten Grabow (2001): The Re-Emergence of the Cadre Party? Organisational Patterns of Christian and Social Democrats in Unified Germany, in: Party Politics 7 (2001), S. 23-43. Elmar Wiesendahl (2006): Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion, Wiesbaden, S. 21 f. Vgl. Grabow (2001), S. 24, 30 f. Vgl. Giovanni Sartori (2005): Party Types, Organisation and Functions, in: West European Politics 28 (2005), S. 5-32, hier S. 17-20. Vgl. Siegfried Mampel (1998): Das Mehrparteiensystem in der DDR, in: Ders. u. a. (Hrsg.): Wiedervereinigung Deutschlands, Berlin, S. 39-48. Vgl. Oskar Niedermayer/Richard Stöss (1994): DDR-Regimewandel, Bürgerorientierung und die Entwicklung des gesamtdeutschen Parteiensystems, in: Dies. (Hrsg.), S. 11-33.
2.1 Parteiensystem – Angebotsseite des politischen Systems
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Pluralisierung bewirkt, bei der Volkskammerwahl 1990 aber enttäuschend abgeschnitten. Eine Zersplitterung der DDR-Parteienlandschaft war ausgeblieben. Die Volkskammerwahl im Frühjahr 1990 spiegelte (mit Ausnahme der PDS) die Annahme des westdeutschen Parteiensystems durch die ostdeutsche Wählerschaft wider.15 Diese Sondersituation, in der mit dem Parteiensystem der Bundesrepublik ein System bereitstand, „dessen eingeübte Programmatik, interne Strukturierung und reziproke Konkurrenzorientierung“16 weitgehend in den Osten transferiert werden konnten, sorgte dafür, dass sich Ende 1990 das ostdeutsche Parteiensystem nach westdeutschem Muster als Variante des gesamtdeutschen Systems konsolidiert hatte. Ferner hatte der Einzug der westdeutschen Parteien aus dem anfangs noch stark konsensorientierten DDR-Parteiensystem ein polarisiertes Parteienspektrum geformt.17 Mit dem Eintritt der PDS in die deutsche Parteienlandschaft wandelte sich das zuletzt in Westdeutschland bestehende „bipolare Mehrparteiensystem“18 zu einem gesamtdeutschen „fluiden Fünfparteiensystem“.19 Im Ost-West-Verhältnis entstanden zwei voneinander abweichende Parteiengefüge. Entgegen des innerhalb des Betrachtungszeitraums im Westen auf Bundes- wie auf Landesebene stabilen Vierersystems verwandelte sich das ostdeutsche Parteiensystem nach Ablauf der ersten Legislaturperiode in ein Dreiparteiensystem aus CDU, SPD und PDS. Massive Wählerbewegungen verschoben das Gewicht zwischen CDU und SPD, ließen die PDS zur dritten oder zweiten Kraft aufsteigen und marginalisierten Grüne wie Liberale. Zwar konnten die Kleinparteien nach 2002 wieder erstarken, an der Dominanz der drei Großen änderte dies aber nichts.20 Für den Betrachtungszeitraum 1990 bis 2004 lassen sich folgende quantitative Besonderheiten des ostdeutschen Parteiensystems kursorisch festhalten.21 Die Dominanz von CDU, SPD und PDS bewirkte zunächst eine stärkere Fragmentierung. Die „effektive Parteienzahl“22 fiel im Vergleich zu Westdeutschland höher aus.23 Ebenfalls typisch für das ostdeutsche Parteiensystem zwischen 1990 und 2004 war eine ausgeprägte Volatilität. Das instabile Wahlverhalten rief mitunter abrupte Wandlungsprozesse hervor. Markantestes Beispiel war Sachsen-Anhalt. Hier verlor die CDU 1998 im Vergleich zu 1994 über ein Drittel ihrer Stimmen (-12,4 Punkte). 2002 gewann sie 15,3 Punkte hinzu (Tabelle 11). Die SPD fiel zur Landtagswahl 2002 mit einem Schlag um 15,9 Punkte. Ferner gewann die 15
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Vgl. Gerhard Lehmbruch (1991): Die deutsche Vereinigung: Strukturen und Strategien, in: PVS 32 (1991), S. 585-604, hier S. 594. Thumfart (2002), S. 206. Vgl. Lehmbruch (2004), S. 52 f. Rainer-Olaf Schultze (1987): Die Bundestagswahl 1987 – eine Bestätigung des Wandels, in: APuZ B. 12/1987, S. 3-17, hier S. 6. Oskar Niedermayer (2001a): Nach der Vereinigung: Der Trend zum fluiden Fünfparteiensystem, in: Gabriel u. a. (Hrsg.), S. 107-127, hier S. 117. Vgl. zusammenfassend für den Betrachtungszeitraum Eckhard Jesse (2004): Die Landtagswahlen in den neuen Bundesländern 1990 bis 2004, in: Deutschland Archiv 37 (2004), S. 952-962. Zu den Strukturmerkmalen eines Parteiensystems siehe Oskar Niedermayer (1996): Zur systematischen Analyse der Entwicklung von Parteiensystemen, in: Oscar W. Gabriel/Jürgen W. Falter (Hrsg.): Wahlen und politische Einstellungen in westlichen Demokratien, Frankfurt a.M., S. 19-49, hier S. 22. Die „effective number of parties“ drückt die interparteiliche Größenrelation aus, indem sie das Format eines Parteiensystems ins Verhältnis mit der relativen Parteigröße setzt. Vgl. Markku Laakso/Rein Taagepera (1979): „Effective“ numbers of parties. A measure with application to West Europe, in: Comparative Political Studies 12 (1979), S. 3-27. Vgl. Bernhard Weßels (2004): The German Party System: Developments after Unification, in: Werner Reutter (Hrsg.): Germany on the Road to “Normalcy”: Policies and Politics of the Red-Green Federal Government (1998-2002), New York, S. 47-65, hier S. 58-61.
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
rechtsextreme DVU 1998 aus dem Stand 12,9 Prozent der Wählerstimmen, vier Jahre später trat sie nicht einmal zur Wahl an. Dafür erhielt die bis dahin schwache FDP 13,3 Prozent. Ein Blick auf das Größenverhältnis zwischen den politischen Lagern (Asymmetrie) eröffnet weitere typische Verschiebungen. Wegen der Stärke von PDS und Grünen kam es seit 1994 auf Bundesebene zu einer strukturellen Asymmetrie links der Mitte. Seit 1998 votierten in Ostdeutschland bei Bundestagswahlen über 60 Prozent der Wähler für SPD, PDS oder Grüne. Auf Landesebene war die Situation im Betrachtungszeitraum komplexer. So existierten in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern klare „linke“ Mehrheiten,
2.1 Parteiensystem – Angebotsseite des politischen Systems
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deutlich vom west- oder gesamtdeutschen Parteiensystem ab. Es war schlichtweg „eigenartig“.27 Ein anderes Bild zeigt ein Vergleich der einzelnen ostdeutschen Länder. War die politische Landschaft 1990 noch relativ homogen, fand schnell eine regionale Differenzierung statt. Hochburgen und Diasporaregionen der Parteien schliffen sich ab, die Polarisierung zwischen den Ländern wuchs.28 Während die Bereitschaft der Ostdeutschen, bei Bundestagswahlen CDU zu wählen, Mitte der 1990er Jahre regelrecht einbrach,29 sank der Zuspruch zu den Christdemokraten bei Landtagswahlen nur moderat. Die beiden südlichen Freistaaten blieben fest in CDU-Hand, die SPD gewann in Brandenburg, MecklenburgVorpommern und in Teilen Sachsen-Anhalts bei Wahlen an Stärke (Tabelle 11). Ein „roter“ Norden stand gegen einen „schwarzen“ Süden. Entgegen dem negativen Wahltrend der CDU gelang es der SPD, durch einen kontinuierlichen Aufwärtstrend bei den Bundestagswahlen ihre anfängliche elektorale Schwäche wettzumachen und zur stärksten Kraft aufzusteigen. Bei Landtagswahlen war jedoch ein positiver Trend lediglich bis 1998 feststellbar – 1994 erreichte die SPD in Brandenburg sogar eine absolute Mehrheit. 1999 unterlagen die Sozialdemokraten der (auch bundespolitisch bedingten) Wechselfreudigkeit des Elektorats. Besonders in Sachsen und Thüringen verbuchten sie schwere Verluste. Die PDS entwickelte sich seit 1994 zu einer dauerhaften Größe. Ihre Wahlsiege 1998/99 besiegelten ihren Durchbruch. Auf Bundesebene kam die SED-Nachfolgerin erstmals über die Fünfprozenthürde, auf Landesebene übersprang sie in allen ostdeutschen Ländern, mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt, die 20-Prozentmarke. Nach einem zeitweiligen Einbruch bei der Bundestagswahl 2002 etablierte sich die PDS im Wahlgebiet Ost als dritte Großpartei. Ulrich Brümmer kommt für Sachsen zu dem Schluss, dass zwischen 1990 und 2004 „ein gering fragmentiertes, hochvolatiles Dreiparteiensystem mit einer strukturellen Asymmetrie und einem Oppositionsdefizit zugunsten der CDU und einer Polarisierung in Bezug auf die PDS“30 bestand. Während sich die durchschnittliche Fragmentierung von 2,65 (1990-1994: 2,91; 1994-1999: 2,53; 1999-2004: 2,51) und die durchschnittliche Volatilität von 11,55 noch im ostdeutschen Rahmen bewegten, bestimmte die asymmetrische Konstellation von CDU, SPD und PDS die sächsische Besonderheit. In drei Legislaturperioden rangierte die CDU nahezu kontinuierlich 25 Prozentpunkte vor dem gesamten „linken“ Oppositionslager. Mit der Landtagswahl 2004 zerbrach die „Dreifaltigkeit“, und es entstand ein für deutsche Verhältnisse ungewöhnliches Sechsparteiensystem. Die Fragmentierung stieg stark (4,01), die Asymmetrie zwischen Regierungslager und Opposition verringerte sich von 24 auf 7,1 Punkte und die Volatilität verdoppelte sich wegen der massiven Verluste der CDU und der Gewinne der NPD.31 Unter Zuhilfenahme der Systematik von Giovanni Sartori und des daran angelehnten Konzepts Klaus von Beymes32 kann das gesamtdeutsche Parteiensystem für den Betrach27 28
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Ulrich von Alemann (2003): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, S. 74. Vgl. Jürgen Maier/Karl Schmitt (2002): Stabilität und Wandel regionaler Wählerstrukturen in Ostdeutschland 1990-1999, in: Frank Brettschneider u. a. (Hrsg.): Das Ende der politisierten Sozialstruktur?, Opladen, S. 81108, hier S. 106. Zu Stimmenverlusten nach einer „founding election“ siehe Gary Reich (2004): The evolution of the party system: are early elections exceptional?, in: Electoral Studies 23 (2004), S. 235-250. Brümmer (2006), S. 266. Vgl. ebd., S. 261. Vgl. Giovanni Sartori (1966): European Political Parties: The Case of Polarized Pluralism, in: Joseph LaPalombara/Myron Weiner (Hrsg.): Political Parties and Political Development, Princeton, S. 137-176, hier S. 138; ders. (1976): Parties and party systems. A framework for analysis, London, S. 131-216; Klaus von
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
tungszeitraum als moderater oder gemäßigter Pluralismus gelten, in welchem fünf Parteien bipolar miteinander konkurrierten und koalierten, geringe ideologische Distanzen (die PDS ausgenommen) für eine breite, keine absolute Koalitionsfähigkeit sorgten, die Wählerverteilung zentriert bis linksschief und der Parteienwettbewerb zentripetal ausgerichtet waren.33 Das ostdeutsche Dreiparteiensystem entsprach wegen der Relevanz der PDS einem polarisierten Pluralismus mit alternierenden Koalitionsregierungen. Zwischen CDU und PDS herrschte prinzipielle Koalitionsunfähigkeit und Koalitionsunwilligkeit, die Wählerverteilung war entweder links- oder rechtsschief, der Parteienwettbewerb weniger zentripetal, in Form starker Rechts- und Linksaußenkräfte zentrifugal. Das sächsische Parteiensystem erwies sich im Betrachtungszeitraum 1990 bis 2004 als „polarisierter Pluralismus mit Fundamentalopposition von links und regierungsfähigen Parteien der Mitte“.34 Vom Ausscheiden der Liberalen und Grünen aus dem Landtag 1994 bis zu ihrem Wiedereinzug im Jahr 2004 ist die Charakterisierung des sächsischen Parteiensystems als ein „competitive hegemonic system“35 bzw. „predominant party system“36 zutreffend. Die Christdemokraten gewannen dreimal die absolute Mehrheit und waren damit die dominierende Partei.37 Während die PDS im ostdeutschen Verhältnis nur unterdurchschnittlich erstarkte, fiel die SPD auf das elektorale Niveau einer Kleinpartei. Die politische Ressourcengewichtung wirkte in diesem Hegemonialparteiensystem deutlich zugunsten der CDU, die Oppositionswirkung von SPD und PDS war wegen der Zweiköpfigkeit des linken Lagers eher schwach. Die sächsische Konstellation unterschied sich damit deutlich vom auf Bundesebene üblichen Mehrparteiensystem, in welchem sich CDU und SPD, begleitet von FDP, Grünen und PDS, als Hauptkonkurrenten um Wählerstimmen und Regierungsverantwortung gegenüberstanden. Sie entsprach weder dem bayerischen Hegemonialsystem, mit seiner Hauptkonkurrenz zwischen (großer) CSU und (kleiner) SPD noch dem saarländischen „Zweikräftesystem“ (1999 bis 2004) mit fast gleichstarken regierenden Christ- und opponierenden Sozialdemokraten. Äquivalent waren allein die CDU-dominierte Konstellation in Thüringen (1999 bis 2004) und die SPD-Dominanz in Brandenburg (1994 bis 1999).38
2.1.3 Qualitative Spezifika des ostdeutschen Parteiensystems 1990-2004 Qualitativ entsprach das ostdeutsche Parteiensystem im Betrachtungszeitraum einer „Kombination aus westdeutschen Vorgaben und ostdeutschen Eigenheiten“,39 wobei es mit Blick auf die Organisation und die gesellschaftliche Positionierung der Parteien deutlich von dem Westdeutschlands abwich. Organisationsstrukturell kennzeichnete die ostdeutschen Parteien eine ausgeprägte Mitgliederschwäche. Die im Frühjahr 1990 noch geschätzten 820.000 Mitglieder in allen ostdeutschen Landesparteien schrumpften über 348.000 Mitglieder Ende
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Beyme (2000): Parteien im Wandel. Von den Volksparteien zu den professionalisierten Wählerparteien, Wiesbaden, S. 158-162. Vgl. Weßels (2004), S. 49. Brümmer (2006), S. 164. Vgl. Joseph LaPalombara/Myron Weiner (1966): The Origin and Development of Political Parties, in: Dies. (Hrsg.), S. 3-42, hier S. 35. Vgl. Sartori (1976), S. 192-201. Vgl. die Kriterien bei Sartori (1976), S. 201. Vgl. Brümmer (2006), S. 255 f. Stefan Grönebaum (1997): Wird der Osten rot? Das deutsche Parteiensystem in der Vereinigungskrise und vor den Wahlen 1998, in: ZParl 28 (1997), S. 407-425, hier S. 413.
2.1 Parteiensystem – Angebotsseite des politischen Systems
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1992 auf rund 135.000 Ende 2004. Nicht nur, dass hier alle Parteien drastisch einbüßten bzw. auf geringem Niveau verharrten, sie verloren auch im gesamtdeutschen Verhältnis. Stammten 1991 immerhin 16,4 Prozent aller deutschen Parteimitglieder aus dem Osten, waren es 2004 nur noch 9,1 Prozent.40 Besonders gering war der Mitgliederstand der SPD. Kam in den 1990er Jahren auf neun westdeutsche CDU-Mitglieder ein Ostdeutsches, betrug das Verhältnis bei den Sozialdemokraten 25 zu 1. Waren im Westen im selben Zeitraum 1,55 Prozent aller Wahlberechtigten SPD-Mitglied, besaßen nur 0,25 Prozent der ostdeutschen Wahlbevölkerung ein sozialdemokratisches Parteibuch.41 Die quantitative Mitgliederschwäche bewirkte in den ostdeutschen Parteien mitunter „eklatante Organisationsdefizite“.42 Schwerwiegend war nach Markus Guhl „die nur unvollständige, teilweise gar rudimentäre Umsetzung der nominellen Parteistrukturen“. 43 Nicht selten dominierten wenige Entscheidungsträger das Geschehen, spielten die Parteiorganisationen eine untergeordnete Rolle.44 Derartige Fraktionsparteien benötigen den außerparlamentarischen Parteiapparat allein zur technischen Wahlkampfführung, wobei die personellen Engpässe diese, zumal im vorpolitischen Raum, mitunter unmöglich machen. Finanziell waren die ostdeutschen Landesverbände von CDU und SPD überdurchschnittlich auf Zuschüsse ihrer Bundespartei angewiesen, oft verbunden mit politischen Abhängigkeiten. Bis auf die sächsische CDU und die brandenburgische SPD waren die ostdeutschen Landesverbände hier wenig souverän. Im Gegensatz zu den Postkommunisten, bei denen die Bundespartei am Finanztropf ihrer östlichen Glieder hing.45 Gravierend war der Mangel an geeigneten Mandatsträgern, die „Gefahr einer qualitativen Unterbesetzung“ groß.46 Die Parteien erfüllten die ihnen obliegende Rekrutierungs- und Partizipationsfunktion nur eingeschränkt. Ämter waren schwerer mit Parteimitgliedern zu besetzen, die mandatierten Mitglieder ausgelastet. Um dennoch die Arbeits- und Kampagnenfähigkeit zu forcieren, transferierten die westdeutschen „Schwesterparteien“ Anfang der 1990er Jahre politisches Personal nach Ostdeutschland, einmal um die dortigen Parteistrukturen aufzubauen und die Kräfte bei der Wahlkampfführung zu unterstützen, zum anderen um alle Posten besetzen zu können.47 Ferner typisch für die ostdeutsche Mitgliederstruktur im Betrachtungszeitraum war die Anzahl der Altmitglieder. Mit abnehmender Tendenz gehörten 80 Prozent der CDU- und 90 Prozent der PDS-Mitglieder bereits zu DDR-Zeiten ihrer Partei an.48 Während die PDS in ihrem Altmitgliederstamm zuvorderst Ressourcen für ihren Wiederaufstieg fand, waren die existenten personellen Strukturen für die CDU Segen und Fluch zugleich. Segen, weil sie so über politisch erfahrenes Personal verfügte; Fluch, weil sie zahlreiche frühere Funk40
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Vgl. Oskar Niedermayer (2006): Parteimitgliedschaften im Jahre 2005, in: ZParl 37 (2006); eigene Berechnungen. Vgl. Grabow (2001), S. 25 f. Birsl/Lösche (1998), S. 10; Heiko Biehl (2004): Parteimitglieder neuen Typs? Sozialprofil und Bindungsmotive im Wandel, in: ZParl 35 (2004), S. 681-699, hier S. 690. Guhl (2000), S. 59. Vgl. Grabow (2001), S. 34. Vgl. Torsten Oppelland (2002): Probleme der Volksparteien im Osten, in: Tilman Mayer/Reinhard C. MeierWalser (Hrsg.): Der Kampf um die politische Mitte. Politische Kultur und Parteiensystem seit 1998, S. 187199, hier S. 191-193. Guhl, S. 61. Vgl. Roland Sturm (1993): The Territorial Dimension of the New Party System, in: Stephen Padgett (Hrsg.): Parties and Party Systems in the New Germany, Aldershot, S. 103-125, hier S. 114. Vgl. Birsl/Lösche (1998), S. 10.
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
tionäre unter ihrem Dach versammelte. Bei den Christdemokraten prägten daher in den 1990er Jahren „die in der Blockperiode herausgebildeten Parteikulturen und Mentalitäten weite Teile der Mitgliedschaft“49, was innerparteiliche Auseinandersetzungen provozierte. Während, so Thumfart, die christdemokratische Mitgliederbasis in „einer Art gelernter Partizipationserduldung“ nur locker in die Parteiarbeit eingebunden war, sicherte der PDSMitgliederschaft eine „starke ideologische Wertbindung“ ihren Zusammenhalt. Die postkommunistische Parteibasis war zudem aktivistischer.50 Weitere Unterschiede existierten in der konfessionellen Bindung der Mitglieder. Im Vergleich zu Westdeutschland mit 84 Prozent evangelischen oder katholischen Parteimitgliedern waren 63 Prozent der ostdeutschen Parteimitglieder konfessionslos. Die Spanne reichte hier von 84 Prozent konfessionell gebundener CDU-Mitglieder bis zu 98 Prozent konfessionsloser PDS-Mitglieder. Beide Parteien wichen deutlich vom gesellschaftlichen Muster (zwei Drittel konfessionslos, ein Drittel konfessionell gebunden) ab.51 Das Durchschnittsalter aller ostdeutschen Parteimitglieder war wegen der überalterten PDS-Mitgliederschaft höher, das der ostdeutschen Mitglieder von SPD und CDU jünger als das der Westdeutschen. Im Ost-West-Vergleich wiesen die ostdeutschen Landesverbände eine höhere Akademikerquote auf. 53 Prozent der Mitglieder hatten hier einen Studienabschluss. Markant war die SPD, eine zu 55 Prozent „studierte“ Partei (West: 35 Prozent), in der Arbeiter stark unterrepräsentiert waren.52 Ein anderes qualitatives Merkmal des ostdeutschen Parteiensystems im Betrachtungszeitraum war die Schwäche der beiden Volksparteien CDU und SPD. Während diese im Wahlgebiet West bei Bundes- und Landtagswahlen beinahe durchweg über 70 Prozent der Stimmen erzielen konnten, wichen ihre Ergebnisse in Ostdeutschland deutlich nach unten ab. Zwischen 1990 und 2004 durchbrachen CDU und SPD bei Landtagswahlen zusammen nur fünf Mal die 70-Prozentmarke. Fiel es der SPD vor allem in Sachsen und Thüringen schwer, als Volkspartei Fuß zu fassen, lag die CDU in den fünf ostdeutschen Flächenländern deutlich im zweistelligen Bereich. Fehlten den Sozialdemokraten traditionelle soziale Milieus, mangelte es den Christdemokraten an religiös gebundenen Wählern. Hingegen fand die PDS in ihrer Rolle der ostdeutschen Regionalpartei Unterstützung. Sie bewegte sich auf Augenhöhe mit CDU und SPD, konnte aber trotzdem nicht als Volkspartei charakterisiert werden. Wie Gero Neugebauer bemerkt, verfügte die PDS zwar über ausgeprägte Organisationsstrukturen, eine breite Wählerschaft und beachtliche Wahlergebnisse, dem standen jedoch eine stark überalterte Mitgliederschaft, ein nicht mehrheitsfähiges Politikkonzept und extremistische Tendenzen gegenüber. Als Milieupartei hielt sie an ideologischen Positionen fest, drängte nicht durch eine ideologische Mäßigung auf eine vergrößerte Wählerschaft.53 FDP und Bündnis 90/Die Grünen waren in Ostdeutschland abgeschlagen. Für sie existierte weder ein solider Mittelstand noch ein für postmaterialistische Fragen sensibilisiertes Klientel. Nach dem singulären „Genschereffekt“ des Vereinigungsjahres 49
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Ute Schmidt (1994): Transformation einer Volkspartei – Die CDU im Prozess der deutschen Vereinigung, in: Niedermayer/Stöss (Hrsg.), S. 37-74, hier S. 48. Vgl. Thumfart (2002), S. 277 f. Vgl. Heiko Biehl (2005): Parteimitglieder im Wandel. Partizipation und Repräsentation, Wiesbaden, S. 94-97; Patzelt/Algasinger (1996), S. 247. Vgl. Heinrich u. a. (2002), S. 9-22. Vgl. Gero Neugebauer (2000a): Die PDS zwischen Kontinuität und Aufbruch, in: APuZ B. 5/2000, S. 39-46, hier S. 44-46. Eine andere Ansicht vertritt Daniel Hough (2002): The PDS and the Concept of the Catch-all Party, in: German Politics 20 (2002), S. 27-47.
2.1 Parteiensystem – Angebotsseite des politischen Systems
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1990 fielen die Liberalen in der zweiten und dritten Literaturperiode aus allen Landtagen, konnten jedoch mit Erfolgen in Sachsen-Anhalt 2002 und Sachsen 2004 Terrain zurückerobern. Die öko-libertären Postulate der Grünen stießen bei der großen Mehrheit der ostdeutschen Wähler auf taube Ohren. Die Schwäche der Grünen war nicht zuletzt auch das Resultat einer (in den Großstädten) integrationsstarken PDS.54 Seine hervorstechendste qualitative Eigenheit erfuhr das ostdeutsche Parteiensystem in den Jahren 1990 bis 2004 mit Blick auf die beiden zentralen Konfliktdimensionen des deutschen Parteienwettbewerbs – den sozio-ökonomischen Konflikt zwischen Marktfreiheit und Interventionismus sowie den politisch-kulturellen Konflikt zwischen libertären und autoritären Wertsystemen.55 Letztgenannten prägt die bipolare Spannung zwischen individuellen Bürger- und exponierten Freiheitsrechten, Selbstverwirklichung, Pluralismus und Toleranz (Libertarismus) einerseits, und einer kollektiv-hierarchischen Ausrichtung, Antipluralismus, Intoleranz sowie kultureller und sozialer Abschottung (Autoritarismus) andererseits.56 Der sozio-ökonomische Konflikt kreist „um die Frage nach der wünschenswerten Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands“. In seinem Zentrum steht der „Gegensatz zwischen wohlfahrtsstaatlichen Wirtschaftskonzeptionen auf der einen und konsequent marktwirtschaftlichen Vorstellungen auf der anderen Seite“.57 Ostdeutsche Wähler orientierten sich im Betrachtungszeitraum betont sozial und vermehrt autoritär, jedoch weniger marktwirtschaftlich und libertär. Im Vordergrund standen Verteilungsgerechtigkeit und staatliche Daseinsfürsorge. Richard Stöss wies 1997 nach, dass der Ost-West-Gegensatz weniger ein regionaler Konflikt, als vielmehr das Abbild grundsätzlich verschiedener Lebenslagen war.58 Zu einem ähnlichen Ergebnis kam 2004 Bernhard Weßels: „That the center of gravity is more to the Left in the East indicates an electorate showing stronger interest in and higher demand for policies and more oriented toward social equality, social justice, welfare, and so on.”59 Unter den Parteien positionierte sich die PDS prononciert sozial und interventionistisch, während die CDU vorrangig marktwirtschaftliche Orientierungen bediente.60 Die SPD versuchte aus einer „schwierigen Mittellage“ heraus, die Pole der sozio-ökonomischen Konfliktlinie bestmöglich in Einklang zu bringen. Wie Henry Kreikenbom zumindest bis 1998 belegt, fühlten sich in Ostdeutschland CDU- und PDS-Wähler der SPD etwa gleichstark verbunden, was den Sozialdemokraten eine Positionierung erschwerte.61 Sie ernteten als „neutrale Partei“ im Osten nicht zuletzt wegen dieser „Profillosigkeit“ die Stimmen unentschlossener Wähler, die weder CDU noch
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Vgl. Jesse (2000a), S. 72; Oskar Niedermayer (2006): Das Parteiensystem Deutschlands, in: Ders. u. a. (Hrsg.): Die Parteiensysteme Westeuropas, Wiesbaden 2006, S. 109-133, hier S. 125. Vgl. Oskar Niedermayer (2003a): Parteiensystem, in: Eckhard Jesse/Roland Sturm (Hrsg.): Demokratien des 21. Jahrhunderts im Vergleich, Opladen, S. 261-288, hier S. 266, 274; auch Markus Klein (2005a): Gesellschaftliche Wertorientierungen, Wertewandel und Wählerverhalten, in: Falter/Schoen (Hrsg.), S. 423-445, hier S. 430 f.; Richard Stöss (1997): Stabilität im Umbruch. Wahlbeständigkeit und Parteienwettbewerb im „Superwahljahr“ 1994, Opladen/Wiesbaden, S. 161. Vgl. Niedermayer (2003a), S. 266-268. Klein (2005a), S. 435. Vgl. Stöss (1997), S. 171-174. Weßels (2004), S. 63. Vgl. Stöss (1997), S. 220 f. Vgl. Henry Kreikenbom (1998): Nachwirkung der SED-Ära. Die PDS als Katalysator der Partei- und Wahlpräferenzen in den neuen Bundesländern, in: ZParl (1998), S. 24-45, hier S. 36.
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
PDS zuneigten, währenddessen die parteipolitische Hauptkonfliktlinie zwischen CDU und PDS verlief.62 In der Summe gestaltete sich das ostdeutsche Bild unübersichtlich. „Man vermisst eine klare Zuordnung der Wertorientierungen der Bevölkerung zu den Parteien. Zwar siedeln die Kerngruppen der drei Hauptbewerber (CDU, SPD, PDS) deutlich voneinander getrennt entlang der Hauptachse der Parteienkonkurrenz, aber die Peripherien aller Parteien überlagern sich mehrfach.“63 Ursächlich für diese Überschneidungen zwischen den Parteien war die stärkere Homogenität ostdeutscher Wertorientierungen. Die interparteilichen Konflikte waren schwächer ausgeprägt als in Westdeutschland, die Übereinstimmungen zwischen einzelnen ostdeutschen Parteien oftmals größer als die zwischen den ost- und westdeutschen Gliederungen einer Partei.64 Darüber hinaus existierten typisch ostdeutsche Muster. So trat die im westdeutschen Parteiensystem starke religiös-säkulare Konfliktlinie mit Blick auf die mehrheitlich nichtreligiöse ostdeutsche Wählerschaft sowie auf die säkularen Parteien PDS und SPD in den Hintergrund. Bedeutend war hingegen ein Zentrum-Peripherie-Konflikt in Form einer historisch-kulturellen Bruchlinie zwischen West- und Ostdeutschland.65 Ferner existierte in Ostdeutschland ein postsozialistischer Wertekonflikt. Je nachdem, wie sich die politischen Akteure gegenüber dem Vereinigungsprozess und dem sozialistischen Gesellschaftsmodell positionierten, machten sie sich für die einen oder die anderen Wähler attraktiv.66 Nach Ansicht von Kreikenbom wurzelte dieser Konflikt tief. Vor 1989 handelte es sich um eine Konfrontation zwischen den „in der DDR eher Systemdistanzierten, auf das marktwirtschaftlich-demokratische System der Bundesrepublik Orientierten und den eher in das DDR-System Involvierten, auf sozialistische Gesellschaftsvorstellungen Fixierten“. Nach 1990 ging es um einen „normativ-weltanschaulichen Konflikt“ zwischen Befürwortern von Markt und Demokratie sowie Sozialismusbefürwortern. Die Spannungslinie verlief abermals zwischen CDU- und PDS-Klientel, durch die SPD-Klientel. 67
2.2 Wahlverhalten – Nachfrageseite des politischen Systems 2.2.1 Wahlrecht als Rahmenbedingung und Einflussfaktor Als Ergebnis des politischen Systems, Ausdruck der herrschenden Interessen und Spiegel gesellschaftlicher Normen wirkt das Wahlrecht konstituierend auf die parlamentarische Demokratie, das Wahlverhalten, das Parteiensystem, die Bildung und die Stabilität der Regierung sowie auf die Wahlkämpfe.68 Die Funktionslogik von Mehrparteiensystemen basiert 62
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Vgl. Detlef Pollack/Gert Pickel (2000): Die Bundestagswahl 1998 in Ostdeutschland – Zwei getrennte Elektorate oder nur partielle Abweichungen?, in: Gert Pickel u. a. (Hrsg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems, Opladen, S. 79-98, hier S. 94 f. Stöss (1997), S. 214. Vgl. ebd., S. 188 f., 215 f. Vgl. Niedermayer (2003a), S. 275. Vgl. Tilo Görl (2007): Klassengebundene Cleavage-Strukturen in Ost- und Westdeutschland. Eine empirische Untersuchung, Baden-Baden, S. 117-150, 197 f. Vgl. Kreikenbom (1998), S. 39, 43. Vgl. Hans Fenske (1972): Wahlrecht und Parteiensystem. Ein Beitrag zur deutschen Parteiengeschichte, Frankfurt a.M.
2.2 Wahlverhalten – Nachfrageseite des politischen Systems
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dabei vornehmlich auf den ihnen meist zugrunde liegenden Verhältniswahlsystemen.69 Mit seinem personalisierten Verhältniswahlsystem für die Wahl zum Sächsischen Landtag lehnt sich Sachsen an die Mehrheit der deutschen Länder und an das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag an. Die Artikel 3 und 41-45 der Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992 sowie das Gesetz über die Wahlen zum Sächsischen Landtag (Sächsisches Wahlgesetz)70 vom 5. August 1993 legen demokratische Wahlen als Hauptinstrument der politischen Partizipation fest. Die reguläre Wahlperiode des Landtages beträgt seit 1994 fünf Jahre, die Zahl der zu vergebenden Sitze beläuft sich auf 120, wovon 60 über Direktwahlkreise (Direktstimme) nach Majorzregel (relative Mehrheit) und 60 über starre Parteilisten (Listenstimme) nach Proporz vergeben werden. Außerdem besteht eine Fünfprozentklausel mit einer alternativen Zwei-Mandate-Regelung, wonach nur jene Parteien bei der Sitzverteilung berücksichtigt werden, die mehr als fünf Prozent der gültigen Listenstimmen oder zwei Direktmandate erringen. Eine Einzelperson kann nur direkt in das Parlament einziehen. Die Sitzverteilung erfolgt nach dem Höchstzahlverfahren von d’Hondt. Überhang- und Ausgleichsmandate sind möglich.71 Diese personalisierte Verhältniswahl bewirkt einen hohen Proporz zwischen Stimmen und Mandaten. Obwohl „natürliche“ Exklusions- und „künstliche“ Reduktionswirkungen Stimmabgabe wie Sitzverteilung beeinflussen, werden markante Disproportionalitäten vermieden.72 Für eine absolute Mehrheit der Mandate benötigt eine Partei normalerweise eine absolute Mehrheit der Stimmen. So errang in 44 Prozent der Landtagswahlen zwischen 1946 und 2003 je eine Partei die absolute Sitzmehrheit, wobei zwei Drittel dieser absoluten Mehrheiten auf Stimmenmehrheiten basierten. 73 Möglich machen diese absoluten Mehrheiten auf Landesebene homogene Wählerschaften sowie ausgeprägte Parteienhochburgen. Zudem verstärken die Kleinteiligkeit der Wahlgebiete und der einzelnen Wahlkreise sowie die geringere Zahl der zu umwerbenden Wähler den Stellenwert der Spitzenkandidaten. „Landesvaterwahlen“ mit absolutem Ausgang sind keine Seltenheit.74 Dennoch sind im personalisierten Verhältniswahlrecht die Parteien die zentralen Akteure. Wähler müssen primär von der Wahl einer Partei überzeugt werden – Personalisierung fungiert als Additiv.
2.2.2 Wahlverhalten als Rahmenbedingung und Einflussfaktor Um ihre Wahlkampagnen effektiv gestalten zu können, benötigen Parteien ein dezidiertes Wissen darüber, welche Wähler wie entscheiden, weshalb sie so entscheiden und ob und wie ihre Entscheidung beeinflusst werden kann. Wahlverhalten gilt hierbei als Resultat ver69
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Vgl. Misa Nishikawa/Erik S. Herron (2004): Mixed electoral rules’ impact on party systems, in: Electoral Studies 23 (2004), S. 753-768. Änderungen dieses Gesetzes erfolgten lediglich in unwesentlichen Details. Zur ersten Landtagswahl am 14. Oktober 1990 galt das Gesetz über die Wahlen zu den Landtagen in der Deutschen Demokratischen Republik (Länderwahlgesetz) vom 22. Juli 1990. Dieses legte für Sachsen eine vierjährige Legislaturperiode sowie ein personalisiertes Verhältniswahlrecht mit Fünfprozentklausel bzw. alternativer Drei-Mandate-Regelung fest. Die Zahl der zu vergebenden Mandate betrug 160. Vgl. Giovanni Capoccia (2002): The Political Consequences of Electoral Laws: The German System at Fifty, in: West European Politics 25 (2002), S. 171-202, hier S. 178-185. Vgl. Louis Massicotte (2003): To Create or to Copy? Electoral Systems in the German Länder, in: German Politics 12 (2003), S. 1-22, hier S. 15-17. Vgl. Rainer Bovermann (2000): Wahlen zu den Landesparlamenten: Testwahlen für Berlin?, in: Politische Bildung 33 (2000) H. 3, S. 57-75, hier S. 61 f.
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
schiedener Persönlichkeits- und Umweltfaktoren, was einen einheitlichen Erklärungsansatz verhindert. Besteht in der Wahlforschung Konsens darüber, „dass die der Wahlentscheidung vorgelagerten Prozesse der Meinungsbildung nicht als einfache Entscheidungsstruktur zu verstehen sind, sondern als Ergebnis von sich wechselseitig beeinflussenden kurz-, mittel- und langfristigen Faktoren“,75 so herrschen differente Sichtweisen über deren jeweilige Relevanz vor. Der „paradigmatische Keil“ steckt zwischen rational-choice-, sozialstrukturellen und sozialpsychologischen Ansätzen. Theorien rationalen Wahlverhaltens folgen der Idee machtpolitischer Rationalität von Parteien, die „ihre Maßnahmen mit dem Ziel planen, die Wähler zu befriedigen“, und dem angenommenen rationalen Verhalten der Wähler, die „ihre Wahlentscheidung aufgrund der Regierungstätigkeit treffen“.76 Indem beide Akteure versuchen, ihren Nutzen zu maximieren, verhalten sie sich rational.77 Für Parteien bedeutet das, aus unzähligen Alternativen heraus diejenigen politischen Entschlüsse zu fällen und Handlungen zu vollziehen, welche die optimale Zahl an Wählerstimmen garantieren und ihre Macht maximieren.78 Prinzipiell bestehen für Parteien so drei Handlungsmöglichkeiten: (1) Ist sich eine Regierungspartei ihrer Wiederwahl gewiss (Popularitätsüberschuss), kann sie „ideologische Ziele“ verfolgen und ihr Wohlverhalten den Wählern gegenüber minimieren. Eine solche Partei „hat keine Veranlassung, die Stimmen zu maximieren“.79 (2) Deutet die Regierungspopularität auf eine unsichere Wahlentscheidung hin (Popularitätsdefizit), ist die Partei gezwungen, ihre Wiederwahl durch eine vermindert ideologische und verstärkt wählerwirksame Politik zu beeinflussen.80 Sie betreibt „Nutzenmaximierung unter Berücksichtigung der Sicherung der Wiederwahl“.81 Um ihre Macht zu erhalten, versucht sie durch politisches Handeln den Wählerwünschen entgegenzukommen, passt ihr Programm der Bedürfnisstruktur der Wähler an. (3) Oppositionsparteien streben nach Stimmenmaximierung und zielen auf Regierungsmacht. Dabei ist ein vollständiger Parteienwettbewerb von entscheidender Bedeutung. Je geringer dieser ausfällt, umso kleiner ist der Handlungsspielraum für die Opposition. Je stärker er ist, umso mehr beschränkt er den Aktionsraum der Regierung, zwingt sie, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen.82 Rationalität und Nutzenmaximierung prägen ferner das Handeln der Wähler. Unter Minimierung der Entscheidungskosten vergleichen sie die vermuteten Regierungsleistungen der Parteien und setzen diese ins Verhältnis mit den bisherigen Verdiensten der Regierungs- und Oppositionsparteien. Auf diese Weise ordnen sie ihre Präferenzen und wählen die Partei, die in ihren Augen unter allen bekannten Alternativen den größten Nutzen verspricht. Findet der Wähler keine „nützliche“ Partei, enthält er sich der Stimme.83 Rationale 75 76 77
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So das noch immer gültige Urteil von Bürklin (1988), S. 20. Anthony Downs (1968): Ökonomische Theorie der Demokratie, Tübingen, S. 72. Vgl. Gebhard Kirchgässner (1991): Homo oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Tübingen, S. 65. Vgl. Downs (1968), S. 5 f.; Gabriele Eckstein (1995): Rationale Wahl und Mehrparteiensystem, Frankfurt a.M., S. 10. Bruno S. Frey (1977): Moderne Politische Ökonomie. Die Beziehung zwischen Wirtschaft und Politik, München, S. 173. Vgl. ders. (1988): Politische und soziale Einflüsse auf das Wirtschaftsleben, in: Rheinisch-WestfälischeAkademie der Wissenschaften (Hrsg.): Vorträge Nr. 357, Opladen, S. 7-26, hier S. 22. Ders. (1977), S. 129. Vgl. Bruno S. Frey/Gebhard Kirchgässner (1994): Demokratische Wirtschaftspolitik. Theorie und Anwendung, 2. Aufl., München, S. 156. Vgl. Downs (1968), S. 48 f.
2.2 Wahlverhalten – Nachfrageseite des politischen Systems
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Wähler sind in Verhältniswahlsystemen genötigt, die Möglichkeit einer Koalitionsregierung zu berücksichtigen. Um „Papierkorbstimmen“ zu vermeiden oder um eine Wunschkoalition zu ermöglichen, entscheiden sie taktisch.84 Der unvollständigen Informiertheit der Wähler begegnen die Parteien mit einer ideologischen Positionierung, durch Koalitionsaussagen und durch Informationsvergabe. Wahlkampf ist in diesem Sinne das Verringern der Informationskosten und die Informationslenkung für die Wähler durch die Parteien. 85 Ein entscheidendes „Indiz“ der Wähler für ihr Urteil über die Regierungsleistung ist die Wirtschaftslage. Getreu der Anti-Regierungshypothese (incumbency hypothesis) gestalten sich die Wiederwahlchancen für eine Regierungspartei umso geringer, je schlechter die wirtschaftliche Lage der Wähler ist (und vice versa). Rationale Wähler extrapolieren anhand von Informationen über die wirtschaftliche Situation die zukünftige Entwicklung und beurteilen so die Regierung. Negative Wahrnehmungen bewirken in der Regel Anti-Regierungseffekte, positive begünstigen Regierungsparteien.86 Je stärker dem Einzelnen die Verantwortlichkeit der politischen Akteure erscheint, umso deutlicher sind diese Effekte. Stark fragmentierte Parteiensysteme und föderale Regierungssysteme erschweren es den Wählern Verantwortlichkeiten zuzuordnen.87 Konträr dazu und damit nicht im Sinne des RationalChoice wenden sich Wähler laut Klientelhypothese (policy hypothesis) bei negativen wirtschaftlichen Erfahrungen solidarisch der Partei zu, der sie traditionsgemäß am meisten Vertrauen entgegenbringen bzw. der sie am ehesten die Lösung dieses Problems zutrauen – unabhängig davon, ob diese Partei regiert oder opponiert. Dabei decken sich die Kompetenzzuschreibungen der Wähler im Regelfall mit deren Parteipräferenz. Im Extremfall präjudiziert die Parteinähe sogar die Einschätzung der Wirtschaftslage.88 Sozialstrukturelle Erklärungsmuster zielen auf soziologische Bindungen des Individuums, die dessen Wahlentscheidung langfristig beeinflussen. Im Mittelpunkt des mikrosoziologischen Ansatzes steht die Erkenntnis, dass individuelle soziale Charakteristika und Einbindungen die politischen Vorlieben einer Person formen. Wahlverhalten variiert nach sozialem Status, dem Bildungsniveau, Alter und Geschlecht oder Einfluss der Umwelt. Speziell die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer sozialen Gruppe mit gesonderten Wahlnormen und Kommunikationsstilen reguliert dessen Wahlentscheidung. 89 Je stärker und homogener solche Strukturen sind und je weniger Umwelteinflüsse die Deutungskultur der sozialen Gruppe stören, umso ähnlicher verhalten sich ihre Mitglieder.90
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Vgl. Stephen D. Fisher (2004): Definition and Measurement of Tactical Voting, in: British Journal of Political Science 34 (2004), S. 152-166, S. 153-157. Vgl. Eckstein (1995), S. 15; Downs (1968), S. 95 f.; Kirchgässner (1991), S. 32. Vgl. Felix Büchel/Jürgen W. Falter (1994): Der Einfluss von Langzeitarbeitslosigkeit auf die Parteibindung in der Bundesrepublik Deutschland, in: ZParl 25 (1994), S. 186-202, hier S. 197-202; Henrike Fröchling (1998): Ökonomie und Wahlen in westlichen Demokratien, Opladen/Wiesbaden, S. 55, 63; Hans Rattinger/Thorsten Faas (2001): Wahrnehmungen der Wirtschaftslage und Wahlverhalten 1977 bis 1998, in: Hans-Dieter Klingemann/Max Kaase (Hrsg.): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 1998, Wiesbaden, S. 283-306, hier S. 284-291, 299. Vgl. Asa Bengtsson (2004): Economic voting: The effect of political context, volatility and turnout on voters’ assignment of responsibility, in: European Journal of Political Science 43 (2004), S. 749-767, hier S. 758. Vgl. Hans Rattinger/Jürgen Maier (1998): Der Einfluss der Wirtschaftslage auf die Wahlentscheidung bei den Bundestagswahlen 1994 und 1998, in: APuZ B. 52/1998, S. 45-54, hier S. 52; Dieter Roth (1973): Ökonomische Variablen und Wahlverhalten, in: PVS 14 (1973), S. 257-274, hier S. 264-270. Vgl. Paul Lazarsfeld u. a. (1969): Wahlen und Wähler. Soziologie des Wahlverhaltens, Neuwied/Berlin, S. 26, 51-80. Vgl. Karl Rohe (1992): Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland, Frankfurt a.M., S. 19.
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
Der makrosoziologische Modellansatz baut auf diesen Erkenntnissen auf.91 In seinem Zentrum steht die Annahme, dass ideologische und sozio-ökonomische gesellschaftliche Konfliktmuster zwischen sozialen Gruppen die Entwicklung des Parteiensystems und das Wahlverhalten determinieren. Entlang folgender vier traditioneller Cleavages positionieren sich soziale Großgruppen und Parteien:92 (1) kulturelle und territoriale Konflikte zwischen Zentren und Peripherien (nationales Zentrum/regionale Peripherie); (2) religiöse Konflikte zwischen säkularem Staat und tradierten Kirchen (Staat/Kirche); (3) sozio-ökonomische Konflikte zwischen städtischen und ländlichen Gebieten bzw. zwischen agrarischen und kommerziellen Interessen (Landwirtschaft/Industrie); (4) sozio-ökonomische Konflikte zwischen Arbeitnehmer- und Unternehmerinteressen (Arbeit/Kapital). Dazu kommt (5) eine jüngere Konfliktlinie zwischen materialistischen und postmaterialistischen Orientierungen (Materialisten/Postmaterialisten).93 In Deutschland herrschten lange Zeit klare Muster. Wählten Arbeiter mehrheitlich SPD, gaben Selbstständige bevorzugt den Unions-Parteien ihre Stimme. Beide Gruppen versinnbildlichten das ökonomische Arbeit/Kapital-Cleavage.94 War die Parteibindung für die Unionsparteien in traditionellen Gruppen mit großen Pflicht- und Akzeptanzbedürfnissen und ausgeprägtem sozialen Status hoch (gehobenes konservatives Milieu), stieg der strukturelle Zuspruch für die SPD in diesen Gruppen mit gleichzeitig sinkendem sozialem Status (Arbeitermilieu).95 In den letzten Jahrzehnten kam es hier zu Erosionsprozessen. Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft bewirkte einen Rückgang der Arbeiter und Selbstständigen sowie ein Anwachsen der weniger gebundenen Gruppe der Angestellten und Beamten.96 Eine große, von unstrukturiertem Wahlverhalten geprägte und damit wahlentscheidende Mittelschicht entstand. Dennoch prägt die Sozialstruktur das Verhalten der Wähler. Wiederaufbrechende Klassenkonflikte beleben die sozio-ökonomische Konfliktlinie neu. Religiöse Bindungen sind noch immer wahlentscheidend. 97 Hingegen interpretieren sozialpsychologische Modelle die individuelle Wahlentscheidung zum einen als das Ergebnis langfristiger psychologischer und sozialer Einflüsse (Parteiidentifikation). Zum anderen spielen kurzfristige Einflüsse wie das Verhältnis der Wähler gegenüber den Kandidaten (Kandidatenorientierung) und die realen und antizipierten Problemlösungsfähigkeiten der Parteien (Themenorientierung) eine maßgebliche Rolle. Wichtigster langfristiger Faktor ist die Parteiidentifikation. Wähler identifizieren sich aufgrund ihrer gesellschaftlichen Wurzeln und aus individuellen Erwägungen mit einem politischen Akteur. Sie entwickeln positive Bindungen und Stammwählerverhalten.98 Dabei gilt: Je ausgeprägter die Parteiidentifikation, umso eher deckelt sie Diskrepanzen zwischen Wähler 91
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Vgl. Seymour M. Lipset/Stein Rokkan (1967): Cleavage Structures, Party Systems, and Voter Alignments: An Introduction, in: Dies. (Hrsg.): Party Systems and Voter Alignments: Cross-National Perspectives, New York 1967, S. 1-64. Vgl. ebd., S. 9 f.; Rohe (1992), S. 22. Vgl. Dieter Roth (1998): Empirische Wahlforschung. Ursprung, Theorien, Instrumente und Modelle, Opladen, S. 27-29; Thomas Saalfeld (2007): Parteien und Wahlen, Baden-Baden, S. 71. Vgl. Wilhelm Bürklin/Markus Klein (1998): Wahlen und Wählerverhalten, 2. Aufl., Opladen, S. 80 f. Vgl. Peter Gluchowski (1987): Lebensstile und Wandel der Wählerschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: APuZ B. 12/1987, S. 18-32, hier S. 29. Vgl. Carsten Zelle (1995): Der Wechselwähler. Eine Gegenüberstellung politischer und sozialer Erklärungsansätze des Wählerwandels in Deutschland und den USA, Opladen, S. 37-39. Vgl. Kai Arzheimer/Jürgen W. Falter (2003): Wahlen, in: Jesse/Sturm (Hrsg.), S. 289-312, hier S. 305. Vgl. Oscar W. Gabriel (2001): Parteiidentifikation, Kandidaten und politische Sachfragen als Bestimmungsfaktoren des Parteienwettbewerbs, in: Ders. u. a. (Hrsg.), S. 228-273, hier S. 236.
2.2 Wahlverhalten – Nachfrageseite des politischen Systems
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und Partei und verhindert so Entscheidungswechsel.99 Sicherten derartige Identifikationen den Parteien bis Anfang der 1970er Jahre eine verhältnismäßig berechenbare Anhängerschaft, verdrängt seitdem die „kognitive Mobilisierung“100 der Wähler Parteiloyalitäten. Da sich die Parteien nur bedingt an gesellschaftliche Veränderungen anpassen, schwächen sie ihrerseits Parteibindungen.101 Parteiidentifikationen sind in Wahlkämpfen dennoch wichtig. Die öffentliche Politisierung aktiviert, aktualisiert und intensiviert die latenten Bindungen. Je stärker Sympathisanten die Kampagnen ihrer favorisierten Partei erreichen, umso eher stimmen sie für diese.102 Jedoch reicht speziell bei „second-order elections“103 das Vertrauen in Stammwähler wegen der hohen Wahlenthaltung und Volatilität nicht aus. Kurzfristige Einflüsse und die diesbezügliche Reaktion der Parteien sind zunehmend bedeutsam. (1) Wähler orientieren sich vermehrt an Themen und Kompetenzen. Damit diese wahlentscheidend wirken, muss ein Individuum zunächst ein Sachthema als persönlich oder gesellschaftlich bedeutsames Problem einstufen und anschließend eine Partei für problemlösungskompetent erachten.104 Den stärksten Einfluss auf die Wählerentscheidung haben Positionsissues, also gesellschaftlich umstrittene Themen, bei denen die Parteien differente Zielvorstellungen und Lösungswege vertreten. Sie werden wegen ihrer stark polarisierenden Wirkung im Wahlkampf oft gemieden. Die weniger wahlentscheidenden Valenzissues sind wertebezogene Themen, über welche ein breiter gesellschaftlicher Zielkonsens besteht, die Wege zum Ziel aber umstritten sind.105 (2) Auch die wahlentscheidende Bedeutung der Kandidaten steigt. Dabei ist unklar, ob eher die Sympathieaspekte106 oder die wahrgenommene Problemlösungskompetenz107 eines Kandidaten die Wahlabsicht prägen. Sicher ist, dass Wähler Persönlichkeit und Kompetenz eines Kandidaten vorrangig medial gefiltert aufnehmen und diese anschließend vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Kenntnisse und Erfahrungen beurteilen.108 Ihre Einschätzung erfolgt dabei einerseits anhand rollenrelevanter Merkmale (z. B. Führungsqualität, Managerfähigkeit). Andererseits sind rollenferne Merkmale, wie persönliche Werthaltungen oder Attraktivität bedeutsam.109 Speziell auf Landesebene bilden Kandidaten eine wichtige Wählerorientierung. Erkennen Wähler im Amtsinhaber einen Landesvater, erlangt dieser gegenüber seinen Kontrahenten einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. 99
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Vgl. Harald Schoen/Cornelia Weins (2005): Der sozialpsychologische Ansatz zur Erklärung von Wahlverhalten, in: Falter/ders. (Hrsg.), S. 187-242, hier S. 212. Wilhelm Bürklin (1994): Verändertes Wahlverhalten und der Wandel der Politischen Kultur, in: Ders./Dieter Roth (Hrsg.): Das Superwahljahr. Deutschland vor unkalkulierbaren Regierungsmehrheiten?, Köln, S. 27-53, hier S. 42. Vgl. Harald Schoen (2003): Wählerwandel und Wechselwahl, Wiesbaden, S. 41-55. Vgl. David M. Farell/Rüdiger Schmitt-Beck (2002): Do political campaigns matter?, in: Dies. (Hrsg.): Do Political Campaigns Matter? Campaign effects in elections and referendums, London, S. 182-193, hier S. 186. Siehe Karlheinz Reif/Hermann Schmitt (1980): Nine second-order National Elections – A Conceptual Framework for the Analysis of European Election Results, in: European Journal of Political Research 8 (1980), S. 3-44. Vgl. Hans Dieter Klingemann (1973): Issue-Kompetenz und Wahlentscheidung, in: PVS 14 (1973), S. 227255. Vgl. Rainer-Olaf Schultze (1990): Wahlverhalten und Parteiensystem. Erklärungsansätze und Entwicklungsperspektiven, in: Der Bürger im Staat 40 (1990) H. 3, S. 135-144, hier S. 136; Roth (1998), S. 39 f. Vgl. Montague Kern/Marion Just (1997): How Voters Construct Images of Political Candidates, in: Pippa Norris (Hrsg.): Politics and the Press, London, S. 121-143, hier S. 128. Vgl. Frank Brettschneider (2001): Candidate-Voting, in: Klingemann/Kaase (Hrsg.), S. 351-400, hier S. 387 f. Vgl. ders. (2005): Massenmedien und Wählerverhalten, in: Falter/Schoen (Hrsg.), S. 473-500, hier S. 484 f. Vgl. Bürklin/Klein (1998), S. 184 f.; Gabriel (2001), S. 234 f.
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
Neben den Gründen für die Stimmabgabe finden sich solche für die Wahlenthaltung. Sie variiert nach Wahlebene, dem Grad des Wählerinteresses an Politik, der Relevanz der Wahl und der stimulierenden bzw. dämpfenden Effekte des im Vorfeld einer Wahl projizierten Wahlausgangs. Machten bei Bundestagswahlen regelmäßig über drei Viertel der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch, betrug die Beteiligung bei den ostdeutschen Landtagswahlen im Betrachtungszeitraum durchschnittlich nur 64,3 Prozent – mit negativer Tendenz. Ursächlich hierfür sind eine schwächere Wahlnorm auf Landesebene, weniger Interesse an Landesthemen oder die Annahme, Landtagswahlen seien unwichtige „Nebenwahlen“. Hinzu kommt, dass auf Landesebene merklich das persönliche Interesse an Politik über eine Wahlteilnahme entscheidet.110 Ein Teil dieser rationalen Nichtwähler ist durch ein entsprechendes politisches Angebot zur Wahl zu bewegen.111 Das ostdeutsche Wahlverhalten trägt spezifische Charakteristika. 1990 meinten Wahlforscher, in Ostdeutschland eine politische „Stunde Null“ in Form reiner Issue-Wahlen erlebt zu haben (Tabula-Rasa-These).112 Davon inspiriert bestätigten Carsten Bluck und Henry Kreikenbom für das Jahr 1990 zwar eine starke Themen-Orientierung bei 75 Prozent der Wählerschaft, widersprachen aber der Annahme ostdeutscher Parteiungebundenheit. Vielmehr hätten innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung, unterstützt durch westdeutsche Medien, politische Vorprägungen und Sympathien für westdeutsche Parteien (Quasiparteibindungs-These) bestanden.113 Im Laufe der 1990er Jahre manifestierten sich reale Parteiidentifikationen. Die Zahl gebundener Wähler stieg auf knapp über 50 Prozent (West: 65 Prozent), wobei der Grad an Identifikation aber nur schwach ausgeprägt und instabil war. Intensive Parteineigungen sind in Ostdeutschland eher die Ausnahme.114 In Sachsen, so Anja Mays, betrug die Zahl grundsätzlich Parteigebundener zwischen 1994 und 2004 50 bis 63 Prozent.115 Wobei die Wirksamkeit der überwiegend mäßig starken Bindungen mit Vorsicht betrachtet werden muss.116 Ferner erlitten 1990 sämtliche Kontinuitätsthesen, welche von der sozialstrukturellen Zusammensetzung der DDR-Bevölkerung (geringe konfessionelle Bindung; hoher Arbeiteranteil) auf deren Wahlpräferenz zugunsten der SPD schlossen, Schiffbruch. Das ostdeutsche Gefüge aus Sozialstruktur und Wahlverhalten offenbarte ein Eigenleben. So folgte die DDR-Arbeiterschaft in ihrer Entscheidung weniger strukturellen SPD-Affinitäten und mehr
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Vgl. die umfassende Studie von Markus Steinbrecher u. a. (2007): Turnout in Germany. Citizen Partizipation in State, Federal, and European Elections since 1979, Baden-Baden. Vgl. Michael Eilfort (1994): Die Nichtwähler. Wahlenthaltung als Form des Wahlverhaltens, Paderborn u. a., S. 53-61. Vgl. dazu Dieter Roth (1990): Die Wahlen zur Volkskammer in der DDR. Der Versuch einer Erklärung, in: PVS 31 (1990), S. 369-393. Auf Roths Vorstellungen folgten bald Relativierungen. Vgl. etwa Hans Rattinger (1994): Parteineigung, Sachfragen- und Kandidatenorientierung in Ost- und Westdeutschland 1990 bis 1992, in: Ders. u. a. (Hrsg.): Wahlen und politische Einstellung im vereinigten Deutschland, Frankfurt a.M., S. 267316, hier S. 268. Vgl. Carsten Bluck/Henry Kreikenbom (1991): Die Wähler in der DDR: Nur issue-orientiert oder auch parteigebunden?, in: ZParl 22 (1991), S. 495-502, hier S. 498-500. Vgl. Rüdiger Schmitt-Beck/Stefan Weick (2001): Die dauerhafte Parteiidentifikation – nur noch ein Mythos?, in: Informationsdienst Soziale Indikatoren 26 (2001), S. 1-5.; Schoen/Weins (2005), S. 222-224. Vgl. Mays (2007), S. 571. Vgl. Infas-Umfrage (1994a): Die politische Stimmung im Freistaat Sachsen im Vorfeld der Landtagswahl am 11. September 1994, Bonn/Bad Godesberg, Tabellen 6; Infratest dimap (2004): Wahlreport. Landtagswahl in Sachsen 19. September 2004, Vorwahlerhebung, Berlin, S.46 f.; Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1994a): Wahl in Sachsen. Eine Analyse der Landtagswahl vom 11. September 1994, Codebuch ZA Nr. 2511, S. 36 f.
2.2 Wahlverhalten – Nachfrageseite des politischen Systems
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der in ihren Augen klarsten politischen Alternative zu den bisherigen Verhältnissen.117 Das ostdeutsche Wahlverhalten erklären stichhaltiger sogenannte Kristallisationsthesen. Sie gehen davon aus, dass die ostdeutsche Wählerstruktur im Verlauf der Transformation eine eigene Politisierung erfuhr und erfährt. Herrschte 1990 ein ausgeprägtes cross-class-voting, bei dem Arbeiter und Selbstständige für die CDU stimmten, die Dienstklassen indes die PDS präferierten, wandelten sich diese Muster seither – die Arbeiter „reproletarisierten“, das Kleinbürgertum rückte nach „links“, die administrative Dienstklasse „verbürgerlichte“. Die durch die sozialistische Gesellschaftsordnung in Teilen aufgelöste sozio-ökonomische Konfliktlinie restituierte sich in dem Maße, wie der postsozialistische Wertekonflikt an Einfluss verlor.118 Zusätzlich unterbanden der ökonomische Materialismus der DDR und die ökonomischen Probleme nach 1990 das Aufkommen postmaterialistischer Werte. Vielmehr gebaren die DDR-Sozialisation und die transformationsbedingten Einflüsse nach 1990 eigenständige „kulturelle Wertbindungen“.119 Der Schlüssel zur Interpretation des ostdeutschen Wahlverhaltens liegt folglich in einer „spezifischen politischen Regionalkultur“.120 Das unterschiedliche Politik- und Demokratieverständnis, die differenten Werthaltungen, die politischen Erwartungs- und Vertrauenshaltungen und die schwierige sozio-ökonomische Lage tragen ebenso dazu bei, wie eine ausgeprägte Ostidentität oder ein diffuses Deklassierungsempfinden.121 In Ostdeutschland existiert ein relativ unübersichtliches „open electorate“. Langfristige Faktoren wie Parteibindungen oder sozialstrukturelle Prägungen sind schwächer ausgebildet, kurzfristige und rationale Faktoren wirksam.122 „So kommt es zu dem erstaunlichen Phänomen, dass Parteien nicht gewählt werden, weil sie spezifische kollektive Interessen am besten vertreten, sondern weil man sie ganz persönlich unter einem rationalen Kalkül für effizient hält.“123 Die Wähler entscheiden diametral zum Typus des „partisan-voters“. Entsprechen die politischen Ergebnisse nicht ihren Annahmen, entziehen sie der Regierungspartei ihre Unterstützung. Überspitzt formuliert: Der ostdeutsche Wähler ist ein „radikal moderner Wähler, der issue-orientiert und frei von sozialen Verankerungen oder Milieus die für ihn rational effektivste Partei unterstützt“.124 Das Handeln der Regierungs- und Oppositionsparteien fließt in die Entscheidung ebenso ein, wie eine ausgeprägte Kandidaten- und Themenorientierung. Lockere bis nicht vorhandene Parteibindungen und schwache strukturelle Wurzeln erhöhen den Satz taktischer Wähler und vergrößern die Anzahl von Wechsel- und Protestwählern. Unzufriedenheit, Zukunftsängste oder Enttäuschungen beeinflussen stärker das Wahlverhalten. Die alles begünstigt ein verstärktes „Protest- oder Sank-
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Vgl. Dieter Roth/Thomas Emmert (1994): Wählerentscheidungen und Wählereinstellungen in Ostdeutschland vor und nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl, in: Niedermayer/Stöss (Hrsg.), S. 239-265, hier S. 242. Vgl. Görl (2007), S. 43, 88, 104-109. Vgl. Thomas von Winter (1996): Wählerverhalten in den östlichen Bundesländern: Wahlsoziologische Erklärungsmodelle auf dem Prüfstand, in: ZParl 26 (1996), S. 298-316, hier S. 309-314. So die Argumentation von Rainer-Olaf Schultze (2000): Wählerverhalten bei Bundestagswahlen: Bekannte Muster mit neuen Akzenten, in: Politische Bildung 33 (2000) H. 3, S. 34-56, hier S. 42-44. Zur politischen Kultur in Ostdeutschland siehe Klaus Schroeder (2006): Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung, München, insbesondere S. 371-427, 469-509. Vgl. Arzheimer/Falter (2003), S. 307 f. Thumfart (2002), S. 278. Ebd., S. 273.
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
tionswahlverhalten“ nicht-parteigebundener Wähler.125 Erachten jene eine Wahl für „sehr wichtig“, etwa bei polarisierten Richtungsentscheidungen auf Landesebene, dann zählen längerfristige politische Bindungen, hingegen bei „weniger wichtigen“ Wahlen mitunter Experimentier- und Protestmotive. Solche „Denkzettelwahlen“ stärken in der Regel neue, regionale Parteien.126 Entsprechend groß ist die Relevanz von Wahlkämpfen in Ostdeutschland. Neben der Dynamik der dortigen Wählerschaft, die Ungewissheiten für die wahlkämpfenden Parteien mit sich bringt, sind vor allem die Nichtwähler eine strategische Größe. Die schwache Wahlnorm führt bei Landtagswahlen zu hohen Stimmenthaltungen. Anstatt ritualisiert zu wählen, bleiben viele Ostdeutsche, teilweise aus rationalen Gründen, teilweise ohne „sozial akzeptierten Grund“ der Wahl fern.127 Die geringeren Beteiligungsraten entziehen den Parteien auf der einen Seite Mobilisierungspotenzial, während ihnen auf der anderen Seite die multikausale Motivationsstruktur der Nichtwähler eine beachtliche Mobilisierungsreserve eröffnet. Entsprechend umfangreich sind die Mobilisierungsbemühungen der Parteien in ostdeutschen Landtagswahlkämpfen.
2.2.3 Landtagswahlen unter dem Einfluss der Bundespolitik Ein besonderer Aspekt des Wahlverhaltens auf Landesebene ist dessen „bundespolitische Durchdringung“.128 Seit das Thema Ende der 1970er Jahre ins Licht der Forschung rückte, entstanden zwei Sichtweisen zur Rolle der Landtagswahlen im bundespolitischen Gefüge. Der Mehrheit der Beobachter gelten sie als Zwischenwahlen, Sanktionswahlen oder Testwahlen, eine Minderheit sieht hauptsächlich eigenständige, regionale Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen.129 Besteht Einigkeit bei der Interdependenz der Ebenen, herrscht über Art und Umfang des bundespolitischen Einflusses Unklarheit. Sicher ist, Landtagswahlergebnisse basieren auf einer stark situative Komposition regionaler und nationaler Politikeinflüsse. Die zentrale Wechselwirkung äußert sich in Stimmeneinbußen der im Bund regierenden Parteien und in Stimmengewinnen der im Bund opponierenden Parteien.130 Landtagswahlergebnisse folgen demnach einem midterm-Effekt. „Finden die Wahlen in relativem zeitlichem Abstand zur Bundestagswahl statt, sind die zu erwartenden Verluste der Regierungsparteien am größten […]. Finden sie relativ zeitnah oder direkt zur Bundestagswahl statt, gleichen sich Landtags- und Bundestagswahlergebnisse tendenziell an: Die Regierungsparteien schneiden dann besser, die Opposition schlechter ab als bei den Zwi-
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Vgl. Frank Decker (2006): Höhere Volatilität bei Landtagswahlen? Die Bedeutung bundespolitischer „Zwischenwahlen“, in: Eckhard Jesse/Roland Sturm (Hrsg.): Bilanz der Bundestagswahl 2005. Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen, München, S. 259-279, hier S. 261 f. Vgl. Wolfgang Renzsch (2002): Landtagswahlen 2002: Zum Verhältnis von Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, in: Roy (Hrsg.), S. 9-17, hier S. 10, 13; vgl. ebenfalls die Ausführungen in Klaus Detterbeck/Wolfgang Renzsch (2008): Symmetrien und Asymmetrien im bundesstaatlichen Parteienwettbewerb, in: Jun u. a. (Hrsg.), S. 39-55. Vgl. Harald Schoen (2005e): Nichtwahl, in: Falter/ders. (Hrsg.), S. 329-365, hier S. 362. Frank Decker/Julia von Blumenthal (2002): Die bundespolitische Durchdringung der Landtagswahlen. Eine empirische Analyse von 1970 bis 2001, in: ZParl 33 (2002), S. 144-165. Vgl. als Überblick zur Thematik Rainer Bovermann (2000). Vgl. Reiner Dinkel (1977): Der Zusammenhang zwischen Bundes- und Landtagswahlergebnissen, in: PVS 18 (1977), S. 348-359, hier S. 349 f., 357; Decker/von Blumenthal (2002), S. 147 f.
2.2 Wahlverhalten – Nachfrageseite des politischen Systems
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schenwahlen.“131 Abweichungen davon treten auf, wenn die Regierungsarbeit auf Bundesebene von den Wählern positiv wahrgenommen wird oder die Opposition innerhalb des Bundestagswahlzyklus in eine Krise rutscht. Entscheidend ist ferner der Status der Landespartei. Stellen die Bundesregierungsparteien in den betreffenden Ländern ebenfalls die Regierung, beschränken oft regionale Amtsboni die dortigen Verluste. Midterm-Effekte sind umso schwächer, je stärker eine Landesregierungspartei ist. Regionale Hegemonialparteien widerstehen ihnen häufig.132 Oscar W. Gabriel und Everhard Holtmann erachten auf der Basis von neun Länderstudien bundespolitische Einflüsse als wahrscheinlich, wenn: Bundes- und Landtagswahl aufeinander fallen, langfristige Parteibindungen gering ausgeprägt sind, ein und dieselbe Partei im Land sowie im Bund regiert, keine klare Wettbewerbssituation auf Landesebene besteht oder die Spitzenkandidaten sich in der Wählerbewertung kaum voneinander abheben.133 Für den Zeitraum 1990 bis 2004 stellen Daniel Hough und Charlie Jeffery den midterm-Effekt in Frage. Ihre in der Literatur umstrittene Annahme lautet: Die im Zuge der deutschen Einheit entstandenen stärkeren territorialen Heterogenitäten und die Rückkehr landespolitischer Diskurse haben die Wechselwirkungen aufgelockert, mechanische Bundeseinflüsse gemindert und neue „landeseigene, territoriale Dynamiken“ befördert. Landtagswahlen seien „nicht mehr eindeutig zweitrangige Wahlen“. Im Gegensatz zu einem territorial homogenen Bundessparteiensystem vor 1990 spielten danach „territoriale Faktoren“ eine größere Rolle. Sie verminderten die bundespolitische Durchdringung. Als Indiz für die Abnabelung der Landtagswahlen sehen die Autoren die ab 1990 in den Ländern gewachsene Kluft zwischen Bundestags- und Landtagswahlergebnissen. Speziell im Osten klaffe, mit Ausnahme Mecklenburg-Vorpommerns, eine signifikante Lücke zwischen Bundes- und Landtagswahlergebnissen. Hier würden die Wähler, zumindest im Aggregat betrachtet, deutlich zwischen den Wahlebenen trennen.134 Vor allem die starke Fluktuation von CDU und SPD bei den Landtagswahlen 1994 brächten, so Jeffery, eine wachsende Dominanz länderspezifischer Zusammenhänge zum Ausdruck.135 Daneben steht die Frage, in welchem Maße die Wähler Landtagswahlen überhaupt als landespolitische Wahlinstrumente sehen. Während ihnen der deutsche Verbundföderalismus die Einordnung erschwert, erzwingt der strikte bundespolitische Repräsentativmodus geradezu ein bundespolitisch beeinflusstes Landtagswahlverhalten. Schließlich können Zufriedenheit oder Unzufriedenheit abseits von Bundestagswahlen nur auf Landesebene artikuliert werden. Je weniger die Wähler dabei die spezifische Funktion von Landtagswahlen kennen, umso bundespolitischer motiviert ist ihre Entscheidung.136 Vielmehr noch weist das Wahlverhalten selbst eine fehlende Trennschärfe zwischen landes- und bundespolitischen Einflussfaktoren auf. Im Fall der Parteiidentifikation ist es u. a. wegen der engen Anbindung der Landesverbände an ihre Bundesparteien unwahrscheinlich, dass die Wähler unterschiedliche Bindungen entwickeln.137 Die Parteiidentifikation muss vielmehr als ein 131 132 133 134
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Decker/von Blumenthal (2002), S. 147 f.; vgl. zum Zusammenhang auch Fabritius (1978), S. 7-12. Vgl. Dinkel (1977), S. 351; Decker/von Blumenthal (2002), S. 147. Vgl. Gabriel/Holtmann (2007), S. 461. Vgl. Daniel Hough/Charlie Jeffery (2003): Landtagswahlen: Bundestagswahlen oder Regionalwahlen?, in: ZParl 34 (2003), S. 79-94. Vgl. Charlie Jeffery (1999): Party Politics and Territorial Representation in the Federal Republic of Germany, in: West European Politics 22 (1999), S. 130-166, hier S. 156. Vgl. Dinkel (1977), S. 355. Vgl. Gabriel/Holtmann (2007), S. 455.
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Parteien und Wähler in Ostdeutschland
„ebenenunspezifischer Faktor“138 gesehen werden. Im Fall der Themenorientierung verhindert einerseits die weithin undurchsichtige föderale Aufgabenverflechtung eine klare individuelle Zuordnung ebenenspezifischer Problemlösungskompetenz. Andererseits sind Landtagswahlen stets von Bundesthemen durchzogen, was die Themenorientierung der Wähler in ein Konglomerat landes- und bundespolitischer Elemente verwandelt. Einzig die Kandidatenorientierung stellt die Wähler vor eine landespolitische Entscheidung – ausgenommen Landeskandidaten instrumentalisieren die Bundespolitik.139 Aus welchen Einflüssen, ob bundes- oder landespolitisch, die Wahlentscheidung auf Landesebene letztlich gespeist wird, ist, wegen der Komplexität des Phänomens, ungewiss. Georg Fabritius’ Urteil aus dem Jahr 1979 besitzt weiterhin Gültigkeit: „Es handelt sich um ein dynamisches Verhältnis, das je nach Wahlkampfführung, Entscheidungs- und Ausgangssituation und der Interessenlage schwankt.“140 Gabriel und Holtmann befinden 2007 ähnlich: „Der Einfluss der Bundespolitik auf die Entscheidungen bei Landtagswahlen ist konditionaler Art, kein allgemein zu konstatierendes Phänomen.“141 Völkl bekräftigt dies: „Die Frage nach dem Bundeseinfluss scheint sich bei jeder Landtagswahl neu zu stellen. Allgemeine Tendenzen […] lassen sich nur schwer ausmachen.“142 Der Freistaat Sachsen weist in dieser Hinsicht eine eindeutige Richtung auf. Sachsen, so Kerstin Völkl et al, sei „das Musterbeispiel eines Landes […], in dem Landtagswahlen weitgehend unberührt von Bundeseinflüssen bleiben“.143 Für die sächsischen Landtagswahlen 1994 bis 2004 kommt Anja Mays auf der Basis von Daten der Forschungsgruppe Wahlen zu dem Schluss: Der Einfluss bundespolitischer Faktoren auf das Wahlverhalten ist durchweg schwach ausgeprägt, variiert aber „mit den Jahren als auch zwischen den einzelnen Parteien“. 144 Bei der PDS traten wegen der „Milieuverhaftung“ großer Teile ihrer Wählerschaft und dem Gewicht landespezifischer Motive „zu keinem Zeitpunkt signifikante Bundeseffekte“ auf. Auch der Bundeseinfluss auf die Wahlentscheidung der CDU-Anhänger, ausgenommen die „Denkzettelwahl“ des Jahres 1999 gegen die rot-grüne Bundesregierung, war nur schwach, der landespolitische Einfluss hingegen stärker ausgeprägt. Hingegen maßen die SPDWähler bundespolitischen Faktoren besondere Bedeutung zu.145 Insgesamt waren die sächsischen Landtagswahlentscheidungen im Betrachtungszeitraum in hohem Maße unabhängig vom Bund, landesbezogene Motive ausgeprägt. „Bundespolitische Ereignisse haben einen Effekt auf Verschiebungen der Stimmenanteile an den Rändern, die Basisgröße der Wählerblöcke wird aber unabhängig von aktuellen Ereignissen durch Merkmale der Landesebene bestimmt.“146 Sachsen bestätigt damit die These der territorialen Dynamiken. 138
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Kerstin Völkl (2007): Welchen Einfluss hat die Bundespolitik auf die Wahlentscheidung der Bürger bei Landtagswahlen?, in: ZParl 38 (2007), S. 480-491, hier S. 482. Vgl. Gabriel/Holtmann (2007), S. 455 f.; Völkl (2007), S. 482 f. Georg Fabritius (1979): Sind Landtagswahlen Bundesteilwahlen?, in: APuZ B. 21/1979, S. 23-38, hier S. 38. Gabriel/Holtmann (2007), S. 462. Völkl (2007), S. 491. Kerstin Völkl u. a. (2008): Zum Einfluss der Bundespolitik auf Landtagswahlen: theoretischer Rahmen und Analysemodelle, in: Dies u. a. (Hrsg.), S. 9-36, hier S. 29. Mays (2007), S. 575. Mays Ergebnisse sind vage. Der Parteiidentifikation stehen die relativ undifferenzierten Variablen Bundes- und Landeseinfluss gegenüber. Die von der Forschungsgruppe Wahlen gemessenen „Parteineigungen“ sind „schwammig“ und sollten von landespolitischen Themen- und Kandidatenorientierungen geprägt sein. Vgl. ebd., S. 575-577; dies (2008), S. 374-378. Kai-Uwe Schnapp (2007): Landtagswahlen und Bundespolitik: immer noch eine offene Frage?, in: ZParl 38 (2007), S. 463-480, hier S. 473.
3 Säulenmodell des Wahlkampfes
3.1 Wahlkampfbegriff Von den einen nüchtern als „groß angelegtes Reiz-Reaktions-Experiment“1 bezeichnet, gilt Wahlkampf anderen als „Hochzeit“2 der politischen Kommunikation. Wieder andere sprechen vom „Jahrmarktsrummel des Wahlkampfes“3, erkennen in Wahlkämpfen eine „Olympiade der Demokratie“4, eine „rituelle Inszenierung des ,demokratischen Mythos’“5 oder eine „dramatische Inszenierung alternativer fiktiver Erfahrungen“6. Der Wahlkampfbegriff soll folglich zunächst terminologisch abgerüstet und definiert werden. Wahlkampf ist, nach Max Weber, als Form des friedlichen Kampfes, eine geregelte, an einer Ordnung orientierte Konkurrenz zwischen Akteuren, die verschiedene Ziele anstreben.7 Wahlkampfauseinandersetzungen dienen nicht dem Selbstzweck, sondern zielen auf die Zustimmung der Wähler zu Personen, Programmen und Parteien.8 Ulrich Sarcinelli definiert Wahlkampf in diesem Sinne als „die im Kontext von Wahlen [...] zu ergreifenden programmatischen, parteiorganisatorischen und publizistisch-kommunikativen Maßnahmen von Parteien und/ oder Kandidaten, mit denen Wählerinnen und Wähler informiert und in ihrer Stimmabgabe beeinflusst werden sollen“.9 Kurt Faltlhauser konstatiert aus einer organisationszentrierten Sicht: „Wahlkampf ist derjenige Zeitraum im kontinuierlichen Prozess der Konkurrenzbeziehung zwischen politischen Parteien und politischen Gruppen, der durch die Ausrichtung des gesamten, koordinierten Parteiapparats auf Präsentation zum Zwecke der Gewinnung von Wählerstimmen bestimmt ist. Dieser Zeitraum beginnt in der Regel mit der Kandidatennominierung und endet mit dem Wahltag.“10 Da sie zeitlich begrenzt sind, unterscheiden sich Wahlkämpfe von der dauerhaften politischen Kommunikation. Vor dem Hintergrund des aufgespannten Parteien- und Wahlverhaltens gilt es in Wahlkämpfen, „die längerfristigen Parteibindungen der Wähler zu aktualisieren sowie die beiden kurzfristig wirksamen Determinanten des Wahlverhaltens – die Kandidaten- und Sachorientierung – im Sinne der
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Lazarsfeld u. a. (1969), S. 35. Vowe (2003), S. 542. Theodor Eschenburg (1976): Demokratie im Wahlkampf, in: Zur Wahl gestellt, Stuttgart, S. 110-120, hier S. 114. Peter Grafe (1994): Wahlkampf. Die Olympiade der Demokratie, Frankfurt a.M. Andreas Dörner (2002): Wahlkämpfe – eine rituelle Inszenierung des „demokratischen Mythos“, in: Ders./Ludgera Vogt (Hrsg.): Wahl-Kämpfe. Betrachtungen über ein demokratisches Ritual, Frankfurt a.M., S. 16-42. Guy Kirsch (2004): Neue politische Ökonomie, 5. Aufl., Stuttgart, S. 318. Vgl. Weber (1964), S. 27. Vgl. Radunski (1980), S. 11. Ulrich Sarcinelli (2003): Wahlkampf, in: Uwe Andersen/Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl., Opladen, S. 686-691, hier S. 686. Faltlhauser (1971), S. 18.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Säulenmodell des Wahlkampfes
Stimmenmaximierung für die eigene Partei optimal zu beeinflussen“.11 Somit umfassen Wahlkämpfe den thematischen und personellen Wettstreit der Parteien um Wähler im Vorfeld einer Wahl, geleitet von unterschiedlichen strategischen Zielstellungen, eingebettet in Kampagnen und umgesetzt mittels Wahlkampfkommunikation. Sie sollen Wähler mobilisieren, ihnen die Positionen konkurrierender politischer Akteure aufzeigen und Identifikationsmöglichkeiten mit Parteien und Kandidaten ermöglichen.12
3.2 Konzeptioneller Überbau 3.2.1 Wahlkampforganisation Wahlkampf ist für Parteien Normal- und Ausnahmezustand zugleich; Normalzustand, da die Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern und der permanente Wettbewerb ohnehin deren Tagesgeschäft prägen; Ausnahmezustand, da die politischen Akteure in Wahlkampfzeiten den überwiegenden Teil ihrer organisatorischen Kraft und strategischen wie kommunikativen Ressourcen für die Wahlkampagne aufwenden. Um diesen Ausnahmezustand bewerkstelligen zu können, benötigen sie eine Wahlkampforganisation. Sie schaffen „temporäre Systeme zur Bewältigung von Problemen, mit denen sich die ihnen zugeordneten permanenten Organisationen zu beschäftigen haben“.13 Wenige parteiinterne Aktivisten beleben im Vorfeld einer Wahl Strukturen und Prozesse, die mit dem Wahltag enden.14 Nach dem systemischen Ansatz temporärer Wahlkampforganisationen von Peter Pawelka befinden sich Parteien in ständigen, fluktuierenden Konflikt- und Kooperationsbeziehungen mit den Systemen ihrer Umwelt. Um die im Wahlkampf im Rahmen dieser wechselseitigen Beziehungen auftretenden Probleme lösen zu können, kommunizieren die temporären Wahlkampforganisationen auf vier Arten mit ihrer Umwelt: (1) Beeinflussung der Wähler durch die Wahlkampforganisation und Einwirkung des Wählerverhaltens auf deren Entscheidungen; (2) Gegnerbeobachtung; (3) Rückkopplung zwischen dem temporären System Wahlkampforganisation und dem permanenten System Partei; (4) Interaktion zwischen Partei und Elektorat, mittels derer die Partei Kontextveränderungen registriert und entsprechend ihr Handeln modifiziert.15 Je größer und komplexer die Wahlkampagne ausfällt, umso größer ist das temporäre Wahlkampfsystem. „Wahlkampagnen befinden sich hierbei in einem Dilemma: Ist das Team groß, dann kann es gegenüber den Wählern effizienter auftreten, benötigt allerdings etwa die Hälfte seiner Zeit für interne Konfliktschlichtung.“16 Kleinere Wahlkampforganisationen sind oft flexibler und schneller, jedoch weniger wirkungsmächtig. Ebenso bedeutend für die Effizienz und Effektivität des temporären Wahlkampfsystems ist dessen zeit11
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Oskar Niedermayer (2000): Modernisierung von Wahlkämpfen als Funktionsentleerung der Parteibasis, in: Ders./Bettina Westle (Hrsg.): Demokratie und Partizipation, Wiesbaden, S. 192-210, hier S. 192. Vgl. Christian Schicha (2004): Die Theatralität der Politikvermittlung. Zur Medieninszenierung in der Wahlkampfkommunikation, in: Volker J. Kreyher (Hrsg.): Handbuch. Politisches Marketing, Baden-Baden, S. 113127, hier S. 117. Peter Pawelka (1974): Konfiguration und Prozess des Bundestagswahlkampfes 1969 im Wahlkreis Reutlingen, in: von Beyme u. a. (Hrsg.), S. 37-162, hier S. 41. Vgl. Klaus von Beyme (1974): Einleitung, in: Ebd., S. 3-33, hier S. 20 f. Vgl. Pawelka (1974), S. 37, 41 f. Ebd., S. 52.
3.2 Konzeptioneller Überbau
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liche Begrenzung. Je kürzer das System besteht, umso schneller laufen Prozesse ab, umso intensiver ist die Auseinandersetzung. Zwar sichert ein früher Wahlkampfbeginn einen hohen Aufmerksamkeitsgrad. Jedoch birgt die lange Kampagnendauer die Gefahr vorzeitiger Effizienz- und Effektivitätsverluste.17 Der Organisationsgrad eines Wahlkampfes hängt in erster Linie vom innerparteilichen Stellenwert der Wahl ab. Eine permanente Kampagnenorganisation findet sich allenfalls bei nationalen Wahlen. Auf Landesebene sind Wahlkampforganisationen temporär, was die Kampagnenführung hinsichtlich Finanzierung, Planung, Aufwand und Rezeption vor Probleme stellt. Landtagswahlkämpfe sind meist „low-key“-Kampagnen, in welche die Parteien weniger finanzielle und organisatorische Kraft stecken wollen bzw. können.18 Die Wahlkampforganisationen stehen aus Effektivitäts- wie Kostengründen oft in räumlicher und personeller Anbindung an die Landesgeschäftsstellen. Die Zahl der direkt in das Wahlkampfmanagement involvierten Akteure ist in der Regel gering und auf die Parteiführung sowie auf führende Fraktionsmitglieder und -mitarbeiter konzentriert.19 Temporäre Wahlkampforganisationen bestehen aus der politischen und der technischen Wahlkampfleitung. Neben der Parteiführung entwirft vor allem die politische Wahlkampfleitung Themen- und Imagekampagnen, verknüpft die Leitkampagne mit Inhalten und Personen. Die technische Wahlkampfleitung setzt das Erarbeitete um. Sie hält Kontakt zu den lokalen Parteiverbänden, denen in unterschiedlichem Maße Autonomie zukommt.20 Zahlreiche dieser Verflechtungen sind für Außenstehende unsichtbar. Speziell bei Regierungsparteien existieren mit der Fraktion und der Staatskanzlei starke politische Mitspieler, welche die Wahlkampforganisationsmuster verwischen. Insbesondere die konzeptionelle Ebene, auf der Strategien entstehen und Entscheidungsprozesse ablaufen, ist vertraulich. Ungeachtet des formalen Trennungsgebots wird jeder Ministerpräsident oder Fraktionsvorsitzende im Falle seiner Spitzenkandidatur enge Mitarbeiter in den Wahlkampf involvieren, spielen Staatskanzlei bzw. Fraktion eine organisatorisch-konzeptionelle Rolle.21 Dabei gilt auch für Landtagswahlkämpfe: „Nur wer einen Wahlkampf perfekt organisieren kann, dem wird auch Regierungsverantwortung zugetraut. Wer im Wahlkampf unprofessionell auftritt, kann auch nicht professionell Verantwortung tragen“.22 Temporäre Wahlkampforganisationen nutzen deshalb, je nach finanzieller Basis, externen Sachverstand in Form professioneller Politikvermittlungsexperten, Wissenschaftler oder Demoskopen. Werbeagenturen ergänzen jede Kampagnenorganisation – ob verantwortlich für den gesamten Wahlkampf oder lediglich mit Teilen der Kommunikation betraut.23 Der zunehmende Rückgriff der Parteien auf kommerzielle Strukturen ist auch ein Resultat ständiger Mobilisierungs- und Effektivitätsprobleme. Das für eine Partei in Form freiwilliger Helfer 17 18
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Vgl. ebd., S. 54-56. Vgl. Christina Holtz-Bacha (2005): Massenmedien und Europawahlen: low key campaigns – low key response, in: Dies. (Hrsg.): Europawahl 2004. Die Massenmedien im Europawahlkampf, Wiesbaden, S. 7-34, hier S. 13. Vgl. David M. Farell (2000): Political Parties as Campaign Organizations, in: Russell J. Dalton/Martin P. Wattenberg (Hrsg.): Parties without Partisans. Political Change in Advanced Industrial Democracies, Oxford, S. 102-128, hier S. 121; Wolf (1985), S. 70. Vgl. Honza Griese (2002): Von der Notwendigkeit des Wahlkampfmanagements, in: Thomas Berg (Hrsg.): Moderner Wahlkampf. Blick hinter die Kulissen, Opladen, S. 81-95, hier S. 86-88; Radunski (1980), S. 23-26; Peter Haungs (1974): Abschließende Betrachtungen, in: Ders. (Hrsg.), S. 315 f. Vgl. u. a. Timm (1999), S. 12 f.; Wolf (1985), S. 69. Gerster (2002a), S. 33. Vgl. Huh (1996), S. 166 f.; Farell (2000), S. 121; Radunski (1980), S. 41.
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Säulenmodell des Wahlkampfes
und aktiver Mitglieder verfügbare Rekrutierungspotenzial ist begrenzt.24 Die Akteure plagt ein „organisatorisches Nutzenproblem“, schließlich sind Parteimitglieder weder „willenloses Humankapital“ noch „handzahme strategische Verfügungsmasse“.25 Deshalb entziehen die Führungsebenen der Parteibasis zunehmend Wahlkampffunktionen und verlagern diese in professionelle Hände. Dennoch ist fraglich, ob mit Blick auf Landtagswahlkämpfe von einer „Funktionsentleerung der Parteibasis“26 gesprochen werden kann. Eher erweist sich deren Beteiligung als bedeutsam. Die oft konstatierte „moderne“ Wahlkampfführung, ohne Mitgliederunterstützung, nur charakterisiert durch eine professionalisierte Medienkampagne, ist auf Landesebene kaum möglich. Ohne ausreichendes Eigenengagement drohen den Parteien hier finanzielle Ausfälle und logistische Defizite, geht die soziale Transmitterfunktion ihrer Mitglieder verloren.27 Die Organisation einer Wahlkampagne umfasst in der Regel drei bis vier Phasen. Die etwa ein drei viertel Jahr vor dem Wahltermin einsetzende Planungsphase beinhaltet den Aufbau der temporären Wahlkampforganisation und die strategische Ausrichtung der Kampagne. Die Phase der Binnenmobilisierung steht für den internen Wahlkampfbeginn. Sie soll die Parteibasis aktivieren und mobilisieren. Je weiter der Wahlkampf fortschreitet, umso stärker wandelt sich die Binnenmobilisierung in die Phase der Außenmobilisierung, u. a. geprägt von einer Ansprache der Stammwähler, dem Aufbau der Wahlkampforganisation und der ersten Kampagnenkonzeption. Abschließend münden die Wahlkampfaktivitäten wenige Wochen vor dem Wahltermin in eine Phase des Wahlkampfendspurts – die sogenannte „heiße Phase“. Den Wählern offenbart sich nun der „eigentliche Wahlkampf“ in Form von Großkundgebungen, der einsetzenden Werbekampagne sowie der Konzentration der Parteien auf den Image- und Themenwahlkampf.28 Die Aufmerksamkeit der Wähler ist in dieser Phase ebenso groß wie die Gefahr nachhaltiger Kampagnenfehler. Neue politische Themen oder Kandidaten können kaum mehr platziert werden, die organisatorische Struktur des Wahlkampfes ist fixiert.29 Nicht selten bildet die Schlussphase wegen der auf Landesebene eher schwachen Kampagnen die einzige, durch die Bevölkerung wahrnehmbare Wahlkampfphase.
3.2.2 Wahlkampfstrategie 3.2.2.1 Generelle Ausprägung Wahlkampfstrategien sind Formen politischer Strategien. Sie dienen nicht der Durchsetzung politischer Vorstellungen, sondern dem Erreichen politischer Macht. Einerseits handelt es sich bei ihnen um die „Festlegung politischer Ziele unter Berücksichtigung der 24
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Vgl. Bernhard Boll/Bernd Hofmann (2001): Die Mitglieder der Landesparteien, in: Boll/Holtmann (Hrsg.), S. 19-121, hier S. 48. Wiesendahl (2006), S. 113. Niedermayer (2000), S. 203-206. Vgl. Thomas Bosch (2006): „Hinten sind die Enten fett“. Der Bundestagswahlkampf der SPD und die Mobilisierung der eigenen Mitglieder, in: Christina Holtz-Bacha (Hrsg.): Die Massenmedien im Wahlkampf. Die Bundestagswahl 2005, Wiesbaden, S. 32-77, hier S. 34 f. Vgl. exemplarisch die landespolitische Untersuchung von Geisler/Tenscher (2001), S. 17 f. Vgl. Peter Radunski (1981): Wahlkampfstrategien ’80 in den USA und der Bundesrepublik, in: APuZ B. 18/ 1981, S. 31-46, hier S. 43.
3.2 Konzeptioneller Überbau
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eigenen Möglichkeiten, der situativen Gegebenheiten und des Potenzials des Gegners“.30 Andererseits beschreiben sie die der Zielstellung folgende taktische „Stoßrichtung sowie die Grundsätze des Mitteleinsatzes im Wahlgebiet“.31 Ausgehend von einem Oberziel sind zunächst für die Strategiefestlegung relevante interne (konzeptionelle Grundlinie, Ziele und Mittel, organisatorische Möglichkeiten etc.) und externe Faktoren (politische Situation, Wettbewerbsverhältnisse, Meinungsklima, aktuelle Themen etc.) zu berücksichtigen.32 Der eigenen Stärken und Schwächen bewusst, gilt es für den Akteur Strategien zur Wähleransprache zu formulieren. Parallel dazu müssen die Instrumente der Strategieumsetzung und Zielverwirklichung ausgearbeitet sowie deren Kommunikation vorbereitet werden. Die Implementierung realisiert schließlich die Wahlkampfkonzeption.33 Indem die Hauptziele eines Wahlkampfes von Partei zu Partei variieren, streben alle politischen Akteure im Kern ein individuell optimales Ergebnis an. Da die Betonung auf optimal und nicht auf gewinnmaximal liegt, sollen drei Varianten des übergeordneten zielund strategieorientierten Parteiverhaltens unterschieden werden: Stimmenmaximierung (vote-seeking); Regierungsteilhabe (office-seeking); Programmverwirklichung (policyseeking).34 Im Zentrum wählerstimmenmaximierender Strategien steht das Ziel größtmöglicher Macht durch maximale Sitzmehrheiten. Vote-seeking-Parteien richten sich an eine allgemeine, sehr heterogene Wählerschaft. Ihre Organisation gewährleistet die dafür notwendige zielgruppenorientierte und personalisierte Wahlkampfführung, dominiert durch Parteieliten. Diese legen Inhalte nach ihrer Wählerwirksamkeit fest, kommunizieren diese top-down und vermeiden programmatische Diskrepanzen. Parteien, die nach Regierungsteilhabe (office-seeking) streben, versuchen, ihren Machteinfluss in Form einer größtmöglichen Anreicherung politischer Ämter zu maximieren. Dafür typisch sind defensive Wahlkampfstrategien, die u. a. mehrere Koalitionsoptionen wahren. Auf wenige ehrenamtliche Parteihelfer kommen zahlreiche Amts- und Mandatsträger sowie Wahlkreis- oder Spitzenkandidaten. Sie bestimmen mit ihren personalisierten Strategien das Wahlkampfgeschehen. Policy-seeking-Parteien geht es um die maximale Programmverwirklichung und Politikumsetzung. Sie kommunizieren zuvorderst ihre Anliegen und informieren das Publikum. Parteien, die allein auf Programmverwirklichung zielen, verfügen normalerweise über eine dezentralisierte Parteiorganisation. Ihrer Basis kommt auf Parteitagen und in Programmkommissionen eine wichtige Rolle zu. Gemeinhin verfolgen Parteien mindestens zwei dieser Strategien gleichzeitig. Neben einer dominanten Hauptstrategie erfüllen Nebenstrategien wichtige Funktionen, sind gewissermaßen notwendige Hilfsvariablen, um die Hauptstrategie umzusetzen. Egal, welche strategische Ausrichtung eine Partei einschlägt, ihr Ziel ist immer der (unterschiedlich mo-
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Ulrich Sarcinelli/Edwin Czerwick (1984): Der Landtagswahlkampf 1983: Aspekte zu Strategie, Planung und Verlauf, in: Ulrich Sarcinelli (Hrsg.): Wahlen und Wahlkampf in Rheinland-Pfalz, Opladen, S. 78-103, hier S. 80 f. Faltlhauser (1971), S. 177. Vgl. Peter Schröder (2000): Politische Strategie, Baden-Baden, S. 46-94. Vgl. ebd., S. 34 f., 95-215. Vgl. grundlegend Kaare Strom (1990): A Behavioral Theory of Competitive Political Parties, in: Steven B. Wolinetz (Hrsg.) (1998): Party Systems, Aldershot, S. 191-224, hier S. 192-195; Steven B. Wolinetz (2002): Beyond the Catch-all Party: Approaches to the Study of Parties and Party Organization, in: Richard Gunther u. a. (Hrsg.): Political Parties: Old Concepts and New Challenges, Oxford; ferner Andrea Römmele (2003): Political Parties, Party Communication and new Information and Communication Technologies, in: Party Politics 9 (2003), S. 2-20.
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tivierte und definierte) Wahlerfolg.35 Davon ausgenommen sind zweckgebundene Kampagnen. Sie instrumentalisieren Wahlkämpfe, um situative Veränderungen zu bewirken bzw. um die Stellungnahme einer Partei gegenüber den aktuellen politischen Gegebenheiten auszudrücken. Die Beeinflussung der Wahlentscheidung ist dann nachrangig. Die Parteien „entfremden“ den Wahlkampf hier als Podium.36 Zudem verfolgen Parteien interne Wahlkampfstrategien. Beispielsweise kann eine gelungene Imageveränderung trotz gleichbleibendem Wahlergebnis parteiintern als Erfolg gelten. Da es sich bei Landtagswahlen nicht um Wahlen mit absolutem, sondern relativem Ausgang handelt,37 muss die Strategie nicht ausschließlich stimmenmaximierend ausgerichtet sein. Zielt eine Partei auf die absolute Mehrheit, verfolgt eine andere den Parlamentseinzug. Gilt für manche ein gebremster Abwärtstrend als Erfolg, sehen andere in einem gestoppten Aufwärtstrend einen Misserfolg. Indem die Wahlkampfstrategie die Ziele und den Mitteleinsatz bestimmt, wird sie zur „Grundlage für die Planung von Kampagnen“38, die wiederum die Strategieumsetzung ermöglichen. Wahlkampfstrategien drücken aus, welche Ziele es mit welchen Kampagnen zu erreichen gilt. Sie bilden den „roten Faden“, entlang dessen sich Aktivitäten bewegen (sollen). Kampagnen sind Formen „strategischen Handelns“. Nach Lars Neuwerth bedeutet strategisches Handeln „die Entwicklung und Implementation rationaler Handlungsprogramme, mit deren Hilfe unter Berücksichtigung potenziell erwartbarer Änderungen der Logik der Situation übergeordnete Ziele erreicht werden sollen“.39 Die Wahlkampfstrategie koordiniert demnach Handlungsprogramme (Kampagnen) in Richtung eines oder mehrerer vorab festgesetzter Ziele und ist damit konstitutiv für jegliches Wahlkampfhandeln.40 Die zu ihrer Realisation benötigten Einzelkampagnen streben unterschiedliche Ziele im Rahmen der Gesamtstrategie an. Über allen steht die Leitkampagne. Sie ist der Orientierungsrahmen für sämtliche Wahlkampfaktivitäten und drückt die zentrale Botschaft einer Partei aus. Der Leitkampagne folgen die Themenkampagne sowie die Personalisierungsund Imagekampagne. Während die Themenkampagne den Wählern die zentralen Inhalte, für die die Partei steht, verdeutlicht, zielen Personalisierungs- und Imagekampagne darauf, Spitzenpolitiker sowie die Partei selbst bekannter und beliebter zu machen. Die Umsetzung der Wahlkampfstrategie und der zugehörigen Kampagnen erfolgt durch eine übergreifende Kommunikationskampagne.41 Wegen der niedrigeren Wahlbeteiligung müssen Parteien in Landtagswahlkämpfen ihren strategischen Schwerpunkt auf eine doppelte Mobilisierung (eigenes Wählerpotenzial aktivieren; Gesamtwählerschaft mobilisieren), verlagern.42 Landtagswahlkämpfe sind vor35
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Vgl. Gerd Strohmeier (2004): Die Modernisierung der Wahlkämpfe in Deutschland, in: Karp/Zolleis (Hrsg.), S. 51-66, hier S. 51. Vgl. zu diesem Zusammenhang Hildegard Pleyer (1959): Politische Werbung in der Weimarer Republik, Münster, S. 147. Eine Ausnahme bilden selbstverständlich Sperrklauseln. Sven Plank (2002): Kampagnen: Gut geplant ist halb geschafft?, in: Berg (Hrsg.), S. 65-80, hier S. 66; Grafe (1994), S. 183. Neuwerth (2001), S. 69. Vgl. ebd., S. 94. Vgl. Timm (1999), S. 29; Plank (2002), S. 70-75. Vgl. Rüdiger Schmitt-Beck (2002): Das Nadelöhr am Ende: Die Aufmerksamkeit der Wähler für die Wahlkampfkommunikation als Voraussetzung wirksamer Kampagnen, in: Matthias Machnig (Hrsg.): Politik – Medien – Wähler. Wahlkampf im Medienzeitalter, Opladen, S. 21-48, hier S. 39 f.; Frank Marcinkowski/JörgUwe Nieland (2002): Medialisierung im politischen Mehrebenensystem. Eine Spurensuche im nordrheinwestfälischen Wahlkampf, in: Ulrich von Alemann/Stefan Marschall (Hrsg.): Parteien in der Mediendemokratie, Wiesbaden, S. 81-115, hier S. 86.
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rangig Aktivierungs- und Mobilisierungswahlkämpfe. Anhänger gegnerischer Parteien abzuwerben, spielt wegen des tendenziell stärkeren Wahlabsentismus eine geringere Rolle als bei first-order elections, also Wahlen auf nationaler Ebene. Erfolgversprechend ist eher, etwaige Nichtwähler zu mobilisieren. Speziell die strukturell schwachen ostdeutschen Landesverbände befinden sich mit einer geringen Zahl an Stammwählern und einer hohen, volatilen Zahl schwer mobilisierbarer Nichtwähler in einem strategischen Dilemma.
3.2.2.2 Spezifische Ausprägung Regierungs- und Oppositionsstrategien Ansatzpunkt, Zielvorstellung, strategische Ausrichtung und Umsetzung der Kampagnen von Regierungs- und Oppositionsparteien unterscheiden sich fundamental. Regierungsparteien verfahren in der Regel nach einer thematischen Bilanzierungs- und einer personellen Amtsinhaberstrategie und nutzen im Vorfeld von Wahlen ihre Regierungsämter zur Profilierung. Oppositionsparteien gebrauchen indes vorwiegend thematische Angriffs- und personelle Herausfordererstrategien. Sie verfügen über einen weniger wirksamen Status. Ziel von Regierungsparteien ist der Machterhalt bzw. der Machtausbau. Sie verfolgen primär Defensivstrategien, um bisherige Wähler zu halten, pflegen ihre Stammwähler und bestärken ungebundene Sympathisanten. Im Falle einer Offensivstrategie versuchen sie, den Wählermarkt stärker zu durchdringen.43 Neben neuen Zielen, verbunden mit einer prospektiven Leistungsgarantie, nutzen Regierungsparteien Bilanzierungsstrategien, die den „Wählern die Gesamtsumme der Regierungstätigkeit möglichst gehaltvoll präsentieren“.44 Dabei liegt der retrospektiven Komponente primär eine prospektive Intention zugrunde. Die Leistungsbilanz demonstriert zukünftige Kompetenz und schreibt sich mit dem Programm für die kommende Legislaturperiode gewissermaßen selbst fort. Gegenüber ihrer Konkurrenz verwischen Regierungsparteien Unterschiede, um Präferenzwechsel der Wähler zu verhindern. Ihr Hauptargument ist die Alternativlosigkeit ihrer Politik.45 Ihre Staatsämter und das damit verbundene Plus an Öffentlichkeitswirksamkeit bescheren den Regierungsparteien entscheidende Vorteile in der Wahlkampfkommunikation. „Was die Regierung tut, sind Nachrichten, was die Opposition sagt, Meinungen.“46 Ihr kommunikativer Werkzeugkasten ist gut bestückt. „Es gibt unzählige Gelegenheiten, die Regierungspolitik zu erläutern, zu erklären, sie gegen Angriffe zu verteidigen und mit neuen Versprechen und Ankündigungen zu verbinden“.47 Ob in Form jahrelanger Politikrealisierung oder durch positiv konnotierte Beschlüsse im Vorfeld von Wahlen bzw. einzig wegen der Wahlen (Wahlgeschenke), Regierungsparteien arbeiten vor und in Wahlkämpfen aus ihrer Funktion heraus auf einen Wahlerfolg hin.48 „A government’s chance of re43 44
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Vgl. Schröder (2000), S. 104 f. Anita Steinseifer-Papst/Werner Wolf (1994): Wahlen und Wahlkampf in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Heidelberg, S. 19. Vgl. Grafe (1994), S. 167; Schröder (2000), S. 105; Wolf (1985), S. 22-24. Werner Kaltefleiter (1973): Oppositionsstrategien im parlamentarischen System, in: APuZ B. 31/1973, S. 3-8, hier S. 4. Marco Althaus (2002): Kommunikationsmanagement im Wahlkampf: Spielregeln für Strategie und taktische Disziplin, in: Berg (Hrsg.), S. 115-143, hier S. 130. Vgl. Wolf (1980), S. 29-36.
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election depends on how successfully it manipulates the resources of office.”49 Höchster Trumpf ist ihr Amtsinhaber. Der Ministerpräsident bestimmt nicht nur das politische Geschehen, er dominiert zugleich die öffentliche, personelle Agenda. Seine gouvernementalen Vorteile übertreffen die Möglichkeiten der Oppositionskandidaten. Seine Medienpräsenz gibt ihm einen Vorsprung in der personellen Darstellung.50 Oft verfügen nur wenige Landespolitiker, allenfalls auf Landesebene kandidierende Bundespolitiker, über ähnliche Bekanntheits- oder Popularitätswerte. In Kompetenz und Sympathie sind Amtsinhaber von Herausforderern in der Regel kaum zu überbieten. In ihrer Doppelfunktion als Regierungschef und Landesoberhaupt verbuchen sie parteiübergreifend Sympathien. Lang amtierende Ministerpräsidenten umgibt zudem oft der überparteiliche Nimbus eines Landesvaters.51 Trotz allem bergen Wahlkämpfe von Regierungsparteien Risiken. Neben negativen gesellschaftlichen oder ökonomischen Einflüssen kann eine Regierungspartei wegen ihrer Amtsbindung nur eingeschränkt thematisch agieren, die Opposition besitzt indes aufgrund der fehlenden Regierungsverantwortung die Möglichkeit, vollmundige Versprechen vorzubringen. Ferner stellt das Regierungsamt Anforderungen an die Art des Wahlkampfes. Eine starke Regierungspartei muss (für gewöhnlich) eine starke Kampagne führen, die Lage souverän beherrschen. Zudem existieren für Regierungsparteien auf Landesebene Irregularitäten zwischen ihren exekutiven, legislativen und parteilichen Rollenbildern. Sie werden von den Wählern primär anhand ihrer Exekutivleistung beurteilt und weniger an der Fraktions- oder gar an der Parteiarbeit gemessen.52 Hingegen ist es Aufgabe der Oppositionsparteien, „dem vornehmlich rechtfertigenden Sprachspiel der Regierenden ein aufklärendes entgegenzusetzen“53 und sich als „Regierung von morgen“54 zu präsentieren. Selbst im Falle einer ausgezeichneten Regierungsbilanz muss die Opposition diese kritisieren, Widersprüche aufzeigen und die Abnutzung der Regierung anprangern. Sie muss den Wählern (real oder konstruiert) das Versagen der Regierung vor Augen führen, indem sie eine möglichst negative Bilanz präsentiert und ihre Alternativen aufzeigt. Während die Regierungsparteien thematische Unterschiede zu verwischen suchen, müssen Oppositionsparteien diese herausstellen. Verbreiten Regierungsparteien Zufriedenheit und positive Stimmungen, thematisiert die Opposition Unzufriedenheit und lanciert das eigene Angebot als Problemlösung.55 Die „gouvernementale Schlagseite“ der Landespolitik beschränkt die institutionellen Profilierungsmöglichkeiten und die Öffentlichkeitswirkung der vorrangig parlamentarisch aktiven Oppositionsparteien. Ihre Rolle im Wahlkampf hängt aus diesem Grund stark von ihrer öffentlichen Selbstdarstellung während der Legislaturperiode ab.56 Nach Werner Kaltefleiter können sie durch eine quasi-gouvernementale Strategie versuchen, die Regierung in der parlamentarischen Sacharbeit zu übertreffen. Die Tatsache, dass jene von den Wählern auf Landesebene kaum wahrgenommen wird, macht solch ein Unterfangen fast wir49 50 51
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Martin Harrop/William L. Miller (1987): Elections and Voters. A comparative introduction, London, S. 230. Vgl. Radunski (1980), S. 17. Vgl. Gerd Mielke (2003): Platzhirsche in der Provinz. Anmerkungen zur politischen Kommunikation und Beratung aus landespolitischer Sicht, in: Ulrich Sarcinelli/Jens Tenscher (Hrsg.): Machtdarstellung und Darstellungsmacht, Baden-Baden, S. 87-103, hier S. 89; Wolf (1985), S. 25. Vgl. Althaus (2002), S. 130; Schneider (2001), S. 404. Manfred Hättich (1990): Freiheit als Ordnung, Bd. 3, Beiträge zur Zeitdiagnose, München, S. 237. Kaltefleiter (1973), S. 3. Vgl. Schröder (2000), S. 103; Wolf (1985), S. 40. Vgl. Schneider (2001), S. 404; Hättich (1990), S. 229 f.
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kungslos. Daran knüpft die Anpassungsstrategie an, in welcher die Opposition öffentlich akzeptierte Regierungspositionen übernimmt und sich das Image einer Regierungspartei verpasst. Von Werner Wolf als Kooperationsstrategie bezeichnet, plädieren Oppositionsparteien in einer Art defensiven Offensivstrategie für die Richtigkeit der Regierungsziele, zeigen aber alternative Mittel auf.57 Weiterhin hat die Opposition nach Kaltefleiter die Möglichkeit, mittels einer Konfrontationsstrategie der Regierungspolitik zu widersprechen. Ziele dieser Offensivstrategie sind eine hohe Aufmerksamkeit sowie eine öffentliche Negation der Leistungsfähigkeit der Regierung. Die letzte Oppositionsstrategie ist die Alternativstrategie. Sie greift Themen auf, die eine Regierung wegen interner Notwendigkeiten oder strategischer Bedenken nicht zu behandeln gewillt ist und platziert diese öffentlichkeitswirksam im Wahlkampf.58 Mit Ausnahme der quasi-gouvernementalen Strategie sind alle Strategien Teil eines Angriffswahlkampfes, dessen Ziel darin besteht, „den politischen Gegner […] negativ in Szene zu setzen“, Ängste vor dessen Sieg zu stimulieren und größtmöglich zwischen der eigenen, „guten“ Position und der „schlechten“ Gegenposition zu polarisieren.59 Im Kern folgen Angriffswahlkämpfe einer Negative-Campaigning-Strategie. Der zentrale Vorteil: Kritik am politischen Gegner ist in der Regel einfacher zu konzipieren und wegen des starken Medienechos günstiger umzusetzen als eine progressive Kampagne.60 Die Angriffe tragen einen direkten oder indirekten Charakter, je nachdem, ob eine unmittelbare oder eine assoziative Auseinandersetzung erfolgen soll. Oft bewirken direkte, mitunter symbolischpolemisch geführte Angriffe, speziell gegen populäre Amtsinhaber, in der Wählerschaft negative Effekte gegen den Angreifenden.61 Die durch eine Angriffskampagne ausgelöste, aus der Defensive heraus geführte Konterkampagne zielt darauf, die „Angriffe der politischen Konkurrenz schnellstmöglich […] zu kontern und dabei in kürzester Zeit die gegnerischen Argumente präzise zu entkräften und der jeweiligen Diskussion eine für das eigene politische Produkt vorteilhafte Wendung zu verleihen“.62 Ein Konterwahlkampf ist reaktiv. Die Reaktion kann vorbereitet sein, indem sie durch Beobachtung Angriffe antizipiert; sie muss zielgenau erfolgen, indem sie das gegnerische Argument entkräftet und zurückspielt; sie muss unmittelbar erfolgen, vollständig sein und alle Angriffe kontern, außer jene, die für den Angegriffenen wirken.63 Neben dem Angriff auf die thematische Regierungsbilanz muss eine Oppositionspartei die Regierungspartei personell herausfordern. Die Spitzenkandidaten sind in Landtagswahlkämpfen die „Protagonisten in der Wahlauseinandersetzung zwischen den Parteien“.64 Verfügt dabei ein „landesväterlicher Ministerpräsident“ über die Sympathien der Wähler, besteht ein gravierendes „Ungleichgewicht“ zulasten der Opposition.65 Die Bevölkerung stellt „den Gegenkandidaten der Opposition nur dann von vornherein auf eine Stufe mit 57 58 59 60
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Vgl. Wolf (1980), S. 51. Vgl. Kaltefleiter (1973), S. 6 f. Vgl. Strohmeier (2002), S. 104. Vgl. Marco Althaus (2005): Über und unter der Gürtellinie. Negative Campaigning und die Ethik des Angriffs, in: Lars Rademacher (Hrsg.): Politik nach Drehbuch, Münster, S. 110-137, hier S. 118 f. Vgl. Christina Holtz-Bacha (2001): Negative Campaigning: in Deutschland negativ aufgenommen, in: ZParl 32 (2001), S. 669-677, hier S. 672. Strohmeier (2002), S. 106 f. Vgl. ebd., S. 107. Harald Schoen (2004): Kandidatenorientierungen im Wahlkampf: Eine Analyse zu den Bundestagswahlkämpfen 1980-1998, in: PVS 45 (2004), S. 321-345, hier S. 323. Vgl. Schneider (2001), S. 404; Mielke (2003), S. 89.
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dem Amtsinhaber oder gar darüber, wenn dieser offensichtlich versagt hat oder deutlich abgekämpft“66 ist. Im Falle eines populären Ministerpräsidenten greift eine oppositionelle Personalisierungsstrategie an der stärksten Front des Gegners an.
Bundespolitik als Teil landespolitischer Wahlkampfstrategien Neben den erörterten bundespolitischen Effekten auf das Wählerverhalten bei Landtagswahlen ist die Bundespolitik in Landtagswahlkämpfen von strategischer Bedeutung.67 Dabei ist die bundespolitische Durchdringung von Landtagswahlkämpfen kein Übel. Vielmehr sind mannigfaltige bundespolitische Einflüsse in Form komplexer Prozessstrukturen stets Teil regionaler Wahlkampfstrategien. „The strategy and tactics of political parties in second-order election campaigns are often influenced by political calculations concerning the main arena.“68 Landesparteien instrumentalisieren gern die bundespolitische Lage zu ihren Gunsten. Sie bestimmen partiell mit, ob Landes- oder Bundespolitik im Vordergrund ihrer Kampagnen steht.69 Eines wird offenbar: Es existiert kaum eine realistische Konstellation, bei welcher die landespolitischen Akteure rein mit landes- oder bundespolitischen Elementen Wahlkampf betreiben würden. Der bundespolitische Blick der Wähler und die Verflechtung der Länder mit der Bundesebene verhindern ein Entweder-Oder. Insbesondere Landesoppositionsparteien sind wegen ihres potenziellen Popularitätsmangels auf bundespolitische Themen und Personen angewiesen.70 Ist die Wahlbevölkerung mit der Landesregierung zufrieden, bleibt ihnen oft nur die Zuflucht in bundespolitische Strategieelemente. Steht die Landesregierungspartei zudem noch auf Bundesebene in einem guten Licht, haben sie nahezu keine Möglichkeit, eine Wahlentscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen, ob mit oder ohne Bundespolitik. Fabritius fragt zu Recht, welche Art des Wahlkampfes eine Oppositionspartei führen kann, wenn die Landesregierung mit einer absoluten Mehrheit regiert und der Ministerpräsident über einen starken Amtsbonus verfügt. Ihr bleibt dann allein die bundespolitische Option. In der Konstellation, dass die Landesoppositionspartei auf Bundesebene die Opposition stellt und die Bundesregierung zum gleichen Zeitpunkt in einer schwierigen Situation steckt, muss sie den Landtagswahlkampf bundespolitisch instrumentalisieren. Umgekehrt empfiehlt es sich für alle Bundesregierungsparteien, ungeachtet ihrer landespolitischen Rolle, bundespolitische Stimmungshochs im Land zu nutzen.71 Die größten Handlungsspielräume eröffnet einer Landesregierungspartei ihre parteipolitische Opposition zur Bundesregierung. Sie muss in diesem Fall weder Rücksicht auf ihre Bundespartei nehmen noch bundespolitische Sanktionen fürchten. Befindet sich eine Landesregierungspartei indes auf Bundesebene in Regierungsverantwortung, schmälert dies ihre Optionen. Die
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Wolf (1985), S. 40 f. Vgl. Edwin Czerwick (1984b): Zum Verhältnis von Landtagswahlen und Bundestagswahlen, in: Ulrich Sarcinelli (Hrsg.): Wahlen und Wahlkampf in Rheinland-Pfalz, Opladen, S. 136-154, hier S. 145-150. Reif/Schmitt (1980), S. 9. Vgl. Fabritius (1978), S. 158 f. Vgl. ders. (1979): Sind Landtagswahlen Bundesteilwahlen?, in: APuZ B. 21/1979, S. 23-38. Vgl. ebd., S. 30-32.
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Mutterpartei kann Gefolgschaft einfordern und bei Verweigerung den Landesverband disziplinieren.72 Wie Fabritius trifft auch Czerwick folgende Annahme: Bundespolitische Argumente sind in einem Landtagswahlkampf legitimierende Werkzeuge für das eigene politische Handeln sowie Instrumente zur Delegitimation des Gegners. Landesparteien verknüpfen selektiv und spezifisch „ausgewählte Legitimationsargumente“ mit dem Ziel, den durch die Wahlkampfsituation aufgebauten „Legitimationsdruck“ abzubauen. Sie werden dabei mit einem ebenenbedingten „Legitimationsgefälle“ konfrontiert. Die von ihnen gewollten und von den Wählern nachgefragten bundespolitischen Argumente verfügen zwar über eine größere Legitimation, konterkarieren aber teilweise den landespolitischen Anspruch. Die letztlich angewandte Strategie hängt in ihrem Gelingen primär von den objektiven Rahmenbedingungen in einem Landtagswahlkampf ab. Sind diese durch massive bundespolitische Einflüsse geprägt bzw. ist der Instrumentalisierungsdruck der Bundesparteien sehr hoch, wird eine vorrangig landespolitische Strategie scheitern.73 Laut Czerwick dominieren bundespolitische Legitimierungsstrategien bei:74 labilen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag, weshalb die Bundesoppositionsparteien versuchen, über Landtagswahlen die nationale Regierungskoalition zu schwächen; gefährdeten Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat, wenn in dem jeweiligen Land ein Regierungswechsel wahrscheinlich ist; einer intensiven parteipolitischen Polarisierung auf Bundesebene, welche die öffentliche Wahrnehmung und Medienberichterstattung dominiert und die Parteien veranlasst, ihre bundespolitischen Streitpunkte auf Landesebene auszutragen; einer großen Anzahl an Wahlberechtigten in dem jeweiligen Land, wodurch die Landtagswahl zur bundespolitischen Testwahl stilisiert werden kann; unmittelbarer zeitlicher Nähe der Landtagswahl zur Bundestagswahl; politischer Geschlossenheit zwischen Landesverband und Bundesorganisation einer Partei, bei der der Landesverband auf die Argumente seiner Bundespartei zurückgreift; höheren öffentlichen Sympathiewerten für die Bundes- als für die Landespartei, sodass Letztgenannte eine bundesspezifische Legitimationsstrategie integrieren kann. Hingegen dominieren landespolitische Legitimationsstrategien bei: stabilen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag, was eine bundespolitische Delegitimierungsstrategie unglaubwürdig erscheinen ließe; ungefährdeten Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat; einem Mangel an polarisierenden Themen auf Bundesebene, weshalb die Parteien auf landespolitische Probleme zurückgreifen müssen; einer geringen Anzahl an Wahlberechtigten im Land (keine Testwahl); einer in großer zeitlicher Distanz zur Bundestagswahl stehenden Landtagswahl; starken politischen Differenzen zwischen dem Landesverband und der Bundesorganisation einer Partei sowie bei einem politisch autonomen Landesverband; höheren öffentlichen Sympathiewerten für die Landes- als für die Bundespartei; 72
73 74
Vgl. Michael Eilfort (2006): Landes-Parteien: Anders, nicht verschieden, in: Schneider/Wehling (Hrsg.), S. 207-224, hier S. 217-219. Vgl. Czerwick (1984a), S. 6-10, 54. Vgl. im Folgenden Ebd., S. 56-72; ders. (1984b), S. 146-149.
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der großen Wahrscheinlichkeit eines Regierungswechsels im Land, weshalb alle Akteure mit Anspruch auf das Regierungsamt ein landespolitisches Legitimationsprofil benötigen; einer eindeutig dominierenden Landespartei, die, um ihre landespolitische Verwurzelung zu erhalten, in erster Linie landespolitisch argumentiert.
Ob eine Partei in einem Landtagswahlkampf eine eher bundespolitische oder eine eher landespolitische Strategie verfolgt, unterliegt daher zahlreichen Einflüssen. Die „legitimatorische Bedeutung der einzelnen Systemebenen“ ist situativ. Das wiederum zwingt die Parteien, ihre Wahlkampfstrategien einmal stärker in Richtung Bundesebene, das andere Mal stärker in Richtung Landesebene anzupassen. Ziel ist es, diejenige Ebene als „legitimationsrelevant“ herauszustellen, die den eigenen Vorteil maximiert und den des politischen Gegners minimiert.75 Parteien unterscheiden bewusst zwischen den politischen Ebenen, kombinieren diese nach Bedarf und Notwendigkeit oder unterliegen ihnen ohne eigene Wirkungsmacht. Prinzipiell werden Bundesthemen dann in Landtagswahlkämpfen diskutiert, „wenn mindestens eine Partei sich davon eine größere Wahlchance verspricht“. 76 Gegen rein landespolitische Strategien sprechen die geringe Wahlkampftauglichkeit von Landesthemen sowie die damit einhergehenden für die Wähler relativ uninteressanten Wettbewerbs- und Entscheidungssituationen. Um die Landtagswahlkämpfe dennoch für die Wählerschaft attraktiv zu gestalten, bedienen sich Parteien übergeordneter Themen oder bundespolitischen Personals. Mitunter entrückt so der Landtagswahlkampf dem landespolitischen Kontext.77
3.2.3 Wahlkampfkommunikation 3.2.3.1 Kommunikation als Mittel der Strategieumsetzung Die Kampagnenkommunikation setzt die Strategie um und ist zugleich deren Bestandteil. Sie umfasst alle Mittel zur Realisierung der veranschlagten Ziele. Grundsätzlich kann zwischen einer verkaufsorientierten (selling concept) und einer marktorientierten (marketing concept) Spielart unterschieden werden. Das verkaufsorientierte Konzept setzt auf die Beeinflussbarkeit der Wähler. Ausgehend von einem vorhandenen politischen Produkt gilt es, die öffentliche Meinung positiv auf dieses zu prägen. Das marktorientierte Konzept setzt auf die Beeinflussbarkeit des politischen Produkts. Ziel der politischen Kommunikation ist hier, die politischen Inhalte den Einstellungen und Bedürfnissen der Wähler anzupassen.78 Indem Parteien durch ihr Angebot die Bedürfnisse der Nachfrager befriedigen, verschaffen sie sich einen Wettbewerbsvorteil.79 Vermitteln Parteien im selling concept zwischen dem Wählermarkt und den politischen Produkten, so beeinflussen sie im marketing concept Wählermarkt und politische Produkte. Sie reduzieren den Druck auf die Wähler, von ihren 75 76 77
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Vgl. ders. (1984a), S. 96 f. Roland Sturm/Petra Zimmermann-Steinhart (2005): Föderalismus. Eine Einführung, Baden-Baden, S. 106. Vgl. Leirich (1968), S. 107; Dachs (2002), S. 102; Mielke (2003), S. 89; Sturm/Zimmermann-Steinhart (2005), S. 106. Vgl. Farell (2000), S. 105 f. Vgl. Markus Karp/Udo Zolleis (2005): Politisches Marketing für moderne Wahlkampfstrategien, in: Rademacher (Hrsg.), S. 97-103, hier S. 98 f.
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individuellen Präferenzen zu abstrahieren, bis sie mit dem Angebot einer Partei übereinstimmen, indem sie eine konzeptuelle Gegenbewegung vollziehen.80 Ob selling oder marketing concept, Ziel der Wahlkampfkommunikation ist, für die Partei größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen, die öffentliche Themenagenda zu beeinflussen sowie ein, den strategischen Prämissen verschriebenes vorteilhaftes Image für Kandidaten und Partei zu schaffen.81 Öffentlichkeit, nach Jürgen Schiewe, verstanden als „eine bestimmte Formation der Gesellschaft, in der sich Meinungen bilden, durch die diese Gesellschaftsformation ihre Identität erhält, und in der diese Meinungen die Funktion einer eigenständigen politischen Kraft beanspruchen“,82 kann in drei Einzelebenen unterschieden werden. Die kleinteiligste Ebene, die Encounter-Öffentlichkeit, weist eine geringe Teilnehmerzahl und eine schwache strukturelle Verankerung auf (z. B. Familien, Vereine). Ihre Reichweite ist beschränkt. Die Kommunikation beruht vornehmlich auf spontanen Kontakten zwischen Sprecher und Rezipienten. Die mittlere Ebene, die Themenöffentlichkeit, kennzeichnen eine größere strukturelle Festigung und mehr Kommunikationsteilnehmer (z. B. Wahlveranstaltungen). Charakteristisch ist hier eine Themenzentriertheit. Wenige Sprecher stehen einem großen Publikum gegenüber. Die höchste Ebene, die Medienöffentlichkeit, ist in ihrer räumlichen Ausdehnung und der Zahl ihrer Kommunikationsteilnehmer nahezu unbeschränkt. Die Kommunikation verläuft strukturiert von wenigen Sprechern in Richtung unzähliger Rezipienten ab. Die Teilnahme des abstrakten Publikums ist minimal.83 Hauptbestreben aller Parteien ist, über die Parteiorganisation und über die Massenmedien die eigenen Kampagnen auf allen drei Ebenen zu kommunizieren. Entsprechend kann, angelehnt an Radunski, die Medienkampagne von der Werbekampagne und der Parteien- und Mobilisierungskampagne unterschieden werden.84
3.2.3.2 Medienkampagne Im Wahlkampf besteht zwischen den Parteien und den Massenmedien ein „kompliziertes Wechselspiel“.85 Das daraus resultierende Mit- und Gegeneinander verschärft sich zum einen durch die Anstrengungen der Parteien, ihre Wahlkampagnen medial zu kommunizieren, zum anderen durch die zunehmende Tendenz der Massenmedien, den Wahlkampf selbst zum Medienereignis zu stilisieren. Bemächtigten sich die Parteien im frühen 20. Jahrhundert in ihren Wahlkämpfen der Massenmedien (Instrumentalisierungsthese),86 sank seither der Einfluss der politischen Akteure. Die mediatisierte Gesellschaft mit ihrem ausgewogenen Verhältnis zwischen Politik und Medien (Interdependenzthese) hat zwar die 80
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Vgl. Markus Klein (2005b): Die Wahlprogramme: Wahrnehmung und Bewertung durch die Bürger, in: Manfred Güllner u. a. (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2002, Wiesbaden, S. 67-83, hier S. 68. Vgl. Barbara Pfetsch/Rüdiger Schmitt-Beck (1994): Amerikanisierung von Wahlkämpfen? Kommunikationsstrategien und Massenmedien im politischen Mobilisierungsprozess, in: Michael Jäckel/Peter WinterhoffSpurk (Hrsg.): Politik und Medien. Analysen zur Entwicklung der politischen Kommunikation, Berlin, S. 231252, hier S. 234. Jürgen Schiewe (2004): Öffentlichkeit. Entstehung und Wandel in Deutschland, Paderborn, S. 281. Vgl. Gerd Strohmeier (2004): Politik und Massenmedien, Baden-Baden, S. 78-84; Winfried Schulz (1997): Politische Kommunikation, Opladen/Wiesbaden, S. 94-101. Vgl. Radunski (1980), S. 60-128. Alexander Gallus (2003): Medien, öffentliche Meinung und Demoskopie, in: Jesse/Sturm (Hrsg.), S. 313-340, hier S. 322. Vgl. Gawatz (2001), S. 224.
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Kommunikationsmöglichkeiten der politischen Akteure im Wahlkampf erhöht, verlangt aber gleichzeitig von diesen, sich an die medialen Funktionslogiken anzupassen bzw. sich jenen unterzuordnen (Dependenzthese).87 Während Parteien in erster Linie Wähler überzeugen und mobilisieren möchten, ist das primäre Ziel der Medien Öffentlichkeit herzustellen.88 Zur Strategiedurchsetzung müssen die politischen Akteure daher die medieneigenen Selektions- und Transformationsmechanismen beachten. Dabei finden Landtagswahlkämpfe im Vergleich zu Bundestagswahlkämpfen medial eher beiläufig statt. „In second-order election campaigns, those campaigning must compete with other political issues and events in a situation in which voters are already less prepared to accept ,campaign news’ as important and relevant.”89 Solche aufgrund medieninterner Filter entstehenden Informationsverzerrungen („Medienrealität“) müssen wahlkämpfende Parteien antizipieren.90 Sie können z. B. landespolitisch argumentieren, liegt der Fokus der Medienberichterstattung indes auf bundespolitischen Themen, verzerrt dies ihren Wahlkampf. Diese geringere mediale Aufmerksamkeit „schmälert von vornherein die Aussichten, mithilfe eines professionell betriebenen Ereignis- und Themenmanagements massenmediale Resonanz zu erzeugen“.91 Eine zielgerichtete parteipolitische Medienarbeit ist daher zwingend. Mithilfe von Pressesprechern und Wahlkampfberatern versuchen Parteien, ihre Kandidaten und Botschaften in den öffentlichen Medienberichten positiv zu beeinflussen. Gleichwohl bedarf diese Interaktion auf Landesebene einer Relation. „Die Pressesprecher der Parteien, Fraktionen und der Landesregierung einerseits und die Journalisten andererseits bilden eine zumeist seit Jahren bestehende Konfiguration von wechselseitig verlässlich kalkulierbaren Arbeitsbeziehungen. Sie bieten kaum Raum für überfallartige Hektik und journalistische Überraschungscoups, politische Intrigen, Strippenziehertum und das geheimnisvolle Treiben der ,Spin Doctors’“.92 Zudem sind in Landtagswahlkämpfen nicht das Fernsehen oder überregionale Printmedien, sondern die regionalen Tageszeitungen das Kampagnenmedium Nummer eins.93 Hier findet der Wahlkampf am intensivsten statt. Zeitungen helfen bei der Erörterung komplexer Themen und vermitteln Images. Ihre Berichterstattung spiegelt Hintergründe des Wahlkampfes wider, schildert Strategien und Taktiken der Parteien.94
3.2.3.3 Werbekampagne Die Werbekampagne umfasst die Wahlwerbung einer Partei im engeren Sinne. Ob in Form von Flugblättern, Broschüren, Plakaten oder Fernsehspots, Werbekampagnen unterlegen 87
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Vgl. Christina Holtz-Bacha (2006): Personalisiert und emotional: Strategien des modernen Wahlkampfes, in: APuZ B. 7/2006, S. 11-19, hier S. 12. Vgl. Katrin Voltmer (1997): Ideologische Parallelstrukturen zwischen Medien und politischen Parteien, in: Heribert Schatz u. a. (Hrsg.): Machtkonzentration in der Multimediagesellschaft?, Opladen, S. 157-175, hier S. 157. Reif/Schmitt (1980), S. 13. Vgl. Strohmeier (2004), S. 106, 153. Tenscher (2008), S. 113. Mielke (2003), S. 90. Vgl. Thomas Bauer (1989): Die Wahlberichterstattung und die politische Werbung anlässlich der nordrheinwestfälischen Landtagswahl 1985, Inaugural-Dissertation Universität Köln, S. 72-105; Gerster (2002a), S. 35; Marcinkowski/Nieland (2002), S. 90-93. Vgl. Radunski (1980), S. 87-89; Strohmeier (2004), S. 29.
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das in der Medienkampagne kommunizierte Angebot der Parteien. Sie dienen als „Verbindungsglied zwischen der politischen Kampagne in den Massenmedien und der direkten politischen Ansprache“.95 Eine stilistisch, inhaltlich und personell geschlossene, kontinuierliche, kreative Werbekampagne, geleitet durch eine klare Botschaft, klare Slogans, ein ganz- und einheitliches Corporate Design bestärkt die Anhänger einer Partei und dient den Wählern zur besseren Orientierung. Oft aufwändig vorbereitet folgt die politische Werbung den Methoden der Wirtschaftswerbung. Zahlreiche psychologische Mechanismen wie Emotionalisierung, Polarisierung oder Personalisierung gelten für wirtschaftliche und politische Werbung gleichermaßen. Politische Werbung befördert wirksame, nicht tiefgründige Darstellung, hebt mitunter Unwichtiges hervor oder stellt schlichte, aber populäre Behauptungen auf. Parteienwerbung sendet in erster Linie Stimmungen und keine Inhalte aus. Sie bevorzugt die „schnelle Rezeption“ anstatt der gründlichen Information, möchte eher manipulieren als informieren.96 Die Werbekampagne bedient sich der massenmedialen Informationsübertragung. Solche, via Massenmedien kommunizierten, gleichwohl nicht-mediatisierten Wahlkampfkommunikationsformen sind neben Spots oder Anzeigen vor allem Wahlplakate.97 Sie gelten als das Wahlkampfmedium. In unzähligen Varianten produziert und in mehreren Phasen publiziert, haben sie sich bewährt. Plakate erregen Aufmerksamkeit. „Kein anderes Werbemittel signalisiert so deutlich: Es ist Wahlkampf und in ein paar Wochen ist Wahltermin.“98 Sie senden Botschaften an ein unbekanntes Publikum, mit dem Minimalziel, bei einer großen Anzahl von Wählern eine positive Rückerinnerung auszulösen und diese zu mobilisieren.99 Generell zeichnen sich Landtagswahlkämpfe durch ihre höhere Konstanz in den Mitteln der Agitation aus. Parteieigene Publikationen, Werbemittel und der direkte Informationsaustausch mit den Wählern, also traditionelle Kampagnenformen, dominieren. Dies und die schwächere Mediendominanz der Parteien100 begründet sich nicht zuletzt in fehlenden finanziellen Ressourcen. Der Budgetrahmen eines Landtagswahlkampfes, große Flächenländer ausgenommen, erlaubt ebenso wenig massive Medien- wie große Werbekampagnen. Anders als bei Bundestagswahlkämpfen sind Landeskampagnen eher politisches Werben im kleinen Stil. Fallen Land- und Bundestagswahl zusammen, folgen Landtagswahlkämpfe oft kommunikativ wie strategisch der Bundestagswahlkampagne.101
3.2.3.4 Parteien- und Mobilisierungskampagne Die Parteien- und Mobilisierungskampagne stimuliert Mitglieder, Anhänger und Wähler. Dienen die anderen Kampagnen in erster Linie der Massenkommunikation, richtet diese ihr 95 96 97
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100
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Radunski (1980), S. 92. Vgl. Huh (1996), S. 37, 118 f., 129, 133. Vgl. Strohmeier (2004), S. 170-172; Christina Holtz-Bacha (2000): Wahlwerbung als Politische Kultur. Parteienspots im Fernsehen 1957-1998, Wiesbaden, S. 13, 241; vgl. exemplarisch Keil (2003). Dillenburger/Holtz-Bacha/Lessinger (2005), S. 35. Vgl. Horst Reimann (1988): Anschläge in Weimar. Zur Affichen-Agitation politischer Kräfte 1919-1933, in: Rupert Breitling/Winand Gellner (Hrsg.): Machiavellismus. Parteien und Wahlen, Medien und Politik, Gerlingen, S. 162-184, hier S. 163, 167. Ausgenommen sind medial hochgepeitschte Einzelkampagnen wie etwa der Wahlkampf der Hamburger Schill-Partei 2001 oder vor der Wahl zum Hessischen Landtag 2008. Vgl. Huh (1996), S. 83; Nikolaus Voss (2000a): Der Landtagswahlkampf 1998 in MV, in: Werz/Hennecke (Hrsg.), S. 196-206, hier S. 196 f., 204 f.
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Säulenmodell des Wahlkampfes
Augenmerk auf die Encounter-Öffentlichkeit. Ihr Ziel ist, „den Wahlkampf von Person zu Person zu führen, also aus den Mitgliedern und Anhängern nicht nur Wähler, sondern auch Helfer im Wahlkampf zu machen, die andere überzeugen und als Wähler gewinnen helfen sollen“.102 Insbesondere auf Landesebene ist eine solche Mobilisierung unerlässlich. „The campaign efforts of parties and candidates are more important in second-order elections because media attention is not as strong as in first-order elections when the election gets on the media agenda nearly automatically and without great effort of the political actors. Hence voter mobilization is more difficult in a second-order election and is dependent on the media as well as candidates and parties themselves.”103 Je mehr Unterstützung ein Landesverband einwerben kann, umso effektiver wird seine Wahlkampfführung. Damit dies geschieht, „bedarf es umfangreicher informations-, motivations- und identifikationsstiftender Maßnahmen“104 im Vorfeld eines Wahlkampfes, z. B. politischer Schulungen. Wahlparteitage etwa, dienen obgleich ihrer Außenfunktion, vor allem der internen Mobilisierung. Sie sind Auftakt von Wahlkämpfen und rücken Personal wie Programm in den öffentlichen Fokus. „Partei und Parteiführung treten an zur Selbstdarstellung. Innerparteiliche Geschlossenheit ist Trumpf. […] Auseinandersetzungen und Kampfabstimmungen werden weitgehend vermieden, umstrittene Sachkomplexe ausgeklammert“.105 Eine langfristige Öffentlichkeitsarbeit und eine kontinuierliche Kommunikation mit Verbänden, Vereinen oder gesellschaftlichen Gruppen sind unerlässlich, will eine Partei in der Schlussphase eines Wahlkampfes über ausreichend Unterstützung verfügen. Je aktiver ihre einzelnen Untergliederungen arbeiten, umso mehr kann sie in der Fläche mobilisieren. Die Wahlkreisebene hat daher das größte Gewicht bei der Mitgliedermobilisierung und der direkten Wähleransprache. Kandidaten und Parteimitglieder müssen jene Wähler direkt kontaktieren, bei denen andere Kampagneformen versagen.106 Methoden lokaler Sympathiewerbung sind zielgruppenorientierte Hausbesuche, Rundfahrten der Kandidaten oder Unternehmensbesichtigungen. Hier verbindet sich die Mobilisierung von Mitgliedern und Anhängern mit dem direkten Kontakt zum Wähler. Das am häufigsten im Basiswahlkampf genutzte Mittel sind Infostände, gefolgt von Bürgergesprächen oder Wahlversammlungen. Die größte Basisveranstaltung ist die Kundgebung. Sollen solche Großveranstaltungen die breite Wählerschaft und Mitgliederschaft erreichen, stehen Foren oder Gesprächskreise eher für eine Zielgruppenansprache. Allen Parteien ist gemein, dass sie mehrere Kommunikationskanäle simultan nutzen und direkt mobilisieren.107
3.2.4 Professionalisierungsstadien von Organisation und Kommunikation Angelehnt an Pippa Norris und David M. Farell lassen sich abschließend drei fluide Stadien der organisatorischen und kommunikativen Entwicklung von Wahlkämpfen ausmachen.108 102 103 104 105 106 107
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Radunski (1980), S. 118. Steinbrecher u. a. (2007), S. 34. Griese (2002), S. 89 f. Kaack (1971), S. 529. Vgl. Radunski (1980), S. 118-122; Immerfall (1993), S. 265. Vgl. Gerd Müller (2000): Wahlkampf-Veranstaltungen, in: Otto Altendorfer u. a. (Hrsg.): Handbuch. Der Moderne Medienwahlkampf, Eichstätt, S. 403-411, hier S. 405 f. Vgl. Pippa Norris (1997): Introduction: The Rise of Postmodern Political Communications?, in: Dies. (Hrsg.), S. 1-17; dies. (2000): A Virtuous Circle. Political Communication in Postindustrial Societies, Cambridge, S.
3.2 Konzeptioneller Überbau
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Das erste, traditionelle Stadium kennzeichnen dezentralisierte, auf große Parteiapparate gestützte Wahlkampforganisationen sowie eine weitverzweigte, mit den einzelnen Wählersegmenten fest verbundene Mitgliederstruktur, welche den Wahlkampf umsetzt. Die Wahlkampfleitung liegt bei der Parteiführung. Die zumeist lokal ausgerichteten Kampagnen sind von nur kurzer Dauer. Das Wahlkampfbudget ist niedrig und wird überwiegend lokal erbracht. Direkte Bürgerkontakte, lokale Wahlkampfveranstaltungen und regionale Bustouren prägen die Wahlkämpfe. Die Kommunikation ist mobilisierend und nur teilweise verkaufsorientiert. Sie erfolgt von den Basisorganisationen der Partei direkt zum Wähler. Parteien und Kandidaten nutzen lokale Veranstaltungen, um sich und ihre Programme darzustellen. Neben einer intensiven direkten Kommunikation setzt die massenmediale Kommunikation überwiegend auf Printmedien. Die Medienagenda ist weithin parteibestimmt. Das zweite, moderne Stadium prägen ein massiver Wandel in der politischen Kommunikation (elektronische Massenmedien) und starke Interessensverschiebungen innerhalb der Wählerschaft. Planung und Durchführung der Wahlkämpfe zentralisieren und professionalisieren sich in speziellen Wahlkampforganisationen. Die Kampagnenarbeit der Parteimitglieder gerät unter den Einfluss externer Berater und Agenturen. Die Wahlkampfleitung obliegt den Parteispitzen und externen Experten. Die Dauer der Wahlkämpfe steigt ebenso wie das Budget. Gegenüber den zunehmend via elektronische Massenmedien vermittelten Kampagnen verblassen die lokalen Veranstaltungen. Pressekonferenzen und Fernsehwerbung gewinnen an Relevanz. Die politischen Akteure verlieren ihre Agenda-SettingFunktion teilweise an die Medien. Das Kommunikationskonzept ist verkaufsorientiert. Maßgeblich für die „Professionalisierung“ ist der hohe Grad der „Verwissenschaftlichung“ des Wahlkampfes durch die vermehrt genutzte Demoskopie. Das dritte, postmoderne Stadium charakterisiert eine kontinuierliche, hoch budgetierte Kampagnenführung. Die Wahlkampforganisationen der Parteien sind ausgelagert und auf Dauer angelegt. Der Einfluss der externen Berater, Polit-Experten, Werbeagenturen und Demoskopen auf die Wahlkampforganisation ist weiter gestiegen, der der Parteimitglieder gesunken. Die Organisation bewegt sich weg von flächendeckenden Konzepten hin zu zentral koordinierten und dezentral umgesetzten Mustern. Das Kommunikationskonzept der Parteien ist personalisiert, marktorientiert und medienzentriert. Den direkten, interpersonellen Kontakt zu den Wählern ersetzen moderne Kommunikationsformen und eine ausgeklügelte Zielgruppenwerbung. Die Abhängigkeit der politischen Akteure von der undifferenzierten Wähleransprache per Fernsehen sinkt. Ein gezieltes Medienmanagement und eine massenmediale Vermarktung der Spitzenkandidaten sind „täglich Brot“ der Wahlkampfführung. Die Elemente des postmodernen Stadiums fallen oft unter den nebulösen Terminus technicus der „Amerikanisierung“.109 Geisler/Tenscher weisen anhand des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfes 2000 nach, dass keine einheitliche moderne, geschweige denn postmoderne Kampagnenführung existiert. Landtagswahlkampagnen bestehen aus Elementen aller drei Stufen der Wahlkampfentwicklung.110 Stilbildend für Landtagswahlkämpfe sind, so Tenscher, deren
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3, 137-149; Farell (2000), S. 103-106; siehe auch die Darstellung bei Andrea Römmele (2002): Direkte Kommunikation zwischen Parteien und Wählern, Wiesbaden, S. 25-28. Vgl. den kritischen Beitrag von Klaus Kamps (2002): Politische Parteien und Kampagnen-Management, in: Dörner/Vogt (Hrsg.), S. 69-91. Vgl. Geisler/Tenscher (2001), S. 58 f.
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regionale Charakterzüge. Diese bewirken ein Übergewicht traditioneller und moderner Faktoren und damit einen allenfalls mittleren Professionalisierungsgrad.111
3.3 Erste Säule: Imagekampagne 3.3.1 Parteiimage Parteiimages sind mentale Bilder und Assoziationen der Wähler bezüglich Parteien. „Sie bestehen aus richtigen und eventuell auch falschen Vorstellungen, Überzeugungen und Erfahrungen der Wähler oder Wählergruppen über diese Parteien. […] Parteiimages sind gefühlsbezogen und beeinflussen die kognitiven Prozesse und werden ihrerseits durch kognitive Prozesse geformt.“112 Als eine Art Metaimages resultieren sie aus dem öffentlichen Zusammenspiel von Akteuren und Themen einer Partei, umfassen aber mehr als bloße thematische und personelle Wahrnehmungen.113 Da Parteien in ihrer Außenwirkung, abseits ihrer Kandidaten und Themen, als eigenständige Akteure nicht existieren, gleichen sie dies, speziell in Wahlkämpfen, durch künstliche Rollenbilder aus. Die Komplexität solcher geistiger Bilder ist enorm. „Every term, phrase, and sentence creates many images, which vary with the audience and the situation. And each image generates still others.”114 Es bedarf folglich einer Kategorisierung. Nach Strohmeier besteht ein Parteiimage aus drei Komponenten.115 Das ideologische Parteiimage spiegelt die geistigen Hauptströmungen einer Partei wider. Es resultiert zum einen aus langfristigen Einflüssen, wie z. B. der sozial-strukturellen Herkunft der Partei oder zentralen Denkströmungen, welche ihre Programmatik prägen. Zum anderen unterliegt es dem Einfluss kurzfristiger und situativer Faktoren. Das kompetenzvermittelnde Parteiimage besteht aus wahrgenommenen Problemlösungskompetenzen einer Partei und aus deren wahlkampfbedingter Eigenpositionierung. Sein Verhältnis zum ideologischen Image ist ambivalent, speziell wenn situative Faktoren eine Positionierung verlangen die mitunter dem ideologischen Parteiimage widerstrebt. Der dritte Bestandteil, das strukturelle Parteiimage, ist Ausdruck der realen und der wahrgenommenen innerparteilichen Verhältnisse. Bilden die Partei und ihre Akteure eine Handlungseinheit oder existieren destruktive innerparteiliche Flügelkämpfe? Im Zentrum steht das Verhältnis von Parteiführung und Parteibasis. Ergeben sich im Wahlkampf diesbezügliche Irregularitäten, so wirkt dies in der Regel negativ auf die Außendarstellung. Um im Wahlkampf eine optimale Imagewirkung erzielen zu können, gilt es, so Strohmeier im Sinne eines Polit-Marketing-Ansatzes, die drei Imagekategorien wie folgt auszurichten: Das ideologische Parteiimage muss entweder rudimentär oder der potenziellen Wählerschaft bestmöglich angepasst sein. Das kompetenzvermittelnde Parteiimage muss gemäß den situativen Faktoren gesteigert werden. Hinsichtlich des strukturellen Parteiimages gilt es, innerparteiliche Geschlossenheit herzustellen.116 Wahlkämpfe erzwingen bei 111 112 113
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Vgl. Tenscher (2008), S. 114. Hannes Wettstein (1980): Der Einfluss politischer Images auf das Wahlverhalten, Bern, S. 7. Vgl. Donald R. Matthews/James W. Prothro (1966): The Concept of Party Image and Its Importance for the Southern Electorate, in: Kent M. Jennings/Harmon L. Zeigler (Hrsg.): The Electoral Process, Englewood Cliffs, S. 139-174, hier S. 149 f.; Harrop/Miller (1987), S. 116. Murray Edelman (2001): The Politics of Missinformation, Cambridge, S. 15. Vgl. Strohmeier (2002), S. 37 f. Vgl. ebd., S. 38.
3.3 Erste Säule: Imagekampagne
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Parteien ambigue Rollenbilder. „Party image includes both the traditional image of the party […] and the specific image which a party seeks to promote in a given election.”117 Traditionelles und wahlkampfbedingtes Image fallen bis zu einem gewissen Grad auseinander. Stellt die eine Partei ihre konventionelle Ideologie in den Vordergrund, baut eine andere ihr Image hauptsächlich auf einer kampagnenorientierten Botschaft auf. 118 Es stellt sich bei der Betrachtung der Parteiimages daher stets die Frage, welche Strategie eine Partei verfolgt und welche Einflüsse dabei von den historischen, sozial-strukturellen und ideologischen Wurzeln ausgehen. Parteien müssen folglich einen Teil ihres Rollenbildes als gegeben hinnehmen und können ihre Imagekampagne an den Zielen Imagegenerierung, -pflege oder -verbesserung ausrichten. Gleichwohl sind einmal in den Köpfen der Wähler etablierte Parteibilder nicht kurzfristig und beliebig produzierbar. Zwar gelten sie im Vergleich zur Parteiidentifikation als weniger verankert und instabiler,119 beruhen aber in erster Linie auf den „Konsequenzen stattgehabter Politik“. Vor allem langfristige Einstellungsveränderungen sind primär das Ergebnis des Handelns einer Partei und nicht das Resultat kurzfristiger Kampagnen.120 Das Profil einer Partei ist im Urteil und in der Sichtweise der Wähler graduell festgeschrieben, was sich auf deren Auftreten im Wahlkampf auswirkt und der Imagekampagne grobe Linien gewissermaßen vorzeichnet.121 Zudem mindern die situativen Bedingungen, unter denen Wahlkämpfe geführt werden, eine gezielte Beeinflussung der Wahrnehmung von Image und Kompetenz, ebenso wie die von den Massenmedien und den politischen Gegnern gestreuten Bilder über die eigene Partei kaum zu beherrschen sind.122
3.3.2 Kandidatenimage Ein Wahlverhalten, welches kaum feste Parteibindungen, sozialstrukturelle Prädispositionen und Stammwählerschaften kennt, steigert die Bedeutung der Kandidaten. Die Wähler verfügen über Vorstellungen von den Spitzenkandidaten, die sie bereit sind zu variieren und in ihre Wahlentscheidung einfließen zu lassen.123 Ausschlaggebend dabei ist, dass allein die von den Wählern wahrgenommenen, und damit nicht immer die „realen“ Eigenschaften und Leistungen eines Kandidaten die Grundlage der Wahlentscheidungen bilden. Reales und perzipiertes Image fallen oft auseinander.124 Es ist daher Hauptaufgabe von Wahlkämpfen, Kandidatenimages zu transportieren, zu verändern oder zu bekräftigen, sei es durch in117
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Shaun Bowler/David M. Farell (1992): The Study of Election Campaigning, in: Dies. (Hrsg.): Electoral Strategies an Political Marketing, London, S. 1-23, hier S. 15. Vgl. Harrop/Miller (1987), S. 116. Vgl. ebd. Vgl. Klingemann (1973), S. 244. Vgl. Huh (1996), S. 103. Vgl. Schoen (2005a), S. 531: Dennis Kavanagh (1995): Election Campaigning. The New Marketing of Politics, Oxford, S. 13. Vgl. Stefan Dahlem (2001): Wahlentscheidung in der Mediengesellschaft. Theoretische und empirische Grundlagen der interdisziplinären Wahlforschung, Freiburg i.B./München, S. 194 f.; Marcinkowski/Nieland (2002), S. 112. Vgl. Hans Mathias Kepplinger u. a. (1994): Charakter oder Sachkompetenz von Politikern: Woran orientieren sich die Wähler?, in: Hans-Dieter Klingemann/Max Kaase (Hrsg.): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 1990, Opladen, S. 472-505, hier S. 472; Frank Brettschneider (2002): Spitzenkandidaten und Wahlerfolg. Personalisierung-Kompetenz-Parteien. Ein internationaler Vergleich, Wiesbaden, S. 134 f.
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Säulenmodell des Wahlkampfes
tensive Wahlwerbung, durch umfangreiche Kandidatenauftritte oder durch bloße Beeinflussung des medialen Scheins.125 Ein Kandidatenimage besteht aus Sympathie- und Leistungsaspekten, die Frank Brettschneider in vier Dimensionen unterteilt: (1) Die Problemlösungskompetenz eines Kandidaten umfasst die Bewertung seiner Haltung zu bestimmten Sachfragen und Politikfeldern. Um für die Wähler attraktiv zu wirken, muss ihnen ein Kandidat in wichtigen Themenfeldern kompetent erscheinen. Dies kann durch substanzlose Kompetenzdarstellung oder durch Kompetenz geschehen. Dabei gilt: „The best way to seem competent is to be competent.”126 (2) Die Managerfähigkeit eines Kandidaten zielt auf dessen von den Wählern wahrgenommene Führungsstärke, Entscheidungsfreudigkeit und Tatkraft. (3) Die Integritätsdimension „umfasst den Eindruck, der Kandidat sei ein ehrlicher Mensch und ein vertrauenswürdiger Politiker, der eine verantwortungsvolle Politik verfolge.“ (4) Unpolitische Kompetenzen bestehen aus den persönlichen Eigenschaften eines Kandidaten, wie Charakter, Charisma oder Sympathiewirkung.127 Ähnlich dem Parteiimage ist ein Kandidatenimage nicht ad hoc zu konstruieren (Imagebuilding), noch weniger ein einmal bei den Wählern verfestigtes Bild kurzfristig zu verändern. Beides bedarf einer längeren Vorarbeit, sofern es überhaupt zu beeinflussen ist.128 „Kandidatenimages beruhen einerseits auf aktuellen Eindrücken, andererseits müssen sie vor dem Hintergrund der oft über Jahre hinweg gewonnenen Erfahrungen mit den betreffenden Politikern gesehen werden“.129 Da sie vorwiegend Wahrnehmungen und weniger direkte Erlebnisse spiegeln, kann es genügen, einen politischen Akteur nur an ein geläufiges Idealbild anzunähern.130 Politikerimages basieren folglich zu einem großen Teil auf Selbstdarstellung. Es ist unzureichend, kompetent oder sympathisch zu sein. Man muss den Wählern beides vermitteln können. In Wahlkämpfen dominieren darum Selbstdarstellungsstrategien und -taktiken, die sich dem Aufbau und der Stabilisierung vorteilhafter persönlicher Eindrücke widmen – ob in Form ethischer und moralischer Werthaltungen, gelebter oder gespielter Bürgernähe, Beziehungspflege an der Basis oder gezielter Versprechen. Die Kandidaten versuchen, sich beliebt zu machen, sich durch gezeigte Leistung oder Leistungsfähigkeit als kompetent darzustellen oder sich als ehrliches und selbstloses Vorbild zu präsentieren. Defensive Selbstdarstellungen (z. B. Rechtfertigungen oder Entschuldigungen) sind in Wahlkämpfen Ausnahmefälle.131 Wähler bilden sich beinahe ausschließlich vor dem Hintergrund medienvermittelter aktueller wie langjähriger Erfahrungen mit einem Kandidaten ihre Eindrücke von dessen Eigenschaften und Kompetenzen. Ihre „Primärerfahrung“ von Politik ist oft nur rudimentär,
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Vgl. Frank Brettschneider (2000): Kohl Niederlage? Schröders Sieg! – Die Bedeutung der Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl 1998, in: Gert Pickel u. a. (Hrsg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems, Opladen, S. 109-140, hier S. 119. Harrop/Miller (1987), S. 227. Vgl. Brettscheider (2000), S. 119 f.; ders. (2005): Politiker als Marke: Warum Spitzenpolitiker keine Gummibärchen sind, in: Axel Balzer u. a. (Hrsg.): Politik als Marke, Münster, S. 101-112, hier S. 105. Vgl. Radunski (1981), S. 33; Schulz (1997), S. 208. Brettschneider (2002), S. 135. Vgl. Ulrich Sarcinelli (1987): Symbolische Politik. Zur Bedeutung symbolischen Handelns in der Wahlkampfkommunikation der Bundesrepublik Deutschland, Opladen, S. 167. Vgl. Astrid Schütz (1992): Selbstdarstellung von Politikern. Analyse von Wahlkampfauftritten, Weinheim, S. 101-104; dies. (1994): Politik und Selbstdarstellung? Beispiele von Politikerauftritten, in: Jäckel/WinterhoffSpurk (Hrsg.), S. 193-209, hier S. 194.
3.3 Erste Säule: Imagekampagne
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was die „Bedeutung der Inszenierung symbolischer politischer Akte“132 stärkt. Politiker und Parteien betreiben aus diesem Grund „Selbstmediatisierung“. Im Ergebnis stehe, so Thomas Meyer, eine pure „Darstellungspolitik“, die sich auf die massenwirksame Nachfrage einstellt.133 Wenngleich diese Sicht auf Landesebene übertrieben scheint, ist sie doch bedenkenswert. Vor allem die erwähnte Image-Politik, die wohldurchdachte Scheinereignisse und Scheinhandeln gezielt in einer Person zum Ausdruck bringt, mutet realistisch an. Inwieweit dies alles zu einem Politainment ausartet, in welchem „politische Akteure auf Instrumente und Stilmittel der Unterhaltungskultur zurückgreifen“, ist ebenso fraglich wie die Transformation von Politikern zu „hyperrealen Medienfiguren“ im Zuge einer „Entertainisierung des Wahlkampfes“.134 Kandidaten sind zweifellos gezwungen, in ihrem Auftreten die ästhetische Grundlogik visualisierter Medien zu beachten. Das Fernsehen bedient charismatische Persönlichkeiten. Gefragt ist weniger der korrekte Sachpolitiker, sondern mehr der „mediengerechte Bonapartist“.135 Auf Landesebene kompensieren die Regionalzeitungen die rein via Fernsehen wahrgenommenen Kandidatenimages, ersetzen diese aber nicht.136 Partei- und Kandidatenimage verbinden sich, wenn Parteien Teile ihrer Kampagne oder die gesamte Kampagne auf ihre Spitzenkandidaten zentrieren (Imageorientierte Personalisierung). Der Wahlkampf wird mit Blick auf dessen Eigenschaften und Charaktermerkmale personalisiert. Dem Spitzenkandidaten kommt dann als politisches Symbol eine besondere Bedeutung zu.137 Parteien entscheiden sich gemeinhin aus zwei Gründen für eine solche imageorientierte Personalisierung. Sie personalisieren, wenn ihr Spitzenkandidat über genügend Popularität verfügt, von der die Partei profitieren kann. Sie personalisieren auch im Falle eines unbekannten Spitzenkandidaten, damit dieser bekannt und beliebt wird.138 Eine weitere Ursache für eine ausgeprägte bis dominante Personalisierungs- und Imagekampagne ist die schwache Wahlkampfwirkung landespolitischer Themen. Sie werden entweder über einen Spitzenkandidaten kommuniziert oder geraten in den Hintergrund einer rundum personalisierten Wahlkampagne.139 Der Kandidat, ob Amtsinhaber oder Herausforderer, wird dann zum tragenden Element der Wahlkampfstrategie. Als spezielle und stärkste Form der Personalisierung in parlamentarischen Systemen gilt die Präsidentialisierung. Sie drückt sich, so Karl-Rudolf Korte, in einem Verbund von extrem personalisierter Politik mit dem persönlichen Regierungsstil des Amtsinhabers aus. Dieser kultiviert ein Maß an „persönlicher Autorität“, welches gezielt seine Person überhöht.140 Davon zu unterscheiden ist die Privatisierung, bei der die Kandidaten Teile ihres 132
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Heinrich Oberreuter (2001): Image statt Inhalt?, in: Otto Depenheuer (Hrsg.): Öffentlichkeit und Vertraulichkeit, Wiesbaden, S. 145-157, hier S. 148. Vgl. Thomas Meyer (2001): Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien, Frankfurt a.M., S. 85. Andreas Dörner (2001): Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft, Frankfurt a.M. 2001, S. 31, 117; vgl. die weniger aufgeregte Darstellung bei Christina Holtz-Bacha (2000): Entertainisierung der Politik, in: ZParl 31 (2000), S. 156-166. Winfried Scharf (1997): Neo-Bonapartismus in der politischen Meinungsbildung, in: Schatz u. a. (Hrsg.), S. 98-123, hier S. 115 f. Vgl. Marcinkowski/Nieland (2002), S. 108; Volker Greger (2002): Politische Kompetenz oder persönliche Sympathie?, in: Sarcinelli/Schatz (Hrsg.), S. 201-251, hier S. 221 f. Vgl. Holtz-Bacha (2006), S. 13; Sarcinelli (1987), S. 166. Vgl. Althaus (2002), S. 126 f. Vgl. Marcinkowski/Nieland (2002), S. 86. Vgl. Karl-Rudolf Korte (2001): Die Entfaltung von Politikstilen nach Wahlen, in: Hans-Ulrich Derlin/Axel Murswieck (Hrsg.): Regieren nach Wahlen, Opladen, S. 113-131, hier S. 128 f.; ders. (2000): Veränderte Ent-
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Säulenmodell des Wahlkampfes
Privatlebens in die Öffentlichkeit tragen oder diese vom politischen Gegner ins Spiel gebracht werden. Gilt die Privatisierung bei Personenwahlen als imperatives Element, ist sie in Bundes- oder Landtagswahlkämpfen optional, die Erwartungshaltung der Wählerschaft diesbezüglich eher gering.141 Dennoch nutzen Spitzenkandidaten gezielt Privatisierungsmuster, um Sympathieeffekte in der Wählerschaft hervorzurufen. Sie präsentieren sich als Menschen „wie du und ich“, Menschen mit einem persönlichen Hintergrund.
3.4 Zweite Säule: Themenkampagne 3.4.1 Allgemeine Themenkampagne 1964 erklärte Thomas Ellwein die Annahme für überliefert, Wahlkämpfe seien eine „Auseinandersetzung auf rationaler Ebene“, in welcher „die beteiligten Parteien ihre Programme vortragen und die Wähler zwischen diesem und jenem Programm auswählen“.142 Seither wird über die Relevanz politischer Inhalte in der deutschen „medial-repräsentativen“ Demokratie gestritten. Sieht etwa Ullrich Sarcinelli in einer solchen Vorstellung nichts als kulturpessimistische „Politnostalgik“,143 erachtet die Wahlforschung politische Inhalte als sehr bedeutsam für den Verlauf eines Wahlkampfes und für den Ausgang der Wahl. Aus diesem Grund verfolgen Parteien in Wahlkämpfen umfangreiche thematische Strategien, deren Ziel es ist, möglichst zwei Extreme zu vermeiden: ein thematisches Stakkato plakativer Parolen, das Wähler abschreckt, sowie langatmige Konzepte, die den Wahrnehmungshorizont und -willen der Wähler übersteigen. Diese Diskrepanz zu lösen ist Aufgabe der Themenkampagne. Sie dient dazu, der Öffentlichkeit die zentralen Inhalte einer Partei geschickt zu präsentieren. Weniger der Streit zwischen Parteien über scheinbar willkürlich auftauchende Themen bestimmt einen Wahlkampf, sondern vielmehr die gezielte Thematisierung unterschiedlicher Sachverhalte durch die politischen Akteure. Die Themenkampagne ist als „thematisch-argumentativer Bereich das dynamische Element der Strategie, das Anpassung von Wahlkampfplanung an veränderte Rahmenbedingungen der zwischenparteilichen Auseinandersetzung gewährleistet und mittels dessen die Parteien in begrenztem Umfang und kurzfristig in der Lage sind, sich dem jeweiligen situativen Kontext anzupassen“.144 Ein umfassendes Themenmanagement soll die Themen-Agenda von Öffentlichkeit und Medien zum eigenen Vorteil beeinflussen bzw. nutzen. Parteien lancieren gezielt Themengebiete, auf denen sie als kompetent bzw. die gegnerische Partei als defizitär angesehen werden (Agenda-Setting). Entgegengesetzt können sie Issues dethematisieren, bei denen sie selbst einen Kompetenzmalus aufweisen bzw. ihren Gegnern von den Wählern eine überlegene Problemlösungsfähigkeit zugeschrieben wird (Agenda-Cutting). Zuguterletzt kann eine Partei ein im öffentlichen Raum
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scheidungskultur: Politikstile der deutschen Bundeskanzler, in: Ders./Gerhard Hirscher (Hrsg.): Darstellungspolitik oder Entscheidungspolitik?, München, S. 13-37, hier S. 30 f. Vgl. Brettschneider (2002), S. 176 f. Thomas Ellwein (1964): Politische Verhaltenslehre, Stuttgart, S. 108. Ulrich Sarcinelli (1999): Zum Wandel der Parteiendemokratie in der Mediengesellschaft, in: Gunnar Roters u. a. (Hrsg.): Information und Rezeption, Baden-Baden, S. 225-236, hier S. 226 f. Bethschneider (1983), S. 6.
3.4 Zweite Säule: Themenkampagne
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existierendes, unbeeinflussbares Thema bestmöglich zum eigenen Vorteil und zum Nachteil des politischen Gegners nutzen (Agenda-Surfing).145 Ungeachtet des Agenda-Setting-Ansatzes, wonach in erster Linie die Massenmedien bestimmen, welche Themen wie stark Aufmerksamkeit erlangen, gelten in Deutschland die Parteien als „wichtigste politische Agenda-Setter“.146 Es existieren, angelehnt an Hinrichs und Gerster, drei Themenarten, mit welchen sich Parteien im Wahlkampf positionieren. Mit Gewinnerthemen stehen Sachverhalte im Zentrum der eigenen Themenkampagne, bei denen man klare Vorteile gegenüber der Konkurrenz hat. Sie sind konsequent voranzutreiben. Positionsthemen werden durch die Konkurrenz initiiert. Hier sind die eigenen Standpunkte festzulegen und darzustellen. Hochkonfliktthemen sind gesellschaftlich wie politisch diskutiert und zwingen die Akteure zu einer klaren, aber konfliktbehafteten Haltung.147 Existenziell für die Ausrichtung einer Kampagne sind die Einschätzungen der Wähler, welche Themen besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Aus diesem Grund birgt eine längerfristige thematische Strategie das Risiko, dass sich zum Zeitpunkt des Wahlkampfes die Thematik nicht mehr im Blickfeld der Wähler befindet.148 Je nachdem, wie thematisch flexibel eine Partei ist und wie hoch der Status ist, den sie ihren Inhalten zumisst, wird die Themenkampagne von den Interessen der Wähler, von denen der Partei oder von den politischen Notwendigkeiten bestimmt. Strebt ein Akteur eher nach Stimmenmaximierung oder Regierungsteilhabe, ordnet sich die Programmatik diesen Zielen unter. Gut ist, was die Chancen der Partei auf einen Wahlerfolg maximiert. Liegt aber das Ziel in der Verwirklichung von Politikinhalten, steht eine gruppenspezifisch ausgerichtete (identitätsstiftende) Programmarbeit im Mittelpunkt.149 Der strategisch motivierten Themenselektion folgen die kommunikative Themenselektion und -reduktion. Deren Ansatzpunkt lautet: „For most people most of the time, politics is peripheral.“150 Jenseits einer kleinen Gruppe sehr gut Informierter existiert das Gros der Uninformierten, in deren Leben Politik einen geringen Stellenwert einnimmt, politische Inhalte aber von Belang sind. Das Politikbild, über welches diese Wähler verfügen, ist einfach, unstrukturiert und in Teilen ideologisch. Dies zwingt Parteien, Themen und Informationen „benutzerfreundlich“ zu reduzieren und attraktiv zu kommunizieren.151 Ausgewählt nach dem „Grad des öffentlichen Interesses“, dem „Grad der Betroffenheit einzelner sozialer Gruppen“ und nach der „demoskopisch ermittelten Problemlösungskompetenz“152 beschränken sich Parteien auf wenige Kern-Issues, die dann so oft und auf so vielen Kanälen wie nur möglich wiederholt werden. 145
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Vgl. Frank Brettschneider (2004): Agenda-Setting, Agenda-Cutting, Agenda-Surfing. Themenmanagement bei der Bundestagswahl 2002, in: Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Der versäumte Wechsel. Eine Bilanz des Wahljahres 2002, München, S. 9-34, hier S. 13 f. Ulrich Sarcinelli (1997): Von der Parteien- zur Mediendemokratie? Das Beispiel Deutschland, in: Schatz u. a. (Hrsg.), S. 34-45, hier S. 40. Vgl. Jan-Peter Hinrichs (2002): Wir bauen einen Themenpark. Wähler werden doch mit Inhalten gewonnen – durch Issue Management, in: Marco Althaus (Hrsg.): Kampagne! Neue Strategien für Wahlkampf, PR und Lobbying, 3. Aufl., S. 45-80, hier S. 52; Martin Gerster (2002b): Botschaften und Bilder: Messages und Images in Wahlkampagnen, in: Berg (Hrsg.), S. 97-113, hier S. 101 f. Vgl. Huh (1996), S. 92, 143. Vgl. Klingemann/Volkens (2001), S. 509. Harrop/Miller (1987), S. 101, 125. Vgl. Huh (1996), S. 102; Matthias Machnig (2002): Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft, in: Ders. (Hrsg.), S. 145-152, hier S. 151; Udo Zolleis/Dennis Weilmann (2004): Moderner Themenwahlkampf, in: Karp/Zolleis (Hrsg.), S. 29-50, hier S. 35-39; Hinrichs (2002), S. 57 f. Sarcinelli (1987), S. 135.
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Ein speziell auf Landesebene gebräuchliches Konzept, Themen zu kommunizieren, ist, die Kampagne zu personalisieren, den Spitzenkandidaten Programme, Ziele und Anliegen der Partei verkörpern zu lassen. Eine solche Verbindung besticht durch ihre Mehrdimensionalität. Sie vermittelt entweder komplexe Inhalte über bekannte Kandidaten oder aber sie vermittelt unbekannte Kandidaten über Gewinnerthemen.153 Wichtig ist: „Sachthemen- und Kandidatenorientierung [sind] kein Widerspruch, sondern ergänzen sich“.154 Ein Spitzenkandidat benötigt politische Inhalte, die wiederum ein effektives Kommunikationsmedium brauchen: den Kandidaten. Zentral für die Themenkampagne einer Partei ist das Wahlprogramm. Es bestimmt die während des Wahlkampfes gemachten Angebote und ist Ausgangs- sowie Bezugspunkt beinahe aller themenbezogenen Aktivitäten. Wahlprogramme sind multifunktional.155 Im Unterschied zu Grundsatzprogrammen spiegeln sie weniger das ideologische Format der Parteien wider, sondern beziehen sich vor allem auf kurz- bis mittelfristige politische Ziele, Mittel und Wege.156 Wahlprogramme wirken als thematische Plattform integrierend auf innerparteiliche Gruppen und Strömungen (Binnen- und Integrationsfunktion) und disziplinieren in Wahlkämpfen interne Auseinandersetzungen (Disziplinierungsfunktion). Amtsund Mandatsträgern sowie der Parteibasis dienen sie als politisches Legitimationsinstrument (Legitimationsfunktion). Nicht zuletzt verschafft ein gutes Wahlprogramm einer Partei ein mehr oder weniger geschlossenes öffentliches Auftreten und eine einheitliche „Sprachregelung“ (Identifikationsfunktion).157 Weitaus begrenzter ist ihre direkte Außenwirkung. Das Wählerinteresse an Wahlprogrammen ist gering. Werden sie wahrgenommen, bieten sie „Wählern eine zuverlässige Informationsquelle über die kommenden politischen Issues“.158 Hohe Bedeutung entfällt auf die indirekte Außenwirkung, hervorgerufen durch die Verbreitung wesentlicher Programminhalte in den Massenmedien. Speziell Journalisten kommt hier eine Mittler- und Werbefunktion zu. Zudem gewährleisten Wahlprogramme die thematische Positionierung der Partei im politischen Wettbewerb (Profil- und Agitationsfunktion). Sie dienen als Plattform, von der aus Parteien inhaltliche Auseinandersetzungen „anzetteln“ können (Basisfunktion).159 Die Akteure stecken dabei in einem Dilemma. Wagen sie zu detaillierte Programmatiken, sehen sie sich bei deren Nichterfüllung im Falle einer Regierungsbeteiligung Kritik ausgesetzt. Verzichten sie auf spezifische Ziele, werden sie einer ungenügenden inhaltlichen Tiefe bezichtigt.160 Leerformeln können folglich ein Produkt fehlender Inhalte oder aber bewusst intentioniert sein, um verbindlichen Erklärungen auszuweichen. In einer letzten Funktion dienen Wahlprogramme als Diskussionsgrundlage für Koalitionsverhandlungen. Besonders bei regierungswilligen Parteien spiegeln sie zentrale Poli153 154
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Vgl. Steinseifer-Papst/Wolf (1994), S. 53; Karp/Zolleis (2005), S. 106. Eva Stern/Jürgen Graner (2002): It’s the Candidate, Stupid? Personalisierung der bundesdeutschen Wahlkämpfe, in: Berg (Hrsg.), S. 145-170, hier S. 163. Vgl. Heiner Flohr (1968): Parteiprogramme in der Demokratie. Ein Beitrag zur Theorie rationaler Politik, Göttingen. Vgl. ders., S. 61-67; Theo Stammen (1979): Systematische Einleitung, in: Rainer Kunz u. a. (Hrsg.): Programme der politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, München, S. 13-33, hier S. 27. Vgl. Kaack (1971), S. 402 f.; Edwin Czerwick (1984c): Parteiprogrammatik und politisches Handeln, in: Sarcinelli (Hrsg.), S. 59-75, hier S. 65; Volkens (1996), S. 217. Rölle (2000), S. 833. Vgl. Kaack (1971), S. 402; Stammen (1979) S. 25. Vgl. Ian Budge (1998): Parties, programs and policies: A comparative and theoretical perspective, in: Steven B. Wolinetz (Hrsg.), S. 521-542, hier S. 527.
3.4 Zweite Säule: Themenkampagne
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tikvorstellungen wider und sind „gute Indikatoren für politisches Handeln“.161 Unterschiede ergeben sich nach Art der möglichen Regierungsbeteiligung. Antizipiert eine Partei eine absolute Mehrheit, kann sie relativ unbeirrt auf ihre politische Konzeption abstellen, muss aber einen wählerstimmenmaximierenden Imperativ beachten. Eine Partei ohne Aussicht auf Regierungsbeteiligung kann ihr Wahlprogramm ganz den eigenen Konzeptionen widmen und diese bis ins Unrealisierbare differenzieren. Die als Koalitionsparteien in den Wahlkampf gehenden bzw. sich als potenzieller Koalitionspartner im Wahlkampf präsentierenden Parteien benötigen konsensusfähige Wahlprogramme.162
3.4.2 Spezielle Themenkampagne 3.4.2.1 Wirtschaftspolitik als Wahlkampfthema Als (potenzielle) wirtschaftspolitische Entscheidungsträger163 machen Parteien wirtschaftspolitische Inhalte zu essenziellen Bestandteilen ihrer Themenkampagnen. Wahlprogramme äußern sich regelmäßig zu Fragen der Ordnung (Ordnungspolitik) sowie der strukturellen (Strukturpolitik) und prozessualen Gestaltung (Prozesspolitik) der Wirtschaft. 164 Dass Wirtschaftslage und wirtschaftspolitische Regierungsbilanz merklich das Verhalten der Wähler beeinflussen, verleiht der sozio-ökonomischen Konfliktlinie in Wahlkämpfen ihre zentrale Bedeutung.165 Je nach Polarisierungsgrad des Parteiensystems offenbart sie den „klassischen“ Gegensatz zwischen Marktfreiheit und Interventionismus. Je nach Phase der ökonomischen Transformation prägt in Ostdeutschland zusätzlich ein postsozialistischer Wertekonflikt als normativ-weltanschauliche Auseinandersetzung zwischen Anhängern von Marktkonzeptionen und Befürwortern sozialistischer Modelle die inhaltliche Ausrichtung der Parteien. Beide, die klassische sozio-ökonomische Konfliktlinie und der transformationsbedingte postsozialistische Wertekonflikt,166 sind für die in dieser Arbeit analysierten Akteure über den vollen Betrachtungszeitraum hinweg konzeptionell relevant. Sie zwingen die Parteien, sich gegenüber der sozialistischen Vergangenheit, der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung und den künftigen Entwicklungen konzeptuell zu positionieren. Die wirtschaftspolitische Gestaltungsebene soll für den Fortgang wie folgt charakterisiert werden. Ordnungspolitik gilt, indem sie die langfristigen Rahmenbedingungen setzt, gemeinhin als Grundlage für jedwede Struktur- oder Prozesspolitik. In ihrem konzeptionellen Kern stehen grundsätzliche normative Annahmen über die Gestalt der Wechselbezie161 162
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Rölle (2000), S. 822. Vgl. Klaus König (2001): Der Regierungsapparat bei der Regierungsbildung nach Wahlen, in: Derlin/Murswieck (Hrsg.), S. 15-38, hier S. 23; Sabine Kropp (2001): Koalitionsverhandlungen nach Wahlen. Akteure, Strukturen, Programme, in: Ebd., S. 59-83, hier S. 59. Siehe zur Frage der Entscheidungsmacht von Parteien Eberhard Schuett-Wetschky (2005): Regierung, Parlament oder Parteien: Wer entscheidet, wer beschließt?, in: ZParl 36 (2005), S. 489-507, hier S. 491-493. Parteien gelten im hiesigen Kontext wegen ihrer realen legislativen und exekutiven Verflechtungen als wirtschaftspolitische Entscheidungsträger. Vgl. Hans-Dieter Klingemann (1987): Election Programmes in West Germany: 1949-1980, in: Ian Budge u. a. (Hrsg.): Ideology, strategy and party change: spatial analyses of post-war election programmes in 19 democracies, Cambridge, S. 294-323, hier S. 305, 309 f., ders./Volkens (2001), S. 507-527; Keil (2003), S. 146 f., 158. Vgl. Volkens (1996), S. 230-233; Garry (1999). Vgl. Kapitel 2.1.3 sowie Elff (2006), S. 105-125; Görl (2007), S. 197 f.
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hung zwischen Staat und Wirtschaft. In ihrer konkreten Ausformung umfasst sie indes „alle Regeln, Normen und Institutionen, die als meist längerfristig angelegte Rahmenbedingungen wirtschaftliche Entscheidungs- und Handlungsspielräume von Individuen und wirtschaftlichen Einheiten (Haushalte, Unternehmen) abgrenzen“.167 Obwohl die Ordnung der Wirtschaft im unitarischen Föderalismus vornehmlich Sache des Bundes ist, sind konzeptionelle Fragen der Wirtschaftsordnung aus den genannten Gründen (ideologischer Parteienwettbewerb, Transformation) auch auf Landesebene bedeutsam. Strukturpolitik ist die politische Einflussnahme auf ökonomische Wandlungsprozesse zur besseren Entwicklung der Wirtschaft sowie zur Vermeidung ökonomischer und sozialer Verwerfungen.168 Ob in Form der regionalen Strukturpolitik, die unter räumlichen Aspekten die Wirtschaftsstruktur zu stimulieren und zu lenken sucht,169 oder mittels sektoraler Strukturpolitik, die alle „spezifische[n] wirtschaftspolitische[n] Maßnahmen, die auf Beeinflussung des Verhältnisses der verschiedenen Branchen zueinander gerichtet sind“170, vereint – Strukturpolitik bildet ungeachtet komplexer vertikaler Kompetenzverflechtungen das hauptsächliche wirtschaftspolitische Betätigungsfeld der Länder.171 Als letzte Gestaltungsebene greift die Prozesspolitik direkt in den Wirtschaftsablauf ein. Stark von der jeweiligen Ordnungskonzeption des Trägers geprägt, umfassen ihre Steuerungsbereiche u. a. die Güter- und Faktormärkte, die Beschäftigung oder die Verteilung und Verwendung der Einkommen.172 Den Ländern sind derart direkte Eingriffsmöglichkeiten weitgehend verwehrt. Ihnen fällt lediglich ein Großteil der öffentlichen Investitionen zu, was sie finanzpolitisch zu gewichtigen Mitspielern macht. Durch eigene Investitionsprogramme sind sie in der Lage, prozesspolitisch zu agieren.173 Ferner bedeutsam für die wirtschaftspolitische Positionierung der Landesparteien ist das spezifische Feld Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik.174 Hier verfügen die Länder über Gestaltungsmöglichkeiten. Der Bogen spannt sich von der Qualifizierung Arbeitsloser über Beschäftigungsmaßnahmen bis hin zu strukturpolitischen Maßnahmen mit Beschäftigungsziel. Da das Politikfeld zugleich ordnungs-, struktur- und prozesspolitische Elemente umfasst, ist es zentraler Gegenstand parteiideologischer Auseinandersetzungen. Speziell in Ländern mit hohem diesbezüglichem Problemdruck sind die politischen Akteure zu entsprechenden Aktivitäten und zu klaren inhaltlichen Positionierungen gezwungen.175
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Jörg Thieme (1999): Wirtschaftssysteme, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 1, 7. Aufl., München, S. 1-52, hier S. 10. Vgl. Karl-Hans Hartwig (1984): Bundesrepublik Deutschland: Wirtschaftspolitik in der Sozialen Marktwirtschaft, in: Dieter Cassel (Hrsg.): Wirtschaftspolitik im Systemvergleich, München, S. 179-195, hier S. 185. Vgl. Werner Fassing (1996): Regionale Strukturpolitik, in: Gablers Volkswirtschafts-Lexikon, Wiesbaden, S. 919 f. Klaus Mackenscheidt (1993): Alte und neue Wachstumspolitik, in: APuZ B. 18/1993, S. 3-12, hier S. 8. Vgl. Frank Nägele (1996): Regionale Wirtschaftspolitik im kooperativen Bundesstaat. Ein Politikfeld im Prozess der deutschen Vereinigung, Opladen, S. 60-118, 127. Vgl. Harald Winkel (1980): Einführung in die Wirtschaftswissenschaften, Paderborn u. a., S. 52. Vgl. Dietmar Braun (2002): Finanzpolitik und makroökonomische Steuerung, in: Arthur Benz/Gerhard Lehmbruch (Hrsg.): Föderalismus. Analysen in entwicklungsgeschichtlicher und vergleichender Perspektive, Wiesbaden, S. 333-362, hier S. 334. Beschäftigungspolitik versucht durch verbesserte Rahmenbedingungen die Erwerbstätigkeit zu erhöhen und die sektorale wie regionale Beschäftigungsstruktur zu verbessern. Arbeitsmarktpolitik versucht, das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage im Beschäftigungssystem durch aktive (z. B. Umschulungen, Arbeitsvermittlung) oder passive (z. B. Lohnersatzleistungen) Maßnahmen zu gestalten. Vgl. Susanne Blancke/Josef Schmid (2000): Die Bundesländer in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, in: WIP Occasional Paper (2000) Nr. 12.
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3.4.2.2 Wirtschaftspolitische Konzeption In der Lesart des österreichischen Ökonomen Theodor Pütz ist eine wirtschaftspolitische Konzeption ein die Gesamtheit aller wirtschaftspolitischen Handlungen umfassendes Leitbild, in welchem sich „die grundsätzlich angestrebte Wirtschaftsordnung, die auf lange Sicht wichtigsten Ziele und die mit den ordnungspolitischen Grundsätzen und mit den Zielen vereinbarten Methoden“176 verbinden. In ihrem Kern drückt sie die „geistige Grundeinstellung weltanschaulicher oder ideologischer Art“177 und damit die ordnungspolitischen Prinzipien eines Akteurs aus. Ihr Zweck ist, „Klarheit über die obersten Ziele, die wesentlichen Mittel und die grundsätzlichen Verhaltensregeln der Wirtschaftspolitik“178 zu schaffen. Manfred E. Streit definiert eine wirtschaftspolitische Konzeption als ein „konsistentes System von allgemein und langfristig bedeutsamen Zielen, ordnungspolitischen Grundsätzen und damit vertraglich zielkonformen Instrumenten für den Teilbereich Wirtschaft in Abhängigkeit von den weiterreichenden gesellschaftlichen Zielvorstellungen“.179 Parteipolitisch erfüllen „wirtschaftspolitische Konzeptionen einerseits programmatische Funktionen im politischen Machtkampf und dienen andererseits als Kriterium zur (Vor-)Auswahl der im konkreten Einzelfall denkbaren Ziel-Mittel-Kombinationen“.180 Indem Parteien derartige Leitlinien formulieren, bieten sie ihren Akteuren Argumentationsmuster an und zeigen den Wählern ihre künftige Wirtschaftspolitik auf.181 Eine wirtschaftspolitische Konzeption umfasst demnach: Situationsanalyse, Zielbestimmung, Methoden, Ordnungsprinzipien. Im Idealfall stehen ihre Elemente in einem rationalen Zusammenhang.
Situationsanalyse Wirtschaftspolitische Konzeptionen erfordern zunächst eine aktuelle Lagebestimmung, bestehend aus der Zustandsbeschreibung der Volkswirtschaft, der existierenden Wirtschaftsverfassung, des dominierenden wirtschaftspolitischen Ordnungscredos sowie der bereits angewandten Methoden und Mittel. 182 Die Situationsanalysen differieren dabei nach Ordnungs- und Ablaufanalyse. Tangiert die Situationsanalyse die Ordnungsgrundsätze, kann ein politischer Akteur die Systemfrage bereits am Anfang der Konzeption aufwerfen, etwa indem eine Partei zu dem Schluss kommt, die ausgemachten sozialen und ökonomischen Unzulänglichkeiten beruhen auf dem falschen Ordnungsansatz. Ihre Forderung sollte daher lauten, die gültige Ordnung durch eine neue zu ersetzen. Werden hingegen der amtierenden Wirtschaftsordnung lediglich Fehlentwicklungen konstatiert, müsste die Forderung auf deren Korrektur zielen. Erstreckt sich die Situationsanalyse indes auf den Wirtschaftsprozess, setzt sie an Einzelgrößen wie Wachstum, Arbeitslosigkeit oder Einkommen an, die für sich 176
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Theodor Pütz (1979): Grundlagen der theoretischen Wirtschaftspolitik, 4. Aufl., Stuttgart/New York, S. 230; ders. (1960): Die wirtschaftspolitische Konzeption, in: Jürgen Seraphim (Hrsg.): Zur Grundlegung wirtschaftspolitischer Konzeptionen, Berlin, S. 9-21, hier S. 11. Hans G. Schachtschabel (1976): Wirtschaftspolitische Konzeptionen, 3. Aufl., Stuttgart, S. 12. Dieter Cassel (1984): Wirtschaftspolitik in alternativen Wirtschaftssystemen: Begriffe, Konzepte, Methoden, in: Ders. (Hrsg.): Wirtschaftspolitik im Systemvergleich, München, S. 1-19, hier S. 14. Manfred E. Streit (2000): Theorie der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl., Düsseldorf, S. 298. Cassel (1984), S. 11. Vgl. Fischer (1990), S. 10, 17. Vgl. Pütz (1979), S. 225; ders. (1960), S. 11.
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genommen nicht die Systemfrage aufwerfen.183 Die Lageanalysen von Parteien fallen dabei in der Regel subjektiv, auf den jeweiligen Akteurshorizont zugeschnitten aus. Die Deutung ökonomischer Parameter variiert je nach Intention einer Partei, ihrer Stellung im Parteienwettbewerb und den angestrebten politischen Zielen.184
Zielbestimmung Entscheidende Voraussetzung für die Vollständigkeit der Konzeption sind explizit bestimmte Ziele. Dem Primärziel eines Maximums an gesellschaftlichem Wohlstand folgen die gesellschaftlichen Ziele Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt. Sie determinieren in Abhängigkeit von ihrer politisch-ideologischen Gewichtung und Lesart alle untergeordneten wirtschaftspolitischen Ziele bzw. stehen in instrumenteller Abhängigkeit zu den Zielsetzungen.185 Besonders bei den gesamtwirtschaftlichen Zielen divergieren die Präferenzen aufgrund unterschiedlicher Wert- und Ordnungsvorstellungen. Nach Berg/Cassel lassen sich die gesamtwirtschaftlichen Ziele in vier Kategorien bündeln.186 (1) Stabilitätsziele versuchen, eine stabile und optimale Wirtschaftsstruktur zu gewähren, gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte zu vermeiden bzw. deren Auswirkungen zu begrenzen. Die ökonomische Existenzsicherung, ein hoher Beschäftigungsstand, Einkommens- und Preisniveaustabilität sollen mittels wirtschaftspolitischer Maßnahmen erreicht, Marktungleichgewichte beseitigt werden. Auf Landesebene dominiert vor allem das Ziel einer optimierten Standortstruktur, die positive Beschäftigungs- und Einkommenseffekte garantiert. (2) Wachstumsziele umschreiben ein staatlich erwünschtes Wirtschaftswachstum, u. a. unterstützt durch Innovationsförderung oder Investorenanwerbung. Dieses Wachstum soll möglichst stetig, d. h. ohne größere Schwankungen verlaufen, und es soll angemessen sein, also zu mehr Beschäftigung führen, einen Rückgang der Arbeitslosigkeit bewirken und preisbereinigt (real) zunehmen.187 (3) Strukturziele umfassen eine sektorale und regionale Strukturpolitik, die versucht, entwickelte Industriezweige anzusiedeln und Wachstumszonen zu schaffen. Des Weiteren fallen hierunter eine verbesserte öffentliche Infrastruktur und eine verbesserte Regionalstruktur für eine ausgewogenere Entwicklung des Wirtschaftsgebiets. (4) Verteilungsziele stehen für eine Korrekturabsicht hinsichtlich der marktwirtschaftlichen Verteilung (sozialer Ausgleich).188 Ansatzpunkte sind die Primärund Sekundärverteilung der Einkommen. Der wirtschaftspolitische Träger forciert die Verteilung der Primäreinkommen durch Höchst- oder Mindestpreise und Mindestlöhne auf ein bestimmtes Ziel hin. Die Sekundärverteilung (jeglicher Einkommenstransfer) geschieht in der Regel durch diverse Besteuerungsarten. Verteilungsziele können auf diese Weise direkt gelenkt, Transferleistungen verringert oder erhöht werden.189 183 184
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Vgl. Schachtschabel (1976), S. 16-18. Vgl. Hartmut Berg/Dieter Cassel (1995): Theorie der Wirtschaftspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 6. Aufl., München, S. 163-237, hier S. 216. Vgl. Streit (2000), S. 241-266; siehe auch Berg/Cassel (1995), S. 191-195; Bernd Henning (1990): Die gesamtwirtschaftliche Zielsetzung im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Wirtschaftspolitik, Bonn, S. 50-70, hier S. 63. Vgl. Berg/Cassel (1995), S. 199. Vgl. Ulrich van Suntum (1990): Angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), S. 127-146, hier S. 130. Vgl. Berg/Cassel (1995), S. 204-206. Vgl. Bruno Molitor (2001): Wirtschaftspolitik, 6. Aufl., München/Wien, S. 252-283.
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Methoden Die wirtschaftspolitischen Methoden beschreiben die strategische „Art und Weise des Vorgehens, den Weg zum Ziel“.190 Dabei unterscheidet sich eine Methode von einer Maßnahme, also der „Anwendung eines bestimmten Mittels in einer bestimmten Lage und im Hinblick auf ein oder mehrere Ziele“.191 Maßnahmen konkretisieren die Methoden, sind selbst aber nicht Bestandteil wirtschaftspolitischer Konzeptionen. Plädiert etwa Partei A, um das wirtschaftliche Stabilitätsziel zu erreichen, für eine angebotsorientierte Strukturpolitik (Investitionsförderung), bedient sie sich einer anderen Methode als Partei B, die zum Erreichen desselben Ziels etwa eine staatliche Struktursteuerung (Investitionslenkung) fordert. Initiiert Partei A ein sektorales Investitionshilfeprogramm, nutzt sie andere Maßnahmen als Partei B, die Unternehmen verstaatlicht. Das entscheidende Kriterium zur Beurteilung der Methoden im Rahmen einer wirtschaftspolitischen Konzeption ist deren Konzeptionskonformität. Konzeptkonforme Methoden stimmen mit den ordnungspolitischen Prinzipien und Zielen einer Konzeption überein, konzeptneutrale Methoden berühren die Konzeption nicht, konzeptinkonforme Methoden schädigen ihr ordnungspolitisches Fundament. Ferner lassen sich die erwähnten Maßnahmen nach ihrer Eingriffsintensität unterscheiden. Maßnahmen mit direkter Zielwirkung sind kurz- bis mittelfristig, vornehmlich strukturpolitisch ausgerichtet. Sie können mittelbar wirken, etwa durch bereitgestellte Kollektivgüter (z. B. Infrastruktur) oder mittels fiskalund finanzpolitischer Instrumente (z. B. Steuern, Subventionen). Unmittelbar wirken sie durch Marktsteuerung und Marktregulierung (z. B. Preiskontrollen). Maßnahmen mit indirekter Zielwirkung sind langfristig orientiert, vornehmlich ordnungspolitisch ausgerichtet und beabsichtigen, das Verhalten zu beeinflussen. Sie variieren von einer reinen Informationspolitik über neokorporatistische Übereinkünfte, unverbindliche staatliche Korrekturversuche, verbindliche Steuerungen in Form von finanz- oder geldpolitischen Mitteln bis hin zu staatlichen Zwangsmaßnahmen (Ge- oder Verbote).192 Welche Methoden und Mittel ein politischer Akteur in Betracht zieht, hängt wesentlich von dessen ordnungspolitischen Grundsätzen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen ab. Je mehr eine bestimmte Ideologie eine ordnungspolitische Konzeption prägt, umso einseitiger ist deren methodisches Rüstzeug. Je pragmatischer die ideologische Grundlage ausfällt, umso differenzierter und flexibler ist die Methodik. Scheiden bei einem wirtschaftspolitischen Akteur wegen der verfolgten wirtschaftspolitischen Konzeption gewisse Methoden und Mittel grundsätzlich aus, kann das dessen Handlungsspielraum schmälern. Bietet sein normatives Fundament ihm eine breite methodische Palette, wächst seine Bewegungsfreiheit, jedoch auch die Gefahr eines beliebigen Vorgehens.193
Ordnungsprinzipien Zentrales Merkmal einer wirtschaftspolitischen Konzeption sind ihre ordnungspolitischen Prinzipien. Allgemein gilt als Wirtschaftsordnung eine durch „geistige Grundhaltungen und 190 191 192 193
Pütz (1960), S. 14. Ders. (1979), S. 106. Vgl. Streit (2000), S. 287-297, 313 f.; Pütz (1979), S. 109-155, 228; Schachtschabel (1976), S. 28. Vgl. Pütz (1979), S. 163-169.
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entsprechende Prinzipien geprägte“ Ordnung, an welcher sich „das Zusammenwirken der Wirtschaftssubjekte“194 ausrichtet. Handelt es sich bei ihr in institutioneller Hinsicht um die gesetzlich fixierte Wirtschaftsverfassung eines Staates, ist sie morphologisch gesehen eine Kombination allgemeiner Grundsätze für die Gesamtordnung und spezieller Grundsätze für Teilordnungen der Wirtschaft.195 Der erste allgemeine Grundsatz und damit zugleich das „Kernstück jeder Wirtschaftsordnung“196 ist die Koordination. Die zentrale Frage lautet hier: Wie werden die individuellen wirtschaftlichen Handlungen und Pläne bezüglich Produktion und Konsumtion in einer Volkswirtschaft aufgestellt und koordiniert? Walter Eucken verwies auf zwei fundamentale Möglichkeiten: eine auf individueller Planung und Marktkoordination basierende Verkehrswirtschaft und eine auf zentraler Planung und Koordination beruhende zentralgeleitete Wirtschaft.197 Unendlich viele Einzelpläne stehen gegen einen Gesamtplan, Marktlenkung gegen zentrale Lenkung.198 Dem marktwirtschaftlichen Koordinationsprinzip liegt idealtypisch eine einzelwirtschaftliche Planungsautonomie zugrunde. Jedem Unternehmen, jedem Haushalt dient der Markt in Form von Löhnen und Preisen als Anhaltspunkt für die freie Planaufstellung. Die individuell entworfenen Wirtschaftspläne werden danach mittels Angebot und Nachfrage koordiniert, wobei Marktpreise und Mengensignale als Koordinationsmittel fungieren.199 Hingegen dirigiert die zentralverwaltungswirtschaftliche Koordination die individuellen Pläne. Die staatliche Verwaltung entwirft ihren Wirtschaftsplan über die Gesamtproduktion und -konsumtion. Marktmechanismen spielen keine Rolle, Einkommens- und Preisbildung fallen in staatliche Hand.200 Das Wesen der Zentralverwaltungswirtschaft ist die „kommandierte Ordnung“, das der Marktwirtschaft die „spontane Ordnung“.201 Formt der Staat in Wettbewerbswirtschaften vorrangig die Ordnung, formt und plant er in Zentralverwaltungswirtschaften Ordnung und Prozesse.202 Die Subordination als zweiter allgemeiner Ordnungsgrundsatz ist zielorientiert und fragt, „wie das einzelwirtschaftliche Handeln den Zielen der staatlichen Wirtschaftspolitik untergeordnet ist“. In ihrem Zentrum steht die „Abstimmung der Einzelwirtschaftspläne auf die Zielstellungen der staatlichen Wirtschaftspolitik“,203 sprich der Grad an individueller, wirtschaftlicher Handlungsfreiheit. Die Subordination reicht dabei von einer totalen Unterordnung des einzelwirtschaftlichen Handelns (und damit der freien Koordination) unter die Ziele des Staates über partielle individuelle Freiräume bis hin zur überwiegenden oder völligen einzelwirtschaftlichen Dispositionsfreiheit.204
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Schachtschabel (1976), S. 18. Vgl. Dieter Cassel (1988): Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik, in: Ders. u. a. (Hrsg.): Ordnungspolitik, München, S. 313-333, hier S. 314; Pütz (1979), S. 23. Alfred Schüller (2004): Allgemeine Grundbegriffe, in: Ders./Hans-Günter Krüsselberg (Hrsg.): Grundbegriffe zur Ordnungstheorie und Politischen Ökonomik, 6. Aufl., Marburg, S. 1-6, hier S. 4. Vgl. Walter Eucken (1947): Die Grundlagen der Nationalökonomie, Godesberg, S. 126-146; auch Wilhelm Röpke (1994): Die Lehre von der Wirtschaft, 13. Aufl., Bern u. a., S. 329. Vgl. Walter Eucken (2004): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 7. Aufl., Tübingen, S. 21 f.; auch K. Paul Hensel (1992): Grundformen der Wirtschaftsordnung, 4. Aufl., Münster/Hamburg, S. 25. Vgl. Hensel (1992), S. 43. Vgl. Pütz (1979), S. 27 f. Vgl. Wilhelm Röpke (1979): Civitas Humana, 4. Aufl., Bern/Stuttgart, S. 343. Vgl. Hensel (1992), S. 96. Pütz (1979), S. 23, 28. Vgl. ebd., S. 28 f.
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Nicht minder bedeutsam sind die speziellen Grundsätze einer Wirtschaftsordnung, wobei hier der Schwerpunkt auf der Ordnung der Eigentumsverhältnisse sowie der Marktund Wettbewerbsordnung liegen soll.205 Hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse kommen das freie Privateigentum, das Staatseigentum und das Gesellschaftseigentum infrage. Reichweite und Universalisierbarkeit des Eigentums bedürfen in allen Ordnungsformen klarer gesetzlicher Regeln. Sowohl Privateigentum ohne Kontrolle durch die Konkurrenz als auch monopolistisches Staatseigentum ergeben destruktive Machtkonzentrationen.206 Neben der Eigentumsordnung ist die Verfügungsgewalt über das Eigentum entscheidend. Bei privater Verfügungsgewalt liegen die ökonomischen Verwendungsentscheidungen in den Händen privater Wirtschaftssubjekte. Öffentliche Verfügungsgewalt reicht hingegen von der innerbetrieblichen Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter bis hin zu einer staatlichen Fremdbestimmung über das Eigentum und dessen Gebrauch.207 Entscheidend ist in beiden Fällen die Haltung zur ökonomischen Freiheit. Für die marktwirtschaftliche Koordination sind individuelle Dispositions- und Eigentumsfreiheiten Voraussetzungen, für die administrative Koordination ist es deren Abschaffung.208 Der zweite spezielle Grundsatz der Wirtschaftsordnung, insbesondere einer Verkehrswirtschaft, ist die Markt- und Wettbewerbsordnung. Muss die Selbstkoordination der Wirtschaftssubjekte in einer Marktwirtschaft lediglich staatlich gewährt werden (Grundrechte), verlangt die wirksame Selbstkontrolle der Akteure ihre Sicherung durch einen Rechtsrahmen (Wettbewerbsordnung). Zur Ordnung durch Wettbewerb tritt die Ordnung des Wettbewerbs. Schließlich neigt die Selbstkoordination dazu, die für ihren Bestand entscheidende Selbstkontrolle zu beschränken.209 Wettbewerb unterliegt folglich neben einer äußeren Bedrohung in Form staatlicher Interventionen auch einer inneren Gefährdung durch unkontrolliertes Markthandeln. Um beides zu vermeiden, muss der Staat individuelle Handlungsfreiheiten gewähren und private Marktschließungen verhindern.210 Sämtliche Koordinations- und Subordinationsformen sowie die beiden speziellen Grundsätze folgen zwei übergeordneten Ideen, dem Individualprinzip und dem Sozialprinzip (Abbildung 1). Basiert das Individualprinzip (Liberalismus) in seiner idealtypischen Variante auf der Freiheit des Einzelnen gegenüber anderen Einzelnen oder dem Staat, und erachtet es kollektive Organisationsformen lediglich als Mittel zum Zweck, sieht das Sozialprinzip (Sozialismus) das gesellschaftliche Ganze als obersten Zweck und ordnet diesem alle individuellen Belange unter. Das reine Individualprinzip steht für Marktkoordination, keine Subordination, Wettbewerb und Anerkennung von Privateigentum; das reine Sozialprinzip für Administrativkoordination, vollständige Subordination sowie Aufhebung bzw.
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Vgl. ebd., S. 30-32. Weitere spezielle oder auch konstitutive Grundsätze sind die Betriebs- und Unternehmensordnung, die Geld-, Außen- und Finanzwirtschaftsordnung sowie die Einkommensverteilung. Vgl. Eucken (2004), S. 105, 271-275; Alfred Schüller (1988): Ökonomik der Eigentumsrechte in ordnungstheoretischer Sicht, in: Cassel u. a. (Hrsg.), S. 155-183; Manfred E. Streit (1994): Das Wettbewerbskonzept der Ordnungstheorie, in: Ders. (Hrsg.): Freiburger Beiträge zur Ordnungsökonomik, Tübingen, S. 57-70, hier S. 62 f. Vgl. Hans-Rudolf Peters (1997): Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik, München/Wien, S. 63-65. Vgl. Pütz (1960), S. 13; Thieme (1999), S. 10 f. Vgl. Streit (1994), 59 f.; Hensel (1992), S. 61. Vgl. Leonhard Miksch (1947): Wettbewerb als Aufgabe. Grundsätze einer Wettbewerbsordnung, 2. Aufl., Godesberg, S. 40 f.; Jörg H. Thieme (1991): Soziale Marktwirtschaft. Ordnungskonzeption und wirtschaftspolitische Gestaltung, München, S. 56-59.
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Einschränkung von Wettbewerb und Privateigentum.211 Real vermengen sich beide Prinzipien. Einem dominierenden, das Allokationsproblem lösenden Prinzip wird ein sekundäres Verfahren zur Mängelbehebung beigeordnet. Weder ein reines Markt- noch ein reines Planungssystem kann die gesamte Allokationsproblematik lösen. Wie der Markt bei der sozialen Problemlösung versagt und hier staatlicher Initiativen bedarf, sind private Aktivitäten und Leistungsanreize in zentralen Planungssystemen unerlässlich. Die Morphologie der Mischordnungen resultiert aus dem Einflussgrad des jeweils nicht dominanten auf das dominante Prinzip. Überwiegt etwa die Marktkoordination, hängt die konkrete Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung vom Einfluss des Sozialprinzips ab.212 Abbildung 1:
Systemalternativen
Individualprinzip
Mischformen
Sozialprinzip
Marktkoordination
Administrativkoordination
keine Subordination
vollständige Subordination
Marktwirtschaft
Gemischte Wirtschaftsordnungen
Zentralverwaltungswirtschaft
Quelle: angelehnt an Schachtschabel (1976), S. 20.
Je nach Gewichtung der allgemeinen und speziellen Ordnungsgrundsätze kommt es unter den Systemantagonismen Zentralverwaltungswirtschaft und Verkehrswirtschaft zu einer „Mannigfaltigkeit“ konkreter Ordnungen.213 Die Typologisierung (Tabelle 1) nach dem Planungs-, Koordinierungs- und Subordinationsprinzip sowie den Verfügungsprinzipien über Produktionseigentum und Verteilung ermöglicht eine differenzierte Betrachtung.214 Zunächst finden sich die Idealtypen einer (1) total dezentral und einer (2) total zentral geplanten Wirtschaft. Darauf folgen die (3) wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft und die (4) zentralgesteuerte Planwirtschaft. Beide funktionieren nach dominanten Prinzipien, lassen aber zum Zweck ihrer Realisierbarkeit Ausnahmen zu. Dazwischen existieren realitätsnahe, nur modellhaft separierbare Mischordnungen. Im Bereich der Wettbewerbsordnungen sind dies die (5) globalgesteuerte Marktwirtschaft und die (6) verteilungsgesteuerte Marktwirtschaft. Typ 5 zeichnet eine fast vollständige private Verfügung über Produktionseigentum und Verteilung aus, die lediglich indirekte staatliche Handlungen beeinflussen. Seine Planungsprinzipien sind marktorientiert, ergänzt durch indikativ-globale staatliche Elemente. Hinsichtlich der Ko- und Subordination dominiert die Selbststeuerung, beeinflusst durch makroökonomische Steuerungsversuche. Ordnungspoli211 212 213 214
Vgl. Schachtschabel (1976), S. 19-21; Berg/Cassel (1995), S. 189 f.; Cassel (1984), S. 13. Vgl. Hans Leipold (2004): Gemischte Wirtschaftsordnung, in: Schüller/Krüsselberg (Hrsg.), S. 12 f. Vgl. Eucken (1947), S. 117. Vgl. dazu Peters (1997), S. 69; Streit (2000), S. 55. Für die ausführliche inhaltliche Gegenüberstellung der Ordnungsformen siehe Peters (1997), S. 187-250.
85
3.4 Zweite Säule: Themenkampagne
tik bedeutet Rahmensetzung für eine Globalsteuerung. In einer (6) verteilungsgesteuerten Marktwirtschaft liegt das Produktionseigentum in privater Hand. Die weitgehende staatliche Verfügungsgewalt über die Verteilung beschneidet jedoch die private Handhabe des Produktionseigentums. Die Planungsprinzipien dieser Ordnungsform sind marktorientiert. Eine staatliche Lenkung erfolgt indirekt durch Verteilungspolitik. Das dominierende Koordinationsprinzip ist die individuelle Selbststeuerung, direkt beeinflusst durch verteilungspolitische Maßnahmen. Entsprechend kommt es zu einer bedingten Subordination der Wirtschaftssubjekte unter staatliche Sozialziele. Ordnungspolitik bedeutet Rahmensetzung für eine soziale Sicherung. In der (7) strukturgesteuerten Marktwirtschaft beeinflusst öffentliches Eigentum den Wettbewerb. Die Verfügungsgewalt über die Produktion ist nicht privat dominiert. Entsprechend bestehen die Planungsprinzipien dieser Ordnungsform aus dezentraler, marktorientierter und zentraler staatlicher Strukturplanung. Eine starke Mikrokoordination wird um eine indikative Makroplanung ergänzt, die privatwirtschaftliche Akteure zu strukturplankonformen Verhalten zwingen kann. Ordnungspolitik bedeutet hier Rahmensetzung für eine richtungsweisende Strukturplanung. Tabelle 1: Ordnungstypologie
Planungs-, Koordinations- und Subordinationsprinzipien
Verfügungsprinzipien über Produktionseigentum und Verteilung private und öffent- arbeitskollektive staatliche Verfüprivate Verfügung Verfügung über liche Verfügung gung über Produküber ProduktionsProduktionsüber Produktionstionseigentum und eigentum und eigentum und eigentum und Verteilung Verteilung Verteilung Verteilung private Planung + wettbewerbsorientierte Marktkoordination + keine Subordination private und indikativglobale Planung + konjunkturpolitisch beeinflusste Marktkoordination + indirekte Subordordination indikativ-strukturelle und private Planung + strukturpolitisch beeinflusste Marktkoordination + direkte Subordination
(1) Dezentral geplante W
(9) Konkurrenzsozialismus / sozialistische MW
(3) Wettbewerbsgesteuerte MW
(5) Globalgesteuerte MW
(6) Verteilungsgesteuerte MW
(7) Strukturgesteuerte MW
(8) Strukturgesteuerte KW
administrative Planung + (10) StaatskapitaAdministrativkoordination lismus / kapitalis+ totale Subordination tische PW
Legende: Idealtypen Realtypen Übergangstypen W = Wirtschaft; MW = Marktwirtschaft; PW = Planwirtschaft; KW = Kollektivwirtschaft Quelle: Zusammengestellt aus Peters (1997), S. 69; Streit (2000), S. 55.
(4) Zentralgesteuerte PW (2) Zentral geplante W Extremtypen
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Säulenmodell des Wahlkampfes
Jenseits der verkehrswirtschaftlichen Typen liegt – angelehnt an eine zentralgesteuerte Planwirtschaft – die (8) strukturgesteuerte Kollektivwirtschaft. Das Produktionseigentum wird genossenschaftlich genutzt, Verfügungs- und Verteilungsgewalt obliegen dem Staat. Alle Einzelwirtschaftspläne orientieren sich vorrangig an der staatlichen Leitplanung. Ihre Koordinierung erfolgt per Gesellschaftsvertrag, eine starke Subordination ist charakteristisch. Ordnungspolitik bedeutet Rahmensetzung für eine Arbeiterselbstverwaltung. Von gegenläufigen Ordnungsgrundsätzen bestimmt sind Kombinationen aus privater Planung, Marktkoordination und staatlicher Eigentumsverfügung (9) sowie aus zentraler Planung, Administrativkoordination und privater Eigentumsverfügung (10).215 In Verbindung mit Zielen und Methoden lassen sich für marktwirtschaftliche Ordnungsformen (Typen 3, 5, 6 und 7) zwei Spielarten unterscheiden. Neigt die Kombination stärker zu kollektiven Zielen, zentralen Beschränkungen und staatlichen Eingriffen, handelt es sich um eine interventionistische, neigt sie sich stärker individuellen Zielen, ordnungspolitischem Minimalismus und staatlichem Lenkungsverzicht zu, handelt es sich um eine liberale Variante.216 Liberale Konzeptionen verorten die Ursachen für Fehlentwicklungen innerhalb eines aus sich heraus stabilen Marktprozesses zuvorderst bei staatlichen Einflüssen. Einzig ordnungspolitische Handlungen, die perspektivisch die Funktionsfähigkeit des Marktsystems erhalten bzw. verbessern und angebotsorientiert unternehmerische Rahmenbedingungen korrigieren, obliegen dem Staat. Im Kern gilt: weniger Staat, mehr individueller Handlungsfreiraum, langfristige, wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik.217 Interventionistische Konzeptionen implizieren, dass Marktprozesse Fehlentwicklungen hervorrufen und Staatseingriffe verlangen. Der Staat gilt als stabilisierend, besser informiert und am Gemeinwohl orientiert. Seine nachfrageorientierte Rolle besteht darin, mittels einer expansiven Wirtschaftspolitik Marktgleichgewichte zu erzeugen und durch Nachfrageerhöhung die Wirtschaftsentwicklung zu stimulieren. Im Kern gilt: mehr Staat, weniger individueller Freiraum, kurzfristige, ausgleichsorientierte Wirtschaftspolitik.218 Die Soziale Marktwirtschaft vereint als eine „Metakonzeption“ interventionistische wie liberale marktwirtschaftliche Konzeptionen.219 Sie bietet den politischen Akteuren einen wettbewerbswirtschaftlichen Rahmen, den diese „ziemlich beliebig mit Inhalten aus dem breiten Spektrum zwischen neo-klassischem Liberalismus und echtem Sozialismus“220 füllen können. Die Interpretation und finale Gestaltung der Sozialen Marktwirtschaft hängt also von der wirtschaftspolitischen Intention der Parteien respektive deren Auslegung des Individual- oder Sozialprinzips ab. So gesehen war und ist die Soziale Marktwirtschaft eine „politisch interpretierte und interpretierbare“221 Ordnung. Ihre geistigen „Väter“, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard, verbanden die ordoliberale Idee eines staatlichen Rah215 216
217 218
219
220
221
Vgl. zu den inhaltlichen Ordnungsunterscheidungen Peters (1997), S. 187-250; Streit (2000), S. 49-66. Vgl. Jörg H. Thieme/Reinhard Steinbring (1984): Wirtschaftspolitische Konzeptionen kapitalistischer Marktwirtschaften, in: Cassel (Hrsg.), S. 45-67, hier S. 46 f. Vgl. ebd., S. 45-67, hier S. 47 f.; Altmann (2000), S. 269. Vgl. Wolfgang Franz (1992): Keynesianische Beschäftigungstheorie und Beschäftigungspolitik, in: APuZ B. 12/1992, S. 25-31; Altmann (2000), S. 266 f.; Kromphardt (2004), S. 185. Alfred Müller-Armack bezeichnete die soziale Marktwirtschaft in seinen Schriften als „gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung“, als „wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Leitbild“ oder aber als „Verwirklichung einer wirtschafts- und sozialpolitischen Konzeption“. Vgl. Alfred Müller-Armack (1966): Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, Freiburg i.B. Gerard Radnitzky (1991): Marktwirtschaft: frei oder sozial?, in: Ders./Hardy Boullion (Hrsg.): Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, Berlin u. a., S. 47-75, hier S. 55 f. Roland Sturm (1995): Politische Wirtschaftslehre, Opladen, S. 76-86.
3.4 Zweite Säule: Themenkampagne
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mens, welcher das Spiel des freien Wettbewerbs und der vollständigen Konkurrenz aufrecht erhält sowie Kartellstrukturen und direkte Eingriffe in den Wirtschaftsprozess vermeidet, mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs.222 „Soziale Zielsetzungen“ und „Individuelle Freiheitsspielräume“ bilden die ideellen Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft.223 Ihre konstituierenden Elemente sind eine freiheitliche Marktordnung mit individueller Koordination und Planung sowie gesichertem Wettbewerb, eine in Wirtschafts- und Betriebsverfassungen existente Verbindung von individuellen und sozialen Freiheiten, ein System sozialen Schutzes, basierend auf den Prinzipien einer Marktordnung, eine wirtschaftspolitische und gesamtstaatliche Gewaltenteilung sowie die wesentlichen Elemente Vertragsfreiheit, Privateigentum an Produktionsmitteln, Gewerbefreiheit, Freiheit der Berufswahl, Konsumfreiheit und Wettbewerbsfreiheit, mit einem Wort: individuelle ökonomische Handlungsfreiheit.224 Müller-Armack definiert Soziale Marktwirtschaft kurz als „eine nach den Regeln der Marktwirtschaft ablaufende, aber mit sozialen Ergänzungen und Sicherungen versehene Wirtschaft“.225 In Gestalt einer „dritten Form“ zwischen Liberalismus und Sozialismus soll sie bewusst auf staatliche Lenkung verzichten, jedoch um marktkonforme politische Maßnahmen ergänzt werden. Neben den ordnungspolitisch starken Staat tritt der prozess- und sozialpolitisch starke Staat.226 Müller-Armack und Erhard sahen Marktwirtschaft und Sozialpolitik als miteinander vereinbar, unter der Voraussetzung, dass die Sozialpolitik die „volkswirtschaftliche Produktivität nicht beeinträchtigt und den Grundprinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung“227 entspricht. Demgemäß verändert vor allem die soziale Auslegung den Charakter der Sozialen Marktwirtschaft.
Rationaler Zusammenhang Ihren logischen Gehalt findet eine wirtschaftspolitische Konzeption im rationalen Zusammenhang ihrer Bestandteile. „Soll das Konzept ein Leitbild sein, […] so muss es in sich selbst rational aufgebaut sein; seine Grundsätze, Ziele und Methoden müssen einen widerspruchsfreien Zusammenhang bilden.“228 So ist etwa die Widerspruchslosigkeit zwischen den Ordnungsprinzipien und dem jeweiligen Zielbündel ebenso entscheidend für die Rationalität einer Konzeption wie die Ordnungskonformität der zur Zielerreichung veranschlagten Methoden. Dennoch haften realen wirtschaftspolitischen Konzeptionen Inkonsistenzen an, die sie aber letztlich realisierbar und damit rational machen.229 Beispielsweise obliegt 222
223 224
225
226
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228 229
Vgl. Alfred Müller-Armack (1966a): Soziale Marktwirtschaft, in: Ders. (Hrsg.) (1966), S. 243-249, hier S. 243. Vgl. Thieme (1991), S. 9 f. Vgl. Heinz Lampert (1988): Die Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Ursprünge, Konzeption, Entwicklung und Probleme, in: APuZ B. 17/1988, S. 3-26, hier S. 4. Alfred Müller-Armack (1966b): Die Wirtschaftsordnungen sozial gesehen, in: Ders. (Hrsg.) (1966), S. 171199, hier S. 194. Vgl. ders. (1990): Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, München, u. a. S. 98-103. Unter marktkonform versteht Müller-Armack „Maßnahmen, die den sozialen Zweck sichern, ohne störend in die Marktapparatur einzugreifen“. Ders. (1966a), S. 246; auch Reinhard Blum (1969): Soziale Marktwirtschaft. Wirtschaftspolitik zwischen Neoliberalismus und Ordoliberalismus, Tübingen, S. 111. Ludwig Erhard (1956): Selbstverantwortliche Vorsorge für die Sozialen Lebensrisiken, in: Ders. (Hrsg.) (1962): Deutsche Wirtschaftspolitik. Der Weg der Sozialen Marktwirtschaft, Düsseldorf, S. 302-306, hier S. 303. Pütz (1979), S. 225. Vgl. Pütz (1960), S. 15-19.
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Säulenmodell des Wahlkampfes
ihnen neben ihrer Funktion als inner- wie außerparteiliches Leitbild für die praktische Wirtschaftspolitik eine „werbende Aufgabe“. Sie müssen Wähler und Interessenten überzeugen, ergo leicht vermittelbar sein. Indem sie als Gegenstand interparteilicher Auseinandersetzungen einer „propagandistischen Funktion“ dienen, in der es knapp, verständlich und einprägsam zu formulieren gilt, sind Abstriche in Komplexität und Zielgenauigkeit programmiert.230 Praktische Konzepte versprechen aus diesem Grund oft mehr als objektiv zu erfüllen ist. Hinzu kommt, dass Parteien, die verschiedene Gruppeninteressen integrieren und die in Mehrparteiensystemen koalitionsfähig sein wollen, kompromissfähiger Konzepte bedürfen. Die Rationalität einer wirtschaftspolitischen Konzeption ist daher zweidimensional. Die erste Dimension ist die der internen konzeptionellen Rationalität, verstanden als Passgenauigkeit ihrer Bestandteile. Die zweite Dimension umschreibt die externe Rationalität, verstanden als wahlkampfstrategische und kontextuelle Passfähigkeit der Konzeption. Indem jede wirtschaftspolitische Konzeption Präferenzen für ausgewählte Werte und Ziele aufbringt, bleiben Realisierungskonflikte nicht aus. Sind von vornherein die zur Umsetzung notwendigen Kompromisse integriert sowie die Konsequenzen des wirtschaftspolitischen Handelns erkennbar durchdacht, erfüllt die Konzeption das Rationalitätskriterium. Vage formulierte Konzeptionen schützen hierbei oft vor schwankenden Rahmenbedingungen und ermöglichen flexible Reaktionen (Elastizität).231 Was zum einen für eine geringere Detailtreue spricht, ringt der Konzeption zum anderen einen höheren Grad an Offenheit und damit Realisierbarkeit ab. Folglich herrscht eine Diskrepanz zwischen „synoptischem Ideal“ und „pragmatischem Vorgehen“. Eine pluralistische Gesellschaft mit dezentraler Wirtschaftsplanung und -koordination verhindert „objektive Handlungsrationalität“ und macht darauf basierende Konzeptionen „unbrauchbar“.232 Kein konzeptionelles Element ist wegen der Komplexität und Situativität des Zielgegenstands vollständig zu eruieren und rational umzusetzen. Konzeption und praktisches Vorgehen sind geprägt von Mängeln (z. B. verkannte Zielkonflikte oder Fehlprognosen).233 Wobei solche Diskrepanzen die Konzeption nicht entwerten, sondern bis zu einem gewissen Grad sogar deren Umsetzbarkeit fördern. Eine rationale Konzeption entspricht einer „subjektiven Handlungsrationalität“. Sie bietet im Fall finanzieller, politischer oder zeitlicher Einschränkungen eine theoretisch nicht optimale, wohl aber realisierbare und damit rationale Lösung.234
3.5 Dritte Säule: Konkurrenzkampagne Hauptaufgabe von Wahlkämpfen ist (zumeist) die gezielte Ansprache und Mobilisierung von Wählern. Wiewohl kommt auch den interparteilichen Auseinandersetzungen eine herausgehobene Stellung zu. Dass der Kampf um Wählerstimmen dialogfrei abläuft und jede Partei unbeeinflusst vom gegnerischen Handeln ihre Wahlkampagne umsetzt, ist unwahrscheinlich, vor dem Hintergrund einer lebendigen Parteienkonkurrenz regelrecht abwegig. Parteien instrumentalisieren ihre Kampagnen im Umgang miteinander. Indem sie sich in der direkten Auseinandersetzung personell und thematisch voneinander abgrenzen, bestim230 231 232
233 234
Vgl. Schachtschabel (1976), S. 15. Vgl. Pütz (1960), S. 17 f. Vgl. Helmut Schneider (1997): Wirtschaftspolitik zwischen ökonomischer und politischer Rationalität, Wiesbaden, S. 22. Vgl. Berg/Cassel (1995), S. 175 f. Vgl. Schneider (1997), S. 23, 68.
3.5 Dritte Säule: Konkurrenzkampagne
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men und festigen sie die eigene Position. Der interparteiliche Dialog und die Auseinandersetzung zwischen den Akteuren sind Elemente jeder Kampagnenstrategie, egal ob sich die Interaktion unmittelbar auf den Gegner richtet oder sie indirekt auf die Wähler zielt.235 Art und Umfang der Parteiinteraktion ergeben sich aus der elektoralen und ideologischen Konkurrenzsituation der Akteure. Zunächst kann die Wählerstimmenkonkurrenz nach Strohmeier in drei Typen unterschieden werden. (1) Ein politischer Konkurrent erster Art (Hauptkonkurrent) wetteifert mit einer Partei um die gleichen Wählerschichten und damit um den Wahlsieg. Hauptkonkurrenten sind daher zentrale Orientierungspunkte jeder Wahlkampfauseinandersetzung. Wenn überhaupt, dann investieren Parteien hier ihre begrenzten Ressourcen. (2) Politische Konkurrenten zweiter Art (Nebenkonkurrenten) rivalisieren aufgrund ihrer geringeren Größe nicht direkt mit einer großen Partei, sind aber in der Lage, dieser Wählergruppen abzuwerben. Indem sie in den Wählerreservoirs großer Parteien fischen und diese damit im Rennen mit ihren Hauptkonkurrenten schwächen, müssen sie Beachtung finden. (3) Als politische Gegner dritter Art veranschlagt Strohmeier chancenlose Kleinstparteien (Nichtkonkurrenten) ohne Aussicht auf parlamentarische Mitbestimmung. Sie sind für die Wahlkampfauseinandersetzungen der Hauptkonkurrenten weithin bedeutungslos.236 Daneben stehen Parteien im ideologischen Wettbewerb (Programmkonkurrenz).237 Starke Programmkonkurrenz besteht, wenn zwei Parteien voneinander verschiedene, einzigartige Programme anbieten. Solche Akteure rivalisieren allein im PolicyMaking-Prozess. Ihre Wählerklientelen sind in der Regel disparat, die Wählerstimmenkonkurrenz ist schwach. Ähnelt sich die inhaltliche Ausrichtung zweier Parteien, ist deren Programmkonkurrenz schwach, die Wählerstimmenkonkurrenz hingegen stark. Je ähnlicher die Programme zweier Parteien ausfallen, umso mehr verschiebt sich das Gewicht von einer ideologischen zu einer elektoralen Konkurrenzsituation. Speziell bei starker Wählerstimmenkonkurrenz verfahren politische Hauptgegner nach Angriffs- und Konterstrategien.238 Versucht die angreifende Partei, das politische Geschehen zu dominieren und den Gegner in eine Defensivposition zu drängen, ist es Ziel der konternden Partei, Angriffe bestmöglich abzuwehren und selbst in die Offensive zu gelangen. Ein solches bipolares, auf die interparteiliche Auseinandersetzung beschränktes Schema entspricht der komplexen Konkurrenzsituation eines Wahlkampfes unzureichend. Es überhöht die Konfrontation zulasten anderer Interaktionsformen. Passender ist hier Hartmut Görlers Einteilung in Konfrontations-, Konfliktvermeidungs- und konkurrenzorientierte Kooperationsstrategie.239 Ergänzt durch die Instrumentalisierungsstrategie entsteht ein breites Muster interparteilicher Wahlkampfauseinandersetzungen. Im Wettbewerbsviereck aus Attackieren, Instrumentalisieren, Kooperieren und Ignorieren sind Kombinationen denkbar.
235 236 237
238 239
Konfrontationsstrategien vereinen alle Arten von Angriffs- und Konterstrategien. Die Bandbreite der interparteilichen Angriffsstrategien reicht von der uneingeschränkten Konfrontation (Negative Campaigning) über Alternativstrategien bis hin zu Anpassungsstrategien. Die Art der Konterstrategie wird im Wesentlichen durch das Maß an Vgl. Faltlhauser (1971), S. 12; Görler (1979), S. 305 f. Vgl. Strohmeier (2002), S. 102. Die Unterscheidung fußt auf divergenten Konkurrenzbegriffen. Für die Programmkonkurrenz gilt der politikwissenschaftliche, für die Wählerstimmenkonkurrenz der ökonomische Konkurrenzbegriff. Vgl. Frey (1977), S. 125. Vgl. Strohmeier (2002), S. 103-107; auch Schröder (2000), S. 108-145. Vgl. Görler (1979), S. 342 f.
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Säulenmodell des Wahlkampfes
offensiven und defensiven Bestandteilen bestimmt. Das Ziel aller Konfrontationsstrategien, ob aktiv oder reaktiv, besteht darin, den eigenen Nutzen zu optimieren bzw. zu maximieren und gleichzeitigen die oder den politischen Haupt- oder Nebenkonkurrenten größtmöglich zu schädigen. Instrumentalisierungsstrategien folgen der Devise: „Sometimes political enemies hurt their opponents, and often they help them.”240 Der instrumentalisierte Umgang mit politischen Kontrahenten, bei dem u. a. Feindbilder konstruiert, Gefahren inszeniert oder Themen okkupiert werden, kann Bestandteil einer Konfrontationsstrategie sein oder einer reinen Instrumentalisierungsstrategie folgen. Der Unterschied liegt in der Zielsetzung. Im Gegensatz zur Konfrontation möchte die Instrumentalisierung allein den eigenen Nutzen steigern. Der Kontrahent ist nur Mittel der eigenen Strategie und nicht deren Ziel, was die Umsetzung solcher Strategien erschwert. Die gegnerische Nutzenbilanz ist unerheblich. Ebenso belanglos ist, ob der Instrumentalisierende den Instrumentalisierten akzeptiert oder nicht. Fehlt es an öffentlicher politischer Akzeptanz,241 instrumentalisiert die Partei einfach verdeckt. Konkurrenzorientierte Kooperationsstrategien verbinden konträre interparteiliche Verhaltensweisen mit dem Ziel, als kooperierende Akteure zusammen einen beiderseitigen Nutzen zu generieren. Dabei kann es sich entweder um Hauptgegner oder um ernsthafte Wählerstimmenkonkurrenten mit geringer programmatischer Konkurrenz handeln. Basis für jedwede Kooperation ist die Akzeptanz des Gegenübers. Die kooperierenden Parteien müssen beide für den politischen Wettbewerb zugelassen sein, damit eine Zusammenarbeit infrage kommen kann. Bei Konfliktvermeidungsstrategien blendet eine Partei ihre politischen Kontrahenten aus der eigenen Wahlkampfkommunikation aus. Sie lässt sich weder auf Diskussionen, inhaltliche wie personelle Vergleiche noch auf gegnerische Angriffe ein. Sie verfolgt souverän ihre Wahlkampfstrategien. Dieses Vorgehen kann strategischer Natur sein oder auf der fehlenden Akzeptanz des politischen Gegenübers beruhen. Es gilt einzig, den eigenen Nutzen zu maximieren. Das Handeln wie das Abschneiden der anderen Akteure ist sekundär. Mit Ausnahme dominierender Parteien, die eine solche Strategie selbst gegenüber politischen Hauptgegnern verfolgen können, ignorieren Parteien für gewöhnlich nur ernsthafte und chancenlose Konkurrenten mit großer programmatischer Konkurrenz – sofern sie diese nicht instrumentalisieren.
3.6 Gesamtmodell Das Säulenmodell (Abbildung 2) besteht aus zwei Ebenen: dem konzeptionellen Überbau und den Kampagnensäulen. Der konzeptionelle Überbau umfasst mit der Organisation, der Strategie und der Kommunikation die zentralen Elemente jeder Wahlkampagne. Zunächst vereint der Punkt Organisation mit den temporären Systemen, den zentralen Akteuren und den Hauptphasen der Kampagnenkonzeption und -umsetzung die wichtigsten strukturellen Bestandteile von Wahlkämpfen. Im Zentrum des konzeptionellen Überbaus steht die Wahlkampfstrategie mit ihren Zielen, den veranschlagten Kernstrategien und Leitkampagnen 240 241
Murray Edelman (1988): Constructing the Political Spectacle, Chicago, S. 66. Vgl. zur interparteilichen Akzeptanz: Gero Neugebauer (2000b): Zur Akzeptanz der PDS in der politischen Konkurrenz, in: Brie/Woderich (Hrsg.), S. 140-148, hier S. 142.
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3.6 Gesamtmodell
sowie den zur Zielerreichung notwendigen Handlungsprogrammen (Kampagnen). Die Strategie variiert nach Status der Landespartei (Regierungs-/Oppositionspartei) sowie nach Art und Umfang der bundes- oder landespolitischen Wahlkampfeinflüsse. Strukturell gestützt durch eine Wahlkampforganisation und gelenkt durch ihre Strategie, implementiert die Partei mithilfe von Kommunikationsinstrumenten drei zentrale Kampagnen. Die Imagekampagne als erste Säule beinhaltet die strategische Vermittlung eines spezifischen Parteiund Kandidatenimages, die Themenkampagne als zweite Säule das Themenmanagement und die programmatische Positionierung. Die in diesem Modell als Konkurrenzkampagne bezeichnete dritte Säule umfasst die strategische Ausrichtung der Partei im Wettbewerb. Sowohl die Bestandteile des konzeptionellen Überbaus als auch die Kampagnensäulen stehen in direkter Abhängigkeit zueinander. Abbildung 2:
Säulenmodell
Quelle: Eigene Darstellung.
4 Sächsischer Landtagswahlkampf 1990
4.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl Im Herbst des Jahres 1989 leiteten in der DDR die Demonstrationen Hunderttausender und die Bildung oppositioneller Gruppen und Parteien eine Demokratisierung ein. Die ehemals übermächtige Staatspartei SED, die noch mit Wahlfälschungen und Repressionen ihren Status zu wahren versuchte, jedoch auf eine „Chinesische Lösung“ verzichtete, drosselte nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze am 9. November 1989 nur noch die Schrittgeschwindigkeit der friedlichen Revolution. Nach Erich Honeckers Rücktritt Mitte Oktober und Egon Krenz’ von sporadischen politischen Zugeständnissen geprägtem Intermezzo als dessen unmittelbarer Nachfolger „wählte“ die Volkskammer am 13. November 1989 Hans Modrow zum neuen Vorsitzenden des Ministerrats. Auf das von ihm verkündete (zaghafte) Reformprogramm, das zuvorderst den Fortbestand der DDR sichern sollte, reagierte die bis dato zurückhaltende Bundesregierung. In seinem „Zehn-Punkte-Programm“ griff Helmut Kohl Modrows Idee einer mittelfristigen Vertragsgemeinschaft beider deutscher Staaten durch den Vorschlag „konföderativer Strukturen“ auf. Getrieben vom Druck der Straße, von den neu gegründeten Parteien und dem Ausbrechen der Blockparteien aus der „Nationalen Front“ beendete die Volkskammer am 1. Dezember 1989 den unbedingten Führungsanspruch der SED. Sie delegitimierte damit offiziell deren Einparteiendiktatur.1 Der Demokratisierungsprozess erreichte mit der freien Volkskammerwahl vom 18. März 1990 eine neue Phase. In deren Vorfeld hatten SPD und CDU in Ost und in West unverzüglich reagiert. Während die SPD-West ihrer ostdeutschen Schwester materiell, konzeptionell und personell unter die Arme griff, schmiedete die CDU-West in kürzester Zeit das Wahlbündnis Allianz für Deutschland aus CDU-Ost, Demokratischem Aufbruch und der Deutschen Sozialen Union. Dass Bundeskanzler Kohl ferner das Einigungsthema auf die bundespolitische Agenda setzte, verwandelte die Volkskammerwahl zu einer Abstimmung über eine schnelle Wiedervereinigung. Der in seiner Form improvisierte Volkskammerwahlkampf2 geriet zu einem „Stellvertreterkrieg“3 der westdeutschen Parteien. „Wer ohne Partner im Westen auskommen musste, hatte es angesichts der mehrheitlichen Westorientierung der Bevölkerung schwer“.4 Ausnahme war die SED/PDS, die den Wahlkampf mit materieller und organisatorischer Überlegenheit gegenüber den DDR-Parteien bestritt.5
1
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Vgl. Wolfgang Jäger, in Zusammenarbeit mit Michael Walter (1998): Die Überwindung der Teilung. Der innerdeutsche Prozess der Vereinigung 1989/90, Stuttgart, S. 58-87. Vgl. Matthias Jung (1990): Parteiensystem und Wahlen in der DDR. Eine Analyse der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 und der Kommunalwahlen vom 6. Mai 1990, in: APuZ B. 27/1990, S. 3-15, hier S. 6. Lehmbruch (1991), S. 594. Eckhard Jesse (1995): Mehr Beständigkeit als Bruch. Das Parteiensystem vor und nach der Wiedervereinigung, in: Ralf Altenhof/ders. (Hrsg.): Das wiedervereinigte Deutschland. Zwischenbilanz und Perspektiven, München, S. 45-68, hier S. 51. Vgl. Kloth (2000), S. 715.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1990
Das Gros der Parteien protegierte die deutsche Einheit und eine marktwirtschaftliche Ordnung, wenngleich verschieden akzentuiert. Am ausgeprägtesten bediente die Allianz für Deutschland das Verlangen der DDR-Bürger nach Freiheit, Einheit und Marktwirtschaft. Zudem brachte das Bündnis seine Nähe zur populären westdeutschen CDU zum Ausdruck.6 Den Sozialdemokraten gelang wegen ihrer unklaren Haltung zum Sozialismus in den Augen der Wähler die Abgrenzung zur PDS nur ungenügend. Auch plädierte die SPD in den Wochen vor der Wahl für eine behutsame Vereinigung, rückte die deutsche Einheit in den Kontext des europäischen Zusammenwachsens und betonte die drohenden Verwerfungen im Falle eines überstürzten Prozesses. Ihre Skepsis verfehlte die Stimmungslage. Die PDS hingegen schrieb sich einen demokratischen Sozialismus auf die Fahnen, war antikapitalistisch und wandte sich gegen einen „Anschluss“ der DDR an die Bundesrepublik. Sie bot Alternativen für jene, die an der DDR festhalten wollten.7 Der Volkskammerwahlkampf verschob die politischen Präferenzen der Bürger. Hatten Anfang Februar 1990 auf die Frage nach ihrer Wahlabsicht noch 53 Prozent mit SPD-Ost, 13 Prozent mit CDU-Ost und 12 Prozent mit SED/PDS geantwortet, steigerte die von den Allianzparteien verkörperte Mischung aus schneller Einheit, Währungsunion, Abgrenzung vom Sozialismus und westdeutscher Regierungspartei deren Beliebtheitswerte. Eine Woche vor der Wahl führte die Allianz für Deutschland in den Umfragen mit 45 Prozent vor den Sozialdemokraten mit 27 Prozent.8 Das Wahlergebnis war für die CDU eine Überraschung, für die SPD ein Schock. Sie hatte wertvolle Boni verspielt und gewann nur 21,9 Prozent.9 Indes wurde mit der CDU eine Partei, „die wenige Monate zuvor noch als gefügige Blockpartei der SED zur Seite stand“,10 mit 40,8 Prozent stärkste Kraft. Die PDS holte mit 16,4 Prozent ein Sechstel aller Stimmen. Die Allianz errang bei einer historischen Wahlbeteiligung von 94,6 Prozent insgesamt 48,0 Prozent und sicherte sich damit 192 der 400 Mandate. Auf dem Gebiet des späteren Sachsen war die Lage noch eindeutiger. Erzielten CDU und DSU 43,6 bzw. 13,2 Prozent, übertraf die SPD mit 15,1 Prozent nur knapp die Postkommunisten mit 13,6 Prozent. Zusammen mit den marginalen 0,9 Prozent des DA kam die Allianz im Sächsischen auf eine absolute Mehrheit (57,7 Prozent).11 Die frühen Wahlen – die Kommunalwahlen fanden am 6. Mai 1990 statt (Tabelle 12) – verdeutlichten nachhaltige Wahlverhaltensmuster. War der Bezirk Leipzig der für die Allianzparteien schwächste, indes für die SPD stärkste, dokumentierten die Bezirke Dresden und Karl-Marx-Stadt eine eindeutige Präferenz für CDU und DSU. Die CDU war in ländlichen Gebieten und in Orten bis 50.000 Einwohnern stark, SPD und PDS erzielten ihre besten Ergebnisse in Großstädten. Konfessionell Gebundene wählten mit deutlicher Mehrheit CDU, während nicht konfessionelle Wähler überdurchschnittlich die Postkommunisten präferierten. Zur großen Überraschung der Sozialdemokraten wies keine der Berufsgruppen ein für sie positives Wahlverhalten auf. Punktete die CDU überdurchschnittlich bei Arbei6
7
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Vgl. Steffen Kammradt (1997): Der Demokratische Aufbruch. Profil einer jungen Partei am Ende der DDR, Frankfurt a.M., S. 152-154. Vgl. die Darstellung bei Dirk Rochtus (1999): Zwischen Realität und Utopie. Das Konzept des „dritten Weges“ in der DDR 1989/90, Leipzig, S. 238-242. Vgl. Peter Förster/Günter Roski (1990): DDR zwischen Wende und Wahl, Berlin, S. 113, 148-157. Vgl. Bluck/Kreikenbom (1991), S. 500-502. Eckhard Jesse (1991): Wahlen 1990, in: Uwe Backes/ders. (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 3, Bonn, S. 97-112, hier S. 98. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990a): Wahl in der DDR. Eine Dokumentation der Volkskammerwahl vom 18. März 1990, Mannheim, S. 7 f.
4.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl
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tern und Selbstständigen, schnitt die PDS bei Berufstätigen mit Hochschulabschluss und Kunstschaffenden sowie bei den administrativen Angestellten überdurchschnittlich ab.12 Das Ergebnis war ein Votum für die deutsche Einheit, für die Soziale Marktwirtschaft, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die letzte DDR-Volkskammer und die neue Vielparteienregierung unter Lothar de Maizière begannen unverzüglich mit der politischen und ökonomischen Transformation. Schon am 6. Februar 1990 hatte die Bundesregierung der DDR eine Wirtschafts- und Währungsunion vorgeschlagen, mit dem Ziel die Flüchtlingsströme von Ost nach West zu stoppen.13 Nach kurzer Verhandlungszeit unterzeichneten die Finanzminister beider Staaten, Theo Waigel (CSU) und Walter Romberg (SPD-Ost), am 18. Mai 1990 den Vertrag über eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (Erster Staatsvertrag), der ein einheitliches Währungsgebiet in beiden Staaten ab dem 1. Juli 1990 festlegte und die DDR zur Marktwirtschaft verpflichtete. Nach Koalitionsstreitigkeiten mit den Christdemokraten verließ die SPD-Ost am 19. August das Berliner Regierungsbündnis. Den am 31. August ratifizierten Zweiten Staatsvertrag (Einigungsvertrag) trugen die Sozialdemokraten parlamentarisch dennoch mit.14 Ebenso unvorbereitet wie auf das politische Ende der DDR war die Bundesrepublik auf die nachfolgende ökonomische Transformation.15 Lange Zeit hielten sich in Ost-, vor allem aber in Westdeutschland unrealistische Annahmen über den ökonomischen Zustand der DDR, hatte doch die SED-Spitze bis zum Schluss die marode Wirtschaftslage offiziell beschönigt.16 Es grassierten Annahmen über ein wiederholtes Wirtschaftswunder oder die Reformierbarkeit der DDR-Ökonomie.17 Die reale Situation war verheerend. Einem überdimensionierten Industrie- und Landwirtschaftssektor stand ein rudimentärer (privater) Dienstleistungssektor gegenüber. Die Grundstoffindustrie dominierte alle Wirtschaftsbereiche. Ein schwaches Investitionsaufkommen, dadurch bedingte geringe Innovationsintensitäten und ein verschlissener Kapitalstock prägten die DDR-Wirtschaft ebenso wie ein mangelhaftes Konsumgüterangebot. Liquidität ging im devisenabhängigen Planwirtschaftssystem vor Rentabilität. Die Industrieproduktion war in der Kombination der Produktionsfaktoren und bei der Ressourcennutzung ineffizient. Die Arbeitsproduktivität lag weit hinter der Bundesdeutschen.18 Der hohe Ressourcenverbrauch belastete finanziell den Staat und substanziell die Umwelt, der Zustand der öffentlichen Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur war desolat.19 Schließlich überrollte der Erste Staatsvertrag alle Vorstellungen einer stufenweisen Transformation. Die auf den initialen Neu- und Ausgründungsboom folgende Währungs-
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Vgl. Jung (1990), S. 3-15; Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990a), S. 13-17. Vgl. Weimer (1998), S. 368 f. Vgl. Jäger (1998), S. 262-266, 431-469. Vgl. Dirk Wentzel (1998): Die Transformation der Währungsordnung in der DDR, in: Siegfried Mampel u. a. (Hrsg.): Wiedervereinigung Deutschlands, Berlin, S. 521-536, hier S. 521. Vgl. Hans-Hermann Hertle (1992): Der Weg in den Bankrott der DDR-Wirtschaft, in: Deutschland Archiv 25 (1992), S. 127-131. Exemplarisch Christian Watrin (1990): Soziale Marktwirtschaft – ihr Programm und die aktuellen Probleme, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), S. 13-30. Vgl. André Steiner (2009): Faktoren des wirtschaftlichen Niedergangs der DDR, in: Deutschland Archiv 42 (2009), S. 459-465; Andreas Fier (1998): Politik und Wirtschaft am Ende der DDR und die Anfänge der neuen Bundesländer, in: Hans Bertram u. a. (Hrsg.): Systemwechsel zwischen Prozess und Projekt, Opladen, S. 21-52, hier S. 24. Vgl. Raumordnungsbericht 1990 der Regierung der DDR vom September 1990 (Archiv Klaus Reichenbach).
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union wirkte wie eine „Super-Schocktherapie“20. Unvorbereitet, nur ansatzweise wettbewerbsfähig und nahezu ohne Exportchancen auf dem Weltmarkt „entließ“ das neue Geld die ostdeutsche Wirtschaft in die Hände des Marktes. Die gesellschaftspolitisch alternativlose Währungsumstellung beschleunigte den ökonomischen Kehraus der DDR. Ost- wie westdeutsche Nachfrage nach ostdeutschen Produkten brachen zusammen, die Exporte nach Osteuropa sanken 1991 um zwei Drittel.21 Das Bruttoinlandsprodukt der DDR fiel im ersten Halbjahr 1990 um 11,6 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen stieg bis Dezember 1990 auf 642.000, die der Kurzarbeiter auf 1,8 Millionen.22 Daneben war eine (Re-)Föderalisierung der DDR als Teil der politischen Transformation spätestens seit dem Jahreswechsel 1989/90 ein politischer Gemeinplatz, den die Regierung de Maizière im April 1990 aufgriff und den die Volkskammer im sogenannten Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli umsetzte. Danach sollte vom 14. Oktober 1990 an, dem Tag der Landtagswahl, das Land Sachsen aus den ehemaligen Bezirken Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt abzüglich der Kreise Altenburg und Schmölln und zuzüglich der Kreise Hoyerswerda und Weißwasser neu entstehen.23 Die (Re-)Föderalisierung hatte dabei im künftigen Sachsen ihre eigene „revolutionäre“ Geschichte. Bereits Mitte November 1989 waren u. a. seitens der Dresdner Gruppe der 20 um Arnold Vaatz und Herbert Wagner Rufe nach einem Land Sachsen laut geworden.24 Als schließlich im Februar 1990 die sich in ihrer Existenz bedroht sehenden drei Räte der Bezirke ankündigten, am 18. April ihren Verfassungsentwurf für ein Land Sachsen statuieren zu wollen, stieß dies auf die scharfe Kritik aller Vertreter der Reform- und Bürgerrechtsbewegung. Der auf der Landesverfassung von 1947 basierende Text war durchweg restaurativ und damit für die oppositionellen Reformkräfte inakzeptabel.25 Diese konterten entsprechend am 29. März mit einem eigenen Verfassungsentwurf.26 Die am 14./15. April 1990 folgende, von zahlreichen sächsischen CDU-Reformern und DA-Mitgliedern unterzeichnete Rottenburger Erklärung sprach den alten Kräften die Befugnis zur Landesbildung ab. Deren Versuch, ihr Land Sachsen zu gründen, scheiterte nach weiteren Initiativen oppositioneller Gruppen bedingungslos.27 Auf Anstoß des Dresdner Runden Tisches und mit opportunistischer Unterstützung des dortigen Bezirkstags und -rats trat schließlich am 3. Mai 1990 der Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen zusammen. Den Vorsitz erhielt der aus dem Neuen Forum gekommene Arnold Vaatz.28 Der Ausschuss beendete das „mehrgleisige“ Vorgehen der alten und neuen Akteure. Ihm oblag fortan als Gremium der oppositionellen Kräfte „die 20
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Dieter Lösch (1996): Der Weg zur Marktwirtschaft, in: Hans Kaminski (Hrsg.): Von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, Frankfurt a.M., S. 19-41, hier S. 29. Vgl. Markus Danwerth (1998): Der Erhaltung industrieller Kerne in den neuen Bundesländern, in: Hans Bertram u. a. (Hrsg.), S. 125-168, hier S. 130 f. Vgl. Katharina Belwe (1991): Zur Beschäftigungssituation in den neuen Bundesländern, in: APuZ B. 29/1991, S. 27-39, hier S. 28-30. Vgl. Peter Joachim Lapp (1990a): Fünf neue Länder – Das Ende der DDR, in: Deutschland Archiv 23 (1990), S. 1315-1318. Vgl. Michael Richter (1999): Von der friedlichen Revolution zum Freistaat Sachsen, in: Sigrid Meuschel u. a. (Hrsg.): Friedliche Revolution in Sachsen, Dresden, S. 45-58, hier S. 45; Ralph Kleimeier (1999): Sachsen 1989/90: Von den Räten der Bezirke zum ersten frei gewählten Landtag, Düsseldorf, S. 65. Vgl. Hans von Mangoldt (1996): Entstehung und Grundgedanken der Verfassung des Freistaates Sachsen, Leipzig, S. 11 f.; ders. (1993): Grundzüge der sächsischen Verfassung, in: Siegfried Gerlach (Hrsg.): Sachsen. Eine politische Landeskunde, Stuttgart u. a., S. 221-248, hier S. 225 f. Vgl. Verfassung des Landes Sachsen. Textentwurf der Gruppe der 20, in: Die Union vom 29. März 1990. Vgl. Richter (2004), S. 255 f. Für eine ausführliche Darstellung siehe ebd., S. 328-340.
4.2 Wahlkampf der CDU – Auf dem Weg zur Regierungspartei
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Leitfunktion bei der Landesbildung“.29 Sein Ziel war es, den eigenmächtigen Gründungsbestrebungen der DDR-Regierung entgegenzutreten und den Einfluss der reformerischen Kräfte zu wahren. Die Koordinierungsstäbe des Ausschusses widmeten sich mit intensiver bayerischer und baden-württembergischer Hilfe vorrangig Gesetzes- und Strukturskizzen und der Ausarbeitung einer Verfassung, die sie am 5. August 1990 als Gohrischen Entwurf der Öffentlichkeit präsentierten.30 Nachdem auf Beschluss der Volkskammer die Räte der Bezirke Ende Mai ihre Tätigkeit beendeten, setzte de Maizière am 6. Juni ihm direkt unterstellte Regierungsbevollmächtigte als Koordinatoren für die Verwaltungsaufgaben in den Bezirken ein. In Sachsen waren dies mit Alfred Buttolo für den Bezirk Karl-Marx-Stadt, Rudolf Krause für Leipzig und Siegfried Ballschuh für Dresden drei langjährige CDUFunktionäre. Ballschuh akzeptierte wegen der starken Stellung des Dresdner Runden Tisches und der relativen Macht der Reformkräfte den Koordinierungsausschuss, band ihn an sein Amt und ernannte dessen Vorsitzenden Vaatz zu einem seiner Stellvertreter. Der von Reformkräften dominierte Koordinationsausschuss hatte nun die wesentliche Hoheit bei der Landesbildung erlangt. Indem ihm schließlich der am 30. Juli von der Regierung de Maizière eingesetzte Landessprecher Rudolf Krause Weisungsbefugnis gegenüber den drei Bezirksverwaltungsbehörden verlieh, nahm er als eine Art sächsisches „Vorschusskabinett“ administrative Aufgaben wahr. Auf Basis der so erarbeiteten Vorlagen gründete ein Staatsakt am 3. Oktober 1990 das Land Sachsen.31 Die sächsischen Parteien befanden sich da bereits im Landtagswahlkampf. Auf dem Boden eines demokratischen Wahlgesetzes traten 12 Parteien und Listenverbindungen gegeneinander an – in einer Zeit, in der nicht nur die Bürger „politisch hoch sensibilisiert waren“.32 Das politische und ökonomische System befand sich im Umbruch, neue Strukturen entstanden. Fragen der ökonomischen Daseins- und Zukunftssicherung, die Gefahr von Arbeitslosigkeit, die ungewisse Wirtschaftslage sowie die Erwartungen an das neue Land Sachsen und an die deutsche Einheit bestimmten die Wahrnehmung der Menschen und das Handeln der politischen Akteure.
4.2 Wahlkampf der CDU – Auf dem Weg zur Regierungspartei 4.2.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Als eine der vier Blockparteien hatte die CDU-Ost bis weit in das Jahr 1989 hinein „beträchtliche Mühe, ein Selbstverständnis zu entwickeln, das sich von dem der SED auch nur in Nuancen unterschied“.33 In keiner Opposition zur Staatspartei stehend, ergaben sich ihre Führungskräfte bis zuletzt der SED-Linie. Indes nutzten Teile der Parteibasis ihre Mitglied29 30
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Ders. (1999), S. 50. Vgl. Von der Länderbildung zur Regierungsarbeit. Interview mit Staatsminister Arnold Vaatz, in: Sächsischer Landtag (Hrsg.): Der Sächsische Landtag. Von der Wende zum Parlament, Dresden 1991, S. 47-53; Kleimeier (1999), S. 71. Vgl. Kleimeier (1999), S. 77, 85; Richter (2004), S. 355-366, 804. Henry Kreikenbom/Carsten Bluck (1994): Das Wahlverhalten von ostdeutschen Bürgern am Beispiel der Jenaer Wahlbefragungen 1990, in: Niedermayer/Stöss (Hrsg.), S. 298-312, hier S. 300. Eckhard Jesse (2003): Die Entwicklung des Parteiensystems und der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, in: Emil Hübner/Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Deutschland, München, S. 11-89, hier S. 22.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1990
schaft als eine politische Nische zwischen „Loyalitätsbekundung und vorsichtiger Distanz“.34 Im Herbst 1989 äußerten vorrangig kirchlich engagierte Mitglieder ihren Unmut über die Berliner Parteispitze um Gerald Götting. Sie initiierten einen Wandlungsprozess.35 Besonders wirkungsmächtig war der am 10. September 1989 an alle Kreisverbände adressierte „Brief aus Weimar“36 mit Forderungen nach Distanz zur SED sowie nach mehr innerund außerparteilicher Demokratie. Obwohl sich das Gros der Basis den Postulaten anschloss, hielt die Parteispitze bis zum Rücktritt Göttings am 2. November unbeirrt an ihrem Blockkurs fest. Der am 10. November 1989 vom Hauptvorstand zum neuen Vorsitzenden gewählte Lothar de Maizière lockerte die ideologischen Zügel und präferierte eine deutschdeutsche Konföderation. Jedoch stieß sein anfängliches Festhalten am Sozialismus bei einigen Bezirks- und Kreisverbänden auf Widerspruch. Die reformorientierte Basis forderte längst den Verzicht auf den Sozialismus-Begriff. Wollte de Maizière Vorsitzender bleiben, musste er dem folgen, was dazu führte, dass die CDU-Ost auf ihrem Berliner Sonderparteitag am 15./16. Dezember 1989 nach harten inneren Auseinandersetzungen vom DDRSozialismus abrückte und eine „Marktwirtschaft mit sozialer Bindung und ökologischer Verantwortung“ im Rahmen einer nationalen Einheit proklamierte. 37 Bis zum Jahreswechsel 1989/90 etablierte sich die CDU-Ost als selbsternannte Protagonistin der „Wende“.38 Ihre neue inhaltliche Ausrichtung und ihr Austritt aus der Regierungskoalition unter Hans Modrow Ende Januar 1990 ebneten den Weg zu einer offiziellen Zusammenarbeit mit den westdeutschen Christdemokraten.39 Vor dem Hintergrund absehbarer Volkskammerwahlen hatten diese die Vorzüge des beachtlichen Organisations- und Mitgliederpotenzials der früheren Blockpartei erkannt. Die daraufhin gebildete Allianz für Deutschland, mit der die CDU-Ost ihre Blockvergangenheit kaschierte und sich als „ostdeutsche Statthalterin der westdeutschen CDU“40 gerierte, ging als Überraschungssieger aus der Wahl hervor. Auf das Zusammengehen von CDU-Ost und DA als Volkskammerfraktion folgte am 1. September 1990 der Zusammenschluss als Partei, am 15. September die Fusion von CDU-Ost und der DBD, und schließlich traten die ostdeutschen CDU-Landesverbände am 1. Oktober 1990 der CDU-West bei.41 Im Zuge des beschlossenen strukturellen Umbaus der Partei, weg von ihrer zentralistischen Ausrichtung hin zu einer demokratischen Struktur, gründete sich am 3. März 1990 in Dresden der bereits am 30. Januar proklamierte CDU-Landesverband Sachsen. Untergliedert in Kreis- und Ortsverbände, hatten die Christdemokraten ihre bisherigen Bezirksverbände Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt nach westdeutschem Muster in einer überge-
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Stefan Wolle (1999): Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989, 2. Aufl., Bonn, S. 111. Vgl. Michael Richter (1994a): Zur Entwicklung der CDU-Ost im Herbst 1989, in: Historisch Politische Mitteilungen 1 (1994), S. 115-133, hier S. 116 f. Vgl. Brief aus Weimar, in: Neue Zeit vom 26. Oktober 1989. Vgl. Michael Richter (1994b): Die Entwicklung der CDU-Ost 1989/90, in: Deutschland Archiv 27 (1994), S. 1015-1025, hier S. 1018 f.; Ute Schmidt (1996): Die CDU, in: Niedermayer (Hrsg.), S. 13-39, hier S. 18-20. Vgl. Peter Joachim Lapp (1990b): Ehemalige DDR-Blockparteien auf der Suche nach Profil und Glaubwürdigkeit, in: Deutschland Archiv 23 (1990), S. 62-68, hier S. 65 f.; Schmidt (1996), S. 18 f. Vgl. Michael Richter (1995): Zur Entwicklung der CDU-Ost vom Januar 1990 bis zum Vereinigungsparteitag am 1. Oktober 1990, in: Ders./Martin Rissmann (Hrsg.): Die CDU-Ost. Beiträge zu ihrer Entstehung und Entwicklung, Weimar u. a., S. 235-251, hier S. 239; Richter (1994b), S. 1020-1024. Werner J. Patzelt (2006): Die CDU in Sachsen, in: Demuth/Lempp (Hrsg.), S. 87-119, hier S. 92. Vgl. Richter (1994b), S. 1024 f.; Schmidt (1994), S. 41; Schmidt (1996), S. 24.
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ordneten Organisationsform – dem Landesverband – vereint.42 Die Delegierten des 1. Landesparteitags wählten den ehemaligen CDU-Bezirksvorsitzenden von Karl-Marx-Stadt und amtierenden Minister im Amt des Ministerpräsidenten der DDR Klaus Reichenbach mit 82 Prozent zu ihrem Landesvorsitzenden. Sein einziger Gegenkandidat, der Ende Februar 1990 mit einigen Anhängern vom Neuen Forum gekommene Arnold Vaatz, hatte mit seiner Kandidatur ein – chancenloses – Zeichnen für eine Parteireform gesetzt. Er erhielt 18 Prozent. Reichenbachs Stellvertreter wurden der langjährige Leipziger Blockfunktionär Rolf Rau, der aus dem Neuen Forum kommende Vogtländer Berthold Rink und das langjährige CDUMitglied Horst Metz (Dresden). Da Reichenbach wegen seiner Funktion als Staatsminister in der Regierung de Maizière schlichtweg die Zeit für die Arbeit als Landesvorsitzender fehlte, ernannte er seinen Vertrauten Rau zum amtierenden Vorsitzenden.43 Nach dem symbolkräftigen Eintritt der Dresdner Reformer-Gruppe um Vaatz in die CDU bemühte sich auch der am 23. Juni 1990 aus der Taufe gehobene sächsische Landesverband des DA unter Vorsitz von Horst Rasch (gegen den Widerstand der Berliner DAFührung) um eine baldige Vereinigung mit den Christdemokraten.44 Nach Raschs Dafürhalten ähnelte sich nicht nur die Programmatik beider Parteien. Vielmehr galt es, „möglichst viel handelndes Personal aus revolutionären Zeiten im politischen Geschäft zu halten“.45 Schließlich hatte das Volkskammerwahlergebnis vielen Bürgerrechtlern ihr drohendes Aus, Vaatz’ Eintritt in die CDU ihnen hingegen neue Wirkungsmöglichkeiten aufgezeigt. Nachdem der sächsische DA durch unterschriftsreif gediehene Verhandlungen über eine Listenvereinigung mit der DFP und der DSU den Eindruck vermittelt hatte, diese der Verbindung mit der CDU vorziehen zu wollen, entschloss sich der lange Zeit distanzierte CDULandesvorstand am 27. Juli zu ernsthaften Kooperationsgesprächen. Die Parteispitze um Reichenbach fürchtete zwar den Erneuerungswillen der DA-Mitglieder, wusste aber, dass nur die Aufnahme „neuer Leute“ die innerparteiliche Regeneration und den außerparteilichen Erfolg der CDU sichern konnte. Nicht zuletzt kamen ihr die „unbelasteten“ DAMitglieder angesichts der öffentlichen Diskussion um die eigene Blockvergangenheit als Mittel zum Tarnen und Selbstreinigen gerade recht.46 Dem DA bot dies viel Verhandlungsmasse. Drei seiner Mitglieder wurden in den CDU-Landesvorstand kooptiert. Dessen Präsidium empfahl allen Kreisverbänden, den neuen Mitgliedern Direktkandidaturen zu ermöglichen. Zusätzlich stand dem DA ein Ministerposten in einem zukünftigen CDUgeführten Kabinett zu. Die Fusion vollzog sich seitens der Mehrheitsfraktion des sächsischen Demokratischen Aufbruchs am 28. Juli, seitens der sächsischen CDU am 1. September 1990. Die parallel stattfindende Verschmelzung von DBD und CDU verlief weniger aufreibend, fanden doch hier zwei frühere Blockparteien zueinander.47 Die sächsische CDU barg im Vorfeld der Landtagswahl eine Mischung aus früheren Migliedern des Demokratischen Aufbruchs, des Neuen Forums, DBD- und CDU-Altmitgliedern sowie „unbelasteten“ Neumitgliedern. Im Unterschied zu anderen ostdeutschen 42 43
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Vgl. Schmidt (1996), S. 21. Vgl. Andreas Richter: CDU-Landesverband gegründet, in: Die Union vom 5. März 1990; vgl. auch. Richter (2004), S. 154-157, 615; Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006. Vgl. Rasch: Listenverbindung mit DSU angestrebt, in: SZ vom 25. Juni 1990. Interview mit Horst Rasch am 13. Dezember 2005. Vgl. ebd.; Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006. Vgl. Richter (2004), S. 654-663; Brümmer (2006), S. 71-73; Interview mit Horst Rasch in: Andreas Richter: Nicht alle gehen zur CDU, in: Die Union vom 8. August 1990; Vereinbarung zwischen dem Landesvorstand des DA und dem Präsidium der CDU des Landesvorstands vom 27. Juli 1990 (Archiv Matthias Rößler).
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Landesverbänden standen jedoch in Sachsen die Zeichen wegen des starken Reformflügels von Anfang an auf Erneuerung. Insbesondere der am 3. Mai 1990 durch den Runden Tisch in Dresden gebildete Koordinierungsausschuss gab einigen Reformkräften (z. B. Vaatz) ein überparteiliches Machtinstrument in die Hand. Ihre Mitgliedschaft im CDU-Landesvorstand sicherte ihnen die notwendige innerparteiliche Aufmerksamkeit.48 Gleichwohl beherrschten weite Teile der Landespartei Mitte des Jahres 1990 noch alte Verfahrens- und Denkweisen. Ihr Funktionärsapparat hatte sich nach den frühen Wahlerfolgen „in Selbstzufriedenheit restauriert“.49 Die bisherige zweite und dritte Reihe nutzte die neu entstandenen Karrierechancen. So wurde etwa der ehemalige stellvertretende Dresdner Bezirksvorsitzende und inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Johannes Schramm, Landessekretär. An seiner Seite wirkte der bisherige stellvertretende Leipziger CDUBezirksvize und frühere IM der Staatssicherheit, Volker Terp, als Landesgeschäftsführer. In einer Art „Doppelstruktur“ standen wenigen Neufunktionären viele vormalige, mitunter tief involvierte Blockfunktionäre gegenüber.50 Die Partei war kopflastig, zahlreiche Funktionäre ohne Basisanbindung und vorrangig an Ämtern interessiert.51 Die Basis kritisierte dies, wovon wiederum die neuen Kräfte in den Nominierungsveranstaltungen profitierten.52
4.2.2 Konzeptioneller Rahmen Trotz der Konflikte ging die Partei organisatorisch gut situiert in die Landtagswahl. Ihre hauptamtliche Personaldecke und die hohe Mitgliederzahl (37.231 Mitglieder Ende 1990) machten die Christdemokraten zumindest strukturell wahlkampftauglich. Bereits in der DDR nach dem Territorialprinzip organisiert, mussten sie „lediglich die Bezirksverbände auflösen und Landesverbände gründen bzw. organisatorisch funktionsfähig machen, während die untersten Organisationseinheiten in ihrer ursprünglichen Form solange bestehen konnten, wie die Mitgliederbasis nicht wegbrach“.53 Unzulänglichkeiten existierten indes bei der technischen Ausstattung und bei der Wahlkampforganisation. Nach westdeutschen Gesichtspunkten war die Partei 1990 nicht kampagnenfähig. Konzeption, Organisation und Umsetzung der Wahlkampagne waren 1990 eine Kombination aus sächsischer Eigenleistung und westdeutscher Unterstützung.54 Zunächst hatte das sächsische CDU-Präsidium Landessekretär Johannes Schramm beauftragt, bis zum 30. Juni den zeitlichen Ablauf und die wichtigsten Veranstaltungen des Landtagswahlkampfes zu planen.55 Ferner oblag einer Wahlkampfkommission aus Vertretern der sächsischen und 48 49
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Vgl. Lesch (1994), S. 39. Interview mit Ludwig Güttler in: Uta Dittmann: Messlatte sinkt immer tiefer, in: Die Union vom 3. August 1990. Vgl. Wendt (1994), S. 103 f. Vgl. Brief des Vorsitzenden des CDU-Ortsverbands Dresden-Gruna H. Bittner an Minister Klaus Reichenbach vom 14. Juli 1990 (Archiv Klaus Reichenbach); Wendt (1994), S. 103 f.; Patzelt (2006), S. 92. Vgl. Interview mit Matthias Rößler am 18. Januar 2006. Patzelt/Algasinger (1996), S. 244. Die finanzielle Unterstützung war immens. Die von der sächsischen CDU eingesetzten Finanzmittel betrugen insgesamt 1.098.000 DM direkt erfasste Wahlkampfausgaben. Der Rechenschaftsbericht der Bundespartei beziffert die Kosten für den Landtagswahlkampf indes auf rund 5.111.600 DM. Vgl. Rechenschaftsbericht des CDU-LV Sachsen für das Kalenderjahr 1990 (Archiv Matthias Rößler); CDU. Rechenschaftsbericht 1990, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 12. WP, 12/2165 vom 26. Februar 1992, S. 18-29, 348 f. Vgl. Vorschläge zur Führung des Landtagswahlkampfes in Sachsen (Archiv Klaus Reichenbach).
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baden-württembergischen CDU im Verbund mit der sächsischen CDU-Führung die strategische und kommunikative Ausrichtung des Wahlkampfes.56 Nachdem am 1. September der 2. Landesparteitag Kurt Biedenkopf als Spitzenkandidaten nominiert und die Landesliste bestätigt hatte, war die Basis der Wahlkampagne gelegt. Der wahlkampferfahrene Biedenkopf, dessen persönliche Wahlkampfmitarbeiter, Mitarbeiter des Bonner KonradAdenauer-Hauses, inklusive des CDU-Beraters Peter Radunski, und die CDU-Stammagentur von Mannstein wirkten nun an der Kampagnenkonzeption mit. Am 10./11. September (einen Monat vor der Wahl) legte sich die Landespartei auf die Gestaltung, die Organisation und die Umsetzung des Wahlkampfes fest. 57 Wie bereits im Volkskammerwahlkampf leisteten die Bundesgeschäftsstelle und der baden-württembergische Landesverband intensive Wahlkampfhilfe. Alle Kreisverbände verfügten über einen südwestdeutschen Partnerkreisverband und wurden von den dortigen Geschäftsführern unterstützt. Auf Ebene des Landesverbands griff die Südwest-CDU ihrer sächsischen Schwester strategisch und konzeptionell unter die Arme (u. a. Finanzen, Personal, Wahlkampfgestaltung).58 Die unerfahrenen Direktkandidaten fanden in gesonderten Strategiepapieren Informationen zur Gegner- und Wahlkreisanalyse sowie zur Wahlkampfführung im Allgemeinen.59 Des Weiteren organisierten die sächsischen Bezirksverbände Seminare zur Vorbereitung und Führung des Wahlkampfes, veranstaltet von Stuttgarter Experten, darunter etwa der spätere CDU-Fraktionsgeschäftsführer im Sächsischen Landtag Erhard Weimann.60 Der Landesverband ließ Plakate und Prospekte nach einem improvisierten „sächsischen“ Design (weiß-grün) drucken.61 Die Bundesgeschäftsstelle lieferte die Großflächen- und Themenplakate, die Flugblätter, die Wahlkampfzeitung und den Fernsehspot.62 Daneben erschienen im Rahmen der weithin selbstständigen Wahlkämpfe der Direktkandidaten unzählige lokale und regionale Eigenfabrikate, ebenso unsystematisch wie laienhaft konzipiert, gedruckt und verteilt. Die Umsetzung in der heißen Wahlkampfphase lag in den Händen der Wahlkampfkommission, der Landesgeschäftsstelle und der Verantwortlichen auf Wahlkreisebene.63 Als klare Gewinnerin der vergangenen Wahlen und ausgestattet mit Umfragewerten von über 40 Prozent war der sächsischen CDU im Spätsommer 1990 ein Sieg bei der Landtagswahl und eine starke Führungsrolle in der neuen Landesregierung gewiss.64 Entspre-
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Vgl. Vorlage von Johannes Schramm zur Präsidiumssitzung des CDU-LV Sachsen am 10. August 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Kurt H. Biedenkopf (2000): 1989-1990. Ein deutsches Tagebuch, Berlin, S. 319-321, 329-331. Vgl. Richter (2004), S. 825. Vgl. Organisationspapier für Wahlkämpfe im Wahlkreis (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Brief der CDU-Bezirksgeschäftsstelle Leipzig an die Landtagskandidaten vom 24. August 1990; Protokoll über die Wahlkampfschulung vom 2. September 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Vorlage von Johannes Schramm zur Präsidiumssitzung des CDU-LV Sachsen am 10. August 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen); Interview mit Wolf-Dieter Beyer am 21. November 2005. Vgl. Brief des Landessekretärs Johannes Schramm an die Kandidaten und Kreisgeschäftsführer der CDU in Sachsen vom 21. September 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen); Biedenkopf (2000), S. 361 f. Vgl. Brief des Bornaer CDU-Kreisgeschäftsführers an die Ortsverbände vom 29. August 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Die Partei rechnete mit einem klaren Wahlsieg. Bereits Mitte des Jahres 1990 hatte Reichenbach den badenwürttembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth um Personalvorschläge (Finanzen, Wirtschaft, Regierungssprecher) gebeten. Vgl. Themenkomplexe des Gesprächs zwischen Klaus Reichenbach und Lothar Späth (Archiv Klaus Reichenbach). Biedenkopf notierte am 27. August 1990 in sein Tagebuch: „Der Rest des Jahres wird ausgefüllt sein mit der Bildung einer Regierung und dem Beginn der Regierungsarbeit“. Am 30. August
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chend setzte die Partei auf eine Strategie der Stimmenmaximierung. Sie zielte auf maximale, wenn möglich alleinige Regierungsbeteiligung und damit auf eine absolute Mehrheit.65 Biedenkopf kommentierte im September 1990 die bisherigen Ergebnisse und Umfragewerte: „Wir wollen diesen Vorsprung in den kommenden Wochen durch aller Einsatz weiter vergrößern.“ Die CDU könne umso wirksamer handeln, je deutlicher die Wähler sie mit der Regierungsbildung beauftragten. „Einen eindeutigen Auftrag zu erhalten, muss deshalb unser wichtigstes Ziel sein.“66 Während sich seine Prognosen zwischen 38 und 48 Prozent bewegten, kalkulierte Reichenbach bereits auf dem 2. Landesparteitag mit einer absoluten Mehrheit für die CDU.67 Seines Erachtens nach war die Landtagswahl „die wichtigste Wahl“ des Jahres. Es müsse daher gelingen, so Reichenbach am 17. August 1990, „die Partei im Wahlkampf voll zu mobilisieren […], dass sie um den Wahlsieg in Sachsen kämpft“. Nur mit einer intakten und motivierten Basis könne man das angestrebte Ergebnis erreichen. Den Wählern müsse Hoffnung gegeben werden, damit diese das für die bevorstehende Umwälzung benötigte „hohe Maß an Geduld“ aufbrächten. Es gelte, „wer Geduld fordert, muss Hoffnung glaubhaft vermitteln“. Christdemokratische Aufgabe sei es, mit einem klaren und „auf die Verwirklichung der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft ausgerichteten Konzept“, Zuversicht zu kommunizieren und damit das Vertrauen der Bevölkerung zu erringen.68 Auch Biedenkopf betonte, die Bürger seien in Teilen ungeduldig, verstünden aber, dass es für eine entscheidende Erneuerung des Landes erst einer handlungsfähigen Regierung bedürfe. Da die CDU überall auf „Sympathie und Zustimmung“69 stoße, so Biedenkopf weiter, sei es für die Partei im Wahlkampf relevant, die Wählersympathien zu erhalten und die Wähler zur Stimmabgabe zu mobilisieren. Zielgruppen waren daher ihre bisherigen Wähler, mit dem Schwerpunkt auf Arbeiter, Selbstständige und Landwirte, sowie die in Westdeutschland seit Jahren wichtigste christdemokratische Wählergruppe, die Rentner.70 Im Zentrum der CDU-Wahlkampfstrategie stand deshalb der Versuch, mittels sachlicher Vorschläge zur Entwicklung des Landes, Optimismus und Vertrauen in der Bevölkerung zu verbreiten und so ein gewinnmaximales Ergebnis zu erzielen. Die Christdemokraten verfolgten eine überwiegend positive Kampagnenlinie und banden die Bilanzen der Regierungen Kohl und de Maizière eng an ihre Argumentation. Sie griffen damit auf Bestandteile einer Regierungsstrategie zurück, wiewohl von Regierungen anderer Ebenen und ohne sich den geborgten exekutiven Mantel allzu offensichtlich überzustreifen. Bedeutsam für diese Strategie waren ihr prominenter Spitzenkandidat und die Instrumentalisierung der in der Bevölkerung vorhandenen guten Reputation der westdeutschen Christdemokraten.71
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traf sich der CDU-Spitzenkandidat mit den drei sächsischen Regierungsbevollmächtigten „zur ersten Arbeitssitzung über die zukünftige Regierungsbildung in Sachsen“. Biedenkopf (2000), S. 309, 313. Vgl. ebd., S. 304. Brief von Kurt Biedenkopf an die Wahlkreiskandidaten vom September 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Renate Berthold: CDU: Absolute Mehrheit bei Landtagswahl, in: SZ vom 3. September 1990. Vgl. Redeentwurf für Minister Reichenbach für die Sitzung des CDU-Landesvorstands am 17. August 1990 (Archiv Klaus Reichenbach). Brief von Kurt Biedenkopf an die Wahlkreiskandidaten vom September 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. exemplarisch Wahlkampfflugblatt: CDU an der Seite der Landwirte; Wahlkampfflugblatt: Die Renten sind und bleiben sicher (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Ursula Feist/Hans-Jürgen Hoffmann (1991): Landtagswahlen in der ehemaligen DDR am 14. Oktober 1990, in: ZParl 22 (1991), S. 5-34, hier S. 12.
4.2 Wahlkampf der CDU – Auf dem Weg zur Regierungspartei
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4.2.3 Imagekampagne Dessen ungeachtet trug die CDU weiterhin das Brandzeichen der Blockpartei. Dieses zu verdecken und die neuen Akteure in den Vordergrund zu schieben, war Aufgabe der Imagekampagne. Eine Wahlanzeige belegt dies mustergültig. Darin begründen ehemalige Mitglieder des NF, des DA und der Gruppe der 20, darunter Arnold Vaatz, Horst Rasch oder Herbert Wagner, ihre Entscheidung für die CDU. „Vor einem Jahr haben wir die SED in die Knie gezwungen. Nun bauen wir ein neues Land Sachsen auf. Frei, demokratisch, mit Zukunft für seine Bürger. Kurt Biedenkopf hat schon im Januar mit angepackt. Er kennt unser Land und seine Probleme. Er besitzt die Erfahrung, die wir nicht sammeln durften. Er ist ein streitbarer Demokrat. Wir vertrauen Kurt Biedenkopf und wollen mit ihm aus Sachsen ,ein starkes Stück Deutschland’ machen.“72 Neben dem als erfahren, demokratisch, vertrauenswürdig und früh für Sachsen engagiert dargestellten Spitzenkandidaten retuschierte die Anzeige die Vergangenheit der CDU-Ost, übertrug sie ungeniert den revolutionären und unbelasteten Nimbus der Bürgerrechtler auf die frühere Blockpartei. In erster Linie präsentierte sich die CDU jedoch als sächsische Kraft. Ihre Leitslogans „Für ein starkes Sachsen“ und „Es geht um Sachsen“ unterstützten ein zentrales Anliegen: Christdemokratische Politik sollte das zukünftige Land gestalten und voranbringen. Die Partei erklärte, wer „für ein starkes Sachsen, für ein blühendes Sachsen“73 stimmen wolle, müsse am 14. Oktober CDU wählen. Indem sie an die sächsische Identität und die „patriotischen Gefühle der Bürger“74 appellierte, passte sie sich ihren Zielgruppen an und lenkte gleichsam von der eigenen DDR-Vergangenheit ab. Die CDU umgab sich mit traditionellen sächsischen Elementen, etwa dem Sachsenwappen oder den weiß-grünen Landesfarben, forderte offensiv die verfassungsmäßig verankerte Bezeichnung „Freistaat Sachsen“.75 Ebenso betonte sie den zukünftigen bundespolitischen Status, plädierten für ein „starkes Sachsen“, das „Gewicht hat in Deutschland“ und das „eine wichtige Rolle im Konzert der Bundesländer“ spielt. Sachsen, so die CDU, müsse in die „Spitzengruppe der deutschen Bundesländer“ zurückgeführt werden.76 Die Christdemokraten knüpften mit ihrer Metapher vom „blühenden Sachsen“77 und mit Verweisen auf die sächsische Geschichte als Kulturund Industriemetropole an die herrschende Einheitseuphorie an. Biedenkopf zeigte sich überzeugt, Sachsen werde die „Hefe in Deutschland“78 sein. Es werde sich von allen ostdeutschen Regionen am schnellsten erholen und die höchsten Wachstumsraten aufweisen.79 Landessprecher Rudolf Krause orakelte, Sachsen könne nach nur einer CDU-geführten Legislaturperiode als „starkes Land“ mit Baden-Württemberg oder Bayern „mithalten“.80 Ferner adaptierte die sächsische CDU das Image ihrer westdeutschen Schwester. Die von der Bundesgeschäftsstelle ausgegebenen Werbematerialien präsentierten sie als „Partei für Aufbauzeiten“, die zunächst gegen den Widerstand der SPD die Soziale Marktwirt72 73 74 75 76
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Wahlkampfanzeige der sächsischen CDU, in: SZ vom 8. Oktober 1990. Wahlkampfanzeigen der sächsischen CDU, in: SZ vom 8. und 9. Oktober 1990. Brümmer (2006), S. 84. Vgl. Wahlinformation Nr. 2 des Landessekretärs an die Kreisgeschäftsführer (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Wahlkampfanzeige der sächsischen CDU, in: LVZ vom 8. Oktober 1990; Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 5. Wahlkampfanzeige: „CDU, für ein blühendes Sachsen“, in: SZ vom 25. September 1990. Interview mit Kurt Biedenkopf in: DNN: Land Sachsen wird die Hefe sein, in: DNN vom 13./14. Oktober 1990. Vgl. Gabi Thieme: Das nächste Mal komme ich als Ministerpräsident, in: FP vom 26. September 1990. Vgl. Interview der Sächsischen Zeitung mit Rudolf Krause, in: SZ vom 19. September 1990.
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schaft in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt und diese dann in den 1980er Jahren aus der „tiefsten“, von einer sozialdemokratischen Regierung verursachten Wirtschafts- und Sozialkrise herausgeführt habe. Die CDU bediente die ökonomischen Kompetenzzuschreibungen der Wähler und deklinierte sich als „Partei der Sozialen Marktwirtschaft und der sozialen Sicherheit“, die sämtlichen, von der ökonomischen Transformation betroffenen Bürgern Hilfe garantiere. Als Kanzlerpartei sei sie „der Garant für eine solide Wirtschaftsund Finanzpolitik, für Wohlstand, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit“.81 Um zu verdeutlichen, „wer die Hilfe der Bundesrepublik auf seiner Seite hat“,82 legten die sächsischen Christdemokraten ihre Partnerschaft mit der Südwest-CDU offen. Hatte es bereits im Vorfeld der Volkskammerwahl eine mehrtägige Vor-Ort-Aktion der baden-württembergischen CDU-Landtagsfraktion im Sächsischen gegeben,83 wiederholten beide Landesparteien dieses Konzept. Umrahmt von Wahlveranstaltungen verlegte die Stuttgarter Fraktion ihre Herbstklausur am 12. September nach Dresden und demonstrierte so wählerwirksam eine „besondere Verbundenheit mit dem künftigen Land Sachsen“84 und der dortigen CDU. Im Zentrum der Imagekampagne stand Spitzenkandidat Kurt Biedenkopf. Der Weg zu seiner Kandidatur führte zunächst durch ein politisches Ränkespiel par excellence. 85 Allen daran Beteiligten war früh bewusst, wer immer als christdemokratischer Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf ziehen sollte, würde als Ministerpräsident zurückkehren. Als der Landesvorsitzende Klaus Reichenbach seine Kandidatur am 7. Juli 1990 offiziell bekanntgab,86 geriet das Reformerlager in Aufruhr. Dem selbst unter Kritikern keinesfalls als Hardliner geltenden Landesvorsitzenden haftete ein zu starker Stallgeruch der ehemaligen Blockpartei an. Reichenbach hatte noch im Herbst 1989 als CDU-Vorsitzender im Bezirk Karl-Marx-Stadt in einem Zeitungsinterview u. a. die Verwirklichung des christlichen Humanismus im Sozialismus und die „sozialistische Demokratie“ der DDR gelobt.87 Vor allem die Dresdner Christdemokraten um Arnold Vaatz befürchteten, seine Kandidatur würde eine innere Erneuerung der Partei verhindern, alle bisherigen Mühen der Reformer zunichtemachen und eine negative Vergangenheitsdiskussion heraufbeschwören.88 Jedoch waren Reichenbachs Gegner eines alternativen Vorschlags unfähig. Vor diesem Hintergrund empfahl die Dresdner CDU um Dieter Reinfried89 nach Absprache mit Generalsekretär Volker 81
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Wahlkampfflugblätter: In schwierigen Zeiten: CDU; Soziale Sicherheit durch Soziale Marktwirtschaft; Freie Fahrt für Soziale Marktwirtschaft (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vorschläge zur Führung des Landtagswahlkampfes in Sachsen (Archiv Klaus Reichenbach). Vgl. Die CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg: Programm der Vor-Ort-Aktion der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen vom 28. Februar bis 3. März 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Brief von Erwin Teufel an die Kreisverbände der CDU Sachsen vom 27. Juli 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Eine detaillierte Darstellung der Abläufe bietet Richter (2004), S. 612-654. Vgl. Richter (2004), S. 612-618; Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006. Reichenbachs Kandidatur unterstützten etwa Lothar de Maizière, Wolfgang Schäuble oder Helmut Kohl. Vgl. Interview mit Klaus Reichenbach in: Reinhold Lindner: Wir schreiben uns selbst die Pflichten des Lebens vor, in: FP vom 28. September 1989. Später bezeichnete Reichenbach jenes Interview als „schlimmste politische Tat seines Lebens“. Klaus Reichenbach zitiert in: Renate Berthold: Wahlchancen sind hervorragend, in: SZ vom 14. August 1990. „Ich wünsche mir, dass kein Kandidat irgendeiner Partei für den neuen sächsischen Landtag kandidiert, der vorher in einem Bezirkstag saß, der vor der Wende in der Volkskammer saß oder Mitglied der Bezirksleitung einer Partei war.“ Arnold Vaatz zitiert in: Uwe-Eckart Böttger: Streit in der sächsischen CDU, in: Die Union vom 26. Juli 1990. Die sächsischen „Querulanten“ standen unter Eigenbeschuss. Der stellvertretenden Vorsitzende der CDU-Ost, Horst Korbella, richtete am 22. August 1990 folgende „persönliche Erwägungen“ an den Vorsitzenden des Kreisverbands Dresden, Dieter Reinfried: „Ich verhehle Ihnen nicht, dass ich diese und andere von der neuen
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Rühe am 11. August dem CDU-Landesvorstand den Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Walter Priesnitz zur Nominierung. Er sollte als „Integrationsfigur“ wirken und die „Flügelkämpfe innerhalb des CDU-Landesverbands beenden“.90 Da für Reichenbach ein „auf der Linie Vaatz“ antretender Kandidat inakzeptabel war,91 hielt er, der sich inoffiziell bereits Mitte Juli gegen eine weitere Anwartschaft entschieden hatte, offiziell an seiner Kandidatur fest. Sollte ein für Sachsen und die Partei Geeigneterer gefunden werden, so Reichenbachs Standpunkt, werde er verzichten.92 Folgerichtig schmetterte der „alte“ Landesvorstand den Vorschlag der Reformer ab. Um eine wirksame Empfehlung tätigen zu können, wandte sich die Gruppe um Vaatz nun an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth.93 Der von ihm zunächst als Spitzenkandidat umworbene Heiner Geißler erteilte einen Tag vor der entscheidenden Landesvorstandssitzung seine Absage. Daraufhin gewann Späth kurzfristig den seit Anfang des Jahres 1990 an der Universität Leipzig Wirtschaftsrecht lehrenden Kurt Biedenkopf.94 Am 25. August einstimmig durch den Landesvorstand vorgeschlagen, verkündete dieser wenige Tage später, unter der Bedingung einer deutlichen Nominierung durch den Landesparteitag für das Ministerpräsidentenamt kandidieren zu wollen.95 Der Dresdner Parteitag am 1. September wählte Biedenkopf, der zuvor klargestellt hatte, im Falle einer verlorenen Landtagswahl sein Bundestagsmandat weiter verfolgen zu wollen, mit 97 Prozent der Stimmen auf den ersten Listenplatz.96 Vaatz war das Grund genug für einen temporären Friedensschluss zwischen Reformern und früheren Blockparteivertretern.97
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Leitung des Dresdner Kreisverbands vertretenen Auffassungen nicht mittragen kann, weil wir damit die politische Institution CDU […] sehr grundsätzlich in Frage stellen. Dies werde ich nicht zulassen. Insofern möchte ich Sie jetzt schon darüber in Kenntnis setzen, dass ich Gelegenheit nehmen werde […] manchen Eindruck, der in der letzten Zeit […] vermittelt worden ist, zu korrigieren. Ich bitte Sie, im Interesse der Partei diese persönlichen Erwägungen von mir, für die ebenfalls ganz schnell die entsprechende ,Parteilobby’ zu mobilisieren wäre, bei Ihren weiteren Dispositionen mit zu berücksichtigen. Bitte verstehen Sie mich und viele andere richtig. Wir können nicht zulassen, dass wir uns selbst ins Bodenlose stürzen“. Brief von Horst Korbella an Dieter Reinfried vom 22. August 1990 (Archiv Klaus Reichenbach). Interview mit Dieter Reinfried in: Uta Dittmann: Priesnitz zu Spitzenkandidatur bereit, in: Die Union vom 6. August 1990. Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006. Vgl. dpa: Reichenbach schließt Verzicht auf Kandidatur in Sachsen nicht aus, in: dpa vom 16. August 1990; Interview mit Klaus Reichenbach in: o.A.: So wie früher wird jetzt schon wieder ausgegrenzt, in: SZ vom 25. August 1990; Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006. Reichenbach bekundet, er habe ab Juli 1990 zusammen mit Lothar Späth einen Ausweg gesucht. Zunächst habe er Späth gebeten zu kandidieren, was dieser aber mit Blick auf politische Probleme in Baden-Württemberg abgelehnt habe. Anschließend, nachdem Heiner Geißler abgesagt hatte, habe er Späth darin bekräftigt Kurt Biedenkopf für eine Kandidatur zu gewinnen und damit den massiven Unmut Helmut Kohls auf sich gezogen. Vgl. Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006. Vgl. Richter (2004), S. 641 f.; Biedenkopf (2000), S. 298-306. Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf in: Renate Berthold: Trotz kurzer Bedenkzeit die Aufforderung angenommen, in: SZ vom 28. August 1990; Lesch (1994), S. 41-43; Vgl. Richter (2004), S. 650 f.; dpa: Bei Misserfolg in Sachsen in den Bundestag, in: SZ vom 29. August 1990. Die Landesliste der Partei spiegelt die innerparteilichen Strömungen wider: Biedenkopf auf Platz eins, gefolgt von Friedericke de Haas (Frauenunion) und dem aus dem DA kommenden Helmut Münch. Mit Matthias Rößler und Horst Rasch kamen auf den Plätzen 8 und 12 weitere DA-Vertreter. Listenplatz 5 nahm der aus der DBD kommende Helmut Pfordte ein, Platz 6 besetzte Erich Iltgen als Vertreter der katholischen Kirche. Mit Rudolf Krause auf Listenplatz 4 und Albrecht Buttolo auf Platz 7 kamen die ersten Blockfunktionäre. Vgl. Interview mit Arnold Vaatz in: Uta Dittmann: Überraschende Wende in Sachsen?, in: Die Union vom 27. August 1990.
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Dem Spitzenkandidaten blieb durch die späte Nominierung nur ein kurzer Zeitraum für eine persönliche Kampagne. Sein inner- und außerparteilicher Sympathie- und Bekanntheitsbonus glich dies allerdings aus. Biedenkopfs Renommee war gut. Etwa drei Viertel der Wahlberechtigten kannten ihn. Im Vergleich mit seiner Kontrahentin Anke Fuchs (SPD) erreichte er auf einer Beurteilungsskala von -5 bis +5 2,0 Punkte, Fuchs 1,2. Weitaus größer war sein Vorsprung in der Frage, wen die Wähler lieber als Ministerpräsidenten in Sachsen sähen. Hier plädierten 56 Prozent für Biedenkopf und nur 33 Prozent für Fuchs.98 Unterstützt durch ein westdeutsches „Biedenkopf-Team“ absolvierte der Spitzenkandidat ab 10. September über 100 Auftritte in allen sächsischen Regionen. Er besuchte Unternehmen, nahm an Betriebsversammlungen und Gesprächen mit Betriebsräten teil, redete auf Marktplätzen und Großveranstaltungen vor hunderten, mitunter tausenden Menschen, oder führte Gespräche in Krankenhäusern und Altenheimen.99 Oft begleitet von seiner Frau Ingrid, kombinierte er seine Vorstellung bei den regionalen Partei- und Politikakteuren mit Wahlkampfveranstaltungen.100 Biedenkopf betrieb nicht Wahlkampf im klassischen Sinne, sondern er kombinierte die öffentliche Bewerbung mit innerparteilichen Antrittsbesuchen, konkreten Regierungsvorbereitungen und, seiner kurzfristigen Nominierung geschuldet, zahlreichen wahlkampffernen Terminen. Bei den gemeinsamen Auftritten mit Helmut Kohl, der seinerseits im Bundestagsvorwahlkampf steckte, profitierte Biedenkopf von dessen hohem Ansehen. Klaus Reichenbach trat freiwillig in den Hintergrund.101 Die CDU und Biedenkopf betonten, dass Sachsen für den Spitzenkandidaten „kein fremdes Land“ sei. Er habe wegen seiner in Sachsen-Anhalt verlebten Kinderjahre sowie seines frühen Engagements an der Leipziger Universität eine Nähe zu dem Land entwickelt und als „Zeuge des Umwälzungsprozesses in der DDR“ unmittelbar „die Probleme der Menschen und der Wirtschaft in Sachsen“ erfahren.102 Biedenkopf schlüpfte im Wahlkampf in die Rolle des westdeutschen Pioniers, der bereits seit Januar 1990 vor Ort mithelfe, „ein neues Land“103 aufzubauen. Er definierte sich so über Nacht zum Sachsen um.104 Daneben speiste die Imagekampagne Biedenkopfs fachlichen Nimbus. Als Jurist, Ökonom, früherer Wirtschaftsmanager und CDU-Generalsekretär sowie langjähriges Landtags- und Bundestagsmitglied verkörperte er den kompetenten, vertrauenswürdigen, ebenso erfahrenen wie durchsetzungsfähigen Spitzenkandidaten.105 Er bediente damit die ihm seitens der Wähler entgegengebrachten Vertrauens- und Kompetenzvorschüsse. Biedenkopf positionierte sich als „Anwalt für die Menschen“106, dem es nicht um die Auseinandersetzung mit der SPD, sondern einzig um die Lösung der anstehenden Trans98
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Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990b): Wahl in den neuen Bundesländern. Eine Analyse der Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990, Mannheim, S. 169; Willy Koch/Oskar Niedermayer (1991): Parteimitglieder in Leipzig, Leipzig/Mannheim, S. 28. Vgl. Giovanni di Lorenzo: Den Roten Beine gemacht, in: Süddeutsche Zeitung vom 16. Oktober 1990; Dieter Altmann: Auf Stimmenfang im Sachsenland, in: LVZ vom 12. Oktober 1990. Vgl. Wahlveranstaltungen mit Kurt Biedenkopf und überörtlichen Rednern (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Biedenkopf (2000), S. 354 f.; Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006. Artikel: Kurt Biedenkopf: Wir führen Sachsen wieder zur Spitze, in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Zeitung für Sachsen. Informationen zur Landtagswahl am 14. Oktober 1990; Rede von Kurt Biedenkopf auf dem CDU-Landesparteitag am 1. September 1990, S. 2. Wahlkampfanzeige der CDU, in: SZ vom 8. Oktober 1990. Vgl. Richter (2004), S. 650, 670; Brümmer (2006), S. 82 f. Biedenkopf hatte ebenso wie seine SPD-Kontrahentin Anke Fuchs die DDR-Staatsbürgerschaft angenommen. Vgl. Artikel: Kurt Biedenkopf: Wir führen Sachsen wieder zur Spitze, in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Zeitung für Sachsen. Informationen zur Landtagswahl am 14. Oktober 1990. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem CDU-Landesparteitag am 1. September 1990, S. 3.
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formationsprobleme geht.107 Er warb um das Vertrauen der Sachsen, vermittelte ihnen sein Verständnis für ihre Situation, sprach ihnen Mut zu, beschwichtigte ihr Misstrauen gegenüber westdeutschen Investoren und nährte Hoffnungen, indem er die Chancen der neuen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung erläuterte und vor übereifrigen Erwartungen warnte.108 Biedenkopf verdeutlichte den Menschen auch, weshalb von ihnen ein Wandel erwartet würde, weshalb sie ihr Arbeitsleben neu ausrichten müssten und dass vor ihnen eine „harte Wegstrecke“ läge.109 Er präsentierte sich zunächst als engagierter Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Je näher der CDU-Sieg rückte, umso deutlicher schlüpfte er in die Rolle des zukünftigen Amtsinhabers, umso stärker entsprang seinen Ausführungen ein „ministerpräsidentieller“ Geist.110
4.2.4 Themenkampagne Biedenkopf machte in seiner Rede auf dem 2. Landesparteitag vier Kernthemen aus, die sich wie ein roter Faden durch die Wahlkampfprogrammatik der Landespartei zogen und die die Grundlage seiner Diskussionen bildeten. Erstens gelte es, das Land Sachsen wieder zu erschaffen, die Vielfalt der Regionen zu beachten und die kommunale Ebene zu stärken. Zweitens sei die Erneuerung der Wirtschaft vor dem Hintergrund ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung voranzutreiben. Drittens müssten die Sektoren Bildung, Forschung und Entwicklung an die westlichen Standards angepasst werden. Und viertens sei es unerlässlich, auf Basis der neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Sachsen als traditionelles Kulturland wiederzubeleben.111 Gleich des gesamten Wahlkampfes war auch die Themenkampagne eine Kombination sächsischer und westdeutscher Elemente. Auf der einen Seite standen die Konzepte der Landespartei. Diese hatte im März 1990 12 Programmarbeitsgruppen berufen, die bis Juli ihre Entwürfe präsentierten und diese anschließend mit baden-württembergischen Experten überarbeiteten. Der Landesvorstand verabschiedete am 17. August das Programm mit dem Titel: „Sachsen unsere Heimat. Deutschland unser Vaterland. Europa unsere Zukunft“. Von der anderen Seite griffen die Christdemokraten auf die für alle neuen Länder einheitlich durch die CDU-Bundesgeschäftsstelle bereitgestellten Argumentationsblätter und Redevorlagen zurück.112 Die westdeutsche CDU versorgte ihre ostdeutschen Freunde mit positiven und negativen Informationen über die politische Situation, einzelne Politikfelder sowie über Personal und Themen der Gegner. Die sächsischen Kandidaten münzten die angebotenen Informationen auf die regionalen Zusammenhänge um.113 Um im Wahlkampf zielgruppenorientiert zu punkten, stellte die CDU-West ferner Flugblätter für die zentralen Politikfelder 107 108 109
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Vgl. Biedenkopf (2000), S. 305. Vgl. Friedrich Karl Fromme: Als Fremder um die Sachsen werben, in: FAZ vom 1. Oktober 1990. Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: DNN vom 13./14. Oktober 1990; Gabi Thieme: Das nächste Mal komme ich als Ministerpräsident, in: FP vom 26. September 1990. Vgl. Wolfgang Tiedke/Harald Lachmann: „Wir müssen die Blockade überwinden!“, in: LVZ vom 8. Oktober 1990; Interview mit Kurt Biedenkopf, in: DNN vom 13./14. Oktober 1990. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem CDU-Landesparteitag am 1. September 1990, S. 4 f., 9, 15 f. Biedenkopf stellte den Delegierten des Nominierungsparteitags zentrale Reden und Aufsätze zur Verfügung und steckte so seinen thematischen Wirkungsbereich ab. Vgl. Biedenkopf (2000), S. 306. Vgl. exemplarisch Informationsmaterial 0510G. Davon will die SPD heute nichts mehr wissen; Informationsmaterial 0503G. Die SPD-Konzepte taugen nichts (Archiv Klaus Reichenbach). Vgl. Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006.
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bereit; die deutsche Einheit, die Soziale Marktwirtschaft, sichere Renten und Löhne. Oft dominierten hier Floskeln („Keine Angst, der Aufschwung kommt“, „Die Perspektiven sind gut“, „Die Renten sind und bleiben sicher“).114 Im Zentrum der Themenkampagne standen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Sämtliche anderen Politikfelder wurden eng an jene gebunden. Das Bild, welches die Christdemokraten vom Zustand der sächsischen Wirtschaft zeichneten, war ambivalent. Einerseits listeten sie die negativen Resultate der kommunistischen „Misswirtschaft“ auf, erachteten „das Modell der sozialistischen Planwirtschaft“ für rundum gescheitert. Das SED-Regime habe die „Wirtschaft des Landes rücksichtslos auf Verschleiß gefahren“. Das Ergebnis seien unproduktive Arbeitsplätze, ein zerschlagener Mittelstand und entwürdigte Menschen.115 Die „sozialistische planwirtschaftliche Politik“ habe durch ihre unsinnige und extreme Zentralisierung materielle wie menschliche Substanz zerstört und sei für die „katastrophalen Umweltschäden“ verantwortlich.116 Die Schuld für die gesellschaftliche und ökonomische Misere sah die CDU einzig bei der SED. Vom früheren Bekenntnis, die Diktatur „mitgetragen“ zu haben,117 fehlte im Wahlkampf jede Spur. Andererseits konzentrierten sich die Christdemokraten auf ihre strategische Ausrichtung (Hoffnung erzeugen/Vertrauen vermitteln). Sachsen sei „kein Entwicklungsland“ und beim Aufbau der Wirtschaft müsse „nicht bei Null begonnen werden“.118 Die Beschwernisse auf dem Weg von der Kommandowirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft seien „Übergangsprobleme“119, die mit harter Arbeit gelöst werden könnten. Dabei betonte die CDU, der wirtschaftliche Zusammenbruch und die steigende Arbeitslosigkeit seien nicht das Resultat der Marktöffnung, sondern das der „sozialistischen Misswirtschaft“, deren unproduktive Beschäftigung nun offen zutage trete.120 Die Menschen könnten der neuen Wirtschaftsordnung vertrauen. Für alle, die auf dem kommenden Weg soziale Hilfe benötigten, werde gesorgt, so die CDU. Nicht nur die Gründungswelle und die geplanten Milliardeninvestitionen westdeutscher Unternehmen schafften neue Arbeitsplätze. Auch bei den ostdeutschen Großbetrieben seien die Perspektiven mehrheitlich positiv.121 Die erfolgreiche, da arbeitsplatzschaffende Politik der Bundesregierung werde nun auch in Sachsen durchgesetzt.122 Ordnungspolitisch bekannte sich die CDU zu einer „sozialen und ökologisch gebunden“ Marktwirtschaft. Diese verknüpfe „wie keine andere Wirtschaftsordnung persönliche Freiheit und soziale Verantwortung, Leistung und soziale Gerechtigkeit, wirtschaftlichen Fortschritt und Rücksicht auf die Umwelt“.123 Nach dem Credo „soviel Markt wie möglich; soviel Staat wie nötig“ müsse sich der Staat darauf beschränken, den rechtlichen Ordnungs114
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Vgl. exemplarisch Wahlkampfflugblätter: Arbeitnehmer: Keine Angst – der Aufschwung kommt; Die Renten sind und bleiben sicher (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 3, 6. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem CDU-Landesparteitag am 1. September 1990, S. 9. Vgl. die Beschlussvorlage: Programm der CDU bei der 8. Tagung des Parteivorstands am 21./22. Juli 1990, Präambel. Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 2. Wahlkampfflugblatt: Lasst euch eure Zukunft nicht kaputtreden! (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Wahlkampfflugblatt: Arbeitnehmer: Keine Angst – der Aufschwung kommt (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Wahlkampfflugblätter: Soziale Sicherheit durch Soziale Marktwirtschaft; Stoppt die Miesmacher: Die Perspektiven sind gut (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Wahlkampfflugblatt: Arbeitnehmer: Keine Angst – der Aufschwung kommt (Archiv des CDU-LV Sachsen). Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 6.
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rahmen zu setzen, die notwendige Infrastruktur bereitzustellen und durch geeignete Fördermaßnahmen auf eine regional ausgewogene Wirtschaftsentwicklung hinzuwirken. Nicht der Staat garantiere die wirtschaftliche Gesundung des Landes, sondern in erster Linie der individuelle Einsatz. Allein aus persönlicher Verantwortung, so die CDU, resultiere verantwortungsbewusstes Handeln. Der Staat könne dann seine Eingriffe minimieren. 124 Eine reine Marktwirtschaft lehnten die Christdemokraten ab. „Wir stehen dafür, dass nicht ein Extrem durch ein anderes ersetzt wird, dass unser Land jetzt nicht zum Opfer von Glücksrittern und Freibeutern wird, sondern dass die Arbeitnehmer den sozialen Schutz und die soziale Sicherheit erhalten, die ihnen zustehen. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft“.125 Die Soziale Marktwirtschaft sei das christdemokratische „Erfolgsrezept“, welches in Westdeutschland seit 40 Jahren seine „Tauglichkeit“ unter Beweis gestellt habe und nun in Sachsen Anwendung finden würde.126 Biedenkopf betonte, die soziale Dimension der Marktwirtschaft sei nicht deren „Feigenblatt“, sondern ein zentraler ordnungspolitischer Bestandteil, der jedes im Rahmen der Marktordnung in Anspruch genommene Individualrecht nach seiner Sozialverträglichkeit befrage.127 Die Zielbestimmung der CDU lautete getreu ihrer ordnungspolitischen Maxime: „Weg von sozialistischer Misswirtschaft – hin zur Sozialen Marktwirtschaft.“128 Nur eine konsequente Transformation zu einer neuen, auf privatem Eigentum basierenden, dezentralisierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung garantiere Wachstum und damit Arbeitsplätze und Wohlstand. Mithilfe von mehr Eigenverantwortung und Eigeninitiative gelte es, eine „gesunde Struktur“ kleiner, mittelständischer und großer Unternehmen zu schaffen. 129 Das ebenfalls proklamierte Ziel soziale Sicherheit, so die Lesart der CDU, setze die Soziale Marktwirtschaft voraus. „Je leistungsfähiger die Wirtschaft ist, umso sicherer ist das soziale Netz.“130 Erst eine funktionierende Ökonomie gewähre diese Sicherheit. „Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik sind für uns keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille. Nur wirtschaftliches Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg eröffnen uns neue sozialpolitische Gestaltungsmöglichkeiten.“131 Um die Soziale Marktwirtschaft konsequent durchzusetzen, plädierte die CDU für eine schnelle Dezentralisierung und Privatisierung der staats- und volkseigenen Unternehmen.132 Im landwirtschaftlichen Bereich etwa müssten sich die Produktionsstrukturen unabhängig von ihrer Eigentumsordnung vollständig an Marktbedingungen orientieren, wirtschaftlich und damit konkurrenzfähig arbeiten. Ein grundlegender Strukturwandel sei ebenso notwendig wie eine „Sicherung bzw. Wiederherstellung der privaten Eigentumsrechte an Grund und Boden“.133 Negativ wirke in diesem Zusammenhang das „Argument des Ausverkaufs“, 124 125 126
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Vgl. Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 3 f., 7. Ebd., S. 2. Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Musterrede für die Landtagswahlkämpfe in den neuen Bundesländern vom 12. September 1990, S. 8 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem CDU-Landesparteitag am 1. September 1990, S. 14. Artikel: Kurt Biedenkopf: Wir führen Sachsen wieder zur Spitze, in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Zeitung für Sachsen. Informationen zur Landtagswahl am 14. Oktober 1990. Vgl. Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 3 f; Wahlkampfflugblatt: Arbeitnehmer: Keine Angst – der Aufschwung kommt (Archiv des CDU-LV Sachsen). Wahlkampfflugblatt: Soziale Sicherheit durch Soziale Marktwirtschaft (Archiv des CDU-LV Sachsen). Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 2 f. Vgl. ebd., S. 6. Wahlkampfflugblatt: CDU an der Seite der Landwirte (Archiv des CDU-LV Sachsen); Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 9.
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welches Biedenkopf vehement anfocht. Der Grundsatz vieler Verwaltungen, man dürfe keine Grundstücke an westdeutsche Investoren veräußern, um so den Bestand an Gemeineigentum zu sichern, sei verheerend. Das obrigkeitsstaatliche Verwaltungshandeln müsse überwunden werden.134 Als primäre sektorale Maßnahme strebten die Christdemokraten an, schnellstmöglich „eine gesunde Struktur kleiner, mittelständischer und größerer Betriebe“ zu schaffen. Traditionellen Wirtschaftssektoren, etwa der zur Problembranche gewordenen Textilindustrie, sei mit „Struktur- und Überbrückungshilfen“ eine Modernisierung und eine Anpassung an die bestehenden Markterfordernisse zu ermöglichen. Gleichwohl sei eine „pauschale Konservierung bestehender Betriebe weder wirtschaftlich sinnvoll noch finanziell vertretbar“.135 Dennoch gäbe es viele erneuerungsfähige Unternehmen in Sachsen, die umstrukturiert und wettbewerbsfähig gemacht werden müssten. „Was leistungsfähig werden kann, muss erhalten werden.“136 Ansonsten setzte die CDU weniger auf den kostspieligen Erhalt von Bestehendem und mehr auf die Neuansiedlung zukunftsträchtiger Branchen. Durch eine Politik der „Insellösungen“ sollten sich in Sachsen Regionen wirtschaftlicher Stärke entwickeln, die dann auf den ganzen Freistaat ausstrahlen. Dafür galt den Christdemokraten der unverzügliche infrastrukturelle Aus- und Aufbau als bedingungslose Voraussetzung.137 Um mit der kommenden Entlassungswelle fertigzuwerden, präsentierte die CDU verschiedene arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Unter dem Motto „Es gibt [...] unendlich viele überflüssige Arbeitsplätze, aber es gibt keinen einzigen überflüssigen Menschen“138 hielt sie eine gezielte Neuausrichtung der Arbeitnehmer auf die Erfordernisse der Wirtschaft für notwendig. Jeder, der an seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr beschäftigt werden könne, müsse auf eine andere Tätigkeit vorbereitet werden.139 Die „ungeheure Fülle von Arbeit“ in Sachsen und die entstehenden Investitionen riefen Wachstum hervor und schüfen ausreichend Beschäftigung. Arbeitsplätze, so die Linie der CDU, seien schließlich Folge eines Wirtschaftsaufschwungs, nicht Resultat staatlicher Diktion.140 Die im Zuge der ökonomischen Transformation übergangsweise entstehenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme gelte es durch eine Absicherung der Arbeitslosen sowie durch Umschulungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen abzufedern.141 Um die Transformation finanzieren zu können, plädierte Kurt Biedenkopf, entgegen der generellen Linie seiner Partei, für eine unumgängliche Steuererhöhung, speziell eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, um von einer reinen Finanzierung per Neuverschuldung abzugehen.142 Seiner Meinung nach bestand die Alternative zu einer Mehrwertsteuererhö-
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Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem CDU-Landesparteitag am 1. September 1990, S. 12; Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 7. Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 4, 6. Was im ersten Jahr geschehen muss – woran wir gemessen werden, in: CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Zeitung für Sachsen. Informationen zur Landtagswahl am 14. Oktober 1990. Vgl. Edith Gierth: Spitzenpolitiker für den Sächsischen Landtag zu Gast bei der Sächsischen Zeitung, in: SZ vom 24. September 1990; Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 7 f. Wolfgang Tiedke/Harald Lachmann: „Wir müssen die Blockade überwinden!“, in: LVZ vom 8. Oktober 1990. Vgl. Was im ersten Jahr geschehen muss – woran wir gemessen werden. Vgl. Edith Gierth: Spitzenpolitiker für den Sächsischen Landtag; Rede von Kurt Biedenkopf auf dem CDULandesparteitag am 1. September 1990, S. 10. Vgl. Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990, S. 6. Vgl. ADN/dpa: Steuererhöhungen: wenn ja – für wen?, in: LVZ vom 25. September 1990.
4.2 Wahlkampf der CDU – Auf dem Weg zur Regierungspartei
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hung einzig in einem Verzicht auf „eine große Zahl liebgewordener Subventionen“143 – nach Biedenkopf ein nötiger, aber politisch nicht durchsetzbarer Schritt. Er sprach sich dafür aus, die gesamte Debatte über die Finanzierung der deutschen Einheit „vernünftiger“ zu führen und verwies auf Umfrageergebnisse, wonach die Mehrheit der Deutschen bereits mit Steuererhöhungen rechne. Zudem sollten westdeutsche Unternehmen auf die von der Bundesregierung geplante Steuerentlastung in Höhe von 25 Milliarden DM verzichten.144
4.2.5 Konkurrenzkampagne Wählerstimmenkonkurrenz drohte der CDU zunächst von der CSU-unterstützten DSU und von der FDP. Indem die Deutschsozialen offen in Richtung unzufriedener und konservativer CDU-Wähler strebten, gegen die vergangenheitsbelastete CDU agitierten und sich vollmundig mit 20 Prozent als „Volkspartei für Sachsen“ etablieren wollten, 145 zwangen sie die Christdemokraten zum Handeln. Denen kam entgegen, dass die Wahlziele der DSU ebenso unrealistisch waren, wie der personelle und inhaltliche Verfall der Partei offensichtlich. Biedenkopf betonte, die DSU sei ein politischer Wettbewerber, der bekämpft und nicht, wie von Teilen der Jungen Union und von Bundeskanzler Kohl getan, hofiert werden dürfe.146 Indem die CDU u. a. DSU-typische Konfrontationsmuster gegen SPD und PDS übernahm und einen ansonsten betont sozial-konservativen Kurs fuhr, entzog sie den Deutschsozialen ihre Agitationsbasis. Gegenüber der FDP, die fest mit der Rolle des kleinen Koalitionspartners rechnete und eine absolute Mehrheit der CDU zu verhindern suchte, vermied diese jede Koalitionsaussage.147 Ihren parteipolitischen Hauptgegner, die SPD, fassten die sächsischen Christdemokraten dennoch im Großen und Ganzen mit „Glacé-Handschuhen“148 an, bestand doch die Gefahr unangenehmer Konter hinsichtlich der eigenen Vergangenheit. Lediglich in ihrem Wahlprogramm warfen sie dem SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine Zynismus und Verantwortungslosigkeit vor. Dieser versuche, „durch maßlose Forderungen auf der einen und das Schüren von Sozialneid auf der anderen Seite unser Land sehenden Auges in ein Chaos zu stürzen“.149 Eine mögliche Koalition mit der SPD schloss die CDU aus.150 Biedenkopf agierte gegenüber seiner sozialdemokratischen Kontrahentin Anke Fuchs freundlich, aber distanziert. Er bezeichnete sie als „respektable Politikerin“, mit der er sich nicht „in die Haare kriegen“ wolle,151 betonte lediglich, Fuchs verfüge über relativ wenig öko143 144
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Gabi Thieme: Das nächste Mal komme ich als Ministerpräsident, in: FP vom 26. September 1990. Vgl. ADN/DNN: Steuererhöhungen unvermeidbar, in: DNN vom 25. September 1990. Biedenkopf widersprach mit seinen Forderungen grundlegend der Linie der Bundesregierung. Vgl. Positionen der DSU zur Landtagswahl in Sachsen vom 9. Juli 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Biedenkopf sah in der DSU-Kampagne „Für Sachsen ein Sachse“ einen Angriff gegen seine Person. Die Unterstützung der DSU durch die CSU war ihm zuwider. Vgl. Biedenkopf (2000), S. 351, 362, 381. Vgl. ADN/SZ: Sachsens Liberale wollen Regierungsverantwortung, in: SZ vom 27. August 1990; Interview mit Kurt Biedenkopf in: Günter Kaulfuhs: Deutsche Integration muss gelingen, in: DNN vom 4. September 1990. Joachim Westhoff: Eine Hanseatin und ein Pfälzer ziehen in die Sachsen-Wahl, in: Westfälische Rundschau vom 9. Oktober 1990. Wahlplattform der sächsischen CDU zur Landtagswahl 1990, S. 3. Vgl. Renate Berthold: CDU: Absolute Mehrheit bei Landtagswahl, in: SZ vom 3. September 1990. Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf in: Renate Berthold: Erst einmal Unkraut jäten, und dann säen, in: SZ vom 3. September 1990.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1990
nomische Kompetenz und wisse kaum etwas über Sachsen. Trotz einiger gemeinsamer Auftritte, etwa dem Dresdner Gespräch am 18. September, handelte es sich zwischen beiden um ein Nichtverhältnis. Fuchs habe „sehr schnell gemerkt“, so Biedenkopf später, dass sie in Sachsen kaum Chancen besäße.152 Das Verhältnis zur PDS war ignorierend und ablehnend. Man habe es, so Rasch, „vermieden, die lieben Altgenossen von der PDS nur eines Wortes zu würdigen. […] Es gab nicht die Notwendigkeit einer politischen Auseinandersetzung, es gab nur das Gebot einer sehr deutlichen Ablehnung.“153 In Gesprächsrunden der Spitzenpolitiker, in denen sich Kontakte zur PDS nicht umgehen ließen, blieb die CDU auf Distanz. Um die Erwartungen ihrer Wähler nicht zu enttäuschen, trat sie den „Kräften der alten Ordnung“ (diese umfassten mehr als die PDS) offensiv gegenüber. Sie galten der Partei als „wichtigste politische Gegner“. Insbesondere Biedenkopf wandte sich gegen alte „Seilschaften“ in den Verwaltungen und den Unternehmensführungen.154 Nicht zuletzt lenkten die Christdemokraten so auch von ihrer DDR-Vergangenheit ab. Die Materialien der CDU-Bundesgeschäftsstelle setzten indes auf intensives bundespolitisches Negative Campaigning gegen die SPD.155 Wer diese bei den ostdeutschen Landtagswahlen wähle, so die Christdemokraten, der wähle indirekt die SPD-West und damit eine Partei, die jahrelang eine „Politik der Anbiederung gegenüber der SED“ betrieben habe.156 Die Sozialdemokraten hätten die deutsche Einheit weder gewollt noch könnten sie diese gestalten. „Lafontaine hat bewiesen, dass er kein Herz für uns hat. Den Bundesbürgern hat er Angst vor der Einheit gemacht und versucht, sie gegen uns auszuspielen.“157 Mit ihren untauglichen Konzepten, welche bereits die Bundesrepublik in die Krise geführt hätten, trete die Partei jetzt in Ostdeutschland an. „Die SPD versteht nichts von der Wirtschaft. […] Nach wie vor träumt sie vom ,demokratischen Sozialismus‘. Die Soziale Marktwirtschaft […] taucht im Grundsatzprogramm der SPD nicht auf. Statt dessen beruft sie sich auf die ,Marx’sche Geschichts- und Gesellschaftslehre‘ als eine Wurzel der SPD. ,Demokratischer Sozialismus‘, ,Marx’sche Geschichts- und Gesellschaftslehre‘ hier bei uns? Nein! Uns reichts. Wir brauchen die Soziale Marktwirtschaft und keine neuen sozialistischen Experimente.“158 All jene, so die CDU, die weiterhin sozialistische Ansätze vertreten, seien dieselben, „denen es im SED-Staat am besten ging“. „Wir in der DDR haben die Nase voll von Sozialismus, roten Bonzen und Stasi. Wir wollen so leben wie unsere Landsleute im Westen. Die Wende darf nicht in Bürokratismus und Genossenfilz steckenbleiben.“159 Den scheinbaren Zusammenhang zwischen PDS und SPD vertiefte die CDU, indem sie beide als „Miesmacher“ hinstellte. „Die SED/PDS, die für die Krise verantwortlich ist und kein Interesse daran hat, dass es mit der DDR gut läuft. Und: Die SPD-Ost, die Lafontaine die Stichworte liefert, mit denen er den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland Angst vor den Kosten der Einheit macht.“ Die Christdemokraten warnten: „Vorsicht! Die 152 153
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Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf am 24. Januar 2006. Interview mit Horst Rasch am 13. Dezember 2005. So auch die Auffassung von Wolf-Dieter Beyer (Interview am 21. November 2005) und Fritz Hähle (Interview am 10. Januar 2006). Brief von Kurt Biedenkopf an die Wahlkreiskandidaten vom September 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Nach Aussage von Fritz Hähle sind die in Westdeutschland entwickelten Wahlkampfblätter von den sächsischen Kandidaten rege genutzt worden. Vgl. Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006. Vgl. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Musterrede für die Landtagswahlkämpfe in den neuen Bundesländern vom 12. September 1990, S. 8 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Wahlkampfflugblatt: Davon will die SPD heute nichts mehr wissen (Archiv des CDU-LV Sachsen). Wahlkampfflugblatt: Die SPD-Konzepte taugen nichts (Archiv des CDU-LV Sachsen). Wahlkampfflugblatt: Die „Roten Socken“ müssen weg! (Archiv des CDU-LV Sachsen).
4.3 Wahlkampf der SPD – Auf dem Weg in die Opposition
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Angstmacher gehen um. Sie verbreiten ständig Krisennachrichten. Es sind oft dieselben Sozialisten, die für die Krise verantwortlich sind.“160
4.3 Wahlkampf der SPD – Auf dem Weg in die Opposition 4.3.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten begann die SPD in der Opposition. Anfang 1989 existierte in kirchlichen Seminaren, Friedens- und Arbeitskreisen der Wunsch, die geistigen Strömungen von Teilen der Bürgerrechtsbewegung in die Form einer sozialdemokratischen Organisation zu gießen. Nach ersten Aufforderungen zum Aufbau einer sozialdemokratischen Partei, u. a. durch Martin Gutzeit und Markus Meckel, die in einem Initiativpapier Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Demokratisierung verlangten,161 gründeten am 7. Oktober 1989 in Schwante 43 Mitglieder die Sozialdemokratische Partei in der DDR. Die Neuorganisation gestaltete sich in der geduldeten Illegalität schwierig, Kontakte mussten neu geknüpft, Verbindungen konstruiert, Kommunikation etabliert werden.162 Nach Honeckers Rücktritt wurde die SDP jedoch schnell zum ostdeutschen Hauptgesprächspartner der bis dato zögerlichen SPD-West. Diese beschloss Anfang Dezember 1989 eine aktive Strukturhilfe. Westdeutsche Parteigliederungen übernahmen organisatorische Patenschaften und leisteten materielle wie personelle Aufbau- und Wahlkampfunterstützung.163 Zur ersten Delegiertenkonferenz der SDP am 13./14. Januar 1990 in Berlin war aus dem einst illegalen „Schwanter Verein“ eine beachtliche Partei mit etwa 30.000 Mitgliedern und regionalen Gliederungen erwachsen. Trotz alledem plagten die SDP weiterhin enorme Strukturprobleme. So verfügte sie beispielsweise über keinen konkurrenzfähigen hauptamtlichen Apparat.164 Die 450 Delegierten benannten ihre Partei in SPD um. Unter anderem um der Parteibasis (vor allem in den südlichen Bezirken) gerecht zu werden, formulierten sie ein Bekenntnis zur „Einheit der deutschen Nation“.165 Vor dem Hintergrund dieser Zusammenkunft, an der auch die westdeutsche SPD-Spitze um den Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel teilnahm, erlangte die SPD-Ost die von ihr dringend benötigte öffentliche Aufmerksamkeit.166 Auch wendete sich nun das Verhältnis zwischen den Parteien in Ost und West grundsätzlich ins Positive. Auf ihrem ersten Parteitag vom 22. bis 25. Februar 1990 in Leipzig verabschiedeten die Sozialdemokraten ein Grundsatzprogramm, eine Wahlplattform und ein Statut. Die nahende Volkskammerwahl zwang die Partei zu einer stärkeren Wettbewerbsorientierung. In einem verschleißenden Kraftakt konsolidierte sie ihre Bezirks- und Ortsverbände und 160 161 162
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Ebd.; Wahlkampfflugblatt: Lasst euch eure Zukunft nicht kaputtreden (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Vorstand der SPD (Hrsg.) (1991): Jahrbuch 1988-89, Bonn, S. B-14-B-19, hier S. B-14. Vgl. Gero Neugebauer (1994): Die SDP/SPD in der DDR, in: Niedermayer/Stöss (Hrsg.), S. 75-104, hier S. 75, 81, 97. Vgl. Vorstand der SPD (Hrsg.) (1991), S. B-21 f.; Heinrich Tiemann (1993): Die SPD in den neuen Bundesländern – Organisation und Mitglieder, in: ZParl 24 (1993), S. 415-422, hier S. 416. Vgl. Hans Jürgen Fink (1990): Die SPD in der DDR, in: Deutschland Archiv 23 (1990), S. 180-185, hier S. 181 f. Vgl. Karl-Heinz Kunckel (1997): Die friedliche Revolution und der Wiederbeginn des Parlamentarismus in Sachsen, in: Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.): 120 Jahre Sozialdemokratie im Sächsischen Landtag, Dresden, S. 27-34, hier S. 32. Vgl. Gero Neugebauer (1996): Die SPD, in: Niedermayer (Hrsg.), S. 41-66, hier S. 42.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1990
betrieb zugleich Wahlkampf.167 Nicht zuletzt da ihr die meisten Beobachter einen klaren Sieg prophezeiten, zeigte sie sich überzeugt, ihre einstigen südlichen Hochburgen wiedergewinnen zu können. Das Ergebnis der Volkskammerwahl (21,9 Prozent) enttäuschte die geschürten Erwartungen, brachte den Sozialdemokraten aber dennoch 88 Abgeordnete und eine Beteiligung an der Regierung de Maizière. Auf einem Sonderparteitag in Halle im Juni 1990 machte die SPD-Ost den Weg für eine deutsche Gesamtpartei frei. Die Schwesterparteien gingen am 27./28. September 1990 durch die Integration der ostdeutschen Landesverbände in einer vereinigten bundesdeutschen SPD auf. 168 In den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Dresden entstanden in den Monaten Oktober und November 1989 erste sozialdemokratische Strukturen. In Dresden gründeten SDP-Mitglieder am 16. November einen Stadtverband. Im zukünftigen Chemnitz etablierte sich Mitte Oktober zunächst eine Initiativgruppe zur Gründung der SDP, bevor sich am 31. Oktober ein provisorischer Bezirksvorstand konstituierte. In Leipzig entstanden die Sozialdemokraten am 7. November auf Kreisebene.169 „Da die Leipziger SDP bis Dezember 1989 am nachhaltigsten ihren Organisationsaufbau betrieben hatte, war sie es schließlich, die als Impulsgeber für den Auf- und Ausbau von Bezirksstrukturen in Dresden, Chemnitz und Leipzig und deren Koordinierung sowie für den Aufbau eines Landesverbands fungierte.“170 So entstanden am 6. Januar 1990 der Bezirksverband Sachsen-West (Leipzig) unter dem Vorsitz von Christian Steinbach, am 19. Januar unter Peter Adler der Bezirksverband Sachsen-Ost (Dresden) und am 10. Februar der Bezirksverband Sachsen-Süd (Chemnitz) zunächst unter Volkmar Wohlgemut, später unter Michael Lersow. Nach dem Volkskammerwahlkampf entwickelte die Landespartei ihre Strukturen. Ab 24. März widmete sich eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern aller drei Bezirksverbände, dem organisatorischen Aufbau durch eine Zusammenführung der drei Parteibezirke. Auf dem Chemnitzer Gründungsparteitag am 26. Mai 1990 konstituierte sich der sächsische SPD-Landesverband unter dem Motto „Für Sachsen in Deutschland die Zukunft gestalten“. Erster Landesvorsitzender wurde Michael Lersow. Er konnte sich unter den 156 Delegierten im zweiten Wahlgang gegen den favorisierten Volkskammerabgeordneten Karl-Heinz Kunckel, der neben Johann Kehl zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt wurde, durchsetzen. 171 Mit dem Parteitag und dem gegründeten Landesverband hatte sich die SPD von einem Nichts in eine einigermaßen tragbare Ausgangsposition für den kommenden Landtagswahlkampf manövriert.172 Obwohl das Statut Dresden als Sitz des Landesverbands festlegte, blieb die Landesgeschäftsstelle zunächst in Chemnitz. Erster Geschäftsführer wurde Lutz Kätzel. Massive Mitgliederzuwächse erwartend, war der neue Landesverband nach nordrhein-westfälischem Vorbild als eine Art „Dachorganisation“ ohne „finanzielle, personelle und politische Hoheit“ konzipiert. Seine Aufgabe bestand darin, die „Arbeit der Landtagsfraktion zu unterstützen, die Zusammenarbeit der Bezirksverbände zu stärken und den
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Vgl. Tiemann (1993), S. 416; Neugebauer (1996), S. 42. Vgl. Jürgen Faulenbach (1990): Nach Jahrzehnten wieder eine Partei. Der Vereinigungsparteitag der SPD, in: Deutschland Archiv 23 (1990), S. 1665-1667. Vgl. Mike Schmeitzner/Michael Rudloff (2000): Die Wiederbegründung der sächsischen SPD, in: Dies. (Hrsg.), S. 14-26, hier S. 12-15. Dies. (1997), S. 150. Vgl. ebd., S. 152-154; dies. (2000), S. 23. Vgl. Michael Lersow (2000): Von der Bürgerbewegung in die Parteistruktur der SPD, in: Schmeitzner/Rudloff (Hrsg.), S. 27-40, hier S. 39.
4.3 Wahlkampf der SPD – Auf dem Weg in die Opposition
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Landtagswahlkampf der SPD zu organisieren“.173 Zum Jahreswechsel 1990/91 verfügte er über gerade einmal 4.300 Mitglieder. Die Sozialdemokraten befanden sich in einem Dilemma. Ohne funktionierende Organisation konnten keine Mitglieder gewonnen und gebunden, und ohne ausreichend Mitglieder konnte keine Organisation aufgebaut werden. Dass man früheren SED-Angehörigen, die erst nach dem 7. Oktober 1989 die Einheitspartei verlassen hatten, die Aufnahme verweigerte, verschärfte die Situation. Die Furcht der SPD, durch Masseneintritte ehemaliger SED-Mitglieder, majorisiert werden zu können, war zu diesem Zeitpunkt übermächtig, in Teilen berechtigt.174 Wie die ostdeutsche SPD insgesamt war auch die sächsische SPD ein „Geschöpf der Intelligenz“.175 Ihre Mitglieder rekrutierte sie überwiegend aus dem links-intellektuellen Alternativmilieu ehemaliger DDR-Naturwissenschaftler, aus Ingenieuren und Technikern, aus Lehrern und kirchlichen Berufen.176 Ihre traditionelle Lebensader, die Arbeiterschaft, konnte die Partei weder als Mitglieder noch als Wähler in ausreichendem Maße gewinnen. Ebenso blieb der „erwartete Zulauf von alten Sozialdemokraten bzw. deren Kindern oder Enkeln“177 aus. Die Landespartei wies laut Christian Demuth einen „Doppelcharakter“ auf. Einerseits war sie eine sozialdemokratische Partei mit einer langen sächsischen Traditionslinie, einer in Teilen an die bundesdeutsche SPD angelehnten Programmatik und einer klaren Position im Parteienwettbewerb. Andererseits trug sie Züge einer Bürgerbewegung, die einen basisdemokratischen, konsensorientierten Politikansatz pflegte und die mit der klassischen „Arbeiterpartei“ nur wenig verband.178
4.3.2 Konzeptioneller Rahmen Bisherigen SPD-Wahlkämpfen mangelte es hauptsächlich an einem einheitlichen Konzept. Dazu kamen die unvollständigen Organisationsstrukturen, die sich in erster Linie in Form fehlender Mitglieder und Kandidaten sowie einer ungenügenden Finanzausstattung begründeten. Neben einem vermehrten Strukturaufbau und der intensiveren Mitgliederwerbung setzte die Partei nach den Kommunalwahlen auf eine stärkere Koordination ihrer Wahlkampfaktivitäten, z. B. vereinheitlichte sie ihre Wahlkampfmaterialien.179 Mit der Konstituierung des Landesverbands und der Einrichtung einer Landesgeschäftsstelle hatte die SPD im Frühsommer 1990 die für einen Landtagswahlkampf notwendigen Organisationsstrukturen geschaffen respektive aus Westdeutschland importiert. Am 25. Juni 1990 begann der Landesvorstand mit den Kampagnenvorbereitungen. Als Wahlkampfleiter stand der Leipziger Bezirksgeschäftsführer Nikolaus Voss einer zentralen Wahlkampfkommission vor, bestehend aus Vertretern der drei Bezirksverbände und der westdeutschen Partnerverbände. Diese hielt engen Kontakt zur zentralen Berliner Wahl173 174
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Schmeitzner/Rudloff (1997), S. 154. Vgl. Schmeitzner/Rudloff (2000), S. 26; Walter (1993), S. 36; Interview mit Peter Adler am 6. Dezember 2005; Interview mit Dieter Häcker am 9. Dezember 2005. Franz Walter (1993): Sachsen und Thüringen: Von Mutterländern der Arbeiterbewegung zu Sorgenkindern der SPD. Einführung und Überblick, in: Ders. u. a. (1993), S. 11-38, hier S. 34. Vgl. Tiemann (1993), S. 419. Walter (1993), S. 34. Vgl. Christian Demuth (2006): Die SPD in Sachsen, in: Ders./Lempp (Hrsg.), S. 145-169, hier S. 147. Vgl. ADSD 3/SN AF 000020 Protokoll zur Sitzung des Bezirksvorstands am 7. Mai 1990, S. 1; ADSD 3/SN AB 000087 Beschlussvorlage 4 des Landesvorstands am 25. Juni 1990.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1990
kampfplanungsgruppe und kümmerte sich um Werbemittel, Veranstaltungen oder Rednereinsätze.180 Die technische Wahlkampfleitung übernahm die durch westdeutsche Profis unterstützte Landesgeschäftsstelle. Die dezentrale Ausführung oblag den Bezirksgeschäftsstellen. Eine Landeswahlkampfkonferenz diente der Information und Absprache aller Beteiligten mit den Unterbezirken. Über allem fungierte eine politische Wahlkampfleitung unter der Spitzenkandidatin und dem Landesvorsitzenden.181 Mithilfe der SPD-West, speziell der Bonner Bundesgeschäftsstelle und dem Landesverband Nordrhein-Westfalen, waren seit Ende Januar 1990 die technischen, organisatorischen und personellen Strukturen der sächsischen SPD ausgebaut worden.182 Nach dem Volkskammerwahlkampf hatten sich vor allem auf Bezirksebene Kooperationen entwickelt.183 Hatte die SPD-West der ostdeutschen SPD bereits im Volkskammerwahlkampf in großem Stil erfahrene Wahlkämpfer und Politikberater sowie Wahlkampfmaterial und Werbeagenturen vermittelt,184 tat sie dies nun erneut. Die nordrhein-westfälischen Genossen unterstützten die sächsischen Unterbezirke auch im Landtagswahlkampf – ob in Form von Wahlkampfhelfern, Fahrzeugen, Druckmaschinen, Schulungs- und Bildungsangeboten, bei der Veranstaltungsorganisation und -durchführung oder im Umgang mit der Presse.185 Der finanzielle, materielle und personelle Umfang lässt sich heute nicht mehr beziffern. „Die von der SPD-West tatsächlich insgesamt geleistete logistische und materielle Hilfe lässt sich nicht quantifizieren, sondern nur aus Empfängersicht anekdotisch belegen. Viele Unterstützungsbeziehungen entwickelten sich ohne Kenntnis des Vorstands auf den unteren Ebenen über Partnerschaften zwischen Landes-, Bezirks und Ortsverbänden.“186 Obwohl die ostdeutschen Landesverbände für die eigenen Landtagswahlkampagnen keine Vorgaben aus Berlin oder Bonn erhielten,187 erfolgte die Planung der zentralen Werbekampagne im Wesentlichen kooperativ. Von Berlin aus schaltete die SPD-Ost Anzeigen in allen überregionalen Tageszeitungen, produzierte Fernseh- und Rundfunkspots sowie Plakatkampagnen.188 Den Landesparteien oblag in erster Linie der Wahlkampf für die Spitzenkandidaten, die lokale Kampagnenorganisation sowie die Veranstaltungsorganisation.189 180 181
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Vgl. ADSD 3/SN AB 000087 Protokoll zur Landesvorstandssitzung am 25. Juni 1990. Vgl. ADSD 3/SN AB 000087 Beschlussvorlage 13 des Landesvorstands am 25. Juni 1990; ADSD 3/SN AB 000315 Organisationsplan – Landtagswahlkampf Sachsen; ADSD 3/SN AB 000090 Protokoll der Landeswahlkonferenz am 22. Juli 1990 in Leipzig, S. 1. Vgl. Schmeitzner/Rudloff (1997), S. 156. Vgl. Lersow (2000), S. 32. Der Bezirk Niederrhein arbeitete mit Chemnitz zusammen, die Leipziger SPD hielt Kontakt zum Unterbezirk Westliches Westfalen und Dresden kooperierte mit dem baden-württembergischen Landesverband. Vgl. Interview mit Dieter Häcker am 9. Dezember 2005. Vgl. Kloth (2000), S. 707. Vgl. ADSD 3/SN AF 000020 Protokoll zur Vorstandssitzung am 7. Mai 1990, S. 4; ADSD 3/SN AF 000073 Kommunikationsmodell für den Wahlkampf. Kloth (2000), S. 705. Die SPD-Zentrale, so Lutz Kätzel, habe den Landesverband keinesfalls bevormunden wollen. Während die Bonner und Berliner Genossen ständig betont hätten, die sächsische SPD müsse wissen, was sie wolle, hätte die wiederum nicht alles erkennen können. Vgl. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006. Vgl. ADSD 3/SN AB 000315 Vermerk von Arnold Knigge zum Landtagswahlkampf in Sachsen; ADSD 3/SN AB 000087 Protokoll zur Landesvorstandssitzung am 13. August 1990, S. 1. Der Rechenschaftsbericht der SPD 1990 beziffert die Summe aller Ausgaben für den Landtagswahlkampf auf 4.884.000 DM. Die Finanzplanung für den Landtagswahlkampf sah insgesamt Ausgaben von 1,84 Millionen DM vor, davon 452.000 DM für den Wahlkampf innerhalb des Landesverbands sowie 1.088.000 DM für zentrale Projekte der Berliner Parteiführung und der West-Berliner Werbeagentur RSCG, Schäfer, Bellot. In der eigenverantwortlichen Nutzung durch den Landesverband lagen 300.000 DM. Vgl. SPD. Rechenschaftsbericht 1990, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 12. Wahlperiode, 12/2165 vom 26. Februar 1992,
4.3 Wahlkampf der SPD – Auf dem Weg in die Opposition
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Zahlreiche Werbematerialien entstanden in „Handarbeit“. Auf Briefbögen des Bundesvorstands getippte Wahlkampfeinladungen, ergänzt durch Handschriftliches, waren in den Wahlkreisen an der Tagesordnung.190 Der siebenwöchige Wahlkampf erfolgte in drei Phasen. Die Planungsphase seit Anfang Juni umfasste den Aufbau der Organisation, die Ausarbeitung der Strategien und Programme sowie die Kandidatenbesetzung. In einer zweiten Phase, beginnend am 21. August, machte sich Anke Fuchs auf ihrer „Sachsentour“ in und mit Sachsen bekannt. Ziel war die Mobilisierung der Partei. In der dritten Phase, der eigentlichen Wahlkampfphase, gewannen alle Aktivitäten, speziell die Großveranstaltungen, an Tempo. Mit ihrem Parteitag in Görlitz am 1. September, der Eröffnung des Landtagswahlkampfes am 5. September in Freiberg und der am 24. September beginnenden zweiten Wahlkampftour der Spitzenkandidatin startete die SPD die heiße Phase.191 Die Einsätze prominenter Spitzenpolitiker der SPD-Ost sowie prominenter Bundes- und Landespolitiker der SPD-West, etwa des Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine, erreichten ihren Höhepunkt. Die sozialdemokratische Strategie wurde von den bisherigen Wahlergebnissen geleitet.192 Die rigide Bejahung der Wiedervereinigungsfrage durch die CDU und die vielfache Assoziation der SPD mit sozialistischen Vorstellungen hatten dieser ihre zentrale Zielgruppe, die Arbeiter, entzogen und das Vertrauen der Wähler in die Problemlösungskompetenz der Partei beschädigt. Der Wahlkampf sollte beides zum Guten wenden.193 Der Vorsitzende des Bezirksverbands Sachsen-West Karl-August Kamilli erklärte: „Wir müssen jetzt viel mehr als bisher mit den Arbeitern in Kontakt kommen, uns stärker zu sozialdemokratischen Traditionen bekennen. Aus Scheu in die Ecke der PDS gestellt und als ,Rote’ beschimpft zu werden, hat sich die SPD da zu sehr zurückgehalten.“194 Um in der Wählerschaft das dringend benötigte Vertrauen aufzubauen, betonten die Sozialdemokraten in einer ausgeprägten Kompetenzkampagne ihr Können und Wissen bei der „Gestaltung der Alltagsprobleme in Deutschland“.195 Geschickt verdeutlichten sie (vermeintliche) Kompetenzen und Erfolge der SPD-West im Krisenmanagement wirtschaftlicher Transformationszentren und übertrugen diese Muster auf Sachsen.196 Obwohl 1990 auf sächsischer Landesebene eine Rollenunterscheidung in Regierungs- und Oppositionspartei fehlte, griff die Landespartei auf Elemente einer traditionellen Regierungsstrategie zurück. Sie verwies retrospektiv auf das Wirken der SPD in der Regierung de Maizière, thematisierte die Arbeit ihrer Volkskammerfraktion und nutzte die Regierungsbilanzen prominen-
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S. 214 f.; ADSD 3/SN AB 000087 Vorlage zur Sitzung des Landesvorstands Sachsen der SPD am 13. August 1990; ADSD 3/SN AB 000315 Vorlage für die Sitzung des Landesvorstands am 28. August 1990. Vgl. Interview mit Hans-Jürgen Richter am 10. Februar 2006; Interview mit Klaus Schneider am 24. November 2005. Vgl. ADSD 3/SN AF 000064 Brief des Landeswahlkampfleiters Nikolaus Voss an die Lahnstein AG vom 20.08.1990; ADSD 3/SN AB 000315 RSCG Schäfer Bellot: Zeitplan Sachsen; EB: Sächsische SPD begann offiziellen Wahlkampf, in: Die Union vom 6. September 1990. Vgl. ADSD 3/SN AF 000020 Protokoll der 3. Tagung des Bezirksvorstands Chemnitz der SPD am 12. März 1990, S. 2 sowie Protokoll zur Bezirksklausur der Geschäftsführer am 25. April 1990 in Chemnitz, S. 1 f. Vgl. ADSD 3/SN AF 000020 Protokoll zur Vorstandssitzung am 7. Mai 1990, S. 2. Karl-August Kamilli zitiert nach: Anita Kecke: Wir kassieren Ohrfeige um Ohrfeige, in: LVZ vom 2. Oktober 1990. Vgl. ADSD 3/SN AB 000090 Protokoll der zweiten gemeinsamen Sitzung von Planungsgruppe und Technischer Wahlkampfleitung am 29. August 1990, S. 2. Vgl. ADSD 3/SN AB 000090 Protokoll der Landeswahlkonferenz am 22. Juli 1990 in Leipzig, S. 1.
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ter westdeutscher Politiker wie Oskar Lafontaine, Helmut Schmidt und Johannes Rau, um sich als potenzielle Regierungspartei zu positionieren. Ihr Ziel war es, einen Wählerentscheid darüber herbeizuführen, wer Sachsen künftig regieren soll. Zwei Faktoren musste die sächsische SPD hierbei vermeiden: ein Landtagsvotum aus Gründen der Zufriedenheit mit der Bundesregierung und eine vorgezogene Bundestagswahlentscheidung im Rahmen der Landtagswahl. Sie ließ daher nichts unversucht, den Wählern die Relevanz der Landesebene und die traditionelle Kompetenz der SPD als Landesregierungspartei zu verdeutlichen. Der Fokus der Menschen sollte von der Bundesebene weggeführt und auf das künftige Land Sachsen gerichtet werden. In der Sprache des Wahlkampfes klang dies wie folgt: „Wir haben am Sonntag die Chance über unsere Zukunft selbst zu entscheiden. Diese Chance müssen wir nutzen. Beide Stimmen für die SPD. Damit es endlich vorangeht bei uns in Sachsen. Und den Bundeskanzler wählen wir am 2. Dezember!“197 Parallel dazu zielte ein umfassendes Negative Campaigning der Bundespartei darauf ab, den positiven Einfluss der Bundesregierung, speziell den von Helmut Kohl, zu durchbrechen.198 Sämtliche demoskopischen Erhebungen im Vorfeld der Landtagswahl signalisierten einen deutlichen christdemokratischen Vorsprung.199 Wie Anke Fuchs später bemerkt, gab es an einem Wahlsieg der CDU „zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel, nur über die Höhe hatten die Wähler noch zu entscheiden“.200 Zumindest eine absolute CDU-Mehrheit bzw. eine Koalition der „bürgerlichen“ Parteien schien abwendbar, eine Große Koalition wegen der verhältnismäßigen Stärke der SPD realistisch. Ziel der Sozialdemokraten war es folglich, ein CDU-Ergebnis von über 40 Prozent zu verhindern und so eine Große Koalition mit der SPD zu erzwingen. In einer Mischung aus Programmverwirklichung und Stimmenmaximierung zielte die Partei darauf, ihre Konzepte nach dem 14. Oktober in einer Regierungsbeteiligung umsetzen zu können. Obwohl die SPD offiziell betonte, stärkste Partei werden zu wollen und sie um die Ministerpräsidentschaft kämpfte, rechnete die Landesführung intern mit einem Ergebnis von 25 Prozent.201 Als sich schließlich die Umfragen für die SPD verschlechterten und Anfang Oktober die CDU mit 47 zu 18 Prozent führte,202 ersetzten die Sozialdemokraten ihre Koalitionsstrategien durch eine Offensivstrategie.
4.3.3 Imagekampagne Die sächsische SPD hatte gravierende Imageprobleme. Obwohl in entschiedener Gegnerschaft zum DDR-System und zur SED gegründet, war es ihr nicht gelungen, das Bild einer neuen, SED und PDS ablehnenden Partei in den Köpfen der Wähler zu verankern. Innerparteilich fehlte es neben eigentlich sozialdemokratischen Ziel- und Wertvorstellung besonders an einer formalen Sprach- und Parteigestaltung. Frühere Symboliken und zentrale Termini 197 198
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Wahlkampfanzeige der SPD, in: DNN vom 13./14. Oktober 1990. Vgl. ADSD 3/SN AB 000064 10. Wahlschnellbrief; ADSD 3/SN AB 000090 Protokoll der zweiten gemeinsamen Sitzung von Planungsgruppe und Technischer Wahlkampfleitung am 29. August 1990, S. 2. Vgl. ADSD 3/SN AB 000315 Zentralinstitut für Jugendforschung. Information Parteipräferenzen Landtagswahlen. Anke Fuchs (1991): Mut zur Macht. Selbsterfahrung in der Politik, Hamburg, S. 178. Vgl. Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006. Joachim Westhoff: Eine Hanseatin und ein Pfälzer ziehen in die Sachsen-Wahl, in: Westfälische Rundschau vom 9. Oktober 1990.
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der Sozialdemokratie, etwa rote Fahnen oder die Anrede „Genosse“, waren bei zahlreichen Mitgliedern verpönt, gesellschaftlich weitgehend diskreditiert oder wurden von der PDS weitergeführt. Obwohl der Sozialismusbegriff bei einem Großteil der SPD-Wähler zur Volkskammerwahl auf positive Resonanz gestoßen war,203 lehnte ihn die Arbeiterschaft mehrheitlich ab. Die Sozialdemokraten ersetzten daher im Wahlkampf das Wort „Sozialismus“ durch „Solidarität“ und präsentierten sich als „Partei der sozialen Gerechtigkeit“, als „Partei der sozialen Kompetenz“.204 Ziel der Imagekampagne war es, „die SPD als unbelastet, kompetent und fortschrittlich darzustellen“. Sie sollte den Wählern als Partei erscheinen, die sich „um die konkreten Lebensverhältnisse kümmert“ und aus ihrer Erfahrung heraus über die richtigen Rezepte zur Lösung der Transformationsprobleme verfügt.205 Schließlich wusste die SPD, dass ihr die Wähler einzig auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine ähnlich hohe Kompetenz wie der CDU zusprachen. Sie präsentierte sich daher als Partei, die mehr als andere davon verstehe, die „Zukunft sozial zu gestalten“.206 Nur sie sei die „Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“.207 Ferner lehnten sich die Sozialdemokraten mit ihrem Leitslogan „Uns geht’s um Sachsen“ an die revitalisierte sächsische Identität an und begegneten so dem geläufigen Anwurf, es handele sich bei ihnen um einen reinen Westimport. Sie beschworen ihren Einsatz für das künftige Land („Unser Sachsen“) und präsentierten sich – u. a. indem sie das Sachsenwappen verwendeten – als mit Sachsen eng verbundene Kraft. Um landespolitische Kompetenz auszudrücken und gewissermaßen ein Parteiimage zu importieren, verwies die SPD auf Länder wie Nordrhein-Westfalen oder das Saarland, welche von sozialdemokratischen Regierungen „erfolgreich aus bedrohlichen Wirtschaftskrisen geführt wurden“.208 „Was viele bei uns nicht wissen: Die Mehrheit der westdeutschen Bundesländer wird von der SPD regiert. […] Die Wählerinnen und Wähler dort wissen aus Erfahrung: Das sichert wirtschaftlichen Aufschwung bei sozialer Gerechtigkeit.“209 SPDLandesregierungen hätten „aus wirtschaftlichen Krisengebieten eine blühende Heimat für alle gemacht. Mit einer florierenden Wirtschaft, guten Arbeitsplätzen und einer sauberen Umwelt“. Zwar sei dies „nicht von einem Tag zum anderen erreicht worden“, der bisherige Weg aber wirtschaftlich sinnvoll und sozial verträglich gewesen. 210 Die Schlussfolgerung der Partei war: „Dieses Erfolgsmodell brauchen wir jetzt auch in Sachsen.“211 Indem die SPD die Politik ihrer westlichen Landesregierungen pries, demonstrierte sie Regierungskompetenz auf Landesebene. Ihren (im Unterschied zur CDU) fehlenden Regierungsbonus auf Bundesebene kompensierte sie u. a. mit Hinweisen auf die Relevanz des Bundesrats.
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Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990a), S. 21. Vgl. Interview mit Peter Adler am 6. Dezember 2005; ADSD 3/SN 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90. Vgl. ADSD 3/SN AB 000090 Protokoll der zweiten gemeinsamen Sitzung von Planungsgruppe und Technischer Wahlkampfleitung am 29. August 1990, S. 2. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Bundesländer; Soziales. Wahlprogramm der sächsischen SPD zu den Wahlen zum Sächsischen Landtag 1990. Uns geht’s um Sachsen, S. 2. ADSD 3/SN 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90. ADSD 3/SN AF 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Bundesländer. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfzeitung Sachsen unsere Heimat. Informationen für die Bürger in Sachsen. ADSD 3/SN AB 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90.
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Sie vermittelte, die SPD regiere in der Bundesrepublik via Bundesratsmehrheit mit. Denn: „Ohne den Bundesrat läuft in Bonn nichts“.212 Ebenso wie es dem Landesverband an einem identitätsstiftenden Erscheinungsbild fehlte, mangelte es ihm an bekannten Persönlichkeiten. Ob Lersow oder Kunckel, von den führenden sächsischen Sozialdemokraten wusste die Bevölkerung nur wenig. Deshalb und wegen der Rivalitäten zwischen den drei Parteibezirken kam es zu Unstimmigkeiten bei der Besetzung der Spitzenkandidatur.213 Eine knappe Mehrheit des Landesvorstands vertrat die Ansicht, anstatt eines Eigengewächses einen „prominenten“ Westdeutschen als Wahlkampfspitze anzuwerben. Vor allem die Leipziger Parteifreunde zeigten sich nach dem Erfolg des Hannoveraners Hinrich Lehmann-Grube bei der Bürgermeisterwahl davon überzeugt, dass die SPD dort erfolgreich sein könne, wo westdeutsche Kandidaten antreten.214 Der Landesvorstand präferierte daher den früheren Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi vor der SPD-Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs und dem nordrhein-westfälischen Sozialminister Hermann Heinemann. Als keiner dieser Kandidaten einwilligte, beschloss der Landesparteirat eine Spitzenkandidatur des Landesvorsitzenden. Auf den Listenplätzen zwei und drei folgten Kunckel und Kehl. Dieses „rein sächsische“ Arrangement kippte am 6. August, als Anke Fuchs nach Beratungen im engen Familienkreis und auf Drängen Lafontaines ihre Absage plötzlich revidierte.215 Am 13. August einstimmig durch den Landesparteirat zur Spitzenkandidatin ernannt, präsentierte sie sich bereits einen Tag später und zum Unmut der Landesparteiführung, die ihre Kandidatur zunächst geheim halten wollte, der Öffentlichkeit.216 Der Sonderwahlparteitag in Görlitz am 1. September bestätigte Fuchs mit 83 von 85 Stimmen. Dass ihre Kandidatur eine vom Landesvorstand legitimierte Landesliste umstieß, und Viele an der Freiwilligkeit ihres Engagements zweifelten, erzeugte eine gewisse Unzufriedenheit in der Landespartei. Indes bestanden für Anke Fuchs auf ihrem sächsischen „Ausflug“ zwei Gewissheiten. Zum einen verband sich mit ihrer Spitzenkandidatur kein persönliches Risiko, besaß sie doch mit ihrem sicheren Bundestagsmandat eine „Rückfahrkarte nach Bonn“. Zum anderen waren für die SPD die Chancen, die zukünftige Ministerpräsidentin zu stellen äußerst gering. Fuchs wusste, in Sachsen „keine Lorbeeren ernten“ zu können.217 Ihre Imagekampagne verfolgte mehrere Ziele. Zunächst galt es, die Spitzenkandidatin noch vor Einsetzen der heißen Wahlkampfphase inner- und außerparteilich bekannter zu machen und ihr das „fremde“ Sachsen näherzubringen.218 In einer improvisierten „Sachsentour“ reiste sie begleitet vom Landesvorsitzenden und dessen Stellvertretern ab 21. August 1990 durch die drei Bezirke. Fuchs, die zum Verdruss der sächsischen Genossen öffentlich angekündigt hatte, nach einer verlorenen Wahl nach Bonn zurückzukehren, zeigte sich im Wahlkampf zuversichtlich. Sie suchte vorrangig Kontakt zu den Arbeitern.219 Sie besichtig212
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ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfzeitung Sachsen unsere Heimat; vgl. auch Wahlkampfanzeige der SPD, in: LVZ vom 8. Oktober 1990. Vgl. ADSD 3/SN AB 000087 Protokoll zur Bezirksvorstandssitzung Chemnitz am 7. Mai 1990, S. 2; Richter (2004), S. 667 f. Vgl. Interview mit Dieter Häcker am 9. Dezember 2005. Vgl. die breiten Ausführungen von Richter (2004), S. 667-669. Lersow ist überzeugt, dass Fuchs auf direkte Anweisung von Lafontaine handelte. Vgl. Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006. Vgl. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006. Vgl. Richter (2004), S. 669; Fuchs (1991), S. 174-177. Vgl. Karl Fromme: Die Sozialdemokraten in einer alten Domäne, in: FAZ vom 6. Oktober 1990. Vgl. Schmeitzner/Rudloff (1997), S. 156; Protokoll zur Sitzung des Landesvorstands am 18. September 1990, S. 1; Harald Lachmann: Langer Weg zu den Arbeitern, in: LVZ vom 14. September 1990.
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te u. a. den Musikinstrumentenbau in Klingenthal, den Fahrzeugbau in Zwickau, den Maschinenbau in Chemnitz, sprach mit Vertretern der Sorben oder traf Angehörige der Nationalen Volksarmee. Die „Sachsentour“ endete am 13. September mit der Präsentation des Regierungsprogramms durch die Kandidatin.220 Anke Fuchs war im „Duell der Zugereisten“221 ihrem christdemokratischen Gegenüber (bedingt) unterlegen. Etwa drei Viertel der Wahlberechtigten kannten sie, ihre Beurteilung auf einer Skala von -5 bis +5 erreichte mit 1,2 einen guten Wert. Sie genoss eine beachtliche öffentliche Wertschätzung und war den eigenen Mitgliedern sympathisch. Immerhin ein Drittel der Sachsen wollte sie als Ministerpräsidentin.222 Ein weiteres Ziel der Imagekampagne war daher, die persönlichen Kompetenz- und Vertrauenswerte der Kandidatin zu erhöhen. Fuchs sollte Problemlösungskompetenz, Managerfähigkeit sowie Vertrauenswürdigkeit beweisen und gleichzeitig durch ihre bundespolitische „Rückendeckung“ ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Als SPD-Bundesgeschäftsführerin und Bundestagsmitglied, Volljuristin, ehemaliges Vorstandsmitglied der IG Metall sowie ehemalige Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit besaß sie ausreichend politische Meriten. Die Kampagne präsentierte sie entsprechend im Stil einer Amtsinhaberin. Plakate und Broschüren titelten: „Unsere Ministerpräsidentin Anke Fuchs“.223 Fuchs wurde mit „Erfahrung und Mut“ verbunden, als „stark“, „erfolgreich“, „sportlich“ und als „unsere ganze Hoffnung“ bezeichnet. Die Spitzenkandidatin besitze „Durchsetzungskraft“, „Augenmaß“ und „Sachkompetenz“. Sie sei eine der „erfahrensten Politiker in Deutschland“,224 die ihre „ganze Kraft für die Zukunft dieses Landes zur Verfügung“225 stellen werde. Die SPD war sich sicher: „Anke Fuchs wird dafür sorgen, dass Sachsen wieder ein blühendes Land wird.“226 In TestimonialAnzeigen warben Bundespolitiker (z. B. Willy Brandt) um Vertrauen für die Kandidatin. Ihr früherer Dienstherr, Helmut Schmidt, hob ihre Verlässlichkeit und Einsatzbereitschaft hervor. Er versicherte, sie im Fall eines Wahlerfolgs zu unterstützen. Sie habe, so Schmidt, „das Zeug“ zur Bundeskanzlerin.227
4.3.4 Themenkampagne Im Mittelpunkt des SPD-Themenwahlkampfes standen die Themen Wirtschaft, speziell Arbeitsplätzen zu sichern und zu schaffen, sowie Soziales und Umwelt – verbunden in der seit Beginn des Jahres 1990 verwendeten Formel von der „ökologisch orientierten, sozialen Marktwirtschaft“. „Jetzt geht es vorrangig darum, wer die Probleme der Menschen am Arbeitsplatz, in ihrer Umwelt und im sozialen Bereich lösen kann. […] Diese Aufgaben
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Vgl. ADSD 3/SN AB 000090 Anke Fuchs für Sachsen – Sachsentour vom 21. August-13. September 1990; ADSD 3/SN AB 000315 Anke Fuchs für Sachsen. Sachsentour – Teil II vom 3.-13. September 1990. Axel Vornbäumen: Wahlkampf der tausend Gespräche, in: FR vom 13. Oktober 1990. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990b), S. 169; Koch/Niedermayer (1991), S. 29. Exemplarisch ADSD 3/SN AF 000064 Wahlkampfplakat. Auch: „Dafür arbeitet unsere Ministerpräsidentin Anke Fuchs“ (ADSD 3/SN 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90). ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Wirtschaft; Wahlkampfzeitung der SPD, Extra Blatt für Sachsen, Oktober 1990; SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90. ADSD 3/SN AB 000090 Kandidatenprospekt Anke Fuchs. Wahlkampfanzeige der SPD, in: FP vom 11. Oktober 1990. Vgl. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfzeitung der SPD, Extra Blatt für Sachsen, Oktober 1990; Wahlkampfinformationsmaterial Helmut Schmidt: Vertrauen für Anke Fuchs.
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sind bei der SPD am besten aufgehoben.“228 Um die landespolitische Programmatik zu fundieren, setzte der Landesvorstand zehn Arbeitskreise ein. Verantwortlich für die Erarbeitung der Wahlplattform waren Lersow und Kunckel. Vorgaben aus Berlin oder Bonn existierten nicht, der Schwerpunkt war landespolitisch.229 Nach einer innerparteilichen Diskussionsphase stimmte der Parteitag dem Programmentwurf am 1. September zu. Das Programm war den Kandidaten eine argumentative Richtschnur. 230 Im Gegensatz zum qualitativ hohen Anspruch des Wahlprogramms, welches prospektiv ausgerichtet war und die zentralen politischen Vorstellungen der sächsischen SPD zum Ausdruck brachte, verloren sich die zahlreichen, vornehmlich aus der Feder der Bundespartei stammenden Werbematerialien in platten Slogans und Gemeinplätzen. Gleich den Christdemokraten warb die Landespartei im großen Stil mit Programmmaterial, das nicht von ihr geschrieben war. Zum Beispiel sprachen ihre Materialien zur Sozialpolitik von „Aufschwung und Arbeit für alle“, „Mietzuschüssen und Wohngeldern“, einer Rentenerhöhung und von der Verbesserung der Bedingungen in den Alten- und Pflegeheimen.231 Am ausgiebigsten widmete sich der sozialdemokratische Themenwahlkampf der ökonomischen Transformation und damit der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Die SPD-Botschaft lautete unmissverständlich: „Wenn Sozialdemokraten regieren, braucht niemand Angst vor der Marktwirtschaft zu haben.“232 Die Partei präsentierte sich als kompetente und vertrauenswürdige Kraft, die die Ängste der Menschen kenne und Lösungsvorschläge bereithalte. Schließlich gehe es darum, so Fuchs, die „Umbrüche so zu gestalten, dass die Menschen nicht unter die Räder geraten“.233 Die Situationsanalyse war kurz, aber eindeutig. Sachsen stehe ökonomisch vor einem „katastrophalen Erbe jahrzehntelanger SED-Politik“.234 Die Kommunisten hätten das Land „herabgewirtschaftet“ und eine „marode Wirtschaft“ sowie eine „geschändete Umwelt“ hinterlassen. 235 Die Mehrzahl der Betriebe sei „nicht wettbewerbsfähig“236 und verfüge „über weitestgehend verschlissene Produktionsanlagen“237. Die „verfehlte Wirtschaftspolitik“ der DDR habe nur an Produktionszahlen gedacht und dabei die Umwelt „an den Rand der Katastrophe gebracht“.238 Über 40 Jahre „hemmungslose Ausbeutung“ sowie die „überstürzte Einführung der Marktwirtschaft durch die Kohl-Regierung“ hätten vor allem die Landwirtschaft, deren Betriebe nicht kostendeckend arbeiteten, getroffen.239 Ungeachtet der Geschehnisse seien die Sachsen aber
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ADSD 3/SN AB 000180 Rede von Anke Fuchs auf dem Görlitzer Parteitag des SPD-Landesverbands Sachsen am 1. September 1990, S. 5. Vgl. ADSD 3/SN AB 000087 Protokoll zur Landesvorstandssitzung am 25. Juni 1990, S. 1; Protokoll zur Landesvorstandssitzung am 20. Juli 1990, S. 4; Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006. Vgl. ADSD 3/SN AB 000090 Protokoll zur Beratung der Wahlkampfverantwortlichen am 19. August 1990 in Chemnitz, S. 3; Protokoll zur Sitzung des Landesvorstands am 18. September 1990, S. 1. Vgl. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Soziales. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Wirtschaft. ADSD 3/SN AB 000180 Rede von Anke Fuchs auf dem Görlitzer Parteitag, S. 5. Wahlprogramm der sächsischen SPD zu den Wahlen zum Sächsischen Landtag 1990. Uns geht’s um Sachsen, S. 2. Das Wahlprogramm ist die ausführlichere Version des Regierungsprogramms. Vgl. ADSD 3/SN AB 000064 SPD-Pressemitteilung der Bundesgeschäftsführerin der SPD vom 14. August 1990. Regierungsprogramm der SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1990. Uns geht’s um Sachsen, S. 2. Wahlprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 3. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Arbeit&Umwelt. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Landwirtschaft.
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„Willens und in der Lage, daran mitzuwirken, dass Sachsen seinen einstigen Wohlstand wiederfindet“.240 Es bedürfte dringend eines „sozial gerechten und ökologisch verträglichen“ Wandels, weg von der gescheiterten Kommandowirtschaft hin zu einer „ökologisch orientierten, sozialen Marktwirtschaft“. Die „wirtschaftliche Erneuerung Sachsens durch Markt und Wettbewerb“ sei aber ohne „soziale Gerechtigkeit und soziale Absicherung“ undenkbar.241 Für die Sozialdemokraten stand fest: „Nicht das libertäre Laissez-faire ist unser Prinzip, sondern eine soziale und ökologisch ausgerichtete Marktwirtschaft. So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig, das war und ist unser politisches Prinzip.“242 Deshalb: „Wir arbeiten für die soziale Marktwirtschaft mit fairen und gleichen Chancen für alle.“243 Marktwirtschaft allein helfe den Menschen nicht. Wohlstand und „sozialen Gerechtigkeit“ seien nur durch eine Marktordnung, verbunden mit einem „funktionierenden Gemeinwesen“, zu erreichen. Versage das Gemeinwesen, könne sich auch die Marktwirtschaft nicht entfalten.244 Aus diesem Grund, so Fuchs, gelte es, „den Aufschwung zu organisieren“.245 Staatliche Eingriffe in Ordnung und Prozess der Wirtschaft seien notwendig, damit die Marktwirtschaft und deren „soziale Komponente“ gedeihen könnten.246 Um „klare Verhältnisse in der Eigentumsfrage“ und Rechtssicherheit für Investitionen zu erreichen, plädierte die SPD für das Prinzip Entschädigung vor Rückübertragung.247 Auch sollte „das von den Kommunen und dem Land Sachsen zu übernehmende sogenannte Volkseigentum nicht kurzfristigen Finanzengpässen geopfert werden. Es muss in langfristige, sozial verträgliche und infrastrukturfördernde Programme zum Aufbau unseres Landes eingesetzt werden.“248 Das zentrale Ziel der SPD war „ein starkes Land, mit einer gesunden Wirtschaft, die Wohlstand und soziale Gerechtigkeit ermöglicht“.249 Dafür seien die „schwere Erblast“ der DDR ab- und ein „modernes, wirtschaftlich leistungsstarkes und gesundes Sachsen“250 aufzubauen. Das durch private und öffentliche Investitionen sowie durch Strukturwandel hervorgerufene Wachstum führe dabei nicht zu genügend Arbeitsplätzen. Ziel müsse folglich sein, durch die Sanierung bestehender Anlagen und Strukturen Arbeitsplätze zu sichern und neue zukunftsfähige Beschäftigung zu schaffen.251 Schließlich seien die Menschen nicht an Wachstum, sondern an Arbeit interessiert. Die arbeits- und beschäftigungspolitische Zielsetzung der SPD war somit klar: „Wir wollen faire und gleiche Chancen in einer sozialen Marktwirtschaft für alle, Arbeit und soziale Gerechtigkeit für jeden“.252 Die von den Sozialdemokraten dafür vorgeschlagenen Methoden bündelte Anke Fuchs in einem „Drei-Punkte-Plan“253. Erstens gelte es, eine „gewaltige Investitionsoffensive in 240 241 242 243 244 245 246
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Wahlprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 2 f. Ebd., S. 2 f. ADSD 3/SN AB 000180 Rede von Anke Fuchs auf dem Görlitzer Parteitag, S. 5. ADSD 3/SN 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90. Vgl. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Wirtschaft. Anke Fuchs in: Edith Gierth: Spitzenpolitiker für den Sächsischen Landtag. Vgl. Interview mit Anke Fuchs in: Martin Fiedler/Harald Lachmann: Das tun, womit wir auch woanders Erfolg hatten, in: LVZ vom 10. Oktober 1990. Vgl. ADSD 3/SN AB 000180 Rede von Anke Fuchs auf dem Görlitzer Parteitag, S. 8. Regierungsprogramm der sächsischen SPD, S. 29. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Wirtschaft. ADSD 3/SN AB 000064 SPD-Pressemitteilung der Bundesgeschäftsführerin der SPD vom 14. August 1990. Vgl. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Arbeit&Umwelt. ADSD 3/SN AB 000180 Rede von Anke Fuchs auf dem Görlitzer Parteitag, S. 2. Vgl. ADSD 3/SN AB 000090 Wir informieren, Wahlkampfzettel der SPD. Erstmals nannte Anke Fuchs ihren „Drei-Punkte-Plan“ Mitte August 1990.
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Sachsen“ anzuregen, die privates Kapital anzieht und einen leistungsstarken Mittelstand aufbaut. Zweitens habe all dies im Rahmen eines „ökologischen Umbaus der sächsischen Industrie“ zu geschehen. Drittens werde beide Punkte eine „Qualifizierungsoffensive für die Arbeitnehmer“ begleiten. Um den ersten Pfeiler, die Investitionsoffensive, verwirklichen zu können, seien „günstige Kredite“ und „steuerliche Hilfen für unternehmerische Investitionen“ notwendig. Die Landesregierung müsse in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung „attraktive Investitionsbedingungen“ schaffen. Staatliche Investitionsanreize, wie Steuererleichterungen oder Sanierungsbeihilfen, sollten neue und alte Unternehmen unterstützen und Existenzgründungen anregen.254 Der Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung entfalle dabei auf die „Umweltindustrie“, die nach nordrhein-westfälischem Vorbild umzustrukturieren sei. Zudem seien Infrastrukturinvestitionen unerlässlich für eine erfolgreiche wirtschaftliche Erneuerung.255 Im Rahmen des strukturellen Umbaus der Industrie (zweiter Pfeiler) plädierte die SPD für die „Entflechtung der ineffizienten Kombinate“, eine Ansiedlung kleiner und mittlerer Betriebe und für die Erhöhung derer Wettbewerbsfähigkeit. Neben dem zu entmonopolisierenden Handel müsse das Bank- und Kreditwesens neu geordnet sowie die Tourismusund Dienstleistungsindustrie gestärkt werden.256 In den einzelnen Sektoren der sächsischen Wirtschaft sollten nach SPD-Meinung vorhandene positive Produktionsstrukturen ausgebaut und entwickelt werden – etwa im Bereich der Textilindustrie.257 Ferner seien moderne ökologische Wirtschaftsstrukturen zu schaffen. Sie seien der Schlüssel zum Aufschwung.258 Um die Regionen aus der Krise zu führen, müssten Wirtschaft, Gewerkschaft, Kommunen, Kirche und soziale Einrichtungen „über die ökonomische Entwicklung der jeweiligen Region beraten, um ein Konzept zu entwickeln, das Arbeitsplätze sichert, neue schafft und nicht allein auf dem Wirken marktwirtschaftlicher Prinzipien beruht“.259 Unternehmen, so die Lesart, sollten anstatt des individuellen Wegs verstärkt den regionalen Konsens suchen. Der ökologische, industrielle und soziale Umbau Sachsens war nach Ansicht der SPD „weitgehend aus dem Landeshaushalt“ zu finanzieren.260 Nach Anke Fuchs sollte sich Sachsen in absehbarer Zeit sogar von westdeutschen Hilfen lösen und aus eigener Kraft stabilisieren. Dafür sei eine Beteiligung am bundesdeutschen Finanzausgleich nötig.261 Der dritte Pfeiler der wirtschaftspolitischen Programmatik bestand aus einer umfassenden aktiven Arbeitsmarktpolitik für die Zeit der Transformation. Neben Fortbildungen, Umschulungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sah das Konzept der Sozialdemokraten in der „Gründung von Beschäftigungsgesellschaften“ eine Methode, um ein Ansteigen 254
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Vgl. fp/R.T.: Anke Fuchs: Land Sachsen wieder zum Blühen bringen, in: FP vom 2. Oktober 1990; Interview mit Anke Fuchs in: Peter Redlich u. a.: Wir wollen einfach nicht, dass Menschen auf der Strecke bleiben, in: DNN vom 17. September 1990. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 3 f., 9; Regierungsprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 4 f. Vgl. ADSD 3/SN 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90; Wahlprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 3. Regierungsprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 2. Vgl. ADSD 3/SN 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90; ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Arbeit&Umwelt. Interview mit Anke Fuchs, in: LVZ vom 10. Oktober 1990. Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 29. Vgl. Interview mit Anke Fuchs, in: DNN vom 17. September 1990; Interview mit Anke Fuchs in: Egbert Nießler/Alexander Wendt: „Es ist ein faszinierendes Land“, in: SZ vom 5. September 1990; Wahlprogramm der sächsischen SPD, S. 23.
4.3 Wahlkampf der SPD – Auf dem Weg in die Opposition
125
der Arbeitslosenzahlen zu vermeiden und die Arbeitskräftestruktur umzubauen. 262 Damit, so garantierte die SPD, sei ein „tiefgreifender Strukturwandel ohne soziale Brüche“ möglich. Arbeitsplätze würden „erhalten, wo immer es geht“.263 Fuchs wusste, dass im Zuge der Transformation wesentlich mehr Arbeitsplätze abgebaut, als infolge des einsetzenden Wachstums neu entstehen würden. Die Differenz zwischen Ab- und Aufbau müsse der Staat ausfüllen. Die Spitzenkandidatin plädierte dafür, „Arbeitsplätze in Betrieben zu erhalten, die lebensfähig sind“.264 Dies sei billiger, als die Menschen in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Geleitet von diesem Ansatz forderte das SPD-Regierungsprogramm ein verfassungsmäßig verbürgtes „Recht auf Arbeit“.265 Vor allem das Sofortprogramm ARI266 sollte neue Arbeitsplätze schaffen. Fuchs bezeichnete es als ökonomisches Paradoxon, dass Menschen unfreiwillig arbeitslos seien und fürs „Nichtstun bezahlt“ würden, während die Arbeit „auf der Straße liege“ – beispielsweise in Form von Infrastrukturmängeln. Sie plädierte für eine gemeinnützige, staatlich entlohnte Arbeit auf kommunaler Ebene. Das erfordere aber Initiative sowohl bei den Gemeinde- und Stadträten als auch bei den Arbeitsämtern. In diesem Punkt, so Fuchs, unterscheide sich ihr Konzept dezidiert von dem der CDU. Da Wachstum nicht genug Arbeitsplätze erzeuge, müsse der Staat Arbeitsplätze schaffen. 267
4.3.5 Konkurrenzkampagne Hatte in den bisherigen Wahlkämpfen die starke Selbstbeschäftigung der Sozialdemokraten eine gezielte Konfrontation mit CDU und PDS verhindert, änderte die Partei im Vorfeld des Landtagswahlkampfes ihre Strategie. „In der Reaktion auf bestimmte Verunglimpfungen muss offensiver und aggressiver vorgegangen werden, als bei den beiden vergangenen Wahlkämpfen.“268 Geächtet von den Attacken der DSU im Volkskammerwahlkampf und verunglimpft von den Kampagnen der CDU-Ost über eine vorgetäuschte Verbindung zwischen SPD und PDS, forcierten die Sozialdemokraten die interparteiliche Konfrontation, favorisierten aber nach wie vor die Konfliktvermeidung. Ihre Konkurrenzkampagne setzte an der schwächsten Stelle der Kontrahenten an – deren DDR-Vergangenheit. Dahinter verbarg sich die Strategie, CDU und PDS als Vertreter des alten Systems zu brandmarken und parallel die Wähler von der eigenen Unbelastetheit zu überzeugen.269 Anke Fuchs betonte, sie sähe beide Parteien am liebsten „auf den Oppositionsbänken“. Dies wäre die „richtige Form der Vergangenheitsbewältigung“.270 In ihren Augen verbarg sich innerhalb der gesamtdeutschen CDU und „unter dem weiten Mantel von Kanzler Kohl“ nach wie vor die ostdeutsche „Blockflötenpartei mit ihrer Mitverantwortung für Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl“. 90 Prozent der ostdeutschen CDU262 263 264
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Vgl. ADSD 3/SN 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Wirtschaft. Vgl. Anke Fuchs, in: Edith Gierth: Spitzenpolitiker für den Sächsischen Landtag; ADSD 3/SN AB 000180 Rede von Anke Fuchs auf dem Görlitzer Parteitag, S. 10. Regierungsprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 28. Fuchs kreierte das Akronym ARI für „Aufräumen, Reparieren, Instandsetzen“. Vgl. ADN: SPD: „Wir werden gewinnen“, in: SZ vom 14. September 1990. Vgl. Interview mit Anke Fuchs, in: DNN vom 17. September 1990; Interview mit Anke Fuchs, in: LVZ vom 10. Oktober 1990; Gerd Barthel: Anke Fuchs: „Geld für Kommunen“, in: LVZ vom 6. Oktober 1990. ADSD 3/SN AB 000090 Protokoll zur Beratung der Wahlkampfverantwortlichen am 19. August 1990, S. 3. Vgl. Interview mit Hans-Jürgen Richter am 10. Februar 2006. Interview mit Anke Fuchs, in: DNN vom 17. September 1990.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1990
Mitglieder stammten aus der DDR-CDU und hätten teilweise „aktiv an der Unterdrückung der Menschen“ mitgewirkt. „Große Teile der SED/PDS, der CDU und der Liberalen“ seien in den „Unterdrückungsapparat des früheren DDR-Regimes“ verstrickt gewesen.271 Allein Biedenkopf bezeichnete Anke Fuchs als einen „ehrenwerten Mann“, mit dem sie einen fairen Wahlkampf führe.272 Dessen ungeachtet sei er die ungenügende Antwort der CDU auf ihre Kandidatur, ein „netter Professor“, der leider noch „nie Politik gemacht“ habe und daher besser Professor bleibe.273 Als das „moralische Feigenblatt seiner Partei“ solle er vergessen machen, „dass die CDU im Kern ihrer Mitgliedschaft immer noch die alte Blockpartei ist“,274 die – gleich der PDS – nicht mit ihren DDR-Strukturen bricht. Nichtsdestotrotz hielt die SPD eine Koalition mit der CDU für möglich. Eine Zusammenarbeit mit der PDS lehnte sie hingegen ab. Sie setzte hier auf eine maximale Abgrenzung und verbat sich jede Kooperationsrhetorik seitens der SED-Nachfolgerin.275 Anders als ihren christdemokratischen Hauptgegner blendete sie die Postkommunisten weithin aus.276 Von besonderer Schärfe waren die vom Bonner und vom Berliner Parteivorstand herausgegebenen Werbe- und Argumentationsmaterialien. Während das Wahlprogramm des Landesverbands nicht die Spur eines Angriffs auf den Hauptgegner CDU enthielt und weithin einen konsensuellen Stil pflegte, attackierten die zentralen Werbematerialien CDU und PDS frontal. „40 Jahre lang regierte SED/PDS gemeinsam mit der CDU und den anderen Blockparteien. Gegen das Volk. Jetzt treten sie wieder an – in neuem Gewand, aber mit vielen alten Köpfen. Diese Mächte von gestern dürfen keine Chance bekommen. Schlussstrich am 14. Oktober.“277 Daneben fokussierte die primär bundespolitisch intentionierte Negativkampagne die Regierung Kohl. Die SPD sei „das soziale Gegengewicht gegen Kohl“ und hätte bisher durch ihre Bundesratsmehrheit „schlimmere Auswüchse des sozialen Kahlschlags“ verhindert. Starke, sozialdemokratisch regierte Länder seien notwendig „als Gegengewicht zu Kohls Untätigkeit in Bonn“.278 Dabei streute die SPD ihre Negativkampagne nach Zielgruppen. So hätten Frauen unter der „konzeptionslosen Wirtschaftspolitik von Kohl und de Maizière […] besonders zu leiden“. Sie sollten, wie dies bei „Konservativen“ üblich sei, „als erste aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden“.279 Auch Mieter würden von der CDU, da diese auf Seiten der „Miethaie“ stünde, benachteiligt.280
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Presseservice der SPD vom 2. Oktober 1990, 419/90. Vgl. Gerlinde Schaidt: „In Sachsen liegt die Arbeit auf der Straße“, in: Bonner Rundschau vom 9. Oktober 1990. Vgl. Interview mit Anke Fuchs, in: SZ vom 5. September 1990. Vgl. ADSD 3/SN AB 000064 SPD-Pressemitteilung vom 12. Oktober 1990; Interview mit Anke Fuchs, in: LVZ vom 10. Oktober 1990. Vgl. Gerlinde Schaidt: „In Sachsen liegt die Arbeit auf der Straße.“, in: Bonner Rundschau vom 9. Oktober 1990; fp/R.T.: Anke Fuchs: Land Sachsen wieder zum Blühen bringen, in: FP vom 2. Oktober 1990; ADN/SZ: Mit PDS kein Zusammengehen, in: SZ vom 3. August 1990. Vgl. Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006; Interview mit Peter Adler am 6. Dezember 2005. ADSD 3/SN AB 000090 Wahlkampfinformationsmaterial: Darum gerade jetzt SPD: Statt alter Köpfe 3. Ebd.; ADSD 3/SN AB 000064 10. Wahlschnellbrief. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfinformationsmaterial Klartext: Frauen. Vgl. ADSD 3/SN AB 000090 Wahlkampfinformationsmaterial: Darum gerade jetzt SPD: Weil die CDU die Miethaie schützt 9.
4.4 Wahlkampf der PDS – Kampf ums Überleben
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4.4 Wahlkampf der PDS – Kampf ums Überleben 4.4.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Entgegen dem Aufstieg von CDU und SPD zerfiel die (ehemalige) Staatspartei bis zur Landtagswahl 1990. Ihre Herrschaft war die Ursache, ihr Zusammenbruch eine treibende Kraft für die friedliche Revolution 1989. Die Krise der DDR ging mit der Krise der SED Hand in Hand, verliefen doch staatliche Leitung und Parteileitung in Personalunion. Mit dem erzwungenen Rücktritt Erich Honeckers am 17. Oktober 1989 begann ihr „schwerer Abschied von der Macht“.281 Getrieben vom Druck hunderttausender Demonstranten „erneuerte“ sich die SED (widerwillig). Ihre Transformation war mehr Anpassungsstrategie, „denn Ausdruck innerer Überzeugungen“.282 Die Parteispitze veranlasste stets nur solche Neuerungen, die ihr zum Erhalt des Alten nötig erschienen.283 Auf Drängen ihrer Parteibasis – von den einst 2,3 Millionen Mitgliedern waren Ende 1989 noch 1,46 Millionen geblieben284 – veranstaltete die SED am 8./9. und 16./17. Dezember 1989 einen außerordentlichen Parteitag. Die neue Führung um die „Reformer“ Hans Modrow und Gregor Gysi betonte vor den 2.753 Delegierten das notwendige Festhalten an der DDR und der SED. Noch seiner Macht entsprechend, schloss DDR-Ministerpräsident Modrow hier eine deutsche Wiedervereinigung als „großdeutschen Chauvinismus“ aus und plädierte für eine „Vertragsgemeinschaft der beiden deutschen Staaten“.285 Gysi bezeichnete Vorschläge über eine Auflösung und anschließende Neugründung der SED als „Katastrophe“.286 Am Ende des Parteitags firmierte die Partei als SED/PDS und sie hatte ein neues Statut sowie ein Bekenntnis zur „revolutionären Erneuerung des Sozialismus in der DDR“287 verabschiedet. Der Ende Februar 1990 von der inzwischen in PDS umbenannten SED/PDS abgehaltene Parteitag diente ebenfalls dazu, sich als Verteidigerin der DDRIdentität und Bewahrerin der DDR-Errungenschaften zu präsentierten.288 Die „linke sozialistische Partei“ sah sich nun in einer Opferrolle und mit einer haltlosen „Hasswelle“ konfrontiert.289 Zwar bejahte sie die mittlerweile alternativlose deutsche Einheit, verstand diese aber als schrittweisen Prozess.290 Nach einem Volkskammerwahlkampf mit organisatorischen und finanziellen Vorteilen gegenüber ihren Konkurrenten garantierte der Wahlausgang (16,3 Prozent) der PDS ihre Weiterexistenz, wiewohl als isolierte Opposition. Die kommenden Wahlen beschleunigten indes ihren Niedergang. Bei den Landtagswahlen er281
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Heinrich Bortfeld (1991): Von der SED zur PDS – Aufbruch zu neuen Ufern?, in: Kommission Politische Bildung des Parteivorstands der PDS (Hrsg.): controvers, Berlin, S. 14. Armin Pfahl-Traughber (1995): Forum. Die PDS, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 7, Baden-Baden, S. 83-112, hier S. 97 f. Vgl. Bortfeld (1991), S. 14. Vgl. Jürgen P. Lang/Patrick Moreau (1994a): PDS. Das Erbe der Diktatur, in: Politische Studien 45 (1994) Sonderdruck 1, S. 9. Referat von Hans Modrow (1990): Souveräne DDR muss ein solider Baustein für europäisches Haus sein, in: PDS (Hrsg.): Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS. Materialien, Berlin, S. 5-12, hier S. 8 f. Referat von Gregor Gysi (1990): Wenn wir alle für die neue Partei streiten, wird sie stark bleiben!, in: PDS (Hrsg.): Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS. Materialien, Berlin, S. 13-28, hier S. 25. Dokumentation (1990): Der Außerordentliche Parteitag der SED im Dezember 1989, in: Deutschland Archiv 23 (1990), S. 288-316, hier S. 313. Vgl. Hasko Hüning/Gero Neugebauer (1996): Die PDS, in: Niedermayer (Hrsg.), S. 67-85, hier S. 67. Vgl. Gregor Gysi (1990): Das Wahlprogramm der PDS für die Volkskammerwahlen und die Aufgaben der Partei im Wahlkampf, in: Wahlparteitag der PDS am 24./25. Februar 1990, S. 7-11. Vgl. Bortfeld (1991), S. 33.
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reichte die Partei noch 12,2 Prozent, zur Bundestagswahl noch 11,1 Prozent. Innerhalb eines Jahres war aus der Staatspartei eine „Oppositionspartei am Rande des ungeliebten en politischen Systems“291 geworden. Bis zur Gründung des sächsischen Landesverbands am 28./29. Juli 1990 existierten die drei PDS-Bezirksverbände Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt. Die sächsischen Postkommunisten verfügten daher frühzeitig über ein arbeitsfähiges Organisationskonstrukt mit erfahrenen Mitarbeitern.292 Allein der Parteibezirk Dresden kam im Juni 1990 trotz Massenentlassungen noch auf 496 Hauptamtliche.293 Mit rund 71.500 Mitgliedern (Ende 1990) standen ihnen zudem die mit Abstand größte Parteibasis und damit zahlreiche Wahlhelfer zu Verfügung. Bis Ende April 1990 hatten die drei sächsischen Bezirks- und 53 Kreisverbände ihren Neuformierungsprozess abgeschlossen und Arbeitsstrukturen etabliert, die dem entstehenden Landesverband als Fundament dienten. Als Achillesferse erwiesen sich die Basisorganisationen. Hier hatte die PDS vom Territorial- und Produktionsstättenprinzip (Wohngebiete und Betriebe) auf das Regionalprinzip umstellen müssen. Die damit verbundenen Auflösungsprozesse durchbrachen viele persönliche Kontinuitäten.294 Ein neuer „Doppelansatz“295 prägte fortan das Gesicht der PDS. Sie etablierte regionale Strukturen für den personellen Erhalt sowie Arbeits- und Interessengemeinschaften zur Kompetenzsicherung. Obwohl ihr der hohe Identifikationsgrad ihrer Mitglieder schnell neue Strukturen verlieh, bereiteten die Basisgruppen Probleme. Überall, wo nicht ausreichend junge Genossen Parteiarbeit leisteten, hatten ältere Mitglieder Mühe, die neuen politischen Verhältnisse zu verstehen. Die staatsparteilich geeichte PDS-Basis war weithin noch ohne Gespür für die neuen Mechanismen der Parteiarbeit.296 Um den Landesverband zu gründen, bildeten die drei Bezirksvorstände einen Koordinierungsrat und acht Arbeitsgruppen. Ihnen oblagen die Vorbereitung der konstituierenden Konferenz und strukturelle Ausarbeitungen. Zudem konzeptualisierten sie den Landtagswahlkampf, machten Kandidatenvorschläge und entwarfen Fragmente einer Wahlplattform.297 Auf der 1. Landesdelegiertenkonferenz am 30. Juni 1990 in Dresden beschlossen die 450 Delegierten die baldige Gründung der sächsischen PDS. In der Zwischenzeit sollte ein paritätisch besetzter Arbeitsausschuss die Tätigkeiten der drei Bezirksorganisationen koordinieren und sie in Richtung Bildung des Landesverbands sowie Vorbereitung des Parteitages und Wahlkampfes lenken. Insbesondere galt es, noch offene Fragen zum neuen Vorstand und zur Geschäftsstelle zu klären.298 Auf ihrem 1. Landesparteitag am 28./29. Juli wählten die 300 Delegierten den Landesvorstand, reihten die Kandidaten auf der Landesliste und verabschiedeten nach regen Diskussionen das Landtagswahlprogramm.299 Den Beschlüssen folgend wählte der Vorstand auf seiner ersten Sitzung am 4. August 1990 den Chemnitzer Juristen und ehemaligen Abteilungsleiter Staat und Recht der SED-Bezirks291 292 293
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Jäger (1998), S. 215. Vgl. Interview mit Andreas Graff am 7. Dezember 2005; Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006. Vgl. Rechenschaftsbericht an den Dresdner Bezirksvorstand der PDS vom 24. Juli 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Patzelt/Algasinger (1996), S. 244. Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006. Vgl. Zuarbeit der Kommission Organisation und Parteileben des Bezirksvorstands Dresden der PDS vom 24. April 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Information des Koordinierungsrats Landesverband Sachsen der PDS (Archiv PDS-LV Sachsen). Vgl. Empfehlungen der 1. Landesdelegiertenkonferenz der PDS in Sachsen an die Bezirks- und Kreisvorstände vom 30. Juni 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. SZ/Ha.: PDS will viel Demokratie und Soziales in Sachsen, in: SZ vom 30. Juli 1990.
4.4 Wahlkampf der PDS – Kampf ums Überleben
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leitung Karl-Marx-Stadt Klaus Bartl zum Landesvorsitzenden. Seine Stellvertreter wurden der Leipziger Hardliner Volker Külow und der Dresdner „Reformer“ Ronald Weckesser.300 War die Führung der neuen Landespartei unter regional-paritätischen Gesichtspunkten besetzt worden,301 unterschieden sich bereits zu diesem Zeitpunkt die Ansätze der ehemaligen Parteibezirke. Während in Leipzig und Chemnitz der personelle und ideelle Bruch mit der Staatspartei nur bedingt vollzogen worden war, hatten sich in Dresden als Folge des Rücktritts des kompletten Bezirksvorstands unter Wolfgang Berghofer reformorientierte Kräfte durchsetzen können. Der später stark heterogene und von inneren Konflikten gezeichnete Landesverband integrierte folglich von Beginn an „unterschiedliche politische Stile, Kulturen, Traditionen und Verständnisse von Politik“.302
4.4.2 Konzeptioneller Rahmen Parallel zur Bildung des Landesverbands und zur Abwicklung der alten Strukturen lief die Organisation des Landtagswahlkampfes.303 Als „Zentrum der Wahlkampfführung“ hatten die Bezirkspräsidien Anfang Juli 1990 eine „Landeswahlleitung“ unter Vorsitz von Bernd Rump berufen. In Zusammenarbeit mit dem Landesvorstand war sie für „die Erarbeitung strategischer Grundorientierungen“, die Themenkampagne sowie die „Art und Weise des Wahlkampfes“ verantwortlich. Dabei versuchte die sächsische PDS-Führung, ein „generalstabsmäßig“ funktionierendes „Wahlkampfsystem“ zu etablieren und ihren Wahlkampf auf „wissenschaftlicher Grundlage“ zu führen.304 Unbeeindruckt vom Verfall seiner Partei und im alten Funktionärsduktus sprach Bartl von „schnellem überregionalen Reagieren“, einer „Koordinierung von Politik und Werbung“, „hoher Eigenverantwortung“ und einer „straffen Organisation“, welche das „Wahlkampfmanagement“ bestimmen sollten.305 Zur operativen Umsetzung der von der Landeswahlleitung erarbeiteten strategischen und taktischen Vorgaben diente ein hauptamtliches „Landeswahlbüro“. Leiter des in fünf Arbeitsgruppen untergliederten Gremiums war der spätere Fraktionsgeschäftsführer der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag Andreas Graff.306 Zur besseren Koordination nutzte das Dresdner Wahlbüro die drei ehemaligen Bezirkswahlbüros als Außenstellen. Ferner beauftragte es die Kreisvorstände, Kreiswahlbüros zu bilden. Die auf Bezirksebene vorhandenen Erfahrungen wurden mithilfe der eingefahrenen Kreisorganisationen regional diver-
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Vgl. Landesvorstand Sachsen der PDS: Beschlussprotokoll über die Landesvorstandssitzung am 4. August 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. Gero Neugebauer (2006): Die PDS in Sachsen, in: Demuth/Lempp (Hrsg.), S. 121-144, hier S. 123. Die PDS war lange Zeit davon ausgegangen, dass die Volkskammer mehrere Jahre bestehen würde, was eine frühzeitige Wahlkampfvorbereitung verhinderte. Vgl. Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. Vgl. PDS Chemnitz. Wahlbürokommission Parlamentarische Arbeit: Vorschlag einer Konzeption zur Vorbereitung und Durchführung der Landtagswahlen vom 26. Juni 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Redemanuskript von Klaus Bartl für die Landesdelegiertenkonferenz der PDS am 28. Juli 1990, S. 11 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Richtlinien für die Arbeit der Wahlbüros im Landtagswahlkampf (Archiv des PDS-LV Sachsen).
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sifiziert.307 Die Wahlkampfumsetzung verlief nach dem Regionalprinzip, mit den Kreisen als wichtige Knotenpunkte.308 Prägend für die organisatorische wie strategische Ausrichtung der Kampagne auf der Landesebene war die zentrale Berliner Wahlkampfführung. Zwar gewährte Berlin den „Landesvorständen der PDS und ihren Wahlbüros ein Höchstmaß an Eigenverantwortung“,309 dennoch finden sich die strategischen Überlegungen des PDS-Parteivorstands in allen Papieren des Landesverbands wieder. Selbst der Aufbau der sächsischen Wahlkampforganisation entsprach einem Konzept des Parteivorstands. In einer Klausurtagung hatten sich Parteispitze und Landesverbände auf eine inhaltliche, organisatorische und strategische Grundausrichtung aller Landtagswahlkämpfe geeinigt.310 Die PDS führte ihren Wahlkampf in drei Phasen. In der „Vorbereitungsphase“ vom 1. Juli bis zum 30. August schuf sie die Organisationsstrukturen, stellte die Kandidaten auf und erarbeitete die Wahlkampfschwerpunkte.311 Ihre überwiegend unerfahrenen Kandidaten erhielten Rhetorik-Kurse und professionelle Hinweise zum Umgang mit Wählern und Medienvertretern.312 Diffiziler war es, die in den bisherigen Wahlkämpfen eher passive Parteibasis zu mobilisieren. Die Genossen agierten entweder im „alten SED-Stil“, verharrten in Untätigkeit oder waren in Anbetracht der neuen Situation schlicht frustriert.313 Dennoch, so zumindest die Sichtweise von Andreas Graff, standen der sächsischen PDS 1990 tausende Wahlhelfer zur Verfügung.314 Die „Vorwahlkampfphase“ (31. August bis 21. September) startete mit einer „Aktionswoche“, in der die Landespartei, unterstützt durch prominente Berliner PDS-Politiker, der Öffentlichkeit ihren Spitzenkandidaten und ihr Wahlprogramm vorstellten. Parallel begannen eine Plakatierungs- und Werbekampagne sowie die Wahlkämpfe vor Ort. Die Werbekampagne umfasste neben Materialien des Parteivorstands und der Landesgeschäftsstelle vor allem buntscheckige lokal entstandene Plakate und Broschüren.315 Die PDS konzentrierte sich auf einen Wahlkampf im Kleinen und setzte auf Diskussionsabende und Zielgruppenveranstaltungen, wie Seniorennachmittage, Politfrühschoppen oder Kandidatenauftritte auf Einwohnerversammlungen. Die heiße Wahlkampfphase dauer307
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Vgl. Landesvorstand Sachsen der PDS: Beschlussprotokoll über die Landesvorstandssitzung am 4. August 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Andreas Graff am 7. Dezember 2005. Die Finanzierung des PDS-Landtagswahlkampfes war nebulös. Der Rechenschaftsbericht des Jahres 1990 summiert die Ausgaben für den Landtagswahlkampf auf 966.000 DM, eine unhaltbare Zahl. Beispielsweise gab die Landespartei ihre wahlkampfbezogenen Personalausgaben mit 2.068 DM an, rechnete aber im zweiten Halbjahr 1990 12,75 Millionen DM Personalausgaben des Landesverbands ab. Die Ausgaben für wahlkampfbezogene Öffentlichkeitsarbeit beliefen sich offiziell auf 290.000 DM, die für Öffentlichkeitsarbeit des Landesverbands im zweiten Halbjahr 1990 hingegen auf 2,1 Millionen DM. Vgl. PDS. Rechenschaftsbericht 1990, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 12. Wahlperiode, 12/2165 vom 26. Februar 1992, S. 148-153. Richtlinien für die Arbeit der Wahlbüros im Landtagswahlkampf (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Landeswahlbüro Sachsen der PDS: Wahldramaturgie für die Landtagswahl in Sachsen am 14. Oktober 1990 vom 16. August 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Landeswahlbüro Sachsen der PDS/AG Schulung: Hinweise für die Kandidaten der PDS zum Landtag Sachsen vom 4. September 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Kommission Politisches System/Parlamentarische Arbeit des Dresdner Bezirksvorstands der PDS: Ergebnisse, Tendenzen, Schlussfolgerungen aus der Kommunalwahl 1990 vom 14. Mai 1990; Zuarbeit der Kommission Organisation und Parteileben des Bezirksvorstands Dresden der PDS vom 24. April 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen); Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006. Vgl. Interview mit Andreas Graff am 7. Dezember 2005. Vgl. Landeswahlbüro Sachsen der PDS: Wahldramaturgie.
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te vom 22. September bis 12. Oktober und intensivierte sich ab 1. Oktober 1990 mit einigen Großveranstaltungen in den Großstädten.316 Das strategische Kernkonzept der PDS zielte auf die Festigung des Verbliebenen. Es galt, so Weckesser, „politisch zu überleben“.317 Laut dem späteren Landesvorsitzenden Peter Porsch wollte man sich „in Sachsen einbringen, um Sachsen diskutieren und zugleich eine Linke zusammenhalten“.318 Drei Prämissen lenkten die strategische Ausrichtung. Erstens war den Postkommunisten bewusst, dass sie ihren Wahlkampf aus einer inferioren Lage heraus zu führen hatten und die PDS nach der Wahl eine isolierte Oppositionspartei sein würde.319 Für die ehemalige Staatspartei bedeutete dies einen massiven Bruch im Selbstverständnis. Sie musste ihren eigenen Reihen begründen, weshalb eine in Zukunft bedeutungslose Oppositionspartei mit Vehemenz um Wähler kämpfen soll. Entsprechend betonte die Berliner Parteiführung das „historische Gewicht“320 der Landtagswahlen. Ihre strategische Maßgabe lautete: „Der gesamte Wahlkampf ist darauf auszurichten, dass es sowohl mit Blick auf eine möglichst starke PDS-Fraktion in den Landtagen als auch mit Blick auf die gesamtdeutschen Wahlen (Testwahlen) tatsächlich um jede Stimme geht.“321 Nur eine „starke Linke in den Länderparlamenten“ könne „möglichst viel von der Identität der DDR-Bürger und der Kultur unseres Landes in die Vereinigung mitnehmen“.322 Um in der drohenden Opposition die Partei politisch festigen und reetablieren zu können, besetzte der Landesvorstand die vorderen Listenplätze mit fachlich versierten Kandidaten. Sie sollten die Grundanliegen der PDS verdeutlichen und ihr ein kompetentes Auftreten im Landtag garantieren. Hier, so Bartl, seien nicht nur „Sachkompetenz und Kämpfertum“ erforderlich, die PDS-Fraktion werde auch „wesentlich mitbestimmen, wie wir als PDSLandesverband in der Öffentlichkeit publik sind“.323 Neben Eberhard Langer auf Platz eins der Landesliste standen u. a. Helmar Hegewald als Umweltexperte, Klaus Bartl als Rechtsexperte, Peter Porsch für Medien, Annelies Kubicek für Gesundheit, Angela Schneider für Soziales und Bildung sowie Detlef Wehnert für Landwirtschaft.324 Zweitens war die PDS Mitte des Jahres 1990 politisch isoliert. Um diesen Zustand zu durchbrechen, schloss sie ein Wahlbündnis mit der Marxistischen Partei Die Nelken, der KPD, der FDJ und der Marxistischen Jugendvereinigung Junge Liste.325 Hauptziel der „Linken Liste – PDS“ war es, eine unnötige Wählerstimmenkonkurrenz im Linksaußenlager zu vermeiden.326 Eine „Wiederbelebung des Volksfront-Konzepts“327, so Brümmer, schwang hier mit. Die Listenvereinigung galt den Postkommunisten als Generalprobe für 316 317 318 319
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Vgl. Wahlkampfkalender September/Oktober 1990 der PDS Sachsen (Archiv des PDS-LV Sachsen). Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. Interview mit Peter Porsch am 7. Dezember 2005. Vgl. Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen); Interview mit Bernd Rump am 24. Januar 2006. Referat des Ehrenvorsitzenden der PDS Hans Modrow auf der Tagung des Parteivorstands der PDS am 25. August 1990, S. 27, 31 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Richtlinien für die Arbeit der Wahlbüros im Landtagswahlkampf; vgl. ebenso Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990. Redemanuskript von Klaus Bartl für die Landesdelegiertenkonferenz, S. 12. Vgl. Wahlvorschlag zur Reihenfolge der Kandidaten auf der Landesliste (Archiv des PDS-LV Sachsen); Landesliste der PDS Sachsen zur Landtagswahl am 14. Oktober 1990. Vgl. Vereinbarung der Listenvereinigung „Linke Liste-PDS“. Die Nelken, FDJ, KPD, MJV, PDS anlässlich der Wahlen zum Landtag Sachsen am 14. Oktober 1990 vom 16. August 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Andreas Graff in: Leipzig links. Zeitung der PDS-Leipzig vom 29. August 1990. Brümmer (2006), S. 88.
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die Bundestagswahl. Bartl betonte: „Wir sehen in einer Listenvereinigung einen wichtigen Schritt für das von vielen erhoffte Zusammengehen der Linken bei Wahrung ihrer politischen und organisatorischen Selbstständigkeit. Es geht nicht einfach um mehr Stimmen für die PDS, sondern um die Akzeptanz und Wirksamkeit linker Politik in Sachsen. Den Bestrebungen zur politischen Isolierung unserer Partei und all der Organisationen, die für ein soziales und demokratisches Sachsen eintreten, müssen wir gemeinsam begegnen.“328 Drittens war der PDS klar, dass CDU und SPD nach einer auf sie ausgerichteten „Prügelknabenpolitik“ verfahren und ihr die ganze „Schuld für die sozialen Spannungen“ anlasten würden. Die Partei rechnete von vornherein mit einem „außerordentlich aggressiven Wahlkampf aller anderen Parteien gegen die PDS“.329 Ein „gesundes Maß an Härteverträglichkeit“ sei geboten, eine „Wagenburgmentalität“ zu vermeiden.330 Man dürfe über diesen Zustand nicht „jammern“, sondern müsse „in allen Sachfragen offensiver, polemischer und schneller reagieren und antworten“.331 Bartl forderte die Partei auf: „Wir müssen raus aus unseren eigenen Reihen [und] näher an die Wähler ran.“ Der Landtagswahlkampf sei bedeutsam für die „Polit- und Überzeugungsfähigkeit“ der PDS und müsse in aller Öffentlichkeit und nicht nur im eigenen Dunstkreis ausgetragen werden.332 Die PDS-Führung versuchte (wenn auch nur wenig erfolgreich) die Flucht nach vorn. Aus Umfragen im Vorfeld der Volkskammerwahl wusste die Partei, dass die Mehrheit ihrer Wähler die deutsche Einheit zwar befürwortete, im selben Moment aber mit einer schnellen Vereinigung mehr Nach- als Vorteile verband und Ängste anstatt Hoffnungen hegte.333 Die Strategie der PDS bestand nun darin, derartige Sorgen in der Bevölkerung zu kanalisieren und für die eigene Argumentation zu nutzen. Konnte sie im Vorfeld der Volkskammerwahl noch als Verteidigerin der DDR und ihrer sozialen Errungenschaften auftreten, begegnete sie nun verstärkt zukünftigen Entwicklungen. „Es muss deutlich werden, dass die PDS [...] eine Partei für die Schwachen ist“, für diejenigen, die vom „Überfall der Marktwirtschaft am stärksten betroffen sind“, 334 also ältere Bürger, Jugendliche und Arbeiter. Die Unzufriedenheit, so Modrows Ausführungen über Zielgruppenstrategien im Landtagswahlkampf, habe Schichten erfasst, die weit über ihre bisherige PDS-Wählerschaft hinausgingen, etwa Gewerbetreibende oder Bauern.335
4.4.3 Imagekampagne Im Kern präsentierte sich die PDS als neue, demokratische Partei, die personell wie programmatisch nichts mehr mit der SED zu tun habe, die aber antrete, um „aktiv zur Überwindung der von der SED verschuldeten Missstände“ beizutragen. Die „demokratische Wende des Herbstes 1989“ habe ihr „die Chance der demokratischen Erneuerung“ eröffnet. 328 329 330
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Redemanuskript von Klaus Bartl für die Landesdelegiertenkonferenz, S. 3. Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990. Diskussionsbeitrag von Volker Külow, Arbeitskreis Wahlkampf, in: Protokoll der 1. Landeskonferenz der PDS am 30. Juni 1990 in Dresden, S. 21-28, hier S. 21 f. Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990 (Archiv des PDSLV Sachsen). Redemanuskript von Klaus Bartl für die Landesdelegiertenkonferenz, S. 2. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990a), S. 21. Redemanuskript von Klaus Bartl für die Landesdelegiertenkonferenz, S. 5. Vgl. Referat des Ehrenvorsitzenden der PDS Hans Modrow auf der Tagung des Parteivorstands der PDS am 25. August 1990, S. 27 f. (Archiv des PDS-LV Sachsen).
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Scheinbar geläutert und reumütig betonte sie: „Oft erleben wir eine Ausgrenzung der PDS. Durch die Verteufelung unserer Partei sind jedoch die Probleme unseres Landes nicht zu lösen. Politische Gegnerschaft fürchten wir nicht, politische Konkurrenz brauchen und wünschen wir. Bitte prüfen Sie unsere Angebote vorurteilsfrei.“336 Die ehemalige totalitäre Staatspartei distanzierte sich vorgeblich von ihrer Vergangenheit und rückte sich in die Nähe der Ziele und Ansprüche des Herbstes 1989. Mit ihrem Leitslogan „Für ein demokratisches und sozial gerechtes Sachsen“ und der das Wahlprogramm durchziehenden Losung „Mehr Demokratie wagen“ präsentierten sich die Postkommunisten als Demokraten. Ihr „konsequentes Demokratieverständnis“ impliziere, „dass tatsächlich alle Sachsen einbezogen sind, wenn es um die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Landes geht“.337 Es gelte, so der identitäre Ansatz, „für ein demokratisches, rechtsstaatliches Sachsen“ einzustehen, in welchem alle Staatsgewalt von den Bürgern ausgehe und durch sie gestaltet werde. Die PDS zielte auf die „Verwirklichung der Volkssouveränität“ und plädierte für die „Anerkennung der Öffentlichkeit als vierte Gewalt“.338 Sachsen müsse eine „bürgernahe Demokratie“ werden, mit vielfältigen politischen Beteiligungsrechten für Bürgerbewegungen und Bürgerinitiativen.339 Ohne Bevormundung durch eine „westliche Mutterpartei“ vertrete die PDS „sächsische Interessen“.340 Obgleich die Landespartei auf ein spezifisches sächsisches Image keinen Wert legte, nutzte sie landestypische Argumentationsmuster. Sie verwies auf den Fleiß und die Leistungsfähigkeit der Sachsen und bediente sich zahlreicher historischer Entlehnungen.341 Dabei wirkten Aussagen wie „die PDS setzt sich ein für die Pflege von Kunst und Volkskunst, die das Land Sachsen von jeher unverwechselbar mitgeprägt haben“ oder sie sei „für die Erhaltung und Fortführung der vielfältigen sächsischen, regionalen und lokalen Festspiele, Werkstätten, Heimatfeste“342 in Anbetracht der realen Diktaturvergangenheit der Partei geradezu grotesk. Man halte es für richtig, dass sich die PDS zu den Ländern und den jeweiligen landestypischen Traditionen bekenne, sei sich aber im Klaren, dass dies alle Parteien täten, so der Berliner Parteivorstand. Daher müsse man sich kein „besonderes, deutsch-nationales Flair“ geben, sondern vornehmlich mit konkreten Handlungsvorschlägen das Vertrauen der Wähler gewinnen.343 Entsprechend strebte die PDS nach einer „positiven Rufbildprägung“. Ihr äußeres Erscheinungsbild sollte Geschlossenheit demonstrieren und sie im politischen Überangebot erkennbar machen. Dennoch trat sie als diffuses linkes, basisdemokratisches wie ökologisches Konglomerat in Erscheinung.344 Substanziell schlüpfte sie in ein DDR-affines Rol336
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Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990: Für ein demokratisches und sozial gerechtes Sachsen, S. 1, 6. Interview mit Eberhard Langer in: Martin Fiedler/Harald Lachmann: In Sachfragen den Parteienzwist vergessen, in: LVZ vom 11. Oktober 1990. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 2. Vgl. Wahlprogramm der Linken Liste – PDS 1990: Für ein demokratisches und sozial gerechtes Sachsen, S. 2. Den antipluralistischen I-Punkt setzte der Spitzenkandidat Eberhard Langer: „Die Interessen der Linken Liste – PDS stimmen in allen grundsätzlichen Belangen mit denen der Bürger überein.“ Interview mit Eberhard Langer in: Heiko Hößler: Rolle der Basisdemokratie in Verfassung definieren, in: FP vom 10. Oktober 1990. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 1. Vgl. Steffen Reichert: Streicheln und Schelte, in: LVZ vom 24. September 1990. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 5. Vgl. Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990. „Vom linken Folkloreensemble bis zur grünen Ökopartei war 1990 alles vorhanden.“ Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005.
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lenbild und präsentierte sich als Partei, die versuche, „möglichst viel von der Identität der DDR-Bürger“ und der Kultur der DDR zu erhalten, mit dem Ziel, den „Prozess der deutschen Einheit aktiv im Interesse der sozialen Gerechtigkeit für die DDR-Bürger“ zu beeinflussen.345 Man biete den Menschen in den Unwägbarkeiten der Wandlungsprozesse einen Ausweg und helfe, die „sozialen Errungenschaften“ der DDR zu bewahren.346 Ob in der Volkskammer oder in den Kommunalvertretungen, stets habe sie die Interessen der DDRBürger verteidigt. In diesem Kontext äußerte sich die PDS positiv zur deutschen Einheit, forderte aber, es müsse ein „geordnetes Zusammenwachsen der deutschen Staaten geben“, keine „Kolonialisierung der DDR-Bevölkerung“.347 Ihre Spitzenkandidatur klärte die Landespartei einvernehmlich. In Erwartung ihrer Oppositionsrolle war diese für die PDS ohnehin keine Macht-, sondern eine Imagefrage. Die Berliner Parteiführung hatte die Landesverbände früh angewiesen, möglichst Kandidaten auszuwählen, die „über eine hohe Sachkompetenz und Akzeptanz bei breiten Bevölkerungsschichten“ verfügen und die bei unterschiedlichen Zielgruppen Anklang finden.348 Nachdem zunächst etwa der Dresdner Philosophieprofessor Helmar Hegewald im Gespräch war, bestätigte die Landeswahlkonferenz der „Linken Liste – PDS“ schließlich am 18. August den früheren Karl-Marx-Städter Oberbürgermeister (1986-1990) Eberhard Langer als Spitzenkandidaten.349 Langer war in Sachsen bekannt und galt als atypischer Vertreter der SED. Er hatte durch seinen eher pragmatischen und konsensorientierten Politikansatz stets gewisse ideologische Distanz bewiesen. Er war, so Bartl, „von seinem ganzen Habitus und seiner ganzen Ausstrahlung repräsentabel“ und hinsichtlich seiner Vergangenheit ohne Risiko.350 Langer verkörperte die geforderte Kontinuität, stand für das Alte, und verband dies mit einer gewissen personellen Unbescholtenheit, dem Neuen.351 Langer verfolgte zwei Linien. Als ehemaliger Karl-Marx-Städter Oberbürgermeister, amtierender Chemnitzer Stadtrat und Geschäftsführer der Sächsischen Schraubenwerke GmbH in Chemnitz vertraute er auf regionale Bekannt- und Beliebtheit. „Auch in der Vergangenheit verfocht ich Ideale. Zu ihnen gehörte, mich nicht über meine Mitbürger erhaben zu fühlen. So verstand ich mich durchaus als Stadtvater“.352 Heute, als Geschäftsführer, spüre er täglich die Probleme der ökonomischen Transformation. Die Belegschaft sei an ihn mit der Bitte herangetreten, in einer schweren Situation das Unternehmen zu führen. 353 Ferner agierte Langer als gebürtiger Sachse, der hier zu Hause sei und die Probleme kenne. „Ich weiß, dass Sachsen kein Schlaraffenland ist, aber ich muss nicht erst herumreisen und fragen, wie alles ist. […] Ich kenne Sachsen, weiß welche Potenzen hier stecken, an Industrie, an Wissenschaft und die der Menschen, es ist ein schönes Land, ich habe Optimis-
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Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990. Vgl. LVZ/J.W.: PDS will für ein starkes Land Sachsen wirken, in: LVZ vom 30. Juli 1990. Interview mit Klaus Bartl in: Hannes Haferkorn: Der objektive Bürger wird eine starke Opposition honorieren, in: SZ vom 20. August 1990. Vgl. auch Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990. Vgl. Interview mit Eberhard Langer am 17. November 2005; LSC: Wahlen in Sachsen: Parteien beriefen ihre Spitzenkandidaten, in: Sächsisches Tageblatt vom 21. August 1990. Vgl. Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006. Vgl. ebd.; Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. Interview mit Eberhard Langer, in: ND vom 11. Oktober 1990. Vgl. Interview mit Eberhard Langer in: Elke Schmidtke: Sachsen soll wieder ein sozial gerechtes Land werden, in: LVZ vom 11. Oktober 1990.
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mus.“354 Die PDS, so Langer euphemistisch, bringe das „Wissen um das Denken und Fühlen, die Wünsche und Sorgen der Sachsen mit. […] Wir kennen die Strukturen und wissen, was in der Wirtschaft, in der Landwirtschaft, in der Kultur und Wissenschaft los ist. Denn wir haben das ja Jahre mitgestaltet und brauchen nicht nachzuforschen. Und wir wissen auch, wo der Hase im Pfeffer liegt, da hat auch jeder von uns seinen Anteil, dass der Hase im Pfeffer liegt.“355 Langers konsensorientierter Ansatz, alle Parteien an der politischen Entscheidungsfindung zu beteiligen und auf rein sachpolitischer Ebene zu entscheiden, entsprang sowohl seinen kommunalpolitischen Erlebnissen als auch seinem stark identitären Demokratieverständnis.356 Er hob die Erfahrungen im Chemnitzer Stadtrat hervor, wo bei Sachfragen die Kompetenz eines Abgeordneten über dessen Fraktionszugehörigkeit stehe. Die Fraktionen im Landtag, so Langer, sollten daher „parteipolitisches Geplänkel und Taktieren vermeiden“.357 Er präferiere „eine Regierung, in der alle vertreten sind, auch wenn sie nicht die Fünfprozenthürde überspringen“.358 Im Vergleich zu den Kandidaten von CDU und SPD hielten sich Langers Wahlkampfauftritte in Grenzen. Da die Medienberichterstattung sich auf das Duell zwischen Fuchs und Biedenkopf konzentrierte, Langer zu den anderen Spitzenkandidaten keine Kontakte hatte und die PDS medial weitgehend isoliert war, führte er vorwiegend einen Wahlkampf über die Basisorganisationen.359 Der verheiratete Vater von vier Kindern, wohnhaft in einer Chemnitzer „Neubauwohnung“, verkörperte den aufrechten DDR-Bürger. Er charakterisierte sich im Wahlkampf als „Mensch der leisen Töne“, der nichts verspreche, was er nicht halten könne. Tatsächlich war Langers Wahlkampfstil sachlich, ruhig, zurückhaltend. Er war optimistisch. „Die Sachsen wollen und werden es packen!“360 Um dem eigenen Anspruch auf Seriosität und Professionalität Folge zu leisten, positionierten die Postkommunisten um ihren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten Langer eine Art gleichberechtigtes Schattenkabinett, vertreten durch Helmar Hegewald (Umwelt), Klaus Bartl (Recht), Peter Porsch (Kultur) und Annelies Kubicek (Gesundheit und Soziales). Unter dem Slogan „Für ein demokratisches und sozial gerechtes Sachsen“ präsentierten die Wahlkampfflugblätter der PDS den Wählern fünf Spitzenkandidaten, die, so Bartl, alle „durchweg DDR-Sachsen“361 seien.
4.4.4 Themenkampagne Die PDS-Themenkampagne war ambivalent. Auf der einen Seite focht die Partei einen sachlichen Wahlkampf mit folgenden Schwerpunkten: Ausarbeitung einer Landesverfas354
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Interview mit Eberhard Langer in: Brigitte Müller: Rat des alten Stadtoberhauptes noch gefragt, in: Sächsisches Tageblatt vom 8. Oktober 1990. Interview mit Eberhard Langer in: Frank Tausch: Was mir im Wahlkampf fehlt, sind leise Töne, in: SZ vom 1. Oktober 1990. Vgl. Interview mit Eberhard Langer, in: LVZ vom 11. Oktober 1990. Interview mit Eberhard Langer, in: ND vom 11. Oktober 1990. Langer betonte, er verfolge diesen Ansatz Zeit seines Lebens. Vgl. Interview mit Eberhard Langer am 17. November 2005. Interview mit Eberhard Langer, in: FP vom 10. Oktober 1990. Vgl. Interview mit Eberhard Langer am 17. November 2005; Interview mit Andreas Graff am 5. Dezember 2005. Interview mit Eberhard Langer, in: ND vom 11. Oktober 1990. Vgl. Interview mit Klaus Bartl, in: SZ vom 20. August 1990.
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sung, deren Verabschiedung per Volksentscheid, Frieden und Entmilitarisierung, Ökologie, Kultur, Marktwirtschaft und soziale Sicherheit. Auf der anderen Seite spielte sie mit den Ängsten der Menschen und instrumentalisierte transformationsbedingte Verwerfungen. Bestimmend für die Themenkampagne war das Wahlprogramm.362 Auf Basis der modifizierten Diskussionsangebote des Koordinierungsrats untersetzte es strategische Ziele mit Politikangeboten.363 Die Landespartei hegte den Anspruch, als zukünftige Oppositionskraft alle Politikbereiche abzudecken, hatte daher ein „Vollprogramm“ entworfen.364 Theoretischer Ausgangspunkt der Themenkampagne waren die im Zuge der Krisensituation der DDR und des forcierten Einigungsprozesses auftauchenden Probleme, die interparteilichen Auseinandersetzungen über die grundlegenden Wandlungsprozesse sowie die für zahlreiche Bürger immer stärker werdenden wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Belastungen. Zusätzlich, so mutmaßte die Partei, würde der ablaufende Länderbildungsprozess „zwangsläufig bestimmte verfassungsrechtliche, politische, finanzielle und ökonomische Fragen der Länder in den Mittelpunkt“ rücken. 365 Entsprechend forcierte die PDS die Themen Basisdemokratie, Demokratisierung der Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Pazifismus und ökologische Verantwortung. Bereits in den vergangenen Wahlen, so ihre Annahme, sei man mit Werten wie sozial, solidarisch, friedlich oder humanistisch angetreten, weshalb es nun gelingen müsse, „diese Grundwerte in realistische, länderspezifische Politikangebote für die Bürger umzusetzen“. Die PDS-Führung stellte fest: „Wir brauchen eine Wahlprogrammatik, die eindeutig unsere PDS-Spezifik widerspiegelt“,366 also die soziale Gerechtigkeit besetzt, sich aber zugleich von der SPD abgrenzt. Daneben okkupierte die Partei ökologische Themen. Zum einen hatte sich im Landesverband um Helmar Hegewald eine ökologische Strömung etabliert, zum anderen war das Thema Umwelt politisch en vogue, weshalb sich die PDS grüner Inhalte bediente.367 Wirtschaftspolitik war im Wahlkampf der PDS kein vorrangiges Thema. Dennoch fragte die Themenkampagne, wie die DDR-Wirtschaft in eine Soziale Marktwirtschaft überführt, das neue marktwirtschaftliche System gestaltet und möglichst ein Großteil der Industrie erhalten werden könne.368 Vor allem ging es der PDS neben dem Bewahren von „DDR-Errungenschaften“ um das Vermeiden von Arbeitslosigkeit bzw. um deren grundlegende Bekämpfung. Die ökonomische Situationsanalyse der früheren Staatspartei fiel dürftig aus. Ihr Wahlprogramm bemerkte: „Bürgerliche Demokratie und kapitalistische Marktwirtschaft werden unser Umfeld sein. Unter diesen Bedingungen sind starke und kompetente linke Kräfte notwendig, um [...] die Interessen vor allem der Werktätigen [...] wirkungsvoll zu vertreten.“369 Der Übergang zur Marktwirtschaft stelle sich als eine „Eroberung des DDR-Marktes durch westliche Monopole“ dar, ohne ausreichend Investitionen im „produktiven Bereich“.370 Langer konstatierte: „Momentan stehen alle Parteien vor der katastrophalen Beschäftigungssituation in den Betrieben, selbst in ganzen Zweigen des in 362
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Vgl. Die sächsische PDS verfügte 1990 über zwei Wahlprogramme, das „Wahlprogramm der PDS für ein Land Sachsen“ sowie das „Programm der Listenvereinigung Linke Liste-PDS“. Vgl. Ergebnisse der Beratung des Arbeitskreises Landeskonferenz/Landeswahlplattform vom 25. Juni 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006. Vgl. Wahlbüro des Parteivorstands der PDS: Ergebnisse der Klausurberatung vom 14. Juni 1990. Ebd. Vgl. Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Werner Glaesel am 22. Dezember 2005; Interview mit Bernd Rump am 24. Januar 2006. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 1. Ebd., S. 3.
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Sachsen traditionellen Handwerks. Es gibt viele, die gewaltige Probleme und schlimmer noch gar keine Perspektiven haben.“371 Während es die Partei vermied (Energie und Umwelt ausgenommen), die desaströsen Hinterlassenschaften ihrer früheren Herrschaft anzusprechen, erkannte sie den wahren Grund für die negative ökonomische Situation in der „schnelle[n] und teilweise ungeschickte[n] Einführung der Marktwirtschaft“.372 Entsprechend hatte Peter Porsch Grund zu der Auffassung, dass „der Optimismus in Sachsen derzeit noch nicht sehr groß“ sei, „weil Hoffnungen bereits wieder enttäuscht wurden“, auch Hoffnungen, die erst 1990 entstanden.373 Das „harte Geld“, so Klaus Bartl, sei jetzt vorhanden, „aber die sozialen Probleme verschärfen sich noch viel schneller, als die PDS es warnend voraussagte. Nun erklärt man beschwörend: So schnell wie möglich die Einheit und das gesamtdeutsche Parlament, dann werden auch die Probleme alle gelöst! Aber wer kann das noch glauben?“374 „Markt und Wirtschaftsentwicklung“ dürften laut PDS kein „Selbstzweck“ sein. Ihnen komme die Funktion eines Mittels zur Befriedigung sozialer, ökologischer und kultureller Bedürfnisse der Menschen zu, ebenso wie ein soziales Wohlbefinden die Wirtschaft vorantreibe.375 „Nicht nur nach unserem Verständnis ist Marktwirtschaft, zu der wir uns bekennen, von Natur aus weder sozial noch demokratisch, noch ökologisch.“376 Eine marktwirtschaftliche Ordnung könne nur „sozial vernünftig“ gestaltet werden, wenn die Bürger, wenn die „Werktätigen“, ihre Interessen artikulieren und durchsetzen können.377 Ein sozialer Charakter, das habe die Geschichte der BRD gezeigt, müsse ihr erst durch die „starke Präsenz linker Bewegungen aufgeprägt werden“. Die Partei plädierte daher für eine „demokratisch mitbestimmte und ökologisch verträgliche Wirtschaft“378 mit einer besonders starken Rolle der Gewerkschaften und Betriebsräte. Noch skeptischer als den grundlegenden Charakter der Marktordnung beurteilte die PDS deren Vermögen, die kommenden Wandlungsprozesse zu gestalten. Für sie stand fest, dass diese Umstellung nicht allein dem Markt überlassen werden könne. Entsprechend forderte Langer von der Bundesregierung ein Konzept, „in welche Richtung die Wirtschaft, mithin die Infrastruktur, auch die Umschulung hier in den neuen Bundesländern entwickelt werden sollen“.379 Nach seinem Dafürhalten dürfte man besonders die Kernindustriezweige der DDR „ganz und gar nicht dem absolut freien Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte überlassen“.380 Porsch stellte die ordnungspolitische Frage in Anbetracht des Transformationsprozesses gezielter: „Sollte man da nicht gleich beim Wirtschaften so einsteigen, dass möglichst wenig abzufedern ist? Das könne auch derart getan werden, dass man dem privaten, dem genossenschaftlichen, dem gesellschaftlichen und dem kommunalen Eigentum gleichermaßen eine Chance gibt.“ Motivation durch Eigentum spiele zwar eine große Rolle, gleichwohl scheine es illusionär, „dass die einzige Form der Mitbestimmung darin besteht, dass wir alle Eigentümer sind. Ich hätte nichts dagegen, aber es wird nicht gehen. Dagegen 371 372 373 374 375
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Interview mit Eberhard Langer, in: ND vom 11. Oktober 1990. Interview mit Eberhard Langer, in: LVZ vom 11. Oktober 1990. Peter Porsch in: Edith Gierth: Spitzenpolitiker für den sächsischen Landtag. Interview mit Klaus Bartl, in: SZ vom 20. August 1990. Vgl. Wahlprogramm der Linken Liste – PDS 1990, S. 3 f.; Interview mit Eberhard Langer am 17. November 2005. Interview mit Klaus Bartl, in: SZ vom 20. August 1990. Vgl. Wahlprogramm der Linken Liste – PDS 1990, S. 3. Interview mit Klaus Bartl, in: SZ vom 20. August 1990; Wahlprogramm der Linken Liste – PDS 1990, S. 7. Interview mit Eberhard Langer, in: FP vom 10. Oktober 1990. Interview mit Eberhard Langer, in: ND vom 11. Oktober 1990.
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halte ich institutionelle Mitbestimmung in der Industrie auf gesetzlicher Grundlage für unabdingbar. [...] Ein ordentliches, paritätisches Mitbestimmungsmodell würde einen sehr starken Motivationsschub ausüben – auch auf die Leute, die nicht Kapitaleigner sind.“381 Hauptziel der PDS war neben einem „demokratischen und sozial gerechten Sachsen“382 ein „starkes, wirtschaftlich effizientes Sachsen“, basierend auf einer Landespolitik, „die gleichrangig die sozialen, ökologischen und rechtsstaatlichen Komponenten im Blick hat“.383 Das wirtschaftliche Zielsystem ging folglich mit den vier Kategorien demokratisch, rechtsstaatlich, sozial und ökologisch Hand in Hand. Die Wirtschaft sollte nicht nur leistungsfähig und modern, sie musste auch umweltverträglich und sozial ausgerichtet sein.384 „Soziale Sicherheit“ könne in Sachsen nur gewähren, wer die Marktwirtschaft „sozial vernünftig“ gestalte. Die Partei schrieb „sozial verträgliche Renten“, „sozial vertretbare Mieten“ und eine „kostenlose und jedermann zugängliche medizinische Betreuung“ als soziale Ziele fest. Neben Forderungen nach einer unbedingten Bindekraft der Umweltstrategien integrierte sie die demokratische Komponente in Form einer starken Arbeitnehmermitbestimmung und starker „Interessenvertretungen der Werktätigen“ in ihre Zielvorstellungen, ohne direkt die Demokratisierung der Wirtschaft zu verlangen. Die PDS verpackte ihre gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Ziele in die von ihr geforderten sozialen Verfassungsgrundsätze. Dabei dominierten Gerechtigkeits- und Sicherheitskategorien. Ohne dies genauer auszuführen, platzierte sie ein „Recht auf Arbeit und Arbeitsförderung“ als garantiertes Menschenrecht. Freiheitliche ökonomische Ziele tauchten in ihrer Themenkampagne nicht auf.385 Davon ausgehend, dass eine ökonomische „Umstellung dieser Dimension“ nicht allein der „marktwirtschaftlichen Regulierung“ überlassen werden könne, plädierten die Postkommunisten für „einen ökologischen Umbau der Industrie“.386 Die Partei trat für eine „moderne, volkswirtschaftliche Strukturpolitik“ in industriellen Ballungsgebieten und in unterentwickelten Bereichen ein, welche die Entstehung einer „modernen Industrie, einer leistungsfähigen Landwirtschaft und eines attraktiven Dienstleistungswesens sichert“.387 Die Unternehmen müssten vor dem Hintergrund der „Eroberung des DDR-Marktes durch westliche Monopole“ leistungsfähiger, ihre Produkte attraktiver werden.388 Langer sprach sich dafür aus, „bewahrenswerte Traditionen, Werte und Leistungen auch der vergangenen 40 Jahre weiterführen [zu] wollen“. „Der Mittelstand beginnt sich, wenn auch unter kompliziertesten finanziellen Bedingungen zu regen.“ „Der Werkzeugmaschinenbau, die Mikroelektronik/Elektrotechnik [...] müssen effektiver als bisher arbeiten und erhalten bleiben.“389 Die wissenschafts- und technologieintensiven Kernindustriezweige der DDR (Werkzeug- und Textilmaschinen, elektrotechnisch-elektronische Industrie) seien zu „Hochtechnologiezentren“ auszubauen, während klein- und mittelständische Betriebe Investitionsförderungen und Schuldenerlässe benötigten.390 Zur regionalen Strukturpolitik 381 382 383 384 385 386 387 388 389 390
Peter Porsch in: Edith Gierth: Spitzenpolitiker für den sächsischen Landtag. Wahlprogramm der Linken Liste – PDS 1990, S. 8. Interview mit Klaus Bartl, in: SZ vom 20. August 1990. Vgl. Interview mit Eberhard Langer, in: FP vom 10. Oktober 1990. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 2 f. Interview mit Eberhard Langer, in: LVZ vom 11. Oktober 1990. Wahlprogramm der Linken Liste – PDS 1990, S. 7. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 3. Interview mit Eberhard Langer, in: ND vom 11. Oktober 1990. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 4.
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verkündete Porsch auf einer Wahlkundgebung in Leipzig, dass seine Partei die von der CDU angestrebten „Inseln des Wohlstands“ nicht mittragen würde. Solche Politik führe nur dazu, dass „sächsischer Wohlstand in Chemnitz erarbeitet, in Leipzig ausgestellt und in Dresden verprasst“391 werde und sich arme und reiche Gebiete herausbildeten. Hingegen müsse auch in Problemgebieten der Aufschwung gefördert werden, Wirtschaftsförderung alle Bereiche bedienen, nicht nur wirtschaftliche „Inseln“.392 Angesichts der drohenden Arbeitslosigkeit und ihrer sozialen Folgen forderte die PDS ein staatliches „System zur Beschäftigungssicherung“, welches mittels „großangelegter Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen“393 die „Qualifizierung und Umschulung der Werktätigen“ garantiert, Arbeitsplätze in dringend nötigen Bereichen (z. B. den Braunkohleregionen) schafft394 sowie „Auffang- und Beschäftigungsgesellschaften“ gründet. In diesem Zusammenhang plädierte die PDS für ein staatlich verbürgtes „Recht auf Arbeit“. Jeder der arbeiten wolle, müsse dazu die Möglichkeit haben.395 Zur Finanzierung schlug Langer verminderte Rüstungsausgaben und die Teilnahme Sachsens am Länderfinanzausgleich vor. Ebenso sah er in Anbetracht der „gigantischen Reparationslasten“, welche die ehemaligen DDR-Länder getragen hätten, Westdeutschland in einer finanziellen Bringschuld. Er betonte, die Bundesregierung in die „Finanzpflicht“ nehmen zu wollen. Ohne deren Hilfe sei es „nicht zu schaffen“. Des Weiteren müssten die neuen Bundesländer stärker an den Gewinnen beteiligt werden, welche die westdeutsche Industrie auf ihre Kosten erziele.396
4.4.5 Konkurrenzkampagne Die PDS hatte 1990 zwei politische und einen parteipolitischen Hauptgegner. Die beiden politischen Gegner waren ihre Diktaturvergangenheit und deren negative öffentliche Thematisierung. Ihr parteipolitischer Hauptgegner waren die Sozialdemokraten. Thematische Parallelen (Stichwort: demokratischer Sozialismus) induzierten eine massive Wählerstimmenkonkurrenz beider Parteien. Entsprechend ambivalent war das Verhältnis der PDS zur SPD. Während sich die postkommunistische Parteiführung der sich kreuzenden Wählerschichten und damit der Notwendigkeit einer Polarisierung bewusst war, sympathisierten Teile der Basis mit der SPD. In den Reihen der PDS existierte eine „gewisse Oskar Lafontaine-Sympathie“.397 So bekundete Eberhard Langer, man könne vor dem, was Lafontaine im Saarland vollbracht habe, „nur den Hut ziehen“.398 Die Postkommunisten befanden sich in einem Dilemma. Kritisierten sie die Sozialdemokraten und deren Konzeptionen, dann verprellten sie womöglich Teile der eigenen Anhängerschaft und machten sich angesichts ähnlicher Inhalte unglaubwürdig. Unterließen sie aber einen konfrontativen Kurs, hießen gar die Politik der SPD gut, hätten dies die eigenen Anhänger als Wahlaufforderung miss391 392 393 394 395 396
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Peter Porsch zitiert nach: Steffen Reichert, Streicheln und Schelte, in: LVZ vom 24. September 1990. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 4. Interview mit Eberhard Langer, in: FP vom 10. Oktober 1990. Vgl. SZ: Ein Wahlkampf der leisen Töne und Sachlichkeiten, in: SZ vom 11. Oktober 1990. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 2 f. Vgl. Interview mit Eberhard Langer, in: FP vom 10. Oktober 1990; Interview mit Eberhard Langer, in: ND vom 11. Oktober 1990; Interview mit Eberhard Langer, in: LVZ vom 11. Oktober 1990. So Bernd Rump auf der Landesvertreterversammlung vom 20. Oktober 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Interview mit Eberhard Langer, in: LVZ vom 11. Oktober 1990.
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deutet. Um der Isolation zu entrinnen, betonte Langer schließlich die auf einigen Politikfeldern geringen Unterschiede und bot der SPD eine Kooperation an. „Wir sind für Gespräche und Zusammenarbeit völlig offen, treffen aber – aus sehr parteiegoistischen Motiven und Profilierungsgründen – auf wenig Gegenliebe.“399 Zur CDU pflegte die PDS ein Nichtverhältnis, kritisierte allenfalls am Rande die fehlende Vergangenheitsbewältigung in der ehemaligen Blockpartei. Schließlich waren einige CDU-Funktionäre den PDS-Kandidaten nicht fremd. Man kannte sich von früher, hatte mitunter auf Kreis- oder Bezirksebene zusammen oder gegeneinander gearbeitet. Gern gab sich die PDS offen überrascht über die plötzliche Distanziertheit einiger alteingesessener Christdemokraten. 400 Als Gegner aller Parteien spielte die PDS im Landtagswahlkampf 1990 eine Sonderrolle. Im Strudel der Anfeindungen der politischen Konkurrenz und der Öffentlichkeit positionierte sich die vormalige Diktaturpartei nun als Opfer, das sich „wütenden Angriffen“ erwehren müsse. „Unter Verweis auf die SED-Vergangenheit wird jeder Schritt den wir gehen, jeder Vorschlag den wir unterbreiten, von anderen politischen Kräften diskriminiert. Der Druck auf die PDS, ihre Mitglieder und Funktionäre, die Bestrebungen, sie gesellschaftlich auszugrenzen, halten weiter an und verstärken sich zum Teil noch.“401 Wenn man in der politischen Diskussion keine Argumente gegen die Opposition habe, dann werde sie eben mit „Klischees verketzert“, so Bartl.402 Der Landesvorsitzende resümierte nach der Landtagswahl: „Fakt ist, dass hinter uns ein harter Wahlkampf liegt, in dem die PDS für nahezu alle der Prügelknabe war, auf dessen Buckel man sich profilieren wollte. [...] Mit der ständigen Betonung, mit allen sei man bereit zu koalieren, nur mit der PDS nicht, suggerierte man regelrecht, dass es nutzlos sei, uns zu wählen.“403 Dem gegenüber akzeptierte der PDS-Spitzenkandidat das Auftreten der gegnerischen Parteien. Langer bezeichnete den Wahlkampf als „fair, offen und sachlich“.404 Konsensuell betonte er, dass es doch „im Sinne der grundlegenden Interessen der Menschen“ um Toleranz und Zusammenhalt „über alle politischen Kalküle hinweg“ gehen müsse. Jenseits parteilicher Unterschiede und Diskrepanzen sollten alle Akteure für die Menschen da sein.405 Insgesamt versuchte die PDS mit einer Mischung aus Konfliktvermeidung und instrumentalisierter Kooperation, ihre Rolle im interparteilichen Wettbewerb zu sichern.
4.5 Wahlnachlese 4.5.1 Wahlergebnis Hatte zu Beginn des Jahres 1990 noch die Frage dominiert, ob die starke sächsische Arbeiterschaft die früheren Wahlerfolge sozialdemokratischer und kommunistischer Parteien in Sachsen wiederaufleben lassen würde, war im Herbst 1990 einzig die Höhe des CDUSieges ungewiss. Bei einer Wahlbeteiligung von 72,8 Prozent errangen die Christdemokra399 400 401
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Ebd. Vgl. Interview mit Andreas Graff am 7. Dezember 2005; Interview mit Bernd Rump am 24. Januar 2006. Rechenschaftsbericht an den Dresdner Bezirksvorstand der PDS vom 24. Juli 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Klaus Bartl, in: SZ vom 20. August 1990. Internes Interview des PDS-Pressediensts mit Klaus Bartl zum Ergebnis der Landtagswahlen, o.O. 1990, S. 2. SZ: Ein Wahlkampf der leisen Töne und Sachlichkeiten, in: SZ vom 11. Oktober 1990. Vgl. Interview mit Eberhard Langer, in: ND vom 11. Oktober 1990.
4.5 Wahlnachlese
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ten 53,8 Prozent, ein enormer Zuwachs gegenüber dem Volkskammerwahlergebnis um 10,4 Punkte (Tabelle 20). Die SPD konnte sich zwar um vier Prozentpunkte auf 19,1 Prozent verbessern, blieb aber unter ihren Erwartungen. Die PDS fuhr mit nur 10,2 Prozent hinter Thüringen das zweitschlechteste Ergebnis ein und schrumpfte im Vergleich zur Volkskammerwahl um 3,4 Punkte. Das Wahlbündnis aus Neuem Forum, Bündnis 90 und den Grünen schaffte mit 5,6 Prozent, die FDP mit 5,3 Prozent den Sprung in den Sächsischen Landtag. Die DSU tat mit 3,6 Prozent den ersten Schritt in die Bedeutungslosigkeit, der (Rest-)DA war mit 0,6 Prozent dort angelangt. Im neuen Fünfparteiensystem erreichte die „Zahl der effektiven Parteien“ wegen der deutlichen CDU-Mehrheit und dem schlechten Abschneiden von FDP und Grünen nur einen Wert von 2,91. Es herrschte somit eine starke Asymmetrie zugunsten der Christdemokraten, die 24,4 Punkte vor SPD und PDS lagen.406 Nach Bekanntwerden der Ergebnisse deuteten die meisten Beobachter diese zu Recht als bundespolitische Signale. Schließlich erreichte die sächsische CDU bei der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 49,5 Prozent der Stimmen, trotz des überraschend hohen FDP-Ergebnisses von 12,4 Prozent. Die SPD kam auf 18,2, die PDS auf 9,0 Prozent. Die Christdemokraten hatten bei den Landtagswahlen im ostdeutschen Wahlgebiet ihr Volkskammerwahlergebnis um 2,8 Punkte auf 43,6 Prozent verbessert. Als führende politische Kraft stellten sie vier von fünf Ministerpräsidenten, darunter Kurt Biedenkopf als einzigen „Westimport“. Profitiert hatte die CDU insbesondere vom Verfall der DSU und der Schwäche der FDP. In der kurzzeitigen DSU-Hochburg Sachsen bescherte dies den Christdemokraten in Verbindung mit ihrem starken Spitzenkandidaten eine absolute Mehrheit. Sie erstritten alle 80 Direktmandate und stellten 92 der 160 Landtagsmandate (Tabelle 13). Biedenkopf war sich der Symbolkraft der errungenen Mehrheit im Klaren. Noch am Wahlabend bezeichnete er das Ergebnis, das ihm eine Alleinregierung ermöglichte, als „außerordentlich eindrucksvoll“ und als „riesigen Vertrauensvorschuss“ der Wähler.407 Während die SPD ihre Position im ostdeutschen Wahlgebiet auf 26,6 Prozent verbessern konnte, blieb sie einzig in Sachsen unter der 20-Prozentmarke. Aus dem einstigen „sozialistischen Wählerterritorium der Superlative“ war mit der Landtagswahl eine „sozialdemokratische Diasporaregion“408 geworden. Die Arbeiterschaft versagte der Partei, die sich nicht als deren politische Vertreterin hatte etablieren können, erneut ihre Gunst und entschied sich in großer Mehrheit für die CDU. Entsprechend zerknirscht zeigten sich die Sozialdemokraten am Wahlabend. Mit gespieltem Optimismus interpretierten sie das Wahlergebnis als „gute Basis für den weiteren Vertrauenszuwachs der SPD in Sachsen“ und dankten ihrer Spitzenkandidatin für ihren „großen Einsatz“.409 Anke Fuchs, die nach Bonn zurückkehrte, resümierte, dass es speziell der Bundes-SPD nicht gelungen sei, sich in Ostdeutschland als „Hoffnungsträger“ darzustellen. Fuchs war dennoch überzeugt, mit ihrer Kandidatur ein noch schlechteres Ergebnis verhindert zu haben.410
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Vgl. Brümmer (2006), S. 108-111, 132. Vgl. SZ: Sächsische Christdemokraten schaffen absolute Mehrheit, in: SZ vom 15. Oktober 1990. Franz Walter (1991): Sachsen – ein Stammland der Sozialdemokratie?, in: PVS 32 (1991), S. 207-231, hier 208, 219. Vgl. Pressemitteilung des Landesvorstands der sächsischen SPD vom 15. Oktober 1990. Vgl. Bernhard Heimrich: In Deutschland werden die Leute vor Neid erblassen, in: FAZ vom 16. Oktober 1990. Dass sich vor der Wahl 33 Prozent der Wahlberechtigten für Fuchs als zukünftige Ministerpräsidentin ausgesprochen hatten, untermauert diese These. Sie hatte einen Bonus gegenüber der Landespartei. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990b), S. 169.
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Die PDS trug ihr Resultat mit Fassung. Zwar war ihr die thüringische Einstelligkeit erspart geblieben, ihr Ziel, 500.000 Stimmen auf die Listenverbindung zu vereinigen, hatte sie gleichwohl nur zur Hälfte erreicht. Als drittstärkste politische Kraft zog sie mit 17 Mandaten in den Landtag ein. Während die innerparteilichen Reaktionen unterschiedlich ausfielen, Bernd Rump sprach von einem „anständigen Ergebnis“411, im Chemnitzer Raum war von einem „unbefriedigendem Wahlergebnis“412 die Rede, zeigte sich die Partei nach außen enttäuscht. Landeschef Bartl sagte, der Ausgang der Wahl sei nicht sein „Wunschergebnis“. Nach einem harten Wahlkampf mit Anfeindungen von allen Seiten und einer Isolation durch die anderen Parteien sowie durch die Medien, hätten sich die Wähler den Parteien zugewandt, „denen sie am ehesten zutrauen, Sachsen aus dem unbestreitbaren wirtschaftlichen und sozialen Tal herauszuführen“.413 Die sächsischen Wähler entschieden stark sach- und nur zu einem gewissen Grad personenorientiert. Sie maßen im Vorfeld der Wahl den Christdemokraten im Vergleich zu den Sozialdemokraten auf beinahe allen Politikfeldern die größere Problemlösungskompetenz zu. Besonders in Fragen der Gestaltung der deutschen Einheit, der ökonomischen Transformation und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dominierte das Vertrauen in die CDU. Einzig bei der sozialen Sicherheit war die SPD konkurrenzfähig.414 Das Wahlergebnis widerlegte traditionelle Wahlmuster. Erneut entschieden sich diejenigen, „die unter den ökonomischen Missständen in der DDR am meisten zu leiden gehabt hatten“,415 für die CDU. Weniger die sozialstrukturellen Gegebenheiten, als vielmehr die wahrgenommene Kompetenz Biedenkopfs sowie die Wahrnehmung der CDU als Partei der Einheit und des wirtschaftlichen Aufschwungs formten das Ergebnis. Der einheitsskeptische Kurs des SPDKanzlerkandidaten tat sein übriges. Was unter westdeutschen Vorzeichen einem crossclass-voting entsprochen hätte, war in Sachsen Indiz für den ausgeprägten Einfluss kurzfristiger Faktoren.416 Während sozialstrukturelle Elemente für die Wahlentscheidung nur bedingt den Ausschlag gaben, unterschieden sich die Wähler der Parteien in ihren sozialen Strukturen deutlich. So schnitten CDU und SPD in den jüngeren Altersgruppen unterdurchschnittlich ab, während die Wählerschaft der PDS nach Alter nahezu invariant war. Punkteten die Christdemokraten maßgeblich bei den über 50jährigen Frauen und Männern, erwiesen sich nur die über 50jährigen Männer als die stärkste sozialdemokratische Wählerschicht (Tabellen 14, 15).417 Unterschieden nach Berufsgruppen bestätigte das Wahlergebnis die CDU erneut als „Partei der Industriearbeiter“.418 Deren 60,9 Prozent hatten ihr Kreuz bei den Christdemokraten gesetzt, nur 17,1 Prozent taten dies bei der SPD. SPD und PDS sprach vor allem die Gruppe der leitenden Angestellten zu. Noch deutlicher war der Unterschied zwischen den Parteien in der Frage konfessioneller Wählerbindungen. Über die Hälfte der christde411
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Referat von Bernd Rump auf der Landesvertreterversammlung vom 20. Oktober 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Außenstelle Chemnitz der Landesgeschäftsstelle der PDS (Bärbel Süß): Analyse zum Wahlkampf der Linken Liste – PDS (Archiv des PDS-LV Sachsen). Interview des PDS-Pressediensts mit Klaus Bartl zum Ergebnis der Landtagswahlen, o.O. 1990, S. 2-6. Vgl. Feist/Hoffmann (1991), S. 12. Von Winter (1996), S. 302 f. Vgl. Thomas Emmert (1994): Politische Ausgangslage vor der Bundestagswahl 1994. Entwicklungen der Parteien, Themen und Kandidaten in Ost und West, in: Bürklin/Roth (Hrsg.), S. 54-85, hier S. 69. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990b), S. 166. Kurt Reumann: Die CDU als Partei der Industriearbeiter, in: FAZ vom 16. Oktober 1990.
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mokratischen Wähler verzeichnete eine konfessionelle Bindung, zwei Drittel der SPDWähler und knapp 90 Prozent der PDS-Wähler waren konfessionslos (Tabellen 16, 17).419 Nach wahlgeografischen Gesichtspunkten (Tabelle 18) schnitten die Christdemokraten in ländlichen und kleinstädtischen Regionen, speziell der Oberlausitz und dem Erzgebirge überdurchschnittlich ab. Hochburgen, wo die Partei über 60 Prozent der Zweitstimmen erhielt, waren u. a. die Bautzener, Görlitzer, Auerbacher, Annaberger und Marienberger Wahlkreise sowie Teile der Sächsischen Schweiz. Verhältnismäßig schwach war die CDU in der Stadt Leipzig, dem südlichen Leipziger Land und den beiden Städten Chemnitz und Hoyerswerda. In den Dresdner Wahlkreisen lag sie zwar knapp unter ihrem landesweiten Ergebnis, schnitt gleichwohl für ein großstädtisches Wahlgebiet sehr gut ab. Die Sozialdemokraten punkteten vor allem in der Stadt Leipzig und im gesamten ehemaligen Bezirk Leipzig. Hier lagen die Hochburgen der dort gut organisierten Partei (ein Leipziger Wahlkreis erreichte 29,6 Prozent). War Chemnitz ein eher durchschnittliches Wahlgebiet, erlitt die SPD in Dresden wegen der hier starken CDU erneut eine Schlappe. Ansonsten waren die Wahlergebnisse der Sozialdemokraten regional uneinheitlich. Wiesen sie in ländlichen und kleinstädtisch geprägten Regionen Schwächen auf, bedeuteten Mittel- und Großstädte nicht automatisch gute Resultate. Deutlicher konturiert waren die PDS-Ergebnisse. Sie punktete überdurchschnittlich in den drei größten Städten, speziell in Teilen von Dresden und in Chemnitz. Auch in den meisten mittelgroßen Städten erzielte sie mehr Stimmen als im Landesdurchschnitt. Hochburg war Hoyerswerda mit 19,6 Prozent. Schwächen offenbarten sich in ländlichen Regionen und Kleinstädten. Da die Wahlbeteiligung im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen vor allem in den städtischen Wahlbezirken gesunken war, hatte die PDS wichtige Stimmen eingebüßt. Indessen traf die CDU in den für sie vorteilhaften ländlichen Wahlkreisen auf eine stark mobilisierte Wählerschaft.420
4.5.2 Entwicklung nach der Wahl Im Landtag dominierten die 92 christdemokratischen Abgeordneten das Geschehen. 75 CDU-Parlamentarier waren dabei schon vor 1989 Mitglieder der DDR-CDU oder der DBD gewesen, darunter 38 frühere Leitungskader. Nur zehn Abgeordnete waren der CDU im Laufe oder nach der friedlichen Revolution beigetreten, zehn weitere kamen aus dem DA oder dem NF. Am 24. Oktober wählte die Fraktion mit Herbert Goliasch entsprechend einen altgedienten Leipziger CDU-Kader (und langjährigen IM der Staatssicherheit) zu ihrem Vorsitzenden. Parlamentarischer Geschäftsführer wurde der politisch versierte Rheinländer Klaus Leroff. Goliasch sollte durch seine politische Erfahrung die heterogene, von Altmitgliedern dominierte Fraktion zusammenhalten. Als einziger aus den Reihen der Reformer stieß das ehemalige DA-Mitglied Matthias Rößler, der zugleich zum hochschulpolitischen Sprecher gewählt wurde, in den Fraktionsvorstand vor. Auseinandersetzungen zwischen den progressiven Interessen der „Neuen“ und den mehrheitlich retardierenden Politikvorstellungen der „Alten“ waren in dieser Konstellation programmiert.421
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Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990b), S. 165-167. Vgl. Landtagswahl 1990 – Wahlergebnisse im Land Sachsen, in: http://www.statistik.sachsen.de [Stand: 21. November 2005]; Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1990b), S. 163 f. Vgl. Richter (2004), S. 844-846; Thumfart (2002), S. 157.
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Bei den Sozialdemokraten kam es bereits zwei Tage nach der Wahl zu einem entscheidenden Ereignis, welches die innerparteilichen Rivalitäten der kommenden Jahre determinierte. Auf ihrer konstituierenden Sitzung am 16. Oktober wählte die Landtagsfraktion nicht den tags zuvor vom Landesvorstand nominierten Lersow zu ihrem Vorsitzenden, sondern den ursprünglich als Stellvertreter vorgesehenen Kunckel. Die für eine junge Partei zum inneren Festigen und äußeren Profilieren notwendige geschlossene Führung war gescheitert. In der Doppelspitze begegneten sich zwei Rivalen, was das vom Landesvorstand angestrebte enge Verhältnis zwischen Partei und Fraktion erschwerte. Dass Kunckels Vertrauter, Peter Adler, zum Parlamentarischen Geschäftsführer gewählt wurde, manifestierte die Konfliktlinie.422 Friedemann Tiedt, das einzige westdeutsche SPD-Fraktionsmitglied, saß dem Haushalts- und Finanzausschuss vor.423 Drittgrößte Fraktion war mit 17 Abgeordneten die der PDS. Sie wählte den Landesvorsitzenden Bartl zum Fraktionsvorsitzenden, Parlamentarischer Geschäftsführer wurde der Dresdner Detlef Wehnert. Die überwiegende Mehrheit der Fraktionsmitglieder hatte in der DDR keine führenden SED-Funktionen innegehabt, sodass die Fraktion, mit wenigen Ausnahmen, nicht aus ehemaligen SED-Kadern, jedoch überwiegend aus ehemaligen SEDMitgliedern bestand. Als Folge der Listenverbindung zogen Bernd Schreier von der Gruppe Die Nelken, Michael Elsner von der FDJ, Steffen Tippach vom MJV und der KPDVorsitzende Ekkehard Uhlmann in den Landtag ein.424 Der Sächsische Landtag konstituierte sich am 27. Oktober 1990 im Saal der Dresdner Dreikönigskirche. Der von der CDU-Fraktion für das Amt des Landtagspräsidenten vorgeschlagene Erich Iltgen, vormals Leiter des Runden Tisches Dresden, wurde mit 132 Stimmen gewählt. Anschließend verabschiedeten die Abgeordneten mit großer Mehrheit das vom Koordinierungsausschuss vorbereitete „Gesetz zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Sächsischen Landtags und der Sächsischen Staatsregierung“ (Vorschaltgesetz), welches die Funktionsfähigkeit von Landtag und Regierung trotz fehlender Verfassung rechtlich garantierte. Auch beschlossen die Abgeordneten den Namen Freistaat Sachsen. Zur Wahl des Ministerpräsidenten erhielt Kurt Biedenkopf – als Zeichen des gering ausgeprägten Parteienwettbewerbs – 120 von 152 Stimmen: Neben den 88 anwesenden Mitgliedern seiner Fraktion wählten ihn 32 Oppositionsabgeordnete.425 Bei der Kabinettsbildung nutzte er die ihm im Vorfeld seiner Nominierung vom CDULandesvorstand zugesicherte personelle Wahl- und Entscheidungsfreiheit.426 Mit Ausnahme der beiden Schlüsselministerien Wirtschaft und Finanzen favorisierte Biedenkopf sächsische, vornehmlich nicht aus den Reihen der Block-CDU stammende Personalien. Seine am 6. November der Fraktion vorgestellte Regierung bestand aus zehn Ministern bei neun Ministerien. Arnold Vaatz hatte als Staatskanzleichef den Rang eines Staatsministers ohne eigenes Ressort inne. Der einzige parteilose Minister war Justizminister Steffen Heitmann, früherer Berater der Dresdner Gruppe der 20. Finanzminister wurde der Münsteraner Wirtschaftsprofessor und Stadtkämmerer Georg Milbradt. Als Minister für Wirtschaft und Arbeit engagierte Biedenkopf den früheren Wirtschaftsdezernenten und Bürgermeister von Neumünster Kajo Schommer. Mit Vaatz und Heitmann setzte er auf zwei Mitglieder des 422 423 424 425
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Vgl. Schmeitzner/Rudloff (1997), S. 158. Vgl. Richter (2004), S. 847. Vgl. ebd. Vgl. SZ: Erste hitzige Debatten im sächsischen Parlament, in: SZ vom 29. Oktober 1990; Richter (2004), S. 856-860. Vgl. Biedenkopf (2000), S. 302.
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Koordinierungsausschusses. Der aus dem DA stammende Hans Geisler war bereits Parlamentarischer Staatssekretär in der Regierung de Maizière gewesen und wurde nun sächsischer Sozialminister. Dass Biedenkopf drei Vertreter der neuen politischen Kräfte und zwei westdeutsche Personalien in sein Kabinett berufen hatte, provozierte die Kritik des CDULandesvorstands. Einzig mit Rudolf Krause als Innenminister band der neue Ministerpräsident einen ehemals hohen Funktionär der Block-CDU in sein Kabinett ein.427 Die mitunter durch die politischen „Neulingen“ hervorgerufenen fachlichen Defizite und fehlenden praktischen Erfahrungen kompensierte der Regierungschef, indem er den ostdeutschen Ministern westdeutsche Staatssekretäre zuordnete („Tandemstruktur“).428 „Damit stand der unter dem Einfluss der neuen Kräfte im Koordinierungsausschuss gebildeten Staatsregierung mit starkem Westanteil eine von Altmitgliedern dominierte Fraktion mit verschwindend geringem Westanteil gegenüber.“429 Mit der Vereidigung des neuen Kabinetts vor dem Landtag am 8. November 1990 begann in Sachsen die politische Arbeit.
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Weitere Minister waren: Stefanie Rehm (CDU): Kultusministerin; Hans Joachim Meyer (CDU): Minister für Wissenschaft; Karl Weise (CDU): Minister für Umwelt- und Landesentwicklung; Rolf Jähnichen (CDU): Landwirtschaftsminister. Zur sächsischen Regierungsbildung 1990 siehe Thumfart (2002), S. 464-473; Richter (2004), S. 871-879. Vgl. Thumfart (2002), S. 465. Richter (2004), S. 844.
5 Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
5.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl Zwischen 1990 und 1994 prägte die ökonomische Transformation die gesellschaftlichen und politischen Prozesse in Ostdeutschland. Während die westdeutsche Wirtschaft nach dem einheitsbedingten „Sonderboom“ in den Strudel einer europaweiten Rezession geraten war, aus welchem sie sich im Wahljahr befreien konnte, brachen bis Mitte 1992 große Teile der ostdeutschen Wirtschaft zusammen. Besonders betroffen waren der (überwiegend in Sachsen) angesiedelte Maschinen- und Fahrzeugbau und die Textilproduktion.1 Dem standen in Ostdeutschland bis 1994 über 600.000 Gewerbeanmeldungen gegenüber.2 Nach zweijährigem Minuswachstum erzielte die ostdeutsche Wirtschaft 1992 erstmals eine positive BIP-Wachstumsrate von real 7,8 Prozent. 1994 war das Jahr mit dem höchsten Realwachstum, in Sachsen plus 11,1 Prozent. Industrielle Großansiedlungen, die allmähliche Festigung des produzierenden Gewerbes, die Reorganisation mittelständischer Bereiche und der entstehende tertiäre Sektor regenerierten langsam die sächsische Wirtschaft. Markant war die mittelständische Strukturschwäche. Im letzten Jahr der DDR arbeiteten 90 Prozent der Erwerbstätigen in 270 Kombinaten, nur 11,1 Prozent der Betriebe hatten unter 500 Mitarbeiter.3 Ein im westdeutschen Verständnis mittelständischer Sektor hatte in der DDR nicht existiert. Entsprechend konnten die neu etablierten mittelständischen Unternehmen die bei der Auflösung der Kombinate abgebauten Arbeitskräfte nicht absorbieren. Beschäftigte der industrielle Sektor 1989 1,14 Millionen Sachsen, sank diese Zahl bis 1993 auf 0,24 Millionen.4 Die sächsische Arbeitslosenquote (Tabelle 27) betrug im Jahresmittel 1994 15,7 Prozent oder 323.370 absolut. Zusätzlich befanden sich 1994 183.589 Menschen in Kurzarbeit, in Arbeitsbeschaffungs- bzw. Strukturanpassungsmaßnahmen oder in Umschulungen. Vorruhestandsmodelle reduzierten die Erwerbsnachfrage. 5 Das Lebensgefüge der Menschen verschob sich. Verbesserten „politische“ Tarifabschlüsse und Rentenanpassungen die Einkommensverhältnisse der Beschäftigten und Rentner, verschlechterte sich die Situation der Arbeitslosen und Kurzzeitarbeiter.6 1 2
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Vgl. Karl Lichtblau (1995): Von der Transfer- in die Marktwirtschaft, Köln, S. 32. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (1997): Wachstum, Beschäftigung, Währungsunion. Orientierungen für die Zukunft. Jahresgutachten 1997/98, Stuttgart, S. 368-379. Vgl. Hans-Hagen Härtel/Reinald Krüger (1991): Aktuelle Entwicklungen von Marktstrukturen in den neuen Bundesländern, in: APuZ B. 29/1991, S. 13-25, hier S. 15. Vgl. Willi A. Boelcke (1993): Wirtschafts- und Sozialgeschichte Sachsen, in: Siegfried Gerlach (Hrsg.): Sachsen. Eine politische Landeskunde, Stuttgart u. a., S. 166-194, hier S. 172; Dirk Nolte (1994): Industriepolitik in Ostdeutschland am Beispiel des Bundeslandes Sachsen, in: APuZ B. 17/1994, S. 31-38, hier S. 33. Vgl. Carsten Schreiber (1998): Arbeitsmarkt in Sachsen – neuer Aufschwung in Sicht?, in: ifo DRESDEN BERICHTET (1998) H. 5, S. 38-50. Vgl. Peter Kalmbach (1993): Transformation in eine Marktwirtschaft mithilfe eines reichen Onkels, in: Harald Hagemann (Hrsg.): Produktivitätswachstum, Verteilungskonflikte und Beschäftigungsniveau, Marburg, S. 3568, hier S. 47.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_~5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
Die wirtschaftspolitischen Akteure hatten seit 1990 vornehmlich ordnungs- und wettbewerbspolitische Aufgaben. Sie mussten veränderte Unternehmensgrößen und -strukturen schaffen, wettbewerbsfähigen Anbietern Marktzugänge ermöglichen und die geordnete Übergabe bzw. den Verkauf ehemaliger Staatsunternehmen an Investoren gewährleisten. Etwa nahm Kurt Biedenkopf im Rahmen eines tripartistischen Korporatismus zwischen Staatsregierung, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden entscheidend Einfluss auf den Tarifkonflikt 1993. Die Staatsregierung formulierte ferner Wege für den industriellen Erhalt.7 Sie gründete 1991 den später finanziell gescheiterten „Sachsenfonds“, mit dessen Hilfe Unternehmen gekauft, saniert und wettbewerbsfähig gemacht werden sollten. 1992 schlossen der Freistaat und die Treuhandanstalt eine Kooperationsvereinbarung über die Modernisierung und Privatisierung von Unternehmen.8 Das daraufhin ins Leben gerufene Projekt ATLAS stufte bis Ende 1994 215 Unternehmen als „bedeutsam“ ein und privatisierte davon 145. Im Rahmen der Projekte ZEUS, HERKULES und PEGASUS knüpfte die Staatsregierung u. a. wirtschaftliche Auslandskontakte oder informierte Unternehmen über Marktchancen.9 Der Freistaat verwehrte sich dabei in der Regel Unternehmensbeteiligungen, versuchte, seinen Einfluss „auf die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten“.10 Parallel zu den ökonomischen Wandlungsprozessen verlief die institutionelle und politische Transformation. Gestützt auf die Arbeit des Koordinierungsausschusses hatte sich in Sachsen bis Mitte 1992 ein neues institutionelles System etabliert. Die Vorgabe des Einigungsvertrags, dass Strukturen abzuwickeln waren, die nicht bis Ende 1990 in den neuen Aufbau übernommen wurden, führte zu einer anfänglichen Strukturvielfalt, die bald aber in eine dreistufige Verwaltungsgliederung mündete.11 Die Einrichtung der Regierungspräsidien Chemnitz, Dresden und Leipzig stieß wegen deren formaler Anlehnung an die früheren Bezirke auf Kritik aus den Reihen der früheren Bürgerrechtler.12 Die Staatsregierung zeichnete sich durch Stabilität aus. Biedenkopf dominierte aufgrund seiner politischen Fertigkeiten und seines Fachwissens. Er stand für ein hohes Maß an Richtlinienkompetenz ebenso für ausgeprägte Ressortautonomie. Wiewohl fand „im Zuge der Professionalisierung des politisch-administrativen Apparats eine erste Auslese des Führungspersonals statt“.13 In der Staatskanzlei herrschten bald nach Regierungsantritt Unstimmigkeiten zwischen Biedenkopf und dem damaligen Staatskanzleichef Arnold Vaatz. Der revolutionäre Erneuerer erschwerte mit seinen Initiativen gegen CDU-Altkader und westdeutsche Beamte den vom Ministerpräsidenten gewollten Ausgleich. Im Januar 1992 beruhigte Biedenkopf die Situation und berief seinen aus der Zeit in Nordrhein-Westfalen 7
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Vgl. Rolf G. Heinze/Josef Schmid (1994): Mesokorporatistische Strategien im Vergleich: Industrieller Strukturwandel und die Kontingenz politischer Steuerung in drei Bundesländern, in: Wolfgang Streeck (Hrsg.): Staat und Verbände, Opladen, S. 65-99, hier S. 66. Vgl. Danwerth (1998), S. 161. Vgl. Karen Ingeborg Schroeder (1996): Industriepolitik in Sachsen nach der Wende, München, S. 111-162. Georg Milbradt (1993): Unternehmen und Beteiligungen des Freistaates Sachsen, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 16 (1993), S. 275-288, hier S. 275. Vgl. Udo Bullmann/Wito Schwanengel (1995): Zur Transformation territorialer Politikstrukturen. Landesund Kommunalverwaltungen in den neuen Bundesländern, in: Susanne Benzler u. a. (Hrsg.): Deutschland-Ost vor Ort. Anfänge der lokalen Politik in den neuen Bundesländern, Opladen, S. 193-224, hier S. 206 f. Vgl. Alexander Thumfart (1999): Westliche Perzeptionsmuster, das Fremde und der Wandel in den neuen Bundesländern, in: Arno Waschkuhn/ders. (Hrsg.): Politik in Ostdeutschland, München, S. 185-266, hier S. 234. Karl Schmitt (1995): Die Landtagswahlen 1994 im Osten Deutschlands. Früchte des Föderalismus: Personalisierung und Regionalisierung, in: ZParl 26 (1995), S. 261-295, hier S. 264.
5.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl
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engen Vertrauten und bisherigen Staatssekretär Günter Meyer zum neuen Chef der Staatskanzlei. Vaatz übernahm als Nachfolger von Karl Weise das Umweltressort. Ferner holte Biedenkopf nach Bekanntwerden der MfS-Tätigkeit des Innenministers und früheren Mitglieds des FDJ-Zentralrats Rudolf Krause den Zittauer Landrat Heinz Eggert ins Kabinett. 1993 ersetzte Friedbert Groß Kultusministerin Stefanie Rehm.14 Das innerhalb der ersten Legislaturperiode wichtigste Projekt von Landtag und Staatsregierung war die am 26. Mai 1992 mit großer Mehrheit beschlossene Verfassung. Trotz des grundgesetzlichen „Homogenitätsprinzips“ nutzten die Verfassungsgeber hinreichend Gestaltungsspielräume. Sie gestanden der parlamentarischen Opposition Minderheitenrechte zu, etablierten eine Volksgesetzgebung oder verdeutlichten mit Staatszielen und Grundrechten den umfassenden Charakter der Verfassung. Unbeachtet blieben eine von Teilen der CDU gewünschte Verankerung des marktwirtschaftlichen Prinzips und die von der PDS geforderten sozialen Grundrechte.15 Neben der rechtlichen Bedeutung diente die Verfassung dem Aufbau staatlicher Souveränität und der Rückgewinnung von Identität. Die Diskussion der Entwürfe, die öffentlichen Anhörungen, das Verfahren des Zweidrittelbeschlusses und die Zustimmung von vier Fraktionen (nur die Linke Liste-PDS lehnte die Verfassung u. a. wegen der dortigen Passage über die „kommunistische Gewaltherrschaft“ und des Artikels 118 ab16) verdeutlichen die konsensuelle Verfassungsfindung.17 Weitere wichtige Gesetze waren das Schul- und Hochschulgesetz, das umstrittene, von der Opposition als zu „scharf“ empfundene Polizeigesetz und die am 1. August 1994 in Kraft getretene Kreisgebietsreform.18 Die damit verbundene Reduktion der Landkreise von 48 auf 23 führte zu außerparlamentarischen Protesten und erwies sich, da einige Landräte und Bürgermeister ein Landtagsmandat führten, als schwere legislative Hürde. Noch kontroverser verlief die durch einen parlamentarischen Sonderausschuss vorangetriebene Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Im Zuge dessen legten Ende 1991 neun „stasibelastete“ CDU-Abgeordnete, darunter Innenminister Rudolf Krause und Wissenschaftsstaatssekretär Volker Nollau, sowie ein SPD-Abgeordneter ihre Mandate nieder. Die FDP-Fraktion schloss ihren früheren Spitzenkandidaten Axel Viehweger wegen dessen Tätigkeit für das MfS aus. Er verblieb, ebenso wie vier belastete PDS-Abgeordnete, darunter der Fraktionsvorsitzende Klaus Bartl, im Landtag. 19 Der von CDU, SPD, FDP und Grünen konsequent verfolgte antiextremistische Konsens äußerte sich u. a. in einer politischen Isolation der PDS-Fraktion.20 Auf der Bundesebene hatte sich das Ansehen der Regierung seit 1990 rapide verschlechtert. Der in Ostdeutschland scheinbar uneinholbare Beliebtheitsvorsprung der CDU verkehrte sich bald in einen manifesten Rückstand. Im Juni 1991 sprachen sich nur noch 27 Prozent der Ostdeutschen für die Christdemokraten aus, im Juni 1993 fiel der Zuspruch auf 14 15 16
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Vgl. Richter (2004), S. 890-892; Wendt (1994), S. 135-137. Vgl. von Mangoldt (1993), S. 229 f., 235; ders. (1996), S. 17, 24. Vgl. dazu PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (1997): Sächsische Verfassung und Wirklichkeit. Eine Bilanz der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag zum 5. Jahrestag der Sächsischen Verfassung, Dresden. Ebenfalls mit Nein stimmte der CDU-Abgeordnete Wolfgang Nowak. Vgl. dazu Rudolf Steinberg (1992): Organisation und Verfahren bei der Verfassungsgebung in den Neuen Bundesländern, in: ZParl 21 (1991), S. 497-516. Vgl. Gunter Hentschelt (1998): Verwaltungsgliederung 1990, Leipzig/Dresden, S. 5 f. Vgl. Ralf Husemann: Beim Thema „Stasi“ gerät Biedenkopf in Rage, in: Süddeutsche Zeitung vom 19. Mai 1994. Vgl. dazu Brümmer (2006), S. 119-122. So verließen die meisten Mandatsträger von CDU, SPD, FDP und Grünen den Plenarsaal, wenn ein früherer IM ans Rednerpult trat.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
20 Prozent, der zur SPD kletterte auf über 40 Prozent.21 Erst das „Superwahljahr“ 1994 brachte den Christdemokraten die Trendwende. Das gefühlte Ende der Rezession ließ die politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit sowie den Vorsprung der SPD in den Umfragen schmelzen. Die deutschlandweiten Zustimmungsraten zur Union stiegen von 30 Prozent im Januar 1994 auf 44 Prozent im September.22 Genoss der SPD-Kanzlerkandidat Rudolf Scharping bis ins Frühjahr 1994 höhere Sympathiewerte als der Amtsinhaber, überflügelte Kohl ab Juni seinen Herausforderer in der Kanzlerpräferenz. 23 Die frühen Wahlen 1994 spiegelten diese uneinheitliche Lage wider. Während die Union bei der Europawahl am 12. Juni mit 38,8 Prozent ein achtbares Ergebnis erzielte und die SPD mit 32,2 Prozent unerwartet schlecht abschnitt, verschoben sich bei den Landtagswahlen die Gewichte weg von der CDU. Eine Schlüsselrolle spielte Sachsen-Anhalt. Nach einer chaotischen ersten Legislatur, in welcher die schwarz-gelbe Koalition zwei Ministerpräsidenten sowie über ein Dutzend Minister und Staatssekretäre austauschen musste, verloren CDU und FDP am 26. Juni zusammen 14,6 Punkte. Die ostdeutschen Wähler zeigten ihr volatiles Gesicht. Bei den Volksparteien herrschte fast Stimmengleichheit (CDU: 34,4; SPD: 34,0 Prozent), die PDS erzielte mit 19,9 Prozent ein sehr gutes Resultat (Tabelle 11). Die nachfolgende Regierungsbildung wurde zu einem „entscheidenden Wendepunkt des Bundestags-Vorwahlkampfes“24 und zu einem Einflussfaktor auf die Landtagswahlkämpfe. Die Duldung der Minderheitskoalition aus SPD und Grünen durch die PDS („Magdeburger Modell“) polarisierte im Wahljahr. Was der SPD die Regierungsführung in Sachsen-Anhalt ermöglichte, erhöhte bundesweit die Mobilisierungschancen der CDU. Deren Warnrufe vor einer linken „Volksfront“ bedienten Ängste unionsnaher Wähler vor ähnlichen Szenarien im Bund und in anderen ostdeutschen Ländern. 25 Anders als das Wahlprovisorium 1990, ohne Landeswahlgesetz und ohne Land, fand die sächsische Landtagswahl 1994 auf dem Boden eines eigenen Wahlgesetzes und im Rahmen eines verfassungsmäßig konstituierten Freistaates Sachsen statt. Das vom Sächsischen Landtag beschlossene Gesetz reduzierte die Zahl der Abgeordneten von 160 auf 120 und sah eine Legislaturperiode von fünf Jahren vor. Neun Parteien traten an, um bei den knapp 3,6 Millionen Wahlberechtigten um Stimmen zu werben.26 Im Gegensatz zu 1990 ging es bei der zweiten Landtagswahl „nicht mehr [nur] um Erwartungen an die Zukunft, sondern um eine erste Bilanz der Erfahrungen mit der Landespolitik“.27 Die Staatsregierung schnitt in den Augen der Bevölkerung eher positiv ab (Tabelle 23). Auf einer Skala von 1 (sehr zufrieden) bis 5 (völlig unzufrieden) lag sie im Wahljahr mit einer 2,5 vor der Bundesregie21 22
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Vgl. Emmert (1994), S. 62-65. Vgl. Jürgen W. Falter (1995): Weniger Überraschungen als erwartet. Das „Superwahljahr“ 1994, in: Altenhof/Jesse (Hrsg.), S. 25-44, hier S. 29, 42. Vgl. Helmut Jung (1995): Zwischen Frust und Lust – Eine Analyse der Bundestagswahl vom 16. Oktober 1994, in: Gerhard Hirscher (Hrsg.): Parteiendemokratie zwischen Kontinuität und Wandel. Die deutschen Parteien nach den Wahlen 1994, München, S. 99-168, hier S. 123-129. Falter (1995), S. 28. Vgl. Ursula Feist (1996): Wählerstimmungen und Wahlentscheidung 1994. Zeit für einen Wechsel?, in: Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Parteiensystem am Wendepunkt? Wahlen in der Fernsehdemokratie, München, S. 59-76, hier S. 70. Zur ordentlichen Ausgestaltung des Wahlkampfes, zur Verringerung der Kosten und um unsachliche bzw. verunglimpfende Kampagnen zu vermeiden, hatten sich CDU, SPD, PDS, Grüne und Liberale am 15. März 1994 in einem „Fairness-Abkommen“ für einen „Wahlkampf der Argumente“ ausgesprochen. Vgl. Wahlkampf der Argumente. Vereinbarung über einen fairen Wahlkampf. Internes Schreiben des SPD-Landesverbands Sachsen vom 6. Mai 1994. Schmitt (1995), S. 262.
5.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl
151
rung (3,2) und der sächsischen SPD-Opposition (3,0). Insbesondere die Politik des Ministerpräsidenten hatten über drei Viertel der Sachsen die Legislaturperiode über konstant positiv beurteilt (Tabelle 22). Unmittelbar vor der Wahl nahm die Bevölkerung mehrheitlich an, die Staatsregierung würde mit den Problemen des Landes fertig werden. Speziell ihre Wirtschaftskompetenz schätzten die Menschen deutlich höher ein als die der sozialdemokratischen Opposition.28 Dessen ungeachtet brachten die ökonomischen und sozialen Verwerfungen in den Jahren 1991 und 1992 den Christdemokraten zunächst einen Ansehensverlust (Tabelle 21). Ihre Umfragewerte fielen, die der Opposition stiegen. Mitte des Jahres 1993 lagen CDU und SPD in Sachsen mit je 31 Prozent Kopf an Kopf. Dritte Kraft waren mit 12 Prozent die Grünen. Die PDS lag gleichauf mit der FDP bei acht Prozent. In der Folge öffnete sich die Schere zwischen den Volksparteien. Die EMNID-Frühjahrsumfrage 1994 offenbarte 39 Prozent für die CDU und 28 Prozent für die SPD. Einen Monat vor der Landtagswahl hatte sich der Abstand auf 43 zu 23 Prozent vergrößert, die PDS lag nun bei 16 Prozent, die Grünen bei acht und die FDP kam auf unter fünf Prozent. Anfang September zeichnete sich erneut die absolute Mehrheit der CDU ab.29 Die Einschätzung der allgemeinen Wirtschaftslage durch die sächsische Bevölkerung besserte sich im Vorfeld der Landtagswahl (Tabelle 25). Urteilten im Juli 1993 noch 52 Prozent der Befragten, diese sei „schlecht“, meinten dies im August 1994 noch 33 Prozent. Durch das Ende der Rezession und die sich regenerierende sächsische Wirtschaft sank die negative Wahrnehmung. Die Mehrheit der Befragten war nun geteilter Meinung, zwischen neun und 13 Prozent schätzten die allgemeine Wirtschaftslage als „gut“ ein. Davon unterschied sich die Perzeption der persönlichen Situation. Vor dem Hintergrund steigender Arbeits- und Renteneinkommen bekundeten 1994 zwischen 42 und 45 Prozent der Sachsen, ihnen gehe es wirtschaftlich gut, zwischen 12 und 14 Prozent stuften ihre eigene Situation als „schlecht“ ein. Hinsichtlich der zukünftigen Lage wähnte eine Mehrheit der Menschen keine Verbesserung, zwischen 30 und 40 Prozent sahen eine positive Entwicklung. Sonach bestand eine massive Lücke zwischen der positiv eingeschätzten individuellen und der als schlecht empfundenen allgemeinen Lage.30 Entsprechend dominierten die sozio-ökonomischen Folgen der Transformation den Wahlkampf. Die Arbeitslosigkeit war mit 68 Prozent das bestimmende Thema, gefolgt von den Themen innere Sicherheit und Kriminalität (21 Prozent), Mieten und Wohnungsmarkt (16 Prozent) sowie der sozialen Sicherung (10 Prozent).31 Die Kompetenzzuschreibungen der Wähler fielen deutlich zugunsten der CDU aus (Tabelle 24). Sie überflügelte im Wahljahr die SPD u. a. auf den Gebieten Sicherheit und Ordnung (47 zu 25 Prozent) sowie in den Fragen „Wirtschaftskraft stärken“ (59 zu 23 Prozent) und „Arbeitslosigkeit bekämpfen“ (44 zu 33 Prozent). Noch Anfang des Jahres 1994 hatten die Sachsen den Sozialdemokraten bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit etwas mehr Kompetenz als der CDU zugeschrieben (39 zu 38 Prozent), ihnen im Bereich soziale Gerechtigkeit sogar mehrheitlich die höchsten Fähigkeiten konstatiert.
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Vgl. Infas-Umfrage (1994a): Die politische Stimmung im Freistaat Sachsen im Vorfeld der Landtagswahl am 11. September 1994, Bonn/Bad Godesberg, Tabellen 21-24. Vgl. Umfrage des Leipziger Instituts für Marktforschung, in: LVZ vom 2. September 1994. Vgl. Infas-Umfrage (1994b): Politische Einstellungen und Motive von Nichtwählern und Unentschlossenen im Freistaat Sachsen 1994, Bonn/Bad Godesberg, S. 25. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1994b): Wahl in Sachsen. Eine Analyse der Landtagswahl vom 11. September 1994, Mannheim, S. 29-32 f.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
47 Prozent der Sachsen sahen im Vorfeld der Wahl ihre Entscheidung primär landespolitisch motiviert, für 32 Prozent wogen Landes- und Bundespolitik gleich und nur 18 Prozent wollten aus bundespolitischen Motiven heraus votieren. 32 Zudem erachteten im Frühjahr 1994 85 Prozent der Sachsen die Landtagswahl als sehr wichtig bzw. wichtig.33 Die individuellen Gründe für die kommende Wahlentscheidung waren vielschichtig. Laut dem Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) führten im Frühjahr 1994 nur 23 Prozent der sächsischen Wahlberechtigten ihr Votum auf Parteibindungen zurück, während die große Mehrheit kurzfristigen Einflussfaktoren folgte.34 Einen Monat vor der Landtagswahl war für 13 Prozent der sächsischen Wähler die Parteibindung, für 22 Prozent das Parteiprogramm, für 25 Prozent der Spitzenkandidat und für 32 Prozent waren politische Sachfragen ausschlaggebend.35 Laut der Forschungsgruppe Wahlen bekundeten zur gleichen Zeit 23,3 Prozent der Wahlberechtigten eine Parteineigung für die CDU, 13,2 Prozent bzw. 6,7 Prozent eine für SPD bzw. PDS. 49,2 Prozent der sächsischen Wahlberechtigten verfügten über keine Parteiidentifikation. Von denen mit Parteineigung wähnten sich 48,9 Prozent nur mäßig gebunden, 38,6 Prozent sprachen sich eine ziemlich starke, 8,8 Prozent eine starke Verbundenheit zu.36 Insgesamt bestätigen die Daten für das Jahr 1994 die anfängliche Annahme von einem weithin unberechenbaren Wählerverhalten.
5.2 Wahlkampf der CDU – Kampf um die absolute Mehrheit 5.2.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Die nach den Erfolgen des Jahres 1990 in der sächsischen CDU wiederausgebrochenen Konflikte zwischen Reformern und Mitgliedern der ehemaligen Blockpartei mündeten 1991 in eine Auseinandersetzung um die Neuwahl des Landesvorstands. Schlüsselfigur war zunächst der seit März 1990 amtierende Landesvorsitzende Klaus Reichenbach. Durch seinen vormaligen Verzicht auf die Spitzenkandidatur und durch seine Parteivergangenheit politisch geschwächt, hatte er sich auf sein Bundestagsmandat konzentriert.37 Dass er weiterhin Landesvorsitzender blieb, war vor allem Biedenkopf geschuldet. Dieser verbat sich in der Anfangszeit Personaldiskussionen, hielt Reichenbach als Vorsitzenden der ehemaligen Blockpartei für geeignet und sträubte sich vor der Übernahme des CDU-Vorsitzes.38 Als Reichenbach nach wiederholter innerparteilicher Kritik, er hatte u. a. über die Aufnahme ehemaliger SED-Mitglieder in die CDU sinniert, dann schließlich am 14. September 1991 zurücktrat, stieß er die Tore zu einer Erneuerung der Parteiführung auf.39 In der Folge 32 33 34
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Vgl. ebd., S. 2 f. Vgl. Infas-Umfrage (1994b), S. 9, 14. Vgl. Infas-Umfrage (1994a), S. 19 f. So waren 42 Prozent der Wähler mit PDS-Präferenz überzeugte Parteianhänger, 31 Prozent der CDU-Sympathisanten und nur 13 Prozent der potenziellen SPD-Wähler wiesen eine Parteibindung auf. Vgl. Infas-Umfrage (1994b), Tabelle 6. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1994a), S. 36 f. Vgl. Schmidt (1994), S. 54; Richter (2004), S. 654. Vgl. exemplarisch Biedenkopf (2000), S. 386 f. Vgl. Pressemitteilung von Klaus Reichenbach vom 14. September 1991; Kurzprotokoll der Beratung des Landesvorstands am 14. September 1991 (Archiv Matthias Rößler); ausführlich siehe Wendt (1994), S. 169173. Reichenbach betont rückblickend, er sei zu diesem Zeitpunkt vollständig isoliert gewesen, seine Niederlegung des Vorsitzes alternativlos. Vgl. Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006.
5.2 Wahlkampf der CDU – Kampf um die absolute Mehrheit
153
flammten Auseinandersetzungen um eine vorzeitige, von den Reformern und der Parteibasis betriebene Ablösung des mittlerweile arbeitsunfähigen Landesvorstands auf. Beim Parteivorsitz (Interimsvorsitzender wurde Berthold Rink) deutete alles auf Biedenkopf.40 Er hatte als spiritus rector der Partei die Integration innerhalb des Landesverbands forciert. Seine Erfahrung, sein Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad sowie die eigene Einsicht, eine Zerklüftung der Partei und damit den Machtverlust verhindern zu können, führten schließlich am 9. November 1991 zu seiner Nominierung durch den Landesvorstand.41 Parallel schürte u. a. der auf dem Görlitzer Satzungsparteitag am 26. Oktober 1991 beschlossene Leitantrag zur innerparteilichen Erneuerung und Aufarbeitung der Vergangenheit Konflikte in der Parteispitze. Besonders das Postulat, alle Kandidaten für den Landesvorstand sollten dem Wahlparteitag ihre politischen Funktionen vor 1989 mitteilen und Angaben über eine eventuelle Tätigkeit für das MfS oder das AfNS machen, war für Teile des „alten“ Landesvorstands inakzeptabel. Dass zudem ab sofort die Nominierung der Vorstandskandidaten weitgehend in den Händen der Mitglieder lag, bedeutete für alle Vorstandsmitglieder mit zweifelhafter Vergangenheit und ohne Rückhalt an der Basis das faktische Aus.42 Brachten zunächst die Wahlen zum Fraktionsvorstand eine herbe Niederlage für die Riege der Erneuerer43 – unter der Regie von Herbert Goliasch wählten die Abgeordneten durchweg ehemalige Mitglieder der Block-CDU –, triumphierte das Reformerlager auf dem Annaberger Landesparteitag vom 7. Dezember 1991. Kein Mitglied des bisherigen Landesvorstands gelangte in das nun aus mehrheitlich „unbelasteten“ Personen bestehende Parteiorgan. Neuer Landesvorsitzender wurde mit 171 von 213 Stimmen Kurt Biedenkopf. Als seinen ersten Stellvertreter wählten die Delegierten den Grünaer Landtagsabgeordneten Fritz Hähle. Der stark verkleinerte Kreis der 20 Beisitzer umfasste z. B. Steffen Flath, Georg Milbradt und Arnold Vaatz.44 Die neue Führung zeugte vom nahen Ende der restaurativen Bestrebungen. Durch den „Antritt einer unbelasteten neuen Parteielite war der CDU nun auch personell eine völlige Distanzierung zu den Kräften des Blockparteiensystems gelungen“.45 Der Parteitag hatte Pfeiler für die Konsolidierung des Landesverbands eingeschlagen und ein Signal für den weiteren Aufbau der Partei gegeben. 46 Der personellen folgte die programmatische Neuausrichtung. Hähle betonte nach seiner Wahl, dass die CDU „die geistige Führung im Land übernehmen“ müsse.47 Es gelte, so Biedenkopf im Jahr 1992, inhaltliche Arbeit zu leisten, politische Ziele zu formulieren und anschließend um deren Realisation zu kämpfen.48 Zum Verdruss der Parteispitze entbrannten inhaltliche Flügelkämpfe. Den Anfang machten Volker Schimpff und Herbert Goliasch mit ihrem „Brief aus Leipzig“, in dem sie konservative, stark wertbezogene Positionen 40 41
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Vgl. Ralf Hübner: Erfolgekrieg in der Union in vollem Gange, in: Neue Zeit vom 4. September 1991. Vgl. Protokoll der Beratung des Landesvorstands der CDU Sachsen am 9. November 1991 (Archiv Matthias Rößler). Vgl. Markus Lesch: Richtungsstreit in der sächsischen CDU, in: Die Welt vom 16. November 1991. Vgl. Ralf Hübner: Erneuerer haben eine Niederlage erlitten, in: Neue Zeit vom 5. Dezember 1991. Vgl. ders.: Sämtliche Altfunktionäre fielen glatt durch, in: Neue Zeit vom 9. Dezember 1991. Schmidt (1997), S. 171. Vgl. dies. (1994), S. 61. Neben dem Konflikt zwischen Reformern und Blockmitgliedern dominierten zahlreiche interpersonelle Auseinandersetzungen die sächsische CDU. Der Landesverband war im Jahr 1994 „von einem Geflecht aus Misstrauen, Eifersucht, Rivalitäten zwischen Leipziger und Dresdner Politikern, persönlicher Abneigung und bisweilen irrationalen Feindschaften durchzogen“. Wendt (1994), S. 168. Vgl. Fritz Hähle zitiert nach: Markus Lesch: Erfolg für Erneuerer in Sachsens CDU-Führung, in: Die Welt vom 23. Dezember 1991. Vgl. Bericht Ministerpräsident zur Vorstandssitzung am 21. März 1992 in Leipzig (Archiv Matthias Rößler).
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
vertraten und sich gegen eine „ökologisch getarnte Fortschrittsfeindlichkeit“ und für mehr interparteiliche Polarität aussprachen.49 Darüber hinaus gründete sich unter Federführung von Wolfgang Nowak mit dem „Christlich-Konservativem Deutschlandforum“ ein wertkonservativer Kreis. Mit mehr Patriotismus, einer deutlicheren Bezugnahme auf die Familie und einer Stärkung der inneren Sicherheit pflegte dieser ein klares „rechtes“ Profil.50 Zum Unmut des stellvertretenden Landesvorsitzenden Hähle etablierte sich Anfang 1993 zusätzlich der „Gesprächskreis Sachsen 2000“. Abseits „gesellschaftstheoretischer Fixierungen“ debattierten hier „reformerische, libertäre, radikal-revolutionäre, basisdemokratische und konservative Elemente“.51 Ziel des Kreises war die progressive Entwicklung der Partei. Die Mitgliederliste umfasste einen Großteil des Reformerlagers, z. B. Matthias Rößler oder Herbert Wagner.52 Auf ihrem 6. Landesparteitag am 9./10. Oktober 1993 in Chemnitz erklärte die CDU ihre innerparteiliche Erneuerung für beendet. Biedenkopf verlangte mit Blick auf die Landtagswahl „Geschlossenheit“. Die sächsischen Christdemokraten stärkten ihrem bundesweit wegen seines konservativen Habitus umstrittenen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten Steffen Heitmann den Rücken, verabschiedeten ihr Grundsatzprogramm „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“ und bestätigten ihren Landesvorsitzenden und dessen ersten Stellvertreter.53 Am 19. Februar 1994 besetzte die Landesvertreterversammlung mit Kurt Biedenkopf, Heinz Eggert und Fritz Hähle die ersten drei Listenplätze mit populären CDU-Vertretern. Im Unterschied zu seinem Kollegen Schommer, der kein Mandat anstrebte, erhielt Finanzminister Milbradt den sicheren Direktwahlkreis Westlausitz.54 Der nach außen solidiert wirkende Landesverband war zu Beginn des Wahljahres 1994 intern nur ansatzweise wahlkampftauglich. Mit 27 Kreisverbänden, etwa 1.000 Ortsverbänden und 41 Hauptamtlichen verfügte die sächsische CDU über gute Strukturen. Ihre Mobilisierungsfähigkeit war dennoch eher dürftig, die „Organisationskraft der Partei“ unzuverlässig.55 Mit knapp 23.000 Mitgliedern hatten die Christdemokraten, trotz mehrfacher Anläufe diese Zahlen zu steigern, seit Jahresende 1990 rund 14.300 Mitglieder verloren. Große Teile der Verbliebenen waren nach den Erfolgen 1990 in Lethargie verfallen bzw. hatten sich nie aus ihrer eingeübten passiven Rolle befreit.56 Die Landtagsfraktion galt trotz mitunter heftiger interner Konflikte die gesamte Legislaturperiode über als „nachgeordnete Behörde der Staatskanzlei“57 und als „williger Vollstrecker der Regierungsvorlagen“. Obwohl in der Fraktion zahlreiche führende Köpfe der sächsischen CDU versammelt
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Vgl. Bernhard Honnigfort: Die Ruhe in Sachsens CDU ist trügerisch, in: FR vom 13. Oktober 1992. Vgl. Nana Brink: Biedenkopfs Ärger mit den Flügeln, in: Focus vom 26. April 1993. Schmidt (1996), S. 37. Vgl. Christian Kerl: Ein „Modernisierer“-Kreis für Sachsens CDU, in: FP vom 2. März 1993; Markus Lesch: Der CDU droht Konkurrenz aus den eigenen Reihen, in: Die Welt vom 20. März 1993. Vgl. Niederschrift der Ergebnisse des 6. Landesparteitags der CDU Sachsen am 9./10. Oktober 1993 in Chemnitz (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Albert Funk: In Dresden rücken die Herren auf, in: FAZ vom 21. Februar 1994. Vgl. Michael Sagurna: Überlegungen zum Landtagswahlkampf vom 22. April 1994, S. 2 (Archiv Michael Sagurna). Vgl. Schmidt (1996), S. 30; Bernd Salzmann: Am Horizont die Palme im Spaßbad, in: FR vom 9. Dezember 1991. Bernhard Honnigfort: Alles eine Farbe, in: FR vom 13. September 1994.
5.2 Wahlkampf der CDU – Kampf um die absolute Mehrheit
155
waren, vermochte sie es nur bedingt aktiv Politikvorlagen einzubringen.58 Auch erschwerte die Arbeitsbelastung der ersten Jahre eine aktive Parteiarbeit vieler Fraktionsmitglieder.59
5.2.2 Konzeptioneller Rahmen Die Wahlkampforganisation fiel wegen des Regierungsstatus’ komplex aus.60 Die politische Leitung oblag einer „Wahlkampfkommission“, die Regierung, Fraktion und Partei personell integrierte. Mit Michael Sagurna hatte Biedenkopf 1991 einen wahlkampferprobten Regierungssprecher verpflichtet. Er leitete zum einen über die Staatskanzlei die Außenkommunikation des Ministerpräsidenten, stand daher an vorderster Wahlkampffront. Zum anderen war er außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit Mitglied der CDU-Wahlkampfkommission.61 Daneben spielte die Landtagsfraktion wegen ihrer Größe, ihrer fachlichen Ressourcen und der starken Vernetzung der Abgeordneten in den Landesverband hinein eine programmatisch und strategisch wichtige Rolle.62 Zentrale Person war hier der schon vor dem Volkskammerwahlkampf 1990 aus Baden-Württemberg nach Sachsen gekommene Fraktionsgeschäftsführer Erhard Weimann. Er war „wahlkampferfahren bis auf die Knochen“,63 kannte die Abgeordneten, hegte engen Kontakt zu Biedenkopf und wusste um die strategischen und organisatorischen Wahlkampfabläufe. Fritz Hähle, der als erster stellvertretender Parteivorsitzender die Generalsekretärsfunktion64 bekleidete, fungierte als Hauptverantwortlicher seitens der Partei. Hähle kannte die Partei, verfügte über die nötige innere Durchsetzungskraft und genoss Biedenkopfs Vertrauen. Unterstützt wurde das Gremium durch ausgewählte Kreisfunktionäre, Kommunikationsexperten und den Wahlkampfberater Peter Radunski. Ferner griff die CDU auf die regelmäßig durch die Staatskanzlei veranlassten Umfragen und auf die direkte Information durch EMNID-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner zurück.65 Die technische Wahlkampfleitung oblag der Landesgeschäftsstelle unter Rolf Wollziefer. Sie kümmerte sich in Abstimmung und Zusammenarbeit mit Kommission, Fraktion und Staatskanzlei um die Wahlkampforganisation, stellte den Ablauf und die Umsetzung der zentralen Kampagne sicher, wies die Landesredner zu, organisierte den Wahlkampf des 58
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Vgl. Michael Groth: Die Sachsen wollen Flagge zeigen, in: Rheinischer Merkur vom 2. Oktober 1992; Klaus Wallbaum: Erneuerung weicht Ernüchterung, in: Bonner General-Anzeiger vom 9. Oktober 1992. Vgl. Interview mit Klaus Leroff am 14. Dezember 2005. Die Überschneidungen zwischen Partei-, Fraktions- und Regierungsebene sind nur ansatzweise zu rekonstruieren. Die eingesehenen internen Strategiepapiere erwähnen die Rollen von Fraktion und Regierungsapparat im Wahlkampfmanagement nicht, im Gegensatz zu den Organisationspapieren und den Interviews, die auf eine (zumindest) personelle Vernetzung schließen lassen. Sagurna lieferte Ende April 1994 die wesentlichen Grundlagen für die gesamte Kampagne – Situationsanalyse, Strategie, Slogan, Umsetzung. Vgl. Michael Sagurna: Überlegungen zum Landtagswahlkampf; bestätigt in Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. So die Aussage zweier CDU-Interviewpartner. Vgl. auch exemplarisch CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Argumentationshandbuch Landespolitik 1994 (Archiv des CDU-LV Sachsen); ACDP 03-53DDD Brief von Herbert Goliasch an die Direktkandidaten und Landeslistenkandidaten der sächsischen CDU zum Kandidatentreffen am 13./14. Mai 1994 im Sächsischen Landtag. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Die Partei verzichtete 1994 auf den negativ assoziierten Begriff des Generalsekretärs. Vgl. ACDP 03-053-AAA Landtagswahl 1994. Gedanken und Denkanstöße zur Wahlkampfkonzeption, 30. Dezember 1993, S. 15; ACDP 03-053-DDD Ablaufplan der Klausur am 13./14. Mai 1994 in Dresden vom 19. April 1994.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
Spitzenkandidaten und fungierte als Knotenpunkt für die Kreisgeschäftsstellen. Diese dienten als logistische Drehkreuze, koordinierten die Ortsverbände und waren für die Veranstaltungen im Kreisverband, die in Zusammenhang mit dem Spitzenkandidaten stattfanden, verantwortlich. Ihnen oblag ferner, die Werbekampagne zu implementieren.66 Parallel dazu liefen die weithin unabhängig konzipierten, durchgeführten und finanzierten Kampagnen der Direktkandidaten ab.67 Indem die CDU den Wahltermin auf Mitte September gelegt hatte, vermied sie eine gleichzeitige Land- und Bundestagswahl. Der Landesverband warb um „eigenständige Mehrheiten“; sauber getrennt vom Bundestagswahlkampf.68 Möglichst ohne Berührungspunkte zur Bundes-CDU, versuchte die Landespartei, deren Negativtrend zu entrücken. Die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik der Staatsregierung sollte von negativen bundespolitischen Einflüssen ferngehalten werden. Einzig die Bundestagskandidaten und sogenannte „Bundesredner“ band der Landtagswahlkampf ein. Biedenkopf verzichtete völlig auf Wahlkampfhilfe aus dem Konrad-Adenauer-Haus.69 Im gegenseitigen Einvernehmen blieb Bundeskanzler Helmut Kohl dem sächsischen Wahlkampf fern.70 So kam der Wahlparteitag am 13. August 1994 in Dresden ohne den Auftritt bundespolitischer CDUProminenz aus. Lediglich Kohls Grußwort erinnerte an die „familiäre“ Herkunft. Unter dem Motto „Aus Verantwortung für Sachsen“ inszenierte sich die Sachsen-CDU und startete in ihre mit vier Wochen knapp bemessene Kampagne.71 Die Ausgangssituation für die strategische Wahlkampfplanung war Anfang 1994 ungewiss. Nachdem ihr Hauptgegner SPD 1993 in den Umfragen hatte gleichziehen können (beide 31 Prozent), gewannen die Christdemokraten mit Beginn des Wahljahres an Boden zurück (CDU: 39, SPD: 28 Prozent). Wegen der zudem schwächelnden FDP deuteten zum Zeitpunkt der Konzeptionierung des Wahlkampfes alle Zeichen auf den Verlust der Mehrheit und auf unberechenbare Bündniskonstellationen. Nach dem „ermutigenden“ Ergebnis der Kommunal- und Europawahlen am 12. Juni 1994 (Tabelle 12), bei denen die CDU stärkste Kraft wurde, verschoben sich die Umfragewerte deutlich zu ihren Gunsten. In Anbetracht der Schwäche der SPD verfügte sie zu Beginn ihrer heißen Wahlkampfphase Mitte August über eine realistische Chance, ihre Ministerpräsidentschaft verteidigen zu können (CDU: 43, SPD: 23 Prozent). Sagurna legte der Kampagne im April 1994 daher folgende Situationsanalyse zugrunde: „Die CDU muss mit wenig Geld und einer in Wahlkämpfen ungeübten Basis in einer Zeit anhaltenden Umbruchs, in welcher Erfahrungen aus Westwahlkämpfen von nur geringem Wert sind, einen Wahlkampf führen, der von unvorhergesehenen 66
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Vgl. ACDP 03-053-AAA Landtagswahl 1994. Gedanken und Denkanstöße, S. 6; Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006. Vgl. exemplarisch: Konzept für den Landtagswahlkampf 1994 vom 1. August 1994 (Archiv Wolf-Dieter Beyer). Vgl. ACDP 03-053-AAA Landtagswahl 1994. Gedanken und Denkanstöße, S. 10. Die Aufwendungen für den Landtagswahlkampf 1994 bezifferte der Landesverband öffentlich auf 1,1 Millionen DM. Eine interne Kostenaufstellung benennt die Aufwendungen mit 1.750.000 DM. Zusätzlich lagen die Personalausgaben der Landesgeschäftsstelle 1994 232.000 DM über denen von 1993. Zudem finanzierten die 60 Direktkandidaten große Teile ihrer Kampagnen selbst. Vgl. Steffen Klameth: CDU: 1,1 Millionen für Landtagswahlkampf, in: SZ vom 8. Juni 1994; CDU. Rechenschaftsbericht 1993, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/145 vom 22. Dezember 1994, S. 54-63; CDU. Rechenschaftsbericht 1994, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/3390 vom 21. Dezember 1995, S. 3241; Aufstellung der Kosten der Landtagswahl 1994 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. dpa: In Biedenkopfs Wahlkampf wird CDU kleingedruckt, in: dpa vom 26. August 1994. Vgl. Pressemappe für den 7. Landesparteitag der sächsischen CDU am 13. August 1994 in Dresden (Archiv des CDU-LV Sachsen).
5.2 Wahlkampf der CDU – Kampf um die absolute Mehrheit
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Einflüssen anderer Wahlkämpfe beeinträchtigt werden kann.“ Die Partei sehe sich mit einer „extrem geringen Zahl von ,fest verwurzelten’ Stammwählern und einer aus der Sicht der Wähler für ihr tägliches Leben außergewöhnlich hohen Relevanz politischer Entscheidungen der Staatsregierung“ konfrontiert. Erwartungen wie Schuldzuweisungen fokussierten sich stärker als üblich auf die Regierungspartei, so Sagurna.72 Je unberechenbarer das Wahlkampfumfeld, umso kalkulierter musste die eigene Kampagne sein, umso klarer die strategische Linie, umso kürzer die Zeit, welche man Kandidaten und Partei dieser Situation aussetzen wollte. Der CDU nützte, dass sie mit Biedenkopf über einen populären Ministerpräsidenten verfügte, dessen Zufriedenheitswerte deutlich über denen der Staatsregierung lagen. In der notwendigen Konsequenz konzentrierte der Landesverband den Wahlkampf auf den Amtsinhaber. Er sollte seinen Beliebtheitsbonus auf die Partei übertragen, die Wahrnehmung der Wähler auf sich lenken, um diese für die CDU zu mobilisieren.73 Neben dem Faktum, dass Biedenkopf wegen der Regierungsarbeit keine Zeit für eine längere Kampagne hatte und ihm sein Amt ohnehin die nötige Öffentlichkeit sicherte, war es die christdemokratische Strategie, den Wahlkampf so lange wie möglich zu vermeiden, um dann unmittelbar vor der Wahl die öffentliche Agenda dominieren zu können.74 Indem die CDU früh die erneute absolute Mehrheit der Mandate und die Fortsetzung ihrer Regierung als strategische Wahlziele verkündete,75 musste sie begründen, weshalb gerade sie sich zutraute, weiterhin allein das Land besser zu führen als ihre Mitbewerber. Sagurna empfahl „nüchterne Rechenschaftslegung ohne übertriebenes Selbstlob“ und „ohne jeden Anflug von Planerfüllungspropaganda“.76 In Form einer moderaten Amtsinhaberkampagne kommunizierte die Partei ihre Positivbotschaft. Sie appellierte an die Zuversicht der Bevölkerung und betonte deren Aufbauleistung. Ihre Botschaft lautete: Die ökonomische Situation des Freistaates bessert sich, es geht aufwärts, verantwortlich sind allein die Sachsen, unterstützt durch die stabile politische Führung der CDU. Den Wählern sollte dies zwei Dinge verdeutlichen: zum einen, dass sie 1990 die richtige Wahl getroffen hätten und das Vertrauen berechtigt gewesen war; zum anderen, dass Kurt Biedenkopf seine erfolgreiche Arbeit für Sachsen nur dann fortführen könne, wenn am 11. September eine ebenso klare Mehrheit wie 1990 seinen Auftrag erneuere.77 Die Strategie stilisierte das Votum der Wähler zu einer Vertrauensfrage für oder gegen den Amtsinhaber. Wollten sie Biedenkopf weiter als Ministerpräsidenten einer CDU-Regierung haben, müssten die Sachsen lediglich in großer Zahl CDU wählen. Biedenkopf, der parteiintern anklingen lassen hatte, nur bei einer erneuten absoluten Mehrheit weitermachen zu wollen,78 konkretisierte zwei Alternativen: der weitere Aufbau des Landes zusammen mit der CDU oder Verhältnissen wie in Sachsen-Anhalt.79 72 73 74 75
76 77 78 79
Michael Sagurna: Überlegungen zum Landtagswahlkampf, S. 2. Vgl. ebd.; ACDP 03-053-AAA Landtagswahl 1994. Gedanken und Denkanstöße, S. 9. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Vgl. dpa: Mehrheit angestrebt, in: Neue Zeit vom 14. Dezember 1993. Unmittelbar vor der Landtagswahl erhielt die Alleinregierung der CDU im Vergleich zu allen anderen Optionen mit 33 Prozent die höchste Zustimmung in der sächsischen Bevölkerung. Vgl. Infas-Umfrage (1994a), S. 8. Michael Sagurna: Überlegungen zum Landtagswahlkampf, S. 2. Vgl. Kandidatenprospekt Kurt Biedenkopf zur sächsischen Landtagswahl 1994. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU am 13. August 1994 in Dresden, S. 18 (Archiv des CDU-LV Sachsen).
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5.2.3 Imagekampagne Im Kern versuchte die christdemokratische Imagekampagne, durch eine gezielte Abgrenzung zur Bundes-CDU, instrumentalisierte bundespolitische Themen sowie identitätsstiftende Landessymboliken und -termini ein „eigenständiges landespolitisches Unions-Profil für Sachsen“ zu kreieren.80 Die Landespartei präsentierte sich im Wahlkampf als kompetente Interessenvertreterin für Sachsen, die seit Jahren über die Landesebene hinaus Politik maßgeblich mitbestimmt und, wenn nötig gegen die Mutterpartei, ihre Konzeptionen durchsetzt. Trotz einer vornehmlich landespolitisch ausgerichteten Strategie lancierte die CDU über ihren Ministerpräsidenten auch bundespolitische Elemente. Dieser hatte durchweg in einer „Gratwanderung zwischen loyalem Aufbegehren und Quertreiberei“81 den Fokus seiner Politik weniger auf landespolitische Details und mehr auf bundespolitische Probleme gerichtet. Zum Ärger von Kohl pflegten Biedenkopf und Milbradt ihren Ruf als „hartnäckige“ Kritiker des Bundesfinanzministers und dessen Konzeption zur Finanzierung der Einheit. Beide hatten sie in verschiedenen Sachverhalten offen die Interessen des Freistaates vertreten, sich wirkungsmächtig an den Solidarpakt-Verhandlungen beteiligt.82 Noch Anfang des Jahres 1994 suchte Biedenkopf die Debatte mit Bundesarbeitsminister Norbert Blüm über die Zukunft der Alterssicherung – unter Kritik der Bundespartei.83 Parallel dazu nahm die CDU für sich in Anspruch, im Freistaat für stabile und klare politische Verhältnisse gesorgt zu haben und in Zukunft mit einer „erfahrenen Regierung“ den „Wiederaufbau Sachsens“ vorantreiben zu wollen.84 Um dem Nachdruck zu verleihen, führte die Partei 1994 in ihren öffentlichen Kampagnen die Selbstbezeichnung „Sächsische Union“ ein. Mitunter verzichtete sie gar auf ihren Parteinamen, deklarierte sich allein als „Sächsische Union“ – etwa in breiten Passagen des Grundsatzprogramms. Die Marke sollte die neue Geschlossenheit des Landesverbands untermauern und dessen landespezifische Ausrichtung betonen. Die sächsische CDU war nicht irgendein ostdeutscher, sondern der sächsische Landesverband. Indem sie sich eng mit der sächsischen Identität verband, transformierte sich die ehemalige Blockpartei in ihrem Selbstverständnis in eine sächsische Volkspartei.85 Der Leitslogan „Für Sachsen“ verbalisierte dies. Er betonte das Verhältnis zum Freistaat, transportierte die Botschaft, alles denkbar Nötige für das Land Sachsen zu tun. Die „Sächsische Union“ stilisierte sich zur Partei der „klaren Verhältnisse“, die mit einer „erfahrenen Regierung“ den „Wiederaufbau Sachsens“ vorantreibt.86 Ausgerichtet am Kampagnenmotto „Das Ansehen unseres Spitzenkandidaten […] ist wichtiger als die beste Strategie der Partei“87 konzentrierte sich die Wahlkampagne, speziell die Werbekampagne, auf den Amtsinhaber. Exemplarisch dafür waren die auf Biedenkopf zugeschnittenen Großflächen. Sein Konterfei dominierte, daneben in großen Lettern der Leitslogan, darunter in Schreibschrift seine Signatur. Die Partei firmierte als kaum 80 81 82
83 84 85 86 87
Vgl. ACDP 03-053-AAA Landtagswahl 1994. Gedanken und Denkanstöße, S. 10. Albert Funk: Der Präsident und Außenminister Kurt Biedenkopf, in: FAZ vom 7. September 1994. Vgl. Albert Funk: Mit Bonn oder gegen Bonn, in: FAZ vom 8. Oktober 1992; dpa: Die Sachsen-CDU geht auf Schmusekurs zu Bonn, in: dpa vom 6. Oktober 1993. Vgl. afk.: Biedenkopf warnt vor den Mängeln der Rentenversicherung, in: FAZ vom 10. Januar 1994. Vgl. ACDP 03-053-AAA Werbebrief von Kurt Biedenkopf zur Landtagswahl am 11. September 1994. Vgl. Schmidt (1996), S. 17; Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Vgl. ACDP 03-053-AAA Werbebrief von Kurt Biedenkopf zur Landtagswahl am 11. September 1994. ACDP 03-053-AAA Landtagswahl 1994. Gedanken und Denkanstöße, S. 9. Die Wahlkampfführung verzichtete auf Themenplakate, um nicht den Zuschnitt auf den Spitzenkandidaten zu untergraben.
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wahrnehmbarer Schriftzug „Die Sächsische Union. CDU“ unter einem weiß-grünen Logo. Biedenkopf, im August 1994 der bundesweit fünftbeliebteste Politiker,88 verfügte über ein tadelloses Renommee. Drei Viertel der Sachsen meinten im Vorfeld der Wahl, er habe als Ministerpräsident gute Arbeit geleistet. Selbst zwei Drittel der PDS-Anhänger zeigten sich zufrieden. 72 Prozent der Bevölkerung bevorzugten ihn gegenüber seinem SPD-Herausforderer Karl-Heinz Kunckel (15 Prozent) als Ministerpräsident. Selbst 43 Prozent der SPD-Anhänger favorisierten Biedenkopf gegenüber Kunckel. Auf einer Sympathieskala von +5 bis -5 erzielte Biedenkopf eine 2,3, Kunckel nur eine 0,2. Die CDU lag mit einem Wert von 1,3 deutlich hinter dem Amtsinhaber.89 Ziel der Imagekampagne war es, den Nimbus des Ministerpräsidenten, seine hohen Beliebtheits- und Kompetenzwerte so in den Vordergrund zu stellen, dass die Wähler CDU wählten, um ihn im Amt zu halten. Biedenkopf betonte kontinuierlich: „Ich habe mit den Sachsen vor vier Jahren eine Vereinbarung getroffen. Ich habe gesagt, ich will für Sachsen ein guter Ministerpräsident, ein guter Anwalt sein. Und nun müssen die Menschen am 11. September entscheiden, ob sie das wieder wollen oder nicht.“90 An die Wähler gerichtet bekundete er: „Wenn Sie mir mit ihrer Stimme wieder den Auftrag erteilen, werde ich auch in der kommenden Legislaturperiode wieder unserem Lande gerne als Ministerpräsident dienen. […] Wenn Sie mich weiterhin beauftragen wollen, die Interessen Sachsens als Ministerpräsident zu vertreten, dann geben Sie Ihre Listenstimme meiner Partei, der CDU“.91 Die Landtagswahl wurde so zu einer Ministerpräsidentenwahl. Am 8. August startete der Amtsinhaber, unterstützt durch eine Wahlkampfmannschaft, seine 120 Veranstaltungen umfassende Wahlkampftour.92 Um allseitige Präsenz zu ermöglichen, charterte die Landespartei einen Hubschrauber. Biedenkopf konnte so binnen eines Tages Termine in der Staatskanzlei wahrnehmen und kurze Zeit später in einem anderen Landesteil Wahlkampf führen. Auf Bürger- und Betriebsversammlungen, bei Besuchen in Kindertagesstätten und Altenpflegeheimen sowie auf zahlreichen öffentlichen Kundgebungen spielte er seine Trümpfe im direkten Kontakt mit den Menschen aus. In seiner Amtsfunktion eröffnete er Schwimmbäder, Schulungszentren, Feuerwachen oder legte Grundsteine für Unternehmensneubauten.93 Der unmittelbar vor der Wahl in Annaberg-Buchholz stattfindende „3. Tag der Sachsen“ erwies sich als ideales Podium. Hier konnte sich der Landesvater vor Zehntausenden profilieren. Geschickt setzte er private Akzente, etwa als er zur Eröffnung des Sachsentags mit seiner Enkelin auf den Schultern erschien. Biedenkopfs Frau Ingrid flankierte ihn regelmäßig. Als „Landesmutter“ unterstützte sie ihren Gatten bei dessen Reden durch bestätigende Zurufe oder kümmerte sich um die Anliegen der Zuhörer. Biedenkopfs Autogrammkarten zeigten das ministerpräsidentielle Ehepaar.94
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94
Vgl. Kohl für immer?, in: Der Spiegel (1994) H. 35, S. 29. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1994b), S. 29-33. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: Der Staat kann nur ermutigen, dass andere Arbeit schaffen, in: SZ vom 11. März 1994. ACDP 03-053-AAA Werbebrief von Kurt Biedenkopf zur Landtagswahl am 11. September 1994. Vgl. dpa/sn: Biedenkopf startete seine Wahlkampftour in Niesky, in: LVZ vom 9. August 1990. Vgl. ACDP 03-053-AAA Landtagswahl 1994. Wahlkampftermine Kurt Biedenkopf vom 18. August 1994; exemplarisch Jan Oechsner: CDU-Landeschef auf Stimmensuche in Chemnitz, in: Chemnitzer Morgenpost vom 19. August 1994. Vgl. Ralf Jaksch: Machen sie weiter – für Sachsen!, in: Bild vom 3. September 1994; Andreas Wassermann: Ingrid und Kurt – die sächsische Zweieinigkeit, in: DNN vom 7. September 1994.
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Der „regierende Chefökonom“95 agierte in einer Mischung aus Bürgernähe und Amtsseriosität; vollzog eine „Gratwanderung zwischen seriöser Analyse und Beredsamkeit“.96 Obwohl am liebsten in Front einer Zuhörerschaft, gab er sich in kleineren Runden landesväterlich, plauderte mit seinen Zuhörern, stets das Gespräch auf die entscheidenden Themen lenkend.97 Biedenkopf setzte auf die von Sagurna empfohlene „Nüchternheit“. Er stellte auf den Fleiß und den „Grips der Sachsen“ ab; hob hervor, dass das Land und seine Menschen die Lasten der Transformation getragen und den Aufbau vorangetrieben hätten.98 Geschickt vermied der Amtsinhaber Selbstlob, betonte allein seine Führungsrolle bei einer ansonsten durch die Bevölkerung geleisteten Aufbauarbeit. „Ohne die großartige Leistung aller Sachsen, ihren Einsatz und Fleiß hätten wir nie das geschafft, was wir bisher erreicht haben.“99 Biedenkopf avancierte – forciert durch die Medienberichterstattung – zu einem Landesvater, einem „König Kurt“.100 Seine Hauptwahlkampfbroschüre verdeutlichte die ihm zugesprochenen Rollen. Sie gewährte einen persönlichen Blick auf den Ministerpräsidenten, zeigte ihn im ausgewählten privaten Umfeld, betonte seine mitteldeutschen Wurzeln. Seiner Personalisierung folgte eine Präsidentialisierung. Die Bilder präsentierten ihn auf der einen Seite als Staatsmann, der Verträge unterzeichnet, die englische Königin empfängt oder umringt von Journalisten politische Themen erörtert. Auf der anderen Seite stand der Landesvater, ob im Gespräch mit Ingenieuren oder in der direkten Aussprache mit jungen Menschen. Der Ministerpräsident vertrete als „Anwalt der Sachsen“ die Interessen des Freistaates und die aller ostdeutschen Länder. „Seine Stimme hat Gewicht: Weit über die Grenzen unseres Landes hinaus. In Bonn und Brüssel ist er ein gefragter und geachteter Gesprächspartner.“101
5.2.4 Themenkampagne Um die programmatische Konsolidierung der Landespartei voranzutreiben, hatte Biedenkopf dieser auf dem 5. Landesparteitag am 10./11. Oktober 1992 eine Programmdiskussion „von unten nach oben“ verordnet.102 Die Aufgabe, das zukünftige Programm zu konzipieren, überforderte die Basis. Der notwendige Disput blieb auf der unteren Ebene gänzlich aus. Entsprechend enttäuscht bekundete Hähle, die Mitglieder seien es schlicht nicht gewohnt, eigene Gedanken zu konzeptionieren und zu formulieren.103 Der stellvertretende Landesvorsitzende übernahm daher die Federführung bei der Programmarbeit.104 Er stand einer 36köpfigen Kommission vor, die, in weiten Teilen basierend auf den konzeptionellen Vorstellungen der Fachausschüsse, ein Grundsatzprogramm und damit gleichzeitig den Unterbau der Themenkampagne 1994 erarbeitete. Nach einem längeren, die verschiedenen 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104
Bernhard Honnigfort: Die Vorlesungsreihe des regierenden Chefökonomen, in: FR vom 27. August 1994. SZ/Müller: Zwischen Analyse und Beredsamkeit, in: SZ vom 18. August 1994. Vgl. Andreas Terstiege: Des Sachsens Grips, des Sachsens Schatz, in: SZ vom 1. September 1994. Vgl. Klaus Hartung: Der Landesvater steigt herab, in: Die Zeit vom 2. September 1994. Kandidatenprospekt Kurt Biedenkopf zur sächsischen Landtagswahl 1994. Etwa Markus Lesch: Ein König kämpft im Freistaat um Stimmen, in: Die Welt vom 6. September 1994. Kandidatenprospekt Kurt Biedenkopf zur sächsischen Landtagswahl 1994. Vgl. Steffen Klameth: Von unten nach oben, in: SZ vom 12. Oktober 1992. Vgl. Marita Vogel: Schwierigkeiten mit dem Parteiprogramm, in: LVZ vom 16. Dezember 1992. Vgl. Rede von Fritz Hähle auf dem 6. Landesparteitag der sächsischen CDU am 9./10. Oktober 1993 in Chemnitz, S. 88 (Archiv des CDU-LV Sachsen); Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006.
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Ansätze der innerparteilichen Gruppen integrierenden Diskussionsprozess verabschiedete der 6. Landesparteitag am 9. Oktober 1993 die programmatischen Grundsätze.105 Die „Dresdner Erklärung“ der sächsischen CDU, eine wahlkampftaugliche Kurzversion des Programms, stellte gezielt drei Leitthemen heraus: soziale Sicherheit, Schutz der Bürger vor Kriminalität sowie Wirtschaft und Arbeit.106 Die CDU betonte, das „Solidaritätsprinzip“ sei von herausgehobener Relevanz. Man wolle „eine menschliche Politik für soziale Sicherheit“, die ein „menschenwürdiges Leben“ ermöglicht. Neben der „wirksamen Unterstützung durch die Solidargemeinschaft“ in Lebensnotlagen müsse die „Eigenverantwortung“ in Form einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ gestärkt werden.107 Beim Thema innere Sicherheit setzte die Partei auf „law and order“. Eine CDU-Regierung vertrete konsequent Bürgerrechte und setze das staatliche Gewaltmonopol „sichtbar und wirkungsvoll“ gegen Kriminalität ein. Heinz Eggert positionierte sich als „knallharter Innenminister“, der allen, auf die „Beeinträchtigung der Freiheit“ der Bürger zielenden „Verbrechern“ kein Pardon gewährt.108 Die dominierenden Wahlkampfthemen Wirtschaft und Arbeit wurden in erster Linie vom zuständigen Minister Kajo Schommer, dem Finanzminister und dem Ministerpräsidenten vertreten. Ihnen oblag eine wirtschaftspolitische Mentoren-Funktion. Indem Biedenkopf dem Themenfeld knapp die Hälfte seiner einstündigen Rede auf dem 7. Landes(wahl)parteitag widmete, gab er die inhaltliche Wahlkampflinie vor.109 Die ökonomische Situationsanalyse der regierenden Christdemokraten kennzeichnete ein prospektiver Grundton. Der bisherige Weg wurde als hart, aber alternativlos dargestellt. Der Kollaps der inneren und äußeren Märkte habe den Zusammenbruch der alten, nicht wettbewerbsfähigen Industrieproduktion gebracht und damit das Ende eines Großteils der alten Beschäftigung besiegelt.110 „Auch dies gehört zur Anfangsbilanz. Hunderttausende von Arbeitsplätzen gingen verloren. Alle Arbeitsplätze, die wir heute wieder haben, rund 1,6 Millionen an der Zahl sind entweder neu entstandene oder erneuerte Arbeitsplätze. Es gibt die alte Arbeit praktisch nicht mehr.“111 Die mit dem Aufbau neuer Produktionslinien entstandenen Arbeitsplätze seien wettbewerbsfähig und konzentrierten sich überwiegend auf zukunftsfähige Branchen. Da der Aufbau neuer Strukturen mehr Zeit als der Zusammenbruch der Alten benötige, sei hohe Arbeitslosigkeit unvermeidlich.112 Biedenkopf verglich die Transformation mit einem Hausbau. „Der Rohbau unseres neuen sächsischen Hauses steht. Unser Land ist auf einem guten Weg.“113 Mit dem Rohbau habe man „wesentliche Grundentscheidungen für das spätere Gebäude getroffen, nämlich seine äußeren Strukturen, sein Fundament, die Raumaufteilung und Ähnliches“.114 Speziell die Entwick105
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Vgl. „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“ Grundsätze und Programm der Sächsischen Union. Beschlossen am 9. Oktober 1993 auf dem 6. Landesparteitag in Chemnitz. Vgl. Für Sachsen. Dresdner Erklärung der Sächsischen Union. Thesen zu den Wahlen 1994. Vgl. ebd., S. 2. Vgl. Stefan Berg: Kurfürst in Sachsen, König von Potsdam, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 2. September 1994. Vgl. Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006; Christian Kerl: CDU wirbt um klare Verhältnisse, in: FP vom 15. August 1994. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU, S. 8; ACDP 03-053-AAA Werbebrief von Kurt Biedenkopf zur Landtagswahl am 11. September 1994. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU, S. 8. Vgl. SZ/Müller: Zwischen Analyse und Beredsamkeit, in: SZ vom 18. August 1994; Interview mit Kurt Biedenkopf, in: SZ vom 11. März 1994. ACDP 03-053-AAA Werbebrief von Kurt Biedenkopf zur Landtagswahl am 11. September 1994. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, in: Drucksache 1/4827 des Sächsischen Landtages, S. 7038-7045, hier S. 7039.
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lung der Infrastruktur, besonders die Fortschritte im Kommunikationsbereich, bei öffentlichen Gebäuden wie Krankenhäusern oder Schulen und im Autobahnbau, habe „die Voraussetzungen geschaffen für [den] Aufbau der Wirtschaft“.115 Die kommenden Jahre, so die CDU, dienten dem „Innenausbau“.116 Eine offensivere Darstellungsweise bevorzugte Schommer, indem er unablässig unterstrich, die sächsische Wirtschaft habe wieder „kräftig Tritt gefasst“. Leipzig und Dresden seien die wachstumsstärksten Städte Deutschlands. Das produzierende Gewerbe weite seine Produktion aus, die Baubranche sei Wachstumsmotor. Sachsen sei auf dem besten Weg zu einem „besonders wirtschaftsstarken Land“. 117 Ordnungspolitisch wandte sich die CDU gegen sozialistische Konzeptionen und trat für „eine marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik“118 ein. Der real-existierende Sozialismus sei nicht am Versagen der politischen Führung gescheitert, vielmehr sei der „Wesenskern der sozialistischen Ideologie […] falsch“.119 Der Sozialismus habe zu „verheerenden“ Resultaten geführt und Sachsen „zu einem der ärmsten Länder Europas gemacht“.120 Hingegen stehe die mit der deutschen Einheit übernommene Wirtschaftsordnung für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und soziale Sicherheit.121 Die CDU kommunizierte klar: „Der Staat ist nicht der Arbeitgeber. Er kann ermutigen, dass Investitionen stattfinden, dass Leute sich selbstständig machen – dass sich also die Zahl derer erhöht, die Arbeit schaffen.“122 Nur eine starke Wirtschaft mit vielen Unternehmen könne „neue produktive Arbeitsplätze schaffen“. Eine CDU-Regierung vermöge dies nicht.123 Eine Politik, die sich bei der Übernahme von Aufgaben zurückhalte, so Biedenkopf, stärke den Staat. Übernehme eine Regierung zu viele Aufgaben, so könne sie davon keine „vernünftig lösen“.124 Das „vorrangige“ wirtschaftspolitische Ziel bestand darin, „die Rahmenbedingungen für das Entstehen moderner und dauerhafter Arbeitsplätze zu schaffen“. Es gelte, einen „funktionsfähigen Arbeitsmarkt zu generieren, der allen, die mitarbeiten wollen, Arbeit gibt“. Die Partei präferierte dafür qualitatives Wachstum. „Wirtschaftswachstum darf durch den Verbrauch von Energie und Rohstoffen nicht zur Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschheit führen.“ Ökonomie und Ökologie dürften „nicht im Widerspruch zueinander stehen“.125 Ziel müsse sein, „eine starke und umweltverträgliche Wirtschaft“ aufzubauen. Mithilfe westlicher Transfergelder, so die CDU, solle Sachsen zu einem High-Tech- und Dienstleistungsstandort werden, der maximale Wertschöpfung garantiert und ein „gesundes Verhältnis von großen, mittelständischen und kleinen Unternehmen“ aufweist.126
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Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU, S. 7. Vgl. Für Sachsen. Dresdner Erklärung der Sächsischen Union. Thesen zu den Wahlen 1994, S. 5. ACDP 03-053-AAA Wahlanzeige von Kajo Schommer zur Landtagswahl am 11. September 1994. „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“, S. 13. Ebd., S. 6. Der Landesverband gab sich ein deutlich antisozialistisches Programm, welches die Repressionen der SED heraushob, die sozialistische Ideologie grundlegend verwarf und die negativen Auswirkungen des Sozialismus auf die Psyche der Bevölkerung erörterte. Für Sachsen. Dresdner Erklärung der Sächsischen Union. Thesen zu den Wahlen 1994, S. 4. Vgl. ACDP 03-053-AAA Werbebrief von Kurt Biedenkopf zur Landtagswahl am 11. September 1994. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: SZ vom 11. März 1994. Vgl. ACDP 03-053-AAA Wahlanzeige von Kajo Schommer zur Landtagswahl am 11. September 1994. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 6. Landesparteitag der sächsischen CDU am 9./10. Oktober 1993 in Chemnitz, S. 17 (Archiv des CDU-LV Sachsen). „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“, S. 12 f., 17; Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7040. Vgl. Für Sachsen. Dresdner Erklärung der Sächsischen Union. Thesen zu den Wahlen 1994, S. 1; „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“, S. 16.
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Da der große wirtschaftsstrukturelle „Schock“ überwunden sei und die kommenden Aufgaben sich vor allem um „Detailprobleme“ drehten, müsse die Regierung fortan „bei der Unterstützung des wirtschaftlichen Aufbaus“ stärker regional differenzieren. Wegen der Massivität des Umbruchs habe man dies nicht von Beginn an gekonnt, sondern sich auf die Ballungszentren konzentrieren müssen.127 Neben stärker regional spezifizierten Förderinstrumenten und dem nun regional zu konzipierenden ATLAS-Projekt, seien die noch unzureichenden Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen im ländlichen Raum zu verbessern. Im strukturpolitischen Fokus der Regierungspartei befanden sich „zukunftsorientierte Technologien“, „Umwelttechnik“ und innovative unternehmerische Konzepte. Zwar bestehe unverändert ein „erhaltenswerter Kern der sächsischen Industrie“, der durch „zeitlich begrenzte staatliche Förderung die Chance zur Anpassung erhalten“ müsse, eine generelle Subventionierung unproduktiver Unternehmen verwarf die CDU gleichsam.128 Einerseits gelte es weiterhin, Großinvestitionen nach Sachsen zu lenken und so „Kristallisationspunkte“ für kleinere Unternehmen zu schaffen. Andererseits betonten die Christdemokraten die Relevanz der Mittelstandsförderung in Form von Investitionshilfen, Bürgschaften sowie Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen durch sächsische Beteiligungsfonds.129 Indem die CDU für „Wagnis-Kapitalfonds“ plädierte, schwenkte sie auf die Linie der von den Gewerkschaften und der SPD geforderten staatlichen Unternehmensbeteiligungen ein. Der bei der Landesbank angesiedelte Fonds (300 Millionen DM) sollte sich mit Investitions- und Liquiditätshilfen an kleinen und mittleren Unternehmen mittelfristig beteiligen. 130 Die Regierungspartei agierte wahlkampfwirksam. So sicherte Biedenkopf zu Wahlkampfbeginn dem Oberlausitzer Waggonbau für den Fall der ausbleibenden Privatisierung eine Landesbeteiligung zu. An die Eilenburger Chemie Werke erging Anfang August 1994 eine Zusage auf finanzielle Hilfe.131 Schommer kündigte vier Wochen vor der Wahl die Übernahme von 20 Treuhandunternehmen in eine „Sächsische Managementgesellschaft“ an.132 Wählerwirksam akzentuierte Biedenkopf, man solle die Marktwirtschaft nicht dogmatisieren und Ausnahmen zulassen – sozusagen als Ultima Ratio christdemokratischer Ordnungspolitik.133 Die aus dem Wirtschaftsministerium lancierte Bekanntgabe, neben dem Mikroelektronikzentrum von Siemens werde sich mit dem amerikanischen Unternehmen AMD ein zweites Großunternehmen am Standort Dresden ansiedeln und 1.400 Arbeitsplätze schaffen, erwies sich für die Christdemokraten als gefährlich. Da sich der Konzern formell noch nicht entschieden hatte und die Ankündigung deshalb gegen US-amerikanisches Aktienrecht verstieß, folgte das unmittelbare Dementi der Amerikaner. Schommer musste zurückrudern.134
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Vgl. Christian Kerl: „Sachsen glauben an ihre Zukunft“, in: FP vom 19. August 1994; Interview mit Kurt Biedenkopf in: Eig.Ber.: Ein Mann will weiter regieren, in: Lausitzer Rundschau vom 25. August 1994. Vgl. Kajo Schommer in: Kerstin Eckstein u. a.: Wann wird Sachsen Irland überholen?, in: SZ vom 26. August 1994; „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“, S. 19, 30-37. Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf in: Ich habe getan, was ich konnte. Besser kann ich’s nicht, in: SZ vom 17. August 1994; Für Sachsen. Dresdner Erklärung der Sächsischen Union, S. 2; „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“, S. 17. Vgl. dpa/sn: CDU auf Oppositionskurs?, in: DNN vom 20. Juli 1994. Vgl. dpa/sn: Biedenkopf startete seine Wahlkampftour in Niesky, in: LVZ vom 9. August 1990; EB: Freistaat ist bereit zur Hilfe für Eilenburger Chemiewerk, in: LVZ vom 25. August 1994. Vgl. EB: Sachsen übernimmt Rettung von 20 Treuhand-Betrieben, in: LVZ vom 12. August 1994. Vgl. Eig./Ber./br.: Ein Mann will weiter regieren, in: Lausitzer Rundschau vom 25. September 1994. Vgl. Jörg Marschner: Vorschnell und vorlaut, in: SZ vom 27. August 1994.
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Getreu ihres ordnungspolitischen Ansatzes, die Staatsregierung könne die benötigten Arbeitsplätze nicht selbst schaffen, betonte die CDU, sie werde „keine Versprechungen über die genaue Anzahl an Arbeitsplätzen, die in den nächsten Jahren entstehen“, abgeben. Man sei sich allenfalls sicher, dass die prosperierende mittelständische Industrie bis zu 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze in sich berge.135 Ebenso wie sich Biedenkopf gegen die Ansage der SPD aussprach, 250.000 Arbeitsplätze schaffen zu wollen,136 wandte sich die CDU gegen umfassende staatliche Beschäftigungsprogramme. Sie seien der falsche Ansatz für mehr Beschäftigung. Eine staatlich gelenkte Wirtschaft könne „nicht erfolgreich mit freien, am Markt orientierten Unternehmen konkurrieren“.137 Stattdessen plädierte die Partei für nachhaltige Arbeitsfördermaßnahmen, wie Fortbildungen und Umschulungen. Biedenkopf, der für eine „neue Ordnung der Arbeit“ mit einem Umbau der ineffektiven Arbeitsverwaltung und neue Arbeitszeitmodelle eintrat,138 geriet Mitte August in Konflikt mit der Bundesanstalt für Arbeit. Die hatte verkündet, dass in Sachsen für eine Vollbeschäftigung 725.000 Arbeitsplätze fehlen.139 Was Wasser auf die Mühlen der Opposition war, bestritt die CDU. Die hohe Zahl basiere auf einer überhöhten Erwerbsquote. Realistisch sei eine Beschäftigungsquote nach westeuropäischem Muster von 70 Prozent, was in Sachsen, bei gegenwärtig etwas über 50 Prozent, 450.000 fehlende Arbeitsplätze ergäbe.140 Vollbeschäftigung und Beschäftigungsquoten von 90 Prozent, so Biedenkopf, seien in einer Marktwirtschaft unmöglich, Arbeit für alle schaffen zu können eine ebenso unrealistische Annahme wie ein in der Verfassung verbürgtes subjektives Recht auf Arbeit.141 Speziell der Zusammenhang zwischen der hohen Erwerbsneigung sächsischer Frauen und der hohen Frauenarbeitslosigkeit, war für die CDU indes schwer zu kommunizieren.142
5.2.5 Konkurrenzkampagne Die direkte Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner war im Wahlkampf sekundär, die CDU ignorierte oder instrumentalisierte ihre Kontrahenten. 143 Eine Koalitionsaussage vermied sie, betonte stattdessen, über die Art und Weise des Weiterregierens werde am Wahltag entschieden. So hielt sie sich gegenüber den Liberalen, welche ihr für den Fall einer Wahlniederlage intern als Koalitionspartner galten, mit öffentlichen Bekundungen zurück bzw. blendete die FDP aus. Insgeheim hoffte die CDU, durch ein Scheitern der FDP an der Sperrklausel ihre absolute Sitzmehrheit erhalten zu können.144 Ähnlich agierte die 135 136 137 138
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Vgl. Für Sachsen. Dresdner Erklärung der Sächsischen Union. Thesen zu den Wahlen 1994, S. 2. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU, S. 10. „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“, S. 17. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU, S. 15; Christian Kerl: „Sachsen glauben an ihre Zukunft“, in: FP vom 19. August 1994. Vgl. Jan Leißner: In Sachsen fehlen über 700.000 Arbeitsplätze, in: FP vom 17. August 1994. Vgl. Christian Kerl: „Sachsen glauben an ihre Zukunft“, in: FP vom 19. August 1994; Christoph Ulrich: Schommer kritisiert Arbeitsmarkt-Statistiker, in: FP vom 31. August 1994; Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU, S. 11. Vgl. Christian Kerl: „Sachsen glauben an ihre Zukunft“, in: FP vom 19. August 1994; Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7040 f. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Vgl. Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006; Michael Sagurna: Überlegungen zum Landtagswahlkampf, S. 4 f. Vgl. Steffen Klameth: Liberaler Zweckoptimismus, in: SZ vom 8. September 1994.
5.2 Wahlkampf der CDU – Kampf um die absolute Mehrheit
165
Regierungspartei gegenüber den Grünen. Deren Führung um Werner Schulz und Kornelia Müller liebäugelte im Vorfeld der Wahl, beflügelt von zweistelligen Umfragewerten, offen mit einer schwarz-grünen Koalition. Was ihnen breites Unbehagen der eigenen Basis und den Verdruss von Teilen ihrer Wählerschaft einbrachte, 145 sorgte im christdemokratischen Lager für ambivalente Reaktionen. Vertreter der Reformer standen einem solchen Bündnis anfänglich positiv gegenüber, während etwa Finanzminister Georg Milbradt ablehnend reagierte.146 Biedenkopf äußerte zwar nach außen, dass ein schwarz-grünes Bündnis für ihn nicht infrage komme, zeigte sich intern aber weniger distanziert.147 Im weiteren Wahlkampfverlauf verdrängte die Landespartei das Thema. Hinsichtlich der DSU hatte Hähle noch 1992 signalisiert, sie wäre für den Fall ihres Landtagseinzugs „ein guter Koalitionspartner“.148 Biedenkopf sah indes in den Deutschsozialen eine Gefahr für eine erneute absolute Mehrheit und hielt die Partei für koalitionsunfähig. In einem Brief an Helmut Kohl erhob er 1992 schwere Vorwürfe gegen den CSU-Vorsitzenden Theo Waigel und forderte unmissverständlich ein Ende der CSU-Finanzhilfen.149 Nachdem die DSU 1993 ihre Westausdehnung beschlossen hatte, zog die CSU schließlich ihre Unterstützung zurück, woraufhin sich die DSU marginalisierte und die CDU sie fortan ignorierte. Christdemokratische Hauptgegnerin war erneut die SPD. Nach dem eher positiven und konstruktiven Verhältnis beider Parteien während der Legislaturperiode bewirkte u. a. die rabiate Regierungskritik des sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Karl-Heinz Kunckel eine offensivere Ausrichtung der CDU-Kampagne.150 Vor allem der im Rahmen der „Dresdner Erklärung“ der SPD vom 11. August vertretene Vorwurf, die Bundesregierung habe die Ostdeutschen jahrelang mit ihren wirtschaftlichen Problemen alleingelassen, schürte Unmut.151 „Entweder die Leute, die dies geschrieben haben, haben ihren Verstand verloren, oder sie haben keine Ahnung von diesem Land oder beides“, so Biedenkopf. SPD-Kanzlerkandidat Scharping zeichne eine klare Unkenntnis der Ostdeutschen aus. Indem die SPD davon rede, was die Regierung für die Menschen tue und die Leistungen der Menschen vernachlässige, streue sie den „gefährlichsten Spaltpilz“ aus. 152 Den Kern der Konfrontation beider Parteien bildete das Verhältnis der SPD zur PDS. Vor dem Hintergrund des „Magdeburger Modells“ und der unter der sächsischen Wählerschaft weitverbreiteten Antipathie gegenüber jenem153 warnte die CDU unentwegt vor RotGrün-(Rot).154 Mit dem Ziel unsichere und wechselbereite Wählerschichten zu binden, polarisierte sie an diesem Punkt scharf: SPD und Grüne würden im Falle entsprechender Kräfteverhältnisse nicht zögern und eine PDS-unterstützte Minderheitsregierung bilden. 145 146
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Vgl. Ralf Husemann: Kokettieren mit Schwarz-Grün, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. März 1994. Vgl. Klaus Wallbaum: Schwarz-grünes Bündnis gewinnt in Sachsen an Popularität, in: Der Tagesspiegel vom 29. Dezember 1993; pc/lbk: Schwarz-grüne Koalition: Bündnisgrüne wollen, die sächsische CDU lehnt ab, in: Welt am Sonntag vom 4. September 1994. Vgl. AP: Biedenkopf gegen schwarz-grüne Koalition, in: FAZ vom 3. September 1994; Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Fritz Hähle zitiert nach: Markus Lesch: Sachsens CDU spürt Verdrossenheit, in: Die Welt vom 5. Juni 1992. Vgl. Brief von Kurt Biedenkopf an Helmut Kohl, abgedruckt in: Wendt (1994), S. 156-158. Vgl. Steffen Klameth; Biedenkopfs „echte Enttäuschung“, in: SZ vom 10. August 1994; Bernhard Honnigfort: SPD-Erklärung führt zu Streit, in: FR vom 15. August 1994. Vgl. CK: Scharfe Angriff gegen SPD, in: FP vom 15. August 1994. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU, S. 5, 9, 13. Vgl. Infas-Umfrage (1994a), S. 9. 53 Prozent der Sachsen bekundeten im Vorfeld der Wahl, eine Entwicklung wie in Sachsen-Anhalt verhindern zu wollen. Zwei Drittel hielten das „Magdeburger Modell“ als für Sachsen ungeeignet. Vgl. Steffen Klameth: Der Kampf gegen SPD, PDS und bissige Hunde, in: SZ vom 15. August 1994.
166
Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
Die Wähler stünden daher vor der Alternative einer erneuten CDU-Mehrheit oder Verhältnissen wie in Sachsen-Anhalt.155 Die CDU betrieb Lagerwahlkampf. Biedenkopf unterstellte Kunckel, dieser wolle mit „Rückendeckung“ der PDS an die Regierung.156 Auch deshalb schlossen die Christdemokraten eine Große Koalition aus.157 Jenseits der Instrumentalisierung der PDS als die potenzielle Unterstützerin einer rotgrünen Minderheitsregierung isolierten die Christdemokraten die SED-Nachfolgerin weitgehend. Eine inhaltliche Auseinandersetzung galt ihnen als „absurd und unnötig“158, eine direkte oder indirekte Regierungsbeteiligung der PDS schlossen sie in ihrer „Dresdner Erklärung“ kategorisch aus.159 Innerhalb der CDU gingen vorrangig die Reformer hart mit der PDS ins Gericht, was sie vom Kurs der Landespartei abhob. In der Annahme, die postkommunistische Kernwählerschaft werde unter keinen Umständen einen Wechsel zur CDU vollziehen, begegneten sie der SED-Nachfolgerin offensiv. Unterdessen versuchte die Landespartei, zwar die PDS und ihre Funktionäre auszugrenzen, nicht aber deren Wähler und Sympathisanten zu verprellen.160 Man wolle, so Hähle, nicht die Zustimmung von Teilen der Bürger zur PDS „verteufeln“, sondern vielmehr diese Bürger darauf hinweisen, dass sie „auf das falsche Pferd setzen“. Die PDS sei extremistisch und verfolge nach wie vor die marxistisch-leninistische Strategie, „die Widersprüche in der Gesellschaft zu schüren und zu verschärfen, um einen Umsturz vorzubereiten“.161 Ihr Ziel sei, so Biedenkopf, mit ihren Postulaten systematisch die Leistungsfähigkeit des Staates zu überfordern.162 Folgerichtig verzichtete die sächsische CDU-Führung auf die von CDU-Generalsekretär Peter Hintze für den Bundestagswahlkampf 1994 angestrengte „Rote-Socken-Kampagne“.163 Eine undifferenzierte Negativkampagne hätte die PDS unnötig aufgewertet, mitunter, so die Befürchtung der CDU, zahlreiche, innerhalb der eigenen Wählerschaft befindliche ehemalige SEDMitglieder vertrieben. Obendrein fühlten sich frühere Funktionäre der Blockpartei unangenehm mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.164
5.3 Wahlkampf der SPD – Kampf gegen die absolute Mehrheit 5.3.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Trotz mehrerer Kampagnen zur Mitgliederwerbung vermochte die sächsische SPD zwischen 1990 und 1994 ihre Mitgliederzahlen kaum zu steigern.165 Bei 5.190 Parteigängern 155 156
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Vgl. afk: Was wollen SPD und Grüne in Sachsen, in: FAZ vom 10. August 1994. Vgl. Jörg Meier: Duell Biedenkopf gegen Kunckel spitzt sich zu, in: Oberlausitzkurier vom 3. September 1994. Sie war, so Sagurna später, zu keiner Zeit auf der Tagesordnung. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Vgl. Für Sachsen. Dresdner Erklärung der Sächsischen Union. Thesen zu den Wahlen 1994, S. 4. Vgl. Schmidt (1996), S. 16. Rede von Fritz Hähle auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU am 13. August 1994 in Dresden, S. 3 f. (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. afk: Was wollen SPD und Grüne in Sachsen, in: FAZ vom 10. August 1994. Lediglich einige Kreisverbände und Kandidaten „fuhren“ die Kampagne. Vgl. Schmidt (1996), S. 15. Vgl. ADSD 3/SN AB 000364 Brief des SPD-Parteivorstands an den SPD-Landesverband Sachsen vom 12. November 1993; ADSD 3/SN AB 000364 Brief von Lutz Kätzel an den SPD-Parteivorstand vom 29. März 1994.
5.3 Wahlkampf der SPD – Kampf gegen die absolute Mehrheit
167
hatte der Landesverband zur Jahresmitte 1994 weniger Parteibücher im Umlauf als die sächsische FDP (6.635). Das Mitglieder-Wahlberechtigten-Verhältnis der Sachsen-SPD betrug nur ein Fünfzehntel des bundesweit üblichen.166 Die potenzielle Mobilisierungsfähigkeit des Landesverbands war unverändert dürftig. Nicht ohne zu übertreiben, befand Franz Walter 1993: „Heute ist die sächsische SPD faktisch eine Partei ohne Tradition, ohne Organisation, ohne Mitglieder, ohne Bodenhaftung, ohne kommunale Basis und Prominenz, ohne ein zündendes politisches Konzept.“167 Ihre geringe öffentliche Resonanz und der Unwille der Ostdeutschen, sich in einer Partei zu organisieren, machten den Genossen zu schaffen.168 Vor allem der Umgang mit ehemaligen SED-Mitgliedern, denen der Landesvorstand 1990 zunächst die Aufnahme untersagt hatte, dies aber später, u. a. auf Druck der Jusos, den Ortsvereinen überließ,169 stand nun in der Kritik. Der von vielen befürchtete „Entrismus“ ehemaliger SED-Funktionäre war ausgeblieben. Nicht zuletzt behinderte der für die sächsische SPD typische „Doppelcharakter“ aus Traditionen und bürgerrechtlichen Idealen den strukturellen Auf- und Ausbau. 170 Die Sozialdemokraten kämpften die Legislaturperiode über mit ihrer organisatorischen Konsolidierung. Das 1990 gewählte westdeutsche Organisationsmuster mit drei Bezirken und dem Landesverband als Koordinierungsklammer war wegen der Mitgliederschwäche ungeeignet. Zu große Machtbefugnisse der Bezirke bewirkten gegenseitige Rangeleien und schwächten die Landesebene. Wegen des ausbleibenden Mitgliederzuwachses und der damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten entschied sich der Parteivorstand unter Michael Lersow, die drei Bezirksverbände zum 31. Dezember 1990 aufzulösen. Im Frühjahr 1991 schlossen sich die Kreisverbände bzw. Unterbezirke zu 15 Unterbezirken zusammen, die fortan als Ebene zwischen dem Landesverband und den rund 280 Ortsvereinen fungierten. Eine Satzungsänderung auf dem Riesaer Parteitag am 23. März 1991 sicherte dem Landesverband die bislang den Bezirken vorbehaltene finanzielle, personelle und politische Hoheit.171 Hingegen hemmte der späte Umzug der Landesgeschäftsstelle nach Dresden (1993) die notwendige Professionalisierung und Konsolidierung der Partei. Vor allem, dass die sächsische SPD bis 1994 über keinen Hauptamtlichen für Öffentlichkeitsarbeit verfügte, sondern der Fraktionspressesprecher diese Aufgabe „ehrenamtlich“ ausübte, behinderte eine erfolgreiche Außendarstellung.172 Wesentlich für die Außenwahrnehmung der Partei war die Rolle ihrer Landtagsfraktion. Anstatt – wie von Lersow und seitens der Bonner SPD-Führung gefordert – im Landtag eine harte Opposition gegen die CDU zu etablieren, setzte der Fraktionsvorsitzende KarlHeinz Kunckel auf eine quasi-governementale Strategie. Die Probleme des Freistaats ließen der SPD seiner Ansicht nach keine andere Wahl, als in zentralen Bereichen mit der CDU den Konsens zu suchen.173 Die von vielen SPD-Abgeordneten noch aus der Zeit der friedlichen Revolution stammende und im Landesparlament weithin fortgeführte kooperative 166 167 168 169
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Vgl. Neugebauer (1996), S. 56; Demuth (2006), S. 150. Walter (1993), S. 37. Vgl. Tiemann (1993), S. 421. Vgl. Ergebnisbogen Nr. 14: SPD-Landesverband Sachsen, in: Rainer Linnemann (1994): Die Parteien in den neuen Bundesländern. Konstituierung, Mitgliederentwicklung, Organisationsstrukturen, Münster/New York, S. 270-273; Nikolaus Voss (2000b): Aufbruch und Stagnation im Neubeginn der Leipziger Sozialdemokratie, in: Schmeitzner/Rudloff (Hrsg.), S. 178-181, hier S. 181. Vgl. Demuth (2006), S. 148. Vgl. Schmeitzner/Rudloff (2000), S. 26. Vgl. Demuth (2006), S. 154. Vgl. Richter (2004), S. 856.
168
Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
Verfahrensweise diente dem innerparlamentarischen Dialog und forcierte die Mitwirkung der Sozialdemokraten in den parlamentarischen Ausschüssen. Trotz ihres Engagements: Eigene Konzepte konnte die SPD kaum verwirklichen. Von ihren 27 in der ersten Legislaturperiode eingebrachten Gesetzesentwürfen wurden nur zwei angenommen, zahlreiche von der CDU schlicht adoptiert.174 In der Außenwirkung erwies sich das defensive Vorgehen zudem als nachteilig für die Konstruktion eines markanten Images. Innerparteiliche Probleme rührten aus den Rivalitäten zwischen den Lagern des Landesvorsitzenden Lersow und des Fraktionsvorsitzenden Kunckel her. Die Auseinandersetzung zwischen den Machtzentren erreichte 1992 ihren vorläufigen Höhepunkt. Ursächlich für die von Anfang an unglückliche Doppelspitze waren in erster Linie die Vorbehalte innerhalb der SPD-Fraktion gegen eine Zusammenlegung der Ämter des Fraktions- und Parteivorsitzenden. Als sich im Vorfeld des Dresdner Parteitags am 23./24. Mai 1992 und gegen die Haltung der Fraktion eine Kandidatur Kunckels für den Landesvorsitz ankündigte und er damit eine offene Auseinandersetzung heraufbeschwor, war die Partei zu einem Vergleich genötigt. Das drohende Zerwürfnis abwendend, einigte sich der Landesvorstand am 27. April 1992 auf die alleinige Nominierung Lersows für den Landesvorsitz. Kunckel, bereits zuvor vom Landesvorstand zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 1994 benannt, zog seine Kandidatur zurück.175 Der Parteitag wählte ihn schließlich mit 96,4 Prozent zum Spitzenkandidaten und bestätigte den fortan geschwächten Lersow mit 82 Prozent als Landesvorsitzenden. Mit der Nominierung Kunckels hatte sich in der Partei die Dresdner Linie durchgesetzt. Während er den Parteitag zu einer Politik der Verständigung mit der CDU aufrief, forderte Lersow von der Landespartei ein offensives Vorgehen gegenüber dem politischen Gegner. Der sachorientierte Konsenskurs des einen stand gegen die ebenfalls sachorientierten Polarisierungsforderungen des anderen.176 Pflegte Kunckel etwa die persönliche Nähe zu Biedenkopf, forcierte Lersow einen Oppositions- und Offensivkurs gegenüber der alleinregierenden CDU. Die konträren Politikansätze der auch menschlich verschiedenen Doppelspitze behinderten schließlich eine erfolgreiche Parteiarbeit. Zur finalen Auseinandersetzung zwischen Kunckel und Lersow kam es, als beide im Vorfeld des am 3./4. Juli 1993 in Zwickau abgehaltenen Landesparteitags ihre Kandidatur für den Bundesvorstand bekanntgaben und dies mit ihrer Funktion auf Landesebene begründeten. Als der Machtkampf in gegenseitige Schmutzkampagnen mündete, setzte dem der Landesausschuss ein Ende. Am 2. Juli 1993 stimmten die Vertreter der Unterbezirke in einer Vertrauensfrage mehrheitlich für Kunckel und gegen Lersow, der daraufhin auf dem Zwickauer Landesparteitag zurücktrat.177 Nach zähem Streit fand die sächsische SPD die benötigte Geschlossenheit, hatte es aber verpasst, den als Programmparteitag konzipierten Landesparteitag zur öffentlichkeitswirksamen positiven Präsentation zu nutzen. Die nach innerer Harmonie trachtende Basis zeigte sich über das Ende der Machtkämpfe erleichtert. Mit seiner Wahl zum neuen Landesvorsitzenden auf dem Sonderparteitag am 7. November 1993 in Hoyerswerda vereinte Karl-Heinz Kunckel mit Fraktions-, Parteiführung und Spitzenkandidatur umfassende Machtfülle. Als Biedenkopfs Herausforderer steuerte er die Landespartei ins Superwahljahr. Gegenüber 1990 hatte sich die SPD personell neu ausgerichtet, 174 175 176
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Vgl. Patzelt (2004), S. 411; Schmeitzner/Rudloff (1997), S. 160; Bartsch (2002), S. 89 f. Vgl. Protokolle der Landesvorstandssitzungen am 23. März 1993 in Chemnitz, am 27. April 1992 in Leipzig. Vgl. Klaus Wallbaum: Die SPD schickt Kunckel ins Rennen, in: LVZ vom 25. Mai 1994; Bernhard Honnigfort: Ein Gespann zerbrach, das nie eins war, in: FR vom 5. Juli 1993. Vgl. Beschlussprotokoll der Landesausschusssitzung am 2. Juli 1993 in Zwickau; Bernhard Honnigfort: Ein Gespann zerbrach, das nie eins war, in: FR vom 5. Juli 1993.
5.3 Wahlkampf der SPD – Kampf gegen die absolute Mehrheit
169
organisatorisch fundiert und ein weithin eigenständiges und teilweise professionelles Wahlkampffundament etabliert.
5.3.2 Konzeptioneller Rahmen Anfang 1994 schuf die Partei eine politische und eine technische Wahlkampfführung. Die politische Leitung oblag dem Präsidium des Landesvorstands. Wahlkampfmanager war der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion Peter Adler. Er verfügte zum einen über die nötige politische Erfahrung, zum anderen stand er in engem persönlichem Kontakt mit dem Spitzenkandidaten. Im direkten Umkreis der politischen Wahlkampfleitung waren ein Programmstab, bestehend aus den Arbeitskreisleitern der Fraktion und den Leitern der Parteiarbeitskreise, und ein direkt dem Spitzenkandidaten zugeordneter Planungsstab angesiedelt. In diesem wirkten u. a. Kunckels persönlicher Berater Volker Ricker, der aus der Bonner „Baracke“ abgestellte Kampagnenmanager Bernd Schoppe und Kunckels Vertrauter Friedemann Tiedt. Den Wahlkampf des Spitzenkandidaten unterstützte eine „Fliegertruppe“, die jeweils vor Ort die organisatorische Ausgestaltung vornahm. Die politische Wahlkampfleitung, die folglich in sächsischen Händen lag, wurde von außen durch die Bundespartei sowie durch die Düsseldorfer Werbeagentur Idea und Hansen unterstützt. Die Wahlkampfumsetzung fiel der technischen Wahlkampfleitung unter Lutz Kätzel und dessen Mitarbeitern in der Dresdner Landesgeschäftsstelle zu. Zusammen mit einigen Unterbezirks-Geschäftsführern, dem Fraktionspressesprecher Volker Knauer und dem Chef des Wahlkampfstabs koordinierte und organisierte sie die Kampagne.178 Ungeachtet der frühen Bekanntgabe ihres Spitzenkandidaten begann die Vorbereitungs- und Planungsphase für den Landtagswahlkampf179 erst mit dem Zwickauer Parteitag im Juli 1993. Nach einer kurzen Periode der Binnenmobilisierung startete die Landespartei mit der „Sachsentour“ Karl-Heinz Kunckels am 18. Oktober 1993 und mit der Vorstellung ihres Wahlkampfteams am 15. Januar 1994 als erste der Parteien in den Landtagswahlkampf. Im „Superwahljahr“ verwob die SPD alle Wahlkämpfe zu einer neunmonatigen Wahlkampfhauptphase. Einzig Landtags- und Bundestagswahlkampf verliefen weitgehend getrennt. Mit dem zweitägigen „Sachsenfest“ im August 1993, den drei „Sachsentouren“ des Spitzenkandidaten Ende 1993 und Anfang 1994180 und der Anfang August 1994 eröffneten heißen Phase widmete sich die SPD in den 12 Monaten vor der Landtagswahl fast an 70 Tagen der offensiven Außendarstellung. Kunckels zusätzliche Auftritte im Kommunal-
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Vgl. Karl-Heinz Kunckel in: Protokoll der Landesausschusssitzung am 17. Oktober 1993 in Dresden; Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006; Interview mit Rolf Schwanitz am 20. Februar 2006. Der Landesverband bezifferte seinen Wahlkampfjahresetat auf 1,2 Millionen DM. Laut Rechenschaftsbericht betrugen seine Ausgaben für alle Wahlkämpfe 3.780.382 DM, wovon 1.905.651 DM auf die Landesebene entfielen. Gegenüber 1990 musste die SPD haushalten. Sie finanzierte ihre Wahlkampfaktivitäten vor allem aus Zuschüssen der Bundespartei und durch einen empfindlichen Eingriff ins Parteivermögen (zwei Millionen DM). Um ihre Mandatsträger an den Kosten zu beteiligen, hatte sie seit 1990 eine monatliche Sonderabgabe der Landtagsabgeordneten erhoben. Vgl. Steffen Klameth: Falsche Bescheidenheit, in: SZ vom 8. Juni 1994; SPD. Rechenschaftsbericht 1994, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/3390 vom 21. Dezember 1995, S. 122-124; SPD. Rechenschaftsbericht 1993, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/145 vom 22. Dezember 1994, S. 160-173. „Sachsentour I“ vom 18.-27. Oktober 1993; „Sachsentour II“ vom 17.-21. Januar 1994; „Sachsentour III“ vom 28. Februar-4. März 1994.
170
Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
wahlkampf sorgten für eine Dauerpräsenz, die den oppositionsbedingten Kommunikationsmalus der Landespartei auszugleichen suchte. Gefestigtere Parteistrukturen und eingefahrene Kommunikationsmuster banden 1994 weniger Ressourcen im Bereich Kampagnenorganisation. Dies ermöglichte der Landespartei, sich stärker konzeptionellen und strategischen Elementen zuzuwenden. Lersow hatte bereits auf dem Riesaer Parteitag am 23. März 1991 verdeutlicht, dass das Wahlergebnis 1990 gemessen am Organisationsstand des Landesverbands zwar ein gutes Resultat gewesen sei, 19,1 Prozent vor dem Hintergrund des bundesweiten Anspruchs der Sozialdemokraten jedoch „unerträglich wenig“ seien.181 Die sächsische SPD dürfe sich mit so einer Wahlausbeute nicht zufriedengeben. Angesichts der Umfrageschwäche der Christdemokraten in den Jahren 1991 bis 1993 und des gleichzeitigen eigenen Erstarkens wähnten sich die Sozialdemokraten einer künftigen Regierungsbeteiligung sicher. Sie verkündeten folglich frühzeitig, stärkste Kraft werden und die Staatsregierung durch eine sozialdemokratische Alternative ersetzten zu wollen.182 Ein ostdeutscher SPD-Landesverband, so Kunckel 1993 intern, könne nicht das Ziel formulieren, drittstärkste Kraft werden zu wollen, sondern müsse einen Wahlsieg anstreben.183 Er stellte klar: Die SPD wolle „in die Staatskanzlei“ und Regierungsverantwortung übernehmen.184 Im Landtagswahlkampf relativierte die Partei angesichts sinkender Umfragewerte dann dennoch ihre Ziele. Alles über 35 Prozent galt nun als ein Erfolg, 30 Prozent waren das Ziel und weniger als 25 Prozent inakzeptabel.185 Während die Regierungsteilhabe als Ziel feststand, haperte es an einer geschlossenen Vorstellung darüber, wie dieses zu erreichen sei. Im Kern versuchte sich die SPD, mit einer maximalen Popularisierung des Spitzenkandidaten und einer breiten Etablierung zentraler sozialdemokratischer Programmpunkte, im politischen Spektrum als vertrauens- und glaubwürdige Alternative zur Regierungspartei zu verankern. Vor dem Hintergrund kaum vorhandener Stammwähler konnten sich die Sozialdemokraten nicht auf einen Mobilisierungswahlkampf verlassen. Um auch auf Wechselwähler attraktiv zu wirken, versuchten sie mit einer Herausfordererstrategie Kunckel ebenbürtig gegenüber Biedenkopf und die Partei selbst als bessere Alternative zur christdemokratischen Regierungspartei zu positionieren. Nach Jahren eher moderater Oppositionsarbeit fiel dies den Sozialdemokraten schwer. Bis ins Frühjahr 1994 verschlechterte sich die Lage der Landespartei in der potenziellen Wählergunst. Die SPD befand sich dennoch in einer annehmbaren strategischen Ausgangsposition. Wie schon 1990 sollten die eigenen Umfragewerte in ein noch besseres Wahlergebnis verwandelt und eine möglichst breite Auswahl an Koalitionsoptionen offen gehalten werden. Bei einem Abschneiden der CDU unter 40 Prozent schien 1994 eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung sicher. Die in den Umfragen starken Grünen und die abgeschlagenen Liberalen mehrten die Optionen der SPD. Mit anwachsendem Vorsprung der CDU im Laufe des Jahres 1994 (Tabelle 21) sahen sich die Sozialdemokraten indes der altbekannten Situation ausgesetzt. Da ein schwarz-gelbes Bündnis an der schwachen FDP zu scheitern drohte, galt es für sie, die eigene Stimmenzahl so zu erhöhen, dass
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Vgl. ADSD 3/SNAB 000359 Rede des Landesvorsitzenden des SPD-Landesverbands Sachsen, Michael Lersow, auf dem Sonderparteitag am 23. Mai 1991 in Riesa, S. 3. Vgl. Christian Kerl: „Die Herausforderung ist Sachsen“, in: FP vom 25. Mai 1992. Vgl. Karl-Heinz Kunckel in: Protokoll der Landesausschusssitzung am 17. Oktober 1993 in Dresden. Vgl. Brief von Karl-Heinz Kunckel an die Mitglieder des SPD-Landesverbands Sachsen, Mitte Juli 1993. Vgl. Eig. Ber./wol: SPD hofft auf respektables Ergebnis, in: Lausitzer Rundschau vom 6. September 1994.
5.3 Wahlkampf der SPD – Kampf gegen die absolute Mehrheit
171
eine Koalitionsbildung ohne SPD-Beteiligung unmöglich und eine erneute absolute CDUMehrheit verhindert würde.186 Einen strategischen Wandel und in gewisser Hinsicht ein böses Erwachen der Partei bewirkten die Ergebnisse der Kommunalwahlen. Während sich die Sozialdemokraten zwar im Vergleich zu 1990 um 6,3 Punkte auf 21,0 Prozent steigern konnten, war das Ergebnis nicht das von der Führung erhoffte Aufbruchssignal.187 Zwar hatte die SPD ihre Wählerhochburgen in Leipzig und Chemnitz verteidigt, die Stimmenverluste am linken Rand zugunsten der PDS und an das Nichtwählerlager waren indes schmerzlich und bestätigten die geringe Bindung ihrer Wählerschaft. Den Genossen wurde gewahr, „dass die SPD jetzt an zwei Fronten kämpfen muss: CDU und PDS“.188 Das ursprüngliche Vorhaben, alle Kräfte auf die thematische und personelle Auseinandersetzung mit den Christdemokraten zu konzentrieren, wich nun einer Abwehrstrategie gegen die PDS und einer allgemeinen Mobilisierungsstrategie. Erneut kam es zu Unstimmigkeiten innerhalb der Partei. Während ein Teil einen deutlicheren Abgrenzungskurs gegenüber der CDU und eine weniger grundsätzliche Auseinandersetzung mit der PDS präferierte, plädierten andere für eine weiterhin moderate Gangart gegenüber der CDU und für eine intensive Konfrontationstaktik im Umgang mit der PDS.189 Schließlich intensivierte die Partei ihren Wettstreit mit den Christdemokraten, präsentierte sich als soziales Korrektiv. Zugleich versuchte sie, indem sie ihre soziale Kompetenz in den Vordergrund rückte, potenziell linke Wähler anzusprechen. Ihr Verhältnis zur PDS blieb unsicher. Bedenken dominierten, mit einem aggressiven Vorgehen Wähler zu verprellen oder in die Arme der Postkommunisten zu treiben. Als Mitte August der sozialdemokratische Stern in den Umfragen sank und die CDU abermals eine absolute Mehrheit ansteuerte, blieb jede Konzeption auf der Strecke.190
5.3.3 Imagekampagne Die SPD ging als Oppositionspartei mit Ambitionen auf eine Regierungsbeteiligung in den Wahlkampf. Ihr fiel dies sichtlich schwer, hatte doch bisher ihr konsensueller innerparlamentarischer Politikansatz eine offensive außerparlamentarische Situierung verhindert. In den Augen der Öffentlichkeit war die Landesregierung eine christdemokratische, Regierungschef war Kurt Biedenkopf. Sozialdemokraten tauchten in dieser Bilanz nicht auf. Alle Beteuerungen, man sei Ideengeber der CDU gewesen und habe die politische Diskussion im Landtag wesentlich beeinflusst, änderten daran nichts.191 Die SPD gerierte sich zwar als verhinderte bessere Regierung, unterlag damit aber der dominanten CDU. Dennoch war sich Kunckel sicher, dass ausschließlich eine konstruktive politische Rolle die SPD zum Erfolg führe. Weder dürfe in der Öffentlichkeit das Bild aufkommen, man beschäftige sich nur mit eigenen Problemen, noch das, man kritisiere allein die Staatsregierung. Wer Zuversicht verbreiten wolle, müsse Ziele verdeutlichen und den Menschen den politischen Weg
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Vgl. AP: SPD für Große Koalition, in: SZ vom 6. September 1994. Vgl. Christian Kerl: „Die Herausforderung ist Sachsen“, in: FP vom 25. Mai 1992. Protokoll der erweiterten Landesvorstandssitzung am 13. Juni 1994 in Chemnitz. Vgl. Andreas Wassermann: Nicht päpstlicher sein als der Papst, in: DNN vom 18./19. Juni 1994. Vgl. Protokoll der erweiterten Landesvorstandssitzung am 13. Juni 1994 in Chemnitz. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel in: Ralf Husemann: „Ein Leben ohne Hoffnung kann ich mir nicht vorstellen, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. April 1994.
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dorthin erklären.192 „Mit unserem Programm haben wir die besten Voraussetzungen für den Neuanfang. Mit unserer Mannschaft haben wir die besten Köpfe, um unsere Vorhaben auf den Weg zu bringen. Ich habe keine Scheu zu sagen: Wir Sozialdemokraten wollen auf allen Ebenen an die Macht, und ich will Ministerpräsident werden. Wir wollen den König von Sachsen entthronen.“193 Die Sozialdemokraten beschränkten sich auf ihre kernkompetenten Themen, sprachen gezielt Familien, Rentner und sozial Benachteiligte an und verwiesen dabei auf ihre Traditionslinie.194 „Arbeit, Wohnen und Umwelt sind die starken Themen der Sozialdemokratie, seit sie 1863 in Sachsen gegründet wurde.“195 Um sich als soziales Korrektiv zur CDU zu etablieren und der PDS die Stirn zu bieten, stellte die SPD das Thema soziale Gerechtigkeit ins Zentrum ihrer Argumentation. Umrahmt vom Hauptslogan: „Mehr Gerechtigkeit in Sachsen“, zeigte sie sich als Garantin einer „gerechten“ Politik, als „Sachsens soziale Stimme“.196 Als einzige „linke Volkspartei in Deutschland“, so Kunckel, stehe die SPD für einen „Kurswechsel in der Politik“, der mehr Gerechtigkeit und mehr soziale Sicherheit bedeute.197 Ihr Motto lautete: „Aus guter Tradition. Neues gestalten – wirtschaftlich stark, sozial und ökologisch gerecht.“198 Im Gegensatz zu 1990 hob die Kampagne stärker auf die sächsische Verwurzelung der Partei ab, stellte eine sächsische Identität in den Vordergrund. Mit den Leitslogans „Wir in Sachsen“ und „Wir in Sachsen vertrauen auf unsere eigene Kraft“ signalisierten die Sozialdemokraten, „dass es hier Leute gibt, die bereit sind mit ihren Erkenntnissen, mit ihren Erfahrungen und ihren Idealen dieses Land hochzuheben und weiter auszubauen“.199 Man sei, so Kunckels Spitze gegen den Amtsinhaber, „nicht nur Anwalt der Sachsen“, sondern „selbst Sachsen“.200 „Wir rufen alle Sachsen auf, mit uns ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen und ihren eigenen Kopf zu gebrauchen.“201 Ein früher Ausdruck dessen war das im September 1993 für Mitglieder und Anhänger initiierte „Sachsenfest ’93“ auf Schloss Augustusburg. Die Veranstaltung sollte nach den innerparteilichen Querelen des Jahres 1993 das strukturelle Parteiimage aufbessern und die Mitglieder auf den Wahlkampf einstimmen.202 Eine verabschiedete „Augustusburger Erklärung“ betonte den Landespatriotismus und unterlegte den neuen „sächsischen Weg“ der SPD.203 Diesen Weg ging auch der sozialdemokratische Spitzenkandidat. Mit Slogans wie „Wir in Sachsen haben unseren eigenen Kopf“ oder „Endlich einer von uns!“ positionierte 192
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Vgl. ADSD 3/SNAB 000108 Referat von Karl-Heinz Kunckel auf dem außerordentlichen Parteitag des SPDLandesverbands Sachsen am 3./4. Juli 1993 in Zwickau. ADSD 3/SNAB 000106 Vorstellung des Regierungsprogramms durch Karl-Heinz Kunckel, in: Protokoll des außerordentlichen Landesparteitags der SPD Sachsen am 7. Mai 1994 in Dresden, S. 8. Vgl. Karl-Heinz Kunckel in: Protokoll der Landesausschusssitzung am 17. Oktober 1993 in Dresden. Wahlkampfprospekt des SPD-Landesverbands Sachsen zur Landtagswahl am 11. September 1994. Vgl. Wahlkampfprospekt von Petra Steinbach zur Landtagswahl am 11. September 1994. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel in: Renate Berthold u. a.: Wir sind willens und fähig, dieses Land zu führen, in: SZ vom 30. August 1994; Karl-Heinz Kunckel zitiert in: Christian Kerl: „Mehr tun für den Arbeitsmarkt in Sachsen“, in: FP vom 3./4. September 1994. Wahlkampfprospekt des SPD-Landesverbands Sachsen zur Landtagswahl am 11. September 1994. Karl-Heinz Kunckel in: Protokoll der Landesausschusssitzung am 17. Oktober 1993 in Dresden. ADSD 3/SNAB 000109 Referat von Karl-Heinz Kunckel, in: Wortprotokoll. Außerordentlicher Landesparteitag der SPD Sachsen. Hoyerswerda, 7. November 1993, S. 17. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994. Wir in Sachsen: Mit eigener Kraft, S. 9. Vgl. Brief von Michael Lersow an die Mitglieder des SPD-Landesverbands Sachsen vom 26. Mai 1993. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 18. Oktober 1993 in Dresden.
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sich Kunckel gegenüber Biedenkopf als ebenbürtiges sächsisches Eigengewächs. Hauptproblem war dabei seine Unbekanntheit. Kunckels Oppositionsrolle und die personelle Doppelspitze hatten seine öffentliche Popularisierung gebremst. Nur jeder vierte Sachse kannte ihn im Jahr vor der Wahl. Um dies zu ändern, initiierte die SPD im Oktober 1993 unter dem Slogan: „Wir haben unseren eigenen Kopf: Karl-Heinz Kunckel“ eine auf ihren Kandidaten zentrierte Imagekampagne. Mit Plakaten sowie einer zehntägigen „Sachsentour“204 präsentierte sich Kunckel als Alternative zum Amtsinhaber und verdeutlichte den personalisierten Charakter des kommenden Wahlkampfes. Kunckels Bekanntheit stieg auf 64 Prozent im Wahljahr, seine positive Beurteilung durch die Bevölkerung auf 30 Prozent. Als Alternative galt er den Sachsen dennoch nicht. Seine Sympathie- und Kompetenzwerte erreichten nicht annähernd die Biedenkopfs.205 Kunckel suchte die personalisierte Auseinandersetzung. Indem er Anfang 1994 verkündete, Ministerpräsident werden zu wollen,206 warf er dem Amtsinhaber den Fehdehandschuh hin. Der für gewöhnlich auf polemische Unmäßigkeiten verzichtende Kunckel griff den Regierungschef in der letzten Landtagssitzung am 24. Juni scharf an, hielt ihm eine „knallhart durchgehaltene Ungerechtigkeitspolitik“ vor, kritisierte dessen falsches Demokratieverständnis.207 Ansonsten beschränkte er den Wettstreit auf inhaltliche Fragen und betonte, er „werde nicht, nur um Unterschiede deutlich zu machen, Positionen Biedenkopfs angreifen“, die er für richtig halte.208 Die beste Möglichkeit, dem Ministerpräsidenten auf Augenhöhe zu begegnen, bot das MDR-Fernsehduell am 8. September. Kunckel nutzte das Streitgespräch um zu polarisieren, attackierte Biedenkopf persönlich und hielt ihm u. a. seine nicht-sächsische Herkunft vor, während er seinen sächsischen Hintergrund ausbreitete. Dem Vorstoß, mit dem Kunckel sein Verhältnis zu Biedenkopf beschädigte und den zahlreiche Zuschauer für ungebührlich hielten, haftete der Geruch des finalen Aufbäumens eines geschlagenen Herausforderers an, von Souveränität zeugte er nicht.209 Kunckel betrieb überwiegend Wahlkampf im Kleinen. Zunächst besuchte er als Landesvorsitzender im Rahmen des Kommunalwahlkampfes fast alle Kreise und kreisfreien Städte.210 Zudem nahm er in seiner Funktion als Fraktionsvorsitzender an zahlreichen kommunalpolitischen Bürgerforen teil. Seine ab Ende Juli gestartete, unter dem Motto: „Mehr Gerechtigkeit für Sachsen“ stehende Hauptkampagne führte ihn durch alle 60 Wahlkreise in Alten- und Pflegeheime, Kindertagesstätten oder auf Familienfeste der Ortsvereine. Der mitunter etwas distanziert wirkende Kunckel suchte das Gespräch mit den Bürgern, präsentierte sich als bürgernaher, sächsischer Herausforderer des Landesvaters.211 Um gegen die „christdemokratische Einmannveranstaltung“ anzukommen und um für eine Große Koalition gerüstet zu sein, platzierte die SPD bereits am 15. Januar 1994 eine zehnköpfige „Kernmannschaft“, u. a. mit Peter Adler für Bundesangelegenheiten, Constan204
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Vgl. Steffen Klameth: Materialschlacht oder „Wahlkampf der Argumente“?, in: SZ vom 14. Oktober 1993; Interview mit Rolf Schwanitz am 20. Februar 2006. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1994b), S. 29; Klaus-Peter Schöppner/Michael Sagurna (1995): Sächsische Meinungsbilder. Die ersten Jahre Freistaat Sachsen im Spiegel der Demoskopie, Mittweida, S. 51. Vgl. Anita Kecke: „Der Biedenkopf steht mir im Weg“, in: LVZ vom 22. Januar 1994. Vgl. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, in: Drucksache 1/4827 des Sächsischen Landtages, S. 7045-7050. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. April 1994. Vgl. Ralf Jaksch: Das TV-Duell: Biko kam erst am Ende, in: Bild Dresden vom 9. September 1994. Vgl. Vorstand der SPD (Hrsg.) (1995): Jahrbuch 1993/94, Bonn, S. 261. Vgl. Andreas Wassermann: Ein zupackender Wahlkämpfer, der seinem Erfolg selbst misstraut, in: DNN vom 6. September 1994.
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ze Krehl für Europapolitik oder Marlies Volkmer für Soziales und Gesundheit. Bekanntestes Mitglied war der Vorsitzende der IG-Metall Sachsen Hasso Düvel. Als Fachmann für Wirtschaft und Arbeit sollte der Niedersachse gewerkschaftsnahe Arbeitnehmer ansprechen und Popularitätsdefizite innerhalb der Arbeiterschaft abbauen.212 Obwohl Kunckel die „Kernmannschaft“ nicht als „Schattenkabinett“ verstanden wissen wollte, symbolisierten die Kandidaten Regierungsanspruch. „Wir haben kompetente Leute, die in der Lage sind, Ministerien zu führen. Wir sind willens und fähig, dieses Land zu führen. […] Ich konnte nur noch nicht beweisen, dass wir es besser können, weil wir noch nicht an der Macht waren.“213 Das Bild der personellen Geschlossenheit zerplatzte, als die Delegiertenkonferenz am 23./24. April 1994 eine Listenbesetzung nach regionalem Proporz vornahm. Teile von Kunckels „Kernmannschaft“ rutschten auf aussichtslose Plätze. Der auf Platz drei gewählte Düvel, zog ob seines mit 69 Prozent schlechten Nominierungsergebnisses seine Kandidatur zurück – für Kunckel ein schwerer Schlag.214 Kunckels Imagekampagne abträglich war vor allem der wahlkämpferische Schulterschluss mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping. Zum einen folgten dessen Auftritte im Sächsischen vornehmlich einer bundespolitischen Strategie.215 Zum anderen bekundete Scharping am 7. September 1994 in der Haushaltsdebatte des Bundestages: „Professor Biedenkopf ist ein guter Ministerpräsident. Das sage ich, auch wenn ich damit meinen eigenen Leuten in Sachsen schade.“216 Was der Intention folgte, Kohl zu schaden, desavouierte die sächsische SPD und besonders deren „Herausforderer“. Da Regierungssprecher Sagurna von Scharpings Äußerung erfahren und diese umgehend publik gemacht hatte,217 krönte dessen Zitat zudem den CDU-Wahlkampf. Sämtliche (halbherzigen) Beschwichtigungsversuche Scharpings änderten daran nichts.
5.3.4 Themenkampagne Bedeutsamer Teil ihrer Wahlkampfvorbereitung war für die SPD eine mehrjährige, intensive Programmarbeit. Neben ersten, schon 1991 erstellten Grundsatzpapieren für das Wahlprogramm dienten der auf dem Landesparteitag am 23. Mai 1992 beschlossene Leitantrag „Arbeit und Eigentum für Sachsen“ sowie die durch den Landesvorstand und die Landtagsfraktion für den Programmparteitag am 3./4. Juli 1993 in Zwickau erarbeiteten Anträge zu verschiedenen Themengebieten als programmatische Grundlage für das Wahljahr 1994.218 Der Programmstab einigte sich schließlich auf ein Regierungsprogramm, welches die Partei am 12. April 1994 der Öffentlichkeit vorstellte und das am 7. Mai ein außerordentlicher Landesparteitag einstimmig beschloss. 212
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SPD und Gewerkschaften sicherten sich im Wahlkampf mehrfach Solidarität zu. Vgl. ADSD 3/SNAB 000106 Grußwort des Vorsitzenden des DGB-Landesbezirks Sachsen, Hanjo Lucassen, in: Protokoll des außerordentlichen Landesparteitags der SPD-Sachsen am 7. Mai 1994 in Dresden, S. 30. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 30. August 1994. Vgl. Andreas Wassermann: Düvels Ausstieg aus Wahlkampfteam trifft Kunckel hart, in: LVZ vom 29. April 1994. Düvels Platz im Wahlkampfteam nahm Friedemann Tiedt ein. Vgl. Heinrich Löbbers: Dem unzufriedenen Volk ohne Krawatte aufs Maul schauen, in: SZ vom 12. August 1994. Rudolf Scharping zitiert in: Andreas Wassermann: Biedenkopflob ärgert Sachsens Genossen, in: DNN vom 9. September 1994. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Vgl. Brief von Michael Lersow an die Mitglieder des SPD-Landesverbands Sachsen vom 26. Mai 1993.
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Die sächsischen Genossen hatten immense Ressourcen in ein detailliertes Regierungsprogramm investiert. Es stand im Mittelpunkt des Herausfordererwahlkampfes. Indem den Sozialdemokraten in Umfragen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Verbesserung der Wohnungssituation und in Fragen der sozialen Gerechtigkeit hohe Kompetenzen zugesprochen wurden, forderte ihre Kampagne schwerpunktmäßig eine veränderte Arbeitsmarktpolitik, eine sozialere Wohnungspolitik und mehr soziale Gerechtigkeit. 219 Dabei hielt sich die Partei weitgehend an Kunckels „Grundphilosophie“, im Wahlkampf die Wahrheit zu sagen, jedoch „nicht Kassandra zu spielen“. Die SPD wollte sich weder auf die pessimistische Grundhaltung der PDS noch auf die Schönfärberei der CDU einlassen. „Wir sagen die Wahrheit, auch wenn sie unangenehm ist, aber wir machen auch Hoffnung, dass das lösbar ist. Denn ohne Hoffnung, nur in Resignation, entsteht keine Motivation für den Aufbau des Landes.“220 Bereits während der Legislaturperiode war es zu wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwischen CDU und SPD gekommen. Die sozialdemokratischen Verlangen nach mehr staatlichen Interventionen im Zuge der ökonomischen Transformation, um einer „Entindustrialisierung“ Sachsens vorzubeugen, sowie nach Beschäftigungsprogrammen standen gegen die frühe christdemokratische Diktion, auf das Wirken des Marktes zu vertrauen und einen umfassenden zweiten Arbeitsmarkt zu vermeiden.221 Die Kontraste verstärkten sich im Landtagswahlkampf. Die SPD hatte ihre wirtschaftspolitische Grundlinie mit dem Leitantrag „Arbeit und Eigentum für Sachsen“ sowie dem 1993 von der Fraktion präsentierten Papier „Arbeit und Wirtschaft in Sachsen“ frühzeitig gefunden. Wirtschaft und Arbeit wurden somit neben dem Sozialen zur Basis ihrer Themenkampagne. Ohne in Fundamentalkritik auszuarten, belastete die ökonomische Lageanalyse der SPD die Regierungspartei schwer. Deren auf einem veralteten Konzept basierendes Vorgehen, die ökonomische Transformation dem Markt zu überlassen und auf einen selbsttragenden Aufschwung zu hoffen, sei gescheitert.222 Ungezügelte Marktfreiheit hätte, verbunden mit der Weigerung der CDU hinsichtlich staatlicher Interventionen, in einem „Akt der maßlosen Ungerechtigkeit“ die „Zerstörung einer über hundert Jahre alten industriellen Tradition“ in Sachsen bewirkt.223 Weder habe die CDU den Abbau von Arbeitsplätzen verhindert noch ernstgemeinte Schritte zum Erhalt der wirtschaftlichen Kerne unternommen. Im Ergebnis seien in den vergangenen vier Jahren 48 Prozent der früheren sächsischen Arbeitsplätze weggebrochen. Was als Umstrukturierung geplant war, habe in einer weitreichenden Deindustrialisierung geendet und ein „historisch einmaliges Desaster auf dem Arbeitsmarkt des Landes“ verursacht.224 Biedenkopfs „Ungerechtigkeitspolitik“ und seine arbeitsmarktpolitische Negativbilanz zählten daher zu den „wirklich düsteren Kapiteln der Tätigkeit der Staatsregierung“, so Kunckel.225 Die von der „Staatregierung und der sie tragenden CDU“
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Vgl. ADSD 3/SNAB 000106 Vorstellung des Regierungsprogramms durch Karl-Heinz Kunckel, in: Protokoll des außerordentlichen Landesparteitags der SPD Sachsen am 7. Mai 1994 in Dresden, S. 9. Karl-Heinz Kunckel in: Protokoll der Landesausschusssitzung am 17. Oktober 1993 in Dresden. Vgl. Schmeitzner/Rudloff (1997), S. 160 f. Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 7. Vgl. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7045; ADSD 3/SNAB 000106 Vorstellung des Regierungsprogramms durch Karl-Heinz Kunckel, S. 8. Vgl. Standpunkt der SPD in: Wie kommt Sachsen zu mehr Arbeitsplätzen, in: SZ vom 7. September 1994. Vgl. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7049.
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geduldete Zerstörung der „industriellen Produktionsbasis in Sachsen“ habe dem Freistaat eine eigenständige wirtschaftliche Basis entzogen.226 Ursächlich dafür sei der nicht von sächsischen, sondern von westdeutschen Interessen gelenkte Politikansatz der CDU. Anstatt heimische Strukturen zu erhalten und auszubauen, habe die Regierung einzelne Regionen ignoriert und ganze Branchen ruiniert.227 Neben einem „immensen Vermögens- und Eigentumstransfer von Osten nach Westen“ bilanzierte die SPD den „Transfer unserer Arbeit nach Westen durch Übernahme der Versorgung unseres […] Binnenmarktes, unserer vormaligen ,Westmärkte’ und vielleicht in der Zukunft unserer angestammten ,Ostmärkte’“. Dem entgegen würden die „Erwerbs- und Entwicklungschancen sächsischer Unternehmer, Investoren und Gründer systematisch niedrig gehalten“. Die Schlussfolgerung: „Die Probleme in Sachsen sind nicht zufällig und schicksalhaft entstanden. Sie lassen sich vielmehr als Summe der sozialistischen Misswirtschaft der SED-Diktatur und der verfehlten Politik seit 1990 identifizieren.“228 Ordnungspolitisch beschritt die SPD einen marktwirtschaftlichen Weg. „Wir bekennen uns zur Marktwirtschaft. Darin unterscheiden wir uns von der PDS. Wir bekennen uns zu Gerechtigkeit, die nur durch staatliche Eingriffe in diese Marktwirtschaft hineingetragen werden kann. Darin unterscheiden wir uns von der CDU.“229 Kunckel bekräftigte, man wolle „nicht die Planwirtschaft im Freistaat einführen“. Jedoch lösten „reine Marktwirtschaft“ und das „Hoffen auf Investoren“ keine Probleme. Es bedürfe eines „modernen Staates“, der nicht als „Verwalter der Mängel des Systems“ fungiere, sondern „der einen Rahmen bietet, in dem sich sächsischer Unternehmer- und Schöpfergeist entfalten kann“. 230 Ordnung und Prozess der Marktwirtschaft, so die SPD, erzeugten von sich heraus keine Gerechtigkeit. Dies garantierten nur staatliche Eingriffe. Die SPD werde deshalb durch eine „integrierte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik“ mehr Verantwortung und mehr Steuerung im Interesse der Bürger übernehmen. Auch seien die sächsischen Unternehmen nicht von Beginn an in der Lage, „chancengleich“ am Wettbewerb teilzunehmen. Da der Markt diesen Zustand nicht ausräume, müsse der Staat hier aktiv werden. Die verminderte Wettbewerbsfähigkeit und Eigenkapitalisierung früherer DDR-Unternehmen sowie die restriktive Kreditvergabe der Banken verlange, da der Staat hier keine Vorschriften machen könne, eine Beteiligungspolitik.231 Ziel war es, den wirtschaftlichen Aufschwung „gerecht und sozial“ zu gestalten und eine Teilhabe aller zu garantieren.232 Die Wirtschaft müsse „für die Menschen umstrukturiert werden und nicht gegen sie“. Daher sei das „Ziel des Wohlstands eine für alle Menschen starke soziale Absicherung“.233 Alle Sachsen sollten „ein Leben in Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit führen können“,234 was bedeutet, die Massenarbeitslosigkeit und die
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Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 6-8. Vgl. ADSD 3/SNAB 000109 Referat von Karl-Heinz Kunckel, in: Wortprotokoll. Außerordentlicher Landesparteitag der SPD Sachsen. Hoyerswerda, 7. November 1993, S. 9. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 7-9. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7045. ADSD 3/SNAB 000106 Vorstellung des Regierungsprogramms durch Karl-Heinz Kunckel, S. 8 f. Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 8-11; Interview mit Karl-Heinz Kunckel in: Mein Ziel: Mehr Gerechtigkeit in Sachsen, in: Oberlausitzer Kurier vom 20. August 1994. Vgl. exemplarisch: Wahlkampfprospekt von Petra Steinbach zur Landtagswahl am 11. September 1994. Wahlkampfprospekt des SPD-Landesverbands Sachsen zur Landtagswahl am 11. September 1994. ADSD 3/SNAB 000106 Vorstellung des Regierungsprogramms durch Karl-Heinz Kunckel, S. 13.
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damit einhergehende Armut, Abwanderung und Demotivation zu „beseitigen“. 235 Um die gesellschaftlichen Ziele der sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit erreichen zu können, müssten zunächst ökonomische Ziele verfolgt werden, etwa der Aufbau einer eigenständigen sächsischen Qualitätsproduktion.236 Die Sozialdemokraten bemängelten die Praxis der Wirtschaftsförderung im Freistaat und griffen die „Leuchtturmpolitik“ der Staatsregierung als regional unausgewogen und beschäftigungspolitisch verfehlt an.237 Investitionszuschüsse seien dort geboten, wo im wertschöpfenden Bereich „ein Maximum an Arbeitsplätzen herausgeholt werden“238 könne. Investitionsförderung müsse der größtmöglichen Zunahme der Beschäftigtenzahlen und nicht der Ansiedlung einzelner Großunternehmen dienen. Es sei nicht sinnvoll, Förderbeträge im Milliardenumfang allein auf den Raum Dresden zu konzentrieren, während das Erzgebirge oder Ostsachsen leer ausgingen.239 Die SPD insistierte daher auf eine „Regionalplanung“ in Form einer „Gemeinschaftsinitiative für Wirtschaft und Arbeit“, mit Regionalen „Standort- und Strukturentwicklungsgesellschaften“, welche sich der Probleme in den Regionen annehmen. Dort stünden Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaft und öffentliche Institutionen im Dialog, um Strategien für die spezifische Region zu erarbeiten und systematisch Fördermittel und öffentliche Aufträge zuzuführen.240 Ein gesondertes Programm zum „Erhalt der industriellen Kerne“ entwarf die SPD für die Oberlausitz.241 Die Politik müsse dem weiteren „Verkauf“ sächsischen Vermögens entgegenwirken, eigenes Arbeitsvolumen zurückgewinnen und einen selbsttragenden Aufschwung generieren. Ein offensives Durchsetzen sächsischer Interessen sei nötig. Finanzielle Transfers seien so zu lenken und der Ordnungsrahmen so zu setzen, dass „Kapital- und Eigentumsbildung in sächsischer Hand vorangetrieben“ werden und „produzierende Arbeitsplätze in sächsischer Hand“ bleiben.242 Die SPD schlug vor, noch nicht privatisierte Unternehmen in einer „Sächsischen Managementgesellschaft“ anzusiedeln, die dann als Dienstleister, ohne Landesbeteiligung, finanziert durch den Bund, die Sanierung und Privatisierung dieser Unternehmen sichere.243 Darüber hinaus müsse der Freistaat bereits privatisierten, aber erneut in ihrem Bestand gefährdeten Unternehmen im betriebswirtschaftlich vertretbaren Rahmen helfen. Da vor allem klein- und mittelständische Unternehmen weitgehend ohne Eigenkapital dastünden, gelte es, diese durch Sofortprogramme abzusichern. „Feuerwehrfonds“ (Konsolidierungsfonds) sollten dreistellige Millionenbeträge aus dem Landeshaushalt und von der Treuhandanstalt bereitstellen, um Unternehmen mit hochwertigen Produkten und soliden Märkten unkonventionell zu retten.244 Dazu sah die SPD Bürgschaften, Liquiditäts- und Eigenkapi235 236 237 238
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Vgl. Wahlkampfprospekt des SPD-Landesverbands Sachsen zur Landtagswahl am 11. September 1994. Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 11. Vgl. M.S.: Die Forderung nach „mehr Gerechtigkeit“ hat vielen Gesichter, in: LVZ vom 27. August 1994. Karl-Heinz Kunckel zitiert in: Christian Kerl: „Mehr tun für den Arbeitsmarkt in Sachsen“, in: FP vom 3./4. September 1994. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 30. August 1994. Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 14. Vgl. SPD-Landesverband Sachsen (1994): Wir in Sachsen. Programm für die Oberlausitz, Dresden. Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 8 f. Vgl. ebd., S. 12 f. Schon 1991 hatte die SPD-Fraktion in ihrem „Programm zur Sicherung von 100.000 Industriearbeitsplätzen in Sachsen“ davon gesprochen, 200 Unternehmen mit staatlicher Hilfe zu stabilisieren und zu sanieren. Vgl. SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag (1991): Programm zur Sicherung von 100.000 Industriearbeitsplätzen in Sachsen, Dresden. Vgl. dpa: Sofortprogramme zur Hilfe sächsischer Betriebe gefordert, in: FP vom 8. August 1994.
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talhilfen sowie branchenspezifische Staatsbeteiligungen zum Erhalt der „immer noch vorhandenen innovativen Kerne“ vor. Ferner seien eine stärkere Technologieförderung nötig und „Technologie-Zentren“ einzurichten. Für das verarbeitende Gewerbe rechnete die SPD bei Realisation ihrer Maßnahmen mit 250.000, durch spezielle Förderung von umwelttechnischen Branchen mit weiteren 80.000 neuen Arbeitsplätzen in den nächsten zehn Jahren.245 Da die hohe Arbeitslosigkeit für die Sozialdemokraten das Hauptproblem darstellte, vertraten sie in diesem Bereich umfangreiche Lösungsansätze. Die Prämisse der Partei war: jeder der erwerbstätig sein wolle, solle eine Chance bekommen.246 Aus diesem Grund wandte sich Kunckel gegen Biedenkopfs Argumentation, eine Beschäftigungsquote von über 70 Prozent sei unmöglich. Wegen der höheren Zahl erwerbstätiger und erwerbswilliger Frauen müsse die ostdeutsche Quote über diesem Wert liegen.247 Um dies zu gewährleisten, sollte neben einer „erfolgreichen Wirtschaftspolitik“, die neue Arbeitsplätze schafft und bestehende erhält, u. a. ein öffentlich finanzierter und geförderter Arbeitsmarkt etabliert werden, der Verwerfungen auffängt und die nicht vom Markt nachgefragten Arbeitskräfte integriert.248 Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen könnten den notwendigen Ausbau der Infrastruktur, den Wohnungsbau und die Stadterneuerung vorantreiben,249 ein „Infrastrukturfonds“ die öffentliche Auftragsvergabe an die Neuanstellung Arbeitsloser binden. Mit finanzieller Unterstützung durch die Bundesanstalt für Arbeit entstünden so in den nächsten zehn Jahren 200.000 Arbeitsplätze.250 Dazu kämen ein vom Freistaat getragenes Arbeitsbeschaffungsprogramm, das 100.000 Menschen beschäftigt und ein Fortbildungsprogramm, das nochmals 200.000 Sachsen eine neue Qualifizierung eröffnet. Insgesamt ermögliche eine solche Strategie bis zu 500.000 Menschen zusätzlich eine sinnvolle berufliche Qualifikation bzw. Beschäftigung.251
5.3.5 Konkurrenzkampagne Weite Teile des sozialdemokratischen Wahlkampfes bestimmten Koalitionsspekulationen. Besonders der anfangs prognostizierte Verlust der absoluten CDU-Mehrheit ließ den Umgang mit den politischen Kontrahenten zum strategischen Faktor werden. Zunächst war der regierungswilligen SPD die schwarz-grüne Koketterie der grünen Führungsspitze ein Dorn im Auge. Zum einen, weil nicht sie in den grünen Koalitionsfantasien die erste Geige spielte, zum anderen, weil dies die Einbuße des erwarteten schwarz-roten Bündnisses bedeutete. Auch galt es, die in Anbetracht der Realo-Führung der sächsischen Grünen unwahrscheinliche Option einer rot-grünen Minderheitsregierung mit PDS-Duldung offenzuhalten.252 245 246
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Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 12-17. Vgl. Karl-Heinz Kunckel zitiert in: Christian Kerl: „Mehr tun für den Arbeitsmarkt in Sachsen“, in: FP vom 3./4. September 1994. Vgl. Christoph Ulrich: Wunschdenken und Realismus, in: FP vom 31. August 1994. Kunckel teilte die Prognose der Bundesanstalt für Arbeit, nach der in Sachsen 730.000 Arbeitsplätze fehlten. Vgl. Karl-Heinz Kunckel in: Kerstin Eckstein u. a.: Wann wird Sachsen Irland überholen?, in: SZ vom 26. August 1994; Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 11. Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 19. Vgl. Karl-Heinz Kunckel im Telefoninterview der LVZ, in: Anita Kecke/Wolfgang Herbrand: „Weststandard ist mit Osteinkommen nicht zu bezahlen“, in: LVZ vom 27./28. August 1994. Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994, S. 20. Vgl. Ralf Husemann: Kokettieren mit Schwarz-Grün, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. März 1994.
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Gegenüber der CDU fiel der SPD eine eindeutige Positionierung schwer. Während sie auf eine Koalitionsaussage verzichtete,253 barg die unabdingbare personal- wie sachpolitische Konfrontation mit den Christdemokraten Risiken. Einerseits waren Angriffe auf den populären Amtsinhaber riskant, empfand schließlich ein Großteil der eigenen Anhängerschaft Sympathien für Biedenkopf. Die SPD focht daher dessen Ruf als Vor- und Querdenker nicht an, sondern verwies vornehmlich auf (angebliche) Versäumnisse und Schwächen bei der Umsetzung seiner Ideen.254 Andererseits konnte sie, die sich bislang gegenüber der Regierungspartei eher konsensuell positioniert hatte, nur mit Glaubwürdigkeitsverlusten auf einen harten Konfrontationskurs einschwenken. Entsprechend moderierte die SPD überwiegend ihre Kritik, setzte stärker auf die eigene Positivdarstellung. Ihr Verhältnis zur PDS war 1994 bundesweit uneinheitlich. Während Kanzlerkandidat Scharping, um gegen die „Rote-Socken-Kampagne“ der Christdemokraten anzukommen, eine aggressive Anti-PDS-Linie fuhr, stieß sein Vorgehen in Teilen der ostdeutschen SPD auf Unverständnis.255 Der innerparteiliche Kompromiss lag schließlich in der „Dresdner Erklärung“ der ostdeutschen SPD-Landesverbände vom 11. August 1994. In dieser benannten die Unterzeichner die PDS als politische Konkurrentin, mit der eine Zusammenarbeit nicht infrage komme, ausgenommen die Magdeburger Singularität.256 Die „Dresdner Erklärung“ war taktischer Natur, indem sie versuchte, „dem drohenden öffentlichen Unmut über die ,Tolerierung’ der Regierung in Sachsen-Anhalt durch die PDS aus dem Weg zu gehen“257 und die eigene Partei im Wahljahr zu einen. Dennoch blieb die Gangart der sächsischen Sozialdemokraten gegenüber der PDS uneinheitlich bis konzeptionslos.258 Hatte Kunckel Anfang 1994 noch jede Zusammenarbeit ausgeschlossen, veränderten die Ereignisse in Sachsen-Anhalt die Haltung der Landespartei.259 Deren Führung ließ Diskussionen um punktuelle Kooperationen mit der PDS freien Lauf, schloss aber eine „konzertierte Zusammenarbeit“ respektive eine Koalition aus. Für den immer unwahrscheinlicheren Fall einer rot-grünen Mehrheit gegenüber der CDU bekundete Kunckel, dass dann ein Parteitag über das weitere Vorgehen entscheiden würde.260 Entgegen der in der Wählerschaft verbreiteten Ablehnung der PDS-Duldung betonte er, der Magdeburger Weg habe „viel Charme“, da er eine neue Option eröffne. „Weil es im Osten eine PDS gibt, schien es bisher unausweichliches Schicksal der SPD zu sein, nur in Großen Koalitionen regieren zu können.“261 Geschickt hob die SPD hervor, dass ein Bündnis aus CDU und SPD die PDS in die Rolle der größten und einzigen Opposition rücken würde. Bei einer solchen Konstellation werde man daher entweder in der Opposition bleiben oder die PDS an eine Minderheitsregierung binden.262 253 254 255 256 257
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Vgl. sn: Wahlkampf-Start ohne Koalitionsaussage, in: FP vom 15. Januar 1994. Vgl. Karl-Heinz Kunckel in: Protokoll der Landesausschusssitzung am 17. Oktober 1993 in Dresden. Vgl. Falsche Freunde, in: Der Spiegel (1994) H. 33. Vgl. Gunnar Saft: SPD lehnt Zusammenarbeit mit der PDS entschieden ab, in: SZ vom 12. August 1994. Gerhard Hirscher (2002): Perspektiven rot-rot-grüner Zusammenarbeit, in: Mayer/Meier-Walser (Hrsg.), S. 163-186, hier S. 185. „Was die SPD will, weiß niemand so recht. Von der großen Koalition bis zum Magdeburger Modell kann man unter der Hand alles erfahren – Hauptsache, von der hässlichen Oppositionsbank runter, egal wie.“ Bernhard Honnigfort: Die Vorlesungsreihe des regierenden Chefökonomen, in: FR vom 27. August 1994. Vgl. Brümmer (2006), S. 139 f. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 30. August 1994; GV: Kunckel: „Wir können es besser“, in: FP vom 22. August 1994. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 30. August 1994. Vgl. Andreas Wassermann: „Große Koalition nicht aktuell“, in: DNN vom 4. Juni 1994.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1994
Indem die Sozialdemokraten inmitten ihres Wahlkampfes über den Umgang mit der PDS diskutierten, beschritten sie zwar einen ehrlichen, in der Hitze des Gefechts aber nicht vermittelbaren Weg. Die SPD kommunizierte den Wählern: Wer für uns stimmt, wählt zwar keine direkte Koalition mit der PDS, wohl aber eine, nicht näher deklarierte Zusammenarbeit. Diese nach außen hin vage Linie und die innerparteiliche Debatte waren nachteilig. Während der Dresdner Landtagskandidat Uwe-Eckart Böttger und Juso-Chef Peer Horschig einer parlamentarischen Zusammenarbeit beider Parteien den Rücken stärkten,263 brandete die Auseinandersetzung auf, als Anfang August 1994 der Vorsitzende des Ortsvereins Leipzig-Mitte, der Theologe Michael Müller, für einen generellen Zusammenschluss plädierte.264 Anstatt die Diskussion abzuwürgen, geriet sein Vorstoß zum Politikum, als der Landesvorstand ihm seinen Bundestagswahlkreis aberkannte und disziplinarische Maßnahmen anordnete.265 Relativierungsversuche der Parteiführung, solche Aussagen seien „singuläre Erscheinungen“, änderten nichts am Schaden für die Landespartei. 266 Ihre einzige Negativkampagne führten die Sozialdemokraten mit dem Slogan: „Gegen die alten und neuen Ungerechtigkeiten der PDS und der CDU.“ Einerseits reagierten sie damit auf die rot-roten Anspielungen der CDU. Andererseits attackierten sie ihre Hauptgegner. Die SPD bezog sich auf die Vergangenheit beider Parteien, in dem einen Fall auf die einer Staatspartei, verantwortlich für jahrzehntelange Unfreiheit, im anderen Fall auf die einer Blockpartei mit enger Anbindung an eben diese Staatspartei. Gleichzeitig wandte sie sich gegen die aktuelle Politik der CDU.267 Ihr Wahlkampfspot verlautete u. a.: „Bei Honecker und Modrow hatten wir keine Freiheit – das tat weh. Bei Kohl und Biedenkopf regiert die Ungerechtigkeit – das tut auch weh.“ Dies Gleichnis verstimmte die Christdemokraten. Vor allem auf kommunaler Ebene, wo vielerorts eine Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD bestand, herrschte Unverständnis vor. Die in der öffentlichen Wahrnehmung unverändert isolierte PDS kam indes zu ungeahnter Aufmerksamkeit.268
5.4 Wahlkampf der PDS – Konsolidierung in der Opposition 5.4.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Mutterpartei und Landesverband bewegten sich bis 1994 auf einem Scheideweg. Das Gros der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung prophezeite den Postkommunisten ihr baldiges Ende,269 Patrick Moreau wähnte ihren „Untergang [als] kurzfristig unvermeidbar“.270 263
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Vgl. Christian Kerl: Sachsen-SPD sucht neues Verhältnis zur PDS, in: FP vom 8. August 1994; EB/Was.: SPD-Nachwuchs in Sachsen für Streitgespräch mit PDS, in: DNN vom 15. August 1994; Uwe-Eckart Böttger: Thesen zum Verhältnis von SPD und PDS (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Andreas Wassermann: SPD-Wahlkampfauftakt mit Streit um die „Einheitsfront“, in: LVZ vom 8. August 1994. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 22. August 1994 in Dresden. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 30. August 1994. Vgl. ebd.; Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7045, 7050; CK: SPD gegen Zusammenarbeit mit der PDS, in: FP vom 12. August 1994. Vgl. Frank Döring: Provo-Lettern der SPD mit „neutralem“ Kunckel überklebt, in: LVZ vom 1. September 1994; Brümmer (2006), S. 139. Als Überblick Sigrid Koch-Baumgarten (1997): Postkommunisten im Spagat. Zur Funktion der PDS im Parteiensystem, in: Deutschland Archiv 30 (1997), S. 864-878. Patrick Moreau (1992): Die PDS: Eine postkommunistische Partei, in: APuZ B. 5/1992, S. 35-44, hier S. 44.
5.4 Wahlkampf der PDS – Konsolidierung in der Opposition
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Der innerparteiliche Dissens um ihr Selbstverständnis, die Machenschaften von SED und MfS sowie sinkende Mitgliederzahlen und Umfragewerte bewirkten Substanzverluste. Dem entgegen spendeten die durch den Transformationsprozess hervorgerufenen ökonomischen und sozialen Brüche der Partei neue Kraft. In dem Maße, wie sich für Teile der Ostdeutschen die Bedingungen verschlechterten, erhöhte sich die Akzeptanz der PDS als vermeintlich soziales Korrektiv.271 Abgesichert mit einer milieugebundenen Kernwählerschaft und unterstützt durch „einheitsverdrossene“ Wähler, etablierte sie sich bald als ostdeutsche Interessenpartei.272 Wie kein anderer ostdeutscher PDS-Landesverband war der sächsische von inneren Konflikten gezeichnet. Die im Zuge der Transformation der ehemaligen Kaderpartei entstandene innere Pluralisierung führte zu Flügelkämpfen zwischen „Reformern“ und „Orthodoxen“. Ein Graben des Misstrauens verlief ferner zwischen der umtriebigen, die Parteilinie vorgebenden Landtagsfraktion und dem durchsetzungsschwachen Landesvorstand.273 Dass die ebenfalls in „Reformer“ und „Orthodoxe“ gespaltene Fraktion sich früh als „eigenverantwortlich handelndes politisches Organ“ und als „Speerspitze“ der sächsischen PDS verstand,274 führte zu Kompetenzstreitigkeiten. Der am 7. Dezember 1991 zum Nachfolger des vor allem durch seine langjährige SED-Apparatstätigkeit in die Kritik geratenen Klaus Bartl gewählte neue Landesvorsitzende Peter Porsch fungierte als Integrationsfigur und, ob seiner Leipziger Herkunft, als Kompromiss zwischen den (zerstrittenen) Dresdner und Chemnitzer Genossen.275 Porschs der „Reformlinie“ der Bundespartei folgender Wunsch nach mehr innerparteilichem Pluralismus als Mittel zur Aufhebung der Uneinigkeit der Linken276 stieß bei den „Orthodoxen“ und bei der mehrheitlich in traditionellen Bahnen denkenden Basis auf Skepsis. Hier waren offene Interessenkonflikte ebenso unerwünscht wie die von den „Reformern“ angestrengte Öffnung der Partei gegenüber alternativen Gesellschaftsgruppen. Porschs Linie blieb den meisten Mitgliedern der ehemaligen Einheitspartei fremd. In den Augen von Bartl, der die Interessen und Sichtweisen der „traditionell“ gepolten Basis wirksam vertrat und der den Idealtypus eines „Orthodoxen“ verkörperte, barg eine zu stark pluralisierte Partei (von der Kommunistischen Plattform bis zur AG Sozialdemokraten) die Gefahr, sich zu überheben und die Lebens- und Politikvorstellungen der Mitgliedermehrheit zu entwerten. Eine weite gesellschaftliche Öffnung der PDS drohte, das von den „Orthodoxen“ angestrebte Protestprofil der Partei abzuschwächen. Dennoch waren beide Parteiflügel existenziell – der eine integrierte große Teile der Mitglieder und sprach Stammwähler an, der andere band neue Wähler und signalisierte das Bild einer gewandelten linken Partei.277 Der innerparteiliche Konflikt eskalierte in erbitterten Streitigkeiten zwischen Fraktion und Parteiführung über die Vergabe der Listenplätze. Auf Beschluss des Landesvorstands sollten im Vorfeld des auf den 16./17. April 1994 terminierten Wahlkongresses zur Aufstel271 272
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Vgl. Hüning/Neugebauer (1996), S. 69. Vgl. Karl Schmitt (1994): Im Osten nichts Neues? Das Kernland der deutschen Arbeiterbewegung und die Zukunft der politischen Linken, in: Bürklin/Roth (Hrsg.), S. 185-218, hier S. 207. Vgl. Bernd Spolwig: PDS Sachsen mit neuem Gesicht?, in: PDS-informationsdienst 24/1993, S. 3. Vgl. Thesen zum Oppositionsverständnis der Fraktion Linke Liste-PDS im Sächsischen Landtag vom 25. April 1992 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Bernd Rump am 24. Januar 2006; Interview mit Werner Glaesel am 22. Dezember 2005. Vgl. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 2. Landesparteitags der PDS Sachsen am 3. April 1993 in Chemnitz, in: PDS-informationsdienst 9/1993, S. 1. Vgl. Albert Funk: Traditionsverein in Feindesland, in: FAZ vom 14. März 1994; vgl. die Darstellung bei Lang (2003), S. 99.
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lung der offenen PDS-Landesliste rechtlich unverbindliche Regionalveranstaltungen Vorschläge für die Listenbesetzung unterbreiten.278 Ziel war eine politische Chancengleichheit zwischen bekannten Mandatsträgern und unbekannten Kandidaten. 279 Dagegen protestierte die Fraktionsführung. Das Konzept sei ungeeignet, juristisch unsicher und gefährde in Anbetracht der offenen Listen den Bestand der Partei. Aus der Kritik der Fraktion sprachen die Bedenken der Abgeordneten, von neuen, mitunter parteilosen Kandidaten verdrängt zu werden.280 Derart in seiner Souveränität beschädigt, legte der erst wenige Monate zuvor mit großer Mehrheit wiedergewählte Landesvorsitzende sein Amt aus Protest nieder. Das Ignorieren der Beschlussfassung des Landesvorstands durch die Fraktionsführung betrachtete Porsch als Verstoß gegen die statuarische Hierarchie und damit als gezielte Machtprobe. Der Landesparteitag am 6. März 1994 solle daher entscheiden, „wem er worin Vertrauen entgegenbringt und wer die Partei führt“.281 Porschs Rücktritt zeigte Wirkung. Nicht nur der Bundesvorstand forderte ein Ende der Auseinandersetzungen (Gysi bezeichnete Porsch als unverzichtbar),282 auch der Landesparteirat, das Gremium der Kreisverbände, machte klar, dass die „Autorität“ von Vorstand und Parteitag durchzusetzen sei. 283 Die 2. Tagung des 3. Parteitags in Markkleeberg am 6. März 1994 zog einen vorläufigen Schlussstrich unter die Querelen. Indem die Delegierten ihrem alten und neuen Vorsitzenden Porsch mit 90,3 Prozent das Vertrauen aussprachen, festigten sie dessen Stellung, seinen eingeschlagenen Weg und fundierten dessen Spitzenkandidatur. Jedoch war Porsch in erster Linie der Kandidat der „Reformer“, weniger selbst Reformer. Er appellierte an die Partei, sich auf inhaltliche Fragen und auf die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu konzentrieren.284 Mit der Nominierung der Landesliste durch den Dresdner Wahlkongress fand das vorübergehende Ende der innerparteilichen Konflikte seinen personellen Niederschlag. Acht bisherige Abgeordnete wurden auf die 15 vorderen Listenplätze gewählt, darunter der Fraktionsvorsitzende Klaus Bartl und der frühere Spitzenkandidat Eberhard Langer sowie auf den Plätzen zwei und eins, Brigitte Zschoche und Peter Porsch. Die Landesliste galt als ausgeglichen, als die Delegierten nach einigem Zögern die umstrittene Dresdner „Reformerin“ Christine Ostrowski auf Platz sieben gesetzt sowie mit dem parteilosen Leipziger Geschichtsprofessor Werner Bramke, der nicht der PDS angehörenden Bundestagsabgeordneten Barbara Höll und dem ebenfalls parteilosen Heiko Hilker zaghaft die Liste mit Sympathisanten aufgefüllt hatten. Auf einen aussichtsreichen Platz kam ferner die Landesgeschäftsführerin Ingrid Mattern. Die Landesliste bestand schließlich aus einem Kern von Altabgeordneten, öffnete aber gleichzeitig Türen für Quereinsteiger. 285 Die von Porsch geforderte Nominierung nach sachpolitischer Kompetenz und Erfahrung, um
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Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 30. Januar 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Brief von Peter Porsch an alle Mitglieder des Landesvorstands und an alle Kreisvorsitzenden vom 3. Februar 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Heinrich Löbbers: Porsch: „Mein Wille mit den Unwilligen ist erschöpft“, in: SZ vom 5. Februar 1994. Brief von Peter Porsch an alle Mitglieder des Landesvorstands und an alle Kreisvorsitzenden vom 3. Februar 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. dpa/ADN: PDS-Spitzen in Sachsen unterwegs, in: SZ vom 8. Februar 1994; Heinrich Löbbers: „Die Sachsen können sich nicht vernünftig streiten“, in: SZ vom 12. Februar 1994. Vgl. Brief des Landesparteirats an die Gliederungen der Partei vom 12. Februar 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Heinrich Löbbers: PDS beendet interne Grabenkämpfe, in: SZ vom 7. März 1994. Vgl. Steffen Klameth: Offene Liste ist wenig offen, in: SZ vom 18. April 1994.
5.4 Wahlkampf der PDS – Konsolidierung in der Opposition
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eine „optimale politische Handlungsfähigkeit“ der Fraktion zu gewährleisten,286 hatten die Delegierten des Wahlkongresses freilich nur bedingt vorgenommen.
5.4.2 Konzeptioneller Rahmen Ihren Fehler von 1990, den Landesvorstand in Teilen von der Wahlkampfleitung abzukoppeln, vermieden die Genossen 1994: „Der Landtagswahlkampf wird durch den Landesvorstand der PDS in enger Zusammenarbeit mit der Landtagsfraktion geführt und durch das Landeswahlbüro geleistet.“287 Wahlkampforganisation und -umsetzung oblagen dem Landeswahlbüro, oberste Leitungsinstanz war der Landesvorstand. Die PDS spann früh die organisatorischen Fäden für das Superwahljahr. Auf die Ende August 1992 gebildete Arbeitsgruppe „Wahlkampfführung“288 folgte am 3. April 1993 die Wahl von Ingrid Mattern zur Landesgeschäftsführerin, die Ernennung des früheren Leipziger Geschäftsstellenleiters Wolfgang Denecke zum technischen Wahlkampfleiter und die Besetzung des Landeswahlbüros mit Mitarbeitern für Öffentlichkeitsarbeit, Koordination und Analyse. Dem folgten Kreiswahlbüros. Anders als 1990 verlagerte der Landesverband den Wahlkampf nicht zuletzt aus finanziellen Gründen verstärkt an die Basis bei nach wie vor ausgeprägter Rolle der Zentrale.289 Mit im Wahljahr 32.850 Mitgliedern, organisiert in 31 Kreis- und fünf Stadtverbänden sowie 1.500 Basisgruppen, verfügte die PDS über ein solides Fundament. Die Konzentration der Mitglieder auf die Großstädte, der hohe Akademikeranteil und materiell abgesicherte Unterstützer im Rentenalter boten ihr umfangreiche Wahlkampfhilfe.290 Übergeordnetes Macht- und Organisationszentrum war erneut das Berliner Parteipräsidium und dessen Wahlbüro, geleitet von André Brie. Das dort mit den Landesvorsitzenden und Landeswahlleitern ausgearbeitete, relativ geschlossene Wahlkampfkonzept 1994291 kam der finanzschwachen sächsischen PDS u. a. wegen der darin enthaltenen materiellen Unterstützung entgegen. Zwar lieferte das Wahlbüro vorrangig eine einheitliche Werbelinie für den Kommunal- und Bundestagswahlkampf. Wegen der Synthese aller Kampagnen nützte dies 1994 idealerweise auch für den Landtagswahlkampf.292 Dazu kam, dass im Rahmen der Kommunalwahlen zahlreiche Kreisorganisationen eigene Werbelinien konzipiert hatten. Die Landeswahlleitung verließ sich somit aus organisatorischer und finanzieller Schwäche heraus auf das Tun der Parteigliederungen.293 Schließlich plagten die Landespartei massive Finanzprobleme. Hervorgerufen durch Versäumnisse bei der Antragsstellung 286
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Vgl. Rede von Peter Porsch, in: Wortprotokoll des Landeswahlkongresses der PDS-Sachsen vom 16./17. April 1994 in Dresden, S. 15 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Beschluss des Antrags des Landesvorstands „Wahlen 1994“ durch den 3. Landesparteitag der PDS vom 27. November 1993 (Archiv PDS-LV Sachsen). Vgl. Konzeption zur Beschlussfassung im PDS-Landesvorstand Sachsen über die Führung künftiger Wahlkämpfe vom 26. Mai 1992 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Beschluss des Antrags des Landesvorstands „Wahlen 1994“ durch den 3. Landesparteitag der PDS. Vgl. Manfred Gerner (1994): Partei ohne Zukunft? Von der SED zur PDS, München, S. 117-125; Lang/Moreau (1994a), S. 11 f.; Linnemann (1994), S. 103. Vgl. Brief von André Brie an die PDS-Landesverbände vom 27. Januar 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Die Kompetenz- und Finanzkonzentration seitens der Berliner Agentur Trialon führte zu inneren Kontroversen. Vom Ansinnen getrieben, im Wahljahr 1994 der Partei ein geschlossenes, gut durchorganisiertes Konzept zu garantieren, hatte der Parteivorstand der Agentur den gesamten Werbeetat zugesprochen, ihr Handlungsautonomie eingeräumt und damit in den Gliederungen die Furcht vor Autonomieverlusten genährt. Vgl. Beschlussprotokoll der Landesvorstandssitzung vom 18. Juni 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Auswertung der Europa- und Kommunalwahl vom 17. Juni 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen).
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und bei der Rechenschaftslegung, hatte die PDS 1992/93 keine Wahlkampfkostenrückerstattung erhalten. Die Nachzahlung kam für die direkte Wahlkampffinanzierung zu spät.294 Die erst am 19. August 1994 eröffnete Landtagswahlkampagne zielte auf eine „konsequent über die eigene Mitgliederschaft“ hinausgehende Mobilisierung.295 „Wir müssen raus aus den Versammlungsräumen und auf die Straßen und Marktplätze“296, lautete das Motto der Partei. Die Wahlkämpfe zur Europa- und Kommunalwahl hatten der PDS vor Augen geführt, dass ihr öffentliches Auftreten im Gegensatz zu 1990 von den Bürgern durchaus sachlich und positiv aufgenommen wurde. Ihren Beschluss, einen offenen Wahlkampf, mit direkten Kontakten zu den Wählern zu führen,297 konnte die Partei aber nur ansatzweise umsetzten. Viele der PDS-Kundgebungen, so Werner Bramke rückblickend, „glichen auf Öffentlichkeitswirkung getrimmten Parteimeetings“.298 Die vom 3. Landesparteitag am 27./28. November 1993 beschlossene Wahlstrategie lehnte sich an die von der Berliner Führung ausgegebenen Grundsätze an.299 Die sächsische PDS verfuhr nach der Devise: „Es ist langfristiges Ziel der PDS, den kapitalistischen Charakter der BRD-Gesellschaft zu überwinden, aber das ist nicht das Ziel ihres Wahlkampfes 1994.“ Hier gelte es, so Ronald Weckesser, vorrangig „mit mehr Stimmen als 1990“, mindestens aber mit 15 Prozent, in den Landtag einzuziehen300 – ein angesichts der Ergebnisse der Kommunal- und Europawahlen (16,6/16,7 Prozent) realistisches Vorhaben.301 Den Landtagswahlkampf sah die PDS folglich als „spezifischen Ausdruck und Bestandteil der umfassenderen Gesamtstrategie und -politik“.302 Gleichwohl könne er nicht diese „Gesamtheit der PDS-Politik und -Strategie aufnehmen“, sondern müsse sich auf konkrete Ziele und Aufgaben beschränken.303 Angelehnt an ihr politisches Wirken vergangener Jahre, verfolgte die Partei daher drei Strategien: einen Kombinationswahlkampf, einen Oppositionswahlkampf und einen Projektwahlkampf. Ziel ihres „kombinierten Wahlkampfes“ aus Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlkampagne, mit dem Landtagswahlkampf als Höhepunkt, war es, eine durchgängige öffentliche Präsenz der Partei zu gewährleisten sowie positive thematische und personelle 294
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Vgl. Bericht über die Prüfung des finanziellen Jahresabschlusses 1993 des Landesverbands Sachsen der PDS vom 9. Juli 1994; Brief der Fraktion Linke Liste-PDS an den Präsidenten des Sächsischen Landtages Erich Iltgen vom 21. Dezember 1993 (Archiv PDS-LV Sachsen). Die von der Partei für die Landtagswahl veranschlagten 500.000 DM finden sich im Rechenschaftsbericht 1994 wieder. Die Wahlkampfausgaben aller Gliederungen der sächsischen PDS betrugen 1994 1.557.168 DM. Dazu kamen gestiegene Ausgaben der Landesgeschäftsstelle von rund 600.000 DM (1993: 290.000 DM) und Ausgaben für die politische Arbeit der Landespartei von rund 825.000 DM (1993: 115.000 DM). Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 30. Januar 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen); PDS. Rechenschaftsbericht 1993, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/145 vom 22. Dezember 1994, S. 134 f.; PDS. Rechenschaftsbericht 1994, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/3390 vom 21. Dezember 1995, S. 98. Vgl. Beschluss des Antrags des Landesvorstands „Wahlen 1994“ durch den 3. Landesparteitag der PDS. Brief der Landesgeschäftsführerin der PDS-Sachsen Ingrid Mattern an die Kreisvorsitzenden der sächsischen PDS vom 26. Mai 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Beschlussprotokoll der Landesvorstandssitzung vom 18. Juni 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Werner Bramke (2006): Die Krise der Demokratie, Leipzig, S. 33. Siehe dazu Strategie der PDS zu den Wahlen 1994, in: PDS-Pressedienst vom 8. April 1993. Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, in: PDS-informationsdienst 9/1993, S. 6. Vgl. Ergebnisauswertung der Europa- und Kommunalwahl in Sachsen vom 17. Juni 1994 (Archiv des PDSLV Sachsen). In Hoyerswerda hatte der PDS-Kandidat Horst-Dieter Brähmig im zweiten Wahlgang der Bürgermeisterwahl den von CDU und SPD unterstützten sozialdemokratischen Kandidaten besiegt. Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, S. 6; vgl. auch die Darstellung bei Jürgen P. Lang/Patrick Moreau (1994b): Was will die PDS?, Frankfurt a.M./Berlin, S. 75. Vgl. Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, S. 6 f.
5.4 Wahlkampf der PDS – Konsolidierung in der Opposition
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Synergieeffekte zu erzeugen. Zudem erwies sich eine gekoppelte Kampagneführung als die mit den verfügbaren finanziellen Mitteln einzig realisierbare.304 Neben der übergreifenden Werbekampagne nutzte die PDS die Podien des jeweiligen Wahlkampfes zur öffentlichkeitswirksamen Präsentation ihrer Bewerber.305 So traten zur Eröffnung des Bundestagswahlkampfes die Landtagskandidaten neben prominenten Bundespolitikern, wie Gregor Gysi oder Hans Modrow, auf. Das Motto lautete auch in den Wahlkreisen: maximale personelle Bekanntmachung. Exemplarisch bewarb sich Christine Ostrowski in Dresden mit einer originellen Kommunalwahlkampagne und kandidierte danach für den Landtag, Andere kandidierten nacheinander für die Wahlen zum Landrat, zum Kreistag sowie als Direktkandidaten für Landtag und Bundestag. Da die politischen Verhältnisse eine Regierungsbeteiligung a priori ausschlossen, setzte die PDS auf einen Oppositionswahlkampf. Sie positionierte sich als linke oppositionelle Kraft.306 Durch Fundamentalkritik an „der fehlgeschlagenen Gesamtpolitik in Sachsen“307 versuchte sie, die absolute Regierungsmacht der CDU zu brechen. Dabei verwarf sie Wahlbündnisse mit kommunistischen Splittergruppen und setzte auf offene Listen. Die PDS hatte aus dem Tohuwabohu um die Linke Liste-PDS gelernt und war sich sicher, dass Wahlbündnisse „weder zahlenmäßige Gewinne, noch ideelle Substanz“ brächten.308 Die postkommunistische Kernstrategie war indes projektbezogen. Sie folgte der Logik: „Wahlkämpfe bringen sehr viel weniger Effekt als politische Großaktionen zu einem Thema, das die Menschen wirklich bewegt.“309 Mit der seit 1990 geforderten Aufnahme sozialer Grundrechte in die sächsische Verfassung verfügte die Partei über ein geeignetes Thema, das zudem im Mittelpunkt ihrer Themenkampagne stand. Pünktlich zu Beginn der heißen Wahlkampfphase initiierte sie ein Volksbegehren über das „Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen“.310 Am 9. August starteten Partei, Fraktion und die PDS-nahe „Initiative für ein demokratisch verfasstes Sachsen“ mit dem Sammeln der benötigten 450.000 Unterschriften. Obwohl der Initiativkreis betonte, er sei eigenständig und parteiübergreifend, und die PDS die Behauptung, sie initiiere das Volksbegehren aus wahltaktischen Gründen, von sich wies,311 sprach alles für eine Wahlkampfinstrumentalisierung. So hatte der Landesvorstand schon Wochen vor dem Scheitern des Volksantrags eine AG „Volksbegehren Sächsische Verfassung“ etabliert.312 In der Wahlstrategie von 1993 hieß es: „Alle Aktivitäten müssen auf die Verfassungsnovellierung zugeschnitten werden, sobald die zweite Phase beginnen kann.“313 Per Beschluss vom 20. März 1994 rief der Landesvor-
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Vgl. Rede von Peter Porsch auf dem Landeswahlkongress der PDS-Sachsen am 16./17. April 1994 in Dresden, S. 17 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Bramke (2006), S. 33. Vgl. Interview mit Peter Porsch in: Christian Kerl: Sachsens PDS auf Opposition eingestellt, in: FP vom 25. August 1994. Beschluss des Antrags des Landesvorstands „Wahlen 1994“ durch den 3. Landesparteitag der PDS. Vgl. Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, S. 6. Nicht zuletzt untersagte das Sächsische Wahlgesetz vom 4. August 1993 eine Listenverbindung mehrerer Parteien (§27). Vorschlag von Jens Lorek zur Wahlkämpferschulung vom 2. Januar 1993 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Ein bereits Mitte 1993 in den Landtag eingebrachter Volksantrag war am 17. März 1994 mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Vgl. dpa/sn: PDS startet Volksbegehren zur Verfassungsänderung, in: LVZ vom 10. August 1994. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 8. Januar 1994; PDS-Landeswahlbüro Sachsen: Arbeits- und Terminplanung für das Wahljahr 1994 vom 18. Januar 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Beschluss des Antrags des Landesvorstands „Wahlen 1994“ durch den 3. Landesparteitag der PDS.
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stand zudem die Fraktion zur „gemeinsamen Vorbereitung und Koordinierung des Volksbegehrens“ auf.314 In der Folge plante und finanzierte diese wesentliche Teile der Aktion.315 Als Wählerpotenzial veranschlagte die PDS „Kreise, die die DDR-Orientierung mit sozialistischen/antikapitalistischen Positionen verbinden, insbesondere aus dem ehemaligen Staats- und Parteiapparat der DDR sowie beträchtliche Teile der DDR-Intelligenz“, „Einheitsverlierer unterschiedlichster Art“, „Bevölkerungskreise […], bei denen die Wertschätzung für positive Ergebnisse der DDR-Entwicklung […] wiedererstanden ist“ sowie „linke systemkritische und an den globalen Problemen orientierte Kreise“. 316 Sie zielte ferner auf potenzielle Nichtwähler. Eine im Juli 1994 vom Landesvorstand initiierte Umfrage zur Interessenlage sächsischer Wahlberechtigter hatte ergeben, dass die Mehrheit der Nichtwähler politisch interessiert sei und nicht-traditionelle Politikformen befürwortete. Mit ihrer Unterschriftensammlung bot die PDS eben dies.317
5.4.3 Imagekampagne Mit wiedergewonnenem Selbstbewusstsein präsentierte sich die PDS als „konsequenteste linke Oppositionspartei, die für radikale Reformen in der neuen Bundesrepublik eintritt, um u. a. die entwürdigenden Folgen der Anschlusspolitik und der Kolonisation des Ostens im Interesse der Ostdeutschen zu korrigieren“.318 Klaus Bartl betonte: „Nach gewaltigem Versagen in eigener Regierungsverantwortung tut es uns gut, auch in der kommenden Legislaturperiode in der Opposition zu verweilen.“319 Nicht nur, dass Bartls Aussage die 40jährige SED-Diktatur zur legitimierten „Regierungsverantwortung“ verklärte, er kündigte vielmehr eine freiwillige Opposition seiner (politisch isolierten) Partei an. Die sächsischen Genossen folgten damit der Linie ihrer Bundespartei („Veränderung beginnt mit Opposition“). Sie kommunizierten ihre Oppositionsrolle nicht als Konsequenz ihrer politischen Isolation, sondern als Resultat selbstverantwortlichen Handelns. Porsch pointierte geschickt, es sei in der derzeitigen Situation vermessen, offen aufzutreten und eine Regierungsbeteiligung anzustreben. Realistischer sei es, abseits der Regierungsbank Verantwortung zu tragen.320 Man wolle im nächsten Landtag eine starke Opposition sein, an der „vorbei nichts geht“. „Wir wollen Veränderung beginnen mit Opposition im Parlament. Opposition im Parlament und Widerstand außerhalb des Parlaments müssen sich ergänzen zum Ziel der Veränderung des Gegenwärtigen“.321 Es gehe, so Porsch, um eine Zukunft ohne Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau, Siegerjustiz, erstarkendem Rechtsextremismus, Ausverkauf des Ostens an Banken und Spekulanten sowie ohne die Okkupation des Landes durch eine Partei. Es gelte „eine Zukunft zu gewinnen, in der Solidarität und Wettbewerb keine sich ausschließenden 314 315
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Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 20. März 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Beschluss der Fraktion Linke Liste-PDS über die Maßnahmen bezüglich des Volksentscheids vom 22. März 1994; Beschlussprotokoll der Landesvorstandssitzung vom 10. Juli 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, S. 8. Vgl. Landeswahlbüro der PDS Sachsen: Interessenlagen und mögliches Wählerverhalten in verschiedenen Regionen des Freistaates. Hauptergebnisse einer Untersuchung Mitte Juli 1994, S. 3, 19-23 f. (Archiv des PDS-LV Sachsen). Programm der PDS Sachsen 1994 (Kurzfassung): Leben in Menschenwürde (Archiv des PDS-LV Sachsen). Klaus Bartl zitiert nach: dpa: Opposition tut uns gut, in: DNN vom 27./28. August 1994. Vgl. Interview mit Peter Porsch, in: FP vom 25. August 1994. Rede von Peter Porsch auf dem Landeswahlkongress der PDS-Sachsen am 16./17. April 1994, S. 14.
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Gegensätze sind. Eine Zukunft zu gewinnen, wo die Wirtschaft im Interesse der Menschen wirkt, also, sozial“.322 Die Oppositionsrolle erwies sich für die Partei einfacher nach außen als nach innen. Ingrid Mattern bemerkte bei der Organisation des Wahlkampfes, dass es vielen PDSMitgliedern unklar sei, „wie Opposition auch in Verantwortung auszufüllen ist. Oft wird die Frage gestellt Opposition oder Verantwortung. […] Unter der Definition, dass unter Verantwortung einer Oppositionspartei von Bürgerinteressen und gleichzeitig Widerstand gegenüber der herrschenden Politik verstanden werden kann, stellen sich wenige sehr konkretes vor“.323 Um ihre vornehmlich traditionalistisch eingestellte Mitglieder- und Wählerschaft einzufangen, betonte die Partei: „Die PDS Sachsen tritt für radikale Veränderungen in der Bundes- und Landespolitik ein. Sie will nicht die Restauration der DDR, aber sie will das Ende der Kriminalisierung ihrer Leistungsträger und der Verfälschung der DDR-Geschichte sowie einen selbstbewussten Neuanfang in Sachsen im Sinne der Ansprüche des Herbstes 89.“324 Sie akzentuierte die „Errungenschaften der DDR“ und präsentierte sich als einzige Partei, die diese zu bewahren gedenke.325 Um das zu unterstreichen, war beispielsweise Hans Modrow gern gesehener Gast im Landtagswahlkampf. Der frühere 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden und ehemalige DDR-Ministerpräsident sprach älteren PDS-Anhängern zu. In ihren Augen verkörperte er den Versuch einer reformierten DDR und damit die erhoffte Alternative zum Gegenwärtigen. Während Gysi als moderner PolitPopstar und Wahlkampfmagnet neue Wählerschichten ansprach, bediente Modrow alte Sehnsüchte. Er vermittelte eine gegenwartskritische, nostalgische Sicht, betonte Errungenschaften der DDR und arbeitete an der eigenen Märtyrerrolle.326 Unter anderem als Folge der kombinierten Kampagnenführung und der Tatsache, dass die PDS im Vergleich zu den Volksparteien eine nachgeordnete Rolle im Wahlkampf spielte, forcierte die Landespartei kein spezifisch landestypisches Parteiimage. Ihre basiszentrierte Arbeit bewirkte ohnehin eine eher regionale Rollenbildung. So genoss der Dresdner Stadtverband unter seinen Protagonisten Ronald Weckesser und Christine Ostrowski einen „Dresdner Ruf“. Andere Kreisverbände kreierten durch regionale Aktionen oder lokal bekannte Protagonisten eigene Images. Die Landespartei war eher bemüht, ihre wegen der vierjährigen Listenverbindung aufgebaute Außenwahrnehmung als „Linke Liste-PDS“ abzubauen. Der Landesvorstand verwies deshalb darauf, dass allein die neue Bezeichnung „PDS“ im gesamten Sprachgebrauch zu verwenden sei. Vorschläge, welche die offene Liste signalisiert sehen wollten, etwa „PDS/Offene Liste“, wurden verworfen.327 Wegen der äußerst geringen Bekanntheit von Spitzenkandidat Peter Porsch, des medialen Wahlkampfzuschnitts auf das Duell zwischen Biedenkopf und Kunckel sowie des ausschließlichen oppositionsstrategischen Bezugs der PDS-Kampagne, welcher einen postkommunistischen Anwärters auf das Amt des Ministerpräsidenten nicht vorsah, trat Porschs Popularisierung in den Hintergrund. Er galt insofern als Herausforderer, als dass er den Anspruch der Partei anmeldete, eine starke, wenn nicht stärkste Oppositionspartei werden zu wollen. Umfragen hatten zudem gezeigt, dass die PDS-Wähler vornehmlich aufgrund 322 323 324 325
326 327
Ebd., S. 12. Brief der Landesgeschäftsführerin der PDS-Sachsen Ingrid Mattern vom 26. Mai 1994. Beschluss des Antrags des Landesvorstands „Wahlen 1994“ durch den 3. Landesparteitag der PDS. Vgl. Programm der PDS Sachsen 1994: Leben in Menschenwürde, beschlossen auf dem 3. Landesparteitag am 6. März 1994, S. 2 f. Vgl. Heinrich Löbbers: „Wir hätten ja auch gern Schlösser gebaut“, in: SZ vom 1. September 1994. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 20. März 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen).
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langfristiger Bindungen und politischer Sachfragen entschieden. Der Spitzenkandidat kam erst an dritter Stelle. Entsprechend kannten eine Woche vor der Landtagswahl 77 Prozent der Wähler und 73 Prozent der PDS-Sympathisanten Porsch nicht.328 Obwohl sich die Genossen anlässlich des obligatorischen Geschlechterproporzes auf eine Doppelspitze aus Peter Porsch und Brigitte Zschoche geeinigt hatten,329 oblag dem Landesvorsitzenden die formelle Spitzenkandidatenfunktion. Zschoche fungierte gewissermaßen als Spitzenfrau. Sie hatte sich gegen die von Gysi favorisierte Bundestagsabgeordnete Barbara Höll durchsetzen können und galt als Vertreterin des „traditionellen“ Parteiflügels.330 Die PDS plakatierte zwar das Konterfei ihres Spitzenkandidaten und sandte Porsch Mitte August auf Wahlkampftour, er spielte dennoch lediglich die erste Geige in einem Kandidatenorchester. Als eine Art „personifiziertes Programm“, verkörperte er weniger sich, als vielmehr die zentralen Standpunkte seiner Partei.331 Die PDS war sich bewusst, zwar über ein Programm, nicht aber über eine „für andere sichtbare und akzeptierbare Konzeption“ zu verfügen. Sie maß daher ihren Direkt- und Listenkandidaten große Bedeutung zu. „Das Wichtigste, was wir unseren Wählern anbieten können, sind Menschen, ihre Glaubwürdigkeit, ihr Engagement, ihre Kompetenz in Sachfragen.“332 Die Wahlen 1990 hatten gezeigt, dass Wahlkreise mit bekannten Direktkandidaten mitunter deutlich mehr Erst- als Zweitstimmen verbuchten.333 Speziell in den großen Städten war das Vertrauen der Wähler in Personen größer als das in die Partei. Mit dem Ziel, Erst- in Zweitstimmen zu verwandeln, kandidierten regional bekannte Genossen mit sicheren Listenplätzen direkt. So trat etwa Eberhard Langer, der sich schon für das Amt des Chemnitzer Oberbürgermeisters beworben hatte, in einem Chemnitzer Wahlkreis an, auch um Sympathien gegenüber seiner Person in Zweitstimmen für die PDS zu verwandeln. 334 Ferner spielten die ersten 20 Listenkandidaten als potenzielle PDS-Fraktion eine herausgehobene Rolle. Sie warben landesweit um Stimmen für die Partei.335
5.4.4 Themenkampagne Die Landespartei nutzte die ihr gewährte Möglichkeit einer eigenständigen Programmatik und beauftragte Mitte 1991 eine Grundsatzkommission. Die Gruppe um Bernd Rump, dem „geistigen Vater“ des Landesprogramms, erarbeitete aus vier unterschiedlichen Konzepten, darunter ein dezidiert realpolitisches Diskussionsangebot der Landtagsfraktion, einen Programmentwurf. Der auf dem 3. Parteitag am 27./28. November 1993 beschlossene Entwurf wurde anschließend innerhalb wie außerhalb der Partei diskutiert. Porsch forderte die „interessierte Öffentlichkeit“ auf, sich an der Debatte zu beteiligen, sollte doch in seinen Augen das neue Parteiprogramm den Menschen zeigen, „was diese Partei will und wie sie sich den
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Vgl. Infas-Umfrage (1994a), Tabellen 6, 13. Vgl. Kerstin Köditz: 3. Landesparteitag der PDS Sachsen in Löbau, in: PDS-informationsdienst 24/1993, S. 1. Vgl. Albert Funk: Traditionsverein in Feindesland, in: FAZ vom 14. März 1994. Vgl. Interview mit Ingrid Mattern am 24. Januar 2006. Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, S. 6. Vgl. Außenstelle Chemnitz der Landesgeschäftsstelle der PDS (Bärbel Süß): Analyse zum Wahlkampf der Linken Liste – PDS (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Wahlkampffaltblatt von Eberhard Langer für die Wahl zum Sächsischen Landtag 1994. Vgl. Brief der Landesgeschäftsführerin der PDS-Sachsen Ingrid Mattern vom 26. Mai 1994.
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Weg vorstellt“.336 Innerhalb der PDS kam es daraufhin zu Verwerfungen. Wie Rump betont, ersetzte das greifbare, in praktische Positionen zu transformierende Metakonzept der Menschenwürde mittelfristig das des Sozialismus – für die „Orthodoxen“ ein offener Abfall vom Glauben. „Wir haben uns gesagt, wir können nicht definieren, was irgendwann mal wird, aber wir können für die nächsten zehn Jahre sagen, was für uns Menschenwürde ist. Das war das intellektuelle Konzept. […] Davon geht das Programm aus, nicht von einer gesellschaftlichen Utopie. Nicht, dass ich was gegen Sozialismus hätte, aber der Ansatz des Programms war, der Mensch muss in Würde leben können.“337 Die Redaktionsgruppe um Rump legte schließlich dem Parteitag am 6. März 1994 eine Version vor, welche dieser unter dem Titel „Leben in Menschenwürde“ als neues Landespartei- und Wahlprogramm beschloss. Das Papier lieferte die thematische Grundlage für die 1994er Wahlkämpfe sowie den Leitslogan: „Leben in Menschenwürde“. Die Schwerpunkte des mit einer Mischung aus sachbezogenen Thematiken, unkonkreten Forderungen und fiktiven Visionen geführten Themenwahlkampfes betrafen im Wesentlichen die Postulate des Volksbegehrens: „Recht auf Arbeit oder Arbeitsförderung“, „Recht auf lebenslange Bildung“, „Recht auf angemessenen Wohnraum und sozial verträgliche Mieten“ und „Recht auf soziale Grundsicherung“. Sie dominierten die Argumentation der Partei und spielten bei potenziellen Wählern eine Rolle.338 Obwohl Weckesser 1993 noch verlautbart hatte, die PDS verspreche „im Wahlkampf nichts, was sie nicht auch in ihrer Alltagspolitik und nach den Wahlen vertreten kann und will“,339 schossen ihre Ansprüche mitunter weit über das Machbare hinaus. Porsch bekundete: „Das eine oder andere in unserem Programm mag Illusion oder Vision sein.“ 340 Während wirtschaftspolitische Themen für die Partei durchaus relevant waren, bildete das Soziale den inhaltlichen Schwerpunkt. Sozialpolitik war in den Augen der PDS kein separates Politikfeld, sondern eine alle Politikfelder, speziell die Gebiete Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik durchdringende Idee. Entsprechend ihrer Oppositionsstrategie erschöpfte sich die ökonomische Bestandsaufnahme der PDS in Fundamentalkritik an der Staatsregierung. Die Postkommunisten stellten deren Positivbilanz ihre Negativbilanz gegenüber. Nicht die Hinterlassenschaften der DDR-Wirtschaft, von der PDS als „komplizierte Ausgangslage“ verharmlost, sondern „vier Jahre CDU-Herrschaft“ und eine Politik des Anschlusses hätten in Sachsen zur „Deindustrialisierung und weitgehenden Abwicklung des Wirtschafts- und Wissenschaftspotenzials geführt“.341 Der Transformationsprozess, darin war sich die Partei einig, sei „in großen Teilen misslungen“.342 Die „Vorstellungen der Herrschenden“ seien nicht an der „Hypothek der untergegangenen DDR“ gescheitert, sondern weil sie seit Langem den Realitäten einer sich verändernden Welt nicht entsprächen.343 Bartl resümierte: „Das wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Urteil über diese 336
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Entwurf zum Programm der PDS Sachsen: Leben in Menschenwürde, bestätigt auf dem 3. Landesparteitag am 27./28. November 1993, S. 3. Interview mit Bernd Rump am 24. Januar 2006. Vgl. Landeswahlbüro der PDS Sachsen: Interessenlagen und mögliches Wählerverhalten in verschiedenen Regionen des Freistaates Sachsen, S. 8. Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, S. 7. Peter Porsch in: Anita Kecke/Andreas Wassermann: Forum unserer Zeitung zur Landtagswahl: Mieten und Arbeitsplätze, in: LVZ vom 1. September 1994. Programm der PDS Sachsen 1994 (Kurzfassung). Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen – Bilanz, Analyse und PDS-Politikangebot, August 1994, S. 2. Vgl. Programm der PDS Sachsen 1994, S. 1.
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Staatsregierung kann nur lauten: Schuldig! Schuldig!“344 Die CDU habe den Aufbau einer eigenen, interregionalen Industrie vernachlässigt, staatliche Beteiligungen verweigert, westdeutsche Handelsketten übermäßig gefördert und den eigenen Exportbereich zerschlagen. Insgesamt, so die PDS, sei ab 1990 wegen falscher wirtschaftspolitischer Zielsetzungen und Maßnahmen der „größte Raubzug in Friedenszeiten“ erfolgt, in dessen Rahmen ein Großteil des DDR-Volksvermögens entweder zerstört, an westdeutsche Eigentümer veräußert bzw. von diesen verdrängt oder schlichtweg entwertet wurde.345 Porsch betonte, die christdemokratische Regierung hätte im Wesentlichen Politik für die Etablierung der westdeutschen Industrie auf dem ostdeutschen Markt gemacht. Zwar sei „viel Neues“ entstanden und vieles in Bewegung, jedoch habe diese Politik 40 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung aus dem Arbeitsprozess gedrängt.346 Das „Hauptergebnis der verfehlten Wirtschaftspolitik der Landes- und Bundesregierung“ sei daher die Massenarbeitslosigkeit.347 Die CDU habe die sächsischen Bürger „eiskalt zur Dispositionsmasse auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt gemacht“. Deren Aussage, Arbeit sei kein Sozialprogramm, sondern die Basis der Wirtschaft, negierte die PDS. Die CDU werfe der DDR vor, diese habe die Menschen daran gehindert, sich persönlich wirtschaftlich zu entfalten, selbst aber halte die Regierungspartei „die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung generell davon ab“, sich durch Arbeit zu verwirklichen.348 In der direkten Formulierung ihrer Ordnungsvorstellungen zeigten sich die Postkommunisten nebulös. Im Kern stand für die Genossen fest: „Uns in der PDS ist klar, dass wir linke Politik auf der Basis eines ökonomischen Systems versuchen, das in seiner Eigentums- und Verteilungsordnung ungerecht und in seinen Grundsätzen unsozial ist. Dies hat, trotz des demokratischen politischen Systems, gravierende Auswirkungen auf unsere politischen Möglichkeiten und unser politisches Handeln.“349 Die Partei befand sich in einem ordnungspolitischen Dilemma, wie Porsch unterstrich: „Dass die soziale Marktwirtschaft in unserem Programm nicht auftaucht, kann ich weder leugnen noch bestätigen.“350 Tatsächlich findet sich 1994 keine ordnungspolitische Aussage der sächsischen PDS, die ihre klare Kategorisierung zulässt. Lediglich zwei Grundhaltungen wurden durchweg deutlich. Zum einen betonte die Partei unablässig ihre kritische Sichtweise zur marktwirtschaftlichen Ordnungsform sowie zu den damit einhergehenden Eigentums- und Verteilungsstrukturen. Die PDS forderte die „Notwendigkeit eines Umdenkens in, als auch eines Umbaus der Konsumgesellschaft“351 und einen „radikalen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik auf Bundesebene sowie im Freistaat Sachsen“.352 Der Parteivorsitzende war sich sicher, „dass in einigen Jahren das Wirtschaften so nicht mehr möglich ist, und sich das Eigentum seiner sozialen Verantwortung bewusst wird“.353 Zum anderen plädierte die Partei, unterlegt durch ihren Ruf nach sozialen Grundrechten, für eine ausgesprochen interventionistische, regulie344
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Rede von Klaus Bartl vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, in: Drucksache 1/4827 des Sächsischen Landtages, S. 7050-7059, hier S. 7055. Vgl. ebd., S. 7052-55; Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen, S. 2. Vgl. Interview mit Peter Porsch, in: FP vom 25. August 1994. Vgl. Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen, S. 4. Vgl. Rede von Klaus Bartl vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7052-7054. Wahlkampfbrief des PDS-Landesverbands an die Bürger und Bürgerinnen Sachsens 1994. Peter Porsch in: Anita Kecke/Andreas Wassermann: Forum unserer Zeitung zur Landtagswahl. Programm der PDS Sachsen 1994, S. 2. Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen, S. 2. Peter Porsch in: Anita Kecke/Andreas Wassermann: Forum unserer Zeitung zur Landtagswahl.
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rende und partizipierende wirtschaftspolitische Rolle von Staat und Gesellschaft. Es sei wichtig, „das marktwirtschaftlich ,freie Spiel der Kräfte’ durch eine stärkere gesellschaftliche Regulierung (Steuerung) [zu] ordnen“.354 Ziel der PDS war die „Überwindung der ideologischen Marktillusionen und Durchsetzung einer aktiven staatlichen und gesellschaftlichen Struktur-, Sanierungs-, Regional- und Arbeitsmarktpolitik“ sowie die Entwicklung eines eigenen „antikapitalistischen, sozialistischen Profils“.355 Die Partei strebte eine „nachhaltige, auf ökologischen und technischen Umbau gerichtete Wirtschaftsentwicklung in Sachsen“356 an. Insbesondere sollten „radikale Reformen den Kurs der Anschlusspolitik in seinen entwürdigenden Folgen korrigieren“.357 Für Bartl galt es, drei „Geburtsfehler des Einigungsprozesses“ umzukehren: „das Prinzip der Privatisierung vor Sanierung, das Prinzip Kauf vor Pacht und das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung“.358 Auch müsste „soziale, ökologische und politische Sicherheit für die Menschen“ wiedergewonnen werden.359 Speziell ein soziales Grundrecht auf „Arbeit oder Arbeitsförderung“ sollte soziale Sicherheit schaffen. Ziel der regionalen Wirtschaftspolitik müsse die „Erhaltung, Modernisierung und Bildung neuer Industriezentren – territorial gut über die sächsischen Regionen verteilt“ sein. Besonders „Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs [seien] aus Kapazitäten der Region“ anzubieten und zu subventionieren.360 Wirtschafts-, Energie- und Verkehrskonzepte sollten ebenfalls zu einer „Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe“ beitragen. Die PDS forderte den Wechsel zu einer Entwicklung der Wirtschaft, die „weniger auf extensives Wachstum“ und mehr auf „Strukturanpassung unter Berücksichtigung von Arbeitskräftepotenzial, Umweltbedingungen und wissenschaftlich-technischer Entwicklung“ setzt. 361 Die Regionen sollten „Entwicklungsgesellschaften“ bilden und neue „Arbeitsinhalte“ (z. B. regenerative Energietechniken) erschließen.362 Noch bestehende industrielle Kerne seien zu sanieren. Es sei wichtig, „sanierungsfähige, regional bedeutende Treuhandunternehmen“ in sächsischen „Industrieholdings“ zu sichern, diesen neue Märkte zu erschließen und sie mittels staatlicher Aufträge zu stützen.363 Arbeit definierten die Postkommunisten als „primäres Menschenrecht“ und damit als „Verfassungsrecht“.364 Die Partei entökonomisierte den Arbeitsbegriff. Arbeit diene „nicht nur zum Zweck des Erwerbs des Lebensunterhalts“, sondern auch zur „Selbstverwirklichung und als Mittel, den gesamten Lebensprozess zu bereichern“.365 Zwar habe man „durch den Anschluss der DDR an die BRD [...] politische Rechte und Freiheiten erworben, aber zugleich soziale Grundrechte verloren“.366 Daher sollte das in der Verfassung als ob354 355 356 357 358 359 360 361 362 363
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Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen, S. 6. Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, S. 7 f. Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen, S. 5. Programm der PDS Sachsen 1994, S. 2. Rede von Klaus Bartl vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7054. Vgl. Ronald Weckesser: Überlegungen zur weiteren Wahlvorbereitung, S. 7. Vgl. Standpunkt der PDS in: Wie kommt Sachsen zu mehr Arbeitsplätzen, in: SZ vom 7. September 1994. Programm der PDS Sachsen 1994, S. 5 f. Vgl. ebd., S. 6. Vgl. Programm der PDS Sachsen 1994, S. 5 f.; Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen, S. 7 f. Standpunkt der PDS in: Wie kommt Sachsen zu mehr Arbeitsplätzen, in: SZ vom 7. September 1994. Programm der PDS Sachsen 1994, S. 5. Wahlkampfbroschüre der sächsischen PDS. Für ein Leben in Menschenwürde. Brief an die Bürgerinnen und Bürger Sachsens.
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jektives Staatsziel gehandhabte „Rechte auf Arbeit“ zu einem für jedermann einklagbaren Grundrecht werden, das die Regierung verpflichtet, „aktiv auf einen hohen Beschäftigungsgrad hinzuwirken und Arbeitslosigkeit zu beseitigen“.367 Wie umfassend diese Forderung war, lässt sich wegen der unpräzisen Ausdrucksweise nur erahnen. Während das Volksbegehren ein „Recht auf Arbeit oder Arbeitsförderung“ verlangte, hieß es im Programm verschärft „Recht auf Arbeit und Arbeitsförderung“. Um die aus dem Grundrecht auf Arbeit resultierenden staatlichen Verpflichtungen erfüllen zu können, plädierte die PDS für eine „staatliche Kontrolle, Regulierung und Förderung des Arbeitsmarktes“.368 Insgesamt seien „eine Kurskorrektur der Wirtschaftspolitik und Reformen [erforderlich], die die Dominanz der Kapitalverwertung eingrenzen“, um die nötigen 500.000 Arbeitsplätze in Form einer Beschäftigungsoffensive bereitstellen zu können.369 Die PDS ging davon aus, durch Strukturhilfen und Investitionsförderung insgesamt 250.000 Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe schaffen zu können. Zusätzlich entstünden durch Umverteilung vorhandener Arbeit, durch Arbeitszeitverkürzungen und durch einen „rigorosen Abbau von Überstunden“ 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze.370 Weitere 150.000 sollte ein öffentlicher Beschäftigungssektor sichern, der gegenwärtig bzw. zukünftig Arbeitslose auffängt und sie in kommunalen, sozialen oder kulturellen Dienstleistungen einsetzt. Dies alles, so die Partei, sei innerhalb der nächsten Legislaturperiode realisierbar.371 Ferner müsse der „Kampf gegen die Arbeitslosigkeit mit der Ausweitung der gesellschaftlichen und betrieblichen Demokratie“ einhergehen. So forderten die Genossen für abhängig Beschäftigte ein „Einspruchs- und Vetorecht hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, -inhalte und -ergebnisse“, ebenso billigten sie den Betriebsräten Mitbestimmungsrechte bei ökonomischen Entscheidungen und bei der „Kontrolle der Produktion“ zu.372 Zur Finanzierung ihrer Forderungen schlug die PDS mehrere Wege vor. Aufkommensneutral seien die durch eine verringerte Arbeitslosigkeit ausgelösten öffentlichen Mehreinnahmen und Minderausgaben.373 Darüber hinaus sah sie Finanzierungsmöglichkeiten in einer höheren Verschuldung und in Einsparungen im Verteidigungshaushalt oder beim „Geheimdienst“. Das Gros der Finanzierung sollten Eingriffe in die Vermögens- und Verteilungsverhältnisse erbringen. Eigentum, so Porsch, sei schließlich sozialpflichtig.374 Die PDS plädierte u. a. für eine „stärkere Abgabenbelastung für höhere Einkommen“ und Vermögen, für eine „einmalige Abgabe auf alle Großvermögen“, für eine „Investitionshilfeabgabe“ westdeutscher Unternehmen, die nicht im Osten investieren und für „Zwangsanleihen“ bei Banken und Versicherungen.375
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Aufruf zur Unterzeichnung des Volksantrages (Archiv des PDS-LV Sachsen). Programm der PDS Sachsen 1994, S. 7. Vgl. Standpunkt der PDS in: Wie kommt Sachsen zu mehr Arbeitsplätzen, in: SZ vom 7. September 1994. Vgl. Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen, S. 8-10. Vgl. Wahlprüfsteine für die Parteien. Wirtschaft und Beschäftigung, in: LVZ vom 3. September 1994; Interview mit Peter Porsch, in: FP vom 25. August 1994. Vgl. Positionspapier PDS-Landesvorstand Sachsen: 4 Jahre Wirtschaftspolitik in Sachsen, S. 10 f. Vgl. ebd., S. 5, 10 f. Vgl. Interview mit Peter Porsch, in: FP vom 25. August 1994. Vgl. ebd.; Programm der PDS Sachsen 1994, S. 6 f.
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5.4.5 Konkurrenzkampagne Die PDS befand sich 1994 in einer komplexen interparteilichen Situation. Auf der einen Seite war sie noch immer politisch isoliert und wurde von allen Parteien ignoriert, musste aber selbst, ihrer Oppositionsstrategie folgend, fundamentalkritisch Bezug nehmen. Auf der anderen Seite stand sie als passiver Diskussionsgegenstand im Mittelpunkt der sozialdemokratischen Koalitionsdebatte und der christdemokratischen Negativkampagne. Ihr war früh klar: „Die wirkungsvollste Taktik der Gegner ist die Verschwörung des Schweigens.“376 Ziel musste daher sein, die Regierungspartei vielfältig herauszufordern und sich selbst im Wahlkampf bestmöglich in Interaktion zu bringen. Entsprechend attackierte die PDS die Christdemokraten auf breiter Front. Ob in Form von Hans Modrow, der Innenminister Eggert als unglaubwürdig bezüglich seiner DDR-Vergangenheit abstempelte377 oder in Form angeblicher politischer Justiz, ungerechtfertigten Berufsverboten und restriktiver Regelungen für ehemalige Angehörige von DDR-Sicherheitsorganen – an der vorgeblich verzerrten Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch die CDU-Regierung übte die PDS barsche Kritik. Die Christdemokraten seien, so Bartl, „auf keinem Gebiet so hemmungslos, so erfinderisch, so ignorant gegenüber jeglichen Grundprinzipien ihrer eigenen bürgerlichen Rechtsstaatlichkeit wie in puncto Umgang mit gelebtem Leben zu Zeiten der DDR“.378 Die Staatsregierung habe „die Leitsätze der friedlichen Revolution des Herbstes 1989“ entwertet, indem sie politisch Andersdenkende strafverfolgt, massiv staatliche Gewalt gegen Bürger anwendet und verfassungsmäßig verbürgte Elemente direkter Demokratie im Landtag abschmettert.379 Die sächsische Demokratie, so die Präambel des PDS-Programms, sei unter der „Alleinherrschaft“ der CDU „entartet“.380 Die von allen Seiten wahlkampfgeschwängerte letzte Landtagssitzung am 24. Juni 1990 nutzten die Postkommunisten zur Selbstdarstellung. Noch vor Beginn hatte die PDSFraktion in einem Schreiben den Abgeordneten der anderen Fraktionen zynisch Dank ausgesprochen. Die Isolation ihrer Fraktion habe die PDS „vor einem Profilverlust bewahrt“ und in ihrem Erfolg beflügelt. Die Partei spottete: „Sollten Sie aber […] gerade unseretwegen nicht mehr im nächsten Landtag sitzen, so nehmen Sie es gelassen als Bestätigung Ihres eigenen politischen Wollens. Wahlen sind wie der Markt. Die Besseren setzen sich durch. Und den Markt wollen Sie doch alle für alles. Nehmen Sie die Wahlen als Weiterbildungsveranstaltung, deren Lehren Sie für den Markt wieder fit machen können.“381 Der Fraktionsvorsitzende Klaus Bartl, der eine Wahlkampfrede angekündigt hatte, bescheinigte den anderen Parteien Demokratiedefizite. Sie hätten nicht gelernt, ihre politischen Gegner zu akzeptieren. Solange sich dies nicht ändere, so sein Bluff, stehe die PDS „für keine Koalition zur Verfügung“. Sie bleibe die „wirkliche Opposition“ in einer sehr ambivalenten parlamentarischen Demokratie.382 Ihren Umgang mit den Sozialdemokraten justierte die PDS nach der Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt und der erfolgreichen Kommunalwahl neu. Die oppositionelle 376 377 378 379 380 381
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Jens Lorek: Vorschläge zum Wahlkampf 1994 vom 28. Mai 1992 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Heinrich Löbbers: „Wir hätten ja auch gerne Schlösser gebaut“, in: SZ vom 1. September 1994. Rede von Klaus Bartl vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7058. Vgl. ebd., S. 7052; vgl. auch Programm der PDS Sachsen 1994, S. 1. Programm der PDS Sachsen 1994, S. 1. Schreiben der Fraktion Linke Liste-PDS im Sächsischen Landtag an alle Abgeordneten vom 24. Juni 1994 (Archiv PDS-LV Sachsen). Vgl. Rede von Klaus Bartl vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, S. 7058 f.
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Zurückhaltung der SPD hatte die Postkommunisten in die Lage der deutlich wahrnehmbaren Oppositionspartei befördert. Bartl bekundete ungeniert: „Herr Kunckel, […] wenn ihre Partei das bleibt, was sie immer war, dann haben wir gute Aussichten.“383 Es galt somit, weniger das direkte Verhältnis zur SPD zu modifizieren, als vielmehr Optionen auf eine indirekte Regierungsteilhabe nach der Wahl zu wahren.384 Die kooperativen Avancen einiger Sozialdemokraten stießen daher bei den Postkommunisten überwiegend auf Wohlwollen. Dennoch stand die Frage nach einer Koalition mit der SPD nicht auf der Tagesordnung. Zum einen kam dies für die Sozialdemokraten nicht in Betracht, zum anderen hätte es die Glaubwürdigkeit der PDS-Oppositionskampagne erschüttert. In erster Linie war die PDS deshalb Nutznießerin fremder Koalitionsdiskussionen. Die medial angeheizte Debatte um ihre eventuelle Regierungsbeteiligung und das mutmaßliche Koalitionsverhalten der SPD lenkte das Licht der Öffentlichkeit auf die politisch isolierte SED-Nachfolgerin.385 Während sich Christ- und Sozialdemokraten gegenseitige Vorhaltungen machten, schürte die PDS die Kontroverse, indem sie sich als kompetente Kraft präsentierte, die der Verantwortung nicht ausweiche. Porschs Ankündigung, die PDS könne sich vorstellen, bei fehlenden Mehrheiten einen SPD-Ministerpräsidenten zu wählen und eine sozialdemokratische Minderheitsregierung zu tolerieren, brachte die Genossen ins Gespräch. Schließlich sei es das Hauptziel der PDS, die amtierende CDU-Regierung abzulösen.386 An die SPD gerichtet appellierte sie, man müsse zusammen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine erneute CDU-Regierung zu verhindern.387 Dass Porschs Äußerung, er könne sich sogar vorstellen eine CDU-Minderheitsregierung zu tolerieren, nicht aber Biedenkopf zu wählen,388 mehr war als Sarkasmus, ist unwahrscheinlich. Die Kooperationsangebote der PDS an die SPD waren indes seriös und bereits im Vorfeld des Wahlkampfes auf dem Tisch. Porsch war überzeugt, die PDS könne als starke Opposition Politik gestalten, wenn sie in bestimmten Grundfragen mit der SPD zusammenarbeite.389
5.5 Wahlnachlese 5.5.1 Wahlergebnis Am 11. September 1994 erzielten die Christdemokraten mit einem Zweitstimmenanteil von 58,1 Prozent das höchste, je von der CDU bei einer Landtagswahl errungene Ergebnis (Tabelle 20). Der zweite Wahlsieger, die PDS, verbuchte als einzige Partei relative und absolute Zugewinne. Mit 16,5 Prozent lag sie nur 0,1 Punkte hinter der Wahlverliererin SPD, die mit 16,6 Prozent ihr bislang schlechtestes Ergebnis erreichte. Die lange Zeit erfolgversprechenden Grünen scheiterten mit 4,1 Prozent an der Sperrklausel. Ebenso ereilte die Libera383 384
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Ebd., S. 7050. Vgl. Brief von des PDS-Landesvorstands Sachsen an die Teilnehmer der Klausurtagung vom 4. August 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Gero Neugebauer/Richard Stöss (1996): Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten, Opladen, S. 221 f. Vgl. Ralf Husemann, Neben Kurt Biedenkopf ist die CDU ganz klein, in: SZ vom 2. September 1994. Die Mehrheit der PDS-Sympathisanten stand hinter einem „Magdeburger Modell“. Vgl. Infas-Umfrage (1994), Tabelle 27. Vgl. Christian Kerl: Sachsens Bündnisgrüne sorgen für Überraschung, in: FP vom 16. August 1994. Vgl. Thomas Schade: Kein „Toleranzbekenntnis“, in: SZ vom 16. August 1994. Vgl. Rede von Peter Porsch auf dem Landeswahlkongress der PDS-Sachsen vom 16./17. April 1994, S. 14 f.
5.5 Wahlnachlese
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len (1,7 Prozent) ihr parlamentarisches Aus. Mit dem Ausscheiden der Kleinparteien aus dem Landtag etablierte sich in Sachsen ein niedrig fragmentiertes, stark asymmetrisches Dreiparteiensystem. Wegen der ausgebauten CDU-Mehrheit und den beinahe gleichstarken Parteien SPD und PDS war die Zahl der effektiven Parteien auf 2,53 gesunken, die bestehende deutliche Asymmetrie zugunsten der Christdemokraten gestiegen. Die CDU lag nun 25 Punkte vor dem gesamten Oppositionslager.390 Die Regierungspartei hatte ihre absolute Mehrheit verteidigt und erneut alle 60 Direktmandate errungen. In 27 von 60 Wahlkreisen erzielte sie über 60 Prozent der Zweitstimmen, nur in acht Wahlkreisen blieb sie unter 50 Prozent. Sie war beinahe flächendeckend mit absoluter Mehrheit gewählt worden. Hoyerswerda ausgenommen war kein CDU-Direktwahlkreis annähernd gefährdet. Wegen der gesunkenen Wahlbeteiligung (58,4 Prozent) hatte die CDU gegenüber 1990 rund 217.000 Stimmen verloren, davon den größten Teil an die Gruppe der Nichtwähler.391 Ihr sensationelles Abschneiden verdankte sie erneut Kurt Biedenkopf. In weit stärkerem Maße als 1990 entschied seine Person die Wahl. Der Zweitstimmenüberhang von 7,7 Punkten belegt dies. Biedenkopf zeigte sich am Wahlabend „völlig überrascht“. Mit einem derartigen Vorsprung habe er nicht gerechnet. Gleichwohl bringe das Ergebnis die erhoffte Klarheit.392 Die SPD traf der Wahlausgang doppelt. Sie lief 41,5 Punkte hinter der CDU, aber nur 0,1 Punkte vor der PDS ins Ziel. In 24 Kreisen lag sie bereits an dritter Stelle. Mangels Mobilisierungsfähigkeit und wegen ihrer dünnen Stammwählerschaft verlor sie 130.000 Stimmen an das Lager der Nichtwähler.393 Besonders schmerzte die enorme Differenz zwischen Erst- (22,5 Prozent) und Zweitstimmenverteilung (16,6 Prozent), vorrangig ausgelöst durch fehlende PDS-Direktkandidaten im Dresdner Raum und durch den CDU-Zweitstimmenüberhang. Teile der SPD-Wähler stärkten ihrem Direktkandidaten den Rücken, wählten aber mit der Zweitstimme CDU. Kunckel zeigte sich am Wahlabend „maßlos enttäuscht“. Er führte das Ergebnis auf Biedenkopfs großen Amtsbonus und auf eine in der Wählerschaft vorhandene „Fixierung auf Staatsautoritäten“ zurück.394 Dem mit Rücktrittsgedanken spielenden Kunckel sprach der Vorstand dennoch das Vertrauen aus. Eine Personaldiskussion war im laufenden Bundestagswahlkampf unerwünscht. Es herrschte in der Partei die für ihn wenig tröstliche Auffassung, dass keiner es hätte besser machen können.395 Für die PDS war das Wahljahr nicht die prophezeite Apokalypse, sondern eine erfolgreiche Zäsur. Mit durchschnittlich 18,9 Prozent bei den ostdeutschen Landtagswahlen hatte sie sich mittelfristig als „feste politische Größe“396 etabliert. Ihre 16,5 Prozent in Sachsen brachten zwar das vergleichsweise schlechteste Ergebnis, das aber den Eigenerwartungen entsprach. In 24 Wahlkreisen war die PDS schon zweitstärkste Kraft. Sie erzielte beinahe in jedem großstädtischen Wahlkreis über 20 Prozent der Stimmen. Als einziger Akteur hatte 390 391
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Vgl. Brümmer (2006), S. 152 f., 164. Vgl. Tsp/dpa: Eher Präsidentschaftswahlen als Abstimmungen über politische Programme, in: Tagesspiegel vom 13. September 1994. Vgl. Christian Kerl: Auch Biedenkopf ist überrascht, in: FP vom 12. September 1994. Vgl. Tsp/dpa: Eher Präsidentschaftswahlen als Abstimmungen über politische Programme, in: Tagesspiegel vom 13. September 1994. Vgl. Albert Funk: Alles erblasst vor Neid, in: FAZ vom 12. September 1994; SZ: CDU baut absolute Mehrheit aus, in: SZ vom 12. September 1994. Vgl. Albert Funk: Biedenkopfs sächsischer Triumpf, in: FAZ vom 13. September 1994; Protokoll der Landesausschusssitzung der sächsischen SPD am 17. September 1994 in Chemnitz, S. 6. Jürgen Lang (1995): Nach den Wahlen 1994: PDS-Strategie im Wandel?, in: Deutschland Archiv 28 (1995), S. 369-380, hier S. 369.
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sie wegen ihrer starken Stammwählerschaft kaum Mobilisierungsprobleme, sprach daher auch von einem „soliden Ergebnis“ und wertete das Votum als Auftrag zu einer kritischen wie konstruktiven Opposition.397 Die sächsischen Wähler entschieden in einer Mischung aus Parteiidentifikation, Personenorientierung und wahrgenommener Handlungskompetenz der Parteien, wobei der Amtsinhaber von herausragender Relevanz war. Die zweite Landtagswahl hatte eher den Charakter eines „landespolitischen Personalplebiszits“. Biedenkopfs ausgeprägte Führungskompetenz, seine „Präsidialkampagne“, die schwache Organisation der Volksparteien und die mäßige Parteibindung der Wähler begünstigten eine stark personenorientierte Wahlentscheidung.398 Das hohe Votum für die CDU begründete sich maßgeblich mit dem Ansehen und der Kompetenz des Spitzenkandidaten, einer positiven Beurteilung der Regierungsleistung auf Landesebene, einer wiedererstarkten Popularität der Regierung Kohl, einer der sächsischen CDU zugeschriebenen hohen Problemlösungskompetenz, einer in den Augen der Wähler nicht vorhandenen Alternative und mit einer klaren Absage an die von der SPD gehegten „linken“ Bündnisambitionen. Die Entscheidung gegen die SPD nährte sich spiegelbildlich aus den geringen Kompetenzzuschreibungen an Kandidaten und Partei, der fehlenden Wechselstimmung, der Unzufriedenheit der Wähler mit der sozialdemokratischen Oppositionsarbeit und einer ungünstigen bundespolitischen Stimmung. Die PDS profitierte in erster Linie von einer erstarkten und mobilisierten Stammwählerschaft.399 Die sozialstrukturelle Wählerverteilung wies erneut deutliche Trends auf. Schnitten die Postkommunisten einzig bei über 60jährigen Männern überdurchschnittlich ab, erzielten die Christdemokraten bei den über 60jährigen Frauen mit rund 64 Prozent ihr bestes Ergebnis. Für beide Parteien hatten diese Wählergruppen erheblichen Anteil am Wahlerfolg. Die Partei mit der ältesten Wählerschaft war die SPD. Über 60jährige entschieden doppelt so häufig für sie wie unter 25jährige (Tabellen 14, 15). Rentner wählten somit überdurchschnittlich SPD und CDU. Bei Arbeitslosen schnitt die CDU schlecht, SPD und PDS indes sehr gut ab. Der Schwerpunkt der christdemokratischen Wählerunterstützung lag abermals bei den Arbeitern.400 Rund 60 Prozent stimmten hier für sie, rund 18 Prozent für die SPD und nur etwa 12 Prozent für die PDS. Die rekrutierte 1994 ihre Wählerschaft vornehmlich aus den Berufsgruppen der Angestellten und Beamten (jeweils über 20 Prozent). Während die CDU in beiden Fällen unterdurchschnittlich abschnitt, bildeten die Angestellten neben den Arbeitern die stärkste sozialdemokratische Wählergruppe. Den deutlichsten sozialstrukturellen Zusammenhang bargen konfessionelle Bindungen. Stimmten über 70 Prozent der Protestanten und Katholiken für die CDU, schnitt die PDS bei Konfessionslosen mit 25,9 Prozent überdurchschnittlich ab (Tabellen 16, 17). Nach wahlgeografischen Gesichtspunkten (Tabelle 18) glich das Votum dem des Jahres 1990. Das CDU-Ergebnis fiel in Regionen mit niedriger Bevölkerungsdichte gut zehn Punkte höher aus als in Mittel- und Großstädten. Am „schwächsten“ war die CDU mit 41,3 Prozent in Hoyerswerda, gefolgt von Leipzig (48,5 Prozent). Christdemokratische Hochburgen waren erneut das Erzgebirge, Teile der Oberlausitz, die Sächsische Schweiz. In einem Streifen von Kamenz über Meißen, Döbeln, Mittweida bis Glauchau steigerte sich die Partei auf über 60 Prozent. Den Sozialdemokraten brachten ihre bisherigen städtischen 397 398 399 400
Vgl. Protokoll der Sitzung des PDS-Landesrats am 29. Oktober 1994 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Schmitt (1995), S. 289. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1994b), S. 35-39. Vgl. Schmitt (1995), S. 288.
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Hochburgen die höchsten Verluste. Während sie in Chemnitz mit 20,6 Prozent ihr Ergebnis von 1990 hielten, verloren sie in Leipzig 8,6 Punkte und erlitten in Dresden mit 12,4 Prozent eine Schlappe. Ihnen wurde zur traurigen Gewissheit, der PDS in den drei größten Städten unterlegen zu sein. Die 30-Prozentmarke war der SPD flächendeckend entrückt. Einzig die südlich und südöstlich von Leipzig gelegenen Wahlkreise verblieben ihr als Hochburgen. Die PDS schnitt bei hoher Bevölkerungsdichte überdurchschnittlich stark ab. Sie hatte sich besonders in den Großstädten steigern können. Dabei klaffte bei den Postkommunisten die Wählerlücke zwischen ländlichen und großstädtischen Wahlkreisen weitaus deutlicher als bei der SPD. Speziell in den von den Transformationsverwerfungen stark betroffenen Gebieten, wie dem Erzgebirge oder der Oberlausitz, erzielte die PDS ihre schlechtesten Ergebnisse. Ihre Hochburgen lagen ausnahmslos in den Städten Chemnitz, Leipzig, Dresden und in Hoyerswerda, mit 29,8 Prozent. Das sächsische Ergebnis der Bundestagswahl bestätigte das Landtagswahlergebnis nur in Teilen (Tabelle 12). Mit 48 Prozent (-1,5 Punkte) verschlechterte sich die CDU zwar marginal, errang aber erneut alle 21 Direktmandate. Während Grüne (4,8 Prozent) und Liberale (3,8 Prozent) im Wahlgebiet die Fünfprozenthürde rissen, wichen die Ergebnisse von SPD und PDS ab. Die PDS wiederholte mit 16,7 Prozent (+7,7 Punkte) beinahe ihr Zweitstimmenergebnis der Landtagswahl. Die SPD verbesserte sich gegenüber 1990 um 6,1 Punkte auf 24,3 Prozent. Erstmals offenbarte sich die erhebliche Kluft zwischen Bundesund Landtagswahlergebnissen der sächsischen SPD. Wie bereits 1990 erzielte die CDU in keinem anderen Land höhere Stimmenanteile, die SPD nirgends niedrigere.
5.5.2 Entwicklung nach der Wahl Den auf 120 Sitze und um zwei Fraktionen verkleinerten Sächsischen Landtag dominierte mehr denn je die christdemokratische Fraktion (Tabelle 13). Sie schrumpfte zwar infolge der allgemeinen Mandatsreduzierung um 15 auf 77 Sitze, hielt aber einen Sitzanteil von 64 Prozent. Um Ängste vor dieser Beinahe-Zweidrittelmehrheit zu dämpfen, machte die CDUFraktion deutlich, durchaus SPD-Anträge mittragen zu wollen. Sie bot den Sozialdemokraten ferner den Posten eines Landtagsvizepräsidenten an. Das neue Kräfteverhältnis und die Ergebnisse einiger Direktkandidaten hatten der Fraktion gegenüber der Staatsregierung den Rücken gestärkt. Noch am Wahlabend kündigte der schon mehrfach als regierungskritisches Auge in Erscheinung getretene Matthias Rößler seine Kandidatur um den Vorsitz an und plädierte für eine neue Selbstständigkeit der Fraktion. Rößler hauchte so dem Kampf zwischen Reformern und Blockvertretern neues Leben ein und signalisierte Emanzipation in Richtung Staatsregierung.401 Als Herbert Goliasch am 14. September überraschend aus „persönlichen Gründen“ auf das Amt des Fraktionsvorsitzenden verzichtete402 und Rößler als einziger Kandidat verblieb, sah sich Biedenkopf genötigt, in Person von Fritz Hähle einen ihm unkritischen Kandidaten zu forcieren. Rößler zog daraufhin zurück und wurde mit dem Posten des Kultusministers „abgefunden“.403 Auf ihrer konstituierenden Sitzung
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Vgl. Ralf Husemann: Die Fraktion wird selbstbewusst, in: Süddeutsche Zeitung vom 14. September 1994. Vgl. dpa: Bei Sachsens Parteien dreht sich das Personalkarussell, in: SZ vom 15. September 1994. Es handelte sich um in der Folge nicht bewiesene Vorwürfe einer angeblichen KGB-Tätigkeit Goliaschs. Vgl. Steffen Klameth: Im Blickpunkt: Fritz Hähle, in: SZ vom 21. September 1994.
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am 21. September 1994 wählte die CDU-Fraktion mit 59 Stimmen Hähle zum Vorsitzenden. Klaus Leroff blieb Parlamentarischer Geschäftsführer. Die SPD-Fraktion verlor durch den neuen Parlamentszuschnitt und das schlechte Wahlergebnis fast ein Drittel ihrer Mandate. Wichtige Abgeordnete, etwa der ehemalige Landesvorsitzende Michael Lersow, verpassten den Einzug. Auf ihrer konstituierenden Sitzung am 15. September bestätigten 20 der verblieben 22 sozialdemokratischen Abgeordneten ihren bisherigen Fraktionsvorsitzenden Karl-Heinz Kunckel. Peter Adler blieb Parlamentarischer Geschäftsführer. Kunckels Wiederwahl zerschlug alle Mutmaßungen. Die im Vorfeld des SPD-Landesparteitags am 10./11. Dezember u. a. von Lersow vorgebrachten Rücktrittsforderungen an den Landesvorstand und sein Plädoyer für eine Rückkehr zu einer Doppelspitze versandeten in den Reihen der Delegierten.404 Von einigen Ausnahmen abgesehen, hielt sich die Kritik im Rahmen. Kunckel wurde mit (unter diesen Verhältnissen beachtlichen) 77,4 Prozent im Amt des Landesvorsitzenden bestätigt. Der Landesverband sollte unter seiner Führung die Wahlniederlage nicht verdauen. Die einzige ostdeutsche SPD-Oppositionsfraktion war eingeklemmt zwischen einer gleichstarken PDS und einer übermächtigen CDU. Da ein offensiver Kurs gegenüber der CDU einen unbeherrschbaren Profilierungswettstreit mit der PDS ausgelöst hätte, schlug die Fraktion erneut einen eher konsensuellen Kurs ein. Gegenüber der PDS lehnte Kunckel jede „Bündnisstrategie“ ab.405 Die Postkommunisten konnten als einzige die Zahl ihrer Mandate gegenüber 1990 auf 21 steigern und gingen gestärkt in die zweite Legislaturperiode. Porsch kündigte unmittelbar nach der Wahl an, die PDS-Fraktion zur führenden Oppositionsfraktion machen zu wollen. Im gleichen Atemzug erneuerte er sein Kooperationsangebot an die SPD. Die Gemeinsamkeiten beider Parteien seien groß, man befände sich nicht in Gegnerschaft.406 Ihre Stoßrichtung verlagerte die PDS nun vollends hin zur CDU. Der im Frühjahr 1994 geschlossene Burgfriede zwischen den Parteiflügeln endete mit der konstituierenden Fraktionssitzung. Elf „alte“ Abgeordnete standen zehn „neuen“ Abgeordneten gegenüber. Mit Ostrowski und Weckesser waren zwei Dresdner Vertreter der „Reformer“ in den Landtag eingezogen. Die Wahl des Fraktionsvorsitzenden geriet so zur Machtprobe zwischen dem Flügel um Bartl und den Anhängern Porschs. Zwar verzichtete Bartl nach dem für ihn erfolglosen ersten Wahlgang, jedoch wurde Porsch erst nach Änderung des Abstimmungsmodus im dritten Durchgang gewählt. Landesgeschäftsführerin Ingrid Mattern unterlag Detlef Wehnert bei der Wahl zum Parlamentarischen Geschäftsführer.407 Zu einem angekündigten Eklat kam es auf der konstituierenden Sitzung des Landtages am 6. Oktober 1994. Da Biedenkopf der Bitte der SPD-Fraktion auf Auskunft bezüglich der angeblichen KGB-Tätigkeit Goliaschs ebenso wenig nachgekommen war wie der Aufforderung, den Wegfall des unmittelbaren Rederechts der Oppositionsfraktionen im Anschluss an eine Ministerpräsidentenrede rückgängig zu machen, verließen alle sozialdemokratischen Abgeordneten bei der Ministerpräsidentenwahl den Plenarsaal. Biedenkopf wurde dennoch mit 74 von 97 abgegebenen Stimmen im Amt bestätigt.408 Sein Kabinett beließ er 404
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Vgl. SZ/sk: Kehrt die SPD zurück zur Doppelspitze?, in: SZ vom 27. Oktober 1994; Ralf Husemann: Kunckels Kandidatur nach dem Wahlschock, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Dezember 1994 . Vgl. Ralf Husemann: Kunckel führt weiterhin Sachsens SPD, in: Süddeutsche Zeitung vom 12. Dezember 1994; Albert Funk: Zwischen Baum und Borke, in: FAZ vom 28. Dezember 1994. Vgl. ebd. Vgl. Heinrich Löbbers: Eine erste Machtprobe der Parteiflügel, in: SZ vom 15. September 1994. Vgl. Brümmer (2006), S. 150; hsm.: Eklat bei Wahl Biedenkopfs, in: Süddeutsche Zeitung vom 7. Oktober 1994.
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im Wesentlichen.409 Er selbst bekundete, um einer vorzeitigen und daher unpassenden Nachfolgerdiskussionen aus dem Weg zu gehen, die gesamte Legislaturperiode als Ministerpräsident arbeiten zu wollen.410 Mit Matthias Rößler, der den 1993 eingesetzten Friedbert Groß im Amt des Kultusministers ablöste, gesellte sich ein weiteres Mitglied des Reformerflügels in die Regierungsmannschaft. Durch die Erhebung der bisherigen parlamentarischen Staatssekretärin für Gleichstellung Friedericke de Haas in den Ministerrang gelangte zumindest eine Frau in die männerdominierte sächsische Exekutive.
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Heinz Eggert: Innenminister; Steffen Heitmann: Justizminister; Georg Milbradt: Finanzminister; Kajo Schommer: Minister für Wirtschaft und Arbeit; Hans Geisler: Minister für soziales, Gesundheit und Familie; Matthias Rößler: Kultusminister; Hans Joachim Meyer: Minister für Wissenschaft; Arnold Vaatz: Minister für Umwelt- und Landesplanung; Rolf Jähnichen: Landwirtschaftsminister; Günter Meyer: Leiter der Staatskanzlei mit Ministerrang (alle CDU). Vgl. Steffen Klameth: Biedenkopf will Sachsen bis 1999 regieren, in: SZ vom 14. September 1994.
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6.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl Die Zwischenbilanzen des Einigungsprozesses fielen Ende der 1990er Jahre differenziert aus. Vertreter der Misserfolgsthese thematisierten vorrangig die Massenarbeitslosigkeit, das geringe Wachstum und die zerstörerische Arbeit der Treuhandanstalt. Die Lebensunzufriedenheit der Ostdeutschen sei ebenso gestiegen wie die negativen Urteile über ihre individuelle wirtschaftliche Situation. Eine Mischung aus ökonomischer Abhängigkeit, Herrschaft westdeutscher Eliten und steigender Resignation in der Bevölkerung grassiere. Vertreter der Erfolgsthese thematisierten indes die Positiva der Transformation. Die ostdeutsche Wirtschaft habe sich modernisiert. Höhere Arbeitsproduktivität und mehr Wachstum seien das Ergebnis der konsequenten Privatisierung. Milliardentransfers hätten den veralteten Kapitalstock erneuert, die marode Infrastruktur sei saniert worden. Die Lohnentwicklung verlaufe positiv; die Lebenszufriedenheit steige stetig.1 Tatsächlich war der Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft 1996 ins Stocken geraten (Tabelle 26). 1997 fiel ihr Wachstum hinter jenes in Westdeutschland zurück. Der Bausektor, bis dahin Zugpferd der Erholung, erlebte einen Umsatz- und Beschäftigungsrückgang. Im Gegenzug gedieh zusehends das verarbeitende Gewerbe, zunächst jedoch ohne Beschäftigungseffekt.2 Die durchschnittliche ostdeutsche Arbeitsproduktivität betrug 1999 knapp zwei Drittel der Westdeutschen, das Bruttoeinkommen der Beschäftigten lag bei rund 75 Prozent des Westniveaus.3 Auch in Sachsen stagnierte nach den Jahren 1992 bis 1995 der Wirtschaftsaufschwung. Nullwachstum 1997/98 und eine nur durchschnittliche Rate von zwei Prozent im Wahljahr stoppten den Aufholprozess.4 Speziell die exportstarke Fahrzeug- und Mikroelektronikindustrie sowie der verarbeitende Mittelstand bescherten Sachsen seine relative ostdeutsche Stärke. Dennoch divergierte die Entwicklung innerhalb des produzierenden Gewerbes. Der wachsende verarbeitende Bereich konnte die gleichzeitig in der Bauwirtschaft freigesetzten Arbeitskräfte nicht auffangen.5 Als Ergebnis der fehlenden Arbeitskräftenachfrage, anwachsender Erwerbspersonenzahlen und der hohen weiblichen Erwerbsneigung stieg die sächsische Arbeitslosenquote im Jahr 1999 auf 18,6 Prozent. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter den Arbeitslosen fiel mit 33,7 Prozent höher aus als in anderen Ländern, die Frauenarbeitslosigkeit erreichte mit 21 Prozent einen 1
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Vgl. Raj Kollmorgen (2005): Ostdeutschland. Beobachtungen einer Übergangs- und Teilgesellschaft, Wiesbaden, S. 202-210. Vgl. Rüdiger Pohl/Joachim Ragnitz (1999): Ostdeutsche Wirtschaft: Kein Grund zur Resignation, in: Waschkuhn/Thumfart (Hrsg.), S. 271-291, hier S. 271-282. Vgl. Hans-Werner Sinn (2002): Die rote Laterne. Die Gründe für Deutschlands Wachstumsschwäche und die notwendigen Reformen, in: ifo Schnelldienst 55 (2002) 23, S. 3-32, hier S. 22. Vgl. Matthias Bernhardt (1998): Aktuelle Konjunkturtendenzen im Freistaat Sachsen, in: ifo DRESDEN BERICHTET (1998) H. 5, S. 28-37, hier S. 28. Es kam zu einer regionalen Differenzierung. Regionen wie die Oberlausitz und Städte wie Görlitz oder Hoyerswerda erlitten ein starkes Minuswachstum. Vgl. Bernhardt (1998), S. 28-31.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Spitzenwert. Zu den 380.000 Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 1999 gesellten sich gut 130.000 Personen in ABM oder SAM.6 Die Arbeit von Landesregierung und Landtag war in der zweiten Legislaturperiode etwa geprägt durch die Gemeindegebietsreform. Mit dem Ziel die großen Städte zu stärken und die Verwaltung zu straffen, verringerte die Strukturreform die Zahl der selbstständigen Gemeinden.7 Neben erbitterten Auseinandersetzungen zwischen allen Fraktionen, massiven Kontroversen innerhalb der CDU-Fraktion um regionale Interessen sowie zwischen CDUFraktion und Staatsregierung kochte die Volksseele wegen befürchteter regionaler Verwerfungen hoch. Ebenfalls Gegenstand heftiger Proteste war die Umsetzung des im Jahr 1993 beschlossenen Kommunalabgabengesetzes. Korruptionsvorwürfe beim Bau der Abwassersysteme und teils horrende Gebühren führten zu Demonstrationen und Bürgerinitiativen.8 Die von der CDU-Fraktion im März 1999 vorgenommene Modifikation des Sparkassengesetzes, die eine Zusammenlegung der 23 Sparkassen mit der Sächsischen Aufbaubank und der Sächsischen Landesbank vorsah, zog die Kritik der Opposition auf sich. Wahlkampfwirksam kündigte die SPD am 16. August 1999 eine gemeinsame Normenkontrollklage mit der PDS-Fraktion an. Das Gesetz beschränke die kommunale Selbstverwaltung und entziehe den Kommunen Einflussmöglichkeiten.9 1996 kam es zu einem Konflikt zwischen Staatsregierung und EU-Kommission. Ungeachtet eines Subventionsverbots hatte das Wirtschaftsministerium 141,9 Millionen DM EU-Fördermittel an Volkswagen ausgezahlt. Obwohl die Staatsregierung begründete, die Subventionen seien durch die Ausnahmeregelung des Artikel 87/2 EG-Vertrag gedeckt, wonach Beihilfen für von der deutschen Teilung benachteiligte ostdeutsche Gebiete zulässig seien, erwiesen sich die Zahlungen als rechtswidrig.10 Die Konfrontation zwischen Brüssel und Dresden endete mit einem Vergleich, der Biedenkopf überparteilichen Zuspruch bescherte. Ferner arbeitete die Staatsregierung an der Konsolidierung des Landeshaushalts, etwa durch die personelle Verschlankung des öffentlichen Diensts. Die Zahl der dort Beschäftigten sank in der zweiten Legislaturperiode von 304.014 auf 250.826, wobei die Gemeinden den größten Personalabbau trugen.11 Der Schuldenstand des Landes lag 1999 deutlich unter dem ostdeutschen Durchschnitt, die kommunale Verschuldung, die ein Drittel der Gesamtschulden ausmachte, leicht darüber. Eine vergleichsweise niedrige Nettokreditaufnahme und eine hohe Investitionsquote zeichneten dennoch ein insgesamt positives finanz- und fiskalpolitisches Bild.12 In den Reihen der Staatsregierung gab es zwei maßgebliche Modifikationen: 1998 verband sich das von Arnold Vaatz geleitete Umweltministerium nach dessen Wechsel in den Bundestag mit dem Landwirtschaftsministerium unter Rolf Jähnichen.13 Ein erster 6
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Vgl. Susanne Blancke/Josef Schmid (2000): Die Bundesländer in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, in: WIP Occasional Paper (2000) Nr. 12, S. 11; Carsten Schreiber (1999): Der sächsische Arbeitsmarkt im August 1999, in: ifo DRESDEN BERICHTET (1999) H. 5, S. 13-15, hier S. 13. Vgl. Werner Rellecke (2003): Kommunalpolitik im Freistaat Sachsen, in: Andreas Kost/Hans-Georg Wehling (Hrsg.): Kommunalpolitik in den deutschen Ländern, Wiesbaden, S. 250-272, hier S. 255 f. Vgl. Gunnar Saft: Kochender Volkszorn, in: SZ vom 31. August 1999; Brümmer (2006), S. 163. Vgl. dpa: Klage gegen Sparkassengesetz, in: FP vom 17. August 1999. Vgl. ausführlich Luutz (2002), S. 230246. Vgl. Roland Sturm/Heinrich Pehle (2001): Das neue deutsche Regierungssystem, Opladen, S. 222 f. Vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (Hrsg.) (1999): Statistische Berichte. Personal des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände des Freistaates Sachsen, Kamenz, S. 6-8. Vgl. Infratest dimap (1999e): Wahlreport. Landtagswahl in Sachsen 19. September 1999, Berlin, S. 65. Vgl. Thumfart (2002), S. 527.
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Skandal ereilte das Kabinett Biedenkopf im Frühjahr 1995 mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen Innenminister Heinz Eggert. Biedenkopfs wenig souveränes Vorgehen und die wochenlange Geheimniskrämerei der Staatskanzlei bescherten ihm ein negatives Medienecho. Nach einer medialen Schlammschlacht beendete schließlich Eggerts Rücktritt von seinen Minister- und Parteiämtern das Drama.14 Als seinen Nachfolger im Amt des Innenministers berief Biedenkopf den ehemaligen Staatssekretär im sächsischen Justizministerium und amtierenden (parteilosen) Hamburger Justizsenator Klaus Hardrath. Im Landtag holte einige Abgeordnete erneut ihre DDR-Vergangenheit ein. Der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende Herbert Goliasch trat 1998, nachdem seine Tätigkeit für das MfS publik geworden war, aus Partei und Fraktion aus. Er hatte in den 1980er Jahren als IM „Henri Guhl“ der politischen Abteilung der Kriminalpolizei berichtet. Ungeachtet der seit Langem bekannten Verstrickungen saß Goliasch bis zuletzt dem Innenausschuss vor. Indem er alle Vorwürfe bestritt und sein Mandat nicht niederlegte, stellte der Landtag vor dem Landesverfassungsgericht den Antrag, ihm sein Mandat abzuerkennen.15 Der Bewertungsausschuss sprach zudem die Empfehlung aus, gegenüber den PDS-Abgeordneten Klaus Bartl, Jürgen Dürrschmidt und Sieghard Kosel ein Aberkennungsverfahren anzustrengen. Da deren Tätigkeit für das MfS bereits seit 1991 bekannt war, standen Partei und Fraktion zu ihren Mandatsträgern.16 Deshalb und wegen des von den Christdemokraten verfolgten antiextremistischen Konsenses war das offizielle Verhältnis zwischen CDU- und PDS-Fraktion unverändert eisig, obgleich sich im täglichen Miteinander mitunter „kollegiale Beziehungen“17 ergaben. Das innerparlamentarische Verhältnis zwischen SPD und PDS entwickelte sich zu einer partiellen Zusammenarbeit. Durch die fünfjährige Legislaturperiode des Sächsischen Landtages fielen 1998/99 im Freistaat Bundestags- und Landtagswahl auseinander – ein folgenreicher Umstand. Das Wahljahr 1998 brachte eine politische Zäsur. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Helmut Kohl kam es am 27. September zu einem ungefilterten Regierungswechsel – von einer Koalition aus Union und FDP zu einem Bündnis von SPD und Grünen. Die SPD wurde unter ihrem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder mit 40,9 Prozent stärkste Partei. CDU/CSU verbuchten mit 35,1 Prozent eine herbe Niederlage. Die PDS erzielte 5,1 Prozent und zog damit erstmals direkt in den Bundestag ein. Für die sächsischen Sozialdemokraten war die Wahl ein guter Erfolg (Tabelle 12). Mit 29,1 Prozent und acht gewonnenen Direktmandaten distanzierten sie sich von der PDS und schlossen zur CDU auf. Die Postkommunisten setzten in Sachsen mit 20 Prozent eine Wegmarke, während die Christdemokraten im Vergleich zu 1994 15,3 Punkte einbüßten und auf 32,7 Prozent fielen. Vor allem die verlorenen Direktmandate schürten Verlustängste. Zudem eröffnete die verminderte Integrationskraft der CDU eine neue Wählerstimmenkonkurrenz. Die Rechtsaußenkräfte NPD, DVU und REP sowie die populistische Initiative Pro DM erzielten in Sachsen zusammen 8,4 Prozent. Die ostdeutsche CDU befand sich 1998 an einem Tiefpunkt. Nach dem schlechten Landtagswahlergebnis in Sachsen-Anhalt, minus 11,8 Punkte, fiel sie in Mecklenburg-Vorpommern um 7,5 Punkte (Tabelle 11), während die dortige Wahlsiegerin SPD die erste Koalition mit der PDS schmiedete („Schweriner Modell“).
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Vgl. Kritik an Biedenkopf, in: Der Spiegel (1995) H. 26, S. 18. Vgl. jsc: Biedenkopfs schützende Hand, in: Süddeutsche Zeitung vom 2. Juli 1998. Vgl. afk: PDS-Politikern in Sachsen droht Aberkennung des Mandats, in: FAZ vom 11. April 1997. So die Sichtweise bei Bramke (2006), S. 39.
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Hatte die SPD im Zuge ihres Wahlsieges vor Optimismus gestrotzt, verkehrte sich dies bis zum Spätsommer 1999 in ein Bild der Zerrissenheit. Ihr Vorsprung zur Bundestagswahl verwandelte sich binnen Jahresfrist in einen Rückstand. Unmittelbar nach Antritt der rotgrünen Koalition war es zu Richtungsstreitigkeiten gekommen. Gerhard Schröder wollte fiskalisch konsolidieren, Finanzminister Oskar Lafontaine umverteilen. Schließlich warf Lafontaine im März 1999 den Bettel hin. Neuer Bundesfinanzminister wurde der frühere hessische Ministerpräsident Hans Eichel. Dessen fiskalische Konsolidierungsbemühungen, die angestrebten Steuer- und Rentenreformen sowie die Teilnahme der Bundeswehr am NATO-Einsatz im Kosovo beherrschten fortan die negativ geladene öffentliche Diskussion und verschlechterten die Stimmung gegenüber der SPD rapide. Die sächsischen Wähler verliehen in der Europawahl am 13. Juni 1999 ihrem bundespolitischen Missmut Ausdruck (Tabelle 12). Die CDU steigerte sich gegenüber 1994 um 6,7 Punkte auf 45,9 Prozent. Die SPD erzielte mit 19,6 Prozent zwar nur 1,4 Punkte weniger als 1994, unterlag aber erstmals der PDS mit 21 Prozent. Die gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen bescherten den Christdemokraten deutliche Zugewinne. Mit 44,5 Prozent deklassierten sie die Sozialdemokraten (18,7 Prozent). Die Postkommunisten erreichten 19,2 Prozent. Für die SPD folgten „grausame Herbstsonntage“18. In Brandenburg verlor sie 14,8 Prozentpunkte und damit ihre absolute Mehrheit, blieb aber stärkste Kraft. Einen „schwarzen“ Schatten warf der Ausgang der Thüringer Landtagswahl am 12. September, wo die CDU unter Bernhard Vogel die absolute Mehrheit erreichte. Die CDU schwamm im September 1999 auf einem kräftigen Stimmungshoch, während die Werte der SPD einen Tiefpunkt erreichten.19 Entsprechend entwickelten sich die sächsischen Vorwahlbefragungen (Tabelle 21). Obwohl die CDU nach dem Jahr 1994 zunächst eingebüßt, die SPD gewonnen hatte, blieben die Abstände zwischen beiden Parteien im Gegensatz zur ersten Legislaturperiode auf beachtlichem Niveau. Selbst nach der Bonner Wahlniederlage kam die CDU in den Umfragen noch auf 43 Prozent, die SPD nur auf 26 Prozent. Bereits im Mai 1999 bekundeten 49 Prozent der Sachsen ihre Unionspräferenz. 21 Prozent beabsichtigten, für die SPD zu stimmen. Die PDS lag konstant bei rund 19 Prozent. Sechs Wochen vor der Wahl zeichnete sich eine klare absolute CDU-Mehrheit (53 Prozent) ab. Die PDS lag bei 19 Prozent, die SPD bei 18 Prozent, FDP und Grüne unterhalb von fünf Prozent. Die Augustumfrage von Infratest dimap schuf zu Beginn des Wahlkampfes klare Fronten: SPD 16 Prozent, PDS 20 Prozent und CDU 54 Prozent.20 Ursächlich für das christdemokratische Hoch war neben der günstigen bundespolitischen Stimmungslage vor allem die positive Wahrnehmung der Staatsregierung. Mit deren Arbeit zeigten sich Anfang August 1999 63 Prozent der Sachsen zufrieden. Insbesondere die Politik von Kurt Biedenkopf war durchweg bei drei Viertel der Sachsen auf Akzeptanz gestoßen (Tabelle 22). Selbst 65 Prozent der SPD- und immerhin die knappe Hälfte der PDS-Anhänger urteilten hier positiv. Mehrheitliche Unzufriedenheit herrschte einzig mit den arbeitsmarktpolitischen Leistungen der Staatsregierung (77 Prozent) und mit ihren Bemühungen um soziale Gerechtigkeit (63 Prozent).21 Ungeachtet dessen waren im Wahljahr 18
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Hans-Georg Golz (1999): Herbstsonntage. Nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland, in: Deutschland Archiv 32 (1999), S. 893-897, hier S. 893. Vgl. Dieter Roth/Matthias Jung (2002): Ablösung der Regierung vertagt: Eine Analyse der Bundestagswahl 2002, in: APuZ B. 49-50/2002, S. 3-17, hier S. 5. Vgl. Infratest dimap (1999a): Landtagswahl ’99 Sachsen. SachsenTREND I (2.-7.8.1999), S. 8. Vgl. Infratest dimap (1999b): Landtagswahl ’99 Sachsen. SachsenTREND II (27.8.-2.9.1999), S. 4.
6.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl
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nur 12 Prozent der Auffassung, dass eine SPD-geführte Landesregierung die Aufgaben besser zu lösen vermöge.22 Hatten die EMNID-Umfragen bis Ende 1998 der SPD auf den meisten Politikfeldern die größte Problemlösungskompetenz zugesprochen (Tabelle 24), führte im Wahljahr laut Infratest dimap die CDU. Einzig beim Einsatz für soziale Gerechtigkeit lag die SPD mit 31 Prozent vorn. Die PDS kam hier mit 20 Prozent auf ihren besten Wert. Sechs Wochen vor der Wahl meinten 60 Prozent der Sachsen, die CDU könne am ehesten den Wirtschaftsstandort sichern (SPD: 14 Prozent), 39 Prozent äußerten, sie könne am besten Arbeitsplätze schaffen bzw. erhalten (SPD: 19 Prozent). Im Laufe des Wahlkampfes schärfte sich das Bild. Die SPD büßte an Kompetenzzuschreibungen ein, verlor bei der sozialen Gerechtigkeit ihre Kompetenzführerschaft an die CDU, fiel hier sogar hinter die PDS zurück. Wenige Tage vor der Wahl meinten 59 Prozent der Sachsen, die CDU könne die Zukunftsprobleme am besten lösen.23 Für 79 Prozent war die Arbeitslosigkeit das überragende Problem im Wahljahr, vor der inneren Sicherheit und der sozialen Ungerechtigkeit. Zur Landtagswahl steigerte sich die Relevanz des Themas Arbeitslosigkeit auf 85 Prozent, nun gefolgt von der wirtschaftlichen Situation mit 15 Prozent.24 Eine herausragende Rolle spielte 1999 die Bundespolitik. Hier zeigten sich laut Infratest dimap unmittelbar vor der Landtagswahl 77 Prozent mit der Arbeit der rot-grünen Bundesregierung wenig bis gar nicht zufrieden. Zwar sahen nur 28 Prozent aller Wähler ihre Entscheidung bundespolitisch bestimmt (1994: 18 Prozent), für 54 Prozent der Befragten spielte die Landespolitik die dominierende Rolle. Die dritte Landtagswahl mutierte dennoch in Teilen zu einer bundespolitischen Stimmungsäußerung, da 43 Prozent der Wähler mit SPD-Präferenz aus übergeordneten Motiven entschieden. Unter den CDU-Anhängern votierten nur 23 Prozent, bei den PDS-Anhängern 33 Prozent eher bundespolitisch motiviert.25 Die Einschätzungen der Sachsen hinsichtlich der allgemeinen Wirtschaftslage im Freistaat hatten im November 1997, als 43 Prozent der Bevölkerung diese als „schlecht“ erachteten, ihren Tiefststand erreicht (Tabelle 25). Die reale Aufhellung der Konjunktur Mitte 1998 trug dazu bei, dass einen Monat vor der Landtagswahl noch 26 Prozent der Befragten meinten, die ökonomische Situation sei „schlecht“. 16 Prozent befanden sie für „gut“, die große Mehrheit (58 Prozent) war geteilter Ansicht. Das Urteil zur persönlichen Wirtschaftslage war durchweg konstant und spiegelte im August 1999 nahezu die Werte des Jahres 1994 wider. Jeweils 43 Prozent der Befragten schätzten ihre eigene Lage als „gut“ oder „mittelmäßig“ ein. 14 Prozent empfanden sie als „schlecht“ – ein deutlicher Unterschied zur allgemeinen Lage. Die stärksten Verschiebungen gegenüber 1994 ergaben sich bei der erwarteten Entwicklung. Stagnierendes Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit dämpften die Zuversicht auf eine baldige wirtschaftliche Erholung. Im Wahljahr verringerte sich zwar die Zahl der Pessimisten auf 14 Prozent und die der Optimisten stieg auf 24 Prozent. Zwei Drittel der Menschen antizipierten aber innerhalb des kommenden Jahres einen unveränderten Zustand der sächsischen Wirtschaft. Die Aufbruchsstimmung der ersten Legislaturperiode war der Ernüchterung gewichen. Die politischen Fehleinschätzungen über die zeitliche 22 23
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Vgl. Infratest dimap (1999a), S. 5-7. Vgl. ebd., S. 3; Infratest dimap (1999c): Landtagswahl ’99 Sachsen. SachsenTREND III (10.-14.9.1999), S. 10. Vgl. Infratest dimap (1999a), S. 2 ; Infratest dimap (1999c), S. 8. Vgl. Infratest dimap (1999b), S. 9; Infratest dimap (1999c), S. 20 f., 63 f.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1999
Dimension der Transformation rückten verstärkt ins breite Bewusstsein und bewirkten Verdruss. War 1991 die Mehrheit der Ostdeutschen von einem Transformationszeitraum von maximal sechs Jahren ausgegangen,26 erwiesen sich nun die lange Zeit politisch inopportunen Prognosen über eine Dauer von 20 bis 30 Jahren27 als realistisch.
6.2 Wahlkampf der CDU – Neukrönung der Regierungspartei 6.2.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Als Landesvorsitzender hatte Kurt Biedenkopf die zeitweilig drohende Zerklüftung der sächsischen CDU verhindert und seine Partei 1994 als Spitzenkandidat zu einer erneuten absoluten Mehrheit geführt. Ende August 1995 verkündete er überraschend, zukünftig mehr Gewicht auf das Amt des Ministerpräsidenten legen und den Parteivorsitz in die Hände seines loyalen Stellvertreters Fritz Hähle geben zu wollen.28 Der Zeitpunkt, sich des ungeliebten Amts zu entledigen, war gut gewählt. Zum einen hatte sich die Landespartei erneuert und weitgehend beruhigt. Die Polarisierung verlief nun eher entlang „ideologischer“ Linien zwischen „Sozialpolitikern“ und „Modernisierern. Sie war ohne partei- und regierungssprengende Kraft.29 Zum anderen benötigte Biedenkopf nach Jahren des politischen Aufbaus in Sachsen mehr Freiraum. Er zog sich punktuell aus der Landesparteipolitik und der Landespolitik zurück, widmete sich verstärkt bundespolitischen Problemen.30 Mehr denn je pflegte er einen präsidentiellen Gestus, erhob sich über die Niederungen des politischen Tagesgeschäfts. Er setzte auf politische „Ebenenteilung“31 und ließ seinen Ministern breiten Spielraum, ihre Amtsgeschäfte zu erledigen. Sachsen war jedoch kein rundum sicherer Heimathafen für bundespolitische Vorstöße. Die Minister fungierten zwar als landespolitische „Wellenbrecher“,32 Biedenkopfs Abstinenz stieß indes auf Kritik im eigenen Lager. Seine ordnende Hand fehlte, u. a. bei der umkämpften Gemeindereform und in den Auseinandersetzungen um die Kommunalabgaben. Vor dem Hintergrund nachlassenden Wachstums und steigender Arbeitslosigkeit rumorte es innerhalb der CDU-Fraktion ob der landespolitischen Untätigkeit des Regierungschefs.33 Der Pirnaer Landesparteitag am 28. Oktober 1995 wählte den 53jährigen Hähle mit 87 Prozent zum neuen Landesvorsitzenden. Erster Stellvertreter und fortan auch offizieller Generalsekretär wurde Steffen Flath. Hähle galt vielen Mitgliedern als führungsschwach, zuweilen eigenbrötlerisch und kaum visionär. Sie sahen in ihm einen Mann des Übergangs, gestützt durch Biedenkopf, dessen Person die Partei dominierte.34 Hähle und Flath führten 26
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Vgl. Anne Köhler/Richard Hilmer (1991): Ein Jahr Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, in: Deutschland Archiv 24 (1991), S. 931-935, hier S. 933. Vgl. Harald Decker (1992): Wirtschaft in den neuen Bundesländern. Strukturwandel und Neuaufbau, in: Deutschland Archiv 25 (1992), S. 461-475, hier S. 463. Vgl. SZ/sk: Biedenkopf will Vorsitz in CDU an Hähle abgeben, in: SZ vom 28. August 1995. Vgl. Interview mit Matthias Rößler, in: „Eine klare Front“, in: Der Spiegel (1997) H. 15, S. 51 f. Vgl. Albert Funk: Nur noch Deus ex machina, in: FAZ vom 27. Oktober 1995; Ralf Husemann: Ministerpräsident auf hohem Ross, in: Süddeutsche Zeitung vom 29. August 1995. Wendt (1994), S. 135. Vgl. ebd., S. 135; Bartsch (2002), S. 91. Vgl. Albert Funk: Ohne ordnende Hand, in: FAZ vom 26. März 1997; jsc: Müde Angriffe aus Sachsen, in: Süddeutsche Zeitung vom 28. April 1997. Vgl. Albert Funk: Biedenkopfs schlechte Woche, in: FAZ vom 25. Oktober 1996.
6.2 Wahlkampf der CDU – Neukrönung der Regierungspartei
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eine noch immer in Konsolidierung befindliche Landespartei. Mit im Wahljahr 17.500 Mitgliedern, verteilt auf 27 Kreisverbände, hatten die Christdemokraten in der zweiten Legislaturperiode 5.000 Mitglieder verloren. Nach einer organisatorischen Umstrukturierung spannten sie 1999 ein dichtes Netz aus Kreisgeschäftsstellen und 76 Wahlkreis- und Bürgerbüros. Die CDU verfügte über „sehr komfortable Verhältnisse“.35 Ihr Hauptproblem war die streckenweise lethargische Basis. Bildeten die Kreisverbände ihre Stärke, litt sie unter der Passivität ihrer Ortsverbände. Ihnen fehlte, so Flath, vor allem der Wille, sich personell zu öffnen. In einigen Gliederungen herrschten elitäre Tendenzen. Neue Mitglieder, die unter Umständen die Harmonie existenter Gruppen zu stören drohten, waren mitunter nicht erwünscht oder blieben Fremde in der eigenen Partei.36 Biedenkopfs Kritik an der BundesCDU nach der Wahlniederlage 1998, sie sei nicht mehr lebendig, die Last der Regierung habe ihr inneres Leben erdrückt,37 skizzierte unbewusst die sächsische Situation. Die CDU war eingekeilt zwischen einer mächtigen Staatsregierung und einer dominanten Fraktion.38 Politische Entscheidungen liefen oft an der Landespartei vorbei. Den Kabinettsmitgliedern kam eine starke Rolle bei der innerparteilichen Willensbildung zu. Die organisatorisch gut konstituierte, personell wie programmatisch aber eher glanzlose sächsische CDU wurde zu einem Wahlverein für den Ministerpräsidenten und die Direktkandidaten. Die ob dieses Zustands von vielen befürchtete Abwahl der Parteispitze auf dem Markneukirchener Landesparteitag 1997 blieb aus. Die Delegierten bestätigten Hähle und Flath in ihren Ämtern, etablierten aber mit der Wahl von Heinz Eggert zu einem der drei stellvertretenden Vorsitzenden ein medienwirksames innerparteiliches Gegengewicht.39 Der Ausgang der Bundestagswahl 1998 enttäuschte die Christdemokraten, der Verlust von acht Direktmandaten und 15,3 Prozentpunkten schmerzte.40 Das Resultat konfrontierte die sächsische CDU mit der Gewissheit, dass sie (zumindest) bei Bundestagswahlen keinesfalls über eine strukturelle Mehrheit verfügt. Zudem deutete es an, dass im Falle fehlender Integrationskraft dies weniger der SPD, sondern vielmehr den Klein- und den Rechtsaußenparteien zum Vorteil gereicht. Aufschlussreich war die Reaktion der Regierungspartei. Das Kabinett formulierte unmittelbar nach dem Wahlausgang strategische Schlussfolgerungen für kommende Wahlkämpfe. Die CDU müsse stärker die sächsische Karte spielen, um nach „rechts“ abgedriftete Wähler wieder einzufangen. Es dürfe fortan keine bundespolitische Rücksichtnahme mehr geben. Indes verweigerte Hähle eine von der Parteibasis geforderte Sondersitzung des Landesvorstands und präsentierte stattdessen seine Analyse der Bundestagswahl.41 Dass das sächsische Kabinett offen die neue Marschrichtung der Landespartei verkündete, noch bevor sich deren Vorstand geäußert hatte, verdeutlichte die reale Kräfteverteilung innerhalb der „Sächsischen Union“. Auf dem Landesparteitag am 12. Dezember 1998 wählten die Delegierten Biedenkopf, der früh bekannt hatte, für eine weitere Amtszeit zur Verfügung zu stehen, mit 96,1 Prozent 35 36
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Interview mit Steffen Flath am 21. Dezember 2005. Vgl. Bericht des Generalsekretärs der Sächsischen Union Steffen Flath an den 10. Landesparteitag in Markneukirchen vom 21. Oktober 1997. Vgl. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf über die Lähmung und die zukünftige Strategie der Christlich-Demokratischen Union, in: FR vom 12. Dezember 1998. Vgl. Patzelt (2006), S. 96, 106. Vgl. Auferstanden aus Affären, in: Der Spiegel (1997) H. 45, S. 35 f. Vgl. Peter Carstens: Anfällig für Überheblichkeit, in: FAZ vom 30. September 1998. Vgl. Christian Striefler: Biedenkopf will neuen Kurs, in: SZ vom 1. Oktober 1998; Fritz Hähle: Zur Analyse der Bundestagswahl 1998 in Sachsen (Archiv des CDU-LV Sachsen). Laut Hähle war die sächsische CDU in der Bundestagswahl 1998 auf ihren Stammwähleranteil (33 Prozent) zurückgefallen.
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zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Die nach der Wahlniederlage 1998 regelrecht geschockte sächsische CDU zeigte sich nun wieder geschlossen und siegessicher.42 Besonders Hähle versuchte die unverändert behäbige Partei zu motivieren. Man sei nun der „Fels in der Brandung“. Die CDU dürfe weder das eigene Licht „unter den Scheffel stellen“ noch die Chancen verkennen, die das Jahr 1999 biete. Sie gehe mit den Zielen ins Wahljahr, „stärkste politische Kraft in den sächsischen Kommunen zu bleiben“ und erneut die Mehrheit im Landtag zu erreichen.43 Für Bewegung innerhalb des Landesverbands sorgten die seit Oktober 1998 abgehaltenen Wahlkreisnominierungen. Die Kandidaten wussten, wer ein Mandat erringen wollte, musste dies über den Gewinn eines Direktwahlkreises erreichen. Die Landesliste sicherte kaum Plätze ab. Da viele bisherige Listenkandidaten nach der Bundestagswahl 1998 für die Landtagswahl eher einen Erst-, denn einen Zweitstimmenüberhang erwarteten, forderten sie die Inhaber der Direktmandate heraus, wobei sich ein Großteil der bisherigen Mandatsträger behaupten konnte.44 Der Landesvorstand stellte Anfang 1999 Kurt Biedenkopf an Platz eins der Landesliste, gefolgt von Fritz Hähle, Frauenministerin Friedericke de Haas, Landtagspräsident Erich Iltgen und dem Generalsekretär Steffen Flath. Heinz Eggert, der sich um Platz fünf beworben hatte, zog nach der Stichwahlniederlage gegen Steffen Flath zurück und beschränkte sich auf sein Direktmandat.45
6.2.2 Konzeptioneller Rahmen Anfang November 1998 nahm die vom Landesvorstand beauftragte „Strategiegruppe Wahlen“ ihre konzeptionelle Arbeit auf. Die Gruppe um den Landesvorsitzenden Hähle und den politischen Wahlkampfleiter Flath erarbeitete, unterstützt durch demoskopische und strategische Analysen, etwa des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner Patzelt, sowie durch Michael Sagurna als Strategie- und Kommunikationsberater, Vorgehen und Ziele der Kampagne. Hatte die Partei den letzten Wahlkampf überwiegend mit „Bordmitteln“ bestritten, externalisierte sie 1999 konzeptionelle Funktionen und die Umsetzung der gesamten Werbelinie an die Agenturen Die Partner sowie Oberüber & Karger. Die Anfang März 1999 begonnene technische Vorbereitung und Realisierung des Wahlkampfes oblag formal der Landesgeschäftsstelle unter Randolf Stamm. Kernaufgabe der technisch und organisatorisch erneuerten Parteizentrale war es, die Werbekampagne zu koordinieren und umzusetzen, die operativen Engpässe zu beheben, die Kandidaten und Spitzenpolitiker zu betreuen sowie den innerparteilichen Informationsfluss zu steuern.46 Anders als 1994 hatte Flath die Terminvergabe der über 35 Bundes- und 200 Landesrednereinsätze, darunter die Termine des Ministerpräsidenten, zentralisiert. Die Direktkandidaten benannten ihre Rednerwünsche, die Geschäftsstelle übernahm deren Koordination.47 Wie üblich setzte die Partei auf 42 43
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Vgl. Peter Carstens: Die CDU in Sachsen – eine nicht sehr lebendige Partei, in: FAZ vom 14. Dezember 1998. Vgl. Rede des CDU-Landesvorsitzenden Fritz Hähle auf dem 11. Landesparteitag der CDU-Sachsen am 12. Dezember 1998 in Riesa (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Gunnar Saft: CDU in Hektik: Nach der Wahl ist vor der Wahl, in: SZ vom 23. Oktober 1998. Die Landesvertreterversammlung bestätigte am 6. Februar 1999 im Wesentlichen den Listenvorschlag. Vgl. Steffen Klameth: Hauen und Stechen um die Liste der Eitelkeiten, in: SZ vom 18. Januar 1999. Vgl. Bericht der CDU-Landesgeschäftsstelle für die Zeit vom Oktober 1997 bis Oktober 1999 vorgelegt auf dem 13. Landesparteitag am 6. November 1999 in Döbeln (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Schreiben von Steffen Flath an die Direktkandidaten über die Wahlkampfvorbereitung vom 25. März 1999 (Archiv des CDU-LV Sachsen).
6.2 Wahlkampf der CDU – Neukrönung der Regierungspartei
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einen wahlkreisbezogenen Wahlkampf.48 Während die Landesebene die Leitstrategien plante und die Wahlkampfaktivitäten abstimmte, bildeten die Kreisgeschäftsstellen, die Wahlkreiskandidaten und -büros das ausführende, größtenteils aber eigenständige Kampagnenfundament. Als problematisch erwiesen sich Differenzen zwischen den Kreisverbänden und Synergiedefizite zwischen den weitgehend selbstständig agierenden Direktkandidaten.49 Mit der von Sagurna geleiteten Öffentlichkeitsabteilung der Staatskanzlei stand dem Amtsinhaber erneut ein wirksames Instrument zur Außendarstellung bereit. Die Landtagsfraktion diente in der Vorbereitungsphase als ein Organisationszentrum und in der heißen Phase u. a. als Informationszentrum.50 Flath gestand offen ein, in Sachen Wahlkampfführung strategisch wie organisatorisch von der Bundes-SPD gelernt zu haben.51 Die EMNID-Dossiers verdeutlichten der CDU, dass neben Themen und Argumenten auch die Professionalität der Wahlkampfführung die Bundestagswahl entschieden hätte. Wählerorientierter, dynamischer, kommunikativer, gleichwohl aber seriös sollte eine Kampagne ausfallen.52 In diesem Sinne begann die CDU Anfang Juli 1999 mit einer internen Mobilisierung, bei welcher der Generalsekretär in Form einer „Postkarten-Sommeraktion“ von den Mitgliedern Unterstützung einforderte. Den am 10. Juli 1999 in Riesa abgehaltenen „Wahlkampferöffnungsparteitag“ inszenierte Flath als mediengerechte Show, mit moderner Technik und einer visuellen Präsentation des CDU-Wahlprogramms.53 „Bilder statt Worte“ war die Devise, eine „bildhafte Kommunikation“ die Methode und „visuelle Spuren“ zu hinterlassen das Ziel.54 Angesichts der positiven Umfragewerte für Partei und Kandidaten startete am 28. August 1999 die eigentliche Wahlkampagne als „lockerer Sommerwahlkampf“. Die Landtagswahl bot der CDU die Chance, in Sachsen mittelfristig eine christdemokratische Tradition nach bayerischem Muster zu konstituieren. Biedenkopfs nach der Wahl geäußertes Credo „Einmal ist Zufall, zweimal ist Statistik, dreimal ist Tradition“55 war auch davor schon handlungsleitend. Der Ausgang der Bundestagswahl dämpfte zunächst derlei Annahmen. Die Parteiführung begründete die Verluste mit einem hohen Anteil an „Sympathie- und Erwartungswählern“, die zur Bundestagswahl 1994 von den positiven Nachwirkungen der Landtagswahl geprägt gewesen seien und nun der Partei den Rücken zugekehrt 48
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Der veröffentlichte Etat für Landtagswahlwerbung von 1,5 Millionen DM spiegelte nur einen Teil der Ausgaben wider. Von den 4.535.830 DM für alle Wahlkämpfe 1999 entfielen 1.720.409 DM direkt auf die Landesgeschäftsstelle. Wie bereits 1994 finanzierten die Direktkandidaten große Teile ihrer Wahlkampagnen selbst. Jeder Kandidat erwarb für 4.933 DM ein „Kandidatenpaket“. Anstatt die Kosten direkt zu tragen, spendeten viele Kandidaten ihrem Kreisverband die Summe. Die Partei konnte so für Zuwendungen staatliche Zuschüsse beanspruchen, der Kandidat Teile seiner Kosten als Spende steuerlich geltend machen. Vgl. Sven Siebert: Sachsens Parteien machen Millionen im Wahlkampf locker, in: LVZ vom 8. April 1999; Gunnar Saft: Gewerkschaft hilft SPD und Vater Staat der CDU, in: SZ vom 26. August 1999; CDU. Rechenschaftsbericht 1998, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/2508 vom 14. Januar 2000, S. 48-60; CDU. Rechenschaftsbericht 1999, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/5050 vom 15. Dezember 2000, S. 50-62. Vgl. Ergebnisse eines Workshops der Strategiegruppe Wahlen am 30. März 1999 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Brief von Erhard Weimann an die Mitglieder der CDU-Landtagsfraktion vom 9. Juli 1999 (Archiv Matthias Rößler). Vgl. öse: Sachsen-CDU hat von der SPD gelernt, in: Leipziger Morgenpost vom 8. Juli 1999. Vgl. EMNID-Präsentation: Wahlkampfstrategie Sachsen vom 28. April 1999 (Archiv Matthias Rößler), S. 1. Vgl. Steffen Klameth: Das Beste, aber bitte bescheiden, in: SZ vom 12. Juli 1999. Vgl. EMNID-Präsentation: Wahlkampfstrategie Sachsen vom 28. April 1999, S. 16. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 13. Landesparteitag der CDU Sachsen am 6. November 1999 in Döbeln, S. 2 (Archiv des CDU-LV Sachsen).
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hätten. Die CDU, so Hähle, habe daher keinen Grund, „das Wahlergebnis als Ablehnung der Landespolitik oder der Führungspersönlichkeiten im Lande zu verstehen“.56 Die Umfragewerte waren mit 43 Prozent zu Beginn des Jahres 1999 günstig. 57 Man stand besser da als ein Jahr vor der Wahl 1994 (39 Prozent). Der Umstand, dass Grüne und Liberale den Sprung in den Landtag nicht schaffen würden, brachte die CDU ihrem primären Ziel, dem Erhalt der absoluten Mehrheit, näher – auch wenn sie den von der Opposition negativ besetzten Begriff mied und von einer „klaren Mehrheit“ sprach.58 In dem Maße, in welchem sich die Umfragen zu ihren Gunsten entwickelten (53 Prozent im Juli 1999), zeigte sich die Partei optimistisch. Nach der verlorenen Bundestagswahl hielt Hähle mehr „Behutsamkeit im Umgang mit den Empfindungen der Menschen“ sowie mehr „Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme“59 für angebracht. Intensiver als zuvor warb die CDU um das Vertrauen der Bürger. Biedenkopf verdeutlichte der Partei unablässig, nicht Dankbarkeit für das Geleistete, sondern Vertrauen in die Fähigkeit, die zukünftigen Aufgaben zu lösen, entscheide die Wahl.60 Die Botschaft lautete: Die Sachsen haben seit 1990 gute Arbeit geleistet, unterstützt durch eine mit klaren Mehrheiten ausgestattete CDU-Regierung. Eine abermalige CDU-Mehrheit garantiert die Fortsetzung dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit und gewährt politische Stabilität. Während Steffen Flath betonte, die „günstigen Verhältnisse“ in Sachsen seien das Ergebnis der „klaren Mehrheitsverhältnisse im Landtag“,61 versicherte Biedenkopf, man wolle diese Mehrheiten nicht für sich, sondern allein für das Land Sachsen gewinnen. Die Menschen müssten wissen, wer verantwortlich ist, wen sie in Anspruch nehmen und wem sie ihr Vertrauen schenken können.62 Zudem, so Biedenkopf, verleihe nur eine klare Wahlentscheidung der Staatsregierung auch zukünftig die Möglichkeit zu einer freien und wirksamen bundespolitischen Einflussnahme über den Bundesrat.63 Strategisches Herzstück der Kampagne war mehr denn je der Amtsinhaber. Mit einem Amtsinhaberwahlkampf war sich die CDU ihres Erfolgs am sichersten, hier bestanden die geringsten Fehlerwahrscheinlichkeiten, hier war das Vertrauen der Wähler am größten. Zudem sah die Partei nach der Bundestagswahl in Biedenkopfs Kandidatur die einzige Möglichkeit für eine erneute absolute Mehrheit. Schließlich war zum Zeitpunkt der Wahlkampfplanung nicht zu ahnen, dass sich das Kabinett Schröder derart früh verschleißen würde.64 Biedenkopfs Zustimmungswerte lagen deutlich über denen von Partei oder Regierung. Er war der von den Beratern geforderte anchorman, der das angestrebte Parteiimage verkörperte, wichtige Themen kommunizierte und emotionale Nähe zu den Wählern garan-
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Fritz Hähle: Zur Analyse der Bundestagswahl 1998 in Sachsen, S. 1 f., 4, 8. Vgl. Pressemitteilung der Sächsischen Staatsregierung: Winter-Politbarometer vom 12. Januar 1999, S. 5. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag der CDU Sachsen am 10. Juli 1999 in Leipzig, S. 19 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Fritz Hähle: Zur Analyse der Bundestagswahl 1998 in Sachsen, S. 8 f. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 11. Landesparteitag der CDU Sachsen am 12. Dezember 1998 in Riesa (Archiv des CDU-LV Sachsen). ACDP 03-053-BBB Steffen Flath in: Forum der Sächsischen Union. Sonderausgabe vom 15. August 1999, S. 4. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag, S. 18. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf einer Wahlkampfveranstaltung in Zittau am 17. September 1999 (Archiv Wolfgang Luutz). Vgl. Interview mit Steffen Flath am 21. Dezember 2005.
6.2 Wahlkampf der CDU – Neukrönung der Regierungspartei
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tierte.65 Wie schon 1994 lautete seine Botschaft: „Geben sie der CDU in Sachsen ihr Vertrauen, und damit auch mir persönlich.“66 Da mit Wahlkampfbeginn alle Umfragen den Christdemokraten eine erneute absolute Mehrheit prognostizierten, der Spitzenkandidat ungebrochen Popularität genoss und die Kampagne weit im Voraus ausgearbeitet worden war,67 ging es im Wahlkampfverlauf primär darum, Fehler und Gefahren zu minimieren sowie müde und verdrossene Wähler zu mobilisieren. Nach den Europa- und Kommunalwahlen hatte die CDU ferner mit einer Mixtur aus Immobilität, Zufriedenheit und Gelassenheit in ihren eigenen Reihen zu kämpfen. Hähle und Biedenkopf appellierten, man dürfe sich keinesfalls selbstsicher zurücklehnen und auf die Zugkraft des Spitzenkandidaten bauen, sondern müsse kämpfen und die Zeit nutzen, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen.68 Ansonsten vermied die CDU unnötige Risiken, forcierte allein berechen- und beherrschbare Kampagnenteile und blendete ihre politische Konkurrenz weitgehend aus. Hähle betonte von Anfang an: „Wir müssen für uns kämpfen, nicht so sehr gegen andere.“69 Vor allem Auseinandersetzungen auf Augenhöhe, speziell explizite Vergleiche vermied die Partei. Ähnlich verfuhr sie mit bundespolitischen Fragen. Ihre hohe landespolitische Überlegenheit ermöglichte es ihr, diese nach Belieben ein- oder auszublenden. Zwar boten die schlechten Umfragewerte der rot-grünen Bundesregierung die Chance auf eine einfache Profilierung, die eigene Positivbilanz aber stand im Vordergrund. Die CDU verfolgte eine risikominimierte Amtsinhaberkampagne, verzichtete weitgehend auf polarisierende Elemente. Es galt, souverän, nicht arrogant aufzutreten, harmonisch und positiv zu bilanzieren und prospektiv zu argumentieren. Die Erfahrungen des Jahres 1998 wirkten katalytisch auf die Landtagswahlkampagne. Zudem hatte die Strategieberatung fünf „Hoheiten“ genannt, welche es im Wahlkampf zu erreichen galt: die Strategie-, die Themen-, die Image-, die Aktivitäts- sowie die Kommunikationshoheit.70 Die CDU setzte davon im Rahmen ihrer Souveränitätsstrategie Wesentliches um.
6.2.3 Imagekampagne Die „Sächsische Union“ hob vollends auf ihre Rolle der kompetenten Regierungspartei ab. Sie erhielt unmittelbar vor der Wahl die beste Bewertung aller Parteien, verbunden mit einer hohen Zufriedenheit mit der Arbeit des Ministerpräsidenten und markanten Kompetenzzuschreibungen an die Staatsregierung.71 In einem wahlkreisbezogenen Kabinettswahlkampf nutzte die CDU dies aus. Finanzminister Georg Milbradt, mit rund 120 Wahlauftritten der aktivste Minister, eröffnete an der Seite der jeweiligen Direktkandidaten u. a. neugebaute Laborgebäude an der Universität Leipzig oder weihte das sanierte Schloss Lichtenwalde ein. Exemplarisch überreichte der Wirtschaftsminister Zertifizierungen an Unternehmen, übergab der Innenminister der Freiwilligen Feuerwehr von Böhlitz-Ehrenberg ein 65 66 67 68
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Vgl. EMNID-Präsentation: Wahlkampfstrategie Sachsen vom 28. April 1999, S. 12. Rede von Kurt Biedenkopf auf einer Wahlkampfveranstaltung in Zittau am 17. September 1999. Vgl. Interview mit Steffen Flath am 21. Dezember 2005. Vgl. Eröffnungsrede des CDU-Landesvorsitzenden Fritz Hähle zum 12. Landesparteitag am 10. Juli 1999 in Leipzig, S. 11 (Archiv des CDU-LV Sachsen); Interview mit Kurt Biedenkopf in: Gunnar Saft u. a.: Regierungen schaffen keine Arbeitsplätze, in: SZ vom 6. Juli 1999. Fritz Hähle zitiert in: SZ: Hähle steht als Nachfolger Biedenkopfs bereit, in: SZ vom 23. Dezember 1998. Vgl. EMNID-Präsentation: Wahlkampfstrategie Sachsen vom 28. April 1999, S. 7. Vgl. Infratest dimap (1999c), S. 9.
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neues Tanklöschfahrzeug. Kultusminister Matthias Rößler besuchte als Verantwortlicher für Sport und Vereinswesen im gesamten Freistaat Sportvereine, legte Grundsteine für Sportstätten und betonte, bei der Förderung für den Breitensport werde nicht gekürzt.72 Mehr denn je forcierte die CDU eine eigenständige sächsische Identität. Biedenkopf hatte bereits Ende 1998 darauf verwiesen, dass der Terminus Ostdeutschland regionale Entwicklungen und Spezifika einebne. Sachsen habe seine eigene Identität und wolle nicht in einer „amorphen Ost-Identität untergehen“.73 „Die Sachsen wollen nicht Ostdeutsche sein, die Sachsen wollen Sachsen sein.“74 Auf dieser Basis verband der Amtsinhaber Handeln und Bewusstsein der sächsischen Bürger mit dem Handeln der Regierung, seinem Image und dem seiner Partei. Während er intern das Verdienst der „Sächsischen Union“ für die Entwicklung und das Ansehen des Freistaates betonte,75 stellte er an die Wähler gerichtet deren Handeln in den Vordergrund. „Die Sachsen haben ihr Land wieder aufgebaut, die Sachsen haben den Mut gehabt, die Schwierigkeiten zu überwinden, die Sachsen […] hatten den Mut und das Stehvermögen, unglaublich schwierige Umbruchssituationen zu bewältigen“.76 Sprach Biedenkopf von „unserer Leistung“, meinte er primär die der Bevölkerung.77 Im Wahlwerbespot verkündete er: „Unser Land hat eine gute Zukunft. Seine Menschen sind fähig und entschlossen, ihre Chancen zu nutzen. Sie haben den wachsenden Wohlstand selbst erarbeitet.“ Und der erste Satz des Regierungsprogramms lautete: „Wir Sachsen können auf das bisher Erreichte stolz sein.“ In ihrer Außendarstellung präsentierte sich die CDU als die sächsische Partei, die am besten und ohne Abstriche sächsische Interessen vertrete. Die Landesfarben bildeten ihr „Corporate Design“. Ein Großplakat zeigte den Landesvater vor dem Hintergrund einer Elblandschaft, am unteren Rand die sächsische Fahne, davor der Hauptslogan „Das Beste für Sachsen: CDU“. Mit ihrem Kurzslogan „Sachsen wählen“ untermauerte die CDU ihren umfassenden Anspruch. „Wir meinen damit, Sachsen wählen natürlich nicht irgendetwas, Sachsen wählen mehrheitlich die Sächsische Union“. Zur „Sachsenwahl“ die „Sächsische Union“ wählen, diese Botschaft dominierte.78 Beides verdeutlichte: Es gibt zur CDU keine sinnvolle Alternative. Hähle unterstrich, die CDU sei die einzige politische Kraft, „die in Sachsen in der Lage ist, eine eigenständige Mehrheit zu erringen, und mit dieser Mehrheit zum Wohle des gesamten Landes Entscheidungen zu treffen“. Ohne die Konkurrenten zu erwähnen, negierte er deren Kompetenz. Sie wöllten die CDU-Mehrheit brechen, könnten aber „den Beweis nicht erbringen, dass es irgendwo in Deutschland gelungen ist, mit einer 72
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78
Vgl. Terminplan für die Landtagswahl Sachsen vom 24. August 1999 (Archiv des CDU-LV Sachsen); fth: Eine dreiviertel Million Mark für den Sportstättenbau, in: SZ vom 6. September 1999. Zudem nutzte Rößler seinen Amtsbonus und sorgte im Heimatwahlkreis mit Auftritten von Edmund Stoiber, Roland Koch und Christian Wulff für hochkarätig besetzte Wahlveranstaltungen. Vgl. Interview mit Matthias Rößler am 18. Januar 2006. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 11. Landesparteitag. Interview mit Kurt Biedenkopf in: Gunnar Saft u. a.: Eine Kandidatur aus Sorge, in: SZ vom 16. Dezember 1998. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag, S. 2. Rede von Kurt Biedenkopf auf einer Wahlkampfveranstaltung in Zittau am 17. September 1999. Vgl. Jens Schneider: Ein Lächeln geht durch das Land, in: Süddeutsche Zeitung vom 16. September 1999. Von sich Reden machte die Anfang September in überregionalen Tageszeitungen gestartete und von sächsischen Unternehmen finanzierte Anzeigenkampagne „Sachsen für Sachsen“, die deutschlandweit Investoren anziehen sollte. Wegen des Veröffentlichungstermins und des Anliegens der Kampagne, das Image des Freistaates aufzubessern, wurde diese von Kritikern eng mit Staatskanzlei und CDU in Verbindung gebracht. Vgl. Steffen Klameth: Berühmt-berüchtigt, in: SZ vom 13. September 1999. Vgl. Eröffnungsrede des CDU-Landesvorsitzenden Fritz Hähle zum 12. Landesparteitag, S. 3-5.
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wackligen Koalition oder einem Bündnis einer geduldeten Minderheitsregierung eine bessere Politik zu machen als mit einer stabilen Mehrheit der Union“.79 Die CDU demonstrierte den Wählern die Alternativlosigkeit ihrer bisherigen Entscheidung. „Wir haben die Aufgaben, wir wissen, dass sie gelöst werden müssen, wir wissen, dass wir sie anpacken müssen, wir tun es auf einer tragfähigen Grundlage.“80 Diese sei auch in Zukunft ein klarer Wählerauftrag. Im Zentrum der Kampagne stand der Amtsinhaber. Die CDU sollte eng mit dem Vertrauen, welches die Bevölkerung dem Ministerpräsidenten entgegenbrachte, verbunden werden.81 89 Prozent der Sachsen sowie 88 Prozent der SPD- und 82 Prozent der PDSAnhänger beurteilten seine Leistung als eher gut – eine einmalige Popularität. Sein Sympathie- und Kompetenzvorsprung gegenüber Kunckel war riesig. Der SPD-Spitzenkandidat konnte auf nicht einem Feld annähernd zu Biedenkopf aufschließen. Für den Fall einer Direktwahl des Ministerpräsidenten ließen zwischen 71 und 81 Prozent der Sachsen eine Präferenz für Biedenkopf erkennen, Kunckel lag hier bei nur sechs Prozent. 82 Um Misstöne über sein Alter (69 Jahre) und Spekulationen über ein vorzeitiges Ende seiner Amtszeit zu vermeiden, verkündete Biedenkopf im Wahlkampf, er werde im Jahr 2004 mit „großer Sicherheit, nicht wieder kandidieren“,83 wolle aber bis dahin amtieren. Es gehe, so Biedenkopf, nun darum, „was in den nächsten fünf Jahren in Sachsen passiert. Und dafür möchte ich gern weiterarbeiten: als Ministerpräsident und Anwalt Sachsens.“84 Er verband dies erneut mit einer klaren Option. „Ich verspreche Ihnen, wenn eine Mehrheit der Sachsen es will, werde ich mit aller Kraft, mit all meinem Wissen und Können weiter gerne diesem Land dienen. Denn es liegt mir am Herzen!“85 So positioniert startete er am 22. August in einen ruhigen Wahlkampf. Seine etwa 55 Auftritte glichen zuweilen einem „Triumphzug durch die sächsischen Lande“.86 Biedenkopf verkörperte eine Mischung aus Staatsmann und bürgernahem Landesvater, der optimistisch von der Schönheit und der Stärke Sachsens sprach, die Aufbauarbeit der Menschen emporhob und die Politik seiner Regierung pries.87 Während er eine übermäßige Inszenierung vermied, dominierte die von den Medien verbreitete Wendung „König Kurt“ die Öffentlichkeit. Die Regionalzeitungen beförderten das Bild eines Landesvaters, der nicht um Stimmen kämpft, sondern Land und Leute konsultiert. Biedenkopfs Dominanz und seine Distanz zu den anderen Spitzenkandidaten verliehen ihm eine Art „vormoderne Autorität“.88 Unterstützt durch eine Wahlkampfmannschaft, besuchte der Spitzenkandidat, wie bereits 1994 per Hubschrauber, Sommer- und Erntedankfeste, eröffnete u. a. den „Tag der Sachsen“, weihte Altenpflegeheime ein, eröffnete Berufsschulzentren ebenso wie neue Un-
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Ebd., S. 2. Rede von Kurt Biedenkopf auf einer Wahlkampfveranstaltung in Zittau am 17. September 1999. Vgl. Grobkonzept des CDU-Landtagswahlkampfes 1999 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Infratest dimap (1999a), S. 10; Infratest dimap (1999c), S. 13; Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1999): Wahl in Sachsen. Eine Analyse der Landtagswahl vom 19. September 1999, Mannheim, S. 37-41. Interview mit Kurt Biedenkopf in: Hartwig Hochstein u. a.: „Noch fünf Jahre der Anwalt Sachsens“, in: LVZ vom 27. August 1999. Ebd. Rede von Kurt Biedenkopf auf einer Wahlkampfveranstaltung in Zittau am 17. September 1999. Sven Siebert: Biedenkopf ernährt sich vom Beifall der Sachsen, in: LVZ vom 15. September 1999. Vgl. ders.: Applaus und ein Küsschen von Ingrid, in: LVZ vom 30. August 1999; Jens Schneider: Ein Lächeln geht durch das Land, in: SZ vom 16. September 1999. Vgl. Jan Ross: Schröders Lehrmeister, in: Die Zeit vom 16. September 1999.
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ternehmen, führte Bürgergespräche und hielt Marktplatzreden.89 Seine Wahlkreisbesuche fügten sich in die von den jeweiligen Kandidaten konzipierten Veranstaltungen ein. So startete etwa der Chemnitzer Direktkandidat Wolf-Dieter Beyer am 2. Juli 1999 zusammen mit Wirtschaftsminister Schommer eine „Lehrstellen-Radtour“. Die so „eingeworbenen“ 70 Ausbildungsplätze boten dann den Rahmen für Biedenkopfs Wahlkreisauftritt.90 Die zentrale Kampagne präsentierte den Amtsinhaber als modern, richtungsweisend, kompetent, weltgewandt, bürgernah, familienverbunden, sächsisch. Er sei ein Mann der „klugen und fundierten Entscheidungen“ mit Erfahrungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, der über Partei- und Landesgrenzen hinweg nach Wegen suche, gesellschaftliche Defizite zu überwinden.91 Biedenkopf blieb sich seiner Linie der vergangenen Jahre treu. Er erörterte im Wahlkampf als „Anwalt der Sachsen“ auf allen politischen Ebenen Steuer-, Renten- oder Finanzfragen. Schließlich gehe es, so seine Ansicht, um „die Verantwortung für die Zukunft unseres Landes und damit auch [um] ein Stück Mitverantwortung für die Zukunft Deutschlands und Europas“.92 Er signalisierte, die Politik der CDU sei deshalb erfolgreich, weil seine Regierung ständig die übergeordneten Ebenen beeinflusse und im Bundesrat über eine klare Stimme verfüge. Regierungspolitik unter seiner Führung, so die Wahlkampagne, stehe für eine zukunftssichere Entwicklung. Speziell seine Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik mache Biedenkopf zu einem „Garant[en] für politische und wirtschaftliche Stabilität“.93
6.2.4 Themenkampagne Ausgangspunkt des CDU-Themenwahlkampfes war die Feststellung, die 1994 angebotenen Ziele seien „angenommen und erreicht“ worden. Der „entscheidende Abschnitt des Neubeginns und Wiederaufbaus“ sei geschafft, gleichwohl längst nicht abgeschlossen.94 Basierend auf den nach wie vor gültigen Grundsätzen der Partei von 1993 und angelehnt an das 1996 vorgestellte „Zukunftsprogramm der Sächsischen Union“, begann der Landesvorstand 1997 mit der Arbeit am Wahlprogramm. Fachausschüsse und Fraktionsarbeitskreise erstellten zunächst Einzelentwürfe, die nach Diskussion in den Kreisverbänden und Überarbeitung durch Parteitag und Vorstand auf dem 12. Landesparteitag als „Arbeitsprogramm 2004“ beschlossen wurden.95 Neben der ausführlichen, wenig beachteten Textversion hatte Flath ein bebildertes Kurzprogramm entwickelt, das die christdemokratische Erfolgsbilanz pointierte und präsentierte.96 Die Partei bilanzierte positiv und selbstbewusst: „So wie Bayern und Baden-Württemberg vorn sind im Vergleich der alten Länder, so liegt Sachsen vorn im Vergleich der neuen 89 90
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Vgl. Terminplan für die Landtagswahl Sachsen vom 24. August 1999 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Der Tempomacher. Wahlzeitung des sächsischen Landtagsabgeordneten der CDU Wolf-Dieter Beyer zur Sachsenwahl 1999 (Archiv Wolf-Dieter Beyer), S. 3 f. Vgl. Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU zur Landtagswahl 1999. Kurt Biedenkopf. Eine ausführliche Analyse dieser Wahlkampfbroschüre bietet Luutz (2002), S. 91-95. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag, S. 4. Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU zur Landtagswahl 1999. Kurt Biedenkopf. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 2. Vgl. Bericht der CDU-Landesgeschäftsstelle für die Zeit vom Oktober 1997 bis Oktober 1999 vorgelegt auf dem 13. Landesparteitag am 6. November 1999 in Döbeln (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Niederschrift der Ergebnisse des 12. Landesparteitags der CDU Sachsen am 10. Juli 1999 in Leipzig (Archiv des CDU-LV Sachsen); Interview mit Steffen Flath am 21. Dezember 2005.
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Länder.“97 Sachsen sei „lebenswerter“ geworden. Die große Mehrheit der Bürger sei stolz auf ihr Land, Dörfer und Städte seien schöner, die Umwelt sauberer, Häuser und Straßen habe man erneuert, die Wohnverhältnisse verbessert. Das Vereinsleben blühe wieder auf, die Polizei sorge für Sicherheit, die Justiz sei modernisiert worden, die Struktur der Kindergärten vorbildlich.98 Unerwünschte Themen (Arbeitslosigkeit, nachlassendes Wachstum, Kommunalabgaben) blendete die Kampagne aus oder zeichnete sie positiv.99 Das Kurzprogramm schrieb eine zehnjährige soziale, ökonomische und ökologische Erfolgsgeschichte. Es verglich den Freistaat „in wesentlichen Bereichen“ mit anderen Ländern. Man habe bundesweit die geringste Sozialhilfeempfängerquote, die zweitniedrigste Staatsverschuldung und den geringsten Anteil an Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Osten.100 Als zentraler Kommunikator der prospektiven Themenkampagne filterte Biedenkopf für die dritte Legislaturperiode fünf Schwerpunkte heraus: Erstens müsse die Wirtschaft weiter ausgebaut werden, was mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit bedeute. Zweitens sei es wichtig für den auslaufenden Solidarpakt eine Folgeregelung zu finden, um dauerhaft die „gesamtdeutsche Solidarität“ zu sichern. Drittens hob Biedenkopf die „Mitwirkung des Freistaates bei der Lösung der Reformausgaben auf der Ebene des Bundes“ hervor und betonte, die Staatsregierung wolle die „Phase des Durcheinanders“ beenden helfen. Viertens gelte es, den Freistaat auf die Notwendigkeiten der Wissensgesellschaft vorzubereiten. Fünftens sei die Leistung der öffentlichen Verwaltung zu steigern. 101 Dominierende Issues im CDU-Wahlkampf waren Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, gefolgt von innerer und sozialer Sicherheit sowie Bildung. Die wirtschaftspolitische Situationsanalyse fiel durchweg positiv aus. Die sächsische Wirtschaft sei die „Langstrecken-Lokomotive in Ostdeutschland“, in deren Tender sich eine im ostdeutschen Vergleich überdurchschnittliche Erwerbstätigkeit, Export- und Selbstständigenquote und ein stetiges Wachstum des industriellen Sektors befänden.102 Der Kurs der Staatsregierung, hochproduktive, wettbewerbsfähige Wachstumsbranchen durch Zuschüsse in Milliardenhöhe zu fördern, habe seit 1990 280.000 Arbeitsplätze erhalten und 178.000 neu geschaffen. Sachsen, so die CDU, sei deshalb „Wirtschaftsstandort Nummer 1“ und „die Region in Deutschland mit dem mittelfristig höchsten Wachstumspotenzial“.103 Bilanzielle Makel, wie das niedrige Wachstum oder die hohe Arbeitslosigkeit, relativierte die Partei. Obwohl noch keineswegs am Ziel angelangt, sei die CDU-Regierung beschäftigungspolitisch erfolgreich gewesen. Sachsen habe unter den deutschen Flächenländern eine der höchsten Erwerbstätigenquoten (414 pro 1.000 Einwohner) und die höchste Arbeitsplatzdichte im Osten, trotz geringerer Beschäftigung im öffentlichen Dienst und kleinem zweiten Arbeitsmarkt. Es handele sich um nachhaltige Beschäftigung.104 Den Wachstums97 98 99 100 101
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Eröffnungsrede des CDU-Landesvorsitzenden Fritz Hähle zum 12. Landesparteitag, S. 9. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag, S. 5 f. Vgl. Ergebnisse Workshop der Strategiegruppe Wahlen am 30. März 1999 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. CDU-Wahlkampfbroschüre zur Landtagswahl 1999. Kurz und Knapp. Sachsenwahl ’99. Vgl. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, in: Plenarprotokoll 2/105 des Sächsischen Landtages, S. 7712-7722, hier S. 7721; Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag, S. 19; Rede von Kurt Biedenkopf auf einer Wahlkampfveranstaltung in Zittau am 17. September 1999. Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf in: Hubert Kemper: „Die Menschen wählen die Aufgabe“, in: FP vom 18. August 1999. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 4 f., 72 f. Vgl. Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag, S. 6; Interview mit Kurt Biedenkopf, in: SZ vom 6. Juli 1999.
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einbruch verwischte die CDU, indem sie betonte, die sächsische Wirtschaft sei von 1991 bis 1998 real um durchschnittlich 5,6 Prozent pro Jahr gewachsen. Momentan befinde man sich in der Situation, dass die Industrie Rekordzuwächse erreiche, diese aber den Beschäftigungsrückgang in der Bauwirtschaft nicht kompensieren könnten.105 Die Partei war sicher, den ökonomischen Systemumbau „von einer zentralen Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft im Wesentlichen bewältigt“ zu haben. Dennoch bewege sich die Wirtschaft in einer unverändert „schwierigen Übergangsphase“,106 die eine „klare, ordnungspolitisch ausgerichtete und damit vorhersehbare, verlässliche und auf dauerhaften Entscheidungen beruhende Politik für Wirtschaft und Arbeit“107 erfordere. In ihrem Bestreben, institutionalisierte Hemmnisse abzubauen, mehr Standortwettbewerb zu garantieren und unternehmerisches Handeln anzuregen, vertraute die CDU zum einen auf die Leistungskraft einer freien Gesellschaft, in der die Bürger ihr Handeln weitgehend eigenverantwortlich gestalten.108 Die Christdemokraten verliehen dem Grundwert der Freiheit Priorität. „Gerechtigkeit und Solidarität verkommen zur Gleichmacherei und lähmen die innovativen Kräfte, wenn sie nicht auf Freiheit beruhen und die Freiheit zur Grundlage haben.“109 Zum anderen plädierte sie für einen integrativen Ordnungsansatz, mit einer Vernetzung von Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftsförderung, Technologiepolitik und Infrastrukturentwicklung.110 In diesem Kontext betonte besonders Biedenkopf die „Grenzen“ der Landespolitik. Die hohe Erwerbslosigkeit könne „im gegebenen System der Arbeitsmarktund Sozialpolitik“ und ohne bundespolitische Ordnungsreformen nicht überwunden werden.111 Ferner seien das Steuersystem sowie der horizontale und vertikale Finanzausgleich zu reformieren, mit mehr Kompetenzen für die Länder.112 Im Wahljahr zielte die CDU auf eine weiter zu verbessernde Lebensqualität in Sachsen, in Form von mehr Arbeitsplätzen und Wohlstand. Ihre in den Anfangsjahren überzogenen Erwartungen an eine schnelle Anpassung der sächsischen Wirtschaft an westdeutsche Standards hatte sie im Laufe der zweiten Legislaturperiode dämpfen müssen. Optimistisch gerechnet, so die Partei, werde es noch mindestens 20 Jahre dauern, bis Sachsen den Stand der ärmsten westdeutschen Flächenländer erreicht habe.113 Daher blieben die „Schaffung zusätzlicher Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt“ und die vorausgehende Politik für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung ihre Hauptziele. Dazu müsse Sachsen als stabiler Investitionsstandort attraktiv bleiben und zum Produktionsstandort für global konkurrenzfähige Produkte werden.114 Die wahlkampfwirksamen wirtschaftspolitischen Betätigungen der Regierung verlagerten sich 1999 auf die lokale Ebene. So verzichtete die CDU etwa auf das Angebot des Chipherstellers AMD, die Eröffnung seines Dresdner Werks in den Wahlkampf vorzuver105
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Vgl. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf am 24. Juni 1999, S. 7718; Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 4 f. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: FP vom 18. August 1999. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf am 24. Juni 1999, S. 7713-7715. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 2. Eröffnungsrede des CDU-Landesvorsitzenden Fritz Hähle zum 12. Landesparteitag, S. 6. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 9. Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf in: Stefan Rössel: Harte Konkurrenz, in: Dresdner Morgenpost vom 31. August 1999; Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf am 24. Juni 1999, S. 7717. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 10. Vgl. Interview mit Georg Milbradt in: „Realismus statt Träumerei“, in: Der Spiegel (1997) H. 22, S. 44; Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU zur Landtagswahl 1999. Kurt Biedenkopf. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 2, 8-11.
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legen.115 Nicht nur beugte sie so Stimmen vor, man handele wahlkampfbedingt, auch hatte sie derlei Unterstützung 1999 nicht nötig. Die Meldung, Porsche plane eine Milliardeninvestition in Leipzig, war indes willkommen und wurde von Schommer als Bestätigung seiner Standortpolitik interpretiert.116 Die sächsischen Christdemokraten kümmerten sich diesmal stärker um den mittelständischen Bereich. Gezielte Ministerbesuche in den Wahlkreisen, verbunden mit Unternehmensbesichtigungen, Grundsteinlegungen oder Betriebsteileinweihungen, brachten den Direktkandidaten regionale Medienöffentlichkeit. Kern der wirtschaftspolitischen Programmatik waren der strukturelle Aufbau der Regionen und eine gezielte Mittelstandspolitik. Die CDU ging davon aus, dass die Großstädte nun auf eigenen Beinen stünden, was Energien für die Regionen freisetze, „die zu weit weg liegen von den urbanen Zentren des Landes, um in deren Sog zu kommen“.117 Zwar betonte sie, die „Kristallisationskeime der regionalen Wirtschaftsstruktur“, also die industriellen Zentren, seien weiter auszubauen. Gleichwohl könne man nun mehr Mittel in die Regionen verlagern.118 Bereits jetzt bekämen strukturschwache Regionen Höchstfördersätze, würde der dortige Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur vorangetrieben. In Kombination mit einer verfolgten einzelbetrieblichen Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe und der Europäischen Strukturfonds sollten fortan regionale „Leuchttürme“ etabliert werden.119 Den Mittelstand bezeichnete die CDU als das „Rückgrat der sächsischen Wirtschaft und [den] Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs“. Er binde die meisten Arbeitsplätze und genieße deshalb Vorrang. Investitionen und Existenzgründungen, besonders Gründungsinitiativen durch Frauen, müssten durch staatliche Finanzhilfen auf hohem Niveau gehalten werden. Zudem gelte es, die mittelständischen Rahmenbedingungen (Bereitstellung von Risikokapital, Innovationsförderung, Ausbau der Infrastruktur) zu verbessern. Auch würde eine erweiterte Mitarbeiterbeteiligung das Arbeitsklima und die Unternehmenskommunikation verbessern und die Eigenkapitalbasis der Unternehmen stärken.120 Wie in den Wahlkämpfen zuvor vertraten die Christdemokraten die Devise: „Die beste Arbeitsmarktpolitik ist eine gute Wirtschaftspolitik.“121 Biedenkopf ging von 400.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen aus, um eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent zu erreichen. Die Staatsregierung wolle dies selbstverständlich anstreben. „Aber Regierungen schaffen keine Arbeitsplätze!“122 Das Problem Arbeitslosigkeit könne nur „mit der Ausschöpfung des gesamten Leistungspotenzials der Gesellschaft“ gelöst werden.123 Hier müsse man, so Biedenkopf, neue Wege beschreiten, Arbeitslosigkeit differenzieren und unterschiedliche Reaktionsmodelle entwickeln.124 Friktionell bzw. kurzfristig Arbeitslose seien Ausdruck einer „erhöhten Mobilität auf dem Arbeitsmarkt“ sowie einer sich „schnell verändernden Wirtschaftsstruktur“. Derlei Arbeitslosigkeit stelle kein sozialpolitisches Problem dar, da die Betroffenen über Ersatzeinkommen verfügten. Der Staat dürfe hier nicht in die Flexibilität der Wirtschaft eingreifen, sondern müsse vielmehr dafür sorgen, dass die Betroffenen 115 116 117 118
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Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Vgl. Christoph Ulrich/Mandy Fischer: Porsche investiert in Sachsen, in: FP vom 18./19. September 1999. Rede von Kurt Biedenkopf auf einer Wahlkampfveranstaltung in Zittau am 17. September 1999. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 10 f.; Interview mit Kurt Biedenkopf, in: Dresdner Morgenpost vom 31. August 1999. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 10 f., 57-61. Vgl. ebd., S. 7-9. Ebd., S. 8. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: SZ vom 6. Juli 1999. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 10. Vgl. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf am 24. Juni 1999, S. 7712-7714.
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sich auf die Modifikationen einstellen.125 Bei Arbeitslosen, die bis zu einem Jahr ohne Anstellung sind, sei es zentrale Aufgabe der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Politik neue Arbeitsplätze zu schaffen. Hier liege für die Staatsregierung das „Hauptgewicht der gesamten Arbeitsmarktpolitik im Sinne von Wirtschaftspolitik“. Leider mangele es der Landesebene hier an entscheidenden ordnungspolitischen Kompetenzen. Verbesserungen seien nur durch eine Beteiligung an den Reformprojekten im Bund erreichbar. In Sachsen könne man allein im Rahmen der Landesverwaltung „Hemmnisse abbauen“, Strukturen effizienter und effektiver gestalten sowie Investoren gewinnen und unternehmerisches Handeln anregen. Die eingerichtete Arbeitsförderungs-, Beschäftigungs- und Strukturentwicklungsgesellschaft, die auf Bedarf hin qualifiziere, müsse ebenso fortgeführt werden wie zielorientierte Einzelmaßnahmen.126 Die verbleibende Gruppe der Langzeitarbeitslosen galt der CDU als kaum in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar. Diese Menschen bräuchten auf ihrem Weg zurück ins Berufsleben staatliche Hilfe. Gemeinsam mit den Kommunen forciere die Staatsregierung deshalb die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.127 Nach der Devise „Arbeit statt Sozialhilfe“ solle jedem, der arbeiten wolle, auf kommunaler Ebene eine sinnvolle Tätigkeit gewährt werden. Man müsse Möglichkeiten finden, wie sich ein Sozialhilfeempfänger mit gemeinnütziger Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen kann.128
6.2.5 Konkurrenzkampagne Ende 1998 äußerte Fritz Hähle klar: „Wir denken nicht über mögliche Koalitionen nach, wir werden wieder die Mehrheit erringen!“129 Vor dem Hintergrund konnte und sollte es im Wahlkampf keine Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern, geschweige denn Koalitionsspekulationen geben. Die eindeutige Kräfteverteilung im Vorfeld und während des Landtagswahlkampfes führte die Bündnisfrage ohnehin ad absurdum. Die Liberalen und Grünen, die beide gegen ihre Bedeutungslosigkeit kämpften, waren für die Christdemokraten nur insofern relevant, als dass deren erneutes Scheitern die absolute Mandatsmehrheit zementieren würde. Einer eventuellen Stimmenkonkurrenz seitens der Rechtsaußenparteien begegnete die CDU mit ihrem landespatriotischen Kurs und durch die Integrationskraft ihres Amtsinhabers. Obwohl die Sozialdemokraten als Hauptgegner galten, pflegten die Christdemokraten zu ihnen ein Nichtverhältnis, ignorierten sie und minimierten so ihren Stellenwert. In den Augen der CDU war in diesem Wahlkampf nur Platz für eine sächsische Partei, die „Sächsische Union“. Weder gab es ein Rededuell noch nahm Biedenkopf an der „Elefantenrunde“ im MDR teil. Auch schürte die CDU angesichts der Umfragen keine rot-roten Ängste, war doch ein „Schweriner Modell“ in Sachsen 1999 ausgeschlossen. Auf einen Lagerwahlkampf, ähnlich dem der Thüringer CDU unter Bernhard Vogel, verzichtete sie. Eher noch bekräftigte sie die sächsische SPD-Führung in ihrer Ablehnung eines rot-roten Bündnisses.
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Vgl. ebd., S. 7714; Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag, S. 8. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 8, 21; Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf am 24. Juni 1999, S. 7714 f.; Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag, S. 8-10. Vgl. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf am 24. Juni 1999, S. 7716. Vgl. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 8. Rede des CDU-Landesvorsitzenden Fritz Hähle auf dem 11. Landesparteitag.
6.2 Wahlkampf der CDU – Neukrönung der Regierungspartei
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Biedenkopf bezweifelte allenfalls Kunckels Standhaftigkeit, da Teile der SPD eine Zusammenarbeit mit der PDS befürworteten.130 Von anderer Qualität war das Verhältnis zur Bundes-SPD und zur Regierung Schröder. Hier spielten an der Spitze der Landespartei polit-strategische Überlegungen eine Rolle. Dem Ministerpräsidenten bot sich einerseits die Gelegenheit, im Landtagswahlkampf zentrale bundespolitische Themen anzusprechen. Andererseits war er bestrebt, nach seiner Wiederwahl zusammen mit Gerhard Schröder bundespolitisch zu reformieren. Biedenkopf lobte daher dessen Ansätze zur Modernisierung des Steuersystems und des Arbeitsmarktes und bot in diesen Fragen die konstruktive „Mitwirkung des Freistaates“ an. 131 Schröder und Biedenkopf, die sich persönlich verstanden, verzichteten auffällig auf gegenseitige Angriffe.132 Dennoch nutzte Biedenkopf den Wahlkampf, um sich kritisch mit der Politik der Bundesregierung zu befassen. Zwar vertrat er die Ansicht, man solle sich nicht in den „chaotischen Findungsprozess“ einer neuen Regierung einmischen. 133 Doch da Schröder nicht verdeutliche, wie er die Reform der sozialen Sicherung und die Sanierung des Haushalts gestalten wolle, so Biedenkopf, drohe das Angestrebte zu scheitern.134 Mit Blick auf das seitens der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnte „Sparpaket“ der Bundesregierung rügte er den rot-grünen Alleingang. Zwar seien die Konsolidierungsbemühungen begrüßenswert, da aber etwa 40 Prozent der Einsparungen nicht gedeckt oder ausreichend konkretisiert seien, werde Sachsen im Bundesrat nicht zustimmen.135 Im Gegensatz zu ihrem Spitzenkandidaten agierte die CDU-Basis offensiv. Sie instrumentalisierte die Landtagswahl zu einer Protestabstimmung über die Arbeit der rot-grünen Koalition. 136 Die PDS spielte für die CDU nur insofern eine Rolle, als dass es galt, ihre Argumente zu entkräften. Hähle bekundete im Vorfeld zum Umgang mit den Postkommunisten: „Unsere Kandidaten sollen selbst von Fall zu Fall entscheiden, an welcher Diskussion sie teilnehmen oder nicht. Eine politische, argumentative Auseinandersetzung dürfte durchaus manchmal angezeigt sein.“137 Biedenkopf und die meisten seiner Kabinettsmitglieder entzogen sich dem politischen Wortwechsel mit der PDS. In dem Maße, in welchem jene als „Partei der Unzufriedenen“ ein verdrossenes, lagerübergreifendes Wählerklientel band, hätte ein Angriff auf sie eher gegenteilige Wirkung gehabt.138 Die Christdemokraten grenzten die PDS daher nicht aus – sie ignorierten sie. Biedenkopf bekundete lediglich, sie sei der „organisierte Widerstand gegen den Erfolg der deutschen Einheit“. 139 Sie leugne den erfolgreichen Aufbau Ost, um sich als Partei des Ostens zu profilieren.140 Zugleich konstatierte er, dass diejenigen, die PDS wählten, dafür ihre Gründe hätten. Die Menschen hätten den Verlust hunderttausender Arbeitsplätze hinnehmen müssen, weshalb es nicht unverständlich sei, dass eine „Minderheit der Bevölkerung“ empfinde, mit dieser Entwicklung 130 131
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Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: FP vom 18. August 1999. Vgl. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf am 24. Juni 1999, S. 7714, 7721; pca.: Sachsen will die Reformen im Bund stützen, in: FAZ vom 25. Juni 1999. Vgl. Jan Ross: Schröders Lehrmeister, in: Die Zeit vom 16. September 1999. Biedenkopfs Wahlkampfbroschüre zeigte sogar ein Bild mit ihm und dem sozialdemokratischen Bundeskanzler. Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: Dresdner Morgenpost vom 31. August 1999. Vgl. Eig. Ber./svs: Biedenkopf „zunehmend verärgert“ über Schröder, in: LVZ vom 12. September 1999. Vgl. dpa: Sachsen will im Bundesrat gegen Sparpaket stimmen, in: LVZ vom 10. September 1999. Vgl. Ulli Schönbach: Buhmann „Rot-Grün“, in: SZ vom 12. August 1999. Interview mit Fritz Hähle in: Steffen Klameth: Autorität siegt über Argumente, in: SZ vom 4. Juni 1998. Vgl. EMNID-Präsentation: Zur politischen Lage + Strategie der CDU vom 26. Januar 1999, S. 10. Kurt Biedenkopf zitiert nach: H.E.: Schulterschluss der CDU-Spitzen, in: LVZ vom 17. September 1999. Vgl. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: FP vom 18. August 1999.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1999
nicht mithalten zu können und sich deshalb nach einer „Politik der behüteten Vormundschaft“ sehne. „Leider fallen sie dann den Sirenenklängen von Leuten zum Opfer, die nichts anderes auf ihre Plakate schreiben, als ,sozial ist gerecht‘, ohne den Menschen nur die geringste Auskunft darüber zu geben, wie das alles gemacht werden soll.“141 Man müsse diese Menschen davon überzeugen, „dass ihnen die PDS diese Art der Sicherheit nie gewähren kann, ohne nicht gleichzeitig das Land und seine Zukunft zu ruinieren“. 142
6.3 Wahlkampf der SPD – Deklassierung einer Volkspartei 6.3.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Nach den Wahlschlappen 1994 widmeten sich die Sozialdemokraten im Rahmen ihres „Reformprojekts SPD Sachsen“ zunächst der Verbesserung ihrer medialen Außendarstellung und dem Aufbau innerparteilicher Kommunikations- und Organisationsstrukturen. 143 Ambitioniertes Ziel der stellvertretenden Landesvorsitzenden Barbara Ludwig war es, „der modernste Landesverband der deutschen Sozialdemokratie“144 zu werden. Nach intensiven Debatten reduzierte die Landespartei 1995 die Zahl ihrer Unterbezirke auf 10 und modifizierte ihre hauptamtliche Verwaltung.145 Die neuen Strukturen mit Leben zu füllen, gelang ihr kaum. Trotz Bemühungen stieg die Zahl ihrer Mitglieder nur im Jahr ihres Bundestagswahlerfolgs 1998 marginal (5.358 Mitglieder). Von einer flächendeckenden Organisation war die SPD 1999 weit entfernt – in Ostsachsen und im Erzgebirge schwach bis nicht organisiert, geschweige denn gesellschaftlich verankert.146 Parallel dazu befand sich die Landespartei weiterhin in politischer Konsolidierung. Nachdem in der ersten Legislaturperiode der Konflikt zwischen den Lagern um Kunckel und Lersow dominiert hatte, verliefen die Kontroversen nun zwischen dem Mehrheitslager um Kunckel und dem „linken Flügel“. Im Kreuzfeuer der parteilinken Kritik stand die dem Landesverband vom Vorsitzenden verordnete strikte Absage an eine Koalition mit der PDS. Die bereits während des Wahlkampfes 1994 entbrannten Auseinandersetzungen intensivierten sich, da sich Kunckel als einziger ostdeutscher SPD-Chef einer rot-roten Kooperation widersetzte und er eine interne Diskussion dieses Themas nicht zuließ.147 Zunächst wurde die Landratswahl im Kreis Meißen-Radebeul am 3. Dezember 1995, in deren Vorfeld die PDS ihre Unterstützung für den SPD-Kandidaten, den Vorsitzenden des UB Dresden-ElbeRöder Manfred Müntjes bekanntgab, zum Streitfall. Speziell Müntjes’ Auftritt auf einer PDS-Wahlveranstaltung kritisierte der Landesvorstand, der sonst einen klaren Standpunkt vermissen ließ.148 141 142 143 144
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Interview mit Kurt Biedenkopf, in: LVZ vom 27. August 1999. Interview mit Kurt Biedenkopf, in: SZ vom 6. Juli 1999. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 14. November 1994 in Dresden, S. 2. Barbara Ludwig zitiert in: Steffen Klameth: SPD nimmt Nachhilfe bei Privatwirtschaft, in: SZ vom 5. September 1995. Vgl. Beschluss- und Verlaufsprotokoll der Landesvorstandssitzung am 23. März 1995 in Dresden, S. 4-9. Vgl. Demuth (2006), S. 150, S. 4-9. Der Begriff „Kunckeln“ stand synonym für die Ablehnung der Kooperation mit der PDS. Vgl. Jens Schneider: Schweigen bis zur Feindseligkeit, in: Süddeutsche Zeitung vom 2. März 1999. Vgl. Beschluss-Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 24. November 1995 in Dresden, S. 2. Die Wahlvereinbarung war ein von Teilen der SPD-Landesführung gestarteter „Testballon“, drohte doch die SPD auf kommunaler Ebene zu dieser Zeit bereits das Rennen gegen die PDS zu verlieren. Vgl. Gerhard Hirscher
6.3 Wahlkampf der SPD – Deklassierung einer Volkspartei
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Weitaus heftigere Querelen entbrannten Ende 1996 um die These des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Wolfgang Thierse, die SPD könne in Ostdeutschland einer vom Wähler gewollten Zusammenarbeit mit der PDS nicht ausweichen. Während Kunckel und der stellvertretende Landesvorsitzende Rolf Schwanitz, des in Teilen extremistischen Charakters der PDS wegen, solchen Gedankengängen widersprachen, stieß das „Thierse-Papier“ bei den Verfechtern eines Kooperationskurses auf Zustimmung. 149 Im Rahmen des Anfang 1997 gegründeten Arbeitskreises „SPD-Werkstatt Sachsen“ plädierten neben Müntjes auch der Juso-Vorsitzende Peer Horschig und Barbara Ludwig für normale Beziehungen zwischen beiden Parteien. Der Landesverband müsse hier zu einem offenen Umgang finden, was „politische Zweckbündnisse“ einschließe.150 Während Kunckel der Oppositionsrolle durch eine Koalition mit der CDU entrücken wollte, strebten die Mitglieder der „Werkstatt“ einen kompletten Machtwechsel mithilfe der PDS an.151 Kunckels Bündnisstrategie behinderte die Oppositionsarbeit der Fraktion. Nach wie vor waren die Sozialdemokraten hier eher kritischer Partner denn Gegner der CDU. Die einst angestrebte deutliche Opposition versandete. Die Stimmung „zwischen den politischen Gegnern von heute und den Partnern von morgen“ dürfe schließlich nicht feindselig werden, so Kunckel.152 Seine rigide Bündnispolitik und sein zurückhaltender Oppositionskurs machten ihn 1996/97 zum Ziel offener Angriffe aus den eigenen Reihen. Dass freilich eine ernsthafte Nachfolgerdebatte ausblieb, war vorrangig der personellen Situation der Landespartei geschuldet. Ein geeigneter und mehrheitsfähiger Nachfolger stand nicht bereit. Kunckel saß als einziger Berittener wackelig im Sattel. Um die Position des Landesvorsitzenden strukturell zu stützen, stellte ihm der Landesparteitag am 9./10. November 1996 mit Joachim Schulmeyer einen Generalsekretär zur Seite.153 Die Auseinandersetzungen entschieden sich vorerst auf dem Landesparteitag am 27. September 1997 zugunsten Kunckels. Die innerparteilichen Resonanzen auf die Vorstöße der Parteilinken waren geringer als die medialen. Die Delegierten stärkten Kunckel mehrheitlich den Rücken für die kommenden Wahljahre.154 Schließlich, dessen waren sich die Sozialdemokraten sicher, entscheide das Ergebnis der anstehenden Bundestagswahl „über das politische Klima“ der nachfolgenden Landtagswahl.155 Beflügelt von den Umfragen, demonstrierte die Landespartei 1998 Geschlossenheit. Die Ernennung von Schwanitz zum designierten Staatsminister für den Aufbau Ost sowie die Erfolge bei den Oberbürgermeisterwahlen in Leipzig (Wolfgang Tiefensee) und Görlitz (Rolf Karbaum) bestärkten die SPD in ihrer Annahme, der politische Wechsel in Dresden stehe bevor. Entsprechend diszipliniert verlief der 5. Landesparteitag Ende August 1998. Der mit 82 Prozent wiedergewählte Kunckel stand nun unumstritten an der Spitze der Partei. Innerparteiliche Kritik war weitgehend verstummt, Kunckel auf dem Höhepunkt seiner Karriere.156
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(1998): Das Verhältnis von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur PDS, in: Patrick Moreau (Hrsg.): Die PDS: Profil einer antidemokratischen Partei, München, S. 32-51, hier S. 35. Vgl. Christoph Schwennicke: Der Treibsatz von These acht, in: Süddeutsche Zeitung vom 21. Dezember 1996. Vgl. afk.: Für mehr Offenheit gegenüber der PDS, in: FAZ vom 6. Februar 1997. Vgl. Jens Schneider: Aufruhr in der letzten Bastion, in: Süddeutsche Zeitung vom 8. Februar 1997. Vgl. Peter Carstens: Durch Wohlverhalten an die Macht, in: FAZ vom 17. August 1998. Vgl. Jens Schneider: Kämpfer mit Teddybär-Krawatte, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. November 1996. Vgl. Steffen Klameth: Sachsens Sozialdemokraten wittern Morgenluft, in: SZ vom 29. September 1997. Vgl. Beschlussvorlage der Landesvorstandssitzung am 25. April 1997 zur Vorbereitung der Bundestagswahlen, S. 1. Vgl. Steffen Klameth: Mit alten Köpfen und neuem Selbstvertrauen, in: SZ vom 31. August 1998.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1999
Mit dem Ausgang der Bundestagswahl erachtete die SPD Sachsen als „entbayerisiert“, die CDU als „entzaubert“.157 Die politische Landschaft, so der Landesvorstand euphorisch, stehe „völlig neu“ da. Es bilde sich eine Struktur mit „zwei großen Parteien“ heraus.158 Die SPD sei „als die relevante Oppositionspartei in Sachsen deutlich nach vorn gekommen“.159 Innerparteiliche Geschlossenheit hatte in den Augen der Sozialdemokraten zu dieser Situation beigetragen. Alles lief daher auf eine reibungslose Nominierung Kunckels auf dem Görlitzer Programmparteitag am 27./28. Februar 1999 hinaus. Obwohl die Genossen wie erwartet intensiv über das neue Grundsatzprogramm diskutierten, wurde der ungünstig kombinierte Wahl- und Programmparteitag für den zuvor einstimmig vom Vorstand als Spitzenkandidat nominierten Kunckel zum Desaster. Angeheizt von Aussagen des Bundesgeschäftsführers Ottmar Schreiner, der am Tag der Parteitagseröffnung in einem Interview die „Dresdner Erklärung“ von 1994 als von der Realität überholt aufkündigte und damit Kunckel in den Rücken fiel,160 wendete sich über ein Viertel der Delegierten gegen den Kandidaten und dessen Kurs. Ferner stieß u. a. Kunckels eigenmächtige Listenbesetzung mit „Seiteneinsteigern“ zahlreiche Delegierte vor den Kopf.161 Erneut mieden seine Kritiker die offene Aussprache und bescherten stattdessen mit ihrem „ehrlichen“ Stimmverhalten der Landespartei sechs Monate vor der Wahl ein mediales Bild der Zerrissenheit. Anstelle eines notwendigen Jubelparteitags, voller positiver Selbstdarstellung und innerer Geschlossenheit, demontierten die Genossen ihren Spitzenkandidaten und sorgten damit für einen katastrophalen Start ins Wahljahr.162
6.3.2 Konzeptioneller Rahmen Bereits Ende Juli 1997 berief der Landesvorstand für die Wahlen des Jahres 1998/99 eine „Arbeitsgruppe Wahlen“, bestehend aus führenden Partei- und Fraktionsvertretern. Sie diente der politischen Wahlkampfvorbereitung. Strategische Beschlüsse und Entscheidungen oblagen dem Landesvorstand.163 Mit Beginn des Jahres 1998 konzentrierte die SPD ihre Kräfte auf die kommenden Wahlkämpfe. Sie initiierte für jede Kampagne autonome „Wahlkampfstäbe“. Der Landtagswahlkampfstab bestand neben Karl-Heinz Kunckel aus dem politischen Wahlkampfleiter Peter Adler, Generalsekretär Joachim Schulmeyer, Thomas Jurk als Fraktionsvertreter, Barbara Ludwig als Vertreterin des Spitzenkandidatenteams, Gunter Weißgerber (MdB) und der stellvertretenden Landesvorsitzenden Constanze Krehl. Eine beratende Funktion kam dem technischen Wahlkampfleiter, Landesgeschäftsführer Lutz Kätzel, zu. Für die Werbung verpflichtete man die Berliner Agentur Bellot.164
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Vgl. Feststellung von Raimund Grafe in: Protokoll der Landesvorstandssitzung am 2. Oktober 1998 in Dresden, S. 2. Vgl. Erklärung des SPD-Landesvorstands Sachsen. Grundsätze unserer Politik vom 27. November 1998, S. 1; Protokoll der Landesvorstandssitzung am 2. Oktober 1998 in Dresden, S. 3. Protokoll der Sitzung des Landesparteirats am 10. Oktober 1998 in Dresden, S. 2. Vgl. Interview mit Ottmar Schreiner in: Peter Heinemann/Matthias Meisner: „Die Beschlusslage der Wirklichkeit anpassen“, in: SZ vom 27. Februar 1999. Vgl. Karl-Heinz Kunckel zitiert in: Manfred G. Stüting: Jeder vierte stimmte gegen den Chef Kunckel, in: LVZ vom 1. März 1999. Vgl. Gunnar Saft: Die Tränen eines Siegers, in: SZ vom 1. März 1999. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 18. Juli 1997 in Dresden, S. 1 f. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 21. Mai 1999 in Dresden, S. 1.
6.3 Wahlkampf der SPD – Deklassierung einer Volkspartei
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Analog zur Bonner SPD-Wahlkampfzentrale „Kampa 98“, externalisierte die Landespartei Teile ihrer Wahlkampforganisation und richtete Mitte April 1999 in einem Dresdner Ladenlokal ihre „Sachsen-Kampa“ ein.165 Die externe Wahlkampfzentrale sollte Professionalität demonstrieren.166 Unmittelbar vor dem Wahltag erklärten die Sozialdemokraten: „In den letzten Monaten liefen in der Sachsen-Kampa die Fäden des Wahlkampfes zusammen und so gelang es mit Mitarbeitern der Landesgeschäftsstelle, freiwilligen Helfern und Fachleuten aus Wissenschaft und Gesellschaft, den modernsten und professionellsten Wahlkampf aller sächsischen Parteien zu führen.“167 Was eindrucksvoll klang, erwies sich in der Realität als „sauer Bier“. War die Bonner „Kampa“ im Bundestagswahlkampf ein zentraler Faktor der Medienberichterstattung gewesen, der zeitweise die eigentliche Kampagne überlagerte, verpuffte der „Mythos Kampa“ in dem Maße, wie die rot-grünen Negativschlagzeilen die Medienöffentlichkeit bestimmten. Zudem vermochte die eigene Landespartei, die Jusos ausgenommen, dem „modernen“ Ansatz weder finanziell noch ideell zu folgen. 168 Auch hatten sich die gegnerischen Parteien auf die neue Art der Wahlkampfführung eingestellt. Zuletzt verwehrte das begrenzte mediale Umfeld der „Sachsen-Kampa“ die erhoffte positive Außenwirkung. Die versuchte symbolkräftige Inszenierung scheiterte. Früh, genau zwei Monate vor dem Wahltag, stellte der Spitzenkandidat das SPDWahlprogramm und sein Wahlkampfteam vor. Während der Amtsinhaber seinen vierwöchigen Urlaub antrat und sich dem Sommerloch entzog, begann Kunckel am 20. Juli 1999 seine „Sommertour“ durch Sachsen.169 Mit der offiziellen Auftaktveranstaltung am 18. August läuteten die Sozialdemokraten die heiße Phase des Landtagswahlkampfes ein. Zusammen mit dem Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee und Bundesverkehrsminister Franz Müntefering proklamierte Kunckel im Leipziger Hauptbahnhof vor 300 Anhängern einen „neuen Aufbruch“.170 Müntefering, der als SPD-Bundesgeschäftsführer zum Erfolg der Wahlkampagne 1998 beigetragen hatte, streute übertriebene Zuversicht, als er von einem „Sieg für die SPD“ und einem Regierungswechsel sprach.171 Die strategische Ausrichtung der SPD im Wahljahr 1999 spiegelte ihr demoskopisches Auf und Ab wider. Wie bereits 1994 deutete auch diesmal ein drei viertel Jahr vor der Landtagswahl alles auf eigene Zugewinne und auf Verluste der CDU hin.172 Beflügelt vom Erfolg auf Bundesebene, war sich Kunckel sicher, mithilfe der Grünen die absolute Mehr-
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Der Wahlkampfetat der Sozialdemokraten betrug 1999 nach eigenen Angaben zwischen 1,3 und 1,5 Millionen DM. Ende Juni 1999 bezifferte der Landesgeschäftsführer das Wahlkampfbudget intern auf 1,6 Millionen DM. Zusätzlich stiegen im Vergleich zum Vorjahr 1999 die Ausgaben für die allgemeine politische Arbeit um rund 150.000 DM. Vgl. Sven Siebert: Sachsens Parteien machen Millionen im Wahlkampf locker, in: LVZ vom 8. April 1999; Protokoll der Landesparteiratssitzung am 27. Juni 1999 in Dresden, S. 2; SPD. Rechenschaftsbericht 1998, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/2508 vom 14. Januar 2000, S. 8-17; SPD. Rechenschaftsbericht 1999, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/5050 vom 15. Dezember 2000, S. 10-19. Vgl. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006. Pressemitteilung des SPD-Landesverbands Sachsen vom 16. September 1999. Vgl. Interview mit Reimund Grafe am 2. Februar 2006. Für Reimund Grafe lag die entscheidende Schwäche der „Sachsen-Kampa“ in der ungünstigen bundespolitischen Situation begründet. Die „Kampa“ habe ihre Wirkung nicht entfalten können, da sich die SPD in der Defensive befunden habe. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 23. Juli 1999 in Chemnitz, S. 1. Vgl. SZ/dpa: SPD will die absolute Mehrheit der CDU brechen, in: SZ vom 19. August 1999. Vgl. Peter Carstens: Himbeerjoghurt und Gurken, in: FAZ vom 20. August 1999. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 22. Januar 1999 in Dresden, S. 3.
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heit der CDU brechen und eine rot-grüne Koalition bilden zu können.173 Den hochgesteckten Erwartungen folgte ein Wahlkampf gegen fallende Umfragewerte. Bereits zu Beginn ihrer Kampagnenplanung Mitte April 1999 gingen die Sozialdemokraten noch von 24 bis 28 Prozent für die SPD aus, während die CDU wieder deutlich entrückte und die PDS näher kam.174 Vor diesem Hintergrund formulierte die Partei ihre Wahlziele: Die absolute CDUMehrheit brechen, mindestens 30 Landtagsmandate erringen und zweitstärkste Fraktion bleiben.175 Die Resultate der Europa- und Kommunalwahl offenbarten das nahende Desaster. Die SPD rutschte an die dritte Stelle im sächsischen Parteiensystem ab. Da daraufhin Teile der Landespartei resignierten, ergriff Kunckel die Offensive. Er betonte, es sei „so sicher wie das Amen in der Kirche“, dass die SPD, die vor zehn Jahren an der Spitze der Umgestaltung in der DDR gestanden habe, mehr Stimmen erhalte als die SED-Nachfolgerin. Alles andere wäre ein „Treppenwitz der Weltgeschichte“.176 Gegen die wachsende Ernüchterung in den eigenen Reihen kam er damit nicht an. Die Debakel der SPD in Brandenburg und Thüringen nahmen die drohende bundespolitische Strafaktion der sächsischen Wähler vorweg. Anfang September lagen die Nerven der Partei blank. Selbst Kunckel bezeichnete desillusioniert die Möglichkeit, „zur dritten Kraft in Sachsen degradiert“ zu werden, als „bitter“.177 Der Ausgang der Bundestagswahl hatte für die sächsische SPD die strategischen Gewichte verschoben. Man sei nun „Opposition im Land und […] gleichzeitig Regierung im Bund“, betonte Kunckel Ende 1998.178 Ihre zunächst gehegte Strategie, die günstige Stimmung der Bundestagswahl in einem „Spannungsbogen“ über die Kommunalwahlen in die Landtagswahl zu retten,179 zerbarst im Strudel der bundespolitischen Negativszenerie. In dem Maße, in welchem sich das Ansehen der SPD auf Bundesebene verschlechterte, trübte sich auch die Stimmung auf Landesebene ein. Das Zusammentreffen der bundespolitischen Entscheide mit dem Absinken der eigenen Akzeptanzwerte war offenkundig. Bei Kunckel bestimmte nun Bundespolitik das tägliche Geschäft. „Ich mache einen Landtagswahlkampf mit Bundesthemen“, so das Resümee eines Spitzenkandidaten, dessen Partei den Reformkurs der Bundesregierung unterstützte. Etwa im Unterschied zur saarländischen SPD unter Reinhard Klimmt schwenkten die sächsischen Genossen auf keine Gegentaktik ein. Kunckel befand: „Dieser Kurs ist grundsätzlich richtig, und deshalb werde ich auch keine populistische Konfrontation zur Bundesregierung aufmachen“.180 Gleichsam kritisierte er den Berliner Politikstil. Ein solches „Rumgeeiere“ verstünden die Bürger nicht, zudem sei es rücksichtslos gegenüber den wahlkämpfenden Landesverbänden.181 Die SPD befand sich in einer schlechteren Ausgangssituation als je zuvor. Sie litt unter ihrer Regierungsrolle auf Bundesebene, erreichte in Sachsen nicht annähernd die Populari173
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Vgl. Gunnar Saft: Sachsens SPD-Chef bekräftigt Absage an PDS, in: SZ vom 25. November 1998; Interview mit Reimund Grafe am 2. Februar 2006. Vgl. Protokoll der Landesparteiratssitzung am 24. April 1999 in Chemnitz, S. 1. Vgl. Sven Siebert: SPD will mindestens 30 Landtagssitze, in: DNN vom 10. Mai 1999. Vgl. Ralf Hübner: Kurt als Markenzeichen – das kommt an, in: Der Tagesspiegel vom 16. August 1999. Vgl. Hubert Kemper: Durchhalteparolen im Wahlkampf-Endspurt, in: FP vom 7. September 1999. Vgl. Protokoll der Landesparteiratssitzung am 10. Oktober 1998 in Dresden, S. 2. Vgl. Interview mit Mike Schmeitzner am 6. Dezember 2005; Interview mit Reimund Grafe am 2. Februar 2006. Interview mit Karl-Heinz Kunckel in: Dietmar Seher/Steffen Klameth: „Ich bleibe optimistisch“, in: SZ vom 27. Juli 1999. Interview mit Karl-Heinz Kunckel in: Hartwig Hochstein u. a.: „Ära Kunckel endet nicht mit der Wahl“, in: LVZ vom 27. August 1999; Jens Schneider: Kampfeslustig gegen jede Wette, in: SZ vom 20. August 1999.
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täts- und Zufriedenheitswerte der CDU und hatte eine stetig erstarkende PDS abzuwehren. Die Oppositionspartei strebte dennoch nach Regierungsmacht. Ihre neue Rolle auf Bundesebene verstärkte ihren Wunsch nach Mitgestaltung in Sachsen. Die SPD, so Kunckel, sei für die Übernahme der Regierungsverantwortung bereit. Sie habe die Opposition genutzt, um sich „personell und programmatisch auf diesen Fall vorzubereiten“. 182 Gleichwohl blieb ihre Herausfordererstrategie unvollständig. Anstatt wie 1994 den Hauptgegner CDU thematisch und personell anzugreifen, reduzierte sie die Konfrontation. Im Vordergrund stand, die inhaltlichen Defizite der CDU-Regierung aufzuzeigen, eigene Lösungsansätze zu präsentieren und, wenn möglich, die PDS zu ignorieren.183 SPD-Ziel war in den Wochen vor der Wahl mehr denn je, in einer Großen Koalition Politik mitzugestalten.184 Dazu sollte diesmal die Arbeiterschaft von der CDU weg- und zur SPD hingeführt werden. Die Relevanz der Themen Arbeit und Bekämpfung der Erwerbslosigkeit im Jahr 1999 kam der Partei bei ihrem Vorhaben entgegen. Der auf das Thema Arbeit fokussierte Wahlkampf sollte die diesbezüglichen Kompetenzzuschreibungen an die Sozialdemokraten ausbauen und diese damit für die Zielgruppe attraktiv machen. Trotz ihres bundespolitischen Vertrauensverlusts versuchte die SPD auf drei Wegen zu punkten. Zunächst platzierte sie auf ihrer Landesliste Kandidaten mit gewerkschaftlicher Einbindung. Auch integrierte sie zahlreiche arbeitsmarktpolitische Elemente in ihr Wahlprogramm. Ferner initiierte sie Zielgruppenveranstaltungen, darunter den zusammen mit dem DGB organisierten „Arbeitnehmerdialog ‘99“. Die Veranstaltungsreihe sollte Arbeiter, Gewerkschafter und Betriebsräte für sozialdemokratische Politik sensibilisieren. Unter dem Slogan „Arbeit für Sachsen“ diskutierte Kunckel mit Gewerkschaftsführern, etwa dem DGB-Bundesvorsitzenden Dieter Schulte oder dem ÖTV-Bundesvorsitzenden Herbert Mai. Die anspruchsvolle Kampagnenführung war wenig wählerwirksam, die geringen Teilnehmerzahlen enttäuschten.185
6.3.3 Imagekampagne Im neunten Jahr ihres Bestehens hatten die Sozialdemokraten kein landespolitisches Profil. Kunckels Aufruf Ende 1994, man müsse „unverwechselbar in der Parteienlandschaft werden“,186 waren keine Taten gefolgt. Die PDS gebärdete sich als die Verfechterin der sozialen Gerechtigkeit, die CDU gab sich als die Sachsenpartei aus. Mit ihrer wenig griffigen Mischung aus beidem stand die SPD im Schatten ihrer Konkurrenten. Dabei hatten EMNID-Umfragen ihr früh hohe Kompetenzzuschreibungen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und in Fragen der sozialen Gerechtigkeit bestätigt.187 Umrahmt vom Leitslogan „Einfach sozialer“, erging deshalb 1999 der Aufruf: „Gerecht wählen! Zweitstimme SPD“. Sie präsentierte sich als soziales Korrektiv zur CDU. Wer mehr soziale Gerechtigkeit in Sachsen wolle, müsse SPD wählen. Man sei die „bestimmende linksdemokratische Kraft 182
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Interview mit Karl-Heinz Kunckel in: Gunnar Saft/Steffen Klameth: „Ich möchte lieber regieren als opponieren“, in: SZ vom 4. Januar 1999. Vgl. Sven Siebert: SPD will mindestens 30 Landtagssitze, in: DNN vom 10. Mai 1999. Vgl. Interview mit Reimund Grafe am 2. Februar 2006; Brümmer (2006), S. 176. Vgl. ADSD 3/SNAB 000134 Situationsanalyse des SPD-Landesverbands Sachsen vom 18. August 1999; Vorlage über den Arbeitnehmerdialog ’99 für Lutz Kätzel vom 15. Juni 1999; Handschriftliche Auswertung des Arbeitnehmerdialogs am 3. September 1999. Brief von Karl-Heinz Kunckel an die sächsischen SPD-Mitglieder vom Oktober 1994. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 22. Januar 1999 in Dresden, S. 3.
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im Freistaat“ und Teil „einer gesellschaftlichen Bewegung für eine sozial und ökologisch verfasste Demokratie“.188 Sollte die Politik der Bundesregierung ursprünglich die sozialen Kompetenzzuschreibungen an die SPD stärken, 189 erwies diese sich bald als Imageproblem. Der Gesichtsverlust der Bundespartei übertrug sich auf die Landespartei. Auch brachte der Kurs der „Neuen Mitte“ Kunckel in Erklärungsnöte, versuchte er doch gerade Arbeiter und Arbeitslose anzusprechen. Er versicherte, die SPD sei noch immer die „Partei der kleinen Leute“. Die „Neue Mitte“ umfasse viel mehr als die gesellschaftlichen Mittelschichten, auch alle Arbeitslosen.190 Erneut geriet der Landesverband zum Spielball seiner Mutterpartei. Zunächst unterminierte Parteichef Oskar Lafontaine mit seinem kooperativen Kurs in Richtung PDS Kunckels Position. Seine Versuche, möglichen rot-roten Koalitionen in Brandenburg, Thüringen und Berlin den Weg zu ebnen, um so die Bundesratsmehrheit wiederzugewinnen, nahmen auf die sächsischen Genossen keine Rücksicht. 191 Desavouierend für Kunckel war, dass Bundeskanzler Schröder zum Zeitpunkt des Görlitzer Parteitags zu einem Privatbesuch bei Kurt Biedenkopf weilte. Schröders Auftritt, der (unterstützt durch Sagurna) ein entsprechendes Medienecho fand, verdeutlichte den Wählern, dass Biedenkopf und nicht Kunckel der lohnenswertere Gesprächspartner in Sachsen sei und Schröder nicht mit einem baldigen Ende der Regierung Biedenkopf rechnete. Entsprechend erwähnte der Kanzler bei seinem Wahlkampfauftritt am 26. August 1999 in Chemnitz weder Biedenkopf noch dessen Regierung.192 Auch die medienwirksam inszenierte „Wanderung“ von Schröder und Kunckel durch die Sächsische Schweiz galt vorrangig Schröders ostdeutscher Imagepflege. Nach herber Kritik daran betonte er zumindest beim Dresdner Wahlkampfabschluss am 15. September inständig die Sozialverträglichkeit seiner Reformen und demonstrierte emotionale Nähe zu Kunckel.193 Im Wahlkampf plagte die SPD das Image eines Wahlverlierers, der, anstatt zu kämpfen, resigniert.194 Die FAZ pointierte: „Die sächsische SPD ähnelt einem Trupp zerzauster Lanzenträger, denen ein selbstmörderischer Angriff auf die Festung des Landesfürsten bevorsteht. Der Spitzenkandidat und seine Gesellen ziehen mit verbeultem Lächeln dem Wahltag entgegen. Am Sonntag werden die Wähler wahrscheinlich auch Sachsens SPD mit Pech übergießen, ihnen die dritte Tracht demokratischer Prügel innerhalb von drei Wochen verabreichen. Es ist Sozialdemokratenart sich dem Unvermeidlichen zu fügen. Es ist auch Karl-Heinz Kunckels Art.“195 Dieser gab ob der Chancenlosigkeit gegenüber Kurt Biedenkopf mit Wahlkampfbeginn seinen Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt auf. Kunckel betonte, dass er zwar das Land regieren wolle und könne, es in Anbetracht der Umfragewerte aber „nicht beson-
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„Görlitzer Programm“. Programm der sächsischen SPD beschlossen auf dem Landesparteitag am 27./28. Februar 1999 in Görlitz, S. 3. Vgl. Protokoll der Landesparteiratssitzung am 10. Oktober 1998 in Dresden, S. 2. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 27. Juli 1999. Vgl. Jens Schneider: Schweigen bis zur Feindseligkeit, in: Süddeutsche Zeitung vom 2. März 1999; Peter Carstens: Wahlkampf gegen sich selbst, in: FAZ vom 18. März 1999. Vgl. Stefan Berg u. a.: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, in: Der Spiegel (1999) H. 35; Hubert Kemper: Schröder: Ich habe meine Versprechen gehalten, in: FP vom 27. August 1999. Vgl. Stefan Rössel: Erst verhaltene Neugier, dann kräftiger Beifall, in: Dresdner Morgenpost vom 16. September 1999. Vgl. Peter Carstens: Wahlkampf gegen sich selbst, in: FAZ vom 18. März 1999. Peter Carstens: Wie ein Trupp zerzauster Lanzenträger, in: FAZ vom 15. September 1999.
6.3 Wahlkampf der SPD – Deklassierung einer Volkspartei
227
ders überzeugend“ sei, als Ministerpräsidentenkandidat aufzutreten.196 Er hatte das Hoch seiner Partei 1998 nicht ausreichend zur Profilierung genutzt und war weiterhin nur 60 Prozent der Sachsen bekannt. Seine Vertrauens- und Beliebtheitswerte lagen weit hinter denen Biedenkopfs. Nur sechs Prozent der Sachsen galt Kunckel als der sympathischere oder glaubwürdigere Kandidat. Wähnte die Hälfte der Befragten Biedenkopf als sozialer eingestellt, empfanden dies bei Kunckel nur 19 Prozent. Selbst die SPD-Anhänger bewerteten den Amtsinhaber auf beinahe allen Gebieten deutlich besser.197 Kunckels Image als Mann der leisen Töne hielt sich in seinem zweiten Wahlkampf. Wie bereits fünf Jahre zuvor sahen die Medien in ihm einen intellektuellen, wenig streitsüchtigen Menschen, der den Amtsinhaber nur dosiert attackiert und übermäßige Polarisierung ablehnt. Der promovierte Ingenieur, der sich als Kunstliebhaber und Freund eines feinen Lebensstils auswies,198 mitunter aber wenig volksverbunden auftrat, präsentierte sich in nur zwei Monaten auf 187 Wahlkampfauftritten als „Typus Politiker, der mit Verantwortung, Ehrlichkeit und Redlichkeit und ohne Ideologie arbeitet“.199 Umgeben von dem präsidialen Amtsinhaber Kurt Biedenkopf und dem postkommunistischen Spaßwahlkämpfer Peter Porsch, verblasste Kunckels Image des integeren, bis zur Schmerzgrenze kämpfenden Politikers. Im Wahlmonat spiegelten die Printmedien das Bild eines glücklosen, bemitleidenswerten Kandidaten wider, der zwar unerbittlich für seine Partei kämpft, damit die unvermeidliche Niederlage aber nur abmildert. Kunckel selbst betonte kurz vor der Wahl, seine Partei hätte alles gegeben. „Mehr konnten wir nicht machen. Wenn uns die Leute trotzdem nicht wählen, dann wollen sie einfach nicht.“200 Er haderte öffentlich mit dem Schicksal, das ihm erneut die ersehnte Regierungsbeteiligung zu verwehren drohte, äußerte resigniert: „Ich kann nur weiterhin versuchen, mein Bild von der sächsischen Politik zu erläutern.“201 Im Wahlkampf war er weder ernstzunehmender Herausforderer noch zukünftiger Oppositionsführer. Anfang August kam zu allem Überfluss noch eine Nachfolgerdebatte auf. Den Drohungen einiger Kandidaten, ihn im Falle einer Wahlniederlage stürzen zu wollen, erwiderte Kunckel, wohl um Schlimmeres zu verhindern, er werde nach der Wahl an seiner Führungsrolle festhalten.202 Als Kontrast zur CDU präsentierte die SPD erneut ein „Herausfordererteam“. Anders als 1994 beschränkte Kunckel dieses auf fünf Kandidaten, die er an der Partei vorbei im vorderen Teil der Landesliste platzierte.203 Das Team personalisierte den verkündeten „Aufbruch 99“, sollte die moderne und kompetente Wahlkampfführung der SPD ausdrücken. Kunckel betonte, es handele sich um eine Ansammlung „ministrabler Personen“,
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Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: LVZ vom 27. August 1999; Eig. Bericht/ho.: Sachsenwahl 1999: PDS vor SPD und Biedenkopf bis 2004?, in: DNN vom 27. August 1999. Vgl. Infratest dimap (1999b), S. 5; Infratest dimap (1999c), S. 13; Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1999), S. 37. Vgl. Harald Lachmann: Wenig Hoffnung für Sachsens Opposition, in: Stuttgarter Zeitung vom 29. April 1999. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: LVZ vom 27. August 1999. Karl-Heinz Kunckel zitiert in: Sven Siebert: „Wir haben getan, was wir konnten“, in: LVZ vom 12. September 1999. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: LVZ vom 27. August 1999. Vgl. dpa: Kunckel findet Personal-Spekulationen nicht spaßig, in: DNN vom 10. August 1999; Steffen Klameth: „Wir haben keinen Besseren“, in: SZ vom 14. September 1999. Vgl. Protokoll der Landesparteiratssitzung am 24. April 1999 in Chemnitz, S. 1; Protokoll der Landesausschusssitzung am 17. September 1994 in Chemnitz, S. 2.
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welche für die Hauptanliegen der Landespartei stünden.204 Die Landtagsabgeordneten Gisela Schwarz und Barbara Ludwig besetzten die Themen Frauen und Familie sowie Jugend und Bildung, der ehemalige Rektor der Universität Leipzig, Cornelius Weiss, symbolisierte Wissenschaft und Technologie. Die öffentliche Aufmerksamkeit richtete sich auf das sächsische „Bündnis für Arbeit“, symbolisiert vom Präsidenten des Arbeitgeberverbands der Druckindustrie Karl Nolle (Wirtschaft) und dem sächsischen DGB-Vorsitzenden Hanjo Lucassen (Arbeit).205 Besonders Lucassens Kandidatur entfachte ein breites Echo und eine heftige Kontroverse. War er in der Landes-SPD wegen seiner Fürsprache für ein Linksbündnis umstritten, so kritisierte Biedenkopf, Lucassens Kandidatur sei unvereinbar mit der parteipolitischen Neutralität des DGB.206 PDS-Spitzenkandidat Porsch forderte ihn auf, „schleunigst zur Überparteilichkeit zurückzukehren“, anstatt sich vor den „Wahlkampfkarren“ der SPD spannen zu lassen.207 Kunckel entgegnete dem, dass auch die parteipolitische Neutralität des Ministerpräsidenten durch die Kandidatur Biedenkopfs verletzt sei. Zudem würde Lucassen im Wahlkampf die Positionen des DGB vertreten und nicht die der SPD.208 Während der DGB keine Wahlempfehlung aussprach, bekräftigte Lucassen, dass, nur weil er für eine Partei kandidiere, dies noch lange keine Wahlempfehlung sei. An seiner Kandidatur sei „nichts Außergewöhnliches“.209
6.3.4 Themenkampagne Anfang der zweiten Legislaturperiode begann die Partei zunächst mit der Ausarbeitung eines Grundsatzprogramms. Zu diesem Zweck setzte der Landesparteitag am 10. November 1996 eine „Grundwerte-/Programmkommission“ unter Leitung der Leipziger Europaabgeordneten und stellvertretenden Landesvorsitzenden Constanze Krehl ein.210 Deren Entwurf wurde vom Landesparteitag am 27. September 1997 angenommen, unterlag aber teils heftiger Kritik. Die generelle sozialdemokratische Ausrichtung galt als zu lasch, die wirtschaftspolitische Argumentation als katastrophal.211 Auch kam es zu Auseinandersetzungen über den Begriff des „demokratischen Sozialismus“, den der minoritäre linke Flügel nicht durchsetzen konnte.212 Nach Beschluss durch den Landesvorstand am 27. November 1998 diskutierte der Görlitzer Parteitag beinahe 100 Änderungsanträge und verabschiedete das „Görlitzer Programm“ als Grundsatzprogramm der sächsischen SPD. Schließlich konzipierte die „Arbeitsgruppe Wahlen“ auf dieser Basis das Landtagswahlprogramm „Arbeit Gerechtigkeit Bürgernähe“.213 Die SPD verfügte 1999 über die Anhängerschaft mit der differenziertesten Problemwahrnehmung. Zwar galten bei SPD-Wählern Arbeitslosigkeit (74 Prozent) und mit Ab204 205
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Vgl. SZ/sk: SPD tritt mit DGB-Chef und Ex-Uni-Rektor an, in: SZ vom 26. April 1999. Vgl. Protokoll der Landesparteiratssitzung am 10. Oktober 1998 in Dresden, S. 2; Interview mit Peter Adler am 6. Dezember 2005. Vgl. Tilo Berger: „Das lässt sich nicht miteinander vergleichen“, in: SZ vom 25. Mai 1999. Vgl. Pressemitteilung der PDS Sachsen vom 26. August 1999 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Steffen Klameth: Reine Formsache, in: SZ vom 10. Mai 1999. Vgl. Manfred G. Stüting: DGB-Chef löst mit Engagement für SPD Wirbel aus, in: DNN vom 6. Mai 1999. Vgl. Protokoll der Landesparteiratssitzung am 13. September 1997 in Leipzig, S. 2; Beschluss der Landesvorstandssitzung am 27. März 1997. Vgl. Steffen Klameth: Sachsens Sozialdemokraten wittern Morgenluft, in: SZ vom 29. September 1997. Vgl. Interview mit Mike Schmeitzner am 6. Dezember 2005. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 21. Mai 1999 in Dresden, S. 3.
6.3 Wahlkampf der SPD – Deklassierung einer Volkspartei
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stand die wirtschaftliche Situation (18 Prozent) als wichtigste Problem- und damit Themenfelder. Dem folgten aber ähnliche Einschätzungen bei Bildung, sozialer Gerechtigkeit, Kriminalität sowie Familien- und Jugendpolitik.214 Die Partei musste ein weites inhaltliches Spektrum bedienen. Personell untersetzt durch ihr „Herausfordererteam“, plädierte sie u. a. für ein gerechteres Bildungssystem, für die stärkere Förderung von Frauen, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder für mehr Investitionen in Wissenschaft und Forschung. Hochschul- und Bildungspolitik sowie ein „Bündnis für Arbeit“ sollten als die sozialdemokratischen Elemente in eine Koalition mit der CDU einfließen. 215 In der Wahlkampfumsetzung beherrschten schließlich nicht klassische Landesthemen, sondern bundespolitische Fragen die Agenda. Die Bürger interessierte vorrangig die Zukunft ihrer Einkommen und Renten.216 Im Zentrum der landespolitischen Themenkampagne standen eine „moderne Wirtschaftspolitik“ und eine „neue“ Arbeitsmarktpolitik. In ihrer Situationsanalyse wendete sich die SPD gegen die CDU-Lesart, der Freistaat stehe in seiner wirtschaftlichen Entwicklung an der Spitze der ostdeutschen Länder. Zwar seien es seit 1990 „insgesamt gute Jahre“ gewesen, gleichwohl sei „aus der Lokomotive Sachsen seit 1996 der Dampf raus“.217 Die Politik der CDU-Regierung habe Sachsen „an die dritte Stelle der neuen Länder herabgewirtschaftet“.218 Hohe Arbeitslosigkeit, niedriges Wachstum, gefallene Produktivität und hohe Insolvenzraten beschrieben eine Realität, für die allein die Regierung Biedenkopf verantwortlich sei.219 Die Sozialdemokraten erneuerten ihren Vorwurf von 1994, dass der „Aufbau Ost in großem Maße zu einer Vermögensbildung West“ geraten sei. Die „neoliberale Theorie des freien Spiels der Marktkräfte zeigte am Beispiel der Vereinigung mit ganzer Schärfe, wie unsozial sie ist“.220 Der Kurs der CDU-Regierung habe in der vergangenen Legislaturperiode 80.000 Menschen zusätzlich in die Arbeitslosigkeit geführt. Die Begründung der Christdemokraten, dies hänge mit der hohen Erwerbsneigung der Frauen zusammen, sei ebenso falsch, wie der „Biedenkopfsche Ansatz“, wonach hohe Gewinne viele Investitionen und niedrige Löhne geringe Arbeitslosigkeit bedeuten, nichts als „ideologische Wirtschaftspolitik“ sei.221 Sachsen habe sich, so Kunckel, mit eigenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen de facto „ausgeklinkt“.222 Die CDU verweigere vor allem eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Obwohl „mehr als eine halbe Million Menschen“ Arbeit suchten, sei Sachsen beim Abbau der Arbeitslosigkeit ostdeutsches Schlusslicht. Durch drastisch reduzierte öffentliche Bauinvestitionen habe die sächsische Fiskalpolitik das Problem zusätzlich verschärft.223 Obwohl die ordnungspolitische Position der Parteien im neunten Jahr der Einheit kein gewichtiges Wahlkampfthema mehr war, konstatierte die SPD in ihrem Görlitzer Programm: „Wirtschaftspolitisches Leitbild der sächsischen Sozialdemokratie ist die soziale 214 215 216 217 218 219 220 221
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Vgl. Infratest dimap (1999c), Tabellenanhang, S. 14. Vgl. Interview mit Reimund Grafe am 2. Februar 2006. Vgl. ADSD 3/SNAB 000134 Situationsanalyse des SPD-Landesverbands Sachsen vom 18. August 1999. Interview mit Karl-Heinz Kunckel in: Dresdner Morgenpost vom 9. September 1999. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: LVZ vom 27. August 1999. Vgl. Jens Schneider: Kampfeslustig gegen jede Wette, in: Süddeutsche Zeitung vom 20. August 1999. „Görlitzer Programm“, S. 2. Vgl. Diskussionsbeitrag von Karl-Heinz Kunckel auf dem DGB-Forum der Spitzenkandidaten am 3. September 1999 in Riesa (Archiv Wolfgang Luutz); Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 27. Juli 1999. Vgl. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, in: Plenarprotokoll 2/105 des Sächsischen Landtages, S. 7722-7728, hier S. 7725. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1999, S. 5, 23.
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und ökologisch orientierte Marktwirtschaft. Wir bejahen den Wettbewerb aller am Markt Beteiligten. Einen fairen Wettbewerb gibt es nur bei klaren Regeln und gleichen Chancen für alle Teilnehmer.“224 Dennoch bedürfe es eines „neuen Geistes in der Wirtschaftspolitik“, so Kunckel.225 „Neoliberalismus, Etatismus, Keynesianismus, das führt alles nicht zum Erfolg. Ich plädiere für eine ideologiefreie, pragmatische strukturelle Erneuerung. Modelle zu untersuchen, kann dabei hilfreich sein. Ich halte das amerikanische und das britische Modell […] für Europa und für Deutschland für nicht geeignet.“ Die SPD befürworte „die Marktwirtschaft, aber nicht die Marktgesellschaft“. Man wolle, „dass dieser Markt, dass Wettbewerb einen Namen hat, weil Markt allein wertblind ist“. 226 Die Partei zeigte sich überzeugt: „Alte Politik- und Gesellschaftskonzepte können das Problem des Erwerbslebens nicht lösen und eine den veränderten Bedingungen angepasste Sozial- und Wirtschaftsstruktur nicht entfalten.“227 Die sozialdemokratische Agenda verfolgte zwei wesentliche Ziele: Wirtschaftspolitisch den „Kurs der CDU korrigieren“228 und arbeitsmarktpolitisch die Langzeitarbeitslosigkeit vermindern. Dem voraus eilte das gesellschaftspolitische Ziel, „möglichst alle Menschen, die Arbeit suchen, in den Arbeitsprozess einzubinden“, um einer Gefährdung der sozialen Stabilität Sachsens zu begegnen.229 Mit dem „Beschäftigungspakt“ bzw. der damit verbundenen konsensuellen Übereinkunft zwischen Wirtschaft und Arbeitnehmern verband die SPD u. a. das Ziel der „Entwicklung hin zu einem neuen Staatsverständnis“, in dessen Konsequenz die Arbeitslosigkeit sinke und die Wettbewerbsfähigkeit steige. 230 Weiterhin strebten die Sozialdemokraten qualitatives Wachstum an. Am Ende eines begonnenen, aber noch lang andauernden Prozesses müsse Sachsen durch eine ausgewogene und moderne Wirtschaftsstruktur zu einem „Modell für eine zukunftsfähige Wachstumsregion im Herzen Europas“231 werden. Unter dem Dach der „Zukunftsinitiative Sachsen“ verband die SPD „Arbeitsmarktpolitik mit einer regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik“.232 In ihrem Rahmen sollten durch geeignete Maßnahmen Arbeitsplätze geschaffen sowie bereits entwickelte industrielle Kerne als „Katalysatoren für eine regional verankerte Wirtschaft“ und für die Herausbildung eigener Wertschöpfungsketten genutzt werden. Ferner sei durch die Förderung moderner Technologiesektoren die Entwicklung zukunftsträchtiger Produkte, Verfahren und Dienstleistungen zu forcieren. Die ebenfalls in der Initiative angelegte Erhöhung der staatlichen Bau- bzw. Infrastrukturinvestitionen, speziell im Bereich moderner Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, könnte, so die SPD, den Fall der Baukonjunktur bremsen, und bis zu 8.000 Arbeitsplätze schaffen – finanziert über einen „zeitlich angepassten Abbau der staatlichen Neuverschuldung“. Dies sei für investive Ausgaben verantwortbar und angesichts der Arbeitslosigkeit legitim.233 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233
„Görlitzer Programm“, S. 5. Vgl. Diskussionsbeitrag von Karl-Heinz Kunckel auf dem DGB-Forum der Spitzenkandidaten. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, S. 7727 f. „Görlitzer Programm“, S. 2. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: LVZ vom 27. August 1999. Vgl. „Görlitzer Programm“, S. 8. Vgl. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, S. 7727. „Görlitzer Programm“, S. 5 f. Ebd., S. 8. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1999, S. 6 f., 23; ZIS Zukunftsinitiative Sachsen. Ein Programm für Sachsens Wirtschaft, Material der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, S. 8 f.
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Das angelehnte „Mittelstandsprogramm für Sachsen“ setzte zum einen auf Entbürokratisierung in Form kürzerer Genehmigungsverfahren und zum anderen auf Entflechtung der unübersichtlichen Förderpolitik durch reduzierte Programme sowie erhöhte Zielgenauigkeiten. Die mittelständische Wirtschaft galt der SPD als „Rückgrat der sächsischen Wirtschaft“, dessen Aufbau und Stärkung entscheidend seien. Die Sozialdemokraten sprachen sich für eine langfristige und zukunftsweisende Innovationsförderung, für Exporthilfen zum Erschließen ausländischer Märkte, für Zuschüsse bei der Entwicklung neuer Produkte und Verfahren sowie für die kurzfristige „Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen und eine flankierende Bereitstellung von Start- bzw. Risikokapital“ mittels eines Risikokapitalfonds aus.234 Ihr Hauptaugenmerk lag auf einer „besseren“ und „modernen“ Politik im „Kampf gegen die Arbeitslosigkeit“.235 Kunckel war überzeugt, in Sachsen „an der Schwelle [zu] einer neuen Konsenspolitik zu stehen“.236 Die dafür vorgesehenen Maßnahmen sammelte die SPD in ihrem „Beschäftigungspakt für Sachsen“. In ihren Augen verkörpere dieser einen „neuen politischen Stil“. Er solle „Motor für eine neue Beschäftigungsinitiative sein, an der alle am Arbeits- und Wirtschaftsleben Beteiligten mitwirken, ihren Beitrag zur Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen zu leisten: die Politik, die Wirtschaft und die Gewerkschaften“.237 Mit ihm würden „Handlungsspielräume für eine kooperative Beschäftigungspolitik erschlossen und voll ausgeschöpft“.238 Man wolle schließlich „keine sozialen Veranstaltungen in der Arbeitsmarktpolitik, sondern [...] durch unternehmensnahe Arbeitsmarktpolitik Effekte für die Wirtschaft erreichen“.239 Arbeit, dessen waren sich die Sozialdemokraten sicher, sei in Sachsen für viele Jahre „genügend vorhanden“. Die Regierung müsse nur Wege finden, diese Arbeit zu finanzieren und gerecht zu verteilen. Eine Variante berge ein öffentlicher Arbeitsmarkt, eine andere Variante ein „Beschäftigungspakt“.240 Im Rahmen dieses „Pakts“ sollte ein günstiges Förderklima mehr Existenzgründungen ermöglichen, durch regionale Strukturpolitik die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessert sowie die Unternehmen für ihre Anpassung an aktuelle Erfordernisse gerüstet werden. Weiterhin umfasste er neue Wege bei der Qualifizierung von Arbeitskräften, intensivierte klassische Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie eine aktive Arbeitsmarktpolitik mit mehr Programmen für Jugendliche, Frauen und ältere Arbeitslose.241 Neben einer vom Arbeitsmarkt abgekoppelten beruflichen Erstausbildung, deren Kosten vom öffentlichen und privaten Beschäftigungssektor getragen werden müssten, pochten die Sozialdemokraten auf eine kommunale Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern.242 Unabhängig davon gelte es, wieder „Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“ herzustellen, gezielt gegen Schwarzarbeit und Niedrigstlöhne 234
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Vgl. „Görlitzer Programm“, S. 6, 26; Wahlprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1999, S. 7 f., S. 23. Programmkarte Arbeitnehmerdialog ’99; ADSD 3/SNAB 000134 Wahlkampfflugblatt „Thema: Arbeit.“ Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, S. 7722. Programmkarte Arbeitnehmerdialog ’99. Wahlprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1999, S. 5. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, S. 7725. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1999, S. 9, 20 f.; „Görlitzer Programm“, S. 8 f. Vgl. bow: Dresdner Team stellt Beschäftigungspakt vor, in: FP vom 3. September 1999; ADSD 3/SNAB 000134 Wahlkampfflugblatt „Thema: Arbeit.“ Vgl. Wahlprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1999, S. 9, 20 f.; „Görlitzer Programm“, S. 9.
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vorzugehen und den „selbstzerstörerischen Konkurrenzkampf“ in der Bauwirtschaft zu beenden. Dazu müsse die vorhandene Arbeit verteilt werden, etwa durch Überstundenabbau, neue Arbeitszeitmodelle oder Arbeitszeitverkürzungen. Auch hielt die SPD eine „Reform des kommunalen Finanzausgleichs“ für dringend geboten. Die Gemeinden benötigten mehr investive Mittel. Aus den kommunalen Mehrinvestitionen entstünden dann zusätzliche Arbeitsplätze. Dies alles sei zu ergänzen durch „eine neue Unternehmenskultur in Sachsen“, in deren Rahmen sich die „Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital“ erhöhe.243 In der Politik der Bundesregierung zur Senkung der Lohnnebenkosten sah die Landespartei einen weiteren Schritt für zusätzliche Arbeitsplätze. Die „Voraussetzung für einen funktionierenden Arbeitsmarkt [sei] eine florierende Wirtschaft, in der der Faktor Arbeit entlastet ist“.244 Die gegenwärtige Finanzierung sozialpolitischer Aufgaben verhindere dies. Arbeitskosten müssten gesenkt und die beitragsfinanzierten Sozialversicherungen durch steuerfinanzierte Grundsicherungsleistungen ergänzt werden. 245 Um im Zuge der Konsolidierungsbemühungen dennoch mehr Gerechtigkeit zu schaffen, erachtete Constanze Krehl eine Vermögensteuer für unerlässlich. „Wenn Rentner mit geringeren Rentenerhöhungen auskommen und Erwerbslose Abstriche bei der Arbeitslosenhilfe hinnehmen müssen, dann sollten auch die Vermögenden ihren Beitrag leisten.“246 Kunckel, der diesem Vorschlag anfangs ablehnend gegenüberstand, wechselte im Wahlkampfverlauf, nachdem er den „symbolischen Wert“ der Vermögensteuer erkannt hatte, seinen Standpunkt.247
6.3.5 Konkurrenzkampagne Für Karl-Heinz Kunckel stellte sich die interparteiliche Situation für die SPD wenige Wochen vor der Wahl so dar: „Hier kämpft nur eine Partei einen engagierten Wahlkampf. Und das ist die SPD. Wir haben ein Programm mit allen wichtigen Schwerpunkten, und wir haben dies mit einem Team personell untersetzt. Die CDU hat nur einen Programmpunkt und der heißt Biedenkopf. Und die PDS macht auf Populismus.“248 Jenseits dieser Scheinwelt hatten die Sozialdemokraten aus dem Durcheinander von 1994 gelernt und für das Wahljahr 1999 festgelegt: „Wir werden eine Auseinandersetzung führen um Grundlagen, Richtungen und Inhalte von Politik, nicht jedoch um taktische Fragen und mögliche Konstellationen einer künftigen Koalition.“249 Folgerichtig vermied die SPD ausufernde Spekulationen über eine Zusammenarbeit mit der PDS. Gleichwohl hatte sie nach jahrelanger Bündnisdebatte im Vorfeld des Wahlkampfes zu keiner klaren Haltung gefunden. Während der Landesvorsitzende auf die „Dresdner Erklärung“ insistierte, die „demokratische Qualität“ der PDS anzweifelte und mit aller Deutlichkeit das „Schweriner Modell“ für Sachsen ablehnte, erklärte der Landes243
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247 248 249
Vgl. Wahlprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1999, S. 6; Das SachsenBuch. Wahlkampfbroschüre der sächsischen SPD, S. 14; „Görlitzer Programm“, S. 8. „Görlitzer Programm“, S. 8. Vgl. ebd., S. 8-10. Constanze Krehl zitiert in: lip: SPD in Sachsen spricht sich für Vermögensteuer aus, in: Welt am Sonntag vom 11. Juli 1999. Vgl. Hubert Kemper: Durchhalteparolen im Wahlkampf-Endspurt, in: FP vom 7. September 1999. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: LVZ vom 27. August 1999. Erklärung des SPD-Landesvorstands Sachsen. Grundsätze unserer Politik vom 27. November 1998, S. 1.
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vorstand in Reaktion auf die rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern unscharf: „Eine Regierungsbildung kann nur mit Parteien infrage kommen, deren Verhältnis zur Demokratie zweifelsfrei und ohne Vorbehalt ist.“250 Die Partei lavierte, indem sie die Zusammenarbeit mit den Postkommunisten weder negierte noch ihr das Wort redete. Völlig offen blieb die Frage nach einer PDS-gestützten SPD-Minderheitsregierung. Dass schließlich die Postkommunisten im sozialdemokratischen Wahlkampf kaum eine Rolle spielten, hatte mehrere Gründe. Allen voran führte die SPD eine indirekte Kampagne gegen die PDS, indem sie versuchte, sich als einzige „linksdemokratische“ und als sozial kompetenteste Partei zu präsentierten. Sie vermied die direkte Konfrontation und suchte die mittelbare Auseinandersetzung. Weiterhin hatten die von Lafontaine und Schreiner angestimmten rot-roten Choräle unter dem neuen Bundesvorsitzenden Schröder an Kraft verloren, was den Druck auf die Landespartei minderte.251 Drittens dominierte Kunckels strikter Abgrenzungskurs. Er sprach sich im Wahlkampf klar gegen eine Zusammenarbeit aus. 252 Den innerparteilichen Befürwortern einer Kooperation führte nicht zuletzt die Thüringer Wahl vor Augen, dass die Wähler eine linke Öffnung der Sozialdemokratie nicht honorierten.253 Des Weiteren war 1999 die Wahrscheinlichkeit für ein Linksbündnis minimal, weshalb sich die SPD zu keiner Annäherung veranlasst sah. Die strategischen Vorgaben einer optimalen Mobilisierung der eigenen Wählerschaft und eines Erfolgs im Lager der Arbeiter machten erneut die CDU zum Hauptgegner der interparteilichen Auseinandersetzung. Vorwürfe gegenüber den Christdemokraten prägten den Wahlkampf der SPD. Bereits in den einleitenden Formulierungen des Görlitzer Programms verdeutlichte diese, die „konservativen Regierungen in Bonn und Dresden“ hätten im Prozess der deutschen Einheit „schwere Fehler und Unterlassungen begangen“. Chancen, „die in der Einheit lagen, wurden ohne Not vertan“. Insbesondere die „Fehler bei der wirtschaftlichen Integration der neuen Bundesländer“ hätten zu einer ungeahnten Massenarbeitslosigkeit beigetragen und ganze Generationen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen.254 In seiner Rede auf dem Görlitzer Parteitag im Februar 1999 kritisierte Kunckel ungewohnt scharf den „absolutistischen Regierungsstil“ der Staatsregierung und deren „Gehabe von Arroganz und Selbstherrlichkeit“.255 Nach dem „Pseudoroyalismus der CDU“ sei es nun an der SPD, den Freistaat „wiederzuerobern“ und ihn umzugestalten.256 Weil die CDU die Nähe zum Bürger verloren habe und sich in Sachsen ein „schwarzer Schleier“ ausbreite, so Kunckel, sei es „ein Wert an sich“ und damit vorrangiges Ziel, die absolute CDU-Mehrheit zu brechen.257 In seiner Antwort auf Biedenkopfs Regierungserklärung in der letzten Landtagssitzung verhielt sich Kunckel indes zurückhaltender als 1994. Er konstatierte, dass es im materiellen Sinne überwiegend „vorwärtsgegangen“ sei, während sich die immaterielle Situation, die Haltung der Menschen zur Demokratie und das soziale Miteinander der Menschen verschlechtert hätten. Als konkrete „Fehlleistungen der 250 251 252 253
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Ebd. Vgl. Eig. Bericht/svs: Sachsen-SPD sieht Kurs gegen PDS bestätigt, in: LVZ vom 17. März 1999. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: LVZ vom 27. August 1999. Eine Koalition aus SPD und PDS stieß nur bei sieben Prozent der sächsischen Wähler auf Gegenliebe. Vgl. Infratest dimap (1999a), S. 11 f. „Görlitzer Programm“, S. 2. Karl-Heinz Kunckel zitiert in: Bernhard Honnigfort: Fehlstart im Rennen gegen Biedenkopf, in: FR vom 1. März 1999. Vgl. Karl-Heinz Kunckel zitiert in: Manfred G. Stüting: Jeder vierte stimmte gegen den Chef Kunckel, in: LVZ vom 1. März 1999. Vgl. Sven Siebert: SPD will mindestens 30 Landtagssitze, in: DNN vom 10. Mai 1999.
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Regierung“ bezeichnete er u. a. die schlechte Wirtschaftsentwicklung und eine nicht existente Arbeitsmarktpolitik.258 Ungeachtet dessen ließ die SPD ihre Bereitschaft zu einer Koalition mit der CDU erkennen, sei diese doch besser als deren Alleingang.259
6.4 Wahlkampf der PDS – Aufstieg zur Oppositionsführerin 6.4.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Nach Ablauf des Wahljahres 1994 war die politische Entwicklung des mitgliederstärksten PDS-Landesverbands offen. Die sächsische PDS war eine „Partei ohne Mitte“260, gezeichnet von Flügelkämpfen zwischen „Reformern“ und „Orthodoxen“. Drehten sich die Auseinandersetzungen anfangs um den Grad der inneren Pluralisierung oder den Umgang mit der eigenen Diktaturvergangenheit, dominierten später Konflikte über den richtigen Oppositionskurs und über den ideologischen Standpunkt der Partei. Die Wahlerfolge, die Regierungsbeteiligungen sowie der „moderne“ Kurs des Berliner Parteivorstands belebten die bündnispolitischen Gedanken der sächsischen „Reformkräfte“. Sie waren gewillt, die PDS zu einer offenen, regierungsfähigen Kraft auszubauen, die sich von der SED distanziert und eine Zusammenarbeit mit der SPD und den Grünen anstrebt.261 Speziell die weitgehend realpolitische Strategie des Dresdner PDS-Stadtverbands sowie die Vorstöße seiner Protagonisten Christine Ostrowski und Ronald Weckesser zur Etablierung einer ostdeutschen, linkssozialen Volkspartei („Brief aus Sachsen“) führten zu Protesten des „orthodoxen“ Flügels.262 Dessen Vertreter, namentlich Teile der Leipziger und Chemnitzer Stadtverbände, konterten. Ein solcher Annäherungskurs berge die große Gefahr, eigene Positionen zu verlieren, die DDR-nostalgische Stammwählerschaft abzuschrecken und in der Umarmung der SPD zerquetscht zu werden. Die im Falle einer Regierungsbeteiligung nötigen Kompromisse würden, so die Argumentation der „Orthodoxen“, dem Image der Partei schaden. Für sie und für Teile der Basis galt es, gegen die etablierten Parteien den Status quo zu wahren und die PDS als eine unverfälscht sozialistische, antikapitalistische und fundamentaloppositionelle Interessenvertreterin der Ostdeutschen zu erhalten. War Opposition zwar nur für einige „Orthodoxe“ Gegnerschaft zum System, bedeutete sie doch in jedem Fall klare Opposition im System.263 Als der Hoyerswerdaer Landesparteitag am 25./26. November 1995 anstatt des „Reformers“ Weckesser, in dem vor allem Leipziger und Chemnitzer Delegierte einen realpolitischen Radaubruder sahen, den Leipziger „Ökosozialisten“ Reinhard Lauter zum neuen Landesvorsitzenden wählte, erfolgte die personelle Weichenstellung zunächst zugunsten
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Vgl. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, S. 7724-7726. Vgl. Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 27. Juli 1999. Jürgen Lang (2001): Partei ohne Mitte – Die programmatischen Auseinandersetzungen in der PDS, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 13, Baden-Baden, S. 155-168. Vgl. Offener Brief von Werner Bramke/Heiko Hilker an die Orts- und Kreisverbände der PDS in Sachsen vom 16. Mai 1995 (Archiv des PDS-LV Sachsen); Bramke (2006), S. 58. Vgl. Jürgen P. Lang/Patrick Moreau (1996): Linksextremismus. Eine unterschätzte Gefahr, Bonn, S. 54-59. Vgl. afk.: Abgrenzung gegenüber der SPD, in: FAZ vom 27. November 1995; Christoph Seils: PDS. In Sachsen toben Flügelkämpfe und legen den Landesverband lahm, in: Berliner Zeitung vom 24. September 1997.
6.4 Wahlkampf der PDS – Aufstieg zur Oppositionsführerin
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der „orthodoxen“ Kräfte.264 Lauter stellte sich gegen eine strategische Zusammenarbeit mit der SPD, da diese, anders als die PDS, die „bestehende Gesellschaft“ nicht infrage stelle. Unter den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen und Rahmenbedingungen könne die PDS nur opponieren.265 Sein Parteivorsitz und der damit verbundene Rückzug Porschs auf den Fraktionsvorsitz waren verheerend. Der führungsschwache Lauter manövrierte die Landespartei an den „Rand der Selbstauflösung“.266 Die negative Stimmung an der Basis gegenüber dem Vorstand wuchs, ebenso gedieh die Uneinigkeit zwischen den Flügeln. Im Zustand ihrer radikalen Konzeptionslosigkeit büßte die sächsische PDS beinahe jeden Einfluss bei der „reformistisch“ orientierten Bundesspitze ein. Landespolitische Weichenstellungen erfolgten fast ausschließlich durch die von Porsch geführte Fraktion. 267 Vor dem Hintergrund der aufziehenden Bundestagswahl rief der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky schließlich den Landesverband im Sommer 1997 mit deutlichen Worten zur Ordnung.268 Porsch bewarb sich erneut um den Vorsitz, um aus der sächsischen PDS eine starke, innovative und handlungsfähige Partei zu machen. Auf dem Chemnitzer Landesparteitag Ende November 1997 beendeten die Genossen mit der Wahl ihres alten und neuen Vorsitzenden Porsch ihr misslungenes Führungsexperiment.269 Ihr Erfolg zur Bundestagswahl und das EMNID-Winterpolitbarometer 1998 signalisierten den Postkommunisten die (vage) Möglichkeit linker Mehrheiten in Sachsen. Auch die erste rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern 1998 wies auf die neue Option der Regierungsbeteiligung hin. Porsch ging daher in die Offensive und rief SPD und Grüne zur engen Kooperation im oppositionellen Lager auf.270 Da die sächsische SPD-Spitze einem Linksbündnis widerstrebte, „bearbeitete“ Porsch gezielt deren Vorsitzenden. Kunckel könne schließlich „der Kraft des Faktischen nicht ewig widerstehen“. Nur mit einer gemeinsamen Politik, so Porsch, sei die absolute Mehrheit der CDU zu brechen. Kunckel müsse sich darüber im Klaren sein. In dem Maße, in dem sich dieser unbeeindruckt zeigte und Nähe zur CDU symbolisierte, griff ihn der PDS-Chef verstärkt an. Kunckel sei ein „Narr am Hofe des immer nackter werdenden Königs“. Sein Kurs gefährde die Demokratie, indem er auf der einen Seite die PDS zur Tabupartei erkläre, während er auf der anderen Seite durch sein Streben nach einer Großen Koalition aus der absoluten CDU-Mehrheit eine „noch absolutere“ Mehrheit machen wolle.271 Porsch erweiterte deshalb seine Offerten. Die SPD sei schließlich „kein monolithischer Landesverband“ und womöglich nach der Wahl für neue Wege offen.272 Parallel befriedete er die Partei. Er vertrat die Linie des PDS-Bundesvorstands, der, in Reaktion auf den neuen Kurs der SPD unter der Führung von Gerhard Schröder, zuneh264
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Lang/Moreau vertraten gar die Ansicht, der „orthodoxe“ Flügel in Sachsen habe mit dieser Wahl zum „Putsch“ gegen die „reformistische“ Landesführung gerüstet, mit dem Ziel, das mitgliederstärkste Bundesland unter Kontrolle zu bringen. Vgl. Lang/Moreau (1996), S. 35. Vgl. Referat des Landesvorsitzenden Reinhard Lauter auf der 2. Tagung des 4. Landesparteitags am 7. Dezember 1996 in Dresden, S. 9-12 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Koß/Hough (2006a), S. 329. Vgl. Christoph Seils: PDS. In Sachsen toben Flügelkämpfe; Bramke (2006), S. 40. Vgl. Grußansprache des Parteivorsitzenden Lothar Bisky auf der 3. Tagung des 4. Landesparteitags der PDS Sachsen am 7./8. Juni 1997 in Zwickau, S. 126 f. (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Steffen Klameth: Porsch wird forsch: Ich trete an, in: SZ vom 5. Juli 1997. Vgl. SZ/sk: PDS fordert SPD zu Dialog und Aktionen auf, in: SZ vom 30. Januar 1999. Vgl. Peter Porsch zitiert, in: pca: Von panischem Wahn besessen, in: FAZ vom 16. November 1998. Vgl. Interview mit Peter Porsch in: Steffen Klameth/Gunnar Saft: „Ich will mal beweisen, was die PDS kann, in: SZ vom 29. Dezember 1998.
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mend linke sozialdemokratische Positionen besetzte, um ehemalige SPD-Anhänger aufzufangen.273 Porschs im Rahmen des Schneeberger Parteitags am 10./11. April 1999 geäußerte Kritik, die PDS müsse endlich von illusionären Forderungen Abstand nehmen, sich realistischeren Zielen widmen und mehr Kompetenz in Sachfragen entwickeln, wolle sie bei den Wählern als Alternative punkten, stieß durchaus auf Akzeptanz in den Reihen der Delegierten.274 Auch die Besetzung der Landesliste verlief weniger aufgeregt als noch 1994. Der von der Landesvertreterkonferenz Ende Mai ohne langwierigen Streit bestätigte Listenentwurf des Vorstands versah nicht nur nahezu alle bisherigen Mandatsträger und Vertreter mächtiger innerparteilicher Strömungen mit aussichtsreichen Plätzen, auch erfüllte er die aus Berlin geforderte Offenheit und Jugendlichkeit. So landete hinter dem Spitzenkandidaten Porsch und der auf Platz zwei gesetzten Regina Schulz mit der erst seit wenigen Wochen der PDS angehörigen Leipziger Studentin Heike Werner eine Debütantin auf Platz drei. Porsch erhoffte sich davon eine Signalwirkung. Weitere Novizen waren die erst 21jährige Dresdnerin Katja Kipping, der ehemalige Leipziger Bundestagsabgeordnete Steffen Tippach und der jugendpolitische Sprecher des Landesvorstands Falk Neubert. Als „Etablierte“ waren Ronald Weckesser auf Platz sechs, Dietmar Pellmann auf Platz acht und Klaus Tischendorf auf Platz zehn hinzugekommen.275
6.4.2 Konzeptioneller Rahmen Oberste Leitungs- und Führungsinstanz im Landtagswahlkampf war der Landesvorstand, verantwortlich für die strategisch-inhaltliche Ebene zeichnete die AG „Wahlen“. Als Teil der politischen Wahlkampfführung erarbeitete sie strategische Konzepte und entwarf, unterstützt durch Fraktionsmitarbeiter, das Wahlprogramm. Ein unmittelbar beim Landesvorsitzenden angesiedelter „Wahlstab“ war ebenfalls für die inhaltliche und strategische Vorbereitung und Durchführung zuständig. Als strategische und taktische Schaltzentrale vereinte er u. a. mit Bernd Rump und Klaus-Peter Schwarz zwei Architekten der Kampagne. Die technische Wahlkampfführung oblag erneut dem Landeswahlbüro, diesmal geleitet von Michael Kretschmer. Das Organ des Landesvorstands war zuständig für Organisation und Lenkung des Wahlkampfes, speziell für die zentralen Veranstaltungen, für die Auftritte des Spitzenkandidaten und für die Umsetzung der Werbekampagne. Das Wahlbüro organisierte die Zusammenarbeit mit den nachgeordneten Strukturen, es hielt Verbindung zum Landesvorstand und vertrat die Landespartei im zentralen Berliner Wahlbüro.276 Zur besseren regionalen Koordinierung wurden Anfang 1998 fünf Wahlkreiszentren gebildet, von denen jedes für bestimmte regionale Wahlkreise verantwortlich zeichnete. Dabei ersetzten die Zentren nicht die Arbeit der Kreis- und Basisorganisationen, sondern dienten deren besserer Vernetzung. Die PDS hatte aus der Misere von 1994 gelernt und an einer „Professionalisierung des Wahlkampfes“ gearbeitet. Technische und personelle Neuerungen verbanden sich mit der Einsicht, „dass professioneller Wahlkampf richtig Geld kostet und die 273 274 275
276
Vgl. AFP/AP: Gysi für neuen Kurs in der Wirtschaftspolitik, in: Süddeutsche Zeitung vom 2. August 1999. Vgl. Gunnar Saft: PDS probt Abschied vom Forderungskatalog, in: SZ vom 12. April 1999. Vgl. ders.: Sachsens PDS-Spitze setzt auf viele neue Namen, in: SZ vom 18. Mai 1999; mgs.: PDS will Seiteneinsteiger auf Landesliste setzten, in: DNN vom 18. Mai 1999; dpa: Porsch führt sächsische PDS in die Landtagswahl, in: FAZ vom 31. Mai 1999. Vgl. Landeswahlbüro der PDS Sachsen Michael Kretschmer: Auswertung der Landtagswahlen 1999 vom 20. Oktober 1999, S. 4 (Archiv des PDS-LV Sachsen).
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mit diesem Geld honorierten Werbeleute keine parteiischen Fachleute sind“.277 Die Landespartei war 1999 erstmals kampagnenfähig. Wie bereits 1994 gab sie Teile der Wahlkampfplanung und -umsetzung an über- und untergeordnete Stellen ab. Ihre Werbekampagne konzentrierte die PDS erneut in den Händen der Berliner Agentur Trialon. Zwar lag die Konzeptionierung weitgehend in Dresden, Trialon diente aber als letzte Kontrollinstanz, setzte die Werbelinie um und lieferte partielle Strategieberatung. Das Resultat war eine kombinierte Werbekampagne von der Bundestags- bis zur Landtagswahl. Den einzelnen Kreisverbänden überließ der Dresdner „Wahlstab“ Gestaltungsfreiheiten.278 Schließlich war das individuelle Engagement der knapp 22.300 Mitglieder trotz deren hohen Durchschnittsalters essenziell. Die große Zahl an Wahlhelfern und die noch immer starke Basisverankerung der PDS verliehen ihr 1999 effektive untere Organisations- und Kommunikationsstrukturen.279 Zahlreiche Interessenund Arbeitsgemeinschaften ermöglichten der Partei umfangreiche Aktivitäten im vorpolitischen Raum – etwa in sozialen Einrichtungen.280 Nach ihren rudimentären Gestaltungsansprüchen 1994 hatte sich die PDS 1999 als Ziel gesetzt, so gestärkt aus der Landtagswahl hervorzugehen, um wirksam in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse eingreifen zu können. Der Partei ging es nicht mehr nur um Existenzsicherung, sondern um legislative und exekutive Macht.281 Ihre qualitativen Wahlziele waren: die „konservative Vorherrschaft“282 brechen, „zweitstärkste Parlamentspartei“ werden, mehr politische Beteiligungsmöglichkeiten erreichen.283 Gleichwohl zwang sie die CDU-Dominanz die Berliner Vorgabe, „die CDU aus jeder Regierungsverantwortung […] fernzuhalten“,284 zu verwerfen. Die Christdemokraten galten als „vermeintlich übermächtiger und unschlagbarer politischer Gegner“,285 das Ziel, eine linke Mehrheit zu realisieren, war 1999 nicht zuletzt deshalb utopisch. Als quantitative Wegmarken steckten die Postkommunisten daher mindestens 20 Prozent oder 28 Mandate und drei Direktmandate (Hoyerswerda, Leipzig-Grünau, Sächsische Schweiz) ab.286 277
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Klaus-Peter Schwarz: Tätigkeitsbericht des Wahlstabs beim Landesvorsitzenden der PDS Sachsen vom 29. November 1999, S. 6 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Die Kosten der Kampagne 1999 bezifferte die Partei im Vorfeld der Wahl auf etwa eine Million DM. Die Wahlkampfausgaben aller Gliederungen beliefen sich auf 1.947.836 DM. Da die Ausgaben für Wahlkämpfe im ersten Halbjahr 662.244 DM betrugen, blieb eine Differenz von rund 1,3 Millionen DM für das Halbjahr des Landtagswahlkampfes. Vgl. Sven Siebert: Sachsens Parteien machen Millionen im Wahlkampf locker, in: LVZ vom 8. April 1999; PDS. Rechenschaftsbericht 1999, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/5050 vom 15. Dezember 2000, S. 98; PDS Landesverband Sachsen: Einnahmen- und Ausgabenrechnung 1. Halbjahr 1999 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Landeswahlbüro der PDS Sachsen Michael Kretschmer: Auswertung der Landtagswahlen 1999, S. 13. Vgl. Peter Carstens: Wütendes Werben, in: FAZ vom 13. Februar 1999. Vgl. Neugebauer (2006), S. 124. Vgl. Beschluss 58: Thesen zur Wahlstrategie der PDS Sachsen, verabschiedet auf der 3. Tagung des 4. Landesparteitags der PDS Sachsen am 7./8. Juni 1997 in Zwickau, S. 1; Wahlstrategie der PDS in Sachsen. Entwurf der Grundsatzkommission, Dresden 1997, S. 1 f. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999. Ein Land für die Menschen. Veränderungen beginnen vor Ort, S. 2. Vgl. Klaus-Peter Schwarz: Kommunikationskonzept für den Landtagswahlkampf 1999 der PDS Sachsen. Entwurf vom Frühjahr 1999, S. 2; Interview mit Peter Posch in: Gunnar Saft: „Absolute Mehrheit muss fallen“, in: SZ vom 25. August 1999. Interview mit Dietmar Bartsch in: Dieter Wonk: SPD und PDS auf Stimmenfang, in: DNN vom 3. August 1999. Beschluss 58: Thesen zur Wahlstrategie der PDS Sachsen, S. 7. Vgl. dpa: Die CDU will in Sachsen „klare Verhältnisse“, in: FAZ vom 12. Juli 1999.
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Die PDS setzte erneut auf eine Oppositionsstrategie, richtete diese wegen ihrer erstarkten Stellung aber öffentlicher und offensiver aus als 1994. Sie bewegte sich in der Wählerpräferenz auf einem konstanten Niveau von 19 Prozent. Auch ihr sonstiger Zuspruch war seit der Bundestagswahl 1998 positiv, steigende Kompetenzwerte auf dem sozialpolitischen Gebiet, das sich sukzessive bessernde Verhältnis zu den Medien und die allgemeine politische Stimmung manövrierten sie in eine günstige Wahlkampfposition. Sie war optimistisch, ihre Kampagne strotzte vor Selbstsicherheit.287 In dem Maße, in dem das Bild von der SED-Nachfolgepartei in den Köpfen der Wähler verblasste, scheiterten auch die Tabuisierungsstrategien ihrer Gegner. Porsch konstatierte, die bei den früheren Wahlkämpfen notwendige Zurückhaltung sei nun nicht mehr erforderlich. Die PDS könne ihren Wahlkampf fortan lockerer, offensiver gestalten und zeigen, dass sie eine ernstzunehmende Alternative mit eigener Konzeption und eigenem Personal darstellt.288 Egal ob sie ihr Ergebnis von 1994 wiederholen, sie in der dritten Legislaturperiode als einzige Oppositionspartei einer Großen Koalition gegenüberstehen oder aber sie das Oppositionslager gegen die CDU anführen sollte: Jede der drei Konstellationen sicherte der PDS die führende Oppositionsrolle.289 Im Mittelpunkt ihrer konzeptionellen Alternativkampagne stand das Thema „Gerechtigkeit“, ausgedrückt von den Leitslogans „Sachsen gerecht werden“ und „Sozial ist gerecht“. Dabei verband die Partei den Gerechtigkeitsbegriff umfassend mit sich, der ostdeutschen Bevölkerung und der DDR. Gerechtigkeit sei „sowohl historisch (im Bezug auf die DDR-Biografien) als auch regional (als Beachtung der jeweils konkreten Spezifika) als auch sozial (im Bezug auf Arbeit und Einkommen) als auch persönlich (Chancen für soziale Gruppen und Gemeinschaften) […] eine der PDS zugetraute Forderung.“ Speziell die Ostdeutschen brächten Gerechtigkeit mit der Annahme von sozialer Gerechtigkeit, mit sozialistischen Inhalten und damit mit der PDS in Zusammenhang. Sie war davon überzeugt, dass Gerechtigkeit nur von einer „noch nicht regierenden“, „sozial verpflichteten Ost-Protest-Partei“ eingefordert werden könne, „die sich auf benachteiligte Gruppen oder Personen bezieht“.290 Begleitend zu ihrer Kernstrategie versuchte die PDS erstmals Wahlkreise direkt zu gewinnen. Obwohl die Direktkandidaten im Konzept der Partei eine untergeordnete Rolle spielten, kam einzelnen Kreisen Priorität zu. Landes- und Bundespartei unterstützten z. B. Hoyerswerda beratend, logistisch und finanziell. Um ebenfalls ihrem Anspruch gerecht zu werden, eine junge, offene, muntere Oppositionspartei zu sein, setzte die PDS einerseits auf jugendliche Aushängeschilder, etwa die Dresdner Studentin Katja Kipping, deren Nominierung zwar umstritten war, die aber als Dresdner „rote Zora“ die erhoffte positive Öffentlichkeitswirkung für die PDS erzielte. Andererseits kommunizierte man mittels eines innovativen Wahlkampfstils. „Erlebbare Wirkung“ stand im Vordergrund eines Wahlkampfes, den die Partei gleichzeitig als polit-kulturelles Ereignis verstand.291 Ihre Zielgruppenausrichtung folgte 1999 der Maxime: „Die Politik der PDS orientiert sich an den Bedürfnissen derjenigen Menschen, denen die gesellschaftlichen Umstände und traditionellen Normvorstellungen Nachteile bereiten. Dieser Anspruch bildet die Basis für 287 288 289 290 291
Vgl. Protokoll der Sitzung des Wahlstabs vom 20. Mai 1999 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Sven Siebert: Porsch: Sonntag will ich überholen, in: LVZ vom 14. September 1999. Vgl. Klaus-Peter Schwarz: Kommunikationskonzept für den Landtagswahlkampf 1999, S. 2. Ebd., S. 3. Vgl. Protokoll der Sitzung des Wahlstabs vom 17. Juni 1999 (Archiv des PDS-LV Sachsen); Beschluss 58: Thesen zur Wahlstrategie der PDS Sachsen, S. 3, 8.
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die Erarbeitung der Wahlstrategie bzw. des Wahlprogramms der PDS Sachsen.“292 Neben Jugendlichen und Frauen als Kerngruppen visierten die Postkommunisten die in ihren Augen Benachteiligten der Transformation, wie Arbeitslose, die unter den „Sparorgien der Regierenden“ litten, Rentner, die sich zunehmend finanziellen Risiken ausgesetzt sähen, Arbeitnehmer und Selbstständige, die sich in Sorge um ihren Arbeitsplatz bzw. ihr Unternehmen befänden, sowie Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle.293 Zusätzlich wandte sich die PDS an alle mit angeblich missachteten „ostdeutschen Erfahrungen und Lebensläufen“.294 Wie schon 1994 sprach sie subjektiv Benachteiligte an, die zwar an absolutem Wohlstand gewonnen, aber relativ an Ansehen verloren hatten. In ihrer Unzufriedenheit lag unverändert die Chance der PDS.295
6.4.3 Imagekampagne Die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen den „orthodoxen“ und den „reformorientierten“ Strömungen um den Kurs des Landesverbands, die Differenzen zwischen den Stadtverbänden, die zuweilen unorganisierte innere Interessenvielfalt und die reaktive Oppositionsrolle der Partei hatten ein langfristiges Parteiimages verhindert. Ebenso wie die Bundespartei steckte der Landesverband ab Mitte der 1990er Jahre in einem Findungsprozess zwischen ostdeutscher Interessenpartei, radikaler Protestpartei und sozialistischer Alternative.296 Zentral für die sächsische PDS war die Zeit nach der Bundestagswahl 1998. In dem Maße, in welchem die Landesführung ihre Partei auf den Kurs der „Reformer“ brachte und sich zeitgleich die Position der SPD auf Bundesebene verschob, formten die sächsischen Genossen ihr Image. Gemäß ihrer Wahlstrategie spielte die PDS die Karte der „verlässlichen [ostdeutschen] Oppositionspartei mit konsequenten Politikangeboten“. Sie präsentierte sich als einzige Alternative zur Regierung Biedenkopf und als „Kristallisationskern“ des Widerstands gegen deren „neoliberale Politik“.297 Man habe, so Porsch, „die Regierung sehr viel deutlicher kritisiert als die SPD, ohne dabei in Trivialität oder ,Kritikastertum‘ zu verfallen“.298 Nur die PDS habe „Opposition und Widerstand gegen eine Politik des Sozialabbaus, des Demokratieabbaus, der Förderung von Reichtum weniger und Armut vieler, der Arroganz gegenüber den Menschen und ihren im Osten gelebten Leben“299 geleistet. Die PDS gab ihrem Oppositionsimage eine neue Richtung und präsentierte sich als Oppositionspartei mit Ambition auf und Kompetenz für eine Regierungsteilhabe. Als zweitstärkste Kraft werde sie fortan ein deutliches Wort mitreden und „Bewegung in die festgefahrene, weitgehend an
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Beschluss 58: Thesen zur Wahlstrategie der PDS Sachsen, S. 11. Vgl. Klaus-Peter Schwarz: Kommunikationskonzept für den Landtagswahlkampf 1999, S. 4; Wahlstrategie der PDS in Sachsen. Entwurf der Grundsatzkommission, Dresden 1997, S. 8. Wahlstrategie der PDS in Sachsen. Entwurf der Grundsatzkommission, Dresden 1997, S. 9. Vgl. Beschluss 58: Thesen zur Wahlstrategie der PDS Sachsen, S. 6. Vgl. die Darstellung bei Hüning/Neugebauer (1996), S. 80-84. Interview mit Peter Porsch in: Ralf Hübner: „Ich hätte schon ein Konzept für Sachsen“, in: Lausitzer Rundschau vom 11. September 1999; Rede von Peter Porsch auf der Landesvertreterversammlung der PDS Sachsen am 29./30. Mai 1999 in Eilenburg, S. 66 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Interview mit Peter Porsch, in: SZ vom 25. August 1999. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags des Landesverbands Sachsen der PDS am 10./11. April 1999 in Schneeberg, S. 4.
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die Interessen des großen westdeutschen Kapitals verhökerte sächsische Politik bringen“.300 „Wir versprechen, dass wir mit unserer Politik den Verhältnissen auf die Sprünge helfen werden. Wir versprechen unsere Aktivität, unsere Kreativität, Verlässlichkeit, Kompromissbereitschaft, aber auch Widerstand.“301 In ihrer Außendarstellung, mehr noch in ihrem Selbstverständnis war die PDS die Garantin einer sozialen Vision in einer kapitalistischen Gesellschaft. Sie präsentierte sich den Wählern als „sozialistische Partei“.302 Ihr politisches Angebot sei jedoch „nicht der Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“, sondern eher „ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, ein Mehr an Demokratie, das ist Innovation im Sinne des Sozialstaates, das ist Menschenwürde für alle, das ist mehr Wärme statt mehr Profit, das ist weniger zerstörerischer Reichtum und mehr Wohlstand, das ist mehr Kultur für alle, mehr Bildung, das ist Wirtschaft mit sozialer und ökologischer Verantwortung“. Man könne stolz darauf sein, so Peter Porsch, „dass es in Deutschland noch eine sozialistische Partei gibt, eine Partei, für die soziale Gerechtigkeit ein entscheidender Wert ist und die sich deutlich gegen militärische Optionen […] ausspricht“.303 Porsch hatte damit die beiden Kernimages angesprochen. Zum einen präsentierte sich die PDS als „eine wirkliche und konsequente Alternative zu einer Politik der sozialen Ungerechtigkeit und der sozialen Schieflage“.304 Es sei sinnvoll PDS zu wählen, so Gregor Gysi, „nicht etwa nur zur Veränderung der Landespolitik, sondern auch im Interesse der Veränderung der Bundespolitik“. Wer wolle, dass die SPD im Bund wieder sozialer werde, müsse bei der Landtagswahl PDS wählen.305 Ohne sie, so Porsch, hätten sich die Berliner Regierungsparteien, aber auch die sächsischen Parteien, „keinen Millimeter“ in Richtung einer sozialeren Politik bewegt. Nur eine starke PDS könne der ehemals sozial gerechten SPD eine Diskussion über ihren politischen Standort aufzwingen.306 Zum anderen präsentierte sie sich angesichts der NATO-Intervention auf dem Balkan als „einzige Friedenspartei in deutschen Parlamenten“307 Der PDS-Wahlkampf stellte deutlich auf den vorgeblich völkerrechts- und verfassungswidrigen Kriegseinsatz der Bundesregierung ab. Auf der Landesvertreterkonferenz Ende Mai 1999 griff Porsch zu einer bizarren Dialektik. Indem Biedenkopf den Krieg rechtfertige, unterminiere er die Souveränität Jugoslawiens und legitimiere das Interventionsrecht der NATO. Hinter diesem Denken und Handeln, so Porsch, stecke „ein gefährliches allgemeines politisches Konzept des Verhältnisses von Politik und Wirtschaft, das wir hier in Sachsen schon lange am eigenen Leib verspüren, das aber in der Brutalität erst jetzt, im Angesicht des Krieges, ganz deutlich wird. Die Starken entscheiden über das Schicksal der Schwachen ist der allgemeine Grundsatz, und die Politik hat gegenüber der Wirtschaft, und insbesondere den Starken in der Wirtschaft, eine dienende Funktion. Das ist die Spezifik.“308 300 301 302 303 304
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Ebd., S. 12. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 7. Ebd., S. 1. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 13 f. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999 (Archiv Wolfgang Luutz). Vgl. Rede von Gregor Gysi auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999 (Archiv Wolfgang Luutz). Vgl. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 13. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 1. Rede von Peter Porsch auf der Landesvertreterversammlung, S. 63 f.
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Porsch stand, deutlicher als 1994, im Mittelpunkt der Kampagne. Obwohl ihn weiterhin drei Viertel der Sachsen und die Hälfte der eigenen Anhänger nicht kannten,309 war er der einzige landesweite PDS-Prominente. Zwar stellte die Partei Anfang Januar 1999 ihr zehnköpfiges „Herausfordererteam“ unter der Führung des Spitzenkandidaten vor. Die Kandidaten wie Brigitte Zschoche oder Regina Schulz spielten aber diesmal eine eher regionale Rolle.310 Das „Herausfordererteam“ diente vornehmlich dem inneren Frieden. Porsch indes fungierte als Kommunikator in den Massenmedien, als Brücke in einem nach wie vor problembehafteten Verhältnis zwischen der Partei und der sächsischen Presse. Ein Großteil der Medienöffentlichkeit der Postkommunisten ging 1999 auf Porsch zurück. Seine rhetorischen Qualitäten, seine Angriffslust gegenüber Biedenkopf, seine ungewöhnliche Biografie und sein positives Naturell prädestinierten ihn für einen alternativen Medienwahlkampf. Er, der in keine Schublade zu passen schien, sollte das neue, frische Bild der PDS vermitteln. Der 1944 in Wien geborene und in einem bürgerlich-katholischen Elternhaus aufgewachsene Porsch, der, so seine Lesart, während seines Studiums in West-Berlin 1973 „der Liebe wegen“ in die DDR übersiedelte, 1982 als überzeugter Marxist der SED beitrat und 1988 Professor für marxistisch-leninistische Sprachtheorie an der Universität Leipzig wurde,311 war DDR-Bürger und alpenländischer Exot zugleich. Die Stuttgarter Zeitung sah ihn als „bunten Hund mit unverkennbarem Wiener Schmäh“, als einen für eine postkommunistische Partei „ziemlich lebenslustigen und selbstironischen Menschen“.312 Die Frankfurter Allgemeine schrieb, er sei ein „Kaffeehaussozialist“313, ein „Salonkommunist“314, exotisch, kein DDR-Apparatschik. Porsch wurde von der PDS gebraucht. Er war eine dicke Schicht neu aussehender Lack auf einer alten Karosse. Innerhalb der Partei galt er ob seines integrativen Ansatzes als „Wiener Harmoniker“.315 Die „Porsch-Tour“ setzte einerseits auf Konventionelles. Porsch besuchte Bürgerforen, nahm an Diskussionen teil, besichtigte Unternehmen oder trat auf Marktplätzen auf. Dass er bei den Veranstaltungen zumeist unter Gleichgesinnten blieb, störte ihn wenig. Andererseits probte der Spitzenkandidat die „lockere Tour“.316 Er versuchte durch unkonventionelle Aktionen seine Person zu popularisieren und die Botschaften der PDS medienwirksam zu inszenieren. Dabei nahm Porsch, der als Herausforderer, nicht aber als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten antrat, kaum auf Integritätskomponenten Rücksicht.317 So betätigte er sich unter den Mottos „Wirtschaftsförderung à la CDU“ und „Zukunftsgesellschaft à la Biedenkopf“ auf Marktplätzen als Schuhputzer und erklärte den Passanten, dies sei für die CDU die Zukunft der Arbeit – „ein Volk von Schuhputzern und Kofferträgern“.318 In Eilenburg trat Porsch als Kabarettist auf und rezitierte Stücke des Österreichers
309 310 311 312
313 314 315 316 317
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Vgl. Infratest dimap (1999c), S. 14. Vgl. Andreas Novak: Schuhe putzen gegen die CDU, in: SZ vom 30. August 1999. Vgl. dpa-Sonderdienste, Nr. 3540 vom 18. August 1999, S. 11. Stefan Geiger: Missionare und Sozialarbeiter in der Diaspora, in: Stuttgarter Zeitung vom 16. September 1999. Peter Carstens: Spätere Vereinigung nicht ausgeschlossen, in: FAZ vom 2. Juli 1998. Ders.: Erfolgreiche Schuhputzer, in: FAZ vom 17. September 1999. Vgl. Steffen Klameth: Der Wiener Harmoniker, in: SZ vom 13. September 1999. Sven Siebert: Porsch: Sonntag will ich überholen, in: LVZ vom 14. September 1999. Vgl. Interview mit Peter Porsch in: Sven Siebert: „Bin optimistisch, dass die PDS als Zweite durchs Ziel geht“, in: LVZ vom 7. September 1999. Vgl. Andreas Novak: Schuhe putzen gegen die CDU, in: SZ vom 30. August 1999.
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Helmut Qualtinger. In Görlitz ritt er auf einem Elefanten, getreu der Devise: „Auch große Tiere lassen sich bezwingen“.319
6.4.4 Themenkampagne Wählern mit PDS-Präferenz waren 1999 vier Themen wichtig: Arbeitslosigkeit (82 Prozent), Wirtschaft (25 Prozent), soziale Gerechtigkeit (22 Prozent) und Schule/Bildung (14 Prozent).320 Entsprechend konzentrierte die PDS ihre Themenkampagne auf die Bereiche Wirtschaft und Arbeit sowie soziale Gerechtigkeit. Ferner legte sie ihr Augenmerk auf Bildung, Jugend und Kultur, Umwelt sowie demokratische Weiterentwicklung. Ihr sozialpolitisches Postulat holte weit aus. Da die Partei die soziale Versorgung einer Gesellschaft als notwendig für deren wirtschaftliche und politische Entwicklung ansah, focht sie für eine „soziale Grundsicherung als Rechtsanspruch“, für höhere Standards in der medizinischen Grundversorgung und für eine sozial orientierte Wohnungspolitik.321 Bildungspolitisch plädierte sie für ein „alternatives Schulgesetz“. Unter dem Punkt Nachhaltigkeit trat die PDS u. a. für eine Technologiepolitik unter Gebrauch regenerativer Energien ein, forderte ferner den Ausbau eines ökologischen und sozialen öffentlichen Personennahverkehrs.322 Zuletzt verlangte sie die „Demokratisierung der Demokratie“, etwa mehr kommunale Selbstverwaltung oder die Abschaffung der „nicht demokratisch legitimierten“ Regierungspräsidien. Mehr Volksgesetzgebung und ein herabgesetztes Wahlalter bei Kommunalwahlen waren Teil ihres Rufs nach „Demokratisierung der Legislative“.323 Obwohl die Landespartei im Vorfeld des Wahlkampfes beschlossen hatte, sich nichts vornehmen zu wollen, was sie nach der Wahl nicht leisten könne,324 sah sie sich bald mit eben solchen Vorwürfen konfrontiert – aus den eigenen Reihen. Ein Anfang September 1999 in der Berliner Zentrale entstandenes Strategiepapier bezichtigte die Landesverbände, teilweise utopische Ansprüche zu vertreten, die sich im Falle einer Regierungsbeteiligung als gefährlich erweisen könnten. Speziell die Annahmen der sächsischen PDS über Mittelstandsförderung, Strukturpolitik und einen öffentlichen Beschäftigungssektor sprengten jeden finanziellen Rahmen.325 Dabei stand gerade hinter der Wirtschaftsprogrammatik mit der AG „Alternative Beschäftigungs- und Wirtschaftskonzepte“, der AG „Wirtschaftspolitik“ und dem Fraktionsarbeitskreis „Wirtschaft, Arbeit und Finanzen“ die größte Expertise. Doch Unstimmigkeiten und Revierkämpfe verhinderten ein stringentes Konzept. Porsch verteidigte die auf dem Schneeberger Parteitag (April 1999) beschlossene Wahlplattform: „Unser Programm ist bei Umverteilung finanzieller Mittel machbar. Es beschreibt die Situation im Lande, die nötigen Veränderungen und formuliert konkrete Maßnahmen. Wäre ich Ministerpräsident, hätte ich dort durchaus das Gerüst eines Regierungsprogramms.“326 Da letztgenannte Konstellation von vornherein ausgeschlossen werden konnte, bildete die Wahlplattform vorrangig ein oppositionelles Arbeitsprogramm. 319 320 321 322 323 324 325 326
Vgl. Gunnar Saft: Bunter Wahlk(r)ampf, in: SZ vom 9. September 1999. Vgl. Infratest dimap (1999c), S. 14. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 5, 11. Vgl. ebd., S. 10 f. Ebd., S. 6. Vgl. Klaus-Peter Schwarz: Kommunikationskonzept für den Landtagswahlkampf 1999, S. 3 f. Vgl. Gunnar Saft: Bundesvorstand rüffelt Sachsen-PDS, in: SZ vom 9. September 1999. Interview mit Peter Porsch, in: Lausitzer Rundschau vom 11. September 1999.
6.4 Wahlkampf der PDS – Aufstieg zur Oppositionsführerin
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Die ökonomische Situationsbeschreibung der PDS war fundamentalkritisch und erneut das glatte Gegenteil zur christdemokratischen Positivbilanz. Zwar betonte Porsch, er wolle „Fortschritte und Erfolge der letzten Jahre“ nicht leugnen,327 gleichwohl habe die CDURegierung „auf all jenen Politikfeldern versagt, die für die Leute hier in Sachsen wichtig“ seien: bei der Finanzausstattung der Kommunen, beim Ausbau der ortsansässigen Wirtschaft und „bei der Unterstützung kapitalschwacher sächsischer Betriebe“.328 Der „wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ansatz dieser Regierung [sei] so falsch und so perspektivlos, wie er nur sein“ könne.329 Anstatt den hiesigen Mittelstand zu unterstützen, habe die CDU mit ihrer „Leuchtturmpolitik“ Fördermillionen in die „Taschen einer Handvoll westdeutscher und ausländischer Großkonzerne gewirtschaftet“. 330 Für die PDS war dieses „neoliberale“ Konzept für die Wachstumsschwäche sowie für die großen regionalen Unterschiede in Wohlstand und Beschäftigung verantwortlich. Wer heute noch alles „Mangelhafte“ auf die DDR schiebe, der täusche über „die selbst verursachten Probleme und Mängel hinweg, einzig mit Ideologie“.331 Die von der CDU „staatlich betriebene Deindustrialisierung“ habe Sozialabbau, „den Rückzug aus der Beschäftigungspolitik und [die] Verdrängung der Frauen aus dem Arbeitsprozess“332 bewirkt. Kurt Biedenkopf habe Sachsen eine „Mogelpackung“ beschert. Anstatt eines selbsttragenden Aufschwungs verzeichne das Land den höchsten Zuwachs an Arbeitslosigkeit, die meisten Insolvenzen mittelständischer Betriebe und das geringste BIP pro Kopf.333 Das Regierungsversprechen, die Wirtschaftsförderung würde innerhalb der zweiten Legislaturperiode einen positiven Trend auf dem Arbeitsmarkt hervorrufen, sei gebrochen worden.334 Für eine reduzierte Arbeitslosigkeit bedürfe es „intelligenterer Ansätze als der permanente Verweis darauf, dass allein die Wirtschaft Arbeitsplätze schafft“.335 Insbesondere Biedenkopfs Argument, die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Möglichkeiten des Landes seien erschöpft, sei der „Offenbarungseid einer Politik, die sich zur Magd der Wirtschaft gemacht hat“.336 Als „sozialistische Partei“ strebte die PDS ordnungspolitisch nach einer „solidarischen Gesellschaft“.337 Während es 1990 um die „Rettung der Idee des demokratischen Sozialismus“ ging, habe man inzwischen analysiert, „warum der Sozialismus beim ersten Mal so jämmerlich gescheitert“ sei und „wirkliche Alternativen“ erdacht. Ein demokratischer Sozialismus, so Porsch, müsse sich „in der Dialektik von Eigeninteresse und Solidarität entwickeln“. Die gegenwärtige Dominanz des Konkurrenzgedankens führe „zu massenhaften Verstößen gegen dieses Prinzip“.338 Sie müsse deshalb zugunsten des Solidargedankens abgeschwächt werden. „Wir wollen eine Entwicklung, in der das Soziale zum Ziel wirt327
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Vgl. Rede von Peter Porsch vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, in: Plenarprotokoll 2/105 des Sächsischen Landtages, S. 7733-7740, hier S. 7734. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 5 f. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999; Peter Porsch in: Anita Kecke/Sven Siebert: LVZ-Forum zur sächsischen Landtagswahl 1999, in: LVZ vom 9. September 1999. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 10. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 2. Vgl. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 8. Vgl. Peter Porsch in: Anita Kecke/Sven Siebert: LVZ-Forum zur sächsischen Landtagswahl 1999. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 5 f. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 7. Interview mit Peter Porsch, in: Lausitzer Rundschau vom 11. September 1999; Interview mit Peter Porsch, in: LVZ vom 7. September 1999.
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schaftlicher Prozesse wird. Nur eine so organisierte Gesellschaft führt zu Identifikation und Motivation. Nur eine solche Gesellschaft garantiert ein Leben in Menschenwürde.“339 Ferner sah die PDS das Soziale als Voraussetzung allen politischen und wirtschaftlichen Handelns. Nur ein Land „mit einem hohen Niveau der sozialen Einrichtungen und sozialer Versorgung“ könne eine wirtschaftliche und politische Entwicklung gewährleisten, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werde.340 Die PDS stehe für eine Politik, die sich von der „Vormundschaft der Wirtschaft“ befreit und als „gleichberechtigter und widersprüchlicher Partner“ die Interessen durchsetzt, welche die Wirtschaft ignoriere. Dennoch, so Porsch, gehe es nicht um die Zerstörung der Wirtschaft, sondern darum, ihr „ordentliche Bedingungen zu schaffen, um sich zu entfalten und erfolgreich zu sein“.341 Keineswegs sei die Wirtschaftsentwicklung „nur den Regeln des Marktes unterworfen“.342 Porsch exemplifizierte dies anhand des Eigentums. Man könne, so seine Interpretation, „auf der Basis des Grundgesetzes locker in Richtung demokratischer Sozialismus“ gehen. So eröffne der Passus Eigentum verpflichtet „Möglichkeiten bis hin zur Enteignung im Gemeinwohlinteresse“. Obwohl es vorerst nicht um Enteignung gehe, meine die PDS, „dass Banken stärker staatlich kontrolliert“ und alle Eigentumsformen gleichgestellt werden sollten. 343 Geleitet von der Fiktion einer „solidarischen Gesellschaft“ war „die Sicherung eines Lebens in Menschenwürde für alle“, verbunden mit der „Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit“, oberstes gesellschaftliches Ziel der PDS. Das „Maß aller Politik, allen Wirtschaftens“ seien die Menschen. Es müsse darum gehen, „gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen des Landes“ herzustellen und allen die Möglichkeit zu bieten, „sich selbst in sinnvoller Tätigkeit zu verwirklichen, sich den Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten“. Unter der Maßgabe „Modernisierung für alle“ zielte die Partei auf „Datenautobahn statt Autobahn, geförderte Arbeitsplätzen statt finanzierte Arbeitslosigkeit, wissensgestützte Arbeit für Frauen statt Rückkehr an den Herd“. Ihre Postulate bündelte sie in den beiden Zielen „Beschäftigung und Nachhaltigkeit“.344 Um diese zu erreichen, verlangte die PDS eine „radikale“ Änderung der Wirtschaftsförderung. „Leuchttürme zu fördern mit Milliarden Mark und das einheimische Gewerbe, den ortsansässigen Mittelstand leer ausgehen zu lassen, das wird auf Dauer nicht funktionieren.“345 Die „Leuchttürme“ seien von ungenügender Strahlkraft, weshalb die einzelnen Regionen nach wie vor „wirtschaftlich weit auseinander“ lägen.346 Die strukturpolitische Devise der Postkommunisten lautete daher: „Weg von der Leuchtturmförderung hin zur Mittelstandsförderung“.347 Getreu ihres Slogans „Veränderungen beginnen vor Ort“ war die PDS davon überzeugt, dass „nur in der Besinnung auf die eigenen Kräfte die Chance auf
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Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 6. Vgl. Sachsen gerecht werden. Wahlkampfartikel der PDS, in: Sächsischer Bote vom 15. September 1999; Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 5. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 2. Interview mit Peter Porsch, in: LVZ vom 7. September 1999. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 15; Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 1 f. Diskussionsbeitrag von Peter Porsch auf dem DGB-Forum der Spitzenkandidaten am 3. September 1999 in Riesa (Archiv Wolfgang Luutz). Vgl. Interview mit Peter Porsch, in: SZ vom 25. August 1999; Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 3. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999.
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einen Aufschwung bis hin zu selbsttragender Entwicklung“348 liege. Das ökonomische Fortkommen müsse verstärkt aus den Regionen heraus erfolgen, die Förderpolitik sich auf das ortsansässige Gewerbe und auf die Installation „regionaler Wirtschaftskreisläufe“ konzentrieren.349 Besonders die strukturschwachen Regionen seien mit Sonderprogrammen zu unterstützen. Ein Maßnahmenbündel, etwa der Aus- und Umbau des öffentlichen Dienstleistungssektors, der Erhalt öffentlichen Eigentums, die Förderung von Kooperationen im Handwerk, in „Hightech-Bereichen“ und im Dienstleistungsbereich, sollte regionale Wirtschaftsstrukturen zu entwickeln helfen.350 Der zweite Kernpunkt der PDS-Wirtschaftspolitik war der Abbau der Arbeitslosigkeit. Geleitet von der Annahme, das Konzept der Staatsregierung sei nicht in der Lage Arbeit zu schaffen, und getrieben durch die Losung „Arbeit ist nicht alles, aber ohne Arbeit ist alles nichts“, schlug die Partei ebenfalls ein „Bündnis für Arbeit“ vor. Dieses solle eine aktive Arbeitsmarktpolitik und einen „öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“ (OBS) umfassen.351 Die „traditionellen Mittel der Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderung“, etwa die „Subjektförderungen“, stammten aus einer Zeit, in der es strukturelle Massenarbeitslosigkeit nicht gab. Sie seien kaum finanzierbar und führten die Menschen zurück in die Arbeitslosigkeit.352 Sachsen benötige ein „anderes System der Arbeitsförderung“. Der OBS sollte soziale, ökologische und kulturelle „gesellschaftlich notwendige Arbeit“ über eine „längerfristige Projektförderung mit tarifgebundenen Arbeitsplätzen“ im Non-Profit-Bereich schaffen.353 Man müsse solche Arbeit fördern, „für die sich Kapital wegen der geringen Profiterwartungen und ungünstigen Reproduktionsbedingungen nicht engagiert“.354 Daher plädierte die PDS (abgeschwächt) erneut für die Aufnahme eines „Rechts auf Arbeit oder Arbeitsförderung“ als soziales Grundrecht in die Landesverfassung.355 Ebenfalls in das „Bündnis für Arbeit“ fielen Hilfen für klein- und mittelständische Unternehmen durch einen „Landesentwicklungsfonds“. Dieser solle die Eigenkapitalbildung der Unternehmen stärken und Existenzgründungen unterstützen. Alle öffentlichen Mittel für Privatunternehmen würden an „Vereinbarungen über die Anzahl der zu schaffenden unbefristeten (Vollzeit)Arbeitsplätze“ und an eine Mindestdauer, die diese Arbeitsplätze bestehen sollten, gebunden.356 Neben der detaillierten Realisation ließ das Programm die Finanzierung der Vorschläge offen. Porsch betonte, die Konzepte seien „weitgehend durch Umverteilung“ innerhalb des Landeshaushalts zu finanzieren, etwa durch Gelder aus der „aufgeblasenen Ministerial-
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Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 2. Vgl. Peter Porsch in: Anita Kecke/Sven Siebert: LVZ-Forum zur sächsischen Landtagswahl 1999, in: LVZ vom 9. September 1999. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 3, 7. Vgl. ebd., S. 2 f., 7. Vgl. Wahlkampfbroschüre der sächsischen PDS 1999. Arbeitsplätze müssen her!; Diskussionsbeitrag von Peter Porsch auf dem DGB-Forum der Spitzenkandidaten am 3. September 1999 in Riesa (Archiv Wolfgang Luutz). Vgl. Peter Porsch in: Anita Kecke/Sven Siebert: LVZ-Forum zur sächsischen Landtagswahl 1999, in: LVZ vom 9. September 1999; Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 7. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 6. Vgl. Wahlkampfbroschüre der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999. Arbeitsplätze müssen her!; Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 8. Vgl. Rede von Peter Porsch vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, S. 7735; Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 7.
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bürokratie“.357 Im Übrigen sei die Gesellschaft derart reich, „sie könnte sich noch sehr viel mehr leisten als das, was sie sich im Moment leistet oder was sie sich an Sozialem durch Umschichtung der Mittel leisten könnte“.358 Die PDS sah in der Wiedereinführung der Vermögensteuer und in einer einmaligen Vermögensabgabe legitime Finanzierungsmittel.
6.4.5 Konkurrenzkampagne Sujet der postkommunistischen Negativkampagne war die CDU-Alleinregierung. „Die Dominanz der CDU in Sachsen über zwei Legislaturperioden [habe] Anmaßung, Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit der Parlamentsmehrheit unerträglich gesteigert.“359 Sie erweise sich mehr und mehr als „Schaden für die Demokratie“ und das Land. Selbst wenn die „schwarze Staatsregierung“ alles richtig gemacht hätte, so Porsch, wäre allein die „Arroganz der Macht“ Grund genug, die absolute Mehrheit der CDU zu brechen.360 Alle anderen Kommentare der PDS zur Regierungspartei erschöpften sich in den aus ihrer Sicht negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen der christdemokratischen Regierungspolitik. Diese beruhe auf einem Konzept, das eine „Umverteilung von unten nach oben“ befürworte und das „ein Ende des Sozialstaats unter dem Vorwand seines Umbaus“361 anstrebe. Im Ergebnis zeichneten hoch verschuldete Kommunen, geringe Sozialleistungen, eine gering entwickelte Arbeitsförderung, rigoroser Stellenabbau im öffentlichen Dienst und „Privatisierungswut“ das Handeln der Staatsregierung aus.362 Auf Biedenkopfs „vollmundige“ Versprechen wären allein Negativrekorde gefolgt. Porsch betonte, es sei ihm unerklärlich, weshalb beinahe alle Bürger meinten, die Regierung müsse mehr für die Schaffung von Arbeitsplätzen tun, gleichsam aber die große Mehrheit diese Regierung wiederwähle. Weder die CDU noch Biedenkopf böten schließlich Konzepte für die Zukunft an.363 Zu den Sozialdemokraten war das Verhältnis der PDS ambivalent. Auf der einen Seite war die SPD der einzige denkbare Bündnispartner. Auf der anderen Seite war sie als Verfechterin des Schröder-Kurses politischer Hauptgegner. Folglich führten die Postkommunisten eine geteilte Kampagne. Sie kommunizierten ihre Kooperationsbestrebungen mit der Landespartei und kritisierten die Politik der Bundespartei. Ungeachtet der abweisenden Haltung der Sozialdemokraten fuhr Porsch hartnäckig seinen Kooperationskurs und versuchte, die SPD mit allen Mitteln zu überzeugen. Das gemeinsame Ziel müsse eine politische und gesellschaftliche Mehrheit jenseits der CDU sein, so Peter Porsch.364 Es sei daher „kontraproduktiv, sich gegenseitig die Stimmen abzujagen“.365 Schließlich wolle eine Mehrheit der SPD- und PDS-Wähler, dass beide Parteien gemeinsam die CDU aus der Re357
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Interview mit Peter Porsch, in: LVZ vom 7. September 1999. Die PDS wusste, dass für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor die Gestaltungsräume wie die finanziellen Mittel auf Landesebene nicht ausreichten. Vgl. Klaus-Peter Schwarz: Kommunikationskonzept für den Landtagswahlkampf 1999, S. 6. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999. Gunhild Lattmann-Kretschmer in: Wo gibt es Handlungsbedarf in Sachsen? in: WK vom 15. September 1999. Vgl. Rede von Peter Porsch auf der Landesvertreterversammlung, S. 63; Rede von Peter Porsch vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, S. 7738. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 7. Vgl. Rede von Peter Porsch auf der Landesvertreterversammlung, S. 63. Vgl. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999; Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 5. Vgl. ADN: Sachsens PDS will Jugend und Frauen mobilisieren, in: FP vom 12. August 1999. SZ/sk: PDS droht: „Nu pogodi!“, in: SZ vom 12. August 1999.
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gierungsverantwortung nähmen. Ohnehin wäre die SPD besser beraten, ihren sozialen Kurs zusammen mit der PDS zu verwirklichen, da die politische Nähe der Sozialdemokraten hier viel größer sei als die zur CDU.366 Die SPD müsse wissen, was sie wolle, entweder „nach übereinstimmenden Werten mit einer nachgerade brutal neoliberalen CDU fahnden oder das Land mit aktueller Politik zu einem Land für die Menschen verändern“.367 Angesichts Kunckels Standhaftigkeit forderte die PDS die Sozialdemokraten regelrecht zum Sturz ihrer Führung auf. Deren ahistorischer Kurs, so Porsch, verweigere sich der Realität und sei in der sächsischen SPD nicht mehrheitsfähig. Er hoffe, dass es nach der Wahl zu einer Kooperation komme. Wenn die SPD hinter die PDS falle, dann seien die Sozialdemokraten zum Nachdenken gezwungen, dann würden sich neue Stimmen melden.368 Jenseits der landespolitischen Bündnisdiskussionen attackierten die Postkommunisten die Bundesregierung. Die Beschränkung ihrer Angriffe auf die deutsche Teilnahme am Kosovo-Krieg sowie auf die finanz- und fiskalpolitischen Reformen fußte auf einer Instrumentalisierungsstrategie. In dem Maße, in welchem die PDS die SPD als unsoziale, kriegsbefürwortende Partei darstellte, rückte sie sich ins Licht der sozialen und pazifistischen Widersacherin.369 Vor allem Gregor Gysi heizte die SPD-Kritik im Landtagswahlkampf an. Obwohl die Regierung Schröder in seinen Augen richtig begonnen habe, etwa mit einem Ausbau des Kündigungsschutzes oder der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, sei es nach Lafontaines Rückzug zu massiven Veränderung gekommen. Versuchte Lafontaine noch, Widerstand gegen die Wirtschaft zu leisten, habe sich Schröder zu deren „Magd“ degradieren lassen. In der Folge, so Gysi, habe die Bundesregierung Deutschland in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verwickelt und eine „extrem unsoziale“ Sozial- und Steuerpolitik zulasten der Arbeitslosen, der Rentner und der Sozialhilfeempfänger betrieben.370 Ein in den sächsischen Zeitungen veröffentlichter Artikel spitzte dies zu: „Werden Rentner in Ostdeutschland die ersten Opfer des SPD-,Zukunftsprogramms’? Nicht mit uns. Wir werden gegen Schröders ,Sparpaket‘ stimmen, weil es die Großen ungeschoren lässt und die Kleinen zur Kasse bittet.“371 Der Slogan „Hände weg von Omas Rente“ verdeutlichte den Standpunkt. Die „soziale Schieflage von Schröders Sparpaket“, das von Biedenkopf unterstützt werde, sei mit der PDS „nicht zu machen“. 372 Laut Porsch „zocke“ Hans Eichel mit seinen Einsparungen die Arbeitslosen und Rentner im Osten „gnadenlos ab“.373
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Vgl. Interview mit Peter Porsch, in: SZ vom 25. August 1999. Rede von Peter Porsch auf der 3. Tagung des 5. Parteitags, S. 13. Vgl. ADN: Sachsens PDS sieht noch Chancen für Bündnis mit SPD, in: DNN vom 23. August 1999; Interview mit Peter Porsch, in: SZ vom 25. August 1999. Diese Positionierung der PDS ist auch mit enttäuschten Erwartungen gegenüber der rot-grünen Bundesregierung zu begründen. „Wir haben 1998 Rot-Grün positiv gesehen. Wir hätten ja nie geglaubt, dass das, was RotGrün gemacht hat, auch wirklich Rot-Grün machen würde.“ Interview mit Bernd Rump am 24. Januar 2006. Vgl. Rede von Gregor Gysi auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wurzen am 11. September 1999. Sozial ist gerecht. Wahlkampfartikel der sächsischen PDS, in: FP vom 17. September 1999. Interview mit Peter Porsch, in: LVZ vom 7. September 1999. Rede von Peter Porsch vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, S. 7734.
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6.5 Wahlnachlese 6.5.1 Wahlergebnis Der 19. September 1999 beantwortete die beiden offengebliebenen Fragen: Wie hoch fällt die absolute Mehrheit der CDU aus? Wie weit fällt die SPD hinter die PDS zurück? Die Christdemokraten verteidigten bei minimalen Verlusten (-1,2 Punkte) mit 56,9 Prozent ihre Mehrheit (Tabelle 20).374 Eine verheerende Niederlage verbuchte die SPD mit nur 10,7 Prozent (-5,9 Punkte). Sie wurde von der PDS mit 22,2 Prozent (+5,7 Punkte) als zweitstärkste Kraft abgelöst. Von den 15 angetretenen Parteien scheiterten 12 an der Sperrklausel, darunter überraschend deutlich die Liberalen mit 1,1 Prozent und die Grünen mit 2,6 Prozent. Der von einigen Seiten vermutete Erfolg rechtsextremistischer Parteien war ebenso ausgeblieben wie der Landtagseinzug der mit einer millionenschweren Plakat- und Anzeigenkampagne in Erscheinung getretenen Initiative Pro DM (2,1 Prozent).375 Das sächsische Parteiensystem veränderte Aussehen und Struktur nur unwesentlich. Seine Fragmentierung verharrte mit 2,51 auf dem bisherigen Niveau. Die rechtsschiefe Wählerverteilung bewirkte eine konstant hohe Asymmetrie und verfestigte das kompetitive Hegemonialparteiensystem. Die CDU lag weiterhin 24 Punkte vor dem „linken“ Oppositionslager. Lediglich zwischen den Oppositionsparteien hatte sich das Kräfteverhältnis deutlich zugunsten der PDS verschoben. Im ostdeutschen Kontext überraschte die moderate Volatilität. Sachsen war nun mehr denn je ein Sonderfall.376 Die wegen eines Mobilisierungsschubs bei den unter 35jährigen auf 61,1 Prozent gestiegene Wahlbeteiligung (+2,7 Punkte) brachte der CDU ein Plus von 31.371 Wählern. Sie erfreute sich Zuwächsen aus dem Nichtwählerlager und seitens der SPD.377 Wie schon 1994 gewannen die Christdemokraten alle Direktmandate, wobei sich aber ihre landesweite Dominanz verringerte. Die Zahl ihrer Wahlkreise mit über 60 Prozent sank von 27 auf 15. Ausgenommen Hoyerswerda, wo CDU und PDS nur noch 4,7 Punkte trennten, war keines ihrer Direktmandate gefährdet. Wiewohl die Kandidaten der PDS in Chemnitz und Leipzig deutlich aufschlossen. Abermals wies die CDU als einzige der drei Parteien einen klaren Zweitstimmenüberhang auf. Auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere sprach Biedenkopf von einem „überwältigenden Vertrauensbeweis“. Er beschwichtigte, man wolle „behutsam und kraftvoll mit dieser Verantwortung umgehen“.378 Nie zuvor hatte in der Bundesrepublik ein sozialdemokratischer Landesverband derart schlecht abgeschnitten. Mit nur noch 232.311 Zweitstimmen hatte sich die Wählerschaft der sächsischen SPD im Vergleich zu 1990 halbiert. Von den 840.000 Zweitstimmen der Bundestagswahl 1998 verblieb ihr kein Drittel. Die Differenz zwischen den Wahlebenen betrug 18,4 Punkte. Zahlreiche frühere SPD-Wähler waren ferngeblieben oder hatten sich für CDU oder PDS entschieden. Dass die SPD in 26 Wahlkreisen ins Einstellige gefallen war, offenbarte das Debakel. Kunckel bezeichnete das Ergebnis als „tiefe, herbe, bittere“379 374 375
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Als ausführliche Analyse: Jesse (2000b), S. 69-85. Vgl. Hubert Kemper: Mit großem Kapital gegen das Großkapital, in: FP vom 2. September 1999; Brümmer (2006), S. 180. Vgl. Brümmer (2006), S. 188 f., S. 200 f. Für die Wählerwanderung siehe jeweils die Wahlanalyse von Infratest dimap (1999d): Kurzanalyse zur Landtagwahl in Sachsen am 19. September 1999, Wählerwanderung, S. 15. afp: Großer Triumph für Biedenkopf – Kunckel wirf das Handtuch, in: FP vom 20. September 1999. Steffen Klameth u. a.: Triumphmarsch und Trauergesang, in: SZ vom 20. September 1999.
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Niederlage, die aber vornehmlich bundespolitisch verursacht sei. Er trat dennoch am Wahlabend als Landesvorsitzender zurück. Die von ihm als Nachfolgerin vorgeschlagene Constanze Krehl übernahm kommissarisch die Amtsgeschäfte.380 Die PDS feierte ihren bislang größten Erfolg. Mit nunmehr 480.317 Zweistimmen konnte sie gegenüber 1994 140.698 Stimmen hinzugewinnen; die Mehrzahl davon im Austausch mit der SPD und dem Lager der Nichtwähler. Sie wurde flächendeckend zweitstärkste Partei. Nur in 14 Wahlkreisen erzielte die PDS ein Ergebnis von unter 20 Prozent. Auch ihr Werben um Direktstimmen hatte sich ausgezahlt. Erststimmenergebnisse in Hoyerswerda, Leipzig und der Sächsischen Schweiz von mehr als 30 Prozent färbten positiv auf die dortigen Zweitstimmenergebnisse ab. Konsequent sprach der Landesvorsitzende von einem überwältigenden Ergebnis. Leider habe man das wichtigste Wahlziel, die absolute Mehrheit der CDU zu brechen, verfehlt. Die Oppositionsarbeit der PDS-Fraktion sei nun aber ausgeprägter denn je möglich.381 Wie Eckhard Jesse bemerkt, waren die „situativen Faktoren“ für den Wahlausgang vornehmlich bundespolitisch, die „strukturellen Faktoren“ überwiegend landespolitisch. 382 Der von den Wählern auf nahezu allen Politikfeldern antizipierte Kompetenzvorsprung der CDU, die als kompetenzschwach wahrgenommene Opposition, die hohen Beliebtheits- und Kompetenzwerte des Amtsinhabers, die Schwäche seiner Gegner und das Empfinden vieler Wähler, mit einer Entscheidung für die CDU eine Entscheidung für Sachsen zu treffen, trugen als sächsische strukturelle Faktoren ebenso zum Ergebnis bei wie das situative bundespolitische Tief der SPD.383 Dabei waren die strukturellen Faktoren (Kandidaten, Themen, Parteiidentifikation) wahlentscheidend, die situativen Faktoren (Bundespolitik) ergebnisformend. Die absolute Mehrheit der CDU fiel eindeutiger aus, das Desaster der SPD ebenfalls. Die Stimmabgabe für die PDS war jenseits ihrer Stammwählerschaft zu einem Teil ihrem Nimbus, einzige Oppositionspartei zu sein, geschuldet, zu einem anderen Teil war sie ein Votum gegen die „Etablierten“. Schließlich waren ihre Kompetenzzuschreibungen selbst unter Anhängern gering, die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung unter den Wählern der PDS hingegen massiv.384 Die SPD unterlag dem Umstand, dass es für die Wähler irrational war, eine Partei zu wählen, die simultan als ungeliebte Bundesregierungspartei und als schwache Landesoppositionspartei in Erscheinung trat. Das Absacken der Sozialdemokraten sowie die Chancenlosigkeit der Liberalen und Grünen verdeutlichten aufs Neue die fehlenden Wählermilieus. Konnte die CDU in allen gesellschaftlichen Gruppen hohe Ergebnisse erzielen, verfügte die SPD über keine strukturell gebundene Wählerschaft. Die PDS hatte ausgeprägte, aber ungleichmäßig verteilte Stammwähler. Mit Blick auf die Stimmabgabe nach Alter und Geschlecht (Tabellen 14, 15) ergaben sich bei CDU und PDS deutliche Veränderungen, während die SPD ihre Trends verfestigte. Als Partei mit der ältesten Wählerschaft punktete sie allein bei den über 60jährigen überdurchschnittlich. Hingegen sank bei der CDU in den ältesten Wählerkohorten, die sie nach wie vor weit überdurchschnittlich wählten, der Zuspruch, während er bei den unter 35jährigen Wählern stieg. Über 60 Prozent der unter 35jährigen sowie der über 60jährigen Frauen wählten CDU! Indes landete die PDS mit 28,1 Prozent bei den über 60jährigen 380 381 382 383 384
Vgl. Sven Siebert: Kunckels Rücktritt: Weg zum Machterhalt?, in: DNN vom 21. September 1999. Vgl. Interview mit Peter Porsch in: Hendrik Lasch: „Souverän geworden“, in: ND vom 21. September 1999. Vgl. Jesse (2000b), S. 75. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (1999), S. 49. Vgl. ebd., S. 54.
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Männern deutlich oberhalb ihres Landesergebnisses. Insgesamt verschob sich ihr Elektorat in Richtung älterer Wähler, die erhoffte Verjüngung blieb aus. Rentner wählten folglich überdurchschnittlich PDS und SPD (Tabellen 16, 17). Die CDU verlor hier 5,7 Punkte. Insbesondere die Agitation der PDS gegen die rot-grüne Rentenpolitik steigerte ihre Zustimmung in dieser Gruppe um über 10 Punkte. Schnitten Postkommunisten (26 Prozent) und Sozialdemokraten (12 Prozent) bei Arbeitslosen sehr gut ab, bildeten diese Wähler weiterhin kein christdemokratisches Terrain. Die Stärke der CDU gründete im Zuspruch Berufstätiger. Neben sehr guten Ergebnissen bei Selbstständigen und Landwirten erhielt die Partei erneut 60 Prozent der Arbeiterstimmen. Mehr denn je galt: „Die CDU ist vor allem die Partei der einfachen Leute, die PDS die der besser Gebildeten.“385 In der Berufsgruppe der Beamten stimmte fast jeder dritte Wähler für die PDS. Die SPD schnitt bei Arbeitern und Angestellten nur leicht über Durchschnitt ab (11 Prozent). Erneut spielte die Konfession bei einer zu 65 Prozent nicht-religiösen Wählerschaft eine geringe Rolle. Über 70 Prozent der konfessionell gebundenen Wähler stimmten für die CDU, 30 Prozent der Konfessionslosen für die PDS. Die geografische Wählerverteilung unterschied sich gegenüber 1994 vor allem bei der PDS (Tabelle 18). Wie in den anderen ostdeutschen Ländern vollzogen sich die Zuwächse der Partei weniger in dicht besiedelten Gebieten (+3,8 Punkte), als vielmehr in denen mit niedriger (+6,4 Punkte) oder mittlerer Bevölkerungsdichte (+6,8 Punkte).386 Die PDS-Wähler verteilten sich stärker in der Fläche, nicht zuletzt als Konsequenz des Zusammenbruchs der SPD in Ostsachsen. Nach wie vor erzielte die Partei ihre besten Ergebnisse in Wahlkreisen mit hoher Bevölkerungsdichte. Ihre Hochburgen lagen in Dresden (24,7 Prozent), Leipzig (26,6 Prozent), Chemnitz (28,1 Prozent) und Hoyerswerda (34,1 Prozent). Im Gegensatz dazu schnitt die CDU wie bereits 1994 in Städten deutlich schlechter ab als auf dem Land. In Chemnitz und Leipzig scheiterte sie an der 50-Prozentmarke. Ihr „schlechtestes“ Resultat lag im Leipziger Osten (43,8 Prozent). Einzig Dresden bot den Christdemokraten mit 55,1 Prozent ein sicheres Pflaster. In Wahlkreisen mit niedriger (59,7 Prozent) und mittlerer Bevölkerungsdichte (58,1 Prozent) erzielte die CDU erneut sehr gute Ergebnisse, aber auch Verluste. Der Widerstand gegen die Gemeindegebietsreform war hier besonders intensiv gewesen. Wie bereits fünf Jahre zuvor lagen ihre Hochburgen in Teilen der Oberlausitz, dem Erzgebirge, dem Dresdner Umland und der Sächsischen Schweiz. Im Dreieck zwischen Döbeln, Mittweida und Meißen kam sie abermals auf über 60 Prozent. Die SPD schnitt vorrangig in den Großstädten Chemnitz (12,5 Prozent), Leipzig (15,6 Prozent) und Plauen (14,4 Prozent) besser ab. Dresden erwies sich mit 8,4 Prozent einmal mehr als Schwachpunkt. Die Stimmenkonkurrenz der Grünen sowie die Stärke der CDU verbauten der SPD hier entscheidende Wählerschichten. Sie verlor durch alle Wahlkreise hindurch, am stärksten in Hoyerswerda, Görlitz und der Westlausitz. Ihr bestes Ergebnis erzielte die SPD mit 16,1 Prozent im Leipziger Osten. Ausgenommen Hoyerswerda und die angrenzende Niederschlesische Oberlausitz waren die Gebiete östlich von Weißeritz und Elbe für die Sozialdemokraten verloren, ihre „Hochburgen“ ausschließlich in Westsachsen gelegen.
385 386
Infratest dimap (1999d), S. 19. Vgl. zu dieser Eigenheit der Wählerentwicklung der PDS Neu (2004), S. 64.
6.5 Wahlnachlese
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6.5.2 Entwicklung nach der Wahl Die um ein Mandat auf 76 geschrumpfte CDU-Fraktion verfügte noch immer über 60 Prozent der Landtagssitze (Tabelle 13). Am 12. Oktober bestätigten die Abgeordneten Fritz Hähle als Fraktionsvorsitzenden und Klaus Leroff als Parlamentarischen Geschäftsführer. Hatte die CDU 1994 der SPD noch freiwillig den Posten eines Landtagsvizepräsidenten angeboten, kündigte Steffen Flath nun eine harte Gangart gegenüber der zweitstärksten Fraktion an. Die PDS sollte weder den Vorsitz im Haushalts- und Finanzausschuss noch den Posten des zweiten Vizepräsidenten bekommen – ein unhaltbarer Vorstoß.387 In ihrer Parteiarbeit wollte sich die CDU fortan darauf konzentrieren, ihre Mitgliederzahlen zu erhöhen und sich strategisch als Regierungspartei zu profilieren.388 Den ersten Schritt unternahm der Döbelner Landesparteitag am 6. November 1999. Die Delegierten fällten zwei essenzielle Personalbeschlüsse. Zum einen erhielt Hähle, der sich, anstatt seiner Partei die strategische Linie der kommenden Jahre aufzuzeigen, mit einem „Diavortrag“ über den Landtagswahlkampf blamierte, mit 55,7 Prozent ein desaströses Wiederwahlergebnis. Zum anderen trat Georg Milbradt mit seiner Kandidatur für das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden aus Biedenkopfs Schatten. Von 75 Prozent der Delegierten gewählt, mauerte er seiner ministerpräsidentiellen Anwartschaft ein parteipolitisches Fundament. Neuer Generalsekretär wurde der Landtagsabgeordnete Frank Kupfer.389 Die PDS hatte neun Mandate hinzugewonnen und stellte mit nunmehr 30 Sitzen die zweitstärkste Fraktion. Sie entsandte mit Brigitte Zschoche erstmals eine Landtagsvizepräsidentin und sie erhielt als Oppositionsführerin den Vorsitz im Haushalts- und Finanzausschuss. Die Fraktion bestätigte am 22. September Peter Porsch als Vorsitzenden und wählte André Hahn zu ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer. Die Landesliste hatte für personelle Heterogenität gesorgt. Angefangen bei den Jungabgeordneten Katja Kipping und Heike Werner reichte das Spektrum über die Parteilosen Heiko Hilker und Werner Bramke hin zu den Altkadern Klaus Bartl und Jürgen Dürrschmidt. Auf dem Landesparteitag am 12. Dezember 1999 rief Porsch die PDS zu mehr politischem Realismus und zu Verantwortungsübernahme auf. Das Landtagswahlergebnis interpretierte er als Aufforderung, die Partei auf einen regierungsfähigen Kurs zu bringen und eine deutliche Opposition zur CDU aufzubauen. Porsch wollte zeigen, dass die PDS eine regierungsfähige politische Kraft sei, was u. a. bedeute, neben dem Image der sozialen Gerechtigkeit, auch zu einem umsetzbaren Wirtschaftskonzept zu finden. Für Teile der Delegierten klang dies weniger nach Vision und mehr nach Konterrevolution. Der interne Richtungsstreit entbrannte neu. Mit 62 Prozent bestätigten die Genossen einen enttäuschten Porsch als Landesvorsitzenden.390 Die 14 SPD-Abgeordneten stellten die kleinste Fraktion. Die SPD hatte acht Sitze verloren und damit erhebliche personelle und finanzielle Verluste erlitten. Zudem büßte sie die Vorzüge der Oppositionsführung ein. Kunckel, der anfangs noch Anspruch auf den Fraktionsvorsitz erhoben hatte, verzichtete nach innerparteilicher Kritik. Die Fraktion wählte am 22. September seinen bisherigen Stellvertreter Thomas Jurk zum Vorsitzenden und dessen Vertraute Barbara Ludwig zur Parlamentarischen Geschäftsführerin. Beide standen für den 387 388 389
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Vgl. Gunnar Saft/Steffen Klameth: Rückzug und Kampfansage, in: SZ vom 21. September 1999. Vgl. Hubert Kemper: Sachsens CDU setzt auf soziale Kompetenz, in: FP vom 27. Oktober 1999. Vgl. Ergebnisse des 13. Landesparteitags der CDU Sachsen am 6. November 1999 in Döbeln (Archiv des CDU-LV Sachsen); Peter Carstens: Sie bewegt sich doch, in: FAZ vom 11. November 1999. Vgl. Steffen Klameth: Mit Marx und Grundgesetz, in: SZ vom 13. Dezember 1999.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 1999
politischen Neustart. Jurk kündigte ein eigenständiges und unverwechselbares Profil seiner Partei im Landtag an. Gegenüber der CDU werde man ab sofort „auf Angriff spielen“, mit der PDS einen „unverkrampfteren“ Umgang üben. Sachpolitisch knüpfte die Fraktion an die Wahlkampfthemen an.391 Da sich Jurk auf den Fraktionsvorsitz beschränkte, kehrten die Sozialdemokraten auf ihrem Sonderparteitag am 27. Oktober 1999 zu einer Doppelspitze zurück. Der mit nur 60,9 Prozent zur Landesvorsitzenden gewählten Constanze Krehl hafteten Makel an. Die Genossen fühlten sich von Kunckels Nachfolgeregelung überrollt. Viele die insgeheim Wolfgang Tiefensee präferierten, sahen in Krehl keinen personellen Neuanfang. Sie war nicht das politische Schwergewicht, mit dessen Hilfe die SPD ihre Niederlage überwinden würde. Anträge auf Rücktritt des Vorstands fielen aber durch. Die Partei verwehrte sich abermals radikalen Schnitten, es rumorte erneut nur verdeckt.392 Am 13. Oktober 1999 wählte der Landtag mit 75 Ja-Stimmen, 40 Nein-Stimmen und vier Enthaltungen Kurt Biedenkopf zum Ministerpräsidenten und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung. Er unterzog das Kabinett einer Verjüngungskur, beließ aber die Schlüsselministerien unverändert.393 Staatskanzleichef Günter Meyer ging in Ruhestand. Ihm folgte im Amt der frühere Schweriner Staatskanzleichef Thomas de Maizière. Steffen Flath trat als neuer Minister für Umwelt und Landwirtschaft die Nachfolge von Rolf Jähnichen an. Auf Friedericke de Haas als Staatsministerin in der Staatskanzlei für Gleichstellung folgte die sozialpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion Christine Weber. Staatsminister in der Staatskanzlei für Bundes- und Europaangelegenheiten wurde der Europaabgeordnete Stanislaw Tillich. Für innerparteiliches Unverständnis sorgte die Ablösung von Jähnichen. Während Biedenkopf sein Handeln strukturell begründete, ging es im Kern schon um die Nachfolge im Amt des Ministerpräsidenten.
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Vgl. Stefan Rössel: SPD sitzt vorerst links, in: Dresdner Morgenpost vom 8. Oktober 1999. Vgl. Gunnar Saft/Steffen Klameth: Rückzug und Kampfansage, in: SZ vom 21. September 1999; Gunnar Saft: Kein offenes Stechen, in: SZ vom 1. November 1999; Bernhard Honnigfort: Sachsens SPD geriert sich als Sekte, in: FR vom 1. November 1999. Klaus Hardrath: Innenminister; Steffen Heitmann: Justizminister; Georg Milbradt: Finanzminister; Kajo Schommer: Minister für Wirtschaft und Arbeit; Hans Geisler: Minister für Soziales, Gesundheit und Familie; Matthias Rößler: Kultusminister; Hans Joachim Meyer: Minister für Wissenschaft (alle CDU).
7 Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
7.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl Nach den Boom-Jahren 1999 und 2000 trieben der Konjunktureinbruch im Sommer 2000, die weltweit platzende „IT-Blase“, die Terroranschläge des 11. September 2001 und die globalen Turbulenzen infolge des Irakkriegs 2003 die deutsche Wirtschaft in eine Rezession. Während die Krise die westdeutschen Länder wegen derer exportabhängiger Industrien besonders traf, stoppte 2002/03 auch das schwache Wachstum der ostdeutschen Wirtschaft (Tabelle 26). Zwar zog im Wahljahr 2004 die Weltwirtschaft merklich an und die deutsche Industrieproduktion erholte sich im Sog einer zunehmenden Auslandsnachfrage, die Wende am Arbeitsmarkt blieb aber aus. Einzig das Tempo des Beschäftigungsabbaus verlangsamte sich im Jahresverlauf 2004.1 Sachsens wirtschaftliche Entwicklung war zwischen 1999 und 2004 ambivalent. Laut dem „Bundesländer-Benchmarking 2004“ verbesserte sich der Freistaat zwischen 1998 und 2003 in ökonomischen Belangen (geringe Insolvenzquote, hohe Investitionsquote im verarbeitenden Gewerbe und gestiegene Bruttowertschöpfung), verschlechterte sich aber im sozialen und arbeitsmarktpolitischen Bereich (hohe Langzeitarbeitslosenquote, gestiegene Jugend- und Altersarbeitslosigkeit).2 Mit einem BIP von 73,9 Milliarden Euro lag Sachsen 2004 mittlerweile auf Platz sieben unter den deutschen Ländern, in Ostdeutschland war der Freistaat führend. Vornehmlich durch das verarbeitende Gewerbe, einen gesteigerten Außenhandel sowie im Zuge der Beseitigung der durch die Elbeflut 2002 verursachten Milliardenschäden wuchs die sächsische Wirtschaft 2003 mit 1,1 Prozent, im Jahr 2004 mit 2,2 Prozent über Bundesniveau. Die Exportquote des Freistaates überflügelte mit 19,6 Prozent die anderer Ostländer, lag aber unverändert unter der bundesweiten Quote von über 30 Prozent.3 Im Jahresdurchschnitt 2004 waren 19,6 Prozent der erwerbsfähigen sächsischen Bevölkerung ohne Arbeit, davon beinahe die Hälfte langzeitarbeitslos.4 Ursächlich für die hohe Quote war, neben den chronischen wirtschaftlichen Struktur- und den aktuellen Konjunkturproblemen, ein massiver landes- wie bundespolitischer Rückgang arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Die Zahl der ABM sowie der beruflichen Weiterbildungen sank zwischen 1999 und 2004 um mehr als die Hälfte, die Beschäftigung in SAM betrug 2004 noch ein Zehntel der von 1999. Dagegen hielten der insgesamt sinkende Stamm an Er1
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Vgl. Rüdiger Pohl (2002): Die Zukunft der ostdeutschen Wirtschaft, in: Die politische Meinung 47 (2002) Nr. 392, S. 39-47, hier S. 41; Alfred Boss (2004): Konjunkturerholung in Deutschland setzt sich in mäßigem Tempo fort, in: Die Weltwirtschaft (2004) H. 2, S. 139-151, hier S. 139-145. Vgl. Susanne Blancke u. a. (2005): Wer führt? Bundesländer-Benchmarking 2004, in: WiP Working Paper (2005) 26. Vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (Hrsg.) (2005): Statistisches Jahrbuch Sachsen 2005, 14. Jg., Kamenz, S. 445, 685, 726; Wolfgang Gerstenberger (2002): Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Sachsen 2002/2003, in: Ifo Dresden berichtet (2002) H. 6, S. 14-21, hier S. 14 f. Vgl. Michael Berlemann u. a. (2005): Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Sachsen und Ostdeutschland 2004/2005, in: Ifo Dresden berichtet (2005) H. 1, S. 3-13, hier S. 9.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
werbspersonen, der Beschäftigungsausbau im produzierenden Gewerbe sowie der Eintritt vieler älterer Arbeitsloser in die Altersrente die Arbeitslosenquote unter 20 Prozent.5 Sachsen hatte eine „Legislaturperiode der Kleinarbeit“6 erlebt. Im Mittelpunkt standen bildungs- und wissenschaftspolitische Themen. Es ging u. a. um die Frage, wie trotz ungünstiger demografischer und finanzieller Entwicklungen ein hohes Niveau in beiden Bereichen zu gewährleisten sei. Die Schulpolitik von Kultusminister Matthias Rößler sah sich dabei massiver Kritik ausgesetzt. Während für die Opposition Schulschließungen, Unterrichtsausfall und Lehrerentlassungen das Bild prägten, unterstrich Rößler die Notwendigkeit seiner Schulzusammenführungen und Personalreduzierungen. Die Ergebnisse der PISA-Studie 2000, bei der Sachsen im bundesweiten Vergleich sehr gut abgeschnitten hatte, bestätigte in den Augen der Staatsregierung die Effektivität ihres zweigliedrigen Schulsystems. Ferner schlug der zunächst gescheiterte, später von Rößler (mittlerweile Wissenschaftsminister) neu verhandelte „Hochschulkonsens“ hohe Wogen. Personal- und Mittelkürzungen sowie Umstrukturierungen gerieten für Regierung und Universitäten zur Belastungsprobe. Fiskalpolitisch konsolidierte die Staatsregierung weiterhin. Plagten andere ostdeutsche Länder Verschuldungsraten von über 30 Prozent ihres BIP, lag Sachsen 2004 mit 14,8 Prozent weit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt.7 Um dies zu erreichen, hatte der Freistaat in der dritten Legislaturperiode sein Personal weiter reduziert, arbeitsmarktpolitische Mittel und finanzielle Transfers an soziale Einrichtungen gekappt. Insbesondere der Haushalt 2001/02 sorgte für Aufregung. Die sozialen Budgetkürzungen beschworen selbst unter den Christdemokraten Missmut. 8 Neben der Sacharbeit beherrschten Skandale und Skandalisierungen die Landespolitik. Nach Vorwürfen des Geheimnisverrats und der unlauteren Amtsführung trat im September 2000 Justizminister Steffen Heitmann zurück.9 In der Folge geriet Kurt Biedenkopf in die Kritik. Besonders schwer wogen Bezichtigungen der Opposition, er habe dem Bauunternehmer Heinz Barth Investitionen mit übergroßen und überteuerten staatlichen Anmietungen im Leipziger Behördenzentrum „Paunsdorf-Center“ schmackhaft gemacht.10 Öffentlichkeitswirksamer waren Anschuldigungen, er habe für sein privates Appartement in der Dresdner Dienstvilla zu wenig Miete gezahlt und Leistungen des in Diensten des Freistaates stehenden Personals privat genutzt.11 Brisanz verlieh dem Fall, dass Biedenkopf zunächst behauptet hatte, es handele sich lediglich um „Petitessen“, am Ende aber eine Mitschuld einräumte und schließlich 122.000 DM nachzahlte.12 Das Jahr 2001 beherrschten ansonsten die Auseinandersetzungen um die Nachfolge von Kurt Biedenkopf.13 Nach dessen unfreiwilligem Amtsverzicht Anfang 2002 wählte der 5
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Vgl. Beate Grundig (2003): Die Entwicklung des Arbeitsmarkts in Sachsen, in: Ifo Dresden berichtet (2003) H. 2, S. 5-9, hier S. 9. So die Ankündigung von Kurt Biedenkopf auf dem 13. Landesparteitag der CDU Sachsen am 6. November 1999 in Döbeln, S. 9 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. dazu Astrid Rosenschon (2004): Ist die Finanzpolitik der Bundesländer nachhaltig?, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 53 (2004) H. 1, S. 3-27, hier S. 17. Vgl. Jens Schneider: König Kurt will bei den Kleinen kürzen, in: Süddeutsche Zeitung vom 21. Juli 2000. Vgl. Reuter: Sachsens Justizminister tritt zurück, in: Süddeutsche Zeitung vom 13. September 2000. Heitmanns Nachfolger wurde der Bundestagsabgeordnete Manfred Kolbe (CDU). Vgl. Jens Schneider: Biedenkopf soll Freunde begünstigt haben, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Februar 2000; pca.: Biedenkopf weist Vorwürfe zurück, in: FAZ vom 27. Februar 2001. Vgl. AP: SPD: Putzfrauenaffäre belastet Biedenkopf, in: Süddeutsche Zeitung vom 4. April 2001. Vgl. Jens Schneider: Biedenkopf räumt Mitschuld ein, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Juni 2001. Für die ausführlichen Vorgänge siehe Kapitel 7.2.1.
7.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl
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Sächsische Landtag am 18. April 2002 Georg Milbradt mit 72 zu 44 Stimmen zum neuen Ministerpräsidenten.14 Die zunächst geäußerte Kritik, er sei profillos, verebbte durch sein Handeln im Rahmen der Elbeflut 2002. Milbradt bewährte sich hier als Krisenmanager, der anpackt und finanzielle Hilfe mobilisiert.15 Danach überzogen erneut Skandale die sächsische Politik. Zum Beispiel wurde der frühere Wirtschaftsminister Kajo Schommer mit dem Vorwurf konfrontiert, die Image-Kampagne „Sachsen für Sachsen“, die 1999 inmitten des Wahlkampfes bundesweit für den Wirtschaftsstandort geworben hatte, sei eine mit Landesgeldern finanzierte CDU-Kampagne gewesen.16 Aus Milbradts Kabinett trafen Sozialministerin Christine Weber Anschuldigungen, bei der Bewilligung von privaten Fluthilfegeldern Insiderwissen genutzt zu haben. Sie trat im Juni 2003 zurück.17 Zuletzt geriet 2004 Innenminister Horst Rasch, der zuvor schon wegen seiner Passivität beim Hochwasser in der Kritik gestanden hatte, ins Kreuzfeuer, als gegen den Polizeipräsidenten Eberhard Pilz Vorwürfe über Verfehlungen im Amt laut wurden.18 Auf Bundesebene schien 2002 ein Regierungswechsel möglich. Der SPD gelang es erst im Wahlkampf, das Blatt zu wenden. Die vorgezogenen Hartz-Reformvorschläge, die Ablehnung des drohenden Irak-Kriegs durch Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Flutkatastrophe in Ostdeutschland, bei der Schröder seine exekutiven Trümpfe ausspielte, und der stark polarisierende Unions-Kandidat Edmund Stoiber steigerten den Zuspruch an die SPD.19 Am Wahlabend lagen die Volksparteien mit je 38,5 Prozent gleichauf. Allein das gute Ergebnis der Grünen (8,6 Prozent) sowie das Scheitern der nach den Rücktritten von Gregor Gysi und Lothar Bisky geschwächten PDS (4,0 Prozent) besiegelten die Fortsetzung der rot-grünen Koalition. In Sachsen (Tabelle 12) blieb die CDU mit 33,6 Prozent nur knapp vor der SPD (33,3 Prozent), eroberte aber 13 der 17 Direktmandate. Während die Sozialdemokraten erstmals mehr als 30 Prozent erreichten, fiel die PDS mit 16,2 Prozent hinter ihr Resultat von 1994. Es folgte eine bis dato einmalige Entwicklung. Bei allen sieben Landtagswahlen zwischen September 2002 und September 2004 verlor die Regierungspartei SPD. In Niedersachsen (-14,5 Prozent) kam es zu einem Regierungswechsel, im „roten Stammland“ Hessen (-10,3 Prozent) bescherten die Wähler der CDU eine absolute Mehrheit. Zur Europawahl 2004 erreichte die SPD mit 21,5 Prozent den Tiefpunkt.20 Ihr potenzieller Zuspruch im Bund fiel bis August 2004 auf 25 Prozent, der der Union lag bei 43 Prozent. Die PDS setzte indes zu Höhenflügen an.21 Ursächlich dafür war eine diffuse Proteststimmung in 14
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Sein Kabinett umfasste neun Ressorts. Landwirtschaftsminister blieb Steffen Flath. Thomas de Maizière wurde Justizminister, der Milbradt-Vertraute Horst Metz Finanzminister. Auf Innenminister Klaus Hardrath folgte der bisherige Vorsitzende des Innenausschusses Horst Rasch. Chef der Staatskanzlei wurde Stanislaw Tillich. Christine Weber wechselte ins Ministerium für Soziales und Frauen. Minister für Wissenschaft und Kunst wurde Matthias Rößler. Seine Nachfolge als Kultusminister trat Karl Mannsfeld an (alle CDU). Minister für Wirtschaft und Arbeit wurde (der zunächst parteilose) Martin Gillo. Vgl. Reiner Burger: Der neue Sachsenkönig, in: FAZ vom 7. Februar 2003. Vgl. reb.: Wahlkampf aus Steuermitteln, in: FAZ vom 22. November 2002. Vgl. Gunnar Saft: Ein Abschied mit spitzen Fingern, in: SZ vom 19. Juni 2003. Ihre Nachfolgerin wurde Helma Orosz. Vgl. Jens Schneider: Geraune in Dresden, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. März 2004. Vgl. Oskar Niedermayer (2003b): Wandel durch Flut und Irak-Krieg? Wahlkampfverlauf und Wahlkampfstrategien der Parteien, in: Eckhard Jesse (Hrsg.): Bilanz der Bundestagswahl 2002. Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen, München, S. 37-70, hier S. 40. Vgl. Eckhard Jesse (2005b): Nach der gescheiterten Vertrauensfrage: Zur Lage der Parteien und des Parteiensystems in Deutschland, in: ZParl 36 (2005), S. 600-615, hier S. 602 f. Vgl. Renate Köcher: Mit Verständnis statt Konzepten, in: FAZ vom 18. August 2004.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
Teilen der ostdeutschen Bevölkerung. Ihr mangelte es an Zuversicht, dass der Osten in absehbarer Zeit einen Aufstieg erleben und zum Westen aufschließen werde.22 Objektiv begründete wie subjektiv empfundene Ängste erschütterten im Jahr 2004 das ostdeutsche Vertrauen in das Funktionieren von Demokratie und Marktwirtschaft. 23 Mit den rot-grünen Arbeitsmarktreformen eskalierte diese Stimmungslage. Während die Teile I bis III des „Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ nahezu unstrittig ihre Umsetzung fanden, löste das im Dezember 2003 beschlossene Gesetzespaket „Hartz-IV“, das die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe vorsah, Massenproteste aus. Medial angeheizt und verstärkt durch eine chaotische Außenkommunikation der Bundesregierung, steigerte sich im Sommer 2004 der Unmut bei Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, speziell in Ostdeutschland. Angeführt von Aktionsbündnissen und unterstützt von Gewerkschaften, der „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ und der PDS kam es im August 2004 zu „Montagsdemonstrationen“ Zehntausender, bei denen der Unmut gegenüber den „Etablierten“ seinen Höhepunkt erreichte. Entsprechend fuhren CDU und SPD bei den Kommunal- und Europawahlen in Sachsen am 13. Juni 2004 Verluste ein (Tabelle 13). Waren ihre Einbußen bei den Kommunalwahlen zwar schmerzlich aber noch verhältnismäßig, die CDU sank mit 38,4 Prozent leicht unter den Wert von 1994 (-6,1 Punkte), die SPD fiel auf 13,6 Prozent (-5,1 Punkte), endete die Europawahl für beide mit einer Ohrfeige (CDU: 36,5 Prozent; SPD: 11,9 Prozent). Gewinnerin war die PDS, die sich beide Male oberhalb der 20 Prozent behauptete. Grüne und FDP übersprangen die Fünfprozenthürde. Die Vorwahlbefragungen sprachen bis zum Wahljahr die typische Landessprache (Tabelle 21). Zunächst hatte die CDU im Zuge des Parteispendenskandals ihrer Bundespartei 2000 und der eigenen Querelen an Zuspruch eingebüßt (Dezember 2001: 43 Prozent), die SPD im Gegenzug sich auf Werte über 20 Prozent gesteigert. Die sächsischen Christdemokraten gewannen danach in dem Maße an Popularität hinzu, wie sich die Stimmung auf Bundesebene gegen die SPD wandte und sie selbst zu Regierungsstabilität zurückfanden. Im Dezember 2003 bekundeten 57 Prozent (!) der Sachsen eine Präferenz für die CDU, 22 Prozent für die PDS und nur 12 Prozent für die SPD. Ein drei viertel Jahr vor der Landtagswahl deutete damit alles auf eine Wiederholung des Ergebnisses von 1999 hin. Wegen neuer Skandale der Landesregierung und der ausgeprägten Unzufriedenheit der Bürger verschoben sich im Wahljahr diese Werte. Zunächst fiel die CDU in der EMNID-Umfrage vom Juli 2004 auf 50 Prozent, danach drohte ihr in den Infratest dimap August- und Septemberumfragen mit 44 Prozent ein Verlust der absoluten Mehrheit. Die SPD stagnierte bei 12 Prozent, die PDS pendelte sich bei guten 23 bis 25 Prozent ein.24 Der ebenfalls prognostizierte Parlamentseinzug von FDP, Grünen und NPD bescherte den Sachsen 2004 einen „echten Wahlkampf mit halbwegs offenem Ausgang“.25 Unter anderem ursächlich für das Hoch der Kleinparteien war die im Vergleich zu 1999 gesunkene Regierungszufriedenheit der Bevölkerung (Tabelle 23). Das Urteil über die Staatsregierung fiel auf einer Skala von 1 (sehr zufrieden) bis 5 (völlig unzufrieden) mit 3,2 22 23
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Vgl. ebd. Im September 2004 zeigten sich über zwei Drittel der sächsischen Wahlbevölkerung mit dem Funktionieren der Demokratie kaum oder gar nicht zufrieden. Vgl. Infratest dimap (2004): Wahlreport. Landtagswahl in Sachsen 19. September 2004, Vorwahlerhebung, Berlin, S. 96 f. Vgl. EMNID-Politbarometer Freistaat Sachsen vom Juni/Juli 2004; Infratest dimap (2004): Wahlreport. Landtagswahl in Sachsen 19. September 2004, Berlin, S. 101. Jens Schneider: Der Volkszorn gegen „die da oben“, in: Süddeutsche Zeitung vom 20. August 2004.
7.1 Entwicklung im Vorfeld der Landtagswahl
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auf den bis dato niedrigsten Wert. Im Wahlmonat zeigten sich 56 Prozent der Sachsen (1999: 68 Prozent) mit der Arbeit der CDU-Regierung mehr oder weniger zufrieden, während ein Drittel die Regierungsleistung kritisierte und sechs Prozent sie ablehnte. Der durchaus solide Zuspruch begründete sich teilweise aber in Alternativlosigkeit. War doch die Zufriedenheit mit den Oppositionsparteien geringer denn je (SPD: 3,9; PDS: 3,7). Nur 13 Prozent der Wähler trauten der PDS eine bessere Regierungsleistung als der CDU zu, die SPD rangierte unter ferner liefen.26 Beide galten als regierungsunfähig. Verfügte Biedenkopf 1999 über einen hohen persönlichen Zuspruch (77 Prozent), konnte Milbradt 2004 daran nicht anknüpfen (57 Prozent). Seine Werte hoben sich kaum von denen der Staatsregierung ab (Tabelle 23). Die „Sächsische Union“ hatte auf allen Ebenen an positiver Beurteilung eingebüßt. Eine ausgeprägte Wechselstimmung existierte dennoch nicht. 49 Prozent der Sachsen meinten die CDU solle allein weiterregieren (1999: 58).27 Hingegen erreichte das Ansehen der rot-grünen Bundesregierung Mitte 2004 seinen Tiefpunkt (Tabelle 23). 80 Prozent der Sachsen zeigten sich mit deren Arbeit wenig bis gar nicht zufrieden. Die Relevanz der Bundespolitik für die Landtagswahlentscheidung stieg entsprechend. Die Zahl der bundespolitisch motivierten Wähler lag Mitte September 2004 mit 31 Prozent (1994: 18; 1999: 28) auf Rekordhoch,28 die der landespolitisch motivierten Wähler mit 52 Prozent auf gewohntem Niveau (1994: 47; 1999: 54). Wie bereits 1999 variierten die Ebeneneinflüsse nach Parteianhängerschaft. Sahen 63 Prozent der Wähler mit CDU-Präferenz ihre Entscheidung landespolitisch dominiert, traf dies nur auf 44 Prozent der SPD- und 45 Prozent der PDS-Anhänger zu. Deren Wähler entschieden mehrheitlich aus bundespolitischen Motiven.29 In den EMNID-Umfragen verloren CDU und SPD bis Mitte 2004 an Kompetenzzuschreibungen, das Befinden in der Bevölkerung, keine der Parteien könne die Probleme lösen, wuchs. Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit war die CDU im Juli 2004 mit 26 Prozent zwar kompetenzstärkste Partei, aber 59 Prozent trauten hier keiner Partei eine Problemlösung zu. Die SPD stürzte in den Kompetenzzuschreibungen nach 1998 ins Bodenlose. In ihrer einstigen Paradedisziplin, der sozialen Gerechtigkeit (1998: 40 Prozent), lag sie mit 11 Prozent abgeschlagen hinter der PDS (28 Prozent). Fast 40 Prozent sprachen den Parteien die Kompetenz auf diesem Politikfeld ab (Tabelle 24). Im Wahlmonat bestätigte sich der Trend. 45 Prozent attestierten der CDU die höchste Wirtschaftskompetenz (PDS: 6; SPD: 4; keine: 41), 36 Prozent zeigten sich überzeugt, sie werde mit der Arbeitslosigkeit fertig (PDS: 6; SPD: 4; keine: 49). Indes galten die Christdemokraten nur 23 Prozent der sächsischen Bevölkerung für eine gute Schul- und Bildungspolitik befähigt. Hier punkteten PDS (23 Prozent) und SPD (11 Prozent).30 Während Letztgenannte auf keinem Politikfeld gut abschnitt, erachteten 38 Prozent der Sachsen die PDS als die Partei, die am ehesten ostdeutsche Interessen vertrete (CDU: 30; SPD: 10; keine: 15). Auch in puncto sozialer Gerechtigkeit favorisierten 28 Prozent die PDS. Insgesamt trauten der CDU im September 2004 noch 47 Prozent (1999: 59) zu, Sachsens Zukunftsprobleme zu lösen.31 In der Summe hielten große Bevölkerungsteile für die Lösung der dringendsten Fragen keine Partei für kompe26 27
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Vgl. Infratest dimap (2004), S. 72 f. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2004): Wahl in Sachsen. Eine Analyse der Landtagswahl vom 19. September 2004, Mannheim, S. 23; Infratest dimap (2004), S. 99. Vgl. Infratest dimap (2004), S. 92-94. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2004), S. 22. Vgl. ebd., S. 33-36. Vgl. Infratest dimap (2004), S. 75 f.
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tent; und das, obwohl nach wie vor 87 Prozent der Sachsen Arbeitslosigkeit als Hauptproblem ansahen, gefolgt von den Themen Schule und Bildung (12 Prozent), soziale Gerechtigkeit (9 Prozent) und Wirtschaft (8 Prozent). Das dominierende Thema des Wahlkampfes war die Arbeitsmarktreform. Die Mehrheit hielt zwar eine Reform der Sozialsysteme für notwendig, erachtete Hartz-IV aber als ungerecht und unsozial.32 Entsprechend der rezessiven Entwicklung hatten sich die Urteile über die allgemeine Wirtschaftslage rigoros verschlechtert (Tabelle 25). Im Juli 2004 befanden nur sechs Prozent der Sachsen die Lage als „gut“ (1999: 16), während 56 Prozent negativ urteilten (1999: 26). Das persönliche Lageurteil erreichte seine schlechteste Ausprägung seit Beginn der Messungen 1991. Nur noch 27 Prozent bewerteten mit „gut“ (1999: 43), beinahe ebenso viele, 26 Prozent, mit „schlecht“ (1999: 14). Die positiven Einschätzungen waren infolge realer Verschlechterungen und eines grassierenden Verdrusses zusammengebrochen. Die Mehrheit der Befragten vermutete für das Jahr 2005 keine bessere wirtschaftliche Situation. 37 Prozent befürchteten eine Verschlechterung. Nur acht Prozent zeigten sich optimistisch. Aus der Ernüchterung am Ende der zweiten Legislaturperiode war eine negative Grundhaltung erwachsen. Die Lebenszufriedenheit der sächsischen Bevölkerung fiel im Vorfeld der Wahl auf den zweitniedrigsten Stand seit 1990.33
7.2 Wahlkampf der CDU – Ende der absoluten Mehrheit 7.2.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Die dominante Kraft im sächsischen Parteiensystem geriet 2001 im Streit um die Nachfolge von Kurt Biedenkopf in eine schwere Krise. Während dieser darauf pochte, seine Amtsübergabe selbst zu regeln, bestanden Fraktion und Partei auf ein Mitspracherecht. Als ein wahrscheinlicher Nachfolger galt wegen seines fachpolitischen Ansehens Finanzminister Georg Milbradt.34 Im Rahmen einer Klausur am 24. Januar 2001 riskierten Teile der Fraktion einen ersten Vorstoß, der in einen erbitterten „Erbfolgekrieg“ mündete. 35 Der MilbradtVertraute Horst Metz kandidierte neben Uwe Grüning gegen Biedenkopfs Statthalter Fritz Hähle um den Fraktionsvorsitz. Biedenkopf interpretierte dies als Vertrauensbruch und als indirekten Griff Milbradts nach der Macht. Er setzte Hähle durch und machte anschließend reinen Tisch. Als Zugeständnis an die Fraktion bekannte er, bis Mitte 2003 seine Nachfolge zu regeln.36 Im gleichen Atemzug demontierte er Milbradt, bezichtigte ihn, Hähles Sturz als Fraktions- und Landesvorsitzenden verfolgt zu haben. Indem Biedenkopf ferner bekundete, Milbradt sei ein „hochbegabter Fachmann, aber ein miserabler Politiker“,37 sprach er ihm öffentlich die für das Ministerpräsidentenamt benötigten „politischen“ Fähigkeiten ab. Zum überwiegenden Unverständnis von Fraktion und Partei entließ Biedenkopf seinen langjährigen Finanzminister am 30. Januar 2001 mit der Begründung, dieser habe hinter-
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Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2004), S. 32; Infratest dimap (2004), S. 74, 90-94. Vgl. Michael Berlemann/Claudia Kemmesies (2004): Entwicklung der Lebenszufriedenheit nach der deutschen Wiedervereinigung – Sachsen, in: Ifo Dresden berichtet (2004) H. 6, S. 3-9. Vgl. Christian Striefler: Doch nur wenige sind auserwählt, in: SZ vom 30. Mai 2000; Patzelt (2006), S. 97. Vgl. für den gesamten Prozess die ausführliche Darstellung bei Brümmer (2006), S. 205-214. Vgl. Steffen Klameth: Finanzminister auf dem Opferaltar, in: SZ vom 25. Januar 2001. Kurt Biedenkopf zitiert in: Jens Schneider: Kabale und Hiebe, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. Januar 2001.
7.2 Wahlkampf der CDU – Ende der absoluten Mehrheit
259
rücks an seiner Nachfolge gearbeitet, anstatt mit ihm diesen Weg zu gehen.38 Was als Befreiungsschlag gedacht war, endete für Biedenkopf in einem Fiasko. Die CDU erwehrte sich nun seiner Dominanz. Am 3. Februar verständigte sich der Landesvorstand auf ein eigenes Verfahren zur Nachfolgeregelung. Er entzog damit dem Amtsinhaber die Handlungshoheit. Zusätzlich stand der führungsschwache Landesvorsitzende, der nur durch Biedenkopf seinen Fraktionsvorsitz hatte behalten können, fortan auf Abruf.39 Die reguläre Neuwahl der Parteispitze im September 2001, für die Milbradt nach seinem Rauswurf eine Kandidatur angekündigt hatte, mutierte zu einem Vorentscheid im Rennen um die Amtsnachfolge. Mehrere Brüche durchliefen nun die Partei. Während einige Kreisverbände sich mit Biedenkopf solidarisierten, fielen andere, nicht zuletzt wegen der Skandale, von ihm ab. Ebenso polarisierte die Frage, ob der geschasste Milbradt oder einer der jüngeren Minister zum Landesvorsitzenden gewählt werden sollte.40 Nach monatelangem Hin und Her standen Ende August 2001 mit Georg Milbradt und Steffen Flath zwei Bewerber um den Landesvorsitz fest. Der u. a. von Biedenkopf zur Kandidatur gedrängte Landwirtschaftsminister, den seine Kritiker als profillos charakterisierten, bekam Rückendeckung seitens der westsächsischen und erzgebirgischen Kreisverbände. Hähle unterstützte ihn als seinen Nachfolger, Biedenkopf lancierte ihn offen.41 Milbradt, durch seinen Rauswurf düpiert aber auch motiviert, bemühte sich um die Gunst der Parteibasis. Bei rund 150 Auftritten im Kommunalwahlkampf warb er systematisch Unterstützung ein. Ihn protegierten die ostsächsischen Kreisverbände, die Mittelstandsvereinigung, die Junge Union und gewichtige Einzelstimmen (z. B. Heinz Eggert, Steffen Heitmann). Galt der ehemalige Minister einem Teil der CDU als kompetenter Anwärter auf den Landesvorsitz, hatte er für das Biedenkopf-Lager das Ansehen der Partei beschädigt.42 Auf drei Regionalkonferenzen überzeugte er die Delegierten mit seinem politischen Programm und der Forderung nach einer Reform der Landespartei, während Flath an das Selbstvertrauen der CDU appellierte und die sächsische Karte spielte.43 Schließlich wählten die Delegierten des Glauchauer Parteitags am 15. September 2001 Milbradt mit 57,7 Prozent zum neuen Landesvorsitzenden, Flath zu einem seiner Stellvertreter. Neuer Generalsekretär wurde Milbradts Vertrauter, der Landtagsabgeordnete Hermann Winkler. Mit ihrer Entscheidung hatten die Delegierten Milbradt politisch rehabilitiert, Biedenkopfs Autorität indes irreparabel geschädigt. Nach neuerlichen Ungereimtheiten in dessen Amtsführung, wenig substanziellen, aber öffentlichkeitswirksamen Skandalen (z. B. der IKEA-Rabatt der Biedenkopfs) und Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen44 kündigte Biedenkopf Mitte Januar 2002 seine Amtsniederlegung für den 18. April an. Dabei sprach er der Fraktion Dank aus, warf indes Teilen der Partei vor, sie hätten die Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit zerstört bzw. intrigant seinen Rücktritt betrieben.45 Seine 38 39
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Vgl. pca.: Biedenkopf entlässt Finanzminister, in: FAZ vom 31. Januar 2001. Vgl. Peter Carstens: Erfolg für die Anhänger Milbradts, in: FAZ vom 5. Februar 2001; Jens Schneider: Sachsens CDU-Chef unter Druck, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Februar 2001. Vgl. Peter Carstens: „Jugendbrigade“ von Hoffnungsträgern, in: FAZ vom 30. April 2001; Gunnar Saft: Roulette am Kabinettstisch, in: SZ vom 14. Mai 2001. Vgl. Jens Schneider: Der Wert des Amtsinhabers, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. Juni 2001; SZ: CDU-Vorsitz: Biedenkopf ergreift Partei für Flath, in: SZ vom 10. Juli 2001. Vgl. Christian Striefler: Der Gefeuerte ist der Sieger, in: SZ vom 1. Februar 2001; Jens Schneider: Düstere Fehden, in: Süddeutsche Zeitung vom 24. August 2001. Vgl. Reiner Burger: Die sächsische Union in der Pubertät, in: FAZ vom 3. September 2001. Vgl. ausführlich zu den Vorgängen Brümmer (2006), S. 198-200, 210 f. Vgl. dpa: Rücktrittserklärung im Wortlaut, in: SZ vom 16. Januar 2002.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
Absicht, durch einen Bruch zwischen Partei und Fraktion Milbradts Amtsübernahme zu verhindern, scheiterte. Milbradt ausgenommen, verzichteten binnen kurzer Zeit alle potenziellen Anwärter auf eine Kandidatur.46 Skepsis gegenüber Milbradt bestand weiterhin unter den Biedenkopf-Anhängern, die dem „Königsmörder“ Machtstreben nachsagten, sowie seitens einiger Bildungs- und Sozialpolitiker, die unter seiner Regentschaft finanzielle Einschnitte fürchteten.47 Schließlich nominierte ihn ein Sonderparteitag am 3. März 2002 mit 71 Prozent gegen den kurzfristig angetretenen Zwickauer Oberbürgermeister Dietmar Vettermann. Die CDU-Fraktion wählte Milbradt am 18. April 2002 mit großer Mehrheit zum Ministerpräsidenten. Seine Wahl beendete eine über einjährige Auseinandersetzung, welche die Souveränität der Regierungspartei irreparabel beschädigt hatte. Nicht zuletzt die Einbrüche bei der Kommunalwahl 200148 und die anstehende Bundestagswahl erzwangen eine schnelle Konsolidierung. Milbradts Kabinett zielte daher in erster Linie auf ein inneres Gleichgewicht. Indem er seine Kontrahenten Tillich, Flath, Rößler und de Maizière einband, sandte er ein versöhnliches Zeichen an die Landespartei aus. Zusätzlich verringerte die überraschend gute Zusammenarbeit mit Fritz Hähle49 die Gräben zwischen Fraktion und Partei. Milbradts konsequentes Handeln beim Augusthochwasser 2002 festigte seine Position als Ministerpräsident. Er bewährte sich in den Augen der CDU, indem er Biedenkopfs Weissagungen zu seinen „politischen“ Fähigkeiten widerlegte. Entsprechend bestätigte ihn der 16. Landesparteitag am 20. September 2003 mit fast 90 Prozent als Vorsitzenden und traf damit einen Vorentscheid über die Spitzenkandidatur. Die „Sächsische Union“ gab sich geschlossen und stellte interne Probleme (der Wechsel war auf Kreisebene längst nicht verdaut) hinten an.50 In den Wahlkreisnominierungen kam es zu Veränderungen, traten doch ein gutes Dutzend langgedienter Abgeordneter, darunter Helmut Münch oder Wolf-Dieter Beyer, nicht mehr an. Mit Ausnahme von Karl Mannsfeld erhielten alle neuen Minister eine Wahlkreisaufstellung. Wirtschaftsminister Martin Gillo übernahm als frischgebackenes CDU-Mitglied einen Freiberger Wahlkreis. Schließlich wählte die Landesvertreterversammlung am 6. März 2004 Milbradt mit 92,7 Prozent auf Platz eins der Landesliste.51
7.2.2 Konzeptioneller Rahmen Ihren Wahlkampf gliederte die CDU in vier Phasen.52 Phase eins begann im Frühjahr 2003 mit der Konstituierung der politischen Wahlkampfführung. Die strategische Kampagnenplanung lag in den Händen von „Vertretern der Partei, Staatsregierung, Fraktion und exter46 47 48
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Vgl. Gunnar Saft: Grünes Licht für Milbradt, in: SZ vom 24. Januar 2002. Vgl. Jens Schneider: Der Herausforderer will hoch verlieren, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. März 2002. Die CDU verlor vier Landratsposten, stellte mit Dietmar Vettermann in Zwickau nur noch in einer von sieben kreisfreien Städten den Oberbürgermeister und büßte in den Städten massiv an Stimmen ein. Ende 2003 bezeichnete Milbradt die Zusammenarbeit als „vertrauensvoll und von gegenseitigem Respekt getragen.“ Vgl. Rede des CDU-Landesvorsitzenden Georg Milbradt auf dem 16. Landesparteitag der CDU Sachsen am 20. September 2003 in Grimma, S. 5 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Gunnar Saft: CDU diszipliniert aufgestellt, in: SZ vom 22. September 2003. Vgl. Sven Heitkamp: CDU vor Generationswechsel, in: Lausitzer Rundschau vom 30. Januar 2004; Gunnar Saft: Versprechen und Versprecher, in: SZ vom 8. März 2004. Vgl. Sachsenwahl 2004. Strategien und Konzepte. Präsentation des CDU-Landesvorstands vom 24. Februar 2004.
7.2 Wahlkampf der CDU – Ende der absoluten Mehrheit
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nen Beratern“.53 Teil dieser Strategiegruppe bzw. eng an diese angebundene Personen waren: der Generalsekretär, der Landesgeschäftsführer, das Präsidium des Landesvorstands, der Pressesprecher, Vertreter der Kreisebene, der Fraktionsgeschäftsführer sowie Fraktionsmitarbeiter, der Chef der Staatskanzlei, das Büro des Ministerpräsidenten, Vertreter der Staatsregierung und der Regierungssprecher.54 Für die „Persönlichkeitspositionierung“ des Amtsinhabers verantwortlich war Wahlkampfberater Peter Radunski. Die demoskopischen Analysen lieferte EMNID-Chef Klaus-Peter Schöppner. Die Werbekampagne lag erneut in den Händen der Agentur Die Partner.55 Ferner nutzte die CDU das Vorwahljahr zur Themenselektion sowie zur inneren Mobilisierung. Foren und Regionalkonferenzen sollten ein politisches Problembewusstsein schaffen und die Mitglieder auf den Wahlkampf einstimmen. Die zweite Phase von Januar bis Juni 2004 war neben dem Kommunal- und Europawahlkampf geprägt durch die technische und personelle Wahlkampfvorbereitung. Ob bei der Kandidatenschulung oder bei der Wahlkampforganisation, die Fraktion diente abermals als eine Basis der Kampagnenvorbereitung.56 Die technische Wahlkampfleitung lag bei der Landesgeschäftsstelle unter Randolf Stamm bzw. erfolgte direkt aus dem Wahlkampfbus des Spitzenkandidaten heraus. Aufgaben der Geschäftsstelle waren die Koordination und Organisation der Kampagne, speziell der Rednereinsätze und der Milbradt-Tour, die Vorbereitung öffentlicher Großveranstaltungen sowie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Wahlkampforganisation barg 2004 zwei wesentliche Neuerungen. Zum einen benötigte die Bus-Kampagne des Spitzenkandidaten eine stärkere personelle Basis. Zum anderen rückte das Internet zur Präsentation von Personen und Themen mehr als 1999 in den Vordergrund.57 Bei der nach wie vor wahlkreisbezogenen Organisation entfielen die ausführenden Arbeiten sowie die Umsetzung der Werbekampagne auf die Kreisgeschäftsstellen und Wahlkreisbüros.58 Die Direktkandidaten führten ihre Kampagnen erneut weithin autonom. Die Landespartei hatte sich strukturell verändert. Die Zahl ihrer Mitglieder war weiter gesunken, lag 2004 bei 15.098. Durch personelle Reduktionen in der Landesgeschäftsstelle hatte die CDU aber ihre Flächenstruktur, je ein hauptamtlicher Kreisgeschäftsführer war für mindestens zwei der 27 Kreisverbände verantwortlich, bewahren können. Die Mannschaft der Landesgeschäftsstelle erhielt im Wahlkampf ehrenamtliche Unterstützung. Eine tragende Säule war die Junge Union.59 Die dritte Phase von Mitte Juni bis Mitte August 2004 53
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Landtagswahl 2004. Analyse zum Wahlausgang vom 28. September 2004, S. 1 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Sachsenwahl 2004. Strategien und Konzepte. Präsentation des CDU-Landesvorstands vom 24. Februar 2004. Der vierte Landtagswahlkampf war für die Landespartei der aufwändigste und daher auch teuerste. Die offiziell angegebenen 800.000 Euro unterzeichneten das reale Budget. Alle Wahlkampagnen des Jahres 2004 kosteten den Landesverband 2.701.064 Euro. Die Wahlkampfausgaben der Landesgeschäftsstelle lagen bei 1.185.466 Euro. Wie bereits in den Wahljahren zuvor musste jeder Direktkandidat für mindestens 2.495 Euro ein Kandidatenpaket erwerben. CDU. Rechenschaftsbericht 2004, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 16. Wahlperiode, 16/1270 vom 28. April 2006, S. 8-11. Vgl. exemplarisch: Terminplan Kandidatentreffen 2004. Fax der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag vom 13. Februar 2004 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Geschäftsbericht der Landesgeschäftsstelle der Sächsischen Union, vorgelegt auf dem 19. Landesparteitag am 5. November 2005 in Schwarzenberg, S. 18 f. (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Landtagswahl 2004. Analyse zum Wahlausgang vom 28. September 2004, S. 8. Vgl. Bericht des Generalsekretärs der sächsischen Union Frank Kupfer zum 15. Landesparteitag am 15. September 2001 in Glauchau, S. 5 (Archiv des CDU-LV Sachsen); Bericht des Generalsekretärs der Sächsischen Union Hermann Winkler zum 16. Landesparteitag am 20. September 2003 in Grimma, S. 2 (Archiv des CDU-LV Sachsen).
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
nutzte die Partei für eine „Sommerkampagne“, die indirekt den Wahlkampf in den Wahlkreisen eröffnete. Hier präsentierten sich vornehmlich die Staatsminister der Öffentlichkeit („Kreisbereisungen“), etwa in Form von Fahrrad- oder Wandertouren. Die letzte, heiße Phase begann mit dem 17. Landesparteitag am 28. August 2004 in Chemnitz. Sie umfasste die Tour des Spitzenkandidaten, die Werbe- und Medienkampagne sowie zahlreiche Bundesrednereinsätze. Die Ausgangssituation für die strategische Kampagnenplanung war ungewohnt. Hatte die CDU stets aus einem Umfragetief kommend, pünktlich zur Wahl die höchsten Präferenzwerte erreicht, startete sie diesmal von ganz oben. Dass die Parteispitze darin eine Gefahr sah, lag an den Rahmenbedingungen: „Arbeitslosigkeit, hohe Steuer- und Abgabenlast und Sozialreformen dominieren die politische Landschaft; Unsicherheit statt Optimismus prägen die Wählerstimmung“. Alles verband sich laut Strategieplanung mit einer „schwachen Wählermotivation“ und einem bundespolitisch motivierten Votum.60 Seit 1999 war sich die CDU sicher, dass Teile ihrer Wählerschaft bei Landtagswahlen bundespolitische Protestmotive trieben. Hähle betonte im Herbst 2003, die CDU würde derzeit, partiell verursacht durch eine Unzufriedenheit der Wähler mit der Bundesregierung, in den Umfragen zu gut bewertet.61 Neben der Sorge, der bundespolitische Rückenwind könne umschlagen, hegte die Führung Bedenken, die Partei würde ob ihres scheinbar sicheren Sieges nicht genügend mobilisieren. Mithilfe einer personalisierten Amtsinhaberstrategie sollten deshalb „möglichst viele Wählerstimmen“ gewonnen und die absolute Mehrheit verteidigt werden.62 Obwohl sich die Christdemokraten erstmals damit konfrontiert sahen, dass sich eine knappe Mehrheit der Wahlberechtigten gegen eine erneute CDU-Alleinregierung aussprach, forderten sie diese offensiver denn je. Milbradt betonte: „Wir wollen das Land weiterhin allein regieren. Deshalb sollte in unserem Ergebnis schon die Fünf vorne stehen.“ Er war sich sicher: „Für uns gibt es nur die absolute Mehrheit, oder das war’s.“63 Die Partei begründete erneut ihren hohen Anspruch: „Die Sachsen haben sich bei den vergangenen Wahlen stets für einen klaren Kurs entschieden. Der Ministerpräsident braucht eine absolute Mehrheit, damit er weiterhin erfolgreich regieren kann und die Sachsen weiter wissen, woran sie sind.“64 Die „Tüchtigkeit der Menschen“, verbunden mit der auf klaren Verhältnissen beruhenden Arbeit der CDU hätten das Land an die ostdeutsche Spitze geführt. 2004 stehe Sachsen an einem „Scheideweg“. Entscheiden sich die Wähler für SPD und PDS, werde man absteigen, entscheiden sie sich für die CDU, bleibe Sachsen „an der Spitze“.65 Zugpferd war Georg Milbradt. Anfängliche Gedanken, mit einem Wahlkampfteam anzutreten, wurden bald verworfen. Eine auf ihn zugeschnittene Kampagne sollte seinen Popularitätsbonus auf die CDU übertragen.66 Daneben erzwangen die äußeren Ereignisse eine umfassende Personalisierung. In einer von Sozialprotesten dominierten Medienöffentlichkeit wurde Milbradt als bekanntester sächsischer Politiker zum zentralen Kommunikator der Themenkampagne. An ihm war es, den Wahlkampf auf die Regierungsbilanz zu lenken. 60 61 62 63
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Sachsenwahl 2004. Strategien und Konzepte. Präsentation des CDU-Landesvorstands vom 24. Februar 2004. Vgl. Interview mit Fritz Hähle in: Gunnar Saft: „CDU zu gut bewertet“, in: SZ vom 2. September 2003. Sachsenwahl 2004. Strategien und Konzepte. Präsentation des CDU-Landesvorstands vom 24. Februar 2004. Interview mit Georg Milbradt in: Reiner Burger: „Reformen dürfen nicht nur Kürzungen beschönigen“, in: FAZ vom 7. August 2004; Interview mit Georg Milbradt in: Uwe Müller: „Das Regieren ab 2006 wird für die Union keine Zuckerschlecken“, in: Die Welt vom 28. Juni 2004. Wahlkampfbrief von Georg Milbradt zur Landtagswahl am 19. September 2004. Interviewanzeige mit Georg Milbradt, in: Wochenspiegel Chemnitz vom 15. September 2004. Vgl. Interview mit Hermann Winkler am 18. Januar 2006.
7.2 Wahlkampf der CDU – Ende der absoluten Mehrheit
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Zudem sollte er den Wählern verdeutlichen, dass es am 19. September nicht „um einen Popularitätstest für die Bundesregierung oder die Opposition im Bundestag, sondern um die Zukunft Sachsens“67 gehe. Der „Partei der kleinen Leute“ sicherten seit 1990 Arbeiter und Rentner ihre absolute Mehrheit. In dem Maße, in dem sich diese Klientel 2004 unzufrieden und wahlmüde zeigte, drohten der CDU Einbußen. So fielen ihre Umfragewerte mit steigendem Verdruss in der Bevölkerung über die christdemokratische „Mittäterschaft“ an der unpopulären Arbeitsmarktreform – zunächst auf 50 Prozent Ende Juli, schließlich auf 44 Prozent ab August. Nur noch 23 Prozent der Arbeitslosen (1999: 50), 46 Prozent der Berufstätigen (1999: 59) und 51 Prozent der Rentner (1999: 56) bekundeten, jetzt noch für die CDU stimmen zu wollen.68 Die heiße Wahlkampfphase dominierten daher Versuche, die eigene Klientel zu mobilisieren und potenzielle Nichtwähler anzusprechen.69 Den Verlust der absoluten Mehrheit vor Augen, intensivierten die sächsischen Christdemokraten ihre Personalisierungsund Mobilisierungsbemühungen. Die Landespartei erfasste im Straßenwahlkampf „ein riesiger Gegenwind“,70 verbunden mit der ungekannten Angst einer Wahlniederlage (speziell in Leipzig und Chemnitz).71 Zwar kehrte Anfang September der moderate Wahlkampfton vergangener Kampagnen zurück, die schlechten Umfragewerte und das ausgeprägte Desinteresse der Bürger aber blieben. Stand eine solche Ruhe bisher für Zufriedenheit, drückte sie diesmal Desillusion und Verdrossenheit aus.72 Auf dem Chemnitzer „Motivationsparteitag“ am 28. August, der mit fast 1.000 Delegierten und Gästen einem Bundesparteitag glich, schwor Milbradt mit einer kämpferischen Rede die Anwesenden auf einen schweren Wahlkampf ein.73 Auch der Auftritt von Helmut Kohl sollte die Partei aufrütteln. Milbradt fungierte nun als Hauptfaktor der Wählermobilisierung. 74 Neben seinen 170 Auftritten versuchten Mobilisierungsgroßplakate mit seinem Konterfei und der Aufforderung „Sachsen kämpft um Arbeit – Milbradt wählen!“, Zeitungsanzeigen („Es geht um Sachsen, jede Stimme zählt. Deshalb am 19. September: Milbradt wen denn sonst!“) sowie ein Mitte September an alle Haushalte versandter Brief des Ministerpräsidenten, die Wähler über den Kandidaten zu einer Entscheidung für die CDU zu animieren.
7.2.3 Imagekampagne Im vierten Wahlkampf überlagerte bei den Christdemokraten das Regierungs- das Parteiprofil. Ob in Form des technokratischen Wahlprogramms, das vornehmlich die Staatsregierung und die „Sächsische Union“ als politische Gestalter benannte, der vorrangig auf die Regierungsbilanz abgestellten Themenkampagne oder aber durch ihre Kabinettsmitglieder – die Partei wurde dominiert von ihrem exekutiven Alter Ego. Mit acht Ministern und dem 67 68 69
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Interview mit Georg Milbradt, in: FAZ vom 7. August 2004. Vgl. Infratest dimap: Sachsen Trend August 2004, in: http://www.mdr.de [Stand: 19. August 2004]. Vgl. Sachsenwahl 2004. Strategien und Konzepte. Präsentation des CDU-Landesvorstands vom 24. Februar 2004. Interview mit Matthias Rößler am 18. Januar 2006. Vgl. Gunnar Saft: Unruhe beim Spitzenreiter, in: SZ vom 8. Juli 2004. Vgl. Bernhard Honnigfort: Plötzliche Zweifel, in: FR vom 9. September 2004. Vgl. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag der CDU Sachsen am 28. August 2004 in Chemnitz, S. 24 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Internes CDU-Schreiben von Hermann Winkler vom September 2004 (Archiv des CDU-LV Sachsen).
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Ministerpräsidenten als Direktkandidaten personifizierte die CDU ihre Regierungsrolle und sicherte sich allein damit in einem knappen Sechstel der Wahlkreise erhöhte Aufmerksamkeit.75 Die Kabinettsmitglieder kommunizierten das Bild der Regierungspartei, die sich um die Belange der Menschen vor Ort kümmert. Ihre Wahlkreistouren verbanden Amts- und Parteirepräsentanz. So besuchte etwa Karl Mannsfeld Bildungseinrichtungen, Horst Rasch widmete sich u. a. den Feuerwehren, Sozialministerin Helma Orosz sozialen Einrichtungen.76 Speziell die Wahlkreistermine per Dienstauftrag gerieten in die Kritik. Bislang als „royale“ Eigenheit der Ära Biedenkopf toleriert, galten sie diesmal als illegitime Wettbewerbsverzerrung.77 Parallel dominierte erneut das Bild der „Sachsenpartei“. Die Christdemokraten modifizierten ihren 1994er Leitslogan „Für Sachsen“ zu „Klarer Kurs für Sachsen“. Sie verknüpften die frühere Aussage, alles für das Wohl des Freistaates zu tun, mit ihrer neuen Botschaft, man habe immer einen klaren Kurs verfolgt und werde dies auch künftig tun. 78 Besonders in der Schlussphase verband die „Sächsische Union“ das Sachsenmotiv unmittelbar mit sich und ihrem Handeln. Der an alle Haushalte versandte Wahlaufruf sowie die Broschüre des Spitzenkandidaten strotzten vor sächsischer Huldigung. „Sachsen ist Lebensgefühl. Sachsen hat sich in den Jahren durch den Fleiß und die Ideen seiner Menschen gut gemacht. […] Die Sachsen sind heimatverbunden und weltoffen. Unser Land ist wirtschaftsstark und sozial. Das ist das Verdienst der Menschen im Freistaat. Das ist aber auch das Ergebnis harter und konsequenter politischer Arbeit von Georg Milbradt und der Sächsischen Union.“79 Die Partei präsentierte sich als Teil des Landes, der Menschen und nicht zuletzt des Erfolgs. Dass Sachsen 2004 in vieler Hinsicht „führend“ sei, verdanke man „der Tüchtigkeit der Menschen im Freistaat“80 sowie einem klaren Kurs und einer stabilen politischen Mehrheit. Wie 1999 galt: „Sächsisch wählen – CDU!“81 Milbradts Imagekampagne sollte zunächst dessen Problemlösungskompetenzen konsolidieren. Spätestens seit 1994 galt er der Öffentlichkeit als kompetenter Finanzminister und politisches Schwergewicht in Sachsen. Dennoch stand er trotz sehr guter Bekannt- und Beliebtheitswerte seinem Vorgänger nach. 63 Prozent der Wähler konnten Milbradt als CDU-Spitzenkandidaten einordnen (Biedenkopf 1999: 75), 60 Prozent gaben an, sich bei einer Direktwahl für ihn (Biedenkopf 1999: 70-80) entscheiden zu wollen, 57 Prozent zeigten sich im Sommer 2004 mit seiner Politik einverstanden (Biedenkopf 1999: 77). Im Vergleich zu seinem PDS-Herausforderer Peter Porsch galt Milbradt als sachverständiger (36 zu 2 Prozent) und tatkräftiger (42 zu 5 Prozent).82 Mit seinem führungsstarken Auftreten beim Elbehochwasser hatte er sich zudem als handlungsfähig erwiesen. Dieses Image trug die CDU in den Wahlkampf.83 Ein Großplakat, das u. a. den gegen das Hochwasser angehenden Milbradt in Gummistiefeln und Regenkutte abbildete, präsentierte ihn als kompe75
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So begrüßte allein Wissenschaftsminister Matthias Rößler in seinem Wahlkreis neben Angela Merkel und Georg Milbradt auch Friedrich Merz und Dieter Althaus. Vgl. Interview mit Matthias Rößler am 18. Januar 2006. Vgl. Wahlkampfterminplan der CDU-Landesgeschäftsstelle vom 3. August 2004 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Exemplarisch: Gunnar Saft: Minister in edlen Tarnanzügen, in: SZ vom 3. September 2004. Vgl. Landtagswahl in Sachsen 2004. Auswertung des Wahlkampfes (Archiv des CDU-LV Sachsen). Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU zur Landtagswahl 2004. Georg Milbradt. Wahlkampfbrief von Georg Milbradt zur Landtagswahl am 19. September 2004. Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU zur Landtagswahl 2004. Georg Milbradt. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2004), S. 27-31. Vgl. Interview mit Hermann Winkler am 18. Januar 2006.
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tenten Macher, der für Sachsen „denkt.lenkt.handelt“. Ferner setzte die Kampagne auf Milbradts Sachkompetenz, indem er sich im April 2004 mit einem Diskussionspapier „Zukunft Ost – Chance für Deutschland“84 als kundige Stimme des Ostens positionierte. Dass ihn Mitte August die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) zum „Ministerpräsident des Jahres 2004“ kürte, untermauerte zwar sein Kompetenzimage, verblasste aber wegen der Anti-Hartz-IV-Proteste und ob der „Durchsichtigkeit“ der „Auszeichnung“. 85 Dem gegenüber stand der ehemalige Ressortpolitiker Milbradt, der sich lange Zeit wenig aus mediengerechtem Auftreten und assertiver Selbstdarstellung gemacht hatte. Er hob sich bei Sympathie, Bürgernähe und Glaubwürdigkeit zwar von Porsch ab,86 dem Vergleich zu Biedenkopf hielt Milbradt aber nicht stand. Zuweilen ruppig und distanziert, war er kein Landesvater. Unterstützt von Radunski, den die CDU für den Aufbau der „Marke Milbradt“ verpflichtet hatte, arbeitete der Amtsinhaber an einem Wandel vom spröden Finanzminister zum sympathischen und volksnahen Regierungschef.87 Die Amtsinhaberkampagne verzichtete auf Präsidentialisierung. Der Neue fuhr unter dem Motto: „Georg Milbradt unterwegs für Sachsen“, ganz bescheiden, mit dem Bus durch den Freistaat. Flankiert von einem Vorausteam, führte er ab dem 28. August seine Kampagne aus dem Wahlkampfbus. Eine Kombination aus finanzieller Knappheit und dem Ansinnen, als Ministerpräsident persönlich durch das Land zu reisen, im Wortsinn nicht „abgehoben“ zu wirken, lag dem zugrunde.88 Anders als Ingrid Biedenkopf begleitete Angelika Meeth-Milbradt ihren Mann nur zu ausgewählten Terminen.89 Milbradts Wahlkampf bestand aus wohligen Pflichten des Amtsinhabers und Verpflichtungen des Spitzenkandidaten. Er besuchte Unternehmen, Seniorenpflegeheime oder Krankenhäuser, besichtigte hochwassergeschädigte Städte oder nahm an Volksfesten teil. Bei seinen Wahlkampfauftritten setzte er oft auf moderierte „Bürgergespräche“, in denen er zunächst sein Regierungsprogramm ausführte und anschließend Zuschauerfragen beantwortete. Das Konzept diente zum einen als Ventil gegen die ausgeprägte Proteststimmung, indem es den Anwesenden die Möglichkeit zum Dialog bot. Zum anderen kompensierten die „Bürgergespräche“ Milbradts Darstellungsschwäche. Seine Stärke lag in der Diskussion. Je direkter die Fragen, je kleiner der Kreis seiner Zuhörer, umso gewinnender wurde er.90 Er führte streckenweise den Wahlkampf eines Direktkandidaten, direkt konfrontiert mit den Sorgen der Menschen. Als Achillesferse der Amtsinhaberkampagne erwies sich Milbradts Standpunkt zu Hartz-IV. Seine differenzierte Argumentation war weder medial vermittelbar noch spiegelte sie den „klaren Kurs“ wider. Zunächst hatte die Staatsregierung 2003 dem Gesetzespaket 84
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Vgl. Georg Milbradt: „Zukunft Ost – Chance für Deutschland“. Ein Beitrag zu einer notwendigen Strategiediskussion, in: http://www.sachsen.de [Stand: 13. September 2004]. Vgl. Frank Diering: Sachsen überflügelt alle Bundesländer, in: Die Welt vom 12. August 2004. Milbradt galt als Kandidat mit mehr Bürgernähe (28 zu 12 Prozent). Er wurde als glaubwürdiger (37 zu 4 Prozent) und sympathischer (38 zu 8 Prozent) als Porsch eingeschätzt. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2004), S. 27-31. Vgl. Antje Hoppe (2004): Straßenkämpfe, in: politik & kommunikation (September 2004), S. 18-26, hier S. 26; Landtagswahl in Sachsen 2004. Auswertung des Wahlkampfes (Archiv des CDU-LV Sachsen); Interview mit Hermann Winkler am 18. Januar 2006. Vgl. SZ: Sachsen-Tour im Bus, in: SZ vom 16. August 2004; Interview mit Georg Milbradt am 16. Januar 2006; Interview mit Hermann Winkler am 18. Januar 2006. Vgl. Wahlkampfterminplan der CDU-Landesgeschäftsstelle vom 3. August 2004. Vgl. Hubert Kemper: Der lange Schatten von König Kurt, in: FP vom 17. September 2004; Jens Schneider: Die Reifeprüfung, in: Süddeutsche Zeitung vom 14. September 2004.
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im Vermittlungsausschuss zugestimmt. Im Juli 2004 lehnte sie das ausgearbeitete Gesetz im Bundesrat mit der Begründung ab, es sei voller „handwerklicher Fehler“ und die Regelung des Arbeitslosengeldes II sei ungeeignet für eine Integration ostdeutscher Arbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt.91 Milbradt betonte: „Ich bin nicht gegen Hartz-IV, was den Grundsatz angeht. Ich bin aber sehr wohl dagegen, was da von der Bundesregierung alles an Mist gemacht wurde“.92 Die Öffentlichkeit wertete dies als wankelmütig – zunächst zustimmen, dann verschieben, später davon wieder abrücken.93 Zu allem Überfluss bekundete der Amtsinhaber in einem Radiointerview auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, im Rahmen einer Demonstration zu den Menschen zu sprechen: „Wir werden, wenn wir eingeladen werden, uns überlegen, ob wir daran teilnehmen, ich könnte mir so etwas vorstellen.“94 Die genaue Frage des Moderators und Milbradts Haltung, er nehme die Ängste der Menschen ernst und wolle deshalb mit ihnen sprechen, änderten nichts an der Kommunikationskatastrophe. Das Neue Deutschland vom 13. August pointierte mit „Milbradt will gegen sich selbst demonstrieren“ das Rauschen im Blätterwald. Plötzlich erschien der, der stets eine befürwortende, wenngleich komplexe Position zu der Arbeitsmarktreform eingenommen hatte, der Öffentlichkeit als Heuchler.95
7.2.4 Themenkampagne Die öffentliche Themenagenda bot kaum Platz für Landespolitik. Hartz-IV überlagerte als Hochkonfliktthema die Gewinnerthemen der Parteien. Die Christdemokraten waren von der Brachialität der öffentlichen Diskussion überrascht. Sie verfügten über kein diesbezügliches Kommunikationskonzept. Jede Äußerung war mit Bedacht zu wählen, lehnte doch die Arbeiterschaft die Arbeitsmarktreformen mehrheitlich ab.96 Zudem schwang mit Hartz-IV unweigerlich das für eine Regierungspartei gefährliche Thema Arbeitslosigkeit mit. Für die Themenkampagne kam hinzu, dass die Politikfelder, auf denen die CDU ihre höchsten Kompetenzwerte verbuchte, kaum auf das Interesse der Wähler stießen. Bei den dominierenden Themen Arbeitslosigkeit, Bildung und soziale Gerechtigkeit war die CDU ohne Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten. Einzig Wirtschaft verblieb als relevantes Issue. 97
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Vgl. Interview mit Georg Milbradt in: Deutschlandfunk am 9. August 2004, auf: http://www.radio.de [Stand: 1. September 2004]; Interview mit Georg Milbradt in: Anita Kecke: „Die Leute haben die Nase voll von Reformen“, in: DNN vom 11. August 2004. Interview mit Georg Milbradt in: Dieter Schütz: „Ich bin nicht gegen Reformen“, in: SZ vom 20. August 2004. In der CDU-Landtagsfraktion entbrannte ein Streit über den Umgang mit Hartz-IV. Teile der Fraktion bekamen im Zuge der Reformumsetzung und vor dem Hintergrund der negativen Stimmungslage in den Wahlkreisen kalte Füße. Fraktion und Partei schlitterten in eine Haltung zwischen Umsetzung der Arbeitsmarktreform und Straßenprotest dagegen. Vgl. SZ: Milbradt fordert keine Hartz-IV-Verschiebung mehr, in: SZ vom 24. August 2004. Interview mit Georg Milbradt, in: Deutschlandfunk am 9. August 2004. Dass der ansonsten dem Wahlkampf ferngebliebene Kurt Biedenkopf im gleichen Atemzug eine geschlossene Linie für Hartz-IV einforderte, wirkte als zusätzliche Bürde. Interview mit Kurt Biedenkopf in: Ralf Neukirch: „Bei seiner Linie bleiben“, in: Der Spiegel (2004) H. 35, S. 31. Vgl. ap: Bei Hartz-IV ist Deutschland geteilter Meinung, in: FP vom 26. August 2004. Vgl. Politogramm Freistaat Sachsen. Vortrag von Klaus-Peter Schöppner. Februar 2004 (Archiv des CDU-LV Sachsen).
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Die Themenkampagne – das Wahlprogramm98 spielte 2004 keine Rolle – vermittelte den Wählern eine ungetrübt positive Regierungsbilanz. Retrospektive Komponenten dominierten dabei die Argumentationslinie der Partei. Die CDU ließ keine Zweifel aufkommen: „Sachsen ist unbestritten die Nr. 1 im Osten“.99 In den vergangenen Jahren sei es gemeinsam mit den Bürgern gelungen, den Freistaat „im ostdeutschen Aufholprozess an der Spitze zu positionieren“.100 Sachsen sei heute ein vollkommen verändertes Land. „Jeder sieht in seiner Heimatgemeinde die Veränderungen zum Besseren, jeder freut sich an liebevoll sanierten Städten.“ Die Lebenserwartung der Menschen sei gestiegen, die Umweltschäden der DDR beseitigt, Schulen und Hochschulen habe man saniert, Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur aufgebaut, Einrichtungen der Kranken- und Altenpflege modernisiert. „Nirgendwo verbessert sich die Situation so schnell wie bei uns in Sachsen. Wir haben allen Grund, stolz auf Erreichtes zu sein.“101 Nicht zuletzt sichere die relativ niedrige Verschuldung dem Freistaat einen erheblichen finanziellen Spielraum („Milbradt-Dividende“) für Familien- und Kulturpolitik. Weiterhin verwies die Themenkampagne mit fünf Schwerpunkten auf die Fortführung des Erfolgskurses. Im Bereich Bildung deutete die Partei kontinuierlich das positive Abschneiden Sachsens bei der PISA-Studie 2000 als Erfolg ihres Schulsystems. Dieses sei leistungsfähig, fördere und fordere die Schüler optimal. In der kommenden Legislaturperiode gelte es das auszubauen. Beim Thema Familie betonte die CDU das gute Netz an Kindertagesstätten und das Landeserziehungsgeld. Beides sollte in Zukunft ohne Abstriche gewährleistet sein. Im Bereich Soziales und Gesundheit stellten die Christdemokraten auf eine fortschrittliche Behindertenpolitik sowie auf modernisierte Pflege- und Altenheime ab. Beim Thema innere Sicherheit galt die Devise, Sachsen sei unter den sichersten Ländern in Deutschland und werde es bleiben.102 Nicht zuletzt wegen des drohenden Erfolgs der NPD setzte die CDU hier auf Härte: „Wir sagen: Null Toleranz für Ladendiebe, Schwarzfahrer und Graffitischmierer […]. Null Toleranz für Hassprediger und Terroristen.“103 Den Kern der landespolitischen Themenkampagne bildete das fünfte Feld, Wirtschaft und Arbeit. Die wirtschaftspolitische Bilanz der CDU stand unter dem Motto: „Starkes Sachsen: Wachstum oben Schulden unten“104. Wie das „Bundesländer-Ranking“ der INSM bestätige, sei Sachsen das „wirtschaftlich dynamischste Bundesland“. Man sei „bundesweit Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum, bei der Investitionsquote und dem geringsten Schuldenwachstum. Wir haben die höchste Exportquote, die höchste Selbstständigenquote und die zweitniedrigste Insolvenzquote der neuen Länder“.105 Sachsen habe im Osten das 98
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Das aus Papieren der „Zukunftskommission“, der Fachausschüsse und diverser Parteivereinigungen erarbeitete Wahlprogramm wurde am 14. Juni 2004 vom Landesvorstand verabschiedet, anschließend, um eine Debatte auf dem Wahlkampfparteitag zu vermeiden, den Gliederungen zur Diskussion gestellt und schließlich vom 17. Landesparteitag „durchgewunken“. Vgl. Schreiben von Hermann Winkler an die Kreisvorsitzenden der Sächsischen Union vom 22. Juni 2004 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag der CDU Sachsen am 28. August 2004 in Chemnitz, S. 2 f., 10 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004 vom 28. August 2004, S. 3. Interviewanzeige mit Georg Milbradt, in: Wochenspiegel Chemnitz vom 15. September 2004. Vgl. Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU: Kernpunkte zur Landtagswahl am 19. September 2004; Themenpostkarten der sächsischen CDU für die Landtagswahl am 19. September 2004; Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 8-46. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 4. Der Slogan der CDU-Themenpostkarte lieferte der PDS unfreiwillig eine Steilvorlage. Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU: Kernpunkte zur Landtagswahl am 19. September 2004.
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höchste BIP pro Einwohner, die höchste Erwerbstätigenquote und sei führend beim Entstehen neuer Arbeitsplätze. „Die Anstrengungen unserer Bürger haben sich gelohnt, die Saat, die wir gemeinsam mit Kurt Biedenkopf gelegt haben, geht auf.“106 Insgesamt habe die CDU durch eine „gezielte Förder- und Ansiedlungspolitik“ über 20.000 Investitionsvorhaben unterstützt, die zusammen 444.000 Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen hätten.107 Sachsen sei nun wieder „Autoland“, mit 450 Betrieben und 60.000 Arbeitsplätzen im Automobilbau. Sachsen sei ebenfalls „Chipland“, der Großraum Dresden „einer der fünf wichtigsten Chipstandorte in der Welt“.108 Alles, so Milbradt, „Erfolge einer zielgerichteten sächsischen Wirtschaftspolitik“.109 Ein Wässerchen trübte die Leistungsbilanz, die Arbeitslosigkeit. „Unser größtes Problem bleibt das Schicksal der Menschen, die keinen Arbeitsplatz finden“.110 Die Arbeitslosigkeit sei, so Milbradt, der „größte Schaden für Sachsen und seine Menschen“.111 Dabei verwies die CDU neben der Schwäche der Weltwirtschaft und der hohen Erwerbsneigung weniger auf hausgemachte Gründe und mehr auf die Bundesregierung. Die habe das Problem durch eine falsche Politik verschärft. Sie unternehme alles, „um die Schaffung von Arbeitsplätzen zu verhindern“. Seit Rot-Grün regiere, gehe es mit der Wirtschaft „bergab“. Das sächsische Wachstum allein reiche schlichtweg nicht aus, um Arbeitsplätze entstehen zu lassen.112 Ordnungspolitisch bekundete die CDU, eine „wettbewerbsfähige Wirtschaft“ sei die Voraussetzung für eine „solide Entwicklung“ Sachsens, eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik „die Grundlage eines zukunftsfähigen Sozialstaats und einer solidarischen Gesellschaft“. Die „Freiheit des Einzelnen und der Fleiß aller“ hätten die positive wirtschaftliche Entwicklung bewirkt.113 Ausgedrückt durch den Slogan „Sozial ist, was Arbeit schafft“, sahen die Christdemokraten einzig in einer funktionierenden „Sozialen Marktwirtschaft“ und einer guten Wirtschaftspolitik die Garanten für die Lösung der sozialen Probleme.114 Sachsen brauche für die Zukunft eine „Politik, die den Mut zur Veränderung hat, die regionale Unterschiede anerkennt und Wettbewerb zulässt“. Daher plädierte die CDU für Ordnungsreformen. Der „Ruf nach Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse“ habe die Kompetenzen zulasten der Länder verschoben. Hier sei eine Umkehr notwendig. „Wir wollen die Länder stärken und treten dafür ein, vor allem in Ostdeutschland schnellstmöglich Freiräume für eigenverantwortliche Regelungen in den Bereichen Tarifrecht, Kündigungsschutz, Beamtenbesoldung und Planungsrecht einzuführen.“115 Sachsen benötige Richtlinien, die private Initiativen und selbstständiges Handeln anregen. Christdemokratisches Hauptziel war, die hohe Arbeitslosigkeit zu beseitigen. „Arbeit für jeden, der Arbeit will“116 lautete der CDU-Slogan. Viele der gesellschaftlichen Proble106
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Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 3, 19; Themenpostkarte „Wirtschaft“ der sächsischen CDU für die Landtagswahl am 19. September 2004. Vgl. Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 4, 19, 22. Interviewanzeige mit Georg Milbradt, in: Wochenspiegel Chemnitz vom 15. September 2004; Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 3. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 11. Ebd., S. 13. Regierungserklärung von Georg Milbradt vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, in: Plenarprotokoll 3/109 des Sächsischen Landtages, S. 8000-8012, hier S. 8006. Vgl. ebd. Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 3 f. 19. Vgl. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 20. Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 19, 22-24. Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU: Kernpunkte zur Landtagswahl am 19. September 2004.
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me würden gelöst, wenn mehr zukunftsträchtige Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Um dies zu erreichen, so Milbradt, müsse man „kompromisslos“ auf Wachstum setzen. Dieses sei schließlich „kein Selbstzweck“, sondern die Voraussetzung für Menschen in Arbeit.117 „Unser Ziel; Nummer 1 mit höheren Wachstumsraten, mit einem starken Mittelstand, […] und mit Arbeit für jeden, der Arbeit sucht.“118 Sachsen müsse zum „moderneren Teil Deutschlands“ werden und seinen durch das Potenzial und die Arbeit seiner Bürger gegebenen „Wettbewerbsvorsprung“ vergrößern.119 Methodisch hielt die CDU an der „Leuchtturmpolitik“ fest. Deren Erfolg beweise, dass nach wie vor die einzige Alternative für mehr Arbeitsplätze in der Förderung von „Wachstumskernen“ liege. Nur die finanzintensive Unterstützung von Großunternehmen könne die „Kapitalvernichtung in der DDR“ in einem angemessenen Zeitraum ausgleichen.120 Großansiedlungen seien der richtige Kurs, im Gegensatz zu den Vorhaben der Opposition, die Förderung des Mittelstands gegen die von Großunternehmen auszuspielen. 121 Die CDU war sich sicher, dass die Zeit großer Ansiedlungen, speziell im Bereich von „Technologien des 21. Jahrhunderts“, nicht vorbei sei. „In der Chipindustrie zum Beispiel ist die Musik noch nicht raus. Auch im Automobilbau ist es noch möglich, Ansiedlungen nach Ostdeutschland zu holen.“122 Großansiedlungen seien erfolgreich, weil mit ihnen ein Wachstum mittelständischer Strukturen einhergehe. Das Konzept der CDU sah deshalb erneut parallele Zuschüsse an große und kleinere Unternehmen vor, wobei die Mittelstandsförderung deutlicher ins Zentrum rückte. Das 2003 in Kraft getretene Gesetz zur Vergabe öffentlicher Aufträge sei „mittelstandsfreundlich“, ein „Mittelstandsfond“ in Höhe von 30 Millionen Euro im Entstehen.123 Man werde die „bisherigen Schwerpunkte der Mittelstandsförderung beibehalten“ und um Bürgschaftsprogramme oder Beteiligungsfinanzierungen verstärken. Die Eigenkapitalbildung der Unternehmen gelte es mehr zu fördern, Unternehmensfinanzierungen seien zu sichern. Die Hilfen sollten sich mehr auf Innovationen und Markterschließungen, weniger auf überholte Strukturen konzentrieren. Auch sei der Mittelstand von Steuern, Abgaben und Bürokratie zu entlasten.124 Hinsichtlich der deprivierten Regionen reduzierte die CDU ihr Konzept auf die Infrastrukturförderung. „Schnelle Verkehrsverbindungen“ müssten die Peripherien an die Wachstumszentren heranführen. Nur so seien Investoren in die ländlichen Gebiete zu locken und die dortige Bevölkerung an die Großstädte anzubinden.125 Markant war der partielle arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Paradigmenwechsel. Zunächst galt die alte angebotsorientierte Devise: „Arbeitsplätze kann nicht der Staat schaffen, sondern nur die Wirtschaft.“126 Staatsaufgabe sei es, Rahmenbedingungen zu verbessern sowie private Investitionen und damit Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeits117
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Vgl. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 15, 20; Regierungserklärung von Georg Milbradt vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, S. 8004. Wahlkampfbroschüre der sächsischen CDU zur Landtagswahl 2004. Georg Milbradt. Vgl. Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 7. Vgl. Interview mit Georg Milbradt in: Christina Geinitz: „Der Osten wird dem Bund langsam lästig“, in: FAZ vom 5. September 2004. Vgl. Regierungserklärung von Georg Milbradt vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, S. 8004. Interview mit Georg Milbradt in: Bernhard Honnigfort: „So gewinnt man kein Vertrauen“, in: FR vom 16. August 2004. Vgl. Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 20. Vgl. ebd., S. 24-26. Vgl. Interview mit Georg Milbradt, in: FR vom 16. August 2004. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 18.
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markt zu fördern. Der zweite Arbeitsmarkt löse dieses Problem nicht, überbrücke es allenfalls. Verordnungen und Gesetze müssten in Zukunft geprüft werden, ob sie Arbeitsplätze schaffen oder gefährden. Alle Bemühungen und Fördermittel sollten dazu dienen, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und zu flexibilisieren. Der Kündigungsschutz sei so zu regeln, dass dieser nicht als „dauerhaftes Zugangshemmnis zum Arbeitsmarkt“ wirke. Befristungen und Teilzeitregelungen müssten stärker an betriebliche Bedürfnisse, Flächentarifverträge an regionale Erfordernisse angepasst werden.127 Parallel dazu verkündete Milbradt Ende 2003: „Wir dürfen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht nur auf Wachstum oder industrielle Entwicklung setzen. Mein Vorschlag ist, mit Lohnsubventionen zu arbeiten, um die Betriebe von den Lohnnebenkosten zu entlasten.“128 Die CDU rückte, indem sie eine künstliche Öffnung des Arbeitsmarktes für „einfache Erwerbsarbeit“ forderte, erstmals von der Annahme ab, allein durch Wachstum der Arbeitslosigkeit Herr werden zu können. Niedriglohnberufe, deren Bezahlung unter oder auf dem Niveau der Sozialhilfe liege, sollten durch gezielte Einkommenszuschüsse („aktivierende Sozialhilfe“) an Attraktivität gewinnen. Das Motto: Lohnergänzungsleistungen anstelle von Lohnersatzleistungen. Anstatt Erwerbslose durch reduzierte staatliche Zuwendungen zur Aufnahme einer Arbeit zu bewegen, könne in Ostdeutschland nur durch eine wirkungsvolle Absenkung der Arbeitskosten Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Einzig indem man den hohen Lohndruck ostdeutscher Unternehmen mindere und einen Sektor für gering Qualifizierte schaffe, vergrößere man die Erwerbsnachfrage.129 Mittelfristig, so Milbradt, seien in Sachsen 200.000 Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor möglich – „fast eine Halbierung der Arbeitslosigkeit“. Hartz-IV hingegen schaffe keine Arbeitsplätze. Die Reform fokussiere zu stark auf den zweiten Arbeitsmarkt, was die Gefahr in sich berge, reguläre Beschäftigung zu verdrängen.130
7.2.5 Konkurrenzkampagne Die CDU verzichtete auf eine Koalitionsaussage. Ihre Begründung: Eine Koalitionsregierung bremse die Entwicklung des Landes. Was Sachsen erfolgreich gemacht habe, eine Politik der kurzen Wege und Beschlüsse, sei im Rahmen einer Koalition unmöglich.131 Die Partei bekundete, weiter allein regieren zu wollen und hielt an ihrer Ignorierungsstrategie gegenüber den meisten politischen Konkurrenten fest. Gleichwohl hatte sich 2004 das Wettbewerbsumfeld verändert. War es in den vergangenen Wahlkämpfen für Grüne und Liberale nahezu unmöglich gewesen, die im Schatten des populären Amtsinhabers stehende Regierungspartei wirksam anzugreifen, sahen sich beide nun einer angeschlagenen CDU 127
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Vgl. ebd., S. 15, 19; Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 29. Interview mit Georg Milbradt in: Ralf Hübner: Wie regiert es sich zurzeit, Herr Milbradt, in: SZ vom 16. November 2003. Vgl. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 21; Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 28-30. Vgl. Interview mit Georg Milbradt, in: FAZ vom 5. September 2004. Vgl. Interviewanzeige mit Georg Milbradt, in: Wochenspiegel Chemnitz vom 15. September 2004. Tatsächlich sah die CDU für den Fall einer fehlenden Mehrheit am ehesten in der SPD eine geeignete Koalitionspartnerin, weniger in der von den Christdemokraten landespolitisch weitgehend für inkompetent erachteten FDP. Vgl. Gunnar Saft: Der Kampf ums Bärenfell, in: SZ vom 17. September 2004.
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gegenüber. Die FDP setzte unter Holger Zastrow als „bürgerliche Protestpartei“132 auf populistische Töne und präsentierte sich als „frische und unverbrauchte bürgerliche Alternative zu den müden und kraftlos gewordenen etablierten Parteien“.133 Die Grünen gingen mit Antje Hermenau auf Konfrontationskurs zur CDU; betitulierten deren Alleinregierung als paternalistisch und schlossen eine Koalition aus.134 Die christdemokratische Reaktion war, der Strategie gemäß, kurz. Ebenso wenig wie man bisher die Grünen für eine gute Umweltpolitik gebraucht habe, benötige man die FDP für eine solide Wirtschaftspolitik.135 Im Verhältnis zur PDS änderten die Christdemokraten ihre Strategie. Hatte man sie bislang ignoriert, sie allenfalls stigmatisiert bzw. instrumentalisiert, nötigten die Kräfteverhältnisse nun zu einem Umdenken. Die PDS wurde in dem Moment zum Hauptgegner, als sie, getragen von den Sozialprotesten und anfangs unterlegt durch eine Herausfordererkampagne, in Wählerstimmenkonkurrenz zur CDU trat. Dabei setzte die Regierungspartei auf eine inhaltliche Auseinandersetzung, indem sie auf unterschiedliche Art und Weise hervorhob, dass eine regierende PDS die Probleme lediglich verschlechtere.136 Ihr Credo lautete: „Wo es gut läuft, regiert die CDU, wo es schlechter läuft die SPD und wo es ganz schlecht läuft, ist die PDS dabei.“137 Parallel reanimierte Generalsekretär Winkler althergebrachte Polarisierungsstrategien. „Die Sachsen werden eine klare Entscheidung treffen. Sie können wählen zwischen der absoluten CDU-Mehrheit mit Ministerpräsident Georg Milbradt oder einem rot-roten Bündnis mit einem PDS-Ministerpräsidenten.“138 Auch Milbradt verdeutlichte den Wählern: „Wir wollen das Land weiterhin allein regieren. […] Die Alternative hieße Rot-Rot, da die SPD in Sachsen keinerlei Berührungsängste vor der PDS hat.“139 Je ungünstiger sich die Umfragen entwickelten, umso stärker polarisierte die CDU, pochte auf den Kontrast klare schwarze Mehrheit gegen diffuse rot-rote Koalition oder „rot-grün-braunes Chaos“.140 Sahen die Christdemokraten die sächsische SPD als einen „zu vernachlässigenden Faktor“141 an, war ihr Verhältnis zur Bundespartei erneut janusgesichtig. Während die Parteibasis mit allen verfügbaren Mitteln die rot-grüne Politik kritisierte, agierte die CDUSpitze eher zurückhaltend. Zwar warf Milbradt der Bundesregierung finanzpolitische Verfehlungen vor, ebenso wie er ihr die Kompetenz für Ostdeutschland absprach,142 bei den Arbeitsmarktreformen wusste die CDU aber um ihre Mitverantwortung und, dass auf Kritik an Hartz-IV ein unberechenbarer Konter aus Berlin drohte.143 Zudem versuchte die Regie-
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Steffen Klameth: Protestpartei nach Haiders Vorbild, in: SZ vom 10. April 2004. Wahlkampfhandzettel der FDP: FDP. Neue Kraft für Sachsen, Dresden 2004. Vgl. Reiner Burger: Liberale Populisten und grüne Kämpfer gegen den Paternalismus, in: FAZ vom 14. September 2004. Vgl. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 12. Vgl. Interview mit Hermann Winkler in: Jürgen Kochinke: Union muss Umgang mit PDS überdenken, in: DNN vom 17. Juni 2004; Interview mit Hermann Winkler in: Bernhard Honnigfort: „Mit der Abstempelung soll Schluss sein“, in: FR vom 22. Juni 2004. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag, S. 23. Interview mit Hermann Winkler, in: FR vom 22. Juni 2004. Interview mit Georg Milbradt, in: Die Welt vom 28. Juni 2004. So eine umstrittene Wahlanzeige von Hermann Winkler. Zitiert nach Brümmer (2006), S. 236 f. Hermann Winkler zitiert in: Stefan Locke: Ein Sonder-Bus für Georg Milbradt, in: Dresdner Morgenpost vom 16. August 2004. Vgl. Interview mit Georg Milbradt, in: FAZ vom 5. September 2004. Vgl. etwa Interview mit Jürgen Trittin in: Anita Kecke u. a.: „Milbradt und PDS ähneln sich in demagogischer Pose“, in: DNN vom 9. September 2004.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
rungspartei verzweifelt, dem Wahlkampf ein landespolitisches Effet zu geben und unnötige bundespolitische Polarisierungen zu vermeiden. In den letzten beiden Wochen richtete die CDU ihr Augenmerk auf den drohenden Landtagseinzug der NPD. Als die Rechtsextremisten, die hauptsächlich mit einer Plakatkampagne gegen die „etablierten Parteien“ polemisierten und Bedrohungsängste schürten, in einer ZDF-Umfrage am 12. September auf neun Prozent schnellten,144 startete die CDU eine fragwürdige Negativ- und Mobilisierungskampagne. Anstatt die NPD als rechtsextremistische Partei zu entblößen und die Wähler mit einer emotionalen Kampagne an die Brust der „Sächsischen Union“ zu drücken, positionierte sich die CDU zum einen mit härteren Slogans. Zum anderen schürte die Regierungspartei nun ihrerseits Ängste unter den Wählern. So betonte Wirtschaftsminister Martin Gillo in kapitaler Verkennung der Lage, ein Wahlerfolg der NPD könne den wirtschaftlichen Erfolgskurs Sachsens dämpfen. Gerade amerikanische Investoren reagierten darauf besonders empfindlich.145 Auf einem kurzfristig gedruckten Flugblatt behauptete die CDU: „NPD im Landtag verhindert neue Arbeitsplätze!“ Milbradt betonte: „Der Ruf Sachsens wir durch das Erstarken der NPD schlechter. Die Möglichkeit, Investoren zu finden und Touristen beispielsweise in die Sächsische Schweiz zu holen, wird schlechter.“ Selbst wenn man persönlich von der Politik enttäuscht sei, so Milbradt weiter, böten weder die Wahl der NPD noch die Nichtwahl eine Lösung.146 Der unmittelbar vor dem Wahlwochenende an die sächsischen Haushalte versandte Brief des Ministerpräsidenten bekundete rigoros: „Jede Stimme für Radikale von rechts und links beschädigt das Ansehen unseres Landes. Wir würden viele Freunde verlieren. Keiner würde mehr in Sachsen investieren, keiner würde hier neue Arbeitsplätze schaffen. Weil wir unser Sachsen lieben, müssen wird das verhindern.“147 Obwohl symbolkräftige Aktionen gegen Rechtsextremismus mit Vertretern anderer Parteien, speziell mit jenen der PDS innerhalb der CDU umstritten waren, nahm die stellvertretende Landesvorsitzende Christine Clauß neben Vertretern von PDS, SPD, FDP und Grünen an einer Protestkundgebung in Leipzig teil. Einen gemeinsamen Wahlaufruf gegen die NPD, an welchem sich die PDS beteiligte, lehnte die CDU mit dem Verweis auf deren demokratische Zweifelhaftigkeit ab.148
7.3 Wahlkampf der SPD – Gescheiterter Neuanfang 7.3.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Nach ihrer Niederlage 1999 befanden sich die Sozialdemokraten in schwerem Fahrwasser. Strukturelle Schwächen und personelle Probleme prägten den Landesverband. Obwohl die Landesvorsitzende Constanze Krehl nach ihrem Amtsantritt auf Regionalkonferenzen um das Vertrauen der Basis geworben und der Landesvorstand zahlreiche politische Projekte initiiert hatte,149 galt Krehl ihren Kritikern als führungsschwach und kaum öffentlich prä144 145 146
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Vgl. SZ: Neonazis gefährden Sachsens Ruf, in: SZ vom 13. September 2004. Vgl. Jens Büttner: „Schaden für Deutschland“, in: FP vom 13. September 2004. Interview mit Georg Milbradt in: Hans Eggert: Sachsen muss eigene Wege gehen, in: SZ vom 13. September 2004. Wahlkampfbrief von Georg Milbradt zur Landtagswahl am 19. September 2004. Vgl. Dieter Janke: Sachsen: Warnung vor NPD im Landtag, in: ND vom 13. September 2004; Brümmer (2006), S. 236. Vgl. Protokolle der Landesvorstandssitzungen am 28. Januar 2000, 8. Juni 2000 und 18. Mai 2001 in Dresden.
7.3 Wahlkampf der SPD – Gescheiterter Neuanfang
273
sent. Wie bereits gegenüber Kunckel beschränkte sich die murrende Basis auf verdeckte Kritik. Die Vorsitzende war alternativlos mangels Alternative.150 Zudem war der Landesverband von einigen um Krehl angesiedelten bundespolitischen Honoratioren (z. B. Gunter Weißgerber, Rolf Schwanitz) beherrscht, die eine strategische Neuausrichtung dämpften.151 Erneut brachen Diskussionen über eine Kooperation mit der PDS aus. Für das „linke“ Lager um den Fraktionsvorsitzenden Thomas Jurk war eine punktuelle Zusammenarbeit spätestens seit dem gemeinsam unterstützten Volksentscheid der Bürgerinitiative „Pro kommunale Sparkasse“ akzeptabel. Als Anfang des Jahres 2002 SPD und PDS zusammen in den Umfragen auf Augenhöhe mit der CDU lagen, bezeichnete Jurk dies als „spannende Konstellation“. Ohne für ein rot-rotes Bündnis zu werben, stand er für eine überlegte Öffnung seiner Partei gegenüber der PDS.152 Hingegen lehnte das Krehl-Lager Derartiges ab. Sachsen, so der Standpunkt der Vorsitzenden, brauche in erster Linie „eine starke Sozialdemokratie und nicht Debatten über eine Zusammenarbeit der Oppositionsparteien“.153 Deren Differenzen überwögen ohnehin die Parallelen. Die Diskussion über Rot-Rot erachtete Krehl zudem als strategischen Fehler, lag doch ihrem Dafürhalten nach das Wählerpotenzial der SPD eher bei wechselbereiten CDU-Wählern.154 Während die Partei unter Krehl in der dritten Legislaturperiode eine weiterhin gemäßigte Oppositionsarbeit gegenüber der CDU befürwortete und auf eine Große Koalition schielte, ging die Fraktion unter Jurk hart mit den Christdemokraten ins Gericht. In der Regierungskrise 2001 forderte Jurk den Rücktritt des Ministerpräsidenten und unterstützte den „Paunsdorf-Untersuchungsausschuss“ der PDS.155 Danach konzentrierten sich die SPDAbgeordneten auf Milbradts „Übergangsregierung“.156 Jurk sah im Ministerpräsidenten einen „Mann des Übergangs“,157 der 2004 unbedingt abgelöst werden müsse. Vor allem der innerparteilich umstrittene Dresdner Druckereiunternehmer Karl Nolle fungierte als Breitschwert der sozialdemokratischen Skandalisierung. Ohne moralische Skrupel, ohne vor den eigenen Reihen Halt zu machen und zum Leidwesen des Krehl-Lagers thematisierte er Verfehlungen des Kabinetts, verkündete Halb- und Unwahrheiten, verbreitete Gerüchte oder üble Nachrede.158 Nolle setzte öffentlichkeitswirksam (und zur eigenen Profilierung) sozialdemokratische Kontrapunkte zur aggressiven Oppositionspolitik der PDS. Zur bislang schwersten innerparteilichen Feuerprobe entwickelten sich die Konflikte um die Spitzenkandidatur. Zunächst ruhten alle Hoffnungen auf dem Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee. Er erschien den Genossen als Lichtgestalt, die die Landespartei zum langersehnten Wahlerfolg führen würde.159 Als der von Krehl und Jurk sowie von der Berliner Parteiführung um Franz Müntefering heftig Umworbene nach langem Zögern am 3. November 2003 mit der Begründung absagte, er wolle Oberbürgermeister
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Vgl. Gunnar Saft: Warten auf den Erlöser, in: SZ vom 23. Juni 2000; Gunnar Saft: Viel Beifall, wenig Erfolg, in: SZ vom 12. August 2002. So erzielte Krehl bei ihrer Wiederwahl 2002 nur 69 Prozent. Vgl. Bernhard Honnigfort: Am Boden, in: FR vom 6. Juli 2004. Vgl. Reiner Burger: Sächsische SPD streitet mit sich selbst, in: FAZ vom 15. Januar 2002. Constanze Krehl zitiert in: dpa: Nein zu linkem Bündnis, in: SZ vom 15. Oktober 2001. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 25. Januar 2002 in Dresden, S. 2 f. Vgl. Interview mit Thomas Jurk: „Biedenkopf sollte gehen“, in: SZ vom 17. Dezember 2001. Ausführungen Thomas Jurk in: Protokoll der Landesparteiratssitzung am 5. Juli 2003 in Radefeld, S. 2. Interview mit Thomas Jurk in: Stefan Rössel: SPD will mit Bildung punkten, in: SZ vom 8. August 2003. Vgl. Jens Schneider: Im Profil: Karl Nolle, in: Süddeutsche Zeitung vom 16. Mai 2001; Gunnar Saft: Ritterschlag in den Nacken von „Genossen Hemmungslos“, in: SZ vom 13. September 2003. Vgl. Gunnar Saft: SPD hofft verzweifelt auf Herrn T. aus L., in: SZ vom 16. September 2003.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
bleiben und sich auf die Olympiabewerbung konzentrieren,160 stürzte die sächsische SPD in eine Krise. Ohne Alternativplan, fochten fortan Krehl und Jurk um den ersten Listenplatz und damit um den künftigen Kurs der Partei.161 Anstatt die irrelevante Spitzenkandidatur der Kleinpartei gütlich zu entscheiden, beschloss der Landesvorstand, genötigt durch das überraschende öffentliche Bekenntnis von Krehl zu einer Urwahl und getrieben von einigen Unterbezirken, die Sache via Basisentscheid zu klären. Die Urwahl wiederum lehnte die Basis eher ab, befürchtete diese doch eine Zerreißprobe für die schwache Landespartei und eine öffentliche Demontage des unterlegenen Kandidaten.162 Die drohende Niederlage vor Augen startete Krehl eine unbeholfene Profilierungskampagne. Ein von ihr an alle Mitglieder versandtes Video erwies sich als kapitaler Fehlgriff. Die amateurhafte „Kreuzung aus früher Sowjetpropaganda mit einer Volksmusiksendung“163, die politische Portraits mit Szenen aus der weihnachtlichen Stube verband, war Krehls politischer Offenbarungseid. Als dann noch aus den Leipziger Reihen heraus ein gefälschtes ddp-Interview des Fraktionsvorsitzenden die Runde machte, war für die Partei der Bogen überspannt.164 Unter energischer Vermittlung von Karl-Heinz Kunckel vereinbarten die Kontrahenten am 5. Januar 2004 eine „Teamlösung“ mit Jurk auf Listenplatz eins und Krehl auf zwei.165 Nach Monaten der Ruhe flammte der Konflikt bei der Besetzung der Landesliste neu auf. Um einen reibungslosen Nominierungsparteitag am 27. Juni 2004 in Döbeln zu gewährleisten, hatten sich Krehl und Jurk auf eine sachpolitisch, regional und personell ausgewogene Liste geeinigt. Krehl bekundete bei der Präsentation der Kandidaten vor dem Landesparteirat am 27. Juni: „Auf den Plätzen 1-14 sind alle Unterbezirke berücksichtigt und die Themen sind komplett besetzt.“166 Dennoch kam es unter den UB-Vertretern zu heftigen Diskussionen. Die anschließende Sitzung des vom Krehl-Lager dominierten Landesvorstands änderte deshalb den Konsensvorschlag entscheidend ab. Wichtige Vertreter des Jurk-Flügels rückten auf aussichtslose Plätze.167 Die Delegierten der Wahlkonferenz witterten diesen „Putsch von oben“, verwarfen die Listenanordnung und initiierten erstmals Kampfabstimmungen. Das bisher übliche Verfahren, „wer im Parlament ist, der hat Vorrecht“, endete in Döbeln.168 Jeder Kandidat musste um seinen Platz kämpfen. Während Jurk mit 88,1 Prozent klar als Spitzenkandidat bestätigt wurde, erzielte die auf Platz zwei gesetzte Landesvorsitzende mit nur 54,2 Prozent ein katastrophales Ergebnis. Danach arbeitete sich Juso-Chef Martin Dulig von Platz 31 auf Platz drei vor und verdrängte den Leipziger Bildungsexperten Gunther Hatzsch. Den am Vortag um 15 Plätze gefallenen Cornelius Weiss hoben die Delegierten zurück auf Platz 5. Karl Nolle wurde unter dem Widerstand des Krehl-Lagers von 21 zurück auf Platz 8 gewählt. Das Resultat war fast identisch mit dem ursprünglich ausgehandelten Listenkompromiss. Konsterniert räumte Krehl am Folgetag Landesvorsitz und Listenplatz. Kommissarischer Vorsitzender und alleiniger Spitzen160
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Als Hauptverantwortlicher für die sächsische Olympiabewerbung hatte Tiefensee u. a. mit Korruptions- und Stasi-Vorwürfen rund um die sächsische Olympia GmbH zu kämpfen. Vgl. Jens Schneider: Wettstreit der Lückenbüßer, in: Süddeutsche Zeitung vom 8. November 2003. Vgl. Protokolle der Landesvorstandssitzungen am 21. November und 12. Dezember 2003 in Dresden. Bernhard Honnigfort: Sachsens SPD hat Angst vor dem Absturz, in: FR vom 10. Januar 2004. Vgl. Gunnar Saft: MDR-Moderator nach Falschmeldung unter Druck, in: SZ vom 7. Januar 2004. Vgl. Protokoll der außerordentlichen Landesvorstandssitzung am 8. Januar 2004 in Dresden, S. 1. Ein derartiger Kompromiss, so Krehl, drücke die „Größe einer Landesvorsitzenden“ aus. Interview mit Constanze Krehl in: „Die Größe einer Vorsitzenden“, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. Januar 2004. Ausführungen Constanze Krehl in: Protokoll der Landesparteiratssitzung am 26. Juni 2004 in Döbeln, S. 3. Vgl. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 26. Juni 2004 in Döbeln, S. 3 f. Vgl. Interview mit Mario Pecher am 6. Dezember 2005.
7.3 Wahlkampf der SPD – Gescheiterter Neuanfang
275
kandidat wurde Jurk.169 Nach den kräftezehrenden Auseinandersetzungen startete die in den Grundfesten erschütterte sächsische SPD in ihren bislang schwersten Landtagswahlkampf.
7.3.2 Konzeptioneller Rahmen Querelen prägten auch die Konzeptionierung des Landtagswahlkampfes. Mitte des Jahres 2003 bildete sich ein politischer „Wahlkampfstab“, dem neben Krehl, Jurk und Tiefensee auch der Bundestagsabgeordnete Rolf Schwanitz und der Landesgeschäftsführer Frank Herschmann angehörten. Zusammen mit dem organisatorischen „Wahlkampfstab“ konzipierte dieser die Grundlinie der Kampagne. Die technische Wahlkampfleitung oblag der Landesgeschäftsstelle und einem ihr angegliederten „Wahlkampfteam“ unter dem vom Berliner Parteivorstand entsandten Wahlkampfmanager Jürgen Rohde. Als zentrale Organisations- und Konzeptionseinheiten kümmerten sie sich um die Werbekampagne, die zentrale Veranstaltungs- und Rednerplanung sowie um die Pressearbeit. Zusätzlich vermittelten sie zwischen Landes- und Bundespartei sowie zwischen den Unterbezirken, denen Wahlkreisund Kandidatenbetreuung zufielen. Als erfahrener Wahlkampfmanager wirkte Rohde u. a. an der Werbe- und Kampagnestrategie mit, stellte die Kommunikation zwischen den Parteiebenen sicher. Das Willy-Brandt-Haus unterstützte die sächsische SPD mangels eigener Kapazitäten und wegen interner Versäumnisse organisatorisch wie konzeptionell.170 In einer sich von Januar 2003 bis zum Coswiger Programmparteitag am 9. Mai 2004 erstreckenden Planungs- und Mobilisierungsphase171 entwarf die SPD Wahlprogramm, Wahlkampfstrategie und Werbekampagne. Tiefensees Kandidatur erwartend, hatten sich die Genossen früh zu einer kostspieligen Amtsinhaberkampagne mit strategischer Beratung durch die Berliner Agentur Odeon Zwo entschlossen.172 Seine Absage zwang die Landespartei zu erheblichen Abstrichen. Man entschied sich gegen einen „Massenwahlkampf“ und reduzierte die Agenturleistungen. Insbesondere musste die SPD die schon weit gediehene Kampagne auf das neue Spitzenteam umstellen.173 Darüber hinaus plagten den im Wahljahr noch 4.453 Mitglieder starken Landesverband, der im Zuge der „Agenda 2010“-Politik erheblich hatte Federn lassen müssen, Mobilisierungsprobleme. Die SPD sah sich 2004, trotz engagierter Jusos, wegen der Passivität vieler ihrer Mitglieder erstmals nicht mehr in der Lage, ihre Werbekampagne selbst umzusetzen.174 Besonders nach der abgesagten Urwahl kamen sich Teile der Parteibasis verschaukelt vor. Um dem zu entgegnen, initiierte die Landespartei im März 2004 drei Konferenzen, die die Mitglieder über politische Projek-
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Vgl. Reiner Burger: Revolution von unten, in: FAZ vom 28. Juni 2004; Sven Heitkamp: SPD-Chefin Krehl geht im Zorn, in: DNN vom 29. Juni 2004. Vgl. Lars Mühlbach/Christiane Künzel: Wahlkampfauswertung Landtagswahl 2004 vom 10. Oktober 2004, S. 12 (Archiv des SPD-LV Sachsen); Interview mit Frank Herschmann und Jürgen Lommatzsch am 2. Februar 2006. Vgl. zu den einzelnen Phasen Lars Mühlbach/Christiane Künzel: Wahlkampfauswertung Landtagswahl 2004, S. 13; SPD-Landesverband Sachsen: Entwurf für ein Wahlkampfkonzept Landtagswahlkampf 2004 vom Februar 2004, S. 7 f. (Archiv des SPD-LV Sachsen). Vgl. Aufgabenkatalog für die Werbeagentur im Landtagswahlkampf vom 27. Juni 2003 (Archiv des SPD-LV Sachsen); Interview mit Andreas Beese am 17. November 2005. Vgl. Brief von Frank Herschmann an die Werbeagentur Odeon Zwo vom 25. Februar 2004 (Archiv des SPDLV Sachsen). Vgl. Sitzung Wahlkampfstab Org. am 12. November 2003 in Dresden (Archiv des SPD-LV Sachsen).
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
te sowie über die Doppelspitze informierten und so für den Wahlkampf motivierten.175 An die zweimonatige Europa- und Kommunalwahlkampfperiode schloss sich Mitte Juni die konkrete Vorbereitungsphase des Landtagswahlkampfes an. Dabei erzwang Krehls Rücktritt eine erneute Revision der Werbekampagne und eine nochmalige Binnenmobilisierung. Im Rahmen einer „Funktionärskonferenz“ am 16. August schworen Thomas Jurk und der Bundesvorsitzende Franz Müntefering ihre UB-Vorstände, Ortsvereinsvorsitzenden, Mandatsträger, Kandidaten und Wahlhelfer zu Geschlossenheit und Engagement ein.176 Wegen der ständigen Modifikationen, der kostspielig vorbereiteten Urwahl und den Parteikonferenzen war die finanzielle Situation der Landespartei angespannt.177 Die klamme Kassenlage ließ nur einen kurzen Wahlkampf zu, weshalb die heiße Phase erst am 24. August mit der Leipziger Auftaktveranstaltung begann. Strategisch wähnte sich die SPD nach der Bundestagswahl 2002 auf der Siegerstrecke. Angesichts von Umfragewerten zwischen 18 und 22 Prozent ging der Landesvorstand Anfang 2003 davon aus, „dass viele Wähler sich nicht scheuen unter entsprechenden Voraussetzungen SPD zu wählen“. Mit einem „zukunftsfähigen Konzept“ und einer „personellen Alternative“ sollte um 30 Prozent gerungen werden.178 Das 1999er Wahlergebnis galt als „Ausrutscher“, verursacht durch die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik von Rot-Grün. 2004, so die Annahme, habe die Berliner Koalition alle „Schweinereien“ hinter sich gebracht und der Landtagswahl damit ein ruhiges Fahrwasser bereitet. 179 Von einer möglichen Kandidatur Tiefensees beflügelt, verkündete Jurk im August 2003, man wolle in die „Nähe des Bundestagswahlergebnisses“ kommen, Direktmandate gewinnen und Regierungsverantwortung übernehmen.180 Die Entwicklungen im Zeitraum zwischen Tiefensees Absage (November 2003) und Jurks Spitzenkandidatur (Juli 2004) sprengten alle Zielsetzungen. Sämtliche nach der Europawahl 2004 erhobenen Prognosen deuteten einen realistischen Stimmenkorridor zwischen 10 und 14 Prozent an. Auf Bundesebene erreichten die Sozialdemokraten im Juli 2004 mit 20 Prozent einen neuen Tiefstwert.181 Hinzu kam, dass die Landespartei 2004 auf fast allen Politikfeldern kaum über öffentliche Reputationen verfügte. Einzig im Bereich Bildung, wo sie sich jahrelang profiliert hatte, existierte Zuspruch. Nach Krehls Rücktritt lautete die neue Strategie der SPD daher, in einem „Überlebenswahlkampf“182 den drohenden Totalschaden abzuwenden. Jurk bekundete Anfang Juli 2004: „Alles, was über den 10,7 Prozent von 1999 liegt, ist für uns ein Erfolg.“183 An einen Wiederaufstieg war nicht mehr zu denken, ein einstelliges Ergebnis musste mit allen Mitteln verhindert werden. Der Situation 175 176
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Vgl. Parteikonferenzen in Dresden und Leipzig, in: Vorwärts vom April 2004, S. 1. Vgl. SPD-Landesverband Sachsen: Entwurf für ein Wahlkampfkonzept Landtagswahlkampf 2004, S. 5; Hubert Kemper: SPD-Chef geht auf Hartz-Kritiker zu, in: FP vom 18. August 2004. Wegen eines Darlehens des Berliner Parteivorstands über 100.000 Euro verfügte die Landespartei mit einem Wahlkampfbudget von 850.000 Euro dennoch über einen ähnlichen Finanzrahmen wie 1999, zuzüglich der Eigenanteile zahlreicher Direktkandidaten. Vgl. Ergebnisprotokoll der Etatbesprechung vom 2. April 2004 (Archiv des SPD-LV Sachsen); SPD. Rechenschaftsbericht 2004, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 16. Wahlperiode, 16/1270 vom 28. April 2004, S. 64-67; Protokoll der Landesvorstandssitzung am 9. Juli 2004 in Dresden, S. 2. Vgl. Protokoll der Klausur des Landesvorstands am 31. Januar bis 1. Februar 2002 in Radefeld, S. 1-3. Vgl. Interview mit Andreas Beese am 17. November 2005. Vgl. Interviews mit Thomas Jurk, in: SZ vom 8. August 2003; Ralf Hübner: „Tiefensee-Kandidatur wird wahrscheinlicher, in: Lausitzer Rundschau vom 9. September 2003. Vgl. Auflistung bei Lars Mühlbach/Christiane Künzel: Wahlkampfauswertung Landtagswahl 2004, S. 17. Vgl. Interview mit Mario Pecher am 6. Dezember 2005. Interview mit Thomas Jurk in: André Böhmer: „Regierungspräsidien abschaffen“, in: DNN vom 7. Juli 2004.
7.3 Wahlkampf der SPD – Gescheiterter Neuanfang
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angepasst verfolgte die SPD drei Ziele – die absolute CDU-Mehrheit brechen, zweitstärkste Kraft werden und in Regierungsverantwortung an der Seite der CDU gelangen.184 Strategisch fixiert auf die Christdemokraten, zielten die Genossen zuvörderst auf „leicht gebundene CDU-Wähler“, die zur Bundestagswahl für die SPD stimmten, sich im Land aber bislang stets anders entschieden.185 Strategisches Leitbild war der „Dreiklang: Person-Themen-Professionalität“.186 Ein kompetenter Spitzenkandidat sollte mit wenigen, für die Wähler interessanten Themen verbunden werden und professionell den Regierungsanspruch der Partei kommunizieren. Das Strategiemuster strauchelte aus drei Gründen: (1) Jurk präsentierte sich zwar als personelle Alternative zum Amtsinhaber, einen Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten hegte er aber nicht. Sollte Tiefensee als bekannter, katholischer, wertkonservativ wie sozial ausgerichteter Kandidat in christdemokratische Wählerschichten einbrechen, führte Jurk als „Lückenbüßer“ einen öffentlich kaum wahrgenommenen Wahlkampf. (2) Die Positionierung der SPD als Partei mit starken Themen und einer inhaltlichen Alternative scheiterte an der bundespolitischen Überlagerung des Landtagswahlkampfes. Zwar zielten die Sozialdemokraten mit ihren Schwerpunkthemen Wirtschaft und Arbeit sowie Bildung auf eine sachliche Auseinandersetzung.187 Zu einer Aufklärungskampagne über Hartz-IV gezwungen, gerieten beide Gewinnerthemen jedoch in den Hintergrund. (3) Da die SPD den Sachsen als nicht regierungsfähig galt, konnte sie sich weder als potenzielle Regierungspartei, geschweige denn als Alternative zur CDU präsentieren. Einen Kompetenzwahlkampf führte sie insofern, als sie vorrangig eine Positivkampagne verfolgte. „Die Grundüberlegung war: Wir müssen uns selbst verkaufen, und zwar positiv, das was wir selber tun wollen und nicht das, was die anderen schlecht machen.“188 Jurk betonte im Wahlkampf: „Ich will vor allem deutlich machen, dass wir einen Landtag wählen und uns mit der CDU-Regierung auseinandersetzen.“189 Dennoch vertrat die SPD die rot-grünen Arbeitsmarktreformen. Jurk hatte seiner Partei Anfang Juli 2004 klar signalisiert, Kritik an Hartz-IV sei ausschließlich geordnet und nur durch ihn vorzubringen. „Keiner in Sachsen darf daran denken, einen Wahlkampf gegen Berlin zu machen.“190 Was den sächsischen Genossen die Unterstützung ihrer Bundespartei einbrachte, verschlechterte ihr „schwieriges“ bzw. weithin nicht vorhandenes Verhältnis zu den Gewerkschaften. Insbesondere der 1999 über die SPD-Liste in den Landtag gewählte DGB-Landesvorsitzende Hanjo Lucassen191 bändelte offen mit der PDS an. Er desavouierte die Sozialdemokraten mit einem Artikel im Neuen Deutschland192 über die Gründung einer Linkspartei („Arbeiterpartei“) und durch ein kritisches Interview in der
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Vgl. Interview mit Frank Herschmann und Jürgen Lommatzsch am 2. Februar 2006. Vgl. Sitzung Wahlkampfstab Politik am 4. September 2003 in Leipzig (Archiv des SPD-LV Sachsen). Sitzung Wahlkampfstab Politik am 4. September 2003 in Leipzig (Archiv des SPD-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Frank Herschmann und Jürgen Lommatzsch am 2. Februar 2006. Interview mit Andreas Beese am 17. November 2005. Interview mit Thomas Jurk in: Hubert Kemper: „Diese Regierung erstickt an ihrer Machtarroganz, in: FP vom 27. Juli 2004. Thomas Jurk: Zeit für den Aufbruch, in: Position. Magazin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag (2004) 3, S. 3. Hanjo Lucassen faxte am 10. Juni 2004 an die Landespartei: „Liebe Constanze, lieber Thomas, für eine weitere Wahlperiode im Sächsischen Landtag stehe ich nicht mehr zur Verfügung.“ Vgl. Fax von Hanjo Lucassen an SPD-Landesverband Sachsen vom 10. Juni 2004 (Archiv des SPD-LV Sachsen). Vgl. Hanjo Lucassen: 10 Gründe für einen möglichen Erfolg einer neuen Linkspartei, in: ND vom 20. August 2004.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
PDS-Wahlkampfzeitung193. Der einzige auf der Landesliste befindliche Gewerkschaftsvertreter, Stefan Brangs (Verdi), focht an Jurks Seite für ein sozialverträglicheres Hartz-IV.
7.3.3 Imagekampagne Das Image der sächsischen Sozialdemokraten im Jahr 2004 war verheerend. Deutschlands „erfolglosester“194 und „desolatester“195 SPD-Landesverband verbuchte kaum Kompetenzzuschreibungen. Mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten sahen in der SPD keine Partei, die sich um den sozialen Ausgleich bemüht oder um ostdeutsche Probleme kümmert. Obwohl Jurk betonte, seine Partei zeige „konstruktive Alternativen“196 auf, war sie in den Augen der Wähler weder eine seriöse Oppositions-, geschweige denn eine Regierungspartei. Ihr personeller Malus unterstrich dies. Gerade einmal 17 Prozent der Sachsen befanden im Wahljahr, die SPD verfüge über besonders fähige Politiker an ihrer Spitze.197 Das Bild von einer nicht problemlösungskompetenten, personell schwach aufgestellten, allein mit sich beschäftigten Partei dominierte die Sichtweise der Wähler. Die Sozialdemokraten bemühten sich daher um ein besseres strukturelles Image. Sie betonten, die Landespartei befinde sich in einem „positiven Aufbruch“198 und kehrten die wiedergefundene Geschlossenheit demonstrativ nach außen. Jurk hatte als Spitzenkandidat von den SPD-Mitgliedern Loyalität eingefordert. „Alle in eine Reihe, wer ausschert, bleibt draußen. Nur, wenn wir mit eiserner Disziplin arbeiten und [mit] einer Stimme sprechen, können wir am 19. September ein ansehnliches Wahlergebnis abliefern.“199 Mit Großveranstaltungen demonstrierten die Genossen „Stärke und Geschlossenheit“.200 So waren zum Wahlkampffinale am 17. September in Chemnitz Mitglieder landesweit angereist. Wissend, dass die SPD in den Umfragen bereits unter zehn Prozent lag, vermittelten Müntefering und Jurk vor gefülltem Saal den Eindruck, der Erfolg klopfe an die Tür. Dennoch unterschied sich das Szenario von jenem des Jahres 1999. Die Partei kämpfte diesmal bis zuletzt „trotzig entschlossen“201 um ein gutes Ergebnis. Ungeachtet der negativen Kompetenzzuschreibungen positionierte sich die SPD weiterhin als Garant für soziale Gerechtigkeit. „Wir Sozialdemokraten stehen für ein moderneres, gerechteres Sachsen. Wir wollen eine moderne Bildungspolitik, wir wollen eine bessere Mittelstandspolitik, wir wollen Arbeit fördern im ganzen Land – wir wollen ein gerechtes Sachsen.“202 Die Partei garantierte ihren Wählern, dass ihre Politik in Sachsen gerecht sei – „Sachsengerecht“.203 Ihr Leitslogan kommunizierte zwei Standpunkte. Erstens, die SPD kümmert sich um Sachsen, dessen Menschen und deren Probleme. Ihre Lösungen sind den 193
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Vgl. Interview mit Hanjo Lucassen: Hartz-IV: Armutsangst statt Arbeitslätze, in: Wahlkampfzeitung der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 3. Matthias Krupa: Und im Keller ein Lied, in: Die Zeit vom 15. Juli 2004. Bernhard Honnigfort: Am Boden, in: FR vom 6. Juli 2004. Interview mit Thomas Jurk, in: FP vom 27. Juli 2004. Vgl. Infratest dimap (2004), S. 82 f. Wahlkampfbroschüre von Simone Raatz zur sächsischen Landtagswahl 2004. Thomas Jurk: Zeit für den Aufbruch, in: Position. Magazin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag (2004) 3, S. 3. Blitzinfo Landtagswahl Sachsen vom 4. August 2004 (Archiv des SPD-LV Sachsen). Jens Schneider: Anbrüllen gegen Schlagwörter, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. August 2004. Thomas Jurk: Die letzten Wochen nutzen, in: Vorwärts vom September 2004, S. 1. Wahlkampfbroschüre von Thomas Jurk zur sächsischen Landtagswahl 2004.
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sächsischen Ressourcen und Potenzialen angemessen und damit „Sachsengerecht“. Zweitens, „Sachsengerecht steht für Gerechtigkeit. Für eine gerechte, sozialdemokratische Politik.“ Im Gegensatz zur Staatsregierung wolle sie „soziale Gerechtigkeit, Chancengerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Regionengerechtigkeit“.204 Ferner setzte die SPD in ihrem Wahlprogramm „Es geht um Sachsens Zukunft“ auf landespatriotische Elemente. Die Präambel bekundete, die SPD habe „das Land im Herzen und die Menschen in Sinn“. Der Fließtext überschüttete die Wähler mit Komplimenten. Die Sachsen zeichne „Wissen und Können, Fleiß und Einfallsreichtum, Bodenständigkeit und Heimatliebe“ aus. Sie hätten zur guten Entwicklung des Landes beigetragen. Auch künftig könne Sachsen auf die „Initiative“ und den „Enthusiasmus“ seiner Menschen setzen.205 Thomas Jurk kandidierte unter prekären Umständen. Zum Zeitpunkt seiner Nominierung nur 30 Prozent der Sachsen bekannt,206 steigerte er zwar bis zum Wahltag seine Bekanntheit auf 50 Prozent, der großen Mehrheit blieb er dennoch fremd. Nur ein Fünftel verband mit ihm die SPD-Spitzenkandidatur. 59 Prozent trauten sich kein Urteil über ihn zu. Dass selbst die Mehrheit der SPD-Anhänger bei einer Direktwahl den Amtsinhaber präferiert hätte,207 verdeutlichte, dass Jurk ohne Popularitäts- oder Bekanntheitsbonus war. Hier sprang Tiefensee in die Bresche. Zum Teil als Wiedergutmachung, zum Teil auf Drängen von Müntefering208 unterstützte er Jurk als kompetenter und populärer Blickfang. Der 42jährige Jurk war der Außenseiter unter den drei Spitzenkandidaten. Der gelernte Funkmechaniker aus dem niederschlesischen Weißkeißel hatte weder studiert noch promoviert oder gar habilitiert. Der gebürtige Sachse war 1989 in die SPD-Ost eingetreten und 1990 als einer der jüngsten Abgeordneten in den Landtag gewählt worden. Jurk, seit 1999 Fraktionsvorsitzender, hatte die Biografie eines „einfachen“ Abgeordneten. Seine ländliche und kleinbürgerliche Verwurzelung verlieh ihm glaubwürdige Bürgernähe. Ähnlich seinem Vorgänger vermied er den Schlagabtausch aus Prinzip. „Zuhören, Verstehen, Bewegen“, so sein Motto im Wahlkampf. In einer Zeit, als Teile der Parteibasis aus Verdruss Abstand von ihrer Partei nahmen, stellte er seine sozialdemokratische Identität vorn an. Jurk erwies sich nicht (wie befürchtet) als Zauderer, sondern zeigte im schwierigsten aller Landtagswahlkämpfe Kampfgeist und Durchhaltevermögen:209 „Der SPD weht immer noch der Wind ins Gesicht. Im Bund, aber auch in Sachsen. Trotzdem lassen wir uns nicht entmutigen.“210 Die „New-Jurk-Tour“ war Wahlkampf im Kleinen. Mit einer Handvoll Mitarbeitern und einem Kleinbus kam Jurk nicht an die Kampagnen seiner Konkurrenz heran. In 150 Auftritten besichtigte er Unternehmen, besuchte Krankenhäuser, Seniorenheime, Schulen oder Kindergärten, sprach auf Volksfesten und führte klassischen Straßenwahlkampf. 211 Im Kern war die Tour zielgruppenorientiert. In öffentlichen Veranstaltungen unter den Mottos 204
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Schriftliche Erläuterung zum Begriff „Sachsengerecht“, in: Protokoll der Konzeptbesprechung vom 10. August 2004 (Archiv des SPD-LV Sachsen). Dass der von der Berliner Agentur konzipierte Leitslogan stark dem 1999er PDS-Slogan „Sachsen gerecht werden“ ähnelte, brachte den Sozialdemokraten einen Plagiatsvorwurf der PDS ein. Vgl. „Alles nur geklaut …“, in: Pressemitteilung der PDS-Sachsen vom 11. August 2004. Vgl. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004. Es geht um Sachsens Zukunft, S. 5. Vgl. EMNID-Sommerumfrage 2004, in: Pressemitteilung der Sächsischen Staatsregierung vom 6. August 2004, S. 7. Vgl. Infratest dimap (2004), S. 87; Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2004), S. 28. Vgl. Interview mit Andreas Beese am 17. November 2005. Vgl. Jens Schneider: Unerschrocken im eisigen Gegenwind, in: Süddeutsche Zeitung vom 3. September 2004; Politisches Porträt Thomas Jurk, in: http://www.mdr.de [Stand: 1. September 2004]. Thomas Jurk, in: Blitzinfo Landtagswahl Sachsen vom 4. August 2004 (Archiv des SPD-LV Sachsen). Vgl. Terminplan des SPD-Spitzenkandidaten vom 2. bis 17. September 2004 (Archiv des SPD-LV Sachsen).
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„Bildung für Sachsen“ und „Was bringt uns Hartz-IV“ setzte Jurk auf beherrschbare Diskussionen. Im Straßenwahlkampf schlug ihm, wie der SPD insgesamt, die diffuse Abneigung der Bevölkerung entgegen. Partei und Spitzenkandidat kämpften gegen Desinformation, Verdruss, Angst, Wut und Hass an. So versank Gerhard Schröders Rede auf dem Leipziger Wahlkampfauftakt in einem Pfeifkonzert, begleitet von Rufen wie „Lügner“ oder „Arbeiterverräter“.212 Im Rahmen der „Franz Müntefering-Tour“ kam es in Pirna zu Angriffen und Pöbeleien betrunkener Jugendlicher.213 Das Thema Hartz-IV stand im Mittelpunkt. Jurk wusste, dass der Protest gegen die Arbeitsmarktreform auch der desolaten Außenkommunikation der Bundesregierung geschuldet war. Übertriebene Ängste prägten die Menschen, u. a. hervorgerufen durch fehlende bzw. falsche Informationen. Unterstützt von Tiefensee, der als Mitglied der „HartzKommission“ die Materie bestens kannte, setzte er auf sachliche „Aufklärung“.214 Indem Jurk die Reformen gegen alle Widrigkeiten verteidigte, bekam er den Nimbus eines standhaften, nicht aber apologetischen Verfechters. Er äußerte offen Kritik, hielt die „westdeutsche“ Reform angesichts der strukturellen Arbeitslosigkeit im Osten für wirkungslos. 215 Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement informiere die Menschen nur ungenügend, habe kaum Verständnis für ostdeutsche Spezifika und beweise eine erschreckende „Sturheit“ bezüglich nötiger Nachbesserungen.216 Wahlkampfauftritte Clements verbat sich Jurk daher ausdrücklich.217 Trotz dessen die Reformpolitik der „Agenda 2010“ die sächsischen Genossen und ihr dünnes Wählermilieu schmerzte, verfocht die Landespartei das Konzept, zum eigenen Schaden. Von gewisser Tragweite war Jurks Auftritt im Rahmen der Gesprächsrunde der Spitzenkandidaten am 13. September im MDR. Zwei Dinge gereichten ihm zum Vorteil. Peter Porsch war zu diesem Zeitpunkt durch die Debatte über Stasi-Verstrickungen schwer beschädigt und kaum zu einer Offensive fähig. Georg Milbradt hatte das Fernsehgespräch schlicht unterschätzt. Während Jurk sich am Tag der „Talkrunde“ intensiv vorbereitet hatte, lagen hinter Milbradt zum Zeitpunkt der Diskussion bereits mehrere Wahlkampfauftritte und ein hartes Briefing durch Peter Radunski. Als die Sendung begann, wirkte Milbradt in Front der 80.000 Zuschauer müde, Jurk überzeugte.
7.3.4 Themenkampagne Zentrales landespolitisches Thema des SPD-Wahlkampfes war die Bildungspolitik. Nirgends versuchte die Partei den Wählern ihre Regierungsfähigkeit mehr unter Beweis zu stellen. Partei und Fraktion hatten sich während der Legislaturperiode, angeführt durch die Fachpolitiker Gunther Hatzsch und Cornelius Weiss, auf dem Themenfeld positioniert und 2003 in mehreren Kampagnen ihr „Schulreformkonzept“ vorgestellt. Ihren Gegenentwurf
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Vgl. FP: Tumulte bei Kanzler-Reden in Ostdeutschland, in: FP vom 25. August 2004. Vgl. Interview mit Thomas Jurk am 1. Februar 2006; Jens Schneider: Unerschrocken im eisigen Gegenwind. Vgl. Interview mit Thomas Jurk am 1. Februar 2006. Vgl. SZ: „Die Sichtweise war eindeutig westdeutsch“, in: SZ vom 31. Juli 2004. Vgl. SZ: Spitzenkandidat Jurk für neue Steuer auf Vermögen, in: SZ vom 12. August 2004; Interview mit Thomas Jurk in: Sven Heitkamp: „Wir werden uns um die Lausitz kümmern, in: Lausitzer Rundschau vom 23. August 2004. Vgl. Jurk verbittet sich Clement-Besuche im Wahlkampf, in: http://www.mdr.de [Stand: 19. September 2004].
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zur CDU-Bildungspolitik erachteten die Sozialdemokraten als „Radikalkur“218, die das gegliederte durch ein gestuftes System ersetzen und für eine bessere vorschulische Betreuung sorgen sollte.219 Zum Leidwesen der Partei war all dies im Wahlkampf nicht vermittelbar. Stattdessen sah sich die SPD gezwungen, über Hartz-IV zu informieren und „gegen Halbwahrheiten und Lügen anzukämpfen“.220 Dabei vertrat sie eine moderat kritische Linie. Hartz-IV sei im Grundsatz, der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe richtig, müsse aber an einigen Stellen, z. B. der regional unterschiedlichen Höhe des Arbeitslosengelds II, nachgebessert werden.221 Jurk gestand offen, die Arbeitsmarktreformen brächten „Gewinner und Verlierer“. Es gäbe Menschen, bei denen würde zukünftig gekürzt, andere hingegen erhielten mehr.222 Die Genossen ließen nichts unversucht, dem Protest Herr zu werden. Sie widerlegten Behauptungen, wie die Menschen müssten künftig von 331 Euro leben, ihre Altersvorsorge auflösen oder massenhaft aus ihren Wohnungen ausziehen. Die Partei wies ferner darauf hin, dass neben dem Fordern das Fördern großgeschrieben werde, etwa durch die Ausweitung der Arbeitsförderungsleistungen auf Sozialhilfeempfänger und Jugendliche.223 Auch das zweite sozialdemokratische Kernthema, Wirtschaft und Arbeit, lief vor diesem Hintergrund weitgehend ins Leere. Besonders das zentrale Postulat „Mindestlohn statt Billiglohn“, das Wähler gewinnen sollte, die über einen gering bezahlten und unsicheren Arbeitsplatz verfügen, kollidierte mit dem Konzept der „Ein-Euro-Jobs“.224 Hatte die SPD eine geschlossene bildungspolitische Konzeption vorgelegt, traf dies nicht auf die wirtschaftspolitische Programmatik zu. Mit Schuld daran war eine diffuse Wahlkampfprogrammierung. Anders als zuvor, geriet die Programmarbeit diesmal zum Gegenstand der inneren Konflikte. Zunächst hatte die Partei Ende 2002 eine AG „Landtagswahlprogramm“ unter Krehl konstituiert. Deren Entwurf beschränkte sich, dem eigenen Status gemäß, auf ausgewählte Themen. Parallel hatte Jurk Anfang 2004 informell, so die Lesart eines früheren Fraktionsmitarbeiters, die Fachreferenten der Fraktion beauftragt, ein Programm zu erarbeiten. Dieser von Jurk im Landesvorstand durchgesetzte und auf dem Parteitag am 9. Mai 2004 verabschiedete Text vereinigte zwar ein Vollprogramm, wirkte aber besonders im wirtschaftspolitischen Teil versatzstückhaft. Anstatt sich auf markante Thematiken zu beschränken, hatte sich die SPD ein Regierungsprogramm geschrieben, das im Wahlkampf keine Rolle spielte. In ihrer ökonomischen Situationsanalyse sahen die Sozialdemokraten den Freistaat weiterhin in einer wirtschaftlich „schwierigen“ Lage. „Vierzehn Jahre Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik unter CDU-Führung konnten die großen Probleme nicht lösen. Trotz Erfolgen, die auf einer einseitigen, auf Großunternehmen ausgerichteten Ansiedlungspolitik beruhen, hat sich die wirtschaftliche Lage nicht gebessert.“225 Unverändert liege die Selbstständigenquote „deutlich unter dem Schnitt der alten Bundesländer“, noch immer plage den 218
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Interview mit Thomas Jurk in: Katrin Saft: „Das Schulsystem braucht eine Radikalkur“, in: SZ vom 10. August 2004. Vgl. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004, S. 9 f.; Kompaktwahlprogramm der sächsischen SPD zur Landtagswahl 2004. Thomas Jurk: Die letzten Wochen nutzen, in: Vorwärts vom September 2004, S. 1. Vgl. Jürgen Kochinke: „Hartz-IV ist kein sozialpolitisches Monster“, in: DNN vom 3. August 2004. Vgl. Rede von Thomas Jurk auf einer Wahlkampfveranstaltung in Freiberg am 10. September 2004 (Mitschrift Autor); Interview mit Thomas Jurk, in: SZ vom 10. August 2004. Vgl. SPD Parteivorstand (Hrsg.): Hartz-IV: Die neue Grundsicherung (Werbebroschüre). Vgl. Interview mit Andreas Beese am 17. November 2005. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004, S. 17.
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Mittelstand ein Mangel an Eigenkapital. Dazu komme, dass der Freistaat Sachsen seine Investitionen seit 1995 um die Hälfte reduziert habe. Das Fazit der SPD lautete: „Die Basis der sächsischen Wirtschaft krankt.“226 Sachsen gehöre mit seiner Arbeitslosenquote zu den bundesweiten Schlusslichtern, eine Entwicklung, die vorrangig auf das Konto der Staatsregierung gehe. Deren geringe aktive Arbeitsmarktpolitik treibe die Langzeitarbeitslosenquote über den ostdeutschen Durchschnitt.227 Darüber täusche auch Milbradts Titel als „Ministerpräsident des Jahres“ nicht hinweg. Nicht er, „der Buchhalter mit seinem schwächelndem Kabinett“, habe die Auszeichnung verdient, sondern allein die Bevölkerung. Ohnehin handele es sich bei dem von der CDU „hochgelobten Wirtschaftswachstum“ im Jahr 2003 vorrangig um eine durch Flutgelder finanzierte „Sonderkonjunktur“.228 Milbradt „täusche“ die Menschen, indem er ihnen vorspiele, sie hätten 2003 „dank eigener Leistungen ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 1,5 Prozent […] erzielt“.229 Die konzeptionellen Details des Wahlprogramms sprachen implizit für ordnungspolitische Konstanz. Privatwirtschaftliches Unternehmertum, Wettbewerbsfreiheit und staatliches Rahmenhandeln dominierten den Ansatz der Sozialdemokraten. Die Politik könne allein Rahmenbedingungen für eine gute ökonomische Entwicklung schaffen, Eigeninitiative und Selbstständigkeit fördern und Wettbewerbsnachteile ausgleichen.230 Nur „Wirtschaft schafft Arbeitsplätze, Arbeit und Ausbildung in Sachsen.“231 Explizit verzichtete die SPD in ihrem Wahlprogramm nicht nur auf die bislang üblichen Bekundungen zu einer sozialen und gerechten Marktwirtschaft, sie vermied vielmehr den Begriff Marktwirtschaft selbst. Was sie als „wirtschaftspolitisches Leitbild“ umschrieb, „eine breite, vielfältige Unternehmenslandschaft mit Großbetrieben und einem starken Mittelstand“,232 war eine Zielbeschreibung, kein Leitbild. Einzig im kommunalpolitischen Programmteil meldete die Partei ihre Skepsis gegenüber dem von der CDU erhofften „Wunder vom freien Markt“ an und plädierte für das „Recht der Kommunen auf wirtschaftliche Betätigung als Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung“.233 Die Sozialdemokraten zielten auf ein „freies und solidarisches, modernes und lebendiges, weltoffenes und traditionsbewusstes“234 Sachsen. In einer Kombination aus „wirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlicher Humanität“ gelte es, Sachsen „wieder zu einer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte“ zu verhelfen sowie „Wachstum und Wohlstand für die Zukunft [zu] sichern“. Oberste Ziele waren folglich „wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt“ sowie die „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“.235 Sachsen könne seine „historische Rolle als wirtschaftliche und industrielle Kernregion“ nur durch eine ausgeglichene regionale Entwicklung zurückgewinnen. Neben einer Unternehmenslandschaft mit Großbetrie226 227 228
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Ebd., S. 17, 21. Vgl. ebd., S. 17; Wahlkampfbroschüre von Steffen Dietrich zur sächsischen Landtagswahl 2004. Nolle: „Milbradt hat mit Flutgeldern seine Bilanz aufpoliert“, in: Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 12. August 2004. Rede von Thomas Jurk vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, in: Plenarprotokoll 3/109 des Sächsischen Landtages, S. 8026-8032, hier S. 8029 f. So zumindest die wirtschaftspolitische Konzeption der Landtagsfraktion. Vgl. Interview mit Thomas Jurk, in: SZ vom 10. August 2004; vgl. ebenfalls die im Wahlkampf verteilte Broschüre SPD-Landtagsfraktion (Hrsg.): Politik für den sächsischen Mittelstand, Dresden o.J. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004, S. 17. Ebd., S. 18. Ebd., S. 50. Ebd., S. 6. Kompaktwahlprogramm der sächsischen SPD zur Landtagswahl 2004.
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ben und Mittelstand strebte die SPD eine Weiterentwicklung regionaler Wirtschaftskreisläufe sowie einen Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft „über hohe Qualität, Produktivität und Innovationen“ an.236 Gemäß des Slogans „Mittelstand in den Mittelpunkt“ formte die SPD ihre strukturpolitischen Vorschläge. Erster Ansatzpunkt war die Eigenkapitalschwäche mittelgroßer Unternehmen. Ein „Mittelstandsfonds zur Bereitstellung von Investitionskapital aus dem privaten Kapitalmarkt“ und der Aufbau einer „Mittelstandsbank“ sollten die Finanzierung verbessern, öffentliche Darlehen oder eine erleichterte Kreditaufnahme die Eigenkapitalbasis stärken.237 Ferner plädierte die SPD für eine effektivere Wirtschaftsförderung. Diese leide unter Effizienzmängeln, zu wenig Transparenz, zu viel Bürokratie und ungenügender Beratung. Eine „Mittelstandsagentur“ sollte künftig alle Unterstützungsangebote und Dienstleistungen bündeln, um Branchen und Betriebe gezielt beraten zu können.238 Vor allem gelte es, die Quote erfolgreicher Existenzgründungen in Wachstumsbranchen zu erhöhen. Ferner müssten in Schwierigkeiten geratene wettbewerbsfähige Unternehmen gestützt werden. Die Transformation habe gezeigt, „dass der Erhalt überlebensfähiger Betriebe für den Steuerzahler erheblich preisgünstiger ist als der Verzicht auf aktive Hilfe durch den Staat“.239 Regionalpolitisch wollte die Partei strukturschwache Regionen unterstützen. Gegenüber der CDU-„Leuchtturmpolitik“ betonte Jurk, dass eine Wirtschaftspolitik, die nur ausgewählte Zentren fördere, den Rest des Landes aber abkoppele, zu weiteren Arbeitsplatzverlusten und zu mehr Abwanderung führe.240 Um dies zu stoppen, bedürfe es „kleiner Leuchttürme“.241 Strukturschwache Regionen müssten „im Sinne aktiver Industrie- und Standortpolitik“ Unterstützung finden und mithilfe eines gezielten Aufbaus von Infrastruktur an die „starken städtischen Zentren“ herangeführt werden.242 Darüber hinaus belebe ein „Ausbau innovativer, regionaler Netzwerke“ die regionale mittelständische Wirtschaft. Vorhandene Cluster sollten gestärkt werden, mittelständische Unternehmen in „Kooperations-Netzwerken“ mehr mit ansässigen Großunternehmen zusammenarbeiten. Dies bewirke eine bessere internationale Vernetzung des Mittelstands und fördere dessen Innovationsfähigkeit.243 Schließlich könnten Großinvestitionen „nur zu dauerhafter Wirtschaftsentwicklung führen, wenn in ihrem Umfeld ein regionales Netz zueinanderpassender und miteinander kooperierender Unternehmen, Forschungs-, Bildungs-, Qualifizierungseinrichtungen und Existenzgründerzentren“244 entstehe. Unter der Prämisse, dass eine dauerhaft verbesserte Situation auf dem Arbeitsmarkt nur zu erreichen sei, wenn die „Wirtschaftsentwicklung positiv“ verlaufe, ergänzte die SPD ihre strukturpolitischen Vorschläge durch arbeits- und beschäftigungspolitische Konzepte. Im Vordergrund stand hier die „Wiedereingliederung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern“.245 Da besonders in den strukturschwachen Regionen die von der Bundesregierung initiierten Reformen nur ansatzweise wirksam würden, könne man „auf absehbare Zeit 236 237 238
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Vgl. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004, S. 17. Vgl. ebd., S. 19. Vgl. Interview mit Thomas Jurk, in: SZ vom 10. August 2004; SPD-Programm für die Landtagswahl 2004, S. 20. Vgl. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004, S. 22. Vgl. Wahlkampfbroschüre von Thomas Jurk zur sächsischen Landtagswahl 2004. Interview mit Thomas Jurk, in: SZ vom 10. August 2004. Vgl. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004, S. 25. Vgl. ebd., S. 18, 20. Ebd., S. 26. Vgl. ebd., S. 25.
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nicht auf öffentlich geförderte Beschäftigung verzichten“.246 So plädierte die Landespartei etwa für eine stärkere Unterstützung älterer Langzeitarbeitsloser, die in sinnvolle und nachhaltige Projekte auf kommunaler Ebene einzubinden seien. Mithilfe des Konzepts der „Jobrotation“ wollte die SPD die betriebliche Weiterbildung intensivieren und gleichzeitig Arbeitslose vermitteln, indem Unternehmen die durch Weiterbildung vakanten Stellen zeitweise mit Arbeitslosen besetzen. Ferner sollten öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die Jugendliche ausbilden und Sozialstandards wahren.247 Zurückhaltender als 1999 forderten die Sozialdemokraten einen „Beschäftigungspakt Sachsen“, an dem „alle an der Wirtschaft Beteiligten“ mitwirken und „eine kooperative Beschäftigungspolitik im Interesse aller ermöglichen“. Dieser „moderne Ansatz“ trage zu einem regionalen „Klima der gegenseitigen Verantwortung“ bei. „Selbstzerstörerischer Kostenwettbewerb, Lohndumping, Schwarzarbeit und Zahlungsunwilligkeit werden zurückgedrängt; die regionalen Wirtschaftskreisläufe können sich besser entwickeln.“248 Zu guter Letzt wollte die SPD durch eine großangelegte „Qualifizierungs- und Ausbildungsinitiative“ das Angebot an „modernen und zukunftssicheren Ausbildungsplätzen“ dauerhaft erhöhen.249 Kern ihrer Forderungen war der Ruf nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Für die Sozialdemokraten erwies sich das von der CDU vertretene Konzept des Niedriglohnsektors als unsozial und unbezahlbar. Es drohten eher Mitnahmeeffekte, denn eine höhere Beschäftigung.250 „Löhne müssen auskömmlich sein. Lohndumping werden wir mit gesetzlich festgelegten Mindestlöhnen verhindern, damit angesichts zu weniger Arbeitsplätze Arbeitssuchende nicht in Beschäftigungsverhältnisse mit Hungerlöhnen gedrängt werden.“251 Der Grundsatz der SPD lautete: „Gutes Geld für gute Arbeit!“ Dies garantiere der Mindestlohn.
7.3.5 Konkurrenzkampagne Die SPD zielte 2004 intern auf ein Regierungsbündnis mit den Christdemokraten, 252 legte sich nach außen aber nicht fest. Jurks Motto im Wahlkampf war, die absolute Mehrheit der CDU zu brechen, sich ansonsten aber im Vagen zu halten.253 „Ich habe mich seit 1999 offen gezeigt im Landtag für CDU und PDS, wenn es um gute Sachen ging. Man sollte nicht immer alles ausschließen. Aber im Moment gebe ich keine Erklärung ab zu Koalitionsfragen. […] Mir ist wichtig, dass die Leute SPD wählen, weil sie die Personen und das Programm richtig finden.“254 Vor dem Hintergrund des drohenden Verlusts der CDUMehrheit betonte er Ende August: „Die neuen Umfragen sind spannend und man muss mit anderen Parteien regieren können. Unsere Gradmesser sind dabei die Programmatik und die Personen.“255 Während Jurk zur Beruhigung der eigenen Basis, die mehrheitlich gegen eine Koalition mit der PDS war, vor Wahlkampfbeginn intern verlautbart hatte: „Ein PDS-Kan246 247 248 249 250 251 252 253 254 255
Ebd., S. 21. Vgl. ebd., S. 17, 23-25. Ebd., S. 18. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. Rede von Thomas Jurk vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, S. 8029. Wahlkampfbroschüre von Thomas Jurk zur sächsischen Landtagswahl 2004. Vgl. Sitzung Wahlkampfstab Politik am 4. September 2003 in Leipzig (Archiv des SPD-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Thomas Jurk am 1. Februar 2006. Interview mit Thomas Jurk, in: SZ vom 10. August 2004. Interview mit Thomas Jurk, in: Lausitzer Rundschau vom 23. August 2004.
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didat für das Ministerpräsidentenamt wird keine SPD-Stimme bekommen“,256 schloss er im Wahlkampf eine Liaison mit der PDS nicht dezidiert aus. Einzig eine Zusammenarbeit mit dem unter Stasi-Verdacht stehenden Peter Porsch lehnte Jurk offen ab.257 Die Unverfänglichkeit hatte Methode. Mit der offengehaltenen Koalitionsfrage bezweckte die SPD Wähler anzusprechen, die eine erneute absolute Mehrheit der CDU verhindern wollten und stattdessen ein Bündnis links der Mitte präferierten.258 Hauptgegner der SPD waren folglich die regierenden Christdemokraten. Obwohl Jurk zu Wahlkampfbeginn darauf verwiesen hatte, im Mittelpunkt stehe die „sachliche Auseinandersetzung“,259 griff seine Partei die CDU direkt an. Zunächst thematisierte sie die aus ihrer Sicht negativen Politikresultate der CDU-Alleinherrschaft. Die Staatsregierung sei eine „Laienspielerschar mit nur wenigen brauchbaren Darstellern“, die an ihrer „Machtarroganz, an ihrer Verfilzung und der Unfähigkeit […], Selbstreinigungskräften Platz zu machen“, ersticke.260 Unter der absoluten Mehrheit der CDU sei „in dieser Legislaturperiode reichlich wenig passiert, von einer Modernisierung Sachsens ganz zu schweigen.“ Zuerst habe es zwei Jahre „Biedenkopf-Endzeit-Lähmung“ gegeben, dann ein Jahr der „Grabenkämpfe“ und schließlich sei ein „Kabinett der zweiten Wahl“ ans Ruder gelangt. In der Legislaturperiode, so Jurk, sei von der CDU „kein einziges heißes Eisen angefasst, keine strukturpolitische Reform von Bedeutung in Angriff genommen“ worden.261 Im Gegenteil, die CDU lasse den Rechtsstaat „immer mehr verlottern“ und füge mit ihrer „verfehlten Gestaltung des Finanzausgleichs zwischen Land und Kommunen [...] der gesamten kommunalen Selbstverwaltung schweren Schaden zu“.262 Besonders Karl Nolle sparte in seiner „Schwarzer Filz“-Kampagne nicht an Kritik. Ob mit Vorwürfen über angeblichen Beihilfebetrug und Dokumentenfälschungen oder mit Strafanzeigen gegen den Ministerpräsidenten, nichts ließ Nolle unversucht, um die CDU in das Licht von Korruption und kriminellen Machenschaften zu rücken. Ferner konterte Nolle die CDU-Warnungen vor einer rot-roten Koalition, indem er der früheren Blockpartei am Jahrestag des „Mauerbaus“ eine „Mitverantwortung für Mauer und Stacheldraht“ vorwarf.263 Taktisch motiviert thematisierte die SPD mit zunehmendem Wahlkampfverlauf Milbradts Mitverantwortung für Hartz-IV. Sie betonte kontinuierlich, Hartz-IV sei „von einer großen politischen Mehrheit aus CDU, FDP, Grünen und SPD beschlossen“264 worden. Zusammen mit Roland Koch und Edmund Stoiber habe der sächsische Ministerpräsident die Zumutbarkeitsregelungen erweitert und die Vermögensanrechnung reduziert. Milbradt, so Jurks Botschaft, habe zunächst Hartz-IV „maßgeblich“ verschärft und wolle nun im Wahlkampf davon nichts wissen. Ein solches Verhalten sei „an Scheinheiligkeit nicht zu
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Thomas Jurk: Zeit für den Aufbruch, in: Position. Magazin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag (2004) 3, S. 3. Vgl. Interview mit Thomas Jurk, in: Lausitzer Rundschau vom 23. August 2004. Vgl. Interview mit Andreas Beese am 17. November 2005. Interview mit Thomas Jurk, in: DNN vom 7. Juli 2004. Interview mit Thomas Jurk, in: FP vom 27. Juli 2004. Rede von Thomas Jurk vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, S. 8027. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004, S. 43, 49. Vgl. SPD: „Strafanzeige wegen Subventionsbetrugs“, in: Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 25. August 2004; Nolle: „CDU trägt Mitverantwortung für Mauerbau und Stacheldraht“, in: Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 13. August 2004. Interview mit Thomas Jurk, in: SZ vom 10. August 2004.
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überbieten“.265 „Im Dezember 2003 hat Milbradt im Vermittlungsausschuss für Hartz-IV gestimmt – und auch im Bundesrat. Heute behauptet er, als Kämpfer für Recht und Freiheit dagegen gewesen zu sein – und sagt damit die Unwahrheit.“266 Biedenkopfs frühere Bewertung, Milbradt sei ein „miserabler Politiker“, bewahrheite sich nun, so Jurk.267 Hinsichtlich der PDS vermied die SPD die thematische Auseinandersetzung und beschränkte sich darauf, deren Forderungen als illusorisch, weltfremd und unbezahlbar zu etikettieren. „Die PDS ist und bleibt Populismuspartei. Das Blaue vom Himmel versprechen, kann jeder. Es aber auch umzusetzen, ist eine andere Sache. Dort, wo die PDS wie in Berlin mit in der Regierungsverantwortung steht, macht sie eine ganz andere Politik, als sie in Sachsen verspricht.“268 Cornelius Weiss konstatierte: „Ich verteidige Hartz als eine soziale Maßnahme und verurteile es, dass die PDS populistisch die Ängste der Menschen missbraucht, um Wahlkapital daraus zu schlagen.“269 Jurk wehrte sich gegen die Annäherungsversuche der PDS, hatte doch deren aggressives Vorgehen gegen die rot-grüne Politik zu erheblicher Verärgerung bei der SPD geführt. Obwohl die Stasi-Vorwürfe gegen Porsch den Sozialdemokraten die Flanke für einen möglichen Angriff auf das Zentrum der PDSKampagne öffneten, hielten sich diese mit einer Instrumentalisierung zurück. Porsch galt der SPD intern als „am Boden“270 liegend, eine unnötige Thematisierung der PDS war nicht gewünscht.
7.4 Wahlkampf der PDS – Zwischen Protest und Regierungsambition 7.4.1 Parteientwicklung bis zum Wahljahr Nach ihren Wahlerfolgen 1998/99 trug die PDS in Ostdeutschland „Züge einer in Milieus verwurzelten, aber über diese hinaus mobilisierenden Volkspartei“.271 Der sächsische Landesverband hatte sich vor allem durch seinen „Einbruch“ in das Wählerreservoir der SPD ein weites Wählerspektrum gesichert und sich als Oppositionsführer etabliert. Was von außen betrachtet nach einer soliden Konstituierung im Parteiensystem aussah, stand im krassen Widerspruch zu den unverändert starken inneren Konflikten.272 Zu den Reibereien zwischen „Reformern“ und „Orthodoxen“ um eine Regierungsbeteiligung, die Haltung zur DDR oder um den sozialistischen Gestaltungsanspruch gesellten sich Unstimmigkeiten zwischen der jüngeren, für neue Politikmodelle offenen Führung und der überalterten, in traditionellen Denkmustern verwurzelten Basis. Zur dominierenden Kontroverse entwickelte sich der Generationenkonflikt innerhalb der Landtagsfraktion und des Landesvorstands. 265
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Jurk: „Milbradt ist an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbieten“, in: Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 9. August 2004. Interview mit Thomas Jurk in: Sven Siebert: Jurk: Linkspartei würde der Linken Bärendienst erweisen, in: SZ vom 10. August 2004. Vgl. Jurk: „Milbradt ist an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbieten“, in: Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 9. August 2004. Thomas Jurk, in: Blitzinfo Landtagswahl Sachsen vom 4. August 2004 (Archiv des SPD-LV Sachsen). Cornelius Weiss in: Anita Kecke: Leserforum zur Landtagswahl, in: LVZ vom 3. September 2004. Vgl. Interview mit Andreas Beese am 17. November 2005. Neu (2004), S. 64. Vgl. Koß/Hough (2006b), S. 88. Als ausführlichen Überblick siehe dies. (2006c): Zurück in die Zukunft? Die Linkspartei.PDS und die Verlockungen des Populismus, in: Uwe Jun u. a. (Hrsg.): Kleine Parteien im Aufwind, Frankfurt a.M./New York, S. 179-200, hier S. 191-194.
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Zunehmend prallten die „alteingesessenen“ Parteispitzen und Abgeordneten auf die seit Ende der 1990er Jahre hinzugestoßene „Jugendbrigade“. Die Rivalität gründete auf (essenziell) verschiedenen Politikverständnissen. Erfahrene Parlaments- und Parteimitglieder, wie Ronald Weckesser oder Regina Schulz, plädierten für einen alltagstauglichen, auf einer parlamentarischen Vorgehensweise basierenden Regierungskurs. Die „Neulinge“, allen voran die zu einer „Blitzkarriere“ gekommene Landtagsabgeordnete und stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Kipping, protegierten radikale Politikvorstellungen, verfolgten einen außerparlamentarischen Oppositionskurs und betrieben, zum Verdruss der „Alteingesessenen“, einen harten Kampf um Mandate und Posten.273 Zugleich verband sich der jugendliche „Fundamentalismus“ mit den für eine rigorose Oppositionsrolle der PDS einstehenden „Traditionalisten“. Ungeachtet der Tatsache, dass die sächsischen Postkommunisten nach 1999 wegen ihrer inneren Konflikte wie kein anderer Landesverband zwischen Fundamentalopposition und realpolitischer Öffnung schwankten, steuerte die Fraktions- und Parteiführung zunehmend einen regierungswilligen Oppositionskurs. Schließlich sollten der Bevölkerung zur Landtagswahl 2004 ein realistisches Politikkonzept und eine personelle Offerte zur Übernahme der Regierungsverantwortung angeboten werden.274 Porsch übergab daher am 25. Juni 2001 den Landesvorsitz an seine bisherige Stellvertreterin Cornelia Ernst. Die neue Spitze, mit Barbara Höll und Michael Leutert als stellvertretende Vorsitzende, verjüngte das Erscheinungsbild der PDS. Als Fraktionsvorsitzender konzentrierte sich Porsch fortan auf seine Spitzenkandidatur und auf die Rollenfindung der Fraktion.275 Nach seinem Aufruf zu einer geordneten Oppositionsarbeit fanden die Abgeordneten ihre Aufgabe zunächst in der Skandalierung der Staatsregierung. Auf den im Jahr 2000 eingesetzten „PaunsdorfUntersuchungsausschuss“ folgte im Mai 2001 ein öffentlichkeitswirksames, wenngleich wegen der Mehrheitsverhältnisse aberwitziges Misstrauensvotum gegen Biedenkopf.276 Parallel zur Regierungskritik entwickelte die PDS-Fraktion eigene Politikentwürfe. Unter der Losung des „schuldenfreien Sozialismus“ präsentierte sie in den Jahren 2000 und 2002 einen sogenannten „alternativen Landeshaushalt“.277 Mit dem 2003 konzipierten „Alternativen Landesentwicklungskonzept“278 (Aleksa) untermauerte die Fraktion, weniger die Partei, ihren neuen gestalterischen Anspruch. Größtes Hindernis auf dem Weg zu einer linken Regierungsmehrheit bildeten die schwachen, ein rot-rotes Bündnis ablehnenden Sozialdemokraten. Hatte Porsch bis zuletzt auf einen Kurswechsel nach der Ära Kunckel gehofft, musste er bald „mit Bedauern“ feststellen, dass auch die neue SPD-Landesführung nichts von der PDS wissen wollte.279 Unverdrossen trug Cornelia Ernst der sozialdemokratischen Doppelspitze Mitte 2001 dennoch eine strategische Allianz an. Porschs Erklärung, Ministerpräsident werden zu wollen, sei „eine Ansage an die SPD, gemeinsam aus dem Tal herauszukommen. Allein kann die PDS 273
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Vgl. Koß/Hough (2006a), S. 330; Reiner Burger: Sächsische Intrigen vor der Wahl, in: FAZ vom 25. Februar 2004; Jürgen Kochinke: Neuer Streit um eine alte Linie, in: DNN vom 12. März 2004. Vgl. Beschluss der 1. Tagung des 7. Landesparteitags vom 24./25. November 2001: „Ziellinie 2004“, in: http://portal.pds-sachsen.de [Stand: 1. September 2004]; Koß/Hough (2006b), S. 88-90. Vgl. Gunnar Saft: Porsch macht Ernst, in: SZ vom 27. Juni 2001. Vgl. ders.: Neuer Anlauf zum Sturz, in: SZ vom 17. Mai 2001. Bernhard Honnigfort: Die Entdeckung des Himmels, in: FR vom 7. Juni 2000. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa. Alternatives Landesentwicklungskonzept für den Freistaat Sachsen, Dresden 2004. Vgl. Interview mit Peter Porsch in: Steffen Klameth: Kritisieren reicht nicht, in: SZ vom 29. August 2000.
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die CDU-Vormacht nicht brechen. Wenn sich die SPD weiterhin nicht zusammen mit der PDS als einzige Alternative begreift, haben wir keine Chance.“280 Nachdem Constanze Krehl dieses Angebot abgelehnt hatte warf Porsch ihr vor, sie habe „ideologische Scheuklappen“.281 Mitte 2003 legte er nach. Es sei „starrköpfig und dumm“, das Kooperationsangebot auszuschlagen. Nur beide Parteien zusammen könnten die CDU ablösen. Die PDS sei in dieser Frage auf die SPD „angewiesen“. Sollten sich die Sozialdemokraten hingegen als „Steigbügelhalter“ einer Koalition mit der CDU erweisen, gehe dies an ihre Substanz.282 Ein herber, wenngleich lehrreicher Rückschlag für die Landespartei war der Ausgang der Bundestagswahl 2002. Die Genossen stürzten in eine Sinn- und Strukturkrise. Ernst konstatierte: „Wir haben nicht wirklich bemerkt: Die Nachwendezeit ist vorbei. Mit diesem Zeitabschnitt ist auch eine bestimmte Art der Politik vorbei.“283 Es sei eine neue „Ostidentität“ erwacht, die ein DDR-bezogenes Politikkonzept nur noch bedingt anspreche. Mit einer Reform zur Revitalisierung der Landespartei und gestärkt durch gute Umfragewerte auf Landesebene hielt die Führung Kurs. Indem die Delegierten des Landesparteitags am 10. Mai 2003 Porsch mit 85,7 Prozent zum Spitzenkandidaten wählten und Ende November 2003 die Landesvorsitzende ebenso deutlich in ihrem Amt bestätigten, schien die sächsische PDS im Jahr vor der Wahl gefestigt und geschlossen. Der von Landesvorstand und Landesrat am 18. April 2004 verabschiedete und von der Delegiertenkonferenz am 9. Mai bestätigte Listenentwurf für die Landtagswahl löste eine heftige innerparteiliche Kontroverse aus. Neben den üblichen regionalen Paritäten hatte die Parteiführung Wert auf „frische“ Kandidaten gelegt. So kam die parteilose Leipziger Gewerkschaftsfunktionärin Cornelia Falken auf Anhieb auf Platz fünf, die ehemalige Fraktionsmitarbeiterin Caren Lay landete auf Platz 15, die erst 18jährige frühere Landesschülersprecherin Julia Bonk erhielt Platz 21, die 20jährige Chemnitzer Studentin Freya-Maria Klinger die 27. Position. Ebenfalls neu war das Landesvorstandsmitglied Sebastian Scheel. Zahlreichen „Alteingesessenen“ galt die Landesliste als Selbstbedienungscoup der „Jugendbrigade“. Die guten Platzierungen junger sowie partei-, nicht selten profil- und kompetenzloser Seiteneinsteiger gefährdeten in ihren Augen die Qualität der Fraktion.284 Die Basis fühlte sich darüber hinaus bei der Zusammenstellung der Liste bevormundet und kritisierte das Wahlverfahren als undemokratisch („Betonliste“). Der frühere Landesgeschäftsführer Ralf Eißler trat ob seiner schlechten Platzierung gar aus der PDS aus.285 Die Parteiführung mahnte daraufhin, die Liste zu akzeptieren und mit dem Wahlkampf zu beginnen.286
7.4.2 Konzeptioneller Rahmen Verantwortlich für alle strategischen und inhaltlichen Beschlüsse im Landtagswahlkampf war erneut der Landesvorstand. Die AG „Wahlen“ fungierte wie bisher als beigeordnetes 280 281 282
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Interview mit Cornelia Ernst in: Gunnar Saft: „Rot-Rot kann die CDU ablösen“, in: SZ vom 4. Juli 2001. Peter Porsch zitiert in: Reiner Burger: Sieg der Provinzialisten, in: FAZ vom 23. Oktober 2001. Vgl. Interview mit Peter Porsch in: Andreas Novak: Wir sind auf die SPD angewiesen“, in: SZ vom 25. Juli 2003; Andreas Novak: Auf dem Kuschelkurs zum rot-roten Sieg, in: SZ vom 16. Juli 2003. Cornelia Ernst zitiert in: Reiner Burger: Noch kein Futter für Hyänen, in: FAZ vom 25. November 2002. Vgl. hk: Kritik an „Selbstbedienung“, in: FP vom 30. April 2004. Vgl. S.H.: PDS-Landesliste unter Schmerzen verabschiedet, in: LVZ vom 10. Mai 2004; J.K.: Eklat in PDS, in: DNN vom 26. Mai 2004. Vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstands vom 14. Mai 2004 (Archiv des PDS-LV Sachsen).
7.4 Wahlkampf der PDS – Zwischen Protest und Regierungsambition
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„Arbeitsgremium des Landesvorstands zur Entwicklung und Umsetzung von strategischen Linien des Wahlkampfes“.287 Als Teil der politischen Wahlkampfleitung oblag ihr zudem der Entwurf des Kommunikationskonzepts. Die Fraktion unterstützte die Landespartei bei der inhaltlich-konzeptionellen Vorbereitung. Ein „Wahlstab“, bestehend aus Peter Porsch, Cornelia Ernst, dem Landesgeschäftsführer und politischen Wahlkampfleiter Rico Gebhardt, dem technischen Wahlkampfmanager Mirko Schultze sowie den beiden Köpfen der AG „Wahlen“, Bernd Rump und Verena Maiwald, diente der politisch-strategischen Kampagnenplanung. Die technische Wahlkampfleitung erfolgte wieder durch das Landeswahlbüro. Diesem oblag die „Umsetzung wesentlicher Elemente des Wahlkampfes“, „die Koordinierung des Wahlkampfes auf Landesebene mit den Stadt- und Kreisverbänden“ sowie die Einsatzplanung des Spitzenkandidaten und der Mitglieder des Kompetenzteams. Der Wahlkampfleiter, der Leiter des Landeswahlbüros und die Vorsitzenden der AG „Wahlen“ vertraten den Landesverband im Berliner Bundeswahlbüro. Erstmals hatte die PDS zur Kampagnenumsetzung eine externe Wahlkampfzentrale („WahlFabrik“) eingerichtet. Das vom Wahlkampfmanager geleitete Großraumbüro (die spätere Landesgeschäftsstelle), das u. a. die Mitglieder des Landeswahlbüros beherbergte, war Sitz der Wahlkampfleitung sowie Kommunikations- und Organisationszentrum. Daneben diente die „WahlFabrik“ als Knotenpunkt der regionalen Abstimmung. Zur besseren Aktions- und Veranstaltungsplanung sowie zur Durchsetzung der Strategie und eines einheitlichen Erscheinungsbilds hatte die PDS im Herbst 2003 neben den bestehenden Kreisgeschäftsstellen und Abgeordnetenbüros acht regionale Wahlkampfzentren (Wahlkampfbüros) eingerichtet. Die PDS gliederte ihren Wahlkampf in fünf Phasen. In einer Vorbereitungsphase vom Frühjahr 2003 bis zur Vorstandsklausur am 24. Januar 2004 wurden die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen, das zentrale Kommunikations- und Strategiekonzept erarbeitet und, in Form der Mobilisierungskampagne „500 Wahlkämpfer“, die 15.280 Mitglieder starke, in 1.100 Gruppen organisierte Parteibasis zu einer Mitarbeit im Wahlkampf motiviert.288 Die zweite Phase von Februar bis Mai 2004 diente der weiteren Mobilisierung sowie der thematischen und personellen Positionierung der Partei. Neben ihren Listen- und Wahlkreiskandidaten präsentierte die PDS ihr „Aleksa“ und beschloss das Wahlprogramm. Die dritte Phase von Mai bis Mitte Juni war geprägt durch den Europa- und Kommunalwahlkampf. Parallel dazu startete die Landespartei zusammen mit der Agentur Trialon die Arbeit an der Werbekampagne.289 Mehr denn je legte die PDS Wert auf ein landesweit homogenes Erscheinungsbild, etwa durch einheitliche Themenplakate oder eine zentrale Wahlkampfzeitung. In der vierten Phase (Mitte Juni bis Mitte August) stieg die Partei nach einer Auswertung der Europa- und Kommunalwahl in den Landtagswahlkampf ein. Unter 287
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Zu den Wahlkampfstrukturen der sächsischen PDS im Landtagswahlkampf 2004 siehe: Beschluss des PDSLandesvorstands Sachsen: Zu den Grundlagen der Wahlkampfführung im Landesverband ab 2001 vom 9. Februar 2001, in: http://portal.pds-sachsen.de [Stand: 1. September 2004]; Beschluss des PDS-Landesvorstands Sachsen: Wahlkampfstrukturen der PDS Sachsen vom 17.-19. Januar 2003 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Die PDS hatte 2004 ein altersbedingtes Mobilisierungsproblem, waren doch laut Mitgliederstatistik vom Oktober 2003 67 Prozent der sächsischen Mitglieder älter als 65 Jahre, nur knapp fünf Prozent unter 40 Jahre alt. Vgl. Mitgliederstatistik 2003 der PDS Sachsen, in: http://portal.pds-sachsen.de [Stand: 24. Februar 2004]. Die finanzielle Situation der Landespartei war 2004 günstig. Die von ihr im Vorfeld öffentlich veranschlagten Kosten von 800.000 Euro bilden eher die Untergrenze der tatsächlichen Ausgaben. Eine veränderte Einnahmestruktur erhöhte die direkt dem Landesverband zufallenden Wahlkampfausgaben von rund 444.000 Euro im Jahr 1999 auf nun 917.429 Euro. Vgl. PDS. Rechenschaftsbericht 2004, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 16. Wahlperiode, 16/1270 vom 28. April 2006, S. 207-209.
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anderem gingen Porsch und seine „Kernmannschaft“ auf „Sommertour“. Die heiße Phase begann am 23. August, dem sogenannten „Tag mit Aleksa“, in Dresden. 290 Der Landtagswahl kam eine herausgehobene strategische Bedeutung zu: „Die Wahlen des Jahres 2004 entscheiden über die Zukunft der PDS. Entweder es gelingt die bisherigen Wahlergebnisse im Wesentlichen zu wiederholen bzw. auszubauen, oder die PDS ist weiterhin in Gefahr, von der politischen Landkarte zu verschwinden. […] Diese Wahlen werden die Frage beantworten, ob die PDS ihre Stellung als sozialistische ostdeutsche Volkspartei behaupten und entwickeln kann.“291 Da die Landespartei ein Jahr vor der Wahl in den Umfragen konstant mindestens 22 Prozent und auf dem sozialen Politikfeld hohe Kompetenzwerte erzielte, mit Porsch über den bekanntesten Oppositionspolitiker verfügte und mit dem „Aleksa“ ein politisches Konzept besaß, zeigte sie sich zuversichtlich. Sie verkündete, 25 Prozent der Stimmen erreichen, eine erneute alleinige Regierungsbildung der CDU verhindern und eine eigene Regierungsteilhabe ermöglichen zu wollen.292 Zur Zielerreichung entwarf die PDS eine doppelte Herausfordererstrategie. Einerseits sollte eine Negativkampagne „das Vertrauen in die Regierung soweit lädieren, dass die CDU die absolute Mehrheit in jeder Hinsicht verfehlt“. 293 Die christdemokratische „Filz-“ und „Stillstandspartei“, so die PDS, behindere mit ihrer Mehrheit, verbunden mit einem falschen Kurs und fehlendem Gestaltungswillen, die Entwicklung des Freistaates.294 Ergänzend versuchten die Postkommunisten durch eine Protest- und Widerstandsstrategie eine Wechselstimmung herbeizuführen. Die PDS müsse „verantwortungsvollen Widerstand unterstützen“ und „sagen, was sonst keiner (mehr) sagt“.295 „Wir meinen: Es gibt auch ein Menschenrecht auf Widerstand, und zwar immer dann, wenn es ungerecht zugeht und das solidarische Prinzip der Gesellschaft mit Füßen getreten wird. Wir meinen sogar, Widerstand ist dann Pflicht.“296 Andererseits sollte eine Positivkampagne die PDS als „konstruktive politische Alternative“ zu einer CDU-„Parteibuchdiktatur“, als personell wie inhaltlich regierungsfähige Kraft ins öffentliche Bewusstsein rücken.297 Als Beleg der Regierungsfähigkeit und -willigkeit sollte Porsch den sympathischen und kompetenten Herausforderer um das Amt des Ministerpräsidenten verkörpern. Die inhaltliche Komponente stützte sich dabei auf die Themen „Kinder und Zukunft“, „Bürger und Demokratie“ sowie „Arbeit und Soziales“ – getragen von der „sozialen Gerechtigkeit“ als Leitbotschaft.298 Mitte Juni 2004 modifizierten die Genossen ihr Vorgehen.299 Der von der Bundespartei als Abrechnung mit der rot-grünen Bundesregierung geführte Europawahlkampf hatte ein immenses, der PDS bekömmliches Protestpotenzial zutage treten lassen.300 Porsch be290
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Vgl. Beschluss der Landesvorstandstagung am 29.-31. August 2003. Wahlkampfstrategie 2004 der PDS Sachsen, S. 11 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Ebd., S. 1. Vgl. ebd., S. 3 f. Ebd., S. 8 f. Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004. Ein anderes Sachsen ist möglich!, S. 1. Beschluss des Landesvorstands am 24. Januar 2004. Kommunikationskonzept der PDS Sachsen zu den Landtagswahlen 2004, S. 5 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 4. Vgl. ebd., S. 1 f. Vgl. Beschluss der Landesvorstandstagung am 29.-31. August 2003. Wahlkampfstrategie 2004, S. 4, 9; Beschluss des Landesvorstands am 24. Januar 2004. Kommunikationskonzept, S. 2. Vgl. Maßnahmeplan zur Vorbereitung der Landtagswahlen vom 22. Juni 2004; Protokoll der Sitzung des Landesvorstands vom 14. Juni 2004 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Protokoll der Sitzung des Landesvorstands vom 14. Mai 2004 (Archiv des PDS-LV Sachsen).
7.4 Wahlkampf der PDS – Zwischen Protest und Regierungsambition
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tonte: „Das Thema Hartz-IV hat nicht die PDS erfunden und auch nicht den Protest dagegen. Aber es ist ein Thema für uns.“301 In der Folge verlieh die Landespartei dem in ihrer nach wie vor gültigen Herausfordererstrategie enthaltenen Protestelement stärkeres Gewicht. Ihr bot sich die Möglichkeit, lang gehegte Proteststrategien umzusetzen. Bereits 1997 hatte die sächsische PDS festgelegt: „Die Beratung der Unzufriedenheit und die Artikulation des Unmuts, die Effektivierung des Widerspruchs und die Unterstützung des Widerstands gegen das politische Establishment und seinen neoliberalen Kurs muss Teil unserer Wahlkämpfe sein“.302 Zusammen mit der im Jahr 2002 beschlossenen Proklamation gegen die Arbeitsmarktreformen303 galt nun: „Es muss als klare Ansage an die politischen Konkurrenten kommuniziert werden, dass die PDS Sachsen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln den Bruch des sozialen Friedens durch die Interessenvertretungen der Wohlhabenden und Mächtigen thematisiert, zu erkämpfende Alternativen aufzeigt und Bündnisse mitorganisiert, um den Sozialstaat neu zu erkämpfen.“304 Unter dem tausendfach plakatierten Motto „Hartz-IV – das ist Armut per Gesetz. Weg damit!“ startete der sächsische Landesverband am 6. Juli zusammen mit der PDS Brandenburg einen protestgeladenen Vorwahlkampf, der in den Landtagswahlkampf mündete.305 So ging Cornelia Ernst am 2. August auf eine mehrwöchige „Hartz-IV-Tour“ und rief zu einem „landesweiten Bündnis“ gegen die rot-grüne Arbeitsmarktpolitik auf. 306 Mithilfe von „Informationsgesprächen“, lokalen Infoständen sowie einer Unterschriftenaktion griff die PDS einmal mehr zu einer projektbezogenen und zweckgebundenen Kampagnenstrategie als Mittel der Wähleransprache. Zudem sicherte sie den „Montagsdemonstrationen“ ihre Unterstützung zu.307 Die Genossen, die sich als „Teil des Aufbegehrens“308 verstanden, banden sich an die Protestbewegung. In dem Maße, in welchem die „Spitzelaffäre“ um Porsch Anfang August an Kraft gewann und die personelle Säule der Herausfordererstrategie wankte, bekam die Protestkampagne Oberhand. Hatte das Protestmoment bis dato die Herausfordererstrategie nur ergänzt, dominierte es fortan den Wahlkampf. Das Vorhaben, die Protestkampagne in der heißen Phase zugunsten der Positivkampagne zu stoppen, wurde fallen gelassen.309 Die PDS kehrte zu einem radikalen Oppositionswahlkampf zurück, der ihrer neuen Strategie widerstrebte, indem er ihrem alten Habitus entsprach.
7.4.3 Imagekampagne Die Imagekampagne richtete sich an eine zunehmend heterogene Wählerschaft. Weniger die Frage nach der ideologischen Ausrichtung – das Gros der PDS-Wähler sprach „linken“ 301
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Interview mit Peter Porsch in: Sven Heitkamp: „Hartz-IV hat nicht die PDS erfunden“, in: Lausitzer Rundschau vom 27. Juni 2004. Beschluss 58: Thesen zur Wahlstrategie der PDS Sachsen, S. 6. Beschluss des 7. Landesparteitags der PDS Sachsen am 28. November 2002: Gegen Hartz-Gesetze – Widerstand organisieren, in: http://portal.pds-sachsen.de/aktuell.asp [Stand: 1. September 2004]. Beschluss des Landesvorstands am 24. Januar 2004. Kommunikationskonzept, S. 5. Vgl. Interview mit Rico Gebhard am 11. Januar 2006. Vgl. Cornelia Ernst zitiert in: ND: Sachsens PDS geht auf „Hartz“-Tour, in: ND vom 3. August 2004. Vgl. Pressemitteilung: Erklärung von Landesvorstand und Landesrat der PDS Sachsen zu den Montagsdemonstrationen (Archiv des PDS-LV Sachsen). Cornelia Ernst in: Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Landesvorstands und des Landesrats am 21. August 2004 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Rico Gebhard am 11. Januar 2006.
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Inhalten zu –, als vielmehr der Konflikt zwischen Befürwortern des DDR-Systems und Anhängern der bundesdeutschen Ordnung zwang die Partei zu Modifikationen. 310 In der Bevölkerung, so die PDS, habe der unmittelbare Bezug zur DDR an Bedeutung verloren, die Einheit sich „im Bewusstsein der Vielen [als] eine vollzogene Tatsache“ etabliert.311 Die Partei steckte in einem Dilemma. Mit einem DDR-nostalgischen Kurs waren große Teile der Bevölkerung nicht mehr zu erreichen. Ein auf Regierungsteilhabe zielender Kurs bedeutete wiederum in den Augen „traditioneller“ Wähler, sich mit dem bestehenden System „einzulassen“.312 Mithilfe dreier „Super-Images“ versuchte die PDS, das Bild der kritischen Oppositionspartei mit dem der alternativen Regierungspartei in Einklang zu bringen. (1) Als Partei für soziale Gerechtigkeit stieß sie in die durch den Kurs der SPD entstandene sozio-ökonomische „Vertretungslücke“.313 54 Prozent der Sachsen meinten im Wahlmonat, die PDS bemühe sich am stärksten um den sozialen Ausgleich.314 Die „soziale Frage“ galt den Genossen daher als einzige „gesellschaftlich relevante Thematik“, bei der sie „,ganz bei sich‘ und damit authentisch und glaubwürdig“ seien.315 Das Image der sozialen und solidarischen Partei, des sozialen Korrektivs dominierte die Außendarstellung. Der Leitslogan „Sozial, mit aller Kraft“ pointierte, man trete kompromisslos dafür ein, „dass es in Sachsen wieder gerecht und sozial zugeht“.316 Dabei fokussierte die PDS die rot-grünen Arbeitsmarktreformen und stellte fest: „Die Agenda 2010 ist der größte Anschlag auf den Sozialstaat seit Bestehen der Bundesrepublik.“317 Klaus Bartl erkannte darin gar „die gewollte Abkehr vom Sozialstaat“.318 Zu dieser „unsozialen Politik“ bestehe nur eine Alternative: eine starke PDS.319 (2) Als „Kümmererpartei“ präsentierte sich die PDS als eine Kraft, die im „Interesse der Mehrheit der Bevölkerung“320 politisch handelt. Sie, der im Wahlmonat 55 Prozent der Sachsen zusprachen, sie kümmere sich am stärksten um die Probleme in Ostdeutschland,321 trat als „Anwalt der kleinen Leute“, als „Partei für die, die das Volk sind“, auf.322 Mit ihrem Kernslogan „Hartz-IV das ist Armut per Gesetz. PDS. Wir stehen euch bei“ signalisierte sie, die Ängste der „Betroffenen“ zu verstehen und stellvertretend für sie Widerstand zu leisten. Ernsts „Hartz-IV-Tour“ verlieh diesem Anspruch ein reales Gesicht. Ihre Kampagne kanalisierte einerseits den Protest in Form einer Massenpetition an den Deutschen Bun-
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Vgl. dazu Jörg Jacobs (2004): Gegen die bestehende Ordnung? Die Wähler der PDS in vergleichender Perspektive, in: ZParl 35 (2004), S. 229-241, hier S. 233-239. Vgl. Beschluss der Landesvorstandstagung am 29.-31. August 2003. Wahlkampfstrategie 2004, S. 2 f. Vgl. Jacobs (2004), S. 240. Vgl. dazu Michael Brie (2000): Die PDS – Strategiebildung im Spannungsfeld von gesellschaftlichen Konfliktlinien und politischer Identität, in: Ders./Woderich (Hrsg.), S. 14-51, hier S. 25. Vgl. Infratest dimap (2004), S. 81. Vgl. Beschluss des Landesvorstands am 24. Januar 2004. Kommunikationskonzept, S. 5. Wahlkampfbrief von Peter Porsch zur sächsischen Landtagswahl 2004. Blickwechsel. Wahlkampfbroschüre von Peter Porsch zur Landtagswahl am 19. September 2004. Wahlkampfbroschüre von Klaus Bartl zur sächsischen Landtagswahl 2004. Vgl. Rede von Peter Porsch in Dresden am 26. Juni 2004, in: http://portal.pds-sachsen.de [Stand: 1. September 2004]. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 20. Vgl. Infratest dimap (2004), S. 81. Rede von Peter Porsch in Dresden am 26. Juni 2004; Rede von Peter Porsch im Congress Center Dresden am 23. August 2004 bei der Vorstellung von Aleksa, in: http://www.peter-porsch.de [Stand: 6. September 2004].
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destag. Andererseits widmete sie sich direkt den Problemen der (oft ratlosen) Menschen, bot Beratungen, und damit subjektiv empfundenen Beistand an.323 (3) Als Partei der alternativen Regierungspolitik kämpfte die PDS um den Ruf einer ernsthaften CDU-Kontrahentin. Die selbsternannte „Opposition mit Konzept“324 bekundete: „Wir sind bereit, Verantwortung für Sachsen zu übernehmen, zu gestalten. Denn wir können es besser.“ Sachsen brauche einen Perspektiv- und Politikwechsel. „Darum sagen wir […] in unserem Programm: Ein anderes Sachsen ist möglich!“325 Weniger in Form ihres Wahlprogramms, als vielmehr mithilfe ihres „Aleksa“ erging an die Wähler das Angebot einer regierungswilligen Partei. „Wir haben ein Konzept für ein anderes Sachsen und es ist zugleich die Bilanz der Arbeit der Fraktion über 14 Jahre! Die anderen haben das nicht.“ Dieses Konzept, so Porsch, sei die „Grundlage für unser Selbstbewusstsein, die Selbstgefälligkeit der absoluten CDU-Mehrheit herauszufordern“.326 Dem Ministerpräsidentenkandidaten oblagen die Aufgaben, die Konzeption zu kommunizieren und als „personalisierte Alternative“ aufzutreten. Er sollte als „liberaler Bürger und Sozialist“ sowie als „Träger der Hoffnungen auf einen politischen Wechsel“ positioniert werden, seine Kompetenz- wie Sympathiewerte steigern und die Parteiidentifikation der Wähler stärken.327 Porschs Image war angelegt als „einer der Ahnung hat, der führen und Verantwortung übernehmen kann, sowie einer der als Hochschullehrer trotzdem frisch geblieben ist“.328 Die ihm zugeordnete „Kernmannschaft“, u. a. besetzt mit Cornelia Ernst (Soziales), André Hahn (Bildung), Klaus Bartl (Recht) und Ronald Weckesser (Finanzen), untermauerte zentrale Kompetenzfelder. Die Anordnung geriet ins Wanken, als Anfang August 2004 die Zeitschrift Focus berichtete, Porsch habe von 1970 an als IM „Christoph“ für die DDR-Auslandsspionage gearbeitet, und in den 1980er Jahren für das MfS seine damalige Lebensgefährtin und heutige Frau sowie verschiedene Leipziger Schriftsteller bespitzelt.329 Anstatt das Thema zügig zu neutralisieren, flüchtete sich Porsch in Schweigen und Unwissenheitsbekundungen. Er habe nie bewusst für die Stasi gearbeitet, auch keine Verpflichtungserklärung unterschrieben, sei lediglich als „überzeugter Anhänger“ der DDR unwissentlich abgeschöpft worden.330 Porsch, der sich als Opfer einer CDU-Attacke und einer medialen Verleumdung wähnte, ging im Wahlkampf auf Konfrontationskurs zu den Regionalzeitungen, ließ per einstweiliger Verfügung die Berichterstattung zum Thema verbieten. Daraufhin sprach ihm die Landespressekonferenz ihre „öffentliche Missbilligung“ aus, die Zeitungen interpretierten den Vorgang als Einschränkung der Pressefreiheit.331 Das mühsam verbesserte Medienver323
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Vgl. Unterschriftenaktion gegen Hartz-IV, in: Pressemitteilung der PDS-Sachsen vom 9. September 2004. In allen ihren Geschäftsstellen offerierte die PDS Beratungs- und Informationsdienste. Rede von Peter Porsch im Congress Center Dresden am 23. August 2004. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 2; Wahlkampfflugblatt von Peter Porsch zur Landtagswahl 2004. Rede von Peter Porsch im Congress Center Dresden am 23. August 2004. Vgl. Beschluss der Landesvorstandstagung am 29.-31. August 2003. Wahlkampfstrategie 2004, S. 4, 9; Beschluss des Landesvorstands am 24. Januar 2004. Kommunikationskonzept, S. 2. Interview mit Peter Porsch am 7. Dezember 2005. Vgl. Alexander Wendt: „Positive Beeinflussung“, in: Focus (2004) H. 33, S. 40-42; ders.: „Christophs“ Legenden, in: Focus (2004) H. 44, S. 32 f. Vgl. Andreas Novak: Lustvolle Zusammenarbeit, in: SZ vom 21. August 2004; Reiner Burger: „Eine Verleumdungskampagne“, in: FAZ vom 20. August 2004; Eva Prase: PDS-Spitzenkandidat stellt sich als naiv dar, in: FP vom 20. August 2004. Vgl. IM-Affäre, in: SZ vom 1. September 2004; Dieter Soika: Fall Porsch wird zum Justiz-Skandal, in: FP vom 4./5. September 2004.
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hältnis verschlechterte sich schlagartig. Als Anfang September einige Korrespondenten demonstrativ eine PDS-Pressekonferenz verließen, war für die SED-Nachfolgerin klar: Die „ehemaligen SED-Bezirkszeitungen“ versuchten „mit aller Macht zu erzwingen, dass es im Wahlkampf nicht um die sozialen Themen geht, die die Bevölkerung am meisten bewegen, sondern ausschließlich um die Beschädigung des Oppositionsführers“.332 Porschs „Vendetta mit Sachsens Blättern“333 entwickelte sich zu einer Belastungsprobe für die PDS. Diese befürchtete, den Einbruch in den Umfragen von 27 Prozent Ende Juli auf 21 Prozent Ende August gewahr, Sympathierückgänge bei parteiungebundenen Unzufriedenen und Nichtwählern. Teile der Partei- und Fraktionsführung setzten Porsch daher unter Druck, indem sie sein Vorgehen als überzogen und ungeschickt bewerteten.334 Auf einer Parteisitzung am 21. August wurden gar erste Zweifel an seinem erneuten Fraktionsvorsitz laut. 335 Schließlich nahm die PDS ihren Spitzenkandidaten, der Ende August von Wissenschaftsminister Rößler auf eine einstimmige Empfehlung der Personalkommission der Universität Leipzig hin als Professor entlassen worden war,336 notgedrungen aus dem Rampenlicht. Ob vorab geplant oder als Reaktion auf die negative Publicity des Frontmanns, die Dresdner Kampagnenmacher überklebten auf allen Großflächen Porschs Konterfei mit dem knallroten Sloganplakat „Sozial, mit aller Kraft“ und forcierten erneut die Anti-Hartz-IVKampagne.337 Aus dem Image des künftigen Ministerpräsidenten, der kompetent und ehrlich Bürgerinteressen vertritt, war das eines verunsicherten Politikers geworden, der sich in Krisensituationen hinter Advokaten versteckt, anstatt souverän Probleme zu lösen.338 Porsch erschien in der Medienöffentlichkeit als ein Politiker, der in einer Regierungskrise zu keinem geordneten Handeln fähig wäre. Obwohl er in der MDR-Gesprächsrunde der Spitzenkandidaten gefestigt wirkte, hatte der Herausforderer an Kraft verloren. Als mediale Persona non grata konzentrierte sich Porsch auf regionale und lokale Auftritte. Umringt von einem bunten Wahlkampftross, präsentierte er sich den Wählern in gewohnter Manier, wenngleich, der Situation und seinem neuen Status angepasst, seriöser als 1999. Jenseits der Medienöffentlichkeit führte er den facettenreichen Wahlkampf eines Spitzenkandidaten mit Unternehmensbesuchen, Gesprächsrunden oder „politischen Frühschoppen“. 339
7.4.4 Themenkampagne Die Landespartei verfügte 2004 über zwei zentrale Programmtexte. Der, unter konzeptioneller Leitung von Michael Leutert und damit unter Regie der „Jugendbrigade“, durch den Berliner Schriftsteller Mathias Wedel verfasste Wahlprogrammentwurf galt Teilen der 332
333 334 335
336 337
338
339
Gebhard: PDS Sachsen beugt sich nicht der Erpressung durch ehemalige SED-Bezirkszeitungen, in: Pressemitteilung der PDS-Sachsen vom 7. September 2004. Bernhard Honnigfort: Peterchens Irrfahrt, in: FR vom 9. September 2004. Vgl. Hubert Kemper: Zeitung kippt Bericht über Porsch-Wahlforum, in: FP vom 2. September 2004. Vgl. Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Landesvorstands und des Landesrats am 21. August 2004 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Hubert Kemper: Minister Rößler entlässt Porsch fristlos, in: FP vom 28./29. August 2004. Laut Rico Gebhard sei die Entpersonalisierung in der Schlussphase von vornherein gewollt gewesen. Vgl. Interview mit Rico Gebhard am 11. Januar 2006. Vgl. Interview mit Wolfgang Donsbach in: Hubert Kemper: Bestes Mittel: „Hosen runterlassen“, in: FP vom 7. September 2004. Vgl. Veranstaltungsplan der sächsischen PDS September 2004 in: http://portal.pds-sachsen.de [Stand: 23. August 2004].
7.4 Wahlkampf der PDS – Zwischen Protest und Regierungsambition
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„Alteingesessenen“ als zu populistisch, oberflächlich, ohne sächsische Spezifik bzw. „als Wahlprogramm nicht tauglich“.340 Vertreter der Fraktion bescheinigten diesem unerfüllbare Forderungen und falsche Darstellungen.341 Weckesser bekundete: „Es gibt buchstäblich nichts in diesem Entwurf, was ich ernsthaft als Angebot der PDS […] für tauglich halte“.342 Trotz der Überarbeitung des Programms präferierte der pragmatische Flügel im Wahlkampf das am 23. Januar 2004 vorgestellte „Aleksa“ der Landtagsfraktion. Deren Arbeitsgruppen hatten, unterstützt durch Edelbert Richter und Rolf Reißig, ein politisches Konzept für den Freistaat entworfen.343 War das Wahlprogramm vom Landesvorstand als „Anti-HartzManifest“ konzipiert und durch einen Parteitag legitimiert worden, fungierte das „Aleksa“ insgeheim als Regierungsprogramm der Fraktion. Konflikte waren so programmiert, obgleich das tagesaktuelle Wahlprogramm die Basis der Themenkampagne bildete.344 Diese folgte zwei Leitlinien. Zum einen plädierte die PDS getreu ihrer Regierungsstrategie für ein neues, emanzipiertes landespolitisches Leitbild. „Wir setzen mit unserem Konzept auf Sachsen selbst, auf seine eigenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Potenzen, auf eine Entwicklung aus eigener Kraft.“345 Zum anderen lancierte sie das „Soziale“ als Metathema, dem sich sämtliche Kernthemen unterordneten. Als Ausgleich zur verblassenden postsozialistischen Konfliktlinie hatte die sächsische PDS schon 1999 die „soziale Frage“ zum „Auseinandersetzungsfeld“ der Zukunft auserkoren.346 Ihre sozialen Forderungen unterlegte sie nun jedoch erstmals durch umfangreiche „Finanzierungsvorschläge“. Ihr „Alternativhaushalt“, so die Partei, ermögliche einen sozialeren Kurs ohne zusätzliche Neuverschuldung.347 Hartz-IV griff die PDS als Wahlkampfthema, neben der Instrumentalisierung zur Imagebildung und zur Dethematisierung der Stasi-Vorwürfe, in zweierlei Hinsicht auf. Einerseits informierte sie die Bürger in Kampagnen und zahlreichen, meist aus der Feder der Fraktion stammenden Dokumenten348 über die gesetzlichen Zusammenhänge. Andererseits beschwor sie ein Armutsszenario. „Hartz-IV – das ist Armut per Gesetz“ signalisierte, die Menschen würden vom Staat in Armut gezwungen. Hartz-IV vernichte „Massenkaufkraft“, schädige die wirtschaftliche Entwicklung und schaffe „Armut und Niedriglohn, aber keine neuen Arbeitsplätze“.349 Für Langzeitarbeitslose verschlechtere es die Lebensverhältnisse „drastisch“, ohne die Chancen auf einen „Existenz sichernden Arbeitsplatz“ zu erhöhen.350 Zudem sei die Reform „durch ein Übermaß an Repression und Demütigung sowie durch Elemente von Zwangsarbeit“ verfassungswidrig. Hartz-IV sei „Sondermüll“.351 340 341 342 343
344 345 346
347 348 349
350 351
Protokoll der Sitzung des Landesvorstands vom 5. März 2004 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Bemerkungen von Dietmar Pellmann zum Entwurf des Wahlprogramms (Archiv des PDS-LV Sachsen). Brief von Ronald Weckesser an den Landesvorstand vom 4. März 2004 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Ferner erhitzte das radikale Jugendwahlprogramm mit Forderungen wie „Recht auf Rausch“, „Zurückdrängung des Erwerbsarbeitszwangs“ oder „Auflösung der Bundeswehr“ die Gemüter. Vgl. Jugendwahlprogramm der PDS-Jugend Sachsen zur Landtagswahl 2004. Wir bringen die Verhältnisse zum Tanzen. Vgl. Interview mit Bernd Rump am 24. Januar 2006. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 6. Vgl. Bernd Rump u. a. (1999): Opposition richtig machen! Für eine offensive Politik!, internes Diskussionspapier der sächsischen PDS anlässlich der Landtagswahl 1999, Dresden, S. 7 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 19 f. Vgl. Broschüre der PDS-Fraktion: Gesetzliche Regelungen zum Arbeitslosengeld II, August 2004. Flugblatt der sächsischen PDS: „Hartz-IV“ das ist Armut per Gesetz; Faltblatt der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag. Hartz-IV schafft Armut und Niedriglohn. Vgl. Broschüre der PDS-Fraktion: Das Hartz ABC, August 2004, S. 19. Vgl. Flugblatt der sächsischen PDS: „Hartz-IV“ das ist Armut per Gesetz; Wahlkampfbroschüre der Direktkandidaten zur sächsischen Landtagswahl 2004.
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Der wirtschaftspolitische Bereich spiegelte die inhaltliche Diversität der Landespartei wider. Rechnete das Wahlprogramm eher mit der CDU-Regierung ab, lieferte das „Aleksa“ eine über den Wahlkampf hinausgehende wirtschaftspolitische Konzeption. Die Wahlprogrammatik schnitt die ökonomische Situationsanalyse entsprechend auf das CDU-„Regierungsversagen“ zu. Neben der Tatsache, so die PDS, dass Sachsen unter den ostdeutschen Ländern an drittletzter Stelle bei der Wirtschaftskraft und an vorletzter bei der Arbeitsproduktivität liege,352 sei es „Zynismus“, dass sich Milbradt mit einem, überwiegend durch die Beseitigung der starken Flutschäden getragenen Wachstum schmücke.353 Besonderes „Armutszeugnis“ christdemokratischer Politik sei die hohe Arbeitslosigkeit. Indem die CDU „vorrangig auf die Kräfte des Marktes“ vertraue, beweise sie einzig „ihre Unfähigkeit neue sozial- und wirtschaftspolitische Wege zu gehen“.354 Das „Aleksa“ sprach indes von einer „gespaltenen Transformation“. Politisch, kulturell, sozial und wirtschaftlich sei in Sachsen vieles erreicht worden. Der Freistaat gelte heute als „der bedeutendste Hochtechnologiestandort in Ostdeutschland“, verfüge über eine sehr gute Standortattraktivität, über qualifizierte Unternehmen und eine hohe öffentliche Investitionsquote. Dennoch sei ein „selbsttragender Aufschwung“ ausgeblieben. Sachsen könne auf keine tragfähige Wirtschaftsbasis zurückgreifen, sei „auf sich gestellt noch nicht lebensfähig“.355 Arbeitslosigkeit und Abwanderung kennzeichneten ebenso die Situation wie eine ausgeprägte Wachstumsschwäche. Sachsen stehe 2004 an einem Scheideweg. Entweder schaffe es „den Aufstieg hin zu einer selbsttragenden Entwicklung“ oder es werde eine „strukturschwache Region mit wenigen Leuchttürmen“.356 Die Politik brauche „Mut zum gesellschaftlichen Umsteuern“. An die Stelle des „neoliberalen Hohelieds“ von Eigenverantwortung und Markt müsse ein neues ordnungspolitisches Leitbild treten, die „solidarische Gesellschaft“. Die PDS war überzeugt, „dass sich viele Probleme Sachsens im Rahmen einer kapitalistischen Gesellschaft […] nur zum Teil oder gar nicht lösen lassen“.357 Während sich die gegenwärtige Politik auf den Grundsatz beschränke, „was der Wirtschaft dient, dient dem Menschen“, und „der trügerischen Hoffnung“ folge, der „ungezügelte kapitalistische Markt“ generiere eine optimale gesellschaftliche Entwicklung, gelte für die PDS das Credo: „Die Wirtschaft muss für den Menschen da sein, nicht umgekehrt.“ Die „Blindheit des Marktes“ gegenüber dem „Gemeinwohl“ fordere Politik und Gesellschaft stets aufs Neue, „den sozialen, ökologischen und demokratischen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen der Markt wirken kann“.358 Als menschenwürdige Alternative zum Kapitalismus stehe die „solidarische Gesellschaft“ für eine sozial gestaltete Politik. Die PDS deklarierte die „soziale Gestaltung“ als „Voraussetzung“ und „wesentlichen Bestandteil“ ihrer zukünftigen Politik.359 Sachsen, so Porsch, brauche ein „Konzept vom Sozialstaat, das diesen wieder zum Motor wirtschaftlicher Entwicklung“360 mache. Die 352 353
354 355 356
357 358 359 360
Vgl. Wahlkampfflugblatt von Peter Porsch zur Landtagswahl 2004. Vgl. Rede von Peter Porsch auf einer Wahlkampfveranstaltung am 7. September 2004 in Zwickau (Mitschrift Autor). Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 7. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 12, 15, 44. Peter Porsch über das „Aleksa“ für Sachsen, in: Wahlkampfzeitung der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 4; PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 8, 14. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 11-13, 65. Ebd., S. 19. Ebd., S. 13. Rede von Peter Porsch vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, in: Plenarprotokoll 3/109 des Sächsischen Landtages, S. 8012-8021, hier S. 8021.
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„tiefgreifende Erneuerung des Verhältnisses von Staat, Markt und ziviler Gesellschaft“ benötige einen „kooperativen Staat“, den eine neue Aufgabenteilung mit der Gesellschaft auszeichnet. In Form einer „progressiven Entstaatlichung“ sollten kommunale, zivilgesellschaftliche und marktwirtschaftliche Akteure staatliche Aufgaben übernehmen, nicht aber den Staat „aus seiner Pflicht zur Gewährleistung von Gemeinwohl und von innerer Sicherheit, von Bildung, Kultur und landespolitischer Steuerung entlassen“. Hier müsse der Staat als Institution gestärkt werden und „seine Rahmensetzungen für die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Landesteilen erheblich qualifizieren“.361 Im Kern zielte die PDS auf ein „gerechteres Gesellschaftskonzept“362, das für alle bessere Bedingungen für „selbstbestimmtes Handeln“ biete.363 Sie fühlte sich „den in der Verfassung des Freistaates festgeschriebenen Staatszielen verpflichtet, die jedem Menschen das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein, insbesondere auf Arbeit, angemessenen Lebensunterhalt und Wohnraum, auf soziale Sicherung und auf Bildung garantieren“. Das „Aleksa“ sollte diese Staatsziele „mit Leben erfüllen und zugleich fortschreiben“.364 Um dies zu erreichen, müsse aus Sachsen ein „in sich selbst lebensfähiger und wettbewerbsfähiger Wirtschaftsraum“ werden, der nicht überwiegend auf Transferleistungen angewiesen ist und in dem „gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen bzw. Räumen“ herrschen.365 Mithilfe einer derart optimierten Wirtschaftsstruktur könne man die Hauptziele „drastisch“ reduzierte Erwerbslosigkeit und maximal erhöhtes Arbeitsvolumens auf dem ersten Arbeitsmarkt erreichen. „Erhalt bestehender und Schaffung neuer Arbeitsplätze sind Ziel unseres wirtschaftspolitischen Konzepts.“ Sachsen, so die PDS, sei erst dann modern, „wenn jeder, der Arbeit will, auch welche hat“.366 Die im „Aleksa“ detailreich ausgeführten strukturpolitischen Vorschläge nahmen diese Zielvorstellungen auf. Neben den weiterhin anzuwerbenden privaten Investitionen, speziell im Bereich „hoch qualifizierter Arbeit“, müsse die Wirtschaftspolitik nun regionale Potenziale erschließen. Dem Ziel einer eigenständigen, wettbewerbsfähigen sächsischen Wirtschaft folgend, forderte die PDS erstens den „Aufbau von zukunftsfähigen, branchenübergreifenden Innovationsnetzwerken“ zwischen „kapitalschwachen, aber hochtechnologisch orientierten“ Unternehmen und den Hochschulen.367 Zweitens gelte es, „branchenbezogene Cluster der gewerblichen Wirtschaft“ zu entwickeln. Unternehmen müssten in den Regionen verstärkt exportorientierte „Wirtschaftsysteme“ bilden und diese an „bestehende industrielle Wachstumskerne“ anbinden.368 Den dritten Schwerpunkt setzte sie mit der Forderung nach „regionalen Wirtschafts- und Beschäftigungssystemen“. Sektorübergreifend sollten „regionale Binnenmarktstrukturen und Wirtschaftskreisläufe“ entstehen, mit dem Ziel, das sächsische Absatzgebiet mit hochwertigen eigenen Produkten und Dienstleistungen zu versorgen. In einer solchen „Rückbesinnung auf regionale Produktions- und Verbrauchsstrukturen“ läge der Schlüssel zu einer „nachhaltigen Regionalentwicklung“. Ergänzend
361 362 363 364 365 366
367 368
Vgl. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 46 f. Interview mit Peter Porsch, in: Lausitzer Rundschau vom 27. Juni 2004. Vgl. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 47. Ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 12-14. Wahlkampfflugblatt von Peter Porsch zur Landtagswahl 2004; PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 52 f. Vgl. ebd., S. 50 f., 66. Vgl. ebd., S. 50-52, 67, 72.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
sollten „regionale Beschäftigungssysteme“ Arbeitsplätze generieren.369 Ferner trat die PDS für mittelständische Bestandspflege und Erweiterungsunterstützungen zukunftsfähiger Unternehmen ein. Sie forderte Steuererleichterungen, eine unabhängige Finanzierung, etwa durch eine „Sächsische Mittelstandsbank“, staatliche „Überbrückungskredite“, „Eigenkapitalhilfen für Existenzgründer“, „stille Beteiligungen der öffentlichen Hand“ oder gezieltere öffentliche Auftragsvergaben.370 Beschäftigungspolitisch veranschlagte die PDS verschiedene Kernstrategien. Zunächst sollten durch konzertierte Initiativen von Bund und Land sowie durch eine moderne Struktur- und Investitionsförderpolitik gewerbliche Wirtschaft und Non-Profit-Sektor derart gefördert werden, dass neue, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze entstehen.371 Porsch plädierte zudem für eine „radikale“ Senkung der Lohnnebenkosten mittels einer „Wertschöpfungsabgabe“,372 die Unternehmen zur Finanzierung der Solidarsysteme einzig entsprechend ihrer Wertschöpfung belangt. Großunternehmen würden so be-, lohnintensive Kleinunternehmen entlastet. Gleichzeitig sinke „die Hemmschwelle für die Schaffung neuer Arbeitsplätze“.373 Weiterhin folgte die PDS neben dem Ruf nach stärkerer staatlicher Investitionsund Konsumtätigkeit ihrem Konzept, dass der Sozialstaat „durch die Stärkung von Kaufkraft zum Motor von wirtschaftlicher Entwicklung“374 werden müsse. Geleitet von der Idee, eine „Steigerung der Massenkaufkraft“ reduziere nachhaltig Arbeitslosigkeit, forderte die Partei die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 1.400 Euro pro Monat und ein „bedingungsloses Grundeinkommen“.375 Insbesondere bedürfe es eines arbeitsmarktpolitischen Umdenkens. Arbeitsförderung müsse „nachhaltiger“ eingesetzt werden. Die wirtschafts- und gemeinwohlorientierte Projektförderung („öffentlich geförderter Beschäftigungssektor“) habe Vorrang vor der Individualförderung.376 Die „Umstrukturierung der Arbeitswelt“ verlange auch ein humaneres Verständnis von Arbeit. Es gelte, „Arbeit gerechter und beschäftigungswirksamer“ zu verteilen. Arbeitszeitverkürzungen bei Lohnausgleich und neue Arbeitszeitmodelle könnten Freiräume für „andere Formen von Eigenarbeit“, etwa Bildung oder Qualifikation, schaffen.377 Arbeit, so Porsch, müsse auch dann entstehen, wenn sie „aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre nicht produktiv ist, aus der Sicht des Sozialstaats […] aber durchaus, weil sie Menschlichkeit für alle Menschen sichert“.378 Der obligatorische Ruf nach einem „Recht auf Arbeit“ erging nicht, sah doch das „Aleksa“ jenes durch die Staatsziele „garantiert“.379
369
370 371 372 373 374 375
376 377 378 379
Vgl. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 8; PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 52 f., 77. Vgl. ebd., S. 8, 68. Vgl. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 74. Interview mit Peter Porsch, in: Lausitzer Rundschau vom 27. Juni 2004. Vgl. Wahlkampfzeitung der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 1. Rede von Peter Porsch im Congress Center Dresden am 23. August 2004. Vgl. Spaltung der Gesellschaft in Erwerbslose und Beschäftigte mit einem Grundeinkommen abbauen, in: Pressemitteilung der PDS-Sachsen vom 29. Juli 2004; Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 6; Wahlkampfflugblatt der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004: Einer trage des anderen Last. Vgl. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa, S. 54, 74 f. Vgl. ebd., S. 76; Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 7. Peter Porsch in: Gabriele Oertel: Gemeinsam Alternativen suchen, in: ND vom 3. September 2004. Vgl. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.), Aleksa, S. 13.
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7.4.5 Konkurrenzkampagne Hauptgegner der PDS war die CDU. Das Verhältnis zu den anderen Parteien erachtete sie als „unwichtig“.380 Wieder mobilisierte Nichtwähler ausgenommen, waren Stimmengewinne in ihren Augen nur durch wechselbereite CDU-Wähler zu erzielen. Entsprechend überzog die PDS die Christdemokraten mit Vorwürfen. „Die herrschende Politik hat jegliches Vertrauen verspielt. Wir sind von schwarzem Filz umgeben. Die Bürgerinnen und Bürger wollen aber keine Statisten in einer Parteibuchdiktatur sein. ,Die Partei hat immer recht‘ – das haben zu viele einst schon zu lange gehört. Es ist genug mit Vetternwirtschaft, ,Freundschaftsdiensten‘ und Korruption.“381 Sachsens CDU habe das Land „zum politischen und materiellen Selbstbedienungsladen gemacht. Sich bereichern, Freunden Geld und Einfluss zuschanzen, […] mit öffentlichem Geld sich schamlos Vorteile verschaffen und Herrschaft festigen, ist gang und gäbe.“382 Neben der für die vormalige Staatspartei offensichtlichen Tatsache, dass die CDU zur „Staatspartei“ mutiere,383 sei diese nach „14 Jahren Alleinherrschaft“ personell und konzeptionell am Ende.384 Parallel versuchte die PDS den Amtsinhaber zu beschädigen. Milbradt lenke davon ab, dass er „einer der maßgeblichen Architekten“ von Hartz-IV ist. Seine Ankündigung, gegen die Arbeitsmarktreform demonstrieren zu wollen, sei „Augenwischerei“.385 Seit Jahren fordere er „einen Niedriglohnsektor und den Arbeitszwang für Arbeitslose“, wolle er den Bezug des Arbeitslosengelds kürzen und den Kündigungsschutz aufweichen.386 Immer sei die sächsische CDU „vorne dran, wenn soziale Leistungen abgesenkt“387 würden. Während die PDS in der Bundes-SPD ein Sinnbild für die Zerstörung des Sozialstaats sah und sie deren Sozial- und Arbeitsmarktpolitik bekämpfte, galt ihr die sächsische SPD primär als eine Verbündete im Kampf um eine linke Mehrheit.388 Zwei Dinge standen dem entgegen. Zum einen lehnten die Sozialdemokraten ein rot-rotes Bündnis ab, zum anderen war es der SPD unmöglich, der CDU die nötigen Stimmen abzujagen. Eine rot-rote Mehrheit scheiterte in erster Linie am Unwillen und Unvermögen der Sozialdemokraten. Porsch beschwor dennoch die Kooperation, hob Gemeinsamkeiten hervor. Er sei geneigt, viele der sozialdemokratischen Inhalte ohne Abstriche mitzutragen.389 „Wenn ich die SPD-Plakate sehe, bin ich von den Forderungen ganz angetan.“390 Obwohl Porsch primär eine Präferenz für ein Bündnis mit SPD und Grünen erkennen ließ,391 spielte seine Partei mit dem Gedanken einer Allparteienkoalition gegen die CDU. Nach dem 19. September, so Porsch, seien PDS, SPD, Grüne und Liberale gefragt, was sie aus dem Verlust der absoluten Mehrheit der CDU machen wollten. „Mein Ziel ist, in Sach380 381 382 383 384 385
386
387 388 389 390 391
Vgl. Beschluss der Landesvorstandstagung am 29.-31. August 2003. Wahlkampfstrategie 2004, S. 4. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 5. Blickwechsel. Wahlkampfbroschüre von Peter Porsch zur Landtagswahl am 19. September 2004. Vgl. Broschüre der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag: Schwarzer Filz raubt Sachsens Zukunft. Vgl. Rede von Peter Porsch vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, S. 8013 f. Milbradts Kritik an Hartz-IV ist völlig unglaubwürdig, in: Pressemitteilung der PDS-Sachsen vom 30. Juli 2004; Ernst verbittet sich NPD-Vergleich, in: Pressemitteilung der PDS-Sachsen vom 10. August 2004. Vgl. Wahlkampfbroschüre von Katja Kipping zur sächsischen Landtagswahl 2004; Wahlkampfflugblatt der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004: Jeder zweite schläft auch Werktags aus. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 9. Vgl. Beschluss des Landesvorstands am 24. Januar 2004. Kommunikationskonzept, S. 2. Vgl. Rede von Peter Porsch auf einer Veranstaltung am 7. September 2004 in Zwickau (Mitschrift Autor). Peter Porsch zitiert in: Porsch wirbt um SPD, in: SZ vom 31. August 2004. Vgl. ND: Porsch gibt Wechsel eine Chance, in: ND vom 17. September 2004.
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sen eine politische Situation herbeizuführen, in der eine andere Politik möglich ist.“392 Es sei „alles besser als eine Fortführung der CDU-Alleinregierung oder das Herumfummeln an den Rädern der Macht eines kleinen Koalitionspartners SPD“.393 Alle Oppositionsparteien hätten als Ziel formuliert, die absolute Mehrheit der CDU zu brechen. Nach der Wahl würden sie „sagen müssen, ob sie einer der absoluten Mehrheit verlustigen CDU wieder in die Steigbügel verhelfen wollen“ oder für Alternativen offen sind.394 Ungeachtet dessen, dass die PDS zum Teil aus einem demokratischen, auf jedem Fall aus einem antifaschistischen Selbstverständnis heraus eine Kampagne gegen die NPD focht, wies ihr aggressiver Anti-Hartz-Wahlkampf Parallelen zur Kampagne der NPD auf. Beide plakatierten ähnliche Slogans (PDS: „Hartz-IV – das ist Armut per Gesetz. PDS.“; NPD: „Quittung für Hartz-IV: jetzt NPD“), beide lancierten antikapitalistische Ansätze. Als schließlich die CDU eine Gleichartigkeit beider Parteien betonte und vor „Extremen von rechts und links“395 warnte, protestierte die PDS vehement. Wenn Milbradt die „linkssozialistische Volkspartei und Oppositionsführerin“ mit der NPD gleichsetze, so André Hahn, trage er damit „maßgeblich dazu bei, die NPD aufzuwerten, sie als Protestpartei für die Kritiker der Regierungspolitik hoffähig zu machen“.396 Porsch sah in der Charakterisierung der PDS als extremistische Partei einen „unerhörten Bruch mit allen politischen Sitten“. Milbradt dürfe die „Gemeinsamkeit der Demokraten nicht aus Angst um den Verlust seiner absoluten Mehrheit durch erbärmliche und beleidigende Polemik gegen demokratische Sozialistinnen und Sozialisten aufs Spiel setzen“.397 Im Gegenzug gab die PDS der CDU eine indirekte Mitschuld am Aufkommen der NPD. Wo Infrastrukturentwicklung wichtiger sei als das Engagement für die Jugend, „wo die soziale Kälte regiert“, würden Menschen in die Arme von Rechtsextremisten getrieben.398 Es bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Scheitern der Staatsregierung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, ihrem Scheitern bei der Bildungs- und Kulturpolitik und ihrem Scheitern, einen „unerwünschten politischen Aufbau der Neonazis zu stoppen“.399
7.5 Wahlnachlese 7.5.1 Wahlergebnis Der 19. September 2004 revolutionierte das sächsische Parteiensystem.400 Bei einer Wahlbeteiligung von 59,6 Prozent überwanden sechs der 13 zugelassenen Parteien die Fünfprozenthürde (Tabelle 20). Die CDU brach mit 41,1 Prozent in einem für ein Flächenland ungekanntem Maße ein (-15,8 Punkte). Die zweite Verliererin, die SPD, fiel mit 9,8 Prozent ins Einstellige. Einzig ihr Zieleinlauf vor der NPD ersparte ihr die völlige Blamage. 392 393 394
395 396
397 398 399 400
Peter Porsch in: Gabriele Oertel: Gemeinsam Alternativen suchen, in: ND vom 3. September 2004. Interview mit Peter Porsch, in: Lausitzer Rundschau vom 27. Juni 2004. Vgl. Interview mit Peter Porsch in: Ansgar Graw: „Ich weiß, dass ich unwissentlich abgeschöpft wurde“, in: Die Welt vom 17. September 2004. Interview mit Georg Milbradt, in: DNN vom 11. August 2004. Ministerpräsident mit dubiosen Methoden auf Stimmenfang, in: Pressemitteilung der PDS-Sachsen vom 10. September 2004. Rede von Peter Porsch im Congress Center Dresden am 23. August 2004. Vgl. Wahlkampfflugblatt der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004: Nazis raus: aus den Köpfen Rede von Peter Porsch vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, S. 8015. Als ausführliche Analyse: Jesse (2005a), S. 80-100.
7.5 Wahlnachlese
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Den Rechtsextremisten gelang mit 9,2 Prozent erstmals nach 1968 der Einzug in einen Landtag. Die PDS verbesserte sich leicht auf 23,6 Prozent. FDP (5,9 Prozent) und Grüne (5,1 Prozent) feierten nach über zehn Jahren Abstinenz ihre Rückkehr ins Landesparlament. Auf die ménage à trois von CDU, SPD und PDS folgte ein für deutsche Verhältnisse rares Sechsparteiensystem. Die hohen Verluste der CDU und der Einzug von drei Kleinparteien zersplitterten die Parteienlandschaft. Die Zahl der effektiven Parteien stieg auf 4,01, die Asymmetrie sank auf einen Abstand von 7,1 Punkten zwischen dem schwarz-roten Regierungs- und dem Oppositionslager. Hingegen verdoppelte sich die Volatilität im Vergleich zu 1999. Der Erfolg der Rechtsextremisten erhöhte die Polarisierung, während sich die hohe Segmentierung nicht verringerte. An die Stelle der alternativlosen CDU-Alleinregierung trat eine unter der arithmetischen Passfähigkeit und der Segmentierung des Parteiensystems alternativlose Koalition aus CDU und SPD.401 Mit 855.203 Zweitstimmen hatte die CDU gegenüber 1999 376.051 Wähler, die Hälfte davon an das Nichtwählerlager, verloren. Jeder vierte CDU-Wähler von 1999 war der Urne ferngeblieben. Hinzu kamen gravierende Nettoverluste an NPD und FDP. Zusätzlich büßte die CDU durch ihren Absturz bei den Jungwählern über 50.000 Stimmen im Saldo aus Erstwählern und Gestorbenen ein.402 Die Partei war flächendeckend eingebrochen, kam in keinem Wahlkreis mehr über 50 Prozent. Ihr deutlicher Zweitstimmenüberhang („Biedenkopf-Bonus“) war verschwunden. Erstmals erzielte sie relativ mehr Erst- als Zweitstimmen. Besonders schmerzlich wog der Verlust von fünf Direktmandaten an PDS und SPD.403 Unter den Christdemokraten herrschte am Wahlabend angesichts der Ergebnisse, speziell aber wegen des Verlusts der alleinigen Regierungsmacht Entsetzen. Anders die Situation der PDS: Sie fuhr mit 490.488 Zweitstimmen ihr bislang bestes Ergebnis ein. Als einzige der drei Großen verbuchte sie gegenüber 1999 absolute Zugewinne, vor allem von der CDU und aus dem Nichtwählerlager. Ihr Resultat wies eine erstaunliche landesweite Streuung auf. In nur noch vier Wahlkreisen lag die Partei unter 20 Prozent. Ihre Direktkandidaten übersprangen in elf Wahlkreisen die 30-Prozenthürde. Dabei setzten sich Dietmar Jung in Hoyerswerda (36,2 Prozent), Karl-Friedrich Zais in Chemnitz (36,8 Prozent) sowie Dietmar Pellmann (32,7 Prozent) und Barbara Höll (31,1 Prozent) in Leipzig gegen ihre CDU-Konkurrenten durch. Der Jubel der Genossen war dennoch gedämpft. Während sie ihr wichtigstes Ziel, das Ende der CDU-Mehrheit, erreicht hatten, zeigten sie sich von ihrer unveränderten Oppositionsrolle enttäuscht. Das Ergebnis der SPD war niederschmetternd. Mit 205.438 Zweitstimmen fiel sie auf das Niveau einer Kleinpartei. Insgesamt verlor sie gegenüber 1999 27.873 Stimmen, vornehmlich an das Nichtwählerlager sowie im Saldo von Erstwählern und Verstorbenen. Die regionalen Ergebnisse bestätigten das Ausmaß der Niederlage. In gerade einmal 26 von 60 Wahlkreisen gelang der SPD ein zweistelliges Resultat. In Teilen Ostsachsens und in der Sächsischen Schweiz näherte sie sich der Fünfprozenthürde. In der Hälfte aller Wahlkreise lagen die Sozialdemokraten hinter der NPD. Der Gewinn des Direktmandats von Gunther Hatzsch im Wahlkreis Leipzig 4, wo die PDS es versäumt hatte einen Kandidaten aufzu-
401 402 403
Vgl. Brümmer (2006), S. 234 f. Für die Wählerwanderung siehe jeweils die Wahlanalyse von Infratest dimap (2004), S. 31. Für die regionale Stimmverteilung siehe die Wahlanalysen von Infratest dimap (2004) und Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2004) sowie die Daten der amtlichen Wahlstatistik.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
stellen, war Zufall, die Tatsache, dass die „geschlagenste SPD aller Zeiten“404 den lang ersehnten Weg in die Regierungsverantwortung fand, war eine Gnade der Statistik. Von sich reden machte die NPD, die mit 190.909 Zweitstimmen ihren Zuspruch von 1999 mehr als versechsfachte. Mit sozialpopulistischen Forderungen hatten die Rechtsextremisten ein diffuses Wählerpotenzial mobilisiert.405 Im Sog der Sozialproteste zogen sie neben zahlreichen Erstwählern abtrünnige CDU-Wähler und bisherige, die Wahl einer linken Protestpartei ablehnende, habituelle Nichtwähler an. Der in Teilen der Bevölkerung vorherrschende Pessimismus, die akute Parteienverdrossenheit, virulente rechtsextremistische Einstellungsmuster, die fehlende Integrationskraft der CDU, die vermeintliche und reale Unfähigkeit des politischen Systems, Missstände zu beseitigen, und die scheinbar einfachen Lösungen der NPD motivierten speziell junge, männliche, formal gering gebildete Wähler zu einem Votum für die braune „Alternative“. Die Wahlentscheidungen folgten 2004 einer Mischung aus strukturellen landesspolitischen und situativen bundespolitischen Faktoren.406 Tonangebend waren Unzufriedenheit und Zukunftsängste. Die bundespolitische Proteststimmung übertrug sich ungefiltert auf die Landesebene. Da für 53 Prozent der Wähler politische Inhalte ausschlaggebend waren (nur 21 Prozent entschieden nach Parteibindung), kehrten Teile von ihnen CDU und SPD wegen deren Haltung zu den Arbeitsmarktreformen den Rücken. Insbesondere die Wahrnehmung der Regierungspartei hatte sich verschlechtert. Die – nach wie vor zwar hohen – Kompetenzzuschreibungen an die CDU fielen geringer aus als 1999. Die Zufriedenheit mit der Landesregierung hatte sich teilweise in eine Zustimmung mangels Alternative verwandelt. Die Zahl derer, die keiner Partei eine Problemlösung zutrauten, erreichte Rekordniveau. Speziell der Einfluss des Amtsinhabers war gesunken. Milbradts Fähigkeit, die eigenen Bekanntheits- und Kompetenzwerte in Stimmen für seine Partei zu verwandeln, war gering. Hatte die CDU bis Anfang 2004 vielen Wählern als Ventil ihrer bundespolitischen Unzufriedenheit gedient, kehrten diese Protestwähler der Partei im Spätsommer wegen der mit der Arbeitsmarktreform Hartz-IV offensichtlich gewordenen informellen Großen Koalition den Rücken zu. Die SPD profitierte davon nicht. Sie war in den Augen der Wähler abermals ungeliebte Bundesregierungspartei und regierungsunfähige Landesoppositionspartei. Sie wies von allen Parteien die höchsten Unzufriedenheitswerte auf, ihr Spitzenkandidat war den meisten Wählern fremd. Einzig für den Kern ihrer Stammwählerschaft blieben die Sozialdemokraten eine Option. Die PDS, von der Mehrheit ebenfalls nicht als Regierungsalternative angesehen, hielt ihre Stammwähler und gewann Protestwähler. Dass für zwei Drittel ihrer Anhänger Sachfragen die Wahl entschieden, gereichte der Partei diesmal zum Vorteil.407 Mit Blick auf die Stimmabgabe nach Alter und Geschlecht (Tabellen 14, 15) verstärkten sich bei PDS und SPD die Trends. Die SPD war die Partei mit der ältesten Wählerschaft. Allein ihre überdurchschnittliche Quote bei den über 60jährigen (13,6 Prozent) verhinderte ihren völligen Absturz. Ähnlich war das Bild bei der PDS. Trotz eines „jungen“ Images verharrte der Zuspruch jüngerer Wählerschichten auf niedrigem Niveau. Nur in den Kohorten über 45 Jahre erzielte sie überdurchschnittliche Ergebnisse. Die klarsten Ver404 405
406 407
Peter Carstens: Ein lichter Nachmittag, in: FAZ vom 26. Juni 2000. Vgl. Markus Klein (2006): Die Wählerinnen und Wähler von NPD und DVU bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am 19. September 2004, in: Winand Gellner/Martin Reichinger (Hrsg.): Deutschland nach der Bundestagswahl 2005, Baden-Baden, S. 99-107, hier S. 102-104. Vgl. Jesse (2005a), S. 96. Vgl. für diesen Absatz Infratest dimap (2004), S. 47, 93.
7.5 Wahlnachlese
303
schiebungen in ihrer Wählerstruktur hatte die CDU. Punktete sie 1999 in fast allen Altersgruppen überdurchschnittlich, gelang ihr dies 2004 einzig bei den über 60jährigen Wählern (45,3 Prozent). In allen übrigen Gruppen kam die Partei nicht über 40,0 Prozent. Da die Wahlbeteiligung bei den über 60jährigen stark eingebrochen war (-6,2 Punkte), verbuchte die CDU hier gleichsam ihre höchsten absoluten Verluste. Das höchste relative Minus ging auf das Konto der Jungwähler, deren Zuspruch an die CDU sich fast halbierte. Ein Grund: Rund ein Drittel der unter 35jährigen wählte eine Kleinpartei. Die deutlichsten Entwicklungen vollzogen sich bei Arbeitern und Arbeitslosen. So fiel die SPD bei Arbeitslosen gegenüber 1999 von 12 auf 7, die CDU gar von 50 auf 23 Prozent. Indes steigerte die PDS hier ihre Akzeptanz auf weit überdurchschnittliche 36 Prozent, die NPD erzielte 18 Prozent. Die Arbeiter versagten den Christdemokraten ihre bisherige Gunst. Hatte die CDU hier stets über 60 Prozent erringen können, fiel sie nun auf 40 Prozent zurück. Die SPD erzielte mit 8 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis. Prozentual wählten sie 2004 mehr Landwirte als Arbeiter! Die konfessionelle Bindung spielte ihre gewohnte Rolle. Während die PDS bei den Konfessionslosen überdurchschnittlich punktete, wählten Protestanten und Katholiken mit (nicht mehr ganz so) großer Mehrheit CDU (Tabellen 16, 17). Bei der regionalen Wählerverteilung kam es zu deutlichen Modifikationen (Tabelle 18).408 Auf den ersten Blick schnitt die CDU nach dem üblichen Muster ab – unterdurchschnittlich bei hoher, überdurchschnittlich bei niedriger und mittlerer Bevölkerungsdichte. Erzielte sie in den Erzgebirgswahlkreisen rund 45 Prozent, hatte sie mehr denn je in Chemnitz (37,3 Prozent) und Leipzig (33,4 Prozent) Probleme. Schwerste Verluste erlitt sie im ostsächsischen Raum. Ihre Hochburgen schrumpften auf das Gebiet zwischen Freiberg und Aue, das Dreieck Mittweida-Döbeln-Meißen, das Osterzgebirge, die Sächsische Schweiz. Wie zuvor punktete die SPD speziell in Leipzig (16,8 Prozent) und Chemnitz (11,7 Prozent), während sie in Gebieten mit niedriger und mittlerer Bevölkerungsdichte unterdurchschnittlich abschnitt. Dresden erwies sich u. a. wegen der mit 11,1 Prozent starken Grünen einmal mehr als Schwachpunkt. Die regionale Wählerverteilung der SPD schärfte 2004 ihre Konturen. Ihre „Hochburgen“ verschoben sich gänzlich in den Plauener und Leipziger Raum. Östlich der Flüsse Zschopau und Mulde verbuchte sie, mit wenigen Ausnahmen (wie Hoyerswerda), durchweg schlechte Resultate. Hingegen war die regionale Varianz der PDS am geringsten. Ihre Ergebnisse in Wahlkreisen mit niedriger und mittlerer Bevölkerungsdichte unterschieden sich kaum von ihrem landesweiten Resultat. Einzig in stark bevölkerten Wahlkreisen punktete die Partei über Durchschnitt. Eine Besonderheit barg das PDS-Ergebnis. Obwohl sie landesweit an Stimmen gewann, verlor sie, wohl maßgeblich bedingt durch das Erstarken der Grünen, an Zuspruch in ihren urbanen Hochburgen. Dennoch lagen hier ihre höchsten Resultate (z. B. Hoyerswerda mit 32,2 Prozent).
7.5.2 Entwicklung nach der Wahl Der Sächsische Landtag erlebte 2004 eine Zäsur. Im Plenum saßen nun sechs Fraktionen und erstmals mehr als 120 Abgeordnete. Die CDU verzeichnete wegen ihrer 55 Direktmandate zwei Überhangmandate, PDS (31) und SPD (13) bekamen je ein Ausgleichsmandat (Tabelle 13). Die Grünen erhielten sechs, die Liberalen sieben und die Nationaldemokraten 12 Sitze. Wegen des Verlusts von über einem Viertel ihrer Abgeordneten verschoben sich 408
Vgl. zudem Infratest dimap (2004), S. 38-44.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
nicht nur Mandatsverhältnis und Ausschussbesetzung zuungunsten der CDU. Gravierend war auch der personelle Kompetenzverlust. Die Fraktion bestätigte am 13. Oktober 2004 Fritz Hähle als Vorsitzenden. Parlamentarischer Geschäftsführer wurde Heinz Lehmann. Die schon am Wahlabend geäußerte Kritik an Milbradt und dessen Generalsekretär intensivierte sich. Funktionäre und Kreisverbände tadelten die in ihren Augen fehlerbehaftete Wahlkampfführung, legten Winkler den Rücktritt nahe oder lasteten Milbradt die Niederlage an.409 Vonseiten der Jungen Union erfolgte eine überraschend offene Manöverkritik, die „spezifisch sächsische Ursachen“ erkannte. Die Partei habe es nicht vermocht, „eine vertrauenswürdige und für den Wähler nachvollziehbare Position aufzubauen und entsprechend zu kommunizieren“. Der Wahlkampf sei vornehmlich als „Privatangelegenheit“ der Direktkandidaten, mit zu wenig Engagement für die Partei geführt worden.410 Milbradt besänftigte die „Sächsische Union“ auf dem Sonderparteitag am 6. November 2004 und beauftragte eine Kommission mit der Erarbeitung von Reformvorschlägen sowie Regionalkonferenzen und einen Sonderparteitag mit der Wahlauswertung. Die PDS-Fraktion begann unverzüglich mit dem Tagesgeschäft. Die 31 Abgeordneten bestätigten Peter Porsch als Fraktionsvorsitzenden. Parlamentarischer Geschäftsführer blieb André Hahn. Der infolge der Stasi-Debatte angeschlagene Porsch bekundete, den Fraktionsvorsitz noch innerhalb der Legislaturperiode abzugeben. Er hatte an Macht und Führungsstärke eingebüßt.411 In der Partei brach unmittelbar nach der Wahl die Kritik über die angeblich undemokratische und unausgewogene Listenbesetzung wieder durch. Die parteilose Dresdner Stadtverordnete Barbara Lässig startete gar eine Wahlanfechtungsklage. Hinsichtlich ihrer politischen Arbeit ging die PDS davon aus, dass in Anbetracht der neuen Verhältnisse die Rolle der Oppositionsführerin gegen drei andere Oppositionsparteien neu erstritten werden müsse. In Form einer „sozialistischen Opposition“ müsse die PDS gegen die „Notgemeinschaft“ der Staatsregierung eine eigene, die Regierungsfähigkeit der Partei untermauernde „Gegenkonzeption“ präsentieren. Sie betonte abermals: „Wir haben den Willen und die Fähigkeit, die Probleme des Landes zu lösen. Wir sind bereit, die Regierungsverantwortung zu übernehmen.“412 Die auf 13 Abgeordnete geschrumpfte SPD-Fraktion bestätigte am 7. Oktober einstimmig Thomas Jurk als Fraktionsvorsitzenden und Gisela Schwarz als Parlamentarische Geschäftsführerin. Zudem nominierten die Sozialdemokraten Gunther Hatzsch für das Amt des Landtagsvizepräsidenten. Gegen die Kritik der Opposition hatten sich CDU und SPD auf den neugeschaffenen dritten Stellvertreterposten geeinigt und die Geschäftsordnung geändert. Jurk, bislang kommissarischer Landesvorsitzender, wurde von den Delegierten des Landesparteitags am 6. November mit 88 Prozent bestätigt. Nach seinem Amtsantritt als Wirtschaftsminister kündigte er Mitte Dezember 2004 an, er wolle ein besonderes Augenmerk auf die strukturschwachen sächsischen Regionen legen und die bisherige „Leuchtturmpolitik“ zur Debatte stellen. Jurk pochte im Wesentlichen auf die Umsetzung der wirtschaftspolitischen SPD-Programmpunkte.413 409
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411 412
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Vgl. Hubert Kemper: CDU-Kreisvorstand will Generalsekretär entmachten, in: FP vom 1. Oktober 2004; Reiner Burger: Sachsen als Vorreiter für ein „modernes Deutschland“, in: FAZ vom 4. November 2004. Vgl. Roland Wöller u. a.: Analyse der Landtagswahl 2004 in Sachsen. Vorschläge für ein erfolgreiches Wahlkampfmanagement und eine moderne Parteiarbeit vom 30. Oktober 2004 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vgl. Hubert Kemper: Lustvolles Ringen um die eigenen Interessen, in: FP vom 17. Dezember 2004. Antrag „Die nächsten Aufgaben der PDS Sachsen“ des Landesvorstands an die 3. Tagung des 8. Landesparteitags vom 2. November 2004 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Stefan Melle: Jurk will schwachen Regionen helfen, in: SZ vom 12. Dezember 2004.
7.5 Wahlnachlese
305
Für eine Mehrheit in dem auf 124 Abgeordnete angewachsenen Landtag benötigten die Christdemokraten 63 Mandate, also acht über dem eigenen Anteil. Der knappe Einzug der Grünen sowie die beiden an SPD und PDS ergangenen Ausgleichsmandate verhinderten eine schwarz-gelbe Regierungsmehrheit. Was die Berliner CDU-Führung schmerzte, kam den sächsischen Christdemokraten durchaus gelegen, galt doch die selbsternannte „bürgerliche Protestpartei“ FDP nach zehn Jahren Landtagsabstinenz als nicht ministrabel.414 Dem „natürlichen“ Koalitionspartner der Christdemokraten fehlte es personell wie konzeptionell an Koalitionsfähigkeit. Da die Grünen einer Zusammenarbeit mit der CDU vorab eine deutliche Absage erteilt hatten, stand bereits am Wahlabend eine schwarz-rote Koalition fest. Wohlgemerkt wegen der erheblichen Asymmetrie zwischen CDU und SPD keine „übliche“ Große Koalition. Von den Medien als „Koalition der Verlierer“415 gebrandmarkt, war es in erster Linie eine „Koalition der Vernunft“416, trat doch an die Seite der erfahrenen Regierungspartei eine seit 1990 einen seriösen Regierungsanspruch pflegende Oppositionspartei. Der SPD bot die Regierungsbeteiligung – so Thomas Jurk – die „historisch einmalige Chance, an die große Tradition der SPD in Sachsen anzuknüpfen“.417 Die CDU verlor an Dominanz im politischen System. Nach einer langen Regierungsformierung zeigten sich besonders die Sozialdemokraten mit der Koalitionsvereinbarung vom 8. November, in der sie der CDU die Ressorts Wirtschaft und Arbeit sowie Wissenschaft und Kunst abgerungen hatten, zufrieden. In den christdemokratischen Reihen stieß der Verlust der „Zukunftsressorts“ auf Kritik.418 Der Koalitionsvertrag419 wies bei einer christdemokratischen Handschrift sozialdemokratische Einsprengsel auf. Da sich beider Konzeptionen im Bereich Wirtschaft ähnelten, lagen hier ihre Positionen auf Augenhöhe. Den Punkt Arbeit entschied die CDU durch nebulöse Kompromisse für sich. Im Bereich Bildung blieb das Ressort in CDU-Hand, die Schulpolitik war von christdemokratischer Diktion. Experimentierklauseln für Gemeinschaftsschulen und einen späteren Übergang zum Gymnasium beruhigten die SPD ebenso wie die in ihrem Sinne gestaltete vorschulische Bildung. Das neun Ressorts umfassende Kabinett enthielt bekannte Gesichter. Umwelt- und Landwirtschaftsminister Steffen Flath wechselte auf den Posten des Kultusministers. Seine Nachfolge trat der bisherige Staatskanzleichef Stanislaw Tillich an. Neuer Chef der Staatskanzlei wurde Hermann Winkler.420 Thomas de Maizière folgte Horst Rasch als Innenminister. Justizminister wurde der bisherige Justiz-Staatssekretär Geert Mackenroth. Horst Metz blieb Finanzminister, Helma Orosz Sozialministerin. Zur neuen Ministerin für Wissenschaft und Kunst berief Milbradt die Chemnitzer Sozialdezernentin Barbara Ludwig (SPD), Minister für Wirtschaft und Arbeit wurde Thomas Jurk (SPD). Seine Nachfolge als SPD-Fraktionsvorsitzender trat Cornelius Weiss an. Hatte Kurt Biedenkopf Minister ohne Mandat bevorzugt, verfügten mit Ausnahme von Ludwig und Mackenroth im zweiten Kabinett Milbradt alle Minister über einen Landtagssitz. Neu war, dass kein Vertreter der 414 415 416
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Vgl. Bernhard Honnigfort: Mit dem Kopf unterm Arm, in: FR vom 21. September 2004. FP: Sachsen bekommt Koalition der Verlierer, in: FP vom 21. September 2004. Georg Milbradt zitiert in: Sven Heitkamp: Milbradt: Keine Liebesheirat, aber Koalition der Vernunft, in: Lausitzer Rundschau vom 29. September 2004. Thomas Jurk zitiert in: Reiner Burger: Milbradt beruhigt die CDU, die SPD schöpft Hoffnung, in: FAZ vom 8. November 2004. Vgl. ebd.; Hubert Kemper: CDU-Fraktion kritisiert den Verlust des Wirtschaftsressorts, in: FP vom 4. November 2004. Vgl. Vereinbarung zwischen der CDU, Landesverband Sachsen und der SPD, Landesverband Sachsen über die Bildung der Staatsregierung für die 4. Legislaturperiode des Sächsischen Landtages, Dresden 2004. Neuer CDU-Generalsekretär wurde der Görlitzer Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer.
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Sächsischer Landtagswahlkampf 2004
früheren CDU-Reformer in die Regierungsmannschaft gelangte, wohl aber vier ehemalige Mitglieder der Block-CDU (Flath, Tillich, Winkler, Metz). Bei der Wahl des Ministerpräsidenten am 10. November 2004 kam es zu einem Eklat. Milbradt erzielte im ersten Wahlgang anstatt der benötigten 63 nur 62 Stimmen. Hingegen verbuchte der Kandidat der NPD bei nur 12 NPD-Abgeordneten 14 Stimmen. Von den 67 anwesenden Abgeordneten der Regierungsfraktionen hatten mindestens fünf nicht für Milbradt gestimmt. Als sich das Ergebnis im zweiten Wahlgang wiederholte, war Milbradt zwar gewählt, der Start der ersten Regierungskoalition im Freistaat Sachsen aber nicht vertrauensvoll.421
421
Vgl. Reiner Burger: Milbradts Makel, in: FAZ vom 11. November 2004.
8 Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
8.1 Konzeptioneller Rahmen 8.1.1 Wahlkampforganisation 8.1.1.1 Temporäre Wahlkampforganisationen Alle Parteien wiesen im Untersuchungszeitraum landeseigene temporäre – strukturell und rollenbedingt unterschiedliche – Wahlkampforganisationen auf. Ein arbeitsfähiges Organisationsnetzwerk aus Kreis- und Ortsverbänden sowie mit parteiorganisatorischen Abläufen gut vertraute Funktionäre sicherten der früheren Blockpartei von Beginn an eine relative Überlegenheit.1 Dennoch war der sächsische CDU-Landesverband 1990 wegen fehlender Wahlkampferfahrung nach westdeutschen Standards wahlkampfuntauglich, in Fragen der Kampagnenorganisation und -führung regelrecht ahnungslos.2 Abhilfe schuf die professionelle Unterstützung durch die Bonner Bundesgeschäftsstelle und die baden-württembergische CDU. In der Folge führte die strukturelle Festigung der Landespartei zu autonomen Wahlkampforganisationsmustern. Die technische Wahlkampfleitung lag formell in den Händen der Landesgeschäftsstelle, wurde informell unterstützt durch die Landtagsfraktion. Die Kreisgeschäftsstellen und die Direktkandidaten setzten den Wahlkampf regional um. Entsprechend lag die Stärke der CDU auf Wahlkreisebene. Die von der Staatsregierung und der Fraktion dominierte Parteiführung, die personell eher dünn besetzte Landesgeschäftsstelle und die teils inaktive Parteibasis erhöhten die Stellung der organisatorischen Mittelebene. Besonders die dezentral konzipierten und geführten Kampagnen der Direktkandidaten bildeten das Fundament der CDU-Wahlkämpfe. Die politische Wahlkampfleitung war ab 1994 komplex. Eine zentrale Strategiegruppe integrierte personell Partei, Fraktion und Staatskanzlei. Wahlkampfleiter waren die Generalsekretäre. In Verbindung mit den Landesgeschäftsstellenleitern, Teilen des Landesvorstands, den Parteipressesprechern, ausgewählten Kreisfunktionären sowie Verantwortlichen aus Fraktion und Staatskanzlei oblag ihnen die politisch-strategische Wahlkampfkonzipierung und -führung. Die ehemalige Staatspartei PDS startete 1990 ebenfalls aus vorteilhafter Position. Die frühe Reorganisation ihrer Bezirke schuf, trotz struktureller Konsolidierungsbelastungen, arbeitsfähige Strukturen. Langjährige, organisationserfahrene Funktionäre, kundig im politischen Geschäft, verliehen den Postkommunisten einen gewissen personellen „Kenntnisund Kompetenzbackground“.3 Dem standen mehrheitlich ungeübte, im öffentlichen Auftreten oft unprofessionelle Kandidaten gegenüber.4 Die formale Wahlkampforganisation der Landespartei entsprach 1990 in Grundsätzen jener der Folgejahre. Eine Landeswahlleitung 1 2 3 4
Vgl. Interview mit Klaus Reichenbach am 10. Januar 2006. Vgl. Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006. Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006; auch Interview mit Werner Glaesel am 22. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Bernd Rump am 24. Januar 2006.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
erarbeitete in Kooperation mit dem Landesvorstand die strategische Kampagnenkonzeption. Ein Landeswahlbüro realisierte diese zusammen mit der interregional vernetzten Kreisebene.5 In der Folge konzipierte die AG „Wahlen“ unter Führung des Landesvorstands die strategisch-inhaltliche Ausrichtung der Kampagne. In personeller Verbindung mit der Landtagsfraktion und dem „Wahlstab“ um den Spitzenkandidaten, der die politisch-strategische Konzeption des Wahlkampfes, speziell der Kandidatenkampagne mitbestimmte, bildeten sie die politische Wahlkampfführung. Die technische Leitung oblag dem in der Landesgeschäftsstelle, 2004 im externen Wahlkampfzentrum („WahlFabrik“) angesiedelten Landeswahlbüro. Zudem waren die strategischen, organisatorischen und kommunikativen Vorlagen des Berliner Wahlbüros essenziell. Kreisverbände sowie Listen- und Direktkandidaten nahmen in unterschiedlichem Umfang die regionale Ausgestaltung der Wahlkämpfe vor. Ab 1998/99 hatte die PDS zudem regionale Wahlkreiszentren bzw. Wahlkampfbüros errichtet.6 Konträr dazu spiegelte die SPD-Wahlkampforganisation die Strukturschwächen der Landespartei wider. Die Neugründung musste 1989/90 mit umfassender Hilfe der SPDWest (speziell der nordrhein-westfälischen Bezirke) zunächst Strukturen bilden, Personal und Mitglieder gewinnen.7 Anders als ihre „alteingesessene“ Konkurrenz verfügte sie nur über rudimentäre Kommunikationsnetzwerke. Bestand die provisorische politische Wahlkampfleitung aus Mitgliedern des SPD-Landesvorstands sowie der Spitzenkandidatin und deren Mitarbeitern, lag die technische Wahlkampfleitung bei der Landesgeschäftsstelle, unterstützt durch eine sächsisch/nordrhein-westfälische Wahlkampfkommission. Ab 1994 fiel die technische Wahlkampfleitung auf die Landesgeschäftsstelle. Unter der Ägide der Geschäftsführer, der politischen Wahlkampfleiter sowie externer Wahlmanager organisierte und führte sie zentral, unterstützt durch die Bundespartei, den Wahlkampf. Den Unterbezirken oblagen die regionale Wahlkampforganisation und -koordination.8 Die politische Wahlkampfleitung folgte nach 1990 einem grundlegenden Muster: der Landesvorstand und ein ihm eng angebundener Wahlkampfstab, bestehend aus Vertretern der Partei und der Fraktion, fungierten als strategische Entscheidungsorgane, konzipierten und führten als operative Zentren die Hauptkampagnen.9 Angeregt vom Bundestagswahlkampf 1998 setzte die SPD 1999 auf eine ausgegliederte Wahlkampfzentrale („Sachsen-Kampa“). Dies scheiterte u. a. an der Kommunikationshoheit der CDU oder der Landesmedienstruktur, die eine wirksame Instrumentalisierung verhinderte, sowie an der eigenen finanziellen und personellen Schwäche. 2004 kehrte die Partei zu einer integrierten Wahlkampfzentrale zurück. Die temporären Wahlkampforganisationen unterschieden sich demnach strukturell – vornehmlich in ihrem Dezentralisierungsgrad. Die CDU organisierte ihre Wahlkämpfe mit Schwerpunkt auf der für die Konzeption und Umsetzung der Kampagne verantwortlichen Landesorganisation sowie den mit der regionalen Realisierung der zentralen Kampagne und der eigenen Wahlkampfführung betrauten Direktkandidaten. Weniger wahlkreisbezogen agierte die PDS. Hier dominierte (vor allem zum Schluss) das Landeswahlbüro die generelle Ausrichtung des Wahlkampfes, flankiert von den mehr oder weniger selbstständigen 5
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Vgl. Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005; Landesvorstand Sachsen der PDS: Beschlussprotokoll über die Landesvorstandssitzung am 4. August 1990 (Archiv des PDS-LV Sachsen). Vgl. Interview mit Ingrid Mattern am 24. Januar 2006; Interview mit Rico Gebhard am 11. Januar 2006. Vgl. Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006. Vgl. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006; Interview mit Frank Herschmann und Jürgen Lommatzsch am 2. Februar 2006. Vgl. Interview mit Rolf Schwanitz am 20. Februar 2006.
8.1 Konzeptioneller Rahmen
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Kreisorganisationen. Beiden entgegen stand die überwiegend zentrale Organisation der SPD, maßgeblich bedingt durch die schwache regionale Verankerung der Partei. Deutlich wurden die zeitlichen Unterschiede. Trug die CDU-Wahlkampforganisation – der komprimierten Kampagnenführung der Regierungspartei geschuldet – durchweg kurzfristige Züge, bediente sich die PDS vornehmlich mittelfristig angelegter Wahlkampforganisationen. Längere Bestandsdauern sollten 1994 und 1998/99 Synergieeffekte zwischen den Kampagnen erzielen und Funktionsweise sowie Aufbau der Organisation im Verlauf optimieren. Die SPD versuchte einzig 1998/99 einen mittelfristigen organisatorischen Spannungsbogen von der Bundestags- zur Landtagswahl zu konstruieren, richtete ihre Wahlkampforganisation ansonsten aber eher kurzfristig aus. Den Ausnahmewahlkampf 1990 prägten mangelhafte Organisationstrukturen und eine „hochgradig amateurhafte“10, in ihrem Charakter einzigartige Kampagnenarbeit. CDU und SPD waren zu einer landesweiten Kampagnenorganisation nur bedingt in der Lage. Daraus resultierend organisierten und führten die Wahlkreiskandidaten eigenständige Wahlkämpfe mit zuweilen „primitiven Mitteln“11. Verlangten die zentralen Konzepte der PDS professionell organisierte Aktivitäten, war die Partei auf Wahlkreisebene ohne einheitliches Kommunikations- und Organisationskonzept.12 Auch ihre Kandidaten improvisierten. Die unbzw. semiprofessionelle Kampagnenarbeit hielt bis 1994. Während die PDS nur begrenzt über eine autonome Wahlkampforganisation verfügte, führten CDU und SPD ihren ersten organisatorisch eigenständigen Landtagswahlkampf. Ihre Parteibasen waren dennoch kaum wahlkampferfahren, die Parteien (weniger die CDU und mehr die SPD) noch immer nicht vollständig kampagnenfähig.13 Das änderte sich erst 1999. Unter Rückgriff auf die in Kapitel 3.2.1 angeführten Arten der „simultanen Konfliktund Kooperationsbeziehungen“14 zwischen temporären Kampagnensystemen und ihrer Umwelt stechen zwei Zusammenhänge hervor. Zum einen dominierte bei allen Akteuren eine enge personelle Anbindung sowie eine kontinuierliche Rückkopplung zwischen der temporären Wahlkampforganisation und dem permanenten System Partei. Allein die Parallelität zwischen Vorstand, Wahlleitung und Wahlbüro bei der PDS 1990, die durch das Mitwirken der Fraktion partiell der Partei entzogene Wahlkampforganisation der CDU und die „Sachsen-Kampa“ der SPD 1999 verhielten sich abweichend. Zum anderen verfehlt die Annahme, die „systematische und kontinuierliche Beobachtung der politischen Konkurrenz“ gehöre zum „Handwerkszeug jeder Wahlkampagne“15, die Organisationsrealität der untersuchten Landtagswahlkämpfe. Eine geschlossene Gegneranalyse war in der operativen Kampagnenumsetzung aus vornehmlich finanziellen Gründen unmöglich. 16 Der flache, weithin traditionellen Mustern folgende Aufbau der Wahlkampforganisationen, der alle Parteiebenen mit der technischen Kampagnenumsetzung auslastete, verhinderte dies. So konterkarierte etwa das schwache materielle Fundament der SPD-„Sachsen-Kampa“ die
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So das Urteil von Michael Lersow. Vgl. Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006; auch Interview mit Hans-Jürgen Richter am 10. Februar 2006; Interview mit Wolf-Dieter Beyer am 21. November 2005. Vgl. Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Pawelka (1974), S. 37. Vito Cecere (2002): Man nennt es Oppo, in: Althaus (Hrsg.), S. 65-80, hier S. 67. Tenscher sieht darin ein Merkmal von Nebenwahlkämpfen. Vgl. Tenscher (2007), S. 77.
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typische Angriffs- und Konterkampagnenführung eines „war-rooms“.17 Ferner durchkreuzte die Kommunikations- und Medieninfrastruktur breite Konkurrenzbeobachtungen. Die meisten Wahlkampfauseinandersetzungen fanden im Betrachtungszeitraum jenseits der leicht zu sondierenden Medienöffentlichkeit statt. Alle Parteien kompensierten ihren Malus in der Gegneranalyse partiell durch personelle Fraktionsressourcen.18 Zusammengenommen wiesen die Wahlkampforganisationen vorrangig traditionelle und moderne Merkmale auf. Eine postmoderne Kampagnenorganisation und -führung, mit dauerhaft angelegten, ausgelagerten Strukturen, einer von der Parteiführung gelösten, professionellen Wahlkampfleitung und einer kontinuierlichen Kampagnenführung gab es nicht. Alle Akteure setzten auf temporäre Organisationen und unterstellten die Kampagnenplanung und -führung einer eng an die Parteispitze angebundenen Wahlkampfleitung. Die Ansätze von SPD (1999) und PDS (2004), den Wahlkampf aus einer „ausgelagerten“ Organisation heraus zu führen, waren allein bei der PDS erfolgreich. Deren teilweise regionalisierten Kampagnen folgten weniger einer (postmodernen) lokal abgestimmten Planung als vielmehr der dezentralen Umsetzung zentraler Entwürfe. Auch die Wahlkampfführung der CDU basierte trotz der mitunter professionell konzipierten Direktwahlkämpfe weniger auf einer (postmodernen) konzeptionellen Regionalisierung als vielmehr auf flächendeckend entworfenen, aber dezentral umgesetzten Kampagnen. Die SPD organisierte ihre Wahlkämpfe primär zentral. Nachgelagerte Ebenen hatten vornehmlich eine ausführende Funktion. Nicht zuletzt bewirkten die eingeschränkten, für eine flächendeckende Wahlkampfführung aber ausreichenden Budgets (von Ausnahmen abgesehen) eine Konzentration auf traditionelle und moderne Kampagnenformen.19 Für eine zielgruppenorientierte, medienkonzentrierte Wahlkampfkommunikation, ein umfassendes Medienmanagement oder eine ausgreifende Dauerorganisation fehlten den Parteien die Mittel. Vollständig durch Agenturen konzipierte und umgesetzte Landtagswahlkämpfe waren unerschwinglich, kontinuierliche demoskopische Erhebungen ebenso. Der finanzielle Löwenanteil floss in traditionelle Wahlwerbung und in die Ausrichtung von Großveranstaltungen.
8.1.1.2 Rolle der Landtagsfraktionen und der Staatskanzlei Das in Kapitel 3.2.1 angenommene indirekte Geflecht zwischen den parteilichen Wahlkampforganisationen und den Landtagsfraktionen (die These war, diese spielten bei der strategischen und organisatorischen Konzeption und Umsetzung der Wahlkämpfe eine Rolle) bestätigte sich für alle untersuchten Fälle ab 1994. Insbesondere nutzten die Parteien sachpolitische wie personelle Ressourcen und entsprachen somit in unterschiedlichem Maße dem Bild von den ostdeutschen „Fraktionsparteien“ (Kapitel 2.1.3). Den Christdemokraten diente ihre Fraktion als ein organisatorisches Drehkreuz für die Kampagnen der mehrheitlich mandatierten Direktkandidaten. Beispielsweise hielt die CDU seit 1994 ihre „Kandidatentreffen“ zur Wahlkampfvorbereitung in den Fraktionsräumen ab, berichtete hier über die politische Lage, die Strategie oder die Wahlkampfgestaltung. Ferner 17
18
19
Martin Gerster bemerkt treffend: „Die Folgerung, eine Wahlkampfzentrale mit jungen Leuten sorge allein und automatisch für einen Wahlsieg, erweist sich aber als Trugschluss. Auch in Sachsen gründete die SPD 1999 eine Kampa mit vielen jungen engagierten Leuten – vergeblich.“ Gerster (2002), S. 37. Mehrere Interviewpartner bestätigen die Unterstützung der Fraktionen bei der (vor allem inhaltlichen) Analyse der politischen Gegner vor, während und nach den Landtagswahlen. Ähnlich das Urteil bei Tenscher (2008), S. 117.
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bot die Fraktion der Partei im Wahlkampf als sachpolitisches Refugium inhaltliche Unterstützung. Relevant war die Fraktion (speziell deren Geschäftsführer) zudem bei der Wahlkampfkonzeptionierung. Die Landesgeschäftsstelle, so einige Interviewpartner, habe nie über die notwendige Kreativität für eine erfolgreiche Wahlkampfkonzeption verfügt und kaum Autorität gegenüber den Mandatsträgern besessen. Sie habe sich auf die Rednereinsätze, die Plakatkampagne und den Wahlkampf des Spitzenkandidaten beschränkt. Eine andere Rolle bekleidete die Staatskanzlei.20 Zentrale Figur war hier in den 1990er Jahren Michael Sagurna. Als Strategie- und Kommunikationsberater unterstützte er ehrenamtlich den Wahlkampf der CDU, als Regierungssprecher leitete er hauptamtlich die Außenkommunikation des Ministerpräsidenten. Der Amtsinhaber war im Wahlkampf zum einen funktional an sein Amt gekoppelt, was organisatorische Absprachen zwischen Landesgeschäftsstelle und Staatskanzlei erforderte. Zum anderen deckte sich die Außendarstellung des Ministerpräsidenten stets mit der des wahlkämpfenden Spitzenkandidaten. Der CDU kamen die öffentlichkeitswirksame Stellung des Amtsinhabers, das Kommunikationspotenzial des Regierungsapparats und die personellen Schnittmengen zwischen ihren Führungsgremien, der Wahlkampfleitung und den Mitgliedern und Mitarbeitern von Regierung und Fraktion zugute.21 Auf Basis der Daten stellt sich die Rollenverteilung derart dar, dass die Fraktion aus politischen Opportunitäten, die Staatskanzlei aus organisatorischen Notwendigkeiten heraus bei der Organisation der Landtagswahlkämpfe bedeutsam waren. Die Sozialdemokraten bedienten sich vor allem der fachlichen Ressourcen ihrer Fraktion. Ferner nutzten sie diese, um ihren Spitzenkandidaten zu popularisieren. Die Besetzung der Wahlkampfleitung zielte stets auf einen umfassenden personellen Verbund zwischen Partei- und Fraktionsführung. Beispielsweise beauftragte der Landesvorstand 1999 nicht Generalsekretär Joachim Schulmeyer mit der Wahlkampfleitung, sondern den Parlamentarischen Geschäftsführer Peter Adler. Spitzenkandidat Karl-Heinz Kunckel verband als Fraktions- und Parteivorsitzender beide Instanzen. Dass der im Bereich der Wahlkampfleitung angesiedelte Programmstab zum Teil aus den Arbeitskreisleitern der Fraktion bestand, komplettierte das Bild. Auch in technischer Hinsicht setzte die SPD auf eine personelle Verquickung zwischen Fraktion und Partei, so ein Interviewpartner. Ferner kompensierte die Fraktion Kunckels fehlende exekutive Basis, etwa indem sie 1993/94 seine „Sachsentouren“ trug.22 2004 verschoben sich die Gewichte wegen der beschränkten Fraktionsressourcen stärker in Richtung Landes- und Bundespartei. Einzig die programmatische Fundierung lief größtenteils über die Fraktionsreferenten. Die Wahlkampftour des Spitzenkandidaten war wegen dessen Fraktionsvorsitzes ein logistisches „Gemeinschaftsprodukt“ von Fraktion und Landesgeschäftsstelle.23 20
21
22 23
Vgl. auch zur sächsischen Staatskanzlei: Klaus König (1997): Aufbau der Landesverwaltung nach Leitbildern, in: Hellmut Wollmann u. a. (Hrsg): Transformation der politisch-administrativen Strukturen in Ostdeutschland, Opladen, S. 223-258, hier S. 240. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Inwieweit seitens der Staatskanzlei Einfluss auf die Ausgestaltung der Wahlkampforganisation, die Aufstellung der Landesliste, die strategische und taktische Ausrichtung des Wahlkampfes oder auf die thematische Schwerpunktsetzung genommen wurde, ist in diesem Rahmen nicht zu erhellen. Steffen Flath betont die Trennung zwischen Landesgeschäftsstelle und Staatskanzlei. „Die ganze strategische Planung fand in der Landesgeschäftsstelle statt und nicht, wie immer behauptet wird, in der Staatskanzlei. Natürlich habe ich den Regierungssprecher hinzugezogen, das ist doch logisch. Aber er hat nie als Angestellter der Staatskanzlei die strategische Leitung gehabt.“ Interview mit Steffen Flath am 21. Dezember 2005. Vgl. Kurzprotokoll der SPD-Landesvorstandssitzung am 28. März 1994. Dies bestätigen zwei SPD-Interviewpartner.
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Die Postkommunisten nutzten ihre Landtagsfraktion neben einer personellen und programmatischen Mithilfe speziell für ihre projektbezogenen Kampagnenstrategien. So war die im Wahlkampf 1994 instrumentalisierte Unterschriftenaktion ein personelles wie materielles Gemeinschaftsprojekt von Partei und Fraktion. 2004 bediente die Landespartei für ihre Hartz-IV-Kampagne in großem Umfang Ressourcen der Fraktion. Obwohl diese 2004 mit ihrem „Aleksa“ eine programmatische Wahlkampfgrundlage lieferte, stand sie wegen der erheblichen Differenzen zwischen Partei und Fraktion erstmals beim Erstellen des Wahlprogramms außen vor. Anders als bisher entzogen sich Teile der Kampagne der Mitwirkung durch die Fraktion. Laut einem PDS-Interviewpartner galt bis dahin: „Wir haben die parlamentarische Schiene der Politik und wir haben das, was man als Parteipolitik versteht. Es gab auf Parteitagen immer tolle Diskussionen, dort herrschte das Visionäre. Relativ abgekoppelt von diesem Visionären wurde in der Landtagsfraktion der Landtagswahlkampf vorbereitet.“ Für den Spitzenkandidaten war die Fraktion in den Wahljahren 1994 und 1999 weniger bedeutsam als die Partei. 2004 dominierte seine Rolle als Fraktionsvorsitzender, was eine stärkere organisatorische Verkettung nach sich zog.
8.1.1.3 Rolle der Bundesparteien Der Einfluss der Bundesparteien auf die Landeswahlkampforganisationen hing von drei Faktoren ab: der Organisationsqualität, der Souveränität des Landesverbands und der bundespolitischen Relevanz der Wahl. Grundsätzlich griffen die Landesparteien dann auf eine intensive Unterstützung durch ihre Bundespartei zurück, wenn eigene organisatorische, finanzielle oder personelle Schwächen dies erzwangen. Rückte die Wahl in einen für die Bundespartei wichtigen Kontext, unterstützte diese die Landesverbände über die Maßen. So nahmen 1990 alle Akteure die organisatorischen Ressourcen der übergeordneten Ebenen aus den genannten Gründen in Anspruch. Nachfolgend divergierten die Verflechtungen. Im Zuge des drohenden Absturzes der Bundes-CDU und des organisatorischen Erstarkens der „Sächsischen Union“ kappte diese 1994 alle wahlkampforganisatorischen Verbindungen nach Bonn. Unter Biedenkopfs Führung setzte die Landespartei auf organisatorische Autonomie, die sie fortan beibehielt. Wahlkampforganisation und -führung von SPD und PDS waren zwar prinzipiell eigenständig, wiewohl unterschiedlich stark mit den übergeordneten Ebenen verwoben. Besonders die Sozialdemokraten setzten in allen Wahlkämpfen auf die Mithilfe ihrer Mutterpartei. Nach ihrer organisatorischen Anfangsschwäche hatte sich die Landespartei 1994 konsolidiert. Die Bundes-SPD leistete nur noch ausgewählte Unterstützung.24 Nach einem verhältnismäßig autonomen Wahlkampf 1999 war die Bundespartei 2004 wegen des desolaten Zustands der sächsischen SPD zu einer umfassenden Nothilfe gezwungen.25 Bei der PDS sank der Einfluss des Berliner Wahlbüros mit der Entfaltung eines eigenen organisatorischen Fundaments. Auf die umfassende Hilfe 1990 folgte 1994 eine materielle und finanzielle Teilunterstützung der in Finanznöte geratenen Landespartei. Personelle Assistenz war (im Gegensatz zur SPD) zu keiner Zeit erforderlich.26 Die integrierten strategischen Konzepte der Jahre 1994 und 1998/99 banden die sächsische PDS in 24 25
26
Vgl. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006. Die Berliner Parteizentrale half bei der Agentursuche, der Organisation der zentralen Großveranstaltungen und bei der Konzeption der Werbekampagne. Vgl. Interview mit Ingrid Mattern am 24. Januar 2006.
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ihrer Kampagnenführung teilweise an die Berliner Zentrale. Dennoch verlief die Organisation des Landtagswahlkampfes ab 1999 autonom. In der Zusammenschau dominierten die Wahlkampforganisationen der Landesparteien als Hauptakteure. Abhängig von Wahljahr und Partei folgte in der Regel die Fraktion als organisatorisches Standbein. An dritter Stelle (die CDU ausgenommen) rangierte der bundespolitische Beistand. Während nach 1990 die Bundespartei in den Landtagswahlkämpfen der CDU völlig außen vor stand und auch die Berliner Zentrale der PDS ab 1999 sukzessive an organisatorischem Einfluss in Sachsen verlor, war die SPD bis zum Schluss auf Subsidien „von oben“ angewiesen. Im Ausnahmewahlkampf des Jahres 1990 herrschten eigene Regeln. Die Kombination aus westdeutschem Bundestagsvorwahlkampf, zentralem ostdeutschen Medienwahlkampf und dezentralem sächsischen Landtagswahlkampf ließ die Organisationsebenen verschwimmen. Speziell bei CDU und SPD handelte es sich teilweise um „aufgepfropfte“ Kampagnen aus Bonn oder Berlin. Wahlkampfinfrastrukturen wurden importiert, die Werbekampagnen, ausgestattet mit einem großzügigen Budget, zentral und unter professioneller Beratung organisiert. Seitens der Berliner PDS blieb es 1990 eher bei Professionalisierungsversuchen.
8.1.1.4 Funktion der Direktkandidaten Prägend für alle Direktkandidaten war die christdemokratische Dominanz auf Wahlkreisebene. Da die CDU-Direktkandidaten, einige Stadtwahlkreise ausgenommen, oft mehr als doppelt so viele Stimmen wie ihre nächsten Herausforderer erzielten, bildeten ihre Wahlkreiskampagnen eine bedeutende Säule des CDU-Wahlkampfes.27 Unterstützt durch die regionalen Parteiorganisationen konzipierten, finanzierten und realisierten die christdemokratischen Kandidaten ihre Kampagnen in hohem Maße eigenverantwortlich.28 Folgerichtig stand für sie der Erhalt ihres Mandats, weniger das Zweitstimmenergebnis der Partei im Vordergrund – zumal die CDU-Wahlkreisbewerber, im Unterschied zu jenen anderer Parteien, mit einer beträchtlichen Eigenfinanzierung in Vorleistung gehen mussten. Oft folgte der Eigenständigkeit eine Eigenwilligkeit. Exemplarisch bemerkt Lars Rohwer: „1999 habe ich einen sehr eigenständigen Wahlkampf für mich gemacht, weil ich gesagt habe, ich will in der Erststimme soviel wie möglich erreichen. Mir war klar, dass die Landespartei mit Kurt Biedenkopf eine positive Grundstimmung beförderte, weshalb ich Biedenkopf-Plakate aufgehängt habe. […] Daneben habe ich aber meine Wahlkampflinie durchgesetzt.“29 Allzu autarke Wahlkreiskampagnen lokalisierten den CDU-Wahlkampf. Die Landesebene geriet dann – vor allem 2004 – in den Hintergrund. Die CDU befand sich in einem Dilemma, wie Georg Milbradt bemerkt. „Die sächsische Situation bewirkt, dass man als CDU-Kandidat mit relativ wenigen Stimmen gewählt ist. Das heißt, unter den Bedingungen eines schlechten Zweitstimmenergebnisses reicht es für die Masse der Direktkandidaten aus. Hat man die Nominierung geschafft, ist die Chance gewählt zu werden, wenn man mal von den Großstädten absieht, relativ hoch, die Notwendigkeit um den Posten zu kämpfen gering.“30 Ein 27 28
29 30
Vgl. Interview mit Hermann Winkler am 18. Januar 2006. „Die Kandidaten sind die Hauptmacher im Wahlkampf. Sie konzentrieren sich naturgemäß auf die Wiedergewinnung ihres eigenen Mandats. Die Zweitstimmenkampagne ist Aufgabe der Landespartei.“ Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006. Interview mit Lars Rohwer am 1. Dezember 2005. Interview mit Georg Milbradt am 16. Januar 2006.
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Interviewpartner wird konkreter: „Es gab mitunter Kandidaten, die sehr egoistisch an ihren Wahlkreis gedacht haben. Nach dem Motto, […] ich bekomme den Ministerpräsidenten, mit ihm gehe ich in ein Unternehmen. Das freut die Geschäftsführung, ich bekomme mein Bild in der Zeitung und alles andere ist egal.“ Die Direktwahlkämpfe standen dennoch in organisatorischer Symbiose mit dem wahlkreisbezogenen Konzept der Landesebene. Aktionen der Direktkandidaten boten den Wahlkampftouren der Kabinettsmitglieder einen Anlaufpunkt. Deren Auftritte sorgten dann für die Öffentlichkeitswirkung im Wahlkreis. Tabelle 2: Funktion der Direktkandidaten (nach Priorität geordnet)
CDU SPD PDS
1990 • Wahlkreisgewinn • Parteipräsenz • Wahlkreisgewinn • Parteipräsenz • Parteipräsenz
1994 • Wahlkreisgewinn • Parteipräsenz • Parteipräsenz • Wahlkreisgewinn • Beeinflussung der Zweitstimmenabgabe
1999 • Wahlkreisgewinn • Parteipräsenz • Parteipräsenz • Wahlkreisgewinn • Beeinflussung der Zweitstimmenabgabe • Wahlkreisgewinn
2004 • Wahlkreisgewinn • Parteipräsenz • Parteipräsenz • Parteipräsenz • Wahlkreisgewinn
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Die PDS-Direktkandidaturen entwickelten sich progressiv. 1990 fast bedeutungslos, dienten sie vier Jahre später der parteiinternen Mobilisierung, der regionalen Popularisierung und der Zweitstimmenmaximierung. Dass die PDS 1990 mehr Erst- als Zweitstimmen erzielt hatte, wertete diese als Resultat des Vertrauens der Wähler in ihre Personen. Die Direktkandidaten sollten 1994 mit guten Wahlkreisergebnissen positiv auf die Zweitstimmenvergabe einwirken. Da die Kandidaten kaum mit einem persönlichen Erfolg rechneten, fochten sie in erster Linie für ein gutes Parteiergebnis.31 1999 verfuhr die Landespartei nach dem gleichen Muster, setzte aber zunehmend auf den Gewinn einzelner Wahlkreise. 2004 bestand in einigen städtischen Hochburgen erstmals die Aussicht auf einen Erststimmenerfolg. Der Gewinn von Direktmandaten galt der neuen Landesparteiführung nun als Zeugnis für Seriosität und Regierungsfähigkeit. Spezielle Wahlkreiskampagnen waren die Folge. Die Relevanz der sozialdemokratischen Direktkandidaten war (außer 1990) gering. Dennoch kandidierte die SPD bei jeder Wahl in allen Wahlkreisen, nutzte die Präsenz ihrer Bewerber. Ihre Direktkandidaten belebten die Landtagswahlkämpfe und mobilisierten die strukturell schwache Landespartei.32 Über die Unterbezirke mit einem Budget ausgestattet, entschieden sie in den Wahlkreisen über die Verwendung der Mittel, brachten oft Eigenanteile ein.33 Mario Pecher zum Los eines sächsischen SPD-Direktkandidaten: „Man erhält ein Budget, mit dem ist ein vernünftiger Wahlkampf unmöglich. So versucht man, in seinem gesellschaftlichen Umfeld eigene Ressourcen zu mobilisieren. Man geht mit dem Bewusstsein in den Wahlkampf, de facto ohne Chance zu sein. Das ist zugleich unsere Schwierigkeit – die zu motivieren, die keine Chance haben.“34 Dabei galt die Aufmerksam31
32 33 34
Vgl. Interview mit Andrea Roth am 19. Dezember 2005. Roth betont: „Ich habe immer Zweitstimmenwahlkampf gemacht.“ Vgl. Interview mit Klaus Schneider am 24. November 2005. Vgl. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006. Interview mit Mario Pecher am 6. Dezember 2005.
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keit der Landespartei allen Kandidaten gleichermaßen, einzig einige Leipziger und westsächsische Wahlkreise erhielten eine Mehrausstattung.35
8.1.1.5 Funktion der Parteimitglieder Alle Akteure waren „Mitgliederparteien ohne Mitglieder“. CDU und PDS litten im Analysezeitraum unter einer stetig schrumpfenden Parteibasis – zunächst bauten sie ihren Überhang aus DDR-Zeiten ab, anschließend verloren sie im Saldo aus Ausgetretenen bzw. Verstorbenen und Neuzugängen (CDU von 37.231 auf 15.098 Mitglieder; PDS von 71.510 auf 15.280 Mitglieder). Die Mitgliederschwäche der SPD war indes chronisch. Selbst mit ihrem „Rekordwert“ von 5.358 Genossen 1998 bewegte sie sich kaum über dem Niveau einer Kleinpartei.36 Band beispielsweise die westdeutsche SPD im Jahr 2004 durchschnittlich rund 1,1 Prozent der Wahlbevölkerung, lag die sächsische Quote bei 0,12 Prozent. Mit dem westdeutschen Organisationsgrad hätte die Landespartei auf 39.100 Mitglieder (real 4.453) zurückgreifen können.37 Hinzu kam, dass nur wenige Aktive das den Parteien im Landtagswahlkampf zur Verfügung stehende Mobilisierungspotenzial bildeten.38 So schätzt der frühere SPD-Landesgeschäftsführer Frank Herschmann die Zahl der 2004 aktiv am Wahlkampf beteiligten SPD-Mitglieder auf fünf bis sechs Prozent.39 Die Partei hatte damit landesweit kaum mehr als 270 eigene Wahlkämpfer. Sie stand sinnbildlich für die gesellschaftlich nur gering verankerten ostdeutschen Parteien.40 Bei der CDU begründete sich die teilweise ausgeprägte Inaktivität ihrer Parteibasis zunächst aus deren jahrelanger Tatenlosigkeit im Schoße der Blockpartei. Zahlreichen AltMitgliedern war weder ein lebendiges Parteileben noch das Selbstverständnis, aktive Beeinflusser von Politik zu sein, gewahr. Mangelnde Partizipation war die Konsequenz.41 In der Folgezeit bedienten die hohen Wahlergebnisse und Umfragewerte, die Regierungsrolle sowie Kurt Biedenkopfs Dominanz überkommene und neuerliche Lethargien. Regierung, Fraktion und Direktkandidaten steuerten die „Sächsische Union“. Vor allem wegen ihrer Verwurzelung im vorpolitischen Raum blieb die Basis (speziell die Junge Union) ein wichtiger Mobilisierungsfaktor. „Hauptmacher“ im Wahlkampf waren die Direktkandidaten. Hermann Winkler bestätigt den kaderparteilichen Charakter: „Bis 2004 waren es reine Personenwahlkämpfe, in denen die Partei keine Rolle spielte. Wir haben 2004 zuerst überlegt einen Motivationswahlkampf mit den Mitgliedern zu führen, haben aber festgestellt, dass das mangels Substanz schwer machbar ist. Offen gestanden war das erschreckend, hatten wir doch zu dem Zeitpunkt 15.000 Mitglieder, 60 direkt gewählte Landtagsabgeord35 36 37
38
39 40 41
Vgl. Interview mit Frank Herschmann und Jürgen Lommatzsch am 2. Februar 2006. Vgl. Brümmer (2006), S. 167. Vgl. Oskar Niedermayer (2001b): Entwicklung und Sozialstruktur der Parteimitgliedschaften im ersten Jahrzehnt nach der Vereinigung, in: ZParl 32 (2001), S. 434-439; ders. (2006): Parteimitgliedschaften im Jahre 2005, in: ZParl 37 (2006), S. 376-383, eigene Berechnungen. Der Organisationsgrad (Verhältnis von Parteimitgliedern und Wahlberechtigten) der CDU sank von 1,0 Prozent 1990 auf 0,4 Prozent im Jahr 2004. Der Anteil der PDS-Mitglieder an der Wählerschaft reduzierte sich von 1,9 Prozent im Jahr 1990 auf ebenfalls 0,4 Prozent im Jahr 2004. Vgl. zur geringen Mobilisierungsfähigkeit ostdeutscher Landesverbände: Bernhard Boll (2001): 3. Formen innerparteilicher Partizipation, in: Ders./Holtmann (Hrsg.), S. 45-85, hier S. 48. Vgl. Interview mit Frank Herschmann am 2. Februar 2006. Vgl. dazu Schoon (2007), S. 42. Vgl. Thumfart (2002), S. 227.
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nete, eine Menge Landräte und Bürgermeister. Danach wussten wir, wir sind eine Funktionärspartei, in der sich jeder Funktionär mit sich selbst beschäftigt.“42 Im Gegenzug startete die SPD enthusiastisch. Die Mehrzahl ihrer wenigen Mitglieder wollte 1990 „etwas bewegen“. 1994 hielt diese Aktivierung wegen der ambitionierten Herausfordererkampagne an. Dabei verfügte die SPD mit ihren 278 Ortsvereinen lediglich über ein Viertel der christdemokratischen und ein Fünftel der postkommunistischen Basisverankerung. Ihre Strukturen im vorpolitischen Raum reichten nicht ansatzweise an die der Konkurrenz heran. Waren die Sozialdemokraten bereits 1994 in knapp jeder dritten Gemeinde absent,43 mussten sie danach die Zahl ihrer Bürgerbüros und damit ihre regionale Präsenz weiter verringern. Die sächsische SPD schrumpfte organisatorisch zu einem westsächsischen Regionalverband (außer Dresden). Standen der Landespartei bei Bundestagswahlkämpfen stets ausreichend Helfer zur Seite,44 trieb die anhaltende Erfolglosigkeit auf Landesebene viele Mitglieder in Resignation. Mit Ausnahme der Jusos verfügte die SPD insbesondere 2004 kaum über das für einen Landtagswahlkampf notwendige Mobilisierungspotenzial.45 Die PDS verzeichnete andere Entwicklungen. Die ihr 1990 treugebliebenen Mitglieder verharrten zunächst in Passivität. Vornehmlich aus Unsicherheit und Frustration haderten sie mit dem neuen politischen Umfeld, beteiligten sich nur bei massiver Mobilisierung. Wenige stark Engagierte kompensierten dies.46 In dem Maße, in welchem die Partei ihre politische Stellung ausbaute und an gesellschaftlicher Akzeptanz gewann, erstarkte ihr Basisengagement. Im Gegensatz zur mehrheitlich berufstätigen Mitgliederschaft von CDU und SPD ermöglichte die, zwar überalterte, aber rüstige PDS-Basis aus überwiegend Rentnern und Vorruheständlern eine effektive Wahlkampfführung. Die Wahlkämpfe 1994 und 1999 zeichnete so ein hohes Engagement von lokalen ehrenamtlichen Wahlhelfern aus. 47 Insbesondere die Großstädte boten der PDS in den 1990er Jahren günstige Strukturen, verfügte sie hier doch über eine starke Mitgliederschaft und gute gesellschaftliche Netzwerke. 2004 zeigte die Überalterung erste Effekte. Ein Großteil der Genossen war zu alt für den Wahlkampf, die Zahl der Aktiven gesunken. Die drei Parteien standen und stehen vor einem Dilemma. Wegen der auf Landesebene großen Bedeutung der Mitglieder bei der Wahlkampfumsetzung sehen sie sich einerseits, indem sie nur eingeschränkt auf die eigene Basis zurückgreifen können, mit dem Wiesendahlschen „organisatorischen Nutzenproblem von Mitgliedern“48 konfrontiert. Andererseits bieten Landtagswahlkämpfe wegen ihrer limitierten finanziellen, werblichen und medialen Spielräume kaum Ausweichoptionen. Landesparteien sind, wollen sie einen erfolgreichen Wahlkampf führen, gemeinhin auf die Basismobilisierung angewiesen. 49 Eine Wahlkampfführung ohne Mitgliederengagement, ohne Straßenwahlkampf, ausschließlich gegründet auf eine professionelle Werbe- und Medienkampagne gab es annäherungsweise bei keiner der 42 43
44 45 46 47
48 49
Interview mit Hermann Winkler am 18. Januar 2006. Vgl. ADSD 3/SNAB 000359 SPD-Landesgeschäftsstelle Dresden (Hrsg.) (1994): SPD. Daten und Fakten Landesverband Sachsen, Dresden. Vgl. Interview mit Gernot Borriss am 13. Januar 2006. Vgl. Interview mit Klaus Schneider am 24. November 2005. Vgl. Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. So auch Patrick Moreau (1996): Der Durchbruch der PDS im „Superwahljahr 1994“ – Demokratie in der Krise, in: Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Parteiensystem am Wendepunkt?, München, S. 229-248, hier S. 235 f. Wiesendahl (2006), S. 113; siehe auch Kapitel 3.2.1. Reine Plakatkampagnen wie die der Initiative Pro DM 1999 oder der NPD 2004 sind Ausnahmen.
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Parteien. Auch wenn dieses Angewiesensein auf aktive Mitglieder in den Augen von Parteistrategen zunehmend mit den Erfordernissen einer effektiven und professionellen Wahlkampfführung kollidierte, verhinderten der eigene Anspruch und die Modalitäten der Kampagnenführung auf Landesebene eine Wahlkampforganisation ohne die Parteibasis. Intern zu mobilisieren, war für alle Parteien vordringlich, die Maßnahmen dazu oft aufwändig. Eine wahlkampfbezogene „Funktionsentleerung der Parteibasis“50 gab es nur bedingt. Trat diese ein, war sie weniger Resultat einer bewussten „Professionalisierung“ des Wahlkampfes, als eher Effekt einer schrumpfenden oder passiven Parteibasis. Zwar ergänzten alle Parteien im Zuge von Modernisierungsprozessen ihre Wahlkampfarbeit durch kommerzielle Strukturen und massenmediale Zielgruppenkampagnen. Dennoch verlangten die in ihrer Umsetzung vorrangig lokal und regional ausgerichteten Landtagswahlkämpfe ein starkes Basisengagement. Unmittelbare Kampagnenformen wie die Straßenwahlkämpfe der PDS, die Bürgergespräche der SPD oder die Wahlkundgebungen der CDU basierten auf dem Engagement vor Ort. Selbst die durch tägliche Medienauftritte überregional präsenten Spitzenkandidaten absolvierten auf ihren Wahltouren vorrangig lokale Termine.
8.1.1.6 Funktion externer Politikvermittlungsexperten Der Einsatz externen Sachverstands geschah (nach 1990) dosiert. Keine Partei griff auf einen vollständig agenturkonzipierten Wahlkampf zurück. Die Agenturunterstützungen beschränkten sich bei allen Akteuren auf den Entwurf und die Umsetzung der Werbekampagne, bestenfalls auf strategische Teilberatungen. Ausschlaggebend hierfür waren Budgetbeschränkungen und vorhandene interne Ressourcen. Auffallend sind dennoch die ständige Zunahme der Agenturarbeit und der damit verbundene stetige Professionalitätsanstieg der Wahlkampforganisation. Realisierten etwa die Christdemokraten 1994 ihre Kampagne überwiegend in Eigenarbeit, nutzten sie 1999 u. a. wegen des komplexeren Wahlkampfumfelds eine professionelle Vorbereitung.51 2004 legte die CDU mangels interner Kreativressourcen und aus Zeitnot die komplette Werbelinie in die Hände ihrer Agentur. Ähnlich verfuhren SPD und PDS. Für die SPD betont Lutz Kätzel, dass sich die Partei 1994 an den Umgang mit Werbeagenturen erst gewöhnen musste. Nicht zuletzt aus Skepsis habe man nur Teilaufträge vergeben.52 2004 trug die Werbekampagne hingegen durchweg eine professionelle Handschrift. Der PDS lieferte ihre Berliner Agentur 1999/2004 neben der Werbelinie auch eine partielle Strategieberatung. Der nachweisliche Einsatz externer Wahlkampfmanager hielt sich in Grenzen. So griff die CDU (1999 ausgenommen) auf Peter Radunski zurück. 1994 und 1999 verfügte sie mit Michael Sagurna über einen Politikvermittlungs- und Medienexperten in den eigenen Reihen. Erhard Weimann half als „externer“ Experte. Die SPD arbeitete durchweg mit seitens der Bundesgeschäftsstelle abgestellten Wahlkampfmanagern, die PDS kam nach 1994 ohne „Externe“ aus. Stattdessen nutzten alle Parteien für ihre Wahlkampfplanung und -führung demoskopische Analysen. Zentral waren die seit 1991 regelmäßig im Auftrag der Staatskanzlei durchgeführten EMNID-Erhebungen zum politischen Klima in Sachsen. Sie wurden von den Akteuren ebenso rezipiert wie die im Vorfeld der Landtagswahlen vom MDR 50 51 52
Niedermayer (2000), S. 203. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Vgl. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006.
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oder der LVZ in Auftrag gegebenen Analysen von Infratest dimap und dem Leipziger Institut für Marktforschung. Verließ sich der SPD-Landesvorstand bei seiner strategischen Planung vorrangig auf diese Umfragen, veranlasste die CDU oft Sondererhebungen durch EMNID oder Gruppenbeobachtungen. Die PDS nutzte offizielle Umfragen, Analysen ihrer Bundespartei und initiierte eigene Erhebungen. Zusammengenommen offenbart der allenfalls mittelmäßige, teils rudimentäre Einfluss externer Wahlkampfberater, Werbeagenturen und Demoskopen auf die Organisation der Landtagswahlkämpfe deren eher traditionellen Charakter. Umfrageergebnisse und Agenturen bildeten hier die wichtigsten Kampagnengrundlagen. Der Einsatz externer Politikvermittlungsexperten war verschieden intentioniert. Diente er bei CDU und PDS einer stärkeren Professionalisierung oder spezifischen Aspekten (z. B. Imageaufbau), kompensierte das externe Engagement bei der SPD vorrangig Organisationsschwächen.
8.1.1.7 Wahlkampfphasen Die beobachteten Wahlkampfphasen wichen (außer 1990) kaum von der eingangs veranschlagten Drei- bzw. Vierphasenarchitektur ab. Einzig die Trennschärfe der Phaseneinteilungen war geringer als angenommen. In einer ersten, langen Planungsphase entwarfen die Landesparteien ihren organisatorischen und strategischen Wahlkampfaufbau. Am langfristigsten arbeitete die PDS. Getreu ihrer Prämisse, Wahlkampf sei ein Teil der politischen Gesamtausrichtung, konstituierte sie bereits zwei Jahre vor der Landtagswahl 1994 ihre Arbeitsgruppe „Wahlkampfführung“. CDU und SPD bildeten in der Regel ein bis eineinhalb Jahre vor der Wahl erste Strukturen. Die konkrete Strategieplanung begann keine Partei früher als ein Jahr vor der Wahl. Die Kommunikationsplanung fiel meist in das erste Viertel, die konkrete Konzeption der Kampagnen in die erste Hälfte des Wahljahres. Die zweite Phase, die Binnenmobilisierung, war über den Betrachtungszeitraum für alle Parteien relevant und erstreckte sich nicht selten – parallel zur übrigen Kampagne – bis zum Wahltag. Ihr Ausmaß hing dabei in erster Linie vom Stand der Wahlkampforganisation und vom erwarteten Wahlausgang ab. So initiierte die CDU 1999 zwar eine mehrwöchige Mobilisierungskampagne, die aber angesichts der sicheren absoluten Mehrheit wenig energisch ausfiel. Dem stand 2004 eine intensive Binnenmobilisierung gegenüber, in welcher die Parteispitze eine aktive Partizipation einforderte. Während die PDS einzig 1990 und 1994, aus den genannten Gründen, Mobilisierungsprobleme verzeichnete, war die Mitgliedermobilisierung für die SPD ein „Dauerbrenner“ – insbesondere nach der „verkorksten“ Wahlkampfvorbereitung 2004. Wenige Monate vor dem Wahltermin begannen alle Parteien in einer Vorwahlkampfphase mit der Ansprache von Anhängern und Stammwählern. Der „König des Vorwahlkampfes“ war Karl-Heinz Kunckel. Ob auf seinen „Sachsentouren“ 1994, seinen Auftritten in den Kommunalwahlkämpfen oder der „Sommertour“ durch Sachsen im Juli 1999, Kunckel nutzte jede Gelegenheit, sich und seine Partei vor Einsetzen der CDU-Kampagne zu präsentieren. Die PDS füllte das „Sommerloch“ regelmäßig mit Auftritten ihres Spitzenkandidaten bzw. mit zweckgebundenen Mobilisierungskampagnen. Die CDU präsentierte sich während der Vorwahlkampfzeit als Regierungspartei. Ihrem Kabinettswahlkampf der heißen Phase gingen „Kreisbereisungen“ der Minister voraus, mit denen die „Sächsische Union“ ihren Amtsbonus ausreizte.
8.1 Konzeptioneller Rahmen
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Alles mündete in eine wenige Wochen dauernde heiße Wahlkampfphase. Besonders die regierende CDU setzte auf kurze Wahlkämpfe. Ihre Strategie war es, die Sozialdemokraten sich in ihren (zu) früh gestarteten Kampagnen verschleißen zu lassen, um dann kurz vor der Wahl aus der Regierungsposition heraus die öffentliche Agenda dominieren zu können.53 Während die PDS ihre finalen Wahlkampfphasen (außer 1994) ebenso eher kurz gestaltete, präferierte einzig die SPD längere Endspurts. Eine eigene Dynamik hatten die beiden ersten Landtagswahlkämpfe. 1990 folgte bei allen Parteien auf eine kurze Planungsphase eine ausgedehnte Wahlkampfphase, die Binnen- und Außenmobilisierung verband. So verbrachten CDU und SPD nur wenige Wochen, mitunter nur einige Tage mit der Wahlkampfplanung, standen aber über sechs Wochen im Landtagswahlkampf. 1994 gab es durch den permanenten Wahlkampf von SPD und PDS eine Phasenüberlagerung. Den Sozialdemokraten kam das „Superwahljahr“ für eine Dauerpräsenz ihres Spitzenkandidaten gelegen. Den Postkommunisten bot sich die Chance für eine projektbezogene Dauerkampagne. Beide Oppositionsparteien setzten auf langanhaltende Präsenz, während die Regierungspartei zwar einen frühen, wahlkreisbezogenen Ministerwahlkampf initiierte, die heiße Phase aber raffte. Insgesamt waren die Landtagswahlkämpfe von kurzer Dauer. Das als Zeichen einer postmodernen Wahlkampfführung angesehene „permanent-campaigning“ kam in keinem der Fälle vor, die althergebrachten heißen Wahlkampfphasen waren indes deutlich wahrnehmbar. Während SPD (1994/99) und PDS (1999/2004) zur Kompensation ihres kommunikativen Malus’ mittellange Wahlkämpfe führten, baute die CDU auf den Vorteil ihrer Regierungsfunktion sowie der damit verbundenen Öffentlichkeitswirkung und beschränkte sich auf wenige Wochen des intensiven Wahlkampfes.
8.1.2 Wahlkampfstrategie 8.1.2.1 Quantitative und qualitative Wahlkampfziele Die strategischen Zielsetzungen von CDU, SPD und PDS unterschieden sich im jeweiligen Wahljahr sowie zwischen den Wahljahren (Tabellen 3, 4). Unter quantitativen Gesichtspunkten erwies sich die Regierungspartei mit ihrer stimmenmaximierenden Strategie als konstanteste Kraft. Sollte 1990 das Ergebnis der Volkskammerwahl ausgebaut werden, ging es nachfolgend stets um die absolute Mehrheit der Stimmen bzw. Mandate. Indem die Christdemokraten in keinem Moment ihre Wahlziele bezifferten und ausschließlich eine „klare Mehrheit“ anstrebten, demonstrierten sie Souveränität und verringerten den potenziellen Rechtfertigungsdruck. Wesentlich inkonsistenter war das quantitative Zielsystem der Sozialdemokraten, rangen diese doch mit einem substanziellen Dilemma: Auf deutliche Trendverbesserungen innerhalb der Legislaturperiode folgten Stimmungseinbrüche vor und Stimmeneinbrüche bei der Wahl. Eine sinnvolle Zielspezifikation war so kaum möglich. Zur eigenen Motivation und um einen der CDU gleichwertigen Status zu wahren, legte die SPD ihre Messlatte zwischen den Wahlen stets hoch an. 1992 verkündete sie, stärkste Kraft werden zu wollen, 1998 prophezeite sie eine rot-grüne Koalition im Freistaat, 2002 war man sich der 30 Prozent sicher. In den Wahlkämpfen zeigten sich die Genossen unbeeindruckt und orientierten 53
Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
sich stets an der Obergrenze der Wahlumfragen. Erst Thomas Jurk zog 2004 die Notbremse und gab ein bescheidenes Wahlziel aus. Diametral agierten die Postkommunisten. Ihr lange Zeit fehlender Regierungsanspruch, die abgegrenzte Wählerschaft, die hohe Umfragestabilität sowie relativ ähnliche Bundes-, Landtags- und Kommunalwahlergebnisse ermöglichten der Partei eine präzise quantitative Zielsetzung. Unterschritt die SPD 1994 die angestrebten 30 Prozent um 13,4 Punkte, überbot die PDS ihr Ziel von 15 Prozent nur um 1,5 Punkte. Nach einer zu optimistischen Annahme 1990, als sie ihr Volkskammerwahlergebnis zu übertreffen suchte, ging die PDS fortan auf Nummer sicher, steigerte sich von 15 Prozent 1994 auf 20 Prozent 1999. Erst 2004 legte sie die Messlatte wegen der angestrebten Regierungsbeteiligung mit mindestens 25 Prozent (zu) hoch an. Tabelle 3: Quantitative Wahlziele
CDU SPD PDS
1990 > 43,6 Prozent > CDU (intern 25 Prozent) > 13,6 Prozent
1994 absolute Mehrheit
1999 absolute Mehrheit
2004 absolute Mehrheit
60 Direktmandate > 30 Prozent
60 Direktmandate mind. 30 Mandate (ca. 22,5 Prozent) mind. 20 Prozent
60 Direktmandate > 10,7 Prozent
mind. 15 Prozent
mind. 25 Prozent
mind. 28 Mandate
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Als primäres qualitatives Wahlkampfziel verfolgte die CDU ab 1994 den Machterhalt. Ihre Kontrahenten sollten auf Abstand gehalten, ein maximaler Wahlerfolg herbeigeführt und eine Koalition verhindert werden. Parallel dazu lancierte sie informale, stärker zweckgebundene Ziele. Als eigenständige Landespartei assoziierte sie sich eng mit der sächsischen Identität und versuchte, eine christdemokratische Tradition zu etablieren. Besonders 1999 bot der Wahlkampf Spielraum, um qualitative Ziele, etwa einen intensiven Imageaufbau, umzusetzen. Landtagswahlkämpfe bargen somit für die CDU stets die Möglichkeit, über den Zweck des Wahlgewinns hinaus, durch eine „sächsische“ Instrumentalisierung und einen „landesväterlichen“ Zuschnitt den Anspruch der dominanten Partei zu bekräftigen. Das quantitative Dilemma der SPD pflanzte sich bei den qualitativen Zielsetzungen fort. Ihre frühe Maßgabe (1990/94), stärkste Partei werden zu wollen, war utopisch, „ein Stück weit Außenrhetorik“.54 Ebenso waren ihre Anläufe für eine rot-grüne Regierungskoalition (1994/99) qualitativer Ausdruck des quantitativen Dilemmas. Oberstes, nie offiziell verlautetes qualitatives Wahlziel war hingegen die Regierungsteilhabe an der Seite der Christdemokraten.55 Sah die SPD hierfür ihre Chance bis 1994 darin, ein CDU-Ergebnis von über 40 Prozent zu verhindern, gab sie sich danach dem Unterfangen hin, die absolute CDU-Mehrheit zu brechen, um so in die Position des kleinen Koalitionspartners zu gelangen. Immaterielle, informale Zielstellungen fanden in die Kampagnen der SPD wegen derer beschränkter Ressourcen kaum Eingang. Die Partei führte ihre Wahlkämpfe in erster Linie ereignisgebunden und weniger zur eigenen strukturellen Festigung. 54 55
Vgl. Interview mit Rolf Schwanitz am 20. Februar 2006. Vgl. u. a. Interview mit Reimund Grafe am 2. Februar 2006.
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8.1 Konzeptioneller Rahmen
Die PDS verfolgte mannigfaltige qualitative Zielstellungen. Ging es ihr 1990 um das „Überleben“ als Partei und 1994 um die innere wie äußere Konsolidierung, stand ab 1999 das Ende der CDU-Mehrheit im Vordergrund. Die Landespartei, die 1994 einzig ihre Oppositionsrolle exponierte, strebte in einem Wandlungsprozess nach politischer Teilhabe. Zunächst verfolgte sie das Ziel der stärksten Oppositionspartei (1999), danach den Wunsch nach einer Regierungsfunktion (2004). Immateriell ging es der PDS u. a. darum, ihre Rollenbilder auszubauen. Im Unterschied zu CDU und SPD führte sie ihre Kampagnen stark zweckgebunden, verstand sie Wahlkampf als die Fortsetzung ihrer Politik mit anderen Mitteln. Der lange Zeit politisch isolierten Partei boten die Landtagswahlkämpfe ein ideales Podium für Stellungnahmen, Postulate und Angriffe. Tabelle 4: Qualitative Wahlziele (hierarchische Ordnung)
CDU
1990 maximale Regierungsmacht stärkste Partei
SPD
CDU-Ergebnis > 40 Prozent verhindern
PDS
1994
1999
2004
maximaler Machterhalt
maximaler Machterhalt
maximaler Machterhalt
CDU-Ergebnis > 40 Prozent verhindern Regierungsbeteiligung
Regierungsbeteiligung
stärkste Partei
„Überleben“
starke Oppositionspartei
Festigung
Ende der CDU-Mehrheit
Ende der CDU-Mehrheit Ende der CDU-Mehrheit Regierungsbeteiligung
zweitstärkste Partei
zweitstärkste Partei
Regierungsbeteiligung
Ende der CDU-Mehrheit stärkste Oppositionspartei
Ende der CDU-Mehrheit Regierungsbeteiligung
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Zusammengenommen waren die Ziele der Regierungspartei in allen Fällen maximierend, wenngleich aus Rechtfertigungs- und Souveränitätsgründen nur zurückhaltend detailliert. Die Ziele der Oppositionsparteien unterschieden sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Regierungs- oder Oppositionsanspruch. War der Regierungsanspruch ausgeprägt, wie 1990/94 bei der SPD oder 2004 bei der PDS, setzten die Parteien ihre quantitativen und qualitativen Wahlziele hoch an. War dieser gering (PDS 1999), nicht vorhanden (PDS 1994) oder vorhanden, aber unwahrscheinlich (SPD 2004), mäßigten die Parteien ihre Zielsetzungen.
8.1.2.2 Kernstrategien Alle Parteien strebten nach individuell optimalen, nicht zwangsläufig gewinnmaximalen Wahlresultaten. Diese Komplexität der Ziele erschwert die Klassifikation des strategischen Handelns gemäß der zielorientierten Kernstrategien Stimmenmaximierung (vote-seeking), Regierungsteilhabe (office-seeking) und Programmverwirklichung (policy-seeking). Hinzu kommt, dass Ziel-Strategie-Systeme von Parteien in Wahlkämpfen stets eine Hierarchie aufweisen, was einer klaren Einordnung ebenfalls entgegensteht. Außerhalb von Wahlkämpfen verfolgen Parteien langfristige, übergeordnete Kernstrategien sowie Ziele primärer Ordnung und damit höchster Wertigkeit. In Wahlkämpfen verfolgen sie kurzfristige, vorgelagerte Kernstrategien sowie Wahlziele sekundärer Ordnung und damit minderer
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
Wertigkeit. Sind Letztgenannte notwendig, um Ziele primärer Ordnung zu erreichen oder um diese sinnvoll zu ergänzen, bilden Erstgenannte die Triebkräfte des Handelns. Indem zwischen beiden Ebenen ein positiv-instrumenteller Zusammenhang besteht, ist der Akteur gewillt, zuerst Ziele und Strategien sekundärer Ordnung zu erreichen/verwirklichen, um damit Ziele und Strategien primärer Ordnung erreichen/verwirklichen zu können.56 Für die Analyse bedeutet dies, dass die im Wahlkampf verfolgte kurzfristige Kernstrategie nicht mit der übergeordneten langfristigen Strategie zusammenfallen muss (kann). Es gilt daher, zwischen den im Wahlkampf dominanten Kernstrategien sekundärer Ordnung und den darüberstehenden Kernstrategien primärer Ordnung zu unterscheiden. Die CDU setzte in allen Wahlkämpfen auf kurzfristige Stimmenmaximierung zwecks langfristiger Regierungsteilhabe. Im Jahr 1990 zielte sie auf eine klare Mehrheit (Strategie sekundärer Ordnung), um eine größtmögliche Regierungsbeteiligung zu erreichen (Strategie primärer Ordnung).57 In den Folgewahlkämpfen erforderte der langfristige Machterhalt stets eine kurzfristige Stimmenmaximierung. Als „Sachsenpartei“ versuchte die CDU, eine möglichst heterogene Wählerschaft zu vereinen. Ebenfalls stimmenmaximierend waren die intensiv personalisierten Wahlkämpfe. Die Spitzenkandidaten sprachen stets die gesamte Bevölkerung an. Auch organisatorisch standen die Kampagnen der CDU im Lichte eines vote-seeking. Die Dominanz von Parteispitze und Fraktion war deutlich, die Wahlkämpfe top-down entworfen und kommuniziert, die Rolle der Partei mehr ausführend, weniger konzeptionell. Tabelle 5: Kurzfristige und (langfristige) Kernstrategien 1990 1994 1999 2004 Stimmenmaximierung Stimmenmaximierung Stimmenmaximierung Stimmenmaximierung (Regierungsteilhabe) (Regierungsteilhabe) (Regierungsteilhabe) (Regierungsteilhabe) Stimmenmaximierung Regierungsteilhabe Regierungsteilhabe Stimmenmaximierung SPD (Regierungsteilhabe) (Programmverwirklichung) (Programmverwirklichung) (Regierungsteilhabe) Stimmenmaximierung Stimmenmaximierung Stimmenmaximierung Stimmenmaximierung PDS (Stimmenmaximierung) (Programmverwirklichung) (Regierungsteilhabe) (Regierungsteilhabe) Quelle: Eigene Zusammenstellung. CDU
Indes setzte die SPD gemäß ihres obersten Wahlziels (Regierungsbeteiligung) auf kurzoder langfristige Office-Seeking-Strategien. Der CDU gleich, galt 1990 zunächst die Devise der kurzfristigen Stimmenmaximierung, um am politischen Neuaufbau partizipieren zu können (Regierungsteilhabe). Dies änderte sich bald. Wegen der Stärke der CDU trat die Stimmenmaximierung hinter die Regierungsteilhabe als dominierende Wahlkampfkernstrategie zurück. Versuchten die Sozialdemokraten 1994 mit einer ausgeprägten Herausfordererkampagne neben dem office-seeking noch ein partielles vote-seeking, ging es ihnen 1999 allein darum, eine abermalige CDU-Mehrheit und damit eine Regierungsbildung ohne die 56
57
Die Zielhierarchisierung ist inspiriert durch das motivationstheoretische Valenz-Instrumentalität-ErwartungModell von Victor H. Vroom, welches zwar die individuelle Leistungsmotivation eines Menschen hinterfragt, gleichwohl aber eine weit über diesen Zusammenhang hinaus dienliche, logische Reihung von Zielen und Handlungen von Akteuren vornimmt. Vgl. Victor H. Vroom (1964): Work and Motivation, New York, S. 1428, 271-288. Durch die Zusammenschlüsse mit der Bauernpartei und dem Demokratischen Aufbruch forcierte die CDU eine Sammlungsbewegung im „bürgerlichen“ Lager.
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SPD zu verhindern. In beiden Jahren sollte die kurzfristige Kernstrategie der Regierungsteilhabe langfristigen Policy-Seeking-Zielen den Weg ebnen. Nach der Niederlage 1999 sah sich die Partei 2004 gezwungen, ihre sekundäre Kernstrategie rein stimmenmaximierend zu orientieren. Im politischen „Überlebenskampf“ standen alle anderen Ziele zurück. Die PDS verfolgte in allen Fällen kurzfristige Stimmenmaximierungsstrategien. Hervorgerufen durch den fluktuierenden Wiederaufstiegsprozess, unterschieden sich allein ihre primären Kernstrategien. 1990 ging es der angeschlagenen Partei einzig um vote-seeking.58 1994 diente ihr projektbezogener Wahlkampf einer langfristigen Policy-Seeking-Strategie in Form einer maximalen oppositionellen Politikumsetzung. Indem die Partei 1999 ihre Zielrichtung änderte und bekundete, zukünftig in politische Prozesse eingreifen zu wollen, wechselte sie in eine (vorerst oppositionelle) Office-Seeking-Strategie. Dies änderte sich 2004, als die PDS in Regierungsverantwortung strebte, im Protestwahlkampf gegen HartzIV aber ihre althergebrachte Stimmenmaximierung dominierte. Dennoch verhielt sie sich 2004 weniger „schizophren“59 als von Koß/Hough angenommen. Ihr populistischer Wahlkampf war stimmenmaximierend, die primäre Kernstrategie der Regierungsteilhabe stand aber nur kurz zurück. Die Protestkampagne widersprach weniger ihrer Regierungswilligkeit, als vielmehr ihrer Regierungsfähigkeit. Dem Befund von Koß/Hough, die sächsische PDS sei von 1995 bis 2004 vom vote-seeking abgerückt und habe sich stärker in Richtung policy- und office-seeking orientiert,60 ist für die langfristigen Kernstrategien zuzustimmen. Zusammengenommen verdeutlicht der Blick auf die Kernstrategien abermals ein klares Schema seitens der Regierungspartei. Kurzfristige Stimmenmaximierung zum Zweck der langfristigen Regierungsteilhabe bestimmte ihr Handeln. Indessen wandelten sich die oppositionellen Kernstrategien. Die Annahme, Oppositionsparteien handelten stets stimmenmaximierend mit dem Ziel, Regierungsmacht zu erringen, gilt für den sächsischen Fall nur bedingt. So verfuhr die PDS kurzfristig immer stimmenmaximierend, modifizierte aber ihre primäre Kernstrategie nur langsam in Richtung Regierungsteilhabe. Die SPD hielt durchgängig, entweder kurz- oder langfristig, an einer Regierungsteilhabe fest, agierte aber nur partiell stimmenmaximierend. Auffällig ist, dass in Wahlkämpfen mit unberechenbarem Ausgang (1990/2004) alle Parteien auf Stimmenmaximierung setzten. Ferner können gleiche Kernstrategien einer Ebene unterschiedliche Strategiemuster der anderen Ebene nach sich ziehen. So verfolgte die CDU 1994 mit einem kurzfristigen vote-seeking ihr Regierungsziel, die PDS hingegen eine starke Oppositionsrolle. Eine langfristige PolicySeeking-Strategie kann ohne kurzfristigen Anspruch auf Regierungsteilhabe auskommen (PDS 1994) oder aber diese zur Grundlage haben (SPD 1994/99). Letztlich kennzeichnete alle Wahlkämpfe ein chaotisches Moment.61 Speziell 1990 und 2004 waren die Kernstrategien der Parteien entweder rudimentär oder sie versagten in ihrer Wirkung an der Sprunghaftigkeit der Geschehnisse. Hervor stach die SPD, in deren Wahlkämpfen regelmäßig die taktische Verlustminimierung vorab fixierte Handlungsprogramme überlagerte.
58
59 60 61
Wie Gregor Gysi später bemerkte, hatte die PDS 1990 „keine Strategie“ – zumindest keine Strategie in Form übergeordneter Ziele oder rationaler Handlungsprogramme. Vgl. Gregor Gysi zitiert in: Armin Fuhrer: Kurs auf Regierungsmacht, in: Die Welt vom 1. September 1999. Koß/Hough (2006b), S. 91, vgl. auch dies. (2006a), S. 331-333. Vgl. ebd., S. 331-333. Vgl. Harrop/Miller (1987), S. 229. „The central feature of party campaigns is that they always teetering on the brink of chaos. […] No one has time to think about such abstract concepts as maximising the party’s vote even if anyone were given the specific responsibility of doing so.”
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
8.1.2.3 Leitkampagne als zentrales Handlungsprogramm Die CDU-Leitkampagnen unterstrichen die Regierungsrolle und unterstützten damit die Kernstrategien der Stimmenmaximierung und der Regierungsteilhabe. Mit ihren Leitslogans „Für ein starkes Sachsen“ (1990), „Für Sachsen“ (1994), „Das Beste für Sachsen“ (1999) und „Klarer Kurs für Sachsen“ (2004) sendete die Partei in allen Wahlkämpfen die Botschaft aus: Die „Sächsische Union“ ist die in jeder Hinsicht kompetenteste und vertrauenswürdigste Regierungspartei. Sie vertritt am besten sächsische Interessen und befördert mit ihrer alternativlosen Politik und ihrem alternativlosen Personal eine erfolgreiche Entwicklung des Freistaates. Die Entscheidung für die CDU ist deshalb auch eine Entscheidung für Sachsen. Die SPD-Leitkampagnen entsprachen ebenfalls der Kernstrategie der Regierungsteilhabe. Ihre Leitslogans lauteten zunächst unterschiedlich. Von „Uns geht’s um Sachsen“ (1990), mit welchem die potenzielle Regierungspartei ihren Einsatz für das Land beschwor, über „Mehr Gerechtigkeit in Sachsen“ (1994), der sie als Garantin einer gerechteren Politik präsentierte, über „Einfach sozialer“ (1999), mit welchem sie sich als soziale Alternative gerierte, bis hin zu „Sachsengerecht“ (2004), wonach sie die soziale Gerechtigkeit als Leitbild verfolge; allen Slogans war eine Botschaft zu eigen: Die SPD ist die kompetentere, vertrauens- und glaubwürdigere Alternative sowie das soziale und gerechte Korrektiv zu einer CDU-Alleinregierung. Kurzum: Sie ist die bessere Regierungspartei mit den geeigneteren Politikansätzen. Die PDS-Leitslogans „Für ein demokratisches und sozial gerechtes Sachsen“ (1990), „Leben in Menschenwürde“ (1994), „Sozial ist gerecht“ (1999) und „Sozial, mit aller Kraft“ (2004) transportierten folgende Aussage: Die PDS ist die einzig legitime und glaubwürdige Partei der sozialen Gerechtigkeit. Nur eine Entscheidung für sie ist eine Entscheidung für soziale Gerechtigkeit. Sie garantiert eine soziale Alternative in Sachsen und vertritt am besten die Interessen sozial Benachteiligter, indem sie im Unterschied zu ihren Konkurrenten für ein sozial gerechtes Sachsen einsteht. Konzentrierte sich die Leitbotschaft anfangs darauf, die „sozialen Errungenschaften“ der DDR zu verteidigen, rückte mit dem strategischen Wandel ab 1999 ein allgemeines soziales Leitbild in den Mittelpunkt. Zusammengenommen verfolgten die Parteien – bei allen Unterschieden – teils ähnlich strukturierte Leitkampagnen. Beispielsweise nahmen CDU und SPD jeweils für sich in Anspruch, die kompetenteste Regierungspartei zu sein, die eine aus ihrer Regierungsrolle heraus, die andere als oppositionelle Alternative. Auch die PDS, die lange Zeit eine rein oppositionelle Botschaft pflegte, schlüpfte zuletzt in die Rolle der (sozialen) Regierungsalternative. Ferner erklärten die Leitkampagnen von CDU und PDS die Landtagswahl zu einer elementaren politischen Weichenstellung. Die Christdemokraten betonten die Gleichung: CDU-Wahl = Votum für Sachsen und damit indirekt CDU = Sachsen, die Postkommunisten behaupteten: PDS-Wahl = Votum für soziale Gerechtigkeit und damit indirekt PDS = soziale Gerechtigkeit. Die Sozialdemokraten ließen ein solches Alleinstellungsmerkmal vermissen. Ihre Botschaft, sozial gerechtes Korrektiv zur CDU zu sein, unterlag den konkurrierenden Leitbildern.
8.1 Konzeptioneller Rahmen
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8.1.2.4 Regierungs- versus Oppositionsstrategie Die Analyse der generellen Strategieelemente förderte zahlreiche Eigenheiten zutage. Es bestätigten sich starke quantitative und qualitative Zielabweichungen, ebenso wie die Kernstrategien und Leitkampagnen zwischen der Regierungspartei und den Oppositionsparteien mitunter deutliche Divergenzen, aber auch Parallelen offenbarten. Ob sich ein politischer Akteur in der Regierungs- oder in der Oppositionsrolle befand, barg weitere, die spezifische Wahlkampfstrategie prägende Zusammenhänge. 1990 agierten CDU und SPD zunächst losgelöst von klassischen Schemen. Es gab, so Wolf-Dieter Beyer, „keine Regierungserfahrung, es gab keine vorhergehenden Erfolge, es ging darum: Wo wollen wir hin, was haben wir für ein Konzept, was haben wir für Leute dafür.“62 Weiter geht Kurt Biedenkopf: „Es gab keine Strategieplanung oder irgendwas dergleichen. Solche Termini und Überlegungen kann man auf diese Umbruchsituation nicht anwenden. […] Das war eine Zeit der Improvisation und zwar der intelligenten Improvisation.“63 Was für die Spitzenkandidaten zutrifft, muss für die Parteien verneint werden. Im Wahlkampf vermengten CDU und SPD, wenn auch improvisiert, so doch systematisch, eine importierte Regierungsstrategie mit oppositionsstrategischen Elementen. Einzigartig positionierten sich die Landesparteien, ohne eine Regierungsrolle begleitet zu haben, u. a. mit importierten Spitzenkandidaten und unter Bezugnahme auf westdeutsche Landesregierungen, als regierungserfahren. Daneben griffen beide (eigentlich für Oppositionsparteien typisch) zu Offensivstrategien, lancierten (insbesondere die Bundesparteien) harte Negativkampagnen. Hingegen agierte die PDS aus der Isolation. Ihre Bilanz war katastrophal, Kandidaten wie Programm fast unbekannt. Während die „Orthodoxen“ in eine Oppositionsrolle drängten, dominierte unter den „Reformern“ ein diffuser Gestaltungsanspruch. In Verkennung der Lage und fast ohne realistische Optionen strebte die PDS, primär zum Machterhalt, teils ehrlich bemüht, in eine fiktive Allparteienregierung. Um ihre absolute Mehrheit zu verteidigen, verfolgte die CDU ab 1994 eine Amtsinhaber- oder Regierungsstrategie. Mustergültig zentrierte sie ihre Wahlkämpfe einzig auf ihre Regierungsbilanz, auf prospektive Elemente und ihren Spitzenkandidaten. Bedingt durch das hohe Startergebnis war stets der Machterhalt, nicht der Machtausbau handlungsleitend, bestimmten Defensivstrategien die Wahlkampfführung. CDU-Wahlkämpfe waren vorrangig „Aktivierungsprozesse“64, die gewonnene Wähler zu halten suchten. Typisch für ihre Regierungsstrategie war ein variabler Mix aus retrospektiven und prospektiven Elementen. Die Partei demonstrierte mit ihrer Leistungsbilanz vergangene und gegenwärtige, mit der programmatischen Fortschreibung dieser Bilanz zukünftige Kompetenz. Gesellten sich 1994 zur Rechenschaftslegung stark prospektive Elemente, überwogen 2004 Verweise auf die „sächsische Erfolgsgeschichte“. Biedenkopfs Diktum, nicht Dankbarkeit für Getanes, sondern Vertrauen in künftige Gestaltungskraft entscheide die Wahl, vernachlässigte die Partei 2004 sträflich. Hatte die CDU 1994 die von ihr proklamierte Fortsetzung des erfolgreichen Kurses untermauern können, kollidierte ihre Positivbilanz 2004 mit den objektiven Gegebenheiten und den subjektiven Erlebnissen der Menschen.
62 63 64
Interview mit Wolf-Dieter Beyer am 21. November 2005. Interview mit Kurt Biedenkopf am 24. Januar 2006. Vgl. zum Begriff Lazarsfeld/Berelson/Gaudet (1969), S. 112 f.
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Parallel nutzte die CDU im Wahlkampf die Kommunikationsvorteile des Regierungsapparats65 und dessen Handlungsspielräume. Öffentlichkeitswirksam initiierte sie 1994 Wahlgeschenke bzw. eine wählerfreundliche Politik. 1999 agierte sie differenzierter, wie Matthias Rößler weiß: „Vor der Wahl 1999 habe ich bewusst die Kopfnotendiskussion geführt. Da sprach keiner mehr über Stundenausfall, alle redeten nur noch über Fleiß, Ordnung, Mitarbeit und Betragen. […] Auch habe ich vor der Wahl 1999 keine Schulen geschlossen.“66 Ferner setzte ihr Kabinettswahlkampf auf die Popularitäts- und Kompetenzwirkung der Minister. Dazu erneut Rößler: „Ich habe 1999 mit Hermann Winkler Wahlkampf gemacht. Er war Landessportbundpräsident, ich Kultus- und damit Sportminister. […] Mit ihm bin ich herumgefahren und habe mich mit Sport und Sportvereinen beschäftigt, habe Vereinssportstätten gefördert. Die einen bekamen eine Kegelbahn, der nächste ein neues Fußballfeld.“67 Nicht zuletzt personifizierte der Amtsinhaber die Regierungsrolle. In ihm verschmolzen Partei- und Regierungspolitik. Er war „einerseits der Wahlkämpfer, der parteilich profiliert antritt und sagt, wofür die CDU eintritt, andererseits der Ministerpräsident, der Rechenschaft darüber ablegt, was er gemacht hat, und der versucht, Vertrauen dafür zu schaffen, dass er das entsprechend weiter tun wird“.68 Die Sozialdemokraten vertraten 1994 zunächst den Anspruch, „Regierung von morgen“ zu sein. Ihre Oppositionsstrategie positionierte sie als vertrauens- und glaubwürdige Alternative zur CDU. Die Herausforderin kritisierte deren Arbeit, präsentierte eigene Ansätze und einen Ministerpräsidentenkandidaten. Ihre Negativkampagne war eher verhalten, vermied sachpolitische Totalkritik und harte personelle Angriffe. 1999 trat die Ambition der SPD auf Regierungsübernahme wegen der eigenen Schwäche und der christdemokratischen Stärke in den Hintergrund. Kunckel gab den Anspruch auf Ministerpräsidentschaft auf. Erneut präsentierte die SPD ihre Konzepte und betonte ihre Regierungsbereitschaft. Da Biedenkopf wegen seiner Kompetenz- und Sympathiewerte als immun galt, konzentrierte sie ihre Kritik auf die absolute CDU-Mehrheit. 2004 war die einstige Herausforderin ein Schatten ihrer selbst. Ihr Kompetenzwahlkampf, der eine regierungsfähige Alternative aufzeigen sollte, scheiterte. Obwohl die SPD nun gegenüber dem Amtsinhaber offensiv auftrat, Biedenkopfs Rücktritt hatte ihr die lang ersehnte personelle Flanke geöffnet, kandidierte Jurk ohne das Ziel der Ministerpräsidentschaft. Hingegen expandierte die Strategie der PDS von der einer fundamentalen Oppositionspartei (1994) über die einer Oppositionspartei mit Gestaltungsanspruch (1999) zu der einer regierungswilligen Alternative (2004). Zunächst führte die PDS einen Wahlkampf, der einzig dem Ausbau ihrer Oppositionsrolle diente. Die Partei betrieb aus ideologischer wie strategischer Alternativlosigkeit Regierungskritik. Ihr Spitzenkandidat präsentierte sich als inneroppositioneller Herausforderer, mied eine Konfrontation mit dem Amtsinhaber. Fünf Jahre später (1999) hegte die PDS erste Gestaltungsansprüche – ein Bruch. Mit einer offensiven Oppositionsstrategie attackierte sie die Regierung und positionierte sich als sozialistische Alternative. Porsch erweiterte seine Anwartschaft über die oppositionellen Reihen hinaus. 2004 erreichte die strategische Metamorphose der PDS ein neues Stadium. 65
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„Eine Regierungspartei kommt schneller in Tritt, auch darüber, dass der Ministerpräsident als Regierender wahrgenommen wird. Und natürlich sind die kommunikativen Bataillone, die einem als Regierung zur Verfügung stehen, in einem kurzen Wahlkampf besser als die der Opposition.“ Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006. Interview mit Matthias Rößler am 18. Januar 2006. Ebd. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006.
8.1 Konzeptioneller Rahmen
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Ihre Herausfordererstrategie zielte auf Regierungsteilhabe, ihr Spitzenkandidat kämpfte um das Ministerpräsidentenamt, eine Positivkampagne wies sie als Alternative aus. Die Partei attackierte dennoch harsch die Staatsregierung und wechselte im Wahlkampfverlauf zu einer radikalen Protesttaktik. Forcierte die SPD, basierend auf ihrer „produktiven“ Rolle in den Legislaturperioden und ihrem starken Regierungsanspruch, vorrangig Positivkampagnen, dominierten bei der PDS Negativkampagnen. Ihre ablehnende Grundhaltung entsprang zunächst dem isolierten Status der fundamentaloppositionellen Partei. Anders als die SPD musste sie weder bündnispolitische Opportunitäten beachten noch elektorale Konsequenzen fürchten. Ihre milieugebundene Wählerschaft erwartete die radikale Konfrontation mit der CDU. Auch tangierte die hohe Regierungszufriedenheit die PDS weniger als die SPD. Vermochte Letztgenannte wegen ihres teilkooperativen Verhaltens in der ersten Legislaturperiode kaum Ängste vor einer fortgesetzten CDU-Regierung zu schüren, bedienten sich die Postkommunisten erfolgreich dieses Instruments. Initiierte die SPD negative Kampagnen, um ihren Gestaltungsanspruch zu unterstützen, waren die der PDS vorrangig destruktiv motiviert. Erst ihre Negativkampagne des Jahres 2004 war Teil einer ernsthaften Herausfordererstrategie. Einzigartig waren die projektbezogenen PDS-Wahlkämpfe. So unterstützte die Partei das Volksbegehren zur Einführung sozialer Grundrechte aus zwei Gründen. Es sollte einerseits (zweckgebunden) die PDS-Konzepte öffentlich etablieren und den im Landtag gescheiterten Entwurf außerparlamentarisch durchsetzen. Andererseits (ereignisgebunden) setzte die Partei auf ein Plussummenspiel aus Unterschriftensammlung und Wählermobilisierung. Mit dem im Wahlkampf inszenierten (nicht für diesen initiierten) Ereignis konnte sie ihre Isolation partiell durchbrechen.69 Indes stand im Jahr 2004 die Hartz-IV-Kampagne70 zwar in Tradition diverser zweckgebundener Proteststrategien, entbehrte aber einer ereignisgebundenen Grundlage. War es die ursprüngliche Strategie der PDS, mittels Spitzenkandidat und Regierungsprogramm die Auseinandersetzung zu gestalten, durchbrach Hartz-IV diese als „taktisches Element“.71 Die Landespartei wechselte von einer positiv besetzten Herausfordererstrategie mit integrierten Protestelementen zu einer Protesttaktik mit integrierten positiven Elementen. Erneut diente dabei eine Unterschriftensammlung dem Doppeleffekt aus Ereignis- und Zweckgebundenheit. Unter Rückgriff auf die Klassifikation oppositioneller Strategien lassen sich die Akteure stringent untereinander abgrenzen (Tabelle 6). Zunächst agierten 1990 beide Volksparteien mit importierten Regierungsstrategien, nutzten gouvernementale wie oppositionelle Elemente. Die PDS setzte auf eine rollenfreie Partizipativstrategie. In der Folge ging die CDU einer konstanten, in ihrer Ausrichtung zwischen bilanzorientiert und prospektiv variierenden Regierungsstrategie nach – konträr zur PDS. Deren Oppositionsstrategien folgten einer wechselnden Kombination aus Konfrontations- und Alternativstrategie. 1994 bewirkten ihr fehlender Regierungsanspruch, ihr fundamentaloppositioneller Standpunkt und ihre inhaltliche Orientierungslosigkeit zunächst eine dominant konfrontative Ausrich69
70
71
Vgl. Interview mit Regina Schulz am 30. November 2005. „Man konnte sich 1994 nur Gehör verschaffen, indem man Gegenöffentlichkeit brachte und mit außerparlamentarischen Strukturen zusammenarbeitete.“ Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006. Zur allgemeinen Rolle der Kampagne bei der PDS siehe Werner Dreibus u. a. (2007): Die Kampagne als strategisches Instrument der Linken, in: Brie u. a. (Hrsg.), S. 109-122. Interview mit Werner Glaesel am 22. Dezember 2005. Peter Porsch betont: „Wir konnten nicht anders. HartzIV war ein Thema, was sich im Wahlkampf mehr oder weniger aufgezwungen hat. Wir hatten nicht vor, einen auf Hartz-IV fokussierten Wahlkampf zu machen.“ Interview mit Peter Porsch am 7. Dezember 2005.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
tung. 1999 vermischte sie eine weniger bestimmende Konfrontations- mit Elementen einer Alternativstrategie. Fünf Jahre später drehte sich das Verhältnis um. Die SPD war stets ohne geschlossene Oppositionsstrategie.72 1994 setzte sie die bis dahin verfolgten quasigouvernementalen Strategien im Wahlkampf als Anpassungsstrategien fort. Obwohl einzige Herausforderin, führte die SPD einen eher konstruktiven Oppositionswahlkampf mit dem Ziel der Regierungsbeteiligung. Im Jahr 1999 setzte sie erneut auf eher defensive Elemente. Anpassungs- und Alternativstrategien dominierten. Ihre Konfrontation ließ es an Aggressivität missen. Infolge eines offensiveren Kurses trat 2004 die bis dato unwirksame Anpassungsstrategie hinter eine „sachorientierte Auseinandersetzung“ (Alternativstrategie) und eine Negativkampagne (Konfrontationsstrategie) zurück. In dem Maße wie die PDS in ihren Kampagnengrundlagen die konfrontativen Elemente zugunsten von Alternativ- oder Anpassungselementen verschob, räumte die SPD der Konfrontation breiteren Raum ein. Tabelle 6: Regierungs- oder Oppositionsstrategien (hierarchische Ordnung)
CDU
SPD
PDS
1990 importierte Regierungsstrategie importierte Regierungsstrategie Partizipativstrategie
1994 prospektive Regierungsstrategie Anpassungsstrategie
1999 bilanzorientierte Regierungsstrategie Anpassungsstrategie
2004 bilanzorientierte Regierungsstrategie Alternativstrategie
Alternativstrategie
Alternativstrategie
Konfrontationsstrategie
Konfrontationsstrategie
Konfrontationsstrategie Konfrontationsstrategie
Anpassungsstrategie Alternativstrategie
Alternativstrategie
Konfrontationsstrategie
Konfrontationsstrategie
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
In toto bestätigte die Regierungspartei weitgehend die eingangs angenommenen Muster. Mit dem Ziel des Machterhalts setzte die CDU vornehmlich auf Defensivstrategien, verband in einer Bilanzierungsstrategie retrospektive mit prospektiven Elementen, nutzte ihre Ämter zur Wahlkampfkommunikation und zur personellen Präsenz (Amtsinhaberstrategie). Das Oppositionslager agierte divergent. Die Annahme, Oppositionsparteien initiieren stets offensive Herausfordererstrategien, bestätigte sich nicht. Lediglich die SPD 1994 und die PDS 2004 verfolgten „klassische“ Herausfordererkampagnen (Regierungsanspruch, Personalisierung, Angriffswahlkampf). Der SPD-Wahlkampf 2004 und die PDS-Kampagnen 1994/99 ließen hingegen essenzielle Bestandteile ausgewachsener Herausfordererwahlkämpfe vermissen. Ohnehin wich die Oppositionsstrategie der PDS, indem diese bis 1999 keinen Regierungsanspruch vertrat, massiv von den angenommenen Mustern ab. Ihr Vorgehen bestätigt die analytische Notwendigkeit, Herausfordererstrategien zu differenzieren. Die oppositionelle (1994) und die gouvernementale (2004) Herausfordererstrategie der PDS verfolgten diametrale Ziele – einmal die Oppositions-, ein andermal die Regierungsführerschaft. Im direkten Vergleich verfuhren die Sozialdemokraten mit abnehmender, die Postkommunisten mit zunehmender Intensität nach einer Herausfordererstrategie. Suchte die PDS ihr Heil in radikalen Angriffswahlkämpfen, bevorzugte die SPD staatstragende Muster. Im Dreiecksverhältnis stechen zwei Spezifika hervor. So wie sich die CDU als
72
So auch das gut begründete Urteil von Demuth (2006), S. 157.
8.1 Konzeptioneller Rahmen
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alternativlose Garantin stabiler Regierungsarbeit präsentierte, positionierte sich die PDS als Fundamentalalternative. Die SPD scheiterte mit ihrem quasi-gouvernementalen Ansatz.
8.1.2.5 Bundespolitik als Teil landespolitischer Wahlkampfstrategien Wie angenommen, formten durchweg Einflüsse und Strategieelemente verschiedener politischer Ebenen die Landtagswahlkämpfe.73 Ein Zusammenhang ist hier zentral: Die Annahme, Landesparteien orientieren sich allein nutzenmaximierend und setzen landes- und bundespolitische Elemente optimal kombiniert ein, um bestmögliche Resultate zu erreichen, entspricht ebenso wenig der Realität wie die, dass Landesparteien ohnmächtig bundespolitischen Einflüssen ausgeliefert sind. Vielmehr verfolgen sie bei der Planung und der Umsetzung ihrer Kampagnen einen dominant landespolitischen Anspruch. Rico Gebhard (PDS) pointiert: „Kein Landespolitiker will, dass bundespolitische Themen die Landtagswahlen entscheiden, sondern Landespolitiker wollen Landespolitik machen. Aber als Wahlkämpfer kommt man an bundespolitischen Themen nicht vorbei, weil diese im öffentlichen Bewusstsein sind, d. h., man macht nichts weiter als das zu bedienen bzw. zu verstärken, was im öffentlichen Bewusstsein ist. Es sei denn, es gelingt einem, ein bundespolitisches Thema auf ein landespolitisches Thema zu reduzieren, was unwahrscheinlich ist.“74 Entsprechend variierte der Rang der Bundespolitik. Die Parteien instrumentalisierten günstige Einflüsse und unterlagen negativen Einwirkungen. Im Sinne Edwin Czerwicks waren bundespolitische Strategien für alle Akteure „Legitimationsinstrumente“, die das eigene Handeln begründen und die politische Konkurrenz delegitimieren. Ab 1994 lassen sich vier solcher Einflüsse separieren: (1) genuin-positive bundespolitische Faktoren, (2) genuin-negative bundespolitische Faktoren, (3) bewusst-implementierte bundespolitische Faktoren und (4) bewusst-ignorierte bundespolitische Faktoren. (1) Genuin-positive bundespolitische Faktoren sind seitens der Landesparteien weder intentioniert, initiiert noch gesteuert. Sie treten abhängig oder unabhängig vom Handeln der Bundesparteien auf die Agenda und nützen den Landesparteien in der Gestaltung ihrer Wahlkämpfe. Die Akteure ziehen sie zu eigenen Zwecken heran (agenda-surfing), instrumentalisieren sie zulasten des politischen Gegners oder lassen sie ohne Zutun ihre vorteilhaften Effekte entfalten. So eröffnete die Politik der rot-grünen Bundesregierung der PDS ein breites bundespolitisches Legitimationsfeld. Ob in Form der geäußerten Fundamentalkritik an der deutschen Teilnahme am Kosovo-Krieg 1999 oder dem 2004 geübten Vorwurf des Sozialabbaus, sie griff vorhandene genuin-positive Themen auf, richtete diese gegen ihre Konkurrenten und nutzte diese zur Selbstlegitimierung („Friedenspartei“/„Partei der sozialen Gerechtigkeit“). Hingegen konnte die SPD derartiges kaum einsetzen. 1994 verzichtete ihre landespolitische Herausfordererstrategie auf die negative Instrumentalisierung der CDU-Bundesregierung – ein Fehler. In der Folgezeit dominierten negative Einflüsse der rot-grünen Bundesregierung. Die zentrale landespolitische Wahlkampfstrategie der CDU integrierte speziell 1999 genuin-positive bundespolitische Einflüsse. Sie instrumenta73
74
Hinzu kam ein auf Wahlkreisebene streckenweise dominanter kommunalpolitischer Einfluss. Speziell Kandidaten mit kommunalpolitischer Verankerung wurden durchweg mit lokalen oder regionalen Themen konfrontiert bzw. integrierten diese in ihre Kampagnen. Exemplarisch: Interview mit Andrea Roth am 19. Dezember 2005; Interview mit Lars Rohwer am 1. Dezember 2005. Interview mit Rico Gebhard am 11. Januar 2006. Auch Gernot Borriss (SPD) bemerkt: „Der Anspruch, vorrangig Landespolitik zu platzieren, war immer da.“ Interview mit Gernot Borriss am 13. Januar 2006.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
lisierte die für die Regierung Schröder bedeutsamen guten Beziehungen zur Landesregierung, bediente sich günstiger Weichenstellungen. So betont Steffen Flath: „Was blieb denn Gerhard Schröder 1999 bei der Einweihung von Infineon anderes übrig, als Sachsen und Kurt Biedenkopf zu loben. Und die SPD saß mit dort. Das konnte man so stehen lassen.“75 (2) Genuin-negative bundespolitische Faktoren sind seitens der Landesparteien weder intentioniert, initiiert noch gesteuert. Sie treten abhängig oder unabhängig vom Handeln der Bundesparteien auf die Agenda und schaden den Landesparteien in der Gestaltung ihrer Wahlkämpfe. Während sich die PDS als doppelte Oppositionspartei genuin-negativen Faktoren weitgehend entzog, wurden diese für die SPD zur bundespolitischen Kerngröße. So spürten die Sozialdemokraten 1999 die Sprengkraft bundespolitischer Beschlüsse (KosovoKrieg, Finanzpolitik). An die Stelle der landespolitischen Auseinandersetzung mit der CDU trat eine bundespolitische Abwehrargumentation. 2004 verschärfte die Hartz-IV-Debatte dieses Szenario. Die geplante landespolitische Positivkampagne versagte. Besonders am „Faktor“ Hartz-IV war dessen breite Streuung – auch zuungunsten der CDU, die erstmals im bundespolitischen Gegenwind stand. Das Thema traf sie an einer ungeschützten Flanke. Die in landespolitischen Fragen vor Überraschungen weitgehend gefeite Partei hatte zwar die Bundespolitik als „Hauptindikator“ der Wahl früh bedacht, nicht aber mögliche negative Einflüsse in ihre Richtung. (3) Mit bewusst-implementierten bundespolitischen Faktoren wirken Landesparteien in Zusammenarbeit mit der, in Anlehnung an die oder unabhängig von der Bundespartei positiv auf die eigene und/oder negativ auf die Kampagne ihrer Konkurrenten ein. Vornehmlich bediente sich die CDU dieses Instruments. Bereits 1994 vertrat Biedenkopf als „Anwalt der Sachsen“ einen übergreifenden Anspruch, forcierte eine (pseudo-)oppositionelle bundespolitische Haltung. 1999 wagte die im Bund aus der Regierungsverantwortung entlassene sächsische CDU ein Vorhandspiel.76 Biedenkopf integrierte gezielt die von ihm seit Jahren geforderten bundespolitischen Ordnungs- und Strukturreformvorschläge in den Landtagswahlkampf. Indem er den Kurs des SPD-Kanzlers lobte und seine Kooperationsbereitschaft ankündigte, schlüpfte er in eine (pseudo-)gouvernementale bundespolitische Rolle. 2004 scheiterte diese Strategie. Den abschlägigen Diskussionen um die Arbeitsmarktreform entkam die „Mittäterin“ CDU nicht. Hingegen misslang es der SPD 1999, eine erfolgreiche bundespolitische Regierungsrolle in den Landtagswahlkampf zu überführen. Die Landespartei vertrat zwar die Reformpolitik der Bundesregierung, implementierte diese aber eher unbewusst. Indessen griff die PDS in ihrer doppelten Oppositionsrolle beliebig ebenenübergreifende Legitimationsmuster auf. Landesspezifika spielten in ihren zentralen Kampagnen (Regierungskritik ausgenommen) teils eine untergeordnete Rolle. Insbesondere nach Antritt der rot-grünen Bundesregierung entwickelten sich bundespolitische Argumente zu einer dominanten Größe der PDS-Protestmobilisierung. Dabei differierten die internen „Interessenlagen“. Stand die Fraktion eher für einen landespolitischen Gestaltungsansatz, ging die Partei oft über einen solchen hinaus.77 (4) Bewusst-ignorierte bundespolitische Faktoren entsprechen im Wesentlichem einem thematischen wie personellen agenda-cutting, das versucht, bundespolitische Zusam75 76
77
Interview mit Steffen Flath am 21. Dezember 2005. Laut Fritz Hähle lancierte die CDU 1999 bewusst Bundesthemen: „Die Leute müssen wissen, dass der eigene Landesvater im Bund ein Gewicht hat, dort Ideen einbringt und etwas erreicht für das Land. […] Bundespolitik spielte immer eine große Rolle, weil sie einfach in den Medien mehr vorkommt.“ Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006. Vgl. Interview mit Werner Glaesel am 22. Dezember 2005.
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menhänge aus dem Landtagswahlkampf zu halten, die der eigenen Partei oder den eigenen Kandidaten schaden könnten. Am deutlichsten offenbarte diese Strategie die organisatorische und konzeptionelle Abnabelung der Landes-CDU von der Bundespartei 1994. Die Landespartei mied alles, was ihre hohen Zustimmungswerte bzw. das Ansehen ihres Amtsinhabers hätte gefährden könnten. Was 1994 gelang, ein sächsischer Separatismus, scheiterte 2004. Alle Absichten der CDU, Hartz-IV aus dem Landtagswahlkampf auszublenden, liefen ins Leere. Die Konkurrenz ahndete jedes Wegducken. Die PDS dethematisierte nur 1990 und 1994 den katastrophalen Zustand und das negative Erbe der DDR, ging ansonsten als doppelte Oppositionspartei keinen bundespolitischen Einflussfaktoren aus dem Weg. Hingegen waren übergeordnete Einflüsse von der SPD kaum zu regulieren. Zwar bedachte die Landespartei bei der Vorbereitung ihrer Wahlkämpfe eventuelle bundesseitige Auswirkungen, Möglichkeiten eines agenda-cutting fehlten ihr aber. Entsprechend bezog die SPD die für sie negative Bundespolitik 1999 und 2004 in ihre Wahlkämpfe mit ein. Einen Ausnahmefall bildet der Landtagswahlkampf 1990, bei dem drei grundlegende Argumentations- und Strategieebenen unterschieden werden müssen. (1) Landespolitische Elemente standen insbesondere bei CDU und SPD im Vordergrund. Ferner demonstrierten beide Landesparteien mit Verweisen auf westdeutsche Landesregierungen landespolitische Kompetenz. Wohl in dieser Form einzigartig, implementierte zudem die SPD-Bundespartei mittels Fingerzeig auf ihre Landesregierungstätigkeit landespolitische Elemente in einen Landtagswahlkampf. (2) Bundespolitische Elemente beförderte das Engagement der Bonner Christ- und Sozialdemokraten. In keinem anderen Fall wurden mehr genuin-positive bundespolitische Faktoren in den Landtagswahlkampf gesteuert als 1990. Die PDS verfolgte einen ebenenübergreifenden Argumentationsmix. (3) Alle diese Muster wurden überlagert durch existenzielle Fragen ohne direkte Ebenenzuordnung. Kurt Biedenkopf beschreibt die damalige Sondersituation wie folgt: „Wie geht es weiter? Das war das Thema. Wie ist es mit unserer Rente, wie ist es mit Arbeit, wie geht es weiter. Das waren […] Fragestellungen von fundamentaler Bedeutung.“78 Es ging, so Feist/Hoffmann, um den „wirtschaftlichen Umbau von der Plan- zur Marktwirtschaft mit seinen schmerzhaften Eingriffen; Fragen der sozialen Sicherung; Sorgen um die zerstörte Umwelt; das Trauma einer Stasi-Vergangenheit und ihre notwendige Verarbeitung“.79 Die Kombination aus existenziellen Themen und fehlendem politischen Ebenenbewusstsein bei Akteuren und Wählern löste den Wahlkampf aus einem bloßen Bund-Land-Kontext heraus. Art und Umfang der landes- und bundespolitischen Legitimierung hingen somit einerseits von den Zielen und Strategien der Landesparteien ab, andererseits mit den politischen Rahmenverhältnissen zusammen. Deren Konstellation regelte die Stärke des externen Legitimationsdrucks, reduzierte oder erweiterte entsprechend den landespolitischen Spielraum. Die unterschiedlichen Optionen sollen abschließend an den von Edwin Czerwick angeführten Kriterien, nach denen landes- oder bundespolitische Strategieelemente dominieren,80 verdeutlicht werden. (1) Die sächsischen Landtagswahlkämpfe widersprechen Czerwicks Annahme, eine Bundesoppositionspartei versuche bei instabilen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag, über bundespolitisch instrumentalisierte Landtagswahlen die Regierungskoalition im Bund zu schwächen. 1990 setzte die SPD trotz der stabilen schwarz-gelben Bundestagsmehrheit 78 79 80
Interview mit Kurt Biedenkopf am 24. Januar 2006. Feist/Hoffmann (1991), S. 33. Vgl. Kapitel 3.2.2.2 sowie Czerwick (1984a), S. 56-72; ders. (1984b), S. 146-149.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
auf eine bundespolitische, 1994 ob einer labilen Mehrheit auf eine landespolitische Delegitimierungsstrategie. Die Gründe hierfür waren situativ. Das Jahr 1990 nötigte allen Parteien eine bundespolitische Positionierung ab. 1994 erzwangen der landespolitische CDU-Wahlkampf, die sächsische Herausfordererkampagne der SPD und das Problembewusstsein der Wähler landespolitische Legitimierungsstrategien. Auch 1999 und 2004 kam es, trotz der angeschlagenen rot-grünen Regierungskoalition, nur begrenzt zu einer bundespolitischen Delegitimierung durch die sächsische CDU; wie gezeigt aus unterschiedlichen Gründen. Die PDS, stets Bundesoppositionspartei, agierte situativ. (2) Die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat fielen in den sächsischen Wahlkämpfen außer 1990, als mit den ostdeutschen Ländern 27 Sitze hinzukamen und daher alle Parteien die Relevanz der „Länderkammer“ betonten, kaum ins Gewicht. 1994 hatte die SPD 34 von 68 Sitzen, für einen Sitzausbau kam Sachsen nicht infrage. 1999 mühte sich die SPD zwar, ihre Bundesratsmehrheit zurückzugewinnen. Sachsen spielte dabei aber wegen seiner CDUDominanz keine Rolle. 2004 verfügte die CDU über eine absolute Mehrheit im Bundesrat, unabhängig vom Ausgang der sächsischen Landtagswahl. Während der Bundesrat für die PDS ohne erkennbare Bedeutung war, brachte die SPD ihn nur 1990 als Legitimationselement in den Landtagswahlkampf ein. Hingegen gebrauchte die CDU kontinuierlich das im deutschen Exekutivföderalismus für eine mit absoluter Mehrheit regierende Landespartei typische Argument: Die Staatsregierung kann nur wirksam über den Bundesrat Einfluss nehmen, wenn die Landespartei eine absolute Mehrheit hat. (3) Indessen beeinflusste der Grad der politischen Polarisierung auf Bundesebene die Landtagswahlkämpfe, wohlgemerkt in Abhängigkeit zur Intensität der landespolitischen Auseinandersetzung. Nicht ein Mangel an polarisierenden Themen auf Bundesebene (so Czerwicks Annahme) zwang die Parteien auf Landespolitik zurückzugreifen. Eher überlagerten intensive bundespolitische Polarisierungen ansonsten dominante landespolitische Strategien, waren übergeordnete Legitimationsstrategien umso präsenter, je mehr es an strittigen sächsischen Themen fehlte. Beispielsweise argumentierte die CDU 1994 primär landespolitisch, während sie 1999 mangels entscheidender sächsischer Themen übergeordnete Fragen lancierte. Die nach 1994 stetige Zunahme bewusst-implementierter Bundesfaktoren stützt eine These: Weniger der Grad an bundes- und mehr der an landespolitischer Polarisierung determinierte die jeweilige Legitimationsstrategie. So entzog sich der von essenziellen landespolitischen Themen gezeichnete Wahlkampf 1994 einer bundespolitischen Polarisierung. Der Fokus von Parteien und Wählern war sächsisch. In der Folge sank auf beiden Seiten die Relevanz der Landespolitik. Die Wahlkämpfe traten vermehrt in einen bundespolitischen Kontext. Während die (4) Anzahl der Wahlberechtigten in Sachsen eine wirksame bundespolitische Instrumentalisierung nicht zuließ, hatte die (5) zeitliche Nähe der Landtagswahl zur Bundestagswahl, jenseits der Singularität des Jahres 1990, erhebliche Effekte. Der im Säulenmodell aufgeworfene Zusammenhang, dass Landtagswahlkämpfe mit unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Bundestagswahl dieser kommunikativ wie strategisch folgen (et vice versa), bestätigte sich nicht. Der Landtagswahlkampf mit der größten Nähe zu einer Bundestagswahl (1994) basierte aus den genannten Gründen vorrangig auf landespolitischen Legitimations- und Kommunikationsstrategien, den Wahlkampf mit der größten Distanz zu einer Bundestagswahl (2004) beherrschte die bundespolitische Debatte. Allein der strategische Ansatz der PDS verschmolz 1994 beide Ebenen. Der zeitliche Abstand der Landtagsvon der Bundestagswahl entschied folglich kaum über die Art der Legitimationsstrategie.
8.1 Konzeptioneller Rahmen
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(6) Das Verhältnis zwischen Landesverband und Bundesorganisation beeinflusste bei allen Akteuren die strategische Konzeption. Zogen die engen Verbindungen zwischen den Bundes- und Landesparteien 1990 bundespolitische Legitimationsmuster nach sich, variierte dies nachfolgend. Die äußerst eigenständige sächsische CDU wahrte kritische Distanz zur Bundespartei. Hier dominierten landespolitische Strategien. Die abhängige sächsische SPD stellte sich hingegen fast kompromisslos hinter ihre Bundespartei. Überlegungen, sich abzukoppeln oder im Wahlkampf gegen deren Regierungspolitik vorzugehen, spielten in der Landesführung keine Rolle.81 Die sächsische PDS ging einen anderen Weg. Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten war sie ein gewichtiger Teil der Gesamtpartei. Ihre kombinierte Kampagnenführung und die übergreifenden strategischen Elemente folgten daher durchaus den Berliner Strategien. (7) Die öffentlichen Sympathiewerte für Bundes- und Landespartei bzw. die damit verbundenen Werte für Regierung und Opposition formten die Strategien. Am eindeutigsten war dies bei der CDU. Mit Ausnahme des Jahres 1990, als sich der Landesverband bereitwillig der deutlich populäreren Bundespartei unterordnete, bewirkten die im Vergleich zur Bundesebene höheren Sympathie- und Popularitätswerte von Landespartei und Staatsregierung stets eine autarke Ausrichtung. Hingegen litt die sächsische SPD unter schlechten Werten auf allen Ebenen. Ihre Popularitätsschübe (1991-1993, 1998, 2002) waren für die sächsischen Wahlausgänge bedeutungslos. 1999 etwa, als sich 77 Prozent der Bevölkerung unzufrieden mit der Arbeit der SPD-Bundesregierung, sich hingegen 63 Prozent zufrieden mit der Arbeit der CDU-Landesregierung zeigten, waren die sächsischen Sozialdemokraten strategisch optionslos. Bei der PDS verhinderte das enge Verhältnis des Landesverbands zur Gesamtpartei eine Unterscheidung ebenenbezogener Sympathiewerte. Im Gegensatz zu ihren Konkurrenten zehrte die Landespartei durchweg vom Status ihrer Bundespartei. (8) Die Wahrscheinlichkeit eines Regierungswechsels im Land bewirkte die angenommene Konzentration auf landespolitische Legitimationsstrategien. 1994 dominierte bei CDU und SPD, den für einen Regierungswechsel entscheidenden Akteuren, eine landespolitische Ausrichtung. 2004 setzten alle drei Parteien vorab auf landespolitische Strategien, die im Wahlkampf aber bundespolitisch überlagert wurden. (9) Der Dominanzgrad des Landesparteiensystems prägte in Sachsen den Wahlkampfcharakter. Die „Sächsische Union“ richtete ihre Kampagnen konsequent landespolitisch aus, bezog bundespolitische Argumente einzig ein, um ihren sächsischen Anspruch extern zu untermauern. Die Dominanz ihrer Politik und ihrer Landespolitiker während der Legislaturperioden sowie ihre kommunikative Vorherrschaft in den Landtagswahlkämpfen der Jahre 1994/99 erzwangen vor allem bei der SPD landespolitische Herausfordererstrategien. In der Zusammenschau existieren zwei Grundtypen bundespolitischer Einflüsse auf Landtagswahlkämpfe bzw. -wahlkampfstrategien. (1) Die Landesparteien bedienen sich, abhängig von ihren Zielen und Strategien, facettenreich übergeordneter Legitimationsinstrumente. (2) Es unterliegt vorrangig dem situativen „Legitimationsdruck“, ob eine Partei eher bundes- oder landespolitisch agieren kann oder muss. Der Einfluss der Systemebenen, das bestätigt Czerwicks Aussage, ist situativ. Der Grad, nach dem Landesparteien bestimmen, welche Ebene ihre Kampagnen prägt, hängt von deren Status, den vorherrschenden Rahmenbedingungen, der öffentlichen Wahrnehmung und dem Verhalten der Bundesparteien ab. Bundespolitik ist in Landtagswahlkämpfen weder beliebiges Instrument noch zentrale Determinante. Nicht zuletzt die Stärke des landespolitischen Primats entscheidet 81
Vgl. Interview mit Dieter Häcker am 9. Dezember 2005; Interview mit Rolf Schwanitz am 20. Februar 2006.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
über ihren Einflussgrad. Existiert eine ausgeprägte innere Polarisierung, verringert oder verhindert dies externe Einflüsse. Das sächsische Hegemonialparteiensystem gebar hier strukturelle Besonderheiten. Die Christdemokraten zeichnete in der Ära Biedenkopf eine hohe Autonomie im Umgang mit bundespolitischen Einflüssen und Strategieelementen aus. Ihr bundespolitischer Status engte ihren landespolitischen Handlungsspielraum kaum ein. Die Regierungspartei rückte stets für sie vorteilhafte bundespolitische Elemente ins Licht der Landtagswahlkämpfe und bestimmte so maßgeblich deren bundespolitische Durchdringung mit.82 Für die SPD verheerend, vereinte die CDU nicht nur auf Landesebene zentrale Charakteristika einer Regierungs- und Oppositionspartei, sondern sie agierte zugleich (speziell Biedenkopf) als glaubund vertrauenswürdiges sächsisches Korrektiv christ- (1994) und sozialdemokratischer (1999) Bundesregierungspolitik. Nicht zuletzt die Tatsache, dass ihr dies 2004 nicht gelang, war ein Grund ihrer Niederlage. Lag der Fokus der CDU 1990 auf Sachsen, begleitet von starken Externa, dominierte 1994 eine landespolitische Strategie. 1999 gesellte sich zu der landespolitischen Bilanzierungsstrategie eine komplementäre bundespolitische Kompetenzstrategie, 2004 prägte fehlende bundespolitische Souveränität die souveräne Landespartei. Der Umgang mit bundespolitischen Einflüssen und Strategieelementen ist für SPD und PDS unterschiedlich zu bewerten. So gelang es den Sozialdemokraten in keinem der Fälle, ihre landespolitische Kernstrategie durch eine positive bundespolitische Argumentation zu ergänzen, wohingegen sich die Postkommunisten regelmäßig gewinnbringend bundespolitischer Elemente bedienten. Konnte die SPD weder ihren Status der Bundesoppositionsnoch den der Bundesregierungspartei positiv instrumentalisieren, profitierte die PDS stets von ihrer oppositionellen Doppelrolle. Sah sich die SPD kontinuierlich mit negativen bundespolitischen Einflüssen konfrontiert, nutzte die PDS diese für sich aus. Obendrein verzichtete die SPD als Oppositionspartei 1994 auf eine bundespolitische Polarisierung. Anstatt die CDU an ihrer schwachen bundespolitischen Flanke zu attackieren, verfolgte sie eine sächsische Herausfordererkampagne. Danach entzog ihr die miserable Stimmungslage gegenüber der Regierung Schröder den bundespolitischen Boden. Die SPD rang mit einer CDU, die sich nach Gutdünken bundespolitischer Legitimationselemente bediente, und mit einer durch genuin-negative Einflüsse gestärkten PDS. Deren bundespolitische Strategieelemente wichen aus folgenden Gründen von den Annahmen ab: enge Anbindung an die Bundespartei, simultane Oppositionsrolle auf Bundes- und Landesebene, auf Bundesebene ausnahmslos, auf Landesebene größtenteils fehlender Regierungsanspruch. Tonangebend war, dass der Landesverband, als starkes Glied einer Regionalpartei, einem ebenenübergreifenden Politik- und Strategieansatz folgte. So verflochten die Postkommunisten Landes- mit Bundespolitik und etablierten damit Legitimationsmuster ohne direkte politische Ebenenzuordnung (z. B. Frieden, Gerechtigkeit).
8.2 Imagekampagne 8.2.1 Parteiimage Die Landtagswahlkämpfe bestätigten die in Kapitel 3.3.1 angenommene Zweipoligkeit von Parteiimages. Einerseits handelt es sich um komplexe Eindrücke, Erfahrungen und Assozi82
Für Baden-Württemberg belegt diesen Effekt Huh (1996), S. 64-68.
8.2 Imagekampagne
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ationen von Wählern bezüglich der Landesparteien. Unter anderem beeinflusst durch das personelle und thematische Auftreten einer Partei, das Handeln ihrer Akteure in Regierungen und Parlamenten, die diesbezüglichen Medienberichte oder die Art und Weise des interparteilichen Umgangs, prägen Parteiimages die Wahrnehmungen und die Entscheidungen der Wähler. Andererseits sind Parteiimages als komplexe „Metaimages“ Ergebnisse wahrnehmbaren Verhaltens parteipolitischer Akteure. Diese bestimmen über ihr politisches Handeln bzw. über ihre Außeninszenierung das eigene Erscheinungsbild mit. Zum Zweck einer strukturierten Analyse soll das Parteiimage anhand seiner erörterten drei Komponenten und, wenn möglich, der beiden Wahrnehmungsebenen aufgelöst werden. Neben dem ideologischen Parteiimage, definiert als wahlkampfbedingt komplexitätsreduzierte, ideologische Außendarstellung respektive verstanden als von der Bevölkerung perzipierter ideologischer Charakter einer Partei, findet sich das kompetenzvermittelnde Parteiimage, definiert als Konglomerat angenommener Problemlösungskompetenzen einer Partei und deren wahlkampfbedingter Eigenpositionierung. Ferner bedeutsam ist das strukturelle Parteiimage als Ausdruck der realen wie der wahrgenommenen innerparteilichen Geschlossenheit bzw. Zerklüftung. Darüber hinaus wird als Spezifika die von allen drei Parteien bediente sächsische Identität betrachtet.
8.2.1.1 Ideologisches Parteiimage Die zentrale Aufgabe der christdemokratischen Imagekampagne bestand 1990 darin, das Bild der Blockpartei abzuschütteln und das einer neuen politischen Kraft zu etablieren. Mit einer Geschlossenheits- und Verdrängungsstrategie erweckte die CDU den Eindruck weitgehender Unbelastetheit. Sie verwischte und verklärte ihre Rolle in der DDR, streifte sich das Kleid der Bundesregierungspartei über und adaptierte den revolutionären Nimbus der Reformer. Obwohl die Landespartei mit der Mehrheit ihrer Mitglieder und Führungskräfte in struktureller Kontinuität zur Block-CDU stand, positionierte sie sich in einer Mischung aus Imagebildung und Erneuerung als Akteurin mit der vermeintlich größten Distanz zum DDR-Regime.83 Der Imagewandel und die Reformbemühungen fruchteten. In den Folgewahlkämpfen spielte der Blockparteibezug keine Rolle mehr. Der Landesverband hatte sich in seinem Grundsatzprogramm auf eine Formel im Umgang mit der eigenen Vergangenheit geeinigt: Abseits einiger „SED-höriger Funktionäre“ habe sich das Gros der CDU-Mitglieder „nicht als Erfüllungsgehilfe der DDR-Einheitspartei empfunden“, sondern die Mitgliedschaft als „Ausdruck einer Abgrenzung zur atheistischen und menschenfeindlichen Politik der SED verstanden“.84 Die CDU sah sich als passive Mitläuferin, die kaum Widerstand geleistet und ihre Rolle als Blockpartner der SED bedient habe.85 Die Schuld für die Diktatur und deren finales Desaster schrieb sie allein der PDS zu. Im gleichen Atemzug prägte ab 1990 ein rigider Antisozialismus die christdemokratische Wahlkampfrhetorik. Der früheren Blockpartei, die „stets treu zur Sache des Sozialismus“86 gestanden hatte, galt dieser nun in seinem ideologischen „Wesenskern“ als falsch und in seinen realen Auswir83 84 85 86
Vgl. Schmitt (1994), S. 202. „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“ Grundsätze und Programm der Sächsischen Union, S. 4. Vgl. ebd. Stets treu zur Sache des Sozialismus. Grußadresse des Parteitags der CDU an das ZK der SED, in: ND vom 15. Oktober 1982.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
kungen als verheerend.87 Dieses nach außen vertretene antisozialistische Fundament entsprach sicherlich dem freiheitlichen, antiextremistischen Anspruch der Christdemokraten, für einige Altkader war es indes bloße Selbstlegitimierung. Ab dem Jahr 1994 zeichnete das ideologische Rollenbild eine Kombination aus dem Regierungsimage, einer beschworenen sächsischen Identität und aus der Firmierung als „Sächsische Union“ aus. Das Kernimage der erfolgreichen und alternativlosen Regierungspartei, der Partei für Wirtschaft und Arbeit, Wohlstand und soziale Sicherheit, Ordnung und gute Bildung dominierte alle Landtagswahlkämpfe. Staatliche und gesellschaftliche Solidarität verbunden mit Eigenverantwortung wurden zum Credo. „Wir vertrauen auf die Leistungskraft der Gesellschaft, in der die Bürger ihr Leben und wirtschaftliches Handeln weitgehend frei in eigener Verantwortung gestalten können.“88 Die CDU vermittelte das Bild einer kompetenten (klein)bürgerlichen Regierungspartei, die für politische Stabilität sorgt, für einen starken gesellschaftlichen und ökonomischen Freiheitsanspruch steht, ansonsten aber einen wertorientierten und landespatriotischen Ansatz vertritt. Parallel dazu entfernte sich die „Sächsische Union“ in den Wahlkämpfen aufgrund ihrer stimmenmaximierenden Kernstrategien von ihrer christdemokratischen Herkunft und christlichen Konstitution. Während sie innerparteilich und im elitären Diskurs ihre christlichen Wurzeln betonte, passte sich die Partei nach außen der mehrheitlich nicht religiösen Wählerschaft an.89 Die Wahlkämpfe führte die CDU unter Bezugnahme auf ihr Regierungsimage und das der „Sachsenpartei“ fast areligiös. So wies das Grundsatzprogramm von 1993 klare christliche und christdemokratische Bezüge auf, deklarierte deutlich „christliche Grundwerte als ethische Grundlage für verantwortliche Politik“90. Die Wahlprogramme waren diesbezüglich „entideologisiert“. Das Arbeitsprogramm des Jahres 2004 markierte den Höhepunkt der „Sprachreinigung“. Die Partei ersetzte u. a. die Termini „CDU“ oder „Christdemokraten“ fast vollständig durch die Begriffe „Sächsische Union“, „wir“, „uns“. Im Gegensatz dazu strebte die SPD nach einer ideologischen Anbindung an ihre sozialdemokratischen Wurzeln. Ihre ideelle und personelle Verankerung in der friedlichen Revolution, ihre akademische Mitgliederschaft und das distanzierte Verhältnis zur Arbeiterschaft bewirkten 1990 zunächst eine programmatische Mischung aus Forderungen des Herbste 1989, starken, mitunter aus der Bundesrepublik importierten, sozialdemokratischen Elementen sowie verhältnismäßig pragmatischen und problemorientierten Punkten. Um im Wahlkampf 1990 ihr Rollenbild einer neugegründete und unbelasteten Partei festigen zu können, musste die sächsische SPD zunächst dem Ruf begegnen, SED-Nachfolgepartei bzw. Sammelbecken für alte „SED-Bonzen“ zu sein. Sie litt unter diesem aus dem Volkskammerwahlkampf stammenden Negativimage. Deshalb und aus der eigenen Diktaturerfahrung heraus, vermied sie sozialdemokratische Reliquien, etwa den negativ besetzten Sozialismusbegriff, positionierte sich stattdessen mit Losungen wie „Arbeit und soziale Gerechtigkeit für jeden“ als solidarische, gerechte, sozialdemokratische Partei. In den folgenden Wahlkämpfen gelangte die Landespartei zu keinem geschlossenen, auf die sächsische Situation abgestellten sozialdemokratischen Rollenbild. 91 Zwar setzte sie offen auf Begriffe wie „sozialdemokratisch“ oder „Sozialdemokratie“ sowie auf ihre säch87 88
89 90 91
Vgl. „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“ Grundsätze und Programm der Sächsischen Union, S. 6. Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 2. Die identische Formulierung findet sich in: Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 6. Vgl. zu dieser Diskrepanz Patzelt (2006), S. 110 f. „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“ Grundsätze und Programm der Sächsischen Union, S. 3. Vgl. Demuth (2006), S. 148, 156.
8.2 Imagekampagne
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sische Historie. „Die sächsische Sozialdemokratie ist die bestimmende linksdemokratische Kraft im Freistaat. […] Unsere politische und programmatische Übereinstimmung beruht auf unseren gemeinsamen Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. […] Wir sächsischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stellen uns in die Tradition der mehr als 130 Jahre alten deutschen Sozialdemokratie. Dass Sachsen das Geburtsland unserer Partei ist, ist unsere besondere Verpflichtung.“92 Derlei Imagesetzungen fanden jedoch kaum Eingang in die Wahlkämpfe. Anstatt das markante Selbstverständnis in ein exklusives ideologisches Image zu transferieren, gewährte die sächsische SPD problemorientierten Politikbildern Vorrang. Ihre Wahlprogramme strotzten ab 1994 vor Zielen und Maßnahmen, welche die Landespartei nach einer Regierungsübernahme umzusetzen gedachte. Auf der Strecke blieb ein erkennbarer ideologischer Rahmen. Obwohl sich die sächsische SPD in allen Landtagswahlkämpfen als „Sachsens soziale Stimme“ und als einzige linke Volkspartei präsentierte, scheiterte ihre Imagesetzung. So wurde die soziale Gerechtigkeit zum wirkungsmächtigen Alleinstellungsmerkmal der PDS. Auch widersprach das bundespolitische Rollenbild der Sozialdemokraten ihrem sozialen Anspruch. Ferner verhinderten starke eigene Regierungsambitionen einen ideologisierten und erzwangen einen umsetzungsorientierten Kurs. Kunckels Kompetenzwahlkämpfe prallten daher nicht nur an den christdemokratischen Kompetenzzuschreibungen ab, sie waren insbesondere gegen die überzogenen Postulate der PDS chancenlos. Nicht zuletzt taten sich 2004 wichtige Wählerzielgruppen mit der von der sächsischen SPD vertretenen Hartz-IVPolitik schwer. Jurks erkennbare „Resozialdemokratisierung“ der Landespartei änderte daran im Wahlkampf nichts. Die PDS musste sich 1990 vornehmlich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Sah sie sich als bloße Rechtsnachfolgerin der SED, galt sie der Bevölkerungsmehrheit als deren personelle und programmatische Erbin. Entsprechend aufwändig waren ihre Ablenkungsmanöver. Ohne den geringsten Anflug von Reue agierte sie als erneuerte Kraft, betonte opportunistisch ihre basisdemokratischen Ansprüche, vertrat ungeniert konsensuale Demokratiekonzepte („Mehr Demokratie wagen“). Die (pseudo)demokratische Positionierung der PDS begründete sich auf zweierlei Weise. (1) Sie entsprach der „orthodoxen“ Legitimierungstaktik, mehrheitsdemokratische Formen zu delegitimieren. (2) Sie entsprang dem neuen Selbstverständnis einiger „Reformer“. In den Folgekampagnen waren basisdemokratische Komponenten in den projektbezogenen Wahlkampfstrategien und den Forderungen nach stärkerer Bürgerbeteiligung bedeutsam, kritische Vergangenheitsdiskurse indes tabu. Die Partei verdunkelte ihre Historie, um als Kämpferin für Demokratie und gegen die „Alleinherrschaft“ der CDU zu strahlen. Zusätzlich gewannen ab 1994 drei ideologische Images die Oberhand. Erstens positionierte sich die PDS als Oppositionspartei. Insbesondere im „orthodoxen“ Lager herrschte ein oppositionelles Selbstverständnis vor, wie Klaus Bartl bemerkt: „Wenn ich die Wähleranweisung habe, Oppositionskraft zu sein, dann muss ich mich dahingehend profilieren. […] Wenn wir mit 23 Prozent gewählt werden, dann geschieht das nicht mit der Maßgabe, die Regierung zu übernehmen. Wir werden gewählt, Korrektiv und Regulativ zu sein.“93 Darüber hinaus erschien die Rolle der freiwilligen Opposition zweifelhaft. Die Landespartei
92 93
„Görlitzer Programm“ 1999, S. 3. Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
machte aus der Not eine Tugend94 und positionierte sich als „konsequenteste linke Oppositionspartei“95. Selbst 2004 lebte ihr radikales Oppositionsverständnis im Wahlkampf fort. Die PDS war gespalten. Die Einen suchten die Regierungsverantwortung und interpretierten Opposition als konkrete Regierungskritik, die Anderen sehnten sich nach außerparlamentarischer Teilhabe und deuteten Opposition als beliebige Protestobligation. Zweitens verstand und präsentierte sich die PDS als Garantin „sozialer Gerechtigkeit“. 1990 noch als Verteidigerin der „sozial Schwachen“ und der „sozialen Errungenschaften“ der DDR aufgetreten, nahm der Kern ihrer ideologischen Imagekampagne 1994 Gestalt an. Die Postkommunisten ordneten dem Ziel eines sozial „gerechteren Gesellschaftskonzepts“ sämtliche Politikfelder unter. In dem Maße, in welchem sich die CDU mit der sächsischen Identität verband, verknüpfte sich die PDS ab 1999 mit der sozialen Gerechtigkeit. Die Politik der rot-grünen Bundesregierung und der damit verbundene „Rechtsruck“ der Sozialdemokraten auf der sozio-ökonomischen Konfliktlinie halfen ihr, das bis dato sozialdemokratische Issue zu besetzen. Sie stellte 1999 fest: „Die PDS ist eine sozialistische Partei. […] Unsere Politik ist in ihrem Kern eine soziale Politik. […] Die PDS steht für Gerechtigkeit.“96 Dies zahlte sich aus. 2004 stand die PDS (nicht die SPD) in den Augen der Wähler für „soziale Gerechtigkeit“. Drittens bediente die „sozialistische ostdeutsche Volkspartei“ das Rollenbild der ostdeutschen Interessenvertreterin. Verteidigte und bewahrte die sächsische PDS bis 1994 vorrangig eine diffuse DDR-Identität, löste sie sich 1999 davon vorsichtig, um 2004 das Image der ostdeutschen „Kümmererpartei“ zu etablieren. Sie forcierte überwiegend einen aktuellen und protestverhafteten Sozialbezug, argumentierte nur noch opportun „DDRnostalgisch“. Ihr Bild als „Ostpartei“, als selbsternannte „Anwältin“ der kleinen Leute, fiel auf fruchtbaren Boden, befand doch 2004 die Mehrheit der Sachsen, die PDS kümmere sich am stärksten um die Probleme der Ostdeutschen. Insgesamt bestätigen die Fälle die Annahmen nach Harrop/Miller,97 dass Parteien in Wahlkämpfen entweder Teile ihrer konventionellen Ideologie in den Vordergrund stellen (CDU 1990; SPD 1990/2004; PDS 1994/99) oder sie ihr Image auf einer kampagnenorientierten Botschaft aufbauen (CDU 1994-2004; SPD 1994/99; PDS 1990/2004). So lehnten sich Christ- und Sozialdemokraten in der Sondersituation 1990 an die konventionellen Images der Westparteien an bzw. zehrten von deren vor 1990 von der Bevölkerung wahrgenommenen Reputationen, während die Postkommunisten ein demokratisches Rollenbild improvisierten. Neben der Imagegenerierung versuchten alle Akteure, negative Wahrnehmungsbilder zu vermeiden. In den folgenden Wahlkämpfen begründeten CDU und PDS einzigartige ideologische Images. Erstgenannte schuf das Bild der regierenden „Sachsenpartei“, Letztgenannte das der opponierenden „Ostpartei“. Die SPD scheiterte beim Aufbau eines abgrenzbaren ideologischen Images. Ersetzte die kampagnenorientierte Ausrichtung der CDU im Wahlkampf weitgehend ihr ideologisches Fundament durch das Rollenbild der Regierungspartei und durch die sächsische Imagination, bediente die PDS eher konventionelle Schemen und griff ideologische Kernelemente auf. Die SPD verzichtete zugunsten ihrer konstruktiven Herausfordererstrategie auf allzu ideologische Wesenszüge. 94
95 96 97
André Hahn betont, es sei 1994 ob der Mehrheitsverhältnisse auf Landesebene „absurd“ gewesen, davon auszugehen, man werde politisch gestalten können. Vgl. Interview mit André Hahn am 7. Dezember 2005. Programm der PDS Sachsen 1994 (Kurzfassung): Leben in Menschenwürde. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 1. Vgl. Harrop/Miller (1987), S. 116.
8.2 Imagekampagne
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8.2.1.2 Kompetenzvermittelndes Parteiimage Das kompetenzvermittelnde Parteiimage der Christdemokraten war durchweg geprägt von deren Regierungshabitus. Hatten sie sich 1990 die hohen Kompetenzzuschreibungen der Wähler an die Bundespartei zunutze gemacht, waren fortan die positiv wahrgenommenen Kompetenzen von Staatsregierung und Regierungspartei Basis ihrer Imagekampagne. Speziell 1994 und 1999 war die der Partei zugesprochene Fähigkeit zur Problemlösung auf beinahe allen wahlrelevanten Politikfeldern konkurrenzlos gut. Die Regierungspartei profitierte von der in der Bevölkerung verbreiteten eher günstigen Einschätzung der Wirtschaftslage. Anstatt die CDU für die vielen Transformationsprobleme verantwortlich zu machen (Regierungshypothese), billigte ihr das Gros der Wähler die diesbezüglich größte Problemlösungskompetenz zu (Klientelhypothese). Folgerichtig apostrophierten sich die Christdemokraten als qualifizierte Regierungspartei. Dass sie im Jahr 2004 diese Linie unverändert fortführten, kollidierte mit den verstärkt negativen Situationsbewertungen der Wähler. Die Entwicklung des kompetenzvermittelnden Parteiimages der SPD war die Geschichte seines Niedergangs. In allen Wahlkämpfen lagen die Sozialdemokraten in den Augen der Bevölkerung klar hinter der Regierungspartei. Selbst 1994, im für sie günstigsten Wahljahr, konnte die SPD trotz intensiven Bemühens die CDU einzig auf dem Gebiet der sozialen Gerechtigkeit überflügeln. 1999 gelang ihr nicht einmal das. Ihr kommuniziertes Rollenbild der personell-programmatischen Regierungsalternative scheiterte. Insbesondere die bundespolitische Anbindung der sächsischen SPD übertrug Vertrauensverluste. 2004 verstärkte sich dieses Empfinden. Die SPD galt gemeinhin als regierungsunfähig. Selbst in ihrer früheren Paradedisziplin, der sozialen Gerechtigkeit, erachteten sie mittlerweile nur noch 11 Prozent der Wähler (1994: 40 Prozent) als versiert. Dass sich die überwiegende Mehrheit der Sachsen unzufrieden mit der rot-grünen Bundesregierung zeigte, war für die Partei katastrophal. Entsprechend scheiterte die von den Sozialdemokraten angestrebte Kompetenzkampagne (Wirtschaft/Bildung). Die PDS setzte in jedem ihrer Wahlkämpfe auf ein sachkundiges Image. Selbst 1990, als diskreditierte Partei, versuchte sie mit einer (vorgeblich) qualifizierten Kandidatenriege und eines in Teilen abgekupferten Programms diesem Anspruch gerecht zu werden. 1994 überspielte sie ihre Konzeptionslosigkeit mit einer Kampagne für soziale Grundrechte. Ohne einen Anflug von Selbstzweifeln präsentierte sie sich als beschlagene Oppositionspartei. Dass ihr die Wähler beinahe jede Problemlösungskompetenz absprachen, berührte die Postkommunisten nicht. 1999 positionierte sich die nun von jedem vierten Wahlberechtigten als sozial kompetent beurteilte PDS als soziale Alternative zur regierenden CDU. In der dritten Legislaturperiode folgte dann eine Kompetenzoffensive. Ungeachtet dieser Anstrengungen hielten die Wahlberechtigten sie 2004 nach wie vor für regierungsunfähig. Ihr Spitzenkandidat und das „Aleksa“ stärkten ihr kompetenzvermittelndes Parteiimage kaum. Lediglich das konsequent verfolgte Image der „Partei der sozialen Gerechtigkeit“ fruchtete 2004 in einer ersten Kompetenzführerschaft. Zusammengenommen spiegelten die kompetenzvermittelnden Parteiimages deutlich die „sächsischen Verhältnisse“ wider. Die Asymmetrie zugunsten der Christdemokraten war gravierend. Sie bewirkte eine Kompetenzbündelung seitens der Regierungspartei und verhinderte ein geschlossenes kompetenzvermittelndes Parteiimage im doppelten Oppositionslager. Obwohl SPD und PDS Problemlösungsfähigkeit ausstrahlten, auch Regierungsanspruch, lag ihr wahrgenommenes kompetenzvermittelndes Image in jedem Wahlkampf
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
deutlich zurück. Die jeweils stärkste Oppositionspartei (1994 SPD; 2004 PDS) konnte einzig auf dem Gebiet der sozialen Gerechtigkeit die Regierungspartei übertrumpfen. Als regierungsfähig erachteten die Wähler lediglich die CDU.
8.2.1.3 Strukturelles Parteiimage Für die Christdemokraten war ein positives strukturelles Parteiimage existenziell, beruhten doch ihre Kampagnenstrategien und Rollenbilder auf Eigenschaften wie Stabilität, Klarheit oder Verlässlichkeit. Entsprechend zeigte die CDU in den Wahlkämpfen wie keine andere Partei Geschlossenheit. Selbst die 1990 mit Härte geführten inneren Auseinandersetzungen mündeten vor Wahlkampfbeginn in Einmütigkeit. Nicht zuletzt übertünchte das Ansehen der bundesdeutschen Christdemokraten schwelende innere Konflikte der Landespartei. In der Folge schloss die CDU im Wahljahr stets ihre Reihen. Ihre Flügelkämpfe während der ersten Legislaturperiode flauten Ende 1993 ab. Die Führung um Biedenkopf, das neue Grundsatzprogramm und der Terminus „Sächsische Union“ symbolisierten im Wahlkampf Einvernehmen. Nach 1994 verringerten starke personelle Verflechtungen zwischen Partei, Fraktion und Regierung innere Reibereien. Irregularitäten endeten spätestens im Wahljahr. Alle Ableger versammelten sich dann unter dem Dach der „Sächsischen Union“. Klar nominierte Spitzenkandidaten, ausbleibende Programmdebatten und der starke Regierungsanspruch unterstützten das positive strukturelle Image. Einzig im Jahr 2004 kämpfte die Regierungspartei mit erheblichen Imageproblemen. Sie hatte u. a. im Streit um Kurt Biedenkopfs Nachfolge irreversibel an Souveränität eingebüßt. Als Partei mit ernsthaftem Regierungsanspruch war für die Sozialdemokraten innerparteiliche Geschlossenheit in allen Wahlkämpfen bedeutsam. Dennoch wies die sächsische SPD lediglich im Jahr 1990, als eben dieser Faktor im Landtagswahlkampf von eher geringer Tragweite war, ein unitäres Rollenbild auf. In allen Folgewahlkämpfen prägten innerparteiliche Turbulenzen ihr strukturelles Image. So brach im Jahr 1994 die nach dem Ende der Auseinandersetzung zwischen Kunckel und Lersow scheinbar bestehende Geschlossenheit im Landtagswahlkampf am Umgang mit der PDS auf. Destruktive Kooperations- und Koalitionsdiskussionen führten den Wählern eine zerstrittene Landespartei vor Augen. 1999 geriet die SPD ob ihres Spitzenkandidaten und der bundespolitischen Verwerfungen öffentlichkeitswirksam in Streit – während die CDU zu einem Triumphwahlkampf ansetzte. Die Massenmedien griffen das Bild von der sich kasteienden Partei bereitwillig auf. Das 1999 bereits in seinen Fundamenten erschütterte strukturelle Image stürzte 2004 in sich zusammen. Ein monatelanges Ringen um die Spitzenkandidatur, hässliche Grabenkämpfe, das „Gespenst“ der Urwahl und schließlich der Konflikt um die Landesliste bestätigten in den Augen der Wähler die Regierungsunfähigkeit der Sozialdemokraten. Das strukturelle Parteiimage der PDS war in jedem der Landtagswahlkämpfe heterogen. 1990 suggerierte die Landespartei Geschlossenheit, bot freilich im Wahlkampf eine zerfaserte Erscheinung. In der Folge prägten innere Konfliktlinien das Rollenbild: zwischen Partei und Fraktion (1994/2004); „Reformern“ und „Orthodoxen“ (1994); Vertretern eines pragmatischen Regierungskurses und Verfechtern einer fundamentaloppositionellen Linie (1999/2004); „junger“ Parteiführung und „alter“ Basis (2004) sowie zwischen „Alteingesessenen“ und „Jugendbrigade“ (2004). Was 1994 und 2004 (1999 zeigte sich die Partei geschlossen) von innerer Zerrissenheit zeugte, wirkte sich wegen des differenten strategischen
8.2 Imagekampagne
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Anspruchs der PDS verschieden auf ihr strukturelles Äußeres aus. 1994 galten die Flügelkämpfe als unverfälschter Ausdruck eines lebendigen innerparteilichen Pluralismus. Die fingierte Außendarstellung als linkes, pluralistisches Sammelbecken deckelte die Zwistigkeiten.98 Hingegen beschädigten 2004 die Konflikte um das Profil der Landespartei das strukturelle Image. Auch konterkarierte das Sammelsurium aus Populismus, Sozialprotest, ernsthafter Themenkampagne und Stasi-Affäre des Spitzenkandidaten aus struktureller Perspektive den Regierungsanspruch. Zusammengenommen lässt sich festhalten, dass strukturelle Geschlossenheit nicht immer Grundkondition für eine positive Außenwahrnehmung von Parteien in Wahlkämpfen ist. Entscheidend ist deren Anspruch. Signalisieren Flügelkämpfe bei Parteien mit Regierungsanspruch eine innere Zerrissenheit, galten sie seitens der PDS lange Zeit als Ausdruck innerparteilicher Pluralität. In dem Moment, in welchem sich die Postkommunisten aus ihrer oppositionellen Deckung wagten und in Regierungsverantwortung strebten, gereichte ihnen dies zum Nachteil. Deutlich war die Fähigkeit der Christdemokraten zu Geschlossenheit in Wahljahren, während bei den Sozialdemokraten stets innere Auseinandersetzungen das strukturelle Image schädigten.
8.2.1.4 Sächsische Identität Die Rollenbilder aller Parteien zeichnete ein Spezifikum aus – die Instrumentalisierung einer „sächsischen Identität“.99 Speziell die CDU machte sich den Zusammenhang zunutze, dass in Sachsen „das erfolgreiche Aufbegehren gegen die SED-Diktatur gleichzeitig verbunden war mit einer dezidiert regionalen Positionsbestimmung und mit dem Wiederaufleben eines sächsischen ,Landespatriotismus’“.100 Die Instrumentalisierung des Sächsischen im Rahmen einer gezielten „sächsischen Identitätspolitik“ wurde nach 1990 zum zentralen politischen Mobilisierungsmuster der Christdemokraten.101 Wolfgang Luutz’ These, eine politisch generierte und instrumentalisierte sächsische Identität diente einerseits der „Sicherung der sozialen Integration in instabilen Umbruchszeiten“ und war andererseits als „programmatisches Leitmodell […] Teil einer umfassenden Mobilisierungsstrategie“,102 ist für alle CDU-Landtagswahlkämpfe zu bestätigen. In seiner staatsräsonalen Instrumentalisierung bediente der Sachsenbezug ein starkes Regionalbewusstsein als allgemeingültige, die soziale Kohäsion fördernde Plattform. Motivierende Aufrufe, wie die Sachsen würden die Transformation bewältigen, fleißig und unermüdlich deren Härten überstehen und einen Aufschwung bewirken, ergänzt durch klischeehafte Verweise auf die Klugheit der Sachsen, kennzeichneten die frühe Argumentation der CDU. Die sächsische Identität diente als immaterielles Netz, um „Verwerfungen abzufedern“, die Gesellschaft zu aktivieren und die ostdeutsche Fixierung der Menschen abzuschwächen.103 Die CDU separierte das Sächsische durch negative „Grenzziehungen“, vor allem zur DDR, aber auch zu einer ostdeut98 99 100
101 102
103
Vgl. dazu Lang/Moreau (1996), S. 187. Eine detaillierte Betrachtung unternimmt Luutz (2002). Detlef Briesen (1995): Regionalbewusstsein – einige Fragen an einen schwierigen Begriff, in: Werner Bramke/Ulrich Heß (Hrsg.): Sachsen und Mitteldeutschland, Weimar u. a., S. 31-49, hier S. 32. Vgl. Luutz (2002), insbesondere S. 86-101, 211-229. Wolfgang Luutz (1996): Regionalismen als Nationalismusersatz?, in: Margret Jäger/Siegfried Jäger (Hrsg.): Baustelle. Beiträge zur Diskursgeschichte deutscher Gegenwart, Duisburg, S. 35-53, hier S. 36 f. Vgl. Luutz (2002), S. 132, 275-279; auch die zuweilen polemische Betrachtung von Bartsch (2002), S. 48-67.
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schen Entität. Sie exponierte das Sächsische durch die „Herstellung eines ,Wir-Gefühls‘“, eine „exzessive Gemeinschaftsrhetorik“ in Form einer ausgeprägten „Wir-Sprache“ und durch Vergleiche zu anderen Bundesländern. 104 Dies alles bereitete der parteiräsonalen Instrumentalisierung der sächsischen Identität den Boden. 1990 präsentierte sich die CDU in einer Melange aus südwestdeutscher Inspiration, patriotischem Anspruch und Ablenkung von der eigenen DDR-Vergangenheit als „sächsische Kraft“. Sie bedienten früh das „Identitätsgefühl der Sachsen“.105 In den Folgewahlkämpfen stellte sie durch Landessymboliken und -termini, eine strikte Abgrenzung zur Bundespartei und die Firmierung als „Sächsische Union“ die sächsische Identität als Alleinstellungsmerkmal heraus. Sie trat ab 1994 mit dem Anspruch auf, einzige sächsische Interessenvertreterin und essenzieller Bestandteil einer „sächsischen Entität“ zu sein. Nach bayerischem Muster verknüpfte die CDU das Landesmotiv unmittelbar mit ihrem Handeln, präsentierte sich als „kompetentester sächsischer Akteur“ mit hoher emotionaler Verbundenheit zum Freistaat.106 Indem die CDU die Wahlentscheidung für sich als Entscheidung für Sachsen deklarierte, stilisierte sie die gesamte Landtagswahl zu einem Votum für oder gegen Sachsen („Sachsen wählen“). Die instrumentalisierte sächsische Identität als zentrale Imagekomponente war für die Christdemokraten rational. Zunächst fehlte ihnen 1990 ein landestypisches, stimmenmaximierendes Alleinstellungsmerkmal. Einzige Option war, so Ute Schmidt, in den Augen der Wähler die starke Landesidentität in Wesensgleichheit mit der CDU zu bringen.107 Danach stellten geringe affektive Parteibindungen, eine hohe Wahlenthaltung und die areligiöse Wählerschaft die Partei vor ein Mobilisierungsproblem, für dessen Lösung Karl Rohe ein Erklärungsmuster bietet. Eine so herausgeforderte Partei kann sich in zweierlei Hinsicht ausrichten: (1) Indem sie machtorientiert kurzfristige Ziele verfolgt und sich ihren Wählern anpasst („Anpasser-Partei“); (2) indem sie kulturorientiert langfristige Machtstrategien verfolgt und ihre Wähler „erzieht“ („Kultivierer-Partei“). Ziel der „Kultivierer-Partei“ ist es, „gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen so zu verändern, dass Mentalität und Interessenlage der Wähler besser zum ,allgemeinen Charakter’ der eigenen Partei passen“.108 Den Typus der „Anpasser“ erfüllen idealtypisch Protestparteien. In einer Kombination aus „Anpasser-“ und „Kultivierer-Partei“ verflocht die CDU ihr Rollenbild mit Elementen der sächsischen Identität. Staatsräsonal wob sie ein identifikatorisches „sächsisches Netz“, parteiräsonal bediente sie Landesmentalitäten.109 Für die SPD spielte die Instrumentalisierung der sächsischen Identität eine geringere Rolle. Ein staatsräsonal intendierter Gebrauch kam für die Oppositionspartei nicht infrage. Die CDU dominierte diese Argumentationslinie und eine Positivzeichnung Sachsens hätte allein Effekte zugunsten der Staatsregierung erzeugt. Die Sozialdemokraten beschränkten sich daher auf einen parteiräsonalen Umgang mit dem sächsischen Element. Ihre Slogans „Uns geht’s um Sachsen“ und „Sachsen unsere Heimat“ verbanden die Partei 1990 eng mit der sächsischen Identität. Allein mit der symbolischen Reminiszenz an das Königreich Sachsen taten sich einige Sozialdemokraten schwer.110 Ihr Landesbezug orientierte sich an 104 105 106 107 108 109 110
Vgl. Luutz (1996), S. 43, 49; ders. (2002), S. 159, 217-220; Fach/Luutz (2001), S. 166 f. Brümmer (2006), S. 249. Vgl. Fach/Luutz (2001), S. 159; Luutz (2002), S. 222. Vgl. Schmidt (1996), S. 17. Rohe (1992), S. 27. Die Phänomenologie beschränkt sich auf die Landesebene. Vgl. dazu Brümmer (2006), S. 266. Vgl. Interview mit Lutz Kätzel am 20. Februar 2006.
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Sachsen als früheres „industrielles Herz Deutschlands“, als einst „blühendes Kulturland“, als Wiege der Sozialdemokratie.111 In der Folge nutzte die SPD das Sächsische vornehmlich in der Auseinandersetzung mit der Regierungspartei; nicht als essenziellen Bestandteil des ideologischen Images, sondern als Substitut ihrer Herausfordererstrategien. So betonte sie im Jahr 1994 ihre Authentizität („Wir in Sachsen: Mit eigener Kraft“), präsentierte sich als originär sächsische Interessenvertreterin und lancierte ein personelles sächsisches Kontrastprogramm zum „westdeutschen“ Landesvater. Gegen die von der CDU massiv instrumentalisierte sächsische Identität kam sie damit nicht an. Im Landtagswahlkampf 1999 vermied die SPD einen ausgeprägten Sachsenbezug, hätte dies doch bedeutet, die Christdemokraten frontal anzugreifen. Zudem war der SPD-Landtagswahlkampf bundespolitisch überlagert. Wesentlich deutlicher instrumentalisierten die Sozialdemokraten das „SachsenMotiv“ in den Kampagnen 1990 und 1994. 2004 setzten sie zwar unter ihrem Slogan „Sachsengerecht“ vermehrt auf sächsische Elemente. Die landespatriotischen Bezüge, etwa die unter dem Motto „Das Land im Herzen und die Menschen in Sinn: Es geht um Sachsens Zukunft“ stehende Präambel des Wahlprogramms, wirkten gleichwohl improvisiert. Die PDS gerierte sich während aller vier Landtagswahlkämpfe weniger als originär sächsische und mehr als ostdeutsche Kraft. Gero Neugebauers Schluss ist stichhaltig: „Es spricht trotzt ihrer qualitativ und quantitativ gestiegenen Rolle in der Landespolitik wenig dafür, dass [die PDS] eine spezifische sächsische Landespartei geworden ist, die einen spezifischen (Landes-)Konflikt abbildet, traditionelle kulturelle oder andere sächsische Belange vertritt“.112 Lehnte die CDU ab 1999 das Konstrukt Ostdeutschland ab und betonte das „Sächsische“, vermied die PDS (außer 2004) ausgeprägte Landesidentitäten und rückte ein souveränes „Ostdeutschland“ in den Vordergrund. 1990 gebrauchten die Postkommunisten einen taktischen Sachsenbezug. Die ehemalige Staatspartei überkompensierte: Ihre Kandidaten firmierten als „DDR-Sachsen“ – eine Verbindung von DDR-Identität und sächsischer Identität; ihre Programmatik beschwor die „Traditionen, Werte und Leistungen Sachsens“, betonte die „Bewahrung der traditionsreichen und bedeutsamen Kulturlandschaften Sachsens“, forderte den Erhalt „der vielfältigen sächsischen, regionalen und lokalen Festspiele, Werkstätten, Heimatfeste“.113 In den Folgewahlkämpfen 1994 und 1999 war der Sachsenbezug rein funktional. Sachsen war Lebensraum für Menschen und politisches Betätigungsfeld. Man war „PDS in Sachsen“, nicht aber sächsische PDS.114 Der Landesverband der Ostpartei verfolgte kein sächsisches Image. Bedingt durch ihren strategischen Ansatz baute die Landespartei auf eine „ostdeutsche“ und auf eine „soziale Identität“. 2004 revitalisierte die PDS eine „Sachsenrhetorik“, lancierte etwa den Slogan „Wir in Sachsen – das ist Können, Unternehmungsgeist und Optimismus.“115 Die Präambel ihres Wahlprogramms betonte (fast) im CDU-Duktus: „Wir in Sachsen haben keinen Grund, an uns zu zweifeln – im Gegenteil! Da, wo man uns arbeiten lässt, werden wir unserem Ruf als engagierte, erfinderische, fleißige Leute gerecht“.116 Die PDS hob das in ihren Augen Erreichte hervor, um zugleich die Notwendigkeit ihres sächsischen Konzepts zu betonen. Hatte Luutz ihr 1999 eine „Regiovision“ abgesprochen,117 hatte sie 2004 diese mit ihrem „Aleksa“. 111 112 113 114 115 116 117
Vgl. Regierungsprogramm der sächsischen SPD 1990, S. 3. Neugebauer (2006), S. 138. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 1, 5. Vgl. Luutz (2002), S. 227 f. Wahlkampfbrief von Peter Porsch zur sächsischen Landtagswahl 2004. Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 2004, S. 1 f. Vgl. Fach/Luutz (2001), S. 170.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
Zusammengenommen instrumentalisierten alle drei Parteien die sächsische Identität als Teil ihrer Images. Nach starken, untereinander austauschbaren sächsischen Bezügen 1990 vereinnahmte ab 1994 die CDU die sächsische Identität staats- wie parteiräsonal als Alleinstellungsmerkmal. In einer Stilistik aus „Anpasser“- und „Kultivierer-Partei“ dominierten ihre sächsischen Rollenbilder. Hingegen spielte die sächsische Identität bei SPD und PDS eine untergeordnete Rolle. Die einen nutzten derlei Elemente, um ihre Herausfordererstrategie zu ergänzen, den anderen war die sächsische Identität von rein taktischem Nutzen, ohne emotionalen Bezug. Die „Sachsenrhetorik“ der CDU erhielt erstmals 2004 Risse, deckte sich doch ihre landespatriotische Positivdarstellung nur noch teilweise mit den subjektiven Eindrücken der Bevölkerung. Ferner war die PDS mit ihrem instrumentalisierten Sachsenbezug in Konkurrenz zum Alleinvertretungsanspruch der CDU getreten. Selbst die SPD integrierte bislang CDU-typische „Sachsenimages“ in ihren Wahlkampf.
8.2.2 Kandidatenimage Kandidatenimages sind ebenfalls zweipolig. Einesteils drücken sie diverse Vorstellungen und Erfahrungen der Wähler zu den persönlichen Eigenschaften und mit den vollbrachten Leistungen von Kandidaten aus. Sie sind in diesem Falle eine Mixtur aus überwiegend medienvermittelt wahrgenommenen Sympathie-, Leistungs- und Verhaltensaspekten eines politischen Akteurs. Andernteils sind sie Resultat des wahrnehmbaren Verhaltens einer Person und des bewusst inszenierten Erscheinungsbilds eines Kandidaten. Der zentrale Unterschied zwischen Partei- und Kandidatenimage in parlamentarischen Regierungssystemen besteht in der voneinander abweichenden Komplexität beider Phänomene. Handelt es sich bei Parteiimages um facettenreiche, oft langfristig festgeschriebene „Metaimages“, sind Kandidatenimages zeitlich wie substanziell weniger komplex. Die Bedeutung der Spitzenkandidaten, besser gesagt die derer Rollenbilder für die Partei-Kampagnen fiel durchweg unterschiedlich aus. Wie angenommen, war es Hauptaufgabe beinahe aller Landtagswahlkämpfe Kandidatenimages zu platzieren, zu verändern oder zu bekräftigen. Zugleich diente das Ansehen der Kandidaten strategischen Zwecken. Je bekannter und beliebter ein Kandidat war, umso engagierter versuchte seine Partei, das Renommee gewinnbringend zu nutzen. Je unbekannter ein Kandidat war und je geringer seine Kompetenz- und Sympathiewerte ausfielen, umso stärker ordnete er sich seiner Partei unter. Die Spitzenkandidatenimages waren entweder passive Elemente der Wahlkampfstrategie (dependentes Kandidatenimage), waren aktive strategische Elemente (semi-dominantes Kandidatenimage) oder sie determinierten die Strategien einer Landespartei im Wahlkampf (dominantes Kandidatenimage). Bei der CDU standen die Images der Spitzenkandidaten ab 1994 im Mittelpunkt der Kampagnen. Allein 1990 war Biedenkopf zwar ein wichtiger, wenngleich nicht dominanter Bestandteil des Wahlkampfes. Starke personelle und thematische bundespolitische Einflüsse sowie die Tatsache, dass der neue Kandidat erst auf Tuchfühlung zur Wählerschaft gehen musste,118 drängten ihn in zwei Wahlkampfrollen. Er personifizierte die Abkehr der Landespartei von ihrer DDR-Vergangenheit. Und er symbolisierte als sachkundiger, erfah118
Biedenkopf wies im ostdeutschen Vergleich mit 75 Prozent einen sehr hohen Bekanntheitsgrad auf. Beispielsweise war der CDU-Spitzenkandidat und spätere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Gerd Gies, nur 12 Prozent der dortigen Wähler vor der Landtagswahl bekannt. Vgl. Sturm (1993), S. 115.
8.2 Imagekampagne
345
rener und vertrauenswürdiger westdeutscher Politiker und Wirtschaftsfachmann christdemokratische Regierungskompetenz. Ab 1994 prägten die Rollenbilder der Amtsinhaber die jeweilige strategische und kommunikative Ausrichtung des CDU-Wahlkampfes (dominantes Kandidatenimage). Die Partei stilisierte das Votum zu einer Entscheidung für oder gegen den Ministerpräsidenten und damit für oder gegen dessen Kompetenz, Tat- und Führungskraft. Biedenkopfs Aufforderung, „geben Sie der CDU-Sachsen ihr Vertrauen und damit auch mir persönlich“, belegt dies idealtypisch. Die Listenstimme wurde zum symbolischen „Auftrag“ an den Amtsinhaber, die Wahl zum indirekten Personalplebiszit deklariert. Diese imageorientierte Personalisierung wies 1994 und 1999 zwei Besonderheiten auf: (1) präsidentialisierte Landtagswahlkämpfe und (2) ein sächsisches Landesvaterimage. (1) Die Kombination aus starker Personalisierung, einem persönlichen, mitunter privaten Regierungsstil des Amtsinhabers und der stimmenmaximierenden Kernstrategie bewirkte eine Präsidentialisierung der CDU-Wahlkämpfe. Kurt Biedenkopf beherrschte die Kunst einer Präsidentschaftskampagne, „die Unterstützung der eigenen Partei und die Betonung der persönlichen Unabhängigkeit so zu kombinieren, dass die Mobilisierung der parteieigenen Wähler nicht gefährdet wird, gleichzeitig aber über die Partei hinaus weitere Wähler angesprochen werden“.119 Optimal erfüllte er die Doppelrolle aus parteigebundener Spitzenkandidatur und unparteilicher Amtsinhaberschaft, vertrat er hier Politikansätze der CDU und erschien dort als ein „über den Parteien stehender Streiter für die sächsische Sache“.120 Seine vermeintlich neutrale, dennoch aber dominante Regierungsrolle, sein untypisches, teils unparteiliches Politikverständnis, verbunden mit seinen Kompetenz- und Sympathiewerten verliehen ihm eine lagerübergreifende Integrationskraft. Zentral dafür war das ihm entgegnete Vertrauen. Biedenkopf verstand es, den Menschen glaubwürdig Gegenwärtiges und Zukünftiges zu vermitteln. Speziell, dass er in einer Art Erhardscher „Seelenmassage“ der Bevölkerung Vertrauen in sich selbst machte,121 ihr Handeln und ihre Leistungsfähigkeit über sein politisches Tun stellte, sicherte ihm Zuspruch. Der ausgeprägte Glaube an seine Person verdrängte nicht zuletzt die Frage, was sich von seinen Konzepten praktisch würde umsetzten lassen.122 Eine zweite Plattform seines präsidialen Nimbus war eine superiore Wahlkampf- und Medienpräsenz.123 Als Interviewpartner äußerte er sich nur zu ausgewählten Themen auf ausgewählten Kanälen. Als bundespolitisch versierter Landespolitiker lancierte er bundespolitische Themen bzw. thematisierte außerhalb des Freistaates landesspezifische Sachverhalte.124 (2) Ausgestattet mit exzellenten Sympathie- und Kompetenzzuschreibungen präsentierten die Kampagnen Biedenkopf als weltgewandten Staatsmann sowie als bürgernahen Landesvater. Seine Kombination aus Wahlkampfauftritten und öffentlichkeitswirksamer Erledigung der Amtsgeschäfte unterstrich die Synthese aus sächsischer Bürgernähe und staatstragender Professionalität. Insbesondere 1999, nach seiner stärkeren Hinwendung zu 119
120 121
122 123
124
Christine Pütz (2006): Schwache Parteien in Frankreich? Eine Neubewertung der V. Republik, in: ZParl 37 (2006), S. 728-746, hier S. 738. Brümmer (2006), S. 253. Kurt Biedenkopf betont: „Man musste den Menschen zunächst einmal Vertrauen in sich selbst machen. Ich habe im Wahlkampf nie gesagt, ich mache das für euch. […] Die Menschen in Sachsen mussten das Gefühl bekommen, wir packen das, da ist einer, der hilft uns dabei und der kann auch helfen, der hat Erfahrung und versteht uns. Das war viel wichtiger als alles andere.“ Interview mit Kurt Biedenkopf am 24. Januar 2006. Vgl. Interview mit Horst Rasch am 13. Dezember 2005. Insbesondere die Wahlkampfführung per Hubschrauber ermöglichte Biedenkopf eine lückenlose Auftrittsund Interviewabfolge zwischen Wahlkampf- und Regierungsarbeit. Vgl. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006; Brümmer (2006), S. 251.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
einer aktiven bundespolitischen Arbeit, erschien er als volksverbundener wie staatsmännischer Landesvater, der sich um die Probleme des „kleinen Mannes“ ebenso kümmert wie um bundespolitische Reformaufgaben. Im Gegensatz zu seinem Herausforderer privatisierte er. Während Kunckel sein „Recht auf Privatsphäre“125 durchsetzte, flankierte die „Landesmutter“ ihren Mann bei Wahlkampfauftritten. Ansonsten entblößten die Wahlkampagnen kontrolliert Ausschnitte aus Biedenkopfs privatem Umfeld. Präsidentialisierung und privatisiertes Landesvatertum mündeten in den Nimbus des „Königs von Sachsen“. Die Medienerfindung „König Kurt“ wirkte „identifikationsstiftend“.126 Die CDU streute das Rollenbild nie bewusst, verwehrte sich aber auch nicht. „König Kurt“ wurde Teil der von ihr bedienten sächsischen Identität. Präsidentialisierung und Landesvatertum verließen mit Biedenkopf die sächsische Politik. Die imageorientierte Personalisierung veränderte sich unter Georg Milbradt. Er verfügte nicht über dasselbe Maß an innerparteilichem Rückhalt wie sein Vorgänger. Ein nicht erkennbarer Schein des Überparteilichen behinderte eine lagerübergreifende Mobilisierung. Seinen hohen Kompetenz- standen geringere Sympathiewerte gegenüber. Alle drei Faktoren verbauten ihm eine umfassende Wählerintegration. Milbradt war weniger Landesvater als vielmehr Landesmanager. Folgerichtig betrieb er systematisch Imageaufbau. Der eher spröde Fachmann sollte zum bürgernahen Ministerpräsidenten transformieren. War Biedenkopf in Imagefragen „fast ein Selbstläufer“127, tat sich Milbradt schwer, sein wahrnehmbares Rollenbild auszuweiten. Der protestgeladene Landtagswahlkampf 2004 bot ihm zudem kaum Raum für eine positive Emotionalisierung. Auch konnte er nur bedingt an die sehr gute bundespolitische Präsenz seines Vorgängers anknüpfen. Bei der SPD nahm die Relevanz der Spitzenkandidatur im Zeitverlauf ab. Einzig die ersten beiden Landtagswahlkämpfe dienten zu einem großen Teil dazu, die Images der Spitzenkandidaten zu platzieren. Präsentierte sich Anke Fuchs im Rahmen einer „(minister)präsidentialisierten“ Kampagne als seriöse Anwärterin auf das Regierungsamt, war Thomas Jurk ein weithin unbekannter SPD-Politiker, der öffentlich um das „Überleben“ der sächsischen SPD rang. Der strategische Einfluss der Images wechselte im Betrachtungszeitraum von semi-dominant (1990/94) zu dependent (1999/2004). Die sozialdemokratischen Spitzenkandidaten hatten keine Popularitätsboni auf ihre Partei zu übertragen. Die imageorientierte Personalisierung, sprich die Kombination von Partei- und Kandidatenimage mit dem Ziel, den Landtagswahlkampf zu personalisieren, war schwach. Ähnlich wie ihr Konkurrent war Anke Fuchs 1990 ein wichtiger, nicht aber der zentrale Bestandteil des SPD-Landtagswahlkampfes. Die Kandidatin verband ihr Rollenbild mit den Themenkampagnen von Bundes- und Landespartei. Als prominente West-Politikerin personifizierte sie die von den Sozialdemokraten vermittelte westdeutsche Regierungskompetenz. Fuchs ließ nach außen keinen Zweifel aufkommen, dass das höchste sächsische Regierungsamt nach der Wahl mit einer Frau besetzt werden würde. Nach innen leistete sie zuvörderst einen (aussichtslosen) „Hilfsdienst“. Anke Fuchs wies im Vergleich zu Kurt Biedenkopf einen Imagenachteil auf. In Fragen von Bekanntheit, Kompetenz und Sympathie durchaus in Schlagdistanz „fremdelte“ sie mit Sachsen, während ihr Kontrahent einen regionalen Bezug vermittelte. Seine Kandidatur hatte der SPD zwei Trümpfe aus der Hand 125 126
127
Karl-Heinz Kunckel in: Protokoll der Landesausschusssitzung am 17. Oktober 1993 in Dresden. Hans Ulrich Kempski: Der Häuptling und der Sachsenkönig, in: Süddeutsche Zeitung vom 8. September 1994. Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006.
8.2 Imagekampagne
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geschlagen. (1) Sie büßte die Einzigartigkeit ihrer westdeutschen Kandidatin ein. (2) Anstelle mit einer „Blockflöte“ sah sie sich mit einem versierten westdeutschen Fachpolitiker konfrontiert. Mutmaßungen, die Nominierung von Biedenkopf sei in Reaktion auf Fuchs’ Kandidatur erfolgt, oder die Ansage der Spitzenkandidatin, nach einer verlorenen Wahl nach Bonn zurückzukehren, habe zur Niederlage beigetragen, sind Mythen. Die Diskussion um die CDU-Spitzenkandidatur war weit vor Fuchs’ Kandidatur entbrannt, der Entschluss für Biedenkopf unabhängig vom Antritt der SPD-Bundesgeschäftsführerin gefallen. Beide, ausgestattet mit sicheren Listenplätzen für den Wiedereinzug in den Bundestag, haben im Wahlkampf für den Fall einer Niederlage ihre Rückkehr nach Bonn öffentlich angekündigt. Mit dem Ziel, Karl-Heinz Kunckel als kompetenten Herausforderer zu positionieren, setzte die SPD 1994 auf eine imageorientierte Personalisierungsstrategie, wobei Kunckels Imagekampagne lediglich ein aktives strategisches Element des Wahlkampfes war. Transportierte die CDU ihre Themen über den Spitzenkandidaten, war die Themenkampagne der SPD die Basis für Kunckels kompetenzvermittelndes Image. Die Partei schärfte das Rollenbild eines in Kompetenz, Sympathie und Glaubwürdigkeit ebenbürtigen „sächsischen“ Herausforderers. Kunckel scheiterte aus zwei Gründen. Zum einen war Biedenkopfs Kompetenz- und Sympathievorsprung zu groß. Zum anderen kannte dessen Präsidialkampagne keine Herausforderer. Indem Biedenkopf betonte, er und Kunckel seien „nicht sonderlich geeignet, im Sinne einer westdeutschen Konfrontationsstrategie Wahlkampf zu machen“, 128 raubte er dessen Herausforderung Kraft und Legitimität. 1999 stand Kunckel als Spitzenkandidat zwar weiterhin im Vordergrund, nur ohne Anspruch auf Ministerpräsidentschaft. Die Bürde der verlorenen Landtagswahl („Mr. 16,6 Prozent“) und die schwache Nominierung auf dem Görlitzer Parteitag lasteten auf seinen Schultern. Weder war er Herausforderer noch zukünftiger Oppositionsführer. Kunckel war auf allen Sympathie- und Kompetenzfeldern beispiellos abgeschlagen.129 Seine einstige Strategie, aus einer Regierungsbeteiligung heraus sein persönliches Image zu entwickeln,130 war gescheitert, die nun verfolgte defensive Selbstdarstellung wirkte verheerend. Sein Rollenbild des ehrlichen und kompetenten Politikers, der ein besseres Konzept für Sachsen vertritt und bis zur Selbstaufgabe kämpft, vermittelte in erster Linie Schwäche. Regelrecht randständig agierte der sozialdemokratische Spitzenkandidat im Jahr 2004. Der weithin unbekannte Thomas Jurk verfügte über nahezu kein öffentliches Rollenbild. Er galt als „Notlösung“ und verlieh seiner Partei in ihrem Überlebenskampf ein Gesicht. Tatsächlich diente Jurk dem Landesverband vornehmlich zur Binnenmobilisierung und als standhafte öffentliche Stimme in der hitzigen Debatte um Hartz-IV. Wiewohl war sein medienvermitteltes Image überraschend gut. Er galt als bodenständiger, kompetenter, bürgernaher und kämpferischer Sozialdemokrat. Die Rollenbilder der PDS-Spitzenkandidaten waren situativ. Fungierte Eberhard Langer 1990 als kompetentes und unbelastetes Gesicht des Landesverbands ohne ernsthaften Regierungsanspruch, positionierte sich Peter Porsch 2004 als Herausforderer um das Amt des Ministerpräsidenten. Die Bedeutung der Spitzenkandidaten wuchs mit dem Regierungsanspruch der Landespartei. Konträr zu den Kampagnen der CDU spielte das Kandidatenimage für die strategische Wahlkampfausrichtung der PDS bis einschließlich 1999 keine 128 129
130
Interview mit Kurt Biedenkopf, in: SZ vom 11. März 1994. Selbst die SPD-Anhänger erachteten den Amtsinhaber für sympathischer (66 zu 7 Prozent) und kompetenter (65 zu 8 Prozent). Vgl. Infratest dimap (1999c), Tabellenanhang, S. 39-42. Vgl. Interview mit Peter Adler am 6. Dezember 2005.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
dominante Rolle. Langer und Porsch ordneten sich ihrer Partei unter. Personelle Rollenbilder wurden von der PDS ergänzend platziert, ohne die zentralen thematischen Ansprüche zu verdrängen. Da Porsch nur bedingt einen Popularitätsbonus auf die Partei zu übertragen hatte, fiel die imageorientierte Personalisierung der PDS eher gering aus. Langers Kandidatur folgte vollständig der konsolidierenden Wahlkampfstrategie der Landespartei. Der frühere Karl-Marx-Städter Oberbürgermeister galt als veritables Mittel zur Wähleransprache. Da die PDS 1990 kaum über politische Konzeptionen verfügte, griff sie auf ihre personellen Ressourcen zurück. Langer sollte Professionalität und Seriosität demonstrieren. Seine Kandidatur war einzig seinem in den Augen der Partei positiven DDR-Image geschuldet. Er personifizierte eine demokratisierte PDS, verbunden mit einem eher harmlosen DDR-Bezug, und verlieh der Partei in den eigenen Reihen ein wählbares Gesicht. 1994 blieb die Spitzenkandidatur von untergeordneter Bedeutung. Einer Oppositionspartei untypisch verzichtete die PDS darauf, ihren Spitzenkandidaten gesondert zu popularisieren. Porsch verfolgte dennoch zwei Ziele. Er sollte die öffentliche Präsenz der isolierten Landespartei steigern und das PDS-Programm personifizieren. Ferner kämpfte er mit Kunckel um die Führung im Oppositionslager.131 Darüber hinaus war seine Kandidatur ob der projektbezogenen Strategie eher nachrangig. Der mediale Fokus lag auf dem Duell zwischen Biedenkopf und Kunckel. Porsch war hier eine Randfigur. 1999 setzte er auf ein drastisch verändertes Rollenbild. Der strategische Bruch der PDS drückte sich am deutlichsten im offensiven Auftreten ihres Spitzenkandidaten aus. Er personifizierte die Alternative und verkündete als zentraler medialer Kommunikator den Gestaltungsanspruch seiner Partei. Obwohl Porsch vor Angriffen auf den überpopulären Landesvater nicht zurückschreckte, galt seine Herausforderung Kunckel.132 Die Oppositionsführerschaft war das Ziel seiner Kampagne. Porsch popularisierte die eigene Person und vermittelte zugleich die zentralen politischen Botschaften der PDS. Nach dem Motto „Auffallen um jeden Preis“ betrieb er Imageaufbau, indem er unpolitische Rollenbilder in einen landespolitischen Bezug brachte. Sein alternativer Medienwahlkampf präsentierte ihn als gebürtigen Österreicher, früheren DDR-Bürger und jetzigen Ostdeutschen, der für eine PDS steht, die zwar ihre politische Gestaltungsrolle, nicht aber sich selbst allzu ernst nimmt. Porsch mimte den lockeren Oppositionsführer. Was in den intellektuellen Reihen der Basis auf Kritik stieß, ein Landesvorsitzender der Schuhe putzt, brachte der Partei und ihrem Spitzenkandidaten den benötigten medialen Zugang. „Mein Image 1999 war die lebendige Opposition, der man Veränderungswillen und Veränderungsfähigkeit zutraut. […] Während Biedenkopf in seinem Anspruch unangetastet blieb, hieß es, da ist einer, der ist anders als der Biedenkopf.“133 Porschs Rollenbild veränderte sich im Laufe der dritten Legislaturperiode zum Herausforderer. Dem selbsternannten Amtsanwärter ging es fortan um öffentlich wahrgenommene Kompetenz. „Weg vom Elefantenreiten, hin zum Staatsmännischen“134 war seine Devise. Als personelle Säule einer regierungswilligen PDS präsentierte er sich als Ministerpräsidentenkandidat. Das neue Rollenbild zerplatzte an den Stasi-Vorwürfen. Porschs ungeschicktes Vorgehen bewirkte massive Souveränitätsverluste. Seine Reaktionen bezeugten Regierungsunfähigkeit. Porsch wurde, wie er betont, vom „Herausforderer, der am 131 132 133 134
Vgl. Interview mit Peter Porsch am 7. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Ingrid Mattern am 24. Januar 2006. Interview mit Peter Porsch am 7. Dezember 2005. Ebd.
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8.2 Imagekampagne
Stuhl des Amtsinhabers sägt, zum Herausgeforderten“.135 Sein rüder Umgang mit den Medien verwischte den Schein des Liberalen. Übrig blieb ein unsicherer Kandidat, der nach altbekanntem Muster reagierte. Insgesamt divergierten die strategischen Funktionen der Kandidatenimages (Tabelle 7). Auf Seiten von SPD und PDS ordneten sich die Spitzenkandidaten überwiegend dem wahlkampfstrategischen Gesamtkonzept der Parteien unter (dependentes Kandidatenimage). Selbst bei semi-dominanten Rollenbildern (SPD 1990/94; PDS 2004) bestimmte die Parteistrategie. Die Kandidaten waren dann wichtiger, nicht dominierender Kampagnenbestandteil. Hingegen folgten die Wahlkampfstrategien der CDU ab 1994 den Images der Amtsinhaber (dominantes Kandidatenimage). Resultierte die fast vollständige Substituierung des ideologischen Parteiimages durch das der „Sachsenpartei“ aus dem christdemokratischen Hegemonialanspruch, erwies sich 1994 und 1999 das un- bzw. überparteiliche Rollenbild des Amtsinhabers als dessen zentrale Grundlage. Biedenkopfs präsidentielles und landesväterliches Profil ermöglichte absolute Regierungsmehrheiten. Tabelle 7: Kandidatenimages und ihre strategische Funktion 1990 1994 Personifizierung von problemlösungskompeKompetenz und tenter potenzieller CDU Vertrauen Ministerpräsident semi-dominant dominant problemlösungskompekompetenter tente potenzielle Herausforderer SPD Ministerpräsidentin semi-dominant semi-dominant unbelastetes Gesicht Erster unter Gleichen der Landespartei PDS dependent dependent Quelle: Eigene Zusammenstellung.
1999
2004
kompetenter Landesvater
kompetenter Landesmanager
dominant
dominant
kompetenter Landespolitiker
parteiinterner Mobilisierer
dependent öffentlicher Kommunikator dependent
dependent kompetenter Herausforderer semi-dominant
Die Kandidatenimages wiesen Parallelen und Unterschiede auf. Positionierten sich Biedenkopf und Fuchs im Ausnahmewahlkampf 1990 mit ähnlichen, importierten Rollenbildern (westdeutsch, kompetent, erfahren), etablierten die Spitzenkandidaten beider Parteien danach divergente Images. Ein in seiner Ausprägung modifiziertes, aber durchweg starkes Image des Amtsinhabers stand einem kontinuierlich schwächer werdenden SPD-Herausfordererimage gegenüber. Agierte Kunckel vornehmlich als „sächsischer Herausforderer“, setzte Biedenkopf auf das Bild des bürgernahen Landesvaters. Der „Verfall“ des Amtsinhaberimages nach dem Übergang auf Milbradt war nicht annähernd so deutlich wie der des Kandidatenimages der SPD nach 1994. Einzig die PDS entwickelte sich progressiv. War Langers „kommode“ DDR-Reputation Bestandteil „demokratischer“ Ablenkungsmanöver, verkörperte Porsch 1999 den schillernden Herausforderer. Problemlos passte er sich den PDS-Strategien an. 2004 positionierte er sich schließlich, ebenso wie Kunckel 1994, als Herausforderer des Amtsinhabers. Alle Oppositionskandidaten verfügten über desolate Umfragewerte. Neben strukturellen und strategischen innerparteilichen Gründen hatte die135
Ebd.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
ser Effekt in erster Linie parteiensystemische Ursachen. Zentrales Charakteristikum des hegemonialen Dreiparteiensystems war dessen doppelköpfige Opposition. Der Spitzenkandidat der jeweils stärkeren, aber eben nicht starken Oppositionspartei (Kunckel 1994; Porsch 2004) war nicht konkurrenzfähig, das geteilte personelle Angebot der Opposition chancenlos gegen den Amtsinhaber. Ferner wiesen alle Kandidatenimages eine nachrangige, nicht aber überflüssige Privatisierung auf. Biedenkopf, Milbradt und Porsch bedienten sich dosiert privater Elemente, um ihren Status zu untermauern. Kunckel maß dem wenig Bedeutung bei. Ebenso gemeinsam war allen eine ausgewogene „Entertainisierung des Wahlkampfes“. Die eingeschränkte sächsische Medienvielfalt, die für Medienkampagnen (zu) knappen Wahlkampfbudgets und der überwiegend seriöse Anspruch der Kandidaten verhinderten eine umfassende Inszenierung. Außer Porsch setzten alle einer „Entertainisierung“ Grenzen. Selbst Biedenkopf, der wegen seiner Amtsinhaberschaft im Rampenlicht stand und der populäre Aktionen nicht scheute, verweigerte sich ausufernden Inszenierungen.
8.3 Themenkampagne 8.3.1 Allgemeine Themenkampagne 8.3.1.1 Problemwahrnehmungen der Wähler und Themen der Parteien In keinem der Fälle verfehlten die landespolitischen Themenkampagnen der Akteure das diesbezügliche Bedürfnisprofil der Wähler. Hier bestand stets eine deutliche Konvergenz. Hauptgrund waren die für alle Parteien erkennbaren konstanten Problemwahrnehmungen der Wahlberechtigten. Das „Nummer-Eins-Thema“ Arbeitslosigkeit, die Wirtschaftssituation und der Ruf nach sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit bestimmten die Wähleragenda in jedem Wahlkampf. Unterschiede ergaben sich indes in der Relevanz der angebotenen Themen. Während sich die CDU getreu ihrer stimmenmaximierenden kurzfristigen Kernstrategie thematisch an die gemessenen Problemwahrnehmungen anlehnte, agierten SPD und PDS stärker zielgruppenspezifisch. So thematisierten die Sozialdemokraten 1994 das relevante Thema innere Sicherheit nur am Rande, räumten hingegen den Themen Wirtschaft und Arbeit sowie der sozialen Gerechtigkeit breiten Raum ein. 2004 ordnete die Partei die Themen Arbeit und Wirtschaft ihrem bildungspolitischen Kernthema unter – entgegen der Problemwahrnehmungen. Die PDS stellte ab 1994 die soziale Gerechtigkeit als eine Art „Meta-Issue“ in den Vordergrund. Das aus Sicht der Wähler wichtigste Themengebiet, Arbeit und Wirtschaft, verband sie mit ihrem sozialen Postulat. Anders verhielt es sich mit den situativen bundespolitischen Problemwahrnehmungen. 1990 wussten alle Akteure von der Relevanz grundsätzlicher Fragen der gesellschaftlichen und ökonomischen Daseinssicherung. Die deutsche Einheit sowie die Transformation der Wirtschafts- und Sozialordnung waren Themen der Bevölkerung und der Parteien. 1994 dominierte aus den erwähnten Gründen auf beiden Seiten ein landespolitischer Fokus. Die Landesthemen der Parteien deckten sich mit den Problemwahrnehmungen der Bevölkerung. Dies änderte sich 1999, als die landespolitischen Themenkampagnen im Zuge der Diskussionen um die rot-grünen Reformen bundespolitische Themenstellungen begleiteten. 2004 scheiterten beinahe alle sächsischen Issues am Hochkonfliktthema Hartz-IV. Insbe-
8.3 Themenkampagne
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sondere aufseiten der SPD verdrängten situative bundespolitische Einflüsse langfristig konzipierte Landesthemen. Setzte die sozialdemokratische Themenkampagne auf Bildung und Arbeit, drehte sich das Wählerinteresse überwiegend um Hartz-IV. Die CDU, die 1999 den bundespolitischen Stier noch bei den Hörnern hatte packen können, geriet 2004 ebenfalls unter dessen Hufe. Hartz-IV, von einem Großteil ihrer Wählerschaft als tagesaktuell wichtig erachtet, kam in der landespolitischen Positivkampagne der Regierungspartei nicht vor. Hingegen integrierte es die PDS nutzbringend in ihre Themenkampagne – zulasten ihrer landespolitischen Konzeption.
8.3.1.2 Strategische Einbindung der Themenkampagne Die Themenkampagnen der Akteure waren in unterschiedlichem Maße Produkte ihrer Kernstrategien. Dabei überraschte die PDS. Die vermeintliche Policy-Seeking-Partei mit Anspruch auf Programmarbeit und -verwirklichung ordnete in den Landtagswahlkämpfen ihre thematische Positionierung vorrangig ihren Kernstrategien der Stimmenmaximierung und/oder Regierungsteilhabe unter. 1990 diente ihre Themenkampagne einer Überlebenstaktik, indem sie das pseudo-demokratische Image der PDS festigte. Die 1999 rund um das Sujet Gerechtigkeit drapierte Themenkampagne verfolgte vorwiegend das stimmenmaximierende Ziel, die PDS breiteren Wählerschichten zu präsentieren. Die entzweite Kampagne des Jahres 2004 umfasste alle Strategieelemente. In ihrer landespolitischen Form war sie Teil der Herausfordererstrategie (office-seeking). Mit der Instrumentalisierung von HartzIV diente sie der Stimmenmaximierung (vote-seeking) und einem inhaltsorientierten Ansatz (policy-seeking). Lediglich 1994 folgte die Thematisierung der PDS mit dem Postulat nach sozialen Grundrechten eher Programmverwirklichungsstrategien. Stringenter agierte die CDU. Ihre Strategie bewegte sich im Jahr 1990 zwischen einer stimmenmaximierend intentionierten Themenkampagne der Bundespartei, einer auf Regierungsteilhabe abstellenden Themenvermittlung durch den Spitzenkandidaten und einer stark auf das Verwirklichen von Politikinhalten zielenden Thematisierung durch die Landespartei. Fortan ordnete die CDU ihre Inhalte der kurzfristigen, durch und durch personalisierten Stimmenmaximierung sowie dem langfristigen office-seeking unter. Entsprechend sollte der christdemokratische Themenwahlkampf hauptsächlich ungetrübte Positivbotschaften vermitteln. Die Partei zentrierte ihre Themenkampagne auf die Regierungserfolge der „Sächsischen Union“. Bereits 1999, in vollem Umfang aber erst 2004 ersetzte dieses inhaltliche Regierungsprofil das Parteiprofil. Die Themenkampagne ordnete sich dem Ziel der absoluten Mehrheit unter. Die strategische Einbindung der Themenkampagne in die SPD-Wahlkämpfe wich von den stimmenmaximierenden Mustern ihrer Konkurrenten ab. Ähnlich der CDU standen 1990 inhaltliche Gemeinplätze der Bundespartei konkreten Issues der Landespartei gegenüber. 1994 und 1999 ordneten sich die kurzfristigen Office-Seeking-Strategien dem thematischen Fundament der Landespartei unter. Die Herausforderin mit Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung legte in beiden Fällen Wert auf (weitgehend) realisierbare, ebenso detaillierte wie breite inhaltliche Konzeptionen. Ihre Themenkampagnen versuchten, durch inhaltliche Regierungskritik und eigene Konzepte Regierungskompetenz zu demonstrieren. Die Stimmenmaximierung stand zurück. 2004 blieb diese Vorgehensweise auf der Strecke.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
Die veranschlagte landespolitische Positivkampagne unterlag dem Hochkonfliktthema Hartz-IV. Die SPD focht einen stark bundespolitisch beeinflussten Themenwahlkampf. In der Summe entsprangen die CDU-Themenkampagnen durchweg einer Vote- bzw. Office-Seeking-Strategie. Die Kampagne der PDS folgte 1990 – von äußeren Umständen getrieben – einer Stimmenmaximierungsstrategie, 1994 dominierte die Politikumsetzung, von 1999 an bediente die Themenkampagne Vote- bzw. Office-Seeking-Strategien. Am stärksten von einer Programmverwirklichung getrieben war die SPD. Einzig 1990 und 2004 spielten starke Vote-Seeking-Effekte eine Rolle – zuerst im Chor der allgemeinen Stimmenmaximierung, zuletzt als Mittelpunkt einer abschlägigen bundespolitischen Debatte. Die Landesverbände verfolgten nach 1990 eigene Themenkampagnen. Allein im Jahr der Einheit übernahmen die Parteien in Teilen, was externe Papiere feilboten, und warben mit Programmen, die weder von ihnen verfasst waren noch den Gegebenheiten entsprachen.136
8.3.1.3 Rolle der Wahlprogramme Die Entstehung der Wahlprogramme wandelte sich im Betrachtungszeitraum fundamental – von improvisierten, von den Landesparteien geschriebenen, für das Selbstverständnis äußerst relevanten „Wahlplattformen“, zu sprachlich wie inhaltlich zielgruppengerecht angelegten, aus differenten Federn geflossenen Textamalgamen eher untergeordneten Wertes. 1990 ließ die Erstellung eine strategische Versiertheit vermissen. CDU und SPD ging es darum, wichtige Forderungen und Ziele sachorientiert und projektbezogen zu integrieren. Entsprechend spiegelten die ersten Plattformen ursprüngliche Politik wider. Speziell das an sozialdemokratische Vorbilder und Grundfragen angelehnte SPD-Wahlprogramm atmete den Geist des Originären. Die CDU-Plattform, obwohl ebenfalls Produkt der Landespartei, hatte bereits einen „professionelleren“ Charakter. Das Manifest der PDS war eine weithin plagiierte „Notgeburt“.137 Während CDU und SPD sich an die Texte ihrer westdeutschen Schwestern anlehnten, bediente sich die PDS u. a. bei der SPD und den Grünen.138 In der Folge dienten allen Akteuren die Fraktionen, speziell deren Arbeitskreise und Fachreferenten, als Stützen der Wahlprogrammierung. Entsprechend undurchsichtig wurde der Prozess. Sicher ist, die Fraktionen lieferten den Landesparteien einzelne konzeptionelle Grundlagen bis hin zu kompletten Entwürfen. Die Sozialdemokraten bezogen 1994 Fraktionsmaterialien in ihre Programmfindung ein, 2004 lag der Prozess in den Händen der Fraktion. Spielten bei den Christdemokraten bis 1994 die Fachausschüsse der Landespartei die wichtigste Rolle,139 stammten Teile der nachfolgenden Regierungsprogramme aus Fraktionskreisen. Bei der PDS erhöhte sich zunächst der Einfluss der Fraktion auf die Programmfindung. Unter anderem Porschs Fraktions- und Parteivorsitz schrieben den Fraktionsarbeitskreisen eine wichtige Rolle zu. 2004 lag die Programmerstellung wieder in den Händen der Partei, zum Verdruss zahlreicher Abgeordneter. Ferner unterschieden sich die Programme in ihrer in- und externen Relevanz für die Landesparteien. Die Annahme, ein Wahlprogramm sei der Bezugspunkt beinahe aller the136
137 138 139
Vgl. exemplarisch Interview mit Karl-Heinz Kunckel, in: SZ vom 30. August 1994; Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006. Vgl. Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. Vgl. Gerner (1994), S. 241; Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Helmut Münch am 14. Dezember 2005. Helmut Münch betont, dass Kurt Biedenkopf die Konzepte der Landesfachausschüsse im Wesentlichen unverändert gelassen habe.
8.3 Themenkampagne
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menbezogenen Werbeaktivitäten, bestätigte sich nur teilweise. Binnen- wie Außenfunktion der CDU-Wahlprogramme waren eher marginal. Mit ihrem Grundsatzprogramm von 1993, welches innerparteilich durchaus bedeutsam war, hatten sich die Christdemokraten auf ein gemeinsames Wertefundament geeinigt und das Selbstverständnis der „Sächsischen Union“ festgeschrieben. Nach der Wiederwahl 1994 reduzierte der hegemoniale Regierungsstatus die in- und externe Relevanz der Wahlprogrammierung. Werner Patzelt pointiert: „Die Partei findet ihr Selbstwertgefühl in erfolgreich gemeisterter Regierungspraxis, nicht in der Anfertigung von Selbstverständigungsschriften.“140 Die CDU war keine Programmpartei. Ihre funktionalen Arbeitsprogramme dienten als Bilanzierungspapiere, als argumentative Richtschnur für die Direktkandidaten (Binnenfunktion) und zur Information externer Betrachter. Für die Wähleransprache (Außenfunktion) waren sie von „untergeordneter Bedeutung“.141 Die thematische Positionierung der Partei im Wahlkampf leisteten vorwiegend dünne Broschüren, knappe Botschaften und die Spitzenkandidaten. Die programmatische Diskussionsbereitschaft der Parteibasis war gering, die Möglichkeit ihrer diesbezüglichen Mobilisierung ebenfalls.142 Die SPD konfrontierte ein Außen-Innen-Paradoxon der Wahlprogrammierung. Auf der einen Seite war die programmatische Binnenfunktion hoch. Insbesondere 1994 und 1999 geriet die Programmarbeit zu einem essenziellen Bestandteil der Wahlkampfvorbereitung. Aufwändig entwickelte Programme prägten die Themenkampagnen und verliehen dem Landesverband Legitimation und Halt. Die Programmfindung diente der innerparteilichen Integration, was angesichts der personellen Konflikte nur bedingt gelang. 2004 war die Entstehung des Wahlprogramms gar Teil der internen Machtkämpfe. Auf der anderen Seite war die Außenfunktion der Wahlprogramme eher marginal.143 Einzig zur thematischen Positionierung der SPD im politischen Wettbewerb konzipiert, machte ihr sachorientierter Charakter die Plattformen für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner weithin unwirksam. Hinzu kamen massive Vermittlungsprobleme.144 Die unterlegene Oppositionsrolle, die fehlende personelle Durchschlagskraft, die eher braven Themenkampagnen und die massiven Bundeseinflüsse verhinderten eine programmatische Streuung. Für die PDS waren Wahlprogramme in ihrer Binnen- und Außenfunktion bedeutsam. Bereits 1990 war ihr Programm Kern des Wahlkampfes. Nach innen integrierte es „Reformer“ und „Orthodoxe“, nach außen sollte es Politikfähigkeit demonstrieren.145 In der Folge trimmte die PDS ihre Plattformen auf Außenwirksamkeit. Insbesondere die dünnen, auf soziale Themenstellungen zentrierten Schriften der Jahre 1999 und 2004 hoben sich als Mixtur aus Arbeits- und Statuspapieren weit von den entideologisierten Konzeptionen ihrer Kontrahenten ab. Die Programme waren reißerische Abbilder des politischen Wollens der PDS. Nach innen dienten sie der Integration, waren doch inhaltliche Auseinandersetzungen im Landesverband an der Tagesordnung146 – etwa um das 1994er Programm „Leben in 140 141 142 143
144
145 146
Patzelt (2006), S. 110. Interview mit Steffen Flath am 21. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Hermann Winkler am 18. Januar 2006. So die Selbsteinschätzung der Landespartei in: Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 17. September 1994 in Dresden, S. 2. Mario Pecher bemerkt: „Wir hatten immer wunderschöne Programme, aber es wusste kein Mensch in Sachsen, was wir eigentlich vorhaben, was wir wollen. Wir haben nie die Transportinstrumente gehabt, unsere Botschaften dem Wähler zu vermitteln.“ Interview mit Mario Pecher am 6. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006. Vgl. Interview mit Ingrid Mattern am 24. Januar 2006; ähnlich Interview mit Rico Gebhard am 11. Januar 2006.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
Menschenwürde“. Die „Reformer“ befürworteten ein in ihren Augen realitätsnahes Konzept, die „Orthodoxen“ hielten am sozialistischen Endziel fest. 2004 verlief der Konflikt zwischen Fraktion und Partei. Galt vielen Abgeordneten das als „Anti-Hartz-IV-Text“ entworfene Wahlprogramm als ein utopisches Manifest, witterten Teile der Partei im „Aleksa“ Verrat an ihren antikapitalistischen Idealen. Zusammengenommen ergeben sich unterschiedliche Muster. Zunächst (1990/94) waren Wahlprogramme für CDU und SPD nach innen wie nach außen von hoher Relevanz. Später verschob sich ihr Stellenwert. Wahlprogramme erfüllten für die Regierungspartei weder eine nennenswerte Außen- noch eine Binnenfunktion. Der sozialdemokratischen Opposition untermauerten sie ihre Herausfordererrolle. Die Postkommunisten versuchten, mit ihrer markant ideologischen Programmatik Interessierte anzusprechen und ihre inneren Strömungen auszugleichen. Eine Ursache für die geringe Relevanz der Wahlprogramme war deren fehlende Koalitionsfunktion. Am ehesten bot die SPD inhaltliche Grundlagen für Koalitionsverhandlungen an. Die Programme der CDU bedienten einzig die Vote-SeekingStrategien der Regierungspartei, die der PDS allein jene der Oppositionspartei.
8.3.1.4 Themenarten In allen Wahlkämpfen variierten die Themensetzung durch die Parteien und die Themenarten. Beherrschten externe, speziell bundespolitische Themen die Öffentlichkeit, schmälerte dies die landespolitischen Agenda-Setting-Optionen. Wie belegt werden konnte, hing das Thematisieren von Landespolitik stark von externen und internen Einflüssen sowie den jeweiligen bundes- und landespolitischen Strategieoptionen der Parteien ab. Der Grad an bundespolitischer Polarisierung spielte für die Themensetzung ebenso eine Rolle wie die Dringlichkeit landespolitischer Issues. Unabhängig davon besetzten die Akteure gezielt Gewinner-, Positions- oder Hochkonfliktthemen. Gewinnerthemen der CDU waren Wirtschaft und Arbeit. Entsprechend verfügte die Partei über Gewinnerthemen, zu denen sich SPD und PDS kontinuierlich positionieren mussten. Als kombinierte Issues standen sie im Zentrum aller Themenkampagnen. Bis 2004 übertrafen die der Partei auf diesen Feldern zugesprochenen Kompetenzen die ihrer Konkurrenten. Im Jahr ihrer Wahlniederlage verblieb ihr allein Wirtschaft, auf dem Themenfeld Arbeit hatte sie deutlich an Zuspruch verloren. Ein weiteres Kernthema, auf welchem die CDU hohe Kompetenzwerte erreichte, welches aber in seiner Bedeutung im Zeitverlauf sank, war die innere Sicherheit. Das für sie durchweg günstige fiskalpolitische Feld verfing in den Wahlkämpfen kaum. In der Argumentation „solider Landeshaushalt“ (CDU) versus „Massenverelendung“ (PDS) geriet die Regierungspartei ins Hintertreffen. 2004 stieß keines ihrer kernkompetenten Themenfelder auf Interesse. Die SED-Nachfolgerin, die 1990 als isolierte Partei über kein Gewinnerthema verfügte, besetzte ab 1994 gezielt soziale Issues. 1999 baute sie die soziale Gerechtigkeit zu ihrem Gewinnerthema aus. Bediente die CDU mit Wirtschaft und Arbeit sowie innerer Sicherheit zwei wichtige Wahlkampfthemen, sicherte sich die PDS mit der sozialen Gerechtigkeit ein weiteres. Die ihr 1999 hier zugesprochene Lösungskompetenz war hoch, der eigene Anspruch („Partei der sozialen Gerechtigkeit“) unikal. Das Soziale durchdrang alle postkommunistischen Themenfelder. Insbesondere 2004 entwickelte die PDS ihre sozialistischen Ambitionen zur Leitbotschaft. Versuche der Sozialdemokraten, dem durch eine sozialere
8.3 Themenkampagne
355
Positionierung beizukommen, scheiterten. Vielmehr schwang im Hochkonfliktthema HartzIV die soziale Gerechtigkeit als PDS-Gewinnerthema mit, zulasten der SPD. Wegen ihrer „Mittellage“ zwischen einer dominant sozialen wie bürgerlichen CDU und einer dezidiert sozialistischen PDS litt die SPD unter einer harten Themenkonkurrenz. Ihr einziges, wenngleich damals von allen Parteien hart umkämpftes Gewinnerthema war 1990 die „ökologische Marktwirtschaft“.147 In der Folge konzentrierten sich die Sozialdemokraten auf die Themen Arbeit sowie soziale Gerechtigkeit und damit auf Gewinnerthemen ihrer Kontrahenten. Hoben sich CDU und PDS voneinander ab, gelang es der SPD im interparteilichen Wettbewerb nur bedingt, unverwechselbare Themen zu setzen.148 Nicht zuletzt erschwerten ihr dies volatile Kompetenzzuschreibungen. So plante die SPD in ihrer Hochphase 1998 die Themen Arbeit und soziale Gerechtigkeit als Gewinnerthemen des Landtagswahlkampfes. 1999 kollabierten ihre Kompetenzwerte auf beiden Feldern. Ein landespolitisches Gewinnerthema konnte die Partei (auch 2004) nicht etablieren.
8.3.1.5 Art der Personalisierung der Themenkampagne Träger der CDU-Themenkampagnen waren die Spitzenkandidaten. Ab dem Zeitpunkt seiner Nominierung fungierte Kurt Biedenkopf 1990 als vertrauensbildende Integrationsfigur zwischen den christdemokratischen Konzeptionen und den Erwartungen der Wähler. Er verkörperte glaubhaft die „Partei der Sozialen Marktwirtschaft“. In der Folgezeit war er zentraler thematischer Kommunikator, der christdemokratische Werte vermittelte, die partei- und regierungspolitischen Inhalte zum Ausdruck brachte und der Rechenschaft ablegte. Biedenkopf symbolisierte die allumfassende thematische Kompetenz und die Verantwortlichkeit der Landespartei. Diese wiederum berief sich auf ihn als „Garanten für politische und wirtschaftliche Stabilität“. Unterstützt wurde der Amtsinhaber durch die Fachminister, die in Kabinettswahlkämpfen zentrale Ressortthemen kommunizierten. Das Schema, den Amtsinhaber zum zentralen Vermittler der Themenkampagne zu machen, behielt die CDU 2004 bei. Milbradt, der die Aufmerksamkeit der Wähler auf die Erfolgsbilanz lenken sollte, wurde dieser Anforderung nur bedingt gerecht. Die aufgrund der äußeren Ereignisse notwendige umfassende thematische Personalisierung scheiterte. Auch die SPD personalisierte 1990 ihre Themenkampagne. Anke Fuchs proklamierte die ökologische Marktwirtschaft und die soziale Gerechtigkeit als Kernthemen. In gleichem Maße symbolisierte sie die bundesdeutsche Sozialdemokratie. In der Folgezeit setzte die SPD auf eine verhaltene thematische Personalisierung. Wichtiger Kommunikator war KarlHeinz Kunckel. Seine Funktion bestand darin, im Wettstreit mit dem Amtsinhaber zu polarisieren – Biedenkopf als Symbol fehlerhafter Regierungspolitik, er als Inkarnation sozialdemokratischer Alternativen. Kunckels Präsenz war geringer als die des Amtsinhabers, er selbst nicht zu einer vergleichbaren Themenvermittlung in der Lage. Entsprechend setzte die SPD stärker auf einen nicht-personalisierten Themenwahlkampf. In Form ihrer Herausfordererteams vermittelte sie ihre Themen multipersonal. Die Mannschaften sollten zielgruppenorientiert den zentralen Programmschwerpunkten Gesichter verleihen. 2004 147
148
So das Ergebnis der von der Berliner SPD-Wahlkampfplanungsgruppe initiierten repräsentativen thematischen Gruppendiskussionen. Vgl. ADSD 3/SN AB 000090 Protokoll der zweiten Sitzung der Planungsgruppe Wahlen am 31. Juli 1990, S. 5; Ergebnis der Gruppendiskussionen, August 1990, S. 8-11. Vgl. Demuth (2006), S. 156 f.
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scheiterte der geplante Kompetenzwahlkampf um den Spitzenkandidaten Tiefensee durch dessen Verzicht; die vage Personalisierung der Themenkampagne durch Jurk blieb wirkungslos. Im Unterschied zu CDU und SPD, die 1990 als Beweis ihrer Regierungsfähigkeit ihre Themenkampagnen in großen Teilen über westdeutsche Spitzenkandidaten vermittelten, setzte die PDS in ihrem ersten Wahlkampf auf diverse (vorgeblich) sachkompetente Kandidaten. 1994 beschränkte sich die Personalisierung der Themenkampagne durch Porsch wegen des isolierten Status’ der PDS auf einen sehr engen Kreis. 1999 und 2004 intensivierte Porsch eine personalisierte Thematisierung. Als Fraktions- und Landesvorsitzender war er 1999 der landesweite Kommunikator für die zentralen thematischen Botschaften seiner Partei. Er ermöglichte den Postkommunisten, insbesondere ihren politischen Konzepten, den Schritt in eine breitere Öffentlichkeit. 2004 symbolisierte Porsch als Kopf der „Opposition mit Konzept“ über die sozialen Schwerpunkte der PDS deren Regierungsanspruch. Die Debatte um seine Stasi-Vergangenheit warf ihn aus dieser Rolle zurück in die des thematischen Mediators zwischen Partei und unmittelbarer Anhängerschaft. Alle Parteien personalisierten ihre Themenkampagnen, wobei die heterogenen Strategien facettenreiche Muster gebaren: Die thematische Personalisierung vermittelte Inhalte über bekannte, vertrauenswürdige Kandidaten (CDU 1990-2004; SPD 1990), wandte sich an die eigene Anhängerschaft und Parteibasis (PDS 1994; SPD 2004), sie unterstützte seriöse politische Herausforderer (SPD 1994/99; PDS 2004) oder popularisierte unbekannte Oppositionskandidaten (PDS 1999). Die Wahlkämpfe bestätigen die angenommene gegenseitige Ergänzung von Sachthemen und Personen. Dabei war es vom Status des Kandidaten und der Landespartei abhängig, ob die Inhalte die Person unterstützten (SPD 1994/99; PDS 1999/2004) oder die Person die Inhalte (CDU 1994-2004). Ferner maßen alle Parteien einer multipersonalen Themenkommunikation Gewicht zu. Während die CDU-Fachminister im Landtagswahlkampf den Ministerpräsidenten flankierten, nutzten SPD und PDS Herausforderer- oder Kompetenzteams, um zusätzlich themenbezogen zu personalisieren.
8.3.2 Wirtschaftspolitische Konzeption 8.3.2.1 Situationsanalysen Gemäß ihrer gouvernementalen Ausrichtung waren die ökonomischen Situationsanalysen der CDU durchweg positiv. 1990 richtete sich die Regierungspartei in spe (abgesehen von deutlichen Hinweisen auf den katastrophalen Zustand der Wirtschaft) optimistisch aus. Sie beschwor Potenziale, schürte Hoffnungen und warb intensiv um Vertrauen in die neue Wirtschaftsordnung. Drohende Transformationsverwerfungen galten ihr als (gravierende) „Übergangsprobleme“. Nachfolgend schnitt die CDU die wirtschaftliche Lagebestimmung auf ihre bilanzorientierte Regierungsstrategie zu. Sie argumentierte staatstragend, souverän. Ein positiver wie prospektiver Grundton dominierte. Mit einer Kombination aus überschwänglicher Erfolgsgeschichte, nüchterner Erklärung der Transformation und maßvollen Hinweisen auf die Verwerfungen diente der Wahlkampf 1994 als Übergang in eine komparative Positivdarstellung. Anhand ausgewählter Faktoren exponierte die CDU Sachsen ab 1999 als ostdeutsches Vorzeigeland. Negative Entwicklungsgrößen (Stagnation, Arbeitslosigkeit) beschönigte sie oder begründete diese mit höherer Gewalt. Hatten die Christdemo-
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kraten bis 1994 die Schwierigkeiten der ökonomischen Transformation auf die desaströse Ausgangslage (DDR-Altlasten) zurückgeführt, wechselten sie ab 1999 in eine externe Legitimationsstrategie (infolge der zunehmenden Unglaubwürdigkeit von Verweisen auf das Erbe des Kommunismus) und proklamierten die Bedeutsamkeit bundespolitischer Ordnungs- und Strukturreformen. Wirtschaftssystemfragen warf die CDU nur anfänglich auf. Um ihre positive Gesamtaussicht zu untermauern und um ihre Ordnungsvorschläge zu unterstützen, bilanzierte sie 1990 umfassend die Resultate der „sozialistischen Kommandowirtschaft“. Die SED habe das Land heruntergewirtschaftet und nichts als unproduktive Arbeitsplätze, einen zerstörten Mittelstand, nicht wettbewerbsfähige Industrien und katastrophale Umweltschäden zurückgelassen. 1994 knüpfte sie an diese Argumentation an, indem sie die Transformationsverwerfungen als langfristige Resultate der DDR-Misswirtschaft darstellte. Die Partei war sich sicher, die sozialen und ökonomischen Probleme würden durch die Marktordnung ausgeräumt. In der Folge gerieten ordnungspolitische Fragen ins Hintertreffen. Die CDU vermied Kritik an der Marktwirtschaft oder an ihrer marktwirtschaftlichen Konzeption. Ihre Herausfordererstrategie nötigte die SPD zu einer ambivalenten Situationsanalyse. Sie erforderte einerseits Regierungskritik, erzwang aber andererseits eine Mäßigung. Da die SPD jederzeit in Regierungsverantwortung hätte gelangen können, musste sie einen Realitätsbezug wahren und Fundamentalkritik vermeiden. 1990 zeigte sich die Partei überwiegend optimistisch, verband Hinweise auf den verheerenden wirtschaftlichen Zustand mit dem Optimismus für einen ökonomischen Aufbau. Vier Jahre später übten die Sozialdemokraten, teilweise ihrer Herausfordererrolle geschuldet, teilweise um mit der christdemokratischen Wirtschaftspolitik abzurechnen, harte Kritik. Für sie hatte die CDU, gelenkt von westdeutschen Interessen, weder industrielle Kerne erhalten (Deindustrialisierungspolitik) noch den massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen verhindert. Nachfolgend entschärfte die Partei ihre Kritik, sprach im Jahr 1999 sogar von einer insgesamt guten Entwicklung. Im Mittelpunkt standen fortan der Negativvergleich mit anderen Bundesländern und die ihrer Meinung nach verfehlte CDU-Arbeitsmarktpolitik. Hohe Arbeitslosigkeit und niedriges Wachstum begründete die SPD primär mit dem wirtschaftspolitischen Fehlverhalten der Staatsregierung. Dabei dominierte allein 1990 die Systemfrage. Sachsens Wirtschaft galt der SPD als katastrophales Abbild der „verfehlten Wirtschaftspolitik“ einer „Kommandowirtschaft“. Sie kritisierte fundamental das Wirtschaftssystem der DDR, vermied aber allzu negative Bezüge zu sozialistischen Ordnungsformen. Warnungen vor einer ungeregelten, dem Sozialen nicht verpflichteten Marktordnung sprach die Partei indes offen aus. In der Folge verlor der DDR-Bezug an Kraft, stattdessen rückte das nach SPD-Lesart fehlerhafte, für die Transformationsprobleme mitverantwortliche Ordnungscredo der CDU in den Fokus. Die Regierungspartei habe mit ihren veralteten Ansätzen die Transformation dem Markt überlassen und auf Interventionen verzichtet. Im Resultat seien der selbsttragende Aufschwung ausgeblieben und massenhaft Arbeitsplätze vernichtet worden. Auf eine marktwirtschaftliche Fundamentalkritik verzichtete die SPD. Nicht die Wettbewerbsordnung stand zur Debatte, sondern allein deren von der CDU praktizierte Spielart. Die PDS modifizierte ihre Situationsanalyse – von defensiv über aggressiv bis partiell konstruktiv. Anfangs agierte die SED-Nachfolgerin verhalten. Sie ignorierte ihr desaströses Erbe, kaschierte ihre Verantwortlichkeit und verbarg ihre Konzeptionslosigkeit. Offensive Vorstöße gegen die Marktordnung hätten dies erschwert. Stattdessen thematisierten die
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
Postkommunisten (vorgebliche wie reale) soziale Verwerfungen. 1994/99 übten sie schließlich Fundamentalkritik, hielten die Transformation für misslungen. Ihr zentraler Vorwurf lautete, die Staatsregierung habe durch falsche Ziele und Maßnahmen das ökonomische Potenzial Sachsens weitgehend zerstört. Sozialabbau und Arbeitslosigkeit bildeten in ihren Augen die Resultate einer marktradikalen CDU-Politik. Deren Credo, die Wirtschaft schaffe ausreichend Arbeitsplätze, erachtete die PDS für gescheitert. 2004 war die Situationsanalyse widersprüchlich. Die Themenkampagne der Partei blieb kompromisslos regierungskritisch, das „Aleksa“ der Fraktion bilanzierte Erfolge und Misserfolge. Im Fokus der Postkommunisten stand die Ordnungskritik. Zunächst verklärten sie ihre historische Bürde. Hatte 1990 ein Programmentwurf noch die „Beseitigung von Mängeln, Missständen und Disparitäten infolge verfehlter, zentralistischer Wirtschaftspolitik“149 gefordert, erwähnte die PDS im Wahlkampf lediglich ihre Bereitschaft zur Mithilfe an der Überwindung „der von der SED verschuldeten Missstände“.150 Nachfolgend verharmloste sie die Hinterlassenschaften der DDR und begründete die Transformationsverwerfungen mit der verfehlten neuen Ordnung. Aus ihrer anfänglich geäußerten Skepsis gegenüber der Sozialverträglichkeit der Marktwirtschaft wurde ab 1994 Fundamentalkritik. Festgestellte Unzulänglichkeiten begründete die Partei mit der existierenden Ordnung, die wegen ihrer ungerechten Eigentums- und Verteilungsstrukturen keinen Rahmen für eine sozialverträgliche Transformation biete. Das Prinzip aus Markt und eigener Verantwortlichkeit widersprach dem von ihr favorisierten Miteinander von Eigeninteresse und Solidarität. Die sächsische PDS verbarg in den Wahlkämpfen ihren glasharten Antikapitalismus hinter scheinbar harmlosen Äußerungen über Verteilung und Eigentum151 sowie hinter der Kritik am falschen „neoliberalen“ Konzept der CDU. Zusammengenommen war die Lageanalyse der CDU von deren gouvernementalen Akteurshorizont geprägt, bei der SPD gab der Wille zur Regierungsübernahme den Ausschlag, die der PDS war fundamentaloppositionell intentioniert. Durchweg begegneten SPD und PDS dem „Wachstums- und Erfolgsdiskurs“ der CDU mit einem „Defizitdiskurs“.152 Während Letztgenannte Wirtschaftsprozess und -struktur uneingeschränkt positiv darstellte (Erfolgsthese), rückten Erstgenannte diese in ein nachteiliges Licht (Misserfolgsthese). Bei der SPD war die Argumentation Teil ihrer Herausfordererstrategie, bei der PDS stärkte sie deren sozialistisches Selbstverständnis. Auffallend ist die Schärfe, mit der 1994 beide Oppositionsparteien die Staatsregierung attackierten. Was bei der SPD auch die Enttäuschung über den Verlauf des Transformationsprozesses und die darin erlebte eigene Machtlosigkeit ausdrückte, diente der PDS in erster Linie, um wählerwirksam mit der Landesregierung abzurechnen. Ferner variierte die Bandbreite der Situationsanalysen. Die CDU konzentrierte sich ab 1999 auf eine Positivdarstellung des ökonomischen Zustands. Ordnungsfragen spielten einzig im Zusammenhang mit der Ablehnung der DDR-Wirtschaft und als Begründung der eigenen Handlungshemmnisse eine Rolle. Das wirtschaftliche Lagebild der SPD äußerte überwiegend Kritik an der Wirtschaftspolitik der CDU. Ihre Ordnungskritik richtete sich gegen die christdemokratische Konzeption. Hingegen maßen die Situationsanalysen 149
150 151
152
Wahlplattform des Landesverbands Sachsen der PDS 1990 (Entwurf), ohne Datum (Archiv des PDS-LV Sachsen). Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1990, S. 1. Vgl. Thomas Schubert (2007): Antikapitalismus gleich Extremismus? Die wirtschaftspolitische Programmatik der PDS in den sächsischen Landtagswahlkämpfen 1990 bis 2004, in: Eckhard Jesse/Hans-Peter Niedermeier (Hrsg.): Politischer Extremismus und Parteien, Berlin, S. 385-406. So bereits für das Jahr 1999 festgestellt von Luutz (2002), S. 159.
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der PDS ordnungspolitischen Zusammenhängen hohes Gewicht bei. Selbst ihre Zustandsbeschreibungen verband die Partei mit einer fundamentalen Ordnungskritik. Für die CDU waren nach 1990 weder die Wirtschaftsordnung noch der eigene Ordnungsansatz, spezielle Elemente ausgenommen, Wahlkampfgegenstand. Auch die SPD vermied in ihren Lagebestimmungen fundamentale Ordnungsfragen, kritisierte lediglich die praktizierte christdemokratische Konzeption. Für die PDS waren Fragen nach der richtigen Wirtschaftsordnung indes essenziell. Anders als CDU und SPD reduzierte sie sämtliche Missstände bei Struktur und Prozess auf den falschen Ordnungsansatz, verwarf dabei die Marktordnung als solche. Folgender Zusammenhang verdeutlicht die Unterschiede. Nach Manfred Hättich kann mit Blick auf eine Gesellschaft eine existente von einer bewusst intendierten Ordnung unterschieden werden.153 „Zustand ist die Gesellschaft, insofern der Mensch sie antrifft und erfährt; Ordnung ist sie, insofern der Mensch sie bewusst gestaltet. Für die Ordnungsentwürfe sind die Zustände Anlass, genauer gesagt: die Unzufriedenheit mit den Zuständen.“154 Politik sei, so Hättich, der „permanente [objektive] Versuch, das Ordnungsproblem zu lösen“,155 getrieben von den subjektiv empfundenen Zuständen. Im hiesigen Fall legten alle Akteure ihre subjektive Perzeption der ordnungspolitischen Bewertung zugrunde. Die CDU sah zunächst die ökonomischen Gegebenheiten als direktes Resultat der DDR-Wirtschaft. Für unbedingt notwendig erachtete sie die Einführung einer sozialen Marktordnung. Ab 1994 fixierte sie drei Leitbilder – erstens, die Zustände sind mehrheitlich gut, zweitens, ihr ordnungspolitisches Konzept hat dazu beigetragen, drittens, die Soziale Marktwirtschaft ist alternativlos. Für die SPD war der ökonomische Zusammenbruch 1990 zuvörderst Resultat der „Kommandowirtschaft“, dennoch mit verschuldet durch die übereilte Marktöffnung. Ab 1994 entwickelte sie eine Sichtweise, die Zustand und Ordnung der Wirtschaft immanent beanstandete. Die von ihr gezeichnete Lage mündete stets in Ordnungskritik mit dem Ziel immanenter Reformen. Geleitet von einer übersteigerten Wahrnehmung innergesellschaftlicher Spannungen führte die PDS den Zustand der Wirtschaft nicht auf ordnungsinhärente Fehler, sondern auf einen inadäquaten Ordnungsansatz zurück. Bedeutsam für die frühen Situationsanalysen war, wann die Akteure die Schlussbilanz der DDR-Wirtschaft und die Eröffnungsbilanz der sächsischen Wirtschaft ansetzten. Drei Sichtweisen sind erkennbar. (1) Nach Lesart der PDS fielen beide Bilanzen auf den Transformationsbeginn. Indem die Partei den Zustand der DDR-Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 1990 bilanzierte, trennte sie rigoros die Geschehnisse davor von denen danach. 1994 bekundete sie demgemäß: „Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit sind nicht primär das Ergebnis der Rückstände der DDR-Wirtschaft […]. Sie sind vielmehr das Ergebnis […] einer marktradikalen Politik“.156 (2) Diametral fielen Schluss- und Eröffnungsbilanz nach Dafürhalten der CDU weit in die Phase der Transformation. Den „Wert“ der DDR-Ökonomie maß die Partei unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Sie betonte entsprechend, dass der wirtschaftliche Zerfall in erster Linie eine Folge des Zusammenbruchs der „sozialistischen Kommandowirtschaft“ sei. (3) Die Sozialdemokraten wählten einen Mittelweg. Zwar legten sie wie die PDS beide Bilanzen auf den Tag der Währungsunion, 153
154 155 156
Vgl. Manfred Hättich (1962): Das Ordnungsproblem als Zentralthema der Innenpolitik, in: Dieter Oberndörfer (Hrsg.): Wissenschaftliche Politik, Freiburg i.B., S. 211-236, hier S. 211 f. Ebd., S. 215 f. Ebd., S. 227 [Anmerkung Autor]. Brigitte Zschoche/Tilo Fischer (1994): Ein anderer Sozialreport, hrsg. von der Fraktion LL/PDS im Sächsischen Landtag, Dresden, S. 5.
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interpretierten aber die spätere Entwicklung als Ergebnis der DDR-Hypothek und des verfehlten „marktliberalen“ Vorgehens nach 1990.
8.3.2.2 Zielbestimmungen Entsprechend der Systematik in Kapitel 3.4.2.2 vereinten alle Parteien unter einem wirtschaftspolitischen Primärziel individuelle Ziele. Je nach ideologischer Verankerung konstruierten sie positiv-instrumentelle Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Zielen und gesamtwirtschaftlichen Zielkategorien. Obwohl die Hierarchie zwischen beiden Ebenen und unter den Zielen einer Ebene mitunter wenig trennscharf ausfällt, lässt sich abermals eine klare Rangfolge aus höherstehenden Zielen primärer Ordnung und ihnen vorgelagerten, für sie unabdingbaren Zielen sekundärer Ordnung ausmachen. Das bereits zur Kategorisierung der Ziel-Strategie-Systeme (Kapitel 8.1.2.2) herangezogene Schema ist daher geeignet, die wirtschaftspolitischen Zielzusammenhänge zu veranschaulichen. Abbildung 3:
Gesellschaftlich-ökonomische Zielsysteme im Wahlkampf
Ziele sekundärer Ordnung gesellschaftlich gesamtwirtschaftlich Freiheit
Wachstum
Fortschritt
Struktur
Ziele primärer Ordnung gesamtgesellschaftlich wirtschaftlich Stabilität
Gerechtigkeit
Verteilung
Sicherheit
Verteilung
Gerechtigkeit
CDU
Primärziel
gerechtfertigter Wohlstand
Freiheit Freiheit
Wachstum
SPD Fortschritt
Stabilität Struktur soziale Gerechtigkeit
Sicherheit
Gerechtigkeit
Wachstum Stabilität Verteilung Struktur soziale Gerechtigkeit
Gerechtigkeit Fortschritt Sicherheit
PDS Sicherheit
breiter Wohlstand
sozial gerechter Wohlstand
Quelle: Eigene Darstellung.
Die Zielargumentation der Christdemokraten war in allen Fällen eindeutig (Abbildung 3). Die gesellschaftlichen Ziele Freiheit und Fortschritt sowie gesamtwirtschaftliche Wachstums- und Strukturziele (Ziele sekundärer Ordnung) waren Conditio sine qua non, um gesamtwirtschaftliche Stabilitäts- und Verteilungsziele sowie die gesellschaftlichen Ziele Gerechtigkeit und Sicherheit (Ziele primärer Ordnung) zu erreichen. Das Primärziel lautete stets: gerechtfertigter gesellschaftlicher Wohlstand. Durchweg deklarierte die Partei in ihrer Zielsetzung eine freie, auf Leistung und Eigenverantwortlichkeit basierende Wirtschaft, wirtschaftlichen Erfolg und Wachstum als Determinanten sozialer Sicherheit und einer (staatlich beeinflussten) sozialverträglichen Verteilung. Eine freie aber geordnete wirt-
8.3 Themenkampagne
361
schaftliche Entfaltung führte aus Sicht der CDU zu Wachstum, das wiederum das Stabilitätsziel hoher regulärer Beschäftigung erfüllte, Arbeitslosigkeit reduzierte und damit die Basis für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit schuf. Entsprechend leitete der gesellschaftliche Freiheitswert das wirtschaftliche Zielsystem der Partei. Ähnlich der CDU erachtete die SPD die gesellschaftlichen Ziele Freiheit und Fortschritt sowie gesamtwirtschaftliche Wachstums- und Strukturziele durchweg als Ausgangspunkte (Ziele sekundärer Ordnung), um gesamtwirtschaftliche Verteilungs- und Stabilitätsziele sowie die gesellschaftlichen Ziele Gerechtigkeit und Sicherheit (Ziele primärer Ordnung) erreichen zu können. Ihr Primärziel lautete: breiter gesellschaftlicher Wohlstand. Obwohl den Sozialdemokraten reguläres Wachstum als Grundlage für einen selbsttragenden Aufschwung und damit für ökonomische Stabilität galt sowie für sie ferner das soziale Gerechtigkeits- und das ökonomische Verteilungsziel in Abhängigkeit zu ökonomischer Prosperität standen, verwarfen sie die CDU-Zielapodiktik aus Wachstum und Beschäftigung. Neben regulärer erachteten sie öffentliche Beschäftigung für unabdingbar, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen sowie um Gerechtigkeits- und Stabilitätsziele zu erreichen. Entsprechend leitete der gesellschaftliche Wert der sozialen Gerechtigkeit das wirtschaftliche Zielsystem der SPD. Die PDS folgte abweichenden Mustern. Die gesellschaftlichen Ziele Gerechtigkeit und Sicherheit sowie gesamtwirtschaftliche Wachstums-, Verteilungs- und Strukturziele erachtete sie als Ausgangspunkte (Ziele sekundärer Ordnung) für gesamtwirtschaftliche Stabilität sowie für die gesellschaftlichen Ziele Gerechtigkeit, Sicherheit und Fortschritt (Ziele primärer Ordnung). Ihr Primärziel lautete: sozial gerechter gesellschaftlicher Wohlstand. Prägend für das Zielsystem war der Imperativ der sozialen Gerechtigkeit. Ab 1994 erachtete die PDS diesen als Voraussetzung und als Resultat einer positiven Wirtschaftsentwicklung. Soziale Gerechtigkeit galt der Partei als Kondition für ein bedürfnisgerechtes Wirtschaften, als zentrales prozessuales Gestaltungsschema und (zusammen mit der sozialen Sicherheit) als Ziel des Wirtschaftens. Das Gerechtigkeitsziel leitete ihr gesamtes Zielsystem. Zwar verfolgte die PDS in allen Fällen (speziell 2004) ein nachhaltiges Wachstum, das Arbeitslosigkeit abbauen und gerechte Lebensbedingungen ermöglichen sollte. Das Ziel der Vollbeschäftigung verband sie damit aber nur teils. Begleitet von umfangreichen Verteilungszielen, die streckenweise ebenso wie Aspekte der sozialen Gerechtigkeit in ihren Augen grundlegend für Wachstum waren, erachtete die Partei öffentliche Beschäftigung für das Erreichen des Stabilitätsziels für unabdingbar. Zusammengenommen differierten die gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele in ihren Gewichtungen durch die Parteien. Gemein war den Akteuren ihre stabilitätspolitische Schwerpunktsetzung. Eine starke Wirtschaft, die Ungleichgewichte vermeidet und einen hohen Beschäftigungsstand (CDU) respektive Vollbeschäftigung (SPD/PDS) garantiert, bildete für alle das Zielfundament. Ebenso dienten CDU, SPD und PDS Strukturziele gleichermaßen als essenzielle Bestandteile zur (inhaltlich differenten) Konkretisierung ihrer Konzepte. Bei den Wachstumszielen unterschieden sich CDU und SPD, die stetigem Wachstum hohe Relevanz beimaßen, vom Standpunkt der PDS, die gesamtwirtschaftliche Stabilität allein in der Kombination von Wachstum, Verteilung und sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen sah. Mit Blick auf die Verteilungsziele zeichnete sich zwischen der CDU, die Verteilung vorrangig als Resultat einer funktionierenden Wirtschaft verstand, und der PDS, die das Verteilungsziel streckenweise zur Prämisse für ihre Wachstumsziele machte (speziell 2004), eine deutliche Konfliktlinie ab.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
Die Einordnung der gesellschaftlichen Einzelziele in das wirtschaftspolitische Zielsystem der Parteien offenbarte klare Differenzen zwischen den Akteuren. Die CDU legte die gesellschaftlichen Ziele Freiheit und Fortschritt, die PDS hingegen soziale Gerechtigkeit und Sicherheit jeder progressiven Entwicklung zugrunde. Sah die CDU soziale Gerechtigkeit als das Ergebnis einer funktionierenden Wirtschaft, betrachtete die PDS diese als deren Voraussetzung und als Resultat. Die SPD kombinierte beide Positionen, indem sie Freiheit und Fortschritt als gesellschaftliche Ziele sekundärer Ordnung annahm, zugleich aber Gerechtigkeit und Sicherheit als Ergebnisse eines sozial gerechten Wirtschaftens ansah. Begleitete bei der CDU die gesellschaftliche Freiheit das gesamtwirtschaftliche Zielsystem, tat dies bei der SPD die soziale Gerechtigkeit. Die PDS ordnete ihr gesellschaftlich-ökonomisches Zielsystem der sozialen Gerechtigkeit unter.
8.3.2.3 Methoden Kern der wirtschaftspolitischen Themenkampagnen waren die Methoden und Mittel der sektoralen und regionalen Struktur- sowie der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Die Parteien kommunizierten in den Wahlkämpfen vorrangig, auf welchen Wegen sie ihre Ziele zu erreichen gedachten. Am minimalistischsten positionierte sich die CDU. Für sie bestand die Aufgabe des Staates vorrangig darin, strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Wirtschaftssubjekten breite Handlungsspielräume gewähren und eine positive wirtschaftliche Entwicklung zulassen. Zentrale Methode ihrer regionalen Strukturpolitik war es, durch die Förderung von Großunternehmen und Großinvestitionen prosperierende Wirtschaftszentren zu etablieren, um so die Ansiedlung kleiner und mittelständischer Unternehmen an der regionalen Peripherie und in den Regionen zu ermöglichen („Leuchtturmpolitik“). Das industrielle Ausbluten der Regionen zwang die Partei, ab 1994 einen stärker regionenspezifischen Aufbau vorzuschlagen. Strukturschwache Gebiete sollten mehr an der Strukturentwicklung partizipieren. 2004 besann sich die CDU wieder auf die „Wachstumskerne“. Ihre Konzeption, Ansiedlungen in den Regionen zu fördern, wich nun der einer infrastrukturellen Anbindung der Peripherien an die „Wachstumszentren“. Sektoral traten die Christdemokraten in den ersten beiden Wahlkämpfen für den Erhalt wettbewerbsfähiger Unternehmen ein, verwehrten sich aber einer „pauschalen Konservierung“. Ihr Ansinnen war zunächst, unproduktive Arbeitsplätze marktgerecht zu transformieren, den qualitativen „Kern der sächsischen Industrie“ zu bewahren und zukunftsträchtige Investitionen zu fördern. Eine vom Staat flankierte Deregulierung und Privatisierung wettbewerbsfähiger Betriebe, kombiniert mit Neuansiedlungen, galt der CDU als optimale Methode. Gemäß ihres ökonomischen Primats favorisierte sie Erneuerung vor Erhaltung. Nach dem weiten Zusammenbruch der Industriestrukturen (1994) setzte die Partei zunehmend auf neue Unternehmen. Mit einem Instrumentenpool von Investitions- und Eigenkapitalhilfen über Bürgschaften bis hin zu staatlicher Teilhabe hielt sie sich (fast) alle Wege einer Mittelstandsförderung offen. 1999 kam es zu einer Zäsur. Die Transformation der alten Wirtschaft war in den Augen der CDU weithin abgeschlossen. Es galt nun, stabile Strukturen neu zu etablieren bzw. etablierte Strukturen zu stabilisieren. Die Partei konzentrierte sich auf moderne (mittelständische) Unternehmen in Wachstumsbranchen. Neben umfangreichen finanziellen Beihilfen forderte sie eine mittelstandsfreundlichere Rahmensetzung in Form umfassender Entlastungen bei Steuern, Abgaben und Bürokratie.
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Arbeitslosigkeit war für die Regierungspartei primär eine ökonomische Größe, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik vorrangig mit wirtschaftspolitischem Anspruch versehen. Gemäß ihrer Doktrin, dass der Staat Arbeitsplätze nicht schaffen könne, sollte dieser durch eine angebotsorientierte Beschäftigungspolitik die Rahmenbedingungen verbessern, damit private Investitionen für Wachstum und reguläre Arbeitsplätze sorgen. Staatliche Beschäftigungsprogramme oder eine nachfrageorientierte Beschäftigungspolitik verfehlten in den Augen der CDU. Arbeitslosigkeit zu reduzieren, erforderte ihrer Meinung nach in erster Linie maximale wirtschaftliche Eigeninitiative. Dennoch variierte der christdemokratische Standpunkt mit den realen Erfordernissen. 1990 hegte die Partei die damals verbreitete Illusion, einfließende Investitionen würden ausreichend Arbeitsplätze generieren und die freien Arbeitskräfte absorbieren. Entsprechend erhielt bis einschließlich 1994 die staatliche Arbeitsförderung in den Wahlkampfforderungen Priorität. Beschäftigungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen band die CDU jedoch an deren Ziel- und Bedarfsorientierung. Parallel focht Biedenkopf ab 1994 für arbeitsmarktpolitische Reformen auf Bundesebene. Nicht zuletzt wegen der horrenden Langzeitarbeitslosigkeit machte die Regierungspartei 1999, indem sie die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie die gemeinnützige Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und älteren Arbeitslosen forderte, Abstriche von ihrem angebotsorientierten Credo. 2004 konstatierte die CDU schließlich, dass Wachstum allein für einen Abbau der Arbeitslosigkeit nicht ausreiche. Eine Deregulierung und Flexibilisierung sowie staatliche Lohnkostenzuschüsse sollten den Arbeitsmarkt für einfache Erwerbsarbeit öffnen und Langzeitarbeitslosen Optionen bieten. Die strukturpolitischen Vorschläge der SPD waren (außer 2004) detailliert. In der Frage der sektoralen Transformation präferierte die Partei bis 1994 den breiten Erhalt bestehender Industrien durch eine staatlich unterstützte Strukturanpassung. Ihr Vorwurf an die CDU 1994, diese hätte den Zusammenbruch der Produktionsbasis verhindern können, fußte auf der Annahme, erhaltenswerte „Kernunternehmen“ durch staatliches Engagement retten zu müssen, um Arbeitsplätze zu sichern. Die 1990 vorgeschlagene „Investitionsoffensive“ hatte zu diesem Zweck einen Rahmen gesteckt, vom Schaffen attraktiver Investitionsbedingungen über Steuererleichterungen, Investitions- und Sanierungsbeihilfen bis hin zu staatlichen Markteingriffen (z. B. Subventionen). Neben einer sozialverträglichen Entflechtung alter Strukturen legte die SPD Wert auf das Fördern innovativer Unternehmen im kleinund mittelständischen Sektor. Um „sächsische Unternehmen“ zu erhalten und noch nicht privatisierte Treuhandunternehmen in „sächsische Hände“ zu bringen, plädierte sie 1994 für staatliche Kapitalhilfen oder branchenspezifische Staatsbeteiligungen. Die SPD rechtfertigte dies ordnungspolitisch damit, den Banken in ihrer Kreditvergabe keine Vorschriften machen zu können. Ab 1999 richtete die Partei ihren Blick nach vorn. Mit ihrer „Zukunftsinitiative Sachsen“ und dem „Bündnis für Arbeit“ präsentierte sie ein vornehmlich angebotsorientiertes, mittelständisches Förderkonzept, um 2004 vollends auf die Entlastung und Unterstützung des unternehmerischen Mittelstands zu setzen. Regionalpolitisch drängten die Sozialdemokraten auf Ausgleich, Konsens und eine regionenbezogene Entwicklung. Schon 1990 sollten regionale Initiativen von Wirtschaft, Gewerkschaft und Kommunen einvernehmlich die Krise bewältigen. In der Folge wandte sich die SPD gegen die ihrer Meinung nach regional unausgewogene, beschäftigungspolitisch ineffektive CDU-Konzeption der Wachstumszentren. Den punktuellen Milliardenförderungen hielt sie die benachteiligten Peripherien entgegen und präferierte stattdessen regionale Initiativen. Ein freiwilliger Konsens der maßgeblichen Akteure, euphorisch als
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„neue Unternehmenskultur“ bezeichnet, sollte (verbunden mit einer systematischen staatlichen Förderung) zu mehr regional verteilter Beschäftigung führen. Anstelle der CDU„Leuchtturmpolitik“ veranschlagte die SPD eine regionale Strukturpolitik, die urban-regionale Netzwerke unterstützt und strukturschwache Regionen durch verstärkte Investitionswie Infrastrukturförderung an prosperierende Gebiete heranführt. Die sozialdemokratische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik folgte der Annahme, Wachstum eigne sich am besten, um Arbeitsplätze zu schaffen. Für Vollbeschäftigung bedurfte es in den Augen der SPD aber zusätzlicher öffentlicher Angebote. Besonders 1990 erachtete die Partei es als staatliche Aufgabe, mit Unternehmenshilfen, öffentlichen Aufträgen und Beschäftigungsgesellschaften den Kollaps des Arbeitsmarktes aufzufangen und die Transformation ohne soziale Brüche zu bewältigen. Obwohl der Ruf nach einem „Recht auf Arbeit“ als idealistische Eigenheit des Jahres 1990 zu bewerten ist,157 war der diesbezügliche Anspruch der SPD auch im Fortgang hoch. Kunckel stellte 1994 klar: „Ich werde dafür sorgen, dass der Freistaat Sachsen Arbeit schafft und finanziert“.158 Erneut veranschlagte die Partei ihre Mixtur aus Investitionsprogrammen, Wirtschaftsförderung und einem öffentlichen Beschäftigungssektor, um dem hohen Arbeitsplatzbedarf gerecht zu werden. 1999 wandelte sie ihre Konzeption und lehnte sich an die angebotsorientierte Beschäftigungspolitik der Bundesregierung an („Bündnis für Arbeit“). In der Kombination aus Beschäftigungspakt, klassischen arbeitsmarktpolitischen Mitteln, umverteilter vorhandener Arbeit und öffentlichem Beschäftigungssektor sah die SPD den Weg zur Vollbeschäftigung – ergänzt durch kommunale Erwerbsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose. 2004 galt den Sozialdemokraten nach wie vor eine regionale „kooperative Beschäftigungspolitik“ als die zentrale Methode für mehr Arbeit. Dennoch standen nun vermehrt arbeitsmarktpolitische Forderungen nach einem höheren Arbeitslosengeld II und nach gesetzlichen Mindestlöhnen im Programm. Die SPD verfocht die Fusion von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und plädierte abermals für eine kommunale Beschäftigung Langzeitarbeitsloser. Die strukturpolitischen Konzeptionsteile der PDS standen in Tiefe und Breite (außer 2004) hinter denen ihrer Konkurrenten zurück. Insbesondere in den ersten Wahlkämpfen war die Partei konzeptionslos. Sektoral ging es 1990 um die maximale Bestandssicherung der DDR-Kernindustrien. Von den verheerenden Folgen einer unregulierten Marktöffnung überzeugt, verlangte die PDS, bewahrenswerte Sektoren staatlich gelenkt zu entwickeln, einen staatlichen Sektor zu belassen und neue Bereiche durch Investitionsförderung aufzubauen. 1994 erneuerte sie ihren Anspruch nach einer staatlich gestützten Sanierung der verbliebenen industriellen Kerne, stand ansonsten für eine unbestimmte, eher nachfrageorientierte Strukturpolitik. Blieben ihre Vorstellungen 1999 auf nichtssagende Postulate nach mehr finanzieller Hilfe für einheimische klein- und mittelständische Unternehmen beschränkt, konturierte die PDS 2004 im Rahmen ihres „Aleksa“ eine sektorale Strukturpolitik. Erstmals betonte sie private Investitionen und privates Engagement, wies aber darauf hin, dass es für eine Reindustrialisierung Sachsens weit mehr bedürfe. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik müssten eigene Potenziale erschließen, etwa in Form branchenspezifischer Netzwerke. Der Fokus lag ferner auf der Bestandspflege und der Fortentwicklung des Mittelstands. Hierfür hielt die PDS ein breites Maßnahmenbündel bereit – von Steuererleichterungen über Investitionshilfen bis hin zu Staatsbeteiligungen.
157 158
Vgl. Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006. Wahlkampfanzeige der SPD, in: LVZ vom 9. September 1994.
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Regionalpolitisch positionierte sich die PDS gegen die „Leuchtturmpolitik“ der CDU. Speziell 1994 appellierte sie, in ganz Sachsen alte Industriezentren zu erhalten und zu modernisieren sowie neue Industriestrukturen zu schaffen. Regionale Entwicklungsgesellschaften sollten Altlasten sanieren und Neues etablieren. 1999 intensivierte sie diese Linie. Die Postkommunisten verdichteten ihre regionalpolitischen Vorschläge, forderten eine staatlich gestützte „Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe“. Anstatt ausländische Unternehmen mit Milliarden zu begünstigen, sollten regionale Kapazitäten stärker genutzt, sächsische Waren und Dienstleistungen subventioniert und auf heimischen Märkten angeboten werden. Die selbsttragende Entwicklung müsse, wohlgemerkt staatlich unterstützt, von den Regionen ausgehen. Diesen Ansatz erweiterte die PDS 2004. In einem sächsischen Wirtschaftsraum sollten Unternehmen in regionalen Wirtschaftssystemen kooperieren und sich an urbane Kerne anbinden. Erneut plädierte die Partei für die Reetablierung regionaler Produktions- und Verbrauchsstrukturen in Form „regionaler Wirtschaftskreisläufe“. Die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Vorschläge der Postkommunisten wichen deutlich von denen ihrer Kontrahenten ab. Ihrer Meinung nach lag es zuallererst beim Staat, Arbeitsplätze zu schaffen. Von Beginn an dominierte der Ruf nach einem staatlichen „System zur Beschäftigungssicherung“. Mit der Parole „Arbeit und gerechte Bezahlung für alle“ und dem Ruf nach einem verfassungsmäßigen „Recht auf Arbeit“ weitete die Partei 1994 ihren nachfrageorientierten Ansatz aus. Hatte es sich anfangs um ein vages Postulat gehandelt, das in Kontinuität zum untergegangenen System stand bzw. der Annahme folgte, jeder Staat sei in der Lage eine bezahlbare Tätigkeit für jeden zu organisieren,159 vertrat die Partei 1994 einen ernstgemeinten Anspruch auf staatlich garantierte Vollbeschäftigung. Sie interpretierte das „Recht auf Arbeit“ weniger in DDR-Tradition,160 sondern, indem sie Arbeit zu einem Menschenrecht erklärte, als soziales Grundrecht. Nicht zuletzt reagierte sie auf die grassierende Massenarbeitslosigkeit.161 1999 proklamierte sie ihr „Bündnis für Arbeit“. Ein nach Lesart der PDS neues System der Arbeitsförderung, der „öffentliche Beschäftigungssektor“, sollte nicht regulär nachgefragte Arbeit staatlich auffangen. Parallel etablierte die Partei eine angebotsorientierte Beschäftigungspolitik (z. B. Steuererleichterungen) für klein- und mittelständische Unternehmen. Im Jahr 2004 dominierten Fragen der Grundsicherung und die Diskussion über den „neuen Charakter von Arbeit“ ihre arbeitsmarktpolitische Agenda. Im Vordergrund stand eine nachfrageorientierte Beschäftigungspolitik, die durch staatliche Investitions- und Konsumtätigkeit sowie durch Kaufkraftsteigerungen in Form von Grundeinkommen und Mindestlöhnen die Entwicklung forcieren sollte. Ferner modifizierte die PDS ihr Konzept von öffentlicher Beschäftigung, nun auch verstanden als privat-öffentliche Erwerbssektoren oder eine staatliche Projektförderung. Insgesamt unterschied sich in der regionalen Strukturpolitik das christdemokratische Konzept, durch Wachstumszentren, verbunden mit einer Infrastrukturentwicklung, ein regional gestreutes Wachstum bewirken zu können, deutlich von den Ansätzen der Konkurrenz. SPD und PDS sahen darin eine Benachteiligung ländlicher Regionen. Während die 159 160
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Vgl. Interview mit Eberhard Langer am 17. November 2005. So bekundete die Fraktion: „In der DDR war das Recht auf Arbeit verwirklicht.“ Vgl. Zschoche/Fischer (1994), S. 5. Die PDS verschwieg den Wortlaut der Verfassung der DDR von 1968. Dort hieß es in Artikel 24 u. a.: „Das Recht auf Arbeit wird gewährleistet durch das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln; durch die sozialistische Leitung und Planung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses“. Vgl. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 (in der Fassung vom 7. Oktober 1974). „Es gab damals 400.000 Arbeitslose. Da haben wir gesagt, das muss anders geordnet werden.“ Interview mit Werner Glaesel am 22. Dezember 2005.
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Sozialdemokraten jedoch Erfolge kritisch anerkannten, erachteten die Postkommunisten die „Leuchttürme“ als „Übel“. Beide, SPD und PDS, drangen mit ähnlichen Methoden auf regionalen Ausgleich – Erstgenannte durch freiwillige tripartistisch-konsensuale Arrangements und durch eine intensivierte regionale Förderung; Letztgenannte durch eine ebenfalls regionalisierte Förderpolitik und eine „Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe“. Während die Eingriffsintensität der CDU-„Leuchtturmförderung“ gering war, standen die PDSVorschläge streckenweise, speziell die wenig präzisierten Vorhaben, sächsische Güter zu subventionieren, für Dirigismus. Aussagekräftiger waren die sektoralen Konzeptionen. Zunächst begegneten die Akteure dem drohenden industriellen Zusammenbruch mit disparaten Ansätzen. Die PDS wollte „DDR-Kernsektoren“ staatlich stützen und ausbauen (Strukturerhaltung). Die SPD stand für eine Anpassung alter, aber wettbewerbsfähiger Unternehmen an neue Erfordernisse (Strukturanpassung). Die CDU erklärte die Wettbewerbsfähigkeit zur Voraussetzung für den Erhalt bestehender Strukturen und setzte auf Neuansiedlungen (Strukturgestaltung). Die von allen gebrauchte Formel vom „Erhalt der industriellen Kerne“ erwies sich als „Schlagwort ohne klare Konturen“162, unter dem die CDU vorrangig Anpassungs-, die PDS überwiegend Erhaltungssubventionen und die SPD beides verstand. Nach dem Teilversagen der Neuansiedlungs- und dem Versagen der Strukturerhaltungsstrategien innerhalb der ersten Legislaturperiode163 wandelten alle Akteure ihre sektoralen Konzeptionen. Während die Adaption alter Strukturen für die Sozialdemokraten bedeutsam blieb, setzten die Christdemokraten eher auf Neues. Erst ab dem Jahr 1999 prägten die Förderung wettbewerbsfähiger Wachstumsbranchen sowie die Unterstützung klein- und mittelständischer Unternehmen beider Konzeptionen, obgleich mit anderen Schwerpunkten. Indes erschöpfte sich die sektorale Strukturpolitik der PDS bis 2004 in unsystematischen Forderungen nach regionalen Industriezentren und nach Hilfen für ortsansässige Unternehmen. 2004 näherten sich die PDS-Postulate denen ihrer Konkurrenten etwas an. Mit einem zentralen Unterschied: CDU und SPD räumten privaten Investitionen Vorrang ein, die PDS favorisierte unverändert staatliche Maßnahmen. Die CDU konzipierte ihre sektorale Strukturpolitik getreu ihrer Ordnungsprinzipien (vgl. Kapitel 8.3.2.4) primär als angebotsseitige staatliche Einflussnahme auf den technischen Fortschritt bzw. auf die privaten Investitionsentscheidungen (konzeptionskonform). Nachfrageseitige Einflüsse waren nachrangig, staatliche Bau- und Infrastrukturinvestitionen ausgenommen. Die vage Ordnungskonzeption der PDS erschwert die Konformitätsbeurteilung. Ihre Strukturpolitik war einerseits ordnungskonform, indem sie massive staatliche Eingriffe verlangte, anfangs rigide, in Form von Staatsbeteiligungen, später als nachfrageorientierte Ausgabenlenkung. Der Staat sollte den Strukturwandel durch investives, konsumtives und partizipatives Handeln lenken. Andererseits widersprachen die angebotsorientierten Postulate im mittelständischen Bereich dem antikapitalistischen Impetus der Partei. Ebenso verwundert, dass die PDS auf Forderungen nach direkter Struktursteuerung verzichtete. Die SPD argumentierte gemäß ihres Ordnungsansatzes eher angebotsorientiert, ohne sich einer umfangreichen staatlichen Ausgabenlenkung (z. B. Staatsaufträge) zu verweigern. Ihre strukturpolitischen Methoden waren konform zu ihrer Vorstellung des in gleichem Maße ordnenden wie regulierenden Staates.
162 163
So Danwerth (1998), S. 139. Vgl. ebd., S. 125-127.
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Entgegen der methodischen Varianzen bedienten sich alle Akteure aus dem gleichen Instrumentenpool: von infrastrukturellen Förderungen über Steuererleichterungen und Investitionszulagen, Kapitalhilfen und Bürgschaften bis hin zu Staatsbeteiligungen. Verschieden war allein der staatliche Interventionsgrad. So galten staatliche Teilhaben der CDU als transformationsbedingte Ausnahme, während sie in den Augen der SPD halfen, weitreichendere Eingriffe zu vermeiden. Die PDS erachtete Staatsbeteiligungen als probates Mittel. Die Eingriffsintensität der Maßnahmen variierte daher. Die CDU setzte vorrangig auf mittelbare Maßnahmen mit direkter Zielwirkung (z. B. Infrastrukturausbau, öffentliche Investitionen) und verzichtete auf unmittelbare Eingriffe. Bei den langfristigen Maßnahmen mit indirekter Zielwirkung stand sie mit Appellen an die Eigeninitiative und den Wert des freien Unternehmertums vorrangig für Verhaltensbeeinflussung. Ihre finanzpolitischen Instrumente wollten Anreize setzen, nicht verbindlich steuern. Im Gegensatz zur PDS, für die im Bereich der mittelbaren Maßnahmen mit direkter Zielwirkung die Bereitstellung wirtschaftsnaher Kollektivgüter eher bedeutungslos war. In ihrem Blick lagen nachfrageorientierte Finanzinstrumente. Von Steuerpolitik bis hin zu Staatskonsum zog die Partei alle Register. Bei den Maßnahmen mit direkter Zielwirkung setzte sie auf staatliche Steuerung und plädierte für gelenkte Investitionshilfen, für staatliche Wirtschaftstätigkeit und für massive Eingriffe in privates Produktionseigentum. Die SPD bediente sich gemäß ihrer ausgefeilten strukturpolitischen Konzepte einer Mixtur. Im Rahmen der von ihr protegierten Maßnahmen mit direkter Zielwirkung spielte die Bereitstellung von Infrastruktur ebenso eine Rolle wie staatliche Investitionen. Sie verzichtete weithin auf Forderungen nach staatlichem Konsum. Anfängliche Subventionsvorschläge wurden bald durch Steuersenkungsvorschläge für kleine und mittelgroße Unternehmen ersetzt. Hinsichtlich der Maßnahmen mit indirekter Zielwirkung schlug die SPD staatliche Investitionshilfen und breite freiwillige Übereinkünfte vor. Im Bereich der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik wich die christdemokratische Konzeption deutlich von denen ihrer Konkurrenten ab. Hauptgrund war ein verschiedenartiges Verständnis von Arbeitslosigkeit. Die CDU erachtete diese als wirtschaftliches Phänomen und als soziales Problem, welches allein der ökonomische Bereich lösen könne. Entsprechend war ihre Arbeitsmarktpolitik aktiv versiert, ihre Beschäftigungspolitik vornehmlich angebotsorientiert. Zusammen mit der Annahme, Vollbeschäftigung sei wegen der hohen Erwerbsneigung unrealistisch, diente diese Position der CDU als politischer Schutzschild. Obwohl Biedenkopf wusste, dass Wachstum allein der hohen Erwerbsnachfrage nicht gerecht werden würde,164 beharrte seine Partei auf ihrer Argumentation – mit der Folge, dass sie zwar konzeptionskonform argumentierte, aber nur bedingt Auswege aus der Massenarbeitslosigkeit und den angebundenen sozialen Verwerfungen bot. Sie geriet in ein „polit-ökonomisches Dilemma“.165 Mit politisch notwendigen Zugeständnissen, z. B. Vorschläge zur staatlichen Beschäftigung Langzeitarbeitsloser oder zu staatlichen Lohnkostenzuschüssen, entfernte sich die CDU schließlich von ihrem ökonomischen Primat. Den Sozialdemokraten erschien öffentliche Beschäftigung von Beginn an notwendig zur Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit. Mit abnehmender Intensität plädierten sie für 164
165
Vgl. Kurt Biedenkopf (1993): Zur Überwindung der Arbeitslosigkeit, in: Ders. (1994): Einheit und Erneuerung. Deutschland nach dem Umbruch in Europa, Stuttgart, S. 249-274, hier S. 251-253. Wilfried Boroch (1997): Transformation und soziale Sicherung: Zum Spannungsverhältnis von Wirtschaftsund Sozialpolitik im Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft, in: Dieter Cassel (Hrsg.): Institutionelle Probleme der Systemtransformation, Berlin, S. 123-139, hier S. 135.
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eine aktive Arbeitsmarktpolitik und für eine ebenso angebots- wie nachfrageorientierte Beschäftigungspolitik. Sah die CDU in öffentlicher Beschäftigung eine Übergangslösung, drang die SPD darauf, diese permanent zu verankern. Wie auch die PDS zog sie entlohnte öffentliche Beschäftigung passiven Ersatzleistungen vor. Im Unterschied zu dieser hielt sie jedoch Wachstum und eine angebotsorientierte Beschäftigungspolitik zum Abbau der Arbeitslosigkeit für unerlässlich. Ihre Programme kombinierten demgemäß Wirtschaftsförderung mit öffentlicher Beschäftigung. Die SPD bot aus der Opposition heraus ein scheinbar umfassendes Patentrezept für das „polit-ökonomische Dilemma“. Im Zuge ihrer Regierungsverantwortung auf Bundesebene wechselte sie 1999 zu einer vorrangig angebotsorientierten Beschäftigungspolitik und dämpfte Erwartungen an einen öffentlichen Beschäftigungssektor. Dem von ihr geforderten „Bündnis für Arbeit“ lag im Unterschied zur gleichlautenden PDS-Forderung eine andere Konzeption zugrunde. Die SPD sah darin eine optimierte Zusammenarbeit von Wirtschaft, Staat und Arbeitnehmervertretern, die PDS eine staatliche Arbeitsförderung. Die Postkommunisten erachteten es als neoliberale Utopie, die Arbeitslosenproblematik mittels regulärer Beschäftigung lösen zu wollen. Von einigen angebotsorientierten Elementen abgesehen, ging es ihnen zuerst um eine nachfrageorientierte Beschäftigungspolitik mit staatlich gesicherter Arbeit. Indem in ihren Augen der Staat ohnehin die „Ausfälle“ des ersten Arbeitsmarktes mit eigenen Beschäftigungsangeboten kompensieren musste, war das von ihnen geforderte „Recht auf Arbeit“ nur konsequent. Die PDS schuf so Raum für eine direkte Marktlenkung, erforderte doch ein Verfassungsrecht auf Vollbeschäftigung umfassende ökonomische Staatseingriffe oder den Aufbau eines öffentlichen Beschäftigungssektors. Gewissermaßen verpflichtete sie den Staat zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, was unmittelbar die ökonomische Systemfrage aufwarf. Ab dem Jahr 1999 schlug ihre Arbeitsmarktpolitik vollends in eine passive Ausrichtung um. Sie verlangte neben öffentlicher Beschäftigung nun auch staatliche Lohnfestsetzungen (Mindestlohn) oder Lohnersatzleistungen (Grundeinkommen). Die Postulate nach staatlicher Kontrolle und Regulierung des Arbeitsmarktes, nach Beschäftigungsgarantien und nach einem „Recht auf Arbeit“ gehorchten den ordnungspolitischen Prämissen der PDS. Die umfassende Rolle des Staates, eine staatlich bzw. sozial gestaltete Marktkoordination und Vorstellungen hinsichtlich einer ausgedehnten gesellschaftlichen Verfügungsgewalt spiegelten sich hier wider. Die Eingriffsintensität ihrer zur Realisation des „Rechts auf Arbeit“ veranschlagten Mittel war unmittelbar (z. B. Regulierung des Arbeitsmarktes) und verbindlich (z. B. Eingriffe in die unternehmerische Dispositionsfreiheit). Die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Vorschläge der CDU entsprachen den christdemokratischen Annahmen von einer minimierten Staatsrolle, stark ausgeprägter Marktkoordination und der Dominanz des Individualprinzips. Sie waren demgemäß ordnungskonform. Abstriche machte die Partei vordringlich aus sozialpolitischen Gründen. Die dazu vorgeschlagenen Maßnahmen waren von moderater Eingriffsintensität. Die SPD überdehnte in den ersten beiden Wahlkämpfen mit ihren Rufen nach öffentlicher Arbeitsbeschaffung ihre marktwirtschaftliche Konzeption. Das dort eingeschränkte Individualprinzip und die starke soziale Korrektivfunktion des Staates „deckten“ dennoch umfangreiche Beschäftigungsmaßnahmen. Dass die Partei auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik und auf eine eher angebots-, denn nachfrageorientierte Beschäftigungspolitik setzte, bestätigt ihr marktwirtschaftliches Zielsystem und ihre entsprechende Ordnungskonzeption. Ihre
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vorgebrachten Maßnahmen verzichteten auf unmittelbare Eingriffe, implizierten aber deutliche staatliche Korrekturversuche.
8.3.2.4 Ordnungsprinzipien Die struktur- und arbeitsmarktpolitische Ausrichtung der wirtschaftspolitischen Themenkampagnen überlagerte und verdrängte ordnungspolitische Argumentationsstränge. Ausgenommen 1990 verzichteten die Parteien in den Wahlkämpfen auf systematische Ordnungsdarstellungen. Was die ursprüngliche Intention, eine im Sinne allgemeiner und spezieller Grundsätze geschlossene ordnungspolitische Konzeption für jeden Wahlkampf zeichnen zu wollen, konterkariert, ermöglicht dennoch für jede Partei eine Gesamtdarstellung, ergänzt durch Modifikationen über den Analysezeitraum. Die CDU vertrat klare Ordnungsgrundsätze. Sie deklarierte die Marktwirtschaft mit Marktkoordination und einzelwirtschaftlicher Planungsautonomie zur dominanten Koordinations- und Planungsform. Nach dem Grundsatz „soviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig“ erachtete die Partei den Staat vorrangig als Ordnungsgaranten, der den nötigen Freiraum für individuelles Handeln schafft, günstige Bedingungen generiert, institutionelle Hemmnisse abbaut, selbst nur im Ausnahmefall wirtschaftlich aktiv wird und mit gezielten Förderinstrumenten eine regional wie sektoral ausgewogene Wirtschaftsentwicklung gewährt. Ihre auf einen ordnungs- und strukturpolitischen Kernbereich beschränkten staatlichen Eingriffe verband die CDU mit Appellen an die individuelle Leistungskraft. Nach der Devise „nur Freiraum und Eigenverantwortung bringen uns voran“166 sollten die Menschen weithin selbst gestalten. Je ausgeprägter das gesellschaftliche Leistungspotenzial, je effektiver die Marktkoordination und je geringer die Subordination, umso mehr sicherte dies nach christdemokratischer Lesart ökonomische Prosperität. Die Kernargumentation lautete: Der Staat schafft keine Arbeitsplätze, nur Unternehmen schaffen Arbeitsplätze. Zentrale staatliche Aufgabe ist es, einen günstigen Rahmen für Selbstständigkeit, Investitionen sowie Wachstum und damit für produktive Arbeitsplätze zu setzen.167 Der Staat müsse eine funktionierende Wettbewerbsordnung bereitstellen, sodass sich alle Wirtschaftseinheiten an den Verhältnissen des Marktes, an Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit orientieren können. Nichtsdestoweniger lehnte die CDU eine „reine“ Marktwirtschaft als unsozial ab. Jedes ökonomische Individualrecht, so ihre Vision 1990, müsse nach seiner Sozialverträglichkeit befragt werden. Später spielte dies eine untergeordnete Rolle. Ebenso wie die CDU die Marktkoordination und die individuelle Dispositionsfreiheit betonte, favorisierte sie von Anfang an privates Produktionseigentum, ohne gesellschaftliche Eigentumsformen per se zu negieren. Ab 1994 sah sie die Ordnung der Eigentumsverhältnisse als geklärt an – zugunsten privaten Eigentums. Entsprechend verstummte die Diskussion bald. Kam die Sprache auf Produktionseigentum, dominierten eindeutig private Eigentumsverhältnisse die Lesart der Partei. Bedeutsam war ab 1999 allenfalls die Frage nach einer verbesserten privaten Verfügungsgewalt über das Eigentum (z. B. durch Deregulierung). 166 167
Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004, S. 23. „Ich habe den Menschen immer erklärt, wie Arbeit zustande kommt. Die Vorstellung, der Staat könne Arbeitsplätze schaffen, ist Unsinn. Ein demokratischer Staat kann keine Arbeitsplätze schaffen. Arbeitsplätze konnte die DDR schaffen, zu Lasten ihrer Produktivität.“ Interview mit Kurt Biedenkopf am 24. Januar 2006.
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Die Ordnungsgrundsätze der SPD illustrieren deren „schwierige Mittellage“. Ihre im Vergleich zur CDU identische Diktion „soviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig“ vereinte eine staatliche Ordnungsfunktion mit ausgeprägten interventionistischen Elementen. Die Partei plädierte für Marktkoordination und einzelwirtschaftliche Planungsautonomie, verlieh beiden aber klare staatliche Schranken (z. B. Preissubventionen 1990; Mindestlohnforderung 2004). Die ordnende Rolle des Staates erweiterte die SPD um die des korrigierenden Gestalters. Soziale Gerechtigkeit und Sicherheit sollten Markt und Wettbewerb begleiten. Sei doch der Markt ein Mittel, nicht das Ziel, der Staat ein mächtiges Korrektiv. Speziell in den transformationsgeprägten Wahlkämpfen plädierte die SPD für einen regulativen Staat, suggerierte im Jahr 1990 gar eine umfassende Gestaltungsfähigkeit, indem sie die Handlungshoheit für mehr Wachstum vorrangig dem Staat zusprach. Erst 2004 installierte die Partei ein ordnungspolitisches Primat, indem sie betonte, der Staat könne lediglich Rahmenbedingungen schaffen und Eigeninitiative fördern. Gleich der CDU galt ihr der „Wettbewerb aller am Markt Beteiligten“168 über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg als das Fundament einer Marktordnung. Anders als die Regierungspartei sahen die Sozialdemokraten die sächsischen Unternehmen jedoch mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen konfrontiert, die staatlicher Kompensation bedürften. Zwei Beispiele verdeutlichen dies. (1) Die SPD war von Beginn an überzeugt, dass Wachstum nicht genügend Arbeit generiert. Obwohl sie dem Ausbau des ersten Arbeitsmarktes Priorität einräumte, erachtete sie einen staatlichen Beschäftigungssektor als unablässig. (2) Mit ihren Vorschlägen zum Aufbau regionaler Wirtschaftsstrukturen, in denen Unternehmen sich zur Kooperation verpflichten, drang die Partei auf freiwillige Subordination. Sie negierte die Vorstellung, eine positive Wirtschaftsentwicklung beruhe einzig auf Markt und Wettbewerb. In der Ordnung der Eigentumsverhältnisse räumte die SPD indirekt privaten Eigentumsformen Vorrang ein. Während sie sich für eine breite Eigentumsstreuung im landwirtschaftlichen Bereich aussprach und die Relevanz der „Genossenschaftsidee“ betonte, fehlte es an klaren Aussagen zu der Ordnung von und der Verfügung über privates Produktiveigentum. So akzentuierte die SPD 1990, mit dem Prinzip Entschädigung vor Rückgabe „klare Verhältnisse schaffen“ zu wollen, verklausulierte aber, was mit dem „Volkseigentum“ geschehen solle. 1994/99 forderte sie eine eingeschränkte Verfügungsgewalt über Eigentum, indem sie u. a. für eine gelenkte Kapital- und Eigentumsbildung „in sächsischer Hand“ einstand und Verkäufe an „kapitalkräftige westdeutsche Erwerber“ als ungerechte Vermögenstransfers kritisierte. Hinsichtlich der Verfügungsgewalt hielt sich die SPD zunächst mit Vorschlägen zu einer verbesserten Nutzung von Produktiveigentum zurück, zog stattdessen staatliche Unternehmensbeteiligungen in Betracht. Auf größere private Verfügungsgewalt zielten ab 1999 u. a. Entbürokratisierungsforderungen oder die rezipierte Unternehmenssteuerreform der Bundesregierung. Vorschläge zu einer Vermögenssteuer wirkten dem entgegen. Die PDS war ohne eindeutige Ordnungskonzeption. Von Beginn an akzeptierte sie marktwirtschaftliche Koordinations- und Planungsformen nur widerwillig. Der Staat galt ihr ebenso als Garant für ein soziales, ökologisches, demokratisches Wirken des Marktes wie als dirigistischer Regulator, als Interventionsobjekt und Wirtschaftssubjekt. Das auffällige marktwirtschaftliche Bekenntnis der Partei 1990 war Makulatur.169 Die PDS akzeptierte Marktkoordination und individuelle Planung insofern, als dass sie diese weder negierte 168 169
„Görlitzer Programm“ 1999, S. 5. Vgl. Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005.
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noch ein realisierbares Substitut bereithielt. Ihrer Marktskepsis entsprechend interpretierte sie den Konkurrenzgedanken jedoch zuvörderst als destruktives und unfaires Element. 1994 trat sie in offene Gegnerschaft zu der ihrer Ansicht nach unsozialen Koordinations-, Eigentums- und Verteilungsordnung. Ihr Aufruf nach einem „radikalen Kurswechsel“ war ernstgemeint, aber inhaltsleer. Gehaltreich fielen allein ihre Vorschläge für eine Vergesellschaftung der Arbeit aus. Forderungen nach einem „Recht auf Arbeit“ und nach einem staatlich kontrollierten und regulierten Arbeitsmarkt standen für tiefe Staatseingriffe. Der Findungsprozess mündete 1999 in das Konzept der „solidarischen Gesellschaft“, welches die Marktordnung einem nebulösen Sozialimperativ unterwarf und das Solidaritäts- über das Wettbewerbsprinzip sowie das Sozial- über das Individualprinzip ordnete. Unter der Annahme die Bedürfnisse der Menschen zu kennen, sprach die PDS davon, Gesellschaft und Wirtschaft nach sozialen (sozialistischen) Kriterien organisieren zu wollen. 2004 zeichneten sich die „solidarische Gesellschaft“ als (weithin unklare) Alternative zur „kapitalistischen Gesellschaft“ und die „soziale Gestaltung“ als Ersatz für Eigenverantwortung und Markt ab. Die PDS zielte auf eine „sozial-ökologisch orientierte Wirtschaft“ mit den sozialen Belangen der Bevölkerung als Basis des Wirtschaftens. Ihr marktkoordinierter Sozialismus war widersprüchlich. Einerseits konterkarierte der soziale Imperativ die individuelle ökonomische Handlungsfreiheit. Andererseits sprach die Partei von Marktwettbewerb, Marktfähigkeit und marktorientierten Netzwerken. Ihr konzeptioneller Antigroßkapitalismus berührte Wettbewerbsprinzip, Marktallokation und Handlungsfreiheit im klein- und mittelständischen Sektor nur bedingt. Die PDS-Wahlkämpfe boten Eigentumsdiskursen breiten Raum. Der Partei galt privates Produktiveigentum als eine zu akzeptierende, nicht aber akzeptable Lösung. Zum Zweck einer besseren Verteilungsgerechtigkeit focht sie für die gleichberechtigte Existenz von Privat-, Gesellschafts- und Staatseigentum. Sie prononcierte verstärkt gesellschaftliche Eigentumsformen und hielt sich durch unbestimmte Sozialisierungsvorstellungen Optionen offen – von Eigentumskontrollen bis hin zu „Enteignungen im Gemeinwohlsinne“. 170 Um einen Realitätsbezug zu wahren, bejahten die Genossen privates Produktionseigentum, drangen aber auf dessen „soziale“ Verfügbarkeit. Vor allem 1994 forderte die PDS eine Mitbestimmung der Beschäftigten über Inhalte und Ergebnisse der Produktion. In der Folge verschoben sich ihre Postulate stärker hin zu einer staatlichen Kontrolle des Großkapitals. Nicht die private Kapitallenkung gab für die PDS den Ausschlag, sondern die staatliche Beeinflussung finanzieller Ströme durch eine „gesellschaftliche“ Umschichtung privaten Eigentums, u. a. durch Vermögenseingriffe bei Großunternehmen. Zusammengenommen (Tabelle 8) wiesen die Konzeptionen von CDU und SPD nur partiell markante Unterschiede auf, während die Ordnungsvorstellungen der PDS fundamental abwichen. Ihre Ansätze einer staatlich regulierten, sozial gesteuerten Wirtschaft boten ein undefinierbares Bild. Ließen ihre Konzepte teils auf eine Akzeptanz von Marktkoordination und einzelwirtschaftlicher Planung schließen, waren sie zugleich gezeichnet von massiver Marktskepsis, einem interventionistischen Staatsverständnis und einem Hang zum Sozialisieren. Zwar lehnte die PDS eine Zentralverwaltungswirtschaft ab, nahm aber keine Marktwirtschaft an. Indem die Partei das Staatliche überdehnte und das Soziale zur Ordnungsgrundlage erklärte, subordinierte sie die individuelle Planungsautonomie und 170
Die grundgesetzliche Sozialpflichtigkeit von Eigentum interpretierte die Partei als gesellschaftliche Sozialisierungspflicht. Vgl. etwa Hans-Georg Trost: Die Eigentumsfrage in der Programmdebatte der PDS, in: http://portal.pds-sachsen.de [Stand: 10. September 2005].
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unterlief die wettbewerbswirtschaftlich konstitutiven Elemente Privateigentum, Wettbewerb und Marktkoordination. Hingegen erachteten CDU und SPD den Markt als optimales Koordinationsmittel und eine weitgehende einzelwirtschaftliche Autonomie als effizienteste Planungsform. In der Frage der Sozialverantwortlichkeit des Marktes drang die SPD auf eine sozialere Ordnung und auf eine sozialverträgliche Regelung der individuellen Handlungsfreiheit. Die CDU plädierte für eine staatliche Rahmensetzung sowie für struktur- und prozessförderndes Rahmenhandeln, die SPD gestand dem Staat neben seiner Ordnungsfunktion zahlreiche Regulierungsmöglichkeiten zu. Das christdemokratische Leitbild des Staates war das des liberalen Ordnungsgaranten, das sozialdemokratische jenes des sozialen Ordnungsgaranten. Die CDU maß das Ordnungshandeln den staatlichen Trägern zu, während sie die Integration der Prozesse als Aufgabe der Menschen erachtete. Hingegen sah die SPD den Staat durchaus in einer prozessualen Pflicht. Hinsichtlich der Eigentumsordnung und der Verfügungsgewalt divergierten die Ansichten. Erkannten SPD und CDU privates Produktionseigentum als Basis einer Wettbewerbsordnung an, forderte die PDS gleichberechtigte Eigentumsformen bzw. präferierte gesellschaftliches Eigentum. Dies brachte sie in ein Dilemma. Sie lehnte die Vorherrschaft des privaten Produktionseigentums ab, musste diese aber akzeptieren, wollte sie die Umsetzbarkeit ihrer Konzepte wahren. Entsprechend richtete sie ihre Sozialisierungsvorstellungen allein gegen Großunternehmen und Banken. Die Genossen beharrten auf eine gesellschaftliche Verfügbarkeit privaten Produktionseigentums, verlangten umfassende Vermögenseingriffe mit dem Ziel einer sozialen Umschichtung. Stattdessen zielten die Vorschläge der CDU klar auf eine verbesserte private Verfügungsgewalt. Die SPD behielt sich staatliche Steuerungsmöglichkeiten hinsichtlich der privaten Vermögensbildung und der Verteilung vor. Während die CDU staatliche Unternehmensbeteiligungen als ordnungspolitische Ultima Ratio erachtete, galten diese für die SPD und mehr noch für die PDS als probate Mittel. Im Spektrum zwischen Individual- und Sozialprinzip bedienten alle Akteure Mischformen mit jeweils einem dominanten Typ. In den Konzeptionen von CDU und SPD überwog das Individualprinzip, bei der PDS das Sozialprinzip. Am geringsten war der Einfluss des Sozialprinzips bei den Christdemokraten, die für eine „Gesellschaft, in der die Bürger ihr Leben und wirtschaftliches Handeln weitgehend frei in eigener Verantwortung gestalten können“,171 plädierten. Sie begrenzten die Staatsrolle auf eine Ordnungsfunktion und betonten das individuelle Handeln. Die CDU plädierte für eine geordnete Marktkoordination, für geordneten Wettbewerb und für Privateigentum an Produktionsmitteln. Die Sozialdemokraten hoben sich durch deutlichere soziale Charakteristika ab. Sie räumten der „Mündigkeit und Eigenverantwortung“172 der Bürger Vorrang ein, betonten aber, die individuellen Freiheiten fänden ihre Grenzen in „gesellschaftlichen Übereinkünften“ über Gerechtigkeit und Solidarität sowie über „Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit“.173 Die Marktkoordination erhielt regulierende Schranken. Privateigentum bejahte die SPD, trat aber für dessen staatliche Verteilungssteuerung ebenso ein wie für eine sozialverträglich ausgestaltete individuelle Handlungsfreiheit. Konträr dominierte bei den Postkommunisten das Sozialprinzip. Sie ordneten individuelle Belange den Interessen einer solidarischen Gesellschaft unter, stellten materielle Gleichheits- vor individuelle Freiheitsansprüche. „Wir wollen eine 171
172 173
Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999, S. 2; Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004 vom 28. August 2004, S. 6. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004. Es geht um Sachsens Zukunft, S. 6. Vgl. „Görlitzer Programm“ 1999, S. 4, 10.
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Entwicklung, in der das Soziale zum Ziel wirtschaftlicher Prozesse wird.“174 Passend verfocht die PDS eine umfassende Rolle des Staates, war für regulierte Marktkoordination, eine sozialverpflichtete individuelle Subordination und für gesellschaftlich neu zu ordnende Eigentumsformen. Tabelle 8: Zentrale Ordnungselemente der Parteien CDU
SPD
PDS
dominante Ordnungsidee
geordnetes Individualprinzip
reguliertes Individualprinzip
moderates Sozialprinzip
Ordnungsform
wettbewerbs- bis verteilungsund globalgesteuerte Marktwirtschaft
verteilungsgesteuerte Marktwirtschaft
Ordnung des Produktionseigentums
Dominanz von Privateigentum
Vorherrschaft von Privateigentum
Gleichberechtigung aller Eigentumsformen
Verfügung über Produktionseigentum
geordnete private Verfügungsgewalt
verteilungsgesteuerte und staatlich beschränkte private Verfügungsgewalt
staatlich und gesellschaftlich stark beschränkte private Verfügungsgewalt mit massiver staatlicher Verteilungssteuerung
Rolle des Staates Koordinationsprinzip Subordinationsprinzip
sozial- und verteilungsgesteuerte, marktkoordinierte Kollektivwirtschaft Ordnungsgarant, Regulator, Ordnungsgarant, soziales Ordnungsgarant Interventionsobjekt, Korrektiv Wirtschaftssubjekt staatlich regulierte, vergesellstaatlich geordnete staatlich geordnete und schaftete bzw. sozial gestaltete Marktkoordination regulierte Marktkoordination Marktkoordination sozialverträgliche individuelle sozialverpflichtete individueffektive individuelle Handelle Handlungs- und Handlungs- und Planungslungs- und Planungsfreiheit Planungsfreiheit freiheit
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Entsprechend lassen sich die Parteien in verschiedene Bereiche der eingangs erstellten Ordnungstypologie (Tabelle 1) einordnen. Auf Basis der erörterten Planungs-, Koordinations- und Subordinationsprinzipien sowie der Verfügung über Eigentum und Verteilung siedelte das Ordnungskonzept der CDU während des Analysezeitraums an der Peripherie zwischen einer (3) wettbewerbsgesteuerten sowie den Formen der (5) global- und der (6) verteilungsgesteuerten Marktwirtschaft. Ordnungspolitik umfasste für die Christdemokraten primär die Garantie marktlicher Koordinations- und Subordinationsprinzipien, weitgehender Planungsfreiheit sowie einer kontrollierten privaten Eigentumsverfügung – unter Bewahrung sozialer Standards. Das Konzept der SPD entsprach vornehmlich einer (6) verteilungsgesteuerten Marktwirtschaft. Ordnungspolitik war für sie in erster Linie die Ergänzung marktlicher Koordinations- und Subordinationsprinzipien durch transfer-, preisund arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit dem Ziel der sozialen Sicherheit, komplettiert durch eine verteilungspolitisch interpretierte Sozialpflichtigkeit von Privateigentum. Nach Jahren der Konzeptionslosigkeit bewegte sich die PDS ab 1999 in einem Dreieck aus (6) verteilungs- und (7) strukturgesteuerter Marktwirtschaft sowie (8) strukturgesteuerter Kollektivwirtschaft. Ihre ordnungspolitische Mischung aus privater und indikativer Planung, 174
Wahlprogramm der sächsischen PDS zur Landtagswahl 1999, S. 6.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
einer direkten Unterordnung der Wirtschaftssubjekte unter den staatlichen Primat des Sozialen, ökonomischen Demokratiepostulaten, einer latenten Forderung nach gesellschaftlicher Eigentumsverfügung sowie einer sozial dominierten Marktkoordination generiert einen Sondertypus, die sozial- und verteilungsgesteuerte marktkoordinierte Kollektivwirtschaft. Der Wahlkampf 1990 offenbarte einen postsozialistischen Wertekonflikt zwischen Vertretern marktwirtschaftlicher (CDU/SPD) und sozialistischer (PDS) Konzepte. Die CDU plädierte für eine „sozial und ökologisch gebundene Marktwirtschaft“, verstanden als Einheit von persönlicher Freiheit, sozialer Verantwortung, ökonomischem Fortschritt und ökologischer Nachhaltigkeit. Parallel „verkaufte“ sie die Soziale Marktwirtschaft als westdeutsches Erfolgskonzept. Ähnlich lautete das Leitbild der SPD. Mit ihrer „ökologisch orientierten, sozialen Marktwirtschaft“ betonte sie die marktwirtschaftliche Ordnungsform, plädierte aber für das staatlich durchgesetzte Soziale (Chancengleichheit) und Ökologische (Nachhaltigkeit). Die PDS war 1990 weder der Zentralverwaltungswirtschaft noch der Sozialen Marktwirtschaft zugetan, sondern konzeptionslos. Ihre Akzeptanz der Marktwirtschaft war Maskerade, ihre Akteure mehrheitlich in sozialistischen Leitideen verfangen. In den kommenden Wahlkämpfen wich der postsozialistische Wertekonflikt einem sozio-ökonomischen Konflikt zwischen liberalen (CDU) und interventionistischen Konzeptionen (SPD/PDS). In Addition ihrer Ziele, Methoden und Ordnungsansätze folgte die CDU einer liberalen Variante der Sozialen Marktwirtschaft, die sie stets auch explizit vertrat. Bei ihr überwogen freiheitliche, Wachstum und Strukturbildung verpflichtete Zielvorstellungen. Soziale Sicherheit und Verteilung folgten ökonomischer Prosperität. Methoden und Mittel waren eher angebotsorientiert und von geringer Eingriffsintensität, Marktkoordination und -planung staatlich geordnet, nicht reguliert. Das Marktsystem mit einem Ordnungsrahmen zu erhalten und zu verbessern, Anreize zu setzen und Freiheiten zu gewähren, prägte die christdemokratische Konzeption. Die Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft „soziale Zielsetzungen“ und „individuelle Freiheitsspielräume“ waren nicht gleichrangig, das Credo der Eigeninitiative und individuellen Leistungsbereitschaft überwog. Soziale Ziele dominierten insofern, als dass sie in den Rang von Zielen erster Ordnung fielen, die aber Freiheit und Wachstum voraussetzten. Die CDU folgte Walter Euckens Diktum, der Staat könne nur verteilen, was vorher produziert würde.175 Indes vertrat die SPD eine interventionistische Spielart der Sozialen Marktwirtschaft, bekundete aber nur bis 1999 explizit das Leitbild der „sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft“. In ihrer Konzeption hielten sich freiheitliche und soziale Zielstellungen die Waage. Ziele sekundärer Ordnung, wie Freiheit oder Wachstum, galten nicht als allein instrumentell für soziale Gerechtigkeit. Soziale Verteilung resultierte nach SPD-Lesart vielmehr aus dem ökonomischen Ergebnis und dem ordnender wie regulierender staatlicher Eingriffe. Der Staat sollte agieren, wo wirtschaftliche Leistung und Marktprozesse versagen. Im Gegensatz zur CDU ergänzte die SPD die staatliche Ordnungsfunktion durch interventionistische Elemente. Im Vordergrund standen ebenso sozial- wie marktverträgliche Regelungen. Die Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft „soziale Zielsetzungen“ und „individuelle Freiheitsspielräume“ waren in den sozialdemokratischen Konzeptionen ranggleich. Das System des sozialen Schutzes dehnte die SPD aus, garantierte aber die konstituierenden Elemente einer Marktordnung. Die PDS stand mit ihrer interventionistisch-kollektivwirtschaftlichen Konzeption außerhalb des marktwirtschaftlichen Spektrums. Sie vermied den Begriff der Sozialen Markt175
Vgl. Eucken (2004), S. 315.
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wirtschaft und setzte stattdessen auf den der solidarischen Wirtschaft. Ihr Ziel war eine Art „dritter Weg“ – jenseits der Sozialen Marktwirtschaft. Ihr kollektives Eigentumsverständnis, das Pendeln zwischen Dirigismus und Marktfreiheit sowie ihre Situationsanalysen negierten überwiegend die Marktwirtschaft. Eine soziale und gerechte staatliche Konfiguration von Ordnung und Prozess der Wirtschaft besaß für die PDS Priorität. Ihr Sozialimperativ widersprach einer Marktordnung. Sozial intentionierte Eingriffe in die Eigentumsverwendung und eine durch ein „Recht auf Arbeit“ unmittelbar beeinflusste Marktkoordination waren mit dieser unvereinbar. Das PDS-System des sozialen Schutzes basierte vorrangig auf regulierenden und agierenden staatlichen Eingriffen. Die Partei überhöhte das Prinzip des sozialen Ausgleichs, indem sie das Soziale dem Wirtschaften überordnete und so die konstituierenden Elemente einer Marktordnung erdrückte.
8.3.2.5 Rationaler Zusammenhang Die wirtschaftspolitischen Konzeptionen der Christdemokraten erwiesen sich in ihrer internen (außer 1990) wie in ihrer externen Dimension (außer 2004) als rational. Ihr Gravitationszentrum bildete die ordnungspolitische Formel: Nur Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, der Staat beschränkt sich auf Rahmenhandeln. Dieser Ansatz war in- wie externes Kernkriterium ihrer konzeptionellen Rationalität. „Man hätte es sich einfach machen und sagen können, wir machen Politik für mehr Beschäftigung. Das hätte leicht den Eindruck erweckt, Biedenkopf schafft Arbeit. Die Wähler trauten ihm das 1994 und 1999 zu. Aus reinen Kommunikationserwägungen heraus, rein machiavellistisch, hätten wir das sagen müssen. Aber damit bricht man natürlich irgendwann ein, wenn man bekennen muss, wir als Politik schaffen keine Arbeit. […] Zumal Kurt Biedenkopf es anders auch nicht akzeptiert hätte.“176 Unter externen Rationalitätsgesichtspunkten gereichte der Regierungspartei dieser Ansatz im Wahlkampf zum Vorteil. Indem die CDU die Menschen als zentrale Gestalter definierte und zugleich die staatliche Rolle begrenzte, reduzierte sie ihren Rechtfertigungsdruck. Mit ihren klaren, da minimalistischen Leitlinien war sie jederzeit in der Lage, sich je nach positiver oder negativer Entwicklung in ihrer Funktion hervorzuheben oder zurückzunehmen. Ihre streckenweise vage formulierten Konzeptionen sicherten der Regierungspartei die nötigen Spielräume. Nichtsdestotrotz ging die Rationalität der internen Konzeption der der externen voraus. Das Zusammenspiel folgender Kernkomponenten verlieh den CDU-Konzeptionen interne Rationalität: Situationsanalyse: negativ und optimistisch (90); positiv (94); beschönigend (99/04) Ordnungsanalyse: Bekräftigen der Marktordnung und der eigenen Konzeption Zielsystem: Dominanz von Freiheits- und Wachstumszielen Ordnungsansatz: liberal-marktwirtschaftlich = geordnetes Individualprinzip und Marktkoordination; weitgehend individuelle Planungs- und Handlungsfreiheit; garantiertes Privateigentum mit geordneter privater Verfügungsgewalt Strukturpolitik: angebotsorientiert; gestaltend; Vorrang privater Investitionen Arbeitsmarkt-/Beschäftigungspolitik: vorrangig aktiv/angebotsorientiert Methoden/Mittel: hohe Konzeptionskonformität und geringe Eingriffsintensität 176
Interview mit Michael Sagurna am 25. Januar 2006.
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
Alle Bestandteile folgten weithin widerspruchsfrei dem liberal-marktwirtschaftlichen Leitbild. Die Situationsanalysen stützten die eigene konzeptionelle Ausrichtung, die veranschlagten Ziele waren konsistent gegenüber den Ordnungsprinzipien, die Methoden und Mittel überwiegend ordnungskonform, ihre Eingriffsintensität war eher gering. Methodische und instrumentelle Abstriche dienten den Christdemokraten in erster Linie dazu, ihre Konzeption an die realen Erfordernisse anzupassen. Beispielsweise zog die CDU im Wahlkampf 1994 staatliche Beteiligungs- und Auffanglösungen in Betracht. Wolf-Dieter Beyer, seinerzeit Mitglied im Landtagsausschuss für Wirtschaft und Arbeit, betont den Interessenskonflikt: „Eine Auffanglösung für eine begrenzte Zeit war unser größtes Zugeständnis. Ansonsten helfen keine Wunschträume, ein staatlicher Sektor ohnehin nicht. Es hilft nur Markt und Leistungswettbewerb am Markt, der zu immer besseren Ergebnissen und zu einer effektiveren Wirtschaft führt, was wiederum dem Gesamtstaat hilft. Einen anderen Weg gibt es nicht. Das war nicht einfach an den Mann zu bringen“.177 Als Regierungspartei mit einem relativen Popularitätsdefizit hatte die CDU im Wahlkampf 1994 die Möglichkeit respektive die Notwendigkeit wirtschaftspolitisch zu agieren. Die genutzten Instrumente strapazierten zwar die interne konzeptionelle Rationalität, waren aber unter externen Aspekten rational. Für den Erhalt ihrer absoluten Mehrheit richtete sich die CDU an den Erfordernissen aus und bediente damit teilweise ein öffentliches Bedürfnis nach staatlichen Eingriffen. Im Gegensatz dazu beschränkte sie sich 1999 im Bewusstsein des nahenden Wahlsiegs auf ihre Kernkonzeption. Was 1994 unter internen, nicht aber externen Gesichtspunkten rational gewesen wäre, erwies sich 1999 als stimmig – eine reduziert kompromissfähige, in sich schlüssige Konzeption. 2004 versagte dieser Kurs. Die beinahe ungetrübte CDU-Positivbilanz, verbunden mit Plädoyers für Eigenverantwortung und Wettbewerb, widersprach teils der Realität und verfehlte vor allem die öffentliche Stimmungslage. Intern nach wie vor rational, war die Konzeption für den Erhalt der absoluten Mehrheit ungeeignet. Es kam zum zweiten Mal zu einer Diskrepanz zwischen interner und externer Rationalität. Im Ausnahmejahr 1990 stand der Landespartei mit der Sozialen Marktwirtschaft ein extern rationales, da weithin akzeptiertes Konzept bereit. Beinahe ungefiltert auf Sachsen übertragen, war dieses jedoch von beschränkter interner Rationalität. Speziell die Annahmen der CDU über die Substanz der Wirtschaft, der verkündete Automatismus, mit welchem die Transformation ablaufen werde, und die darauf aufbauenden methodischen Schlüsse waren teilweise idealistisch bis falsch. Dass die wirtschaftspolitische Konzeption dennoch weithin rational war, hatte u. a. drei Ursachen: Erstens verhinderte die Transformation eine passgenaue Situationsanalyse; zweitens hatte die Landespartei keine eigene Konzeption parat, was die konzeptionelle Anleihe rechtfertigte; drittens nahm Biedenkopf im Wahlkampf von allzu idealisierten Annahmen Abstand. Die wirtschaftspolitischen Konzeptionen der Sozialdemokraten waren in ihrer internen (außer 1990/2004) und ihrer externen Dimension (außer 2004) überwiegend rational. Zunächst sah die sächsische SPD 1990 in der Sozialen Marktwirtschaft ein „Projekt“, welches nach der Landtagswahl verwirklicht werden sollte, für das aber keine eigenen Erfahrungen bereitstanden. Ihre Vertreter kommunizierten eine sozialverantwortliche Marktwirtschaft, ohne deren Um- und Durchsetzung zu kennen.178 Das Konglomerat aus importierten Transformationskonzepten sowie eigenen ordnungs- und strukturpolitischen Vorstellungen war 177 178
Interview mit Wolf-Dieter Beyer am 21. November 2005. Vgl. Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006.
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extern rational, barg aber vor allem wegen des idealisierten Staatshandelns interne Rationalitätsmängel. 1994 untermauerte die SPD ihren Regierungsanspruch mit einer intern wie extern rationalen Konzeption. Obgleich überzogene Forderungen nach öffentlicher Beschäftigung die interne Rationalität beeinträchtigten. Setzte die SPD 1999 auf eine ebenso detailreiche wie pragmatische, in beiden Dimensionen rationale Konzeption, brachte sie 2004, von inneren Zwistigkeiten und äußeren Turbulenzen geplagt, nur eine Teilargumentation vor. Diese war wegen ihrer unzureichenden ordnungspolitischen Verankerung und ihrer nur partiellen externen Passgenauigkeit lediglich teilrational. Zusammengenommen verliehen folgende Kernkomponenten den SPD-Konzeptionen ihre innere Rationalität: Situationsanalyse: negativ und optimistisch (90); negativ (94); ambivalent (99/04) Ordnungsanalyse: Bekräftigen der Marktordnung, Kritik an der CDU-Konzeption Zielsystem: ausgewogene Freiheits-, Wachstums-, Gerechtigkeits-, Verteilungsziele Ordnungsansatz: interventionistisch-marktwirtschaftlich = reguliertes Individualprinzip; geordnete und regulierte Marktkoordination; sozialverträgliche individuelle Planungs- und Handlungsfreiheit; garantiertes Privateigentum mit verteilungsgesteuerter privater Verfügungsgewalt Strukturpolitik: eher angebotsorientiert; anpassend; Vorrang privater Investitionen Arbeitsmarkt-/Beschäftigungspolitik: eher aktiv/angebots- und nachfrageorientiert Methoden/Mittel: hohe Konzeptionskonformität und mittlere Eingriffsintensität Alle Bestandteile folgten weithin widerspruchsfrei dem Leitbild einer interventionistischen Sozialen Marktwirtschaft. Die starke Ergänzung des Individualprinzips durch das Sozialprinzip war einer geschlossenen Außendarstellung hinderlich, machte die Konzeption im Inneren aber flexibel. Die SPD verkraftete ohne Rationalitätsverluste umfangreiche marktliberale und interventionistische Öffnungen. Dafür, dass die hohe Elastizität nicht in Beliebigkeit abglitt, sorgte das marktwirtschaftliche Grundprinzip. Riefen die Situations- und Ordnungsanalysen nach mehr staatlichem Handeln, die Methoden nach einem stärkeren Interventionismus, korrigierte die marktwirtschaftliche Verankerung. Im Gegensatz zur Fundamentalkritik der PDS verband die SPD ihre Kritik an der CDU mit einem alternativen Handlungskonzept. Sie hielt sich so in einer regierungsfähigen Position, versuchte durch (ordnungsimmanente) Teilkritik, gezielt Lücken für die eigene Rolle in einer schwarz-roten Regierungskoalition zu besetzen. Ihre Ziele waren konsistent gegenüber den Ordnungsprinzipien. Indem die SPD das Soziale nicht zur Basis für die wirtschaftliche Entwicklung machte, redete sie der von ihr vertretenen Sozialen Marktwirtschaft das Wort. Die Methoden waren trotz ihrer im Vergleich zur CDU höheren Eingriffsintensität ordnungskonform, ihre interventionistische Spielart bot der SPD hier mehr Raum. Selbst Staatsbeteiligungen stützten, da die Partei sie allein zur Krisenbekämpfung und Wettbewerbsentzerrung vorsah, die Konzeptrationalität. Die Sozialdemokraten gewährten marktkonformen Elementen Vorrang, ohne sich weiterführenden zu verschließen. Ihre Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik orientierte sich eher an den realen Notwendigkeiten als an den politischen Möglichkeiten. Sie erkannten den Zusammenhang zwischen Wachstum und regulärer Beschäftigung an, begegneten der Massenarbeitslosigkeit aber mit weitreichenden öffentlichen Beschäftigungsvorschlägen. Ihre diesbezüglichen Vorhaben 1990/94 waren gemäß der sozialen Zielsetzungen rational, ließen aber eine realistische Finanzierung vermissen, was zulasten der
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Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
internen Rationalität ging. Dass die SPD sich den rigiden Eigentums- und Vermögenseingriffen der PDS verweigerte, sprach indes für Rationalität. Die wirtschaftspolitischen Konzeptionen der Postkommunisten zeichneten sich durch weitgehende interne Irrationalität und externe Rationalität aus. 1990 standen u. a. die rasante Entwicklung, das schwache wirtschaftspolitische Interesse der Landespartei und das Fehlen einer passfähigen externen Schablone einer rationalen Konzeption im Weg. Nach außen wirkte ein aufgepfropftes marktwirtschaftliches Bekenntnis. 1994 lancierte die Landespartei ihren Ruf nach sozialen Grundrechten und vernachlässigte den Aufbau einer wirtschaftspolitischen Konzeption (interne Irrationalität). Das „Recht auf Arbeit“ war mit Blick auf die Rahmenbedingungen und die Isolation der PDS einzig extern rational. 1999 befand sich die Partei in einem Findungsprozess. Ihre wirtschaftspolitische Konzeption war unpräzise, worunter interne und externe Rationalität litten. 2004 verfügte die PDS über eine intern widersprüchliche Konzeption. Wahlkampfmanöver beschränkten zudem deren externe Rationalität. Konzeptionelle Hauptschwierigkeit der Partei war ihr Ordnungsdilemma. Die existierende Marktordnung stand der sozialistischen Vision entgegen. Wollten die Postkommunisten ihre Ziele regulär erreichen, mussten ihre Methoden der Realität gerecht werden, womit sie aber den Ziel- und Ordnungsutopien widersprachen. Entsprechend unvereinbar waren einige Kernkomponenten der PDS-Konzeptionen: Situationsanalyse: opportunistisch (90); fundamentalkritisch (94/99); ambivalent (04) Ordnungsanalyse: Ablehnung der Marktordnung und der CDU-Konzeption Zielsystem: Dominanz von Gerechtigkeits-, Sicherheits- und Verteilungszielen Ordnungsansatz: interventionistisch-kollektivwirtschaftlich = moderates Sozialprinzip; regulierte und sozial gestaltete Marktkoordination; sozialverpflichtete individuelle Planungs- und Handlungsfreiheit; gleichberechtigte Eigentumsformen mit stark beschränkter privater Verfügungsgewalt Strukturpolitik: angebots- wie nachfrageorientiert; erhaltend; Vorrang staatlicher Maßnahmen Arbeitsmarkt-/Beschäftigungspolitik: aktiv und passiv/vorrangig nachfrageorientiert Methoden/Mittel: mittlere Konzeptionskonformität und hohe Eingriffsintensität Das diffuse interventionistisch-kollektivwirtschaftliche, zugleich auch marktwirtschaftliche Leitbild verhinderte eine konsistente Konzeption. Während Situationsanalysen und Ziele mit den Ordnungsprinzipien harmonierten, waren Methoden und Mittel, obgleich von hoher Eingriffsintensität, streckenweise damit unvereinbar. Zum Zweck ihrer externen Rationalität verband die Konzeption ein sozialistisches Ziel- und Ordnungsverständnis mit in Teilen marktwirtschaftlichen Methoden und Mitteln. Ein kalkulierter Widerspruch, so Ronald Weckesser: „Ich habe immer gesagt, wenn wir die Verantwortung hätten, dann müssten wir mit vorhandenen Ressourcen umgehen und nicht mit erträumten. Wir können nicht ein Konzept verkaufen, das erst dann funktioniert, wenn wir die Mehrheit im Europäischen Parlament, im Bundestag und im Landtag haben. Vielmehr brauchen wir ein Konzept, das unter den jetzigen Bedingungen machbar ist.“179 Zum Zweck der Stimmenmaximierung vertrat die PDS anwendbare Methoden und Mittel (externe Rationalität), gestützt auf Ordnungs- und Zielutopien (interne Irrationalität). Markantes Beispiel dafür war das „Recht auf Arbeit“. Die Forderung trug 1994 intern maßgeblich zur Konzeptionslosigkeit bei, war 179
Interview mit Ronald Weckesser am 1. Dezember 2005.
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8.3 Themenkampagne
extern hingegen rational. War die PDS insgesamt in den 1990er Jahren von einer „politischen Schizophrenie“180 gezeichnet, hatte die fehlende wirtschaftspolitische Konzeption der sächsischen PDS andere Ursachen. Für die Oppositionspartei bestand bis einschließlich 1999 keine Notwendigkeit für ein intern rationales Konzept. Ihr genügten wählerwirksame Versatzstücke. Als dann 2004 gewandelte Rahmenbedingungen interne konzeptionelle Rationalität verlangten, war dies der PDS nur begrenzt möglich. Ihr sozialistischer Ordnungsansatz kollidierte mit der herrschenden Wirtschaftsordnung. Auch waren ihre Konzeptionen in der Finanzierbarkeit mangelhaft. 1997 urteilte der Berliner Parteivorstand: „Wenn man davon ausgeht, dass sich Finanzpolitik nicht in der Forderung nach einer Umverteilung finanzieller Mittel zugunsten der Kommunen erschöpfen kann, sondern aufzeigen muss, woher diese Mittel kommen sollen, dann existiert Finanzpolitik bei der PDS Sachsen […] faktisch nicht.“181 Speziell die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Vorschläge standen unter Finanzierungsvorbehalt oder wurden durch Forderungen nach massiven Eingriffen in die Vermögens- und Verteilungsverhältnisse ausgeräumt. Nicht nur für den Fall einer Regierungsverantwortung war dies irrational. Im Unterschied etwa zu den Konzeptionen der CDU, die den „subjektiven Handlungsrationalitäten“ auf Landesebene entsprachen, vertrat die PDS bis einschließlich 1999 finanziell unbeschränkte und damit intern irrationale Ansätze. Indem ihre oppositionelle Haltung weder nach einer Realisierbarkeit noch nach einer Kompromissfähigkeit ihrer wirtschaftspolitischen Konzeptionen verlangte, war dies extern durchaus rational. Erstmals räumte die Partei 2004 viele, nicht aber alle (Mindestlohn, Grundeinkommen) Finanzierungsvorbehalte aus. Tabelle 9: Interne und externe Konzeptionsrationalität 1990 1994 intern extern intern extern rational rational rational CDU teilrational rational rational rational SPD teilrational teilrational irrational rational PDS irrational Quelle: Eigene Zusammenstellung.
1999 intern rational rational irrational
extern rational rational teilrational
2004 intern extern rational teilrational teilrational teilrational teilrational teilrational
Zusammengenommen unterschieden sich die Konzeptionen der Akteure in Struktur und Rationalität deutlich: Von den kalkulierten Konzepten der Christdemokraten, die oft (1999, 2004) nur notwendige Grundlinien zeichneten und die u. a. durch die betonten finanziellen Einschränkungen „subjektiven Handlungsrationalitäten“ entsprachen; über die ausgefeilten Konzeptionen der SPD (1994/99), die durch ihre hohe Elastizität Kompromiss- und Koalitionsfähigkeit ausdrückten; bis hin zu den (oft) zusammenhanglosen Forderungskonglomeraten der Postkommunisten (1990-1999). Verfügten CDU und SPD von Beginn an über ein umfassendes, anfangs noch begrenzt rationales konzeptionelles Gerüst, befand sich dieses bei der PDS durchweg in Entwicklung. Als Folge war die interne konzeptionelle Rationalität bei CDU und SPD ausgeprägt, bei der PDS nicht oder nur teilweise vorhanden. Während sich die Postkommunisten nicht zuletzt wegen ihrer inneren Konflikte an widersprüch180
181
Vgl. Manfred Gerner (1998): Widerspruch und Stagnation in der PDS. Zur Politikfähigkeit der SED-Nachfolgeorganisation, in: ZfP 45 (1998), S. 159-181, hier S. 161, 169. Jochen Weichold (1997): Die PDS im Parteienvergleich auf Länderebene in Ostdeutschland, in: Studien zur inneren Verfasstheit der PDS, Berlin, S. 7-9.
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lichen Konzeptionen festhielten, entwickelten Sozial- und Christdemokraten intern weithin passfähige wirtschaftspolitische Konzeptionen. Deren Umfang und Detailliertheit hingen erkennbar vom externen Anspruch der Akteure ab. Beispielsweise bemühte sich die SPD in ihrer Herausfordererrolle 1994/99 um ein geschlossenes, detailliertes, ebenso aber kompromissfähiges Konzept, wohingegen sich die politisch isolierte PDS mit einer Situationsanalyse sowie einigen ordnungs- und strukturpolitischen Versatzstücken begnügte. Beides war unter externen Gesichtspunkten rational. Als Programmpartei mit dem Ziel der Stimmenmaximierung nicht aber der Regierungsbeteiligung zählte für die PDS zunächst die externe Rationalität ihrer wirtschaftspolitischen Forderungen. Interne Widersprüche waren lange Zeit uninteressant. Anders verhielten sich die Sozialdemokraten. Wegen ihres Regierungsanspruchs stand für sie ebenfalls die externe Rationalität ihrer Konzeptionen im Vordergrund, nicht aber um den Preis interner konzeptioneller Irrationalität. Für die Christdemokraten waren unter externen Gesichtspunkten Seriosität und Minimalismus bedeutsam. Als Regierungspartei musste ihre Konzeption den alltäglichen „subjektiven Handlungsrationalitäten“ gerecht werden, indem sie diesen entweder entsprach oder diese nach Bedarf instrumentalisierte bzw. modifizierte. 8.4 Konkurrenzkampagne182 8.4.1 Konkurrenzstrategien Die Christdemokraten folgten im Umgang mit ihren landespolitischen Hauptkonkurrenten einer Souveränitätsstrategie. Nach dem Motto, „wir machen keinen Wahlkampf gegen irgendjemanden, sondern wir machen Wahlkampf für uns“,183 hatten eine positive sowie eine souveräne Selbstdarstellung Vorrang. Konkurrenzstrategien waren wichtig, aber in den Regierungsstrategien untergeordnet. Das Ziel der absoluten Mehrheit und die stimmenmaximierende Kampagnenausrichtung erübrigten ferner eine bündnisstrategische Rücksichtnahme. Wenn möglich entzog sich die CDU allen Koalitionsdiskussionen und verdeutlichte stattdessen die Alternativlosigkeit ihrer Alleinregierung. In den dennoch verfolgten Konkurrenzstrategien dominierten die Elemente Konfliktvermeidung und Ignorierung. Sie waren zentral für alle CDU-Konkurrenzkampagnen und erreichten 1999 ihre mustergültige Ausprägung. „Wir haben gesagt, das Beste ist, über die anderen nicht zu sprechen. Wenn man sich zu sehr mit einer Partei befasst, besteht immer die Gefahr, dass man diese aufwertet. Im Wahlkampf 1999 verbot es sich, kleinlich auf Äußerungen zu reagieren, die vielleicht gar von der FDP oder den Grünen kamen.“184 Speziell die präsidentialisierte Kampagne des Amtsinhabers ignorierte die Konkurrenz. So schrieb die Sächsische Zeitung über dessen Auftritt beim Tag der Sachsen 1999: „Für Biedenkopf ist der Sachsentag die beste Wahlwerbung, und er muss das nicht einmal hervorkehren. Wo er hinkommt, wird er freudig begrüßt; wo er nicht hin will, geht er nicht hin. So bleiben die Spitzenkandidaten von SPD, PDS und Bündnis 90/Grüne bei einer Diskussion im Zelt des Gewerkschaftsbundes unter sich, während Biedenkopf nur wenige Schritte entfernt bei einem Showprogramm 182
183 184
Die Analyse beschränkt sich auf die Makrostrategien der Landesparteien. Diese unterschieden sich mitunter massiv von interparteilichen Beziehungen auf Mikroebene. Interview mit Fritz Hähle am 10. Januar 2006. Interview mit Steffen Flath am 21. Dezember 2005.
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auf der Bühne steht.“185 Erweckte derlei Verhalten mitunter den Anschein von Überheblichkeit, war es effizient und effektiv zur Ansprache breiter Wählerschichten. Parallel verfolgte die CDU direkt-konkurrenzorientierte Strategien. Nötigten sie äußere Umstände zu einem offensiven Umgang mit ihren Hauptkonkurrenten oder schien ihr eine solche Strategie in Form einer Instrumentalisierung dienlich, agierte die Regierungspartei gegnerbezogen. Drohte gar ein offener Wahlausgang, verließ die CDU ihre Souveränitätsstrategie – ob 1994 mit Appellen gegen eine (von der PDS geduldete) rot-grüne Minderheitsregierung oder 2004 mit Warnungen vor einem „Linksbündnis“. Eingeklemmt zwischen einer souveränen Regierungspartei und einer unberechenbaren Fundamentalopposition bediente die SPD durchweg Konkurrenzstrategien, drängte insbesondere gegenüber den Christdemokraten in eine offensive Wettbewerbsposition. Die Hauptkonkurrentin zu ignorieren war undenkbar. Zwei zentrale Strukturmuster verhinderten jedoch eine geschlossene und kraftvolle Aufstellung der SPD im Parteienwettbewerb: Die wegen der strategischen Mittellage erforderliche Doppelpositionierung und die eklatante strukturelle Schwäche des Landesverbands. Bereits das Negativziel der SPD, die absolute CDU-Mehrheit brechen zu wollen, kam eher einem Unterlegenheitseingeständnis als einem starken Ziel gleich. Ihre Appelle, die Christdemokraten ablösen zu wollen, redeten nur einer Minderheit das Wort. Ferner war die Partei, die durchweg weder zu einer klaren Koalitionsaussage noch zu einem eindeutigen Verhältnis zur PDS fand, in Bündnisfragen stets eine Getriebene. All dies, verbunden mit internen Querelen und ungünstigen externen Einflüssen, verhinderte konsistente Konkurrenzkampagnen. Die SPD musste, wollte sie christdemokratische Wähler abwerben, auf Fundamentalkritik an der CDU ebenso verzichten wie auf Bündnisbekundungen hin zur PDS. Konkurrenzstrategisch befand sie sich damit in einem Dilemma. Kritisierte sie die Regierungspartei hart, bewirkte das einen Solidaritätseffekt der Wähler mit der Angegriffenen, stärkte aber die Position der SPD gegenüber der PDS. Vermied sie ausgeprägte Regierungskritik, drohte ihr die kommunikative Isolation durch die CDU, während sie zugleich die aggressivere PDS abdrängen würde. Entsprechend setzten die Sozialdemokraten im Analysezeitraum auf maßvolle Konfrontation im Verhältnis zur CDU, auf umfassende eigene Positivkampagnen und verhielten sich situativ zur PDS. Dieses doppelte Konkurrenzverhältnis überforderte die Partei. Etwa schwächte sie 1994 ihre fehlende Abgrenzung zur PDS in ihrem entscheidenden Wettbewerb mit der CDU. Ab 1999 entzogen der SPD negative Bundeseinflüsse im Kampf gegen die übermächtige bzw. erstarkende Konkurrenz wichtige Ressourcen. Als die kraftlose Partei 2004 auf eine positive Selbstdarstellung setzen wollte, zwangen sie die rot-grünen Arbeitsmarktreformen, die Angriffe der PDS und die drohende Niederlage der CDU in offensive konkurrenzstrategische Muster. Hingegen stand für die PDS das Konkurrenzverhältnis im Mittelpunkt ihrer Wahlkämpfe. Ob als Fundamentalopposition oder als regierungswillige Oppositionsführerin, die Postkommunisten profilierten sich zuerst über die interparteiliche Auseinandersetzung und danach über eine positive Selbstdarstellung. Instrument ihrer Konkurrenzkampagnen war die Polarisierung, ihre favorisierte Strategie die Konfrontation. Die Möglichkeit der PDS, vorrangig auf konfrontative Negativkampagnen setzen zu können, war einzigartig. Da bis 2004 keine ausgeprägte Regierungsambition bestand, erwarteten ihre Wähler ein zuvörderst konfrontatives, weniger progressives Gebaren. Die Argumentation, zuerst müsse die Dominanz der CDU gebrochen, erst dann könnten die Alternativen erörtert werden, sprach zu185
Steffen Klameth: Kaffee, Sonnenblumen und Parteiprogramme, in: SZ vom 6. September 1999.
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sammen mit einer harschen Konfrontationsstrategie enttäuschte CDU- oder SPD-Wähler ebenso an wie die eigene Stammwählerschaft. Ihre gegen die Landes-CDU und gegen die Bundes-SPD gerichteten Konfrontationsstrategien variierten mit den eigenen Ansprüchen und den äußeren Gelegenheiten. Nach einer offensiven Konsensstrategie (1990) setzte die PDS zur Eigenprofilierung auf Fundamentalkritik an der Landesregierung (1994), die sie 1999 abgeschwächt wiederholte und auf die Bundes-SPD ausweitete, um 2004 zu einem stimmenmaximierenden Rundumschlag auszuholen. Von Beginn an forcierte die SEDNachfolgerin Offensivstrategien. So attackierte die PDS 1990 mit ihren Rufen nach einer Allparteienregierung die freie Parteienkonkurrenz und warf ihren Kontrahenten ein falsches Demokratieverständnis vor. Vier Jahre später nutzte sie radikale Stellungnahmen und die öffentliche Debatte um eine PDS-geduldete rot-grüne Minderheitsregierung zur Selbstdarstellung. 1999 etablierte sie neben ihrer obligatorischen Kritik an der CDU und ihren wählerwirksamen Angriffen gegen die rot-grüne Bundesregierung erstmals eine größere Positivkampagne. 2004 sann ihr regierungswilliger Flügel auf ernsthafte Gestaltungsmöglichkeiten in Form einer unwahrscheinlichen Koalition aus PDS, SPD und Grünen oder einer utopischen Allparteienregierung ohne die CDU. Fast ohne Möglichkeit auf Regierungsteilhabe versuchte die PDS, durch eine offensive Ausrichtung jede CDU-geführte Regierung zu verhindern. Die Protestkampagne gegen Hartz-IV bildete dabei den konfrontativen Höhepunkt.
8.4.2 Konkurrenzverhältnis zwischen CDU und SPD Die Christdemokraten agierten gegenüber der sozialdemokratischen Hauptkonkurrentin mit einer doppelten Konkurrenzkampagne, unterschieden nach Bundes- und der Landespartei. Die Strategie der CDU wechselte von einem Mix aus landespolitischer Zurückhaltung und bundespolitischer Konfrontation (1990) über eine landespolitische Instrumentalisierung (1994) zu einem beinahe völligen landespolitischen Nichtbeachten bei bundespolitischer Instrumentalisierung und Konfrontation (1999/2004). Die SPD verfolgte ihrerseits wechselnde Konfrontationsstrategien, angefangen bei einer Kombination aus bundespolitischer Konfrontation und landespolitischer Zurückhaltung (1990) über eine ausgeprägte sachpolitische wie personelle Kritik (1994) hin zu taktischen Teilkritiken (1999/2004). Verfuhr die CDU nach dem Motto: Konfrontation wenn nötig, Ignorierung wenn möglich, war es vorrangiges sozialdemokratisches Ziel, Personal und Politik der Regierungspartei im maximal vertretbaren Rahmen anzugreifen, zugleich aber die Tür für die ersehnte Regierungsteilhabe offenzuhalten. Entsprechend verwischte die CDU die Unterschiede beider Parteien, indem sie Diskussionen vermied oder bekundete, die Konzepte der Sozialdemokraten seien die schlechteren. Die SPD war ihrerseits bestrebt, ihre politischen Alternativen deutlich zu thematisieren. Den Ausschlag für die Entwicklung des interparteilichen Verhältnisses gab neben der christdemokratischen Dominanz vor allem das Spannungsfeld aus Programmund Wählerstimmenkonkurrenz. Die moderate Programmkonkurrenz bewirkte einen starken elektoralen Wettbewerb. Aus Perspektive der CDU nahm die Wählerstimmenkonkurrenz zur SPD jedoch in dem Maße ab, in welchem diese kontinuierlich Stimmen verlor. Die SPD wiederum blickte mit zunehmender Schwäche auf das Wählerreservoir der CDU bzw. versuchte, ihre Verluste an diese zu stoppen. Sozialdemokratische Absicht war es, auf Lan-
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desebene eine Wettbewerbssituation zu schaffen, in der sich die Wählerschaften beider Parteien die Waage hielten. 1990 zügelte die CDU aus „Opportunitätsgründen“ ihren Konfrontationskurs gegenüber der SPD. Die ehemalige Blockpartei vermied den Konflikt. Kam es zu Kritik, richtete sich diese vorrangig gegen die Bonner SPD und deren Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine. Auch die SPD führte einen überwiegend gemäßigt-diskursiven Wahlkampf. Sie verband ihre differenzierte Kritik an der CDU-Vergangenheit mit Verweisen auf die eigene Unbelastetheit. Schließlich waren vielen Sozialdemokraten die „Blockflöten“ genauso feind wie die früheren SED-Funktionäre, während sie mit den christdemokratischen Reformern viel verband.186 Hingegen streuten die Bundesparteien massiv Negativkampagnen. Der Versuch der Bonner CDU, die sächsische SPD in den Ruch einer SED-freundlichen, einheitsfeindlichen und sozialistischen Partei zu bringen, fruchtete. Speziell die konstruierte Nähe der SPD zur PDS und der Vorwurf, sie lehne die Soziale Marktwirtschaft ab, trugen zur schlechten Perzeption der SPD-Landespartei mit bei. Weniger erfolgreich waren die Polarisierungsbemühungen der Bundes-SPD. Ihre pauschalen Blockparteivorwürfe verfingen gegen die sächsische CDU ob deren starkem Reformerflügel und ihres gelungenen Imagewandels kaum.187 Die importierten Frontstellungen wichen in der Folgezeit landeseigenen Konkurrenzmustern. Indem Biedenkopf die SPD in der ersten Legislaturperiode teilweise politisch einband, raubte er der größten Konkurrentin ihre Möglichkeiten zu einer klaren Opposition. Seine (politisch durchaus gebotene) „Umarmungsstrategie“ profitierte vom parteiübergreifenden „Wir-Gefühl“ einiger Sozialdemokraten. Diese beschritten unter Kunckel den Weg des seriösen Dialogs – ihre künftige Regierungsrolle erwartend.188 Ihre idealistische wie pragmatische Ausrichtung verbaute der SPD die nötige öffentlichkeitswirksame Polarisierung. So konstatiert Matthias Rößler (CDU): „Die SPD war unter Kunckel sehr kooperativ. Die Staatregierung hat bis 1994 mehr Ärger mit den eigenen Leuten gehabt als mit der SPD“.189 Selbst im Wahlkampf 1994 stand für die sozialdemokratische „Wendegeneration“ eine konstruktive Oppositionspolitik im Vordergrund.190 Die dennoch durch die Landespartei versuchte Konfrontation erfolgte kurzfristig und war daher unergiebig. Vorstöße, die CDU abermals mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren, waren u. a. wegen derer hohen Beliebtheits- und Kompetenzwerte chancenlos. Die Regierungspartei bot kaum Angriffsfläche. Wie Biedenkopf später bemerkt, war die Bevölkerung 1994 „auf eine ganz merkwürdige Art zufrieden“.191 Da zum Zeitpunkt ihrer Wahlkampfplanung eine „linke“ Mehrheit möglich schien, griff die CDU zu einer Instrumentalisierungs- und Konfrontationsstrategie. Ihre offensive Kampagne gegen eine rot-rote Kooperation schadete der SPD192 und verfing bei den CDU-Wählern. Zudem erwies sie sich als wirksam, da die Sozialdemokraten auf ihrem Schlingerkurs die rot-rot-grünen Gespenster nicht zu verjagen wussten. Die CDU agierte erfolgreich mit Lagerrhetorik gegen die „rote“ Gefahr, die SPD reagierte hilflos. Nach dem CDU-Erfolg im Jahr 1994 wurde die SPD für die Christdemokraten belanglos. Insbesondere 1999, als diese keine Koalitionsoption benötigten, ließen sie getreu ihrer 186 187 188 189 190 191 192
Vgl. Interview mit Michael Lersow am 3. Januar 2006. Vgl. Richter (2004), S. 826. Vgl. Interview mit Hans-Jürgen Richter am 10. Februar 2006. Interview mit Matthias Rößler am 18. Januar 2006. Vgl. Interview mit Mario Pecher am 6. Dezember 2005. Interview mit Kurt Biedenkopf am 24. Januar 2006. Vgl. dazu Neugebauer (1996), S. 63.
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Souveränitätsstrategie die sächsischen Sozialdemokraten „links liegen“. Biedenkopfs Interesse galt allein einem produktiven Verhältnis zur Bundes-SPD. Nach Jahren der konzeptionellen Diaspora unter Helmut Kohl sah er in Gerhard Schröder erstmals eine Chance, Teile seiner makropolitischen Reformvorschläge umzusetzen. Während die Landes-CDU schematisch die rot-grüne Bundesregierung angriff, nutzte Biedenkopf die mediale Hellhörigkeit des Wahlkampfes für Kooperationsangebote an die Adresse des Kanzlers. Er profilierte sich bundespolitisch und betrieb Regierungspolitik. Indem er Schröder Lob und Tadel aussprach und der Bundesregierung eine intergouvernementale Kooperation nach eigenen Spielregeln anbot, demonstrierte der Elderstatesman Souveränität. Hingegen waren die sächsischen Sozialdemokraten im Jahr 1999 Getriebene ihrer politischen Umwelt. In Form einer konfrontativen Kontraststrategie versuchten sie vergeblich, ihre Regierungskompetenz zu beweisen. Ihre Kombination aus Regierungskritik und ausgereifter Programmatik fruchtete nicht. Binnen weniger Monate verwandelte sich die geplante Auseinandersetzung mit der CDU auf Augenhöhe in einen Überlebenskampf. 2004 begrenzte die SPD ihre Konfrontationsstrategie gegen die CDU auf wenige Punkte. Die Landespartei war mit sich bzw. mit der Politik ihrer Bundespartei beschäftigt. Die rot-grünen Arbeitsmarktreformen banden alle Kräfte. Neu war, dass die Sozialdemokraten erstmals die Auseinandersetzung mit der CDU personalisierten. Hatten sie Angriffe auf Biedenkopf stets vermieden, stand Milbradt im Mittelpunkt ihrer Negativkampagne. Speziell die Kritik an seiner Rolle bei der Arbeitsmarktreform Hartz-IV erwies sich als wirksames Mittel der Konfrontation. Demgegenüber ignorierten die Christdemokraten ihre Nebenkonkurrentin, entzogen sich dem inhaltlichen oder personellen Vergleich mit der sächsischen SPD. Gegenüber den Sozialdemokraten auf Bundesebene agierte Milbradt nicht souverän. Der protestgeschwängerte Wahlkampf verhinderte eine erneute bundespolitische Instrumentalisierung der SPD.
8.4.3 Konkurrenzverhältnis zwischen CDU und PDS Das Verhältnis von Christdemokraten und Postkommunisten bestimmten divergente politische Rollenbilder und Feindbilder. Anfangs noch Nebenkonkurrentin, wurde die CDU bald zur politischen Hauptkonkurrentin der PDS, die ungleich offensiver als die Sozialdemokraten das Negativziel verfolgte, die absolute CDU-Mehrheit zu brechen und die gegenüber der Regierungspartei ausschließlich auf Konfrontation setzte. Nach einer Konfliktvermeidung (1990) forcierte sie 1994 breite Fundamentalkritik, die ab 1999 in gezielte Angriffe mündete. Das Verhalten der CDU gegenüber der PDS reichte von der offenen Ablehnung (1990) einer verhassten Partei über deren Instrumentalisierung zur eigenen Stimmenmaximierung (1994) und deren Ignorierung (1999) bis hin zur partiellen Auseinandersetzung (2004) mit einer Hauptkonkurrentin. Zwischen beiden Akteuren herrschte ein doppeltes Konkurrenzverhältnis. Einerseits standen sie wegen ihrer divergenten Ziele in starker Programmkonkurrenz. Andererseits ergab sich aus der absoluten Mehrheit der CDU eine erst geringe, mit dem Regierungsanspruch der Postkommunisten aber stetig steigende Wählerstimmenkonkurrenz. Insbesondere 2004 drohte die PDS, die den Christdemokraten bereits 1999 Stimmen entzogen hatte, durch ihre kombinierte Herausforderer- und Protestkampagne in periphere CDU-Wählerschaften einzubrechen. Obwohl beide nach wie vor diametrale Inhalte bedienten, bewirkte das volatile Wählerverhalten eine gewisse Stimmenkonkurrenz.
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1990 wurde die PDS, die ihrerseits auf ein weitgehendes Nichtverhältnis zur CDU setzte, von dieser entweder abgelehnt, ignoriert (fehlende Wählerstimmenkonkurrenz) oder offen attackiert (massive Programmkonkurrenz). Der ambivalente Umgang folgte unterschiedlichen Motivlagen. Während die CDU-Reformer die SED-Nachfolgerin bedingungslos bekämpften und Kontakt auf Augenhöhe mieden, nutzten zahlreiche alteingesessene CDU-Mitglieder das neue Feindbild, um von der eigenen Vergangenheit abzulenken. Ein nachhaltiger Kontrast zwischen staatstragender CDU und systemfeindlicher PDS entstand. 1994 ignorierte die Regierungspartei die Postkommunisten unverändert, verschärfte aber deren Instrumentalisierung. Die 1993 gleichzeitig erstarkenden Parteien SPD und PDS zwangen sie, eine mutmaßliche sozialdemokratisch-postkommunistische Kooperation zu stigmatisieren und der wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz der PDS zu begegnen. Um potenzielle PDS-Wähler zu gewinnen, dosierten die Christdemokraten zunächst die Konfrontation, lehnten, auch um die eigene Vergangenheit zu kaschieren, die „Rote-SockenKampagne“ ihrer Bundespartei ab. Die von Neugebauer und Stöss für das Wahljahr 1994 konstatierte „blindwütige Diffamierung“ der PDS 193 spiegelt nur bedingt die Linie der sächsischen CDU. Während die Reformer die SED-Nachfolgerin unverändert verfemten, warnte die Landespartei in erster Linie vor deren möglicher Regierungsbeteiligung. Glaubwürdig brandmarkte Biedenkopf die postkommunistischen Sirenenklänge mit dem Mal der Unbezahlbarkeit und warnte vor rot-roten Experimenten. Indem sie einer PDS-geduldeten rotgrünen Landesregierung eine katastrophale Arbeit prophezeite, malte die CDU ein effektvolles Schreckgespenst an die Wand, welches der SPD schadete. Ferner war die PDS strategisch bedeutsam, als dass sie links- bzw. sozialorientierte Wähler band und damit die christdemokratische Hauptkonkurrentin schwächte.194 Für die CDU bedeutete eine stärkere PDS eine schwächere SPD, beide zusammen, eine gespaltene Opposition. Die Postkommunisten verfolgten 1994 eine radikale Kontraststrategie. Sie profitierten hierbei vom „moderaten“ Konfrontationskurs der Sozialdemokraten und kosteten ihre Rolle als „linkere“, radikalere Opposition aus. Ihre harten Angriffe auf die Regierungspartei äußerten Fundamentalkritik, drückten ein alternatives Demokratieverständnis aus und kanalisierten so ihre politische Machtlosigkeit.195 Die Genossen polarisierten scharf, sprachen etwa der CDUPolitik Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsmäßigkeit ab. Dass die CDU einige Angriffe konterte, schadete der PDS kaum.196 1999 stand das Verhältnis beider Parteien in einem deutlichen Ungleichgewicht. Während die Christdemokraten die Postkommunisten fast vollständig ignorierten, hielten diese an ihrer Konfrontationsstrategie fest. Sie forderten nach wie vor das Ende der „undemokratischen“ CDU-Mehrheit. Im Zentrum der Kritik standen nunmehr die unterschiedlichen Ansätze beider Parteien, von der PDS vorrangig formuliert als christdemokratische Negativbilanz. Ansonsten war das Verhältnis unspektakulär. Anders als die SPD erschöpfte sich die PDS nicht an der Regierungspartei. Sie nutzte den Wahlkampf um sich zu etablieren. Umso direkter fiel das Verhältnis im Jahr 2004 aus. Mit ihrem Regierungsanspruch und, indem sie die CDU öffentlich zur einzigen Hauptkonkurrentin um den Wahlsieg er193 194
195 196
Vgl. Neugebauer/Stöss (1996), S. 221 f. Ute Schmidt (1998): Sieben Jahre nach der Einheit. Die ostdeutsche Parteienlandschaft im Vorfeld der Bundestagswahl 1998, in: APuZ B. 1-2/1998, S. 37-53, hier S. 42. Interview mit Klaus Bartl am 13. Januar 2006. So die Einschätzung der damaligen Landesgeschäftsführerin Ingrid Mattern. „Wenn die CDU gegen uns loswetterte, dann hat sie damit Biografien von Leuten, die hier gelebt haben, niedergemacht, was uns zugutekam.“ Interview mit Ingrid Mattern am 24. Januar 2006.
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klärte, trat die PDS in Stimmenkonkurrenz zu den Christdemokraten. Für die Postkommunisten war eingetreten, was sie über ein Jahrzehnt herbeigesehnt hatten, ein „Leben nach Biedenkopf“.197 Neben diskreditierenden Vorwürfen an die Regierungspartei überzogen sie diesmal den christdemokratischen Spitzenkandidaten mit einer Negativkampagne. Die neue Konstellation bewirkte auch aufseiten der CDU eine offensivere Vorgehensweise. Sie trat erstmals in eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Postkommunisten ein, sprach diesen die Regierungsfähigkeit ab und polarisierte scharf. Hatten die rot-roten Gespenster 1994 aus Biedenkopfs Munde abschreckend gewirkt, war das Konzept 2004 weitgehend überholt. Die suggerierte Alternative, absolute CDU-Mehrheit oder rot-rot-grüne Koalition, verfehlte in beider Hinsicht – wiewohl unterschiedlich – die Wählerstimmung. Hingegen verzichtete die CDU darauf, die Affäre um Peter Porsch zu instrumentalisieren. Dessen selbstzerstörerisches Handeln erübrigte eine Reaktion.198 Auch um nicht in die Untiefen der eigenen Vergangenheit zu geraten, ignorierte die CDU die Geschehnisse. Gegenstand einer beiderseitigen Instrumentalisierung wurden 2004 die improvisierten Negativ- und Mobilisierungskampagnen gegen die NPD. Im Fahrwasser der öffentlichen Hysterie versuchte die Regierungspartei – indem sie Ängste beschwor – Druck auf die Wähler aufzubauen, weder NPD noch PDS zu wählen. Anstatt damit den Nationaldemokraten zu schaden, instrumentalisierte die CDU die Rechtsextremisten im Wahlkampf gegen die PDS. Ihre Plattitüde „Radikale von rechts und links“ verharmloste ungewollt den harten Extremismus der NPD. Der gegenüber Teilen der PDS berechtigte Extremismusvorwurf verkam auf diese Weise zur hohlen Gleichsetzungsrhetorik. Die PDS ihrerseits stemmte sich gegen die „Gleichmacherei“ und bezichtigte die CDU, mit ihrer unsozialen Politik die gesellschaftlichen Verhältnisse für das Erstarken der NPD befördert zu haben. Ferner gerierten sich die Postkommunisten als Opfer parteipolitisch motivierter Ausgrenzung und als sozialistische, demokratische Volkspartei. Ihr demonstrativer Schulterschluss mit SPD und Grünen im Protest gegen die NPD folgte einer ehrlichen Ablehnung der Rechtsextremisten, war aber auch Gelegenheit, der nicht unberechtigten Extremismusrhetorik der CDU öffentlichkeitswirksam zu begegnen.
8.4.4 Konkurrenzverhältnis zwischen SPD und PDS Bestand die Strategie der Sozialdemokraten gegenüber der CDU in einer unterschiedlich intensiven aber kontinuierlichen Konfrontation mit dem Ziel einer Regierungsteilhabe, war ihr Verhältnis zur PDS situativ. Es reichte von einer klaren Ablehnung (1990) über einen diffusen Strategiemix (1994), einer Konfliktvermeidung (1999) bis hin zu einer Kombination aus Kooperation, Konfrontation und Konfliktvermeidung (2004). Die PDS ihrerseits verhielt sich zur SPD widersprüchlich. Auf der einen Seite unterbreitete sie den Sozialdemokraten Kooperationsofferten, auf der anderen Seite überzog sie diese mit populistischer Hetze. Ihr Verhalten wechselte von instrumentalisierten Kooperationsangeboten (1990/94) hin zu einer Kombination aus landespolitischen Kooperations- und bundespolitischen Konfrontationsstrategien (1999/2004). Die wegen der partiellen Programmkonkurrenz bestehende starke Wählerstimmenkonkurrenz erschwerte beider Verhältnis. Nicht nur aus PDS-Sicht war dies ein Dilemma: „Die PDS steht in wirklicher Konkurrenz zur SPD. Sie 197 198
Vgl. Interview mit Werner Glaesel am 22. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Georg Milbradt am 16. Januar 2006; Interview mit Hermann Winkler am 18. Januar 2006.
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kämpft mit ihr um dieselben Wähler. Das macht sie mit der CDU nicht. Hier hat jeder seine eigene Wählerklientel. Deswegen ist es immer schwierig, mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten.“199 Auch die SPD wusste darum. Insbesondere im Jahr 1999 verliefen die Wählerfluktuationen deutlich zu ihren Lasten. 2004 war die auf ihren Wählerstamm geschrumpfte Partei zwar vor weiteren Verlusten gefeit, selbst aber nicht in der Lage, PDSaffine Wählerschichten anzusprechen. Der Standpunkt der SPD gegenüber der PDS war allein 1990 eindeutig, als sie sich von der ehemaligen Staatspartei abgrenzte und diese ignorierte. Die Sozialdemokraten hatten aus ihren Erlebnissen im Volkskammerwahlkampf, als sie von CDU und DSU in die postkommunistische Ecke gedrückt worden waren, gelernt. Sie kämpften gegen eine erneute Gleichsetzung beider Parteien an und versuchten nun ihrerseits, mit Hinweisen auf die langjährige SED-Treue der CDU diese zu verunglimpfen. Die Instrumentalisierung scheiterte aus den erwähnten Gründen. Die Postkommunisten verzichteten gegenüber der SPD sowohl auf Kritik wie auf zu starke Annäherung. Da viele ihrer Anhänger unterschwellig sozialdemokratische Sympathien hegten, setzte die PDS auf ein vornehmlich neutrales Verhältnis. Ihr fingiertes Kooperationsangebot an die SPD, das diese schroff zurückwies, nutzte die PDS, um sich als Opfer undemokratischer Ausgrenzung zu stilisieren. In der Folge brachen innerhalb des SPD-Landesverbands Konflikte über den Umgang mit den Postkommunisten aus. Die Debatten schwächten die Partei und verhinderten eine geschlossene Strategie. Drei Faktoren beeinflussten das Verhalten der SPD gegenüber der PDS: die diesbezügliche Unstetigkeit der Bundespartei, wahlstrategische Gedankengänge und die sich kontinuierlich entwickelnde Beziehung der Landesparteien. Beider Verhältnis hatte sich im Landtag sowie in den Repräsentativvertretungen der Kommunen und Kreise teilweise normalisiert. Einzig auf Ebene der SPD-Landespartei verhinderten interne Lagerbildungen und die kooperationsfeindlich ausgerichtete Parteispitze eine Zusammenarbeit. Gleichwohl lehnte die sächsische SPD unter Karl-Heinz Kunckel die PDS keinesfalls pauschal ab. Ihre Konkurrenzstrategien orientierten sich durchaus zweckrational an den jeweiligen Opportunitäten. Der direkte Vergleich der Wahlkämpfe 1994 und 1999 belegt das. 1999 bestand keine realistische Möglichkeit für ein rot-rotes Bündnis. Die SPD sah ihre einzige Option auf Regierungsteilhabe in einer Koalition mit der CDU. Eine Abgrenzung zur PDS war daher zwingend. Obwohl die Bundespartei für rot-rote Koalitionen in den Ländern warb und in Sachsen ein punktuelles Miteinander üblich war, lehnte Kunckel jede Regierungszusammenarbeit mit den Postkommunisten ab. Hingegen bestanden 1994 lange Zeit gute Chancen für ein rot-grünes Bündnis. Entsprechend hielt sich Kunckel im Wahlkampf eine rot-grüne Minderheitsregierung (geduldet von der PDS) offen, obwohl sich die Bundespartei gegen Kooperationen mit der PDS aussprach und die sächsische SPD überwiegend einen Abgrenzungskurs verfolgte. Dieses Vorgehen war unvermittelbar. Ihre Janusgesichtigkeit bescherte der SPD 1994 Verluste an die CDU und Konflikte im eigenen Haus. Nutznießerin war die an sich isolierte SED-Nachfolgerin. Die öffentliche Debatte um eine von ihr geduldete rot-grüne Minderheitsregierung brachte ein unverhofftes Geschenk, das die fundamentaloppositionelle Partei zu instrumentalisieren wusste. Mit seiner offen erteilten Abfuhr an die PDS übertünchte Kunckel im Jahr 1999 nicht die gravierenden Frontstellungen in seiner Partei, die teilweise nur zum Schein der Linie ihres Vorsitzenden folgte. Weder hatte der Landesvorstand eine sachpolitische Zusammen199
Interview mit Rico Gebhard am 11. Januar 2006.
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arbeit noch eine Koalition mit der PDS ausgeschlossen. Dass die SPD die Postkommunisten im Wahlkampf kaum würdigte, hatte die erwähnten strategischen Gründe. Anstatt die eigene Oppositionsführerschaft gegen die PDS zu verteidigen, arbeitete sich die SPD an einer übermächtigen CDU ab. Die Postkommunisten indes begegneten den Sozialdemokraten mit einer ambivalenten Strategie. Neben einer bundespolitischen Konfrontation, die unzufriedene SPD-Wähler erreichen sollte, bemühten sie sich auf Landesebene erstmals um alternative Mehrheiten. Ihr Ziel war es, eine fortgesetzte CDU-Regierung und eine Große Koalition zu verhindern. Um die Doppelopposition zu überwinden, schlug Porsch der SPD vor: „Machen wir ein doppeltes Angebot, erstens, wir werden gemeinsam stärker als die CDU, d. h. wer PDS oder SPD wählt, wählt die CDU ab und zweitens, die Wähler können in diesem Bündnis entscheiden, wer der stärkere ist, d. h. sie können SPD oder PDS wählen.“200 Als die SPD dies ablehnte, wetterten die Postkommunisten gegen eine „antidemokratische“ Große Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten. Nach 1999 sah sich die PDS einer „problematischen“201 Wettbewerbssituation gegenüber. Die eklatante Schwäche der Sozialdemokraten und die marginalisierten Grünen verhinderten rein quantitativ eine „linke“ Koalition in Sachsen. Hinzu kamen die weithin kooperationsfeindliche Haltung der SPD und deren Unwille, als Juniorpartner einem rotroten Kabinett beizutreten. Die Zuversicht der PDS, nach Kunckels Abtritt würde sich die Landespartei „linken“ Bündnisbestrebungen öffnen, zerplatzte zunächst an Constanze Krehl als Vertreterin des „rechten“ SPD-Flügels. Erst mit Thomas Jurk wendete sich das Blatt, war er doch zu einer Koalition bereit, obgleich nur unter Führung der SPD. Der Wahlkampf 2004 zerschlug schließlich alle Optionen. Die Affäre um Porsch, die sozialdemokratische Schwäche und das harte Vorgehen der PDS gegen die Bundes-SPD verbauten eine Zusammenarbeit. Aus der geplanten PDS-Strategie, die SPD im Wahlkampf zu „umarmen“, Kritik ihr gegenüber zu vermeiden und Parallelen zu betonen,202 wurde eine Konfrontation, die Sympathien zerschlug. Da aus Sicht der Sozialdemokraten ein Wahlerfolg in weiter Ferne lag, blendeten sie die PDS aus oder bezichtigten jene eines unverantwortlichen Populismus’. Die SPD hatte keine Kapazitäten und sah keine Notwendigkeit für eine umfangreichere Auseinandersetzung.
8.4.5 Sächsische Strukturen der Parteienkonkurrenz Das sächsische Dreiparteiensystem barg mit einer hegemonialen Regierungspartei und einer zweipoligen Opposition exklusive Wettbewerbsmuster. Insofern ist Ulrich Brümmers These eines vorrangig auf die strukturelle, gouvernementale und kulturelle Prädominanz der Christdemokraten gestützten „Sächsischen Weges“203 um die elektorale und wettbewerbliche Dimension der „linken“ Doppelopposition zu ergänzen. Ob im Rahmen der organisatorischen, der strategischen, der imagebezogenen, vor allem aber der interparteilichen Betrachtungen, hinter der Stärke der CDU standen stets die strukturelle Schwäche sowie die (streckenweise unvermeidlichen) strategischen Fehler und Dilemmata der SPD. So ist Brümmers Urteil, die SPD hätte sich 1990 strategisch unklug verhalten und es wegen einer 200 201 202 203
Interview mit Peter Porsch am 7. Dezember 2005. Vgl. Interview mit André Hahn am 7. Dezember 2005. Vgl. Interview mit Rico Gebhard am 11. Januar 2006. Brümmer (2006), S. 248-259.
8.4 Konkurrenzkampagne
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idealistischen Abgrenzungsstrategie unterlassen, das Wählerpotenzial von SED bzw. PDS anzusprechen,204 nur bedingt haltbar. Vielmehr war die Abgrenzung 1990 notwendiger Bestandteil ihrer Konkurrenzkampagne. Die SPD zielte auf die seit der Volkskammerwahl offenbare CDU-Wählerschaft, speziell auf die Arbeiterschaft. Eine unbedingte Ablehnung der SED-Nachfolgerin war dafür erforderlich. Folgenreiche Fehler unterliefen den Sozialdemokraten danach. Anstatt die CDU mit effektiven Konfrontationsstrategien anzugreifen und mit einer klaren Kombination aus Ablehnung und Instrumentalisierung das Erstarken der PDS zu stoppen, verfolgte die Partei nur schwache Angriffsstrategien und verfing sich in abschlägigen Debatten über ein fiktives Linksbündnis. Der Regierungspartei nützte die Schwäche der Doppelopposition.205 SPD und PDS waren ihr nicht nur unterlegen, ihre Differenzen bewirkten zudem einen massiven, von den Christdemokraten beförderten gegenseitigen Verdrängungswettbewerb.206 Während die Instrumentalisierungen der CDU u. a. versuchten, die Zwietracht im Oppositionslager zu nähren, strebte die PDS in ein Bündnis mit der SPD. Die wiederum zielte intern auf eine schwarz-rote Koalition und widersetzte sich nach außen hin den „linken“ Avancen. Siegerin des bündnisstrategischen Trilemmas war stets die CDU, Verliererin die SPD, lachende Dritte die PDS. Die Doppelopposition hatte ob ihrer quantitativen Schwäche und der massiven strategischen Divergenzen der Regierungspartei nichts Wirksames entgegenzusetzen. Indem die CDU im Parteienwettbewerb über die politische Gestaltungsmacht, die Themenführerschaft, die größere Medienpräsenz und über einen populären Amtsinhaber verfügte, bestand die einzige, wenngleich äußerst unbefriedigende Option der Opposition darin, den politischen Verschleiß der Christdemokraten zu beschleunigen. Neben dieser Asymmetrie formte die strategische Mittellage der Sozialdemokraten die Konkurrenzmuster (Tabelle 10). Während sich CDU und PDS je auf einen Hauptkonkurrenten beschränkten bzw. ihre Gegner situationsbedingt selektierten, befand sich die SPD ab 1994 in einer permanenten Doppelkonkurrenz. Stets zu einer kräftezehrenden Auseinandersetzung mit der PDS genötigt, gelangte sie nie zu einer geschlossenen Konfrontationsstrategie gegenüber der CDU. Die wiederum nutzte dies und heizte den „Nebenkriegsschauplatz“ zwischen SPD und PDS an, um vom Hauptkonflikt zwischen Regierung und Opposition abzulenken. Die aus SPD-Sicht verheerende Mittelposition gründete auf den doppelten Konkurrenzbeziehungen der Partei. Zwischen CDU und SPD sowie zwischen SPD und PDS existierten durchweg programmatische Schnittmengen, was eine doppelte Wählerstimmenkonkurrenz für die SPD nach sich zog. Hingegen verhinderten die substanziellen ideologischen Unterschiede zwischen CDU und PDS bis 2004 eine Wählerstimmenkonkurrenz. Erst mit ihrer strategischen Neuausrichtung als bundespolitische Protestpartei mit landespolitischem Regierungsanspruch trat die PDS in elektorale Rivalität zur CDU. Parallel erachteten die Oppositionsparteien die CDU wegen ihres Wählerreservoirs als Hauptkonkurrentin (ausgenommen PDS 1990). Hingegen maßen die Christdemokraten der PDS in den ersten drei Wahlkämpfen lediglich den Status einer Nebenkonkurrentin zu, während sie in der SPD ihre Hauptkonkurrentin um die Regierungsmacht sahen. 2004 204 205 206
Vgl. ebd., S. 263. Vgl. ebd., S. 262. Michael Brie unterscheidet für die ostdeutschen Dreiparteiensysteme folgende Szenarien: (1) eine stabile Kooperation zwischen SPD und PDS in Konkurrenz zur CDU; (2) ein durch eine starke CDU beförderter Verdrängungswettbewerb zwischen SPD und PDS; (3) eine „friedliche“ Koexistenz zwischen den drei Akteuren, mit abwechselnden Koalitionsmehrheiten; (4) eine stabile Kooperation zwischen CDU und SPD gegen die PDS. Vgl. Brie (2000), S. 47 f.
390
Vergleichende Analyse der Landtagswahlkämpfe
wechselte die Konkurrenzeinordnung durch die CDU aus den erwähnten Gründen. Hauptursache für die abweichende Relevanz der Oppositionsparteien war die im Betrachtungszeitraum verschobene Kräfteasymmetrie. Auch führte eine gewandelte Wählerstimmenkonkurrenz zu veränderten Wettbewerbsbeziehungen. Eine hypothetisch stark milieugebundene Wählerschaft hätte eine Stimmenkonkurrenz zwischen CDU und PDS weithin ausgeschlossen. Unter anderem das potenziell volatile Wahlverhalten, die große Zahl parteiungebundener Wähler und das ausgeprägte cross-class-voting ermöglichten jedoch den direkten elektoralen Wettbewerb zwischen CDU und PDS.
SPD
CDU
Tabelle 10: Landespolitische Gegnertypen und dominante Konkurrenzstrategie
SPD PDS CDU
PDS
PDS CDU SPD
1990 Hauptkonkurrent
1994 Hauptkonkurrent
1999 Hauptkonkurrent
2004 Nebenkonkurrent
Konfrontation Nebenkonkurrent
Konfrontation Nebenkonkurrent
Konfliktvermeidung Nebenkonkurrent
Konfliktvermeidung Hauptkonkurrent
Ablehnung Hauptkonkurrent
Instrumentalisierung Hauptkonkurrent
Konfliktvermeidung Hauptkonkurrent
Konfrontation Hauptkonkurrent
Konfrontation Nebenkonkurrent
Konfrontation Nebenkonkurrent
Konfrontation Hauptkonkurrent
Konfliktvermeidung Hauptkonkurrent
Ablehnung Nebenkonkurrent
Strategiemix Hauptkonkurrent
Konfliktvermeidung Hauptkonkurrent
Strategiemix Hauptkonkurrent
Konfliktvermeidung Nebenkonkurrent
Konfrontation Hauptkonkurrent
Konfrontation Hauptkonkurrent
Konfrontation Nebenkonkurrent
Instrumentalisierung
Kooperation
Konfrontation
Konfliktvermeidung Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Wie vermutet, waren die interparteilichen Wettbewerbsmuster zu komplex, als dass sie ein Raster aus Angriffs- und Konterstrategien hätte erfassen können. Das stattdessen herangezogene Wettbewerbsviereck aus Konfrontation, Instrumentalisierung, Kooperation und Konfliktvermeidung ermöglichte, die Interaktionen zwischen den Protagonisten klar zu charakterisieren. Überdies griffen CDU und SPD im Ausnahmewahlkampf 1990 der PDS gegenüber zu Ablehnungsstrategien. Diese unterschieden sich insofern von Konfrontationsund Konfliktvermeidungsstrategien, als dass sie den Akteur im politischen Wettbewerb nicht nur ignorierten, sondern ihn offensiv als legitimes Gegenüber ablehnten. (1) Konfrontationsstrategien prägten variantenreich jeden Landtagswahlkampf. Zunächst importierten 1990 die Bundesparteien von CDU und SPD ihre Konfliktmuster. Auf Landesebene fehlte es, von einigen Angriffen auf die Vergangenheit der CDU und von den Sozialismusvorwürfen an die SPD abgesehen, weitgehend an konfrontativen Elementen. Keine der Volksparteien verfügte über eine politische Bilanz, keine war in ihren zentralen Aussagen bzw. hinsichtlich ihres Personals für Negativkampagnen geeignet. Die einzige kompromisslose Frontstellung bestand in der Ablehnung der PDS durch CDU und SPD. Nach 1990 verfolgten die Oppositionsparteien verschiedene Konfrontationsstrategien gegen die Regierungspartei. Beide kritisierten die CDU in dem ihnen vertretbaren Maße, die PDS fundamental, die SPD moderat. Auffällig waren hierbei die unterschiedlichen Spielräume. Dämpfte der starke Regierungsanspruch der Sozialdemokraten deren Konfrontation, ver-
8.4 Konkurrenzkampagne
391
schärfte der starke Oppositionsanspruch der Postkommunisten diese. Die regierungsfähige SPD musste ihre Negativkampagne gegen die CDU aus Seriositätsgründen begrenzen, die regierungsunfähige PDS musste sie aus denselben Gründen maximieren. Während die SPD nach 1990 nur bedingt konfrontativ gegenüber der PDS auftrat, setzte die mit ihrer radikalen Polemik gegen die Bundes-SPD auf Konfrontation. Die CDU vermied überwiegend konkurrenzbezogene Auseinandersetzungen, ihre Kritik an Rot-Grün und an Rot-Rot ausgenommen. Sie favorisierte stattdessen (2) Instrumentalisierungsstrategien. Neben der offenen bundespolitischen Instrumentalisierung der Sozialdemokraten instrumentalisierte die CDU auf Landesebene in zwei Fällen verdeckt: 1994 bei der „Zuhilfenahme“ der PDS gegen die SPD; 2004 bei der „Zuhilfenahme“ der NPD gegen die PDS. Beide Male streute die CDU Feindbilder und (teilweise abstrakte) Bedrohungen mit dem Ziel der eigenen Nutzenmaximierung. Beide Male sollte die Instrumentalisierung den politischen Hauptgegner treffen. Beiläufig interessant ist, dass die Christdemokraten in ihrer Instrumentalisierung der PDS 1994 deren nicht zweifelsfrei linksextremistischen Charakter deutlich herausstellten und die Partei als Gefahr für die freiheitlich-demokratische Ordnung akzentuierten, während sie 2004 im Umgang mit der zweifelsfrei rechtsextremistischen NPD einzig von einem gefährdeten „Ansehen“ Sachsens sprachen. Die SPD verzichtete nach misslungenen Versuchen 1990 auf weitere Instrumentalisierungen. Die PDS griff durchgehend darauf zurück – etwa 1994 mit fingierten Kooperationsangeboten an die SPD, 1999 mit bundespolitischer Kritik (z. B. Kosovo-Krieg) zum Imageaufbau oder 2004 in Form einer demokratischen Selbstbeweihräucherung in der NPD-Diskussion. (3) Kooperationsstrategien blieben in allen Wahlkämpfen aufgrund der beschriebenen Wettbewerbsbeziehungen eine Ausnahme. Allein die PDS lancierte 1999 und 2004 eine Vor- und Nachwahlkoalition mit der SPD. Sie scheiterte am Widerstand der Sozialdemokraten, den Querelen um ihren Spitzenkandidaten und an der eigenen Radikalität. Die SPD war durchweg offen für eine Koalition mit der CDU und für eine verschieden umfangreiche politische Zusammenarbeit mit der PDS. Eine Vorwahlkoalition respektive eine Wahlkampfkooperation mit einer der Parteien strebte sie zu keinem Zeitpunkt an. Die Christdemokraten lehnten im Rahmen der Landtagswahlkämpfe jede Kooperation ab. (4) Konfliktvermeidungsstrategien waren das Markenzeichen der christdemokratischen Wahlkämpfe. Während für SPD und PDS wegen ihres Oppositionsstatus’, der ein offensives Vorgehen erzwang, Konfliktvermeidung gegenüber der Regierungspartei ausgeschlossen war, blendete die Hegemonialpartei ihre Konkurrenz vorrangig aus. Selbst 1994 und 2004, als Koalitionsfragen eine Rolle spielten und ihre absolute Mehrheit zu scheitern drohte, ignorierte die CDU den jeweils schwächeren Kontrahenten und widmete dem Hauptgegner nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig. Was Souveränität und Stärke symbolisierte, war hinter den Kulissen auch ein Instrument zur Kompensation finanzieller und organisatorischer Schwächen. Selbst den vergleichsweise gut situierten Christdemokraten fehlte der organisatorische Hintergrund für einen wirkungsvollen Angriffs- und Konterwahlkampf. Die Positivkampagnen der Regierungspartei banden die meisten Ressourcen. Entsprechend war es nicht nur politisch-strategisch bedingt, dass die Partei die Attacken ihrer Gegner ins Leere laufen ließ – 2004 mit für sie äußerst negativen Folgen.
9 Schlussbetrachtung
9.1 Zusammenfassung Die qualitative Längsschnittanalyse der sächsischen Landtagswahlkämpfe von CDU, SPD und PDS im Zeitraum von 1990 bis 2004 gründete auf einem zweidimensionalen komparativen Ansatz. (1) Zunächst verfolgte sie die Leitfrage nach den Gemeinsamkeiten und den Unterschieden bei der Wahlkampforganisation und -strategie sowie den Hauptkampagnen (Image, Themen, Konkurrenz) – im Vergleich aller Wahlkämpfe und im akteurszentrierten Vergleich der einzelnen Wahlkämpfe. Ferner interessierten mit Blick auf die Landtagswahlkämpfe – als Entitäten parteipolitischer Aktivität – deren spezifische Charakteristika sowie mögliche strukturelle, konzeptionelle und prozessuale Eigenheiten. (2) Parallel konzentrierte sich die Analyse auf die Parteien, eruierte hier Kontinuität und Wandel in der individuellen Entwicklung und in den Wettbewerbsstrukturen des Parteiensystems. Dieses anhand regelmäßiger Ereigniszeiträume, den Landtagswahlkämpfen, zu beleuchten, war insofern ertragreich, als die sich wandelnden inneren und äußeren Prozesse alle Akteure zu stetigen Modifikationen zwangen. Die Wahlkämpfe, mehr als ergebnisorientierte Auseinandersetzungen um Stimmen, beschrieben zentrale Zusammenhänge inner- wie interparteilichen Verhaltens, prägten den politischen Findungsprozess der Landesparteien, formten deren Charakter und generierten darüber hinaus ein Stück „erfahrbare politische Kultur“. Obwohl immer Momentaufnahmen, spiegelten sie (zugespitzt) den organisatorischen, strategischen und programmatischen Charakter ihrer Protagonisten wider. Als Zugang zur spezifischen Akteursarena erörterte Kapitel 2 mit dem Parteiensystem und der Wählerschaft in Ostdeutschland wichtige quantitative und qualitative Rahmenbedingungen. Zentral für die individuelle Entwicklung der Parteien im Freistaat und für deren Wahlkampfaktivitäten war das bundesweit einzigartige sächsische Parteiensystem. Nach einem CDU-dominierten Fünfparteiensystem (bis 1994) etablierte sich zwischen 1994 und 2004 ein hegemoniales Dreiparteiensystem mit polarisierter Doppelopposition. Einer mit absoluter Mehrheit ausgestatteten hegemonialen Regierungspartei (CDU) standen zwei zunächst gleichstarke, später in ihren Kräften klar asymmetrische Oppositionsparteien (SPD/PDS) gegenüber. Die absolute Stärke der CDU, die relative Stärke der PDS und die Schwäche der SPD prägten die sächsischen Landtagswahlkämpfe. Auch die Annahme von Alexander Thumfart, es komme in Ostdeutschland „zu dem erstaunlichen Phänomen, dass Parteien nicht gewählt werden, weil sie spezifische kollektive Interessen am besten vertreten, sondern weil man sie ganz persönlich unter einem rationalen Kalkül für effizient hält“,1 beschreibt symptomatisch die sächsische Situation: Die „effizienteste“ Partei war die regierende CDU, mit weitem Abstand gefolgt von der PDS, dahinter, weder äquivalente Herausforderin noch ebenbürtige Oppositionspartei, die SPD.
1
Thumfart (2002), S. 278.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Schlussbetrachtung
Neben der Funktion einer einführenden Reflexion über die zentralen Zusammenhänge und die wichtigsten Bestandteile von Wahlkämpfen (insbesondere die organisatorischen, strategischen und kommunikativen Eigenheiten von Landtagswahlkämpfen) erwies sich das in Kapitel 3 konstruierte Säulenmodell als praktikables Raster für die sich anschließende Deskription und den nachfolgenden Vergleich. Die Auffächerung nach organisatorischen und strategischen Konzeptionen sowie nach Hauptkampagnen (Image, Themen, Konkurrenz) eignete sich bestens, um Divergenzen und Konvergenzen ebenso wie Wandel und Kontinuität in den untersuchten Dimensionen abbilden zu können. Die Kapitel 4 bis 7 lieferten eine systematische Deskription der zwölf Analyseeinheiten. Zunächst ordnete jedes Kapitel die Wahlkämpfe in ihren polit-ökonomischen Kontext ein. Neben der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung im Freistaat Sachsen spielten hier die Einflüsse der umfassenden Systemtransformation (speziell 1990 und 1994) ebenso eine Rolle wie die des bundespolitischen Geschehens (speziell 1990, 1999 und 2004). Waren die vorauslaufenden Reflexionen u. a. für eine Interpretation der Wahlkampfstrategien und -themen unerlässlich, bereiteten die Wahlnachlesen den Boden für das Verständnis der weiteren strategischen, imageorientierten, thematischen und konkurrenzorientierten Ausrichtung der Parteien. Gleich der parteiensystemischen Spezifika hielt auch das sächsische Wahlverhalten wahlkampfrelevante Besonderheiten bereit – etwa den weit über das Jahr 1990 hinaus sehr hohen Zuspruch der Christdemokraten durch die Arbeiterschaft, die ab 1994 heterogene regionale Wählerverteilung der Sozialdemokraten oder die ab 1999 einsetzende sozialstrukturelle Modifikation der postkommunistischen Wählerschaft. In ihrem Kern rekonstruierten die empirischen Kapitel die wichtigsten parteibezogenen Zusammenhänge. Sie legten beispielsweise die Fundamente und Strukturen der erfolgreichen CDUPräsidialkampagnen, der gescheiterten SPD-Herausfordererwahlkämpfe und der zielführenden PDS-Oppositionsstrategien offen. Organisationsdefizite traten ebenso zutage wie geoder misslungene Kampagnenkonzeptionen. Wegen der breiten Quellenbasis war die zwar spärliche, aber bereichernde Sekundärliteratur kein Hindernis für die Darstellung, die überwiegend Neuland betrat und erstmals alle Wahljahre sowie die drei Parteien gleich gewichtete. Das Vorhaben, auf diese Weise mehr über den Objektbereich aussagen zu können als zu früheren Zeitpunkten, wurde realisiert. Die zentralen Ergebnisse für die forschungsleitenden strukturellen, prozessualen und inhaltlichen Dimensionen erbrachte das komparativ-analytische Kapitel 8. Der akteurszentriert-intertemporale und interparteiliche Zwei-Ebenen-Vergleich sowie das in den Kapiteln 4 bis 7 deskriptiv-analytisch angewandte Säulenmodell dokumentierten nicht nur die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Kampagnen sowie den Wandel innerhalb und im gegenseitigen Verhältnis der Parteien, sondern auch viele sächsische Eigenarten und allgemeine Merkmale der Landtagswahlkämpfe. Allen voran stand der konzeptionelle Rahmen verbunden mit der Frage nach den Wahlkampforganisationen und deren Modifikationen. Die Analysen stützen die Annahme: Bei Landtagswahlkämpfen handelt es sich um „low-key“-Kampagnen von nur begrenzter organisatorischer und finanzieller Kraft, mit eng angebundenen temporären Wahlkampforganisationen, geringen Interaktionsmöglichkeiten zwischen Organisation und Umwelt, einer schwer zu mobilisierenden, aber unabdingbaren Parteibasis, einem reduzierten Einsatz externer Politikvermittlungsexperten, einem kleinen Kreis direkt in das Kampagnemanagement Involvierter sowie mit einer intensiven horizontalen und vertikalen organisatorischen Verflechtung. Ungeachtet dessen wiesen CDU, SPD und PDS den Landtagswahlkämpfen
9.1 Zusammenfassung
395
einen hohen Stellenwert zu. Deren organisatorischer „low-key“-Status war weniger das Resultat gewollter, sondern vielmehr erzwungener finanzieller und struktureller Kontingentierungen. Im Jahr 1990 verwischten in der einmaligen Kombination aus westdeutschem Bundestagsvorwahlkampf, zentralem ostdeutschen Medienwahlkampf und dezentralem sächsischen Landtagswahlkampf traditionelle, moderne und postmoderne Elemente der Wahlkampforganisation und -führung. Danach verbanden Organisation und Umsetzung der Landtagswahlkämpfe vorrangig traditionelle Elemente auf lokaler Ebene und eine eher moderne Kampagnenführung auf Landesebene mit einzelnen Bausteinen postmoderner Wähleransprache. Wie die Arbeit zeigt, wandelten sich die sächsischen Landtagswahlkämpfe weg von einer „bemühten“ hin zur professionellen Wähleransprache. Erwies sich dabei der teilprofessionalisierte, überwiegend improvisierte Wahlkampf 1990 als organisatorisches Unikum, brachte die nachfolgende strukturelle Etablierung der Landesparteien den Auf- und Ausbau moderner Wahlkampfstrukturen. Hier befand sich die wegen ihrer Blockparteivergangenheit und der intensiven westdeutschen Strukturhilfe organisatorisch früh gefestigte CDU gegenüber der neugegründeten, von langwierigen strukturellen Konsolidierungsproblemen geplagten SPD rasch im Vorteil. Der PDS, obwohl von Anfang an mit einer dichten Parteistruktur versehen, bereitete die innerparteiliche Transformation erheblich Schwierigkeiten, die sich u. a. negativ auf die organisatorische Professionalisierung auswirkten. Insgesamt verfügten die 1990 noch weithin wahlkampfuntauglichen, zuweilen mit „primitiven Mitteln“ agierenden, in der Wahlkampfumsetzung von der Hilfe ihrer Bonner und Berliner Zentralen abhängigen Landesverbände im Jahr 2004 über professionelle Wahlkampforganisationen und ein modernes Kampagnenmanagement. Im Parteienvergleich ergaben sich u. a. als organisatorische Spezifika: Der zentral koordinierte, stark wahlkreisbezogene Ansatz der CDU unterschied sich von den zentral wie regional geplanten, koordinierten und realisierten Wahlkämpfen der PDS und der vorrangig zentralisierten Organisation der SPD. Alle Parteien setzten auf kurzfristig-temporäre Wahlkampforganisationen. Nur punktuell versuchten SPD und PDS, durch mittelfristige Strukturen Nachteile zu kompensieren, was nur bedingt gelang. Die Wahlkampforganisationen waren in der Regel direkt mit den Führungsstrukturen der Landesparteien verbunden und indirekt mit den Landtagsfraktionen verflochten. Auf (vor allem personelle) Fraktionsressourcen mochte keine Partei verzichten. Die Funktionen der Staatskanzlei waren kaum aufzulösen, beachtlich die Kommunikationsmöglichkeiten der Amtsinhaber. Eine organisatorische Eigenheit der Wahlkämpfe unter vielen stellten die Einflüsse der Bundesparteien dar. Wie die Arbeit zeigt, nahmen die Landesparteien insbesondere bei organisatorischen oder finanziellen Schwächen übergeordnete Dienste in Anspruch. So koppelte die gut organisierte „Sächsische Union“ nach 1990 ihre Wahlkampforganisation vollständig von der Bundesebene ab, während die von Struktur- und Kapazitätsdefiziten gezeichnete SPD (fast) durchweg bundespolitischer Hilfe bedurfte. Schließlich litten alle Parteien unter internen Mobilisierungsschwächen. War die geringe Basisunterstützung bei der SPD von Beginn an chronisch, verschärfte sich diese bei CDU und PDS schleichend. Gleichwohl erwies sich die Parteibasis in den Wahlkämpfen durchgehend als unerlässlich. Alternativen für eine Kampagnenführung ohne Mitglieder fehlten allen Akteuren – speziell auf Wahlkreisebene. Bei den Wahlkampfstrategien wies das Hegemonialparteiensystem ab 1994 deutliche landesspezifische Muster auf. Im Jahr der deutschen Einheit hatten CDU und SPD zunächst westdeutsche Regierungs- und Oppositionsstrategien importiert und sich mithilfe ihrer
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Schlussbetrachtung
Spitzenkandidaten als regierungserfahren präsentiert, ergänzt durch eigene landespolitische Strategien. Die PDS agierte 1990 teils ohne strategisches Konzept, teils versuchte sie, mit einer improvisierten Konsensus- und Partizipativstrategie ihre Optionslosigkeit und Isolation zu durchbrechen. In der Folge verfuhren die Christdemokraten nach einer souveränen Amtsinhaber- oder Regierungsstrategie, personenzentriert, mit wechselnden thematischen Schwerpunkten, geprägt vom unbedingten Regierungsanspruch. Die Doppelopposition gebar charakteristische Muster. Die SPD startete 1994 als personeller wie programmatischer Herausforderer mit einem starken Regierungsanspruch, der in der Folgezeit ebenso verblasste, wie die Herausfordererstrategien an Kraft verloren. Hingegen wechselte die Strategie der PDS von einer fundamentaloppositionellen Regierungskritik zum Ausbau der Oppositionsrolle (1994/99) hin zu einer – im Wahlkampfverlauf deutlich radikalisierten – Oppositionsstrategie mit dem Ziel einer (unwahrscheinlichen) Regierungsbeteiligung (2004). Klassische Herausfordererstrategien implementierte die SPD lediglich 1994, die PDS (mit Abstrichen) 2004. Indem die Sozialdemokraten 2004 und die Postkommunisten 1994/99 – obgleich verschieden motiviert – auf einen Regierungsanspruch verzichteten oder diesen nicht äußerten, widersprachen sie klassischen oppositionsstrategischen Annahmen. Dabei setzte die SPD auf eher moderate Regierungskritik und auf einen konstruktiven Oppositionswahlkampf mit Positivkampagnen, während die PDS eine bedingungslose Frontstellung zur CDU und scharfe Negativkampagnen aufbot. Im Wettbewerbsdreieck aus souveräner Regierungsstrategie (CDU), dominant konfrontativer (PDS) und quasi-gouvernementaler Oppositionsstrategie (SPD) unterlagen die Sozialdemokraten. Aufschlussreich waren die kurz- bzw. langfristigen Kernstrategien, nicht zuletzt wegen der neuartigen Betrachtungsweise. Die Parteien verfuhren nicht ausnahmslos stimmenmaximierend (z. B. SPD 1994/99), die Regierungsbeteiligung stand nicht im Mittelpunkt jeder oppositionellen Kampagnenstrategie (z. B. PDS 1990/94). Vielmehr kombinierten sie ihre Strategien individuell. Gemäß dem konstruierten hierarchischen Zielsystem aus Kernstrategien sekundärer und primärer Ordnung bediente die CDU eine kurzfristige Stimmenmaximierung zum Zweck des langfristigen Machterhalts. Auch die PDS setzte auf eine kurzfristige Stimmenmaximierung, verfolgte damit aber unterschiedliche langfristige Kernstrategien (1994/99 Oppositionsführerschaft, 2004 Regierungsteilhabe). Die SPD wich mit wechselnden lang- und kurzfristigen Kernstrategien vom Vorgehen ihrer Konkurrenten ab – ein Grund für ihre Schwäche. Auf die Frage nach der Ereignis- oder Zweckgebundenheit der Wahlkampfstrategien gab das Parteienhandeln klare Antworten. Die Sozialdemokraten führten alle vier Wahlkämpfe in erster Linie ereignisgebunden. Ihre Primärziele waren Wahlerfolg und Regierungsbeteiligung. Davon unterschieden sich die stark zweckgebundenen Kampagnen der PDS, die, indem sie den Wahlkampf als „Fortführung der Politik mit anderen (öffentlichen) Mitteln“ interpretierte, stets auch immaterielle Ziele verfolgte und die Wahlkämpfe zum Imageaufbau oder für ihre projektbezogene Kampagnenführung (1994: „Recht auf Arbeit“; 2004: „Hartz-IV“) nutzte. Die CDU agierte primär ereignisgebunden. Bot ein Wahlkampf Freiräume für den Imageaufbau (z. B. Instrumentalisierung des „Sächsischen“), dann verfuhr die „Kulturvierer-Partei“ zusätzlich zweckgebunden – etwa im Jahr 1999. Der Personalisierungsgrad der Wahlkampfstrategien divergierte zwischen den Parteien deutlich. Die Wahlkampfführung der CDU war von Anfang an auf Landes- wie auf Wahlkreisebene personalisiert, Strategie und Kommunikation waren auf die Spitzenkandidaten Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt konzentriert. Die SPD personalisierte weniger. Nach
9.1 Zusammenfassung
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intensiven Initiierungs- bzw. Herausfordererstrategien 1990 (Anke Fuchs) und 1994 (KarlHeinz Kunckel), jeweils stark individuell zugeschnitten, verzichtete sie ab 1999 auf einen Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt. Ihre Alternative in Form einer Kernmannschaft versagte. Im Gegenzug stieg der Personalisierungsgrad der PDS-Wahlkämpfe – bedingt durch den progressiven strategischen Wandel – stetig. Spitzenkandidat Peter Porsch rückte ab 1999 ins Zentrum der Kampagnenplanung, ohne deren Gravitationskern zu werden. Die Frage, inwieweit die Landtagswahlkämpfe (besonders die Wahlkampfstrategien) bundespolitischen Einflüssen unterlagen, erfuhr eine komplexe Antwort. Der Landtagswahlkampf 1990 war teils Bundestagsvorwahlkampf, teils geprägt von landespolitischen Elementen und ebenenübergreifenden Grundproblemen (Arbeit, Rente). 1994 folgte der „sächsischste“ der vier Landtagswahlkämpfe. Trotz des „Superwahljahres“ dominierten sächsische Themen und die landespolitischen Kampagnenlinien von CDU und SPD. 1999 instrumentalisierten CDU und PDS auf einem landespolitischen Fundament gezielt bundespolitische Sachverhalte. 2004 stand der Landtagswahlkampf erstmals unter bundespolitischer Ägide. Die Arbeitsmarktreform Hartz-IV verwickelte CDU und SPD in negative bundespolitische Debatten, aus denen die PDS als partielle Antisystem- und Protestpartei Vorteile zog. Die sächsischen Fälle widersprachen der These, Landtagswahlkämpfe stünden ganz im Schatten der Bundespolitik. Sie bestätigten jedoch die Annahme von der hohen Durchschlagskraft kurzfristig auftretender bundespolitischer Schlüsselereignisse. Alle Parteien erweiterten ihren dominant landespolitischen Anspruch um bundespolitische Legitimationsmuster und wurden, ob gewollt oder ungewollt, von diversen übergeordneten Einflüssen erfasst. Die Unterteilung in genuin-positive, genuin-negative, bewusstimplementierte und bewusst-ignorierte bundespolitische Faktoren offenbarte von 1994 bis 2004 akteursspezifische Abweichungen. Die Christdemokraten implementierten bewusst positive bundespolitische Faktoren in die Wahlkämpfe. Abgesehen vom Jahr 2004 vermied die Regierungspartei abträgliche übergeordnete Einflüsse. Im Hegemonialparteiensystem bestimmte sie bis zu einem gewissen Grad die bundespolitische Färbung der Wahlkämpfe mit, präsentierte sich unter Kurt Biedenkopf gar als sächsisches Korrektiv christ- (1994) und sozialdemokratischer (1999) Bundesregierungspolitik. Hingegen konnte die SPD kaum genuin-positive bundespolitische Faktoren in ihre Landtagswahlkämpfe einbinden, sie litt stattdessen durchweg unter genuin-negativen Einflüssen. Der PDS kam ihr doppelter Oppositionsstatus zupass. Sie nutzte positive bundespolitische Legitimierungsmuster und entzog sich genuin-negativen Einwirkungen. Indes gelang es der oppositionellen SPD nicht, übergeordnete Strategiebestandteile für sich nutzbar zu machen, während sich die PDS fast beliebig bundespolitischer Elemente bediente. Ergriff sie durchweg zur landespolitischen Delegitimierung der CDU alle sich ihr bietenden bundespolitischen Optionen, verzichtete die SPD, u. a. um ihren landespolitischen Regierungsanspruch zu untermauern (speziell 1994), auf bundespolitische Delegitimierungsstrategien. Die entlang der Kriterien Edwin Czerwicks betrachteten Zusammenhänge zwischen dem Grad der bundespolitischen Legitimierung im Landtagswahlkampf und den politischen Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene, ergaben markante Spezifika. So versucht beispielsweise eine Bundesoppositionspartei bei instabilen Mehrheiten im Bundestag nicht zwangsläufig, über bundespolitisch instrumentalisierte Landtagswahlen die Regierungskoalition im Bund zu schwächen. Überlagerte 1994 die landespolitische Herausfordererstrategie der SPD die bundespolitische Profilierungsoption, moderierte die CDU 2004 aus verschiedenen Gründen ihre Angriffe auf die geschwächte rot-grüne Bundesregierung.
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Schlussbetrachtung
Weiterhin entscheidet weniger die Intensität der politischen Polarisierung auf Bundesebene und mehr der Umfang der landespolitischen Debatte über das Ausmaß der bundespolitischen Einflüsse. So bewirkten der mögliche Regierungswechsel und die dominante landespolitische Transformationsthematik im Jahr 1994 die Konzentration auf landespolitische Legitimationsstrategien. Ein letztes Beispiel: Landtagswahlkämpfe mit unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Bundestagswahl folgen dieser kommunikativ und strategisch nicht zwangsläufig. Das hegemoniale sächsische Parteiensystem zwang den Kampagnen einen vorwiegend landespolitischen Charakter auf, selbst direkt vor einer Bundestagswahl (1994). Zur Analyse der im Wahlkampf kommunizierten Images erwies sich die Trennung zwischen Partei- und Kandidatenimage als fruchtbar. Wie die Arbeit zeigt, begründeten CDU und PDS ab 1994 einzigartige ideologische Wahlkampfimages, während die SPD auf diesem Gebiet scheiterte. Die CDU präsentierte sich als alternativlose Regierungspartei, firmierte als „Sächsische Union“ und beschwor eine sächsische Identität. Die PDS gerierte sich als konsequente Oppositionspartei, Garantin sozialer Gerechtigkeit und als sozialistisch-ostdeutsche Kümmererpartei. Die SPD unterlag auf dem Gebiet der „sozialen Gerechtigkeit“ der PDS, auf dem Terrain der „sächsischen Identität“ der CDU. Die kompetenzvermittelnden Parteiimages resultierten maßgeblich aus den strukturellen Verwerfungen des Hegemonialparteiensystems. Die Doppelopposition beförderte das Kompetenzmonopol der CDU und erschwerte ein geschlossenes kompetenzvermittelndes Parteiimage des jeweiligen Herausforderers (1994: SPD; 2004: PDS). Die Relevanz des strukturellen Images hing von den Parteistrategien ab. Besonders hervorzuheben ist jener Zusammenhang: Innere Geschlossenheit war allein bei einer angestrebten Regierungsteilhabe unerlässlich für eine positive Außenwahrnehmung im Wahlkampf. Erwies sich daher für die CDU ein positives strukturelles Image als existenziell, schadeten der regierungswilligen SPD ihre inneren Turbulenzen. Bei der PDS symbolisierten die zahlreichen inneren Konflikte Regierungsunfähigkeit, wirkten sich aber wegen ihres oppositionellen Anspruchs lange Zeit nicht negativ aus – im Gegenteil. Alle Parteien instrumentalisierten in ihren Rollenbildern eine sächsische Identität. Von der PDS rein taktisch genutzt, von der SPD zur Unterstützung ihrer Herausfordererstrategien gebraucht, bildete das „Sachsenimage“ den Kern der christdemokratischen Imagekampagnen. Dabei kollidierte die „sächsische Identität“ der CDU mit der „ostdeutschen Identität“ der PDS. Das Jahr 1990 ausgenommen, als sich Christ- und Sozialdemokraten eng an die Profile ihrer Westparteien banden, setzte in den Wahlkämpfen allein die „Sächsische Union“ auf vollständig „autochthone“ Rollenbilder. Die SPD bediente vorrangig landeseigene Images, lehnte sich aber ab 1998 an ihre Bundespartei an (z. B. „Reformpartei“). Als Konsequenz ihrer engen strategischen Anbindung an die Gesamtpartei übernahm die PDS primär deren zentrale Rollenbilder (z. B. „Friedenspartei“). Die zur Analyse der Kandidatenimages herangezogene Unterscheidung nach strategisch dependenten, semi-dominanten und dominanten Rollenbildern erwies sich als analytisch fruchtbar. Sie ergab abermals einen klaren „Frontverlauf“ zwischen der hegemonialen Regierungspartei und der Doppelopposition. So ordneten sich die Spitzenkandidaten von SPD und PDS entweder dem strategischen Gesamtkonzept unter oder sie waren wichtiger, aber nicht dominanter Kampagnenbestandteil. Die Wahlkampfstrategien der CDU folgten ab 1994 einzig den Rollenbildern ihrer Amtsinhaber. Ob der Kandidat oder die Partei im Mittelpunkt der Imagekampagne stand, hing generell von der Fähigkeit eines Kandidaten ab, Popularitätsboni auf seine Partei zu übertragen. War dies der Fall (CDU), dominierte der Spitzenkandidat bzw. dessen Rufbild die Kampagnenführung, traf es nicht oder nur be-
9.1 Zusammenfassung
399
dingt zu (SPD/PDS), ergänzte das personelle Rollenbild lediglich die Wahlkampfstrategie. Die Kandidatenimages unterschieden sich. Allein 1990 bedienten Anke Fuchs und Kurt Biedenkopf ähnliche Rollenbilder. In der Folge überragten die souveränen Amtsinhaberdie schwachen Herausfordererimages. Selbst in ihrer jeweiligen Hochphase (SPD 1994; PDS 2004) waren die Herausforderer gegenüber den Amtsinhabern nicht konkurrenzfähig. Die „Doppelköpfigkeit“ der Opposition war ihre zentrale Schwäche. Hinzu kam die superiore Imagesetzung durch Kurt Biedenkopf. Die christdemokratischen Wahlkämpfe verfuhren (1990 ausgenommen) nach einer lupenreinen imageorientierten Personalisierungsstrategie. Biedenkopfs Präsidentialisierung, seine Rolle als Landesvater („König Kurt“) und die hohen Kompetenzzuschreibungen bescherten dem Amtsinhaber einen einzigartigen Nimbus. Seine Integrationskraft war lagerübergreifend, die Herausforderer waren samt ihrer Rollenbilder chancenlos. Die Themenkampagnen dienten (anders als angenommen) weniger der kurzfristigen Anpassung an das Wahlkampfumfeld, sondern waren eher mittelfristig konzipiert. Während die Themen Arbeitslosigkeit, gefolgt von der wirtschaftlichen Situation und der Forderung nach sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit durchgehend die Wahlkämpfe beherrschten, spielten mit der inneren Sicherheit (1994/99) und Schule/Bildung (2004) originär landespolitische Felder keine kontinuierlich hervorgehobene Rolle. Entsprechend setzte die CDU ausnahmslos auf Wirtschaft und Arbeit sowie innere Sicherheit als Gewinnerthemen, die PDS ab 1999 allein auf soziale Gerechtigkeit. Die SPD litt abermals unter einer fehlenden Exklusivität. Bei der ebenfalls beleuchteten strategischen Einbindung der Themenkampagne in den Wahlkampf überraschte die PDS, die als (vermeintliche) Policy-Seeking-Partei (außer 1994) die Inhalte ihren kurzfristigen Stimmenmaximierungsstrategien unterordnete. Am stärksten schnitt die CDU ihre Themenkampagnen auf ihre kurzfristige Stimmenmaximierung zu. Allein bei der SPD unterstützten sie vorrangig Programmverwirklichungsansprüche (speziell 1994/99). Aus diesem Grund variierte der Anspruch der Wahlprogramme bei den drei Landesparteien stark. Kern der thematischen Betrachtungen waren die wirtschaftspolitischen Konzeptionen. Sie dienten den Akteuren dazu, intern wie extern eine klare Vorstellung zu vermitteln, in welchem Ordnungsrahmen sich ihre Wirtschaftspolitik bewegt, welche Ziele sie verfolgt und welche Mittel sie anwendet. In toto vertrat die CDU ab 1994 eine liberal-marktwirtschaftliche, die SPD eine interventionistisch-marktwirtschaftliche, die PDS eine interventionistisch-kollektivwirtschaftliche Konzeption. Zunächst hatten sich die Parteien 1990 auf der postsozialistischen Konfliktachse als Anhänger marktwirtschaftlicher (CDU/SPD) oder sozialistischer (PDS) Ansätze konstituiert. Während in der Folge die CDU an einer liberalen Variante der Sozialen Marktwirtschaft festhielt, die „individuelle Freiheitsspielräume“ vor „soziale Ziele“ stellte, richtete die SPD ihre interventionistische Spielart stärker am Gerechtigkeitsziel aus. Die von der PDS geforderte sozialistische Wirtschaftsform lief u. a. wegen ihres sozialen Imperativs einer (Sozialen) Marktwirtschaft zuwider. Die wirtschaftspolitischen Konzeptionen bildeten folglich weit mehr als eine bloße „Konkurrenz der Nuancen“ ab. Insbesondere CDU und PDS unterschied eine „Konkurrenz der Konzepte“. Alle Parteien begründeten schon in ihren Situationsanalysen divergente Lesarten – durchweg positive (CDU), dosiert kritische (SPD) oder fundamentalkritische (PDS). Band ihr Regierungsanspruch die SPD an tragfähige Situationsanalysen, lief die Oppositions- und Antisystemhaltung der PDS lange Zeit auf pauschale Negativdarstellungen hinaus. Vermieden die Christdemokraten Kritik an der Marktordnung, bildeten System-
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Schlussbetrachtung
und Konzeptionskritik ab 1994 den Kern der postkommunistischen Situationsanalyse. Gleich der SPD verwarf die PDS die wirtschaftspolitische Konzeption der Regierungspartei. Anders als die SPD lehnte sie zudem die dahinterstehenden marktwirtschaftlichen Ordnungsansätze ab. Die konzeptionellen Unterschiede in den Ordnungsprinzipien waren mitunter signifikant. Wie die Einordnung gemäß der Typologie zeigt, verlief die wesentliche konzeptionelle Trennline zwischen CDU und SPD einerseits und der PDS andererseits. Siedelte das christdemokratische Ordnungskonzept an der Peripherie von wettbewerbsgesteuerter und global- bzw. verteilungsgesteuerter Marktwirtschaft, entsprachen die sozialdemokratischen Entwürfe primär einer verteilungsgesteuerten Marktwirtschaft. Die Ansätze der Postkommunisten können nach einer Dekade der Konzeptionslosigkeit dem Sondertypus der sozialund verteilungsgesteuerten, marktkoordinierten Kollektivwirtschaft zugeordnet werden. In Fragen der Ordnungsidee, der Ordnungsform, der Rolle des Staates, der Koordinations- und Subordinationsprinzipien sowie der Eigentumsparadigmen kristallisierten sich deutlich die divergenten Ansätze von CDU und PDS heraus. Die SPD füllte eine Mittelposition aus, obgleich ihre Konzeption – im Unterschied zu jener der PDS – klar auf dem Boden einer Wettbewerbsordnung stand. Ferner offenbarten die gesamtwirtschaftlichen Zielsysteme Konvergenzen bei CDU und SPD (Wachstum/Verteilung) sowie eine „Außenseiterrolle“ der PDS. Gemeinsam war den Akteuren die hohe, wenngleich unterschiedliche Bedeutung von Stabilitäts- und Strukturzielen. Divergenzen ergaben die gesellschaftlichen Ziele: Der auf Freiheit und Fortschritt basierenden christdemokratischen Zielanordnung standen ein durch den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit geprägtes sozialdemokratisches und ein der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit untergeordnetes postkommunistisches Zielsystem gegenüber. Am stärksten konvergierten die Parteien im Bereich ihrer strukturpolitischen Methoden. Ähnliche Problemwahrnehmungen und die Begrenztheit der Instrumentarien bewirkten hier größere Schnittmengen (z. B. Mittelstandsförderung). Hingegen stand beispielsweise in Fragen der regionalen Strukturpolitik die CDU-„Leuchtturmpolitik“ im Kontrast zu den Dezentralisierungsforderungen von SPD und PDS. Ebenso unterschieden sich 1990 zunächst die Vorschläge zur ökonomischen Transformation (die PDS wollte Strukturen erhalten, die SPD anpassen, die CDU gestalten). Parallel forderten alle Parteien die „Erhaltung der industriellen Kerne“. Wartete die SPD stets mit umfangreichen strukturpolitischen Vorschlägen auf, beschränkte sich die CDU auf notwendige Grundlinien. Die strukturpolitische Konzeption der PDS war bis 1999 versatzstückhaft, danach betont regionenbezogen. Deutlicher divergierten die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Ansätze. Während die Regierungspartei konstant auf aktive und angebotsorientierte Elemente setzte, dominierten bei der PDS nachfrageorientierte Konzepte. Die SPD kombinierte aus beiden. Drang etwa die CDU in allen Fällen vorrangig darauf, die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum zu verbessern, forderte die SPD zusätzlich mehr öffentliche Beschäftigung. Die PDS hob sich mit ihrer Prämisse, es sei Aufgabe des Staates, Arbeitsplätze zu schaffen („Recht auf Arbeit“), deutlich von den ökonomiezentrierten Konzepten ihrer Konkurrenten ab. Insgesamt glichen sich CDU und SPD in ihren Auffassungen zur Notwendigkeit aktiver und angebotsorientierter Politikkonzepte, während hinsichtlich nachfrageorientierter und passiver Konzepte SPD und PDS größere Schnittmengen aufwiesen. In der zentralen Frage, ob es sich bei den Konzeptionen der Parteien um rationale Konzepte handelte, musste wegen des komplexen Gegenstands nach interner und externer
9.1 Zusammenfassung
401
Konzeptrationalität unterschieden werden. Demnach waren die Konzeptionen der CDU im internen Zusammenspiel ihrer Komponenten (außer 1990) und in ihrer externen Dimension (außer 2004) rational. Wich die Partei von ihrer Konzeption ab, diente dies primär der Anpassung an reale Erfordernisse und damit dem Machterhalt. Sie entsprach dann den „subjektiven Handlungsrationalitäten“. Ebenso vertrat die SPD intern (1990 und 2004 waren ihre Konzepte nur teilrational) wie extern (außer 2004) rationale Konzepte, die ihren Regierungsanspruch untermauerten. 1990 waren beider Konzeptionen, da diese u. a. ungefiltert die westdeutsche Soziale Marktwirtschaft auf das Transformationsland Sachsen übertrugen, nur teilrational. 2004 verfehlten sie die reale Stimmungs- und Problemlage. Hingegen lancierte die PDS in ihrer internen Dimension weitgehend widersprüchliche und somit irrationale Konzepte, die wegen des oppositionellen Anspruchs der Partei durchaus externe Rationalität aufwiesen. Ihre sozialistischen Ziel- und Ordnungsutopien widersprachen klar der existierenden Marktordnung genauso wie den von der Partei veranschlagten marktwirtschaftlichen Methoden, bekräftigten aber den externen Habitus der linken Oppositions- und Protestpartei. Die Konkurrenzbeziehungen besaßen ab 1994 komplexe landeseigene Charakteristika. Einzig im Jahr der deutschen Einheit waren bei CDU und SPD doppelte Konkurrenzstrukturen erkennbar – die Landesparteien moderierten ihren Konfrontationskurs, die Bundesparteien polarisierten. In der Folge traf die Annahme, eine Oppositionspartei setze automatisch auf Konfrontation, während eine Regierungspartei stärker defensiv agiere, nur bedingt zu. Vielmehr determinierte das hegemoniale Parteiensystem das Akteurshandeln. Es kam zu „sächsischen Strukturen der Parteienkonkurrenz“. Wie eingangs angenommen, bewirkte eine moderate Programmkonkurrenz mehrheitlich eine starke Wählerstimmenkonkurrenz, während eine starke Programmkonkurrenz den direkten elektoralen Wettbewerb eher abschwächte. Demgemäß war das Verhältnis zwischen CDU und SPD (außer 2004) das zweier Hauptkonkurrenten. CDU und PDS standen in einer überwiegend äquidistanten, teils instrumentalisierten Nebenkonkurrenz. Erst im Jahr 2004, nach der strategischen Neuausrichtung der Postkommunisten, waren beide politische Hauptkonkurrenten. SPD und PDS bewegten sich in einer ambivalenten Beziehung aus Abneigung und Kooperation. Insgesamt zwang das „Dreiecksverhältnis“ jedem Akteur zwei Konkurrenzstrategien auf. Eine Konstellation, die CDU und PDS aufgrund ihrer parteiensystemischen Lage meisterten, während der SPD ihre doppelte Wählerstimmenkonkurrenz nicht nur die an sich zentrale Auseinandersetzung mit der Regierungspartei erschwerte. Die an Substanz schwachen Sozialdemokraten wurden in ihrer Mittellage von beiden Seiten aufgerieben. Das Wettbewerbsviereck aus Konfrontation, Instrumentalisierung, Kooperation und Konfliktvermeidung ermöglichte, die Interaktionen der drei Parteien sinnvoll zu strukturieren und abzubilden. Dabei ließen allein CDU und PDS ebenso klare wie konstante Schemen erkennen. Der hegemoniale Status der Einen bewirkte den vorrangigen Einsatz von Konfliktvermeidungsstategien, der radikale Charakter der Anderen ließ diese Konfrontationsstrategien bevorzugen. Wandte sich die CDU nur dann ihren politischen Gegnern zu, wenn deren Angriffe einen Konter erforderten oder eine Konfrontation bzw. eine Instrumentalisierung Vorteile versprach, verließ die PDS ihren Konfrontationskurs nur, wenn ihr Instrumentalisierungs- oder Kooperationsstrategien günstig schienen. Unter anderem als Folge ihres vorwiegend konstruktiven Oppositionsverständnisses und ihrer doppelten Konkurrenzsituation setzte die SPD auf moderate Konfrontations- und verdeckte Kooperationsstrategien. Sie unterlag damit den dominanten Strategien ihrer Konkurrenten.
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Schlussbetrachtung
In fast allen untersuchten Punkten überraschten die partiell ähnlichen Vorgehensweisen von CDU und PDS. Trotz disparater Ziele und einer massiven habituellen und ideologischen Divergenz, kam es zu offenkundigen Parallelen in der Wahlkampfführung. Beide Parteien positionierten sich wegen ihrer stimmenmaximierenden Kernstrategien und ihres klaren Regierungs- oder Oppositionsstatus auf ähnliche Weise. Während CDU und SPD eher im Regierungsanspruch, in ihren positiv konnotierten Kampagnen und in ihren Inhalten konvergierten, initiierten CDU wie PDS zweckgebundene Wahlkämpfe, etablierten dominante Strategien, legitimierten sich bundespolitisch, verfügten über klare ideologische Images und eindeutige Konkurrenzstrategien. Zusammengenommen avancierte der sächsische Landtagswahlkampf nicht von einer altruistischen „Diskussionsveranstaltung“ (Kurt Biedenkopf) um die besten Ideen und Köpfe 1990 hin zu einer erbitterten Auseinandersetzung um die Regierungsmacht im Jahr 2004. Vielmehr dominierte der politische Machtkampf von Anfang an. Konstante wie variierende, konvergente wie divergente Organisationen, Strategien, Ziele, Rollenverteilungen, Personen und Themen verliehen allen Wahlkämpfen eigene Charakteristika. So war jener von 1990 im Stil eher ein Wahlkampf des Gesprächs, in der Zielrichtung aber zweifelsfrei machtorientiert. CDU und SPD fochten um die politische Führung, die SED-Nachfolgerin gegen ihre politische Isolation. In der Folge drückten die Christdemokraten den Landtagswahlkämpfen ihren Stempel auf. Prägten ihre präsidentialisierten Kampagnen die öffentliche Aufmerksamkeit, formte dies zugleich den Wahlkampfcharakter (1994/99). Erreichte die CDU keine Kommunikationshoheit, rückte die radikale Wahlkampfführung der PDS in den Vordergrund (2004). Wahlkämpfe um die Regierungsmacht waren stets rauer. Zum Beispiel handelte es sich 1994 um eine in Teilen polarisierte Auseinandersetzung zwischen CDU und SPD, ergänzt durch einen offensiven „Behauptungswahlkampf“ der PDS. Einen diesbezüglichen Höhepunkt bildete der von der PDS äußerst aggressiv, von CDU und SPD mit Härte geführte Wahlkampf 2004. Seine polarisierenden Eigenheiten waren ein allseitiger Angriff auf die angeschlagene Regierungspartei und eine rüde PDS-Kampagne gegen CDU und SPD. War hingegen ein Sieg der Christdemokraten gewiss (1999), widmete sich die Doppelopposition vorrangig dem Kampf um die Oppositionsführerschaft, während die Regierungspartei Souveränität demonstrierte. Die vergleichende Analyse der sächsischen Landtagswahlkämpfe zwischen 1990 und 2004 offenbarte dynamische Wettbewerbsmuster. Die kontinuierliche Dominanz der CDU, der sukzessive Niedergang der SPD und der stete Aufstieg der PDS determinierten maßgeblich die strukturellen, konzeptionellen und prozessualen Spezifika der Wahlkämpfe. Überwogen bei der CDU die Kontinuitäten den Wandel, wirkten ab 1994 in den oppositionellen Reihen ständige Veränderungsprozesse. Die Vormacht der Christdemokraten katalysierte ebenso deren eigene Entwicklung wie die ihrer Konkurrenten. Die „Sächsische Union“ war nicht nur wegen ihrer absoluten Mehrheit Hegemonialpartei. Sie fungierte vielmehr als gewichtiger Teil eines „Sächsischen Weges“ (Ulrich Brümmer). Auf Basis ihrer strukturellen Wählermehrheit, der starken Regierungsrolle, populärer Amtsinhaber und nicht zuletzt der von ihr forcierten sächsischen Identität schuf sie ihr politisches Refugium und determinierte den Wettbewerbsraum ihrer Konkurrenten. Ebenfalls Teil dieses „Sächsischen Weges“ waren die Sozialdemokraten, die peu à peu auf das strukturelle und elektorale Niveau einer Kleinpartei fielen. Die Neugründung war von nur geringer Gestalt, organisatorisch schwach, strategisch fehlerbehaftet, personell zwar qualifiziert, aber unpopulär. Nicht nur, dass die CDU reihenweise ihre Kernklientel (Arbeiter) band – vielmehr bewirkten massive
9.2 Ausblick und offene Fragen
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negative Bundeseinflüsse und die starke PDS-Konkurrenz eine eklatante landespolitische Schwäche der SPD. Anfang der 1990er Jahre von den meisten Beobachtern totgesagt, stiegen die Postkommunisten zur zweiten parteipolitischen Kraft im Freistaat auf. Sie nutzten ihre Chance und fanden zunächst als fundamentaloppositionelle „Ostpartei“ weithin Gehör. Danach erschlossen sie sich durch ihre sozial-populistische Agitation sukzessive verdrossene oder sozial deprivierte Wählerschichten. Das geringe öffentliche Vertrauen in ihre Spitzenkandidaten, die dürftigen Kompetenzzuschreibungen durch die Bürger, ihr in Teilen extremistischer Charakter, ihr oft radikales Auftreten und ihre innere Zerstrittenheit schadeten der PDS in den Landtagswahlkämpfen nicht. Sie prägte den „Sächsischen Weg“ mit.
9.2 Ausblick und offene Fragen Wolfgang Pauli, Nobelpreisträger für Physik, äußerte einst zur Interaktion von Verständnis und Vorhersage: „,Verstehen’ heißt doch wohl ganz allgemein: Vorstellungen, Begriffe besitzen, mit denen man eine große Fülle von Erscheinungen als einheitlich zusammenhängend erkennen, und das heißt: ,begreifen’, kann. [...] Die Fähigkeit zum Vorausberechnen wird oft eine Folge des Verstehens, des Besitzes der richtigen Begriffe sein, aber sie ist nicht einfach identisch mit dem Verstehen.“2 Die in dieser Arbeit ermittelten Zusammenhänge und Ergebnisse qualifizieren weniger für eine valide Vorhersage, mehr für die stichhaltige Erklärung der nachfolgenden sächsischen Landtagswahlkämpfe. Ursächlich für die verminderte Prognosefähigkeit ist nicht zuletzt, dass die Analyse primär einem Verständnisziel folgte, indem sie in einem vorher abgesteckten Rahmen spezifische Prozesse rekonstruierte und verglich. Vorausdenken, von Bertrand de Jouvenel einst apodiktisch als „unerlässliche Fachaufgabe“3 der Politikwissenschaft deklariert, war nicht Intention der Arbeit. Dennoch: Die Studie bietet eine solide Prognosegrundlage im Detail, ist darüber hinaus aber in ihrer Prognosefähigkeit begrenzt. Schließlich handelte es sich bei den sächsischen Landtagswahlkämpfen um situativ fluktuierende Untersuchungsgegenstände, was triftige Vorhersagen erheblich erschwert. Alle Fälle bargen neben einer unkalkulierbaren Mischung aus persönlicher wie parteilicher virtù und fortuna kurzfristige interne Wendungen und unvorhersehbare externe Einflüsse. So wie der gesamte Wahlkampfverlauf 1990 unsicher war, war es 1994 anfangs nicht ersichtlich, dass die christdemokratische Amtsinhaberkampagne derart positiv aufgenommen und die sozialdemokratische Herausfordererkampagne wirkungslos bleiben würde. Anfang 1999 war der spätere bundespolitische Stimmungsumschwung, der CDU und PDS positive Spielräume eröffnete, während er die Strategie der SPD konterkarierte, nicht erkennbar. Zwei Beispiele, die bewusst über das Jahr 2004 hinausgehen und den Wahlkampf 2009 als Referenz heranziehen, untermauern das Situative und begründen das Vorhersageproblem: (1) 2004 hatten starke externe Brüche (Debatte um Hartz-IV), ob gewollt oder ungewollt, in jedem Fall unvorhersehbar, die mittelfristig konzipierten Wahlkampfstrategien aller Akteure durchkreuzt. Anfang 2009 war der Grad an bundespolitischer Durchdringung des kommenden Landtagswahlkampfes als hoch einzuschätzen (kaum dominante Landesthemen; kein über die Maßen populärer Landesvater; die Landesregierungsparteien waren 2
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Wolfgang Pauli zitiert nach: Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik, 3. Aufl., München 1976, S. 45 f. Bertrand de Jouvenel (1965): Politische Wissenschaft und Vorausdenken, in: PVS 6 (1965), S. 2-19, hier S. 3.
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Schlussbetrachtung
zugleich Bundesregierungsparteien), der spezifische Wahlkampfcharakter indes kaum zu taxieren. Schließlich ging von der Wirtschaftskrise und dem Konjuktureinbruch im produzierenden Gewerbe ein unwägbarer externer Einfluss aus. Dass alle Parteien die „Finanzkrise“ und deren ökonomische wie soziale Auswirkungen frühzeitig in ihre Programme integriert hatten, wies auf deren Bedeutung für den Landtagswahlkampf hin. In welchem Umfang, mit welchen Frontverläufen, ob sachlich oder hitzig diskutiert und nicht zuletzt zu wessen Vorteil dies wirken würde, war jedoch ungewiss. Vieles erinnerte in der ersten Jahreshälfte 2009 an die trügerische Ruhe zu Beginn des Jahres 2004 – vor den Massenprotesten gegen Hartz-IV und den aggressiven Wahlkampagnen von PDS und NPD. Ein negativer Stimmungsumschwung war ebenso unvorhersehbar wie die Tatsache, dass er ausblieb. Im Wahlkampf mangelte es an landespolitischen Streitthemen, bundespolitische Hochkonfliktthemen und die Weltwirtschaftskrise spielten (überraschend) keine dominierende Rolle. Der souveränen, weithin auf Ignorierung getrimmten Kampagne des Amtsinhabers hatten die Herausforderer personell wie thematisch kaum etwas zu entgegnen. Krise und schlechte Stimmungslage ließen Parteienscharmützel ohnehin unangebracht erscheinen. Zudem dämpfte die doppelte Konstellation einer CDU/SPD-Regierung auf Bundes- wie auf Landesebene mögliche Konfrontationen beider Parteien, während Die Linke4 für einen glaubwürdigen Regierungsanspruch ihren Stil mäßigte. (2) 2004 hatten plötzliche interne Brüche (Skandalisierung der DDR-Vergangenheit von Peter Porsch) den Wahlkampf massiv beeinflusst, die auch 2009 nicht auszuschließen waren – etwa ein Abgleiten in polarisierte Diskussionen über die DDR-Diktatur. Ende 2008 bewiesen die aufgeregte Debatte um die politische Rolle des amtierenden Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich5 in der DDR und dessen Umgang damit unvermittelt die Sprengkraft solcher Themen. Das Mitte Juni 2009 vom SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle vorgelegte Buch zur Blockparteivergangenheit sächsischer Christdemokraten,6 das ausführlich Tillichs Biografie beleuchtete, und der nachfolgende Parteienstreit 7 ließen ebenfalls eine im Wahlkampf fortgesetzte Kontroverse vermuten. Dass zudem fast alle Parteien anlässlich des 20. Jahrestags der friedlichen Revolution Konzepte zur Deutung des epochalen Umbruchs lancierten, Die Linke am 28. März 2009 eine inner- wie außerparteilich umstrittene Konferenz zum Thema „Der Herbst 1989 in Sachsen – Wir sind das Volk“8 abhielt und das Marxistische Forum Sachsen eine „Erinnerungsschlacht um die DDR“9 ausgerufen hatte, machte eine Instrumentalisierung des DDR-Themas im Wahlkampf wahrscheinlich. Auch hier verlief die heiße Wahlkampfphase, nach heftigen Diskussionen im Vorwahlkampf, aus verschiedenen Gründen unerwartet ruhig: Nolles Skandalisierungsversuche verebbten mit 4
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WASG und PDS fusionierten in Sachsen auf ihrem ersten gemeinsamen Parteitag am 14./15. Juli 2007 zum sächsischen Landesverband der Partei Die Linke. Vorsitzende blieb bis 2009 Cornelia Ernst. Tillich war u. a. 1989 Mitglied im Kreisvorstand der CDU-Kamenz und ab Mai 1989 Stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz. Vgl. einerseits Uwe Müller: Tillichs Vergangenheit bringt CDU in Erklärungsnot, in: http://www.welt.de [Stand: 21. November 2008]. Andererseits: Manfred Wilke/Udo Baron 2009): Die Kampagne gegen Stanislaw Tillich, in: Die Politische Meinung 54 (2009) Nr. 473, S. 49-54. Vgl. Karl Nolle (2009): Sonate für Blockflöten und Schalmeien. Zum Umgang mit der Kollaboration heutiger CDU-Funktionäre im SED-Regime, Dresden. Vgl. Uwe Kuhr: Das Tauziehen um die Vergangenheit von Stanislaw Tillich geht weiter, in: FP vom 3. Juli 2009. Vgl. Konferenz der LINKEN zum Herbst 1989 am 28. März in Dresden „Der Herbst 1989 in Sachsen – Wir sind das Volk“, in: http://portal.dielinke-in-sachsen.de [Stand: 20. September 2009]. Vgl. Ekkehard Lieberam/Roland Wötzel: Nützliches Zerrbild/Reale Alternative. Die Gegenwart der DDR. Ein Beitrag in der „Erinnerungsschlacht“, in: Junge Welt vom 26. und 27. November 2008.
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Wahlkampfbeginn ob ihrer Durchsichtigkeit. Sie verstießen gegen die strategische Linie der SPD. Seine Argumente schadeten den Sozialdemokraten, erwies sich doch die Bevölkerung eher als desinteressiert, empfand das Thema mehrheitlich als für den Wahlkampf ungeeignet.10 Nicht zuletzt hatte die mediale Skandalisierung von Tillichs DDR-Vergangenheit die Erfolglosigkeit eines solchen Unterfangens aufgezeigt. Nach einer zuerst ungeschickten Außenkommunikation der Staatskanzlei hatte Tillich schließlich in einer Mischung aus Beschönigung, vorgeblichem Vergessen, persönlicher Reue und ostdeutscher Identitätsbeschwörung gegen westliche Ressentiments die Flucht nach vorn angetreten und damit das Thema weitgehend isoliert. Schließlich übten sich auf diesem Gebiet alle drei Parteien in Zurückhaltung – die CDU, um negative Diskussionen um ihren Spitzenkandidaten zu verhindern, die SPD, der die Thematik in ihrem Bemühen um CDU-Wähler schadete, Die Linke, um ihre Vergangenheit zu kaschieren. Da sich vor allem CDU und Die Linke (aus unterschiedlichen Gründen) über Monate öffentlich vorgehalten hatten, die DDR-Vergangenheit zu instrumentalisieren, verlor die Thematik im Wahlkampf an Kraft. Jenseits der Situativeffekte ist im Jahr 2004 mit dem Dreiparteiensystem die zentrale Ausgangslage der Untersuchung weggebrochen. Die Begrenzung des Gegenstands war für den Zeitraum 1990 bis 2004 aus den genannten Gründen rational und erkenntnisorientiert. Indem die Arbeit die in Sachsen zu dieser Zeit auf Landesebene weithin belanglosen Kleinparteien ausblendete, schärfte sie den Blick auf die wesentlichen Akteure. Der vierte Wahlausgang schwächte die Wettbewerbsmuster ab, die forschungsleitend und in vielerlei Hinsicht konstitutiv für die ermittelten Zusammenhänge und Strukturmerkmale waren. Die auf Basis des hegemonialen Dreiparteiensystems eruierten Ergebnisse hätten bei Systemkontinuität eine konstante Betrachtungsgrundlage (historische Analogie) und eine hohe Prognosefähigkeit unter veränderten Rahmenbedingungen ermöglicht. Stattdessen verschob die neue Akteurskonstellation die Wettbewerbsmuster zwischen den Parteien, was eine qualifizierte Vorausschau auf den Wahlkampf des Jahres 2009 erschwerte. Die CDU blieb die hegemoniale politische Kraft. Ihre Suprematie spielte die Partei in einem unverändert personenzentrierten Wahlkampf erwartungsgemäß routiniert aus. Ihre Regierungsrolle war trotz der Koalition überraschend dominant. Der größte, von der CDU mit zu verantwortende Skandal in der sächsischen Regierungsgeschichte, die Pleite und der Verkauf der Sächsischen Landesbank Ende August 2007, der mit etwas Zeitverzug im Mai 2008 die Regierung Milbradt beendet hatte, fiel im Wahlkampf (anders als erwartet) nicht auf die CDU zurück – wohl auch deshalb, weil der Übergang von Georg Milbradt auf Stanislaw Tillich ebenso plötzlich wie leise geschehen war. Vor allem aber, weil die strukturell unverändert schwachen, hinsichtlich der Krise der Christdemokraten überraschend defensiv agierenden Sozialdemokraten daraus keinen Nutzen zu ziehen vermochten. Die SPD hatte lange Zeit Probleme gehabt, sich als Regierungspartei zu profilieren. Manchen ihrer Abgeordneten war dies bis zuletzt nicht gelungen. Auch hatte sie während der Legislaturperiode einige überzogene Wahlversprechen relativieren müssen. Entsprechend schwer fiel der Partei das Regierungsimage im Wahlkampf. Ihre Regierungsrolle war wenig erkennbar, ihre Regierungsmitglieder waren überraschend unauffällig, die Umfragewerte von bis zu 20 Prozent verflogen 2009 schnell. Die Herausfordererkampagne der früheren PDS, die mehr denn je als zweitstärkste Partei und „linke“ Oppositionsführerin mit Regierungsanspruch agierte, war daher erst mit der von Anfang 2009 an sehr wahrscheinlichen „bürgerlichen“ 10
Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2009): Wahl in Sachsen. Eine Analyse der Landtagswahl vom 30. August 2009, Mannheim, S. 23.
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Schlussbetrachtung
Mehrheit aussichtlos, die Partei erneut ohne realistische Machtoption. Auch hatte Die Linke an der von ihr ab Mai 2007 skandalisierten „Sachsen-Sumpf-Affäre“ über ein (vermeintliches) Korruptionsnetz im Freistaat, was sich am Ende als „heiße Luft“11 erwiesen hatte, in ihrer angestrebten Seriosität Schaden genommen. Noch immer widersprach ihr radikaler bzw. populistischer Habitus der angestrebten und geäußerten Regierungsfähigkeit. Im direkten Verhältnis von CDU, SPD und Die Linke erwuchs aus dem langjährigen Gegenüber von hegemonialer Regierungspartei und asymmetrischer Doppelopposition ein verschobener Kernwettbewerb aus asymmetrischer Regierungskoalition und dominanter Opposition. Gleichwohl bildete dieses neue „Dreiecksverhältnis“, in dem alle Akteure ihre strategische Ausrichtung mehr (SPD) oder weniger (CDU, Die Linke) stark modifizierten, den Parteienwettbewerb nicht mehr hinreichend ab. Liberale und Grüne beeinflussten als Nebenkonkurrenten, die Nationaldemokraten als unverändert isolierte Systemopposition entscheidend den Landtagswahlkampf. Im Unterschied zum Jahr 2004, als die FDP als regierungsunfähige „bürgerliche Protestpartei“ die CDU attackierte, die Grünen vorab eine Regierungsbeteiligung ausschlossen und die PDS im zunehmenden Verlauf ihrer aggressiven Anti-Hartz-IV-Kampagne allenfalls halbherzig um eine Regierungsbeteiligung focht, vertraten im Jahr 2009 fünf Parteien einen ernsthaften Regierungsanspruch – mit vorab kaum kalkulierbaren Folgen für den Wahlkampf. Insbesondere die Liberalen waren dank eines Strategie- und Imagewandels unter ihrem Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten Holger Zastrow von einer nicht-etablierten Kleinpartei zu einer potenziellen Regierungspartei und Wählerstimmenkonkurrentin der CDU aufgestiegen. Mit bundespolitischem Rückenwind setzte die FDP auf außenwirksame Forderungen (z. B. „Steuern runter!“, „Schulen sanieren!“)12 und schwor, angelehnt an die Bundestagswahlkampagne ihrer Partei, dafür Sorge zu tragen, „dass den arbeitenden Menschen wieder mehr in der Tasche bleibt“. Sie strebte offensiv eine Koalition mit der CDU und die Ablösung der SPD als Regierungspartei an, präsentierte sich als regierungswillige Partei, die „Wort hält“. „Wir haben ein klares Profil, sind verlässlich und berechenbar. […] Eine FDP in der Regierung ist Garantie dafür, dass unser Land trotz Krise nicht auf den Kopf gestellt wird.“13 Bündnis 90/Die Grünen traten im Wahlkampf mit ihrer Spitzenkandidatin Antje Hermenau als regierungswillige Nebenkonkurrenz von SPD und Die Linke an. Die Partei konnte sich auf keine Koalitionsaussage einigen. Die einen wollten ein Bündnis mit der CDU (und der FDP), die anderen ein solches mit der SPD und der Linken. Das Ergebnis waren ein von Hermenau geäußerter verhaltener Regierungsanspruch und Kritik in alle politischen Richtungen.14 Die Grünen folgten dabei dem strategischen Credo ihrer Bundespartei „Inhalte vor Macht“. Um ihr Ziel, den Wiedereinzug in den Landtag, zu erreichen, sprach die „Klimapartei Nr. 1“ jüngere Wählergruppen an. Sie lancierte eine Negativkampagne gegen CDU und FDP („Marktradikale“, „Wachstumsfanatiker“, „Schwarzer Filz“) und forderte „ein neues Gleichgewicht zwischen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft“ für „80.000 neue Jobs für Sachsen“.15 Beide Parteien beschworen eine Richtungsentscheidung. Die Liberalen warnten vor „neuen sozialistischen Experimenten“ von Rot-Rot-Grün, die 11 12 13 14 15
Vgl. Reiner Burger, Das erinnert fatal an den Fall Sebnitz, in: FAZ vom 15. August 2007. Differenzierter: Für ein starkes und freiheitliches Sachsen. Landtagswahlprogramm der FDP Sachsen 2009. Wahlkampfflyer der FDP-Sachsen zur Landtagswahl 2009: Stark für Sachsen. Vgl. Uwe Kuhr: Nicht um jeden Preis in die Regierung, in: FP vom 28. Juli 2009. Vgl. exemplarisch: Bündnis 90/Die Grünen: Wenn du was ändern willst. Zeitung zur Landtagswahl am 30. August 2009; ausführlich: Wenn du was ändern willst. Programm zur Landtagswahl 2009.
9.2 Ausblick und offene Fragen
407
Grünen vor den katastrophalen Folgen des selbstverschuldeten „Klimawandels“ und eines krisenbehafteten „Kapitalismus“ à la Schwarz-Gelb. Die von allen Parteien ignorierten, abgelehnten oder attackierten Rechtsextremisten setzten mit ihrem Spitzenkandidaten Holger Apfel wie 2004 auf harte Parolen („Arbeit für Deutsche!“, „Politiker-Schweinereien abstrafen!“), präsentierten sich als „Sachsens starke Rechte“ und suchten eine Protestwahlentscheidung. „Jede Stimme für die NPD ist eine Ohrfeige für die etablierten Volksbetrüger. Wählen Sie deshalb am 30. August, dem Tag der Abrechnung, NPD.“ Anders als 2004 forcierte die NPD mit ihrem Leitslogan „Arbeit, Familie, Heimat“ das Image einer „Heimatpartei“. Sie proklamierte unverblümt in Anlehnung an das Jahr 1989 „Wir sind das Volk!“ und forderte einen „Volksaufstand gegen die Polit-Versager“.16 Anders als erwartet, prägte die NPD den Landtagswahlkampf 2009 nicht ansatzweise so stark wie den fünf Jahre zuvor. Speziell der (eher unaufgeregte) Umgang von CDU und Die Linke mit der NPD war Anfang 2009 nicht vorherzusehen. Worin begründet sich nun die herausgehobene Erklärungsfähigkeit der Untersuchung? Die Ergebnisse und Zusammenhänge dienen in erster Linie dem besseren Verständnis nachfolgender Landtagswahlkämpfe, helfen Kontinuitäten zu erkennen und Veränderungen aufzudecken, ermöglichen es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Parteien nicht erst suchen zu müssen, sondern sie ansatzlos perzipieren und analysieren zu können. Wahlkampfstrategien werden ob ihrer etwaigen wiederholten oder modifizierten Anwendung durchlässig, Partei- und Kandidatenimages in ihrer Intention besser erfahrbar, Themen- und Konkurrenzkampagnen können auf Brüche oder Kontinuitäten hin untersucht werden. Die (noch junge) Wahlkampfgeschichte der drei Parteien legte Zusammenhänge und Entwicklungswege offen, die grundlegend für das Verständnis ihrer aktuellen und zukünftigen strategischen, personellen und inhaltlichen Ausrichtungen sind. Kurzum, nachfolgende Landtagswahlkämpfe von CDU, SPD und Die Linke werden durchschaubarer. Ein auszugsweiser Blick auf die Strategien sowie die Image- und Konkurrenzkampagnen im Wahlkampf 2009 soll dies belegen. Die Ausgangslage war 2009 „ganz anders als in den Wahlen zuvor“17 und doch ähnlich. Das Sechsparteiensystem und das Ende der absoluten Mehrheit der Christdemokraten hatten die Gewichte für alle Akteure verschoben. In ihrer Unübersichtlichkeit glich die Konstellation jedoch der des Jahres 2004. Eine absolute CDU-Mehrheit war nach der Wahl ebenso unwahrscheinlich wie eine „linke“ Koalition aus SPD, Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen. Realistische Optionen waren die Fortsetzung des bisherigen Bündnisses zwischen CDU und SPD oder ein Bündnis aus CDU und FDP. Nichtsdestoweniger legten die Christdemokraten aus Souveränitätsgründen ihre Zielmarke erneut hoch an. Auf dem Landesparteitag am 16. Mai 2009 bekräftigte Spitzenkandidat Stanislaw Tillich seinen Wunsch zur Alleinregierung. 18 Da die Umfragen derlei Ziele bald konterkarierten (die CDU kam im Juni 2009 auf 40 Prozent),19 modifizierte die Partei noch vor der heißen Wahlkampfphase ihre Koalitionspräferenz. Tillich bekundete, sollte eine Koalition nötig sein, dann sehe er die meisten Gemeinsamkeiten mit den Liberalen, für Schwarz-Grün sei es zu früh, die SPD sei eher die zweite Wahl.20 Folgerichtig lautete die 16
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Vgl. Sachsen Stimme. Information des NPD-Landesverbands Sachsen zur Landtagswahl 2009; ausführlich: Arbeit. Familie. Heimat. Landtagswahlprogramm 2009 der NPD für Sachsen. Jesse (2010), S. 322. Vgl. Hubert Kemper: Tillich schwört Union auf die absolute Mehrheit ein, in: FP vom 18. Mai 2009. Vgl. Infratest dimap Ländertrend Sachsen. Juni 2009, in: http://www.infratest-dimap.de [Stand: 3. Juli 2009]. Vgl. Antje Kloppenburg: Am liebsten allein und ohne Krawatte, in: FP vom 15./16. August 2009.
408
Schlussbetrachtung
christdemokratische Kernstrategie wie früher: Stimmenmaximierung zum Zweck einer umfassenden Regierungsbeteiligung. Anders als zuvor ging es der CDU diesmal neben dem Machterhalt darum, ihre Regierungsmacht auszubauen. Dazu verfolgte sie eine stark personalisierte Bilanzierungsstrategie und eine abgeschwächte Konfliktvermeidung – eher ignorierend gegenüber der Linken und den Grünen, eher konfrontativ gegenüber den Wählerstimmenkonkurrenten SPD und FDP. Die „Sächsische Union“ revitalisierte in Teilen die „moderate Amtsinhaberkampagne“ des Jahres 1994: mit einem Ministerpräsidenten, der sich bei der sächsischen Bevölkerung um die Fortführung seines Amts bewirbt, um weiterhin alles zum Wohl des Freistaates tun zu können, und mit einem an die Wähler gerichteten konzeptionellen Angebot, einem „Vertrag für Sachsen“21. Die Leitkampagne knüpfte neben „Wissen, wo’s lang geht“ mit „Volle Kraft für Sachsen“ sowie „Starkes Sachsen“ an die bisherigen Leitslogans an und kommunizierte unverändert das Image der alternativlosen Regierungspartei, deren Wahl eine Entscheidung „für Sachsen“ ist. Die 1994 implementierte staats- und parteiräsonale Instrumentalisierung der sächsischen Identität lebte 2009 fort. In einem Leitantrag aus dem Jahr 2005 hatte die CDU eine „starke sächsische Identität“ betont,22 Tillich Mitte 2008 auf die Frage nach „sächsischen“ Wahlkampfstrategien geantwortet: „Wenn sie damit den Begriff Union meinen und den Stolz auf das Land, dann sage ich Ja. Die Sachsen sehnen sich danach und sie suchen Identifikation.“23 So strotzte die Kampagne von Identitätsbeschwörungen. Die Sachsen seien „stolz und fleißig“, Sachsen „ein besonderes Fleckchen Erde“. „Wir als Sächsische Union wissen, dass eine starke Identität den Menschen Halt und Selbstbewusstsein gibt. Wer die Welt entdecken und verstehen will, benötigt feste heimatliche Wurzeln. […] Die Sachsen sind Patrioten, die sich auf vielen Gebieten engagieren, die ihre Heimat lieben und bewahren wollen. […] Gleichzeitig braucht Sachsen eine starke und gestaltende Regierung mit Ideen und Konzepten für das nächste Jahrzehnt. Diese liefert die Sächsische Union, die gemeinsam mit vielen Menschen seit 1990 das Gesicht unseres Freistaates unverwechselbar gestaltet hat.“24 Nicht zuletzt um dem „Heimat“-Motiv der NPD zu begegnen, bezeichnete Stanislaw Tillich die CDU als „Heimatpartei der Sachsen“, für die „Vaterlandsliebe und ein Bekenntnis zur Heimat“ selbstverständlich seien.25 Daran lehnte sich die Imagekampagne des Amtsinhabers an. Tillich setzte sich mit einer ungekannt intensiven sächsischen Personalisierung und Emotionalisierung (dominantes Kandidatenimage) als „Der Sachse“ in Szene, erklärte sich zum „Hoffnungsträger für Sachsen“ und verstand sich als „Ein Mann ganz aus dem Volk“.26 Gezielt betonte die Kampagne seinen sächsischen Habitus. Als heimatverbundener Sorbe und Katholik integrierte er den ostsächsischen Raum, in dem die CDU 2004 stark verloren hatte. Als modern, wirtschaftskompetent und sympathisch geltender Spitzenkandidat, medienkompatibel, im Auftreten als adrett und freundlich, im Handeln als redlich und ehrlich wahrgenommen,27 sprach er vor 21 22
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Vertrag für Sachsen. Wissen, wo’s lang geht. Regierungsprogramm der sächsischen CDU 2009-2014. Vgl. Leitantrag „Deutscher Patriotismus im vereinigten Europa“, angenommen auf dem 19. Landesparteitag der CDU Sachsen am 5. November 2005. Interview mit Stanislaw Tillich in: Hubert Kemper: „Auf dem Dach schlägt der Blitz zuerst ein“, in: FP vom 17. Juni 2008. CDU-Landesverband Sachsen (Hrsg.) (2009): Sachsen: Brief. Die politische Zeitung für Sachsen, S. 3. Rede von Stanislaw Tillich auf dem 23. Landesparteitag der CDU Sachsen am 16. Mai 2009 in Leipzig, S. 14 f. CDU-Landesverband Sachsen (Hrsg.) (2009): Sachsen: Brief, S. 3. Vgl. Infratest dimap (2009): Saarland, Sachsen und Thüringen vor den Landtagswahlen 2009. Analyseband, Berlin, Anhang: Ergebnisgrafiken Sachsen, S. 5.
9.2 Ausblick und offene Fragen
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allem Wählerinnen an. Seine Kampagne folgte nicht Biedenkopfs Präsidentialisierung. Tillich setzte auf das 1994er Modell des „dienenden“ Ministerpräsidenten und verlängerte sein 2008 abgegebenes Bekenntnis: „Es ist das schönste Amt, das man im Freistaat ausüben kann, und ich bin stolz, diesem Land dienen zu dürfen. Das tue ich aus tiefer Überzeugung.“28 Er konstatierte: „Mir liegt mein Land am Herzen. Ich möchte es mitgestalten – für die Menschen, die hier leben. Ich trete für eine redliche Politik ein. Die Bürger Sachsens können mir vertrauen.“29 Gute Popularitätswerte und prominente Referenzen verstärkten dies, etwa indem Biedenkopf seinem einstigen Zögling bescheinigte: „Ich kenne ihn seit vielen Jahren und konnte erleben wie er arbeitet. Er handelt klug, besonnen und zielorientiert. Er hat Führungskraft und Verlässlichkeit bewiesen. Und er bringt Führungserfahrung mit. Genau das sind die Eigenschaften, die unser Land jetzt braucht.“30 Gegenüber der Linken setzte die CDU auf eine abgeschwächte Konfliktvermeidungsstrategie und verzichtete auf Instrumentalisierung. Anders als 2004 trug sie die Ende September 2008 durch den neuen Fraktionsvorsitzenden Steffen Flath initiierte, in den eigenen Reihen mehrheitlich unterstützte, unter den anderen Parteien aber umstrittene antiextremistische Abgrenzungsstrategie31 zur NPD und zur Partei Die Linke nicht in den Landtagswahlkampf. Die CDU ignorierte die Nationaldemokraten und distanzierte sich mit einer inhaltlichen Negativkampagne von den Sozialisten. Obgleich sie in ihrem Wahlprogramm „dem Rechts- wie dem Linksextremismus den Kampf“ ansagte,32 vermied sie eine verkürzte Darstellung wie 2004 („Extreme von rechts und links“), sprach indes von „Extremisten von rechts“ und „Populisten von links“. 33 Es galt, weder der einen noch der anderen Partei zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Vor allem sollte wohl eine abermalige demokratische Selbstlegitimierung der Linken vermieden werden. Das christdemokratische Verhältnis zur SPD prägten mitunter harte Auseinandersetzungen, in denen vor allem die CDU punkten konnte. Diese ignorierte ihren kleinen Koalitionspartner oder kritisierte diesen harsch, gab vor, die Sozialdemokraten hätten in ihren Verantwortungsbereichen versagt.34 Ihre Konfrontationsstrategie war für die hegemoniale Regierungspartei vorteilhaft. Bereits während der Legislaturperiode hatte die CDU mehrfach offen über die Nützlichkeit der SPD spekuliert und unverhohlen mit dem Ende der Koalition gedroht. Tillich, damals Umweltminister, bekannte 2006: „Das letzte Wahlergebnis hat uns zu Kompromissen gezwungen. Das Niveau im Landtag war zuvor mit drei Fraktionen besser, das Regieren ohne die SPD konstruktiver und weniger mühselig.“35 Im Jahr 2009 trieb die CDU diese Lesart voran, u. a. indem sie ihrem Wahlprogramm einen sozialeren Anstrich verpasste, zahlreiche sozialdemokratische Kernthemen („geförderter Arbeitsmarkt“, beitragsfreies Vorschuljahr) übernahm und so die Entbehrlichkeit des ungeliebten Koalitionspartners untermauerte.
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Interview mit Stanislaw Tillich, in: FP vom 17. Juni 2008. CDU-Landesverband Sachsen (Hrsg.) (2009): Sachsen: Brief, S. 3. Ebd., S. 3. Vgl. Umgang mit Fraktionen, die eindeutig oder in Teilen extremistische Ziele verfolgen. Handlungsempfehlungen von Steffen Flath, in: http://www.cdu-fraktion-sachsen.de [Stand: 11. Oktober 2008]. Vgl. Vertrag für Sachsen. Wissen, wo’s lang geht. Regierungsprogramm der sächsischen CDU 2009-2014, S. 21. Rede von Stanislaw Tillich auf dem 23. Landesparteitag, S. 9. Vgl. Gunnar Saft: CDU-Chef Tillich setzt auf Alleingang, in: SZ vom 18. Mai 2009; Rede von Stanislaw Tillich auf dem 23. Landesparteitag, S. 9 f. Interview mit Stanislaw Tillich in: Hubert Kemper: „Die Union muss Zuversicht verbreiten“, in: FP vom 29. Dezember 2006.
410
Schlussbetrachtung
Die Sozialdemokraten wurden 2009 erneut „Opfer“ ihres demoskopischen Dilemmas. Ihre Umfragewerte (Tabelle 21) waren Mitte des Jahres 2008 – wegen der Regierungskrise der CDU – auf 19 Prozent gestiegen. Dem folgten ein Stimmungseinbruch im Vorwahlkampf (13 Prozent) und ernüchternde Ergebnisse bei den Europa- und Kommunalwahlen am 7. Juni 2009 (11,7/10,9 Prozent). Daher galten der SPD ihr Verbleib in der Regierung, die Verhinderung einer CDU-FDP-Koalition und das Erstarken auf 16 bis 20 Prozent als vorrangige Wahlziele.36 Im Wahlkampf richtete sich die Partei konzeptionell neu aus. Ihre Bilanzierungsstrategie bekräftigte die eigenen Erfolge und Konzepte sowie den Willen, weiter zu regieren, ihre Negativkampagne diffamierte eine schwarz-gelbe Koalition, vermied aber (zu) scharfe Ausfälle gegenüber der CDU. Die Sozialdemokraten traten als selbstbewusste Regierungspartei auf, die zahlreiche Erfolge zu verzeichnen und das Land als „Taktgeber in der Koalition“37 solide regiert habe, die gestärkt aus der Wahl hervorgehen würde und die Koalition erneuern wolle. „Seit fast fünf Jahren tragen wir […] als Regierungspartei Verantwortung für Sachsen. Das hat dem Land gut getan. Wir sagen mit Stolz: Es lohnt sich. Wir haben viel für Sachsen erreicht. Wir unterstützen die wirtschaftliche Dynamik und sorgen für gute Arbeit. Wir erhöhen die Bildungschancen der Kleinen und Großen. Wir stärken den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. […] Wir sorgen für mehr Gerechtigkeit in Sachsen. Unsere Politik stärkt die Menschen. Wir tun Sachsen gut.“38 Wie die CDU in den 1990er Jahren betonte sie, man habe im Jahr 2004 „den Auftrag erhalten, die Politik in Sachsen zu gestalten“. Nun bewerbe die Partei sich „um die Erneuerung dieses Gestaltungsauftrags“. Ihr Regierungsanspruch und die Positivkampagnen standen in Kontinuität zur bisherigen Kernstrategie Regierungsteilhabe zum Zweck der Programmverwirklichung. Probleme bereitete abermals die Umsetzung. Im Wahlkampf stand die SPD vor der Option, mit der CDU weiter zu regieren oder in die Opposition zurückzukehren, wobei sich bereits zu Wahlkampfbeginn das zweite Szenario abzeichnete, während Rot-Rot-Grün nicht ausgeschlossen, wohl aber wenig wahrscheinlich war. Eine souveräne Regierungsstrategie machte dies unmöglich, ein harter Kampf um den Machterhalt war nötig. Ihr kapitales Versäumnis aus dem Jahr 2008, als sich die SPD an ihre Regierungsbeteiligung geklammert hatte, anstatt die CDU im Moment ihrer größten (personellen) Schwäche zu attackieren, wirkte im Wahlkampf nach. Die „Sächsische Union“ hatte sich erholt, ihr neuer Amtsinhaber schnell gute Popularitäts- und Kompetenzwerte erzielt. Auch der Angriff auf die DDRVergangenheit der CDU erwies sich (wie schon 1994) als Missgriff. Der Vorstoß zeugte nicht von Souveränität, verwässerte die Regierungsstrategie und brach die strukturelle Geschlossenheit der Partei auf. Parallel kämpften die sächsischen Genossen zum fünften Mal in Folge gegen einen negativen Bundestrend an. Die Wähler vertraten in großer Mehrheit die Ansicht, die SPD habe mit Hartz-IV und der „Rente mit 67“ ihre Prinzipien aufgegeben.39 Der Landespartei durchkreuzte dies ihre Regierungsstrategie. Noch immer galten die Sozialdemokraten für zwei Drittel der Sachsen nicht als Alternative zur regierenden CDU, schnitt diese in der Beurteilung der Regierungsarbeit durch die Wähler deutlich besser ab als die SPD.40 Auch unterlag die SPD, die gegenüber 2004 an 36 37 38
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Vgl. Jürgen Kochinke: Vor SPD-Parteitag sind Weichen weitgehend gestellt, in: LVZ vom 7. März 2009. Interview mit Thomas Jurk in: Jürgen Kochinke: „Ich kann auch anders“, in: DNN vom 30. Juni 2009. Hier und im Folgenden: Gerecht. Innovativ. Solidarisch. Regierungsprogramm der sächsischen SPD 20092014, S. 5. Vgl. Infratest dimap (2009), S. 30, Anhang: Ergebnisgrafiken Sachsen, S. 3. Vgl. ebd., S. 27, Anhang: Ergebnisgrafiken Sachsen, S. 2; Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2009), S. 1.
9.2 Ausblick und offene Fragen
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Kompetenzzuspruch gewonnen hatte, ihrer christdemokratischen Konkurrenz in den Kompetenzzuschreibungen (außer bei der Frage nach sozialer Gerechtigkeit).41 Ihre Leitkampagne konzentrierte sich wie 2004 auf die Kernthemen Arbeit und Bildung und aktualisierte das frühere Oppositionsschema des sozial gerechten Korrektivs zu einer CDU-Alleinregierung. Die beiden – an die Bundestagswahlkampagne angelehnten – Leitslogans „Damit das Soziale regiert“ und „Anpacken. Zukunft gestalten. Für Sachsen.“ verbanden den Gestaltungsanspruch mit einem über Jahre forcierten sozialen Rollenbild. Einerseits betonte die SPD: „Wir nehmen die Herausforderungen der Zukunft an. Wir werden auch weiterhin konkrete und machbare Lösungen für die Probleme unserer Zeit formulieren. […] Mit Mut und Zuversicht packen wir an. Mit Vernunft und in Verantwortung arbeiten wir zum Wohle Sachsens und seiner Menschen.“42 Andererseits hatte sie sich schon während der Legislatur durch ein betont soziales Image von der Linken abzugrenzen versucht. „Die Linkspartei hat keine inhaltliche Programmatik. Das einzige, was sie hat, ist Populismus. Wir sind das linke Original und wir schaffen soziale Gerechtigkeit.“43 Die Lesart im Wahlkampf war daher klar: Wer ein soziales Sachsen will, müsse SPD wählen. Nur die SPD – nicht Die Linke – stehe für soziale Politik. Dies habe die Partei in den letzten fünf Jahren hinreichend bewiesen, und sie wolle es weiterhin beweisen. Speziell Thomas Jurk stehe als Wirtschaftsund Arbeitsminister für ein soziales Sachsen.44 Ihr Spitzenkandidat inszenierte sich sonach als „Der Garant“ – „für ein Sachsen, in dem gute Arbeit gefördert wird“ und „für ein Sachsen, in dem Bildung nicht vom Geldbeutel abhängt“. Wie 2004 kandidierte er ohne das Ziel der Ministerpräsidentschaft, ließ diesmal aber (wie Kunckel 1994) einen klaren Regierungsanspruch erkennen. Der gelernte Funkmechaniker, der seine Bekanntheits-, Kompetenz- und Zufriedenheitswerte hatte steigern können, präsentierte sich als bodenständiger Staatsminister, mit einer „guten Antenne für die Menschen in Sachsen“.45 Jedoch klaffte zum Amtsinhaber eine erhebliche Lücke. Rund ein Drittel der Sachsen kannte Thomas Jurk nicht. Wer ihn kannte, urteilte gut über ihn. Im direkten Vergleich mit Tillich unterlag er. 64 Prozent der Sachsen hätten bei einer Direktwahl Tillich und nur 23 Prozent Jurk gewählt.46 Gegenüber ihren politischen Konkurrenten zeigte die SPD „klare Kante“.47 Ihr Motto lautete: „Für die SPD und gegen schwarz-gelben Marktradikalismus und linken Populismus.“ Jurk betonte: „Wir haben gut regiert und wir wollen weiter regieren, und deshalb will ich dafür kämpfen, dass es im neuen Landtag mehr SPD und weniger CDU, weniger von den Linken und am besten gar keine Gelben gibt.“48 Ein schwarz-gelbes Negativszenario sollte das Profil schärfen.49 Unter der Botschaft „Verhindern Sie Schwarz-Gelb“ forcierte die SPD erstmals – angelehnt an die Kampagne zur Bundestagswahl – eine umfassende 41 42 43
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Vgl. Infratest dimap (2009), S. 21 f. Gerecht. Innovativ. Solidarisch. Regierungsprogramm der sächsischen SPD 2009-2014, S. 6. Interview mit Dirk Panter in: Annette Binninger: „Die CDU macht einen Selbstfindungsprozess durch“, in: SZ vom 21. Mai 2008. Vgl. „Klare Kante zeigen für ein soziales Sachsen“. Generalsekretär Dirk Panter im Interview zum bevorstehenden Landtags- und Bundestagswahlkampf, in: VorwärtsEXTRA vom Juli 2009, S. 2. Vgl. Wahlkampfflyer der SPD-Sachsen zur Landtagswahl 2009: Thomas Jurk. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2009), S. 24; Infratest dimap (2009), S. 31, Anhang: Ergebnisgrafiken Sachsen, S. 5. „Klare Kante zeigen für ein soziales Sachsen“. Generalsekretär Dirk Panter im Interview zum bevorstehenden Landtags- und Bundestagswahlkampf, S. 2. Rede von Thomas Jurk zum Wahlkampfauftakt der SPD am 9. August 2009 in Leipzig, S. 2, 21. Vgl. Damit das Soziale regiert: Die SPD-Kampagne, in: VorwärtsEXTRA vom August 2009, S. 2.
412
Schlussbetrachtung
Negativkampagne. Slogans wie „Schwarz-Gelbe Niedriglöhne oder Mindestlohn für alle Branchen!“ kontrastierten, solche wie „Schwarz-Gelb ist radikal unsozial“ diffamierten. Im direkten Verhältnis zur CDU verhedderte sich die SPD in einer Mischung aus Regierungsbilanz und Angriff. Die Negativkampagne war der „Sächsischen Union“ für ihre nun verschärfte Distanzierung vom ungeliebten kleinen Koalitionspartner willkommen.50 Der SPD, die während des Wahlkampfes eine klare Koalitionsaussage zugunsten der CDU ebenso versäumte wie eine Absage an Die Linke, schadete beides. Den Sozialisten sprach sie die Regierungsfähigkeit ab. Ihre Postulate seien unrealistisch und rückwärtsgewandt, ihr Verhalten sei unglaubwürdig. Die Linke stehe für „20 Jahre Meckerei und Realitätsflucht“ und für „linken Populismus“.51 Dennoch hielt sich die SPD – ungenannt – die Tür zu einer Linkskoalition offen, abermals zum eigenen Schaden. Die Linke forcierte im fünften Landtagswahlkampf ihren Regierungsanspruch. Die Weichen dafür hatte der Landesvorstand im Dezember 2007 gestellt: „Ziel der kommenden Landtagswahlen kann nur sein, die CDU aus ihrer Regierungsverantwortung zu entlassen. Das heißt, WIR müssen […] um die Regierungsverantwortung kämpfen. Nur so ist ein wirklicher Politikwechsel in Sachsen möglich. […] Fakt ist, wir müssen als Partei immer beides können – als einflussreiche Oppositionskraft agieren, aber ebenso fähig sein, Regierungsverantwortung zu tragen. Um das Letztere können wir uns nicht herummogeln. Das müssen wir inhaltlich, personell und wahlkämpferisch untersetzen.“52 Nicht zuletzt, um ihre unverändert regierungsskeptische Basis nicht zu verschrecken, lavierten die Sozialisten lange Zeit. Erst im Vorwahlkampf wurde Spitzenkandidat André Hahn genauer: Die Partei strebe mindestens 25 Prozent der Stimmen an, wolle eine schwarze bzw. schwarz-gelbe Mehrheit verhindern und stattdessen eine „solide Linksregierung“ unter ihrer Führung erreichen.53 Die Kernstrategie lautete abermals Stimmenmaximierung zum Zweck der Regierungsteilhabe. Dass ein „linkes“ Koalitionsmodell laut Umfragen unwahrscheinlich war und es bei den Wahlberechtigten unverändert auf Ablehnung stieß – im August 2009 bewerteten 58 Prozent der Sachsen eine rot-rot-grüne Regierung negativ –, störte die Sozialisten nicht. Zu schaffen machte ihnen eher die eigene, im Vergleich zur CDU kontinuierlich negativere Außenbewertung. Die Bevölkerungsmehrheit sah in der PDS-Nachfolgerin unverändert eine Protest-, keine Regierungspartei.54 Ihre Anwartschaft untermauerte Die Linke 2009 mit einer Seriosität ausstrahlenden Leitkampagne. Die Slogans ihrer Themenplakate (z. B. „Sichere Arbeit“, „Gesunde Wirtschaft“) waren gemäßigt, ihre Werbung verzichtete auf aggressive oder ironische Formate. Ihr Leitslogan „Sachsen sozial regieren“ verband ähnlich dem der Sozialdemokraten politischen Gestaltungsanspruch und soziales Image. Die Linke setzte auf ihr langjähriges Rollenbild als „Partei der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit“ und verband dieses mit ihrem bislang stärksten Regierungsanspruch. Der Titel des im Duktus entschärften und inhaltlich angereicherten Wahlprogramms „Der eigenen Kraft vertrauen. Für Sachsen“,55 eine Kom50 51 52
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Vgl. Jürgen Kochinke: Zündstoff im Wahlkampf, in: LVZ vom 20. Juni 2009. Rede von Thomas Jurk zum Wahlkampfauftakt der SPD am 9. August 2009 in Leipzig, S. 15. Die Linke/Landesvorstand Sachsen: Fahrplan bis 2009 für Die Linke.Sachsen. Beschluss des Landesvorstands zur Klausur am 14./15. Dezember 2007, S. 2. Vgl. Hendrick Lasch: Hahn lädt zur Linksregierung, in: ND vom 27. April 2009; Rede von André Hahn auf der Landesdelegiertenversammlung der Partei Die Linke am 17. Juni 2009 in Burgstädt. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2009), S. 2, 21; Infratest dimap (2009), Anhang: Ergebnisgrafiken Sachsen, S. 3. Der eigenen Kraft vertrauen. Für Sachsen. Landeswahlprogramm Die Linke Sachsen 2009.
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bination des 1994er SPD-Slogans „Wir in Sachsen vertrauen auf unsere eigene Kraft“ mit dem 1994er CDU-Slogan „Für Sachsen“, fundierte dies. „Mit diesem Wahlprogramm legen wir […] Ideen, Vorschläge und Konzepte für Sachsen vor, mit denen wir unser Land zum Besseren gestalten wollen. […] Wir haben die Kraft für einen nachhaltigen Politikwechsel, für die Durchsetzung einer neuen sozialen Idee, für ein innovatives und weltoffenes Sachsen.“56 Im Freistaat sei in den letzten Jahren „vieles politisch schief gelaufen“, ursächlich dafür, „dass Sachsen zurzeit schlecht regiert wird, dass das Volk in Sachsen eine Regierung hat, die es nicht verdient! Deshalb haben wir uns erstmals seit den Wahlen 1990 entschlossen, uns ganz bewusst um Regierungsverantwortung zu bewerben. In Zeiten wie diesen brauchen die Wählerinnen und Wähler eine Alternative. Es geht nicht mehr nur darum, für ein Weniger an Schwarz zu werben, nein: Sachsen braucht Rot statt Schwarz!“ Die Zeit sei reif, dass die „soziale Frage in den Mittelpunkt von Regierungspolitik“ gestellt werde.57 Unter Bezugnahme auf eigene Politikansätze hieß es: „Bei fast allen Schlüsselthemen für die zukünftige Entwicklung Sachsens denkt die Mehrheit der […] Bürger wie wir – auch deshalb bewerben wir uns bei diesen Wahlen um das Mandat, die nächste sächsische Staatsregierung führen zu können.“58 Speziell wegen der Wirtschaftskrise erwarteten die Menschen von der „linken Volkspartei“ Antworten darauf, „wie wir […] wieder der eigenen Kraft vertrauen und so unser Land aus der Krise bringen können“.59 Der linke „Ministerpräsidentenkandidat“ war gegen den Amtsinhaber chancenlos. Nur 17 Prozent der sächsischen Bevölkerung kannten Hahn als Linke-Spitzenkandidat. 60 Direkt vor die Wahl gestellt, entschieden sich im August 2009 70 Prozent der Befragten für Tillich und nur 20 Prozent für Hahn. In den Kompetenz- wie in den Sympathieeigenschaften führte Tillich. Er galt als tatkräftiger, sachverständiger und sympathischer, Hahn war aber nicht völlig abgeschlagen.61 Entsprechend konzentrierten sich die Sozialisten auf das Kompetenzimage und die Bekanntheit ihres landes- wie kommunalpolitisch versierten Kandidaten. Die 1999 begonnene und 2004 gescheiterte Personalisierung des Wahlkampfes sollte 2009 intensiviert werden – für die Direktwahlkreise und vor allem für die Spitzenkandidatur (semi-dominantes Image).62 Hahn sollte Regierungsanspruch verkörpern, sein Plakat Seriosität abbilden: „Dr. André Hahn: Wir bringen Sachsen wieder voran. Mit guter Arbeit und klugen Investitionen in Bildung und heimische Wirtschaft.“ Gegen sein altes Image des Polarisierers, des „Wadenbeißers“, suchte er sich nun als ernsthafter Herausforderer zu etablieren. Er kam damit gegen den in der medialen Darstellung souveränen, seine Konkurrenz weithin ignorierenden Amtsinhaber nicht an.63 Interparteilich modifizierte Die Linke ihr Vorgehen. Während sie ihre Konfrontation gegenüber der CDU kaum abschwächte und im Umgang mit ihr (speziell mit Tillich) unverändert auf Negativkampagnen setzte, blendete sie die SPD bei ihrer Regierungskritik auffällig aus. Hahn hatte auf dem Wahlprogrammparteitag Ende April 2009 bemerkt: „Die SPD wird ja ganz sicher nicht unser Hauptgegner im kommenden Wahlkampf sein, sondern
56 57 58 59 60 61 62 63
Ebd., S. 3, 5. Rede von André Hahn zum Wahlkampfauftakt der Partei Die Linke am 7. August 2009 in Leipzig. Rede von André Hahn zum Wahlkampfabschluss der Partei Die Linke am 27. August 2009 in Dresden. Rede von André Hahn auf dem Wahlprogrammparteitag der Partei Die Linke am 25. April 2009. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2009), S. 24. Vgl. Infratest dimap (2009), Anhang: Ergebnisgrafiken Sachsen, S. 5, 25. Vgl. Die Linke/Landesvorstand Sachsen: Fahrplan bis 2009 für Die Linke.Sachsen, S. 8. Vgl. Hendrik Lasch: Wahlkampf gegen einen Wattebausch, in: ND vom 25. August 2009.
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Schlussbetrachtung
– entsprechende Mehrheiten vorausgesetzt – für die Zukunft sogar ein möglicher Partner.“64 Folgerichtig betonte Die Linke wie schon im Jahr 2004 die inhaltlichen Schnittmengen zwischen beiden Parteien. Hahn verfuhr nach dem üblichen Muster, vermeintliche wie echte Anknüpfungspunkte aufzuzeigen, um den Sozialdemokraten die Passfähigkeit einer Linkskoalition vor Augen zu führen. Zusätzlich hinterfragte er diesmal die Koalition der CDU mit der SPD, forderte Letztgenannte auf, „ein klares Zeichen für einen Politikwechsel zu setzen“. Die SPD müsse endlich „Farbe bekennen“ und mit derjenigen Partei kooperieren, mit welcher sie ihre Programmatik umsetzen könne. „Die SPD in Sachsen steht vor der Alternative, 80 Prozent ihrer landespolitischen Ziele zusammen mit uns zu verwirklichen oder 80 Prozent ihres Programms einer erneuten Koalition mit der CDU zu opfern.“65 Erstmals wurde damit eine (unwahrscheinliche) rot-rot-grüne Koalition in Sachsen von allen Protagonisten nicht mehr ausgeschlossen, wiewohl ein solches Bündnis nicht nur Sozialisten und Sozialdemokraten inneren Zerreißproben ausgesetzt hätte. Die auszugsweise Wahlkampfbeschau belegt die hohe Erklärungsfähigkeit der Untersuchung. Kontinuität und Wandel in den Wahlkämpfen von CDU, SPD und Die Linke gewinnen so an Kontur. Geringen Modifikationen unterlag 2009 die Regierungsstrategie der CDU, was von ihrer unverändert hegemonialen Stellung zeugte. Deutlicher entwickelte Die Linke ihre Kampagne fort. Sie folgte einer 1999 ansatzweise begonnenen, 2004 zunächst eingeschlagenen, danach abgebrochenen Herausfordererstrategie. Die Gewichte bei den Sozialdemokraten verschoben sich grundlegend. Sie gingen erstmals einer bilanzierenden Regierungsstrategie nach, angereichert mit einer markanten Negativkampagne. Den gesamten Wahlkampf prägten vor dem Hintergrund der skizzierten Muster u. a. zwei Neuheiten. (1) Die Beliebigkeit des „Sachsenimages“, welches jede Partei – allen voran CDU und FDP, am wenigsten die Partei der Grünen – instrumentalisierte, entwertete den identitären regionalen Bezug weitgehend. (2) Keiner der zuvor betrachteten Wahlkämpfe war in einem solchen Maß personalisiert. Dies gilt für den Wahlkampf insgesamt wie für die Kampagnen aller Parteien, nicht nur der CDU. Sowohl die umfangreiche Analyse als auch das knappe Resümee über die Prognoseund die Erklärungsfähigkeit der Untersuchungsergebnisse im sächsischen Kontext erfordert einen abschließenden Blick auf verbliebene offene Fragen. Da es sich bei der Arbeit in vielerlei Hinsicht um eine Pionierstudie handelt, sind diese zahlreich. Zunächst das Naheliegende: Es existieren Erkenntnislücken in allen betrachteten Wahlkampfdimensionen. (1) Beispielsweise konnten die wahlkampforganisatorische Bedeutung und konkrete Funktion der Fraktionen und der Staatskanzlei allenfalls auszugsweise betrachtet werden. Obwohl die Arbeit hier wichtige Ansatzpunkte liefert, sind systematische und tiefgreifende Studien zu den organisatorischen Schnittstellen zwischen Parteien und Exekutiv- sowie Legislativorganen nicht nur für Sachsen geboten. (2) Hinsichtlich der Wahlkampfstrategien bergen neben den künftig stärker zu differenzierenden Regierungs- und Oppositionsstrategien insbesondere bundespolitische Einflüsse auf Landtagswahlkämpfe sowie die bundespolitischen Legitimierungsstrategien der Parteien Forschungsbedarf. Vergleichende Quer- oder Längsschnittuntersuchungen über genuine und implementierte bundespolitische Ereignisse sind angebracht. Die Arbeit konnte allenfalls erste Zusammenhänge ermitteln. Während zu den vielfältigen bundespolitischen Einflüssen auf die Landtagswahlentscheidungen in den vergangenen Jahren wichtige Erkenntnisfortschritte erzielt wurden (siehe Kapitel 2.2.3), 64 65
Rede von André Hahn auf dem Wahlprogrammparteitag der Partei Die Linke Sachsen am 25. April 2009. Ebd.
9.2 Ausblick und offene Fragen
415
stehen Wirkungsanalysen zum bundespolitischen Einfluss auf Landtagswahlkämpfe aus. (3) Die Imagekampagnen legten neben der komplexen, ebenfalls unzureichend erforschten Instrumentalisierung regionaler Identitäten vor allem die Besonderheit präsidentialisierter Landtagswahlkämpfe offen. Ob und inwieweit dies eine sächsische Eigenheit war oder im deutschen Rahmen Vorläufer existierten, und wenn ja, wie diese ausgestaltet waren, bietet reichlich „Stoff“ für Untersuchungen. (4) Ein breites Arbeitsfeld sind die wirtschaftspolitischen Konzeptionen. Hier bedarf es u. a. strukturierterer Analysen der damit verbundenen sozio-ökonomischen Konfliktlinien. Für den Fall länderübergreifender Vergleiche ist eine methodische Quantifizierung angebracht, da die Komplexität des Gegenstands eine schlüssige qualitative Betrachtung erschwert. Gleichwohl sollte die Konzeptionsrationalität nicht zuletzt wegen ihrer externen und internen Dimensionalität nur schwer quantifizierbar sein, wollen die Ergebnisse Anspruch auf Nachvollziehbarkeit erheben. (5) Die Untersuchung der Konkurrenzkampagnen verwies auf die Unterkomplexität bipolarer Analyseschemen. Insbesondere tiefergehende Studien zu Instrumentalisierungsstrategien dürften Überraschendes ergeben. Eine stärkere theoretische Diversifikation parteipolitischer Konkurrenzmuster und deren empirische Überprüfung sind nötig. (6) Jenseits der Analysepunkte des Säulenmodells liegen u. a. im Bereich der Wahlkampfkommunikation weitere Forschungsfelder. Über Agitations- und Mobilisierungsformen in Landtagswahlkämpfen ist wenig bekannt. Ebenso mangelt es an klaren Erkenntnissen über die Verbindung von Wertbezogenheit und Kommunikationsstil in Landtagswahlkämpfen. Wo liegen z. B. die Unterschiede zwischen demokratischen und extremistischen Parteien? Existieren auch bei starken habituellen Äquidistanzen konvergente Muster der Wahlkampfkommunikation? Verbleibt somit die Frage, wie die im sächsischen Kontext gewonnenen Ergebnisse über den Betrachtungsraum/-zeitraum hinaus erweitert werden können. Einerseits sind Anschlussuntersuchungen über die Wahlkampfkonzeptionen und die Image-, Themen- und Konkurrenzkampagnen der sächsischen Parteien, die den seit 2004 erweiterten Akteurshorizont beachten, geboten. Auch dürften tiefergehende Querschnittanalysen für einzelne Wahljahre neue und umfangreichere Zusammenhänge zutage fördern als dies im Längsschnitt möglich ist. Andererseits erscheinen Vergleiche der sächsischen Spezifika mit denen anderer Länder, etwa dem SPD-dominierten Brandenburg oder dem CSU-dominierten Bayern, oder Vergleiche ausgewählter Variablen im Kontext unterschiedlicher Untersuchungsobjekte sinnvoll. Zwingend wäre bei einem solchen Vorhaben etwa eine Überprüfung der Regierungs- und Oppositionsstrategien im Länderquerschnitt, verbunden mit einem Blick auf das Parteiensystem als Einflussfaktor. Die landläufige Annahme, Parteien agierten in Wahlkämpfen stets stimmenmaximierend, ist undifferenziert. Auch die unterschiedliche Funktion und Ausprägung regionaler Identitäten bieten reichlich „Stoff“ für weitere qualitative Analysen. Nicht nur hier ist der bisherige Kenntnisstand über Landtagswahlkämpfe eher ernüchternd. Diese Arbeit fügt deshalb wichtige Teile in ein weithin unkenntliches Mosaikbild ein.
10 Quellen- und Literaturverzeichnis
10.1 Quellenverzeichnis Das Quellenverzeichnis nennt lediglich die genutzten Archive und die wichtigsten veröffentlichten Quellen. Sämtliche verwendete Quellen sind in den Fußnoten an entsprechender Stelle ausführlich vermerkt.
10.1.1 Archive Archiv des CDU-Landesverbands Sachsen, Dresden Archiv des PDS-Landesverbands Sachsen, Dresden Archiv des SPD-Landesverbands Sachsen, Dresden Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn Archive und Bibliotheken der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Chemnitz, Dresden, Leipzig Privatarchive von Wolf-Dieter Beyer (Limbach-Oberfrohna), Dieter Häcker (Chemnitz), Wolfgang Luutz (Leipzig), Klaus Reichenbach (Hartmannsdorf), Matthias Rößler (Dresden), Michael Sagurna (Dresden)
10.1.2 Veröffentlichte Quellen CDU Arbeitsprogramm 2004 der sächsischen CDU für die Landtagswahl 1999. CDU-Landesverband Sachsen (Hrsg.) (2009): Sachsen: Brief. Die politische Zeitung für Sachsen. CDU. Rechenschaftsbericht 1990, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 12. Wahlperiode, 12/2165 vom 26. Februar 1992. CDU. Rechenschaftsbericht 1993, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/145 vom 22. Dezember 1994. CDU. Rechenschaftsbericht 1994, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/3390 vom 21. Dezember 1995. CDU. Rechenschaftsbericht 1998, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/2508 vom 14. Januar 2000. CDU. Rechenschaftsbericht 1999, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/5050 vom 15. Dezember 2000. CDU. Rechenschaftsbericht 2004, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 16. Wahlperiode, 16/1270 vom 28. April 2006. CDU-Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.): Zeitung für Sachsen. Informationen zur Landtagswahl am 14. Oktober 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). CDU-Wahlkampfbroschüre zur Landtagswahl 1999. Kurz und Knapp. Sachsenwahl ’99. Eröffnungsrede des CDU-Landesvorsitzenden Fritz Hähle zum 12. Landesparteitag am 10. Juli 1999 in Leipzig (Archiv des CDU-LV Sachsen). Für Sachsen. Dresdner Erklärung der Sächsischen Union. Thesen zu den Wahlen 1994 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Gemeinsam für Sachsen! Programm der Sächsischen Union zur Landtagswahl 2004 vom 28. August 2004. Leitantrag „Deutscher Patriotismus im vereinigten Europa“, angenommen auf dem 19. Landesparteitag der CDU Sachsen am 5. November 2005. Rede des CDU-Landesvorsitzenden Fritz Hähle auf dem 11. Landesparteitag der CDU-Sachsen am 12. Dezember 1998 in Riesa (Archiv des CDU-LV Sachsen).
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Rede des CDU-Landesvorsitzenden Georg Milbradt auf dem 16. Landesparteitag der CDU Sachsen am 20. September 2003 in Grimma (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede des CDU-Landesvorsitzenden Stanislaw Tillich auf dem 23. Landesparteitag der CDU Sachsen am 16. Mai 2009 in Leipzig. Rede des Ministerpräsidenten Georg Milbradt auf dem 17. Landesparteitag der CDU Sachsen am 28. August 2004 in Chemnitz (Archiv CDU-LV Sachsen). Rede von Fritz Hähle auf dem 6. Landesparteitag der sächsischen CDU am 9./10. Oktober 1993 in Chemnitz (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede von Fritz Hähle auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU am 13. August 1994 in Dresden (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 1. CDU-Landesparteitag am 1. September 1990 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 6. Landesparteitag der sächsischen CDU am 9./10. Oktober 1993 in Chemnitz (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 7. Landesparteitag der sächsischen CDU am 13. August 1994 in Dresden (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 11. Landesparteitag der CDU Sachsen am 12. Dezember 1998 in Riesa (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 12. Landesparteitag der CDU Sachsen am 10. Juli 1999 in Leipzig (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede von Kurt Biedenkopf auf dem 13. Landesparteitag der CDU Sachsen am 6. November 1999 in Döbeln (Archiv des CDU-LV Sachsen). Rede von Stanislaw Tillich auf dem 23. Landesparteitag der CDU Sachsen am 16. Mai 2009 in Leipzig. Regierungserklärung von Georg Milbradt vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, in: Plenarprotokoll 3/109 des Sächsischen Landtages, S. 8000-8012. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, in: Drucksache 1/4827 des Sächsischen Landtages, S. 7038-7045. Regierungserklärung von Kurt Biedenkopf vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, in: Plenarprotokoll 2/105 des Sächsischen Landtages, S. 7712-7722. Roland Wöller u. a.: Analyse der Landtagswahl 2004 in Sachsen. Vorschläge für ein erfolgreiches Wahlkampfmanagement und eine moderne Parteiarbeit vom 30. Oktober 2004 (Archiv des CDU-LV Sachsen). Vereinbarung zwischen der CDU, Landesverband Sachsen und der SPD, Landesverband Sachsen über die Bildung der Staatsregierung für die 4. Legislaturperiode des Sächsischen Landtages, Dresden 2004. Vertrag für Sachsen. Wissen, wo’s lang geht. Regierungsprogramm der sächsischen CDU 2009-2014. Wahlplattform der CDU Sachsen für die Landtagswahl 1990. „Wie soll Sachsen im Jahr 2000 aussehen?“ Grundsätze und Programm der Sächsischen Union. Beschlossen am 9. Oktober 1993 auf dem 6. Landesparteitag in Chemnitz.
SPD ADSD 3/SN 000064 SPD-Sofortprogramm Landtagswahl ’90. ADSD 3/SN AB 000064 Wahlkampfzeitung Sachsen unsere Heimat. Wichtige Informationen für die Bürger in Sachsen 1990. ADSD 3/SN AB 000180 Rede von Anke Fuchs auf dem Görlitzer Parteitag des SPD-Landesverbands Sachsen am 1. September 1990. ADSD 3/SNAB 000359 SPD-Landesgeschäftsstelle Dresden (Hrsg.): SPD. Daten und Fakten Landesverband Sachsen, Dresden 1994. Das Sachsen-Buch 1999. Geschichte, Zahlen, Daten, Fakten. Wahlkampfbroschüre der sächsischen SPD. Gerecht. Innovativ. Solidarisch. Regierungsprogramm der sächsischen SPD 2009-2014. „Görlitzer Programm“. Programm der sächsischen SPD beschlossen auf dem Landesparteitag am 27./28. Februar 1999 in Görlitz. Kompaktwahlprogramm der sächsischen SPD zur Landtagswahl 2004. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1994, in: Drucksache 1/4827 des Sächsischen Landtages, S. 7045-7050. Rede von Karl-Heinz Kunckel vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 1999, in: Plenarprotokoll 2/105 des Sächsischen Landtages, S. 7722-7728.
10.1 Quellenverzeichnis
419
Rede von Thomas Jurk vor dem Sächsischen Landtag am 24. Juni 2004, in: Plenarprotokoll 3/109 des Sächsischen Landtages, S. 8026-8032. Rede von Thomas Jurk zum Wahlkampfauftakt der SPD am 9. August 2009 in Leipzig. Regierungsprogramm der SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1990. Uns geht’s um Sachsen. Regierungsprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1994. Wir in Sachsen: Mit eigener Kraft. SPD. Rechenschaftsbericht 1990, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 12. Wahlperiode, 12/2165 vom 26. Februar 1992. SPD. Rechenschaftsbericht 1993, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/145 vom 22. Dezember 1994. SPD. Rechenschaftsbericht 1994, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/3390 vom 21. Dezember 1995. SPD. Rechenschaftsbericht 1998, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/2508 vom 14. Januar 2000. SPD. Rechenschaftsbericht 1999, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/5050 vom 15. Dezember 2000. SPD. Rechenschaftsbericht 2004, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 16. Wahlperiode, 16/1270 vom 28. April 2004. SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag (1991): Programm zur Sicherung von 100.000 Industriearbeitsplätzen in Sachsen, Dresden. SPD-Landesverband Sachsen: Wir in Sachsen. Programm für die Oberlausitz, Dresden 1994. SPD-Programm für die Landtagswahl 2004. Es geht um Sachsens Zukunft. Thomas Jurk: Zeit für den Aufbruch, in: Position. Magazin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag (2004) H. 3. Vorstand der der SPD (Hrsg.) (1991): Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschland 1988-89, Bonn. Vorstand der SPD (Hrsg.) (1995): Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschland 1993/94, Bonn. Wahlkampfprospekt des SPD-Landesverbands Sachsen zur Landtagswahl am 11. September 1994. Wahlprogramm der sächsischen SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag 1999. Wahlprogramm der sächsischen SPD zu den Wahlen zum Sächsischen Landtag 1990. Uns geht’s um Sachsen. ZIS Zukunftsinitiative Sachsen. Ein Programm für Sachsens Wirtschaft, Arbeitsmaterial der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Dresden 1999.
PDS Beschluss 58: Thesen zur Wahlstrategie der PDS Sachsen, verabschiedet auf der 3. Tagung des 4. Landesparteitags der PDS Sachsen am 7./8. Juni 1997 in Zwickau (Archiv des PDS-LV Sachsen). Der eigenen Kraft vertrauen. Für Sachsen. Landeswahlprogramm Die Linke Sachsen 2009. Gregor Gysi (1990): Das Wahlprogramm der PDS für die Volkskammerwahlen und die Aufgaben der Partei im Wahlkampf, in: Wahlparteitag der PDS am 24./25. Februar 1990, S. 7-11. Grußansprache des Parteivorsitzenden Lothar Bisky auf der 3. Tagung des 4. Landesparteitags der PDS Sachsen am 7./8. Juni 1997 in Zwickau (Archiv des PDS-LV Sachsen). Konferenz der LINKEN zum Herbst 1989 am 28. März in Dresden „Der Herbst 1989 in Sachsen – Wir sind das Volk“, in: http://portal.dielinke-in-sachsen.de [Stand: 20. September 2009]. PDS. Rechenschaftsbericht 1990, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 12. Wahlperiode, 12/2165 vom 26. Februar 1992. PDS. Rechenschaftsbericht 1993, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/145 vom 22. Dezember 1994. PDS. Rechenschaftsbericht 1994, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 13. Wahlperiode, 13/3390 vom 21. Dezember 1995. PDS. Rechenschaftsbericht 1998, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/2508 vom 14. Januar 2000. PDS. Rechenschaftsbericht 1999, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, 14/5050 vom 15. Dezember 2000. PDS. Rechenschaftsbericht 2004, in: Drucksache des Deutschen Bundestages, 16. Wahlperiode, 16/1270 vom 28. April 2006. PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag (Hrsg.): Aleksa. Alternatives Landesentwicklungskonzept für den Freistaat Sachsen, Dresden 2004.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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10.1.3 Interviewte Personen Adler, Peter (SPD) am 6. Dezember 2005 – 1990-99 Parlamentarischer Geschäftsführer; 1990-2004 Mitglied Landesvorstand; 1990-2004 MdL Bartl, Klaus (PDS) am 13. Januar 2006 – 1990-91 Landesvorsitzender; 1990-94 Fraktionsvorsitzender; seit 1990 MdL; seit 2009 stellvertretender Landesvorsitzender Beese, Andreas (SPD) am 17. November 2005 – ehemaliger Pressesprecher Landtagsfraktion; 2005-09 stellvertretender Regierungssprecher Beyer, Wolf-Dieter (CDU) am 21. November 2005 – 1990 Generalsekretär des DA; 1990-2004 MdL Biedenkopf, Kurt (CDU) am 24. Januar 2006 – 1990-2002 Ministerpräsident; 1991-95 Landesvorsitzender; 19902004 MdL Borriss, Gernot (SPD) am 13. Januar 2006 – 2006-09 SPD-Vorsitzender in Leipzig de Haas, Friedericke (CDU) am 11. Januar 2006 – 1990-94 Parlamentarische Staatssekretärin; 1994-99 Staatsministerin für die Gleichstellung von Frau und Mann; 2004-09 Ausländerbeauftragte des Landtages; 1990-2009 MdL
10.1 Quellenverzeichnis
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Flath, Steffen (CDU) am 21. Dezember 2005 – 1995-99 Generalsekretär CDU-Sachsen; seit 2001 stellv. Landesvorsitzender; seit 1994 MdL; 1999-2004 Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft; 2004-08 Staatsminister für Kultus; seit 2008 Fraktionsvorsitzender Gebhard, Rico (PDS) am 11. Januar 2006 – 1999-2009 Landesgeschäftsführer; seit 2004 MdL; seit 2009 Landesvorsitzender Gillo, Martin am 25. Januar 2006 – 2002-04 Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit; seit 2004 MdL; seit 2009 Ausländerbeauftragter des Landtages Glaesel, Werner (PDS) am 22. Dezember 2005 – seit 1990 wirtschaftspolitischer Berater der Landtagsfraktion Grafe, Reimund (SPD) am 2. Februar 2006 – 1997-99 Berater von Karl-Heinz Kunckel; 1999-2004 Berater von Thomas Jurk Graff, Andreas (PDS) am 7. Dezember 2005 – bis 1990 Fraktionsvorsitzender der SED/PDS im Bezirkstag Dresden sowie stellvertretender Vorsitzender des SED/PDS-Bezirksvorstands Dresden; 1990-2008 Fraktionsgeschäftsführer im Sächsischen Landtag Häcker, Dieter (SPD) am 9. Dezember 2005 – 1991-2004 Schatzmeister Landespartei Hähle, Fritz (CDU) am 10. Januar 2006 – 1991-95 erster stellv. Landesvorsitzender; 1995-2001 Landesvorsitzender; 1994-2008 Fraktionsvorsitzender; 1990-2009 MdL Hahn, André (PDS) am 7. Dezember 2005 – 1991-94 parlamentarischer Berater der Landtagsfraktion; seit 1994 MdL; 1999-2007 Parlamentarischer Geschäftsführer; seit 2007 Fraktionsvorsitzender Herschmann, Frank (SPD) am 2. Februar 2006 – ehemaliger Landesgeschäftsführer Jurk, Thomas (SPD) am 1. Februar 2006 – 1994-99 stellv. Fraktionsvorsitzender; 1999-2004 Fraktionsvorsitzender; 2004-09 Landesvorsitzender; seit 1990 MdL; 2004-09 Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit Kätzel, Lutz (SPD) am 20. Februar 2006 – ehemaliger Landesgeschäftsführer Langer, Eberhard (PDS) am 17. November 2005 – 1986-90 OB von Karl-Marx-Stadt; 1990-99 MdL Leroff, Klaus (CDU) am 14. Dezember 2005 – 1990-2004 Parlamentarischer Geschäftsführer; 1990-2004 MdL Lersow, Michael (SPD) am 3. Januar 2006 – 1990-93 Landesvorsitzender; 1990-94 stellv. Fraktionsvorsitzender; 1990-94 MdL Lommatzsch, Jürgen (SPD) am 2. Februar 2006 – Mitarbeiter Landesgeschäftsstelle Mattern, Ingrid (PDS) am 24. Januar 2006 – 1993-95 Landesgeschäftsführerin; 1994-2009 MdL Milbradt, Georg (CDU) am 16. Januar 2006 – 1991-2001 Staatsminister der Finanzen; 2002-08 Ministerpräsident; 1999-2001 stellv. Landesvorsitzender; 2001-08 Landesvorsitzender; 1994-2009 MdL Münch, Helmut (CDU) am 14. Dezember 2005 – 1990-99 Mitglied Landesvorstand; 1990-94 Parlamentarischer Staatssekretär für Wirtschaft und Arbeit; 1990-2004 MdL Muskulus, Hans-Jürgen (PDS) am 11. Januar 2006 – seit 2000 parlamentarischer Berater der Landtagsfraktion Pecher, Mario (SPD) am 6. Dezember 2005 – 1990-2004 UB-Geschäftsführer Zwickau; seit 2004 MdL Porsch, Peter (PDS) am 7. Dezember 2005 – 1990-2009 MdL; 1993-95, 1997-2001 Landesvorsitzender; 19942007 Fraktionsvorsitzender Rasch, Horst (CDU) am 13. Dezember 2005 – 1999-2003 Mitglied Landesvorstand; 2002-04 Staatsminister des Innern; 1990-2009 MdL Reichenbach, Klaus (CDU) am 10. Januar 2006 – 1990-91 Landesvorsitzender; 1990-94 MdB Richter, Hans-Jürgen (SPD) am 10. Februar 2006 – 1990-99 MdL Rohwer, Lars (CDU) am 1. Dezember 2005 – 1991-94 sowie seit 1998 MdL Rößler, Matthias (CDU) am 18. Januar 2006 – 1994-2002 Staatsminister für Kultus; 2002-04 Staatsminister für Wissenschaft und Kunst; seit 2009 Präsident des Sächsischen Landtages; seit 1990 MdL Roth, Andrea (PDS) am 19. Dezember 2005 – seit 1994 MdL; seit 2004 stellv. Fraktionsvorsitzende Rump, Bernd (PDS) am 24. Januar 2006 – 1991-93 Mitglied des Berliner Parteivorstands; 1990-2009 parlamentarischer Berater der Landtagsfraktion Sagurna, Michael (CDU) am 25. Januar 2006 – 1991-2002 Regierungssprecher; 2007-08 Chef der Staatskanzlei Schmeitzner, Mike (SPD) am 6. Dezember 2005 – 1996-98 Mitglied der Grundwertekommission Schneider, Klaus (SPD) am 24. November 2005 – 1990-2006 UB-Geschäftsführer Chemnitz Schulz, Regina (PDS) am 30. November 2005 – 1994-2009 MdL; 1994-2004 stellv. Fraktionsvorsitzende; 200409 Vizepräsidentin des Sächsischen Landtages Schwanitz, Rolf (SPD) am 20. Februar 2006 – 1993-2010 Mitglied Landesvorstand; seit 1990 MdB; 1998-2005 Staatsminister beim Bundeskanzler; 2005-09 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Gesundheit Weckesser, Ronald (PDS) am 1. Dezember 2005 – 1991-2001 stellvertretender Landesvorsitzender; 1999-2009 MdL Winkler, Hermann (CDU) am 18. Januar 2006 – 2001-04 Generalsekretär CDU-Sachsen; 2004-07 Chef der Staatskanzlei; 1990-2009 MdL; seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlamentes
422
Quellen- und Literaturverzeichnis
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10.2 Literaturverzeichnis Das Literaturverzeichnis nennt lediglich die wichtigste Literatur zu den Kernthemen der Arbeit. Sämtliche verwendete Literatur ist in den Fußnoten an entsprechender Stelle ausführlich vermerkt.
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10.2 Literaturverzeichnis
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10.2.4 Zeitungen und Zeitschriften Berliner Zeitung, Bild am Sonntag, Bild Dresden, Bonner General-Anzeiger, Bonner Rundschau, Chemnitzer Morgenpost, Der Spiegel, Der Tagesspiegel, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Die Union, Die Welt, Die Zeit, Dresdner Morgenpost, Dresdner Neueste Nachrichten, Focus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Freie Presse, Junge Welt, Lausitzer Rundschau, Leipziger Morgenpost, Leipziger Volkszeitung, Neue Zeit, Neues Deutschland, Oberlausitzer Kurier, Radeburger Bote, Rheinischer Merkur, Sächsische Neueste Nachrichten, Sächsische Zeitung, Sächsischer Bote, Sächsisches Tageblatt, Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Welt am Sonntag, Westfälische Rundschau, Westlausitz Kurier, Wochenspiegel Chemnitz
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Systemalternativen ......................................................................................84 Abbildung 2: Säulenmodell ..............................................................................................91 Abbildung 3: Gesellschaftlich-ökonomische Zielsysteme im Wahlkampf .....................360 Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27:
Ordnungstypologie......................................................................................85 Funktion der Direktkandidaten .................................................................314 Quantitative Wahlziele .............................................................................320 Qualitative Wahlziele ...............................................................................321 Kurzfristige und (langfristige) Kernstrategien ..........................................322 Regierungs- oder Oppositionsstrategien ...................................................328 Kandidatenimages und ihre strategische Funktion ...................................349 Zentrale Ordnungselemente der Parteien ..................................................373 Interne und externe Konzeptionsrationalität .............................................379 Landespolitische Gegnertypen und dominante Konkurrenzstrategie ........390 Stimmenanteil von CDU, SPD, PDS, FDP, Grüne bei den ostdeutschen Landtagswahlen 1990-2004 ......................................................................443 Stimmenanteile der Parteien in Sachsen bei den Landtags-, Bundestags-, Europa- und Kommunalwahlen 1990-2009 ..............................................444 Mandatsverteilung im Sächsischen Landtag 1990-2009 ...........................444 Zweitstimmen nach Parteien, Geschlecht und Altersgruppen in den sächsischen Landtagswahlen von 1990-2004 ...........................................445 Wählerschaft der Parteien nach Geschlecht und Altersgruppen in den sächsischen Landtagswahlen von 1990-2004 ...........................................446 Zweitstimmen ausgewählter sozialer Gruppen in den sächsischen Landtagswahlen von 1990-2004 ...............................................................446 Sozialstrukturelle Zusammensetzung der Wählergruppen in den sächsischen Landtagswahlen von 1990-2004 ...........................................447 Einfluss von Wahlbeteiligung und Bevölkerungsdichte auf die Zweitstimmenverteilung 1990-2004 .........................................................447 Wahlbeteiligung nach Alter und Geschlecht in den sächsischen Landtagswahlen von 1994-2004 ...............................................................448 Absolute und relative Direkt- und Listenstimmenergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen 1990-2009 ....................................................449 Parteipräferenzen bei der Landtagswahl 1990-2009 .................................450 Einverständnis mit der Politik des Ministerpräsidenten 1991-2004 .........450 Zufriedenheit mit der Arbeit politischer Institutionen 1993-2004 ............451 Wahrgenommene Parteikompetenzen 1991-2004 ....................................452 Einschätzung der Wirtschaftslage (WL) in Sachsen 1991-2004 ...............453 Volkswirtschaftliche Eckdaten 1990-2004 ...............................................454 Arbeitsmarkt in Sachsen 1990-2004 .........................................................455
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Tabellenanhang
Tabelle 11: Stimmenanteil von CDU, SPD, PDS, FDP, Grüne bei den ostdeutschen Landtagswahlen 1990-2004 (in Prozent) Brandenburg 1990 1994 1999 2004 CDU 29,5 18,7 26,6 19,4 SPD 38,2 54,1 39,3 31,9 PDS 13,4 18,7 23,3 28,0 FDP 6,6 2,2 1,9 3,6 Grüne 9,21 2,9 1,9 3,3 Sonstige 3,1 3,4 7,0 13,8 Mecklenburg-Vorpommern 1990 1994 1998 2002 CDU 38,3 37,7 30,2 31,4 SPD 27,0 29,5 34,3 40,6 PDS 15,7 22,7 24,4 16,4 FDP 5,5 3,8 1,6 4,7 Grüne 9,3² 3,7 2,7 2,6 Sonstige 4,2 2,6 6,8 4,3 Sachsen 1990 1994 1999 2004 CDU 53,8 58,1 56,9 41,1 SPD 19,1 16,6 10,7 9,8 PDS 10,2 16,5 22,2 23,6 FDP 5,3 1,7 1,1 5,9 Grüne 5,6³ 4,1 2,6 5,1 Sonstige 6,0 3,0 7,8 14,5 Sachsen-Anhalt 1990 1994 1998 2002 CDU 39,0 34,4 22,0 37,3 SPD 26,0 34,0 35,9 20,0 PDS 12,0 19,9 19,6 20,4 FDP 13,5 3,6 4,2 13,3 4 Grüne 5,3 5,1 3,2 2,0 Sonstige 4,2 3,0 14,9 7,0 Thüringen 1990 1994 1999 2004 CDU 45,4 42,6 51,0 43,0 SPD 22,8 29,6 18,5 14,5 PDS 9,7 16,6 21,3 26,1 FDP 9,3 3,2 1,1 3,6 Grüne 6,55 4,5 1,9 4,5 Sonstige 6,3 3,5 6,2 7,3 1 Das Bündnis 90 erreichte 6,4 Prozent, die Grünen kamen auf 2,8 Prozent. ² Grüne (4,2 Prozent), Neues Forum (2,5 Prozent) und Bündnis 90 (2,2 Prozent) kandidierten gesondert. ³ Der Name der Gruppierung hieß: Neues Forum – Bündnis – Grüne. 4 Der Name der Gruppierung hieß: Die Grünen/Neues Forum. 5 Der Name der Gruppierung hieß: Grüne, Neues Forum, Demokratie Jetzt. Quelle: Zusammenstellung nach den amtlichen Wahlstatistiken.
T. Schubert, Wahlkampf in Sachsen, DOI 10.1007/978-3-531-92830-2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
444
Tabellenanhang
Tabelle 12: Stimmenanteile der Parteien in Sachsen bei den Landtags-, Bundestags-, Europa- und Kommunalwahlen 1990-2009 (in Prozent) CDU SPD PDS¹ Grüne Landtagswahlen 14.10.1990 53,8 19,1 10,2 5,6² 11.09.1994 58,1 16,6 16,5 4,1³ 19.09.1999 56,9 10,7 22,2 2,6 19.09.2004 41,1 9,8 23,6 5,1 30.08.2009 40,2 10,4 20,6 6,4 Bundestagswahlen 02.12.1990 49,5 18,2 9,0 5,9 16.10.1994 48,0 24,3 16,7 4,8 27.09.1998 32,7 29,1 20,0 4,4 22.09.2002 33,6 33,3 16,2 4,6 18.09.2005 30,0 24,5 22,8 4,8 27.09.2009 35,6 14,6 24,5 6,7 Europawahlen 12.06.1994 39,2 21,0 16,6 5,6 13.06.1999 45,9 19,6 21,0 2,7 13.06.2004 36,5 11,9 23,5 6,1 07.06.2009 35,3 11,7 20,1 6,7 Gemeinde-/Stadtratswahlen 06.05.1990 39,8 12,9 10,5 3,5 12.06.1994 34,8 17,6 14,5 5,0 13.06.1999 39,9 15,7 16,9 2,4 13.06.2004 34,8 11,4 18,6 3,1 07.06.2009 32,7 10,9 15,5 5,0 Kreistags-/Stadtratswahlen der Kreisfreien Städte 06.05.1990 44,6 14,7 11,6 4,5 12.06.1994 38,6 21,0 16,7 7,7 13.06.1999 44,5 18,7 19,2 3,7 13.06.2004 38,4 13,6 21,6 5,2 08.06.2008 39,5 11,5 18,7 3,1 ¹ ab 2007 Die Linke ² Der Name der Gruppierung hieß: Neues Forum – Bündnis – Grüne. ³ Das gesondert kandidierende Neue Forum Sachsen erreichte 0,7 Prozent. Quelle: Zusammenstellung nach den amtlichen Wahlstatistiken.
FDP
Sonst.
5,3 1,7 1,1 5,9 10,0
6,0 3,0 6,5 14,5 12,4
12,4 3,8 3,6 7,3 10,2 13,3
5,0 2,4 10,2 5,0 7,7 5,3
3,8 2,3 5,2 9,8
13,8 8,5 16,8 16,4
8,3 6,4 4,1 5,1 8,3
25,0 21,7 20,9 26,9 27,6
7,5 6,3 5,2 7,2 8,3
17,1 9,7 8,8 14,1 18,9
Tabelle 13: Mandatsverteilung im Sächsischen Landtag 1990-2009 1990 1994 1999 2004 2009 92 77 76 55 58 CDU 32 22 14 13 14 SPD PDS* 17 21 30 31 29 Grüne** 10 – – 6 9 9 – – 7 14 FDP – – – 12 8 NPD * ab 2007 Die Linke ** 1990: Neues Forum – Bündnis – Grüne; ab 1993 Bündnis 90/Die Grünen Quelle: Zusammenstellung nach den amtlichen Wahlstatistiken.
Tabellenanhang
445
Tabelle 14: Zweitstimmen nach Parteien, Geschlecht und Altersgruppen in den sächsischen Landtagswahlen von 1990-2004 (in Prozent) CDU SPD PDS 1990 1994 1999 2004 1990 1994 1999 2004 1990 1994 1999 2004 Jahr 53,8 58,1 56,9 41,1 19,1 16,6 10,7 9,8 10,2 16,5 22,2 23,6 Wahlergebnis Ø Geschlecht Männlich 56,4 55,8 54,4 39,7 17,0 17,4 10,6 9,2 7,3 17,3 22,9 23,6 Weiblich 55,7 60,6 59,8 42,4 17,1 16,2 10,6 10,4 9,0 14,8 21,1 23,6 Alter 18-24 49,7 55,9 58,1 32,3 14,6 10,5 6,7 8,7 8,2 15,2 15,6 17,4 25-34 [25-29]* 50,3 55,5 60,7 39,6 15,4 14,2 7,9 7,6 8,1 15,2 16,4 15,5 35-44 [30-39] 54,5 57,8 58,2 39,4 14,6 15,0 8,2 7,2 8,8 16,3 21,0 21,0 45-59 [40-59] 58,4 58,6 55,1 40,0 18,0 17,3 10,3 7,9 7,7 16,4 24,5 26,4 60+älter 58,9 60,1 56,8 45,3 20,2 19,8 14,0 13,6 8,9 15,8 24,0 26,9 Alter/Geschlecht 18-24 Mann 51,5 56,2 55,9 31,4 13,8 9,8 5,9 8,3 7,7 15,5 15,7 17,4 -34 Mann [-39] 53,5 56,5 60,0 39,4 13,2 13,0 7,5 7,1 7,0 15,5 15,8 13,9 -44 Mann [-49] 59,6 57,5 57,5 40,4 13,4 15,2 8,5 6,6 6,7 16,2 19,7 19,4 -59 Mann 57,4 55,8 52,8 39,1 21,7 18,8 10,3 7,3 5,4 17,5 25,3 26,3 60+älter Mann 58,0 54,0 51,0 42,3 23,3 21,9 15,0 13,4 10,0 19,4 28,1 29,3 18-24 Frau 49,7 55,4 60,7 33,4 14,9 11,2 7,7 9,1 8,8 14,9 15,5 17,3 -34 Frau [-39] 51,1 54,4 61,5 40,0 16,5 15,4 8,3 8,2 10,4 15,0 17,1 17,3 -44 Frau [-49] 56,2 58,2 58,8 38,5 19,1 14,7 7,9 7,8 7,9 16,4 22,4 22,7 -59 Frau 58,3 61,4 57,4 40,8 18,1 15,8 10,4 8,5 11,1 15,4 23,7 26,6 60+älter Frau 61,2 64,1 61,3 47,8 16,1 18,3 13,2 13,8 6,8 13,4 21,0 24,9 Quellen für die Tabellen 14-17: Repräsentative Wahlstatistiken des Statistischen Landesamtes Sachsen 19942004; Wahlanalysen der Forschungsgruppe Wahlen e.V. zu den sächsischen Landtagswahlen 1990-2004; eigene Berechnungen. Die Tabellen basieren für die Jahre 1994 bis 2004 auf der repräsentativen Wahlstatistik des Statistischen Landesamtes Sachsen. Für diese Jahre wurden Daten zu Beruf, Berufsgruppe, Konfession und gewerkschaftlicher Bindung der Wähler aus Erhebungen der Forschungsgruppen Wahlen e.V. ergänzt. Für das Jahr 1990 beruhen alle Daten auf der Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen e.V. Lesehinweis: 1990 stimmten 49,7 Prozent der 18-24jährigen Wähler für die CDU, 14,6 Prozent für die SPD und 8,2 Prozent für die PDS. * In den Tabellen 14/15 wurde 1990 die Wählerstruktur nach Alter anhand eines anderen Verteilungsschlüssels bestimmt [Zahl].
446
Tabellenanhang
Tabelle 15: Wählerschaft der Parteien nach Geschlecht und Altersgruppen in den sächsischen Landtagswahlen von 1990-2004 (in Prozent)´
Jahr Alter
1990
CDU 1994 1999
2004
1990
SPD 1994 1999
2004
1990
PDS 1994 1999
2004
18-24 10,2 5,8 7,9 6,3 9,7 3,8 4,9 7,1 11,5 5,8 5,5 5,9 25-34 [25-29] 8,7 13,4 13,3 11,2 8,6 11,9 9,3 9,0 9,5 13,4 9,3 7,6 35-44 [30-39] 17,3 18,7 19,3 17,8 14,9 16,8 14,7 13,6 19,0 19,3 18,1 16,6 45-59 [40-59] 38,3 28,9 26,0 25,6 38,4 29,6 26,3 21,1 34,8 29,7 30,0 29,5 60+älter 23,9 33,2 33,6 39,0 26,4 37,9 44,7 49,1 24,6 31,9 37,0 40,4 Alter/Geschlecht* 18-24 Mann 7,2 9,1 7,2 4,0 4,9 8,2 6,4 6,1 6,7 -34 Mann 15,1 14,6 12,4 11,1 9,4 9,7 13,3 9,1 7,4 -44 Mann 20,6 20,7 19,3 17,4 15,7 13,5 18,7 16,8 15,6 -59 Mann 30,4 27,1 26,3 32,8 27,0 21,0 30,7 30,8 29,7 60+älter Mann 26,7 28,5 34,8 34,7 42,9 47,5 30,9 37,2 40,5 18-24 Frau 4,7 6,9 5,6 3,5 4,9 6,2 5,2 5,0 5,2 -34 Frau 12,0 12,1 10,1 12,6 9,3 8,5 13,5 9,5 7,9 -44 Frau 17,2 18,1 16,5 16,2 13,8 13,7 19,8 19,4 17,5 -59 Frau 27,8 25,0 24,9 26,7 25,7 21,2 28,6 29,3 29,2 60+älter Frau 38,4 37,9 42,9 40,9 46,3 50,4 32,9 36,7 40,2 Lesehinweis: Unter den PDS-Wählern waren 2004 29,5 Prozent 45-59 Jahre alt und 40,4 Prozent über 60 Jahre. 5,9 Prozent der PDS-Wähler 2004 waren unter 25 Jahre. * Für Alter/Geschlecht wurden 1990 keine Daten erhoben
Tabelle 16: Zweitstimmen ausgewählter sozialer Gruppen in den sächsischen Landtagswahlen von 1990-2004 (in Prozent) CDU SPD PDS 1990 1994 1999 2004 1990 1994 1999 2004 1990 1994 1999 2004 Jahr 53,8 58,1 56,9 41,1 19,1 16,6 10,7 9,8 10,2 16,5 22,2 23,6 Wahlergebnis Berufstätigkeit berufstätig 57,9 59,0 44,0 15,2 9,0 8,0 17,2 21,0 20,0 Rentner 61,7 56,0 44,0 19,1 13,0 14,0 14,1 25,0 28,0 in Ausbildung 32,5 55,0 48,0 27,0 10,5 6,0 9,0 7,0 16,0 20,8 20,0 22,0 arbeitslos 46,3 50,0 23,0 21,6 12,0 7,0 21,5 26,0 36,0 Berufsgruppe Arbeiter 60,9 60,4 60,0 40,0 17,1 18,2 11,0 8,0 4,6 12,3 18,0 23,0 Angestellte 50,3 52,9 52,0 41,0 20,9 17,4 11,0 12,0 14,7 20,9 27,0 26,0 Beamte 53,9 52,0 40,0 9,1 7,0 13,0 24,3 32,0 25,0 Selbstständige 71,2 68,9 65,0 50,0 6,0 8,9 6,0 8,0 3,6 13,7 19,0 15,0 Landwirte 71,6 68,0 48,0 9,9 7,0 10,0 7,1 16,0 20,0 Konfession keine 45,6 47,1 48,0 33,0 21,2 17,5 11,0 10,0 14,1 25,9 30,0 29,0 evangelisch 68,0 71,6 70,0 58,0 13,1 16,0 10,0 10,0 1,2 4,7 11,0 11,0 katholisch 72,1 77,8 77,0 57,0 10,7 7,6 6,0 10,0 0,5 6,1 8,0 12,0 Gewerkschaft ja 48,9 47,0 35,0 21,4 14,0 12,0 20,5 29,0 29,0 nein 61,0 59,0 42,0 14,5 10,0 9,0 15,7 21,0 22,0 Lesehinweis: 59,0 Prozent aller berufstätigen Wähler gaben 1999 ihre Stimme der CDU, 9,0 Prozent der SPD und 21,0 Prozent stimmten für die PDS.
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Tabelle 17: Sozialstrukturelle Zusammensetzung der Wählergruppen in den sächsischen Landtagswahlen von 1990-2004 (Zweitstimmen in Prozent) CDU SPD PDS 1990 1994 1999 2004 1990 1994 1999 2004 1990 1994 1999 2004 Jahr Berufstätigkeit berufstätig 48,6 50,0 54,0 44,8 40,0 42,0 50,8 45,0 42,0 Rentner 33,6 31,0 29,0 36,4 39,0 39,0 27,1 36,0 32,0 in Ausbildung 1,8 4,5 3,0 1,9 1,7 3,0 6,1 6,0 3,0 arbeitslos 7,6 8,0 6,0 12,4 10,0 7,0 12,4 11,0 16,0 Berufsgruppe Arbeiter 41,2 35,0 40,0 37,0 37,5 37,0 39,0 29,0 21,1 25,1 31,0 37,0 Angestellte 36,2 38,6 38,0 39,0 46,0 44,3 44,0 48,0 57,2 53,6 51,0 43,0 Beamte 1,5 2,0 3,0 0,9 2,0 4,0 2,3 4,0 3,0 Selbstständige 7,2 6,7 9,0 9,0 1,9 3,0 5,0 6,0 2,5 4,7 7,0 5,0 Landwirte 2,4 2,0 2,0 1,2 1,0 2,0 0,9 1,0 2,0 Konfession keine 42,6 44,0 49,0 51,0 64,1 57,2 61,0 62,0 89,9 85,2 78,0 79,0 evangelisch 47,5 44,7 39,0 39,0 29,6 34,9 29,0 29,0 5,5 10,4 16,0 13,0 katholisch 6,3 5,4 6,0 5,0 3,0 1,8 3,0 3,0 0,3 1,5 2,0 2,0 Gewerkschaft ja 22,6 16,0 13,0 34,7 25,0 19,0 33,5 26,0 19,0 nein 69,6 75,0 80,0 57,9 64,0 74,0 63,1 68,0 73,0 Lesehinweis: Die Wählerschaft der SPD bestand 1994 zu 37,0 Prozent aus Arbeitern und zu 44,3 Prozent aus Angestellten.
Tabelle 18: Einfluss von Wahlbeteiligung und Bevölkerungsdichte auf die Zweitstimmenverteilung 1990-2004 (in Prozent) CDU SPD PDS 1990 1994 1999 2004 1990 1994 1999 2004 1990 1994 1999 Jahr Wahlbeteiligung niedrig 46,9 53,9 52,8 37,8 22,7 18,6 13,2 12,5 12,9 18,6 24,3 mittel 54,8 59,3 58,5 42,6 18,3 16,2 10,0 9,1 10,0 15,9 21,2 hoch 58,9 61,0 59,2 42,5 16,6 15,0 9,2 8,2 8,1 15,0 21,1 insgesamt 53,8 58,1 56,9 41,1 19,1 16,6 10,7 9,8 10,2 16,5 22,2 Bevölkerungsdichte niedrig 61,4 59,7 43,1 16,1 9,9 8,5 14,1 20,5 mittel 60,9 58,1 43,1 16,6 10,9 8,8 14,0 21,3 hoch 51,1 51,1 36,8 17,2 11,7 12,3 22,1 25,9 Großstädte Chemnitz 46,0 50,0 49,1 37,3 20,5 20,6 12,5 11,7 15,2 21,4 28,1 Dresden 51,1 54,0 55,1 40,0 14,4 12,4 8,4 8,9 14,9 23,1 24,7 Leipzig 39,5 48,5 46,6 33,4 28,2 19,6 15,6 16,8 12,8 22,0 26,6 restl. Wahlkr. 60,6 58,8 42,8 16,5 10,4 8,7 14,4 20,9 Quelle: Wahlanalysen der Forschungsgruppe Wahlen e.V. zu den sächsischen Landtagswahlen 1990-2004.
2004 25,6 23,3 22,2 23,6 23,1 22,9 24,8 27,2 22,4 25,4 23,1
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Tabelle 19: Wahlbeteiligung nach Alter und Geschlecht in den sächsischen Landtagswahlen von 1994-2004 (in Prozent) Jahr Alter 18-24 25-34 35-44 45-59 60+ insgesamt Alter/Geschlecht 18-24 25-34 35-44 45-59 60+ insgesamt
1994 34,9 41,3 54,4 63,9 66,6 58,4 Mann 35,6 40,0 53,1 63,9 71,4 55,3
Frau 34,1 42,7 55,7 63,9 63,9 56,1
1999
2004
42,6 47,2 57,4 63,2 66,4 61,1 Mann Frau 43,8 41,3 45,8 48,7 56,3 58,6 63,1 63,3 71,2 63,2 58,6 58,3
43,4 48,5 57,8 62,0 60,2 59,6 Mann Frau 45,1 41,5 47,9 49,2 56,4 59,3 61,6 62,4 65,1 56,8 57,6 56,2
Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.: Wahllexikon 2004. Wahlergebnisse in der Bundesrepublik Deutschland und in den Ländern 1946-2004, Sankt Augustin/Berlin 2004, S. 230.
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